Treaty Shopping und Gestaltungsmissbrauch: zugleich ein Beitrag zur Identifizierung und Bewältigung kollidierender Missbrauchsmaßstäbe im deutschen, europäischen und internationalen Steuerrecht 9783504380465

Die Gründung von Zwischengesellschaften zum Zwecke des Treaty Shopping steht unter dem Verdacht des Gestaltungsmissbrauc

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Treaty Shopping und Gestaltungsmissbrauch: zugleich ein Beitrag zur Identifizierung und Bewältigung kollidierender Missbrauchsmaßstäbe im deutschen, europäischen und internationalen Steuerrecht
 9783504380465

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Rudolf

Treaty Shopping und Gestaltungsmissbrauch

Rechtsordnung und Steuerwesen Band 43 Schriftenreihe begründet von Brigitte Knobbe-Keuk herausgegeben von Wolfgang Schön und Rainer Hüttemann

Treaty Shopping und Gestaltungsmissbrauch - zugleich ein Beitrag zur Identifizierung und Bewältigung kollidierender Missbrauchsmaßstäbe im deutschen, europäischen und internationalen Steuerrecht

von

Dr. jur. Michael Rudolf

2012

Verlag Dr.OftoSchmidt

Köln

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrofbar.

Verlag Dr. Otto Schmidt KG Gustav-Heinemann-Ufer 58, 50968 Köln Tel. 0221/93738-01, Fax 0221/93738-943 [email protected] www.otto-schmidt.de ISBN 978-3-504-64242-6 ©2012 by Verlag Dr. Otto Schmidt KG, Köln

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlages. Das gilt insbesondere für V ervielfältigungen, Bearbeitungen. Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Das verwendete Papier ist aus chlorfrei gebleichten Rohstoffen hergestellt, holz- und säurefrei, alterungsbeständig und umweltfreundlich. Einbandgestaltung nach einem Entwurf von: Jan P. Lichtenford Druckund Verarbeitung: Be1z, Darmstadt Printed in Germany

Meinen Ettern

.

Geleitwort Zu dieser Schriftenreihe Seit Brigitte Knobbe-Keuk im Jahre 1986 diese Schriftenreihe in der Nachfolge von Werner Flume begründet hat, sind mehr als 40 Bände erschienen, in deren thematischen Mittelpunkt die Frage nach dem Verhältnis zwischen dem Steuerrecht und der allgemeinen Rechtsordnung gestellt ist. Die Entwicklung der Reihe hat gezeigt, dass die vielfältigen Verflechtungen des Steuerrechts mit anderen Rechtsgebieten den gewählten Zuschnitt eindrucksvoll gerechtfertigt haben. Die publizierten Arbeiten nehmen Bezüge zum allgemeinen Zivilrecht, zum Gesellschaftsrecht, zum Bilanzrecht und zu den Wirtschaftswissenschaften ebenso in den Blick wie die Rahmenbedingungen des Verfassungsrechts, des Europarechts und des Internationalen Rechts. Strafrechtliche Zusammenhänge unserer Steuerrechtsordnung werden ebenso beleuchtet wie verfahrensrechtliche Implikationen der Besteuerungspraxis. Der Erkenntnis der Begründerin der Schriftenreihe, dass in den juristischen Fragestellungen aus dem Bereich des Steuerwesens Fragestellungen aus den Teilgebieten der allgemeinen Rechtsordnung zusammentreffen, muss besonders Nachdruck in einer Zeit verliehen werden, in der die innere Stabilität unserer Besteuerungsordnung in hohem Maße gefährdet ist und der Wunsch, aus der eigenen Systematik des Steuerrechts heraus feste Leitlinien für Rechtspolitik und Rechtsanwendung zu gewinnen, hinter den fiskalischen Zwängen der öffentlichen Hand und dem Gestaltungswillen der Steuerpolitik immer weiter zurücktritt. Die Verankerung des Steuerrechts in der allgemeinen Rechtsordnung dient daher auch den Anliegen der Rechtssicherheit und Rationalität unseres Steuerrechts. Darüber hinaus kann durch die Anlehnung an die der Privatautonomie verpflichtete Zivilrechtsordnung sowie durch die Verwirklichung verfassungsrechtlicher und europarechtlicher Freiheitsgewährungen dem Steuerwesen ein Stück rechtsstaatlicher Liberalität zurückgegeben werden. Die Herausgeber wünschen daher, dass die Schriftenreihe in ihrer Gesamtheit einen Beitrag zur Kultur unserer Steuerrechtsordnung zu leisten vermag. München und Bonn, im Oktober 2011 Wolfgang Schön

Rainer Hüttemann

VII

Geleitwort

Zu dieser Schrift „Tax Treaties and tax avoidance: application of anti-avoidance provisions“ – unter diesem Schlagwort präsentierte die International Fiscal Association auf ihrem Jahreskongress 2010 in Rom vor einem hoch interessierten Publikum aus aller Herren Länder ihr erstes Hauptthema – unterstützt durch einen Generalbericht sowie durch 44 weltweit erhobene Länderberichte. Dieser Hinweis belegt die hohe Aktualität und praktische Bedeutsamkeit einer Thematik, die auch im deutschen Steuerrecht internationaler Unternehmen stetig wachsende Aufmerksamkeit durch Gesetzgeber, Gerichte, Behörden und Steuerpflichtige erfährt: die Auseinandersetzung um die Reichweite allgemeiner und spezieller Missbrauchsklauseln bei internationalen steuerlichen Gestaltungen. Vor diesem Hintergrund freuen sich die Herausgeber dieser Schriftenreihe, mit der Arbeit von Michael Rudolf eine umfassende Bearbeitung der mit der Anwendung von Missbrauchsnormen auf internationale Sachverhalte verbundenen Rechtsfragen präsentieren zu können. Im Vordergrund der Diskussion steht das „Treaty Shopping“, d. h. der Versuch der mittelbaren Nutzung günstiger Abkommenslagen durch Steuerpflichtige mit Ansässigkeit in Drittstaaten. Der Verfasser geht diese Konstellationen aus mehreren Perspektiven an: der allgemeine Missbrauchstatbestand (§ 42 AO) wird ebenso beleuchtet wie Sonderregeln im nationalen und internationalen Steuerrecht. Die verfassungsrechtlichen, völkerrechtlichen und europarechtlichen Rahmenbedingungen fehlen ebenso wenig wie Grundsatzüberlegungen zur methodischen Erfassung der Steuerumgehung. Namentlich die Normenkonkurrenz zwischen allgemeinen und speziellen Missbrauchsregeln wird in dieser Arbeit in exemplarischer Tiefe aufgearbeitet und einer eigenständigen Lösung zugeführt. Dem vom Verfasser entwickelten Verständnis des § 42 AO als „strukturgebender Rahmentatbestand“ spezieller Missbrauchsnormen wird man erheblichen Einfluss auf die weitere Diskussion prognostizieren können. Aus der Sicht von Wissenschaft und Praxis gleichfalls bemerkenswert ist die Präzision, mit welcher der Autor die technisch anspruchsvollen Einzelregelungen des nationalen Rechts (§ 50d Abs. 3 EStG in all seinen Entwicklungsstadien sowie § 50g Abs. 4 EStG) und des Doppelbesteuerungsrechts (vor allem die limitation-on-benefitsKlausel des Art. 28 DBA-USA) analysiert und in den größeren Kontext der Missbrauchsbekämpfung stellt. Auf diese Weise bietet der Verfasser gleichmäßig die theoretischen Grundlagen und die praktische Applikation seiner „Gesamtschau“ der Missbrauchsnormen zum Treaty Shopping und geht damit deutlich über die Reichweite vieler Dissertationen hinaus. Die Herausgeber wünschen der Arbeit eine vielfältige Leserschaft in Gerichtsbarkeit, Beratung, Unternehmen und nicht zuletzt in der mit Gesetzgebung und Praxis befassten Steuerverwaltung. München und Bonn, im August 2012 Wolfgang Schön

VIII

Rainer Hüttemann

Vorwort Ziel dieser Arbeit ist es zum einen, die unterschiedlichen Maßstäbe zur Bestimmung des Missbrauchscharakters einer Gestaltung in verschiedenen Rechtskreisen zu identifizieren und allgemeine Zuordnungskriterien zur Bewältigung einer Kollision zwischen diesen aufzuzeigen. Zum anderen werden die im deutschen Internationalen Steuerrecht vorherrschenden und in letzter Zeit fortentwickelten Maßnahmen gegen das sogenannte Treaty Shopping – welches besonders für die Kollision unterschiedlicher Maßstäbe steht – an diesen Ergebnissen gemessen und bewertet. Die Arbeit wurde im Sommersemester 2011 von der Rechts- und Wirtschaftswissenschaftlichen Fakultät der Universität Bayreuth als Dissertation angenommen. Die danach beschlossene und in Kraft getretene Änderung des § 50d Abs. 3 EStG durch das BeitrRLUmsG wurde im Wege eines Nachtrags mit einem gesonderten Kapital gewürdigt und mit den Ergebnissen der Arbeit zusammengeführt. Gesetzgebung, Rechtsprechung und Literatur sind bis Anfang März 2012 berücksichtigt. Ganz herzlicher Dank gilt meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Markus Möstl. Und zwar nicht nur dafür, dass er diese Dissertation von Anfang an unterstützt, gefördert und durch zahlreiche wertvolle Anregungen bereichert hat, sondern ebenso für die Zeit als Assistent an seinem Lehrstuhl. Diese hat mir Freude an der Wissenschaft vermittelt und mich in fachlicher sowie ganz besonders auch in persönlicher Hinsicht geprägt. Herrn Prof. Dr. Karl-Georg Loritz danke ich für die rasche Erstellung des Zweitgutachtens, Herrn Prof. Dr. Nikolaus Bosch für die Übernahme des Prüfungsvorsitzes in der mündlichen Doktorprüfung. Den Herausgebern, Herrn Prof. Dr. Dr. h.c. Wolfgang Schön und Herrn Prof. Dr. Rainer Hüttemann, danke ich für die freundliche Aufnahme dieser Arbeit in die Schriftenreihe „Rechtsordnung und Steuerwesen“. Schließlich möchte ich auch bei meiner Familie, meiner Freundin und allen Freunden für die vielfältige Unterstützung, für ihren Zuspruch und für ihr Verständnis während der Zeit der Promotion bedanken. Ich widme diese Arbeit meinen Eltern. Stuttgart, im Mai 2012

Michael Rudolf

IX

.

Inhaltsübersicht Seite Geleitwort der Herausgeber ......................................................................... VII Vorwort ........................................................................................................ IX Inhaltsverzeichnis .......................................................................................XIII Abkürzungsverzeichnis............................................................................. XXV

Einleitung ..................................................................................................... 1 A.

Problemstellung: Treaty Shopping als Element der internationalen Steuerplanung............................................................... 7

B.

Relevanz der Untersuchung: Treaty Shopping als Gestaltungsmissbrauch ....................................................................... 17

C.

Konkretisierung des Untersuchungsgegenstandes: Treaty Shopping und deutsches Internationales Steuerrecht........................... 21

D.

Gang der Untersuchung ...................................................................... 35

1. Teil: Gestaltungsmissbrauch im deutschen Internationalen Steuerrecht .................................................................... 37 A.

Zur Terminologie des Gestaltungsmissbrauchs ................................... 39

B.

Maßstäbe zur Bestimmung des Missbrauchscharakters....................... 45

C.

Überlegungen zur Kongruenz der Missbrauchsmaßstäbe ...................215

D.

Die Bewältigung kollidierender Missbrauchsmaßstäbe......................221

2. Teil: Maßnahmen gegen Treaty Shopping.......................................285 A.

Limitation on Benefits Klauseln am Beispiel des Art. 28 DBAUSA ..................................................................................................287

B.

§ 50d Abs. 3 EStG .............................................................................355

C.

Nachtrag: § 50d Abs. 3 EStG i.d.F. des BeitrRLUmsG ......................479

D.

§ 50g Abs. 4 EStG .............................................................................499

Zusammenfassung der Ergebnisse in Thesen .................................. 507 XI

Inhaltsübersicht

Thesen zum 1. Teil: Gestaltungsmissbrauch im deutschen Internationalen Steuerrecht (S. 37 ff.) ..........................................................507 Thesen zum 2. Teil: Maßnahmen gegen Treaty Shopping (S. 285 ff.) ..........521 Literaturverzeichnis .....................................................................................539 Rechtsprechungsverzeichnis ........................................................................581 Stichwortverzeichnis....................................................................................599

XII

Inhaltsverzeichnis Seite Geleitwort der Herausgeber ......................................................................... VII Vorwort ........................................................................................................ IX Inhaltsübersicht ............................................................................................ XI Abkürzungsverzeichnis............................................................................. XXV

Einleitung ..................................................................................................... 1 A.

Problemstellung: Treaty Shopping als Element der internationalen Steuerplanung ....................................................... 7

I.

Internationale Steuerplanung mit Holdinggesellschaften....................... 7

II. 1. 2. 3.

Treaty Shopping, Directive Shopping und Rule Shopping .................... 9 Treaty Shopping ................................................................................. 10 Directive Shopping............................................................................. 13 Rule Shopping.................................................................................... 15

B.

Relevanz der Untersuchung: Treaty Shopping als Gestaltungsmissbrauch ................................................................. 17

I.

Begriffsrelation................................................................................... 17

II.

Fortentwicklung der Missbrauchsvorbehalte....................................... 17

C.

Konkretisierung des Untersuchungsgegenstandes: Treaty Shopping und deutsches Internationales Steuerrecht ................................................................................. 21

I.

Begriff des deutschen Internationalen Steuerrechts............................. 21

II. 1. 2. 3.

Investitionsrichtung und Formen der Steuerpflicht ............................. 22 Inbound-Fall....................................................................................... 22 Outbound-Fall .................................................................................... 24 Deutsche Zwischenholding................................................................. 25

III. 1.

Treaty Shopping und deutsche Quellensteuer ..................................... 26 Der Steuerabzug vom Kapitalertrag, §§ 43 ff. EStG............................ 27 a. Grundlegendes zur Kapitalertragsteuer ........................................ 27

XIII

Inhaltsverzeichnis

3. 4.

§ 8b KStG und die Abgeltungswirkung bei beschränkter Steuerpflicht .................................................................................... 29 Der Steuerabzug bei beschränkter Steuerpflicht nach § 50a EStG ............................................................................................. 31 Die Umsetzung der Entlastungswirkung im DBA- und EU-Fall .......... 32 Bezugspunkt der Missbrauchsvorbehalte .............................................. 34

D.

Gang der Untersuchung ................................................................... 35

b. 2.

1. Teil: Gestaltungsmissbrauch im deutschen Internationalen Steuerrecht ....................................................................... 37 A.

Zur Terminologie des Gestaltungsmissbrauchs .......................... 39

I.

Das Planungselement: Steuervermeidung und Steuergestaltung ........... 39

II.

Das wertende Element: Steuerumgehung durch Gestaltungsmissbrauch .......................................................................... 40

III.

Das Unrechtselement: Steuerhinterziehung und Steuerflucht ............... 42

B.

Maßstäbe zur Bestimmung des Missbrauchscharakters .......... 45

I. 1.

Nationales Steuerrecht ........................................................................... 45 Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen des Gestaltungsmissbrauchs ......................................................................... 45 a. Herleitung und Rechtscharakter der Gestaltungsfreiheit ................ 45 b. Legitimation von Missbrauchsvorbehalten ..................................... 47 Missbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten, § 42 AO......... 52 a. Steuerumgehung als Grundproblematik des § 42 AO .................... 54 aa. Normzweckverfehlung und Privatautonomie .......................... 54 bb. Steuerumgehung und institutioneller Rechtsmissbrauch ......... 56 cc. Abgrenzung zum Scheingeschäft............................................. 57 dd. Systematisierung der Anwendungsfälle ................................... 57 b. Das methodische Problem und dessen Folgen für das Missbrauchskonzept........................................................................ 58 aa. Relevanz und Systematisierung ............................................... 58 bb. Die klassischen Theorien ......................................................... 59 (1) Innentheorie..................................................................... 59 (2) Außentheorie ................................................................... 60 cc. Methodenkritische Stellungnahme .......................................... 63 dd. Beurteilung in der Neufassung ................................................ 66 (1) Bestätigung des Zwischenbefundes ................................ 66

2.

XIV

Inhaltsverzeichnis

(2)

Eigene Ansicht: § 42 AO als strukturgebender Rahmentatbestand ........................................................ 67 c. Strukturelemente des Missbrauchsbegriffes nach § 42 Abs. 2 AO n.F. ............................................................................. 69 aa. Unangemessenheit und die Hilfsformeln der Rechtsprechung..................................................................... 69 (1) Grundsätzliche Fortgeltung der BFHRechtsprechung ............................................................ 69 (2) Das Merkmal der Ungewöhnlichkeit ............................ 70 (3) Maßgeblichkeit des wirtschaftlichen Gestaltungszieles .......................................................... 72 bb. Der gesetzlich nicht vorgesehene Steuervorteil ..................... 72 (1) Steuervorteil ................................................................. 72 (2) Gesetzlich nicht vorgesehen ......................................... 73 (3) Dritte als Vorteilsempfänger ......................................... 76 cc. Rechtfertigung durch außersteuerliche Gründe...................... 78 (1) Materiell-rechtliche Betrachtung .................................. 78 (2) Das Nachweisverfahren ................................................ 81 dd. Erforderlichkeit einer Umgehungsabsicht ............................. 86 ee. Das Bestimmtheitsgebot........................................................ 88 d. Generalklausel und grenzüberschreitende Gestaltungen ............... 92 aa. Generalklausel und beschränkte Steuerpflicht ....................... 93 bb. Inhaltliche Maßgaben............................................................ 96 (1) Systematische Entwicklung und Investitionsrichtung ...................................................... 96 (a) Outbound-Gestaltungen (Basisgesellschaften) ............................................. 97 (b) Inbound-Gestaltungen............................................ 99 (2) Wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe ............101 (3) Eigenwirtschaftliche Tätigkeit .....................................103 (a) Grundlegende Maßgaben ......................................103 (b) Substanzerfordernisse ...........................................105 (c) Outsourcing, insbesondere von Kapitalanlagegeschäften .......................................108 (d) Gemischte tätige Zwischengesellschaften .............110 (4) Dauerhaftigkeit und Projektgesellschaften ...................111 cc. Maßgaben in der Fassung des JStG 2008 .............................111 (1) Relevanz......................................................................111 (2) Objektive Maßstäbe grenzüberschreitender Gestaltung ...................................................................112 (a) Weiterentwicklung der Basisgesellschaftenrechtsprechung .......................112

XV

Inhaltsverzeichnis

3.

4. II. 1.

XVI

(b) Unangemessenheit im Sinne künstlicher Gestaltung.............................................................114 (3) Tatsächliche Vermutungen und Nachweislast im Lichte der Neufassung .................................................116 (a) Problemdarstellung ...............................................116 (b) Lösungsvorschlag .................................................117 (aa) Fehlende eigenwirtschaftliche Tätigkeit ................118 (bb) Fehlender wirtschaftlicher Grund..........................120 Spezielle Missbrauchsvorbehalte .......................................................122 a. Bedeutung der Einordnung .........................................................122 b. Identifizierung spezieller Missbrauchsvorbehalte........................123 c. Funktionen und Regelungsgehalte als maßstäbliche Leitgedanken ..............................................................................124 d. Verfassungsrechtliche Folgerungen der Einordnung....................127 aa. Widerstreitende Positionen und Tatbestandsgestaltung.........127 bb. Unwiderlegbarkeit als Problem der Verhältnismäßigkeit .............................................................129 cc. Struktureller Vergleich und Verhältnismäßigkeit...................130 dd. Weitere Folgerungen ............................................................131 Zwischenergebnis ..............................................................................132 Europäisches Steuerrecht...................................................................135 Primärrecht........................................................................................135 a. Steuerrechtliche Vorschriften des AEUV.....................................135 b. Die Grundfreiheiten ....................................................................136 aa. Regelungsgehalt der Grundfreiheiten ...................................136 bb. Grundfreiheiten und Steuerrecht ..........................................139 (1) Steuersouveränität und Kompetenzausübungsschranke ....................................139 (2) Eingriffe zwischen Diskriminierungs- und Beschränkungsverbot...................................................143 (3) Rechtfertigungsebene ..................................................146 (a) Irrelevanz der Eingriffsmodalität ..........................146 (b) Überblick: Zwingende Allgemeininteressen im Steuerrecht.......................................................148 (aa) Fiskalische Interessen, mangelnde Harmonisierung und Kompensationsverbot ..........148 (bb) Kohärenz des Steuersystems .................................149 (cc) Territorialitätsprinzip ............................................151 (dd) Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis ...........................................151 (ee) Wahrung der Steueraufsicht ..................................156 (ff) Verhinderung von Steuermissbrauch .....................158

Inhaltsverzeichnis

2.

3. III. 1. 2.

3.

cc. Grundfreiheiten und Missbrauchsbegriff ..............................158 (1) Existenz eines Missbrauchsvorbehalts im Steuerrecht ..................................................................158 (2) Grundstruktur des Missbrauchsbegriffs nach EuGH ..........................................................................160 (3) Rechtsmethodische Betrachtung ..................................162 (a) Die Biperspektivität des Missbrauchs im Anwendungsbereich der Grundfreiheiten ..............162 (b) Missbrauch der Grundfreiheiten: Umgehungsgeschäft oder institutioneller Rechtsmissbrauch? ...............................................163 (c) Tatbestands- und Rechtfertigungslösung ...............167 (d) Biperspektivität und Konfliktfall...........................168 (4) Das objektive Element der Künstlichkeit .....................169 (a) Tatsächliche Ansiedlung mit wirklicher wirtschaftlicher Tätigkeit ......................................170 (b) Künstlichkeit und Fremdvergleich ........................173 (c) Künstlichkeit im Lichte der Kapitalverkehrsfreiheit .........................................175 (5) Subjektives Element und wirtschaftliche Gründe.........176 (6) Beweislast, Motivtest und Typisierung im Lichte der Verhältnismäßigkeit ...............................................179 (7) Missbrauch und Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse...............................................183 Sekundärrecht....................................................................................186 a. Amtshilferichtlinie......................................................................187 b. Mutter-Tochter-Richtlinie ...........................................................188 c. Fusionsrichtlinie .........................................................................192 d. Zinsrichtlinie ..............................................................................194 e. Zins-/Lizenzgebührenrichtlinie ...................................................195 f. Mehrwertsteuersystemrichtlinie ..................................................197 Zwischenergebnis ..............................................................................200 Internationales Steuerrecht i.e.S.........................................................202 Existenz eines ungeschriebenen, allgemeinen Missbrauchsvorbehalts ......................................................................202 Missbrauchsklauseln in Doppelbesteuerungsabkommen....................205 a. Öffnungsklauseln........................................................................205 b. Spezialklauseln ...........................................................................206 aa. Konzept des Nutzungsberechtigten ......................................206 bb. Aktivitätsklauseln ................................................................209 cc. Limitation on Benefits Klauseln...........................................210 Zwischenergebnis ..............................................................................212

XVII

Inhaltsverzeichnis

C.

Überlegungen zur Kongruenz der Missbrauchsmaßstäbe .........................................................................................215

I.

Grundlegende Interessenslage ...........................................................215

II.

Gemeinsame Leitgedanken der Missbrauchsmaßstäbe.......................217

III.

Verbleibende Unterschiede ................................................................218

D.

Die Bewältigung kollidierender Missbrauchsmaßstäbe ..........221

I.

Zum Begriff der Kollision .................................................................221

II. 1. 2.

Zuordnungskriterien im Kollisionsfall ...............................................224 Kollisionsvermeidung durch Kompetenzordnungen ..........................225 Kollisionsentscheidung durch Rangordnung......................................225 a. Normenhierarchie und Norminhalt..............................................225 b. Rechtskreisinterne Hierarchie .....................................................227 aa. Rangordnung im nationalen Recht .......................................227 bb. Rangordnung im Unionsrecht ..............................................229 cc. Rangordnung im Völkerrecht ...............................................234 c. Rechtskreisübergreifende Hierarchie...........................................234 aa. Nationales Recht und Unionsrecht .......................................234 (1) Anwendungsvorrang und Integrationsgrenzen .............234 (2) Vorrang unionsrechtlicher Missbrauchsmaßstäbe.........236 bb. Nationales Recht und Völkerrecht........................................237 (1) Verhältnis der Rechtskreise im Grundsatz....................237 (2) Treaty Override als Rangproblem ................................240 (a) Herkömmliche Auffassung....................................241 (b) Beurteilung nach der Görgülü-Entscheidung.........244 (aa) Umkehrtendenzen in der Literatur.........................244 (bb) Kritische Würdigung.............................................245 (c) Differenzierte Sichtweise: Missbrauchsverhinderung als Rechtfertigung des Treaty Override...............................................249 (aa) Relativierung der Gegenansicht ............................250 (bb) Treaty Override und Grundrechtseingriff ..............251 (cc) Treaty Override und ungeschriebener abkommensrechtlicher Missbrauchsvorbehalt .......253 (3) Folgerungen für kollidierende Missbrauchsmaßstäbe ..................................................254 cc. Unionsrecht und Völkerrecht ...............................................255 dd. Unionsrecht, Völkerrecht und nationales Recht....................256 (1) Meistbegünstigung im Unionsrecht .............................256

XVIII

Inhaltsverzeichnis

3.

4. III.

(2) Treaty Override aus Sicht des Unionsrechts.................259 Kollisionsentscheidung bei Ranggleichheit........................................262 a. Kollisionsregeln und Normauslegung .........................................262 b. Kollisionslösung durch Zeitenfolge ............................................263 c. Kollisionslösung durch Spezialität und rahmenausfüllende Konkretisierung ..........................................................................265 aa. Spezialität im klassischen Sinne...........................................265 bb. Konkretisierungswirkung rahmenausfüllender Missbrauchsvorbehalte.........................................................266 (1) 1. Fallgruppe: Tatbestandsmäßigkeit der Spezialnorm ................................................................268 (2) 2. Fallgruppe: Nichttatbestandsmäßigkeit der Spezialnorm ................................................................269 (a) Rückblickende Betrachtung ..................................270 (b) Beurteilung im Lichte des § 42 AO n.F. ................271 (3) 3. Fallgruppe: Unwiderlegbare Typisierung und Gegenbeweis des § 42 Abs. 2 S. 2 AO .........................276 cc. Zusammentreffen unterschiedlicher Spezialnormen .............279 Kollisionsentscheidung nach der äußeren Form der Rechtsquelle? ....................................................................................280 Zwischenergebnis ..............................................................................281

2. Teil: Maßnahmen gegen Treaty Shopping.......................................285 A.

Limitation on Benefits Klauseln am Beispiel des Art. 28 DBA-USA .......................................................................................287

I. 1. 2.

Normanalyse .....................................................................................288 Systematik.........................................................................................288 Tatbestandsvoraussetzungen ..............................................................290 a. Grundstruktur der Norm .............................................................290 b. Die relevanten „Tests“ im Einzelnen...........................................291 aa. Börsenhandelstest, Art. 28 Abs. 2 lit. c) DBA-USA..............291 (1) Grundlagen des Börsenhandelstests .............................291 (2) Erfordernis einer wesentlichen Präsenz........................294 (3) Indirekter Börsenhandelstest........................................296 bb. Ownership and Base Erosion Test, Art. 28 Abs. 2 lit. f) DBA-USA ...........................................................................298 (1) Ownership Test............................................................299 (2) Base Erosion Test ........................................................300 cc. Derivative Benefits and Base Erosion Test, Art. 28 Abs. 3 DBA-USA ................................................................303 XIX

Inhaltsverzeichnis

(1)

3.

Derivative Benefits – abgeleitete Abkommensrechte.......................................................303 (2) Gleichberechtigt Begünstige ........................................304 (3) Base Erosion Test ........................................................307 dd. Active Trade or Business Test, Art. 28 Abs. 4 DBAUSA.....................................................................................307 ee. Triangular Provision, Art. 28 Abs. 5 DBA-USA...................311 ff. Investmentvermögen, Art. 28 Abs. 6 DBA-USA ..................313 c. Ermessensklausel, Art. 28 Abs. 7 DBA-USA ..............................314 Rechtsfolge .......................................................................................318

II.

Kollisionsfragen ................................................................................319

1.

Rechtskreisinterne Kollision..............................................................319

2.

Rechtskreisübergreifende Kollision mit Unionsrecht .........................320 a. Grundlegung...............................................................................320 b. Meistbegünstigung und Anwendungsvorrang als mögliche Kollisionsregeln..........................................................................322 c. Anwendbare Grundfreiheit .........................................................324 d. Tatbestandsmäßigkeit des Eingriffs.............................................327 aa. Bezugspunkt der Ungleichbehandlung .................................327 bb. Vergleichbarkeit und DBA-Geltung .....................................329 e. Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse ......................................330 aa. Die Rechtssache ACT Group Litigation ...............................330 bb. Die Reziprozität der Limitation on Benefits als Lackmustest .........................................................................331 cc. Das Kriterium der Verantwortlichkeit in Bezug auf die Doppelbesteuerung ..............................................................334 dd. Folgen einer unterstellten Inkompatibilität ...........................336 ee. Verhältnis zum Allgemeininteresse der Missbrauchsverhinderung ....................................................338

3.

Rechtskreisübergreifende Kollision mit nationalem Recht .................342 a. Art. 28 DBA-USA und spezielle Missbrauchsvorbehalte ............342 b. Art. 28 DBA-USA und § 42 AO .................................................342 c. Art. 28 DBA-USA im Lichte des Verfassungsrechts....................344

III.

Bewertung .........................................................................................351

B.

§ 50d Abs. 3 EStG ..........................................................................355

I. 1. 2.

Normanalyse .....................................................................................356 Systematik.........................................................................................357 Tatbestandsmerkmale im Einzelnen...................................................360

XX

Inhaltsverzeichnis

a.

3. II. 1.

Persönliche Voraussetzungen, § 50d Abs. 3 S. 1 Hs. 1 EStG .......360 aa. Ausländische Gesellschaft....................................................361 (1) Gesellschaft .................................................................361 (2) Ausländisch .................................................................362 bb. Beteiligung nicht erstattungsberechtigter Personen ..............363 (1) Grundsätze der fiktiven Entlastungsberechtigung ........363 (2) Mäander-Strukturen.....................................................365 (3) Durchgriff auf mehrstufige Beteiligungsstrukturen.................................................369 b. Sachliche Voraussetzungen, § 50d Abs. 3 S. 1 Nr. 1-3, S. 2-3 EStG.................................................................................373 aa. Grundlegung und nochmaliger Rückblick ............................373 bb. Wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe, § 50d Abs. 3 S. 1 Nr. 1 EStG .........................................................376 (1) Wirtschaftliche Gründe................................................377 (2) Sonst beachtliche Gründe ............................................380 (3) Bezugspunkt der Betrachtung, § 50d Abs. 3 S. 2 EStG............................................................................381 cc. Eigene Wirtschaftstätigkeit, § 50d Abs. 3 S. 1 Nr. 2, S. 3 EStG .............................................................................383 (1) Grundsätze der eigenen Wirtschaftstätigkeit ................383 (2) Beteiligungsverwaltung ...............................................385 (3) Outsourcing und eigene Wirtschaftstätigkeit................388 (4) Ort der eigenwirtschaftlichen Tätigkeit........................391 (5) Weitere Sonderfälle .....................................................394 (6) 10%-Grenze: Erforderlicher Umfang der eigenen Wirtschaftstätigkeit......................................................396 dd. Angemessen eingerichteter Geschäftsbetrieb, § 50d Abs. 3 S. 1 Nr. 3 EStG .........................................................401 ee. Isolierte Betrachtungsweise, § 50d Abs. 3 S. 2 EStG ............404 c. Die Ausnahmen des § 50d Abs. 3 S. 4 EStG................................406 aa. Börsenklausel, § 50d Abs. 3 S. 4 Alt. 1 EStG .......................407 bb. Investmentgesellschaften, § 50d Abs. 3 S. 4 Alt. 2 EStG ....................................................................................409 d. Beweislast ..................................................................................411 aa. Grundsätze...........................................................................411 bb. § 2 SteuerHBekV .................................................................414 Rechtsfolgenanordnung .....................................................................416 Kollisionsfragen ................................................................................418 Rechtskreisinterne Kollisionen ..........................................................419 a. § 50d Abs. 3 EStG im Lichte der verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen des Missbrauchs........................................419

XXI

Inhaltsverzeichnis

2.

3.

XXII

aa. Verhältnismäßigkeit der Typisierung ....................................420 (1) Vorgaben im Allgemeinen............................................420 (2) Tatbestandliche Typisierungswirkung des § 50d Abs. 3 EStG.................................................................421 (3) Erforderlichkeit und Existenz eines Gegenbeweises ............................................................424 bb. Bestimmtheit........................................................................427 b. Verhältnis des § 50d Abs. 3 EStG zu § 42 AO .............................427 aa. Tatbestandsmäßigkeit des § 50d Abs. 3 EStG.......................428 bb. Nichttatbestandsmäßigkeit des § 50d Abs. 3 EStG ...............431 cc. Möglichkeit des Gegenbeweises bei Tatbestandsmäßigkeit des § 50d Abs. 3 EStG.......................433 Rechtskreisübergreifende Kollision mit DBA-Vorschriften................435 a. § 50d Abs. 3 EStG als Treaty Override........................................435 b. § 50d Abs. 3 EStG und abkommensrechtliche Missbrauchsklauseln...................................................................439 Rechtskreisübergreifende Kollision mit Unionsrecht .........................442 a. Grundlegung...............................................................................442 b. Bestimmung des Prüfungsmaßstabes ..........................................443 aa. Sekundärrecht ......................................................................444 bb. Grundfreiheiten....................................................................447 (1) Schutzbereich und Grundfreiheitsträger.......................447 (a) Ebene der Zwischengesellschaft ...........................448 (b) Ebene der Anteilseigner ........................................450 (c) Stellungnahme ......................................................452 (2) Eingriff ........................................................................456 cc. DBA-Fall und Aufteilung der Besteuerungsbefugnis............459 dd. Zwischenergebnis und Maßstäbe..........................................460 c. Rechtfertigung als Missbrauchsvorschrift ...................................461 aa. Abstrakte Prüfungsebene: Vermutungsbasis der Typisierung und Orientierung am Maßstab der Künstlichkeit........................................................................461 (1) Einzelbetrachtung........................................................462 (a) Persönliche Voraussetzungen, § 50 Abs. 3 S. 1 Hs. 1 EStG.....................................................462 (b) Fehlen eines wirtschaftlichen Grundes, § 50d Abs. 3 S. 1 Nr. 1 EStG ..........................................463 (c) Eigene Wirtschaftstätigkeit und deren Umfang, § 50d Abs. 3 S. 1 Nr. 2, S. 3 Alt. 1 EStG .....................................................................464 (d) Angemessen eingerichteter Geschäftsbetrieb, § 50d Abs. 3 S. 1 Nr. 3 EStG.................................467

Inhaltsverzeichnis

(e) Ausnahmeregelungen, § 50d Abs. 3 S. 4 EStG .....................................................................468 (2) Gesamtbetrachtung und Zwischenergebnis ..................468 bb. Konkrete Prüfungsebene: Möglichkeit des Gegenbeweises im Einzelfall ...............................................469 III.

Bewertung .........................................................................................474

C.

Nachtrag: § 50d Abs. 3 EStG i.d.F. des BeitrRLUmsG ...........479

I. 1. 2.

3.

Kurzanalyse.......................................................................................479 Die veränderte Systematik .................................................................480 Die einzelnen Entlastungsberechtigungen und ihre Rechtsfolge.........481 a. Persönliche Entlastungsberechtigung, § 50d Abs. 3 S. 1 Hs. 1 ...........................................................................................481 b. Sachliche Entlastungsberechtigung aufgrund eigener Wirtschaftstätigkeit, § 50d Abs. 3 S. 1 Hs. 2 ...............................482 aa. Auslegung der eigenen Wirtschaftstätigkeit..........................482 bb. Bruttoerträge als Bezugspunkt der eigenen Wirtschaftstätigkeit ..............................................................483 (1) Problemdarstellung......................................................483 (2) Stellungnahme .............................................................485 cc. Das Verhältnis zur zweiten sachlichen Entlastungsberechtigung, § 50d Abs. 3 S. 1 Hs. 3 EStG .......488 c. Sachliche Entlastungsberechtigung aufgrund wirtschaftlichen Grundes und angemessenen Geschäftsbetriebs, § 50d Abs. 3 S. 1 Hs. 3 ..................................489 aa. Wirtschaftlicher oder sonst beachtlicher Grund, Hs. 3 Nr. 1.....................................................................................489 bb. Angemessen eingerichteter Geschäftsbetrieb, Hs. 3 Nr. 2.....................................................................................491 Die „Neuregelung“ der Feststellungslast............................................493

II. 1. 2.

Kollisionsfragen ................................................................................494 Rechtskreisinterne Kollision..............................................................494 Rechtskreisübergreifende Kollision ...................................................495

III.

Bewertung .........................................................................................496

D.

§ 50g Abs. 4 EStG ..........................................................................499

I. 1. 2.

Normanalyse .....................................................................................499 Systematik.........................................................................................499 Tatbestand .........................................................................................500 XXIII

Inhaltsverzeichnis

II. 1. 2.

Kollisionsfragen ................................................................................502 Rechtskreisinterne Kollision..............................................................502 Rechtskreisübergreifende Kollision mit Unionsrecht .........................503

III.

Bewertung .........................................................................................505

Zusammenfassung der Ergebnisse in Thesen .....................................507 Thesen zum 1. Teil: Gestaltungsmissbrauch im deutschen Internationalen Steuerrecht (S. 37 ff.) ..........................................................507 Thesen zum 2. Teil: Maßnahmen gegen Treaty Shopping (S. 285 ff.) ..........521 Literaturverzeichnis .....................................................................................539 Rechtsprechungsverzeichnis ........................................................................581 Stichwortverzeichnis....................................................................................599

XXIV

Abkürzungsverzeichnis a.A Abs. a.E. AEUV AEAO a.F. Alt. Anm. AO AOStb Art. AStG Aufl. BayVerfGH BayVerfGH BB Bd. BFH BFH/NV BGBl. BLJ BMF BR-Ds. BStBl. BT-Ds. BVerfG BVerfGE BZSt DB DBA DÖV DStJG DStR DStRE DStZ

anderer Ansicht Absatz am Ende Vertrag über die Arbeitsweise der Europäischen Union Anwendungserlass zur Abgabenordnung alte Fassung Alternative Anmerkung Abgabenordnung AO-Steuerberater Artikel Außensteuergesetz Auflage Bayerischer Verfassungsgerichtshof Entscheidungen des Bayerischen Verfassungsgerichtshofs Betriebs-Berater Band Bundesfinanzhof Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Bundesgesetzblatt Bucerius Law Journal Bundesminister der Finanzen Drucksachen des Deutschen Bundesrates Bundessteuerblatt Drucksachen des Deutschen Bundestages Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundeszentralamt für Steuern Der Betrieb Doppelbesteuerungsabkommen Die öffentliche Verwaltung Veröffentlichungen der Deutschen Steuerjuristischen Gesellschaft Deutsches Steuerrecht Deutsche Steuerrecht Entscheidungsdienst Deutsche Steuer-Zeitung XXV

Abkürzungsverzeichnis

EFG EG EGMR EGV EStG EU EuGH EuR EUV EuZW

Entscheidungen des Finanzgerichte Europäische Gemeinschaft Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte Vertrag über die Europäische Gemeinschaft Einkommensteuergesetz Europäische Union Europäischer Gerichtshof Europarecht (Zeitschrift) Vertrag über die Europäische Union Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht

f. FAStJb FG FGO ff. Fn. FR FS

folgende(r) Jahrbuch der Fachanwälte für Steuerrecht Finanzgericht Finanzgerichtsordnung folgende Fußnote Finanz-Rundschau Festschrift

GewStG GG GmbHR GrS

Gewerbesteuergesetz Grundgesetz GmbH-Rundschau Großer Senat

h.L. h.M. Hrsg. Hs.

herrschende Lehre herrschende Meinung Herausgeber Halbsatz

i.d.F. IDW InvStG IWB IStR

in der Fassung Institut der Wirtschaftsprüfer Investmentsteuergesetz Internationale Wirtschaftsbriefe Internationales Steuerrecht

JStG JZ

Jahressteuergesetz JuristenZeitung

KapESt KStG

Kapitalertragsteuer Körperschaftsteuer

Lit.

Literatur

XXVI

Abkürzungsverzeichnis

MTRL m.w.N.

Mutter-Tochter-Richtlinie mit weiteren Nachweisen

n.F. NJW Nr. NVwZ NWB

neue Fassung Neue Juristische Wochenschrift Nummer Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht Neue Wirtschaftsbriefe

o.Ä OECD

OFD

oder Ähnliches Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Musterabkommen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Kommentar zum Musterabkommen der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung Oberfinanzdirektion

PIStB

Praxis Internationale Steuerberatung

RFH RFHE RIW Rn. Rspr.

Reichsfinanzhof Sammlung der Entscheidungen des Reichfinanzhofs Recht der internationalen Wirtschaft Randnummer Rechtsprechung

S. StAnpG StbJB StuW

Seite/Satz Steueranpassungsgesetz Steuerberater-Jahrbuch Steuer und Wirtschaft

Tz.

Textziffer

Ubg UntStRefG UR

Die Unternehmensbesteuerung Unternehmenssteuerreformgesetz 2008 Umsatzsteuerrundschau

ZaöRV

Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Zins-/Lizenzrichtlinie Zeitschrift für Steuern und Recht

OECD-MA OECD-MK

ZLRL ZSteu

XXVII

.

Einleitung Der Gestaltungsmissbrauch ist ein fortwährendes Thema des Internationalen Steuerrechts – für die Wissenschaft wie für die Praxis. Letztere muss aufgrund der Bindung an das geltende Recht, konkretisiert in der Gesetzmäßigkeit und Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung, in besonderem Maße die Aktivitäten des Gesetzgebers in diesem Bereich in den Blick fassen: Mit Verweis auf den Zweck der Missbrauchsvermeidung wird dieser in regelmäßigen Abständen tätig und erschafft neue Normen oder unterwirft bestehende Vorschriften einer Änderung, sofern er einen Verbesserungsbedarf erkannt hat oder erkannt haben will – und sei es nur in Bezug auf die Auslegung der ursprünglichen Fassung durch die Rechtsprechung.1 Dass der Missbrauchsvermeidungszweck die gesetzgeberischen Vorstellungen nicht immer rechtfertigt und es sich mitunter um bloße Finanzierungsmaßnahmen handelt,2 steht auf einem anderen Blatt. Im Bereich des Internationalen Steuerrechts kann dem Staat hierbei ein besonderes Interesse am Erhalt „seiner“ Besteuerungsrechte zugestanden werden, das über das „normale“ fiskalische Interesse hinausgehen kann. Bei gestaltungsfreundlicher Gesetzgebung oder gar einem Verzicht auf jegliche Missbrauchsvorbehalte, die den Gestaltungsmissbrauch verhindern oder zumindest beschränken könnten, wird insoweit ein Verlust des „Steuersubstrats“ schon durch die Vornahme einer für den Steuerpflichtigen günstigeren Besteuerung in einem anderen Staat, jedenfalls aber durch ein in der Summe reduziertes Steueraufkommen im Inland befürchtet.3 Dass die Akteure grenzüberscheitender Wirtschaftstätigkeit als Steuerpflichtige hingegen ein ureigenes und starkes Interesse daran haben, ihre steuerlichen Verhältnisse möglichst günstig zu gestalten, und sich hierzu auf eine „Gestaltungsfreiheit“ berufen, leuchtet unmittelbar ein und bedarf an dieser Stelle keiner tiefgehenden Erörterung. Zudem ist das Bedürfnis für Individualrechtsschutz in diesem Bereich aufgrund der 1 2 3

Zu der Kategorie der Nichtanwendungsgesetze vgl. grundlegend Völker/Ardizzoni, NJW 2004, 2413; speziell in Bezug auf die Änderung des § 50d Abs. 3 EStG durch das JStG 2007 siehe im 2. Teil, B.I.2.b.aa, S. 373, sowie Fn. 10. In der Kritik steht etwa § 8c KStG in der Form des Unternehmenssteuerreformgesetzes 2008 (UntStRefG) vom 14.08.2007, BGBl I 2007, S. 1912, siehe hierzu nur Hey, BB 2007, 1303 (1306 f.). Siehe etwa die Begründung zum Entwurf des UntStRefG 2008, BT-Ds. 16/4841, S. 1: „Hauptziel der Unternehmensteuerreform ist deshalb neben der Erhöhung der Standortattraktivität die längerfristige Sicherung des deutschen Steuersubstrats. Durch positive und negative Anreize soll die Verlagerung von Steuersubstrat ins Ausland, vor allem durch Unternehmen, aber auch durch private Haushalte, gebremst werden.“ Zum UntStRefG und zu Gegenfinanzierungsmaßnahmen im Allgemeinen siehe Loritz, in: FS Sigloch, S. 275 ff.

1

Einleitung

wirtschaftlichen Bedeutung und infolge des klassischen Charakters als Eingriffsverwaltung besonders ausgeprägt, so dass auch eine Befassung der Rechtsprechung hiermit nicht nur eine singuläre Erscheinung ist. Zugleich ist, gewissermaßen korrespondierend mit der hohen praktischen Relevanz, ein relativ hohes Maß an wissenschaftlicher Durchdringung dieses Themenfeldes zu konstatieren: Schon an grundlegenden Untersuchungen zum Gestaltungsmissbrauch – auch in Bezug auf das Internationale Steuerrecht – herrscht kein Mangel,4 und erst recht beleuchtet eine Vielzahl an Beiträgen und Kommentierungen die unzähligen Einzelprobleme im Zusammenhang mit allgemeinen oder speziellen Missbrauchsvorbehalten. Letzteres ist auch ein Verdienst der äußerst regen Beteiligung der Praxis am wissenschaftlichen Diskurs; mitunter wird sogar ersten gesetzgeberischen Rohentwürfen eine vielfache Beachtung geschenkt.5 Dass in Bezug auf den Begriff des Gestaltungsmissbrauchs im Generellen – und im Internationalen Steuerrecht im Besonderen – jedoch nach wie vor ein Untersuchungsbedarf besteht, zeigt sich schon in dessen Aktualität als Tagungsthema: In jüngerer Zeit haben sich sowohl der 64. IFA-Kongress6 als auch die 34. Jahrestagung der DStJG7 dem gewidmet; bei der letztgenannten wurde gar ausdrücklich festgestellt, dass ein Generalthema namens „Gestaltungsfreiheit und Gestaltungsmissbrauch“ keiner besonderen Rechtfertigung bedürfe.8 4

5

6

7

8

2

Aus dem Blickwinkel des nationalen Rechts vgl. etwa: Brosig, Basisgesellschaften; Danzer, Steuerumgehung; Hensel, A., in: FS Zitelmann, S. 217 ff.; Klein, Steuerumgehungstatbestand; Paschen, Steuerumgehung; Sieker, Umgehungsgeschäfte. Mit Fokus auf das Europäische Steuerrecht und das Internationale Steuerrecht i.e.S. vgl. etwa: Böing, Gestaltungsmissbrauch; Fischer, in: FS Reiß, S. 621 ff.; Hey, in: Lüdicke, Wo steht das deutsche Internationale Steuerrecht, S. 137 ff.; Kofler, DBA und Gemeinschaftsrecht; Kraft, Treaty Shopping; Schön, Gestaltungsmissbrauch; Suchowerskyj, Missbrauchsbegriff; Vogel, in: Haarmann, Grenzen der Gestaltung, S. 79 ff. Siehe zu guter Letzt auch die umfangreichen Kommentierungen zu § 42 AO von Fischer, in: H/H/Sp; Drüen, in: Tipke/Kruse. Im Zusammenhang mit dem vorliegenden Untersuchungsgegenstand vgl. etwa die Ausführungen zu den Referenten- und Kabinettsentwürfen zum JStG 2008 (Änderung § 42 AO), hierzu siehe ausführlich m.w.N. im 1. Teil, B.I.2, S. 52; vgl. auch zum JStG 2007 (Änderung § 50d Abs. 3 EStG) im 2. Teil, B, S. 355. Besonders zu erwähnen ist die Beteiligung der Praxis der steuerlichen Rechtsberatung. Generalthema 1: „Tax treaties and tax avoidance: application of anti-avoidance provisions”, 64. Jahreskongress der International Fiscal Association (IFA), 29. August – 3. September 2010, Rom. Weiterführend vgl. etwa Linn, IStR 2010, 542, sowie den Tagungsbericht von Aumayr et al., ÖStZ 2010, 520 (520). „Gestaltungsfreiheit und Gestaltungsmissbrauch im Steuerrecht“, 34. Jahrestagung der Deutschen Steuerjuristischen Gesellschaft e.V. (DStJG), 14./15. September 2009, Nürnberg; hierzu auch der gleichlautende Tagungsband (DStJG Bd. 33). Seer, DStJG Bd. 33, S. 1.

Einleitung

Dies hängt einerseits ganz vordergründig damit zusammen, dass der Gesetzgeber Missbrauchsvorbehalte fortentwickelt und sich damit bestehende Problemfelder verändern oder neue entstehen. Hervorzuheben ist namentlich die Neufassung der Generalklausel des § 42 AO durch das JStG 2008,9 die neben einer versuchten „Definition“10 des Missbrauchs grundlegende methodische Fragen aufwirft; insbesondere ist deren Verhältnis zu den zahlreichen speziellen Normen zur Missbrauchsverhinderung betroffen. Damit bedarf es schon innerhalb der Ebene der nationalen Rechtsordnung einer Erforschung dessen, nach welchen Kriterien Gestaltungen als „missbräuchlich“ erachtet werden, insbesondere im Hinblick auf die Existenz eines übergreifenden Verständnisses und etwaiger Differenzen. Andererseits wirken das Völkerrecht und speziell das Europäische Steuerrecht in signifikantem Maße auf dieses Problemfeld ein, so dass der mehrebenigen Betrachtung eine zunehmende Bedeutung zukommt. Gewissermaßen ist gerade das Zusammentreffen unterschiedlicher Rechtskreise für das Internationale Steuerrecht prägend, so dass sich auch beim Thema „Gestaltungsmissbrauch“ mehrere durchaus unterschiedliche Konzeptionen und Vorstellungen zu dessen Kennzeichnung begegnen. Damit verbunden sind erst recht vielgestaltige Erkenntnismöglichkeiten, nach welchen Maßstäben eine Steuergestaltung mitunter als ein unerwünschter „Missbrauch“ zu qualifizieren ist. Ziel dieser Untersuchung – und mithin Rechtfertigung des 1. Teils – ist es daher, im Wege einer grundlegenden Betrachtung die entsprechenden Maßstäbe zu ermitteln und deren Verhältnis sowohl innerhalb der jeweiligen Rechtskreise als auch zwischen diesen übergreifend zu beleuchten. Abgesehen von durchaus vorhandenen Kongruenzen ist es dabei erforderlich, mögliche Kollisionen zu identifizieren und mittels allgemeiner Zuordnungskriterien deren Bewältigung aufzuzeigen. All diese Erwägungen kristallisieren sich in besonderem Maße im sog. „Treaty Shopping“11, dem „Sich-Einkaufen in die Schutzwirkung eines Abkom9 JStG 2008 vom 20.12.2007, BGBl I 2007, S. 3150. 10 Durch das JStG 2008 sollte eine präzise und effektive Regelung des Missbrauchs geschaffen werden, Kabinettsentwurf vom 08.08.2007, BT-Ds.16/6290, S. 81. Eine Definition der Unangemessenheit wurde im Gesetzgebungsverfahren indes als unmöglich abgelehnt, BT-Ds.16/7036, S. 24. Dazu ausführlich im 1. Teil, B.I.2., S. 52. 11 Der Begriff entstammt der Gestaltungsberatung im Internationalen Steuerrecht. Da diese in der Praxis ganz besonders durch die englische Sprache geprägt wird und sich der Begriff in Rechts- und Wirtschaftswissenschaft gleichermaßen etabliert hat, wird im Folgenden – auch im Interesse der besseren Lesbarkeit – auf die Setzung von Anführungszeichen vernichtet und Treaty Shopping als feststehender Begriff verwendet. Entsprechendes gilt im weiteren Verlauf der Arbeit für vergleichbare Terminologie von herausragender Bedeutung. Zur Begriffsklärung siehe im Folgenden A.II, S. 9.

3

Einleitung

mens“12: Wie noch zu zeigen ist, steht diese Gestaltungsvariante des Internationalen Steuerrechts jedenfalls in ihrer deutschen Entsprechung in engem Zusammenhang mit „missbräuchlichem“ Verhalten.13 Da es sich um keine neue Erscheinungsform handelt, könnte insoweit zwar auf bereits bestehende Abhandlungen verwiesen werden.14 Allerdings wurde nicht nur der bereits genannte § 42 AO, sondern auch die diesbezüglich relevanten speziellen Missbrauchsvorbehalte in jüngerer Zeit signifikant fortentwickelt.15 Beachtung gefunden hat hierbei insbesondere die Verschärfung des als „Anti-TreatyShopping-Regelung“16 bezeichneten § 50d Abs. 3 EStG durch das Jahressteuergesetz 2007 (JStG 2007),17 welche zahlreiche kritische Reaktionen im Schrifttum nach sich zog.18 Vergleichbares gilt für die nochmalige Änderung zum 01.01.2012 durch das BeitrRLUmsG, die in dieser Arbeit in einem Nachtrag gewürdigt wird.19 Zu nennen ist ferner die Neufassung der sog. „Limitation on Benefits“ Klausel20 des Art. 28 DBA-USA im Zuge der Revision des DBA zwischen Deutschland und den USA.21 An einer grundlegenden, umfas12 Bader, Steuergestaltung mit Holdinggesellschaften, S. 100; Becker, in: DStJG Bd. 8, S. 172; Brähler, Internationales Steuerrecht, S. 360; Hintzen, Zwischenholding, S. 48 und Fn. 384; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, S. 358; Kraft, Treaty Shopping, S. 2; Zettler, Treaty Shopping, S. 21. 13 Becker, in: DStJG Bd. 8, S. 171 ff.; Fischer, in: H/H/Sp, § 42 AO Rn. 571. Hierzu auch sogleich B.I, S. 17. 14 Zu § 50d Abs. 1a EStG a.F. siehe etwa die Monographien von Kraft, Treaty Shopping; Zettler, Treaty Shopping. 15 Dazu im Einzelnen sogleich unter B, S. 17. 16 Grundlegend Kraft, IStR 1994, 370 (370 f.); Vogel, Diskussionsbeitrag in: Vogel, Grundfragen, S. 261; Zettler, Treaty Shopping, S. 20. Aus der neueren Literatur siehe Bader, Steuergestaltung mit Holdinggesellschaften, S. 128; Brähler, Internationales Steuerrecht, S. 364; Grotherr, IStR 2006, 361 (361); Hergeth/Ettinger, IStR 2006, 307 (307); Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, S. 1058 f.; Kessler/Eicke, IStR 2006, 577 (577); Kollruss, IStR 2007, 870 (870). 17 JStG 2007 vom 13.12.2006, BGBl I 2006, S. 2878. 18 Siehe etwa Altrichter-Herzberg, GmbHR 2007, 579 ff.; Beußer, IStR 2007, 316 ff.; Bron, DB 2007, 1273 ff.; Bünning/Mühle, BB 2006, 2159 ff.; Grotherr, RIW 2006, 898 (906 ff.); Günkel/Lieber, DB 2006, 2197 ff.; Kempf/Meyer, DStZ 2007, 584 ff.; Kessler/Eicke, IStR 2006, 577 ff.; Kessler/Eicke, DStR 2007, 781 (781); Kollruss, IStR 2007, 870 ff.; Korts, IStR 2007, 663 ff.; Piltz, IStR 2007, 793 ff.; Ritzer/Stangl, GmbHR 2006, 757 (764 ff.); Wiese/Süß, GmbHR 2006, 972. 19 Hierzu siehe den Nachtrag im 2. Teil, C, S. 479. 20 Oftmals wird auch die Umschreibung „Limitation of Benefits“ oder „Limitations on/of Benefits“ gebraucht. In Veröffentlichungen der IRS (Internal Revenue Service – US-amerikanische Finanzbehörde) wird zumeist der auch hier im Folgenden verwendete Begriff „Limitation on Benefits“ benutzt. 21 Protokoll vom 01.06.2006 zur Änderung des Abkommen vom 29.08.1989 zwischen der Bundesrepublik Deutschland und den Vereinigten Staaten von Amerika zur Vermeidung der Doppelbesteuerung und zur Verhinderung der Steuerverkürzung auf dem Gebiet der

4

Einleitung

senden Erforschung des Treaty Shopping im Lichte all dieser fortentwickelten Missbrauchsvorbehalte fehlt es – soweit ersichtlich – bislang.22 Ein Untersuchungsbedarf besteht ferner deshalb, da das Treaty Shopping ganz besonders dadurch gekennzeichnet ist, dass es auf sämtlichen Ebenen des Internationalen Steuerrechts Rechtsfragen aufwirft im Hinblick auf Missbrauchsvorbehalte ganz unterschiedlicher Konzeption und inhaltlicher Ausgestaltung. Treaty Shopping steht mithin mehr als nur exemplarisch für die angesprochene Mannigfaltigkeit des „Missbrauchs“, für die damit verbundene Möglichkeit einer Kollision der relevanten Maßstäbe, sowie für die Notwendigkeit deren Identifizierung und Bewältigung. Insoweit kann eine tiefgehende und umfassende Betrachtung des Treaty Shopping auch nur unter Heranziehung der vorab ermittelten grundlegenden Maßstäbe und Kriterien erfolgen – dies ist Ziel des 2. Teils dieser Arbeit. Hieraus ergibt sich insgesamt die Berechtigung dieser Untersuchung zu „Treaty Shopping und Gestaltungsmissbrauch“.

Steuern vom Einkommen und vom Vermögen und einiger anderer Steuern (BGBl II 1991, S. 354), BGBl II 2008, S. 611 (berichtigt BGBl II 2008, S. 851). 22 Zu nennen sind aber insbesondere die Darstellungen von Renger, Treaty Shopping (69 S.), und Hofmann, § 50d Abs. 3 EStG (46 S.), die sich auf § 50d Abs. 3 EStG beschränken und auf mögliche Kollisionsprobleme nur knapp eingehen. Auf die Nennung der zahlreichen Kurzbeiträge und der Stellungnahmen zu Einzelfragen wird an dieser Stelle verzichtet, vgl. hierzu aber auch Fn. 18.

5

A. I.

Problemstellung: Treaty Shopping als Element der internationalen Steuerplanung Internationale Steuerplanung mit Holdinggesellschaften

Treaty Shopping ist untrennbar mit dem Begriff der internationalen Steuerplanung verbunden, welcher die Versuche global tätiger Unternehmen umschreibt, durch aktive Gestaltung der unternehmerischen Handlungen die weltweite Steuerquote des Gesamtkonzerns zu minimieren.1 Neben einer Steuerplanung dem Grunde und dem Zeitpunkt nach erfolgt auch eine Beeinflussung der Besteuerung der Höhe nach, d.h. Erträge sollen dort anfallen, wo sie einem niedrigeren Steuersatz unterworfen sind; Doppelbesteuerungen müssen vermieden werden.2 Eine Variante der Gestaltungspraxis ist dabei die Zwischenschaltung einer Holdinggesellschaft3 als zusätzliches Subjekt der Einkünfteerzielung. Aus der Anwendung des Trennungsprinzips bei Kapitalgesellschaften4 und der unterschiedlichen Ausgestaltung der jeweiligen Steuersysteme ergeben sich insoweit zahlreiche Ansatzpunkte für ertragsteuerlich motivierte Gestaltungsmaßnahmen, die in Repatriierungs- und Allokationsstrategien unterschieden wer1

2 3

4

Brähler, Internationales Steuerrecht, S. 373; Hey, Steuerplanungssicherheit, S. 11; Hintzen, Zwischenholding, S. 41 f.; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, S. 911 ff.; Kessler, Euro-Holding, S. 71 ff.; Kessler/Dorfmüller, PIStB 2001, 177 (177); Kratz, Steuerplanung, S. 49 ff; Streu, in: Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung, S. 142. Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, S. 911 f.; Kessler/Dorfmüller, PIStB 2001, 177 (177). Aus betriebswirtschaftlicher Sicht werden verschiedene Arten der Holding unterschieden; zu differenzieren sei insbesondere zwischen einerseits dem bloßen Halten und Verwalten der Beteiligungen, regelmäßig mit Übernahme der Finanzierungsfunktion (Finanzholding bzw. Verwaltungsholding, auch als Holding i.w.S. bezeichnet), und andererseits der zusätzlichen Übernahme von Führungsfunktionen und unternehmerischen Einflusses gegenüber den Beteiligungsgesellschaften (geschäftsleitende Holding bzw. Managementholding, auch Holding i.e.S.); hierzu vgl. Bader, Steuergestaltung mit Holdinggesellschaften, S. 30 ff.; Haarmann, in: FS Djanani, S. 287 f.; Hintzen, Zwischenholding, S. 9 ff.; Keller, Unternehmensführung, S. 55 f.; Kessler, Euro-Holding, S. 10; Schaumburg, Steuerliche Gestaltungsziele, in: Schaumburg/Piltz, Holdinggesellschaften, S. 2 f. Die Unterscheidung ist an dieser Stelle nicht von Bedeutung, auf sie ist jedoch im 2. Teil, B.I.2.b, S. 373, gesondert einzugehen Hintzen, Zwischenholding, S. 47; Kessler, in: Fischer, Grenzüberschreitende Aktivitäten, S. 130 f.; Kessler, in: Schaumburg/Piltz, Holdinggesellschaften, S. 67 ff.; Schaumburg, in: Schaumburg/Piltz, Holdinggesellschaften, S. 19; Schwenke, BB 1998, 2604 (2612); Streu, in: Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung, S. 142.

7

Problemstellung

den können:5 Während bei letzteren eine Zuordnung von Ertrag und/oder Aufwand innerhalb des Konzernverbunds bezweckt ist, also eine Gewinnrealisierung bei der Holding erfolgt – sei es nun „bottom up“ oder „top down“ –,6 geht es bei den Repatriierungsstrategien ausschließlich um die Gestaltung des konzerninternen Einkommenstransfers, d.h. die Gewinne der operativ tätigen Gesellschaft werden auf ihrem Weg an die Konzernspitze lediglich umgeleitet;7 teilweise erfolgt auch eine gleichzeitige Umqualifizierung der jeweiligen Einkünfte.8 Die zwischengeschaltete Holdinggesellschaft (kurz: „Zwischengesellschaft“9) wird dabei auch als „conduit company“ bezeichnet;10 z.T. wird ebenso der – vornehmlich andere Fallgestaltungen umfassende und insoweit unscharfe – Begriff der „Basisgesellschaft“ verwendet.11 5 Brähler, Internationales Steuerrecht, S. 375 f.; Kessler, Euro-Holding, S. 82 ff.; Kessler, in: Fischer, Grenzüberschreitende Aktivitäten, S. 136; Kessler/Dorfmüller, PIStB 2001, 177 (179). 6 Als „bottom up“ wird die Gewinnverlagerung nach oben zur Holding hin bezeichnet; hierzu zählen insbesondere die Organschaft nach deutschem Recht, §§ 14 ff. KStG, sowie Modelle der Gruppenbesteuerung. Als „top down“ wird die Gewinnverlagerung von der Spitzeneinheit nach unten bezeichnet, insbesondere bei Modellen der steuerwirksamen Beteiligungsfinanzierung und zur Realisierung von Veräußerungsgewinnen bzw. Teilwertabschreibungen. Siehe Brähler, Internationales Steuerrecht, S. 392 ff.; Kessler, in: Fischer, Grenzüberschreitende Aktivitäten, S. 138; Kessler, in: Schaumburg/Piltz, Holdinggesellschaften, S. 99 ff.; Kessler/Dorfmüller, PIStB 2001, 177 (182). Gestaltungshürden zur Verlagerung in Niedrigsteuerländern ergeben sich aus den Vorschriften über die Hinzurechnungsbesteuerung, §§ 7 ff. AStG, in anderen Ländern teilweise auch als „controlled foreign company rules“ (CFC-Rules) bekannt. 7 Brähler, Internationales Steuerrecht, S. 376 f.; Hintzen, Zwischenholding, S. 47 ff.; Hoffmann, in: Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung, S. 509 f.; Kessler, Internationale Holdingstandorte in: Schaumburg/Piltz, Holdinggesellschaften, S. 81; Kessler/Dorfmüller, PIStB 2001, 177 (180). 8 Brähler, Internationales Steuerrecht, S. 387 ff.; Henkel, in: Mössner, Steuerrecht international tätiger Unternehmen, Rn. F 154; Hintzen, Zwischenholding, S. 54 ff.; Hoffmann, in: Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung, S. 515 ff.; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, S. 358; Kessler, in: Schaumburg/Piltz, Holdinggesellschaften, S. 94 ff; Kessler/Dorfmüller, PIStB 2001, 177 (181). 9 Der Begriff der „Zwischengesellschaft“ wird auch von § 8 Abs. 1 AStG verwendet, umschreibt dort aber nur die Konstellation der Zwischenschaltung im Outbound-Fall. Im Rahmen dieser Untersuchung sind die Begriffe nicht gleichzusetzen, auf § 8 AStG wird erforderlichenfalls gesondert verwiesen. 10 Bader, Steuergestaltung mit Holdinggesellschaften, S. 177; Brähler, Internationales Steuerrecht, S. 377 Fn. 594 f.; Hintzen, Zwischenholding, S. 50; OECD, in: OECD, Four Related Studies, S. 87 ff. 11 Basisgesellschaften im engeren Sinne sind „Tochtergesellschaften ohne eigenständige wirtschaftliche Funktionen, die für inländische wirtschaftliche Interessen zwischengeschaltet sind und eine Abschirmwirkung entfalten, weil die Erträge dieses selbständigen

8

Treaty Shopping, Directive Shopping und Rule Shopping

Die von der Grundeinheit am Markt erwirtschafteten Einkünfte durchlaufen auf dem Weg zur Spitzeneinheit zwar eine zusätzliche Stufe und vergrößern damit tendenziell die Summe der potentiell steuerpflichtigen Einkünfte des Gesamtkonzerns (Kaskadeneffekt) sowie die Gefahr einer Doppelbesteuerung.12 Allerdings kann eine derartige Gestaltung dann sinnvoll sein, wenn die Zwischengesellschaft in einem Staat ansässig ist, der die entsprechenden Erträge im Ergebnis nicht oder nur gering besteuert, und die auf der verlängerten Dividendenroute insgesamt anfallenden (Quellen-) Steuern – sowie die zusätzlich entstehenden Kosten – niedriger sind als bei unmittelbarer Ausschüttung.13 Treaty Shopping stellt dabei einen der Hauptanwendungsfälle einer solchen Repatriierungsstrategie mittels Umleitung von Einkünften dar.

II.

Treaty Shopping, Directive Shopping und Rule Shopping

Der Begriff des Treaty Shopping wird zumeist im weiten Sinne verstanden und schließt dann neben dem Treaty Shopping im engeren Sinne auch die Varianten des Directive Shopping und des Rule Shopping mit ein. Es ist daher im Folgenden auch auf die jeweiligen Unterschiede einzugehen und deren Bedeutung für den weiteren Verlauf der Untersuchung.

Rechtsträgers in seinem Sitzstaat einer geringeren Besteuerung als im Ansässigkeitsstaat der Gesellschafter unterliegen“, siehe Brosig, Basisgesellschaften, S. 5 f.; Henkel, in: Mössner, Steuerrecht international tätiger Unternehmen, Rn. E 378 f. und Schwarz, in: Schwarz, AO, § 42 Rn. 122. Begrifflich unscharf wird der Begriff aber ebenso als Synonym für die missbräuchliche Zwischenschaltung ausländischer Kapitalgesellschaften und daher uneinheitlich verwendet, vgl. Brähler, Internationales Steuerrecht, S. 360 und Fn. 540; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, S. 434; Keller, Unternehmensführung, S. 101 f.; Rengers, in: Blümich, ESt – KSt – GewSt, § 1 KStG Rn. 150. Im Zusammenhang mit Treaty Shopping Gestaltungen hat der BFH zuletzt im Urteil vom 29.01.2008 – I R 26/06 (SOPARFI) – IStR 2008, 364, von der Zwischenholding als „Basisgesellschaft“ gesprochen. 12 Hintzen, Zwischenholding, S. 47 f.; Kessler, in: Fischer, Grenzüberschreitende Aktivitäten, S. 137; Kessler, in: Schaumburg/Piltz, Holdinggesellschaften, S. 67 ff. und S. 80 f.; Kessler/Dorfmüller, PIStB 2001, 177 (179). 13 Brähler, Internationales Steuerrecht, S. 377; Hintzen, Zwischenholding, S. 51; Kessler, in: Fischer, Grenzüberschreitende Aktivitäten, S. 137; Kessler, in: Schaumburg/Piltz, Holdinggesellschaften, S. 81; Kessler/Dorfmüller, PIStB 2001, 177 (179).

9

Problemstellung

1.

Treaty Shopping

Treaty Shopping wird wörtlich übersetzt mit „Sich-Einkaufen in die Schutzwirkung eines Abkommens“.14 Umschrieben werden damit Gestaltungsstrategien, bei denen durch Gründung von Zwischengesellschaften Steuervergünstigungen aus bestehenden Doppelbesteuerungsabkommen (DBA) in Anspruch genommen werden, zu denen die Obergesellschaft bei unmittelbarer Beteiligung selbst nicht berechtigt wäre.15 Dies wird auch als Treaty Shopping im engeren Sinne bezeichnet.16 Die dabei zu erzielende Steuervergünstigung besteht in erster Linie in der Reduktion oder gar vollständigen Vermeidung von Quellensteuern, welche zur Abgeltung einer beschränkten Steuerpflicht im Quellenstaat bestehen.17 14 Bader, Steuergestaltung mit Holdinggesellschaften, S. 100; Becker, in: DStJG Bd. 8, S. 172; Brähler, Internationales Steuerrecht, S. 360; Hintzen, Zwischenholding, S. 48 und Fn. 384; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, S. 358; Kraft, Treaty Shopping, S. 2; Zettler, Treaty Shopping, S. 21. 15 Bader, Steuergestaltung mit Holdinggesellschaften, S. 100; Brosig, Basisgesellschaften, S. 76; Bürger, Steuerflucht, S. 105; Brähler, Internationales Steuerrecht, S. 365; Füger, in: Handbuch der internationalen Steuerplanung, S. 787 f.; Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50d Rn. 24; Haase, Internationales und Europäisches Steuerrecht, Rn. 666 f.; Loschelder, in: Schmidt, EStG, § 50d Rn. 45; Henkel, in: Mössner, Steuerrecht international tätiger Unternehmen, Rn. F 154; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, S. 358; Kessler/Eicke, DStR 2007, 781 (781); Kraft, Treaty Shopping, S. 1 f.; Mössner, in: Fischer, Wirtschaftliche Aktivitäten von Ausländern, S. 85 ff.; Musil, Treaty Overriding, S. 197 f.; Piltz, BB 1987, Beilage zu Heft 14, S. 2; Prokisch, in: Vogel/Lehner, DBA, Art. 1 Rn. 101; Renger, Treaty Shopping, S. 3 f.; Rengers, in: Blümich, ESt – KSt – GewSt, § 1 KStG Rn. 150; Schaumburg, in: Schaumburg/Piltz, Holdinggesellschaften, S. 61 Fn. 145; Zettler, Treaty Shopping, S. 20 f. Nach OECD, in: OECD, Four Related Studies, S. 88 wird die Situation des Treaty Shopping folgendermaßen umschrieben: “…where a company situated in a treaty country is acting as a conduit for channelling income economically accruing to a person in another state who is thereby able to take advantage ‘improperly’ of the benefits provided by a tax treaty.” Siehe auch OECD, Intertax 1987, S. 124: “…a taxpayer searches for a country with a favourable network of treaties in order to set up a legal structure that would indirectly enable him to take advantage of a convention with a third state which otherwise would not have applied.” Die Muttergesellschaft kauft sich mittels der Zwischengesellschaft sozusagen in ein günstiges Abkommensnetzwerk ein 16 Hintzen, Zwischenholding, S. 49 und Fn. 388; Mössner, in: Fischer, Wirtschaftliche Aktivitäten von Ausländern, S. 89; Renger, Treaty Shopping, S. 4. 17 Bader, Steuergestaltung mit Holdinggesellschaften, S. 99 und S. 177; Brähler, Internationales Steuerrecht, S:377 f.; Haase, Internationales und Europäisches Steuerrecht, Rn. 396 ff.; Hierstetter, in: Erle/Sauter, KStG, § 50d EStG Rn. 51; Hoffmann, in: Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung, S. 512 f.; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, S. 1022 ff.; Kessler, in: Schaumburg/Piltz, Holdinggesellschaften, S. 69.

10

Treaty Shopping, Directive Shopping und Rule Shopping

Grundsätzlich ist das Treaty Shopping nicht auf eine einzelne Einkunftsart beschränkt, sondern kann Bedeutung immer dann erlangen, wenn das jeweilige nationale Recht eine solche Quellensteuer vorsieht, insbesondere also bei Dividendenzahlungen an die Muttergesellschaft, bei Zins- und Lizenzzahlungen, sowie bei künstlerischer und sportlicher Tätigkeit.18 Da für die Effektivität der Gestaltungsstrategie aber auch die Frage der Besteuerung beim Empfänger im Ausland einzubeziehen ist, haben in erster Linie Gestaltungen mit Dividendenzahlungen praktische Bedeutung. Bei diesen kommen nämlich zusätzlich Beteiligungs- bzw. Schachtelprivilegien in Betracht, die anderen Einkunftsarten unterliegen beim Zahlungsempfänger hingegen regelmäßig einer definitiven Besteuerung.19 Die weitere Darstellung konzentriert sich daher auf Dividendenzahlungen als relevante Einkünfte, auf etwaige Besonderheiten der übrigen Einkunftsarten wird bei Bedarf verwiesen. Klassisch ist Treaty Shopping auf eine Konstellation mit drei Gesellschaften in drei beteiligten Staaten angelegt:20 Der niedrig besteuernde Ansässigkeitsstaat der Obergesellschaft (meist Private-Equity-Fonds aus sog. Offshore Staaten wie z.B. Bermudas, British Virgin Islands, Cayman Islands), der Staat der Zwischengesellschaft in einem Land mit günstigem Abkommensnetzwerk (z.B. Niederlande, Luxemburg), und der Ansässigkeitsstaat der operativ tätigen Tochtergesellschaft in einem regelmäßig hoch besteuernden Industrieland, in dem das eigentliche Investment getätigt wird (z.B. deutsche GmbH). Die auf zwei Ausschüttungen in der Summe anfallende Quellensteuer kann dann günstiger sein als bei direkter Ausschüttung der operativen Gesellschaft an die Treaty Shopping betrifft in erster Linie Quellensteuern bei Ertragsteuern, denn Voraussetzung ist einerseits das Nebeneinander von Welteinkommens- und Territorialitätsprinzip als Ausgangspunkt der Doppelbesteuerung, andererseits das Vorhandensein entsprechender Abkommen, die entsprechend ausgenutzt werden können. Im Bereich der indirekten Steuern (insbesondere Umsatzsteuer) spielt Treaty Shopping aufgrund der weitgehenden europarechtlichen Harmonisierung sowie zahlreicher (internationaler) zoll- und handelsrechtlicher Abkommen und Spezialvorschriften keine Rolle. Davon zu trennen ist die Frage, ob die Vorschrift des § 50d Abs. 3 EStG – insbesondere aufgrund ihrer systematischen Stellung – ausschließlich auf die genannten Quellensteuern und Einkünfte Anwendung findet, dazu siehe im 2. Teil, B.I., S. 356 f. 18 Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, S. 1022 ff.; Renger, Treaty Shopping, S. 4. Auch wenn Einkünfte aus künstlerischer und sportlicher Tätigkeit i.d.R. von natürlichen Personen erwirtschaftet werden, sind dennoch Gestaltungen durch Einschaltung einer Künstler- oder Sportverwertungsgesellschaft denkbar. Weitere Voraussetzung ist hierbei freilich, dass der Künstler/Sportler auch Gesellschafter der Verwertungsgesellschaft ist und nicht nur nichtselbständig tätig wird, hierzu Zettler, Treaty Shopping, S. 211, und C.III.2, S. 31. 19 Bader, Steuergestaltung mit Holdinggesellschaften, S. 177 Fn. 519. 20 Becker, in: DStJG Bd. 8, S. 172 f., spricht vom Dreiecksverhältnis. Vgl. auch Renger, Treaty Shopping, S. 5.

11

Problemstellung

Obergesellschaft; so ist nach Art. 10 Abs. 2 OECD-MA bei mindestens 25%iger Beteiligung eine Quellensteuer auf Dividenden von nur 5% zulässig, in einigen Abkommen wie z.B. Art. 10 Abs. 3 DBA-USA n.F.21 entfällt diese sogar gänzlich. Zusammenfassend kann eine Treaty Shopping Gestaltung folgendermaßen vereinfacht dargestellt werden:22

Obergesellschaft (z.B. Bahamas Ltd.) 100% Zwischengesellschaft (z.B. niederländ. BV) 100% operative Gesellschaft (z.B. deutsche GmbH)

Dividende; nach jeweiligem DBA keine oder geringe Quellensteuer (Art. 10Abs. 2 OECDMA) Dividende; nach jeweiligem DBA keine oder geringe Quellensteuer (Art. 10Abs. 2 OECDMA)

Summe der anfallenden Quellensteuern günstiger als bei direkter Ausschüttung der dt. GmbH an Bahamas-Ltd. (kein DBA)

Der hier als operative Gesellschaft bezeichneten Einheit (auch: Grundeinheit, Tochtergesellschaft) können auch weitere Kapital- oder Personengesellschaften nachgeschaltet sein; dafür könnten im Einzelfall sowohl steuerrechtliche als auch gesellschaftsrechtliche, arbeitsrechtliche oder sonstige (wirtschaftliche) Gründe sprechen. Ebenso stehen hinter der als Obergesellschaft bezeichneten Einheit (auch: Spitzeneinheit, Muttergesellschaft) noch weitere Anteilseigner in Form von natürlichen Personen oder weiteren Gesellschaften bzw. Vermögensmassen. Bei den drei hier abgebildeten Gesellschaften handelt es sich aber ganz regelmäßig um Kapitalgesellschaften oder andere nach dem Trennungsprinzip als intransparent besteuerte Gesellschaftsformen,23 da an21 Siehe oben Einleitung vor A, Fn. 21. 22 Aus Sicht des deutschen Internationalen Steuerrechts liegt ein Inbound-Fall vor, dazu sogleich C.II.1, S. 22. Zur grafischen Darstellung vgl. auch Brähler, Internationales Steuerrecht, S. 379 f.; Hölzemann, IStR 2006, 830 (830); Kempf/Meyer, DStZ 2009, 584 (585); Renger, Treaty Shopping, S. 5. 23 Eine Personengesellschaft wird nach dt. Recht transparent besteuert, d.h. als hätten deren (ausländische) Gesellschafter eine (inländische) Betriebsstätte; andere Steuerjurisdiktionen gestehen ihr aber die entsprechende Steuerrechtsfähigkeit bzw. ein Wahlrecht auf intransparente Besteuerung zu (v.a. US check-the-box regulations). Dazu siehe Brähler, Internationales Steuerrecht, S. 328; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, S. 513 f.

12

Treaty Shopping, Directive Shopping und Rule Shopping

sonsten das Besteuerungsrecht nach dem Betriebsstättenprinzip dem Tätigkeitsstaat zugewiesen wäre, vgl. Art. 7 Abs. 1 OECD-MA.24 Letzteres beträfe aufgrund des Betriebsstättenvorbehalts in Art. 11 Abs. 4 und Art. 12 Abs. 3 OECD-MA auch Zins- und Lizenzzahlungen, Dividenden könnten schon begrifflich nicht anfallen.

2.

Directive Shopping

Das Directive Shopping zeichnet sich dadurch aus, dass durch Gründung der Zwischengesellschaft nicht ein bestehendes DBA, sondern vielmehr die Quellensteuerfreiheit für Dividendenausschüttungen innerhalb der EU nach der Mutter-Tochter-Richtlinie (MTRL)25 ausgenutzt wird.26 So wird nach § 43b EStG, welcher die Richtlinie in nationales Recht umsetzt,27 auf Antrag keine Kapitalertragsteuer auf Einkünfte i.S.v. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG erhoben, wenn die Muttergesellschaft in Deutschland nicht unbeschränkt steuerpflichtig ist, in einem anderen Mitgliedstaat ansässig ist, eine bestimmte Rechtsform aufweist – namentlich nach dem jeweiligen Landesrecht entsprechend einer Kapitalgesellschaft zur Körperschaftsteuer herangezogen wird, vgl. Anlage 2 zum EStG –, und über einen Zeitraum von 12 Monaten zu mindestens 10%28 an der ausschüttenden (unbeschränkt steuerpflichtigen) Körperschaft beteiligt ist. Dies ist gegenüber dem Ausnutzen eines DBA insoweit regelmäßig günstiger, als so eine gänzliche Vermeidung erreicht werden kann, während Art. 10 Abs. 2 OECD-MA lediglich eine Reduktion der Quellensteuer auf 5% bei Schachteldividenden (Mindestbeteiligung regelmäßig 25%) und 15% auf Streubesitzdividenden (ohne Mindestbeteiligung) vorsieht. Andererseits ist der Anwen-

24 Letztlich handelt es sich um eine Frage des personalen Anwendungsbereiches des jeweiligen Einkünfteartikels und damit der konkreten Auslegung eines bestehenden DBA. 25 Ursprünglich Richtlinie 90/435/EWG des Rates vom 23.07.1990 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten, ABlEG L 225, S. 6; als konsolidierte Neufassung nun Richtlinie 2011/96/EU des Rates vom 30.11.2011, ABl L 345, S. 8. Im Englischen als Parents Subsidiary Directive bezeichnet. 26 Bader, Steuergestaltung mit Holdinggesellschaften, S. 100 f.; Bergmann, StuW 2010, 246 (259 f.); Brähler, Internationales Steuerrecht, S. 377; Füger, in: Handbuch der internationalen Steuerplanung, S. 788 und Fn. 11; Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50d Rn. 24; Loschelder, in: Schmidt, EStG, § 50d Rn. 45; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, S. 358; Kraft, IStR 1994, 370 (371); Renger, Treaty Shopping, S. 4; Musil, Treaty Overriding, S. 198; Saß, DB 1994, 1589 (1590 f.); Schaumburg, in: Schaumburg/Piltz, Holdinggesellschaften, S. 61; Zettler, Treaty Shopping, S. 21. 27 Ursprünglich § 44d EStG, seit dem StSenkG vom 23.10.2000 (BGBl I 2000, S. 1433) als § 43b EStG. Zu Umsetzungsproblemen im Einzelnen über § 50d Abs. 3 EStG hinaus vgl. Kempf/Gelsdorf, IStR 2011, 173 (173 ff.). 28 Fassung bis zum 31.12.2008: mindestens 15%; bis zum 31.12.2006: mindestens 20%.

13

Problemstellung

dungsbereich insoweit enger gefasst, als nur Standorte innerhalb der EU29 für die Ansässigkeit der Zwischengesellschaft in Betracht kommen, und als die MTRL nur Dividendeneinkünfte (§ 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG) umfasst. Seit Inkrafttreten des § 50g EStG,30 welcher in Umsetzung der Zins-/Lizenzgebührenrichtlinie (ZLRL)31 einen Steuerbefreiungstatbestand für grenzüberschreitende Zins- und Lizenzzahlungen zwischen im Binnenmarkt ansässigen verbundenen Kapitalgesellschaften – unter Einbeziehung von Betriebsstättensachverhalten – gewährt,32 sind aber auch bzgl. solcher Einkünfte Gestaltungen mit Zwischengesellschaften möglich, die ebenso als Directive Shopping bezeichnet werden können.33 Überwiegend wird das Directive Shopping als Spezialfall des Treaty Shopping34 angesehen, da die steuerplanerische Zielsetzung der Sachverhalte weitgehend vergleichbar ist. Im weiteren Verlauf der Untersuchung schließt die Benennung als Treaty Shopping daher grundsätzlich das Directive Shopping ein, soweit nicht von Treaty Shopping i.e.S. gesprochen wird.35

29 Hinweis: Grundsätzlich nicht dem Anwendungsbereich des Rechts der EG/EU unterfallen z.B. die Britischen Kanalinseln (mit Ausnahmen zum Warenverkehr), Schmalenbach, in: Callies/Ruffert, EUV/EGV, Art. 299 EGV Rn. 15. Diese eignen sich daher nicht als Holdingstandort zur Ausnutzung der MTRL. 30 EGAmtAnpG vom 02.12.2004, BGBl I 2004, S. 3112. 31 Richtlinie 2003/49/EG des Rates vom 03.06.2003 über eine gemeinsame Steuerregelung für Zahlungen von Zinsen und Lizenzgebühren zwischen verbundenen Unternehmen verschiedener Mitgliedstaaten, ABlEG L 157, S. 49; zuletzt geändert durch die Richtlinie 2006/98/EG des Rates vom 20.11.2006, ABlEG L 363, S. 29. 32 Wagner, in: Blümich, ESt – KSt – GewSt, § 50g EStG Rn. 8; Weber-Grellet, in: Schmidt, EStG, § 50g Rn. 1. 33 Vgl. Bader, Steuergestaltung mit Holdinggesellschaften, S. 181; Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50d Rn. 24. Zu beachten ist freilich, dass insbesondere bei Zinseinkünften der Anwendungsbereich schon deshalb stark eingeschränkt ist, da nur in ganz wenigen Fällen der Zinsgläubiger überhaupt in Deutschland beschränkt steuerpflichtig ist; näheres hierzu und zur Quellensteuer bei Lizenzgebühren gemäß § 50a Abs.1 S. 1 Nr. 3 EStG siehe C.III.2, S. 31. Im Rahmen dieser Untersuchung zu vernachlässigen ist die denkbare Ausnutzung weiterer (Steuer-) Richtlinien, z.B. der Verschmelzungsrichtlinie bei grenzüberschreitender Umwandlung (2005/56/EG, ABlEG L 310, S. 1) bzw. der Umsetzung durch das SEStEG (vom 07.12.2006, BGBl 2006, S. 2782). 34 Bader, Steuergestaltung mit Holdinggesellschaften, S. 100; Brähler, Internationales Steuerrecht, S. 380. Zettler, Treaty Shopping, S. 21, spricht von einer „vergleichbaren Gestaltung“. 35 Unterschiede bei der Frage der Anwendbarkeit und Gültigkeit verschiedener Missbrauchsvorbehalte können sich aber dann ergeben, wenn es insbesondere auf den genauen Normcharakter der ausgenutzten Vorschrift und die Beurteilung bestehender Kollisionslagen ankommt, vgl. etwa im 2. Teil, B.II.3, S. 442 ff.

14

Treaty Shopping, Directive Shopping und Rule Shopping

3.

Rule Shopping

Als ein weiterer Unterfall des Treaty Shopping kann auch eine Variante des Rule Shopping angesehen werden. Dieses umfasst generell gesprochen das „Einkaufen“ in die Anwendung ganz bestimmter DBA-Vorschriften, wenn also ein bereits abkommensberechtigter Steuerpflichtiger zusätzliche oder besondere Vergünstigungen erlangen will.36 Neben der Umformung der Einkunftsart37 kann hierunter auch die Gründung von Zwischengesellschaften zur Umgehung eines ansonsten eingeschränkten persönlichen Anwendungsbereiches einer DBA-Vorschrift fallen. So steht nach Art. 10 Abs. 2 OECD-MA die Ermäßigung bei Schachteldividenden nur bestimmten Kapitalgesellschaften zu, nicht aber Personengesellschaften oder natürlichen Personen. Durch Gründung einer Zwischenholding in Form einer Kapitalgesellschaft kann aber auch diese in den Genuss der Quellensteuerreduktion oder -befreiung bei Schachteldividenden gelangen. Bei all diesen Fallgestaltungen wirft die Frage der Berücksichtigung der Zwischengesellschaft aber letztlich keine zusätzlichen Probleme auf, die nicht schon durch den Begriff Treaty Shopping (i.e.S.) umschrieben werden. Auf das Rule Shopping ist daher im weiteren Verlauf nicht gesondert einzugehen.

36 Brosig, Basisgesellschaften, S. 76 Fn. 2; Brähler, Internationales Steuerrecht, S. 388; Füger, in: Handbuch der internationalen Steuerplanung, S. 789; Lüdicke, in: Piltz/Schaumburg, Unternehmensfinanzierung, S. 102 Fn. 1; Piltz, BB 1987, Beilage zu Heft 14, S. 2; Prokisch, in: Vogel/Lehner, DBA, Art. 1 Rn. 101; Stoschek/Peter, IStR 2002, 656 (656) Fn. 3. 37 Bader, Steuergestaltung mit Holdinggesellschaften, S. 103 f.; Loschelder, in: Schmidt, EStG, § 50d Rn. 45; Piltz, BB 1987, Beilage zu Heft 14, S. 2.

15

B. I.

Relevanz der Untersuchung: Treaty Shopping als Gestaltungsmissbrauch Begriffsrelation

Die Relevanz einer Untersuchung zu Treaty Shopping und Gestaltungsmissbrauch ergibt sich infolge einer anderen Verbindung der Begriffe, nämlich Treaty Shopping als Gestaltungsmissbrauch. Eine solche Relation ist den allermeisten der im deutschen Steuerrecht vor der Übernahme des englischen Begriffes Treaty Shopping verwendeten Umschreibungen bereits als These immanent. So war zunächst von der Erschleichung der Abkommensberechtigung durch Zwischenpersonen die Rede,1 aber auch von der rechtsmissbräuchlichen Inanspruchnahme von DBA.2 Der an sich wertneutrale Begriff Treaty Shopping wird in den deutschen Entsprechungen somit ganz regelmäßig als potentieller Anwendungsfall der Steuerumgehung eingeordnet.3 Diese Einschätzung ist bei erster Betrachtung nicht von der Hand zu weisen. Ausgehend von der Definition des Treaty Shopping als Gründung von Zwischengesellschaften zur Inanspruchnahme von Steuervergünstigungen aus bestehenden DBA bzw. aus der MTRL, zu denen die Obergesellschaft bei unmittelbarer Beteiligung selbst nicht berechtigt wäre,4 wird insbesondere die subjektive Zwecksetzung der Zwischenschaltung zur Erzielung von Steuervorteilen betont. Verstärkt wird dieser Eindruck noch dadurch, dass die betreffenden Zwischengesellschaften häufig dem Makel der Substanz- oder Funktionslosigkeit ausgesetzt sind und daher ausschließlich steuerliche Gründe – die quellensteuerbefreite Repatriierung von Auslandsgewinnen – für deren Einschaltung nahe liegen. Treaty Shopping kann in diesem Sinne rein formale Gestaltungen zur Erlangung materiell unberechtigter Steuervorteile umschreiben und steht damit unter dem Verdacht des Gestaltungsmissbrauches.

II.

Fortentwicklung der Missbrauchsvorbehalte

Es verwundert daher nicht, dass mit der Diskussion über die Steuergestaltungsvariante Treaty Shopping untrennbar immer auch die Frage zusammenhängt, auf welche Weise man dem am besten begegnen könne. Wenn auch die 1 2

3 4

So der Titel des Beitrages von Becker, in: DStJG Bd. 8, S. 171 ff. Siehe vollständiger Titel der Monographie von Kraft: „Die mißbräuchliche Inanspruchnahme von DBA. Zur Problematik des ‚Treaty Shopping‘ unter Berücksichtigung der Rechtslage in der Bundesrepublik Deutschland, in der Schweiz und in den Vereinigten Staaten.“ Siehe auch Fischer, in: H/H/Sp, § 42 AO Rn. 571. Becker, in: DStJG Bd. 8, S. 172; Piltz, BB 1987, Beilage zu Heft 14, S. 1 ff.) Siehe oben A, Fn. 14.

17

Relevanz der Untersuchung

Ursprünge – insbesondere in den USA – historisch sogar noch weiter zurückreichen, so kann Ende des letzten Jahrhunderts eine Intensivierung der Diskussion festgestellt werden, und zwar sowohl im Inland wie im Ausland.5 Während im US-Steuerrecht der Fokus auf Regelungen in den ausgenutzten Abkommen selbst lag,6 stritt man in Deutschland vorrangig über Anwendungsbereich und Reichweite des § 42 AO als gesetzlich normiertem, allgemeinem Missbrauchsvorbehalt. Infolge der sog. Monaco Entscheidung des BFH7 sahen Finanzverwaltung und Gesetzgeber sodann eine spezielle Vorschrift zur Begrenzung des Treaty Shopping als unerlässlich an8 und reagierten mit der Schaffung von § 50d Abs. 1a EStG zum VZ 1994 durch das StMBG9. An der durch das StÄndG10 ab VZ 2002 in § 50d Abs. 3 EStG enthaltenen Vorschrift hielt man auch fest, als sich die damaligen Bedenken hinsichtlich § 42 AO als unzutreffend erwiesen.11 Eine substantielle Änderung wurde wiederum durch den BFH ausgelöst, welcher im Hilversum II Urteil12 mehrere Zweifelsfragen der Norm zu Gunsten der steuerpflichtigen Gesellschaft entschied. In der Folge13 kam die bereits eingangs erwähnte Verschärfung des § 50d Abs. 3 EStG durch das JStG 200714 zustande, welche neue Tatbestandsmerkmale einführte, das Verhältnis der bisherigen Merkmale veränderte und einzelne Zweifelsfragen der Auslegung neu festschrieb. Im Schrifttum zog dies zahlreiche kritische Reaktionen nach sich.15 Auch der allgemeine Missbrauchsvorbehalt des § 42 AO unterlag jüngst einem Wandel: In der Neufassung durch das JStG 200816 wurde einerseits in Form des § 42 Abs. 2 AO n.F. eine Definition des Gestaltungsmissbrauches ver5 Grundlegend OECD, in: OECD, Four Related Studies, S. 87 ff.; Kraft, Treaty Shopping, S. 2 f. Ausführlich zur Begrifflichkeit siehe auch Becker, in: DStJG Bd. 8, S. 172, der aber letztlich einen Missbrauch verneint, S. 193. 6 Vgl. die Nachweise bei Becker, in: DStJG Bd. 8, S. 174 f. 7 BFH, Urteil vom 29.10.1981 – I R 89/80 – BStBl II 1982, 150. Dazu unter B.I.2.d.aa, S. 93. 8 BT-Ds. 12/5630, S. 65. 9 Mißbrauchsbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetz (StMBG) vom 21.12.1993, BGBl I 1993, S. 2310. 10 StÄndG 2001 vom 20.12.2001, BGBl I 2001, S. 3794. 11 Ausführlich dazu im 1. Teil, B.I.2.d.aa, S. 93. 12 BFH, Urteil vom 31.05.2005 – I R 74/04 u.a. – BStBl II 2006, 118. 13 Allgemein wurde dies als Reaktion des Gesetzgebers auf das Hilversum II Urteil des BFH aufgefasst, vgl. nur die Gesetzesbegründung zum Regierungsentwurf des JStG 2007 vom 25.09.2006, BT-Ds.16/2712, S. 60. 14 Siehe oben Einleitung vor A, Fn. 17. 15 Siehe oben Einleitung vor A, Fn. 18. 16 Siehe oben Einleitung vor A, Fn. 9.

18

Fortentwicklung der Missbrauchsvorbehalte

sucht,17 andererseits aber auch durch § 42 Abs. 1 S. 2 und S. 3 AO n.F. die Frage des Verhältnisses zu speziellen Missbrauchsvorbehalten erneut aufgeworfen. Wie zu zeigen ist, hat dies Auswirkungen auf dessen methodische Einordnung und führt mithin dazu, dass § 42 AO als grundlegende Norm zur Verhinderung des Gestaltungsmissbrauchs für die Beurteilung des Treaty Shopping von hervorgehobener Bedeutung bleibt. Dies gilt erst recht im Lichte einer möglichen Verfassungs- oder Unionsrechtswidrigkeit, bei der es besonders auf eine subsidiäre Anwendung und das Verhältnis zu § 50d Abs. 3 EStG ankäme. Weiterhin zu nennen bleibt § 50g Abs. 4 EStG, welcher – als selbst noch relativ „neue“ Norm – zwar in jüngerer Zeit unverändert blieb, aber infolge der wechselseitigen Bezüge zu den bereits genannten Vorschriften gleichfalls in deren Fortentwicklung einbezogen ist. In ihrer Bedeutung nicht zu unterschätzen ist zudem eine weitere Neuerung: So wurde im Zuge der Revision des DBA zwischen Deutschland und den USA18 mit Art. 28 DBA-USA die Limitation on Benefits Klausel zur Verhinderung von Abkommensvorteilen durch Gesellschaften in Drittstaaten neu gefasst. Hieraus ergibt sich ein zusätzlicher Aspekt zur Verhinderung von Gestaltungsmissbrauch durch Treaty Shopping, der sich schon konzeptorisch grundlegend von dem bislang in Deutschland vorherrschenden unilateralen Ansatz unterscheidet. Für die – infolge des US-amerikanischen Einflusses äußerst umfangreiche – Ausgestaltung im Detail gilt dies mitunter erst recht. Zusammengefasst lässt sich also ohne weiteres davon sprechen, dass zum einen Treaty Shopping untrennbar mit dem Verdacht des Gestaltungsmissbrauchs verbunden ist, und dass zum anderen die relevanten Missbrauchsvorbehalte in jüngster Zeit substantiell fortentwickelt wurden. Bereits an dieser Stelle lässt sich ferner aufzeigen, dass zur Verhinderung des Treaty Shopping mehrere Normen mit eigenen Tatbestandsvoraussetzungen und mitunter verschiedenen Konzepten zusammentreffen – teilweise unterscheiden sich diese beträchtlich, so dass unklar bleibt, unter welchen Voraussetzungen tatsächlich von einem „Missbrauch“ im Zusammenhang mit Treaty Shopping gesprochen werden kann. Aus der Notwendigkeit, diese Unterschiede aufzuzeigen und zu bewältigen, ergibt sich die Berechtigung dieser Untersuchung zu „Treaty Shopping und Gestaltungsmissbrauch“.

17 Zur „Definition“ siehe bereits oben Einleitung vor A, Fn. 10. 18 Siehe oben Einleitung vor A, Fn. 21.

19

C. Konkretisierung des Untersuchungsgegenstandes: Treaty Shopping und deutsches Internationales Steuerrecht I.

Begriff des deutschen Internationalen Steuerrechts

Die vorliegende Arbeit untersucht das Phänomen des Treaty Shopping aus dem Blickwinkel des deutschen Internationalen Steuerrechts. Auszugehen ist hierbei vom Begriff des Internationalen Steuerrechts im weiten Sinne, also der Gesamtheit aller Normen, die die Besteuerung grenzüberschreitender Sachverhalte regeln.1 Dieses kann weiter unterteilt werden in das Recht der Doppelbesteuerungsabkommen und weiterer Teile des Völkerrechts, mit deren Hilfe die verschiedenen kollidierenden Steuerhoheitsansprüche gegeneinander abgegrenzt werden sollen, das Internationale Steuerrecht im engeren Sinne.2 Darüber hinaus umfasst dies auch das nationale Außensteuerrecht, also diejenigen Vorschriften des nationalen Rechts, die sich mit der Besteuerung von auslandsbezogenen Sachverhalten befassen.3 Mit zunehmenden Maße wird auch das Europäische Steuerrecht als eigene Kategorie verstanden, also jenes Europäische Recht, das Steuern zum Gegenstand hat, mit Steuern im Zusammenhang steht und sich auf die nationalen Steuerrechtsordnungen auswirkt.4 Hierzu zählen nicht nur originär steuerliche Vorschriften des Primärrechts, sondern auf dem Gebiet des Ertragsteuerrechts auch verschiedene Richtlinien sowie die infolge der Rechtsprechung des EuGH allseits präsenten Auswirkungen der Grundfreiheiten auf steuerliche Sachverhalte.5 Da dies ebenso die 1

2 3 4 5

Bühler, Prinzipien des Internationalen Steuerrechts, S. 3; Brähler, Internationales Steuerrecht, S. 1 f; Frotscher, Internationales Steuerrecht, Rn. 17; Geibel, JZ 2007, 277 (278); Haase, Internationales und Europäisches Steuerrecht, Rn. 12 f.; Kluge, Das internationale Steuerrecht, S. 1 f.; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, Rn. 1.4; Vogel, in: Vogel/Lehner, DBA, Einl. Rn. 6; Wassermeyer, in: Debatin/Wassermeyer, DBA, vor Art. 1 MA Rn. 6. Bühler, Prinzipien des Internationalen Steuerrechts, S. 2 f.; Brähler, Internationales Steuerrecht, S. 1. Bühler, Prinzipien des Internationalen Steuerrechts, S. 3; Brähler, Internationales Steuerrecht, S. 2; Kluge, Das internationale Steuerrecht, S. 2. Haase, Internationales und Europäisches Steuerrecht, Rn. 16; § 1 Rn. 1. Vgl. auch Schaumburg, Internationales Steuerrecht, Rn. 3.44. Haase, Internationales und Europäisches Steuerrecht, Rn. 15 ff.; Lang, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 2 Rn. 47 ff.; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, Rn. 3.44 ff.; WeberGrellet, Europäisches Steuerrecht, § 1 Rn. 1. Ähnlich Brombach-Krüger, Ubg 2009, 335 (335), die zwischen harmonisiertem Steuerrecht und steuerlicher Wechselwirkung unterscheidet. Von „EG-Steuerrecht“ sprach bereits früher auch Thömmes, in: Haarmann, Grenzen der Gestaltung, S. 27 f.

21

Konkretisierung des Untersuchungsgegenstandes

Besteuerung grenzüberschreitender Sachverhalte und die Abgrenzung der kollidierenden Steueransprüche betrifft, ist auch das Europäische Steuerrecht Teil des Internationalen Steuerrechts im weiten Sinne. Es ist dabei im 1. Teil herauszuarbeiten, dass diese Teilbereiche nicht isoliert betrachtet werden dürfen, sondern stets in ihrer Gesamtheit zusammenwirken. Es handelt sich beim Internationalen Steuerrecht in weitem Sinne somit um eine gemeinsame Rechtsordnung im Sinne des materiellen Regelungsgegenstands, die daher als materielles Ganzes betrachtet werden soll, auch wenn die Regelungen formell unterschiedlichen Rechtskreisen (Rechtsordnungen im formellen Sinne) entstammen.6 Die Einschränkung auf deutsches Internationales Steuerrecht ist dabei so zu verstehen, dass nur solche Konstellationen betrachtet werden, in denen Treaty Shopping einen Bezug zur deutschen Rechtsordnung aufweist. Insbesondere ist auf deutsches Außensteuerrecht und auf von Deutschland geschlossene DBA – jeweils einschließlich des Einfluss des Europäischen Steuerrechts hierauf – einzugehen. Dies ist im Folgenden zu konkretisieren.

II.

Investitionsrichtung und Formen der Steuerpflicht

Im Internationalen Steuerrecht kann aus dem Blickwinkel des zu untersuchenden Rechtskreises eine Unterscheidung nach der Richtung der getätigten Investition zwischen „Inbound-“ und „Outbound-“ Fällen erfolgen: Inbound bedeutet, dass die Investition im Inland durch einen ausländischen Investor vorgenommen wird, bei Outbound wird diese durch einen inländischen Investor im Ausland getätigt.7 Abhängig davon lassen sich auch Aussagen zur jeweils in Betracht kommenden Form der Steuerpflicht machen. Auszugehen ist hierfür zunächst von der klassischen Grundstruktur des Treaty Shopping.8

1.

Inbound-Fall

Für das deutsche Internationale Steuerrecht bedeutet Treaty Shopping im Inbound-Fall, dass die operative (Kapital-)9Gesellschaft – diese stellt hier die Investition dar – in Deutschland aufgrund Geschäftsleitung oder Sitz im Inland unbeschränkt steuerpflichtig ist, § 1 Nr. 1 KStG i.V.m. §§ 10, 11 AO. Die zwi6 7

8 9

22

Zur Terminologie siehe ausführlich auch im 1. Teil D, S. 221. Brähler, Internationales Steuerrecht, S. 223; Hey, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 18 Rn. 501 ff.; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, S. 2; Kraft, DStR 1999, 1540 (1541); Weber-Grellet, DStR 2009, 1229 (1230). Abweichend Haase, Internationales und Europäisches Steuerrecht, Rn. 10 Fn. 15, der die Dividendenzahlung separat betrachtet. Siehe oben A.II.1, S. 11. Dazu siehe schon oben unter A.II.2, S. 12.

Investitionsrichtung und Formen der Steuerpflicht

schengeschaltete Holdinggesellschaft ist nicht unbeschränkt steuerpflichtig, erhält in Form der ausgeschütteten Dividenden aber Einkünfte nach § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG von einer Gesellschaft mit Geschäftsleitung oder Sitz im Inland und erzielt daher inländische Einkünfte, § 49 Abs. 1 Nr. 5 lit. a) EStG; sie ist mithin beschränkt steuerpflichtig, § 2 Nr. 1 KStG. Zwar ist die Steuerbefreiung nach § 8b Abs. 1 KStG (Schachtelprivileg bei Dividendeneinkünften) auch auf beschränkt Steuerpflichtige persönlich anwendbar,10 in diesem Zusammenhang erfährt aber die Kapitalertragsteuer als Quellensteuer eine besondere Bedeutung, da ihr abgeltende Wirkung zukommt.11 In ihrem Ansässigkeitsstaat unterliegt die Zwischenholding regelmäßig der Besteuerung nach dem Welteinkommensprinzip, wobei Dividendeneinkünfte meist in den Genuss eines Schachtelprivilegs vergleichbar dem § 8b KStG gelangen. Ob die in Deutschland grundsätzlich zu zahlende Quellensteuer ermäßigt werden oder gar ganz entfallen kann, ist eine Frage der Anwendbarkeit eines DBA-Artikels vergleichbar dem Art. 10 Abs. 2 OECD-MA, bzw. der Befreiung nach der MTRL i.V.m. § 43b EStG. Neben den jeweiligen tatbestandlichen Voraussetzungen könnten insoweit zahlreiche Normen zur Missbrauchsverhinderung entgegenstehen, insbesondere § 50d Abs. 3 EStG bezieht sich gerade auf einen solchen Inbound-Fall,12 und auch § 42 AO ist bei beschränkter Steuerpflicht anwendbar.13 Ebenso sind Missbrauchsvorbehalte des überstaatlichen Rechts (Recht der DBA beim Treaty Shopping i.e.S. bzw. Europarecht beim Directive Shopping) zu beachten. Die Inbound Konstellation stellt damit den Schwerpunkt der weiteren Untersuchung dar. Aufgrund der Abschirmwirkung der intransparent besteuerten Zwischenholding erfolgt grundsätzlich keine Zurechnung der Kapitalerträge an die in einem Drittstaat ansässige Obergesellschaft bzw. deren Anteilseigner. Mangels inländischer Einkünfte ist die Obergesellschaft daher nicht in Deutschland steuerpflichtig, ein anderer tatsächlicher Anknüpfungspunkt, der für ein Besteuerungsrecht erforderlich wäre,14 ist nicht ersichtlich. Etwas anderes kann 10 Gröbl/Adrian, in: Erle/Sauter, KStG, § 8b Rn. 23; Rengers, in: Blümich, EStG – KStG – GewStG, § 8b KStG Rn. 60. 11 Siehe sogleich C.III.1.b, S. 29. 12 Gosch, in: FS Reiß, S. 618.; Grotherr, IStR 2006, 361 (367); Kollruss, IStR 2007, 870 (870); Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d Abs. 3 EStG Rn. 23. 13 BFH, Urteil vom 29.10.1997 – I R 35/96 (Sportler-Vermarktung) – BStBl II 1998, 235 (237); BFH, Urteil vom 20.03.2002 – I R 38/00 (Hilversum I) – BStBl II 2002, 819 (821). Ausführlich unter B.I.2.d.aa, S. 93. 14 Das Souveränitätsprinzip wird insoweit begrenzt; erforderlich ist ein „genuine link“ zum Besteuerungssubstrat, vgl. BVerfG, Beschluss vom 22.03.1983 – 2 BvR 475/78 – NJW 1983, 2757 (2761); BFH, Urteil vom 18.12.1963 – I 230/61 – BStBl III 1964, 253 (256); Brähler, Internationales Steuerrecht, S. 3; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, Rn. 5.1 m.w.N.; Verdross, Völkerrecht, S. 319.

23

Konkretisierung des Untersuchungsgegenstandes

sich aber dann ergeben, wenn im Einzelfall die Abschirmwirkung durchbrochen wird.15

2.

Outbound-Fall

Wenn die Ober- bzw. Muttergesellschaft eine mit Geschäftsleitung oder Sitz im Inland ansässige und unbeschränkt steuerpflichtige Kapitalgesellschaft ist, § 1 Nr. 1 KStG i.V.m. §§ 10, 11 AO, liegt aus deutscher Sichtweise ein Outbound-Fall vor. Die Gewinnausschüttungen der Zwischenholding bleiben dann bei der Ermittlung des Einkommens der Muttergesellschaft außer Ansatz, § 8b Abs. 1 S. 1 KStG. Dass es sich bei der ausschüttenden Gesellschaft um eine ausländische Kapitalgesellschaft handelt, steht dem nicht entgegen, da auch dies Bezüge i.S.v. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG sind und der sachliche Anwendungsbereich der Vorschrift daher eröffnet ist.16 Die Steuerfreiheit erfolgt jedoch nicht vollständig, da nach § 8b Abs. 5 KStG ein Betriebsausgabenabzugsverbot von 5% der Bezüge gilt, auch für ausländische Dividenden. Ob diese pauschalierende Regelung in der seit VZ 2004 geltenden Fassung europarechtskonform ist, ist umstritten.17 Die Zwischenholding und die operative tätige Tochtergesellschaft haben in der Outboundgestaltung weder Sitz noch Geschäftsleitung im Inland und erzielen auch keine inländischen Einkünfte, so dass diese selbst nicht körperschaftsteuerpflichtig sind. Aufgrund des Trennungsprinzips werden diese als selbständige Rechtsträger in ihrem jeweiligen Ansässigkeits- bzw. Tätigkeitsstaat besteuert; der deutsche Fiskus kann die dort erwirtschafteten Gewinne und Reserven mangels eines tatsächlichen Anhaltspunktes grundsätzlich nicht der Besteuerung unterwerfen. Etwas anderes gilt nur dann, wenn nach § 42 AO die 15 Im Zusammenhang mit § 42 AO wird von etwa von einer Zurechnung der Einkünfte beim Anteilseigner der formal berechtigten Zwischengesellschafts ausgegangen, vgl. Gosch, in: FS Reiß, S. 601; zu dieser Zurechnungsverschiebung – und ihren Grenzen, v.a. in – ausführlich auch im 2. Teil, B.II.1.b(1), S. 428. 16 Weber-Grellet, in: Schmidt, EStG, § 20 Rn. 50 (30. Auflage 2011); Rengers in: Blümich, EStG – KStG – GewStG, § 8b KStG Rn. 111. 17 Für Unionskonformität wg. Gleichbehandlung und Art. 4 Abs. 2 S. 2 MTRL: Rengers, in: Blümich, EStG – KStG – GewStG, § 8b KStG Rn. 167; Gosch, in: Gosch, KStG, § 8b Rn. 452; Forsthoff IStR 06, 222 (223 f.); a.A. mit Verweis auf eine mögliche „Flucht in die Organschaft“ und Vorrang des Primärrechts: Gröbl/Adrian, in: Erle/Sauter, KStG, § 8b Rn. 268; Thömmes, IStR 2005, 685 (691 f.); Friedrich/Nagler IStR 06, 217 (221); Rehm/Nagler DB 06, 588 (591). Während der Geltung des Anrechnungsverfahrens ist die vergleichbare Situation in § 3c Abs. 2 EStG vom EuGH als Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit angesehen worden, siehe EuGH, Urteil vom 23.02.2006 – C-471/04 (Keller Holding) – DStR 06, 414. Zur Verfassungs- und Unionsrechtswidrigkeit von § 8b Abs. 5 KStG 2002 siehe BFH, Urteil vom 26.11.2008 – I R 7/08 – DStR 2009, 632.

24

Investitionsrichtung und Formen der Steuerpflicht

Abschirmwirkung einer substanzlosen Tochtergesellschaft durchbrochen wird und die Einkünfte der Zwischenholding dann der deutschen Muttergesellschaft zugerechnet werden (Problem der Basisgesellschaft i.e.S.)18 bzw. die – ebenfalls unionsrechtlich umstrittenen19 – Vorschriften der Hinzurechnungsbesteuerung nach §§ 7 ff. AStG Anwendung finden. Diese Fragen stellen sich aber unabhängig von einer missbräuchlichen Ausnutzung eines DBA oder der MTRL durch Errichtung einer Zwischengesellschaft – diese bezweckt ja gerade keine Durchleitung an die Muttergesellschaft – und sind daher nicht als Treaty Shopping zu qualifizieren. Zwar stellen sich aus Sicht des Staates, in dem die operative Gesellschaft ansässig ist, ähnliche Fragen wie für das deutsche Internationale Steuerrecht im Inbound-Fall. Soweit diese sich auf die Rechtsquellen des Internationalen Steuerrechtes i.w.S. und des Europäischen Steuerrechtes beziehen, ergeben sich aber in der Sache keine Unterschiede; soweit das ausländische Außensteuerrecht betroffen ist, ist dies nicht Untersuchungsgegenstand. Der Outbound-Fall kann daher für die weitere Darstellung vernachlässigt werden.

