Die Dreiecksbeziehung zwischen Arbeitnehmer, Arbeitgeber und Finanzamt beim Lohnsteuerabzug: Ein Beitrag zur Trennung von Arbeitsrecht und Steuerrecht [1 ed.] 9783428470006, 9783428070008

137 62 28MB

German Pages 294 Year 1990

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Die Dreiecksbeziehung zwischen Arbeitnehmer, Arbeitgeber und Finanzamt beim Lohnsteuerabzug: Ein Beitrag zur Trennung von Arbeitsrecht und Steuerrecht [1 ed.]
 9783428470006, 9783428070008

Citation preview

HORST SCHÄFER

Die Dreiecksbeziehung zwischen Arbeitgeber, Arbeitnehmer und Finanzamt beim Lohnsteuerabzug

Schriften zum Steuerrecht Band 37

Die Dreiecksbeziehung zwischen Arbeitnehmer, Arbeitgeber und Finanzamt beim Lohnsteuerabzug Ein Beitrag zur Trennung von Arbeitsrecht und Steuerrecht

Von Dr. Horst Schäfer

DUßcker & Humblot . Berliß

CIP-Titelaufnahme der Deutschen Bibliothek

Schäfer, Horst:

Die Dreiecksbeziehung zwischen Arbeitnehmer, Arbeitgeber und Finanzamt beim Lohnsteuerabzug: ein Beitrag zur Trennung von Arbeitsrecht und Steuerrecht / von Horst Schäfer. - Berlin: Duncker und Humblot, 1990 (Schriften zum Steuerrecht; Bd. 37) Zugl.: Köln, Univ., Diss., 1989 ISBN 3-428-07000-3 NE:GT

Alle Rechte vorbehalten © 1990 Duncker & Humblot GmbH, Berlin 41 Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin 61 Druck: Alb. Sayffaerth - E. L. Krohn, Berlin 61 Printed in Germany ISSN 0582-0235 ISBN 3-428-07000-3

Meiner Frau

Vorwort Die Lohnsteuer hat von ihrem Aufkommen her gesehen eine zentrale Bedeutung für das Finanzaufkommen der Bundesrepublik Deutschland. Die wesentlichen Aufgaben des Lohnsteuerabzugsverfahrens sind den Arbeitgebern übertragen worden, die diese Aufgaben als notwendiges Übel - im Gegensatz zum Staat bei der Kirchensteuer - kostenfrei erfüllen. Die Arbeitgeber kommen in der großen Mehrzahl ihren öffentlich-rechtlichen Pflichten ordnungsgemäß nach; das Lohnsteuerabzugsverfahren läuft. Daher führt das Lohnsteuerrecht das Dasein eines Hinterbänklers, oder: Das Lohnsteuerrecht zählt im Gegensatz zum Ballsaal des Außensteuerrechts zur Wohnküche des Steuerrechts. Die vorliegende Arbeit führt den Nachweis, daß das vom Gesetzgeber feingesponnene Netz des Dreiecks zwischen Arbeitnehmer, Arbeitgeber und Finanzamt nicht zur Rechtsmaterie des Arbeitsrechts zählt, sondern es gehört zu den Zentralthemen des Steuerrechts. Dabei kommt der Verfasser nicht um die Feststellung umhin, daß sich die ArbeitsrechtIer und auch die Steuerrechtier vor einer Auseinandersetzung mit dem Spannungsverhältnis von arbeitsrechtlichem Arbeitslohn und steuerrechtlicher Lohnsteuerschuld bisher gescheut haben. Wenn es dieser Arbeit gelingt, eine Diskussion zwischen diesen Disziplinen über dieses Spannungsverhältnis anzuregen, hat sie ihren Zweck voll erfüllt. Die Arbeit lag im Wintersemester 1989/90 der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Albertus-Magnus-Universität zu Köln als Dissertation vor. Meinem Doktorvater und Erstgutachter, Herrn Prof. Dr. Klaus Tipke, möchte ich besonders herzlich danken, daß er mir die Chance gegeben hat, diese Arbeit zu schreiben. Ich werde nie den Abend vergessen, an dem ich die Ergebnisse der Untersuchung im Seminar des Instituts für Steuerrecht vorstellen durfte. Zweitgutachter war Herr Prof. Dr. Joachim Lang, der die Arbeit zügig korrigiert hat. Bergisch Gladbach, im Dezember 1990

Horst Schäfer

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

23

Allgemeiner Teil 1. Abschnitt Das Erlöschen der Lohnsteuerschuld

27

A. Das Problem

27

B. Eigene Auffassung . . . . . . . . . . .

29

c.

1. Abführung der Lohnsteuer als Erlöschenszeitpunkt 1.1 Arbeitnehmer ist nicht abführungspflichtig 1.2 Abführung der Lohnsteuer durch den Arbeitgeber gilt nicht als Leistung des Arbeitnehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Arbeitgeber führt nicht als Dritter i. S. des § 48 Abs. 1 AO ab . . 1.4 Zusätzliche allgemeine Überlegungen . . . . . . 1.5 Zwischenergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . .

29 29

2. Einbehaltung der Lohnsteuer als Erlöschenszeitpunkt

33

Ergebnis des ersten Abschnitts . . . . . . . . . . . . . . . . . .

35

29 30 31 32

2. Abschnitt Organisationsrechtliche SteUung des Arbeitgebers im Lohnsteuerabzugsverfahren

37

A. Das Problem

37

B. Exkurs: Pflichten des Arbeitgebers

40

1. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

40

2. Pflichten des Arbeitgebers gegenüber dem Arbeitnehmer ........ 2.1 Einbehaltungsverpflichtung (§ 38 Abs. 3 Satz 1 EStG) 2.11 Sachverhalts aufklärung . . . . . . . . . . . . . 2.12 Berechnung der Lohnsteuer ...... . . . . 2.13 Kürzung des Arbeitslohnanspruchs 2.131 Befreiung von der Kürzung des Arbeitslohnanspruchs ........ 2.132 Auskehrung staatlicher Leistungen durch den Arbeitgeber ..... 2.14 Zwischenergebnis................................

41 41 42 44 44 44 45 46

Inhaltsverzeichnis

10

2.2 2.3 2.4

Änderung des Lohnsteuerabzugs (§ 41c Abs. 1 EStG) Betrieblicher Lohnsteuer-Jahresausgleich (§ 42 b EStG) ...... . Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

46 47 48

3. Pflichten des Arbeitgebers gegenüber der Finanzverwaltung ........ . 3.1 Lohnsteuer-Anmeldung (§ 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG) 3.2 Abführung der Lohnsteuer (§ 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG) 3.3 Duldung von Kontrollen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

49

4. Zwischenergebnis

49

50 51 52

C. Herrschende Auffassung: Der Arbeitgeber handelt aus seiner arbeitsrechtlichen Stellung heraus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

53

1. Begründung der herrschenden Auffassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Transformationsthese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Rückgriffsthese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

53 54 56

2. Kritik 2.1 Kritik am Grundgedanken der Rückgriffsthese und der Transformationsthese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Kritik an der Übertragung ins Arbeitsrecht . . . . . . . . . . . . . . . 2.21 Pragmatische Einwände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.22 Systematische Einwände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.23 Angebliche Parallele zu den öffentlich-rechtlichen Arbeitsschutzvorschriften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Kritik an der Rückgriffsthese . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.31 Rechtsweg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.32 Funktioneller Einwand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.33 Folgen eines arbeitsvertraglichen Rückgriffs Sinn und Zweck des Lohnsteuerabzugsverfahrens . . . . . . . . . . . 2.4

58

3. Zwischenergebnis: Ablehnung der herrschenden Auffassung

69

D. Eigene Auffassung: Der private Arbeitgeber als "Beliehener"

58 59 59

61 63 65 65 65 66 68

70

1. Historische Entwicklung des Beliehenenbegriffs ....... . . . . . . . . .. 1.1 "Die Verleihung öffentlicher Unternehmungen" Otto Mayers ... 1.2 "Beliehener Unternehmer" Ernst Rudolf Hubers . . . . . . . . . . . 1.3 Auflösung des Begriffs des beliehenen Unternehmers

71 71 73 74

2. Verfassungsrechtliche Überlegungen zur Beleihung des Arbeitgebers im Lohnsteuerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Zulässigkeit der Beleihung im Steuerrecht ...... . . . . . . . . .. 2.11 Auffassung Schicks .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2.12 Stellungnahme.................................. 2.2 Verfassungsrechtliche Schranken der Beleihung . . . . . . . . . . . . 2.21 Institutioneller Gesetzesvorbehalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

75 75 75 76 78 78

Inhaltsverzeichnis 2.22 2.23 2.3

11

Staatliche Aufsicht über Beliehene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Funktionsvorbehalt des Art. 33 Abs. 4 GG . . . . . . . . . . . . . . . Zwischenergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

79 80 83

3. Tatbestandsmerkmale der Beleihung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 3.1 Organisationsrechtliche Selbständigkeit des Arbeitgebers ...... 84 3.11 Auffassung Schicks und Gast-de Haans . . . . . . . . . . . . . . . . .. 85 3.12 Stellungnahme.................................. 86 3.13 Zwischenergebnis................................ 88 3.2 Übertragung eines Stücks öffentlicher Verwaltung .......... 88 3.21 Beleihungstheorien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 88 3.211 Formelle Aufgabentheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 3.212 Rechtsstellungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 3.2121 Darstellung der Rechtsstellungstheorie . . . . . . . . . . . . . . .... 90 3.2122 Abgrenzung zur gesetzlichen Indienstnahme Privater . . . . . . . .. 91 3.22 Rechtsstellung des Arbeitgebers im einzelnen . . . . . . . . . . . . . 93 3.221 Übertragung der Ausübung einer staatlichen Verwaltungsaufgabe . 94 3.222 Erfüllung staatlicher Verwaltungsaufgaben mit hoheitlichen Befugnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 3.3 Adressat der Beleihung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 E. Ergebnis des zweiten Abschnitts . . . . . . . . . . . . . . . .......... . ... 102

Besonderer Teil

3. Abschnitt Das Außenverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer

A. Steuerrechtliche Betrachtung des Außenverhältnisses

104

. . . . . . . . . . . . . . . 104

1. Sachverhaltsaufklärung bei Lohnzahlungen Dritter (§ 38 Abs. 1 Satz 2

EStG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Freiwillige unmittelbare Trinkgeldzahlungen und der Tatbestand des § 38 Abs. 1 Satz 2 EStG .... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 1.2 Grenzen der Aufklärungspflicht des Arbeitgebers . . . . . . . . . . . 1.3 Verfassungswidrigkeit des § 38 Abs. 1 Satz 2 EStG? ......... 1.4 Zwischenergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

105

2. Rechtsnatur der Einbehaltung der Lohnsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.1 Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.11 Auffassung Schicks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2.12 Auffassung Klouberts und des Bundesministers der Finanzen . . .. 2.13 Auffassung Drensecks . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. Eigene Auffassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 2.21 Ansatzpunkt für die Bestimmung der Rechtsnatur

116 116 116 117 118 118 118

106 108 111 115

Inhaltsverzeichnis

12 2.22 2.3

Verwaltungsakt-Befugnis des Arbeitgebers? 120 Zwischenergebnis.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 123

3. Rechtsnatur der Eintragungen auf der Lohnsteuerkarte . . . . . . . . . . . . 3.1 Eintragungen auf der Lohnsteuerkarte als Feststellungsbescheide 3.2 Folgebescheide . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.21 Lohnsteuer-Anmeldung als Folgebescheid . . . . . . . . . . . . . . .. 3.22 Einbehaltung der Lohnsteuer durch den Arbeitgeber "als" Folgebescheid . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

124 125 126 126

4. Rechtsschutz des Arbeitnehmers gegen die Einbehaltung der Lohnsteuer 4.1 Allgemeines.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 4.2 Rechtsschutz des Arbeitnehmers gegen die Einbehaltung der Lohnsteuer gemäß § 38 Abs. 3 Satz 1 EStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.21 Möglichkeiten des Rechtsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.22 Erstattung durch das Finanzamt gemäß § 37 Abs. 2 Satz 1 AO analog . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.221 Anwendbarkeit des § 37 Abs. 2 Satz 1 AO im laufenden Kalenderjahr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 4.222 Tatbestandsvoraussetzungen des § 37 Abs. 2 Satz 1 AO ....... 4.23 Allgemeine Leistungsklage gegen den Arbeitgeber? Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 4.3

128 129

5. Rechtsschutz des Arbeitnehmers gegen die Änderung des Lohnsteuerabzugs (§ 41c EStG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.1 Tatbestand des § 41c EStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.11 § 41c Abs. 1 NT. 1 EStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.12 § 41c Abs. 1 NT. 2 EStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2 Rechtsfolgen des § 41c EStG und der Rechtsschutz des Arbeitnehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.21 Verpflichtung des Arbeitgebers zur Änderung des Lohnsteuerabzugs? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.22 Arbeitgeber führt eine Änderung des Lohnsteuerabzugs nicht durch (§ 41c Abs. 4 Satz 1 1. Halbs. EStG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.221 Voraussetzungen der Anzeige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 5.2211 Zu lässigkeit der Anzeige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.2212 Inhalt der Anzeige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.222 Rechtsschutz des Arbeitnehmers gegen die Anzeige ......... 5.23 Arbeitgeber führt eine Änderung des Lohnsteuerabzugs durch . .. 5.231 Teilweise nachträgliche Einbehaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.232 Rechtsschutz des Arbeitnehmers gegen die teilweise nachträgliche Einbehaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5.3 Zwischenergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

127

129 129 130 130 132 134 135 135 136 136 136 138 139 140 140 140 141 142 142 143 144 145

6. Rechtsschutz des Arbeitnehmers gegen den betrieblichen LohnsteuerJahresausgleich (§ 42b EStG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147

Inhaltsverzeichnis 6.1 6.2 6.3

13

Arbeitgeber erstattet im Lohnsteuer-Jahresausgleich einen zu geringen Betrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 Arbeitgeber verweigert die Durchführung eines Lohnsteuer-Jahresausgleichs ..... ... ..... .. . . .. .. . .. .. .. 148 Zwischenergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 149

7. Rechtsnatur und Pfändung der Erstattungsansprüche aus §§ 41c Abs. 1, 149 42b Abs. 2 Satz 5 EStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. Arbeitsrechtliche Betrachtung des Außenverhältnisses

151

1. Arbeitsrechtliche Lohnansprüche

152

2. Folgerungen aus diesen arbeitsrechtlichen Lohnansprüchen 2.1 Zuständigkeit der Arbeitsgerichte . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Bruttolohnurteil der Arbeitsgerichte 2.3 Zwangsvollstreckung aus dem Bruttolohnurteil

154 154 156

3. Zwischenergebnis

159

C. Haftungsrechtliche Betrachtung des Außenverhältnisses

157

160

1. Tatbestand des § 839 BGB i. V. mit Art. 34 Satz 1 GG . . . . . . . . . . . . 161 1.1 1.2 1.3 1.4

Handeln in Ausübung eines öffentlichen Amtes (Art. 34 Satz 1 GG) 161 Verletzung einer Amtspflicht gegenüber einem Dritten 162 § 839 Abs. 3 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 Zu ersetzender Schaden

166

2. Bundesland der Betriebsstätte als Passivlegitimierter des Amtshaftungsanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 3. Rückgriff des Landes gegen den Arbeitgeber (Art. 34 Satz 2 GG) ..... 171 4. Zwischenergebnis

174

4. Abschnitt Die Lohnsteuer-Anmeldung

175

A. Rechtsnatur des in der Lohnsteuer-Anmeldung angegebenen Steueranspruchs 175 1. Heute vertretene herrschende Auffassungen . . . . . . . . . . . . • . . . . . . 177 1.1 Lohnsteuer-Anmeldung als' Festsetzung einer Steuer- und/oder Haftungsschuld des Arbeitgl:bers . . . . . . . . . . . 177 1.11 1.12

1.2 1.3

Darstellung der Ansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. Kritik der Ansicht Lohnsteuer-Anmeldung als Festsetzung einer Steuerschuld gegen Arbeitgeber und/oder Arbeitnehmer . . . . . . . . . . Zwischenergebnis .....

2. Eigene Auffassung . . . . . . . . . . ..... . 2.1 Entrichtungssteuerschuld gegen den Arbeitgeber 2.11

Existenz einer Entrichtungssteuerschuld ..... .

177

177 179 179 180 180 180

14

Inhaltsverzeichnis 2.12 Inhalt der Entrichtungssteuerschuld .... 2.121 Im betrieblichen Lohnsteuer-Jahresausgleich zu erstattende Lohnsteuer (§ 42b Abs. 2 Satz 3 EStG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.122 "Abzusetzen" i. S. des § 3 Abs. 1 Satz 2 BergPG; § 28 Abs. 5 Satz 5 BeriinFG; § 13 Abs. 6 Satz 15. VermBG . . . . . . . . . . . . . . . . 2.2 Exkurs: Abgrenzung der Lohnsteuer-Anmeldung von der Abführung der Lohnsteuer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.3 Exkurs: Abgrenzung des Lohnsteuer-Anmeldungsverfahrens vom Haftungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.31 Unmittelbare Anwendung des § 42d Abs. 4 Nr. 1 EStG 2.32 Analoge Anwendung des § 42d Abs. 4 Nr. 1 EStG 3. Zwischenergebnis

183 184 184 185 187 189 190 191

B. Fehlerkorrektur bei der Lohnsteuer-Anmeldung

192

1. Fehlerkorrektur durch das Betriebsstättenfinanzamt

192

2. Fehlerkorrektur durch den Arbeitgeber . . . . . . . . . . . . .

194

3. Erstattungsanspruch des Arbeitgebers auf Grund einer geänderten Lohnsteuer-Anmeldung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 195 3.1 Das Problem ...... ................ 195 3.2 Lösungsvorschlag ... ................... 196

c.

Anfechtungsbefugnis des Arbeitnehmers

D. Zwischenergebnis

198 201

5. Abschnitt Die Abführung der Lohnsteuer

A. Rechtsnatur der Lohnsteuerabführung . . . . . . . . . . . . . . .

202 202

B. Rechtsfolgen einer unterlassenen oder verspäteten Lohnsteuerabführung . .. 204 1. Folgen einer unterlassenen Lohnsteuerabführung

204

2. Folgen einer verspäteten Lohnsteuerabführung

205

C. Zwischenergebnis

206 6. Abschnitt

Die Besonderheiten anläßlich einer Nettolohnvereinbarung

207

A. Einfluß einer geänderten Lohnsteuerkarte auf den arbeitsrechtlichen Zahlungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 1. Willkürliche Änderungen der gesetzlichen Lohnabzüge . . . . . . . . . . . . 209

2. Nichtwillkürliche Änderungen der gesetzlichen Lohnabzüge .... . .... 210 2.1 Vorliegen einer arbeitsvertraglichen Regelung . . . . . . . . . . . . . 210

Inhaltsverzeichnis 2.2

Nichtvorliegen einer arbeitsvertraglichen Regelung

3. Zwischenergebnis

15 211

212

B. Steuerrechtliche Beurteilung

213

1. Arbeitnehmer als Lohnsteuerschuldner

213

2. Steuerrechtlicher Arbeitslohn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 214 3. Anwendbarkeit des § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 EStG bei einer Nettolohnvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.1 Darstellung der heute herrschenden Auffassung .. . ......... 3.2 Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.21 Vertrauen des Arbeitnehmers ist nicht schutzwürdig ......... 3.22 Fehlen eines besonderen Erhebungsverfahrens für den Nettolohn 3.23 Akzessorietät des Haftungsanspruchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3.3 Eigene Auffassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

215 216 216 216 217 217 218

4. Zwischenergebnis

219 7. Abschnitt

Die Gesamtschuld von Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Haftungsverfahren

A. Gesamtschuldnerische Haftungs- und Nachforderungstatbestände

220 220

1. Gesamtschuldverhältnisse des Lohnsteuerabzugsverfahrens

220

2. Gesamtschuld wegen zuwenig einbehaltener Lohnsteuer ........... 2.1 Haftungstatbestand des § 42d Abs. 1 Nr. 11. Alt. EStG ...... 2.2 Nachforderungstatbestand des § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 EStG .. 2.3 Besonderheit der Gesamtschuld wegen zuwenig einbehaltener Lohnsteuer

223 223 225

3 .. Zwischenergebnis

227

4. Gesamtschuld wegen zuwenig abgeführter Lohnsteuer . . . . . . . . . . . . 4.1 Haftungstatbestand des § 42d Abs. 1 Nr. 12. Alt. EStG ...... 4.2 Haftungstatbestand des § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 EStG 4.21 "Nicht vorschriftsmäßig angemeldet" i. S. des § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 EStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4.22 Rechtsnatur des § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 EStG 4.23 Umfang der Haftung des Arbeitnehmers ..... . . . . . . . . . . .. Zwischenergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 4.3

228 228 230

225

230 233 236 238

B. Rechtsschutz der Gesamtschuldner . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 1. Anfechtung des Nachforderungs- und Haftungsbescheids ........... 1.1 Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.2 Eigene Auffassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Zwischenergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

240 241 242 244

16

Inhal tsverzeichnis 2. Anerkenntnis nach § 42d Abs. 4 Nr. 2 EStG . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 2.1 Rechtsnatur des Anerkenntnisses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2.11 Anerkenntnis als öffentlich-rechtlicher Vertrag . . . . . . . . . . . . 2.12 Rechtsnatur des öffentlich-rechtlichen Vertrages Vollstreckung des öffentlich-rechtlichen Vertrages 2.2

244 244 246 247 248

3. Zwischenergebnis

251

C. Interner Ausgleich unter Gesamtschuldnern 1. Ausgleichsansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.1 Anspruchsgrundlagen des internen Ausgleichs . . . . . . . . . . . . . 1.2 Rechtsnatur des Ausgleichsanspruchs aus § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB i. V. mit § 42d Abs. 3 Satz 1 EStG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.21 Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.22 Eigene Auffassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.3 Rechtsnatur der legal zedierten Forderung aus § 426 Abs. 2 Satz 1 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.31 Eigene Auffassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ........... 1.32 Heute vertretene herrschende Auffassung . . . . . . . . . . . . . . . . 1.321 Fehlen einer öffentlich-rechtlichen Abgabenangelegenheit ..... 1.322 Fehlende Konkretisierung des Rechtsverhältnisses durch Verwaltungsakt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.323 Fehlende Vollstreckbarkeit des legal zedierten Steueranspruchs 1.4 Umfang der Ausgleichsansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1.5 Zwischenergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

252 253 253 254 254 255 257 257 258 259 261 262 262 265

2. Rechtsweg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 267 3. Verwirklichung der Ausgleichsansprüche . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 3.1 Allgemeine Leistungsklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 270 3.2 Ausnahme von der allgemeinen Leistungsklage 272 4. Zwischenergebnis

274 Ergebnisse

275

A. Rechtlicher Strang zwischen Arbeitnehmer und Steuergläubiger

275

B. Rechtlicher Strang zwischen Arbeitgeber und Steuergläubiger

277

C. Verhältnis der Rechtsstränge zueinander

278

D. Ausblick

279 Literaturverzeichnis

281

Abkürzungsverzeichnis A.A. a.a.O.

anderer Ansicht/ Auffassung

Abs.

Absatz

am angegebenen Ort

Abschn.

Abschnitt

a. E.

am Ende

a. F.

alte Fassung

AFG

Arbeitsförderungsgesetz

Allgern. Erl.

Allgemeine Erläuterungen

allgern. M.

allgemeine Meinung

Alt.

Alternative

Anm.

Anmerkung

AO

Abgabenordnung

AP

Arbeitsrechtliche Praxis, Nachschlagewerk des Bundesarbeitsgerichts

ArbG

Arbeitsgericht

ArbGeb.

Arbeitgeber

ArbGG

Arbeitsgerichtsgesetz

ArbVerh.

Arbeitsverhältnis

arg. e.

Argument aus

Art.

Artikel

AVG

Angestelltenversicherungsgesetz

BAG

Bundesarbeitsgericht

BB

Betriebsberater

BBesG

Bundesbesoldungsgesetz

BBG

Bundesbeamtengesetz

Bd.

Band

BeamtVG

Gesetz über die Versorgung der Beamten und Richter in Bund und Länder

BergPG

Gesetz über Bergmannsprämien

BeriinFG

Gesetz zur Förderung der Berliner Wirtschaft

Beschl.

Beschluß

BetrVG

Betriebsverfassungsgesetz

BFH

Bundesfinanzhof

BFHE

Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesfinanzhofs

2 Schäfer

Abkürzungsverzeichnis

18 BGB

Bürgerliches Gesetzbuch

BGBl

Bundesgesetzblatt

BGH

Bundesgerichtshof

BGHZ

Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen

BI.

BMF

Blatt Bundesminister der Finanzen

BRRG

Beamtenrechtsrahmengesetz

BSG

Bundessozialgericht

BStBl

Bundessteuerblatt

BT-Drucks.

Bundestag-Drucksache

BVerfG

Bundesverfassungsgericht

BVerfGE

Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts

BVerwG

Bundesverwaltungsgericht

BVerwGE

Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts

bzw.

beziehungsweise

DB

Der Betrieb

d. h.

das heißt

Dig

Digesten

DÖV

Die Öffentliche Verwaltung

DStZ

Deutsche Steuerzeitung, Ausgabe A

DVBl

Deutsches Verwaltungsblatt

EFG

Entscheidungen der Finanzgerichte

Einf.

Einführung

EinkStG

Einkommensteuergesetz

Erl.

Erläuterungen

EStG

Einkommensteuergesetz 1989

f.

folgende

ff.

fortfolgende

FG

Finanzgericht

FGO

Finanzgerichtsordnung

FN

Fußnote(n)

FR

Finanzrundschau

FVG

Finanzverwaltungsgesetz

GewO

Gewerbeordnung

GG

Grundgesetz

ggf.

gegebenenfalls

Abkürzungsverzeichnis GmbH

Gesellschaft mit beschränkter Haftung

GmbHR

GmbH-Rundschau

GmS-OGB

Gemeinsamer Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes

GVG

Gerichtsverfassungsgesetz

GVO

Gerichtsvollzieherordnung

Halbs.

Halbsatz

HGB

Handelsgesetzbuch

Hrsg.

Herausgeber

i.d.R.

in der Regel

Inf

Die Information

InStFSt i. S.

Institut "Finanzen und Steuern" im Sinne

i.w.S.

im weiteren Sinne

JuS

Juristische Schulung

JW

Juristische Wochenschrift

JZ

Juristenzeitung

KStG

Körperschaftsteuergesetz

LAG

Landesarbeitsgericht

LG

Landgericht litera

lit. LStDV

19

Lohnsteuer-Durchführungsverordnung

LStR

Lohnsteuerrichtlinien 1990

LuftVG

Luftverkehrsgesetz

m.E.

meines Erachtens

m.w.N.

mit weiteren Nachweisen

NJW

Neue Juristische Wochenschrift

Nr.(n)

Nummer(n)

NV NVwZ

Sammlung nicht veröffentlichter Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht

OVG

Oberverwaltungsgericht

RAO

Reichsabgabenordnung

RdA

Recht der Arbeit

RFH

Reichsfinanzhof

RFHE

Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Reichsfinanzhofs

RG

Reichsgericht

RGBI

Reichsgesetzblatt

RGRK

Reichsgerichtsräte Kommentar

RGSt

Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen

2'

20 RGZ

Abkürzungsverzeichnis Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen

RPfieger

Rechtspfleger

Rspr.

Rechtsprechung

RStBi

Reichssteuerblatt

RVO

Reichsversicherungsordnung

Rz.(n)

Randziffer( n)

S.

Seite(n)

SG

Gesetz über die Rechtsstellung der Soldaten (Soldatengesetz)

sog.

sogenannt

Sp.

Spalte

SpkGNW

Gesetz über die Sparkassen sowie über die Girozentrale und Sparkassen- und Giroverbände des Landes Nordrhein-Westfalen

StAnpG

Steueranpassungsgesetz

StbJb

Steuerberater Jahrbuch

StBp stdge.

Die Steuerliche Betriebsprüfung

StGB

Strafgesetzbuch

StRefG 1990

Steuerreformgesetz 1990

StRK

Steuerrechtsprechung in Karteiform

StuW

Steuer und Wirtschaft

ständige

TÜV

Technischer Überwachungsverein

Tz.

Textziffer

u. a. Übers. Urt.

unter anderem Übersicht Urteil

UStG

Umsatzsteuergesetz

v.

vom

VermBG

Gesetz zur Förderung der Vermögensbildung für Arbeitnehmer

VersStG VerwArch

Versicherungssteuergesetz Verwaltungsarchiv

VerwRspr vgl.

Verwaltungsrechtsprechung vergleiche

Vorbem.

Vorbemerkung

VVDStRL

Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer

VwGO

Verwaltungsgerichtsordnung

VwVfG

Verwaltungsverfahrensgesetz

WRV

Weimarer Reichsverfassung

WStG

Wechselsteuergesetz

Abkürzungsverzeichnis z. B.

zum Beispiel

ZBR

Zeitschrift für das Beamtenrecht

Ziff.

Ziffer

ZIP

Zeitschrift für Wirtschaftsrecht

ZPO

Zivilprozeßordnung

ZZP

Zeitschrift für Zivilprozeß

21

Einleitung Die vorliegende Untersuchung behandelt die Dreiecksbeziehung zwischen Arbeitnehmer, Arbeitgeber und Finanzamt im Lohnsteuerabzugsverfahren 1. Die Lohnsteuer, also die Einkommensteuer von Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit (§ 38 Abs. 1 Satz 1 1. Halbs. EStG), wird im Regelfall nicht durch das Finanzamt als handelndes Organ des Steuergläubigers verwirklicht, sondern das Gesetz hat einen Dritten - den Arbeitgeber - zwischen Steuerschuldner und Steuergläubiger in das Abzugsverfahren eingeschaltet. Die Besonderheit der Beteiligung eines Dritten löst Fragen nach den Rechtsverhältnissen aus, die zwischen den Beteiligten dieser Dreiecksbeziehung bestehen 2 • Diese Rechtsverhältnisse sollen im Rahmen der vorliegenden Abhandlung untersucht werden. Es erscheint zunächst zweckmäßig, das Thema der Unter.suchung einzugrenzen, da der Gesetzgeber zwei Besteuerungsverfahren geregelt hat, mit denen der Arbeitgeber die Lohnsteuer der unbeschränkt steuerpflichtigen Arbeitnehmer erheben darf. Im Regelfall ist ein Arbeitgeber verpflichtet, die Steuerschuld individuell zu erheben, indem er für jeden einzelnen Arbeitnehmer die Lohnsteuer entsprechend den Eintragungen auf der Lohnsteuerkarte einbehält (§ 38 Abs. 3 Satz 1 EStG) und den von allen Arbeitnehmern der I Die Lohnsteuer ist keine eigene Steuerart, sondern die durch Steuerabzug erhobene Einkommensteuer auf Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit (§ 38 Abs. 1 Satz 1 EStG). Sie ist die Einkommensteuer, die lediglich durch ein besonderes Erhebungsverfahren gekennzeichnet ist. Dies ergibt sich im übrigen auch unmittelbar aus der Legaldefinition in der Abschnittsüberschrift zu den §§ 38 ff. EStG. So auch BFH Urt. v. 6. 4. 1951 - IV 70/51 S - BFHE 55, 262 (264) = BStBI III 1951, 100 (101); Hartz / Meeßen / Wolf, "Überblick über das Lohnsteuerrecht" unter 1.1. (S. XV); Klöckner in Klein / Flockermann / Kühr, § 38 EStG Rz. 1; Wehmeyer in Blümich / Falk, § 38 EStG Rz. 4; Charlier StbJb 1970/71, S. 443 (447/8); Tiedtke, § 44 I (S. 507); v. Bornhaupt BB 1986, 367 (369); Lang StuW 1975, 113 (114). Zweifelnd: Schick, Grundfragen, S. 2. Die Erhebung der Lohnsteuer kennzeichnet ein Verfahren, das die Einbehaltung (§ 38 Abs. 3 Satz 1 EStG), die Übernahme (§§ 40 ff. EStG), die Anmeldung und Abführung (§ 41a Abs. 1 Satz 1 EStG) von Lohnsteuer sowie die Haftung für Lohnsteuer (vgl. § 42d Abs. 1 EStG) umfaßt. Dieses besondere Erhebungsverfahren unterscheidet sich von dem allgemeinen Erhebungsverfahren der §§ 218 ff. AO u. a. dadurch, daß ihre Grundlage nicht notwendigerweise ein Verwaltungsakt des Finanzamts ist. Vgl. auch Martens StuW 1970, Sp. 109 (112). 2 Die Besonderheit der Beteiligung eines steuerpflichtigen Dritten im Erhebungsverfahren einer Steuer findet sich bei den sog. Quellenabzügen wieder, z. B. bei der Kapitalertragsteuer (§§ 43 - 45b EStG) und beim Steuerabzug für beschränkt Steuerpflichtige (§ 50a EStG).

24

Einleitung

Betriebsstätte (§ 41 Abs. 2 EStG) einbehaltenen Betrag an das Betriebsstättenfinanzamt abführt (§ 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG)3. Daneben ist er berechtigt, die Lohnsteuer zu pauschalieren (§§ 40 Abs. 1 Satz 1, 40a Abs. 1 Satz 1, 40b Abs. 1 Satz 1 EStG). Im Gegensatz zur individuellen Erhebung wird im Pauschalierungsverfahren die Lohnsteuer für eine Vielzahl von Arbeitnehmern geltend gemacht, denen in der Regel gleichzeitig gleichartige steuerpflichtige Leistungen zugewandt worden sind. Damit dient das Pauschalierungsverfahren der Vereinfachung. Diese ist insbesondere darin zu sehen, daß der Arbeitnehmer aus dem Besteuerungsverfahren ausgeschlossen ist4 • Sowohl der pauschal besteuerte Arbeitslohn als auch die pauschal erhobene Lohnsteuer bleiben bei einer Veranlagung zur Einkommensteuer und beim behördlichen Lohnsteuer-Jahresausgleich außer Ansatz (§§ 40 Abs. 3 Sätze 3, 4; 40a Abs. 4; 40b Abs. 3 Satz 1 EStG). Vollendet wird diese Vereinfachung durch die gesetzliche Anordnung, daß der Arbeitgeber Steuerschuldner der pauschal erhobenen Lohnsteuer ist (§§ 40 Abs. 3 Satz 2, 40a Abs. 4, 40b Abs. 3 Satz 1 EStG)5. Da im Pauschalierungsverfahren mithin die Erhebung 3 Es ist nach heutiger Auffassung unstreitig, daß der Arbeitnehmer Steuerschuldner der individuell erhobenen Lohnsteuer ist. Der Arbeitgeber macht mit der Einbehaltung bzw. das Finanzamt mit der Nachforderung diese Lohnsteuerschuld geltend. Die früher geäußerte gegenteilige Auffassung von Bühler (Steuerrecht II, § 13 II 7.3 [So 140] und § 38 EinkStG Rz. 6; dagegen schon Ehlers StbJb 1953/54,207 [222 ff.]), nach der der Arbeitgeber Steuerschuldner und der Arbeitnehmer Haftungsschuldner sei, darf angesichts des eindeutigen Wortlauts der § 38 Abs. 2 Satz 1 EStG; § 43 Satz 1 1. Alt. AO als überholt gelten. Das Argument Bühlers, der Arbeitgeber sei Steuerschuldner, weil er die rechtlichen (Abführungs-) Pflichten wahrzunehmen habe, trifft spätestens seit der Einfügung des § 43 AO nicht mehr zu. Denn in dieser Vorschrift wird zwischen dem Begriff des Steuerschuldners (§ 43 Satz 1 1. Alt. AO) und dem des Entrichtungspflichtigen (§§ 43 Satz 2, 33 Abs. 1 AO) - also desjenigen, der die Abführungspflichten wahrzunehmen hat - differenziert. Ferner deckt sich der Gesetzeswortlaut des § 38 Abs. 2 Satz 1 EStG mit den allgemeinen Erwägungen, die zur Bestimmung des Steuerschuldners getroffen werden (vgl. Tipke, Steuerrecht, § 93.51, S. 141; Giloy BB 1986, 566; Lang StuW 1975, 113 [117]). Denn der Arbeitnehmer ist das Rechtssubjekt, dem der Steuergegenstand "Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit" kraft der gesetzlichen Anordnung der § 38 Abs. 2 Satz 2 EStG; § 38 AO mit dem Zufluß des Arbeitslohns zugerechnet wird. 4 Eine weitere Vereinfachung des Pauschalierungsverfahrens ist darin zu sehen, daß an läßlich von bestimmten Zuwendungen - beispielsweise bei Betriebsveranstaltungen (vgl. § 40 Abs. 2 Satz 1 EStG) oder für Teilzeitarbeit (vgl. § 40a Abs. 1 Satz 1 EStG)die Ermittlung eines individuellen Steuersatzes entbehrlich ist, da feste Steuersätze angewandt werden. 5 Die Steuerschuld des Arbeitgebers entsteht in seiner Person originär. Dadurch verwandelt sich die an der Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers bemessene Lohnsteuer in eine Steuer des Arbeitgebers, die als Unternehmenssteuer eigener Art (so BFH Urt. v. 5. 11. 1982 - VI R 219/80 - BFHE 137,46 [48] = BStBI II 1983, 91 [92]; Altehoefer in Lademann / Säffing / Brockhoff, § 40 EStG Rz. 30d), als Arbeitgebersteuer eigener Art (so Hartz / Meeßen / Wolf, "Pauschalierung der Lohnsteuer" unter A.I. [So 880/1]) oder als Lohnsteuer eigener Art (so Giloy in Stolterfoht [Hrsg.], S. 209 [223 f.]) bezeichnet wird. Denn nach dem Willen des Gesetzgebers ist die Lohnsteuerschuld des Arbeitnehmers in der betriebsbezogenen Steuerschuld des Arbeitgebers aufgegangen.

Einleitung

25

und die Festsetzung der Lohnsteuer am Arbeitnehmer vorbeilaufen, besteht in diesem Besteuerungsverfahren kein Dreiecksverhältnis zwischen dem Arbeitgeber, dem Arbeitnehmer und dem Finanzamt. Fragen zur Lohnsteuerpauschalierung sind daher nicht primär Gegenstand der vorliegenden Arbeit. Die folgende Untersuchung konzentriert sich damit im wesentlichen auf die individuelle Erhebung der Lohnsteuer. Dieser liegt als Grundfall folgendes Dreiecksverhältnis zugrunde: Der Arbeitgeber behält bei jeder Lohnzahlung die Lohnsteuer des Arbeitnehmers für dessen Rechnung ein (§ 38 Abs. 3 Satz 1 EStG). Er meldet den einzubehaltenden Betrag beim Betriebsstättenfinanzamt an und führt die einbehaltene Summe dorthin ab (§ 41a Abs. 1 Satz 1 EStG). Kommt der Arbeitgeber seiner Entrichtungspflicht aus § 43 Satz 2 AO nur in unzureichendem Maße nach, entwickeln sich aus diesem Grundfall zwei weitere Dreiecksverhältnisse: Hat der Arbeitgeber vorschriftswidrig zuwenig Lohnsteuer einbehalten, kann er vom Finanzamt als Haftungsschuldner in Anspruch genommen werden (§ 42d Abs. 1 Nr. 1 1. Alt. EStG). Nunmehr stellt sich für ihn die Frage, ob und in welchem Umfang er vom Arbeitnehmer Regreß verlangen kann. Die gleiche Frage ergibt sich für den Arbeitnehmer, wenn er weiß, daß der Arbeitgeber die einbehaltene Lohnsteuer weder angemeldet noch abgeführt hat und ihm nun seinerseits eine Inanspruchnahme des Finanzamts droht (vgl. § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 Satz 1 EStG). Das Problem dieser Rechtsverhältnisse liegt allein schon in der Tatsache begründet, daß ein Drei-Personen-Verhältnis vorliegt, welches stets problemanfällig ist 6 . Ferner ist die Abgabenordnung im wesentlichen auf das ZweiPersonen-Verhältnis zwischen Steuerschuldner und Finanzamt als Organ des Steuergläubigers zugeschnitten, ohne dabei die Einbeziehung eines Dritten bezüglich der Verwirklichung einer Steuerschuld in den Einzelheiten zu regeln. Im übrigen knüpfen die oben dargestellten Dreiecksverhältnisse an unterschiedliche Rechtsbeziehungen zum Steuergläubiger an: zum einen an die Lohnsteuerschuld des Arbeitnehmers und zum anderen an die Entrichtungspflicht des Arbeitgebers. Die sich hieraus ergebenden Probleme vergrößern sich noch, wenn die Tatsache berücksichtigt wird, daß im Rechtsverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer neben steuerrechtlichen Gesichtspunkten auch arbeitsrechtliche Aspekte 7 in die Betrachtung mit einfließen können, welche möglicherweise ihrerseits Auswirkungen auf das Steuerrecht haben. Gegen diese Auffassungen wendet sich Klaubert (FR 1988, 237 [238]), der annimmt, auch bei der Lohnsteuerpauschalierung liege eine Dreiecksbeziehung vor. Diese Auffassung ist wegen der §§ 40 Abs. 3 Sätze 2 - 4, 40a Abs. 4, 40b Abs. 3 Satz 1 EStG zweifelhaft. 6 Vgl. die Kommentierungen zu den Dreiecksverhältnissen im Bereicherungsrecht. 7 Hier stellvertretend für alle Formen der Beschäftigung im Rahmen einer nichtselbständigen Arbeit, etwa auch Angestellten- und Beamtenverhältnisse.

26

Einleitung

Es ist das Ziel dieser Abhandlung zu untersuchen, ob die §§ 38 ff. EStG ein in sich geschlossenes Konzept zur Verwirklichung der Steuerschuld des Arbeitnehmers darstellen, welches durch zwei (Rechts-) Stränge gekennzeichnet ist: nämlich durch die die Steuerschuld zwischen Arbeitnehmer und Steuergläubiger betreffenden Regelungen einerseits und durch die das Innenverhältnis zwischen Arbeitgeber und Steuergläubiger betreffenden Regelungen andererseits. Ferner ist zu untersuchen, ob das Lohnsteuerrecht zur Verwirklichung der Steuerschuld auf "arbeitsrechtliche Hilfen" angewiesen ist. Um diese Zielsetzung zu erreichen, müssen zwei Fragen in einem Allgemeinen Teil "vor die Klammer" gezogen werden, bevor in einem Besonderen Teil die daraus gewonnenen Erkenntnisse an Hand der verschiedenen Abschnitte des Lohnsteuerabzugsverfahrens überprüft und verwertet werden können. In dem Allgemeinen Teil werden im wesentlichen zwei Fragen untersucht8 : Zu welchem Zeitpunkt erlischt die Lohnsteuerschuld des Arbeitnehmers? Welche organisationsrechtliche Stellung hat ein Arbeitgeber im Lohnsteuerabzugsverfahren inne?

8 Es mag überraschen, daß diese doch sehr grundlegenden Fragen heute noch nicht abschließend beantwortet worden sind. Dies gilt um so mehr, als der Lohnsteuerabzug bereits mit dem Einkommensteuergesetz 1920 eingeführt worden ist (vgl. §§ 45 - 52 des EStG vom 29. 3. 1920; RGBI 1920, S. 359), das Verfahren bei jedem Arbeitnehmer seit diesem Zeitpunkt i.d.R. monatlich praktiziert wird und das Lohnsteueraufkommen eine für die Bundesrepublik Deutschland wesentliche Einnahmequelle ist (vgl. Hartz / Meeßen / Wolf, "Statistik" [So 1136]). Der Grund für diese noch fehlenden Antworten dürfte wohl in der häufig beklagten fehlenden wissenschaftlichen Durchdringung des Lohnsteuerrechts zu sehen sein (so Resümee der Jahrestagung der Deutschen Steuerjuristischen Gesellschaft in Stolterfoht [Hrsg.], S. 474; Schick, Grundfragen, S. 2 f.). Nicht verwunderlich war es daher auch, daß sich die Deutsche Steuerjuristische Gesellschaft auf ihrer Jahrestagung 1985 lediglich mit "Grundfragen" des Lohnsteuerrechts beschäftigt hat (so der Titel des Buches, in dem die dort gehaltenen Vorträge zusammengefaßt worden sind). Es ist daher auch ein Anliegen dieser Untersuchung, den wissenschaftlichen Nachholbedarf mit aufzuarbeiten, damit dieses für das Steueraufkommen unseres Staates wesentliche Rechtsgebiet aus der "Wohnküche in den ihm gebührenden Ballsaal des Steuerrechts" gelangt (vgl. Kruse in Stolterfoht [Hrsg.], S. 1 [2]).

Allgemeiner Teil 1. Abschnitt

Das Erlöschen der Lohnsteuerschuld A. Das Problem In diesem ersten Abschnitt des Allgemeinen Teils wird die Frage untersucht, in welchem Verfahrensabschnitt des Lohnsteuerabzugsverfahrens die Lohnsteuerschuld des Arbeitnehmers erlischt!. Dieses Problem wird in der Literatur kontrovers diskutiert2 • Die herrschende Auffassung nimmt an, daß die Steuerschuld bereits im Zeitpunkt der Einbehaltung durch den Arbeitgeber erlischt3 . Folglich erlischt das Lohnsteuerschuldverhältnis nach dieser Auffassung in Höhe des einbehaltenen Betrages. Die Vertreter der gegenteiligen Ansicht nehmen das Erlöschen erst zu dem Zeitpunkt an, in dem der Steuergläubiger befriedigt worden ist; nach dieser Mindermeinung bewirkt also erst die Abführung der Lohnsteuer durch den Arbeitgeber an das Betriebsstättenfinanzamt das Erlöschen der Lohnsteuerschuld 4 • Daher kommt nach der Mindermeinung das Erlöschen des Steuerschuldverhältnisses auch nur in Höhe des abgeführten Betrages in Betracht. 1 Die Lohnsteuerschuld (§ 38 Abs. 2 Satz 1 EStG) ist das Steuerschuldverhältnis zwischen Arbeitnehmer und Steuergläubiger , das durch den zugeflossenen Arbeitslohn des Lohnzahlungszeitraums (vgl. § 38a Abs. 1 Satz 2 EStG) bzw. des Kalenderjahrs (vgl. § 38a Abs. 1 Sätze 1, 3 EStG), durch die Eintragungen auf der Lohnsteuerkarte und durch die Lohnsteuertabellen inhaltlich bestimmt wird (vgl. § 38a Abs. 4 EStG). 2 Anmerkung: Wenn im folgenden das Erlöschen der Lohnsteuerschuld behandelt wird, dann ist damit nur der Fall angesprochen, in dem der Arbeitgeber die Steuerschuld im Wege der Einbehaltung geltend macht. Nicht gemeint sind zum einen die Sachverhalte des Erlöschens durch Aufrechnung, Erlaß und Verjährung i. S. des § 47 AO. Zum anderen zählen hierzu nicht diejenigen Fälle, in denen die Steuerschuld durch das Finanzamt im Wege der Nachforderung erhoben wird. Denn für die zuletzt genannten Sachverhalte finden die Erlöschenstatbestände des § 47 AO Anwendung, da hier das Zwei-Personen-Verhältnis zwischen Steuerschuldner und Steuergläubiger vorliegt, auf weIches die Abgabenordnung im wesentlichen zugeschnitten ist. 3 So Tipke I Kruse, AO, § 47 Tz. 5; Offerhaus in Hübschmann I Hepp I Spitaler, § 47 AO Rz. 23; Bekker I Riewald I Koch, § 97 RAO Anm. 4 (2); Herrmann I Heuer I Raupach, § 38 EStG a. F. Rz. 23; Altehoefer in Lademann I Säffing I Brockhoff, § 42d EStG Rz. 68; Stolterfoht, Lohnsteuer, Rz. 124 (S. 177); Stolterfoht in Stolterfoht (~rsg.), S. 175 (206 FN 146); Schick, Grundfragen, S. 19; Bäuerlen, S. 33; Steiner, Offentliche Verwaltung, S. 195 (FN 898); Birkenfeld in Stolterfoht (Hrsg.), S. 245 (264, 267); Kloubert, S. 24; Schick BB 1984, 733 (734); Schick BB 1983, 1041 (1042); Müller DB 1977,997 (1000).

28

1. Abschn.: Erlöschen der Lohnsteuerschuld

Der Fragestellung nach dem Zeitpunkt und damit auch nach dem Umfang des Erlöschens der Lohnsteuerschuld kommt eine Schlüsselfunktion für das Lohnsteuerabzugsverfahren zu 5 . - Von ihrer Beantwortung hängt erstens der Umfang und Zeitpunkt des Rechtsschutzes des Arbeitnehmers wegen zuviel geltend gemachter Lohnsteuer ab: Folgt man der herrschenden Auffassung, steht dem Arbeitnehmer bereits gegen die Einbehaltung der Lohnsteuer und in Höhe des einbehaltenen Betrages Rechtsschutz zu. Nimmt man hingegen mit der gegenteiligen Auffassung an, erst die Abführung der Steuer bewirke das Erlöschen der Steuerschuld, kommt für den Arbeitnehmer Rechtsschutz auch erst zu diesem Zeitpunkt und in Höhe des abgeführten Betrages in Frage. - Von der Beantwortung der Schlüsselfrage hängt zweitens die organisationsrechtliche Stellung des Arbeitgebers im Lohnsteuerabzugsverfahren ab: Nimmt man mit der herrschenden Auffassung an, bereits die Einbehaltung der Steuer bewirke das Erlöschen der Steuerschuld, ist der Arbeitgeber als hoheitlich Handelnder organisationsrechtlich dem Lager der Finanzverwaltung zuzuordnen. Die gegenteilige Auffassung nimmt an, daß ein privater Arbeitgeber als privatrechtlich Handelnder an der Seite des Arbeitnehmers steht. - Die Frage nach dem Zeitpunkt des Erlöschens der Lohnsteuerschuld ist drittens in doppelter Weise für das Haftungsverfahren des § 42d EStG erheblich: Von ihrer Beantwortung hängt einerseits ab, für welches Schuldverhältnis der Arbeitgeber haftet (vgl. § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG). Andererseits ist ihre Beantwortung erheblich für die Rechtsnatur des Steueranspruchs, der mittels § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 EStG gegenüber dem Arbeitnehmer verwirklicht wird. - Die Beantwortung ist viertens auch für die Rechtsnatur des Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis entscheidend, der mit der Abgabe der Lohnsteuer-Anmeldung festgesetzt wird. - Von der Beantwortung dieser Schlüsselfrage hängt fünftens die Frage ab, ob der behördliche Lohnsteuer-Jahresausgleich (vgl. §§ 42, 42a EStG) noch Gegenstand des Lohnsteuerabzugsverfahrens ist. Weil mithin der Frage nach dem Zeitpunkt und dem Umfang des Erlöschens der Lohnsteuerschuld des Arbeitnehmers die Schlüsselfunktion für das Lohnsteuerabzugsverfahren zukommt, soll sie zuerst untersucht werden. 4 So Gast-de Haanin Stolterfoht(Hrsg.), S. 141 (147); Hess, S. 152 ff.;Janke, S. 5861; Carl DB 1988,826 (828); Groß ZIP 1987, 5 (8); Giloy FR 1983, 528 (529). Im Ergebnis ebenso: Abschn. 139 Abs. 1 Satz 2 Nr. 6 i.V. mit Abs. 5 Satz 1 LStR; Hartz / Meeßen / Wolf, "Haftung für Lohnsteuer" unter B.IV.1. (S. 574/1); Schmidt / Drenseck, § 42d EStG Anm. Sb; Tiedtke, § 44 VIII (S. 529); Schuhmann BB 1985, 184 (187). 5 A. A. wohl Kloubert, S. 24.

B. Eigene Auffassung

29

B. Eigene Auffassung 1. Abführung der Lohnsteuer als Erlöschenszeitpunkt

Die Abführung der Lohnsteuer an das Betriebsstättenfinanzamt (vgl. § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG), also die Leistung an den Steuergläubiger, könnte in Höhe des abgeführten Betrags das Erlöschen der Lohnsteuerschuld bewirken. Diese These hätte zur Konsequenz, daß die Abführung der Steuer als Unterfall einer Zahlung i. S. der §§ 224 Abs. 1 Satz 1,47 AO anzusehen ist. Fraglich ist, ob und mit welchen Argumenten diese These begründet werden kann.

1.1 Arbeitnehmer ist nicht abführungspflichtig Dieser These wäre zuzustimmen, wenn der Arbeitnehmer selbst zur Abführung der Steuer und damit zur Zahlung an den Steuergläubiger verpflichtet wäre. Dies trifft aber nicht zu, da auf Grund der gesetzlichen Ausgestaltung des Lohnsteuerabzugsverfahrens nicht der Arbeitnehmer als Steuerschuldner, sondern allein der entrichtungspflichtige Arbeitgeber abführungspflichtig ist (§ 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG).

1.2 Abführung der Lohnsteuer durch den Arbeitgeber gilt nicht als Leistung des Arbeitnehmers Eine Begründung dieser These könnte aus dem Gedanken abgeleitet werden, daß die Abführung der Lohnsteuer durch den Arbeitgeber als Leistung des Arbeitnehmers gilt. Eine solche Begründung setzt aber voraus, daß der Arbeitgeber die Lohnsteuer "für Rechnung des Arbeitnehmers" abzuführen hat. Dafür scheint § 33 Abs. 1 AO zu sprechen, da nach dieser Vorschrift ein Steuerpflichtiger auch derjenige ist, der eine Steuer "für Rechnung eines Dritten einzubehalten und abzuführen hat" . § 33 Abs. 1 AO kann auf zweierlei Weise gelesen werden: Steuerpflichtiger ist entweder derjenige, der die Steuer für Rechnung eines Dritten einbehält und (für Rechnung des Dritten) abführt, oder es ist derjenige ein Steuerpflichtiger, der die Steuer für Rechnung eines Dritten einbehält und (auf eigene Rechnung) abführt. Der Wortlaut des § 33 Abs. 1 AO läßt beide Auslegungsmöglichkeiten zu. Vorzuziehen ist diejenige Auslegung, die den der Abgabenordnung vorgehenden und damit spezielleren Gesetzen - also für das Lohnsteuerrecht den §§ 38 ff. EStG - entspricht. Danach ist das Ergebnis eindeutig: Der Arbeitgeber behält die Lohnsteuer lediglich "für Rechnung des Arbeitnehmers" ein (§ 38 Abs. 3 Satz 1 EStG). Mithin gilt nur die der Einbehaltung zugrundeliegende Leistung als solche des Arbeitnehmers, zu deren

30

1. Abschn.: Erlöschen der Lohnsteuerschuld

Erfüllung der Arbeitgeber jedoch ausführungs- oder wahrnehmungspflichtig ist. Dagegen fehlt eine derartige gesetzliche Ausdrucksweise für die Abführung der Lohnsteuer (vgl. § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG). Daraus kann nur geschlossen werden, daß der Arbeitgeber die Lohnsteuer auf eigene Rechnung, im eigenen Namen 6 und als eigenes Geschäft abführt? Die Abführung der Lohnsteuer ist also eine alleinige Leistung des Arbeitgebers. Somit gilt die Abführung der Lohnsteuer nicht als Leistung des Arbeitnehmers.

1.3 Arbeitgeber führt nicht als Dritter i. S. des § 48 Abs. 1 AO ab Nicht nur der Steuerpflichtige selbst und sein Stellvertreter können auf einen Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis zahlen, sondern auch ein Dritter ist leistungsberechtigt (vgl. § 48 Abs. 1 AO)8. Fraglich ist, ob der Arbeitgeber ein Dritter i. S. des § 48 Abs. 1 AO ist. Vereinzelt wird die Auffassung vertreten, der Arbeitgeber sei Dritter i. S. des § 48 Abs. 1 AO, da er als öffentlich-rechtlich Verpflichteter die Lohnsteuer auf Rechnung des Arbeitnehmers zu entrichten habe9 . Gegen diese Auffassung spricht jedoch bereits der Wortlaut des Gesetzes, denn der Arbeitgeber hat die Lohnsteuer nicht für Rechnung des Arbeitnehmers zu entrichten, sondern er hat sie nur für dessen Rechnung einzubehalten (vgl. § 38 Abs. 3 Satz 1 EStG)lO. Weitere Bedenken gegen die geschilderte Auffassung ergeben sich aus § 48 Abs. 1 AO selbst. Nur derjenige ist Dritter i. S. dieser Vorschrift - welche dem § 267 Abs. 1 Satz 1 BGB nachgebildet ist -, der in der Lage ist, neben dem Steuerschuldner die Leistung zu erbringen. Dies zeigt der Wortlaut des § 48 Abs. 1 AO, in dem es heißt: "Leistungen ... können auch durch Dritte bewirkt werden". Die § 48 Abs. 1 AO; § 267 Abs. 1 Satz 1 BGB setzen somit 6 Weil der Arbeitgeber im eigenen Namen handelt, führt er die Lohnsteuer auch nicht als Stellvertreter des Arbeitnehmers ab (vg!. § 164 Abs. 1 Satz 1 BGB). 7 So auch RFH Besch!. v. 30. 10. 1924 - VI eB 403/24 - RFHE 15, 15 (18); Schick BB 1983, 1041 (1045). A. A. wohl Lang (StuW 1975,113 [117 FN 31]), der § 38 Abs. 3 Satz 1 EStG de lege ferenda in bezug auf die Abführung für unvollständig hält. 8 Denn die Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis sind keine höchstpersönlichen Leistungen, die nur vom Steuerschuldner selbst erbracht werden können. Vg!. Liebisch, S. 93 - 98. 9 So Janke, S. 59; im Ergebnis ebenso: Carl DB 1988,826 (828). 10 Die Entrichtung der Lohnsteuer ist der Oberbegriff, der als Unterbegriffe die Einbehaltung und die Abführung der Steuer beinhaltet. Weil der Arbeitgeber die Steuer lediglich für Rechnung eines Dritten einbehält (§ 38 Abs. 3 Satz 1 EStG), jedoch auf eigene Rechnung abführt (§ 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG), ist die allgemeine Regelung des § 43 Satz 2 AO jedenfalls für das Lohnsteuerabzugsverfahren unpräzise formuliert.

B. Eigene Auffassung

31

die Leistungsmöglichkeit des Schuldners voraus. Fehlt diese - kann also nur der Dritte die Leistung an den Gläubiger erbringen -, ist dieser kein Dritter i. S. des § 48 Abs. 1 AO. Wie im letzten Fall ist das Lohnsteuerabzugsverfahren geregelt ll : Nur der Arbeitgeber ist zur Abführung verpflichtet und dem Arbeitnehmer steht mangels einer gesetzlichen Vorschrift kein Recht zu, die Zahlung an das Finanzamt selbst zu bewirken. Auch aus diesem weiteren Grunde ist der Arbeitgeber kein Dritter i. S. des § 48 Abs. 1 AO. Da eine unmittelbare Anwendung des § 48 Abs. 1 AO ausscheidet, könnte mittels einer entsprechenden Anwendung dieser Vorschrift versucht werden, über das fehlende Tatbestandsmerkmal "auch" hinwegzuhelfen. Eine Analogie setzt aber voraus, daß der Grundgedanke des § 48 Abs. 1 AO - und damit auch der des § 267 Abs. 1 Satz 1 BGB - auf die Abführung der Lohnsteuer übertragbar ist. Nach diesen Vorschriften soll die Leistung eines Dritten jedoch nur befreiend wirken, wenn der Dritte aus eigenem Antrieb freiwillig für den Schuldner leisten will 12 . Die Freiwilligkeit der Leistung trifft auf die Abführung der Lohnsteuer nicht zu, da der Arbeitgeber insoweit einer ihm obliegenden gesetzlichen Verpflichtung des § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG nachkommt. Folglich liegt den § 48 Abs. 1 AO; § 267 Abs. 1 Satz 1 BGB einerseits und dem § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG andererseits ein unterschiedlicher Grundgedanke zugrunde. Deswegen verbietet sich eine entsprechende Anwendung des § 48 Abs. 1 AO auf die Abführung der Lohnsteuer durch den Arbeitgeber.

1.4 Zusätzliche allgemeine Überlegungen Wie die vorherigen Ausführungen gezeigt haben, fehlen positive Argumente dafür anzunehmen, daß die Lohnsteuerschuld des Arbeitnehmers erst mit der Abführung des geltend gemachten Betrages an das Betriebsstättenfinanzamt erlischt. Dieses Ergebnis ist auch auf Grund allgemeiner Überlegungen gerechtfertigt und sogar notwendig. Der Steuergläubiger hat mit der gesetzlichen Einführung des Lohnsteuerabzugsverfahrens in die Mitwirkung eines Dritten bei der Erfüllung der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis eingewilligt. Daher muß der Steuergläubiger und nicht der Steuerschuldner das Risiko tragen, daß der Dritte der Erfüllung seiner Pflichten (hier: der Abführung) nicht oder nur unzureichend nachkommt. Würde man annehmen, die Lohnsteuerschuld erlösche erst im Zeitpunkt der Abführung und als Folge auch nur in Höhe des abgeführten Betrages, müßte allein der Arbeitnehmer das Risiko einer nicht vorschriftsA. A. Carl DB 1988, 826 (828). So Offerhaus in Hübschmann I Hepp I Spitaler, § 48 AO Rz. 3; Staudinger-Selb, § 267 BGB Rz. 4. 11

12

1. Abschn.: Erlöschen der Lohnsteuerschuld

32

gemäßen Abführung der Steuer tragen. Diese Konsequenz erscheint schon aus rechtsstaatlichen Gesichtspunkten bedenklich. Dies zeigt folgendes Beispiel: Für einen Arbeitnehmer, der am Ende des Kalenderjahres zur Einkommensteuer veranlagt wird, hat der Arbeitgeber 100 DM an Lohnsteuer einzubehalten. Diesen Betrag behält er ein. Der Arbeitgeber fällt unverschuldet in Konkurs, der mangels Masse eingestellt wird. Es wird daher keine Lohnsteuer an das Finanzamt abgeführt. Wollte man annehmen, die Lohnsteuerschuld erlösche erst mit der Abführung des geltend gemachten Betrages, wäre der Arbeitnehmer allein durch die Einbehaltung der 100 DM von seiner Steuerschuld noch nicht befreit. Daher würde ihm im obigen Beispielsfall die einbehaltene Lohnsteuer von 100 DM auch nicht auf seine Einkommensteuerschuld gemäß § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG angerechnet, denn das Erlöschen der Lohnsteuerschuld einerseits und ihre Anrechnung auf die Einkommensteuerschuld andererseits stehen in einem gegenseitigen materiellen Abhängigkeitsverhältnis zueinander. Der Arbeitnehmer müßte somit nach der Veranlagung zur Einkommensteuer den einbehaltenen, aber nicht abgeführten Betrag entweder nach § 36 Abs. 4 Satz 1 EStG erneut bezahlen, oder dieser Betrag würde ihm nicht gemäß § 36 Abs. 4 Satz 2 EStG erstattet. Dieses Ergebnis anzunehmen wäre bedenklich, denn der Arbeitnehmer ist erstens auf die Abführung der Steuer durch seinen Arbeitgeber angewiesen; ihm steht zweitens kein steuerrechtlicher Anspruch gegen den Arbeitgeber auf Abführung der Steuer zu und das Lohnsteuerabzugsverfahren verwehrt ihm drittens im Falle der Einbehaltung der Lohnsteuer das Recht auf Leistung unmittelbar an den Steuergläubiger13 • Auch auf Grund dieser allgemeinen Überlegungen ist anzunehmen, daß die Lohnsteuerschuld des Arbeitnehmers nicht erst mit der Abführung der Lohnsteuer an das Betriebsstättenfinanzamt erlischt.

1.5 Zwischenergebnis Es spricht kein Argument für die Annahme, daß die Lohnsteuerschuld des Arbeitnehmers erst im Zeitpunkt der Abführung der Steuer und als Folge in Höhe des abgeführten Betrages erlischt. Der Arbeitnehmer leistet nämlich nicht an den Steuergläubiger, da er zur Abführung der Lohnsteuer nicht verpflichtet ist (§ 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG). Die Abführung der Steuer gilt auch nicht als Leistung des Arbeitnehmers, da der Arbeitgeber die Steuer - im Gegensatz zur Einbehaltung (vgl. § 38 Abs. 3 Satz 1 EStG) - für eigene Rechnung abzuführen hat (vgl. § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG). Überdies führt der Arbeitgeber die Steuer nicht als Dritter i. S. des § 48 Abs. 1 AG an das 13

Bedenklich daher Gast-de Haan in Stolterfoht (Hrsg.), S. 141 (149); ebenso wohl

Giloy FR 1987, 444.

B. Eigene Auffassung

33

Finanzamt ab, da er nicht freiwillig eine Leistung neben dem Arbeitnehmer bewirkt. Die Abführung der Lohnsteuer als Erlöschenstatbestand hätte darüber hinaus zur Konsequenz, daß allein der Arbeitnehmer das Risiko einer fehlerhaften Abführung der Steuer tragen müßte. Dies wäre bedenklich, weil das Lohnsteuerabzugsverfahren dem Arbeitnehmer die freiwillige unmittelbare Leistung an den Steuergläubiger verwehrt und der Arbeitnehmer keinen Anspruch auf Abführung der Steuer hat. Aus den vorgenannten Gründen ist es m. E. zwingend anzunehmen, daß die Lohnsteuerschuld des Arbeitnehmers nicht erst mit der Abführung der Lohnsteuer an das Betriebsstättenfinanzamt erlischt. 2. Einbehaltung der Lohnsteuer als Erlöschenszeitpunkt

Da die Ansprüche aus dem Lohnsteuerschuldverhältnis nicht erst mit ihrer Zahlung an den Steuergläubiger - der Abführung - erlöschen, ist die Einbehaltung der Lohnsteuer ein sonstiger Erlöschenstatbestand i. S. des § 47 AO, da sie die einzige noch in Betracht kommende Leistung eines Beteiligten darstellt14 . Angesichts der besonderen Erheblichkeit dieser Schlüsselfrage für den Aufbau und die Konzeption des Lohnsteuerabzugsverfahrens ist es aber nicht ausreichend, dieses Ergebnis lediglich mit einem Rückschluß zu begründen. Es sind daher weitere positive Argumente für dieses Ergebnis erforderlich. Für ein Erlöschen der Lohnsteuerschuld in Höhe des einbehaltenen Betrages sprechen folgende weitere Argumente 15 : - Der Arbeitgeber macht mit der Einbehaltung der Steuer die Lohnsteuerschuld des Arbeitnehmers geltend. Das Finanzamt darf vom Arbeitnehmer die Steuerschuld nachfordern, soweit der Arbeitgeber die Lohnsteuer nicht vorschriftsmäßig vom Arbeitslohn einbehalten hat (§ 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 EStG). Dies bedeutet im Umkehrschluß16: Hat der Arbeitgeber die 14 Die Einbehaltung ist als Erlöschenstatbestand in § 47 AO nicht erwähnt. Dennoch ergeben sich aus ihrer Nichterwähnung in dieser Vorschrift keine Bedenken. Denn durch das Tatbestandsmerkmal "insbesondere" i. S. des § 47 AO hat der Gesetzgeber verdeutlicht, daß die Aufzählung der dort genannten Erlöschenstatbestände nicht abschließend ist (so auch Kühn / Kutter / Hofmann, § 47 AO Anm. 2; Tipke / Kruse, AO, § 47 Tz. 2; Offerhaus in Hübschmann / Hepp / Spitaler, § 47 AO Rz. 2; Klein / Orlopp, § 47 AO Anm. 1; Halaczinsky in Koch, § 47 AO Rz. 2; Gast-de Haan in Stolterfoht [Hrsg.], S. 141 [146]). Daher kann die Einbehaltung ohne weiteres ein sonstiger Erlöschensgrund i. S. des § 47 AO sein. 15 Da in diesem Allgemeinen Teil der Untersuchung lediglich Grundsätze des Lohnsteuerabzugsverfahrens behandelt werden, bleibt an dieser Stelle das Sonderproblem noch offen, welchen Einfluß vorschriftswidrige Erstattungen von Lohnsteuer durch den Arbeitgeber gemäß §§ 41c Abs. 1, 42b Abs. 2 Satz 5 EStG auf das Erlöschen des Lohnsteuerschuldverhältnisses haben. 16 So Birkenfeld in Stolterfoht (Hrsg.), S. 245 (264).

3 Schäfer

34

1. Abschn.: Erlöschen der Lohnsteuerschuld

Steuer vorschriftsmäßig einbehalten, kann die Steuerschuld nicht mehr geltend gemacht werden. Folglich ist sie im Ergebnis insoweit erloschen!7. - Ein Gläubiger hat gegen seinen Schuldner einen Anspruch nur auf die "geschuldete Leistung" (vgl. § 362 Abs. 1 BGB). Der Arbeitnehmer hat als von ihm geschuldete Leistung nur die Einbehaltung der Lohnsteuer auf seine Rechnung durch den Arbeitgeber zu dulden!8. Er ist dagegen weder zur Abführung der Steuer noch zur Überwachung der Lohnsteuer-Anmeldung verpflichtet, denn beides sind allein dem Arbeitgeber obliegende Hauptpflichten. Da die Duldung der Einbehaltung mithin die alleinige Leistungspflicht des Arbeitnehmers ist, kommt der Arbeitnehmer dieser Pflicht nach, soweit der Arbeitgeber die Steuer einbehalten hat. Folglich ist in diesem Umfang das Steuerschuldverhältnis erfüllt worden. - Der Steuergläubiger hat sich mit der Einführung des Lohnsteuerabzugsverfahrens kraft Gesetzes damit einverstanden erklärt, daß der Arbeitnehmer die von ihm geschuldete Leistung an einen Dritten erbringt. Die der Einbehaltung zugrunde liegende Leistung gilt als solche des Arbeitnehmers, da die Lohnsteuer für seine Rechnung einbehalten wird (vgl. § 38 Abs. 3 Satz 1 EStG); der Arbeitgeber ist also insoweit für den Arbeitnehmer nur wahrnehmungspflichtig!9. Ein Dritter, der Arbeitgeber, nimmt diese Leistung des Arbeitnehmers im eigenen Namen entgegen, denn der Arbeitgeber steht als Leistungsempfänger weder auf der Seite des Steuerschuldners, noch auf der Seite des Steuergläubigers; er ist damit quasi ein Treuhänder des Fiskus und des Arbeitnehmers zugleich 2o • 17 Dieser Umkehrschluß ist jedoch nicht ganz überzeugend, da die Nachforderungstatbestände nur die Geltendmachung der Steuerschuld betreffen. Der Ausschluß der Geltendmachung setzt aber nicht notwendig voraus, daß die Schuld auch erloschen ist. So auch earl DB 1988,826 (828). 18 So auch Altehoefer in Lademann / Säffing / Brockhoff, § 38 EStG Rz. 40; Wehmeyer in Blümich / Falk, § 38 EStG Rz. 3; Oeftering / Gärbing, § 38 EStG Rz. 1; Välkel, Rz. 49; Gast DB 1959,488; Bender StuW 1938, Sp. 67 (72). 19 "Für Rechnung des Arbeitnehmers" i. S. des § 38 Abs. 3 Satz 1 EStG bedeutet also, daß die Einbehaltung so wirkt, als habe der Arbeitnehmer bezahlt. So auch Schick BB 1983, 1041 (1045). Daher ist auch die Auffassung von Hess abzulehnen, der in der Entrichtung durch den Arbeitgeber (= unmittelbare Leistung) eine mittelbare Leistung des Arbeitnehmers sieht (vgl. Hess, S. 152 ff. [156 ff.]; kritisch gegen ihn auch Preißer, S. 113). Gegen diese Auffassung spricht: 1. Die Entrichtung der Lohnsteuer stellt keine einheitliche Leistung dar, sondern sie setzt sich aus der der Einbehaltung und der Abführung zugrunde liegenden Leistung zusammen. 2. Die Einbehaltung gilt als Leistung des Arbeitnehmers, da die Steuer "für seine Rechnung" einbehalten wird (vgl. § 38 Abs. 3 Satz 1 EStG). 3. Die Abführung ist eine Leistung des Arbeitgebers, da er die Steuer auf eigene Rechnung im eigenen Namen abführt (vgl. § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG).

C. Ergebnis des ersten Abschnitts

35

Somit ist der Steuer anspruch in Höhe des einbehaltenen Betrags gemäß

§ 362 Abs. 2 BGB erfüllt worden. Die Erfüllung bewirkt das Erlöschen des Steuerschuldverhältnisses (§ 47 A0)21.

Diese weiteren Argumente sprechen neben dem Rückschluß aus der Abführung der Steuer für ein grundsätzliches Erlöschen der Lohnsteuerschuld mit der Einbehaltung in Höhe des vom Arbeitgeber einbehaltenen Betrags. C. Ergebnis des ersten Abschnitts Behält der Arbeitgeber die Lohnsteuer auf Grund der Ermächtigung der

§§ 38 Abs. 3 Satz 1, 41c Abs. 1 EStG ein, macht er den Anspruch des Steuer-

gläubigers gegen den Arbeitnehmer aus dem Lohnsteuerschuldverhältnis geltend. Dieses Schuldverhältnis erlischt grundsätzlich, soweit die Lohnsteuer einbehalten worden ist 22 • Für die Einbehaltung der Lohnsteuer als einen sonstigen Erlöschenstatbestand i. S. des § 47 AO spricht insbesondere die Vorschrift des § 362 Abs. 2 BGB, da der Steuergläubiger mit der Einführung des Lohnsteuerabzugsverfahrens kraft Gesetzes eingewilligt hat, daß sein Schuldner die von ihm geschuldete Leistung an einen Dritten erbringt. Da das Lohnsteuerschuldverhältnis nur erlischt, soweit der Arbeitgeber die Steuer einbehalten hat, besteht es in dem Umfang fort, wie eine Einbehaltung nicht erfolgt ist. Fordert das Finanzamt also die Lohnsteuer gemäß §§ 38 Abs. 4 Satz 3, 39 Abs. 4 Satz 4, 39 Abs. 5a Satz 4, 39a Abs. 6, 41c Abs. 4 Satz 2, 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 EStG vom Arbeitnehmer nach, macht es damit dessen Lohnsteuerschuld geltend. Das Finanzamt hat diese Ansprüche daher mit einem Steuer- (Nachforderungs-) bescheid zu verwirklichen23 • 20 So auch BFH Urt. v. 20. 4. 1982 - VII R 96/76 - BFHE 135, 416 (418) = BStBI 11 1982, 521 (522); RFH Urt. v. 8. 5. 1935 - VI A 686/34 - RFHE 38, 18 (21); RFH Urt. v. 25. 7. 1934 - VI A 567/34 - StuW 193411, Nr. 608 (S. 1330); FG Hamburg Urt. v. 19. 6. 1984 - 11 213/81 - EFG 1985, 89 (90); Hartz / Meeßen / Wolf, "Überblick über das Lohnsteuerrecht" unter I.2. (S. XV); Altehoefer in Lademann / Säffing / Brockhoff, § 38 EStG Rz. 8a; Birkenfeld in Stolterfoht (Hrsg.), S. 245 (254); Bender StuW 1938, Sp. 67 (72). 21 Zivilrechtlich würde man die Einbehaltung der Lohnsteuer durch den Arbeitgeber als einen Anwendungsfall der sog. Einziehungsermächtigung ansehen (vgl. dazu Larenz, § 34 V c [So 542]). Der Arbeitgeber ist berechtigt, im eigenen Namen eine Forderung des Gläubigers geltend zu machen, ohne daß ihm diese übertragen worden ist. Der Schuldner wird von seiner Leistung gegenüber dem Gläubiger befreit, indem er die von ihm geschuldete Leistung an den Dritten erbringt (§ 362 Abs. 2 BGB). Das Lohnsteuerabzugsverfahren ist jedoch durch die Besonderheit gekennzeichnet, daß der Arbeitgeber berechtigt ist, die Leistungshandlung für den Schuldner auszuführen, um damit für den Arbeitnehmer dessen Leistungserfolg zu bewirken. 22 Zum Einfluß vorschriftswidriger Erstattungen von Lohnsteuer durch den Arbeitgeber gemäß §§ 41c Abs. 1, 42b Abs. 2 Satz 5 EStG auf das Erlöschen der Lohnsteuerschuld: vgl. dazu S. 186 FN 150.

3*

36

1. Abschn.: Erlöschen der Lohnsteuerschuld

Weil die Lohnsteuerschuld des Arbeitnehmers mit der Einbehaltung erlischt, wird die einbehaltene Lohnsteuer auf den Erstattungsanspruch im behördlichen Lohnsteuer-Jahresausgleich (§ 42 Abs. 1 Satz 1 EStG) und auf die Einkommensteuerschuld gemäß § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG angerechnet, gleichviel, ob der Arbeitgeber die einbehaltene Lohnsteuer nun auch angemeldet und abgeführt hat oder nicht24 • Denn das Erlöschen der Lohnsteuerschuld einerseits und ihre Anrechnung auf den Erstattungsanspruch bzw. auf die Einkommensteuerschuld andererseits stehen in einem gegenseitigen materiellen Abhängigkeitsverhältnis zueinander.

23 Der Begriff der Nachforderung ist der Terminologie der Abgabenordnung 1977 nur ausnahmsweise bekannt (vgl. § 194 Abs. 1 Satz 3 AO). In der früheren Reichsabgabenordnung war dies eine gebräuchliche Ausdrucksweise. Vgl. Drenseck in Stolterfoht (Hrsg.), S. 377 (383 unter 3. [2]); Gi/oy FR 1977, 292 (294). 24 So auch BFH Beschl. v. 12. 12. 1975 - VI B 124/75 - BFHE 117, 553 (556) = BStBI 11 1976, 543 (544) für die Nettolohnvereinbarung; Offerhaus in Hübschmann / Hepp / Spitaler, § 47 AO Rz. 23; Hartz / Meeßen / Wolf, ABC-Führer Lohnsteuer, "Veranlagung von Arbeitnehmern" unter F. (S. 1239); Boeker in Lademann / Söffing / Brockhoff, § 36 EStG Rz. 19; Conradi in Littmann / Bitz / Meincke, § 36 EStG Rzn. 13 f.; Schotz in Hartmann / Böttcher / Nissen / Bordewin, § 36 EStG Rz. 18; F. Klein in Klein / Flockermann / Kühr, § 36 EStG Rz. 21; Stuhrmann in Blümich / Falk, § 36 EStG Rz. 16; Schmidt / Heinicke, § 36 EStG Anm. 5; Stolterfoht, Lohnsteuer, Rz. 124; Tiedtke, § 44 I (S. 507); Bäuerlen, S. 33 (FN 148).

2. Abschnitt

Organisationsrechtliche Stellung des Arbeitgebers im Lohnsteuerabzugsverfahren A. Das Problem

Dieser zweite Abschnitt des Allgemeinen Teils behandelt nicht mehr Fragen zum Erlöschen der Lohnsteuerschuld des Arbeitnehmers, sondern Gegenstand der folgenden Untersuchungen ist die organisationsrechtliche Stellung! des Arbeitgebers im Lohnsteuerabzugsverfahren. Die Auffassungen darüber, wie die Rechtsstellung eines privaten Arbeitgebers zu umschreiben ist, lassen sich kaum auf einen einheitlichen Nenner bringen 2 • Dies zeigen schon die vielfältigen Beschreibungen seiner Stellung im Lohnsteuererhebungsverfahren. Er wird bezeichnet als: - Steuerschuldner, - Treuhänder des Staates als Steuergläubiger einerseits und der Arbeitnehmer als der eigentlichen Steuerschuldner andererseits 3 , - Treuhänder des Steuergläubigers4 , - Verwaltungsmittler5 , - Steuereinnehmer für den Staat6 , - Fiskalgehilfe oder Fiskalgarant7 , - Staatsgehilfe und "Prügelknabe" des Staates8 , - Beauftragter des Steuerfiskus und Steuererheber9 , I Das Organisationsrecht befaßt sich mit der Gestaltung von Organisationsformen für Träger hoheitlicher Funktionen und mit der Zuweisung von Befugnissen und Obliegenheiten (Zuständigkeiten). So Forsthoff, S. 440. 2 Die wissenschaftliche Diskussion konzentriert sich im wesentlichen auf die RechtssteIlung des privatrechtlich organisierten Arbeitgebers; in der Regel wird die Stellung der öffentlichen-rechtlich organisierten Arbeitgeber (wie z. B. der Staat selbst oder die Kirchen) nicht behandelt. 3 Kritisch Riepen, S. 40. 4 So Oeftering / Görbing, § 42d EStG Rz. 5; Horowski / Altehoefer, § 38 EStG Anm.4. 5 So KirchhofNVwZ 1983, 505 (506). 6 So Rinner, S. 4. 7 So Merkert FR 1982, 109. 8 So Herrmann / Heuer / Raupach, § 38 EStG a. F. Rz. 25. 9 So BFH Urt. v. 5.7.1963 - VI 270/62 U - BFHE 77, 408 (410) = BStBi III 1963, 468 (469).

38

2. Abschn.: Stellung des Arbeitgebers

- "dienstverpflichteter" Steuerinspektor ohne Vergütung der Finanzbehörde lO , - durch Gesetz Beauftragter sowohl für das Finanzamt als auch für den Arbeitnehmer ll , - Mittler zwischen Finanzamt und Arbeitnehmer 12 , - Hilfsorgan der Finanzverwaltung 13 • Diese Bezeichnungen sind im Ergebnis nichts anderes als Umschreibungen der vom Arbeitgeber wahrgenommenen Aufgaben. Sie machen lediglich seine Rechtsstellung zwischen dem Finanzamt und dem Arbeitnehmer deutlich. Aus diesen Beschreibungen lassen sich jedoch keine organisationsrechtlichen Rückschlüsse herleiten, da ihnen insoweit keine Bedeutung zukommt. Dagegen haben die im folgenden genannten Begriffe auch organisationsrechtliche Bedeutung. Die Rechtsstellung eines privaten Arbeitgebers wird den Begriffen -

Organ der Finanzverwaltung 14 , Beliehener15 , gesetzlich Indienst genommener Privater 16 , oder "Arbeitgeber"l?

zugeordnet. Diese unterschiedlichen Bezeichnungen haben ebenso verschiedenartige Rechtsfolgen. Sie zeigen sich unter anderem aus Anlaß von Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer über Fragen, die ihren 10 So Hartz DB 1961, 1345. "Unbezahlter Steuerhilfseintreiber", so Popp / Albert BB 1983,491 (494). 11 So Schmidt / Drenseck, § 38 EStG Anm. l. 12 So Guth FR 1978, 428. 13 So BVerfG Urt. v. 14. 12. 1965 - 1 BvL 31,32/62 - BVerfGE 19,226 (240). 14 So Schick, Grundfragen, S. 15; Gast-de Haan in Stolterfoht (Hrsg.), S. 141 (157); Tipke, Steuerrecht, § 11 A.8. (S. 323). 15 So Stolterfoht in Stolterfoht (Hrsg.), S. 175 (191 - 194); v. Groll in Stolterfoht (Hrsg.), S. 431 (445); Steiner, Öffentliche Verwaltung, S. 191; Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften, S. 430 (~N 367); Rudolf in Erichsen / Martens, § 56 11 3 (S. 641); Cantner, S. 53; Menger DOV 1955, 587 (590 FN 31); Gi/oy FR 1987, 444 (FN 18). 16 So Stellungnahme des Bundesministers der Finanzen in BVerfGE 43, 108 (114); Schotz in Maunz / Dürig / Herzog / Schotz, Art. 12 GG Rz. 219 (FN 3); Altehoefer in Lademann / Söf!ing / Brockhoff, § 38 EStG Rz. 9; Stern, Staatsrecht 11, § 41 IV 10 d (S. 793); Stober, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Rz. 605; Forsthof!, S. 179 f.; Wolf! / Bachof 11, § 104 I d 10 (S. 454); Ipsen, Indienstnahme, S. 158 ff.; Kloubert, S. 48; Riepen, S. 41 - 43; Mösch, S. 12; Bäuerlen, S. 142 - 144; v. Heimburg, S. 39 f.; Hahn, InstFSt Nr. 241, S. 15 ff.; Hahn NJW 1988, 20 (26). 17 Ständige Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts seit BAG Urt. v. 27. 3. 1958 - 2 AZR 188/56 - AP Nr. 1 zu § 670 BGB. Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts: BVerwG Urt. v. 12. 10. 1967 - 11 C 71.67 - BVerwGE 28, 68 Herrschende arbeits- und lohnsteuerliche Schrifttumsansicht. Vgl. die Nachweise S. 53ff.

A. Problem

39

Ursprung im Lohnsteuerrecht haben. Zu nennen ist hierfür beispielsweise die Klage des Arbeitnehmers auf Zahlung des Arbeitslohns mit der Begründung, der Arbeitgeber habe ihm zuviel Lohnsteuer einbehalten, die Klage des Arbeitnehmers auf Herausgabe der Lohnsteuerkarte oder die Klage des Arbeitgebers auf Erstattung der von ihm bezahlten Haftungsschuld wegen zuwenig einbehaltener Lohnsteuer (§ 42d Abs. 1 Nr. 1 1. Alt. EStG). Die erheblichen Auswirkungen der unterschiedlichen Auffassungen werden im folgenden skizziert: Geht man davon aus, daß ein Arbeitgeber - auch soweit er seine lohnsteuerlichen Pflichten erfüllt - aus seiner arbeitsrechtlichen Stellung als Arbeitgeber heraus handelt, gehören diese Streitigkeiten vor die Gerichte, die auch für Rechtsstreitigkeiten aus dem Arbeits- und Dienstvertrag zuständig sind. Für Beamte und Soldaten sind also die allgemeinen Verwaltungsgerichte zuständig, da der staatliche Arbeitgeber die Lohnsteuer aus seiner hoheitlichen Rechtsstellung einbehält (vgl. § 126 Abs. 1 BRRG; § 59 Abs. 1 SG). Hingegen sind für die sonstigen Arbeitnehmer die Arbeits- oder Zivilgerichte zuständig, da dem privaten Arbeitgeber eine hoheitliche Rechtsstellung fehlt. Die gleiche Differenzierung nimmt auch jene Auffassung vor, welche die Rechtsstellung des privaten Arbeitgebers dem Begriff des gesetzlich Indienst genommenen Privaten zuordnet 18 . Sieht man hingegen den privaten Arbeitgeber als Beliehenen an, gehören die lohnsteuerrechtlichen Streitigkeiten zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer vor die Finanzgerichte. Der Arbeitgeber ist an diesen Verfahren als Kläger oder Beklagter beteiligt (vgl. § 57 FGO). Wieder anders ist es, wenn man die Rechtsstellung der (privaten und öffentlichen) Arbeitgeber als Organe der Finanzverwaltung bezeichnet. Für die lohnsteuerrechtlichen Streitigkeiten zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer sind dann zwar ebenso wie beim Beliehenen auch die Finanzgerichte zuständig, aber der Arbeitgeber ist an diesen Verfahren nicht beteiligt. Die Klage des Arbeitnehmers mit der Begründung, der Arbeitgeber habe ihm zuviel Lohnsteuer einbehalten, ist vielmehr gegen das Finanzamt der Betriebsstätte zu richten 19 • Schon allein diese skizzenhafte Darstellung der Rechtsfolgen zeigt, wie erheblich die Antwort auf die Frage nach der organisationsrechtlichen Steilung des Arbeitgebers im Lohnsteuerabzugsverfahren ist. Daher soll dieses Problem im folgenden untersucht werden.

18 So Ipsen, Indienstnahme, S. 160; Riepen, S. 68, 85 f. A. A. Kloubert (insbesondere S. 24 ff., 81 ff.), der die Indienstnahme mit der Beleihung gleich behandelt. 19 So Schick, Grundfragen, S. 37.

40

2. Abschn.: Stellung des Arbeitgebers

B. Exkurs: Pflichten des Arbeitgebers Bevor jedoch die organisations rechtliche Stellung des Arbeitgebers untersucht werden kann, erscheint es im Hinblick auf die unterschiedlichen Begründungen der einzelnen Auffassungen notwendig, in einem Exkurs vorweg die dem Arbeitgeber übertragenen Pflichten darzustellen. Diese Pflichten liegen nämlich allen Auffassungen in gleicher Weise zugrunde, und nur aus ihnen bzw. den sie begründenden Rechtsverhältnissen kann seine organisationsrechtliche Stellung abgeleitet werden. 1. Allgemeines

Ebenso wie mit dem Zufluß des Arbeitslohns das Lohnsteuerschuldverhältnis zwischen Arbeitnehmer und Steuergläubiger begründet wird (§ 38 Abs. 2 Satz 2 EStG; § 38 AO), entsteht im Zusammenhang mit diesem Ereignis grundsätzlich (vgl. § 39b Abs. 5 EStG), wenn auch in zeitlicher Hinsicht gestaffelt, die Pflicht des Arbeitgebers, die Lohnsteuer zu erheben. Sie ist im wesentlichen auf die Erfüllung der Einbehaltungspflicht des jeweiligen Lohnzahlungszeitraums und auf die Erfüllung der Abführungspflicht des jeweiligen Lohnsteuer-Anmeldungszeitraums gerichtet; zusätzlich hat der Arbeitgeber die Lohnsteuer noch anzumelden (vgl. §§ 38 Abs. 3 Satz 1; 38a; 41a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 EStG)20. Der Arbeitgeber kommt den ihm allein obliegenden steuerrechtlichen Pflichten kraft öffentlichen Rechts nach 21 • Daher ist eine privatrechtliehe Vereinbarung zwischen den Parteien des Arbeitsvertrags, weIche die Pflichten ganz oder teilweise abändert, nichtig22 . Aus dem gleichen Grunde hat der Arbeitgeber Lohnsteuer selbst dann zu entrichten, wenn er durch ein arbeitsgerichtliches Urteil oder durch einen Vergleich auf Zahlung des Bruttoarbeitslohns verpflichtet wird, denn die Arbeitsgerichte 23 entscheiden weder positiv 20 Vgl. BFH Urt. v. 22. 11. 1974 - VI R 24/72 - BFHE 114, 350 (352); Birkenfeld in Stolterfoht (Hrsg.), S. 245 (265). 21 So BFH Urt. v. 13. 3. 1974 - VI R 212/70 - BFHE 112, 150 (152) = BStBl 11 1974, 411 (412); Hartz / Meeßen / Wolf, "Arbeitgeber" (S. 37); Völkel, Rz. 49. 22 So BFH Urt. v. 18. 2. 1954 - IV 174/53 U - BFHE 58,577 (579) = BStBI III 1954, 130 (131); Hartz / Meeßen / Wolf, "Überblick über das Lohnsteuerrecht" unter 1.2. (S. XV); Schmidt / Drenseck, § 38 EStG Anm. 7; Mösch, S. 6. Der öffentliche Rechtscharakter der steuerrechtlichen Pflichten des Arbeitgebers hat für den Arbeitnehmer ferner zur Konsequenz, daß er arbeitsrechtlich nicht die Auszahlung des vollen Bruttoarbeitslohns verlangen kann; dem Arbeitnehmer steht lediglich ein Anspruch auf Auszahlung des Bruttolohns zu, der um die Lohnsteuer (ggf. auch um die weiteren gesetzlichen Lohnabzüge) gekürzt ist. So BAG Urt. v. 8. 5. 1984 - 3 AZR 622/82 - DB 1984, 2253 (2254); Hartz / Meeßen / Wolf, "Überblick über das Lohnsteuerrecht" unter 1.2. (S. XV), "Arbeitgeber" (S. 37); Horowski / Altehoefer, § 38 EStG Anm. 4. 23 Hier stellvertretend für alle Formen der Beschäftigung im Rahmen einer nichtselbständigen Arbeit.

B. Pflichten des Arbeitgebers

41

noch negativ über die einzubehaltende Lohnsteuer24 • Wegen des dem Zivilrecht vorgehenden öffentlichen Rechts können also privat rechtliche Vereinbarungen oder Verpflichtungen den Arbeitgeber in keinem Fall von den ihm obliegenden steuerrechtlichen Pflichten befreien. Die Darstellung der dem Arbeitgeber übertragenen Pflichten könnte sich an die regelmäßige zeitliche Abfolge der einzelnen Verfahrensabschnitte des Lohnsteuerabzugs halten. Die Abhandlung könnte also zunächst die Einbehaltung der Lohnsteuer und daran anschließend deren Anmeldung und Abführung darstellen. Dies hätte aber den Nachteil, daß die einzelnen Rechtsbeziehungen des Arbeitgebers zum Finanzamt als Organ des Steuergläubigers einerseits und zum Arbeitnehmer als Steuerschuldner andererseits in den Hintergrund träten. Da aber gerade diese Rechtsverhältnisse für die Begründung der organisationsrechtlichen Stellung des Arbeitgebers entscheidend sind, empfiehlt es sich, die Darstellung nicht an die zeitliche Abfolge zu knüpfen, sondern sich an die Pflichten des Arbeitgebers zu halten, die er gegenüber dem Arbeitnehmer und jene, die er gegenüber dem Finanzamt wahrzunehmen hat. 2. Pflichten des Arbeitgebers gegenüber dem Arbeitnehmer

Der Arbeitgeber hat im wesentlichen drei Pflichten gegenüber dem Arbeitnehmer zu erfüllen: Er hat die Lohnsteuer für Rechnung des Arbeitnehmers einzubehalten (§ 38 Abs. 3 Satz 1 EStG); er ist berechtigt, den Lohnsteuerabzug gemäß § 41c Abs. 1 EStG zu ändern, und er kann bzw. muß einen betrieblichen Lohnsteuer-Jahresausgleich durchführen (§ 42b Abs. 1 Sätze 1, 2 EStG). 2.1 Einbehaltungsverpflichtung (§ 38 Abs. 3 Satz 1 EStG) Die Einbehaltung der Steuer ist der zeitlich erste Verfahrens abschnitt des Lohnsteuerabzugsverfahrens. § 38 Abs. 3 Satz 1 EStG gewährt dem Arbeitgeber nur die Ermächtigung, daß er die Steuerschuld durch Abzug vom Arbeitslohn geltend zu machen hat. Aus den §§ 39b - d EStG i.V. mit § 38a Abs. 4 EStG ergibt sich, welcher Betrag einzubehalten ist. Nach diesen Vorschriften hat der Arbeitgeber die Lohnsteuer zu "ermitteln", d. h., er muß sie berechnen 25 (vgl. §§ 39b Abs. 2 Satz 4 1. Halbs., 39b Abs. 3 Satz 7, 39c 24

So bereits die Gesetzesbegründung zu § 69 EStG 1925. Abgedruckt bei Strutz 11,

§ 69 Anm. 1 (S. 1057).

25 So Kläckner in Klein / Flockermann / Kühr, § 38 EStG Rz. 38; Schick, Grundfragen, S. 18; Lang StuW 1975, 113 (120 a. E.); Wagner, S. 17. Der Begriff des "Ermitteins" hat im Lohnsteuerrecht eine andere Bedeutung als in der Abgabenordnung. Während die Abgabenordnung mit dem Ermitteln die Sachverhaltsaufklärung meint (vgl. § 88 Abs. 1 Satz 1 AO), versteht das Lohnsteuerrecht dar-

42

2. Abschn.: Stellung des Arbeitgebers

Abs. 1 Satz 1, 39d Abs. 3 Satz 4 1. Halbs. EStG). Eine ordnungsgemäße Berechnung setzt jedoch zuvor die Aufklärung des für die Besteuerung relevanten Sachverhalts voraus. Die Einbehaltung ist somit in die gleichen Abschnitte wie die zwangsweise Verwirklichung eines Steueranspruchs durch das Finanzamt gegliedert, nämlich in - die Sachverhaltsaufklärung (vgl. §§ 88 ff. AO), - die Berechnung der Steuer (vgl. §§ 155 ff. AO) - und die Kürzung des Arbeitslohnanspruchs (v gl. §§ 259 ff. A0)26. 2.11 Sachverhaltsaufklärung Während beispielsweise der für die Festsetzung der Einkommensteuer relevante Sachverhalt durch die Finanzbehörde von Amts wegen (§ 88 Abs. 1 Satz 1 AO) hoheitlich unter Mitwirkung des Steuerpflichtigen (§ 90 Abs. 1 Satz 1 AO) aufgeklärt wird, fehlt eine solche Regelung für die Sachverhaltsermittlung durch den Arbeitgeber. Dieser hat die Tatsachen kraft eigenen Rechts allein aus dem Grunde aufzuklären, weil er gemäß § 38 Abs. 3 Satz 1 EStG zur Einbehaltung der Steuer verpflichtet ist. Zur Durchführung der Sachverhaltsaufklärung stehen dem Arbeitgeber die Mittel der §§ 88 ff. AO wie z. B. die Auskunft (§ 93 Abs. 1 Satz 1 AO) - nicht zur Verfügung, da diese Vorschriften nur auf die Finanzbehörden i. S. der §§ 1,2 FVG Anwendung finden (vgl. § 6 Abs. 2 A0)27. Die Sachverhaltsermittlung des Arbeitgebers erstreckt sich auf alle für die Besteuerung der Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit wesentlichen Merkmale des jeweiligen Lohnzahlungszeitraums (vgl. § 38a Abs. 3 EStG)28. Allerdings nimmt ihm die Lohnsteuerkarte als eine der wesentlichen Grundlagen des Lohnsteuerabzugsverfahrens einen Teil der Sachverhaltsaufklärung ab. Soweit Besteuerungsmerkmale berührt werden, die ihren Grund in der persönlichen Sphäre des Arbeitnehmers haben (z. B. Familienstand, Kinder, Zahl der Kinderfreibeträge, Freibeträge), ist der Arbeitgeber von der Sachverhaltsermittlung befreit29 . Denn diese den Arbeitnehmer persönlich betreffenden Merkmale sind auf der Lohnsteuerkarte niedergelegt, und an sie ist der Arbeitgeber zum Zwecke der Einbehaltung der Steuer gebunden (§§ 38a unter die Berechnung der Steuer. Ob diese unterschiedliche Ausdrucksweise fehlerhaft ist (so Wagrzer, S. 17 FN 25), kann dahingestellt bleiben. 26 Zu dieser Einteilung vgl. auch Herrmann / Heuer / Raupach, § 38 EStG a. F. Rzn. 29, 30; Schick, Grundfragen, S. 18; Schick BB 1984, 733 (734); Martens StuW 1970, Sp. 109 (117). 27 Im Ergebnis ebenso Kloubert, S. 59. 28 Zum Lohnzahlungszeitraum: vgl. Abschn. 118 Abs. 2 LStR; Hartz / Meeßen / Wolf, "Lohnzahlungszeitraum" unter 2. 29 Vgl. Kloubert, S. 23.

B. Pflichten des Arbeitgebers

43

Abs. 4 Satz 1, 39b Abs. 1 Satz 4 1. Halbs. EStG), ohne daß ihm das Recht zusteht, die Eintragungen auf ihre Richtigkeit hin zu überprüfen (§ 39 Abs. 6 Satz 4 EStG; sog. Steuerkartenprinzip30). Alle übrigen nicht auf der Steuerkarte eingetragenen Tatsachen hat der Arbeitgeber selbst aufzuklären. Dazu zählen im wesentlichen die in § 38 Abs. 1, Abs. 3 Satz 1 EStG genannten Tatbestandsmerkmale. Diese können sowohl in tatsächlicher31 als auch in rechtlicher Hinsicht durchaus problematisch werden, denn eine ordnungsgemäße Sachverhaltsermittlung geht mit einer umfangreichen Steuerrechtsanwendung einher32 . Dies zeigt beispielsweise das Merkmal des "Arbeitslohns": Der Arbeitgeber hat in tatsächlicher Hinsicht aufzuklären, ob er oder ein Dritter (vgl. § 38 Abs. 1 Satz 2 EStG) dem Arbeitnehmer oder einem Dritten eine Zuwendung in Form von Geld oder Sachbezügen gemacht hat, die im steuerrechtlichen Sinne Arbeitslohn des Arbeitnehmers darstellt (vgl. § 19 EStG)33. Gegebenenfalls muß der Arbeitgeber die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit von den anderen Einkunftsarten abgrenzen. Kommt er zu dem Ergebnis, daß die Zuwendung Arbeitslohn ist, muß er weiter ermitteln, ob sie ganz oder teilweise besteuert wird oder ob sie insgesamt steuerbefreit ist (vgl. §§ 3, 3b EStG). Liegt ein zu besteuernder Arbeitslohn vor, hat der Arbeitgeber ferner aufzuklären, ob die Zuwendung laufender Arbeitslohn (§§ 38a Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 Satz 1; 39b Abs. 2 EStG) oder ein sonstiger Bezug (§§ 38a Abs. 1 Satz 3, Abs. 3 Satz 2; 39b Abs. 3 EStG) ist. Diese - nicht abschließende - Darstellung der Sachverhaltsaufklärung und Steuerrechtsanwendung zeigt schon: Von einer rein schematischen Tätigkeit des Arbeitgebers kann keinesfalls die Rede sein. Soweit dem Arbeitgeber bei der Sachverhaltsermittlung (ggt. bedingt durch eine unzutreffende Steuerrechtsanwendung) ein Fehler unterläuft, der zu einer zu geringen Einbehaltung der Lohnsteuer führt, droht ihm eine persönliche Haftung mit seinem Vermögen (§ 42d Abs. 1 Nr. 1 1. Alt. EStG).

Zum Steuerkartenprinzip: vgl. Hartz / Meeßen / Wolf, "Steuerkarte" unter A.I. Beispielsweise ist dies bei der Ermittlung von unmittelbaren Zuwendungen Dritter an den Arbeitnehmer der Fall (z. B. Trinkgeldzahlungen im Hotel- und Gaststättengewerbe), für die der Arbeitgeber gemäß § 38 Abs. 1 Satz 2 EStG einbehaltungspflichtig ist. 32 Zur Rechtsanwendung des Arbeitgebers: vgl. Schick, Grundfragen, S. 9 ff.; Kloubert, S. 23,46. 33 Die Auslegung des Tatbestandsmerkmals "Arbeitslohn" i. S. des § 38 Abs. 1 Satz 1 EStG ist entscheidend für die Frage, wer "Arbeitgeber" i. S. des § 38 Abs. 3 Satz 1 EStG und "Arbeitnehmer" i. S. des § 38 Abs. 2 Satz 1 EStG ist (vgl. Hartz / Meeßen / Wolf, "Arbeitgeber" [So 38], "Arbeitnehmer" [So 40/1]). Da im Lohnsteuerrecht der steuerrechtliehe Arbeitslohnbegriff gilt, werden die Tatbestandsmerkmale "Arbeitgeber" und "Arbeitnehmer" in den §§ 38 ff. EStG auch nur im steuerrechtlichen, und nicht auch im arbeitsrechtlichen Sinne verstanden. 30

31

44

2. Abschn.: Stellung des Arbeitgebers

2.12 Berechnung der Lohnsteuer Im Anschluß an die Aufklärung des für die Einbehaltung wesentlichen Sachverhalts hat der Arbeitgeber die Lohnsteuer zu "ermitteln", d. h. zu berechnen. Die Berechnungsgrundlagen ergeben sich aus den §§ 39b - d EStG. Danach sind für die Ermittlung der Lohnsteuer drei Merkmale entscheidend: Zunächst sind es die Eintragungen auf der vom Arbeitnehmer vorzulegenden Lohnsteuerkarte (§ 39b Abs. 1 Sätze 1,4 1. Halbs. EStG)34; ferner sind gewisse Freibeträge zu berücksichtigen (§ 39b Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 2 EStG) sowie die Lohnsteuertabellen anzuwenden (§ 39b Abs. 2 Satz 4, Abs. 3 Satz 3 EStG). 2.13 Kürzung des Arbeitslohnanspruchs Die gemäß §§ 39b - d EStG berechnete Lohnsteuer hat der Arbeitgeber bei jeder Lohnzahlung gemäß § 38 Abs. 3 Satz 1 EStG einzubehalten, d. h., er hat den Bruttoarbeitslohnanspruch des Arbeitnehmers um den von ihm berechneten Betrag zu kürzen. Soweit die tatsächliche Kürzung des Arbeitslohnanspruchs erfolgt ist, also in Höhe der einbehaltenen Steuer, erlischt die Lohnsteuerschuld des Arbeitnehmers 35 • 2.131 Befreiung von der Kürzung des Arbeitslohnanspruchs Von der tatsächlichen Kürzung des Arbeitslohnanspruchs ist der Arbeitgeber nur in einem Ausnahmefall kraft Gesetzes befreit. Stellt der Arbeitgeber fest, daß der dem Arbeitnehmer zugeflossene Lohn in Form von Geld nicht ausreichend ist, um die berechnete Lohnsteuer einzubehalten, ist der Arbeitgeber verpflichtet, sich von der tatsächlichen Kürzung durch eine Anzeige an das Betriebsstättenfinanzamt zu befreien, sofern ihm der Arbeitnehmer keine ausreichenden Barmittel zur Verfügung stellt (§ 38 Abs. 4 Satz 2 EStG)36. 34 Sofern der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber schuldhaft keine Lohnsteuerkarte vorlegt oder er die Rückgabe der Steuerkarte an den Arbeitgeber schuldhaft verzögert, hat der Arbeitgeber die Lohnsteuer nach der für den Arbeitnehmer ungünstigen Steuerklasse VI zu berechnen (§ 39c Abs. 1 Satz 1 EStG). Für die beschränkt steuerpflichtigen Arbeitnehmer, denen gemäߧ 39 Abs. 1 Satz 1 EStG keine Lohnsteuerkarte ausgestellt wird, tritt an die Stelle der Steuerkarte die Bescheinigung i. S. des § 39d Abs. 1 Satz 3 EStG. Diese Bescheinigung hat die Funktion einer Lohnsteuerkarte (§ 39d Abs. 3 Satz 4 2. Halbs. EStG). Gleiches gilt für die Freistellungsbescheinigung i. S. des § 39b Abs. 6 EStG. 35 Dieser einbehaltene Betrag wird dem Arbeitnehmer auf seinen Erstattungsanspruch im behördlichen Lohnsteuer-Jahresausgleich und auf seine Einkommensteuerschuld angerechnet (vgl. §§ 36 Abs. 2 Nr. 2, 42 Abs. 1 Satz 1 EStG), und zwar unabhängig davon, ob der Arbeitgeber den einbehaltenen Betrag nun auch angemeldet und/ oder abgeführt hat.

B. Pflichten des Arbeitgebers

45

Diese Anzeige läßt lediglich die Pflicht zur tatsächlichen Kürzung des Arbeitslohnanspruchs entfallen. Der Arbeitgeber ist weiterhin verpflichtet, den Sachverhalt aufzuklären und die Lohnsteuer zu berechnen, denn er hat die zur Deckung notwendige Lohnsteuer zu ermitteln (vgl. § 38 Abs. 4 Satz 1 EStG). Daher hat die Anzeige an das Finanzamt inhaltlich neben der Anschrift des Arbeitnehmers nur noch den Betrag zu enthalten, der nicht einbehalten werden konnte. Diesen angezeigten Betrag hat das Finanzamt beim Arbeitnehmer nachzufordern (§ 38 Abs. 4 Satz 3 EStG)37. Soweit der Arbeitgeber dem Betriebsstättenfinanzamt den nachzufordernden Betrag angezeigt hat, ist er seiner Einbehaltungsverpflichtung aus § 38 Abs. 3 Satz 1 EStG vorschriftsgemäß nachgekommen. Daher scheidet insoweit bereits der Haftungstatbestand des § 42d Abs. 1 Nr. 1 1. Alt. EStG aus, wenn das Finanzamt aus tatsächlichen Gründen nicht in der Lage ist, die Lohnsteuer vom Arbeitnehmer nachzufordern, z. B. weil dieser inzwischen vermögenslos geworden ist. Enthält die Anzeige jedoch einen zu geringen Betrag und fordert das Finanzamt deshalb zuwenig Lohnsteuer nach, bestehen m. E. keine Bedenken anzunehmen, daß insoweit der Haftungstatbestand des § 42d Abs. 1 Nr. 1 1. Alt. EStG verwirklicht ist. Denn ein zu gering angezeigter Betrag steht einer niCht vorschriftsgemäßen Einbehaltung gleich.

2.132 Auskehrung staatlicher Leistungen durch den Arbeitgeber Zu Lasten des Lohnsteueraufkommens hat der Arbeitgeber gewisse staatliche Leistungen an bestimmte Arbeitnehmer auszuzahlen. Dies sind die Bergmannsprämie, die Berlin-Zulage und die Arbeitnehmer-Sparzulage. Die zur Auskehrung dieser staatlichen Leistungen notwendige Sachverhaltsaufklärung bzw. Berechnung hat der Arbeitgeber entsprechend den zur Einbehaltung entwickelten Grundsätzen zu bewirken. Die von ihm berechneten Leistungen sind i.d.R. aus der insgesamt von allen Arbeitnehmern einbehaltenen Lohn36 Die Vorschrift des § 38 Abs. 4 EStG kommt besonders zur Anwendung, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer mit Sachbezügen entlohnt; ferner ist diese Vorschrift einschlägig, wenn ein Dritter den Arbeitnehmer entlohnt und der Arbeitgeber die Lohnsteuer gemäß § 38 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 EStG einzubehalten hat. 37 Nach der hier vertretenen Auffassung tritt also eine Bindung des Finanzamts an die Berechnung der Lohnsteuer durch den Arbeitgeber ein. Die Finanzverwaltung (Abschn. 138 Abs. 2 Satz 2 LStR) ist jedoch der Auffassung, die Anzeige habe alle Angaben zu enthalten, die das Finanzamt benötige, um die Lohnsteuer selbst zu berechnen. Gegen diese Auffassung spricht aber die Vorschrift des § 41c Abs. 4 Satz 3 EStG, die sich dem gleichen Problem im Falle der Änderung des Lohnsteuerabzugs zuwendet, und der Rechtsgrund der Haftung aus § 42d Abs. 1 EStG: § 42d Abs. 1 EStG begründet eine Haftung des Arbeitgebers für eigene Pflichtverletzung. Folglich muß auch der Umfang seiner Pflichtverletzung den Umfang seiner Haftung bestimmen. Würde man annehmen, die Finanzverwaltung habe die nachzufordernde Lohnsteuer zu berechnen, würde sie den Umfang der Arbeitgeberhaftung bestimmen. Dies aber widerspräche einer Haftung des Arbeitgebers für eigene Pflichtverletzung.

46

2. Abschn.: Stellung des Arbeitgebers

steuer zu entnehmen und an die betroffenen Beschäftigten wiederum auszuzahlen (§ 3 Abs. 1 Satz 2 BergPG; § 28 Abs. 5 Satz 5 BerlinFG; § 13 Abs. 6 Satz 15. VermBG)38. 2.14 Zwischenergebnis Der Arbeitgeber ist zur Einbehaltung der Lohnsteuer verpflichtet (§ 38 Abs. 3 Satz 1 EStG). Der Vorgang der Einbehaltung ist in drei Handlungsabschnitte gegliedert, nämlich in die Sachverhaltsaufklärung, die Berechnung der Lohnsteuer und die tatsächliche Kürzung des Arbeitslohnanspruchs. Der Arbeitgeber hat unter Anwendung des Steuerrechts den für die Besteuerung relevanten Sachverhalt kraft eigenen Rechts aufzuklären. Für die Tatsachenermittlung stehen ihm die der Finanzverwaltung gemäß §§ 88 ff. AO zustehenden Möglichkeiten, insbesondere das Recht auf Auskunft (§ 93 Abs. 1 Satz 1 AO), nicht zur Verfügung (vgl. § 6 Abs. 2 AO). Der Arbeitgeber ist von der Sachverhaltsaufklärung nur insoweit befreit, als Tatsachen betroffen sind, die auf der Lohnsteuerkarte eingetragen sind oder sein können. An diese Eintragungen ist er zum Zwecke der Einbehaltung gebunden (§§ 38a Abs. 4, 39b Abs. 1 Satz 4 1. Halbs. EStG). Von der tatsächlichen Kürzung des Arbeitslohns ist der Arbeitgeber nur unter den Voraussetzungen des § 38 Abs. 4 EStG befreit. Eine ordnungsgemäße Anzeige an das Betriebsstättenfinanzamt steht einer vorschriftsgemäßen Einbehaltung der Steuer gleich. Folglich haftet ein Arbeitgeber auch nicht in Höhe des angezeigten Betrags (vgl. § 42d Abs. 1 Nr. 1 1. Alt. EStG). Aus der für die Betriebsstätte insgesamt einbehaltenen Lohnsteuer hat der Arbeitgeber die Bergmannsprämie, die Berlin-Zulage und die ArbeitnehmerSparzulage an die betroffenen Arbeitnehmer auszuzahlen.

2.2 Änderung des Lohnsteuerabzugs (§ 41c Abs. 1 EStG) Der Lohnsteuerabzug soll so zutreffend wie nur eben möglich bewirkt werden, damit spätere Nacherhebungen bzw. Erstattungen an den Arbeitnehmer in Grenzen gehalten werden. Aus diesem Grunde gewährt das Gesetz dem Arbeitgeber bereits während des laufenden Kalenderjahres - als zweite wesentliche Pflicht gegenüber dem Arbeitnehmer - die Möglichkeit, den Lohnsteuerabzug zu ändern (§ 41c Abs. 1 EStG). 38 Ist die insgesamt von allen Arbeitnehmern einbehaltene Lohnsteuer zur Auszahlung der staatlichen Leistungen nicht ausreichend, hat der Arbeitgeber den Fehlbetrag aus seinem Vermögen vorzuleisten, der ihm auf Antrag von der Finanzverwaltung zu ersetzen ist (vgl. § 3 Abs. 1 Satz 3 BergPG; § 28 Abs. 5 Satz 6 BerlinFG; § 13 Abs. 6 Satz 25. VermBG).

B. Pflichten des Arbeitgebers

47

Soweit die Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind, ist der Arbeitgeber berechtigt, bei der nächstfolgenden Lohnzahlung die zuviel einbehaltene Lohnsteuer zu erstatten bzw. die zuwenig erhobene Lohnsteuer nachträglich einzubehalten (§ 41c Abs. 1 EStG)39. Macht er von seiner Änderungsberechtigung Gebrauch, hat er den Sachverhalt zu ermitteln und zu berechnen, welchen Betrag er nachträglich einbehält bzw. erstattet40 . Für die Sachverhaltsaufklärung, die Berechnung und die tatsächliche Ausführung der Änderung gegenüber dem Arbeitnehmer ergeben sich keine grundsätzlichen Unterschiede zur Einbehaltung der Steuer gemäß § 38 Abs. 3 Satz 1 EStG41.

2.3 Betrieblicher Lohnsteuer-Jahresausgleich (§ 42b EStG) Der Arbeitgeber ist im Regelfall verpflichtet, nach Ablauf des Kalenderjahrs einen Lohnsteuer-Jahresausgleich durchzuführen (§ 42b Abs. 1 Satz 2 EStG)42. Der betriebliche Lohnsteuer-Jahresausgleich ist ebenso wie der 39 Die Änderungsbefugnis steht dem Arbeitgeber grundsätzlich auch nach Ablauf des Kalenderjahrs zu. Dies gilt jedoch nicht, wenn die Änderung zu einer Erstattung führen würde (vgl. § 41c Abs. 3 Satz 3 EStG). In diesem Fall geht der Erstattungsanspruch aus dem betrieblichen Lohnsteuer-Jahresausgleich (§ 42b Abs. 2 Satz 5 EStG) dem Erstattungsanspruch aus § 41c Abs. 1 EStG als lex specialis vor. Daher hätte § 42b EStG systematisch im Zusammenhang mit § 41c EStG geregelt werden müssen (so auch Drenseck in Stolterfoht [Hrsg.], S. 377 [386]. Widersprüchlich ist insoweit die Auffassung der Finanzverwaltung: Während sie einerseits den betrieblichen LohnsteuerJahresausgleich als eine besondere Form der Änderung des Lohnsteuerabzugs anerkennt [Absehn. 137 Abs. 6 LStR], hebt sie in den Abschnitten 140, 143 LStR den Bezug zum behördlichen Lohnsteuer-Jahresausgleich hervor). Die Änderungsbefugnis des Arbeitgebers ist erloschen, wenn der zu ändernde Betrag nicht mehr auf der Lohnsteuerkarte vermerkt werden kann, denn nur so ist gewährleistet, daß der Arbeitnehmer und das Finanzamt von der Änderung erfahren (vgl. § 41c Abs. 4 Satz 12. Halbs. EStG). 40 Den Erstattungsbetrag hat der Arbeitgeber der insgesamt einbehaltenen Lohnsteuer zu entnehmen (§ 41c Abs. 2 Satz 1 EStG). Reicht diese für die Erstattung an den Arbeitnehmer nicht aus, hat der Arbeitgeber das Geld vorzu1eisten, wobei ihm aber insoweit ein Erstattungsanspruch gegen das Betriebsstättenfinanzamt zusteht (§ 41c Abs. 2 Satz 2 EStG). 41 Der einzige Unterschied zwischen § 38 Abs. 3 Satz 1 EStG und § 41c Abs. 1 EStG ist darin zu sehen, daß die maßgebliche Berechnungsgröße für die Änderung des Lohnsteuerabzugs nicht mehr der Lohn des einzelnen Lohnzahlungszeitraums, sondern der bisherige Arbeitslohn der Lohnzahlungszeiträume des Kalenderjahrs ist. Nach Ablauf des Kalenderjahrs ist dies der Jahresarbeitslohn, worauf § 41c Abs. 3 Satz 2 EStG verdeutlichend hinweist. 42 Frühester Zeitpunkt für die Durchführung des betrieblichen Lohnsteuer-Jahresausgleichs ist der letzte Lohnzahlungszeitraum des Kalenderjahrs; er ist spätestens bis März des Folgejahres vorzunehmen (§ 42b Abs. 3 Satz 1 EStG). Voraussetzung für die Durchführung ist - ebenso wie bei einer Änderung gemäß § 41c Abs. 1 EStG -, daß die Lohnsteuerkarte und die Lohnsteuerbescheinigung noch nicht ausgeschrieben sind, damit der Arbeitnehmer und das Finanzamt von den Erstattungsbeträgen Kenntnis erlangen.