3.

Deutsche Zwischenholding

Die Grundstruktur des Treaty Shopping kann auch so angelegt sein, dass sich der Standort der Zwischenholding – sozusagen die Durchlaufstation – im Inland befindet.20 Streng genommen handelt es sich dann um eine Kombination aus Inbound- und Outbound-Investition. Allerdings stellt sich die Frage, ob der deutsche Staat die unbeschränkt steuerpflichtige Zwischenholding mangels Substanz nicht anerkennt, in diesen Fällen gar nicht: § 42 AO ist nicht anwendbar, da durch die Einschaltung der inländischen Zwischengesellschaft ei-

18 Siehe A, Fn. 11 19 Bei den vergleichbar gelagerten britischen CFC-Rules („controlled foreign company rules“) hat der EuGH in der Rs. Cadbury Schweppes einen Verstoß bejaht, EuGH, Urteil vom 12.09.2006 – C-196/04 – IStR 2006, 670. Aus den Eckpunkten des Urteils leitete die ganz überwiegende Meinung auch für die deutsche Hinzurechnungsbesteuerung, §§ 7 ff. AStG, nach damaligem Rechtsstand eine Unionsrechtswidrigkeit ab, siehe z.B. Köhler/Eicker, DStR 2007, 331; Köpplin/Sedemund, BB 2007, 244. Zur Neuregelung insbesondere des § 8 Abs. 2 AStG durch das JStG 2008 vgl. Sedemund, BB 2008, 696; Lieber, IStR 2010, 142 (144); sowie ausführlich Kraft, in: Kraft, AStG, § 8 Rn. 730 ff. 20 Praktisch spielen diese Fälle bislang aufgrund des relativ hohen Steuerniveaus, der restriktiven Steuerpolitik und der Konkurrenz durch vorzugswürdigere Holdingstandorte kaum eine Rolle. Anders ist dies in Zusammenhang mit der Revision des DBA mit den USA (siehe Einleitung vor A, Fn. 21) zu sehen, welche eine Quellensteuerbefreiung bei Schachteldividenden und eine Quellensteuerreduktion bei anderen Dividenden – freilich unter zusätzlichen Voraussetzungen – vorsehen und insoweit eine steuergünstige Investition in den USA ermöglichen, hierzu vgl. Dannecker/Werder, BB 2006, 1716 (1718 f.).

25

Konkretisierung des Untersuchungsgegenstandes

ne Steuerpflicht erst begründet, nicht vermieden wird.21 Ohne die Zwischengesellschaft bestünde weder nach dem Universalitätsprinzip noch nach dem Territorialitätsprinzip ein tatsächlicher Anknüpfungspunkt zum Besteuerungsgegenstand. Auch § 50d Abs. 3 EStG betrifft schon dem Wortlaut nach nur ausländische Gesellschaften. Soweit der Zwischenholding Dividendeneinkünfte aus einer operativen Tochtergesellschaft zufließen, ist wie im Outbound-Fall einerseits die unabhängig von einem Treaty Shopping bestehende Problematik des § 8b KStG betroffen. Die Frage der Entlastung von einer auf diese Ausschüttung entfallenden ausländischen Quellensteuer kann andererseits wiederum nur in Bezug auf das überstaatliche Recht (v.a. DBA) für das deutsche Internationale Steuerrecht relevant sein, inhaltlich ergibt sich daraus aber nichts Neues im Vergleich zum Inlandsfall. Und betrachtet man die Gewinnausschüttung nach oben zur Muttergesellschaft, kann eine Treaty Shopping Konstellation nur dann entstehen, wenn die tatsächlichen Anteilseigner der Muttergesellschaft in weiteren Staaten ansässig sind, dies würde dann aber einem oben als Inbound bezeichneten Sachverhalt entsprechen. Eine selbständige Bedeutung erlangt eine deutsche Zwischenholding indes in Bezug auf Art. 28 DBA-USA: Aufgrund der Möglichkeit einer vollständigen Quellensteuerbefreiung, Art. 10 Abs. 3 DBA-USA,22 kann mitunter eine steuergünstige Investition in den USA erreicht werden, so dass sich in dieser Konstellation die Rechtsfragen der Limitation on Benefits insbesondere im Verhältnis zum Ansässigkeitsstaat der Muttergesellschaft stellen.23 Abgesehen hiervon ist im weiteren Gang der Darstellung der Inbound-Fall zugrunde zu legen.

III. Treaty Shopping und deutsche Quellensteuer Ziel einer Inbound Treaty Shopping Struktur ist überwiegend die Reduktion bzw. vollständige Vermeidung deutscher Quellensteuer;24 die maßgeblichen Regelungen werden im Folgenden daher kurz vorgestellt.

21 22 23 24

26

Henkel, in: Mössner, Steuerrecht international tätiger Unternehmen, Rn. F 154. Hierzu bereits oben A.II.1, S. 10. Ausführlich zu der Bedeutung dieser Konstellation im 2. Teil, A.II.2.c, S. 324. Bader, Steuergestaltung mit Holdinggesellschaften, S. 99 und S. 177; Brähler, Internationales Steuerrecht, S. 377 f.; Haase, Internationales und Europäisches Steuerrecht, Rn. 396 ff.; Hoffmann, in: Grotherr, Handbuch der internationalen Steuerplanung, S. 512 f.; Kessler, in: Schaumburg/Piltz, Holdinggesellschaften, S. 69.

Treaty Shopping und deutsche Quellensteuer

1.

Der Steuerabzug vom Kapitalertrag, §§ 43 ff. EStG

a.

Grundlegendes zur Kapitalertragsteuer

Besteuerungsgegenstand der Kapitalertragsteuer (KapESt) als besonderer Erhebungsform25 der Einkommensteuer und der Körperschaftsteuer sind bestimmte Kapitalerträge i.S.v. § 20 EStG. Dass diese möglicherweise beim Gläubiger einer anderen Einkunftsart zuzurechnen sind, insbesondere gemäß § 20 Abs. 8 S. 1 EStG vorrangig als gewerbliche Einkünfte qualifizieren könnten, steht der Erhebung der KapESt nicht entgegen, § 43 Abs. 4 EStG; insoweit kann die KapESt trotz § 8 Abs. 2 KStG auch dann erhoben werden, wenn es sich bei den Gläubigern der Erträge um Steuerpflichtige im Sinne des KStG handelt. In sachlicher Hinsicht werden insbesondere Dividenden und andere Gewinnanteile i.S.v. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG als relevante Kapitalerträge erfasst, § 43 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG.26 Der KapESt unterliegen grundsätzlich auch bestimmte Veräußerungsgeschäfte, § 43 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 S. 2 und Nr. 8-12 EStG, einschließlich der Gewinne aus der Veräußerung von Körperschaftsanteilen, § 43 Abs. 1 S. 1 Nr. 9 i.V.m. § 20 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 S. 1 EStG; ausnahmsweise wird von diesen jedoch bei inländischen betrieblichen Anlegern wie unbeschränkt steuerpflichtigen Körperschaften27 kein Steuerabzug vorgenommen, § 43 Abs. 2 S. 3 EStG. Differenziert sind auch Zinseinträge zu betrachten: Sonstige Kapitalforderungen i.S.v. § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG unterfallen nur unter zusätzlichen Vorausset25 Lang, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 8 Rn. 27; Hey, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 9 Rn. 910; Rauh, in: Beck’sches Steuerlexikon, Stichwort „Kapitalertragsteuer“ Rn. 1. 26 Grundsätzlich werden von der KapESt nur inländische Erträge umfasst, § 43 Abs. 1 S. 1 EStG, der Schuldner der Kapitalerträge muss also seinen Wohnsitz, die Geschäftsleitung oder den Sitz im Inland haben, § 43 Abs. 3 S. 1 EStG; infolge des Unternehmensteuerreformgesetzes (UntStRefG) 2008 vom 14.08.2007, BGBl I 2007, S. 1912, sind aber auch ausländische Gewinnanteile als Erträge zu berücksichtigen, §§ 43 Abs. 1 S. 1 Nr. 6, Abs. 3 S. 4 EStG; dies wird jedoch nur im Outbound-Fall relevant und ist daher für diese Untersuchung nicht von Bedeutung. 27 Gemäß UntStRefG 2008 (oben Einleitung vor A, Fn. 2) war der Steuerabzug bei unbeschränkt und beschränkt steuerpflichtigen Körperschaften ausgeschlossen, vgl. § 44a Abs. 5 S. 4 EStG i.d.F. vom 14.08.2007. Durch das JStG 2009 vom 19.12.2008 (BGBl I 2008, S. 2794) wurde die Regelung in § 43 Abs. 2 S. 3-8 implementiert und einerseits der Anwendungsbereich von Körperschaften auf andere inländische Betriebseinnahmen eines inländischen Betriebs erweitert, siehe dort S. 3 Nr. 2; hierzu auch Hahne/Krause, DStR 2008, 1724 (1728). Andererseits unterfallen nach der Neufassung nur noch unbeschränkt steuerpflichtige Körperschaften der Ausnahmeregelung, vgl. § 43 Abs. 2 S. 3 Nr. 1 EStG; diese Änderung hat Auswirkungen auf den Anwendungsbereich des § 50d Abs. 3 EStG, siehe im 2. Teil, B.I.1, S. 357.

27

Konkretisierung des Untersuchungsgegenstandes

zungen der KapESt, vgl. §§ 43 Abs. 1 Nr. 2 (Wandelanleihen und Gewinnobligationen), Nr. 7 lit. a) (Verbriefung) und lit. b) (inländisches Kreditinstitut als Zinsschuldner) EStG. Weiterhin ist zu beachten, dass für Treaty Shopping Konstruktionen eine Einschränkung durch den Umfang der beschränkten Steuerpflicht erfolgt, nur innerhalb derer können Steuerausländer nämlich überhaupt einer Abzugspflicht unterliegen.28 Diese ist bei Zinserträgen nur dann gegeben, wenn zusätzlich ein besonderer sachlicher Inlandsbezug vorliegt, vgl. § 49 Abs. 1 Nr. 5 lit. c) (Besicherung durch inländischen Grundbesitz sowie bestimmte Genussrechte), und § 49 Abs. 1 Nr. 5 lit. d) EStG (sog. Tafelgeschäfte).29 Als eine der wichtigsten Änderungen durch das UntStRefG 200830 sieht § 43 Abs. 5 S. 1 EStG für die KapESt einen einheitlichen Steuersatz von 25%31 mit grundsätzlich endgültiger Abgeltungswirkung vor, sog. Abgeltungssteuer.32 Diese Abgeltungswirkung greift aber nicht bei vorrangiger Zuordnung der Kapitalerträge zu Einkünften aus Gewerbebetrieb, § 43 Abs. 5 S. 2 EStG, somit wegen § 8 Abs. 2 KStG insbesondere nicht bei körperschaftsteuerpflichtigen Gläubigern. Im Anwendungsbereich des KStG verbleibt es daher grundsätzlich bei einer Veranlagung der Kapitalerträge nach § 31 Abs. 1 S. 1 KStG i.V.m. § 25 Abs. 1 EStG.

28 Lindberg, in: Blümich, ESt – KSt – GewSt, § 43 EStG Rn. 20; Weber-Grellet, in: Schmidt, EStG, § 43 Rn. 15. Eine KapESt, die über den Umfang der beschränkten Steuerpflicht hinausgeht, wäre ohne materiell-rechtlichen Grund erhoben und in analoger Anwendung von § 50d Abs. 1 EStG zu erstatten, vgl. BFH, Urteil vom 22.04.2009 – I R 53/07 – DStR 2009, 1469 (1471). 29 Loschelder, in: Schmidt, EStG, § 49 Rn. 96 ff.; Wied in: Blümich, ESt – KSt – GewSt, § 49 EStG Rn. 195; als Tafelgeschäft bezeichnet werden Schaltergeschäfte, bei denen die Erträge einem nicht i.S.v. § 154 AO legitimierten, d.h. unbekannten Depotinhaber ausgezahlt werden, Loschelder, in: Schmidt, EStG, § 49 Rn. 102; Lindberg, in: Blümich, ESt – KSt – GewSt, § 44 EStG Rn. 6 f. 30 Unternehmensteuerreformgesetz (UntStRefG) 2008 vom 14.08.2007, BGBl I 2007, S. 1912. 31 Eine Ausnahme (15%) gilt nach §§ 43a Abs. 1 S. 1 Nr. 2, 43 Abs. 1 S. 1 Nr. 7b und 7c i.V.m. § 20 Abs. 1 Nr. 10 lit. a) und b EStG für Einkünfte aus den sog. „Betrieben gewerblicher Art“ einer jPdöR, § 4 KStG. 32 Mit Wirkung zum 01.01.2009 sind die Einkünfte bei der Ermittlung des zu versteuernden Einkommens nicht mehr zu berücksichtigen, auch nicht als Progressionsvorbehalt bei der Tarifberechnung, § 32d Abs. 1 EStG. Zahlreiche Ausnahmen und Sonderregelungen sollen Umgehungen und Steuergestaltungen vermeiden, vgl. § 32d Abs. 2 EStG und Behrens/Renner, BB 2008, 2319 ff.

28

Treaty Shopping und deutsche Quellensteuer

b.

§ 8b KStG und die Abgeltungswirkung bei beschränkter Steuerpflicht

Im Rahmen dieser Veranlagung sind die praktisch wichtigen Dividendeneinkünfte des § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG gemäß § 8b Abs. 1 KStG zur Vermeidung eines Kaskadeneffektes von der Besteuerung ausgenommen.33 Dies hat indes keine Auswirkungen auf die vorgelagerte Pflicht zum Abzug von KapESt, § 43 Abs. 1 S. 3 EStG, vielmehr ist diese gemäß § 31 Abs. 1 KStG i.V.m. § 36 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 EStG auf die Körperschaftsteuerschuld einer unbeschränkt steuerpflichtigen Körperschaft vollständig anzurechnen. Bei einer beschränkt steuerpflichtigen Körperschaft findet eine Veranlagung hingegen nicht statt, die gezahlte KapESt i.H.v. 25% entfaltet stattdessen eine gesonderte34 Abgeltungswirkung, § 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG. Um das Steuerniveau auf den ab VZ 2009 geltenden KSt-Tarif von 15%, § 23 Abs. 1 KStG, anzupassen, steht einer beschränkt steuerpflichtigen Körperschaft aber ein Erstattungsanspruch von 2/5 der gezahlten KapESt zu, § 44a Abs. 9 S. 1 EStG.35 Dass die Quellensteuer gemäß § 43 Abs. 1 S. 3 EStG aber trotz der Steuerfreiheit36 des § 8b Abs. 1 KStG auch bei Dividendeneinkünften i.S.v. § 20 Abs. 1 Nr. 1 EStG anfällt,37 kann insoweit zu einer Ungleichbehandlung von auslän33 Unter Berücksichtigung des Abzugsverbotes für (fingierte) Betriebsausgaben i.H.v. 5% nach § 8b KStG führt dies im Ergebnis zu einer lediglich 95%-igen Freistellung (sog. „Schachtelstrafe“); das Verhältnis dieser Konsequenz zu DBA-Schachtelprivilegien ist jedoch umstritten, hierzu. Hageböke, IStR 2009, 473 (473 ff.). 34 Diese darf nicht mit der oben beschriebenen Abgeltungswirkung gegenüber nicht gewerblichen Gläubigern der Kapitalerträge aufgrund des § 43 Abs. 5 EStG verwechselt werden. 35 Während i.d.F. des UntStRefG 2008 lediglich zur verfahrenstechnischen Ausgestaltung auf § 50d EStG verwiesen wurde – hierzu Lindberg, in: Blümich, ESt – KSt – GewSt, § 44a EStG Rn. 39; Schönfeld, IStR 2007, 850 (850) – wurde durch das das JStG 2009 auch § 50d Abs. 3 EStG für entsprechend anwendbar erklärt, § 44a Abs. 9 S. 2 EStG. Dieser Erstattungsanspruch steht daher unter Missbrauchsvorbehalt und kann mit dem Verfahren zu darüber hinaus gehenden Erstattungsansprüchen aus DBA und MTRL (§ 50d Abs. 1 und 2 EStG) verbunden werden. Hierzu siehe BT-Ds.16/10189, S. 58; Häussermann/Rengier, IStR 2008, 679 (680); Weber-Grellet, in: Schmidt, EStG, § 44a Rn. 33. Denkbar wären Missbrauchsgestaltungen insbesondere in Fällen, in denen durch beschränkt Steuerpflichtige eine substanzlose Körperschaft zwischenschaltet wird, um die sonst bestehende 25%ige Abgeltungswirkung zu reduzieren. Dies ist aber von DBA- und Richtlinienvergünstigungen unabhängig und daher nicht als Treaty Shopping im Sinne des Untersuchungsgegenstandes zu klassifizieren. 36 Jedenfalls im Ergebnis zu 95% steuerfrei, vgl. § 8b Abs. 5 KStG. 37 Die KapESt knüpft an die Bruttoeinnahmen an, nicht an das Einkommen i.S.v. § 8 Abs. 1 KStG, siehe Frotscher, Internationales Steuerrecht, Rn. 395; Haase, Internationales und Europäisches Steuerrecht, Rn. 417 Fn 149.

29

Konkretisierung des Untersuchungsgegenstandes

dischen und inländischen Körperschaften führen. Im Inland gilt die KSt als durch den Steuerabzug abgegolten, § 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG, und eine Anrechnung der KapESt durch den Ansässigkeitsstaat der beschränkt steuerpflichtigen Körperschaft scheitert praktisch daran, dass es dort aufgrund eines § 8b KStG entsprechenden Dividendenprivilegs keine ausländische Steuer gibt, gegen die angerechnet werden könnte. Die Quellensteuer wirkt für InboundInvestitionen also definitiv. Im Rahmen des Anwendungsbereiches der MTRL und des § 43b EStG wird bei mindestens 10%-iger Beteiligung einer Kapitalgesellschaft eines anderen Mitgliedstaates (Schachteldividenden) im Ergebnis keine Quellensteuer erhoben, bei der Zahlung aus sog. Streubesitzanteilen (d.h. Beteiligung geringer als 10%) an ausländische Empfänger besteht aber eine Ungleichbehandlung fort, so dass die Regelung insbesondere im Lichte der Kapitalverkehrsfreiheit, Art. 63 AEUV (Art. 56 EG), nicht unionsrechtskonform ist.38 Von den eigentlichen Treaty Shopping Gestaltungen unterschei-

38 So nun EuGH, Urteil vom 20.10.2011 – C-284/09 (Kommission/Deutschland), DStR 2011, 2038, zum entsprechenden Vertragsverletzungsverfahren. Schon in EuGH, Urteil vom 19.11.2009 – C-540/07 (Kommission/Italien) – DStRE 2009, 1444, wurde der vergleichbar gelagerten Rechtslage in Italien ein Verstoß gegen Art. 56 EG a.F. attestiert. Weiterführend siehe: Gosch, in: Gosch, KStG, § 8b Rn. 62 (m.w.N. bei Fn. 3); Patzner/Frank, IStR 2008, 433 ff.; Schwenke, IStR 2008, 473 ff.; aber auch Kube/Straßburger, IStR 2010, 301 (301 ff.). Als gesetzgeberische Reaktion ist vor allem die Einführung einer Veranlagungsmöglichkeit für Körperschaften aus anderen Mitgliedstaaten (und damit die Einschänkung der Abgeltungswirkung der KapESt) denkbar, vergleichbar der Regelung des § 50 Abs. 2 S. 2 Nr. 5 i.V.m. S. 7 EStG. Ebenso möglich ist eine vollständige Streichung der Steuerfreiheit auf Streubesitzdividenden auch in Inlandsfällen, die bereits zum Entwurf des JStG 2008 diskutiert wurde, BMF, Formulierungshilfe zum JStG 2009 – Az. S 2750a/08/10001 – Stand 19.05.2008, Stichwort: Steuerpflicht für Streubesitzdividenden. Nach zum Teil harscher Kritik der Literatur – insbesondere mit Verweis auf die Ungeeignetheit des Vorhabens bei gleichzeitiger Investitionsfeindlichkeit – wurde diese Option zunächst nicht weiter verfolgt. Allerdings enthält das sog. Grünbuch der DeutschFranzösischen Zusammenarbeit über Konvergenzpunkte bei der Unternehmensbesteuerung vom 06.02.2012, S. 5, erneut eine entsprechenden Passus: Hiernach erwägt das BMF die Einführung einer Mindestbeteiligungsquote. Nicht gänzlich auszuschließen ist insoweit aber auch ein Verzicht auf das Steuerabzugsverfahren. Zu beachten ist weiterhin, dass im Zuge der Neuregelung auch die Auswirkungen auf die Gewerbesteuer berücksichtigt werden müssen. Denn diese belastet den Steuerinländer (und nur diesen) zusätzlich – soweit nicht die gewerbesteuerlichen Schachtelprivilegien greifen, § 9 Abs. 1 Nr. 2a bzw. Nr. 7 GewStG; hierzu z.B. Schnitger, DB 2012, 305 (311). Von dieser Systementscheidung ist auch abhängig, inwieweit sich die Entscheidung des EuGH auf die Mutter-Tochter-Richtlinie und deren Umsetzung im nationalen Recht auswirkt. Durch die Anwendung der Kapitalverkehrsfreiheit könnte sich eine Bedeutung auch in Drittstaatenfällen ergeben, wenn es sodann auf eine Ausnutzung der MTRL dann nicht mehr ankommt. Der BFH hat in einem solchen Drittstaaten-Fall die Unionswidrig-

30

Treaty Shopping und deutsche Quellensteuer

det sich diese Problematik regelmäßig durch die entsprechende Beteiligungsquote, je nachdem ob gerade die Privilegien für Schachteldividenden – abgeleitet aus der MTRL bzw. aus den einschlägigen DBA – in Anspruch genommen werden.39 Zudem ist die Abgeltungswirkung von der missbräuchlichen Einschaltung einer Zwischengesellschaft unabhängig. Der Frage der Abgeltungswirkung ist daher nicht gesondert nachzugehen.40

2.

Der Steuerabzug bei beschränkter Steuerpflicht nach § 50a EStG

Neben der KapESt, die auch in Inlandsfällen Anwendung findet, sieht § 50a EStG in weiteren Fällen der beschränkten Steuerpflicht einen Steuerabzug an der Quelle vor, der grundsätzlich abgeltende Wirkung hat, § 50 Abs. 2 S. 1 EStG. Zum sachlichen Anwendungsbereich gehören auch Einkünfte, die in Verbindung mit Treaty Shopping Bedeutung haben können, wie künstlerische und sportliche Tätigkeiten (über Verwertungs- und Vermittlungsgesellschaften),41 § 50a Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 2 EStG, insbesondere aber auch Nutzungsvergütungen (Lizenzeinkünfte) gemäß § 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG.42 Der Steuerabzug beträgt in diesen Fällen 15% der Bruttoeinnahmen.43 Auf Antrag können in EU oder EWR ansässige beschränkt steuerpflichtige Körperschaften für die Abzugsteuer auf Darbietungen (Nr. 1 und 2) auch eine Nettobesteuerung unter Berücksichtigung der in unmittelbarem wirtschaftlichem Zusammenhang stehenden Betriebsausgaben beantragen, ebenfalls mit

39

40 41 42

43

keit der Abgeltungswirkung verneint, vgl. BFH, Urteil vom 22.04.2009 – I R 53/07 – DStR 2009, 1469. Insoweit ist bislang offen, ob durch die Entscheidung des EuGH die Regelung des § 50d Abs. 3 EStG an Bedeutung verliert oder insgesamt obsolet wird, so etwa Patzner/Nagler, GmbHR 2011, 1190 (1191). Insgesamt gilt es m.E. zunächst die weiteren Systementscheidungen des Gesetzgebers abzuwarten. Vgl. auch Engers/Dyckmans, Ubg 2011, 929 (934). Siehe hierzu nun aber auch BFH, Urteil vom 11.01.2012 – I R 25/10 – DStR 2012, 742, der jedenfalls im Unionsfall die Kapitalverkehrsfreiheit auch bei höherer tatsächlicher Beteiligung anwenden will. Die MTRL war aufgrund der besonderen Rechtsform der Dividendenbezieherin nicht anwendbar. Dies wird aber inzident für die unionsrechtliche Beurteilung des Treaty Shopping relevant, dazu siehe ausführlich 2. Teil, B.II.3.b.bb(2), S. 456. BFH, Urteil vom 29.10.1997 – I R 35/96 (Sportler-Vermarktung) – BStBl II 1998, 235. Logisch vorrangig wäre zunächst wiederum das Vorliegen einer beschränkten Steuerpflicht i.S.v. § 49 EStG zu prüfen, wobei je nach Fallgestaltung insbesondere die Nrn. 2, 3, 6 und 9 in Betracht kommen können; angelehnt an Art. 12 OECD-MA wäre beispielsweise zwischen hergestelltem Programm („copyright article“) und damit hergestelltem Produkt („copyrighted article“) zu unterscheiden; hierzu Haase, Internationales und Europäisches Steuerrecht, Rn. 678 ff. Eine Ausnahme gilt bei tatsächlich angefallenen und erstatteten Reisekosten, Abs. 2 S. 2.

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Konkretisierung des Untersuchungsgegenstandes

einem Steuersatz von 15%, § 50a Abs. 3 EStG.44 Unter den genannten Voraussetzungen steht zudem die Veranlagung auf Antrag offen, § 32 Abs. 2 Nr. 2 und Abs. 4 KStG;45 dies gilt jedoch nicht für Nutzungsvergütungen i.S.v. § 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG. Die durch das JStG 200946 geänderte Fassung samt Antragsmöglichkeiten sollte europarechtlichen Bedenken im Zusammenhang mit der Abgeltungswirkung bei beschränkter Steuerpflicht Rechnung tragen.47 Außerhalb der möglichen Veranlagung können Treaty Shopping Gestaltungen möglicherweise materiell eine Entlastung i.S.v. § 50g EStG oder eines Art. 12 Abs. 1 OECD-MA entsprechenden Doppelbesteuerungsabkommens beanspruchen und diese über §§ 50d, 50g Abs. 1 umsetzen.

3.

Die Umsetzung der Entlastungswirkung im DBA- und EU-Fall

Während die bereits genannten § 43b Abs. 1 EStG für Schachteldividenden innerhalb der Union, § 50g Abs. 1 für Zins- und Lizenzzahlungen innerhalb der Union und die durch das Zustimmungsgesetz in nationales Recht überführten Vorschriften der jeweiligen DBA bzgl. der dort behandelten Einkünfte (vgl. Art. 10 Abs. 2 OECD-MA für Dividenden) materiell die Zulässigkeit einer Quellensteuer regeln, bestimmt § 50d Abs. 1 S. 1 EStG, dass die Vorschriften über die Einbehaltung und Abführung der Quellensteuer ungeachtet dessen Anwendung finden, d.h. der Schuldner der jeweiligen Einkünfte bleibt zum Abzug der KapESt bzw. der Steuer nach § 50a EStG verpflichtet (sog. Grundsatz des fortbestehenden Quellensteuerabzugs48). Ein allgemeiner Erstattungsanspruch aus § 37 Abs. 2 AO besteht demnach nicht, da der Steuerabzug aus formaler Sicht nicht rechtsgrundlos, sondern aufgrund der KapESt-Anmeldung erfolgte.49 Die durch das DBA bzw. die Richtlinie erstrebte Entlastungswirkung wird stattdessen dadurch umgesetzt, dass dem Gläubiger der Kapitalerträge in einem zweiten Verfahrensschritt ein besonderer Erstattungsanspruch zusteht, § 50d Abs. 1 S. 2 EStG. Die Erstattung erfolgt auf Antrag beim Bundeszentralamt für Steuern auf der Grundlage eines Freistellungsbescheides, in dem die Voraussetzung der materiellen Be44 Zur Angleichung an den KSt-Satz des § 23 Abs. 1 KStG. Bei natürlichen Personen beträgt der Steuersatz der Nettobesteuerung hingegen 30%, § 50a Abs. 4 S. 4 EStG n.F. 45 Bei natürlichen Personen ergibt sich dies aus § 50 Abs. 2 S. 2 Nr. 5 i.V.m. Abs. 2 S. 6 EStG. 46 JStG 2009 vom 19.12.2008, BGBl I 2008, S. 2794. 47 Von Bedeutung sind insbesondere die Entscheidungen EuGH, Urteil vom 03.10.2006 – C-290/04 (Scorpio) – IStR 2006, 743; und EuGH, Urteil vom 12.06.2003 – C-234/01 (Gerritse) – IStR 2003, 458. Dazu vgl. Rüping, IStR 2008, 575. 48 Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50d Rn. 6. 49 BFH, Urteil vom 22.04.2009 – I R 53/07 – DStR 2009, 1469 (1470); Gosch, in: Gosch, KStG, § 8b Rn. 62.

32

Treaty Shopping und deutsche Quellensteuer

freiung (§§ 43b, 50g EStG bzw. DBA-Artikel) geprüft werden. Dieses Erstattungsverfahren nach vorherigem Steuerabzug kommt insbesondere dann in Betracht, wenn die Mindesthaltedauer des § 43b Abs. 2 S. 4 EStG von 12 Monaten erst im Nachhinein erfüllt wird.50 Eine Verzinsung ist gemäß § 50d Abs. 1a EStG nur für Erstattungen auf Grundlage des § 50g EStG vorgesehen. Eine Verfahrensvereinfachung sieht indes § 50d Abs. 2 EStG vor. Danach kann in den dort genannten Fällen durch eine – auf Antrag erteilte, unter dem Vorbehalt des Widerrufs stehende – Freistellungsbescheinigung im Abzugsverfahren erreicht werden, dass bereits vor Auszahlung der Schuldner der Kapitalerträge einen Quellensteuerabzug unterlassen kann. Dies ist auch in wirtschaftlicher Hinsicht für den Steuerpflichtigen vorteilhaft, da er dadurch keinen Liquiditäts- und Zinsnachteil erleidet. Der sachliche Anwendungsbereich des Abs. 2 ist gegenüber demjenigen des Erstattungsverfahrens zwar eingeschränkt, umfasst aber jedenfalls die für diese Untersuchung bedeutenden Schachteldividenden nach der MTRL und nach DBA sowie die Fälle der §§ 50a Abs. 4 und 50g Abs. 1 S. 1 EStG.51 Ebenso kann in bestimmten Fällen von geringer Bedeutung ein Abzug im sog. Kontrollmeldeverfahren gemäß § 50d Abs. 5 und Abs. 6 EStG unterbleiben. § 50d EStG setzt damit die materiell bestehenden Entlastungswirkungen je nach Einzelfall verfahrenstechnisch unterschiedlich um, z.T. auch mit Wahlmöglichkeit. Allein die Tatsache, dass trotz materieller Steuerfreiheit ein Steuerabzugsverfahren stattfindet, ist angesichts der beschriebenen Erstattungsmöglichkeiten und im Hinblick auf die damit verbundene Zwecksetzung – Gewährleistung der steuerlichen Erfassung der Einkünfte einer außerhalb des Besteuerungsstaats ansässigen Person und Sicherung des vermeintlich bestehenden Steueranspruchs – als mit Unionsrecht vereinbar anzusehen;52 ebenso wenig liegt darin ein Verstoß gegen Steuerbefreiungen aus DBA-Vorschriften,

50 Cloer/Lavrelashvili, Europäisches Steuerrecht, S. 99. 51 Nicht umfasst wären z.B. Ermäßigungen auf Lizenzzahlungen aufgrund eines DBA. Für die Fälle des § 50g EStG wäre zudem das Antragsverfahren nach § 50g Abs. 1 S. 1 günstiger. 52 EuGH, Urteil vom 03.10.2006 – C-290/04 (Scorpio) – IStR 2006, 743 (744), Rn. 36.; Cordewener/Grams/Molenaar, IStR 2006, 739 (739 f.); Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50d Rn. 6; Loschelder, in: Schmidt, EStG, § 50d Rn. 1; Wagner, in: Blümich, ESt – KSt – GewSt, § 50d EStG Rn. 12. Vgl. auch Art. 1 Abs. 12 ZLRL, der ausdrücklich ein entsprechendes Freistellungsverfahren ermöglicht; Bedenken könnten allenfalls insoweit bestehen, als der Gesetzgeber für den Fall eines Erstattungsanspruchs lediglich hinsichtlich der Steuerbefreiung des § 50g EStG eine Verzinsung vorgesehen hat. Siehe aber auch oben Fn. 38 in Bezug auf Streubesitzdividenden, soweit sich die Abgeltungswirkung des § 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG ungleich belastend auswirkt.

33

Konkretisierung des Untersuchungsgegenstandes

da dem Steuerpflichtigen die entsprechenden Rechte gleichermaßen erhalten bleiben.53

4.

Bezugspunkt der Missbrauchsvorbehalte

Diese Entlastungswirkung wollen Gesetzgeber und Finanzverwaltung aber nicht bedingungslos zuerkennen. Sofern unter näher bestimmten Voraussetzungen eine missbräuchliche Gestaltung in Form des Treaty Shopping vorliegt, werden diese Begünstigungen versagt. In § 50d EStG statuiert dies der eigens geschaffene Abs. 3, daneben sind noch § 50g Abs. 4 EStG und die Generalklausel des § 42 AO in Betracht zu ziehen. In gewissen Fällen enthält bereits das DBA einen solchen Vorbehalt, wie etwa Art. 28 DBA-USA. Wenn auch die Anwendbarkeit der jeweiligen Vorschrift und die genaue Rechtsfolge einer näheren Untersuchung bedürfen, so ist das Ergebnis stets vergleichbar: Die beschränkt steuerpflichtige Zwischengesellschaft erhält keine Entlastung, die bezogenen Dividenden bleiben weiterhin mit Quellensteuer in Form der KapESt belastet. Mangels Veranlagungsmöglichkeit im Quellenstaat Deutschland und – ganz regelmäßig – mangels Anrechnungsmöglichkeit im Herkunftsstaat wirkt diese Steuer definitiv.

53 EuGH, Urteil vom 03.10.2006 – C-290/04 (Scorpio) – IStR 2006, 743 (745 f.), Rn. 58 ff.; BFH, Urteil vom 24.04.2007 – I R 39/04 –DStR 2007, 1951 (1952 f.); Cordewener/Grams/Molenaar, IStR 2006, 739 (741 f.); BFH, Urteil vom 24.04.2007 – I R 39/04 –DStR 2007, 1951 (1952 f.); Wagner, in: Blümich, ESt – KSt – GewSt, § 50d EStG Rn. 13.

34

D.

Gang der Untersuchung

Zunächst erfolgt im 1. Teil eine grundlegende Untersuchung zu den Maßstäben des Gestaltungsmissbrauchs im gesamten deutschen Internationalen Steuerrecht. Diese Vorgehensweise dient nicht nur der Klärung terminologischer Fragen (A.), sondern vornehmlich auch der Identifizierung der vielgestaltigen Maßstäbe zur Bestimmung des „Missbrauchs“ als solchen. Die verschiedenen Ansätze hierzu finden sich in allen der von Treaty Shopping berührten Rechtskreise – d.h. im nationalen Steuerrecht, im Europäischen Steuerrecht und im Internationalen Steuerrecht (i.e.S.) (B.). Die Teilbereiche sind aber nicht isoliert zu betrachten, interessant ist vielmehr, wie diese in ihrer Gesamtheit zusammenwirken, insbesondere inwieweit hieraus Kongruenzen festgestellt werden können, die als eine Art allgemeines Missbrauchskonzept angesehen werden könnten (C.). Soweit Diskrepanzen zwischen den Maßstäben aufgezeigt werden können, bedarf es anschließend einer Auseinandersetzung damit, nach welchen Kriterien sich unterschiedliche Maßstäbe im Kollisionsfall zuordnen lassen (D.). Im 2. Teil sind sodann diejenigen Maßnahmen des deutschen Internationalen Steuerrechts, die sich spezifisch gegen Treaty Shopping richten, an den im 1. Teil gefundenen Ergebnissen zu messen. Dabei ist je in einem ersten Schritt zu klären, wie anhand der Normsystematik und des jeweiligen Tatbestands die tatsächliche Qualifizierung als missbräuchlich erfolgen kann und welche Rechtsfolge sich hieraus ergibt. Vor allem aber erfordert dies in einem zweiten Schritt eine Untersuchung, inwieweit die so analysierte Norm Kollisionsfragen im Hinblick auf die im 1. Teil gefundenen Maßstäbe aufwirft, und wie diese unter Heranziehung der dargestellten allgemeinen Zuordnungskriterien zu lösen sind. Anhand dieser Ergebnisse lassen sich die Maßnahmen abschließend bewerten. Prüfungsgegenstand sind insoweit die in jüngerer Vergangenheit fortentwickelten1 Missbrauchsvorbehalte des deutschen Internationalen Steuerrechts, namentlich exemplarisch für die Tendenz im Bereich der Limitation on Benefits Klauseln – der revidierte Art. 28 DBA-USA (A.), sowie die unilateralen Vorschriften des §§ 50d Abs. 3 EStG (B.) und § 50g Abs. 4 EStG (C.). Die Generalklausel des § 42 AO ist – wie zu zeigen ist – in diese Betrachtung stets einzubeziehen.

1

Zur historischen und jüngeren Entwicklung siehe schon in der Einleitung, B.II, S. 17 f.

35

1. Teil: Gestaltungsmissbrauch im deutschen Internationalen Steuerrecht Im Gestaltungsmissbrauch im Allgemeinen und im Treaty Shopping im Besonderen zeigt sich der Interessenkonflikt zwischen einerseits den Akteuren der grenzüberschreitenden Wirtschaftstätigkeit, die ihre steuerlichen Verhältnisse so günstig wie möglich gestalten möchten, und andererseits dem Interesse der betroffenen Staaten an der Sicherung ihrer Besteuerungsrechte und substrate.1 Beide Belange können im Grundsatz als legitim erachtet werden,2 umso dringlicher stellt sich aber das Problem beim Ausgleich zwischen den widerstreitenden Positionen. Mit anderen Worten: Wann überwiegt das Gestaltungsinteresse des Steuerpflichtigen, ist also eine wirtschaftliche Gestaltung anzuerkennen, und wann muss dies hinter dem innerstaatlichen Besteuerungsinteresse zurücktreten? Es stellt sich mithin die Frage, ob die Qualifizierung des Treaty Shopping als Gestaltungsmissbrauch gerechtfertigt ist. Maßgeblich wird dies durch das Nebeneinander mannigfaltiger Ansätze aus unterschiedlichen Rechtskreisen geprägt, wie es für das Treaty Shopping kennzeichnend ist. Die Identifizierung der relevanten Maßstäbe, deren Kongruenz, sowie die Bewältigung verbleibender Kollisionen mittels allgemeiner Zuordnungskriterien ist nicht nur Grundvoraussetzung der Untersuchung der spezifischen Maßnahmen gegen Treaty Shopping, sondern gleichzeitig ein Beitrag zur Diskussion des Gestaltungsmissbrauchs im Internationalen Steuerrecht über das Treaty Shopping hinaus.

1

2

Dies setzt voraus, dass ein Steueranspruch aufgrund tatsächlicher Verknüpfung (genuine link) zwischen inländischem Hoheitsgebiet und grenzüberschreitendem Sachverhalt – Universalitätsprinzip oder Territorialitätsprinzip gegeben ist; hierzu BVerfG, Beschluss vom 22.03.1983 – 2 BvR 475/78 – NJW 1983, 2757 (2761); BFH, Urteil vom 18.12.1963 – I 230/61 – BStBl III 1964, 253 (256); Brähler, Internationales Steuerrecht, S. 3; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, Rn. 5.1. m.w.N.; Verdross, Völkerrecht, S. 319. Vgl. auch Hey, StuW 2008, 167 (171). Ausführlich zum Recht auf Gestaltungsfreiheit und zur Rechtfertigung der Einschränkungen sogleich unter B., S. 45 ff.

37

A.

Zur Terminologie des Gestaltungsmissbrauchs

Gegenüber verwandten Begriffen wie Steuervermeidung, Steuerumgehung und Steuerhinterziehung kann eine terminologische Abgrenzung des Gestaltungsmissbrauches durch eine über das gemeinsame Element der bewussten Einwirkung auf Anfall und Höhe der Steuern (Planungselement) hinausgehende materiell-steuerrechtliche Würdigung (wertendes Element) sowie fehlende straf- und ordnungsrechtlicher Konsequenzen (Unrechtselement) erfolgen.

I.

Das Planungselement: Steuervermeidung und Steuergestaltung

Der Begriff Gestaltungsmissbrauch setzt voraus, dass es überhaupt die Möglichkeit einer Gestaltung gibt, vgl. § 42 AO. Dieses Können ist zunächst zu trennen von der Frage des rechtlichen Dürfens und findet seine Grundlage im Grundsatz der Tatbestandsmäßigkeit, § 38 AO.1 Durch Einflussnahme auf den konkreten Lebenssachverhalt bestimmt der Steuerpflichtige namentlich, ob und wie der Tatbestand eines Steuergesetzes als dessen abstraktes Spiegelbild2 verwirklicht wird und dadurch ein Steueranspruch entsteht. Hinzu tritt, dass aus wirtschaftlicher Sicht es Ziel des Steuerpflichtigen sein muss, die ihn treffende Steuerlast möglichst gering zu halten: Steuern stellen insoweit Kosten der unternehmerischen Betätigung dar, und der wirtschaftliche Erfolg wird schließlich am Ertrag nach Steuern gemessen.3 Hierfür lässt sich der Begriff der Steuerplanung verwenden.4 Dieser Ansatz der bewussten Einflussnahme auf den zu besteuernden Lebenssachverhalt durch den Steuerpflichtigen (Planungselement) beansprucht Geltung für sämtliche Erscheinungsformen steuerlicher Belastungsminimierung. Mit jeder Steuergestaltung wird aktiv auf die Höhe der Steuer eingewirkt,5 oh1

2 3 4 5

Als Ausprägung des Grundsatzes vom Vorbehalt des Gesetzes, Art. 20 Abs. 3 GG. Vgl. auch den Steuerbegriff in § 3 Abs. 1 AO: Steuern sind Geldleistungen, (…), bei denen der Tatbestand zutrifft, an den das Gesetz die Leistungspflicht knüpft (…). BFH, Urteil vom 20.01.1985 – I R 12/82 – BStBl II 1985, 386 (387); Drüen, in: Tipke/Kruse, § 38 AO Rn. 6. Bader, Steuergestaltung mit Holdinggesellschaften, S. 3; Hintzen, Zwischenholding, S. 45; Kube, in: Reimer/Dillmann, Europäisches Gesellschafts- und Steuerrecht, S. 225; Zettler, Treaty Shopping, S. 56. Hey, Steuerplanungssicherheit, S. 9 f.; sowie schon oben Einleitung vor A, Fn. 1 und 3. Als Steuerplanung im engeren Sinne (Planung der Steuer) im Gegensatz zur bloß reagierenden Steuereinplanung (Planung mit der Steuer) vgl. Hey, Steuerplanungssicherheit, S. 11; Rödder, Gestaltungssuche im Ertragsteuerrecht, S. 4 f., und DStJG Bd. 33, S. 95.

39

Zur Terminologie des Gestaltungsmissbrauchs

ne dass dies zugleich einen Gestaltungsmissbrauch darstellt. Dies lässt sich an den Fällen der bloßen Nichterfüllung des Tatbestandes, der sog. Tatbestandsvermeidung verdeutlichen:6 Nichtraucher umgehen ebenso wenig die Tabaksteuer, wie Katzenhalter die Hundesteuer, und – so schon das klassische Beispiel von Tipke7 – wer Wein statt Bier trinkt, umgeht nicht die Biersteuer, sondern handelt rechtlich und wirtschaftlich jenseits des jeweiligen Tatbestands. Die gewählten Beispiele der speziellen Verbrauchsteuern mit Lenkungscharakter zeigen zudem, dass der Steuerpflichtige durch die Tatbestandsvermeidung gerade den Telos der Steuernorm erfüllt, bzw. ihm zumindest nicht zuwider handelt. Steuervermeidung ist daher die bloße Nichtverwirklichung des Tatbestandes.8 Rechtmäßige Gestaltungen sind darüber hinaus aber nicht nur durch Tatbestandsvermeidung, sondern auch durch bewusste Tatbestandserfüllung9 möglich, wenn die Sachverhaltsgestaltung den Anwendungsbereich einer steuerlich günstigen Norm eröffnet; exemplarisch lassen sich hier Lenkungszwecknormen anführen.10

II.

Das wertende Element: Steuerumgehung durch Gestaltungsmissbrauch

Der Begriff des Gestaltungsmissbrauchs muss gegenüber Steuervermeidung und anderer rechtmäßiger Steuergestaltung daher durch das Hinzutreten eines weiteren Elementes gekennzeichnet werden. Entscheidend ist – wie bereits § 42 Abs. 1 S. 1 AO besagt –, dass durch Gestaltungsmissbrauch das Steuergesetz nicht umgangen werden kann. Mit der Bezeichnung einer Steuergestaltung als Steuerumgehung durch Gestaltungsmissbrauch wird also gleichzeitig eine Aussage über die materielle steuerrechtliche Bewertung des realisierten Sachverhalts getroffen, mit anderen Worten, ob der mit der Planung bezweckte 6 Birk, Steuerrecht, Rn. 343; Böing, Gestaltungsmissbrauch, S. 12; Danzer, Steuerumgehung, S. 35 f.; Hensel, N., § 6 StAnpG, S. 10 ff.; Tipke, StbJb 1972/73, S. 513; Tipke, StRO III, S. 1323. 7 Tipke, StbJb 1972/73, S. 513; daran anschließend Tipke, StRO III, S. 1329. 8 Eine zusätzliche Unterscheidung könnte noch zwischen totaler Steuervermeidung (im engeren Sinne) und partieller Steuervermeidung (im weiteren Sinne, auch als Steuerersparnis bezeichnet) getroffen werden. Weiterhin kann Steuervermeidung nicht nur beim Steuerobjekt ansetzen, sondern auch beim Steuersubjekt, beim Steuersatz und bei der Bemessungsgrundlage; hierzu Tipke, StbJb 1972/73, S. 513 Fn. 14 m.w.N. 9 Siehe oben Fn. 6. 10 Etwa der Sonderausgabenabzug für Altersvorsorgeaufwendung i.S.v. § 10a EStG, sowie die Steuerermäßigung für Aufwendungen aus haushaltsnahen Beschäftigungen und Inanspruchnahme haushaltsnaher Dienstleistungen, § 35a EStG. Auch dies ist kein Gestaltungsmissbrauch, sondern bloße Steuergestaltung.

40

Das wertende Element: Steuerumgehung durch Gestaltungsmissbrauch

Erfolg aus Sicht des Gesetzgebers tatsächlich eintreten darf oder mangels steuerlicher Anerkennung eine untaugliche Steuergestaltung vorliegt. Während die materielle steuerliche Wertung Steuerumgehung und zulässige Steuergestaltung begrifflich somit nach den eintretenden Rechtsfolgen unterscheidet, ist für die Abgrenzung auf der Tatbestandsseite das Missbrauchsverdikt maßgeblich. Verkürzt findet sich hierfür die Formulierung: „Steuerumgehung ist die durch den Missbrauch qualifizierte Steuervermeidung.“11 Insoweit können Steuerumgehung und Gestaltungsmissbrauch als terminologisch gleichgerichtet angesehen werden; der Gestaltungsmissbrauch ist mithin das Mittel zur Steuerumgehung.12 Die Steuerumgehung wird dabei auch als Unterfall der allgemeinen Gesetzesumgehung (Rechtsgedanke der fraus legis)13 eingeordnet.14 Der Normadressat gestaltet also einen Sachverhalt derart, dass zwar der Tatbestand eines Gesetzes vermieden – oder im Falle von Vergünstigungen: erfüllt – wird, die damit verbundene Rechtsfolge aber dem Norm11 Drüen, in: Tipke/Kruse, § 42 AO Rn. 4; Haas, FAStJb 2004/05, S. 8; Hey, StuW 2008, 167 (169); Lammerding, AO, S. 104; Paschen, Steuerumgehung, S. 21; Tipke, StRO III, S. 1324. Kritisch hierzu Sieker, Umgehungsgeschäfte, S. 21; a.A. offenbar Schön, in: FS Reiß, S. 575, der den Begriff der Steuervermeidung mit missbräuchlichem Verhalten gleichsetzt. 12 Ausdrücklich von Synonymität sprechen Danzer, Steuerumgehung, S. 15; Rättig/Protzen, IStR 2003, 195 (199), Fn. 67; Teichmann, Gesetzesumgehung, S. 77. Wohl auch Cordewener, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, S. 953 f. Der Wortlaut des § 42 Abs. 1 S. 1 AO geht indes streng genommen von einem anderen Verhältnis aus: So ist Gestaltungsmissbrauch ein Anwendungsfall und gleichzeitig auch Voraussetzung der Steuerumgehung, Böing, Gestaltungsmissbrauch, S. 17 f.; Sieker, Umgehungsgeschäfte, S. 19; Tipke, StRO III, S. 1329. Ein Unterschied dürfte allenfalls darin bestehen, dass die Steuerumgehung das Ziel des Handelns – die Umgehung der Steuerschuld – als das Maßgebliche herausstellt, wohingegen der Gestaltungsmissbrauch Art und Weise der Umgehung in den Vordergrund rückt und damit die Verfehlung des Normzwecks der umgangenen Vorschrift als eigentliches steuerliches Problem verdeutlicht, vgl. Böing, Gestaltungsmissbrauch, S. 18. Dieses liegt jedoch beiden Begriffen gleichermaßen zugrunde, so dass sie im Wesentlichen deckungsgleich verwendet werden können. Soweit im Rahmen dieser Untersuchung dennoch eine Unterscheidung zwischen Gestaltungsmissbrauch und Steuerumgehung erforderlich ist, wird dies gesondert erörtert, siehe etwa B.II.1.b.cc(3)(a), S. 162. 13 In fraudem legis agere; hierzu ausführlich Behrends, fraus legis, S. 9 f; Böing, Gestaltungsmissbrauch, S. 29 ff. 14 BFH, Urteil vom 19.03.1980 – II R 23/77 – BStBl II 1980, 598 (599); BFH, Urteil vom 14.05.1986 – II R 22/84 – BStBl II 1986, 620 (621); Böing, Gestaltungsmissbrauch, S. 28; Ratschow in: Klein, AO, § 42 Rn. 6; Crezelius, DB 2007, 1428 (1429); Drüen, in: Tipke/Kruse, § 42 AO Rn. 1; Fischer, in: H/H/Sp, § 42 AO Rn. 135; Hensel, N., § 6 StAnpG, S. 19; Koenig, in: Pahlke/Koenig, AO, § 42 Rn. 1; Lang, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 5 Rn. 95; Ruppe, in: H/H/R, Einl. 466; Sieker, Umgehungsgeschäfte, S. 23; Tipke, StRO III, S. 1325.

41

Zur Terminologie des Gestaltungsmissbrauchs

zweck zuwiderläuft; es wird also die Diskrepanz zwischen Telos und Wortlaut einer Norm ausgenutzt.15 Ein weiterer Aspekt der Begriffe Steuerumgehung und Gestaltungsmissbrauch ist, dass diese trotz des nahe liegenden Wortlautes keine moralische Bewertung enthalten, sondern sich alleine auf die steuerliche Würdigung – letztlich die Nichtanerkennung einer Gestaltung durch bloße Zurückweisung eines Subsumtionsvorschlags – bezieht.16 Konsequenterweise lässt sich das Unrechtselement als weiteres Kriterium der terminologischen Unterscheidung – insbesondere hin zur Steuerhinterziehung – auffassen.

III. Das Unrechtselement: Steuerhinterziehung und Steuerflucht Während Steuerumgehung bzw. Gestaltungsmissbrauch als solche weder verboten noch strafbar ist,17 umfasst der Begriff der Steuerhinterziehung ein zusätzliches Unrechtselement. Die damit verbundenen straf- oder ordnungsrechtlichen Konsequenzen sind tatbestandlich auf über die bloße Gestaltung hinausgehende zusätzliche Umstände zurückzuführen, insbesondere wenn der Steuerpflichtige pflichtwidrig unvollständige oder unrichtige Angaben macht um das Vorliegen einer Steuerumgehung zu verschleiern.18 Wird der einer Steuergestaltung zugrunde liegende Sachverhalt demgegenüber offen dargelegt, so kommt regelmäßig die bloße Annahme eines Gestaltungsmissbrauchs – ohne Unrechtsurteil – in Betracht. Teilweise wird als entscheidendes Kriterium auch herangezogen, ob der Steuertatbestand bewusst nicht erfüllt werden 15 BFH, Urteil vom 19.03.1980 – II R 23/77 – BStBl II 1980, 598 (599); BFH, Urteil vom 14.05.1986 – II R 22/84 – BStBl II 1986, 620 (621); Böing, Gestaltungsmissbrauch, S. 12; Fischer, in: H/H/Sp, § 42 AO Rn. 113; Lang, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 5 Rn. 95; Schulte-Rummel, Steuerumgehung, S. 55; Tipke, StbJb 1972/73, S. 513 f. Dazu ausführlich sogleich unter B.I.2, S. 45 ff. 16 BFH, Urteil vom 13.02.1980 – II R 18/75 – BStBl II 1980, 364 (365); Drüen, in: Tipke/Kruse, § 42 AO Rn. 4; Drüen, StuW 2008, 154 (154); Fischer, in: H/H/Sp, § 42 AO Rn. 120; Fischer, in: FS Reiß, S. 624. 17 BFH, Urteil vom 01.02.1983 – VIII R 30/80 – BStBl II 1983, 534 (536); Danzer, Steuerumgehung, S. 36 ff.; Drüen, in: Tipke/Kruse, § 42 AO Rn. 6; Drüen, StuW 2008, 154 (154); Fischer, in: H/H/Sp, § 42 AO Rn. 56 und 111.; Hensel, N., § 6 StAnpG, S. 15; Koenig, in: Pahlke/Koenig, AO, § 42 Rn. 9; Lang, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 5 Rn. 104; Rose/Glorius-Rose, Steuerplanung und Gestaltungsmissbrauch, S. 105; Tipke, StbJb 1972/73, S. 520; Zettler, Treaty Shopping, S. 58. 18 BFH, Urteil vom 01.02.1983 – VIII R 30/80 – BStBl II 1983, 534 (536); Ratschow, in: Klein, AO, § 42 Rn. 15; Drüen, in: Tipke/Kruse, § 42 AO Rn. 6; Fischer, in: H/H/Sp, § 42 AO Rn. 56; Gassner, Steuervermeidung, S. 2; Hensel, N., § 6 StAnpG, S. 13 ff.; Lang, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 5 Rn. 104; Schön, Gestaltungsmissbrauch S. 19 f.; Schwarz, in: Schwarz, AO, § 42 Rn. 31.

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Das Unrechtselement: Steuerhinterziehung und Steuerflucht

sollte – dann steuerlicher Gestaltungsmissbrauch – oder zwar tatsächlich erfüllt, aber bewusst verschwiegen oder verfälscht wurde – dann Steuerhinterziehung; die Begriffe sollen sich also gegenseitig ausschließen.19 Die Übergänge sind jedoch insoweit fließend, insbesondere wenn Motive verschleiert werden oder der Sachverhalt unständig vorgetragen wird.20 Eine Kennzeichnung als strafrechtlich relevantes Verhalten ließe sich insgesamt auch durch den Begriff Steuerbetrug erreichen.21 Die ebenso oftmals verwendete Bezeichnung als Steuerflucht umfasst nicht notwendigerweise ein solches Unrechtsurteil, hierzu ist vielmehr zwischen der legalen und der illegalen Steuerflucht (Steuerflucht i.e.S.) zu unterscheiden. Gemeinsam ist beiden Begriffen die Umschreibung des steuermindernden Aktes, nämlich Entzug des Steuergutes durch grenzüberschreitende Verlagerung.22 Dies kann sich aber nicht nur im Rahmen von Straftatbeständen abspielen – dann Steuerflucht im engeren Sinne –, sondern auch nur eine Steuerumgehung oder gar eine Steuervermeidung im steuerrechtsfreien Raum darstellen,23 wie die Verlegung einer Betriebsstätte in einen DBA-Staat zeigt (vgl. Art 7 Abs. 6 OECD-MA). Für die vorgenommene systematische Abgrenzung des Gestaltungsmissbrauchs ist der Begriff der Steuerflucht also untauglich.

19 Böing, Gestaltungsmissbrauch, S. 9 m.w.N.; Leitner/Toifl, IStR 2004, 554 (556). 20 Drüen, in: Tipke/Kruse, § 42 AO Rn. 4; Hey, StuW 2008, 167 (169); Koenig, in: Pahlke/Koenig, AO, § 42 Rn. 9. 21 Insbesondere im unionsrechtlichen Kontext – als Übersetzung von „tax fraud“ bzw. „fraude fiscal“ – würde damit eine größere inhaltliche Verständigung bzw. Vereinheitlichung erreicht werden; dazu ausführlich Lohse, in: FS Reiß, S. 645 ff.; vgl. auch Bergmann, StuW 2010, 246 (248). 22 Böing, Gestaltungsmissbrauch, S. 15; Bürger, Steuerflucht, S. 33 f.; Lang, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 7 Rn. 21; Tipke, StRO III, S. 1324. 23 Bürger, Steuerflucht, S. 37 f.; Cloer/Lavrelashvili, Europäisches Steuerrecht, S. 77; Cordewener, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, S. 954; Lang, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 7 Rn. 21; Tipke, StRO III, S. 1324.

43

B.

Maßstäbe zur Bestimmung des Missbrauchscharakters

Wie bereits dargelegt, ist der Missbrauchscharakter einer Gestaltung das entscheidende Differenzierungskriterium zwischen zulässiger Steuergestaltung und Steuerumgehung – Steuerumgehung ist die „durch den Missbrauch qualifizierte Steuervermeidung“.1 Problematisch ist nun, nach welchen grundsätzlichen Maßstäben ein solches Missbrauchsverdikt getroffen werden kann. Im Hinblick auf den grenzüberschreitenden Charakter des Treaty Shopping muss die Untersuchung notwendigerweise ebenso übergreifend ansetzen, d.h. die Darstellung des Missbrauchskonzeptes ist nicht allein auf das nationale (Außen-)Steuerrecht zu beschränken, sondern muss die Rechtsquellen des Europäischen Steuerrechts und des Internationalen Steuerrechts im engeren Sinne einbeziehen.2

I.

Nationales Steuerrecht

Zur Identifizierung von Maßstäben für eine Beurteilung als „Missbrauch“ lassen sich im nationalen Steuerrecht verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen darlegen, die einerseits eine grundsätzliche Gestaltungsfreiheit gewähren, andererseits aber auch Missbrauchsvorbehalte rechtfertigen. Im besonderen Maße finden diese ihren Niederschlag in der Generalklausel des § 42 AO, welcher als grundlegender Ausgangspunkt des Missbrauchskonzeptes herangezogen werden kann. Zudem lassen sich aus speziellen Normen zur Missbrauchsverhinderung Rückschlüsse ziehen.

1.

Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen des Gestaltungsmissbrauchs

a.

Herleitung und Rechtscharakter der Gestaltungsfreiheit

Im Rahmen der terminologischen Abgrenzung wurde bereits dargelegt, dass es notwendiges Element des Gestaltungsmissbrauches ist, überhaupt gestalten zu können.3 Über diese faktische Möglichkeit hinaus gehend wird im deutschen Steuerrecht von Rechtsprechung4 und Schrifttum5 übereinstimmend vertreten, 1 2 3 4

Siehe oben A, Fn. 11. Dazu schon oben Einleitung B, S. 17, und Fn. 2. Siehe oben A.I, S. 39. BVerfG, Urteil vom 14.04.1959 – 1 BvL 23/57 u.a. – BVerfGE 9, 237 (249 f.); BVerfG, Urteil vom 24.01.1962 – 1 BvR 845/58 – BVerfGE 13, 331 (340 f.); BFH, Urteil vom 02.03.1966 – II 113/61 – BStBl III 1966, 509 (510); BFH, Beschluss vom 29.11.1982 – GrS 1/81 – BStBl II 1983, 272 (277); BFH, Urteil vom 16.01.1996, – IX R 13/92 –

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Maßstäbe zur Bestimmung des Missbrauchscharakters

dass es jedermann auch rechtlich grundsätzlich frei steht, Sachverhalte so zu gestalten, dass sie eine möglichst geringe Steuerbelastung nach sich ziehen, sog. Grundsatz der Gestaltungsfreiheit. Unproblematisch sind hierbei die Fälle, in denen der Gesetzgeber durch sog. Lenkungsnormen überhaupt erst steuerliche Anreize zur Sachverhaltsgestaltung setzt.6 Aber auch darüber hinaus wird die Legitimität der Ausnutzung gestaltungsabhängiger Belastungsunterschiede als absolut legitim angesehen, selbst das alleinige Streben nach Steuerersparnis führt demnach nicht dazu, dass eine Gestaltung steuerlich nicht anzuerkennen ist.7 Von diesem Grundsatz zu trennen ist die Frage, ob die Gestaltungsfreiheit auch den Charakter einer subjektiven Rechtsposition aufweist. Überwiegend wird sie als Ausprägung des Grundsatzes der Privatautonomie und der sog. unternehmerischen Handlungsfreiheit angesehen; diese wiederum seien dogmatisch verfestigte Gewährleistungsinhalte aus dem Grundrecht auf allgemeine Handlungsfreiheit, Art. 2 Abs. 1 GG.8 Nach anderer Ansicht muss aufgrund der Subsidiarität der allgemeinen Handlungsfreiheit die Freiheit der unternehmerischen Betätigung vielmehr in der Berufsfreiheit, Art. 12 Abs. 1 GG, und der Eigentumsgarantie, Art. 14 GG, bzw. deren Wechselbezüglichkeit verortet werden; diese bilden demnach den Ausgangspunkt der Gestaltungsfreiheit.9

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BStBl II 1996, 214 (215); BFH, Urteil vom 19.10.1999 – IX R 39/99 – BStBl II 2000, 223 (224). Ratschow, in: Klein, AO, § 42 Rn. 40 ff.; Crezelius, DB 2007, 1428 (1429); Drüen, in: Tipke/Kruse, § 42 AO Rn. 3; Hensel, A., in: FS Zitelmann, S. 228; Hey, Steuerplanungssicherheit, S. 13; Hey, StuW 2008, 167 (169); Mack/Wollweber, DStR 2008, 182 (185); Schwarz, in: Schwarz, AO, § 42 Rn. 6. Blesinger, in: Kühn/von Wedelstädt, AO, § 42 Rn. 11; Hey, Steuerplanungssicherheit, S. 13 f. BFH, Beschluss vom 29.11.1982 – GrS 1/81 – BStBl II 1983, 272 (277); BFH, Urteil vom 03.02.1998 – IX R 38/96 – BStBl II 1998, 539 (540); BFH, Urteil vom 04.04.2001 – VI R 173/00 – BStBl II 2001, 677 (679); Blesinger, in: Kühn/von Wedelstädt, AO, § 42 Rn. 11; Ratschow, in: Klein, AO, § 42 Rn. 42; Hey, Steuerplanungssicherheit, S. 14; Ruppe; in: H/H/R, Einl. 465. BVerfG, Urteil vom 01.03.1979 – 1 BvR 532/77 u.a. (Mitbestimmungsurteil) – BVerfGE 50, 290 (366); BVerfG, Urteil vom 14.07.1998 – 1 BvR 1640/97 (Rechtschreibreform) – BVerfGE 98, 218 (259); Hensel, N., § 6 StAnpG, S. 111; Stern, in: Stern, Staatsrecht Bd. IV/1, S. 898 ff. Kritisch Di Fabio, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 2 I Rn. 76 und 104 ff. Weitere Nachweise insbesondere aus der Rechtsprechung bei Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 12 Rn. 123 Fn. 4 und 6. Die Privatautonomie betonend auch Loritz, ZSteu 2007, 415 (416). Dietlein, in: Stern, Staatsrecht Bd. IV/1, S. 1928 f.; Dreier, in: Dreier, GG, Bd. I, Art. 2 I Rn. 38; Drüen, in: Tipke/Kruse, § 42 AO Rn. 3; Leisner-Egensperger, DStZ 2008, 358 (363); Mack/Wollweber, DStR 2008, 182 (185); Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 12 Rn. 123.

Nationales Steuerrecht

Abweichend hiervon wird aber auch vertreten, dass es sich bei der Gestaltungsfreiheit überhaupt nicht um eine subjektive Rechtsposition des Steuerpflichtigen handele; vielmehr sei dies ein bloßer Reflex des Prinzips der Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung.10 Für diese Ansicht spricht, dass eine Herleitung der Gestaltungsfreiheit aus den Freiheitsrechten sich zu wenig mit dem Problem auseinandersetzt, ob überhaupt ein Eingriff in die genannten Positionen vorliegt. Denn Missbrauchsvorbehalte wie § 42 AO untersagen schließlich nicht die unternehmerische Betätigung in Form einer bestimmten Gestaltung, es werden lediglich bestimmte ertragsteuerliche Folgerungen daran geknüpft; es kann sich daher allenfalls um einen mittelbaren Eingriff handeln. Es ist jedoch zu betonen, dass dieser aus Sicht des Gestaltenden weniger darin liegt, dass überhaupt eine Ertragsbesteuerung vorgenommen wird, sondern dass diese anders als von ihm geplant erfolgt. Soweit man also die Abweichung zwischen der tatsächlich ausgeübten unternehmerischen Freiheit und der steuerrechtlichen Würdigung als maßgeblich ansieht, kann der Grundsatz der Folgerichtigkeit als Ausprägung des allgemeinen Gleichheitssatzes, Art. 3 Abs. 1 GG,11 berührt sein. Ausgangspunkt ist dann, dass das Steuerrecht bei der Erfassung der zu besteuernden wirtschaftlichen Sachverhalte zur Wahrung der Einheit der Rechtsordnung und aus Gründen der Rechtssicherheit und Rechtsklarheit grundsätzlich an die zivilrechtlich gewählte Gestaltung anknüpft.12 Indem § 42 AO und andere Missbrauchsvorbehalte für bestimmte Umgehungsgestaltungen eine hiervon abweichende steuerliche Bewertung vornehmen, wäre dies gesondert zu legitimieren. Bedenken gegen diese Ansicht bestehen jedoch insoweit, als Zivilrecht und Steuerrecht gerade nicht im Sinne eines Vorrangverhältnisses zueinander stehen, sondern unterschiedliche Regelungsbereiche betreffen.13 b.

Legitimation von Missbrauchsvorbehalten

Selbst bei Subsumtion unter die genannten, grundrechtlich geschützten Positionen sind diese indes nicht vorbehaltlos gewährleistet. Soweit man die Gestaltungsfreiheit im Rahmen von wirtschaftlicher Handlungsfreiheit und Privatautonomie als Freiheitsrecht ansieht und aus Art. 2 Abs. 1 GG herleitet, ist vor allem die Schranke der verfassungsmäßigen Ordnung zu berücksichtigen, wel10 Danzer, Steuerumgehung, S. 105; Schön, in: DStJG Bd. 33, S. 39. 11 BVerfG, Urteil vom 06.03.2002 – 2 BvL 17/99 (Rentenbesteuerung) – DStRE 2002, 349 (362 f.); BVerfG, Beschluss vom 07.11.2006 – 1 BvL 10/02 (Erbschaftsteuer) – DStR 2007, 235 (240); BVerfG, Urteil vom 09.12.2008 – 2 BvL 1/07 u.a. (Pendlerpauschale ) – DStR 2008, 2460 (2461); Lang, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 4 Rn. 75. 12 Drüen, StuW 2008, 154 (156); Kruse, in: Tipke/Kruse, § 39 AO Rn. 3; Lang, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 5 Rn. 110. Die steuerliche Gestaltungsfreiheit folgt insoweit der zivilrechtlichen Gestaltungsfreiheit. 13 Ausführlich Drüen, StuW 2008, 154 (156).

47

Maßstäbe zur Bestimmung des Missbrauchscharakters

che die Gesamtheit der Normen umfasst, die formell und materiell mit der Verfassung in Einklang stehen.14 Soweit insbesondere der Schutzbereich des Art. 12 GG betroffen sein soll, gilt für die Rechtfertigungsprüfung nichts anderes, da auch dieser letztlich unter einfachem Gesetzesvorbehalt steht.15 Bei einer Verankerung im Rahmen des Folgerichtigkeitsgebotes sind Ausnahmen bei besonderem sachlichem Grund zulässig.16 Andererseits wird auch angeführt, dass es ohnehin eine Frage der praktischen Konkordanz sei, dass alle Steuerpflichtigen im Interesse der Sicherung des staatlichen Steueranspruchs und des gesetzmäßigen Steuervollzugs eine gleichmäßige Besteuerung hinnehmen müssen.17 Der entscheidende Ansatz zur Rechtfertigung von Missbrauchsvorbehalten ergibt sich nämlich ohnehin unmittelbar aus Verfassungsrecht: Der Grundsatz der Gestaltungsfreiheit darf nämlich nicht zu einer Besserstellung derjenigen führen, die wegen finanzieller Überlegenheit und steuerrechtlicher Beratung bzw. eigener Kenntnisse steuersparende Gestaltungsmöglichkeiten entwickeln und durchführen können; dies würde dem allgemeinen Gleichheitssatz, Art. 3 Abs. 1 GG, widersprechen,18 welcher im Steuerrecht als bereichsspezifische Ausprägung die gleichmäßige Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit verlangt.19 Sachverhalte mit unterschiedlicher rechtlicher Ausgestaltung – sei dies auch zivilrechtlich zulässig – müssen daher im Ergebnis gleich behandelt werden, wenn sich der Steuerpflichtige lediglich unter Vermeidung des rechtlichen Tatbestandes, den der Gesetzgeber für den betroffenen wirtschaftlichen Sach14 BVerfG, Urteil vom 16.01.1957 – 1 BvR 253/56 (Elfes-Urteil) – BVerfGE 6, 32 (38 ff.); BVerfG, Beschluss vom 06.06.1989 – 1 BvR 921/85 – BVerfGE 80, 137 (153). 15 So das BVerfG und die h.M. zum „Regelungsvorbehalt“ des Art. 12 Abs. 1 S. 2 GG, siehe BVerfG, Urteil vom 01.07.1980 – 1 BvR 23/75 – BVerfGE 54, 224 (234); Dietlein, in: Stern, Staatsrecht Bd. IV/1, S. 1883 f.; Pieroth/Schlink, Grundrechte, Rn. 808; Scholz, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 12 Rn. 311 ff. 16 BVerfG, Urteil vom 06.03.2002 – 2 BvL 17/99 (Rentenbesteuerung) – DStRE 2002, 349 (362 f.); BVerfG, Beschluss vom 07.11.2006 – 1 BvL 10/02 (Erbschaftsteuer) – DStR 2007, 235 (240); BVerfG, Urteil vom 09.12.2008 – 2 BvL 1/07 u.a. (Pendlerpauschale ) – DStR 2008, 2460 (2461) m.w.N. 17 Drüen, in: Tipke/Kruse, § 42 AO Rn. 16; Mack/Wollweber, DStR 2008, 182 (185). So wohl auch Koenig, in: Pahlke/Koenig, AO, § 42 Rn. 7. 18 Drüen, StuW 2008, 154 (157 f.). Ausführlich auch Gabel, Spezielle Missbrauchsnormen S. 52 ff. m.w.N. 19 BVerfG, Urteil vom 09.12.2008 – 2 BvL 1/07 u.a. (Pendlerpauschale) – DStR 2008, 2460 (2461); BVerfG, Beschluss vom 07.11. 2006 – 1 BvL 10/02 (Erbschaftsteuer) – DStR 2007, 235 (239 f.); BVerfG, Urteil vom 10.02.1987 – 1 BvL 18/81 u.a. – BStBl II 1987, 240 (245); Drüen, in: Tipke/Kruse, § 3 AO Rn. 42; Heun, in: Dreier, GG, Bd. I, Art. 3 Rn. 74 ff.; Kirchhof, in:Isensee/Kirchhof, HStR Bd. VIII, § 180 Rn. 180; Lang, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 4 Rn. 81 ff.; Möstl, DStR 2003, 720 (722 f.); Pahlke, in: Pahlke/Koenig, AO, § 3 Rn. 75. Siehe auch Loritz, NJW 1986, 1 (5 ff.).

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Nationales Steuerrecht

verhalt vorgesehen hat, dem Steueranspruch des Staates zu entziehen versucht, wirtschaftliche Zwecksetzung und damit steuerliche Leistungsfähigkeit aber gleichermaßen verwirklicht werden.20 Die Wahrung der Gleichmäßigkeit der Besteuerung bildet daher zum einen die Grenze der Gestaltungsfreiheit, es gibt also kein Primat der zivilrechtlichen Gestaltung.21 Zum anderen ergibt sich hieraus sogar die Verpflichtung aller staatlichen Organe, einem Gestaltungsmissbrauch entgegenzuwirken.22 Insoweit als § 42 AO also im Sinne eines Ausgleiches zwischen Gestaltungsfreiheit und Besteuerungsgleichheit23 – im Ergebnis unstrittig24 – eine Besteuerung nach der umgangenen Norm nach sich zieht, kann Art. 3 Abs. 1 GG einerseits als in der Dimension der Rechtsanwendungsgleichheit betroffen angesehen werden. Gerade über eine gleichmäßige Auslegung und Anwendung der (umgangenen) Steuertatbestände durch Finanzbehörden und Rechtsprechung soll also tatsächliche Belastungsgleichheit gewährleistet werden.25 Andererseits kann auch das Gebot der Rechtsetzungsgleichheit berührt sein. Während die sog. Innentheorie von einer rein deklaratorischen Bedeutung des

20 Ratschow, in: Klein, AO, § 42 Rn. 16; Hensel, N., § 6 StAnpG, S. 111; Hey, StuW 2008, 167 (171); Tipke, StRO III, S. 1324. 21 Koenig, in: Pahlke/Koenig, AO, § 39 Rn. 1; Tipke, StRO III, S. 1309; Weber-Grellet, Steuern im modernen Verfassungsstaat, S. 198 ff. 22 BVerfG, Urteil vom 24.01.1962 – 1 BvL 32/57 – BVerfGE 13, 290 (316); BVerfG, Urteil vom 24.01.1962 – 1 BvR 845/58 – BVerfGE 13, 331 (344 f.); BVerfG, Entscheidung vom 22.07.1970 – 1 BvR 285/66 – BVerfGE 29, 104 (118); Drüen, StuW 2008, 154 (158); Koenig, in: Pahlke/Koenig, AO, § 42 Rn. 7; Lang, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 4 Rn. 70; Tipke, StRO III, S. 1394 ff. Ausführlich zur verfassungsrechtlichen Pflicht zur Missbrauchsabwehr nun auch Gabel, Spezielle Missbrauchsnormen, S. 50 ff.; im Ergebnis wird diese sowohl steuerstaatstheoretisch als auch unter Rekurs auf eine Schutzpflicht aus Art. 3 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 3 GG begründet. Allerdings hat der Gesetzgeber einen weiten Gestaltungsspielraum, ob er hierfür auf Generalklauseln wie § 42 AO zurückgreift, oder aber sich einer speziellen Konkretisierung bedient, hierzu siehe Hey, in: DStJG Bd. 33, S. 166 f.; Gabel, Spezielle Missbrauchsnormen, S. 60 ff. 23 Soweit die Gestaltungsfreiheit als Rechtsposition abgelehnt wird, bezieht die Norm ihre Rechtfertigung aus einem treuwidrigen Verhalten des Steuerpflichtigen, so Schön, in: DStJG Bd. 33, S. 60 f. 24 Es kommt daher weder auf eine Stellungnahme zum Tatbestandsgehalt des § 42 AO (Innen- bzw. Außentheorie) noch auf die genaue methodische Vorgehensweise (Sachverhaltsfiktion, Rechtsfortbildung, Analogie etc.) an. 25 Koenig, in: Pahlke/Koenig, AO, § 42 Rn. 7; Lang, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 4 Rn. 70; Seer, in: Tipke/Kruse, § 85 AO Rn. 8 f.

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Maßstäbe zur Bestimmung des Missbrauchscharakters

§ 42 AO ausgeht,26 lehnt dies die bislang h.M. mit der sog. Außentheorie ab, die Vorschrift sei also gerade nicht überflüssig.27 Konsequenterweise kann somit nur durch die Existenz dieser Missbrauchsvorschrift eine Steuerumgehung verhindert werden, so dass mit § 42 AO der Steuergesetzgeber den auch an ihn gerichteten verfassungsmäßigen Auftrag durch Schaffung entsprechender Gesetze erfüllt.28 Aufgrund der Möglichkeit, strengere Anforderungen bei der Normsetzung im Bereich missbrauchsanfälliger Lebenssachverhalte zu stellen, ist auch die Entstehung und Existenz spezieller Missbrauchsvorbehalte unter dem Aspekt der Rechtssetzungsgleichheit zu betrachten; dies gilt umso mehr, als der Steuergesetzgeber oftmals gerade zu Gestaltungen anreizt, was zwangsläufig zu Ungerechtigkeiten führt.29 Indes ist von einem freien Ermessen des Staates auszugehen, ob die Missbrauchsverhinderung durch die Generalklausel des § 42 AO oder durch spezielle Normen erreicht wird.30 Missbrauchsvorbehalte sorgen aber nicht nur für eine gleichmäßige Anwendung der Steuergesetze, sondern dienen zumindest mittelbar auch der staatlichen Einnahmeerzielung, in dem der staatliche Besteuerungsanspruch gesichert wird, es handelt es sich daher um Fiskalzwecknormen.31 Speziell im Anwendungsbereich des Internationalen Steuerrechts wird die Einschränkung der Gestaltungsfreiheit bei grenzüberschreitenden Sachverhalten mittels spezieller Missbrauchsvorschriften oftmals auch durch eine Sicherung deutschen Steuersubstrats begründet; Sicherstellung einer inländischen Steuerbasis und Missbrauchsabwehr sind aber keineswegs deckungsgleich, da nicht jeder Ver26 Danzer, Steuerumgehung, S. 84 f.; Fischer, in: H/H/Sp, § 42 AO Rn. 72 ff.; z.T. wird wegen rechtsstaatlicher Bedenken zur Analogie belastender Steuernormen § 42 AO quasi als „Analogieermächtigung“ verstanden, so Sieker, Umgehungsgeschäfte, S. 28. 27 Ratschow, in: Klein, AO, § 42 Rn. 14; Clausen, DB 2003, 1589 (1589); Drüen, in: Tipke/Kruse, § 42 AO Rn. 8 f.; Hahn, DStZ 2005, 183 (186); Hensel, A., in: FS Zitelmann, S. 230 und 237; Klein, Steuerumgehungstatbestand, S. 43; Schwarz, in: Schwarz, AO, § 42 Rn. 14; Tipke, StRO III, S. 1328. Ausführlich hierzu sogleich unter B.I.2.b, S. 58. 28 BVerfG, Urteil vom 24.01.1962 – 1 BvL 32/57 – BVerfGE 13, 290 (316); Drüen, StuW 2008, 154 (158); Koenig, in: Pahlke/Koenig, AO, § 42 Rn. 7; Lang, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 4 Rn. 70; Schulte-Rummel, Steuerumgehung, S. 55. Siehe aber auch bereits Fn. 23. 29 Vogel, in: DStJG Band 12, S. 126. 30 Hey, in: DStJG Bd. 33, S. 166. Siehe aber auch Gabel, Spezielle Missbrauchsnormen, S. 64 ff., die zumindest für gängige Umgehungswege aus Gründen der Rechtssicherheit eine spezielle Regelung fordert, deren Auswahl aber ebenso dem Gesetzgeber überlässt. 31 Hey, StuW 2008, 167 (171); Lang, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 4 Rn. 20; a.A. scheinbar Drüen, StuW 2008, 3 (13). Hiervon zu unterscheiden ist die Feststellung, dass diesen kein selbständiger Einnahmezweck zugrunde liegt, sondern lediglich die vom Gesetzgeber in Form der „umgangenen“ Steuernorm bereits getroffene Belastungsentscheidung durchgesetzt wird, so Hey, StuW 2008, 167 (171); ähnlich auch Drüen, StuW 2008, 154 (158).

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lust deutschen Steuersubstrats auf missbräuchlichen Gestaltungen beruht.32 Exemplarisch lässt sich dies anhand der Verteilungsnormen in DBA verdeutlichen, nach denen Deutschland auf sein Besteuerungsrecht verzichtet hat; Gestaltungen, bei denen Gewinne im Ausland statt im Inland anfallen, können also nicht per se als missbräuchlich angesehen werden.33 Die Zielsetzungen überschneiden sich nur dann, wenn anhand der Missbrauchsvorbehalte die Besteuerung einer tatsächlich in Deutschland erwirtschafteten Leistungsfähigkeit sichergestellt werden kann, nur in diesem Sinne ist die Sicherung des Steueraufkommens als Rechtfertigungsgrund anzuerkennen. Ob die jeweilige Norm einen solchen Bezug aufweist stellt sich speziell bei grenzüberschreitenden Sachverhaltskonstellationen dann vielmehr als Schranke der Missbrauchsvorbehalte dar. Über die beschriebenen verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen – Gestaltungsfreiheit, Folgerichtigkeit, Leistungsfähigkeit, Fiskalzweck – hinaus fehlt es an spezifischen verfassungsrechtlichen Vorgaben zur Konkretisierung eines allgemeinen Maßstabs des Missbrauchs, so dass von einem weiten Gestaltungsspielraum auszugehen ist.34 Indes können sich diese Rahmenbedingungen im Einzelfall auch als Schranke einfachgesetzlicher Missbrauchsmaßstäbe erweisen und bestimmen damit deren Maßstäbe zumindest mittelbar mit. Wie zu zeigen ist, gilt dies insbesondere im Zusammenhang mit speziellen Missbrauchsvorbehalten, die aufgrund ihrer typisierenden Wirkung selbst Probleme im Hinblick auf eine Besteuerung nach der tatsächlichen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit aufwerfen; eine derartige Begrenzung ist hauptsächlich im Wege des Verhältnismäßigkeitsprinzips in Betracht zu ziehen.35

32 Hey, StuW 2008, 167 (171). Siehe auch die Begründung zum Entwurf des UntStRefG, BT-Ds.16/4841, S. 1: „Hauptziel der Unternehmensteuerreform ist deshalb neben der Erhöhung der Standortattraktivität die längerfristige Sicherung des deutschen Steuersubstrats. Durch positive und negative Anreize soll die Verlagerung von Steuersubstrat ins Ausland, vor allem durch Unternehmen, aber auch durch private Haushalte, gebremst werden.“ 33 Hey, BB 2007, 1303 (1304); Hey, StuW 2008, 167 (171). Zettler, Treaty Shopping, S. 55, spricht insoweit von „systembedingten Minderbesteuerungen“. 34 Grundlegend Hey, in: DStJG Bd. 33, S. 166 f. 35 Ausführlich hierzu unten B.I.3.d, S. 127. Siehe auch Hey, in: DStJG Bd. 33, S. 167 f.; sodann wird auch das Rechtsstaatsprinzip relevant, da es sich bei der Anwendung von Missbrauchsnormen im Steuerrecht um klassische Eingriffsverwaltung handelt; zu Herkunft und Ausprägungen dieses „steuerlichen Legalitätsprinzip“ ausführlich Lang, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 4 Rn. 150 ff.

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Maßstäbe zur Bestimmung des Missbrauchscharakters

2.

Missbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten, § 42 AO

In der Vorschrift des § 42 AO treffen die genannten verfassungsrechtlichen Positionen aufeinander. Als Generalklausel ist die Norm der grundlegende Ausgangspunkt für ein allgemeines Konzept zur Beurteilung des Gestaltungsmissbrauchs und damit auch des Treaty Shopping. Die Grundaussage des § 42 Abs. 1 S. 1 AO lautet: „Durch Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts kann das Steuergesetz nicht umgangen werden.“

Mit nur leichten Formulierungsunterschieden wurde diese bereits in der Vorgängervorschrift des § 5 RAO 1919 getroffen, welcher auf den Mitropa-Fall des RFH zurückging,36 ebenso in den nachfolgenden Fassungen des § 6 StAnpG 1934 und – seither jedenfalls insoweit unverändert – des § 42 AO 1977.37 Inwieweit sich der Norm im Einzelnen aber inhaltliche Maßstäbe – im Sinne von Tatbestandsmerkmalen – zur Bestimmung des Missbrauchscharakters einer Steuergestaltung entnehmen lassen, ist ein vieldiskutiertes Problem, das vor allem von methodischen Fragen bestimmt wird.38 I.d.F. bis zum 31.12.2007 enthielt § 42 AO keine eigene Missbrauchsdefinition und war daher stark von Kasuistik geprägt.39 Im Rahmen des Gesetzgebungsverfahrens zum JStG 2008 sollte daher im Interesse der Gleichmäßigkeit und der Rechtssicherheit der Besteuerung eine präzise und effektive Regelung des 36 RFH, Urteil vom 16.07.1919 – II A 142/19 (Mitropa) – RFHE 1, 126 (126 ff.). 37 Ausführlich mit Wortlaut der Altfassungen bei Wienbracke, DB 2008, 664 (665 f.). 38 Siehe nur exemplarisch die Monographien von Danzer, Steuerumgehung; Klein, Steuerumgehungstatbestand; Hensel, N., § 6 StAnpG; Paschen, Steuerumgehung; Sieker, Umgehungsgeschäfte; sowie die umfangreichen Kommentierungen zu § 42 AO von Drüen, in: Tipke/Kruse, und Fischer, in: H/H/Sp. 39 Vgl. nur die Zusammenstellung zur BFH-Rechtsprechung von Rose/Glorius-Rose, Steuerplanung und Gestaltungsmissbrauch. Anders noch § 5 Abs. 2 RAO: “(2) Ein Missbrauch i.S. von Abs. 1 liegt vor, 1. in Fällen, wo das Gesetz wirtschaftliche Vorgänge, Tatsachen und Verhältnisse in der ihnen entsprechenden rechtlichen Gestaltung einer Steuer unterwirft, zur Umgehung der Steuer ihnen nicht entsprechende, ungewöhnliche Rechtsformen gewählt oder Rechtsgeschäfte vorgenommen werde, und 2. nach Lage der Verhältnisse und nach der Art, wie verfahren wird oder verfahren werden soll, wirtschaftlich für die Beteiligten im Wesentlichen derselbe Erfolg erzielt wird, der erzielt wäre, wenn eine den wirtschaftlichen Vorgängen, Tatsachen und Verhältnissen entsprechende rechtliche Gestaltung gewählt wäre, und ferner 3. etwaige Rechtsnachteile, die der gewählte Weg mit sich bringt, tatsächlich keine oder nur geringe Bedeutung haben.”

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Missbrauchs geschaffen werden.40 Die zunächst vorgelegten Entwürfe41 hierzu waren massiver Kritik der Verbände und der Literatur ausgesetzt.42 Unter diesem Eindruck und auf eine Stellungnahme des Bundesrates43 und der Beschlussempfehlung des Finanzausschusses44 hin wurde das geplante Ziel der Missbrauchsdefinition zwar nicht aufgegeben, von den bisherigen Entwürfen abweichend erhielt § 42 AO durch das JStG 2008 letztlich folgende Fassung:45 „(1) Durch Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten des Rechts kann das Steuergesetz nicht umgangen werden. Ist der Tatbestand einer Regelung in einem Einzelsteuergesetz erfüllt, die der Verhinderung von Steuerumgehungen dient, so bestimmen sich die Rechtsfolgen nach jener Vorschrift. Anderenfalls entsteht der Steueranspruch beim Vorliegen eines Missbrauchs im Sinne des Absatzes 2 so, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung entsteht. 40 Kabinettsentwurf vom 08.08.2007, BT-Ds.16/6290, S. 81. 41 Referentenentwurf vom 14.03.2007, S. 37 f.: “Wird eine zu einem Steuervorteil führende rechtliche Gestaltung gewählt, für die keine beachtlichen außersteuerlichen Gründe nachgewiesen werden, entsteht der Steueranspruch so, wie er bei einer vom Gesetzgeber bei seiner gesetzlichen Regelung vorausgesetzten rechtlichen Gestaltung entstanden wäre. Beachtliche außersteuerliche Gründe liegen vor, wenn die Gestaltung von verständigen Dritten in Anbetracht des wirtschaftlichen Sachverhalts und der wirtschaftlichen Zielsetzung ungeachtet des Steuervorteils gewählt worden wäre.” Kabinettsentwurf vom 08.08.2007, BT-Ds.16/6290, S. 24 f.: “Ein Missbrauch liegt vor, wenn eine zu einem Steuervorteil führende ungewöhnliche rechtliche Gestaltung gewählt wird, für die keine beachtlichen außersteuerlichen Gründe durch den Steuerpflichtigen nachgewiesen werden. Ungewöhnlich ist eine Gestaltung, die nicht der Gestaltung entspricht, die vom Gesetzgeber in Übereinstimmung mit der Verkehrsanschauung zum Erreichen bestimmter wirtschaftlicher Ziele vorausgesetzt wurde.” 42 Zum Referentenentwurf siehe Crezelius, BB 2007, 1428; Brockmeyer, DStR 2007, 1325; zum Kabinettsentwurf siehe Geerling/Gorbauch, DStR 2007, 1703; Lenz/Gerhard BB 2007, 2429; Schnitger, IStR 2007, 729. Zu Verbandsreaktionen siehe BStBK vom 08.08.2007 und DStBV vom 10.08.2007, DB 2007, Heft 33, S. XVII, und die Stellungnahmen zur öffentlichen Anhörung des Finanzausschusses vom 10.10.2007 unter: http://www.bundestag.de/ausschuesse/a07/anhoerungen/071/Stellungnahmen/index.html. 43 Stellungnahme des Bundesrates vom 21.09.2007, BR-Ds. 544/07 (B), S. 63 = BTDs.16/6739, S. 24: „§ 42 AO ist dringend korrekturbedürftig, wenn mit dieser Vorschrift weiterhin beabsichtigt sein sollte, Gestaltungsmissbräuchen gerichtsfest vorzubeugen. (…) Auf eine Änderung des § 42 AO kann jedoch nicht verzichtet werden. Eine Verzicht auf die beabsichtigte Änderung würde das Signal aussenden, dass eine Neuregelung nicht notwendig wäre.“ 44 Beschlussempfehlung des Finanzausschusses vom 07.11.2007, BT-Ds.16/6981, S. 51 f. 45 JStG 2008 vom 20.12.2007, BGBl I 2007, S. 3150.

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Maßstäbe zur Bestimmung des Missbrauchscharakters

(2) Ein Missbrauch liegt vor, wenn eine unangemessene rechtliche Gestaltung gewählt wird, die beim Steuerpflichtigen oder einem Dritten im Vergleich zu einer angemessenen Gestaltung zu einem gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteil führt. Dies gilt nicht, wenn der Steuerpflichtige für die gewählte Gestaltung außersteuerliche Gründe nachweist, die nach dem Gesamtbild der Verhältnisse beachtlich sind.“

Indes kann die Frage nach inhaltlichen Maßstäben zur Bestimmung des Missbrauchscharakters auch hiernach nicht ohne weiteres anhand des Gesetzes beantwortet werden. Vielmehr bedarf dies einer eingehenden Untersuchung unter Einbeziehung der höchstrichterlichen Rechtsprechung und der einschlägigen Literatur. a.

Steuerumgehung als Grundproblematik des § 42 AO

aa.

Normzweckverfehlung und Privatautonomie

Trotz der angesprochenen Unklarheiten in Methodik und vielen Detailfragen gehen die Untersuchungen zu § 42 AO von einem gemeinsamen rechtssystematischen Grundproblem aus, namentlich der Steuerumgehung als Unterfall der Gesetzesumgehung.46 Darunter wird verstanden, dass der Normadressat einen Sachverhalt derart gestaltet, dass zwar der Tatbestand eines Gesetzes vermieden wird, die damit verbundene Rechtsfolge aber dem Normzweck zuwiderläuft; es wird also die Diskrepanz zwischen Telos und Wortlaut einer Norm ausgenutzt.47 Übertragen auf das Steuerrecht bedeutet dies, dass eine bestimmte Gestaltung zwar formell nicht den Tatbestand eines Steuergesetzes erfüllt, der wirtschaftliche Erfolg und damit die zu besteuernde Leistungsfähigkeit aber in gleichem Maße eintreten, wie in den Fällen, die der Gesetzgeber eigentlich im Blick hatte.48 Das Spannungsverhältnis zwischen Telos und

46 BFH, Urteil vom 19.03.1980 – II R 23/77 – BStBl II 1980, 598 (599); BFH, Urteil vom 14.05.1986 – II R 22/84 – BStBl II 1986, 620 (621); Böing, Gestaltungsmissbrauch, S. 28; Ratschow, in: Klein, AO, § 42 Rn. 6; Bürger, Steuerflucht, S. 36; Crezelius, DB 2007, 1428 (1429); Drüen, in: Tipke/Kruse, § 42 AO Rn. 1; Fischer, in: H/H/Sp, § 42 AO Rn. 135; Gassner, Steuervermeidung, S. 3; Hensel, N., § 6 StAnpG, S. 19; Koenig, in: Pahlke/Koenig, AO, § 42 Rn. 1; Lang, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 5 Rn. 95; Ruppe, in H/H/R, Einl. 466; Sieker, Umgehungsgeschäfte, S. 23; Tipke, StRO III, S. 1325. 47 BFH, Urteil vom 19.03.1980 – II R 23/77 – BStBl II 1980, 598 (599); BFH, Urteil vom 14.05.1986 – II R 22/84 – BStBl II 1986, 620 (621); Böing, Gestaltungsmissbrauch, S. 12; Gosch, in: Harzburger Steuerprotokoll 1999, S. 226; Lang, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 5 Rn. 95; Tipke, StbJb 1972/73, S. 513 f. 48 BFH, Urteil vom 14.05.1986 – II R 22/84 – BStBl II 1986, 620 (621); Böing, Gestaltungsmissbrauch, S. 12; Crezelius, StuW 1995, 313 (313 f.); Drüen, StuW 2008, 154 (156); Gosch, in: Harzburger Steuerprotokoll 1999, S. 226; Hensel, N., § 6 StAnpG, S. 39 ff.; Ruppe, in H/H/R, Einl. 466; Schulte-Rummel, Steuerumgehung, S. 55; Tipke, StbJb

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Nationales Steuerrecht

Wortlaut wiederum resultiert aus der Tatsache, dass der Gesetzgeber zur Besteuerung zunehmend komplexe wirtschaftliche Sachverhalte in rechtliche Tatbestände fassen muss, die rechtstaatlichen Anforderungen wie dem Bestimmtheitsgebot – aber auch der Rechtssicherheit49 – standhalten müssen. Der Steuertatbestand knüpft für die Umschreibung wirtschaftliche Vorgänge daher an typische, zivilrechtliche Konstrukte an.50 Nach dem Grundsatz der Privatautonomie besteht hierfür gerade aber ein weiter Spielraum, insbesondere betreffend eine Trennung zwischen wirtschaftlichem Inhalt und äußerer Form; wirtschaftliche Vorgänge sind daher durch rechtliche Tatbestände nur begrenzt umschreibungsfähig. Insoweit ergänzen und begrenzen sich die Gestaltungsfreiheit und § 42 AO als Korrelat der wirtschaftlichen Betrachtungsweise gegenseitig.51 Aus diesem Grunde wird auch als ungeschriebene Voraussetzung des § 42 AO erachtet, dass ausschließlich wirtschaftliche Vorgänge hiervon betroffen sein können.52 Weitgehende Einigkeit in der Sache besteht darin, dass das Auseinanderfallen von Telos und Wortlaut zur Steuerumgehung nicht nur mit Blickrichtung auf die Vermeidung eines Steuertatbestandes ausgenutzt werden kann, sondern eine Gestaltung gerade auch die Anwendbarkeit einer für den Steuerpflichtigen günstigen Norm bezwecken kann. Im Unterscheid zur vorab beschriebenen Tatbestandsvermeidung hat sich hierfür der Begriff der Tatbestandserschleichung eingebürgert.53 Damit wird nochmals verdeutlicht, dass Steuerumge-

49 50 51 52 53

1972/73, S. 513 f.; Tipke, StRO III, S. 1324; Weber-Grellet, Steuern im modernen Verfassungsstaat, S. 222. Streng genommen kommt es natürlich auf den Telos des Gesetzes an; schon BFH, Urteil vom 14.05.1986 – II R 22/84 – BStBl II 1986, 620 (621), hat indes darauf verwiesen, dass der Gesetzgeber bei der Formulierung der Norm aber bestimmte wirtschaftliche Vorgänge im Blick hatte, so dass zur Ermittlung des Telos die subjektive Auslegung eine besondere Rolle spielt. Grundlegend hierzu die Habilitationsschrift von Hey, Steuerplanungssicherheit. BFH, Urteil vom 14.05.1986 – II R 22/84 – BStBl II 1986, 620 (621); Ratschow, in: Klein, AO, § 42 Rn. 6; Hensel, N., § 6 StAnpG, S. 39; Tipke, StbJb 1972/73, S. 516. Dazu schon oben, S. 49. Danzer, Steuerumgehung, S. 39; Drüen, in: Tipke/Kruse, § 42 AO Rn. 26; Fischer, in: H/H/Sp, § 42 AO Rn. 263; Hensel, A., in: FS Zitelmann, S. 278; Tipke, StRO III, S. 1334. Drüen, in: Tipke/Kruse, § 42 AO Rn. 5; Fischer, in: H/H/Sp, § 42 AO Rn. 111; Hensel, A., in: FS Zitelmann, S. 225 ff.; Koenig, in: Pahlke/Koenig, AO, § 42 Rn. 1; Ruppe, in H/H/R, Einl. 467; Schön, in: FS Wiedemann, S. 1275; Teichmann, Gesetzesumgehung, S. 48. Anstatt der Tatbestandserschleichung findet sich mitunter auch der Begriff der Rechtsfolgenerschleichung, ohne dass damit jedoch ein sachlicher Unterscheid verbunden wäre; insbesondere Fischer, in: H/H/Sp, § 42 AO Rn. 62, 111 und 135 z.B. verwendet die Begriffe synonym. In der Sache identisch, aber gegen die Notwendigkeit einer Unterscheidung Sieker, Umgehungsgeschäfte, S. 12 f.

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Maßstäbe zur Bestimmung des Missbrauchscharakters

hung durch Gestaltungsmissbrauch letztlich nur den Vorschlag eines unzutreffenden Subsumtionsversuchs beschreibt,54 der die maßgebliche wirtschaftliche Sachlage nicht adäquat, sondern im Widerspruch zum Telos des umgangenen Steuergesetzes widerspiegelt. bb.

Steuerumgehung und institutioneller Rechtsmissbrauch

Für die Variante der Tatbestandserschleichung ergibt sich daraus ein Folgeproblem in Gestalt der Abgrenzung zur Figur des institutionellen Rechtsmissbrauchs, wonach ein tatsächlich bestehendes Recht lediglich zweckwidrig wahrgenommen werde – gemessen an den Zwecken des Rechtsinstituts, dem das Recht seiner Funktion nach angehört.55 Die Tatbestandserschleichung wird demgegenüber vielfach so verstanden, dass das geltend gemachte Recht in Wahrheit nicht zur Verfügung stehe.56 Richtigerweise bezieht sich der Missbrauchscharakter einer Steuerumgehung also auf eine unzutreffende Sachverhaltsgestaltung, während der institutionelle Rechtsmissbrauch die zweckwidrige Rechtsausübung umschreibt. Nach anderer Ansicht sei auch die Erschleichung der Rechtsfolgen einer Norm wider deren Teleologie ein Fall des institutionellen Rechtsmissbrauchs.57 Andere wiederum möchten zwar zwischen den genannten Rechtsfiguren jedenfalls im generellen Ansatz differenzieren, setzen aber letztlich die Tatbestandserschleichung aufgrund der schwierigen Abgrenzung insbesondere in Fällen einer gesamtplanmäßigen Verbindung von Einzelakten dem institutionellen Rechtsmissbrauch gleich.58 Gemeinsam ist allen Ansichten aber jedenfalls, dass der Gestaltungsmissbrauch i.S.v. § 42 AO damit gerade nicht als zweckwidriger Missbrauch eines etwaigen bestehenden Rechts der Gestaltungsfreiheit verstanden werden kann, sondern rein Sachverhaltsgestaltungen zur Vermeidung an sich zutreffender Rechtsfolgen bzw. zur Erlangung nicht bestehender Rechtspositionen umschreibt. Steuerumgehung und zweckwidrige Rechtsausübung im Sinne des institutionellen Rechtsmissbrauchs sind insoweit rechtsmethodisch auseinan-

54 Siehe schon oben S. 42 und Fn. 16, sowie Fischer, in: H/H/Sp, § 42 AO Rn. 119 f. 55 Esser, Schuldrecht, S. 116 f.; Fischer, in: H/H/Sp, § 42 AO Rn. 131; Fischer, FR 2007, 857 (860); Pestalozza, Formenmissbrauch, S. 79 ff; Sieker, Umgehungsgeschäfte, S. 13; Teichmann, Gesetzesumgehung, S. 76 ff. 56 Fischer, in: H/H/Sp, § 42 AO Rn. 120; Looschelders, in: Staudinger, BGB § 242 Rn. 218. 57 So Schön, in: FS Wiedemann, S. 1279. Siehe nun aber Schön, in DStJG Bd. 33, S. 61: Dort wird allein auf ein treuwidriges Verhalten des Steuerpflichtigen abgestellt, ein subjektives Recht auf Gestaltungsfreiheit verneint. Mithin dürfte es sich erst recht nicht um einen Fall des Rechtsmissbrauchs handeln. 58 Englisch, StuW 2009, 3 (9); Fleischer, JZ 2003, 865 (870). Siehe auch unten B.II.1.b.cc(3), S. 163.

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der zu halten. Die Vorstellung der Gestaltungsfreiheit als „missbrauchter“ subjektiver Rechtsposition geht auch insoweit fehl.59 cc.

Abgrenzung zum Scheingeschäft

Das zur Umgehung vorgenommene zivilrechtliche Rechtsgeschäft ist wegen der damit verbundenen Rechtsfolge ganz regelmäßig ernsthaft gewollt und besteht nicht nur zum Schein; insoweit lässt sich die Steuerumgehung i.S.v. § 42 AO von der Figur des Scheingeschäfts, § 41 Abs. 2 AO, unterscheiden.60 Ein weiterer Unterschied ist der Umstand, dass eine Umgehungsgestaltung die zivilrechtliche Wirksamkeit des Rechtsgeschäftes voraussetzt, die dem Scheingeschäft gemäß § 117 Abs. 1 BGB gerade fehlt.61 Insoweit sind § 41 Abs. 2 und § 42 AO auch nicht nebeneinander, sondern nur alternativ anwendbar und eine Abgrenzung mithin erforderlich.62 Richtigerweise ist für das Vorliegen eines ernsthaft gewollten Rechtsgeschäftes weiterhin zu fragen, ob zur Erreichung des erstrebten Erfolges ein ernst gemeintes Rechtsgeschäft als überhaupt notwendig erachtet wurde oder ein Scheingeschäft als genügend empfunden wurde.63 Trotz dieser scheinbar klaren Differenzierung ist in der Rechtspraxis eine eindeutige Zuordnung im Einzelfall schwierig und nicht immer möglich.64 dd.

Systematisierung der Anwendungsfälle

Aufgrund der Vielzahl an möglichen Gestaltungen erscheint eine Systematisierung der als Steuerumgehung einzuordnenden Fälle von vornherein schwierig, jedoch ging schon der Entwurf des § 5 RAO 1919 bei seiner Missbrauchsdefinition von bestimmten Konstellationen aus.65 Unter Zugrundelegung der um59 Siehe schon oben B.I.1, S. 45 m.w.N. 60 BFH, Urteil vom 10.02.1988 – X R 16/82 – BStBl II 1988, 640 (643); BFH, Urteil vom 21.10.1988 – III R 194/84 – BStBl II 1989, 216 (218); Ax/Große/Melchior/Lotz/Ziegler, Abgabenordnung, Rn. 610; Blesinger, in: Kühn/von Wedelstädt, AO, § 41 Rn. 12; Ratschow, in: Klein, AO, § 41 Rn. 25; Henkel, in: Mössner, Steuerrecht international tätiger Unternehmen, Rn. E 385; Koenig, in: Pahlke/Koenig, AO, § 42 Rn. 1; Schwarz, in: Schwarz, AO, § 42 Rn. 16. 61 BFH, Urteil vom 10.02.1988 – X R 16/82 – BStBl II 1988, 640 (643); Böing, Gestaltungsmissbrauch, S. 46, Fischer, in: H/H/Sp, § 41 AO Rn. 203. 62 Fischer, in: H/H/Sp, § 41 AO Rn. 202; Kruse, in: Tipke/Kruse, § 41 AO Rn. 74; Lammerding, AO, S. 104; Sieker, Umgehungsgeschäfte, S. 103. 63 BFH, Urteil vom 21.10.1988 – III R 194/84 – BStBl II 1989, 216 (218); BGH, Urteil vom 25.10.1961 – V ZR 103/60 – BGHZ 36, 84 (88); Ax/Große/Melchior/Lotz/Ziegler, Abgabenordnung, Rn. 610; Fischer, in: H/H/Sp, § 41 AO Rn. 203; Sieker, Umgehungsgeschäfte, S. 103. 64 Ratschow, in: Klein, AO, § 41 Rn. 25; Kruse, in: Tipke/Kruse, § 41 AO Rn. 74; Schwarz, in: Schwarz, AO, § 42 Rn. 16. 65 Fischer, FR 2007, 857 (860). Zu § 5 RAO siehe Fn. 39.

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Maßstäbe zur Bestimmung des Missbrauchscharakters

fangreichen Kasuistik der Rechtsprechung wurde dennoch eine Einteilung in drei Fallgruppen entwickelt, die sog. Umgehungstrias.66 Eine erste Fallgruppe liegt in der Zuordnung von Wertbewegungen zum wirtschaftlich richtigen Rechtsgrund; eine Steuerumgehung wird hier durch Verschleierung der wahren causa versucht.67 Dies betrifft etwa den gesamten Anwendungsbereich der Korrektur von unter Fremden als unüblich einzuordnenden Verträge nach dem Maßstab des Fremdvergleichs (arm's length Grundsatz).68 Eine weitere Gruppe umfasst die gesamtplanmäßige Verkettung mehrerer Rechtsgeschäfte, die auf einheitlichem Plan beruhen, in zeitlichensachlichem Zusammenhang stehen und deshalb als einheitlich zu beurteilen sind.69 Vorrangig gemeint sind damit gegenläufige Gestaltungen – auch U-turn constructions genannt70 –, die mit Korrektur- und Ausweichgeschäfte arbeiten; aber auch die bloße Aufspaltung eines einheitlichen Rechtsgeschäftes in mehrere gleichgerichtete Rechtsgeschäfte ist dem zugehörig.71 Die dritte und im Zusammenhang dieser Untersuchung einschlägige Fallgruppe betrifft die Änderung der subjektiven Zurechnung von Einkünften, insbesondere durch das Vorschieben und Zwischenschalten von Personen und Rechtsträgern.72 b.

Das methodische Problem und dessen Folgen für das Missbrauchskonzept

aa.

Relevanz und Systematisierung

Ungeachtet der Übereinstimmung in den Grundlagen der Gesetzesumgehung73 stehen seit jeher rechtsmethodische Überlegungen im Mittelpunkt der Untersuchungen zu § 42 AO. Die mit den Schlagworten „Innentheorie“ und „Außentheorie“ umschriebenen gegensätzlichen Positionen sind dabei keineswegs bloßer rechtstheoretischer Natur, sondern betreffen unmittelbar auch die hier 66 Fischer, DB 1996, 644 (651); Fischer, FR 2007, 857 (860). 67 Fischer, DB 1996, 644 (651); Fischer, FR 2007, 857 (860); Fischer, in: H/H/Sp, § 42 AO Rn. 84; Sieker, Umgehungsgeschäfte, S. 45 ff. 68 Fischer, in: H/H/Sp, § 42 AO Rn. 84; Sieker, Umgehungsgeschäfte, S. 110 ff. 69 Fischer, DB 1996, 644 (651 f.) m.w.N.; Fischer, FR 2007, 857 (861); Fischer, in: H/H/Sp, § 42 AO Rn. 84; Heuermann, StuW 2004, 124 (127 ff.); Sieker, Umgehungsgeschäfte, S. 54 f. 70 Fleischer, JZ 2003, 865 (869) m.w.N.; Schön, in: FS Wiedemann, S. 1274. 71 Von Sieker, Umgehungsgeschäfte, S. 53 f. als eigenständige Fallgruppe angeführt, in der Sache jedoch ohne Unterschied, da verbindendes Element die einheitliche Betrachtung einzeln vorgenommener Geschäfte ist. 72 Fischer, FR 2007, 857 (861); Fischer, in: H/H/Sp, § 42 AO Rn. 84 und § 41 AO Rn. 216 ff.; Sieker, Umgehungsgeschäfte, S. 56 f.; Nach Fischer, FR 2003, 1277 (1278), handelt es sich dabei um eine Frage der Zuordnung nach den Grundsätzen des Steuerschuldrechts, was auf die innentheoretische Sichtweise zurückzuführen ist. 73 Siehe Tipke, StRO III, S. 1325.

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zu klärende Fragestellung, inwieweit sich unmittelbar aus § 42 AO ein Maßstab für die Beurteilung des Missbrauchscharakters einer Gestaltung ergibt. Dies wird deutlich bei einem Blick auf die Varianten, in den der Streit zwischen Innen- und Außentheorie dargestellt wird. So werden die Ansichten gegenübergestellt zum einen anhand der Frage, inwieweit der Vorschrift des § 42 AO überhaupt ein eigener Regelungsgehalt zukomme – sprich ob diese lediglich deklaratorisch sei oder konstitutive Bedeutung habe.74 Mit letzterem in Zusammenhang stehen dann wiederum Überlegungen, worin denn genau dieser Regelungsgehalt bestehe, welche Rechtsfolge § 42 AO mithin nach sich ziehe.75 Zum anderen wird der Streit aber auch damit umschrieben, ob § 42 AO einen eigenen subsumtionsfähigen Tatbestand aufweise.76 Wird die methodische Frage derart gestellt, so erscheint einleuchtend, dass hiermit auch über die Möglichkeit entschieden wird, aus § 42 AO einen objektivierbaren, allgemeinen Maßstab zur Bestimmung des Missbrauchs abzuleiten. bb.

Die klassischen Theorien

(1)

Innentheorie

Nach der sog. Innentheorie ist die Steuerumgehung eine Frage der Anwendbarkeit der umgangenen Einzelnorm, der mit dem gesamten zulässigen Instrumentarium der juristischen Methodenlehre einschließlich Analogieschluss und teleologischer Reduktion zur normativen Geltung verholfen wird.77 Hinsichtlich einer Steuerumgehung bedarf es daher keiner Anwendung eines Umgehungstatbestandes wie § 42 AO von außen, sondern durch das alleinige Abstellen auf die sententia legis der umgangenen Vorschrift kann das Steuergesetz „aus eigener Kraft“ bewahrt werden.78

74 Vgl. die Darstellung bei Böhmer, Umgehung, S. 72; Danzer, Steuerumgehung, S. 83 ff.; Drüen, in: Tipke/Kruse, § 42 AO Rn. 8 ff; Fischer, DB 1996, 644 (644); Fischer, in: H/H/Sp, § 42 AO Rn. 72; Heuermann, StuW 2004, 124 (125); Lang, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 5 Rn. 95; Rose, FR 2003, 1275 (1275); Schwarz, in: Schwarz, AO, § 42 Rn. 13 ff.; Sieker, Umgehungsgeschäfte, S. 27; Tipke, StRO III; S. 1326; Wienbracke, DB 2008, 664 (664). 75 So bei Koenig, in: Pahlke/Koenig, AO, § 42 Rn. 2; Sieker, Umgehungsgeschäfte, S. 27 f. 76 Siehe Ratschow, in: Klein, AO, § 42 Rn. 10 ff.; Clausen, DB 2003, 1589 (1589); Fischer, in: H/H/Sp, § 42 AO Rn. 73; Fischer, in: FS Reiß, S. 632 f.; Fischer, FR 2008, 306 (307 f.); Gosch, in: Harzburger Steuerprotokoll 1999, S. 227; Heuermann, StuW 2004, 124 (124 ff.). 77 Danzer, Steuerumgehung, S. 82 f.; Fischer, in: FS Reiß, S. 633; Gassner, Interpretation, S. 72 ff.; Gassner/Lang, in: FS Robert Walter, S. 162 f.; Sieker, Umgehungsgeschäfte, S. 22 f.; Walz, Steuergerechtigkeit, S. 224 ff. 78 BGH, Urteil vom 15.01.1990 – II ZR 164/88 – NJW 1990, 982 (986); Fischer, DB 1996, 644 (644); Fischer, FR 2001, 1212 (1214); Teichmann, Gesetzesumgehung, S. 69.

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Maßstäbe zur Bestimmung des Missbrauchscharakters

Als Hauptargument – und zugleich auch Konsequenz dieser Ansicht – wird angeführt, dass § 42 AO keinen subsumtionsfähigen Tatbestand aufweise.79 Diese lasse sich an der althergebrachten „Definition“ des Missbrauchsbegriffs durch die Rechtsprechung aufzeigen, welche die unangemessene Gestaltung durch andere wenig hilfreiche, unbestimmte und frei erfundene Rechtsbegriffe ersetze (ungewöhnlich, umständlich, kompliziert, schwerfällig, gekünstelt, unnatürlich),80 ohne aber jeweils echte Tatbestandsmerkmale zu schaffen.81 Außerdem sei das Merkmal der Angemessenheit zwar – im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung – zur Überprüfung staatlichen Handelns geeignet, nicht aber als Korrektiv freiheitsrechtlicher Betätigung.82 Werde zudem der Missbrauchsbegriff als tatbestandliche Voraussetzung angesehen, so ergebe sich der Widerspruch, dass das Missbrauchsurteil erst aus dem Umgehungsversuch geschlossen werden könne, da nur das unangemessene Mittel einen solchen darstelle; der Missbrauch als Ergebnis bedinge sich also als Voraussetzung in sich selbst und sei daher ohne aussagefähigen Gehalt.83 § 42 AO enthält nach dieser Ansicht keinen Maßstab für die Bestimmung des Missbrauchscharakters einer Gestaltung und wäre daher eigentlich überflüssig. Lediglich eine deklaratorische Bedeutung als verdeutlichender Interpretationshinweis bzw. eine Appellfunktion zur Anwendung der klassischen Methoden soll damit verbunden werden können.84 Die bloße deklaratorische Wirkung wird jedoch nicht absolut vertreten: Um rechtsstaatlichen Bedenken wie einem eventuell bestehenden Analogieverbot und dem Bestimmtheitsgrundsatz Rechnung zu tragen, wird namentlich ein Regelungsgehalt des § 42 AO dahingehend, dass er eine analoge Anwendung bzw. extensive Auslegung über den Wortsinn hinaus ermögliche, zumindest für denkbar gehalten.85 (2)

Außentheorie

Nach der als Außentheorie bezeichneten Gegenansicht, die in Deutschland von der herrschenden Lehre vertreten wird, ist § 42 AO keinesfalls deklaratorisch, 79 Fischer, FR 2001, 1212 (1213); Fischer, in: H/H/Sp, § 42 AO Rn. 73; Gassner/Lang, in: FS Robert Walter, S. 163; Sieker, Umgehungsgeschäfte, S. 19. 80 Dazu sogleich bei Fn. 141. 81 Fischer, FR 2001, 1212 (1213); Fischer, in: H/H/Sp, § 42 AO Rn. 91 f. Siehe auch Klein, Steuerumgehungstatbestand, S. 44 ff. 82 Danzer, Steuerumgehung, S. 85 f. 83 Sieker, Umgehungsgeschäfte, S. 19. 84 Böhmer, Umgehung, S. 85; Danzer, Steuerumgehung, S. 85 f.; Fischer, FR 2001, 1212 (1215); Fischer, in: H/H/Sp, § 42 AO Rn. 72; Gassner/Lang, in: FS Robert Walter, S. 163; Sieker, Umgehungsgeschäfte, S. 35 und S. 214. So auch die Ansicht von Enno Becker zu § 5 RAO (1919): Becker, StuW 1924, Sp. 145 (151 und 154). 85 Vgl. Fischer, DB 1996, 644 (650) und Fn. 87; Sieker, Umgehungsgeschäfte, S. 28 m.w.N. So wahrgenommen auch von Brockmeyer, DStR 2007, 1325 (1325).

60

Nationales Steuerrecht

sondern ein selbständiger Besteuerungstatbestand, der zu dem umgangenen Einzelsteuergesetz hinzutritt und missbräuchliche Gestaltungen der Besteuerung zuführt.86 Ausgehend von der Rechtsfolge des § 42 Abs. 1 S. 2 AO a.F., nach der eine den wirtschaftlichen Vorgängen angemessene Besteuerung folgt, wurde bislang auch auf die Definition des Missbrauchs geschlossen.87 Der BFH Rechtsprechung hat dazu in ständiger Rechtsprechung die Formel entwickelt, dass ein Missbrauch vorliegt, wenn eine rechtliche Gestaltung gewählt wird, die zur Erreichung des erstrebten Ziels unangemessen ist, der Steuerminderung dienen soll und durch wirtschaftliche oder sonst beachtliche nichtsteuerliche Gründe nicht zu rechtfertigen ist.88 Näher ausgestaltet wurde dies durch die Erwägung, es liege im Bestreben der Rechtsordnung, für alle wirtschaftlichen Vorgänge möglichst einfache Rechtsgestaltungen zur Verfügung zu stellen, daher sei in der Regel der einfachste rechtliche auch der angemessene Weg; unangemessene Rechtsgestaltungen seien hingegen umständlich, kompliziert, schwerfällig, gekünstelt u.ä.89 Mit der in den überwiegenden Fällen herangezogenen tatbestandsmäßigen Anwendung dieser Missbrauchsdefinition erfolgte zugleich eine zumindest implizite Bekennung des BFH zur Außentheorie.90 Für diese Ansicht wird insbesondere angeführt, dass eine mögliche Auslegung nur bis zur Grenze des Wortsinns möglich sei,91 und eine darüber hinausge86 Clausen, DB 2003, 1589 (1589); Geerling/Gorbauch, DStR 2007, 1703 (1703); Gosch, in: Harzburger Steuerprotokoll 1999, S. 227; Hahn, DStZ 2005, 183 (186 f.); Hensel, A., in: FS Zitelmann, S. 237; Heuermann, StuW 2004, 124 (125 f.). Vgl. auch Ratschow, in: Klein, AO § 42 Rn. 10. 87 Drüen, Ubg 2008, 31 (34). 88 BFH, Urteil vom 10.11.1983 – IV R 62/82 – BStBl 1984, 605 (606); BFH, Urteil vom 25.01.1994 – IX R 97/90 u.a. – BStBl II 1994, 738 (739); BFH, Urteil vom 16.01.1996, – IX R 13/92 – BStBl II 1996, 214 (215); BFH, Urteil vom 29.10.1997 – I R 35/96 (Sportler-Vermarktung) – BStBl II 1998, 235 (237); BFH, Urteil vom 19.08.1999 – I R 77/96 – BStBl II 2001, 43 (44); BFH, Urteil vom 20.03.2002 – I R 38/00 (Hilversum I) – BStBl II 2002, 819 (821); BFH, Urteil vom 20.03.2002 – I R 63/99 (Delaware) – BStBl II 2003, 50 (51 f.); BFH, Beschluss vom 23.10.2002 – I R 39/01 – BFH/NV 2003, 289 (289 f.); BFH, Urteil vom 14.01.2003 – IX R 5/00 – BStBl II 2003, 509 (509 f.). Ausführliche Nachweise auch zur Entwicklung der Rechtsprechung bei Rose/Glorius-Rose, Steuerplanung und Gestaltungsmissbrauch, S. 21 ff. 89 BFH, Urteil vom 19.08.1999 – I R 77/96 – BStBl II 2001, 43 (44); BFH, Urteil vom 01.02.2001 – IV R 3/00 – BStBl II 2001, 520, (522 f.); Tipke, StRO III, S. 1337. 90 Böing, Gestaltungsmissbrauch, S. 59 m.w.N. 91 BVerfG, Beschluss vom 17.05.1960 – 2 BvL 11/59 u.a. – BVerfGE 11, 126 (129 ff.); BFH, Urteil vom 11.12.1964 – III 193/60 S – BStBl III 1965, 82 (82), m.w.N. aus der Rechtsprechung des BVerfG; Drüen, in: Tipke/Kruse, § 4 AO Rn. 266; Lang, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 5 Rn. 53; Larenz, Methodenlehre, S. 322 f.; Tipke, StRO III, S. 1271 m.w.N. aus der älteren Literatur und aus der Rechtsprechung.

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Maßstäbe zur Bestimmung des Missbrauchscharakters

hende Rechtfortbildung insbesondere im Wege der Analogie im Steuerrecht als klassischem Eingriffsrecht äußerst kritisch zu sehen sei.92 Konsequenterweise müsste man hier noch differenzieren zwischen der Analogie der steuerbegründenden bzw. -erhöhenden Norm bei der Variante der Tatbestandsvermeidung, und der teleologischen Reduktion der steuermindernden Norm bei der Tatbestandserschleichung, die wertungsmäßig allerdings gleichzustellen ist. Unabhängig von der Problematik eines steuerrechtlichen Analogieverbots ist dabei auch die grundsätzliche Frage nach der Analogiefähigkeit von Steuernormen zu stellen; es gibt nämlich keinen Sachverhalt, der seiner Natur nach besteuert werden müsste, diese Entscheidung trifft allein der Steuergesetzgeber durch Auswahl des Belastungsgegenstandes.93 Bei bloßen Fiskalzwecknormen ist daher der Gesetzeszweck der Einnahmebeschaffung streng genommen schon bei der bloßen Steuervermeidung umgangen – die günstige Gestaltung ist insofern die Umgehung der steuerungünstigen Gestaltung.94 Insoweit als die Innentheorie – vereinfacht – als reines Richterrecht angesehen wird, das eine über den Wortsinn des umgangenen Tatbestandes hinausgehende Gesetzesinterpretation zulasse, werden zudem Bedenken hinsichtlich der demokratischen Legitimierung geäußert.95 In jüngerer Zeit wurde vermehrt auch darauf verwiesen, dass der Steuerpflichtige insbesondere aus dem Vertrauensschutzgebot des Grundgesetzes einen Anspruch auf Planungssicherheit habe.96 Eine Anwendung des § 42 AO im Sinne der Rechtsprechung solle ein mehr an Rechtssicherheit gewährleisten und daher vorzuziehen sein.97

92 BFH, Urteil vom 13.02.1980 – II R 18/75 – BStBl II 1980, 364 (365); Ratschow, in: Klein, AO § 42 Rn. 36; Crezelius, StuW 1995, 313 (321); Drüen, in: Tipke/Kruse, § 42 AO Rn. 9 f.; Heuermann, StuW 2004, 124 (125); Klein, Steuerumgehungstatbestand, S. 22 ff.; Koenig, in: Pahlke/Koenig, AO § 42 Rn. 3; Lang, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 5 Rn. 58 ff.; Schwarz, in: Schwarz, AO § 42 Rn. 14; Tipke, StRO III, S. 1329; Wienbracke, DB 2008, 664 (664). Weitere Nachweise bei Roth, Rechtsfolgenseite des § 42 AO, S. 114 ff. A.A., jeweils m.w.N.: Danzer, Steuerumgehung, S. 75 ff.; Sieker, Umgehungsgeschäfte, S. 28; kritisch z.B. auch BFH, Urteil vom 20.10.1983 – IV R 175/79 – BStBl II 1984, 221 (224). 93 Drüen, in: Tipke/Kruse, § 4 AO Rn. 360. 94 Geerling/Gorbauch, DStR 2007, 1703 (1703); Haas, in: FS Raupach, S. 15; Drüen, in: Tipke/Kruse, § 42 AO Rn. 10; Wienbracke, DB 2008, 664 (664); a.A. Paschen, Steuerumgehung, S. 29 ff. Hierin liegt der Unterschied zu den von Tipke entwickelten Beispielen zur Steuervermeidung, ein Lenkungszweck wäre ohne weiteres analogiefähig. 95 Heuermann, StuW 2004, 124 (127); Rose, FR 2003, 1274 (1275). 96 Hey, Steuerplanungssicherheit, S. 185 ff.; Rose, FR 2003, 1274 (1275 f.). 97 Clausen, DB 2003, 1589 (1589); Hahn, DStZ 2005, 183 (189); Rose, FR 2003, 1274 (1275 f.).

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Nationales Steuerrecht

Die vorstehenden Ausführungen zeigen, dass die Gegenüberstellung von Innen- und Außentheorie in der Sache letztlich die Abgrenzung zwischen verschiedenen Formen der Gesetzesinterpretation betrifft – einerseits der Analogie und der teleologische Reduktion sowie andererseits der Auslegung.98 Will man aber an dem grundsätzlichen Verständnis der Steuerumgehung festhalten, dass diese das Auseinanderfallen von subsumtionsfähigem Wortlaut und Gesetzeszweck ausnutzt,99 so kann eine Gestaltung, die mittels – insbesondere: teleologischer – Auslegung unter einen Tatbestand subsumiert werden kann, noch nicht als Steuerumgehung i.S.v. § 42 AO angesehen werden. Die h.M. formuliert daher zu Recht, dass die Umgehung erst dort beginnt, wo die Auslegung endet.100 Überwiegend wird als Rechtsfolge des § 42 AO die Sachverhaltsfiktion einer den wirtschaftlichen Verhältnissen angemessenen Gestaltung angenommen.101 Teilweise wird die Rechtsfolge des § 42 aber auch so interpretiert, dass dieser die an sich unzulässige Analogie für Missbrauchsfälle gestatte.102 cc.

Methodenkritische Stellungnahme

Für eine methodenkritische Stellungnahme ist auf die eingangs erwähnten unterschiedlichen Varianten der Streitdarstellung zurückzukommen, namentlich die Frage nach der Notwendigkeit des § 42 AO und die Frage nach der Tatbestandsmäßigkeit; wie zu zeigen ist, liegt hierin der entscheidende Ansatzpunkt. Dazu muss man lediglich die Frage nach der Tatbestandsmäßigkeit etwas anders stellen: Kann unmittelbar aus § 42 AO ein eigener Maßstab für den Missbrauchscharakter einer Gestaltung gewonnen werden? Als gemeinsamer Nenner der beiden Sichtweisen lässt sich nämlich zumindest ein Gebot des Vorrangs einer teleologischen Auslegung der umgangenen Ein-

98 Lang, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 5 Rn. 97; Hahn, DStZ 2005, 183 (187); Tipke, StRO III, S. 1327 ff. Hierzu auch Weber-Grellet, Steuern im modernen Verfassungsstaat, S. 206. 99 Siehe oben B.I.2.a.aa, S. 54. 100 Brockmeyer, in: Klein, AO (9. Auflage 2006), § 42 Rn. 2; Hensel, A., in: FS Zitelmann, S. 244; Tipke, StRO III, S. 1329. 101 BFH, Urteil vom 23.08.2000 – I R 4/97 (Anteilsrotation) – BStBl II 2001, 260 (261); Blesinger, in: Kühn/von Wedelstädt, AO, § 42 Rn. 32; Crezelius, StuW 1995, 313 (321); Drüen, in: Tipke/Kruse, § 42 AO Rn. 11; Rose, FR 2003, 1274 (1275); Schwarz, in: Schwarz, AO § 42 Rn. 15; Wienbracke, DB 2008, 664 (664 f.). Ausführlich zum Problem Roth, Rechtsfolgenseite des § 42 AO, S. 121 ff. m.w.N. 102 Koenig, in: Pahlke/Koenig, AO § 42 Rn. 3; Paschen, Steuerumgehung, S. 29; Tipke, StRO III, S. 1328 m.w.N. Als Korrektur von Rechtsfolgen bezeichnet aber in der Sache identisch Clausen, DB 2003, 1589 (1595).

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Maßstäbe zur Bestimmung des Missbrauchscharakters

zelsteuernorm festhalten.103 Denn soweit eine Auslegung zu einem wirtschaftlich sinnvollen, am Gesetzeszweck orientierten Ergebnis gelangt, bedarf es des § 42 AO auch nach der Außentheorie gar nicht. Darüber hinaus – in dem Bereich, in dem die echte Steuerumgehung also erst anfängt104 – muss die Rechtsfortbildung i.S. der klassischen Innentheorie, sei es Analogie oder teleologische Reduktion, ebenfalls den Telos der umgangenen Norm berücksichtigen. Doch auch für eine Anwendung des § 42 AO im Sinne der Außentheorie ist die Auslegung des Gesetzeszweckes der umgangenen Norm wichtiges Kriterium. Schon bisher hat die Rechtsprechung für entscheidungserheblich befunden, ob auf einem ungewöhnlichen Weg ein Erfolg zu erreichen versucht wurde, der nach den Wertungen des Gesetzgebers auf diesem Wege nicht erreichbar sein sollte.105 Andererseits soll auch die Absicht, das Steuergesetz zu umgehen, nach den Wertungen der jeweils maßgeblichen steuerrechtlichen Vorschriften zu beurteilen sein.106 § 42 AO kann auch deswegen nicht losgelöst von der umgangenen Norm interpretiert werden, da er ja hinsichtlich der Rechtsfolge gerade die Besteuerung nach dem Zweck des umgangenen Steuergesetzes bewirken soll.107 Insoweit kann Missbrauch nicht ohne – insbesondere teleologische – Auslegung der Einzelnorm der umgangenen Norm festgestellt werden.108 In der Variante der Tatbestandserschleichung ausgedrückt, muss durch insbesondere teleologische Auslegung derjenigen Norm, deren Anwendbarkeit behauptet wird, ermittelt werden, ob sie missbräuchlich in Anspruch genommen wurde.109 Der Rechtsanwender kann also nur in Bezug auf den Einzelfall und die dabei in Rede stehende Vorschrift eine Vorstellung von der Angemessenheit entwickeln.110

103 Heuermann, StuW 2004, 124 (125); Weber-Grellet, Steuern im modernen Verfassungsstaat, S. 222. Der Vorrang bezieht sich auf eine Anwendung weiterer Normen wie § 42 „von außen“. Nicht gemeint ist hiermit ein Vorrang der teleologischen Auslegung gegenüber den anderen Methoden der Rechtsinterpretation wie der Auslegung nach dem Wortsinn. Hierzu muss die klassische Innentheorie indes greifen, um einen entgegenstehenden Wortlaut überwinden zu können; ein solches Primat einer Auslegungsmethode ist aber abzulehnen. 104 Siehe oben Fn. 100. 105 BFH, Urteil vom 21.11.1991 – V R 20/87 – BStBl 1992, 446 (448); BFH, Urteil vom 16.01.1992 – V R 1/91 – BStBl II 1992, 541 (542); Leisner-Egensperger, DStZ 2008, 358 (361). Ausführlich Böing, Gestaltungsmissbrauch, S. 85 ff. m.w.N. 106 BFH, Urteil vom 10.12.1992 – V R 90/92 – BStBl II 1993, 700 (700), nur Leitsatz. 107 Gosch, in: Harzburger Steuerprotokoll 1999, S. 226. 108 Danzer, Steuerumgehung, S. 94; Hey, BB 2009, 1044 (1044); Weber-Grellet, Steuern im modernen Verfassungsstaat, S. 224. 109 Ruppe, in: H/H/R, Einl. 467. 110 Hahn, DStZ 2008, 482 (484).

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Nationales Steuerrecht

Zusammenfassend ergibt sich der Maßstab für die Beurteilung des Missbrauchscharakters also nicht unmittelbar aus § 42 AO, die Norm ist vielmehr in Kohärenz mit der teleologisch auszulegenden umgangenen Steuernorm anzuwenden. Mit dieser insoweit an die innentheoretische Sichtweise angelehnten Betrachtung kann demnach nicht davon ausgegangen werden, dass es sich bei § 42 AO um einen selbständigen Besteuerungstatbestand handelt.111 Daraus folgt aber gerade nicht, dass § 42 AO jeglicher konstitutiver Bedeutung beraubt wäre. Anhand der Begrenzung auf den Wortsinn als entscheidendes Kriterium112 wird nämlich gleichzeitig auch die Reichweite zulässiger Lückenausfüllung allein anhand des umgangenen Gesetzes und damit außerhalb des § 42 AO bestimmt; für die darüber hinaus gehenden Fälle ist § 42 AO das Mittel der Zurückweisung113 – dies ist letztlich die Konsequenz der Formel, dass die Umgehung erst dort beginnt, wo die Auslegung endet.114 Nur mit diesem Verständnis ergab auch die durch das StÄndG 2001115 eingeführte Konkurrenzregel des § 42 Abs. 2 AO a.F. – Abs. 1 ist anwendbar, wenn seine Anwendbarkeit nicht ausdrücklich gesetzlich ausgeschlossen ist – überhaupt einen Sinn: Der Gesetzgeber hat – unabhängig von einem evtl. praktischen Leerlauf der Vorschrift – durch die angestrebte Klärung des Verhältnisses zwischen allgemeiner Missbrauchsvorschrift und spezielleren Regelungen mittelbar zu erkennen gegeben, dass er eine allgemeine Umgehungsvorschrift als unverzichtbar anerkennt.116 Sieht man hiermit § 42 AO als äußere Schranke der Rechtsausübung an117 und betrachtet Steuerumgehung gerade nicht als ausschließlich innere Grenze der Norm selbst, so lässt sich auch die Abgrenzung zum institutionellen Rechtsmissbrauch konsequent durchführen, die gerade von den Vertretern der Innentheorie betont wird.118 Zudem gestattet dies die einheitliche teleologische Betrachtung eines in Teilakte aufgespaltenen Sachverhalts.119 Zusammengefasst ergibt sich in methodischer Hinsicht der Befund, dass § 42 AO als erforderliches Mittel der Zurückweisung anzusehen ist, für die Ermitt111 112 113 114 115 116 117 118 119

Drüen, StuW 2008, 154 (159); Lang, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 5 Rn. 96. Siehe oben Fn. 91. Drüen, StuW 2008, 154 (159); Drüen, in: Tipke/Kruse, § 42 AO Rn. 8. Brockmeyer, in: Klein, AO (9. Auflage 2006), § 42 Rn. 2; Hensel, A., in: FS Zitelmann, S. 244; Tipke, StRO III, S. 1329. StÄndG vom 20.12.2001, BGBl I 2001, S. 3794. Drüen, in: Tipke/Kruse, § 42 AO Rn. 8a; Hahn, DStZ 2005, 183 (186); Heuermann, StuW 2004, 124 (125); Wienbracke, DB 2008, 664 (666). Fleischer, JZ 2003, 865 (871); Weber-Grellet, Steuern im modernen Verfassungsstaat, S. 224. Siehe oben B.I.3.a.bb, S. 56, und Fischer, in: H/H/Sp, § 42 AO Rn. 131. Englisch, StuW 2008, 3 (10) und Fn. 88; Lang, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 5 Rn. 96.

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Maßstäbe zur Bestimmung des Missbrauchscharakters

lung des konkreten Maßstabes zur Beurteilung einer Steuerumgehung jedoch vorrangig die umgangene Norm herangezogen werden muss. dd.

Beurteilung in der Neufassung

(1)

Bestätigung des Zwischenbefundes

Dieser Zwischenbefund wird durch die Neufassung des JStG 2008 bestärkt. So wird in § 42 Abs. 2 S. 1 AO der Missbrauch „definiert“ als eine unangemessene rechtliche Gestaltung, die beim Steuerpflichtigen oder einem Dritten zu einem gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteil führt. Unabhängig von einer genauen Bestimmung des gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteils120 kann dies jedenfalls nur unter Bezug auf die jeweilige gesetzliche Wertung des einschlägigen Einzelsteuergesetzes bestimmt werden. Dadurch wird evident, dass die möglicherweise umgangene Vorschrift den Maßstab des Vorliegens einer Steuerumgehung entscheidend bestimmt.121 Auch die Finanzverwaltung lässt die Frage, ob eine rechtliche Gestaltung unangemessen ist, nach den Wertungen der jeweiligen maßgeblichen steuerrechtlichen Vorschriften beurteilen.122 Teilweise wird dies als Bestätigung der Innentheorie im klassischen Sinne aufgefasst, die Gesetzesinterpretation der umgangenen Vorschrift sei also alleine maßgeblich.123 Dieser Schluss dürfte jedoch nicht richtig sein. Vielmehr lassen sich neben den bereits genannten Argumenten auch in der Neufassung Anhaltspunkte dafür finden, dass § 42 AO als Mittel der Zurückweisung konstitutive Geltung erlangt. So kann schon auf den ersten Blick eine Vorschrift schlecht als verzichtbar angesehen werden kann, wenn - wie schon zu § 42 AO Abs. 2 i.d.F. des StÄndG 2001124 – der Gesetzgeber unbedingten Handlungsbedarf für eine Neufassung sieht.125 Als Argument gegen eine rein innentheoretische Sichtweise wird zudem angeführt, dass durch die Aufnahme des Kriteriums der Angemessenheit in § 42 Abs. 2 S. 1 AO n.F. auf die ständige

120 Dazu siehe ausführlich unten, B.I.2.c.bb, S. 72. 121 Fischer, FR 2008, 306 (310 f.); Leisner-Egensperger, DStZ 2008, 358 (361); Mack/Wollweber, DStR 2008, 182 (184). 122 Ziff. 2.2. AEAO zu § 42 AO. 123 Fischer, in: H/H/Sp, § 42 AO Rn. 74 a.E.; Fischer, FR 2008, 306 (309). 124 Siehe Fn. 116. 125 Drüen, in: Tipke/Kruse, § 42 AO Rn. 8a; Hahn, DStZ 2008, 483 (492). Siehe auch die Stellungnahme des Bundesrates vom 21.09.2007, BR-Ds. 544/07 (B), S. 63 = BT-Ds. 16/6739, S. 24: „§ 42 AO ist dringend korrekturbedürftig, wenn mit dieser Vorschrift weiterhin beabsichtigt sein sollte, Gestaltungsmissbräuchen gerichtsfest vorzubeugen. (…) Auf eine Änderung des § 42 AO kann jedoch nicht verzichtet werden. Eine Verzicht auf die beabsichtigte Änderung würde das Signal aussenden, dass eine Neuregelung nicht notwendig wäre.“

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Nationales Steuerrecht

Rechtsprechung des BFH Bezug genommen werde.126 Insoweit als diese § 42 AO als Umgehungstatbestand aufgefasst und sich damit implizit der Außentheorie angeschossen hat,127 wird von manchen Autoren durch die Verankerung in der neuen Missbrauchsdefinition gleichzeitig auch ein gesetzliches Bekenntnis zur Außentheorie abgeleitet.128 Weiterhin soll nach § 42 Abs. 1 S. 3 n.F. der Steueranspruch beim Vorliegen eines Missbrauchs wie bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung entstehen. Aus dem Zusammenhang mit Abs. 1 S. 2 ergibt sich, dass § 42 AO insoweit zumindest die Funktion eines subsidiären Auffangtatbestandes zugedacht sein soll.129 Diese Rechtsfolgenanordnung macht eine Kollisionsregel erst erforderlich und beansprucht daher grundsätzliche Geltung.130 Dies gilt gleichermaßen in den Fällen, in denen eine spezielle Missbrauchsvorschrift nicht zur Diskussion steht. (2)

Eigene Ansicht: § 42 AO als strukturgebender Rahmentatbestand

Wie bereits dargelegt, kann der Missbrauchscharakter einer Steuergestaltung dennoch nicht allein aus § 42 AO abgeleitet werden. Die Missbrauchsdefinition ist insoweit nicht abschließend und aus sich selbst heraus handhabbar, sondern es bedarf des Rückgriffs auf weitere Vorschriften. Die Norm stellt somit keinen selbständigen Besteuerungstatbestand dar, eine Außentheorie in diesem Sinne wäre abzulehnen. Es muss nochmals betont werden, dass damit nur die unmittelbare Maßstäblichkeit von § 42 AO für das Vorliegen eines Gestaltungsmissbrauches verneint wird. Die Neufassung des § 42 AO führt dann aber zu einer zumindest mittelbaren Bedeutung, insoweit als sie den abstrakten Rahmen für den im konkreten Einzelfall zu ermittelnden Maßstab strukturiert. Ein solcher Rahmen wird einerseits deutlich aufgezeigt durch § 42 Abs. 2 S. 2 AO n.F., der eine Widerlegbarkeit des Umgehungsvorwurfs durch außersteuerliche Gründe vorsieht.131 Die Zulässigkeit einer solchen Rechtfertigung ist somit eine bei der Beurteilung des Missbrauchscharakters allgemein zu berücksichtigende Anforderung. Von Vertretern der klassischen Innentheorie wurde dies zwar bestritten,132 der Wortlaut der Neufassung ist allerdings insoweit 126 Hahn, DStZ 2008, 483 (484); Mack/Wollweber, DStR 2008, 182 (184); Wienbracke, DB 2008, 664 (669). 127 Siehe oben Fn. 88. 128 Hahn, DStZ 2008, 483 (484). 129 Drüen, StuW 2008, 154 (161); Krain, AOStB 2008, 242 (243); Wienbracke, DB 2008, 664 (669). Zur Beurteilung der Kollision im Rahmen dieser Untersuchung siehe unten D.II.3.c.bb, S. 266. 130 Drüen, Ubg 2008, 31 (32). Zur näheren Auseinandersetzung siehe D.II.3.c.bb(1), S. 268. 131 Hierzu Hey, BB 2009, 1044 (1047). 132 Fischer, in: FS Reiß, S. 631, Fischer, in: H/H/Sp, § 42 AO Rn. 87.

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Maßstäbe zur Bestimmung des Missbrauchscharakters

eindeutig. Keine Rolle spielt dabei, ob die Änderung nun erstmalig konstitutiv diesen Prüfungsschritt vorschreibt, oder ob dies auch schon bisher zwingendes Element des Missbrauchs war. Aber vor allem der Verweis des § 42 Abs. 2 S. 1 AO n.F. auf den gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteil ist in diesem Zusammenhang zu nennen: Wenn die tatbestandlichen Voraussetzungen – ob also tatsächlich ein Missbrauch vorliegt – nur in Kohärenz mit der umgangenen Einzelsteuernorm ermittelt werden können, so wird dieses Verständnis des Gestaltungsmissbrauches durch die entsprechende Formulierung des § 42 Abs. 2 AO vorgezeichnet. Der Aufteilung des Abs. 2 auf die beiden Sätze ist zudem eine Regelung der Beweislast zu entnehmen.133 Die Funktion als strukturgebender Rahmentatbestand ergibt sich indes nicht nur aus § 42 Abs. 2 AO. Denn schon Abs. 1 S. 1 stellt klar, dass es sich bei § 42 AO insgesamt um die Grundnorm zur Regelung der Steuerumgehung im deutschen Steuerrecht handelt. Der in dieser Norm vorausgesetzte Missbrauchsbegriff – und eben dessen abstrakter Rahmen, wie er in Abs. 2 bestimmt wird – ist somit der Missbrauchsprüfung im konkreten Fall zugrunde zu legen. Dies gilt nicht nur gegenüber der Umgehung verschiedenster Belastungstatbestände (in Fällen der Tatbestandsvermeidung) bzw. Vergünstigungstatbestände (Tatbestandserschleichung), sondern hat auch – wie noch zu zeigen ist – Auswirkungen auf das Verhältnis zu speziellen Missbrauchsvorschriften.134 Insoweit lässt sich § 42 Abs. 1 AO zwar zumindest im Grundsatz eine Prüfungsreihenfolge entnehmen;135 genauer zu untersuchen ist aber die Frage nach einer möglichen Funktion des § 42 AO als subsidiärer Auffangtatbestand, nach der Eröffnung des rechtfertigenden Gegenbeweises des § 42 Abs. 2 S. 2 AO auch gegenüber speziellen Missbrauchsvorbehalten, und nach der Bestimmung der konkreten Rechtsfolge bei Bejahung eines Missbrauchs. Da es sich hierbei um Folgeprobleme der Kollision verschiedener Normen zur Missbrauchsverhinderung samt den dort enthaltenen Maßstäben handelt, kann dies jedoch endgültig nur unter Heranziehung der noch darzustellenden Zuordnungskriterien im Kollisionsfall beantwortet werden und ist daher an späterer Stelle zu erörtern.136 Die Einordnung der Norm als strukturgebender Rahmentatbestand ist mithin gerechtfertigt. Dies geht über eine Funktion als bloßer deklaratorischer Hinweis137 auf die Methoden der Gesetzesinterpretation hinaus, da die aus § 42

133 134 135 136 137

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Dazu ausführlich unter B.I.2.c.cc(2), S. 81. Zu speziellen Missbrauchsvorschriften grundlegend B.I.3.b, S. 123. Siehe Wienbracke, DB 2008, S. 664 (668). Ausführlich D.II.3.c, S. 265. Siehe oben S. 60 und Fn. 84.

Nationales Steuerrecht

Abs. 2 AO n.F. abzuleitenden Elemente des Missbrauchs jeweils konstitutive Geltung beanspruchen.138 c.

Strukturelemente des Missbrauchsbegriffes nach § 42 Abs. 2 AO n.F.

Im Folgenden ist nun zu untersuchen, welche positivrechtlichen, strukturgebenden Elemente dem Missbrauchsbegriff des § 42 Abs. 2 AO n.F. entnommen werden können, die den abstrakten Rahmen des Missbrauchscharakters einer Gestaltung – auch im Hinblick auf das Treaty Shopping – vorzeichnen. Nach der „Definition“ des Abs. 2 liegt ein Missbrauch vor, wenn eine unangemessene rechtliche Gestaltung gewählt wird, die beim Steuerpflichtigen oder einem Dritten im Vergleich zu einer angemessenen Gestaltung zu einem gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteil führt. Dies gilt nicht, wenn der Steuerpflichtige für die gewählte Gestaltung außersteuerliche Gründe nachweist, die nach dem Gesamtbild der Verhältnisse beachtlich sind.

Zweckmäßig lässt sich die Aussage des S. 1 zweiteilen in die Elemente der Unangemessenheit einerseits und des gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteils andererseits. Aus S. 2 ergibt sich, dass eine Rechtfertigung durch außersteuerliche Gründe vorgesehen ist. Über die Erforderlichkeit einer Umgehungsabsicht sagt Abs. 2 demgegenüber zumindest auf den ersten Blick nichts aus. Da die Beurteilung von Gestaltungsmissbrauch in grenzüberschreitenden Fällen mit einigen Besonderheiten verbunden ist, bietet sich an, den Missbrauchsbegriff zunächst ohne diese zu erörtern, um sie anschließend gesondert darstellen zu können. aa.

Unangemessenheit und die Hilfsformeln der Rechtsprechung

(1)

Grundsätzliche Fortgeltung der BFH-Rechtsprechung

Erstes Element des Missbrauchsbegriffes nach § 42 Abs. 2 AO n.F. ist das Vorliegen einer unangemessenen rechtlichen Gestaltung, welches ausweislich des Gesetzgebungsverfahrens bewusst139 an die Rechtsprechung des BFH angelehnt wurde. Durch diesen Bezug ist auch in der Sache selbst von einer Fortgeltung der bisherigen Kasuistik, insbesondere der verschiedenen Hilfsformeln der Rechtsprechung auszugehen.140 Zumindest eine Indizfunktion für den 138 Vgl. auch Lang, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 5 Rn. 96, wonach § 42 AO als teleologische Hilfsnorm einzuordnen sei, welche den Zweck der steuergesetzlichen Tatbestandsnorm positivrechtlich unterstütze. 139 BT-Ds.16/7036, S. 31. 140 Blesinger, in: Kühn/von Wedelstädt, AO, § 42 Rn. 8; Dörr/Fehling, BLJ 2008, 20 (21 f.); Drüen, Ubg 2008, 31 (35); Eicke, Repatriierungsstrategien, S. 295; Hahn, DStZ 2008, 483 (484); Mack/Wollweber, DStR 2008, 182 (184); Schnitger, IStR 2008, 124 (128); Wienbracke, DB 2008, 664 (669).

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Maßstäbe zur Bestimmung des Missbrauchscharakters

Missbrauchscharakter einer Gestaltung kommt demnach der Tatsache zu, dass der einfachste rechtliche in der Regel auch der angemessene Weg ist, wohingegen unangemessene Rechtsgestaltungen häufig umständlich, kompliziert, schwerfällig, gekünstelt, widersinnig oder undurchsichtig u.ä. sind.141 Diese Ansicht wird von der Finanzverwaltung geteilt.142 Als Definition der Unangemessenheit – und damit indirekt auch des Missbrauchs – kann man diese jedoch nicht auffassen, denn auch diese Umschreibungen sind letztlich unbestimmt und mehr bloße Tautologie als Begriffseingrenzung.143 Eine nähere Definition der Unangemessenheit wurde im Gesetzgebungsverfahren daher auch als unmöglich abgelehnt.144 Nach der hier vertretenen Ansicht ist eine solche tatsächlich nicht möglich, aber eine abschließende Bestimmung des Missbrauchs allein anhand § 42 AO auch gar nicht erforderlich. (2)

Das Merkmal der Ungewöhnlichkeit

Über diese grundsätzliche Fortgeltung der BFH-Rechtsprechung hinaus bedarf das Merkmal der Ungewöhnlichkeit einer Gestaltung einer gesonderten Betrachtung. In früheren Entscheidungen wurde diesem vorrangige Bedeutung beigemessen, es teilweise sogar mit der Unangemessenheit gleichgesetzt.145 Als ungewöhnlich wurde in diesem Zusammenhang ein Gestaltungsweg angesehen, der im Widerspruch zu bestehenden Gewohnheiten, Übungen oder Sitten steht, die der Gesetzgeber zum Erreichen eines bestimmten wirtschaftlichen Zweckes für typisch erachtet hat.146 Die besondere Stellung dieses Merkmals im Rahmen der Neufassung ergibt sich nun daraus, dass der Kabinettsentwurf des JStG 2008 zur Definition des Missbrauchs – anstatt auf die Unangemessenheit – hierauf Bezug nahm:147 „Ein Missbrauch liegt vor, wenn eine zu einem Steuervorteil führende ungewöhnliche rechtliche Gestaltung gewählt wird, für die keine beachtlichen außersteuerlichen Gründe durch den Steuerpflichtigen nachgewiesen werden. 141 BFH, Urteil vom 19.08.1999 – I R 77/96 – BStBl II 2001, 43 (44); BFH, Urteil vom 01.02.2001 – IV R 3/00 – BStBl II 2001, 520 (522 f.); Tipke, StRO III, S. 1337. Weitere ausführliche Nachweise zur alten Rechtslage bei Böing, Gestaltungsmissbrauch, S. 73. 142 Ziff. 2.2. AEAO zu § 42. 143 Drüen, Ubg 2008, 31 (35); Hey, BB 2009, 1044 (1046). Siehe auch oben Fn. 81. 144 BT-Ds.16/7036, S. 24. 145 BFH, Urteil vom 22.01.1960 – V 52/56 S – BStBl III 1960, 111 (113); BFH, Urteil vom 25.10.1979 – VIII R 46/76 – BStBl II 1980, 247 (248 f.); BFH, Urteil vom 06.06.1991 – V R 70/89 – BStBl II 1991, 866 (867); BFH, Urteil vom 10.10.1991 – XI R 1/86 – BStBl II 1992, 239 (240). Weitere Nachweise bei Böing, Gestaltungsmissbrauch, S. 74 und Fn. 332. 146 BFH, Beschluss vom 27.02.1997 – III R 119/90 – DStRE 1997, 720 (722); BFH, Urteil vom 09.07.1998 – V R 68/96 – BStBl II 1998, 637 (639); Ratschow, in: Klein, AO, § 42 Rn. 52 f. 147 Kabinettsentwurf vom 08.08.2007, BT-Ds.16/6290, S. 24 f.

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Nationales Steuerrecht

Ungewöhnlich ist eine Gestaltung, die nicht der Gestaltung entspricht, die vom Gesetzgeber in Übereinstimmung mit der Verkehrsanschauung zum Erreichen bestimmter wirtschaftlicher Ziele vorausgesetzt wurde.“

An diesem Ansatz wurde aber berechtigterweise harsche Kritik geübt. Von einer Gleichsetzung der Begriffe, wie dies in der Rechtsprechung teilweise zum Ausdruck kam, kann nämlich nicht die Rede sein, da die Ungewöhnlichkeit ein empirisch zu bestimmender Begriff ist, wohingegen die Unangemessenheit stets wertend zu verstehen ist.148 Neben den Schwierigkeiten bei der Bestimmung der maßgeblichen Verkehrsanschauung wurde zudem die Gefahr gesehen, dass damit letztlich Innovationen pönalisiert und die Fortentwicklung des Rechts gehemmt werde.149 Nach dem auch der Finanzausschuss befürchtete, dass alles ungewöhnlich wäre, was nicht der bisherigen Praxis bei den Finanzämtern entspräche und dadurch eine sinnvolle wirtschaftliche Entwicklung gelähmt wäre150 wurde der vorstehende Entwurf der Missbrauchsdefinition zu Recht aufgegeben. Daran anknüpfend wird nun vertreten, dass die Ungewöhnlichkeit einer Gestaltung gar nicht mehr für die Beurteilung der Missbräuchlichkeit herangezogen werden könne. Dass nämlich im Gesetzgebungsverfahren die Ungewöhnlichkeit als entscheidungsleitendes Merkmal bewusst verworfen wurde, so müsse dies im Wege der historischen Auslegung der Neufassung berücksichtigt werden.151 Insoweit würde sich eine Abweichung von der bisherigen Kasuistik ergeben. An diesem Ansatz ist jedoch fraglich, ob man mit einer Ablehnung der Ungewöhnlichkeit als zentrales Tatbestandsmerkmal zugleich auch jegliche Relevanz ausschließen wollte. Die Annahme einer bloßen Indizfunktion,152 die allenfalls im Rahmen einer Gesamtwertung von Bedeutung sein kann, zeigt sich demgegenüber von geringerer Maßgeblichkeit, so dass insbesondere kein „erst-recht“-Schluss möglich ist. Den Bedenken aus dem Gesetzgebungsverfahren muss aber zumindest insofern Rechnung getragen werden, als dass die Ungewöhnlichkeit alleine nicht den Missbrauchsvorwurf begründen kann.153 Dies entspricht aber letztlich auch der jüngeren Entwicklung in 148 Bericht des Finanzausschusses, BT-Ds.16/7036, S. 24. 149 Brockmeyer, DStR 2007, 1325 (1328 f.); Dörr/Fehling, BLJ 2008, 20 (22); Fischer, FR 2008, 306 (308); Leisner-Egensperger, DStZ 2008, 358 (362); Mack/Wollweber, DStR 2008, 182 (184). 150 Empfehlungen der Ausschüsse, BR-Ds. 544/1/07, S. 81; Bericht des Finanzausschusses, BT-Ds.16/7036, S. 24. 151 Fischer, FR 2008, 306 (310). Zwar ohne diese Schlussfolgerung, aber das ausdrückliche und erkennbare Aufgeben betonend: Borggreve, AOStB 2007, 333 (335). 152 Hierzu Ratschow, in: Klein, AO, § 42 Rn. 55. Auch nach Hey, BB 2009, 1044 (1046), bleibt die Ungewöhnlichkeit ein „Aufgriffskriterium“. Differenzierend Koenig, in: Pahlke/Koenig, AO, § 42 Rn. 20. 153 So auch Ziff. 2.2 AEAO zu § 42.

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Maßstäbe zur Bestimmung des Missbrauchscharakters

der BFH-Rechtsprechung, die mit zunehmendem Maße die Bedeutung der Ungewöhnlichkeit zurückgenommen hat. (3)

Maßgeblichkeit des wirtschaftlichen Gestaltungszieles

In der jüngeren Rechtsprechung wurde die Unangemessenheit einer Gestaltung nämlich vermehrt dadurch präzisiert, dass verständige Parteien in Anbetracht des wirtschaftlichen Sachverhalts und der wirtschaftlichen Zielsetzung nicht in der gewählten Weise verfahren wären.154 Insbesondere solle dies der Fall sein, wenn die Rechtsgestaltung gar keinem wirtschaftlichen Zweck dient155 oder zur Erreichung des wirtschaftlichen Ziels als vom Gesetzgeber nicht gewollt einzuordnen ist.156 Diese Weg-Ziel-Relation157 ist auch nach dem JStG 2008 als maßgeblich anzusehen, da sich dogmatisch darin der notwendige Bezugspunkt für die Bestimmung des Wertungsbegriffs der Angemessenheit sehen lässt.158 Nach der Rechtsfolgenanordnung des Abs. 1 S. 3 der Neufassung erfolgt nämlich eine Besteuerung der den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen Gestaltung. Wie bereits zur Vorgängerfassung kann also von der Rechtsfolge auf die Konturen des Missbrauchsbegriffs geschlossen werden, so dass die zu überprüfende Gestaltung stets in Bezug auf die zugrunde liegenden wirtschaftlichen Vorgänge zu setzen ist.159 Auch nach Ansicht der Finanzverwaltung wird zumindest als Indiz für die Unangemessenheit einer Gestaltung darauf abgestellt, ob verständige Dritte in Anbetracht der wirtschaftlichen Vorgänge diesen Weg gewählt hätten.160 bb.

Der gesetzlich nicht vorgesehene Steuervorteil

(1)

Steuervorteil

Das Erfordernis eines gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteils wurde mit dem JStG 2008 in die Definition des Missbrauchs aufgenommen. Allerdings wurde auch schon bisher als Voraussetzung der Umgehung angesehen, dass 154 BFH, Urteil vom 17.01.1991 – IV R 132/85 – BStBl II 1991, 607 (609); BFH, Urteil, vom 21.01.1999 – IV R 96/96 – DStR 1999, 622 (624); BFH, Urteil vom 19.08.1999 – I R 77/96 – DStR 1999, 1849 (1850); BFH, Urteil vom 01.02.2001 – IV R 3/00 – BStBl II 2001, 520 (524); BFH, Urteil vom 18.07.2001 – I R 48/97 – DStR 2001, 1883 (1883). Siehe auch Clausen, DB 2003, 1589 (1590 f.). 155 BFH, Urteil vom 17.01.1991 – IV R 132/85 – BStBl II 1991, 607 (609); BFH, Urteil vom 18.07.2001 – I R 48/97 – DStR 2001, 1883 (1883); BFH, Urteil vom 08.05.2003 – IV R 54/01 – DStRE 2003, 1032 (1034 f.). 156 BFH, Urteil vom 19.08.1999 – I R 77/96 – DStR 1999, 1849 (1850); Ratschow, in: Klein, AO, § 42 Rn. 52 ff.; weitere Nachweise siehe oben Fn. 105. 157 Clausen, DB 2003, 1589 (1590), daran anknüpfend Böing, Gestaltungsmissbrauch, S. 76 f. 158 Drüen, Ubg 2008, 31 (35). 159 Drüen, Ubg 2008, 31 (35); Drüen, in: Tipke/Kruse, vor § 42 AO Rn. 17. 160 Ziff. 2.2. AEAO zu § 42 AO.

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eine Minderung oder gar ein Wegfall der Steuerlast durch die gewählte Gestaltung eintritt.161 Der Begriff des Steuervorteils erscheint zunächst insoweit unglücklich gewählt, als dieser u.a. auch in § 370 Abs. 1 AO als Tatbestandsmerkmal der Steuerhinterziehung verwendet wird; die Grenze zwischen Steuerumgehung und strafbarer Steuerhinterziehung, welche ein zusätzliches Unrechtselement enthält, scheint dadurch zu verwischen.162 Dem lässt sich aber entgegnen, dass dieser in der Sache durchaus zutreffend als Oberbegriff für die Vermeidung von steuerbelastenden und Erschleichung von steuerbegünstigenden Einzelnormen zu verstehen ist.163 Auch die Finanzverwaltung trennt klar zwischen den beiden Erscheinungen, entscheidend ist das Hinzutreten einer Verschleierungshandlung.164 Die Kritik ist insofern überzogen. Ein anderer logischer Fehler der Missbrauchsdefinition kann ebenso leicht berichtigt werden. So setzt § 42 Abs. 2 S. 1 AO zwar einerseits voraus, dass die Gestaltung tatsächlich zu einem Steuervorteil führt, aufgrund der Rechtsfolgenanordnung des § 42 AO tritt dieser aber letztlich doch nicht ein. § 42 Abs. 2 S. 1 AO kann mithin nur so gemeint sein, dass die Gestaltung ansonsten zu einem Steuervorteil führen würde. (2)

Gesetzlich nicht vorgesehen

Die Schwierigkeit dieses Tatbestandselements liegt vielmehr in der Bestimmung dessen, wann ein Steuervorteil als gesetzlich nicht vorgesehen erachtet werden muss. Die Gesetzesbegründung verweist hierzu – quasi im Wege einer negativen Abgrenzung – auf die Ausübung gesetzlicher Wahlrechte und die Nutzung steuergesetzlicher Lenkungs- und Fördernormen als gesetzlich vorgesehene Vorteile.165 Selbst diese auf den ersten Blick eindeutigen und begrüßenswerten Klarstellungen166 sind bei näherem Hinsehen aber missverständlich. Denn selbstredend ist es möglich, durch Sachverhaltsgestaltung erst die Voraussetzungen für die Inanspruchnahme von Lenkungsnormen zu schaffen; 161 Dörr/Fehling, NWB F 2, 9671 (9678); Hahn, DStZ 2008, 483 (484); Drüen, in: Tipke/Kruse, § 42 AO Rn. 48; Vogel, StuW 1996, 248 (249). Eine Anwendung von § 42 AO zugunsten des Steuerpflichtigen scheidet hiernach aus, vgl. BFH, Urteil vom 03.03.1983 – V R 183/83 – BStBl II 1989, 205 (206 f.); Koenig, in: Pahlke/Koenig, AO, § 42 Rn. 29. 162 Drüen, Ubg 2008, 31 (36). Nach dem Wortlaut ist die Bedeutung des Merkmals „Steuervorteils“ gegenüber der anderen Tatbestandsalternative des § 370 Abs. 1 AO – der Verkürzung von Steuern – allerdings stark herabgesetzt, im Detail ist das Verhältnis aber umstritten; hierzu Blesinger, in: Kühn/von Wedelstädt, AO, § 370 Rn. 22 ff. 163 BT-Ds.16/7036, S. 24; Borggreve, AOStB 2007, 333 (335); Dörr/Fehling, NWB F 2, 9671 (9678); Drüen, in: Tipke/Kruse, vor § 42 AO Rn. 21; Hey, BB 2009, 1044 (1046); Drüen, in: Tipke/Kruse, § 42 AO Rn. 48; Wienbracke, DB 2008, 664 (669). 164 Ziff. 3 AEAO zu § 42. 165 BT-Ds.16/7036, S. 24. 166 Schnitger, IStR 2008, 124 (128).

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Maßstäbe zur Bestimmung des Missbrauchscharakters

geschieht dies unter Ausnutzung der Diskrepanz zwischen Wortlaut und Telos der Norm, so handelt es sich um den Paradefall einer Tatbestandserschleichung und damit um eine Steuerumgehung.167 Auch die bloße Ausübung eines tatsächlich bestehenden Wahlrechtes soll im Gesamtkontext als missbräuchlich angesehen werden können.168 Erst recht schwierig stellt sich die Situation außerhalb der in der Gesetzesbegründung genannten Fälle dar. Während unstreitig eine von einer Einzelnorm als verboten angesehene Gestaltung gesetzlich nicht vorgesehen ist, und andererseits zwingend gebotene Anwendungsfälle dies eben schon sind, lässt sich dies für eine weitere mögliche Kategorie von Rechtssätzen nicht ohne weiteres bestimmen: Sofern ein Verhalten etwa zwar nicht zwingend vorgesehen ist, sondern lediglich erlaubt ist, ist dies dann auch ein nicht vorgesehener Steuervorteil? Aus der negativen Formulierung als nicht vorgesehen wird teilweise darauf geschlossen, dass damit Verbote und Erlaubnisse zusammengefasst werden.169 Konsequenz wäre, dass jede nur erlaubte Gestaltung prinzipiell als nicht vorgesehener Steuervorteil angesehen werden müsste und damit diesem Teil der Missbrauchsdefinition unterfallen würde. Wenn man andererseits aber nur das vom Gesetzgeber überhaupt nicht Gewollte als nicht vorgesehen erachtet,170 würde sich der Regelungsgehalt darin erschöpfen, dass ein verbotener Steuervorteil nicht anerkannt werden könnte und damit verboten wäre.171 So oder so wird man aber dem Zweck des § 42 AO – der Grenzziehung zwischen wirtschaftlicher Gestaltungsfreiheit als Nutzung des zivilrechtlich Erlaubten einerseits und steuerlichem Missbrauchsverbot andererseits – nicht gerecht.172 Dem Merkmal des gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteils fehlt mithin eine eigene tatbestandliche Unterscheidungskraft im Rahmen der Missbrauchsdefinition. Hinzu kommt, dass sich die Steuerumgehung ganz überwiegend im Bereich reiner Fiskalnormen abspielt, die als unselbständige Rechtssätze regelmäßig nur einen Bruchteil des gesamten Entstehungstatbestandes regeln.173 Nicht von der Hand zu weisen sind daher Bedenken, dass eine verlässliche Motiverforschung dessen, was nun vom Gesetzgeber vorgesehen war, vielfach schwierig

167 Hahn, DStZ 2008, 483 (485). 168 Hahn, DStZ 2008, 483 (485) m.w.N. zum Beispiel der Option zur Umsatzsteuer, § 9 UStG. Nach der oben dargelegten Systematisierung muss dies jedoch vielmehr als Fall des institutionellen Rechtsmissbrauchs eingeordnet werden. 169 Hahn, DStZ 2008, 483 (485). 170 Leisner-Egensperger, DStZ 2008, 358 (361 f.) 171 Hahn, DStZ 2008, 483 (485). 172 Hahn, DStZ 2008, 483 (485). 173 Hahn, DStZ 2008, 483 (485); Lang, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 5 Rn. 46.

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sein wird; für den Fall der Nicht-Erkennbarkeit dürfte die Definition dann zu eng sein.174 Die entscheidende Bedeutung des Zusatzes gesetzlich nicht vorgesehenen liegt indes woanders. Daraus ergibt sich nämlich, dass das Vorliegen eines Missbrauchs immer nur in Abhängigkeit von der gesetzlichen Wertung des einschlägigen Einzelsteuergesetzes bestimmt werden kann.175 Insoweit findet sich hierin der Ansatzpunkt für die hier vertretene, an die innentheoretische Sichtweise angelehnte Maßstäblichkeit der – insbesondere historischteleologischen176 – Auslegung für die Unangemessenheit einer Gestaltung. Hierdurch ergibt sich ein objektivierendes Element für die Bewertung der Unangemessenheit.177 Es handelt sich also bei der unangemessenen rechtlichen Gestaltung und dem gesetzlich nicht vorgesehen Steuervorteil somit nicht um zwei getrennt nebeneinander stehende Tatbestandselemente des Missbrauchs, vielmehr sind die Begriffe im Zusammenhang zu sehen.178 Zu weit ginge es insoweit jedoch, allein nach dem gesetzlichen vorgesehenen Steuervorteil – quasi „automatisch“ – über die Unangemessenheit zu entscheiden.179 In den Fällen der Tatbestandserschleichung, in denen der Zweck der Steuervergünstigung sicher bestimmt werden kann, würde dies zugegebenermaßen regelmäßig zu sachgerechten Ergebnissen führen; insoweit würde § 42 AO auch an Bestimmtheit gewinnen.180 Problematisch wäre eine solche Handhabung indes, wenn der gesetzlich nicht vorgesehene Steuervorteil eben nicht eindeutig festgestellt werden kann, mithin relativiert sich auch die hinzugewonnene Bestimmtheit. Befürchtet wird zu Recht eine daraus resultierende faktische Aufgabe des § 42 AO insbesondere bei lastenausteilenden Fiskalzwecknormen.181 Im Übrigen dürfte einer solchen Zurückdrängung des wertenden Tatbestandsmerkmals der Angemessenheit sowohl Wortlaut als auch gesetzgeberische Intention der Neufassung entgegenstehen. 174 Drüen, Ubg 2008, 31 (36); Hahn, DStZ 2008, 483 (485); Mack/Wollweber, DStR 2008, 182 (185). 175 Siehe oben B.I.2.b.dd, S. 66. 176 Drüen, Ubg 2008, 31 (36). 177 Ebenso Wendt, in: DStJG Bd. 33, S. 128, der jedoch über die hier vertretene Ansicht hinausgeht, dazu sogleich. 178 In der Praxis der Finanzbehörden dürfte die Bedeutung des Steuervorteils nochmals anders gesehen werden: Durch die Feststellung eines solchen ergibt sich regelmäßig erst der Ansatzpunkt für einen Missbrauchsverdacht, so dass eine Gestaltung als möglicherweise unangemessen eingestuft wird, vgl. Drüen, Ubg 2008, 31 (35). Auch die Gesetzesbegründung schließt daher die Unangemessenheitsprüfung erst im zweiten Schritt an, siehe BT-Ds.16/7036, S. 24. 179 So der Vorschlag von Wendt, in: DStJG Bd. 33, S. 129. 180 Wendt, in: DStJG Bd. 33, S. 129. 181 Drüen, in: Tipke/Kruse, vor § 42 AO Rn. 20a.

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Maßstäbe zur Bestimmung des Missbrauchscharakters

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Dritte als Vorteilsempfänger

Ein weiteres Problem ergibt sich dadurch, dass nach dem Wortlaut der Neufassung der Steuervorteil beim Steuerpflichtigen oder einem Dritten eintreten kann, ohne diesen Begriff näher einzugrenzen. Zwar sind einerseits Auslegungsbedürftigkeit und mangelnde Bestimmtheit voneinander zu trennen, dass andererseits aber jegliche Anhaltspunkte zur Bestimmung der personellen Reichweite der subjektübergreifende Vorteilszurechnung fehlen, wird teilweise als verfassungsrechtlich bedenklich angesehen.182 Zwar kann die Person des Dritten zunächst dadurch bestimmt werden, dass man darunter jeden fasst, der nicht Beteiligter des konkreten Steuerschuldverhältnisses – Steuerpflichtiger als Steuerschuldner einerseits und der jeweilige Steuergläubiger bzw. die zuständige Finanzbehörde andererseits – ist.183 Eine solche Auslegung würde aber den Anwendungsbereich der Norm erheblich ausweiten, und vor dem Hintergrund der grundsätzlich gewährten Gestaltungsfreiheit wäre es äußerst fraglich, ob jeder Vorteil bei irgendeinem Dritten, den Steuerpflichtigen mit dem Verdikt der Steuerumgehung belasten darf.184 Der Begriff des Dritten muss daher insoweit verfassungskonform restriktiv ausgelegt werden, als ein besonderer Zurechnungsgrund zwischen dem gestaltenden Steuerpflichtigen und dem bevorteilten Dritten erforderlich ist.185 Nahe liegend erscheint es, hierfür zum einen auf die Fälle der wirtschaftlich gleichgerichteten Interessenlage abzustellen.186 Eine solche würde insbesondere bei Vertragsgestaltungen unter Angehörigen187 sowie bei konzernverbundenen Unternehmen und anderen gesellschaftsrechtlich indizierten Nähebeziehungen188 anzunehmen sein. Zu den Voraussetzungen im Detail könnte dabei auf die Rechtslage zu Vorschriften wie §§ 1 Abs. 2 AStG, §32d Abs. 2 S. 1 Nr. 1 EStG und Rechtsinstituten wie der Angehörigenrechtsprechung189 und der verdeckten Gewinnausschüttung190 abgestellt werden, denen eine vergleichbare Sachlage zugrunde liegt.191 In diesem Sinne grenzt auch die Finanzverwaltung nunmehr die Person des Dritten ein, die erforderliche Nähe 182 Drüen, Ubg 2008, 31 (37) ; Hahn, DStZ 2008, 483 (486). Zur Bestimmtheitsproblematik des § 42 AO n.F. im Ganzen siehe unten B.I.2.c.ee, S. 88. 183 Drüen, in: Tipke/Kruse, vor § 42 AO Rn. 25. 184 Drüen, Ubg 2008, 31 (37); Hey, BB 2009, 1044 (1046). 185 Drüen, in: Tipke/Kruse, vor § 42 AO Rn. 25; Hahn, DStZ 2008, 483 (486); Hey, BB 2009, 1044 (1046). Vgl. auch Fischer, in: H/H/Sp, § 42 AO Rn. 267 a.E. 186 Drüen, in: Tipke/Kruse, vor § 42 AO Rn. 25; Hahn, DStZ 2008, 483 (486). 187 Dörr/Fehling, NWB F 2, 9671 (9678); Drüen, Ubg 2008, 31 (37). 188 Dörr/Fehling, BLJ 2008, 20 (22) Fn. 27. 189 Koenig, in: Pahlke/Koenig, AO, § 42 Rn. 38; Drüen, in: Tipke/Kruse, § 42 AO Rn. 55. 190 Siehe z.B. BFH, Urteil vom 18.12.1996 – I R 139/94 – BStBl II 1997, 301 (302). 191 Drüen, in: Tipke/Kruse, vor § 42 AO Rn. 25, spricht von einer „sachbereichsspezifischen Parallelwertung“.

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zum Steuerpflichtigen liege insbesondere bei Angehörigen i.S.v. § 15 AO und nahe stehenden Personen i.S.v. § 1 Abs. 2 AStG vor.192 Zum anderen könnte man auch an Fälle des kollusiven Zusammenwirkens zwischen Steuerpflichtigem und Drittem denken.193 So wurde auch schon bislang ein Missbrauch angenommen, wenn ein Steuerpflichtiger einen anderen zu einer unangemessenen Gestaltung veranlasst und hieraus einen ungerechtfertigten Steuervorteil zieht.194 Genau genommen wurde damit aber nur überwunden, dass es nur an einer eigenen Gestaltung beim jeweiligen Steuerpflichtigen fehlte, der eigene Vorteil jedoch ohne weiteres feststellbar war. Mit dem Abstellen auf den Vorteil des Dritten in § 42 Abs. 2 S. 1 AO n.F. scheint aber gerade die umgekehrte Konstellation geregelt zu sein, dass der gestaltenden Steuerpflichtige gewissermaßen kollusiv den Vorteil bei jemand anderem eintreten lässt. Dann ist aber äußerst fraglich, wie – und gegenüber wem – § 42 AO überhaupt angewendet werden soll, fordert er doch als Rechtsfolge die Besteuerung nach einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen Gestaltung, § 42 Abs. 1 S. 3 AO. Dies kann aber in Person des konkret veranlagten Steuerpflichtigen eigentlich zu keinem anderen Ergebnis führen, da er sonst ja schon einen eigenen Steuervorteil gehabt hätte und es der Person des Dritten daher gar nicht bedurft hätte. Eine Anwendung von § 42 AO gegenüber dem Dritten i.S.v. Abs. 2 S. 1 wiederum kann es überhaupt gar nicht geben, ist dieser doch definitionsgemäß gerade nicht am in Rede stehenden Steuerschuldverhältnis beteiligt, in dem nun § 42 AO geprüft wird.195 Diese Erwägungen gelten letztlich auch für die erstgenannte Fallgruppe der Nähebeziehung, wobei in diesen Fällen vielfach auch eigener Vorteil des Steuerpflichtigen ermittelt werden kann. Würde man den Vorteil des Dritten in einer erhöhten Besteuerung des Steuerpflichtigen niederschlagen lassen, so wäre § 42 AO in einen Haftungstatbestand umgewandelt, was aber nicht gewollt sein kann.196 Der Sinn dieser Erweiterung auf Dritte könnte sich aber durch einen anderen Blickwinkel ergeben. Wenn § 42 AO nämlich wie bislang im konkreten Steuerschuldverhältnis und dem konkreten Steueranspruch gegenüber demjenigen 192 Ziff. 2.3. AEAO zu § 42. 193 Hahn, DStZ 2008, 483 (486). 194 BFH, Urteil vom 06.06.1991 – V R 70/89 – BStBl II 1991, 866 (867 f.); BFH, Urteil vom 16.01.1992 – V R 1/91 – BStBl II 1992, 541 (542); BFH; Urteil vom 18.07.2001 – I R 48/97 – DStR 2001, 1883 (1884). 195 So aber Hey, BB 2009, 1044 (1046). 196 Überdies ergäbe sich ein Widerspruch zu den §§ 69 ff. AO, so setzt beispielsweise § 71 AO für einen Fall ähnlich des kollusiven Zusammenwirkens das Vorliegen einer Steuerhinterziehung oder Steuerhehlerei voraus, für eine Haftung im Näheverhältnis sind beispielsweise §§ 69, 73, 74 AO zu berücksichtigen.

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angewendet wird, der aus der Gestaltung einen Vorteil erzielt,197 so gilt dies also für das Steuerschuldverhältnis zwischen Drittem und Steuergläubiger, in dem dieser natürlich selbst der Steuerpflichtige, i.S.v. § 42 AO Abs. 1 S. 3 ist. Dann muss das Vorliegen eines Missbrauchs aber wiederum selbständig geprüft werden, für eine Art Feststellungswirkung der Annahme des Missbrauchs im zwar identischen zu beurteilenden Lebenssachverhalt, aber im Rahmen eines anderen Steuerschuldverhältnisses, fehlt jegliche gesetzliche Grundlage. Hierzu würde es dann ausreichen, dass durch einen anderen Steuerpflichtigen198 eine unangemessene Gestaltung gewählt wurde, die bei ihm (dem ursprünglich Dritten) zu einem Vorteil führt. Kurzum: Es ist stets das Vorliegen eines eigenen Steuervorteils nur beim konkret Steuerpflichtigen selbst relevant,199 die genannten Fallgruppen schaffen somit lediglich den Zurechnungsgrund der Vornahme der unangemessenen Gestaltung durch jemand anderen.200 cc.

Rechtfertigung durch außersteuerliche Gründe

Nach der Neufassung des § 42 Abs. 2 S. 2 AO liegt kein Missbrauch vor, wenn für die unangemessene Gestaltung beachtliche außersteuerliche Gründe nachgewiesen werden können. Die Diskussion in der Literatur hierzu konzentriert sich ganz überwiegend auf Erörterungen zur Nachweisbarkeit und Beweislast.201 Hier soll aber zuerst die materiell-rechtliche Betrachtung dieser Aussage im Blickpunkt stehen. (1)

Materiell-rechtliche Betrachtung

§ 42 Abs. 2 S. 2 AO stellt insoweit zunächst einmal fest, dass eine Berücksichtigung außersteuerlicher Gründe überhaupt möglich ist. Die Zulässigkeit einer

197 BFH, Urteil vom 19.08.1999 – I R 77/96 – DStR 1999, 1849 (1852); Fischer, in: H/H/Sp, § 42 AO Rn. 267 m.w.N.; Gosch, in: Harzburger Steuerprotokoll 1999, S. 242 f. 198 Missverständlich ist insoweit, dass Abs. 2 S. 1 vom Steuerpflichtigen und dem Dritten spricht, sich die Begriffe hier aber gerade umkehren müssen. 199 Fischer, in: H/H/Sp, § 42 AO Rn. 267. 200 Sinngemäß ist § 42 Abs. 2 S. 1 mithin wie folgt zu lesen: Ein Missbrauch liegt vor, wenn durch den Steuerpflichtigen oder einen (zurechenbaren) Dritten eine unangemessene rechtliche Gestaltung gewählt wird, die beim Steuerpflichtigen im Vergleich zu einer angemessenen Gestaltung zu einem gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteil führt. Im Ergebnis vgl. auch Leisner-Egensperger, DStZ 2008, 358 (359). 201 Vgl. z.B. Blesinger, in: Kühn/von Wedelstädt, AO, § 42 Rn. 12; Dörr/Fehling, BLJ 2008, 20 (22); Drüen, in: Tipke/Kruse, vor § 42 AO Rn. 29 ff.; Hahn, DStZ 2008, 483 (489 f.); Mack/Wollweber, DStR 2008, 182 (185).

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solchen Rechtfertigung202 wird namentlich von den Vertretern der klassischen Innentheorie mit dem bestritten:203 Die Rechtsgeltung des nach allen Regeln der Interpretation angewendeten Gesetzes dürfe nicht durch außersteuerliche Gründe in Frage gestellt werden;204 Ansonsten würde man dem erfindungsreichen Steuerpflichtigen entsprechende Argumentationsmöglichkeiten zur Aushebelung der Steuergesetze eröffnen205 und es bestünde außerdem die Gefahr, dass eine Kontrolle der Wirtschaftlichkeit, wofür die Finanzbehörde weder sachkundig noch zuständig wäre, in die Beurteilung einfließen würde.206 Diese Gründe werden auch gegen die Neufassung vorgebracht: Es sei nicht ersichtlich warum ein Steuervorteil aufgrund tatsächlicher außersteuerlicher Erwägungen nun doch hingenommen werden müssen – entgegen der Geltungskraft des Gesetzes, die den Steuervorteil definitionsgemäß gerade nicht vorgesehen hat.207 Eine Ausnahme wird zwar insoweit zugelassen, als in den sog. Gesamtplanfällen208 die einheitliche Betrachtung rechtlich selbständiger Geschäfte durch außersteuerliche Gründe widerlegt werden kann; wirtschaftliche Gründe seien insoweit nicht auf ihre Angemessenheit überprüfbar.209 Für die Fallgruppe der Zwischenschaltung von Personen bzw. Zwischengesellschaften bei der Zurechnung von Einkünften – und damit auch für das im Rahmen dieser Untersuchung im Blickpunkt stehende Treaty Shopping – müsste nach dieser Ansicht ein Missbrauch aber stets ohne die Berücksichtigung wirtschaftlicher Gründe für deren Einschaltung geprüft werden. Ein solches Ergebnis würde jedoch dem speziellen Missbrauchsvorbehalt des § 50d Abs. 3 EStG widersprechen, der diesen Prüfungsschritt ausdrücklich vorsieht, wenn auch in objektiver Form als Tatbestandsmerkmal.210 Auch für den Missbrauchsbegriff des § 42 Abs. 2 AO n.F. steht dem der klare Gesetzeswortlaut entgegen, die Innentheorie würde sich mit dieser Forderung bemerkenswerterweise gegen 202 Die objektive Rechtfertigung ist zugleich subjektive Exkulpationsmöglichkeit, hierzu sogleich B.I.2.c.dd, S. 86. Gegen den Begriff der Exkulpation spricht indes, dass es beim Missbrauch nicht um ein mögliches Unrecht im Sinne von Schuld (culpa) gehen kann, hierzu bereits die terminologische Abgrenzung unter A, S. 39. 203 Fischer, in: H/H/Sp, § 42 AO Rn. 87 und 274 ff.; Klein, Steuerumgehungstatbestand, S. 71 ff.; Lang, Michael, SWI 1998, 216 (218); Sieker, Umgehungsgeschäfte, S. 20 f. Vgl. auch Reiß, UR 1998, 213 (215). 204 Fischer, in: FS Reiß, S. 634; Klein, Steuerumgehungstatbestand, S. 86 f. 205 Fischer, in: H/H/Sp, § 42 AO Rn. 278; Klein, Steuerumgehungstatbestand, S. 74; Lang, Michael, SWI 1998, 216 (218). 206 Fischer, FR 2008, 307 (311); Klein, Steuerumgehungstatbestand, S. 83 f. 207 Fischer, FR 2008, 307 (311). 208 Dazu siehe oben B.I.2.a.dd, S. 57. 209 Fischer, in: H/H/Sp, § 42 AO Rn. 288. 210 Der Unterschied zu § 42 Abs. 2 S. 2 AO und das Verhältnis der Normen zueinander ist an späterer Stelle zu untersuchen, siehe unten im Allgemeinen D.II.3.c, S. 265, insbesondere aber auch im 2. Teil, B.II.1.b.cc, S. 424.

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die von ihr selbst propagierte211 Normativität und Geltungskraft des Steuergesetzes stellen; ein einleuchtender Grund hierfür wäre nicht ersichtlich, können doch insbesondere die Bedenken gegen eine zu freie Argumentationsmöglichkeit des Steuerpflichtigen auch durch die Auslegung der Beachtlichkeit berücksichtigt werden. Außersteuerliche Gründe können zunächst solche wirtschaftlicher, rechtlicher oder gar privater Natur sein,212 dieses Merkmal wird also weit verstanden. Die Einschränkung erfolgt dadurch, dass diese nach dem Gesamtbild der Verhältnisse beachtlich sein müssen. Neu ist dies an sich nicht, da auch schon bisher nur außersteuerliche Gründe von anzuerkennendem Gewicht berücksichtigt wurden.213 Die Gesetzesbegründung führt hierzu aber lediglich aus, dass außersteuerlichen Gründe unbeachtlich sind, wenn sie nicht wesentlich oder nur von untergeordneter Bedeutung sind.214 Mangels greifbarer Definition wird daher die Unkalkulierbarkeit dieses unbestimmten Rechtsbegriffes kritisiert.215 Dem lässt sich aber entgegnen, dass – wie schon die Unangemessenheit – sich dieser kaum allgemein und schematisch beschreiben lässt.216 Ausgehend davon, dass die Beurteilung nach dem Gesamtbild der Verhältnisse erfolgt, müssen die Umstände des konkreten Falles in die Wertung einbezogen werden, so auch die durch die Gestaltung im Einzelnen umgangene Steuernorm.217 Geht man zudem davon aus, dass auch spezielle Missbrauchsvorbehalte die Frage der Rechtfertigung typisieren können, so ist deren gesetzgeberische Wertung für die Bestimmung der Beachtlichkeit von besonderem Belang und eine Kollisionslösung auf diese Weise möglich.218 Inwieweit darüber hinaus eine Berücksichtigung außersteuerlicher Gründe auch gegenüber speziellen Missbrauchsnormen Anwendung finden kann, ist noch gesondert zu untersuchen.219 Zu betonen ist jedoch, dass mangels Zuständigkeit und Sachkunde eine staatliche Kontrolle wirtschaftlichen Verhaltens auf dessen Angemessenheit oder 211 Hierzu die Anmerkungen von Fischer, in: H/H/Sp, § 42 AO Rn. 278 Fn. 6: „Es ist eine makabre Pointe, dass eine Gesetzestreue beanspruchende Außentheorie mit diesem frei erfundenen Merkmal ein Eldorado der Argumentation eröffnet, in welchem dem Stpfl. gestattet wird, gegen die Geltung des Steuergesetzes zu optieren.“ 212 Drüen, in: Tipke/Kruse, vor § 42 AO Rn. 29. 213 Siehe z.B. BFH, Urteil vom 04.10.2006 – VIII R 7/03 – DStR 2006, 2168 (2172). 214 BT-Ds. 16/7036, S. 24. 215 Carlé, DStZ 2008, 653 (654). 216 Piltz, IStR 2007, 793 (796 f.). 217 Ähnlich Ziff. 2.6. AEAO zu § 42, der auf die Relation zur unangemessenen Gestaltung verweist. Zudem soll das Ausmaß der erzielten Steuervorteile zu berücksichtigen sein, so auch Drüen, in: Tipke/Kruse, vor § 42 AO Rn. 34, und Hey, BB 2009, 1044 (1047). 218 Hierzu ausführlich unten D.II.3.c.bb(3), S. 276. 219 Siehe D.II.3.c, S. 265, insbesondere aber auch im 2. Teil, B.II.1.b.cc, S. 424.

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Wirtschaftlichkeit ausscheiden muss.220 Lediglich vorgeschobene Gründe sollen aber jedenfalls unbeachtlich sein.221 Festzustellen bleibt, dass es sich als unbestimmter Rechtsbegriff bei der Auslegung der Beachtlichkeit um eine voll überprüfbare Rechtsfrage handelt, der Finanzbehörde kommt also kein eigener Beurteilungsspielraum zu.222 Insgesamt wird durch die grundsätzliche Rechtfertigungsmöglichkeit auch der oben beschriebene Ansatz belegt, dass zwar aus § 42 AO nicht alleine und unmittelbar die Voraussetzungen des Missbrauchs im konkreten Fall abgeleitet werden können, die Norm aber – neben der Funktion des Mittels der Zurückweisung und der teleologischen Hilfsfunktion – den abstrakten Rahmen zur Beurteilung des Missbrauchs strukturierend vorgibt. Dies gilt umso mehr, soweit man in der Möglichkeit der Rechtfertigung zugleich eine Regelung des subjektiven Tatbestands erblickt.223 Mit der Neufassung geklärt wurde sodann auch das Verhältnis zur Unangemessenheit. Vom BFH wurde früher das Fehlen wirtschaftlicher Gründe teilweise in die Unangemessenheit einbezogen,224 so dass die außersteuerlichen Gründe als Subkriterium der selbigen erschienen.225 In der Sache führte dies bislang nicht zu unterschiedlichen Ergebnissen.226 Nunmehr scheint sich aus der Aufteilung auf die beiden Sätze des § 42 Abs. 2 AO n.F. ein grundsätzliches Nebeneinander als selbständige Kriterien zu ergeben, primär aber auch das im Folgenden darzulegende Nachweisverfahren. (2)

Das Nachweisverfahren

Die endgültige Fassung, die in § 42 Abs. 2 S. 2 AO den Nachweis des Vorliegens außersteuerliche Gründe gestattet, dabei aber dies dem Steuerpflichtigen auferlegt, weicht erheblich von den vorab diskutierten Entwurfsfassungen ab, welche nach im Schrifttum vertretener Ansicht bis zur generellen Miss220 BFH, Urteil vom 30.11.1989 – IV R 97/86 – BFH/NV 1991, 432 (432 f.); BFH, Urteil vom 16.01.1996, – IX R 13/92 – DStR 2000, 107 (108 f.); BFH, Urteil vom 08.05.2003 – IV R 54/01 – DStRE 2003, 1032 (1034); Drüen, in: Tipke/Kruse, vor § 42 AO Rn. 35; Fischer, in: H/H/Sp, § 42 AO Rn. 280; 221 Drüen, Ubg 2008, 31 (37 f.). 222 BFH, Urteil vom 19.01.1994 – XI R 57/90 – BFH/NV 1994, 668 (668 f.); Dörr/Fehling, BLJ 2008, 20 (22); Drüen, Ubg 2008, 31 (38); Koenig, in: Pahlke/Koenig, AO, § 42 Rn. 34. 223 Dazu sogleich unter B.I.2.c.dd, S. 86. 224 BFH, Urteil vom 23.02.1988 – IX R 157/84 – BStBl II 1988, 604 (605 f.); BFH, Urteil vom 28.01.1992 –VIII R 7/88 – BStBl II 1993, 84 (86); BFH, Urteil vom 16.01.1996, – IX R 13/92 – BStBl II 1996, 214 (215); BFH, Urteil vom 27.07.1999 – VIII R 36/98 – BStBl II 1999, 769 (770). 225 Böing, Gestaltungsmissbrauch, S. 78 f. 226 Brockmeyer, in: Klein, AO (9. Auflage 2006), § 42 Rn. 14.

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brauchsvermutung reichen sollten.227 Nach heftiger Kritik228 daran entschied sich der Gesetzgeber für eine lediglich partielle Beweislastumkehr.229 Grundlage der prozessualen Betrachtung ist der in § 88 AO geregelte Untersuchungsgrundsatz, wonach die Behörde den Sachverhalt von Amts wegen ermittelt und dabei Art und Umfang der Ermittlungen bestimmt. Praktisch ist eine Informationsbeschaffung in der Regel aber nicht ohne das Zutun des Steuerpflichtigen möglich, weshalb nach § 90 Abs. 1 AO eine Mitwirkungspflicht besteht. Hieraus ergibt sich eine sphärenorientierte Mitverantwortung des Steuerpflichtigen für die Offenbarung der in seinem Lebens- und Verantwortungsbereich angesiedelten Tatsachen und Beweismittel.230 In Fällen mit Auslandsbezug kann sich gemäß § 90 Abs. 2 AO die Mitwirkungspflicht sogar zu einer Beweismittelbeschaffungs- und Beweisvorsorgepflicht steigern.231 Hinsichtlich der Beweislast ist von der Grundregel auszugehen, dass der Steuergläubiger, vertreten durch die Finanzbehörde,232 die objektive Beweislast233 für die steuerbegründenden und -erhöhenden Tatsachen trägt, der Steuerpflichtige die Beweislast für die steuerentlastenden oder -mindernden Tatsachen.234 Eine Verletzung dieser Mitwirkungspflichten führt zwar nicht zu Übertragung der Beweislast auf den Steuerpflichtigen, jedoch zu einer Reduzierung des Beweismaßes zu Lasten des Steuerpflichtigen.235 227 Referentenentwurf vom 14.03.2007, S. 37 f.: „Wird eine zu einem Steuervorteil führende rechtliche Gestaltung gewählt, für die keine beachtlichen außersteuerlichen Gründe nachgewiesen werden, entsteht der Steueranspruch so, wie er bei einer vom Gesetzgeber bei seiner gesetzlichen Regelung vorausgesetzten rechtlichen Gestaltung entstanden wäre.“ 228 Borggreve, AOStB 2007, 333 (336); Brockmeyer, DStR 2007, 1325 (1326); Crezelius, DB 2007, 1428 (1430); Loritz, ZSteu 2007, 415 (417); Mack/Wollweber, DStR 2008, 182 (183). 229 Dörr/Fehling, NWB F 2, 9671 (9680); Drüen, in: Tipke/Kruse, vor § 42 AO Rn. 27. 230 Seer, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 21 Rn. 172. 231 Seer, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 21 Rn. 174; Söhn, in: H/H/Sp, § 90 AO Rn. 143; Wagner, in: Kühn/von Wedelstädt, AO, § 88 Rn. 11. 232 Gemäß § 63 Abs. 1 FGO gilt im Finanzgerichtsverfahren das Behördenprinzip. 233 Da eine subjektive Beweislast dem Steuerrecht grundsätzlich fremd ist, wird auch von der objektiven Feststellungslast gesprochen, hierzu Koenig, in: Pahlke/Koenig, AO, § 42 Rn. 34; Wagner, in: Kühn/von Wedelstädt, AO, § 88 Rn. 7. 234 BFH, Urteil vom 02.03.1966 – II 113/61 – BStBl III 1966, 509 (510 f.); BFH, Urteil vom 05.11.1970 – V R 71/67 – BStBl II 1971, 220 (223 f.); Rätke, in: Klein, AO, § 88 Rn. 51 m.w.N.; Seer, in: Tipke/Kruse, § 96 FGO Rn. 83; Seer, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 22 Rn. 191; Weber-Grellet, Steuern im modernen Verfassungsstaat, S. 39; Wünsch, in: Pahlke/Koenig, AO, § 88 Rn. 27. 235 Ax/Große/Melchior/Lotz/Ziegler, Abgabenordnung, Rn. 1010; Rätke, in: Klein, AO, § 88 Rn. 25 f.; Seer, in: Tipke/Kruse, § 162 AO Rn. 5; Seer, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 22 Rn. 190 f. Im Ergebnis auch Wagner, in: Kühn/von Wedelstädt, AO, § 88 Rn. 11.

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Ausgehend hiervon wurde der Finanzbehörde die grundsätzliche Beweislast hinsichtlich des gesamten „Tatbestandes“236 des § 42 AO a.F. zugeschrieben.237 Die unterbliebene oder gescheiterte Darlegung außersteuerliche Gründe führte aber schon bisher dazu, dass der BFH ihre Abwesenheit vermutete.238 Darüber hinaus hat der BFH bei häufig wiederkehrenden oder erfahrungsgemäß regelmäßig missbräuchlichen Gestaltungen den Tatbestand des Missbrauchs insgesamt239 vermutet und dies durch erhöhte Mitwirkungspflichten begründet.240 Eine Erschütterung dieser Tatbestandsvermutungen durch entsprechenden Vortrag von Indizien wurde jedoch als möglich erachtet.241 Vor diesem Hintergrund ist das nun geltende gestufte Nachweisverfahren242 des § 42 Abs. 2 AO n.F. zu sehen. Danach muss die Finanzbehörde die Voraussetzungen des S. 1 nachweisen, d.h. eine unangemessene rechtliche Gestaltung, die zu einem gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteil führt.243 Dies ist insbesondere ausreichend zu begründen,244 und es sind alle verfügbaren Beweismittel von Amts wegen nutzen.245 Da durch die Neufassung keinesfalls eine Verschlechterung der behördlichen Position beabsichtigt war, dürften weiterhin die Indizwirkung ungewöhnlicher, umständlicher oder sonst auffälliger

236 Im Sinne der Außentheorie. 237 BFH, Urteil vom 02.03.1966 – II 113/61 – BStBl III 1966, 509 (510 f.); BFH, Beschluss vom 04.08.1987 – V B 16/87 – BStBl II 1987, 756 (758), BFH, Urteil vom 13.07.1989 – V R 8/86 – BStBl II 1990, 100 (101); Dörr/Fehling, BLJ 2008, 20 (22); Koenig, in: Pahlke/Koenig, AO, § 42 Rn. 34. 238 Brandt, DStR 2008, Beiheft zu Heft 17, S. 7; Dörr/Fehling, BLJ 2008, 20 (22); Wienbracke, DB 2008, 664 (669). 239 Dies hat Bedeutung insbesondere für die teilweise als erforderlich erachtete Missbrauchsabsicht, dazu Ratschow, in: Klein, AO, § 42 Rn. 75 m.w.N. und sogleich unter B.I.2.c.dd, S. 86. 240 BFH, Urteil vom 13.07.1989 – V R 8/86 – BStBl II 1990, 100 (101); BFH, Urteil vom 06.07.1993 – IX R 112/88 – BStBl II 1998, 429 (431); Brockmeyer, DStR 2007, 1325 (1326); Dörr/Fehling, BLJ 2008, 20 (22); Crezelius, DB 2007, 1428 (1430); Drüen, in: Tipke/Kruse, vor § 42 AO Rn. 28; Geerling/Gorbauch, DStR 2007, 1703 (1705); Koenig, in: Pahlke/Koenig, AO, § 42 Rn. 35. 241 BFH, Urteil vom 28.01.1992 –VIII R 7/88 – BStBl II 1993, 84 (86); Brockmeyer, DStR 2007, 1325 (1326); Dörr/Fehling, BLJ 2008, 20 (22); Geerling/Gorbauch, DStR 2007, 1703 (1705); Koenig, in: Pahlke/Koenig, AO, § 42 Rn. 35. 242 Drüen, Ubg 2008, 31 (37); Mack/Wollweber, DStR 2008, 182 (185). Hey, BB 2009, 1044 (1047), spricht vom „mehrstufigen Nachweisverfahren“. 243 Blesinger, in: Kühn/von Wedelstädt, AO, § 42 Rn. 12; Drüen, in: Tipke/Kruse, vor § 42 AO Rn. 28; von Wedelstädt, DB 2007, 2558 (2559); Wienbracke, DB 2008, 664 (668). 244 BT-Ds.16/7036, S. 24. 245 Blesinger, in: Kühn/von Wedelstädt, AO, § 42 Rn. 37; Brandt, DStR 2008, Beiheft zu Heft 17, S. 7; Drüen, in: Tipke/Kruse, vor § 42 AO Rn. 28.

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Gestaltungen246 sowie die tatsächlichen Vermutungen der Rechtsprechung bei häufig wiederkehrenden oder erfahrungsgemäß regelmäßig missbräuchlichen Gestaltungen247 angewendet werden können. Die in § 42 Abs. 2 S. 2 AO n.F. angeordnete Erforderlichkeit des Nachweises außersteuerlicher Gründe durch den Steuerpflichtigen entspricht demgegenüber dem Grundsatz der Sphärenverantwortlichkeit,248 da die außersteuerlichen Gründe in seiner Sphäre begründet sind249 und grundsätzlich ein dem § 90 Abs. 2 AO vergleichbarer Fall vorliegt.250 Hierin liegt die Berechtigung für die Abweichung von der Amtsermittlungspflicht der Behörde.251 Konsequenterweise gilt die Nachweislast des § 42 Abs. 2 S. 2 AO dann aber auch nur insoweit, als die Behörde die außersteuerlichen Gründe ohne den Steuerpflichtigen nicht nachvollziehen kann, d.h. amtsbekannte Gründe wären zu berücksichtigen.252 Umstritten sind jedoch die beweisrechtlichen Anforderungen an die Entkräftung. Teilweise wird vertreten, dass es sich bei dem dargelegten Nachweisverfahren um die Regelung einer gesetzlichen Missbrauchsvermutung handele,253 dem nach S. 2 der Nachweis außersteuerliche Gründe nur im Wege des Beweis des Gegenteils i.S.v. § 292 ZPO entgegengebracht werden könne.254 Die Neufassung sei daher auch eine Verschärfung gegenüber der bisherigen Rechtslage,255 die ohnehin nicht bestehende Waffengleichheit zwischen Finanzbehörde und Steuerpflichtigem werde noch weiter zu Lasten des Bürgers verschoben.256

246 Drüen, in: Tipke/Kruse, vor § 42 AO Rn. 28; Hey, BB 2009, 1044 (1047); von Wedelstädt, DB 2007, 2558 (2559). Zu den Einschränkungen der Indizwirkung der „Ungewöhnlichkeit“ siehe oben B.I.2.c.aa(2), S. 70. 247 Brockmeyer, DStR 2007, 1325 (1326); Drüen, in: Tipke/Kruse, vor § 42 AO Rn. 28; Heintzen, FR 2009, 599 (604). 248 Dörr/Fehling, NWB F 2, 9671 (9680); Seer, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 22 Rn. 190. 249 BT-Ds.16/6290, S. 81. Blesinger, in: Kühn/von Wedelstädt, AO, § 42 Rn. 37. 250 BR-Ds. 544/07, S. 106. 251 Seer, in: Tipke/Kruse, § 76 FGO Rn. 46. 252 Drüen, in: Tipke/Kruse, vor § 42 AO Rn. 30; Hey, BB 2009, 1044 (1047); insoweit nicht differenzierend Mack/Wollweber, DStR 2008, 182 (185 f.). 253 Borggreve, AOStB 2007, 333 (336 f.); Dörr/Fehling, NWB F 2, 9671 (9680); Mack/Wollweber, DStR 2008, 182 (185). Vgl. auch Leisner-Egensperger, DStZ 2008, 358 (359). 254 Brockmeyer, DStR 2007, 1325 (1325); Mack/Wollweber, DStR 2008, 182 (185 f.). 255 Borggreve, AOStB 2007, 333 (336 f.); Dörr/Fehling, NWB F 2, 9671 (9680); LeisnerEgensperger, DStZ 2008, 358 (359); Mack/Wollweber, DStR 2008, 182 (186). 256 Loritz, ZSteu 2007, 415 (417), zum Kabinettsentwurf vom 08.08.2007, BT-Ds.16/6290, S. 81.

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Richtigerweise handelt es sich bei der beschlossenen Neufassung aber gerade nicht um eine gesetzliche Missbrauchsvermutung,257 so dass hinsichtlich der Voraussetzungen des § 42 Abs. 2 S. 2 AO auf den einfachen Gegenbeweis (Erschütterungsbeweis) abzustellen ist, der Beweis der möglichen Unrichtigkeit genügt also. So geht schon die Gesetzesbegründung davon aus, dass eine bloße Entkräftung des Missbrauchsvorwurfs ausreichend ist.258 Zum anderen entspricht es der Beweisparität, wenn zwar die Finanzbehörde ihrer Nachweispflicht unter Zuhilfenahme tatsächlicher Vermutungen und Indizien nachkommen kann, im Gegenzug dann aber der Steuerpflichtige diese mittels einfachen Gegenbeweises entkräften kann.259 Auf diese Weise lässt sich die Nachweisregelung des § 42 Abs. 2 AO zudem stimmig in das oben dargelegte System von grundsätzlicher Beweislastregel, (reduzierter) Amtsermittlungspflicht und Sphärenverantwortung einordnen. Der Steuerpflichtige trägt in diesem Falle lediglich das Risiko der objektiven Nichterweislichkeit (nonliquet Situation).260 Eine gesetzliche Vermutung hingegen würde eine subjektive Beweislast im Sinne einer Beweisführungslast261 nach sich ziehen, welche dem Steuerrecht grundsätzlich fremd ist.262 Erhöhte Anforderungen wären zudem sowohl vor dem Hintergrund der Gestaltungsfreiheit263 als auch der geltenden Untersuchungsmaxime264 kritisch zu sehen. Infolge dessen ist die Neuregelung kaum von der bisherigen Handhabung zu unterscheiden.265

257 Drüen, in: Tipke/Kruse, vor § 42 AO Rn. 32; Heintzen, FR 2009, 599 (604); Koenig, in: Pahlke/Koenig, AO, § 42 Rn. 34. Im Ergebnis (verfassungs- und systemkonforme Auslegung) auch Mack/Wollweber, DStR 2008, 182 (185 f.). 258 BT-Ds.16/7036, S. 24; Drüen, in: Tipke/Kruse, vor § 42 AO Rn. 32. 259 Brandt, DStR 2008, Beiheft zu Heft 17, S. 7; Drüen, in: Tipke/Kruse, vor § 42 AO Rn. 32. 260 Drüen, in: Tipke/Kruse, vor § 42 AO Rn. 30; Blesinger, in: Kühn/von Wedelstädt, AO, § 42 Rn. 37; Hey, BB 2009, 1044 (1047). 261 Hey, BB 2009, 1044 (1047). Blesinger, in: Kühn/von Wedelstädt, AO, § 42 Rn. 37, spricht von „Beweisvorsorge- oder Beweismittelbeschaffungspflicht“. 262 Blesinger, in: Kühn/von Wedelstädt, AO, § 88 Rn. 7; Heintzen, FR 2009, 599 (604); Mack/Wollweber, DStR 2008, 182 (185); Wünsch, in: Pahlke/Koenig, AO, § 88 Rn. 27. 263 Brockmeyer, DStR 2007, 1325 (1325); Crezelius, BB 2007, 1428 (1429); Mack/Wollweber, DStR 2008, 182 (185 f.); Vgl. auch Seer, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 22 Rn. 191, der auch im Hinblick auf grundrechtlich geschützte Freiheiten von einer sphärenorientierten Beweislastorientierung ausgeht. 264 Blesinger, in: Kühn/von Wedelstädt, AO, § 42 Rn. 37; Mack/Wollweber, DStR 2008, 182 (185); Weber-Grellet, Steuern im modernen Verfassungsstaat, S. 39. 265 Drüen, in: Tipke/Kruse, vor § 42 AO Rn. 36; Geerling/Gorbauch, DStR 2007, 1703 (1705); Hey, BB 2009, 1044 (1047); von Wedelstädt, DB 2007, 2558 (2559); Wienbracke, DB 2008, 664 (669). Siehe aber auch unten B.I.2.d.cc(3)(b)(aa), S. 118, zu Vermutungswirkung und Beweislast im Rahmen der Neufassung; dort auch Fn. 454 zu möglichen Auswirkungen auf den Umfang der freien tatrichterlichen Würdigung.

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dd.

Erforderlichkeit einer Umgehungsabsicht

Im Zusammenhang mit der Rechtfertigung durch außersteuerliche Gründe muss auch die Frage nach der Erforderlichkeit einer Umgehungsabsicht (bzw. Missbrauchsabsicht266) gesehen werden. Die herrschende Lehre erachtete bislang ein solches subjektives Tatbestandsmerkmal als notwendig, da aufgrund der Qualifikation der Steuerumgehung als Unterfall des in fraudem legis agere nur finales Verhalten eine solche darstellen könne und es die Figur des rein objektiven Gestaltungsfehlgebrauchs nicht gebe.267 Auch nach der überwiegenden Rechtsprechung des BFH – insbesondere des I. und des III. Senates – musste die Finanzverwaltung die Umgehungsabsicht des Steuerpflichtigen nachweisen.268 Dagegen kam es nach Ansicht des V. Senates des BFH im Rahmen des § 42 AO a.F. auf ein solches Erfordernis nicht an.269 Ebenso wurde von anderen Stimmen in der Literatur – vornehmlich seitens der Innentheorie – das Abstellen auf subjektive Erwägungen mit dem Argument bestritten, dass es sich bei Umgehungssachverhalten um rein objektive Rechtsanwendung handele.270 Einzig im Rahmen der sog. Gesamtplanfälle wurde die Tatbestandsverwirklichung unter Zuhilfenahme der jeweiligen Gestaltungsmotive bestimmt.271 Die praktische Bedeutung des Streits war allerdings gleich null, da der BFH ganz regelmäßig davon ausging, dass die Umgehungsabsicht durch die Verwirklichung der objektiven Umstände indiziert wurde,272 unab266 Vgl. schon oben A.II, S. 40 und Geerling/Gorbauch, DStR 2007, 1703 (1705), Fn. 20 und 21. 267 Brockmeyer, in: Klein, AO (9. Auflage 2006), § 42 Rn. 22; Hensel, A., in: FS Zitelmann, S. 272; Kruse, in: Tipke/Kruse, § 42 AO Rn. 44; Schwarz, in: Schwarz, AO, § 42 Rn. 122; Tipke, StRO III, S. 1341. 268 BFH, Urteil vom 05.03.1986 – I R 201/82 – BStBl II 1986, 496 (497); BFH, Urteil vom 28.01.1992 –VIII R 7/88 – BStBl II 1993, 84 (86); BFH, Urteil vom 05.02.1992 – I R 127/90 – BStBl II 1992, 532 (536); BFH – Urteil vom 07.07.1998 – VIII R 10/96 – BStBl II 1999, 729 (731); BFH, Urteil vom 18.03.2004 – III R 25/02 – BStBl II 2004, 787 (792). Weitere Nachweise bei Koenig, in: Pahlke/Koenig, AO, § 42 Rn. 24. 269 BFH, Beschluss vom 23.02.1989 – V B 60/88 – BStBl II 1989, 396 (399); BFH, Urteil vom 10.09.1992 – V R 104/91 – BStBl II 1993, 253 (255). 270 Danzer, Steuerumgehung, S. 101; Fischer, in: FS Reiß, S. 634; Fischer, in: H/H/Sp, § 42 AO Rn. 272; Koenig, in: Pahlke/Koenig, AO, § 42 Rn. 25; Pestalozza, Formenmissbrauch, S. 88; Sieker, Umgehungsgeschäfte, S. 41 f.; Weber-Grellet, Steuern im modernen Verfassungsstaat, S. 224. 271 Siehe schon oben B.I.2.c.cc(1), S. 78. Vgl. auch Fleischer, JZ 2003, 865 (872) und Schön, in: FS Wiedemann, S. 1286. 272 BFH, Urteil vom 28.01.1992 –VIII R 7/88 – BStBl II 1993, 84 (86); BFH, Urteil vom 05.02.1992 – I R 127/90 – BStBl II 1992, 532 (536); BFH, Urteil vom 10.09.1992 – V R 104/91 – BStBl II 1993, 253 (255); BFH – Urteil vom 07.07.1998 – VIII R 10/96 – BStBl II 1999, 729 (731); BFH, Urteil vom 18.03.2004 – III R 25/02 – BStBl II 2004, 787 (792); Koenig, in: Pahlke/Koenig, AO, § 42 Rn. 24; Kruse, in: Tipke/Kruse, § 42 AO Rn. 44.

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hängig von der dogmatischen Streitfrage ein praktischer Nachweis also nicht erforderlich war.273 Wohl auch deshalb äußert sich die Neufassung nicht ausdrücklich zu diesem Problemkreis, insbesondere wird trotz der geplanten „Präzisierung“ eine Umgehungsabsicht nicht positiv gefordert.274 Teilweise wird daraus geschlossen, dass die genannten Unklarheiten verbleiben.275 Andererseits jedoch ist in der Missbrauchsdefinition des § 42 Abs. 2 S. 2 AO ausdrücklich eine materiellrechtliche Entlastungsmöglichkeit vorgesehen, die letztlich auf die subjektiven Motive des Steuerpflichtigen abstellt.276 In der Neufassung tritt damit zutage, dass es zur Beurteilung einer Steuerumgehung sehr wohl auch auf ein subjektives Element ankommt. Sofern man § 42 Abs. 2 AO als strukturgebenden Rahmentatbestand einordnet, kann man in Bezug auf das Fehlen wirtschaftlicher oder außersteuerlicher Gründe auch von einem subjektiven Tatbestand sprechen. Hierfür spricht zudem die Abtrennung vom Tatbestandsmerkmal der Unangemessenheit, wie sie in der Aufteilung auf die verschiedenen Sätze des § 42 Abs. 2 AO n.F. erkennbar wird. In diesem Sinne – aber gleichermaßen aber auch hierauf begrenzt – ist der These zuzustimmen, dass § 42 AO grundsätzlich auch eine Umgehungsabsicht erfordert; diese wäre damit definiert als das Fehlen beachtlicher außersteuerlicher, insbesondere wirtschaftlicher Gründe. Insoweit sind die Möglichkeit eines Gegenbeweises zur objektiven Rechtfertigung der Gestaltung und die Exkulpationsmöglichkeit277 zur Widerlegung des vermuteten subjektiven Tatbestands gleichzusetzen. Die Qualifizierung der Rechtfertigungsprüfung als zugleich subjektives Element ist aber insbesondere im Hinblick auf die Beurteilung der Kollision mit Unionsrecht hervorzuheben.278 Nach dem vorab dargelegten Verständnis der Steuerumgehung muss aber betont werden, dass jedenfalls eine darüber hinausgehende Missbrauchsabsicht nicht angezeigt ist,

273 274 275 276

Böing, Gestaltungsmissbrauch, S. 93; Geerling/Gorbauch, DStR 2007, 1703 (1705). Drüen, in: Tipke/Kruse, AO, vor § 42 Rn. 36; Hey, StuW 2008, 167 (170). Dörr/Fehling, BLJ 2008, 20 (22). Drüen, in: Tipke/Kruse, vor § 42 AO Rn. 36; Gabel, Spezielle Missbrauchsnormen, S. 11; Hey, BB 2009, 1044 (1047), dort auch als „subjektiver Motivtest“ bezeichnet. Diese Benennung ist vor dem Hintergrund der unionsrechtlichen Anforderungen zu sehen, hierzu B.II.1.b.cc(6), S. 179. 277 Siehe insbesondere Gabel, Spezielle Missbrauchsnormen, S. 11. Zur Begrifflichkeit vgl. aber auch oben Fn. 202. 278 Zum Erfordernis eines subjektiven Motivtests als Ausfluss der unionsrechtlichen Maßstäbe vgl. unten B.II.1.b.cc(6), S. 179.

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da rechtsmethodisch kein Fall des Missbrauchs einer Rechtsposition (in Form der Gestaltungsfreiheit) gegeben ist.279 Die Regelung zur Verteilung der Nachweislast hat in diesem Zusammenhang zur Folge, dass auch theoretisch die Umgehungsabsicht nicht mehr von der Finanzverwaltung nachgewiesen werden muss.280 Da aber schon bislang die Anwendung des § 42 AO nie281 allein an einer fehlenden Umgehungsabsicht gescheitert ist, scheint sich kein Unterschied zu der vormals praktizierten Indizwirkung der objektiven Umstände zu ergeben. ee.

Das Bestimmtheitsgebot

Wie bereits aufgezeigt wurde, finden sich in der Neufassung des § 42 AO mehrere unbestimmte Rechtsbegriffe – insbesondere unangemessen, gesetzlich nicht vorgesehen, beachtlich –, deren Bedeutung der wertenden Konkretisierung im Einzelfall bedarf. Es verwundert folglich nicht, dass die eigentlich als Präzisierung gedachte Missbrauchsdefinition des § 42 Abs. 2 AO n.F. sich dem Vorwurf mangelnder Bestimmtheit ausgesetzt sieht, zu Beginn des Gesetzgebungsverfahrens stellte dies sogar einen der Hauptkritikpunkte der Literatur dar.282 Als problematisch kann dabei insbesondere die kumulative Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe angesehen werden,283 zudem wird darauf verwiesen, dass bei Anwendung der Norm massive staatliche Sanktionen wie Ordnungswidrigkeit und Strafbarkeit drohen, sollte zusätzlich ein – wenn auch nur leichtes – Verschulden vorliegen.284 Wenn auch das Bestimmtheitsgebot als Unterfall der Grundsätze der Gesetzmäßigkeit der Besteuerung285 und des Rechtsstaatsgebotes286 prinzipiell gleichermaßen im Steuerrecht – als Bereich klassischer Eingriffsverwaltung – 279 Siehe oben B.I.2.a.bb, S. 56. Auch hier würde sich ein Konflikt mit der begrifflichen Einordnung ergeben, wonach die Steuerumgehung und damit auch § 42 AO keine moralische Bewertung im Sinne eines Unrechtselements enthalten, siehe oben A.II, S. 40 und Fn. 16. 280 Borggreve, AOStB 2007, 333 (337); Hey, StuW 2008, 167 (170). 281 So Geerling/Gorbauch, DStR 2007, 1703 (1705). 282 Zum Referentenentwurf Brockmeyer, DStR 2007, 1325 (1328 f.); Crezelius, DB 2007, 1428 (1429); zum Kabinettsentwurf Loritz, ZSteu 2007, 415 (416); BStBK vom 08.08.2007 und DStBV vom 10.08.2007, DB 2007, Heft 33, S. XVII. Demgegenüber ausdrücklich als den Bestimmtheitsanforderungen genügend eingestuft von Lenz/Gerhard, BB 2007, 2429 (2434). Überblick m.w.N. auch bei Mack/Wollweber DStR 2008, 182 (183). 283 Borggreve, AOStB 2007, 333 (337); Loritz, ZSteu 2007, 415 (417). 284 Loritz, ZSteu 2007, 415 (416). 285 Lang, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 4 Rn. 167; Pahlke, in: Pahlke/Koenig, § 3 Rn. 52. 286 Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20 Abschn. VII Rn. 58; insoweit aber auch differenzierend zwischen inhaltlicher Klarheit und Bestimmtheit. Siehe auch Loritz, NJW 1986, 1 (7 f.), ein Mindestmaß an Durchschaubarkeit fordernd.

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Geltung beansprucht, so schließt dies die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe jedoch nicht schlechthin aus. Vom BVerfG werden diese mithin als grundsätzlich zulässig erachtet.287 In ständiger Rechtsprechung wird aber gefordert, dass sie sich durch eine Auslegung der betreffenden Normen nach den Regeln der juristischen Methodenlehre konkretisieren lassen müssen und im Falle verbleibender Ungewissheiten die Vorhersehbarkeit und Justiziabilität des staatlichen Handelns gewährleistet bleiben muss.288 Betroffene Bürger müssen also in zumutbarer Weise die Rechtslage erkennen und ihr Verhalten danach ausrichten können und die Gerichte in der Lage sein, die Anwendung der Rechtsvorschrift durch die Verwaltung anhand rechtlicher Maßstäbe zu kontrollieren.289 Für das Steuerrecht wurde darüber hinaus gar verlangt, dass der betroffene Steuerpflichtige anhand des steuerbegründenden Tatbestandes die auf ihn entfallende Steuerlast vorausberechnen kann.290 Im Lichte der der soeben beschriebenen Vorgaben ist eine Verfassungswidrigkeit der allgemeinen Missbrauchsvorschrift wegen Verstoßes gegen das Bestimmtheitsgebot abzulehnen. Zunächst ist darauf zu verweisen, dass eine ähnliche Diskussion um das erforderliche Maß an Bestimmtheit im Rahmen der polizei- und sicherheitsrechtlichen Generalklauseln bekannt ist, mitunter insbesondere daran die Rechtsprechung die entsprechenden Anforderungen erst entwickelt hat.291 Die Verfassungsmäßigkeit jener Normen, die zu notwendigen Maßnahmen zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung ermächtigen – so beispielsweise Art. 11 Abs. 1 BayPAG –, wird im Hinblick auf ihre Bestimmtheit nahezu ausnahmslos bejaht. Primär wird hierfür angeführt, die Verwendung der entsprechenden unbestimmten Rechtsbegriffe – hier: öffentliche Sicherheit und Ordnung – sei deshalb nicht zu bean287 BVerfG, Beschluss vom 19.01.1967 – 1 BvR 169/63 – BVerfGE 21, 73 (79); BVerfG, Beschluss vom 07.07.1971 – 1 BvR 775/66 – BVerfGE 31, 255 (263); BVerfG, Beschluss vom 08.08.1978 – 2 BvL 8/77 – BVerfGE 49, 89 (133). 288 BVerfG, Urteil vom 22.11.2000 – 1 BvR 2307/94 u.a. – BVerfGE 102, 254 (337); BVerfG, Beschluss vom 03.03.2004 – 1 BvF 3/92 – BVerfGE 110, 33 (53 ff.); BVerfG, Beschluss vom 13.06.2007 – 1 BvR 1550/03 u.a. (Kontenabfrage) – BVerfGE 118, 168 (186 f.). Die systematische Aufbereitung des einfachen Rechts in Auseinandersetzung mit den im Schrifttum vertretenen Auslegungen wird insbesondere durch Zweifel an der Normklarheit nicht obsolet, hierzu vgl. instruktiv BVerfG, Beschluss vom 12.10.2010 – 2 BvL 59/06 (Mindestbesteuerung) – DStR 2010, 2290 (2294) Rn. 69. 289 BVerfG, Beschluss vom 10.10.1961 – 2 BvL 1/59 – BVerfGE 13, 153 (161); BVerfG, Beschluss vom 03.03.2004 – 1 BvF 3/92 – BVerfGE 110, 33 (54 f.); BayVerfGH, Entscheidung vom 12.10.1994 – Vf. 16-VII-92 u.a. (Kampfhundeverordnung) – BayVBl 1995, 76 (77). 290 BVerfG, Urteil vom 14.12.1965 – 1 BvR 571/60 – BVerfGE 19, 253 (267); BVerfG, Beschluss vom 12.10.1978 – 2 BvR 154/74 – BVerfGE 49, 343; BVerfG, Beschluss vom 23.10.1986 – 2 BvL 7/84 u.a. – BVerfGE 73, 388 (400). 291 BVerfG, Beschluss vom 03.03.2004 – 1 BvF 3/92 – BVerfGE 110, 33 (56).

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standen, da Rechtsprechung und Literatur in jahrzehntelanger Entwicklung die Begriffe scharf konturiert hätten, sich diese also juristisch verfestigt hätten und sie voller gerichtlicher Überprüfung unterlägen.292 Vorhersehbarkeit und Justiziabilität des staatlichen – hier: präventivpolizeilichen – Handelns wären insoweit gewahrt. Verallgemeinert bedeutet dies, dass die langjährige Konkretisierung einer Generalklausel durch ihre Anwendung in Praxis und Rechtsprechung bei der Frage der Bestimmtheit mit zu berücksichtigen sei.293 Dieser Gedanke lässt sich prinzipiell auf die Beurteilung der allgemeinen Missbrauchsvorschrift des § 42 AO übertragen, nimmt doch die Neufassung bewusst auf die bisherige, umfangreiche BFH-Rechtsprechung Bezug.294 Zudem ist zu berücksichtigen, dass die Anwendung des § 42 AO a.F. in weitaus stärkerem Maße von der Kasuistik geprägt war,295 die Änderung im Rahmen des JStG 2008 hingegen zumindest punktuell Klärungen und Neuakzentuierungen mit sich bringt.296 Der Blick aufs Polizei- und Sicherheitsrecht eröffnet noch eine weitere Argumentationskette: So wird ein Verstoß gegen den Bestimmtheitsgrundsatz bei den entsprechenden Generalklauseln vielfach mit der Begründung verneint, dass der Gesetzgeber einerseits zum Schutze der dem Begriff der öffentlichen Sicherheit und Ordnung unterfallenden Rechtsgüter verpflichtet sei, es andererseits aber unmöglich wäre, alle diesen Rechtsgütern drohende Gefahren durch spezielle Normierung von Verhaltenspflichten zu erfassen.297 Verallgemeinert dürfte man diese Erkenntnis nun so formulieren können, dass die der Vorschrift zugrunde liegende materielle Interessenlage bei der Ermittlung der hinreichenden Bestimmtheit berücksichtigt werden müsse.298 Dass eine Norm 292 BVerfG, Beschluss vom 23.05.1980 – 2 BvR 854/79 – BVerfGE 54, 143 (144 f.); Heckmann, in: Becker/Heckmann/Kempen/Manssen, Öffentliches Recht in Bayern, 3. Teil, Rn. 74; Schmidbauer, in: Schmidbauer/Steiner, Art. 11 PAG Rn. 110. Kritisch Berner/Köhler/Käß, PAG, Art. 2 Rn. 10 f. mit Hinweis auf die (ständige) Änderung der Lebensverhältnisse. 293 So ausdrücklich Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20 Abschn. VII Rn. 62 mit Verweis auf BVerfG, Beschluss vom 08.08.1978 – 2 BvL 8/77 – BVerfGE 49, 89 (134, 137) und BVerfG, Beschluss vom 12.05.1987 – 2 BvR 1226/83 u.a. – BVerfGE 76, 1 (74). 294 Ausführlich mit Nachweisen siehe oben B.I.2.c.aa(1), S. 69. 295 BT-Ds.16/6290, S. 81. 296 Siehe die zusammenfassende Wertung bei Drüen, in: Tipke/Kruse, vor § 42 AO Rn. 37. 297 Heckmann, in: Becker/Heckmann/Kempen/Manssen, Öffentliches Recht in Bayern, 3. Teil, Rn. 74; Möstl, Die Staatliche Garantie für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, S. 141; Schmidbauer, in: Schmidbauer/Steiner, Art. 11 PAG Rn. 110. Zur Garantie für die öffentliche Sicherheit und Ordnung als Staatsaufgabe mit Verfassungsrang siehe ausführlich Möstl, Die Staatliche Garantie für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, S. 44 ff. 298 In ähnlicher Weise Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20 Abschn. VII Rn. 61: Der Normzusammenhang ist zu berücksichtigen; Schmidbauer, in: Schmidbauer/Steiner,

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eine verfassungsmäßige Aufgabe verfolgt, hat insoweit Bedeutung für die verfassungsrechtliche Rechtfertigung der durch sie hierzu vorgenommenen Freiheitseingriffe.299 Im Rahmen der Betrachtung zu § 42 AO muss also dem Rechnung getragen werden, dass zum einen die Verhinderung von Steuerumgehungen eine gleichheitsgerechte, d.h. am Prinzip der Leistungsfähigkeit orientierten Besteuerung300 gewährleistet und durch ein ausreichendes Steueraufkommen der Sicherung der staatlichen Handlungsfähigkeit dient. Zum anderen ist es schlechthin aber nicht möglich, die Vielfalt der unternehmerischen Handlungsmöglichkeiten voraussagen und alle denkbaren Umgehungsgestaltungen antizipieren zu können, so dass eine flexible Anwendung erforderlich ist.301 Der weit gefasste Tatbestand mit unbestimmten Rechtsbegriffen liegt also in der Natur der Sache302 und ist als Korrelat der umfassenden wirtschaftlichen Handlungsfreiheit anzusehen. Auch die sog. Vorhersehbarkeitsformel des BVerfG303 führt zu keinem anderen Ergebnis. Es wäre äußerst bedenklich, die genannten Anforderungen auf die Missbrauchsvorschrift zu übertragen, wurden doch diese ausdrücklich nur für den steuerbegründenden Tatbestand entwickelt – im Falle der Steuerumgehung gilt dies also für die umgangene Einzelsteuervorschrift. Jedenfalls wäre dann aber die Voraussehbarkeit doch erst recht gegeben, da die unangemessene Steuergestaltung gerade deshalb durch den Steuerpflichtigen bewusst304 gewählt wird, um die absehbare Anwendung (bzw. im Fall der Tatbestandserschleichung: die absehbare Nichtanwendung) der passenden Norm zu vermeiden. Soweit hiermit die Neufassung als hinreichend bestimmt angesehen werden kann, ist davon die Frage zu trennen, ob nicht de lege ferenda eine tatsächliche

299 300 301 302 303 304

Art. 11 PAG Rn. 110: Die an die Norm zu stellenden Anforderungen werden durch das Regulativ der Notwendigkeit kompensiert. Möstl, Die Staatliche Garantie für die öffentliche Sicherheit und Ordnung, S. 70; Stern, in: Stern, Staatsrecht Bd. III/2, S. 828. Ausführlich zur Rechtfertigung der Verhinderung von Steuerumgehungen oben B.I.1.b, S. 47. Wienbracke, DB 2008, 664 (669). Siehe hierzu auch Gabel, Spezielle Missbrauchsnormen, S. 63 f., wonach ein effektiver Gleichheitsschutz nicht ohne eine Generalklausel auskomme. Grotherr, IWB Fach 3 Gruppe 1, 2259 (2268); Dörr/Fehling, BLJ 2008, 20 (22); Drüen, StuW 2008, 154 (161); Drüen, in: Tipke/Kruse, § 42 AO Rn. 17; Koenig, in: Pahlke/Koenig, AO, § 42 Rn. 8; Wienbracke, DB 2008, 664 (669). Siehe oben und Fn. 290. Insoweit als jedenfalls in Form der Möglichkeit des Gegenbeweises des § 42 Abs. 2 S. 2 AO auch ein subjektives Element Berücksichtigung findet, kann es keine unbeabsichtigte Steuerumgehung geben.