48

2. Abschn.: Stellung des Arbeitgebers

behördliche ein reines Erstattungsverfahren 43 . Mit der Verpflichtung des Arbeitgebers, selbst eine Erstattung zu bewirken, soll gewährleistet werden, daß der Arbeitnehmer schon frühzeitig - also vor dem behördlichen Lohnsteuer-Jahresausgleich oder einer Veranlagung zur Einkommensteuer - die Lohnsteuer zurückerhält, die ihm während des laufenden Kalenderjahrs zuviel einbehalten worden ist44 • Aus diesem Grunde verfolgt der betriebliche Lohnsteuer-Jahresausgleich einen doppelten Zweck: Einerseits soll er systembedingte, auf das Kalenderjahr bezogen materiell-rechtlich unzutreffende Ergebnisse vermeiden, z. B. wenn ein Arbeitnehmer im Kalenderjahr stark schwankenden Arbeitslohn bezogen hat. Andererseits ist er eine Änderung des Lohnsteuerabzugs i. S. des § 41c Abs. 1 EStG, der jedoch an engere Voraussetzungen (z. B. nur bei unbeschränkt steuerpflichtigen Arbeitnehmern) anknüpft und nur eine Rechtsfolge (Verpflichtung zur Erstattung) zuläßt. Daher dient der betriebliche Lohnsteuer-Jahresausgleich auch der Berichtigung von Fehlern aus Anlaß der Einbehaltung von Lohnsteuer45 . Führt der Arbeitgeber einen Lohnsteuer-Jahresausgleich durch, hat er die Jahreslohnsteuer zu "ermitteln" (vgl. § 42b Abs. 2 Satz 6 EStG). Er hat also den für die Besteuerung des Jahresarbeitslohns maßgeblichen Sachverhalt aufzuklären und daraus die lahreslohnsteuer zu berechnen 46 • Stellt er dabei fest, daß diese geringer ist als die einbehaltene Steuer, hat der Arbeitgeber den zuviel einbehaltenen Betrag zu erstatten (§ 42b Abs. 2 Satz 5 EStG)47.

2.4 Zwischenergebnis Die Änderung des Lohnsteuerabzugs gemäß § 41c EStG und der betriebliche Lohnsteuer-Jahresausgleich des § 42b EStG dienen dazu, den Lohnsteuerabzug so zu gestalten, daß die einbehaltene Lohnsteuer der Lohnsteuerschuld des Arbeitnehmers entspricht. Daher ist die Änderung des Lohnsteuerabzugs, soweit sie gegenüber dem Arbeitnehmer bewirkt worden ist, und der betriebliche Lohnsteuer-Jahresausgleich eine Änderung der Einbehaltung i. S. 43 Dies schließt aber nicht aus, daß der Arbeitgeber im Zusammenhang mit dem Lohnsteuer-Jahresausgleich eine nachträgliche Einbehaltung gemäß § 41c Abs. 1 EStG durchführt (vgl. § 41c Abs. 3 Satz 2 EStG). 44 So auch Drenseck in Stolterfoht (Hrsg.), S. 377 (386). 45 A. A. Schick, Grundfragen, S. 24/5. 46 Den Arbeitslohn und die einbehaltene Lohnsteuer vorausgegangener Dienstverhältnisse des Kalenderjahrs entnimmt der Arbeitgeber der Lohnsteuerbescheinigung (vgl. §§ 39b Abs. 1 Satz 1, 41b Abs. 1 Sätze 1, 2 EStG). 47 Den Erstattungsbetrag entnimmt der Arbeitgeber - ebenso wie bei der Änderung des Lohnsteuerabzugs - der insgesamt von allen Arbeitnehmern einbehaltenen Lohnsteuer (§ 42b Abs. 3 Satz 2 EStG). Reicht dieser Betrag zur Deckung der Erstattungsbeträge nicht aus, muß er ihn aus seinem Vermögen vorieisten; der Fehlbetrag wird ihm jedoch auf Antrag vom Betriebsstättenfinanzamt ersetzt (§§ 41c Abs. 2 Satz 2, 42b Abs. 3 Satz 3 EStG).

B. Pflichten des Arbeitgebers

49

des § 38 Abs. 3 Satz 1 EStG, und zwar gleichgültig, ob die jeweilige Handlung zu einer zusätzlichen Kürzung des Arbeitslohns oder zu einer Erstattung führt 48 . Dieses Ergebnis hat für die organisationsrechtliche Stellung des Arbeitgebers im Lohnsteuerabzugsverfahren zur Konsequenz, daß die Rechtsstellung des Arbeitgebers in allen drei Verfahrensabschnitten (der Einbehaltung gemäß § 38 Abs. 3 Satz 1 EStG, der Änderung des Lohnsteuerabzugs gemäß § 41c Abs. 1 EStG und der Erstattung im Lohnsteuer-Jahresausgleich gemäß § 42b Abs. 2 Satz 5 EStG) identisch ist. 3. Pflichten des Arbeitgebers gegenüber der Finanzverwaltung

Im vorherigen Abschnitt sind die Pflichten des Arbeitgebers dargestellt worden, die er gegenüber dem Arbeitnehmer wahrzunehmen hat. Gegenstand des nun folgenden Teils der Untersuchung sind die Pflichten, die er gegenüber der Finanzverwaltung zu erfüllen hat. Er hat dem Betriebsstättenfinanzamt eine Lohnsteuer-Anmeldung abzugeben und dorthin auch die Lohnsteuer abzuführen. Darüber hinaus hat er Kontrollen zu dulden, damit gewährleistet ist, daß er seiner unentgeltlich zu erfüllenden Entrichtungspflicht ordnungsgemäß nachkommt. 3.1 Lohnsteuer-Anmeldung (§ 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG) Der Arbeitgeber hat spätestens am zehnten Tag nach Ablauf eines jeden Lohnsteuer-Anmeldungszeitraums dem Betriebsstättenfinanzamt eine Lohnsteuer-Anmeldung abzugeben (§ 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 EStG). Diese Steuererklärung hat die Funktion einer Abrechnung des Arbeitgebers mit der Finanzverwaltung über die Beträge, die mit der Lohnsteuer in Zusammenhang stehen 49 : In ihr ist die Lohnsteuer in einer Summe anzugeben, die der Arbeitgeber von allen Arbeitnehmern seiner Betriebsstätte in dem jeweiligen Anmeldungszeitraum einzubehalten und die er im Lohnsteuerpauschalierungsverfahren zu übernehmen hat (§ 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG). Die Lohnsteuer-Anmeldung enthält ferner eine Angabe über den Betrag, den der Arbeitgeber seinen Arbeitnehmern im betrieblichen Lohnsteuer-Jahresausgleich zu erstatten hat (§ 42b Abs. 3 Satz 2 EStG)50. Im übrigen beinhaltet sie die staatlichen Leistungen, die der Arbeitgeber aus der einbehaltenen LohnVgl. Kloubert, S. 40. So Altehoefer in Lademann / Söffing / Brockhoff, § 41a EStG Rz. 1; Nissen in Hartmann / Böttcher / Nissen / Bordewin, § 41a EStG Rz. 2; Stache in Horowski / Altehoefer, § 41a EStG Anm. c.l. 50 Entsprechendes gilt für die einzubehaltende, zu übernehmende und die im betrieblichen Lohnsteuer-Jahresausgleich zu erstattende Kirchenlohnsteuer . 48 49

4 Schäfer

50

2. Abschn.: Stellung des Arbeitgebers

steuer an die Arbeitnehmer auszuzahlen hat. In getrennten Summen sind die von ihm auszuzahlende Arbeitnehmer-Sparzulage (§ 13 Abs. 6 Satz 1 5. VermBG), die Bergmannsprämie (§ 3 Abs. 1 Satz 2 BergPG) und die BerlinZulage (§ 28 Abs. 5 Satz 5 BerlinFG) aufzuführen 51 • Somit sind alle Beträge, die mit der Lohnsteuer in einem wirtschaftlichen Zusammenhang stehen, in der Lohnsteuer-Anmeldung aufgeführt 52 . Die Verpflichtung zur Abgabe dieser Steuererklärung ist ordnungsgemäß zu erfüllen, und zwar unabhängig davon, ob der Arbeitgeber der Einbehaltung, Übernahme oder Abführung der Lohnsteuer tatsächlich nachgekommen ist oder nachkommen kann 53 . Diese Selbständigkeit der Lohnsteuer-Anmeldung zeigt sich besonders in den Fällen, in denen der Arbeitgeber keinen Arbeitnehmer mehr beschäftigt. Insoweit behält der Arbeitgeber weder Lohnsteuer ein, noch übernimmt er sie im Lohnsteuerpauschalierungsverfahren; deswegen ist er auch nicht zur Abführung von Lohnsteuer verpflichtet (vgl. § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG)54. Dennoch muß er eine ordnungsgemäße LohnsteHer-Anmeldung mit dem Betrag von Null DM abgeben; von der Pflicht zur Abgabe weiterer Steuererklärungen wird er erst befreit, wenn er dem Finanzamt mitte~lt, daß er keine Arbeitnehmer mehr beschäftigt (vgl. § 41a Abs. 1 Satz 3 EStQ).

3.2 Abführung der Lohnsteuer (§ 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG) Der Arbeitgeber hat spätestens am zehnten Tag nach Ablauf eines jeden Lohnsteuer-Anmeldungszeitraums die von ihm insgesamt einbehaltene und übernommene Lohnsteuer an das Betriebsstättenfinanzamt abzuführen (§ 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 2 EStG)55. Hiervon ist der Arbeitgeber nur befreit, soweit er aus der einbehaltenen und übernommenen Lohnsteuer Beträge tatsächlich ausbezahlt hat, zu deren Leistung ihn das Gesetz verpflichtet56 . Das 51 Anzumelden sind ferner auch die Arbeitskammerbeiträge in den Bundesländern Bremen und Saarland sowie die Angestelltenkammerbeiträge in Bremen. So Hartz / Meeßen / Wolf, "Lohnsteuer-Anmeldung" unter 1. (S. 756/4). 52 Weil diese Steuererklärung die Funktion einer Abrechnung hat, gilt sie einheitlich für die gesamte Betriebsstätte. Daher ist die Abgabe mehrerer Lohnsteuer-Anmeldungen für dieselbe Betriebsstätte und denselben Anmeldungszeitraum unzulässig (so auch Abschn. 133 Abs. 2 Sätze 1,2 LStR). 53 So auch Abschn. 133 Abs. 1 Satz 1 LStR; Hartz / Meeßen / Wolf, "LohnsteuerAnmeldung" unter 1. (S. 756/3); Altehoefer in Lademann / Söffing / Brockhoff, § 41a EStG Rz. 2; Nissen in Hartmann / Böttcher / Nissen / Bordewin, § 41a EStG Rz. 4; Oeftering / Görbing, § 41a EStG Rz. 1. 54 Denn die Abführungspflicht erstreckt sich nur auf die (tatsächlich) einbehaltene und übernommene Lohnsteuer; hingegen betrifft die Lohnsteuer-Anmeldung die (kraft Gesetzes) einzubehaltende und zu übernehmende Lohnsteuer. 55 Die Anmeldung und Abführung der Lohnsteuer fallen also zeitlich zusammen. 56 So auch Altehoefer in Lademann / Söffing / Brockhoff, § 41a EStG Rz. 16.

B. Pflichten des Arbeitgebers

51

ist die Lohnsteuer, die er bei der Änderung des Lohnsteuerabzugs und im Lohnsteuer-Jahresausgleich erstattet hat (§§ 41c Abs. 1, 42b Abs. 2 Satz 5 EStG) sowie die ausgezahlte Bergmannsprämie (§ 3 Abs. 1 Satz 2 BergPG), Berlin-Zulage (§ 28 Abs. 5 Satz 5 BerlinFG) und Arbeitnehmer-Sparzulage (§ 13 Abs. 6 Satz 15. VermBG). Somit bezweckt die Abführung, der Finanzverwaltung den Geldbetrag zuzuführen, der ihr aus der einbehaltenen und übernommenen Lohnsteuer noch zusteht.

3.3 Duldung von Kontrollen Der Arbeitgeber ist weder Schuldner noch Gläubiger der individuell erhobenen Lohnsteuerschuld. Seine Stellung als Dritter bringt für den Steuergläubiger und den Steuerschuldner besondere Gefahren mit sich. Um diesen Gefahren vorzubeugen, hat der Gesetzgeber den Arbeitgeber verpflichtet, Kontrollen zu dulden, damit gewährleistet ist, daß er seiner unentgeltlich zu erfüllenden Entrichtungspflicht vorschriftsgemäß nachkommt. Im Ergebnis garantiert die Finanzverwaltung den ordnungsgemäßen Lohnsteuerabzug gegenüber dem Arbeitnehmer. Sie setzt - regelmäßig erst nach Ablauf des Kalenderjahrs - die Einkommensteuerschuld, den Erstattungsanspruch im behördlichen Lohnsteuer-Jahresausgleich und den Nachforderungsanspruch fest. Dadurch wird mittelbar zugleich aber auch die Sachverhaltsaufklärung und Rechtsanwendung des Arbeitgebers überprüft und kontrolliert. Daher erweist sich die Sachverhaltsermittlung und Rechtsanwendung des Arbeitgebers als vorläufig 57 ; seine lohnsteuerrechtliche Tätigkeit steht mithin unter dem Vorbehalt der Kontrolle der Finanzverwaltung58 • Die Kontrollbefugnisse der Finanzämter beschränken sich jedoch nicht nur auf lediglich mittelbare Überprüfungen des Arbeitgebers. Den Finanzämtern stehen auch unmittelbar wirkende Aufsichtsmittel zur Verfügung. Die entscheidende Kontrolle bewirkt die Lohnsteuerkarte. Über die Bindung des Arbeitgebers an ihre Eintragungen gemäß §§ 38a Abs. 4, 39b Abs. 1 Satz 4 1. Halbs. EStG enthält sie konkrete Anweisungen, wie der Arbeitgeber in einem individuellen Fall den Lohnsteuerabzug zu vollziehen hat59 • Weiter wird der Arbeitgeber laufend über die Lohnsteuer-Anmeldung überwacht. Denn die regelmäßige Abgabe dieser Steuererklärung versetzt das Betriebsstättenfinanzamt in die Lage, die lohnsteuerliche Entwicklung der Betriebsstätte und die ordnungsgemäße Erfüllung der lohnsteuerlichen Pflichten konSo auch Birkenfeld in Stolterfoht (Hrsg.), S. 245 (290). Vgl. das besonders erwähnte Beispiel der Kontrolle in Abschn. 13 Abs. 3 Satz 3 LStR. 59 Entsprechendes gilt für die Anweisungen, die durch eine Freistellungsbescheinigung (§ 39b Abs. 6 EStG) und durch eine Bescheinigung i. S. des § 39d Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 Satz 42. Halbs. EStG ergehen. 57 58

4*

52

2. Abschn.: Stellung des Arbeitgebers

tinuierlich zu überwachen 6o • Eine umfassende Kontrolle der Sachverhaltsaufklärung und Rechtsanwendung des Arbeitgebers findet durch die LohnsteuerAußenprüfung statt (§ 42f EStG). Sie ist als Außenprüfung (§ 193 Abs. 2 Nr. 1 AO) auf die Kontrolle der zutreffenden Einbehaltung, Übernahme und Abführung, nicht jedoch auf die Anmeldung 61 der Lohnsteuer gerichtet62 • Im Rahmen der Außenprüfung treffen den Arbeitgeber besondere Mitwirkungspflichten (§ 200 AO; § 42f Abs. 2 Satz 1 EStG): Er muß - obwohl er im individuellen Steuerabzugsverfahren nicht Schuldner der Lohnsteuer ist - dem Betriebsstättenfinanzamt alle Tatsachen aufzuklären helfen, die für den Lohnsteuerabzug erheblich sind. Zusammenfassend ist festzustellen, daß das Handeln des Arbeitgebers einer strengen mittelbar und unmittelbar wirkenden Kontrolle der Finanzverwaltung unterliegt. Der Arbeitgeber steht also unter der Aufsicht des Staates63 . 4. Zwischenergebnis

Die Pflichten des Arbeitgebers lassen sich unterscheiden in diejenigen, die er gegenüber dem Arbeitnehmer wahrzunehmen hat, und jene, die gegenüber der Finanzverwaltung zu erfüllen bzw. zu dulden sind. 60 So auch Altehoefer in Lademann / Söffing / Brockhoff, § 41a EStG Rz. 1; Oeftering / Görbing, § 41a EStG Rz. 1; Nissen in Hartmann / Böttcher / Nissen / Bordewin, § 41a EStG Rz. 2; Birkenfeld in Stolterfoht (Hrsg.), S. 245 (290). 61 Denn die Anmeldung der Lohnsteuer zählt nicht zur Entrichtungspflicht des Arbeitgebers (vgl. §§ 193 Abs. 2 Nr. 1,43 Satz 2, 33 Abs. 13. Alt. AO; § 42f Abs. 1 EStG). Daher ist die Lohnsteuer-Anmeldung im Rahmen einer Außenprüfung nur unter den Voraussetzungen des § 193 Abs. 1, Abs. 2 Nr. 2 AO kontrollierbar. A. A. wohl Hartz / Meeßen / Wolf ("Außenprüfung" unter [So 156]), wonach die LohnsteuerAnmeldung im Rahmen einer Außen prüfung gemäß § 42f EStG überprüft werden könne, da sie der Überwachung des Steuerabzugs diene. 62 Eine ordnungsgemäße Lohnsteuer-Außenprüfung ist dadurch gewährleistet, daß das Handeln des Arbeitgebers kontrollierbar gemacht worden ist. Denn er hat über jede seiner Handlungen eine "Akte" zu führen (so Schick, Grundfragen, S. 32). Als Akte über den einzelnen Arbeitnehmer dient dessen Lohnkonto (§ 41 EStG, § 7 LStDV), in welches bei jeder Lohnzahlung die Art und Höhe des Arbeitslohns sowie die einbehaltene bzw. übernommene Lohnsteuer einzutragen ist (§ 41 Abs. 1 Satz 3 EStG). 63 So auch Kloubert, S. 53. Neben der Duldung der Staatsaufsicht hat der Arbeitgeber jedoch auch gewisse Rechte gegenüber der Finanzverwaltung. So steht ihm das Recht der Anrufungsauskunft zu, auf deren Erteilung er einen Rechtsanspruch hat (§ 42e EStG). Sie gestaltet das für ihn stets bestehende Haftungsrisiko erträglich. Soweit er die Steuer entsprechend der ihm erteilten Auskunft einbehält, haftet er nicht (allgern. M.). Streitig ist jedoch, ob bereits mit der Befolgung der Auskunft der Haftungstatbestand des § 42d Abs. 1 EStG entfällt oder ob die Auskunft zu einer (Auswahl-) Ermessensreduzierung auf Null unter den Gesamtschuldnern führt (vgl. § 42d Abs. 3 Satz 2 EStG). Vgl. dazu Hartz / Meeßen / Wolf, "Haftung für Lohnsteuer" unter B.n.1. (S. 570); Thiel DB 1988, 1343 (1346).

C. Arbeitsrechtliche Stellung

53

Soweit der Arbeitgeber die Lohnsteuer einbehält (§ 38 Abs. 3 Satz 1 EStG), den Lohnsteuerabzug gegenüber dem Arbeitnehmer ändert (§ 41c Abs. 1 EStG) oder den Lohnsteuer-Jahresausgleich durchführt (§ 42b Abs. 2 Satz 5 EStG), wird er nach außen gegenüber dem Arbeitnehmer tätig 64 . Er handelt jedoch im Innenverhältnis zur Finanzverwaltung, wenn er die Lohnsteuer anmeldet, sie abführt (§ 41a Abs. 1 Satz 1 EStG), oder wenn er Kontrollen der Finanzämter duldet. Diese zunächst nur terminologische Differenzierung in Außen- und Innenverhältnis gilt es festzuhalten. C. Herrschende Auffassung: Der Arbeitgeber handelt aus seiner arbeitsrechtlichen Stellung heraus

Nachdem im vorherigen Teil der Untersuchung die wesentlichen lohnsteuerrechtlichen Pflichten des Arbeitgebers dargestellt worden sind, kann nunmehr seine organisationsrechtliche Stellung im Lohnsteuerabzugsverfahren behandelt werden. Die bei weitem herrschende Auffassung geht auf die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und die des Bundesverwaltungsgerichts zurück. Ihr hat sich neben der arbeits- und beamtenrechtlichen Literatur zumindest auch verbal das herrschende lohnsteuerliche Schrifttum und die Finanzgerichtsrechtsprechung angeschlossen. Diese Ansicht geht im Grundgedanken davon aus, daß der Arbeitgeber, auch soweit er den Lohnsteuerabzug durchführt, aus seiner arbeitsrechtlichen Stellung als Arbeitgeber heraus handelt 65 • Als Folge dieses Grundgedankens werden alle Regelungen des Lohnsteuerrechts, also sowohl die Rechtsbeziehungen des Innen- als auch die des Außenverhältnisses, in das Arbeitsrecht übertragen. Das Lohnsteuerrecht baut nach dieser Auffassung auf einer arbeitsrechtlichen Grundlage auf. 1. Begründung der herrschenden Auffassung

Diese Ansicht wird auf zwei Thesen gestützt, auf die sog. Transformationsthese und die sog. Rückgriffsthese 66 •

64 Stolterfoht (in Stolterfoht [Hrsg.], S. 175) bezeichnet das Rechtsverhältnis zwischen Arbeitnehmer und Arbeitgeber als Innenverhältnis. Dieser Terminologie ist entgegenzuhalten, daß es in diesem Rechtsverhältnis um die Frage geht, ob der Arbeitgeber - ebenso wie die Finanzverwaltung - nach außen hoheitlich handelt. 65 Im folgenden stellvertretend für alle Formen der Beschäftigung im Rahmen einer nichtselbständigen Arbeit. 66 Bezeichnung nach Stolterfoht in Stolterfoht (Hrsg.), S. 175 (178,180).

2. Abschn.: Stellung des Arbeitgebers

54

1.1 Transformationsthese Arbeitgeber und Arbeitnehmer sind nach dieser These die Parteien des Arbeitsvertrages. Die Dienstleistungspflicht des Arbeitnehmers und die Vergütungspflicht des Arbeitgebers sind die Hauptleistungspflichten der Vertragsparteien, welche in einem gegenseitigen Abhängigkeitsverhältnis zueinander stehen (vgl. § 611 BGB). Aus dem Arbeitsvertrag erwachsen den Parteien aber auch einseitige Nebenpflichten, die ihren Rechtsgrund in dem personenrechtlichen Gemeinschaftsverhältnis haben 67 , sog. Fürsorgepflichten68 • Diese Nebenpflichten sind im Arbeitsrecht wegen der gegenseitigen sozialen Abhängigkeit der Vertragsparteien zueinander besonders eng und vielgestaltig69 • Die Transformationsthese besagt nun, daß der Arbeitgeber seine arbeitsvertragliche Fürsorgepflicht erfüllt, wenn er für den Arbeitnehmer dessen Lohnsteuer erhebt7°. Diese Fürsorgepflicht ist umfassend. So kommt der Arbeitgeber seiner arbeitsvertraglichen Fürsorgepflicht nach, wenn er die Lohnsteuer richtig berechnet7 l , sie einbehält72 und sie auch vollständig an das Betriebsstättenfinanzamt abführt73 • Ferner gebietet es die Fürsorge, daß der Vgl. dazu Hueck / Nipperdey, § 48 (S. 390 ff.). Zu den Möglichkeiten der rechtlichen Begründung einer Fürsorgepflicht: vgl. Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, § 108 I 2 (S. 711). 69 So hat der Arbeitgeber beispielsweise Räumlichkeiten zur Verfügung zu stellen, damit der Arbeitnehmer private Sachen, die er notwendigerweise zur Arbeit mitbringen muß, sicher aufbewahren kann. So auch Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, § 108 IV 3 (S. 716). 70 So BAG Urt. v. 27. 3. 1958 - 2 AZR 188/56 - AP Nr. 1 (BI. 3) zu § 670 BGB; BAG Urt. v. 14. 6. 1974 - 3 AZR 456/73 - AP Nr. 20 (BI. 2) zu § 670 BGB. Ebenso: OVG Münster Urt. v. 30. 1. 1978 - XII A 1405175 - ZBR 1980, 93 (94). Ebenso: FG Schleswig-Holstein, Urt. v. 11. 11. 1987 - I 464/87 - EFG 1988, 245 (246). Ebenso: Herrmann / Heuer / Raupach, § 38 EStG a. F. Rz. 39a; Hartz / Meeßen / Wolf, "Haftung für Lohnsteuer" unter E. (S. 592/1); Altehoefer in Lademann / Säffing / Brockhoff, § 42d EStG Rz. 104; Schmidt / Drenseck, § 38 EStG Anm. 1; Grube in Littmann / Bitz / Meincke, 14. Aufl., § 42d EStG Rz. 52; Barein in Littmann / Bitz / Meincke, § 42d EStG Rz. 56; Carl DB 1988,826 (829); Hartz DB 1961, 1365 (1367). Ebenso: Scheerbarth / Häffken, § 17 II 2 c (S. 376); Schick ZBR 1980, 83 (85). Vgl. auch Kopp, VwGO, § 40 Rz. 76. 71 So BAG Urt. v. 27 .3. 1958 - 2 AZR 188/56 - AP Nr. 1 (BI. 3) zu § 670 BGB; BAG Urt. v. 27. 3. 1958 - 2 AZR 291/57 - AP Nr. 2 (BI. 1) zu § 670 BGB; BAG Urt. v. 19. 12. 1963 - 5 AZR 174/63 - AP Nr. 15 (BI. 3) zu § 670 BGB. So auch Soergel-Kraft, § 611 BGB Rz. 143; Palandt-Putzo, § 611 BGB Anm. 6 f/aa, § 611 BGB Anm. 8c; Välkel, Rz. 279. Kritisch: Hueck / Nipperdey, § 48 II 4a (S. 412). 72 So Hartz / Meeßen / Wolf, "Abführung der Lohnsteuer" unter 3. (S. 7); Birkenfeld in Stolterfoht (Hrsg.), S. 245 (264). 73 So BAG Urt. v. 27. 3. 1958 - 2 AZR 188/56 - AP Nr. 1 (BI. 3) zu § 670 BGB; Hartz / Meeßen / Wolf, "Abführung der Lohnsteuer" unter 3. (S. 7). 67

68

c.

Arbeitsrechtliche Stellung

55

Arbeitgeber ein ungerechtfertigtes Nachversteuerungsansinnen der Finanzverwaltung für den Arbeitnehmer ablehnt14 und den Arbeitnehmer von einer ihm drohenden Nachversteuerung unterrichtet75. Auch ist der Arbeitgeber nicht nur steuerrechtlich (§ 39b Abs. 1 Satz 2 EStG), sondern auch auf Grund seiner Fürsorge verpflichtet, die Lohnsteuerkarte ordnungsgemäß aufzubewahren und sie dem Arbeitnehmer herauszugeben 76 • Erteilt das Finanzamt dem Arbeitnehmer ferner eine für ihn günstige Anrufungsauskunft (§ 42e EStG) , ist der Arbeitgeber auf Grund seiner arbeitsvertraglichen Fürsorgepflicht gehalten, entsprechend der Auskunft den Lohnsteuerabzug zu bewirken 77 . Führt der Arbeitgeber eine ihm übertragene steuerrechtliche Pflicht der

§§ 38 ff. EStG nicht ordnungsgemäß aus, kann dadurch ein Schadensersatzan-

spruch des Arbeitnehmers gegen ihn aus positiver Vertragsverletzung des Arbeitsvertrages entstehen. Haftungsgrund ist die schuldhafte Pflichtverletzung einer arbeitsvertraglichen Fürsorgepflicht (§§ 280, 286 BGB analog)78. Dieser Schadensersatzanspruch setzt eine schuldhafte Handlung des Arbeitgebers voraus. Schuldhaft handelt der Arbeitgeber bzw. sein Erfüllungsgehilfe (§ 278 BGB) nicht schon bei leichtester Fahrlässigkeit (vgl. § 276 Abs. 1 Satz 2 BGB), sondern es ist ein strengerer Verschuldensmaßstab anzulegen. Im Ergebnis ebenso Münchener Kommentar-Söllner (§ 611 BGB Rz. 305), der die Pflicht zur Abführung der Lohnsteuer als sich aus § 242 BGB ergebende ergänzende Leistungspflicht bezeichnet. 74 So BAG Urt. v. 17. 3. 1960 - 5 AZR 395/58 - AP Nr. 8 (BI. 4) zu § 670 BGB; BAG Urt. v. 19. 12. 1963 - 5 AZR 174/63 - AP Nr. 15 (BI. 3) zu § 670 BGB. Vgl. Oeftering / Görbing, § 42d EStG Rz. 32; Hartz, Anm. zu BAG AP Nr. 15 (BI. 4) zu § 670 BGB. 75 So BAG Urt. v. 23. 3. 1961 - 5 AZR 156/59 - AP Nr. 9 (BI. 3) zu § 670 BGB; BAG Urt. v. 19. 12. 1963 - 5 AZR 174/63 - AP Nr. 15 (BI. 3) zu § 670 BGB. Ebenso Böhm / Spiertz / Sponer / Steinherr, § 36 BAT Rz. 71; Hueck / Nipperdey, § 40 III 6 (S. 281 FN 89a). Ebenso Schmidt / Drenseck, § 38 EStG Anm. 1; Nissen in Hartmann / Böttcher / Nissen / Bordewin, § 42d EStG Rz. 52; Hartz DB 1961, 1365 (1367). 76 So FG Schleswig-Holstein, Urt. v. 11. 11. 1987 - I 464/87 - EFG 1988,245 (246); Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, § 33 I 3 (S. 139), § 149 I (S. 1008); im Ergebnis auch Hartz / Meeßen / Wolf, "Steuerkarte" unter D.II. (S. 116611). 77 So Hartz / Meeßen / Wolf, "Auskünfte und Zusagen des Finanzamts" unter B.I.4. (S. 128/4); Schmidt / Drenseck, § 42e EStG Anm. 8a. Eine Aufforderung des Arbeitgebers an den Arbeitnehmer, gemeinsam mit ihm eine Anrufungsauskunft einzuholen, könne im Einzelfall Ausfluß der arbeitsvertraglichen Fürsorgepflicht sein. So Hartz / Meeßen / Wolf, "Auskünfte und Zusagen des Finanzamts" unter B.I.4. (S. 128/4). 78 So BAG Urt. v. 27. 3. 1958 - 2 AZR 188/56 - AP Nr. 1 (BI. 3) zu § 670 BGB. So auch Soergel-Kraft, § 611 BGB Rz. 212; Palandt-Putzo, § 611 BGB Anm. 6 f/aa; Böhm / Spiertz / Sponer / Steinherr, § 36 BAT Rz. 73; Hueck / Nipperdey, § 40 III 6 (S. 281 FN 89a); Nikisch, § 29 VII (S. 359); Oeftering / Görbing, § 42d EStG Rz. 32; Nissen in Hartmann / Böttcher / Nissen / Bordewin, § 42d EStG Rz. 52; Riepen, S. 64 68. Kritisch: Hartz DB 1961, 1365 (1367) zum Umfang der Fürsorgepflichten.

2. Abschn.: Stellung des Arbeitgebers

56

Dies ist notwendig, weil ein Arbeitgeber für die ihm übertragenen komplizierten steuerrechtlichen Aufgaben nicht ausgebildet ist19 • Darüber hinaus setzt dieser Schadensersatzanspruch einen Schaden des Arbeitnehmers voraus. Ein Schaden ist noch nicht in dem Geldbetrag zu sehen, der vom Arbeitnehmer nachgefordert werden kann 80 , sondern lediglich in dem Vermögensnachteil, der über die bloße Nachzahlung hinausgeht. So liegt beispielsweise ein ersetzbarer Schaden vor, wenn der Arbeitnehmer infolge der Lohnsteuernachzahlung die Wohnung verliert, weil er die Miete nicht bezahlen kann 81 . 1.2 Rückgriffsthese

Die oben behandelte Transformationsthese hat einen umfassenden Anwendungsbereich. Sie gilt in bezug auf alle Rechtsbeziehungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, die durch das Lohnsteuerabzugsverfahren veranlaßt sind. Dagegen hat die nun darzustellende Rückgriffsthese ihren ausschließlichen Geltungsbereich in den Fallgestaltungen, in denen der Arbeitgeber als Haftungsschuldner für zuwenig einbehaltene Lohnsteuer (§ 42d Abs. 1 Nr. 1 1. Alt. EStG) in Anspruch genommen worden ist, und er nun seinerseits vom Arbeitnehmer Regreß verlangt 82 . Unter den Arbeitsgerichten war es lange Zeit streitig, welches die geeignete Anspruchsgrundlage für das Rückgriffsbegehren sei83 . Anfangs leitete das Reichsarbeitsgericht die Anspruchsgrundlagen aus dem Recht der Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 677 ff. BGB) oder aus dem Bereicherungsrecht (§§ 812 ff. BGB) ab 84 • Das Bundesarbeitsgericht änderte diese RechtspreSo BAG Urt. v. 27. 3. 1958 - 2 AZR 188/56 - AP Nr. 1 (BI. 3) zu § 670 BGB. So auch Soergel-Kraft, § 611 BGB Rz. 143; Hueck 1 Nipperdey, § 40 III 6 (S. 281 FN 89a); Dersch, Anm. zu BAG AP Nr. 1 (BI. 4) zu § 670 BGB. Vgl. auch Mösch, S. 58. 80 So LAG Hamm Urt. v. 9. 7. 1957 - 2 Sa 161/57 - AP Nr. 3 (BI. 1) zu § 426 BGB; ArbG Göttingen Urt. v. 22. 1. 1957 - Ca 827/56 - AP Nr. 2 (BI. 1) zu § 426 BGB. 81 So BAG Urt. v. 27. 3. 1958 - 2 AZR 188/56 - AP Nr. 1 (BI. 4) zu § 670 BGB; Stiller, Anm. zu BAG AP Nr. 4 (BI. 2) zu § 670 BGB; Mösch, S. 58. Vgl. auch Hartz DB 1961, 1365 (1368). 82 Anmerkung: Die Arbeitsgerichte haben noch nicht entschieden, wie in der Gesamtschuld wegen zuwenig abgeführter Lohnsteuer (vgl. § 42d Abs. 3 Satz 1 EStG i.V. mit § 42d Abs. 1 Nr. 12. Alt., Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 EStG) zu verfahren ist. Dieser Fall wird auch im lohnsteuerrechtlichen Schrifttum kaum diskutiert. 83 Zur historischen Entwicklung der Anspruchsgrundlagen: vgl. Riepen, S. 44 - 46 (unter 1, 2). 84 Vgl. die Nachweise in BAG Urt. v. 27. 3. 1958 - 2 AZR 188/56 - AP Nr. 1 (BI. 1) zu § 670 BGB. Im Prinzip ist dies auch noch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts für den Rückgriff bei Beamten. Es nimmt an, dem öffentlichen Arbeitgeber stehe in solchen Fällen ein Anspruch auf Rückzahlung zuviel gezahlter Dienstbezüge nach den Beamtengesetzen zu (vgl. § 87 Abs. 2 BBG; § 53 Abs. 2 BRRG), der kraft Verweisung nach den Vorschriften der ungerechtfertigten Bereicherung und vor den Verwaltungsgerichten gemäß § 126 Abs. 1 BRRG geltend zu machen sei. So BVerwG Beschl. v. 79

C. Arbeitsrechtliche Stellung

57

chung mehrfach. Zunächst knüpfte es an den Wortlaut der Steuergesetze an und entnahm die Anspruchsgrundlage aus der Gesamtschuld von Arbeitgeber und Arbeitnehmer (vgl. § 42d Abs. 3 Satz 1 EStG). Jedoch stützte es den Rückgriffsanspruch lediglich auf § 426 Abs. 1 BGB und nicht auch auf die gemäß § 426 Abs. 2 Satz 1 BGB legalzedierte Forderung85 • Diese Anspruchsgrundlage brachte jedoch den "Nachteil" mit sich, daß die Arbeitsgerichte nunmehr im Ergebnis darüber befinden mußten, in Höhe welchen Betrages Arbeitgeber und Arbeitnehmer Gesamtschuldner im Haftungsverfahren des Lohnsteuerrechts waren. Daraufhin löste sich das Bundesarbeitsgericht wieder von der Anspruchsgrundlage aus dem Recht der Gesamtschuld. Heute ist § 670 BGB die Anspruchsgrundlage für den Rückgriff des Arbeitgebers 86 . Der Rückgriffsanspruch aus § 670 BGB setzt einen Auftragsvertrag zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer voraus. Diesen hat das Bundesarbeitsgericht zunächst mit der Begründung angenommen, daß der Arbeitgeber Aufgaben wahrzunehmen habe, die mindestens zum Teil auch dem Arbeitnehmer zur Last fallen könnten. Daher liege zwischen den Arbeitsvertragsparteien ein gesetzliches auftragsähnliches Schuldverhältnis neben dem Arbeitsvertrag vor, welches den Arbeitgeber berechtige und verpflichte, für den Arbeitnehmer die Lohnsteuer einzubehalten und abzuführen 87 • Diese Begründung des Rückgriffsanspruchs aus § 670 BGB hat das Bundesarbeitsgericht aber inzwischen wiederum aufgegeben. Jetzt geht das Gericht davon aus, daß die lohnsteuerrechtlichen Rechtsbeziehungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer "zwanglos und lebensnah" als Teil des Arbeitsverhältnisses anzusehen seien. Wie die Pflichten des Arbeitgebers über die Transformationsthese den Fürsorgepflichten zugerechnet werden könnten, so seien auch die Arbeitnehmerpflichten, besonders die Erstattung im Haftungsverfahren, als Teil seiner Redlichkeitspflicht aus dem Arbeitsverhältnis anzusehen. Diese beiderseitigen Fürsorge- und Redlichkeitspflichten werden durch das Auftragsverhältnis konkretisiert88 • Daher sei § 670 BGB die Grundlage des Rückgriffsanspruchs 89 • 10. 3. 1971- VI B 49.70-Buchholz 232 § 87 BBG Nr. 45; BVerwG Urt. v. 12. 10.1967 - 11 C 71.67 - BVerwGE 28, 68 (74/5). 85 So BAG Urt. v. 4. 10. 1956 - 2 AZR 256/54 - AP Nr. 5 (BI. 3) zu § 550 ZPO. 86 Anfangs hat das Bundesarbeitsgericht neben § 670 BGB noch die Ausgleichsansprüche aus der Gesamtschuld angenommen (so BAG Urt. v. 27. 3. 1958 - 2 AZR 188/ 56 - AP Nr. 1 [BI. 3 unter 2.f.] zu § 670 BGB). In jüngeren Entscheidungen fehlt jedoch jeglicher Hinweis auf diese Rückgriffsansprüche. Vgl. die Nachweise in den folgenden Fußnoten. 87 So BAG Urt. v. 27. 3. 1958 - 2 AZR 188/56 - AP Nr. 1 (BI. 2) zu § 670 BGB. So auch Soergel-Kraft, § 611 BGB Rz. 143; Oeftering / Görbing, § 42d EStG Rz. 30; Nikisch, § 29 VII (S. 359). 88 So BAG Urt. v. 14. 6. 1974 - 3 AZR 456173 - AP Nr. 20 (BI. 2) zu § 670 BGB; BAG Urt. v. 19. 1. 1979 - 3 AZR 330177 - AP Nr. 21 (BI. 1) zu § 670 BGB; BAG Urt. v. 20. 3. 1984 - 3 AZR 124/82 - AP Nr. 22 (BI. 2) zu § 670 BGB.

58

2. Abschn.: Stellung des Arbeitgebers 2. Kritik

Sowohl gegen die Transformationsthese als auch gegen die Rückgriffsthese sprechen verschiedene Argumente9o •

2.1 Kritik am Grundgedanken der Rückgriffsthese und der Transformationsthese Die Transformationsthese und im Ergebnis auch die Rückgriffsthese gehen davon aus, daß die Pflicht des Arbeitgebers zur Durchführung des Lohnsteuerabzugs Teil seiner arbeitsvertraglichen Fürsorgepflicht sei. Eine Fürsorgepflicht ist dadurch gekennzeichnet, daß jemand Aufgaben wahrzunehmen hat, die an sich dem Rechtskreis einer anderen Person angehören. Wenn beispielsweise ein Arbeitgeber auf Grund seiner Fürsorge gegenüber den Beschäftigten verpflichtet ist, Aufbewahrungsmöglichkeiten zur Verfügung zu stellen, damit der Arbeitnehmer während der Arbeitszeit seine persönlichen Sachen einschließen kann, dann ist dies an sich eine Aufgabe, die dem Arbeitnehmer als Eigentümer der Sache obliegt. Daher beruht sowohl die Transformationsthese als auch die Rückgriffsthese auf dem Grundgedanken, daß es an sich die eigene Aufgabe und Pflicht des Arbeitnehmers als Steuerschuldner sei, für die Einbehaltung und Abführung seiner Steuer selbst Sorge zu tragen 91 . So auch Schmidt / Drenseck, § 42d EStG Anm. 10; Böhm / Spiertz / Sponer / Steinherr, § 36 BAT Rzn. 71 f.; Palandt-Putzo, § 611 BGB Anm. 6f1aa. Ähnlich für das Beamtenrecht: OVG Münster Urt. v. 30. 1. 1978 - XII A 1405/75 ZBR 1980, 93 (95): Dort ist von der Treuepflicht des Beamten die Rede. Vgl. auch Kopp, VwGO, § 40 Rz. 76. 89 Das lohnsteuerrechtliche Schrifttum ist dieser Rechtsprechungsänderung weitgehend gefolgt. So Hartz / Meeßen / Wolf, "Haftung für Lohnsteuer" unter E. (S. 592/1); Altehoefer in Lademann / Söffing / Brockhoff, § 42d EStG Rz. 104; Grube in Littmann / Bitz / Meincke, 14. Aufl., § 42d EStG Rz. 52; Barein in Littmann / Bitz / Meincke, § 42d EStG Rz. 56; Oeftering I Görbing, § 42d EStG Rz. 30; Klöckner in Klein I Flockermann I Kühr, § 42d EStG Rz. 46; Riepen, S. 58; Stübing I Bürger, ARBlattei D, Lohnsteuer I, Übersicht, L.II.; Völkel, Rz. 279. A. A. Mösch, S. 50 ff., der auf eine echte Geschäftsbesorgung (§ 675 BGB) abstellen will. Kritisch auch Bäuerlen, S. 146. 90 Die hier vorzutragende Kritik ist auf Gesichtspunkte grundsätzlicher Art beschränkt. Von ihr wird beispielsweise die im Arbeitsrecht kontrovers diskutierte Fragestellung ausgenommen, ob die lohnsteuerliche Tätigkeit des Arbeitgebers aus einer arbeitsvertraglichen Fürsorgepflicht erwächst oder ob ihr eine schuldrechtliche Nebenpflicht zum Arbeitsvertrag zugrunde liegt (so Weber RdA 1980,289 [292 ff.]). Denn, sollte sich zeigen, daß die steuerlichen Pflichten des Arbeitgebers nicht an das Arbeitsrecht anknüpfen und damit von diesem unabhängig sind, kann diese Frage offenbleiben. 91 Nur wenn man diesen Grundgedanken anerkennt, kann man zu dem Ergebnis gelangen, daß der Arbeitnehmer den Arbeitgeber mit der Erfüllung seiner eigenen Pflichten gesetzlich beauftragt (Rückgriffsthese ) und der Arbeitgeber sich bei einer

C. Arbeitsrechtliche Stellung

59

Gegen diesen Grundgedanken beider Thesen bestehen Bedenken. Nicht der Steuerschuldner ist zur Einbehaltung und Abführung seiner Steuer verpflichtet, sondern das Gesetz überträgt diese Aufgaben einem Dritten als eigene Pflichten (vgl. §§ 38 Abs. 3 Satz 1, 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG). Dies ist das Charakteristikum des Steuerabzugs an der Quelle. Die Steuergesetze wollen den Steuerschuldner insoweit gerade von der eigenen Leistung unmittelbar an den Steuergläubiger befreien. Wenn also die Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuer bereits kraft Gesetzes eigene Pflichten des Arbeitgebers sind, dann stellt es die Dinge auf den Kopf, diese Aufgaben daneben noch als eigene Pflichten des Arbeitnehmers als Steuerschuldner zu bezeichnen, die dieser zur Ausübung auf den Arbeitgeber überträgt 92 • Aus diesem Grunde sind die Transformationsthese und die Rückgriffsthese mit der steuergesetzlichen Ausgestaltung des Lohnsteuerabzugsverfahrens unvereinbar. 2.2 Kritik an der Übertragung ins Arbeitsrecht 2.21 Pragmatische Einwände 2.211 Nimmt man als Konsequenz der Transformationsthese an, der Arbeitgeber erfülle seine lohnsteuerlichen Pflichten aus seiner arbeitsrechtlichen Stellung als Arbeitgeber heraus, so sind alle zwischen einem privaten Arbeitgeber und Arbeitnehmer bestehenden Rechtsverhältnisse ausschließlich privatrechtlich ausgestaltet. Da das Zivilrecht durch die Vertragsfreiheit gekennzeichnet ist, müßten die Vertragsparteien den Umfang der wahrzunehmenden Fürsorge- und Redlichkeitspflichten inter partes abbedingen dürfen93 . Das hätte zur Konsequenz, daß die Parteien (nur im Verhältnis zueinander) das Ausmaß der Besteuerung bzw. des Rückgriffs vertraglich abändern könnten. Gerade diese privatrechtliche Änderungsbefugnis ist den Vertragsparteien aber nach allgemeiner Auffassung 94 zu Recht verwehrt, da das unabdingbare öffentlich-rechtliche Steuerrecht privatrechtlichen Vereinbarungen vorgeht. Schlechterfüllung der steuerlichen Pflichten ihm gegenüber schadensersatzpflichtig macht (Transformationsthese ). 92 Vgl. Kloubert, S. 28; Felix, Anm. zu BAO AP Nr. 7 (BI. 3) zu § 670 BOB; Schnorr von Carolsfeld, Anm. zu BAO AP Nr. 8 (BI. 5) zu § 670 BOB. 93 Die Fürsorgepflicht als solche kann weder vertraglich ausgeschlossen noch eingeschränkt werden. Wohl aber ist eine abweichende Vereinbarung über eine einzelne Fürsorgepflicht möglich, es sei denn, sie ist zivilrechtlich für unabdingbar erklärt worden (z. B. § 619 BOB. So auch Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, § 108 I 5 [So 712]). Eine zivilrechtliche Regelung für die Unabdingbarkeit der Fürsorgepflicht "Einbehaltung der Lohnsteuer" fehlt. Daher müßte also die Abänderung dieser Fürsorgepflicht folgerichtig nach der herrschenden Auffassung inter partes möglich sein. 94 Vgl. die Nachweise S. 40 FN 20.

2. Abschn.: Stellung des Arbeitgebers

60

Deswegen können die Rechtsverhältnisse zwischen einem Arbeitnehmer und einem (privaten) Arbeitgeber, soweit sie Fragen des Lohnsteuerabzugs betreffen, nicht zivilrechtlieh geprägt sein. Aus diesem Grunde handelt ein Arbeitgeber nicht aus seiner arbeitsrechtlichen, sondern nur aus einer Stellung als öffentlich-rechtlicher Steuerentrichtungspflichtiger heraus. 2.212 Nimmt man mit der Transformationsthese an, auch die Pflichten des Arbeitgebers im Innenverhältnis zur Finanzverwaltung seien Gegenstand seiner arbeitsvertraglichen Fürsorgepflicht, müßte dem Arbeitnehmer primär ein Erfüllungsanspruch z. B. auf Abführung oder Anmeldung der Lohnsteuer zustehen, bevor er sekundär Schadensersatz wegen Verletzung dieser Pflichten verlangen könne. Jedoch hat der Arbeitnehmer steuerrechtlich keinen Anspruch auf Erfüllung der Handlungen des Innenverhältnisses95 . Insbesondere fehlt es an einem Anspruch des Arbeitnehmers auf Abführung und Anmeldung der Lohnsteuer. Denn die Lohnsteuerschuld des Arbeitnehmers ist erstens bereits mit der Einbehaltung der Steuer insoweit erloschen; alle späteren Verfahrensabschnitte des Abzugsverfahrens berühren daher die steuerschuldrechtliche Sphäre des Arbeitnehmers nicht mehr. Die Anmeldung und Abführung der Steuer sind zweitens allein dem Arbeitgeber obliegende Verpflichtungen, die auf die Rechtsstellung des Arbeitnehmers keinen Einfluß haben. Welchen Sinn soll es aber haben, den Arbeitgeber arbeitsrechtlich auf die Leistungen des Innenverhältnisses zu verpflichten, wenn dem Arbeitnehmer steuerrechtlieh kein Erfüllungsanspruch zusteht96 ? Wenn ferner dem Arbeitnehmer kein Anspruch auf Vornahme der Handlungen des Innenverhältnisses zusteht, wie will dann die herrschende Meinung einen etwaigen Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers wegen Verletzung dieser (fehlenden) Ansprüche begründen? 2.213 Wollte man mit der Transformationsthese annehmen, der Arbeitgeber sei auf Grund seiner Fürsorgepflicht auch zur Einbehaltung der Lohnsteuer verpflichtet, müßte er gegen die Klage des Arbeitnehmers auf Zahlung des Bruttolohns die Einrede "dolo facit, qui petit, quod (statim) redditurus est"97 erheben können, um somit in jedem Fall eine Bruttolohnverurteilung zu verhindern 98 . Es ist aber gerade zutreffende Auffassung und ständige RechtSo auch Müller DB 1977,977 (1000); a.A. Müller, DB Beilage Nr. 5/85,5. So auch Stolterfoht in Stolterfoht (Hrsg.), S. 175 (182). 97 Vgl. Dig 50,17,173 § 3 (liber sextus ad Plautium); Dig 44,4,8 (Paulus). 98 Denn der Arbeitnehmer würde mit der Klage auf Zahlung des Bruttolohns, jedenfalls soweit es die Lohnsteuer betrifft, einen Betrag geltend machen, den er alsbald mit dem Zufluß des Arbeitslohns - wieder herausgeben müßte. So auch Schnorr von Carolsfeld, Anm. zu BAG AP Nr. 5 (BI. 4) zu § 670 BGB. Eine Beschränkung der Bruttolohnklage auf den Nettolohn bejahen jedoch: Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, § 71 I 4 (S. 369 m.w.N.); Müller, DB Beilage Nr. 5/85, 5; Lepke DB 1978, 839 (841). 95

96

c.

Arbeitsrechtliche Stellung

61

sprechung des Bundesarbeitsgerichts, daß ein Arbeitgeber im Regelfall auf Zahlung des Bruttolohns zu verurteilen sei, da die Arbeitsgerichte weder positiv noch negativ über die einzubehaltende Lohnsteuer entscheiden. Folglich steht einem Arbeitgeber gegen die Bruttolohnklage des Arbeitnehmers die dolo-petit-Einrede nicht zu. Aus diesem Grunde erwächst die Einbehaltungsverpflichtung eines (privaten) Arbeitgebers nicht aus dem zivilen, sondern allein aus dem öffentlichen Steuerrecht. Setzt man diesen Gedanken fort, so ist es dem Arbeitgeber verwehrt, sich auf die dolo-petit-Einrede zu berufen, da die Steuerschuld des Arbeitnehmers und die Einbehaltungsverpflichtung des Arbeitgebers mit der bloßen Verurteilung auf Zahlung des Bruttolohns mangels Zuflusses des Arbeitslohns noch nicht entstanden sind (vgl. § 38 Abs. 2 Satz 2 EStG). Also kommt der Arbeitgeber der Einbehaltung der Steuer - und damit den Pflichten des Außen verhältnisses - nicht auf Grund seiner (privatrechtlichen) Fürsorgepflicht nach. 2.22 Systematische Einwände Gegen die Zuständigkeit der Arbeitsgerichte für Rechtsstreitigkeiten, die ihren Kern im Lohnsteuerrecht haben, bestehen weitere systematische Bedenken. 2.221 Bedingt durch den steuerrechtlichen Arbeitslohnbegriff wird der Begriff des Arbeitgebers und der des Arbeitnehmers in den §§ 38 ff. EStG nicht im arbeitsrechtlichen, sondern im steuerrechtlichen Sinne verstanden99 • Die steuerrechtlichen und die arbeitsrechtlichen Begriffe sind voneinander verschieden. So ist beispielsweise der Beamte Arbeitnehmer im steuerrechtlichen (vgl. § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG), nicht jedoch im arbeitsrechtlichen Sinne (vgl. § 5 Abs. 2 ArbGG). Ferner ist das Organ einer juristischen Person des Privatrechts (z. B. das Vorstandsmitglied einer Aktiengesellschaft) Arbeitnehmer im steuerrechtlichen, nicht jedoch im arbeitsrechtlichen Sinne 1OO • Grundlegend Lang in Stolterfoht (Hrsg.), S. 15 (22 ff.). So auch BFH Urt. v. 28. 2. 1975 - VI R 29/72 - BFHE 115, 251 (253) = BStBi 11 1975,520 (521); BFH Urt. v. 7. 4. 1972 - VI R 58/69 - BFHE 105,274 (277/8) = BStBi 11 1972, 643 f. So auch Hartz / Meeßen / Wolf, "Arbeitnehmer" unter A.II. (S. 40/2); Giloy in Kirchhof / Söhn, § 19 EStG Rzn. B 22 f.; Heuer in Herrmann / Heuer / Raupach, § 19 EStG Rz. 22; Flockermann in Klein / Flockermann / Kühr, § 19 EStG Rz. 13; Grube in Littmann / Bitz / Meincke, 14. Aufl., § 19 EStG Rz. 18a; Offerhaus in Stolterfoht (Hrsg.), S. 117 (119 - 121); Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, § 71 IV 3 (S. 379); Tipke StuW 1975, 327 (328). HK) SO Hartz / Meeßen / Wolf, "Arbeitnehmer" unter B.I. (S. 46/2 m.w.N.); Walter / Hoffmann, S. 3/4. Wendet man die Transformationsthese konsequent auf die Organe einer juristischen Person des Privatrechts an, dürfte für diese Personen keine Lohnsteuer einbehalten 99

62

2. Abschn.: Stellung des Arbeitgebers

Der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes hat in einer parallel zum Lohnsteuerabzugsverfahren gelagerten Fallkonstellation zu Recht entschieden, daß Streitigkeiten zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer über den Arbeitgeberzuschuß zur Krankenversicherung nach § 405 RVO an die Sozialgerichte zu verweisen seien. Als Hauptargument hat der Senat angeführt, die Sozialgerichte seien zuständig, weil der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbegriff der sozialrechtlichen Vorschrift des § 405 RVO nicht im arbeitsrechtlichen, sondern im sozialrechtlichen Sinne zu verstehen sei. In diesem Beschluß hat es der Gemeinsame Senat ausdrücklich offengelassen, "ob und welche Unterschiede heute noch zwischen dem ArbVerh. und Beschäftigungsverhältnis bestehen" 101. Wenn mithin für den Senat allein die Tatsache eines im Arbeits- und Sozialrecht unterschiedlich geltenden Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbegriffs ausreichend gewesen ist, um den Sozialrechtsweg für zulässig zu halten, dann muß dieses Argument erst recht für das Lohnsteuerabzugsverfahren gelten; denn hier bestehen, wie oben gezeigt, tatsächliche Unterschiede zwischen dem Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbegriff des Arbeitsrechts einerseits und des Steuerrechts andererseits. Als Konsequenz dieser Entscheidung müßte deshalb für das gesamte Lohnsteuerrecht der Rechtsweg zu den Finanzgerichten eröffnet sein. Dies schließt aber gerade aus, daß der Arbeitgeber aus seiner arbeitsrechtlichen Stellung heraus handelt. 2.222 Aus dem unterschiedlichen Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbegriff im Steuer- und Arbeitsrecht ergeben sich ferner unlösbare Rechtswegprobleme, besonders beim Rechtsschutz des Arbeitnehmers wegen zuviel einbehaltener Lohnsteuer einerseits und bei Rückgriffsstreitigkeiten im Anschluß an die Haftung des Arbeitgebers für zuwenig einbehaltene Lohnsteuer andererseits, soweit ein Dritter dem Arbeitnehmer den Arbeitslohn auszahlt und der Arbeitgeber gemäß § 38 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 EStG zur Einbehaltung verpflichtet ist. Letzteres verdeutlicht folgendes Beispiel: Ein Gastwirt befragt seinen Kellner nach den freiwilligen Trinkgeldern, die dieser von den Gästen unmittelbar bezogen hat. Dieser gibt ihm die Trinkgelder in zutreffender Höhe an. Auf Grund eines Irrtums behält der Arbeitgeber davon keine Lohnsteuer ein. Der Haftungsanspruch wird gegen den Arbeitgeber festgesetzt (vgl. § 42d Abs. 1 Nr. 11. Alt. EStG) und von ihm beglichen. Nun verlangt er vom Arbeitnehmer Regreß.

Wollte man mit der herrschenden Auffassung auf Grund der Rückgriffsthese annehmen, der Regreßanspruch gegen den Kellner sei ein solcher aus dem werden, da es an einer arbeitsvertraglichen Fürsorgepflicht fehlt. Ferner dürfte auf Grund der Rückgriffsthese ein Regreß der juristischen Person gegen das Organ unzulässig sein, da eine Streitigkeit aus dem Arbeitsvertrag nicht vorhanden ist. IOI SO GmS-OGB Beschl. v. 4. 6. 1974 - 2/73 - AP Nr. 3 (BI. 1) zu § 405 RVO.

C. Arbeitsrechtliche Stellung

63

Arbeitsvertrag, wären die Arbeitsgerichte für den Rückgriff des Gastwirts zuständig. Dieser Rechtsweg setzt einen Streit "aus dem Arbeitsverhältnis" voraus (§ 2 Abs. 1 Nr. 1 ArbGG)lo2. Ein solcher liegt aber nicht vor, denn der Trinkgeldzahlung hat nicht das (arbeitsrechtliche) Arbeitsverhältnis, sondern ein eigenständiges Schuldverhältnis zwischen Gast und Kellner zugrunde gelegen!03. Somit führt die herrschende Auffassung - insbesondere in den Fällen des

§ 38 Abs. 1 Satz 2 EStG - über die Transformations- und Rückgriffsthese im

Ergebnis zu der Fiktion eines (arbeitsrechtlichen) Arbeitsverhältnisses!04.

2.223 In der oben aufgezeigten Parallelproblematik des § 405 RVO hat der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes den Sozialrechtsweg auch deshalb für eröffnet gehalten, weil die Rechtsfolge des Arbeitgeberhandelns auf dem Gebiet des Sozialrechts liege!05. Dieses weitere Hauptargument des Senates läßt sich ohne weiteres auf das Lohnsteuerabzugsverfahren übertragen. So bringt der Arbeitgeber beispielsweise mit der Einbehaltung der Steuer das Lohnsteuerschuldverhältnis zwischen Arbeitnehmer und Steuergläubiger insoweit zum Erlöschen (§ 47 AO). Gibt der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer innerhalb angemessener Frist nach Beendigung des Dienstverhältnisses die Lohnsteuerkarte heraus, dann erfüllt der Arbeitgeber damit den steuerrechtlichen Herausgabeanspruch des Arbeitnehmers aus § 39b Abs. 1 Satz 3 EStG. Wenn also die in den §§ 38 ff. EStG normierten Rechtsfolgen auf dem Gebiet des Steuerrechts liegen, können die Handlungen des Arbeitgebers im Abzugsverfahren nicht zugleich auch unmittelbare arbeitsrechtliche Rechtsfolgen beinhalten. Auch dieses Rechtsfolgenargument zeigt, daß der Arbeitgeber im Lohnsteuerabzugsverfahren nicht aus seiner arbeitsrechtlichen Stellung heraus handelt. 2.23 Angebliche Parallele zu den öffentlich-rechtlichen Arbeitsschutzvorschriften Als Hauptargument für die Übertragung der lohnsteuerrechtlichen Pflichten des Arbeitgebers ins Arbeitsrecht wird die Gleichbehandlung mit den öffentlich-rechtlichen Arbeitsschutzvorschriften angeführt (z. B. zu §§ 120a ff. 102 Vg!. auch "aus dem Beamtenverhältnis" i. S. des § 126 Abs. 1 BRRG und "aus dem Wehrdienstverhältnis" i. S. des § 59 Abs. 1 SG. 103 Die freiwilligen Trinkgelder Dritter sind kein Arbeitseinkommen im arbeitsrechtlichen Sinne, sondern sie werden dem Kellner als rein persönliche Geschenke des Gastes zugewendet. So auch Stöber, Forderungspfändung Rz. 900a (m.w.N.). 104 So auch Schnorr von Carolsfeld (Arbeitsrecht, S. 203), der davon spricht, daß der öffentlich-rechtliche Streit zum Lohnrechtsstreit "umgebogen" wird. 105 So GmS-OGB Besch!. v. 4. 6. 1974 - 2/73 - AP Nr. 3 (BI. 2) zu § 405 RVO.

2. Abschn.: Stellung des Arbeitgebers

64

GewO). Diese öffentlich-rechtlichen Vorschriften seien nach unstreitiger Auffassung zugleich auch arbeitsvertragliehe Fürsorgepflichten des Arbeitgebers 106 . Daher sei es keine Besonderheit, so wird geltend gemacht, wenn eine öffentlich-rechtliche Pflicht zugleich auch eine arbeitsrechtliche sei 107 . Jedoch trifft diese Parallele nicht zu, denn die öffentlich-rechtlichen Arbeitsschutzvorschriften sind Schutzgesetze i. S. des § 823 Abs. 2 Satz 1 BGB108. Daher haftet ein Arbeitgeber bereits zivilrechtlieh, wenn er sie schuldhaft verletzt hat. Die deliktische Haftung ist aber bei schuldhaftem Verhalten eines Dritten lückenhaft, da sich der Arbeitgeber im Regelfall wegen § 831 Abs. 1 Satz 2 BGB exkulpieren kann. Um diese Lücke zu schließen, werden die Arbeitsschutzvorschriften als besondere Fürsorgepflichten ins Arbeitsrecht übertragen, mit der Konsequenz, daß der Arbeitgeber auch für das Verschulden seines Erfüllungsgehilfen haftet (§ 278 BGB). Diese Übertragung als besondere Fürsorgepflichten ist auch zulässig, da der den öffentlich-rechtlichen Arbeitsschutzvorschriften zugrunde liegende Gedanke in § 618 BGB bereits als allgemeine Fürsorgepflicht im Arbeitsrecht verankert ist 109 • Ganz anders verhält es sich hingegen mit der Behandlung der lohnsteuerrechtlichen Vorschriften. Diese sind erstens keine Schutzgesetze i. S. des § 823 Abs. 2 BGB, so daß der Arbeitgeber bei einem Verstoß gegen sie noch nicht einmal deliktisch haftet. Diesen Vorschriften fehlt zweitens eine mit § 618 BGB vergleichbare allgemeine Anknüpfung im Arbeitsvertragsrecht. Aus diesen Gründen können die öffentlich-rechtlichen Arbeitsschutzvorschriften nicht herangezogen werden, um zu begründen, daß die lohnsteuerrechtlichen Vorschriften zugleich auch Gegenstand einer arbeitsvertraglichen Fürsorgepflicht seien 110 •

So Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, § 152 I 2 (S. 1017). So Riepen, S. 56; Bäuerlen, S. 142 f. Es fällt im übrigen auf, daß die Arbeitsgerichte kaum je eine vertiefende Begründung für ihre Ansicht gegeben haben. So auch Stolterfoht in Stolterfoht (Hrsg.), S. 175 (177). 108 So RG Urt. v. 6. 11. 1922 - VI 115/22 - RGZ 105, 336 (337); Palandt-Thomas, § 823 BGB Anm. 9f. 109 § 618 BGB ist eine gesetzlich geregelte Fürsorgepflicht des Arbeitgebers; so auch Palandt-Putzo, § 618 BGB Anm. 1; Hueck / Nipperdey, § 48 I 2 (S. 392), § 4811 2 (S. 394). 110 So auch Stolterfoht in Stolterfoht (Hrsg.), S. 175 (186 f.); Stolterfoht, Lohnsteuer, Rz. 137 (S. 202 f.); Kloubert, S. 35. 1116

107

C. Arbeitsrechtliche Stellung

65

2.3 Kritik an der Rückgriffsthese 2.31 Rechtsweg Die Rückgriffsthese knüpft an den Gedanken an, daß der Regreß des Arbeitgebers im Anschluß an das Haftungsverfahren für zuwenig einbehaltene Lohnsteuer (§ 42d Abs. 1 NT. 1 1. Alt. EStG) auf einem arbeitsrechtlichen (i.w.S.) Anspruch beruhe. Deshalb entscheiden über den Regreßanspruch des staatlichen Dienstherren gegen einen Beamten oder Soldaten die allgemeinen Verwaltungsgerichte (§ 126 Abs. 1 BRRG; § 59 Abs. 1 SG), während für die übrigen Arbeitnehmer im steuerrechtlichen Sinne die Zivilgerichte zuständig sind. Schon allein dieses Ergebnis ist befremdend, da das Steuerrecht gerade nicht nach den Rechtsverhältnissen differenziert, die den Einkünften aus nichtselbständiger Arbeit zugrunde liegen. Gegen einen arbeitsvertraglichen Rückgriff bestehen - neben dem bereits oben aufgezeigten weiteren Rechtswegargument - weitere Bedenken 111 • 2.32 Funktioneller Einwand Ein arbeitsrechtlicher Rückgriff des Arbeitgebers im Anschluß an das Haftungsverfahren wegen zuwenig einbehaltener Lohnsteuer hat zur Folge, daß der Regreßanspruch der Disposition der Tarifvertragsparteien unterliegt. Zahlreiche Tarifverträge sehen nämlich Ausschlußklauseln vor, nach denen Ansprüche zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nach Ablauf eines gewissen, wesentlich unter der steuerrechtlichen Verjährungsfrist liegenden Zeitraums nicht mehr geltend gemacht werden können. Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts hat - unter Duldung des lohnsteuerlichen Schrifttums ll2 - nach anfänglichem Zögern ll3 diese Ausschluß- und Verfallsklauseln auf den Rückgriffsanspruch des Arbeitgebers angewandt 114 • Diese Anwendung mißachtet aber Grundsätze des Steuerrechts. Das Steuerrecht hat nicht nur die Funktion, das Steueraufkommen des Staates zu 111 Zu den praktischen Schwierigkeiten bei der Durchsetzung des Rückgriffsanspruchs: Vgl. Hahn NJW 1988, 20 (22). 112 So Hartz / Meeßen / Wolf, "Haftung für Lohnsteuer" unter E. (S. 592/1); Barein in Littmann / Bitz / Meincke, § 42d EStG Rz. 56. 113 So noch BAG Urt. v. 27. 3. 1958 - 2 AZR 367/57 - AP Nr. 4 (BI. 1) zu § 670 BGB; BAG Urt. v. 27. 3. 1958 - 2 AZR 221/56 - AP Nr. 5 (BI. 2) zu § 670 BGB; auch Riepen, S. 61 (unter VI). 114 So BAG Urt. v. 1. 12. 1967 - 3 AZR 459/66 - AP Nr. 17 (BI. 2) zu § 670 BGB; BAG Urt. v. 14. 6. 1974 - 3 AZR 456173 - AP Nr. 20 (BI. 2) zu § 670 BGB; BAG Urt. v. 19. 1. 1979 - 3 AZR 330177 - AP Nr. 21 (BI. 2) zu § 670 BGB; BAG Urt. v. 20. 3. 1984 - 3 AZR 124/82 - AP Nr. 22 (BI. 2) zu § 670 BGB. So auch Böhm / Spiertz / Sponer / Steinherr, § 36 BAT Rz. 72; Palandt-Putzo, § 611 BGB Anm. 6 f/aa; Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, § 71 IV 14 (S. 389).

5 Schäfer

66

2. Abschn.: Stellung des Arbeitgebers

sichern, sondern es hat auch zu gewährleisten, daß derjenige entsprechend seiner Leistungsfähigkeit die Steuerlast zu tragen hat, der auch Steuerschuldner ist 115 • Letzteres würde man verhindern, wenn man eine Übertragung des Rückgriffsanspruchs ins Arbeitsrecht annimmt. Allein durch die Übertragung und die damit konsequenterweise verbundene Anwendung der Ausschlußund Verfallsklauseln auf den Regreßanspruch wandelt sich die an der Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers orientierte Lohnsteuer in eine Steuer des Arbeitgebers um. Im übrigen kann es nicht vom Zufall bzw. von der Ermessensentscheidung eines Finanzamts (vgl. § 42d Abs. 3 Satz 2 EStG) abhängen, wer die Steuerlast zu tragen hat 116 : Wird der Arbeitgeber als Haftungsschuldner gemäß § 42d Abs. 1 Nr. 1 1. Alt. EStG in Anspruch genommen, können ihm die Tarifverträge den Rückgriff verwehren; insoweit hat er die Steuerlast zu tragen. Wird hingegen der Arbeitnehmer als Steuerschuldner im Wege der Nachforderung gemäß § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 EStG in Anspruch genommen, finden die tarifvertraglichen Ausschlußklauseln keine Anwendung. Nun trägt der Arbeitnehmer die Steuerlast. Die vorhergehenden Überlegungen zeigen, daß in funktioneller Hinsicht die Rechtsverhältnisse zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer nicht mehr auf Arbeitsrecht, sondern allein auf Steuerrecht beruhen, soweit Fragen betroffen sind, die ihren Ursprung im Lohnsteuerrecht haben. Auch aus diesem weiteren Grunde ist die Herleitung der organisationsrechtlichen Stellung des Arbeitgebers aus dem Arbeitsrecht bedenklich. 2.33 Folgen eines arbeitsvertraglichen Rückgriffs Ein arbeitsrechtlicher Rückgriff hat ferner für die Arbeitgeber und Arbeitnehmer unberechenbare Folgen, die allein dadurch entstanden sind, daß die verschiedenen Gerichtszweige unterschiedliche Anspruchsgrundlagen für den Regreß heranziehen. Dies verdeutlicht folgendes Beispiel: Ein Arbeitgeber hat monatlich 100 DM Lohnsteuer zuwenig einbehalten. Am Ende des Jahres ergeht gegen ihn ein Haftungsbescheid (vgl. § 42d Abs. 1 Nr. 1 1. Alt. EStG; § 191 Abs. 1 Satz 1 AO), jedoch nicht über 1.200 DM, sondern (fälschlicherweise ) über 1.500 DM. Auf Grund einer sorgfältigen Prüfung unter Berücksichtigung aller Umstände hält der Arbeitgeber nach seinem verständigen Ermessen diesen Bescheid für angemessen und notwendig 117 • Daher bezahlt er die 1.500 DM. Nun verlangt er die geleisteten 1.500 DM vorn Arbeitnehmer ersetzt. Dieser wendet ein: 115 Das Leistungsfähigkeitsprinzip ist ein Fundamentalgrundsatz des Steuerrechts: Vgl. Tipke, Steuerrecht, § 33.1 (S. 59 ff.). 116 So auch Stolterfoht in Stolterfoht (Hrsg.), S. 175 (187); Wiedemann, Anm. zu BAG AP Nr. 20 (BI. 4) zu § 670 BGB; Isele, Anm. zu BAG AP Nr. 17 (BI. 4) zu § 670 BGB. 117 Sinngemäß aus Palandt-Thomas, § 670 BGB Anm. 2 c.

C. Arbeitsrechtliche Stellung

67

- Der Arbeitgeber könne erstens nur über 1.200 DM Regreß verlangen, da er nur insoweit Steuerschuldner sei. - Zweitens sei für ihn der Mangel bei der monatlichen Einbehaltung nicht offensichtlich gewesen, so daß er ihn nicht habe erkennen können; daher habe er die 1.200 DM für außergewöhnliche Dinge verwendet, die er sich sonst nie verschafft hätte 118 •

Das Bundesarbeitsgericht und das lohnsteuerliche Schrifttum wenden § 670 BGB als Anspruchsgrundlage für den Rückgriff des Arbeitgebers gegen den Arbeitnehmer an. Der Beauftragte, also der Arbeitgeber, ist nicht nur berechtigt, die objektiv notwendigen Aufwendungen von 1.200 DM ersetzt zu verlangen, sondern ihm sind darüber hinaus auch jene Aufwendungen zu erstatten, die er "für erforderlich halten darf" (§ 670 BGB). Das Beispiel ist so gebildet, daß für den Arbeitgeber die Zahlung von 1.500 DM erforderlich gewesen ist. Damit wird dem Arbeitnehmer die Einwendung verwehrt, er sei in dieser Höhe nicht Steuerschuldner 119 • Auch kann sich der Arbeitnehmer gegen den Anspruch aus § 670 BGB nicht auf einen Wegfall der Bereicherung i. S. des § 818 Abs. 3 BGB berufen. Folglich muß der Arbeitnehmer 300 DM mehr bezahlen, als er steuerrechtlich schuldet. Ist der Arbeitnehmer hingegen ein Beamter oder Soldat, sind für ihn die Verwaltungsgerichte gemäß § 126 Abs. 1 BRRG; § 59 Abs. 1 SG zuständig. Das Bundesverwaltungsgericht sieht in § 87 Abs. 2 Satz 2 BBG i.V. mit §§ 812 ff. BGB die zutreffende Anspruchsgrundlage. Der Arbeitnehmer hat das Eigentum an den 1.200 DM als "etwas" i. S. des § 812 Abs. 1 Satz 1 BGB erlangt. Somit ist der gegen ihn gerichtete Anspruch auf 1.200 DM beschränkt. Aber mit der zweiten Einwendung ist dem Arbeitnehmer die Berufung auf den Wegfall der Bereicherung gemäß § 818 Abs. 3 BGB i.V. mit § 87 Abs. 2 Satz 2 BBG eröffnet. Folglich ist in diesem Fall dem Arbeitgeber der Rückgriff gegen den Arbeitnehmer ganz verwehrt. Löst man hingegen das Beispiel nach dem Wortlaut des Gesetzes, so ist der Rückgriff des Arbeitgebers nur zulässig, wenn und soweit er und der Arbeitnehmer Gesamtschuldner sind (§ 426 BGB i.V. mit § 42d Abs. 3 Satz 1 EStG). Folglich kann der Arbeitgeber nur 1.200 DM ersetzt verlangen, und der Arbeitnehmer ist nicht berechtigt, ihm den Wegfall der Bereicherung entgegenzuhalten. Der Arbeitgeber hat also das Risiko der unterlassenen Anfechtung des Haftungsbescheids zu tragen; jedoch muß der Arbeitnehmer nicht mehr zahlen, als er tatsächlich schuldet. Sinngemäß aus Palandt-Thomas, § 818 BGB Anm. 6 Ba. Wohl könnte der Arbeitnehmer einwenden, der Arbeitgeber habe seine arbeitsvertragliche Fürsorgepflicht verletzt und ihm stünde deshalb ein Schadensersatzanspruch zu, mit dem er aufrechne. Aber der Schadensersatzanspruch setzt ein schuldhaftes Verhalten des Arbeitgebers voraus. Hierfür nimmt die herrschende Auffassung einen strengeren Maßstab als die leichteste Fahrlässigkeit an. Daher wird der Arbeitgeber, wenn er den Haftungsbescheid sorgfältig geprüft hat, nicht schuldhaft gehandelt haben. 118 119

5*

68

2. Abschn.: Stellung des Arbeitgebers

Die Lösung des Beispiels nach dem Wortlaut des Gesetzes ist gerecht. Denn es ist nicht verständlich, weshalb der Arbeitnehmer nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts das Risiko der unterlassenen Anfechtung des Haftungsbescheids durch den Arbeitgeber zu tragen hat. Ferner ist es unverständlich, weshalb sich steuerrechtlich sachfremde Erwägungen 120 nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zugunsten des Arbeitnehmers auswirken können. Dieses Beispiel zeigt also, daß allein mit der Behauptung der Rückgriffsthese, die Regreßansprüche des Arbeitgebers seien arbeitsrechtlicher Natur, steuerrechtlich ungerechte Ergebnisse erzielt werden. Allein diese Wertungswidersprüche sind ein weiteres Argument dafür anzunehmen, daß der Arbeitgeber nicht aus seiner arbeitsrechtlichen Stellung heraus den Lohnsteuerabzug durchführt 121 .

2.4 Sinn und Zweck des LohnsteuerabzugsverJahrens Die Transformationsthese und die Rückgriffsthese gehen im Grundgedanken davon aus, daß der Lohnsteuerabzug den Interessen der Arbeitnehmer diene. Die Zweckrichtung zugunsten der Beschäftigten ist jedoch mit dem Sinn und Zweck des Lohnsteuerabzugsverfahrens unvereinbar. Dieser besteht darin, daß der Steuerabzug an der Quelle besonders dem Fiskus erhebliche Vorteile bringt. Die Vorteile wurden bereits bei der Einführung der Quellenerhebung 122 und werden auch heute noch 123 darin gesehen, daß - das Erhebungsverfahren durch den Arbeitgeber für den Fiskus äußerst preiswert ist, - die für das Steueraufkommen unseres Staates wesentliche Lohnsteuer regelmäßig und wesentlich früher als im Einkommensteuervorauszahlungsverfahren einkommt, - Steuerausfälle vermieden werden, weil die Steuer beim Arbeitnehmer im Zeitpunkt seiner größten wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit abgezogen wird, - und Steuerausfälle infolge von Verschleierung des Arbeitsverhältnisses und unbekannten Aufenthalts vermieden werden 124. 120 Der Wegfall der Bereicherung i. S. des § 818 Abs. 3 BGB ist beispielsweise für den steuerrechtlichen Rückabwicklungsanspruch des § 37 Abs. 2 Satz 1 AO nicht erwähnt. 121 So auch Stolterfoht in Stolterfoht (Hrsg.), S. 175 (188); Stolterfoht, Lohnsteuer, Rz. 131 (S. 188 f.). 122 So Strutz II, § 68 EStG Anm. 1 (S. 1043). 123 So Kruse in Stolterfoht (Hrsg.), S. 1 (6); Riepen, S. 6 f. 124 Zu weiteren Vorteilen: Vgl. Hahn NJW 1988, 20 (20/1).

C. Arbeitsrechtliche Stellung

69

Der Arbeitgeber handelt mithin für den Fiskus, also in dessen Auftrag. Mit diesem Sinn und Zweck ist es unvereinbar, wenn man mit der herrschenden Auffassung annimmt, der Arbeitgeber handele für den Arbeitnehmer. Denn die große Mehrheit der Beschäftigten hätte nichts dagegen einzuwenden, wenn ihnen der Lohn voll ausbezahlt würde und sie selbst zu einem späteren Zeitpunkt Vorauszahlungen leisten müßten. In diesem Fall hätten sie nämlich die Zinsvorteile. Auch die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts kommt in einem anderen Zusammenhang zu dem Ergebnis, daß der Arbeitgeber nicht im Auftrage der Arbeitnehmer, sondern für den Fiskus tätig werde. In einem Beschluß des 1. Senats ging es im wesentlichen um die Frage, ob es zu den Aufgaben eines Betriebsrats gehöre, den Lohnsteuerabzug des Arbeitgebers zu überwachen. Man müßte dies uneingeschränkt bejahen, würde man den Fürsorgegesichtspunkt aus der Transformationsthese konsequent weiterverfolgen. Dann wären nämlich die §§ 38 ff. EStG "ein zugunsten der Arbeitnehmer geltendes Gesetz" i. S. des § 80 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG. Dennoch hat der 1. Senat die Überwachung durch den Betriebsrat abgelehnt, weil der Arbeitgeber "im Auftrage des Staates und nicht in seiner Eigenschaft als ArbGeb." tätig werde 125 • Dem kann nur zugestimmt werden l26 • Diese Entscheidung macht letztendlich die Unsicherheit in der eigenen Rechtsprechung des Gerichts deutlich 127. 3. Zwischenergebnis: Ablehnung der herrschenden Auffassung

Die heute herrschende Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum überträgt die lohnsteuerlichen Pflichten des Arbeitgebers ins Arbeitsrecht, indem sie behauptet, daß diese öffentlich-rechtlichen Pflichten zugleich auch arbeitsvertragliche Fürsorgepflichten seien. Dies führt zu dem Ergebnis, daß der Arbeitgeber, auch soweit er den Lohnsteuerabzug durchführt, organisationsrechtlich aus seiner arbeitsrechtlichen Stellung als Arbeitgeber heraus handelt. Diese Übertragung der lohnsteuerlichen Pflichten ins Arbeitsrecht deckt erhebliche dogmatische Schwierigkeiten auf (z. B. in Rechtswegfragen), weil 125

1972.

So BAG Beschl. v. 11. 12. 1973 - 1 ABR 37/73 - AP Nr. 5 (BI. 3) zu § 80 BetrVG

So auch Stolterfoht in Stolterfoht (Hrsg.), S. 175 (183). Vgl. auch die Ausführungen des Bundesarbeitsgerichts zu § 28 BeriinFG, wonach "der Arbeitgeber - wie im Lohnsteuerabzugsverfahren - nur im Interesse einer schnelleren und ökonomischeren Abwicklung eingeschaltet ist ... "; "er wird dabei für den Fiskus tätig und handelt gleichsam als ,Zahlstelle"'. So BAG Urt. v. 9. 12. 1976 - 3 AZR 371/75 - AP Nr. 1 (BI. 1, 2) zu § 611 BGB "Erstattung". Ferner sollen nach dem Urteil des Bundesarbeitsgerichts vom 22. 10. 1975 (4 AZR 498/74) die Finanzgerichte zuständig sein fÜr Klagen des Arbeitnehmers auf Abführung von Lohnsteuer (zitiert nach Müller, DB Beilage Nr. 5/85, 7). 126 127

70

2. Abschn.: Stellung des Arbeitgebers

im Steuerrecht und Arbeitsrecht unterschiedliche Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbegriffe gelten. Ferner ist diese Übertragung weder mit dem Sinn und Zweck, noch mit der steuergesetzlichen Ausgestaltung des Lohnsteuerabzugsverfahrens zu vereinbaren. Die Übertragung führt in gewissen Fällen zu ungerechten Wertungswidersprüchen (z. B. bei der Wahl der Anspruchsgrundlage für den Regreßanspruch des Arbeitgebers) und zu steuerrechtlich kaum vertretbaren Ergebnissen (z. B. bezüglich der Anwendung von tarifvertraglichen Ausschlußklauseln). Im übrigen wird durch diese Übertragung die letztlich entscheidende Fragestellung verdeckt, ob der Arbeitgeber, da die Rechtsfolge seines steuerrechtlichen Handeins auf dem Gebiet des Steuerrechts liegt, möglicherweise Hoheitsbefugnisse ausübt. Aus diesen verschiedenen Gründen ist die heute herrschende Auffassung m. E. abzulehnen.

D. Eigene Auffassung: Der private Arbeitgeber als "Beliehener" Da die heute nahezu allgemein vertretene Auffassung die organisationsrechtliche Stellung des Arbeitgebers im Lohnsteuerabzugsverfahren m. E. nicht zu begründen vermag, ist der Weg frei, ein weiteres Rechtsinstitut heranzuziehen, um seine Stellung rechtlich einzuordnen. Für den privaten Arbeitgeber bietet sich das Rechtsinstitut der Beleihung an. Dem entspricht das Rechtsinstitut der Delegation für den staatlichen Arbeitgeber. Die Heranziehung der Beleihung ist aus verschiedenen Gründen naheliegend: - Die Beleihung kennzeichnet ein Rechtsinstitut, das die organisationsrechtliche Stellung von Personen umschreibt, die juristische Personen des öffentlichen Rechts von Verwaltungsaufgaben entlasten 128 • Bedenkt man einmal die Folgen, wenn die durch den Staat in Auftrag genommenen Arbeitgeber die für das Staatswesen wesentliche Lohnsteuer nicht erheben würden, so tritt die durch die Arbeitgeber bewirkte Entlastung der Finanzverwaltung deutlich in den Vordergrund 129 • - Das Rechtsinstitut der Beleihung ist allgemein anerkannt, und zwar sowohl im Organisationsrecht des allgemeinen Verwaltungsrechts als auch im Amts- und Staatshaftungsrecht des Zivilrechts. Die Beleihung ist also der zentrale Begriff des modernen Verwaltungsorganisationsrechts zur Bestimmung der Rechtsstellung von Privaten, die Verwaltungskompetenzen ausüben 130 • Deshalb liegt auch der Versuch nahe, von diesem Rechtsinstitut aus die organisationsrechtliche Stellung des Arbeitgebers zu definieren. 128 So auch Wolff I Bachof IStober, § 104 Rz. 1; Stober, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Rz. 595; Rengeling, S. 26 f.; Herrnes BB 1984,96 (98). 129 Die Stadt Leipzig hatte beispielsweise im Jahre 1912 erhebliche tatsächliche Schwierigkeiten 'mit der Erhebung der Steuer auf den Arbeitslohn. So Kruse in Stolterfoht (Hrsg.), S. 1 (5).

D. Beleihung

71

Das gesetzlich zwar nicht geregelte, aber bereits im vorigen Jahrhundert entwickelte Rechtsinstitut der Beleihung hat bis heute - obwohl allgemein anerkannt - keine scharfen, in den Einzelheiten festgelegte Konturen erfahren. Dies hat verschiedene Gründe. Es fallen zunächst einmal die terminologischen Unterschiede auf, mit denen dieses Rechtsinstitut umschrieben wird. So ist neben dem Begriff des "Beliehenen" von der "Verleihung eines öffentlichen Unternehmens"l31, "beliehenen Unternehmern"132, "beliehenen Verbänden"133 und vom "beliehenen öffentlichen Unternehmer"134 die Rede. Im übrigen haben sich in den 60iger Jahren die Sachverhalte nahezu vollkommen gewandelt, die früher unter diesem Rechtsinstitut zusammengefaßt worden sind, und das, obwohl die ursprüngliche Definition der Beleihung beibehalten worden ist. Schließlich folgt der unscharfe Inhalt dieses Begriffs aus der immer noch nicht beendeten und erst jüngst wieder aufgeflammten Diskussion um das Wesens merkmal der Beleihung, ob es nämlich ausreiche, daß ein Privater eine Staats aufgabe wahrnehme (sog. Aufgabentheorie), oder ob zusätzlich zu verlangen sei, daß er die Aufgabe mit hoheitlichen Mitteln erfülle (sog. Rechtsstellungstheorie). Die unscharfen Konturen des Beliehenenbegriffs zeigen sich in der Literatur besonders im Zusammenhang mit der Diskussion um die Rechtsstellung des Arbeitgebers im Lohnsteuerabzugsverfahren. Gerade in diesem Zusammenhang wird teilweise an älteren Beleihungsbegriffen festgehalten. Daher ist es zunächst zweckmäßig, die historische Entwicklung des Beliehenenbegriffs aufzuzeigen. 1. Historische Entwicklung des Beliehenenbegriffs

1.1 "Die Verleihung öffentlicher Unternehmungen" Duo Mayers Das Rechtsinstitut der Beleihung geht auf die Theorie von Duo Mayer zur "Verleihung öffentlicher Unternehmungen" zurück. Mayer hat diesen Begriff bereits in der ersten Auflage seines "Deutschen Verwaltungsrechts" aus dem Jahre 1896 grundlegend in die rechtswissenschaftliche Diskussion eingeführt 135 • 130 Gerade weil die Beleihung der zentrale Begriff des Verwaltungsorganisationsrechts ist, werden von ihr aus alle weiteren Formen der Indienststellung Privater für Verwaltungsaufgaben definiert, wie z. B. die Verwaltungshilfe und die gesetzliche Indienstnahme Privater. !3l So Mayer, Verwaltungsrecht 11, S. 243. 132 So Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht I, S. 533; Kopp, VwVfG, § 1 Rz. 25. 133 So Huber DVBl 1952, 456. 134 So Jellinek, S. 526; Ipsen, Indienstnahme, S. 151. 135 Mayer, Verwaltungsrecht, S. 294.

2. Abschn.: Stellung des Arbeitgebers

72

Die Verleihung kennzeichne nach seiner Auffassung einen Verwaltungsakt, der demjenigen, dem gegenüber er ergehe - also dem Beliehenen -, "rechtliche Macht ... über ein Stück öffentlicher Verwaltung" verleihe l36 . Diese rechtliche Macht werde als äußere Zutat auf einen anderen außerhalb des Staates stehenden Rechtsträger übertragen. Dieser könne sowohl ein Privatmann als auch ein sonstiger Verwaltungskörper (wie z. B. die Gemeinde) sein 137 • Soweit ein Privater beliehen werde, begründe dies öffentliche Verwaltung durch Private. Zu dem beleihenden Verwaltungsakt könne die Übertragung besonderer Befugnisse und Gewalten öffentlicher Art hinzutreten, die jedoch den Beleihungsvorgang als solchen nicht berührten l38 . Der Beliehene handele daher im Zweifel nach außen mit privatrechtlichen Mitteln 139 , es sei denn, daß ihm zusätzlich Hoheitsbefugnisse übertragen würden 140 • Mayer definierte den Gegenstand der Beleihung somit von der übertragenen Verwaltungsaufgabe, nicht jedoch von der übertragenen Hoheitsbefugnis her. Hauptanwendungsfälle der Beleihung bildeten das Gebrauchsrecht an einer öffentlichen Sache 141 sowie die Verleihung eines öffentlichen Unternehmens. Gegenstand des letzteren waren insbesondere Betriebsrechte z. B. an öffentlichen Verkehrswegen, Schiffahrtskanälen, Eisenbahnen, Brücken und Fähranstalten, die als öffentliche Verkehrswege von Privaten betrieben wurden l42 . Diese an der wirtschaftlichen Betätigung orientierte Begriffsbestimmung hatte einerseits zur Folge, daß sich die Beleihung zu einem Rechtsinstitut des beliehenen "Unternehmers" verengte, während ihr andererseits Sachverhalte zugeordnet wurden, die nach heutigem Verständnis der Konzession und mithin den staatlichen Genehmigungen (i.w.S.) angehören l43 . Mayer war zu dieser Ausdehnung des Beliehenenbegriffs im Hinblick auf die damaligen Erkenntnisse der Verwaltungsrechtslehre gezwungen. Denn die Einwirkungsrechte des Staates waren auf den Erlaß polizeilicher Verfügungen beschränkt. Nur diese konnten mittels einer staatlichen Genehmigung oder Erlaubnis auf einen anderen Rechtsträger übertragen werden l44 . Soweit aber neben den polizeilichen weitergehende öffentliche Interessen hinzukamen Mayer, Verwaltungsrecht 11, S. 243. Mayer, Verwaltungsrecht 11, S. 243. 138 Mayer, Verwaltungs recht 11, S. 257. 139 Mayer, Verwaltungsrecht 11, S. 264. 140 Die Rechtsprechung differenzierte jedoch bereits schon. So wurden Bedienstete einer konzessionierten Eisenbahngesellschaft nur als Beamte im strafrechtlichen Sinne anerkannt, soweit sie bahnpolizeiliche, also Hoheitsbefugnisse ausübten. So RG Urt. v. 24. 3. 1884 - 524/84 - RGSt 10, 325 (328). 141 Mayer, Verwaltungsrecht 11, S. 95 ff. 142 Mayer, Verwaltungsrecht 11, S. 245 ff.; so auch lellinek, S. 526. 143 Vgl. dazu Michaelis, S. 72 ff. 144 Siehe Mayer, Verwaltungsrecht 11, S. 244 i.V. mit Verwaltungsrecht I, S. 239 (FN 1). Dieser Gedanke ist auch bei lellinek (S. 527) wiederzufinden, der ausführt, von der Beleihung verlange man mehr als die Wegräumung eines polizeilichen Hindernisses. 136

137

D. Beleihung

73

(wie z. B. bei den bedeutsamen Unternehmen des öffentlichen Verkehrs- und Eisenbahnwesens), reichte die Erlaubnis zur Übertragung dieser Aufgabe nicht aus. Die somit entstehende Lücke zwischen polizeilichen Interessen einerseits und den weitergehenden Bereichen des öffentlichen Interesses andererseits sollte die Beleihung schließen l45 . Dies hatte zur Konsequenz, daß jemand als Beliehener bezeichnet wurde, der eine für die Öffentlichkeit wichtige Aufgabe ausübte.

1.2 "Beliehener Unternehmer" Ernst Rudolf Hubers Den ersten wesentlichen Wandel leitete ein Beitrag von Ernst Rudolf Huber aus dem Jahre 1953 ein l46 . Er definierte die Beleihung als Zuweisung einer bestimmten Aufgabe und Befugnis der öffentlichen Verwaltung an ein Subjekt des Privatrechts, jedoch mit der Einschränkung, daß die delegierte Aufgabe mit der unternehmerischen Tätigkeit des Rechtssubjekts in Zusammenhang zu stehen hätte l47 . Im Gegensatz zu Mayer schränkte er den Kreis der Beleihungsadressaten auf Subjekte des Privatrechts ein l48 , verlangte aber für die Beleihung neben der Übertragung einer öffentlichen Aufgabe zusätzlich die Delegation von Hoheitsbefugnissen l49 . Zu den übertragenen Verwaltungsbefugnissen gehörten nach Huber der Erlaß von Verwaltungsakten und auch die Wahrnehmung von Aufgaben ohne Ausübung hoheitlicher Befugnisse, z. B. Aufgaben "koordinierender und beratender Funktion"150. Von privatrechtlichem Handeln, so Huber, unterschieden sich letztere dadurch, daß sie im Auftrage des Staates und in Verantwortung diesem gegenüber wahrzunehmen waren i51 . Mit dieser weiten Begriffsbestimmung erschloß Huber der Beleihung nahezu das gesamte Feld öffentlicher Tätigkeit durch Private. Nur zwei Fallgruppen wurden ihr nicht zugerechnet: Dies war einerseits das Verwaltungshandeln Privater mit privatrechtlicher Befugnis. Andererseits wurde der Beleihung - was in der Diskussion um die Rechtsstellung des Arbeitgebers im Lohnsteuerabzugsverfahren wesentlich ist - das Verwaltungshandeln nicht zugerechnet, welches mit der unternehmerischen Tätigkeit des Privaten nicht im Zusammenhang stand. Denn auch Huber sah - ebenso wie Mayer - die 145 So auch Steiner, Öffentliche Verwaltung, S. 26; v. Heimburg, S. 31.

Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht I, S. 533 ff. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht I, S. 533. 148 Diese Entwicklung zeichnete sich aber schon zu einem früheren Zeitpunkt bei Jellinek (S. 529) ab. 149 Zu den Hoheitsbefugnissen gehörten nach seiner Auffassung neben denen der verwaltenden Art auch jene der Rechtsetzung und Streitentscheidung; vgl. Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht I, S. 538; aber dazu Michaelis, S. 42 ff. 150 Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht I, S. 539. 151 Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht I, S. 539. 146 147

74

2. Abschn.: Stellung des Arbeitgebers

Beleihung als unternehmerisch geprägt an 152 . So zählten auch für ihn die Ausübung öffentlich-rechtlicher Monopole, Regale, Privilegien und Konzessionen zum Gegenstand der Beleihung. 1.3 Aufläsung des Begriffs des beliehenen Unternehmers

Ein Wandel in der rechtswissenschaftlichen Diskussion trat im Anschluß an eine im Jahre 1959 erschienene Abhandlung Klaus Vogels 153 ein; dieser führte zu einer Auflösung des unternehmerisch geprägten Beliehenenbegriffs. Diese Auflösung vollzog das nahezu gesamte Schriftturn i54 , wenn auch mit Ausnahmen 155 , mit. Die Kritik, die diese Neubestimmung bewirkte, richtete sich vor allem gegen die Annahme Mayers und Hubers, daß die Konzessionen und Monopole Gegenstand der Beleihung seien. Die Kritik hatte verschiedene Ansatzpunkte: Die Lehre vom beliehenen "Unternehmer" war in sich widersprüchlich l56 . Der Konzessionsempfänger wurde einerseits als Träger öffentlicher Verwaltung qualifiziert, er durfte und mußte aber andererseits bei der Führung des konzessionierten Betriebes privatwirtschaftliche Ziele verfolgen. Mayer und Huber hatten ferner nicht zwischen einem öffentlichen und einem öffentlich-rechtlichen, d. h. staatlichen Interesse differenziert, da sie das öffentlich bedeutsame mit dem staatlichen Interesse gleichstellten. Außerdem folgt aus Art. 12 Abs. 1 GG bzw. aus der Generalklausel des Art. 2 Abs. 1 GG, daß Eingriffe in die Grundrechtssphäre Privater auf das notwendige Maß zu beschränken sind. Da mit der Beleihung besondere staatliche Kontrollen einhergehen, stellt sie die Ausnahme bei der Delegation von Verwaltungsaufgaben auf Private dar 157 • Wenn also bereits die Erlaubnis oder Genehmigung als mildere Mittel zum gleichen Ziel führen, geht die Erlaubnis der Beleihung vor. Diese Kritik hat dazu geführt, daß die Konzession und das Monopol nicht mehr als Anwendungsfälle der Beleihung angesehen werden. Der heute anerkannte Inhalt dieses Rechtsinstituts ist deshalb nicht mehr durch die untern ehmerische Tätigkeit des Privaten geprägt 158 • Daher sind der Beleihung Mayers 152 Für Verwaltungstätigkeiten, die nicht in Zusammenhang mit der unternehmerischen Tätigkeit des Privaten stehen, verweist Huber (DVBI1952, 456 [FN 2]) zur Information auf den Aufsatz Ipsens zur "gesetzlichen Indienstnahme". 153 Vogel, Wirtschaftseinheiten, S. 60 ff. 154 Vgl. die Nachweise bei Steiner, Öffentliche Verwaltung, S. 41 (FN 148, 149, 151); v. Heimburg, S. 31 (FN 9). 155 So Riepen, S. 42; Mösch, S. 11; Klaubert, S. 47. 156 So auch Steiner, Öffentliche Verwaltung, S. 43; Terrahe, S. 157. 157 So auch Steiner, Öffentliche Verwaltung, S. 45; Stober, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Rz. 596. 158 Aus diesem Grunde ist es m. E. bedenklich, heute noch von einem beliehenen "Unternehmer" zu sprechen. Auf Grund der aufgezeigten Auflösung des Beliehenen-

D. Beleihung

75

und Hubers im wesentlichen alle jene Sachverhalte entzogen worden, für die ihr Rechtsinstitut bestimmt gewesen ist. Die Definition der Beleihung ist dabei aber nicht verändert worden: Auch heute noch wird die Beleihung als Übertragung eines Stücks öffentlicher Verwaltung zur organisationsrechtlich selbständigen Wahrnehmung durch einen Privaten verstanden. 2. VerfassungsrechtIiche Überlegungen zur Beleihung des Arbeitgebers im Lohnsteuerrecht

Versucht man den Nachweis zu führen, der private Arbeitgeber sei Im Außenverhältnis mit einer Steuerverwaltungsaufgabe beliehen, setzt dies in verfassungsrechtlicher Hinsicht zweierlei voraus: Das Rechtsinstitut der Beleihung muß im Steuerrecht anwendbar sein. Soweit dies bejaht wird, müssen die von Rechtsprechung und Literatur entwickelten verfassungsrechtlichen Schranken einer Beleihung bei den dem Arbeitgeber übertragenen Aufgaben und Befugnissen eingehalten sein.

2.1 Zulässigkeit der Beleihung im Steuerrecht 2.11 Auffassung Schicks Von Schick wird die Auffassung vertreten, das Rechtsinstitut der Beleihung sei im Steuerrecht nicht anwendbar l59 . Er stützt diese These auf folgenden Gedankengang: Die Staatsgewalt werde nach Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG durch besondere Organe vollzogen. Speziell für den Vollzug der Steuergesetze schreibe Art. 108 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 GG vor, daß alle Stadien der Steuerverwaltung durch Bundes- oder Landesbehörden erfüllt werden müßten l60 . Daher seien ausschließlich "reine" Finanzbehörden die Organe, welche die Steuergesetze vollziehen dürften; denn nur diese vereinigten ausschließlich staatliche Elemente in sich 161 . Bei dem Beliehenen hingegen konkurrierten private und staatliche Elemente miteinander. Daher sei er keine "reine" Verwaltungsbehörde und somit sei das Rechtsinstitut der Beleihung im Steuerrecht nicht anwendbar.

begriffs ist es konkreter, einen privaten Verwaltungsträger als Beliehenen zu definieren. Es bleibt heute nur noch die Frage offen, welchen Stellenwert die Konzession im gegenwärtigen Verwaltungsrecht innehat. V gl. dazu Steiner, Öffentliche Verwaltung, S. 151; Michaelis, S. 72 ff.; Mennacher, S. 130; Terrahe, S. 158. 159 Schick, Grundfragen, S. 14 f. 160 Schick, Grundfragen, S. 4. 161 Schick, Grundfragen, S. 15; Schick BB 1983, 1041 (1045).

76

2. Abschn.: Stellung des Arbeitgebers

2.12 Stellungnahme Ausgangspunkt einer jeden organisationsrechtlichen Untersuchung zur Stellung des Arbeitgebers im Lohnsteuerabzugsverfahren ist Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG. Diese Vorschrift dient der Mäßigung der Staatsgewalt, indem sie u. a. die Staatsaufgaben der Gesetzgebung, der Verwaltung und der Rechtsprechung unterschiedlichen ("besonderen") Organgruppen zuweist. Diese sollen organisatorisch voneinander getrennt sein, um sich so gegenseitig zu begrenzen 162 • Ferner muß jede einzelne Organgruppe vom Volk legitimiert sein. In dieser, für das Staatswesen wesentlichen Aussage, erschöpft sich aber auch die Bedeutung des Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG. Insbesondere kann dieser Vorschrift, da sie eine verfassungsrechtliche Grundsatznorm darstellt, nicht entnommen werden, daß bestimmte Verwaltungsträger (z. B. Privatpersonen) als "besondere Organe der vollziehenden Gewalt" auszuscheiden haben. Daher kann der Organ-Begriff des Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG nicht in einem bestimmten technischen Sinn verstanden werden 163 . Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG schließt mithin eine Beteiligung Privater bei der Erfüllung von (Steuer-) Verwaltungsaufgaben nicht aus. Jedoch könnte der noch untechnische Organ-Begriff des Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG auf den Begriff der "Behörde" beschränkt werden, soweit Gegenstand des Verwaltungshandelns die Verwaltung von Steuern ist. Voraussetzung hierfür ist jedoch, daß Art. 108 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 GG, der die Verwaltung von Steuern regelt, eine institutionelle Bedeutung zukommt l64 . Träfe dies zu, wäre jede Verwaltungshilfe (privater und öffentlicher) Drittersei es als Verwaltungshelfer , gesetzlich Indienstgenommener, Beliehener oder durch Delegation Beauftragter - im Bereich der Finanzverwaltung allein schon aus diesem Grunde verfassungswidrig. Den Vorschriften des Art. 108 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 GG kommt indes keine institutionelle Bedeutung zu. Sie haben - wie auch die Art. 83 ff. GG -lediglich die funktionelle Bedeutung, die einheitliche staatliche Verwaltungsaufgabe der "Verwaltung von Steuern" auf Grund des föderativen Systems des Grundgesetzes auf Bund und Länder zu verteilen. Diese funktionelle Bedeutung zeigt sich insbesondere in Art. 108 GG, wonach die Verwaltung von Steuern - unabhängig von der Ertragshoheit - auf den Bund (Art. 108 Abs. 1 Satz 1 GG) und die Länder (Art. 108 Abs. 2 Satz 1 GG) verteilt wird. Diese durch die Verfassung ange162 So auch Herzog in Maunz / Dürig / Herzog / Schatz, Art. 20 GG V Rz. 40; Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften, S. 208 ff. 163 So auch Ossenbühl, Verwaltungsaufgaben, S. 159 f.; Steiner, Öffentliche Verwaltung, S. 257 (FN 27); Kloubert, S. 60. 164 Da Art. 108 GG eine Sondervorschrift zu den Art. 83 ff. GG ist (so auch Maunz in Maunz / Dürig I Herzog / Scholz, Art. 108 GG Rz. 6; Vogel I Wachenhaus in Banner Kommentar, Art. 108 GG Rz. 15), kann nicht auf die ausführliche Darlegung Hubers (Wirtschaftsverwaltungsrecht I, S. 540 ff) verwiesen werden, wonach die Verwaltungshilfe Beliehener nicht im Widerspruch zu den Art. 83 ff. GG steht.

D. Beleihung

77

ordnete Doppelverwaltung eines einheitlichen Regelungskomplexes hat nun zur Konsequenz, daß durch die Verfassung selbst geregelt sein muß, welchen gegenseitigen Einfluß Bund und Länder auf den jeweils anderen Verwaltungsträger haben 165 • Somit liegt der Regelungsinhalt des Art. 108 GG allein in der Zuweisung einer Zuständigkeit an Bund und Länder. Ein über diese funktionelle Bedeutung hinausgehender Inhalt institutioneller Art kommt dieser Vorschrift mithin nicht zu. Aus diesem Grunde schließt Art. 108 GG die Verwaltungshilfe Privater im Bereich der Finanzverwaltung nicht aus. Der Argumentation Schicks stünde im übrigen auch ein gesetzeshistorisches Argument entgegen. Dem Verfassungsgesetzgeber ist die Mitwirkung Dritter bei der Verwaltung von Steuern bewußt gewesen, besonders auch die seit den 30iger Jahren praktizierte und für den Staat wesentliche Lohnsteuererhebung durch die Arbeitgeber. Hätte der Verfassungsgesetzgeber diese Verwaltungshilfe dem Regelungsinhalt des Art. 108 GG unterwerfen wollen, hätte er den Begriff der "Behörde" definieren müssen. Da eine verfassungsrechtliche Definition aber unterblieben ist, kann daraus nur geschlossen werden, daß diesem Begriff und dem Art. 108 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 GG keine institutionelle, sondern nur eine funktionelle Bedeutung zukommt. Ferner zeigt auch der weitergehende Funktionsvorbehalt des Art. 33 Abs. 4 GG, nach dem staatliche Verwaltung "in der Regel" staatlichen Behörden vorbehalten ist, daß es kein Verwaltungsrechtsgebiet gibt, das der Beleihung nicht zugänglich ist 166 • Im Gegenteil erfordert gerade eine effektive Verwaltung die Beteiligung privater Hoheitsträger in allen Aufgabenbereichen. Daher muß auch das Steuerrecht der Beleihung als eine Form der mittelbaren Staatsverwaltung zugänglich sein. Und schließlich: Das Grundgesetz schweigt zur Frage der grundsätzlichen Zu lässigkeit der Beleihung im allgemeinen und besonderen Verwaltungsrecht 167. Es hätte aber eines ausdrücklichen verfassungsrechtlichen Beleihungsverbots bedurft, hätte der Grundgesetzgeber die Beleihung als eine Form der Erfüllung von Verwaltungsaufgaben ausschließen wollen. Denn spätestens seit den Ausführungen OUo Mayers zur "Verleihung öffentlicher Unternehmen" ist die Beleihung als Rechtsinstitut anerkannt. Aus dem Fehlen eines Beleihungsverbots kann daher nur geschlossen werden, daß der Verfassungsgesetzgeber den Fortbestand dieses Rechtsinstituts in allen Verwaltungsbereichen als selbstverständlich angesehen hat. Vgl. Art. 108 Abs. 1 Satz 3, Abs. 2 Satz 3, Abs. 3,5,7 GG. So auch Maunz in Maunz / Dürig / Herzog / Schatz, Art. 33 GG Rz. 42 a. E.; Ossenbühl, Verwaltungsaufgaben, S. 162; Herrnes BB 1984,96 (98 FN 51). 167 So auch Stern, Staatsrecht II, § 41 IV 10 d (S. 792); Stober, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Rz. 596. Vgl. auch BVerwG Urt. v. 19. 3. 1976 - VII C 67/72 - VerwRspr 28 (1977), 214 (219): Das Grundgesetz regelt in den Art. 83 ff. GG nur beispielhaft die Aufzählung mittelbarer Staatsverwaltung. 165

166

78

2. Abschn.: Stellung des Arbeitgebers

Aus diesen Gründen bestehen m. E. keine verfassungsrechtlichen Bedenken gegen die grundsätzliche Zulässigkeit der Beleihung im Steuerrecht. 2.2 Verfassungsrechtliche Schranken der Beleihung Aus der grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Zulässigkeit der Beleihung im allgemeinen Verwaltungsrecht und im Steuerrecht darf jedoch nicht geschlossen werden, die Verwaltungshilfe Privater sei in unbeschränktem Maße zulässig. Aus dem Grundgesetz haben Rechtsprechung und Literatur drei Schranken abgeleitet, die den Rahmen einer verfassungsrechtlich zulässigen Delegation von Verwaltungsaufgaben auf Private bestimmen. Den entscheidenden Rahmen steckt erstens der institutionelle Gesetzesvorbehalt ab. Ein Beliehener muß zweitens der staatlichen Aufsicht und Kontrolle unterliegen. Art. 33 Abs. 4 GG schränkt drittens den quantitativen Umfang einer Beleihung ein. Fraglich ist, ob diese Schranken bei der lohnsteuerrechtlichen Verwaltungshilfe des Arbeitgebers eingehalten sind. 2.21 Institutioneller Gesetzesvorbehalt Der Verwaltung steht auf Grund ihrer eigenen Organisationsgewalt die Kompetenz zur Bildung, Errichtung, Änderung und Aufhebung von Verwaltungsträgern durch die Bestimmung ihrer Zuständigkeit zu. Diese verwaltungseigene Organisationsgewalt findet jedoch auf Grund des Gesetzesvorbehalts ihre verfassungsrechtliche Grenze, wenn durch einen Organisationsakt neue Verwaltungsträger geschaffen werden, welche die Rechtsstellung des Bürgers berühren. Es besteht in diesem Fall überwiegende Einigkeit in Rechtsprechung und Literatur, daß der Organisationsakt einer gesetzlichen Grundlage bedarf, eine Norm des Innenrechts mithin nicht ausreichend ist (sog. institutioneller Gesetzesvorbehalt 168). Dadurch wird der Verwaltung die Möglichkeit genommen, sich selbst über ihre eigene Organisationsgewalt unkontrolliert neue Verwaltungsträger zu bilden. Dieser institutionelle Gesetzesvorbehalt findet auch auf die Beleihung Anwendung 169 , da es dem Gesetzgeber vorbehalten bleiben muß, die auch 168 Vgl. dazu Rudolfin Erichsen / Martens, § 56 I (S. 630 ff.); Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften, S. 262 ff. 169 So BVerwG Urt. v. 5. 3. 1968 - I C 35.65 - BVerwGE 29,166 (170); OVG Münster Urt. v. 13./27. 9. 1979 - XVI A 2693/78 - NJW 1980, 1406 (1407). So auch Wolff / Bachof / Stober, § 104 Rz. 6 (S. 415); Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht I, S. 537; Ossenbühl, Verwaltungsaufgaben, S. 172 - 174; Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften, S. 271; Michaelis, S. 151 - 154; Steiner, Öffentliche Verwaltung, S. 301; v. Heimburg, S. 36 f.; Achterberg, § 20 Rz. 54 (S. 388); Stober, Wirtschaftsver-

D. Beleihung

79

unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten wesentliche Entscheidung der Beteiligung Privater bei der Erfüllung von Verwaltungsaufgaben selbst zu treffen 170 . Einem Privaten darf eine Verwaltungsaufgabe zur Ausübung im eigenen Namen also nur durch oder auf Grund eines Gesetzes übertragen werden. Hinsichtlich des Gesetzesvorbehalts bestehen an läßlich der Indienstnahme des Arbeitgebers im Lohnsteuerabzugsverfahren keine Bedenken. Die von dem Arbeitgeber wahrzunehmenden Aufgaben beruhen auf Gesetz (§§ 38 ff. EStG). Daher ist diese erste verfassungsrechtliche Schranke einer Beleihung beim Arbeitgeber eingehalten. 2.22 Staatliche Aufsicht über Beliehene Der Gesetzgeber hat nicht nur auf Grund des institutionellen Gesetzesvorbehalts die Pflicht, dem Privaten die staatliche Verwaltungsaufgabe und die hoheitlichen Befugnisse zu übertragen, sondern er hat auch die ordnungsgemäße Erfüllung der Aufgaben und die vorschriftsgemäße Wahrnehmung der Befugnisse zu gewährleisten. Eine unkontrollierte Tätigkeit beliehener Privatrechtssubjekte birgt ansonsten die Gefahr in sich, daß die aus Art. 20 Abs. 2 GG abgeleitete Einheit der staatlichen Verwaltung in Frage gestellt wird und außer halb der behördlichen Organisation selbständige staatliche Machtgebilde entstehen l7l . Daher ist die intensive Aufsicht und Kontrolle des privaten Verwaltungsträgers "ein selbstverständliches ungeschriebenes Prinzip des allgemeinen Verfassungsrechts"l72. Der Arbeitgeber ist einer intensiven staatlichen Aufsicht und Kontrolle unterworfen. Da er nur im Erhebungsverfahren der Lohnsteuer tätig wird, steht seine Sachverhaltsaufklärung und Rechtsanwendung unter dem Vorbehalt der Kontrolle der Finanzverwaltung. Die Kontrolle erfolgt mittelbar durch die Veranlagung des Arbeitnehmers zur Einkommensteuer, die Festsetwaltungsrecht, Rzn. 596. 600; Bender, Staatshaftungsrecht, Rz. 424; Rengeling, S. 27; Stolterfoht in Stolterfoht (Hrsg.), S. 175 (193 FN 95). Rechtsstaatlicher Gesetzesvorbehalt: Steiner JuS 1969, 69 (73); Terrahe, S. 45; Hermes BB 1984,96 (98). 170 So Lerche in Maunz / Dürig / Herzog / Schotz, Art. 83 GG Rz. 60. 171 Die Einheit der staatlichen Verwaltung findet ihre verfassungsrechtliche Grundlage in der Zurechnung aller Verwaltungshandlungen zu einer Staatsgewalt (Art. 20 Abs. 2 Satz 2 GG) und der Legitimation dieser Gewalt gegenüber dem durch Grundrechte geschützten Volk (Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG). 172 Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht I, S. 544. So auch Wolff / Bachof / Stober, § 104 Rz. 7 (S. 416); Achterberg, § 20 Rz. 54 (S. 388); Stober, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Rzn. 596,601; Stern, Staatsrecht 11, § 41 IV 10 d (S. 792); Michaelis, S. 154 - 158; Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften, S. 428; Steiner, Öffentliche Verwaltung, S. 277 ff. (283); Mennacher, S. 159; v. Heimburg, S. 116; Gagel in GageI, § 23 AFG Rz. 15; Rengeling, S. 30; Steiner JuS 1969, 69 (72); Huber DVBi 1952, 456 (460).

80

2. Abschn.: Stellung des Arbeitgebers

zung des Erstattungsanspruchs im behördlichen Lohnsteuer-Jahresausgleich und des Nachforderungsanspruchs. Der Arbeitgeber wird unmittelbar durch die ihn bindenden Anweisungen auf der Lohnsteuerkarte (§§ 38a Abs. 4, 39b Abs. 1 Satz 4 1. Halbs. EStG)173, die Lohnsteuer-Außenprüfung (§ 42f EStG) und die Lohnsteuer-Anmeldung (§ 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG) beaufsichtigt. Ferner steht ihm das Recht zu, Entscheidungsvorschläge der Finanzverwaltung über eine Anrufungsauskunft einzuholen (§ 42e EStG). Somit ist auch die zweite Schranke der Beleihung an läßlich der Indienstnahme des Arbeitgebers im Lohnsteuerabzugsverfahren eingehalten. 2.23 Funktionsvorbehalt des Art. 33 Abs. 4 GG Wenngleich das Grundgesetz zur Frage der grundsätzlichen Zulässigkeit der Beleihung im Verwaltungsrecht schweigt, läßt sich aus Art. 33 Abs. 4 GG eine mittelbare Wertung über den zulässigen Umfang der Beleihung ableiten 174 • Diese Vorschrift regelt unmittelbar nur die Verteilung hoheitsrechtlicher Befugnisse zwischen Beamten einerseits sowie Angestellten und Arbeitern des öffentlichen Dienstes andererseits. Danach darf die Übertragung derartiger Befugnisse auf Angestellte und Arbeiter nur die Ausnahme sein. Denn, "würde die ständige Ausübung hoheitlicher Befugnisse in größerem Umfang auf Nichtbeamte übertragen, so wäre dies mit dem Grundgesetz nicht vereinbar"175, da den Beamten wegen ihrer hoheitlichen Tätigkeit ein höheres politisches Gewicht zukommt1 76 . Aus Art. 33 Abs. 4 GG läßt sich nun ein weitergehender Funktionsvorbehalt dergestalt herleiten, daß staatliche Verwaltung in der Regel dem Staat und seinen verfassungsmäßig berufenen Organen selbst vorbehalten ist. Das Grundgesetz geht also von der behördlichen Verwaltung als Regelfall aus, da nur insoweit öffentlich-rechtliche Dienst- und Treueverhältnisse gegenüber dem Staat vorliegen. Die behördliche Verwaltung wird durch die Delegation von Verwaltungsaufgaben und Hoheitsbefugnissen auf Private durchbrochen. Diese Übertragung ist verfassungsrechtlich ausnahmsweise zulässig, wenn und 173 Entsprechendes gilt für die sonstigen Anweisungen, wie der Freistellungsbescheinigung (§ 39b Abs. 6 EStG) und der Bescheinigung i. S. des § 39d Abs. 1 Satz 2 EStG. 174 So BVerwG Urt. v. 5. 3. 1968 - I C 35.56 - BVerwGE 29, 166 (168/9). So auch Maunz in Maunz / Dürig / Herzog / Schotz, Art. 33 GG Rz. 42; Stern, Staatsrecht H, § 41 IV 10 d (S. 792); Stern, Staatsrecht I, § 11 III 4 f (S. 348); Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften, S. 260 f.; Ossenbühl, Verwaltungsaufgaben, S. 161 f.; Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht I, S. 544; Michaelis, S. 148 - 151; Wolff / Bachof / Stober, § 104 Rz. 6 (S. 415); Drews / Wacke, § 4 5.b. (S. 61); Stober, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Rz. 596; Huber DVB11952, 456 (459). Vgl. auch Stein er, Öffentliche Verwaltung, S. 259 - 262, 273 ff. 175 BVerfG Urt. v. 27. 4. 1959 - 2 BvF 2/58 - BVerfGE 9, 268 (284). 176 So BVerfG Urt. v. 27. 4. 1959 - 2 BvF 2/58 - BVerfGE 9,268 (284).