91

Maßstäbe zur Bestimmung des Missbrauchscharakters

Präzisierung der Umgehungsvorschrift möglich gewesen wäre.305 Überlegungen in diese Richtung wirken sich aber gerade nicht auf die Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift de lege lata aus. Anderenfalls würde man die Anforderungen an die Normenbestimmtheit als Optimierungsgebot verstehen, ein solches enthält der Bestimmtheitsgrundsatz aber gerade nicht.306 Und selbst wenn man damit in der Neufassung nicht von einer detaillierten Definition des Missbrauchstatbestandes sprechen kann, wie mitunter im Gesetzgebungsverfahren propagiert wurde,307 ist dies aber kein wesentlicher Nachteil, darauf kommt es nach der hier dargestellten Funktion des § 42 AO als strukturgebender Rahmentatbestand und als Mittel der Zurückweisung gar nicht an. Nichtsdestotrotz sind verbleibende Ungewissheiten hinsichtlich Inhalt und Reichweite einzelner unbestimmter Rechtsbegriffe im Rahmen der Auslegung zu berücksichtigen.308 d.

Generalklausel und grenzüberschreitende Gestaltungen

In den bisherigen Ausführungen zu § 42 AO zunächst ausgeklammert wurden die Besonderheiten des allgemeinen Missbrauchsvorbehalts im Zusammenhang mit grenzüberschreitenden Gestaltungen. Eine gesonderte Darstellung ist erforderlich, da einerseits die Verlagerung von Steuersubstrat ins Ausland nicht per se als Steuerumgehung einzuordnen ist, die Anwendung von § 42 AO also auch in diesen Fällen das Vorliegen eines Gestaltungsmissbrauchs im Einzelfall erfordert;309 andererseits stehen in der Praxis zahlreiche grenzüberschreitende Gestaltungen – insbesondere unter Beteiligung von Niedrigsteuer-

305 Vgl. z.B. Drüen, Ubg 2008, 31 (38); Mack/Wollweber, DStR 2008, 182 (186). Zusammenfassend auch Hey, BB 2009, 1044 (1048) m.w.N. unter Fn. 53. Es bietet sich darüber hinaus die Möglichkeit einer dritten Parallele zum Sicherheitsrecht. Soweit dort nämlich eine Tendenz der Rspr. erkennbar ist, typisierbare schwerwiegenden Grundrechtseingriffe nicht dauerhaft auf die Generalklausel stützen zu können, sondern den Gesetzgeber zur Schaffung von speziellen Befugnissen anzuhalten, kann diese Entwicklung für die Problematik der speziellen Missbrauchsvorbehalte im Steuerrecht herangezogen werden. Dazu unten B.I.3, S. 122. 306 Herzog, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 20 Abschn. VII Rn. 61; ähnlich Frankenberg, in: AK-GG, Art. 20 Abs. 1-3 IV, Rn. 36. 307 BT-Ds. 16/6290, S. 81; BR-Ds. 544/07, S. 105. 308 Insoweit konzentrieren sich die Stellungnahmen der Literatur zum Bestimmtheitsproblem in der Endfassung auf Erörterungen im Rahmen der einzelnen Tatbestandsmerkmale, insbesondere zur Angemessenheit, vgl. Leisner-Egensperger, DStZ 2008, 358 (361); Mack/Wollweber DStR 2008, 182 (184). Zur Person des Dritten siehe bereits oben B.I.2.c.bb(3), S. 76 und Fn. 182. Für fundamentale (Bestimmtheits-)Kritik an Existenz und Ausgestaltung der allgemeinen Missbrauchsregel vgl. Borggreve, AOStB 2007, 333 (337). 309 Siehe bereits oben vor A, Fn. 1, sowie Hey, StuW 2008, 167 (171).

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Nationales Steuerrecht

ländern und/oder unter Inanspruchnahme spezieller Befreiungstatbestände des internationalen Steuerrechts – unter dem Verdacht des Missbrauchs. Die zu erörternden Besonderheiten betreffen vorab die Frage nach der grundsätzlichen Anwendbarkeit der Vorschrift in Fällen beschränkter Steuerpflicht; zudem sind die inhaltlichen Maßgaben darzulegen, nach denen Gestaltungen als missbräuchlich anzusehen sind. Auch hier soll zunächst die frühere Rechtslage betrachtet werden, um danach die Änderungen durch das JStG 2008 darzulegen. aa.

Generalklausel und beschränkte Steuerpflicht

Lange Zeit war zweifelhaft, ob und wie § 42 AO auch in den Fällen der beschränkten Steuerpflicht Anwendung finden kann. Ausgangspunkt dieser Ungewissheit war das Monaco-Urteil310 des BFH, dem eine klassische Treaty Shopping Konstruktion zugrunde lag: Dort beteiligte sich ein in Monaco ansässiger Anteilseigner über eine Schweizer Aktiengesellschaft an einer inländischen AG; Streitfrage war der Anspruch der schweizerischen Zwischengesellschaft auf (anteilige) Erstattung der von der inländischen AG auf die zugeflossenen Dividenden gezahlte KapESt. Im Ergebnis lehnte es der BFH ab, die Schweizer Aktiengesellschaft als rechtsmissbräuchlich zwischengeschaltet anzusehen, da sich die Gründung einer Kapitalgesellschaft im Ausland durch eine in einem dritten Land ansässige Person mangels Beziehung zum Inland grundsätzlich einer solchen Beurteilung entziehe, und daher die Zwischengesellschaft vielmehr als wirksam gegründet hinzunehmen sei.311 Im Niederländische Brüder-Urteils312 wurde sodann hervorgehoben, dass zwar allein die Gründung der Zwischengesellschaft keinen ausreichenden Inlandsbezug für die Anwendung der deutschen Missbrauchsvorschrift begründe, dieser aber durch andere Umstände hergestellt werden könne.313 Ein solcher sei auch durch das spätere, der beschränkten Steuerpflicht unterliegende Tätigwerden der Zwischengesellschaft im Inland gegeben, weshalb im Monaco-Fall die

310 311 312 313

BFH, Urteil vom 29.10.1981 – I R 89/80 – BStBl II 1982, 150. BFH, Urteil vom 29.10.1981 – I R 89/80 – BStBl II 1982, 150 (153 f.). BFH, Urteil vom 10.11.1983 – IV R 62/82 – BStBl II 1984, 605. BFH, Urteil vom 10.11.1983 – IV R 62/82 – BStBl II 1984, 605 (606); der erforderliche Inlandsbezug wurde in diesem Fall – unabhängig von der streitbehafteten Schweizer Zwischengesellschaft – schon dadurch festgestellt, dass die in den Niederlanden ansässigen Gesellschafter daneben auch noch direkt an der inländischen operativen Gesellschaft (OHG) beteiligt waren. Ziel der Gestaltung war die Qualifizierung einer stillen Beteiligung seitens der OHG als abziehbare Betriebsausgaben an die AG, anstelle von Sondervergütungen i.S.v. § 15 Abs. 1 Nr. 2 EStG bei direkter Beteiligung, was gemäß § 40 Abs. 1 Nr. 2 EStG zu einer beschränkten Steuerpflicht in Deutschland geführt hätte.

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Maßstäbe zur Bestimmung des Missbrauchscharakters

Voraussetzungen einer Steuerumgehung nach § 42 AO dem Grunde nach letztlich doch überprüft wurden.314 Die Aussage, § 42 AO sei bei beschränkter Steuerpflicht nicht anzuwenden,315 kann sich daher genaugenommen nicht auf diese Entscheidung stützen.316 Die besondere Bedeutung der angesprochenen Differenzierung zwischen Gründung und späterem Inlandsbezug findet sich sodann aber in den maßstäblichen Kriterien des Missbrauchs: Der BFH sah sich im Monaco-Fall außerstande, die Zwischengesellschaft nach den Grundsätzen der funktionslosen Basisgesellschaft zu beurteilen und überprüfte den Sachverhalt lediglich allgemein auf seine Unangemessenheit,317 die im konkreten Fall verneint wurde. Erst aus dieser Tatsache ergab sich die eigentliche Konsequenz des Monaco-Urteils, dass einer Steuerumgehung durch Ausländer nur begrenzt effektiv mittels § 42 AO begegnet werden könne.318 Als Reaktion hierauf ist die Einführung der Anti-Treaty-Shopping Vorschrift des § 50d Abs. 1a EStG a.F. mit Wirkung zum 01.01.1994 zu sehen.319 Diese Zurückhaltung bei der Anwendung von § 42 AO wurde indes im Verfahren Stiftung I320 aufgegeben. Zur Entscheidung stand eine Gestaltung, bei der eine niederländische Stiftung eine ebenfalls dort ansässige funktionslose Kapitalgesellschaft (Besloten Vennootschap – B.V.) einschaltete, um in Deutschland Vermietungsgeschäfte zu betreiben. Über Zinsausgaben für ein Gesell314 BFH, Urteil vom 29.10.1981 – I R 89/80 – BStBl II 1982, 150 (153). 315 So ausdrücklich Becker, in: DStJG Bd. 8, S. 191; Eicke, Repatriierungsstrategien, S. 295; Strobl-Haarmann, in: FS Raupach, S. 616. 316 Ebenso deutlich Füger, in: Handbuch der internationalen Steuerplanung, S. 790; Hundt, in: FS Debatin, S. 162; Piltz, BB 1987, Beilage zu Heft 14, S. 6. 317 Füger, in: Handbuch der internationalen Steuerplanung, S. 790 f.; Hundt, in: FS Debatin, S. 162. Zu den inhaltlichen Unterschieden siehe sogleich S. 95. 318 Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, S. 1075; Vogel, in: Haarmann, Grenzen der Gestaltung, S. 83. Ausführlich m.w.N. Piltz, BB 1987, Beilage zu Heft 14, S. 6. 319 BT-Ds. 12/5630, S. 65; Eicke, Repatriierungsstrategien, S. 296; Klein/Hagena, in: H/H/R, § 50d EStG Rn. 51; Strobl-Haarmann, in: FS Raupach, S. 616. 320 BFH, Urteil vom 27.08.1997 – I R 8/97 – DStR 1998, 116. Teilweise wird in der Literatur abweichend hiervon die Entscheidung des BFH, Urteil vom 21.12.1994 – I R 65/94 – NJW 1995, 2375, als „Stiftung I“ bezeichnet. Hierbei handelt es sich aber um eine im Verfahrensgang vorgelagerte Entscheidung zum identischen Sachverhalt. In I R 65/94 wurde lediglich an das FG Hessen zurückverwiesen, damit dieses die Anwendung von § 42 AO überprüfen könne. Gegen dessen Urteil vom 20.06.1996 –7 K 1835/95 – EFG 1997, 538, wendete sich das Revisionsverfahren I R 8/97. Das üblicherweise als Stiftung II bezeichnete Urteil vom 17.11.2004 – I R 55/03 – BFH/NV 2005, 1016, betrifft demgegenüber zwar die gleiche Firmengruppe, aber spätere Streitjahre; die Zwischenschaltung der Kapitalgesellschaften wurde aufgrund einiger tatsächlicher Unterschiede dort als selbständige Projektgesellschaft aufgefasst und § 42 AO verneint.

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schafterdarlehen hätte die beschränkt steuerpflichtige B.V. eine inländische Ertragsbesteuerung der Vermietungstätigkeit vermieden und stattdessen die Stiftung in den Niederlanden steuerfreie Zinseinkünfte erzielt. Der BFH stellte fest, dass § 42 AO nicht danach unterscheide, ob ein Steuerinländer oder ein Steuerausländer eine ausländische Basisgesellschaft missbräuchlich einsetze.321 Da es sich jedoch nicht um einen Fall des Treaty Shopping handelte, wurde die Monaco-Entscheidung noch nicht ausdrücklich aufgegeben.322 Dies erfolgte kurz darauf im Fall Sportler-Vermarktung, dessen streitgegenständliche Gestaltung als Treaty Shopping zu qualifizieren war:323 Der BFH erklärte § 42 AO explizit auch bei beschränkter Steuerpflicht für anwendbar; wo eine Steuerpflicht bestehe, sei schließlich auch Raum für eine (missbräuchliche) Steuervermeidung.324 Zum Verhältnis zur Monaco-Entscheidung heißt es, soweit ihr Entgegenstehendes entnommen werden könnte, halte der Senat hieran nicht mehr fest.325 Durch diese Formulierung wurde zum Ausdruck gebracht, dass der wesentliche Unterschied der Urteile gerade nicht die Anwendung des § 42 AO dem Grunde nach sei, sondern vielmehr der anzulegende Maßstab.326 Es sei ebenso wie nach den im Inland aufgestellten Grundsätzen zu beurteilen, ob ein Rechtsmissbrauch vorliege.327 Bestätigt wurde diese Sichtweise später im Urteil Hilversum I, in dem die Rechtsprechung zur Beurteilung eines Treaty Shopping ohne weiteres die Grundsätze der funktionslosen Basisgesellschaften als maßgeblich zugrunde legte.328 Es ist darauf hinzuweisen, dass eine andere Fragestellung oftmals im Zusammenhang mit soeben beschriebenem Verhältnis der Generalklausel zur be321 BFH, Urteil vom 27.08.1997 – I R 8/97 – DStR 1998, 116 (117). 322 Strobl-Haarmann, in: FS Raupach, S. 617. Der Senat stellte aber zumindest fest, dass er frei wäre, diese aufzugeben, BFH, Urteil vom 27.08.1997 – I R 8/97 – DStR 1998, 116 (117). 323 Vereinfacht stellte sich der Fall so dar, dass die Klägerin, eine niederländische Kapitalgesellschaft, Verträge zur Sportvermarktung mit inländischen Veranstaltern schloss, die nach DBA nicht der inländischen Besteuerung unterlagen; die so erzielten Einkünfte wurden sodann an Anteilseigner in nicht DBA-Ländern weitergeleitet. Kompliziert wurde der Sachverhalt durch eine nur mittelbare Eigentümerstellung und durch die zusätzliche Weiterleitung der Teilnahmeentgelte an die vermarkteten Sportler. Ausführlich siehe dazu Füger, in: Handbuch der internationalen Steuerplanung, S. 794 und Fn. 34; Paschen, Steuerumgehung, S. 160 Fn. 643; sowie den Verfahrensabschluss durch FG Köln, Urteil vom 09.07.2003 – 2 K 535/98 – EFG 2003, 1705. 324 BFH, Urteil vom 29.10.1997 – I R 35/96 – BStBl II 1998, 235 (237). 325 BFH, Urteil vom 29.10.1997 – I R 35/96 – BStBl II 1998, 235 (237). 326 Siehe bereits zuvor bei Fn. 318, sowie Füger, in: Handbuch der internationalen Steuerplanung, S. 794 Fn. 36. 327 Strobl-Haarmann, in: FS Raupach, S. 618. 328 BFH, Urteil vom 20.03.2002 – I R 38/00 – BStBl II 2002, 819 (821 f.).

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Maßstäbe zur Bestimmung des Missbrauchscharakters

schränkten Steuerpflicht aufgeworfen wird, namentlich die der Anwendbarkeit des § 42 AO auf DBA-Sachverhalte.329 Die Diskussion stellt sich – insbesondere soweit es auf Existenz und/oder Vorrang allgemeiner oder spezieller Missbrauchsvorbehalte ankommt – letztlich als Kollisionsproblem dar und wird daher später ausführlich untersucht.330 bb.

Inhaltliche Maßgaben

(1)

Systematische Entwicklung und Investitionsrichtung

Die soeben beschriebene Rechtsprechungshistorie verdeutlicht, dass bei grenzüberschreitenden Gestaltungen teilweise veränderte Maßgaben dahingehend bestehen, welche Gestaltungen als Steuerumgehung anzusehen sind. Wie schon das allgemeine Missbrauchsverständnis sind diese in besonderem Maße durch die Entwicklung der BFH-Rechtsprechung geprägt. Den Fallgestaltungen, die für diese Untersuchung relevant sind, ist das Zwischenschalten einer im Ausland ansässigen, jedoch weitgehend funktionslosen Kapitalgesellschaft gemeinsam; dadurch wird eine Veränderung der subjektiven Einkünftezuordnung i.S.v. § 2 EStG erreicht.331 Da es hierfür gerade auf die Wirksamkeit der Zwischengesellschaft ankommt, liegt ganz regelmäßig auch kein Scheingeschäft i.S.v. § 41 Abs. 2 AO vor, und es ist alleine eine Steuerumgehung gemäß § 42 AO zu prüfen.332 Bei Bejahung der Vorschrift erfolgt die steuerliche Zurechnung der Einkünfte unmittelbar beim Anteilseigner (Durchgriff).333 Insbesondere anhand der Differenzierung, ob die Zwischenschaltung durch einen Steuerinländer oder Steuerausländer erfolgte – und damit in Abhängigkeit

329 Vgl. BFH, Urteil vom 29.10.1997 – I R 35/96 – BStBl II 1998, 235 (237); Henkel, in: Mössner, Steuerrecht international tätiger Unternehmen, Rn. E 407 ff; Piltz, BB 1987, Beilage zu Heft 14, S. 7 ff.; Paschen, Steuerumgehung, S. 124 ff.; Prokisch, in: Vogel/Lehner, DBA, Art. 1 Rn. 103 ff.; Vogel, in: Haarmann, Grenzen der Gestaltung, S. 90 ff. Siehe aber auch Fischer, in: H/H/Sp, § 42 AO Rn. 571: Jeder Rechtskreis müsse die Umgehung seiner Normen selbst bewältigen. 330 Siehe im 2. Teil, A.II.3.b, S. 342. Gleiches gilt für die Anwendung von § 42 AO im harmonisierten Steuerrecht, vgl. hierzu auch BFH, Urteil vom 09.07.1998 – V R 68/96 – BStBl II 1998, 637 (640); Drüen, in: Tipke/Kruse, § 42 AO Rn. 19. 331 Füger, in: Handbuch der internationalen Steuerplanung, S. 797; Gosch, in: Harzburger Steuerprotokoll 1999, S. 236. Siehe auch schon oben B.I.2.a.dd, S. 57. 332 BFH, Urteil vom 29.07.1976 – VIII R 142/73 – BStBl II 1977, 263 (264); BFH, Urteil vom 21.10.1988 – III R 194/84 – BStBl II 1989, 216 (218); Henkel, in: Mössner, Steuerrecht international tätiger Unternehmen, Rn. E 385; Luttermann, IStR 1993, 153 (156). Kritisch Fischer, in: H/H/Sp, § 41 AO Rn. 220; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, S. 1061. 333 Fischer, in: FS Raupach, S. 355 f.; Henkel, in: Mössner, Steuerrecht international tätiger Unternehmen, Rn. E 403; Kinzl, IStR 2007, 561 (563); Reith, Internationales Steuerrecht, Rn. 9.91. Ausführlich Roth, Rechtsfolgenseite des § 42 AO, S. 55 ff.

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von der Investitionsrichtung (Outbound/Inbound)334 – gehen in der Sache mitunter weitere Unterschiede einher. (a)

Outbound-Gestaltungen (Basisgesellschaften)

Zunächst ist der Fall der Errichtung einer Tochtergesellschaft im niedriger besteuernden Ausland durch einen unbeschränkt Steuerpflichtigen (Steuerinländer) zu betrachten. Zweck dieser Gestaltung ist die Verlagerung von Gewinnen bzw. der gewinnbringenden Aktivitäten auf die Tochter – also Outbound –, um unter Ausnutzung der Abschirmwirkung der Kapitalgesellschaft (intransparente Besteuerung) die Erträge gerade im Ausland und nicht beim Anteilseigner im Inland versteuern zu müssen. Dies stellt eine Basisgesellschaft im engeren Sinne dar.335 In diesen Fällen hat der BFH in ständiger Rechtsprechung einen Missbrauch angenommen, wenn für die Zwischenschaltung der Basisgesellschaft wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe fehlen und sie keine eigene wirtschaftliche Tätigkeit entfaltet.336 Auf die allgemeine Missbrauchsformel von der unangemessenen Gestaltung wurde nur abgestellt, wenn es an einer gesellschaftsrechtlichen Verflechtung fehlte.337 Eine zusätzliche Modifizierung entstand in der Folgezeit dadurch, dass nach BFH alleine das Erzielen sog. passiver Einkünfte nicht für einen Missbrauchsvorwurf ausreichen sollte, sondern weitere Umstände hinzutreten müssten,338 334 Siehe schon oben Einleitung C.II, S. 22. 335 BFH, Urteil vom 29.10.1981 – I R 89/80 (Monaco) – BStBl II 1982, 150 (153); Brosig, Basisgesellschaften, S. 5 f.; Drüen, in: Tipke/Kruse, § 42 AO Rn. 98; Henkel, in: Mössner, Steuerrecht international tätiger Unternehmen, Rn. E 378 f. und Schwarz, in: Schwarz, AO, § 42 Rn. 122. 336 BFH, Urteil vom 29.01.1975 – I R 135/70 – BStBl II 1975, 553 (554 f.); BFH, Urteil vom 29.07.1976 – VIII R 142/73 – BStBl II 1977, 263 (264); BFH, Urteil vom 29.10.1981 – I R 89/80 (Monaco) – BStBl II 1982, 150 (153); BFH, Urteil vom 05.03.1986 – I R 201/82 – BStBl II 1986, 496 (497); BFH, Urteil vom 28.01.1992 – VIII R 7/88 – BStBl II 1993, 84 (86); BFH, Urteil vom 20.03.2002 – I R 38/00 (Hilversum I) – BStBl II 2002, 819 (822). Weitere Nachweise bei Reith, Internationales Steuerrecht, Rn. 9.82 Fn. 135. 337 BFH, Urteil vom 09.05.1979 – I R 126/77 – BStBl II 1979, 586 (586 f.); BFH, Urteil vom 21.10.1988 – III R 194/84 – BStBl II 1989, 216 (217); Henkel, in: Mössner, Steuerrecht international tätiger Unternehmen, Rn. E 397; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, S. 440. Zur „allgemeinen Formel“ siehe oben B.I.2.b.bb(2), S. 61. 338 BFH, Urteil vom 23.10.1991 – I R 40/89 – BStBl II 1992, 1026 (1028); BFH, Urteil vom 19.01.2000 – I R 94/97 (Dublin Docks I) – BStBl II 2001, 222 (223); BFH, Urteil vom 20.03.2002 – I R 63/99 (Delaware) – BStBl II 2003, 50 (53); BFH, Urteil vom 25.02.2004 – I R 42/02 (Dublin Docks II) – BStBl II 2005, 14 (16 f.). Anmerkung zur Benennung: Teilweise wird das Urteil des BFH vom 19.01.2000 – I R 117/97 – IStR 2000, 182, als Dublin Docks II bezeichnet. Sachverhalt und Urteilsbegründung sind im Wesentlichen identisch, so dass die nicht regulär veröffentlichte

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Maßstäbe zur Bestimmung des Missbrauchscharakters

es sich insbesondere um eine in wirtschaftlicher Hinsicht inhaltsleere und bedeutungslose Briefkastengesellschaft handele.339 Diese Korrekturen am Missbrauchsbegriff sind zum einen der Frage der Kollision mit den Vorschriften über die Hinzurechnung, §§ 7 ff. AStG,340 geschuldet und zum anderen im Zusammenhang mit dem Element der eigenwirtschaftlichen Tätigkeit zu sehen und werden dementsprechend an späterer Stelle noch genauer untersucht. Im Zusammenhang mit einer Outbound-Gestaltung stellt sich zudem noch die Frage, ob es überhaupt der Anwendung des § 42 AO bedarf. Wenn nämlich die Basisgesellschaft bereits unbeschränkt steuerpflichtig i.S.v. § 1 KStG ist, insbesondere weil sich der Ort der Geschäftsleitung im Inland befindet, so bleibt für die Anwendung von § 42 AO ganz regelmäßig kein Raum.341 Aber auch in prozessualer Hinsicht ist die Basisgesellschaftenrechtsprechung bemerkenswert: Während zunächst jegliche Vermutung für einen Rechtsmissbrauch, die der Steuerpflichtige zu widerlegen hätte, verneint wurde,342 wurde anschließend klargestellt, dass die Zwischenschaltung einer Basisgesellschaft im niedrig besteuernden Ausland unter genannten Voraussetzungen nach den

339

340 341

342

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Entscheidung I R 117/97 regelmäßig vernachlässigt werden kann. Das Urteil im Verfahren I R 42/02 ist in der Sache als Weiterentwicklung der Rechtsprechung zu sehen, eine besondere Kennzeichnung als Dublin Docks II daher gerechtfertigt. Die jüngste Entscheidung in diesem Zusammenhang, BFH, Urteil vom 13.10.2010 – I R 61/09 – DStR 2010, 2565, könnte man insoweit als Dublin Docks III fortführen. BFH, Urteil vom 10.06.1992 – I R 105/89 – BStBl II 1992, 1029 (1031); BFH, Urteil vom 19.01.2000 – I R 94/97 (Dublin Docks I) – BStBl II 2001, 222 (223 f.); BFH, Urteil vom 19.01.2000 – I R 117/97 – IStR 2000, 182 (183); BFH, Urteil vom 20.03.2002 – I R 63/99 (Delaware) – BStBl II 2003, 50 (53). Anwendbar für Veranlagungszeiträume ab 1972. Bächle/Rupp/Ott/Knies, Internationales Steuerrecht, S. 714; Brockmeyer, in: Klein, AO (9. Auflage 2006), § 42 Rn. 39; Füger, in: Handbuch der internationalen Steuerplanung, S. 796; Hundt, in: FS Debatin, S. 168; Hölzemann, IStR 2006, 830 (832); Luttermann, IStR 1993, 153 (156). Diese auf den ersten Blick klare Feststellung wird dadurch erschwert, dass v.a. bei Holdinggesellschaften nicht immer eindeutig ist, welcher Maßstab für die Beurteilung des Ortes der Geschäftsleitung i.S.v. § 10 AO anzulegen ist. Insbesondere kann auch für dieses Tatbestandsmerkmal die Zurechnung verschiedener Ebenen zwischen Anteilseigner und Basisgesellschaft unklar sein, z.T. ergibt sich ein Zirkelschluss; hierzu vgl. Bächle/Rupp/Ott/Knies, Internationales Steuerrecht, S. 714; Hundt, in: FS Debatin, S. 165 ff. Zudem kann trotz unbeschränkter Steuerpflicht die Abschirmwirkung der Basisgesellschaft eine noch höhere Steuer vermeiden, so dass § 42 zumindest ergänzend zu prüfen ist, vgl. BFH, Urteil vom 01.12.1982 – I R 43/79 – BStBl II 1985, 2 (3); Brosig, Basisgesellschaften, S. 63. Ausführlich zum gesamten Problemkreis, mit Hinweisen zum Inbound-Fall von Busekist, GmbHR 2006, 132 (134 ff.). BFH, Urteil vom 29.01.1975 – I R 135/70 – BStBl II 1975, 553 554 f.); BFH, Urteil vom 21.01.1976 – I R 234/73 – BStBl II 1976, 513 (514 f.).

Nationales Steuerrecht

Grundsätzen der freien Beweiswürdigung regelmäßig den Rückschluss auf eine bestehende Steuerumgehungsabsicht erlaubt.343 Später dann hatte sich die Rechtsprechung mit dem Verhältnis der beiden Merkmale Fehlen wirtschaftlicher bzw. sonst beachtlicher Gründe einerseits und keine eigenwirtschaftliche Tätigkeit andererseits auseinanderzusetzen. In Abwandlung zu früheren Formulierungen konstatierte der BFH, dass schon allein ersteres als tatsächlicher Erfahrungssatz den vollen Beweis für das Vorliegen eines Missbrauches erbringe. Das zweite Merkmal der eigenwirtschaftlichen Tätigkeit sei demgegenüber nicht erforderlicher Bestandteil der Vermutungsbasis, vielmehr ermögliche dies dem Steuerpflichtigen mittels eines Indizienbeweises, die Vermutung zu entkräften.344 Auch wenn es sich insoweit um ein gewichtiges Indiz handele, so schließe das Vorliegen einer eigenwirtschaftlichen Tätigkeit die Annahme eines Gestaltungsmissbrauches aber nicht per se aus.345 Aufgrund der erhöhten Mitwirkungspflicht in Auslandssachverhalten ist dies im Ergebnis auch nicht zu beanstanden.346 Indes sind insbesondere in früheren Urteilen und auch in der Literatur die entscheidungsleitenden Erwägungen vielfach nicht entsprechend differenziert. Dies ist nicht nur der geschilderten Veränderung, sondern zugleich der Tatsache geschuldet, dass mitunter für die Missbrauchsfrage eine Würdigung der Gesamtumstände als maßgeblich erachtet wird.347 (b)

Inbound-Gestaltungen

Auch für Inbound-Gestaltungen wie das Treaty Shopping, bei denen die Zwischengesellschaft regelmäßig der beschränkten Steuerpflicht im Inland unterliegt, wurde bisweilen auf die Rechtsprechung zu den Basisgesellschaften re343 BFH, Urteil vom 10.11.1983 – IV R 62/82 (Niederländische Brüder) – BStBl 1984, 605 (607); BFH, Urteil vom 05.03.1986 – I R 201/82 – BStBl II 1986, 496 (497 f.). Ausführlich hierzu Hundt, in: FS Debatin, S. 156. 344 BFH, Urteil vom 28.01.1992 – VIII R 7/88 – BStBl II 1993, 84 (86); BFH, Urteil vom 29.10.1997 – I R 35/96 – BStBl II 1998, 235 (238); Brockmeyer, in: Klein, AO (9. Auflage 2006), § 42 Rn. 38; Hundt, in: FS Debatin, S. 157; Vogel, in: Haarmann, Grenzen der Gestaltung, S. 82. Die gewandelte Bedeutung der eigenwirtschaftlichen Tätigkeit trifft nicht zufällig mit der Einführung der Hinzurechnungsbesteuerung gemäß §§ 7 ff. AStG und der daraus resultierenden Konkurrenzfrage zusammen, vgl. Paschen, Steuerumgehung, S. 161, und sogleich. 345 BFH, Urteil vom 28.01.1992 –VIII R 7/88 – BStBl II 1993, 84 (86); BFH, Urteil vom 29.10.1997 – I R 35/96 – BStBl II 1998, 235 (238); Klein, in: H/H/R, § 50d EStG Rn. 80; Paschen, Steuerumgehung, S. 163. 346 Siehe schon oben B.I.2.c.cc(2), S. 81, und Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, S. 440. 347 Drüen, in: Tipke/Kruse, § 42 AO Rn. 99; Kinzl, IStR 2007, 561 (563); Reith, Internationales Steuerrecht, Rn. 9.83.

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Maßstäbe zur Bestimmung des Missbrauchscharakters

kurriert.348 Tatsächlich wird der Begriff der Basisgesellschaft vielfach auch in Inbound-Fällen und damit synonym anstelle des hier gewählten Oberbegriffs der (funktionslosen) Zwischengesellschaft verwendet.349 Gestaltungsziel der Inbound-Gestaltung ist aber nicht die Abschirmwirkung gegenüber inländischen, unbeschränkt steuerpflichtigen Gesellschaftern zur Gewinnallokation in Niedrigsteuerländern, sondern die formale Zurechnung der der beschränkten Steuerpflicht unterliegenden Einkunftsquelle zu einem anderen beschränkt Steuerpflichtigen zur Erzielung von Quellensteuervorteilen bei der Gewinnrepatriierung; das Treaty Shopping als bloße Umleitung von Einkünften hat insofern wenig mit einer Abschirmung von Einkünften gemeinsam.350 Genau dieser Unterschied war Ausgangspunkt des bereits ausführlich dargestellten Monaco-Urteils und der daran anschließenden Diskussion.351 Insoweit bedarf es aufgrund der unterschiedlichen Situation von Outbound- und InboundGestaltungen einer Ergänzung zum oben dargelegten Maßstab. In der Rechtsprechung war bei Inbound-Gestaltungen deshalb auch weniger die gesellschaftsrechtliche Verflechtung zwischen Inländer und Basisgesellschaft (personeller Bezug), sondern vielmehr ein sachlicher Bezug des beschränkt Steuerpflichtigen zum Inland von Bedeutung. Später stellte der BFH explizit fest, dass der Maßstab der Basisgesellschaften bei der Durchleitung im Inland erzielter Einnahmen durch eine ausländische Kapitalgesellschaft zur Vermeidung inländischer Steuer auch dann Geltung beansprucht, wenn es sich bei dem Sitzstaat der ausländischen Kapitalgesellschaft nicht um ein Niedrigsteuerland handelt.352 Wie in der herkömmlichen Basisgesellschaftenrechtsprechung im Outbound-Fall wurde das zweite Merkmal der eigenwirtschaftlichen Tätigkeit als gewichtiges Indiz – aber eben nur als solches, nicht als zwingende Voraussetzung – für das Vorliegen eines wirtschaftlichen Grundes und damit gegen die Annahme eines Gestaltungsmissbrauchs betont; indes wurde 348 Unter der Prämisse, dass überhaupt ein Bezug zum Inland festgestellt werden konnte; hierzu grundlegend BFH, Urteil vom 10.11.1983 – IV R 62/82 (Niederländische Brüder) – BStBl 1984, 605 (606); BFH, Urteil vom 20.03.2002 – I R 38/00 (Hilversum I) – BStBl II 2002, 819 (822). 349 Brähler, Internationales Steuerrecht, S. 360 Fn. 540; Keller, Unternehmensführung, S. 101 f.; Rengers, in: Blümich, ESt – KSt – GewSt, § 1 KStG Rn. 150. Auch die Rechtsprechung verwendet in Treaty Shopping Fällen (leider) diesen Begriff: BFH, Urteil vom 20.03.2002 – I R 38/00 (Hilversum I) – BStBl II 2002, 819 (821); BFH, Urteil vom 29.01.2008 – I R 26/06 (SOPARFI) – IStR 2008, 364 (364 f.). 350 Siehe hierzu bereits in der Einleitung, A.I, S. 7. 351 BFH, Urteil vom 29.10.1981 – I R 89/80 – BStBl II 1982, 150; siehe oben B.I.2.d.aa, S. 93. 352 BFH, Urteil vom 29.10.1997 – I R 35/96 (Sportler-Vermarktung) – BStBl II 1998, 235 (238); BFH, Urteil vom 20.03.2002 – I R 38/00 (Hilversum I) – BStBl II 2002, 819 (822); BFH, Beschluss vom 23.10.2002 – I R 39/01 – BFH/NV 2003, 289 (290).

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Nationales Steuerrecht

gleichermaßen – quasi mit umgekehrter Stoßrichtung – das Fehlen einer solchen Tätigkeit als Indiz gegen wirtschaftliche Gründe für die Zwischenschaltung einer Kapitalgesellschaft und damit für das Vorliegen eines Gestaltungsmissbrauchs angesehen.353 Die parallel entstehende Diskussion um ein Mindestmaß an substanzieller Ausstattung zur Annahme einer eigenwirtschaftlichen Tätigkeit führte hierbei zu einer Neuakzentuierung; wenn auch die grundsätzlichen Maßstäbe des Missbrauchs unverändert blieben, so rückte die Substanzfrage doch in den Fokus.354 Mit der Schaffung von § 50d Abs. 1a EStG zum 01.01.1994 verlagerte sich die Problematik in späteren Inbound-Fällen zwar hin zu dieser Vorschrift. Nicht nur aufgrund der gesetzgeberischen Vorgeschichte als vermeintlich notwendige Reaktion auf die Monaco-Entscheidung,355 sondern auch durch den tatbestandlichen Bezug auf die Formel der Basisgesellschaftenrechtsprechung356 blieb das Verständnis der wirtschaftlichen oder sonst beachtlichen Gründe und der eigenwirtschaftlichen Tätigkeit hierfür jedoch weiterhin relevant. In der Entscheidung Hilversum I, welche mit dem Streitjahr 1994 einen Veranlagungszeitraum nach Inkrafttreten des § 50d Abs. 1a EStG a.F. betraf, wurde überdies § 42 AO noch parallel angewendet.357 Soweit der BFH in einer späteren Entscheidung358 anders als im Outbound-Fall darüber hinaus noch auf ein anderes Verhältnis der beiden Merkmale abstellt, ist dies auf den Wortlaut des dort einschlägigen § 50d Abs. 3 EStG zurückzuführen. (2)

Wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe

Wie beschrieben zeitigt das Fehlen wirtschaftlicher oder sonst beachtlicher Gründe für das Einschalten der Zwischengesellschaft Wirkung als Vermutungsbasis für das Vorliegen des Gestaltungsmissbrauches, und zwar sowohl in objektiver als auch in subjektiver Hinsicht. Zuvorderst ist hierbei festzuhalten, dass für die Beurteilung der vorgebrachten Gründe auf die tatsächlichen Ver353 BFH, Urteil vom 29.10.1997 – I R 35/96 (Sportler-Vermarktung) – BStBl II 1998, 235 (238). 354 Vgl. vor allem BFH, Urteil vom 20.03.2002 – I R 38/00 (Hilversum I) – BStBl II 2002, 819 (822). Dazu ausführlich sogleich unter B.I.2.d.bb(3)(b), S. 105. 355 Siehe schon oben S. 94 und Fn. 319. 356 Die ursprüngliche Fassung des § 50d Abs. 1a EStG lautete: „Eine ausländische Gesellschaft hat keinen Anspruch auf Steuerentlastung (…), soweit Personen an ihr beteiligt sind, denen die Steuerentlastung nicht zustände, wenn sie die Einkünfte unmittelbar erzielen, und für die Einschaltung der ausländischen Gesellschaft wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe fehlen und sie keine eigene Wirtschaftstätigkeit entfaltet.“ 357 Der BFH konnte das strittige Konkurrenzverhältnis offen lassen, da er nach beiden Vorschritten zum gleichen Ergebnis kam. 358 BFH, Urteil vom 31.05.2005 – I R 74/04 u.a. (Hilversum II) – BStBl II 2006, 118 (119 f.); siehe auch sogleich unter B.I.2.d.bb(3)(b), S. 105.

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Maßstäbe zur Bestimmung des Missbrauchscharakters

hältnisse abzustellen ist, so dass nicht nach dem in den Statuten niedergelegten Gesellschaftszweck oder den Angaben der Gesellschafter zu entscheiden ist, sondern nach dem Vollzug dieses Zweckes und dem wirtschaftliche Handeln der Organe nach Errichtung der Gesellschaft.359 In der Sache wurden vom BFH bislang als wirtschaftliche Gründe anerkannt vor allem die Errichtung einer Kapitalgesellschaft als Spitze eines weltweit aufzubauenden Konzerns360 oder zum Zwecke des (erfolgreichen) Erwerbs von Beteiligungen von einigem Gewicht im Basisland und/oder Drittländern.361 Angeführt werden weiterhin die Eroberung eines bisher nicht erschlossenen Marktes und der Aufbau neuer Geschäftsfelder und Kundenbeziehungen im Ausland, wofür aber stets eine Einzelfallbetrachtung maßgeblich sein soll.362 Die Zwischenschaltung einer Basisgesellschaft (i.w.S.) soll weiterhin dann nicht rechtsmissbräuchlich sein, wenn diese durch Kreditvergabe in erheblichem Umfang und Bürgschaften die finanzielle Ausstattung weiterer Tochtergesellschaften besorge.363 Letzteres wurde im Anschluss an die oben dargelegte Entscheidung zum Verhältnis der beiden Prüfungsmerkmale bei Basisgesellschaften364 allerdings regelmäßig als Element der eigenwirtschaftlichen Tätigkeit beurteilt und ist daher im Folgenden nochmals gesondert aufzugreifen.365 Als nicht ausreichend erachtet wurde demgegenüber die Sicherung von Inlandsvermögen für Krisenzeiten durch Basisgesellschaften366 sowie – insoweit 359 BFH, Urteil vom 16.01.1976 – III R 92/74 – BStBl II 1976, 401 (403); BFH, Urteil vom 29.07.1976 – VIII R 142/73 – BStBl II 1977, 263 (265); BFH, Urteil vom 29.10.1981 – I R 89/80 (Monaco) – BStBl II 1982, 150 (153); Hundt, in: FS Debatin, S. 155; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, S. 438; Luttermann, IStR 1993, 153 (157) Vgl. aber auch BFH, Urteil vom 15.04.1986 – VIII R 285/81 – BFH/NV 1986, 509 (510 f.) zu einem Ausnahmefall des Handelns durch die inländischen Gesellschafter. 360 BFH, Urteil vom 29.01.1975 – I R 135/70 – BStBl II 1975, 553 (555). 361 BFH, Urteil vom 24.02.1976 – VIII R 155/71 – BStBl II 1977, 265 (266); BFH, Urteil vom 29.07.1976 – VIII R 142/73 – BStBl II 1977, 263 (265); BFH, Urteil vom 09.12.1980 – VIII R 11/77 – BStBl II 1981, 339 (342); Brosig, Basisgesellschaften, S. 71 f. 362 Haase, Internationales und Europäisches Steuerrecht, Rn. 507; Henkel, in: Mössner, Steuerrecht international tätiger Unternehmen, Rn. E 402; Reith, Internationales Steuerrecht, Rn. 9.84. 363 BFH, Urteil vom 29.01.1975 – I R 135/70 – BStBl II 1975, 553 (555); BFH, Urteil vom 23.10.1991 – I R 40/89 – BStBl II 1992, 1026 (1028); Bächle/Rupp/Ott/Knies, Internationales Steuerrecht, S. 715. 364 Siehe oben Fn. 344. 365 Zum Outsourcing passiver Tätigkeiten wie Kapitalanlage und Finanzierung siehe sogleich S. 108. 366 BFH, Urteil vom 05.03.1986 – I R 201/82 – BStBl II 1986, 496 (498).

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selbstverständlich – die Gründung einer Kapitalgesellschaft im Ausland alleine zum Zwecke der Steuerersparnis im Inland.367 Weniger eindeutig und vielmehr differenziert zu betrachten ist die Anerkennung einer Begrenzung des Haftungsrisikos. Während in früherer Rechtsprechung zumindest der pauschale Verweis auf haftungsrechtliche Folgen unberücksichtigt blieb,368 erkannte der BFH in Fall Stiftung II369 die insbesondere haftungsrechtlich motivierte konzerninterne Strategieentscheidung zur Ausgliederung von Projektgesellschaften als wirtschaftlichen Grund an. Ein Blick auf die vorhandene Kasuistik offenbart darüber hinaus, dass höchstrichterlich immer nur das Vorliegen wirtschaftlicher Gründe Entscheidungskriterium war, auf die sonst beachtlichen Gründe kam es bislang noch nie an. Denkbar wären aber zumindest theoretisch sonstige rechtliche, politische oder auch religiöse und andere private Gründe.370 Beachtlich wären diese dann, wenn sie die Wahl des Sitzes und der Rechtsform gerade in diesem Fall rechtfertigten.371 In verfahrensrechtlicher Hinsicht ist festzuhalten, dass zunächst ein festgestelltes Fehlen eines wirtschaftlichen Grundes die oben genannte Vermutungswirkung entfaltete. Der Steuerpflichtige ist jedoch bei der Aufklärung der wirtschaftlichen Gründe zur Mitwirkung verpflichtet, da sie seiner Sphäre entstammen, § 90 Abs. 1 und Abs. 2 AO; aus der unterbliebenen oder gescheiterten Darlegung solcher Gründe kann daher im Wege der freien Beweiswürdigung geschlossen werden, dass diese nicht vorliegen,372 so dass insgesamt der Missbrauch vermutet wird. (3)

Eigenwirtschaftliche Tätigkeit

(a)

Grundlegende Maßgaben

Das zweite Merkmal der eigenwirtschaftlichen Tätigkeit ist nach bisheriger Darstellung nicht notwendiger Bestandteil der Vermutungsbasis, sondern ermöglicht dem Steuerpflichtigen, mittels eines Indizienbeweises die Vermutung 367 BFH, Urteil vom 29.07.1976 – VIII R 142/73 – BStBl II 1977, 263(264 f.). 368 BFH, Urteil vom 10.11.1983 – IV R 62/82 (Niederländische Brüder) – BStBl 1984, 605 (607); BFH, Urteil vom 27.08.1997 – I R 8/97 (Stiftung I) – BStBl II 1998, 163 (165). 369 BFH, Urteil vom 17.11.2004 – I R 55/03 (Stiftung II) – DStRE 2005, 580 (581 f.). Siehe auch unten B.I.2.d.bb(4), S. 111. 370 Hundt, in: FS Debatin, S. 156 f. Siehe auch oben B.I.2.c.cc(1), S. 78. Nach Luttermann, IStR 1993, 153 (157) ist die Unterscheidung fruchtlos, da sich stets ein wirtschaftlicher Bezug ergibt. 371 BFH, Urteil vom 29.07.1976 – VIII R 41/74 – BStBl II 1977, 261 (263); BFH, Urteil vom 29.07.1976 – VIII R 142/73 – BStBl II 1977, 263 (264 f.). 372 Brandt, DStR 2008, Beiheft zu Heft 17, S. 7; Dörr/Fehling, BLJ 2008, 20 (22); Drüen, in: Tipke/Kruse, § 42 AO Rn. 54; Wienbracke, DB 2008, 664 (669).

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Maßstäbe zur Bestimmung des Missbrauchscharakters

des Vorliegens einer Steuerumgehung zu entkräften.373 Grundlegend gefordert wird hierzu – angelehnt an die Beurteilung als gewerbliche Betätigung – eine über den Rahmen der Vermögenshaltung hinausgehende Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr (sog. „aktive“ Tätigkeit).374 Diesen Anforderungen nicht genügen (insoweit „passive“ Tätigkeit) soll zum einen das bloße Halten des Stammkapitals weiterer Gesellschaften, wenn damit keine geschäftsleitende Funktion verbunden ist,375 zum anderen auch nicht die bloße Wahrnehmung von Gesellschafterrechten.376 Ebenfalls abgelehnt wurde nach herkömmlicher Sichtweise eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit in Form des Haltens von Wertpapieren – angeschafft aus Nennkapital der Gesellschaft und/oder zusätzlichen Darlehensmitteln eines Gesellschafters –, selbst wenn damit die üblichen Verwaltungstätigkeiten verbunden sind.377 Im Gegensatz dazu wurde eine eigenwirtschaftliche Betätigung in Fällen anerkannt, in denen die Zwischengesellschaft geschäftsleitende Funktionen gegenüber mehreren Tochtergesellschaften ausübte, wobei dies nicht notwendigerweise das Ausmaß einer vollständigen Konzernleitung erreichen musste.378 Gegenüber nur einer Tochtergesellschaft wurde diese Tätigkeit jedoch als nicht ausreichend anerkannt, selbst bei gleichzeitiger Finanzierung dieser durch Darlehen.379 In der Folge wurde teilweise daraus verallgemeinert, dass eine geschäftsleitende Holding als Zwischengesellschaft anzuerkennen sei, eine bloße Verwaltungsholding jedoch nicht.380

373 Siehe oben Fn. 344. 374 BFH, Urteil vom 29.07.1976 – VIII R 142/73 – BStBl II 1977, 263 (265); BFH, Urteil vom 09.12.1980 – VIII R 11/77 – BStBl II 1981, 339 (342); Bächle/Rupp/Ott/Knies, Internationales Steuerrecht, S. 716; Brosig, Basisgesellschaften, S. 66; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, S. 438; Koenig, in: Pahlke/Koenig, AO, § 42 Rn. 79; Luttermann, IStR 1993, 153 (157). 375 BFH, Urteil vom 16.01.1976 – III R 92/74 – BStBl II 1976, 401 (403); BFH, Urteil vom 29.07.1976 – VIII R 41/74 – BStBl II 1977, 261 (263); BFH, Urteil vom 20.03.2002 – I R 38/00 (Hilversum I) – BStBl II 2002, 819 (822). 376 BFH, Urteil vom 24.02.1976 – VIII R 155/71 – BStBl II 1977, 265 (266); BFH, Urteil vom 09.12.1980 – VIII R 11/77 – BStBl II 1981, 339 (342). 377 BFH, Urteil vom 29.07.1976 – VIII R 41/74 – BStBl II 1977, 261 (263); BFH, Urteil vom 29.07.1976 – VIII R 142/73 – BStBl II 1977, 263 (265); BFH, Urteil vom 15.04.1986 – VIII R 285/81 – BFH/NV 1986, 509 (510). 378 BFH, Urteil vom 29.01.1975 – I R 135/70 – BStBl II 1975, 553 (555); BFH, Urteil vom 09.12.1980 – VIII R 11/77 – BStBl II 1981, 339 (342), dort unter dem Stichwort wirtschaftlicher Grund behandelt; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, S. 438. 379 BFH, Urteil vom 09.12.1980 – VIII R 11/77 – BStBl II 1981, 339 (342). 380 Hundt, in: FS Debatin, S. 158.

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(b)

Substanzerfordernisse

In den Fokus rückte das Merkmal der eigenwirtschaftlichen Tätigkeit unter dem Stichwort der sog. Substanzdiskussion:381 Eine Zwischengesellschaft soll eine eigenwirtschaftliche Funktion nämlich nur dann ausüben können, wenn sie über ein Mindestmaß an personeller und sachlicher Ausstattung verfügt, die die unternehmerische Entscheidungs- und Handlungsfähigkeit sicherstellt.382 So hat der BFH schon früher gelegentlich eine rein formale Zwischenschaltung und daher einen Missbrauch unter Verweis auf einen fehlenden angemessenen Geschäftsapparat bejaht und hierfür den Begriff der funktionslosen Domizilgesellschaft bzw. Briefkastengesellschaft geprägt.383 Bei oben dargelegtem Verständnis von fehlenden wirtschaftlichen Gründen als Vermutungsbasis und dagegen gerichtetem Indiz der eigenwirtschaftlichen Tätigkeit ist dieser Schlussfolgerung grundsätzlich zuzustimmen, in dogmatischer Hinsicht steht somit die fehlende Substanz einer Gesellschaft der entkräftenden Wirkung eigenwirtschaftlicher Tätigkeit entgegen. Aber mehr noch, mit der tatsächlichen Ausgestaltung der strittigen Gesellschaft ohne eigene Räume, eigene Geschäftsausstattung und eigenes Personal verband der BFH später – insbesondere in der Rechtssache Hilversum I – sogar ausdrücklich die Vermutung der rein formalen Zwischenschaltung und sah weder wirtschaftlichen Gründe noch eine tatsächliche eigenwirtschaftliche Tätigkeit, um diese zu entkräften.384 Die fehlende Substanz sei insoweit nicht lediglich als Frage des Gegenbeweises durch eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit, sondern eigenständige Vermutungsbasis. Diese Sichtweise kam zwar auch schon früher schon zum Ausdruck,385 wurde nun aber erstmals deutlich hervorgehoben. Daran anknüpfend wurde im Schrifttum die Substanzfrage als das entscheidungserhebliche Merkmal grenzüberschreitender Gestaltungen her381 Vgl. Eilers, in: FS Wassermeyer, S. 323 f.; Hölzemann, IStR 2006, 830 (832). 382 BFH, Urteil vom 25.02.2004 – I R 42/02 (Dublin Docks II) – BStBl II 2005, 14 (17); Fischer, in: FS Raupach, S. 355 ff.; Hahn-Joecks, in: K/S/M, EStG, § 50d Rn. E 36; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, S. 438; Koenig, in: Pahlke/Koenig, AO, § 42 Rn. 79. 383 BFH, Beschluss vom 07.02.1975 – VIII B 61/74 u.a. – BStBl II 1976, 608 (609 f.); BFH, Urteil vom 10.06.1992 – I R 105/89 – BStBl II 1992, 1029 (1030); BFH, Urteil vom 06.12.1995 – I R 40/95 – BStBl 1997, 118 (120). Vgl. auch BFH, Urteil vom 20.03.2002 – I R 38/00 (Hilversum I) – BStBl II 2002, 819 (822); BFH, Beschluss vom 23.10.2002 – I R 39/01 – BFH/NV 2003, 289 (290); Hölzemann, IStR 2006, 830 (832 f.). 384 BFH, Urteil vom 20.03.2002 – I R 38/00 (Hilversum I) – BStBl II 2002, 819 (822); BFH, Beschluss vom 23.10.2002 – I R 39/01 – BFH/NV 2003, 289 (290); Jacob/Klein, IStR 2002, 600 (600 f.). 385 BFH, Urteil vom 29.10.1997 – I R 35/96 (Sportler-Vermarktung) – BStBl II 1998, 235 (238).

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ausgestellt.386 Kriterien seien insoweit das Vorhandensein von eigenem Personal, eigenen Geschäftsräume und eine entsprechende Geschäftsinfrastruktur wie Telefon- und Faxanschluss.387 Vorzugsweise erscheint dabei, nicht nur allein abstrakte Kriterien wie Arbeitnehmeranzahl und verbuchte Aufwandspositionen zu betrachten, sondern die angemessene Ausstattung immer funktional im Hinblick auf die geltend gemachten Tätigkeiten (Finanzierung, Geschäftsleitung) zu prüfen.388 Die anschließende Rechtsprechung zu § 42 AO sollte die Einschätzung der Substanzfrage als das entscheidungserhebliche Merkmal aber nicht bestätigen: Im der Entscheidung Stiftung II zugrunde liegenden Sachverhalt handelte es sich zwar um eine substanzlose Gesellschaft, nach Ansicht des BFH musste dieser Umstand aber hinter dem auf organisatorischen und haftungsrechtlichen Gründen beruhenden Struktur- und Strategiekonzept des Konzerns zurücktreten; zudem wurde die strittige Vermietungstätigkeit als aktiv eigenwirtschaftlich beurteilt.389 Auf die dargelegten Substanzkriterien kam es also gar nicht mehr an. Als Fortführung dieser Erwägungen ist die vielbeachtete Entscheidung Hilversum II zu sehen, auch hier wurde eine offensichtlich substanzlose Gesellschaft im Ergebnis doch anerkannt, da der BFH insbesondere aufgrund konzerninterner Strategieüberlegungen einen wirtschaftlichen Grund für die Zwischenschaltung anerkannte.390 Im Ergebnis näherte man sich damit wiederum dem vorherigen Befund an, dass primär das Vorliegen wirtschaftlicher Gründe entscheidend ist und Substanzanforderungen vor allem von indizieller Bedeutung sind.

386 Füger, PIStB 2002, 291 (293 f.); Jacob/Klein, IStR 2002, 600 (600 f.); Stoschek/Peter, IStR 2002, 656 (659). Unklar blieb aber, ob die fehlende Substanz als Teilfrage der wirtschaftlichen Gründe anzusehen sei, so ausdrücklich Jacob/Klein, IStR 2002, 600 (600), oder als Element der eigenwirtschaftlichen Betätigung, hiervon ausgehend Füger, PIStB 2002, 291 (293 f.) und Stoschek/Peter, IStR 2002, 656 (658). 387 Siehe Fn. 383 und Henkel, in: Mössner, Steuerrecht international tätiger Unternehmen, Rn. E 399. 388 BFH, Urteil vom 20.03.2002 – I R 63/99 (Delaware) – BStBl II 2003, 50 (52); Eilers, in: FS Wassermeyer, S. 324 f., mit Verweis die Gegenposition der Finanzverwaltung; Fischer, in: H/H/Sp, AO, § 42 Rn. 209. Vgl. auch BFH, Urteil vom 25.02.2004 – I R 42/02 (Dublin Docks II) – BStBl II 2005, 14 (17). 389 BFH, Urteil vom 17.11.2004 – I R 55/03 – DStRE 2005, 580 (581 f.). Während der erste Teil der Argumentation auf das Vorliegen wirtschaftlicher Gründe zielte, wurde dennoch das Vorliegen einer eigenwirtschaftlichen Tätigkeit zusätzlich überprüft und bejaht. Bemerkenswert an dieser Entscheidung ist, dass der BFH im ähnlich gelagerten Sachverhalt der Entscheidung BFH, Urteil vom 27.08.1997 – I R 8/97, noch gegenteilig entschieden hatte, hierzu vgl. oben Fn. 320. 390 BFH, Urteil vom 31.05.2005 – I R 74/04 u.a. – BStBl II 2006, 118 (120).

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In einem weiteren Urteil hat der BFH nochmals ausführlich in Sachen fehlender Substanz Stellung bezogen: Eine nicht anzuerkennende substanzlose Briefkastengesellschaft liege demnach grundsätzlich vor, wenn es an objektiven, von dritter Seite nachprüfbaren Anhaltspunkten fehle, die Rückschlüsse auf ein greifbares Vorhandensein der ausländischen Gesellschaft und für eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit zuließen; bei einer substanzlosen Gesellschaft sei daher eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit zweifelhaft.391 Insoweit wurde an die Vorinstanz zurückverwiesen, die eine solche eigenwirtschaftliche Tätigkeit in tatsächlicher Hinsicht noch bejaht hatte, und über den wirtschaftlichen Grund keine Feststellung getroffen hatte.392 Aus dieser Entscheidung dürften zwei Schlussfolgerungen zu ziehen sein. Zum einen wurde durch die Rückverweisung an die Vorinstanz bestätigt, dass es trotz Substanzlosigkeit sehr wohl noch auf das Vorliegen wirtschaftlicher Gründe ankommt, mithin kein Widerspruch zum soeben dargelegten Verständnis der Substanzanforderungen als bloßes Indiz besteht. Zum anderen hat der BFH weiter konkretisiert, wann aus seiner Sicht von einer substanzlosen Gesellschaft auszugehen ist: So sei einerseits durchaus auf formale Kriterien wie Büroräume, Personal oder Kommunikationsmittel abzustellen; andererseits sei aber auch eine Herabsetzung der Anforderungen insoweit denkbar, als für Kapitalanlage- und Finanzierungsfunktionen gemeinhin keine besondere sächliche, räumliche und personelle Ausstattung und kein besonderer „Apparat” benötigt werde.393 Diese Einschränkung hat auch das FG Köln in seinem Schlussurteil nochmals aufgegriffen und aufgrund tatrichterlicher Feststellung eine hinreichende Überzeugung bezüglich des Fehlens einer eigenen Wirtschaftstätigkeit verneint.394 Indes ergingen die letztgenannten Entscheidungen – anders als noch Hilversum I – vorrangig zur speziellen Missbrauchsvorschrift des § 50d Abs. 3 EStG (a.F.), welche nach richtiger Ansicht des BFH und der herrschenden Auffassung im Schrifttum entgegen der Verwaltungsauffassung nach ihrem eindeutigen Wortlaut kumulativ sowohl das Fehlen wirtschaftlicher Gründe als auch 391 BFH, Urteil vom 29.01.2008 – I R 26/06 (SOPARFI) – IStR 2008, 364 (365). 392 FG Köln, Urteil vom 16.03.2006 – 2 K 1139/02 – IStR 2006, 425 (427). 393 BFH, Urteil vom 29.01.2008 – I R 26/06 (SOPARFI) – IStR 2008, 364 (365 f.). Siehe hierzu auch Fischer, in: H/H/Sp, § 42 AO Rn. 555, der m.E. zu Recht betont, dass trotz unternehmensbezogener Prüfung die Frage der substantiellen Ausstattung aber nicht völlig außer Acht gelassen werden darf. 394 FG Köln, Urteil vom 16.03.2006 – 2 K 1564/08 – EFG 2010, 2004 (2005 f.). Von Interesse ist insbesondere, dass das FG trotz erhöhter Mitwirkungspflicht nicht von der fehlenden Wirtschaftstätigkeit überzeugt war und nach einer „informellen Anhörung“ des Verwaltungsratsvorsitzenden eher Anhaltspunkte zugunsten einer eigenen Wirtschaftstätigkeit fand; hierzu weiterführend Fn. 454, sowie im 2. Teil, B.I.2.d.aa, S. 411.

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das Fehlen einer eigenwirtschaftlichen Tätigkeit erforderte.395 In dieser Vorschrift wurde die ursprüngliche Fassung der Basisgesellschaftenrechtsprechung quasi „legislativ zementiert“,396 deren Weiterentwicklung insbesondere hinsichtlich der eigenwirtschaftlichen Tätigkeit war nicht berücksichtigungsfähig. Eine Verallgemeinerung zu § 42 AO ist insoweit mit Vorsicht zu handhaben.397 Prüfungsstandort und Relevanz der Substanzanforderungen im Speziellen und der eigenwirtschaftlichen Tätigkeit im Allgemeinen sind in Bezug auf § 42 AO sogleich im Lichte der Neufassung ohnehin nochmals aufzugreifen. (c)

Outsourcing, insbesondere von Kapitalanlagegeschäften

Die soeben angesprochene Frage, inwieweit eine Zwischengesellschaft genügend Substanz aufweisen muss, um ihre Funktionen eigenwirtschaftlich erledigen zu können, wird auch beim Outsourcing relevant: Insbesondere bei den sog. passiven Tätigkeiten398 der Kapitalanlage und der Finanzierungstätigkeit gegenüber weiteren Tochtergesellschaften stellt sich das Problem, ob die Zwischengesellschaft die entsprechenden Tätigkeiten selbst vornehmen muss oder auf Dritte auslagern kann.399 In den Verfahren Dublin Docks I, Delaware und Dublin Docks II hat der BFH in Abweichung von der früheren Sichtweise zu Wertpapieren jedenfalls das Outsourcing von Kapitalanlagegeschäften gebilligt, soweit die betreffende Kapitalgesellschaft sowohl in eigenem Namen als auch für eigene Rechnung tätig wurde.400 Als Grund hierfür wurde insbesondere angeführt, dass der deut395 BFH, Urteil vom 31.05.2005 – I R 74/04 u.a. – IStR 2005, 710 (710), dort mit Anmerkung von Haarmann, S. 713; Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50d Rn. 29b; Hergeth/Ettinger, IStR 2006, 307 (308) m.w.N.; Loschelder, in: Schmidt, EStG (30. Auflage 2011), § 50d Rn. 46. Bestätigt wurde diese Sichtweise in BFH, Urteil vom 29.01.2008 – I R 26/06 (SOPARFI) – IStR 2008, 364 (365). Anders ist dies jedoch zu sehen in Bezug auf § 50d Abs. 3 EStG n.F., hierzu ausführlich im 2. Teil, B.I.2.b, S. 373. 396 Renger, Treaty Shopping, S. 20 f. 397 Eine ausführliche Auseinandersetzung mit § 50d Abs. 3 EStG und dessen Änderungen durch das JStG 2007, durch die u.a. mittels des Tatbestandsmerkmals angemessen eingerichteter Geschäftsbetrieb ein Substanzerfordernis Eingang in den Gesetzestext fand, sowie zu der insgesamt dazu ergangenen Literatur erfolgt im 2. Teil, B.I.2.b, S. 373 ff. Zur Berücksichtigung von BFH, Urteil vom 29.01.2008 – I R 26/06 (SOPARFI) im Rahmen des § 42 Abs. 2 AO n.F. siehe sogleich B.I.2.d.cc(3)(b)(aa), S. 118. 398 Im Gegensatz zu den sog. aktiven Tätigkeiten einer „echten gewerblichen Betätigung“, vgl. § 8 Abs. 1 AStG und andere spezielle bzw. in DBA enthaltene Aktivitätsklauseln. 399 Hahn-Joecks, in: K/S/M, EStG, § 50d Rn. E 54. 400 BFH, Urteil vom 19.01.2000 – I R 94/97 (Dublin Docks I) – BStBl II 2001, 222 (224); BFH, Urteil vom 20.03.2002 – I R 63/99 (Delaware) – BStBl II 2003, 50 (52 f.); BFH, Urteil vom 25.02.2004 – I R 42/02 (Dublin Docks II) – BStBl II 2005, 14 (16 f.).

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sche Gesetzgeber selbst die Auslagerung von Vermögensanlage und verwaltung beispielsweise durch das KAGG institutionalisiert und typisiert habe.401 Dies solle selbst dann gelten, wenn die Zwischengesellschaft sich zur Vornahme ihrer Aufgaben wiederum dritter, entsprechend versierter Fachkräfte gegen Leistung entsprechender (angemessener) Entgelte bediene, solange ihr jedenfalls das Letztentscheidungsrecht zustehe, und sie damit die mit Kapitalanlagen typischerweise verbundenen Risiken trage.402 Im Schrifttum wurden ebenfalls die zuletzt genannten Kriterien aufgegriffen und von einigen Stimmen auf eine Delegation auf Dritte außerhalb der Kapitalanlagegeschäfte übertragen; insoweit könne aber die Begründung mithilfe des KAGG nicht verallgemeinert werden, so dass es auf den Einzelfall ankomme.403 Auch im Zusammenhang mit § 8 Abs. 1 Nr. 3 AStG, welcher einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert, hat der BFH in einer aktuellen Entscheidung an seiner Sichtweise zur grundsätzlichen Zulässigkeit des Outsourcing festgehalten: So sei ein solcher Geschäftsbetrieb auch bei einer Tätigkeitsauslagerung im Wege eines Betriebsführungsvertrages auf eine Managementgesellschaft vorhanden, da es insoweit auf die Organisation des Betriebs, nicht auf die eigene Ausübung ankomme; insbesondere verbleiben die unternehmerischen Chancen und Risiken nach allgemeinen ertragsteuerlichen Zurechnungsgrundsätzen bei der streitgegenständlichen Zwischengesellschaft.404 Neben dem Bezug auf den Wortlaut des § 8 Abs. 1 Nr. 3 AStG ist bei dieser Entscheidung indes zu berücksichtigen, dass es sich um einen Outbound-Fall und um die Übertragung auf eine Gesellschaft handelte, an der eine eigene Beteiligung bestand; mithin geht es um das Outsourcing auf nachgelagerte Gesellschaften. Zudem ist – wie schon in den bisherigen Fällen – zu betonen, dass die jeweils ausgelagerten Finanzierungs- und Anlageentscheidungen im Outboundfall austauschbare Zielgesellschaften betreffen konnten. Insoweit ist eine Übertragung dieser Rechtsprechung auf den Inboundfall aufgrund der unterschiedlichen Interessenlage kritisch zu beurteilen.405 Denn speziell im Falle 401 BFH, Urteil vom 19.01.2000 – I R 94/97 (Dublin Docks I) – BStBl II 2001, 222 (224); Klein, in: H/H/R, § 50d EStG Rn. 79. 402 BFH, Urteil vom 19.01.2000 – I R 94/97 (Dublin Docks I) – BStBl II 2001, 222 (224); BFH, Urteil vom 20.03.2002 – I R 63/99 (Delaware) – BStBl II 2003, 50 (52); BFH, Urteil vom 25.02.2004 – I R 42/02 (Dublin Docks II) – BStBl II 2005, 14 (16 f.); Hölzemann, IStR 2006, 830 (835); Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, S. 438 f. m.w.N. 403 Hahn-Joecks, in: K/S/M, EStG, § 50d Rn. E 34 f.; Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50d Rn. 28d. 404 BFH, Urteil vom 13.10.2010 – I R 61/09 –DStR 2010, 2565 (2566). 405 Für eine uneingeschränkte Übertragung – auch auf § 50d Abs. 3 EStG – plädieren jedoch Süß/Mayer-Theobald, IStR 2011, 114 (114 f.).

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Maßstäbe zur Bestimmung des Missbrauchscharakters

des (möglichen) Treaty Shopping steht das operative Investment in Form der inländischen Kapitalgesellschaft von vornherein fest, und es geht gerade darum, dass zwischen dieser und den eigentlichen Anteilseignern eine weitere Gesellschaft zwischengeschaltet wird. Aus Sicht des deutschen Steuerrechts mag deren Rechtfertigung entfallen, wenn die maßgebliche Tätigkeit ohnehin von Dritten vorgenommen wird, die unter Umständen noch dazu vordergründig den Anteilseigner zuzurechnen sind.406 (d)

Gemischte tätige Zwischengesellschaften

Wurde im Rahmen des § 42 AO407 eine eigenwirtschaftliche Funktion der Zwischengesellschaft festgestellt, führte dies insgesamt zu ihrer Anerkennung; die Frage der Einkünftezurechnung wurde also einheitlich beurteilt und nicht etwa aufgeteilt.408 Von dieser grundsätzlichen Behandlung gemischt tätiger Basisgesellschaften wurde indes dann eine Ausnahme gemacht, wenn der aktive Teil der Tätigkeit von untergeordneter Bedeutung war; über § 42 AO wurden die passiven Anteile dann trotzdem dem Anteilseigner zugerechnet.409 Auf einen objektiven Zusammenhang zwischen aktiver und passiver Tätigkeit kam es zunächst jedoch nicht an.410 Später sah es der BFH indes auch dann als Missbrauch an, wenn die aktive Tätigkeit zeitlich nachgelagert „alibimäßig“ unter Beibehaltung einer völligen Trennung der Aktivitäten hinzutrat.411 Entscheidungserheblich sei insofern, ob der passive Teil der Beteiligungsverwaltung der Kapitalausstattung und Haftung für aktive geschäftliche Risiken diene.412 Dieser Bewertung ist zuzustimmen, da sich die Bejahung einer eigenwirtschaftlichen Tätigkeit ohnehin in der indiziellen Erschütterung der Miss-

406 Dies gilt insbesondere im Lichte der gesetzlichen Regelung des § 50d Abs. 3 S. 3 Alt. 2 EStG. In diese Richtung sind auch die Ausführungen des BFH, Urteil vom 29.01.2008 – I R 26/06 (SOPARFI) – IStR 2008, 364 (365 f.), zu deuten. Dazu gesondert im 2. Teil, B.I.2.b.cc(3), S. 388, mit anschließender Beurteilung der Kollisionsfragen. 407 Für den Anwendungsbereich der Hinzurechnungsbesteuerung stellt sich eine ähnliche Problematik, vgl. §§ 8 und 9 AStG; auf eine ausführliche Erörterung wird im Hinblick auf den Untersuchungsgegenstand Treaty Shopping jedoch verzichtet. 408 BFH, Urteil vom 05.03.1986 – I R 201/82 – BStBl II 1986, 496 (4989 f.);BFH, Urteil vom 28.01.1992 –VIII R 7/88 – BStBl II 1993, 84 (87); Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, S. 439; Reith, Internationales Steuerrecht, Rn. 9.89. 409 BFH, Urteil vom 05.03.1986 – I R 201/82 – BStBl II 1986, 496 (498 f.); Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, S. 439. 410 BFH, Urteil vom 05.03.1986 – I R 201/82 – BStBl II 1986, 496 (498 f.). 411 BFH, Urteil vom 23.10.1991 – I R 52/90 – BFH/NV 1992, 271 (272 f.);BFH, Urteil vom 28.01.1992 –VIII R 7/88 – BStBl II 1993, 84 (87); Brockmeyer, in: Klein, AO (9. Auflage 2006), § 42 Rn. 39; Schwarz, in: Schwarz, AO, § 42 Rn. 123. 412 BFH, Urteil vom 23.10.1991 – I R 52/90 – BFH/NV 1992, 271 (272 f.); Paschen, Steuerumgehung, S. 164.

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brauchsvermutung erschöpft.413 Ein bloßes Anreichern funktionsloser Zwischengesellschaften mit aktiven Tätigkeiten kann demnach nicht stets geeignet sein, die Missbrauchsvermutung zu erschüttern. (4)

Dauerhaftigkeit und Projektgesellschaften

Im Verfahren Stiftung II hat der BFH wirtschaftliche Gründe in Form eines Struktur- und Strategiekonzept anerkannt, welches darin bestand, die Vermietungstätigkeiten konzernintern durchgängig und nicht nur vorübergehend auf selbständige Projektgesellschaften auszugliedern.414 Auch in Dublin Docks II hat der BFH unterstrichen, dass die Auslagerung der Kapitalanlagetätigkeit auf die Zwischengesellschaft auf eine gewisse Dauer angelegt war,415 so dass die Dauerhaftigkeit einer ausgelagerten Tätigkeit – bzw. deren Fehlen – als weiteres Kriterium zur Beurteilung des Vorliegens einer Steuerumgehung herangezogen werden kann.416 Dies entspricht der ständigen Rechtsprechung bei reinen Inlandsfällen, nach der regelmäßig kein Missbrauch vorliegt, wenn ein Steuerpflichtiger – aus welchen Gründen auch immer – auf Dauer zwischen sich und eine Einkunftsquelle eine inländische Kapitalgesellschaft schaltet.417 Umgekehrt muss eine aus der Retrospektive feststellbare kurzfristige Existenz einer Gesellschaft aber nicht zwangsläufig deren steuerliche Nichtanerkennung bedeuten. In der Delaware-Entscheidung hatte sich der BFH damit auseinanderzusetzen und hob hervor, dass es die freie unternehmerische Entscheidung sei, den Unternehmensgegenstand solcher Projektgesellschaften i.e.S. insoweit zu beschränken; diese sei auch für das Steuerrecht beachtlich.418 cc.

Maßgaben in der Fassung des JStG 2008

(1)

Relevanz

Wie bereits ausgeführt wurde, hat § 42 AO in der Folge legislativer Fortentwicklung seine Bedeutung als alleiniger Maßstab zur Verhinderung von Steuerumgehungen durch grenzüberschreitende Gestaltungen weitgehend verloren: Für Outbound-Fallgestaltungen sind die Regelung der Hinzurechnungsbesteuerung zu berücksichtigen, §§ 7 ff. AStG, die Treaty Shopping Diskussion (Inbound) hat sich hin zu § 50d Abs. 3 EStG verlagert. Zugleich erweist es sich – auch für die Darstellung hier – als nicht unproblematisch, dass die Entwick413 Hundt, in: FS Debatin, S. 159 f.; Vogel, in: Haarmann, Grenzen der Gestaltung, S. 82; siehe auch oben Fn. 344 und Fn. 345. 414 BFH, Urteil vom 17.11.2004 – I R 55/03 – DStRE 2005, 580 (581 f.). 415 BFH, Urteil vom 25.02.2004 – I R 42/02 (Dublin Docks II) – BStBl II 2005, 14 (17); Hölzemann, IStR 2006, 830 (835). 416 Vgl. auch Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, S. 439; Roser, FR 2005, 178 (178). 417 BFH, Urteil vom 23.10.1996 – I R 55/95 – BStBl II 1998, 90 (91). 418 BFH, Urteil vom 20.03.2002 – I R 63/99 (Delaware) – BStBl II 2003, 50 (52).

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Maßstäbe zur Bestimmung des Missbrauchscharakters

lung der Rechtsprechung mehr und mehr anhand dieser Normen von statten geht. Im Hinblick auf die im Einzelfall problematische und noch ausführlich zu untersuchende Kollision419 zwischen § 42 AO einerseits und den genannten sowie weiteren speziellen Missbrauchsvorbehalten andererseits verbleibt die Generalklausel für die Beurteilung grenzüberschreitender Gestaltungen jedoch nicht völlig bedeutungslos. So steht zum einen infolge des § 42 Abs. 1 S. 3 AO n.F. eine zumindest subsidiäre Anwendbarkeit im Raum. Zum anderen kann infolge der Konzeption als strukturgebender Rahmentatbestand der abstrakte Rahmen des § 42 Abs. 2 AO im Wege eines strukturellen Vergleichs auch zur Beurteilung der speziellen Maßstäbe fruchtbar gemacht werden und erfordert unter Umständen gar eine Rückbindung, etwa im Rahmen der Möglichkeit des Gegenbeweises. Zuletzt würde allein § 42 AO wieder ausschließlich relevant, wenn die spezielle Vorschrift gar verfassungswidrig ist oder aus Gründen der Unionsrechtswidrigkeit im Einzelfall unanwendbar bleiben muss. Es ist daher auch für grenzüberschreitende Gestaltungen festzustellen, welche Aussagen über den inhaltlichen Missbrauchsmaßstab sich in der derzeit geltenden Fassung nach dem JStG 2008 ergeben. Zu trennen ist insoweit zwischen den objektiv anzuwendenden Maßstäben und den damit verbundenen Vermutungswirkungen und Nachweislasten in der Neufassung. (2)

Objektive Maßstäbe grenzüberschreitender Gestaltung

(a)

Weiterentwicklung der Basisgesellschaftenrechtsprechung

Wie bereits aufgezeigt, kann zur Bestimmung der Maßstäbe des Missbrauchs allgemein auf die hierzu bereits ergangene Rechtsprechung verwiesen werden,420 so dass bei grenzüberschreitenden Sachverhalten vornehmlich auf die Basisgesellschaftenrechtsprechung bzw. deren Fortschreibung Bezug zu nehmen ist: Als missbräuchlich zu erachten ist daher die Zwischenschaltung einer Kapitalgesellschaft im Ausland, die entweder mit Steuerinländern gesellschaftsrechtlich verflochten und in einem Niedrigsteuerland ansässig ist (Outbound) oder der Durchleitung von Einkünfte dient (Inbound), wenn diese ohne wirtschaftlichen oder sonst beachtlichen Grund errichtet ist.421 Insoweit kann davon ausgegangen werden, dass die Zwischenschaltung rein steuerlich motiviert war.422 Indem eine Gesellschaft der Einkünftedurchleitung dient, wird zugleich der – schon begriffsnotwendig erforderliche – Steuervorteil der Ges419 420 421 422

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Siehe im 2. Teil B.II.1.b, S. 427 ff. Hierzu oben B.I.2.c.aa(1), S. 69. Siehe ausführlich oben B.I.2.d.bb, S. 96. Vgl. auch Ziff. 2.2. AEAO zu § 42 AO.

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taltung erfasst, welche unter den genannten Voraussetzungen auch als nicht vorgesehen betrachtet werden kann bzw. muss.423 Bei Vorliegen eines wirtschaftlichen Grundes ist ein Missbrauch aber in jedem Falle ausgeschlossen. Gemäß der Neufassung muss dieser jedoch nach dem Gesamtbild der Verhältnisse beachtlich sein, was als unbestimmter Rechtsbegriff der vollen gerichtlichen Überprüfung unterliegt.424 Eine angemessene Gestaltung setzt zudem voraus, dass die zwischengeschaltete Kapitalgesellschaft durch eine Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr eine eigene wirtschaftliche Betätigung entfaltet.425 Eine solche fehlt regelmäßig, wenn es der Zwischengesellschaft an einer angemessenen Substanz mangelt, um den geltend gemachten Tätigkeiten nachzugehen, wobei die Frage deren Angemessenheit in Relation zu den dargelegten Funktionen zu bestimmen ist; nach den gleichen Maßstäben ist insbesondere zu bemessen, inwieweit die Tätigkeit durch eigenes Personal oder durch eine Auslagerung auf Dritte vorgenommen werden kann.426 Indes ist selbst bei Bejahung einer eigenwirtschaftlichen Tätigkeit die Annahme eines Missbrauchs nicht schlechterdings ausgeschlossen, sondern im Einzelfall unter Würdigung der Gesamtumstände noch möglich.427 Dies korrespondiert mit den ansonsten eher niedrigen Anforderungen an die Annahme einer solchen und entspricht auch der bisherigen Rechtsprechung, die darin nur ein Indiz zur Erschütterung der tatsächlichen Vermutung gesehen hat. Aber auch im umgekehrten Falle, d.h. bei Fehlen einer eigenwirtschaftlichen Tätigkeit, erscheinen Fallgestaltungen denkbar, in denen ein wirtschaftlicher Grund selbst diese Gestaltung rechtfertigen kann. Diese Sichtweise wird nicht nur durch § 42 Abs. 2 S. 2 AO n.F. nahe gelegt, sondern damit wäre letztlich auch dem Problem der nicht immer nachvollziehbaren Unterscheidung zwischen der eigenwirtschaftlichen Tätigkeit und dem wirtschaftlichen Grund – wie etwa bei der beiderseits einzuordnenden Beteiligungsverwaltung – Rechnung getragen.428 Allerdings wird der wirtschaftliche Grund sodann nur in besonderen Ausnahmefällen die erforderliche Schranke der Beachtlichkeit überschrei423 Das Merkmal des gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteils ist ohnehin im Zusammenhang mit der Unangemessenheit zu lesen und zu prüfen, siehe allgemein B.I.2.c.bb, S. 72. 424 Siehe hierzu B.I.2.c.cc(1), S. 78. 425 Drüen, in: Tipke/Kruse, § 42 AO Rn. 99; Koenig, in: Pahlke/Koenig, AO, § 42 Rn. 79. 426 Ausführlich siehe B.I.2.d.bb(3)(b), S. 105, und 0, S. 108. 427 BFH, Urteil vom 28.01.1992 – VIII R 7/88 – BStBl II 1993, 84 (86); BFH, Urteil vom 29.10.1997 – I R 35/96 – BStBl II 1998, 235 (238); Drüen, in: Tipke/Kruse, § 42 AO Rn. 99; Kinzl, IStR 2007, 561 (563); Reith, Internationales Steuerrecht, Rn. 9.83. Siehe schon oben bei Fn. 344. 428 Hierzu siehe schon oben vor Fn. 365 und Fn. 378.

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Maßstäbe zur Bestimmung des Missbrauchscharakters

ten, kurzum: Der wirtschaftlicher Grund fehlt regelmäßig, wenn die Gesellschaft keiner eigenwirtschaftlichen Tätigkeit nachgeht. In objektiver Hinsicht handelt es sich mithin weder um kumulative, noch um alternative Tatbestandsmerkmale; die Gestaltung unterliegt insoweit einer (gerichtlich voll überprüfbaren) Gesamtwürdigung. (b)

Unangemessenheit im Sinne künstlicher Gestaltung

Im Rahmen dieser Gesamtwürdigung könnten unter Umständen die Maßgaben des EuGH in der Rechtssache Cadbury Schweppes429 einbezogen werden. So ist nach Ansicht der Finanzverwaltung bei einer grenzüberschreitenden Gestaltung eine Unangemessenheit insbesondere dann anzunehmen, wenn diese rein künstlich ist und nur dazu dient, die Steuerentstehung im Inland zu umgehen; als Beleg wird ausdrücklich auf jene Entscheidung verwiesen.430 Die gleiche Formulierung findet sich auch schon in den Gesetzgebungsmaterialien.431 Insoweit könnte es sich um eine Auslegung des Begriffes der Unangemessenheit nach rein nationalem Recht handeln. In genanntem Verfahren hat der EuGH einen Verstoß der sog. CFC-Rules432 im englischen Recht – vergleichbar der deutschen Hinzurechnungsbesteuerung – gegen die Niederlassungsfreiheit geprüft. Die entscheidende Aussage findet sich darin, dass eine nationale Maßnahme, die die Niederlassungsfreiheit beschränkt, sich nur dann mit Gründen der Bekämpfung missbräuchlicher Praktiken rechtfertigen lasse, wenn sie sich speziell auf rein künstliche, jeder wirtschaftlichen Realität bare Gestaltungen bezieht, die darauf ausgerichtet sind, der Anwendung der Rechtsvorschriften des betreffenden Mitgliedstaates und insbesondere der normalerweise für durch Tätigkeiten im Inland erzielte Gewinne geschuldeten Steuer zu entgehen.433 Missbrauchsvorschriften seien nicht anzuwenden, wenn sich auf der Grundlage objektiver und von dritter Seite nachprüfbarer Anhaltspunkte erweise, dass eine Gesellschaft ungeachtet des Vorhandenseins von Motiven steuerlicher Art tatsächlich im Aufnahmemitgliedstaat angesiedelt sei und dort wirklichen wirtschaftlichen Tätigkeiten nachgehe.434 Hierzu sei insbesondere auf das Ausmaß des greifbaren Vorhan-

429 EuGH, Urteil vom 12.09.2006 – C-196/04 – IStR 2006, 670. Eine ausführliche Auseinandersetzung damit und die Einordnung in ein „europäisches“ Missbrauchskonzept erfolgt unter B.II.1.b, S. 136. 430 Ziff. 2.2 zu § 42 AEAO. 431 BT-Ds.16/7036, S. 24. 432 Siehe bereits oben Einleitung A, Fn. 6. 433 EuGH, Urteil vom 12.09.2006 – C-196/04 – IStR 2006, 670 (673), Rn. 55. 434 EuGH, Urteil vom 12.09.2006 – C-196/04 – IStR 2006, 670 (674), Rn. 65 f.

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denseins der ausländischen Gesellschaft in Form von Geschäftsräumen, Personal und Ausrüstung abzustellen.435 Bei näherer Betrachtung dieses Missbrauchsverständnisses sind einzelne Elemente dieses Maßstabs dem deutschen Recht grundsätzlich schon bekannt. Schon bisher war die Künstlichkeit einer Gestaltung – im Gegensatz zum einfachen Weg – Indiz für die Unangemessenheit.436 Die tatsächliche Ansiedlung und die – kumulativ erforderliche – wirkliche wirtschaftliche Tätigkeit, von denen eine künstliche Gestaltung abzugrenzen ist, finden ihre grundsätzliche Entsprechung wiederum in der eigenwirtschaftlichen Tätigkeit und den darin enthaltenen den Substanzanforderungen. Insoweit bietet diese Auslegungsmöglichkeit tatsächlich einen Anhaltspunkt für das künftige Verständnis des § 42 AO. Neben möglichen Unterscheiden bei der Auslegung im Detail könnte ein Widerspruch auch schon darin begründet sein, dass nach § 42 Abs. 2 S. 2 AO n.F. eine Salvierung durch wirtschaftliche Gründe ausdrücklich vorgesehen ist; in der Entscheidung Cadbury Schweppes geht der EuGH darauf aber nicht ein.437 Zwar erscheint es regelmäßig vertretbar, bei Vorliegen einer tatsächlichen Ansiedlung und einer wirklichen wirtschaftlichen Tätigkeit dies auch als wirtschaftlichen Grund anzuerkennen. Dennoch sind die Begriffe nicht notwendig deckungsgleich, so dass insbesondere Fälle denkbar sind, in denen trotz fehlender wirklicher wirtschaftlicher Tätigkeit eine wirtschaftlicher – oder sonst beachtlicher (!) – Grund für die Zwischenschaltung geltend gemacht werden kann.438 Der genannte Verweis auf die EuGH-Rechtsprechung bleibt indes primär im Lichte der Kollision verschiedener Missbrauchsmaßstäbe und eines möglichen Überwirkens des Unionsrechts auf das nationale Recht zu sehen.439 Insoweit will der Gesetzgeber die Neufassung in dieser Hinsicht gar als Umsetzung der EuGH-Rechtsprechung verstanden wissen.440 Ziel dieser Untersuchung ist es jedoch, zunächst ein autonomes Missbrauchsverständnis im nationalen Recht zu belegen und die gefundenen Maßstäbe in einem zweiten Schritt kollisionsrechtlich zu überprüfen. Der bloße Verweis auf unionsrechtliche Maßgaben greift daher an dieser Stelle kurz; mit Blick auf den weiteren Fortgang bietet er insbesondere aber eine Möglichkeit zur gegebenfalls erforderlichen unionskonformen Auslegung. 435 436 437 438

EuGH, Urteil vom 12.09.2006 – C-196/04 – IStR 2006, 670 (674), Rn. 67. Siehe oben Fn. 141. EuGH, Urteil vom 12.09.2006 – C-196/04 – IStR 2006, 670. Vgl. die Systematisierung oben B.I.2.d.bb(2), S. 101. Hierzu ausführlich unten B.II.1.b.cc(5), S. 176. 439 Insbesondere ist eine unionskonforme Auslegung der Unangemessenheit denkbar. Dazu allgemein D.II.2.c.aa(2), S. 236. 440 BT-Ds.16/7036, S. 2.

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Maßstäbe zur Bestimmung des Missbrauchscharakters

(3)

Tatsächliche Vermutungen und Nachweislast im Lichte der Neufassung

(a)

Problemdarstellung

Problematisch erscheint allenfalls, wie sich die mit der dargelegten Rechtsprechung verbundenen tatsächlichen Vermutungswirkungen in die durch die Neufassung geregelte Verteilung der Nachweislast einordnen lässt. Denn einerseits trägt die Finanzverwaltung grundsätzlich die objektive Beweispflicht (Feststellungslast) für das Vorliegen einer unangemessenen Gestaltung; andererseits sollen die tatsächlichen Vermutungen für das Vorliegen einer Steuerumgehung bei häufig wiederkehrenden oder erfahrungsgemäß regelmäßig missbräuchlichen Gestaltungen weiterhin anwendbar sein.441 Die Basisgesellschaftenrechtsprechung hat jedoch das Fehlen eines wirtschaftlichen Grundes ausdrücklich als Teil der Vermutungsbasis für das Vorliegen einer Steuerumgehung und damit regelmäßig als Subkriterium der Unangemessenheit erachtet.442 Der Nachweis einer eigenwirtschaftlichen Tätigkeit sollte diese indiziell entkräften können.443 Die Vermutungswirkungen umfasste nach Ansicht des BFH zudem in subjektiver Hinsicht die jeweilige Umgehungsabsicht. Nach der Einführung des gestuften Nachweisverfahrens des Abs. 2 n.F. ist aber die Frage des Vorliegens eines wirtschaftlichen Grundes eine Frage der Rechtfertigung der Gestaltung, wofür der einfache Gegenbeweis der möglichen Unrichtigkeit genügt.444 Nur in diesem Sinne kommt es zudem auf eine Umgehungsabsicht an, deren Vermutung insoweit widerlegt werden kann.445 Aus der Aufteilung auf die beiden Sätze des § 42 Abs. 2 n.F. ergibt sich zugleich auch ein grundsätzliches Nebeneinander der Kriterien der Unangemessenheit und dieser Rechtfertigung. Mit anderen Worten ist damit auch unklar, wie die zuvor aufgezeigten objektiven Kriterien bei grenzüberschreitenden Gestaltungen den Tatbestandsmerkmalen des § 42 Abs. 2 AO n.F. zuzuordnen sind. In der Neufassung erscheint es jedenfalls so, als ob das Fehlen eines wirtschaftlichen Grundes nicht Teil der Vermutungsbasis für das Vorliegen der Unangemessenheit einer Gestaltung und damit für das Vorliegen eines Missbrauchs sein könnte. Insoweit wäre jedenfalls das bloße Zwischenschalten ei441 Siehe oben B.I.2.c.cc(2), S. 81. 442 BFH, Urteil vom 23.02.1988 – IX R 157/84 – BStBl II 1988, 604 (605 f.); BFH, Urteil vom 28.01.1992 –VIII R 7/88 – BStBl II 1993, 84 (86); BFH, Urteil vom 16.01.1996, – IX R 13/92 – BStBl II 1996, 214 (215); BFH, Urteil vom 27.07.1999 – VIII R 36/98 – BStBl II 1999, 769 (770). Vgl. auch Böing, Gestaltungsmissbrauch, S. 78 f. 443 Siehe bereits Fn. 344 und Fn. 345. 444 Siehe oben B.I.2.c.cc(2), S. 81. 445 Siehe oben B.I.2.c.dd, S. 86.

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ner Kapitalgesellschaft im Ausland – ohne jeden weiteren Zusatz – als Ausgangspunkt der Vermutung für das Vorliegen eines Missbrauchs im Sinne einer unangemessenen Gestaltung ungeeignet: Nicht nur wurde diese Sichtweise vom BFH schon eindeutig abgelehnt,446 sie wäre aufgrund einer offensichtlichen Diskriminierung wohl unionsrechtswidrig447 und als wohl kaum sachgerechte Typisierung unhaltbar.448 Es müssen daher weitere Umstände hinzutreten, um eine missbräuchliche Zwischenschaltung vermuten zu können. Problematisch ist insoweit auch, inwieweit sich die eigenwirtschaftliche Tätigkeit in das System von Nachweis bzw. Vermutung der Unangemessenheit und rechtfertigenden außersteuerlichen Gründen einordnen lässt. Damit zusammenhängend sind auch Prüfungsstandort und Relevanz der sog. Substanzforderungen unklar, da eine substanzlose Gesellschaft nach richtiger Ansicht nur schwerlich eine eigene wirtschaftliche Tätigkeit entfalten kann. (b)

Lösungsvorschlag

Auch in der Neufassung kommt man nicht umhin, an den beschriebenen Vermutungswirkungen festzuhalten, anderenfalls wäre gerade bei grenzüberschreitenden Gestaltungen die Annahme eines Missbrauchs erschwert, was sowohl der bisherigen Rechtsprechung als auch der Intention des Gesetzgebers zuwider laufen würde. In Bezug auf den im Rahmen dieser Untersuchung im Blickpunkt stehenden Inboundfall erscheint es jedenfalls gerechtfertigt, – im übergreifenden Sinne – die Errichtung der Gesellschaft zur Durchleitung der Einkünfte als Vermutungsbasis für das Vorliegen der Unangemessenheit anzusehen. Dies setzt zumindest voraus, dass die streitgegenständliche Gestaltung zu einer solchen Durchleitung geeignet und erforderlich ist, d.h. dass infolge der Zwischenschaltung der Gesellschaft Steuervorteile im Inland existieren, die bei direktem Bezug nicht bestünden, insbesondere – so auch das Hauptcharakteristikum des Treaty Shopping – Quellensteuern reduziert bzw. vermieden werden können. Gleichmaßen liegt hierin aus Sicht des Steuerpflichtigen der Anreiz zu einer entsprechenden Gestaltung. Dies allein dürfte aber im Regelfall jedoch nicht ausreichen, so dass noch ein weiteres Element hinzutreten muss. Insbesondere ist es naheliegend, zumindest die fehlende eigenwirtschaftliche Tätigkeit insoweit als Teil der Vermutungsbasis und damit auch der Unangemessen446 Bereits in BFH, Urteil vom 29.10.1981 – I R 89/80 (Monaco) – BStBl II 1982, 150 (153 f.); zuletzt auch in BFH, Urteil vom 25.02.2004 – I R 42/02 (Dublin Docks II) – BStBl II 2005, 14 (17). 447 Vgl. nur EuGH, Urteil vom 12.09.2006 – C-196/04 (Cadbury Schweppes) – IStR 2006, 670 (672), Rn. 50 m.w.N. 448 Zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen an typisierende Missbrauchsvorschriften siehe unten B.I.3.d, S. 127.

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heit anzusehen. Darüber hinaus kann – wie zu zeigen ist – die Finanzverwaltung ungeachtet des oben beschriebenen, aus der Systematik der Neufassung abgeleiteten Problems weiterhin alle (sonstigen) Erwägungen im Rahmen des fehlenden wirtschaftlichen Grundes zur Begründung eines Missbrauchs vorbringen. (aa)

Fehlende eigenwirtschaftliche Tätigkeit

Zunächst ist erforderlich, sich von der Vorstellung des fehlenden wirtschaftlichen Grundes als alleinige Vermutungsbasis der Unangemessenheit zu lösen. Denn wie gezeigt wurde zwar in den allermeisten Fällen der Missbrauch unter Zugrundelegung dieses Elements begründet und die eigenwirtschaftliche Tätigkeit erst als zweites Element (mit indizieller Wirkung) geprüft. Allerdings hat die Rechtsprechung schon frühzeitig angedeutet, dass das Fehlen einer eigenwirtschaftlichen Tätigkeit auch indiziell für die Annahme eines Gestaltungsmissbrauchs sprechen kann.449 Insbesondere ist dies dann gerechtfertigt, wenn aufgrund fehlender Substanz die Eigenwirtschaftlichkeit verneint werden muss.450 Mit diesem Ausgangspunkt – den Substanzanforderungen – handelt es sich unzweifelhaft um einen über die bloße Errichtung einer Kapitalgesellschaft hinausgehenden Umstand. Eine festgestellte Substanzschwäche – in diesem Sinne eine Briefkastengesellschaft – und damit das Fehlen einer eigenwirtschaftlichen Tätigkeit kann demnach zu Recht die tatsächliche Vermutung für das Vorliegen einer unangemessenen Gestaltung begründen, ohne dass § 42 Abs. 2 AO damit im Sinne einer allgemeinen Missbrauchsvermutung interpretiert würde. Dies lässt sich auch mit der zuvor dargestellten Relation der objektiven Maßgaben in Einklang bringen, wonach bei mangelnder eigenwirtschaftlicher Tätigkeit regelmäßig ein wirtschaftlicher Grund fehlt. Hierbei dürfte es als Vermutungsbasis ausreichend sein, an rein formalen Substanzkriterien festzuhalten. Auch der EuGH hat insoweit auf das greifbare Vorhandensein einer Gesellschaft in Form von Geschäftsräumen, Personal und Ausrüstungsgegenständen verwiesen451 und der BFH sich diese Sichtweise zu Eigen gemacht.452 Diese Vermutung könnte der Steuerpflichtige zum einen dadurch erschüttern, dass er Tatsachen bzw. Indizien vorträgt, die darauf schließen lassen, dass es sich tatsächlich um eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit handelt – bzw. nach den Maßstäben der Künstlichkeit um eine tatsächliche Ansiedlung mit Ausübung einer wirklichen wirtschaftlichen Tätigkeit. Als Frage des Erschütte449 BFH, Urteil vom 29.10.1997 – I R 35/96 (Sportler-Vermarktung) – BStBl II 1998, 235 (238). Hierzu bereits B.I.2.d.bb, S. 105. 450 Siehe schon oben Fn. 384. 451 EuGH, Urteil vom 12.09.2006 – C-196/04 – IStR 2006, 670 (674), Rn. 67. 452 BFH, Urteil vom 29.01.2008 – I R 26/06 (SOPARFI) – IStR 2008, 364 (365 f.).

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rungsbeweises könnte so insbesondere angesehen werden, ob die strittige Gesellschaft eine angemessene Substanz aufweist, was richtigerweise wiederum funktionsbezogen in Relation zu der ausgeübten wirtschaftlichen Tätigkeit gesehen werden muss.453 Dies steht sinnvollerweise erst dann zur Debatte, wenn die betreffende Gesellschaft – bzw. der ansonsten steuerschuldrechtlich eintretende Gesellschafter – ihrer Mitwirkungspflicht bei grenzüberschreitenden Sachverhalten i.S.v. § 90 Abs. 2 AO nachgekommen ist und eine entsprechende wirkliche wirtschaftliche Tätigkeit dargelegt haben. Insoweit wird zwar die Frage nach der Substanz nochmals zur Feststellung des Missbrauchs geprüft; eine solche doppelte Relevanz der eigenwirtschaftlichen Tätigkeit als Vermutungsbasis und als Gegenbeweis erscheint angesichts der Verteilung von Feststellungslast und Mitwirkungspflicht, wie sie auch in der Neufassung zum Ausdruck kommt, jedoch angebracht. Im Streitfalle sind demnach die objektiven Maßgaben in der Weiterentwicklung der Basisgesellschaftenrechtsprechung anwendbar und letztlich gerichtlich voll überprüfbar; als Vermutungsbasis ist es hingegen ausreichend, an rein formalen Substanzkriterien festzuhalten. Schon im Hinblick auf die erhöhte Mitwirkungspflicht des Steuerpflichtigen, § 90 Abs. 2 AO, dürften verbleibende Zweifel an der ausreichenden Substanz zu Lasten des Steuerpflichtigen gehen, so dass ganz regelmäßig454 dahinstehen kann, ob das Fehlen einer eigenwirtschaftlichen Tätigkeit von der Neuregelung der Nachweislast des § 42 Abs. 2 S. 1 AO n.F. umfasst wird.

453 Siehe oben Fn. 388. 454 Die Rechtsprechung hat sich bislang in Einzelfällen vorbehalten, trotz erhöhter Mitwirkungspflicht im Hinblick auf die freie tatrichterliche Beweiswürdigung des § 96 Abs. 1 S. 1 FGO eine hinreichende Überzeugung bezüglich des Fehlens einer eigenwirtschaftlichen Tätigkeit abzulehnen. Im Zusammenhang mit der Frage, welche der handelnden Personen die entsprechende unternehmerische Entscheidung getroffen haben, kann dies durchaus relevant sein, vgl. BFH, Urteil vom 20.03.2002 – I R 63/99 (Delaware) – BStBl II 2003, 50 (52); und insbesondere FG Köln, Urteil vom 16.03.2006 – 2 K 1564/08 – EFG 2010, 2004 (2005 f.) im Anschluss an BFH, Urteil vom 29.01.2008 – I R 26/06 (SOPARFI) – IStR 2008, 364 (365 f.), wenn auch zu § 50d Abs. 3 EStG a.F. Soweit man die eigenwirtschaftliche Tätigkeit aber vornehmlich der unangemessenen Gestaltung zuordnet, dürfte dies auch weiterhin gelten, da eine Verletzung der Mitwirkungspflichten zwar zu einer Reduzierung des Beweismaßes zu Lasten des Steuerpflichtigen, indes nicht zu einer Übertragung der Beweislast an sich führt, siehe Ax/Große/Melchior/Lotz/Ziegler, Abgabenordnung, Rn. 1010; Seer, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 22 Rn. 191; sowie bereits oben B.I.2.c.cc(2), S. 81. Mit guten Gründen kann indes auch vertreten werden, dass § 42 Abs. 2 S. 2 AO n.F. diesem theoretischen Rückgriff auf § 96 Abs. 1 S. 1 FGO entgegensteht und es insoweit doch zu einer Änderung der Feststellungslast kommt; allerdings ist es dann ebenfalls Frage der tatrichterlichen Würdigung, ob dem Steuerpflichtigen der einfache Gegenbeweis gelungen ist.

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Maßstäbe zur Bestimmung des Missbrauchscharakters

Dem Steuerpflichtigen bleibt es im Rahmen dieser Vermutung zum anderen unbenommen, nicht nur das Fehlen der eigenwirtschaftlichen Tätigkeit im Wege des einfachen Gegenbeweises zu entkräften, sondern auch einen sonstigen – darüber hinaus gehenden – wirtschaftlichen Grund zu belegen, der im Wege der Gesamtwürdigung als beachtlich anzusehen ist und die damit Gestaltung rechtfertigen kann;455 auch hierfür reicht der einfache Gegenbeweis aus. (bb) Fehlender wirtschaftlicher Grund Überdies dürfte die Finanzverwaltung auch in der Neufassung nicht gehindert sein, das Fehlen eines wirtschaftlichen oder sonst beachtlichen Grundes und die hierzu ergangene Rechtsprechung weiterhin auch zur Vermutung einer Steuerumgehung heranziehen zu können. Hierauf kann es beispielsweise ankommen, wenn die Substanz im oben dargestellten Sinne keine ausreichende Vermutungswirkung begründet; zudem muss eine ergänzende Verwertung möglich sein.456 In objektiver, materieller-rechtlicher Hinsicht bleibt das Fehlen des (beachtlichen) wirtschaftlichen Grundes ohnehin – insoweit unstreitig – notwendiges Element des Missbrauchs im Sinne von § 42 Abs. 2 AO. Die aufgezeigte Unterscheidung zwischen der Unangemessenheit i.S.v. Abs. 2 S. 1 und der Rechtfertigung i.S.v. Abs. 2 S. 2 kann dieser Sichtweise schon deswegen nicht entgegenstehen, da ansonsten mit der Neufassung eine Verschlechterung der Nachweismöglichkeiten bei grenzüberschreitenden Gestaltungen zu befürchten wäre. Auch erachtete man nach bisheriger Rechtslage die zur Gründung einer Zwischengesellschaft führenden Umstände – die wirtschaftlichen Gründe – als in der Sphäre des Steuerpflichtigen begründet; es oblag daher seiner Verantwortung, solche Gründe darzulegen und nachzuweisen, so dass im Falle der unterbliebenen oder gescheiterten Darlegung im Wege der freien Beweiswürdigung prozessual ohne weiteres vom Fehlen solcher Gründe ausgegangen werden konnte.457 Nichts anderes gilt im Lichte der Neufassung des § 42 Abs. 2 AO – die Verteilung der Unangemessenheit und der Rechtfertigung auf die beiden Sätze bleibt insoweit im Lichte der Nachweislast zu sehen; anhand der Einstufung als Frage des Gegenbeweises nach § 42

455 Zum Verhältnis der Elemente in der Neufassung siehe schon oben B.I.2.d.cc(2)(a), S. 112. 456 Insoweit wäre eine Abgrenzung zwischen der eigenwirtschaftlichen Tätigkeit und den wirtschaftlichen Gründen auch in Hinblick auf die Verteilung der Nachweislast obsolet, da beides insgesamt als Vermutungsbasis herangezogen werden kann. 457 BT-Ds.16/6290, S. 81. Blesinger, in: Kühn/von Wedelstädt, AO, § 42 Rn. 37; Drüen, in: Tipke/Kruse, § 42 AO Rn. 54. Siehe auch schon oben die Darstellung m.w.N. bei Fn. 372.

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Abs. 2 S. 2 AO sind nur die Fälle der Nichterweislichkeit zu entscheiden.458 Da sich nach hier vertretener Ansicht der subjektive „Tatbestand“ des § 42 AO in der Darlegung der wirtschaftlichen oder sonst beachtlichen Gründe erschöpft459, geht insoweit auch die zweite Vermutungswirkung der Basisgesellschaftenrechtsprechung, namentlich die des Vorliegens einer Umgehungsabsicht, in der Neufassung auf. Eine Benachteiligung des Steuerpflichtigen durch eine zu umfangreiche Vermutungswirkung muss in Bezug auf grenzüberschreitenden Gestaltungen zudem aufgrund des regelmäßig anwendbaren § 90 Abs. 2 AO mit der Folge einer erhöhten Mitwirkungspflicht abgelehnt werden. Zuzugeben ist allerdings, dass richtigerweise allein aus der Aufklärungs-, Beweisbeibringungs- und Beweisvorsorgepflicht des § 90 Abs. 2 AO keine Umkehrung der Beweislast, sondern nur eine Herabsetzung des Beweismaßes folgt,460 die gegebenfalls in Einzelfällen eine abweichende tatrichterliche Würdigung i.S.v. § 96 Abs. 1 S. 1 FGO zulässt; diese Möglichkeit könnte nach der Neufassung der außersteuerlichen bzw. wirtschaftlichen Gründe des § 42 AO Abs. 2 S. 2 als Teil der objektiven Nachweislast des Steuerpflichtigen nunmehr kritisch zu sehen sein.461 Da aber nach wie vor der einfache Erschütterungsbeweis ausreicht, erscheint jedoch weiterhin nicht nur in objektiver Hinsicht, sondern auch prozessual sichergestellt, dass eine Würdigung der Gesamtumstände als maßgeblich zu erachten ist.462 Insoweit würden auch die Beurteilung angemessener Substanz und die der Beachtlichkeit wirtschaftlicher Gründe parallel verlaufen, als beides der vollen gerichtlichen Nachprüfbarkeit unterliegt.463 Vor diesem Hintergrund kann man es auch dahin stehen lassen, wie sich das Fehlen wirtschaftlicher oder sonst beachtlicher Gründe zu dem Erfordernis einer tatsächlichen Ansiedlung mit wirklicher wirtschaftlicher Tätigkeit verhält, da eine Trennung nicht erforderlich ist, sondern diese ineinander übergehen und sich aufeinander beziehen. Bei einem solchen Verständnis des Missbrauchs bei grenzüberschreitenden Gestaltungen dürfte auch den Vorgaben des EuGH aus Cadbury Schweppes Genüge getan sein. 458 Vgl. auch schon B.I.2.c.cc(2), S. 81. In diesem Sinne mag man die Neufassung auch so verstehen, dass die geltenden Nachweislasten bei regelmäßig missbräuchlichen grenzüberschreitenden Gestaltungen auf inländische Sachverhalte ausgedehnt wurden. 459 Hierzu oben B.I.2.c.dd, S. 86. 460 Ax/Große/Melchior/Lotz/Ziegler, Abgabenordnung, Rn. 1010; Rätke, in: Klein, AO, § 88 Rn. 25; Seer, in: Tipke/Kruse, AO, § 162 Rn. 5; Seer, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 22 Rn. 190 f. Im Ergebnis auch Wagner, in: Kühn/von Wedelstädt, AO, § 88 Rn. 11. 461 Siehe bereits oben Fn. 454. 462 Drüen, in: Tipke/Kruse, § 42 AO Rn. 99; Kinzl, IStR 2007, 561 (563); Reith, Internationales Steuerrecht, Rn. 9.83. Siehe aber auch oben Fn. 454. 463 Siehe oben Fn. 222.

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Maßstäbe zur Bestimmung des Missbrauchscharakters

3.

Spezielle Missbrauchsvorbehalte

a.

Bedeutung der Einordnung

Maßstäbe zur Bestimmung des Missbrauchscharakters einer Steuergestaltung lassen sich jedoch nicht nur der Generalklausel des § 42 AO entnehmen, sondern auch den zahlreichen gesetzlichen464 Vorschriften, die als spezielle Missbrauchsvorbehalte der Steuerumgehung entgegenwirken sollen. Dass dies in zunehmenden Umfang passiert, lässt sich zum einen auf die wachsende Differenziertheit steuerlicher Tatbestände zurückführen, die in Form der Diskrepanz von Wortlaut und Normtelos Raum für Umgehungsgestaltungen lässt.465 Auch weil der Gesetzgeber der Rechtsprechung eine Zurückhaltung bei der Anwendung der Generalklausel des § 42 AO attestiert, werden in jüngerer Zeit materielle Änderungen im Steuerrecht unmittelbar mit Regelungen zur Normen zur Verhinderungen von Missbrauchsgestaltungen flankiert.466 Bisweilen finden sich aber auch Fälle, in denen der Gesetzgeber auf BFH-Entscheidungen reagiert, in denen die Anwendung des § 42 AO abgelehnt wurde; damit wird gewissermaßen rechtsprechungsbrechend nach Art eines Nichtanwendungsgesetzes die unterlegene Ansicht der Finanzverwaltung Inhalt eines zukünftigen Gesetzes.467 Als solche speziellen, gesetzlich normierten Missbrauchsvorbehalte sind im Rahmen des Treaty Shopping insbesondere die §§ 50d Abs. 3 und § 50g Abs. 4 EStG hervorzuheben. Zur Bestimmung eines Maßstabes für die Bestimmung des Missbrauchscharakters einer Gestaltung sind diese und andere spezielle Vorschriften aber nur insoweit heranzuziehen, als ihnen übergreifende Leitgedanken entnommen werden können, die einzelnen Normen sind dann im weiteren Gang der Untersuchung gerade daran zu messen. Die Funktion spezieller Missbrauchsvorbehalte ist aber auch im Hinblick auf die mögliche Kollision

464 Insoweit handelt es sich auch um spezielle Missbrauchsnormen. 465 Siehe schon oben B.I.1, S. 45 und B.I.2.a.aa, S. 54, sowie insbesondere auch die Habilitationsschrift von Hey, Steuerplanungssicherheit. Vgl. auch die Übersicht von Roser, FR 2005, 178 (178 f.). 466 Beispielsweise wurde die Einführung der Abgeltungssteuer mit § 32d Abs. 2 EStG gegen sog. „back-to-back“ Finanzierungen abgesichert. Bemerkenswert ist insoweit auch § 8a Abs. KStG, der letztlich die Missbrauchsvorschrift des § 4h EStG (Zinsschranke) wiederum selbst vor einer Umgehung bewahren will; siehe insgesamt Hey, StuW 2008, 167 (167 f.), die dies als „Argwohn und Perfektionsdrang“ bezeichnet. Zur Spezialgesetzgebung als Reaktion auf die BFH-Rechtsprechung siehe Crezelius, StuW 1995, 313 (315); Hey, StuW 2008, 167 (170). 467 Hey, StuW 2008, 167 (168); Spindler, DStR 2007, 1061 (1062). Ausführliche Untersuchung bei Völker/Ardizzoni, NJW 2004, 2413 (2413 ff.). Siehe auch die Nachweise bei vorstehender Fn. 466 a.E.