D. Beleihung

81

soweit dadurch nicht eine veränderte behördliche Zuständigkeitsordnung herbeigeführt wird 177 • Daher kann die Beleihung auch nur Teilbereiche der grundsätzlich den staatlichen Organen zugewiesenen Aufgaben zum Gegenstand haben. Art. 33 Abs. 4 GG führt somit zu einer quantitativen Begrenzung der delegierbaren Kompetenzen auf Private. Fraglich ist somit, ob die Indienstnahme des Arbeitgebers durch den Staat das Regel-Ausnahme-Verhältnis des Art. 33 Abs. 4 GG wahrt. Konzentriert man die Betrachtung allein auf den Lohnsteuerabzug 178 , kann von einem solchen Verhältnis keine Rede mehr sein, da das Lohnsteuerabzugsverfahren die Domäne der Arbeitgeber ist. Nur ausnahmsweise ist die institutionalisierte Verwaltung mit dem Lohnsteuerabzug befaßt. Sie hat neben den staats aufsichtsrechtlichen Maßnahmen der Lohnsteuer-Außenprüfung, der Anrufungsauskunft (§ 42e f. EStG) sowie der Prüfung der Lohnsteuer-Anmeldung (§ 41a Abs. 1 Satz 1 NT. 1 EStG) lediglich die nicht einbehaltene Lohnsteuer nachzufordern 179 • Somit überschreitet die Indienststellung des Arbeitgebers 177 So Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht I, S. 544; Stern, Staatsrecht I, § 11 111 4 f (S. 348); Michaelis, S. 149; Kloubert, S. 63 f. 178 Dahingestellt sein mag, ob die Aufgaben des Lohnsteuerabzugs der geeignete Maßstab sind. Denn man könnte auch als Maßstab die Aufgaben der Steuerverwaltung insgesamt heranziehen. In diesem Fall wäre es eindeutig, daß kein Verstoß gegen das Prinzip der quantitativen Begrenzung der deiegierbaren Verwaltungskompetenzen vorliegen würde. 179 Vgl. §§ 38 Abs. 4 Satz 3, 39 Abs. 4 Satz 4, 39 Abs. 5a Satz 4, 39a Abs. 6, 41c Abs. 4 Satz 2, 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 EStG. M. E. ist - entgegen der Abschnittsüberschrift vor § 38 EStG und der systematischen Gliederung der §§ 38 ff. EStG - Gegenstand des Lohnsteuerabzugsverfahrens nur die Einbehaltung (i.w.S.), Übernahme, Anmeldung und Abführung der Lohnsteuer durch den Arbeitgeber sowie die Haftung für Lohnsteuer und die Nachforderung von Lohnsteuer durch das Finanzamt. Das Lohnsteuerabzugsverfahren ist also das auf die "Voraus"-Zahlung der Jahreslohnsteuerschuld gerichtete Besteuerungsverfahren (vgl. § 38a Abs. 1 Satz 1 EStG; vgl. BFH Urt. v. 18. 7. 1985 - VI R 208/82 - BFHE 145, 29 [32] = BStBlII 1986, 152 [153]). Der behördliche Lohnsteuer-Jahresausgleich ist dagegen als reines Erstattungsverfahren (ebenso wie das Festsetzungsverfahren der Veranlagung zur Einkommensteuer) nicht mehr Teil des Lohnsteuerabzugsverfahrens (a.A. BFH Beschl. v. 21. 10. 1985 GrS 2/84 - BFHE 145, 147 [158] = BStBI 11 1986, 207 [212]; Hartz / Meeßen / Wolf, "Lohnsteuer-Jahresausgleich" unter A.I. [S.769 m.w.N.]). Denn die Lohnsteuerschuld, die das Lohnsteuerabzugsverfahren wesensmäßig bestimmt, wird u. a. durch die Eintragungen auf der Lohnsteuerkarte inhaltlich bestimmt (vgl. § 38a Abs. 4 EStG); im behördlichen Lohnsteuer-Jahresausgleich ist das Finanzamt an die Eintragungen auf der Steuerkarte aber nicht gebunden (Rückschluß aus § 42b Abs. 2 Satz 4 EStG). Daher liegt dem behördlichen Lohnsteuer-Jahresausgleich nicht die Lohnsteuerschuld, sondern nur die Erstattungsansprüche der §§ 42 Abs. 4 Satz 5, 42a Abs. 2 Satz 5 EStG zugrunde. Dieses Ergebnis wird auch dadurch bestätigt, daß die Lohnsteuerschuld, soweit die Steuer einbehalten worden ist, erloschen ist und nur über das Tatbestandsmerkmal "einbehaltene Lohnsteuer" i. S. des § 42 Abs. 1 Satz 1 EStG (vgl. auch § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG) mit materieller Wirkung auf die Erstattungsansprüche im behördlichen Lohnsteuer-Jahresausgieich angerechnet wird. Aus diesem Grunde haben § 46 Abs. 4 Satz 1 letzter Halbs. EStG und §§ 42b, 46 Abs. 4 Satz 2 EStG nur deklaratorische Bedeutung. Daher kann Hartz / Meeßen /

6 Schäfer

82

2. Abschn.: Stellung des Arbeitgebers

eindeutig das Regel-Ausnahme-Verhältnis zugunsten der institutionalisierten Verwaltung 180 • Dennoch kann man m. E. nicht davon sprechen, die Indienstnahme der Arbeitgeber durch den Staat widerspreche Art. 33 Abs. 4 GG und sei deswegen mit dem Grundgesetz nicht zu vereinbaren. Dafür sprechen insbesondere die folgenden Gründe: - Art. 33 Abs. 4 GG ist auf Grund seiner systematischen Stellung im Grundgesetz als Besitzstandsklausel für das Berufsbeamtentum zu verstehen 181 • Gerade ein Besitzstand der Beamten und damit der institutionalisierten Verwaltung in bezug auf die Erhebung der Lohnsteuer an der Quelle liegt nicht vor, weil die Beamten beim Lohnsteuerabzug - mit Ausnahme der Nachforderungen - zu keiner Zeit tätig gewesen sindl~2. - Der Arbeitgeber führt tatsächlich nur eine Hilfstätigkeit aus, da er nur Aufgaben im Rahmen des Lohnsteuerabzugsverfahrens wahrzunehmen hat. Das Abzugsverfahren hat zwar grundsätzlich abgeltende Funktion (§ 46 Abs. 4 Satz 1 EStG), jedoch ist diese Abgeltung tatsächlich nur vorläufig 183 • Denn es mündet in zwei unterschiedliche Festsetzungsverfahren ein, von denen die Arbeitnehmer i.d.R. Gebrauch machen: nämlich entweder in die Festsetzung der Einkommensteuer (§ 46 Abs. 1, 2 EStG i.V. mit § 46 Abs. 4 Satz 1 1. Halbs. EStG) oder in die des Erstattungsanspruchs im behördlichen Lohnsteuer-Jahresausgleich (§§ 42, 42a EStG i.V. mit § 46 Abs. 4 Satz 2 EStG). Beide Festsetzungsverfahren sind der behördlichen Finanzverwaltung vorbehalten. Da die Steuerfestsetzung jedoch die letztlich entscheidende Aufgabe der Steuerverwaltung ist und diese Haupttätigkeit der institutionalisierten Verwaltung vorbehalten bleibt, liegt kein Verstoß gegen Art. 33 Abs. 4 GG vor l84 . Wolf ("Nachforderung von Lohnsteuer" unter B.I.) nicht zugestimmt werden, wenn sie annehmen, die Abgeltungswirkung des § 46 Abs. 4 EStG habe im Laufe der Zeitwegen der Vielzahl von Nachforderungstatbeständen - so viele Ausnahmen erhalten, daß dieses Prinzip kaum noch erkennbar sei. Denn die einzigen Ausnahmen von der Abgeltungsfiktion des Lohnsteuerabzugs sind der behördliche Lohnsteuer-Jahresausgleich und die Veranlagung zur Einkommensteuer. Aus demselben Grunde kann ein Einkommensteuerbescheid, nachdem zuvor ein behördlicher Lohnsteuer-Jahresausgleich für dasselbe Kalenderjahr durchgeführt worden ist, nur erlassen werden, wenn zuvor der Jahresausgleichsbescheid gemäß §§ 172 ff. AO geändert worden ist (so auch Tipke / Kruse, vor § 172 AO, Tz. 4 m.w.N.). 180 Vgl. auch Kloubert, S. 65. 181 So auch Kloubert, S. 65 (m.w.N.). Stern (Staatsrecht I, § 11 III 4 g [So 350]) spricht von einer nur "institutionellen" Garantie des Berufsbeamtentums. 182 Vgl. auch Kloubert, S. 66. 183 Drenseck (in Schmidt, § 38 EStG Anm. 1 und in Stolterfoht [Hrsg.], S. 377 [380]) und der Bundesfinanzhof (BFH Urt. v. 18. 7. 1985 - VI R 208/82 - BFHE 145,29 [32] = BStBi 11 1986, 152 [153]) sprechen von der Lohnsteuer als Vorauszahlung und dem vorläufigen Steuerabzug. Dem ist jedenfalls von der tatsächlichen Betrachtungsweise her zuzustimmen. Kritisch v. Bornhaupt BB 1986, 367 (369).

D. Beleihung

83

- Es ist ferner zu beachten, daß Art. 33 Abs. 4 GG in einem nur mittelbaren Zusammenhang mit der Beleihung steht. Gerade deshalb ist bei der Anwendung dieser Vorschrift das Gebot einer effektiven Verwaltung zu berücksichtigen. Dem Lohnsteuerabzug kommt für das Staatswesen der Bundesrepublik Deutschland wirtschaftlich betrachtet eine wesentliche Bedeutung zu. Dafür werden minimale Verwaltungsmittel eingesetzt, und dennoch wird eine gerechte, alle Arbeitnehmer erfassende Besteuerung vorbereitet oder ggf. abschließend herbeigeführt. Gerade diese effiziente Verwaltung ist ein Grund, der den Verstoß gegen das Regel-Ausnahme-Verhältnis zugunsten der institutionalisierten Verwaltung sachlich rechtfertigt. Somit ist die auf den Arbeitgeber übertragene Ausübungskompetenz mit dem weitergehenden Funktionsvorbehalt des Art. 33 Abs. 4 GG zu vereinbaren 185 •

2.3 Zwischenergebnis Der These, ein privater Arbeitgeber sei im Lohnsteuerabzugsverfahren mit einer Verwaltungsaufgabe beliehen, stehen keine verfassungsrechtlichen Bedenken entgegen. Insbesondere läßt sich aus dem Tatbestandsmerkmal "Behörde" i. S. des Art. 108 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 GG nicht ableiten, nur eine Behörde im organisationstechnischen Sinne dürfe Steuern verwalten. Denn diesem Merkmal kommt keine institutionelle Bedeutung zu. Vielmehr hat Art. 108 GG ebenso wie die allgemeinen Vorschriften der Art. 83 ff. GG - nur die funktionelle Bedeutung, die staatliche Verwaltungsaufgabe der "Verwaltung von Steuern" auf Grund des föderativen Systems des Grundgesetzes auf Bund und Länder zu verteilen. Auch die verfassungsrechtlichen Schranken einer Beleihung sind eingehalten: Die Indienstnahme des Arbeitgebers durch den Staat beruht auf GesetZ'. Der Umfang der von ihm wahrzunehmenden Tätigkeiten verändert die behördliche Zuständigkeitsordnung nicht, denn der behördlichen Finanzver184 Auch in den Sachverhaltsgestaltungen, in denen aus der tatsächlichen Hilfstätigkeit des Arbeitgebers eine abschließende HaupUätigkeit wird (vgl. § 46 Abs. 4 EStG) - weil der Arbeitnehmer nicht zur Einkommensteuer veranlagt wird und dieser keinen Antrag auf Durchführung eines behördlichen Lohnsteuer-Jahresausgleichs stellt -, liegt kein Verstoß gegen den Funktionsvorbehalt des Art. 33 Abs. 4 GG vor. Art. 33 Abs. 4 GG läßt solche Ausnahmen zu, wie sich aus dem Gesetzeswortlaut ("in der Regel") eindeutig ergibt. Es ist ferner zu berücksichtigen, daß in dieser Sachverhaltsgestaltung ein freiwilliger Verzicht des Bürgers auf die Inanspruchnahme der behördlichen Steuerfestsetzung zu sehen ist, denn der Arbeitnehmer ist immer noch berechtigt, den Antrag auf Durchführung eines behördlichen Lohnsteuer-Jahresausgleichs zu stellen. 185 Im Ergebnis ebenso: Stolterfoht in Stolterfoht (Hrsg.), S. 175 (176 FN 8); Kloubert, S. 66.

6"

84

2. Abschn.: Stellung des Arbeitgebers

waltung bleibt der Kernbereich des steuerlichen Verwaltungshandelns - die Steuerfestsetzung - vorbehalten. Im übrigen unterliegt der Arbeitgeber einer intensiven staatlichen Aufsicht und Kontrolle. 3. Tatbestandsmerkmale der Beleihung

Unter Beleihung wurde und wird auch heute noch die Übertragung eines Stücks öffentlicher Verwaltung auf ein Privatrechtssubjekt verstanden. Diesen noch sehr groben Begriff gilt es nun zu konkretisieren, von anderen verwandten Rechtsinstituten abzugrenzen und auf den Arbeitgeber im Lohnsteuerabzugsverfahren anzuwenden. Unbestrittenes Tatbestandsmerkmal aller Beleihungstheorien ist die organisationsrechtliche Selbständigkeit des privaten Verwaltungsträgers. Streitig ist jedoch, welche Voraussetzungen für das Merkmal "Übertragung eines Stücks öffentlicher Verwaltung" erfüllt sein müssen. 3.1 Organisationsrechtliche Selbständigkeit des Arbeitgebers Die Beleihung umschreibt eine Form der mittelbaren Staatsverwaltung 186 • Sie wird durch die Übertragung staatlicher Verwaltungskompetenzen zur Ausübung auf ein Subjekt des Privatrechts begründet. Der Private erhält diese Kompetenz nicht als Glied eines staatsorganschaftlichen Bereichs (wie z. B. der Beamte), sondern als Subjekt des Privatrechts zugewiesen. Obwohl er somit Kompetenzen der Verwaltung ausübt, wird er dennoch nicht Glied einer Behörde im verwaltungstechnischen Sinne, sondern er bleibt eine privatrechtlieh strukturierte Einheit. Diese Verquickung privatrechtlicher Elemente (z. B. Status) mit einer öffentlich-rechtlichen Ausübungskompetenz charakterisiert die einzigartige Besonderheit der Beleihung im Verwaltungsrecht. Durch diese Vermischung öffentlich-rechtlicher und privatrechtlicher Elemente wird eine Vorzugsstellung des Beliehenen gegenüber allen anderen Privatrechtssubjekten begründet 187 • 186 So auch Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften, S. 427; Stein er, Öffentliche Verwaltung, S. 225 (FN 118). 187 So auch Stein er, Öffentliche Verwaltung, S. 224; Michaelis, S. 127 ff.; Terrahe, S. 83 ff.; Mennacher, S. 165. Dagegen ist mit einer Vorzugsstellung des Beliehenen nicht gemeint, daß es bei dem Beliehenen vor allem um das Recht gehe, Gebühren zu erheben bzw. Aufwendungsersatz zu verlangen (so aber Kloubert, S. 47; vgl. auch Schick, Grundfragen, S. 14). Dies zeigt sich am Schulbeispiel einer Beleihung, nämlich an dem des Luftfahrzeugführers. Dem Piloten sind zusätzlich zu seiner fliegerischen Aufgabe noch Polizeibefugnisse übertragen worden, ohne ihn dafür besonders zu entschädigen oder ihm das Recht einzuräumen, Gebühren zu erheben (vgl. § 29 Abs. 3 LuftVG).

D. Beleihung

85

Da der Beliehene auch nach der ihm übertragenen Ausübungskompetenz ein Subjekt der Privatrechtsordnung bleibt, ist er von dem Verwaltungsträger organisationsrechtlich unabhängig, dessen Aufgaben und Befugnisse er wahrnimmt 188 . Folglich handelt der Beliehene auch im eigenen Namen 189 und es wird sein öffentlich-rechtliches Handeln ihm selbst - und nicht dem delegierenden Verwaltungsträger - zugerechnet. Die organisationsrechtliche Selbständigkeit unterscheidet den Beliehenen von dem Organ (i.W.S.)190. Das Organ verliert mit der ihm übertragenen Verwaltungskompetenz insoweit seine Privatrechtssubjektivität und wird organisationsrechtliches Glied der Staatsorganisation. Im Gegensatz zur Beleihung wird nicht dem Organ selbst, sondern dem delegierenden Verwaltungsträger das öffentlich-rechtliche Handeln des Organs zugerechnet. Fraglich ist somit, ob der Arbeitgeber organisationsrechtlich selbständig ist oder - mit anderen Worten - ob er der Finanzverwaltung an- oder eingegliedert ist 191 . 3.11 Auffassung Schicks und Gast-de Haans Die organisationsrechtliche Selbständigkeit des Arbeitgebers wird von Schick und Gast-de Haan 192 verneint. Schick begründet diese Auffassung u. a.wie folgt: "Einmal ist schon der gesetzliche Befund der §§ 38 ff. EStG keine geeignete Grundlage für den Nachweis der Selbständigkeit. Eine sozusagen natürliche Betrachtung spricht eher gegen die Selbständigkeit: Der Arbeitgeber ist zwar im Lohnsteuerabzugsverfahren auf vielfache Weise auf sich gestellt, aber andererseits doch eng an die zuständige Finanzbehörde gebunden. Mit einem aus eigenem Recht handelnden Steuereinnehmer hat er 188 So BVerwG Urt. v. 5. 3. 1968 - I C 35.65 - BVerwGE 29, 166 (170/1). So auch Stober, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Rz. 595; Wolff / Bachof / Stober, § 104 Rz. 2 (S. 412); Bender, Staatshaftungsrecht, Rz. 424; Terrahe, S. 83,88; Michaelis, S. 88; Stolterfoht in Stolterfoht (Hrsg.), S. 175 (192). Teilweise a.A. Stein er, Öffentliche Verwaltung, S. 227 - 229. A. A. Scholz in Maunz / Dürig / Herzog / Scholz, Art. 12 GG Rz. 216: Dieser nimmt an, daß der Beliehene organisationsrechtlich der Verwaltung angehöre. Daher lehnt er die Belieheneneigenschaft des Arbeitgebers im Lohnsteuerabzugsverfahren konsequenterweise ab (vgl. Scholz in Maunz / Dürig / Herzog / Scholz, Art. 12 GG Rz.219). 189 So BVerwG Urt. v. 5. 3. 1968 - I C 35.65 -BVerwGE 29,166 (169); Stober, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Rz. 595; Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften, S. 427; Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht I, S. 66; Michaelis, S. 129; Terrahe, S. 83, 89, 96; Stolterfoht in Stolterfoht (Hrsg.), S. 175 (192). 190 Zur Abgrenzung des Organs, Organwalters zum Beliehenen: vgl. Terrahe, S. 85 ff.; Michaelis, S. 127 ff. 191 Vgl. Wolf! / Bachof / Stober, § 104 Rz. 3 (S. 414); Michaelis, S. 128; Terrahe, S.85. 192 In Stolterfoht (Hrsg.), S. 141 (157).

2. Abschn.: Stellung des Arbeitgebers

86

nichts gemein (und darf er nichts gemein haben). Alle Beteiligten sind sich darüber einig, daß der Arbeitgeber nicht aus eigenem Recht tätig wird, sondern, wie überspitzt gesagt wird, als ,Büttel des Fiskus'. Er ist ,Beauftragter des Steuerfiskus und Steuererheber' ... , ein ,Hilfsorgan der Finanzverwaltung' ... Wenn er Selbständigkeit hätte, so wäre sie ihm aufgezwungen, wo doch im allgemeinen mit der ,Beleihung' die Vorstellung einer Vorzugsstellung verbunden ist"193. Die sich daraus für Schick und Gast-de Haan ergebende Konsequenz ist die, daß der Arbeitgeber kein Beliehener sein könne, sondern ein Organ der Verwaltung sei. Sein Verhalten werde der Finanzverwaltung in der Gestalt des Betriebsstättenfinanzamts zugerechnet 194 . 3.12 Stellungnahme An der oben geschilderten Auffassung ist m. E. bereits der Ausgangspunkt problematisch, nämlich die These, daß die §§ 38 ff. EStG keine geeigneten Grundlagen für den Nachweis der organisationsrechtlichen Selbständigkeit seien. Denn diese Vorschriften sind doch diejenigen, die dem Arbeitgeber die von ihm wahrzunehmenden Aufgaben übertragen. Weil das Grundgesetz als höherrangiges Recht zur organisationsrechtlichen Stellung des Arbeitgebers im Lohnsteuerabzugsverfahren schweigt, muß m. E. gerade und ausschließlich auf die §§ 38 ff. EStG abgestellt werden, um seine Rechtsstellung und damit auch seine organisationsrechtliche Selbständigkeit zu untersuchen. Fraglich ist also, ob den §§ 38 ff. EStG zu entnehmen ist, daß der Arbeitgeber der Finanzverwaltung lediglich angegliedert ist. Für die organisationsrechtliche Selbständigkeit des Arbeitgebers im Lohnsteuerabzugsverfahren sprechen die folgenden Argumente: - Der Arbeitgeber ist - auch soweit er nach außen gegenüber dem Arbeitnehmer handelt - Steuerpflichtiger i. S. des § 33 Abs. 1 AO, da er die Lohnsteuer für Rechnung eines Dritten einzubehalten (§ 38 Abs. 3 Satz 1 EStG) und auch abzuführen hat (§ 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG). Ein Steuerpflichtiger ist ein Rechtssubjekt, welches außerhalb der Finanzverwaltung steht. Aus diesem Grunde ist er der Finanzverwaltung nicht als Organ eingegliedert. - Das Finanzamt erläßt Verwaltungsakte gegenüber dem Arbeitgeber. Beispielsweise sind die abweichend festgesetzte Lohnsteuer-Anmeldung 195 , die Haftungsbescheide 196 und die Prüfungs anordnung des § 196 AO VerwalSchick, Grundfragen, S. 14; vgl. auch Kloubert, S. 47. So Schick, Grundfragen, S. 36 f.; Schick BB 1983, 1041 (1045). 195 Vgl. §§ 155 Abs. 1 Satz 2, 167 Satz 1, 150 Abs. 1 Satz 2 AO; § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG. 196 Vgl. § 191 Abs. 1 Satz 2 AO; § 42d Abs. 1 EStG. 193

194

D. Beleihung

87

tungsakte, deren Adressat der Arbeitgeber ist. Ein Steuerverwaltungsakt ist dadurch gekennzeichnet, daß er nach außen gerichtet ist (§ 118 Satz 1 AO). Folglich muß der Arbeitgeber ein außerhalb der Finanzverwaltung stehender organisationsrechtlich selbständiger Rechtsträger sein 197 • - Wäre der Gesetzgeber davon ausgegangen, der Arbeitgeber sei ein Organ der Finanzverwaltung, hätte er ihn im Finanzverwaltungsgesetz aufführen müssen. Dort aber fehlt jeglicher Hinweis auf seine Rechtsstellung. Folglich geht .der Gesetzgeber davon aus, daß der Arbeitgeber organisationsrechtlich kein Organ der Finanzverwaltung ist. Seine Nichterwähnung im Finanzverwaltungsgesetz spricht im übrigen für die Annahme, er sei ein Beliehener; denn ein Beliehener bleibt Privatrechtssubjekt und ist als solcher keine Behörde im organisationstechnischen Sinne. Deshalb hätte er in einem Gesetz über die Finanzverwaltung nicht· aufgeführt werden müssen. - Für seine Selbständigkeit spricht im übrigen auch die Rechtsnatur der Anrufungsauskunft (vgl. § 42e EStG). Diese wird nach herrschender Auffassung zu Recht als Wissenserklärung angesehen 198 • Der Arbeitgeber ist deshalb nicht verpflichtet, der ihm erteilten Auskunft Folge zu leisten. Weil er somit für sein eigenes Verhalten selbst verantwortlich ist, hat er sich dieses selbst zuzurechnen. Sein Handeln wird also nicht der Finanzverwaltung zugerechnet. - Auch die Haftungsvorschriften des § 42d Abs. 1 EStG zeigen seine Selbständigkeit. Würde das Verhalten des Arbeitgebers der Finanzverwaltung zugerechnet, wäre diese persönliche Haftung überflüssig. Weil der Arbeitgeber mit seinem eigenen Vermögen auf Grund einer eigenen Pflichtverletzung haftet, zeigen diese Vorschriften mit aller Deutlichkeit, daß er sich sein eigenes Verhalten selbst zurechnen lassen muß. Somit ist der Arbeitgeber jemand, der organisationsrechtlich außerhalb der Finanzverwaltung steht l99 und der im eigenen Namen sowie in eigener Verantwortung Ansprüche aus dem Lohnsteuerschuldverhältnis geltend macht 2°O. 197 Schick (Grundfragen, S. 21) ist der Auffassung, die Lohnsteuer-Anmeldung sei ihrer "wahren Natur" nach keine Steuererklärung (vgl. aber dazu § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG), sondern ein behördeninterner Vorgang. 198 So BFH Urt. v. 13. 11. 1959 - VI 124/59 U - BFHE 70,.290 (293) = BStBI III 1960, 108 (109); Hartz / Meeßen / Wolf, "Auskunft des Finanzamts" unter 2. (S. 128/1 m.w.N.); Altehoefer in Lademann / Säffing / Brockhoff, § 42e EStG Rz. 17; Thiel DB 1988, 1343 (1346). A. A. Schick in Hübschmann / Hepp / Spitaler, vor § 204 AO Rzn. 99, 119. 199 So auch Drenseck in Stolterfoht (Hrsg.), S. 377 (382); Hahn, InstFSt Nr. 241, S. 88 f.; Kloubert, S. 52. 200 In dieser Selbständigkeit kann, wie Schick es andeutet (Grundfragen, S. 14: ,Der Arbeitgeber darf nichts mit einem aus eigenem Recht handelnden Steuereinnehmer gemein haben'), kein Verstoß gegen Grundsätze der steuerlichen Finanzverfassung

88

2. Abschn.: Stellung des Arbeitgebers

3.13 Zwischenergebnis Der private Arbeitgeber ist als Steuerpflichtiger ein außerhalb der Finanzverwaltung stehender Privater. Er handelt im eigenen Namen. Sein Verhalten wird ihm selbst zugerechnet. Daher ist er organisationsrechtlich selbständig und kein Organ der Finanzverwaltung. 3.2 Übertragung eines Stücks öffentlicher Verwaltung Die Beleihung ist durch die Übertragung eines Stücks öffentlicher Verwaltung auf ein Subjekt des Privatrechts gekennzeichnet, welches die Verwaltungstätigkeit im eigenen Namen organisationsrechtlich selbständig ausübt. Mit dem übertragenen Stück öffentlicher Verwaltung wird dem Privatrechtssubjekt eine staatliche Kompetenz zur Ausübung zugewiesen, die ihm als Privatrechtssubjekt nicht zustehen würde. Daher müssen nun der staatliche und der private Kompetenzbereich voneinander abgegrenzt werden. Die hierfür geltenden Abgrenzungskriterien sind bereits im Ausgangspunkt streitig. Daher gilt es zunächst, die beiden herrschenden Beleihungstheorien darzustellen und sie von den mit ihnen verwandten Rechtsinstituten abzugrenzen. Die daraus gewonnenen Erkenntnisse sind anschließend auf den Arbeitgeber im Lohnsteuerabzugsverfahren anzuwenden. 3.21 Beleihungstheorien Die Lehre von der Beleihung hat die übergeordnete Zielsetzung, staatliche und private Kompetenzbereiche voneinander abzugrenzen. Diese Lehre wird von zwei Beleihungstheorien beherrscht201 : von der sog. formellen Aufgabentheorie und der sog. Rechtsstellungstheorie. 3.211 Formelle Aufgabentheorie Die Aufgabentheorie geht auf die Grundzüge der von Otto Mayer entwikkelten Theorie der "Verleihung öffentlicher Unternehmungen" zurück. Sie wird heute nur noch als sog. formelle (oder konkrete) Aufgabentheorie vertreten 202 • gesehen werden. Als Ausgleich für die organisationsrechtliche Unabhängigkeit unterliegt das Verhalten des Arbeitgebers nämlich einer umfangreichen mittelbaren und unmittelbaren Kontrolle der Finanzämter. Diese Aufsicht wird darüber hinaus noch durch Mitwirkungspflichten des Arbeitnehmers ergänzt (Rück schluß aus § 42 Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 EStG). 201 Zu weiteren Beleihungstheorien: vgl. v. Heimburg, S. 34 - 36 unter b. 202 Früher ist die sog. materiell-staatliche Aufgabentheorie häufig vertreten worden. Nach dieser Auffassung werde ein Privater durch die Beleihung zur Erfüllung einer

D. Beleihung

89

Für die formelle Aufgabentheorie ist der jeweilige Einzelfall der Übertragung einer staatlichen Verwaltungsaufgabe auf einen Privaten entscheidend203 . Beleihung ist nach dieser Auffassung die Übertragung einer konkreten staatlichen Verwaltungsaufgabe auf ein Privatrechtssubjekt zur organisationsrechtlich selbständigen Wahrnehmung204 . Es ist daher das Ziel der Beleihungsdogmatik, einen konkreten staatlichen Zuständigkeitsentscheid für die Erfüllung einer Aufgabe nachzuweisen. Dies geschieht durch Ermittlung eines konkreten staatlichen Gestaltungswillens205 • Die Übertragung der Staatsaufgabe ist - entsprechend dem Grundgedanken OUo Mayers - von dem Vorgang der Vermittlung öffentlicher Gewalt unabhängig. Daher ist es gleichgültig, in welcher Handlungsform der Beliehene nach außen handelt. Der Beliehene ist somit zur Erfüllung der ihm übertragenen staatlichen Aufgabe berechtigt, sowohl mittels hoheitlicher Befugnisse obrigkeitlich durch Verwaltungsakt oder schlicht-hoheitlich - zu handeln, als auch mit privatrechtlichen Mitteln gegenüber einem Dritten tätig zu werden 206 • materiell-staatlichen Aufgabe berechtigt und verpflichtet (vg!. die Nachweise bei Vogel, Wirtschaftseinheiten, S. 60 [FN 1]; Mennacher, S. 19; Steiner DÖV 1970, 526 [529]; vg!. auch Steiner, Öffentliche Verwaltung, S. 11 [FN 14]). Diese Auffassung setzt aber die Bestimmbarkeit einer materiell-staatlichen Aufgabe voraus, von deren Ausübung Private grundsätzlich ausgeschlossen seien (vg!. Mennacher, S. 19; v. Heimburg, S. 31). Ihre Aufgabenbereiche, die des Privaten und die des Staates, müßten positiv - im Sinne vorgegebener Merkmale - voneinander abgrenzbar sein. Diese Abgrenzung scheitert aber, da es außerhalb eines gewissen Kernbereichs (z. B. Gesetzgebung und Rechtsprechung) keinen materiell-rechtlich geschlossenen Kanon an Staatsaufgaben gibt. Denn staatliche Aufgaben sind alle diejenigen, die der Staat nach der jeweils geltenden Verfassungsordnung zulässigerweise für sich in Anspruch nimmt, mit denen er sich also in irgendeiner Form befaßt (so BVerfG Besch!. v. 25. 3. 1980 - 2 BvR 208/76 - BVerfGE 53, 366 [401]; BVerfG Urt. v. 28. 2. 1961 - 2 BvG 1, 2/60 BVerfGE 12, 205 [243]; Ossenbühl, Verwaltungsaufgaben, S. 153; Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften, S. 429 [FN 357]; Steiner, Öffentliche Verwaltung, S. 46 [FN 165]; Martens, Öffentlich, S. 131; v. Heimburg, S. 15; Steiner JuS 1969, 69 [7011]; vg!. auch Krautzberger, S. 53). Da somit der staatliche Aufgabenbereich von der jeweils geltenden Verfassungsordnung und von einer Kompetenzentscheidung des Staates abhängt, ist dieser Bereich notwendigerweise offen und vom privaten Aufgabenbereich nicht abgrenzbar . Es scheidet daher eine materielle Differenzierung zwischen staatlicher und privater Sphäre aus. Vg!. Mennacher, S. 22 ff. 203 So Steiner, Öffentliche Verwaltung, S. 52. 204 Grundlegend: Steiner, Öffentliche Verwaltung, S. 46 ff. Ihm folgend: SchmidtAßmann in Maunz / Dürig / Herzog / Scholz, Art. 19 GG IV Rz. 56; Rudolfin Erichsen / Martens, § 56 II 3 (S. 641); Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften, S. 430 (FN 367). 205 So Steiner, Öffentliche Verwaltung, S. 50. Dies zeigt das folgende Beispiel: Die Aufgaben der Polizei, für die öffentliche Sicherheit und Ordnung Sorge zu tragen, ist eine Aufgabe des Staates. Wenn der Staat diese Aufgabe, für die er sich also zuständig erklärt hat, auf ein Privatrechtssubjekt delegiert, überträgt er ihm damit eine Staatsaufgabe. Aus diesem Grunde ist beispielsweise der Luftfahrzeugführer ein Beliehener (§ 29 Abs. 3 Satz 1 LuftVG). So Steiner, Öffentliche Verwaltung, S. 74. 206 Ebenso auch: Schmidt-Aßmann in Maunz / Dürig / Herzog / Scholz, Art. 19 GG IV Rz. 56. Letzteres unterscheidet die sog. Aufgaben- von der sog. Rechtsstellungstheorie.

2. Abschn.: Stellung des Arbeitgebers

90

Jedoch ist die übertragene Aufgabe von der ausgeübten Befugnis in dem Sinne abhängig, daß die Ausübung in einer hoheitlichen Handlungsform notwendigerweise eine Staatsaufgabe voraussetzt. Dieser Zusammenhang hat seinen Grund in Art. 20 Abs. 2 Satz 1 GG. Nach dieser Vorschrift geht "alle" Staatsgewalt vom Volke aus. Also müssen Rechtsprechung, Gesetzgebung und Verwaltung vom Volk legitimiert werden und haben sich diesem gegenüber zu verantworten207 • Diese Verantwortlichkeit wäre durchbrachen, würden hoheitliche Befugnisse zu nichtstaatlichen Zwecken ausgeübt werden, also zu Aufgaben, die vom Staat inhaltlich nicht bestimmbar und ihm nicht verfügbar sind. Daher setzt die Ausübung hoheitlicher Gewalt kraft Verfassungsrechts notwendigerweise die Staatlichkeit der Aufgabe voraus 208 . Aus diesem Grunde ist der Nachweis einer Beleihung nach der sog. formellen Aufgabentheorie auf zweierlei Weise möglich: entweder durch den positiven Nachweis einer staatlichen Verwaltungsaufgabe in der Hand eines Privaten oder indiziell durch die Ausübung von Hoheitsgewalt durch Privatrechtssubjekte. 3.212 Rechtsstellungstheorie Die Gegenansicht zur sog. formellen Aufgabentheorie ist die engere, heute in Rechtsprechung und Literatur bei weitem herrschende sog. Rechtsstellungstheorie. Den durch sie definierten Gegenstand der Beleihung gilt es von der gesetzlichen Indienstnahme Privater zu Verwaltungszwecken abzugrenzen. 3.2121 Darstellung der Rechtsstellungstheorie Die im Anschluß an Klaus Vogel 209 zumeist als Rechtsstellungstheorie bezeichnete Auffassung hebt die Trennung zwischen der übertragenen staatlichen Verwaltungsaufgabe einerseits und der Vermittlung von Hoheitsbefugnissen andererseits auf und verknüpft beide Merkmale als Voraussetzung der Beleihung. Die Beleihung ist nach dieser Auffassung als Übertragung einer staatlichen Verwaltungsaufgabe auf Subjekte des Privatrechts zur selbständigen Erledigung in den Handlungsformen des öffentlichen Rechts zu definieren. Mit der Übertragung der Staatsaufgabe wird dem Beliehenen mithin zugleich auch "echte Hoheitsbefugnis" vermittelt 210 • Dies sei erforderlich, weil nur dem Staat auf So Steiner, Öffentliche Verwaltung, S. 67. So Steiner, Öffentliche Verwaltung, S. 67 f. 209 Wirtschaftseinheiten, S. 60. 210 So BVerwG Urt. v. 11. 12.1980 - 3 C 130.79 - BVerwGE 61, 222 (224); BVerwG Urt. v. 5. 3. 1968 - I C 35.65 - BVerwGE 29,166 (169 f.). 207 208

D. Beleihung

91

Grund seines Gewaltmonopols staatliche Aufgaben der Eingriffsverwaltung zugewiesen seien 211 • Daher müßten dem Beliehenen auch staatliche Hoheitsbefugnisse mit übertragen werden. Die übertragene Hoheitsbefugnis ist nicht auf obrigkeitliches Handeln mittels Verwaltungsakts beschränkt212 • Der Beliehene ist vielmehr berechtigt, ebenso wie eine Verwaltungsbehörde selbst - jede öffentlich-rechtliche Beziehung zu einem Dritten zu knüpfen; er darf mithin auch schlicht-hoheitlich seine ihm übertragene Verwaltungsaufgabe erfüllen 213 • 3.2122 Abgrenzung .zur gesetzlichen Indienstnahme Privater Den Gegenbegriff zum Beliehenen nach der sog. Rechtsstellungstheorie stellt das auch heute noch anerkannte Rechtsinstitut der gesetzlichen Indienstnahme Privater für Verwaltungsaufgaben dar214 . Unter diesem Titel hat Hans Peter Ipsen dieses Rechtsinstitut im Jahre 1950 in die rechtswissenschaftliche Lehre eingeführt215 , zu einer Zeit also, in der die Diskussion um den Gegenstand der Beleihung von dem Begriff des beliehenen öffentlichen Unternehmers i. S. OUo Mayers geprägt war. Dies zeigt sich insbesondere daran, daß Ipsen ebenso wie Mayer vom wirtschaftlich geprägten Bild des Beliehenen ausgegangen ist und beide dieses Bild als vertraglich oder konzessionär begründet angesehen haben 216 . So auch Schotz in Maunz / Dürig / Herzog / Schotz, Art. 12 GG Rz. 216; Schenke in Bonner Kommentar, Art. 19 GG Abs. 4 Rz. 173; Kopp, VwVfG, § 1 Rz. 25; Gagel in Gagei, § 23 AFG Rz. 13. Ebenso Wolff / Bachof / Stober, § 104 Rz. 2 (S. 412); Achterberg, § 1 Rz. 32 (S. 15), § 20 Rz. 53 (S. 388); Erichsen in Erichsen / Martens, § 11 II 2 b (S. 179); v. Münch in Erichsen / Martens, § 1 III (S. 9); Drews / Wacke, § 4 5.b. (S. 59); Stern, Staatsrecht II, § 41 IV 10 d (S. 793); Stober, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Rz. 598; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 9; Michaelis, S. 69; Mennacher, S. 136; Terrahe, S. 83; v. Heimburg, S. 36 f.; Stolterfoht in Stolterfoht, (Hrsg.), S. 175 (193); Hermes BB 1984, 96 (98). 21l So Schotz in Maunz / Dürig / Herzog / Schotz, Art. 12 GG Rz. 215. 212 So noch Vogel, Wirtschaftseinheiten, S. 81 (vgl. aber nächste Fußnote); Clemens, S.21. 213 So BVerwG Urt. v. 25. 11. 1971- I C 7.70 - DÖV 1972, 500 (501); BGH Urt. v. 30. 11. 1967 - VII ZR 34/65 - BGHZ 49, 108 (113). So auch Gagel in Gagei, § 23 AFG Rz. 13; Wolff / Bachof / Stober, § 104 Rzn. 2,6; Stober, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Rz. 597; Bender, Staatshaftungsrecht, Rz. 424 (FN 477); v. Heimburg, S. 34; Michaelis, S. 67; Vogel, Aussprache in VVDStRL 29, 256; Stolterfoht in Stolterfoht (Hrsg.), S. 175 (192); Hermes BB 1984,96 (98). 214 Vgl. dazu Wolff / Bachof / Stober, § 104 Rz. 5 (S. 415); Stober, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Rzn. 605 f.; Stern, Staatsrecht II, § 41 IV 10 d (S. 793); Forsthoff, S. 179 f.; v. Heimburg, S. 38. 215 Indienstnahme, S. 141 ff. 216 So Ipsen, Indienstnahme, S. 151.

92

2. Abschn.: Stellung des Arbeitgebers

Zu der damaligen Zeit hatte die gesetzliche Indienstnahme ein durchaus eigenes Gewicht, denn Ipsen definierte sie als die gesetzliche Übertragung von Verwaltungs aufgaben auf Private, deren Ausübung jedoch durch die unternehmerische Tätigkeit des Privaten nicht geprägt worden sei 217 . Somit ergänzten sich der Beliehenenbegriff Mayers und die gesetzliche Indienstnahme Ipsens gegenseitig zu einer Einheit. Materielles Abgrenzungskriterium der beiden Rechtsinstitute war die wirtschaftliche Betätigung; während die Beleihung den Bereich der durch die wirtschaftliche Betätigung geprägten Verwaltungstätigkeit umfaßte, deckte die Indienstnahme das Feld der nicht durch die wirtschaftliche Betätigung geprägten Verwaltungstätigkeit ab. Jedoch haben die Erkenntnisse der 60iger Jahre zu einer Auflösung des unternehmerisch geprägten Beliehenenbegriffs geführt. Diese Neubestimmung der der Beleihung zugrundeliegenden Sachverhalte muß daher auch Reflexwirkungen auf die gesetzliche Indienstnahme Ipsens haben218 •

Ipsen grenzte die beiden Rechtsinstitute mit einem formalen Kriterium voneinander ab: Nach seiner Auffassung konnte die Indienstnahme nur auf Gesetz beruhen, hingegen wurde dem Beliehenen die Verwaltungsaufgabe nach seiner Auffassung nur durch Vertrag oder Konzession übertragen 219 • Es ist aber nach heutigem Verständnis zu Recht unbestritten, daß die Beleihung auch unmittelbar auf Gesetz beruhen kann; es bedarf mithin für ihre Begründung keines weiteren konstitutiven Beleihungsaktes mehr22o . Aus diesem 217 Nach Ipsens eigenem Bekunden nehmen Indienstgenommene Verwaltungsaufgaben wahr (vgl. z. B. der Titel des Aufsatzes [Indienstnahme, S. 141] und "als Träger öffentlicher Gewalt" ... "in Dienst genommen" [Indienstnahme, S. 156]; so sieht es auch Forsthoff, S. 180). Aus diesem Grunde bejahte Ipsen auch das Eingreifen der Amts- und Staatshaftung bei Schlechterfüllung der Verwaltungsaufgabe (vgl. Indienstnahme, S. 161; so auch Forsthoff, S. 180). 21B Bei allen denjenigen Autoren, die sich seit den 60iger Jahren ohne weiteres auf Ipsen bzw. Mayer und Huber beziehen, ist daher zu berücksichtigen, daß die Beleihung nach heutigem Verständnis nicht mehr durch die unternehmerische Betätigung geprägt ist. Dieser Wandel hat Auswirkungen auf die Auffassung Riepens. Er sieht - anknüpfend an den Beliehenenbegriff Hubers - den Gegenstand der Beleihung "stets im Zusammenhang mit der unternehmerischen Tätigkeit des Beliehenen" an (Riepen, S. 42; vgl. auch Mösch, S. 11) und kommt so folgerichtig zu dem Ergebnis, daß der Arbeitgeber im Lohnsteuerabzugsverfahren ein gesetzlich Indienstgenommener sei. Diese ablehnende Begründung seiner Belieheneneigenschaft ist jedoch heute nicht mehr tragfähig, denn seit der Abhandlung von Vogel ist der unternehmerisch geprägte Beliehenenbegriff aufgegeben worden. 219 Ipsen, Indienstnahme, S. 151. Dieses formale Abgrenzungskriterium greift auch Riepen auf (vgl. Riepen, S. 42; dieser Gedanke klingt auch bei Kloubert, S. 47 an). Er kommt daher folgerichtig zu dem Ergebnis, daß der Arbeitgeber im Lohnsteuerabzugsverfahren ein gesetzlich Indienstgenommener sei. 220 Der Luftfahrzeugführer wird beispielsweise nach unbestrittener Auffassung als Beliehener angesehen, obwohl seine Indienststellung für Verwaltungsaufgaben unmittelbar auf Gesetz beruht (vgl. § 29 Abs. 3 Satz 1 LuftVG).

D. Beleihung

93

Grunde kann der Abgrenzung zwischen der gesetzlichen Indienstnahme und der Beleihung, so wie sie Ipsen vorgeschlagen hatte, nach heutigem Verständnis nicht mehr gefolgt werden. Auf Grund des sich in den 60iger Jahren gewandelt habenden Verständnisses der Beleihung wird man zur Abgrenzung dieser beiden Rechtsinstitute heute folgendes sagen müssen 221 : Handelt der Private, dem eine Verwaltungsaufgabe übertragen worden ist, mit hoheitlichen Befugnissen, ist er nach der sog. Rechtsstellungstheorie ein Beliehener. Übt er hingegen zur Erfüllung der Verwaltungsaufgabe keine Hoheitsbefugnisse aus - handelt er also mit privatrechtlichen Mitteln -, ist er ein gesetzlich Indienstgenommener222 . 3.22 Rechtsstellung des Arbeitgebers im einzelnen Will man nun den Nachweis einer Beleihung des privaten Arbeitgebers im Lohnsteuerabzugsverfahren sowohl nach der sog. formellen Aufgabentheorie als auch nach der sog. Rechtsstellungstheorie führen, so müssen zwei Merkmale zusammentreffen. Beide Theorien setzen die Übertragung der Ausübung einer staatlichen Verwaltungsaufgabe voraus. Die RechtsstellungstheoSo BGH Urt. v. 18. 11. 1982 - VII ZR 25/82 - NJW 1983,448 (449); Stober, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Rz. 597; Wolff / Bachof / Stober, § 104 Rz. 2 (S. 412); Ossenbühl, Verwaltungsaufgaben, S. 147; Vogel, Wirtschaftseinheiten, S. 82; Michaelis, S. 106 f. 221 Wie hier: Martens, Öffentlich, S. 132; Stern, Staatsrecht 11, § 104 IV 10 d (S. 793); Stober, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Rz. 605; Wolff / Bachof / Stober, § 104 Rz. 5 (S. 412); v. Heimburg, S. 40; Forsthoff, S. 180. Anders: Michaelis, S. 82; vgl. dazu Stober, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Rzn. 603 f. Anders: Kloubert, S. 48, für den die Indienstnahme mit dem heute herrschenden, nicht unternehmerisch geprägten Beleihungsbegriff im wesentlichen identisch ist. Anders: Schotz in Maunz / Dürig / Herzog / Schotz, Art. 12 GG Rz. 219. 222 Obwohl es nicht Gegenstand der vorliegenden Arbeit ist, das Rechtsinstitut der Beleihung in den Einzelheiten herzuleiten, so sei dem Verfasser doch ein Hinweis zur sog. Rechtsstellungstheorie und ihrer Abgrenzung zur gesetzlichen Indienstnahme Privater erlaubt: Erfüllt der Staat Verwaltungsaufgaben durch seine Behörden, hat er nach nur gelegentlich bestrittener Auffassung grundsätzlich Handlungsformfreiheit (vgl. Erichsen in Erichsen / Martens, § 31 [So 321 ff.]; Ossenbühl, Verwaltungsaufgaben, S. 194 [FN 252a]; Steiner, Öffentliche Verwaltung, S. 48). Der Staat ist also im Rahmen der Erfüllung seiner Aufgaben berechtigt, sich neben den Handlungsformen des öffentlichen Rechts auch denen des Privatrechts zu bedienen, soweit nicht die Rechtsordnung die Verwendung bestimmter Handlungsformen gebietet. Wenn einerseits dem Staat für die von ihm ausgeübte Verwaltungstätigkeit Handlungsformfreiheit zusteht und andererseits der Beliehene ebenfalls in funktioneller Hinsicht verwaltet, dann spricht m. E. nichts dafür, beim privaten Verwaltungsträger öffentliche Hoheitsbefugnisse als Voraussetzung für seine Anerkennung als Beliehenen zu verlangen. Die sich hieraus ergebende Konsequenz ist die, daß die gesetzliche Indienstnahme ihre Bedeutung als eigenständiges Rechtsinstitut verlieren würde und sie als Unterfall der Beleihung anzusehen wäre. In diesem Sinne auch: Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften, S. 430 (FN 367); Rudolfin Erichsen / Martens, § 5611 3 (S. 641); Menger DÖV 1955, 587 (590 FN 31).

94

2. Abschn.: Stellung des Arbeitgebers

rie verlangt zusätzlich noch die Ausübung von Hoheitsbefugnissen bei der Erfüllung dieser Aufgabe. 3.221 Übertragung der Ausübung einer staatlichen Verwaltungsaufgabe

Die Beleihung des Arbeitgebers im Lohnsteuerabzugsverfahren setzt zunächst eine staatliche Verwaltungsaufgabe voraus223 • Diese ist durch eine zweifache Kompetenzentscheidung des Staates gekennzeichnet (sog. Kompetenz-Kompetenz), d. h., der Staat muß sich zunächst zulässigerweise zum zuständigen Träger einer Aufgabe erklären224 und sich ferner die Erfüllung dieser Aufgabe selbst vorbehalten 225 • Diese Kompetenz-Kompetenz weisen Art. 108 Abs. 1 Satz 1 GG und Art. 108 Abs. 2 Satz 1 GG dem Staat zu, denn der Sinn dieser sich ergänzenden Vorschriften verpflichtet den Staat, Steuern zu verwalten. Zur Verwaltung einer Steuer zählt auch deren Erhebung durch den Steuerabzug an der Quelle226 • Folglich sind die mit dem Lohn223 Es ist heute allgemein anerkannt, daß nur die Erfüllung staatlicher Aufgaben und nicht bloß Aufgaben von öffentlichem Interesse Gegenstand der Beleihung sein können. So Martens, Öffentlich, S. 133 ff.; Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften, S. 427; Stein er, Öffentliche Verwaltung, S. 63; Michaelis, S. 28 ff.; Gagel in Gagei, § 23 AFG Rz.13. 224 Mit dieser ersten Kompetenzentscheidung erklärt der Staat eine Aufgabe zur öffentlich-rechtlichen, also staatlichen Aufgabe. Diese ist zu unterscheiden von der bloß öffentlichen Aufgabe. Die öffentliche Aufgabe stellt den Oberbegriff zur Staatsaufgabe dar (so Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften, S. 459 [FN 357]; v. Heimburg, S. 15). Eine öffentliche Aufgabe kennzeichnet eine Angelegenheit, deren Besorgung im öffentlichen Interesse liegt, die aber gerade nicht vom Staat in eigener Regie ausgeübt wird, bei der also eine Kompetenzentscheidung des Staates fehlt (so Martens, Öffentlich, S. 99, 117; Krautzberger, S. 117; v. Heimburg, S. 14; vgl. auch Stein er, Öffentliche Verwaltung, S. 62 f.). So sind beispielsweise die Aufgaben der Presse öffentliche Aufgaben, da dem Staat kraft Verfassungsrechts (Art. 5 GG) eigene Kompetenzentscheidungen untersagt sind. 225 Hat der Staat eine Kompetenzentscheidung zugunsten einer bestimmten Aufgabe getroffen - sie also zur Staatsaufgabe erklärt -, ist er berechtigt, deren Erfüllung durch ein Privatrechtssubjekt auf zweierlei Weise zu gestalten: Er kann die Erfüllung der Staatsaufgabe als öffentlich-rechtliche Bürgerpflicht ausgestalten, indem er Privaten die Erfüllung dieser Aufgaben als eigene unmittelbare Angelegenheiten auferlegt. Ein Beispiel dafür stellt die Wegereinigungspflicht dar (so auch Ossenbühl, Verwaltungsaufgaben, S. 149; v. Heimburg, S. 17). Statt dessen ist der Staat befugt, sich die Erfüllung dieser Aufgabe kraft seiner Kompetenz-Kompetenz als staatliche Verwaltungsaufgabe selbst vorzubehalten. Er muß jedoch eine zweite Kompetenzentscheidung treffen. Sofern er dies getan hat, wird aus der Staatsaufgabe eine staatliche Verwaltungsaufgabe. In die Erfüllung der Verwaltungsaufgabe kann er ein Privatrechtssubjekt einschalten. Soweit dieses organisationsrechtlich selbständig die Aufgabe wahrnimmt, liegt eine Beleihung vor. Dem Beliehenen kommt mithin lediglich die Ausübungskompetenz einer staatlichen Verwaltungsaufgabe zu (so auch Steiner, Öffentliche Verwaltung, S. 225; v. Heimburg, S. 113). 226 Zum Sonderproblem, ob eine staatliche Steuerverwaltungsaufgabe bei der Erhebung der Kirchenlohnsteuer durch den Arbeitgeber vorliegt: vgl. Maunz in Maunz /

D. Beleihung

95

steuerabzugsverfahren zusammenhängenden Aufgaben bereits kraft Verfassungsrechts staatliche Verwaltungsaufgaben227 , 228. Die Erfüllung dieser staatlichen Verwaltungs aufgaben muß der Staat ferner einem Privatrechtssubjekt zur Ausübung übertragen haben. Dies trifft auf den privaten Arbeitgeber zu. Ihm ist auf Grund der §§ 38 ff. EStG zulässigerweise im wesentlichen nur die Ausübungskompetenz des Lohnsteueranspruchs übertragen worden. Diese Kompetenz leitet der Arbeitgeber von der Finanzverwaltung ab, da er im wesentlichen nur den Anspruch des Steuergläubigers für die Finanzverwaltung geltend macht, ohne selbst zum Gläubiger dieses Anspruchs zu werden 229 • Daher ist dem Arbeitgeber die Verwaltungskompetenz der Erhebung des Lohnsteueranspruchs lediglich zur Ausübung übertragen worden 23o • Eine Ausübungskompetenz des Arbeitgebers kann m. E. jedoch nur in den Verfahrensabschnitten des Steuerabzugs an der Quelle zum Ausdruck kommen, in denen der Arbeitgeber selbständig Rechtsbeziehungen zum Bürger (Arbeitnehmer) knüpft, in denen er also "Kompetenzen der Verwaltung ausübt". Dies trifft nur für das Außen verhältnis zum Arbeitnehmer zu, also für die mit ~er Einbehaltung (§ 38 Abs. 3 Satz 1 EStG), der Änderung des LohnDürig / Herzog / Scholz, Art. 140 GG/Art. 137 WRV Rzn. 42,50; Tipke, Steuerrecht,

§ 14 Anhang (S. 511 ff.); sehr instruktiv Stein er, Öffentliche Verwaltung, S. 78 - 80.

227 Es wäre daher bereits kraft Verfassungsrechts unzulässig, die Verwaltung von Steuern als unmittelbare Bürgerpflicht auszugestalten. Zur Lohnsteuererhebung als Bürgerpflicht: vgl. Stolterfoht in Stolterfoht (Hrsg.), S. 175 (192). 228 Der hier vertretenen Auffassung könnte folgende Argumentation entgegengehalten werden: Die Einbehaltung und die nachfolgende Abführung der Lohnsteuer dienten nicht der Bewältigung einer staatlichen Aufgabe, sondern sie würden sich noch völlig in der Sphäre der dem Steuerschuldner obliegenden Verpflichtung halten (so Krohn BB 1969. 1233). Diese Auffassung vermag indes nicht zu überzeugen: Der Arbeitgeber steht nicht in der Sphäre des Arbeitnehmers, da er das Lohnsteuerschuldverhältnis mit der Einbehaltung zum Erlöschen bringt und damit die steuerschuldrechtliche Sphäre des Arbeitnehmers beendet wird. Die Abführung von Lohnsteuer ist nicht Teil der steuerlichen Sphäre des Arbeitnehmers, da der Arbeitnehmer mit der Abführung an das Betriebsstättenfinanzamt nicht leistet und die Abführung auch nicht als seine Leistung gilt. Die Abführung ist eine alleinige Leistung des Arbeitgebers und liegt nur in seiner Sphäre (vgl. § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG). 229 Hingegen verbleibt die Fachkompetenz, insbesondere die Erteilung von Weisungen (z. B. durch die Eintragungen auf der Lohnsteuerkarte und durch die Freistellungsbescheinigung) und die Aufsicht (z. B. durch die Lohnsteuer-Außenprüfung und die Prüfung der Lohnsteuer-Anmeldung) im Lohnsteuerabzugsverfahren der Finanzverwaltung vorbehalten. Teilweise hat sich der Staat die Ausübungskompetenz des Lohnsteueranspruchs selbst vorbehalten, nämlich dann, wenn die Finanzverwaltung die Lohnsteuer nachfordert: vgl. §§ 38 Abs. 4 Satz 3, 39 Abs. 4 Satz 4, 39 Abs. 5a Satz 4, 39a Abs. 6, 41c Abs. 4 Satz 2, 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 EStG. Die Ausübungskompetenz der Einkommensteuerschuld (§ 36 Abs. 1, 4 EStG) und der Erstattungsansprüche im behördlichen Lohnsteuer-Jahresausgleich (§§ 42 Abs. 4 Satz 5, 42a Abs. 2 Satz 5 EStG) steht ebenfalls der Finanzbehörde zu. 230 So auch Kloubert, S. 46.

96

2. Abschn.: Stellung des Arbeitgebers

steuerabzugs (§ 41c Abs. 1 EStG) und dem betrieblichen Lohnsteuer-Jahresausgleich (§ 42b Abs. 2 Satz 5 EStG) zusammenhängenden Handlungen. Denn durch die Wahrnehmung seiner ihm im Außenverhältnis eingeräumten selbständigen Ausübungskompetenz bringt der Arbeitgeber das Lohnsteuerschuldverhältnis zwischen Arbeitnehmer und Steuergläubiger zum Erlöschen 231 . Daher kommt eine Beleihung auch nur im Außenverhältnis in Frage. Soweit der Arbeitgeber hingegen im Innenverhältnis handelt, hat sich die Finanzverwaltung die Ausübungskompetenz selbst vorbehalten. Die Finanzbehörde übt ihre eigene Ausübungskompetenz aus, wenn sie den entrichtungspflichtigen Arbeitgeber als Haftungsschuldner in Anspruch nimmt 232 , wenn sie einen Steuerbescheid im Rahmen der Lohnsteuer-Anmeldung233 oder eine Prüfungsanordnung erläßt (196 AO), oder wenn sie die Abführung der Lohnsteuer erzwingt. Aus diesem Grunde ist dem Arbeitgeber auch im Verhältnis ;>:ur Finanzbehörde keine Verwaltungsaufgabe zur selbständigen Wahrnehmung übertragen worden. Insoweit handelt der private Arbeitgeber somit nicht als Beliehener, sondern als Privatrechtssubjekt. Zusammenfassend ist festzustellen: Der private Arbeitgeber kann nur im Außenverhältnis zum Arbeitnehmer mit einer Steuerverwaltungsaufgabe beliehen sein, weil ihm nur insoweit die selbständige Ausübungskompetenz einer staatlichen Verwaltungsaufgabe zusteht. Dagegen fehlt ihm im Innenverhältnis jegliche Wahrnehmungskompetenz, da sich die Finanzverwaltung insoweit die Steuerverwaltung gegenüber dem Arbeitgeber selbst vorbehalten hat. Somit scheidet im Innenverhältnis eine Beleihung des Arbeitgebers aus 234 .

231 Der Arbeitgeber übt ferner die ihm eingeräumte Ausübungskompetenz aus, wenn er dem Arbeitnehmer die Lohnsteuerkarte herausgibt, denn der Arbeitgeber erfüllt damit den Herausgabeanspruch des Arbeitnehmers aus § 39b Abs. 1 Satz 3 EStG. Dieses Ergebnis hat zur Konsequenz, daß die Lohnsteuerkarte kein "Arbeitspapier" i. S. des § 2 Abs. 1 Nr. 3 lit. e ArbGG ist (im Ergebnis a. A. FG Schleswig-Holstein Urt. v. 11. 11. 1987 - I 464/87 - EFG 1988, 245 [246]; Hartz / Meeßen / Wolf, "Steuerkarte" unter D.ll. [So 116611]). Zum Meinungsstand, ob die Lohnsteuerkarte ein Arbeitspapier ist: vgl. Stolterfoht in Stolterfoht (Hrsg.), S. 175 (189 - 191). 232 § 42d Abs. 1 EStG i.V. mit § 191 Abs. 1 Satz 1 AO. 233 § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG i.V. mit §§ 167, 150 Abs. 1 Satz 2 AO. 234 Nach der sog. formellen Aufgabentheorie ist dieser Nachweis bereits ausreichend, um anzunehmen, daß der private Arbeitgeber im Außenverhältnis des Lohnsteuerabzugsverfahrens ein Beliehener ist. Steiner (Öffentliche Verwaltung, S. 191) bezeichnet die organisationsrechtliche Stellung des privaten Arbeitgebers im Lohnsteuerabzugsverfahren als einen Schulfall der Beleihung.

D. Beleihung

97

3.222 Erfüllung staatlicher Verwaltungsaufgaben mit hoheitlichen Befugnissen Soweit der private Arbeitgeber nach außen gegenüber dem Arbeitnehmer tätig wird, ist für den Nachweis seiner Belieheneneigenschaft nach der sog. Rechtsstellungstheorie ferner erforderlich, daß der Arbeitgeber die staatliche Verwaltungsaufgabe des Lohnsteuerabzugs mit hoheitlichen Befugnissen erfüllt. Da ein Beliehener Funktionen einer Verwaltungs behörde ausübt und ihm daher ebenso wie einer Behörde Handlungsformfreiheit zusteht, ist hoheitliches Handeln des Beliehenen nach heute allgemein anerkannter Auffassung zu Recht nicht auf obrigkeitliches Handeln durch Verwaltungsakt beschränkt. Es umfaßt jedes öffentlich-rechtliche, also neben dem obrigkeitlichen auch das schlicht-hoheitliche Handeln235 • Wird daher die Belieheneneigenschaft des Arbeitgebers im Lohnsteuerabzugsverfahren allein aus dem Grund abgelehnt, weil er keine Verwaltungsakte erlassen könne 236 , steht diesem Gegenargument eine allgemein anerkannte Auffassung entgegen. Fraglich ist also, ob der Arbeitgeber im Außenverhältnis zum Arbeitnehmer hoheitlich handelt. Für die Annahme seiner Hoheitsbefugnisse sprechen die folgenden Argumente: Der Arbeitgeber übt öffentlich-rechtliche und damit hoheitliche Gewalt aus, da ihm allein die öffentlich-rechtlichen Normen der §§ 38 Abs. 3 Satz 1, 41c Abs. 1, 42b Abs. 2 Satz 5 EStG die Ermächtigung zur Einbehaltung und Erstattung der Lohnsteuer gewähren. Es handelt sich dabei auch um hoheitliche Gewalt, da der Arbeitgeber mit der Einbehaltung oder der Erstattung der Steuer etwas tun darf und regelmäßig sogar tun muß, wozu ein Privater in keinem Fall berechtigt wäre: Er darf ohne und gegen den Willen des betroffenen Arbeitnehmers in dessen Rechte und Grundrechtssphäre eingreifen, ohne sich schadensersatzpflichtig zu machen 237 . Vgl. die Nachweise S. 89 FN 206, S. 91 FN 213. So Altehoefer in Lademann / Säffing / Brockhoff, § 38 EStG Rz. 9. 237 Der Anspruch des Arbeitnehmers auf Zahlung des Bruttoarbeitslohns ist verfassungsrechtliches Eigentum des Arbeitnehmers i. S. des Art. 14 Abs. 1 GG (so auch Stolterfoht in Stolterfoht [Hrsg.], S. 175 [193/4]; earl DB 1988, 826 [827]). Dieser Anspruch ist nämlich eine vermögenswerte Rechtsposition, die ausschließlich dem Arbeitnehmer zugeordnet ist. Der Anspruch ist dem Arbeitnehmer als Grundlage seiner privaten Initiative von Nutzen, da der Arbeitnehmer den Anspruch allein durch seine persönliche Arbeitsleistung erworben hat und weil der Bruttoarbeitslohnanspruch ihm zur Sicherung seiner Existenz dient (vgl. BVerfG Beschl. v. 12. 2. 1986 - 1 BvL 39/ 83 - NJW 1986, 1159 f.). Ferner übt der Arbeitgeber hoheitliche Gewalt aus, wenn er dem Arbeitnehmer die Lohnsteuerkarte herausgibt, da er den öffentlich-rechtlichen Anspruch aus § 39b Abs. 1 Satz 3 EStG erfüllt. 235

236

7 Schäfer

2. Abschn.: Stellung des Arbeitgebers

98

- Die Hoheitsbefugnisse des Arbeitgebers ergeben sich ferner aus den §§ 38 Abs. 4, 41c Abs. 4 EStG: Der Arbeitgeber kann sich gemäß §§ 38 Abs. 4, 41c Abs. 4 EStG mittels einer Anzeige an das Betriebsstättenfinanzamt von seiner Pflicht zur tatsächlichen Kürzung des Bruttoarbeitslohnanspruchs befreien. Diese Anzeige beinhaltet die nachzufordernde Lohnsteuer und bindet das Finanzamt in bezug auf den nachzufordernden Betrag. Auf Grund der Anzeige erhebt das Finanzamt also die vom Arbeitgeber noch einzubehaltende Lohnsteuer. Daher versetzt die Anzeige das Finanzamt in die Stellung, die der Arbeitgeber anläßlich der Einbehaltung bzw. der Änderung des Lohnsteuerabzugs innehatte238 • Fordert das Finanzamt auf Grund der Anzeige die Lohnsteuer nach, übt es mithin die Rechtsstellung des Arbeitgebers aus. Da das Finanzamt die Lohnsteuer mit Hoheitsbefugnissen nachfordert (§ 155 Abs. 1 Satz 2 AO), handelt der Arbeitgeber bei der Einbehaltung der Steuer (§ 38 Abs. 3 Satz 1 EStG) und der Änderung des Lohnsteuerabzugs (§ 41c Abs. 1 EStG) ebenfalls mit Hoheitsbefugnissen. - Das Finanzamt hat gemäß §§ 42 Abs. 4 Satz 5, 42a Abs. 2 Satz 5 EStG die Lohnsteuer im Lohnsteuer-Jahresausgleich zu erstatten, die im Ausgleichsjahr zu viel erhoben worden ist. Die gleiche Erstattungsverpflichtung trifft den Arbeitgeber in seinem Jahresausgleich (§ 42b Abs. 2 Satz 5 EStG). Es kann sich aber doch nun nicht bei dem einen Anspruch des Arbeitnehmers um einen öffentlich-rechtlichen, bei dem anderen hingegen um einen privatrechtlichen Erstattungsanspruch handeln. Folglich sind beide Ansprüche öffentlich-rechtlicher Natur. Da ein öffentlich-rechtlicher Anspruch des Bürgers nur gegen den Staat, also ein Subjekt mit Hoheitsbefugnissen gerichtet ist, kehrt der Arbeitgeber den öffentlich-rechtlichen Erstattungsanspruch aus dem betrieblichen Lohnsteuer-J ahresausgleich gleichfalls mit Hoheitsbefugnissen an den Arbeitnehmer aus 239 • Auch sind die Argumente, die bisher in Rechtsprechung und Literatur gegen die Hoheitsbefugnisse des Arbeitgebers vorgebracht worden sind, nicht unbedenklich: - Es wird teilweise argumentiert, der Lohnsteuerabzug sei ein Realakt240 , der Arbeitgeber erfülle nur mechanische Arbeitsgänge 241 oder es handele sich bei der Tätigkeit des Arbeitgebers lediglich um einen technischen Buchungsvorgang, der nicht staatlicher Natur, sondern rechtlich neutral sei242 • 238 239

240

241

So Giloy FR 1987, 444. So auch Stolterfoht in Stolterfoht (Hrsg.), S. 175 (194). So Giloy FR 1983, 528 (529). So BFH Urt. v. 21. 2. 1984 - VII R 107/83 - BStBl II 1984,336 (338).

D. Beleihung

99

Diese Auffassung ist aus folgenden Gründen bedenklich: (1) Die Einbehaltung der Lohnsteuer setzt eine umfangreiche Steuerrechtsanwendung, also ein willentliches Handeln des Arbeitgebers voraus. (2) Die Einbehaltung durch den Arbeitgeber - also der sog. Realakt, der mechanische Arbeitsgang oder der technische Buchungsvorgang - bringt als unmittelbare steuerliche Rechtsfolge das Lohnsteuerschuldverhältnis zwischen Arbeitnehmer und Steuergläubiger insoweit zum Erlöschen. Aus diesen beiden Gründen ist es fernliegend anzunehmen, daß diese Tätigkeit des Arbeitgebers rechtlich neutral sei. (3) Im übrigen kommt es nach heute kaum bestrittener Auffassung für die rechtliche Einordnung einer Handlung nicht auf das äußere Gewand an, sondern entscheidend ist die Ermächtigungsgrundlage, welche das Handeln stützt243 . So können rein mechanische Handlungen (z. B. das Speichern einer Datei) oder Realakte (z. B. der Schuß des Polizisten) sehr wohl die Ausübung von Hoheitsbefugnissen sein, wenn die sie stützende Norm eine Vorschrift des öffentlichen Rechts ist. Da allein die öffentlichrechtlichen Vorschriften der §§ 38 ff. EStG die Ermächtigungsgrundlage für die Eingriffsverwaltung des Arbeitgebers bilden und die Rechtsfolge dieses Handeins - das Erlöschen der Lohnsteuerschuld - gemäß § 47 AG eine steuerrechtliche ist, übt der Arbeitgeber Hoheitsbefugnisse aus. - Der Annahme von Hoheitsbefugnissen des Arbeitgebers wird im übrigen das im Lohnsteuerrecht geltende Steuerkartenprinzip entgegengehalten: Wegen des Steuerkartenprinzips stehe dem Arbeitgeber nicht das Recht zu, die Voraussetzungen der Besteuerung selbständig zu überprüfen 244 . Denn für ihn seien - in der Tat - die Eintragungen auf der Lohnsteuerkarte zum Zwecke der Einbehaltung bindend (§§ 38a Abs. 4, 39b Abs. 1 Satz 4 1. Halbs. EStG). Selbst wenn er erkenne, daß die Eintragungen unrichtig seien, dürfe er sie nicht ändern (§ 39 Abs. 6 Satz 4 EStG). Diese Auffassung übersieht, die Rechtsnatur der Eintragungen auf der Lohnsteuerkarte einmal ganz außer acht gelassen, daß die Steuerkarte dem Arbeitgeber nur einen Teil seiner steuerrechtlichen Tätigkeit abnimmt. Nur soweit die auf der Steuerkarte niedergelegten persönlichen Besteuerungsmerkmale des Arbeitnehmers betroffen sind, ist der Arbeitgeber an die Eintragungen gebunden. Alle übrigen Merkmale der Besteuerung - ob z. B. (steuerrechtlicher) Arbeitslohn zugeflossen ist und dieser steuerpflichtig ist - hat der Arbeitgeber selbständig zu ermitteln und insoweit Steuerrecht anzuwenden. Aus diesem Grunde ist der Arbeitgeber berechtigt und auch 242 So Wolf! I Bachof II, § 104 I d 10 (S. 454); Michaelis, S. 82 f. Die Konsequenz dieser Auffassung ist die, daß der private Arbeitgeber nicht als Beliehener, sondern als sog. Verwaltungshelfer anzusehen wäre. Zum Begriff des Verwaltungshelfers: vgl. Stober, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Rzn. 603 f. 243 So auch Schick, Grundfragen, S. 10. 244 So Bäuerlen, S. 144 (FN 603); Mösch, S. 12,44.

7'

100

2. Abschn.: Stellung des Arbeitgebers

verpflichtet, die Voraussetzungen der Besteuerung selbständig zu prüfen. Das Steuerkartenprinzip steht mithin der Annahme von Hoheitsbefugnissen nicht entgegen. Da der Arbeitgeber allein auf Grund der öffentlich-rechtlichen Vorschriften der §§ 38 ff. EStG in die Grundrechtssphäre des Arbeitnehmers eingreift und er das Lohnsteuerschuldverhältnis mit der Einbehaltung insoweit zum Erlöschen bringt, übt der Arbeitgeber Hoheitsbefugnisse aus 245 • Daher kommt auch die Anwendung der sog. Rechtsstellungstheorie zu dem Ergebnis, daß der private Arbeitgeber im Außenverhältnis zum Arbeitnehmer ein Beliehener ist. 3.3 Adressat der Beleihung Als letztes Tatbestandsmerkmal der Beleihung ist nunmehr eine Präzisierung hinsichtlich der als Adressaten dieses Rechtsinstituts in Frage kommenden Privat-Personen erforderlich246 • Dies erscheint nicht nur vom Standpunkt der Beleihungsdogmatik aus gesehen aufschlußreich, sondern ist auch notwendig, weil die als Beliehene in Betracht kommenden Arbeitgeber kein homogenes Bild zeigen. So gibt es privatrechtlieh organisierte Arbeitgeber, deren Allein- oder Mitgesellschafter der Staat ist. Umgekehrt gibt es öffentlichrechtlich organisierte Arbeitgeber, die erwerbswirtschaftliche (z. B. Sparkassen, vgl. § 2 SpkG NW) oder nicht-staatliche (z. B. kirchliche) Ziele verfolgen. In allen diesen Überlagerungsfällen fragt es sich, welcher Arbeitgeber als Beliehener zu bezeichnen ist. Die Rechtsprechung und die Literatur begnügen sich teilweise mit dem Hinweis, Adressaten einer Beleihung könnten nur "Subjekte" und "Personen" des Privatrechts sein247 , wobei teilweise als zusätzliches Erfordernis für not245 So auch Stolterfoht in Stolterfoht (Hrsg.), S. 175 (193 f.); v. Groll in Stolterfoht (Hrsg.), S. 431 (445); Schick, Grundfragen, S. 9 ff.; Rudolfin Erichsen / Martens, § 56 II 3 (S. 641); Kloubert, S. 24; Hahn, InstFSt Nr. 241, S. 88; Menger DÖV 1955, 587 (590 FN 31); Hahn NJW 1988, 20 (22, 25); Schick FR 1983, 500 (501). 246 Zwingend notwendig ist die Beschränkung der als Adressaten in Betracht kommenden Personen auf "Private" nicht, denn es ließe sich - in Anlehnung an die Gedanken OUo Mayers - auch heute noch ohne weiteres vertreten, daß auch staatliche Verwaltungskörper mit einer Verwaltungsaufgabe beliehen werden könnten. Man müßte die Rechtsstellungs- und Aufgabentheorie nur dahingehend abwandeln, daß einem "anderen Rechtsträger" eine "andere" Aufgabe oder Befugnis als äußere Zutat "zusätzlich" übertragen werde. Dies hätte für das Lohnsteuerrecht zur Folge, daß auch die staatlichen Arbeitgeber bzw. die öffentlichen Kassen i. S. des § 38 Abs. 3 Satz 2 EStG als Beliehene zu bezeichnen wären. Jedoch ist es ein Gebot der inneren Einheit dieses ungeschriebenen Rechtsinstituts, daß gewisse Strukturen festgelegt werden, die für die relevanten Sachverhalte allgemeine Geltung beanspruchen können. Zu diesen Strukturen gehört auch die Festlegung der Adressatenfrage auf Privatrechtssubjekte. So auch Stein er, Öffentliche Verwaltung, S.211. 247 So BVerwG Urt. v. 5. 3. 1968 - I C 35.65 - BVerwGE 29, 166 (169); Michaelis, S. 13; Terrahe, S. 82; Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht I, S. 533; Ossenbühl, Ver-

D. Beleihung

101

wendig gehalten wird, daß der Private dem Staat mit einem materiellen Grundrechtsstatus gegenübertreten müsse 248 • Folgt man dieser Auffassung, so dürfte insbesondere der kirchliche Arbeitgeber kein Beliehener sein, da er öffentlich-rechtlich organisiert ist (Art. 137 Abs. 5 Sätze 1, 2 WRV i.V. mit Art. 140 GG). Diese Annahme erscheint jedoch bedenklich, weil die Kirchen außerhalb der staatlich organisierten Verwaltungssphäre stehen, aber, wenn sie für ihre Arbeitnehmer Lohnsteuer einbehalten, eine staatliche Verwaltungsaufgabe ausüben. Daher könnte man die Auffassung vertreten, Private seien alle diejenigen Subjekte, die den Staat nicht repräsentieren 249 • In diesem Sinne wäre der kirchliche Arbeitgeber ein Beliehener, nicht jedoch wären es die Arbeitgeber der verwaltungseigenen oder -beherrschten Gesellschaften des Privatrechts. Auch dies erscheint bedenklich, denn diese Gesellschaften stehen kraft ihrer Rechtspersönlichkeit außerhalb der Verwaltungshierarchie. Daher wird man m. E. den Begriff des Privaten i. S. der Beleihungsdogmatik nur negativ abgrenzen können 25o • Privater ist derjenige, der nicht bereits staatlicher Funktionsträger ist. Mit dieser negativen Abgrenzung tritt das personelle Verhältnis zum Staat in den Vordergrund. Dadurch wird dem Gedanken Rechnung getragen, daß die Beleihung nichts anderes ist als die Ausgliederung von Wahrnehmungskompetenzen auf Subjekte, die außerhalb der staatlichen Verwaltung stehen. Private sind daher alle diejenigen Einzelpersonen, die nicht zugleich auch in einem Dienstverhältnis zum Staat stehen, z. B. Beamte. Ferner sind Private alle Personenvereinigungen und juristische Personen des Privatrechts, auch wenn deren Allein- und Mitgesellschafter der Staat ist. Die Kirchen sind ebenfalls Private i. S. der Beleihungsdogmatik, da sie außerhalb der Verwaltungshierarchie des Staates stehen 251 . Andererseits sind die erwerbswirtschaftliche Ziele verfolgenden Sparkassen keine Privaten, da sie auf Grund ihrer Rechtspersönlichkeit in die staatliche Verwaltungshierarchie eingegliedert sind (vgl. § 2 SpkG NW). Somit sind alle privatrechtlieh organisierten und kirchlichen Arbeitgeber Beliehene, wenn sie für ihre Arbeitnehmer die Lohnsteuer einbehalten, den Lohnsteuerabzug ändern und einen Betrag im betrieblichen Lohnsteuer-Jahresausgleich erstatten252 . waltungsvorschriften, S. 427; Staber, Wirtschaftsverwaltungsrecht, Rz. 595; Wolf! / Bacho! / Stober, § 104 Rz. 2 (S. 412); Mennacher, S. 136. 248 So v. Heimburg, S. 20; Ossenbühl, Verwaltungsaufgaben, S. 144. 249 So Steiner, Öffentliche Verwaltung, S. 212 f. 250 So Ossenbühl, Verwaltungsaufgaben, S. 144; v. Heimburg, S. 20; Krautzberger, S. 59 (m.w.N.). 251 Zur Beleihung von Religionsgesellschaften allgemein: vgl. Obermayer in Banner Kommentar, Art. 140 GG Rz. 80. 252 Die organisationsrechtliche Stellung der nicht-privaten, also staatlichen Arbeitgeber (bzw. der öffentlichen Kassen i. S. des § 38 Abs. 3 Satz 2 EStG) läßt sich somit nicht dem Rechtsinstitut der Beleihung zuordnen.

102

2. Abschn.: Stellung des Arbeitgebers

E. Ergebnis des zweiten Abschnitts Die Rechtsstellung des privaten, d. h. des außerhalb der staatlichen Verwaltung stehenden Arbeitgebers ist wie folgt zusammenzufassen: 1. Es gibt keine einheitliche Stellung des Arbeitgebers im Lohnsteuerabzugsverfahren. Man muß zwischen dem Innenverhältnis zur Finanzverwaltung und dem Außenverhältnis zum Arbeitnehmer unterscheiden. 2. Im Innenverhältnis ist dem Arbeitgeber keine staatliche Verwaltungsaufgabe übertragen worden. Vielmehr hat sich die Finanzverwaltung in diesen Rechtsbeziehungen die Ausübungskompetenz der Lohnsteuerverwaltung selbst vorbehalten. Folglich handelt der private Arbeitgeber insoweit organisationsrechtlich als Privatrechtssubjekt. 3. Im Außenverhältnis hat der Arbeitgeber eine DoppelsteIlung inne 253 • Er ist einerseits und primär Partei des zivilrechtlichen Arbeits- und Dienstvertrages. Ihm ist andererseits aber auch die staatliche Verwaltungsaufgabe der Lohnsteuereinbehaltung (i. w .S.)254 zur organisationsrechtlich selbständigen Wahrnehmung im eigenen Namen übertragen worden 255 . Diese Aufgaben erfüllt er mit Hoheitsbefugnissen. Nur insoweit ist er organisationsrechtlich ein Beliehener. Den Gegenbegriff zur Beleihung bildet die Delegation. Darunter versteht die heute herrschende Auffassung den Rechtsakt, durch den ein Hoheitsträger seine ihm durch das Recht eingeräumte Befugnis zum Erlaß von Hoheitsakten auf einen anderen Hoheitsträger überträgt, der diese Kompetenz dann im eigenen Namen ausübt (so auch Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften, S. 440 f.; Schenke VerwArch Bd. 68 [1977], S. 118 [120, 148]). Die Delegation erzeugt somit ebenso wie die Beleihung für den Delegatar einen Kompetenzzuwachs und erweitert demzufolge seinen Wirkungs- und Verantwortungsbereich. Diese Voraussetzungen sind für den staatlichen Arbeitgeber im Lohnsteuerabzugsverfahren erfüllt: Auf Grund der §§ 38 ff. EStG wird ihm neben seiner dienstrechtlichen Kompetenz eine zusätzliche lohnsteuerrechtliche Kompetenz zugewiesen. Diese Kompetenz übt er im eigenen Namen im Außenverhältnis zum Beamten, Angestellten und Arbeiter aus. Somit handeln die staatlichen Arbeitgeber gegenüber ihren Arbeitnehmern auf Grund einer Delegation. Für die Delegation gelten die gleichen Regeln wie für die Beleihung. Wenn daher im folgenden nur noch von der Beleihung die Rede ist, dann gelten die diesbezüglichen Ausführungen auch für die staatlichen Arbeitgeber. 253 So auch Stolterfoht in Stolterfoht (Hrsg.), S. 175 (191). 254 Einbehaltung gemäß § 38 Abs. 3 Satz 1 EStG, nachträgliche Einbehaltung und Erstattung gemäß § 41c Abs. 1 EStG und Erstattung im betrieblichen Lohnsteuer-Jahresausgleich gemäß § 42b Abs. 2 Satz 5 EStG. 255 Dies ist untersucht worden für die Einbehaltung der Lohnsteuer (§ 38 Abs. 3 Satz 1 EStG), die Änderung des Lohnsteuerabzugs (§ 41c Abs. 1 EStG), die Erstattung im Rahmen des betrieblichen Lohnsteuer-Jahresausgleichs (§ 42b Abs. 2 Satz 5 EStG) und die Herausgabe der Lohnsteuerkarte (§ 39b Abs. 1 Satz 3 EStG). Diese Ausführungen gelten auch für die übrigen vom Arbeitgeber wahrzunehmenden Aufgaben des Außenverhältnisses, z. B. für die Aufbewahrung der Lohnsteuerkarte, die Berichtigung der Lohnsteuer-Bescheinigung (a. A. FG Schleswig-Holstein Urt. v. 1l. 1l. 1987 - I 464/87 - EFG 1988, 245 [246]), für die Auszahlung der ArbeitnehmerSparzulage, der Berlin-Zulage und der Bergmannsprämie.

E. Ergebnis

103

Der Beliehene bleibt statusrechtlich ein Privatrechtssubjekt, dem nur eine Ausübungskompetenz zur Erfüllung einer bestimmten Aufgabe der staatlichen Finanzverwaltung übertragen worden ist. Die Sachkompetenz hingegen verbleibt bei der Finanzbehörde. Daher erweist sich die Beleihung als Anwendungsfall eines öffentlich-rechtlichen Auftrags durch den Staat256 , der jedoch nicht auf eine Analogie zu den §§ 662 ff. BGB zu stützen ist, sondern inhaltlich durch die §§ 38 ff. EStG bestimmt wird. Dieser der Beleihung zugrundeliegende öffentlich-rechtliche Auftrag entspricht dem Sinn und Zweck des Lohnsteuetabzugsverfahrens257 .

256 So auch BVerwG Urt. v. 25. 11. 1971- I C 7.70 - DÖV 1972, 500 (501); Steiner, Öffentliche Verwaltung, S. 225 f. 257 Eine öffentlich-rechtliche Beauftragung des Arbeitgebers bejahen ebenfalls: Schmidt I Drenseck, § 38 EStG Anm. 1; Hartz I Meeßen I Wolf, "Arbeitgeber" (S. 37); Thiel DB 1988, 1343 (1346).

Besonderer Teil In diesem Besonderen Teil sollen nun die im Allgemeinen Teil gewonnenen Erkenntnisse zum Erlöschen der Lohnsteuerschuld und zur organisationsrechtlichen Stellung des Arbeitgebers im Lohnsteuerabzugsverfahren auf die einzelnen Verfahrensabschnitte der Lohnsteuererhebung angewandt und auf ihre weiteren Rechtsfolgen hin überprüft werden. 3. Abschnitt

Das Außenverhältnis zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer Im Mittelpunkt dieses ersten Abschnitts des Besonderen Teils steht das Außenverhältnis, also die Rechtsbeziehungen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Hinblick auf die Einbehaltung (i.w.S.) der Lohnsteuer. Dieser Abschnitt, dem - um es mit Stolterfoht 1 zu formulieren - eine weitgehende terra incognita zugrunde liegt, ist in drei Teile gegliedert: in einen steuerrechtlichen, einen arbeitsrechtlichen und einen haftungsrechtlichen Teil. A. Steuerrechtliche Betrachtung des Außenverhältnisses

In der nun folgenden steuerrechtlichen Betrachtung des Außenverhältnisses werden zunächst die Grenzen der Sachverhaltsaufklärung des Arbeitgebers aufgezeigt. Ferner wird die Rechtsnatur der Lohnsteuereinbehaltung und die der Eintragungen auf der Lohnsteuerkarte untersucht. Danach wird der Rechtsschutz des Arbeitnehmers gegen die Einbehaltung, die Änderung des Lohnsteuerabzugs und den betrieblichen Lohnsteuer-Jahresausgleich behandelt.

1 In Stolterfoht (Hrsg.), S. 175 (177). Auch Scheerbarth / Höffken (§ 1711 2 c [So 377 FN 63]) halten das Verhältnis des Beamtenrechts zum Steuerrecht für "völlig unzureichend" aufgeklärt.

A. Steuerrechtliche Betrachtung

105

1. Sachverhaltsaufklärung bei Lohnzahlungen Dritter (§ 38 Abs. 1 Satz 2 EStG)

Die Sachverhaltsaufklärung ist der erste Handlungsabschnitt der Einbehaltung der Steuer. Sie ist, jedenfalls vom rechtstheoretischen Standpunkt aus gesehen, in tatsächlicher Hinsicht unproblematisch auszuführen, wenn der Arbeitgeber den Arbeitslohn selbst auszahlt. In diesem Fall steht ihm die tatsächliche oder rechtliche Herrschaft über den Lohn zu, und er kann die Höhe der Zuwendungen mit einfachen Mitteln leicht aufklären 2 . An die Grenzen einer einfach zu handhabenden Sachverhaltsaufklärung stößt ein Arbeitgeber jedoch, wenn ein Dritter dem Arbeitnehmer den Arbeitslohn auszahlt. Den sich daraus für den Arbeitgeber ergebenden Erschwernissen trägt der Gesetzgeber dadurch Rechnung, daß er den Arbeitgeber zur Lohnsteuereinbehaltung nur insoweit verpflichtet, als die Zuwendung im Rahmen des konkreten Dienstverhältnisses für diese Arbeitsleistung üblich ist (vgl. § 38 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 EStG). Die Vorschrift des § 38 Abs. 1 Satz 2 EStG hat ihre praktische Bedeutung schwerpunktmäßig bei Trinkgeldzahlungen, besonders im Hotel- und Gaststättengewerbe. Diesen Zuwendungen liegt im RegelfalP folgende Sachverhaltsgestaltung zugrunde: Ein Gast zahlt die Trinkgelder unmittelbar an den 2 Es ist ein Charakteristikum des Lohnsteuerabzugsverfahrens, daß der Arbeitgeber für die Erfüllung der Aufgaben des Außenverhältnisses der Mitwirkung des Arbeitnehmers regelmäßig nicht bedarf. Denn der Arbeitgeber hat grundsätzlich nur solche Tatsachen aufzuklären, die in seiner eigenen Sphäre liegen. Daher ist ihm eine Sachverhaltsaufklärung i.d.R. leicht möglich. Fremde, zum Steuerabzug notwendige Informationen, die also nicht aus der dem Arbeitgeber beherrschbaren eigenen Sphäre stammen, werden dem Arbeitgeber i.d.R. von der Finanzverwaltung erteilt. Beispielsweise erhält der Arbeitgeber die aus der persönlichen Sphäre des Arbeitnehmers stammenden Angaben (wie z. B. die Steuerklasse, der Familienstand, die Zahl der Kinder und die Freibeträge) über die Lohnsteuerkarte (§ 39 Abs. 3 Satz 1 EStG) und die Bescheinigung i. S. des § 39d Abs. 1 Satz 2 EStG. Entsprechendes gilt für die Freistellungsbescheinigung (§ 39b Abs. 6 Satz 1 EStG). 3 Ausnahmsweise zahlt der Gast die Trinkgelder in einen gemeinsamen "Topf" aller Arbeitnehmer ein, und der Gastwirt bzw. ein von ihm Ermächtigter verteilt die Gelder auf die einzelnen Kellner. In diesem Ausnahmefall weiß der Arbeitgeber durch Einnahme des Augenscheins von der Höhe der dem einzelnen Arbeitnehmer zugeflossenen Trinkgelder. Der Arbeitgeber hat bei jeder Auszahlung der gemeinsamen Kasse die Lohnsteuer einzubehalten (§ 38 Abs. 3 Satz 1 EStG i.V. mit § 3 Nr. 51 EStG), und zwar nicht im Zusammenhang mit § 38 Abs. 1 Satz 2 EStG, sondern auf Grund des § 38 Abs. 1 Satz 1 EStG. Denn der Arbeitgeber, und nicht der Gast, bewirkt mit der Auszahlung des "Topfes" an den einzelnen Kellner den Zufluß des Arbeitslohns, da der Arbeitnehmer erst mit der Auszahlung wirtschaftlich über den ihm zustehenden Betrag verfügen kann. Dies gilt besonders dann, wenn die Verteilung des gemeinsamen "Topfes" vom erzielten Umsatz des Arbeitnehmers abhängig ist. Ein weiteres Beispiel dieser Art ist der Tranc in Spielbanken. Vgl. hierzu Hartz / Meeßen / Wolf, "Spielbanken".

106

3. Abschn.: Außenverhältnis

Kellner (= Arbeitnehmer) aus, ohne daß der Gastwirt (= Arbeitgeber) in den Zahlungsvorgang eingeschaltet ist. Die lohnsteuerrechtliche Behandlung unmittelbarer freiwilliger Trinkgeldzahlungen ist in der Literatur im Hinblick auf drei Gesichtspunkte streitig: Zweifelhaft ist erstens, ob § 38 Abs. 1 Satz 2 EStG auf diese Zuwendungen überhaupt anwendbar ist. Es ist zweitens problematisch, ob ein Arbeitnehmer verpflichtet ist, den Arbeitgeber bei der Ermittlung der Höhe der Trinkgelder durch eine Auskunft zu unterstützen. Drittens wird kontrovers diskutiert, ob § 38 Abs. 1 Satz 2 EStG verfassungswidrig ist. Obwohl für die hier zu untersuchende Fragestellung nach den Grenzen der Sachverhaltsaufklärung nur der zweite Gesichtspunkt von Bedeutung ist, erscheint es gerade im Hinblick auf die allgemeine praktische Bedeutung von unmittelbaren Zahlungen Dritter gerechtfertigt, dieses Thema umfassend zu behandeln. Daher werden auch die beiden anderen Aspekte in die Untersuchung mit einbezogen. 1.1 Freiwillige unmittelbare Trinkgeldzahlungen und der Tatbestand des § 38 Abs. 1 Satz 2 EStG Fraglich ist zunächst, ob ein Gastwirt nach § 38 Abs. 3 Satz 1 EStG verpflichtet ist, unmittelbare Trinkgeldzahlungen eines Gastes an den Kellner dem Lohnsteuerabzug zu unterwerfen. Unzweifelhaft ist ein Gast ein "Dritter" i. S. des § 38 Abs. 1 Satz 2 EStG, denn er ist weder eine zahlende Stelle des Arbeitgebers, noch begründet er mit der Zahlung ein eigenes Dienstverhältnis zum Arbeitnehmer4 • Streitig ist jedoch, ob auch die Voraussetzungen des Tatbestandsmerkmals "im Rahmen des Dienstverhältnisses" erfüllt sind. Es wird von einigen Autoren die Auffassung vertreten, sie lägen nicht vor, da der Arbeitgeber bei diesen unmittelbaren Zuwendungen weder tatsächlich noch rechtlich in den Zahlungsvorgang eingeschaltet sei5 . Diese Ansicht trägt damit im Grunde eine Entscheidung des Bundesfinanzhofs weiter6 , die dieser im Jahre 1974 - also vor der Einfügung des § 38 Abs. 1 Satz 2 EStG im Jahre 1975 - getroffen hat? In dieser Entscheidung vertrat der Bundesfinanzhof die Auffassung, die §§ 38, 42d EStG seien auf unmittelbare Trinkgeldzahlungen wegen des sog. Steuerabzugs an der Quelle nicht anwendbar, da dem Arbeitgeber die Einflußmög4 Zum Begriff des "Dritten" i. S. des § 38 Abs. 1 Satz 2 EStG: vgl. Hartz / Meeßen / Wolf, "Arbeitslohn" unter 3. (S. 60 ff.); Crezelius in Stolterfoht (Hrsg.), S. 85 ff. 5 So Nissen in Hartmann / Böttcher / Nissen / Bordewin, § 38 EStG Rzn. 34 f.; Altehoefer in Lademann / Söffing / Brockhoff, § 38 EStG Rz. 34; Schmidt / Drenseck, § 38 EStG Anm. 6b; Stolterfoht, Lohnsteuer, Rz. 65 "Trinkgeldzahlung" (S. 82). 6 Vgl. BFH Urt. v. 13. 3.1974- VI R212170-BFHE 112, 150 = BStBlII 1974, 411. 7 Ebenso auch Birkenfeld in Stolterfoht (Hrsg.), S. 245 (283 FN 217).

A. Steuerrechtliche Betrachtung

107

lichkeiten in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht fehlten 8 . Folglich sei er, da eine ausdrückliche gesetzliche Regelung fehle, zur Erhebung von Lohnsteuer auf diese Zuwendungen nicht verpflichtet. Daher hafte er auch nicht nach § 42d Abs. 1 Nr. 1 1. Alt. EStG, wenn er zuwenig Lohnsteuer einbehalten habe. Diese Entscheidung ist aber m. E. - wie das Gericht selbst ausführt: mangels einer gesetzlichen Regelung - seit der Einfügung des § 38 Abs. 1 Satz 2 EStG in das Einkommensteuergesetz überholt 9 • Wie nämlich ein Vergleich des Wortlauts des § 38 Abs. 1 Satz 2 EStG ("von einem Dritten ... gezahlte") mit dem des § 38 Abs. 1 Satz 1 EStG ("von einem Arbeitgeber gezahlt") zeigt, will das Gesetz in der zuerst genannten Vorschrift gerade auch Lohnzahlungen der Einbehaltungspflicht des § 38 Abs. 3 Satz 1 EStG unterwerfen, die durch einen Dritten veranlaßt sind 10. Es fehlt im Tatbestand dieser Vorschrift jeglicher Hinweis darauf, daß der Arbeitgeber in tatsächlicher oder rechtlicher Hinsicht in den Zahlungsvorgang eingeschaltet sein muß. Daher ist seine Sachherrschaft während der Zahlung des Dritten keine Tatbestandsvoraussetzung lJ . Das Tatbestandsmerkmal "im Rahmens des Dienstverhältnisses" hat mithin m. E. eine andere Bedeutung, als es die oben geschilderte Auffassung annimmt. Es ist eines von drei Kausalitätsmerkmalen: Der Arbeitgeber hat nur von solchen Zuwendungen eines Dritten Lohnsteuer gemäß § 38 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 EStG einzubehalten, die (1) durch das Dienstverhältnis veranlaßt sind, die (2) auf einer Arbeitsleistung aus dem (konkreten) Dienstverhältnis beruhen und die (3) üblicherweise für diese Arbeitsleistung gezahlt werden 12 • Durch diese Kausalitätsmerkmale kommt der Wille des Gesetzgebers eindeutig zum Ausdruck, daß beispielsweise Gelegenheitszuwendungen Dritter, die üblicherweise nicht durch das konkrete Dienstverhältnis veranlaßt sind, der Einbehaltungspflicht des Arbeitgebers nicht unterliegen 13 • Diese genannten Kausalitätsmerkmale werden durch eine unmittelbare freiwillige Trinkgeldzahlung im Hotel- und Gaststättengewerbe erfüllt. Dies zeigt auch die materielle Vorschrift des § 3 Nr. 51 EStG. Folglich ist ein Gastwirt gemäß 8 So BFH Urt. v. 13. 3. 1974 - VI R 212/70 - BFHE 112, 150 (153) = BStBl 11 1974, 411 (413). 9 So auch Herrmann I Heuer I Raupach, § 3 EStG Rz. 293; Hartz I Meeßen I Wolf, "Trinkgelder" unter 2. (S. 1196); Felix BB 1979, 100 (101 FN 6); vgI. auch Abschn. 106 Abs. 4 LStR. 10 Somit durchbricht § 38 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 EStG das Prinzip des Steuerabzugs an der Quelle aus § 38 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 EStG. 11 So auch Giloy in Kirchhof I Söhn, § 19 EStG Rz. B 740; Crezelius in Stolterfoht (Hrsg.), S. 85 (115). 12 VgI. auch Giloy in Kirchhof I Söhn, § 19 EStG Rz. B 742; Lang in Stolterfoht (Hrsg.), S. 15 (70); Felix BB 1979, 100 (101 f.). 13 Immer dann, wenn sog. Beziehungshäufungen vorliegen und für den Arbeitgeber ungewiß ist, ob Zuwendungen Dritter erfolgt sind, soll der Arbeitgeber die Lohnsteuer mithin nicht einbehalten müssen.

108

3. Abschn.: Außenverhältnis

§ 38 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 EStG verpflichtet, Lohnsteuer von Trinkgeldern einzubehalten, die von einem Gast freiwillig unmittelbar an einen Kellner gezahlt werden.

1.2 Grenzen der Aufklärungspflicht des Arbeitgebers Da ein Gastwirt auch zur Einbehaltung von Lohnsteuer für unmittelbar gezahlte freiwillige Trinkgelder verpflichtet ist, hat er deren Höhe aufzuklären, um den davon einzubehaltenden Betrag zu berechnen. Dies ist für ihn unproblematisch, wenn ihm der Arbeitnehmer die dazu notwendigen Informationen freiwillig und in der zutreffenden Höhe zur Verfügung stellt. In diesem Fall hat der Arbeitgeber die Lohnsteuer von den Trinkgeldern nach § 38 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 EStG einzubehalten, sofern die Zuwendungen nicht gemäß § 3 Nr. 51 EStG steuerbefreit sind. Er haftet, wenn er dabei zuwenig Lohnsteuer einbehalten hat, nach § 42d Abs. 1 Nr. 1 1. Alt. EStG. Problematisch sind jedoch die Sachverhalte, in denen der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber keine oder eine offensichtlich unzutreffende Auskunft ertei1tl 4 • Es stellt sich dann für den Arbeitgeber die Frage, ob er gegen den Arbeitnehmer einen Anspruch auf (zutreffende) Auskunft über die Höhe der Zuwendungen hat. Sicherlich gewähren die §§ 93 Abs. 1 Satz 1, 90 AO dein Arbeitgeber keinen Auskunftsanspruch 15 , denn diese Vorschriften finden nur auf die Auskünfte gegenüber der Finanzbehörde im organisationstechnischen Sinne der §§ 1,2 FVG Anwendung (vgl. § 6 Abs. 2 AO). Der steuerpflichtige Arbeitgeber ist - selbst als Beliehener16 - keine Finanzbehörde in diesem Sinne 17 • Obwohl ein Auskunftsanspruch des Arbeitgebers in der Abgabenordnung nicht geregelt ist, nehmen die Finanzverwaltung 18 und ein Teil des Schrift14 Offensichtlich unzutreffend ist eine Auskunft im Hotel- und Gaststättengewerbe, wenn sie unter 1 % des Umsatzes liegt: vgl. FG Köln Urt. v. 30. 8. 1982 - II 40/82 LEFG 1983, 520. 15 A. A. Horowski / Altehoefer, § 38 EStG Anm. Sc. 16 Ein Beliehener wird im allgemeinen Verwaltungsrecht mit einer Behörde im verwaltungsorganisationsrechtlichen Sinne gleichbehandelt (so Kopp, VwVfG, § 1 Rz. 25). Aber die Abgabenordnung bezeichnet den Arbeitgeber einerseits als Steuerpflichtigen (§ 33 Abs. 1 3. Alt. AO), der aber auch andererseits Aufgaben einer Behörde i. S. des § 6 Abs. 1 AO ausübt. Er gilt nicht als Finanzbehörde im Sinne der Abgabenordnung (vgl. § 6 Abs. 2 AO), obwohl er teilweise ihre Funktionen ausübt. Es muß daher das weitergehende Ziel dieser Untersuchung sein, festzustellen, welche Vorschriften der Abgabenordnung im einzelnen auf den Arbeitgeber entsprechend anwendbar sind. 17 Auch ergibt sich ein solcher Auskunftsanspruch auch nicht aus § 204 AO. A. A. Oeftering / Görbing, § 38 EStG Rz. 11. 18 So Abschn. 116 Abs. 2 Sätze 3, 4, Abs. 4 Satz 3 LStR; vgl. auch Bals BB 1978,245 (246).

A. Steuerrechtliche Betrachtung

109

tums 19 einen solchen Anspruch dennoch an. Dies gilt jedoch nur, wenn anzunehmen ist, daß der steuerfreie Betrag des § 3 Nr. 51 EStG überschritten wird. Diese Auffassung kann (m. E. wohl) nur aus § 38 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 EStG selbst so begründet werden: Wenn der Gesetzgeber den Arbeitgeber zur Einbehaltung von Lohnsteuer auch für unmittelbare Lohnzahlungen Dritter verpflichtet, setzt er als selbstverständlich voraus, daß dem Arbeitgeber auch die geeigneten Mittel zur Verfügung stehen, um seiner Verpflichtung nachkommen zu können. Insbesondere weil die Lohnsteuer für Rechnung des Arbeitnehmers einbehalten wird, muß dieser ihm eine zutreffende Auskunft erteilen. Die Zulässigkeit eines solchen Auskunftsanspruchs wird aber von einer anderen Auffassung in der Literatur in Abrede gestellt, da für die Auskunft eine besondere gesetzliche Ermächtigung erforderlich sei. Diese ergibt sich nicht aus § 38 Abs. 1 Satz 2 EStG; daher hat die Sachverhaltsaufklärung des Arbeitgebers ihre Grenze in einem Auskunftsanspruch gegen den Arbeitnehmer20 • Der zuletzt genannten Ansicht ist aus verschiedenen Gründen zuzustimmen: - Die Finanzverwaltung hat von Amts wegen den für die Besteuerung relevanten Sachverhalt zu ermitteln (§ 88 Abs. 1 Satz 1 AO). Der Sachverhaltsaufklärung kommen die Finanzbehörden somit ebenso wie der Arbeitgeber kraft eigenen Rechts nach. Wenn schon für die Finanzverwaltung in § 93 Abs. 1 Satz 1 AO ein Auskunftsanspruch gegen den Steuerpflichtigen geregelt ist, dann muß dieser erst recht für den Arbeitgeber gegen den steuerpflichtigen Arbeitnehmer ausdrücklich gesetzlich geregelt sein. Da eine solche Regelung fehlt, steht dem Arbeitgeber kein Auskunftsanspruch gegen den Arbeitnehmer zu. - Im übrigen greift der Arbeitgeber mit dem Auskunftsersuchen in die Freiheitssphäre des Arbeitnehmers ein (vgl. Art. 2 Abs. 1 GG), da von letzterem Einze1angaben über seine persönlichen Vermögensverhältnisse verlangt werden. Diese einseitigen Eingriffe in die durch Grundrechte geschützte Sphäre des Arbeitnehmers bedürfen auf Grund der Lehre vom Gesetzesvorbehalt einer gesetzlichen Ermächtigung21 , da der Arbeitgeber mit dem Auskunftsverlangen einer Verpflichtung des öffentlichen Rechts durch hoheitliches Handeln nachkommt 22 • Um dem Gesetzesvorbehalt 19 So Kläckner in Klein / Flockermann / Kühr, § 38 EStG Rz. 26; Wehmeyer in Blümich / Falk, § 38 EStG Rz. 15; Hartz / Meeßen / Wolf, "Trinkgelder" unter 2. (S. 1196); Kloubert, S. 59. 20 So Grube in Littmann / Bitz / Meincke, 14. Aufl., § 38 EStG Rz. 20; Säffing FR 1983,25 (26); vgl. auch FG Baden-Württemberg Urt. v. 25. 9. 1984 - IV 373/80 - EFG 1985,258 (260). 21 So Herzog in Maunz / Dürig / Herzog / Schatz, Art. 20 GG VI Rz. 64; v. Münch in Erichsen / Martens, § 2112 (S. 23); Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften, S. 210 ff. 22 Weil der Arbeitgeber hoheitlich handelt, folgt sein Auskunftsanspruch gegen den Arbeitnehmer auch nicht aus einem Mitwirkungsanspruch aus dem Arbeits- und

110

3. Abschn.: Außenverhältnis

gerecht zu werden, reicht es nicht aus, jemandem eine Aufgabe zu übertragen, ohne ihm zugleich auch die Befugnisse einzuräumen, mit denen er diese Aufgabe erfüllen kann 23 • Dies gilt selbst dann, wenn der Eingriff für die Erfüllung der Aufgabe als unbedingt notwendig erachtet wird 24 . Es ist daher zu prüfen, ob § 38 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 EStG die Ermächtigungsgrundlage für einen Eingriff in die Freiheitssphäre des Arbeitnehmers darstellt. Diese Vorschriften ermächtigen den Arbeitgeber jedoch nur, Lohnsteuer einzubehalten. Dies verpflichtet ihn, den Bruttoarbeitslohnanspruch zu kürzen, also in die Eigentumssphäre des Arbeitnehmers einzugreifen (vgl. Art. 14 Abs. 1 GG). Zu weiteren Eingriffen, besonders in die Freiheitssphäre, schweigt § 38 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 EStG. Der Eingriff in die Freiheitssphäre ist im Verhältnis zu einem Eingriff in die Eigentumssphäre kein Minus, sondern ein aliud. Daher ermächtigen diese Vorschriften den Arbeitgeber auch nicht konkludent, mittels eines Auskunftsverlangens in die Freiheitssphäre des Arbeitnehmers einzugreifen. Somit kann ein Auskunftsanspruch des Arbeitgebers aus § 38 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 EStG nicht abgeleitet werden. - Weiter stellt sich die Frage, welcher praktische Vorteil mit einem sog. Auskunftsanspruch zu Gunsten des Arbeitgebers zu erzielen ist. Denn mit der Auskunft allein ist das Ziel der erstgenannten Ansicht, eine Besteuerung der unmittelbaren Zuwendungen Dritter herbeizuführen, noch nicht Dienstvertrag. Dies müßte aber die heute herrschende Auffassung des Bundesarbeitsgerichts und des Bundesverwaltungsgerichts zur organisationsrechtlichen Stellung des Arbeitgebers im Lohnsteuerabzugsverfahren auf Grund der sog. Redlichkeitspflicht des Arbeitnehmers annehmen. 23 Aus der Geltung des institutionellen Gesetzesvorbehalts für die Beleihung folgt, daß der Arbeitgeber nur insoweit an die Lohnsteuerrichtlinien gebunden ist, als diese auf Gesetz beruhen und damit lediglich gesetzesinterpretatorischen Charakter haben. Dafür spricht auch, daß der Arbeitgeber als Beliehener der Finanzverwaltung wie ein Außenstehender mit grundrechtsgeschütztem Status gegenübertritt, während die Lohnsteuerrichtlinien Vorschriften des Innenrechts sind (vgl. Einführung Abs. 1 LStR). Die Finanzverwaltung ist daher nicht befugt, dem Arbeitgeber über die Lohnsteuerrichtlinien Anweisungen zu erteilen, die durch das Gesetz nicht gedeckt sind. Die Richtlinien bilden insbesondere keine Ermächtigungsgrundlage für Eingriffe des Arbeitgebers in die Grundrechtssphäre des Arbeitnehmers, also eines Dritten. Dies hat zur Konsequenz, daß die Regelung des Abschn. 116 Abs. 2 Sätze 3, 4 LStR allein keine Ermächtigungsgrundlage für einen Auskunftsanspruch des Arbeitgebers gegen den Arbeitnehmer ist. Vgl. allgemein zur Bindung des Arbeitgebers an die Lohnsteuerrichtlinien: Becker / Riewald / Koch, § 131 RAO Anm. 3b (10), § 1 StAnpG Anm. 4f (3) - (5); Ossenbühl, Verwaltungsvorschriften, S. 430 (FN 367); Stolterfoht in Stolterfoht (Hrsg.), S. 175 (194 FN 102); Gast-de Haan in Stolterfoht (Hrsg.), S. 141 (156 f.); Steiner, Öffentliche Verwaltung, S. 192 (FN 882); Schick, Grundfragen, S. 28 f.; Kampe, S. 233; Kloubert, S. 55 - 58; Hahn, InstFSt Nr. 241, S. 88 ff.; Kloubert BB 1988, 1647 f.; Schick FR 1983, 500 (501). 24 So auch Wolf! / BachofI, § 30 III a 3 (S. 184); vgl. auch Tipke / Kruse, FVG, Vorbemerkung S. 3.

A. Steuerrechtliehe Betrachtung

111

erreicht. Man müßte dem Arbeitgeber konsequenterweise auch das Recht zugestehen, entweder die Abgabe der Auskunft zu erzwingen oder ihren Inhalt zu überprüfen, um bei Fehlerhaftigkeit der erteilten Auskunft die Höhe der Zuwendungen zu schätzen. Da aber weder die Abgabenordnung noch das Einkommensteuergesetz die Schätzung oder Vollstreckung einer Auskunft zu Gunsten des Arbeitgebers regelt, wäre eine solche nicht erzwingbar25 • Folglich gesteht die erstgenannte Ansicht dem Arbeitgeber keinen Auskunftsanspruch, sondern lediglich ein rechtlich nicht durchsetzbares Auskunftsrecht zu. Dieses erreicht das Ziel, die Besteuerung unmittelbarer Zuwendungen Dritter herbeizuführen, jedoch in keinem Fall. Weil mithin ein Auskunftsanspruch des Arbeitgebers nicht gesetzlich geregelt ist, dieser sich auch nicht aus § 38 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 EStG ergibt und man dem Arbeitgeber allenfalls ein rechtlich nicht durchsetzbares Auskunftsrecht zugestehen könnte, kann dieser von seinem Arbeitnehmer keine Auskunft über die Höhe der Zuwendungen Dritter verlangen. Die Sachverhaltsaufklärung des Arbeitgebers, und das gilt allgemein, findet somit ihre verfassungsrechtliche Grenze in der Freiheitssphäre des Arbeitnehmers.

1.3 Verfassungswidrigkeit des § 38 Abs. 1 Satz 2 EStG? Fraglich ist weiter, ob § 38 Abs. 1 Satz 2 EStG wegen der für den Arbeitgeber schwierigen (bzw. teilweise unmöglichen) Sachverhaltsaufklärung verfassungswidrig ist. Dies wird von verschiedenen Autoren angenommen26 • Sie berufen sich im Ergebnis auf einen Beschluß des Bundesverfassungsgerichts zur Kuponsteuer27 , dessen Grundsätze im wesentlichen auch auf das Lohnsteuerabzugsverfahren anwendbar sind 28 . In diesem Beschluß hat das Bundesverfassungsgericht die Auffassung vertreten, die Ermittlungspflicht der Kreditinstitute sei ohne besondere Schwierigkeiten im Rahmen des normalen Geschäftsbetriebes zu erfüllen. Daher sei die Mehrbelastung der Banken durch die Kuponsteuer angemessen und zumutbar29 ; die Regelungen über die Kuponsteuer seien also Berufsausübungsregelungen i. S. des Art. 12 Abs. 1 Satz 2 GG. Wenn nun der Arbeitgeber zur Lohnsteuereinbehaltung auch für Arbeitslohn verpflichtet werde, über den ihm die Sachherrschaft fehle, bereite ihm die Sachverhaltsaufklärung besondere Schwierigkeiten. Insbesondere weil ihm kein Auskunftsanspruch gegen den Arbeitnehmer zustehe, könne die 25 § 328 AO findet auf den Arbeitgeber keine Anwendung, da er nicht befugt ist, Verwaltungs akte zu erlassen. 26 So Lang StuW 1975, 113 (119); Stolterfoht, StRK Anm. § 19 EStG Abs. 1 Ziff. 1 R 523 (S. 5); Felix BB 1979, 100 (102). 27 Vgl. BVerfG Beschl. v. 29. 11. 1967 -1 BvR 175/66 - BVerfGE 22, 380. 28 So auch Hartz / Meeßen / Wolf, "Überblick über das Lohnsteuerrecht" unter 1.2. (S. XVI). 29 So BVerfG Besehl. v. 29.11. 1967 -1 BvR 175/66- BVerfGE 22, 380 (385 f.).