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bzw. das Zusammenwirken mit der Generalklausel des § 42 AO, insbesondere dessen abstrakten Rahmen in Abs. 2, von Bedeutung. b.

Identifizierung spezieller Missbrauchsvorbehalte

Mit der Neufassung des § 42 AO liefert der Gesetzgeber erstmalig468 selbst einen Anhaltspunkt zur Bestimmung spezieller Missbrauchsvorbehalte: So greift § 42 Abs. 1 S. 2 AO Kollisionen zwischen der Generalklausel und einer Regelung in einem Einzelsteuergesetz (…), die der Verhinderung von Steuerumgehungen dient, auf. Da diese Definition den Begriff der Steuerumgehung ebenso wie zuvor in der Grundaussage des § 42 Abs. 1 S. 1 AO verwendet und S. 2 auch systematisch hieran anknüpft, muss den Spezialvorschriften das identische Konzept der Verhinderung von Steuerumgehungen durch Missbrauch von Gestaltungsmöglichkeiten zugrunde liegen.469 Mithin wird auf einen gemeinsamen Missbrauchsbegriff Bezug genommen, so dass grundsätzlich auch bei speziellen Normen vom gleichen abstrakten Maßstab i.S.v. § 42 Abs. 2 AO auszugehen ist. Mit anderen Worten wird durch diese Definition des speziellen Missbrauchsvorbehalts die Funktion des § 42 AO als strukturgebender Rahmentatbestand auch für diese grundsätzlich anerkannt.470 Nicht jede vorteilsausschließende oder -beschränkende Regelung ist aber gleichzeitig eine Norm zur Verhinderung von Steuerumgehungen.471 Zu unterscheiden sind zum einen Vorschriften, deren Regelungsziel nicht die Verhinderung von Steuerumgehungen, sondern von Steuerhinterziehungen ist, die also insbesondere der gesetzeswidrigen Inanspruchnahme von Vergünstigungen vorbeugen oder die Besteuerung tatsächlich verwirklichter Tatbestände sicherstellen sollen.472 Zum anderen werden zahlreiche Normen zwar anlässlich potentieller Missbrauchsgestaltungen geschaffen, treffen letztlich aber eine generelle Regelung mit eigenständiger Belastungsentscheidung; der Normtypus der 468 Siehe auch Hey, StuW 2008, 167 (169): Infolge der Neufassung handele es sich bei der „spezialgesetzlichen Missbrauchsvermeidungsvorschrift“ um eine eigene Kategorie. 469 Gabel, Spezielle Missbrauchsvorschriften, S. 5; Hey, StuW 2008, 167 (169); Hey, in: DStJG Bd. 33, S. 142. 470 Siehe auch schon Wagner, Der Konzern 2008, 409 (410): „Zumindest muss die spezielle Vorschrift in die Systematik des § 42 AO n.F. passen.“ Anders Gabel, Spezielle Missbrauchsnormen, S. 30, wonach dies nur für Abs. 2 S. 1 gelte, und der Begriff der Steuerumgehung für Abs. 2 S. 2 divergiere. A.A. auch Hey, DStJG Bd. 33, S. 143. Die hier vertretene grundsätzliche Rückbindung ist dennoch nicht als absolut wirkend zu verstehen und findet ihre Grenze in der zulässigen Konkretisierungs- und Vereinfachungswirkung. Zur ausführlichen Auseinandersetzung damit siehe unten D.II.3.c, S. 265. 471 Drüen, in: Tipke/Kruse, vor § 42 AO Rn. 11. 472 Hey, StuW 2008, 167 (171); genannt werden beispielsweise die Einschränkung der Abzugsfähigkeit von Aufwendungen für häusliche Arbeitszimmer, vgl. aber auch die Regelungen zur Sicherstellung der Besteuerung privater Wertpapiergeschäfte (Abgeltungssteuer). Ebenso Gabel, Spezielle Missbrauchsnormen, S. 16 f.

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Maßstäbe zur Bestimmung des Missbrauchscharakters

speziellen Missbrauchsvorbehalte setzt demgegenüber nur eine bestehende Belastungsentscheidung durch und qualifiziert daher als unselbständige Fiskalzwecknorm.473 Ob tatsächlich eine spezielle Missbrauchsnorm vorliegt, ist mithin durch Auslegung zu ermitteln, wobei ursprüngliche Missbrauchsvorbehalte ihren Charakter im Laufe der Zeit durchaus auch verlieren können.474 c.

Funktionen und Regelungsgehalte als maßstäbliche Leitgedanken

Die Funktion einer so verstandenen speziellen Missbrauchsnorm besteht nach überwiegender und richtiger Ansicht darin, bestimmte Gestaltungen als missbräuchlich zu typisieren, also den Missbrauch in sachlicher, zeitlicher oder persönlicher Hinsicht zu konkretisieren.475 Die gesetzliche Wertung im Hinblick auf bestimmte Umgehungsstrategien soll dadurch rechtsbestimmt verfestigt werden476 und eine wertende Auslegung des § 42 AO durch die Rechtsprechung überflüssig machen. Die Typisierung führt über die Besteuerung wirtschaftlich vergleichbarer Sachverhalte zudem zur Verwirklichung des Leistungsfähigkeitsprinzips als bereichsspezifischer Ausprägung von Art. 3 Abs. 1 GG.477 Das gesetzgeberische Ziel der Verhinderungen von Steuerumgehung wird daher auch vom BVerfG als Rechtfertigungsgrund für Ungleichbehandlungen im Grundsatz anerkannt.478 Rein tatsächlich knüpfen zahlreiche spezielle Missbrauchsvorbehalte an die Ergebnisse richterlicher Subsumtion unter § 42 AO an.479 Abhängig von der jeweiligen Entscheidung in diesen Fällen wird im Schrifttum eine weitere Differenzierung vorgenommen: Wurde die Anwendung des § 42 AO von der Rechtsprechung bejaht, so könne man die Spezialvorschrift ohne weiteres als 473 Hahn, DStZ 2005, 183 (185); Hey, StuW 2008, 167 (171). Nicht zur Differenzierung geeignet erscheint der Begriff des „Ergänzungstatbestandes“: Hahn, DStZ 2008, 483 (488 f.), verwendet diesen antonym zu den speziellen Missbrauchsnormen, während der BFH, Urteil vom 03.12.1969 – II 162/65 – BStBl II 1970, 279 (281), von Synonymität ausgeht. Zur Unterscheidung von echten und unechten Missbrauchsnormen siehe auch Gabel, Spezielle Missbrauchsnormen, S. 24 ff., dort unter S. 44 ff. auch zur steuersystematischen Einordnung als Fiskalzwecknorm, Sozialzwecknorm, Vereinfachungszwecknorm und als Normtyp sui generis. 474 Drüen, Ubg 2008, 31 (32 f.), mit Beispielen zu vGA, Gesellschafterfremdfinanzierung und Mantelkauf; Gabel, Spezielle Missbrauchsnormen, S. 37 ff. 475 BFH, Urteil vom 15.12.1999 – I R 29/97 – DStR 2000, 462 (465); FG Hessen, Urteil vom 24.03.2009 – 8 K 399/02 – EFG 2009, 1885 (1888); Drüen, in: Tipke/Kruse, § 42 AO Rn. 20; Gabel, Spezielle Missbrauchsnormen, S. 18; Gosch, in: Harzburger Steuerprotokoll 1999, S. 237; Hey, StuW 2008, 167 (171); Roser, FR 2005, 178 (180); WeberGrellet, Steuern im modernen Verfassungsstaat, S. 225. 476 Gosch, in: Harzburger Steuerprotokoll 1999, S. 237. 477 Siehe ausführlich oben B.I.1.a, S. 50, sowie Hey, StuW 2008, 167 (171). 478 Hey, StuW 2008, 167 (173), dort unter Fn. 68 m.w.N. 479 Siehe schon oben bei Fn. 467, sowie Drüen, in: Tipke/Kruse, vor § 42 AO Rn. 11.

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deklaratorische Typisierung des allgemeinen Missbrauchsgedankens im Sinne von § 42 Abs. 2 AO auffassen; in den Fällen klassischer Nichtanwendungsgesetze hingegen, in denen zuvor § 42 AO verneint wurde, werde der einschlägige Sachverhalt streng genommen erst durch den Rechtsanwendungsbefehl – auch in zeitlicher Hinsicht – der speziellen Norm als Steuerumgehung qualifiziert, so dass die Typisierung als missbräuchlich in konstitutiver Weise erfolge.480 Spezielle Missbrauchsvorbehalte wirken dabei ganz regelmäßig zugleich als Vereinfachungszwecknormen, und zwar nicht nur bei einer Typisierung der Anwendungsfälle der Generalklausel,481 sondern auch im Bereich konstitutiver Typisierung. Entscheidend hierfür ist die Vereinfachungswirkung durch die Orientierung an der Durchschnittsnormalität sowie an Sachbefreiungen, Freibeträgen und Freigrenzen.482 Soweit bisher nur von der Typisierung des Missbrauchs gesprochen wurde, bedarf dies einer Ergänzung, setzt sich doch der Missbrauchsbegriff des § 42 Abs. 2 AO aus mehreren Elementen zusammen. Gemessen an dessen Systematik typisieren spezielle Missbrauchsvorbehalte regelmäßig die Unangemessenheit der rechtlichen Gestaltung auf der Tatbestandsseite.483 Systematisch kann hierzu auf die bereits erfolgte allgemeine Typologie der Steuerumgehung verweisen werden, so dass Spezialnormen ebenso die Zuordnung von Wertbewegungen zum richtigen Rechtsgrund – insbesondere bei Austauschverträgen mit fehlenden Interessengegensätzen –, die gesamtplanmäßige Verkettung gegenläufiger oder ergänzender Einzelgestaltungen oder – wie beim Treaty Shopping – die Zwischenschaltung von Rechtsträgern insbesondere bei der Zurechnung von Einkünften aufgreifen.484 Die Techniken, derer sich die speziellen Missbrauchsvorbehalte hierzu bedienen, reichen von zivilrechtlichen Ersatztatbeständen, Sperr- und Behaltefristen, Freibeträgen und Freigrenzen (sog. safe haven) bis hin zu Regelungen zum Fremdvergleich.485 Aus Sicht des Steuerpflichtigen tragen solche Typisierungen auch (jedenfalls in Bezug auf Fristen und sachliche Aufgriffsgrenzen i.S.v. safe haven) zu Rechts- und Planungssicherheit bei, da bei deren Einhaltung eine Qualifizierung der Gestaltung als missbräuchlich abzulehnen ist.486

480 481 482 483 484 485

Gabel, Spezielle Missbrauchsnormen, S. 22 f.; Hey, StuW 2008, 167 (173). Hey, StuW 2008, 167 (172). Vgl. Lang, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 4 Rn. 132. Hey, DStJG Bd. 33, S. 149 f., auch zum Folgenden. Siehe oben B.I.2.a.dd, S. 57. Hierzu im Einzelnen Hey, StuW 2008, 167 (171 f.); siehe nun auch Gabel, Spezielle Missbrauchsnormen, S. 33 ff., jeweils mit Beispielen. 486 Drüen, in: Tipke/Kruse, § 42 AO Rn. 20; Hey, in: DStJG Bd. 33, S. 145. Dies ist auch für die Kollisionsbeurteilung im Verhältnis zur Generalklausel von Bedeutung, hierzu im 2. Teil, B.II.1.b.bb, S. 431.

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Maßstäbe zur Bestimmung des Missbrauchscharakters

Darüber hinaus kann zusätzlich oder stattdessen eine Typisierung der Rechtfertigung bzw. Exkulpation487 durch außersteuerliche Gründe erfolgen; hierzu gehörige Normen werden meist als sog. Aktivitäts- und/oder Substanzvorbehalte eingeordnet.488 Diese können beispielsweise positiv festlegen, welche Aktivitäten als eigenwirtschaftliche Tätigkeit anerkannt werden, in der Form eines Negativkatalogs unbeachtliche Tätigkeiten typisieren oder nähere Vorgaben zur Bestimmung angemessener Substanz machen. In diesem Zusammenhang sind auch rechnerische Pauschalierungen, Mindestanforderungen oder Geringfügigkeitsgrenzen zu sehen. Auf diese Weise konkretisiert der Gesetzgeber mithin, welche außersteuerlichen Gründe er als beachtlich angesehen hat. Zugleich wird hiermit der subjektive Tatbestand der Umgehungsabsicht konkretisiert, welcher – wie im Rahmen des § 42 AO aufgezeigt – auf das Fehlen außersteuerlicher Gründe beschränkt ist.489 Zumeist wird dies im Wege einer unwiderlegbaren Vermutung erfolgen, die eine Berufung auf atypische Umstände nicht zulässt.490 Ebenso denkbar ist jedoch die widerlegbare Vermutung eines Missbrauchs, bei der zumindest die Folge einer Beweislastumkehr verbleibt.491 Die vorstehenden Ausführungen haben bereits gezeigt, dass sich zugleich die Frage nach der Einordnung von Spezialnormen in den abstrakten Rahmen des § 42 Abs. 2 AO stellt, insbesondere aufgrund dessen Funktion als strukturgebender Rahmentatbestand auch gegenüber Spezialnormen. Dies betrifft zum einen die Feststellung der Unangemessenheit einer Gestaltung, welche insbesondere von der Identifizierung des gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteils abhängt.492 Zum anderen erscheinen dann unwiderlegbare Spezialnormen angesichts der in der Neufassung des § 42 Abs. 2 S. 2 AO vorgesehenen Möglichkeit des Gegenbeweises („subjektiver Motivtest“493) bei Vorliegen beachtlicher Gründe als problematisch. Letztendlich handelt es sich jeweils um ein Problem der Kollision verschiedener Missbrauchsvorbehalte samt den dort enthaltenen Maßstäben. Eine endgültige Entscheidung hierüber kann daher nur 487 Zur Terminologie siehe bereits oben B.I.2.c.dd, S. 86, m.w.N. Vgl. auch Hey, in: DStJG Bd. 33, S. 149 f. 488 Dazu gehört insbesondere § 50d Abs. 3 S. 1 Nr. 2 und Nr. 3 EStG sowie § 8 Abs. 1 AStG., siehe auch Gabel, Spezielle Missbrauchsnormen, S. 29 f. 489 Siehe oben B.I.2.c.dd, S. 86. Siehe aber auch Hey, in: DStJG Bd. 33, S. 150. 490 Von Crezelius, StuW 1995, 313 (318), als „materielle“ Typisierung bezeichnet; ebenso Hey, in: DStJG Bd. 33, S. 165; Gabel, Spezielle Missbrauchsnormen, S. 29. 491 Crezelius, StuW 1995, 313 (318), bezeichnet dies als „hypothetische“ Typisierung. Hey, in: DStJG Bd. 33, S. 165, und Gabel, Spezielle Missbrauchsnormen, S. 29 (m.w.N.), sprechen demgegenüber von einer „formellen Typisierung“, dies erscheint als Gegenbegriff überzeugender. 492 Oben B.I.2.c.bb(2), S. 73. 493 Siehe bereits oben Fn. 276.

126

Nationales Steuerrecht

unter Heranziehung der noch darzustellenden Zuordnungskriterien im Kollisionsfall getroffen werden; die Frage ist somit im weiteren Verlauf der Untersuchung zu beantworten.494 Dies gilt gleichermaßen für die Fälle, in denen spezielle Missbrauchsnormen nicht nur Typisierungen des Maßstabs des Missbrauchs (auf der Tatbestandsseite) regeln, sondern mitunter eigenständige Rechtsfolgen setzen. Beispielsweise fingiert die Hinzurechnungsbesteuerung nach §§ 7 ff. AStG eine Ausschüttung an die Anteilseigner, § 50d Abs. 3 EStG versagt den Erstattungsanspruch der Tochtergesellschaft aufgrund fiktiver subjektiver Zurechnung bei der Muttergesellschaft. Mitunter könnte der Steuerpflichtigen dann sogar schlechter stehen als bei Zugrundelegung der angemessenen Gestaltung gemäß § 42 Abs. 1 S. 3 AO.495 Zur Lösung einer solchen Kollision ist insbesondere auch auf § 42 Abs. 1 S. 2 AO abzustellen. d.

Verfassungsrechtliche Folgerungen der Einordnung

aa.

Widerstreitende Positionen und Tatbestandsgestaltung

Aus der dargelegten Systematisierung spezieller Missbrauchsvorbehalte werden weitere Folgerungen verfassungsrechtlicher Art abgeleitet. Denn einerseits ist dem Gesetzgeber auch dann, wenn man aus Art. 3 Abs. 1 GG eine Pflicht zur Missbrauchsbekämpfung ableitet,496 ein weiter Ermessensspielraum zuzugestehen, insbesondere auch bezüglich der Frage, ob dieser Pflicht durch einen allgemeinen Missbrauchsvorbehalt in Form einer Generalklausel oder durch eine spezielle Missbrauchsnorm entsprochen wird; andererseits unterliegt die Ausgestaltung einer entsprechenden Typisierung jedoch verfassungsrechtlichen Schranken.497 Diesen ist nämlich immanent, dass – insbesondere bei fehlender Widerlegbarkeit der Missbrauchsvermutung – auch Fälle erfasst werden, in denen nach den sonst gültigen Maßstäben mitunter kein Missbrauch gegeben wäre; eine Typisierung berücksichtigt insoweit keine individuellen Besonderheiten, so dass sich im Lichte des Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs. 1 GG die Frage einer rechtfertigungsbedürftigen Ungleichbehandlung stellt.498 Indes dient die typisierende Missbrauchsvorschrift auch selbst der Herstellung der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit; der Gesetzgeber darf daher einen steuererheblichen Vorgang um der materiellen Gleichheit wil494 Siehe D.II.3.c.bb(3), S. 276. 495 So in den Fällen des § 15 AStG und des § 18 Abs. 3 UmwStG. Für eine ausführliche Systematisierung der verschiedenen Rechtsfolgen siehe Roser, FR 2005, 178 (178 ff.). Speziell zum Verhältnis der Rechtsfolgen von § 42 Abs. 1 S. 3 AO und § 50d Abs. 3 EStG siehe im 2. Teil B.II.1.b.aa, S. 428. 496 Siehe bereits oben B.I.1.b, insbesondere Fn. 22. 497 Hey, in: DStJG Bd. 33, S. 166 f.; Lang, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 4 Rn. 132. 498 Hey, in: DStJG Bd. 33, S. 168.

127

Maßstäbe zur Bestimmung des Missbrauchscharakters

len im typischen Lebensvorgang erfassen und damit unvermeidlich verbundene Härten in Einzelfällen unberücksichtigt lassen.499 Dies gilt jedoch nur unter der Prämisse, dass der Typisierung realitätsgerecht ein Durchschnittsfall zugrunde liegt und sich die Vorschrift nicht am atypischen Sachverhalt orientiert, wenn auch – wie generell bei Vereinfachungszwecknormen – ein gewisser Prognosespielraum zuzugestehen ist.500 Andernorts wird in diesem Zusammenhang formuliert, dass sachgerechte Tatbestandsmerkmale sowie eine Ausrichtung des Tatbestands am sachnächsten Leitbild des jeweiligen Umgehungskonstrukts erforderlich seien.501 Insoweit können spezielle Missbrauchsvorbehalte auch im Hinblick auf den Grundsatz der Folgerichtigkeit Probleme aufwerfen, wenn eine strikte Ausrichtung der Norm am Missbrauchsvermeidungszweck verlangt wird und hiernach insbesondere eine „überschießende Tendenz“ – d.h. die Erfassung eigentlich nicht missbräuchlicher Gestaltungen – als Verstoß gegen das Prinzip der Folgerichtigkeit und der Leistungsfähigkeit erachtet wird.502 Insoweit ist das Verhältnismäßigkeitsprinzip schon bei der Ausgestaltung des Missbrauchstatbestands zu beachten, die Vorteile der Missbrauchstypisierung – insbesondere der Verwaltungsvereinfachung – dürfen mithin nicht außer Verhältnis zu der notwendigerweise mit der Typisierung verbundenen Ungleichbehandlung stehen.503

499 BVerfG, Beschluss vom 25.09.1992 – 2 BvL 5/91 u.a. (Existenzminimum) – BVerfGE 87, 153 (169 ff.); BVerfG, Beschluss vom 10.04.1997 – 2 BvL 77/92 – BVerfGE 96, 1 (6 f.); BVerfG, Urteil vom 06.03.2002 – 2 BvL 17/99 – BVerfGE 105, 73 (127); Hey, in: DStJG Bd. 33, S. 168; Lang, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 4 Rn. 132. Gabel, Spezielle Missbrauchsnormen, S. 95, spricht insoweit von der „Funktionsambivalenz“ des allgemeinen Gleichheitssatzes, dieser sei „zugleich Grund und Grenze“ spezieller Missbrauchsnormen. Die verfassungsrechtlichen Anforderungen an die jeweilige Typisierung werden sodann vornehmlich aus dem Verhältnismäßigkeitsprinzip abgeleitet, a.a.O., S. 95 ff. 500 Hey, StuW 2008, 167 (176); Lang, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 4 Rn. 132. 501 Gabel, Spezielle Missbrauchsnormen, S. 138 ff., insbesondere S. 153. Siehe dort aber auch S. 116 zum Zusammenhang von Verfassungsverstoß und überschießender Tendenz. 502 Gabel, Spezielle Missbrauchsnormen, S. 110 ff., dort als „Durchbrechungen auf Mikroebene“ bezeichnet; Gleiches solle für die lückenhafte Umsetzung gelten, d.h. die unvollständige Erfassung der missbräuchlichen Gestaltungen in einem bestimmten Regelungsbereich. Denkbar sind weiterhin aber auch Abweichungen von einer bereichsspezifischen Grundentscheidung durch die Ausgestaltung der speziellen Missbrauchsvorschrift, die im Einzelnen rechtfertigungsbedürftig sind („Durchbrechungen auf Makroebene“), Gabel, Spezielle Missbrauchsnormen, S. 104 ff. 503 BVerfG, Beschluss vom 25.09.1992 – 2 BvL 5/91 u.a. (Existenzminimum) – BVerfGE 87, 153 (172); Hey, in: DStJG Bd. 33, S. 168; Lang, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 4

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Nationales Steuerrecht

Dem ist im Grundsatz zuzustimmen, da nur mittels einer sachgerecht typisierenden Missbrauchsvorschrift die ursprüngliche Belastungsentscheidung folgerichtig umgesetzt und damit die Verwirklichung einer Besteuerung nach der wirklichen Leistungsfähigkeit erreicht werden. Indes kann auch diesbezüglich die grundsätzliche Anerkennung der Typisierung als Abstandnahme von der zwingenden Einzelfallgerechtigkeit eine Durchbrechung rechtfertigen; daher kann nicht jede „überschießende Tendenz“ einer speziellen Missbrauchsvorschrift zu einem Verfassungsverstoß führen, sondern nur solche, die bei einer Abwägung der beteiligten Interessen als unverhältnismäßig erscheint, weil die Norm schon bei abstrakter Betrachtung aufgrund einer unsachgerechten Typisierung eine Vielzahl abweichender Sachverhalte betrifft. bb.

Unwiderlegbarkeit als Problem der Verhältnismäßigkeit

Von einigen Autoren im Schrifttum wird darüber hinaus aus der Schranke der Verhältnismäßigkeit ein Zusammenhang dergestalt abgeleitet, dass je gröber der Missbrauchstatbestand typisiert wurde, desto eher müsse dem Steuerpflichtigen eine „realistische Exkulpationschance“ eingeräumt werden; insbesondere nicht widerlegbare Vermutungen seien unter diesem Gesichtspunkt bedenklich, so dass insoweit strengere Anforderungen gelten.504 Die Bestimmung der Gröbe der Typisierung könne dabei unter Rückgriff auf die Beweisregeln erfolgen, so dass darauf abzustellen sei, ob sich die typisierten Sachverhalte bei Subsumtion unter die Generalklausel als Anscheinsbeweis darstellten, oder ob es sich um bloße Indizien für eine missbräuchliche Gestaltung handele.505 Nach anderer Ansicht sind selbst unwiderlegbare Vermutungen als zulässig zu erachten.506 Letztere Ansicht erscheint aufgrund der pauschalen Bewertung unabhängig von der konkreten Ausgestaltung der Spezialnorm bedenklich; angesichts der tatsächlich zu beachtenden Schranke der Verhältnismäßigkeit geht dies zu weit. Zudem setzt sich dies in Konflikt mit der Funktion des § 42 AO als strukturgebender Rahmentatbestand; aufgrund des identischen Missbrauchskonzeptes unterliegen auch spezielle Missbrauchsnormen einer grundsätzlichen Rückbindung an den abstrakten Rahmen des § 42 Abs. 2 AO.507 Die Spezialvorschrift darf daher die Frage einer Widerlegbarkeit mittels Nachweises außersteuerlicher Gründe nicht vollkommen unbeachtet lassen.

504 505 506 507

Rn. 132. Gabel, Spezielle Missbrauchsnormen, S. 96 f., betont in diesem Zusammenhang die Begrenzungsfunktion des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes. Gabel, Spezielle Missbrauchsnormen, S. 183 ff.; Hey, in: DStJG Bd. 33, S. 168 f. Gabel, Spezielle Missbrauchsnormen, S. 188 f. Ein Fall des Anscheinsbeweises solle auch bei den sog. tatsächlichen Vermutungen gegeben sein, hierzu unten bei Fn. 362. Wendt, in: DStJG, Bd. 33, S. 133. Siehe bereits oben B.I.3.b, S. 123.

129

Maßstäbe zur Bestimmung des Missbrauchscharakters

Andererseits ist bei einer Argumentation gegen unwiderlegbare Missbrauchsnormen zu berücksichtigen, dass mit der schrankenlosen Forderung nach einer Exkulpationsmöglichkeit der Vereinfachungszweck der speziellen Missbrauchsvorbehalte letztlich auf bloße Nachweisfragen reduziert würde; insbesondere im Zusammenhang mit grenzüberschreitenden Gestaltungen würde sich aufgrund der Beweisvorsorge- und Beweisbeschaffungspflicht des § 90 Abs. 2 AO faktisch kaum ein Unterschied gegenüber § 42 Abs. 2 S. 2 AO ergeben. Eine zu strenge Handhabung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes in Bezug auf unwiderlegbare Vermutungen würde sich weiterhin in Widerspruch dazu setzen, dass eine Typisierung der Rechtfertigungsmöglichkeiten im Rahmen objektiver Tatbestandsmerkmale grundsätzlich doch zulässig sein soll, wozu auch der Nachweis einer wirtschaftlichen Tätigkeit zählt.508 Insoweit muss dem Gesetzgeber eine grundsätzliche Typisierungsbefugnis zumindest zur Bestimmung der Beachtlichkeit außersteuerlicher Gründe zugestanden werden. Die Lösung kann insoweit dennoch nur in Abhängigkeit von der konkreten Ausgestaltung der Spezialnorm erfolgen. cc.

Struktureller Vergleich und Verhältnismäßigkeit

Ausgehend von der Funktion des § 42 AO als strukturgebender Rahmentatbestand auch gegenüber speziellen Missbrauchsvorbehalten kann für die Prüfung der Verhältnismäßigkeit einer Typisierung letztlich fruchtbar gemacht werden, ob und inwieweit die Spezialnorm von dem abstrakten Rahmen des § 42 Abs. 2 AO abweicht. Insoweit ließe sich von einem strukturellen Vergleich der Spezialnorm mit dem abstrakten Rahmen des § 42 Abs. 2 AO sprechen. Dieser kann sich zum einen schon auf die Frage einer unsachgerechten Typisierung auf Ebene des Tatbestands beziehen. Dies ist zwar nicht unproblematisch, da für die entsprechende Wertung als unangemessen der Rahmen des § 42 Abs. 2 S. 1 AO durch insbesondere teleologische Inbezugnahme der speziellen einzelgesetzlichen Vorschriften ausgefüllt werden muss, wozu auch die spezielle Missbrauchsnorm gehört, so dass eine solche (hypothetische) Entscheidung nicht immer völlig autonom getroffen werden kann. Im Falle der Tatbestandserschleichung lassen sich entsprechende Wertungen aber zumindest dem „missbrauchten“ Vergünstigungstatbestand entnehmen, aus dem ohne die Existenz der Spezialnorm ohnehin der konkrete Maßstab zur Bestimmung des Missbrauchscharakters abgeleitet werden müsste. Zum anderen betrifft dies jedenfalls die Frage der Widerlegbarkeit im Einzelfall,509 da das Maß der rechtfertigungsbedürftigen Ungleichbehandlung durch die Spezialnorm 508 Vgl. Gabel, Spezielle Missbrauchsnormen, S. 191; siehe auch schon zuvor B.I.3.c, S. 124. 509 Vgl. auch Gabel, Spezielle Missbrauchsnormen, S. 188, zur Bestimmung der Gröbe der Typisierung; hierzu bereits bei Fn. 505.

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von der Existenz und der Ausgestaltung einer Möglichkeit des Gegenbeweises abhängt; das Maß des Abweichens vom abstrakten Rahmen des § 42 Abs. 2 S. 2 AO ist insoweit geeigneter Bezugspunkt, ohne hierdurch zugleich jegliche Typisierung der Rechtfertigung auszuschließen. Mit anderen Worten wirkt im Wege dieses strukturellen Vergleichs im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der abstrakte Rahmen des § 42 Abs. 2 AO auf die Spezialvorschrift ein; dies ist das Spiegelbild der ansonsten konkretisierenden Wirkung der Spezialnorm auf die Generalklausel. Letztere Konkretisierungswirkung bleibt aber schon dadurch betroffen, dass eine potentielle Unverhältnismäßigkeit der Spezialnorm im Rahmen der Kollisionsfrage zu berücksichtigen ist. Insoweit besteht eine Korrelation zwischen der Verhältnismäßigkeit der Typisierung und der Funktion des § 42 Abs. 2 AO als strukturgebender Rahmentatbestand; letztlich muss dies in den Zuordnungskriterien einer möglichen Kollision berücksichtigt werden. dd.

Weitere Folgerungen

Als weitere Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ist die Rechtsfolge der Spezialvorschrift streng an der Besteuerung der angemessenen Gestaltung auszurichten, d.h. eine Pönalisierung zu vermeiden und ausschließlich eine Eliminierung der durch die missbräuchliche Gestaltung kausal und zurechenbar hervorgerufenen Steuervorteile zu erreichen.510 Als Ausgleich des weitreichenden Beurteilungsspielraums bei der Schaffung der Norm solle den Gesetzgeber zudem eine Beobachtungspflicht treffen, so dass er die Norm gegebenfalls nachträglich der Realität anpassen müsse; aus rein fiskalischen Gründen sei dies demgegenüber nicht zu rechtfertigen.511 Dem ist zu folgen, damit dies mit der Konzeption der Typisierung als Zugewinn an materieller Steuergerechtigkeit im Sinne der ursprünglichen Belastungsentscheidung korrespondiert. Fraglich ist demgegenüber, ob in Anlehnung an die ständige Rechtsprechung bei Lenkungsnormen der Missbrauchsvermeidungszweck hinreichend deutlich aus der Norm hervortreten müsse.512 Als weitere Folge der Einordnung der speziellen Missbrauchsvorbehalte ist regelmäßig auch das aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete Gebot der Nor-

510 Gabel, Spezielle Missbrauchsnormen, S. 159 ff. m.w.N. 511 Hey, in: DStJG Bd. 33, S. 169. 512 So angedeutet von Hey, BB 2007, 1303 (1304); in späteren Beiträgen, insbesondere in: DStJG Bd. 33, S. 139 ff., jedoch nicht mehr aufgegriffen. Gabel, Spezielle Missbrauchsnormen, S. 139, lehnt dies m.E. zu Recht ab, da bei Missbrauchsvermeidungsnormen eine ganz grundsätzliche Rechtfertigung ohnehin in der Durchsetzung der ursprünglichen Belastungsentscheidung zu sehen sei, während Lenkungsnormen einen hiervon verschiedenen, stets rechtfertigungsbedürftigen Normtypus darstellen.

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Maßstäbe zur Bestimmung des Missbrauchscharakters

menklarheit und der Vorhersehbarkeit hervorzuheben,513 da anderenfalls der Vereinfachungszweck durch die überbürdende Kompliziertheit und die damit verbundenen Rechtsunsicherheiten und Vollzugsschwierigkeiten konterkariert werden würde.514 Die Freiheitsrechte und die hieraus ableitbaren Grundsätze der Finanzierungsfreiheit, der freien Rechtsform- und Standortwahl hindern den Spezialgesetzgeber demgegenüber nicht an einer der gleichmäßigen Erfassung wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit ausgerichteten Missbrauchsbekämpfung.515 Für den im Einzelfall anzuwenden Missbrauchsmaßstab haben diese verfassungsrechtlichen Folgerungen zumindest mittelbar Bedeutung, da sie als Schranke die inhaltliche Auslegung der speziellen Missbrauchsvorbehalte und deren Maßstäbe, sowie über deren Gültigkeit und damit über den Rechtsfolgenbefehl bestimmen.

4.

Zwischenergebnis

Im nationalen Recht lassen sich insbesondere in Form des aus Art. 3 Abs. 1 GG abgeleiteten Grundsatzes der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen zur Bestimmung des Missbrauchs ableiten. Dieser bildet zugleich die verfassungsrechtliche Grenze der sog. Gestaltungsfreiheit, so dass dahinstehen kann, um es sich bei letzterer ebenso um eine subjektive, grundrechtlich geschützte Rechtsposition handelt. Zur Wahrung der Gleichmäßigkeit der Besteuerung ergibt sich mitunter eine Pflicht zur Verhinderung von Steuerumgehungen, allerdings unter Einräumung eines weiten Gestaltungsspielraums. Im Zusammenhang mit speziellen Missbrauchsvorbehalten kann sich das Verfassungsrecht aber auch als Schranke des Missbrauchsbegriffs erweisen. Spezifische Vorgaben zur Konkretisierung des Missbrauchsbegriffs lassen sich dem Verfassungsrecht jedenfalls nicht entnehmen. Die grundlegende Weichenstellung im nationalen Steuerrecht ist demnach in der Generalklausel des § 42 AO enthalten. Hierbei handelt es sich um die grundlegende Norm zur Verhinderung der Steuerumgehung im nationalen Recht; kennzeichnend hierfür ist das Ausnutzen einer Diskrepanz zwischen Telos und Wortlaut einer Norm durch den Normadressaten mittels planmäßi513 Hey, StuW 2008, 167 (177). Vgl. auch Gabel, Spezielle Missbrauchsnormen, S. 229 ff. Zum steuerlichen Legalitätsprinzip siehe bereits oben Fn. 35. 514 In Einzelfällen wird dem nicht hinreichend Beachtung geschenkt und stattdessen das Drohpotential der Rechtsunsicherheit als effektivitätssteigernd willkommen geheißen, hierzu insgesamt Hey, StuW 2008, 167 (177 f.). 515 Hey, in: DStJG Bd. 33, S. 176. Vgl. auch Gabel, Spezielle Missbrauchsnormen, S. 213 ff.

132

Nationales Steuerrecht

ger Sachverhaltsgestaltung zur Erlangung einer günstigen Besteuerung. Dies kann nicht nur durch Vermeidung einer ungünstigen Norm (Tatbestandsvermeidung), sondern auch durch Ermöglichung einer günstigen Norm (Tatbestandserschleichung) erfolgen. Letzteres ist als bloße Sachverhaltsgestaltung zur Steuerumgehung von der zweckwidrigen Rechtsausübung im Sinne des institutionellen Rechtsmissbrauchs zu unterscheiden; die Vorstellung von der Gestaltungsfreiheit als missbrauchter Rechtsposition geht insoweit fehl. Die Neufassung des § 42 AO wartet insoweit mit einer „Definition“ des Missbrauchs auf, die aber keineswegs abschließend ist, da das Vorliegen eines Missbrauchs stets nur unter Einbeziehung der umgangenen Vorschrift – insbesondere deren Telos – festgestellt werden kann. Nur auf diese Weise lässt sich bestimmen, ob ein Steuervorteil gesetzlich nicht vorgesehen und damit unangemessen i.S.d. § 42 Abs. 2 S. 1 AO ist. Somit handelt es sich bei § 42 AO nicht um einen selbständigen Besteuerungstatbestand, der allein aus sich selbst heraus subsumtionsfähig und anwendbar wäre. § 42 AO ist aber im Sinne der Außentheorie erforderliches Mittel der Zurückweisung einer Gestaltung als missbräuchlich. In der Neufassung erhält § 42 Abs. 2 AO zudem die Funktion eines strukturgebenden Rahmentatbestandes, welcher den abstrakten Rahmen für den im Einzelfall konkret zu ermittelnden Maßstab zur Beurteilung eines Missbrauchs bestimmt. Dies bezieht sich einerseits auf die teleologische Inbezugnahme der speziellen Einzelsteuernormen zur Bestimmung des gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteils und damit der Unangemessenheit einer Gestaltung. Andererseits gebietet § 42 Abs. 2 S. 2 AO die Möglichkeit einer Widerlegbarkeit des Umgehungsvorwurfs durch außersteuerliche Gründe. Der Aufteilung des Abs. 2 auf die beiden Sätze ist zudem eine Regelung der Beweislast zu entnehmen. Der Norm lassen sich somit zumindest abstrakte Maßstäbe zur Bestimmung des Begriffs des Missbrauchscharakters einer Steuergestaltung entnehmen. Diese Einordnung als strukturgebender Rahmentatbestand hat weiterhin Auswirkungen auf das Verhältnis des § 42 AO zu speziellen Missbrauchsvorbehalten. Als entscheidende Maßgabe des § 42 Abs. 2 AO fungiert auch nach der Neufassung die Unangemessenheit einer Gestaltung. Hierfür sind zum einen die Wertungen des umgangenen Steuergesetzes heranzuziehen, zum anderen kann zumindest grundsätzlich auf bereits bestehende Argumentationsmuster der Rechtsprechung abgestellt werden; relevant sind zudem nur Gestaltungen, die aus Sicht der Steuerpflichtigen steuerlich vorteilhaft sind. Ein objektivierendes Element für die Bewertung der Unangemessenheit ergibt sich aus dem Erfordernis des gesetzlichen nicht vorgesehenen Vorteils, welches damit im Zusammenhang zu lesen. Hierin liegt der Ansatzpunkt zur Ermittlung des konkreten Maßstabs des Missbrauchs in Abhängigkeit von der – insbesondere historisch-teleologischen – Wertung des umgangenen Einzelsteuergesetzes. 133

Maßstäbe zur Bestimmung des Missbrauchscharakters

Daneben kommt es auf das (Nicht-)Vorliegen beachtlicher außersteuerlicher, insbesondere wirtschaftlicher Gründe an. Insoweit, als dadurch die subjektiven Motive des Steuerpflichtigen Prüfungsgegenstand werden – aber zugleich auch hierauf beschränkt –, lässt sich die Relevanz einer Umgehungsabsicht bejahen; die objektive Rechtfertigung ist mithin zugleich subjektive Exkulpationsmöglichkeit. Aus der Struktur des § 42 Abs. 2 AO ergibt sich weiterhin eine Verteilung der Nachweislast, welche dem Gedanken der Sphärenverantwortlichkeit entspricht und eine wesentliche Erleichterung für die Finanzverwaltung darstellen kann. Bei der Einschaltung von Zwischengesellschaften in grenzüberschreitenden Konstellationen bedarf die Feststellung des Missbrauchs nochmaliger Ergänzung, da insoweit auf die Basisgesellschaftenrechtsprechung bzw. deren Fortschreibung Bezug zu nehmen ist: Als missbräuchlich zu erachten ist daher die Zwischenschaltung einer Kapitalgesellschaft im Ausland, die entweder mit Steuerinländern gesellschaftsrechtlich verflochten und in einem Niedrigsteuerland ansässig ist (Outbound) oder der Durchleitung von Einkünfte dient (Inbound), wenn diese ohne wirtschaftlichen oder sonst beachtlichen Grund errichtet ist. Fehlt es an einer eigenen wirtschaftlichen Betätigung – insbesondere wenn die Zwischengesellschaft keine angemessene Substanz aufweist, um selbst ihren Funktionen nachzugehen –, so fehlt regelmäßig auch ein beachtlicher wirtschaftlicher Grund für die Zwischenschaltung. Insgesamt ist jedoch eine Gesamtwürdigung der Umstände maßgeblich, da einerseits trotz fehlender eigenwirtschaftlicher Tätigkeit ein Widerlegung mittels beachtlicher außersteuerlicher Gründe möglich ist, andererseits aber auch trotz Vorliegens einer solchen Tätigkeit eine Bewertung als missbräuchlich angenommen werden kann. Im Inboundfall ist zudem die Eignung zur Durchleitung von Einkünften Maßstab der Unangemessenheit. Zudem ist es möglich, eine Unangemessenheit am Maßstab unionsrechtlicher Vorgaben zu bestimmen, d.h. ob eine künstliche Gestaltung oder eine tatsächliche Ansiedlung mit wirklicher wirtschaftlicher Tätigkeit vorliegt. Da durch die Neuregelung der Beweislast der Nachweis des Missbrauchs in grenzüberschreitenden Sachverhalten nicht erschwert werden sollte, steht die Aufteilung des § 42 Abs. 2 S. 2 AO n.F. nicht der Möglichkeit entgegen, bei einer Zwischenschaltung von Kapitalgesellschaften zur Durchleitung von Einkünften regelmäßig das Vorliegen des Missbrauchs vermuten zu können. Als Vermutungsbasis kann hierfür sowohl das Fehlen einer eigenwirtschaftliche Tätigkeit – auch schon anhand formaler Substanzkriterien – als auch das Fehlen eines wirtschaftlichen Grundes im Übrigen herangezogen werden; insoweit ist nicht zwischen der Unangemessenheit und Rechtfertigungsgründen zu trennen. Dies ist auch vor dem Hintergrund der erhöhten Mitwirkungspflicht des § 90 Abs. 2 AO gerechtfertigt und führt zu keiner generellen Missbrauchsvermutung. Der Steuerpflichtige kann diese tatsächlichen Vermutungen mittels 134

Europäisches Steuerrecht

einfachen Gegenbeweises entkräften, so dass sich gegenüber der bisherigen Rechtslage keine Veränderungen ergeben dürften. Im Vergleich zur Generalklausel findet sich in speziellen Missbrauchsvorbehalten eine Typisierung des Missbrauchs. Durch das identische Konzept der Verhinderung von Steuerumgehungen in der Generalnorm des § 42 AO und in speziellen Missbrauchsvorbehalten wird die Funktion des § 42 Abs. 2 AO als strukturgebender Rahmentatbestand auch für letztere anerkannt, so dass diese bei der Bestimmung des konkreten Maßstabs eines Missbrauchs grundsätzlich an den abstrakten Rahmen des § 42 Abs. 2 AO gebunden sind. Regelmäßig wird dabei der Maßstab der Angemessenheit einer Gestaltung i.S.v. § 42 Abs. 2 S. 1 AO in sachlicher, zeitlicher oder persönlicher Hinsicht konkretisiert; in Einzelfällen wird zugleich oder stattdessen die Rechtfertigung durch außersteuerliche Gründe typisiert, mitunter auch unwiderlegbar. Hieraus ergeben sich Kollisionsprobleme im Verhältnis von Generalklausel und spezieller Missbrauchsnorm, die besonderer und noch darzustellender Zuordnungskriterien bedürfen. Vergleichbares gilt für die Frage einer von § 42 AO abweichenden speziellen Rechtsfolgenanordnung. Im Anschluss an die typisierende Wirkung spezieller Missbrauchsmaßstäbe ergeben sich zudem verfassungsrechtlichen Schranken, insbesondere aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit; zu deren Beurteilung kann auch die Funktion als strukturgebender Rahmentatbestand fruchtbar gemacht werden.

II.

Europäisches Steuerrecht

Auch im Regelungsbereich des Europäischen Steuerrechts finden sich Maßstäbe zur Bestimmung des Missbrauchscharakters einer Gestaltung. Diese Kategorie wird nicht nur durch verschiedene Harmonisierungsvorschriften des Primärrechts und des Sekundärrechts, sondern vor allem durch die wechselseitigen Auswirkungen des AEUV auf die mitgliedsstaatlichen Rechtsordnungen geprägt.516 Die insoweit fehlende Trennschärfe macht es notwendig, die Rechtsprechung des EuGH von vornherein in die Betrachtung einzubeziehen, auch vor dem Hintergrund der Rechtsverbindlichkeit517 seiner Auslegung.

1.

Primärrecht

a.

Steuerrechtliche Vorschriften des AEUV

Das Primärrecht der Europäischen Union befasst sich teilweise ausdrücklich mit steuerrechtlichen Fragen; so sind die Art. 110-113 AEUV (Art. 90-93 516 Brombach-Krüger, Ubg 2009, 335 (335). Siehe schon oben Einleitung C, Fn. 5, S. 21. 517 Sedemund, Europäisches Ertragsteuerrecht, Rn. 140 ff.; Suchowerskyj, Missbrauchsbegriff, S. 72 f.

135

Maßstäbe zur Bestimmung des Missbrauchscharakters

EG518) in der Kapitelüberschrift als „Steuerliche Vorschriften“ bezeichnet. Diesen lassen sich zum einen aber schon keine Aussagen über den Bereich der Ertragsteuern entnehmen519 – und nur in diesem wird Treaty Shopping relevant.520 Erst recht jedoch enthalten keine Maßstäbe für die Bestimmung des Missbrauchscharakters im Europäischen Steuerrecht:521 So betreffen die sog. abgabenrechtlichen Diskriminierungsverbote der Art. 110-112 AEUV (Art. 9092 EG) speziell protektionistische Abgaben, die dem freien Warenverkehr entgegenstehen würden, und das Harmonisierungsgebot des Art. 113 AEUV (Art. 93 EG) für indirekte Steuern verankert ein entsprechendes Missbrauchsverständnis ebenso wenig unmittelbar im Primärrecht, allenfalls ergibt sich ein solches durch das darauf basierende Sekundärrecht. Eine Harmonisierung im Bereich der direkten Steuern lässt sich demgegenüber nur über die allgemeine Kompetenz des Art. 114 AEUV (Art. 94 EG) begründen. Auch hier sind indes vielmehr die einzelnen Richtlinien zu betrachten, die primärrechtliche Kompetenzzuweisung bildet selbst keinen Maßstab aus. Ebenso verhielt es sich mit Art. 293 Spstr. 2 EG, welcher letztlich bloße Rahmenbedingungen für Verhandlungen über separate Verträge zwischen den Mitgliedsstaaten statuierte und keine unmittelbare Geltung entfaltete.522 Auch wenn die Vorschrift in bestimmten Konstellationen mit DBA durchaus als Argumentationsmuster auftauchte, so begründete sie nach richtiger Auffassung selbst keinen Missbrauchsmaßstab.523 Dies gilt umso mehr, als sie durch den Reformvertrag von Lissabon ersatzlos entfallen ist. Ebenso im Rahmen dieser Untersuchung außer Betracht bleiben können die Vorschriften des Beihilferechts, Art. 107 ff. AEUV (Art. 87 ff. EG).524 b.

Die Grundfreiheiten

aa.

Regelungsgehalt der Grundfreiheiten

Aufgrund dieses Defizits eigenständiger Regelungen ergibt sich das Bild des Europäischen Steuerrechts im Bereich des Ertragsteuerrechts primär aus den Grundfreiheiten und der Rechtsprechung des EuGH hierzu. Diese bezwecken 518 In der Fassung bis 30.11.2009. 519 Cordewener, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, S. 4 ff; Waldhoff, in: Callies/Ruffert, EUV/EGV, Art. 90 EGV Rn. 4. 520 Siehe schon oben Einleitung A, Fn. 17. 521 Suchowerskyj, Missbrauchsbegriff, S. 29, auch zum Folgenden. 522 EuGH, Urteil vom 12.05.1998 – C-336/96 (Gilly) – DStRE 1998, 445 (447), Rn. 15; Bröhmer, in: Callies/Ruffert, EUV/EGV, Art. 293 EGV Rn. 2. 523 Insbesondere zur Frage der europarechtlichen Auswirkungen eines sog. Treaty Override, dazu ausführlich unten D.II.2.c.dd(2), S. 259. 524 Weiterführend Sedemund, Europäisches Ertragsteuerrecht, Rn. 131; Suchowerskyj, Missbrauchsbegriff, S. 29 ff.; sowie Drüen, DStR 2011, 289 (289 ff.); Lang, IStR 2010, 570 (570 ff.), speziell zu steuerlichen Subventionstatbeständen.

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Europäisches Steuerrecht

eine Öffnung der Märkte zwischen den Mitgliedstaaten und dienen damit der Realisierung des gemeinsamen europäischen Binnenmarkts,525 in dem der freie Verkehr von Waren, Personen, Dienstleistungen und Kapital gewährleistet ist, Art. 26 Abs. 2 AEUV (Art. 14 Abs. 2 EG). Sie sind unmittelbar anwendbar,526 haben als Teil des Unionsrechts Anwendungsvorrang gegenüber nationalen Vorschriften,527 und schützen somit in erster Linie gegenüber Maßnahmen der Mitgliedstaaten.528 In systematischer Hinsicht wird regelmäßig zwischen der Warenverkehrsfreiheit, Art. 28 ff. AEUV (Art. 23 ff. EG), den Personenverkehrsfreiheiten – wiederum unterteilt in Arbeitnehmerfreizügigkeit, Art. 45 AEUV (Art. 39 EG), Niederlassungsfreiheit, Art. 49 AEUV (Art. 43 EG), und der Dienstleistungsfreiheit, Art. 56 AEUV (Art. 49 EG) – sowie der Kapitalverkehrsfreiheit,529 Art. 63 ff. AEUV (Art. 56 ff. EG), unterschieden. Zwischen den einzelnen Grundfreiheiten bestehen mitunter tatbestandliche Unterschiede; dies betrifft in besonderem Maße die Niederlassungsfreiheit und die Kapitalverkehrsfreiheit – wie zu zeigen ist, gerade diejenigen Grundfreiheiten, die zur Beurteilung des Treaty Shopping Relevanz erlangen können – in Bezug auf ihren territorialen Anwendungsbereich und mithin ihre Geltung in sog. Drittstaatenfällen.530 Inhaltlich liegt indes ein einheitliches Prinzip der Marktöffnung zugrunde; aufgrund dieser weitgehenden Konvergenz531 ist die Ableitung von generellen Maßstäben zur Bestimmung des Missbrauchscharakters im Wege einer Gesamtbetrachtung möglich und eine Abgrenzung zu-

525 Cloer/Lavrelashvili, Europäisches Steuerrecht, S. 66; Cordewener, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, S. 200; Haase, Internationales und Europäisches Steuerrecht, Rn. 787; Rödder, in: FS Wassermeyer, S. 165; Streinz, Europarecht, Rn. 779 f.; Weber-Grellet, Europäisches Steuerrecht, § 8 Rn. 5. 526 Cordewener, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, S. 43 ff.; Streinz, Europarecht, Rn. 835, m.w.N. 527 Cordewener, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, S. 55 f.; Haase, Internationales und Europäisches Steuerrecht, Rn. 768 ff.; Hahn, DStZ 2005, 433 (434); Loewens, Einfluss des Europarechts, S. 103 f. Ausführliche Darstellung bei Streinz, Europarecht, Rn. 200 ff. m.w.N. 528 Haase, Internationales und Europäisches Steuerrecht, Rn. 790; Streinz, Europarecht, Rn. 836. Zur Einwirkung auf das Sekundärrecht siehe D.II.2.b.bb, S. 229. 529 Cloer/Lavrelashvili, Europäisches Steuerrecht, S. 68; Streinz, Europarecht, Rn. 781. 530 Rust, DStR 2009, 2568 (2569). 531 Cloer/Lavrelashvili, Europäisches Steuerrecht, S. 69; Cordewener, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, S. 105 und 323 ff.; Haase, Internationales und Europäisches Steuerrecht, Rn. 811; Hahn, DStZ 2005, 433 (436); Lang, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 2 Rn. 56; Sedemund, Europäisches Ertragsteuerrecht, Rn. 366; Suchowerskyj, Missbrauchsbegriff, S. 32; Tiedtke/Mohr, EuZW 2008, 424 (426); Thömmes, in: FS Wassermeyer, S. 210.

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Maßstäbe zur Bestimmung des Missbrauchscharakters

nächst532 nicht erforderlich. Das allgemeine Diskriminierungsverbot, Art. 18 AEUV (12 EG), und das allgemeine Freizügigkeitsrecht, Art. 21 AEUV (18 EG), sind für diese Untersuchung aufgrund ihrer Subsidiarität gegenüber den Grundfreiheiten subsidiär ohne Bedeutung.533 Ursprünglich waren die Grundfreiheiten als reine Diskriminierungsverbote konzipiert. Hiernach ist es den Mitgliedstaaten verwehrt, nationale Maßnahmen zu erlassen, die vergleichbare Sachverhalte aufgrund der Staatsangehörigkeit oder des Sitzes unterschiedlich behandeln (unmittelbare bzw. offene Diskriminierung) bzw. dies von Tatbeständen abhängig machen, die regelmäßig von Gebietsfremden erfüllt werden (mittelbare bzw. versteckte Diskriminierung).534 Die Gewährleistungsinhalte wurden jedoch schrittweise hin zu allgemeinen Beschränkungsverboten weiterentwickelt und damit um eine freiheitsrechtliche Komponente535 ergänzt: Selbst bei unterschiedsloser Geltung für Ansässige und Gebietsfremde kann demnach eine Beeinträchtigung vorliegen, wenn die Maßnahme geeignet ist, die Ausübung der Grundfreiheiten zu behindern oder weniger attraktiv zu machen;536 teilweise wird ausdrücklich eine spezifische Beschränkung der grenzüberschreitenden Wirtschaftstätigkeit verlangt.537

532 Siehe aber B.II.1.b.cc(4)(c), S. 175 f., zu möglichen Unterschieden im Maßstab, sowie im 2. Teil A.II.2.c, S. 324, sowie B.II.3.b., S. 443, zur Abgrenzung im Zusammenhang mit einzelnen Maßnahmen gegen Treaty Shopping. 533 Cloer/Lavrelashvili, Europäisches Steuerrecht, S. 67; Haase, Internationales und Europäisches Steuerrecht, Rn. 811; Loewens, Einfluss des Europarechts, S. 101 f. 534 EuGH, Urteil vom 12.02.1974 – C-152/73 (Sotgiu) – EuGHE 1974, 153 (164), Rn. 11; EuGH, Urteil vom 08.05.1990 – C-175/88 (Biehl) –NJW 1991, 1406 (1406), Rn. 13; EuGH, Urteil vom 14.02.1995 – C-279/93 (Schumacker) – DStR 1995, 326 (328), Rn. 30; Streinz, Europarecht, Rn. 793; Weber-Grellet, Europäisches Steuerrecht, § 8 Rn. 9 ff. 535 Cloer/Lavrelashvili, Europäisches Steuerrecht, S. 74; Cordewener, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, S. 323; Streinz, Europarecht, Rn. 808. Siehe aber auch unten B.II.1.b.bb(2), S. 143. 536 EuGH, Urteil vom 11.07.1974 – 8/74 (Dassonville) – NJW 1975, 515 (516); EuGH, Urteil vom 30.11.1995 – C-55/94 (Gebhard) – NJW 1996, 579 (581), Rn. 37; EuGH, Urteil vom 15.12.1995 – C-415/93 (Bosman) – NJW 1996, 505 (510), Rn. 96; Bröhmer, in: Callies/Ruffert, EUV/EGV, Art. 43 EGV Rn. 20 ff.; Cordewener, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, S. 322; Haase, Internationales und Europäisches Steuerrecht, Rn. 825; Loewens, Einfluss des Europarechts, S. 87 f.; Streinz, Europarecht, Rn. 797; Weber-Grellet, Europäisches Steuerrecht, § 8 Rn. 12 ff. 537 Cordewener, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, S. 323; Streinz, Europarecht, Rn. 808. Hierzu vgl. EuGH, Urteil vom 24.11.1993 – C-268/91 (Keck) – NJW 1994, 121 (121), Rn. 16, zur tatbestandlichen Einschränkung sog. Verkaufsmodalitäten. Ähnlich Stewen, EuR 2008, 445 (450).

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Europäisches Steuerrecht

Parallel hierzu wurden auch die Rechtfertigungsmöglichkeiten fortentwickelt. So ist inzwischen allgemein anerkannt, dass über die geschriebenen Rechtfertigungsgründe hinaus auch Maßnahmen aufgrund zwingender Erfordernisse des Allgemeininteresses als gerechtfertigt angesehen werden können, sofern diese geeignet und erforderlich sind – Grundsatz der Verhältnismäßigkeit – sowie unterschiedslos gelten.538 Hierzu – und speziell für den Bereich des Ertragsteuerrechts – hat sich eine umfangreiche Kasuistik entwickelt, die gesondert darzustellen ist.539 bb.

Grundfreiheiten und Steuerrecht

(1)

Steuersouveränität und Kompetenzausübungsschranke

Zusammengefasst statuieren die Grundfreiheiten somit einen zusätzlichen Rechtmäßigkeitsmaßstab für das hoheitliche Handeln der Mitgliedstaaten. Dennoch wurde deren Bedeutung für das Recht der direkten Steuern in den mitgliedstaatlichen Rechtsordnungen lange Zeit verkannt. Dies ist darauf zurückzuführen, dass – quasi aus der umgekehrten Perspektive – die Bedeutung der direkten Steuern für das Funktionieren des Binnenmarktes zunächst unterschätzt wurde, obwohl ein unterschiedliches Belastungsniveau sich in erheblichem Maße auf die Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen auf dem Gemeinsamen Markt auswirkt.540 Insoweit wurde in der Praxis der bereits aufgezeigte Mangel an Harmonisierungsvorschriften und Handlungsmöglichkeiten im Bereich der direkten Steuern augenfällig. Von dieser Relevanz für den Binnenmarkt geleitet ging der EuGH peu à peu dazu über, mitgliedsstaatliche Vorschriften auch im Bereich des Ertragsteuerrechts an den Grundfreiheiten zu messen.541 Durch die fehlenden Harmonisierungskompetenzen auf dem Gebiet 538 EuGH, Urteil vom 20.02.1979 – 120/78 (Cassis de Dijon) – NJW 1979, 1766 (1766); EuGH, Urteil vom 30.11.1995 – C-55/94 (Gebhard) – NJW 1996, 579 (581), Rn. 37; Streinz, Europarecht, Rn. 833. Das Erfordernis der unterschiedslosen Geltung ist nicht unumstritten, vgl. zum Streitstand Ehlers, in: Ehlers, Grundrechte und Grundfreiheiten, § 7 Rn. 90; Kluth, in: Callies/Ruffert, EUV/EGV, Art. 50 EGV Rn. 70; Sedlaczek, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 58 Rn. 12 539 Siehe unten B.II.1.b.bb(3)(b), S. 148 ff. 540 Ausführlich Cordewener, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, S. 18 ff. 541 Als Beginn dieser Entwicklung wird gemeinhin die Entscheidung in der Rechtssache avoir fiscal (EuGH, Urteil vom 28.01.1986 – C-270/83 – EuGHE I 1986, 273) angesehen. In der Folgezeit nahm der EuGH dann mit zunehmender Intensität zu den verschiedensten Regelungsbereichen des Steuerrechts Stellung, ausgehend von den Grundsätzen der Besteuerung natürlicher Personen und der Körperschaften bis hin zu unzähligen Vertiefungs- und Einzelfragen mit teils hoher Systemrelevanz. Ausführlich zur Entwicklung der Rechtsprechung mit Darstellung der wichtigste Fälle Cloer/Lavrelashvili, Europäisches Steuerrecht, S. 156 ff.; Cordewener, Europäische

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Maßstäbe zur Bestimmung des Missbrauchscharakters

des Ertragsteuerrechts sah sich das Gericht dabei nicht gehindert: In ständiger Rechtsprechung wurde zwar anerkannt, dass die Kompetenz auf dem Gebiet der direkten Steuern bei den Mitgliedstaaten verblieben sei, diese ihre Befugnisse aber stets nur unter Wahrung des Unionsrechts, insbesondere der Grundfreiheiten ausüben dürften.542 Insofern als durch diese Rechtsprechung inkompatible Regelungen beseitigt wurden, bewirkte sie eine „faktische Harmonisierung“543 bzw. eine „negative Integration“544 im Bereich des Ertragsteuerrechts. An Kritik hieran mangelt es nicht. Teilweise wird in dieser Art der Einflussnahme ein Verstoß gegen das Prinzip der begrenzten Einzelermächtigung, Art. 5 Abs. 2 EUV (Art. 5 Abs. 1 EG), gesehen.545 Der Durchsetzung des Binnenmarktes werde zu großes Gewicht beigemessen, die fehlende Kompetenzzuweisung für direkte Steuern – die man als Schranke des Binnenmarktes begreifen könne – trete vollständig dahinter zurück.546 Auch das Prinzip der Subsidiarität, Art. 5 Abs. 3 EUV (Art. 5 Abs. 2 EG), und der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, Art. 5 Abs. 4 EUV (Art. 5 Abs. 3 EG), werden angeführt.547 Unverhältnismäßig sei in diesem Zusammenhang insbesondere die befürchtete Zerschlagung ausbalancierter Steuersysteme zum Vorteil Einzelner.548 Auch werde das Steuerrecht insgesamt aus Anlass lediglich punktueller Entscheidungen deutlich verkompliziert und der betroffene Mitgliedstaat vor steuersystematische Schwierigkeiten gestellt.549

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Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, S. 385 ff.; Loewens, Einfluss des Europarechts, S. 163 ff. EuGH, Urteil vom 14.02.1995 – C-279/93 (Schumacker) – DStR 1995, 326 (327), Rn. 21; EuGH, Urteil vom 11.08.1995 – C-80/94 (Wielockx) – IStR 1995, 431 (432), Rn. 16; EuGH, Urteil vom 29.04.1999 – Rs C-311/97 (Royal Bank of Scotland) – DStRE 1999, 520 (521), Rn. 19; EuGH, Urteil vom 23.02.2006 – C-471/04 (Keller Holding) – DStR 06, 414 (415), Rn. 28. Haase, Internationales und Europäisches Steuerrecht, Rn. 767. Im Gegensatz zu der „positiven Integration“ durch ausdrückliche Harmonisierung, vgl. Weber-Grellet, Europäisches Steuerrecht, § 8 Rn. 3. Ebenso Cloer/Lavrelashvili, Europäisches Steuerrecht, S. 66. Weitere Nachweise bei Stewen, EuR 2008, 445 (445) Fn. 3. Ahmann, DStZ 2005, 75 (78); Fischer, FR 2005, 457 (459 f.); Kube, IStR 2003, 325 (331); Mitschke, FR 2008, 165 (166 f.); Wieland, in: FS Zuleeg, S. 495. Kritisch auch Jochum, EuR 2006, Beiheft zu Heft 2, S. 47 ff. Faltlhauser, in: FS Solms, S. 155; Mitschke, FR 2008, 165 (167 f.). Ahmann, DStZ 2005, 75 (79); Mitschke, FR 2008, 165 (168); Wieland, in: FS Zuleeg, S. 495. Ahmann, DStZ 2005, 75 (78 f.). Haase, Internationales und Europäisches Steuerrecht, Rn. 767; Mitschke, FR 2008, 165 (170 f.). Ähnlich auch Brombach-Krüger, Ubg 2009, 335 (338). Als Reaktion hierauf ist immer wieder die Erweiterung unionsrechtswidriger, nachteiliger Regelungen auch auf den Steuerinländer zu beobachten, sog. race to the bottom, siehe Hey, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 18 Rn. 520; ebenso Gosch, DStR 2007, 1553

Europäisches Steuerrecht

Indes findet es trotz des Spannungsverhältnisses zwischen Steuersouveränität und Anwendungsvorrang der Grundfreiheiten überwiegend – und auch zu Recht – Zustimmung, Vorschriften des direkten Steuerrechts gleichermaßen an den Grundfreiheiten zu messen.550 Dies ist keine Kompetenzanmaßung durch den EuGH,551 vielmehr geht es darum, die Grundfreiheiten als Kompetenzausübungsschranke nationalen Handelns zu erachten.552 Eine Bereichsausnahme für das Steuerrecht kann den Grundfreiheiten gerade nicht entnommen werden, und die Geltung des Unionsrechts darf nicht davon abhängig gemacht werden, auf welchen innerstaatlichen Regelungsbereich es sich auswirkt.553 Auch aus der Existenz des Art. 65 Abs. 1 lit. a) AEUV (Art. 58 Abs. 1 lit. a EG) kann e contrario hierauf geschlossen werden.554 Die Auswirkungen auf die Steuerrechtsordnungen sind insoweit schlicht dem Anwendungsvorrang des Unionsrechts geschuldet. Ebenso wurden bislang keine Anhaltspunkte für die Annahme eines verfassungswidrig ausbrechenden Aktes der Union gesehen,555 welcher zwar dem Anwendungsvorrang entgegenstehen könnte, hierzu aber eine schwerwiegende und evidente Vertragsverletzung voraussetzt.556 Hieran dürfte sich auch nach der Entscheidung des BVerfG zum Vertrag von

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(1558). Dies erscheint im Hinblick auf den Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit, Art. 3 Abs. 1 GG, bedenklich, so Stewen, EuR 2008, 445 (448). Umstritten ist insoweit auch, ob sich dieses Problem durch eine Vollharmonisierung oder eine Rahmenkoordination lösen lässt; hierzu weiterführend Loewens, Einfluss des Europarechts, S. 158 ff. Brombach-Krüger, Ubg 2009, 335 (340); Cloer/Lavrelashvili, Europäisches Steuerrecht, S. 66; Gosch, DStR 2007, 1553 (1558); Kokott/Henze, in: Lüdicke, Tendenzen der Europäischen Unternehmensbesteuerung, S. 74; Sedemund, Europäisches Ertragsteuerrecht, Rn. 138; Stewen, EuR 2008, 445 (446); Tiedtke/Mohr, EuZW 2008, 424 (428); Weber-Grellet, Europäisches Steuerrecht, § 8 Rn. 27. Brombach-Krüger, Ubg 2009, 335 (340); M. Fischer, JZ 2007, 1024 (1028); Frotscher, IStR 2007, 568 (570); Gosch, DStR 2007, 1553 (1558); Kokott/Henze, in: Lüdicke, Tendenzen der Europäischen Unternehmensbesteuerung, S. 74; Stewen, EuR 2008, 445 (446); Wunderlich/Albath, DStZ 2005, 547 (550 f.). Brombach-Krüger, Ubg 2009, 335 (340); Kube, in: Reimer/Dillmann, Europäisches Gesellschafts- und Steuerrecht, S. 226. EuGH, Urteil vom 01.07.1993 – C-20/92 (Hubbard) – NJW 1993, 2431 (2431), Rn. 19; Everett, DStZ 2006, 357 (360); Kokott/Henze, in: Lüdicke, Tendenzen der Europäischen Unternehmensbesteuerung, S. 74; Stewen, EuR 2008, 445 (446). Kokott/Henze, in: Lüdicke, Tendenzen der Europäischen Unternehmensbesteuerung, S. 76 f.; Sedemund, Europäisches Ertragsteuerrecht, Rn. 138. Everett, DStZ 2006, 357 (359); M. Fischer, JZ 2007, 1024, (1027 f.); Frotscher, IStR 2007, 568 (569 f.); Gosch, DStR 2007, 1553 (1558); Tiedtke/Mohr, EuZW 2008, 424 (428); Wunderlich/Albath, DStZ 2005, 547 (550 f.). BVerfG, Urteil vom 12.10.1993 – 2 BvR 2134/92 u.a. (Maastricht) – BVerfGE 89, 155 (210); Pernice, in: Dreier, GG, Bd. II, Art. 23 Rn. 30 ff.

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Maßstäbe zur Bestimmung des Missbrauchscharakters

Lissabon nichts geändert haben. Zwar hat das Gericht aus den Schranken der Integrationsermächtigung des Art. 23 Abs. 1 GG, namentlich aus dem Demokratieprinzip und dem Subsidiaritätsprinzip, eine sachliche Begrenzung der Übertragung und der Ausübung von Hoheitsrechten in zentralen politischen Bereichen des Raumes persönlicher Entfaltung und sozialer Gestaltung der Lebensverhältnisse gefordert, wozu auch die fiskalischen Grundentscheidungen des Staates gehören sollen.557 Daraus folgt jedoch keine generelle Einschränkung des Anwendungsvorranges im Bereich des Steuerrechts und insbesondere für die Frage des Gestaltungsmissbrauchs. Denn zum einen sollen über das Budgetrecht nur Grundentscheidungen als integrationsfest erachtet werden, entscheidend ist insoweit die Gesamtverantwortung mit hinreichenden politischen Freiräumen für Einnahmen und Ausgaben.558 Diese Schwelle ist beim gegenwärtigen Harmonisierungsstand auch unter Beachtung des Einflusses der Grundfreiheiten nicht überschritten. Zum anderen sind die integrationsfesten Bereiche nicht absolut reserviert, die Grenze soll vielmehr durch die sachliche Notwendigkeit der Koordinierung grenzüberschreitender Sachverhalte gezogen sein.559 Eine solche Notwendigkeit ist bei dem hier in Rede stehenden Einfluss der Grundfreiheiten aber gerade gegeben. Insgesamt dürfte das Spannungsverhältnis damit nicht durch eine Bereichsausnahme, sondern vielmehr durch eine interessensgerechte Handhabung und Fortentwicklung im Bereich der zwingenden Allgemeininteressen zum Ausgleich zu bringen sein. Zu Recht wurde daher auch früher schon gerade die restriktive Anwendung der Rechtfertigungsgründe als problematisch angesehen.560 Neuere Entscheidungen in diesem Zusammenhang – insbesondere zur sog. Aufteilung der Besteuerungshoheit – lassen erkennen, dass der EuGH bemüht ist, den mitgliedstaatlichen Interessen in dieser Hinsicht Rechnung zu tragen.561 557 BVerfG, Urteil vom 30.06.2009 – 2 BvE 2/08 u.a. (Lissabon) – BVerfGE 123, 267 (359), Rn. 251 f. Hierzu Ehlers, in: Erichsen/Ehlers, Allg. VerwR, § 2 Rn. 104. 558 BVerfG, Urteil vom 30.06.2009 – 2 BvE 2/08 u.a. (Lissabon) – BVerfGE 123, 267 (361 f.), Rn. 256. 559 BVerfG, Urteil vom 30.06.2009 – 2 BvE 2/08 u.a. (Lissabon) – BVerfGE 123, 267 (359), Rn. 251. 560 Everett, DStZ 2006, 357 (361); Faltlhauser, in: FS Solms, S. 155; Fischer, FR 2005, 457 (465); Haase, Internationales und Europäisches Steuerrecht, Rn. 767; Stewen, EuR 2008, 445 (455); Wunderlich, EuR 2007, Beiheft zu Heft 3, S. 29. Zu den Anforderungen an die Rechtfertigung mittels zwingender Allgemeininteressen nach EuGH siehe sogleich. 561 Mitschke, IStR 2010, 466 (466); Musil/Fähling, DStR 2010, 1501 (1502); Schön, IStR 2009, 882 (883); Weber-Grellet, DStR 2009, 1229 (1229). Dazu im Einzelnen unter B.II.1.b.bb(3)(b), S. 148. Überlegenswert bleiben daneben Vorschläge, die aus Konsistenzgründen die Zuständigkeit einer besonderen Kammer für Steuersachen beim EuGH

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Europäisches Steuerrecht

(2)

Eingriffe zwischen Diskriminierungs- und Beschränkungsverbot

Die gezeigten Grundlagen können mithin grundsätzlich auf eine Überprüfung nationaler Maßnahmen im Bereich des Steuerrechts übertragen werden. Eine Diskriminierung durch eine steuerliche Maßnahme ist demnach gegeben, wenn diese entweder tatbestandlich unmittelbar an die Staatsangehörigkeit natürlicher Personen oder den Sitz von Körperschaften anknüpft – unmittelbare bzw. offene Diskriminierung – oder typischerweise solche ausländischen Steuerpflichtigen trifft – mittelbare bzw. versteckte Diskriminierung.562 Unmittelbare Diskriminierungen sind im Steuerrecht jedoch äußerst selten, die vielfach häufigere Anknüpfung an den Wohnsitz (natürliche Personen) oder an die Verwirklichung grenzüberschreitender Sachverhalte (bei Körperschaften) stellen allenfalls eine mittelbare Diskriminierung dar.563 Eine relevante Diskriminierung liegt jedoch erst dann vor, wenn vergleichbare Situationen unterschiedlich behandelt werden.564 Dabei befinden sich nach ständiger Rechtsprechung des EuGH Gebietsfremde und Gebietsansässige – anders ausgedrückt: beschränkt und unbeschränkt Steuerpflichtige – im Grundsatz nicht in objektiv vergleichbaren Situationen.565 Die Vergleichbarkeit muss daher gesondert festgestellt werden, hierzu ist streng normbezogen auf den jeweiligen Zweck der zu prüfenden Rechtsvorschrift abzustellen und das Vergleichspaar entsprechend zu wählen.566 Regelmäßig zu bejahen soll hingegen die Vergleichbarkeit

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vorgeschlagen, vgl. Brombach-Krüger, Ubg 2009, 335 (341); Mitschke, IStR 2010, 466 (469). Siehe bereits oben Fn. 534, sowie Haase, Internationales und Europäisches Steuerrecht, Rn. 818 ff.; Hahn, DStZ 2005, 433 (440); Sedemund, Europäisches Ertragsteuerrecht, Rn. 421 f.; Stewen, EuR 2008, 446 (449 f.). Everett, DStZ 2006, 357 (361); Kokott/Henze, in: Lüdicke, Tendenzen der Europäischen Unternehmensbesteuerung, S. 93. Bei der Besteuerung von Gesellschaften führt der Sitz zu einer Gleichstellung mit den Staatsangehörigen, Art. 54 Abs. 1 AEUV. Ausführlich auch Schnitger, Grenzen der Einwirkung der Grundfreiheiten, S. 179 ff. EuGH, Urteil vom 14.02.1995 – C-279/93 (Schumacker) – DStR 1995, 326 (328), Rn. 30; Cloer/Lavrelashvili, Europäisches Steuerrecht, S. 71; Everett, DStZ 2006, 357 (361); Haase, Internationales und Europäisches Steuerrecht, Rn. 821; Hahn, DStZ 2005, 433 (437). EuGH, Urteil vom 14.02.1995 – C-279/93 (Schumacker) – DStR 1995, 326 (328), Rn. 30; EuGH, Urteil vom 15.05.1997 – C-250/95 (Futura) – DStR 1997, 514 (515), Rn. 20 ff. Die Entscheidungen sind jedoch im Zusammenhang mit der Berücksichtigung existenzsichernder Aufwendungen bei der Besteuerung natürlicher Personen zu sehen. EuGH, Urteil vom 19.11.2009 – C-540/07 (Kommission/Italien) – DStRE 2009, 1444 (1446), Rn. 50; Haase, Internationales und Europäisches Steuerrecht, Rn. 823; Kokott/Henze, in: Lüdicke, Tendenzen der Europäischen Unternehmensbesteuerung, S. 94; Everett, DStZ 2006, 357 (361).

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Maßstäbe zur Bestimmung des Missbrauchscharakters

der Sachverhalte bei beschränkt und unbeschränkt steuerpflichtigen Körperschaften sein, da insoweit steuerobjektbezogene Merkmale im Fokus stehen.567 Andererseits ist auch ein Verstoß gegen das den Grundfreiheiten innewohnende Beschränkungsverbot denkbar, wenn nationale Maßnahmen auf dem Gebiet des Steuerrechts – trotz unterschiedsloser Geltung – geeignet sind, die Ausübung der Grundfreiheiten zu behindern oder weniger attraktiv zu machen.568 Indes wird entgegen der scheinbar klaren Abgrenzung zwischen Diskriminierung und Beschränkung in der Rechtsprechung des EuGH oftmals nicht entsprechend differenziert.569 Dies erscheint insoweit nachvollziehbar, als auch die Beschränkungsverbote ganz regelmäßig eine Vergleichspaarbildung und damit ein diskriminierendes Element enthalten: Da das Beschränkungsverbot von vornherein nur bei grenzüberschreitender Wirtschaftstätigkeit greift und per definitionem die Ausübung der Grundfreiheiten weniger attraktiv werden muss, kann letztlich nur die faktische Erschwerung der grenzüberschreitenden Tätigkeit gegenüber der innerstaatlichen Betätigung vom Anwendungsbereich umfasst sein.570 Insoweit handelt es sich um relative Gewährleistungen, die spezifisch auf den Schutz des grenzüberschreitenden Wirtschaftsverkehrs konzipiert sind.571 Umgekehrt wohnt jeder Diskriminierung auch eine Beschränkung inne, da es mit der Schlechterstellung des grenzüberschreitenden Sachverhalts gegenüber dem rein inländischen gleichzeitig weniger attraktiv wird, von den Grundfreiheiten Gebrauch zu machen.572 Ein weiterer Aspekt der Unterscheidung zwischen Diskriminierung und Beschränkung ergibt sich, soweit auf die Perspektive des Handelnden abgestellt 567 Cloer/Lavrelashvili, Europäisches Steuerrecht, S. 73; Schnitger, Grenzen der Einwirkung der Grundfreiheiten, S. 202 f. Ausführlich zu möglichen Ansätzen der Vergleichspaarbildung bei Gesellschaften Stewen, Europäische Niederlassungsfreiheit, S. 142 ff. 568 Siehe bereits oben Fn. 535 ff. 569 Darstellung m.w.N. bei Cloer/Lavrelashvili, Europäisches Steuerrecht, S. 74; Hahn, DStZ 2005, 433 (439); Kokott/Henze, in: Lüdicke, Tendenzen der Europäischen Unternehmensbesteuerung, S. 92; Sedemund, Europäisches Ertragsteuerrecht, Rn. 427; Stewen, EuR 2008, 445 (451). Siehe auch GA Geelhoed, Schlussanträge vom 23.02.2006 – C-374/04 (ACT Group Litigation) – EuGHE I 2006, 11673 (11691), Rn. 36. 570 Cordewener, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, S. 292; Geibel, JZ 2007, 277 (279); Haase, Internationales und Europäisches Steuerrecht, Rn. 825 und 827; Hahn, DStZ 2005, 433 (441) m.w.N; Möstl, EuR 2002, 318 (329); Stewen, Europäische Niederlassungsfreiheit, S. 185; Weber-Grellet, Europäisches Steuerrecht, § 8 Rn. 16. Siehe auch schon oben Fn. 537. 571 Möstl, EuR 2002, 318 (329 f.). 572 Kokott/Henze, in: Lüdicke, Tendenzen der Europäischen Unternehmensbesteuerung, S. 92; Kluth, in: Callies/Ruffert, EUV/EGV, Art. 50 EGV Rn. 70 ff. Insoweit kann man auch vom Oberbegriff der Beschränkung im weiten Sinne sprechen, der auch die Diskriminierung umfasst, Cloer/Lavrelashvili, Europäisches Steuerrecht, S. 74.

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wird. In diesem Sinne käme es auf das gleichheitsrechtliche Element des Diskriminierungsverbotes an, soweit die Grundfreiheiten die steuerliche Gleichbehandlung eines ausländischen Wirtschaftstätigen für dessen Inlandsaktivitäten, sprich für den Marktzugang im Inland bezwecken (Inbound); das freiheitsrechtliche Beschränkungsverbot würde demgegenüber den Schutz des inländischen Wirtschaftstätigen bezwecken, der in der Ausübung einer geschützten Tätigkeit in einem anderen Mitgliedstaat, sprich beim Zugang zum Auslandsmarkt durch den Herkunftsstaat behindert wird (Outbound).573 Der EuGH legt diese Differenzierung insoweit seiner Rechtsprechung zugrunde, als er in Inbound-Fällen stets eine Vergleichbarkeitsprüfung annimmt – ungeachtet dessen, ob er dies als mittelbare Diskriminierung oder als Beschränkung kennzeichnet;574 oftmals erfolgt sogar eine Prüfung als Rechtfertigungsgrund.575 Folgern ließe sich daraus einerseits, dass es dann ausschließlich auf die gleichheitsrechtliche Komponente der Grundfreiheiten ankommt, und das Freiheitsrecht dahinter zurück tritt.576 Ob man dies nun insgesamt als Diskriminierung oder als Beschränkung im weiten Sinne kennzeichnen will, kann aber dahin stehen.577 Einen von der allgemeinen Lehre abweichenden Be-

573 Geibel, JZ 2007, 277 (279); Weber-Grellet, Europäisches Steuerrecht, § 8 Rn. 16. Ähnlich Stewen, EuR 2008, 445 (451 f.) m.w.N., der im Rahmen der Niederlassungsfreiheit zwischen Zuzug und Wegzug unterscheidet. Angedeutet auch bei Cordewener, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, S. 217. Nach Ansicht von Schwenke, IStR 2009, 843 (844), ist jedenfalls der Kapitalverkehrsfreiheit ein an den Herkunftsstaat gerichtetes Behinderungsverbot immanent, vgl. auch die Nachweise aus der EuGH-Rechtsprechung dort unter Fn. 11. 574 EuGH, Urteil vom 27.06.1996 – C-107/94 (Asscher) – NJW 1996, 2921 (2922), Rn. 32; EuGH, Urteil vom 06.06.2000 – C-35/98 (Verkooijen) – IStR 2000, 432 (434), Rn. 43; EuGH, Urteil vom 15.07.2004 – C-315/02 (Lenz) – IStR 2004, 522 (523 f.), Rn. 27; EuGH, Urteil vom 19.11.2009 – C-540/07 – DStRE 2009, 1444 (1446), Rn. 49; Geibel, JZ 2007, 277 (279); Schwenke, IStR 2009, 843 (844). Siehe außerdem schon die Nachweise bei Fn. 569. In Outbound-Konstellationen demgegenüber wurde nur in einzelnen Fällen eine Vergleichbarkeitsprüfung vorgenommen, siehe Schwenke, IStR 2009, 843 (844), dort Fn. 12 m.w.N. 575 So meist in den Fällen der Beschränkung: EuGH, Urteil vom 06.06.2000 – C-35/98 (Verkooijen) – IStR 2000, 432 (434), Rn. 43; EuGH, Urteil vom 15.07.2004 – C-315/02 (Lenz) – IStR 2004, 522 (523 f.), Rn. 27; aber auch in Fällen unmittelbarer Diskriminierung: EuGH, Urteil vom 16.07.1998 – C-264/96 (ICI) – DStRE 1998, 636 (638), Rn. 25; EuGH, Urteil vom 19.11.2009 – C-540/07 – DStRE 2009, 1444 (1446), Rn. 49. Zur Argumentation gegen die Zuordnung zur Rechtfertigungsebene vgl. Thömmes, in: GS Knobbe-Keuk, S. 811 f. 576 Vgl. Möstl, EuR 2002, 318 (329). 577 Insoweit erfolgt damit schon auf der Tatbestandsebene eine weitgehende Gleichstellung. Auf allein das Beschränkungsverbot und dessen freiheitsrechtliches Gebot kann es

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Maßstäbe zur Bestimmung des Missbrauchscharakters

schränkungsbegriff für das Steuerrecht hat der EuGH bislang jedenfalls nicht ausdrücklich entwickelt.578 (3)

Rechtfertigungsebene

(a)

Irrelevanz der Eingriffsmodalität

Eventuell verbleibende Diskrepanzen zwischen Diskriminierungs- und Beschränkungsverboten verlieren auch dadurch an Bedeutung, dass die Prüfung der Rechtfertigungsgründe weitgehend identisch ist. Mit Ausnahme des Art. 65 AEUV (Art. 58 EG) spielen die geschriebenen Rechtfertigungsgründe im Bereich des Steuerrechts nämlich keine Rolle, so dass es allein auf zwingende Erfordernisse des Allgemeininteresses ankommt, (sog. rule of reason).579 Diese sind nach der herrschenden Auffassung in der Literatur im Bereich des Steuerrechts nicht nur bei Beschränkungen, sondern ebenso bei mittelbaren Diskriminierungen anwendbar, die Unterschiedslosigkeit einer Maßnahme ist daher keine Voraussetzung der Rechtfertigung (SchrankenSchranke).580 Auch der EuGH prüft die ungeschriebenen Rechtfertigungsgründe gleichermaßen in Fällen der mittelbaren Diskriminierung.581 Teilweise fin-

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aber durchaus bei der Prüfung von Maßnahmen des Herkunftsstaates im Outbound-Fall kommen. Kokott/Henze, in: Lüdicke, Tendenzen der Europäischen Unternehmensbesteuerung, S. 97. Ein Ansatzpunkt für einen eigenständigen Beschränkungsbegriff könnte darin gesehen werden, dass das Steuerrecht einerseits aufgrund seiner strengen Tatbestandsbezogenheit zwar stets an bestimmte Tatbestandsmerkmale gebunden ist, andererseits aber an den (wirtschaftlichen) Sachverhalt lediglich anknüpft, ohne diesen jedoch selbst regeln zu wollen; stattdessen wird vielmehr die zutreffende Ermittlung der Steuerlast als unspezifizierter Zahlungspflicht bezweckt. Faltlhauser, in: FS Solms, S. 156; Geibel, JZ 2007, 277 (279); Haase, Internationales und Europäisches Steuerrecht, Rn. 832; Hahn, DStZ 2005, 507 (507). Ausführlich insbesondere zur Rechtfertigung aus Gründen der öffentlichen Ordnung, Art. 46 EG, Stewen, EuR 2008, 445 (452 ff.). Grundlegend hierzu EuGH, Urteil vom 20.02.1979 – 120/78 (Cassis de Dijon) – NJW 1979, 1766 (1766); EuGH, Urteil vom 15.05.1997 – C-250/95 (Futura) – DStR 1997, 514 (515), Rn. 26. Ausführliche Auseinandersetzung bei Cordewener, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, S. 142 ff. Vgl. auch Haase, Internationales und Europäisches Steuerrecht, Rn. 834; Loewens, Einfluss des Europarechts, S. 354 f. Außerhalb des Steuerrechts ebenso befürwortet von Gundel, EuR 1999, 781 (783) m.w.N.; vgl. aber auch oben Fn. 538 zum Streitstand. Vgl. EuGH, Urteil vom 14.02.1995 – C-279/93 (Schumacker) – DStR 1995, 326 (328), Rn. 39 ff; EuGH, Urteil vom 27.06.1996 – C-107/94 (Asscher) – NJW 1996, 2921 (2923), Rn. 50 ff.; GA Geelhoed, Schlussanträge vom 23.02.2006 – C-374/04 (ACT Group Litigation) – EuGHE I 2006, 11673 (11691), Rn. 35f.; GA Léger, Schlussanträge vom 02.05.2006 – C-196/04 (Cadbury Schweppes) – EuGHE I 2006, 7995 (8013),

Europäisches Steuerrecht

det jedoch auch eine Vermischung mit dem vorab beschriebenen Problem der Abgrenzung auf der Eingriffsebene statt, die Frage der Anwendbarkeit zwingender Allgemeininteressen wird dann dadurch umgangen, dass bereits zuvor von einer Beschränkung – im weiten Sinne – gesprochen wird.582 Für die Anerkennung einer Rechtfertigung durch zwingende Allgemeininteressen auch im Bereich der (mittelbaren)583 Diskriminierungen spricht indes nicht nur die unsichere Abgrenzung der Eingriffsmodalität. Auch aufgrund des Spannungsverhältnisses zwischen nationaler Steuerkompetenz und grundfreiheitlicher Kompetenzausübungsschranke erscheint dies geboten, da nur so eine ausreichende Berücksichtigung fiskalischer Interessen der Mitgliedstaaten möglich ist;584 insoweit kann auf der Rechtfertigungsebene eine echte Abwägung stattfinden.585 Ebenso kann die Existenz des Art. 63 Abs. 1 lit. a) AEUV (Art. 58 Abs. 1 lit. a) EG) jedenfalls im Rahmen der Kapitalverkehrsfreiheit als Kodifikation dieses Gedankens angesehen und damit als Argument ins Feld geführt werden.586 Aufgrund der weitgehenden Konvergenz gilt dies entsprechend für die anderen Grundfreiheiten.587 Die grundsätzliche Anwendbarkeit der Rechtfertigung im Steuerrecht ist daher von der festgestellten Eingriffsmodalität unabhängig. Als Voraussetzung ein-

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Rn. 64. Weitere Nachweise bei Cordewener, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, S. 142 ff. und Hahn, DStZ 2005, 507 (508). EuGH, Urteil vom 15.05.1997 – C-250/95 (Futura) – DStR 1997, 514 (515), Rn. 24 ff.; EuGH, Urteil vom 28.04.1998 – C-158/96 (Kohll) – EuZW 1998, 345 (347), Rn. 35 ff; Kluth, in: Callies/Ruffert, EUV/EGV, Art. 50 EGV Rn. 72. Vgl. auch Kokott/Henze, in: Lüdicke, Tendenzen der Europäischen Unternehmensbesteuerung, S. 97, und Sedemund, Europäisches Ertragsteuerrecht, Rn. 427; Stewen, EuR 2008, 445 (451). Fraglich verbleibt allenfalls, ob diese Argumente auch auf eine Rechtfertigung unmittelbarer Diskriminierungen übertragen werden können. Für die Anwendung argumentieren Cordewener, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, S. 150 ff.; Loewens, Einfluss des Europarechts, S. 355; dagegen Haase, Internationales und Europäisches Steuerrecht, Rn. 834. Weitere Nachweise bei Hahn, DStZ 2005, 507 (508) Fn. 412. Aufgrund deren praktischer Bedeutungslosigkeit im Steuerrecht kann das im Rahmen dieser Untersuchung aber dahinstehen. Siehe bereits oben B.II.1.bb(1), S. 139 ff. Hahn, DStZ 2005, 507 (507). EuGH, Urteil vom 06.06.2000 – C-35/98 (Verkooijen) – IStR 2000, 432 (434), Rn. 43. Zustimmend Cordewener, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, S. 472 ff.; Eicker/Obser, IStR 2004, 443 (443); Kokott/Henze, in: Lüdicke, Tendenzen der Europäischen Unternehmensbesteuerung, S. 94 f.; Loewens, Einfluss des Europarechts, S. 355. Cordewener, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, S. 479; Loewens, Einfluss des Europarechts, S. 355. Hierzu siehe auch oben S. 137.

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Maßstäbe zur Bestimmung des Missbrauchscharakters

zelner Rechtfertigungsgründe kann die nicht-diskriminierende Anwendung einer Maßnahme indes dennoch Bedeutung erlangen.588 (b)

Überblick: Zwingende Allgemeininteressen im Steuerrecht

Zu der Frage, welche Interessen als zwingende Allgemeininteressen im Bereich des Steuerrechts Beachtung finden können, hat sich zwischenzeitlich eine umfangreiche Rechtsprechung herausgebildet. Einige der von den Mitgliedstaaten vorgebrachten Erwägungen lassen sich hierbei als ganz regelmäßig unbeachtlich einordnen, andere sind unter teils sehr einschränkenden Voraussetzungen vom EuGH anerkannt worden. Mitunter überschneiden sich auch die Anwendungsbereiche der einzelnen Allgemeininteressen. (aa)

Fiskalische Interessen, mangelnde Harmonisierung und Kompensationsverbot

Nach Ansicht des EuGH können allein fiskalische Interessen einen Eingriff in Grundfreiheiten nicht rechtfertigen.589 Dem wird zwar entgegnet, auf diese Weise könne jedoch die ursprüngliche Kompetenz der Mitgliedstaaten in Steuersachen berücksichtigt werden.590 Indes dienen alle Steuernormen zumindest auch der Einnahmeerzielung, so dass stets ein fiskalisches Interesse geltend gemacht werden könnte und die Grundfreiheiten somit weitgehend leerlaufen würden.591 Drohende Steuermindereinnahmen können daher keine Eingriffe rechtfertigen. In gleichem Maße ist eine behauptete Erosion der Besteuerungsbasis unbeachtlich,592 da es sich lediglich um eine quantitativ andere Dimension handelt. Ebenso ist mangelnde Harmonisierung auf dem Gebiet des Steuerrechts grundsätzlich keine taugliche Rechtfertigung eines Eingriffs.593 Dieser Einwand verweist wiederum auf die generellen Bedenken gegen die Rolle des Unionsrechts im Bereich der direkten Steuern und ist daher gleichermaßen zu 588 Beispielsweise bei der Rechtfertigung zur Wahrung der Steueraufsicht, dazu sogleich B.II.1.b.bb(3)(b)(ee), S. 156. 589 EuGH, Urteil vom 16.07.1998 – C-264/96 (ICI) – DStRE 1998, 636 (639), Rn. 28; EuGH, Urteil vom 21.09.1999 – C-307/97 (Saint-Gobain) – DStRE 1999, 836 (840), Rn. 50; EuGH, Urteil vom 15.07.2004 – C-315/02 (Lenz) – IStR 2004, 522 (524), Rn. 40. Es handelt sich hierbei um einen Unterfall der wirtschaftlichen Interessen, Hahn, DStZ 2005, 507 (510). 590 Siehe schon oben Fn. 560. 591 Englisch, StuW 2003, 88 (95); Hahn, DStZ 2005, 507 (510). 592 EuGH, Urteil vom 18.09.2003 – C-168/01 (Bosal) – IStR 2003, 666 (669), Rn. 42. Siehe auch Hahn, DStZ 2005, 507 (510) m.w.N. unter Fn. 443 f. 593 EuGH, Urteil vom 28.01.1986 – C-270/83 (avoir fiscal) – EuGHE I 1986, 273 (306), Rn. 24; GA Alber, Schlussanträge vom 30.01.2003 – C-167/01 (Inspire Art) – EuGHE I 2003, 10155 (10184), Rn. 109. In anderen Bereichen wird dies teilweise sehr wohl anerkannt, siehe Stewen, Europäische Niederlassungsfreiheit, S. 299 Fn. 879 m.w.N.

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entkräften. Anders ausgedrückt liegt in der mangelnden Harmonisierung gerade die Ursache von Ungleichbehandlungen. Davon zu trennen ist jedoch, ob dies im Rahmen anderer Rechtfertigungsgründe von Belang werden kann.594 Nach dem sog. Kompensationsverbot ist eine Rechtfertigung durch andere, insbesondere steuerliche Vorteile abzulehnen.595 Zwar soll in einigen Sachbereichen durchaus eine kompensierende Betrachtung zulässig sein, im Steuerrecht ist dies aber schon logisch nicht durchführbar, da Steuernormen primär der Einnahmeerzielung dienen; eine am Sachzweck ausgerichtete Kompensationsbetrachtung muss daher scheitern – gemessen am gemeinsamen fiskalischen Ziel wäre schlicht alles miteinander verrechenbar.596 (bb) Kohärenz des Steuersystems Als zwingender Grund des Allgemeininteresses ist seit langem zumindest grundsätzlich die Kohärenz des Steuersystems anerkannt. Darunter versteht man einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen der Gewährung eines Steuervorteils und dem Ausgleich dieses Vorteils durch eine steuerliche Belastung.597 Wenn auch die genauen Voraussetzungen im Einzelnen strittig sind, so wird jedenfalls ein Zusammenhang bestimmter Intensität zwischen zwei oder mehreren Normen vorausgesetzt; insoweit geht dieser Rechtfertigungsgrund über die bloße Kompensation hinaus.598 Während nach einer Ansicht das Bestehen eines systematischen und funktionellen Zusammenhangs entscheidend sein soll,599 betonen der EuGH und an-

594 So ist etwa bei der Aufteilung von Besteuerungsbefugnissen anerkannt, dass in Ermangelung unionsweiter Vorgaben die Mitgliedstaaten die entsprechenden Kriterien autonom festlegen dürfen, dazu sogleich B.II.1.b.bb(3)(b)(dd), S. 151. 595 EuGH, Urteil vom 28.01.1986 – C-270/83 (avoir fiscal) – EuGHE I 1986, 273 (305), Rn. 21; EuGH, Urteil vom 27.06.1996 – C-107/94 (Asscher) – NJW 1996, 2921 (2923), Rn. 51 ff.; EuGH, Urteil vom 26.10.1999 – C-294/97 (Eurowings) – DStRE 2000, 303 (306), Rn. 43 f.; EuGH, Urteil vom 21.09.1999 – C-307/97 (Saint-Gobain) – DStRE 1999, 836 (840), Rn. 50; EuGH, Urteil vom 06.06.2000 – C-35/98 (Verkooijen) – IStR 2000, 432 (435), Rn. 61; EuGH, Urteil vom 15.07.2004 – C-315/02 (Lenz) – IStR 2004, 522 (525), Rn. 43. 596 Hahn, DStZ 2005, 507 (513). 597 EuGH, Urteil vom 28.01.1992 – C-204/90 (Bachmann) – EuZW 1992, 215 (216), Rn. 21; EuGH, Urteil vom 28.01.1992 – C 300/90 (Kommission/Belgien) – EuZW 1992, 217 (219), Rn. 14; EuGH, Urteil vom 23.10.2008 – C-157/07 (Krankenheim Ruhesitz am Wannsee) – IStR 2008, 769 (771), Rn. 41 ff. 598 Cordewener, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, S. 448; Hahn, DStZ 2005, 507 (511 f.). Insoweit handelt es sich um eine Rückausnahme zum Kompensationsverbot. 599 Everett, DStZ 2006, 357 (362); Steichen, in: FS Debatin, S. 448.

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Maßstäbe zur Bestimmung des Missbrauchscharakters

dere Stimmen die Erforderlichkeit einer strengen Wechselbeziehung.600 Umstritten ist insbesondere, ob Steuersubjekt und Steuerart identisch sein müssen.601 Als Lösung dürfte sich hierzu anbieten, die Identität zwar als starkes Indiz des wirtschaftlichen Zusammenhangs, jedoch nicht als strikte Voraussetzung aufzufassen.602 Insbesondere für die Besteuerung im Verhältnis zwischen Gesellschaft und Gesellschafter wurde aber auch schon jeher eine Zusammenschau der beiden Ebenen gefordert.603 Strittig ist darüber hinaus, ob eine Kompensation innerhalb ein und derselben Steuerrechtsordnung erforderlich ist.604 Sofern man den grenzüberschreitenden Ausgleich als Frage weiterer, eventuell spezieller Rechtfertigungsgründe – Territorialitätsprinzip und Aufteilung der 600 EuGH, Urteil vom 23.10.2008 – C-157/07 (Krankenheim Ruhesitz am Wannsee) – IStR 2008, 769 (771), Rn. 42; Cloer/Lavrelashvili, Europäisches Steuerrecht, S. 78; Geibel, JZ 2007, 277 (280); Kokott/Henze, in: Lüdicke, Tendenzen der Europäischen Unternehmensbesteuerung, S. 100; Stewen, EuR 2008, 445 (457); Sedemund, Europäisches Ertragsteuerrecht, Rn. 448; Weber-Grellet, Europäisches Steuerrecht, § 8 Rn. 40. 601 In der früheren Rechtsprechung wurde dies gefordert, so dass nur die sog. juristische Doppelbesteuerung relevant wurde, vgl. EuGH, Urteil vom 06.06.2000 – C-35/98 (Verkooijen) – IStR 2000, 432 (435), Rn. 59; EuGH, Urteil vom 18.09.2003 – C-168/01 (Bosal) – IStR 2003, 666 (668), Rn. 30; ebenso Englisch, StuW 2003, 88 (95). In der Rechtssache Manninen deutete der EuGH an, nicht mehr stoisch hieran festzuhalten, so dass auch bestimmte Fälle der wirtschaftlichen Doppelbesteuerung erfasst sein könnten, EuGH, Urteil vom 07.09.2004 – C-319/02 – IStR 2005, 680 (683), Rn. 45. 602 So ausdrücklich GA Kokott, Schlussanträge vom 18.03.2004 – C-319/02 (Manninen) – IStR 2004, 313 (317 f.), Rn. 53 ff. Bei einer Identität des wirtschaftlichen Vorgangs und eines zwingenden Wechselbezugs könne somit ebenfalls von einem unmittelbaren Zusammenhang im Sinne des Kohärenzgedankens ausgegangen werden, Kokott/Henze, in: Lüdicke, Tendenzen der Europäischen Unternehmensbesteuerung, S. 100. Seiler/Axer, IStR 2008, 838 (839 f.), sehen hierin einen Übergang von der Individual- zur Systemperspektive. 603 Everett, DStZ 2006, 357 (363); Schön, IStR 2004, 289 (298), mit dem Argument, die Gewinnerzielung bei der Gesellschaft bewirke mittelbar eine Vermögensmehrung des Gesellschafters und sei ihm daher – wirtschaftlich gesprochen – zuzurechnen. 604 In einigen Urteilen deutete der EuGH ein mögliches grenzüberschreitendes Kohärenzverständnis an, vgl. EuGH, Urteil vom 16.07.1998 – C-264/96 (ICI) – DStRE 1998, 636 (639), Rn. 29; EuGH, Urteil vom 21.11.2002 – C-436/00 (X und Y) – IStR 2003, 23 (26), Rn. 52 f.; ausführlich hierzu Sedemund, Europäisches Ertragsteuerrecht, Rn. 451 ff. Im Ergebnis hat er dies jedoch stets und in einigen Entscheidungen sogar ausdrücklich verneint, vgl. EuGH, Urteil vom 29.03.2007 – C-347/04 (ReWe Zentralfinanz) – IStR 2007, 291 (295), Rn. 62 ff.; EuGH, Urteil vom 08.11.2007 – C-379/05 (Amurta) – IStR 2007, 853 (856), Rn. 45 ff. Siehe auch Seiler/Axer, IStR 2008, 838 (840). Hieran dürfte auch die Entscheidung EuGH, Urteil vom 23.10.2008 – C-157/07 (Krankenheim Ruhesitz am Wannsee) – IStR 2008, 769 (771), Rn. 41 ff., nichts geändert haben, da der unmittelbare Zusammenhang dort zwischen der vorherigen Verlustberücksichtigung und der späteren Hinzurechnung rein innerhalb der deutschen Rechtsordnung hergestellt wurde.

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Europäisches Steuerrecht

Besteuerungsbefugnisse – ansieht, bedarf es einer solchen Erweiterung des Kohärenzgedankens nicht, vielmehr geht es in der Sache dann um die Abgrenzung bzw. das Zusammenwirken mehrerer Rechtfertigungsgründe. (cc)

Territorialitätsprinzip

In der Rs. Futura605 sah der EuGH eine Beschränkung durch das Territorialitätsprinzip als gerechtfertigt an, d.h. durch die aus der Gebietshoheit des Staates folgende Befugnis zum Erlass, zur Anwendung und zur Durchsetzung von Normen auf seinem Staatsgebiet.606 Auf diese Weise ließen sich somit Normen legitimieren, die Ausfluss des Quellenstaatsprinzips sind.607 Da das Territorialitätsprinzip auf die Besteuerung beschränkt Steuerpflichtiger zugeschnitten ist, erscheint es bei systematischer Betrachtung vorzugswürdig, dies als Element der Vergleichbarkeitsprüfung zwischen beschränkt und unbeschränkt Steuerpflichtigen zu verorten.608 (dd) Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis An Bedeutung verloren hat das Territorialitätsprinzip in der Folge durch die Entwicklung des Allgemeininteresses der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis, welches in vielen Bereichen hieran – und an den Einwand der Mindereinnahmen – anknüpft, sich aber nicht darin erschöpft.609 Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH folgt die Kompetenz zur Aufteilung der Besteuerungsbefugnis und der Vermeidung der Doppelbesteuerung aus der Steuerhoheit: Die Freiheit der Mitgliedstaaten, ihre Steuersysteme zu gestalten, schließe auch das Recht ein, einseitig oder vertraglich Kriterien festzulegen, nach denen die Besteuerungsbefugnis untereinander aufgeteilt wird.610 Zwischen Aufteilung 605 EuGH, Urteil vom 15.05.1997 – C-250/95 (Futura) – DStRE 1997, 514 (515), Rn. 21 f. 606 Lehner, in: FS Wassermeyer, S. 241 m.w.N. 607 Es werden nur solche Einnahmen besteuert und Ausgaben berücksichtigt, die auf dem Territorium des Mitgliedstaates anfallen, siehe EuGH, Urteil vom 15.05.1997 – C-250/95 (Futura) – DStRE 1997, 514 (515), Rn. 21 f.; Hahn, DStZ 2005, 507 (512 f.); Lehner, in: FS Wassermeyer, S. 247 ff; Sedemund, IStR 2004, 595 (600). Verneint z.B. in EuGH, Urteil vom 18.09.2003 – C-168/01 (Bosal) – IStR 2003, 666 (668), Rn. 37 ff., infolge einer getrennten Betrachtung von Mutter- und Tochtergesellschaft. 608 Cloer/Lavrelashvili, Europäisches Steuerrecht, S. 81; Sedemund, IStR 2004, 595 (600). Der EuGH hält jedoch an seiner Prüfung auf der Rechtfertigungsebene fest, was indes nicht überrascht, angesichts der Tatsache, dass die Vergleichbarkeitsprüfung oftmals insgesamt als Frage der Rechtfertigung geprüft wird, hierzu siehe schon oben Fn. 575. 609 EuGH, Urteil vom 13.12.2005 – C-446/03 (Marks & Spencer) – DStR 2005, 2168 (2171), Rn. 44; Cloer/Lavrelashvili, Europäisches Steuerrecht, S. 78 f. 610 EuGH, Urteil vom 12.05.1998 – C-336/96 (Gilly) – DStRE 1998, 445 (448), Rn. 30; EuGH, Urteil vom 21.09.1999 – C-307/97 (Saint-Gobain) – DStRE 1999, 836 (840 f.), Rn. 56; EuGH, Urteil vom 05.07.2005 – C-376/03 (D) – IStR 2005, 483 (485), Rn. 52; EuGH, Urteil vom 13.12.2005 – C-446/03 (Marks & Spencer) – DStR 2005, 2168 (2171), Rn. 45; EuGH, Urteil vom 07.09.2006 – C-470/04 (N) – DStR 2006, 1691

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Maßstäbe zur Bestimmung des Missbrauchscharakters

der Besteuerungsbefugnis und Vermeidung der Doppelbesteuerung existiert dabei ein Zusammenhang dergestalt, dass ganz überwiegend von einer Aufteilung zur Vermeidung der Doppelbesteuerung die Rede ist.611 Jedoch wurde in bestimmten Fällen auch allein auf die Aufteilung der Besteuerungsbefugnis abgestellt, so etwa in der unter dem Stichwort der Meistbegünstigung bekannten Konstellation in der Rs. D612 und in der Rs. Marks & Spencer613 in Zusammenhang mit der grenzüberschreitenden Verlustverrechnung. Nach letzterer Entscheidung stand zur Diskussion, ob die Aufteilung der Besteuerungsbefugnis nur im Zusammenwirken mit anderen Erwägungen – vorliegend die Gefahr der doppelten Verlustberücksichtigung und der Steuerflucht bzw. Missbrauchsverhinderung – als Allgemeininteresse anzuerkennen und daher eine Gesamtbetrachtung vorzunehmen sei.614 Hiervon ist der EuGH jedoch abgerückt und hat, nachdem er schon in der Rs. N eine isolierte Berufung auf diesen Rechtfertigungsgrund anerkannt hatte,615 im Urteil Lidl Belgien unter Hinweis auf die Vielfalt der Situationen ausdrücklich verworfen, dass alle drei der in Marks & Spencer genannten Rechtfertigungsgründe vorliegen

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(1695), Rn. 44; EuGH, Urteil vom 28.02.2008 – C-293/06 (Deutsche Shell) – IStR 2008, 224 (225), Rn. 41; EuGH, Urteil vom 23.10.2008 – C-157/07 (Krankenheim Ruhesitz am Wannsee) – IStR 2008, 769 (771), Rn. 48. Nach Ansicht von Haase, Internationales und Europäisches Steuerrecht, Rn. 766 Fn. 28, und Weber-Grellet, Europäisches Steuerrecht, § 28 Rn. 17, folgt hieraus, dass der EuGH von einem EU-weiten Besteuerungsraum ausgehe, in dem die Einkünfte einem oder mehreren Staaten zur Besteuerung zugewiesen seien. So in EuGH, Urteil vom 12.05.1998 – C-336/96 (Gilly) – DStRE 1998, 445 (448), Rn. 30; EuGH, Urteil vom 21.09.1999 – C-307/97 (Saint-Gobain) – DStRE 1999, 836 (840 f.), Rn. 56; EuGH, Urteil vom 28.02.2008 – C-293/06 (Deutsche Shell) – IStR 2008, 224 (225), Rn. 41; EuGH, Urteil vom 23.10.2008 – C-157/07 (Krankenheim Ruhesitz am Wannsee) – IStR 2008, 769 (771), Rn. 48. In EuGH, Urteil vom 07.09.2006 – C-470/04 (N) – DStR 2006, 1691 (1695), Rn. 44 formuliert der EuGH: „… die Mitgliedstaaten [bleiben] befugt, insbesondere zur Beseitigung der Doppelbesteuerung die Kriterien für die Aufteilung ihrer Steuerhoheit vertraglich oder einseitig festzulegen.“ Indes ist die Aufteilung der Besteuerungsbefugnis auch Mittel der Vermeidung der Doppelbesteuerung, so EuGH, Urteil vom 12.12.2006 – C-374/04 (ACT Group Litigation) – IStR 2007, 138 (142 f.), Rn. 81 f. EuGH, Urteil vom 05.07.2005 – C-376/03 – IStR 2005, 483 (485), Rn. 52; hierzu ausführlich D.II.2.c.dd(1), S. 256. EuGH, Urteil vom 13.12.2005 – C-446/03 – DStR 2005, 2168 (2171), Rn. 46 ff. EuGH, Urteil vom 29.03.2007 – C-347/04 (ReWe Zentralfinanz) – IStR 2007, 291 (293), Rn. 41; EuGH, Urteil vom 18.07.2007 – C-231/05 (Oy AA) – IStR 2007, 631 (634), Rn. 51; jeweils mit Verweis auf Rn. 51 des Urteils Marks & Spencer. EuGH, Urteil vom 07.09.2006 – C-470/04 – DStR 2006, 1691 (1695), Rn. 42.

Europäisches Steuerrecht

müssten.616 Auch im Verfahren X Holding BV wurde allein auf dieses Allgemeininteresse abgestellt.617 Indes verbleibt die Frage nach dem Verhältnis zum Rechtfertigungsgrund der Missbrauchsverhinderung noch nicht völlig geklärt.618 Der EuGH betont, dass sich nach gegenwärtigem Harmonisierungsstand aus dem Unionsrecht keine allgemeinen Kriterien für die Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse unter den Mitgliedstaaten ableiten lassen.619 Jedenfalls eine strikt am Grundsatz der Territorialität ausgerichtete Aufteilung sei dabei als nicht zu beanstanden anzusehen.620 Aus dem Mangel an unionsrechtlicher Harmonisierung folgert der EuGH darüber hinaus, dass – auch wenn dies als Ziel selbstverständlich erstrebenswert sei – kein Staat allein zur Vermeidung der Doppelbesteuerung verpflichtet werden könne.621 Bereits früher hatte der EuGH entschieden, dass selbst aus Art. 293 Spstr. 2 EG,622 wonach die Mitgliedstaaten soweit erforderlich untereinander Verhandlungen einleiten, um zugunsten ihrer Staatsangehörigen Doppelbesteuerung innerhalb der Gemeinschaft zu beseitigen, keine Rechte des Einzelnen hergeleitet werden können;623 mit Entfallen der Vorschrift durch Inkrafttreten des Vertrages von Lissabon 616 EuGH, Urteil vom 15.05.2008 – C-414/06 – IStR 2008, 400 (403), Rn. 42 ff. 617 EuGH, Urteil vom 25.02.2010 – C-337/08 – DStR 2010, 427 (429), Rn. 28 ff. 618 So ging der EuGH im Verfahren Société de Gestion Industrielle, Urteil vom 21.01.2010 – C-311/08 – IStR 2010, 144(148 f.), Rn. 69, ausdrücklich wieder von einer Gesamtbetrachtung aus. Hierzu ausführlich im Folgenden unter B.II.1.b.cc(7), S. 183 ff. 619 EuGH, Urteil vom 14.11.2006 – C-513/04 (Kerckhaert/Morres) – DStR 2006, 2118 (2120), Rn. 22; EuGH, Urteil vom 06.12.2007 – C-298/05 (Columbus Container) – IStR 2008, 63 (64), Rn. 45; EuGH, Urteil vom 16.07.2009 – C-128/08 (Damseaux) – IStR 2009, 622 (624), Rn. 33. 620 EuGH, Urteil vom 15.05.1997 – C-250/95 (Futura) – DStRE 1997, 514 (515), Rn. 21 f.; EuGH, Urteil vom 13.12.2005 – C-446/03 (Marks & Spencer) – DStR 2005, 2168 (2170), Rn. 39; EuGH, Urteil vom 07.09.2006 – C-470/04 (N) – DStR 2006, 1691 (1695) Rn. 46. 621 So ausdrücklich in EuGH, Urteil vom 23.10.2008 – C-157/07 (Krankenheim Ruhesitz am Wannsee) – IStR 2008, 769 (771), Rn. 49 f.; EuGH, Urteil vom 28.02.2008 – C-293/06 (Deutsche Shell) – IStR 2008, 224 (225), Rn. 42; EuGH, Urteil vom 16.07.2009 – C-128/08 (Damseaux) – IStR 2009, 622 (624), Rn. 30; EuGH, Urteil vom 12.02.2009 – C-67/08 (Margarete Block) – DStR 2009, 373 (375), Rn. 31. Angedeutet wurde dies schon in EuGH, Urteil vom 06.12.2007 – C-298/05 (Columbus Container) – IStR 2008, 63 (65), Rn. 51 und EuGH, Urteil vom 14.11.2006 – C-513/04 (Kerckhaert/Morres) – DStR 2006, 2118 (2120), Rn. 23. Siehe auch Kokott/Henze, BB 2007, 913 (915). Davon zu trennen ist die Frage der Kompetenz zum Abschluss von DBA, welche aufgrund des Subsidiaritätsprinzips richtigerweise bei den Mitgliedstaaten verbleibt, dazu siehe Lehner, in: Gassner, DBA und EU-Recht, S. 11 ff. 622 I.d.F. des Vertrages von Nizza. 623 EuGH, Urteil vom 12.05.1998 – C-336/96 (Gilly) – DStRE 1998, 445 (447), Rn. 16.

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Maßstäbe zur Bestimmung des Missbrauchscharakters

kommt es darauf erst recht nicht mehr an. Das Unionsrecht schreibt nach Ansicht des EuGH insbesondere also nicht per se vor, dass DBA geschlossen werden müssen bzw. diese umfassend die Doppelbesteuerung vermeiden müssen. In der Literatur wird dem teilweise gefolgt mit dem Argument, dass es sich beim Phänomen der Doppelbesteuerung nur um eine „Quasi-Beschränkung“ handele, die erst durch das Zusammenwirken mehrerer Rechtsordnungen und nicht durch eine einzelne Maßnahme entstehe.624 Wohl die überwiegende Ansicht geht dagegen davon aus, dass eine echte Mehrbelastung infolge einer Doppelbesteuerung sehr wohl als Verstoß gegen die Grundfreiheiten angesehen werden könne.625 Indes muss dem Problem Rechnung getragen werden, dass damit noch lange nicht eindeutig ist, welcher der beteiligten Staaten nun in der Verantwortung für die Beseitigung der Doppelbesteuerung ist, so dass ein Verstoß letztlich nur insoweit in Betracht kommt, als diese Verantwortlichkeit im konkreten Fall bestimmt werden kann.626 Ebenso behält sich auch der EuGH eine Einzelfallprüfung vor, indem er stets den Zusatz in einer Situation wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden627 verwendet und seiner Ansicht nach die Mitgliedstaaten jedenfalls bei der Ausübung ihrer Zuständigkeit – sowohl im Rahmen einseitiger Maßnahmen als auch im Rahmen bilateraler Übereinkünfte – die Erfordernisse des Unionsrechts, insbesondere der Grundfreiheiten beachten müssen.628 Hierbei ist aber zu berücksichtigen, dass man624 Bron, IStR 2007, 431 (435). 625 Englisch, Dividendenbesteuerung, S. 252 f.; Hey, in: Lüdicke, Wo steht das deutsche Internationale Steuerrecht, S. 154; Kofler, DBA und Gemeinschaftsrecht, S. 232 m.w.N. unter Fn. 492. 626 Kofler, SWI 2006, 62 (69 f.); Hey, in: Lüdicke, Wo steht das deutsche Internationale Steuerrecht, S. 154 f. Eine ausführliche Diskussion zu möglichen Kriterien der Feststellung der spezifischen Verantwortlichkeitszuteilung findet sich bei Kofler, DBA und Gemeinschaftsrecht, S. 235 ff. 627 Siehe Fn. 619. 628 EuGH, Urteil vom 21.09.1999 – C-307/97 (Saint-Gobain) – DStRE 1999, 836 (840 f.), Rn. 57; EuGH, Urteil vom 14.12.2006 – C-170/05 (Denkavit France) – DStRE 2007, 289 (293), Rn. 44; EuGH, Urteil vom 12.12.2006 – C-374/04 (ACT Group Litigation) – IStR 2007, 138 (141), Rn. 54; EuGH, Urteil vom 13.03.2007 – C-524/04 (Thin Cap Group Litigation) – IStR 2007, 249 (253), Rn. 53; EuGH, Urteil vom 08.11.2007 – C-379/05 (Amurta) – IStR 2007, 853 (854), Rn. 24. In EuGH, Urteil vom 12.02.2009 – C-67/08 (Margarete Block) – DStR 2009, 373 (375), Rn. 31 formuliert der EuGH wie folgt: „Daraus folgt, dass die Mitgliedstaaten beim gegenwärtigen Entwicklungsstand des Gemeinschaftsrechts vorbehaltlich dessen Beachtung über eine gewisse Autonomie in diesem Bereich verfügen und deshalb nicht verpflichtet sind, ihr eigenes Steuersystem den verschiedenen Steuersystemen der anderen Mitgliedstaaten anzupassen.“ [Hervorhebung durch Verf.]

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Europäisches Steuerrecht

gels Vergleichbarkeit DBA-Regeln nicht isoliert, sondern stets im Zusammenhang zu sehen sind.629 Über diese Ausgeglichenheitsvermutung könnte auch ein sog. Treaty Override europarechtlich relevant werden und quasi als Ersatzmaßstab zur Vermeidung der Doppelbesteuerung herangezogen werden.630 Zu dem gesamten Problemkreis hat der EuGH in jüngerer Zeit vermehrt Stellung genommen, insbesondere auch in der Konstellation grenzüberschreitender Dividendenbesteuerung. So sei beispielsweise ein nach dem Körperschaftsteueranrechnungssystem verfahrender Ansässigkeitsstaat der Tochtergesellschaft – unter dem Vorbehalt der MTRL – nicht zur Vermeidung der (wirtschaftlichen) Doppelbesteuerung verpflichtet.631 Etwas anderes gelte aber dann, wenn er selbst die Ursache der Doppelbesteuerung setzte – etwa durch eine Besteuerung der Ausschüttung zusätzlich zur KSt632 oder indem nur gebietsfremde Anteilseigner einer Quellenbesteuerung unterworfen werden.633 In der letzten Entscheidung in diesem Kontext (Rs. Kommission/Italien) ging der EuGH noch einen Schritt weiter und sah sogar in der unterschiedslosen Quellenbesteuerung eine solche Ausübung der Steuerhoheit, die die Gefahr der Doppelbesteuerung in sich berge – mit der Konsequenz, dass der Ansässigkeitsstaat der ausschüttenden Gesellschaft dafür Sorge tragen müsse, dass gebietsfremde Anteilseigner im Vergleich zu Gebietsansässigen eine gleichwertige Behandlung erfahren.634 Dabei sei es auch grundsätzlich möglich, der sodann bestehenden Verpflichtung durch Abschluss eines DBA nachzukommen; der pauschale Verweis auf bestehende DBA genüge aber jedenfalls nicht zur Rechtfertigung einer bestehenden Beschränkung.635. 629 EuGH, Urteil vom 05.07.2005 – C-376/03 (D) – IStR 2005, 483 (486), Rn. 61 f.; EuGH, Urteil vom 12.12.2006 – C-374/04 (ACT Group Litigation) – IStR 2007, 138 (143), Rn. 88 ff. 630 Englisch, Dividendenbesteuerung, S. 257 ff.; Gosch, IStR 2008, 413 (420); Hey, in: Lüdicke, Wo steht das deutsche Internationale Steuerrecht, S. 155. Hierzu ausführlich D.II.2.c.dd(2), S. 259. 631 EuGH, Urteil vom 26.06.2008 – C-284/06 (Burda) – DStRE 2009, 424 (429 f.), Rn. 89 ff. 632 EuGH, Urteil vom 12.12.2006 – C-374/04 (ACT Group Litigation) – IStR 2007, 138 (142), Rn. 70. Siehe auch GA Geelhoed, Schlussanträge vom 23.02.2006 – C-374/04 (ACT Group Litigation) – EuGHE I 2006, 11673 (11691 f.), Rn. 37 ff., der zwischen den aus dem Nebeneinander verschiedener Steuerrechtsordnungen resultierenden, unvermeidlichen „Quasibeschränkungen“ und den darüber hinausgehenden „echten“, als „diskriminierend einzuordnenden Beschränkungen“ (!)differenziert. 633 EuGH, Urteil vom 08.11.2007 – C-379/05 (Amurta) – IStR 2007, 853 (855), Rn. 39. 634 EuGH, Urteil vom 19.11.2009 – C-540/07 – DStRE 2009, 1444 (1447), Rn. 53. 635 EuGH, Urteil vom 14.12.2006 – C-170/05 (Denkavit France) – DStRE 2007, 289 (293), Rn. 54 f.; EuGH, Urteil vom 12.12.2006 – C-374/04 (ACT Group Litigation) – IStR 2007, 138 (142), Rn. 71.

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Maßstäbe zur Bestimmung des Missbrauchscharakters

Hervorzuheben ist noch, dass sich in dieser jüngeren Rechtsprechung auch der Ansatzpunkt für die Berücksichtigung von Abkommensvorschriften verändert hat. Nach Ansicht von GA Kokott636 könne nur unter Einbeziehung geltender DBA in den zu überprüfenden Rechtsrahmen entschieden werden, ob überhaupt eine Benachteiligung Gebietsfremder vorliege; der EuGH hat diesen Punkt in der Folge konsequenterweise als Element der Vergleichbarkeitsprüfung zwischen beschränkt und unbeschränkt steuerpflichtigen Dividendenempfängern aufgegriffen.637 (ee)

Wahrung der Steueraufsicht

Ein weiteres zwingendes Allgemeininteresse, das einen Eingriff rechtfertigen kann, sieht der EuGH im Interesse der Mitgliedstaaten an der Wahrung der Steueraufsicht.638 Problematisch ist hierbei die unscharfe Verwendung des Begriffes Steueraufsicht. Im deutschen Recht kann man darunter jede Beaufsichtigung durch die Finanzbehörden zum Zwecke der gleichmäßigen Festsetzung und Erhebung der Steuern verstehen; die Steueraufsicht umfasst dann zum einen die besondere Steueraufsicht i.S.v. §§ 209 ff. AO, die Außenprüfung, §§ 193 ff. AO, und die allgemeine Steuerfahndung, § 208 AO.639 Zum

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Es reichen jedenfalls einseitige Maßnahmen des anderen Staates nicht aus, EuGH, Urteil vom 08.11.2007 – C-379/05 (Amurta) – IStR 2007, 853 (858), Rn. 77 ff. Auch muss aufgrund des DBA tatsächlich ein Ausgleich stattfinden, was aber bei einer fehlenden Anrechnungsmöglichkeit im anderen Staat ausscheidet, EuGH, Urteil vom 19.11.2009 – C-540/07 (Kommission/Italien) – DStRE 2009, 1444 (1445 f.), Rn. 37. GA Kokott, Schlussanträge vom 14.07.2005 – C-265/04 (Bouanich) – EuGHE I 2006, 923 (936 ff.), Rn. 44 ff; unter Berufung auf EuGH, Urteil vom 28.01.1986 – C-270/83 (avoir fiscal) – EuGHE I 1986, 273 (307), Rn. 26, hatte die Kommission zuvor eine Rechtfertigung durch DBA-Regelungen abgelehnt noch abgelehnt. Ebenso GA Geelhoed, Schlussanträge vom 27.04.2006 – C-170/05 (Denkavit France) – EuGHE I 2006, 11949 (11961 f.), Rn. 33 ff.; GA Mengozzi, Schlussanträge vom 29.03.2007 – C-298/05 (Columbus Container) – EuGHE I 2007, 10451 (10463 f.), Rn. 47. EuGH, Urteil vom 12.12.2006 – C-374/04 (ACT Group Litigation) – IStR 2007, 138 (141), Rn. 56; EuGH, Urteil vom 08.11.2007 – C-379/05 (Amurta) – IStR 2007, 853 (855), Rn. 37 ff.; EuGH, Urteil vom 19.11.2009 – C-540/07 (Kommission/Italien) – DStRE 2009, 1444 (1446), Rn. 50 ff. EuGH, Urteil vom 20.02.1979 – 120/78 (Cassis de Dijon) – NJW 1979, 1766 (1766); EuGH, Urteil vom 15.05.1997 – C-250/95 (Futura) – DStRE 1997, 514 (516), Rn. 32; EuGH, Urteil vom 08.07.1999 – C-254/97 (Baxter) – EuZW 1999, 638 (640), Rn. 18; EuGH, Urteil vom 28.10.1999 – C-55/98 (Vestergaard) – DStRE 2000, 114 (116), Rn. 25. Hahn, DStZ 2005, 507 (509); Tipke, in: Tipke/Kruse, AO, vor § 209 Rn. 3. Ähnlich auch Cloer/Lavrelashvili, Europäisches Steuerrecht, S. 78: Kontrolle des Steuerpflichtigen durch die Finanzverwaltung zum Zwecke der Erfüllung der steuerlichen Verpflichtungen.

Europäisches Steuerrecht

anderen sind nach diesem weiten Verständnis auch verschiedenste Vorschriften im Bereich der Mitwirkungs- und Nachweispflichten640 sowie des Quellensteuerabzugs641 Teil der Steueraufsicht. Eine Schranke ergibt sich jedoch dadurch, dass bloße Verwaltungsvereinfachung und reine Zweckmäßigkeitserwägungen nicht ausreichen, vielmehr müssten die jeweiligen Behörden bei Nichtberücksichtigung ihre Aufgabe nicht erfüllen können.642 Unklar ist jedoch nach wie vor, inwieweit Maßnahmen der Steueraufsicht unterschiedslos gelten müssen oder auch in Fällen (mittelbarer) Diskriminierung rechtfertigen können.643 Auch die Verhinderung der Steuerhinterziehung kann ein Fall der Steueraufsicht sein, insoweit als mit den einschlägigen Regelungen die tatsächliche Erfassung der Besteuerungsgrundlagen sichergestellt werden soll.644 Trotz der Akzeptanz als zwingendes Allgemeininteresse hatte die Wahrung der Steueraufsicht in den Entscheidungen des EuGH bislang keine große Bedeutung. Dies resultiert aus der Tatsache, dass der EuGH im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung die Erforderlichkeit der zu überprüfenden Regelung in Frage stellte und regelmäßig ein Vorgehen nach der AmtshilfeRL645 als ausreichend ansah.646 Dieser teils sehr pauschale Verweis sah sich zahlreicher Kritik

640 EuGH, Urteil vom 15.05.1997 – C-250/95 (Futura) – DStRE 1997, 514 (516), Rn. 32; Cloer/Lavrelashvili, Europäisches Steuerrecht, S. 78. 641 EuGH, Urteil vom 15.07.2004 – C-315/02 (Lenz) – IStR 2004, 522 (525), Rn. 47. Siehe aber auch EuGH, Urteil vom 12.06.2003 – C-234/01 (Gerritse) – IStR 2003, 458. In EuGH, Urteil vom 22.12.2008 – C-282/07 (Truck Center) – IStR 2009, 135 (137), Rn. 43 ff., hat der EuGH dies im Rahmen der Vergleichbarkeit geprüft. 642 EuGH, Urteil vom 04.12.1986 – 205/84 (Versicherungsaufsichtsgesellschaft) – NJW 1987, 572 (576), Rn. 54; EuGH, Urteil vom 15.07.2004 – C-315/02 (Lenz) – IStR 2004, 522 (525), Rn. 48; Stewen, EuR 2008, 445 (456) m.w.N. 643 Für Geltung: EuGH, Urteil vom 28.10.1999 – C-55/98 (Vestergaard) – DStRE 2000, 114 (116), Rn. 25; EuGH, Urteil vom 29.04.1999 – C-311/97 (Royal Bank of Scotland) – DStRE 1999, 520 (523), Rn. 32. Abgelehnt in EuGH, Urteil vom 15.05.1997 – C-250/95 (Futura) – DStRE 1997, 514 (516), Rn. 32; Hahn, DStZ 2005, 507 (509). 644 EuGH, Urteil vom 16.07.1998 – C-264/96 (ICI) – DStRE 1998, 636 (639), Rn. 26; EuGH, Urteil vom 21.11.2002 – C-436/00 (X und Y) – IStR 2003, 23 (27), Rn. 60; Hahn, DStZ 2005, 507 (509). In diesem Fall stellt sich die Frage, ob nicht von vornherein auf den geschrieben Rechtfertigungsgrund der Erhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung abgestellt werden kann. Der EuGH hat dies bislang offengelassen, siehe EuGH, Urteil vom 14.10.1999 – C-439/97 (Sandoz) – EuZW 2000, 86 (87 f.), Rn. 33 ff. 645 Richtlinie 77/799/EWG des Rates vom 19.12.1977, ABlEG L 336, S. 15. 646 EuGH, Urteil vom 14.02.1995 – C-279/93 (Schumacker) – DStR 1995, 326 (328), Rn. 45; EuGH, Urteil vom 11.08.1995 – C-80/94 (Wielockx) – IStR 1995, 431 (432), Rn. 26; Cloer/Lavrelashvili, Europäisches Steuerrecht, S. 78; Cordewener, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, S. 539; Haase, Internationales und Europäisches Steuerrecht, Rn. 839; Sedemund, Europäisches Ertragsteuerrecht, Rn. 439. Nicht

157

Maßstäbe zur Bestimmung des Missbrauchscharakters

ausgesetzt, sei die Amtshilfe-RL in der Praxis doch selten so einfach und geeignet wie theoretisch dargestellt, so dass sich eine generelle Betrachtung verbiete.647 Im Zusammenhang mit der Rechtfertigung zur Missbrauchsverhinderung ist der EuGH sodann von seiner ursprünglichen Linie etwas abgerückt.648 Die Einschränkung dürfte zukünftig auch deshalb weiter an Bedeutung verlieren, da der EuGH nun auch die Effizienz der Steuerbeitreibung als Argument akzeptiert hat.649 Abzuwarten bleibt weiterhin, ob der EuGH dies nach wie vor als Rechtfertigungsgrund ansieht, oder ob sich nicht ähnlich wie im Rahmen der Befugnis zur Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse in Zukunft eine Vorverlagerung auf die Ebene der Vergleichbarkeit ergibt – in diese Richtung könnte die Aufrechterhaltung einer besonderen Quellensteuer für beschränkt Steuerpflichtige in der Rs. Truck Center zu deuten sein.650 (ff)

Verhinderung von Steuermissbrauch

Als zumindest potentieller Rechtfertigungsgrund ist die Verhinderung von Steuermissbrauch von der Rechtsprechung seit einiger Zeit anerkannt,651 insbesondere in der Entscheidung Cadbury Schweppes652 hat sich der EuGH detailliert mit den näheren Voraussetzungen auseinandergesetzt. Sowohl die inhaltlichen Maßgaben des Missbrauchs aus dem Blickwinkel des Unionsrechts als auch die dogmatische Einordnung sind im Folgenden genauer zu untersuchen. cc.

Grundfreiheiten und Missbrauchsbegriff

(1)

Existenz eines Missbrauchsvorbehalts im Steuerrecht

Vorab ist festzustellen, dass das Unionsrecht auf dem Gebiet des Steuerrechts überhaupt die Existenz der Rechtsfigur des Missbrauchs kennt und damit in der Konsequenz Missbrauchsvorbehalte – sei es im Unionsrecht oder in den nationalen Rechtsordnungen – akzeptiert. Dies ist nicht selbstverständlich, bedenkt man, dass der EuGH sich bei seiner ersten Befassung mit dem Thema

647 648 649 650 651 652

158

möglich ist diese Argumentation indes beim Vorgehen gegenüber Drittstaaten im Rahmen der Kapitalverkehrsfreiheit, da hier die AmtshilfeRL nicht offensteht. Everett, DStZ 2006, 357 (364); Faltlhauser, in: FS Solms, S. 158; Fischer, FR 2005, 457 (465); Hahn, DStZ 2005, 507 (509). In EuGH, Urteil vom 12.09.2006 – C-196/04 (Cadbury Schweppes) – IStR 2006, 670 (674), Rn. 71, sieht er die AmtshilfeRL lediglich als geeignete Nachweismethode an, dazu ausführlich sogleich unter B.II.1.b.cc(4)(b), S. 173. Siehe z.B. EuGH, Urteil vom 03.10.2006 – C-290/04 (Scorpio) – IStR 2006, 743; hierzu auch Musil/Fähling, DStR 2010, 1501 (1503). EuGH, Urteil vom 22.12.2008 – C-282/07 – IStR 2009, 135 (137), Rn. 43 ff. Erstmals angesprochen in EuGH, Urteil vom 16.07.1998 – C-264/96 (ICI) – DStRE 1998, 636 (639), Rn. 26. EuGH, Urteil vom 12.09.2006 – C-196/04 – IStR 2006, 670.

Europäisches Steuerrecht

Grundfreiheiten und Missbrauch auf dem Gebiet des Steuerrechts in der Rs. avoir fiscal vermeintlich eindeutig positionierte und eine Ausnahme vom Grundsatz der Niederlassungsfreiheit wegen der „Gefahr der Steuerflucht“ pauschal zurückwies.653 Schon an dieser Aussage zeigt sich wiederum das Problem der begrifflichen Abgrenzung, welches bei Urteilen des EuGH infolge der Notwendigkeit einer Übersetzung noch verstärkt wird: Während in der französischen und englischen Sprachfassung regelmäßig von evasion fiscale bzw. tax avoidance die Rede ist, findet sich in der deutschen Version mitunter der – im Rahmen dieser Untersuchung untaugliche654 – Begriff der Steuerflucht. Doch nicht nur sprachliche Unterschiede erschweren die Konturierung des Missbrauchsbegriffs im Unionsrecht, der EuGH selbst rückt diesen auch wiederholt in die Nähe des Rechtfertigungsgrundes der Abwehr von Steuerstraftaten,655 obwohl die Begriffe der Steuerumgehung und des Missbrauchs ein solches Unrechtselement gerade nicht enthalten.656 Dies erklärt sich andererseits aber dadurch, dass insoweit der Rechtfertigungsgrund der Steueraufsicht einschlägig sein könnte und der EuGH die möglichen Rechtfertigungsgründe oftmals im Wege einer Gesamtbetrachtung prüft. Inzwischen entspricht es aber ständiger Rechtsprechung, dass eine missbräuchliche Berufung auf Unionsvorschriften, insbesondere auf die Grundfreiheiten, zur Umgehung nationaler Rechtsvorschriften als unzulässig erachtet wird.657 Im Schrifttum findet dies ganz zu Recht überwiegende Zustimmung:658 Zum einen wird auf das Gebot der Steuergerechtigkeit verwiesen, welches insoweit Ausfluss des auch im Unionsrecht verwurzelten Gleichheitssatzes sei;659 auch spiegele sich dies in zahlreichen Regelungen im Sekundär653 EuGH, Urteil vom 28.01.1986 – C-270/83 – EuGHE I 1986, 273 (307), Rn. 25. 654 Dazu siehe schon oben A.III, S. 42. Ausführlich hierzu Bergmann, StuW 2010, 246 (248); Lohse, in: FS Reiß, S. 645 ff., im Ergebnis auch Cloer/Lavrelashvili, Europäisches Steuerrecht, S. 77. 655 EuGH, Urteil vom 08.03.2001 – C-397/98 und C-410/98 (Metallgesellschaft/Hoechst) – IStR 2001, 215 (217), Rn. 57; EuGH, Urteil vom 21.11.2002 – C-436/00 (X und Y) – IStR 2003, 23 (25 f.), Rn. 41 f. 656 Siehe oben A.III, S. 42. 657 EuGH, Urteil vom 21.11.2002 – C-436/00 (X und Y) – IStR 2003, 23 (25 f.), Rn. 42; EuGH, Urteil vom 12.09.2006 – C-196/04 (Cadbury Schweppes) – IStR 2006, 670 (671), Rn. 35. Außerhalb des Steuerrechts z.B. EuGH, Urteil vom 03.12.1974 – 33/74 (Binsbergen) – NJW 1975, 1095 (1095); EuGH, Urteil vom 12.05.1998 – C-367/96 (Kefalas) –EuZW 1999, 56 (58), Rn. 20; EuGH, Urteil vom 09.03.1999 – C-212/97 (Centros) – DStRE 1999, 414 (415), Rn. 24. 658 Insgesamt siehe Bergmann, StuW 2010, 246 (248); Böing, Gestaltungsmissbrauch, S. 260; Höppner, in: FS Rädler, S. 328. 659 Thömmes, in: FS Wassermeyer, S. 216.

159

Maßstäbe zur Bestimmung des Missbrauchscharakters

recht und weiteren unionsrechtlicher Erörterungen wider.660 Ein weiteres Argument ergibt sich unter Heranziehung der mitgliedsstaatlichen Rechtsordnungen, welche als zwar formal getrennte Rechtsordnungen infolge wechselseitiger Beeinflussung und Abhängigkeit dennoch als gemeinsame Erkenntnisgrundlage fungieren können:661 So ist das Problem des steuerlichen Missbrauchs in allen Mitgliedstaaten existent, und wenn mitunter auch die Herangehensweisen dogmatisch differieren,662 so lässt sich doch auch eine weitgehende Übereinstimmung in den jeweiligen Kriterien ausmachen.663 Während mithin die Existenz eines Missbrauchsvorbehalts664 auf dem Gebiet des Steuerrechts als anerkannt angesehen werden kann, sind dessen rechtsmethodische Einordnung und die inhaltlichen Maßgaben jedoch umstritten. (2)

Grundstruktur des Missbrauchsbegriffs nach EuGH

Eine erste Betrachtung soll anhand der Rechtsprechung des EuGH vorgenommen werden. Zwar fehlen in den allermeisten Fällen genauere Ausführungen, dennoch lässt bereits sich auf Basis665 der Entscheidung Emsland Stärke eine Grundstruktur des Missbrauchsbegriffs aufzeigen: Für die Annahme eines Rechtsmissbrauchs seien danach in materieller Hinsicht ein objektives und ein subjektives Element erforderlich:666 Bei ersterem müsse eine Gesamtwürdi660 Bergmann, StuW 2010, 246 (248); Böing, Gestaltungsmissbrauch, S. 254; Höppner, in: FS Rädler, S. 320. So auch GA Léger, Schlussanträge vom 02.05.2006 – C-196/04 (Cadbury Schweppes) – EuGHE I 2006, 7995 (8004), Rn. 29. 661 Streinz, Europarecht, Rn. 199 f.; Suchowerskyj, Missbrauchsbegriff, S. 91 ff. Siehe auch EuGH, Urteil vom 14.12.2000 – C-110/99 (Emsland Stärke) – EuGHE I 2000, 11569 (11580 f.), Rn. 38. 662 Böing, Gestaltungsmissbrauch, S. 200 f.; Hahn, DStZ 2005, 183 (183 f.); Suchowerskyj, Missbrauchsbegriff, S. 117: Unterschieden werden kann beispielsweise zwischen Ländern mit allgemeiner Missbrauchsvorschrift, solchen mit innentheoretischer Betrachtung und solchen mit einem übergreifenden Rechtsgrundsatz. 663 So ausdrücklich Böing, Gestaltungsmissbrauch, S. 201. Suchowerskyj, Missbrauchsbegriff, S. 119 f., spricht von einem gemeinsamen Kern des Missbrauchsverständnisses. Nach Fischer, FR 2007, S. 857 (858), ist der fraus legis-Gedanke des Römischen Rechts Grundlage eines solchen allgemeinen Rechtssatzes. 664 Bergmann, StuW 2010, 246 (249), differenziert zwischen einem einheitlichen abstrakten Missbrauchskonzept und konkreten Missbrauchsbegriffen bezogen auf die jeweiligen Unionsrechtsakte. 665 Zwar erging die Entscheidung nicht auf dem Gebiet des Steuerrechts, sondern zu landwirtschaftlichen Ausfuhrerstattungen im Sekundärrecht. Dennoch aber ist diese heranzuziehen, da der EuGH in der Sache vom Missbrauchsverbot als einem allgemeinen Grundsatz des Gemeinschaftsrechts ausgeht, dazu sogleich im Folgenden. Ständige wechselbezügliche Verweise relativieren zudem die Unterscheidung zwischen Primärund Sekundärrecht, hierzu siehe Englisch, StuW 2009, 3 (4); Fleischer, JZ 2003, 865 (871); Schön, in: FS Wiedemann, S. 1273. 666 EuGH, Urteil vom 14.12.2000 – C-110/99 – EuGHE I 2000, 11569 (11581 f.), Rn. 39.

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Europäisches Steuerrecht

gung der objektiven Umstände ergeben, dass die Voraussetzungen für die Gewährung einer Leistung künstlich geschaffen wurden, weil trotz formaler Einhaltung der gemeinschaftsrechtlichen Bedingungen das Ziel der Regelung nicht erreicht wurde;667 das subjektive Element liege in der Absicht, sich einen dem Zweck der Gemeinschaftsregelung widersprechenden finanziellen Vorteil zu verschaffen.668 Auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht nimmt der EuGH Stellung, indem er einerseits grundsätzlich die Beweislast auf Seiten der zuständigen nationalen Verwaltung sieht, in extremen Missbrauchsfällen aber ausnahmsweise auch einen Beweis prima facie anerkennt, der gegebenenfalls zu einer Beweislastumkehr führt.669 In der Entscheidung Cadbury Schweppes bezieht sich der EuGH sodann auf diese Grundstruktur und konkretisiert speziell für den Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit und für das Gebiet des direkten Steuerrechts: Aus objektiven Anhaltspunkten müsse sich ergeben, dass trotz formaler Beachtung der Zweck der Grundfreiheit nicht erreicht worden sei,670 in subjektiver Hinsicht sei das Streben nach einem Steuervorteil erforderlich.671 Zudem betont der EuGH, dass allein die schlichte Ausübung der Grundfreiheiten mit dem Ziel, in den Genuss vorteilhafter Steuerregelungen zu kommen, keine missbräuchliche Ausnutzung der Grundfreiheiten sei.672 Die Literatur stimmt dem ganz überwiegend zu: Die Grundfreiheiten dürften grundsätzlich auch mit dem Ziel der Steuerersparnis ausgeübt und ein bestehendes – in der Regelungsstruktur gar angelegtes673 – Steuergefälle genutzt werden, dies sei nicht per se missbräuchlich.674 Festzuhalten bleibt damit, dass zusätzliche objektive Umstände (objektives Element) vorliegen müssen, um die schlichte – und damit schutzwürdige – Ausübung der Grundfreiheiten als missbräuchlich qualifizieren. Eine generelle Vermutung hinsichtlich des Vorliegens dieses ob667 EuGH, Urteil vom 14.12.2000 – C-110/99 – EuGHE I 2000, 11569 (11581 ff.), Rn. 39 und Rn. 52. 668 EuGH, Urteil vom 14.12.2000 – C-110/99 – EuGHE I 2000, 11569 (11581 ff.), Rn. 39 und Rn. 52. 669 EuGH, Urteil vom 14.12.2000 – C-110/99 – EuGHE I 2000, 11569 (11581 ff.), Rn. 39 und Rn. 53. 670 EuGH, Urteil vom 12.09.2006 – C-196/04 – IStR 2006, 670 (674), Rn. 64. 671 EuGH, Urteil vom 12.09.2006 – C-196/04 – IStR 2006, 670 (674), Rn. 63. 672 EuGH, Urteil vom 30.09.2003 – C-167/01 (Inspire Art) – IStR 2003, 849 (851), Rn. 96; EuGH, Urteil vom 12.09.2006 – C-196/04 (Cadbury Schweppes) – IStR 2006, 670 (672), Rn. 37. Vgl. auch EuGH, Urteil vom 26.10.1999 – C-294/97 (Eurowings) – DStRE 2000, 303 (306), Rn. 44, dort allerdings unter dem Aspekt der Vorteilskompensation geprüft. 673 Gosch, in: FS Reiß, S. 607. 674 Cloer/Lavrelashvili, Europäisches Steuerrecht, S. 77; Hahn, DStZ 2005, 507 (510); Knobbe-Keuk, EuZW 1992, 336 (340); Schön, in: FS Reiß, S. 582.

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Maßstäbe zur Bestimmung des Missbrauchscharakters

jektiven Elements gibt es jedenfalls nicht,675 insbesondere reicht auch nicht allein der tatsächliche Umstand der Gründung von Tochtergesellschaften für eine solche Annahme aus.676 Welche inhaltlichen Maßgaben aber im Einzelnen gelten sollen, bleibt jedoch umstritten. Ebenso Uneinigkeit besteht hinsichtlich der Notwendigkeit der zweiten Voraussetzungen des EuGH, wonach als subjektives Element die Absicht einer zweckwidrigen Vorteilserlangung677 bzw. – bezogen auf das Steuerrecht – das Streben nach einem Steuervorteil erforderlich sei. Beides678 hängt letztlich vom Streit um die rechtsmethodische Einordnung eines gemeinschaftsrechtlichen Missbrauchskonzeptes ab. (3)

Rechtsmethodische Betrachtung

(a)

Die Biperspektivität des Missbrauchs im Anwendungsbereich der Grundfreiheiten

Die bisherigen Ausführungen zeigen allerdings schon auf, dass das Thema „Grundfreiheiten und Missbrauchsbegriff“ aus zweierlei Perspektiven betrachtet werden kann. Zum einen betrifft dies die soeben angesprochene Frage der Grenzziehung zwischen als schutzwürdig anerkannter schlichter Ausübung der Grundfreiheiten einerseits und missbräuchlicher Inanspruchnahme andererseits.679 Damit geht es im Kern um den Missbrauch der Grundfreiheiten, um die Reichweite dieser Freiheitsrechte. Zum anderen – und dies war der ursprüngliche Berührungspunkt – stellt sich die Frage nach der Rechtfertigung einer Beschränkung oder Diskriminierung durch das Allgemeininteresse der Verhinderung von Steuermissbrauch. Darin kristallisiert sich der für den Gestaltungsmissbrauch typische Interessengegensatz zwischen der unternehmerischen Entscheidungsfreiheit zur grenzüberschreitenden Geschäftstätigkeit und dem staatlichen Interesse zur Verhinderung von Steuerumgehung.680 Diese Kollision zwischen Grundfreiheiten und 675 EuGH, Urteil vom 26.09.2000 – C-478/98 (Kommission/Belgien) – EuGHE I 2000, 7587 (7604 f.), Rn. 45; EuGH, Urteil vom 21.11.2002 – C-436/00 (X und Y) – IStR 2003, 23 (27), Rn. 62; EuGH, Urteil vom 11.03.2004 – C-9/02 (Hughes de Lasteyrie du Saillant) – DStR 2004, 551 (555), Rn. 50. 676 EuGH, Urteil vom 12.09.2006 – C-196/04 (Cadbury Schweppes) – IStR 2006, 670 (673), Rn. 50. Zustimmend Schön, in: FS Reiß, S. 587. Kritisch Musil/Fähling, DStR 2010, 1501 (1503), unter Verweis auf EuGH, Urteil vom 13.03.2007 – C-524/04 (Thin Cap Group Litigation) – IStR 2007, 249. 677 So die Entscheidung Emsland-Stärke, siehe oben Fn. 669. 678 Englisch, StuW 2009, 3 (3), bezeichnet das Erfordernis einer sog. Missbrauchsabsicht als Kristallisationspunkt dieses Streits. 679 Vgl. auch Schön, in: FS Reiß, S. 585: „Grenzziehung zwischen anerkannten und nicht anerkannten Entscheidungen“, hierzu sogleich B.II.1.b.cc(3)(b), S. 163. 680 Siehe bereits in der Einleitung, S. 1, sowie oben S. 37.

162

Europäisches Steuerrecht

nationalen Missbrauchsvorbehalten kann dogmatisch als Konflikt zwischen der steuerrechtlichen Kompetenzordnung und deren grundfreiheitlicher Ausübungsschranke681 angesehen werden; der erforderliche Ausgleich bildet das Fundament zur Beurteilung der Zulässigkeit staatlicher Maßnahmen zur Verhinderung von Steuerumgehungen unter der Warte des Unionsrechts. In Bezug auf diese zwei unterschiedlichen Perspektiven ist es zunächst auch konsequent, gleichermaßen von unterschiedlichen Missbrauchsbegriffen zu sprechen.682 Dies ist aber nicht im Sinne einer strikten Trennung zu verstehen; wie zu zeigen ist, besteht vielmehr eine wechselbezügliche Verknüpfung der beiden Ansätze. (b)

Missbrauch der Grundfreiheiten: Umgehungsgeschäft oder institutioneller Rechtsmissbrauch?

Einleitend stellt sich die Frage, ob die Perspektive des Missbrauchs der Grundfreiheiten im Steuerrecht abstrakt einer der Rechtsfiguren der Gesetzesumgehung und des institutionellen Rechtsmissbrauchs zugeordnet werden kann. Während die Gesetzesumgehung die Sachverhaltsgestaltung zur Umgehung nachteiliger bzw. Erschleichung vorteilhafter Normen683 betont, liegt der Fokus beim institutionellen Rechtsmissbrauch auf der – gemessen am Zweck des jeweiligen Rechtsinstituts – zweckwidrigen Ausübung eines bestehenden Rechts.684 Daraus könnten sich Erkenntnisse für diejenigen inhaltlichen Maßgaben gewinnen lassen, anhand derer eine schlichte Ausübung der Grundfreiheiten in eine missbräuchliche Ausübung umschlägt. So scheinen sich auf den ersten Blick in der Literatur auch einige Stimmen zu finden, die eine solche Zuordnung vornehmen, insbesondere zur Figur des institutionellen Rechtsmissbrauchs. Bei näherem Hinsehen muss man jedoch feststellen, dass die Unterscheidung ganz überwiegend fruchtlos ist und – sei es aufgrund einer späteren ausdrücklichen Relativierung oder lediglich aufgrund differierender Begrifflichkeiten – zu dem Problem nichts beitragen kann. So spricht etwa Schön zunächst davon, dass es sich beim Missbrauch von Grundfreiheiten gar um eine typische Problemlage des institutionellen Rechtsmissbrauchs handele,685 wobei er diesen als „eine der inneren Teleologie einer Norm widerstreitende Umgehung oder Erschleichung ihrer Rechts681 Siehe Kube, in: Reimer/Dillmann, Europäisches Gesellschafts- und Steuerrecht, S. 226 f. 682 Köhler/Tippelhöfer, IStR 2007, 681 (683); Kube, in: Reimer/Dillmann, Europäisches Gesellschafts- und Steuerrecht, S. 225. Vgl. auch Schön, in: DStJG Bd. 33, S. 58. 683 Zu den Varianten der Tatbestandserschleichung und der Tatbestandsvermeidung siehe bereits oben B.I.2.a.aa, S. 55. 684 Fischer, in: FS Reiß, S. 635. Siehe insgesamt oben unter B.I.2.a, S. 54. 685 Schön, in: FS Wiedemann, S. 1279.

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Maßstäbe zur Bestimmung des Missbrauchscharakters

folgen“ bezeichnet.686 Schon definitionsgemäß verschwimmen damit die Grenzen der Rechtsfiguren, festzuhalten bleibt aber das starke Abstellen auf die objektive Zwecksetzung der Grundfreiheiten. In einem späteren Beitrag wird die Zuordnung zur Kategorie des institutionellen Rechtsmissbrauchs nicht mehr aufgegriffen und der Missbrauch der Grundfreiheiten allein als Frage der Grenzziehung zwischen anerkannten und nicht anerkannten Entscheidungen betont.687 Nach Ansicht von Fischer ist der Einwand des Rechtsmissbrauchs gegenüber der Ausübung der Grundfreiheiten dogmatisch angesiedelt bei der Lehre vom institutionellen Rechtsmissbrauch, da dies im Kern die Frage nach den Grenzen der Freiheitsrechte betreffe.688 Diese Auffassung muss jedoch vor dem Hintergrund betrachtet werden, dass der institutionelle Rechtsmissbrauch als Gegenbegriff zur Rechtsfigur der Steuerumgehung betont wird.689 Letztlich wird damit nur das hervorgehoben, was oben als Biperspektivität des Missbrauchsbegriffs bezeichnet wurde, namentlich dass der Missbrauch von Grundfreiheiten einerseits und das Spannungsverhältnis zwischen bestehender Grundfreiheit und nationalen Missbrauchsvorbehalten andererseits getrennt werden müssen. Dies wäre auch ein Erklärungsansatz dafür, dass nach dieser Ansicht sogar dahinstehen könne, ob der Missbrauch der Grundfreiheiten im Sinne eines tatbestandlichen Ausschlusses oder auf der Ebene der Rechtfertigung zu berücksichtigen sei.690 Englisch hingegen betont auch für die erste Perspektive die Notwendigkeit einer fallgruppenbezogenen Differenzierung, zu trennen sei danach der institutionelle Rechtsmissbrauch von Grundfreiheiten von der Umgehung bzw. Erschleichung gemeinschaftsrechtlicher Bestimmungen.691 Ersterer wird dabei definiert als Sachverhaltsgestaltung, in der die formalen Erfordernisse zur Geltendmachung von (Freiheits-)Rechten erfüllt seien, zugleich aber das diesen Rechten inhärente Ziel des Beitrags zur Verwirklichung des Binnenmarktes verfehlt werde.692 Zu diesen solle exemplarisch auch die Gründung von Zwischengesellschaften im Ausland gehören, welche die Niederlassungsfreiheit zwar pro forma ausüben, aber das Binnenmarktziel verfehlen.693 Schon diese Einordnung offenbart einen gewissen Widerspruch zu dem in dieser Arbeit 686 Schön, in: FS Wiedemann, S. 1279. 687 Schön, in: FS Reiß, S. 585. Siehe auch Schön, in: DStJG Bd. 33, S. 61, zur Steuerumgehung unter dem Blickwinkel des nationalen Rechts, hierzu bereits Fn. 57. 688 Fischer, in: FS Reiß, S. 635. 689 Fischer, FR 2007, S. 857 (858). 690 Fischer, in: FS Reiß, S. 635. 691 Englisch, StuW 2009, 3 (5). 692 Englisch, StuW 2009, 3 (5). 693 Englisch, StuW 2009, 3 (5 f.).

164

Europäisches Steuerrecht

bislang dargestellten Ansatz, wonach die Zwischenschaltung von Personen als Anwendungsfall der Gesetzesumgehung angesehen wird.694 Auch rückt die Betonung der Sachverhaltsgestaltung in der Definition dies insgesamt wiederum in die Nähe der Umgehungsfälle. Als Folge der Einordnung als institutioneller Rechtsmissbrauch wird jedenfalls postuliert, dass Fälle des Missbrauchs der Grundfreiheiten bereits auf der Ebene des Schutzbereichs zu berücksichtigen seien und schon eine tatbestandsmäßige Berufung auf die Grundfreiheiten ausschließen sollen; auf die Verhältnismäßigkeitsprüfung und eine Missbrauchsabsicht käme es dann nicht mehr an.695 Vom Vorliegen einer Umgehung bzw. Erschleichung gemeinschaftsrechtlicher Bestimmung geht diese Ansicht nur in den Fällen gesamtplanmäßiger Verbindung einzelner Teilakte aus, wenn die Begünstigung im Hinblick auf das letztlich angestrebte Gesamtergebnis aller planmäßig verbundenen Transaktionen ihren Zweck verfehlt.696 Ein solcher Fall eines Umgehungsgeschäfts im Sinne der Tatbestandserschleichung könne dabei auch bei Zwischenschaltung nahe stehender Personen vorliegen.697 Die offensichtlichen Abgrenzungsschwierigkeiten zur vorhergehenden Fallgruppe werden dabei eingestanden: Speziell bei Rechten, die Ausdruck einer übergreifenden Rechtsidee seien, könne eine in der Gesamtschau die Annahme eines institutionellen Rechtsmissbrauchs nahe liegen698 – und dies gelte vor allem für eine Berufung auf Grundfreiheiten.699 Der Sinn der postulierten Differenzierung erschließt sich somit in erster Linie dadurch, dass die Kategorie des institutionellen Rechtsmissbrauchs – die sich letztlich in der Nähe der teleologischen Reduktion bewege700 – die Fallgruppen der Verbindung von Teilakten eben nicht durch eine bloße Teleologie erfassen kann.701 Über diese Schwierigkeit solle die Figur des Gesamtplans hinweghelfen – und so gesehen sind auch die Schlussfolgerungen der Qualifizierung nicht substantiell anders. Denn auch hier wird das Erfordernis einer echten Missbrauchsabsicht verneint;702 ein subjektiver Tatbestand sei – so wie auch die objektiven Elemente der Künstlichkeit und das (Nicht-) Vorliegen außersteuerliche Gründe – nur insoweit von Bedeutung, als damit die Annahme des Gesamtplans begründet werde.703 694 695 696 697 698 699 700 701 702 703

Siehe oben zur sog. Umgehungstrias, B.I.2.a.dd, S. 57. Englisch, StuW 2009, 3 (6 f.). Englisch, StuW 2009, 3 (9). Englisch, StuW 2009, 3 (10). Englisch, StuW 2009, 3 (9). Englisch, StuW 2009, 3 (11). Englisch, StuW 2009, 3 (5). Englisch, StuW 2009, 3 (10). Englisch, StuW 2009, 3 (13). Englisch, StuW 2009, 3 (13 f.).

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Maßstäbe zur Bestimmung des Missbrauchscharakters

Ähnlich will Fleischer Rechtsmissbrauch und Umgehungsgeschäft von vornherein als getrennt ansehen, muss dann aber für den Fall der Normerschleichung genauso zugestehen, dass diese ineinander übergehen.704 Auch hier zeigt sich letztlich, dass die Differenzierung der Umgehungsgeschäfte den Besonderheiten mehraktiger Sachverhalte Rechnung tragen muss und eine unterschiedliche Wertung subjektiver Tatbestandselemente der erforderlichen planmäßigen Verbindung geschuldet ist.705 Nach Ansicht von Bergmann sprechen die Schwierigkeiten in der Differenzierung dafür, zwischen einem abstrakten, einheitlichen Missbrauchskonzept einerseits und konkreten, von den einzelnen Unionsrechtsakten abhängigen – und gegebenfalls differierenden – Missbrauchsbegriffen andererseits zu sprechen.706 Das abstrakte Missbrauchskonzept sei dabei innentheoretisch geprägt, ausdrücklichen Missbrauchsvorbehalten komme nur ein deklaratorischer Gehalt zu.707 Abzulehnen ist jedoch, den Missbrauch – insbesondere wie durch den EuGH in Cadbury Schweppes angewandt – als Vortäuschung einer wirtschaftlichen Aktivität zu begreifen und damit in die Nähe der Scheinhandlung zu stellen.708 Diesbezüglich wurde bereits mehrfach deutlich gemacht, dass der Missbrauch im Rahmen dieser Untersuchung mangels eines Unrechtselements losgelöst von hinzutretenden Täuschungs- und Scheinhandlungen zu betrachten ist; diese sind allenfalls im Zusammenhang mit dem Begriff der Steuerhinterziehung zu sehen. Mithin ergibt sich einerseits der Befund, dass trotz einer gewissen Nähe zur Rechtsfigur des institutionellen Rechtsmissbrauchs der Missbrauch von Grundfreiheiten dieser nicht eindeutig zugeordnet werden kann, genauso wenig wie zur Figur des Umgehungsgeschäftes. Als gemeinsame Leitlinie lässt sich jedoch die Betonung der Zweckverfehlung der umgangenen oder missbrauchten Regelung festhalten.709 Die inhaltlichen Maßgaben des Missbrauchs der Grundfreiheiten müssen sich daher am Zweck der Grundfreiheiten – der Ermöglichung einer grenzüberschreitenden Wirtschaftstätigkeit710 – orientieren. In materieller Hinsicht entspricht dies auch der Vorgehensweise des 704 705 706 707 708 709

Fleischer, JZ 2003, 865 (870). Fleischer, JZ 2003, 865 (872). Bergmann, StuW 2010, 246 (248). Bergmann, StuW 2010, 246 (252). So aber Hahn, DStZ 2007, 201 (211). Hieraus will Bergmann, StuW 2010, 246 (249), ableiten, dass dem gesamten Unionsrecht ein einheitliches, abstraktes Missbrauchskonzept zugrunde liegt. Dieses soll jedoch von konkreten, auf die jeweiligen Rechtsakte bezogenen Missbrauchsbegriffen zu unterscheiden sein. 710 So unter Verweis auf Art. 3 Abs. 1 lit. c) EG a.F. Cordewener, Europäische Grundfreiheiten und nationales Steuerrecht, S. 200 f.; Schön, in: FS Wiedemann, S. 1290.

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Europäisches Steuerrecht

EuGH, der das Nichterreichen des Regelungsziels711 bzw. den mit der Grundfreiheit verfolgten Zweck712 zum Maßstab erklärt. Subjektive Tatbestandsmerkmale sind demgegenüber mit Zurückhaltung zu betrachten. Andererseits zeigen die Ausführungen auch, dass sich die Frage des Missbrauchs der Grundfreiheiten schon auf der Ebene des Tatbestands der Grundfreiheiten auswirken kann. Dieser schlagwortartig als Tatbestandslösung bezeichnete Ansatz wird jedoch bestritten, die Gegenposition wird gemeinhin als Rechtfertigungslösung bezeichnet. (c)

Tatbestands- und Rechtfertigungslösung

Nach der sog. Tatbestandslösung werden missbräuchliche Fallgestaltungen bereits tatbestandlich vom Anwendungsbereich der Grundfreiheiten ausgespart.713 Insbesondere eine Qualifizierung als institutioneller Rechtsmissbrauch714 bzw. als innere Schranke des Rechts715 gelangt zu diesem Ergebnis. Auch ein Verständnis des Missbrauchs als bloßer die Auslegung des Gemeinschaftsrechts beherrschender Grundsatz kann die einschlägigen Fälle zumeist nur auf der Tatbestandsseite verwerten.716 Diese Vorgehensweise lässt sich insoweit auch in die Nähe eines innentheoretischen Ansatzes rücken.717 Folge dessen wäre, dass eine Verhältnismäßigkeitsprüfung ebenso wie eine Abwägung der Interessenlagen weder möglich noch nötig wäre, und dass außerhalb des Schutzbereiches der Grundfreiheiten Mitgliedstaaten ihre Missbrauchsvorbehalte frei bestimmen könnten.718 711 EuGH, Urteil vom 14.12.2000 – C-110/99 (Emsland Stärke) – EuGHE I 2000, 11569 (11581 ff.), Rn. 39 und Rn. 52. 712 EuGH, Urteil vom 12.09.2006 – C-196/04 (Cadbury Schweppes) – IStR 2006, 670 (674), Rn. 64. Dazu vgl. auch Fischer, in: FS Reiß, S. 624 f. 713 Hey, in: Lüdicke, Wo steht das deutsche Internationale Steuerrecht, S. 165 f.; Höppner, in: FS Rädler, S. 320 f. Cloer/Lavrelashvili, Europäisches Steuerrecht, S. 69, sprechen demgegenüber von einer Vorverlagerung des Problems auf die Frage, ob Grundfreiheiten mangels echten grenzüberschreitenden Bezuges überhaupt anwendbar sind. 714 So Englisch, StuW 2009, 3 (6 f.); ebenso Schön, in: FS Wiedemann, S. 1290 ff., der eine doppelte Prüfung befürwortet; offengelassen dagegen von Fischer, in: FS Reiß, S. 635. Hierzu auch Bergmann, StuW 2010, 246 (251 f.), der aufgrund der Einstufung als allgemeiner Rechtsgrundsatz mit innentheoretischem Verständnis eine Umsetzungsbedürftigkeit verneint, an späterer Stelle im Zusammenahng mit dem Sekundärrecht jedoch die Rechtfertigungslösung zu vertreten scheint, S. 261. 715 Hahn DStZ 2007, 201 (205). 716 In diese Richtung vgl. GA Maduro, Schlussanträge vom 07.04.2005 – C-255/02 (Halifax)– EuGHE I 2006, 1609 (1638), Rn. 69. 717 Fleischer, JZ 2003, 865 (872); Schön, in: FS Wiedemann, S. 1283. Siehe auch GA Tesauro, Schlussanträge vom 12.05.2000 – C-367/96 (Kefalas) – EuGHE I 1998, 2843 (2850), Rn. 27. 718 Englisch, StuW 2009, 3 (6 f.); Hahn DStZ 2007, 201 (205).

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Maßstäbe zur Bestimmung des Missbrauchscharakters

Nach der sog. Rechtfertigungslösung hingegen ist es den Mitgliedstaaten gestattet, missbräuchliche Fallgestaltungen durch eigene nationale Maßnahmen abzuwehren, die dabei eintretenden Beeinträchtigung des Tatbestandes einer Grundfreiheit wird durch den Einwand rechtsmissbräuchlicher Gestaltung gerechtfertigt.719 Dies entspricht der Konzeption des EuGH, der die Verhinderung von Missbrauchsgestaltungen als Rechtfertigungsgrund prüft und so dem Tatbestandsmodell gegenüber tritt. Vertreten wird dabei auch, dass dies – vergleichbar der Außentheorie – die Anerkennung des Rechtsmissbrauches als eigenständigen Rechtsgrundsatz umfasst.720 Die Rechtfertigungslösung betont insoweit die bloße Befugnis der Mitgliedstaaten zur Verhinderung von Missbräuchen, es gibt also gerade keinen Automatismus. Diese Rechtsposition ist jedoch aus dem Blickwinkel des Unionsrechts nichtsdestotrotz gewissen Beschränkungen unterworfen: Da auch die Maßgaben für das Vorliegen eines Rechtfertigungsgrundes Einfluss auf die Reichweite der Grundfreiheiten besitzen, sind diese zur Gewährleistung der Einheitlichkeit und des effet utile zwangsläufig unionsrechtlich auszulegen.721 Vor diesem Hintergrund ist die Vorgehensweise des EuGH schlüssig, die Kriterien des objektiven Element des Missbrauchs – die Künstlichkeit – am Zweck der missbrauchten Norm zu messen; nur durch diesen Rückbezug auf den Gewährleistungsinhalt der Grundfreiheiten ist eine einheitliche Auslegung und Anwendung gewährleistet.722 (d)

Biperspektivität und Konfliktfall

Es ist zu betonen, dass sich die beiden vorgenannten Ansätze zunächst nur mit der Perspektive des Missbrauchs von Grundfreiheiten beschäftigen. Die Biperspektivität wird aber insbesondere dann relevant, wenn man – gemessen an den jeweiligen Maßgaben, insbesondere der Künstlichkeit – von einer noch schutzwürdigen Ausübung der Grundfreiheiten ausgehen muss. In diesem Falle rückt allein die zweite Perspektive in den Vordergrund, ob nämlich auch darüber hinaus nationale Maßnahmen gegen Steuerumgehungen – in diesem Sinne Missbrauchsvorbehalte – eine Beschränkung rechtfertigen können. Wie 719 Böing, Gestaltungsmissbrauch, S. 255; Hey, in: Lüdicke, Wo steht das deutsche Internationale Steuerrecht, S. 166. 720 GA Alber, Schlussanträge vom 16.05.2000 – C-110/99 (Emsland Stärke) – EuGHE I 2000, 11569 (11587 f.), Rn. 62 ff.; EuGH, Urteil vom 05.07.2007 – C-321/05 (Kofoed) – DStRE 2008, 419 (421), Rn. 38. Dies ist jedoch nicht zwingend, dazu – sowie insgesamt zur Unterscheidung von Innen- und Außentheorie im Gemeinschaftsrecht – siehe ausführlich bei Böing, Gestaltungsmissbrauch, S. 260 ff.; Hahn, DStZ 2007, 201 (205); Schön, in: FS Wiedermann, S. 1282 f. 721 Böing, Gestaltungsmissbrauch, S. 257. 722 Hey, StuW 2008, 167 (179). Siehe auch Böing, Gestaltungsmissbrauch, S. 265, der hieraus einen allgemeinen, genuin gemeinschaftsrechtlichen und quasi-tatbestandlichen Missbrauchsbegriff ableitet.

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bereits beschrieben,723 betrifft dies letztlich den Konflikt zwischen der Kompetenzordnung des nationalen Steuerrechts und den Grundfreiheiten als deren Ausübungsschranke. Die Antwort kann dabei nicht prinzipiell anders ausfallen als dies insgesamt für das Verhältnis zwischen Steuersouveränität und Grundfreiheiten zu sehen ist.724 Es ist somit davon auszugehen, dass eine Rechtfertigung aus dem Gedanken des Missbrauchs durch nationale Vorschriften im Ergebnis nur dann gelingen kann, wenn es sich gleichzeitig um einen Missbrauch der Grundfreiheiten im Sinne der ersten Perspektive handelt. Hieraus lassen sich zwei Schlussfolgerungen gewinnen: Zum einen ist die Biperspektivität Ausdruck der Kollision unterschiedlicher Missbrauchsmaßstäbe, zum anderen stellt die Rechtfertigungslösung von vornherein diesen Konflikt in den Blickpunkt. Da auch im Gemeinschaftsrecht allein nationale Maßnahmen das Mittel zur Verhinderung der Steuerumgehung darstellen, ist daher schon rein technisch eine Prüfung auf Ebene der Rechtfertigung vorzugswürdig. Den Mitgliedstaaten steht es insoweit auch frei, unterhalb der Schwelle der unionsrechtlich zulässigen Maßstäbe zu verbleiben und eine freiheitsschonendere Besteuerung vorzunehmen, im Ergebnis gar künstliche Gestaltungen zu akzeptieren. Zudem ermöglicht dies eine differenzierte Betrachtung und weniger schwere Eingriffe durch die Handhabung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und der Nachweislast. Darüber hinaus lassen sich so auch diejenigen Fälle lösen, in denen zwar die Künstlichkeit verneint werden muss, andererseits aber im Einzelnen der Kollisionsfall dennoch zugunsten der mitgliedstaatlichen Besteuerungsinteressen zu lösen wäre.725 Dies muss zwar die Ausnahme bleiben, ist aber insbesondere dann denkbar, wenn vor dem Hintergrund der Steuer- und Verteilungsgerechtigkeit Schnittpunkte mit anderen Rechtfertigungsgründen (insbesondere Aufteilung der Besteuerungsbefugnis) bestehen. Diese Annahme ändert aber nichts daran, dass sich aufgrund des Zweckbezugs die inhaltlichen Maßgaben des Missbrauchsbegriffs primär am Tatbestand der Grundfreiheiten orientieren. (4)

Das objektive Element der Künstlichkeit

Entscheidendes Element für die Annahme eines Missbrauchs im Unionsrecht ist nach all dem das Vorliegen einer künstlichen Gestaltung.726 Gemäß vorste723 724 725 726

Siehe bereits oben bei Fn. 681. Siehe ausführlich oben B.II.1.b.bb(1), S. 139. Siehe auch Englisch, StuW 2009, 3 (16). EuGH, Urteil vom 14.12.2000 – C-110/99 (Emsland-Stärke) – EuGHE I 2000, 11569 (11581 ff.), Rn. 39 und Rn. 52; EuGH, Urteil vom 12.09.2006 – C-196/04 (Cadbury Schweppes) – IStR 2006, 670 (674), Rn. 64; EuGH, Urteil vom 17.09.2009 – C-182/08 (Glaxo Wellcome) – DStRE 2009, 1370 (1376), Rn. 89. Im Übrigen siehe EuGH, Urteil vom 16.07.1998 – C-264/96 (ICI) – DStRE 1998, 636 (639), Rn. 26; EuGH, Urteil vom 21.11.2002 – C-436/00 (X und Y) – IStR 2003, 23

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hender rechtsmethodischer Einordnung manifestiert sich hierin der Widerspruch zum Regelungszweck der missbrauchten Regelung, sprich der Grundfreiheiten.727 Deren Telos ist der entscheidende Maßstab des „Missbrauchs“ im Sinne der Rechtfertigungslösung; eine Beschränkung oder Diskriminierung durch entsprechende nationale Missbrauchsvorbehalte wäre unter diesen Voraussetzungen gerechtfertigt. In der Rs. Cadbury Schweppes hat der EuGH sodann für den Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit konkretisiert, wann eine solche dem Regelungszweck widersprechende künstliche Gestaltung vorliegt: Eine Niederlassung i.S.v. Art. 49 AEUV (Art. 43 EG) sei nur die tatsächliche Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit mittels einer festen Einrichtung in diesem Staat auf unbestimmte Zeit, die also eine tatsächliche Ansiedlung der Gesellschaft im betreffenden Aufnahmestaat und die Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit in diesem voraussetze.728 Demzufolge liege eine künstliche Gestaltung vor, wenn es sich um eine jeder wirtschaftlichen Realität bare Gestaltung handele.729 Im Sinne der Rechtfertigungslösung dürften sich nationale Maßnahmen nur auf solche beziehen; ein zwingendes Allgemeininteresse sei hingegen ausgeschlossen, falls eine tatsächliche Ansiedlung vorliege, deren Zweck darin bestehe, wirklichen wirtschaftlichen Tätigkeiten im Aufnahmestaat nachzugehen.730 (a)

Tatsächliche Ansiedlung mit wirklicher wirtschaftlicher Tätigkeit

Nach Auffassung des EuGH muss die tatsächliche Ansiedlung mit wirklicher wirtschaftlicher Tätigkeit auf objektiven, von dritter Seite nachprüfbaren Anhaltspunkten beruhen, die sich u.a. auf das Ausmaß des greifbaren Vorhanden-

727

728 729 730

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(27), Rn. 61; EuGH, Urteil vom 12.12.2002 – C-324/00 (Lankhorst-Hohorst) – DStR 2003, 25 (27), Rn. 37. In der Sache identisch, aber von nur zur Steuerumgehung geschaffenen Sachverhalten sprechen EuGH, Urteil vom 11.03.2004 – C-9/02 (Hughes de Lasteyrie du Saillant) – DStR 2004, 551 (555), Rn. 50; EuGH, Urteil vom 13.12.2005 – C-446/03 (Marks & Spencer) – DStR 2005, 2168 (2171), Rn. 57. Siehe ausführlich unter B.II.1.b.cc(3)(b), S. 163. Gemäß der Differenzierung von Englisch, StuW 2009, 3 (13 f.), ist der „künstlicher Charakter“ nur in der Fallgruppe des institutionellen Rechtsmissbrauchs Anlass zur Feststellung der objektiven Zweckverfehlung; in der Fallgruppe der Umgehung der Grundfreiheiten hingegen Indiz zur Annahme des Gesamtplanes. Zur Kritik an dieser Unterscheidung siehe ebenfalls bereits oben B.II.1.b.cc(3)(b), S. 163. EuGH, Urteil vom 12.09.2006 – C-196/04 (Cadbury Schweppes) – IStR 2006, 670 (673), Rn. 54. EuGH, Urteil vom 12.09.2006 – C-196/04 (Cadbury Schweppes) – IStR 2006, 670 (673), Rn. 55. Bestätigt durch EuGH, Urteil vom 13.03.2007 – C-524/04 (Thin Cap Group Litigation) – IStR 2007, 249 (254), Rn. 74. EuGH, Urteil vom 12.09.2006 – C-196/04 (Cadbury Schweppes) – IStR 2006, 670 (674), Rn. 66.

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seins der beherrschten ausländischen Gesellschaft in Form von Geschäftsräumen, Personal und Ausrüstungsgegenständen beziehen.731 Zu Recht werden damit Substanzanforderungen an den Ausgangspunkt der Unterscheidung zwischen künstlicher Gestaltung und echter Niederlassung gestellt.732 Führt diese Prüfung zum Ergebnis einer nur fiktiven Ansiedlung, liegt eine künstliche Gestaltung vor; insbesondere soll dies bei einer sog. „Briefkastenfirma“ der Fall sein.733 Vorzugswürdig erscheint hierbei, keine absoluten Maßstäbe anzulegen, sondern die für eine permanente Teilnahme am Wirtschaftsleben im Zielmitgliedstaat erforderliche räumliche und personelle Substanz der Niederlassung individuell-funktionsbezogen zu bestimmen.734 Auch die Finanzverwaltung scheint sich diese Sichtweise zumindest teilweise zu Eigen zu machen, indem sie auf die ausreichende Qualifikation des Personals abstellt.735 Dies zeigt zugleich, dass der Schwerpunkt vielmehr auf dem Merkmal der wirklichen wirtschaftlichen Tätigkeit liegt. Wie schon beim Missbrauchsbegriff im nationalen Recht liegen die Problemfälle im Bereich der geringen oder atypischen Wirtschaftstätigkeit.736 Unklar ist zum einen, inwieweit die wirtschaftliche Tätigkeit einen Bezug zum Aufnahmestaat aufweisen muss. Nach einer Ansicht sei eine Teilnahme am allgemeinen Wirtschaftsverkehr des Aufnahmestaates nicht erforderlich, so dass auch Tätigkeiten ausschließlich aus fremden Quellen für fremde (konzernverbundene) Empfänger ausreichen; zur Begründung wird darauf verwiesen, dass schon allein die nachhaltige Inanspruchnahme der Infrastruktur eine schützenswerte Niederlassung darstelle und der EuGH das Kriterium der wirklichen wirtschaftlichen Tätigkeit auch nicht näher eingegrenzt habe.737 Die deutsche Finanzverwaltung betont demgegenüber das Erfordernis einer aktiven, ständigen und nachhaltigen Teilnah-

731 EuGH, Urteil vom 12.09.2006 – C-196/04 – IStR 2006, 670 (674), Rn. 67. 732 Ebenso Fischer, in H/H/Sp, § 42 AO Rn. 209; Hey, in: Lüdicke, Wo steht das deutsche Internationale Steuerrecht, S. 165 f. Ähnlich Schön, in: FS Reiß, S. 587 f., der anhand der Zielsetzung der Grundfreiheiten die Integration der Tochtergesellschaft in den Markt des Aufnahmestaates fordert. Auch GA Léger, Schlussanträge vom 02.05.2006 – C-196/04 (Cadbury Schweppes) – EuGHE I 2006, 7995 (8022 f.), Rn. 111 ff. stellt (u.a.) auf den Grad der materiellen Präsenz der Tochtergesellschaft im Aufnahmestaat ab. 733 EuGH, Urteil vom 12.09.2006 – C-196/04 (Cadbury Schweppes) – IStR 2006, 670 (674), Rn. 68. 734 Fischer, in H/H/Sp, § 42 AO Rn. 209; Gosch, in: FS Reiß, S. 608; Waldens/Sedemund, IStR 2007, 450 (454). 735 BMF, Schreiben vom 08.01.2007 – IV B 4 - S 1351 - 1/07 – BStBl I 2007, 99 (100), Ziff. 2c.; hierzu siehe auch von Brocke/Hackemann, DStR 2010, 368 (370). 736 Englisch, StuW 2009, 3 (8); Schön, in: FS Reiß, S. 585. 737 Köhler/Eicker, DStR 2006, 1871 (1873). Ähnlich schon früher Knobbe-Keuk, EuZW 1992, 336 (341), die allein eine unternehmerische Tätigkeit fordert.

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me am dortigen Marktgeschehen.738 Auch der EuGH scheint einerseits von einer Ausübung der Tätigkeit im Aufnahmemitgliedstaat auszugehen,739 andererseits sollen die Teilnahme am Wirtschaftsleben eines anderen Mitgliedstaats und das Ziehen von Nutzen hieraus maßgeblich sein.740 All dies könnte lediglich im Sinne eines Mindestmaßes an Integration verstanden werden, welches insbesondere dann vorliegt, wenn „aktiv“ Leistungen oder Ressourcen aus dem Territorium des Aufnahmestaates in Anspruch genommen werden.741 Die Ausführung der eigenen Leistung muss damit nicht zwingend an den Aufnahmestaat gebunden sein – allerdings ist die Rechtsprechung in dieser Frage noch offen. Abzulehnen ist jedoch die Voraussetzung einer „aktiven“ Teilnahme im Sinne einer Abgrenzung zwischen passiven und aktiven Tätigkeiten. Eine solche Ansicht wird zwar insbesondere in der Begründung zum Entwurf der Neufassung des § 8 Abs. 2 AStG geäußert; hiernach sollen sowohl die gelegentliche Kapitalanlage als auch die bloße Beteiligungsverwaltung ohne geschäftsleitende Funktionen mangels Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr keine wirkliche wirtschaftliche Tätigkeit darstellen.742 Die Literatur steht dem nahezu einhellig gegenüber, danach bedürfe es gerade keiner besonderen Aktivitätsentfaltung; denn auch der EuGH habe in früheren Fällen jede irgendwie geartete Tätigkeit im Rahmen einer festen Einrichtung ausreichen lassen und der Entscheidung Cadbury Schweppes lasse sich keine entsprechende Ein-

738 BMF, Schreiben vom 08.01.2007 – IV B 4 - S 1351 - 1/07 (Hinzurechnungsbesteuerung nach dem AStG) – BStBl I 2007, 99 (100), Ziff. 2a. Ebenso in BMF, Schreiben vom 03.04.2007 – IV B 1 - S 2411/07/0002 (Anwendungserlass § 50d Abs. 3 EStG ) – BStBl I 2007, 446 (447), Ziff. 6.1. 739 EuGH, Urteil vom 12.09.2006 – C-196/04 (Cadbury Schweppes) – IStR 2006, 670 (673), Rn. 54. 740 EuGH, Urteil vom 12.09.2006 – C-196/04 (Cadbury Schweppes) – IStR 2006, 670 (673), Rn. 53. 741 Schön, in: FS Reiß, S. 588. In diesem Sinne könnte man das Schlussurteil in Sachen Columbus Container verstehen: BFH, Urteil vom 21.10.2009 – I R 114/08 – DStR 2010, 37 (39), Rn. 28. Unpräzise aber jedoch von Brocke/Hackemann, DStR 2010, 368 (370), die die Formel der Finanzverwaltung unter Hinweis auf den BFH (a.a.O.) ohne Einschränkung billigen. 742 Kabinettsentwurf zum JStG 2007 vom 08.08.2007, BT-Ds.16/6290, S. 92. Eine Einschränkung für Tätigkeiten im Konzernverbund, wie dies durch BMF, Schreiben vom 08.01.2007 – IV B 4 - S 1351 - 1/07 – BStBl I 2007, 99 (100), Ziff. 2e, vorgesehen war, findet sich nicht mehr. Dort wurde noch vertreten, dass bei konzerninternen Tätigkeiten die Einkünfte ursächlich aufgrund der eigenen Aktivität erzielt worden sein müssen, wertschöpfende Bedeutung haben müssen und eine angemessene Kapitalausstattung zu prüfen sei.

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schränkung entnehmen.743 Die Mitgliedstaaten sollen sich insbesondere auch nicht auf eine fiktive Alternativüberlegung berufen können, dass für die konkrete Tätigkeit eine Grenzüberschreitung nicht erforderlich gewesen sei.744 Ein weiterer Streitpunkt kann in der Zulässigkeit der Einbeziehung von Managementgesellschaften gesehen werden. Nach Ansicht der Finanzverwaltung fehlt eine Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr, wenn die Gesellschaft sich zur Ausübung ihrer wirtschaftlichen Tätigkeiten einer anderen Gesellschaft bedient.745 Richtigerweise ist bei treffenderer Zuordnung dieses Problems zum ersten Kriterium der ausreichenden Substanz die Antwort stets von der jeweiligen Tätigkeit und den konkret auszuübenden Funktionen abhängig. Bestreiten ließe sich zudem ein striktes Festhalten am Erfordernis der ständigen und nachhaltigen Tätigkeit, insbesondere mit dem Argument, dass lediglich die für den jeweiligen Geschäftsgegenstand notwendige Integration zu erfolgen habe.746 Der EuGH hat jedoch ausdrücklich auf die kontinuierliche Teilnahme am Wirtschaftsleben des anderen Mitgliedstaats betont.747 Insoweit muss es jedenfalls positive Beachtung finden, wenn eine Gesellschaft auf Dauer und nicht nur einmalig eingeschaltet wird.748 (b)

Künstlichkeit und Fremdvergleich

Besondere Schwierigkeiten bereitet die Abgrenzung zwischen künstlichen und wirtschaftlich realen Gestaltungen in den Fällen, die gemäß der Umgehungstrias749 als Verschleierung des wahren Rechtsgrundes erfasst werden, in denen insbesondere eine Umqualifizierung von Schuldverhältnissen in Rede steht. Exemplarisch sei auf den Fall der Gesellschafterfremdfinanzierung verweisen, in dem zwischen echten Darlehensverträgen und Gesellschaftereinlagen bzw. 743 Gosch, in: FS Reiß, S. 609; Hey, StuW 2008, 167 (179); Hey, in: DStJG Bd. 33, S. 164; Köhler/Eicker, DStR 2007, 331 (333); Kühn/Hendel/Gewinnus/Neeser/Neugebauer/ Blottko, in: FS Schaumburg, S. 38; Sedemund, BB 2008, 696 (698 f.). Verwiesen wird etwa auf EuGH, Urteil vom 25.07.1991 – C-221/89 (Factortame II) – EuGHE I 1991, 3905 (3910 ff.), Rn. 20 ff. Vgl. auch GA Léger, Schlussanträge vom 02.05.2006 – C-196/04 (Cadbury Schweppes) – EuGHE I 2006, 7995 (8022 f.), Rn. 111 ff., der die Echtheit der ausgeübten Tätigkeit und den wirtschaftlichen Wert dieser Tätigkeit für die Muttergesellschaft und den gesamten Konzern in den Vordergrund rückt. 744 EuGH, Urteil vom 12.09.2006 – C-196/04 – IStR 2006, 670 (674), Rn. 69; zustimmend Gosch, in: FS Reiß, S. 609; Waldens/Sedemund, IStR 2007, 450 (453 f.). 745 Kabinettsentwurf zum JStG 2007 vom 08.08.2007, BT-Ds.16/6290, S. 92. 746 Sedemund, BB 2008, 696 (699). 747 EuGH, Urteil vom 12.09.2006 – C-196/04 (Cadbury Schweppes) – IStR 2006, 670 (673), Rn. 53. 748 EuGH, Urteil vom 12.09.2006 – C-196/04 (Cadbury Schweppes) – IStR 2006, 670 (673), Rn. 54; Gosch, in: FS Reiß, S. 608. 749 Dazu oben B.I.2.a.dd, S. 57.

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Maßstäbe zur Bestimmung des Missbrauchscharakters

-entnahmen zu differenzieren ist. In der zugehörigen Rechtssache Thin Cap Group Litigation hat der EuGH auf einen Fremdvergleich zur Beurteilung der Angemessenheit der Kapitalausstattung abgestellt: Dieser sei ein objektives, für Dritte nachprüfbares Kriterium, um feststellen zu können, ob der fragliche geschäftliche Vorgang ganz oder teilweise eine rein künstliche Konstruktion darstelle.750 Dem vergleichbar wurden im Zusammenhang mit Verrechnungspreisen außergewöhnliche oder unentgeltliche Vorteile zwischen verbundenen Unternehmen als künstliche Konstruktionen erachtet.751 Zu berücksichtigen ist hierbei, dass innerhalb verbundener Gesellschaften durchaus die Gefahr einer Verschiebung von Einkünften entgegen der eigentlichen steuerlichen Zuordnung im Wege von Vertragsbeziehungen besteht. Nach einer Ansicht wird insoweit das Kriterium der künstlichen, jeder wirtschaftlichen Realität baren Gestaltung durch das der Angemessenheit im Sinne eines Fremdvergleiches ersetzt; anders lasse sich eine Abgrenzung nicht vornehmen, da auch die Zuordnung zur „falschen“ wirtschaftlichen causa in Form des Darlehensvertrages zivilrechtlich wirksam und tatsächlich vollzogen, und damit wirtschaftlich real sei.752 Nach anderer Ansicht ist der Fremdvergleichsgrundsatz nur der geeignete Maßstab, um künstliche Konstruktionen von realen wirtschaftlichen Vorgängen abgrenzen zu können.753 Dem ist zuzustimmen, da der Begriff der wirtschaftlich realen Gestaltung mit einschließt, dass das fragliche Geschäft unter normalen Wettbewerbsbedingungen entstanden ist.754 Ein darüber hinaus gehender, unangemessener Leistungsaustausch entspricht nicht dem Zweck des Binnenmarktes und verdient daher nicht den Schutz durch die Grundfreiheiten. Ein bloßes Abstellen auf zivilrechtliche Wirksamkeit und tatsächlichen Vollzug kann hierfür nicht genügen. Im Bereich der Umsatzsteuer scheint auch der EuGH dieser Sichtweise zuzuneigen.755 750 EuGH, Urteil vom 13.03.2007 – C-524/04 (Thin Cap Group Litigation) – IStR 2007, 249 (255), Rn. 81. Daran anschließend EuGH, Urteil vom 17.01.2008 – C-105/07 (Lammers & van Cleef) – DStRE 2008, 1072 (1074), Rn. 30. 751 EuGH, Urteil vom 21.01.2010 – C-311/08 (Société de Gestion Industrielle) – IStR 2010, 144 (148), Rn. 67. 752 Hey, in: Lüdicke, Wo steht das deutsche Internationale Steuerrecht, S. 166 f. 753 GA Kokott, Schlussanträge vom 10.09.2009 – C-311/08 (Société de Gestion Industrielle) – Rn. 68 (online unter juris); Musil/Fähling, DStR 2010, 1501 (1503); Schön, in: FS Reiß, S. 590. Ähnlich auch Fischer, in: H/H/Sp, § 42 AO Rn. 225, der den Fremdvergleich als Ausprägung der Verhältnismäßigkeit im Rahmen der Feststellung der Künstlichkeit betrachtet. 754 GA Léger, Schlussanträge vom 02.05.2006 – C-196/04 (Cadbury Schweppes) – EuGHE I 2006, 7995 (8021), Rn. 108; Zustimmend Schön, in: FS Reiß, S. 590. 755 So hat der EuGH jüngst zwei Rechtssachen zum Thema grenzüberschreitender Qualifikationskonflikte im Bereich des Umsatzsteuerrechts entscheiden: Einerseits liege eine künstliche, jeder wirtschaftlichen Realität bare Gestaltung, die allein zu dem Zweck er-

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Europäisches Steuerrecht

Im Ergebnis kommt es nach beiden Ansichten bei einem Verstoß gegen den Fremdvergleichsgrundsatz nicht zu der vom Binnenmarkt geschützten effizienten Ressourcenallokation,756 so dass eine dem Zweck der Grundfreiheiten widersprechende, mithin künstliche Gestaltung vorliegt. (c)

Künstlichkeit im Lichte der Kapitalverkehrsfreiheit

Der Schwerpunkt der bisherigen Ausführungen lag darauf, den Begriff der Künstlichkeit anhand des Anwendungsbereichs der Niederlassungsfreiheit zu bestimmen. Fraglich ist, ob die Ausführungen auf eine Betrachtung im Lichte der Kapitalverkehrsfreiheit übertragen werden können, ob und in welchem Maße also entsprechende Gestaltungen vergleichbare Substanzanforderungen einhalten müssen. Bezugspunkt zur Feststellung der Künstlichkeit muss hier ebenso der Zweck der „missbrauchten“ Regelung des Unionsrechts sein. Es ist daher zunächst das Regelungsziel der Kapitalverkehrsfreiheit festzustellen. Eine allgemeine Definition lässt sich dem Unionsrecht, insbesondere Art. 63 AEUV (Art. 56 EG) nicht entnehmen. Allerdings können zur Konkretisierung des Begriffs die in der Kapitalverkehrsrichtlinie757 aufgezählten Fallgruppen sowie die ergänzenden Hinweise in Art. 64 AEUV (Art. 57 EG) herangezogen werden.758 Danach schützt die Kapitalverkehrsfreiheit unmittelbar den grenzüberschreitenden Transfer von Geld- und Sachkapital sowie mittelbar die aus diesen Kapitalverkehrsvorgängen resultierenden Folgen; sie umfasst daher sowohl die Aufnahme einer unternehmerischen Tätigkeit in Form einer Tochtergesellschaft als auch die Nutzung des Kapitals in Form der Erzielung von Gewinnen, Dividenden oder Zinserträgen.759

756 757 758

759

folgt, einen Steuervorteil zu erhalten, nicht vor, wenn die Beteiligten im normalen Handelsverkehr und handeln und nicht (gesellschafts-) rechtlich verbunden sind, EuGH, Urteil vom 22.10.2010 – C-277/09 (RBS Deutschland Holdings) – IStR 2011, 149 (152); andererseits wurde als maßgeblich erachtet, dass die Umsätze normalen Marktbedingungen entsprechen, EuGH, Urteil vom 22.10.2010 – C-103/09 (Weald Leasing Ltd) – IStR 2011, 153 (153). Hierzu – und zu einer möglichen Übertragung auf direkte Steuern – vgl. Korf, IStR 2011, 146 (146 ff.). Zu beobachten ist freilich die weitere Entwicklung der Rechtsprechung: Schön, in: FS Reiß, S. 590 und IStR 2009, 882 (886). Richtlinie 88/361/EWG des Rates vom 24.06.1988, ABlEG L 178, S. 5. EuGH, Urteil vom 06.06.2000 – C-35/98 (Verkooijen) –IStR 2000, 432 (433), Rn. 27; EuGH, Urteil vom 05.07.2005 – C-376/03 (D) – IStR 2005, 483 (483), Rn. 24; EuGH, Urteil vom 19.01.2006 – C-265/04 (Bouanich) – IStR 2006, 169 (170), Rn. 29; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, S. 212; Ress/Ukrow, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der EU, Art. 63 AEUV Rn. 107 f.; EuGH, Urteil vom 06.06.2000 – C-35/98 (Verkooijen) –IStR 2000, 432 (433), Rn. 28; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, S. 212; Renger, Treaty Shopping,

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Maßstäbe zur Bestimmung des Missbrauchscharakters

Im Gegensatz zur Niederlassungsfreiheit kommt es auf eine dauerhafte Integration in den Markt des Aufnahmemitgliedstaates nicht an, mit der Folge dass die beschriebenen Substanzkriterien des EuGH grundsätzlich nicht auf die Kapitalverkehrsfreiheit übertragen werden können.760 Denn diese sollen letztlich die dauerhafte physische Verknüpfung mit dem Zielort unterstreichen. Auch in der Rs. Stauffer sah der EuGH keinen Anlass, die Substanz der Tätigkeit zu hinterfragen, dort genügten Erwerb und Vermietung eines Geschäftsgrundstückes durch einen Dritten (Hausverwaltungsgesellschaft) als schutzwürdige Ausübung der Kapitalverkehrsfreiheit.761 Bedenklich stimmt dieses Ergebnis insofern, als die Kapitalverkehrsfreiheit sich in bestimmten Fällen in Konkurrenz zur Niederlassungsfreiheit setzt, insbesondere hinsichtlich der Errichtung von Tochtergesellschaften. Die Lösung dieses Problems ist zwar äußerst umstritten. Es erscheint danach aber denkbar, dass in bestimmten Fällen – etwa der Streu- bzw. Portfoliobeteiligung – die Niederlassungsfreiheit nicht einschlägig wäre und daher Missbrauchsgestaltungen ausschließlich an der Kapitalverkehrsfreiheit gemessen werden könnten, mit der Folge, dass eine Substanzprüfung nicht angezeigt wäre. Stattdessen könnte allein genügen, dass die Zielgesellschaft wirksam errichtet wurde, allenfalls noch wäre zu überlegen, dass sie im Sitzstaat über eine Geschäftsleitung verfügen müsste.762 Andererseits zeigt dies doch, dass die Lösung weniger darin bestehen dürfte, die Kapitalverkehrsfreiheit noch weiter an die Niederlassungsfreiheit anzunähern, indem man deren Substanzkriterien übernimmt. Vielmehr sollte die Schlussfolgerung dahingehend lauten, dass auch gerade aus diesem Grund eine saubere und konsequente Differenzierung der Grundfreiheiten vorzunehmen ist.763 (5)

Subjektives Element und wirtschaftliche Gründe

In den Anforderungen an ein subjektives Element zeigen sich die Unklarheiten um die methodische Einordnung des Missbrauchs der Grundfreiheiten. Der EuGH hält dabei nach wie vor an einem solchen fest: Wie bereits dargelegt, erachtet er die Absicht, sich einen gemeinschaftsrechtlich nicht vorgesehenen

760 761 762 763

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S. 29; Ress/Ukrow, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der EU, Art. 63 AEUV Rn. 110 f.; Scherer, Doppelbesteuerung und EG-Recht, S. 160; Schön, in GS Knobbe-Keuk, S. 757 f. Englisch, StuW 2009, 3 (16); Thömmes, in: FAStJb 2008/09, S. 55. EuGH, Urteil vom 14.09.2006 – C-386/04 (Stauffer) – DStR 2006, 1736 (1738), Rn. 22 ff. Mitunter mag nicht einmal das als erforderlich angesehen werden. Siehe Thömmes, in: FAStJb 2008/09, S. 55 f. Zur Abgrenzung im Zusammenhang mit einzelnen Maßnahmen gegen Treaty Shopping siehe im 2. Teil A.II.2.c, S. 324, sowie B.II.3.b., S. 443.

Europäisches Steuerrecht

Vorteil zu verschaffen, als notwendigen Teil des Missbrauchsbegriffs.764 Bezogen auf das Spannungsverhältnis von Niederlassungsfreiheit und Steuerumgehung wird in der Entscheidung Cadbury Schweppes ausdrücklich das Streben nach einem Steuervorteil gefordert.765 Um im Sinne der Rechtfertigungslösung als Missbrauchsvorbehalt gerechtfertigt zu werden, müsse die nationale Maßnahme daher tatbestandlich die Erlangung eines Steuervorteils voraussetzen.766 Dem lässt sich aber entgegenbringen, dass der EuGH selbst betont, dass die Steuersparabsicht bei einer schlichten Ausübung der Grundfreiheiten keinen Missbrauch begründe.767 Im Umkehrschluss wird daraus teilweise die Irrelevanz eines subjektiven Elements auch bei Vorliegen objektiver Anzeichen gefolgert.768 Auch soweit man von einer Zuordnung zum institutionellen Rechtsmissbrauch ausgeht, muss man speziell einer Missbrauchsabsicht ablehnend gegenüber stehen, da diesen allein die objektiv zweckwidrige Ausübung kennzeichnet.769 Auch mit der Tatbestandslösung erscheint dies insgesamt schwer vereinbar, da der Schutzbereich der Grundfreiheiten nicht von subjektiven Erwägungen abhängig ist. Die erforderliche Absicht der Erlangung eines Steuervorteils lässt sich jedoch auch aus einem anderen Blickwinkel betrachten, und zwar als Erweiterung der künstlichen, zweckwidrigen Gestaltung. Hinter dem „subjektiven Element“ steckt dann nichts anderes als die Klärung der Frage, ob die fragliche Gestaltung nicht doch ein von den Grundfreiheiten geschütztes und damit nicht zweckwidriges Ziel verfolgt, in diesem Sinne kann dies materiell als Motivtest angesehen werden. Der Gegenbegriff770 zur Steuersparabsicht wäre konsequenterweise in wirtschaftlichen Gründen für die jeweilige Gestaltung zu sehen. Bei Annahme der Figur des Rechtsmissbrauchs handelt es sich dogmatisch um die Entkräftung einer infolge der Substanzlosigkeit vermuteten Verfehlung des Binnenmarktziels,771 bei mehraktigen Transaktionen könnte so ein 764 EuGH, Urteil vom 14.12.2000 – C-110/99 (Emsland-Stärke) – EuGHE I 2000, 11569 (11581 ff.), Rn. 39 und 53. 765 EuGH, Urteil vom 12.09.2006 – C-196/04 – IStR 2006, 670 (674), Rn. 64. In den zugehörigen Schlussanträgen vom 02.05.2006 scheint GA Léger hingegen nur den objektiven Zweckverstoß ausreichen zu lassen; jedenfalls lassen diese gerade nicht erkennen, dass die Zielsetzung der Niederlassungsfreiheit nur zu berücksichtigen sei, wenn ein Steuervorteil bezweckt wird, der dieser Zielsetzung zuwiderlaufen würde. Hierzu siehe die Analyse von Lang, SWI 2006, 273 (280). 766 EuGH, Urteil vom 17.09.2009 – C-182/08 (Glaxo Wellcome) – DStRE 2009, 1370 (1376), Rn. 89; Hey, StuW 2008, 167 (182) m.w.N. 767 Siehe oben Fn. 672. 768 Schön, in: FS Reiß, S. 590 f. 769 Englisch, StuW 2009, 3 (7); Fischer, in: FS Reiß, S. 643. 770 Schön, in: FS Reiß, S. 595 f. 771 Englisch, StuW 2009, 3 (7).

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Maßstäbe zur Bestimmung des Missbrauchscharakters

Gesamtplan widerlegt werden.772 Als Beispiel wird insbesondere die Situation der gescheiterten oder sonst berechtigterweise abgebrochenen Transaktion genannt;773 zur Diskussion stehen aber auch Gestaltungen, die ausschließlich andere erlaubte (beispielweise gesellschaftsrechtliche) Vorteile bezwecken und der Steuervorteil quasi nur einen Nebeneffekt darstellt.774 Erlaubt man mit der herrschenden Literaturansicht somit die Eröffnung des (Gegen-) Nachweises wirtschaftlicher Gründe,775 so dürfte sich richtigerweise das subjektive Element im Sinne des EuGH darin erschöpfen. Ansatzpunkte hierfür finden sich tatsächlich auch in der Rechtsprechung, so wird in der Entscheidung Halifax darauf verweisen, dass das Missbrauchsverbot nicht relevant sei, wenn die fraglichen Umsätze eine andere Erklärung haben könnten, als nur die Erlangung von Steuervorteilen.776 Eine darüber hinausgehende777 Missbrauchsabsicht ist demnach nicht zu verlangen. Bei diesem Verständnis des Verhältnisses des objektiven Elements der künstlichen Gestaltung und dieses subjektiven Elementes kann in der Differenzierung letztlich ein Problem der Nachweislast gesehen werden, was sich auch unter dem Stichwort der Zulässigkeit eines „Motivtests“ betrachten lässt.778 Problematisch erscheint allenfalls noch eine Diskrepanz in den Fällen, in denen sowohl eine Steuersparabsicht, als auch andere Gründe für die jeweilige Gestaltung vorliegen. Einerseits scheint es dem EuGH für die Annahme eines Missbrauchs auszureichen, dass die Gestaltung in erster Linie779 bzw. im Wesentlichen780 einen Steuervorteil bezweckt. Demnach wäre nicht erforderlich ist, dass eine Gestaltung ausschließlich der Steuerumgehung dient, sondern 772 773 774 775

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Englisch, StuW 2009, 3 (13 f.). Englisch, StuW 2009, 3 (7 f.); Schön, in: FS Reiß, S. 590 f. Hey, in: Lüdicke, Wo steht das deutsche Internationale Steuerrecht, S. 166. Siehe insgesamt auch Böing, Gestaltungsmissbrauch, S. 309 ff. m.w.N. Hey, in: Lüdicke, Wo steht das deutsche Internationale Steuerrecht, S. 166; Schön, in: FS Reiß, S. 595 f; a.A. hingegen Fischer, in: FS Reiß, S. 643, der vor dem Hintergrund der Innentheorie eine Berücksichtigung wirtschaftlicher Gründe von vornherein ablehnt; Hahn, DStZ 2007, 201 (211), begründet die Ablehnung mit der Figur der Scheinhandlung, hierzu siehe auch schon oben vor Fn. 708. EuGH, Urteil vom 21.02.2006 – C-255/02 – DStR 2006, 420 (425), Rn. 75. Dazu auch Lang, SWI 2006, 273 (279). Auch GA Geelhoed, Schlussanträge vom 29.06.2006 – C-524/04 (Thin Cap Group Litigation) – EuGHE I 2007, 2107 (2139 f.), Rn. 67, hat diesen Gedanken aufgegriffen. Englisch, StuW 2009, 3 (8). Dazu ausführlich sogleich unter B.II.1.b.cc(6), S. 179. EuGH, Urteil vom 14.12.2000 – C-110/99 (Emsland-Stärke) – EuGHE I 2000, 11569 (11581 f.), Rn. 39. EuGH, Urteil vom 21.02.2006 – C-255/02 (Halifax) – DStR 2006, 420 (425), Rn. 75. Bestätigt durch EuGH, Urteil vom 21.02.2008 – C-425/06 (Part Service Srl) – DStRE 2008, 646 (649), Rn. 40 ff. Hierzu nochmals unter B.II.2.f, S. 197.

Europäisches Steuerrecht

dass auch das Vorliegen neben anderen Gründen ausreichen kann. Dann wäre daraus zu schließen, dass die wirtschaftlichen Gründe im konkreten Fall einem Beachtlichkeitsvorbehalt unterliegen. Dies scheint in Widerspruch zu einer anderen Aussage im Fall Halifax zu stehen, der zufolge ein Missbrauch schon bei potentiell anderer Erklärung ausscheide.781 Auch zuletzt wurde wiederum betont, dass eine nationale Missbrauchsvorschrift nur dann gerechtfertigt sei, wenn sie sich auf eine künstliche Gestaltung bezieht, die allein auf Steuerumgehung ausgerichtet ist.782 Die Bewältigung dieses Problems dürfte vor dem Hintergrund der Biperspektivität und aus Sicht der Rechtfertigungslösung anzugehen sein: Es geht damit im Kern um den Unterschied zwischen einerseits Annahme eines Missbrauchs im konkreten Fall und andererseits der Anforderungen an die Ausgestaltung der erforderlichen nationalen Missbrauchsvorschrift. Soweit aus den zuletzt genannten Fundstellen nämlich abgeleitet wird, dass, um als Missbrauchsnorm gerechtfertigt zu werden, die Besteuerung tatbestandlich die Erlangung eines Steuervorteils voraussetzen und bei Vorliegen anderer Gründe im konkreten Fall ausgeschlossen sein müsse,783 kommt damit die Grenze der Typisierungsbefugnis des nationalen Gesetzgebers zum Ausdruck. Im konkreten Fall hingegen dürfte ein bloßes Vorschieben wirtschaftlicher Gründe, die im Rahmen einer Gesamtbetrachtung hinter dem Steuervorteil zurücktreten, den Missbrauchsvorwurf nicht entkräften. (6)

Beweislast, Motivtest und Typisierung im Lichte der Verhältnismäßigkeit

Bereits in der Entscheidung Emsland Stärke hat sich der EuGH mit dem Problemkreis der Beweislast auseinandergesetzt. Eingeordnet als drittes Element des Missbrauchsbegriffs solle die Beweislast auf Seiten der zuständigen nationalen Verwaltung liegen, in extremen Missbrauchsfällen aber auch ein primafacie-Beweis möglich sein, der gegebenenfalls zu einer Beweislastumkehr führe.784 Von diesem Grundsatz der Nachweislast auf Seiten des Mitgliedstaates wurde in Missbrauchsfällen nun jedoch noch stärker abgerückt. In der Rs. Cadbury Schweppes hat der EuGH eine mögliche Beweislastumkehr aufgegriffen und die entsprechenden Leitlinien zur Feststellung des Vorliegens einer künstlichen Gestaltung konkretisiert. Einerseits müsse zwar sichergestellt werden, dass eine Besteuerung ausgeschlossen sei, wenn die Gründung einer Tochter781 Siehe oben Fn. 776. 782 EuGH, Urteil vom 17.09.2009 – C-182/08 (Glaxo Wellcome) – DStRE 2009, 1370 (1376), Rn. 89. 783 Hey, StuW 2008, 167 (182) m.w.N. 784 EuGH, Urteil vom 14.12.2000 – C-110/99 – EuGHE I 2000, 11569 (11581 f.), Rn. 39.

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Maßstäbe zur Bestimmung des Missbrauchscharakters

gesellschaft im konkreten Fall mit einer tatsächlichen Ansiedlung mit wirklichen wirtschaftlichen Tätigkeiten zusammenhänge.785 Andererseits erachte er am ehesten die Muttergesellschaft dazu in der Lage, die genannten Substanzanforderungen nachzuweisen.786 Dem ist zu folgen, da rein tatsächlich die Untersuchung der jeweils ausgeübten Tätigkeit auf ihre „Echtheit“ und die Darlegung aller relevanten Substanzkriterien nur durch die Gesellschaft selbst und dem Konzern, dem sie angehört, erfolgen kann. Aufgrund dieser Sachnähe zum entscheidenden Beweisgegenstand bestehen auch in der Literatur gegen die Beweislastumkehr wenig Bedenken.787 Eine Ansicht schränkt dies zwar insoweit ein, als diese nur dann gerechtfertigt sei, wenn zuvor aus besonderen Gründen die Vermutung für die Annahme des Missbrauchs begründet werden könne.788 Selbst unter Annahme dieser Einschränkung ergeben sich aber für Maßnahmen gegen Treaty Shopping im Ergebnis keine Änderungen. Zwar darf dann nicht die Gründung im Ausland per se als Vermutungsbasis herreichen,789 jedoch lässt sich diese unter Verweis auf die Gesellschaftsstruktur, in der die Eignung und der Anreiz zur Einkünftedurchleitung zum Ausdruck kommen, sowie eine nach außen erkennbare, zumindest formale Substanzlosigkeit begründen.790 Hierfür spricht zudem, dass auch nach EuGH die nationalen Steuerbehörden einen in Anspruch genommenen Steuervorteil verweigern können, soweit die für erforderlich gehaltenen Belege nicht vorgelegt werden,791 so dass auch hier die Beweislastumkehr greifen kann. Durch diese Konzeption eröffnen sich aber zwangsläufig zwei weitere Problemfelder. Zum einen erwähnt der EuGH nahezu beiläufig, dass an einen solchen Nachweis anknüpfend im Rahmen der Zusammenarbeit und des Informationsaustausches zwischen den nationalen Steuerverwaltungen – insbesondere also innerhalb der Möglichkeiten der AmtshilfeRL – eine weitere Aufklärung erfolgen kann.792 Hierin zeigt sich eine Abschwächung der Auswirkungen der AmtshilfeRL: Während diese im Rahmen des Allgemeininteresses der Wahrung der Steueraufsicht stets unter dem Aspekt der Verhältnismäßigkeit geprüft 785 EuGH, Urteil vom 12.09.2006 – C-196/04 – IStR 2006, 670 (674), Rn. 65 f. 786 EuGH, Urteil vom 12.09.2006 – C-196/04 – IStR 2006, 670 (674), Rn. 70. 787 Drüen, StuW 2008, 154 (164); Gosch, in: FS Reiß, S. 608; Hey, StuW 2008, 167 (180); Lang, SWI 2006, 273 (280) mit Verweis auf GA Léger, Schlussanträge vom 02.05.2006 – C-196/04 (Cadbury Schweppes) – EuGHE I 2006, 7995 (8026 f.), Rn. 137. A.A., da insoweit nicht differenzierend: Fischer, in: H/H/Sp, § 42 AO Rn. 199. 788 Hahn, DStZ 2007, 201 (208). Im Falle der Hinzurechnungsbesteuerung sei dies etwa durch die Gründung im niedrigbesteuernden Ausland gegeben. 789 Siehe oben Fn. 675und 676. 790 Dazu ausführlich B.I.2.d.cc(3)(b), S. 117. 791 EuGH, Urteil vom 11.10.2007 – C-451/05 (Elisa) – DStRE 2008, 479 (485), Rn. 95 f. 792 EuGH, Urteil vom 12.09.2006 – C-196/04 – IStR 2006, 670 (674), Rn. 71.

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Europäisches Steuerrecht

wurde und ganz regelmäßig im Ergebnis auch als das mildere Mittel angesehen wurde, so dass nationale Maßnahmen nicht erforderlich waren,793 dient dies hier nur zu einer ergänzenden Überprüfung der Beweismittel.794 Dies ist aber vor dem Hintergrund folgerichtig, dass es auf die Verfügbarkeit eines milderen Mittels für die Steuerverwaltung gar nicht ankommen kann, wenn berechtigterweise der Steuerpflichtige selbst nachweispflichtig ist. Nur in diesen Fällen dürfte dann auf eine Erforderlichkeitsprüfung – auch in Hinblick auf die AmtshilfeRL – verzichtet werden. Zum anderen bedarf auch die Zulässigkeit von Typisierungen nochmaliger Betrachtung. Unter dem Aspekt der Verhältnismäßigkeit zog der EuGH schon bislang die Grenzen der Typisierungsbefugnis durch nationale Missbrauchsvorbehalte: Stets sei eine pauschale Missbrauchsvermutung unzulässig und stattdessen eine strenge Einzelfallbetrachtung erforderlich, die dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit eines Gegenbeweises im konkreten Fall offenlasse.795 Argument hierfür ist, dass eine typisierte Regelung ohne Einzelfallanalyse nie das mildeste Mittel und damit erforderlich im Sinne des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes sein könne, da nach dem Wesen einer Typisierung zwangsläufig auch Sachverhalte erfasst würden, die keinen Missbrauch darstellen.796 Die bloße Subsumtion unter verselbständigte Tatbestandsmerkmale vermag eine solche echte Einzelfallbetrachtung nicht zu ersetzen.797 Andererseits ist zu bedenken, dass eine Typisierung auch für die Steuerpflichtigen insoweit Vorteile haben kann, als diese für Planungssicherheit sorgen kann.798 In späteren Entscheidungen hat der EuGH nochmals bestätigt, dass eine nationale Regelung, die zur Feststellung einer künstliche Konstruktion zu steuerlichen Zwecken eine Prüfung objektiver und nachprüfbarer Umstände vorsieht, nur dann nicht über das Erforderliche hinausgeht, wenn in jedem Verdachtsfall dem Steuerpflichtigen, ohne ihn übermäßigen Verwaltungszwängen zu unter793 Siehe oben Fn. 646. 794 Ebenso Hahn, DStZ 2007, 201 (215). 795 EuGH, Urteil vom 17.07.1997 – C-28/95 (Leur-Bloem) – IStR 1997, 539 (542), Rn. 41. Die Entscheidung erging zwar zur speziellen Missbrauchsvorschrift des Art. 11 Abs. 1 lit. a) FusRL a.F., wurde jedoch später auch auf den Anwendungsbereich der Grundfreiheiten übertragen, dazu siehe EuGH, Urteil vom 26.09.2000 – C-478/98 (Kommission/Belgien) – EuGHE I 2000, 7587 (7603 ff.), Rn. 41 ff.; Thömmes, in: FS Wassermeyer, S. 216 f., Fn. 35. 796 Böing, Gestaltungsmissbrauch, S. 278 f. m.w.N.; Thömmes, in: FS Wassermeyer, S. 221. 797 Gosch, in: FS Reiß, S. 612; Lang, SWI 2006, 273 (283). 798 Böing, Gestaltungsmissbrauch, S. 279 f.; aus Sicht des Steuerstaates liegen die maßgeblichen Vorteile wohl mehr im leichteren Vollzug und in der Gleichheitsförderung. Siehe auch oben bei Fn. 486, sowie Hey, in: DStJG Bd. 33, S. 145, zu Typisierungen im nationalen Recht.

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Maßstäbe zur Bestimmung des Missbrauchscharakters

werfen, die Möglichkeit des (Gegen-) Nachweises wirtschaftlicher Gründe eröffnet ist („Motivtest“).799 Durch die aufgezeigte Beweislastumkehr verlagert sich nun das Problem der Erforderlichkeit hin zur Ebene der Beweislast: Da es auf den Nachweis im konkreten Fall ankommt, könnte möglicherweise die Verhältnismäßigkeit auch nur an diesem beurteilt werden. Es ließe sich daher einerseits vertreten, dass die Basis der o.g. Rechtsprechung, namentlich die abstrakte Erfassung auch anderer, nicht missbräuchlicher Sachverhalte, als Maßstab entfalle.800 Folglich könnten die Mitgliedstaaten nun weitgehend unbeschränkt zur Typisierung berechtigt sein. Richtigerweise dürfte dies aber nicht völlig schrankenlos möglich sein. Denn auch wenn man die Frage der Widerlegbarkeit als Verhältnismäßigkeitsprüfung im konkreten Fall versteht (konkrete Prüfungsebene), so müssen sich die zugrunde liegenden nationale Maßnahmen immer noch daran messen lassen, ob tatsächlich spezifische Missbrauchsfälle (im Sinne der durch das Unionsrecht vorgegebenen Auslegung, insbesondere also der Künstlichkeit) typisiert werden.801 Eine solche abstrakte Prüfungsebene wäre gerade der Ausgleich für die Umkehr der Beweislast und darf daher erst recht nicht entfallen. Dies korrespondiert insoweit mit der Forderung nach einer sachlich legitimierten Vermutungsbasis zur Rechtfertigung der Beweislastumkehr. Auch könnte schon allein diese Tatsache aus Sicht der Steuerpflichtigen einen Eingriff in Grundfreiheiten darstellen und darf daher nicht voraussetzungslos zugelassen sein. Anklänge hierfür finden sich in Urteilen des EuGH aus jüngerer Zeit, in denen als Maßstab für die Erforderlichkeit betont wurde, dass dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit des (Gegen-) Nachweises eröffnet sein muss, ohne ihn übermäßigen Verwaltungszwängen zu unterwerfen.802 Damit würde schließlich auch den Bedenken Rechnung getragen, die eine Beweislastumkehr von einer besonderen, sachlich nachvollziehbaren Vermutungsbasis abhängig machen.

799 EuGH, Urteil vom 13.03.2007 – C-524/04 (Thin Cap Group Litigation) – IStR 2007, 249 (255), Rn. 82; EuGH, Urteil vom 21.01.2010 – C-311/08 (Société de Gestion Industrielle) – IStR 2010, 144 (148), Rn. 66. Zum Begriff des subjektiven Motivtests im deutschen Recht bereits oben Fn. 276. 800 Hahn, DStZ 2007, 201 (208). 801 Englisch, StuW 2009, 3 (8).; Hey, in: Lüdicke, Wo steht das deutsche Internationale Steuerrecht, S. 168; Hey, StuW 2008, 167 (180); Lang, SWI 2006, 273 (280) mit Verweis auf GA Léger, Schlussanträge vom 02.05.2006 – C-196/04 (Cadbury Schweppes) – EuGHE I 2006, 7995 (8026), Rn. 137. 802 EuGH, Urteil vom 13.03.2007 – C-524/04 (Thin Cap Group Litigation) – IStR 2007, 249 (255), Rn. 82; EuGH, Urteil vom 21.01.2010 – C-311/08 (Société de Gestion Industrielle) – IStR 2010, 144 (148), Rn. 66.

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(7)

Missbrauch und Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse

Im Überblick der gängigen Rechtfertigungsgründe und zur Befürwortung der Rechtfertigungslösung wurde bereits thematisiert, dass sich das zwingende Allgemeininteresse der Verhinderung des Missbrauchs von Grundfreiheiten in einem gewissen Spannungsverhältnis zum Interesse der Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse befindet. Eine erste Aussage hierzu wurde vom EuGH bereits im Verfahren Marks & Spencer getroffen, in dem die Rechtfertigung ausdrücklich auf eine Gesamtschau von Missbrauchsverhinderung und Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse sowie ergänzend der Verhinderung doppelter Verlustberücksichtigung gestützt wurde.803 Später wurde diese Sichtweise einerseits insoweit revidiert, als in der Rechtssache N die Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse auch isoliert als zwingendes Allgemeininteresse anerkannt804 und in der Entscheidung Lidl Belgium unter Hinweis auf die Vielfalt der Situationen ausdrücklich nicht das Vorliegen aller drei in Marks & Spencer genannten Rechtfertigungsgründe als erforderlich erachtet805 wurde. Andererseits wurde schon im Urteil Oy AA und jüngst wieder in der Sache Société de Gestion Industrielle eine Gesamtbetrachtung zwischen Missbrauchsverhinderung und der Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse vorgenommen.806 Das Nebeneinander der beiden Rechtfertigungsgründe soll indes nicht auf ein schematisches, formelles Konkurrenzverhältnis beschränkt werden. Es würde ohnehin befremdlich erscheinen, wenn die Rechtfertigung nationaler Maßnahmen quantitativ von der Anzahl der vorliegenden Allgemeininteressen abhängen würde, vielmehr dürfte qualitativ das Gewicht der von den Mitgliedstaaten mit der betreffenden Regelung verfolgten Ziele entscheiden. Dies gilt umso mehr, als nach auch hier vertretener Ansicht allein eine interessensgerechte Handhabung der Rechtfertigungsgründe das Spannungsverhältnis zwischen mitgliedstaatlicher Kompetenz und grundfreiheitlicher Ausübungsschranke lösen kann.807

803 EuGH, Urteil vom 13.12.2005 – C-446/03 – DStR 2005, 2168 (2170 f), Rn. 42 ff., insbesondere Rn. 51. 804 EuGH, Urteil vom 07.09.2006 – C-470/04 (N) – DStR 2006, 1691 (1695) Rn. 42; Siehe zuletzt auch EuGH, Urteil vom 25.02.2010 – C-337/08 (X Holding BV) – DStR 2010, 427 (429), Rn. 28 ff., dazu sogleich im Folgenden. 805 EuGH, Urteil vom 15.05.2008 – C-414/06 (Lidl Belgium) – IStR 2008, 400 (403), Rn. 42 ff. 806 EuGH, Urteil vom 18.07.2007 – C-231/05 (Oy AA) – IStR 2007, 631 (634), Rn. 51; EuGH, Urteil vom 21.01.2010 – C-311/08 (Société de Gestion Industrielle) – IStR 2010, 144 (148 f.), Rn. 69. 807 Siehe schon oben B.II.1.b.bb(1), S. 139 ff.

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Maßstäbe zur Bestimmung des Missbrauchscharakters

Es muss daher zunächst die materielle Verbindung zwischen den Rechtfertigungsgründen herausgestellt werden: Nach Ansicht des EuGH gefährden künstliche Konstruktionen zur Steuerumgehung die Ausgewogenheit der Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse.808 Dem ist jedenfalls in Fällen der grenzüberschreitenden Sachverhaltsgestaltung mit der überwiegenden Ansicht in der Literatur zuzustimmen, da diese auf eine von den Erfolgsbeiträgen der beteiligten Staaten abweichenden Aufkommenszuordnung abzielen und damit zugleich gegen eine vereinbarte oder sonst begründete Zuweisung der Besteuerungsrechte verstoßen.809 Dementsprechend kann aber auch nur unter diesen Voraussetzungen ein Missbrauch angenommen werden, die zwischenstaatliche Verteilungsgerechtigkeit wird damit zum Maßstab bei der Auslegung des Vorliegens einer künstlichen Gestaltung. Eine Einschränkung des Missbrauchsbegriffs ist damit jedoch nicht zu erwarten, dürfte diese Voraussetzung doch regelmäßig erfüllt sein. Weiterhin wird auch vertreten, dass die Geltendmachung des umgangenen Steueranspruchs mit der ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse vereinbar sein müsse.810 Der Rückbezug würde insoweit zugleich als Schranke des Rechtfertigungsgrunde fungieren. Aus dieser materiellen Verbindung zwischen künstlicher Gestaltung und Verteilungsgerechtigkeit folgt, dass in dem Allgemeininteresse der Bekämpfung missbräuchlicher Praktiken in Form von künstlichen Konstruktionen zur Steuerumgehung letztlich ein Unterfall des Rechtfertigungsgrundes der Wahrung einer ausgewogenen Aufteilung der Besteuerungsbefugnis zu sehen ist.811 Im Falle der Kollision zwischen den Rechtfertigungsgründen dürfte daher der Rückgriff auf das Allgemeininteresse der Aufteilung der Besteuerungshoheit möglich sein. Unter dieser Prämisse kann es zunächst auch dahinstehen, ob

808 EuGH, Urteil vom 12.09.2006 – C-196/04 (Cadbury Schweppes) – IStR 2006, 670 (673), Rn. 56; EuGH, Urteil vom 13.03.2007 – C-524/04 (Thin Cap Group Litigation) – IStR 2007, 249 (254 f.), Rn. 74 f.; EuGH, Urteil vom 18.07.2007 – C-231/05 (Oy AA) – IStR 2007, 631 (635), Rn. 62. Siehe auch EuGH, Urteil vom 17.09.2009 – C-182/08 (Glaxo Wellcome) – DStRE 2009, 1370 (1376), Rn. 88 f.: dort wurde in Rn. 88 der Rechtfertigungsgrund der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis erwähnt, aber letztlich nur die Missbrauchsverhinderung geprüft. 809 Englisch, StuW 2009, 3 (17); Hey, StuW 2008, 167 (182); Musil/Fähling, DStR 2010, 1501 (1503); Schön, in: FS Reiß, S. 581. Siehe auch GA Kokott, Schlussanträge vom 10.09.2009 – C-311/08 (Société de Gestion Industrielle) –Rn. 59 (online unter juris), hiernach sind missbräuchliche Gestaltungen nur eine besondere Form des Eingriffs in die Aufteilung der Steuerhoheit zwischen den Mitgliedstaaten. 810 Englisch, StuW 2009, 3 (17). 811 GA Kokott, Schlussanträge vom 10.09.2009 – C-311/08 (Société de Gestion Industrielle) –Rn. 63 (online unter juris); Musil/Fähling, DStR 2010, 1501 (1504).