112

3. Abschn.: Außenverhältnis

Ermittlung der Tatsachen nicht mehr im Rahmen des normalen Geschäftsbetriebs erfüllt werden. Daher werde mit § 38 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 EStG der Rahmen einer herkömmlichen allgemeinen, für alle gleichen Dienstleistungspflicht überschritten. Aus diesem Grunde widerspreche diese Vorschrift im Gegensatz zu § 38 Abs. 1 Satz 1 EStG nicht nur dem Prinzip des Steuerabzugs an der Quelle, sondern bewirke zugleich auch einen mit Art. 12 Abs. 2 GG nicht zu vereinbarenden Arbeitszwang 3o • Dieser Auffassung kann m. E. nicht zugestimmt werden. Das Problem liegt jedoch nicht in der Verfassungswidrigkeit des § 38 Abs. 1 Satz 2 EStG begründet. Vielmehr ist die unbedingte gesetzliche Anknüpfung der Haftung wegen zuwenig einbehaltener Lohnsteuer (§ 42d Abs. 1 Nr. 1 1. Alt. EStG) an die Einbehaltungsverpflichtung das m. E. entscheidende Problem. Man wird daher mittels einer verfassungskonformen Auslegung der §§ 38 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 Satz 1; 42d Abs. 1 Nr. 1 1. Alt. EStG versuchen müssen, die Haftung wegen zuwenig einbehaltener Lohnsteuer von der Einbehaltungsverpflichtung zu trennen. Dadurch gelangt man im Ergebnis wieder zu einer für den Arbeitgeber einfach zu handhabenden Sachverhaltsaufklärung31 • Dieser Lösungsvorschlag soll im folgenden begründet werden. Man könnte die vorgeschlagene Trennung des § 38 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 EStG von § 42d Abs. 1 Nr. 1 1. Alt. EStG mittels einer Tatbestandsläsung im Rahmen des Haftungstatbestands durch eine analoge Anwendung der §§ 38 Abs. 4, 41c Abs. 4 EStG begründen: Der Arbeitgeber müßte also dem Betriebsstättenfinanzamt die Fälle anzeigen, in denen er aus tatsächlichen Gründen nicht in der Lage ist, die Lohnsteuer einzubehalten, weil der Arbeitnehmer ihm keine Auskunft über die Zuwendungen Dritter erteilt. Die Anzeige würde den Haftungstatbestand des § 42d Abs. 1 Nr. 1 1. Alt. EStG entfallen lassen. Diese Tatbestandslösung erscheint allerdings aus verschiedenen Gründen bedenklich: - Die §§ 38 Abs. 4, 41c Abs. 4 EStG setzen voraus, daß der Arbeitgeber die einzubehaltende Lohnsteuer kennt, da die Anzeige die von ihm berechnete Lohnsteuer zu beinhalten hat. Für die unmittelbaren Zuwendungen Dritter ist es aber gerade charakteristisch, daß der Arbeitgeber keine Kenntnis von der einzubehaltenden Lohnsteuer hat. Daher ist es schon fraglich, ob der Grundgedanke dieser Vorschriften auf die hier in Rede stehende Fallgruppe überhaupt anwendbar ist. 30 Allgemein zum Verhältnis der §§ 38 ff. EStG zu Art. 12 Abs. 1 und zu Art. 14 GG: vgl. Kloubert, S. 68 ff. 31 Zu weiteren Lösungsmöglichkeiten: vgl. Stolterfoht in Tipke (Hrsg.), S. 271 (299 f.).

A. Steuerrechtliche Betrachtung

113

- Die Lohnsteuer könnte auf Grund der Anzeige nicht mehr beim Arbeitnehmer nachgefordert werden: Mit der Anzeige entfällt einerseits der Haftungstatbestand des § 42d Abs. 1 Nr. 1 1. Alt. EStG; deshalb scheidet auch eine Nachforderung gemäß § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 EStG aus 32 • Als Nachforderungstatbestände kommen andererseits die §§ 38 Abs. 4 Satz 3, 41c Abs. 4 Satz 2 EStG analog ebenfalls nicht in Betracht, da auf Grund des Gesetzesvorbehalts eine Analogie zu Lasten des Steuerpflichtigen unzulässig ist, weil damit die Schaffung neuer Nachforderungstatbestände verbunden wäre 33 • Insbesondere dieses Ergebnis ist nicht gerecht, da der materielle Lohnsteueranspruch des Steuergläubigers gegen den Arbeitnehmer auch bei unmittelbaren Zuwendungen Dritter entstanden ist. Aus diesen Gründen scheidet m. E. die Trennung der Haftung von der Einbe haltung mittels einer Tatbestandslösung durch eine analoge Anwendung der §§ 38 Abs. 4, 41a Abs. 4 EStG aus. Die vorgeschlagene Trennung der Einbehaltungsverpflichtung aus § 38 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 EStG von der Haftung aus § 42d Abs. 1 Nr. 1 1. Alt. EStG läßt sich m. E. nur auf der Rechtsfolgenseite mittels einer Ermessenslösung im Rahmen des § 42d Abs. 3 Satz 2 EStG begründen: Gelangt der Arbeitgeber bei Zuwendungen Dritter an die Grenzen einer einfach zu handhabenden Sachverhaltsaufklärung, kann er sich durch eine Mitteilung an das Finanzamt von seiner Einbehaltungsverpflichtung aus § 38 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 EStG befreien. Diese Mitteilung ist dem Arbeitgeber zumutbar, da sie bei üblichen Zuwendungen Dritter ein Minus zur Einbehaltung ist 34 • Deshalb ist sie auch von der Einbehaltungsverpflichtung aus § 38 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 EStG gedeckt. Die Mitteilung hätte als Minus zur Anzeige i. S. der §§ 38 Abs. 4, 41c Abs. 4 EStG nur den Namen und die Anschrift des Arbeitnehmers zu beinhalten, dem üblicherweise Zuwendungen Dritter gemacht worden sind, für den aber keine Lohnsteuer einbehalten werden konnte 35 • Soweit der Arbeitgeber dem Betriebsstättenfinanzamt den Namen des Arbeitnehmers mitteilt, bewirkt die Erklärung eine Ermessensreduzierung auf 32

Denn das Tatbestandsmerkmal "im Rahmen der Gesamtschuldnerschaft" i. S. des

§ 42d Abs. 3 Satz 4 EStG ist mit dem Wegfall der Haftung des Arbeitgebers aus § 42d Abs. 1 Nr. 1 1. Alt. EStG nicht mehr erfüllt. 33 Zur Analogie zu Lasten eines Steuerpflichtigen: vgl. Tipke / Kruse, AO, § 4 Tz. 121; Spanner in Hübschmann / Hepp / Spitaler, § 4 AO Rz. 184d; Kühn / Kutter / Hofmann, Anhang zu § 4 AO Anm. Ib; Klein / Orlopp, § 4 AO Anm. 9; K. Koch in Koch, § 4 AO Rz. 18. 34 Die Mitteilung hat auch für den Arbeitnehmer (und deshalb auch für den Betriebsfrieden) den Vorteil, daß er sich vom Arbeitgeber nicht "ausforschen" lassen muß. 35 Die Mitteilung des Arbeitgebers ist auch dann zu bewirken, wenn abzusehen ist, daß die Zuwendungen Dritter nach § 3 Nr. 51 EStG steuerbefreit sein werden. Denn diese Entscheidung über die Steuerfreiheit kann erst getroffen werden, wenn die Höhe der Zuwendungen endgültig ermittelt ist.

8 Schäfer

114

3. Abschn.: Außenverhältnis

Null im Rahmen des Auswahlermessens unter den Gesamtschuldnern (vgl. § 42d Abs. 3 Satz 2 EStG). Der Arbeitgeber haftet also nicht. Das Betriebsstättenfinanzamt ist nunmehr gemäß § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 EStG verpflichtet, die Lohnsteuer nur noch vom Arbeitnehmer nachzufordern, indem es von ihm Auskunft über die Höhe der Zuwendungen nach §§ 93 Abs. 1 Satz 1,92 Satz 2 Nr. 1,88 AO i.V. mit § 78 Nr. 2 AO verlangt 36 • Unterläßt der Arbeitgeber jedoch sowohl die Einbehaltung der Lohnsteuer als auch die Mitteilung gegenüber der Finanzverwaltung, obwohl Zuwendungen Dritter im Rahmen des konkreten Dienstverhältnisses üblich sind, haftet er neben dem Arbeitnehmer als Steuerschuldner gemäß § 42d Abs. 1 Nr. 1 1. Alt. EStG. Den Umfang des Haftungsbetrags stellt das Finanzamt durch eine Auskunft beim Arbeitnehmer fest (§ 93 Abs. 1 Sätze 1,3 AO). Denn die Lohnsteuerschuld des Arbeitnehmers ist akzessorisch zur Haftungsschuld für zuwenig einbehaltene Lohnsteuer; daher haftet der Arbeitgeber im Umfang auf denselben Betrag, den der Arbeitnehmer noch schuldet. Mit dieser verfassungskonformen Ermessens/äsung wird einerseits gewährleistet, daß die Sachverhaltsaufklärung für den Arbeitgeber während des normalen Geschäftsbetriebs durchführbar bleibt und daher kein Verstoß des § 38 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 EStG gegen Art. 12 Abs. 2 GG vorliegt. Die Ermessenslösung führt aber auch andererseits zu der Möglichkeit einer Besteuerung von Lohnzahlungen Dritter und dient somit der materiellen Steuergerechtigkeit37 • Daher erscheint diese Lösung vorzugswürdig 38 •

36 So Abschn. 73 Abs. 5 LStR 1975; FG Baden-Württemberg Urt. v. 25. 9. 1984- IV 373/80 - EFG 1985,258 (260); Birkenfeld in Stolterfoht (Hrsg.), S. 245 (283). 37 Diese Ermessenslösung hat den weitergehenden Vorteil, daß § 38 Abs. 1 Satz 2 EStG in der Praxis nicht "leerläuft", da übliche Zuwendungen Dritter entweder über § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 EStG oder über § 38 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 EStG der Besteuerung unterliegen. 38 Schließlich ist zu § 38 Abs. 1 Satz 2 EStG zu bemerken, daß es in der Praxis wohl kaum zu einer Anwendung dieser Vorschrift i.V. mit § 38 Abs. 3 Satz 1 EStG kommen wird. Denn § 38 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 EStG setzt voraus, daß der Arbeitgeber "bei jeder Lohnzahlung" des Dritten Lohnsteuer einbehält (teilweise a.A. Gosch FR 1988, 119). Der Arbeitgeber müßte also im Augenblick der Zuwendung des Dritten (also z. B. mit jeder einzelnen Trinkgeldzahlung eines Gastes) die Lohnsteuer einbehalten. In der Regel wird der Arbeitgeber den Arbeitnehmer z. B. erst am Ende des Kalendermonats oder des Kalenderjahrs nach den Zuwendungen Dritter befragen. In diesem Fall ist der Arbeitslohn dem Arbeitnehmer schon längst zugeflossen. Daher kommt nur noch eine Anwendung des § 38 Abs. 1 Satz 2 EStG über § 41c Abs. 1 Nr. 2 EStG in Betracht. Dies .hat zur Folge, daß die hier bevorzugte Mitteilung als lex specialis der Anzeige aus § 41c Abs. 4 EStG vorgeht.

A. Steuerrechtliche Betrachtung

115

1.4 Zwischenergebnis Der Arbeitgeber ist zur Einbehaltung der Lohnsteuer gemäß § 38 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 EStG anläßlich von Zuwendungen Dritter verpflichtet. Dies gilt selbst bei unmittelbaren Leistungen Dritter, wenn dem Arbeitgeber also die Herrschaft über die Zuwendung in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht fehlt. Der Arbeitgeber hat den für die Besteuerung des Arbeitslohns relevanten Sachverhalt selbst aufzuklären. Dafür stehen ihm die der Finanzverwaltung gemäß §§ 88 ff. AO zustehenden Handlungsmöglichkeiten nicht zur Verfügung. Diese Vorschriften sind nur auf die organisationsrechtlichen Finanzbehörden i. S. der §§ 1,2 FVG anwendbar (vgl. § 6 Abs. 2 AO). Die Sachverhaltsaufklärung des Arbeitgebers findet ihre verfassungsrechtliche Grenze in der Freiheitssphäre des Arbeitnehmers. Weil für den Arbeitgeber ein Auskunftsanspruch gegen den Arbeitnehmer gesetzlich nicht geregelt ist, ist der Arbeitgeber nicht berechtigt, vom Arbeitnehmer eine Auskunft über die Höhe der unmittelbaren Zuwendungen Dritter zu verlangen. Unabhängig davon darf der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber jedoch (freiwillig) mitteilen, welche Zuwendungen er von Dritten erhalten hat. Soweit der Arbeitgeber zu einer ordnungsgemäßen Sachverhaltsaufklärung im Rahmen des § 38 Abs. 1 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 EStG nicht in der Lage ist, weil ihm die Sachherrschaft über die Zuwendung des Dritten fehlt und der Arbeitnehmer ihm keine zutreffenden Informationen über die Höhe dieser Zuwendungen zur Verfügung stellt, ist der Arbeitgeber befugt, sich durch eine Mitteilung an das Betriebsstättenfinanzamt von der Einbehaltung der Steuer zu befreien. Diese haftungsbefreiende Mitteilung hat lediglich den Namen und die Anschrift des Arbeitnehmers zu beinhalten, für den Lohnsteuer nicht einbehalten werden konnte. Daraufhin ist die Lohnsteuer gemäß § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 EStG nur noch vom Arbeitnehmer nachzufordern, weil die Mitteilung eine Ermessensreduzierung auf Null im Rahmen des Auswahlermessens des § 42d Abs. 3 Satz 2 EStG bewirkt. Unterläßt der Arbeitgeber jedoch sowohl die Mitteilung an das Finanzamt als auch die Einbehaltung der Steuer gemäß § 38 Abs. 1 Satz 2 EStG i.V. mit §§ 38 Abs. 3 Satz 1, 41c Abs. 1 Nr. 2 EStG, verwirklicht er den Haftungstatbestand des § 42d Abs. 1 Nr. 1 1. Alt. EStG. Da die Haftungsschuld des Arbeitgebers für zuwenig einbehaltene Lohnsteuer (§ 42d Abs. 1 Nr. 1 1. Alt. EStG) akzessorisch zur Lohnsteuerschuld des Arbeitnehmers ist, stellt das Finanzamt den Haftungsbetrag durch eine Auskunft beim Arbeitnehmer fest (§ 93 Abs. 1 Sätze 1,3 AO).

8*

116

3. Abschn.: Außenverhältnis 2. Rechtsnatur der Einbehaltung der Lohnsteuer

2.1 Meinungsstand Die Rechtsnatur der Einbehaltung der Lohnsteuer wird in der Literatur kontrovers diskutiert, und zwar auch unter den Autoren, die annehmen, der Arbeitgeber handele auf Grund hoheitlicher Befugnis39 • Die bisherigen Untersuchungen haben ergeben, daß die hoheitliche Wahrnehmung der Ausübungskompetenz der Lohnsteuereinbehaltung in drei Handlungsabschnitte gegliedert ist, nämlich in die Sachverhaltsaufklärung , die Berechnung der Lohnsteuer und - die tatsächliche Kürzung des Arbeitslohnanspruchs. 2.11 Auffassung Schicks

Schick ist der Auffassung, die Sachverhalts aufklärung und die Berechnung der Lohnsteuer aus Anlaß der Einbehaltung durch den Arbeitgeber entsprächen der Ermittlung und Steuerfestsetzung im behördlichen Besteuerungsverfahren 40 • Folglich sei die Berechnung der Lohnsteuer ein Steuerbescheid unter dem Vorbehalt der Nachprüfung 41 , der dem Arbeitnehmer mit der Gehaltsabrechnung bekannt gemacht werde 42 • 39 Folgt man der abzulehnenden Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und der des Bundesverwaltungsgerichts sowie den herrschenden Schrifttumsansichten, so sind die durch das Lohnsteuerrecht veranlaßten Rechtsverhältnisse zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer ausschließlich arbeitsrechtlich (i.w.S.) geprägt (vgl. auch BAG Urt. v. 20.3.1957-4 AZR 526/54-AP Nr. 1 [BI. 1] zu § 3 AVG; LAG Hamm Urt. v. 4.6. 1980 - 12 Sa 217/80 - DB 1980,2196; Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, § 71 15 [So 346]; Haarmann in Ziemer 1 Haarmann 1 Lohse 1 Beermann, Rz. 104117; Schmidt 1 Drenseck, § 38 EStG Anm. 1; Gi/oy BB 1983,2104). Folglich wird die Lohnsteuer vom privaten Arbeitgeber mit privatrechtlichen Befugnissen, hingegen vom staatlichen Arbeitgeber mit öffentlich-rechtlichen Befugnissen einbehalten. Diese Auffassung hat zur Konsequenz, daß der Arbeitnehmer seinen Rechtsschutz wegen zuviel einbehaltener Lohnsteuer durch den Arbeitgeber vor den Arbeitsgerichten (i.w.S.) geltend machen müßte. Er hätte also auf Erfüllung seines Vergütungsanspruchs mit der Begründung zu klagen, der Arbeitgeber habe ihm zuwenig Arbeitslohn ausbezahlt. Somit hätten die Arbeitsgerichte über die Höhe der vom Arbeitgeber einzubehaltenden Lohnsteuer, also über eine rein steuerrechtliche Frage zu befinden. Ferner hätte diese Auffassung zur Folge, daß die Regelungen über den betrieblichen LohnsteuerJahresausgleich (§ 42b EStG) überflüssig wären. Denn der Arbeitnehmer könnte z. B. seinen Dezembergehaltsanspruch vor den Arbeitsgerichten Mitte des Folgejahres mit der Begründung einklagen, daß die Jahreslohnsteuer zu hoch berechnet und ihm deswegen zuwenig Arbeitslohn ausgezahlt worden sei. 40 Schick, Grundfragen, S. 18 f.; vgl. auch Menger DÖV 1955, 587 (590 FN 31). 41 Schick, Grundfragen, S. 19. Anders Schick (in BB 1984, 733 [737]): In diesem Aufsatz erwähnt Schick den Vorbehalt der Nachprüfung nicht. 42 Die Auffassung von Schick hat für den Rechtsschutz des Arbeitnehmers wegen zuviel einbehaltener Lohnsteuer durch den Arbeitgeber folgende Konsequenz:

A. Steuerrechtliche Betrachtung

117

2.12 Auffassung Klauberts und des Bundesministers der Finanzen Einen zweiten Lösungsweg, den bereits der Bundesminister der Finanzen 43 in einer Stellungnahme vor dem Bundesverfassungsgericht vorgezeichnet hat, schlägt Klaubert zur Bestimmung der Rechtsnatur der Einbehaltung vor44 • Ebenso wie Schick ist er der Auffassung, es müsse zwischen den einzelnen Handlungsabschniuen der Einbehaltung differenziert werden. Jedoch erlasse der Arbeitgeber nicht nur mit der Berechnung der Lohnsteuer in der Gestalt der Gehaltsabrechnung einen Steuerbescheid, sondern auch die tatsächliche Kürzung des Arbeitslohnanspruchs sei ein Verwaltungsakt 45 • Der Arbeitnehmer habe eine Anfechtungsklage gegen den in der Gehaltsabrechnung liegenden Steuerbescheid gemäß § 40 Abs. 1 FGO zu erheben. Passivlegitimierter der Anfechtungsklage sei das Betriebsstättenfinanzamt, da der Arbeitgeber - so Schick als Organ der Finanzverwaltung handele (so Schick, Grundfragen, S. 36 f., 15). Der Anfechtungsklage habe der Einspruch gemäß § 348 AO vorauszugehen, wodurch die Erhebung einer Abgabe jedoch nicht aufgehalten werde (vgl. § 361 Abs. 1 Satz 1 AO). Dennoch könne die Finanzverwaltung die Aussetzung der Vollziehung anordnen, wenn anzunehmen sei, daß die Einbehaltung der Steuer nicht vorschriftsmäßig durchgeführt worden sei. Die Aussetzung sei jedoch problematisch, da der Steuerbescheid in der Gestalt der Gehaltsabrechnung und dessen Vollziehung (Einbehaltung) in einem Akt zusammenfielen. Daher könne die Vollziehung nicht mehr ausgesetzt werden. Vielmehr müsse die zuständige Finanzbehörde analog § 69 Abs. 3 Satz 3 FGO die Vollziehung, also die Einbehaltung der Lohnsteuer, aufheben (so Schick BB 1984,733 [738]. § 69 Abs. 3 Satz 4 FGO ist auf Verwaltungsbehörden entsprechend anwendbar, so Ziemer / Birkholz, § 69 FGO Rz. 55; Tipke / Kruse, FGO, § 69 Tz. 13). Dies bedeute die Rückgängigmachung des Lohnsteuerabzugs durch Erstattung des zuviel einbehaltenen Betrags. Erstattungspflichtig sei die zuständige Finanzbehörde und nicht der Arbeitgeber, denn die Einschaltung des Arbeitgebers in dieses Erstattungsverfahren widerspreche dem Wesen des Lohnsteuerabzugs (so Schick BB 1984,733 [738]). 43 In BVerfGE 43, 108 (114): Der Arbeitgeber erläßt "mit der Berechnung und Einbehaltung der Lohnsteuer ... gerichtlich überprüfbare Verwaltungsakte" . 44 So Kloubert, S. 24,29. 45 Die Auffassung Klouberts hat für den Rechtsschutz des Arbeitnehmers wegen zuviel einbehaltener Lohnsteuer durch den Arbeitgeber folgende Konsequenz: Da die Berechnung der Lohnsteuer ein Verwaltungsakt sei, der dem Arbeitnehmer durch die Gehaltsabrechnung bekanntgemacht werde, habe der Arbeitnehmer hiergegen Einspruch beim Arbeitgeber einzulegen (vgl. § 348 Abs. 1 Nr. 1 AO; so Kloubert, S. 81). Da die tatsächliche Kürzung des Arbeitslohnanspruchs ebenfalls ein Verwaltungsakt sei, habe der Arbeitnehmer hiergegen die Beschwerde einzulegen (vgl. § 349 Abs. 1 AO), denn bei der tatsächlichen Kürzung des Arbeitslohnanspruchs handele es sich rechtstechnisch gesehen um einen gesetzlich geregelten Fall der Vollstreckung in bewegliche Sachen gemäß § 296 Abs. 2 AO (so Kloubert, S. 81,25). Soweit der Arbeitgeber der Beschwerde nicht abhelfe, habe das Betriebsstättenfinanzamt die Beschwerdeentscheidung zu treffen (so Kloubert, S. 82). Offen bleiben bei dieser Auffassung zwei Fragen: Da die Berechnung der Lohnsteuer und ihre tatsächliche Kürzung in einem Akt zusammenfallen, ist zweifelhaft, in welchem Verhältnis der Einspruch zur Beschwerde steht. Es ist ferner problematisch, wie sich der Arbeitgeber zu verhalten hat, wenn er auf Grund einer stattgegebenen Beschwerde bzw. eines Einspruchs dem Arbeitnehmer die zuviel einbehaltene Lohnsteuer erstattet hat, aber der ursprünglich einbehaltene Betrag inzwischen abgeführt worden ist. Man wird dem Arbeitgeber dann wohl analog § 41c Abs. 2 Satz 2 EStG

118

3. Abschn.: Außenverhältnis

2.13 Auffassung Drensecks Im strikten Gegensatz zu den Auffassungen Schicks und Klouberts steht die Ansicht von Drenseck46 • Nach seiner Meinung ist die Einbehaltung - wohl als eine Einheit gesehen - eine tatsächliche Handlung ohne Verwaltungsaktqualität47 • 2.2 Eigene Auffassung Will man die Rechtsnatur der Lohnsteuereinbehaltung durch den Arbeitgeber untersuchen, sind m. E. zwei Fragen zu trennen: Zunächst ist entscheidend, welcher Handlungsabschnitt der Einbehaltung für die Bestimmung ihrer Rechtsnatur erheblich ist. Erst daran anschließend kann die Frage nach der Rechtsqualität der Handlung, also die Frage nach der Handlungsform untersucht werden, die diesem Handlungsabschnitt zugrunde liegt. 2.21 Ansatzpunkt für die Bestimmung der Rechtsnatur Fraglich ist zunächst, welcher Handlungsabschnitt für die Bestimmung der Rechtsnatur der Einbehaltung entscheidend ist. Schick, Kloubert und der Bundesminister der Finanzen sehen den maßgeblichen Abschnitt in der Berechnung der Lohnsteuer und betrachten diese als Steuerfestsetzung. Die tatsächliche Kürzung des Arbeitslohns ist nach ihrer Auffassung die Vollstreckung einer Steuerfestsetzung. Sie spalten damit den Vorgang der Einbehaltung der Lohnsteuer in die Verfahrensabschnitte auf, die dem behördlichen Besteuerungsverfahren entsprechen. Dieser Ausgangspunkt der Untersuchung ist aus mehreren Gründen bedenklich: - Die einzelnen Verfahrensabschnitte der Steuerfestsetzung und ihrer Vollstreckung sind im behördlichen Besteuerungsverfahren nicht nur in zeitlicher Hinsicht, sondern auch durch die zu erlassenden Bescheide streng einen Anspruch gegen das Betriebsstättenfinanzamt auf Erstattung der verausgabten Lohnsteuer zugestehen müssen. 46 In Stolterfoht (Hrsg.), S. 377 (385 f.). 47 Die Auffassung Drensecks hat für den Rechtsschutz des Arbeitnehmers gegen die Einbehaltung der Lohnsteuer durch den Arbeitgeber folgende Konsequenz: Da die Einbehaltung der Lohnsteuer nach Drensecks Auffassung eine tatsächliche Handlung sei, bestehe für den Arbeitnehmer nicht die Möglichkeit, Rechtsbehelfe der Abgabenordnung einzulegen. Der einzige Rechtsschutz sei für ihn die Anrufungsauskunft des § 42e EStG. Erst in späteren Verfahrensabschnitten könne der Arbeitnehmer Rechtsbehelfe gegen die nach seiner Meinung zu hohe Lohnsteuereinbehaltung geltend machen; dies soll nach Auffassung Drensecks die Anfechtung der Lohnsteuer-Anmeldung sein (so Drenseck in Stolterfoht [Hrsg.], S. 377 [385]).

A. Steuerrechtliche Betrachtung

119

gegliedert. Dies trifft auf die Einbehaltung nicht zu. Hier ist die zeitliche und die durch Bescheide verkörperte Trennung zwischen den einzelnen Handlungsabschnitten praktisch aufgehoben. Folglich sind die einzelnen Handlungsabschnitte der Lohnsteuereinbehaltung nicht in selbständige Teilakte aufteilbar. - Es erscheint ferner bedenklich anzunehmen, die Gehaltsabrechnung sei ein Steuerbescheid, denn, wie der Name bereits sagt, ist sie lediglich eine Informationsgrundlage für den Arbeitnehmer über den Verbleib seines Bruttoarbeitslohns. Sie ist daher keine Maßnahme i. S. des § 118 Satz 1 AO, da allein durch die Berechnung der Lohnsteuer die Rechtssphäre des Arbeitnehmers noch nicht berührt wird 48 • - Gegen den Verwaltungsaktcharakter der Lohnsteuerberechnung spricht im übrigen auch, daß Gehaltsabrechnungen keine Rechtsbehelfsbelehrungen beiliegen. - Entscheidend ist aber, daß die Gehaltsabrechnung dem Arbeitnehmer regelmäßig erst nach der tatsächlichen Kürzung des Arbeitslohnanspruchs zugeht. Nähme man an, die Gehaltsabrechnung verkörpere einen Steuerbescheid, würde insoweit eine noch nicht fällige Forderung vollstreckt werden (vgl. § 220 Abs. 2 Satz 2 AO). Die Vollstreckung einer noch nicht fälligen Forderung ist dem deutschen Recht fremd, besonders deshalb, weil dem Arbeitnehmer insoweit kein Rechtsbehelf zusteht. Aus diesen Gründen ist anzunehmen, daß die Berechnung der Lohnsteuer keinen Steuerbescheid verkörpert. Sie ist daher auch nicht der Handlungsabschnitt, der die Rechtsnatur der Einbehaltung bestimmt. Weil bei einer gesamtheitlichen Betrachtungsweise aus der Sicht aller Beteiligten die Einbehaltung als ein einheitlicher Vorgang erscheint, ist zwischen ihren einzelnen Handlungsabschnitten nicht zu unterscheiden. Daher ist für die Bestimmung der Rechtsnatur der letzte Handlungsabschnitt - nämlich die tatsächliche Kürzung des Arbeitslohnanspruchs - entscheidend, da nur dieser Handlungsabschnitt die steuerliche Rechtsfolge, das Erlöschen des Lohnsteuerschuldverhältnisses zwischen Arbeitnehmer und Steuergläubiger , auslöst 49 • Wird nach der hier vertretenen Auffassung somit die Rechtsnatur der Einbehaltung untersucht, so ist allein die Kürzung des Bruttoarbeitslohnan48 So ist der Arbeitgeber an die von ihm berechnete und in der Gehaltsabrechnung ausgewiesene Lohnsteuer zum Zwecke der tatsächlichen Kürzung des Arbeitslohnanspruchs nicht gebunden. Berechnet er beispielsweise einen Betrag von 80 DM und gibt er diesen Betrag in der Gehaltsabrechnung als einzubehaltende Lohnsteuer an, kann er - ohne daß allein dadurch eine Rechtsfolge ausgelöst wird - 60 oder 100 DM vom Arbeitslohn tatsächlich kürzen. Nur die tatsächliche Kürzung des Arbeitslohnanspruchs von 60 oder 100 DM berührt die Rechtssphäre des Arbeitnehmers und löst die steuerlichen Rechtsfolgen aus. 49 Insoweit (wohl) auch Drenseck in Stolterfoht (Hrsg.), S. 377 (385).

120

3. Abschn.: Außenverhältnis

spruchs bestimmend. Die Sachverhaltsermittlung und die Berechnung der Lohnsteuer bilden nach dieser Auffassung unselbständige Handlungsabschnitte, die nicht durch Rechtsbehelfe eigenständig angefochten werden können. Sie werden jedoch inzidenter überprüft, wenn ein Rechtsbehelf gegen die Einbehaltung zulässig ist.

2.22 Verwaltungsakt-Befugnis des Arbeitgebers? Als nächstes stellt sich die Frage nach der Rechtsnatur der Handlung, die der tatsächlichen Kürzung des Bruttolohnanspruchs zugrunde liegt. Die bisherigen Untersuchungen haben ergeben, daß der (private) Arbeitgeber (als ein Beliehener) im Außenverhältnis hoheitlich handelt 5o . Fraglich ist jedoch, in welcher hoheitlichen Handlungs/arm der Arbeitgeber den Arbeitslohnanspruch kürzt, mithin in das verfassungs rechtliche Eigentum des Arbeitnehmers eingreift: Entweder handelt der Arbeitgeber obrigkeitlich durch Verwaltungsakt oder die Einbehaltung stellt eine schlicht-hoheitliche Handlung dar. Die Erheblichkeit dieser Unterscheidung zeigen die möglichen Rechtsbehelfe des Arbeitnehmers gegen die Einbehaltung der Steuer. Handelt der Arbeitgeber mittels Verwaltungsakts, kommt nach einem Vorverfahren die Anfechtungsklage in Betracht (vgl. § 40 Abs. 1 1. Alt. FGO). Ist die Einbehaltung jedoch eine schlicht-hoheitliche Handlung, kommt die allgemeine Leistungsklage ohne Vorverfahren als Möglichkeit des Rechtsschutzes in Frage (vgl. § 40 Abs. 13. Alt. FGO)51. Die hier zu entscheidende Frage ist nicht mit Hilfe der Tatbestandsmerkmale des § 118 Satz 1 AO zu beantworten. Denn die Tatbestandsvoraussetzungen eines Verwaltungsakts wären mit der tatsächlichen Kürzung des Arbeitslohnanspruchs erfüllt: Die Einbehaltung der Lohnsteuer ist eine hoheitliche Handlung, die der Arbeitgeber als (funktionelle) Behörde 52 i. S. des § 6 Abs. 1 AO zur Regelung eines einzelnen Falles auf dem Gebiet des Steuerrechts trifft und welche die Rechtswirkung des § 47 AO unmittelbar

50 Die hoheitliche Handlungsbefugnis des Arbeitgebers ergibt sich schon aus der Anwendung der sog. Rechtsstellungstheorie, die als Voraussetzung für die Beleihung hoheitliches Handeln verlangt. 51 Beklagter beider Klagen wäre der Arbeitgeber, denn er handelt als ein Beliehener, also als selbständiger Hoheitsträger im eigenen Namen. Er ist daher Kläger oder Beklagter vor den Verwaltungsgerichten. So auch Steiner, Öffentliche Verwaltung, S. 227; Michaelis, S. 208 - 210; Stein er JuS 1969, 69 (75). 52 Entgegen Tipke / Kruse (AO, § 118 Tz. 2) sind auch die Voraussetzungen des Tatbestandsmerkmals der "Behörde" i. S. des § 118 Satz 1 AO erfüllt. Denn der private Arbeitgeber ist ein Beliehener, der in funktioneller Hinsicht Aufgaben der öffentlichen Verwaltung wahrnimmt (vgl. § 6 Abs. 1 AO; § 1 Abs. 4 VwVfG). So auch Kopp, VwVfG, § 1 Rz. 25.

A. Steuerrechtliche Betrachtung

121

herbeiführt. Dennoch handelt der Arbeitgeber lediglich schlicht-hoheitlich, da er nicht befugt ist, durch Verwaltungsakt zu handeln 53 • Die Verwaltungsakt-Befugnis einer Behörde oder eines Beliehenen ist ein allgemeines verfassungsrechtliches Problem des Gesetzesvorbehalts54 . Unstreitig ist, daß das Ob eines hoheitlichen Eingriffs in die Grundrechtssphäre des Bürgers unter den Gesetzesvorbehalt fällt 55 . Streitig ist jedoch, ob auch das Wie des hoheitlichen Eingriffs in die Grundrechtssphäre gesetzlich geregelt sein muß. Der Gesetzgeber hat dieses Problem des Gesetzesvorbehalts für das Steuerrecht teilweise erledigt. Er hat den Finanzbehörden gemäß § 155 Abs. 1 Satz 2 AO auferlegt, Steuern durch Verwaltungsakt festzusetzen, und ihnen dadurch insoweit die Verwaltungsakt-Befugnis verliehen 56 • Die Befugnis ist jedoch nur den Finanzbehörden i. S. der §§ 1,2 FVG erteilt worden (vgl. § 6 Abs. 2 AO). Die Regelung des § 155 Abs. 1 Satz 2 AO ist auf den Arbeitgeber nicht anwendbar: Eine unmittelbare Anwendung dieser Vorschrift scheidet aus, da der Arbeitgeber - selbst als Beliehener - keine Finanzbehörde i. S. des § 6 Abs. 2 AO ist. Eine entsprechende Anwendung des § 155 Abs. 1 Satz 2 AO scheidet aus, weil die Einbehaltung der Lohnsteuer nicht nur eine "Steuerfestsetzung" des Arbeitgebers, sondern zugleich auch eine Leistung des Arbeitnehmers beinhaltet57 • Somit fehlt eine gesetzliche Zuweisung der Verwaltungsakt-Befugnis an den Arbeitgeber. Daher wird für ihn als hoheitlich Handelnden die Frage aktuell, ob es für das Handeln durch Verwaltungs akt einer gesetzlichen Ermächtigung bedarf oder nicht5 8 . Hält man sie nicht für erforderlich, bestehen keine Bedenken mehr anzunehmen, mit der tatsächlichen Kürzung des Bruttoarbeitslohnanspruchs ergehe ein Verwaltungsakt. Hält man hingegen eine gesetzliche 53 Die nun folgenden Ausführungen gelten nicht nur für die Einbehaltung der Lohnsteuer (§ 38 Abs. 3 Satz 1 EStG), sondern auch für die Änderung des Lohnsteuerabzugs gemäß § 41c Abs. 1 EStG und den betrieblichen Lohnsteuer-Jahresausgleich (§ 42b Abs. 2 Satz 5 EStG), denn sie sind ihrer Rechtsnatur nach lediglich Änderungen der Einbehaltung. 54 So auch Kopp, VwVfG, § 35 Rz. 2; Wolf! / BachofI, § 44 III f (S. 354 f.); Menger / Erichsen, VerwArch Bd. 61 (1970), S. 168 (177 m.w.N.). 55 Weil das Ob eines Auskunftsanspruchs des Arbeitgebers gegen den Arbeitnehmer gesetzlich nicht geregelt ist, ist der Arbeitgeber nicht befugt, vom Arbeitnehmer Auskunft über die Höhe freiwilliger unmittelbarer Zuwendungen Dritter zu verlangen. 56 Entsprechendes gilt für einen Haftungsanspruch, der grundsätzlich einen Haftungsbescheid erfordert (vgl. § 191 Abs. 1 Satz 1 AO). 57 Mit der Einbehaltung der Lohnsteuer erbringt der Arbeitnehmer eine Leistung. Dies ergibt sich aus dem Tatbestandsmerkmal "für Rechnung des Arbeitnehmers" i. S. des § 38 Abs. 3 Satz 1 EStG. 58 Auch Stolterfoht (in Stolterfoht [Hrsg.], S. 472) sieht in dieser Fragestellung das wohl entscheidende Problem.

122

3. Abschn.: Außenverhältnis

Ermächtigung für ein Handeln durch Verwaltungsakt für notwendig, ist die Einbehaltung der Lohnsteuer eine schlicht-hoheitliche Handlung. Man wird wohl nicht allgemein argumentieren.können, es gäbe einen ungeschriebenen Satz des öffentlichen Rechts, wonach Behörden im Über- und Unterordnungsverhältnis im Zweifel auch zum Erlaß von Verwaltungsakten befugt seien59 • Entsprechendes gilt für die These, nach der Organe der vollziehenden Gewalt kraft Gewohnheitsrechts zum Erlaß von Verwaltungsakten befugt seien6o • Diesen Thesen wird man - wenn überhaupt - wohl nur für Behörden im organisationstechnischen Sinne zustimmen können, da diese sowohl vom Status als auch VOn der Funktion her gesehen öffentlich-rechtlich geprägt sind. Abzulehnen sind die Thesen jedoch für den Beliehenen. Dieser ist und bleibt statusrechtlich ein Privatrechtssubjekt, dem lediglich ein Stück öffentlicher Verwaltung zur Ausübung übertragen worden ist. Aus diesem Grunde kann bei einem Beliehenen von einem ungeschriebenen Rechtssatz bzw. von einem Gewohnheitsrecht zum Erlaß von Verwaltungsakten nicht gesprochen werden. Deshalb muß jedenfalls einem Beliehenen die Verwaltungsakt-Befugnis gesetzlich übertragen werden. Die gesetzliche Übertragung der Verwaltungsakt-Befugnis wird man m. E. für jedes behördliche Handeln zu verlangen haben61 • Diese Verallgemeinerung hat ihren Grund in der Rechtsnatur eines Verwaltungsakts. Diesen kennzeichnet eine Doppelnatur , indem er einerseits materielle Regelungen über das (Steuer-) Rechtsverhältnis beinhaltet und andererseits ein Verfahren oder einen Verfahrensabschnitt einleitet, fortführt oder beendet62 . Die Doppelnatur unterscheidet den Verwaltungsakt von der schlicht-hoheitlichen Handlung. Letztere beabsichtigt lediglich die Herbeiführung einer materiellen Regelung. Folglich liegt dem Verwaltungsakt eine wesentlich stärkere Eingriffswirkung in die Grundrechtssphäre des Bürgers zugrunde, da der Betroffene nun seinerseits eine für fehlerhaft gehaltene Handlung befristet anfechten muß. Damit trägt der Betroffene beim Verwaltungsakt ein ungleich größeres Prozeßrisiko als bei der schlicht-hoheitlichen Handlung, zum al bei letzterer der Handelnde die Darlegungslast zu tragen hat63 • Schon allein wegen dieser So Kopp, VwVfG, § 35 Rz. 2; Kopp, VwGO, § 42 Rz. 10. So noch BVerwG Urt. v. 17. 9. 1964 - II C 147.61- BVerwGE 19, 243 (245). Es erscheint schon zweifelhaft, ob es ein solches Gewohnheitsrecht angesichts der kontroversen obergerichtlichen Rechtsprechung und der sich widersprechenden Literaturmeinungen gibt. So auch OVG Lüneburg Urt. v. 15. 3. 1988 - 10 A 14/87 - NVwZ 1989,880 (881). 61 Die Verwaitungsakt-Befugnis für jedes behördliche Handeln ist besonders im Steuerrecht zu verlangen, weil der Gesetzgeber der Finanzverwaltung z. B. durch die §§ 155 Abs. 1 Satz 2, 191 Abs. 1 Satz 1 AO die Verwaltungsakt-Befugnis ausdrücklich verliehen hat. 62 So auch Tipke / Kruse, AO, vor § 118 Tz. 1; Löwenberg, S. 34. 63 So Löwenberg, S. 49. 59

60

A. Steuerrechtliche Betrachtung

123

stärkeren Eingriffswirkung des Verwaltungsakts64 ist sowohl für den Beliehenen als auch für die Behörde im organisationstechnischen Sinne zu verlangen, daß auf Grund des Gesetzesvorbehalts und aus Art. 20 Abs. 3 GG i.V. mit den Grundrechten ein Verwaltungsakt nur erlassen werden darf, wenn der Handelnde im einzelnen Fall kraft Gesetzes zum Handeln in dieser Form befugt ist65 • Da dem Arbeitgeber die Verwaltungsakt-Befugnis nicht durch Gesetz übertragen worden ist, sind die Einbehaltung der Lohnsteuer (§ 38 Abs. 3 Satz 1 EStG), die Änderung des Lohnsteuerabzugs gemäß § 41c Abs. 1 EStG und die Erstattung im Rahmen des betrieblichen Lohnsteuer-Jahresausgleichs (§ 42b Abs. 2 Satz 5 EStG) ihrer Rechtsqualität nach schlicht-hoheitliche Handlungen. Sie sind jedoch durch die Besonderheit gekennzeichnet, daß sie zugleich auch vollstreckenden Charakter haben 66 .

2.3 Zwischenergebnis Zur Bestimmung der Rechtsnatur der Lohnsteuereinbehaltung ist der letzte Handlungsabschnitt entscheidend, nämlich die tatsächliche Kürzung des Arbeitslohnanspruchs. Denn nur dieser Handlungsabschnitt bewirkt steuer64 Es ist ferner zu beachten, daß die Eingriffswirkung des Verwaltungsakts (§ 35 Satz 1 VwVfG) durch die Möglichkeit der Anordnung der sofortigen Vollziehung wesentlich verstärkt werden kann, vgl. § 80 Abs. 2 Nr. 4 VwGO. 65 So für das allgemeine Verwaltungsrecht: BVerwG Urt. v. 29. 11. 1985 - 8 C 105.83 - BVerwGE 72, 265; BVerwG Urt. v. 13. 2. 1976 - IV C 44.74 - BVerwGE 50, 171 (175); OVG Lüneburg Urt. v. 15. 3. 1988 -10 A 14/87 - NVwZ 1989, 880 (881); Wolff / Bachof I, § 44 III f (S. 354); Löwenberg, S. 52; Erichsen, VerwArch Bd. 68 (1977), S. 65 (72). So auch für das Sozialrecht: BSG Urt. v. 10. 11. 1972 - 5 RKn 81170 - NJW 1976, 776. 66 Ebenso Stolterfoht in Stolterfoht (Hrsg.), S. 472. Im übrigen hätte obrigkeitliches Handeln mittels Verwaltungsakts den weiteren "Nachteil", daß die Einbehaltung der Lohnsteuer in Bestandskraft erwachsen könnte. Die Bestandskraft liefe aber dem flexiblen Lohnsteuerabzugsverfahren zuwider. Alle sonstigen Handlungen des Arbeitgebers im Außenverhältnis sind m. E. ebenfalls schlicht-hoheitlich. Dies gilt beispielsweise - für die Herausgabe der Lohnsteuerkarte. Die Herausgabe muß der Arbeitnehmer, gestützt auf seine Herausgabeansprüche aus §§ 39b Abs. 1 Satz 3, 41b Abs. 1 Satz 4 EStG, mit der allgemeinen Leistungsklage gegen den Arbeitgeber vor den Finanzgerichten erzwingen. Deshalb ist die Lohnsteuerkarte kein "Arbeitspapier" i. S. des § 2 Abs. 1 Nr. 3 lit. e ArbGG (a. A. LAG Düsseldorf Urt. v. 21. 3. 1969 - 4 Sa 80/69DB 1969, 1343; Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, § 149 II 3 [So 1010]; Hartz / Meeßen / Wolf, "Steuerkarte" unter D.ll. [So 1166/1 m.w.N.]; Matthes DB 1968, 1578 [1579]. Becker-Schaffner [DB 1983, 1304] leiten den Herausgabeanspruch auch aus dem Arbeitsverhältnis und § 985 BGB ab). - für die Berichtigung der Lohnsteuer-Bescheinigung (a. A. FG Schleswig-Holstein, Urt. v. 11. 11. 1987 - I 464/87 - EFG 1988,245; Hartz / Meeßen / Wolf, "Lohnsteuerbelege" unter 2. [So 759]; Matthes DB 1968, 1578 [1581]). - für die Auszahlung der Arbeitnehmer-Sparzulage, Berlin-Zulage und Bergmannsprämie.

124

3. Abschn.: Außenverhältnis

rechtliche Rechtsfolgen, da nur die tatsächliche Kürzung des Arbeitslohnanspruchs das Lohnsteuerschuldverhältnis zwischen Arbeitnehmer und Steuergläubiger insoweit zum Erlöschen bringt. Die Sachverhaltsaufklärung und die Berechnung der Lohnsteuer sind unselbständige Handlungsabschnitte, die mit einem Rechtsbehelf nicht eigenständig angefochten werden können. Die tatsächliche Kürzung des Arbeitslohnanspruchs, die Einbehaltung der Lohnsteuer, ist eine schlicht-hoheitliche Handlung eines jeden Arbeitgebers oder einer öffentlichen Kasse, die als Besonderheit eine vollstreckende Wirkung hat. Die Einbehaltung der Steuer stellt keinen Verwaltungs akt dar, da dem Arbeitgeber oder der öffentlichen Kasse gesetzlich nicht die Befugnis übertragen worden ist, durch Verwaltungsakt zu handeln. Die hier vertretene Auffassung hat also zur Konsequenz, daß alle öffentlichen Kassen und alle Arbeitgeber, gleichgültig, ob sie zivilrecht li eh oder öffentlich-rechtlich organisiert sind, Lohnsteuer schlicht-hoheitlich einbehalten (§§ 38 Abs. 3 Satz 1, 41c Abs. 1 EStG) oder erstatten (§§ 41c Abs. 1, 42b Abs. 2 Satz 5 EStG). 3. Rechtsnatur der Eintragungen auf der Lohnsteuerkarte

Die Einbehaltung der Lohnsteuer (§ 38 Abs. 3 Satz 1 EStG), die Änderung des Lohnsteuerabzugs (§ 41c Abs. 1 EStG) und die Erstattung im Rahmen des betrieblichen Lohnsteuer-Jahresausgleichs (§ 42b Abs. 2 Satz 5 EStG) sind ihrer Rechtsnatur nach schlicht-hoheitliche Handlungen des Arbeitgebers. Fraglich ist, wie die hier vertretene Auffassung mit den Grundsätzen zu vereinbaren ist, die die Rechtsprechung und Literatur zur Rechtsnatur der Eintragungen auf der Lohnsteuerkarte entwickelt haben. Dies wird anhand eines Falles diskutiert, den der Bundesfinanzhof zu entscheiden hatte 67 : Auf der Lohnsteuerkarte eines Arbeitnehmers ist ein Freibetrag eingetragen. Nach Ablauf des Kalenderjahrs entdeckt das Finanzamt die Unrichtigkeit der Eintragung und ändert sie rückwirkend auf das vorherige Kalenderjahr. Daraufhin fordert es die zuwenig einbehaltene Lohnsteuer unmittelbar vom Arbeitnehmer nach, ohne zuvor die einzelnen Lohnsteuer-Anmeldungen des Arbeitgebers zu ändern.

Der Bundesfinanzhof hatte darüber zu entscheiden, welches die geeignete Ermächtigungsgrundlage für das Nachforderungsbegehren ist, da die Nachforderungstatbestände des Einkommensteuergesetzes nicht einschlägig waren. Er hat das Begehren der Finanzverwaltung auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO i. V. mit § 171 Abs. 10 AO gestützt. Die Literatur ist dieser Entscheidung gefolgt68 . Vgl. BFH Urt. v. 24. 9. 1982 - VI R 64/79 - BFHE 136, 484 = BStBi II 1983, 60. So Höllig in Koch, § 171 AO Rz. 4011; Hartz / Meeßen / Wolf, "Nachforderung von Lohnsteuer" unter B.I.6.; Nissen in Hartmann / Böttcher / Nissen / Bordewin, § 38 67

68

A. Steuerrechtliche Betrachtung

125

Die vom Bundesfinanzhof gewählte Ermächtigungsgrundlage des § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO setzt voraus, daß die Eintragung eines Freibetrags auf der Lohnsteuerkarte ein Grundlagenbescheid oder als ein solcher zu behandeln ist. Ein Grundlagenbescheid ist nach § 171 Abs. 10 AO ein Feststellungsbescheid, der für die Festsetzung einer Steuer bindend ist.

3.1 Eintragungen auf der Lohnsteuerkarte als Feststellungsbescheide Die für die Besteuerung des Arbeitslohns wesentlichen Eintragungen auf der Lohnsteuerkarte sind kraft Gesetzes Feststellungsbescheide (§§ 39 Abs. 3 Satz 7, 39a Abs. 4 Satz 1 EStG). Die in § 39 Abs. 3 Satz 7 EStG genannten Eintragungen (Familienstand, Steuerklasse, Zahl der Kinderfreibeträge, Zahl der Kinder) stellen einen jeweils eigenen Feststellungsbescheid dar. Dagegen werden die Freibeträge nur als Summe eingetragen (§ 39a Abs. 1 1. Halbs. EStG). Diese Summe - und nicht die einzelnen Beträge der Nm. 1 - 6 des § 39a Abs. 1 EStG - ist der Inhalt dieses Feststellungsbescheids. Daher können die einzelnen Beträge des § 39a Abs. 1 EStG nicht eigenständig angefochten werden. Die Lohnsteuerkarte bildet mithin eine Urkunde, auf der mehrere Feststellungsbescheide zusammengefaßt sind69 • Die auf der Lohnsteuerkarte zusammengefaßten Feststellungsbescheide stehen kraft Gesetzes unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (§§ 39 Abs. 3 Satz 7, 39a Abs. 4 Satz 1 EStG). Somit sind diese Bescheide der Bestandskraft nicht fähig und können daher jederzeit - auch nach Ablauf des Kalenderjahrs - rückwirkend geändert werden (vgl. §§ 164 Abs. 2 Satz 1, 181 Abs. 1 Satz 1, 179 Abs. 1 AOFo.

EStG Rz. 42; Grube in Littmann / Bitz / Meincke, 14. Aufl., § 39a EStG Rz. 61; Schmidt / Drenseck, § 39a EStG Anm. 8; v. Bornhaupt BB 1983, 106 (107). Wenn Drenseck (in Stolterfoht [Hrsg.], S. 377 [409 FN 97]) die Auffassung vertritt, materiell entstandene Steuern könnten auch ohne ausdrückliche Ermächtigungsnorm nachgefordert werden, so ist diese Auffassung aus zwei Gründen bedenklich: Schon allein die Existenz der Nachforderungstatbestände des Lohnsteuerrechts zeigt (z. B. §§ 38 Abs. 4 Satz 3; 39 Abs. 4 Satz 4, Abs. 5a Satz 4; 39a Abs. 6; 41c Abs. 4 Satz 2; 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 EStG), daß eine Nachforderung von Lohnsteuer nur erlaubt ist, wenn und soweit ein gesetzlicher Nachforderungstatbestand erfüllt ist; wollte man der Ansicht Drensecks folgen, wären diese Vorschriften überflüssig. Im übrigen ist es auch ein Gebot des Gesetzesvorbehalts, daß für diese Art der Eingriffsverwaltung unabhängig von der Frage des materiellen Entstehens des Lohnsteuerschuldverhältnisses - ein Nachforderungstatbestand gesetzlich geregelt sein muß. Ebenso: Hartz / Meeßen / Wolf, "Nachforderung von Lohnsteuer" unter B.I!. (S. 850/3). 69 Diese Feststellungsbescheide werden von den Gemeinden als örtliche Landesfinanzbehörden (§ 39 Abs. 2 Satz 1, Abs. 6 Satz 1 EStG) oder vom Wohnsitz-Finanzamt erlassen. 70 Vgl. dazu v. Bornhaupt BB 1983, 106 (107).

126

3. Abschn.: Außenverhältnis

3.2 Folgebescheide Damit der Bundesfinanzhof zu der oben genannten Ermächtigungsgrundlage für das Nachforderungsbegehren kommen konnte, müssen diese Feststellungsbescheide der Lohnsteuerkarte Bindungswirkung für einen Steuerbescheid erzeugen (§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO)?l. Die entscheidende Frage ist nun, in bezug auf welchen Folgebescheid die Eintragungen bindend sind. 3.21 Lohnsteuer-Anmeldung als Folgebescheid

In der Literatur wird von einigen Autoren die Auffassung vertreten, die Eintragungen auf der Lohnsteuerkarte seien Grundlagenbescheide für die Lohnsteuer-Anmeldungen des Arbeitgebers 72 • Gegen diese Auffassung spricht, daß es an einer ausdrücklichen gesetzlichen Regelung fehlt, wonach die Eintragungen auf der Lohnsteuerkarte auch für die Lohnsteuer-Anmeldung bindend sind (vgl. aber § 39b Abs. 1 Satz 4 1. Halbs. EStG). Wäre der Bundesfinanzhof der geschilderten Auffassung gefolgt, wäre im obigen Fall nicht § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO die Ermächtigungsnorm für das Nachforderungsbegehren gewesen, sondern § 41c Abs. 4 Satz 2 EStG: Denn das Finanzamt hätte vor der Nachforderung beim Arbeitnehmer jede einzelne Lohnsteuer-Anmeldung des Arbeitgebers gemäß § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO ändern müssen 73 . Daraufhin hätte dem Arbeitgeber die geänderte Lohnsteuerkarte vorgelegt werden müssen, damit er die zuwenig erhobene Lohnsteuer gemäß § 41c Abs. 1 Nr. 1 EStG bei der nächsten Lohnzahlung hätte nachträglich einbehalten können. Nach Ablauf des Kalenderjahrs wäre er dazu nicht mehr in der Lage gewesen (vgl. § 41c Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 EStG). Dies hätte er dem Finanzamt anzeigen müssen, woraufhin dieses zur Nachforderung beim Arbeitnehmer auf Grund des § 41c Abs. 4 Satz 2 EStG verpflichtet gewesen wäre. Diesen verwaltungstechnisch komplizierten Weg hat der Bundesfinanzhof nicht beschritten. Daraus kann zweierlei geschlossen werden: Entweder ist die Lohnsteuer-Anmeldung kein Folgebescheid der auf der Lohnsteuerkarte ausgewiesenen Feststellungsbescheide74 oder die Eintragungen erzeugen Bindungswirkung noch in eine weitere Richtung75 . 71 Würde es an einer solchen Bindungswirkung fehlen, käme als Ermächtigungsgrundlage für die Nachforderung § 175 Abs. 1 Nr. 2 AO in Frage: vgl. v. Bornhaupt BB 1983, 106 (107). 72 So Schmidt / Drenseck, § 39a EStG Anm. 8; Tipke / Kruse, AO, vor § 172 Tz. 4; Drenseck in Stolterfoht (Hrsg.), S. 377 (384); Giloy FR 1983, 528 (529). 73 So auch Hartz / Meeßen / Wolf, "Grundlagenbescheid" (S. 564/2). "Steuerbescheid" i. S. des § 175 AO ist der Folgebescheid: vgl. Tipke / Kruse, AO, § 175 Tz. 1. 74 Für diese Alternative spricht viel, besonders die Rechtsnatur der Forderung, die der Arbeitgeber in der Lohnsteuer-Anmeldung erklärt. Vgl. dazu S. 175ff.

A. Steuerrechtliche Betrachtung

127

3.22 Einbehaltung der Lohnsteuer durch den Arbeitgeber "als" Folgebescheid Als letzte Möglichkeit verbleibt nur noch die Bindungswirkung der Feststellungsbescheide in bezug auf die Einbehaltung der Steuer, die Änderung des Lohnsteuerabzugs und den betrieblichen Lohnsteuer-Jahresausgleich. Jedoch setzt der Arbeitgeber keine Steuer fest, da er nicht befugt ist, mittels Verwaltungsakts zu handeln76 . Daher sind die auf der Lohnsteuerkarte niedergelegten Feststellungsbescheide keine Grundlagenbescheide i. S. des § 171 Abs. 10 AG. Es scheidet mithin eine unmittelbare Anwendung des § 171 Abs. 10 AG aus. Jedoch behandelt der Bundesfinanzhof die auf der Lohnsteuerkarte zusammengefaßten Feststellungsbescheide wie Grundlagenbescheide (§ 171 Abs. 10 AG analog). Entscheidend ist für diese Auffassung, daß der Arbeitgeber gemäß §§ 38a Abs. 4, 39b Abs. 1 Satz 4 1. Halbs. EStG in bezug auf die Einbehaltung, die Änderung des Lohnsteuerabzugs und den betrieblichen Lohnsteuer-Jahresausgleich an die Eintragungen auf der Lohnsteuerkarte gebunden ist. So heißt es in dem Urteil: Der auf der Lohnsteuerkarte eingetragene Freibetrag "ist als Grundlagenbescheid i. S. des § 171 Abs. 10 AG 1977 anzusehen. Als eine gesonderte Feststellung einer Besteuerungsgrundlage i. S. des § 179 Abs. 1 AG 1977 ... ist er bei der Durchführung des Lohnsteuerabzugs (§ 38a Abs. 4 EStG) zu berücksichtigen"77. Damit erkennt der Bundesfinanzhof folgendes an: 1. Die Einbehaltung der Lohnsteuer ist ihrer Rechtsnatur nach als Einheit anzusehen. Sie setzt sich nicht aus verschiedenen Akten zusammen. 2. Der Arbeitgeber handelt nicht mittels eines Verwaltungsakts. Ansonsten hätte der erste Satz des Zitats lauten müssen: Der auf der Lohnsteuerkarte eingetragene Freibetrag ist ein Grundlagenbescheid i. S. des § 171 Abs. 10 AG.

3. Die Einbehaltung ist mit einer Steuerfestsetzung des Finanzamts vergleichbar. Daher ist die Analogie des § 171 Abs. 10 AG gerechtfertigt. Sie ist besonders keine Handlung privatrechtlicher Art, denn sonst wäre diese Analogie schlichtweg unhaltbar.

75 In dieser Hinsicht scheiden die Steuerbescheide über die Veranlagung zur Einkommensteuer oder über den Erstattungsanspruch im behördlichen Lohnsteuer-Jahresausgleich als Folgebescheide aus, da das Finanzamt insoweit an die Eintragungen bzw. Feststellungsbescheide nicht gebunden ist; Rückschluß aus § 42b Abs. 2 Satz 4 EStG. 76 So auch Hartz / Meeßen / Wolf, "Grundlagenbescheid" (S. 564/2). 77 BFH Urt. v. 24. 9. 1982 - VI R 64/79 - BFHE 136,484 (486) = BStBi II 1983, 60 (61). Hervorhebung vom Verfasser.

128

3. Abschn.: Außenverhältnis

4. Der Arbeitgeber handelt anläßlich der Einbehaltung hoheitlich, also - da es sich nicht um einen Verwaltungs akt handelt - schlicht-hoheitlich. Dies ist die Bestätigung der hier vertretenen Auffassung, nämlich, daß der Arbeitgeber im Rahmen der Einbehaltung (i.w.S.) schlicht-hoheitlich handelt und der private Arbeitgeber im Außenverhältnis ein Beliehener ist. Aus diesem Grunde kann man m. E. dem Bundesfinanzhof nur zustimmen, wenn er das Nachforderungsbegehren des Finanzamts im obigen Fall auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO stützt. Denn die Einbehaltung ("als" Steuerbescheid i. S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 AO) wird durch den Steuerbescheid (der Nachforderung) geändert i. S. des § 175 Abs. 1 Satz 1 3. Alt. AO, wenn die Feststellungsbescheide auf der Lohnsteuerkarte ("als" Grundlagenbescheide ) geändert werden (§ 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 A0)78. 4. Rechtsschutz des Arbeitnehmers gegen die EinbehaItung der Lohnsteuer

Fraglich ist, welche Rechtsschutzmöglichkeiten der Arbeitnehmer ergreifen kann, wenn er glaubt, der Arbeitgeber habe ihm im Lohnsteuerabzug während des laufenden Kalenderjahrs für den einzelnen Lohnzahlungszeitraum zuviel Lohnsteuer einbehalten (§ 38 Abs. 3 Satz 1 EStG)79.

78 Diese Auffassung hat für das Verhältnis von § 41c Abs. 1 Nr. 1 EStG zu § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO folgende Konsequenz: Die Eintragungen auf der Lohnsteuerkarte sind als Grundlagenbescheide für die Einbehaltung zu behandeln (§ 171 Abs. 10 AO analog). Wird eine Eintragung und damit ein Feststellungsbescheid geändert, und wird die geänderte Lohnsteuerkarte dem Arbeitgeber nicht vorgelegt, ist der Nachforderungsanspruch uneingeschränkt auf § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO zu stützen, es sei denn, diese allgemeine Vorschrift wird durch die spezielleren der §§ 39 Abs. 4 Satz 4, Abs. 5a Satz 4; 39a Abs. 6 EStG verdrängt. Für diese Nachforderung ist der geänderte Feststellungsbescheid auf der Lohnsteuerkarte der Grundlagenbescheid (§ 171 Abs. 10 AO unmittelbar). Daher ist das Finanzamt in bezug auf die Nachforderung der Lohnsteuer an die Eintragungen - auch nach Ablauf des Kalenderjahrs - gebunden (so auch Hartz 1 Meeßen 1 Wolf, "Grundlagenbescheid" [So 564/3]; a.A. Fichtelmann DStR 1966, 535 [536 f.D. Wird die geänderte Lohnsteuerkarte dem Arbeitgeber jedoch vorgelegt, geht § 41c Abs. 1 Nr. 1 EStG (und deshalb auch die Nachforderungstatbestände der §§ 39 Abs. 4 Satz 4, Abs. 5a Satz 4; 39a Abs. 6; 41c Abs. 4 Satz 2 EStG) als \ex specialis der allgemeinen Regelung des § 175 AO vor. Diese Spezialität hat zur Konsequenz, daß Beträge unter 20 DM, die gemäß §§ 39 Abs. 4 Satz 4, Abs. 5a Satz 4; 39a Abs. 6; 41c Abs. 4 Satz 2 EStG nicht nachforderbar sind, nicht aus § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO nachgefordert werden können. Im Ergebnis ebenso: Hartz 1 Meeßen 1 Wolf, "Nachforderung von Lohnsteuer" unter B.1.6. (S. 846/8). 79 Entdeckt der Arbeitgeber, daß er bisher zuviel oder zuwenig Lohnsteuer einbehalten hat, ist er gemäß § 41c Abs. 1 Nr. 2 EStG bei der nächsten Lohnzahlung berechtigt, den Lohnsteuerabzug ganz oder teilweise zu ändern.

A. Steuerrechtliche Betrachtung

129

4.1 Allgemeines Im Hinblick auf verschiedentliche Äußerungen in der Literatur erscheint es notwendig, den Gegenstand der nun folgenden Untersuchung zu präzisieren. Im Schrifttum wird die Frage diskutiert, ob dem Arbeitnehmer Rechtsschutz gegen die zuviel einbehaltene Lohnsteuer zu gewähren ist, die der Arbeitgeber abgeführt hat 80 . Wie problematisch diese Zusammenfassung von Einbehaltung und Abführung zu einem einheitlichen Komplex werden kann, soll an einem Fall gezeigt werden: Ein Arbeitgeber hat 100 DM Lohnsteuer einzubehalten. Er behält 120 DM ein, meldet sie an und fällt in Konkurs. Die Konkursquote beträgt im Ergebnis 100 DM. Dieser Betrag wird auch an das Finanzamt abgeführt.

Nähme man an, für die Frage des Rechtsschutzes komme es auf den einbehaltenen und abgeführten Betrag an, so könnte ein möglicher Erstattungsanspruch des Arbeitnehmers gegen das Finanzamt über 20 DM entfallen sein, weil der Steuergläubiger im Umfang seines materiellen Steueranspruchs befriedigt worden ist. Ein Wegfall des Erstattungsanspruchs wäre aber bedenklich: Die Lohnsteuerschuld des Arbeitnehmers erlischt nämlich bereits mit der Einbehaltung der Steuer, und der Rechtsschutz des Betroffenen knüpft jeweils an die Handlung an, welche die Rechtsfolge auslöst. Deswegen ist zwischen der Einbehaltung bzw. dem einbehaltenen Betrag und der Abführung bzw. dem abgeführten Betrag zu unterscheiden. Für beide Verfahrensabschnitte bzw. Beträge ist getrennt zu untersuchen, ob dem Arbeitnehmer gegen eine dieser Handlungen oder - möglicherweise - gegen beide Rechtsschutz zusteht.

4.2 Rechtsschutz des Arbeitnehmers gegen die Einbehaltung der Lohnsteuer gemäß § 38 Abs. 3 Satz 1 EStG 4.21 Möglichkeiten des Rechtsschutzes Glaubt der Arbeitnehmer, der Arbeitgeber habe ihm im Steuerabzug des laufenden Kalenderjahrs für einen einzelnen Lohnzahlungszeitraum zuviel Lohnsteuer einbehalten, kommt für ihn doppelter Rechtsschutz in Frage 81 : Er 80 So Tipke / Kruse, AO, § 37 Tz. 11; Grube in Littmann / Bitz / Meincke, 14. Aufl., § 38 EStG Rz. 28; Schmidt / Drenseck, § 42 EStG Anm. 5d; Drenseck, Erstattungs-

recht, S. 82; Mihatsch FR 1979, 526 (531). 81 Die Frage nach dem Rechtsschutz des Arbeitnehmers gegen die Einbehaltung der Lohnsteuer durch den Arbeitgeber stellt sich für alle diejenigen Autoren nicht, die annehmen, die Lohnsteuerschuld erlösche nicht erst in Höhe des abgeführten Betrags (zum Meinungsstand: vgl. S. 27 ff.). Es wäre mit dem subjektiven Recht auf Rechtsschutz des Art. 19 Abs. 4 GG, welches die Qualität eines Grundrechts hat (so auch SchmidtAßmann in Maunz / Dürig / Herzog / Schatz, Art. 19 GG IV Rz. 7; Herzog in 9 Schüfer

130

3. Abschn.: Außenverhältnis

könnte sich einerseits an sein Wohnsitz-Finanzamt (vgl. § 42c Abs. 2 EStG82) wenden und von diesem die zuviel einbehaltene Lohnsteuer erstattet verlangen (§ 37 Abs. 2 Satz 1 AO). Er könnte aber auch andererseits mit der allgemeinen Leistungsklage vom Arbeitgeber die Herausgabe des schlicht-hoheitlich zuviel einbehaltenen Betrages verlangen. 4.22 Erstattung durch das Finanzamt gemäß § 37 Abs. 2 Satz 1 AO analog Dem Arbeitnehmer ist die vom Arbeitgeber zuviel einbehaltene Lohnsteuer vom Wohnsitz-Finanzamt zu erstatten, wenn § 37 Abs. 2 Satz 1 AO für den Lohnsteuerabzug des laufenden Kalenderjahrs anwendbar ist und die Tatbestandsmerkmale dieser Norm erfüllt sind.

4.221 Anwendbarkeit des § 37 Abs. 2 Satz 1 AG im laufenden Kalenderjahr Ob § 37 Abs. 2 AO während des laufenden Kalenderjahrs - also für die Lohnsteuerschuld der einzelnen Lohnzahlungszeiträume - anwendbar ist, wird in der Literatur kontrovers diskutiert. Den Meinungsstreit haben die Entscheidungsgründe eines Urteils des Bundesfinanzhofs zum Verhältnis des allgemeinen Erstattungsanspruchs aus § 37 Abs. 2 Satz 1 AO zu den Erstattungsansprüchen aus dem behördlichen Lohnsteuer-Jahresausgleich (§§ 42 Abs. 4 Satz 5, 42a Abs. 2 Satz 5 EStG) ausgelöst. In dem Urteil heißt es: Der Erstattungsanspruch aus dem Lohnsteuer-Jahresausgleich geht "als lex specialis dem allgemeinen, nicht auf bestimmte Steuerarten beschränkten Steuererstattungsanspruch des § 37 Abs. 2 AO 1977 im Range vor, soweit hiervon die Erstattung von Lohnsteuer betroffen wird, die von Anfang an ohne rechtlichen Grund einbehalten wurde oder bei denen der rechtliche Grund für die Zahlung bis zum Ablauf der vorgenannten Antragsfrist des § 42 Abs. 2 Satz 3 EStG weggefallen ist"83. Maunz / Dürig / Herzog / Scholz, Vorbem. zu Art. 19 GG Rz. 5), schlechterdings unvereinbar, wollte man annehmen, dem Arbeitnehmer stünde gegen die Einbehaltung der Lohnsteuer kein Rechtsschutz zu (so auch Stolterfoht in Stolterfoht [Hrsg.], S. 175 [204]; Kloubert, S. 79). Denn der Arbeitgeber kürzt mit dieser schlicht-hoheitlichen Handlung den Bruttoarbeitslohnanspruch des Arbeitnehmers. Der Arbeitgeber greift damit in das verfassungsrechtliche Eigentum, also in die Grundrechte des Arbeitnehmers ein. Diese weitergehende Überlegung zeigt, wie zutreffend es ist anzunehmen, daß die Lohnsteuerschuld des Arbeitnehmers stets in Höhe des einbehaltenen Betrages erlischt. 82 § 42c Abs. 2 EStG ist letztmalig für das Kalenderjahr 1987 anzuwenden; vgl. § 52 Abs. 27 StRefG 1990 (BStBI I 1988,237). Künftig finden die allgemeinen Regelungen der §§ 17 ff. AO Anwendung. 83 BFH Urt. v. 20. 5. 1983 - VI R 111/81 - BFHE 138, 413 (415) = BStBi II 1983, 584 (585).

A. Steuerrechtliche Betrachtung

131

Diese Entscheidungsgründe werden teilweise in dem Sinne verstanden, daß der Erstattungsanspruch aus dem behördlichen Lohnsteuer-Jahresausgleich auf Grund einer lex specialis jeden anderen Erstattungsanspruch gegen das Finanzamt ausschließe. Folglich sei § 37 Abs. 2 Satz 1 AG im laufenden Kalenderjahr nicht anwendbar84 . Diese Auffassung hat zur Konsequenz, daß ein Arbeitnehmer, dem während des laufenden Kalenderjahrs zuviel Lohnsteuer einbehalten worden ist, erst im Folgejahr mit einem Antrag auf Durchführung eines behördlichen Lohnsteuer-Jahresausgleichs den zuviel einbehaltenen Betrag erstattet verlangen kann. Die bei weitem herrschende Auffassung versteht die Urteilsbegründung in einem anderen Sinne: Der allgemeine Erstattungsanspruch des § 37 Abs. 2 Satz 1 AG dürfe nicht' zu einer Umgehung des besonderen Erstattungsanspruchs aus dem behördlichen Lohnsteuer-Jahresausgleich führen. Da ein Jahresausgleich nur für die Jahreslohnsteuer durchgeführt werde, sei § 37 Abs. 2 Satz 1 AG während des laufenden Kalenderjahrs und bezüglich der einzelnen Lohnzahlungszeiträume anwendbar 85 • Letzterer Auffassung ist zuzustimmen, da eine Vorschrift nur insoweit lex specialis zu einer anderen sein kann, als ihr eigener Regelungsinhalt reicht. Die Vorschrift des § 42 EStG hat ihre Hauptbedeutung für das abgelaufene Kalenderj ahr, für den Jahresarbeitslohn und für die Jahreslohnsteuer (vgl. § 42 Abs. 1 Satz 1 EStG). Nur soweit dieser Regelungsinhalt betroffen ist, verdrängen die spezielleren Erstattungsnormen der §§ 42 Abs. 4 Satz 5, 42a Abs. 2 Satz 5 EStG die generelle des § 37 Abs. 2 AG. Würde man dem nicht folgen, könnten die besonderen Antragsfristen des Jahresausgleichs (vgl. § 42 Abs. 2 Satz 3 EStG) und der besondere Bescheid des § 42 Abs. 5 EStG umgangen werden 86 • Dies bedeutet aber umgekehrt, daß § 37 Abs. 2 AG uneingeschränkt anwendbar ist, soweit die Voraussetzungen des § 42 EStG nicht erfüllt sind 87 • Deshalb ist § 37 Abs. 2 AG regelmäßig auch für den Lohnsteuerabzug des laufenden Kalenderjahrs und bezüglich des einzelnen Lohnzahlungszeitraums 84 So Klein / Orlopp, § 37 AO Anm. 8; Schwarz in Schwarz, § 37 AO Rz. 10 (S. 9); Birkenfeld in Stolterfoht (Hrsg.), S. 245 (267 FN 139); Thiel DB 1988, 1343 (1346); Giloy BB 1983,2104 (2106). 85 So Abschn. 137 Abs. 6 Satz 4 LStR; Tipke / Kruse, AO, § 37 Tz. 11; Halaczinsky in Koch, § 37 AO Rz. 12; Hartz / Meeßen / Wolf, "Erstattung von Lohnsteuer" unter C.!. (S. 458); Baumdicker in Hartmann / Böttcher / Nissen / Bordewin, § 42 EStG Rz. 29; Grube in Littmann / Bitz / Meincke, 14. Aufl., §§ 42 - 42c EStG Rz. 54; Altehoefer in Lademann / Söffing / BrockhoJf, § 42 EStG Rz. 68a; Drenseck in Stolterfoht (Hrsg.), S. 377 (410); Stolterfoht in Stolterfoht (Hrsg.), S. 175 (204); Ranft / Lange, 4.1.16 (S. 162 f.). 86 So auch FG Bremen Urt. v. 24. 4. 1981 - 1201180 K - EFG 1981, 507 (508). 87 So ist § 37 Abs. 2 AO uneingeschränkt anwendbar, wenn ein Arbeitnehmer beschränkt steuerpflichtig ist. So auch FG Hamburg Urt. v. 2. 12. 1983 - VII 65/82 EFG 1984, 295 (296).

9'

132

3. Abschn.: AußenverhäItnis

anwendbar, da insoweit die Durchführung eines behördlichen LohnsteuerJahresausgleichs grundsätzlich nicht zulässig ist. Ausnahmsweise ist die Anwendung des § 37 Abs. 2 AO während des laufenden Kalenderjahrs jedoch ausgeschlossen, dann nämlich, wenn die unbeschränkte Steuerpflicht des Arbeitnehmers entfallen ist; denn in diesem Ausnahmefall ist die Durchführung eines behördlichen Lohnsteuer-Jahresausgleichs sofort, also auch während des laufenden Kalenderjahrs zulässig (vgl. § 42 Abs. 2 Satz 2 EStG). Mithin ist § 37 Abs. 2 Satz 1 AO, von dem Ausnahmefall des § 42 Abs. 2 Satz 2 EStG abgesehen, im laufenden Kalenderjahr und für die anteilige Jahreslohnsteuer des unbeschränkt steuerpflichtigen Arbeitnehmers anwendbar. 4.222 Tatbestandsvoraussetzungen des § 37 Abs. 2 Satz 1 AG Tatbestandsvoraussetzung des § 37 Abs. 2 Satz 1 AO ist, daß jemand eine Steuer ohne rechtlichen Grund gezahlt hat. Unzweifelhaft hat der Arbeitnehmer "ohne rechtlichen Grund" geleistet, wenn ihm der Arbeitgeber für seine Rechnung mehr Lohnsteuer einbehalten hat, als er einzubehalten hatte (vgl. § 38 Abs. 3 Satz 1 EStG). Fraglich aber ist, ob mit der Einbehaltung von Lohnsteuer auch das Tatbestandsmerkmal der "Zahlung" i. S. des § 37 Abs. 2 AO erfüllt ist. Zahlung bedeutet jedenfalls nicht nur Zahlung i. S. des § 224 A088, sondern meint jeden Fall der Erfüllung. Denn es wäre nicht einsichtig, würde nur eine Zahlung i. S. des § 224 AO zu einer Erstattung führen, nicht jedoch beispielsweise eine Aufrechnung, wo doch beide das Steuerschuldverhältnis zum Erlöschen bringen (§ 47 AO). Daher ist es für das Tatbestandsmerkmal der Zahlung i. S. des § 37 Abs. 2 AO gleichgültig, ob die Erfüllung im Wege der Zahlung gemäß § 224 AO, der Aufrechnung oder der Vollstreckung erfolgt. Aber das Gesetz geht mit dem Begriff der Zahlung i. S. des § 37 Abs. 2 AO ersichtlich davon aus, daß die Leistung dem Steuergläubiger gegenüber zu erbringen ist89 . Dies trifft auf die Einbehaltung der Steuer nicht zu, denn hier erbringt der Arbeitnehmer die von ihm geschuldete Leistung nicht an den Steuergläubiger, sondern an einen Dritten, den Arbeitgeber9o . Daher scheidet eine unmittelbare Anwendung des § 37 Abs. 2 Satz 1 AO aus. In Frage kommt somit lediglich eine entsprechende Anwendung des § 37 Abs. 2 Satz 1 AO zugunsten des Steuerschuldners. Die Voraussetzungen der So aber Gast-de Haan in Stolterfoht (Hrsg.), S. 141 (147). So auch Tipke / Kruse (AO, § 37 Tz. 11) und Drenseck (ErstaUungsrecht, S. 82), die u. a. auch auf die Abführung der Lohnsteuer als Leistung des Arbeitnehmers abstellen. 90 Auch die Abführung der Lohnsteuer ist keine Zahlung des Arbeitnehmers i. S. des § 37 Abs. 2 AO, da hier nicht der Arbeitnehmer leistet, sondern allein der abführungspflichtige Arbeitgeber. 88 89

A. Steuerrechtliche Betrachtung

133

Analogie sind m. E. unbedenklich zu bejahen, da § 37 Abs. 2 AG auf dem Gedanken beruht, daß mit dem Erstattungsanspruch Ansprüche aus einem Steuerschuldverhältnis umgekehrt werden sollen, um ungerechtfertigte Vermögensverschiebungen auszugleichen 91 • Dieser Umkehrgedanke trifft auf die Erstattung zuviel einbehaltener Lohnsteuer zu: Der Arbeitgeber macht mit der schlicht-hoheitlichen Handlung der Einbehaltung Ansprüche des Steuergläubigers aus dem Steuerschuldverhältnis geltend. Diese sollen mit der Erstattung rückabgewickelt werden, wenn die Steuerschuld in zu großem Umfang verwirklicht worden ist. Dadurch wird der Zustand wiederhergestellt, der bestehen würde, wenn der Arbeitgeber die Steuer vorschriftsgemäß einbehalten hätte. Es werden also mit der Erstattung ungerechtfertigte Vermögensverschiebungen ausgeglichen. Somit steht dem Arbeitnehmer, auf dessen Rechnung die Einbehaltung erfolgt, während des Kalenderjahrs ein Erstattungsanspruch analog § 37 Abs. 2 Satz 1 AG ZU92. Der Erstattungsanspruch des Arbeitnehmers richtet sich gegen den "Leistungsempfänger" . Fraglich ist, ob der Steuergläubiger oder der Arbeitgeber Leistungsempfänger der durch die Einbehaltung bewirkten Leistung des Arbeitnehmers ist. Der Empfänger der Leistung ist nicht die Person, welche die Leistung tatsächlich erhalten hat, sondern es ist diejenige, für die die Leistung vorgenommen worden ist 93 • Die der Einbehaltung zugrundeliegende Leistung des Arbeitnehmers ist nur für den Steuergläubiger bewirkt worden, weil der Arbeitnehmer erstens ihm gegenüber steuerpflichtig ist, er die Einbehaltung zweitens nur duldet, um die Ansprüche des Steuergläubigers aus dem Lohnsteuerschuldverhältnis zu erfüllen, und die Einbehaltung der Steuer drittens das Lohnsteuerschuldverhältnis mit Wirkung gegenüber dem Steuergläubiger zum Erlöschen bringt. Somit steht dem Arbeitnehmer während des laufenden Kalenderjahrs analog § 37 Abs. 2 Satz 1 AG ein Anspruch gegen den Steuergläubiger auf Erstattung der vom Arbeitgeber im Lohnzahlungszeitraum zuviel einbehaltenen Lohnsteuer zu. Für den Steuergläubiger wird in bezug auf den Arbeitnehmer das Wohnsitz-Finanzamt tätig. Folglich ist dieses Finanzamt erstattungspflichtig. 91 Zum Umkehrgedanken des § 37 Abs. 2 AO: vgl. BFH Urt. v. 31. 10. 1974 - IV R 160/69 - BFHE 114, 397 (401) = BStEl 11 1975, 370 (371); Tipke / Kruse, AO, § 37 Tz. 7; Offerhaus in Hübschmann / Hepp / Spitaler, § 37 AO Rz. 31; Kühn / Kutter / Hofmann, § 37 AO Anm. 6; Drenseck, Erstattungsrecht, S. 7 ff.; Mihatsch FR 1979, 529. 92 Keine Tatbestandsvoraussetzung des Erstattungsanspruchs aus § 37 Abs. 2 AO ist, daß der Arbeitnehmer, bevor er die Erstattung verlangt, die Unrechtmäßigkeit der Einbehaltung feststellen lassen muß (a.A. Schick, Grundfragen, S. 37 FN 151); denn die Einbehaltung der Lohnsteuer ist nach der hier vertretenen Auffassung eine schlichthoheitliche Handlung des Arbeitgebers, die im Gegensatz zu einem Verwaltungsakt nicht in Bestandskraft erwächst. 93 So auch Drenseck, Erstattungsrecht, S. 82.

134

3. Abschn.: Außenverhältnis

4.23 Allgemeine Leistungsklage gegen den Arbeitgeber? Neben dem Erstattungsanspruch aus § 37 Abs. 2 Satz 1 AO analog könnte für den Arbeitnehmer als weitere Möglichkeit des Rechtsschutzes gegen die Einbehaltung der Lohnsteuer durch den Arbeitgeber eine allgemeine Leistungsklage in Betracht kommen (§ 40 Abs. 1 3. Alt. FGO). Sie wäre auf einen öffentlich-rechtlichen Bereicherungsanspruch zu stützen. Beklagter wäre der (private) Arbeitgeber (als Beliehener)94. Mit der allgemeinen Leistungsklage könnte der Arbeitnehmer die Herausgabe zuviel einbehaltener Lohnsteuer vorn Arbeitgeber verlangen. Jedoch fehlt dem Arbeitnehmer für diese Leistungsklage das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis, d. h., das mit dieser Klage verfolgte Begehren ist eines gerichtlichen Rechtsschutzes nicht fähig und bedürftig95 . Die Herausgabeklage ist nämlich auf das gleiche Ziel- die Rückabwicklung des Lohnsteuerschuldverhältnisses - wie das Erstattungsverfahren des § 37 Abs. 2 Satz 1 AO analog gerichtet. Ferner ist das behördliche Erstattungsverfahren auf einfachere, schnellere und billigere Weise durchzuführen als die gerichtliche Leistungsklage96 . Das Erstattungsverfahren ist billiger, weil dem Arbeitnehmer und insbesondere dem verwaltungshelfenden Arbeitgeber keine Kosten auferlegt werden, die anläßlich einer Leistungsklage entstehen würden. Es ist einfacher durchzuführen, da nunmehr über das Begehren des Arbeitnehmers vor der Gerichtsbarkeit die Verwaltung entscheidet, die im Verhältnis zum Arbeitgeber über die größere Sach- und Rechtskenntnis verfügt. Schließlich ist das behördliche Erstattungsverfahren auch schneller, weil der Finanzverwaltung der direktere Zugriff auf die Sachverhalte und die regelmäßig inzwischen abgeführte Lohnsteuer zusteht. Weil dem Arbeitnehmer somit das allgemeine Rechtsschutzbedürfnis für eine Klage gegen den Arbeitgeber fehlt, ist eine allgemeine Leistungsklage auf Herausgabe zuviel einbehaltener Lohnsteuer als unzulässig abzuweisen. 94 Zur Rechtsstellung Beliehener im Verwaltungsprozeß: vgl. Steiner, Öffentliche Verwaltung, S. 227; Michaelis, S. 208 - 210; Steiner JuS 1969,69 (75). 95 Zum Rechtsschutzbedürfnis allgemein: vgl. Stern, Verwaltungsprozeß, S. 136 ff. Das Rechtsschutzbedürfnis ist auch im Prozeß vor den Finanzgerichten eine Sachurteilsvoraussetzung. Zwar ist es nur bei den Feststellungsklagen in der Form des berechtigten Interesses an der alsbaldigen Feststellung gesetzlich erwähnt (§ 41 Abs. 1 FGO), es ist aber auch für alle anderen Klagearten erforderlich. So auch BFH Urt. v. 30. 7. 1964 - IV 403/61 U - BStBi III 1964, 534; Ziemer / Birkholz, § 40 FGO Rzn. 97 - 100; Haarmann in Ziemer / Haarmann / Lohse / Beermann, Rz. 141; Stern, Verwaltungsprozeß, S. 138. 96 Zum Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses auf Grund eines anderen, einfacheren Rechtsbehelfs: vgl. BFH Urt. v. 12. 10. 1982 - VII R 84/82 - BFHE 136, 523 (527) = BStBi 11 1983, 49 (59); BFH Urt. v. 21. 1. 1977 - III R 125/73 - NJW 1977,1256; Haarmann in Ziemer / Haarmann / Lohse / Beermann, Rz. 141; Kopp, VwGO, Vorbem. § 40 Rz. 31; Stern, Verwaltungsprozeß, S. 137.

A. Steuerrechtliche Betrachtung

135

4.3 Zwischenergebnis Glaubt der Arbeitnehmer, der Arbeitgeber habe ihm zuviel Lohnsteuer einbehalten, ist eine auf einen öffentlich-rechtlichen Bereicherungsanspruch gestützte allgemeine Leistungsklage gegen den Arbeitgeber auf Herausgabe der zuviel einbehaltenen Lohnsteuer wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses als unzulässig abzuweisen. Dem Arbeitnehmer steht das einfachere, schnellere und billigere Erstattungsverfahren des § 37 Abs. 2 Satz 1 AO analog ZU97 . Eine unmittelbare Anwendung des § 37 Abs. 2 AO scheidet aus, weil der Arbeitnehmer mit der Einbehaltung der Steuer die von ihm geschuldete Leistung nicht an den Steuergläubiger erbringt. Die Voraussetzungen des § 37 Abs. 2 Satz 1 AO analog sind erfüllt: Mit der Einbehaltung der Lohnsteuer leistet der Arbeitnehmer, da die Steuer ,für seine Rechnung' einbehalten wird (vgl. § 38 Abs. 3 Satz 1 EStG). Die Erstattung der zuviel einbehaltenen Lohnsteuer kehrt die ohne Rechtsgrund zuviel erbrachte Leistung des Arbeitnehmers um. Erstattungspflichtig ist das Wohnsitz-Finanzamt, weil es das Organ des Steuergläubigers ist, für das die Leistung des Arbeitnehm~rs vorgenommen worden ist. Der Arbeitnehmer ist befugt, diesen Erstattungsanspruch im laufenden Kalenderjahr für die anteilige Jahreslohnsteuer beim Wohnsitz-Finanzamt geltend zu machen, soweit nicht die Voraussetzungen des § 42 Abs. 2 Satz 2 EStG erfüllt sind. Nach Ablauf des Kalenderjahrs wird dieser Erstattungsanspruch durch das speziellere Erstattungsverfahren des behördlichen Lohnsteuer-Jahresausgleichs verdrängt. 5. Rechtsschutz des Arbeitnehmers gegen die Änderung des Lohnsteuerabzugs (§ 41c EStG)

Die Lohnsteuererhebung soll so zutreffend wie nur eben möglich bewirkt werden. Aus diesem Grunde gewährt § 41c Abs. 1 EStG dem Arbeitgeber das Recht, den Lohnsteuerabzug zu ändern. Auch hinsichtlich dieser Handlung des Arbeitgebers im Außenverhältnisses stellt sich für den Arbeitnehmer die Rechtsschutzfrage. Hierfür können auf die oben zur Einbehaltung der Lohnsteuer gemäß § 38 Abs. 3 Satz 1 EStG entwickelten Grundsätze zurückgegriffen werden, da die Änderung des Lohnsteuerabzugs nach § 41c Abs. 1 EStG 97 Im Ergebnis ebenso: Hartz / Meeßen / Wolf, "Erstattung von Lohnsteuer" unter C.!. (S. 458), C.III.2.a. (S. 463); Altehoefer in Lademann / Söffing / Brockhoff, § 38 EStG Rz. 40; Oeftering / Görbing, Einführung B Rz. 100, § 38 EStG Rz. 32; Schmidt / Drenseck, § 42 EStG Anm. 5d; Drenseck in Stolterfoht (Hrsg.), S. 377 (410); Stolterfoht in Stolterfoht (Hrsg.), S. 175 (204); Ranft / Lange, 4.1.16 (S. 162); Tiedtke, § 44 V 3 (S. 519).

136

3. Abschn.: Außen verhältnis

im Grunde nur eine Änderung der Einbehaltung nach § 38 Abs. 3 Satz 1 EStG ist. Es fragt sich allerdings, ob in bezug auf den Rechtsschutz des Arbeitnehmers Änderungen gegenüber dem Rechtsschutz hinsichtlich der Einbehaltung gemäß § 38 Abs. 3 Satz 1 EStG eintreten, die ihren Grund in den Besonderheiten des § 41c EStG haben. Die Beantwortung hängt zunächst davon ab, unter welchen Voraussetzungen der Arbeitgeber zu einer Änderung des Lohnsteuerabzugs befugt ist. 5.1 Tatbestand des § 41c EStG Das Gesetz nennt in § 41c Abs. 1 EStG zwei Änderungstatbestände. 5.11 § 41c Abs. 1 Nr. 1 EStG Der Arbeitgeber ist zu einer Änderung des Lohnsteuerabzugs berechtigt, wenn der Arbeitnehmer ihm eine geänderte Lohnsteuerkarte mit Eintragungen vorlegt, die auf einen Zeitpunkt vor Vorlage der Steuerkarte zurückwirken (§ 41c Abs. 1 Nr. 1 EStG). Soweit diese Voraussetzung erfüllt ist, steht dem Arbeitgeber das Recht zu, als erster auf die geänderten Daten zu reagieren. § 41c Abs. 1 Nr. 1 EStG verdeutlicht somit die Stellung des Arbeitgebers im Verhältnis zur Finanzverwaltung während des Lohnsteuerabzugs des laufenden Kalenderjahrs: Dem Arbeitgeber steht das Recht der ersten Handlung ZU 98 . Erst wenn der Arbeitgeber nicht auf Grund der auf der Lohnsteuerkarte geänderten Eintragungen die Einbehaltung der Lohnsteuer ändert, darf die Finanzverwaltung helfend im Wege der Nachforderung von Lohnsteuer in das Abzugsverfahren eingreifen (vgl. § 41c Abs. 4 Satz 2 EStG)99. 5.12 § 41c Abs. 1 Nr. 2 EStG Der Arbeitgeber ist ferner zu einer Änderung des Lohnsteuerabzugs befugt, wenn er erkennt, daß er bisher die Lohnsteuer nicht vorschriftsgemäß einbehalten hat (§ 41c Abs. 1 Nr. 2 EStG)l00. Die Voraussetzungen dieser Vorschrift sind unproblematisch erfüllt, wenn die Erkenntnis des Arbeitgebers auf eigenen Ermittlungen beruht. So auch Kloubert, S. 50. § 39c Abs. 2 EStG (ggf. i.V. mit § 39d Abs. 3 Satz 41. Halbs. EStG) geht dieser allgemeinen Regelung als lex specialis vor. Zum Verhältnis des § 41c Abs. 1 Nr. 1 EStG und des § 41c Abs. 4 Satz 2 EStG zu § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO: vgl. S. 128 FN 78. lOO Die beiden Tatbestände des § 41c EStG stehen nicht im Verhältnis der Spezialität, sondern als aliud nebeneinander, da § 41c Abs. 1 Nr. 1 EStG einen Fall der bisher vorschriftsgemäßen Einbehaltung betrifft, hingegen § 41c Abs. 1 Nr. 2 EStG der Fehlerkorrektur, also einer nicht vorschriftsmäßigen Einbehaltung dient. 98

99

A. Steuerrechtliche Betrachtung

137

Streitig ist jedoch, ob die Voraussetzungen eines "Erkennens" auch dann noch vorliegen können, wenn der Arbeitgeber von dritter Seite auf den Fehler aufmerksam gemacht worden ist. Zu nennen sind hierfür beispielsweise die Sachverhalte, in denen ihm der Arbeitnehmer oder ein Prüfer (während der Lohnsteuer-Außenprüfung) einen entsprechenden Hinweis gegeben hat, oder wenn das Finanzamt eine Lohnsteuer-Anmeldung geändert oder einen Haftungsbescheid wegen zuwenig einbehaltener Lohnsteuer erlassen hat. Die Finanzverwaltung 101 und ein Teil des Schrifttums 102 legen das Merkmal des "Erkennens" eng aus. Diese Tatbestandsläsung versteht darunter nur ein Erkennen, welches auf eigenen Ermittlungen des Arbeitgebers beruhe. Wenn also bereits ein Dritter vor ihm die fehlerhafte Einbehaltung bemerkt habe, könne von einem Erkennen des Arbeitgebers keine Rede mehr sein. Mit der engen Auslegung will diese Ansicht bereits im Tatbestand des § 41c Abs. 1 EStG ausschließen, daß ein Arbeitgeber von dem Recht der Abgabe einer haftungsbefreienden Anzeige gemäß §§ 41c Abs. 4 Satz 1, 42d Abs. 1 Nr. 1 1. Alt. EStG in zu weitem Umfange Gebrauch machen kann. Die enge Tatbestands/äsung ist aber aus mehreren Gründen bedenklich: (1) Das Wort "erkennen" läßt nicht den Schluß zu, daß die Erkenntnis notwendigerweise auf eigenen Ermittlungen des Arbeitgebers beruhen muß. Vielmehr kann auslösendes Moment seiner Erkenntnis auch der Hinweis eines Dritten sein 103. (2) Es ist ferner bedenklich, den Tatbestand des § 41c Abs. 1 Nr. 2 EStG nur von einer der möglichen (mehreren) Rechtsfolgen her gesehen auszulegen. Legt man nämlich bereits den Tatbestand wegen der einen Rechtsfolge der haftungs befreienden Anzeige eng aus, dann schließt man damit zugleich auch alle weiteren Rechtsfolgen aus. (3) Die enge Tatbestandsauslegung widerspricht auch dem Zweck des § 41c Abs. 1 EStG. Diese Vorschrift soll gewährleisten, spätere Nacherhebungen bzw. Erstattungen an den Arbeitnehmer in Grenzen zu halten. Gerade dieser Zweck eines so zutreffend wie nur eben möglichen Lohnsteuerabzugs erfordert eine weite Tatbestandsauslegung. Abschn. 145 Abs. 4 Satz 2 LStR. So Altehoefer in Lademann / Säffing / Brockhoff, § 41c EStG Rz. 10; Herrmann / Heuer / Raupach, § 41c EStG Er\. zu Abs. 1 unter III; Kläckner in Klein / Flockermann / Kühr, § 41c EStG Rz. 6; Oeftering / Görbing, § 41c EStG Rz. 6; Stache in Horowski / Altehoefer, § 41c EStG Anm. C.II.4.; Wehmeyer in Blümich / Falk, § 41c EStG Rz. 3; Schick, Grundfragen, S. 24; Schick BB 1983, 1041 (1042); Bals BB 1974, 1572 (1577). 103 Beispiel: Der Arbeitnehmer macht den Arbeitgeber darauf aufmerksam, der Arbeitgeber habe zuviel Lohnsteuer einbehalten. Der Arbeitgeber, von der Rechtmäßigkeit seiner Handlung überzeugt, glaubt dieser Aussage nicht. Zur Vorsicht läßt er jedoch diesen Vorgang prüfen. Die zu einem wesentlich späteren Zeitpunkt stattfindende Prüfung ergibt, daß der Arbeitnehmer recht hatte; nun erst erkennt der Arbeitgeber. Soll man ihm nun durch eine enge Tatbestandsauslegung die Möglichkeit nehmen, dem Arbeitnehmer die zuviel einbehaltene Lohnsteuer nachträglich zu erstatten? 101

102

138

3. Abschn.: Außenverhältnis

Ein "Erkennen" meint m. E. das erstmalige konkrete Bewußtwerden von einer bisher nicht vorschriftsgemäßen Einbehaltung der Steuer durch den Arbeitgeber oder einer seiner Hilfspersonen 104 . Es kommt also nicht darauf an, ob ein Dritter den Fehler möglicherweise VOr ihm bereits erkannt hat 105 . Daher ist z. B. ein Arbeitgeber gemäß § 41c Abs. 1 Nr. 2 EStG zu einer Änderung des Lohnsteuerabzugs berechtigt, wenn der Arbeitnehmer oder ein Lohnsteuer-Außenprüfer ihn auf den Fehler hingewiesen hat oder wenn ihm gegenüber die Lohnsteuer-Anmeldung geändert worden ist. Ein Erkennen kommt sogar noch dann in Frage, wenn ein Haftungsbescheid wegen zuwenig einbehaltener Lohnsteuer (§ 42d Abs. 1 Nr. 11. Alt. EStG)106 dem Arbeitgeber gegenüber erlassen worden ist und er dadurch erstmalig von der zu geringen Einbehaltung erfahren hat 107 • Ist dem Arbeitgeber oder einer seiner Hilfspersonen der Fehler jedoch konkret bewußt und ändert er daraufhin den Lohnsteuerabzug nicht, kann von einem "Erkennen" zu diesem späteren Zeitpunkt keine Rede mehr sein 108 .

5.2 Rechts/algen des § 41c EStG und der Rechtsschutz des Arbeitnehmers Nachdem bisher untersucht worden ist, unter welchen Voraussetzungen der Arbeitgeber zu einer Änderung des Lohnsteuerabzugs berechtigt ist, kann nun die Frage behandelt werden, ob und welche Art von Rechtsschutz dem Arbeitnehmer gegen die Änderung des Lohnsteuerabzugs zusteht 109 • Der 104 Gedanke der §§ 166 Abs. 1,278 BGB. Es ist ein konkretes Bewußtsein von der nicht vorschriftsgemäßen Einbehaltung erforderlich; ein latentes Bewußtsein reicht dagegen nicht aus. Sonst würde man beispielsweise einem Gastwirt (= Arbeitgeber) die Möglichkeit nehmen, die Lohnsteuer von freiwilligen, unmittelbar an die Kellner (= Arbeitnehmer) gezahlten Trinkgeldern gemäß §§ 38 Abs. 1 Satz 2, 41c Abs. 1 Nr. 2 EStG am Ende des Kalenderjahrs einzubehalten. 105 Es ist jedoch weiter zu untersuchen, ob bei der einen Rechtsfolge der haftungsbefreienden Anzeige Einschränkungen zu machen sind (sog. Rechtsfolgenlösung). 106 Ein "Erkennen" hindert jedoch ein Haftungsbescheid wegen zuwenig abgeführter Lohnsteuer in keinem Fall (§ 42d Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. EStG). Denn durch diesen Bescheid erkennt der Arbeitgeber nur, daß er zuwenig Lohnsteuer abgeführt hat; dies berührt den Tatbestand des § 41c Abs. 1 Nr. 2 EStG nicht. 107 Beispiel: Das Finanzamt erläßt einen Haftungsbescheid wegen zuwenig einbehaltener Lohnsteuer, ohne daß zuvor eine Lohnsteuer-Außenprüfung stattgefunden hat. Es bestehen m. E. keine Bedenken anzunehmen, der Arbeitgeber sei zu einer nachträglichen Einbehaltung berechtigt, denn er erkennt mit diesem Bescheid zum ersten Male, daß er zuwenig Lohnsteuer einbehalten hat. 108 So auch Hartz / Meeßen / Wolf, "Haftung für Lohnsteuer" unter B.III.2. (S. 572); Schmidt / Drenseck, § 41c EStG Anm. 3; Grube in Littmann / Bitz / Meincke, 14. Aufl., § 41c EStG Rz. 8; Nissen in Hartmann / Böttcher / Nissen / Bordewin, § 41c EStG Rz. 10; Gast-de Haan in Stolterfoht (Hrsg.), S. 141 (164); Bäuerlen, S. 107 f. 109 Glaubt der Arbeitgeber, er habe den Lohnsteuerabzug zu Unrecht geändert, ist er gemäß § 41c Abs. 1 Nr. 2 EStG zu einer erneuten Änderung berechtigt.

A. Steuerrechtliche Betrachtung

139

Rechtsschutz hängt davon ab, welche der möglichen Handlungen der Arbeitgeber zur Durchführung der Änderung ergreift. 5.21 Verpflichtung des Arbeitgebers zur Änderung des Lohnsteuerabzugs? Fraglich ist, ob der Arbeitnehmer mit einer allgemeinen Leistungsklage die Durchführung der Änderung des Lohnsteuerabzugs erzwingen kann. Die Leistungsklage hätte Erfolg, wenn der Arbeitgeber zu einer Änderung des Steuerabzugs verpflichtet ist. Nach dem eindeutigen Wortlaut des § 41c Abs. 1 EStG ist der Arbeitgeber zu einer Änderung des Lohnsteuerabzugs lediglich berechtigt, d. h., wenn er will, darf er ändern. Dennoch wird von Schick die Auffassung vertreten, der Arbeitgeber sei zur Änderung verpflichtet, denn, aus der Interessenlage des Arbeitnehmers betrachtet, habe jener einen Anspruch auf Durchführung der Änderung llO . Die Auffassung Schicks entspricht den Vorstellungen der Regierung zum Entwurf eines Dritten Steuerreformgesetzes (vgl. § 147), welcher eine Änderungsverpflichtung vorgesehen hat 1l1 . Jedoch hat der Finanzausschuß die Änderungsverpflichtung in eine Änderungsberechtigung umgewandelt, dabei aber gleichzeitig die Pflicht zur Erstattung einer Anzeige aus § 41c Abs. 4 Satz 1 EStG eingeführt 112 • Schon allein dieses gesetzeshistorische Argument zeigt, daß an dem Wortlaut des § 41c Abs. 1 EStG festzuhalten ist. Dies ergibt sich im übrigen auch aus einem Rückschluß aus § 39c Abs. 2 Satz 2 EStG: In dieser zu § 41c Abs. 1 EStG spezielleren Norm ist dem Arbeitgeber ausdrücklich eine Änderungsverpflichtung auferlegt worden. Da eine solche Regelung für § 41c Abs. 1 EStG fehlt, kann daraus nur geschlossen werden, daß dieser Vorschrift eine Änderungsberechtigung zugrunde liegt. Somit ist der Arbeitgeber, selbst wenn die Tatbestandsvoraussetzungen des

§ 41c Abs. 1 EStG erfüllt sind, nicht zu einer Änderung des Lohnsteuerabzugs

verpflichtet 1l3 . Daher steht dem Arbeitnehmer kein Anspruch auf Durchführung der Änderung zu. Insoweit scheidet also Rechtsschutz für ihn aus.

So Schick, Grundfragen, S. 23. Vgl. BT-Drucks. 7/1470 S. 306. 112 Vgl. BT-Drucks. 7/2180 S. 23. 113 So auch Abschn. 137 Abs. 1 Satz 1 LStR; Herrmann / Heuer / Raupach, § 41c EStG allgern. Erl.; Altehoefer in Lademann / Söffing / Brockhoff, § 41c EStG Rz. 1; Nissen in Hartmann / Böttcher / Nissen / Bordewin, § 41c EStG Rz. 3; Stache in Horowski / Altehoefer, § 41c EStG Anrn. B; Oeftering / Görbing, § 41c EStG Rz. 8; Klöckner in Klein / Flockermann / Kühr, § 41c EStG Rz. 1; Schmidt / Drenseck, § 41c EStG Anrn. 1; Wagner, S. 17. 110 111

140

3. Abschn.: Außenverhältnis

5.22 Arbeitgeber führt eine Änderung des Lohnsteuerabzugs nicht durch (§ 41c Abs. 4 Satz 1 1. Halbs. EStG) Macht der Arbeitgeber von seiner Änderungsberechtigung im Außenverhältnis keinen Gebrauch, hat er nichts weiter zu unternehmen, wenn die Änderung zu einer nachträglichen Erstattung führen würde. Folglich scheidet ein gegen den Arbeitgeber gerichteter Rechtsschutz des Arbeitnehmers insoweit weiterhin aus 1l4 • Kommt jedoch eine nachträgliche Einbehaltung der Steuer in Betracht, ist der Arbeitgeber gemäß § 41c Abs. 4 Satz 1 1. Halbs. EStG verpflichtet, dies dem Betriebsstättenfinanzamt unverzüglich (vgl. § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB) anzuzeigen 115.

5.221 Voraussetzungen der Anzeige 5.2211 Zulässigkeit der Anzeige Fraglich ist, ob die Anzeige in jedem Fall zulässig ist, wenn der Arbeitgeber von seinem Recht auf nachträgliche Einbehaltung keinen Gebrauch machen will.

In dieser einen von mehreren möglichen Rechtsfolgen des § 41c EStG wirkt sich die hier vertretene weite Auslegung des Tatbestandsmerkmals "erkennen" i. S. des § 41c Abs. 1 Nr. 2 EStG "negativ" aus, denn die Anzeige bewirkt, daß der Haftungstatbestand wegen zuwenig einbehaltener Lohnsteuer entfällt (§ 42d Abs. 1 Nr. 1 1. Alt. EStG). Wollte man annehmen, immer dann, wenn der Arbeitgeber seine fehlerhafte Einbehaltung erstmalig erkannt habe, sei eine Anzeige zulässig, würde diese Haftung in den meisten Fällen leerlaufen. Beispielsweise könnte er dem Finanzamt die zu geringe Einbehaltung noch anzeigen, wenn der Lohnsteuer-Außenprüfer sie bereits ermittelt und der Arbeitgeber dadurch erstmalig von seinem ihm unterlaufenen Fehler erfahren hat. Dies aber würde dem Sinn und Zweck einer haftungsbefreienden Anzeige widersprechen. Da die Haftung des Arbeitgebers aus § 42d Abs. 1 EStG an eine Pflichtverletzung anknüpft, soll die Anzeige nur haftungsbefreiend wirken, wenn der Arbeitgeber die Fehlerhaftigkeit der 114 Unterläßt der Arbeitgeber eine nachträgliche Erstattung von Lohnsteuer, ist der Arbeitnehmer nach der hier vertretenen Auffassung analog § 37 Abs. 2 AO befugt, beim Finanzamt die Erstattung des Betrags zu beantragen (vgl. auch Abschn. 137 Abs. 5 Satz 3 LStR). 115 Die Anzeige ist keine Handlung des Arbeitgebers im Außenverhältnis, da sie dem Betriebsstättenfinanzamt gegenüber abzugeben ist. Dennoch erscheint es gerechtfertigt, sie in diesem Zusammenhang darzustellen, da die Anzeige der Vorbereitung einer Nachforderung von Lohnsteuer dient (§ 41c Abs. 4 Satz 2 EStG) und insoweit Fragen des Rechtsschutzes des Arbeitnehmers zu erörtern sind.

A. Steuerrechtliche Betrachtung

141

Einbehaltung auf Grund eigener Ermittlungen entdeckt und durch die Anzeige korrigiert hat; denn nur dann beseitigt der Arbeitgeber mit der Anzeige die ihm unterlaufene Pflichtverletzung. Aus diesem Grunde ist die Erstattung einer Anzeige nur einschränkend zulässig. Sie ist grundsätzlich zulässig, wenn die Tatbestandsvoraussetzungen des § 41c Abs. 1 EStG erfüllt sind. Eine Ausnahme trifft m. E. jedoch in den Fällen des § 41c Abs. 1 Nr. 2 EStG zu, in denen die Finanzverwaltung bereits Kenntnis von der zu geringen Einbehaltung der Steuer hat oder diese Kenntnis unmittelbar bevorsteht. Diese Rechtsfolgenläsung hat zur Konsequenz, daß die Abgabe einer Anzeige mit dem Beginn der Ermittlungen eines Lohnsteuer-Außenprüfers in dem Umfange unzulässig ist, als der Ermittlungsauftrag des Prüfers reicht 1l6 . Ihre Abgabe ist ferner unzulässig, wenn dem Arbeitgeber gegenüber eine geänderte Lohnsteuer-Anmeldung oder ein Haftungsbescheid auf Grund des § 42d Abs. 1 Nr. 1 1. Alt. EStG erlassen worden ist. Mit dieser Rechtsfolgenläsung wird einerseits gewährleistet, daß das Rechtsinstitut der Haftung wegen zuwenig einbehaltener Lohnsteuer nicht ausgehöhlt wird, der Arbeitgeber aber auch andererseits noch nachträglich Lohnsteuer vom Arbeitnehmer einbehalten kann, die dieser schuldet. Wegen dieses dreiseitig gerechten Interessenausgleichs ist diese Rechtsfolgenläsung vorzugswürdig. 5.2212 Inhalt der Anzeige Soweit die Abgabe einer Anzeige zulässig ist, bezweckt sie, das Finanzamt in die Lage zu versetzen, die zuwenig einbehaltene Lohnsteuer vom Arbeitnehmer nachzufordern (vgl. § 41c Abs. 4 Satz 2 EStG). Dieser Zweck bestimmt auch den Inhalt der Anzeige. Sie hat neben dem Namen und der Anschrift des Arbeitnehmers nur die Summe der nachzufordernden Lohnsteuer zu enthalten. Der Arbeitgeber hat also - ebenso wie im Falle des § 38 Abs. 4 EStG - für das Finanzamt den Sachverhalt aufzuklären und die von jedem Arbeitnehmer nachzufordernde Lohnsteuer zu berechnen. Diesen Betrag hat er für jeden einzelnen Arbeitnehmer getrennt dem Betriebsstättenfinanzamt anzuzeigen. Dieses ist an die angezeigte Summe zum Zwecke der Nachforderung gebunden (vgl. § 41c Abs. 4 Satz 2 EStG)117. Ist ein zu geringer Betrag angezeigt Noch weitergehend: Mäsbauer GmbHR 1987, 483 (486). Wegen der Bindung des Finanzamts an die Anzeige könnte man überlegen, ob der Arbeitgeber nur Beträge von über 20 DM je Arbeitnehmer anzuzeigen hat. Denn nur diese können vom Arbeitnehmer nachgefordert werden (§ 41c Abs. 4 Satz 2 EStG). 116

117

142

3. Abschn.: Außenverhältnis

worden und fordert das Finanzamt deswegen zuwenig Lohnsteuer nach, haftet der Arbeitgeber, aber nur für die zuwenig angezeigte Lohnsteuer (vgl. §§ 42d Abs. 1 Nr. 1 1. Alt., 41c Abs. 4 Satz 3 EStG)118. Hat der Arbeitgeber dagegen den ordnungsgemäßen Betrag angezeigt und damit seine Pflichtverletzung korrigiert, entfällt der Haftungstatbestand des § 42d Abs. 1 Nr. 1 1. Alt. EStG, selbst wenn die Lohnsteuer beim Arbeitnehmer nicht nachforderbar ist.

5.222 Rechtsschutz des Arbeitnehmers gegen die Anzeige Reicht der Arbeitgeber dem Finanzamt eine Anzeige ein und glaubt der Arbeitnehmer, ihre Abgabe sei unzulässigerweise erfolgt bzw. der Arbeitgeber habe einen Mehrbetrag angezeigt, ist dem Arbeitnehmer auch insoweit Rechtsschutz verwehrt. Allein durch die Abgabe der Anzeige ist der Arbeitnehmer in seinen Rechten nicht unmittelbar betroffen (vgl. § 350 AO; § 40 Abs. 2 FGO). Fordert das Finanzamt jedoch auf Grund der Anzeige Lohnsteuer von ihm nach (§ 41c Abs. 4 Satz 2 EStG), kann er gegen diesen Steuerbescheid Einspruch einlegen (vgl. § 348 Abs. 1 Nr. 1 AO). 5.23 Arbeitgeber führt eine Änderung des Lohnsteuerabzugs durch Will der Arbeitgeber von seiner Berechtigung zur Änderung des Lohnsteuerabzugs Gebrauch machen, hat er - entsprechend den zur Einbehaltung entwickelten Grundsätzen - den Sachverhalt aufzuklären und die bisher in den Lohnzahlungszeiträumen des Kalenderjahres einzubehaltende Lohnsteuer zu berechnen. Ergibt die so berechnete Lohnsteuer eine bisher zu geringe Einbehaltung, hat er den Fehlbetrag bei der nächstfolgenden Lohnzahlung schlichthoheitlich nachträglich einzubehalten bzw. im umgekehrten Fall schlichthoheitlich nachträglich zu erstatten 119 . Ist der Arbeitnehmer der Auffassung, 118 § 41c Abs. 4 Satz 3 EStG zeigt also verdeutlichend, daß der Arbeitgeber mit der Anzeige die Verantwortung für die Höhe der Nachforderung durch das Finanzamt zu übernehmen hat. Daher muß er die nachzufordernde Lohnsteuer berechnen, und das Finanzamt ist an den angezeigten Betrag gebunden. Würde man annehmen, der Arbeitgeber habe dem Finanzamt alle Informationen zur Verfügung zu stellen, damit dieses die nachzufordernde Lohnsteuer selbst berechnen könne, wäre die Vorschrift des § 41c Abs. 4 Satz 3 EStG sehr bedenklich (so aber: Abschn. 138 Abs. 2 Satz 2 LStR; Herrmann / Heuer / Raupach, § 41c EStG Er!. zu Abs. 4 unter II. [m.w.N.]): Denn nun hätte der Arbeitgeber keinen Einfluß mehr auf den Umfang seiner Haftung. Unterläuft beispielsweise dem Finanzamt bei der Berechnung der nachzufordernden Lohnsteuer ein Fehler und fordert es deshalb zuwenig Lohnsteuer vom Arbeitnehmer nach, würde der Arbeitgeber für einen Fehler haften, den er nicht verursacht hat. 119 Dies gilt jedoch nicht, wenn der Arbeitgeber zur Durchführung eines betrieblichen Lohnsteuer-Jahresausgleichs (vg!. § 41c Abs. 3 Satz 3 EStG) bzw. zur Abgabe einer Anzeige verpflichtet ist (vg!. § 41c Abs. 4 Satz 1 2. Halbs. EStG). In bezug auf

A. Steuerrechtliche Betrachtung

143

der Arbeitgeber habe ihm nachträglich zuviel Lohnsteuer einbehalten bzw. zuwenig Lohnsteuer erstattet, kommt für ihn als Rechtsschutz während des laufenden Kalenderjahrs das Erstattungsverfahren des § 37 Abs. 2 Satz 1 AO analog in Betracht. Nach Ablauf des Kalenderjahrs wird dieser Erstattungsanspruch durch den spezielleren aus dem behördlichen Lohnsteuer-Jahresausgleich verdrängt (vgl. § 42b Abs. 4 Satz 5 EStG). Problematisch wird der Rechtsschutz des Arbeitnehmers jedoch, wenn der Arbeitgeber Lohnsteuer nachträglich einbehalten will, aber der Barlohn des Arbeitnehmers nicht ausreicht, um den einzubehaltenden Betrag in vollem Umfange zu decken 12o . 5.231 Teilweise nachträgliche Einbehaltung

Fraglich ist deshalb zunächst, welche Handlungsmöglichkeiten dem Arbeitgeber zur Verfügung stehen, wenn der Barlohn des Arbeitnehmers für die nachträgliche Einbehaltung nicht ausreichend ist. Der Arbeitgeber könnte erstens von seiner Änderungsberechtigung über mehrere Lohnzahlungen hinweg Gebrauch machen, zweitens die Lohnsteuer nur teilweise nachträglich einbehalten oder drittens die Änderung des Steuerabzugs insgesamt unterlassen. Da § 41c Abs. 1 EStG die Berichtigung nur für die nächste Lohnzahlung gestattet, scheidet die erste Möglichkeit kraft Gesetzes aus. Die herrschende Schrifttumsansicht l2l und die Finanzverwaltung 122 sind der Auffassung, der Arbeitgeber habe die Änderung insgesamt zu unterlassen und dies dem Finanzamt anzuzeigen. Diese Auffassung ist bedenklich: Denn einerseits sind die Voraussetzungen einer Anzeige nicht erfüllt. Der erste Halbsatz des § 41c Abs. 4 Satz 1 EStG betrifft nur die Sachverhalte, in denen der Arbeitgeber von seiner Berechtigung keinen Gebrauch machen will; der zweite Halbsatz dieser Vorschrift betrifft nur bestimmte Fälle, in denen er von der Berechtigung Gebrauch machen will, es ihm aber unter bestimmten Voraussetzungen verwehrt ist. Einer der dort genannten Anzeigefälle ist im Falle nicht ausreichenden Barlohns nicht einschlägig. Daher wäre seine Anzeige nach dem Gesetzeswortlaut unzulässig. Andererseits sind die Fälle nicht ausreichenden Barlohns in § 38 Abs. 4 EStG spezialgesetzlich geregelt. Diese die Zulässigkeit und den Inhalt der Anzeige sowie den Rechtsschutz des Arbeitnehmers gegen die Anzeige gelten die oben dargestellten Grundsätze. 120 Beispiel: Der Arbeitnehmer wird in Form von Sachbezügen entiohnt; oder er erhält Zuwendungen Dritter, von denen der Arbeitgeber Lohnsteuer gemäß § 38 Abs. 1 Satz 2 EStG einzubehalten hat. 121 So Altehoefer in Lademann I Söffing I Brockhoff, § 41c EStG Rz. 13; Grube in Littmann I Bitz I Meincke, 14. Auf!. , § 41c EStG Rz. 9; Klöckner in Klein I Flockermann I Kühr, § 41c EStG Rz. 9; Oeftering I Görbing, § 41c EStG Rz. 11; Stache in Horowski I Altehoefer, § 41c EStG Anm. C.1l.5. 122 Abschn. 137 Abs. 4 Satz 32. Halbs. LStR.