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Europäisches Steuerrecht

dies im Wege einer Gesamtbetrachtung812 oder einer isolierten Argumentation mit der Aufkommenszuordnung813 geschieht; insoweit sind die jüngeren Entscheidungen des EuGH nicht per se widersprüchlich. Als problematisch erweist sich indes, ob bei diesem Rückgriff die spezifischen Schranken der Rechtfertigung in Missbrauchsfällen weitergelten sollen. Grundsätzlich kommt es auf einen besonderen Zuschnitt der Norm auf Missbrauchsfälle oder auf die Tatbestandsmäßigkeit der Erzielung eines Steuervorteils im Rahmen der Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse nämlich nicht an.814 Nach einer Ansicht verbleiben aber auch im Rahmen dieses Rechtfertigungsgrundes innerstaatliche Beschränkungen, die nicht nur missbräuchliche Gestaltungen, sondern auch reguläre Geschäfte erfassen, unverhältnismäßig, wenn sie über das zur Erreichung des Ziels Erforderliche hinausgehen.815 Eine andere Ansicht folgert aus dem beschriebenen systematischen Verhältnis hingegen, dass eine überschießende Tendenz etwaiger Missbrauchsnormen unschädlich sein dürfte.816 Ersterer Auffassung ist grundsätzlich zuzustimmen, durch den Rückgriff auf das Allgemeininteresse der Wahrung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse dürften die speziellen Maßgaben der Rechtfertigung durch Missbrauchserwägungen keinesfalls hinfällig werden; insoweit muss zwischen der Anwendbarkeit des Rechtfertigungsgrundes und seinen inhaltlichen Maßstäben unterschieden werden. Die besonderen Anforderungen dürften indes im Rahmen der Prüfung der Verhältnismäßigkeit zu berücksichtigen sein, ansonsten wäre der speziell konturierte Rechtfertigungsgrund der Missbrauchsverhinderung obsolet. Mithin überzeugt, dass der EuGH gerade in den typischen Missbrauchsfällen von der Gesamtbetrachtung der Rechtfertigungsgründe spricht.817 Damit wäre auch der Tatsache Rechnung getragen, dass das kompetentielle Spannungsverhältnis nur durch eine qualitativgewichtete, nicht quantitativ-schematische Betrachtung gelöst werden kann. Die dargestellte Rückgriffsmöglichkeit auf den Rechtfertigungsgrund der Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse erhält ihre Sinnhaftigkeit folglich einerseits, wenn durch wirtschaftlich reale (und damit nicht künstliche) Gestaltungen die Aufteilung der Besteuerungshoheit beeinträchtigt wird. Dies betrifft 812 EuGH, Urteil vom 21.01.2010 – C-311/08 (Société de Gestion Industrielle) – IStR 2010, 144 (148 f.), Rn. 69. 813 EuGH, Urteil vom 25.02.2010 – C-337/08 (X Holding BV) – DStR 2010, 427 (429), Rn. 28 ff. 814 Hey, StuW 2008, 167 (183). 815 GA Kokott, Schlussanträge vom 10.09.2009 – C-311/08 (Société de Gestion Industrielle) – Rn. 63 (online unter juris). 816 Musil/Fähring, DStR 2010, 1501 (1504). 817 Siehe EuGH, Urteil vom 21.01.2010 – C-311/08 (Société de Gestion Industrielle) – IStR 2010, 144 (148 f.), Rn. 69.

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Maßstäbe zur Bestimmung des Missbrauchscharakters

insbesondere das Beispiel der Besteuerung stiller Reserven in Wegzugsfällen818 oder die Fälle der Gruppenbesteuerung bzw. Organschaft.819 Sodann ist es auch konsequent, die Rechtfertigung alleine auf dieses Allgemeininteresse statt einer Gesamtschau zu stützen, so dass aus der EuGH-Entscheidung X Holding BV820 eine Korrektur der Missbrauchsrechtsprechung gerade nicht abgeleitet werden kann.821 Bei Verneinung des Rechtfertigungsgrundes der Missbrauchsverhinderung muss daher eine spezifische Einzelfallprüfung anhand von Ausgestaltung und Ziel der zu prüfenden innerstaatlichen Vorschrift vor dem Hintergrund der Aufteilung der Besteuerungshoheit vorgenommen werden. Hieran hat dann auch die Prüfung der Verhältnismäßigkeit anzusetzen. Ein weiterer – und praktisch wichtigerer – Ansatzpunkt des Rückgriffs auf die Erwägungen zur Aufteilung der Besteuerungshoheit ergibt sich indes bereits auf einer vorgelagerten Prüfungsebene: Wie insbesondere die Fallgestaltungen im Zusammenhang mit nachteiligen DBA-Regeln gezeigt haben, wirkt sich die diesen innewohnende Reziprozität schon in der Weise aus, dass es an einer Vergleichbarkeit der Situationen der unterschiedlich behandelten Steuerpflichtigen fehlt. 822 Eine solche Vergleichbarkeit ist aber jedenfalls im Inbound-Fall der beschränkten Steuerpflicht unabdingbare Voraussetzung der Annahme einer Diskriminierung,823 eine Ungleichbehandlung objektiv nicht vergleichbarer Situationen richtigerweise schon nicht tatbestandsmäßig. In der Folge kommt es streng genommen auf einen möglichen Konflikt verschiedener rechtfertigender Allgemeininteressen gar nicht an. Dies gilt gleichermaßen, sofern man die mangelnde Vergleichbarkeit dennoch als eigenständigen Rechtfertigungsgrund ansieht, da es selbst dann auf eine Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht ankommen kann. Für eine – wie vorstehend dargelegt – mittelbare Berücksichtigung der spezifischen Anforderungen an Missbrauchsklauseln ist in diesem Zusammenhang daher kein Raum.

2.

Sekundärrecht

Wie bereits dargestellt umfasst das Europäische Steuerrecht über die steuerlichen Auswirkungen des Primärrechts hinaus auch einen Bereich an harmonisierten Rechtsakten. Rechtsgrundlage für solches Sekundärrecht, insbesondere in der Form von Richtlinien, sind Art. 113 AEUV (Art. 93 EG) für die indirek818 EuGH, Urteil vom 07.09.2006 – C-470/04 (N) – DStR 2006, 1691 (1695), Rn. 42. 819 EuGH, Urteil vom 25.02.2010 – C-337/08 (X Holding BV) – DStR 2010, 427 (429), Rn. 28 ff. 820 Siehe Fn. 819. 821 So aber Musil/Fähling, DStR 2010, 1501 (1504). 822 Siehe bereits oben Fn. 636 f., sowie im Speziellen EuGH, Urteil vom 12.12.2006 – C-374/04 (ACT Group Litigation) – IStR 2007, 138 (143), Rn. 91. 823 Siehe oben S. 145 und die Nachweise bei Fn. 574.

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Europäisches Steuerrecht

ten Steuern und Art. 114 AEUV (Art. 94 EG) für den Bereich der direkten Steuern, wobei nur letztere im Rahmen dieser Untersuchung von Bedeutung ist. Auch in den darauf beruhenden Rechtsakten finden sich Anhaltspunkte dafür, anhand welcher Maßgaben sich das Vorliegen eines Missbrauchs beurteilen lässt. a.

Amtshilferichtlinie

Bereits im Jahre 1977 erachtete man es für erforderlich, mithilfe der AmtshilfeRL missbräuchliche Umgehungen der Steuergesetzgebung für rechtswidrig zu erklären und zu verhindern.824 Eine Definition des Missbrauchs enthält die Richtlinie nicht, schon allein deshalb, weil diese keine Entscheidung über die materielle Zulässigkeit bestimmter Gestaltungen treffen soll. Regelungszweck ist allein der gegenseitige Auskunftsaustausch der Mitgliedstaaten zur verfahrensmäßigen Unterstützung der korrekten Steuerfestsetzung.825 Da diese aber eben auch durch missbräuchliche Gestaltungen beeinträchtigt sein kann, lassen sich der AmtshilfeRL zumindest Anhaltspunkte hierfür entnehmen. So werden bereits in der Präambel der Richtlinie die künstliche Gewinnverlagerung zwischen Unternehmen verschiedener Mitgliedstaaten, das Umleiten von Geschäftsbeziehungen zwischen Unternehmen zweier Mitgliedstaaten über ein drittes Land zur Steuerersparnis und die sonstige Steuerverkürzung als Anwendungsfälle angeführt.826 Weitere Hinweise finden sich in der Regelung zu den sog. Spontanauskünften, Art. 4 AmtshilfeRL, die eine Auskunft bei Vorliegen einer Steuerverkürzung (lit. a) und bei einer Steuerersparnis durch künstliche Gewinnverlagerung vorsieht (lit. d), aber auch bei Vorliegen einer Steuerermäßigung (lit. b) und Steuerersparnis (lit. c). Auf das Vorliegen einer Steuerverkürzung wie noch in der Präambel wird nicht abgestellt. Bereits der deutsche Richtlinientext zeigt damit einen uneinheitlichen Gebrauch an Begrifflichkeiten, verstärkt wird dies noch in den unterschiedlichen Sprachfassungen.827 Die AmtshilfeRL umfasst insoweit sowohl Fälle des Missbrauchs, als auch solche der Steuerhinterziehung und der legalen Steuergestaltungen, und ist daher wenig geeignet zur Konturierung. Unabhängig von der Umsetzung ins nationale Recht828 kann daher allenfalls die Kasuistik der Präambel zur Bestimmung eines Missbrauchs herangezogen werden. 824 Stellungnahme des Wirtschafts- und Sozialausschusses vom 07.03.1977, ABlEG C 56, S. 66. 825 Sedemund, Europäisches Ertragsteuerrecht, Rn. 728. 826 ABlEG L 336, S. 15. 827 Ausführlich hierzu siehe Suchowerskyj, Missbrauchsbegriff, S. 38 ff. 828 Siehe EG-Amtshilfe-Gesetz, BGBl I 1985, S. 2436. Diese ist zum einen aufgrund abweichender Tatbestandsmerkmale, als auch aufgrund der Ausgestaltung der Rechtsfolge

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Maßstäbe zur Bestimmung des Missbrauchscharakters

b.

Mutter-Tochter-Richtlinie

Die MTRL829 dient der Beseitigung steuerlicher Mehrfachbelastungen bei Ausschüttungen bzw. Dividendenzahlungen zwischen verbundenen Unternehmen durch die Abschaffung der Quellenbesteuerung auf Seiten des Mitgliedstaates der Tochtergesellschaft und die Verpflichtung zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf Seiten des Mitgliedstaates der Muttergesellschaft.830 Subjektive Anwendungsvoraussetzung ist, dass es sich um Gesellschaften i.S.v. Art. 2 MTRL handelt, d.h. diese müssen eine bestimmte Rechtsform aufweisen, worunter insbesondere die Kapitalgesellschaften fallen, nach den jeweiligen nationalen Vorschriften steuerlich ansässig sein, und einer Besteuerung vergleichbar der Körperschaftsteuer unterliegen.831 Weitere Voraussetzung ist, dass die Beteiligung eine Schwelle von mindestens 10%832 überschreitet, Art. 3 Abs. 1 lit. a) MTRL. Insbesondere die Quellensteuerbefreiung eröffnet nun Anreize, die MTRL missbräuchlich in Anspruch zu nehmen, hierzu sei vornehmlich auf das Directive Shopping verwiesen.833 Mit Art. 1 Abs. 2 MTRL enthält die Richtlinie daher einen allgemeinen Missbrauchsklausel; hiernach steht die Richtlinie der Anwendung einzelstaatlicher oder vertraglicher Bestimmungen zur Verhinderung von Steuerhinterziehungen und Missbräuchen nicht entgegen. Es findet sich indes keine tatbestandliche Umschreibung des Missbrauchs – sei es durch

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als Ermessensvorschrift durchaus kritisch zu sehen, dazu Suchowerskyj, Missbrauchsbegriff, S. 42 f. Urspünglich Richtlinie 90/435/EWG des Rates vom 23.07.1990 über das gemeinsame Steuersystem der Mutter- und Tochtergesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten, ABlEG L 225, S. 6; als konsolidierte Neufassung nun Richtlinie 2011/96/EU des Rates vom 30.11.2011, ABl L 345, S. 8. Haase, Internationales und Europäisches Steuerrecht, Rn. 856; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, S. 167; Knobbe-Keuk, EuZW 1992, 336 (337). Insbesondere in der Abschaffung der Quellensteuern liegt ein Fortschritt gegenüber den sonst greifenden DBA, da diese zwar regelmäßig ein internationales Schachtelprivileg gewähren, Quellensteuern aber regelmäßig nur der Höhe nach beschränken, vgl. Art. 10 Abs. 2 lit. a) OECD-MA, so dass diese definitiv wirken. Aus der Rechtsprechung vgl. EuGH, Urteil vom 08.11.2007 – C-379/05 (Amurta) – IStR 2007, 853 (854), Rn. 18; EuGH, Urteil vom 19.11.2009 – C-540/07 (Kommission/Italien) – DStRE 2009, 1444 (1445), Rn. 30. Begünstigt werden in gewissem Maße auch Betriebsstätten von Muttergesellschaften; zu denkbaren Konstellationen siehe Sedemund, Europäisches Ertragsteuerrecht, Rn. 500 ff. Ursprünglich 25%, durch Art. 1 ÄndRL 2003/123/EG vom 22.12.2003, ABlEG L 7, S. 41, schrittweise gesenkt auf 20% mit Wirkung vom 02.02.2004, 15% mit Wirkung vom 01.01.2007 und 10% mit Wirkung vom 01.01.2009. Zu anderen Missbrauchsformen siehe Thömmes, in: Haarmann, Grenzen der Gestaltung, S. 32.

Europäisches Steuerrecht

Kasuistik oder gar eine Definition –, stattdessen wird nach dem Wortlaut lediglich auf unilaterale oder bilaterale Missbrauchsvorbehalte verwiesen, wie dies auf Seiten Deutschlands insbesondere in § 42 AO der Fall war. Doch nicht nur im Zeitpunkt des Inkrafttretens der Richtlinie bereits bestehende, sondern auch später erlassene Vorschriften wie etwa § 50d Abs. 3 EStG sind hierunter zu fassen, da dem Wortlaut insoweit keine Beschränkung zu entnehmen ist.834 Die Ermächtigung des Art. 1 Abs. 2 MTRL soll insoweit eine „quasi-delegierte Kompetenz“835 der Mitgliedstaaten zur Missbrauchsabwehr darstellen. Dem ist zuzustimmen, insbesondere vor dem Hintergrund, dass hiermit auch über das Problem der Umsetzungsbedürftigkeit entschieden wird. Denn richtigerweise können die Mitgliedstaaten die Richtlinienvorteile nicht infolge einer unmittelbaren Anwendung des Art. 1 Abs. 2 MTRL oder eines allgemeinen Missbrauchsgrundsatzes des Unionsrechts versagen, sondern nur unter Rückgriff auf ihre jeweilige nationale Rechtsgrundlage – sei es in Form einer Spezialnorm, einer Generalklausel oder gar eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes.836 Insoweit bedarf es einer Umsetzung, die Mitgliedstaaten sind aber nicht hierzu verpflichtet, dies entspricht auch schon der hier bevorzugten Rechtfertigungslösung. Im Hinblick auf das Problem der Kollision unterschiedlicher Missbrauchsvorbehalte, insbesondere den unionsrechtlichen Anwendungsvorrang, eröffnet das Sekundärrecht die Anwendung nationaler Missbrauchsvorbehalte, so dass der Begriff der Öffnungsklausel837 passender erscheint. Davon zu trennen ist die Frage, ob die Mitgliedstaaten damit auch frei den Missbrauchstatbestand definieren können, ob diese also eigenständig die inhaltlichen Maßgaben für das Vorliegen eines Missbrauchs bestimmen dürfen. Dies wird von einer Ansicht mit der Begründung vertreten, dass es sich inso-

834 Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d Abs. 3 EStG Rn. 22; Thömmes, in: FS Wassermeyer, S. 227. Zum Gegenmodell einer sog. stand-still-Klausel siehe Art. 64 Abs. 1 AEUV (57 EG a.F.). Gleichermaßen dürfte nach Sinn und Zweck auch die Missbrauchsbekämpfung mittels allgemeiner Rechtsgrundsätze – wie für das Common Law typisch – davon umfasst sein, Suchowerskyj, Missbrauchsbegriff, S. 51. 835 Hahn, IStR 2010, 638 (640) m.w.N.; vgl. auch Hey, StuW 2008, 167 (179 f.); Kofler, in: DStJG Bd. 33, S. 219; a.A. Bergmann, StuW 2010, 246 (252), der den Gehalt der Vorschrift auf einen bloßen deklaratorischen Hinweis auf das abstrakte Missbrauchskonzept des Unionsrechts verstanden wissen will. 836 EuGH, Urteil vom 05.07.2007 – C-321/05 (Kofoed) – DStRE 2008, 419 (421 f.), Rn. 42; Englisch, StuW 2008, 3 (21); Kofler, in: DStJG Bd. 33, S. 226; Schön, in: FS Reiß, S. 574; a. A. Bergmann, StuW 2010, 246 (252). Der Umsetzungsbedürftigkeit ist aus dem Blickwinkel Deutschlands schon aus verfassungsrechtlichen Gründen zuzustimmen (Vorbehalt des Gesetzes). 837 Ebenso Schönfeld, in; F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d Abs. 3 EStG Rn. 22.

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weit um eine Begrenzung der Verpflichtung gegenüber der Union handele.838 Andere verweisen einschränkend darauf, dass sich zumindest die Fragen der Einkünftezurechnung rein nach nationalem Recht beurteilen.839 Ein solches Verständnis hätte indes zur Folge, dass je nach nationalem Missbrauchsverständnis die Vorteile der MTRL in den Mitgliedsstaaten nur uneinheitlich zum Tragen kämen. Aufgrund des effet-utile Grundsatzes wird von der Gegenansicht daher zu Recht eine unionsrechtliche Auslegung der Vorschrift gefordert, so dass den Mitgliedstaaten nur das „Ob“, nicht aber das „Wie“ der Missbrauchsbekämpfung eingeräumt ist.840 Gegen eine Definitionskompetenz der Mitgliedstaaten spricht auch, dass in anderen Sprachfassungen klar hervortritt, dass Maßnahmen zur Verhinderungen von Missbräuchen „erforderlich“ sein müssen und eine „willkürliche“ Einschränkung unzulässig ist.841 Zum gleichen Ergebnis gelangt der Ansatz, dass jede Ausnahme vom Grundsatz der Richtlinie, insbesondere vom Grundsatz der Quellensteuerbefreiung, Art. 5 Abs. 1 MTRL, eng auszulegen sei; dieser Sichtweise scheint auch der EuGH zuzuneigen.842 Insoweit könnte sich der MTRL ein Maßstab für den Missbrauchscharakter einer Gestaltung entnehmen lassen, insbesondere soweit aus man den verschiedenen Regelungen zum Anwendungsbereich eine Art Umkehrschluss bildet, dass darüberhinausgehende Besteuerungslücken hinzunehmen seien.843 Noch einen Schritt weitergehend muss dann der Telos der Richtlinie jedenfalls mittelbar die Auslegung mitbestimmen.844 Andererseits 838 Hahn, IStR 2010, 638 (640); Hey, StuW 2008, 167 (179); Höppner, in: FS Rädler, S. 336 f.; a.A. Kofler, in: DStJG Bd. 33, S. 220, der zwar einen Ermessenspielraum zugesteht, aber eine Definitionskompetenz der Mitgliedstaaten verneint und die Auslegungskompetenz des EuGH betont. 839 Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50d Rn. 26; Hahn-Joecks, in: K/S/M, EStG, § 50d Rn. A 27 ff. 840 Bergmann, StuW 2010, 246 (246 f.) m.w.N. unter Fn. 8; Bron, DB 2007, 1273 (1273 f.); Knobbe-Keuk, EuZW 1992, 336 (339 f.); Suchowerskyj, Missbrauchsbegriff, S. 52; Thömmes, in: FS Wassermeyer, S. 227. Knobbe-Keuk, EuZW 1992, 336 (340) leitet daraus ab, dass nationale Missbrauchsklauseln nur im Verhältnis zu Drittstaaten greifen. Für eine solche, weitgehende Konsequenz bestehen jedoch weder Anhaltspunkte im Wortlaut, noch ist dies zur Wahrung der Einheitlichkeit des Unionsrechts erforderlich. Kofler, in: DStJG Bd. 33, S. 220, gesteht allerdings einen gewissen Ermessenspielraum zu. 841 Bron, DB 2007, 1273 (1273 f.); Kofler, in: DStJG Bd. 33, S. 220 m.w.N. 842 EuGH, Urteil vom 17.10.1996 – C-283/94 u.a. (Denkavit Internationaal) – DStRE 1997, 22 (24), Rn. 27 f., dort allerdings im Rahmen von Art. 3 Abs. 2 Spstr. 2 MTRL; dazu sogleich sowie unter Fn. 847. Siehe auch Bergmann, StuW 2010, 246 (256 f.); Bron, DB 2007, 1273 (1274), Kofler, in: DStJG Bd. 33, S. 220 m.w.N. 843 Kofler, in: DStJG Bd. 33, S. 221 m.w.N. 844 Bergmann, StuW 2010, 246 (256 f.).

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Europäisches Steuerrecht

könnte dies aber auch eine Auslegung im Lichte des Primärrechts bedeuten, und daher insbesondere den Rückgriff auf die Grundfreiheiten erfordern. Die Öffnungsklausel des Art. 1 Abs. 2 MTRL befindet sich somit auch in dieser Hinsicht an der Schnittstelle verschiedener Missbrauchsbegriffe. Endgültig kann die Öffnungsklausel daher nur unter Zugrundelegung der Zuordnungskriterien im Kollisionsfall bestimmt werden.845 In Zusammenhang mit der Mindestbeteiligungsquote eröffnet Art. 3 Abs. 2 Spstr. 2 MTRL den Mitgliedstaaten darüber hinaus die Möglichkeit, von dieser Richtlinie ihre Gesellschaften auszunehmen, die nicht während eines ununterbrochenen Zeitraums von mindestens zwei Jahren im Besitz einer Beteiligung bleiben, aufgrund deren sie als Muttergesellschaften gelten, oder an denen eine Gesellschaft eines anderen Mitgliedstaats nicht während eines ununterbrochenen Zeitraums von mindestens zwei Jahren eine solche Beteiligung hält; eine Mindesthaltefrist kann also sowohl für Mutter- als auch für Tochtergesellschaften umgesetzt werden. Auch Deutschland hat sich für diese Möglichkeit entschieden, die Frist aber zulässigerweise846 auf 1 Jahr beschränkt, § 43b Abs. 2 S. 4 EStG. Nicht von der Richtlinie gedeckt ist jedoch ein Erfordernis dergestalt, dass die Mindesthaltefrist im Zeitpunkt der Ausschüttung bereits abgelaufen sein muss, da die Vorschrift als Ausnahme vom Grundsatz der Quellensteuerbefreiung eng auszulegen ist;847 in diesem Falle muss daher eine spätere Erstattung erfolgen, § 43b Abs. 2 S. 5 EStG. Zweck der Regelung ist es, Umgehungsgestaltungen entgegen zu wirken, bei denen lediglich ein kurzfristiger Beteiligungserwerb vorgenommen wird, um Gewinne steuerfrei transferieren zu können.848 Insoweit gestattet Art. 3 Abs. 2 Spstr. 2 MTRL den Mitgliedstaaten den Erlass eines speziellen Missbrauchsvorbehalts. Nach herrschender Meinung geht dies der allgemeinen Missbrauchsklausel des Art. 1 Abs. 2 MTRL als speziellere Regelung vor.849 Inso845 Dazu siehe im Allgemeinen D.II.2.b.bb, S. 229, und speziell für den Prüfungsmaßstab im Rahmen von § 50d Abs. 3 EStG im 2. Teil, B.II.3.b, S. 443. 846 Es ist a maiore ad minus nicht zu beanstanden, wenn der eröffnete Rahmen nicht vollständig ausgeschöpft wird; siehe auch die Übersicht zum internationalen Vergleich bei Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, S. 171. 847 Mit diesem Argument stufte EuGH, Urteil vom 17.10.1996 – C-283/94 u.a. (Denkavit Internationaal) – DStRE 1997, 22 (24), Rn. 25 f., u.a. die Vorschrift des § 44d Abs. 2 EStG a.F., die ein solches Erfordernis aufstellte, als Verstoß gegen die Vorgaben der MTRL ein; so schon auch Knobbe-Keuk, EuZW 1992, 336 (339); Thömmes, in: Haarmann, Grenzen der Gestaltung, S. 33 f. 848 Knobbe-Keuk, EuZW 1992, 336 (338); Thömmes, Intertax 1991, 336 (337). 849 EuGH, Urteil vom 17.10.1996 – C-283/94 u.a. (Denkavit Internationaal) – DStRE 1997, 22 (25), Rn. 31; Suchowerskyj, Missbrauchsbegriff, S. 55 f.; Thömmes, in: Haarmann, Grenzen der Gestaltung, S. 32; abweichend Knobbe-Keuk, EuZW 1992, 336 (338), die Art. 3 Abs. 2 Spstr. 2 MTRL für überflüssig hält.

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Maßstäbe zur Bestimmung des Missbrauchscharakters

weit ergeben sich aus der Mindesthaltefrist keine darüber hinausgehenden, positivrechtlichen Aussagen zu einem generellen Missbrauchsbegriff der MTRL. c.

Fusionsrichtlinie

Um den Herausforderungen des Binnenmarktes gerecht zu werden, besteht auf Unternehmensseite gelegentlich Bedarf für Umstrukturierungen wie Fusionen, Spaltungen, Abspaltungen, Einbringung von Unternehmensteilen und Anteilsaustausch. Die Fusionsrichtlinie (FusRL)850 bezweckt eine Erleichterung solcher Vorgänge mit grenzüberschreitendem Bezug, indem sie auf europäischer Ebene steuerneutral ermöglicht werden.851 Insbesondere die fehlende Besteuerung stiller Reserven kann sich hierbei als Anreiz für Umgehungsgestaltungen erweisen. Art. 15 FusRL (Art. 11 FusRL a.F.) gestattet in diesem Zusammenhang den Mitgliedstaaten, bei Vorliegen bestimmter Missbrauchstatbestände die Anwendung der Richtlinie auf eine Transaktion zu versagen. Im Rahmen der hier vorzunehmenden steuerlichen Betrachtung ist allein852 Art. 15 FusRL Abs. 1 lit. a) relevant, demzufolge die Versagung erfolgen kann, wenn der begünstigte Vorgang als hauptsächlichen Beweggrund oder als einen der hauptsächlichen Beweggründe die Steuerhinterziehung oder -umgehung hat; vom Vorliegen eines solchen Beweggrundes kann ausgegangen werden, wenn der Vorgang nicht auf vernünftigen wirtschaftlichen Gründen – insbesondere der Umstrukturierung oder der Rationalisierung der beteiligten Gesellschaften – beruht. An diese Formulierung anknüpfend ergibt sich zum einen aus Hs. 2, dass bei Fehlen eines wirtschaftlichen Grundes vom Vorliegen einer Steuerumgehung ausgegangen werden kann; es handelt sich somit nicht um eine Definition, 850 RL 2009/133/EG des Rates über das gemeinsame Steuersystem für Fusionen, Spaltungen, Abspaltungen, die Einbringung von Unternehmensteilen und den Austausch von Anteilen, die Gesellschaften verschiedener Mitgliedstaaten betreffen, sowie für die Verlegung des Sitzes einer Europäischen Gesellschaft oder einer Europäischen Genossenschaft von einem Mitgliedstaat in einen anderen Mitgliedstaat vom 19.10.2009, ABlEG L 310, S. 34. Diese ersetzt die ursprüngliche Fusionsrichtlinie 1990 (RL 90/434/EWG des Rates vom 23.07.1990, ABlEG L 225, S. 1), deren Vorschriften neu strukturiert, aber inhaltlich unverändert übernommen wurde. Zu den Entsprechungen siehe die Synopse in ABlEG 2009 L 310, S. 45. 851 Präambel der FusRL, ABlEG L 310, S. 34, Rn. 2 ff.; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, S. 174; Sedemund, Europäisches Ertragsteuerrecht, Rn. 597. Ausführliche Beispiele zu den begünstigten Vorgängen bei Sedemund, Europäisches Ertragsteuerrecht, Rn. 611 ff.; zur Umsetzung ins deutsche Recht siehe Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, S. 177 f. 852 Die zweite Alternative des Art. 15 Abs. 1 lit. b) i.V.m. Abs. 2 FusRL – sog. Mitbestimmungsvorbehalt –, ermöglicht es, Umstrukturierungen von den Begünstigungen der Richtlinie auszunehmen, wenn dadurch Mitbestimmungsrechte von Arbeitnehmern umgangen werden.

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Europäisches Steuerrecht

sondern um eine Vermutung mit Beweislastumkehr.853 Zum anderen gestattet Hs. 1 die Versagung, wenn die Steuerumgehung der hauptsächliche Beweggrund bzw. einer der hauptsächlichen Beweggründe der Transaktion ist. Diese Anknüpfung an die Motive der Steuerpflichtigen gestaltet sich in doppelter Hinsicht schwierig: So ergeben sich naturgemäß Unwägbarkeiten bei der Feststellung subjektiver Tatbestandsmerkmale; in diesem Zusammenhang ist auch die Vermutungsregel des Hs. 2 zu sehen; daneben stellt sich das Problem, wie eine beabsichtigte Steuerumgehung denn nun von einer beabsichtigten bloßen Steuerersparnis getrennt werden kann – hierüber besagt die Vorschrift nichts und gerade hierin liegt doch die Missbräuchlichkeit. Daher wird zum Teil gefordert, dass Art. 15 Abs. 1 FusRL um ein objektives Merkmal ähnlich der „Unangemessenheit“ erweitert werden müsse; allerdings ergibt sich dann aus der Vorschrift selbst kein Anhaltspunkt zur Auslegung desselbigen.854 Für die hier aufgeworfene Frage, welche inhaltlichen Maßgaben zur Bestimmung eines Missbrauchs aus der Vorschrift abgeleitet werden können, kann deshalb allenfalls darauf abgestellt werden, dass eine ausschließliche oder überwiegende steuerliche Motivation bei gleichzeitigem Fehlen eines legitimen wirtschaftlichen Grundes als Kennzeichen für eine Steuerumgehung gewertet und wird.855 Mithin wird auch in diesen Zusammenhang das subjektive Element des Missbrauchs auf die wirtschaftliche Rechtfertigung der Gestaltung bezogen. Auch ohne substantielle inhaltliche Maßgaben behält Art. 15 FusRL allerdings seine Funktion, den Mitgliedstaaten die Anwendung eigener Missbrauchsvorbehalte zu eröffnen und hierdurch die Versagung der Richtlinienvorteile zu gestatten. Umstritten ist indes wiederum – wie schon im Rahmen der MTRL –, inwieweit die Vorschrift dann als bloße Verweisungsnorm den Mitgliedstaaten Spielraum zur Bestimmung des Begriffs der Steuerumgehung überlässt oder ob zur Gewährleistung des effet utile des Unionsrechts eine einheitliche Auslegung vor allem nach dem Zweck der Richtlinie geboten ist, wobei es auf das Fehlen einer vernünftigen wirtschaftlichen Begründung als zentrales Merkmal ankommen könnte.856 Da eine unmittelbare Anwendung zu Lasten des Einzel853 EuGH, Urteil vom 17.07.1997 – C-28/95 (Leur-Bloem) – IStR 1997, 539 (541 f.), Rn. 38 f.; EuGH, Urteil vom 05.07.2007 – C-321/05 (Kofoed) – DStRE 2008, 419 (421), Rn. 37; EuGH, Urteil vom 20.05.2010 – C 352/08 (Zwijnenburg) – IStR 2010, 455 (457), Rn. 43; Suchowerskyj, Missbrauchsbegriff, S. 44. 854 Suchowerskyj, Missbrauchsbegriff, S. 46 f. m.w.N. 855 Nach Schön, Gestaltungsmissbrauch, S. 57, konkretisiert dies ein übergreifendes Missbrauchsverständnis der Mitgliedstaaten und kann daher auf andere Besteuerungsrichtlinien übertragen werden. 856 Höppner, in: FS Rädler, S. 323; Knobbe-Keuk, EuZW 1992, 336 (343); ausführlich Suchowerskyj, Missbrauchsbegriff, S. 47 mit Nachweise zur Gegenansicht unter Fn. 145. Vertreten wird insbesondere, dass eine Umstrukturierung an sich noch keinen Missbrauchsverdacht begründen könne, Hey, StuW 2008, 167 (179). Weiterhin solle aber ein

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Maßstäbe zur Bestimmung des Missbrauchscharakters

nen indes nicht möglich ist, bedarf dies aber jedenfalls der Umsetzung in nationales Recht. Eine Versagung unter Berufung auf Art. 15 FusRL ist daher nur möglich, wenn der jeweilige Mitgliedstaat das notwendige Instrumentarium bereithält857– in diesem technischen Sinne wäre der Begriff der Verweisung bzw. die Einordnung als Öffnungsklausel gerechtfertigt. Dies umfasst richtigerweise nicht nur spezielle Missbrauchsvorbehalte wie etwa die Mindesthaltefristen der §§ 15 Abs. 2, 22 UmwStG,858 sondern deckt auch den Rückgriff auf allgemeine Missbrauchsklauseln wie § 42 AO.859 In der Rs. Leur-Bloem hat der EuGH diese Möglichkeit jedoch unter Verweis auf den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz eingeschränkt: Danach ist eine pauschale Missbrauchsvermutung unzulässig, weil sie über das erforderliche Maß hinausgeht, indem auch unechte Missbrauchsfälle als solche typisiert werden; stattdessen ist eine strenge Einzelfallbetrachtung erforderlich, die dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit eines Gegenbeweises im konkreten Fall offenlassen muss.860 Diese Rechtsprechung wurde in der Folge für den Missbrauchsbegriff im Rahmen der Grundfreiheiten übernommen861 und ist prägnantes Beispiel für ständige, wechselbezügliche Verweise zwischen Primär- und Sekundärrecht in Sachen „Missbrauch“.862 d.

Zinsrichtlinie

Die Zinsrichtlinie (ZinsRL)863 gewährt anders als MTRL und FusRL keine zusätzlichen Vergünstigungen, die den wirtschaftlichen Akteuren die Verwirklichung des Binnenmarktes ermöglichen soll. Regelungsziel ist vielmehr die

857 858 859 860 861 862 863

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vernünftiger wirtschaftlicher Grund i.S.v. Art. 15 FusRL beispielsweise dann fehlen, wenn Anteile nach erfolgter Umstrukturierung kurzfristig wieder veräußert werden, Knobbe-Keuk, EuZW 1992, 336 (343) m.w.N. unter Fn. 39; a.A. Thömmes, in: Haarmann, Grenzen der Gestaltung, S. 42 ff.; ebenso, wenn das alleinige Ziel der Transaktion in der Ermöglichung eines horizontalen steuerlichen Verlustausgleichs zwischen den beteiligten Gesellschaften bzw. der steuerfreie Übertragung von Wirtschaftsgütern bestand, EuGH, Urteil vom 17.07.1997 – C-28/95 (Leur-Bloem) – IStR 1997, 539 (542), Rn. 46 f.; Gille, IStR 2007, 194 (195). Englisch, StuW 2009, 3 (21). Dazu ausführlich Gille, IStR 2009, 194 (196 ff.); sowie zur Entwurfsfassung des SEStEG Körner, IStR 2006, 109 (112 f.). Zur Altfassung des § 25 Abs. IV siehe Thömmes, in: Haarmann, Grenzen der Gestaltung, S. 42 ff. Englisch, StuW 2009, 3 (22); Hey, in: Lüdicke, Wo steht das deutsche Internationale Steuerrecht, S. 161. EuGH, Urteil vom 17.07.1997 – C-28/95 (Leur-Bloem) – IStR 1997, 539 (542), Rn. 41. Siehe oben B.II.1.b.cc(6), S. 179. Englisch, StuW 2009, 3 (4); Fleischer, JZ 2003, 865 (871); Schön, in: FS Wiedemann, S. 1273. Richtlinie 2003/48/EG des Rates vom 03.06.2003 im Bereich der Besteuerung von Zinserträgen, ABlEG. L 157, S. 38.

Europäisches Steuerrecht

steuerliche Erfassung der Zinserträge von Unionsbürgern zu Gunsten ihres Ansässigkeitsstaats mittels Informationsaustausches über den wirtschaftlichen Eigentümer der Erträge, hilfsweise – für einen Übergangszeitraum – mittels anonymisierte Quellensteuererhebung, deren Ertrag zwischen Ansässigkeitsstaat des Anlegers und dem Staat der Zahlstelle aufgeteilt wird.864 Die ZinsRL, deren Umsetzung in deutsches Recht durch die Zinsinformationsverordnung865auf Basis von § 45e EStG erfolgte, ist deshalb vorrangig am Schnittpunkt von überstaatlicher Zusammenarbeit und Bankgeheimnis zu sehen und ergänzt insoweit die AmtshilfeRL. Die ZinsRL hat mithin weniger den Fall des Gestaltungsmissbrauches, sondern die Bekämpfung der Steuerhinterziehung im Blick, für die eine Verschleierung tatsächlich erzielter (Zins-) Einkünfte kennzeichnend ist. Der ZinsRL lassen sich somit weder eine Norm866 noch sonstige inhaltliche Maßgaben zur Bestimmung des Missbrauchs entnehmen. e.

Zins-/Lizenzgebührenrichtlinie

Die Zins-/Lizenzgebührenrichtlinie (ZLRL)867 bezweckt die Entlastung verbundener Unternehmen verschiedener Mitgliedstaaten von Doppelbesteuerungen auf Zinsen und Lizenzgebühren: In einem Mitgliedstaat anfallende Einkünfte in Form von Zinsen oder Lizenzgebühren werden von allen in diesem Staat darauf erhebbaren Steuern befreit, unabhängig davon, ob sie an der Quelle abgezogen oder durch Veranlagung erhoben werden, sofern der Nutzungsberechtigte der Zinsen oder Lizenzgebühren ein Unternehmen eines anderen Mitgliedstaats oder eine in einem anderen Mitgliedstaat belegene Betriebsstätte eines Unternehmens eines Mitgliedstaats ist, Art. 1 Abs. 1 ZLRL. Die Entlastungswirkung wird vor allem dann praktisch bedeutsam, wenn und soweit die Quellenbesteuerung nicht schon durch DBA ausgeschlossen ist.868 Sowohl hinsichtlich der Zielsetzung als auch der Voraussetzungen – insbesondere sind

864 Siehe insbesondere Tz. 8 der Präambel zur RL 2003/48/EG. Zum Inhalt der Informationspflichten, der Quellensteueraufteilung sowie zu Handlungsmöglichkeiten der Betroffenen siehe Sedemund, Europäisches Ertragsteuerrecht, Rn. 68 ff.; Seiler/Lohr, DStR 2005, 537 (538 ff.). 865 Zinsinformationsverordnung (ZIV) vom 26.1.2004, BGBl I 2004, S. 128. 866 Der ursprüngliche Kommissionsentwurf vom 06.12.1990 enthielt noch eine Öffnungsklausel identisch mit Art. 1 Abs. 2 MTRL, siehe ABlEG 1991 C 53, S. 26. 867 Richtlinie 2003/49/EG des Rates vom 03.06.2003 über eine gemeinsame Steuerregelung für Zahlungen von Zinsen und Lizenzgebühren zwischen verbundenen Unternehmen verschiedener Mitgliedstaaten, ABlEG L 157, S. 49; zuletzt geändert durch die Richtlinie 2006/98/EG des Rates vom 20.11.2006, ABlEG L 363, S. 29. 868 Siehe Haase, Internationales und Europäisches Steuerrecht, Rn. 869 und Fn. 277.

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Maßstäbe zur Bestimmung des Missbrauchscharakters

nur Unternehmen bestimmter Rechtsformen begünstigt869 und wird eine Mindestbeteiligung vorausgesetzt870 – orientieren sich die Regelungen größtenteils an der MTRL. Es verwundert von daher nicht, dass in Art. 5 Abs. 1 ZLRL die Missbrauchsklausel des Art. 1 Abs. 2 MTRL nahezu identisch871 übernommen wurde; hiernach steht die ZLRL der Anwendung einzelstaatlicher oder vertraglicher Bestimmungen zur Verhinderung von Betrug und Missbrauch nicht entgegen. Es kann mithin an dieser Stelle uneingeschränkt auf die Ausführungen zu Art. 1 Abs. 2 MTRL verwiesen werden, insoweit handelt es sich um eine Öffnungsklausel. Interessanterweise findet sich in Art. 5 ZLRL indes noch ein Abs. 2, demzufolge die Mitgliedstaaten im Fall von Transaktionen, bei denen der hauptsächliche Beweggrund oder einer der hauptsächlichen Beweggründe die Steuerhinterziehung, die Steuerumgehung oder der Missbrauch ist, den Rechtsvorteil dieser Richtlinie entziehen bzw. die Anwendung dieser Richtlinie verweigern können. Das Vorbild dieser Regelung findet sich in Art. 15 Abs. 1 lit. a) FusRL. Anders als dort erfolgt hier zwar eine Doppelbenennung von Steuerumgehung und Missbrauch, dies dürfte aber vielmehr der bereits mehrfach bemühten Sprachenvielfalt geschuldet sein.872 Allerdings wird auf die Vermutungsregel des dortigen Hs. 2 verzichtet, so dass das Fehlen wirtschaftlicher Gründe weder als objektives Element, noch dessen Zusammenhang mit dem subjektiven Missbrauchselement (der „Missbrauchsabsicht“) ausdrücklich zu Tage tritt. Zumindest bei vergleichender Auslegung erscheint es zwar möglich, dass die angesprochene ausschließliche oder überwiegende steuerliche Motivation vom gleichzeitigen Fehlen eines legitimen wirtschaftlichen Grundes abhängt und dies mithin als Kennzeichen für eine Steuerumgehung gewertet wird;873 aus der Norm selbst ergibt sich dies aber nicht zwingend. Schon dies spricht dagegen, dem Art 5 Abs. 2 ZLRL einen eigenen materiellrechtlichen Gehalt zuschreiben; daran kann selbst eine systematische Auslegung im Hinblick auf die bereits vorhandene Öffnungsklausel des Abs. 1 869 Art. 3 lit. a) ZLRL: Kapitalgesellschaften und andere der Körperschaftsteuer unterfallende Rechtsformen. 870 Art. 3 lit. b) ZLRL: Diese beträgt 25% und wurde anders als Art. 3 Abs. 1 lit. a) MTRL bisher noch nicht weiter abgesenkt. 871 Der Unterschied im Wortlaut zwischen Betrug und Steuerhinterziehung ist im Rahmen dieser Untersuchung getrost zu vernachlässigen, ebenso die Formulierung im Singular (Missbrauch) statt im Plural (Missbräuche). 872 Es ist eher fernliegend, dass der Gemeinschaftsgesetzgeber dadurch eine unterschiedliche Perspektive auf den Interessenkonflikt zum Ausdruck bringen wollte, wie es in dieser Untersuchung im Rahmen der Grundfreiheiten vertreten wird, siehe B.II.1.b.cc(3)(a), S. 162. Siehe auch Hahn, IStR 2010, 638 (639) m.w.N. 873 Siehe schon oben B.II.2.c, S. 192 zu Art. 15 FusRL.

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Europäisches Steuerrecht

nichts ändern, so dass in Abs. 2 ebenfalls die Ermächtigung der Mitgliedstaaten im Vordergrund steht.874 Folglich ließe sich insbesondere hinterfragen, ob diese Vorschrift tatsächlich einer Umsetzung in nationales Recht bedürfe und eine solche normlogisch überhaupt möglich sei.875 Aber schon aus unionsrechtlicher Sicht erscheint Art. 5 Abs. 2 ZLRL überflüssig, da die Öffnungsklausel ohnehin durch eine primärrechtskonforme Auslegung876 überlagert wird. Als ein substantieller Zugewinn kann jedoch der erforderliche Fremdvergleich gemäß Art. 4 Abs. 2 ZLRL angesehen werden. Gemäß diesem ist nur derjenige Betrag von der Besteuerung freizustellen, der auch zwischen verbundenen Unternehmen als Gegenleistung vereinbart worden wäre. Ziel der Regelung ist es, Einkünfteverlagerungen mittels Umqualifizierung bzw. Verschleierung der zivilrechtlichen causa zu verhindern, insoweit werden schon durch die ZLRL bestimmte Missbrauchsgestaltungen ausgenommen. Die Umsetzung im nationalen Recht findet sich hierzu in § 50g Abs. 2 EStG. f.

Mehrwertsteuersystemrichtlinie

Wenn auch die Mehrwertsteuersystemrichtlinie (MwStSystemRL)877 das Gebiet der indirekten Steuern betrifft und für das Treaty Shopping nicht unmittelbar relevant ist, lohnt sich dennoch ein Blick, denn vielfach nimmt die Richtlinie auf Steuerumgehung und Missbrauch Bezug. So wird schon in der Präambel darauf verweisen, dass es in bestimmten Grenzen und unter bestimmten Bedingungen angebracht sei, dass die Mitgliedstaaten von dieser Richtlinie abweichende Sondermaßnahmen ergreifen oder weiter anwenden können, um bestimmte Formen der Steuerhinterziehung oder -umgehung zu verhindern.878 Und exemplarisch werden gemäß Art. 131 MwStSystemRL879 gewisse Steuerbefreiungen der Richtlinie unter den Bedingungen angewandt, die die Mitgliedstaaten zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung dieser Befreiungen zur Verhinderung von Steuerhinterziehung, Steuerumgehung und Missbrauch festlegen.

874 Hahn, IStR 2010, 638 (640 ff.). 875 Hahn, IStR 2010, 638 (642). 876 Siehe unten D.II.2.b.bb, S. 229. Siehe aber auch Nieland, in: Lademann, EStG § 50g EStG Rn. 68, wonach Abs. 2 die Programmatik des Abs. 1 konkretisiere. 877 Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28.11.2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem, ABlEG L 347, S. 1. Diese ersetzt zum 01.01.2007 die 6. Mehrwertsteuerrichtlinie (6.MwStRL), RL 77/388/EWG vom 17.05.1977, ABlEG L 145, S. 1. 878 Tz. 59 der Präambel, ABlEG 2006 L 347, S. 1. 879 Entspricht den einleitenden Satzteilen von Art. 13 B, 14 Abs. 1 und 15 der 6. MwStRL.

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Maßstäbe zur Bestimmung des Missbrauchscharakters

Eine Definition oder sonstige Konkretisierung, was unter Missbrauch zu verstehen ist, findet sich hingegen nicht, ebenso fehlt ein ausdrücklicher Missbrauchsvorbehalt. Dennoch ist nach Ansicht des EuGH auch im Bereich der Mehrwertsteuer eine missbräuchliche Berufung auf Gemeinschaftsrecht unzulässig.880 Es ergebe sich nämlich in der Gesamtschau der Richtlinie, dass die Bekämpfung von Steuerhinterziehung, Steuerumgehungen und Missbräuchen ein Ziel sei, das die Richtlinie anerkenne und fördere.881 In der Literatur findet ein solcher ungeschriebener Missbrauchsvorbehalt Zustimmung.882 Hinsichtlich der Maßgaben für die Annahme eines Missbrauches auf dem Gebiet der MwSt. fordert der EuGH zum einen, dass die fraglichen Umsätze trotz formaler Anwendung der Bedingungen der einschlägigen Bestimmungen einen Steuervorteil zum Ergebnis haben, dessen Gewährung dem mit diesen Bestimmungen verfolgten Ziel zuwiderläuft; zum anderen muss aus einer Reihe objektiver Anhaltspunkte ersichtlich sein, dass mit den fraglichen Umsätzen im Wesentlichen ein Steuervorteil bezweckt wird.883 Ein weiterer Begründungsansatz stellt vorwiegend darauf ab, dass in Missbrauchsfällen regelmäßig keine wirkliche wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne der MwStSystemRL bzw. der 6. MwStRL vorliegt.884 Nach der Entscheidung in der Rs. Planzer Luxemburg Sàrl liegt ein solcher zweckwidriger Steuervorteil nämlich insbesondere dann vor, wenn eine tatbestandlich geforderte Ansässigkeit nicht der wirtschaftlichen Realität entspricht.885 Zur Bestimmung dieser wirtschaftlichen Realität ist dann vorwiegend auf den Sitz der wirtschaftlichen Tätigkeit und das Vorhandensein einer festen Niederlassung abzustellen, von wo aus die Umsätze bewirkt worden sind.886 Eine solche erfordert einen Mindestbestand an den für die jeweilige Dienstleistung erforderlichen Personal- und Sachmittel, einen hinreichenden Grad an Beständigkeit sowie eine Struktur, die von der personellen und technischen Ausstattung her eine autonome Erbringung der betreffenden Dienstleistungen ermöglicht.887 Letztlich schließt der EuGH damit – vergleichbar den Maßgaben in der Sache Cad880 EuGH, Urteil vom 21.02.2006 – C-255/02 (Halifax) – DStR 2006, 420 (424), Rn. 68 ff.; EuGH, Urteil vom 28.06.2007 – C-73/06 (Planzer Luxembourg Sàrl) –DStRE 2008, 827 (830), Rn. 44. 881 EuGH, Urteil vom 21.02.2006 – C-255/02 (Halifax) – DStR 2006, 420 (424), Rn. 71. 882 Hey, in: Lüdicke, Wo steht das deutsche Internationale Steuerrecht, S. 158. 883 EuGH, Urteil vom 21.02.2006 – C-255/02 (Halifax) – DStR 2006, 420 (425), Rn. 74 f. Dazu siehe auch schon oben B.II.1.b.cc(5), S. 176. 884 Fischer, FR 2007, 857 (861). Auf die wirtschaftliche Realität abstellend EuGH, Urteil vom 28.06.2007 – C-73/06 (Planzer Luxembourg Sàrl) – DStRE 2008, 827 (830), Rn. 43. 885 EuGH, Urteil vom 28.06.2007 – C-73/06 – DStRE 2008, 827 (830), Rn. 45. 886 EuGH, Urteil vom 28.06.2007 – C-73/06 – DStRE 2008, 827 (831), Rn. 53. 887 EuGH, Urteil vom 28.06.2007 – C-73/06 – DStRE 2008, 827 (831), Rn. 54.

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Europäisches Steuerrecht

bury Schweppes888 – anhand der Prüfung der substantiellen wirtschaftlichen Präsenz fiktive Ansiedlungen vom Anwendungsbereich der Richtlinie aus. Dem ist zuzustimmen, da es sich nicht um den Sitz einer wirtschaftlichen Tätigkeit im Sinne der Richtlinie handelt. Festzuhalten ist jedoch, dass das Fehlen einer wirtschaftlichen Tätigkeit zwar ein Anwendungsfall des Missbrauchs, aber keine zwingende Voraussetzung zu sein scheint. Auch effektive wirtschaftliche Tätigkeiten sollen nach einer Ansicht über ein Missbrauchskonzept umqualifiziert werden können – etwa in der Rs. Halifax889 –, insoweit bestehe ein Unterschied zur Erfordernis der Künstlichkeit.890 Diese Unterscheidung relativiert sich aber bei Verdeutlichung des Bezugspunktes der Zweckverfehlung. Während es im Sinne der Rs. Cadbury Schweppes allein auf das Bestehen einer festen Niederlassung ankam, bezog sich der Missbrauch im Sinne der Rs. Halifax auf den konkreten Umsatz. Für dessen Beurteilung war es unerheblich, ob dieser von einer „echten“ Niederlassung aus getätigt wurde, da jedenfalls die konkrete Transaktion als objektiv zweckwidrig und damit im Ergebnis als missbräuchlich erachtet wurde. Wie geschildert verlangt der EuGH als weitere Voraussetzung, dass im Wesentlichen ein Steuervorteil bezweckt werden muss. Dem ist zuzustimmen, soweit man damit die Zweckbestimmung des objektiven Geschehens – insbesondere eine andere wirtschaftliche Rechtfertigung – bewerten kann.891 Für den Anwendungsbereich der 6. MwStRL hat der EuGH auch explizit klargestellt, dass es ausreicht, wenn der jeweilige Umsatz „im Wesentlichen“ einen Steuervorteil bezweckt; es ist gerade nicht erforderlich, dass die Steuersparabsicht alleiniges Motiv ist.892 Damit stehen vorgeschobene wirtschaftliche Gründe der Annahme eines Missbrauchs nicht entgegen. Auch in diesem Rahmen dürfen sodann zulässige Maßnahmen der Mitgliedstaaten aber nicht über das erforderliche Maß hinausgehen.893 Die Einschränkungen durch das Verhältnismäßigkeitsprinzip gelten somit entsprechend.

888 EuGH, Urteil vom 12.09.2006 – IStR 2006, 670. Ausführlich hierzu B.II.1.b.cc(4), S. 169. 889 EuGH, Urteil vom 21.02.2006 – C-255/02 – DStR 2006, 420. 890 Schön, in: FS Reiß, S. 593 f. 891 GA Maduro, Schlussanträge vom 07.04.2005– C-255/02 (Halifax) – EuGHE I 2006, 1609 (1751), Rn. 87; Schön, in: FS Reiß, S. 595 f. Siehe auch schon oben B.II.1.b.cc(5), S. 176. 892 EuGH, Urteil vom 21.02.2008 – C-425/06 (Part Service Srl) – DStRE 2008, 646 (649), Rn. 40 ff. 893 EuGH, Urteil vom 21.02.2006 – C-255/02 (Halifax) – DStR 2006, 420 (426), Rn. 92.

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Maßstäbe zur Bestimmung des Missbrauchscharakters

3.

Zwischenergebnis

Maßstäbe zur Bestimmung des Missbrauchscharakters einer Gestaltung lassen sich im Europäischen Steuerrecht vornehmlich den Grundfreiheiten und der Rechtsprechung des EuGH hierzu entnehmen. Dabei sind zunächst zwei Perspektiven des Missbrauchsbegriffs zu unterscheiden: Zum einen diejenige des Missbrauchs der Grundfreiheiten, anhand derer die Reichweite der Freiheitsrechte bestimmt wird; zum anderen kollidieren diese mit dem Interesse der Mitgliedstaaten zur Verhinderung von Steuerumgehung durch Missbrauchsvorbehalte (insoweit Steuermissbrauch). In letzterem spiegelt sich der Konflikt zwischen der steuerrechtlichen Kompetenzordnung und deren grundfreiheitlicher Ausübungsschranke wider. Deshalb kann eine Rechtfertigung nationaler Vorschriften aus dem Gedanken des (Steuer-)Missbrauchs im Ergebnis nur dann gelingen, wenn es sich gleichzeitig um einen Missbrauch der Grundfreiheiten im Sinne der ersten Perspektive handelt. Insoweit besteht eine wechselbezügliche Verknüpfung der beiden Ansätze. Trotz einer gewissen inhaltlichen Nähe zum institutionellen Rechtsmissbrauch lässt sich der Missbrauch von Grundfreiheiten aber abstrakt nicht eindeutig dieser Rechtsfigur oder derjenigen des Umgehungsgeschäftes zuordnen, da die konkreten Sachverhaltsgestaltungen variieren und sich teilweise überschneiden. Als gemeinsame Leitlinie ist aber die Zweckverfehlung der umgangenen oder missbrauchten Regelung festzuhalten. Die inhaltlichen Maßgaben für einen Missbrauch der Grundfreiheiten orientieren sich daher an Tatbestand und Zweck der Grundfreiheiten; insbesondere deren Telos ist der entscheidende Maßstab zur Bestimmung des Missbrauchs im Sinne der Rechtfertigungslösung. Dies kommt im Tatbestandsmerkmal der künstlichen Gestaltung zum Ausdruck, welches eine bloß formelle Ausübung der Grundfreiheiten von der Ermöglichung einer echten grenzüberschreitenden Wirtschaftstätigkeit abgrenzt. Konkretisiert für den Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit ist nur eine jeder wirtschaftlichen Realität bare Gestaltung als künstliche Gestaltung anzusehen. Liegt in Abgrenzung dazu hingegen eine tatsächliche Ansiedlung vor, deren Zweck darin besteht, wirklichen wirtschaftlichen Tätigkeiten im Aufnahmestaat nachzugehen, so handelt es sich nicht um einen Missbrauch der Grundfreiheiten und entsprechende nationale Missbrauchsvorbehalte sind grundsätzlich nicht zu rechtfertigen. Die Absicht, Steuern zu sparen, wird lediglich insoweit relevant, als diese bei Vorliegen beachtlicher wirtschaftlicher Gründen für die jeweilige Gestaltung ausgeschlossen ist; nur in diesem Sinne ist ein subjektives Tatbestandselement zu beachten. Jedenfalls bei Vorliegen einer sachlichen Vermutungsbasis, die über die Gründung einer Zwischengesellschaft im Ausland hinausgeht und etwa in der Zwischenschaltung substanzschwacher Gesellschaften gesehen werden kann, ist nicht zu beanstanden, dass im konkreten Fall der Steuerpflichtige zum Nachweis der tatsächlichen 200

Europäisches Steuerrecht

Ansiedlung und Ausübung einer wirklichen wirtschaftlichen Tätigkeit verpflichtet ist. Insoweit darf die Norm bei abstrakter Betrachtung nicht über das erforderliche Maß hinausgehen, etwa indem unsachgerecht oder in Verkennung der sich aus dem Begriff der Künstlichkeit ergebenden Maßstäbe typisiert wird (abstrakte Prüfungsebene). Ohne eine Möglichkeit des Gegenbeweises im konkreten Einzelfall – im Sinne eines subjektiven Motivtests – wären entsprechende Missbrauchsvorbehalte ebenso unverhältnismäßig (konkrete Prüfungsebene). Im Anwendungsbereich der Kapitalverkehrsfreiheit hingegen sind die Anforderungen insbesondere hinsichtlich der Substanz zu reduzieren, da eine dauerhafte Integration nicht erforderlich ist. Missbräuchliche Gestaltungen gefährden regelmäßig zugleich die vorgenommene Aufteilung der Besteuerungshoheiten, insoweit besteht ein Überschneidungsbereich zwischen den beiden Allgemeininteressen. Um ein Unterlaufen der spezifischen Anforderungen an die Rechtfertigung zur Missbrauchsverhinderung – insbesondere der entsprechenden Verhältnismäßigkeitsprüfung – zu vermeiden, sind diese grundsätzlich bei einer Rechtfertigung aus dem Allgemeininteresse der Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse zu berücksichtigen. Eine Rückgriffsmöglichkeit besteht zum einen aber in der Einschränkung wirtschaftlich realer Gestaltungen, wenn die Gefährdung der Verteilungsgerechtigkeit im Einzelfall durch andere Erwägungen als die bloße Künstlichkeit der Gestaltung festgestellt werden kann, insbesondere die zu überprüfende Vorschrift gar nicht gegen missbräuchliche Gestaltungen gerichtet ist. Zum anderen ist eine solche mittelbare Berücksichtigung der Voraussetzungen auch dann abzulehnen, wenn aufgrund der streitgegenständlichen Aufteilung der Steuerhoheiten bereits die Vergleichbarkeit der Situationen zwischen beschränkt und unbeschränkt Steuerpflichtigen ausscheidet und somit bereits keine Diskriminierung oder Beschränkung vorliegt, so dass es auf eine echte Rechtfertigung der Maßnahme und eine Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht mehr ankommt. Darüber hinaus finden sich im harmonisierten Teilbereich des Europäischen Steuerrechts sekundärrechtliche Vorschriften, die sich mit Missbrauch befassen. Allerdings ergibt sich kein einheitlicher Befund, die verwendeten Regelungstechniken sind sehr unterschiedlich. Als gemeinsamer Nenner kann zumindest die Anerkennung der Missbrauchsverhinderung als Ziel festgehalten werden. Teilweise enthalten die Richtlinien Öffnungsklauseln, die den Mitgliedstaaten ausdrücklich Maßnahmen zur Verhinderung von Steuerumgehungen und Missbrauch gestatten, wie etwa Art. 1 Abs. 2 MTRL oder Art. 5 ZLRL; auch Art. 5 Abs. 2 ZLRL umfasst keine objektiven, materiellen Vorgaben und wäre daher überflüssig. Andere Normen geben in eng umgrenzten Rahmen Teilanhaltspunkte zur Bestimmung des Missbrauchsbegriffs, so dass etwa aus Art. 15 Abs. 1 lit. a) FusRL auf die ausschließliche oder überwiegende steuerliche Motivation bei gleichzeitigem Fehlen eines legitimen wirt201

Maßstäbe zur Bestimmung des Missbrauchscharakters

schaftlichen Grundes als Kennzeichen für eine Steuerumgehung geschlossen werden kann. Überdies kann die Zielsetzung der jeweiligen Richtlinie zumindest im Wege teleologischer Auslegung mitberücksichtigt werden. Ergänzt wird dies durch einige wenige speziell geregelte Missbrauchskonstellationen. All diese Normen sind zudem im Lichte einer unionsrechtlich einheitlichen Auslegung zu sehen. Richtigerweise wird den Mitgliedstaaten damit selbst bei Öffnungsklauseln, die auf nationale Maßnahmen verweisen, kein Gestaltungsspielraum zur eigenen Definition des Missbrauchs eröffnet. Ebenso entspricht es im Bereich des Sekundärrechts gefestigter Rechtsprechung, dass das Verhältnismäßigkeitsprinzip eine strenge Einzelfallprüfung erfordert und somit eine Typisierung nicht unbegrenzt möglich ist.

III. Internationales Steuerrecht i.e.S. Zum Untersuchungsgegenstand des deutschen Internationalen Steuerrechts gehören auch das Recht der DBA und weitere Teile des Völkerrechts, mit deren Hilfe die verschiedenen kollidierenden Steuerhoheitsansprüche gegeneinander abgegrenzt werden sollen, das Internationale Steuerrecht im engen Sinne.894 Auch hieraus können sich Anhaltspunkte für Maßstäbe zur Bestimmung des Missbrauchscharakters einer Gestaltung im Steuerrecht gewinnen lassen.

1.

Existenz eines ungeschriebenen, allgemeinen Missbrauchsvorbehalts

Vorab steht zur Diskussion, ob es unabhängig von ausdrücklichen Regelungen in einzelnen DBA einen ungeschriebenen, allgemeinen Missbrauchsvorbehalt im Steuerrecht gibt. Ein Bedürfnis hierfür würde deswegen bestehen, da nach allgemeiner Ansicht auch im internationalen Steuerrecht zunächst von einem Grundsatz der Gestaltungsfreiheit ausgegangen werden kann.895 Eine Ansicht befürwortet die Existenz eines solchen allgemeinen Rechtsgrundsatzes.896 Dies hätte zur Folge, dass es sich gemäß Art. 38 Abs. 1 lit. c) IGH-Statut897 um eine Rechtsquelle des Völkerrechts handeln würde, ein solcher Grundsatz wäre also aus sich heraus bei DBA zu beachten.898 Zur Be894 Siehe schon oben Einleitung A, S. 21 und Fn. 2. 895 Prokisch, in: Vogel/Lehner, DBA, Art. 1 Rn. 89 m.w.N. im internationalen Vergleich. 896 Grundlegend Vogel, StuW 1985, 369 (376); ders., in: Haarmann, Grenzen der Gestaltung, S. 93 f.; zustimmend Beiser, IStR 1995, 421 (421). Ebenso Merthan, RIW 1992, 927 (931), der zur Begründung noch darauf verweist, dass es sich um einen Unterfall eines völkergewohnheitsrechtlichen Rechtsmissbrauchsverbots handele, welches jedoch ebenso wenig belegt ist. 897 Statut des Internationalen Gerichtshofs vom 26.06.1945, BGBl II 1973, S: 505. 898 Vogel, in: Haarmann, Grenzen der Gestaltung, S. 93 f.

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gründung wird angeführt, dass sich anhand eines internationalen Rechtsvergleiches feststellen lasse, dass nahezu alle Rechtsordnungen die Möglichkeit kennen, bei Auseinanderfallen von Rechtsform und wirtschaftlichem Gehalt eines Rechtsgeschäfts oder eines Rechtsgebildes die Besteuerung nach der gewählten Rechtsform abzulehnen (substance over form), wenn dies aus Gerechtigkeitsgründen als unerträglich erscheine, und stattdessen vom wirtschaftlichen Gehalt auszugehen.899 Allerdings wird in den einzelnen Staaten äußerst unterschiedlich behandelt, wann eine Gestaltung aus Gerechtigkeitsgründen unerträglich und damit missbräuchlich sein soll; da jedoch für die Annahme eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes erforderlich sein solle, dass dieser hinreichend konturiert sei,900 sei nach der Gegenauffassung die Existenz eines solchen abzulehnen.901 Ins Feld geführt werden weiter Bedenken hinsichtlich der Gesetzmäßigkeit und Bestimmtheit der Besteuerung.902 Auch wäre ein solcher Rechtsgrundsatz jedenfalls stets subsidiär gegenüber vertraglichen Regelungen.903 Nach anderer Auffassung lasse sich ein ungeschriebener, allgemeiner Missbrauchsvorbehalt konkludent daraus ableiten, dass DBA stets unter Missbrauchsvorbehalt stünden.904 Als Argument hierfür könnte der Auslegungsgrundsatz des Art. 31 WÜRV905 herangezogen werden, gemäß dem völkerrechtliche Verträge nach Sinn und Zweck sowie nach Treu und Glauben auszulegen sind. Als problematisch erweist sich dabei, dass der allgemeine Missbrauchsvorbehalt dann zur Ermittlung des konkludenten, „gemeinsamen Nenners“ aber je nach Verständnis des am jeweiligen DBA beteiligten Vertragsstaats anders auszulegen sei.906 Beiden Ansichten lassen sich letztlich jedoch keine eigenen inhaltlichen Maßstäbe zur Bestimmung des Vorliegens eines Missbrauchs entnehmen. Für eine 899 Vogel, StuW 1985, 369 (376 f.). Für einen rechtsvergleichenden Überblick zum Konzept form over substance vgl. Zimmer, Form and substance in tax law, S. 21 ff. 900 Heintschel v. Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, § 16 Rn. 4 ff.; Merhan, IStR 2005, 325 (327); Schön, Gestaltungsmissbrauch, S. 50 f. 901 Fischer-Zernin, RIW 1987, 362 (364); Musil, Treaty Overriding, S. 39; Schön, Gestaltungsmissbrauch, S. 51; Zettler, Treaty Shopping, S. 73. 902 Kraft, Treaty Shopping, S. 19 f.; Musil, Treaty Overriding, S. 39; Piltz, BB 1987, Beilage zu Heft 14, S. 5. 903 Fischer-Zernin, RIW 1987, 362 (363). 904 Krabbe, in: StbJb 1985/86, S. 412; Merhan, IStR 2005, 325 (327); Mössner, RIW 1986, 208 (213); Prokisch, in: Vogel/Lehner, DBA, Art. 1 Rn. 117; Wassermeyer, in: DStJG Bd. 8, S. 71 f. Siehe auch OECD-MK, Art. 1 Rn. 9.4 f. 905 Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge vom 23.05.1969, hierzu Gesetz vom 03.08.1985, BGBl II 1985, S. 926. 906 Schön, Gestaltungsmissbrauch, S. 44 f.; Vogel, in: Haarmann, Grenzen der Gestaltung, S. 92 f. mit Beispielen; Zettler, Treaty Shopping, S. 74.

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Maßstäbe zur Bestimmung des Missbrauchscharakters

Definition oder Konkretisierung wäre erforderlich, dass der jeweilige Missbrauchsvorbehalt aus sich heraus Geltung beansprucht – dies wurde letztlich nur von Vogel vertreten907 und lässt sich mit dessen strikter Ablehnung des Treaty Override durch nationale Vorschriften erklären.908 Schon dieser hat aber nicht dargelegt, wann eine aus Gerechtigkeitsgründen unerträgliche Situation angenommen werden kann. Der überwiegende Teil der Autoren, die einen ungeschriebenen Missbrauchsvorbehalt befürworten, sehen darin lediglich die mögliche Legitimationsbasis zur Anwendung nationaler Missbrauchsvorbehalte.909 Unter Berufung hierauf wurde beispielsweise die Ergänzung des § 50d um Abs. 1a durch das StMBG910 zum VZ 1994 begründet.911 Einer solchen Rechtfertigung bedarf es von vornherein nicht, wenn man das Problem der Anwendung des § 42 AO ausschließlich im nationalen Recht sieht912 bzw. allgemein eine gesonderte Legitimationsbasis als nicht erforderlich erachtet.913 Im Ergebnis ist somit davon auszugehen, dass jeder Staat die ihn bindenden Vorschriften nach den Prinzipien anwendet und auslegt, die seine Rechtsordnung prägen. Die Besonderheiten des DBA könnten dann im Rahmen der Auslegung von beispielsweise § 42 AO berücksichtigt werden, sprich der Maßstab der Missbrauchsprüfung müsste den Vertragszweck ausreichend berücksichtigen.914 Allenfalls dies könnte man im weitesten Sinne als eine Art Maßstäblichkeit anführen. Eine vom Regelungswortlaut abweichende Auslegung 907 Vogel, StuW 1985, 369 (378). 908 Dazu siehe unten D.II.2.c.bb(2)(a), insbesondere zu Fn. 120. 909 Merhan, IStR 2005, 325 (327); Merthan, RIW 1992, 927 (932); Piltz, BB 1987, Beilage zu Heft 14, S. 5; Prokisch, in: Vogel/Lehner, DBA, Art. 1 Rn. 112 ff. und Rn. 117; Zettler, Treaty Shopping, S. 74. Siehe hierzu auch OECD, OECD-MK 2008, Art. 1 Rn. 9.2., sowie Schaumburg, Internationales Steuerrecht, Rn. 16.146. 910 Mißbrauchsbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetz (StMBG) vom 21.12.1993, BGBl I 1993, s. 2310. 911 BT-Ds. 12/5630, S. 65, mit Verweis auf OECD, OECD-MK 1992, Art. 1 Rn. 7 ff. Ob der genannte Vorbehalt aber diese Norm tatsächlich zu rechtfertigen vermag ist umstritten, vgl. Merhan, IStR 2005, 325 (327). Dies wird noch gesondert untersucht, siehe dazu im 2. Teil B, S. 355. 912 BFH, Urteil vom 01.07.1992 – I R 6/92 – BStBl II 1993, 222 (225); Drüen, in: Tipke/Kruse, § 42 AO Rn. 101 f.; Fischer-Zernin, RIW 1987, 362 (366 f.). 913 Hierzu siehe auch D.II.2.c.bb.(2)(c)(cc), S. 253. 914 Piltz, BB 1987, Beilage zu Heft 14, S. 9f.; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, Rn.16.148 f.. OECD-MK 2003, Art. 1 Rn. 9.5. formuliert dies folgendermaßen: „Es ist aber darauf hinzuweisen, dass nicht leichtfertig angenommen werden sollte, ein Steuerpflichtiger habe solche missbräuchlichen Transaktionen vorgenommen. Leitsatz sollte sein, dass die Vorteile eines DBAs nicht gewährt werden sollten, wenn ein Hauptzweck, bestimmte Transaktionen oder Gestaltungen zu verwirklichen, darin besteht, eine günstigere Steuerposition zu erlangen und diese günstigere Behandlung unter den gegebenen Umständen dem Sinn und Zweck der einschlägigen Vorschriften widersprechen würde.“

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kommt jedoch nur dann in Frage, wenn die wortlautgetreue Auslegung zu einem offensichtlich sinnwidrigen oder unvernünftigen Ergebnis führt und nicht bereits, wenn sich eine solche Auslegung mit den abkommensrechtlichen Regelungszwecken besser vereinbaren ließe.915

2.

Missbrauchsklauseln in Doppelbesteuerungsabkommen

Über einen ungeschriebenen, allgemeinen Missbrauchsvorbehalt hinaus sind auch die einzelnen DBA auf Maßgaben zur Bestimmung des Missbrauchscharakters einer Gestaltung zu untersuchen. a.

Öffnungsklauseln

Missbrauchsklauseln finden sich zum einen – dies aber nur vereinzelt – in der Form von Öffnungsklauseln, die wiederum auf innerstaatliche Missbrauchsvorbehalte verweisen.916 Somit wird eine Wirkung entfaltet, die ansonsten dem ungeschriebenen Missbrauchsvorbehalt zugeschrieben wird, so dass auf die Ausführungen hierzu verweisen werden kann. Insbesondere wird so die Anwendung unilateraler Vorschriften ermöglicht, ohne auf ein eventuelles Rangverhältnis zwischen Völkervertragsrecht und nationalem Recht Rücksicht nehmen zu müssen; das Problem des Treaty Override stellt sich insoweit erst

915 BFH, Urteil vom 20.08.2008 – I R 39/07 – IStR 2008, 849 (851); Vogel, in: Vogel/Lehner, DBA, Einl. Rn. 107; jeweils unter Verweis auf Art. 32 lit. b) WÜRV. 916 Etwa Nr. 17 des Protokolls zum DBA-Belgien vom 11.04.1967, BGBl II 1969, S. 52; Nr. 7c des Protokolls zum DBA-Neuseeland vom 20.10.1978, BGBl II 1980, S. 1240; Nr. 6 des Protokolls zum DBA-Finnland vom 05.07.1979, BGBl II 1981, S. 1181. Weitere Beispiele bei Lüdicke, DBA-Politik, S. 44, Fn. 146. Aus der jüngeren Zeit hervorzuheben ist Art. 29 DBA-Algerien vom 21.11.2007, BGBl II 2008, S. 1188: “Dieses Abkommen ist nicht so auszulegen, als hindere es einen Vertragsstaat, seine innerstaatlichen Rechtsvorschriften zur Verhinderung der Steuerumgehung oder Steuerhinterziehung anzuwenden.” Ebenso Art. 23 Abs. 1 DBA-Schweiz in der Fassung des Revisionsprotokolls vom 12.03.2002, BGBl II 2003, S. 67; gemäß Nr. 2 des zugehörigen Protokolls, abgedruckt in BT-Ds 14/9021, S: 8, wird ausdrücklich auf §§ 42 AO und 50d Abs. 3 EStG verwiesen. Die ursprüngliche Fassung vom 11.08.1971, BGBl II 1971, S. 1021, enthielt noch eine spezielle Missbrauchsvermeidungsvorschrift mit detaillierten Voraussetzungen, hierzu siehe sogleich unter B.III.2.b.cc, S. 210, sowie zum Konkurrenzproblem allgemein unter A, S. 221, und BFH, Urteil vom 19.12.2007 – I R 21/07 –IStR 2008, 407 (408 f.). Vgl. aber auch die Gemeinsame Erklärung zum DBA-Vereinigtes Königreich vom 30.03.2010, BGBl II 2010, S. 1358 (in Kraft getreten am 30.12.2010), hierzu Fn. 918.

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gar nicht.917 Eigene Maßstäbe enthalten solche Öffnungsklauseln damit jedoch ganz regelmäßig918 nicht. b.

Spezialklauseln

Anhaltspunkte zur Bestimmung des Missbrauchscharakters einer Gestaltung können sich zum anderen aber Klauseln in DBA entnehmen lassen, die sich speziellen Erscheinungsformen widmen. Hierzu gehören das Konzept des Nutzungsberechtigten, die Aktivitätsklauseln und Limitation on Benefits Klauseln im Speziellen. aa.

Konzept des Nutzungsberechtigten

Das Konzept des Nutzungsberechtigten ist eine tatbestandliche Beschränkung der in zahlreichen DBA enthaltenen Reduktion bzw. Nichterhebung von Quellensteuern auf Dividenden, Zinsen und Lizenzzahlungen, vgl. Art. 10 Abs. 2, Art 11 Abs. 2 und Art 12 Abs. 1 OECD-MA. Danach kommen nur diejenigen Personen in den Genuss der Vergünstigung, die auch Nutzungsberechtigter (beneficial owner) der jeweiligen Einkünfte sind. Dies richtet sich gegen Steu917 Zum Treaty Override siehe ausführlich D.II.2.c.bb(2), S. 240 ff. Insoweit als nach wohl h.M. und hier vertretener Ansicht zumindest in Missbrauchsfällen von der innerstaatlichen Wirksamkeit abkommensderogierender Gesetze auszugehen ist, stellen Öffnungsklauseln primär eine Klarstellung bzw. eine Absicherung gegen künftige Entwicklungen dar, vgl. auch Linn, IStR 2010, 542 (546). 918 Als Ausnahme ließe sich die Gemeinsame Erklärung zum DBA-Vereinigtes Königreich vom 30.03.2010, BGBl II 2010, S. 1358 (in Kraft getreten am 30.12.2010), erachten, dort wird auf S. 2 zunächst eine typische Öffnungsklausel vereinbart: “Unter Berücksichtigung der Absätze 7 bis 12 des Kommentars zu Artikel 1 des OECD- Musterabkommens ist dieses Abkommen nicht so auszulegen, als hindere es einen Vertragsstaat, seine Bestimmungen nach innerstaatlichem Recht zur Verhinderung der Steuerumgehung oder Steuerhinterziehung anzuwenden, wenn diese Bestimmungen dazu dienen, Gestaltungen entgegenzutreten, die einen Abkommensmissbrauch darstellen.” Sodann erfolgt auch eine „Definition“ hierzu: “Ein Abkommensmissbrauch liegt vor, wenn ein Hauptzweck, bestimmte Transaktionen oder Gestaltungen zu verwirklichen, darin besteht, eine günstigere Steuerposition zu erlangen, und diese günstigere Behandlung unter den gegebenen Umständen dem Sinn und Zweck der einschlägigen Vorschriften des Abkommens widersprechen würde.” Weiterhin enthält das Abkommen selbst auch eine Spezialklauseln gegen die missbräuchliche Inanspruchnahme der Dividendenvergünstigungen in Art. 10 Abs. 6 DBA: “Entlastungen nach diesem Artikel werden nicht gewährt, wenn der Hauptzweck oder einer der Hauptzwecke einer der Personen, die an der Begründung oder Übertragung der Aktien oder anderen Rechte, für die die Dividende gezahlt wird, beteiligt waren, darin bestand, diesen Artikel mithilfe dieser Begründung oder Übertragung in Anspruch zu nehmen.” Hierzu sogleich B.II.2.b.cc, S. 210.

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erumgehungen, die eine formale Zwischenschaltung von Zahlungsempfängern vorsehen, somit auch gegen Treaty Shopping.919 In den DBA ist der Begriff aber ganz regelmäßig nicht geregelt.920 Ebenso wenig findet sich eine allgemein anerkannte Definition des Begriffs des Nutzungsberechtigten, so dass dieser ungeklärt bleibt.921 Als gemeinsamer Nenner wäre allenfalls eine Auslegung zu erachten, wonach sich aus Existenz und Zweck des Begriffes schließen lasse, dass unter bestimmten Umständen vom rein formalen Charakter einer Zahlung abgewichen werden könne; folglich komme darin lediglich der Rechtsgedanke des substance over form zum Ausdruck.922 Genauere Maßgaben des Begriffes, die sich unmittelbar aus dem Völkerecht ableiten ließen, fehlen mithin. Zwar lässt sich dennoch ein gemeinsames Verständnis in der deutschen Literatur nachvollziehen, die unter den Begriff des Nutzungsberechtigten üblicherweise solche Zahlungsempfänger fasst, die nicht nur ein formales Recht auf die Einkünfte haben, sondern über diese und über die zugrunde liegenden Stammrechte oder Wirtschaftsgüter tatsächlich und rechtlich verfügen können.923 Teilweise wird dies als Ergebnis der rein völkerrechtlichen Auslegung

919 Gosch, in: Kirchhoff, EStG, § 50g Rn. 13; Haase, Internationales und Europäisches Steuerrecht, Rn. 666; Kraft, Treaty Shopping, S. 22; OECD, OECD-MK 2008, Art. 1 Rn. 10; Vogel, in: Vogel/Lehner, DBA, vor Art. 10-12 Rn. 12; Zettler, Treaty Shopping, S. 81. 920 Ausnahmsweise finden sich Definitionsansätze in folgenden Abkommen: Nr. 9 des Protokolls zum DBA-Italien vom 18.10.1989, BGBl II 1990, S. 742; Nr. 4 des Protokolls zum DBA-Norwegen vom 04.10.1991, BGBl II 1993, S. 970; Art. 43 Abs. 3 des DBASchweden vom 14.07.1992, BGBl II 1994, S. 686; Nr. 7 des Protokolls zum DBAAustralien vom 24.11.1972, BGBl II 1974, S. 337, ohne dass jedoch der Abkommenstext den Begriff überhaupt enthält; Nr. 10 des Protokolls zum DBA-USA vom 29.08.1989, BGBl 1991 II, S. 354, insoweit jedoch aufgehoben durch das Revisionsprotokoll vom 01.06.2006, BGBl II 2008, S. 611. Diese sind jedoch uneinheitlich und nicht verallgemeinerungsfähig, hierzu insgesamt siehe die Darstellung von Vogel, in: Vogel/Lehner, DBA, vor Art. 10-12 Rn. 15b. 921 Lüdicke, DBA-Politik, S. 43, m.w.N. zum internationalen Meinungsstand unter Fn. 140. Vogel, in: Vogel/Lehner, DBA, vor Art. 10-12 Rn. 12 ff.; eine Definition lässt auch OECD, OECD-MK 2008, Art. 10 Rn. 12, vermissen. 922 Kraft, Treaty Shopping, S. 21; Vogel, in: Vogel/Lehner, DBA, vor Art. 10-12 Rn. 17 f. 923 Gosch, in: Kirchhoff, EStG, § 50g Rn. 13; Hamacher, IStR 2002, 259 (259); Kraft, Treaty Shopping, S. 21; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, Rn. 16.139; Vogel, in: Vogel/Lehner, DBA, vor Art. 10-12 Rn. 18. Bezogen auf Zinseinkünfte ist die Verfügung über das Kapital entscheidend, siehe BFH, Urteil vom 22.08.1990 – I R 69/89 – BStBl II 1991, 38 (38 f.); entsprechend bei Lizenzeinkünften die jeweiligen Schutzbzw. Nutzungsrechte. Aus dem englischen Recht siehe z.B. Court of Appeal vom 02.03.2006, EWCA Civ 158 (Indofood).

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angesehen,924 die wohl überwiegende Ansicht verweist aber darauf, dass sich die Frage der wirtschaftlichen Zurechnung rein nach nationalem Recht beurteilt.925 Insbesondere bei der Reduktion oder Befreiung von deutscher Quellensteuer im Inbound-Fall926 ist dem zuzustimmen, da es ausschließlich auf die Anwendung des innerstaatlichen Rechts ankommt. Wenn damit aber letztlich der Begriff des Nutzungsberechtigten mit demjenigen der Einkünfteerzielung im steuerlichen Sinne – insbesondere unter Berücksichtigung der Vorschriften über die wirtschaftliche Zurechnung, § 39 AO – gleichzusetzen ist, erscheint das Konzept des Nutzungsberechtigen überflüssig.927 Weitere Skepsis erscheint auch dadurch geboten, dass vor allem bei Beteiligung von Personengesellschaften aufgrund des Auseinanderfallens von zivilrechtlicher Zurechnung und fehlender Steuersubjektqualität der Gesamthand auch vielfach offensichtlich nicht missbräuchliche Fälle erfasst werden.928 Zuletzt wird auch auf das praktische Problem der Tatsachenfeststellung verwiesen: So müsste der Quellenstaat für eine Versagung der Abkommensvorteile das Auseinanderfallen von formalem Zahlungsempfang und Nutzungsberechtigung nachweisen, wofür Feststellungen und Wertungen im anderen Abkommensstaat erforderlich sind.929 Erst recht schwierig bis gar unmöglich erscheint der Nachweis dann, wenn der vermutete echte Nutzungsberechtigte in einem Drittstaat ansässig ist, gegenüber dem keine Amtshilfemöglichkeiten aus dem jeweiligen DBA bestehen. Es überzeugt daher, wenn dem völkerrechtlichen Konzept des Nutzungsberechtigten die Eignung zur Missbrauchsbekämpfung abgesprochen wird, jedenfalls solange dies nur aus sich heraus wirken soll.930 Wie gezeigt ist es dem Gesetzgeber jedoch möglich, eine Konkretisierung des § 39 AO im Hinblick auf bestimmte Gestaltungen vorzunehmen. Insoweit nimmt das Konzept des Nutzungsberechtigten eine Stellung ein zwischen eigener Maßstabswirkung und bloßer Öffnung gegenüber unilateralen Vorschriften. Anders ist auch dann zu urteilen, wenn der zugrunde liegende Leitgedanke 924 Vogel, in: Vogel/Lehner, DBA, vor Art. 10-12 Rn. 18; Zettler, Treaty Shopping, S. 82. 925 BFH, Urteil vom 18.12.1986 – I R 52/83 – BStBl II 1988, 521 (524; BFH, Urteil vom 22.08.1990 – I R 69/89 – BStBl II 1991, 38 (38 f.); Fischer-Zernin, RIW 1986, 362 (366 f.); Krabbe, in: StbJb 1985/86, S. 412; Wassermeyer, IStR 2000, 505 (506). Unter Berufung auf Nr. 10 des Protokolls DBA-USA, verallgemeinern Bächle/Rupp/Ott/Knies, Internationales Steuerrecht, S. 160; die Protokollerklärung wurde jüngst jedoch wieder aufgehoben, siehe Fn. 920. 926 Inbound aus Sicht der Sachinvestition – die Zahlung selbst fließt natürlich ins Ausland (Outbound). 927 Wassermeyer, IStR 2000, 505 (506). 928 Wassermeyer, IStR 2000, 505 (506). Siehe auch die Darstellung der Erscheinungsformen bei Hamacher, IStR 2002, 259 (259 ff.). 929 Kraft, Treaty Shopping, S. 22; Mössner, RIW 1986, 208 (213). 930 Kraft, Treaty Shopping, S. 23; Lüdicke, DBA-Politik, S. 43.

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schon auf Ebene des Völkerrechts durch zusätzliche Regelungen weiter konkretisiert und positiviert wird, wie dies in Aktivitätsklauseln und Limitation on Benefits Klauseln zum Ausdruck kommt. bb.

Aktivitätsklauseln

Aktivitätsklauseln machen Vergünstigungen in DBA davon abhängig, dass die begünstigten Einkünfte – Gewinne aus Betriebsstätten oder Schachteldividenden aus Tochtergesellschaften – ausschließlich oder nahezu ausschließlich aus sog. aktiven oder produktiven Tätigkeiten stammen.931 In den meisten deutschen DBA findet sich ein entsprechender Aktivitätsvorbehalt,932 die Erscheinungsformen sind im Einzelnen jedoch äußerst vielfältig.933 Die Sanktionierung bei Nichterfüllung besteht üblicherweise in der Versagung jeglicher Steuerbegünstigung oder im Wechsel von Freistellungmethode zur regelmäßig ungünstigeren934 Anrechnungsmethode, sog. switch-over Klausel;935 ebenso sind Mischformen denkbar. Auch hinsichtlich der Frage, welche Fälle die Aktivitätsklauseln tatbestandlich erfassen, d.h. welche Tätigkeiten als aktiv und damit förderungswürdig erachtet werden, ergibt sich kein einheitliches Bild. Tendenziell sind diese in älteren Abkommen im Abkommenstext oder in den zugehörigen Protokollen enumerativ aufgeführt, wobei die inhaltliche Spanne von sehr engen Fassungen, welche einen großen Bereich an Dienstleistungen ausschließen, bis hin zu solchen mit beliebiger Erweiterbarkeit mittels Notenwechsel reicht.936 In anderen Ab931 Vogel, in: Vogel/Lehner, DBA, Art 23 Rn. 74; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, Rn. 16.138. 932 Übersicht bei Bächle/Rupp/Ott/Knies, Internationales Steuerrecht, S. 321 ff.; Vogel, in: Vogel/Lehner, DBA, Art 23 Rn. 90, sowie Rn. 74 und in OFD Münster, Verfügung vom 25.09.1998– S 1301 - 18 - St 22-34 (Aktivitätsklauseln in DBA) – IStR 1999, 81. 933 Eine Typologie der verschiedenen Erscheinungsformen von Aktivitätsklauseln nach betroffenen Einkunftsarten, umfassten Erträgen, Methodik der Aktivitätsklausel und Rechtsfolge findet sich bei Wassermeyer, IStR 2000, 65 (66 ff.). Die Vielfalt wird auch betont von Haase, Internationales und Europäisches Steuerrecht, Rn. 716 f. 934 Die Freistellungmethode verfolgt das Konzept der Kapitalimportneutralität und führt zu einer gleichmäßigen Besteuerung auf dem Niveau des (ausländischen) Quellenstaates, welches gegenüber dem im internationalen Vergleich relativ hohen deutschen Steuerniveau regelmäßig günstiger ist, hierzu Brähler, Internationales Steuerrecht, S. 132 f.; Haase, Internationales und Europäisches Steuerrecht, Rn. 714. 935 Brähler, Internationales Steuerrecht, S. 82; Haase, Internationales und Europäisches Steuerrecht, Rn. 733. Beispielsweise Art. 24 Abs. 1 Nr. 1 lit. a) und b) DBA-Schweiz vom 11.08.1971, BGBl II 1972, S. 1021. 936 Siehe die Zusammenstellung bei Lüdicke, DBA-Politik, S. 79, insbesondere Fn. 290 ff. In der Regel werden zumindest die Herstellung und der Verkauf von Gütern und Waren, technische Beratung, technische Dienstleistungen und Bank- bzw. Versicherungsgeschäfte als aktive (unschädliche) Tätigkeit eingestuft, siehe OFD Münster, Verfügung

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Maßstäbe zur Bestimmung des Missbrauchscharakters

kommen937 findet sich statt eines solchen Katalogs eine Verweisung auf § 8 AStG (Abs. 1). Umstritten ist dann allerdings, ob diese statisch938 oder dynamisch939 wirkt. Dessen Katalog ist tendenziell weiter gefasst, nimmt aber anders als die meisten DBA bestimmte Tätigkeiten im Gesellschaftsverhältnis wiederum von den aktiven Tätigkeiten aus.940 Aktivitätsklauseln dienen auch der Bekämpfung des Abkommensmissbrauchs,941 womit sich ihnen grundsätzlich Leitlinien zur Bestimmung des Gestaltungsmissbrauchs entnehmen lassen. Aufgrund der dargelegten Vielfalt dürften sich diese aber auf die Tatsachen beschränken, zum einen dass überhaupt ein Missbrauchsfall bei der Einschaltung von Zwischengesellschaften stets auch nach der Art der vorgenommenen Tätigkeit beurteilt werden muss, und zum anderen dass jedenfalls ein Mindestmaß an Übereinstimmung in Bezug auf unschädliche Tätigkeiten festgestellt werden kann. Für die Zwecke dieser Untersuchung ist weiterhin auch deshalb eine Einschränkung geboten, da die dargelegten Fälle ganz regelmäßig Gestaltungen zur günstigen Besteuerung im Ansässigkeitsstaat der vereinnahmenden Gesellschaft bezwecken. Dies lässt sich insbesondere anhand der Verankerung im sich ausschließlich an den Wohnsitzstaat richtenden Methodenartikel (Art. 23 OECD-MA) verdeutlichen. Zur Verhinderung von Steuerumgehungen im Zusammenhang mit der Reduktion von Quellensteuern – hierauf liegt der Schwerpunkt beim Treaty Shopping942 – muss auf andere Vorschriften zurückgegriffen werden. cc.

Limitation on Benefits Klauseln

Sog. Limitation on Benefits Klauseln sind spezielle Missbrauchsvorbehalte zur Verhinderung der missbräuchlichen Einschaltung von Zwischengesellschaften in Leistungsbeziehungen, insbesondere in Quellensteuerfällen, und damit unmittelbar gegen Treaty Shopping gerichtet.943 Die Regelungen knüp-

937 938 939 940 941 942 943

210

vom 25.09.1998– S 1301 - 18 - St 22-34 (Aktivitätsklauseln in DBA) – IStR 1999, 81 (81). Siehe die Beispiele bei Lüdicke, DBA-Politik, S. 79, Fn. 289. So Bächle/Rupp/Ott/Knies, Internationales Steuerrecht, S. 326. So die wohl h.M., siehe Haase, Internationales und Europäisches Steuerrecht, Rn. 717; Vogel, in: Vogel/Lehner, DBA, Art. 23 Rn. 75, je m.w.N. Vogel, in: Vogel/Lehner, DBA, Art. 23 Rn. 76. Haase, Internationales und Europäisches Steuerrecht, Rn. 734; Kraft, Treaty Shopping, S. 27; Lüdicke, DBA-Politik, S. 77. Passive Tätigkeiten werden insoweit als nicht förderungswürdig erachtet. Hierzu bereits Einleitung A.II, S. 9 und Fn. 24. Bächle/Rupp/Ott/Knies, Internationales Steuerrecht, S. 151; Dannecker/Werder, BB 2006, 1716 (1718); Haase, Internationales und Europäisches Steuerrecht, Rn. 734; Ritter, BB 1991, 353 (357); Goebel/Glaser/Wangler, DStZ 2009, 197 (198). Grundgedanke ist, dass es bei bestimmten Steuerumgehungsgestaltungen nützlich sein kann, unmittelbar in das Abkommen Vorschriften aufzunehmen.

Internationales Steuerrecht i.e.S.

fen regelmäßig daran an, dass die betreffenden Gesellschaften aufgrund ihres Sitzes oder Ortes der Geschäftsleitung zwar formal im jeweils anderen Vertragsstaat ansässig und daher abkommensberechtigt sind, vgl. Art. 4 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 OECD-MA; dennoch werden die vorgesehenen Begünstigungen versagt, wenn es an einem mangelnden engen Bezug zum Ansässigkeitsstaat fehlt oder aus anderen Gründen ein entsprechender Missbrauchsverdacht besteht. Aus dieser Systematik als Schranke der Abkommensvergünstigungen rührt auch die Bezeichnung als Limitation on Benefits her, so ausdrücklich Art. 28 DBA-USA. Neben genanntem Art. 28 DBA-USA, welcher in Grundzügen bereits in der ursprünglichen Abkommensfassung 1989 enthalten war und durch das Revisionsprotokoll vom 01.06.2006 erheblich überarbeitet wurde,944 findet sich eine solche Vorschrift weiterhin in Art. 23 DBA-Kuwait.945 Auch Art. 21 DBAVAE n.F. sieht verschärfte Voraussetzungen der Abkommensvergünstigung vor, indes einseitig zu Lasten Ansässiger der Vereinigten Arabischen Emirate.946 Ebenso versagte Art. 23 DBA-Schweiz a.F. die Quellensteuerbegünstigungen – wenn auch unter leicht abweichenden tatbestandlichen Voraussetzungen – allerdings wurde diese Vorschrift im Zuge der letzten Revision zum 01.01.2004 durch eine Öffnungsklausel ersetzt.947 Neuerdings enthält auch Art. 10 Abs. 6 DBA-UK eine Klausel speziell gegen die missbräuchliche Ausnutzung der Dividendenvergünstigungen; allerdings enthält diese keine näheren objektiven Maßgaben, so dass sie letztlich einer – ohnehin vorhandenen – Öffnungsklausel gleichkommt.948 Limitation on Benefits Klauseln wurden in den 80er Jahren durch die USA entwickelt und sind seitdem ständiger, nicht verhandelbarer Bestandteil der US-Abkommenspolitik,949 vgl. Art. 22 US-MA.950 Auch die OECD hat sich

944 Abkommen vom 29.08.1989, BGBl 1991 II, S. 354; Revisionsprotokoll vom 01.06.2006, BGBl II 2008, S. 611 (berichtigt BGBl II 2008, S. 851). 945 Abkommen vom 18.05.1999, BGBl 2000 II, S. 390. 946 Abkommen vom 01.07.2010 (bislang noch nicht in Kraft getreten (Stand: 21.04.2011). 947 Revisionsprotokoll vom 12.03.2002, BGBl II 03, S. 67, Siehe auch schon oben Fn. 916. 948 Art. 10 Abs. 6 DBA-Vereinigtes Königreich vom 30.03.2010, BGBl II 2010, S. 1358 (in Kraft getreten am 30.12.2010): “Entlastungen nach diesem Artikel werden nicht gewährt, wenn der Hauptzweck oder einer der Hauptzwecke einer der Personen, die an der Begründung oder Übertragung der Aktien oder anderen Rechte, für die die Dividende gezahlt wird, beteiligt waren, darin bestand, diesen Artikel mithilfe dieser Begründung oder Übertragung in Anspruch zu nehmen.” Zu Wortlaut und Beurteilung der Öffnungsklausel siehe oben Fn. 918. 949 Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rn. 2; Lüdicke, DBA-Politik, S. 43.

211

Maßstäbe zur Bestimmung des Missbrauchscharakters

mittlerweile dem Thema zugewandt und – wenn auch nicht im Text des Musterabkommens selbst – einen Vorschlag für eine umfassende Klausel veröffentlicht.951 Als spezielle Missbrauchsvorbehalte gegen Treaty Shopping typisieren Limitation on Benefits Klauseln das Vorliegen eines Abkommensmissbrauchs. Im Detail geprüft und gewürdigt wird dies im Rahmen des 2. Teils, jedoch kann die Grundstruktur etwa des Art. 28 DBA-USA zur Bestimmung des Missbrauchsbegriffs herangezogen werden. In verschiedenen „Tests“952 wird dort untersucht, wann ein hinreichender Bezug zum Vertragsstaat bejaht und damit die Abkommensvergünstigung in Anspruch genommen werden kann. Inhaltliche Maßgaben sind insoweit die Gesellschafterstruktur der Zwischengesellschaft, die Geschäftsbeziehungen zwischen Gesellschaft und Gesellschaftern und Art und Umfang der wirtschaftlichen Aktivität der Gesellschaft. In Bezug auf letzteres handelt es sich bei Limitation on Benefits Klauseln im gewissen Sinne auch um Aktivitätsklauseln. Gemeinsam haben diese, dass schon der Abkommenstext einen subsumierbaren Tatbestand aufweist – aufgrund des Einflusses des anglo-amerikanischen Rechtssystems sind diese nach hiesigem Empfinden zum Teil überdetailliert – und in Form der Versagung der Begünstigung eine klare Rechtsfolge. Insoweit lässt sich der von den Klauseln erfasste Missbrauchsfall auch nur anhand des DBA lösen, ein Rückgriff auf nationale Vorschriften erscheint hierzu nicht notwendig.

3.

Zwischenergebnis

Im allgemeinen Völkerrecht und speziell im Recht der DBA existiert kein aus sich heraus anwendbarer Missbrauchsbegriff. Verschiedentlich wird zwar versucht, das Vorhandensein eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes oder eines ungeschriebenen Missbrauchsvorbehalts zu belegen, diesen Ansätzen mangelt es jedoch an inhaltlichen Maßgaben zur selbständigen Bestimmung des Missbrauchscharakters einer Gestaltung, sie gehen über die Zuerkennung der Notwendigkeit einer Abweichung von der formellen Gestaltung nicht hinaus. Die Funktion des ungeschriebenen Missbrauchsvorbehalts ist vordergründig in der Eröffnung der Anwendung unilateraler Vorschriften zu sehen. Diese Funktion wird in manchen DBA von ausdrücklichen Öffnungsklauseln wahrgenommen. Das Konzept des Nutzungsberechtigten nimmt eine Stellung zwischen eigener Maßstabswirkung und bloßer Öffnung gegenüber unilateralen Vorschriften ein, da es einerseits eine wirtschaftliche Zurechnung der Einkünfte ermöglicht, an950 US-Musterabkommen 2007 vom 15.11.2006, Journal of Taxation 2006, Vol. 105, 324. Insgesamt hierzu siehe auch Kessler/Eicke, IStR 2007, 159. 951 OECD, OECD-MK 2008, Art. 1 Rn. 20. 952 Dannecker/Werder, BB 2006, 1716 (1718).

212

Internationales Steuerrecht i.e.S.

dererseits mangels weiterer Konkretisierung im Völkerrecht auf nationales Recht verweisen muss; insoweit erschöpft sich dies im deutschen Recht grundsätzlich in § 39 AO, kann aber durch den Gesetzgeber weiter konkretisiert werden. Auch im Völkerrecht selbst geschieht dies durch Aktivitätsklauseln und Limitation on Benefits Klauseln, denen sich konkrete Maßstäbe entnehmen lassen. Aktivitätsklauseln im weiten Sinne kommen standardisiert in nahezu allen deutschen Abkommen vor, Limitation on Benefits Klauseln beanspruchen insoweit noch eine Sonderstellung. Die diesbezüglichen inhaltlichen Maßgaben umfassen vor allem Gesellschafterstruktur und innergesellschaftliche Geschäftsbeziehungen sowie Aktivitätsvorbehalte. Im Rahmen solcher Klauseln erscheint die Missbrauchsbekämpfung allein anhand des Abkommens möglich, da die Vorschriften aus sich heraus anwendbar sind.

213

C.

Überlegungen zur Kongruenz der Missbrauchsmaßstäbe

Grenzüberschreitende Wirtschaftstätigkeit und grenzüberschreitende Steuergestaltung führen dazu, dass sich in allen relevanten Teilrechtsordnungen Normen, Vertragsklauseln und Rechtsgrundsätze finden lassen, die als Missbrauchsvorbehalte fungieren und mitunter Maßstäbe zur Bestimmung des Missbrauchscharakters einer Steuergestaltung enthalten. Dass hierbei auch die Grenzen der Rechtskreise überschritten werden, liegt in der Natur der Sache – dies gilt erst recht für das Treaty Shopping, das ja definitionsgemäß von vornherein darauf angelegt ist, sich in eine fremde Rechtsordnung „einzukaufen“. Es darf daher nicht bei einer isolierten Betrachtung der aus den einzelnen Teilrechtsordnungen abgeleiteten Maßstäbe verbleiben. Entscheidend ist vielmehr, wie diese in ihrer Gesamtheit zusammenwirken. Hierfür ist zunächst von Interesse, ob sich aus ihnen gemeinsame Leitlinien nach Art eines allgemeinen, übergreifenden Missbrauchskonzeptes entnehmen lassen; zu untersuchen ist mit anderen Worten, inwieweit die vorgestellten Maßstäbe kongruent sind.

I.

Grundlegende Interessenslage

Gemeinsam sind den verschiedenen Missbrauchsmaßstäben zunächst die beschriebene Ausgangslage der grenzüberschreitenden Wirtschaftstätigkeit und der damit verbundene Interessenskonflikt. Die handelnden Steuerpflichtigen möchten auf der einen Seite ihre Verhältnisse so günstig wie möglich gestalten und die Gesamtsteuerbelastung so niedrig wie möglich halten. Dies ist im Prinzip als legitim anzusehen, im nationalen Recht kommt es durch den Grundsatz der Gestaltungsfreiheit1 zum Ausdruck, das Europäische Steuerrecht spricht im Rahmen des Primärrechts von der per se schutzwürdigen Ausübung der Grundfreiheiten,2 auch zum Zwecke der Steuerersparnis. Auch das internationale Steuerrecht i.e.S. kennt eine solche grundsätzliche Zulässigkeit von Steuergestaltungen.3 Auf der anderen Seite haben alle betroffenen Staaten ein Interesse daran, ihre Steueransprüche zu sichern, insbesondere an den auf ihren Märkten erwirtschafteten Gewinnen beteiligt zu werden. Dies gilt aber nicht uneingeschränkt für alle behandelten Rechtskreise; nicht in allen Fällen liegen Normgeberschaft und fiskalisches Interesse in einer Hand. Im Rahmen der DBA lassen 1 2 3

Ausführlich siehe oben B.I.1.a, S. 45. Siehe oben B.II.1.b.cc(2), S. 160. Siehe oben B.III.1, S. 202.

215

Überlegungen zur Kongruenz der Missbrauchsmaßstäbe

sich auftretende Schwierigkeiten dabei noch überbrücken, indem man den Vertragspartnern eine entsprechende Gegenseitigkeit4 unterstellt: Ein Vertragsstaat akzeptiert demnach die Einschränkungen im fiskalischen Interesse des anderen Staates, da es auch umgekehrt entsprechend vereinbart wird. Die gemeinsame grundlegende Interessenslage wird noch verstärkt durch das vorhandene DBA-Netzwerk und die unionsrechtliche Harmonisierung. Da die Missbrauchsvorbehalte von heute die Gestaltungen von gestern nachbilden, führt dies im Rahmen des globalen Steuerwettbewerbs dazu, dass andere Länder diese Maßstäbe nachvollziehen müssen – insoweit handelt es sich um einen transnationalen Export von Rechtsinstituten.5 Auf diese Weise ergibt sich ein gewisses Maß an Kongruenz der einzelstaatlichen Steuerrechtsordnungen. Differenzierter muss dieser Interessenskonflikt vor allem im Rahmen des Europäischen Steuerrechts betrachtet werden. So sind zwar die einzelnen Mitgliedstaaten, die im Rahmen des direkten Steuerrechts alleiniger Träger des fiskalischen Interesses sind, als „Herren der Verträge“6 und über das Rechtsetzungsverfahren zumindest mittelbar an der Bestimmung der Missbrauchsvorbehalte beteiligt. Allerdings hat sich die Rechtsordnung der Europäischen Union schon derart verselbständigt, dass ein steuerndes Eingreifen der Mitgliedstaaten in diesen Interessenskonflikt nur noch äußerst begrenzt möglich ist. Dies zeigt sich schon rein faktisch an der Rolle des EuGH, der ungebunden von fiskalischen Interessen Leitgedanken in Sachen Missbrauch bestimmt.7 Es kommt hinzu, dass die (fiskalischen) Interessen der Mitgliedstaaten keineswegs gleichgerichtet sind, eine Gegenseitigkeitsvermutung über alle Mitgliedstaaten hinweg erscheint insoweit lebensfern. Beispielsweise sei an die Dublin Docks Fälle des BFH8 erinnert, in denen in Übereinstimmung mit europäischen Vorgaben besonders geförderte Wirtschaftszonen und -aktivitäten in Irland aus Sicht der deutschen Finanzverwaltung als missbräuchlich erachtet wurden. Der Steuerwettbewerb ist insofern Teil eines unionsweiten Wettbewerbs der Mitgliedstaaten untereinander. Es verwundert daher nicht, dass sich konzeptionelle Unterschiede in punkto Wirtschaftskraft und Wirtschaftspolitik auch in verschiedenen Ansichten zum Thema Gestaltungsmissbrauch niederschlagen. Darüber hinaus ist im Europäischen Steuerrecht das allen Mitgliedern und Or4 5 6 7 8

Zur Reziprozität siehe ausführlich auch im 2. Teil, A.II.2.e.bb, S. 331. Reimer, in: Möllers/Voßkuhle/Walter, Internationales Verwaltungsrecht, S. 197. Cremer, in: Callies/Ruffert, EUV/EGV, Art. 48 EUV Rn. 4. Zum EuGH als „Motor der Integration“ siehe schon oben Fn. 544 und Everett, DStZ 2006, 357 (357 ff.). BFH, Urteil vom 19.01.2000 – I R 94/97 (Dublin Docks I) – BStBl II 2001, 222 (223); BFH, Urteil vom 25.02.2004 – I R 42/02 (Dublin Docks II) – BStBl II 2005, 14 (16 f.).

216

Gemeinsame Leitgedanken der Missbrauchsmaßstäbe

ganen der Union gemeinsame Interesse an der Verwirklichung und Funktionieren des Binnenmarktes zu berücksichtigen. Da es sich hierbei gleichzeitig um die innere Rechtfertigung der gesamten (Teil-)Rechtsordnung handelt, kommt es hierauf in besonderem Maße an.

II.

Gemeinsame Leitgedanken der Missbrauchsmaßstäbe

Nichtsdestotrotz stößt eine Steuergestaltung in allen Teilbereichen des deutschen Internationalen Steuerrechts an Grenzen, jenseits derer die jeweilige Rechtsordnung diese aus Gerechtigkeitserwägungen nicht mehr akzeptieren kann. Als gemeinsamer Leitgedanke der verschiedenen Missbrauchsmaßstäbe, wann diese Grenze erreicht sein soll, kann dabei die objektive Zweckverfehlung einer Norm trotz formeller Erfüllung der Voraussetzungen hervorgehoben werden, insbesondere soweit es um die Fallgruppe der Inanspruchnahme einer Begünstigung geht, wie es auch für Treaty Shopping charakteristisch ist. Im nationalen Steuerrecht wurde dies als Grundgedanke der Steuerumgehung identifiziert. Dieser spiegelt sich in der Generalklausel des § 42 AO insoweit wider, als der nicht vorgesehene, unangemessene Vorteil unter besonderer Berücksichtigung des Telos der umgangenen Vorschrift ermittelt werden muss. Auch spezielle Missbrauchsvorbehalte typisieren regelmäßig gerade diese Frage. Im Europäischen Steuerrecht manifestiert sich der Gedanke der Zweckverfehlung im Erfordernis einer künstlichen Gestaltung im Rahmen der Grundfreiheiten: Mit diesem Merkmal erfolgt die Abgrenzung zwischen echter grenzüberschreitende Wirtschaftstätigkeit, die vom Zweck der Grundfreiheiten umfasst wird und daher als schutzwürdige Ausübung zu erachten ist, und den Gestaltungen, die nur formell grenzüberschreitend tätig werden, aber den Zielsetzungen des Binnenmarktes nicht entsprechen und daher als missbräuchlich erachtet werden können. Im Internationalen Steuerrecht i.e.S. ist der Gedanke hingegen schwächer ausgeprägt, was aber auch daran liegt, dass diesem Rechtskreis per se kaum Maßstäbe entnommen werden können. Der insoweit vorherrschende Grundsatz „substance over form“ vermag dies zwar zumindest in abgeschwächter Form ebenfalls zum Ausdruck zu bringen, taugt letztlich aber nur als Basis eines propagierten ungeschriebenen Missbrauchsvorbehalts. Auch in der Übereinstimmung zwischen den Erfordernissen der künstlichen Gestaltung im Sinne des Unionsrechts und der Unangemessenheit gemäß § 42 AO, welche sich nach Ansicht der Finanzverwaltung in grenzüberschreitenden Gestaltungen an der Künstlichkeit orientieren soll,9 könnte durchaus eine Kongruenz – bzw. gar eine Konvergenz – entdeckt werden. Richtig dürfte es aber vielmehr sein, diese nicht als deckungsgleiche Begriffe zu verstehen, 9

Ziff. 2.2 zu § 42 AEAO. Siehe hierzu ausführlich schon oben B.I.2.d.cc(2)(b), S. 114.

217

Überlegungen zur Kongruenz der Missbrauchsmaßstäbe

sondern im Lichte der Kollision unterschiedlicher Missbrauchsmaßstäbe zu sehen: Insoweit scheint es sich eher um eine Art „vorauseilenden Gehorsams“ der Finanzverwaltung handeln. Allerdings zeigen sich – gerade auch an dieser Stelle – bei den einzelnen inhaltlichen Maßgaben Überschneidungsbereiche, insbesondere was die Zwischenschaltung von Kapitalgesellschaften in grenzüberschreitenden Sachverhalten betrifft. Sowohl der unangemessenen als auch der künstlichen Gestaltung sind namentlich die Prüfung von Substanzkriterien im Sinne formeller Ausstattung und die Forderung nach einer gewissen wirtschaftlichen Aktivität immanent. Gemeinsam ist weiterhin, dass nur solche Gestaltungen als missbräuchlich erachtet werden können, die einen Steuervorteil mit sich bringen. Soweit man dies auf die Feststellung des objektiven Vorliegens eines solchen Vorteils beschränkt, handelt es sich um eine recht banale Übereinstimmung. Der entscheidende Punkt liegt vielmehr darin, inwieweit dies im Rahmen eines subjektiven Tatbestandsmerkmals beabsichtigt sein muss. Die allgemeinen Missbrauchsbegriffe – sowohl des nationalen Rechts als auch des Europarechts – offenbaren gleichermaßen Schwierigkeiten im Umgang hiermit. Im Ergebnis verweisen aber beide darauf, dass bei Vorliegen außersteuerlicher, insbesondere wirtschaftlicher Gründe ein Missbrauch ausgeschlossen sein muss und erkennen damit implizit die Relevanz der subjektiven Motive an. Stets kommt es dabei auf die Beachtlichkeit solcher Gründe an, dies wird in § 42 Abs. 2 S. 2 AO n.F. ausdrücklich gefordert, der EuGH drückt dies durch die Einschränkung aus, dass es ausreiche, wenn „im Wesentlichen“ ein Steuervorteil bezweckt wird. Der Begriff der Missbrauchsabsicht ist aber insoweit fehlbehaftet, auch da letztlich keine positive Prüfung der selbigen, sondern nur eine negative Abgrenzung vorzunehmen ist.