144

3. Abschn.: Außenverhältnis

Vorschrift ist auch auf die nachträgliche Einbehaltung i. S. des § 41c Abs. 1 EStG anwendbar, da die nachträgliche Einbehaltung gemäß § 41c Abs. 1 EStG ein Unterfall der Einbehaltung i. S. des § 38 Abs. 3 Satz 1 EStG ist. Somit hat der Arbeitgeber, soweit der Barlohn des Arbeitnehmers bei der nächstfolgenden Lohnzahlung nicht ausreicht, um die insgesamt nachträglich einzubehaltende Lohnsteuer zu decken, die Handlungsmöglichkeiten der §§ 38 Abs. 4, 41c Abs. 1 EStG zu ergreifen 123 . 5.232 Rechtsschutz des Arbeitnehmers gegen die teilweise nachträgliche Einbehaltung Nach § 38 Abs. 4 EStG ist die nachträgliche teilweise Einbehaltung von Lohnsteuer in drei Schritten zu verwirklichen. Dementsprechend gestaltet sich der Rechtsschutz des Arbeitnehmers auch auf drei Ebenen. - Der Arbeitgeber hat als ersten Schritt bei der nächstfolgenden Lohnzahlung die Lohnsteuer insoweit einzubehalten, als der Barlohn ausreicht und er andere Bezüge des Arbeitnehmers zurückbehalten kann (§§ 38 Abs. 4 Satz 1, 41c Abs. 1 EStG). Ist von diesen Bezügen zuviel Lohnsteuer einbehalten worden, steht dem Arbeitnehmer grundsätzlich der Erstattungsanspruch aus § 37 Abs. 2 Satz 1 AO analog gegen das Wohnsitz-Finanzamt zu. Nach Ablauf des Kalenderjahres wird dieser Erstattungsanspruch durch die spezielleren der §§ 42 Abs. 4 Satz 5, 42a Abs. 2 Satz 5 EStG im Range verdrängt. - Soweit der ausgezahlte Barlohn und die Zurückbehaltung anderer Bezüge zur Deckung der Lohnsteuer noch nicht ausreichen, hat der Arbeitgeber als zweiten Schritt zu verlangen, daß der Arbeitnehmer ihm den Fehlbetrag zur Verfügung stellt (§§ 38 Abs. 4 Satz 1, 41c Abs. 1 EStG). Fraglich ist, ob der Arbeitgeber berechtigt ist, diese Nachschußpflicht zu erzwingen, indem er beispielsweise eine allgemeine Leistungsklage gegen den Arbeitnehmer erhebt, die auf § 38 Abs. 4 Satz 1 EStG zu stützen wäre. Für die Zulässigkeit der allgemeinen Leistungsklage spricht sicherlich der Wortlaut des § 38 Abs. 4 Satz 1 EStG, der eine Verpflichtung des Arbeitnehmers und damit eine vollstreckbare Handlung vorsieht. Würde man dieses Ergebnis aber zulassen, wäre die innere Einheit des Lohnsteuerabzugsverfahrens sehr belastet. Dieses Verfahren knüpft an das einzelne Kalenderjahr an und mit dessen Ablauf gilt die Lohnsteuererhebung durch den Arbeitgeber grundsätzlich als abgegolten (vgl. § 46 Abs. 4 EStG). 123 So auch Herrmann / Heuer / Raupach, § 41c EStG Er!. zu Abs. 1 unter 1.; Clausen in Herrmann / Heuer / Raupach, § 42d EStG Er!. zu Abs. 2 unter 1.; Schmidt / Drenseck, § 41c EStG Anm. 1; Nissen in Hartmann / Bättcher / Nissen / Bordewin, § 41c EStG Rz. 19.

A. Steuerrechtliche Betrachtung

145

Diese Einheit würde empfindlich gestört werden, wenn sich der Arbeitgeber - möglicherweise mit mehrjähriger Prozeßdauer - mit der allgemeinen Leistungsklage den Vollstreckungstitel verschaffen müßte, um so die Nachschußpflicht zu erzwingen. Außerdem geht das Gesetz davon aus, daß die Nachschußpflicht aus § 38 Abs. 4 Satz 1 EStG und die Nachforderung des Finanzamts gemäß § 38 Abs. 4 Satz 3 EStG nebeneinander stehen. Der Finanzverwaltung stehen die geeigneten Mittel zur Verfügung, um den Fehlbetrag vom Arbeitnehmer ersetzt zu verlangen. Sie kann auch nach Ablauf des Kalenderjahrs die nachgeforderte Lohnsteuer auf den Erstattungsanspruch im behördlichen Lohnsteuer-Jahresausgleich bzw. auf die Einkommensteuer verfahrenstechnisch anrechnen. Aus diesen Gründen ist es m. E. gerechtfertigt, entgegen dem Wortlaut des § 38 Abs. 4 Satz 1 EStG anzunehmen, daß die Nachschußpflicht des Arbeitnehmers nicht erzwingbar ist. Verlangt der Arbeitgeber also, daß der Arbeitnehmer ihm den Fehlbetrag zur Verfügung stellt, kann der Arbeitnehmer dieses Ansinnen ablehnen, wenn er der Auffassung ist, der vom Arbeitgeber verlangte Fehlbetrag sei zu hoch berechnet. - Reichen die ersten beiden Schritte noch nicht aus, um die Lohnsteuer nachträglich einzubehalten, hat der Arbeitgeber als dritten Schritt dem Betriebsstättenfinanzamt eine Anzeige einzureichen 124, welche die nachzufordernde Lohnsteuer eines jeden Arbeitnehmers beinhaltet (§§ 38 Abs. 4 Satz 2, 41c Abs. 1 EStG). Allein gegen die Anzeige steht dem Arbeitnehmer kein Rechtsschutz zu, da er durch sie in seinen Rechten nicht unmittelbar betroffen ist (vgl. § 350 AO; § 40 Abs. 2 FGO). Fordert jedoch das Finanzamt auf Grund der Anzeige die Lohnsteuer nach, darf der Arbeitnehmer gegen diesen Steuerbescheid Einspruch einlegen (§ 348 Abs. 1 Nr. 1 AO).

5.3 Zwischenergebnis Der Tatbestand des § 41c Abs. 1 Nr. 2 EStG ist auf Grund seines Wortlauts und des Zwecks dieser Vorschrift weit auszulegen. Ein "Erkennen" des Arbeitgebers ist selbst dann noch anzunehmen, wenn der Fehler bei der Ein124 Allerdings ist die Abgabe der Anzeige nach §§ 38 Abs. 4 Satz 2, 41c Abs. 1 EStG nur insoweit zulässig, als eine Anzeige nach § 41c Abs. 4 Satz 1 EStG zulässig wäre. Ansonsten könnte die Regelung des § 41c Abs. 4 EStG umgangen werden. Hat beispielsweise das Finanzamt Kenntnis von der zu geringen Einbehaltung i. S. des § 41a Abs. 1 Nr. 2 EStG (damit scheidet nach der hier vertretenen Auffassung die Abgabe einer Anzeige nach § 41c Abs. 4 Satz 1 EStG aus) und reicht der Barlohn des Arbeitnehmers nicht aus, darf sich der Arbeitgeber nun nicht mit der Begründung, er könne von seiner Einbehaltungsberechtigung keinen Gebrauch machen, von der ihm drohenden Inanspruchnahme als Haftungsschuldner durch eine Anzeige nach § 38 Abs. 4 Satz 2 EStG befreien. Diese wäre unzulässig.

10 Schäfer

146

3. Abschn.: Außenverhältnis

behaltung der Steuer bereits vom Arbeitnehmer oder dem Finanzamt entdeckt worden ist. Der Arbeitgeber "erkennt" erst dann nicht mehr, wenn er bzw. seine Erfüllungsgehilfen im konkreten Bewußtsein eines Fehlers diesen nicht korrigiert haben. Liegen die Tatbestandsvoraussetzungen des § 41c Abs. 1 EStG vor, ist der Arbeitgeber entsprechend dem Wortlaut dieser Vorschrift lediglich berechtigt - und nicht verpflichtet -, den Lohnsteuerabzug zu ändern. Daher scheidet eine allgemeine Leistungsklage des Arbeitnehmers auf Durchführung der Änderung aus. Entschließt sich der Arbeitgeber zu einer nachträglichen Einbehaltung und reicht der dem Arbeitnehmer zur Verfügung stehende Barlohn nicht aus, um den einzubehaltenden Betrag insgesamt zu decken, ist der Arbeitgeber berechtigt, die Lohnsteuer auch teilweise nachträglich einzubehalten und andere Bezüge des Arbeitnehmers zurückzubehalten (§§ 38 Abs. 4 Satz 1, 41c Abs. 1 EStG). Insoweit steht dem Arbeitnehmer als Rechtsschutz entweder der Erstattungsanspruch aus § 37 Abs. 2 Satz 1 AO analog oder die spezielleren aus §§ 42 Abs. 4 Satz 5, 42a Abs. 2 Satz 5 EStG zu. Reicht der Barlohn oder die Zurückbehaltung anderer Bezüge zur Deckung der einzubehaltenden Lohnsteuer noch nicht aus, ist der Arbeitgeber befugt, vom Arbeitnehmer die Erstattung des Fehlbetrags zu verlangen (§§ 38 Abs. 4 Satz 1, 41c Abs. 1 EStG). Dieses Recht ist jedoch nicht erzwingbar. Soweit der Arbeitnehmer den Fehlbetrag nicht erstattet, kommt eine Anzeige nach §§ 38 Abs. 4 Satz 2, 41c Abs. 1 EStG in Betracht. Sofern der Arbeitgeber eine Anzeige an das Betriebsstättenfinanzamt einzureichen hat (§ 41c Abs. 4 Satz 1 EStG bzw. §§ 38 Abs. 4 Satz 2, 41c Abs. 1 EStG), ist ihre Abgabe nur zulässig, soweit die Finanzverwaltung nicht bereits Kenntnis von der zu geringen Einbehaltung i. S. des § 41c Abs. 1 Nr. 2 EStG hat oder diese Kenntnis unmittelbar bevorsteht. Die Anzeige hat den vom Finanzamt nachzufordernden Lohnsteuerbetrag eines jeden Arbeitnehmers zu beinhalten. An den angezeigten Betrag ist das Finanzamt zum Zwecke der Nachforderung gebunden. Fordert die Verwaltung auf Grund einer fehlerhaften Anzeige zuwenig Lohnsteuer vom Arbeitnehmer nach, haftet der Arbeitgeber gemäß §§ 42d Abs. 1 Nr. 1 1. Alt., 41c Abs. 4 Satz 3 EStG (nur) auf den von ihm zuwenig angezeigten Betrag. Eine ordnungsgemäße Anzeige steht daher einer vorschriftsgemäßen Einbehaltung i. S. des Haftungsverfahrens gleich. Allein durch die Anzeige ist der Arbeitnehmer nicht unmittelbar in seinen Rechten betroffen. Deswegen scheidet Rechtsschutz für ihn insoweit aus. Wird jedoch auf Grund der Anzeige die Lohnsteuer vom Arbeitnehmer nachgefordert (§ 41c Abs. 4 Satz 3 EStG bzw. §§ 38 Abs. 4 Satz 3, 41c Abs. 1 EStG), kommt gegen diesen Steuerbescheid der Einspruch (§ 348 Abs. 1 Nr. 1 AO) in Betracht.

A. Steuerrechtliche Betrachtung

147

6. Rechtsschutz des Arbeitnehmers gegen den betrieblichen Lohnsteuer-Jahresausgleich (§ 42b EStG)

Die Frage nach dem Rechtsschutz des Arbeitnehmers stellt sich auch anläßlieh des betrieblichen Lohnsteuer-J ahresausgleichs l25 . 6.1 Arbeitgeber erstattet im Lohnsteuer-Jahresausgleich einen zu geringen Betrag

Führt der Arbeitgeber einen betrieblichen Lohnsteuer-Jahresausgleich durch, und ist der Arbeitnehmer der Auffassung, ihm sei zuwenig Lohnsteuer erstattet worden, müßte er nach der hier vertretenen Auffassung einen Antrag auf Durchführung des behördlichen Lohnsteuer-Jahresausgleichs stellen (§§ 42, 42a EStG)126. Ob ein solcher Antrag jedoch zulässig ist, erscheint wegen § 42 Abs. 2 Satz 1 EStG zweifelhaft. Nach dieser Vorschrift kann ein behördlicher Jahresausgleich nur vorgenommen werden, "soweit er nach § 42b (EStG) nicht vom Arbeitgeber durchgeführt worden ist". § 42 Abs. 2 Satz 1 EStG legt nahe, daß allein schon die Tatsache eines vom Arbeitgeber durchgeführten Lohnsteuer-Jahresausgleichs die behördliche Festsetzung des Erstattungsanspruchs ausschließt. Aber mit einer solchen Auslegung könnte der Arbeitnehmer z. B. seine Werbungskosten und Sonderausgaben nicht mehr geltend machen l27 . Da dieses Ergebnis offensichtlich nicht gewollt ist, hat § 42 Abs. 2 Satz 1 EStG eine andere Bedeutung, als es ihr Wortlaut nahelegt.

Diese Vorschrift hat letztlich nur eine deklaratorische Bedeutung. Sie ist Ausfluß der Vorstellung des Gesetzgebers, daß der betriebliche LohnsteuerJahresausgleich mit dem behördlichen eine Einheit bildet und beide Teil des Lohnsteuerabzugsverfahrens sind. Dieses Vorstellungsbild ist (nur) aus der gesetzessystematischen Stellung der §§ 42, 42a EStG im Rahmen des Lohnsteuerabzugsverfahrens und der zusammenhängenden Regelung der §§ 42 125 Entdeckt der Arbeitgeber, daß er dem Arbeitnehmer im betrieblichen Lohnsteuer-Jahresausgleich Lohnsteuer zu Unrecht erstattet hat, ist er im Regelfall nur berechtigt, sich gemäß § 41c Abs. 4 Satz 1 Nr. 3, Abs. 1 Nr. 2 EStG durch eine Anzeige von seiner Haftung aus § 42d Abs. 1 Nr. 1 1. Alt. EStG zu befreien. Ist aber die Lohnsteuerbescheinigung oder der Lohnzettel noch nicht ausgeschrieben, kommt daneben die nachträgliche Einbehaltung nach § 41c Abs. 1 Nr. 2 EStG in Betracht. 126 Soweit nicht eine Veranlagung zur Einkommensteuer in Betracht kommt (§ 46 EStG). Auf Grund dieses mehrdeutigen Gesetzeswortlauts ist auf der Jahrestagung der Deutschen Steuerjuristischen Gesellschaft im Jahre 1985 das Verhältnis des betrieblichen zum behördlichen Lohnsteuer-Jahresausgleich diskutiert worden.Vgl. in Stolterfoht (Hrsg.), S. 472. 127 So auch Drenseck in Stolterfoht (Hrsg.), S. 472; Stolterfoht in Stolterfoht (Hrsg.), S. 175 (204 FN 134). 10'

148

3. Abschn.: Außenverhältnis

42b EStG zu entnehmen. Tatsächlich ist jedoch der betriebliche LohnsteuerJahresausgleich (§ 42b EStG) eine Änderung des Lohnsteuerabzugs i. S. des § 41c EStG. Daher ist er Teil des Lohnsteuerabzugsverfahrens. Dagegen gehört der behördliche Lohnsteuer-Jahresausgleich (§§ 42, 42a EStG) als selbständiges Erstattungsverfahren ebenso wie die Veranlagung zur Einkommensteuer nicht mehr zum Lohnsteuerabzugsverfahren. Denn das Abzugsverfahren wird durch die Lohnsteuerschuld inhaltlich bestimmt (§ 38 Abs. 2 Satz 1 EStG). Sie ist die an den Eintragungen auf der Lohnsteuerkarte bemessene Steuerschuld des Arbeitnehmers. Während für den behördlichen Lohnsteuer-Jahresausgleich die Eintragungen auf der Steuerkarte unmaßgeblich sind (Rückschluß aus § 42b Abs. 2 Satz 4 EStG), sind sie für den betrieblichen Ausgleich entscheidend. Daher liegt dem behördlichen Lohnsteuer-Jahresausgleich nicht die darüber hinaus auch noch erloschene Lohnsteuerschuld, sondern ein davon unabhängiger Erstattungsanspruch zugrunde. Die Vorschrift des § 42 Abs. 2 Satz 1 EStG hat daher die deklaratorische Bedeutung, daß Lohnsteuer, die der Arbeitgeber in dem von ihm durchgeführten Ausgleich bereits erstattet und damit überhaupt nicht einbehalten hat, nicht nochmals durch das Finanzamt im behördlichen Lohnsteuer-Jahresausgleich erstattet werden darf128 • Glaubt der Arbeitnehmer also, ihm sei im betrieblichen Lohnsteuer-Jahresausgleich zuwenig Lohnsteuer erstattet worden, darf er, soweit nicht die Voraussetzungen des § 46 EStG einschlägig sind, ungehindert durch § 42 Abs. 2 Satz 1 EStG einen Antrag auf Durchführung eines behördlichen Lohnsteuer-Jahresausgleichs stellen.

6.2 Arbeitgeber verweigert die Durchführung eines Lohnsteuer-Jahresausgleichs Fraglich aber ist der Rechtsschutz des Arbeitnehmers, wenn der Arbeitgeber die Durchführung eines Lohnsteuer-Jahresausgleichs verweigert, zu dessen Vornahme er gegenüber dem Arbeitnehmer verpflichtet ist 129 . Man könnte nun die Auffassung vertreten, der Arbeitnehmer habe die allgemeine Leistungsklage gegen den Arbeitgeber zu erheben, um diesen zu verpflichten, den betrieblichen Lohnsteuer-Jahresausgleich durchzuführen. Diese Auffassung erscheint jedoch bedenklich, denn der Fall eines verweigerten betriebliSo wohl auch Kloubert, S. 50. Das Bundesarbeitsgericht müßte auf Grund der sog. Transformationsthese zu dem Ergebnis gela.ngen, dem Arbeitnehmer stehe insoweit ein Schadensersatzanspruch aus positiver Vertragsverletzung einer arbeitsvertraglichen Fürsorgepflicht zu (so wohl auch Altehoefer in Lademann / Söffing / Brockhoff, § 42b EStG Rz. 9). Diesem Lösungsvorschlag kann die hier vertretene Auffassung nicht folgen, denn der (private) Arbeitgeber führt den Lohnsteuer-Jahresausgleich (als Beliehener) schlicht-hoheitlich durch. Daher kommen keine arbeitsvertraglichen Ersatzansprüche des Arbeitnehmers in Betracht. 128 129

A. Steuerrechtliche Betrachtung

149

ehen Jahresausgleichs ist mit dem Fall vergleichbar und identisch, in dem der Arbeitgeber zwar einen Lohnsteuer-Jahresausgleich durchführt, aber nur einen Betrag von null DM erstattet. Daher ist der Fall eines verweigerten Lohnsteuer-Jahresausgleichs mit dem Fall gleichzubehandeln, in dem der Arbeitgeber zwar einen betrieblichen Lohnsteuer-Jahresausgleich durchführt, aber einen zu geringen Betrag erstattet 130. Verweigert der Arbeitnehmer mithin di~ Durchführung eines Lohnsteuer-Jahresausgleichs, kommt für den Rechtsschutz des Arbeitnehmers keine allgemeine Leistungsklage in Betracht, sondern er ist nur berechtigt, den Antrag auf Durchführung eines behördlichen Lohnsteuer-Jahresausgleichs zu stellen, soweit nicht eine Veranlagung zur Einkommensteuer in Betracht kommt 131 .

6.3 Zwischenergebnis Verweigert der Arbeitgeber die Durchführung eines betrieblichen Lohnsteuer-Jahresausgleichs, obwohl er dazu verpflichtet ist, oder erstattet er in dem Ausgleich einen zu geringen Betrag, kommt als Rechtsschutz für den Arbeitnehmer nur der Antrag auf Durchführung eines behördlichen Lohnsteuer-Jahresausgleichs oder eine Veranlagung zur Einkommensteuer in Frage. Hat der Arbeitgeber einen betrieblichen Lohnsteuer-Jahresausgleich vollzogen, schließt § 42 Abs. 2 Satz 1 EStG die Durchführung des behördlichen Lohnsteuer-Jahresausgleichs nicht aus. Letzterer ist nur in-"soweit" ausgeschlossen, als der Arbeitgeber in seinem Ausgleich die Lohnsteuer bereits erstattet hat. 7. Rechtsnatur und Pfändung der Erstattungsansprüche aus §§ 41c Abs. 1, 42b Abs. 2 Satz 5 EStG

Erstattet der Arbeitgeber einen Geldbetrag im Rahmen der Änderung des Lohnsteuerabzugs (§ 41c Abs. 1 EStG) oder aus Anlaß der Durchführung 130 Verweigert der Arbeitgeber jedoch schuldhaft die Durchführung eines betrieblichen Lohnsteuer-Jahresausgleichs, kann dies einen Amtshaftungsanspruch des Arbeitnehmers begründen. 13l Zweifelhaft ist, ob der Arbeitnehmer neben diesem Antrag berechtigt ist, beim Betriebsstättenfinanzamt anzuregen, daß dieses mit Zwangsmitteln den Arbeitgeber veranlaßt (vgl. § 328 Abs. 1 AO), den Jahresausgleich durchzuführen (so Altehoefer in Lademann / Säffing / Brockhoff, § 42b EStG Rz. 9). Denn die Durchsetzung einer Handlung mittels Zwangsmitteln setzt voraus, daß die zu erzwingende Handlung der Finanzverwaltung gegenüber vorzunehmen ist. Dies trifft auf den betrieblichen Lohnsteuer-Jahresausgleich nicht zu. Dieser ist gegenüber dem Arbeitnehmer (vgl. § 42b Abs. 2 Satz 5 EStG) und nicht gegenüber der Finanzverwaltung durchzuführen. Daher , scheiden Zwangsmittel aus, um die Durchführung des betrieblichen Lohnsteuer-Jahresausgleichs zu erzwingen.

150

3. Abschn.: Außenverhältnis

eines betrieblichen Lohnsteuer-Jahresausgleichs (§ 42b Abs. 2 Satz 5 EStG), liegt den Erstattungsbeträgen ein vom Lohnsteuerschuldverhältnis unabhängiger Anspruch aus einem Steuerschuldverhältnis i. S. des § 37 Abs. 1 AO zugrunde. Daher können die Erstattungsansprüche selbständig abgetreten, verpfändet und gepfändet werden (vgl. § 46 Abs. 1 AO)132. Schuldner der steuerrechtlichen Erstattungsansprüche ist jedoch nicht der Steuergläubiger, sondern der Arbeitgeber l33 . Daher ist auch er Drittschuldner dieser selbständigen Anspruchspfändung 134 • \32 A. A. Hartz / Meeßen / Wolf ("Pfändung des Lohnsteuererstattungsanspruchs" [So 908/2 m.w.N.], "Pfändung von Arbeitslohn" [So 908/3)): Diese vertreten in konsequenter Anwendung der sog. Transformationsthese die Auffassung, die Erstattungsansprüche seien Teil des arbeitsrechtlichen Arbeitslohnanspruchs. Daher würden die Erstattungsansprüche von einer Pfändung des Arbeitslohnanspruchs erfaßt. Diese Auffassung ist bedenklich, denn der Arbeitslohnanspruch und die Erstattungsansprüche haben unterschiedliche Rechtsgrundlagen (so auch Stöber, Forderungspfändung, Rz. 377). Während der Arbeitslohnanspruch auf Arbeitsrecht beruht, folgen die Erstattungsansprüche aus dem Steuerrecht (§§ 41c Abs. 1, 42b Abs. 2 Satz 5 EStG). Daher erfüllt der (private) Arbeitgeber (als Privatrechtssubjekt) den (privatrechtlichen) Arbeitslohnanspruch; hingegen leistet er schlicht-hoheitlich (als Beliehener) auf die öffentlich-rechtlichen Steuererstattungsansprüche aus dem Lohnsteuer-Jahresausgleich und aus der Änderung des Lohnsteuerabzugs. Folglich werden die steuerrechtlichen Erstattungsansprüche der §§ 41c Abs. 1, 42b Abs. 2 Satz 5 EStG von einer Pfändung des Arbeitslohns nicht miterfaßt. Jedoch kann die Pfändung des arbeitsrechtlichen Arbeitslohnanspruchs mit der Pfändung des steuerrechtlichen Erstattungsanspruchs in einer Urkunde verbunden werden. Außerdem findet auf die steuerrechtlichen Erstattungsbeträge der §§ 41c Abs. 1,42b Abs. 2 Satz 5 EStG der für den Arbeitslohn geltende Pfändungsschutz der §§ 850 ff. ZPO keine Anwendung (so auch Stöber, Forderungspfändung, Rz. 379 m.w.N.). 133 Hieraus ergeben sich folgende Konsequenzen: Erstattet der Arbeitgeber aus Anlaß der Änderung des Lohnsteuerabzugs (§ 41c Abs. 1 EStG) oder bei der Durchführung des betrieblichen Lohnsteuer-Jahresausgleichs (§ 42b Abs. 2 Satz 5 EStG) den ordnungsgemäßen Betrag, lebt das Lohnsteuerschuldverhältnis zwischen Arbeitnehmer und Steuergläubiger nicht wieder auf. Erstattet der Arbeitgeber aber vorschriftswidrig einen Mehrbetrag, lebt das Lohnsteuerschuldverhältnis insoweit wieder auf. Aus den vorherigen Ausführungen ergeben sich weitere, entscheidende Folgerungen: 1. Das Lohnsteuerschuldverhältnis zwischen Arbeitnehmer und Steuergläubiger erlischt grundsätzlich, soweit der Arbeitgeber Lohnsteuer einbehalten hat, es sei denn, der Arbeitgeber hat Lohnsteuer zu Unrecht erstattet. Somit erlischt das Lohnsteuerschuldverhältnis in Höhe des einbehaltenen Betrages unter der aufschiebenden Bedingung der vorschriftswidrigen Erstattung durch den Arbeitgeber. 2. Da das Lohnsteuerschuldverhältnis unter der aufschiebenden Bedingung der vorschriftswidrigen Erstattung erlischt, ist der vom Arbeitgeber vorschriftswidrig erstattete Betrag entweder von ihm nachträglich einzubehalten (vgl. § 41c Abs. 1 EStG) oder vom Finanzamt gemäß § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 EStG nachzufordern. 134 Ebenso Thomas / Putzo, § 850 ZPO Anm. 3b; Stöber, Forderungspfändung, Rz. 378 m.w.N. A. A. Abschn. 140 Abs. 7 LStR: Die Finanzverwaltung differenziert jedoch in diesem Abschnitt der Lohnsteuerrichtlinien - Lohnsteuer-Jahresausgleich (Allgemeines) - nicht zwischen dem behördlichen und dem betrieblichen LohnsteuerJahresausgleich. Für die Pfändung und Überweisung der Erstattungsansprüche des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber ist die Lohnsteuerkarte nicht erforderlich. Daher ist der Voll-

B. Arbeitsrechtliche Betrachtung

151

Auf diese Pfändung finden jedoch die Beschränkungen des § 46 Abs. 6 AO keine Anwendung. Denn der Sinn und Zweck dieser Vorschrift trifft auf die Erstattung durch den Arbeitgeber nicht zu J35 • Aus dem fortlaufenden Steuerabzug vom Arbeitslohn nach Maßgabe der Eintragungen auf der Lohnsteuerkarte ergibt sich nämlich eine für die Pfändbarkeit ausreichend bestimmte Rechtsgrundlage. Dies unterscheidet den Erstattungsanspruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber von dem gegen den Steuergläubiger (z. B. aus § 37 Abs. 2 Satz 1 AO; §§ 42 Abs. 4 Satz 5, 42a Abs. 2 Satz 5 EStG). Folglich können auch Erstattungsansprüche gegen den Arbeitgeber für kommende Kalenderjahre gepfändet werden 136 • Diese künftige Anspruchspfändung wird aber gegenstandslos, wenn das Dienstverhältnis endet und der Arbeitgeber nicht mehr der nach §§ 41c, 42b EStG zuständige Arbeitgeber ist 137 • Ferner können die Erstattungsansprüche vom Arbeitnehmer ohne die Beschränkungen des § 46 Abs. 2 - 5 AO abgetreten werden. Denn der Zweck einer Anzeige i. S. des § 46 Abs. 2 AO, nämlich der Bearbeitungs- und Schutzzweck, trifft auf die Erstattung des Arbeitgebers nicht zu l38 . B. Arbeitsrechtliche Betrachtung des Außenverhältnisses 139

Die bisherigen Untersuchungen haben sich auf die steuerrechtliche Betrachtung des Außenverhältnisses konzentriert. Dabei ist aber die DoppelsteIlung, die ein Arbeitgeber im Rechtsverhältnis zum Arbeitnehmer innehat, außer acht gelassen worden: Der Arbeitgeber ist nicht nur ein öffentlich-rechtlicher Entrichtungspflichtiger, der im Außenverhältnis zum Arbeitnehmer schlichthoheitlich handelt, sondern er ist zugleich auch Partei des (zivilen oder öffentlichen) Arbeits- und Dienstvertrages l40 . Daher müssen nun - quasi als Gegenstück - die arbeitsrechtlichen Konsequenzen seiner Hoheitsbefugnis untersucht werden. streckungsgläubiger nicht berechtigt, vom Arbeitnehmer (§ 883 ZPO) oder vom Arbeitgeber (§ 886 ZPO) die Herausgabe der Lohnsteuerkarte zu verlangen, § 836 Abs. 3 ZPO. 135 So auch LG Landau Besch!. v. 9. 9. 1981- 4 T 63/81 - RPfleger 1982, 31; Stöber, Forderungspfändung, Rz. 380. 136 So auch Stöber RPfleger 1973, 116 (122 FN 96). 137 Ebenso Stöber, Forderungspfändung, Rz. 380 m.w.N. 138 Vg!. dazu BT-Drucks. 7/2852, S. 47; Harder DB 1988, 1189 (1191). 139 Hier stellvertretend für alle Rechtsbeziehungen, die auf Arbeits- und Dienstvertragsrecht beruhen. 140 Auch der Arbeitnehmer hat eine DoppelsteIlung inne: 1. Der Arbeitnehmer ist Partei des (zivilen oder öffentlichen) Arbeits- und Dienstvertrages; insoweit ist er statusrechtlich entweder ein Privatrechtssubjekt oder - wie der Beamte - ein Organ des Staates. 2. Der Arbeitnehmer ist aber auch Steuerpflichtiger (§ 38 Abs. 2 Satz 1 EStG; § 33 Abs. 11. Alt. AO). Insoweit ist er statusrechtlich stets ein Privatrechtssubjekt.

152

3. Abschn.: Außenverhältnis

Die DoppelsteIlung des Arbeitgebers hat Auswirkungen auf die Zuständigkeit der Arbeits- (Zivil- und allgemeinen Verwaltungs-) gerichte einerseits und der Finanzgerichte andererseits, auf das Bruttolohnurteil und auf die Vollstreckung aus einem Bruttolohnurteil. 1. Arbeitsrechtliche Lohnansprüche

Die oben aufgezeigten Konsequenzen haben ihren Grund in einem veränderten Vorstellungsbild vom sog. einheitlich arbeitsrechtlichen Lohnanspruch. Die herkömmliche Auffassung geht als Ausfluß der sog. Transformationsthese dahin, daß der Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers auch nach der Einbehaltung der Lohnsteuer arbeitsrechtlicher Natur sei. Nach der hier vertretenen Auffassung hat der Arbeitslohnanspruch (jedoch erst mit der Einbehaltung der Steuer) eine Doppelnatur141 , ebenso wie der Arbeitgeber erst zu diesem Zeitpunkt seine DoppelsteIlung begründet. Die Doppelnatur ist einfach darzustellen, wenn man den Vorgang der Einbehaltung von Lohnsteuer in seine einzelnen Leistungsbeziehungen zerlegt: Danach leistet der Arbeitgeber den arbeitsrechtlichen Bruttolohn an den Arbeitnehmer. Für eine sog. logische Sekunde, unmittelbar vor dem Zeitpunkt der Einbehaltung, gehört der Bruttobetrag zum Vermögen des Arbeitnehmers. Daher erfüllt der Arbeitgeber den arbeitsrechtlichen Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers nicht erst mit der (endgültigen) Übereignung des Bruttobetrags an den Arbeitnehmer, sondern bereits unmittelbar vor dem Zeitpunkt der Einbehaltung, wenn also der Arbeitgeber von dem vereinbarten Bruttobetrag Lohnsteuer einbehält. Nach dieser logischen Sekunde entnimmt der Arbeitgeber kraft seiner Einbehaltungsermächtigung der §§ 38 Abs. 3 Satz 1, 41c Abs. 1 EStG die vom Bruttobetrag berechnete Lohnsteuer. Dieser Vorgang gilt als steuerrechtliche Leistung des Arbeitnehmers, da die Lohnsteuer ,für seine Rechnung' einbehalten wird (vgl. § 38 Abs. 3 Satz 1 EStG). Durch diese Zerlegung in die einzelnen Leistungsbeziehungen wird deutlich, daß dem Vorgang der Einbehaltung letztlich zwei Leistungen zugrunde liegen: Der Arbeitgeber leistet (arbeitsrechtlich) den Bruttolohn an den Arbeitnehmer; der Arbeitnehmer leistet (steuerrechtlich) den einbehaltenen Lohnsteuerbetrag an den Arbeitgeber. Nun ist es aber so, daß die einzelnen Beträge nicht nach außen hin sichtbar zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer hin und her geleistet werden. Vielmehr liegt der Vorgang der Einbehaltung von Lohnsteuer zulässigerweise noch in der Vermögenssphäre des Arbeitgebers 142 • Dies ändert jedoch nichts 141 So schon Borrmann DB 1959, 16. Entsprechendes gilt für die sozialrechtlichen Ansprüche. 142 Diese Vorverlagerung der Einbehaltung noch in die Sphäre des Arbeitgebers hebt das Gesetz selbst hervor:

B. Arbeitsrechtliche Betrachtung

153

an der Tatsache, daß der Vergütungs anspruch des Arbeitnehmers erfüllt wird, wenn der Arbeitgeber den vereinbarten Arbeitslohn (in seiner Vermögenssphäre ) zur Verfügung stellt 143, um davon Lohnsteuer einzubehalten 144. Nach der Einbehaltung der Lohnsteuer begründet der Arbeitslohn auf Grund eines Vorrangs des Steuerrechts seine Doppelnatur: Er teilt sich in einen (arbeitsrechtlichen) Auszahlungsanspruch und die einbehaltene (steuerrechtliche ) Lohnsteuer auf. Der arbeitsrechtliche Auszahlungsanspruch des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber ist mit dem ursprünglichen Vergütungsanspruch aus dem Arbeitsvertrag wesensgleich 145. Der Umfang des arbeitsrechtlichen Auszahlungsanspruchs hängt davon ab, in welchem Umfange der Arbeitgeber Lohnsteuer tatsächlich einbehalten hat. Behält der Arbeitgeber beispielsweise den gesamten Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers als Lohnsteuer ein, so hat er mit der Bereitstellung des Das Lohnsteuerschuldverhältnis entsteht in dem Zeitpunkt, in dem der Arbeitslohn dem Arbeitnehmer zufließt (vg!. § 38 Abs. 2 Satz 2 EStG). Beispielsweise fließt der Arbeitslohn dem Arbeitnehmer bei Überweisungen erst mit der Gutschrift auf seinem Konto zu (so auch Hartz / Meeßen / Wolf, "Zufluß von Arbeitslohn" [So 1381 m.w.N.]). Folglich dürfte der Arbeitgeber erst mit der Gutschrift (so Hartz / Meeßen / Wolf, "Zufluß von Arbeitslohn" [So 1380/1]) und deswegen auch nur von dem gutgeschriebenen Betrag Lohnsteuer einbehalten. Dem ist jedoch nicht so, denn die Einbehaltungsverpflichtung des Arbeitgebers entsteht "bei" jeder Lohnzahlung (§ 38 Abs. 3 Satz 1 EStG), also im Zusammenhang mit dem Zufluß des Arbeitslohns. Deswegen hat der Arbeitgeber nicht von dem zugeflossenen Arbeitslohn Lohnsteuer einzubehalten, sondern von dem Lohnbetrag unmittelbar vor Zufluß. Der Gesetzgeber macht mit der Ausdrucksweise "bei jeder Lohnzahlung" i. S. des § 38 Abs. 3 Satz 1 EStG deutlich, daß der ursprüngliche Bruttoarbeitslohnanspruch noch in der Vermögenssphäre des Arbeitgebers gekürzt werden darf. 143 Der Vorrang des Lohnsteuerrechts modifiziert also die Erfüllungsregelungen der §§ 362 ff. BGB des Zivilrechts. 144 Die hier vertretene Auffassung von der Doppelnatur des Arbeitslohnanspruchs hat auf das Problem der Rückforderung von Arbeitslohn folgende Auswirkung: Der Arbeitgeber erfüllt den Vergütungs an spruch des Arbeitnehmers, soweit er Arbeitslohn zur Verfügung stellt, um davon Lohnsteuer einzubehalten. Stellt der Arbeitgeber also (arbeitsrechtlich) zu Unrecht einen Mehrbetrag zur Verfügung, kann er auch diesen Mehrbetrag zurückfordern. Deswegen ist der Herausgabeanspruch des Arbeitgebers gegen den Arbeitnehmer aus § 812 Abs. 1 Satz 11. Alt. BGB (ggf. i.V. mit § 87 Abs. 2 Satz 1; § 12 Abs. 2 Satz 1 BBesG; § 52 Abs. 2 Satz 1 BeamtVG) nicht auf Zahlung des zu Unrecht ausgezahlten Nettobetrags (so aber Groß ZIP 1987, 5 [21]), sondern auf Zahlung des zu Unrecht zur Verfügung gestellten Bruttobetrags gerichtet (im Ergebnis ebenso BVerfG Besch!. v. 11. 10. 1977 - 2 BvR 407/76 - BVerfGE 46, 97 [115 ff.]; BVerwG Urt. v. 12. 05. 1966 - 11 C 197.62 - BVerwGE 24,92 [104 f.]; Schnellenbach, Rz. 525 f.). Jedoch fragt es sich, ob dieser Bereicherungsanspruch bezüglich der vom überzahlten Bruttolohn einbehaltenen Lohnsteuer auf Herausgabe des Surrogats gerichtet ist (vg!. § 818 Abs. 1 BGB), nämlich auf Abtretung des Erstattungsanspruchs des Arbeitnehmers gegen die Finanzverwaltung aus § 37 Abs. 2 Satz 1 AO analog bzw. aus §§ 42 Abs. 4 Satz 5, 42a Abs. 2 Satz 5 EStG. 145 Der Auszahlungsanspruch des Arbeitnehmers wird erfüllt, soweit der auszuzahlende Betrag auf dem Konto des Arbeitnehmers gutgeschrieben wird oder ihm der Geldbetrag übereignet wird (§ 362 Abs. 1 BGB).

154

3. Abschn.: Außenverhältnis

vereinbarten Bruttolohns den Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers erfüllt. Der Auszahlungsanspruch des Arbeitnehmers, also der um die tatsächlich einbehaltene Lohnsteuer gekürzte Vergütungsanspruch, beträgt null DM. Daher scheidet arbeitsrechtlicher Rechtsschutz für den Arbeitnehmer aus. Jedoch unterwirft der Arbeitgeber mit der Einbehaltung des vereinbarten Bruttolohns als Lohnsteuer den gesamten Lohn dem Steuerrecht. Für den Rechtsschutz des Arbeitnehmers bedeutet dies, daß insoweit nur noch steuerrechtlicher Rechtsschutz Anwendung findet, d. h. der Arbeitnehmer kann die von seinem Bruttoarbeitslohn zuviel einbehaltene Lohnsteuer nur noch gemäß § 37 Abs. 2 Satz 1 AO analog; §§ 42 Abs. 4 Satz 5, 42a Abs. 2 Satz 5 EStG erstattet verlangen 146 • Behält der Arbeitgeber umgekehrt überhaupt keine Lohnsteuer ein, so ist der Auszahlungsanspruch des Arbeitnehmers auf den Bruttobetrag gerichtet. An dem ausgezahlten Betrag setzt sich jedoch das mit Zufluß des Arbeitslohns entstandene Lohnsteuerschuldverhältnis fort. Folglich kann die nicht einbehaltene Lohnsteuer entweder vom Arbeitgeber nachträglich einbehalten (§ 41c Abs. 1 Nr. 2 EStG) oder durch das Finanzamt (§ 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 EStG) nachgefordert werden. 2. Folgerungen aus diesen arbeitsrechtlichen Lohnansprüchen

2.1 Zuständigkeit der Arbeitsgerichte Diese Doppelnatur des Arbeitslohns hat Auswirkungen auf die Zuständigkeit der Arbeits-, Zivil- und allgemeinen Verwaltungsgerichte. Sie sind unzuständig, soweit der Streitgegenstand des Rechtsstreits die Anwendung der §§ 38 ff. EStG ist. 146 Ein weiteres Beispiel: Ein Arbeitnehmer hat gegen seinen Arbeitgeber einen Vergütungsanspruch von 1.000 DM. Hiervon hat der Arbeitgeber 100 DM Lohnsteuer einzubehalten. Der Arbeitgeber behält von nur 800 DM Arbeitslohn 100 DM (anstatt 80 DM) Lohnsteuer ein und zahlt nur 650 DM an den Arbeitnehmer aus. Der Arbeitgeber hat den Vergütungsanspruch des Arbeitnehmers (= 1.000 DM) in Höhe von 800 DM erfüllt. Deswegen kann der Arbeitnehmer gegen den Arbeitgeber noch Klage auf Zahlung von 200 DM vor den Arbeitsgerichten erheben (bei der Vollstreckung aus dem obsiegenden Urteil des Arbeitnehmers hat der Arbeitgeber hiervon noch 20 DM Lohnsteuer einzubehalten). Der Arbeitgeber hat den Auszahlungsanspruch des Arbeitnehmers über 700 DM (d. h. zur Verfügung gestellter Arbeitslohn von 800 DM abzüglich der einbehaltenen Lohnsteuer von 100 DM) nur in Höhe von 650 DM erfüllt. Deshalb kann der Arbeitnehmer gegen den Arbeitgeber noch Klage. auf Zahlung weiterer 50 DM vor den Arbeitsgerichten erheben. Von den 800 DM Arbeitslohn, die der Arbeitgeber zur Verfügung gestellt hat, hat er 20 DM Lohnsteuer zu Unrecht einbehalten. Insoweit steht dem Arbeitnehmer ein Erstattungsanspruch gegen das Finanzamt zu (§ 37 Abs. 2 Satz 1 AO analog).

B. Arbeitsrechtliche Betrachtung

155

Entscheidend wird die Doppelnatur des Arbeitslohns, wenn der Arbeitnehmer gegen den Arbeitgeber auf Auszahlung der Vergütung klagt. Die Zuständigkeit der Gerichte hängt nunmehr allein von der Klagebegründung des Arbeitnehmers ab. Dies verdeutlicht der folgende Fall: Ein Arbeitnehmer hat gegen seinen Arbeitgeber einen monatlichen Vergütungsanspruch in Höhe von 1.000 DM. Der Arbeitgeber hat dem Arbeitnehmer davon im letzten Monat 400 DM ausbezahlt. Der Arbeitnehmer erhebt Klage vor dem Arbeitsgericht gegen seinen Arbeitgeber auf Zahlung einer Restvergütung des letzten Monats in Höhe von 300 DM. Er begründet seinen Klageanspruch damit, daß der Arbeitgeber - die Steuerklasse VI angewandt habe. Hätte der Arbeitgeber die auf der Lohnsteuerkarte eingetragene Steuerklasse III angewandt, hätten dem Arbeitnehmer - was als richtig zu unterstellen ist - 300 DM mehr an Arbeitslohn ausbezahlt werden müssen. - dem Arbeitnehmer eine Stellenzulage in Höhe von 300 DM nicht gewährt habe.

Begründet der Arbeitnehmer sein Zahlungsbegehren damit, daß der Arbeitgeber die Eintragungen auf der Steuerkarte unzutreffend angewandt habe, sind die Arbeitsgerichte unzuständig. Denn es liegt auf Grund der Doppelnatur des Arbeitslohnanspruchs kein Streit "aus dem Arbeitsverhältnis" (§ 2 Nr. 3a ArbGG)147 mehr vor. Denn der Arbeitgeber hat mit der Einbehaltung von 600 DM Lohnsteuer den Vergütungsanspruch bzw. mit der Auszahlung der 400 DM den Auszahlungsanspruch des Arbeitnehmers erfüllt. Gegenstand dieses Rechtsstreits ist das Lohnsteuerschuldverhältnis. Das Klagebegehren ist mithin dahingehend auszulegen, daß sich der Arbeitnehmer gegen den Umfang der Lohnsteuereinbehaltung wendet. Es kommt insoweit als einziger Rechtsschutz das Erstattungsverfahren entweder aus § 37 Abs. 2 Satz 1 AO analog oder aus §§ 42 Abs. 4 Satz 5, 42a Abs. 2 Satz 5 EStG in Frage. Soweit das Wohnsitz-Finanzamt dem Erstattungsbegehren nicht stattgibt, steht dem Arbeitnehmer der Finanzrechtsweg offen 148 . Begründet der Arbeitnehmer sein Zahlungsbegehren jedoch damit, daß der Arbeitgeber ihm eine Stellenzulage nicht gewährt habe, bleiben die Arbeitsgerichte zuständig, da Rechtsgrund dieser Streitigkeit allein das Arbeitsverhältnis ist. 147 Bzw. "aus dem Beamtenverhältnis" (§ 126 Abs. 1 BRRG) oder "aus dem Wehrdienstverhältnis" (§ 59 Abs. 1 SG). 148 Dadurch ist letztendlich gewährleistet, daß die Gerichte über die §§ 38 ff. EStG zu entscheiden haben, die für dieses Rechtsgebiet auch zuständig sind, also die Finanzgerichte. Für das Ergebnis der hier vertretenen Auffassung spricht der Beschluß des Gemeinsamen Senates der Obersten Gerichtshöfe des Bundes, der Rechtsstreitigkeiten zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer zum Arbeitgebcrzuschuß zur Krankenversicherung (vgl. § 405 RVO) dem Sozial rechtsweg zuweist. Vgl. dazu S. 62f.

156

3. Abschn.: Außenverhältnis

2.2 Bruttolohnurteil der Arbeitsgerichte Die Doppelnatur des Arbeitslohnanspruchs hat weiterhin Auswirkungen auf das sog. Bruttolohnurteil. Ein Arbeitnehmer hat im Zweifel einen Anspruch auf Zahlung des Lohns, der die gesetzlichen Lohnabzüge (der Lohnsteuer, Kirchenlohnsteuer , Arbeitnehmeranteile zur Kranken-, Rentenund Arbeitslosenversicherung) mit umfaßt, sog. Bruttolohn 149 • Daher haben die Arbeitsgerichte den Arbeitgeber im Zweifel auch auf Zahlung des Bruttolohns zu verurteilen 150 • In jüngerer Zeit wird jedoch in der arbeitsrechtlichen Literatur die Frage kontrovers diskutiert, ob der Arbeitnehmer aus der Bruttovergütung den Nettolohn errechnen und nur Klage auf Zahlung dieser Nettovergütung erheben kann. Dies wird teilweise - als Ausfluß der sog. Transformationsthese mit dem Hinweis bejaht, daß eine solche Klage hinreichend bestimmt sei, sofern der Arbeitnehmer die für die Besteuerung maßgebenden Merkmale darlege 151 • Diese Auffassung ist aus mehreren Gründen bedenklich. (1) Die Doppelnatur des Arbeitslohns entsteht erst im Zeitpunkt der Einbehaltung der Lohnsteuer. Vor diesem Zeitpunkt ist und bleibt der Arbeitslohnanspruch ausschließlich arbeitsrechtlicher Natur. Daher kommt es für die Frage einer Verurteilung auf den Bruttolohn allein auf die Vereinbarung im Arbeitsvertrag an, ob der Arbeitnehmer einen Anspruch auf Zahlung der Brutto- oder der Nettolohnvergütung hat. (2) Im übrigen ist dem Arbeitnehmer mit dem Zeitpunkt der Verurteilung der Arbeitslohn noch nicht zugeflossen (vgl. § 38 Abs. 2 Satz 2 EStG). Folglich ist das Lohnsteuerschuldverhältnis noch nicht entstanden. Daher ist der Arbeitnehmer im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung nicht in der Lage, seine Lohnsteuerschuld zu berechnen. (3) Auch können sich im Zeitraum zwischen Verurteilung und Vollstreckung des Urteils (= Zufluß des Arbeitslohns) die persönlichen Verhältnisse des Arbeitnehmers und damit die entstehende Lohnsteuerschuld ändern. (4) Die Arbeitsgerichte sind ferner für die Entscheidung unzuständig, ob und welche 149 Das Wort "Brutto" bedeutet nur, daß der Arbeitslohn die gesetzlichen Lohnabzüge umfaßt; es bedeutet nicht, daß damit ein bestimmter Geldbetrag gemeint ist, der etwa auch künftige Zinsen abgilt. So auch Putzo NJW1964, 1823; vg!. auch Brox 1 Walker, Rz.. 43. ISO So BAG Urt. v. 17. 4. 1985 - 5 AZR 74/84 - DB 1985,2251; BAG Urt. v. 15. 11. 1978 - 5 AZR 199/77 - AP Nr. 14 (B!. 2) zu § 613a BGB; BAG Urt. v. 14. 1. 1964 - 3 AZR 55/63 - AP Nr. 20 (B!. 4) zu § 611 BGB "Dienstordnungsangestellte"; BGH Besch!. v. 21. 4. 1966 - VII ZB 3/66 - AP Nr. 13 zu § 611 BGB "Lohnanspruch" . So auch Soergel-Kraft, § 611 BGB Rz. 143; Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, § 71 14 (S. 369); Hueck 1 Nipperdey, § 40 III 6 (S. 283); Stolterfoht, Lohnsteuer, Rz. 148 (S. 218); Bühler, Steuerrecht 11, § 13 11.9. (S. 142); CarlDB 1988, 826 (827); Groß ZIP 1987,5 (8); Lepke DB 1978, 839; Ide DB 1968,803 (804). 151 So Palandt-Putzo, § 611 BGB Anm. 6b/aa m.w.N.; Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, § 71 I 4 (S. 369 m.w.N.); Müller, DB Beilage Nr. 5/85, 5; Lepke DB 1978,839 (841).

B. Arbeitsrechtliche Betrachtung

157

Einkünfte des Arbeitnehmers steuerpflichtig sind oder nicht. Aus diesen Gründen ist im Falle einer Bruttolohnvereinbarung eine Begrenzung der Lohnklage auf den Nettolohn wegen fehlender Bestimmtheit der Klage als unbegründet abzuweisen 152 .

2.3 Zwangsvollstreckung aus dem Bruttolohnurteil Vollstreckt der Arbeitnehmer aus einem Nettolohnurteil, ist dies für den Arbeitgeber unproblematisch. Mit der gegen ihn gerichteten Zwangsvollstrekkung fließt dem Arbeitnehmer der Arbeitslohn gemäß § 38 Abs. 2 Satz 2 EStG zu. Der Arbeitgeber hat daraufhin für den zu vollstreckenden Betrag die Lohnsteuer nach § 38 Abs. 3 Satz 1 EStG einzubehalten. Wird jedoch aus einem Bruttolohnurteil vollstreckt, ist der Arbeitgeber einem Konflikt ausgesetzt. Er hat einerseits die Zwangsvollstreckung auf den Bruttobetrag zu dulden, ist aber andererseits gemäß § 38 Abs. 3 Satz 1 EStG verpflichtet, von dem zu vollstreckenden Betrag Lohnsteuer einzubehalten 153 . Zur Lösung dieses Konflikts werden heute zwei Ansichten vertreten. 1. Es wird teilweise die Auffassung vertreten, der Arbeitgeber könne den Gerichtsvollzieher durch entsprechende Belege darauf hinweisen, daß er die Lohnsteuer des vollstreckenden Arbeitnehmers an das Betriebsstättenfinanzamt abgeführt habe. Daraufhin sei der Gerichtsvollzieher verpflichtet, die Zwangsvollstreckung in Höhe des abgeführten Betrags gemäß § 775 Nr. 4 oder Nr. 5 ZPO zu beschränken I54 •

Diese Auffassung ist bedenklich: Der Arbeitgeber ist zum einen nicht verpflichtet, die Lohnsteuer für einen einzelnen Arbeitnehmer an das Betriebsstättenfinanzamt abzuführen; die Abführungspflicht erstreckt sich vielmehr auf die LohnstelJer der Beschäftigten der gesamten Betriebsstätte (§ 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG). Zum anderen ist die Abführungspflicht vor der Vollstreckung des Arbeitnehmers noch gar nicht entstanden, denn der Arbeitgeber hat die Lohnsteuer erst bis zum zehnten Tag nach Ablauf des LohnSo auch LAG München Urt. v. 21. 8. 1979 - 4 Sa 470/79 - DB 1980,886 (887). Vgl. dazu bereits die Gesetzesbegründung zu § 69 EStG 1925; wiedergegeben bei Strutz II, § 69 EStG Anm. 1 (S. 1057). Die Tatsache, daß der Arbeitgeber auf den Bruttolohn verurteilt worden ist, befreit ihn nicht von der Einbehaltungsverpflichtung. 154 So BAG Urt. v. 15. 11. 1978 - 5 AZR 199/77 - AP Nr. 14 (BI. 2) zu § 613a BGB; BGH Beschl. v. 21. 4. 1966 - VII ZB 3/66 - AP Nr. 13 zu § 611 BGB "Lohnanspruch"; LG Aachen Beschl. v. 19. 1. 1952 - 4 T 724/51- RdA 1952, 237. So auch Stein / Jonas-Münzberg, § 775 ZPO Rzn. 19, 21; Baumbach / LauterbachHartmann, Übers. vor § 803 ZPO Anm. 1; Zöller-Stöber, § 704 ZPO Rz. 6; Thomas / Putzo, § 775 ZPO Anm. 6a; Münchener Kommentar-Söllner, § 611 BGB Rz. 305; Brox / Walker, Rz. 43; Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, § 71 I 4 (S. 369); Lepke DB 1978,839 (840); [de DB 1968, 803 (804). 152 153

158

3. Abschn.: Außenverhältnis

steuer-Anmeldungszeitraums abzuführen (§ 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG). Da der Anmeldungszeitraum grundsätzlich der Kalendermonat ist, in dem dem Arbeitnehmer der Arbeitslohn zugeflossen ist (vgl. § 41a Abs. 2 Satz 1 EStG), ist ein Arbeitgeber nicht verpflichtet, vor der Vollstreckung (= Zufluß des Arbeitslohns) die Lohnsteuer eines einzelnen Arbeitnehmers abzuführen. Aus diesen Gründen ist der vorgenannten Auffassung nicht zu folgen. 2. Ferner wird die Ansicht vertreten, es sei das Recht des Arbeitnehmers, den vollen Bruttobetrag zu vollstrecken, sofern der Arbeitgeber die Lohnsteuer noch nicht abgeführt habe. Zahle jedoch der Gerichtsvollzieher den Bruttobetrag an den Arbeitnehmer aus, sei er nach § 86 GV0155 verpflichtet, das für den Vollstreckungsort zuständige Finanzamt zu unterrichten. Die Benachrichtigung sei jedoch nur erforderlich, soweit es sich um 80 DM übersteigende Beträge handele. Auf Grund der Benachrichtigung habe die Finanzverwaltung die Lohnsteuer vom Arbeitnehmer nachzufordern 156 . Auch gegen diese Auffassung bestehen Bedenken: Ein Arbeitnehmer hat in keinem Fall einen Anspruch auf Auszahlung des vollen Bruttobetrags. Denn § 38 Abs. 3 Satz 1 EStG befreit den Arbeitgeber nicht von seiner Einbehaltungsverpflichtung, wenn gegen ihn vollstreckt wird. Aus diesem Grunde ist auch ein Gerichtsvollzieher nicht berechtigt, für den Arbeitnehmer den Bruttolohn zu vollstrecken. Daher kann der vorgenannten Auffassung nicht gefolgt werden. 3. Jedoch gibt es m. E. noch einen dritten Lösungsweg, der sowohl den Interessen der Zwangsvollstreckung als auch den Grundsätzen der Lohnsteuererhebung gerecht wird: Der Arbeitgeber hat dem Gerichtsvollzieher lediglich nachzuweisen, welchen Betrag er einzubehalten hat. Dieser Nachweis ist durch die Vorlage des Lohnkontos des vollstreckenden Arbeitnehmers zu führen (§ 7 LStDV; § 41 Abs. 1 Satz 6 EStG). In dieses sind nämlich für jeden einzelnen Arbeitnehmer die Höhe des Arbeitslohns und die einbehaltene Lohnsteuer einzutragen (§ 41 Abs. 1 Satz 3 EStG). Daraufhin hat der Gerichtsvollzieher die Zwangsvollstreckung gemäß § 775 Nr. 4 ZPO auf den um die einbehaltene Lohnsteuer verminderten Betrag zu beschränken. Die Voraussetzungen des § 775 Nr. 4 ZPO sind erfüllt: Das Lohnkonto ist eine 155 § 86 GVO Steuerabzug vom Arbeitslohn 1. Läßt die Bezeichnung des Streitgegenstandes in einem Urteil oder der sonstige Inhalt eines vollstreckbaren Titels erkennen, daß es sich um die Beitreibung einer Arbeitslohnforderung handelt, so benachrichtigt der Gerichtsvollzieher das für den Vollstreckungsort zuständige Finanzamt ... , wenn der an den Gläubiger abzuführende Betrag höher als 80,- DM ist ... 156 So BGH Beschl. v. 21. 4. 1966 - VII ZB 3/66 - AP Nr. 13 zu § 611 BGB "Lohnanspruch"; LG Aachen Beschl. v. 19. 1. 1952 - 4 T 724/51 - RdA 1952, 237; Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, § 71 14 (S. 369); Lepke DB 1978,839 (840); [de DB 1968,803 (804).

B. Arbeitsrechtliche Betrachtung

159

öffentliche Urkunde i. S. des § 415 ZPO, die der Arbeitgeber als Beliehener, also als (funktionelle) Finanzverwaltungsbehörde ausstellt. Da in dem Lohnkonto die einbehaltene Lohnsteuer eingetragen wird, ergibt sich aus der öffentlichen Urkunde, daß der Steuergläubiger insoweit befriedigt ist 157 • Hat der Arbeitgeber dem Gerichtsvollzieher das Lohnkonto vorgelegt und will der Arbeitnehmer die Zwangsvollstreckung weiterbetreiben, weil er meint, der Arbeitgeber habe von dem zu vollstreckenden Betrag zuviel Lohnsteuer einbehalten, hat der Arbeitnehmer gegen die Beschränkung der Zwangsvollstreckung durch den Gerichtsvollzieher die Erinnerung einzulegen (§ 766 ZPO). Die Erinnerung ist jedoch unbegründet, denn der Gerichtsvollzieher hat mit der Beschränkung auf Grund der Vorlage des Lohnkontos die Zwangsvollstreckung in der vorschriftsgemäßen "Art und Weise" betrieben. Das Begehren des Arbeitnehmers, die zuviel einbehaltene Lohnsteuer erstattet zu verlangen, ist nur noch mittels der Ansprüche aus § 37 Abs. 2 Satz 1 AO analog; §§ 42 Abs. 4 Satz 5, 42a Abs. 2 Satz 5 EStG beim Wohnsitz-Finanzamt geltend zu machen. Betreibt der Gerichtsvollzieher die Zwangsvollstreckung nach Vorlage des Lohnkontos dennoch weiter, hat auch der Arbeitgeber die Erinnerung (§ 766 ZPO) einzulegen. Diese ist begründet, denn mit der weiteren Vollstreckung nach Vorlage des Lohnkontos hat der Gerichtsvollzieher die Zwangsvollstrekkung nicht in der vorgeschriebenen Art und Weise betrieben. Somit führt die hier vorgeschlagene Lösung von der schlicht-hoheitlichen Handlungsbefugnis des Arbeitgebers und der Doppelnatur des Arbeitslohnanspruchs zu einer strikten Trennung von Steuerrecht einerseits sowie Arbeitsrecht (i.w.S.) und Zivilrecht andererseits. Dies hat zur Folge, daß die Arbeitsgerichte, Zivilgerichte und allgemeinen Verwaltungsgerichte in keinem Fall verpflichtet sind, materiell über die einzubehaltende Lohnsteuer zu entscheiden. 3. Zwischenergebnis

Der Arbeitnehmer hat grundsätzlich einen Vergütungsanspruch gegen den Arbeitgeber, der auf Zahlung des Bruttolohns gerichtet ist. Der Arbeitgeber erfüllt den Vergütungsanspruch, wenn er von dem vereinbarten Bruttolohn die Lohnsteuer einbehält. Nach der Einbehaltung erhält der Arbeitslohnanspruch des Arbeitnehmers eine Doppelnatur. Er setzt sich dann aus dem mit dem ursprünglichen Vergütungsanspruch wesensgleichen arbeitsrechtlichen Auszahlungsanspruch und der einbehaltenen Lohnsteuer zusammen. Der 157 So bereits die Regierungsbegründung zu § 69 EStG 1925, wiedergegeben bei Strutz II, § 69 EStG Anm. 1 (S. 1057). So auch Stolterfoht in Stolterfoht (Hrsg.), S. 175 (201 FN 125); Stolterfoht, Lohnsteuer, Rz. 148 (S. 220); Borrmann DB 1951, 16 (17); wohl auch Soergel-Kraft, § 611 BGB Rz. 143; Giloy BB 1986,566 (567).

160

3. Abschn.: Außenverhältnis

Umfang des Auszahlungsanspruchs wird durch den um die tatsächlich einbehaltene Lohnsteuer verminderten Bruttobetrag bestimmt. Daher sind die Arbeitsgerichte unzuständig, soweit der Arbeitnehmer mit einer steuerrechtlichen Klagebegründung auf Auszahlung von Arbeitslohn klagt. Weil die Doppelnatur erst im Zeitpunkt der Einbehaltung entsteht, sind die Arbeitsgerichte verpflichtet, den Arbeitgeber grundsätzlich auf Zahlung des Bruttoarbeitslohns zu verurteilen. Dies gilt jedoch nicht bei einer Nettolohnvereinbarung. Wird gegen den Arbeitgeber aus einem Bruttolohnurteil vollstreckt, ist er durch die Vorlage des Lohnkontos des vollstreckenden Arbeitnehmers berechtigt, die Vollstreckung gemäß § 775 Nr. 4 ZPO auf den um die einbehaltene Lohnsteuer verminderten Betrag zu beschränken. Betreibt der Gerichtsvollzieher die Zwangsvollstreckung dennoch weiter, ist die Erinnerung (§ 766 ZPO) des Arbeitgebers begründet, denn der Gerichtsvollzieher hat die Vollstreckung nicht in der vorschriftsgemäßen Art und Weise betrieben. Glaubt der Arbeitnehmer, der Gerichtsvollzieher habe die Vollstreckung zu Unrecht beschränkt, hat er ebenfalls die Erinnerung (§ 766 ZPO) einzulegen. Diese Erinnerung ist jedoch unbegründet, soweit der Arbeitnehmer dadurch erreichen will, daß ihm die von dem zu vollstreckenden Betrag einbehaltene Lohnsteuer freigegeben wird. Denn der Gerichtsvollzieher hat, soweit ihm das Lohnkonto vorgelegt worden ist, die Zwangsvollstreckung in der ordnungsgemäßen Art und Weise betrieben. Dem Arbeitnehmer steht, soweit er der Auffassung ist, der Gerichtsvollzieher habe zuwenig Arbeitslohn vollstreckt, als Rechtsschutz lediglich der Anspruch aus § 37 Abs. 2 Satz 1 AO analog oder der behördliche Lohnsteuer-Jahresausgleich bzw. die Veranlagung zur Einkommensteuer gegen das Wohnsitz-Finanzamt zu.

c. Haftungsrechtliche Betrachtung des AußenverhäItnisses Die vorherigen Untersuchungen haben gezeigt, daß die hoheitsrechtliche Handlungsbefugnis des Arbeitgebers zu einer sehr praktikablen Trennung von Arbeits- und Steuerrecht führt. Bisher ist aber noch die haftungsrechtliche Betrachtung des Außenverhältnisses außer acht gelassen worden. Es steht außer Zweifel, daß ein Arbeitgeber seinen Arbeitnehmer mit der Einbehaltung, der Änderung des Lohnsteuerabzugs und dem betrieblichen Lohnsteuer-Jahresausgleich schädigen kann. Man denke etwa an folgenden Beispielsfall: Ein Arbeitgeber behält Lohnsteuer in einem solchen Umfange ein, daß der Arbeitnehmer seine Wohnungsmiete nicht oder nur mittels eines Darlehens finanzieren kann. Es fragt sich, wer ihm unter welchen Voraussetzungen den durch die Einbehaltung entstandenen Schaden zu ersetzen hat1 58 . 158 Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts nimmt auf Grund der sog. Transformationsthese in diesen Fällen einen Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers

C. Haftungsrechtliche Betrachtung

161

Nach der hier vertretenen Auffassung handelt der Arbeitgeber im Außenverhältnis schlicht-hoheitlich. Folglich kommt einzig die Amts- und Staatshaftung gemäß § 839 BGB i.V. mit Art. 34 Satz 1 GG als Anspruchsgrundlage für die Ersatzansprüche des Arbeitnehmers in Frage l59 . In diesem Zusammenhang können folgende Fragenkreise problematisch werden: Fragen zum Tatbestand des Ersatzanspruchs und zur Passivlegitimation des Ersatzpflichtigen sowie zu einem möglichen Rückgriff des Ersatzpflichtigen gegen den Arbeitgeber. 1. Tatbestand des § 839 BGB i.V. mit Art. 34 Satz 1 GG

1.1 Handeln in Ausübung eines öffentlichen Amtes (Art. 34 Satz 1 GG) Das geltende Amts- und Staatshaftungsrecht ist durch das Zusammenspiel der Anspruchsgrundlage des § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB und der verfassungsrechtlichen Zurechnungsnorm des Art. 34 Satz 1 GG gekennzeichnet. Der in der Person des Dritten gegen den Beamten persönlich entstandene Schadensersatzanspruch aus § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB wird unter den Voraussetzungen des Art. 34 Satz 1 GG auf den Dienstherren übergeleitet. Allerdings decken sich die Anwendungsbereiche dieser bei den Vorschriften nicht in vollem Umfang. Teilweise erweitert Art. 34 GG die Voraussetzungen des § 839 BGB (so wird aus "Beamter" in § 839 BGB ein "jemand" in Art. 34 GG) und teilweise schränkt Art. 34 GG die Voraussetzungen des § 839 BGB durch das Tatbestandsmerkmal "in Ausübung eines öffentlichen Amtes" zusätzlich ein. Diese Diskrepanz zwischen § 839 BGB und Art. 34 GG führt dazu, daß der staatsrechtliche Beamtenbegriff über Art. 34 Satz 1 GG im Amts- und Staatshaftungsrecht aufgelöst wird. Als Beamter im Sinne des Staatshaftungsrechts sind - außer dem staatsrechtlichen Beamten - auch diejenigen Personen anzusehen, die in Ausübung hoheitlicher Befugnisse tätig werden, welche ihnen vom Staat anvertraut worden sind 160 • Es ist somit - auf Grund einer funktionellen Betrachtungsweise - Beamter i. S. des § 839 BGB i.V. mit Art. 34 GG jedermann, der hoheitlich tätig wird 161 • Insbesondere der Beliehene ist in diesem haftungsrechtlichen Sinne Beamter162 • gegen den Arbeitgeber aus einer positiven Vertragsverletzung des Arbeitsvertrages an. Diese Anspruchsgrundlage hat - neben ihrer dogmatischen Begründung - für den Ersatzberechtigten den weiteren "Nachteil", daß ihre Voraussetzungen entgegen § 276 BGB nicht schon bei leichtester Fahrlässigkeit erfüllt sind. Wegen der Komplexität des Steuerrechts sei nämlich ein strengerer Verschuldensmaßstab für das Arbeitgeberverhalten zu wählen. 159 So auch Stolterfoht in Stolterfoht (Hrsg.), S. 175 (196 ff.). Ebenso für die "gesetzliche Indienstnahme": lpsen, Indienstnahme, S. 161; Forsthoff, S. 180; Riepen, S. 71 f. Ebenso für "Organ": Schick, Grundfragen, S. 27 f. 160 So BGH Urt. v. 10. 6. 1974 - III ZR 89/72 - BGHZ 62, 372 (378). 11 Schäfer

162

3. Abschn.: Außenverhältnis

Folglich sind auch die (privaten, staatlichen und kirchlichen) Arbeitgeber i. S. des § 38 Abs. 3 Satz 1 EStG und die öffentlichen Kassen i. S. des § 38 Abs. 2 Satz 2 EStG Beamte im staatshaftungsrechtlichen Sinne (§ 839 Abs. 1 Satz 1 BGB i.V. mit Art. 34 Satz 1 GG). Dies gilt jedoch nur, soweit sie im Außenverhältnis zum Arbeitnehmer tätig werden. Im Innenverhältnis zur Finanzverwaltung handelt der Arbeitgeber nicht hoheitlich. Daher kann der Arbeitnehmer aus der schuldhaften Verletzung von Pflichten des Innenverhältnisses keine Schadensersatzansprüche herleiten.

1.2 Verletzung einer Amtspflicht gegenüber einem Dritten Der Staatshaftungsanspruch des Arbeitnehmers aus § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB i.V. mit Art. 34 Satz 1 GG entsteht, wenn der Beamte, also der Arbeitgeber, bei der Ausübung des öffentlichen Amtes seine dem Arbeitnehmer gegenüber obliegende Amtspflicht schuldhaft verletzt hat. Eine Amtspflichtverletzung liegt unzweifelhaft vor, wenn ein Arbeitgeber schuldhaft 163 mehr Lohnsteuer einbehalten hat, als er kraft Gesetzes einzubehalten hatte l64 . Fraglich aber ist, ob auch die schuldhaft unterlassene oder zu geringe Einbehaltung, also die schuldhafte Verletzung des § 42d Abs. 1 Nr. 1 1. Alt. EStG, einen Amtshaftungsanspruch zu begründen vermag. Der schuldhaft unterlassene Steuerabzug begründet nach Riepen keinen Amtshaftungsanspruch, weil der Arbeitgeber keine Amtspflichtverletzung begehe. Der unterlassene Steuerabzug bezwecke nämlich nicht auch den Schutz der rechtlichen Interessen des Arbeitnehmers 165 • Diese Auffassung ist 161 So BGH Urt. v. 30. 11. 1967 - VII ZR 34/65 - BGHZ 49, 108 (114); Papier in Maunz / Dürig / Herzog / Scholz, Art. 34 GG Rz. 90; Dagtoglou in Bonner Kommentar, Art. 34 GG Rz. 78; Münchener Kommentar-Papier, § 839 BGB Rz. 110; BGBRGRK-KreJt, § 839 BGB Rz. 50; Soergel-Glaser, § 839 BGB Rz. 43; Staudinger-SchäJer, § 839 BGB Rz. 65; Steiner JuS 1969, 69 (75). 162 So auch BGH Urt. v. 30. 11. 1967 - VII ZR 34/65 - BGHZ 49, 108 (114). So auch Dagtoglou in Bonner Kommentar, Art. 34 GG Rz. 79; Papier in Maunz / Dürig / Herzog / Scholz, Art. 34 GG Rz. 95; Staudinger-SchäJer, § 839 BGB Rzn. 69 f.; Soergel-Glaser, § 839 BGB Rz. 75; Münchener Kommentar-Papier, § 839 BGB Rz.113. So auch Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 9; Bender, Staatshaftungsrecht, Rz. 423; Michaelis, S. 200; Ossenbühl, Verwaltungsaufgaben, S. 197; Steiner, Öffentliche Verwaltung, S. 264. 163 Verschuldensmaßstab des § 839 BGB ist schon die leichteste Fahrlässigkeit, § 276 BGB. 164 Mit dem Fall der zu hohen Einbehaltung von Lohnsteuer sind folgende Fälle gleichzubehandeln: die zu geringe Erstattung von Lohnsteuer im Rahmen der Änderung des Lohnsteuerabzugs (§ 41c Abs. 1 EStG) bzw. im betrieblichen Lohnsteuer-Jahresausgleich (§ 42b Abs. 2 Satz 5 EStG); ferner die Nichtdurchführung eines betrieblichen Lohnsteuer-Jahresausgleichs, wenn der Arbeitgeber zu dessen Vornahme verpflichtet gewesen ist (§ 42b Abs. 1 Sätze 2 - 4 EStG). 165 So Riepen, S. 72.

C. Haftungsrechtliche Betrachtung

163

bedenklich, denn der Arbeitgeber ist zum Steuerabzug bei Zufluß des Arbeitslohns verpflichtet (vgl. § 38 Abs. 3 Satz 1 EStG), also zum Zeitpunkt der größten wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers. Jeder spätere Steuerabzug findet mithin zu einem Zeitpunkt statt, in dem die wirtschaftliche Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers vermindert ist. Daher dient der Steuerabzug gerade bei Zufluß des Arbeitslohns auch dem Schutz der rechtlichen Interessen des Arbeitnehmers. Folglich begründet m. E. auch die schuldhaft unterlassene- Einbehaltung der Steuer, also die schuldhafte Verletzung des § 42d Abs. 1 Nr. 1 1. Alt. EStG einen Amtshaftungsanspruch, jedoch nur unter der Voraussetzung, daß der Arbeitgeber kraft Gesetzes zur Einbehaltung verpflichtet war; denn nur in diesem Fall steht das Unterlassen dem positiven Tun gleich (vgl. § 13 Abs. 1 StGB). Ein Amtshaftungsanspruch wegen zuwenig einbehaltener Lohnsteuer scheidet somit aus, wenn der Arbeitgeber zur Einbehaltung nicht verpflichtet war. In diesem Fall ist das Unterlassen dem positiven Tun nicht gleichgestellt, weil für den Arbeitgeber insoweit keine Rechtspflicht zum Handeln bestand. Dies zeigt das folgende Beispiel'66: Während einer durch die Instanzen getriebenen Kündigungsschutzklage bietet der Arbeitnehmer seine Arbeitsleistung an. Das Bundesarbeitsgericht entscheidet nach mehreren Jahren Prozeßdauer, daß das Arbeitsverhältnis durch die Kündigung nicht be endet worden sei. Daraufhin zahlt der Arbeitgeber nun den für die gesamte Prozeßdauer rückständigen Lohn nach (§ 615 BGB). Wegen der Höhe des Betrags und weil der Arbeitnehmer zwischenzeitlich Einkünfte aus einem neuen Arbeitsverhältnis bezieht, ist die zu zahlende Lohnsteuer wegen der Progressionswirkung des Steuertarifs relativ hoch.

Den entstandenen Schaden (= Steuerdifferenz) kann der Arbeitnehmer nicht gemäß § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB i. V. mit Art. 34 Satz 1 GG ersetzt verlangen. Der Arbeitgeber war zur Einbehaltung der Lohnsteuer nicht verpflichtet, da während des Kündigungsprozesses kein Arbeitslohn zugeflossen ist (vgl. § 38 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 EStG). Daher bestand für den Arbeitgeber keine Rechtspflicht zur Einbehaltung der Steuer 167 • Somit kommt ein Amtshaftungsanspruch wegen unterlassener Einbehaltung nur dann in Betracht, wenn der Arbeitgeber zur Einbehaltung gemäß § 38 Abs. 3 Satz 1 EStG verpflichtet war 168 • Unerheblich ist in diesem Zusammenhang, daß der Schaden des Arbeitnehmers erst zu einem wesentlich späteren Zeitpunkt eintritt, z. B. erst durch die Nachforderung des Finanzamts (§ 42d Nach Stolterfoht in Stolterfoht (Hrsg.), S. 175 (199). Wohl aber ist die Steuerdifferenz dem Arbeitnehmer als Verzugsschaden gemäß § 286 Abs. 1 BGB aus dem Arbeitsvertrag vom Arbeitgeber zu ersetzen. So auch Stolterfoht in Stolterfoht (Hrsg.), S. 175 (200). 168 Daher begründet ein schuldhafter Verstoß des Arbeitgebers gegen § 41c Abs. 1 Nr. 2 EStG keinen Amtshaftungsanspruch, weil er zu der Änderung des Lohnsteuerabzugs nicht verpflichtet ist. Aber die den Schadensersatzanspruch begründende Amtspflichtverletzung liegt in einem früheren Zeitpunkt, nämlich in dem Augenblick, in dem er die Einbehaltung gemäß § 38 Abs. 3 Satz 1 EStG unterlassen hat. 166 167

11*

164

3. Abschn.: Außenverhältnis

Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 EStG) bzw. durch den Rückgriff des Arbeitgebers im internen Ausgleich der Gesamtschuldner (§ 426 BGB). Denn ein Schaden ist, auch wenn er sich erst zu einem wesentlich späteren Zeitpunkt realisiert, adäquat kausal durch die zu geringe Einbehaltung verursacht worden. Dies zeigt folgendes Beispiel: Ein Arbeitgeber behält in einem Kalenderjahr leicht fahrlässig monatlich 100 DM Lohnsteuer zuwenig ein. Nach Ablauf des Folgejahres führt das Finanzamt eine Lohnsteuer-Außenprüfung durch. Auf Grund dieser Prüfung fordert das Finanzamt 1.200 DM vom Arbeitnehmer nach. Der Arbeitnehmer finanziert die 1.200 DM mittels eines Darlehens.

Dem Arbeitnehmer steht - ungehindert durch § 839 Abs. 1 Satz 2 BGB - ein Schadensersatzanspruch aus § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB i. V. mit Art. 34 Satz 1 GG zu. Der Arbeitgeber hat mit der unterlassenen Einbehaltung, zu deren ordnungsgemäßer Durchführung er kraft Gesetzes (§ 38 Abs. 3 Satz 1 BGB) verpflichtet war, seine, dem Arbeitnehmer gegenüber obliegende Amtspflicht der Lohnsteuereinbehaltung im Zeitpunkt der größten wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit des Arbeitnehmers leicht fahrlässig verletzt. Der Ersatzpflichtige hat den daraus adäquat kausal entstandenen Schaden (= Darlehnskosten) zu ersetzen. Zu welchem Zeitpunkt dieser Schaden eintritt, ist nach § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB unerheblich. Daher ist es nicht notwendig, daß der Schaden des Arbeitnehmers unmittelbar im Anschluß an die Amtspflichtverletzung eintritt; der Schaden kann sich somit erst zu einem wesentlich späteren Zeitpunkt (hier: Nachforderung) realisieren l69 .

1.3 § 839 Abs. 3 BGB Der Amtshaftungsanspruch entfällt unter den Voraussetzungen des § 839 Abs. 3 BGB insgesamt, wenn der Verletzte, also der Arbeitnehmer, schuldhaft ein Rechtsmittel nicht eingelegt hat. Der Begriff des Rechtsmittels wird weit ausgelegt 170. Ein Arbeitnehmer ist demgemäß verpflichtet, zunächst Rechtsbehelfe gegen die Amtspflichtverletzung des Arbeitgebers einzulegen, bevor er seinen Schaden realisiert. Dies ist unproblematisch, soweit der Arbeitgeber mehr Lohnsteuer einbehalten hat, als er kraft Gesetzes einzubehalten hatte. In diesem Fall hat der Arbeitnehmer den Erstattungsanspruch aus § 37 Abs. 2 169 Eine den Schadensersatzanspruch begründende Amtspflichtverietzung ist m. E. außerhalb des Themenbereichs der Einbehaltung von Lohnsteuer - z. B. darin zu sehen, daß der Arbeitgeber entgegen § 39b Abs. 1 Satz 4 EStG Eintragungen auf der Lohnsteuerkarte unzulässigerweise offenbart oder die Lohnsteuerkarte entgegen § 39b Abs. 1 Satz 2 EStG unsorgfältig aufbewahrt. 170 Vgl. Soergel-Glaser, § 839 BGB Rz. 221; BGB-RGRK-Kreft, § 839 BGB RZ.529.

C. Haftungsrechtliche Betrachtung

165

Satz 1 AO analog geltend zu machen bzw. einen Antrag auf Durchführung eines behördlichen Lohnsteuer-Jahresausgleichs zu stellen. Problematisch wird die Vorschrift des § 839 Abs. 3 BGB jedoch, wenn die Amtspflichtverletzung des Arbeitgebers in einer zu geringen Einbehaltung begründet ist. In diesem Fall ist der Arbeitnehmer m. E. nicht nur verpflichtet, Rechtsbehelfe gegen den Nachforderungsbescheid bzw. den Rückgriff des Arbeitgebers einzulegen, sondern er hat ggf. auch einen Stundungs- bzw. Erlaßantrag zu stellen. Dies zeigen die folgenden Beispiele: Ein Arbeitgeber behält in einem Kalenderjahr leicht fahrlässig monatlich 100 DM Lohnsteuer zuwenig ein. Nach Ablauf des Folgejahres führt das Finanzamt eine Lohnsteuer-Außenprüfung durch. Auf Grund dieser Prüfung fordert der Beamte schuldhaft 1.500 DM vom Arbeitnehmer nach. Der Arbeitnehmer finanziert die 1.500 DM mittels eines Darlehens.

In diesem Beispielsfallliegen zwei Amtspflichtverletzungen vor, einerseits die des Arbeitgebers, weil er zuwenig Lohnsteuer einbehalten hat, und andererseits die des Beamten, weil er zuviel Lohnsteuer nachgefordert hat 171 . Dennoch ist dem Arbeitnehmer i.d.R. sein Schaden nicht zu ersetzen, da er gemäß § 839 Abs. 3 BGB verpflichtet war, Rechtsmittel gegen den Nachforderungsbescheid einzulegen, nämlich den Einspruch nach § 348 Abs. 1 Nr. 1 AO. Soweit er dies schuldhaft unterlassen hat, entfällt sein Amtshaftungsanspruch 172 • Ein weiteres Beispiel: Ein Arbeitgeber behält in einem Kalenderjahr leicht fahrlässig monatlich 100 DM Lohnsteuer zuwenig ein. Nach Ablauf des Folgejahres führt das Finanzamt eine Lohnsteuer-Außenprüfung durch. Auf Grund dieser Prüfung fordert das Finanzamt 1.200 DM vom Arbeitnehmer nach. Der Arbeitnehmer finanziert die 1.200 DM mittels eines Darlehens.

Auch in diesem Fall wird dem Arbeitnehmer nur in seltenen Fällen ein Schadensersatzanspruch zustehen. Er war nämlich nach § 839 Abs. 3 BGB verpflichtet, den Schaden so gering wie möglich zu halten. Daher mußte er m. E. zunächst einen Stundungs- oder Erlaßantrag stellen, bevor er Schadensersatz verlangt. Soweit er dies schuldhaft unterließ, entfällt sein Amtshaftungsanspruch.

171 Beide haften dem Arbeitnehmer gegenüber als Gesamtschuldner, § 840 Abs. 1 BGB. 172 Im allgemeinen kann sich der Arbeitnehmer nicht auf Rechtsunkundigkeit berufen. Soweit er nicht selbst in der Lage ist, z. B. einen Nachforderungsbescheid zu überprüfen, hat er den Rat eines Rechtskundigen einzuholen. Vgl. Palandt-Thomas, § 839 BGB Anm. 9b.

166

3. Abschn.: Außenverhältnis

1.4 Zu ersetzender Schaden

Soweit eine schuldhafte Amtspflichtverletzung des Arbeitgebers oder des Finanzbeamten vorliegt und der Arbeitnehmer alle Rechtsmittel ausgeschöpft hat, ist dem Arbeitnehmer der Schaden zu ersetzen (§§ 249 ff. BGB). Der Schaden ist derjenige Vermögensbetrag, der nicht bereits Gegenstand der Lohnsteuerschuld des Arbeitnehmers ist!?3. Dies zeigt das folgende Beispiel: Ein Arbeitgeber behält in einem Kalenderjahr leicht fahrlässig monatlich 100 DM Lohnsteuer zuwenig ein. Nach Ablauf des Folgejahres führt das Finanzamt eine Lohnsteuer-Außenprüfung durch. Auf Grund dieser Prüfung fordert das Finanzamt 1.200 DM vom Arbeitnehmer nach. Sowohl ein Erlaß- als auch ein Stundungsantrag des Arbeitnehmers wird abgelehnt. Der Arbeitnehmer finanziert die 1.200 DM mittels eines Darlehens.

Zu ersetzen sind dem Arbeitnehmer nur seine Schäden. Dies sind die Darlehnskosten (Zinsen, Bearbeitungsgebühren usw.), nicht jedoch der Darlehnsbetrag von 1.200 DM. Denn der Arbeitnehmer ist zur Zahlung der 1.200 DM als Steuerschuldner kraft Gesetzes verpflichtet; daher ist die Darlehnssumme kein ersatzpflichtiger Schaden!?4. 2. Bundesland der Betriebsstätte als Passivlegitimierter des Amtshaftungsanspruchs

Fraglich ist, wer Passivlegitimierter eines Amtshaftungsanspruchs des Arbeitnehmers aus § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB ist, wenn ein privater, kirchlicher oder staatlicher Arbeitgeber seine dem Arbeitnehmer gegenüber obliegende Amtspflicht der Lohnsteuereinbehaltung schuldhaft verletzt hat. Das Grundgesetz bezeichnet in Art. 34 Satz 1 GG als Passivlegitimierten den Staat oder die (öffentliche l7S ) Körperschaft, in deren Dienst der Amtsträger, also 173 So BFH Urt. v. 18. 11. 1960 - VI 157/60 U - BFHE 72, 381 (383) = BStBlIII 1961,141; Thiel DB 1988, 1343 (1347). Nur der Fremdschaden, also der Betrag, der nicht Gegenstand der Lohnsteuerschuld ist, ist dem Arbeitnehmer als Schaden i. S. des Amts- und Staatshaftungsrechts zu ersetzen. Der Eigenschaden ist dagegen der Betrag, der Gegenstand der Lohnsteuerschuld ist. Den Eigenschaden hat das Finanzamt vom Arbeitnehmer im Wege der Nachforderung geltend zu machen (vgl. § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 EStG). 174 Es ist allerdings zu überlegen, ob auf einen möglichen Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers wegen schuldhaft unterlassener Einbehaltung im Wege der Vorteilsausgleichung die Zinsen anzurechnen sind, die ihm zugefallen sind, weil die Steuerschuld "verspätet" geltend gemacht worden ist (zur Vorteilsausgleichung: vgl. Münchener Kommentar-Grunsky, vor § 249 BGB Rzn. 93 ff.). Dies erscheint jedoch bedenklich, da Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis derzeit noch nicht verzinst werden. 175 Früher ist vereinzelt die Auffassung vertreten worden, eine beliehene juristische Person des Privatrechts sei Passivlegitimierte des Amtshaftungsanspruchs für die unerlaubten Handlungen ihrer Bediensteten (so Huber, Wirtschaftsverwaltungsrecht I, S. 547; Huber DVBl1952, 456 [460]). Diese Auffassung widerspricht jedoch dem Sinn und Zweck der Staatshaftung. Übt jemand öffentliche Gewalt aus, wird er für das

C. Haftungsrechtliche Betrachtung

167

der Arbeitgeber steht 176 • Aus dem Wortlaut dieser Vorschrift ist jedoch nicht zu entnehmen, ob damit ein funktioneller oder ein formeller Zusammenhang zwischen dem Amtsträger und der indienststellenden Körperschaft gemeint ist 177 • Daher wird die Auslegung des Tatbestandsmerkmals "in deren Dienst er steht" i. S. des Art. 34 Satz 1 GG kontrovers diskutiert. Die Rechtsprechung des Reichsgerichts wird im allgemeinen dahingehend interpretiert, daß für Beamte im staatsrechtlichen Sinne die Körperschaft als Passivlegitimierte haftet, die den Beamten angestellt hat. Diese sog. Anstellungstheorie 178 bestimmt die haftende Körperschaft nach dem Dienstherren des Beamten. Hatte jedoch ein Nichtbeamter (im staatsrechtlichen Sinne, wie z. B. ein Beliehener) gehandelt, bestimmte das Reichsgericht die haftende Körperschaft nach der wahrgenommenen Funktion. Diese sog. Funktionstheorie 179 knüpft an die wahrgenommenen Aufgabenbereiche des Amtsträgers an. Der Bundesgerichtshof ist dieser Rechtsprechung zunächst gefolgt. Heute vertritt er mit der herrschenden Schrifttumsansicht 180 die sog. Anvertrauungstheorie, die eine Kombination der beiden anderen Theorien darstellt 181 • Nach Gemeinwohl tätig, da die Ausübung hoheitlicher Gewalt zu nichtstaatlichen, also dem Staat nicht verfügbaren Zwecken bereits kraft Verfassungsrechts unzulässig ist. Daher soll als ein Gebot der Gerechtigkeit auch das Gemeinwesen, welches den Handelnden mit öffentlich-rechtlichen Befugnissen ausgestattet hat, für die durch ihn entstandenen Schäden haften (so auch RG Urt. v. 17. 2. 1939 - III 151/37 - RGZ 160, 193 [195/6]). Dieser Zweck würde gefährdet oder sogar vereitelt werden, könnte sich der Staat mit Hilfe der Übertragung von Aufgaben auf Privatrechtssubjekte der ihm ansonsten selbst drohenden Haftung entziehen. Aus diesem Grunde ist das Merkmal der Körperschaft i. S. des Art. 34 Satz 1 GG nur im Sinne einer Körperschaft des öffentlichen Rechts auszulegen. So stdge. Rspr. in BGH Urt. v. 30. 11. 1967 - VII ZR 34/65 - BGHZ 49, 108 (116). So auch Papier in Maunz / Dürig / Herzog / Schotz, Art. 34 GG Rzn. 188,284; Dagtoglou in Bonner Kommentar, Art. 34 GG Rz. 232; BGB-RGRK-Kreft, § 839 BGB Rz. 53; Münchener Kommentar-Papier, § 839 BGB Rz. 310; Soergel-Glaser, § 839 BGB Rz. 149; Staudinger-Schäfer, § 839 BGB Rz. 185; Wolf! / Bachof / Stober, § 104 Rz. 11; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 66 f.; Bender, Staatshaftungsrecht, Rzn. 706 ff.; Michaelis, S. 210 f.; Stolterfoht in Stolterfoht (Hrsg.), S. 175 (197 f.); Steiner JuS 1969, 69 (75). 176 Zu den Kirchen als Körperschaften i. S. des Art. 34 Satz 1 GG: vgl. BGH Urt. v. 17. 12. 1956 - III ZR 89/55 - BGHZ 22,383 (388); Papier in Maunz / Dürig / Herzog / Schotz, Art. 34 GG Rz. 286; Dagtoglou in Bonner Kommentar, Art. 34 GG Rz. 235; Münchener Kommentar-Papier, § 839 BGB Rz. 312; Bender, Staatshaftungsrecht, Rz.707. 177 Vgl. Dagtoglou in Bonner Kommentar, Art. 34 GG Rz. 236; Staudinger-Schäfer, § 839 BGB Rz. 186; Bender, Staatshaftungsrecht, Rz. 696. 178 Vgl. BGH Urt. v. 5. 6. 1952 - III ZR 151/51 - BGHZ 6, 215 (219). 179 So RG Urt. v. 15. 7. 1938 - III 211/37 - RGZ 158, 95 (98). 180 So Papier in Maunz / Dürig / Herzog / Schotz, Art. 34 GG Rz. 287; Soergel-Glaser, § 839 BGB Rz. 149; Staudinger-Schäfer, § 839 BGB Rz. 186; BGB-RGRK-Kreft, § 839 BGB Rz. 55; Münchener Kommentar-Papier, § 839 BGB Rz. 313; Bender, Staatshaftungsrecht, Rz. 701. A. A. Dagtoglou in Bonner Kommentar, Art. 34 GG Rz. 236.

168

3. Abschn.: Außenverhältnis

ihr ist die Frage nach der passivlegitimierten Körperschaft danach zu beantworten, " ... wer dem Amtsträger das Amt, bei dessen Ausübung er fehlsam gehandelt hat, anvertraut hat, wer mit anderen Worten dem Amtsträger die Aufgaben, bei deren Wahrnehmung die Amtspflichtverletzung vorgekommen ist, übertragen hat"182. Wendet man die Anvertrauungstheorie auf das Lohnsteuerabzugsverfahren an, so sind zwei Ergebnisse möglich: - Man könnte einerseits zu dem Ergebnis gelangen, daß die Bundesrepublik Deutschland für das fehlsame Verhalten aller Arbeitgeber passivlegitimiert seil 83 . Denn der Bund ist auf Grund seiner Gesetzgebungskompetenz (vgl. Art. 105 Abs. 2 GG i.V. mit Art. 106 Abs. 3 GG) diejenige Körperschaft, die den Arbeitgebern das öffentliche Amt der Lohnsteuereinbehaltung anvertraut und ihnen dadurch die Eigenschaft eines Beamten im haftungsrechtlichen Sinne verliehen hat 184 . - Andererseits könnte man von der grundsätzlichen Passivlegitimation des Bundes auch Ausnahmen zulassen. Diese haben ihren Grund in der Beurteilung der haftpflichtigen Körperschaft im Rahmen einer staatlichen Auftragsangelegenheit. Nach allgemeiner Meinung haftet beispielsweise die Gemeinde auch für die Amtspflichtverletzungen von bei ihr beschäftigten Beamten, wenn der Beamte die Pflichtverletzung im Rahmen einer Auftragsverwaltung (z. B. für den Bund oder das Land) der Gemeinde begangen hat 185 . Da die Delegation, also die Übertragung der Lohnsteuereinbehaltung auf die staatlichen Arbeitgeber, eine Art von Auftragsverwaltung ist, müßten die zu den staatlichen Auftragsangelegenheiten entwickelten Grundsätze auf die staatlichen Arbeitgeber im Lohnsteuerabzugsverfahren übertragbar sein. Folglich würde der Staat (Bund, Land, Gemeinde) als 181 § 12 des für verfassungswidrig erklärten Staatshaftungsgesetzes legalisierte die Anvertrauungstheorie, indem besonders für Beliehene die juristische Person des öffentlichen Rechts haften sollte, "die die hoheitlichen Befugnisse übertragen hat". Die Anvertrauungstheorie führt im Regelfall zu den gleichen Ergebnissen wie die Anstellungstheorie. 182 BGH Urt. v. 12. 2. 1970 - III ZR 231/68 - BGHZ 53, 217 (219). 183 Vgl. Stolterfoht in Stolterfoht (Hrsg.), S. 175 (197 f.). 184 Dies ist die Übertragung der Begründung des Bundesgerichtshofs zur Haftung des Landes für Fehler, die durch einen beim TUV (eingetragener Verein) angestellten, amtlich anerkannten (mithin beliehenen) Sachverständigen entstanden sind: vgl. BGH Urt. v. 30. 11. 1967 - VII ZR 34/65 - BGHZ 49, 108 (116). Zur Anwendung der Anvertrauungstheorie auf Beliehene: vgl. Papier in Maunz / Dürig / Herzog / Schotz, Art. 34 GG Rz. 287; Dagtoglou in Bonner Kommentar, Art. 34 GG Rzn. 239 f.; Staudinger-Schäfer, § 839 BGB Rzn. 200 f.; Soergel-Glaser, § 839 BGB Rz. 154; BGB-RGRK-Kreft, § 839 BGB Rzn. 65 f.; Münchener Kommentar-Papier, § 839 BGB Rz. 313; Bender, Staatshaftungsrecht, Rzn. 703 f. 185 So Papier in Maunz / Dürig / Herzog / Schotz, Art. 34 GG Rz. 282 (m.w.N.); Dagtoglou in Bonner Kommentar, Art. 34 GG Rz. 237 (m.w.N.); Soergel-Glaser, § 839 BGB Rz. 149; Staudinger-Schäfer, § 839 BGB Rzn. 187 f.

C. Haftungsrechtliche Betrachtung

169

anstellende Körperschaft für die Amtspflichtverletzungen der Beamten und Angestellten der staatlichen Arbeitgeber (Bund, Land, Gemeinde) im Lohnsteuerabzugsverfahren haften, hingegen wäre für die Amtspflichtverletzungen der privaten und kirchlichen Arbeitgeber stets der Bund passivlegitimiert . Beiden Lösungen kann m. E. nicht gefolgt werden, denn sowohl die Anstellungstheorie als auch die Anvertrauungstheorie werden den Besonderheiten des Lohnsteuerabzugsverfahrens nicht gerecht. Im Lohnsteuerabzugsverfahren fehlt es an einem eindeutigen Bezugspunkt, auf Grund dessen der Bund für das Arbeitgeberverhalten haftet. So obliegt dem Bund zwar die Gesetzgebungskompetenz (Art. 105 Abs. 2 GG i.V. mit Art. 106 Abs. 3 Satz 1 GG), jedoch üben die Länder die Verwaltungskompetenz in Bundesauftragsverwaltung aus (Art. 108 Abs. 2 Satz 1 GO); der Bund wiederum hat die Ausübungskompetenz der Lohnsteuereinbehaltung gemäß §§ 38 ff. EStG auf die Arbeitgeber übertragen, die ihrerseits aber von den Ländern überwacht werden. Somit ist die Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenz im Lohnsteuerabzugsverfahren aufgesplittert. Es fehlt daher an einer eindeutigen rechtlichen Verknüpfung, die es rechtfertigt anzunehmen, daß der Bund den Arbeitgebern die Aufgaben der Lohnsteuerverwaltung anvertraut bzw. sie angestellt hat. Aus diesem Grunde können m. E. die Anstellungstheorie und die Anvertrauungstheorie im Lohnsteuerabzugsverfahren zu keinem eindeutigen Ergebnis führen. Den Besonderheiten des Lohnsteuerrechts wird man nur gerecht werden können, wenn man zur Bestimmung des Passivlegitimierten des Amtshaftungsanspruchs auf die vom Arbeitgeber wahrgenommenen Aufgaben abstellt, mithin die Funktionstheorie anwendet l86 . Danach haftet das Bundesland, welches den Lohnsteuerabzug aus seinem Verwaltungsbereich ausgegliedert hat, also das Bundesland der Betriebsstätte. Der in diesem Sinne angewandten Funktionstheorie ist nicht das Argument entgegenzuhalten, welches der Bundesgerichtshof zur Abkehr von der Funktionstheorie verwandt hat. Er hat folgenden Grund angeführt: "Wie der erkennende Senat ... bereits ... ausgeführt hat, zwingt die Anwendung der ,Funktionstheorie' den Geschädigten zu der für ihn überaus schwierigen Prüfung, in welchen Amtsbereich die ihn schädigende Amtshandlung fällt ... Die gebotene Rücksichtnahme auf die Interessen des Verletzten hat inzwischen auch den erkennenden Senat veranlaßt, ... die ... Funktionstheorie aufzugeben ... "187. Dieses Argument der schwierigen Prüfung der Rechtsnatur einer Amtshandlung entfällt für den Lohnsteuerabzug, da der Arbeitgeber keine Aufgaben aus unterschiedlichen öffentlichen Amtsbereichen wahrzunehmen hat, die mit verschiedenen Dienstherren verbunden sind. 186 187

Im Ergebnis ebenso Stolterfoht in Stolterfoht (Hrsg.), S. 175 (198). BGH Urt. v. 5. 6. 1952 - III ZR 151/51 - BGHZ 6, 215 (218/9).

170

3. Abschn.: Außenverhältnis

Für das Land als Passivlegitimierten des Amtshaftungsanspruchs spricht im übrigen auch der Sinn des Art. 34 Satz 1 GG. Die haftende Körperschaft ist nach dieser Vorschrift diejenige, die sich für das Handeln des Amtswalters nach außen verantwortlich erklärt hat. So haftet beispielsweise das Land für eine Amtspflichtverletzung eines Sachverständigen des TÜV, da das Land dem Sachverständigen die amtliche Anerkennung erteilt hat 188 ; mit dieser erklärt sich das Land für das Verhalten des Sachverständigen gegenüber dem Verletzten verantwortlich. Der Gedanke der Verantwortlichkeit liegt auch der Anstellungs- und der Anvertrauungstheorie zugrunde. Soweit z. B. eine Gemeinde einen Beamten anstellt, übernimmt sie mit der Anstellung die Verantwortung für sein Verhalten, und zwar gleichgültig, ob er im Rahmen einer Auftragsangelegenheit tätig wird oder nicht. Die Verantwortung für das Arbeitgeberverhalten im Lohnsteuerabzugsverfahren übernimmt der Bund nicht bereits durch die von ihm ausgeübte Gesetzgebungskompetenz, da es hier an einer individuellen Auswahlentscheidung des Indienstgenommenen fehlt. Die Verantwortlichkeit übernimmt der Staat erst über das Betriebsstättenfinanzamt, da dieses mit dem einzelnen Arbeitgeber über die LohnsteuerAnmeldung abrechnet und diesem auch die wesentlichen Kontrollbefugnisse (z. B. Lohnsteuer-Außenprüfung) zustehen. Daher muß auch das Bundesland der Betriebsstätte die haftungsweise Verantwortung für einen jeden Arbeitgeber des Landes treffen. Für das Land als Passivlegitimierten des Amtshaftungsanspruchs sprechen auch die Fälle, in denen die Ausübungskompetenz der Lohnsteuerschuld auf die Finanzverwaltung übergegangen ist, z. B. bei der Nachforderung von Lohnsteuer. Unterläuft beispielsweise dem Finanzbeamten aus Anlaß der Nachforderung von Lohnsteuer schuldhaft ein Fehler, so haftet das Land, da das Land den Beamten angestellt hat und Lohnsteuerverwaltung gemäß Art. 108 Abs. 2 Satz 1 GG Länderverwaltung ist. Daher muß es auch haften, soweit dem Arbeitgeber die Wahrnehmungskompetenz zusteht. Es kann nämlich erstens nicht vom Zufall der Geltendmachung der Steuerschuld abhängen, ob nun der Bund als gesetzgebende oder das Land als verwaltende Körperschaft haftet. Zweitens gebietet es gerade der Schutz des Verletzten, einen einheitlichen Passivlegitimierten des Amtshaftungsanspruchs zu bestimmen, gleichgültig, ob der Arbeitgeber oder das Finanzamt (der Beamte) den Schaden verursacht hat. Somit ist für den Amtshaftungsanspruch des Arbeitnehmers das Bundesland der Betriebsstätte passivlegitimiert. Dies gilt auch, soweit der Bund, die Gemeinde oder die Kirche selbst Arbeitgeber ist.

l~~

Vgl. BGH Urt. v. 10. 11. 1967 - VII ZR 34/65 - BGHZ 49,108 (116).

C. Haftungsrechtliche Betrachtung

171

3. Rückgriff des Landes gegen den Arbeitgeber (Art. 34 Satz 2 GG)

Fraglich ist schließlich, ob und unter welchen Voraussetzungen dem Land nachdem es den Arbeitnehmer als Aktivlegitimierten des Amtshaftungsanspruchs befriedigt hat - nun seinerseits die Möglichkeit offensteht, vom Arbeitgeber Regreß zu verlangen. Ein solcher Rückgriff ist in Art. 34 Satz 2 GG erwähnt. Dort heißt es: "Bei Vorsatz und grober Fahrlässigkeit bleibt der Rückgriff vorbehalten". Diese Vorschrift begründet keine Rückgriffspflicht des Ersatzverpflichteten, denn in Art. 34 Satz 2 GG ist der Rückgriff nicht vorgeschrieben, sondern nur vorbehalten. Art. 34 Satz 2 GG steckt somit nur den verfassungsrechtlich zulässigen Rahmen eines Rückgriffs ab, der durch nähere einfachgesetzliche Regelungen auszufüllen ist 189. Der inhaltlich begrenzte Vorbehalt des Art. 34 Satz 2 GG ist für Beamte im staatsrechtlichen Sinne durch § 46 Abs. 2 BRRG; § 78 Abs. 2 BBG; § 32 AO ausgefüllt worden. Der Arbeitgeber ist als Beliehener nur ein Beamter im haftungsrechtlichen, und nicht im staatsrechtlichen Sinne; daher scheidet eine unmittelbare Anwendung dieser Vorschriften aus. Auch eine entsprechende Anwendung der genannten Vorschriften kommt nicht in Frage, da § 46 Abs. 2 BRRG; § 78 Abs. 2 BBG einerseits spezialgesetzliche Regelungen für Beamte im staatsrechtlichen Sinne darstellen und der Arbeitgeber keine Steuer festsetzt (vgl. § 32 AO). Somit fehlt es an einer ausdrücklich geregelten Anspruchsgrundlage für das Rückgriffsbegehren des Landes gegen den Arbeitgeber. Für die Rückgriffshaftung des Art. 34 Satz 2 GG gegen Beamte im haftungsrechtlichen Sinne ist die Anspruchsgrundlage maßgebend, die sich aus dem der Indienstnahme des haftungsrechtlichen Beamten zugrundeliegenden Rechtsverhältnis ergibt 190 • Soweit es an einem solchen Rechtsverhältnis fehlt, greift der allgemeine private und öffentliche Rechtsgedanke ein, daß sich die rechtswidrige und schuldhafte Verletzung einer Pflicht in eine Ausgleichspflicht umwandelt 191 . Jedoch ist es m. E. nicht notwendig, auf diesen allgemeinen Rechtsgedanken zurückzugreifen: Dem Land steht ein Regreßanspruch

189 So RG Urt. v. 29. 4. 1921 - III 373/20 - RGZ 102, 166 (169); Papier in Maunz / Dürig / Herzog / Scholz, Art. 34 GG Rz. 290; Dagtoglou in Bonner Kommentar, Art. 34 GG Rz. 348; Staudinger-Schäfer, § 839 BGB Rz. 211; Münchener KommentarPapier, § 839 BGB Rz. 316; Soergel-Glaser, § 839 BGB Rz. 167; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 67. 190 So Staudinger-Schäfer, § 839 BGB Rz. 213; Soergel-Glaser, § 839 BGB Rz. 164; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 68. 191 So RG Urt. v. 13. 12. 1940 - III 37/40 - RGZ 165, 323 (334); BGB-RGRK-Kreft, § 839 BGB Rz. 132; Dagtoglou in Bonner Kommentar, Art. 34 GG Rz. 346. Daher ist es unschädlich, daß ein Rückgriff des Landes gegen den Arbeitgeber expressis verbis nicht geregelt ist.

172

3. Abschn.: Außenverhältnis

gegen den Arbeitgeber aus einer positiven Forderungsverletzung des gesetzlichen Steuerpflichtverhältnisses aus § 33 Abs. 1 3. Alt. AO zu!92. Dieser Regreßanspruch hat zur Voraussetzung, daß das (zivilrechtliehe) Rechtsinstitut der positiven Forderungsverletzung auf das (öffentlich-rechtliche) Steuerrechtsverhältnis des § 33 Abs. 13. Alt. AO angewendet werden kann. Auf die gesetzlichen Steuer- (Verwaltungs-) Rechtsverhältnisse finden die Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuches und die dort entwickelten Rechtsinstitute unmittelbare Anwendung, soweit nicht verwaltungsrechtliche Grundsätze entgegenstehen 193 • Das Steuerrecht regelt den Rückgriff des Landes gegen den Arbeitgeber wegen sog. Fremdschäden nicht 194 • Es liegt mithin eine gesetzliche Lücke vor. Aus diesem Grunde bestehen m. E. keine Bedenken anzunehmen, daß das Rechtsinstitut der positiven Forderungsverletzung insoweit auf das gesetzliche Steuerrechtsverhältnis des § 33 Abs. 13. Alt. AO anwendbar ist. Die positive Forderungsverletzung des Steuerrechtsverhältnisses ist mithin die geeignete Anspruchsgrundlage für den Rückgriff des Landes gegen den schadensersatzbegründenden Arbeitgeber 195 . Der Rückgriffsanspruch aus positiver Forderungsverletzung setzt voraus, daß dem Bundesland der Betriebsstätte durch eine schuldhafte Pflichtverletzung des Arbeitgebers im Rahmen eines bestehenden Rechtsverhältnisses ein Schaden entstanden ist 196 • Der Arbeitgeber begeht eine Pflichtverletzung, wenn er das zwischen ihm und dem Steuergläubiger bestehende Steuerrechtsverhältnis des § 33 Abs. 1 3. Alt. AO nicht ordnungsgemäß erfüllt, d. h. seiner Einbehaltungspflicht nicht gemäß den §§ 38 ff. EStG nachgekommen Im Ergebnis ebenso: Stolterfoht in Stolterfoht (Hrsg.), S. 175 (198). So auch Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 232; Erichsen in Erichsen / Martens, § 10 II 4 (S. 154). 194 Gegenstand des Rückgriffs aus Art. 34 Satz 2 GG sind nur Fremdschäden: so auch Papier in Maunz / Dürig / Herzog / Scholz, Art. 34 GG Rz. 293; StaudingerSchäfer, § 839 BGB Rz. 226; Soergel-Glaser, § 839 BGB Rz. 164; Münchener Kommentar-Papier, § 839 BGB Rz. 317; Ossenbühl, Staatshaftungsrecht, S. 68 f. Fremdschäden sind die Beträge, die das Land als Passivlegitimierter des Amtshaftungsanspruchs an den Arbeitnehmer gemäß § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB i.V. mit Art. 34 Satz 1 GG gezahlt hat. Dazu gehören also die Vermögensnachteile, die nicht die materielle Lohnsteuerschuld des Arbeitnehmers betreffen. Also ist die gemäß § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 EStG nachzufordernde Lohnsteuerschuld kein Fremdschaden, sondern ein sog. Eigenschaden des Landes. Der nachzufordernden Lohnsteuer des § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 EStG entspricht die Haftungsschuld des § 42d Abs. 1 Nr. 1 1. Alt. EStG. Folglich zielt auch dieses Schuldverhältnis auf Ersatz der Eigenschäden des Landes. 195 Rückgriffsansprüche öffentlicher Verwaltungen untereinander sind nach allgemeinen Grundsätzen zulässig (so auch Soergel-Glaser, § 839 BGB Rz. 166). Hat daher beispielsweise eine Gemeinde oder der Bund eine Amtspflicht aus Anlaß der Lohnsteuere in be haltung gegenüber einem Beamten verletzt, und hat das Bundesland der Betriebsstätte Ersatz an den Beamten geleistet, kann das Land auch vom Bund oder der Gemeinde Regreß verlangen. 196 Vgl. Palandt-Heinrichs, § 276 BGB Anm. 7 Ac. 192 193

C. Haftungsrechtliche Betrachtung

173

ist 197 • Jedoch müssen die durch §§ 38 ff. EStG konkretisierten Pflichten schuldhaft verletzt worden sein. Schuldhaft (für den Rückgriff) handelt der Arbeitgeber nicht schon bei leichtester Fahrlässigkeit (vgl. § 276 Abs. 1 Satz 1 BGB), sondern gemäß Art. 34 Satz 2 GG ist ein Rückgriff erst bei grober Fahrlässigkeit zulässig. Folglich muß der Arbeitgeber bzw. sein Erfüllungsgehilfe (§ 278 BGB, z. B. der Steuerberater) zumindest grob fahrlässig gehandelt haben 198 . Weiter setzt dieser Rückgriffsanspruch einen Schaden des Bundeslandes der Betriebsstätte voraus. Dies ist nur der sog. Fremdschaden, also der Betrag, den das Land dem Arbeitnehmer gemäß § 839 Abs. 1 Satz 1 BGB, Art. 34 Satz 1 GG ersetzt hat. Soweit ein Arbeitgeber grob fahrlässig seine Einbehaltungsverpflichtung aus § 38 Abs. 3 Satz 1 EStG verletzt und das Bundesland der Betriebsstätte zu Recht Schadensersatz an den Arbeitnehmer geleistet hat (§ 839 Abs. 1 Satz 1 BGB, Art. 34 Satz 1 GG), kann das Bundesland den an den Arbeitnehmer geleisteten Betrag aus einer positiven Forderungsverletzung des Steuerrechtsverhältnisses (§ 33 Abs. 1 3. Alt. AG) vom Arbeitgeber ersetzt verlangen 199 •

197 Das Steuerrechtsverhältnis des § 33 Abs. 1 AO wird durch die §§ 38 ff. EStG konkretisiert. So Tipke, Steuerrecht, § 9 (S. 135 f.). 198 In diesem Punkt zeigt sich ein weiterer Vorteil der hier vertretenen Auffassung von der Beleihung des Arbeitgebers: Während die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts auf Grund der Transformationsthese Schadensersatzansprüche des Arbeitnehmers im Ergebnis wohl erst bei grober Fahrlässigkeit zulassen will, um den Arbeitgeber vor den Gefahren des Steuerrechts zu schützen, kommt die hier vertretene Auffassung zu dem Ergebnis, daß dem Arbeitnehmer schon bei leichtester Fahrlässigkeit ein Amtshaftungsanspruch gegen das Land zusteht. Jedoch kann das Land erst bei grober Fahrlässigkeit einen Rückgriff gegen den Arbeitgeber vollziehen. Damit wird der von den Arbeitsgerichten erstrebte Schutz des Arbeitgebers gewahrt, ohne jedoch die Rechte des Arbeitnehmers zu beschneiden. 199 Somit wirken der Rückgriff aus der positiven Forderungsverletzung des Steuerrechtsverhältnisses aus § 33 Abs. 1 AO einerseits und das Haftungsverfahren des § 42d EStG andererseits zusammen, um dem Land Schäden zu ersetzen. Die nicht einbehaltene oder die nicht abgeführte Lohnsteuer - also die Eigenschäden - werden dem Land über das Haftungsverfahren des § 42d EStG ersetzt. Der Ersatz der Eigenschäden setzt nach dem Wortlaut des § 42d EStG kein Verschulden voraus. Für die Fremdschäden hingegen haftet der Arbeitgeber dem Land bei grober Fahrlässigkeit, Art. 34 Satz 2 GG. Art. 34 Satz 2 GG findet somit nur im Rahmen der Fremdschäden Anwendung. Daher ist es abzulehnen, Art. 34 Satz 2 GG im Rahmen der Eigenschäden anzuwenden (so auch Stolterfoht in Stolterfoht [Hrsg.], S. 175 [199]. Die Kritik Klouberts [So 101] an der Auffassung Stolterfohts vermag daher nicht zu überzeugen.). Die Nichtanwendung des Art. 34 Satz 2 GG auf Eigenschäden hat Auswirkungen auf den Meinungsstreit, ob ein Verschulden Tatbestandsvoraussetzung der Haftung nach § 42d EStG ist (vgl. Hartz / Meeßen / Wolf, "Haftung für Lohnsteuer" unter B.I. [So 568/2]). Jedenfalls läßt sich für die These, daß ein Verschulden Tatbestandsvoraussetzung des § 42d EStG sei, aus Art. 34 Satz 2 GG kein Argument herleiten.

174

3. Abschn.: Außenverhältnis

4. Zwischenergebnis

Entsteht dem Arbeitnehmer durch die Einbehaltung der Lohnsteuer, die Änderung des Lohnsteuerabzugs oder den betrieblichen Lohnsteuer-Jahresausgleich ein Schaden, gewährt ihm die Amts- und Staatshaftung einen Schadensersatzanspruch gegen das Bundesland der Betriebsstätte (§ 839 Abs. 1 Satz 1 BGB i.V. mit Art. 34 Satz 1 GG). Die Voraussetzungen des Amtshaftungsanspruchs sind erfüllt, wenn der Arbeitgeber schuldhaft mehr Lohnsteuer einbehalten hat, als er kraft Gesetzes einzubehalten hatte. Die unterlassene (die zu geringe) Einbehaltung begründet ebenfalls einen Schadensersatzanspruch, jedoch nur, wenn der Arbeitgeber zur Einbehaltung verpflichtet war (§ 38 Abs. 3 Satz 1 EStG, vgl. § 13 Abs. 1 StGB). Die Voraussetzungen des Amtshaftungsanspruchs entfallen gemäß § 839 Abs. 3 BGB, wenn der Arbeitnehmer es schuldhaft unterlassen hat, Rechtsmittel einzulegen. Der Arbeitnehmer ist also verpflichtet, einerseits gegen die zu hohe Einbehaltung des Arbeitgebers, die Nachforderung des Finanzamts bzw. den Rückgriff des Arbeitgebers Rechtsbehelfe geltend zu machen, andererseits Stundungs- und Erlaß anträge zu stellen. Der Amtshaftungsanspruch führt nur zum Ersatz der dem Arbeitnehmer entstandenen Schäden. Dies sind nur diejenigen Beträge, die nicht bereits Gegenstand der Lohnsteuerschuld sind, sog. Fremdschäden. Soweit das Bundesland der Betriebsstätte dem Arbeitnehmer Schadensersatz geleistet hat, kann es wegen der sog. Fremdschäden Regreß vom Arbeitgeber verlangen. Anspruchsgrundlage für den Rückgriff ist die positive Forderungsverletzung des Steuerrechtsverhältnisses aus § 33 Abs. 1 3. Alt. AG. Der Rückgriffsanspruch setzt nach Art. 34 Satz 2 GG ein grob fahrlässiges Handeln des Arbeitgebers oder seines Erfüllungsgehilfen (§ 278 BGB) voraus. Der Regreß des Landes auf Ersatz der Fremdschäden ist von der Geltendmachung sog. Eigenschäden zu unterscheiden. Letztere sind die Steuer- bzw. Haftungsschuld von Arbeitnehmer und Arbeitgeber. Sie werden dem Land nur über das Haftungsverfahren des § 42d EStG ersetzt.

4. Abschnitt

Die Lohnsteuer-Anmeldung Im Mittelpunkt des nun folgenden Abschnitts des Besonderen Teils steht die Lohnsteuer-Anmeldung des Arbeitgebers. Es werden in diesem Abschnitt im wesentlichen drei Fragenkreise untersucht: Am Anfang steht die entscheidende Frage nach der Rechtsnatur des Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis, der Gegenstand der Lohnsteuer-Anmeldung ist. Von ihrer Beantwortung hängt ab, wie das Innenverhältnis zwischen Arbeitgeber und Finanzverwaltung gegliedert ist und welche Möglichkeiten einer Fehlerkorrektur das Finanzamt, der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer im Lohnsteuer-Anmeldungsverfahren haben. A. Rechtsnatur des in der Lohnsteuer-Anmeldung angegebenenSteueranspruchs Der Arbeitgeber ist gemäß § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG verpflichtet, für jeden Lohnsteuer-Anmeldungszeitraum (vgl. § 41a Abs. 2 EStG) eine Lohnsteuer-Anmeldung beim Betriebsstättenfinanzamt einzureichen. Diese ist kraft Gesetzes eine Steuererklärung (§ 150 Abs. 1 Satz 2 AO; § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG), die ihrerseits wiederum kraft Gesetzes einer Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung gleichsteht (§ 168 Satz 1 AO)!. Mit der Feststellung, daß das Finanzamt eine Steuer festsetzt, könnten die Untersuchungen auf sich beruhen, wenn der Arbeitgeber nur die Lohn- und 1 Das Gesetz bezeichnet in § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG unter LohnsteuerAnmeldung das Schriftstück, das der Arbeitgeber beim Betriebsstättenfinanzamt einzureichen hat. Dies ist mißverständlich, denn das Schriftstück vor Eingang beim Finanzamt kann weder eine Steuererklärung (§ 150 Abs. 1 Satz 2 AO) noch Steuerfestsetzung (§ 168 Satz 1 AO) bewirken. Deshalb ist unter Lohnsteuer-Anmeldung nur die Urkunde zu verstehen, die der Arbeitgeber bereits beim Betriebsstättenfinanzamt eingereicht hat, die also die Steuerfestsetzung verkörpert. In der Steuerfestsetzung der Lohnsteuer-Anmeldung zeigt sich ein wesentliches Bedenken gegen die Auffassung, welche die organisationsrechtliche Stellung des Arbeitgebers im Lohnsteuerabzugsverfahren als Organ der Finanzverwaltung umschreibt. Diese Auffassung muß den Verwaltungsakt-Charakter der Steuerfestsetzung leugnen und zu dem Ergebnis gelangen, die Lohnsteuer-Anmeldung sei ein be hördeninterner Vorgang (so Schick, Grundfragen, S. 21). Nach der hier vertretenen Auffassung handelt der private Arbeitgeber im Innenverhältnis als Privatrechtssubjekt. Aus diesem Grunde kann ihm gegenüber eine Steuer festgesetzt werden.

176

4. Abschn.: Lohnsteuer-Anmeldung

Kirchensteuer anmelden müßte, die er selbst im Lohnsteuer-Pauschalierungsverfahren schuldet (vgl. §§ 40 Abs. 3 Satz 2, 40a Abs. 4, 40b Abs. 3 Satz 1 EStG). Dies trifft aber nur bedingt zu, da er in der Steuererklärung auch die Lohn- und Kirchensteuer anzugeben hat, deren Schuldner der Arbeitnehmer ist (vgl. § 38 Abs. 2 Satz 1 EStG). Ferner hat er die Beträge anzumelden, die er aus der einbehaltenen Lohnsteuer an die Arbeitnehmer auszuzahlen hat. Dies sind die Steuererstattungsbeträge, aber nur die des betrieblichen Lohnsteuer-Jahresausgleichs (§ 42b Abs. 3 Satz 2 EStG) sowie die Bergmannsprämie, die Arbeitnehmer-Sparzulage und die Berlin-Zulage (vgl. § 3 Abs. 1 Satz 2 BergPG; § 13 Abs. 6 Satz 15. VermBG; § 28 Abs. 5 Satz 5 BerlinFG). Damit tritt die Frage der Rechtsnatur des Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis in den Vordergrund, welcher der Lohnsteuer-Anmeldung zugrunde liegt. Verkörpert die Lohnsteuer-Anmeldung eine Urkunde, auf der mehrere Steuerfestsetzungen über jeden einzelnen angemeldeten Betrag zusammengefaßt sind, oder ist nur der Saldo der zu entrichtenden Lohnsteuer Gegenstand der Steuerfestsetzung? Die Erheblichkeit dieser Fragestellung zeigt sich - neben den theoretischen Konsequenzen - insbesondere in der Anfechtung und Vollstreckung dieser Steuerfestsetzung. Faßt die Lohnsteuer-Anmeldung mehrere Steuererklärungen in einer Urkunde zusammen, so könnte jede einzelne Festsetzung angefochten und auch jede einzeln vollstreckt werden. Beispielsweise könnte die Summe der einzubehaltenden und zu übernehmenden Lohnsteuer ohne Rücksicht darauf vollstreckt werden, ob der Arbeitgeber aus ihr Leistungen an die Arbeitnehmer zu erbringen hat (z. B. Erstattungen nach §§ 41c Abs. 1, 42b Abs. 2 Satz 5 EStG, Arbeitnehmer-Sparzulage usw.). Ergeht hingegen eine einheitliche Steuerfestsetzung über die zu entrichtende Lohnsteuer, so könnte von Amts wegen nur der Betrag vollstreckt werden, den der Arbeitgeber als Saldo angemeldet hat; bereits im Rahmen der Vollstreckung müßten somit die an die Arbeitnehmer auszuzahlenden Erstattungen und staatlichen Leistungen verrechnet werden. Sollte die Festsetzung angefochten werden, so wäre der gesamte Saldo mit der Begründung anzufechten, bei der Ermittlung eines einzelnen Betrages sei ein Fehler aufgetreten. Das Schrifttum diskutiert die Rechtsnatur des der Lohnsteuer-Anmeldung zugrundeliegenden Rechtsverhältnisses kontrovers. Es wird dabei jedoch die Frage außer acht gelassen, welche Bedeutung den Angaben der staatlichen Leistungen (wie z. B. der Arbeitnehmer-Sparzulage) in dieser Steuererklärung zukommt. Es ist daher ein Anliegen der folgenden Untersuchung, auch diese Randbereiche des Lohnsteuerrechts in die Betrachtung mit einzubeziehen.

A. Rechtsnatur

177

1. Heute vertretene herrschende Auffassungen

1.1 Lohnsteuer-Anmeldung als Festsetzung einer Steuer- und/oder Haftungsschuld des Arbeitgebers 1.11 Darstellung der Ansicht Die heute bei weitem herrschende Auffassung der Finanzverwaltung2 und des Schrifttums3 nimmt an, es müsse zur Bestimmung der Rechtsnatur der angemeldeten Steuerschuld danach differenziert werden, ob der Arbeitgeber Steuerschuldner sei oder nicht. Melde er die Steuer an, deren Schuldner er selbst sei (vgl. §§ 40 Abs. 3 Satz 2, 40a Abs. 4, 40b Abs. 3 Satz 1 EStG), werde auf Grund seiner Erklärung diese Steuerschuld festgesetzt. Beinhalte die Anmeldung jedoch die Steuer, deren Schuldner der Arbeitnehmer sei (vgl. § 38 Abs. 2 Satz 1 EStG), werde eine (fiktive) Haftungsschuld des Arbeitgebers festgesetzt. Diese Auffassung nimmt also an, daß die Lohnsteuer-Anmeldung eine Doppelnatur haben könne. Sie beinhalte eine Festsetzung der Steuerschuld über die "zu übernehmende" und/oder eine Festsetzung der Haftungsschuld über die "einzubehaltende" Lohnsteuer. Soweit die Erklärung die Steuerschuld des Arbeitgebers betreffe, fänden die §§ 167, 168 AO Anwendung, d. h., einer ausdrücklichen Festsetzung bedürfe es nur, wenn die Finanzverwaltung von der angemeldeten Steuer abweichen wolle. Betreffe die Anmeldung jedoch die Haftungsschuld, müsse nach § 191 Abs. 1 Satz 2 AO stets ein schriftlicher Haftungsbescheid erlassen werden. Damit würde aber der durch die §§ 167, 168 AO bezweckte Vereinfachungseffekt beseitigt werden. Folglich seien insoweit die §§ 167,168 AO auf den Haftungsanspruch analog anzuwenden4, s. 1.12 Kritik der Ansicht Diese Auffassung ist aus mehreren Gründen bedenklich. Die Abgabenordnung 1977 stellt den Haftungsa,nspruch bzw. den Haftungsbescheid nicht mehr Abschn. 99 Abs. 4 Satz 3 LStR 1987; anders Abschn. 133 Abs. 4 Satz 3 LStR. So Grube in Littmann / Ritz / Meincke, 14. Aufl., § 41a EStG Rzn. 10 f.; Dumke in Schwarz, § 191 AO Rzn. 34 ff.; Schwarz DStR 1980, 480 (482); Diebold BB 1978, 854 (856); Thiel StuW 1977, 237 (240); Gi/oy FR 1977, 292; wohl auch Wagner, S. 102. 4 So Frotscher in Schwarz, § 167 AO Rz. 3; Dumke in Schwarz, § 191 AO Rzn. 35 f.; Schwarz DStR 1980, 480 (482); Diebold BB 1978,854 (856); wohl auch Thiel StuW 1977, 237 (24011). 5 Diese herrschende Auffassung hat sich der Gesetzgeber im Steuerreformgesetz 1990 zu eigen gemacht, indem er § 167 Abs. 1 Satz 1 AO um die Worte "oder der Steuer- oder Haftungsschuldner die Steueranmeldung nicht abgibt" ergänzt hat (vgl. BStBI I 1988, 258). 2

3

12 Schäfer

4. Abschn.: Lohnsteuer-Anmeldung

178

dem Steueranspruch bzw. dem Steuerbescheid gleich (arg. e. § 191 Abs. 3 AG). Daher finden die die Steuerfestsetzung betreffenden Bestimmungen auf den Haftungsbescheid grundsätzlich keine Anwendung. Aus diesem Grunde verbietet sich die entsprechende Anwendung der §§ 167, 168 AG auf den (angeblichen) Haftungsanspruch6 . Dieser Ansicht steht überdies der Wortlaut des § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG entgegen, der die Angabe der einzubehaltenden und zu übernehmenden Lohnsteuer in einer Summe verlangt. Ferner vermag diese herrschende Auffassung nicht die Bedeutung der Sperrvorschrift des § 42d Abs. 4 Nr. 1 EStG zu erklären. Der Arbeitgeber verwirklicht schließlich i.d.R. keinen Haftungstatbestand, so daß der Lohnsteuer-Anmeldung auch keine Haftungsschuld und erst recht keine fiktive Haftungsschuld zugrunde liegen kann 7 • Dies verdeutlicht das folgende Beispiel: Ein Arbeitgeber hat 100 DM Lohnsteuer für den einzigen Arbeitnehmer einzubehalten. Im Lohnsteuer-Anmeldungszeitraum behält der Arbeitgeber 100 DM an Lohnsteuer ein. Diesen einbehaltenen Betrag führt er noch vor Ablauf des LohnsteuerAnmeldungszeitraums an das Betriebsstättenfinanzamt ab. Am fünften Tag nach Ablauf des Lohnsteuer-Anmeldungszeitraums gibt er eine Lohnsteuer-Anmeldung ab, welche die insgesamt einbehaltene Lohnsteuer von 100 DM enthält. In diesem Beispiel hat der Arbeitgeber alle seine Pflichten vorschriftsgemäß erfüllt. Er hat die Steuer ordnungsgemäß einbehalten sowie die einbehaltene Lohnsteuer abgeführt, wodurch er seiner Abführungspflicht aus § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG ordnungsgemäß nachgekommen ist. Daher hat er auch keinen der in § 42d Abs. 1 ESt" genannten Haftungstatbestände verwirklicht. Folglich beträgt der von ihm geschuldete Haftungsbetrag null DM. Wäre nun, wie es die herrschende Meinung annimmt, eine Haftungsschuld Gegenstand der Lohnsteuer-Anmeldung, müßte die Steuererklärung des Arbeitgebers den Betrag von null DM ausweisen. Dies aber steht im Widerspruch zum Wortlaut des § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG, nach dem der Arbeitgeber, so wie er es im Beispie1sfall getan hat, die einbehaltene Lohnsteuer von 100 DM anzumelden hat. Aus allen diesen Gründen kann der herrschenden Auffassung m. E. nicht gefolgt werden, die annimmt, daß mit der Lohnsteuer-Anmeldung eine Steuer- und/oder Haftungsschuld gegen den Arbeitgeber festgesetzt werde 8 .

6 7

So auch Tipke / Kruse, AO, § 168 Tz. 1. So auch Schmidt / Drenseck, § 41a EStG Anm. 2; Drenseck in Stolterfoht (Hrsg.),

S. 377 (387).

8 Soweit der Gesetzgeber im Steuerreformgesetz 1990 § 167 Abs. 1 Satz 1 AO um die Worte "oder der Steuer- oder Haftungsschuldner die Steueranme1dung nicht abgibt" ergänzt hat, kann man jedenfalls für das Lohnsteuerrecht feststellen, daß diese Gesetzesänderung überflüssig ist, denn der Arbeitgeber gibt in der Lohnsteuer-Anmeldung keine Haftungsschuld an.

A. Rechtsnatur

179

1.2 Lohnsteuer-Anmeldung als Festsetzung einer Steuerschuld gegen Arbeitgeber und/oder Arbeitnehmer Weil der Lohnsteuer-Anmeldung keine Haftungsschuld des Arbeitgebers zugrunde liegt, wird vereinzelt die Auffassung vertreten, es werde in der Lohnsteuer-Anmeldung die Steuerschuld des Arbeitgebers aus dem Pauschalierungsverfahren (§§ 40 Abs. 3 Satz 2, 40a Abs. 4, 40b Abs. 3 Satz 1 EStG) und im Ergebnis auch die Steuerschuld'des Arbeitnehmers aus dem individuellen Erhebungsverfahren (§ 38 Abs. 2 Satz 1 EStG) festgesetzt 9 • Gegen diese Auffassung spricht ebenfalls der Wortlaut des § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG, der verlangt, daß in der Lohnsteuer-Anmeldung die Steuer in einer Summe anzugeben ist. Ferner spricht gegen diese Auffassung, daß die Lohnsteuerschuld des Arbeitnehmers aus § 38 Abs. 2 Satz 2 EStG i.d.R. bereits erloschen ist, nämlich soweit der Arbeitgeber Lohnsteuer einbehalten hat. Soweit Lohnsteuer also einbehalten worden ist, kann sie in der Lohnsteuer-Anmeldung nicht mehr erneut festgesetzt werden. Daher liegt der Lohnsteuer-Anmeldung weder die Steuerschuld des Arbeitgebers noch die des Arbeitnehmers zugrunde.

1.3 Zwischenergebnis Die in Literatur und von der Finanzverwaltung heute vertretenen herrschenden Auffassungen vermögen die Rechtsnatur des Steuerschuldverhältnisses, welches der Lohnsteuer-Anmeldung zugrunde liegt (§ 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG), nicht zu begründen. Mit der Lohnsteuer-Anmeldung wird keine Steuer- und/oder Haftungsschuld des Arbeitgebers festgesetzt, denn der Wortlaut des § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG verlangt die Angabe der Lohnsteuer in einer Summe. Ferner vermag diese Auffassung die Sperrvorschrift des § 42d Abs. 4 Nr. 1 EStG nicht zu erklären. Außerdem verwirklicht der Arbeitgeber allein mit der Abgabe der Lohnsteuer-Anmeldung noch keinen Haftungstatbestand. Mit der Lohnsteuer-Anmeldung wird im Ergebnis auch keine Steuerschuld gegen den Arbeitgeber und/oder den einzelnen Arbeitnehmer festgesetzt, da die Steuerschuld des Arbeitnehmers bereits mit der Einbehaltung insoweit erloschen ist.

9 So Birkenfeld in Stolterfoht (Hrsg.), S, 245 (292); Guth FR 1978, 328 (430); Hartz / Meeßen / Wolf, (bis 20. Lieferung), "Lohnsteuer-Anmeldung" unter 4.

12'

180

4. Abschn.: Lohnsteuer-Anmeldung 2. Eigene Auffassung

Da die vorhergenannten Auffassungen nicht die Rechtsnatur des Steuerschuldverhältnisses zu begründen vermögen, welches der Lohnsteuer-Anmeldung zugrunde liegt, müssen neue Wege gesucht werden, um ihre Rechtsnatur herzuleiten. 2.1 Entrichtungssteuerschuld gegen den Arbeitgeber Man wird den Besonderheiten der Lohnsteuer-Anmeldung m. E. nur dann gerecht werden können, wenn man anerkennt, daß dem Lohnsteuer-Anmeldungsverfahren eine Entrichtungssteuerschuld des Arbeitgebers zugrunde liegt lO • Dieses Steuerschuldverhältnis eigener Art gewährt dem Steuergläubiger einen Steueranspruch i. S. des § 37 Abs. 1 AG. Dieser ist mit dem Steueranspruch gegen den Steuerschuldner vergleichbar; er richtet sich nur nicht gegen den Steuerschuldner, sondern gegen einen Steuerentrichtungspflichtigen. 2.11 Existenz einer Entrichtungssteuerschuld Die Existenz einer Entrichtungssteuerschuld läßt sich aus drei Wertungen des Gesetzes entnehmen: - Das Gesetz ordnet an, daß die Lohnsteuer-Anmeldung eine Steuererklärung ist (§ 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG). Der Arbeitgeber ist, soweit seine Pflichten die Einbehaltung (§ 38 Abs. 3 Satz 1 EStG) und Abführung (§ 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG) der Lohnsteuer betreffen, ein Steuerentrichtungspflichtiger (§§ 43 Satz 2, 33 Abs. 1 AG). Zwischen ihm und dem Steuergläubiger besteht somit nur ein Steuerpflichtverhältnis i. S. des § 33 Abs. 1 3. Alt. AG, also ein Steuerrechtsverhältnis nicht-vermögensrechtlicher ArtlI. Dieses Rechtsverhältnis wandelt sich in ein Steuerrechtsverhältnis vermögensrechtlicher Art - also ein Steuerschuldverhältnis - um, wenn der Arbeitgeber eine LohnsteuerAnmeldung abgibt (§ 33 Abs. 1 1. Alt. AG); denn mit der Annahme dieser Steuererklärung durch das Betriebsstättenfinanzamt wird die Festsetzung einer Steuerschuld bewirkt (§ 168 Satz 1 AG). Schuldner dieses Steuerschuldverhältnisses ist der Arbeitgeber, da ihm allein der Vermögensgegenstand ("Summe der einzubehaltenden und zu übernehmenden Lohnsteuer") zugerechnet wird. 10 Ebenso: FG Baden-Württemberg Urt. v. 6. 5. 1987 - XII K 322/86 - EFG 1988, 3; Schmidt / Drenseck, § 41a EStG Anm. 2; Hartz / Meeßen / Wolf, "Lohnsteuer-Anmeldung" unter 4. (S. 758/3); Drenseck in Stolterfoht (Hrsg.), S. 377 (387); Gosch FR 1988, 119 (120 f.). 11 Vgl. dazu Tipke / Kruse, AO, vor § 33 Tz. 1.

A. Rechtsnatur

181

Die Lohnsteuer-Anmeldung begründet somit zwischen dem Steuergläubiger und dem Arbeitgeber ein Steuerschuldverhältnis eigener Art, eine Entrichtungssteuerschuld. - Die Existenz einer Entrichtungssteuerschuld zeigt sich weiter in der Selbständigkeit der Lohnsteuer-Anmeldung. Der Arbeitgeber ist, unabhängig davon, ob und wann er Lohnsteuer einbehalten, übernommen und abgeführt hat, verpflichtet, eine ordnungsgemäße Lohnsteuer-Anmeldung abzugeben. Fließt dem Arbeitnehmer beispielsweise am ersten Tag des Monats 01 Arbeitslohn zu und übernimmt der Arbeitgeber diese Steuerschuld am fünfzehnten Tag des Monats 01 (vgl. § 40 Abs. 3 Satz 1 EStG), dann erlischt die Steuerschuld des Arbeitnehmers am fünfzehnten Tag des Monats 01 und es entsteht am selben Tag die pauschale Lohnsteuerschuld des Arbeitgebers (vgl. § 40 Abs. 3 Satz 2 EStG). Der Arbeitgeber hat jedoch erst spätestens am zehnten Tag nach Ablauf des Lohnsteuer-Anmeldungszeitraums die Lohnsteuer anzumelden (§ 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG). Folglich entsteht das der LohnsteuerAnmeldung zugrundeliegende Steuerschuldverhältnis erst am zehnten Tag des Monats 02 (§ 41a Abs. 2 Satz 1 EStG), es sei denn, der Arbeitgeber hat die Lohnsteuer-Anmeldung zu einem früheren Zeitpunkt abgegeben. Aus diesem Grunde ist das der Lohnsteuer-Anmeldung zugrundeliegende Steuerschuldverhältnis ein aliud sowohl gegenüber der Steuerschuld des Arbeitgebers im Pauschalierungsverfahren als auch gegenüber den Haftungsschuldverhältnissen des § 42d Abs. 1 EStG sowie gegenüber der gegen den Arbeitnehmer gerichteten Steuerschuld. Deshalb entsteht die in der Lohnsteuer-Anmeldung begründete Forderung auch dann, wenn der Arbeitgeber selbst Steuerschuldner ist. Die Entrichtungssteuerschuld ist also eine selbständige Forderung gegen den Arbeitgeber neben seiner eigenen Steuerschuld aus dem Lohnsteuerpauschalierungsverfahren (§§ 40 Abs. 3 Satz 2, 40a Abs. 4, 40b Abs. 3 Satz 1 EStG)12.

12 Diese Feststellung, daß die Entrichtungssteuerschuld ein aliud zur Steuerschuld des Arbeitgebers im Pauschalierungsverfahren ist, hat Auswirkungen auf die kontrovers diskutierte Frage, zu welchem Zeitpunkt das pauschale Lohnsteuerschuldverhältnis der §§ 40 Abs. 3 Satz 2, 40a Abs. 4, 40b Abs. 3 Satz 1 EStG entsteht. Jedenfalls wird das Schuldverhältnis nicht mit der Abgabe der Lohnsteuer-Anmeldung beim Betriebsstättenfinanzamt begründet (a. A. Hartz / Meeßen / Wolf, "Pauschalierung der Lohnsteuer" unter A.I. [So 880/2]). Es spricht daher einiges für den Vorschlag von Gaseh, nach dem die Lohnsteuer zu übernehmen ist, "wenn und sobald der Arbeitgeber sich anstelle der Lohnsteuer-Einbehaltung hierzu entschlossen und von seinem Wahlrecht entsprechend Gebrauch gemacht hat, im Falle des § 40 EStG allerdings erst nach Genehmigung durch das Betriebsstättenfinanzamt" (Gosch FR 1988, 119). Vgl. dazu auch Wagner, S. 83 ff.

182

4. Abschn.: Lohnsteuer-Anmeldung

- Die Existenz einer Entrichtungssteuerschuld ergibt sich entscheidend aus der Angabe der einzubehaltenden und zu übernehmenden Lohnsteuer in einer Summe (§ 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG). Mit der Angabe aller Beträge in einer Summe ist der Lohnsteuer-Anmeldung weder zu entnehmen, welcher Teil des angemeldeten Betrages auf die einzubehaltende und welcher auf die zu übernehmende Lohnsteuer entfällt, noch gehen aus ihr die Namen der Arbeitnehmer hervor, für die Lohnsteuer einbehalten oder pauschaliert worden ist 13 . Der Gesetzgeber hat damit zweierlei gezeigt: Durch die Angabe in einer Summe will er einerseits das der Lohnsteuer-Anmeldung zugrundeliegende Steuerschuldverhältnis sowohl aus der Steuerschuld des Arbeitnehmers (§ 38 Abs. 2 Satz 1 EStG) als auch aus der des Arbeitgebers herausläsen (§§ 40 Abs. 3 Satz 2, 40a Abs. 4, 40b Abs. 3 Satz 1 EStG). Durch die Angabe in einer Summe will er aber auch andererseits die beiden Erhebungsverfahren der Lohnsteuer in einen neuen, allein gegen den Arbeitgeber gerichteten Steueranspruch wieder zusammenführen 14 . Dieser Steuer anspruch beruht allein auf der Entrichtungssteuerschuld des Arbeitgebers. Aus diesen Gründen steht m. E. fest, daß Gegenstand der LohnsteuerAnmeldung eine Entrichtungssteuerschuld des Arbeitgebers ist 15 • Diesem Ergebnis kann man m. E. nicht entgegenhalten, mit der Einführung einer sog. 13 Nähme man mit den heute vertretenen herrschenden Auffassungen an, es müsse zur Bestimmung der Rechtsnatur zwischen der Steuerschuld des Arbeitgebers und der des Arbeitnehmers differenziert werden, so würde dies scheitern, weil die einzelnen Steuerschuldverhältnisse nicht bestimmbar sind (so auch Hartz / Meeßen / Wolf, "Lohnsteuer-Anmeldung" unter 4. [So 758/1]; Drenseck in Stolterfoht [Hrsg.], S. 377 [387]). Die Bestimmbarkeit einer Forderung aber ist Voraussetzung für ihre Existenz und damit auch für eine Verfügung über die Forderung. 14 Es ist gerade für das Innenverhältnis zwischen Arbeitgeber und Finanzverwaltung charakteristisch, daß die Trennung der beiden Erhebungsverfahren der Lohnsteuer (Pauschalierung und individuelle Erhebung) aufgehoben ist. Dies zeigt beispielsweise auch die Abführung der Lohnsteuer: Auch in diesem Verfahrens abschnitt des Innenverhältnisses sind die beiden Erhebungsverfahren zusammengeführt worden, da der Arbeitgeber die einbehaltene und auch die übernommene Lohnsteuer des Pauschalierungsverfahrens insgesamt abzuführen hat (§ 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG). Die Zusammenfassung der beiden Erhebungsverfahren im Innenverhältnis (also an läßlich der Anmeldung und Abführung von Lohnsteuer) will das Verhältnis zwischen Arbeitgeber und Finanzverwaltung verwaltungstechnisch einfach gestalten. 15 Der Name "Entrichtungssteuerschuld" (verwendet von Drenseck in Stolterfoht [Hrsg.], S. 377 [387]; ebenso FG Baden-Württemberg Urt. v. 6.5.1987 -XII K 322/86 - EFG 1988,3; Gosch FR 1988, 119 [120]; den Namen hat schon früher Diebold BB 1978, 854 [856] verwendet) kann mißverstanden werden, da er einen Zusammenhang mit § 43 Satz 2 AO nahe legt. Aber mit der Entrichtung i. S. des § 43 Satz 2 AO steht die Entrichtungssteuerschuld nicht in Beziehung. Mit der Entrichtung i. S. des § 43 Satz 2 AO ist die Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuer gemeint (§ 33 Abs. 13. Alt. AO). Dazu gehört die Lohnsteuer-Anmeldung nicht. Umgekehrt erfaßt auch die vermögensrechtliche Entrichtungssteuerschuld (§ 33

A. Rechtsnatur

183

Entrichtungssteuerschuld werde die abschließende Aufzählung der in § 37 Abs. 1 AO genannten Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis 16 unzulässigerweise erweitert. Denn der Gesetzgeber hat den Inhalt der in § 37 Abs. 1 AO genannten Ansprüche aus den Steuerschuldverhältnissen nicht definiert. Daher ist der Inhalt der einzelnen Begriffe notwendigerweise offen und kann somit neu bestimmt werden. Da feststeht, daß mit der Lohnsteuer-Anmeldung ein Steuerschuldverhältnis eigener Art zum Arbeitgeber begründet wird, das aber keinen Steuervergütungs-, Haftungs-, Erstattungsanspruch oder einen Anspruch auf eine steuerliche Nebenleistung darstellt, bestehen m. E. keine Bedenken, den Begriff des Entrichtungssteueranspruchs als Unterfall des Steueranspruchs i. S. des § 37 Abs. 1 AO anzusehen. 2.12 Inhalt der Entrichtungssteuerschuld Die Ansprüche aus dem Entrichtungssteuerschuldverhältnis entstehen mit der Annahme der Lohnsteuer-Anmeldung durch das Betriebsstättenfinanzamt, spätestens jedoch am zehnten Tage nach Ablauf eines jeden LohnsteuerAnmeldungszeitraums (§ 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 EStG; § 38 AO). Die Ansprüche erlöschen, wenn der Arbeitgeber die im Lohnsteuer-Anmeldungszeitraum zu entrichtende Lohnsteuer an jenes Finanzamt gezahlt hat (§§ 224,47 AO)17. Wird die Entrichtungssteuerschuld geltend gemacht, ist die Lohnsteuer-Anmeldung Grundlage i. S. des § 218 Abs. 1 Satz 1 AO. Wenn das Finanzamt diese Steuerfestsetzung gemäß §§ 254 Abs. 1 Satz 4, 249 Abs. 1 Satz 2 AO ohne ein Leistungsgebot vollstreckt, macht es damit die Entrichtungssteuerschuld zwangsweise geltend. Gegenstand der Entrichtungssteuerschuld ist die im Lohnsteuer-Anmeldungszeitraum zu entrichtende Steuer. Dies ist grundSätzlich - soweit die Lohnsteuer-Anmeldung keine weiteren Beträge enthält -, die Summe der in diesem Zeitraum kraft Gesetzes einzubehaltenden und zu übernehmenden Lohn- und Kirchensteuer (§ 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG)18. Abs. 11. Alt. AO) nicht die (nicht-vermögensrechtliche) Einbehaltung und Abführung der Lohnsteuer. Dennoch sollte man m. E. an dem Begriff der Entrichtungssteuerschuld festhalten, um eine einheitliche Terminologie für das noch wenig bekannte Schuldverhältnis zu gewinnen, das der Lohnsteuer-Anmeldung zugrunde liegt. Hartz / Meeßen / Wolf ("Lohnsteuer-Anmeldung" unter 4. [So 758/3]) verwenden statt des Begriffes "Entrichtungssteuerschuld" gleichbedeutend die Bezeichnung "Anmeldungssteuerschuld" . Schick (Grundfragen, S. 22) bezeichnet die Entrichtungssteuerschuld als "Abführungsschuld". Dieser Name ist abzulehnen, da die Lohnsteuer-Anmeldung nicht der "Titel" zur Vollstreckung der Abführung ist. 16 So Tipke / Kruse, AO, § 37 Tz. 1; Offerhaus in Hübschmann / Hepp / Spitaler, § 37 AO Rz. 2; Schwarz in Schwarz, § 37 AO Rz. 4; Halaczinsky in Koch, § 37 AO Rz. 2; Kühn / Kutter / Hofmann, § 37 AO Anm. 1.

184

4. Abschn.: Lohnsteuer-Anmeldung

Fraglich ist, welchen Einfluß die Angabe der Erstattungsbeträge im betrieblichen Lohnsteuer-Jahresausgleich und die der Prämien und Zulagen auf den Gegenstand der Entrichtungssteuerschuld haben. 2.121 1m betrieblichen Lohnsteuer-Jahresausgleich zu erstattende Lohnsteuer (§ 42b Abs. 2 Satz 3 EStG) Der im Lohnsteuer-Anmeldungszeitraum zu entrichtende Betrag ist die Summe der kraft Gesetzes einzubehaltenden und zu übernehmenden Lohnsteuer. Der einzubehaltende Teilbetrag dieser Summe beinhaltet auch die im betrieblichen Jahresausgleich kraft Gesetzes zu erstattende Lohnsteuer des Lohnsteuer-Anmeldungszeitraums, in dem der Jahresausgleich vorgenommen worden ist. Denn die Erstattung von Lohnsteuer im betrieblichen LohnsteuerJahresausgleich ist eine negative Einbehaltung. Dies hat zur Folge: In der Lohnsteuer-Anmeldung ist auch der im betrieblichen Lohnsteuer-Jahresausgleich zu erstattende Betrag anzugeben (§ 42b Abs. 3 Satz 2 EStG a. E.). Dies ist keine eigenständige Steuererklärung im Rahmen der Lohnsteuer-Anmeldung bzw. keine eigene Steuerfestsetzung, sondern dieser Betrag ist Teil der einzubehaltenden und damit der zu entrichtenden Lohnsteuer 19 . 2.122 ,,Abzusetzen" i. S. des § 3 Abs. 1 Satz 2 BergPG; § 28 Abs. 5 Satz 5 BerlinFG; § 13 Abs. 6 Satz 1 5. VermBG Neben der Summe der einzubehaltenden und zu übernehmenden Lohnsteuer kann die Lohnsteuer-Anmeldung auch Angaben über die Bergmannsprämie, die Berlin-Zulage oder die Arbeitnehmer-Sparzulage enthalten. Die an die Arbeitnehmer kraft Gesetzes "auszuzahlenden" staatlichen Leistungen hat der Arbeitgeber jeweils als Summe bei der nächsten Lohnsteuer-Anmeldung "abzusetzen" (vgl. § 3 Abs. 1 Satz 2 BergPG; § 28 Abs. 5 Satz 5 BerlinFG; § 13 Abs. 6 Satz 15. VermBG). 17 Die Zahlung des Arbeitgebers wird im Regelfall durch die Abführung der Lohnsteuer bewirkt (§ 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG). 18 So auch Altehoefer in Lademann / Säffing / Brockhoff, § 41a EStG Rz. 3; Nissen in Hartmann / Bättcher / Nissen / Bordewin, § 41a EStG Rzn. 3 f. Weil die Entrichtungssteuerschuld die Summe zum Gegenstand hat, die im Lohnsteuer-Anmeldungszeitraum kraft Gesetzes einzubehalten und zu übernehmen ist, ist es auch bedenklich anzunehmen, die Eintragungen auf der Lohnsteuerkarte seien Grundlagenbescheide für die Lohnsteuer-Anmeldung: Der Arbeitgeber ist nämlich nur in bezug auf die einzubehaltende Lohnsteuer an die Eintragungen gebunden; diese ist aus der Summe nicht bestimmbar. 19 Für diese Betrachtungsweise spricht auch, daß die Erstattungsbeträge aus der Änderung des Lohnsteuerabzugs gemäß § 41c Abs. 1 EStG, die mit den Erstattungsbeträgen aus dem betrieblichen Lohnsteuer-Jahresausgleich gleichzubehandeln sind, in der Lohnsteuer-Anmeldung nicht ausgewiesen werden.

A. Rechtsnatur

185

"Abzusetzen" bedeutet sicherlich zum einen, daß diese staatlichen Leistungen zum Gegenstand der Lohnsteuer-Anmeldung werden. Sie teilen damit im Innenverhältnis zwischen Arbeitgeber und Finanzverwaltung das rechtliche Schicksal dieser Steuerfestsetzung, d. h., obwohl diese Leistungen ihren Rechtsgrund nicht im Steuerrecht haben, werden sie über die Anknüpfung an die Lohnsteuer-Anmeldung dem Steuerrecht unterworfen. "Abzusetzen" bedeutet m. E. zum anderen auch, daß die einzelnen Leistungen zugleich auch das Merkmal der "Summe der einzubehaltenden und zu übernehmenden Lohnsteuer" i. S. des § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG mindern. Diese Leistungen werden also bereits im Rahmen der LohnsteuerAnmeldung mit dem vom Arbeitgeber zu entrichtenden Betrag verrechnet20 . Diese Verrechnung hat zur Konsequenz, daß die Lohnsteuer-Anmeldung keine Urkunde ist, auf der mehrere Steuererklärungen zusammengefaßt sind. Vielmehr ist Gegenstand der Lohnsteuer-Anmeldung und damit der Entrichtungssteuerschuld nur der Saldo der vom Arbeitgeber an das Betriebsstättenfinanzamt insgesamt kraft Gesetzes zu entrichtenden Lohnsteuer2l • Daher können die in der Steuerfestsetzung enthaltenen Beträge weder einzeln angefochten noch einzeln vollstreckt werden. Lediglich der an das Betriebsstättenfinanzamt zu entrichtende Saldo der Lohnsteuer kann vollstreckt und angefochten werden; letzteres jedoch mit der Begründung, bei der Ermittlung eines Betrages sei dem Arbeitgeber ein Fehler unterlaufen.

2.2 Exkurs: Abgrenzung der Lohnsteuer-Anmeldung von der Abführung der Lohnsteuer Der kraft Gesetzes zu entrichtende Betrag, der die Entrichtungssteuerschuld betrifft, ist von der tatsächlich einbehaltenen und übernommenen Lohnsteuer zu unterscheiden. Letzter Betrag ist nicht Gegenstand der Lohnsteuer-Anmeldung (vgl. § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG), sondern Inhalt der Abführungspflicht aus § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG22. Während also im Lohnsteuer-Anmeldungsverfahren auf eine gesetzliche Soll-Betrachtungsweise abzustellen ist (vgl. "einzubehaltende und zu übernehmende Lohnsteuer" in § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG), kommt es in bezug auf die AbfühSo auch Sönksen in Sönksen / Sö!!ing, § 28 BerlinFG Rz. 91. So auch Klöckner in Klein / Flockermann / Kühr, § 41a EStG Rz. 6. 22 Der Arbeitgeber ist von der Abführung der Steuer insoweit befreit, als er aus der einbehaltenen Lohnsteuer kraft Gesetzes Zahlungen an die Arbeitnehmer erbracht hat. Das sind die tatsächlich ausgezahlten Erstattungen im Rahmen der Änderung des Lohnsteuerabzugs und des betrieblichen Lohnsteuer-Jahresausgleichs (vgl. §§ 41c Abs. 1, Abs. 2 Satz 1; 42b Abs. 2 Satz 5, Abs. 3 Satz 2 EStG) sowie die ausgezahlte Arbeitnehmer-Sparzulage, Bergmannsprämie und Berlin-Zulage (vgl. § 13 Abs. 5 Satz 1, Abs. 6 Satz 15. VermBG; § 3 Abs. 1 Sätze 1,2 BergPG; § 28 Abs. 5 Sätze 3,5 BerlinFG). 20 21

186

4. Abschn.: Lohnsteuer-Anmeldung

rung der Steuer auf eine tatsächliche Ist-Betrachtungsweise an (vgl. "einbehaltene und übernommene Lohnsteuer" in § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG)23. Den unterschiedlichen Inhalt von Lohnsteuer-Anmeldung und Abführung verdeutlicht das folgende Beispiel: Ein Arbeitgeber hat für 10 Arbeitnehmer der Betriebsstätte jeweils 100 DM Lohnsteuer einzubehalten. Er behält für jeden Arbeitnehmer 110 DM (Abwandlung: 0 DM) ein.

Da Gegenstand der Entrichtungssteuerschuld die kraft Gesetzes zu entrichtende Lohnsteuer ist, hat der Arbeitgeber in der Lohnsteuer-Anmeldung für die Betriebsstätte (sowohl im Ausgangsfall als auch in der Abwandlung) einen Betrag von 1.000 DM anzugeben, und zwar unabhängig davon, welchen Betrag er tatsächlich einbehalten und übernommen hat (vgl. § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG). Dagegen ist er verpflichtet, die tatsächlich einbehaltene Lohnsteuer abzuführen (§ 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG): Im Ausgangsfall hat er somit 1.100 DM abzuführen, also einen Betrag, den nicht einmal die Arbeitnehmer als Steuerschuldner ihrem Gläubiger schulden 24 • In der Abwandlung ist der Arbeitgeber von der Abführung der Lohnsteuer befreit, da er keine Lohnsteuer einbehalten hat 25 • Somit baut das Gesetz im Innenverhältnis zwischen Arbeitgeber und Finanzverwaltung auf einer Zweigleisigkeit von Anmeldung und Abführung der Lohnsteuer auf26 • Wegen der unterschiedlichen Inhalte von Anmeldung 23 So auch Altehoefer in Lademann / Säffing / Brockhoff, § 41a EStG Rz. 3; Stache in Horowski / Altehoefer, § 41a EStG Anm. c.1.; Gosch FR 1988, 119. A. A. BFH Urt. v. 8. 3. 1988 - VII R 6/87 - BFHE 152, 418 (421/2) = BStBI II 1988, 480 (482): "Die bei der Lohnzahlung einzubehaltende LSt. ist vielmehr vom Arbeitgeber jeweils für eine Vielzahl von Arbeitnehmern spätestens am zehnten Tag nach Ablauf eines jeden Lohnsteueranmeldungszeitraums an das FA abzuführen (§ 41a Abs. 1 EStG)". Hervorhebung vom Verfasser. Bedenklich ist auch folgende Äußerung: "LSt.-Anmeldungen ... fassen vielmehr regelmäßig die für sämtliche Arbeitnehmer eines Betriebes einbehaltene und abzuführende Lohnsteuer in einer Summe zusammen ... " Vgl. BFH Urt. v. 8. 3. 1988 - VII R 6/87 - BFHE 152,418 (422) = BStBi II 1988, 480 (482). Hervorhebung vom Verfasser. 24 Jedoch steht den 10 Arbeitnehmern ein Erstattungsanspruch jeweils über 10 DM aus § 37 Abs. 2 Satz 1 AO analog gegen das Wohnsitz-Finanzamt zu, weil ihnen insoweit zuviel Lohnsteuer einbehalten worden ist. Somit wird der zuviel einbehaltene Betrag über die Lohnsteuer-Abführung der Finanzverwaltung zugeführt, damit sie in der Lage ist, den Mehrbetrag an die Arbeitnehmer gemäß § 37 Abs. 2 Satz 1 AO analog; §§ 42 Abs. 4 Satz 5, 42a Abs. 2 Satz 5, 36 Abs. 4 Satz 2 EStG zu erstatten. 25 Jedoch haftet der Arbeitgeber auf einen Betrag von 1.000 DM (§ 42d Abs. 1 Nr. 1 1. Alt. EStG). 26 Die Soll-Betrachtungsweise im Lohnsteuer-Anmeldungsverfahren führt dazu, daß der Umfang der Entrichtungssteuerschuld regelmäßig erst nach umfangreichen Prüfungen endgültig feststeht. Daher eignet sich die "anzumeldende" Steuer nicht, um die Dauer des Lohnsteuer-Anmeldungszeitraums zu bestimmen. Dem hat der Gesetzgeber Rechnung getragen: Er leitet die Dauer des LohnsteuerAnmeldungszeitraums nicht aus der "anzumeldenden", sondern aus der "abzuführen-

A. Rechtsnatur

187

und Abführung der Steuer ist die Lohnsteuer-Anmeldung nicht der "Titel" zur Vollstreckung der Abführung der Steuer27 •

2.3 Exkurs: Abgrenzung des Lohnsteuer-Anmeldungsverfahrens vom Haftungsverfahren Die Zweigleisigkeit des Innenverhältnisses bewirkt, daß der Finanzverwaltung zwei Möglichkeiten zur Verfügung stehen, um die individuell erhobene Lohnsteuer beim Arbeitgeber zu vollstrecken 28 : - Sie kann erstens die gesetzlich einzubehaltende und zu übernehmende Lohnsteuer aus der Entrichtungssteuerschuld vollstrecken (§§ 254 Abs. 1 Satz 4, 249 Abs. 1 Satz 2, 150 Abs. 1 Satz 2 AO; § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG). - Daneben kann sie zweitens verlangen, daß der Arbeitgeber die tatsächlich einbehaltene und übernommene Lohnsteuer abführt (§ 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG). Kommt er dieser Verpflichtung nicht freiwillig nach, haftet er den" Steuer ab (§ 41a Abs. 2 Sätze 2 - 4 EStG). Denn der abzuführende Betrag ist für den Arbeitgeber bestimmbar, da hier die Ist-Betrachtungsweise gilt. Die "abzuführende" Lohnsteuer ist der Betrag, den der Arbeitgeber kraft Gesetzes abzuführen hat. Das ist die tatsächlich einbehaltene und übernommene Lohnsteuer, abzüglich des Betrags, den der Arbeitgeber aus der einbehaltenen Lohnsteuer tatsächlich ausgezahlt hat. Folglich müssen für die Berechnung des Lohnsteuer-Anmeldungszeitraums gemäß § 41a Abs. 2 EStG die der einbehaltenen Lohnsteuer entnommenen Erstattungsbeträge im betrieblichen Lohnsteuer-Jahresausgleich und bei der Änderung des Lohnsteuerabzugs, der Arbeitnehmer-Sparzulagen, Bergmannsprämien und Berlin-Zulagen berücksichtigt werden (vgl. §§ 41c Abs. 2 Satz 1, 42b Abs. 3 Satz 2 EStG; § 28 Abs. 5 Satz 5 BeriinFG; § 13 Abs. 6 Satz 1 5. VermBG; § 3 Abs. 1 Satz 2 BergPG). So auch FG Berlin Urt. v. 27. 10. 1978-III 182/78-EFG 1979, 202 f.; a.A. BFH Urt. v. 17. 11. 1981 - VI R 39/79 - BFHE 134, 560 (561/2) = BStEl II 1982, 223 (224/5); Abschn. 133 Abs. 3 LStR; Hartz / Meeßen / Wolf, "Lohnsteuer-Anmeldung" unter 2. (S. 756/5). 27 A. A. Hartz / Meeßen / Wolf, "Abführung der Lohnsteuer" unter 3. (S. 6); Birkenfeld in Stolterfoht (Hrsg.), S. 245 (293); Walter / Hoffmann, S. 111; Carl DB 1988, 826 (828). Wegen dieser unterschiedlichen Zielrichtungen von Anmeldung und Abführung der Lohnsteuer sind die Äußerungen in der Literatur bedenklich, die annehmen, die Lohnsteuer-Anmeldung sei Grundlage der SollsteIlung (vgl. Tipke / Kruse, AO, § 168 Tz. 2; Oeftering / Görbing, § 41a EStG Rz. 1; Altehoefer in Lademann / Söffing / Brockhoff, § 41a EStG Rz. 1). Den Äußerungen ist zuzustimmen, soweit damit die SollsteIlung der Entrichtungssteuerschuld gemeint ist. Abzulehnen sind sie jedoch, wenn damit die Sollstellung der Abführungspflicht gemeint ist (so Stache in Horowski / Altehoefer, § 41a EStG Anm. c.1.), denn dies würde der Zweigleisigkeit zuwiderlaufen, die das Gesetz mit der Anmeldung und der Abführung der Lohnsteuer vorschreibt. Ob die Zweigleisigkeit des Innenverhältnisses zu einem "sinnlosen Nebeneinander" führt (so Carl DB 1988,826 [828]), ist nun zu untersuchen. 28 Daneben kommt als dritte Möglichkeit die Vollstreckung der Steuerschuld aus dem Lohnsteuer-Pauschalierungsverfahren mittels eines Nachforderungsbescheids gegen den Arbeitgeber in Betracht.

188

4. Abschn.: Lohnsteuer-Anmeldung

wegen zuwenig abgeführter Lohnsteuer gemäß § 42d Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. EStG. Ergänzt wird diese Möglichkeit durch das Haftungsverfahren wegen zuwenig einbehaltener Lohnsteuer (§ 42d Abs. 1 Nr. 11. Alt. EStG), wenn der Arbeitgeber also tatsächlich weniger Lohnsteuer einbehalten hat, als er hätte einbehalten müssen. Beide Haftungsbescheide bilden in ihrer Gesamtheit die Grundlage dieser weiteren Vollstreckungsmöglichkeit. Erheblich werden die unterschiedlichen Vollstreckungsmöglichkeiten, wenn der Arbeitgeber mehr Lohnsteuer einbehalten hat, als er einzubehalten hatte, und er diesen Mehrbetrag nicht abgeführt hat. In diesem Fall steht der Finanzverwaltung nur die Vollstreckung aus dem Haftungsverfahren offen. Dies zeigt das folgende Beispiel: Ein Arbeitgeber hat 100 DM Lohnsteuer einzubehalten. Er behält 120 DM ein, meIdet 100 DM an und führt 90 DM ab.

Der Arbeitgeber hat eine ordnungsgemäße Lohnsteuer-Anmeldung abgegeben. Daher sind nur 10 DM (= Differenz aus Anmeldung und Abführung der Lohnsteuer) aus der Entrichtungssteuerschuld vollstreckbar29 . Die restlichen 20 DM (oder von Anfang an der Betrag von 30 DM, der zwar einbehalten, aber nicht abgeführt worden ist) können nur über das Haftungsverfahren des § 42d Abs. 1 Nr. 12. Alt. EStG beigetrieben werden 30 . Weil somit das Innenverhältnis zwischen Arbeitgeber und Finanzverwaltung zweigleisig aufgebaut ist, steht das Lohnsteuer-Anmeldungsverfahren des § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG als aliud neben dem Haftungsverfahren des § 42d Abs. 1 EStG. Daher hindert eine ordnungsgemäße LohnsteuerAnmeldung nicht die Verwirklichung eines Haftungstatbestandes; umgekehrt hindert eine ordnungsgemäße Einbehaltung und Abführung der Steuer nicht eine fehlerhafte Lohnsteuer-Anmeldung3!. Setzt sich also beispielsweise ein Fehler des Arbeitgebers an läßlich der Einbehaltung der Steuer auch in der Lohnsteuer-Anmeldung fort, ist das Finanzamt berechtigt, sowohl jede einzelne Festsetzung der Entrichtungssteuerschuld zu ändern, als auch zusätzlich einen Haftungsbescheid gegen den Arbeitgeber zu erlassen. Damit droht dem Arbeitgeber aus dem zweigleisig gegliederten Innenverhältnis eine doppelte Inanspruchnahme für denselben Fehler. Gerade eine doppelte Inanspruchnahme verhindert die Vorschrift des § 42d Abs. 4 Nr. 1 EStG32, die damit eine Sperrwirkung der Handlungs/armen bewirkP3. 29 Durch die Abführung der 90 DM ist die Entrichtungssteuerschuld durch Zahlung insoweit erloschen, §§ 224, 47 AO. 30 Dieses Beispiel zeigt, daß die Haftungsverfahren des § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG im Umfang weiter gehen können als das Lohnsteuer-Anmeldungsverfahren. A. A. Hartz / Meeßen / Wolf, "Lohnsteuer-Anmeldung" unter 1. (S. 756/4). 31 So auch Abschn. 145 Abs. 8 Satz 3 LStR; Hartz / Meeßen / Wolf, "Haftung für Lohnsteuer" unter D.I.1.d. (S. 588); Kläckner in Klein / Flockermann / Kühr, § 42d EStG Rz. 39.

A. Rechtsnatur

189

2.31 Unmittelbare Anwendung des § 42d Abs. 4 Nr. 1 EStG § 42d Abs. 4 Nr. 1 EStG schließt den Erlaß eines Haftungsbescheids aus, soweit der Arbeitgeber die einzubehaltende Lohnsteuer angemeldet hat. Die Bedeutung dieser Vorschrift zeigt das folgende Beispiel: Ein Arbeitgeber hat 100 DM Lohnsteuer einzubehalten. Er behält 90 DM ein, meldet diesen Betrag an und führt ihn auch ab.

Entdeckt das Finanzamt die Fehler anläßlich der Einbehaltung und der Anmeldung der Steuer, ist es berechtigt, sowohl die festgesetzte Entrichtungssteuerschuld auf 100 DM zu ändern (vgl. § 167 Abs. 1 Satz 1 AO; § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG), als auch einen Haftungsbescheid über 10 DM zu erlassen (vgl. § 42d Abs. 1 Nr. 1 1. Alt. EStG). Wählt die Finanzverwaltung die Möglichkeit der Änderung der Lohnsteuer-Anmeldung, darf ein Haftungsbescheid nicht mehr erlassen werden (§ 42d Abs. 4 Nr. 1 EStG). Allerdings gilt die nach dem Gesetzeswortlaut des § 42d Abs. 4 Nr. 1 EStG umfassende Sperrwirkung nur eingeschränkt. Der Sinn und Zweck dieser Vorschrift gebietet es, den Gesetzeswortlaut eng auszulegen. Denn eine Sperrwirkung greift nur insoweit ein, als Lohnsteuer im Lohnsteuer-Anmeldungsverfahren vollstreckt werden darf. Daher kann ein Haftungsbescheid gemäß § 42d Abs. 1 Nr. 12. Alt. EStG uneingeschränkt erlassen werden, soweit der Arbeitgeber mehr Lohnsteuer einbehalten hat, als er kraft Gesetzes einzubehalten hatte, und er diesen Betrag nicht abgeführt hat. Dies verdeutlicht das folgende Beispiel: Ein Arbeitgeber hat 100 DM Lohnsteuer einzubehalten. Er behält 120 DM ein, meldet 100 DM an und führt 100 DM ab.

Der Arbeitgeber hat die einzubehaltende Lohnsteuer von 100 DM angemeldet. Nach dem Gesetzeswortlaut des § 42d Abs. 4 Nr. 1 EStG könnte ein gegen ihn gerichteter Haftungsbescheid nicht mehr erlassen werden. Folglich wäre die vom Arbeitgeber verwirklichte Haftungsschuld des § 42d Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. EStG in Höhe von 20 DM nicht mehr zu vollstrecken. Aber 32 Gerade die Vorschrift des § 42d Abs. 4 Nr. 1 EStG zeigt, daß der LohnsteuerAnmeldung keine Haftungsschuld zugrunde liegt (so auch Tipke / Kruse, AO, § 168 Tz. 1; Hartz / Meeßen / Wolf, "Lohnsteuer-Anmeldung" unter 4. [So 758/2]). Würde der Arbeitgeber, so wie es die herrschende Auffassung annimmt, eine Haftungsschuld anmelden, müßte konsequenterweise bereits mit dieser Steuererklärung der Haftungstatbestand des § 42d Abs. 1 EStG entfallen. Dies trifft aber nicht zu, denn § 42d Abs. 4 Nr. 1 EStG schließt nur die Geltendmachung der Haftungsschuld im Falle einer vorschriftsgemäßen Lohnsteuer-Anmeldung aus. 33 § 42d Abs. 4 Nr. 1 EStG ist somit die zentrale Vorschrift des Innenverhältnisses. Sie verhindert, daß die Finanzverwaltung aus der Zweigleisigkeit des Innenverhältnisses keine doppelten Ansprüche gegen den Arbeitgeber geltend machen kann. Aus diesem Grunde ist diese Vorschrift notwendig und keineswegs überflüssig (so aber Drenseck in Stolterfoht [Hrsg.], S. 377 [403 f.]).

190

4. Abschn.: Lohnsteuer-Anmeldung

dieses Ergebnis widerspricht dem Sinn und Zweck des § 42d Abs. 4 Nr. 1 EStG: Ein Haftungsbescheid soll nur insoweit ausgeschlossen sein, als Lohnsteuer im Lohnsteuer-Anmeldungsverfahren vollstreckbar ist; nur in diesem Umfang ist die Sperrwirkung des § 42d Abs. 4 Nr. 1 EStG notwendig. Da die zuviel einbehaltene Lohnsteuer, die nicht abgeführt worden ist, mit der Entrichtungssteuerschuld nicht zu vollstrecken ist, schließt § 42d Abs. 4 Nr. 1 EStG einen Haftungsbescheid gegen den Arbeitgeber nicht aus 34 • 2.32 Analoge Anwendung des § 42d Abs. 4 Nr. 1 EStG Vom Gesetzeswortlaut des § 42d Abs. 4 Nr. 1 EStG unberührt bleiben jedoch die Fälle, in denen das Finanzamt einen Haftungsbescheid erlassen hat, und sich nun die Frage stellt, ob zusätzlich noch die Entrichtungssteuerschuld geändert werden darf. Dies verdeutlicht der folgende Fall: Ein Arbeitgeber hat 100 DM Lohnsteuer einzubehalten. Er behält 90 DM ein, meldet diesen Betrag an und führt ihn auch ab. Grundsätzlich dürfte das Finanzamt, wenn es einen auf § 42d Abs. 1 Nr. 1 1. Alt. EStG gestützten Haftungsbescheid über 10 DM erlassen hat, zusätzlich noch die Festsetzung der Entrichtungssteuerschuld auf 100 DM ändern (vgl. § 167 Abs. 1 Satz 1 AO) und die noch nicht erloschenen 10 DM vollstrecken; denn die Entrichtungssteuerschuld und die Haftungsschuldverhältnisse stehen im aliud-Verhältnis zueinander. Dennoch schließt m. E. § 42d Abs. 4 Nr. 1 EStG analog eine ausdrückliche Festsetzung i. S. des § 167 Abs. 1 Satz 1 AO aus: In § 42d Abs. 4 Nr. 1 EStG kommt nämlich der allgemeine Rechtsgedanke zum Ausdruck, daß die Handlungsmöglichkeiten des Finanzamts eingeschränkt sind, sobald und soweit die Finanzverwaltung sich für eine der beiden offenstehenden Möglichkeiten entschieden hat. Dieser allgemeine Rechtsgedanke ist geeignet, die im Gesetz bestehende Lücke zu schließen. Diese analoge Anwendung des § 42d Abs. 4 Nr. 1 EStG hat zur Folge: Ist der Umfang der einzubehaltenden Lohnsteuer bereits durch Haftungsbescheid festgesetzt worden, schließt der Bescheid insoweit auch eine Änderung und die Vollstrekkung der festgesetzten Entrichtungssteuerschuld aus 35 . 34 Die hier vertretene Auffassung bedeutet aber keineswegs, daß § 42d Abs. 4 Nr. 1 EStG generell einen auf § 42d Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. EStG gestützten Haftungsbescheid zuläßt. Dies zeigt das folgende Beispiel: Ein Arbeitgeber hat 100 DM Lohnsteuer einzubehalten. Er behält 100 DM ein, meldet 100 DM an, führt aber nur 80 DM ab. Der Arbeitgeber schuldet dem Steuergläubiger noch 20 DM, die er zwar einbehalten und angemeldet, nicht jedoch abgeführt hat. Dieser Betrag ist sowohl mittels der Haftungsschuld des § 42d Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. EStG als auch mittels der Entrichtungssteuerschuld (vgl. § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG) vollstreckbar. Entschließt sich die Finanzverwaltung die Entrichtungssteuerschuld geltend zu machen, greift insoweit die Sperrwirkung des § 42d Abs. 4 Nr. 1 EStG ein. Ein Haftungsbescheid darf nicht mehr erlassen werden.

A. Rechtsnatur

191

3. Zwischenergebnis

Mit der Annahme der Lohnsteuer-Anmeldung durch das Betriebsstättenfinanzamt, spätestens jedoch am zehnten Tage nach Ablauf eines LohnsteuerAnmeldungszeitraums entsteht das Entrichtungssteuerschuldverhältnis zwischen Steuergläubiger und Arbeitgeber. Es begründet einen selbständigen, allein gegen den Arbeitgeber gerichteten Steueranspruch. Dieser ist ein Unterfall des Steueranspruchs i. S. des § 37 Abs. 1 AO. Gegenstand der Entrichtungssteuerschuld ist der Saldo der vom Arbeitgeber insgesamt kraft Gesetzes zu entrichtenden Steuer. Die einzelnen Beträge, welche die zu entrichtende Steuer bestimmen (die Summe der einzubehaltenden und zu übernehmenden Lohn- und Kirchensteuer [§ 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG], die im betrieblichen Lohnsteuer-Jahresausgleich zu erstattende Lohn- und Kirchensteuer [§ 42b Abs. 3 Satz 2 EStG], die auszuzahlende Bergmannsprämie, Berlin-Zulage und Arbeitnehmer-Sparzulage [§ 3 Abs. 1 Satz 2 BergPG; § 28 Abs. 5 Satz 5 BerlinFG; § 13 Abs. 6 Satz 1 5. VermBG]), sind unselbständige Teilbeträge dieses Saldos. Daher können nicht die einzelnen in der Lohnsteuer-Anmeldung enthaltenen Teilbeträge, sondern nur der zu entrichtende Saldo angefochten und vollstreckt werden. Eine Anfechtung des Saldos ist jedoch mit der Begründung möglich, bei der Ermittlung eines einzelnen Teilbetrags sei dem Arbeitgeber ein Fehler unterlaufen. Das Innenverhältnis zwischen Arbeitgeber und Finanzverwaltung ist zweigleisig gegliedert und begründet sehr diffizile Rechtsbeziehungen. Die kraft Gesetzes zu entrichtende Steuer ist Gegenstand der Lohnsteuer-Anmeldung; hier gilt also eine Soll-Betrachtungsweise. Die Abführung betrifft hingegen die Summe der tatsächlich einbehaltenen und übernommenen Lohn- und Kirchensteuer, abzüglich der tatsächlich ausgezahlten Steuern (anläßlich des betrieblichen Lohnsteuer-Jahresausgleichs und der Änderung des Lohnsteuerabzugs) und staatlichen Leistungen (Prämien und Zulagen); hier gilt also eine Ist-Betrachtungsweise. Diese Zweigleisigkeit bewirkt, daß das Lohnsteuer-Anmeldungsverfahren und das Haftungsverfahren als aliud nebeneinander stehen. Eine doppelte Inanspruchnahme des Arbeitgebers sowohl aus dem Lohnsteuer-Anmeldungsverfahren als auch aus dem Haftungsverfahren verhindert die Sperrvorschrift des § 42d Abs. 4 EStG. 35 Die Ausführungen zu § 42d Abs. 4 Nr. 1 EStG gelten entsprechend auch für das Anerkenntnis gemäß § 42d Abs. 4 Nr. 2 EStG. Denn soweit der Regelungsinhalt des Anerkenntnisses reicht, ist der Erlaß eines Haftungsbescheids ausgeschlossen. Folglich schließt das Anerkenntnis in dem Umfang seines Regelungsinhalts die Änderung und Vollstreckung der festgesetzten Entrichtungssteuerschuld aus. Umgekehrt darf auch kein Anerkenntnis mehr ergehen, soweit die einzubehaltende Lohnsteuer angemeldet worden und die Entrichtungssteuerschuld vollstreckbar ist.

192

4. Abschn.: Lohnsteuer-Anmeldung

§ 42d Abs. 4 Nr. 1 EStG (unmittelbar) verhindert den Erlaß eines Haftungsbescheids, soweit die Entrichtungssteuerschuld ordnungsgemäß festgesetzt worden ist. Diese Vorschrift bewirkt eine Sperrwirkung jedoch nur, soweit der Haftungsbetrag im Lohnsteuer-Anmeldungsverfahren vollstreckbar wäre. Daher kann ein Haftungsbescheid auf Grund des § 42d Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. EStG uneingeschränkt erlassen werden, soweit der Arbeitgeber mehr Lohnsteuer einbehalten hat, als er einzubehalten hatte, und er diesen Mehrbetrag nicht abgeführt hat. § 42d Abs. 4 Nr. 1 EStG (analog) verhindert die Änderung und Vollstrekkung der festgesetzten Entrichtungssteuerschuld, soweit ein Haftungsbescheid erlassen worden ist. Die Ausführungen zu § 42d Abs. 4 Nr. 1 EStG gelten entsprechend auch für das Verhältnis der Lohnsteuer-Anmeldung zum schriftlichen Anerkenntnis des Arbeitgebers im Anschluß an eine Lohnsteuer-Außenprüfung (§ 42d Abs. 4 Nr. 2 EStG).

B. Fehlerkorrektur bei der Lohnsteuer-Anmeldung

Der Arbeitgeber kann seiner gesetzlichen Verpflichtung, die zu entrichtende Lohnsteuer vorschriftsmäßig anzumelden, nicht nachgekommen sein. Fraglich ist, welche Möglichkeiten ihm und dem Betriebsstättenfinanzamt offenstehen, um aufgetretene Fehler zu korrigieren. 1. Fehlerkorrektur durch das Betriebsstättenfinanzamt

Entdeckt das Betriebsstättenfinanzamt, daß der Arbeitgeber keine Lohnsteuer-Anmeldung abgegeben hat, obwohl er dazu gemäß § 41a Abs. 2, Abs. 1 Satz 3 EStG verpflichtet gewesen wäre, kann es die Abgabe dieser Steuererklärung mit Zwangsmitteln erzwingen (vgl. §§ 328 ff. A0)36. Daneben kann es wegen einer nicht am zehnten Tage nach Ablauf des LohnsteuerAnmeldungszeitraums abgegebenen Steuererklärung einen Verspätungszuschlag festsetzen (vgl. § 152 Abs. 1 Satz 1 A0)37. Als ultima ratio steht der Finanzverwaltung die Möglichkeit offen, die einzelnen Grundlagen der Lohnsteuer-Anmeldung gemäß § 162 AO zu schätzen38 , um eine abweichende Steuer i. S. des § 167 Abs. 1 Satz 1 AO festzusetzen 39 • Abschn. 133 Abs. 4 Satz 2 LStR. Abschn. 133 Abs. 4 Satz 2 LStR. 38 Besteuerungsgrundlagen i. S. des § 162 AO sind allein Merkmale, die in der Person des entrichtungspflichtigen Arbeitgebers (so auch Birkenfeld in Stolterfoht [Hrsg.], S. 245 [293 FN 279]) und nicht in der Person des Arbeitnehmers (so aber Tipke / Kruse, AO, § 162 Tz. 2) begründet sind. Denn es werden die Grundlagen der Entrichtungssteuerschuld geschätzt, deren Schuldner der Arbeitgeber ist. 36 37

B. Fehlerkorrektur

193

Zu einer abweichenden Steuerfestsetzung i. S. des § 167 Abs. 1 Satz 1 AO kommt es ferner, wenn das Finanzamt von der abgegebenen LohnsteuerAnmeldung abweichen will, sei es, daß es einen höheren oder niedrigeren Betrag festsetzt. Kontrovers wird jedoch das Verhältnis einer abweichenden Festsetzung i. S. des § 167 Abs. 1 Satz 1 AO zum Erlaß eines Haftungsbescheids gemäß § 42d Abs. 1 EStG diskutiert. Insbesondere von Drenseck wird die Auffassung vertreten, eine Lohnsteuer-Anmeldung dürfe nur geändert werden, soweit der Fehler allein in ihr selbst liege, wie z. B. bei einem Rechenfehler. Sei dem Arbeitgeber der Fehler jedoch sowohl in der Anmeldung als auch bei der Einbehaltung unterlaufen, gehe § 42d EStG als lex specialis dem § 167 Abs. 1 Satz 1 AO vor40 . Obwohl dieser Auffassung im Ergebnis zuzustimmen ist, stößt ihre Begründung auf Bedenken. Gegenstand der Lohnsteuer-Anmeldung ist, auch nach der Auffassung Drensecks, die Entrichtungssteuerschuld des Arbeitgebers. Diese ist ein aliud gegenüber den gegen ihn gerichteten Haftungsschuldverhältnissen. Schuldverhältnisse, die als aliud nebeneinander stehen, können nicht zugleich auch im Verhältnis der Spezialität zueinander stehen41 • Deswegen kann die Entrichtungssteuerschuld selbst dann noch geändert festgesetzt werden, wenn der dem Arbeitgeber unterlaufene Fehler sowohl der Einbehaltung als auch der Anmeldung zugrunde liegt. Soweit jedoch die Lohnsteuer-Anmeldung geändert worden ist, schließt § 42d Abs. 4 Nr. 1 EStG insoweit den Erlaß eines Haftungsbescheids aus. Ist umgekehrt ein Haftungsbescheid erlassen worden, schließt § 42d Abs. 4 Nr. 1 EStG analog die Änderung und Vollstreckung der Lohnsteuer-Anmeldung aus. Werden die Grundlagen der Lohnsteuer-Anmeldung geschätzt oder wird die Steuererklärung abweichend i. S. des § 167 Abs. 1 Satz 1 AO festgesetzt, hat das Betriebsstättenfinanzamt einen Steuerbescheid gegen den Arbeitgeber über die Entrichtungssteuerschuld zu erlassen42 • Dieser kann gemäß § 164 AO unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stehen 43 • 39 Auch die Nichtabgabe einer Steuererklärung führt zu einer "abweichenden Steuer" i. S. des § 167 Abs. 1 Satz 1 AO. So auch Tipke / Kruse, AO, § 168 Tz. 1; Klein / Orlopp, § 167 AO Anm. 3; Frotscher in Schwarz, § 167 Rz. 4; Förster in Koch, § 167 AO Rz. 6; Thiel StuW 1977,237 (241). 40 Vgl. Drenseck in Stolterfoht (Hrsg.), S. 377 (388/9); ihm folgend: FG Baden-Württemberg Urt. v. 6. 5. 1987 - XII K 322/86 - EFG 1988,3. 41 Vgl. auch Tipke / Kruse, AO, § 168 Tz. l. 42 So auch Abschn. 133 Abs. 4 Satz 3 LStR; Hartz / Meeßen / Wolf, "LohnsteuerAnmeldung" unter 4. (S. 758/2); Drenseck in Stolterfoht (Hrsg.), S. 377 (389). Die heute vertretene herrschende Auffassung nimmt an, es müsse ein Haftungsbescheid ergehen, soweit der Arbeitnehmer Steuerschuldner sei, ansonsten müsse ein Steuerbescheid erlassen werden (so Grube in Littmann / Bitz / Meincke, 14. Auf!., § 41a EStG Rzn. 12 f.; Schwarz DStR 1980, 480 [486]; noch Abschn. 99 Abs. 4 Satz 3 LStR 1987; a.A. Birkenfeld in Stolterfoht [Hrsg.], S. 245 [293]). Nach der hier vertretenen Auffassung kommt es auf diese Unterscheidung nicht an: Gleichgültig, ob der abweichend festgesetzte Betrag im Ergebnis die Steuerschuld des Arbeitnehmers oder die des Arbeitgebers betrifft, ist ein einheitlicher Steuerbescheid gegen den Arbeitge-

13 Schäfer

194

4. Abschn.: Lohnsteuer-Anmeldung 2. Fehlerkorrektur durch den Arbeitgeber

Erkennt der Arbeitgeber, daß er eine fehlerhafte Lohnsteuer-Anmeldung abgegeben hat, hat er drei Möglichkeiten, diese zu ändern: Er kann erstens den Saldo der festgesetzten Entrichtungssteuerschuld innerhalb der Rechtsbehelfsfrist mit dem Einspruch anfechten (vgl. §§ 348 Abs. 1 Nr. 1,355 Abs. 1 Satz 2 AG). Die Einlegung des Einspruchs allein befreit ihn aber noch nicht von der Leistung auf die Lohnsteuer-Anmeldung (§ 361 Abs. 1 Satz 1 AG). Jedoch kann er die Aussetzung der Vollziehung der Lohnsteuer-Anmeldung beantragen (vgl. § 361 Abs. 2 Satz 2 AG). Wird diesem Antrag stattgegeben, ist nur die Vollziehung der Entrichtungssteuerschuld ausgesetzt. Auf Grund der Zweigleisigkeit des Innenverhältnisses ist er weiterhin verpflichtet, die von ihm tatsächlich einbehaltene und übernommene Lohnsteuer an das Betriebsstättenfinanzamt abzuführen (§ 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG). Der Arbeitgeber kann zweitens gemäß § 164 Abs. 2 Satz 2 AG einen Antrag auf Änderung der Steuerfestsetzung stellen, da die LohnsteuerAnmeldung eine Steuerfestsetzung unter dem Vorbehalt der Nachprüfung ist (vgl. §§ 168 Satz 1, 164 Abs. 2 Satz 2 AG)44. Der Arbeitgeber kann drittens eine berichtigte Lohnsteuer-Anmeldung abgeben 45 • Er hat sie gemäß § 153 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AG abzugeben, wenn ber zu erlassen, da der Lohnsteuer-Anmeldung die Entrichtungssteuerschuld des Arbeitgebers zugrunde liegt. 43 § 168 Satz 1 AO findet keine Anwendung. So Tipke / Kruse, AO, § 168 Tz. 1 a. E. Hat das Betriebsstättenfinanzamt durch Steuerbescheid die Lohnsteuer-Anmeldung geändert und erkennt der Arbeitgeber aus diesem Anlaß erstmals, daß er die Lohnsteuer unrichtig einbehalten hat, ist er bei der nächsten Lohnzahlung berechtigt, dem Arbeitnehmer die zuviel einbehaltene Lohnsteuer zu erstatten bzw. die zuwenig erhobene Lohnsteuer nachträglich einzubehalten (§ 41c Abs. 1 Nr. 2 EStG; so auch Hartz / Meeßen / Wolf, "Lohnsteuer-Anmeldung" unter 3. [So 758]). Die Abgabe einer haftungsbefreienden Anzeige i. S. des § 41c Abs. 4 Satz 1 EStG ist nach der hier vertretenen Auffassungjedoch unzulässig. Erst mit der Anderung des Lohnsteuerabzugs gemäß § 41c Abs. 1 EStG wird somit eine geänderte Lohnsteuer-Anmeldung dem Arbeitnehmer gegenüber in die Tat umgesetzt. Dadurch ist gewährleistet, daß finanzielle Belastungen des entrichtungspflichtigen Arbeitgebers im individuellen Erhebungsverfahren vermieden werden. 44 Vgl. zum Verhältnis des Antrags aus § 164 Abs. 2 Satz 2 AO zum Einspruch: Thiel StuW 1977, 237 (238/9). 45 Streitig ist, ob die Abgabe einer berichtigten Lohnsteuer-Anmeldung eine selbständige dritte Änderungsmöglichkeit ist (so v. Wallis in Hübschmann / Hepp / Spitaler, § 168 AO Rz. 7; Frotscher in Schwarz, § 168 AO Rz. 1; Schmidt / Drenseck, § 41a EStG Anm. 2; Grube in Littmann / Bitz / Meincke, 14. Aufl., § 41a EStG Rz. 15; Schwarz DStR 1980, 480 [483 f.]) oder ob diese als Antrag auf Änderung i. S. des § 164 Abs. 2 Satz 2 AO zu werten ist (so Tipke / Kruse, AO, § 168 Tz. 4; Hartz / Meeßen / Wolf, "Lohnsteuer-Anmeldung" unter 3. [So 758]; Tiedtke, § 44 V 2 [So 518]).

B. Fehlerkorrektur

195

es ansonsten zu einer Verkürzung der von ihm zu entrichtenden Steuerschuld kommen kann oder bereits gekommen ist. Die berichtigte Festsetzung steht ihrerseits wiederum unter dem Vorbehalt der Nachprüfung (Umkehrschluß aus § 168 Satz 2 AO). Führt sie zu einer Herabsetzung der zu entrichtenden Lohnsteuer, ist zuvor die Bekanntgabe der Zustimmung der Finanzverwaltung erforderlich (§ 168 Satz 2 AO)46. 3. Erstattungsanspruch des Arbeitgebers auf Grund einer geänderten Lohnsteuer-Anmeldung

Fraglich ist, ob dem Arbeitgeber ein Erstattungsanspruch aus § 37 Abs. 2 AO zusteht, wenn die ursprünglich angemeldete Lohnsteuer später niedriger festgesetzt wird.

3.1 Das Problem Ob dem Arbeitgeber auf Grund einer geänderten Lohnsteuer-Anmeldung ein Erstattungsanspruch zusteht, ist deshalb problematisch, weil dem Steuergläubiger für denselben Geldbetrag eine doppelte Inanspruchnahme droht. Dies zeigt das folgende Beispiel: Ein Arbeitgeber hat 100 DM Lohnsteuer einzubehalten. Er behält 110 DM ein, meldet diesen Betrag an und führt ihn auch ab. Später entdeckt er die Fehler. Auf seinen Antrag hin wird die Festsetzung der Entrichtungssteuerschuld auf 100 DM geändert. Steht ihm in Höhe von 10 DM ein Erstattungsanspruch zu?

Nach dem Wortlaut des Gesetzes sind die Voraussetzungen eines Erstattungsanspruchs des Arbeitgebers aus § 37 Abs. 2 Satz 2 AO ohne Zweifel erfüllt: Der Arbeitgeber hat 110 DM auf einen Anspruch aus dem Entrichtungssteuerschuldverhältnis gezahlt. Für diese Zahlung ist der rechtliche Grund in Höhe von 10 DM weggefallen, seitdem die Steuerschuld niedriger festgesetzt worden ist47 • Macht der Arbeitgeber den Erstattungsanspruch geltend, werden die 10 DM an ihn ausgezahlt. Er ist nun gemäß § 41c Abs. 1 Nr. 2 EStG berechtigt, 46 Ist auf Grund des Einspruchs, der Änderung oder der Abgabe einer berichtigten Lohnsteuer-Anmeldung die ursprüngliche Lohnsteuer-Anmeldung geändert worden, ist der Arbeitgeber bei der nächsten Lohnzahlung gemäß § 41c Abs. 1 Nr. 2 EStG berechtigt, den Steuerabzug gegenüber dem Arbeitnehmer zu ändern, indem er die unrichtig einbehaltene Lohnsteuer nachträglich einbehält bzw. erstattet. Eine haftungsbefreiende Anzeige i. S. des § 41c Abs. 4 Satz 1 EStG darf der Arbeitgeber nach der hier vertretenen Auffassung jedoch nicht abgeben. Die Änderung des Lohnsteuerabzugs gemäß § 41c Abs. 1 EStG bewirkt dagegen nicht zugleich auch eine Korrektur der Lohnsteuer-Anmeldung, denn § 41c Abs. 1 EStG bewirkt nur eine Änderung der Einbehaltung von Lohnsteuer. A. A. Tiedtke, § 44 V 2 (S. 518); Drenseck in Stolterfoht (Hrsg.), S. 377 (388). 47 Zum Merkmal "ohne rechtlichen Grund" i. S. des § 37 Abs. 2 AO: vgl. Tipke / Kruse, AO, § 37 Tz. 12.

13*

196

4. Abschn.: Lohnsteuer-Anmeldung

dem Arbeitnehmer diesen Betrag nachträglich zu erstatten. Kommt der Arbeitgeber dieser Berechtigung nach, entfallen insoweit die Voraussetzungen des Erstattungsanspruchs, der dem Arbeitnehmer gegen den Steuergläubiger aus § 37 Abs. 2 AO analog zusteht; denn mit der Erstattung der 10 DM ist die Lohnsteuer für den Arbeitnehmer ordnungsgemäß einbehalten worden. Problematisch wird es jedoch, wenn der Arbeitgeber auf Grund der geänderten Lohnsteuer-Anmeldung zwar seinen Erstattungsanspruch aus § 37 Abs. 2 AO geltend macht, er aber seinerseits von der ihm eingeräumten Änderungsberechtigung des § 41c Abs. 1 Nr. 2 EStG keinen Gebrauch macht: - Das Betriebsstättenfinanzamt kann vom Arbeitgeber nicht gemäß § 37 Abs. 2 AO verlangen, daß er den an ihn erstatteten Betrag von 10 DM an das Finanzamt rückerstattet, da diese Leistung mit rechtlichem Grund erfolgt ist. - Der Arbeitnehmer kann vom Arbeitgeber die Herausgabe der 10 DM nicht verlangen, da der Arbeitgeber zu einer Änderung des Lohnsteuerabzugs gemäß § 41c Abs. 1 EStG nicht verpflichtet ist. Die 10 DM, die dem Arbeitgeber auf Grund der geänderten LohnsteuerAnmeldung erstattet worden sind, können somit von keinem Beteiligten zurückgefordert werden. Aber dem Arbeitnehmer steht auch ein Erstattungsanspruch gegen den Steuergläubiger zu, und zwar der aus § 37 Abs. 2 Satz 1 AO analog. Dem Arbeitnehmer sind nämlich weiterhin 10 DM Lohnsteuer zuviel einbehalten worden, und die Leistung der 10 DM des Steuergläubigers an den Arbeitgeber hat den Erstattungsanspruch des Arbeitnehmers nicht zum Erlöschen gebracht. Somit droht dem Steuergläubiger eine Inanspruchnahme auch durch den Arbeitnehmer, wenn der Arbeitgeber von seiner Änderungsberechtigung aus § 41c Abs. 1 Nr. 2 EStG keinen Gebrauch macht.

3.2 Lösungsvorschlag Das oben aufgezeigte Problem ist durch die Vielzahl der Schuldverhältnisse des Lohnsteuerrechts entstanden: Zur Abwicklung der Lohnsteuerschuldverhältnisse hat der Gesetzgeber nicht nur die Schuldverhältnisse zwischen den Steuerschuldnern (Arbeitnehmer aus § 38 Abs. 2 Satz 1 EStG und Arbeitgeber aus §§ 40 Abs. 3 Satz 2, 40a Abs. 4, 40b Abs. 3 Satz 1 EStG) und dem Steuergläubiger geschaffen, sondern er hat daneben weitere Schuldverhältnisse zwischen Arbeitgeber und Steuergläubiger begründet. So bestehen zwischen den letztgenannten nicht nur das Entrichtungssteuerschuldverhältnis (§ 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG), sondern auch die Haftungsschuldverhältnisse (§ 42d Abs. 1 EStG).

B. Fehlerkorrektur

197

Jedes dieser Schuldverhältnisse begründet einen eigenen Erstattungsanspruch, wenn auf einen Anspruch aus einem Schuldverhältnis ohne rechtlichen Grund geleistet worden ist. Folglich hat der Gesetzgeber dadurch, daß er im Lohnsteuerrecht eine Vielzahl von Schuldverhältnissen geschaffen hat, auch eine Vervielfältigung der gegen den Steuergläubiger gerichteten Erstattungsansprüche herbeigeführt. Man wird das Problem der Abwicklung der Erstattungsansprüche ähnlich wie in § 42d Abs. 4 Nr. 1 EStG zu lösen haben, nämlich auf der Konkurrenzebene unter Anwendung des allgemein geltenden Rechtsgedankens "dolo petit, qui petit, quod (statim) redditurus est": Die Ausübung des Erstattungsanspruchs auf Grund einer geändert festgesetzten Entrichtungssteuerschuld kann eine unzulässige Rechtsausübung sein, soweit der Arbeitgeber verpflichtet wäre, den erstatteten Betrag sofort wieder an das Finanzamt herauszugeben. Dies ist der Fall, wenn mit der Auszahlung an den Arbeitgeber ein Haftungsanspruch aus § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG wieder durchsetzbar wird (vgl. § 42d Abs. 4 Nr. 1 EStG). Dieser Lösungsvorschlag führt, soweit ersichtlich, in allen vorkommenden Fällen zu vertretbaren Ergebnissen. Dies zeigen die folgenden Beispiele: Im Ausgangsfa1l 48 wäre die Geltendmachung des Erstattungsanspruchs aus § 37 Abs. 2 AG durch den Arbeitgeber auf Grund der geänderten Lohnsteuer-Anmeldung eine unzulässige Rechtsausübung. Würden ihm die 10 DM erstattet werden, müßte er den Betrag sogleich wieder an das Finanzamt herausgeben; denn mit der Erstattung der 10 DM lebt der Haftungsanspruch aus § 42d Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. EStG wieder auf und dieser Anspruch ist auch mittels Haftungsbescheids durchsetzbar49 . Im Ausgangsfall steht mithin allein dem Arbeitnehmer ein Erstattungsanspruch zu, weil für ihn 10 DM an Lohnsteuer zuviel einbehalten wurden (§ 37 Abs. 2 AG analog). Beispiel: Ein Arbeitgeber hat 100 DM Lohnsteuer einzubehalten. Er behält 90 DM ein und führt 100 DM ab. In der Lohnsteuer-Anmeldung gibt er einen Betrag von 100 DM an. Er teilt dem Betriebsstättenfinanzamt mit, seine Lohnsteuer-Anmeldung sei "fehlerhaft". Daraufhin wird die Festsetzung auf 90 DM geändert.

Die Ausübung des Erstattungsanspruchs durch den Arbeitgeber wäre eine unzulässige Rechtsausübung. Würde das Betriebsstättenfinanzamt ihm auf Grund der geänderten Lohnsteuer-Anmeldung 10 DM erstatten, würde der gegen den Arbeitgeber ansonsten bestehende Haftungsanspruch aus § 42d Vgl. S. 195. Der Anspruch aus § 42d Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. EStG ist auch mittels Haftungsbescheids durchsetzbar, weil die Sperrwirkung des § 42d Abs. 4 Nr. 1 EStG nicht greift. Es liegt nämlich einer der Fälle vor, in denen der Wortlaut des § 42d Abs. 4 Nr. 1 EStG zu weit gefaßt ist. 48

49

198

4. Abschn.: Lohnsteuer-Anmeldung

Abs. 1 Nr. 1 1. Alt. EStG wieder durchsetzbar sein (§ 42d Abs. 4 Nr. 1 EStG)50. Ein weiteres Beispiel: Ein Arbeitgeber hat 100 DM Lohnsteuer einzubehalten. Er behält 100 DM ein. In seiner Lohnsteuer-Anmeldung gibt er einen Betrag von 110 DM an und führt diesen Betrag ab. Auf seinen Hinweis hin wird die Festsetzung der Entrichtungssteuerschuld auf 100 DM geändert.

Dem Arbeitgeber steht ein Erstattungsanspruch in Höhe von 10 DM zu. Die Ausübung dieses Anspruchs stellt keine unzulässige Rechtsausübung dar: Der Arbeitgeber hat die Lohnsteuer ordnungsgemäß einbehalten und abgeführt. Daher ist ein Haftungstatbestand nicht verwirklicht worden. Folglich könnte mit der Erstattung der 10 DM eine Haftungsschuld nicht wiederaufleben51 . Der Einwand der unzulässigen Rechtsausübung setzt allerdings voraus, daß das Betriebsstättenfinanzamt bereits im Zeitpunkt der Änderung der Lohnsteuer-Anmeldung Kenntnis von der einbehaltenen, abgeführten und einzubehaltenden Lohnsteuer hat. Diese Kenntnis wird i.d.R. nicht vorhanden sein. Daher wird dem Arbeitgeber in der Praxis auf Grund einer geänderten Lohnsteuer-Anmeldung der zuviel entrichtete Betrag ohne weiteres erstattet werden. Dies ist unschädlich: Mit der Erstattung leben die Haftungsansprüche des Steuergläubigers aus § 42d EStG wieder auf, soweit eine unzulässige Rechtsausübung vorliegen würde. Mit diesen Haftungsansprüchen kann daher der erstattete Betrag wieder "rückgefordert" werden. C. Anfechtungsbefugnis des Arbeitnehmers

Die Lohnsteuer-Anmeldung bewirkt die Festsetzung der Entrichtungssteuerschuld. Da der Arbeitgeber Schuldner dieser Forderung ist und sie ihm gegenüber festgesetzt wird, ist er berechtigt, die Steuerfestsetzung nach dem Einspruch mit der Anfechtungsklage anzufechten (vgl. §§ 348 Abs. 1 Nr. 1, 355 Abs. 1 Satz 2 AO). Streitig ist jedoch, ob neben ihm auch der Arbeitnehmer zur Anfechtung befugt ist. Soweit diese Problematik im Schrifttum diskutiert wird, gesteht die sich als herrschend bezeichnende Auffassung auch dem Arbeitnehmer das Recht zur Anfechtung ZU 52 . Adressat der Festsetzung sei zwar der Arbeitgeber, weil mit dessen Steuererklärung die Entrichtungssteuerschuld festgesetzt werde. Aber 50 § 42d Abs. 4 Nr. 1 EStG schließt den Erlaß eines Haftungsbescheids nicht aus, da der Arbeitgeber die einzubehaltende Lohnsteuer nicht angemeldet hat. 51 So auch Hartz / Meeßen / Wolf, "Lohnsteuer-Anmeldung" unter 3. (S. 758/1). 52 So Ziemer / Haarmann / Lohse / Beermann, Rz. 1508; Schmidt / Drenseck, § 41a EStG Anm. 2; Drenseck in Stolterfoht (Hrsg.), S. 377 (389 - 391); Drenseck DB 1983, 2326 (2327); Schuhmann BB 1985, 184 (187); wohl auch Tipke / Kruse, AO, § 168 Tz. 1.

c.

Anfechtungsbefugnis

199

die Lohnsteuer-Anmeldung sei auch Grundlage dafür, daß das Finanzamt Beträge geltend mache, die der Arbeitgeber aus dem Vermögen des Arbeitnehmers erhebe. Das Handeln gegenüber dem Arbeitgeber wirke daher auch unmittelbar gegenüber dem Arbeitnehmer. Daher habe die Festsetzung der Entrichtungssteuerschuld eine Drittwirkung. Eine fehlerhafte Festsetzung verletze somit auch den Arbeitnehmer unmittelbar in seinen Rechten (§ 350 AO; § 40 Abs. 2 FG0)53. Dem Arbeitnehmer wird jedoch von einigen Autoren das Recht zur Anfechtung der festgesetzten Entrichtungssteuerschuld abgesprochen54 • Der zeitliche Zusammenhang zwischen der Einbehaltung und der Anmeldung der Steuer sei je nach Dauer des Lohnsteuer-Anmeldungszeitraums weitgehend gelöst. Daher könne die Lohnsteuer-Anmeldung keine unmittelbare Rechtsverletzung bewirken. Im übrigen stünden dem Arbeitnehmer nach Ablauf des Kalenderjahres durch den behördlichen Lohnsteuer-Jahresausgleich geeignete Rechtsbehelfe zur Verfügung55 . Diese zeitliche Verzögerung in der Geltendmachung der Rechtsbehelfe sei dem Arbeitnehmer zumutbar, da sein Rechtsschutzbedürfnis hinter den reibungslosen Ablauf des Erhebungsverfahrens zurücktreten müsse. Dieser Auffassung ist im Ergebnis zuzustimmen, obwohl ihre Begründung bedenklich ist. Gegen die Anfechtungsbefugnis des Arbeitnehmers läßt sich sicherlich nicht das überstrapazierte Argument anführen, das Lohnsteuerabzugsverfahren sei ein sog. Massenverfahren56 • Denn, sollte der Arbeitnehmer durch die Entrichtungssteuerschuld in seinen Rechten verletzt sein, gewährt ihm bereits das subjektive Recht auf Rechtsschutz des Art. 19 Abs. 4 GG geeigneten Rechtsschutz, und zwar unabhängig davon, ob die Rechtsverletzung im Rahmen eines sog. Massenverfahrens eingetreten ist oder nicht. 53 Der Bundesfinanzhof hat sich mit dieser Frage noch nicht beschäftigt. A. A. Hartz / Meeßen / Wolf, "Lohnsteuer-Anmeldung" unter 3. (S. 757); Schmidt / Drenseck, § 41a EStG Anm. 2; Drenseck in Stolterfoht (Hrsg.), S. 377 (390). In der von Drenseck (in Stolterfoht [Hrsg.], S. 377 [390 FN 29]) zitierten Entscheidung heißt es: "Führt der Arbeitgeber die Lohnsteuer für Rechnung des Arbeitnehmers ab, so liegt in der Entgegennahme der Lohnsteuerbeträge durch das Finanzamt zwar ein stillschweigender Steuerbescheid .... Diesen Bescheid kann nur der Arbeitgeber, nicht auch der Arbeitnehmer anfechten ... " (vg!. BFH Besch!. v. 1. 12. 1967 - VI B 72/ 67 - BFHE 91, 138 [140] = BStBl II 1968,287 [288]; Hervorhebung vom Verfasser). Die Entscheidung betrifft also die Abführung (§ 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG) und nicht die Anmeldung der Lohnsteuer (§ 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG). 54 So Hartz / Meeßen / Wolf, "Lohnsteuer-Anmeldung" unter 3. (S. 757); Giloy BB 1983, 2104 (2105); Groh DStR 1969, 231 (232). Haarmann (in Ziemer / Haarmann / Lohse / Beermann, Rz. 378/3) lehnt grundsätzlich die Anfechtungsbefugnis des Arbeitnehmers ab, mit der Ausnahme, daß die Lohnsteuer-Anmeldung wirtschaftlich nur einen Arbeitnehmer betreffe. 55 Giloy ist einer der Autoren, der annimmt, § 42b EStG schließe einen Erstattungsanspruch im laufenden Kalenderjahr aus. 56 So auch Drenseck in Stolterfoht (Hrsg.), S. 377 (390).

200

4. Abschn.: Lohnsteuer-Anmeldung

Die entscheidende Frage ist vielmehr die, ob der Arbeitnehmer allein durch die Festsetzung der Entrichtungssteuerschuld in seinen Rechten verletzt ist (vgl. § 350 AO; § 40 Abs. 2 FGO). In seinen Rechten verletzt ist derjenige, der von der Festsetzung inhaltlich betroffen ist. Ein Nichtadressat ist inhaltlich betroffen, wenn die Lohnsteuer-Anmeldung jedenfalls durch ihre Existenz und/oder ihren Inhalt die Rechte des Dritten unmittelbar berührt; die bloße wirtschaftliche Betroffenheit reicht dafür nicht aus 57 • Aber gerade an der unmittelbaren Betroffenheit des Arbeitnehmers fehlt es: - Dafür spricht zum einen, daß der Lohnsteuer-Anmeldung die Entrichtungssteuerschuld zugrunde liegt. Ihr Schuldner ist allein der Arbeitgeber. Der Arbeitnehmer wird durch dieses Steuerschuldverhältnis in keiner Weise berührt. Denn aus der Lohnsteuer-Anmeldung ist weder der einzelne Arbeitnehmer noch eine Schuld des Arbeitnehmers zu entnehmen. - Wird eine Lohnsteuer-Anmeldung geändert, muß sie, damit sie auch Wirkung gegenüber dem Arbeitnehmer zeigt, diesem gegenüber erst in die Tat umgesetzt werden. Dies geschieht, soweit die Lohnsteuer noch nicht einbehalten worden ist, in der Regel durch eine Änderung des Lohnsteuerabzugs gemäß § 41c Abs. 1 Nr. 2 EStG. Zu dieser Änderung ist der Arbeitgeber aber nicht verpflichtet, sondern nur berechtigt. Der Arbeitgeber kann somit auf die Verwirklichung einer geänderten Festsetzung gegenüber dem Arbeitnehmer ganz verzichten 58 • Wenn daher bei einer Änderung der Lohnsteuer-Anmeldung noch nicht einmal sicher ist, ob der Arbeitnehmer überhaupt jemals von den Änderungen berührt wird, dann ist er allein durch diese Steuerfestsetzung in seinen Rechten nicht betroffen59 . Aus diesen Gründen ist der Arbeitnehmer nicht zur Anfechtung der festgesetzten Entrichtungssteuerschuld befugt. Er muß erst abwarten, bis daß die Lohnsteuer-Anmeldung ihm gegenüber in die Tat umgesetzt wird. Dies geschieht entweder durch die (vorherige) Einbehaltung gemäß § 38 Abs. 3 Satz 1 EStG oder durch die (nachträgliche) Änderung der Einbehaltung gemäß § 41c Abs. 1 Nr. 2 EStG60. Nur gegen diese Handlungen des Arbeitgebers kommt Rechtsschutz für den Arbeitnehmer in Frage. 57 So Tipke / Kruse, FGO, § 40 Tz. 16; Kühn / Kutter / Hofmann, § 350 AO Anm. 3; v. Wallis in Hübschmann / Hepp / Spitaler, § 350 AO Rz. 13; Haarmann in Ziemer / Haarmann / Lohse / Beermann, Rz. 373/1 - 3. So auch Kopp, VwGO, § 42 Rz. 80; Erichsen in Erichsen / Martens, § 12 UI 2 (S. 215 f.); Stern, Verwaltungsprozeß, S. 157 f. 58 In diesem Verzicht liegt aber ggf. wiederum die Zuwendung eines lohnsteuerpflichtigen Vorteils an den Arbeitnehmer. 59 Im übrigen entspräche es auch nicht der Systematik des Lohnsteuerabzugsverfahrens, ließe man die Anfechtungsbefugnis des Arbeitnehmers zu (so auch Hartz / Meeßen / Wolf, "Lohnsteuer-Anmeldung" unter 3. [So 757]). 60 Der Arbeitgeber ist jedoch nicht befugt, eine haftungsbefreiende Anzeige abzugeben, § 41c Abs. 4 Satz 1 EStG.

D. Zwischenergebnis

201

D. Zwischenergebnis

Ist eine Lohnsteuer-Anmeldung nicht abgegeben worden oder erweist sich die abgegebene Steuererklärung als fehlerhaft, können das Betriebsstättenfinanzamt und der Arbeitgeber verschiedene Maßnahmen ergreifen, um sowohl die Abgabe der Steuererklärung herbeizuführen als auch einen der Lohnsteuer-Anmeldung anhaftenden Fehler zu korrigieren. Insbesondere kommt eine abweichende Festsetzung i. S. des § 167 Abs. 1 Satz 1 AO auch dann in Betracht, wenn die Lohnsteuer weder vorschriftsgemäß einbehalten noch ordnungsgemäß angemeldet worden ist. Denn es besteht keine Spezialität des § 42d EStG zu § 167 Abs. 1 Satz 1 AO. Vielmehr steht das Haftungsverfahren als aliud neben dem Lohnsteuer-Anmeldungsverfahren. Wird eine Lohnsteuer-Anmeldung geändert, hat das Betriebsstättenfinanzamt stets einen Steuerbescheid zu erlassen, da der Steuererklärung die Entrichtungssteuerschuld des Arbeitgebers zugrunde liegt. Für diese ist es gleichgültig, ob der geänderte Teil der Festsetzung wirtschaftlich das Steuerschuldverhältnis betrifft, dessen Schuldner der Arbeitgeber (§§ 40 Abs. 3 Satz 2, 40a Abs. 4, 40b Abs. 3 Satz 2 EStG) oder der Arbeitnehmer ist (§ 38 Abs. 3 Satz 1 EStG). Wird die Festsetzung der Entrichtungssteuerschuld in der Weise geändert, daß der zu entrichtende Betrag herabgesetzt wird, steht dem Arbeitgeber ein Erstattungsanspruch aus § 37 Abs. 2 AO zu. Die Ausübung dieses Anspruchs verstößt jedoch gegen den allgemein geltenden Rechtsgrundsatz "dolo petit, qui petit, quod (statim) redditurus est", wenn der Arbeitgeber den an ihn erstatteten Betrag sogleich wieder der Finanzverwaltung herausgeben müßte. Dies ist der Fall, wenn mit der Auszahlung an den Arbeitgeber ein Haftungsanspruch aus § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG wieder durchsetzbar wird (vgl. § 42d Abs. 4 Nr. 1 EStG). Der Arbeitnehmer ist nicht befugt, die festgesetzte Entrichtungssteuerschuld mittels Einspruchs und Klage anzufechten; denn er ist durch die Lohnsteuer-Anmeldung in seinen Rechten nicht unmittelbar betroffen. Erst wenn ihm gegenüber diese Steuerschuld durch eine neue Handlung des Arbeitgebers vorher (§ 38 Abs. 3 Satz 1 EStG) oder nachher (§ 41c Abs. 1 Nr. 2 EStG) in die Tat umgesetzt wird, kann der Arbeitnehmer gegen diese schlichthoheitlichen Handlungen des Arbeitgebers Rechtsschutz erwirken.

5. Abschnitt

Die Abführung der Lohnsteuer Die Abführung der Lohnsteuer (§ 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG) ist neben deren Anmeldung (§ 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG) Teil des zweigleisigen Innenverhältnisses zwischen Arbeitgeber und Finanzverwaltung. Der Steuerpflichtige hat die von ihm tatsächlich einbehaltene und im Pauschalierungsverfahren tatsächlich übernommene Lohn- und Kirchensteuer insgesamt an das Betriebsstättenfinanzamt oder an eine andere Kasse i. S. des § 41a Abs. 3 EStG abzuführen (§ 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG; § 33 Abs. 13. Alt. AO)l. A. Rechtsnatur der Lohnsteuerabführung

Die Pflicht zur Abführung von Lohnsteuer ist Ausfluß der nicht-vermögensrechtlichen Entrichtungspflicht (§§ 33 Abs. 13. Alt., 43 Satz 2 AO). Deshalb liegt in der Entgegennahme der Lohnsteuerbeträge durch das Finanzamt kein Steuerbescheid des Betriebsstättenfinanzamts2 • Die Abführung der Lohnsteuer ist keine rein tatsächliche Handlung des Arbeitgebers 3 , sondern sie bewirkt die Übereignung des einbehaltenen und übernommenen Geldbetrages an das Betriebsstättenfinanzamt; sie setzt also eine Willenserklärung des Arbeitgebers voraus. Sie führt deshalb zu einer Zahlung i. S. des § 224 Abs. 1 Satz 1 A04. Soweit der Arbeitgeber Lohn1 Der Arbeitgeber ist von der Pflicht zur Abführung von Lohnsteuer insoweit befreit, als er aus der einbehaltenen Lohnsteuer kraft Gesetzes Leistungen an die Arbeitnehmer erbracht hat. Soweit ein Arbeitgeber also Lohnsteuer im Rahmen der Änderung des Lohnsteuerabzugs und des betrieblichen Lohnsteuer-Jahresausgleichs an die Arbeitnehmer tatsächlich erstattet hat (vg!. §§ 41c Abs. 1, Abs. 2 Satz 1; 42b Abs. 2 Satz 5, Abs. 3 Satz 2 EStG) oder er die Arbeitnehmer-Sparzulage, die Bergmannsprämie bzw. die Berlin-Zulage tatsächlich ausgezahlt hat (vg!. § 13 Abs. 5 Satz 1, Abs. 6 Satz 1 5. VermBG; § 3 Abs. 1 Sätze 1,2 BergPG; § 28 Abs. 5 Sätze 3, 5 BerlinFG), ist der Arbeitgeber nicht verpflichtet, Lohnsteuer abzuführen. 2 So auch Drenseck in Stolterfoht (Hrsg.), S. 377 (385). Vor dem Inkrafttreten der Abgabenordnung 1977 wurde die Entgegennahme der Lohnsteuerbeträge durch das Finanzamt als formloser, mit Rechtsmitteln anfechtbarer Steuerbescheid angesehen (so BFH Besch!. v. 1. 12. 1967 - VI B 72/67 - BFHE 91, 138 [140] = BStBi 11 1968, 287 [288]; Hartz / Meeßen / Wolf, "Abführung der Lohnsteuer" unter 2.d. [So 6]). Eine Vorschrift über formlose Steuerbescheide enthält die Abgabenordnung 1977 jedoch nicht. 3 So aber Drenseck in Stolterfoht (Hrsg.), S. 377 (385); Kloubert, S. 24.

A. Rechtsnatur

203

steuer abgeführt hat, bringt die Zahlung zwei Steuerschuldverhältnisse zwischen ihm und dem Steuergläubiger zum Erlöschen (§ 47 AO), zum einen das pauschale Lohnsteuerschuldverhältnis der §§ 40 Abs. 3 Satz 2, 40a Abs. 4, 40b Abs. 3 Satz 1 EStG und zum anderen das Entrichtungssteuerschuldverhältnis aus dem Lohnsteuer-Anmeldungsverfahren (§ 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG)5. Fraglich ist, ob dem Arbeitgeber ein Erstattungsanspruch aus § 37 Abs. 2 Satz 1 AO zusteht, wenn er mehr Lohnsteuer abgeführt hat, als er einbehalten (und/oder übernommen) hatte 6 • Nach dem Wortlaut des § 37 Abs. 2 Satz 1 AO sind die Tatbestandsmerkmale des Erstattungsanspruchs sicherlich erfüllt: Führt ein Arbeitgeber mehr Lohnsteuer ab, als er einbehalten (und übernommen) hat, ist insoweit eine Zahlung i. S. des § 224 AO ohne rechtlichen Grund bewirkt worden, da der Steuergläubiger nur Anspruch auf die einbehaltene (und übernommene) Lohnsteuer hat (vgl. § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG). Dennoch sind m. E. die Voraussetzungen eines Erstattungsanspruchs aus § 37 Abs. 2 AO allein auf Grund der Abführung der Steuer abzulehnen. Dem steuerrechtlichen Erstattungsanspruch liegt der Umkehrgedanke zugrunde, d. h., mit Hilfe des § 37 Abs. 2 Satz 1 AO sollen nur Ansprüche aus einem Steuerschuldverhältnis umgekehrt werden. Die Abführung der Lohnsteuer beruht aber gerade nicht auf einem Steuerschuldverhältnis, sondern auf einem nicht-vermögensrechtlichen Steuerrechtsverhältnis. Deshalb kommt ein Erstattungsanspruch des Arbeitgebers aus § 37 Abs. 2 AO, sollte er mehr Lohnsteuer abgeführt als einbehalten und übernommen haben, gegen den Steuergläubiger nicht in Frage. Dies bedeutet aber nicht, daß man dem Arbeitgeber damit jeden Rechtsschutz nimmt. Er kann die ohne rechtlichen Grund abgeführte Lohnsteuer mit dem Erstattungsanspruch auf Grund der Entrichtungssteuerschuld ersetzt verlangen7 , soweit die Ausübung des Erstattungsanspruchs keine unzulässige Rechtsausübung darstellt. Diese Lösung führt zu folgenden Ergebnissen: 4 Diese Zahlung erbringt der private Arbeitgeber als Privatrechtssubjekt und nicht als Beliehener. 5 Die Abführung der Lohnsteuer bringt dagegen das individuelle Lohnsteuerschuldverhältnis zwischen Arbeitnehmer und Steuergläubiger (§ 38 Abs. 2 Satz 1 EStG) nicht zum Erlöschen. Die Tatsache, daß eine Geldzahlung zwei Schuldverhältnisse zum Erlöschen bringt, ist keine Besonderheit der Abführung einer Steuer. Beispielsweise hat die Erfüllung durch einen Gesamtschuldner Wirkung auch für die übrigen Schuldner (§ 44 Abs. 2 Satz 1 AO). 6 Stache (in Horowski / Altehoefer, § 41a EStG Anm. D.S) bejaht einen Erstattungsanspruch des Arbeitnehmers. Dies ist bedenklich, weil die Abführung keine Leistung des Arbeitnehmers darstellt und auch nicht als solche gilt. 7 Damit ist dem Gedanken Rechnung getragen worden, daß die Abführung der Lohnsteuer insoweit das Entrichtungssteuerschuldverhältnis zum Erlöschen bringt. Folglich muß auch aus der Entrichtungssteuerschuld ein Erstattungsanspruch abgeleitet werden.

204

5. Abschn.: Abführung der Lohnsteuer

Beispiel 1: Ein Arbeitgeber hat 100 DM Lohnsteuer einzubehalten. Er behält 100 DM ein, meldet 100 DM an und führt 110 DM ab.

In diesem Beispiel ist eine Erstattung zulässig, da der Arbeitgeber 10 DM ohne rechtlichen Grund auf die Entrichtungssteuerschuld geleistet hat. Die Ausübung des Erstattungsanspruchs stellt keine unzulässige Rechtsausübung dar, da mit der Herausgabe der 10 DM ein Haftungsanspruch aus § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG nicht wieder auflebt. Beispiel 2: Ein Arbeitgeber hat 100 DM Lohnsteuer einzubehalten. Er behält 90 DM ein, meldet 90 DM an und führt 100 DM ab.

In diesem Fall sind die Voraussetzungen eines Erstattungsanspruchs ebenfalls erfüllt, denn die Entrichtungssteuerschuld ist nur in Höhe von 90 DM festgesetzt worden und für die Überzahlung der 10 DM hat ein rechtlicher Grund gefehlt. Die Ausübung des Erstattungsanspruchs durch den Arbeitgeber wäre aber eine unzulässige Rechtsausübung, denn, würden dem Arbeitgeber 10 DM erstattet werden, könnte das Finanzamt von ihm diese 10 DM sofort wieder herausverlangen (§ 42d Abs. 1 Nr. 11. Alt., Abs. 4 Nr. 1 EStG). Folglich sind dem Arbeitgeber die überzahlten 10 DM nicht zu erstatten. B. Rechtsfolgen einer unterlassenen oder verspäteten Lohnsteuerabführung

Fraglich ist, welche Maßnahmen das Betriebsstättenfinanzamt einzuleiten hat, wenn der Arbeitgeber nicht spätestens am zehnten Tag nach Ablauf des Lohnsteuer-Anmeldungszeitraums (§ 41a Abs. 2 EStG) die Lohnsteuer abgeführt hat. 1. Folgen einer unterlassenen Lohnsteuerabführung

Kommt der Arbeitgeber seiner Verpflichtung zur Abführung der Steuer ganz oder teilweise nicht nach und will das Betriebsstättenfinanzamt allein die Zahlung des einbehaltenen und übernommenen Betrags erzwingen, hat es nicht die Lohnsteuer-Anmeldung zu vollstrecken, denn die ihr zugrundeliegende Entrichtungssteuerschuld ist auf Zahlung des einzubehaltenden und zu übernehmenden Geldbetrags gerichtet. Vielmehr hat das Betriebsstättenfinanzamt, soweit zulässig (vgl. § 42d Abs. 4 Nr. 1 EStG), einen Haftungsbescheid wegen zuwenig abgeführter Lohnsteuer aus § 42d Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. EStG dem Arbeitgeber gegenüber zu erlassen8 . Mit dem Erlaß dieses Haf8 So auch Schmidt / Drenseck, § 42d EStG Anm. 2b a. E.; Rarein in Littmann / Ritz / Meincke, § 42d EStG Rz. 5; Altehoefer in Lademann / Söffing / Rrockhoff,

B. Fehlerhafte Lohnsteuerabführung

205

tungsbescheids wandelt sich die nicht-vermögensrechtliche Abführungspflicht in einen Anspruch aus einem Steuerschuldverhältnis um, also in einen Anspruch vermögensrechtlicher Art. Erst durch diese Umwandlung wird die Abführungspflicht vollstreckbar9 . 2. Folgen einer verspäteten Lohnsteuerabführung

Kommt der Arbeitgeber seiner Pflicht zur Abführung der Steuer nicht bis zum zehnten Tag nach Ablauf des Lohnsteuer-Anmeldungszeitraums nach, nimmt die heute allgemein vertretene Auffassung an, das Betriebsstättenfinanzamt dürfe einen Säumniszuschlag vom Arbeitgeber erheben (§ 240 Abs. 1, 3 AO)lO. Es ist unter den Autoren allerdings wegen § 240 Abs. 1 Satz 3 AO streitig, ob die Lohnsteuer zuvor angemeldet worden sein muß. Gegen diese Auffassung bestehen Bedenken, da ein Säumniszuschlag nur erhoben werden darf, wenn eine Steuer "fällig" ist (§ 240 Abs. 1 Satz 1 AO). Fällig werden kann jedoch nur ein Anspruch aus einem Steuerschuldverhältnis (§ 220 Abs. 1 AO). Die Abführung der Lohnsteuer ist nicht Ausfluß eines Anspruchs aus einem Steuerschuldverhältnis i. S. des § 37 Abs. 1 AO, sondern sie erwächst aus einem nicht-vermögens rechtlichen Steuerrechtsverhältnis (§ 33 Abs. 13. Alt. AO). Deshalb wird die Abführung der Steuer nicht am zehnten Tag nach Ablauf des Lohnsteuer-Anmeldungszeitraums "fällig". Die Entrichtung eines Säumniszuschlags setzt daher voraus, daß zuvor der Haftungsanspruch aus § 42d Abs. 1 NI. 12. Alt. EStG festgesetzt wird ll . Erst mit dessen Bekanntgabe wird ein Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis § 41a EStG Rz. 19; Nissen in Hartmann I Böttcher I Nissen I Bordewin, § 41a EStG Rz. 9; Klöckner in Klein I Flockermann I Kühr, § 41a EStG Rz. 22; Oeftering I Görbing, § 41a EStG Rz. 16.

9 Neben dem Erlaß eines Haftungsbescheids könnten Zwangsmittel in Frage kommen, um die Abführung der Lohnsteuer zu erzwingen (vgl. §§ 328 ff. AO). M.E. geht aber § 42d Abs. 1 Nr. 12. Alt. EStG diesen Zwangsmitteln als lex specialis vor. Der Arbeitgeber ist zur Abführung von Lohnsteuer auch verpflichtet, wenn er - wie im Pauschalierungsverfahren - selbst Lohnsteuerschuldner ist, denn die Abführungspflicht erstreckt sich auch auf die "übernommene" Lohnsteuer, die zusammen mit der einbehaltenen insgesamt abzuführen ist (§ 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG). Somit wird die zwar übernommene, aber nicht abgeführte Lohnsteuer durch den Haftungsbescheid des § 42d Abs. 1 Nr. 12. Alt. EStG, hingegen die zuwenig übernommene Lohnsteuer mit einem Nachforderungsbescheid dem Arbeitgeber gegenüber geltend gemacht. 10 So Hartz I Meeßen I Wolf, "Abführung der Lohnsteuer" unter 3. (S. 7); Schmidt I Drenseck, § 41a EStG Anm. 3; Altehoefer in Lademann I Söffing I Brockhofj, § 41a EStG Rz. 19; Grube in Littmann I Bitz I Meincke, 14. Aufl., § 41a EStG Rz. 22; Klöckner in Klein I Flockermann I Kühr, § 41a EStG Rz. 20; Stache in Horowski I Altehoefer, § 41a EStG Anm. D.3.; Oeftering I Görbing, § 41a EStG Rz. 17; Wehmeyer in Blümich I Falk, § 41a EStG Rz. 9. 11 Die "Fälligkeit" der Abführung wird dagegen nicht durch die Lohnsteuer-Anmeldung herbeigeführt, weil sie nicht der "Titel" zur Vollstreckung der Abführung ist.

206

5. Abschn.: Abführung der Lohnsteuer

fällig (vgl. §§ 220 Abs. 2 Satz 2, 37 Abs. 1 AO). Deshalb kann erst nach der Bekanntgabe des Haftungsbescheids ein Säumniszuschlag aus Anlaß einer verspäteten Abführung der Steuer erhoben werden.

c. Zwischenergebnis Die Abführung der Lohnsteuer ist der letzte Akt der Entrichtungspflicht des Arbeitgebers. Da der Arbeitgeber die Steuer nicht für Rechnung eines Dritten abzuführen hat, bringt er das Entrichtungssteuerschuldverhältnis aus der Lohnsteuer-Anmeldung (§ 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG) und die pauschale Lohnsteuerschuld aus dem Pauschalierungsverfahren (§§ 40 Abs. 3 Satz 2, 40a Abs. 4, 40b Abs. 3 Satz 1 EStG) durch Zahlung zum Erlöschen (§§ 224 Abs. 1 Satz 1,47 AO). Die Abführung der Lohnsteuer wird nicht auf Grund der LohnsteuerAnmeldung vollstreckt, sondern "Titel" für die Vollstreckung der Abführung ist der Haftungsbescheid aus § 42d Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. EStG. Erst wenn dieser Haftungsbescheid dem Arbeitgeber gegenüber bekanntgemacht worden ist, kann ein Säumniszuschlag wegen verspätet er Abführung erhoben werden.

6. Abschnitt

Die Besonderheiten anläßlich einer Nettolohnvereinbarung Die Arbeits- und Dienstvertragsparteien vereinbaren in der Regel einen sog. Bruttolohn!, d. h., der Arbeitnehmer hat gegen seinen Arbeitgeber grundsätzlich einen Anspruch auf Zahlung von Arbeitslohn, der die gesetzlichen Lohnabzüge (Lohnsteuer, Kirchenlohnsteuer , Arbeitnehmeranteile zur Kranken-, Renten- und Sozialversicherung) beinhaltet2 • Von dem Bruttolohn behält der Arbeitgeber die gesetzlichen Lohnabzüge ein. Der Beschäftigte ist also mit den Abzugsbeträgen wirtschaftlich belastet. Die Parteien des Individualarbeitsvertrages und auch die Tarifvertragsparteien 3 können aber - entsprechend dem Grundsatz der Vertragsfreiheit - in den Grenzen der §§ 134, 138 BGB4 eine Nettolohnvereinbarung treffenS. Der Arbeitnehmer hat aus dieser Vereinbarung von Anfang an lediglich einen Anspruch auf Zahlung von Arbeitslohn ohne die gesetzlichen Lohnabzüge 6 . 1 So BAG Urt. v. 19. 12. 1963 - 5 AZR 176/63 - AP Nr. 15 (BI. 2) zu § 670 BGB; BAG Urt. v. 24. 10. 1958 - 4 AZR 114/56 - AP Nr. 7 (BI. 2) zu § 670 BGB; Münchener Kommentar-Söllner, § 611 BGB Rz. 305; Palandt-Putzo, § 611 BGB Anm. 6 b/aa; Riepen, S. 36; Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, § 71 14 (S. 369). Von diesem arbeitsrechtlichen Regelfall geht auch das Lohnsteuerrecht aus, wie die Existenz des § 2 Abs. 3 Nr. 2 Satz 4 LStDV zeigt. 2 "Brutto"-Lohn bedeutet nur, daß der Arbeitslohnanspruch des Arbeitnehmers auch die gesetzlichen Lohnabzüge mit umfaßt, die im Rahmen der Zwangsvollstrekkung aus dem Bruttolohnurteil gemäß § 775 ZPO zu berücksichtigen sind. "Brutto" bedeutet dagegen nicht, daß damit ein bestimmter, fester Geldbetrag geschuldet wird, der beispielsweise auch künftige Zinsen abgilt. So auch Pufza NJW 1964, 1823. 3 So BAG Urt. v. 3. 4. 1974 - 4 AZR 273/73 - DB 1974, 1436 (1437). 4 So BAG Urt. v. 3. 4. 1974 - 4 AZR 273/73 - DB 1974, 1436 (1437); Mösch, S. 100; Klaubert, S. 110; Matthes DB 1969, 1339. 5 Einer Nettolohnvereinbarung stehen öffentlich-rechtliche Grundsätze ebenfalls nicht entgegen, wie z. B. der Grundsatz, daß öffentlich-rechtliche Pflichten durch privatrechtliche Vereinbarungen nicht abgeändert werden dürfen. Insbesondere wird durch den Nettolohnvertrag die Pflicht zur Einbehaltung von Lohnsteuer nicht verändert. Denn die Doppelnatur des Arbeitslohnanspruchs entsteht erst mit der Einbehaltung der Lohnsteuer. Vor diesem Zeitpunkt, also im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses, ist und bleibt der Arbeitslohnanspruch allein arbeitsrechtlich geprägt. Daher verändert die Nettolohnvereinbarung nicht die Pflicht zur Einbehaltung von Lohnsteuer. 6 Je nach vertraglicher Ausgestaltung kann die Nettolohnvereinbarung einen unterschiedlichen Inhalt haben. So kann sich der Arbeitgeber verpflichten, alle oder auch nur einzelne (z. B. nur die Lohnsteuer) gesetzliche Lohnabzüge zu übernehmen. Eine Nettolohnvereinbarung für einen Arbeitnehmer aus Berlin kann sogar in der Weise getroffen werden, daß der Nettolohn auch die Berlin-Zulage enthalten soll. Mit

208

6. Abschn.: Nettolohnvereinbarung

Im Gegensatz zum Bruttolohn ist im Falle eines Nettolohnvertrages der Arbeitgeber mit den wirtschaftlichen Lasten der gesetzlichen Lohnabzüge belastet. Daher stellt die Vereinbarung eines Nettolohns 7 eine für den Arbeitnehmer günstige Tatsache dar. Folglich ist der Arbeitnehmer darlegungs- und beweispflichtig, wenn er behauptet, es liege ein Nettolohnvertrag vor8 . An diese Darlegungen werden grundsätzlich strenge Anforderungen gestellt9 • In manchen Lebensbereichen ist die Vereinbarung eines Nettolohns jedoch die Regel, z. B. bei Haushaltshilfen. In solchen Fällen kann sich das Vorliegen einer Nettoabrede aus den Umständen, insbesondere aus der Höhe des Ent-

diesem Vertrag verfügen die Parteien nicht über den Anspruch auf die Zulage (vgl. § 28 Abs. 10 BerlinFG), sondern sie beziehen die Zulage nur in die Berechnung des Nettolohns mit ein. So auch BFH Urt. v. 14. 3. 1986 - VI R 30/82 - BFHE 147, 91 (97) = BStBi II 1986, 886 (889). 7 Die arbeits- und steuerrechtliche Literatur unterscheidet zwischen der originären und der abgeleiteten Nettolohnvereinbarung (so Stübing / Bürger, AR-Blattei D, Lohnsteuer I, Übersicht unter M.l.; Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, § 71 V 2 [So 391]; Altehaefer in Lademann / Söffing / Brackhaff, § 39b EStG Rz. 64; Gilay in Stalterfaht [Hrsg.], S. 209 [211 f.]; Klaubert, S. 110; Gilay FR 1976, 553; Matthes DB 1969, 1339 [1340]). Bei der sog. abgeleiteten Nettolohnvereinbarung haben die Parteien in Kenntnis der maßgeblichen gesetzlichen Abzugsbeträge den Bruttolohn errechnet und aus diesem den Nettolohn ermittelt. Die Parteien leiten also aus dem Bruttolohn den Nettolohn ab. Den so berechneten Nettolohn haben die Parteien den Vertragsverhandlungen zugrundegelegt und in die Urkunde geschrieben. Die Auslegung dieses Vertrags ergibt, daß die Parteien tatsächlich einen Bruttolohn gewollt und vereinbart haben (so LAG Hamm Urt. v. 20. 11. 1959 - 4 Sa 536/59 - DB 1960,499; Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, § 71 V 2 [So 391]; Gilay in Stalterfaht [Hrsg.], S. 209 [211]; Matthes DB 1969, 1339 [1341]). Daher treten bei einer sog. abgeleiteten Nettolohnvereinbarung keine arbeits- und steuerrechtlichen Besonderheiten auf. Im Gegensatz zu einem abgeleiteten Vertrag kommt es den Parteien der sog. originären Vereinbarung allein auf den vereinbarten Nettolohn an (Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts [Urt. v. 6. 7. 1970 - 5 AZR 523/69 - AP Nr. 1 zu § 611 BGB "Nettolohn"] erkennt nur die sog. originäre Abrede als Nettolohnvereinbarung an.). Der dem Nettolohn entsprechende Bruttolohn ist für die Vertragsverhandlungen nicht bestimmend gewesen. Dieser Nettolohn bildet die alleinige Vertragsgrundlage und nur er wird geschuldet. Nur bei dieser Vereinbarung können daher arbeits- und steuerrechtliehe Besonderheiten auftreten. Wenn daher im folgenden von einer Nettolohnvereinbarung die Rede ist, dann ist damit nur die sog. originäre Nettolohnvereinbarung gemeint. Die Auslegung einer Nettolohnabrede wird im Zweifel eine originäre Vereinbarung ergeben. Für das Vorliegen dieses Vertragsinhalts ist der Arbeitnehmer beweispflichtig. B So auch Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, § 71 V 1 (S. 390); Mösch, S. 102; Matthes DB 1969, 1339 (1344). 9 So BAG Urt. v. 17. 4. 1985 - 4 AZR 510/84 - DB 1985, 1947; BAG Urt. v. 18. 1. 1974 - 3 AZR 183/73 - DB 1974, 778. So auch BFH Urt. v. 14. 3. 1986 - VI R 30/82 - BFHE 147, 91 (97) = BStBI II 1986, 886 (889); BFH Urt. v. 18. 5. 1972 - IV R 168/68 - BFHE 106, 192 (196) = BStBI II 1972,816 (818); BFH Urt. v. 18. 1. 1957 - VI 111/55 U - BFHE 64,307 (308) = BStBi III 1957, 116; Riepen, S. 37.

A. Zahlungsanspruch

209

gelts und der Verkehrsüblichkeit ergeben JO • Soweit die Arbeitsgerichte über das Vorliegen einer Brutto- oder Nettolohnvereinbarung entschieden haben, sind die Finanzverwaltung und die Finanzgerichte an diese Entscheidung gebunden ll . Die Nettolohnvereinbarung kann Auswirkungen auf das Lohnsteuerabzugsverfahren haben. Andererseits kann wiederum das Lohnsteuerrecht Reflexwirkungen auf das Arbeitsrecht zeigen. Daher ist für die Behandlung des Nettolohnvertrages zwischen der arbeits- und der steuerrechtlichen Beurteilung zu unterscheiden. A. Einfluß einer geänderten Lohnsteuerkarte auf den arbeitsrechtlichen Zahlungsanspruch Das Lohnsteuerrecht hat Auswirkungen auf den Arbeitsvertrag, wenn sich die steuerlich relevante Lebenssphäre des Arbeitnehmers ändert und der Arbeitnehmer daraufhin zum Zwecke der Einbehaltung von Lohnsteuer eine geänderte Lohnsteuerkarte vorlegt. Die Vorlage bewirkt eine Änderung der vom Arbeitgeber wirtschaftlich zu tragenden Lohnkosten. Beispielsweise erhöhen sie sich, wenn ein eingetragener Freibetrag wegfällt, oder die Lohnkosten vermindern sich, wenn der Arbeitnehmer einen Freibetrag neu eintragen läßt. Fraglich ist, ob der Arbeitnehmer nun weiterhin einen Zahlungs anspruch auf den ursprünglich vereinbarten Nettolohn hat oder ob der Arbeitgeber von sich zur Anpassung des Nettolohns an die veränderten Verhältnisse berechtigt ist. Zur Lösung dieser arbeitsrechtlichen Frage ist zunächst einmal danach zu unterscheiden, ob die Änderung der Lohnkosten auf Grund einer willkürlichen Handlung des Arbeitnehmers eingetreten ist oder nicht. 1. Willkürliche Änderungen der gesetzlichen Lohnabzüge

Das Steuerrecht eröffnet dem Arbeitnehmer die Möglichkeit, die gesetzlichen Lohnabzüge und damit auch die von seinem Arbeitgeber zu tragenden Lohnkosten willkürlich (i. S. von Verschulden gegen seinen Arbeitgeber) zu ändern. Ein Beispielsfall ist die schuldhafte Nichtvorlage bzw. die schuldhaft verzögerte Rückgabe einer Lohnsteuerkarte, da der Arbeitgeber nunmehr die von ihm wirtschaftlich zu tragende Lohnsteuer nach der für ihn ungünstigen Steuerklasse VI zu berechnen hat (§ 39c Abs. 1 Satz 1 EStG).

10 So LAG Baden-Württemberg Urt. v. 5. 10. 1962 - 4 Sa 65/62 - DB 1962, 1646; Hartz, Anm. zu BAG AP Nr. 15 (BI. 3) zu § 670 BGB. 11 So auch Stolterfoht, Lohnsteuer, Rz. 148 (S. 217 m.w.N.).

14 Schäfer

210

6. Abschn.: Nettolohnvereinbarung

Eine willkürliche Änderung der Lohnkosten bewirkt, daß die Geschäftsgrundlage der Nettolohnvereinbarung wegfällt 12 • Der Arbeitgeber ist mithin berechtigt, von sich aus die ursprünglich getroffene Nettolohnvereinbarung den veränderten tatsächlichen Gegebenheiten anzupassen und ggf. den Lohn zu kürzen 13 . 2. Nichtwillkürliche Änderungen der gesetzlichen Lohnabzüge

Zweifelhafter sind jedoch die Fälle einer nichtwillkürlichen Änderung der gesetzlichen Lohnabzüge. Ihre Beurteilung hängt davon ab, ob im Arbeitsvertrag eine Regelung in bezug auf den der Änderung zugrundeliegenden Sachverhalt vorhanden ist oder nicht. 2.1 Vorliegen einer arbeitsvertraglichen Regelung

Haben die Arbeitsvertragsparteien in einer Nebenvereinbarung zum Nettolohnvertrag geregelt, wie beim Eintritt von steuerrechtlich relevanten Änderungen in der Lebenssphäre des Arbeitnehmers der Nettolohn zu berechnen ist, und legt der Arbeitnehmer daraufhin eine geänderte Lohnsteuerkarte vor, ist der ursprünglich festgelegte Nettolohn entsprechend dieser Nebenvereinbarung ggf. anzupassen. Die Nebenabrede muß aber nicht notwendigerweise ausdrücklich in der Vertragsurkunde niedergelegt sein, sondern sie kann sich auch aus den Umständen ergeben. Ein konkludenter Ausschluß einer Änderung des vereinbarten Nettolohns ist m. E. anzunehmen, wenn beiden Arbeitsvertragsparteien bei Vertragsabschluß eine künftige Änderung in der Lebenssphäre des Arbeitnehmers (z. B. eine Heirat) bekannt war und sie das Ereignis bereits in den Nettolohn einkalkulierten. Die Vorlage der geänderten Lohnsteuerkarte bewirkt in diesem Fall keine Veränderung des Nettolohns 14 . Denn die Auslegung der Nettolohnvereinbarung ergibt, daß sich die steuerrechtlich relevanten Änderungen in der Lebenssphäre des Arbeitnehmers zugunsten und zu Lasten des Arbeitgebers auswirken sollen. Eine stillschweigende Abänderung des ursprünglich vereinbarten Nettolohns ist m. E. in der Nebenvereinbarung zu sehen, in der sich der Arbeitnehmer zugleich auch verpflichtet hat, seinen künftigen Erstattungsanspruch aus 12 So auch BAG Vrt. v. 22. 10. 1986 - 5 AZR 733/85 - DB 1986,944 (945); AltehoeJer in Lademann / Söffing / Brockhoff, § 39b EStG Rz. 66; Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, § 71 V 3 (S. 392); Matthes DB 1969, 1339 (1342). i3 Für die Kürzung des Nettolohns ist der Arbeitgeber nicht an die für die Aufrechnung geltenden Beschränkungen gebunden (vgl. § 394 BGB i.V. mit §§ 850 ff. ZPO). 14 M.E. gehö~t es in diesem Fall zu den Nebenpflichten des Arbeitnehmers, auch für ihn ungünstige Anderungen auf der Lohnsteuerkarte eintragen zu lassen.

A. Zahlungsanspruch

211

dem betrieblichen und behördlichen Lohnsteuer-Jahresausgleich bzw. der Veranlagung zur Einkommensteuer an den Arbeitgeber abzutreten. Mit dieser Nebenvereinbarung machen beide Parteien deutlich, daß der dem Nettolohn zur Zeit des Vertragsabschlusses entsprechende Bruttobetrag als konstante Größe auch für die Folgezeit geschuldet wird, und zwar gleichgültig, welche steuermindernden oder -erhöhenden Aufwendungen der Arbeitnehmer für das jeweilige Kalenderjahr vorbringt. Änderungen in der Lebenssphäre des Arbeitnehmers wirken sich mithin nicht beim Arbeitgeber, sondern allein beim Arbeitnehmer aus. Daher ist der Arbeitgeber insoweit einseitig zu einer Änderung des Nettolohns befugt. 2.2 Nichtvor/iegen einer arbeitsvertraglichen Regelung

Umstritten sind jedoch die Sachverhalte, in denen nicht geregelt ist, wie sich steuerrechtlich relevante Änderungen in der Lebenssphäre des Arbeitnehmers auf den arbeitsrechtlichen Zahlungsanspruch auswirken. Von einigen Autoren wird die Auffassung vertreten, diese Änderungen gingen zugunsten und zu Lasten des Arbeitgebers l5 : Bei der Nettolohnvereinbarung werde der Arbeitslohn als konstante Größe geschuldet. Die Parteien hätten mit dieser Vereinbarung zu erkennen gegeben, daß es ihnen allein auf den geschuldeten Nettolohn, nicht jedoch auf die weiteren Lohnkosten ankomme. Daher bleibe der Nettolohn bei der Vorlage einer geänderten Lohnsteuerkarte konstant. Für den Arbeitnehmer ergebe sich im übrigen auch keine Verpflichtung aus einer stillschweigenden Nebenabrede zur Nettolohnvereinbarung, z. B. Freibeträge auf der Lohnsteuerkarte eintragen zu lassen, um so die Lohnkosten seines Arbeitgebers zu mindern. Nach dieser Auffassung hat es der Arbeitnehmer in der Hand, die von seinem Arbeitgeber wirtschaftlich zu tragenden Lohnkosten in der Höhe zu gestalten: Läßt er sich beispielsweise einen Freibetrag auf der Lohnsteuerkarte bereits während des laufenden Kalenderjahrs eintragen, bleibt sein Nettolohn konstant, aber die Lohnsteuer ermäßigt sich infolge des neu eingetragenen Freibetrags. In dem Fall einer sofortigen Eintragung kommt die Änderung in der Lebenssphäre des Arbeitnehmers somit allein dem Arbeitgeber zugute. Anders ist es jedoch, wenn der Arbeitnehmer den Freibetrag nicht eintragen läßt. Sowohl der vereinbarte Nettolohn als auch der ihm entsprechende Bruttobetrag bleiben während des Kalenderjahrs konstant. Läßt der Arbeitnehmer jedoch nach Ablauf des Kalenderjahrs einen behördlichen Lohnsteuer-Jahresausgleich oder eine Veranlagung zur Einkommensteuer durchführen, erhöhen die dem Freibetrag zugrundeliegenden Aufwendungen 15 So Palandt-Putzo, § 611 BGB Anm. 6 b/aa; Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, § 71 V 3 (S. 392); Matthes DB 1969, 1339 (1341 f.); Putzo, Anm. zu BAG AP Nr. 1 (BI. 2) zu § 611 BGB "Nettolohn".

14*

212

6. Abschn.: Nettolohnvereinbarung

seinen Erstattungsanspruch gegen den Steuergläubiger . In diesem Fall der Nichteintragung wirkt sich also die Änderung allein beim Arbeitnehmer aus. Somit führt die oben geschilderte Auffassung zu unterschiedlichen Ergebnissen, je nachdem, zu welchem Zeitpunkt der Arbeitnehmer eine Änderung in seiner Lebenssphäre steuerrechtlich geltend macht. Dieses Ergebnis ist bedenklich. Gegen die oben dargestellte Auffassung spricht noch ein weiteres Argument. Haben die Parteien des Arbeitsvertrages einen Nettolohn vereinbart, dann ist dieser keine auf unbestimmte Zeit fortgeltende konstante Größe. Die Parteien gehen vielmehr regelmäßig nur von den persönlichen Verhältnissen aus, wie sie im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses bestanden haben. Dies gilt insbesondere für die Familienverhältnisse. Gerade diese sind bei einer Nettolohnvereinbarung für den Arbeitgeber entscheidend, um die Kosten zu kalkulieren, die er für den Arbeitnehmer insgesamt aufzuwenden hat. Deswegen sind lediglich die bei Vertragsabschluß bestehenden persönlichen Verhältnisse des Arbeitnehmers Grundlage des Nettolohns. Ändern sich also die ursprünglichen Verhältnisse, wird die bisherige Regelung anpassungsbedürftig!6. Fehlt mithin eine arbeitsvertragliche Regelung und legt der Arbeitnehmer eine geänderte Lohnsteuerkarte vor, so verändert sich für den Arbeitgeber bei gleichbleibendem Bruttolohn der Nettolohn des Arbeitnehmers!7. Legt der Arbeitnehmer jedoch keine geänderte Lohnsteuerkarte vor, bleibt der auszuzahlende Nettolohn konstant. Beantragt er im letzten Fall aber die Durchführung eines behördlichen Lohnsteuer-Jahresausgleichs oder wird er zur Einkommensteuer veranlagt, so verändert sich sein Erstattungsanspruch. Nach der hier bevorzugten Auffassung entsprechen die Auswirkungen von steuerrechtlich relevanten Änderungen in der Lebenssphäre des Arbeitnehmers bei einer Nettolohnvereinbarung denen einer Bruttolohnvereinbarung. Daher wird diese Auffassung den Interessen aller Beteiligten, insbesondere unter dem Gesichtspunkt der Gleichbehandlung aller Arbeitnehmer gerecht. 3. Zwischenergebnis

Bei einer (sog. originären) Nettolohnvereinbarung verpflichtet sich der Arbeitgeber, die gesetzlichen Lohnabzüge seines Arbeitnehmers (Lohnsteuer, Kirchenlohnsteuer, Arbeitnehmeranteile zur Kranken-, Renten- und Sozialversicherung) ganz oder teilweise wirtschaftlich zu tragen. 16 So auch BAG Urt. v. 6. 7. 1970 - 5 AZR 523/69 - AP Nr. 1 (BI. 1/2) zu § 611 BGB "Nettolohn"; LAG Düsseldorf Urt. v. 25. 10. 1967 - 6 Sa 828/65 - DB 1968, 986; Münchener Kommentar-Sällner, § 611 BGB Rz. 306; Altehoefer in Lademann / Säffing / Brockhoff, § 39b EStG Rzn. 65 f.; Stübing / Bürger, AR-Blatte i D, Lohnsteuer I, Ubersicht M.L2. 17 Wegen § 41c Abs. 1 Nr. 1 EStG ist sogar eine rückwirkende Änderung möglich.

B. Steuerrechtliehe Beurteilung

213

Die vom Arbeitgeber zu tragenden Lohnkosten ändern sich, wenn der Arbeitnehmer eine geänderte Lohnsteuerkarte vorlegt. In diesem Fall ist der Arbeitgeber bei gleichbleibendem Bruttolohn grundsätzlich berechtigt, einseitig den ursprünglich vereinbarten Nettolohn anzupassen. Eine Anpassung des Nettolohns ist jedenfalls dann anzunehmen, wenn die Änderung der Lohnkosten auf einer willkürlichen Handlung des Arbeitnehmers beruht und damit die Geschäftsgrundlage der Nettolohnvereinbarung wegfällt. Im Falle einer nichtwillkürlichen Änderung der gesetzlichen Lohnabzüge kann im Arbeitsvertrag eine Änderung des Zahlungsanspruchs vorgeschrieben oder ausgeschlossen sein. Der Arbeitgeber ist zu einer Anpassung des Nettolohns befugt, wenn sich der Arbeitnehmer verpflichtet hat, seine Erstattungsansprüche aus dem betrieblichen und behördlichen Lohnsteuer-Jahresausgleich bzw. der Veranlagung zur Einkommensteuer an den Arbeitgeber abzutreten. Fehlt im Arbeitsvertrag eine Regelung, wie bei Vorlage einer geänderten Lohnsteuerkarte der Nettolohn zu berechnen ist, ist der Arbeitgeber ebenfalls zur Anpassung des Zahlungsanspruchs bei gleichbleibendem Bruttolohn berechtigt, denn der Nettolohn wird nicht als auf unbestimmte Zeit fortgeltende Größe geschuldet. B. Steuerrechtliche Beurteilung

Die (sog. originäre) Nettolohnvereinbarung ist auch lohnsteuerrechtlich anerkannt 18 . Sie könnte Auswirkungen auf das Lohnsteuerabzugsverfahren haben, nämlich auf die Steuerschuldnerschaft des Arbeitnehmers, auf den steuerrechtlichen Begriff des Arbeitslohns und auf die Anwendung des Nachforderungstatbestands des § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 EStG. 1. Arbeitnehmer als Lohnsteuerschuldner

Gegenstand der arbeitsvertraglichen Nettolohnvereinbarung ist die Verpflichtung des Arbeitgebers, die auf den Nettolohn entfallenden gesetzlichen Lohnabzüge ganz oder teilweise zu tragen. Allein die Verpflichtung zur Übernahme der wirtschaftlichen Lasten der individuell erhobenen Lohnsteuerschuld ist Inhalt dieser Vereinbarung 19 . Der Nettolohnvertrag hat daher keinen Wechsel in der Steuerschuldnerschaft der individuell erhobenen Lohnsteuer zur Folge 20 . Für eine den Arbeit18 So BFH Urt.v. 8. 11. 1985 - VI R 238/80 - BFHE 145, 198 (200 - 202) = BStBl 11 1986, 186 (187); BFH Urt. v. 18. 5. 1972 - IV R 168/68 - BFHE 106, 192 (196) = BStBl 11 1972, 816 (818); BFH Urt. v. 19. 12. 1960 - VI 92/60 U - BFHE 72,465 (466 - 468) = BStBl III 1961, 170 f.

214

6. Abschn.: Nettolohnvereinbarung

nehmer befreiende Schuldübernahme wäre nämlich die Mitwirkung des Steuergläubigers erforderlich (vgl. §§ 414, 415 Abs. 1 Satz 1 BGB), die jedoch i.d.R. fehlt. Öffentlich-rechtliche Pflichten, zu denen auch die Steuerpflicht zählt, können überdies nicht mittels einer privatrechtlichen Vereinbarung abgeändert werden 21 . Auch die Existenz des § 40 Abs. 3 Satz 2 EStG zeigt, daß der Arbeitgeber nur in den Fällen der Lohnsteuerpauschalierung zum Steuerschuldner von Lohnsteuer wird. Somit ist der Arbeitnehmer auch anläßlich einer Nettolohnvereinbarung Schuldner der individuell erhobenen Lohnsteuer (§ 38 Abs. 2 Satz 1 EStG)22. 2. Steuerrechtlicher Arbeitslohn

Arbeitsrechtlich schuldet der Arbeitgeber die Auszahlung des vereinbarten Nettolohns 23 . Im Lohnprozeß vor den Arbeitsgerichten wird der Arbeitgeber daher auch nur auf Zahlung des Nettolohns verurteilt. Der arbeitsrechtliche Arbeitslohn ist jedoch mit dem steuerrechtlichen nicht identisch. Steuerrechtlich ist zu beachten, daß sich der Arbeitgeber in der Nettolohnvereinbarung zugleich auch verpflichtet hat, die wirtschaftlichen Lasten der gesetzlichen Lohnabzüge ganz oder teilweise zu tragen. Diese zunächst nur obligatorische Pflicht konkretisiert sich zu einem vermögenswerten Vorteil des Arbeitnehmers, wenn der Nettolohn ausgezahlt wird. Dieser vermögenswerte Vorteil ist neben dem arbeitsrechtlichen Nettolohn Arbeitslohn im steuerrechtlichen Sinne (§ 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG)24. Denn auch 19 Der Arbeitnehmer hat gegen seinen Arbeitgeber einen aus dem Nettolohnvertrag abgeleiteten arbeitsrechtlichen Anspruch auf Freistellung von der Lohnsteuer (so auch Giloy in Stolterfoht [Hrsg.], S. 209 [215]). Zwischen der Abführung der Lohnsteuer (§ 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG) bei einer Nettolohnvereinbarung bestehen gegenüber der Abführung bei einer Bruttolohnvereinbarung keine Unterschiede (a.A. Giloy in Stolterfoht [Hrsg.], S. 209 [215]). 20 So BFH Urt. v. 19. 12.1960 - VI 92/60 U - BFHE 72,465 (466) = BStBl III 1961, 170. So auch Abschn. 122 Abs. 1 Satz 3 LStR. So auch Hartz / Meeßen / Wolf, "Nettolohn" (S. 859); Klöckner in Klein / Flockermann / Kühr, § 39b EStG Rz. 74; Giloy in Stolterfoht (Hrsg.), S. 209 (217); Kloubert, S. 112; Gosch FR 1988, 119; Offerhaus DB 1988,464; Katterbe DStZ 1984, 431; Giloy FR 1976, 533. 21 So auch Altehoefer in Lademann / Söffing / Brockhoff, § 39b EStG Rz. 68. 22 Weil der Arbeitnehmer Schuldner der individuell erhobenen Lohnsteuer ist, ist die organisationsrechtliche Stellung des Arbeitgebers im Lohnsteuerabzugsverfahren bei der Nettolohnvereinbarung identisch mit der bei einer Bruttovergütung (so auch Kloubert, S. 112): Ein privater Arbeitgeber handelt also im Außenverhältnis zum Arbeitnehmer als Beliehener und im Innenverhältnis zur Finanzverwaltung als Privatrechtssubjekt. 23 Soweit die Voraussetzungen vorliegen, ist der Arbeitgeber aber auch zu einer Änderung des ursprünglich vereinbarten Nettolohns befugt. 24 So auch Hartz / Meeßen I Wolf, "Nettolohn" (S. 859); Schmidt I Drenseck, § 39b EStG Anm. 5; Altehoefer in Lademann I Söffing I Brockhoff, § 39b EStG Rz. 69;

B. Steuerrechtliche Beurteilung

215

diese vermögenswerte Zuwendung an den Arbeitnehmer ist durch das Dienstverhältnis veranlaßt25 . Dies verdeutlicht § 2 Abs. 3 Nr. 2 Satz 4 LStDV26. Steuerrechtlicher Arbeitslohn i. S. des § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG ist ferner auch der Betrag, den der Arbeitgeber mehr einbehält, als er für den Nettolohn einzubehalten hatte; auch dieser Mehrbetrag ist durch das Dienstverhältnis veranlaßt27 . Arbeitslohn im steuerrechtlichen Sinne liegt auch dann vor, wenn sich der Arbeitnehmer in einer Nebenvereinbarung zum Nettolohnvertrag zusätzlich verpflichtet hat, einen künftigen Erstattungsanspruch gegen den Steuergläubiger an den Arbeitgeber abzutreten28 ; diese Vereinbarung ändert nichts an der Tatsache, daß die dem Arbeitnehmer zufließenden Zuwendungen durch das Dienstverhältnis veranlaßt sind. Somit wird die arbeitsvertragliche Nettolohnvereinbarung materiell-steuerrechtlich wie eine Bruttolohnvereinbarung behandelt. 3. Anwendbarkeit des § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 EStG bei einer Nettolohnvereinbarung

Da steuerrechtlich nur der dem Arbeitnehmer zugeflossene Bruttoarbeitslohn maßgeblich ist, hat der Arbeitgeber aus dem ihm bekannten Nettoarbeitslohn durch ein sog. "Abtasten" der Lohnsteuertabellen den Bruttolohn zu errechnen und von diesem gemäß §§ 38 Abs. 3 Satz 1, 41c Abs. 1 EStG die Lohnsteuer einzubehalten. Ermittelt er dabei einen zu geringen Bruttobetrag Grube in Littmann / Bitz / Meincke, 14. Aufl., § 39b EStG Rz. 45a; Klöckner in Klein / Flockermann / Kühr, § 39b EStG Rz. 74; Giloy in Stolterfoht (Hrsg.), S. 209 (216); Kloubert, S. 111. 25 Zur Veranlassungstheorie: vgl. Lang in Stolterfoht (Hrsg.), S. 15 (42); Tipke StuW 1979,193 (199 ff.). 26 Somit hat der Arbeitgeber aus dem ihm bekannten Nettolohn durch ein sog. Abtasten der Lohnsteuertabellen (vgl. Abschn. 122 Abs. 1 Sätze 6, 7 LStR) den Bruttolohn zu errechnen und von diesem die Lohnsteuer einzubehalten. Der Bruttolohn abzüglich der einbehaltenen Lohnsteuer (und der sonstigen übernommenen gesetzlichen Abzugsbeträge ) ergibt wiederum den ausgezahlten Nettolohn. 27 Weil auch der Mehrbetrag Arbeitslohn im steuerrechtlichen Sinne ist, steht dem Arbeitnehmer als Steuerschuldner der Erstattungsanspruch wegen zuviel einbehaltener Lohnsteuer aus § 37 Abs. 2 Satz 1 AO analog und aus §§ 42 Abs. 4 Satz 5, 42a Abs. 2 Satz 5, 36 Abs. 4 Satz 2 EStG zu (so auch BFH Urt. v. 19. 12. 1960 - VI 92/60 U BFHE 72, 465 [466] = BStBI III 1961, 170; Hartz / Meeßen / Wolf, "Nettolohn" [So 859]; Oeftering / Görbing, Einführung B Rz. 100; Altehoefer in Lademann / Söffing / Brockhoff, § 39b EStG Rz. 69; Giloy in Stolterfoht [Hrsg.], S. 209 [217]; Katterbe DStZ 1984,431 [432]). Denn diese Ansprüche sind die Umkehr der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis . Der Arbeitnehmer kann sich jedoch in einer Nebenvereinbarung zum Nettolohnvertrag zusätzlich verpflichten, einen künftigen Erstattungsanspruch aus § 37 Abs. 2 Satz 1 AO analog, aus dem behördlichen Lohnsteuer-Jahresausgleich oder der Veranlagung zur Einkommensteuer an den Arbeitgeber abzutreten. 28 So auch BFH Urt. v. 16. 8. 1979 - VI R 13/77 - BFHE 128, 467 (470) = BStBlII 1979,771 (772).

216

6. Abschn.: Nettolohnvereinbarung

und zahlt er dennoch den vereinbarten Nettolohn aus, ist fraglich, ob die zuwenig einbehaltene Lohnsteuer vom Arbeitnehmer gemäß § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 EStG nachgefordert werden kann. 3.1 Darstellung der heute herrschenden Auffassung Der Bundesfinanzhof vertritt in einer gefestigten Rechtsprechung29 , der sich das lohnsteuerliche Schrifttum allgemein angeschlossen hat30 , die Auffassung, der Nachforderungstatbestand des § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 EStG sei seiner "Natur der Sache"31 nach nicht anwendbar. Denn der Arbeitgeber habe mit der Auszahlung des Nettolohns aus der Sicht des Arbeitnehmers den Bruttobetrag ordnungsgemäß gekürzt. Jedoch könne der Arbeitgeber als Haftungsschuldner gemäß § 42d Abs. 1 Nr. 1 1. Alt. EStG für die zuwenig einbehaltene Lohnsteuer in Anspruch genommen werden 32 . 3.2 Kritik

Diese Auffassung ist aus mehreren Gründen bedenklich. 3.21 Vertrauen des Arbeitnehmers ist nicht schutzwürdig Mit der Nettolohnvereinbarung übernimmt der Arbeitgeber nicht die Lohnsteuer seines Arbeitnehmers, sondern er verpflichtet sich nur, die Lohnsteuer wirtschaftlich zu übernehmen 33 . Der Arbeitnehmer hat somit lediglich einen 29 So BFH Urt. v. 8. 11. 1985 - VI R 238/80 - BFHE 145, 198 (201) = BStBI 11 1986, 186 (187); BFH Urt. v. 6. 2. 1982 - VI R 123178 - BFHE 135, 211 (212/3) = BStBi 11 1982,403 (404); BFH Beseh!. v. 12. 12. 1975 - VI B 124175 - BFHE 117, 553 (556) = BStBlII 1976, 543 (544); BFH Urt. v. 18. 5. 1972 - IV R 168/68 - BFHE 106, 192 (196) = BStBllI 1972, 816 (817); BFH Urt. v. 18. 4. 1969 - VI R 312/67 - BFHE 96, 2 (3) = BStBi 11 1969, 525. 30 So Clausen in Herrmann / Heuer / Raupach, § 39b EStG Er!. zu Abs. 2 unter lI.2.b. und 1I.3.b.; Hartz / Meeßen / Wolf, "Haftung für Lohnsteuer" unter B.IV.2.e. (S. 574/3); Nissen in Hartmann / Böttcher / Nissen / Bordewin, § 39b EStG Rz. 36; Schmidt / Drenseck, § 42d EStG Anm. 5b; Altehoefer in Lademann / Söffing / Brockhoff, § 42d EStG Rz. 66; Grube in Littmann / Bitz / Meincke, 14. Aufl., § 42d EStG Rz. 21; Barein in Littmann / Bitz / Meincke, § 42d EStG Rz. 24; Oeftering / Görbing, § 39b EStG Rz. 55; Klöckner in Klein / Flockermann / Kühr, § 39b EStG Rz. 74; Stolterfoht, Lohnsteuer, Rz. 94 (S. 129 FN 83); Charlier / Schwarz, "Haftung" unter a.; Offerhaus DB 1988,464; Giloy FR 1976, 553 (554). 31 So BFH Urt. v. 18. 5. 1972 - IV R 168/68 - BFHE 106,192 (196) = BStBllI 1972, 816 (817); Altehoefer in Lademann / Söffing / Brockhoff, § 42d EStG Rz. 66. 32 So BFH Beseh!. v. 12. 12. 1975 - VI B 124175 - BFHE 117, 553 = BStBlII 1976, 543; Hartz / Meeßen / Wolf, "Haftung für Lohnsteuer" unter B.II.1. (S. 57011); Altehoefer in Lademann / Söffing / Brockhoff, § 42d EStG Rz. 3. 33 Würde der Arbeitgeber die Lohnsteuer übernehmen, hätte die Nettolohnvereinbarung verfügungsrechtliche Wirkung, und damit zur Folge, daß er zum Schuldner der Lohnsteuer würde.

B. Steuerrechtliehe Beurteilung

217

obligatorischen Anspruch auf Übernahme der wirtschaftlichen Lasten der Lohnsteuer. Wie sich aus der Existenz der §§ 323 ff. BGB ergibt, muß ein obligatorischer Anspruch nicht notwendigerweise erfüllt werden. Daher ist das Vertrauen des Arbeitnehmers, der Arbeitgeber habe mit der Auszahlung des Nettolohns seine Einbehaltungsverpflichtung ordnungsgemäß erfüllt, nicht auf Grund der geschlossenen Nettolohnvereinbarung schutzwürdig. Auch aus einem Vergleich mit der zu geringen Einbehaltung aus Anlaß einer Bruttolohnvereinbarung ergibt sich die fehlende Schutzwürdigkeit des Arbeitnehmers. Bei einer Bruttolohnvereinbarung ist es unbestrittene Auffassung, daß die zuwenig einbehaltene Lohnsteuer gemäß § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 EStG vom Arbeitnehmer nachgefordert werden kann, selbst wenn der Arbeitgeber konstant denselben Betrag ausgezahlt hat. Welche Änderung soll sich nun bei einer Nettolohnvereinbarung ergeben, zumal die obligatorische Verpflichtung auf Übernahme der Lohnsteuer dem Arbeitnehmer keine Vertrauensgrundlage gewährt? Folglich kann der Arbeitnehmer mit der Auszahlung des vereinbarten Nettolohns nicht darauf vertrauen, daß der Arbeitgeber die Lohnsteuer ordnungsgemäß einbehalten hat. 3.22 Fehlen eines besonderen Erhebungsverfahrens für den Nettolohn In den §§ 38 ff. EStG fehlt eine besondere Regelung für den Lohnsteuerabzug bei einem Nettolohnvertrag. Folglich wird die Nettolohnvereinbarung steuerrechtlich ohne jede Besonderheit wie ein Bruttolohn behandelt. Dies gilt nicht nur für die Anwendung verfahrensrechtlicher Vorschriften (vgl. § 7 Abs. 2 Nr. 2 Satz 2 LStDV), sondern auch für die materielle Beurteilung (vgl. § 19 Abs. 1 Satz 1 EStG; § 2 Abs. 3 Nr. 2 Satz 4 LStDV). Daher ist der Nachforderungstatbestand des § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 EStG seiner "Natur der Sache" nach auch bei einer Nettolohnvereinbarung anwendbar. 3.23 Akzessorietät des Haftungsanspruchs Die oben dargestellte Auffassung geht davon aus, daß die zuwenig einbehaltene Lohnsteuer vom Arbeitgeber gemäß § 42d Abs. 1 Nr. 1 1. Alt. EStG beizutreiben ist. Eine Inanspruchnahme des Arbeitgebers als Haftungsschuldner scheidet aber aus Akzessorietätsgründen aus: Der Haftungsanspruch wegen zuwenig einbehaltener Lohnsteuer (§ 42d Abs. 1 Nr. 1 1. Alt. EStG) ist akzessorisch zur Lohnsteuerschuld des Arbeitnehmers, die von jenem gemäß § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 EStG nachgefordert werden kann. Folglich begrenzt die Lohnsteuerschuld den Umfang der Haftungsschuld aus § 42d Abs. 1 Nr. 11. Alt. EStG. Die Akzessorietät gilt jedenfalls für den Zeitpunkt der Entstehung des Haftungsanspruchs 34 • Ergibt sich aber später, daß die

218

6. Abschn.: Nettolohnvereinbarung

Steuerschuld nicht mehr beizutreiben ist, so kann auch der Haftungsanspruch aus Akzessorietätsgründen nicht mehr geltend gemacht werden (vgl. § 191 Abs. 5 AO). Wäre § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 EStG nach der oben dargestellten Auffassung nicht mehr anwendbar, wäre damit im Ergebnis auch die Steuerschuld nicht mehr beizutreiben. Daher könnte auch der Arbeitgeber nicht mehr aus § 42d Abs. 1 Nr. 1 1. Alt. EStG in Anspruch genommen werden.

3.3 Eigene Auffassung Die Nettolohnvereinbarung ist m. E. steuerrechtlich unbeachtlich 35 • Daher kann die zuwenig einbehaltene Lohnsteuer uneingeschränkt beim Arbeitnehmer gemäß § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 EStG nachgefordert werden und es wird dem Arbeitnehmer auch nur die tatsächlich einbehaltene Lohnsteuer gemäß §§ 36 Abs. 2 Nr. 2,42 Abs. 1 Satz 1 EStG auf seinen Erstattungsanspruch im behördlichen Lohnsteuer-Jahresausgleich bzw. auf die Einkommensteuerschuld angerechnet. Diese Auffassung führt aber nur in Ausnahmefällen zu einem anderen Ergebnis, als es die Vertreter der herrschenden Auffassung annehmen. Erfährt das Finanzamt von einer zwischen den Arbeitsvertragsparteien unstreitig vorliegenden Nettolohnvereinbarung, ist es im Rahmen des Auswahlermessens unter den Gesamtschuldnern (vgl. § 42d Abs. 3 Satz 2 EStG) gehalten, den Arbeitgeber in Anspruch zu nehmen, da dieser sich gegenüber dem Arbeitnehmer verpflichtet hat, die wirtschaftliche Last der Lohnsteuer zu tragen. Hat das Finanzamt jedoch keine Kenntnis von der Nettolohnvereinbarung, ist die Existenz eines solchen Vertrages zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer streitig36 oder ist der Haftungsanspruch beim Arbeitgeber nicht beizutreiben, kommt nach der hier vertretenen Auffassung auch eine Geltendmachung der Lohnsteuerschuld beim Arbeitnehmer gemäß § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 EStG in Betracht. Hat das Finanzamt den Arbeitnehmer durch Nachforderungsbescheid in Anspruch genommen, ist es eine Frage des inter34

Allgemein zur Akzessorietät von Haftungsschulden: vgl. Tipke / Kruse, AO, vor

§ 69 Tz. 7; Kühn / Kutter / Hofmann, vor §§ 69 - 77 AO Anm. 1; Schwarz in Schwarz, vor §§ 69 - 77 AO Rzn. 22 ff.; Hartz / Meeßen / Wolf, "Haftung für Lohnsteuer" unter B.1. (S. 568/4); Altehoefer in Lademann / Söffing I Brockhoff, § 42d EStG Rz. 3; Schmidt I Drenseck, § 42d EStG Anm. 2a.

Zur Akzessorietät der Arbeitgeberhaftung im allgemeinen: vgl. Hahn, InstFSt

Nr. 257, S. 11 ff.

So auch Tipke I Kruse, AO, § 37 Tz. 19b. Da aber das Vorliegen einer Nettolohnvereinbarung eine rein arbeitsrechtliche Frage ist, hat das Finanzamt nicht zu ermitteln, ob dem Arbeitsvertrag nun tatsächlich auch eine Nettolohnvereinbarung zugrunde liegt. Vielmehr ist bei einer streitigen Nettolohnvereinbarung im Zweifel davon auszugehen, daß der Arbeitnehmer als Steuerschuldner in Anspruch zu nehmen ist. 35

36

B. Steuerrechtliehe Beurteilung

219

nen Ausgleichs unter den Gesamtschuldnern, ob und auf welchem Rechtsweg der Arbeitnehmer nun seinerseits berechtigt ist, vom Arbeitgeber Regreß zu verlangen. 4. Zwischenergebnis

Gegenstand der (sog. originären) Nettolohnvereinbarung ist allein die Verpflichtung des Arbeitgebers, für seinen Arbeitnehmer die wirtschaftlichen Lasten der Lohnsteuer (und ggf. der sonstigen gesetzlichen Lohnabzüge ) zu tragen. Diese obligatorische Vereinbarung ändert nichts an der Tatsache, daß der Arbeitnehmer Steuerschuldner der Lohnsteuer (§ 38 Abs. 2 Satz 1 EStG) und der Arbeitgeber Entrichtungspflichtiger ist (§§ 38 Abs. 3 Satz 1, 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG; § 43 Satz 2 AO). Daher handelt der (private) Arbeitgeber im Außen verhältnis zum Arbeitnehmer als Beliehener. Die Verpflichtung des Arbeitgebers, die Lohnsteuer wirtschaftlich zu tragen, ist ein vermögenswerter Vorteil, der dem Arbeitnehmer aus Anlaß des Dienstverhältnisses zufließt. Daher ist nicht nur der arbeitsrechtliche Nettolohn, sondern auch die tatsächlich einbehaltene Lohnsteuer Arbeitslohn im Sinne des § 19 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG. Da kein besonderes Verfahren für den Lohnsteuerabzug auf Grund einer Nettolohnvereinbarung geregelt ist, sind alle Vorschriften der §§ 38 ff. EStG ihrer "Natur der Sache" nach anwendbar. Das gilt auch für den Nachforderungstatbestand des § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 EStG. Allerdings hat das Finanzamt im Rahmen des Auswahlermessens unter den Gesamtschuldnern (§ 42d Abs. 3 Satz 2 EStG) die Nettolohnvereinbarung zugunsten des Arbeitnehmers zu berücksichtigen, soweit diese unstreitig feststeht.

7. Abschnitt

Die Gesamtschuld von Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Haftungsverfahren Der letzte Abschnitt des Besonderen Teils hat die Dreiecksbeziehung zwischen dem Finanzamt als Organ des Steuergläubigers einerseits sowie Arbeitgeber und Arbeitnehmer andererseits im Haftungs- und Nachforderungsverfahren zum Gegenstand. Es werden also Fragen zur Gesamtschuld von Arbeitgeber und Arbeitnehmer untersucht (v gl. § 42d Abs. 1 bis 4 EStG). Dieser Abschnitt ist in drei Teile gegliedert: Zunächst sollen die beiden die Gesamtschuld begründenden Tatbestände auf ihre dogmatischen Besonderheiten hin untersucht werden. Anschließend werden die möglichen Rechtsbehelfe gegen die Haftungs- bzw. Nachforderungsbescheide herausgearbeitet. Den Abschluß der Untersuchung bildet der interne Ausgleich unter den Gesamtschuldnern. A. Gesamtschuldnerische Haftungs- und Nachforderungstatbestände 1. Gesamtschuldverhältnisse des Lohnsteuerabzugsverfahrens

Das Gesetz nennt, aus der Sicht des Arbeitgebers betrachtet, zwei Haftungsverfahren, in denen er und der Arbeitnehmer Gesamtschuldner sind. Das ist zum einen die Gesamtschuld wegen zuwenig einbehaltener Lohnsteuer (§ 42d Abs. 3 Satz 1 EStG i.V. mit § 42d Abs. 1 Nr. 1 1. Alt., Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 EStG) und zum anderen die Gesamtschuld wegen zuwenig abgeführter Lohnsteuer (§ 42d Abs. 3 Satz 1 EStG i.V. mit § 42d Abs. 1 Nr. 1 2. Alt., Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 EStG). § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG beinhaltet somit zwei unterschiedliche Haftungstatbestände!. In der steuerrechtlichen Literatur und Rechtsprechung ist diese Differenzierung kaum erkannt; jedenfalls wird in Urteilen, Kommentierungen und Aufsätzen nicht zwischen den beiden Alternativen des § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG ausdrücklich unterschieden.

1 Vg!. FG Baden-Württemberg Urt. v. 6. 5. 1988 - XII K 322/86 - EFG 1988, 3; Clausen in Herrmann / Heuer / Raupach, § 42d EStG Er!. zu Abs. 1 unter 11.1.

A. Haftungstatbestände

221

Für die Annahme, daß § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG zwei Haftungstatbestände regelt, sprechen mehrere Gründe: - Der Gesetzgeber differenziert in § 42d Abs. 3 Satz 4 EStG zwischen zwei Verfahren: Der Nachforderungstatbestand des § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 EStG knüpft ebenso wie § 42d Abs. 1 Nr. 11. Alt. EStG an die Verletzung der Einbehaltungsverpflichtung des Arbeitgebers aus § 38 Abs. 3 Satz 1 EStG an. Hingegen wird die Ermächtigungsnorm des § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 EStG ebenso wie § 42d Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. EStG durch die Verletzung der Abführungspflicht aus § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG inhaltlich (mit-) bestimmt. - Die Existenz zweier Haftungstatbestände zeigt auch der Haftungstatbestand des § 42d Abs. 1 Nr. 2 EStG: In dieser Vorschrift begründet allein die zu geringe Einbehaltung von Lohnsteuer (in der Form der vorschriftswidrig zu hohen Erstattung von Lohnsteuer) eine Haftung des Arbeitgebers, ohne daß die Abführungspflicht besonders erwähnt ist. - Die Existenz zweier Haftungstatbestände folgt auch aus dem Rechtsgrund der Haftung des § 42d Abs. 1 EStG. Diese Vorschrift begründet keinen Anwendungsfall einer sog. Ausfall-, Garantie- 2 oder Gefährdungshaftung 3 , sondern sie stellt eine Haftung des Arbeitgebers für eigene Pflichtverletzungen dar4 • Deshalb muß auch in den Haftungstatbeständen zwischen den einzelnen Pflichtverletzungen differenziert werden, also zwischen der Einbehaltungs- und der Abführungspflicht. 2 So aber Hartz / Meeßen / Wolf ("Haftung für Lohnsteuer" unter B.n.1. [So 568/4]) und Hahn (NJW 1988, 20 [20]). Gegen diese Auffassung spricht, daß der Garant eine Verpflichtung zur Schadloshaltung übernimmt, falls der garantierte Erfolg nicht eintritt, wobei er auch für nichttypische Zufälle haftet (so Palandt-Thomas, Einf. v. § 765 BGB Anm. 3c). Ein Arbeitgeber garantiert mit der Durchführung des Lohnsteuerabzugs nicht, daß er ihn ordnungsgemäß erfüllt. 3 A. A. Mösbauer GmbHR 1987, 483. Gegen diese Auffassung spricht, daß die Beschäftigung eines Arbeitnehmers keine für die Gefährdungshaftung typische Gefahrenquelle eröffnet. So auch Riepen, S. 31. 4 So auch Kloubert, S. 92 - 95; Hess, S. 180/1; Hahn BB 1986, 1067 (1069). Eine schuldhafte Pflichtverletzung des Arbeitgebers ist jedoch keine Tatbestandsvoraussetzung der Haftung aus § 42d Abs. 1 NI. 1 EStG (so auch Hartz / Meeßen / Wolf, "Haftung für Lohnsteuer" unter B.I. [So 568/3 m.w.N.]; Oeftering / Görbing, § 42d EStG Rz. 6; Offerhaus BB 1982, 793 [796]; a. A. Schmidt / Drenseck, § 42d EStG Anm. 2e; Barein in Littmann / Bitz / Meincke, § 42d EStG Rzn. 8 ff.; Hahn BB 1986, 1067 [1069]; vgl. auch § 42d Abs. 6 Satz 3 EStG). Denn es ist gerade ein gesetzliches Prinzip der Besteuerung an der Quelle, daß der Gesetzgeber das Verschulden nicht zur Tatbestandsvoraussetzung erklärt hat (vgl. §§ 44 Abs. 5, 45 Abs. 5, 45a Abs. 7, 50a Abs. 5 EStG; § 55 UStG; §§ 44 Abs. 6,54 Abs. 4 KStG; § 9 Abs. 2 WStG; § 7 Abs. 1 VersStG). Dies schließt aber nicht aus, daß im Rahmen des Auswahlermessens unter den Gesamtschuldnern (vgl. § 42d Abs. 3 Satz 2 EStG) eine nur geringfügige Pflichtverletzung des Arbeitgebers zu seinen Gunsten zu berücksichtigen ist. Wohl aber kann die schuldhaft zu geringe Einbehaltung i. S. des § 42d Abs. 1 NI. 1 1. Alt. EStG einen Amtshaftungsanspruch des Arbeitnehmers begründen. Soweit die Voraussetzungen des § 839 BGB erfüllt sind, hat das Bundesland der Betriebsstätte

222

7. Abschn.: Haftungsverfahren

Auch die folgenden Beispiele zeigen, daß § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG zwei Haftungstatbestände regelt. Würde man annehmen, diese Vorschrift enthielte nur einen Fall der Haftung (das Wort "und" i. S. des § 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG müßte also i. S. von kumulativ verstanden werden), würde ein Arbeitgeber kaum je einen Haftungstatbestand verwirklichen. Beispiel 1: Ein Arbeitgeber hat 100 DM Lohnsteuer einzubehalten. Er behält 110 DM ein und führt 100 DM ab.

Der Arbeitgeber hat in Höhe des Fehlbetrags von 10 DM den Haftungstatbestand des § 42d Abs. 1 Nr. 11. Alt. EStG nicht verwirklicht, da er die Steuer insoweit ordnungsgemäß einbehalten hat. Wohl aber hat er den Haftungstatbestand des § 42d Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. EStG verwirklicht, da er die von ihm insgesamt einbehaltene Lohnsteuer von 110 DM in Höhe von 10 DM nicht abgeführt und deshalb seine Abführungspflicht aus § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG verletzt hat5 • Beispiel 2: Ein Arbeitgeber hat 100 DM Lohnsteuer einzubehalten. Er behält 90 DM ein und führt auch 90 DM ab.

Der Arbeitgeber ist seiner Abführungspflicht aus § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG ordnungsgemäß nachgekommen, da er die von ihm tatsächlich einbehaltene Lohnsteuer abgeführt hat. Folglich haftet er nicht gemäß § 42d Abs. 1 Nr. 12. Alt. EStG. Da er aber zuwenig Lohnsteuer einbehalten und deswegen seine Pflicht aus § 38 Abs. 3 Satz 1 EStG verletzt hat, ist der Haftungstatbestand des § 42d Abs. 1 Nr. 1 1. Alt. EStG in Höhe von 10 DM verwirklicht. Beispiel 3: Ein Arbeitgeber hat 100 DM Lohnsteuer einzubehalten. Er behält 90 DM ein und führt 70 DM ab.

Der Arbeitgeber ist seiner Einbehaltungsverpflichtung aus § 38 Abs. 3 Satz 1 EStG in Höhe von 10 DM nicht nachgekommen. Folglich haftet er in Höhe von 10 DM gemäß § 42d Abs. 1 Nr. 11. Alt. EStG. Seiner Abführungspflicht ist er in Höhe von 20 DM nicht nachgekommen, da er die einbehaltene Lohnsteuer von 90 DM nur in Höhe von 70 DM abgeführt hat. Folglich haftet er in Höhe der weiteren 20 DM gemäß § 42d Abs. 1 Nr. 12. Alt. EStG. Die Geltendmachung bei der Ansprüche setzt zwei Haftungsbescheide gegen den Arbeitgeber voraus, die aber in einer Urkunde verbunden werden können. dem Arbeitnehmer die Fremdschäden zu ersetzen (vgl. Art. 34 Satz 1 GG). § 42d Abs. 1, 3 EStG zielt hingegen auf den Ersatz der Eigenschäden des Bundeslandes der Betriebsstätte von Arbeitgeber und Arbeitnehmer. 5 An der Haftung des Arbeitgebers in diesem Beispiel besteht auch ein Interesse des Steuergläubigers, da er in Höhe des Haftungsbetrags einem Erstattungsanspruch des Arbeitnehmers aus § 37 Abs. 2 Satz 1 AO analog ausgesetzt ist.

A. Haftungstatbestände

223

§ 42d Abs. 1 Nr. 1 EStG begründet somit eine Haftung des Arbeitgebers wegen zuwenig einbehaltener (1. Alt.) und wegen zuwenig abgeführter (2. Alt.) Lohnsteuer. Gegenstand der nun folgenden Untersuchungen sind die dogmatischen Besonderheiten dieser beiden Haftungsverfahren bzw. Gesamtschuldverhältnisse. 2. Gesamtschuld wegen zuwenig einbehaltener Lohnsteuer

2.1 Haftungstatbestand des § 42d Abs. 1 Nr. 11. Alt. EStG Der Haftungstatbestand wegen zuwenig einbehaltener Lohnsteuer (§ 42d Abs. 1 Nr. 1 1. Alt. EStG) - dem in der Praxis die Hauptbedeutung zukommt - knüpft allein an die Verletzung der Einbehaltungsverpflichtung des § 38 Abs. 3 Satz 1 EStG an, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob der Arbeitgeber die einbehaltene Lohnsteuer nun auch abgeführt hat. Diese Haftung setzt somit nur voraus, daß der Arbeitgeber für einen einzelnen Arbeitnehmer die Lohnsteuer nicht ordnungsgemäß (i. S. von vorschriftswidrig zuwenig) einbehalten hat. Die Lohnsteuer ist ordnungsgemäß einbehalten worden, wenn sie unter Zugrundelegung der Eintragungen auf der Lohnsteuerkarte6 gemäß §§ 39b - d EStG vom Arbeitslohn tatsächlich gekürzt worden ist. Da die auf der Lohnsteuerkarte verkörperten Feststellungsbescheide als Grundlagenbescheide für die Einbehaltung der Steuer zu behandeln sind, hat der Arbeitgeber selbst dann vorschriftsgemäß den Arbeitslohnanspruch tatsächlich gekürzt, wenn und soweit die zu geringe Einbehaltung auf einer unrichtigen, d. h. den tatsächlichen Verhältnissen nicht entsprechenden Eintragung beruht7. Folglich ist noch nicht einmal der Haftungstatbestand des § 42d Abs. 1 Nr. 1 1. Alt. EStG erfüllt, soweit die Lohnsteuer auf Grund der §§ 39 Abs. 4 Satz 4, 39 Abs. 5a Satz 4, 39a Abs. 6 EStG vom Arbeitnehmer nachgefordert werden kann 8 . 6 Oder gleichgestellter Bescheinigungen (vgl. §§ 39b Abs. 6, 39d Abs. 1 Satz 2 EStG). 7 So auch BFH Urt. v. 26. 7. 1974 - IV R 24/69 - BFHE 113, 157 (161) = BStBI II 1974, 756 (758); Hartz / Meeßen / Wolf, "Haftung für Lohnsteuer" unter B.II.I. (S. 569); Altehoefer in Lademann / Söffing / Brockhoff, § 42d EStG Rz. 15; Clausen in Herrmann / Heuer / Raupach, § 42d EStG Erl. zu Abs. 1 unter II.I.; Schmidt / Drenseck, § 42d EStG Anm. 2b; Nissen in Hartmann / Böttcher / Nissen / Bordewin, § 42d EStG Rz. 16; Oeftering / Görbing, § 42d EStG Rz. 8; Horowski / Altehoefer, § 42d EStG Anm. 4; Tiedtke, § 44 VIII (S. 528); Hahn NJW 1988, 20 (21). 8 So auch Schmidt / Drenseck, § 42d EStG Anm. 4; Tiedtke, § 44 VIII (S. 528). Vgl. auch Gast-de Haan in Stolterfoht (Hrsg.), S. 141 (163). Daher hat die Aufzählung der §§ 39 Abs. 4, 39a Abs. 6 EStG in § 42d Abs. 2 Nr. 1 EStG nur deklaratorische Bedeutung. Streng genommen ist die Aufzählung der §§ 39 Abs. 4, 39a Abs. 6 EStG im Rahmen des § 42d Abs. 2 Nr. 1 EStG sogar dogmatisch

224

7. Abschn.: Haftungsverfahren

Der Arbeitgeber hat die Steuer nach der hier vertretenen Auffassung ferner ordnungsgemäß einbehalten, wenn er dem Betriebsstättenfinanzamt die Lohnsteuer angezeigt hat (vgl. §§ 38 Abs. 4 Satz 1, 41c Abs. 4 Satz 1 EStG). Er hat den Haftungstatbestand jedoch nur in dem Umfang nicht verwirklicht, soweit er für den einzelnen Arbeitnehmer den ordnungsgemäßen Betrag angezeigt hat 9 . Fordert das Finanzamt somit auf Grund eines zu gering angezeigten Betrages zuwenig Lohnsteuer vom Arbeitnehmer nach, kann der Arbeitgeber in Höhe des nicht angezeigten Betrages gemäß § 42d Abs. 1 Nr. 1 1. Alt. EStG als Haftungsschuldner in Anspruch genommen werden 10 . Der Arbeitgeber hat die Steuer nicht ordnungsgemäß einbehalten, soweit er Lohnsteuer im betrieblichen Lohnsteuer-Jahresausgleich bzw. bei der Änderung des Lohnsteuerabzugs gemäß §§ 42b Abs. 2 Satz 5, 41c Abs. 1 EStG ohne rechtlichen Grund erstattet hat; denn im wirtschaftlichen Ergebnis steht die zu hohe Erstattung der zu geringen Einbehaltung der Steuer gleich ll . Ferner sind die Erstattungen im betrieblichen Lohnsteuer-Jahresausgleich bzw. anläßlich der Änderung des Lohnsteuerabzugs nach der hier vertretenen Auffassung Änderungen der Einbehaltung i. S. des § 38 Abs. 3 Satz 1 EStG. Daher haftet der Arbeitgeber gemäß § 42d Abs. 1 Nr. 1 1. Alt. EStG, soweit er während des Steuer abzugs Lohnsteuer zu Unrecht erstattet hat 12 . Aus diesem Grund hat der nur auf die Erstattung im betrieblichen Lohnsteuer-Jahresausgleich beschränkte Haftungstatbestand des § 42d Abs. 1 Nr. 2 EStG ausschließlich deklaratorische Bedeutung 13 • unrichtig, denn von einem Haftungsausschluß kann keine Rede sein, wenn noch nicht einmal der Haftungstatbestand des § 42d Abs. 1 Nr. 1 1. Alt. EStG erfüllt ist. 9 Dies verdeutlicht für § 41c EStG auch § 41c Abs. 4 Satz 3 EStG. \0 Ebenso für § 38 Abs. 4 EStG: Hartz / Meeßen / Wolf, "Haftung für Lohnsteuer" unter B.II.1. (S. 570/1); Altehoefer in Lademann / Söffing / Brockhoff, § 42d EStG Rz. 23 m. w.N.; Klöckner in Klein / Flockermann / Kühr, § 42d EStG Rz. 13. Streng genommen ist nach der hier vertretenen Auffassung die Aufzählung des § 41c EStG im Rahmen des § 42d Abs. 2 Nr. 1 EStG dogmatisch unrichtig, denn von einem Haftungsausschluß kann keine Rede sein, soweit noch nicht einmal der Haftungstatbestand verwirklicht ist. A. A. Drenseck (in Schmidt, § 42d EStG Anm. 4) und Tiedtke (§ 44 VIII [So 528]), die § 42d Abs. 2 Nr. 1 EStG als echten Haftungsausschluß für § 41c Abs. 4 EStG ansehen. Diese Auffassung ist jedoch schon deshalb bedenklich, weil die Parallelvorschrift zu § 41c Abs. 4 EStG, also § 38 Abs. 4 EStG, in § 42d Abs. 2 Nr. 1 EStG nicht erwähnt ist. 11 So auch BFH Drt. v. 24. 1. 1975 - VI R 121/72 - BFHE 115~ 49 (50) = BStBI 11 1975,4.20 (421); BFH Drt. v. 6. 5. 1959 - VI 252/57 D - BStBI III 1959, 292 (293). 12 Da die Lohnsteuerschuld des Arbeitnehmers in Höhe des einbehaltenen Betrages unter der aufschiebenden Bedingung der vorschriftswidrigen Erstattung durch den Arbeitgeber erlischt, führt eine ohne rechtlichen Grund erfolgte Erstattung im betrieblichen Lohnsteuer-Jahresausgleich und bei der Änderung des Lohnsteuerabzugs zu einem Wiederaufleben der Lohnsteuerschuld. Der Arbeitgeber haftet also wiederum für die Steuerschuld des Arbeitnehmers. \3 So auch Hartz / Meeßen / Wolf, "Haftung für Lohnsteuer" unter B.II.2. (S. 570/ 2); Clausen in Herrmann / Heuer / Raupach, § 42d EStG Erl. zu Abs. 1 unter 11.2.;

A. Haftungstatbestände

225

2.2 Nachforderungstatbestand des § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 EStG Soweit ein Arbeitgeber für einen einzelnen Arbeitnehmer vorschriftswidrig zuwenig Lohnsteuer einbehalten hat, sind beide Gesamtschuldner (§ 42d Abs. 3 Satz 1 EStG). Die Haftung des Arbeitgebers wegen zuwenig einbehaltener Lohnsteuer korrespondiert also mit der Nachforderung beim Arbeitnehmer gemäß § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 EStG. Folglich darf vom Arbeitnehmer auch die Lohnsteuer auf Grund des § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 EStG nachgefordert werden, die der Arbeitgeber im betrieblichen Lohnsteuer-Jahresausgleich zu Unrecht erstattet hat l4 . Denn insoweit ist die aufschiebende Bedingung des Erlöschens seiner Steuerschuld eingetreten l5 .

2.3 Besonderheit der Gesamtschuld wegen zuwenig einbehaltener Lohnsteuer Die Haftungsschuld des Arbeitgebers aus § 42d Abs. 1 Nr. 1 1. Alt. EStG ist grundsätzlich (vgl. § 191 Abs. 5 Satz 2 AO) streng akzessorisch zur Lohnsteuerschuld des einzelnen Arbeitnehmers, die von diesem gemäß § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 EStG nachgefordert werden kann l6 ; denn soweit der Arbeitgeber die Steuer nicht vorschriftsgemäß einbehalten hat, ist die Lohnsteuerschuld des Arbeitnehmers nicht erloschen. Altehoefer in Lademann / Söffing / Brockhoff, § 42d EStG Rz. 25; Nissen in Hartmann / Böttcher / Nissen / Bordewin, § 42d EStG Rz. 20; Klöckner in Klein / Flockermann / Kühr, § 42d EStG Rz. 14; Schmidt / Drenseck, § 42d EStG Anm. 2c; Kloubert, S. 87; Mösbauer GmbHR 1987, 483 (485); Bals BB 1974, 1572 (1577). 14 So auch Hartz / Meeßen / Wolf, "Haftung für Lohnsteuer" unter B.IV.2.a. (S. 574/2); Altehoefer in Lademann / Söffing / Brockhoff, § 42d EStG Rz. 65; Schmidt / Drenseck, § 42d EStG Anm. 5c; Oeftering / Görbing, §§ 42 - 42b EStG Rz. 42; Gast-de Haan in Stolterfoht (Hrsg.), S. 141 (168). A. A. Janke (S. 96 - 98) und v. Bornhaupt (BB 1975, 547 [548]), die aus der Verdeutlichungsnorm des § 42d Abs. 1 Nr. 2 EStG Rückschlüsse auf den Umfang der Nachforderung herleiten wollen. 15 Diese Korrespondenz von Haftung wegen zuwenig einbehaltener Lohnsteuer gemäß § 42d Abs. 1 Nr. 1 1. Alt. EStG zur Nachforderung gemäß § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 EStG hat für die Systematik der Nachforderungstatbestände zur Folge, - daß die §§ 38 Abs. 4 Satz 3, 39 Abs. 4 Satz 4, 39 Abs. 5a Satz 4, 39a Abs. 6, 41c Abs. 4 Satz 2 EStG; § 175 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 AO Nachforderungstatbestände trotz vorschriftsgemäßer Einbehaltung der Steuer sind; in diesen Fällen hat der Arbeitgeber noch nicht einmal den Haftungstatbestand verwirklicht; - daß § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 EStG der einzige Nachforderungstatbestand ist, der infolge einer nicht vorschriftsgemäßen Einbehaltung der Steuer entstanden ist. 16 Die Tatsache, daß der Arbeitgeber in der Gesamtschuld wegen zuwenig einbehaltener Lohnsteuer für die Lohnsteuerschuld eines einzelnen Arbeitnehmers haftet, hat für die inhaltliche Bestimmtheit (§ 119 Abs. 1 AO; vgl. auch Hahn, InstFSt Nr. 257, S. 29 ff.; Buciek BB 1987, 800 ff.) eines auf § 42d Abs. 1 Nr. 1 1. Alt. EStG gestützten Haftungsbescheids m. E. folgende Konsequenzen: Der Arbeitgeber muß entweder aus dem Haftungsbescheid selbst oder aus dem Bezug genommenen Prüfungsbericht erkennen können, daß er für die (ggf. geschätzte) 15 Schäfer

226

7. Abschn.: Haftungsverfahren

Umgekehrt ist auch die gemäß § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 EStG nachzufordernde Lohnsteuerschuld des Arbeitnehmers streng akzessorisch zur Haftungsschuld des Arbeitgebers. Diese Akzessorietät folgt aus dem Tatbestandsmerkmal "im Rahmen der Gesamtschuldnerschaft" des § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 EStG. Folglich darf Lohnsteuer nur nachgefordert werden, soweit die Gesamtschuld noch besteht. Fällt die Gesamtschuld weg, beispielsweise weil der gegen den Arbeitgeber gerichtete Haftungsanspruch verjährt oder erlassen worden ist, scheidet deshalb eine Inanspruchnahme des Arbeitnehmers als Lohnsteuerschuldner gemäß § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 EStG aus 17 • Aus dieser doppelten Akzessorietät folgt, daß der Umfang der Haftungsschuld aus § 42d Abs. 1 Nr. 1 1. Alt. EStG grundsätzlich (vgl. § 191 Abs. 5 Satz 2 AO) immer identisch ist mit dem Betrag, der gemäß § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 EStG vom einzelnen Arbeitnehmer nachgefordert werden kann l8 . Lohnsteuerschuld eines bestimmten Arbeitnehmers haftet. Aus diesem Grund ist stets eine Aufschlüsselung des Haftungsbetrags auf den einzelnen Arbeitnehmer erforderlich (so auch Offerhaus BB 1982,793 [795); teilweise a. A. BFH Urt. v. 8. 11. 1985 - VI R 237/80 - BStBI 11 1986, 274 [275/6); Abschn. 145 Abs. 10 Satz 6 LStR; Hartz / Meeßen / Wolf, "Haftung für Lohnsteuer" unter D.I.1.c. [So 586); Buciek BB 1987,800 [803)). Die Einbehaltung der Lohnsteuer bemißt sich nach dem im Lohnzahlungszeitraum (nicht im Lohnsteuer-Anmeldungszeitraum) zugeflossenen Arbeitslohn (vgJ. § 38a Abs. 3 EStG), also nach der Lohnsteuerschuld des Lohnzahlungszeitraums. Daher erfordert es die inhaltliche Bestimmtheit eines Haftungsbescheids wegen zuwenig einbehaltener Lohnsteuer, daß der Arbeitgeber, soweit er für die Lohnsteuer des laufenden Kalenderjahres haftet, entweder aus dem Haftungsbescheid selbst oder aus dem Bezug genommenen Prüfungsbericht entnehmen kann, wie sich die Lohnsteuerschuld des einzelnen Arbeitnehmers auf die Lohnzahlungszeiträume des Kalenderjahres verteilt. Nach Ablauf des Kalenderjahres ist die Lohnsteuer jedoch nicht mehr auf den einzelnen Lohnzahlungszeitraum bezogen, sondern sie bemißt sich nach dem Jahresarbeitslohn (vgJ. § 38a Abs. 1 Satz 1 EStG), also nach der Jahreslohnsteuerschuld. Die inhaltliche Bestimmtheit eines Haftungsbescheids wegen zuwenig einbehaltener Lohnsteuer erfordert es nun, daß der Haftungsbetrag, soweit er die Lohnsteuer abgelaufener Kalenderjahre betrifft, nur noch in die Kalenderjahre aufgeteilt ist (teilweise a. A. Hartz / Meeßen / Wolf, "Haftung für Lohnsteuer" unter D.I.1.b. [So 585)). Von diesen Grundsätzen, die m. E. die inhaltliche Bestimmtheit eines auf § 42d Abs. 1 Nr. 1 1. Alt. EStG gestützten Haftungsbescheids bestimmen, läßt das Gesetz mehrere Ausnahmen zu: nämlich die Änderung der Lohnsteuer-Anmeldung (sie ist auf die Betriebsstätte und den Lohnsteuer-Anmeldungszeitraum bezogen [vgJ. §§ 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 42d Abs. 4 Nr. 1 EStG)), das Anerkenntnis (§ 42d Abs. 4 Nr. 2 EStG) und das Pauschalierungsverfahren des § 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG. Wegen der Vielzahl der der Finanzverwaltung zur Verfügung stehenden Handlungsformen führt m. E. ein Verstoß gegen die Bestimmtheit des Verwaltungsakts zur Nichtigkeit des Haftungsbescheids (a.A. BFH Urt. v. 22. 11. 1988 - VII R 173/85 - BStBl 11 1989, 220 [222)). Zu beachten ist jedoch, daß zwei Ausnahmen, das Anerkenntnis oder das Pauschalierungsverfahren des § 40 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG, nur auf Antrag oder mit Willen des Arbeitgebers zulässig sind. 17 Hat das Betriebsstättenfinanzamt also einen Haftungsbescheid wegen zuwenig einbehaltener Lohnsteuer gegen den Arbeitgeber festgesetzt und beantragt dieser den Erlaß der Haftungsschuld, muß das Finanzamt, bevor es über den Erlaßantrag positiv entscheidet, zuvor den Nachforderungsbescheid gegen den Arbeitnehmer festsetzen.

A. Haftungstatbestände

227

3. Zwischenergebnis

Das Lohnsteuerabzugsverfahren kennt zwei gesamtschuldnerische Haftungs-Grundtatbestände: Es handelt sich zum einen um die Gesamtschuld zuwenig einbehaltener Lohnsteuer (§ 42d Abs. 3 Satz 1 EStG i.V. mit § 42d Abs. 1 Nr. 1 1. Alt., Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 EStG) und zum anderen um die Gesamtschuld wegen zuwenig abgeführter Lohnsteuer (§ 42d Abs. 3 Satz 1 EStG i.V. mit § 42d Abs. 1 Nr. 12. Alt., Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 EStG). 18 Fraglich ist, ob sich der Arbeitgeber (nur) gegen den Haftungsbescheid wegen zuwenig einbehaltener Lohnsteuer mit der Begründung verteidigen kann, dem Arbeitnehmer seien z. B. auf der Lohnsteuerkarte nicht eingetragene Werbungskosten entstanden, welche dessen "Steuerschuld" und damit auch aus Akzessorietätsgründen seine Haftungsschuld minderten. Ein Lösungsvorschlag sei dem Verfasser zu dieser kontrovers diskutierten Frage erlaubt: Die Haftungsschuld des Arbeitgebers wegen zuwenig einbehaltener Lohnsteuer ist akzessorisch zur Lohnsteuerschuld und umgekehrt. Dies hat zur Folge: Kann sich der Arbeitnehmer gegen den Nachforderungsbescheid mit der Begründung wenden, ihm seien z. B. Werbungskosten entstanden, dann muß diese Einwendung aus Akzessorietätsgründen auch dem Arbeitgeber zustehen, und zwar selbst dann, wenn er sie nicht ausdrücklich vorträgt. Hält man hingegen diese Einwendung beim Arbeitnehmer für unzulässig, dann steht sie auch dem Arbeitgeber nicht zu (so auch Lang StuW 1975, 113 [131 )). M. E. ist sowohl dem Arbeitgeber als auch dem Arbeitnehmer diese Einwendung zu verwehren: Denn die Gesamtschuld wegen zuwenig einbehaltener Lohnsteuer (§ 42d Abs. 1 Nr. 1 1. Alt., Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 EStG i.V. mit § 42d Abs. 3 Satz 1 EStG) knüpft an die Lohnsteuerschuld an, also an das Steuerschuldverhältnis, das durch die Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit, durch die Einreihung der Arbeitnehmer in Steuerklassen und durch die Lohnsteuertabellen unter Berücksichtigung der Eintragungen auf der Lohnsteuerkarte bestimmt wird (vgl. § 38a Abs. 4 EStG). Zur Lohnsteuerschuld zählen also die auf der Lohnsteuerkarte nicht eingetragenen Werbungskosten nicht. Jedoch steht dem Arbeitnehmer m. E. auf seinen Antrag hin das Recht zu, diese Einwendung mittels eines Erstattungsanspruchs aus § 37 Abs. 2 AO als selbständigen Gegenanspruch geltend zu machen, soweit dadurch nicht die Antragsfrist des § 42 Abs. 2 Satz 3 EStG umgangen wird (z. B. eine Lohnsteuernachforderung nach durchgeführtem behördlichen Lohnsteuer-Jahresausgleich. Vgl. zum Verhältnis des Nachforderungsverfahrens zur Veranlagung bzw. zum behördlichen Lohnsteuer-Jahresausgleich: Hartz / Meeßen / Wolf, "Nachforderung von Lohnsteuer" unter B.II. [So 850/ I)). Deswegen könnte der Arbeitnehmer nur noch diejenigen Werbungskosten geltend machen, die er bereits im Lohnsteuer-Jahresausgleich bzw. der Veranlagung zur Einkommensteuer vorgetragen hat, die aber dort nicht berücksichtigt werden konnten. Dieser Lösungsvorschlag hat folgende Konsequenz: Wird die Lohnsteuer vom Arbeitnehmer gemäß § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 EStG nachgefordert, kann er gegen diesen Anspruch mit dem Erstattungsanspruch aus § 37 Abs. 2 AO aufrechnen (§ 226 AO). Sein Antrag auf Geltendmachung der Werbungskosten wäre also als Aufrechnungserklärung auszulegen. Wird hingegen der Arbeitgeber als Haftungsschuldner gemäß § 42d Abs. 1 Nr. 1 1. Alt. EStG in Anspruch genommen, kann dieser sich nicht auf den Gegenanspruch berufen. Daher muß er an das Finanzamt den vollen Haftungsbetrag leisten. Der Vorteil dieses Lösungsvorschlags wird sich zeigen, wenn der Arbeitgeber vom Arbeitnehmer Regreß verlangt, und sich nun die Frage stellt, ob der Arbeitnehmer die Werbungskosten noch geltend machen kann. Vgl. dazu S. 271 FN 145.

15*

228

7. Abschn.: Haftungsverfahren

In der Gesamtschuld wegen zuwenig einbehaltener Lohnsteuer haftet der Arbeitgeber allein für den Betrag, den er für den einzelnen Arbeitnehmer im Lohnzahlungszeitraum bzw. im Kalenderjahr vorschriftswidrig zuwenig einbehalten hat (vgl. § 38 Abs. 3 Satz 1 EStG). Unerheblich ist für § 42d Abs. 1 Nr. 1 1. Alt. EStG, ob es auch zu einer Abführung der einbehaltenen Lohnsteuer gekommen ist. Die Voraussetzungen dieses Tatbestandes sind erfüllt, wenn der Arbeitgeber im betrieblichen Lohnsteuer-Jahresausgleich Lohnsteuer zu Unrecht erstattet und einen zu geringen Betrag gemäß §§ 38 Abs. 4, 41c Abs. 4 EStG angezeigt hat. Diese Haftungsschuld ist grundsätzlich (vgl. § 191 Abs. 5 Satz 2 AO) streng akzessorisch zur Lohnsteuerschuld des Arbeitnehmers, die von diesem gemäß § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 EStG nachgefordert werden kann. Über das Tatbestandsmerkmal "im Rahmen der Gesamtschuldnerschaft" i. S. des § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 EStG ist auch die nachzufordernde Steuerschuld des Arbeitnehmers akzessorisch zur Haftungsschuld des Arbeitgebers. Daher haften und schulden Arbeitgeber und Arbeitnehmer grundsätzlich (vgl. § 191 Abs. 5 Satz 2 AO) immer auf denselben Betrag. 4. Gesamtschuld wegen zuwenig abgeführter Lohnsteuer

4.1 Haftungstatbestand des § 42d Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. EStG

Der Arbeitgeber haftet ferner für die nicht vorschriftsgemäß abgeführte Lohnsteuer (§ 42d Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. EStG), also für den Betrag, den er zwar tatsächlich einbehalten und übernommen, nicht jedoch an das Finanzamt abgeführt hat (vgl. § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG)19. Da sich die Abführungspflicht nicht mehr auf die Lohnsteuer des einzelnen Arbeitnehmers, sondern auf die individuelle und pauschale Steuer der Betriebsstätte erstreckt, haftet der Arbeitgeber - im Gegensatz zu § 42d Abs. 1 Nr. 1 1. Alt. EStG für die Summe, die er im Lohnsteuer-Anmeldungszeitraum bzw. im Kalenderjahr für die Betriebsstätte insgesamt zuwenig abgeführt hat 20 . 19 Es ist für diesen Haftungstatbestand unerheblich, ob der Arbeitgeber den vorschriftsgemäßen Betrag einbehalten oder im Pauschalierungsverfahren übernommen hat. Für den nicht einbehaltenen Betrag haftet er gemäß § 42d Abs. 1 Nr. 1 l. Alt. EStG; die nicht übernommene Lohnsteuer schuldet er als Steuerschuldner (§§ 40 Abs. 3 Satz 2, 40a Abs. 4, 40b Abs. 3 Satz 1 EStG). 20 Hieraus ergeben sich für die inhaltliche Bestimmtheit eines auf § 42d Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. EStG gestützten Haftungsbescheids erhebliche Konsequenzen: Die Abführungspflicht erstreckt sich nicht auf die Steuer eines einzelnen Arbeitnehmers, sondern auf die Steuer der Betriebsstätte (vgl. § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG). Deshalb ist für die inhaltliche Bestimmtheit dieses Haftungsbescheids - im Gegensatz zu § 42d Abs. 1 Nr. 1 l. Alt. EStG - keine Aufgliederung in bezug auf den einzelnen Arbeitnehmer erforderlich. Da sich die Abführungspflicht nicht auf den Lohnzahlungszeitraum, sondern auf den Lohnsteuer-Anmeldungszeitraum erstreckt (vgl. § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2, Abs. 2

A. Haftungstatbestände

229

Fraglich ist, ob die Haftungsschuld wegen zuwenig abgeführter Lohnsteuer akzessorisch zu einem Steuerschuldverhältnis ist. Dieser Haftungsanspruch ist jedenfalls nicht akzessorisch zur Lohnsteuerschuld des Arbeitnehmers, denn diese ist in Höhe des einbehaltenen Betrags erloschen und nur insoweit ist der Arbeitgeber abführungspflichtig (§ 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG). Der Arbeitgeber haftet ferner nicht für seine eigene pauschale Lohnsteuerschuld, da er nur für den Betrag haftet, den er zwar übernommen, aber nicht abgeführt hat. Er haftet auch nicht für die Entrichtungssteuerschuld, denn die Lohnsteuer-Anmeldung ist nicht der "Titel" zur Vollstreckung der Abführung einer Steuer. Somit durchbricht dieser Haftungstatbestand - ebenso wie § 191 Abs. 5 Satz 2 AO - den Grundsatz des Steuerrechts, daß jemand für eine Steuerschuld haftet21 • Dies verdeutlicht folgendes Beispiel: Ein Arbeitgeber hat 100 DM Lohnsteuer einzubehalten. Er behält 120 DM ein, meldet 100 DM an und führt 100 DM ab.

Der Arbeitgeber hat den Haftungstatbestand des § 42d Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. EStG in Höhe von 20 DM verwirklicht. Er haftet nicht für die Lohnsteuerschuld des Arbeitnehmers, da diese mit der Einbehaltung der 120 DM erloschen ist. Er haftet auch nicht für seine Entrichtungssteuerschuld, da diese mit der Abführung der 100 DM durch Zahlung erloschen ist (§§ 224 Abs. 1 Satz 1, 47 AO). Er haftet ferner nicht für die pauschale Lohnsteuerschuld, denn diese ist nicht entstanden22 • Der Arbeitgeber haftet - als Besonderheit dieses Tatbestandes - für seine eigene nicht-vermögensrechtliche Abführungspflicht; deshalb ist die Haftung wegen zuwenig abgeführter Lohnsteuer akzessorisch zur nicht erfüllten Abführungspflicht.

EStG), erfordert ein Haftungsbescheid wegen zuwenig abgeführter Lohnsteuer für die Steuer des laufenden Kalenderjahres eine Aufgliederung in die einzelnen Anmeldungszeiträume. Nach Ablauf des Kalenderjahres ist eine Aufteilung in die Kalenderjahre erforderlich. Von diesen Grundsätzen, die m. E. die inhaltliche Bestimmtheit eines auf § 42d Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. EStG gestützten Haftungsbescheids bestimmen, läßt das Gesetz nur zwei Ausnahmen zu: nämlich die Änderung der Lohnsteuer-Anmeldung (sie ist auf die Entrichtungssteuerschuld der Betriebsstätte bezogen, vgl. §§ 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, 42d Abs. 4 Nr. 1 EStG) und das Anerkenntnis (§ 42d Abs. 4 Nr. 2 EStG). Zu beachten ist jedoch, daß die letztgenannte Ausnahme nur mit Willen des Arbeitgebers zulässig ist. 21 Deshalb findet § 191 Abs. 5 Satz 1 AO auf diesen Haftungsanspruch keine Anwendung. A. A. Mösbauer GmbHR 1987, 483. Vgl. zum Verhältnis von Schuld und Haftung: Mösbauer Inf 1988, 385 ff. 22 Daher handelt es sich bei dieser Haftung des Arbeitgebers auch nicht um eine Haftung "anstelle" eines Steuerschuldners. A. A. Hess, S. 182.

230

7. Abschn.: Haftungsverfahren

4.2 Haftungstatbestand des § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 EStG Hat der Arbeitgeber die Lohnsteuer lediglich nicht ordnungsgemäß abgeführt, wird allein dadurch keine Gesamtschuld zum Arbeitnehmer begründet23 . Dies gilt selbst in den Fällen, in denen der Arbeitnehmer weiß, daß der Arbeitgeber die Steuer nicht vorschriftsgemäß abgeführt hat24 . Der Arbeitnehmer kann jedoch gesamtschuldnerisch neben dem Arbeitgeber in Anspruch genommen werden, wenn er von einer nicht vorschriftsgemäßen Lohnsteuer-Anmeldung weiß25 und er sein Wissen nicht unverzüglich26 dem Finanzamt mitteilt (§ 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 EStG). Problematisch an dieser Vorschrift ist einerseits das Tatbestandsmerkmal "nicht vorschriftsmäßig angemeldet" und andererseits die Rechtsnatur des der Norm zugrundeliegenden Steuerschuldverhältnisses. 4.21 "Nicht vorschriftsmäßig angemeldet" i. S. des § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 EStG Fraglich ist, welche Bedeutung dem Tatbestandsmerkmal "nicht vorschriftsmäßig angemeldet" i. S. des § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 EStG zukommt. Die Erheblichkeit dieser Frage soll an Hand zweier Beispiele gezeigt werden. Beispiel 1: Ein Arbeitgeber hat 100 DM Lohnsteuer einzubehalten. Er behält 80 DM ein, meldet diesen Betrag an - beides weiß der Arbeitnehmer - und führt diesen Betrag auch ab.

Beispiel 2: Ein Arbeitgeber hat 100 DM Lohnsteuer einzubehalten. Er behält 120 DM ein, meldet 80 DM an - beides weiß der Arbeitnehmer - und führt 80 DM ab.

Für den Arbeitnehmer stellt sich in beiden Fällen die Frage, ob er dem Finanzamt unverzüglich den Sachverhalt mitzuteilen hat, um so der ihm 23 Hat der Arbeitgeber die einbehaltene Lohnsteuer nicht abgeführt und wird der Arbeitnehmer zur Einkommensteuer veranlagt, kann die zuwenig abgeführte Lohnsteuer nicht gemäß § 36 Abs. 4 Satz 1 EStG vom Arbeitnehmer nachgefordert werden; denn auf die Einkommensteuerschuld wird gemäß § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG die einbehaltene Lohnsteuer angerechnet, gleichviel, ob der Arbeitgeber den Betrag abgeführt hat oder nicht. 24 So auch Schmidt / Drenseck, § 42d EStG Anm. Sb. A. A. C/ausen (in Herrmann / Heuer / Raupach, § 42d EStG Er!. zu Abs. 4 unter IV): gegen diese Auffassung C/ausens spricht bereits die Lehre vom Gesetzesvorbehalt, die für diese Art der Eingriffsverwaltung eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage fordert. Sie fehlt. 25 Es ist positives Wissen des Arbeitnehmers erforderlich, grob fahrlässiges Unwissen reicht nicht aus. 26 D.h. ohne schuldhaftes Zögern (vg!. § 121 Abs. 1 Satz 1 BGB).

A. Haftungstatbestände

231

ansonsten drohenden Inanspruchnahme aus § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 EStG zu entgehen. Die Entscheidung hängt von dem Tatbestandsmerkmal "nicht vorschriftsmäßig angemeldet" ab. Wendet man das Gesetz buchstabengetreu un, wäre eine Mitteilungspflicht des Arbeitnehmers in beiden Fällen ohne Zweifel zu bejahen, da der Arbeitgeber den einzubehaltenden Betrag von 100 DM nicht angemeldet hat (vgl. § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG). Die Konsequenz einer Mitteilung wäre nun, daß die in Höhe von 20 DM noch bestehende Lohnsteuerschuld im Beispiel 1 nicht mehr geltend gemacht werden könnte, da § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 EStG als lex specialis § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 EStG ausschließen würde 27 . Die Mitteilung würde also das Steuerschuldverhältnis insoweit zum Erlöschen bringen (vgl. § 47 AO). Ein derartiger Erlöschenstatbestand durch einseitige Mitteilung ist jedoch dem Steuerrecht, dem allgemeinen Verwaltungsrecht und dem Zivilrecht fremd. Daher kann an dem Buchstaben dieser Vorschrift nicht festgehalten werden. Möglicherweise ergibt die Auslegung ein anderes Verständnis der zu untersuchenden Norm. Aufgabe und Ziel einer jeden Auslegung ist die Ermittlung des objektiven Willens des Gesetzgebers, und zwar auf Grund des Wortlauts, der Systematik und des Sinnzusammenhangs28 • Die Vorschrift des § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 EStG will die Nachforderung von Lohnsteuer nicht beeinträchtigen, da sie nach dem Willen des Gesetzgebers neben dem Nachforderungstatbestand des § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 EStG stehen soll. Auf Grund dieser systematischen Überlegung ist es somit das Ziel, § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 EStG dahingehend auszulegen, daß diese Vorschrift den Nachforderungstatbestand des § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 EStG nicht verdrängt. Für diese Zielrichtung der Auslegung spricht auch der Zweck des § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 EStG: Mit Hilfe dieser Vorschrift soll der Finanzverwaltung ein Druckmittel gegen bestimmte Arbeitnehmer zur Hand gegeben werden, die von der Einbehaltung und der Anmeldung der Lohnsteuer regelmäßig Kenntnis erlangen (z. B. die Lohnbuchhalter). Es soll mittels dieser Vorschrift gewährleistet werden, daß das Finanzamt über die Lohnsteuer-Anmel27 Die Voraussetzungen einer Spezialität wären erfüllt, denn § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 EStG würde nach seinem Wortlaut auch die Fälle der nicht vorschriftsgemäßen Einbehaltung des § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 EStG erfassen und hätte als weiteres - die Spezialität begründendes - Tatbestandsmerkmal die "nicht vorschriftsgemäße Lohnsteuer-Anmeldung" zur Voraussetzung. 28 Zur Auslegung allgemein: BVerfG Urt. v. 21. 5. 1952 - 2 BvH - BVerfGE 1, 299 (2. Leitsatz). Zu den Grundsätzen der Auslegung steuerrechtlicher Vorschriften: vgl. Tipke I Kruse, AO, § 4 Tzn. 76 ff.; Spanner in Hübschmann I Hepp I Spitaler, § 4 AO Rzn. 129 ff.; Kühn I Kutter I Hofmann, Anhang zu § 4 AO; Tipke, Steuerrecht, § 8 2. (S. 108 ff.); Tipke StuW 1972, 264 ff. Zur Auslegung lohnsteuerrechtlicher Vorschriften: vgl. Hartz I Meeßen I Wolf, "Überblick über das Lohnsteuerrecht" unter IV. (S. XXI).

232

7. Abschn.: Haftungsverfahren

dung zusammen mit der Mitteilung des Arbeitnehmers von den Beträgen Kenntnis erhält, die einbehalten worden sind, um ggf. die davon nicht abgeführte Lohnsteuer beim Arbeitgeber zwangsweise beizutreiben. Der getreue Arbeitnehmer, der dem Finanzamt eine aufgetretene Unregelmäßigkeit mitteilt, soll nicht in Anspruch genommen werden können, weil die einbehaltenen, aber nicht abgeführten Beträge unmittelbar gegen den Arbeitgeber vollstreckbar sind (§ 42d Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. EStG). Hingegen soll ein ungetreuer Arbeitnehmer, der eine Mitteilung schuldhaft verzögert oder unterläßt, aus seiner Verantwortung gegenüber dem Steuergläubiger nicht entlassen werden. Dieser Zweck und auch die vorhergehende systematische Überlegung bestimmen die Auslegung des Tatbestandsmerkmals "nicht vorschriftsmäßig angemeldet" i. S. des § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 EStG. Nur derjenige Betrag erfüllt dieses Tatbestandsmerkmal, den der Arbeitgeber für die Betriebsstätte zwar einbehalten, aber nicht oder zuwenig angemeldet hat 29 • Voraussetzung für eine Anwendung dieser Vorschrift ist somit, daß der Arbeitgeber überhaupt Lohnsteuer einbehalten hat; gleichgültig ist jedoch der Umfang der Einbehaltung. Deshalb wird im Rahmen des § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 EStG im Ergebnis so getan, als habe der Arbeitgeber die Steuer ordnungsgemäß einbehalten. Diese an der Systematik und am Sinn und Zweck orientierte Auslegung führt für die oben genannten Beispiele zu folgenden Lösungen: - Soweit der Arbeitgeber die einbehaltene Lohnsteuer in der LohnsteuerAnmeldung angegeben hat (Beispiel 1), ist eine Mitteilung des Arbeitnehmers ohne Bedeutung. Die zuwenig einbehaltene Steuer (im Beispiel 1: 20 DM) kann sowohl vom Arbeitnehmer als Lohnsteuerschuldner gemäß § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 EStG uneingeschränkt nachgefordert als auch vom Arbeitgeber als Haftungsschuldner aus § 42d Abs. 1 Nr. 1 1. Alt. EStG ersetzt verlangt werden. - Hat der Arbeitgeber hingegen die (tatsächlich) einbehaltene Lohnsteuer nicht angemeldet (Beispiel 2), kann sich der davon wissende Arbeitnehmer insoweit durch eine Mitteilung von der ihm drohenden Inanspruchnahme befreien. Kommt der Arbeitnehmer dieser Mitteilung unverzüglich nach, ist nur noch der Arbeitgeber gemäß § 42d Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. EStG in Anspruch zu nehmen. Kommt der Arbeitnehmer hingegen der Mitteilung 29 Somit durchbricht § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 EStG die Soll-Betrachtungsweise des Lohnsteuer-Anmeldungsverfahrens und verlangt - wie bei der Abführung der Steuer eine Ist-Betrachtungsweise. Vgl. FG Köln Urt. v. 8. 2. 1984 - VIII 164/812 - EFG 1984, 506 (507); Hartz / Meeßen / Wolf, "Haftung für Lohnsteuer" unter B.IV.2.b. (S. 574/2); Nissen in Hartmann / Böttcher / Nissen / Bordewin, § 42d EStG Rz. 46; Altehoefer in Lademann / Söffing / Brockhoff, § 42d EStG Rz. 67; Barein in Littmann / Bitz / Meincke, § 42d EStG Rz. 23.

A. Haftungstatbestände

233

nicht nach, sind er und der Arbeitgeber insoweit Gesamtschuldner (§ 42d Abs. 3 Satz 1 EStG i.V. mit § 42d Abs. 1 Nr. 12. Alt., Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 Satz 1 EStG). Zusammenfassend ist festzustellen: Es ist am Wortlaut des Tatbestandsmerkmals "nicht vorschriftsmäßig angemeldet" i. S. des § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 EStG nicht festzuhalten. Vielmehr gebietet es die Systematik der beiden Eingriffsermächtigungen des § 42d Abs. 3 Satz 4 EStG und auch der Zweck der zweiten Ziffer dieses Satzes anzunehmen, daß nur die Lohnsteuer nicht vorschriftsmäßig angemeldet worden ist, die der Arbeitgeber für die Betriebsstätte zwar einbehalten, in seiner Lohnsteuer-Anmeldung aber nicht angegeben hat. Daher wird im Rahmen dieser Vorschrift so getan, als habe der Arbeitgeber die Steuer ordnungsgemäß einbehalten. 4.22 Rechtsnatur des § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 EStG Die Rechtsnatur des Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis, der mit

§ 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 EStG gegenüber dem Arbeitnehmer verwirklicht

wird, wird in der Literatur kontrovers diskutiert.

Von mehreren Autoren wird die Auffassung vertreten, § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 EStG liege ein Haftungsschuldverhältnis zugrunde. Denn die Lohnsteuerschuld des Arbeitnehmers sei bereits mit der Einbehaltung erloschen und im Rahmen dieser Vorschrift werde so getan, als habe der Arbeitgeber die Steuer ordnungsgemäß einbehalten. Daher sei "systemwidrig" ein Haftungsbescheid gegen den Arbeitnehmer zu erlassen30 • Die Auffassung der Finanzverwaltung3! und eines Teils des Schrifttums32 geht dahin, daß in § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 EStG die Steuerschuld des Arbeitnehmers verwirklicht werde. Ein auf Grund dieser Vorschrift zu erlassender Bescheid habe als Steuerbescheid zu ergehen. Folglich sei die Vorschrift ihrem Rechtscharakter nach ein Ausnahme-Erlöschenstatbestand zur Ein behaltung.

30 So Becker / Riewald / Koch, § 97 AO Anm. 4 (2); Herrmann / Heuer / Raupach, § 38 EStG a. F. Rzn. 23, 24 (b); Altehoefer in Lademann / Söffing / Brockhoff, § 42d

EStG Rz. 68; Charlier / Schwarz, "Haftung" unter b.; Stolterfoht in Stolterfoht (Hrsg.), S. 175 (206 FN 146); Stolterfoht, Lohnsteuer, Rz. 124 (S. 177); Preißer, S. 122; Bäuerlen, S. 33 - 35; Steiner, Öffentliche Verwaltung, S. 195 (FN 898); Schick BB 1983, 1041 (1042). 3! Abschn. 139 Abs. 1 Satz 2 Nr. 5 LV. mit Abs. 5 Satz 1 LStR. 32 So Hartz / Meeßen / Wolf, "Haftung für Lohnsteuer" unter B.IV.l. (S. 574/1) und "Nachforderung von Lohnsteuer" unter B.L8. (S. 847); Schmidt / Drenseck, § 42d EStG Anm. 5b; Tiedtke, § 44 VIII (S. 529); Gast-de Haan in Stolterfoht (Hrsg.), S. 141 (168 f.); Janke, S. 82 - 84; Carl DB 1988,826 (828).

234

7. Abschn.: Haftungsverfahren

Fraglich ist also, ob § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 EStG ein Ausnahme-Erlöschenstatbestand zur Einbehaltung der Lohnsteuer ist oder ob mit dieser Vorschrift ein Haftungsanspruch gegen den Arbeitnehmer geltend gemacht wird. Für die Annahme eines Ausnahme-Erlöschenstatbestandes könnte die folgende Argumentation angeführt werden: Der Arbeitnehmer könne nur im Rahmen der Gesamtschuldnerschaft in Anspruch genommen werden (§ 42d Abs. 3 Satz 4 EStG). Eine Gesamtschuld liege nur vor, wenn die Schuldner des Steuergläubigers der Arbeitgeber als Haftungsschuldner und der Arbeitnehmer, als Steuerschuldner seien (§ 42d Abs. 3 Sätze 1, 2 EStG). Daher werde mit § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 EStG die Steuerschuld des Arbeitnehmers geltend gemacht. Gegen eine solche Argumentation spricht aber schon, daß der Arbeitnehmer in § 42d Abs. 3 Satz 1 EStG nicht als Steuerschuldner bezeichnet wird. Ferner beinhaltet § 42d Abs. 3 Satz 2 EStG nur eine (Auswahl-) Ermessensregelung; daher hat die Erwähnung der Steuerschuld in dieser Vorschrift kein besonderes Gewicht und insbesondere keine konstitutive Bedeutung. Gegen die Annahme, § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 EStG sei ein AusnahmeErlöschenstatbestand, sprechen noch weitere Argumente: - Es kann dem Gesetzgeber nicht unterstellt werden, daß er das Erlöschen einer Steuerschuld neben dem objektiven Gesichtspunkt der Einbehaltung und einer Mitteilung zusätzlich von den rein subjektiven Erwägungen des § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 EStG abhängig machen wollte. Ein derart subjektiv geprägter Ausnahme-Erlöschenstatbestand widerspräche nicht nur dem Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung33 , sondern wäre nicht nur dem Steuerrecht und dem allgemeinen Verwaltungsrecht, sondern auch dem Zivilrecht fremd. - § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 EStG ist auf Grund seines Zwecks eine Sanktions-

vorschrift, die bestimmte Arbeitnehmer aus ihrer Verantwortung gegenüber dem Steuergläubiger nicht entlassen Will34 . Das sanktionierte Verhalten - die schuldhaft verzögerte Mitteilung - betrifft nicht die Hauptpflicht aus dem Steuerschuldverhältnis (das Erlöschen der Steuerschuld), sondern knüpft an eine Obliegenheitsverletzung aus dem Steuerrechtsverhältnis an. Diesem Sanktionscharakter entspricht die Haftungsschuld.

- § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 EStG liegt ein Anspruch aus einem Steuerschuld-

verhältnis zugrunde (§ 37 Abs. 1 AO). Das Schuldverhältnis entsteht, sobald der gesetzlich normierte Tatbestand verwirklicht worden ist (§ 38 AO).

So auch Gast-de Haan in Stolterfoht (Hrsg.), S. 141 (146). Die Sanktion knüpft an das Gebot aus Treu und Glauben an, den eigenen Gläubiger vor ihm drohenden Eigenschädigungen zu bewahren. 33 34

A. Haftungstatbestände

235

Folglich entsteht der Anspruch aus § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 EStG frühestens mit der positiven Kenntnis des Arbeitnehmers von der nicht vorschriftsgemäßen Lohnsteuer-Anmeldung. Zu welchem Zeitpunkt der Arbeitnehmer diese Kenntnis erlangt, ist unabhängig von der weiteren Abwicklung der Lohnsteuerschuldverhältnisse, also von der Leistung auf die Entrichtungssteuerschuld und der Abführung der Steuer. Daher ist es durchaus möglich, daß die zuwenig einbehaltene Lohnsteuer vor der Entstehung des Anspruchs aus § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 EStG vom Arbeitnehmer nachgefordert und der Steuergläubiger insoweit befriedigt worden ist. Dies zeigt das folgende Beispiel: Ein Arbeitgeber hat 100 DM Lohnsteuer einzubehalten. Er behält 120 DM ein, meldet 100 DM an und führt auch nur 100 DM ab. Nach der Abführung der Steuer erfährt der Arbeitnehmer anläßlich einer Lohnsteuer-Außenprüfung, daß der Arbeitgeber weniger Lohnsteuer angemeldet als einbehalten hat. Dennoch teilt er sein Wissen dem Finanzamt nicht mit.

Mit der Einbehaltungder 120 DM ist der Steuergläubiger in Höhe seines materiellen Steueranspruchs befriedigt worden (vgl. § 362 Abs. 2 BGB). Dennoch ist der Anspruch aus § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 EStG gegen den Arbeitnehmer in Höhe von 20 DM entstanden, jedoch erst anläßlich der Lohnsteuer-Außenprüfung (§ 38 AO). Weil der Anspruch aus § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 EStG somit auch nach der vollständigen Befriedigung des Steuergläubigers aus dem Lohnsteuerschuldverhältnis noch entstehen kann, wird mit dieser Vorschrift nicht mehr die Steuerschuld, sondern nur noch ein Haftungsanspruch gegen den Arbeitnehmer verwirklicht 35 • - Hat ein Arbeitgeber einen Mehrbetrag an Lohnsteuer einbehalten, muß er auch diesen gemäß § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG an das Finanzamt abführen. Weiß der Arbeitnehmer, daß der Arbeitgeber diesen Betrag nicht angemeldet hat und unterläßt er eine Mitteilung an das Finanzamt, haftet er gemäß § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 EStG, wenn der Arbeitgeber den Mehrbetrag nicht abgeführt hat. Würde man annehmen, mit dem Anspruch aus § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 EStG werde der Lohnsteueranspruch geltend gemacht, würde der Arbeit-

35 Zu diesem Ergebnis gelangt man auch, wenn man annimmt, erst die Abführung der Lohnsteuer bringe das Lohnsteuerschuldverhältnis zum Erlöschen. Denn mit der Abführung der 100 DM wäre im obigen Beispiel die insoweit entstandene Steuerschuld erloschen, und erst nach diesem Zeitpunkt ist der Anspruch aus § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr: 2 EStG entstanden. A. A. earl DB 1988,826 (828), der § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 EStG für eine Auswahlermessensregelung hält. Ebenso: Nissen in Hartmann / Bättcher / Nissen / Bordewin, § 42d EStG Rz. 46; Gast-de Haan in Stolterfoht (Hrsg.), S. 141 (169).

236

7. Abschn.: Haftungsverfahren

nehmer einen Mehrbetrag "schulden", der materiell-rechtlich gar nicht entstanden ist36 • Dies zeigt nochmals das obige Beispiel: Der Arbeitgeber hat den Haftungstatbestand des § 42d Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. EStG und der Arbeitnehmer den Anspruch aus § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 EStG jeweils in Höhe von 20 DM verwirklicht. Der materielle Steueranspruch des Arbeitnehmers (= einzubehaltende Lohnsteuer) beträgt 100 DM und ist durch die Einbehaltung erloschen. Nähme man an, der Anspruch aus § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 EStG sei ein Steueranspruch, würde der Arbeitnehmer noch weitere 20 DM (also insgesamt 120 DM) "schulden", obwohl der materielle Steueranspruch nur in Höhe von 100 DM entstanden ist. Daher kann die Steuerschuld des Arbeitnehmers nicht mehr mit dem Anspruch aus § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 EStG geltend gemacht werden.

Aus diesen Gründen folgt, daß mit § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 EStG ein Haftungsanspruch verwirklicht wird. Deswegen ist dieser Anspruch mittels eines Haftungsbescheids gegen den Arbeitnehmer geltend zu machen. 4.23 Umfang der Haftung des Arbeitnehmers Haftungsgrund für die Inanspruchnahme des Arbeitnehmers aus § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 Satz 2 EStG ist dessen schuldhaft verzögerte Mitteilung. Folglich ist der Umfang des Haftungsanspruchs im Ergebnis durch die Höhe des Betrages bestimmt, den der Arbeitnehmer dem Finanzamt hätte mitteilen müssen 3? Das ist derjenige Betrag, den der Arbeitgeber "nicht vorschriftsmäßig angemeldet" hat, also die einbehaltene, abzüglich der angemeldeten Lohnsteuer der Betriebsstätte. Dieser Betrag kann sich aus Akzessorietätsgründen aber auf den Betrag vermindern, auf den der Arbeitgeber gemäß § 42d Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. EStG haftet. Diese Komplexität des Haftungstatbestandes gegen den Arbeitnehmer zeigen die folgenden Beispiele: Beispiel 1: Ein Arbeitgeber hat 100 DM Lohnsteuer einzubehalten. Er behält 120 DM ein, meldet 100 DM an - beides weiß der Arbeitnehmer - und führt 90 DM ab.

Die Haftungsschuld des Arbeitnehmers bemißt sich an dem Betrag, über den er dem Finanzamt eine Mitteilung hätte machen müssen. Das ist derjenige So auch Stolterfoht, Lohnsteuer, Rz. 124 (S. 178). An den Inhalt der Mitteilung sind keine strengen Anforderungen zu stellen. Der Arbeitnehmer muß m. E. nicht den Betrag der zuwenig angemeldeten Lohnsteuer berechnen. Es reicht aus, daß er dem Finanzamt mitteilt, bei welcher LohnsteuerAnmeldung der Arbeitgeber die einbehaltene Lohnsteuer nicht vorschriftsgemäß angemeldet hat. Eine konkludente Mitteilung ist jedoch nicht in dem Antrag aus § 37 Abs. 2 Satz 1 AO analog zu sehen, der auf die Erstattung zuviel einbehaltener Lohnsteuer gerichtet ist. 36 37

A. Haftungstatbestände

237

Betrag, den der Arbeitgeber nicht vorschriftsgemäß i. S. des § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 EStG angemeldet hat. Folglich haftet der Arbeitnehmer auf einen Betrag von 20 DM. Beispiel 2: Ein Arbeitgeber beschäftigt in einer Betriebsstätte 10 Arbeitnehmer. Er hat für jeden Arbeitnehmer 100 DM Lohnsteuer einzubehalten. Er behält für jeden Arbeitnehmer 120 DM ein, meldet 1.000 DM an und führt 900 DM ab. Ein Arbeitnehmer weiß davon.

Die Haftungsschuld des Arbeitnehmers bemißt sich an dem Betrag, über den der Arbeitnehmer dem Finanzamt eine Mitteilung hätte machen müssen. Das ist derjenige Betrag, den der Arbeitgeber nicht vorschriftsgemäß i. S. des § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 EStG angemeldet hat. Da der Arbeitgeber die Lohnsteuer für die Betriebsstätte anzumelden hat (vgl. § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG), haftet der Arbeitnehmer nicht nur für die für ihn selbst nicht angemeldete Lohnsteuer (= 20 DM wie im Beispiel 1)38, sondern er haftet für die nicht angemeldete Lohnsteuer der Betriebsstätte 39 • Folglich haftet der Arbeitnehmer für einen Betrag von 200 DM4o. Beispiel 3: Ein Arbeitgeber hat 100 DM Lohnsteuer einzubehalten. Er behält 120 DM ein, meldet 100 DM an - beides weiß der Arbeitnehmer - und führt 110 DM ab.

Der Arbeitnehmer hat in Höhe von 20 DM den Haftungstatbestand des § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 EStG verwirklicht (vgl. Beispiel 1). Aber die Haftungsschuld gegen den Arbeitnehmer wegen schuld haft unterlassener Mitteilung ist akzessorisch zur Haftungsschuld gegen den Arbeitgeber wegen zuwenig abgeführter Lohnsteuer 41 . Da der Arbeitgeber aber nur 10 DM zuwenig abgeführt hat und er auch nur insoweit gemäß § 42d Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. EStG haftet, 38 So aber: Hartz / Meeßen / Wolf, "Haftung für Lohnsteuer" unter B.IV.2.b. (S. 574/2). 39 So auch Altehoefer in Lademann / Säffing / Brockhoff, § 42d EStG Rz. 68; Bäuerlen, S. 34; Stolterfoht, Lohnsteuer, Rz. 124 (S. 177). 40 Wegen dieser weitreichenden Haftung des Arbeitnehmers ist zu überlegen, ob man die Voraussetzungen der Haftung durch ein Kausalitätskriterium zusätzlich einschränken soll. Danach müßte die schuldhaft verzögerte Mitteilung kausal für den beim Steuergläubiger entstandenen Eigenschaden gewesen sein. Folglich entfiele die Haftung des Arbeitnehmers, wenn trotz einer sofortigen Mitteilung des Arbeitnehmers beim Steuergläubiger der Eigenschaden entstanden wäre. Für die Berücksichtigung dieses Kausalitätskriteriums spricht viel, besonders der Zweck des § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 EStG. Jedenfalls steht eines fest: § 42d Abs. 3 Satz 4 EStG führt zu einer Erweiterung der Inanspruchnahme des Arbeitnehmers, und nicht zu einer starken Einschränkung (so aber Wagner, S. 17). 41 Für die akzessorische Haftung des Arbeitnehmers spricht auch das Tatbestandsmerkmal "im Rahmen der Gesamtschuldnerschaft" i. S. des § 42d Abs. 3 Satz 4 EStG,

238

7. Abschn.: Haftungsverfahren

folgt aus Akzessorietätsgründen, daß die Haftung des Arbeitnehmers auf 10 DM beschränkt ist.

4.3 Zwischenergebnis In der Gesamtschuld wegen zuwenig abgeführter Lohnsteuer haftet der Arbeitgeber gemäß § 42d Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. EStG allein für den Betrag, den er zwar einbehalten und übernommen, aber nicht abgeführt hat. Für diesen Haftungstatbestand ist es gleichgültig, ob er die Steuer ordnungsgemäß einbehalten und übernommen hat oder nicht. Der Arbeitgeber haftet weder für seine Lohnsteuerschuld im Pauschalierungsverfahren noch für die des Arbeitnehmers im individuellen Erhebungsverfahren und auch nicht für die Entrichtungssteuerschuld aus dem Lohnsteuer-Anmeldungsverfahren; er haftet für seine eigene nicht-vermögensrechtliche Abführungspflicht (vgl. § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG). Neben ihm kann als Gesamtschuldner der Arbeitnehmer als Haftungsschuldner in Anspruch genommen werden (vgl. § 42d Abs. 3 Satz 1, Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 EStG). Das Finanzamt hat deshalb einen Haftungsbescheid gegen den Arbeitnehmer zu erlassen, soweit dieser den Tatbestand des § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 EStG verwirklicht hat. Die Haftungsschuld aus § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 EStG setzt eine "nicht vorschriftsmäßige" Lohnsteuer-Anmeldung voraus. Dieses Tatbestandsmerkmal ist entgegen dem Wortlaut des Gesetzes nur erfüllt, wenn der Arbeitgeber d. h., nur soweit der Arbeitgeber haftet, haftet neben ihm als Gesamtschuldner auch der Arbeitnehmer. Die Akzessorietät bejahen: Altehoefer in Lademann / Säffing / Brockhoff, § 42d EStG Rz. 68; Bäuerlen, S. 34; Stolterfoht, Lohnsteuer, Rz. 124 (S. 177). Aus der Akzessorietät der Haftung des Arbeitnehmers zur Haftung des Arbeitgebers wegen nicht abgeführter Lohnsteuer ergeben sich zwei gewichtige Konsequenzen: 1. § 191 Abs. 5 Satz 1 AO findet auf die Haftungsschuld des Arbeitnehmers entsprechende Anwendung, d. h., wird dem Arbeitgeber der Haftungsanspruch aus § 42d Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. EStG erlassen oder ist dieser verjährt, darf der Haftungsbescheid gegen den Arbeitnehmer nicht mehr festgesetzt werden. 2. Ein Leistungsgebot darf gegenüber dem Arbeitnehmer nur ergehen, wenn zuvor eine Vollstreckung in das bewegliche Vermögen des Arbeitgebers auf Grund des § 42d Abs. 1 Nr. 12. Alt. EStG ohne Erfolg geblieben ist oder aussichtslos erscheint (§ 219 Satz 1 AO. Zur Anwendung des § 219 AO über Steueransprüche hinaus: vgl. Tipke / Kruse, AO, § 219 Tz. 2). In dieser Akzessorietät zeigt sich die Systemwidrigkeit des § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 EStG: Der Arbeitnehmer haftet auf den einbehaltenen, aber nicht angemeldeten Betrag, also beschränkt auf das individuelle Erhebungsverfahren der Lohnsteuer. Dies ist systemwidrig, da sich der Inhalt der Lohnsteuer-Anmeldung auch auf das Pauschalierungsverfahren erstreckt (vgl. § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 EStG). Überdies haftet der Arbeitgeber auch für die im Pauschalierungsverfahren übernommene, aber nicht abgeführte Lohnsteuer (§ 42d Abs. 1 Nr. 12. Alt. EStG).

B. Rechtsschutz

239

den für die Betriebsstätte tatsächlich einbehaltenen Betrag nicht angemeldet hat. Die Haftung des Arbeitnehmers knüpft an seine schuldhaft verspätete Mitteilung i. S. des § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 Satz 2 EStG an. Daher ist die Haftungsschuld ihrem Umfang nach durch den Betrag bestimmt, den der Arbeitnehmer dem Finanzamt hätte mitteilen müssen. Dies ist die vom Arbeitgeber nicht "vorschriftsmäßig angemeldete" Lohnsteuer der Betriebsstätte i. S. des § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 EStG. Der Haftungsanspruch gegen den Arbeitnehmer wegen schuldhaft unterlassener Mitteilung (§ 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 EStG) ist akzessorisch zur Haftungsschuld gegen den Arbeitgeber wegen zuwenig abgeführter Lohnsteuer (§ 42d Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. EStG). Daher findet auf die Haftungsschuld des Arbeitnehmers § 191 Abs. 5 AO Anwendung. Ein Leistungsgebot gegen den Arbeitnehmer ist ferner erst zulässig, wenn zuvor die Vollstreckung in das bewegliche Vermögen des Arbeitgebers auf Grund des § 42d Abs. 1 Nr. 12. Alt. EStG ohne Erfolg geblieben ist (§ 219 Satz 1 AO). B. Rechtsschutz der Gesamtschuldner

Haben Arbeitgeber und Arbeitnehmer einen Nachforderungs- und/oder Haftungstatbestand verwirklicht, ist es eine Frage des pflichtgemäßen Ermessens, gegenüber welchem Gesamtschuldner die Finanzverwaltung den Anspruch geltend macht (vgl. § 42d Abs. 3 Satz 2 EStG)42. Für beide Gesamtschuldner stellt sich die Frage, welche Rechtsschutzmöglichkeiten ihnen gegen die jeweils eigene Inanspruchnahme und/oder die des anderen zusteht. Die Frage nach dem Rechtsschutz ist von der Handlungsform abhängig, welche die Finanzverwaltung gewählt hat, um das jeweilige Rechtsverhältnis gegenüber dem betroffenen Gesamtschuldner zu konkretisieren. Ihr stehen drei Handlungsformen zur Verfügung: - Regelmäßig erläßt die Finanzverwaltung einen Bescheid, sei es einen Nachforderungsbescheid (§ 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 EStG; § 155 Abs. 1 Satz 1 AO) oder einen Haftungsbescheid (§ 42d Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 42 Vgl. zum Auswahlermessen des Finanzamts im allgemeinen: Hartz / Meeßen / Wolf, "Haftung für Lohnsteuer" unter B.V.2. (S. 574/5 ff.). Eine Ermessensreduzierung auf Null liegt nach der hier vertretenen Auffassung vor, wenn das Finanzamt in den Fällen des § 38 Abs. 1 Satz 2 EStG eine Mitteilung des Arbeitgebers erhalten hat. Auf Grund dieser ist die Lohnsteuer nur noch vom Arbeitnehmer nachzufordern (§ 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 EStG). Ferner liegt nach der hier vertretenen Auffassung eine Ermessensschrumpfung vor, wenn die Finanzverwaltung von einer unstreitigen Nettolohnvereinbarung Kenntnis erlangt hat. In diesem Fall kommt regelmäßig nur noch eine Inanspruchnahme des Arbeitgebers in Frage.

240

7. Abschn.: Haftungsverfahren

EStG; § 191 Abs. 1 Satz 1 AO). Von dieser Handlungsform läßt das Gesetz zwei Ausnahmen zu, die jedoch nur gegenüber dem Arbeitgeber gelten 43 . - Ein Haftungsbescheid darf gegenüber dem Arbeitgeber nicht erlassen werden, soweit die einzubehaltende Lohnsteuer angemeldet worden und die Entrichtungssteuerschuld vollstreckbar ist (§ 42d Abs. 4 Nr. 1 EStG)44. - Für die Inanspruchnahme des Arbeitgebers bedarf es ferner keines Haftungsbescheids, soweit er nach Abschluß einer Lohnsteuer-Außenprüfung seine Zahlungsverpflichtung schriftlich anerkannt hat (§ 42d Abs. 4 Nr. 2 EStG)45. 1. Anfechtung des Nachforderungs- und Haftungsbescheids

Haben Arbeitgeber und Arbeitnehmer einen Nachforderungs- und/oder Haftungstatbestand verwirklicht, sieht das Gesetz als regelmäßige Handlungsform vor, einen Steuer- und/oder Haftungsbescheid zu erlassen (§§ 155 Abs. 1 Satz 1, 191 Abs. 1 Satz 1 AO). Hiergegen kann unstreitig derjenige Gesamtschuldner Einspruch erheben, der Adressat dieses Verwaltungsakts ist (vgl. § 348 Abs. 1 Nm. 1,4 AO). Fraglich aber ist, ob auch der Nichtadressat, also der andere Gesamtschuldner zur Einlegung des Einspruchs berechtigt ist. Dieses Thema stellt sich auf zwei Ebenen: Es geht nicht nur einseitig um die Frage, ob der Arbeitnehmer zur Anfechtung des Haftungsbescheids wegen zuwenig einbehaltener Lohnsteuer (§ 42d Abs. 1 Nr. 1 1. Alt. EStG) befugt ist. Es sind ferner auch Sachverhalte denkbar, in denen die Anfechtungsbefugnis des Arbeitgebers entscheidend wird. Das sind die Fälle, in denen ihm ein Rückgriff seines Arbeitnehmers droht, also die Sachverhalte, in denen das Finanzamt anläßlich einer Nettolohnvereinbarung den Arbeitnehmer gemäß § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 EStG in Anspruch genommen hat 46 oder in denen ein Haftungsbescheid auf Grund des § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 EStG erlassen worden ist. 43 Soweit ein Haftungsbescheid gegen den Arbeitgeber festgesetzt worden ist, schließt dieser die Änderung und Vollstreckung der Entrichtungssteuerschuld sowie die Abgabe einer Anerkenntniserklärung aus (§ 42d Abs. 4 EStG analog). 44 Soweit die Entrichtungssteuerschuld festgesetzt worden ist, schließt diese den Erlaß eines Haftungsbescheids und auch die Abgabe einer Anerkenntniserklärung aus (§ 42d Abs. 4 EStG). Nach der hier vertretenen Auffassung ist nur der Arbeitgeber zur Anfechtung der Lohnsteuer-Anmeldung berechtigt. 45 Soweit der Arbeitgeber seine Zahlungsverpflichtung anerkannt hat, ist nicht nur der Erlaß eines Haftungsbescheids, sondern auch die Festsetzung und Vollstreckung der Entrichtungssteuerschuld unzulässig (§ 42d Abs. 4 EStG analog). 46 Nach der hier vertretenen Auffassung ist § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 EStG auch im Falle einer Nettolohnvereinbarung anwendbar.

B. Rechtsschutz

241

Es ist also allgemein zu untersuchen, ob ein Gesamtschuldner zur Anfechtung des gegenüber dem anderen Gesamtschuldner erlassenen Steuer- oder Haftungsbescheids berechtigt ist. Diese Frage soll an Hand des in Rechtsprechung und Literatur regelmäßig diskutierten Falls behandelt werden, ob nämlich ein Arbeitnehmer im Falle einer Bruttolohnvereinbarung zur Einlegung des Einspruchs gegen den Haftungsbescheid wegen zuwenig einbehaltener Lohnsteuer (§ 42d Abs. 1 NT. 1 1. Alt. EStG) befugt ist. Zur Verdeutlichung dient folgendes Beispiel: Ein Arbeitgeber hat vorschriftswidrig 100 DM Lohnsteuer zuwenig einbehalten. Das Finanzamt erläßt einen Haftungsbescheid gemäß § 191 Abs. 1 Satz 1 AO; § 42d Abs. 1 Nr. 1 1. Alt. EStG, jedoch über 150 DM. Ist der Arbeitnehmer, dessen Arbeitsvertrag eine Bruttolohnvereinbarung zugrundeliegt, befugt, diesen Bescheid anzufechten? 1.1 Meinungsstand

Die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs47 , die Finanzverwaltung48 und auch die überwiegende Literaturmeinung49 bejahen die Anfechtungsbefugnis des Arbeitnehmers, da er Schuldner der Lohnsteuer sei. Dies gelte jedoch nur, soweit er persönlich für die geforderte Steuer in Regreß genommen werden könne. Diese Auffassung steht jedoch im Widerspruch zur Rechtsprechung des Reichsfinanzhofs50 , und sie wird von einigen Autoren auch im Schrifttum kritisiert51 • Nach dieser Ansicht ist der Arbeitnehmer allein durch den gegen den 47 So BFH Beschl. v. 7. 2. 1980 - VI B 97/79 - BFHE 129, 310 (312) = BStBl 11 1980, 210 (211); BFH Urt. v. 29. 6. 1973 - VI R 311/69 - BFHE 109, 502 (504) = BStBI 11 1973, 780; BFH Beschl. v. 9. 2. 1951 - IV 347/50 S - BFHE 55, 192 (194) = BStBI III 1951,73 (74). 48 Abschn. 145 Abs. 8 Satz 8 LStR. 49 So Tipke / Kruse, FGO, § 40 Tz. 16; Offerhaus in Hübschmann / Hepp / Spitaler, § 191 AO Rz. 131; v. Wallis in Hübschmann / Hepp / Spitaler, § 40 FGO Rz. 23; Kühn / Kutter / Hofmann, § 350 AO Anm. 3; Buchstab in Koch, § 350 AO Rz. 18; Haarmann in Ziemer / Haarmann / Lohse / Beermann, Rz. 378/8. So auch Herrmann / Heuer / Raupach, § 38 EStG a. F. Rz. 35b; Klöckner in Klein / Flockermann / Kühr, § 42d EStG Rz. 44; Nissen in Hartmann / Böttcher / Nissen / Bordewin, § 42d EStG Rz. 56; Altehoefer in Lademann / Söffing / Brockhoff, § 42d EStG Rz. 97; Barein in Littmann / Bitz / Meincke, § 42d EStG Rz. 47; Wehmeyer in Blümich / Falk, § 42d EStG Rz. 23; Oeftering / Görbing, § 42d EStG Rz. 29, Einführung B Rz. 70; Horowski / Altehoefer, § 42d EStG Anm. 10. So auch Tipke, Steuerrecht, § 203.14 (S. 659); Ranft / Lange, 4.1.13.7 (S. 153); Stolterfoht, Lohnsteuer, Rz. 123 (S. 175); Mösch, S. 34; Riepen, S. 31; Lauter, S. 165; Offerhaus StbJb 1983/84, 291 (299); Carl DB 1988, 826 (830); Mi/atz Inf 1987, 538 (542); Röckl BB 1985,265 (266 f.); Lang StuW 1975, 113 (131). 50 So RFH Beschl. v. 30. 10. 1924 - VI eB 403/24 - RFHE 15, 15 (18); RFH Urt. v. 30. 9. 1930 - VI A 1478/30 - RStB11930, 710 (711). 51 So Becker / Riewald / Koch, § 40 FGO Anm. 7 (8); Schmidt / Drenseck, § 42d EStG Anm. 8a; Hartz / Meeßen / Wolf, "Haftung für Lohnsteuer" unter D.III.

16 Schäfer

242

7. Abschn.: Haftungsverfahren

Arbeitgeber gerichteten Haftungsbescheid in seinen Rechten noch nicht betroffen.

1.2 Eigene Auffassung Entscheidend für die Bejahung der Anfechtungsbefugnis des Arbeitnehmers ist - ebenso wie bei der Anfechtung der Lohnsteuer-Anmeldung - die Frage, ob der Arbeitnehmer durch den gegen den Arbeitgeber gerichteten Haftungsbescheid unmittelbar in seinen Rechten verletzt ist. Für die Ablehnung der unmittelbaren Betroffenheit sprechen mehrere Gründe: - Arbeitgeber und Arbeitnehmer sind im Haftungsverfahren sowohl wegen zuwenig einbehaltener als auch wegen zuwenig abgeführter Lohnsteuer Gesamtschuldner (§ 42d Abs. 3 Satz 1 EStG). Die Gesamtschuld ist dadurch gekennzeichnet, daß dem Gläubiger gegen jeden einzelnen Schuldner eine jeweils eigene selbständige Forderung zusteht (vgl. § 421 Satz 1 BGB)52. Jede hat ihr eigenes rechtliches Schicksal, und zwar grundsätzlich unabhängig von der jeweils anderen Forderung (vgl. § 44 Abs. 2 Satz 3 AO). Schon aus der Selbständigkeit der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis folgt, daß der eine Gesamtschuldner durch die Festsetzung des Anspruchs gegen den anderen in seinen Rechten nicht unmittelbar betroffen ist 53 . - Der Haftungsbescheid wegen zuwenig einbehaltener Lohnsteuer (§ 42d Abs. 1 Nr. 1 1. Alt. EStG) wird erst im internen Ausgleich unter den Gesamtschuldnern dem Arbeitnehmer gegenüber in die Tat umgesetzt. Folglich ist der Arbeitnehmer erst mit der Geltendmachung der Regreßansprüche aus § 426 BGB bzw. aus § 41c Abs. 1 Nr.2 EStG seitens des Arbeitgebers von dessen Haftungsschuld im Ergebnis unmittelbar betroffen. Dies schließt aber aus, daß er bereits durch den Erlaß des Haftungsbescheids in seinen Rechten unmittelbar verletzt ist. - Es ist zu Recht anerkannt, daß der Arbeitgeber in der Gesamtschuld wegen zuwenig einbehaltener Lohnsteuer auf den internen Ausgleich unter den Gesamtschuldnern gegenüber dem Arbeitnehmer verzichten darf54 . Somit steht bei Erlaß des Haftungsbescheids überhaupt noch nicht fest, ob der (S. 590); Drenseck in Stolterfoht (Hrsg.), S. 377 (400); Schick, Grundfragen, S. 38 (FN 154); Hahn, S. 186; Fichtelmann FR 1974, 291 (292); Groh FR 1969, 231 (231 f.). 52 So Palandt-Heinrichs, § 421 BGB Anm. 1 m.w.N. 53 So auch Haarmann in Ziemer / Haarmann / Lohse / Beermann, Rz. 378/9. Auch Lauter (S. 164) folgt diesem Argument, will aber beim Arbeitnehmer im Haftungsverfahren des Lohnsteuerrechts "aus Gründen der Prozeßökonomie" eine Ausnahme zulassen (Lauter, S. 165). Die Prozeßökonomie hat aber keinen Einfluß auf die unmittelbare Betroffenheit. 54 So auch Hartz / Meeßen / Wolf, "Übernahme der Lohnsteuer durch den Arbeitgeber" unter B.II.1. (S. 1200/4); Altehoefer in Lademann / Söffing / Brockhoff, § 42d

B. Rechtsschutz

243

Arbeitnehmer jemals im Ergebnis von der Haftungsschuld betroffen sein wird. Daher ist er allein durch den gegen den Arbeitgeber gerichteten Bescheid nicht unmittelbar in seinen Rechten verletzt. Aus diesen Gründen ist m. E. die Anfechtungsbefugnis des Arbeitnehmers abzulehnen. Im übrigen sind die Argumente, welche die herrschende Meinung für sich vorträgt, nicht unbedenklich. Allein der Hinweis, der Arbeitnehmer sei auch in den Gesamtschuldverhältnissen des Lohnsteuerabzugsverfahrens Steuerschuldner, begründet noch keine Anfechtungsbefugnis. Denn die Steuerschuldnerschaft besagt nur, daß der Arbeitnehmer steuerrechtlich mit der Lohnsteuerschuld wirtschaftlich belastet sein wird. Davon unabhängig aber ist die Frage zu beurteilen, ob er durch den Erlaß des Haftungsbescheids wegen zuwenig einbehaltener Lohnsteuer bereits unmittelbar in seinen Rechten betroffen ist. Im übrigen trägt auch das Argument der herrschenden Auffassung nicht, der entrichtungspflichtige Arbeitgeber handele für Rechnung des Arbeitnehmers und daher schlage jede seiner Handlungen auf die Steuerschuld und auf den Steuerschuldner durch55 : Denn der Arbeitgeber handelt nicht für Rechnung des Arbeitnehmers, sondern er behält die Lohnsteuer nur für dessen Rechnung ein (§ 38 Abs. 3 Satz 1 EStG); dagegen führt er sie auf eigene Rechnung ab (vgl. § 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG). Im übrigen ist mit dem Eintritt in das Haftungsverfahren des § 42d EStG die den Arbeitgeber betreffende Entrichtungspflicht beendet56 . Seine nicht-vermögensrechtliche Entrichtungspflicht der Einbehaltung und Abführung der Steuer wandelt sich in eine vermögensrechtliche Haftungsschuld um. Dieser Wechsel in den Verfahren bedingt auch, daß der Arbeitgeber im Haftungsverfahren nicht mehr für Rechnung eines Dritten tätig wird, sondern auf eigene Rechnung für eigene Pflichtverletzung haftet. Erläßt das Finanzamt also einen Haftungsbescheid wegen zuwenig einbehaltener Lohnsteuer gegen den Arbeitgeber (§ 191 Abs. 1 Satz 1 AO; § 42d Abs. 1 Nr. 11. Alt. EStG), ist der Arbeitnehmer allein durch diesen Bescheid in seinen Rechten nicht unmittelbar betroffen. Daher ist der Arbeitnehmer nicht befugt, Einspruch gegen diesen Haftungsbescheid einzulegen. Dies bedeutet für die Haftungs- und/oder Nachforderungsverfahren des § 42d EStG Rz. 108; Oeftering / Görbing, § 42d EStG Rz. 25; Offerhaus StbJb 1983/84,291 (306); Offerhaus DB 1988,464; Groh DStR 1969, 231 (232). In dem Verzicht auf den internen Ausgleich unter den Gesamtschuldnern im Rahmen der Gesamtschuld wegen zuwenig einbehaltener Lohnsteuer liegt jedoch die Zuwendung eines geldwerten Vorteils durch den Arbeitgeber aus Anlaß des Dienstverhältnisses, der als zusätzlicher Arbeitslohn für den Arbeitnehmer zu versteuern ist. 55 So aber Tipke / Kruse, FGO, § 40 Tz. 16. 56 Im Ergebnis ebenso: Drenseck in Stolterfoht (Hrsg.), S. 377 (400); Fichte/mann FR 1974,291 (292). 16*

· 7. Abschn.: Haftungsverfahren

EStG allgemein: Ein Gesamtschuldner ist zur Anfechtung des gegen den anderen Gesamtschuldner gerichteten Steuer- oder Haftungsbescheids nicht befugt57 • 1.3 Zwischenergebnis

Die regelmäßige Handlungsform der Finanzverwaltung in den Gesamtschuldverhältnissen des § 42d Abs. 3 Satz 1 EStG ist der Erlaß eines Steuerbescheids (vgl. § 155 Abs. 1 Satz 1 AO; § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 EStG) und! oder eines Haftungsbescheids (vgl. § 191 Abs. 1 Satz 1 AO; § 42d Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 EStG). Zur Anfechtung dieser Bescheide ist nur derjenige Gesamtschuldner befugt, der Adressat des Verwaltungsakts ist. Der andere Gesamtschuldner ist durch den Bescheid nur mittelbar in seinen Rechten betroffen; daher ist er nicht berechtigt, Einspruch einzulegen (§ 348 Abs. 1 Nm. 1,4 AO) und Anfechtungsklage (§ 40 Abs. 1 FGO) zu erheben. 2. Anerkenntnis nach § 42d Abs. 4 Nr. 2 EStG

Hat der Arbeitgeber einen Haftungstatbestand verwirklicht, bedarf es zur Geltendmachung der Haftungsschuld keines Haftungsbescheids und Leistungsgebots, soweit er nach Abschluß einer Lohnsteuer-Außenprüfung seine Zahlungsverpflichtung schriftlich anerkennt (§ 42d Abs. 4 Nr. 2 EStG). Ein Anerkenntnis ist verfahrensrechtlich in der Abgabenordnung nicht geregelt. Daher ist die Rechtsnatur und die Vollstreckung einer abgegebenen Anerkenntniserklärung zweifelhaft. 2.1 Rechtsnatur des Anerkenntnisses

Die frühere Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs58 sah in der Vorlage der formulierten Anerkenntniserklärung durch den Lohnsteuer-Außenprüfer den Erlaß eines Haftungsbescheids, der jedoch an die Bedingung einer rechtswirksamen Anerkenntniserklärung geknüpft war59 • Dieser Bescheid konnte angefochten werden, da das Anerkenntnis keinen Rechtsbehelfsverzicht bewirkte60 • Die Rechtsbehelfsfrist begann mit der Unterzeichnung der Anerkenntniserklärung zu laufen61 . Vgl. auch Becker / Riewald / Koch, § 119 RAD Anm. 4 (3). Bis BFH Urt. v. 29. 11. 1985 - VI R 37/81- NV 1986, 371. 59 So BFH Urt. v. 28. 1. 1976 - IV R 168/73 - BFHE 118,49 (53) = BStBl 11 1976, 344 (346). 60 So BFH Urt. v. 6. 7. 1962 - VI 299/61 U - BFHE 75, 243 (246) = BStBl III 1962, 355 (356). 61 So BFH Urt. v. 13. 5. 1960 - VI 43/60 U - BFHE 71, 131 (133) = BStBl III 1960, 297 (298). 57

58

B. Rechtsschutz

245

Diese Rechtsprechung ist in der Literatur von Anfang an kritisiert worden 62 . Der Bundesfinanzhof hat seine Auffassung inzwischen aufgegeben, da sie den Vorschriften der Abgabenordnung 1977 widerspricht. Er sieht nunmehr in der Abgabe der Anerkenntniserklärung weder einen formlosen Haftungsbescheid noch eine Lohnsteuer-Anmeldung63 . Jedoch hat es der Bundesfinanzhof unterlassen, den Rechtscharakter des Anerkenntnisses positiv festzulegen. Daher ist diese Frage im Ergebnis weiter offen. Auf Grund der geänderten Rechtsprechung zur Frage der Rechtsnatur des Anerkenntnisses dürften aber sicherlich folgende Ergebnisse feststehen: Das Anerkenntnis des Arbeitgebers bewirkt einerseits keine Steueranmeldung64 und erst recht nicht den Erlaß eines Haftungsbescheids65 . Folglich ist die Annahme des Anerkenntnisses durch Lohnsteuer-Außenprüfer nicht Ausdruck einer obrigkeitlichen Handlungsform mittels Verwaltungsakts66 • Andererseits liegt dem Anerkenntnis auch keine rechtlich unverbindliche Absichtserklärung zugrunde, denn mit der Abgabe der Erklärung durch den Arbeitgeber muß etwas rechtlich erhebliches geregelt werden, da weder ein Haftungsbescheid noch ein Leistungsgebot ergehen darf (§ 42d Abs. 4 Nr. 2 EStG)67. 62 So Tipke / Kruse, AO, § 218 Tz. 2; Rößler DStZ 1981,452; Giloy FR 1977, 292 (293). 63 So BFH Urt. v. 14. 11. 1986 - VI R 214/83 - BFHE 148, 316 (320/1) = BStBI 11 1987, 198 (200); BFH Urt. v. 14. 11. 1986 - VI R 226/83 - BB 1987, 1930 (1931). 64 Das Anerkenntnis des Arbeitgebers bewirkt keine Steueranmeldung (so auch Tipke / Kruse, AO, § 218 Tz. 2; Hartz / Meeßen / Wolf, "Haftung für Lohnsteuer" unter D.1.4. [S.589]; Altehoefer in Lademann / Söffing / Brockhoff, § 42d EStG Rz. 84; Drenseck in Stolterfoht [Hrsg.], S. 377 [405]; RößlerDStZ 1987, 284; Offerhaus StBp 1987, 68 [71]; Rößler DStZ 1981, 452 [453]; Giloy FR 1977, 292 [293]). Denn in § 42d Abs. 4 EStG wird zwischen dem Anerkenntnis (Nr. 2) und der Steueranmeldung (Nr. 1) differenziert. Beide werden also als ein aliud behandelt. Dieser Unterscheidung hätte es aber nicht bedurft, wenn der Gesetzgeber eine Gleichstellung von Anerkenntnis und Steueranmeldung gewollt hätte. Im übrigen hätte es für die Vollstreckung aus einem Anerkenntnis einer Regelung wie in § 218 Abs. 1 Satz 2 AO bedurft. 65 Die Annahme der Anerkenntniserklärung durch den Lohnsteuer-Außenprüfer bewirkt keinen Haftungsbescheid (so auch Tipke / Kruse, AO, § 218 Tz. 2; Hartz / Meeßen / Wolf, "Haftung für Lohnsteuer" unter D.1.4. [So 589]; Altehoefer in Lademann / Söffing / Brockhoff, § 42d EStG Rz. 84; Drenseck in Stolterfoht [Hrsg.], S. 377 [406]; Rößler DStZ 1987, 284; Offerhaus StBp 1987,68 [71]; Rößler DStZ 1981, 452 [453]). Andernfalls wäre die Vorschrift des § 42d Abs. 4 Nr. 2 EStG in sich widersprüchlich, da nach dieser gerade kein Haftungsbescheid ergehen soll, wenn ein Anerkenntnis abgegeben worden ist. Im übrigen ist ein Haftungsbescheid stets schriftlich zu erlassen (§ 191 Abs. 1 Satz 2 AO). Im Gegensatz zu § 157 Abs.l Satz 1 AO ist das Erfordernis der Schriftform beim Haftungsbescheid ohne Ausnahme und daher abschließend. Folglich könnte ein vom Finanzamt schriftlich zu erlassender Haftungsbescheid nicht durch eine vom Arbeitgeber schriftlich zu erteilende Anerkenntniserklärung ersetzt werden. 66 A. A. Milatz (Inf 1987,538 [540]), der in dem Anerkenntnis einen Verwaltungsakt eigener Art sieht, der den Haftungsbescheid ersetzt. 67 A. A. Offerhaus StbJb 1983/84, 291 (316).

246

7. Abschn.: Haftungsverfahren

Aus diesen beiden Ergebnissen folgt, daß Gegenstand des Anerkenntnisses nur ein öffentlich-rechtliches Rechtsgeschäft sein kann 68 • 2.11 Anerkenntnis als öffentlich-rechtlicher Vertrag Fraglich ist nun, ob bereits mit der Abgabe der schriftlichen Anerkenntniserklärung durch den Arbeitgeber ein einseitiges öffentlich-rechtliches Rechtsgeschäft zustandekommt oder ob erst mit der Annahme der Anerkenntniserklärung durch den Lohnsteuer-Außenprüfer ein öffentlich-rechtlicher Vertrag geschlossen wird. Der Wortlaut des § 42d Abs. 4 Nr. 2 EStG ("der Arbeitgeber ... anerkennt") legt ein einseitiges Rechtsgeschäft nahe. Jedoch würde dieses Ergebnis allgemeinen verwaltungsrechtlichen Grundsätzen widersprechen, da es der Entscheidung der (Finanz-) Verwaltung vorbehalten bleiben muß, in welcher von mehreren möglichen Handlungsformen sie gegenüber dem Bürger (oder Steuerpflichtigen, § 33 Abs. 1 2. Alt. AO) tätig wird. Würde man annehmen, dem Anerkenntnis liege ein einseitiges Rechtsgeschäft zugrunde, könnte der Arbeitgeber allein durch die Abgabe der schriftlichen Erklärung die Handlungsform der Finanzverwaltung bestimmen. Das Finanzamt wäre bereits mit der Abgabe der Erklärung an diese Handlungsform gebunden, ohne selbst entscheiden zu können, ob ein Haftungsbescheid oder eine Änderung der Lohnsteuer-Anmeldung als weitere Handlungsformen in Frage kommen. Aus diesem Grunde ist anzunehmen, daß nicht bereits mit der Abgabe der Anerkenntniserklärung durch den Arbeitgeber ein einseitiges öffentlich-rechtliches Rechtsgeschäft, sondern erst mit der Annahme der Anerkenntniserklärung durch den Lohnsteuer-Außenprüfer ein öffentlich-rechtlicher Vertrag zwischen Arbeitgeber und Steuergläubiger zustande kommt 69 • Voraussetzung für die Wirksamkeit dieses Vertrages (vgl. § 125 Satz 1 BGB) ist die schriftliche Erteilung der Anerkenntniserklärung durch den Arbeitgeber70 . Der Rechtscharakter des Anerkenntnisses als öffentlich-rechtlicher Vertrag hat zum einen zur Folge, daß die Finanzverwaltung und der Arbeitgeber an den Inhalt dieses Rechtsgeschäfts gebunden sind, da auch im Steuerrecht der 68 Das Anerkenntnis stellt somit eine Ausnahme zu § 191 Abs. 1 Satz 1 AO (und nicht zu § 191 Abs. 1 Satz 2 AO) dar: Die Haftungsschuld wird nicht obrigkeitlich durch Verwaltungsakt, sondern mittels eines öffentlich-rechtlichen Rechtsgeschäfts verwirklicht. 69 So auch Tipke / Kruse, AO, § 78 Tz. 8; Hartz / Meeßen / Wolf, "Haftung für Lohnsteuer" unter B.I.4. (S. 589); Barein in Littmann / Bitz / Meincke, § 42d EStG Rz. 32; Drenseck in Stalterfaht (Hrsg.), S. 377 (406); Rößler DStZ 1981, 452 (453); wohl auch Tipke / Kruse, AO, § 118 Tz. 2. 70 Vgl. § 766 Satz 1 BGB. Keine Voraussetzung ist die Unterschrift des Außenprüfers.

B. Rechtsschutz

247

Grundsatz "pacta sunt servanda" Anwendung findet 7l • Daher steht dem Arbeitgeber kein Rechtsbehelfsverfahren der Abgabenordnung gegen den einmal geschlossenen Vertrag zur Verfügung72 • Zum anderen bestimmt auch der ausgelegte Inhalt des öffentlich-rechtlichen Vertrages, ob und inwieweit der spätere Erlaß eines Haftungsbescheids über denselben Sachverhalt zulässig ist; denn, soweit der Regelungsinhalt des Vertrages reicht, ist obrigkeitliches Handeln durch Haftungsbescheid ausgeschlossen (§ 42d Abs. 4 Nr. 2 EStG)73. 2.12 Rechtsnatur des öffentlich-rechtlichen Vertrages Nimmt ein Lohnsteuer-Außenprüfer eine schriftlich erteilte Anerkenntniserklärung des Arbeitgebers an, ist die Rechtsnatur des damit geschlossenen öffentlich-rechtlichen Vertrages eine Frage der Auslegung. Fraglich ist, welche Rechtsnatur im Zweifel anzunehmen ist, wenn die Auslegung des Vertrages zu keinem eindeutigen Ergebnis gelangt. Da die sonstigen aus dem Zivilrecht bekannten Arten eines Anerkenntnisses ersichtlich ausscheiden74, kommt nur die Annahme eines abstrakten (§§ 780, 781 BGB) oder deklaratorischen Anerkenntnisses (§§ 305, 241 BGB) in Betracht. Von einigen Autoren wird die Auffassung vertreten, das Anerkenntnis des Arbeitgebers sei im Zweifel ein öffentlich-rechtliches Schuldversprechen i. S. des § 780 BGB75. Diese Auffassung ist bedenklich. Das in § 780 BGB bezeichnete Schuldversprechen ist nämlich ein abstraktes Rechtsgeschäft, d. h., die Verpflichtung aus dem Schuldversprechen ist von ihren wirtschaftlichen und rechtlichen Zusammenhängen abgelöst und wird allein auf den im Anerkenntnis hervorgetretenen Leistungswillen des Versprechenden gegründet76 . An 71 Mit der Anwendung dieses Rechtsgrundsatzes werden Rechte des Arbeitgebers nicht unzulässigerweise beschnitten: - Ein Arbeitgeber wird eine Anerkenntniserklärung nur unterschreiben, "soweit" (vgl. § 42d Abs. 4 Nr. 2 EStG) ein unstreitiger Sachverhalt mit einem unstreitigen Haftungsanspruch festgestellt worden ist; insoweit ist er an seine Erklärung gebunden. - Liegt hingegen ein ganz oder teilweise streitiger Sachverhalt mit einem streitigen Haftungsanspruch vor, ist der Arbeitgeber berechtigt, die Abgabe einer Anerkenntniserklärung abzulehnen. Damit veranlaßt er die Finanzverwaltung, einen Haftungsbescheid zu erlassen bzw. die Lohnsteuer-Anmeldungen zu ändern. Hiergegen stehen ihm die Rechtsbehelfe der Abgabenordnung zur Verfügung. 72 Wohl aber ist ein Arbeitgeber berechtigt, den öffentlich-rechtlichen Vertrag z. B. wegen Irrtums anzufechten (§§ 119 ff. BGB). 73 Entsprechendes gilt auch für das Verhältnis zur Entrichtungssteuerschuld (§ 42d Abs. 4 Nr. 1 EStG). 74 Wie z. B. das faktische (§ 840 Abs. 1 Nr. 1 ZPO), das negative (§ 397 Abs. 2 BGB) und das prozessuale (§ 307 ZPO) Anerkenntnis. 75 So Drenseck in Stolterfoht (Hrsg.), S. 377 (406); Rößler DStZ 1981, 252 (253). 76 So BGH Urt. v. 21. 1. 1976 - VIII ZR 148/74 - NJW 1976, 567; RG Urt. v. 29. 9. 1924 - I ZR 609/24 - RGZ 108, 410 (411); BGB-RGRK-Steffen, § 780 BGB Rz. 7; Stau-

248

7. Abschn.: Haftungsverfahren

dieser Abstraktheit fehlt es aber Ld.R. dem Anerkenntnis im Haftungsverfahren. Hiermit soll nicht ein neuer Anspruch neben dem Haftungsanspruch begründet, sondern es soll lediglich die Durchsetzung eines bestehenden Haftungsanspruchs ermöglicht und ggf. erleichtert werden. Daher hat m. E. der öffentlich-rechtliche Vertrag zwischen Arbeitgeber und Steuergläubiger im Zweifel nicht die Rechtsnatur eines abstrakten Schuldversprechens L S. des § 780 BGB. Die Abstraktheit des Rechtsgeschäfts unterscheidet das Schuldversprechen des § 780 BGB vom deklaratorischen Anerkenntnis 77 • Mit dieser Form eines Anerkenntnisses wird nicht eine neue Schuld begründet, sondern es wird lediglich eine schon vorhandene Schuld bestätigt18 . Dies trifft auf das Anerkenntnis im Anschluß an die Lohnsteuer-Außenprüfung Ld.R. zu, da dem Arbeitgeber im Rahmen der Schlußbesprechung (§ 201 AO) der geprüfte Sachverhalt und der festgestellte Haftungsanspruch dargelegt wird. Unterschreibt er daraufhin eine Anerkenntniserklärung, erkennt der Arbeitgeber damit den festgestellten Sachverhalt und die verwirklichte Haftungsschuld an. Aus diesem Grund ist m. E. davon auszugehen, daß dem Anerkenntnis des § 42d Abs. 4 Nr. 2 EStG im Zweifel ein öffentlich-rechtliches deklaratorisches Schuld anerkenntnis zugrunde liegt. Kommt die Auslegung des Vertrages zu dem Ergebnis, das Anerkenntnis sei ein deklaratorisches Anerkenntnis, oder wird ein solches im Zweifel angenommen, hat dies zur Konsequenz, daß dem Arbeitgeber alle Einwendungen abgeschnitten werden, die er im Zeitpunkt der Abgabe des Anerkenntniserklärung - also im Zeitpunkt der Schlußbesprechung - kannte oder mit denen er zumindest rechnen konnte. Dieser Einwendungsausschluß erstreckt sich auf alle Einwände, sowohl solche tatsächlicher als auch solche rechtlicher Natur79 • 2.2 Vollstreckung des öffentlich-rechtlichen Vertrages Gibt ein Arbeitgeber im Anschluß an eine Lohnsteuer-Außenprüfung ein schriftliches Anerkenntnis ab (§ 42d Abs. 4 Nr. 2 EStG) und erfüllt er nicht freiwillig seine ihm auferlegte Zahlungsverpflichtung, ist es fraglich, wie das dinger-Marburger, § 780 BGB Rz. 6; Münchener Kommentar-Hüfter, § 780 BGB Rz.16. 77 Obwohl das Gesetz das sog. deklaratorische Anerkenntnis nicht regelt, ist es heute in Rechtsprechung und Literatur allgemein anerkannt: vgl. RG JW 1916, 960; Staudinger-Marburger, § 781 BGB Rzn. 8 ff.; Münchener Kommentar-Hüfter, § 781 BGB Rzn. 19 ff. 78 So BGH Urt. v. 9. 7. 1986 - VIII ZR 232/85 - DB 1986,2070; BGH Urt. v. 16. 1. 1973 - VI ZR 197171- NJW 1973, 620. 79 So Staudinger-Marburger, § 781 BGB Rz. 11 m.w.N.; BGB-RGRK-Steften, § 781 BGB Rz. 9 m.w.N.

B. Rechtsschutz

249

Betriebsstättenfinanzamt den öffentlich-rechtlichen Vertrag zu vollstrecken hat. Der BundesfinanzhofSO und ihm folgend auch diejenigen Autoren, die annehmen, dem Anerkenntnis liege ein öffentlich-rechtlicher Vertrag zugrunde81 , sowie die Finanzverwaltung82 sind der Auffassung, das Finanzamt habe einen Haftungsbescheid zu erlassen. Jener bilde die Grundlage der Zwangsvollstreckung gegen den Arbeitgeber. Diese Auffassung ist aus mehreren Gründen bedenklich: Der Erlaß eines Verwaltungs akts , also des Haftungsbescheids, bewirkt einen Eingriff in die Eigentums- und Freiheitssphäre des Arbeitgebers. Das "Wie" des Eingriffs bedarf - auch soweit eine Behörde handelt - einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage, wie sich aus dem Grundsatz der Gesetzmäßigkeit der Verwaltung in Verbindung mit den durch Art. 2 ff. GG gewährten Grundrechten ergibt83 • Fraglich ist also, ob eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage vorhanden ist, die es der Finanzverwaltung erlaubt, im Anschluß an eine abgegebene Anerkenntniserklärung mittels Verwaltungsakts zu handeln. - Der öffentlich-rechtliche Vertrag selbst stellt keine gesetzliche Grundlage für den Erlaß eines Verwaltungsakts dar84 . - Die Vorschrift des § 42d Abs. 4 Nr. 2 EStG ist ebenfalls keine geeignete Ermächtigungsnorm, da sie gerade den Erlaß eines Haftungsbescheids ausschließt. - § 191 Abs. 1 Satz 1 AO kommt auch nicht als gesetzliche Grundlage für den Erlaß eines Haftungsbescheids in Betracht, da diese Vorschrift durch § 42d

Abs. 4 Nr. 2 EStG als lex specialis verdrängt wird85 .

Somit fehlt es an der gesetzlichen Grundlage für ein Handeln der Finanzverwaltung mittels Verwaltungsakts. Folglich fehlt dem Betriebsstättenfinanzamt die Befugnis, das Anerkenntnis des Arbeitgebers durch Haftungsbescheid zu vollstrecken. 80 So BFH Urt. v. 24. 11. 1986 - VI R 214/83 - BFHE 148, 316 (322) = BStBI 11 1987,198 (200). 81 So Tipke / Kruse, AO, § 218 Tz. 2; Hartz / Meeßen / Wolf, "Haftung für Lohnsteuer" unter D.1.4. (S. 589); Barein in Littmann / Bitz / Meincke, § 42d EStG Rz. 32; Drenseck in Stolterfoht (Hrsg.), S. 377 (406); vgl. auch Altehoefer in Lademann / Söffing / Brockhoff, § 42d EStG Rz. 84. 82 Abschn. 145 Abs. 8 Satz 2 LStR. 83 So auch BVerwG Urt. v. 13. 2. 1976 - IV C 44.74 - BVerwGE 50, 171 (175 m.w.N.). So auch BSG Urt. v. 10. 11. 1975 - 5 RKn 81170 - NJW 1973,776. So auch Kopp, VwVfG, § 61 Rz. 4; Erichsen in Erichsen / Martens, § 29 (S. 341 m.w.N.); Stern, Verwaltungsprozeß, S. 84; Wolf! / BachofI, § 44 III f (S. 334); Erichsen VerwArch Bd. 68 (1977), S. 65 (71 f.). 84 So auch BVerwG Urt. v. 13. 2. 1976 - IV V 44.74 - BVerwGE 50,171 (173). 85 A. A. Claus BB 1987, 1931 (1933).

250

7. Abschn.: Haftungsverfahren

Ferner spricht gegen den Erlaß eines Haftungsbescheids auf Grund einer Anerkenntniserklärung des Arbeitgebers die sog. Sperrwirkung der Handlungsform86 : Der Finanzverwaltung steht es frei zu entscheiden, in welcher Handlungsform sie das Haftungsrechtsverhältnis zum Arbeitgeber konkretisiert. Das Betriebsstättenfinanzamt kann sowohl obrigkeitlich durch Verwaltungsakt87 als auch schlicht-hoheitlich durch öffentlich-rechtlichen Vertrag (§ 42d Abs. 4 Nr. 2 EStG) handeln. Hat sich das Betriebsstättenfinanzamt aber einmal für eine Handlungsform entschieden, dann ist es insoweit in bezug auf die Wirksamkeitsvoraussetzungen88 , die Rechtsbehelfe 89 und die Vollstreckungsregelungen an die einmal gewählte Handlungsform gebunden. Die Sperrwirkung der Handlungsform hat daher zur Konsequenz, daß der Bürger und die Verwaltung ihre Rechte aus einem öffentlich-rechtlichen Vertrag mit der allgemeinen Leistungsklage geltend machen müssen, um sich mit diesem Urteil den Vollstreckungstitel zu verschaffen. Soweit das Rechtsverhältnis also durch öffentlich-rechtlichen Vertrag konkretisiert ist, scheidet mithin der Leistungsbescheid aus dem verfügbaren Arsenal an Handlungsformen aus. Aus diesen beiden Gründen ist es im allgemeinen Verwaltungsrecht90 und im Sozialrecht91 heute zu Recht allgemeine Auffassung, daß aus einem öffentlich-rechtlichen Vertrag nur auf Grund eines allgemeinen Leistungsurteils von Bürger und Verwaltung vollstreckt werden kann92 • Dieses Ergebnis muß auch für das Lohnsteuerrecht gelten, da die Notwendigkeit einer gerichtlichen Überprüfung des Anerkenntnisses die "Waffengleichheit" wieder herstellt, die dem Vertragscharakter des Anerkenntnisses entspricht93 • 86 Zur sog. Sperrwirkung der Handlungsform: vgl. Erichsen VerwArch Bd. 68 (1977), S. 65 (71); Stern, Verwaltungsprozeß, S. 84. 87 Haftungsbescheid (§ 191 Abs. 1 Satz 1 AO) oder Steuerbescheid auf Grund geänderter Lohnsteuer-Anmeldung (§ 42d Abs. 4 Nr. 1 EStG). 88 Z. B. gilt bei obrigkeitlichem Handeln das Bestimmtheitsgebot des § 119 Abs. 1 AO, hingegen findet dieses Gebot beim Handeln durch öffentlich-rechtlichen Vertrag nicht die strenge Anwendung. 89 Z. B. kann der Verwaltungsakt mit den Rechtsbehelfen der Abgabenordnung angefochten werden; ein öffentlich-rechtlicher Vertrag ist hingegen nur unter den Voraussetzungen der §§ 119 ff. BGB anfechtbar. 90 So BVerwG Urt. v. 13. 2. 1976 - IV C 44.74 - BVerwGE 50, 171 (175 m.w.N.). So auch Kopp, VwVfG, § 61 Rz. 4; Erichsen in Erichsen / Martens, § 29 (S. 341); Stern, Verwaltungsprozeß, S. 84; Wolf! / Bachof I, § 44 III f (S. 354); Erichsen VerwArch Bd. 68 (1977), S. 65 (71 f.). 91 So BSG Urt. v. 10. 11. 1972 - 5 RKn 81/70 - NJW 1973, 776. 92 Hat der Arbeitgeber zunächst freiwillig auf Grund des Schuldanerkenntnisses geleistet, erweist sich aber die anerkannte Forderung als unrechtmäßig oder legt er eine Einwendung dar, die er zur Zeit der Abgabe der Anerkenntniserklärung noch nicht kannte, so steht ihm ein öffentlich-rechtlicher Bereicherungsanspruch zu. Dieser ist mit der allgemeinen Leistungsklage vor den Finanzgerichten geltend zu machen. So auch Drenseck in Stolterfoht (Hrsg.), S. 377 (407). 93 Gegen die hier vertretene Auffassung könnte folgende Gegenargumentation vorgebracht werden: Das Lohnsteuerabzugsverfahren sei ein sog. Massenverfahren. Mit

B. Rechtsschutz

251

3. Zwischenergebnis

Mit der Annahme der Anerkenntniserklärung i. S. des § 42d Abs. 4 Nr. 2 EStG durch den Lohnsteuer-Außenprüfer wird kein Verwaltungsakt gegenüber dem Arbeitgeber erlassen. Gegenstand des Anerkenntnisses ist vielmehr ein öffentlich-rechtlicher Vertrag zwischen Arbeitgeber und Steuergläubiger , der mit der Annahme der Anerkenntniserklärung durch den Lohnsteuer-Außenprüfer zustande kommt. Wirksamkeitsvoraussetzung für diesen Vertrag ist die schriftliche Erteilung der Anerkenntniserklärung durch den Arbeitgeber (vgl. § 125 Satz 1 BGB). Arbeitgeber und Finanzverwaltung können sich von dem geschlossenen Vertrag nicht einseitig lösen. Der Inhalt des Vertrages bestimmt, ob und inwieweit ein Haftungsbescheid in bezug auf denselben Sachverhalt noch zulässig ist (§ 42d Abs. 4 Nr. 2 EStG). Der öffentlich-rechtliche Vertrag ist im Zweifel ein deklaratorisches Anerkenntnis (§§ 305, 241 BGB). Dadurch werden dem Arbeitgeber alle die tatsächlichen und rechtlichen Einwendungen gegen den Haftungsanspruch abgeschnitten, die er im Zeitpunkt der Abgabe der Anerkenntniserklärung kannte oder mit denen er zumindest rechnen konnte. Soll das Anerkenntnis vollstreckt werden, muß die Finanzverwaltung zuvor die allgemeine Leistungsklage gegen den Arbeitgeber erheben (vgl. § 40 Abs. 1 FGO a.E). Das auf Grund der Leistungsklage ergehende Urteil des Finanzgerichts verschafft dem Betriebsstättenfinanzamt den Vollstreckungstitel gegen den Arbeitgeber. Zusammenfassend ist festzustellen: Gleichgültig, in welcher Handlungsform die Finanzverwaltung im Haftungsverfahren des § 42d EStG gegenüber den diesem sei es unvereinbar, wenn die Finanzverwaltung sich erst über den zeitlich langandauernden Weg der allgemeinen Leistungsklage den Vollstreckungstitel verschaffen müßte. Dieser Argumentation wäre entgegenzuhalten, daß die Finanzverwaltung, und nicht der Arbeitgeber, durch die Annahme der Anerkenntniserklärung die Handlungsform des öffentlich-rechtlichen Vertrages bestimmt. Entschließt sie sich für diese Handlungsform, nimmt sie die länger andauernde Vollstreckung billigend in Kauf. Kommt es ihr aber auf eine zügige Vollstreckungsmöglichkeit an, dann stehen ihr die obrigkeitlichen Handlungsformen zur Verfügung. Ferner ist zu berücksichtigen, daß der öffentlich-rechtliche Vertrag der Finanzverwaltung auch erhebliche Vorteile bringt. Nach dem Grundsatz "pacta sunt servanda" ist der Arbeitgeber beispielsweise nur unter erschwerten Voraussetzungen befugt, das Anerkenntnis anzufechten. Ferner gilt für den öffentlich-rechtlichen Vertrag nicht das Bestimmtheitsgebot. Will die Finanzverwaltung diese wesentlichen Vorteile für sich in Anspruch nehmen, dann muß sie m. E. auch den "Nachteil" des länger andauernden Vollstreckungstitels in Kauf nehmen. Schließlich gibt es gesetzgeberische Möglichkeiten, wie die Finanzverwaltung dennoch zu einem zügigen Vollstreckungstitel gelangen kann. Zu nennen ist eine mit § 61 VwVfG vergleichbare Regelung.

252

7. Abschn.: Haftungsverfahren

Gesamtschuldnern tätig wird (beim Arbeitnehmer durch Nachforderungsbescheid [§ 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 EStG] oder durch Haftungsbescheid [§ 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 EStG]; beim Arbeitgeber durch Haftungsbescheid [§ 191 Abs. 1 Satz 1 AO], Entrichtungssteuerbescheid [§ 42d Abs. 4 Nr. 1 EStG] oder öffentlich-rechtlichen Vertrag [§ 42d Abs. 4 Nr. 2 EStGD, stets ist gegen die jeweilige Handlung nur derjenige Gesamtschuldner rechtsschutzberechtigt, der Adressat der Handlung oder Vertragspartner ist.

C. Interner Ausgleich unter Gesamtschuldnern Haben Arbeitgeber und Arbeitnehmer einen Nachforderungs- und/oder Haftungstatbestand verwirklicht, macht das Finanzamt regelmäßig bei einem der Gesamtschuldner dessen Schuld geltend. Daraufhin leistet der betroffene Gesamtschuldner an den Steuergläubiger . Regelmäßig nun erst stellt sich für ihn die Frage, ob und in welchem Umfang er vom anderen G~samtschuldner Regreß verlangen kann. Das Problem des internen Ausgleichs unter Gesamtschuldnern stellt sich im Lohnsteuerabzugsverfahren auf verschiedenen Ebenen dar. Regelmäßig verlangt der Arbeitgeber Regreß vom Arbeitnehmer in der Gesamtschuld wegen zuwenig einbehaltener Lohnsteuer (§§ 42d Abs. 1 Nr. 11. Alt., Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 EStG i.V. mit § 42d Abs. 3 Satz 1 EStG), wenn dem Arbeitsvertrag eine Bruttolohnvereinbarung zugrunde liegt94 . Es sind aber auch Sachverhaltsgestaltungen denkbar, in denen die Regreßbefugnis des Arbeitnehmers bedeutsam wird, beispielsweise in der Gesamtschuld wegen zuwenig einbehaltener Lohnsteuer anläßlich einer Nettolohnvereinbarung oder in der Gesamtschuld wegen zuwenig abgeführter Lohnsteuer (§§ 42d Abs. 1 Nr. 12. Alt., Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 EStG i.V. mit § 42d Abs. 3 Satz 1 EStG). Die Problematik des internen Ausgleichs unter Gesamtschuldnern wird im folgenden untersucht. Die Abhandlung ist in drei Teile gegliedert: Zunächst wird die Rechtsnatur der einzelnen Ausgleichsansprüche, danach der Rechtsweg zur Verfolgung des Rückgriffs und zum Schluß die Geltendmachung des Regresses behandelt.

94 Der Gesetzgeber geht davon aus, daß im Haftungsfalle (wegen zuwenig einbehaltener Lohnsteuer) der Arbeitgeber ohne weiteres und schnell beim Arbeitnehmer Rückgriff nehmen kann. Daher ist die Belastung des Arbeitgebers mit der Haftungsschuld für ihn ein nur durchlaufender Posten, der alsbald vom Arbeitnehmer glattgestellt wird. So auch Offerhaus BB 1982,793; Hahn NJW 1988, 20 (21).

C. Interner Ausgleich

253

1. Ausgleichsanspruche

1.1 Anspruchsgrundlagen des internen Ausgleichs In der Literatur wird von mehreren Autoren die Auffassung vertreten, zwischen den Gesamtschuldnern des Lohnsteuerabzugsverfahrens seien Ausgleichsansprüche gesetzlich nicht geregelt95 • Ob dieser These gefolgt werden kann, ist zweifelhaft, da der Gesetzgeber in verschiedenen Vorschriften im Verhältnis der Schuldner zum gemeinsamen Gläubiger eine Gesamtschuld angeordnet hat, ohne dabei den Regreß der Schuldner ausdrücklich zu regeln (z. B. § 840 Abs. 1 BGB; § 128 Satz 1 HGB). Es ist in diesen Fällen gleichwohl allgemeine Auffassung, daß der Rückgriff der Schuldner zumindest auch aus der Gesamtschuld selbst erfolgt, also aus dem gesetzlichen Ausgleichsanspruch des § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB einerseits und der gemäß § 426 Abs. 2 Satz 1 BGB legal zedierten Forderung andererseits. Dieser allgemein geltende Gedanke ist auch auf die Gesamtschuldverhältnisse des Steuerrechts anzuwenden96 • Daher ist mit der gesetzlichen Anordnung der Gesamtschuld in § 42d Abs. 3 Satz 1 EStG zugleich auch der interne Ausgleich zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer gemäß § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB und § 426 Abs. 2 Satz 1 BGB gesetzlich geregelt. Neben den Ausgleichsansprüchen des § 426 BGB kommen weitere Ausgleichsansprüche, insbesondere aus Vertrag, aus Auftrag (§§ 662 ff. BGB), aus Geschäftsführung ohne Auftrag (§§ 677 ff. BGB) und aus Bereicherung (§§ 812 ff. BGB) nicht in Betracht97 • Denn die die Gesamtschuld des Lohnsteuerabzugsverfahrens begründenden Schuldverhältnisse sind gesetzliche Ansprüche des Steuergläubigers. Daher kommen auch nur die gesetzlichen Regreßansprüche des § 426 BGB zur Anwendung. Die entscheidende Frage ist nun, ob die beiden Ausgleichsansprüche des

§ 426 BGB in ihrer Anwendung im Lohnsteuerabzugsverfahren steuerrechtli-

cher, arbeitsrechtlicher98 oder zivilrechtlicher Natur sind. Die Frage läßt sich sicherlich nicht aus dem Gedanken eines einheitlichen Rechtsinstituts der Gesamtschuld beantworten, etwa mit der Argumentation, weil das Verhältnis der Schuldner zum gemeinsamen Gläubiger steuerrechtlicher Natur sei, müsse auch das Verhältnis der Gesamtschuldner untereinander steuerrechtlich aus95 So Riepen, S.44; Ossenbühl, Verwaltungsaufgaben, S. 157 (FN 89); Steiner, Öffentliche Verwaltung, S. 194 (FN 891). 96 So auch Tipke / Kruse, AO, § 44 Tz. 12; Offerhaus in Hübschmann / Hepp / Spitaler, § 44 AO Rz. 38; Herrmann / Heuer / Raupach, § 38 EStG a. F. Rz. 39a; Mösbauer GmbHR 1987, 483 (487). 97 A. A. Schick (Grundfragen, S. 28), der den Rückgriff aus einem öffentlich-rechtlichen Bereicherungsanspruch herleiten will. 98 Hier stellvertretend für alle Formen der Beschäftigung im Rahmen einer nichtselbständigen Arbeit.

254

7. Abschn.: Haftungsverfahren

gestaltet sein99 • Entscheidend ist nämlich der einzelne Anspruch und der einzelne Streitgegenstand. Nur wenn dieser aus dem Rechtsverhältnis zum Steuergläubiger abgeleitet wird, ist auch der Ausgleichsanspruch steuerlicher Rechtsnatur. Mithin ist die Frage der Rechtsnatur der internen Ausgleichsansprüche für jeden einzelnen Anspruch des § 426 BGB getrennt zu untersuchen.

1.2 Rechtsnatur des Ausgleichsanspruchs aus

§ 426 Abs. 1 Satz 1 BGB i. V. mit § 42d Abs. 3 Satz 1 EStG

Die Rechtsnatur des Ausgleichsanspruchs aus § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB wird kontrovers diskutiert. 1.21 Meinungsstand Die heute herrschende Meinung sowohl in der Rechtsprechung 100 als auch in der Literatur 101 ist der Auffassung, der gesetzliche Ausgleichsanspruch des § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB sei ein privatrechtlicher Anspruch, da dieser Rechtssatz keinen Hoheitsträger, sondern nur die Privatpersonen-Gesamtschuldner berechtigen und verpflichten könne. Dies gelte auch, wenn im Verhältnis der Gesamtschuldner zum gemeinsamen Gläubiger öffentlich-rechtliche Forderungen bestehen. Gegen diese Auffassung werden vereinzelt Bedenken erhoben 102. Der Steuergesetzgeber habe sich nämlich in Kenntnis der Bestimmungen des Bürgerlichen Gesetzbuches des terminus technicus der Gesamtschuld bedient. Folglich sei § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB ein öffentlich-rechtlicher Anspruch, der mit der Anwendung abgabenrechtlicher Vorschriften im Zusammenhang stehe.

So aber Liebisch, S. 69 ff. So BGH Urt. v. 13. 4. 1965 - V ZR 30/63 - NJW 1965, 1595 (1596); RG Urt. v. 1. 2. 1911- V 122/10 - RGZ 75,208 (209 f.). So RFH Urt. v. 10. 3. 1937 - IV A 9/37 - RFHE 41,135 (137); RFH Urt. v. 8. 7. 1921 - 11 A 205/21- RFHE 6,171 (176). 101 So Münchener Kommentar-Selb, § 426 BGB Rz. 11; BGB-RGRK-Weber, § 426 BGB Rz. 10; Soergel-Wolf, § 426 BGB Rz. 40; Sonnenschein NJW 1980, 257; Wertenbruch, Anm. zu LAG Hamm AP Nr. 3 (BI. 2) zu § 426 BGB. So Tipke / Kruse, AO, § 44 Tz. 12; Offerhaus in Hübschmann / Hepp / Spitaler, § 44 AO Rz. 38; Riepen, S. 53 f.; Clemens, S. 42 f.; Stolterfoht JZ 1975, 658 (659 FN 12). So Kopp, VwGO, § 40 Rz. 9 m.w.N. 102 So Schnorr v. Carolsfeld, Anm. zu BAG AP Nr. 5 zu § 670 BGB (BI. 3 f. unter 11.) und Anm. StRK R. 28 zu § 38 EinkStG; Stolterfoht in Stolterfoht (Hrsg.), S. 175 (207); Liebisch, S. 69; Preißer, S. 187. 99

100

C. Interner Ausgleich

255

1.22 Eigene Auffassung § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB hat m. E. eine steuerrechtliche Natur, wenn im Verhältnis der Gesamtschuldner zum Gläubiger - wie im Haftungsverfahren des Lohnsteuerrechts - steuerrechtliche Ansprüche bestehen. Für dieses Ergebnis sprechen folgende Argumente:

- Der Rechtsgrund des Anspruchs aus § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB ist - im Gegensatz zur Legalzession des § 426 Abs. 2 Satz 1 BGB - das Gesamtschuldverhältnis, denn § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB gewährt dem ausgleichsberechtigten Gesamtschuldner einen originären selbständigen Anspruch aus der Gesamtschuld 103 • Somit ist der Streitgegenstand dieses Anspruchs aus der Gesamtschuld abgeleitet. Folglich bestimmt auch die Rechtsnatur des Gesamtschuldverhältnisses die Rechtsnatur dieses gesetzlichen Ausgleichsanspruchs. Da das Gesamtschuldverhältnis, also die einzelnen Rechtsverhältnisse jedes Gesamtschuldners zum Gläubiger (vgl. § 421 Satz 1 BGB), im Haftungsverfahren des Lohnsteuerabzugsverfahrens steuerrechtlicher Natur ist, ist auch der gesetzliche Ausgleichsanspruch des § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB steuerrechtlicher Natur, wenn die Vorschrift im Zusammenhang mit der Gesamtschuld des Lohnsteuerrechts angewandt wird (§ 42d Abs. 3 Satz 1 EStG). - Ferner zeigt sich die steuerrechtliche Natur des § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB in dem Entstehungszeitpunkt des Anspruchs. Der Anspruch entsteht - im Gegensatz zur Legalzession des § 426 Abs. 2 Satz 1 BGB - nicht erst mit der Befriedigung des Gläubigers durch den Gesamtschuldner, sondern bereits mit der Begründung der Gesamtschuld 104 • Das Steuerrecht bestimmt also den Zeitpunkt und den Umfang des Anspruchs aus § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB, wenn die Vorschrift im Zusammenhang mit der steuerrechtlichen Gesamtschuld des § 42d Abs. 3 Satz 1 EStG angewandt wird. Folglich steht der Ausgleichsanspruch dem ausgleichsberechtigten Gesamtschuldner bereits mit der zu geringen Einbehaltung bzw. der zu geringen Abführung der Lohnsteuer zu, und zwar ohne Rücksicht darauf, ob die Nachforderungs- und/oder Haftungsansprüche inzwischen festgesetzt worden sind oder nicht. Wenn also das Steuerrecht den Entstehungszeitpunkt des gesetzlichen Ausgleichsanspruchs bestimmt 103 So auch BGH Urt. v. 17. 5. 1956 - 11 ZR 96/55 - BGHZ 20, 371 (374); BGBRGRK-Weber, § 426 BGB Rzn. 3, 62. 104 So auch BGH Urt. v. 5. 3. 1981 - III ZR 115/80 - NJW 1981, 1666 (1667); RG Urt. v. 16. 11. 1908 - VI 607/07 - RGZ 69,422 (426); LAG Baden in Mannheim Urt. v. 25. 1. 1956 - 11 Sa 159/55 - AP Nr. 1 (BI. 2) zu § 426 BGB. So auch Münchener Kommentar-Selb, § 426 BGB Rz. 10; BGB-RGRK-Weber, § 426 BGB Rz. 11; Palandt-Heinrichs, § 426 BGB Anm. 2a; Larenz, § 37 III, S. 587; Sonnenschein NJW 1980, 257 (258); a. A. Müller DB 1981, 2172 (2176).

256

7. Abschn.: Haftungsverfahren

(§ 426 Abs. 1 Satz 1 BGB, § 42d Abs. 3 Satz 1 EStG, § 38 AO), dann ist dieser auch steuerrechtlicher Natur.

- Die steuerliche Rechtsnatur des § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB zeigt sich entscheidend in dem Inhalt dieses Anspruchs. Dieser Anspruch entsteht mit der Begründung der Gesamtschuld, bevor also die Ansprüche des Gläubigers aus dem Steuerschuldverhältnis gegen die Schuldner fällig werden. Deswegen ist der Ausgleichsanspruch inhaltlich zunächst darauf gerichtet, daß der ausgleichsverpflichtete Gesamtschuldner in Höhe seines, im Innenverhältnis zu tragenden Anteils an der Befriedigung des Gläubigers durch den ausgleichsberechtigten Gesamtschuldner bei Fälligkeit mitwirkt 105. Dieser Mitwirkungsanspruch ist im Steuerrecht auf die Mitwirkung zur Herbeiführung des Erlöschens gerichtet (vgl. § 47 AO). Da das Erlöschen eines Anspruchs aus dem Steuerschuldverhältnis eine steuerrechtliche Wirkung ist 106 , hat auch der daran angelehnte Mitwirkungsanspruch des § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB i.V. mit § 42d Abs. 3 Satz 1 EStG eine steuerrechtliche Natur. - Wie der Mitwirkungsanspruch erfüllt wird, bleibt den Gesamtschuldnern vorbehalten. Er kann beispielsweise durch Mitwirkung an der Zahlung (§§ 47, 224 AO) erfüllt werden, indem der ausgleichsverpflichtete Gesamtschuldner die erforderlichen Mittel zur Verfügung stellt. Der Mitwirkungsanspruch kann aber auch zur Folge haben, daß die Gesamtschuldner mit Zustimmung des Finanzamts eine den ausgleichsberechtigten Gesamtschuldner befreiende Schuldübernahme (§§ 414, 415 BGB) vereinbaren. Die Schuldübernahme bewirkt bei Identität des Schuldverhältnisses107 einen bloßen Schuldnerwechsel. Folglich tritt der ausgleichsverpflichtete Gesamtschuldner auf Grund des Mitwirkungsanspruchs in das Steuerschuldverhältnis zwischen dem ausgleichsberechtigten Gesamtschuldner und dem Finanzamt ein. Auch die Art und Weise der Erfüllung des Mitwirkungsanspruchs aus § 426 Satz 1 Satz 1 BGB LV. mit § 42d Abs. 3 Satz 1 EStG zeigt seine steuerliche Rechtsnatur. Schließlich ist auch das von der herrschenden Auffassung vorgetragene Argument bedenklich, wonach § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB nur Privat-Personen berechtigen und verpflichten könne. Diese Vorschrift gewährt auch dem Staat bzw. den juristischen Personen des öffentlichen Rechts selbst Ansprüche, nämlich dann, wenn der staatliche Arbeitgeber (oder die öffentliche Kasse L S. des § 38 Abs. 3 Satz 2 EStG) den Regreß gegenüber einem bei ihm beschäftigten Arbeitnehmer geltend macht. \05 So auch RG Vrt. v. 26. 4. 1912 - 11523/11- RGZ 79,288 (290); Münchener Kommentar-Selb, § 426 BGB Rz. 10; BGB-RGRK-Weber, § 426 BGB Rz. 12; PalandtHeinrichs, § 426 BGB Anm. 2b; Larenz, Anm. zu LAG AP Nr. 1 (BI. 3) zu § 426 BGB. 106 So auch Tipke / Kruse, AO, § 47 Tz. 3. 107 So Palandt-Heinrichs, Überbl. v. § 414 BGB Anm. 1.

C. Interner Ausgleich

257

Aus diesen Gründen ist der oben dargestellten Mindermeinung zu folgen, die annimmt, der gesetzliche Ausgleichsanspruch aus § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB sei steuerrechtlicher Natur, wenn im Verhältnis der Gesamtschuldner zum gemeinsamen Gläubiger steuerliche Rechtsverhältnisse bestehen 108 • 1.3 Rechtsnatur der legal zedierten Forderung aus § 426 Abs. 2 Satz 1 BGB

Die gemäß § 426 Abs. 2 Satz 1 BGB legal zedierte Forderung kommt neben § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB als zweiter Regreßanspruch in Betracht. Soweit der

ausgleichs berechtigte Gesamtschuldner den gemeinsamen Gläubiger befriedigt hat, geht die Forderung des Gläubigers gegen den ausgleichsverpflichteten Gesamtschuldner gemäß § 426 Abs. 2 Satz 1 BGB in dem Umfange auf den ausgleichsberechtigten Schuldner über, als er Regreß verlangen kann. Als gesichert darf heute folgende Erkenntnis gelten: Eine Steuerschuld bzw. eine Haftungsschuld kann auf einen privaten Gesamtschuldner gesetzlich übertragen werden, soweit er den Steuergläubiger befriedigt hat 109 . Streitig ist jedoch, ob die steuerrechtliche Forderung mit dem Übergang auf ein Privatrechtssubjekt ihren öffentlich-rechtlichen Charakter beibehält oder ob sie ihren steuerrechtlichen Charakter verliert und sich in eine privatrechtliche Forderung umwandelt. 1.31 Eigene Auffassung Eine steuerrechtliche Forderung behält m. E. mit dem Übergang auf ein Privatrechtssubjekt (oder auf eine andere juristische Person des öffentlichen Rechts) ihren öffentlichen Rechtscharakter bei l1o . Für diese Auffassung spricht 108 Da § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB i.V. mit § 42d Abs. 3 Satz 1 EStG eine steuerliche Rechtsnatur hat, findet auf diesen Ausgleichsanspruch m. E. nicht die Verjährungsfrist des § 195 BGB (vgl. BGH Urt. v. 9. 3. 1972 - VII ZR 178/70 - BGHZ 58, 216 [218 m.w.N.]), sondern die des § 169 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AO entsprechende Anwendung. Die Verjährungsfrist beginnt mit der zu geringen Einbehaltung bzw. der zu geringen Abführung der Lohnsteuer zu laufen, also zu dem Zeitpunkt, in dem der Anspruch aus § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB entstanden ist. 109 Gegen einen Ausschluß der Legalzession von Steueransprüchen auf Private sprechen insbesondere nicht die Vorschriften der §§ 399 1. Alt., 412, 426 Abs. 2 Satz 1 BGB, da es sich bei den steuerrechtlichen Ansprüchen nicht um Forderungen mit "höchstpersönlichem Charakter" handelt. Dies ergibt sich aus § 48 Abs. 1 AO: Wären die Steueransprüche höchstpersönliche Forderungen, wäre die Leistung eines Dritten auf diese unzulässig. So auch Clemens, S. 21. Vgl. auch Bäuerlen, S. 149 (zu FN 630); Werner VerwArch Bd. 44 (1939), S. 273 (278); Stolterfoht JZ 1975, 658 (FN 4,5). 1\0 So auch Schaub, Arbeitsrechtshandbuch, § 71 IV 15 (S. 389); Stolterfoht in Stolterfoht (Hrsg.), S. 175 (206); Mösch, S. 80 - 82; Liebisch, S. 108 ff.; Clemens, S. 23 ff.; Preißer, S. 187 - 198; Werner VerwArch Bd. 44 (1939), S. 273 (292); Andr NJW 1973,

17 Schäfer

258

7. Abschn.: Haftungsverfahren

der eindeutige Wortlaut des § 426 Abs. 2 Satz 1 BGB; es "geht die Forderung des Gläubigers gegen die übrigen Schuldner" auf den Gesamtschuldner über, der den Gläubiger befriedigt hat. Wenn also der steuerrechtliche Haftungsoder Nachforderungsanspruch, so wie er ist, auf den zum Ausgleich berechtigten Gesamtschuldner übergeht, dann behält er nach dem Wortlaut dieser Vorschrift seinen ursprünglichen steuerlichen Rechtscharakter . 1.32 Heute vertretene herrschende Auffassung Die hier vertretene Auffassung steht jedoch im Widerspruch zu der heute in Rechtsprechung lll und Literatur ll2 ganz herrschend vertretenen Ansicht. Diese nimmt an, eine öffentlich-rechtliche Forderung verliere mit dem Übergang auf ein Privatrechtssubjekt ihren öffentlichen Rechtscharakter und werde zu einer privatrechtlichen Forderung. Diese entspreche ihrem Wesen nach der früheren öffentlich-rechtlichen Forderung und sei inhaltsgleich 113 • Dieser herrschenden Auffassung steht - wie oben gezeigt - der Wortlaut des

§ 426 Abs. 2 Satz 1 BGB entgegen. Ihre Vertreter müssen daher überzeu-

gende Gründe vortragen, damit ihre Ansicht auch heute noch über den ihr entgegenstehenden Wortlaut hinweg vertreten werden kann. 1495 (1496); Schnorr v. Carolsfeld, Anm. zu BAG AP Nr. 5 (BI. 3 f.) zu § 670 BGB, Anm. zu BAG AP Nr. 8 (BI. 5) zu § 670 BGB, Anm. StRK R. 28 zu § 38 EinkStG; Weber, Anm. zu BAG AP Nr. 22 (BI. 5) zu § 670 BGB; Wiedemann, Anm. zu BAG AP Nr. 20 (BI. 4) zu § 670 BGB; Rimmelspacher ZZP Bd. 95 (1982),280 (282); Müller DB 1981,2172 (2176); Friedrich StuW 1979, 259 (266). VgI. auch Palandt-Thomas, § 774 BGB Anm. 2a; Rimmelspacher JZ 1975, 165 f. 111 So BFH Urt. v. 12. 5. 1976 - 11 R 187/72 - BFHE 119, 188 (191) = BStBl 11 1976, 579 (580); RFHUrt. v. 10.3. 1937-IV A9/37-RFHE41, 135 (137); RFHUrt. v. 8.7. 1921- II A 205121- RFHE 6,171 (176). So BGH Urt. v. 18. 6. 1979 - VII ZR 84/78 - BGHZ 75,23 (25); BGH Urt. v. 2. 4. 1973 - VIII ZR 108/72 - NJW 1973, 1077 (1078); RG Urt. v. 18. 1. 1935 - V 374/34 RGZ 146, 317 (319 f.); RG Urt. v. 21. 12. 1931- VIII 349/31- RGZ 135, 25 (29 f.). So BAG Urt. v. 27. 3. 1958 - 2 AZR 188/56 - AP Nr. 1 (BI. 3) zu § 670 BGB. 112 So Becker / Riewald / Koch, § 122 RAO Anm. 7 (2), (6); Tipke / Kruse, AO, § 44 Tz. 12; Offerhaus in Hübschmann / Hepp / Spitaler, § 44 AO Rzn. 38 f.; Schwarz in Schwarz, § 44 AO Rz. 17; Halaczinsky in Koch, § 44 AO Rz. 8; Klein / Orlopp, § 44 AO Anm. 5; Oeftering / Görbing, § 42d EStG Rz. 30; Gast DB 1959,488 (489). So Münchener Kommentar-Selb, § 426 BGB Rz. 15; Münchener Kommentar-Pecher, § 774 BGB Rz. 14; Palandt-Bassenge, § 1249 BGB Anm. 4; Palandt-Heinrichs, § 268 BGB Anm. 4a; BGB-RGRK-Mormann, § 747 BGB Rz. 2; BGB-RGRK-Alff, § 268 BGB Rz. 7; Staudinger-Horn, vor §§ 765 - 778 BGB Rz. 31, § 774 BGB Rz. 12; Soergel-Wolf, § 426 BGB Rz. 54, § 268 BGB Rz. 11; Stolterfoht JZ 1975, 658 ff; Wertenbruch, Anm. zu LAG Hamm AP Nr. 3 (BI. 2) zu § 426 BGB. So Kopp, VwGO, § 40 Rz. 9 m.w.N. 113 Grundlegend RG Urt. v. 21. 12. 1931- VIII 349/31- RGZ 135, 25 (29). Von der Inhaltsgleichheit ist der Bundesgerichtshof durch sein Urteil vom 18. 6. 1979 (- VII ZR 84/78 - BGHZ 75,23 [25 f.D abgewichen, indem er entgegen §§ 401, 412, 426 Abs. 2 Satz 1 BGB ein akzessorisches Nebenrecht nicht mit übergehen läßt.

c.

Interner Ausgleich

259

Früher, als der Verwaltungsrechtsweg noch nicht für alle öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten1l4 eröffnet gewesen ist 1l5 , mag ein praktisches Bedürfnis bestanden haben, den Begriff der bürgerlich-rechtlichen Streitigkeit des § 13 GVG extensiv auszulegen. Dieses Bedürfnis ist aber seit der Einführung der verwaltungsrechtlichen Generalklauseln der § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO; § 33 Abs. 1 FGO weggefallen. Daher müssen die vorgebrachten Gründe noch überzeugender ausfallen. Dies gilt um so mehr, als auch der tragende Gedanke der grundlegenden reichsgerichtlichen Entscheidung fortgefallen ist. Das Reichsgericht hatte entsprechend dem Geist der damaligen Rechtswissenschaft 1l6 - folgendes ausgeführt: "Aber gerade für das Verhältnis des Privatrechts zum Steuerrecht, das in der Erfüllung seiner Zwecke überall an privatrechtlieh geordnete Verhältnisse anknüpfen muß, kann ... nicht von der Hand gewiesen werden, daß ein vom öffentlichen Recht ausgehendes Rechtsverhältnis in seiner Fortwirkung Gegenstand bürgerlich-rechtlicher Beurteilung werden kann"1l7. Somit ist der tragende Gedanke des Reichsgerichts der, daß das Zivilrecht die "geordnete" Grundlage des Steuerrechts bilde und diesem helfe, seine Zwecke zu erfüllen. Insbesondere, wenn das Steuerrecht seine Zwecke erfüllt habe, nämlich den Steuergläubiger zu befriedigen, könne daher auf die Grundlage des Zivilrechts zurückgegriffen werden. Dieser Gedanke einer vom Zivilrecht ausgehenden einheitlichen Rechtsordnung trifft - insbesondere für das Steuerrecht (vgl. §§ 40 - 42 AO) - aber heute nicht mehr ZU 1l8 . Spätestens, seitdem für den Zivil- und Verwaltungsrechtsweg in den § 13 GVG; § 40 VwGO Generalklauseln gesetzlich geregelt sind, ist kraft Gesetzes die Trennung der beiden Rechtsgebiete geboten. Daher stehen die öffentlichen und privaten Rechtsgebiete selbständig nebeneinander und das Zivilrecht hat seine dienende Funktion verloren. Für die Notwendigkeit des Rechtsnaturwechsels einer öffentlich-rechtlichen Forderung beim Übergang auf ein Subjekt des Privatrechts werden heute noch drei Argumente vorgebracht. Diese gilt es zu untersuchen. 1.321 Fehlen einer öffentlich-rechtlichen Abgabenangelegenheit

Ein Rechtsnaturwechsel, so das erste Argument, sei erforderlich, weil der gesetzliche Forderungsübergang des § 426 Abs. 2 Satz 1 BGB erst nach Befriedigung des Staates als Steuergläubiger erfolge. Somit sei das Forde1I4 115 116

117 118

17*

Nicht verfassungsrechtlicher Art. Vgl. dazu C/emens, S. 33 (FN 60). Vgl. dazu Werner VerwArch Bd. 44 (1939), S. 273 (280). RG Urt. v. 21. 12. 1931 - VIII 349/31 - RGZ 135, 25 (29). Vgl. dazu Tipke, Steuerrecht, § 12.22 (S. 6 ff.).

260

7. Abschn.: Haftungsverfahren

rungsverhältnis zwischen dem Staat und seinen Gesamtschuldnern ausgelöscht. Daher seien zugleich auch die hoheitsrechtlichen Beziehungen betreffend die öffentlich-rechtliche Gesamtschuld beendet 1l9 • Folglich fehle es bereits an einer öffentlich-rechtlichen Forderung; ferner sei - im Haftungsverfahren des § 42d EStG - keine Abgabenangelegenheit mehr vorhanden, da es nun nicht mehr um die Verwaltung einer Abgabe, sondern nur noch um den Rechtsstreit des internen Ausgleichs unter Privatrechtssubjekten gehe 120. Diesem Argument steht nicht nur der Gesetzeswortlaut des § 426 Abs. 2 Satz 1 BGB ("Forderung"), sondern auch das sog. Zessionsprinzip entgegen. Zutreffend an dieser Argumentation ist aber, daß mit der Erfüllung eines Gesamtschuldners die Rechtsverhältnisse zum Gläubiger erlöschen (§ 44 Abs. 2 Satz 1 AO; § 422 Abs. 1 Satz 1 BGB). Aber in Höhe des erfüllten Betrages gehen die im Verhältnis zum Gläubiger erloschenen Forderungen auf den ausgleichsberechtigten Gesamtschuldner kraft Gesetzes über (§ 426 Abs. 2 Satz 1 BGB). Die Forderung geht, so wie sie dem Gläubiger ursprünglich zustand, auf den ausgleichsberechtigten Gesamtschuldner über, d. h., sie bleibt inhaltlich voll identisch 121 . Das Gesetz selbst zeigt die volle inhaltliche Identität in drei Vorschriften: Zum einen ist es das Wort "Forderung" in § 426 Abs. 2 Satz 1 BGB, das den Streitgegenstand dieses Ausgleichsanspruchs bestimmt. Ferner stehen dem ausgleichsverpflichteten Gesamtschuldner seine bereits gegen den ursprünglichen Gläubiger begründeten (öffentlich-rechtlichen) Einreden und Einwendungen auch nach dem Forderungsübergang gegen den nunmehr ausgleichsberechtigten Gesamtschuldner zur Verfügung (vgl. §§ 404, 412, 426 Abs. 2 Satz 1 BGB). Letztlich kann der ausgleichsverpflichtete Gesamtschuldner mit einer gegen den ursprünglichen Gläubiger gerichteten (öffentlich-rechtlichen) Forderung gegen die Forderung des ausgleichsberechtigten Gesamtschuldners aufrechnen (vgl. §§ 406, 412, 426 Abs. 2 Satz 1 BGB). Diese volle inhaltliche Identität der legal zedierten Forderung - das Zessionsprinzip - erkennt auch die Rechtsprechung an, wenn sie ausführt, daß "bei einem rechtsgeschäftlichen oder gesetzlichen Forderungsübergang der Charakter der Forderung als solcher unverändert bleibt und deshalb auch die Art der gerichtlichen Verfolgbarkeit durch den Gläubigerwechsel unberührt bleiben muß"122. Wenn demnach das Zessionsprinzip auch im Rahmen eines gesetzlichen Forderungsübergangs gilt, dann bedeutet dies für die Gesamtschuld des Lohnsteuerrechts (§ 42d Abs. 3 Satz 1 EStG): Soweit ein (privater oder staatlicher) Arbeitgeber oder ein Arbeitnehmer den gegen ihn gerichteten Steuer- oder So RG Urt. v. 21. 12. 1931- VIII 349/31 - RGZ 135, 25 (30). So Stolterfoht JZ 1975, 658 (659). 121 So auch Clemens, S. 23 f. 122 BGH Urt. v. 19. 2. 1953 - III ZR 31/51 - BGHZ 9,65 (72). Hervorhebung vom Verfasser. 119

120

C. Interner Ausgleich

261

Haftungsanspruch erfüllt hat und er zum Ausgleich berechtigt ist, geht gemäß § 426 Abs. 2 Satz 1 BGB der gegen den anderen Gesamtschuldner gerichtete Steuer- oder Haftungsanspruch "so wie er ist" auf ihn über. Folglich nimmt der ausgleichsberechtigte Gesamtschuldner den Regreß aus einem steuerrechtlichen Anspruch wahr. 1.322 Fehlende Konkretisierung des Rechtsverhältnisses durch Verwaltungsakt

Als zweites Argument für die inhaltliche Änderung des steuerrechtlichen Anspruchs in einen solchen des Privatrechts wird vorgebracht, sie sei notwendig, weil die Privatperson den auf sie übergegangenen Anspruch nicht mittels eines Verwaltungsakts konkretisieren könne 123 . Dieses Argument trifft zu, da das Tatbestandsmerkmal der Forderung i. S. des § 426 Abs. 2 Satz 1 BGB nur den materiellen Steueranspruch betrifft. Zu diesem gehört nicht die Befugnis zur zwangsweisen Durchsetzung des Steueranspruchs mittels Verwaltungsakts, denn die Verwaltungsaktbefugnis wird der Finanzverwaltung zusätzlich zum materiellen Steueranspruch kraft Gesetzes verliehen (vgl. §§ 155 Abs. 1 Satz 1, 191 Abs. 1 Satz 1 AO)124. Deshalb verbleibt die Befugnis, ein Steuerrechtsverhältnis durch Verwaltungsakt zu konkretisieren, nach der Legalzession bei der Finanzverwaltung. Dennoch vermag dieses Argument nicht zu überzeugen, da dem ausgleichsberechtigten Gesamtschuldner alle weiteren hoheitlichen Handlungsformen zur Verfügung stehen, um den auf ihn übergegangenen materiellen Steueranspruch zu konkretisieren. Dazu zählt - soweit ihm nicht selbst die Verwaltungsaktbefugnis gesetzlich verliehen worden ist - insbesondere die schlichthoheitliehe Handlungsbefugnis. Mit dieser Handlungsform kann der zum Ausgleich berechtigte Gesamtschuldner das Rechtsverhältnis ebenso konkretisieren wie mittels eines Verwaltungsakts. Somit vermag auch das zweite Argument nicht zu begründen, weshalb eine öffentlich-rechtliche Forderung beim Übergang auf ein Privatrechtssubjekt ihren Rechtscharakter verlieren soll. 123 So Tipke / Kruse, AO, § 192 Tz. 3; vgl. auch Münchener Kommentar-Selb, § 426 BGB Rz. 15; Stolterfoht JZ 1975, 658 (659). 124 Die Abgabenordnung geht davon aus, daß die Finanzverwaltung öffentliche Rechtsbeziehungen zum Steuerpflichtigen grundsätzlich schlicht-hoheitlich zu konkretisieren hat. Nur soweit ihr das Gesetz die Verwaltungsaktbefugnis verleiht (wie z. B. durch die §§ 155 Abs. 1 Satz 1, 191 Abs. 1 Satz 1 AO), darf sie obrigkeitlich mittels Verwaltungsakts handeln. Somit ist die Befugnis, ein öffentliches Rechtsverhältnis durch Verwaltungsakt zu konkretisieren, nicht Bestandteil des Steueranspruchs. So auch Mösch, S. 82; Werner VerwArchBd. 44 (1939), S. 273 (292); Liebisch, S. 111; Friedrich StuW 1979, 259 (266 FN 98); Reinhardt DStZ 1935, 401 (407). A. A. Clemens, S. 63.

262

7. Abschn.: Haftungsverfahren

1.323 Fehlende Vollstreckbarkeit des legal zedierten Steueranspruchs Letztlich wird der Rechtsnaturwandel für notwendig gehalten, weil ansonsten die legal zedierte Forderung nicht vollstreckbar sei 125 • Auch dieses Argument ist bedenklich, da der ausgleichsberechtigte Gesamtschuldner den auf ihn übergegangenen Anspruch aus dem Steuerschuldverhältnis schlicht-hoheitlich konkretisieren kann. Daher ist er berechtigt, sich mit der allgemeinen Leistungsklage vor den Finanzgerichten einen Vollstrekkungstitel zu verschaffen, der die Grundlage der Vollstreckung bildet (§ 40 Abs. 1 FGO a. E.). Somit ist eine öffentlich-rechtliche Forderung nach dem Übergang auf ein Privatrechtssubjekt vollstreckbar. Alle von der herrschenden Auffassung vorgetragenen Argumente vermögen nicht zu begründen, weshalb eine öffentlich-rechtliche Forderung beim Übergang auf ein Privatrechtssubjekt ihren öffentlichen Rechtscharakter verlieren SOll126. Daher ist am Wortlaut des § 426 Abs. 2 Satz 1 BGB festzuhalten, der bestimmt, daß eine öffentlich-rechtliche Forderung beim Übergang auf ein Subjekt des Privatrechts ihren öffentlichen Rechtscharakter behäJt127. 1.4 Umfang der Ausgleichsansprüche Macht ein Gesamtschuldner die aus § 426 BGB i. V. mit § 42d Abs. 3 Satz 1 EStG abgeleiteten Ausgleichsansprüche geltend, ist der ausgleichsverpflichtete Gesamtschuldner grundsätzlich zum Ausgleich "zu gleichen Teilen verpflichtet, soweit nicht ein anderes bestimmt ist" (§ 426 Abs. 1 Satz 1 BGB)128. 125 So Tipke I Kruse, AO, § 192 Tz. 3; Münchener Kommentar-Seih, § 426 BGB Rz. 15; Stolterfoht JZ 1975, 658 (659, 662). 126 Zu weiteren Argumenten gegen die herrschende Meinung: vgl. Clemens, S. 29 f. Überzeugend ist insbesondere auch sein Argument vom Prätendentenstreit. 127 Die hier vertretene Auffassung hat weiter zur Folge, daß akzessorische Nebenrechte gemäß §§ 401 Abs. 1, 412, 426 Abs. 2 Satz 1 BGB auf den ausgleichsberechtigten Gesamtschuldner mit übergehen. Dies wird erheblich für die Haftung Dritter gemäß § 69 AO (zur Anwendung des § 401 Abs. 1 BGB auf weitere Nebenrechte: vgl. Palandt-Heinrichs, § 401 BGB Anm. 2). Da sowohl der gesetzliche Ausgleichsanspruch des § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB i. V. mit § 42d Abs. 3 Satz 1 EStG als auch die gemäß § 426 Abs. 2 Satz 1 BGB legalzedierte Steuerforderung steuerrechtlicher Natur sind, kann der ausgleichsberechtigte Gesamtschuldner beide Ansprüche selbst dann geltend machen, wenn das Arbeitsverhältnis inzwischen aufgelöst worden ist. Denn die steuerrechtlichen Ansprüche sind vom Bestand des Arbeitsverhältnisses nicht abhängig. 128 Gleiches gilt auch für die cessio legis des § 426 Abs. 2 Satz 1 BGB. Obwohl der Anspruch aus dem Forderungsübergang unabhängig neben dem gesetzlichen Ausgleichsanspruch aus § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB steht (h.M. vgl. Palandt-Heinrichs, § 426 BGB Anm. 4; a.A. Mösch [So 73 f.], der annimmt, § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB sei subsidiär), knüpft die cessio legis dennoch über das Tatbestandsmerkmal "und (er) von den übrigen Schuldnern Ausgleich verlangen kann" i. S. des § 426 Abs. 2 Satz 1 BGB an

C. Interner Ausgleich

263

Eine anderweitige Bestimmung i. S. des § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB, die den grundsätzlichen Ausgleich zur Hälfte abändert, könnte sich aus Vertrag (z. B. aus einer Nettolohnvereinbarung) ergeben. Dies gilt jedoch nicht für den internen Ausgleich unter Gesamtschuldnern des Steuerrechts (vgl. § 42d Abs. 3 Satz 1 EStG), da diese Rechtsverhältnisse durch gesetzliche Rechtsbeziehungen gekennzeichnet (vgl. § 38 AO) und privatrechtliche Vereinbarungen über den Umfang der Besteuerung nichtig sind. Daher kommt eine anderweitige Bestimmung i. S. des § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB im Haftungsverfahren des Lohnsteuerrechts nur aus dem Gesetz selbst in Frage. Sie liegt m. E. für die Gesamtschuld wegen zuwenig einbehaltener Lohnsteuer (§ 42d Abs. 1 Nr. 1 1. Alt., Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 EStG i.V. mit § 42d Abs. 3 Satz 1 EStG) in der gesetzlichen Anordnung, daß der Arbeitnehmer Steuerschuldner ist (§ 38 Abs. 2 Satz 1 EStG); für die Gesamtschuld wegen zuwenig abgeführter Lohnsteuer (§ 42d Abs. 1 Nr. 1 2. Alt., Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 EStG i.V. mit § 42d Abs. 3 Satz 1 EStG) folgt die anderweitige Bestimmung aus der Abführungspflicht des Arbeitgebers (§ 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG)129. Mit diesen Anordnungen bestimmt das Gesetz eindeutig, daß in den beiden Gesamtschuldverhältnissen des Lohnsteuerrechts .der Arbeitnehmer einerseits bzw. der Arbeitgeber andererseits die wirtschaftlichen Lasten des jeweiligen Gesamtschuldverhältnisses zu tragen hat. Diese anderweitigen Bestimmungen der §§ 38 Abs. 2 Satz 1, 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG haben für den internen Ausgleich unter den Gesamtschuldnern des Lohnsteuerrechts folgende Konsequenzen: - Macht das Finanzamt in der Gesamtschuld wegen zuwenig abgeführter Lohnsteuer den Haftungsanspruch gegenüber dem Arbeitnehmer gemäß § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 EStG geltend, steht dem Arbeitnehmer in vollem Umfang der Rückgriff gegen den Arbeitgeber zu, da der Arbeitnehmer zur Abführung der Steuer nicht verpflichtet ist. Macht das Betriebsstättenfinanzamt hingegen den Haftungsanspruch aus § 42d Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. EStG gegenüber dem Arbeitgeber geltend, ist sein Rückgriff gegen den Arbeitnehmer ausgeschlossen, da der Arbeitgeber kraft Gesetzes abführungspflichtig ist (§ 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG). Dies verdeutlicht folgendes Beispiel: Ein Arbeitgeber hat 100 DM Lohnsteuer einzubehalten. Er behält 100 DM ein, meldet 80 DM an - beides weiß der Arbeitnehmer - und führt 80 DM ab.

den Umfang des Ausgleichsanspruchs aus § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB an. Daher findet eine Legalzession nach Befriedigung des Steuergläubigers nur insoweit statt, wenn und soweit ein Anspruch aus § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB besteht. 129 Im Ergebnis ebenso Stolterfoht in Stolterfoht (Hrsg.), S. 175 (206); Liebisch, S. 73; Felix, Anm. zu BAG AP Nr. 7 (BI. 2) zu § 670 BGB; Bender StuW 1938, Sp. 67 (75).

264

7. Abschn.: Haftungsverfahren

Der Arbeitgeber hat den Haftungstatbestand wegen zuwenig abgeführter Lohnsteuer in Höhe von 20 DM verwirklicht (§ 42d Abs. 1 Nr. 1 2. Alt. EStG). Leistet er auf den gegen ihn festgesetzten Anspruch bzw. auf das Anerkenntnis, ist sein Rückgriff gegen den Arbeitnehmer ausgeschlossen, da er abführungspflichtig ist (§ 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG). Der Arbeitnehmer hat den Haftungstatbestand wegen schuldhaft verzögerter Mitteilung in Höhe von 20 DM verwirklicht (§ 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 EStG). Leistet der Arbeitnehmer auf den gegen ihn festgesetzten Haftungsanspruch, so ist er in Höhe von 20 DM regreßberechtigt, da er nicht abführungspflichtig ist. - Umgekehrt ist es in der Gesamtschuld wegen zuwenig einbehaltener Lohnsteuer: Ist der Arbeitgeber auf Grund des Anspruchs aus § 42d Abs. 1 Nr. 1 1. Alt. EStG als Haftungsschuldner in Anspruch genommen worden, ist er in vollem Umfange berechtigt, Regreß beim Arbeitnehmer zu verlangen. Hat das Finanzamt jedoch den Arbeitnehmer als Steuerschuldner gemäß § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 EStG in Anspruch genommen, steht ihm der Rückgriff gegen den Arbeitgeber nicht zu, da er Steuerschuldner ist (§ 38 Abs. 2 Satz 1 EStG). Dies verdeutlicht das folgende Beispiel: Ein Arbeitgeber hat ·100 DM Lohnsteuer einzubehalten. Er behält 80 DM ein, meldet 80 DM an und führt diesen Betrag ab.

Der Arbeitgeber hat den Haftungstatbestand wegen zuwenig einbehaltener Lohnsteuer in Höhe von 20 DM verwirklicht (§ 42d Abs. 1 Nr. 1 1. Alt. EStG). Leistet er auf den gegen ihn festgesetzten Anspruch bzw. auf das Anerkenntnis, ist er in voller Höhe regreßberechtigt, da der Arbeitnehmer Steuerschuldner ist (§ 38 Abs. 2 Satz 1 EStG). Wird hingegen die zuwenig einbehaltene Lohnsteuer vom Arbeitnehmer gemäß § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 EStG nachgefordert, steht ihm kein Regreß über 20 DM gegen den Arbeitgeber zu, da er im Gesamtschuldverhältnis wegen zuwenig einbehaltener Lohnsteuer als Steuerschuldner die wirtschaftlichen Lasten dieses Gesamtschuldverhältnisses zu tragen hat. Diese Ergebnisse gelten auch anläßlich einer Nettolohnvereinbarung. Insbesondere im Gesamtschuldverhältnis wegen zuwenig einbehaltener Lohnsteuer ergeben sich keine Änderungen, denn die Nettolohnvereinbarung ändert nichts an der Tatsache, daß der Arbeitnehmer Steuerschuldner und der Arbeitgeber Abführungspflichtiger der Lohnsteuer ist. Jedoch ist (nur) im Gesamtschuldverhältnis wegen zuwenig einbehaltener Lohnsteuer zu berücksichtigen, daß den steuerrechtlichen Ausgleichsansprüchen des § 426 BGB LV. mit § 42d Abs. 3 Satz 1 EStG der arbeitsvertragliche Anspruch des Arb.eitnehmers auf Freistellung von der Lohnsteuer aus der Nettolohnvereinbarung gegenübersteht. Aus diesen gegenseitigen Ansprüchen ergibt sich in der Gesamtschuld wegen zuwenig einbehaltener Lohnsteuer folgende Lösung, die an einem Beispiel verdeutlicht werden soll:

C. Interner Ausgleich

265

Arbeitgeber und Arbeitnehmer haben eine Nettolohnvereinbarung getroffen. Die dem vereinbarten Nettolohn entsprechende Lohnsteuer beträgt 100 DM. Der Arbeitgeber zahlt den vereinbarten Nettolohn aus, behält jedoch nur 80 DM ein, meldet 80 DM an und führt diesen Betrag ab.

Nimmt das Betriebsstättenfinanzamt den Arbeitgeber als Haftungsschuldner in Anspruch (§ 42d Abs. 1 Nr. 1 1. Alt. EStG) und macht der Arbeitgeber den Rückgriff aus der Gesamtschuld gegen den Arbeitnehmer als Steuerschuldner in Höhe von 20 DM geltend, kann der Arbeitnehmer gegen die steuerrechtlichen Ansprüche aus § 426 BGB i.V. mit § 42d Abs. 3 Satz 1 EStG mit seinem arbeitsvertraglichen Freistellungsanspruch aus der Nettolohnvereinbarung aufrechnen (§ 226 Abs. 1,3 AO; § 388 BGB). Erklärt der Arbeitnehmer im Prozeß über die steuerrechtlichen Ausgleichsansprüche der § 426 BGB i.V. mit § 42d Abs. 3 Satz 1 EStG die Aufrechnung mit seinem Freistellungsanspruch und bestreitet der Arbeitgeber das Vorliegen einer Nettolohnvereinbarung, dann ist der Prozeß gemäß § 74 FGO solange auszusetzen, bis die Arbeitsgerichte über das Vorliegen eines solchen Freistellungsanspruchs rechtskräftig entschieden haben. Die Finanzgerichte können von sich aus über das Vorliegen eines Freistellungsanspruchs nicht entscheiden, da dies eine rein arbeitsvertragliehe Frage ist. Sie haben dem Arbeitnehmer als Aufrechnenden jedoch eine angemessene Frist zu setzen, innerhalb derer er Klage vor den Arbeitsgerichten erhoben haben muß130. Wird hingegen im obigen Beispiel der Arbeitnehmer als Steuerschuldner gemäß § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 EStG vom Finanzamt in Anspruch genommen, steht ihm kein steuerrechtlicher Rückgriff aus § 426 BGB i.V. mit § 42d Abs. 3 Satz 1 EStG gegen den Arbeitgeber zur Verfügung, da er Schuldner der Lohnsteuer ist. Der Arbeitnehmer kann aber nunmehr - in dem Umfang, in dem er an den Steuergläubiger zu Recht geleistet hat - vor den Arbeitsgerichten auf Erfüllung der Nettolohnvereinbarung gegen den Arbeitgeber klagen. Somit führt die hier vorgeschlagene Lösung des steuerrechtlichen Ausgleichsanspruchs aus § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB i.V. mit § 42d Abs. 3 Satz 1 EStG und des legalzedierten Steuer- oder Haftungsanspruchs zu einer strikten Trennung von Arbeits- und Steuerrecht.

1.5 Zwischenergebnis Arbeitgeber und Arbeitnehmer sind in den Haftungs- und Nachforderungsverfahren des Lohnsteuerrechts Gesamtschuldner (§ 42d Abs. 3 Satz 1 EStG). Dem ausgleichsberechtigten Gesamtschuldner stehen (nur) zwei 130 So BFH Urt. v. 23. 2. 1988 - VII R 52/85 - BFHE 152,217 (320) 500 (501).

= BStBl1I 1988,

266

7. Abschn.: Haftungsverfahren

Regreßansprüche gegen den zum Ausgleich verpflichteten Gesamtschuldner zur Verfügung: Das ist zum einen der gesetzliche Ausgleichsanspruch des § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB LV. mit § 42d Abs. 3 Satz 1 EStG. Dieser ist steuerlicher Rechtsnatur, soweit § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB im Rahmen einer Gesamtschuld des Steuerrechts (vgl. § 42d Abs. 3 Satz 1 EStG) angewandt wird, denn § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB gewährt dem Gesamtschuldner einen originären Anspruch aus der steuerrechtlichen Gesamtschuld des § 42d Abs. 3 Satz 1 EStG. Dieser Anspruch entsteht mit der Begründung der Gesamtschuld, also mit der zu geringen Einbehaltung bzw. der zu geringen Abführung der Lohnsteuer. Der Anspruch zielt zunächst darauf, daß der ausgleichsverpflichtete Gesamtschuldner an der Herbeiführung des Erlösehens der Ansprüche aus dem Steuerschuldverhältnis (§ 47 AO) mitwirkt. Nach Befriedigung des Steuergläubigers durch den ausgleichsberechtigten Gesamtschuldner ist der Anspruch auf Ersatz der Leistung gerichtet, die der ausgleichsberechtigte Gesamtschuldner an den Steuergläubiger erbracht hat. Dieser Ausgleichsanspruch verjährt analog § 169 Abs. 2 Nr. 1 AO nach vier Jahren. Hat der zum Ausgleich berechtigte Gesamtschuldner den Steuergläubiger befriedigt, steht ihm neben § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB i.V. mit § 42d Abs. 3 Satz 1 EStG der Zahlungsanspruch aus der legal zedierten Forderung aus § 426 Abs. 2 Satz 1 BGB zu. Mit dem Übergang des Steuer- oder Haftungsanspruchs auf ein Subjekt des Privatrechts ändert die steuerrechtliche Forderung ihren öffentlichen Rechtscharakter nicht. Die steuerrechtlichen Haftungs- und Steueransprüche behalten auch nach der Legalzession ihre steuerliche Rechtsnatur. Somit nimmt auch ein Privatrechtssubjekt den Rückgriff aus einer steuerrechtlichen Forderung vor. Gesamtschuldner sind grundsätzlich zur Hälfte ausgleichsberechtigt. Das Steuerrecht trifft aber eine "anderweitige Bestimmung" i. S. des § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB, indem es den Arbeitnehmer als Steuerschuldner (§ 38 Abs. 2 Satz 1 EStG) und den Arbeitgeber als Abführungspflichtigen der Lohnsteuer bezeichnet (§ 41a Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 EStG). Daher hat der Arbeitgeber in der Gesamtschuld wegen zuwenig abgeführter Lohnsteuer (§ 42d Abs. 1 Nr. 1 2. Alt., Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 EStG LV. mit § 42d Abs. 3 Satz 1 EStG) im vollen Umfang die Lasten der Gesamtschuld zu tragen und ist selbst nicht zum Ausgleich berechtigt; der Arbeitnehmer trägt hingegen im Gesamtschuldverhältnis wegen zuwenig einbehaltener Lohnsteuer (§ 42d Abs. 1 Nr. 1 1. Alt., Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 EStG i.V. mit § 42d Abs. 3 Satz 1 EStG) die Lasten der Gesamtschuld; er ist daher insoweit nicht regreßberechtigt. Diese Ergebnisse gelten auch für eine Nettolohnvereinbarung, denn sie ist insbesondere keine anderweitige Bestimmung L S. des § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB. Ist der Arbeitgeber jedoch in der Gesamtschuld wegen zuwenig einbehaltener Lohnsteuer als Haftungsschuldner in Anspruch genommen worden

C. Interner Ausgleich

267

(§ 42d Abs. 1 Nr. 1 1. Alt. EStG) und macht er die Ausgleichsansprüche des § 426 BGB geltend, kann der Arbeitnehmer gegen die steuerrechtlichen Aus-

gleichsansprüche mit seinem arbeitsvertraglichen Anspruch auf Freistellung von der Lohnsteuer aus der Nettolohnvereinbarung aufrechnen (§ 226 AO). Bestreitet der Arbeitgeber das Vorliegen einer Nettolohnvereinbarung, ist der Prozeß über die steuerrechtlichen Ausgleichsansprüche des § 426 BGB i. V. mit § 42d Abs. 3 Satz 1 EStG vor den Finanzgerichten solange auszusetzen, bis die Arbeitsgerichte über das Vorliegen des Freistellungsanspruchs rechtskräftig entschieden haben. Sofern der Arbeitnehmer als Steuerschuldner gemäß § 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 EStG in Anspruch genommen worden ist, steht ihm nur der arbeitsvertragliche Erfüllungsanspruch auf Übernahme der Lohnsteuer aus der Nettolohnvereinbarung zu. Dieser Anspruch ist vor den Arbeitsgerichten geltend zu machen. 2. Rechtsweg

Fraglich ist nun der Rechtsweg, auf dem der zum Ausgleich berechtigte Gesamtschuldner seine steuerrechtlichen Regreßansprüche aus § 426 BGB i.V. mit § 42d Abs. 3 Satz 1 EStG verwirklichen kann. Für alle Arbeitnehmer (Arbeiter, Angestellte oder Beamte) und alle (privaten, kirchlichen und staatlichen) Arbeitgeber kommt einzig der Finanzrechtsweg in Betracht (§ 33 Abs. 1 Nr. 1 FGO). Der Finanzrechtsweg setzt eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit voraus (§ 33 Abs. 1 FGO). Es würde den Rahmen dieser Abhandlung sprengen, umfassend auf den Abgrenzungsstreit zwischen öffentlichem und privatem Recht einzugehen. Angesichts der Schwächen der Subjektionstheorie l3l und der sonstigen Abgrenzungstheorien 132 , wie z. B. der Interessentheorie 133 , wird der Abgrenzung in dieser Abhandlung die heute herrschende Subjektstheorie zugrunde gelegt 134 • Danach liegt "die Unterscheidung von öffentlichem und privatem Recht ... in einer Verschiedenheit der die Rechtsordnung bildenden Rechtssätze, und zwar ... in einer Verschiedenheit der Zuordnungssubjekte ... Während Zuordnungssubjekt des ,privaten Rechts' beliebige Personen sind, ist ,öffentliches Recht' der Inbegriff derjenigen Rechtssätze, deren \31 Vgl. dazu Stern, Verwaltungsprozeß, S. 12; Wolf! / Bachofl, § 22 1I.a.7. (S. 98); v. Münch in Erichsen / Martens, § 2 1I 1 (S. 17). \32 Vgl. dazu Wolf! / BachofI, § 22 Il.a. (S. 97 - 99). \33 Vgl. dazu v. Münch in Erichsen / Martens, § 2 1I 1 (S. 17); Wolff / Bachofl, § 22 1I.a.6. (S. 98). 134 So Wolf! / Bachof I, § 22 1I.c. (S. 99 - 101); Stern, Verwaltungsprozeß, S. 11 (m.w.N.); v. Münch in Erichsen / Martens, § 2 1I 1 (S. 18); Erichsen Jura 1982, 537 (540). Wolf! / BachofI, § 22 1I.c. (S. 99).

268

7. Abschn.: Haftungsverfahren

berechtigtes oder verpflichtetes Zuordnungssubjekt ausschließlich ein Träger hoheitlicher Gewalt ist" 135. Eine öffentlich-rechtliche Streitigkeit ist nach der Subjektstheorie mithin durch zwei Voraussetzungen gekennzeichnet: Ein Träger hoheitlicher Gewalt muß sein Handeln auf einen öffentlichen Rechtssatz stützen. Der zum Ausgleich berechtigte Gesamtschuldner stützt sein Handeln auf Vorschriften des öffentlichen Rechts, wenn er den gesetzlichen Regreßanspruch des § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB i.V. mit § 42d Abs. 3 Satz 1 EStG und den gemäß § 426 Abs. 2 Satz 1 BGB legalzedierten Steuer- oder Haftungsanspruch geltend macht. Fraglich aber ist, ob er auch ein Hoheitsträger ist. Dies ist insbesondere bei den Privaten i. S. der Beleihungsdogmatik problematisch, in den Fällen also, in denen entweder ein Arbeitnehmer 136 oder ein privater oder kirchlicher Arbeitgeber ausgleichsberechtigt ist. Die Eigenschaft eines Hoheitsträgers wird dem privaten Regreßberechtigten teilweise abgesprochen 137: Ein bloßer Forderungsübergang auf Privatpersonen begründe keinen Anwendungsfall des Rechtsinstituts der Beleihung, da die Privatperson mit der cessio legis nicht die Befähigung erwerbe, eine Forderung mittels Verwaltungsakts festzusetzen und sie im Wege der Verwaltungsvollstreckung beizutreiben 138 • Dennoch, so diese Auffassung, sei der Finanzrechtsweg eröffnet, obwohl Privatpersonen vor den Finanzgerichten streiten. Obwohl dieser Auffassung im Ergebnis zuzustimmen ist, bestehen hinsichtlich ihrer Begründung Bedenken. Sie geht davon aus, daß die Beleihung als notwendige Voraussetzung durch obrigkeitliches Handeln gekennzeichnet sei. Gerade dies trifft aber nicht zu. Nach heute allgemein vertretener Auffassung wird ein öffentlich-rechtliches Handeln für ausreichend gehalten, also ein obrigkeitliches durch Verwaltungsakt oder ein schlicht-hoheitliches Handeln 139 • Deswegen ist die Befähigung, eine Forderung mittels Verwaltungsakts festzusetzen und sie im Wege der Verwaltungsvollstreckung beizutreiben, keine Tatbestandsvoraussetzung der Beleihung. Folglich kann die Belieheneneigenschaft eines privaten ausgleichsberechtigten Gesamtschuldners nicht aus diesem Grunde abgelehnt werden. Es bestehen m. E. keine Bedenken gegen die Annahme, der zum Ausgleich berechtigte private Gesamtschuldner sei ein Beliehener. Seine Regreßbefug135 Auch der Beamte ist, wenn er den Rückgriff gegenüber seinem Arbeitgeber geltend macht, in diesem Sinne ein Privater. Denn er handelt nun nicht mehr aus seiner öffentlich-rechtlichen Stellung als Staatsorgan, sondern als privater Steuerpflichtiger. 136 So Clemens, S. 20 f.; Stolterfoht in Stolterfoht (Hrsg.), S. 175 (207); vgl. auch Müller DB 1981,2172 (2176). 137 So Clemens, S. 21. 138 So Clemens, S. 49; Stolterfoht in Stolterfoht (Hrsg.), S. 175 (207). 139 Vgl. dazu S. 89 FN 206, S. 91 FN 213.

C. Interner Ausgleich

269

nis beruht erstens auf Gesetz (§ 426 BGB). Er untersteht zweitens der Staatsaufsicht der Finanzverwaltung, die insbesondere bei der Legalzession des § 426 Abs. 2 Satz 1 BGB deutlich wird. Der Forderungsübergang setzt voraus, daß der Gesamtschuldner erfüllt hat; folglich muß der gegen ihn gerichtete Steuer- oder Haftungsanspruch festgesetzt worden sein. Die Finanzverwaltung bestimmt also mit der Festsetzung im Ergebnis den äußeren Rahmen der Gesamtschuld und den Umfang des Ausgleichs l40 . Drittens ist mit dieser nur auf die Geltendmachung einzelner Ansprüche beschränkten Indienstnahme die mittelbar geltende Umfangsbeschränkung des Art. 33 Abs. 4 GG nicht verletzt worden. Damit sind die verfassungsrechtlichen Schranken einer Beleihung beim internen Ausgleich unter Gesamtschuldnern eingehalten. Auch die Tatbestandsvoraussetzungen einer Beleihung sind erfüllt. Der ausgleichsberechtigte Gesamtschuldner steht als Steuerpflichtiger (§ 33 Abs. 1 1. Alt., 2. Alt. AO) außerhalb der Finanzverwaltung; er ist somit organisationsrechtlich selbständig. Ihm ist ferner die staatliche Verwaltungsaufgabe zur Ausübung übertragen worden, bestimmte öffentlich-rechtliche Ansprüche aus § 426 BGB i.V. mit § 42d Abs. 3 Satz 1 EStG mit Wirkung gegenüber dem Steuerpflichtigen hoheitlich zu verwirklichen, da er die steuerrechtlichen Regreßansprüche endgültig zum Erlöschen bringt (§ 47 AO). Somit ist der ausgleichs berechtigte private Gesamtschuldner ein Beliehener und folglich ein Hoheitsträger 141 . Soweit also ein zum Rückgriff berechtigter Gesamtschuldner die internen Ausgleichsansprüche des § 426 BGB im Haftungsverfahren des Lohnsteuerrechts geltend macht, ist das Merkmal einer öffentlich-rechtlichen Streitigkeit i. S. des § 33 Abs. 1 FGO erfüllt. Gegenstand des Ausgleichs ist ferner eine Abgabenangelegenheit, da der Regreß unter den Gesamtschuldnern mit der Anwendung der abgabenrechtlichen Vorschriften des § 42d Abs. 1 Nr. 1, Abs. 3 Satz 4 EStG i.V. mit § 42d Abs. 3 Satz 1 EStG im Zusammenhang steht (vgl. § 33 Abs. 2 FGO). Ferner unterliegt die Lohnsteuer der Gesetzgebungskompetenz des Bundes, und der Rückgriff wird von Beliehenen als (funktionellen) Landesfinanzbehörden wahrgenommen. Daher ist für den Ausgleich unter den Gesamtschuldnern des Lohnsteuerabzugsverfahrens der Finanzrechtsweg eröffnet (vgl. § 33 Abs. 1 Nr. 1 FGO)142. 140 Gleiches gilt für den gesetzlichen Ausgleichsanspruch des § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB. Da dieser zunächst auf Mitwirkung zur Befriedigung des Steuergläubigers gerichtet ist, konkretisiert sich die Mitwirkungspflicht mit dem Erlaß der Steuer- oder Haftungsbescheide. Der Umfang der Mitwirkungspflicht hängt also von der Finanzverwaltung ab. 141 Beim staatlichen Arbeitgeber ist damit auch der Tatbestand einer Delegation verwirklicht. 142 Für dieses Ergebnis sprechen auch die Grundsätze, die der Gemeinsame Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes in seinem Beschluß vom 4. 6. 1974 (- 2/73 - AP Nr. 3 zu § 405 RVO) entwickelt hat: Der Senat hält für Streitigkeiten zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer über den Arbeitgeberzuschuß zur Krankenversicherung nach

270

7. Abschn.: Haftungsverfahren

Diese Zuweisung hat zwei ganz entscheidende Vorteile: - Für alle (steuerrechtlichen) Arbeitgeber und (steuerrechtlichen) Arbeitnehmer ist derselbe Rechtsweg eröffnet. Folglich werden alle Beteiligten nach der hier vertretenen Auffassung - im Gegensatz zur heute herrschenden Auffassung (sog. Rückgriffsthese) - in bezug auf lohnsteuerrechtliche Fragen gleich behandelt. - Im übrigen sind nun die Gerichte zur Entscheidung berufen, die auf dem Gebiet des Lohnsteuerrechts fachlich kompetent sind l43 . Diese in der Praxis nicht zu unterschätzenden Vorteile sprechen neben dem Gesetzeswortlaut für die hier vertretene Auffassung. 3. Verwirklichung der Ausgleichsansprüche

3.1 Allgemeine Leistungsklage Kommt der ausgleichsverpflichtete Gesamtschuldner dem Rückgriffsverlangen ganz oder teilweise nicht freiwillig nach, hat der ausgleichsberechtigte Gesamtschuldner gegen ihn vor den Finanzgerichten die allgemeine Leistungsklage zu erheben (§ 40 Abs. 1 FGO a. E.). Eine Verpflichtungs klage scheidet aus, weil das Gesetz den Gesamtschuldnern keine VerwaltungsaktBefugnis verliehen hat. Der (private) Regreßberechtigte ist (als Beliehener) Kläger i. S. des § 57 Nr. 1 FGO, da er im eigenen Namen handelt l44 • Wird die allgemeine Leistungsklage erhoben, bevor der zum Ausgleich berechtigte Gesamtschuldner sein Schuldverhältnis gegenüber dem Steuergläubiger erfüllt hat, ist diese Klage nur auf den gesetzlichen Anspruch des § 426 Abs. 1 Satz 1 BGB i. V. mit § 42d Abs. 3 Satz 1 EStG zu stützen. Dieser Anspruch ist auf Mitwirkung zur Herbeiführung des Erlösehens i. S. des § 47 AO gerichtet. Hat der ausgleichsberechtigte Gesamtschuldner jedoch den Steuergläubiger schon ganz oder teilweise befriedigt, kommt neben § 426 § 405 RVO den Sozialrechtsweg für eröffnet, weil der Arbeitgeber- und Arbeitnehmerbegriff der sozialrechtlichen Vorschrift des § 405 RVO im sozialrechtlichen Sinne zu verstehen sei. Der interne Ausgleich unter den Gesamtschuldnern des Lohnsteuerabzugsverfahrens ist nur zwischen dem (steuerrechtlichen) Arbeitgeber und dem (steuerrechtlichen) Arbeitnehmer möglich. Daher müßte auch nach den Grundsätzen dieses Beschlusses der Finanzrechtsweg für diesen internen Ausgleich eröffnet sein. 143 Ob der Gedanke der Sachnähe jedoch der allein entscheidende Gesichtspunkt ist (so Rimmelspacher ZZP Bd. 95 [1982], 280 [282]), darf bezweifelt werden. 144 Hat der ausgleichsverpflichtete Gesamtschuldner auf die Regreßansprüche zunächst freiwillig geleistet und entdeckt er später, daß die Zahlung insgesamt oder teilweise zu Unrecht erfolgt ist, steht ihm ein öffentlich-rechtlicher Bereicherungsanspruch gegen den ausgleichsberechtigten Gesamtschuldner aus § 812 Abs. 1 Satz 1 1. Alt. BGB zu. Der Bereicherungsanspruch ist mit der allgemeinen Leistungsklage vor den Finanzgerichten geltend zu machen.

C. Interner Ausgleich

271

Abs. 1 Satz 1 BGB als weitere Anspruchsgrundlage die gemäß § 426 Abs. 2 Satz 1 BGB legal zedierte Steuer- oder Haftungsforderung in Betracht. Beide Ansprüche sind nunmehr auf Ersatz des Betrages gerichtet, den der ausgleichsberechtigte Gesamtschuldner zu Recht an den Steuergläubiger geleistet hat. Im Rahmen der allgemeinen Leistungsklage kann der regreßpflichtige Gesamtschuldner alle Einwendungen vortragen, die im Lohnsteuerabzugsverfahren begründet sind (vgl. §§ 404,412,426 Abs. 2 Satz 1 BGB). Beim Rückgriff in der Gesamtschuld wegen zuwenig abgeführter Lohnsteuer kann der Arbeitgeber beispielsweise einwenden, der von i~m verlangte Betrag sei höher als die Summe, die er zuwenig abgeführt habe. Nimmt umgekehrt der Arbeitgeber den Arbeitnehmer in der Gesamtschuld wegen zuwenig einbehaltener Lohnsteuer in Regreß, kann der Arbeitnehmer einwenden, seine Lohnsteuerschuld sei geringer als der gegen den Arbeitgeber festgesetzte Haftungsanspruch. Dies verdeutlicht folgendes Beispiel: Ein Arbeitgeber hat 100 DM zuwenig Lohnsteuer einbehalten. Es ergeht ein Haftungsbescheid wegen zuwenig einbehaltener Lohnsteuer über 125 DM, der bestandsoder sogar rechtskräftig wird. Der Arbeitgeber bezahlt die 125 DM. Er erhebt die allgemeine Leistungsklage gegen den Arbeitnehmer auf Zahlung von 125 DM.

Der Arbeitnehmer kann aus folgenden Gründen einwenden, seine Steuerschuld betrage nur 100 DM: In Bestands- oder Rechtskraft erwächst erstens nur die Haftungsschuld des Arbeitgebers. Daher wird von ihr die gesamtschuldnerische Steuerschuld des Arbeitnehmers in keinem Fall berührt. Zweitens steht dem Arbeitgeber der Rückgriff nur insoweit zu, als er und der Arbeitnehmer Gesamtschuldner sind. Da die Lohnsteuerschuld des Arbeitnehmers nur 100 DM beträgt, sind sie auch nur über 100 DM Gesamtschuldner. Somit hat jeder Gesamtschuldner das Risiko des gegen ihn festgesetzten Steuer- oder Haftungsanspruchs zu tragen. Andere Einwendungen, die also nicht im Lohnsteuerabzugsverfahren begründet sind, können die Gesamtschuldner jedoch nicht vortragen. So kann der Arbeitnehmer im Regreß der Gesamtschuld wegen zuwenig einbehaltener Lohnsteuer nicht einwenden, ihm seien auf der Lohnsteuerkarte nicht berücksichtigte Werbungskosten entstanden, die seine "Steuerschuld" minderten. Denn diese Einwendung hat ihren Grund nicht im Abzugsverfahren, sondern sie ist erst im Erstattungsverfahren des behördlichen Lohnsteuer-Jahresausgleichs bzw. der Veranlagung zur Einkommensteuer begründet, oder, mit anderen Worten, diese Einwendung liegt nicht der Lohnsteuerschuld, sondern den Erstattungsansprüchen der §§ 42 Abs. 4 Satz 5, 42a Abs. 2 Satz 5 EStG bzw. der Einkommensteuerschuld zugrunde 145 • 145 Die Einwendung des Arbeitnehmers, ihm seien auf der Lohnsteuerkarte nicht eingetragene Werbungskosten entstanden, ist nach dem hier gemachten Lösungsvor-

272

7. Abschn.: Haftungsverfahren

Verabsäumt der ausgleichsverpflichtete Gesamtschuldner, Einwendungen des Lohnsteuerabzugsverfahrens gegen die allgemeine Leistungsklage vorzubringen, so kann er diese später nicht mehr mittels eines Erstattungsanspru