III. Verbleibende Unterschiede Den dargestellten gemeinsamen Leitlinien stehen jedoch einige gewichtige Unterschiede gegenüber, die der Annahme eines übergreifenden, allgemeinen Missbrauchsbegriffs entgegenstehen und damit auch gegen eine Kongruenz der Maßstäbe sprechen. Auffällig ist hierbei zunächst, dass sich die angeführten Rechtsquellen äußerst unterschiedlich intensiv damit auseinandersetzen, wann im Einzelnen eine Missbrauchsgestaltung vorliegen soll. So finden sich einerseits allgemeine Grundsätze, die lediglich die Existenz eines Missbrauchsvorbehalts belegen sollen, wie im allgemeinen Völkerrecht. Entsprechend unspezifiziert sind Öffnungsklauseln, die auf andere Maßstäbe verweisen oder solche ermöglichen, etwa im Europäischen Sekundärrecht und in manchen DBA. Andererseits existieren Maßstäbe wie § 42 AO, der die Struktur und einen abstrakten Rahmen des Missbrauchs vorgibt, ohne jedoch den konkreten Maßstab abschließend zu 218

Verbleibende Unterschiede

bestimmen. Ähnlich ist auch der Begriff des Missbrauchs im Rahmen der Grundfreiheiten zu sehen, der zwar nicht normiert ist, aber infolge der Konkretisierung durch die Rechtsprechung in ähnlichem Maße zumindest den Prüfungsrahmen vorgibt und mitunter sogar noch darüber hinausgeht. Zwischen diesen beiden Kategorien finden sich Maßstäbe, die sich auf die Regelungen von Teilelementen beschränken, wie im Rahmen des Sekundärrechts belegt. Gemessen hieran nehmen spezielle Missbrauchsvorbehalte geradezu eine Sonderstellung ein. Diese definieren zwar konkrete inhaltliche Maßgaben, können konzeptionell aber nur im Rahmen eines vorbestimmten Anwendungsbereichs wirken. Die Grenzen der Missbräuche werden somit unterschiedlich eng gezogen, was von vornherein gegen einen einheitlichen Maßstab spricht. Neben dieser ungleichen Detailtiefe muss auch ein allgemeiner Konsens über den objektiven Maßstab des Missbrauchs abgelehnt werden. Innerhalb der jeweiligen Teilrechtsordnungen zeigt sich dies schon am möglichen Nebeneinander von speziellen Missbrauchsnormen einerseits und allgemeinen Rechtsgrundsätzen sowie der Generalklausel des § 42 AO als zugleich abstrakter Rahmen andererseits. Mit der unterschiedlichen Detailtiefe geht einher, dass etwa die speziellere Vorschrift den abstrakten Maßstab weiter konkretisiert; die Maßstäbe würden sich somit ergänzen und wären im Zusammenhang zu sehen, sind damit aber keineswegs kongruent, so dass sich aus ihnen kein einheitlicher Missbrauchsbegriff entwickeln lässt. Dies gilt umso mehr für bloße Öffnungsklauseln, die weiterer Spezifizierung bedürfen. Im Vergleich verschiedener spezieller Missbrauchsvorbehalte sind Abweichungen der Maßstäbe gleichermaßen vorgezeichnet, als diese auch unterschiedlichen Gestaltungen entgegenwirken sollen. Noch deutlicher stellt sich die Abweichung der objektiven Maßstäbe bei rechtskreisübergreifender Betrachtung dar. Denn die Angemessenheit im Sinne von § 42 AO und die künstliche Gestaltung im Sinne des Europäischen Steuerrechts haben schlicht unterschiedliche Bezugspunkte. So wird im nationalen Steuerrecht der abstrakte Rahmen des Missbrauchs durch die umgangene Einzelsteuervorschrift konkretisiert. Im Unionsrecht hingegen ist der steuerliche Missbrauchsbegriff als Folge der Trennung von Kompetenzebene und Rechtmäßigkeitsmaßstab an den Missbrauch der Grundfreiheiten rückgebunden. Nur hierauf bezieht sich zulässigerweise die künstliche Gestaltung, so dass der alleinige objektiver Maßstab im Zweck der in Anspruch genommen Grundfreiheit liegt. Von der möglicherweise umgangenen Steuernorm hängt der Missbrauch auf dieser Ebene jedenfalls zunächst nicht ab. Insoweit gibt die künstliche Gestaltung auch bereits konkrete Maßgaben vor, da sich etwa am Beispiel der Niederlassungsfreiheit Vorgaben für den Einzelfall unabhängig vom jeweiligen Steuervorteil machen lassen. Die umgangene Norm wird erst auf der Ebene der zu überprüfenden nationalen Maßnahme relevant, besagt aber nichts über den Missbrauchsmaßstab unmittelbar aus dem Unionsrecht. 219

Überlegungen zur Kongruenz der Missbrauchsmaßstäbe

Die Abweichung der objektiven Maßstäbe ist zugleich auch Folge der veränderten Interessenlage, da das Unionsinteresse an der Verwirklichung und Funktionieren des Binnenmarktes berücksichtigt werden muss. Bei der Anwendung im Detail führen diese Diskrepanzen erst recht zu abweichenden Ergebnissen, so dass ein einheitliches Bild nicht gewährleistet ist. Ein weiterer Unterschied, der zunächst nur formeller Art ist, durchaus aber in materielle Bedeutung erwachsen kann, liegt in der äußeren Form der Rechtsquelle. Zu allgemeinen Grundsätzen und konkludenten Vorbehalten treten Missbrauchsmaßstäbe in Gestalt von völkerrechtlichen Vertragsklauseln, sekundärrechtlichen Vorschriften und formellen Gesetzen hinzu. Mit der äußeren Form verbunden sind jedoch stets auch Fragen des Ranges in Bezug auf Gültigkeit und Norminhalt, die das Gesamtbild des „Missbrauchs“ weniger im Sinne einer Kongruenz, sondern der Kollision erscheinen lassen. Nach alledem erscheint es nicht gerechtfertigt, von einem allgemeinen Missbrauchsverständnis zu sprechen, da trotz gemeinsamer Leitlinien schon auf der abstrakten Ebene gewichtige Unterschiede zwischen den einzelnen Maßstäben verbleiben. Dieses Ergebnis verwundert nicht, da das Internationale Steuerrecht gerade kein einheitlich kodifiziertes, monistisches System10 darstellt.

10 Schaumburg, Internationales Steuerrecht, Rn. 2.1.

220

D.

Die Bewältigung kollidierender Missbrauchsmaßstäbe

Mangels eines einheitlichen, allgemeinen Missbrauchsverständnisses im deutschen Internationalen Steuerrecht stellt sich damit die Frage, wie sich die unterschiedlichen Missbrauchsmaßstäbe zueinander verhalten. Innerhalb der Bundesrepublik Deutschland als geschlossene Rechtsordnung ist – abgeleitet aus dem Rechtsstaatsprinzip1 – von dem Gebot der Widerspruchsfreiheit auszugehen: Rechtsquellen und Normen müssen sich zu einer widerspruchslosen Einheit zusammenfügen lassen, um Gerechtigkeit, Rechtsfrieden und Rechtssicherheit erreichen zu können.2 An der Übertragung dieses Gebotes auf die Situation kollidierender Missbrauchsmaßstäbe könnten gewisse Zweifel angebracht sein. Der Grund liegt darin, dass das deutsche Internationale Steuerrecht kein in sich geschlossenes, innerstaatliches und auf eine Grundnorm zurückzuführendes Rechtssystem – eine Rechtsordnung im formellen Sinne – ist. Vielmehr entstammen die Regelungen verschiedenen solcher Rechtsordnungen (Rechtskreisen) und sind lediglich über den materiellen Regelungsgegenstand miteinander verbunden – es handelt sich somit um einen Rechtsraum mit unterschiedlichen Ebenen 3 (Rechtsordnung im materiellen Sinne). Auch in diesem bedürfen Widersprüche aber der Auflösung.4 Denn nur unter Zugrundelegung einer widerspruchsfreien Anwendung der verschiedenen Maßstäbe im praktischen Einzelfall – der grenzüberschreitenden Investition unter deutscher Beteiligung – lassen sich Orientierungssicherheit und Rechtsfrieden gewährleisten. Es ist daher zu entscheiden, nach welchen Kriterien die Zuordnung der maßgeblichen Missbrauchsmaßstäbe im Kollisionsfall bewältigt werden kann.

I.

Zum Begriff der Kollision

Zunächst ist jedoch der Begriff der Kollision im Sinne dieses Abschnittes näher zu erläutern und zugleich von demjenigen der Konkurrenz zu unterscheiden. 1 2

3 4

Teilweise wird auch auf das Prinzip der Einheit der Rechtsordnung abgestellt, vgl. März, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. II, Art. 31 Rn. 11 f. BVerfG, Urteil vom 07.05.1998 – 2 BvR 1991/95, 2 BvR 2004/95 (Kommunale Verpackungsteuer) – NJW 1998, 2341 (2342); März, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. II, Art. 31 Rn. 12; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 4 Rn. 37; Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof, HStR Bd. V, § 100 Rn. 85; Zippelius, Juristische Methodenlehre, S. 37. Vgl. Ehlers, in: Erichsen/Ehlers, Allg. VerwR, § 2 Rn. 94. Speziell zur Einbeziehung des Völkerrechts in diese Terminologie siehe unten D.II.2.c.bb, S. 237. Ehlers, in: Erichsen/Ehlers, Allg. VerwR, § 2 Rn. 94.

221

Die Bewältigung kollidierender Missbrauchsmaßstäbe

Insbesondere die Normkollision ist Gegenstand rechtswissenschaftlicher Untersuchungen und rechtspraktischer Fragestellungen, etwa im Zusammenhang mit Art. 31 GG. Darunter wird nach wohl herrschender Ansicht die Anwendbarkeit verschiedener Rechtsnormen auf denselben Lebenssachverhalt verstanden, wenn die in ihrem Regelungsbereich überschneidenden Normen bei ihrer Anwendung zu verschiedenen Ergebnissen führen können.5 Eine Normkollisionslage setzt voraus, dass es sich um nicht inhaltsgleiche Normen handelt.6 Diese muss aber nicht notwendig bereits abstrakt im Gesetz angelegt sein, es reicht auch aus, wenn sich der Normwiderspruch bei der konkreten Anwendung im Einzelfall ergeben kann.7 Kennzeichen der Normkollision ist damit in erster Linie der Normwiderspruch durch eine Anordnung miteinander unvereinbarer Rechtsfolgen.8 Der Begriff der Kollision ist in der juristischen Methodenlehre aber nicht auf Normen beschränkt, in der Rechtswissenschaft können in einem weiteren Sinne vielmehr auch Rechtsgüter, Interessen oder Rechtsprinzipien kollidieren.9 Insoweit ist es möglich, von einer Kollision unterschiedlicher Missbrauchsmaßstäbe zu sprechen. Demgegenüber findet sich – insbesondere in der zivilrechtlich geprägten Literatur – auch der Begriff der (Norm-)Konkurrenz. Diese wird gemeinhin definiert als das Zusammentreffen mehrerer Rechtssätze, so dass ein und derselbe Sachverhalt von Tatbeständen mehrerer Rechtssätze vollumfänglich oder wenigstens teilweise erfasst wird.10 Auch die Konkurrenzlehre soll als methodisches Vorgehen Widersprüchen innerhalb der anzuwendenden Rechtsordnung vorbeugen.11 Richtigerweise sagt aber der Begriff der Konkurrenz per se noch nichts über die Rechtsfolge aus: So ist es möglich, dass konkurrierende Nor5 BVerfG, Beschluss vom 04.06.1969 – 2 BvR 295/66 – BVerfGE 26, 116 (135); BVerfG, Beschluss vom 15.10.1997 – 2 BvN 1/95 – BVerfGE 96, 345 (364); Korioth, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 31 Rn. 7. 6 Ehlers, in: Erichsen/Ehlers, Allg. VerwR, § 2 Rn. 94; Korioth, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 31 Rn. 14; Pietzcker, in: Isensee/Kirchhof, HStR Bd. VI, § 134 Rn. 54 ff. 7 Korioth, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 31 Rn. 13, verwendet hierfür die Begriffe primäre und sekundäre Kollision. 8 Brüning, NVwZ 2002, 33 (36); Ehlers, in: Erichsen/Ehlers, Allg. VerwR, § 2 Rn. 94; Pietzcker, in: Isensee/Kirchhof, HStR Bd. VI, § 134 Rn. 60. Auch als logischer Normwiderspruch bezeichnet; kritisch hierzu Korioth, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 31 Rn. 8. 9 Fohmann, Konkurrenzen und Kollisionen im Verfassungsrecht, S. 27 m.w.N.; Larenz, Methodenlehre, S. 404. Vgl. auch die sog. Kollisionsnormen des Art. 7 ff. EGBGB, zur Frage der Anwendbarkeit kollidierender (Privat-)Rechtsordnungen. 10 Köbler, Juristisches Wörterbuch, S. 242; Larenz, Methodenlehre, S. 255 (5.A); Zippelius, Juristische Methodenlehre, S. 37. 11 Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 212 f.; Zippelius, Juristische Methodenlehre, S. 37.

222

Zum Begriff der Kollision

men die gleiche Rechtsfolge aufweisen, sog. alternative Konkurrenz;12 weiterhin können diese auch nebeneinander anwendbar sein, was als kumulative Konkurrenz13 bezeichnet wird, teilweise findet sich hierfür auch der Begriff der echten Normenkonkurrenz.14 Erst danach stellt sich die Frage, ob eine Norm die andere verdrängt, insbesondere wenn sich die Rechtsfolgen gegenseitig ausschließen.15 Die Verdrängung kann dabei insbesondere dergestalt erfolgen, dass die verdrängte Norm im konkreten Fall lediglich unanwendbar ist, dies wird auch als unechte Normenkonkurrenz bezeichnet.16 Aufgrund der augenfälligen Ähnlichkeit zwischen Kollisions- und Konkurrenzbegriff besteht Uneinigkeit über die Abgrenzungsmöglichkeiten. Nach einer Ansicht ist entscheidend, dass der den Kollisionsfall kennzeichnende Normenwiderspruch ein besonderer Unterfall der Normkonkurrenz ist, nämlich der bei sich ausschließender Rechtsfolge.17 Nach anderer Ansicht kann zumindest zwischen Normen verschiedenen Ranges nicht von einem Konkurrenzverhältnis gesprochen werden, da in diesen Fällen regelmäßig die Ungültigkeit der niederrangigen Norm angenommen werden muss und die oben dargelegte Abstufung der möglichen Konkurrenzformen somit obsolet wäre.18 Zumeist wird jedoch keine Abgrenzung vorgenommen und entweder allein der Begriff der Kollision oder derjenige der Konkurrenz erörtert. Parallelen und Divergenzen zwischen Kollision und Konkurrenzen sind insoweit nicht hinrei12 Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil, Halbbd. 1, S. 350 f.; Larenz, Methodenlehre, S. 256 f. Dass eine Kollisionsregel damit im Ergebnis nicht erforderlich wäre, ändert aber nichts daran, dass zunächst ein Konkurrenzfall im genannten Sinne vorliegt. 13 Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil, Halbbd. 1, S. 350 f.; Larenz, Methodenlehre, S. 258. 14 Fohmann, Konkurrenzen und Kollisionen im Verfassungsrecht, S. 27; Kahl, in: Callies/Ruffert, EUV/EGV, Art. 95 EGV Rn. 73. 15 Larenz, Methodenlehre, S. 256. 16 Fohmann, Konkurrenzen und Kollisionen im Verfassungsrecht, S. 27; Kahl, in: Callies/Ruffert, EUV/EGV, Art. 95 EGV Rn. 73. Siehe auch Larenz, Methodenlehre, S. 256. 17 Ott, Die Methode der Rechtsanwendung, S. 203. 18 Fohmann, Konkurrenzen und Kollisionen im Verfassungsrecht, S. 27; Ähnlich auch Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof, HStR Bd. V, § 100 Rn. 85 f., der einen Zusammenhang zwischen Kollision und Rang herstellt. Andere Autoren wiederum verstehen das Rangverhältnis ausdrücklich oder konkludent auch als Element der Konkurrenzproblematik: Zippelius, Juristische Methodenlehre, S. 39 f.; Larenz, Methodenlehre, S. 256. Unklar Ott, Die Methode der Rechtsanwendung, S. 208 f. Gänzlich abweichend Creifelds, Rechtswörterbuch, S. 855, wonach nur das Zusammentreffen mehrerer, inhaltlich gegensätzlicher Rechtsnormen gleichen Ranges auf denselben Sachverhalt als Kollision bezeichnet werden könne. Dies ist abzulehnen, da auch die Normenhierarchie Widersprüche innerhalb der Rechtsordnung (somit Normkollisionen) vermeiden will.

223

Die Bewältigung kollidierender Missbrauchsmaßstäbe

chend geklärt; die Begriffe sind im dogmatischen Sprachgebrauch schlicht mit so zahlreichen Unklarheiten und Vagheiten belastet,19 dass eine strikte Differenzierung unmöglich erscheint. Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung erscheint es jedoch angezeigt, von kollidierenden Missbrauchsmaßstäben zu sprechen. Denn als problematisch sind insoweit gerade diejenigen Sachverhaltskonstellationen zu erachten, die nicht eindeutig anhand der zuvor behandelten gemeinsamen Leitlinien beurteilt werden können, sondern bei denen die Qualifikation als Missbrauchsgestaltung im Einzelfall von divergierenden inhaltlichen Maßgaben abhängt. Insoweit steht von vornherein die potentiell widersprüchliche Rechtsfolge der unterschiedlich anzuwendenden Maßstäbe im Blickpunkt. Hiernach liegt eine Kollision von Missbrauchsmaßstäben vor, wenn auf ein und dieselbe Gestaltung mehrere Missbrauchsmaßstäbe anwendbar sind, gleich welch äußerer Form der Rechtsquelle und aus welchem Rechtskreis stammend, und es je nach Maßstabsanwendung im Einzelfall zu unterschiedlichen Ergebnissen bei der Beurteilung als missbräuchlich („Ob“ des Missbrauchs) kommen kann. Es ist jedoch darauf hinzuweisen, dass bei einigen der zuvor behandelten Missbrauchsvorbehalte jedenfalls im Ergebnis der konkreten Anwendung von einem Zusammenwirken auszugehen ist. Hervorzuheben sind hier die Fälle von Öffnungsklausel und darauf Bezug nehmender Missbrauchsverhinderungsvorschrift; ähnlich – aber doch differenzierter – zu betrachten ist dies im Verhältnis von strukturgebendem Rahmentatbestand und konkretisierendem Spezialmaßstab. Auch in diesen Fällen ist indes bei Betrachtung auf abstrakter Normebene zumindest ein potentieller Widerspruch denkbar, so dass auch diese eine kollisionsrechtliche Betrachtung unter Heranziehung allgemeiner Zuordnungskriterien erfordern, mithin eine Kollision im weiten Sinne vorliegt.

II.

Zuordnungskriterien im Kollisionsfall

Aufgrund dieser begrifflichen Ableitung und der regelmäßigen formellen Einkleidung von Missbrauchsvorbehalten in Form der Rechtsnorm bilden die für den Begriff der Normkollision im Allgemeinen gebrauchten Zuordnungskriterien auch den Ausgangpunkt zur Auflösung von Kollisionen zwischen den einzelnen Missbrauchsmaßstäben. In einem zweiten Schritt ist sodann darauf einzugehen, ob diese Kriterien unverändert übertragen werden können, oder ob nicht die zugrunde liegende Interessenlage und die Qualifizierung des deut-

19 Fohmann, Konkurrenzen und Kollisionen im Verfassungsrecht, S. 18. Siehe z.B. auch Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 213, der die Begriffe nebeneinander verwendet.

224

Zuordnungskriterien im Kollisionsfall

schen Internationalen Steuerrechts als nur materielle, unkodifizierte Rechtsordnung Abweichungen bedingen.

1.

Kollisionsvermeidung durch Kompetenzordnungen

Im Zusammenhang mit Kollisionsnormen wird an einigen Stellen darauf verweisen, dass schon die Schaffung verschiedener Kompetenzebenen als ein erster Schritt in die Betrachtung einbezogen werden muss. Denn in einer Rechtsordnung, die verschiedene Organe und Stufen der Rechtssetzung umfasst, kann die Kompetenzverteilung dazu führen, dass bestimmte Normen, die potentielle Normwidersprüche erzeugen können, aufgrund fehlender Kompetenz ungültig sind. Regelmäßig werden kompetenzwidrige Normen gar nicht erst erlassen, so dass streng genommen erst gar kein Kollisionsfall im oben genannten Sinne entsteht, der nach einzelnen Zuordnungskriterien entscheiden werden muss. Eine Normkollision wird vielmehr bereits von vornherein vermieden,20 Kompetenzordnungen können daher auch als Kollisionsvermeidungsnormen bezeichnet werden.21 Für eine Übertragung auf die Kollision von Missbrauchsmaßstäben ist dies jedoch nicht geeignet. Denn wie bereits aufgezeigt wurde, finden sich schon faktisch – und aufgrund der zugrunde liegenden Interessenlage auch zu Recht – auf verschiedenen Ebenen innerhalb der jeweiligen Teilrechtsordnungen und erst recht zwischen diesen übergreifend Kompetenzen zur Regelung diverser Aspekte des Gestaltungsmissbrauchs. Erst diese Mehrfachzuständigkeit führt zur Kollision unterschiedlicher Maßstäbe. Von Interesse sind demnach allein Kollisionsentscheidungsregeln.

2.

Kollisionsentscheidung durch Rangordnung

a.

Normenhierarchie und Norminhalt

Eine Entscheidung von Kollisionen, d.h. eine Zuordnung der anzuwendenden Norm zum Ausgangssachverhalt, findet sich in Gestalt der Rangordnung der Rechtsquellen (Normenhierarchie).22 Diese erfüllt ihre kollisionslösende Funktion dadurch, dass bei Vorliegen eines Widerspruchs zwischen Normen verschiedener Rangstufen der nicht mittels konformer Auslegung harmonisiert werden kann, dies zur Alleinanwendbarkeit der höherrangigen Norm und zur 20 Ehlers, in: Erichsen/Ehlers, Allg. VerwR, § 2 Rn. 94; März, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. II, Art. 31 Rn. 21 ff.; Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof, HStR Bd. V, § 100 Rn. 86; Zippelius, Juristische Methodenlehre, S. 37. 21 März, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. II, Art. 31 Rn. 21. 22 Larenz, Methodenlehre, S. 256; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 4 Rn. 37; Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof, HStR Bd. V, § 100 Rn. 85 f.; Zippelius, Juristische Methodenlehre, S. 37.

225

Die Bewältigung kollidierender Missbrauchsmaßstäbe

Nichtigkeit der niederrangigen Norm führt.23 Diese Normenhierarchie wird schon durch die bekannte, römisch-rechtlich tradierte, ungeschriebene Rechtsregel des lex superior derogat legi inferiori zum Ausdruck gebracht.24 Wenn auch die allgemeine Doktrin der Normenhierarchie als Rechtsfolge regelmäßig die Nichtigkeit der niederrangigen Norm vorsieht (Geltungsvorrang),25 so finden sich in der Rechtswirklichkeit aber auch Anwendungsfälle der bloßen Suspension, d.h. der bloßen Nichtanwendung im Einzelfall; hierdurch soll dem Umstand Rechnung getragen werden, dass der Normwiderspruch nicht den gesamten Anwendungsbereich, sondern nur bestimmte Anwendungsfälle umfasst.26 Eine solche Abweichung bedarf in jedem Fall einer gesonderten Rechtfertigung.27 Die Zuordnung zu verschiedenen Rangstufen erfolgt dabei grundsätzlich abhängig von der Verbandszugehörigkeit und der Position des normsetzenden Organs, so dass die Rangfrage nur unter Beachtung der – positivrechtlichen zu ermittelnden – Rechtssetzungsautorität der jeweiligen Rechtsordnung ermittelt werden kann.28 Auf den Inhalt einer Norm kommt es hierbei nicht an, sondern nur auf deren äußere Form.29 Daneben werden aber auch sog. innergesetzliche Rangordnungen innerhalb ein und desselben Gesetzes diskutiert.30 Die Bedeutung der Rangordnung geht sogar noch über die aufgezeigte Würdigung der Kollision hinaus. Schließlich tritt definitionsgemäß der Derogationsfall nur dann ein, wenn der Widerspruch sich nicht durch Auslegung beseitigen lässt. Dabei folgt aus dem Beziehungsgefüge einander bedingender und bedingter Normstufen, dass jede Rechtsnorm, die die Setzung anderer im Rang 23 Fohmann, Konkurrenzen und Kollisionen im Verfassungsrecht, S. 26; Zippelius, Juristische Methodenlehre, S. 39 f. 24 Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 213; März, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. II, Art. 31 Rn. 15; Nawiasky, Allgemeine Rechtslehre, S. 92 ff. 25 Ehlers, in: Erichsen/Ehlers, Allg. VerwR, § 2 Rn. 113 m.w.N.; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 4 Rn. 42. 26 Pietzcker, in: Isensee/Kirchhof, HStR Bd. VI, § 134 Rn. 62. Die Suspension ist charakteristisch für das Verhältnis von Europarecht und nationalem Recht, findet sich darüber hinaus auch im Verhältnis von einfachem Bundesrecht und Landesverfassungsrecht. 27 Vornehmlich betrifft dies den Anwendungsvorrang des Unionsrechts. Dazu sogleich unter D.II.2.c.aa(1), S. 234. 28 Fohmann, Konkurrenzen und Kollisionen im Verfassungsrecht, S. 25; März, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. II, Art. 31 Rn. 16. 29 März, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. II, Art. 31 Rn. 16 Fn. 37. 30 Fohmann, Konkurrenzen und Kollisionen im Verfassungsrecht, S. 26; Zippelius, Juristische Methodenlehre, S. 40: So etwa zu Art. 79 Abs. 3 GG, aber auch zu § 2 Abs. 1 AO, dazu im Folgenden unter D.II.2.b.aa, S. 227. Ähnliches bezweckt letztlich auch die Einordnung des § 42 AO als Rahmentatbestand, hierzu D.II.3.c.bb, S. 266.

226

Zuordnungskriterien im Kollisionsfall

unter ihr stehender Hoheitsakte ermöglicht, für diese inhaltsbestimmend ist.31 Auch dies ist dem Prinzip der Widerspruchsfreiheit der Rechtsordnung geschuldet. Die Normenhierarchie wirkt sich also schon auf die Bestimmung des Norminhalts der niederen Rangstufe aus, die vermeintlich getrennten Fragenkreise der Inhaltsbestimmung und des Ranges verbinden sich.32 Soweit als möglich, ist mithin die rangniedere Norm im Sinne einer Widerspruchsfreiheit im Vergleich zur ranghöheren Norm auszulegen. Entscheidend für diese Weichenstellung zwischen auslegender Inhaltsbestimmung und hierarchischer Kollisionslösung ist dabei stets, inwieweit sich die sachliche Reichweite der ranghöheren Norm unmittelbar erschließen lässt. Ist dies gegeben, so bleibt nach der Doktrin der Normenhierarchie kein Raum für eine konstitutive Regelung der rangniederen Autorität, sondern es liegt grundsätzlich ein abweichender und damit quasi misslungener Interpretationsversuch vor.33 Mitunter lässt sich aber noch im Wege der Rechtsfortbildung ein rangkonformer Zustand herstellen; auch hierbei wirkt das ranghöhere Recht auf den Inhalt des rangniederen ein.34 Zur Übertragung der Rangfrage auf die Kollision von Missbrauchsmaßstäben ist aufgrund des Charakters des deutschen Internationalen Steuerrechts als mehrebeniger Rechtsraum eine zusätzliche Differenzierung vonnöten. So soll zunächst untersucht werden, ob sich innerhalb der verschiedenen Rechtskreise, d.h. der Rechtsordnungen im formellen Sinne, Rangstufen ermitteln lassen. Anschließend stellt sich die Rangfrage übergreifend zwischen den Rechtskreisen. b.

Rechtskreisinterne Hierarchie

aa.

Rangordnung im nationalen Recht

Im nationalen Recht Deutschlands ist die Feststellung einer solchen Rangordnung von Missbrauchsmaßstäben bei erstem Betrachten nicht möglich, da sich diese nahezu ausschließlich aus Rechtsnormen im Rang des einfachen (Bundes-)Gesetzes ergeben, so dass diese gleichrangig sind. Das höherrangige Grundgesetz ist in diesem Zusammenhang – insbesondere in Gestalt des 31 Achterberg, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 17 Rn. 36. 32 Lüdicke/Hummel, IStR 2006, 694 (695). 33 Siehe dazu BVerfG, Beschluss vom 20.12.1960 – 1 BvL 21/60 – BVerfGE 12, 45 (53). Vgl. aber auch 34 So insbesondere im Wege der „geltungserhaltenden Reduktion“ im Hinblick auf das Unionsrecht; zu diesem Begriff siehe Gosch, DStR 2009, 1553 (1555 f.); Hey, StuW 2011, 301 (313 f.) m.w.N. Eine selbständige Bedeutung erhält der Begriff gegenüber einer einschränkenden Auslegung bei einer Anwendung auch über den Wortsinn einer Norm hinaus; hierzu und speziell in Bezug auf § 50d Abs. 3 EStG siehe im 2. Teil, B.II.3.c.bb, S. 469.

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Die Bewältigung kollidierender Missbrauchsmaßstäbe

Grundsatzes der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit und bei Anerkennung der Gestaltungsfreiheit als subjektiver Rechtsposition – indes als verfassungsrechtlicher Rahmen von Bedeutung.35 Aus diesem ergeben sich zwar grundsätzlich keine spezifischen, unmittelbaren Maßstäbe zur Bestimmung des Missbrauchscharakters einer Gestaltung, die einen Kollisionsfall im hier verwendeten engeren Sinne begründen könnten. Die genannten verfassungsrechtlichen Positionen sind aber mittelbar bei der Bestimmung des Inhalts (und der Gültigkeit) einfachgesetzlicher Maßstäbe zu berücksichtigen; in besonderem Maße trifft dies im Verhältnis zu der Kategorie der speziellen Missbrauchsvorbehalte zu, die infolge ihrer typisierenden Regelung Rangprobleme im Lichte des Gleichheitssatzes, Art. 3 Abs. 1 GG begründen können.36 Gemäß dem oben dargestellten Zusammenhang von Normhierarchie und Norminhalt ist hier insbesondere an eine verfassungskonforme Auslegung zu denken.37 Ein vermeintliches Rangverhältnis zwischen Missbrauchsmaßstäben könnte sich auch aus § 2 Abs. 1 AO38 ergeben, wonach völkerrechtliche Vereinbarungen, die unmittelbar anwendbares innerstaatliches Recht geworden sind, den Steuergesetzen vorgehen. Eine für die Rechtsquellenhierarchie im nationalen Recht beachtliche Rangerhöhung von völkerrechtlichen Verträgen – insbesondere DBA – kann jedoch durch § 2 Abs. 1 AO gar nicht bewerkstelligt werden, da diese nach der Einbeziehung in die nationale Rechtsordnung durch die Zustimmungsgesetze des Bundes als einfaches Bundesrecht gelten,39 § 2 Abs. 1 AO aber selbst nur im Rang des einfachen Gesetzes steht und die Norm keinen höheren Rang als sie selbst verleihen vermag.40 Es handelt sich daher nur scheinbar um ein Rangverhältnis im obigen Sinne. Die Bedeutung des § 2 Abs. 1 AO erschließt sich primär im Gesamtkontext des rechtskreisübergreifenden Rangverhältnisses zwischen Völkerrecht und nationalem Recht und im 35 Siehe bereits oben B.I, S. 45 ff. 36 Vgl. hierzu bereits oben B.I.3.d, S. 127. 37 Zum Begriff der verfassungskonformen Auslegung siehe BVerfG, Beschluss vom 10.06.1975 – 2 BvR 1018/74 – BVerfGE 40, 88 (94); Schulze-Fielitz, in: Dreier, GG, Bd. II, Art. 20 (Rechtsstaat) Rn. 87. 38 Durch das Jahressteuergesetz (JStG 2010) vom 08.12.2010, BGBl I 2010, S. 1768, wurde der bisherige § 2 AO um einen Absatz 2 ergänzt, der die Transformation von Konsultationsvereinbarungen in nationales Recht per Rechtsverordnung ermöglich, hierzu siehe etwa Hegeler, SWI 2011, 95 (98 f); auf diese Form der exekutiven Normsetzung kommt es im Rahmen der Untersuchung nicht an. § 2 AO a.F. entspricht nun § 2 Abs. 1 AO n.F. 39 Drüen, in: Tipke/Kruse, AO, § 2 AO Rn. 5; Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof, HStR Bd. V, § 100 Rn. 87; Pahlke, in: Pahlke/Koenig, AO, § 2 Rn. 13; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, Rn. 3.25; Streinz, in: Sachs, GG, Art. 59 Rn. 63. 40 Pahlke, in: Pahlke/Koenig, AO, § 2 Rn. 17; Vogel, in: Vogel/Lehner, DBA, Einl. 202. Hierzu hätte es einer dem Art. 25 S. 2 GG entsprechenden Ergänzung des GG bedurft.

228

Zuordnungskriterien im Kollisionsfall

Zusammenhang mit anderen Kollisionsregeln41 und ist daher an späterer Stelle nochmals aufzugreifen. In diesem Lichte ist auch Art. 25 S. 2 GG zu sehen, wonach die allgemeinen Regeln des Völkerrechts Vorrang vor den förmlichen Bundesgesetzen42 einnehmen. Auch das Verhältnis von § 42 AO als Rahmentatbestand zu speziellen Missbrauchsvorbehalten kann aus den gleichen Gründen insoweit nicht als hierarchischer Rang begriffen werden, sondern muss sich anhand anderer Zuordnungskriterien erschließen lassen.43 bb.

Rangordnung im Unionsrecht

Im Unionsrecht ergibt sich eine Rangordnung dadurch, dass das Primärrecht – sei es Vertragsrecht oder allgemeine Rechtsgrundsätze – unbestritten Vorrang vor dem Sekundärrecht hat und gleichzeitig Maßstab dessen Rechtmäßigkeit ist.44 Auch der Einfluss dieser Rangordnung auf die Inhaltsbestimmung ist durch das Gebot der primärrechtskonformen Auslegung des Sekundärrechts – insbesondere im Lichte der Grundfreiheiten – allgemein akzeptiert.45 Nach einem Ausspruch des EuGH sind insbesondere die Verträge Grundlage, Rahmen und Grenze46 des Sekundärrechts. Dies zugrunde gelegt ergibt sich auch ein genereller Vorrang von aus den Grundfreiheiten abgeleiteten Maßstäben gegenüber sekundärrechtlichen Maßgaben.

41 BFH, Urteil vom 13.07.1994 – I R 120/93 – BStBl II 1995, 129 (129 f.); Drüen, in: Tipke/Kruse, AO, § 2 AO Rn. 1; Frotscher, in: FS Schaumburg, S. 700. 42 Umstritten ist jedoch das Verhältnis zum Verfassungsrecht selbst, ausführlich zum Streitstand m.w.N. siehe Koenig, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. II, Art. 25 Rn. 50 ff., sowie Streinz, in: Sachs, GG, Art. 25 Rn. 85 ff. 43 Hierzu D.II.3.c.bb, S. 266. 44 Ehlers, in: Erichsen/Ehlers, Allg. VerwR, § 2 Rn. 98; Lüdicke/Hummel, IStR 2006, 694 (695); Nettesheim, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der EU, Art. 249 EG Rn. 232; Ruffert, in: Callies/Ruffert, EUV/EGV, Art. 249 EGV Rn. 14. Bislang wurde dies am Wortlaut von Art. 7 Abs. 1 ( „Jedes Organ handelt nach Maßgabe der ihm in diesem Vertrag zugewiesenen Befugnisse“) und Art. 249 Abs. 1 („…nach Maßgabe des Vertrages“)EG a.F. festgemacht: In der Fassung des Vertrages von Lissabon dürften hierfür insbesondere Art. 2 Abs. 6 („Der Umfang der Zuständigkeiten der Union und die Einzelheiten ihrer Ausübung ergeben sich aus den Bestimmungen der Verträge zu den einzelnen Bereichen“) und Art. 288 Abs. 1 („…Tätigkeit der Union nach Maßgabe des Verträge“) AEUV heranzuziehen sein. 45 Leible/Domröse, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 9 Rn. 7 ff.; Nettesheim, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der EU, Art. 249 EG Rn. 232; Ruffert, in: Callies/Ruffert, EUV/EGV, Art. 249 EGV Rn. 15; Sedemund, Europäisches Ertragsteuerrecht, Rn. 490; Streinz, Europarecht, Rn. 571; Suchowerskyj, Missbrauchsbegriff, S. 27. 46 EuGH, Urteil vom 05.10.1978 – 26/78 (INAMI/Viola) – EuGHE I 1978, 1771 (1778 f.), Rn. 9/14.

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Die Bewältigung kollidierender Missbrauchsmaßstäbe

Nach einer Ansicht lässt sich jedoch gegen die strikte Handhabung des Vorrangs – auch im Bereich der Missbrauchsmaßstäbe – anführen, dass dies zu einem Spannungsverhältnis führt mit dem Anspruch des Sekundärrechts, in Teilbereichen einen verbindlichen Handlungsrahmen vorgeben zu können.47 Insbesondere Richtlinien sind Harmonisierungsakte, die für bestimmte Sachbereiche einen Kompromiss zwischen der erforderlichen Einheitlichkeit des Unionsrechts und weitest möglicher Bewahrung nationaler Eigenheiten bezwecken.48 Es besteht daher auch die Sorge, dass bei isolierter Unwirksamkeit einzelner sekundärrechtlicher Bestimmungen – wie eben Missbrauchsvorbehalten – sich dies als Hemmnis für weitere Harmonisierungsbestrebungen auswirken könnte, da diese Klauseln oftmals als Zustimmungsvorbehalte auf Seiten einzelner Mitgliedstaaten fungiert hätten.49 Es steht den Gemeinschaftsorganen namentlich frei, einen Bereich nur schrittweise zu harmonisieren oder nationale Rechtsvorschriften nur in Etappen anzugleichen; dies auch deswegen, da die Durchführung solcher Maßnahmen im Allgemeinen als schwierig erachtet, indem sie voraussetzt, dass die zuständigen Gemeinschaftsorgane anhand von unterschiedlichen und komplexen nationalen Bestimmungen gemeinsame Vorschriften ausarbeiten, die den im AEUV festgelegten Zielen entsprechen und im steuerlichen Bereich sogar einstimmige Zustimmung finden müssen.50 Bezogen auf die MTRL etwa würde infolge der Unwirksamkeit einzelner Bestimmungen das Zusammenspiel von Begünstigung und Einschränkung als verlässlicher Rahmen gestört. Als Ausweg wird vorgeschlagen, den Prüfungsmaßstab entsprechend zu reduzieren und zwischen dem bloßen Gebrauchmachen einer sekundärrechtlichen Handlungsmöglichkeit („Ob“) und der Art und Weise der Ausübung durch die Mitgliedstaaten („Wie“) zu unterscheiden: Nur letzteres – insbesondere deren Verhältnismäßigkeit – soll am Maßstab der Grundfreiheiten geprüft werden können.51 Als weiteres Argument ließe sich anführen, dass eine sekundärrechtliche Harmonisierungsmaßnahme den Binnenmarkt doch letztlich genauso fördert wie die Grundfreiheiten – nur auf andere Weise. Insoweit als die Grundfreiheiten nur besondere Erschwerungen der grenzüberschreitenden Wirtschaftstätigkeit betreffen, die aus der Unterschiedlichkeit der verschiedenen Rechtsordnungen resultieren,52 die Richtlinie jedoch – insgesamt betrachtet – in allen Mitglied47 Forsthoff, IStR 2006, 222 (223). 48 Ruffert, in: Callies/Ruffert, EUV/EGV, Art. 249 EGV Rn. 45; Streinz, Europarecht, Rn. 434. 49 Forsthoff, IStR 2006, 222 (223). 50 EuGH, Urteil vom 01.10.2009 – C-247/08 (Gaz de France) – IStR 2009, 774 (777), Rn. 52 m.w.N. 51 Forsthoff, IStR 2006, 222 (223 f.). 52 Möstl, Vertrag von Lissabon, S. 60.

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Zuordnungskriterien im Kollisionsfall

staaten gleiche Bedingungen schaffe, könnte in ihr nur schwerlich eine Marktbeeinträchtigung liegen. Der EuGH ist dieser Sichtweise, wonach eine Richtlinie letztlich als Ganzes zu betrachten wäre, jedoch nicht gefolgt, insbesondere53 wurde die Argumentation in der Rs. Keller Holding verworfen: Aufgrund des unstrittigen Vorrangs des Primärrechts könne von den (begrenzenden) Möglichkeiten einer Richtlinie (sprich: der MTRL) nur unter Beachtung der grundlegenden Bestimmungen des Vertrages (sprich: der einschlägigen Grundfreiheiten) Gebrauch gemacht werden.54 Dem liegt zugrunde, dass zwar nach ihrer konzeptionellen Ausrichtung typischer Adressat der Grundfreiheiten die Mitgliedstaaten sind;55 allein schon dadurch, dass sich die Mitgliedstaaten zur Wahrnehmung der Möglichkeiten aus der Richtlinie nationaler Maßnahmen bedienen müssen, sind die Grundfreiheiten jedoch einschlägig. Eine Gesamtbetrachtung verbietet sich auch daher, dass bei unterschiedlichem Gebrauchmachen von Möglichkeiten der Richtlinie die unterstellte Einheitlichkeit gerade nicht besteht.56 Etwas anderes könnte allenfalls dann gelten, wenn es sich nicht um einzelstaatliche Handlungsoptionen, sondern um unionsweit gültige Tatbestandsmerkmale handelt, etwa der Anwendungsbereich einer Richtlinie aufgrund tatbestandlicher Einschränkung gar nicht erst eröffnet ist. Ist dieser Bereich des verbindlichen Mindeststandards57 nicht einschlägig, so geht der EuGH – quasi erst recht – von der Prüfung einschlägiger Maßnahmen an Maßstab der Grundfreiheiten aus.58 Hieraus folgt, dass bei tatbestandlicher Begrenzung sekundärrechtlicher Gewährleistungen der Rückgriff auf das Primärrecht weiterhin möglich ist.59 Der Vorrang wirkt insoweit absolut.

53 In diesem Verfahren fungierte Forsthoff als Prozessvertreter der Bundesregierung; die von diesem in IStR 2006, 222 veröffentlichten Thesen und Argumenten wurden im Rahmen der mündlichen Verhandlung vor dem EuGH vorgebracht, im Urteil fanden sie indes keine Berücksichtigung. 54 EuGH, Urteil vom 23.02.2006 – C-471/04 (Keller Holding) – DStR 06, 414 (417); Rn. 45. Zuvor schon EuGH, Urteil vom 18.09.2003 – C-168/01 (Bosal) – IStR 2003, 666 (668), Rn. 26. 55 Möstl, Vertrag von Lissabon, S. 60. 56 Siehe auch Leible/Domröse, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 9 Rn. 13. 57 Leible/Domröse, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 9 Rn. 13. 58 EuGH, Urteil vom 12.12.2006 – C-374/04 (ACT Group Litigation) – IStR 2007, 138 (141), Rn. 54 ff.; EuGH, Urteil vom 08.11.2007 – C-379/05 (Amurta) – IStR 2007, 853 (854), Rn. 24; EuGH, Urteil vom 01.10.2009 – C-247/08 (Gaz de France) – IStR 2009, 774 (777), Rn. 60. Vgl. nun auch BFH, Urteil vom 11.01.2012 – I R 25/10 – DB 2012, 838. 59 EuGH, Urteil vom 01.10.2009 – C-247/08 (Gaz de France) – IStR 2009, 774 (777), Rn. 61.

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Die Bewältigung kollidierender Missbrauchsmaßstäbe

Indes darf nicht außer Acht gelassen werden, dass Sekundärakte sehr wohl als Konkretisierung primärrechtlichen Vorgaben angesehen werden können, die Unionsorgane sogar quasi als Erstinterpreten des Unionsrechts hierzu berufen sind.60 Aus diesem Grunde geht der EuGH in ständiger Rechtsprechung auch von einer Vermutung der Rechtmäßigkeit der Sekundärakte aus.61 Freilich müssen hier aber dieselben Erwägungen angebracht werden, die für das Zusammenwirken von Normenhierarchie und Inhaltsbestimmungen allgemein Geltung beanspruchen: Nur insoweit, als das Primärrecht unbestimmt ist und überhaupt Raum für eine Konkretisierung eröffnet, ist diese durch das Sekundärrecht möglich; soweit der Norminhalt aufgrund eigenständiger primärrechtlicher Maßgaben vorbestimmt ist, riskiert das Sekundärrecht eine Abweichung und daher den Konflikt mit dem Primärrecht.62 In diesem Sinne kann sich ein Raum zur Konkretisierung allerdings auch dadurch ergeben, dass die Grundfreiheiten stets unter dem Vorbehalt der Rechtfertigung, insbesondere zwingender Allgemeininteressen stehen. Der Vorrang des Primärrechts hindert mithin jedenfalls solche sekundärrechtlichen Regelungen nicht, die auch die Mitgliedstaaten zulässigerweise als Maßnahmen erlassen dürften. Hierin ist a maiore ad minus zugleich die Befugnis enthalten, weniger stark einzuschränken, in diesen Fällen liegt von vornherein keine Beschränkung einer Grundfreiheit durch das Sekundärrecht vor. Insoweit greift der Gedanke, dass darin keine Erschwerung der grenzüberschreitenden Wirtschaftstätigkeit erreicht wird. Dies insgesamt muss auch für das Verhältnis der Missbrauchsbegriffe und den darin enthaltenen Maßstäben zur Bestimmung des Missbrauchscharakters gelten. Das Sekundärrecht kann somit – insbesondere im Zweifelsfall und im Hinblick auf den Telos der Richtlinie – als konkretisierend herangezogen werden.63 Hervorzuheben ist, dass von dieser Möglichkeit insbesondere in der Vergangenheit Gebrauch gemacht wurde, und auch ständige wechselbezügli-

60 Lüdicke/Hummel, IStR 2006, 694 (696); 61 EuGH, Urteil vom 05.10.2004 – C-475/01 (Kommission/Griechenland) – IStR 2004, 864 (864), Rn. 18 m.w.N.; Ehlers, in: Erichsen/Ehlers, Allg. VerwR, § 2 Rn. 98; Leible/Domröse, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 9 Rn. 21 ff.; Lüdicke/Hummel, IStR 2006, 694 (695 f.); Ruffert, in: Callies/Ruffert, EUV/EGV, Art. 249 EGV Rn. 17. 62 Lüdicke/Hummel, IStR 2006, 694 (695) mit Verweis auf BVerfG, Beschluss vom 20.12.1960 – 1 BvL 21/60 – BVerfGE 12, 45 (53); hierzu siehe schon oben D.II.2.a, S. 225. 63 Vgl. auch GA Kokott, Schlussanträge vom 08.02.2007 – C-321/05 (Kofoed) – EuGHE I 2007, 5795 (5816), Rn. 67; GA Kokott, Schlussanträge vom 16.07.2009 – C-352/08 (Zwijnenburg) – Rn. 62 (online unter juris). Siehe speziell zur MTRL auch oben B.II.2.b, S. 188, m.w.N.

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Zuordnungskriterien im Kollisionsfall

che Verweise64 entscheidend zur Entwicklung des primärrechtlichen Missbrauchsbegriffs beigetragen haben. Das Sekundärrecht darf deshalb grundsätzlich auch eigene Missbrauchsmaßstäbe vorhalten. Soweit sich den Grundfreiheiten jedoch bereits konkrete inhaltliche Maßgaben entnehmen lassen, kann die Ausgestaltung des Sekundärrechts hiermit in Konflikt geraten. Keine Beschränkung der Grundfreiheiten liegt indes vor, soweit das Sekundärrecht engere Maßstäbe für die Annahme eines Missbrauchs begründet; dies führt schließlich aus Sicht der Wirtschaftsteilnehmer sogar zu einer Erleichterung der grenzüberschreitenden Tätigkeit. Soweit die abweichenden Maßstäbe jedoch – selbst bei primärrechtskonformer Auslegung – eine Einschränkung über den primärrechtlichen Rahmen hinaus begründen, müssen diese aufgrund des Ranges zurücktreten.65 Soweit das Sekundärrecht keine eigenen unmittelbaren Maßgaben enthält, sondern lediglich Öffnungsklauseln, wie etwa Art. 1 Abs. 2 MTRL, zeitigt der Vorrang der primärrechtlichen Maßstäbe erst recht Wirkung. Dies bedeutet, dass eine solche sekundärrechtliche Missbrauchsklausel auch nur unter Zugrundelegung des primärrechtlichen Maßstabs die Mitgliedstaaten zu Einschränkungen ermächtigt. Schon daher ist eine unionsweite Auslegung von Öffnungsklauseln im Lichte des Primärrechts zwingend.66 Die bereits genannte teleologische Berücksichtigung des Regelungsgegenstands der Richtlinie als mittelbarer Maßstab muss dem nicht widersprechen, da dieser regelmäßig in Übereinstimmung mit der Zielrichtung der Grundfreiheiten steht. Eine Ausnahme von dieser Vorrangwirkung gegenüber bloßen Öffnungsklauseln kann nur dann gemacht werden, wenn die sekundärrechtliche Gewährleistung über den Anwendungsbereich der Grundfreiheiten hinausgeht und von daher eine Kollision gar nicht erst entsteht; hierbei kann es indes nicht auf den konkreten Einzelfall, sondern nur auf den abstrakten Gewährleistungsinhalt ankommen, da die Auslegung des Maßstabs andernfalls erst recht unterschiedlich gehandhabt würde – und zwar schon auf normativer Ebene –, und dies doch das entscheidende Argument gegen die freie Auslegung durch die Mit64 Englisch, StuW 2009, 3 (4); Fleischer, JZ 2003, 865 (871); Schön, in: FS Wiedemann, S. 1273. 65 Vgl. insbesondere EuGH, Urteil vom 01.10.2009 – C-247/08 (Gaz de France)– IStR 2009, 774. Es kann hierbei dahinstehen, ob das Sekundärrecht dann von vornherein als Prüfungsmaßstab für eventuelle nationale Maßnahmen ausscheidet, dies dürfte im Zusammenhang mit der gerichtlichen Verwerfungskompetenz und der bereits angesprochenen Vermutungswirkung zu sehen sein. 66 Siehe schon oben B.II.2.b, S. 188 f. und die Nachweise in Fn. 840. Zum gleichen Ergebnis gelangt Bergmann, StuW 2010, 246 (256), indem er die sekundärrechtlichen Missbrauchsvorbehalte, als lediglich deklaratorische Hinweise auf ein abstraktes, einheitliches Missbrauchskonzept des Unionsrechts ansieht.

233

Die Bewältigung kollidierender Missbrauchsmaßstäbe

gliedstaaten ist. Aus umgekehrter Perspektive muss der Maßstab des Primärrechts gegenüber sekundärrechtlichen Öffnungsklauseln also immer schon dann gelten, wenn die sekundärrechtlich gewährleistete Rechtsposition, die unter Vorbehalt gestellt werden soll, typischerweise grundfreiheitlich geschützte Verhaltensweisen betrifft, ohne dass dies im konkreten Einzelfall festgestellt werden muss. cc.

Rangordnung im Völkerrecht

Den verschiedenen Rechtsquellen des Völkerrechts lässt sich grundsätzlich keine Rangordnung nach Art einer „Normenpyramide“ entnehmen.67 Sofern überhaupt von einer Kollision völkerrechtlicher Missbrauchsmaßstäbe untereinander gesprochen werden kann, ist diese daher nach den Grundsätzen zur Kollisionsentscheidung ranggleicher Normen zu lösen. Nach hier vertretener Ansicht gibt es jedoch gerade keinen unmittelbaren Maßstab abgeleitet aus allgemeinen Rechtsgrundsätzen oder ungeschriebenen Missbrauchsvorbehalten. Diese erhalten ihre Rechtfertigung allenfalls im Hinblick auf die Rangordnung bei rechtskreisübergreifenden Kollisionen. Ebenso in diesem Kontext zu sehen ist die vom nationalen Recht in Art. 59 Abs. 1 S. 2 GG getroffene Unterscheidung zwischen allgemeinen Regeln des Völkerrechts und den sonstigen Rechtsquellen des Völkerrechts wie DBA. c.

Rechtskreisübergreifende Hierarchie

In einem gewissen Ausmaß lassen sich auch Rangordnungen übergreifend zwischen den einzelnen Rechtskreisen (Rechtsordnung im formellen Sinn) des gesamten materiellen Rechtsraums (Rechtsordnung im materiellen Sinn) des deutschen Internationalen Steuerrecht feststellen. aa.

Nationales Recht und Unionsrecht

(1)

Anwendungsvorrang und Integrationsgrenzen

So wird nach allgemeiner Ansicht die Kollision zwischen nationalem Recht und Unionsrecht im Wege des Vorrangs des Unionsrechts gelöst.68 Richtigerweise handelt es sich hierbei um einen Fall des Anwendungsvorrangs – d.h. entgegenstehendes Recht bleibt zwar im Einzelfall unangewendet, dessen Gültigkeit indes unberührt –, da auf diese Weise dem Bedürfnis nach einheitlicher Geltung und Anwendung des Unionsrechts Rechnung getragen werden kann, 67 Ehlers, in: Erichsen/Ehlers, Allg. VerwR, § 2 Rn. 95; Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, § 20 Rn. 1. Einzige diskussionswürdige Ausnahme stellen die wenigen „ius cogens“ Normen dar, die aber für diese Untersuchung allesamt nicht relevant sind, hierzu Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, § 15 Rn. 36. 68 Ehlers, in: Erichsen/Ehlers, Allg. VerwR, § 2 Rn. 99 ff.; Möstl, Vertrag von Lissabon, S. 45 f.; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, Rn. 3.39; Streinz, Europarecht, Rn. 201.

234

Zuordnungskriterien im Kollisionsfall

ohne die nationale Rechtsordnung unnötig zu beeinträchtigen.69 Auch im Verhältnis zwischen Unionsrecht und nationalem Recht vermischen sich Vorrang des höherrangigen Rechts und Inhaltsbestimmung des niederrangigen Rechts. Insoweit ist allgemein das Gebot der unionsrechtskonformen Auslegung des nationalen Rechts anerkannt.70 Aus den gleichen Gründen wird im Schrifttum indes auch eine geltungserhaltende Reduktion über die Grenze des Wortsinns hinaus befürwortet.71 Ebenso hat sich der BFH jüngst ausdrücklich hierzu bekannt.72 Dieser Vorrang wurde seitens der Union beginnend mit der Entscheidung Costa/ENEL richterrechtlich entwickelt und vom EUGH stets autonom unionsrechtlich begründet.73 Im Rahmen des gescheiterten Verfassungsvertrages sollte der Vorrang klargestellt und in den Verfassungstext übernommen werden.74 Der Vertrag von Lissabon hat hierauf indes verzichtet, gemäß der zugehörigen Erklärung Nr. 17 und des Gutachtens des Juristischen Dienstes des Rates vom 22.06.2007 ändert dies aber nichts an der Existenz des Vorrangs gemäß der

69 Ehlers, in: Erichsen/Ehlers, Allg. VerwR, § 2 Rn. 109 ff.; Streinz, Europarecht, Rn. 222; Wegener, in: Callies/Ruffert, EUV/EGV, Art. 220 EGV Rn. 28. Siehe auch EuGH, Urteil vom 09.03.1978 – 106/77 (Simmenthal) – EuGHE I 1978, 629 (645), Rn. 17 f. und die Fundstellen zur Rspr. des BVerfG unter Fn. 76. 70 EuGH, Urteil vom 04.02.1988 – C-157/86 (Murphy) – EuGHE 1988, 673 (683 f.), Rn. 11; Ehlers, in: Erichsen/Ehlers, Allg. VerwR, § 2 Rn. 108; Leible/Domröse, in: Riesenhuber, Europäische Methodenlehre, § 9 Rn. 38 ff.; Müller/Christensen, Juristische Methodik, Bd. I, S. 413 ff.; Wegener, in: Callies/Ruffert, EUV/EGV, Art. 220 EGV Rn. 32. 71 Gosch, DStR 2009, 1553 (1555 f.); Hey, StuW 2011, 301 (313 f.); Micker, FR 2009, 409 (411), je m.w.N. Siehe auch im 2. Teil, B.II.3.c.bb, S. 469. 72 BFH, Urteil vom 21.10.2009 – I R 114/08 (Columbus Container) – DStR 2010, 37 (39); siehe auch schon BFH, Urteil vom 25.08.2009 – I R 88/07, 89/07 – DStR 2009, 2295 (2303). Zustimmend Lieber, IStR 2010, 142 (143). Weitere Nachweise bei Gosch, Ubg 2009, 73 (77 f.). Da es gegenüber dem Unionsrecht aber nicht um Geltungsvorrang, sondern um Anwendungsvorrang gehen kann, wäre der Begriff der anwendungserhaltenden Reduktion möglicherweise passender. In nicht unionsrechtlich determinierten Fällen wurde bislang nicht hinreichend deutlich zwischen Auslegung und Reduktion unterschieden, hierzu Gabel, Spezielle Missbrauchsnormen, S. 30, Fn. 163 f. 73 EuGH, Urteil vom 15.07.1964 – 6/64 (Costa/ENEL) – EUGHE 1964, 1251 (1269 f.); EuGH, Urteil vom 17.12.1970 – 11/70 (Internationale Handelsgesellschaft) – EuGHE 1970, 1125 (1135), Rn. 3; EuGH, Urteil vom 09.03.1978 – 106/77 (Simmenthal) – EuGHE I 1978, 629 (644), Rn. 14 ff.; EuGH, Urteil vom 19.06.1990 – C-213/89 (Factortame I) – EuGHE I 1991, 2433 (2461 f.), Rn. 18. 74 Art. I-6 VVE: „Die Verfassung und das von den Organen der Union in Ausübung der der Union übertragenen Zuständigkeiten gesetzte Recht haben Vorrang vor dem Recht der Mitgliedstaaten.“ Siehe BT-Ds. 15/4900, S. 11.

235

Die Bewältigung kollidierender Missbrauchsmaßstäbe

ständigen Rechtsprechung.75 Das BVerfG und die herrschende Literatur leiten den Vorrang hingegen aus dem Integrationsbefehl des Art. 23 Abs. 1 S. 2 GG in Verbindung mit den entsprechenden Zustimmungsgesetzen ab, welcher nicht nur die Möglichkeit der Übertragung von Hoheitsgewalt vorsieht, sondern als deren Konsequenz eben auch die innerstaatliche Verbindlichkeit und Unantastbarkeit der supranational gesetzten Normen einschließt.76 Aus der Reichweite der Integrationsermächtigung ergeben sich insoweit zwar die – zumindest theoretisch vorbehaltenen – Grenzen des Anwendungsvorrangs.77 Eine generelle Beschränkung des Anwendungsvorranges für den Bereich des Steuerrechts haben diese auch nach der Entscheidung zum Vertrag von Lissabon jedoch nicht zur Folge.78 (2)

Vorrang unionsrechtlicher Missbrauchsmaßstäbe

Damit bleiben die Grundfreiheiten Kompetenzausübungsschranke nationalen Handelns.79 Der Sondersituation des Einflusses auf das Steuerrecht als eigentlich den Mitgliedstaaten als vorbehaltene Kompetenz kann daher allenfalls auf Unionsebene im Rahmen der Entwicklung der inhaltlichen Maßstäbe Rechnung getragen werden. Keinesfalls kann dies eine unilaterale Abweichung von den so gefundenen Maßstäben nach sich ziehen, da ansonsten die praktische Wirksamkeit des Unionsrechts gefährdet wäre und eine Verzerrung des Binnenmarktes zu befürchten ist. Das Problem kollidierender Missbrauchsmaßstäbe ist damit strikt nach den Regeln des Anwendungsvorrangs zu lösen. Demnach können Mitgliedstaaten eine Beschränkung der Grundfreiheiten durch nationale Vorschriften grundsätzlich80 nur dann unter dem Gesichts-

75 Abgedruckt in Möstl, Vertrag von Lissabon, S. 336. 76 BVerfG, Beschluss vom 09.06.1971 – 2 BvR 225/69 – BVerfGE 31, 145 (174); BVerfG, Beschluss vom 22.10.1986 – 2 BvR 197/83 (Solange II) – BVerfGE 73, 339 (366 ff.); BVerfG, Beschluss vom 08.04.1987 – 2 BvR 687/85 (Kloppenburg) – BVerfGE 72, 223 (235 ff.); BVerfG, Urteil vom 12.10.1993 – 2 BvR 2134/92 u.a. (Maastricht) – BVerfGE 89, 155 (210); BVerfG, Urteil vom 30.06.2009 – 2 BvE 2/08 u.a. (Lissabon) – BVerfGE 123, 267 (399 ff.), Rn. 337 ff.; Classen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. II, Art. 24 Abs. 1 Rn. 35; Möstl, Vertrag von Lissabon, S. 45; Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof, HStR Bd. V, § 100 Rn. 89. 77 BVerfG, Urteil vom 30.06.2009 – 2 BvE 2/08 u.a. (Lissabon) – BVerfGE 123, 267 (402), Rn. 343; Möstl, Vertrag von Lissabon, S. 46; Streinz, Europarecht, Rn. 225 ff.; Wegener, in: Callies/Ruffert, EUV/EGV, Art. 220 EGV Rn. 29. 78 Siehe schon oben B.II.1.b.bb(1), S. 139 und Ehlers, in: Erichsen/Ehlers, Allg. VerwR, § 2 Rn. 104. 79 Siehe auch Brombach-Krüger, Ubg 2009, 335 (340); Kube, in: Reimer/Dillmann, Europäisches Gesellschafts- und Steuerrecht, S. 226. 80 Vorbehaltlich einer Lösung im Wege des Allgemeininteresses der Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse, welches einen eigenständigen Anwendungsbereich beansprucht, hier-

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Zuordnungskriterien im Kollisionsfall

punkt des Missbrauchs rechtfertigen, sofern auch nach den unionsrechtlich geltenden Maßstäben hiervon auszugehen ist, wenn also ein Missbrauch der Grundfreiheiten vorliegt. Dies entspricht der Biperspektivität des Missbrauchsbegriffs im Unionsrecht.81 Allerdings ersetzt dies nicht die Normierung eines Missbrauchsvorbehalts durch die Mitgliedstaaten, da eine Versagung nicht unmittelbar aus dem Unionsrecht abgeleitet werden kann. Dies gilt gleichermaßen für Missbrauchsmaßstäbe im Sekundärrecht, welches ebenso vom Anwendungsvorrang umfasst ist. Da aufgrund der unionsinternen Rangordnung diese grundsätzlich82 nur unter Zugrundelegung des primärrechtlichen Maßstabs Anwendung finden, und insbesondere Öffnungsklauseln auf diesen Maßstab rückzubeziehen sind, sofern die sekundärrechtliche Gewährleistung typischerweise dem Schutzbereich der Grundfreiheiten unterfällt, ergibt sich insgesamt ein einheitlicher Anwendungsvorrang unionsrechtlicher Maßstäbe für nationale Missbrauchsvorbehalte. bb.

Nationales Recht und Völkerrecht

(1)

Verhältnis der Rechtskreise im Grundsatz

Die Frage nach einer Rangordnung zwischen nationalem Recht und Völkerrecht kann nicht ohne einen Blick auf das grundsätzliche Verhältnis zueinander beantwortet werden. Die historisch gegensätzlichen Positionen stellten sich so dar, dass nach einer Ansicht von zwei selbständigen, voneinander getrennten Rechtskreisen auszugehen war (dualistische Theorie),83 nach anderer Ansicht handelte es sich um zwei Teile einer einheitlichen Rechtsordnung (monoistische Theorie).84 In der praktischen Rechtswirklichkeit hat dieser Theorienstreit an Bedeutung verloren, da das GG insoweit offen ist und die konkret zu beantwortenden Rechtsprobleme differenzierende Lösungsansätze erfordern.85 Nach der hier vertretenen Ansicht ist terminologisch eine vermittelnde Position als richtig zu erachten: Denn natürlich sind Völkerrecht und nationales Recht zunächst getrennte Rechtskreise (Rechtsordnungen im formellen Sinne),

81 82 83

84 85

zu siehe oben B.II.1.b.cc(7), S. 183 ff. Zur Relevanz dieses Vorbehalts im Zusammenhang mit Art. 28 DBA-USA siehe im 2. Teil, A.II.2.e.ee, S. 338. Hierzu schon oben unter B.II.1.b.cc(3)(d), S. 168. Zu Ausnahmen im Zusammenhang mit Konkretisierungsspielräumen und bei weniger stark eingreifender Beschränkung siehe oben D.II.2.b.bb, S. 229 ff. Darstellung m.w.N. bei Kempen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. II, Art. 59 Abs. 2 Rn. 84; Nettesheim, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 59 Rn. 167. In diese Richtung auch BVerfG, Beschluss vom 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04 (Görgülü) – BVerfGE 111, 307 (318), Rn. 34. Darstellung m.w.N. bei Kempen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. II, Art. 59 Rn. 85; Nettesheim, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 59 Rn. 168. Kempen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. II, Art. 59 Abs. 2 Rn. 87; Nettesheim, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 59 Rn. 169.

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Die Bewältigung kollidierender Missbrauchsmaßstäbe

aufgrund ihres grenzüberschreitenden Charakters – nicht nur im Bereich des Steuerrechts – sind entsprechende Lebenssachverhalte aber gleichzeitig Teil eines gemeinsamen Rechtsraumes (Rechtsordnung im materiellen Sinne), und normative Regelungen dieser Sachverhalte können im Einzelfall widersprüchlich sein und daher kollidieren.86 In diesem Sinne kommt es auch nicht darauf an, auf welche Weise die Umsetzung des Völkerrechts – insbesondere der DBA als Völkervertragsrecht – in die innerstaatliche Rechtsordnung erfolgt, ob also der – wegen Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG unstreitig erforderliche – nationale Rechtsakt die innerstaatlichen Geltung (Transformationstheorie) oder die bloße Anwendbarkeit (Vollzugstheorie) befiehlt.87 Anders als das Unionsrecht enthält das Völkerrecht jedoch keine Aussage darüber, welche Stellung es im System der nationalen Rechtsordnungen einnimmt, die Bestimmung eines Rangverhältnisses ist demnach allein Sache des nationalen Rechts.88 Hierzu ist zunächst auf Art. 25 GG S. 2 abzustellen, wonach die allgemeinen Regeln des Völkerrechts – welche kraft Art. 25 S. 1 per se Teil des Bundesrechts sind – den förmlichen Gesetzen im Rang vorgehen.89 Aus Art. 25 GG ergibt sich zudem, dass das Grundgesetz die Betätigung staatlicher Souveränität durch Völkervertragsrecht und internationale Zusammenarbeit sowie die Einbeziehung der allgemeinen Regeln des Völkerrechts fördert und deshalb nach Möglichkeit so auszulegen ist, dass ein Konflikt mit völkerrechtlichen Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland nicht entsteht, sog. Gebot der völkerrechtsfreundlichen Auslegung.90 Völkerrechtliche Verträge hingegen bedürfen zu ihrer Geltung und Anwendbarkeit eines bestimmten Zustimmungsaktes, dessen Rang sie teilen91 – DBA 86 Siehe bereits oben vor D.I, S. 221. 87 Ausführlich m.w.N. hierzu Badura, Staatsrecht, Rn. D 120; Nettesheim, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 59 Rn. 173 ff.; Koenig, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. II, Art. 59 Abs. 2Rn. 89; Vogel, in: Vogel/Lehner, DBA, Einl. Rn. 61. 88 BVerfG, Beschluss vom 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04 (Görgülü) – BVerfGE 111, 307 (318), Rn. 34; Nettesheim, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 59 Rn. 183. 89 Umstritten ist jedoch das Verhältnis zum Verfassungsrecht selbst, ausführlich zum Streitstand m.w.N. siehe Koenig, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. II, Art. 25 Rn. 50 ff. sowie Streinz, in: Sachs, GG, Art. 25 Rn. 85 ff. 90 BVerfG, Urteil vom 26.03.1957 – 2 BvG 1/55 – BVerfGE 6, 309 (362); BVerfG, Beschluss vom 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04 (Görgülü) – BVerfGE 111, 307 (317 f.), Rn. 33; Ehlers, in: Erichsen/Ehlers, Allg. VerwR, § 2 Rn. 97; Herdegen, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 25 Rn. 6 f.; Rust/Reimer, IStR 2005, 843 (845). Vogel, in: Haarmann, Auslegung und Anwendung von DBA, S. 4, spricht zudem von einem speziellen Grundsatz der abkommensfreundlichen Auslegung. 91 Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof, HStR Bd. V, § 100 Rn. 87; Streinz, in: Sachs, GG, Art. 59 Rn. 63. Mit Einschränkungen auch Nettesheim, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 59 Rn. 184. Musil, Treaty Overriding, S. 51 f., leitet dies aus der Präambel und aus dem

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Zuordnungskriterien im Kollisionsfall

wirken demnach in der Form eines Bundesgesetzes92 und sind daher gegenüber Normen des EStG und der AO grundsätzlich gleichrangig. Daran ändert auch § 2 Abs. 1 AO nichts, da diese Norm ebenfalls (nur) im Rang des einfachen Gesetzes steht und den Vertragsgesetzen keinen höheren Rang als sie selbst verleihen vermag.93 Die Vorschrift erlangt ihre Bedeutung bei der Kollisionsentscheidung allenfalls im Verhältnis ranggleicher Normen, indem sie eine Vermutungswirkung zugunsten der Abkommensnormen (bzw. des Zustimmungsgesetzes) begründet; § 2 Abs. 1 AO wirkt insoweit als Auslegungsregel.94 Ein späteres gleichrangiges Gesetz kann jedoch diese Vermutungswirkung beseitigen, indem es explizit bzw. zumindest hinreichend deutlich zum Ausdruck bringt, dass es im Kollisionsfall gegenüber den DBA-Regelungen vorgeht.95 Ein solches bewusstes Abweichen von den durch das Zustimmungs-

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95

Art. 9 Abs. 2, 23-26 GG ab und sieht das Gebot der völkerrechtsfreundlichen Auslegung als Unterfall des Gebots der Völkerrechtsfreundlichkeit. Drüen, in: Tipke/Kruse, AO, § 2 AO Rn. 5; Pahlke, in: Pahlke/Koenig, AO, § 2 Rn. 13. Siehe schon oben D.II.2.b.aa, S. 227, und BFH, Urteil vom 13.07.1994 – I R 120/93 – BStBl II 1995, 129 (130); Bron, IStR 2007, 431 (432); Drüen, in: Tipke/Kruse, AO, § 2 AO Rn. 1; Gosch, IStR 2008, 413 (418); Pahlke, in: Pahlke/Koenig, AO, § 2 Rn. 17; Schwarz, in: Schwarz, AO, § 2 Rn. 6; Vogel, in: Vogel/Lehner, DBA, Einl. 202; Weigell, IStR 2009, 636 (638). Missverständlich insoweit FG Köln, Urteil vom 14.03.2000 – 8 K 543/99 – DStRE 2000, 979 (982). Über das Ergebnis besteht weitgehend Einigkeit, umstritten ist jedoch die Begründung. Nach wohl h.M. ist dies eine Ausprägung des Grundsatzes lex specialis derogat legi generali, siehe Bron, IStR 2007, 431 (432); Frotscher, in: FS Schaumburg, S. 700 f.; Hey, in: Lüdicke, Wo steht das deutsche Internationale Steuerrecht, S. 145; Rust/Reimer, IStR 2003, 843 (845); Stein, IStR 2006, 505 (508). Die Gegenansicht erachtet DBA-Normen als leges aliae und entbindet lediglich vom Grundsatz des lex posterior derogat legi priori, hierzu Birk, in: H/H/Sp, § 2 AO Rn. 165 ff.; Busching/Trompeter, IStR 2005, 510 (512 f.); Gosch, IStR 2008, 413 (418); Musil, RIW 2006, 287 (290); Pahlke, in: Pahlke/König, AO, § 2 Rn. 19; Seer, IStR 1997, 481 (484). Insoweit offen Drüen, in: Tipke/Kruse, AO, § 2 AO Rn. 2; Jankowiak, Doppelte Nichtbesteuerung, S. 262 f.; Scherer, Doppelbesteuerung und EG-Recht, S. 26 f.; Tillmanns, in: Mössner, Steuerrecht international tätiger Unternehmen, Rn. B 433; Weigell, IStR 2009, 636 (638). Möglich ist auch die Einordnung als Kodifikation des Grundsatzes der völkerrechtsfreundlichen Auslegung, Musil, RIW 2006, 287 (290). BFH, Urteil vom 13.07.1994 – I R 120/93 – BStBl II 1995, 129 (130); BFH, Urteil vom 20.03.2002 – I R 38/00 (Hilversum I) – BStBl II 2002, 819 (822 f.); Drüen, in: Tipke/Kruse, AO, § 2 AO Rn. 2; Gosch, IStR 2008, 413 (418); Musil, RIW 2006, 287 (290); IStR 2005, 843 (847); Streinz, in: Sachs, GG, Art. 59 Rn. 37. In jüngerer Zeit hat sich hierzu Aufnahme des Zusatzes „ungeachtet des Abkommens“ in den Normtext durchgesetzt, siehe schon § 50d Abs. 1 S. 1 EStG. Nach teilweise vertretener Ansicht soll keine ausdrückliche Regelung erforderlich sein, sondern auch schon ausreichen, dass der Derogationswille hinreichend deutlich zum Ausdruck kommet, siehe hierzu Bron, IStR 2007, 431 (433); die Nachweise bei Scherer, DBA und Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 41. Vgl. auch, BVerfG, Beschluss vom 20.05.1987 – 1 BvR 762/85 – BVerfGE 74, 358

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Die Bewältigung kollidierender Missbrauchsmaßstäbe

gesetz umgesetzten Abkommensnormen durch (spätere) unilaterale Vorschriften wird üblicherweise als Treaty Override bezeichnet.96 (2)

Treaty Override als Rangproblem

Ob ein Treaty Override rechtswirksam ist, ist umstritten. Dies wird nach herkömmlicher Auffassung bejaht, in jüngerer Zeit sind aber – unter Berufung auf eine Entscheidung des BVerfG zur EMRK97 – deutliche Umkehrtendenzen sichtbar geworden, mit denen sich auseinandergesetzt werden muss. Sollte ein Treaty Override nach nationalem Recht unzulässig sein, so wären im Ergebnis Missbrauchsvorbehalte in DBA vorrangig. Da insbesondere Verstöße gegen Verfassungsrecht diskutiert werden, die sich erst speziell aus dem Zusammenwirken der beiden Rechtskreise – insbesondere über den Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit – ergeben, ist das Phänomen des Treaty Override durchaus auch als Rangproblem aufzufassen.98 Ob sich aus dem Zusammenwirken von Europarecht und Völkerrecht eine andere Beurteilung ergibt, ist später gesondert zu untersuchen.

(370), wonach ein „klar beurkundeter“ Derogationswille erforderlich sei. Siehe hierzu auch die Fallgruppenbildung von Rust/Reimer, IStR 2005, 843 (846 f.) und speziell zu § 50d Abs. 3 EStG im 2. Teil unter B.II.2.a, S. 435. Abzulehnen ist eine Zitierpflicht analog Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG: Die Norm wird schon ihrem unmittelbaren Anwendungsbereich restriktiv gehandhabt, und in Bezug auf das DBA dürfte es an einer vergleichbaren subjektiver Rechtsstellung des Steuerpflichtigen fehlen, Bron, IStR 2007, 431 (433); Frotscher, in: FS Schaumburg, S. 702 Fn. 52; Jankowiak, Doppelte Nichtbesteuerung, S. 263; Musil, Treaty Overriding, S. 71; Seer, IStR 1997, 481 (485); a.A. Eckert, RIW 1992, 386 (386); Leisner, RIW 1993, 1013 (1019). 96 Brombach-Krüger, Ubg 2008, 324 (324); Forsthoff, IStR 2006, 509 (509); Frotscher, in: FS Schaumburg, S. 701; Gosch, IStR 2008, 413 (413 f.); Musil, Treaty Overriding, S. 26; Scherer, DBA und Europäisches Gemeinschaftsrecht, S. 30; Tillmanns, in: Mössner, Steuerrecht international tätiger Unternehmen, Rn. B 434; Vogel, in: Vogel/Lehner, DBA, Einl. Rn. 194. Siehe auch die Definition von OECD, Tax Treaty Override, Rn. 5: „the enactment of domestic legislation intended by the legislature to have effects in clear contradiction to international treaty obligations.” Ein historischer Überblick findet sich bei Musil, Treaty Overriding, S. 21 f. 97 BVerfG, Beschluss vom 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04 (Görgülü) – BVerfGE 111, 307. 98 Anders zwar Gosch, IStR 2008, 413 (419), der dies als Kollisionsproblem ranggleicher Normen im Sinne der Spezialität auffasst: „Das BVerfG verschiebt nicht die Rangfolge zwischen Zustimmungsgesetz und Spezialgesetz, es bestimmt jedoch die inhaltlichen, materiellen Anforderungen für das, was an Speziellem zulässig ist.“ Dies ist dort jedoch Teil der Argumentation contra Treaty Override.

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Zuordnungskriterien im Kollisionsfall

(a)

Herkömmliche Auffassung

Nach bislang h.M. ist ein Treaty Override aus Sicht des nationalen Rechts rechtswirksam, die einzige Grenze soll sich aus der Beachtung der genannten Auslegungsgrenzen im Zusammenhang mit § 2 Abs. 1 AO ergeben. So wird zwar anerkannt, dass die Bundesrepublik als Vertragsstaat gegen ihre völkerrechtlichen Pflichten in Form des Grundsatzes des pacta sunt servanda, Art. 27 WÜRV verstößt,99 indem sie vertragliche Regelungen einseitig außer Kraft setzt; sie handelt damit völkerrechtswidrig.100 Als Sanktionsmöglichkeit sieht das Völkerrecht selbst jedoch insbesondere die Möglichkeit der Kündigung des Vertrages durch den anderen Vertragsstaat vor, wenn es sich um eine erhebliche Verletzung i.S.v. Art. 60 Abs. 1 WÜRV handelt.101 Diese Möglichkeit ist aber gänzlich unpraktikabel, da mit einer Kündigung des DBA erst recht die Grundlage sämtlicher Vergünstigungen der grenzüberschreitenden Wirtschaftstätigkeit entfällt; ein Treaty Override ist daher schon deswegen rechtspolitisch unerwünscht.102 Unabhängig von dieser völkerrechtlichen Bewertung ergebe sich aber die Rechtsfolge aus Sicht des innerstaatlichen Rechts allein aus dessen Rahmenbedingungen – insbesondere verfassungsrechtlicher Art –, da insofern zwischen dem völkerrechtlichem Vertrag und dem erforderlichen Zustimmungsgesetz zu differenzieren sei.103 Im Gegensatz zu anderen Staaten enthalte das 99 Art. 27 WÜRV: „Ist ein Vertrag in Kraft, so bindet er die Vertragsparteien und ist von ihnen nach Treu und Glauben zu erfüllen.“ Regelmäßig wird dieser Grundsatz auch als Teil des Völkergewohnheitsrechts erachtet, Musil, Treaty Overriding, S. 37 f.; Rust/Reimer, IStR 2005, 843 (844). 100 Badura, Staatsrecht, Rn. D 121; Bron, IStR 2007, 431 (432); Brombach-Krüger, Ubg 2008, 324 (329); Frotscher, in: FS Schaumburg, S. 693; Gosch, IStR 2008, 413 (414); Jankowiak, Doppelte Nichtbesteuerung, S. 257; Musil, Treaty Overriding, S. 41; Rust/Reimer, IStR 2005, 843 (844); Scherer, Doppelbesteuerung und EG-Recht, S. 34 f.; Stein, IStR 2006, 505 (508); Vogel, in: Vogel/Lehner, DBA, Einl. 194. Soweit allerdings von einem ungeschriebenen Missbrauchsvorbehalt in DBA ausgegangen wird, könnte dies zweifelhaft sein. Dies soll allerdings nicht bei der Feststellung der Völkerrechtswidrigkeit, sondern bei der Beurteilung der innerstaatlichen Zulässigkeit untersucht werden, hierzu ausführlich D.II.2.c.bb(2)(c), S. 249. Offen gelassen wurde diese Frage von BFH, Urteil vom 13.07.1994 – I R 120/93 – BStBl II 1995, 129 (130). 101 Rust/Reimer, IStR 2005, 843 (844); Scherer, Doppelbesteuerung und EG-Recht, S. 35; Stein, IStR 2006, 505 (506), auch zu anderen Repressalien. Näheres siehe Heintschel von Heinegg, in: Ipsen, Völkerrecht, § 15 Rn. 79. 102 Gosch, IStR 2008, 413 (414); OECD, Tax Notes International 1990, S. 25, Rn. 34; Schönfeld/Wassermeyer, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 20 AStG Rn. 41; Vogel, in: Vogel/Lehner, DBA, Einl. 194. 103 Badura, Staatsrecht, Rn. D 121; Bron, IStR 2007, 431 (432); Brombach-Krüger, Ubg 2008, 324 (329); Rust/Reimer, IStR 2005, 843 (845); Scherer, Doppelbesteuerung und

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Die Bewältigung kollidierender Missbrauchsmaßstäbe

deutsche Verfassungsrecht keine ausdrückliche Regelung zur Abweichung von vertraglichen Übereinkünften,104 so dass sich ein Verstoß aus anderen Vorschriften des GG ergeben müsste. Abgelehnt wird von der h.M. dabei insbesondere ein Verstoß gegen Art. 25 GG. Direkt sei dieser nicht anwendbar, da danach nur die allgemeinen Regeln des Völkerrechts Vorrang haben, nicht jedoch Völkervertragsrecht und damit erst recht nicht einzelne Klauseln in DBA.105 Teilweise wird zwar argumentiert, dass aber der Grundsatz pacta sunt servanda eine solche Regel darstelle und ja gegen diese verstoßen werde.106 Auf diese Weise würden aber doch sämtliche vertraglichen Vereinbarungen immer zu einer allgemeinen Regel hochgestuft, zu Recht sieht daher die h.M. darin einen Widerspruch zu der Art. 25 S. 2 GG inhärenten Differenzierung.107 In diesem Sinne hat auch das BVerfG im sog. Konkordatsurteil entscheiden.108 Außerdem verliere der Grundsatz der völkerrechtliche Vertragstreue durch einen Treaty Override ohnehin nicht seinen Regelungsgehalt, da die völkerrechtliche Verpflichtung gegenüber dem anderen Vertragsstaat bestehen bleibt und dieser ja auch beispielsweise zur Kündigung berechtigt wäre.109 Mit den gleichen Argumenten wurden bislang110 auch Ansätze zurückgewiesen, nach denen aus Art. 25 GG folge, dass Rechtsverstöße von besonderem Gewicht unzulässig seien und es daher auf eine sachliche Rechtfertigung des Treaty Override ankäme.111

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108 109 110 111

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EG-Recht, S. 34; Schönfeld/Wassermeyer, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 20 AStG Rn. 41. Siehe hierzu Musil, RIW 2006, 287 (289); Stein, IStR 2006, 505 (508); Vogel, in: Haarmann, Auslegung und Anwendung von DBA, S. 3; Vogel, IStR 2005, 29 (29). Zum Treaty Override aus U.S. Sicht Levin, in: FS Otto Walter, S. 247 ff. BFH, Urteil vom 13.07.1994 – I R 120/93 – BStBl II 1995, 129 (130); Jankowiak, Doppelte Nichtbesteuerung, S. 259; Seer, IStR 1997, 481 (482). Streinz, in: Sachs, GG, Art. 25 Rn. 35, spricht von einer „bloßen Verbindlichkeit nach außen.“ Eckert, RIW 1992, 386 (382 f.), wenn auch mit der Möglichkeit einer Abänderung bei qualifizierter Mehrheit i.S.v. Art. 79 Abs. 2 GG. Einen Verstoß gegen Art. 25 GG sieht auch Stein, IStR 2006, 505 (508), da ansonsten pacta sunt servanda sinnentleert wäre, zudem mit Hinweis auf eine geänderte Staatenpraxis. Bron, IStR 2007, 431 (433); Brombach-Krüger, Ubg 2008, 324 (329); Drüen, in: Tipke/Kruse, AO, § 2 Rn. 5; Frotscher, in: FS Schaumburg, S. 697; Jankowiak, Doppelte Nichtbesteuerung, S. 260; Musil, Treaty Overriding, S. 64; Seer, IStR 1997, 481 (482 f.); Scherer, Doppelbesteuerung und EG-Recht, S. 38 f.; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, Rn. 3.25. BVerfG, Urteil vom 26.03.1957 – 2 BvG 1/55 – BVerfGE 6, 309 (362 f.). Bron, IStR 2007, 431 (433); Frotscher, in: FS Schaumburg, S. 695; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, Rn. 3.25. Zum Wiederaufleben dieser Differenzierung im Anschluss an die GörgülüEntscheidung siehe im Folgenden unter. So vertreten von Daragan, IStR 1998, 225 (226 f.).

Zuordnungskriterien im Kollisionsfall

Ein Verfassungsverstoß ergebe sich nach dieser Auffassung auch nicht aus Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG, wonach das Zustimmungsgesetz nicht unter einem Vorbehalt ergehen darf. Zwar wurde vereinzelt argumentiert, dass hiernach DBA stets als unteilbares Ganzes angesehen werden müssten und diese nur insgesamt angenommen oder verworfen werden könnten; aufgrund dieser Unteilbarkeit könne auch keine spätere nur partielle Änderung erfolgen, so dass DBA allenfalls insgesamt unanwendbar würden, dies aber nicht gewollt und ein Treaty Override daher auf eine unmögliche Rechtsfolge gerichtet sei.112 Richtigerweise sieht die herrschende Ansicht darin eine Vermischung der beiden Ebenen des völkerrechtlichen Vertrages einerseits und des innerstaatlichen Gesetzes andererseits, aus Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG lässt sich demzufolge keine bindende Änderungssperre über ein solches „Alles oder Nichts“-Prinzip in Bezug auf die nationale Rechtsordnung ableiten.113 Abzulehnen ist ebenfalls eine Unwirksamkeit des Treaty Override aufgrund eines Verstoßes gegen die Zitierpflicht analog Art. 19 Abs. 1 S. 2 GG,114 da die Norm schon ihrem unmittelbaren Anwendungsbereich restriktiv gehandhabt wird und es an einer der Grundrechtsverletzung vergleichbaren subjektiver Rechtsstellung des Steuerpflichtigen in Bezug auf das DBA fehlt.115 Wie bereits erörtert ergibt sich auch aus § 2 Abs. 1 AO keine Unwirksamkeit eines Treaty Override; lediglich die Notwendigkeit zur ausdrücklichen Derogation kann in der Vorschrift erachtet werden.116 Insoweit kann selbst das aus Art. 25 GG abgeleitete Gebot der Völkerrechtsfreundlichen Auslegung117 mangels Auslegungsspielraums nicht greifen.118 In der Zusammenschau war mithin unter Beachtung der genannten Argumente zu Recht ein Treaty Override als verfassungsrechtlich zulässig und damit innerstaatlich wirksam anzusehen; diese Auffassung galt über lange Jahre hinweg als gefestigt. Lediglich Vogel als „nahezu einsamer Rufer in der Wüste“119 mahnte einen Verstoß gegen das Rechtsstaatsprinzip, Art. 20 Abs. 3 GG in 112 Daragan, IStR 1998, 225 (225 f.). 113 BFH, Urteil vom 13.07.1994 – I R 120/93 – BStBl II 1995, 129 (130); Bron, IStR 2007, 431 (432); Brombach-Krüger, Ubg 2008, 324 (329); Jankowiak, Doppelte Nichtbesteuerung, S. 261; Musil, Treaty Overriding, S. 65; Seer, IStR 1997, 481 (483); Scherer, Doppelbesteuerung und EG-Recht, S. 39; Tillmanns, in: Mössner, Steuerrecht international tätiger Unternehmen, Rn. B 433. 114 Eckert, RIW 1992, 386 (386); Leisner, RIW 1993, 1013 (1019). 115 Bron, IStR 2007, 431 (433); Frotscher, in: FS Schaumburg, S. 702 Fn. 52; Jankowiak, Doppelte Nichtbesteuerung, S. 263; Musil, Treaty Overriding, S. 71; Seer, IStR 1997, 481 (485). 116 Siehe oben bei Fn. 93. 117 Siehe bereits oben Fn. 91. 118 Bron, IStR 2007, 431 (433); ausführlich Rust/Reimer, IStR 2005, 843 (846 f.) 119 So Gosch, IStR 2008, 423 (424).

243

Die Bewältigung kollidierender Missbrauchsmaßstäbe

Verbindung mit dem Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit an, da der Gesetzgeber insoweit einen Wortbruch begehe.120 Diese Argumentation ist durch die sog. Görgülü-Entscheidung des BVerfG in den Mittelpunkt der Diskussion gerückt. (b)

Beurteilung nach der Görgülü-Entscheidung

(aa)

Umkehrtendenzen in der Literatur

In der Sache ging es bei diesem Beschluss zwar nicht um Steuerrecht, sondern um die Beachtung der als einfaches Bundesrecht implementierten EMRK – im Speziellen um die Bindungswirkung eines Urteils des EGMR zum Umgangsrecht des Kindsvaters. In Teilen der Literatur wird diese Entscheidung als mögliches „Umdenken“ des BVerfG121 angesehen, mit der Folge, dass sich bisherige Gegner der Zulässigkeit des Treaty Override bestätigt sehen,122 sich weitere Stimmen ausdrücklich gegen die bislang herrschenden Auffassung wenden,123 und andere eine Änderung des Meinungsbildes zumindest nicht mehr ausschließen.124 Kern des Anstoßes ist folgende Aussage des BVerfG: „Es widerspricht nicht dem Ziel der Völkerrechtsfreundlichkeit, wenn der Gesetzgeber ausnahmsweise Völkervertragsrecht nicht beachtet, sofern nur auf diese Weise ein Verstoß gegen tragende Grundsätze der Verfassung abzuwenden ist.“125

Hieraus wird nun der Schluss gezogen, dass der Gesetzgeber von Verfassungs wegen nur dann von Völkervertragsrecht abweichen dürfe, wenn nicht ausnahmsweise die genannte Ausnahmevoraussetzung vorliege – namentlich die Erforderlichkeit zur Abwehr eines Verstoß gegen tragende Verfassungsgrundsätze; dies sei auf alle völkerrechtlichen Verträge zu übertragen.126 Übertragen

120 Vogel, JZ 1997, 161 (161 f.). 121 Jankowiak, Doppelte Nichtbesteuerung, S. 267; Stein, IStR 2006, 506 (508). Gosch, IStR 2008, 413 (414) spricht von einer „neuen Entwicklung“; Rust/Reimer, IStR 2005, 843 (843), sehen die Diskussion „auf breiter Front in Bewegung geraten“. 122 Vogel, IStR 2005, 29 (29 f.). 123 Stein, IStR 2006, 506 (508 f.); Weigell, IStR 2009, 636 (639 f.). Ausdrücklich von der herrschenden Meinung abrückend Gosch, IStR 2008, 413 (414 und 421), der für eine Fortentwicklung durch die Rechtsprechung plädiert. Mit Einschränkungen auch Rust/Reimer, IStR 2005, 843 (843). 124 Jankowiak, Doppelte Nichtbesteuerung, S. 267. 125 BVerfG, Beschluss vom 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04 (Görgülü) – BVerfGE 111, 307 (319), Rn. 35. 126 Gosch, IStR 2008, 413 (419); Kempf/Bandl, DB 2007, 1377 (1381); Stein, IStR 2006, 506 (509); Vogel, IStR 2005, 29 (29 f.); Weigell, IStR 2009, 636 (639).

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Zuordnungskriterien im Kollisionsfall

auf das Steuerrecht sei das Erreichen dieser Schwelle bei DBA kaum denkbar, ein unilaterales Abweichen daher grundsätzlich verfassungswidrig.127 Als Argument für diesen Schluss wird dabei vorwiegend eine Zusammenschau von Völkerrechtsfreundlichkeit und Rechtsstaatsprinzip vorgebracht: Gemäß Art. 20 Abs. 3 GG ergebe sich eine Grundsatzentscheidung für das Handeln aller Staatsorgane nach Maßgabe des Rechts insgesamt, d.h. unter Einschluss bindender Völkerrechtsnormen; der Gesetzgeber müsse daher auch das zwischen den Staaten geltende Völkervertragsrecht beachten.128 Zur Unterstützung dieser Annahme wird zudem auf einen wenig später ergangenen weiteren Beschluss des BVerfG verwiesen, wonach sich aus Art. 20 Abs. 3 GG die Verpflichtung aller Staatsorgane ergebe, die die Bundesrepublik Deutschland bindenden Völkerrechtsnormen zu befolgen und Verletzungen nach Möglichkeit zu unterlassen.129 Zumindest sei das Rechtsstaatsprinzip im Lichte der Völkerrechtsfreundlichkeit auszulegen.130 Eine andere Begründung zielt darauf ab, dass mit der Zustimmung zu einem völkerrechtlichen Vertrag der Gesetzgeber über seine Gesetzgebungskompetenzen verfüge und dadurch seine ungebundene Normsetzungsautorität in dem Maße einbüße, das der völkerrechtliche Vertrag vorgebe.131 Außerdem sollen DBA der zivilrechtlichen Figur des Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter vergleichbar sein, so dass sich die Steuerpflichtigen auf diese – und eben auf eine Verletzung des Grundsatzes pacta sunt servanda – berufen können müssen.132 (bb) Kritische Würdigung In der Literatur findet sich jedoch auch Widerstand gegen eine Übertragung der Görgülü-Entscheidung auf das Problem des Treaty Override. Demnach sei der Umkehrschluss, dass eine Derogation von Völkervertragsrecht ausschließ-

127 Kempf/Bandl, DB 2007, 1377 (1381); Stein, IStR 2006, 506 (508 f.); Vogel, IStR 2005, 29 (30). Einschränkend Gosch, IStR 2008, 413 (419); Weigell, IStR 2009, 636 (640): Möglicherweise sei eine Rechtfertigung zur Missbrauchsverhinderung möglich, die Schwelle insoweit niedriger zu beurteilen als bei der EMRK, dazu siehe ausführlich sogleich unter D.II.2.c.bb(2)(c), S. 249. 128 Gosch, IStR 2008, 413 (419); Rust/Reimer, IStR 2005, 843 (847); Stein, IStR 2006, 506 (509). 129 BVerfG, Beschluss vom 26.10.2004 – 2 BvR 955/00 u.a. (Alteigentümerbeschluss) – BVerfGE 112, 1 (26), Rn. 98. 130 Rust/Reimer, IStR 2005, 843 (847). 131 Becker, NVwZ 2005, 289 (291). 132 Weigell, IStR 2009, 636 (639).

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Die Bewältigung kollidierender Missbrauchsmaßstäbe

lich unter den genannten Voraussetzungen zulässig sei, nicht zwingend.133 Das BVerfG treffe gerade kein Nichtigkeitsverdikt für „völkerrechtsunfreundliches“ Recht.134 Diese Sichtweise verdient grundsätzlich Zustimmung, die Gründe hierfür ergeben sich primär aus dem Beschluss selbst. Das BVerfG betont namentlich, dass es sich beim Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit nur um ein Ziel des GG handele.135 Auf dieses – im konkreten Fall die konventionsgemäße Auslegung – solle es aber nur ankommen, soweit Auslegungs- und Abwägungsspielräume im Rahmen methodisch vertretbarer Auslegung bestehen.136 Durch das BVerfG wird also allenfalls der Grundsatz der völkerrechtsfreundlichen Auslegung nochmals betont.137 Die Voraussetzungen für ein Abweichen von genanntem Ziel besagen jedoch nichts über die Rechtsfolge, die sich ergibt, wenn es aufgrund eindeutiger Rechtslage auf dieses Ziel und die völkerrechtsfreundliche Auslegung gar nicht ankommen kann. So spricht auch das BVerfG als Folge eines Konventionsverstoßes auch nur von der bloßen Änderungsmöglichkeit durch den Gesetzgeber, falls eine konventionsgemäße Auslegung nicht möglich sein sollte138 – nicht aber von der Verpflichtung hierzu. Bedenken bestehen auch gegen eine schlichte Auslegung des Rechtsstaatsprinzip im Lichte der Völkerrechtsfreundlichkeit, da es sich um ein offenes Rechtsprinzip handele, welches zunächst weitergehende, rechtsschöpferisch bestimmende Abwägungsvorgänge erforderlich mache, bevor daraus konkrete Rechtsregeln entnommen werden könnten.139 Eine Übertragung verbietet sich weiterhin schon aufgrund der unterschiedlichen verfassungsrechtlichen Wertigkeit der zu vergleichenden Sachverhalte. Der Entscheidungsgegenstand in der Görgülü-Entscheidung erfährt insoweit 133 Brombach-Krüger, Ubg 2008, 324 (329); Bron, IStR 2007, 431 (434); Hey, in: Lüdicke, Wo steht das deutsche Internationale Steuerrecht, S. 151 f.; Frotscher, in: FS Schaumburg, S. 704; Musil, RIW 2006, 287 (289). 134 Brombach-Krüger, Ubg 2008, 324 (329); Bron, IStR 2007, 431 (434); Forsthoff, IStR 2006, 509 (509), Fn. 6; Frotscher, in: FS Schaumburg, S. 704; Musil, RIW 2006, 287 (289). 135 BVerfG, Beschluss vom 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04 (Görgülü) – BVerfGE 111, 307 (319), Rn. 35. 136 BVerfG, Beschluss vom 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04 (Görgülü) – BVerfGE 111, 307 (317), Rn. 32. 137 Brombach-Krüger, Ubg 2008, 324 (329); Bron, IStR 2007, 431 (434); Jansen/Weidmann, IStR 2010, 596 (599), Musil, RIW 2006, 287 (289); Renger, Treaty Shopping, S. 9. 138 BVerfG, Beschluss vom 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04 (Görgülü) – BVerfGE 111, 307 (325), Rn. 51. 139 Jansen/Weidmann, IStR 2010, 596 (599); Musil, Treaty Overriding, S. 52 f.; a.A. insbesondere Rust/Reimer, IStR 2005, 843 (847).

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Zuordnungskriterien im Kollisionsfall

eine besondere Bedeutung dadurch, dass es sich um die Beachtung der EMRK als ein Kernbestand der Gewährleistung der internationalen Menschenrechte handelt,140 und diese – schon allein wegen Art. 1 Abs. 2 GG – einen besonderen Einfluss auf die Auslegung und Bestimmung der Grundrechte und rechtsstaatlichen Grundsätze des GG ausübt.141 Erst über diesen auslegungsbedürftigen Bezugspunkt im ranghöheren GG kann es auf das Ziel der Völkerrechtsfreundlichkeit ankommen. In der konkreten Entscheidung stehen sich daher widerstreitende Grundrechtspositionen gegenüber, woraus sich auch erklärt, warum eine Derogation nur zugunsten anderer tragender Verfassungsgrundsätze zulässig sein soll, handelt es sich damit doch faktisch um einen Fall der praktischen Konkordanz. Diesem Standard würde man nicht gerecht, wenn über das allgemeine Rechtsstaatsprinzip quasi jede Rechtsquelle außerhalb des GG einen entsprechenden Rang einnähme. In diesem Sinne ließe sich aus Görgülü kein Umkehrschluss, sondern ein erst-recht-Schluss ziehen: Wenn schon nicht einmal die EMRK uneingeschränkt Geltung finden solle, dann kann dies erst recht nicht im Falle der DBA gelten, da diese keine subjektive Rechtsstellung begründen.142 Gegen eine pauschale Unzulässigkeit des Treaty Override und für die strikte Abhängigkeit vom innerstaatlichen Spielraum spricht nicht zuletzt auch das vom BVerfG betonte Grundsatzverhältnis zwischen nationalem Recht und Völkerrecht: „Dem Grundgesetz liegt deutlich die klassische Vorstellung zu Grunde, dass es sich bei dem Verhältnis des Völkerrechts zum nationalen Recht um ein Verhältnis zweier unterschiedlicher Rechtskreise handelt und dass die Natur dieses Verhältnisses aus der Sicht des nationalen Rechts nur durch das nationale Recht selbst bestimmt werden kann. Das Grundgesetz (…) verzichtet aber nicht

140 BVerfG, Beschluss vom 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04 (Görgülü) – BVerfGE 111, 307 (329), Rn. 62; Herdegen, Völkerrecht, § 49 Rn. 1 ff. 141 BVerfG, Beschluss vom 26.03.1987 – 2 BvR 589/79 u.a. – BVerfGE 74, 358 (370), Rn. 35; BVerfG, Beschluss vom 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04 (Görgülü) – BVerfGE 111, 307 (317), Rn. 32. Zustimmend Hey, in: Lüdicke, Wo steht das deutsche Internationale Steuerrecht, S. 152: „völkerrechtlicher Vertrag von besonderem Rang“. Siehe nun auch BVerfG, Urteil vom 04.05.2011 – 2 BvR 2333/08 u.a. (Sicherungsverwahrung) – online unter http://www.bverfg.de, Rn. 90. 142 In diesem Sinne Frotscher, in: FS Schaumburg, S. 705. Auch Teile der Gegenansicht scheinen dies im Grundsatz zu akzeptieren, da bei Doppelbesteuerungsabkommen teilweise ein reduzierter Maßstab angewendet werden solle, hierzu sogleich unter D.II.2.c.bb(2)(c)(aa), S. 250.

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Die Bewältigung kollidierender Missbrauchsmaßstäbe

auf die in dem letzten Wort der deutschen Verfassung liegende Souveränität.“143

Dadurch offenbart sich eine eindeutig dualistisch geprägte Sichtweise mit Hang zu einem Primat des innerstaatlichen Rechts.144 Gerade dieser Dualismus ist seit jeher aber Kernargument der herkömmlichen Auffassung zur Zulässigkeit des Treaty Override. Eine Verallgemeinerung der Görgülü-Entscheidung im Sinne des beschriebenen Umkehrschlusses ist im Gesamtkontext dieser Positionierung daher nicht möglich. Für diese Sichtweise spricht auch der kurz darauf ergangene Alteigentümerbeschluss, in dem das BVerfG die letzte Souveränität des GG betont.145 Zwar wird ebenso die Völkerrechtsfreundlichkeit als Ziel hervorgehoben,146 allerdings ausdrücklich offen gelassen, welche Rechtsfolgen sich aus einem Verstoß ergeben – dies hänge von der Art der betroffenen Völkerrechtsnorm ab.147 Eine verfassungsunmittelbare Pflicht zur Durchsetzung des Völkerrechts sei nicht unbesehen für jede beliebige Bestimmung des Völkerrechts anzunehmen, sondern nur, soweit es dem niedergelegten Konzept des Grundgesetzes entspreche, wie etwa Art. 25 S. 2 GG.148 In diese Linie einzuordnen ist auch das jüngst ergangene Urteil des BVerfG zur Sicherungsverwahrung, in dem die EMRK als Auslegungshilfe der Grundrechte in den Vordergund gestellt und gleichzeitig das „letzte Wort“ der deutschen Verfassung betont wird.149 Insgesamt bestätigt dies das oben dargelegte Verständnis der Görgülü-Entscheidung.

143 BVerfG, Beschluss vom 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04 (Görgülü) – BVerfGE 111, 307 (318 f.), Rn. 35 f. So auch in BVerfG, Beschluss vom 26.10.2004 – 2 BvR 955/00 u.a. (Alteigentümerbeschluss) – BVerfGE 112, 1 (25 f.), Rn. 97: „Das Grundgesetz will die Öffnung der innerstaatlichen Rechtsordnung für das Völkerrecht und die internationale Zusammenarbeit in den Formen einer kontrollierten Bindung … ohne die letzte Verantwortung für die Achtung der Würde des Menschen und die Beachtung der Grundrechte durch die deutsche öffentliche Gewalt aus der Hand zu geben.“ Siehe nun auch BVerfG, Urteil vom 04.05.2011 – 2 BvR 2333/08 u.a. (Sicherungsverwahrung) – online unter http://www.bverfg.de, Rn. 89. 144 Nettesheim, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 59 Rn. 170. 145 BVerfG, Beschluss vom 26.10.2004 – 2 BvR 955/00 u.a. (Alteigentümerbeschluss) – BVerfGE 112, 1 (25 f.), Rn. 97. 146 BVerfG, Beschluss vom 26.10.2004 – 2 BvR 955/00 u.a. (Alteigentümerbeschluss) – BVerfGE 112, 1 (26), Rn. 98. 147 BVerfG, Beschluss vom 26.10.2004 – 2 BvR 955/00 u.a. (Alteigentümerbeschluss) – BVerfGE 112, 1 (26), Rn. 98. 148 BVerfG, Beschluss vom 26.10.2004 – 2 BvR 955/00 u.a. (Alteigentümerbeschluss) – BVerfGE 112, 1 (25), Rn. 96 f. 149 BVerfG, Urteil vom 04.05.2011 – 2 BvR 2333/08 u.a. (Sicherungsverwahrung) – online unter http://www.bverfg.de, Rn. 88 ff.

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Zuordnungskriterien im Kollisionsfall

Auch in der Finanzrechtsprechung wird ganz überwiegend weiterhin von der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit eines Treaty Override ausgegangen.150 Die These, dass jede Derogation von Völkervertragsrecht ausschließlich zur Abwendung eines Verstoß gegen tragende Grundsätze der Verfassung zulässig und damit bei DBA nicht möglich sei, ist damit abzulehnen; ein Treaty Override im Hinblick auf DBA ist nicht per se unzulässig. Dem Grundgesetz und der neueren Rechtsprechung hierzu kann allenfalls eine nochmalige Betonung der Völkerrechtsfreundlichkeit entnommen werden, aber nur innerhalb der methodisch vertretbaren Grenzen. Hieraus ergibt sich zudem, dass Normen in DBA keinen hierarchisch begründeten Vorrang zu innerstaatlichen, einfachgesetzlichen Normen beanspruchen – weder unmittelbar aus dem Nebeneinander der Rechtskreise, noch mittelbar über das höherrangige Verfassungsrecht. (c)

Differenzierte Sichtweise: Missbrauchsverhinderung als Rechtfertigung des Treaty Override

Im Rahmen der bisher genannten Ansichten wurde das Phänomen des Treaty Override in seiner Gesamtheit untersucht, insbesondere von der herkömmlichen Auffassung jede Derogation als zulässig beurteilt, und von einigen Stimmen unter Berufung auf die Görgülü-Entscheidung eine Derogation, die nicht zur Abwendung eines Verstoß gegen tragende Grundsätze der Verfassung erforderlich ist, als Verfassungsverstoß gewertet. Im Vordringen befindet sich indes auch Stimmen in der Literatur, die mittels einer differenzierten Sichtweise die Zulässigkeit des Treaty Override entweder stets einzelfallbezogen beurteilen wollen und dies insbesondere von einer sachlichen Rechtfertigung für das Abweichen von Völkervertragsrecht abhängig machen, bzw. dies jedenfalls nicht ausschließen wollen. Dies wurde zwar schon früher vereinzelt vertreten,151 jedoch werden im Gefolge der GörgülüEntscheidung neue Ansätze hierzu diskutiert. Hiernach soll insbesondere zwischen Treaty Override zur Verhinderung des Abkommensmissbrauchs und Treaty Override aus rein fiskalischen Erwägungen (Sicherung des Besteuerungssubstrats) differenziert werden,152 wobei teilweise auch der Treaty Override zur Verhinderung der Keinmalbesteuerung als eigene Fallgruppe heraus150 FG Münster, Urteil vom 11.11.2008 – 15 K 1114/99 – IStR 2009, 31 (34 f.); FG München, Urteil vom 30.07.2009 – 1 K 1816/09 – IStR 2109, 864 (866). Siehe aber auch BFH, Beschluss vom 19.05.2010 – I B 191/09 – IStR 2010, 530 (535), der in einem Verfahren des einstweiligen Rechtschutzes einen Verfassungsverstoß als möglich erachtet. 151 Nach Ansicht von Daragan, IStR 1998, 225 (226 f.), folge aus Art. 25 GG, dass Rechtsverstöße von besonderem Gewicht unzulässig seien und es daher auf eine sachliche Rechtfertigung des Treaty Override ankäme, hierzu schon oben bei Fn. 111. 152 Rust/Reimer, IStR 2005, 843 (848); Weigell, IStR 2009, 636 (640).

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Die Bewältigung kollidierender Missbrauchsmaßstäbe

gestellt wird.153 Die hierbei vertretenen Ansichten sind jedoch keineswegs homogen und unterscheiden sich mitunter deutlich in ihren Begründungen. (aa)

Relativierung der Gegenansicht

Überwiegend wird die Differenzierung im Kontext der Görgülü-Entscheidung diskutiert, und dort als Ausnahme von der grundsätzlich befürworteten Unzulässigkeit des Treaty Override aufgrund eines Verstoßes gegen das Rechtsstaatsprinzip in Verbindung mit dem Ziel der Völkerrechtsfreundlichkeit angesehen. Eine Auffassung relativiert den angenommenen Verstoß insoweit, als das Demokratieprinzip einer dauerhaften Selbstbindung des Gesetzgebers entgegenstehe,154 da es sich nur um eine zeitlich begrenzte Herrschaft handele.155 Deshalb sei im Wege praktischer Konkordanz ein Ausgleich zwischen Rechtsstaatsprinzip und Völkerrechtsfreundlichkeit einerseits und Demokratieprinzip andererseits im Einzelfall vorzunehmen; hierfür komme es nicht nur auf völkerrechtliche Änderungsmöglichkeiten, sondern in besonderem Maße auf ein demokratisch legitimes Änderungsinteresse an.156 Insofern wäre es denkbar, dass die Verhinderung von Abkommensmissbräuchen als legitimes Änderungsinteresse einen Vertragsbruch rechtfertigen könne.157 Eine andere Ansicht relativiert den bei der Görgülü-Entscheidung angewendeten Maßstab zur Rechtfertigung des Verstoßes. Da bei DBA die Schwelle niedriger anzusetzen sei als bei der EMRK – dort ging es nur um tragende Grundsätze der Verfassung –, sei die Verhinderung „echter“ Missbrauchsfälle als ultima ratio in Betracht zu ziehen.158 Unklar bleibt zunächst jedoch, nach welchen Maßstäben das Vorliegen eines „echten“ Missbrauchsfalls definiert werden müsse. Ein gemeinsamer Maßstab des internationalen Steuerrechts existiert gerade nicht.159 Da es jedoch allein um die Vereinbarung des Treaty Override mit innerstaatlichem Recht geht, dürfte wohl auch der nationale Miss153 Gosch, IStR 2008, 413 (414 f.), der im Ergebnis nur die „echten“ Missbrauchsfälle als rechtfertigend ansieht; Jansen/Weidmann, IStR 2010, 596 (603), die auch die Verhinderung der Keinmalbesteuerung als legitim erachten. 154 Rust/Reimer, IStR 2005, 843 (847). Zustimmend Hey, in: Lüdicke, Wo steht das deutsche Internationale Steuerrecht, S. 152. 155 Becker, NVwZ 2005, 289 (290); Dreier, in: Dreier, GG, Bd. II, Art. 20 (Demokratie) Rn. 20; Stern, in: Stern, Staatsrecht Bd. II, S. 78 f. 156 Drüen, in: Tipke/Kruse, AO, § 2 Rn. 5a; Rust/Reimer, IStR 2005, 843 (848). 157 Rust/Reimer, IStR 2005, 843 (847). 158 Gosch, IStR 2008, 413 (419); Hey, in: Lüdicke, Wo steht das deutsche Internationale Steuerrecht, S. 152; Weigell, IStR 2009, 636 (640). Wohl auch Schaumburg, Internationales Steuerrecht, Rn. 3.26 (allerdings mit Widerspruch zu Rn. 3.25). 159 Siehe ausführlich oben B.III.1, S. 202 und nochmals im Folgenden unter D.II.2.c.bb(2)(c)(cc), S. 253.

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Zuordnungskriterien im Kollisionsfall

brauchsbegriff maßgeblich sein. Eine Missbrauchsvorschrift im DBA-Fall muss sich daher an den eigenen allgemeinen Maßstäben für das Vorliegen eines Missbrauchs orientieren, also insbesondere an dem strukturgebenden Rahmen des § 42 Abs. 2 AO. Beispielsweise dürfte eine solche Vorschrift die Möglichkeit der Rechtfertigung durch außersteuerliche Beweggründe nicht ausschließen, in gewissem Maße aber konkretisieren. Wie gezeigt kann mit guten Gründen vertreten werden, dass es auf eine praktische Konkordanz bzw. das Vorliegen einer Ausnahme gar nicht erst ankommt, da das Ziel der Völkerrechtsfreundlichkeit auch in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip nicht zur Unzulässigkeit derogierender Gesetze führt. Die hier aufgezeigte Relativierung der Gegenansicht ist dennoch zu begrüßen, geht sie doch in zwei entscheidenden Punkten – keine Selbstbindung des einfachen Gesetzgebers und Sonderbezug der EMRK zu den Grundrechten – auf die Schwachstellen der Argumentation ein. In Bezug auf DBA-Sachverhalte ist daher davon auszugehen, dass jedenfalls echte Missbrauchsvorbehalte von Völkervertragsrecht abweichende Regelungen erlassen dürfen. (bb) Treaty Override und Grundrechtseingriff Nach einem anderen Ansatz muss ein Treaty Override als Belang im Rahmen der Beurteilung eines Grundrechtseingriffs und mithin als Abwägungsmaßstab der Rechtfertigungsprüfung gesehen werden; bei Missbrauchsvorbehalten wäre jedoch eine Ausnahme angezeigt.160 Unklarheiten bestehen allerdings schon darüber, worin der rechtfertigungsbedürftige Grundrechtseingriff bestehen soll. Eine Ansicht erachtet dies als unproblematisch, da das Treaty Override Gesetz wie jedes andere Steuergesetz zumindest161 in den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 1 GG eingreife.162 Die andere Ansicht betont, dass der Eingriff gerade nicht in jeder Verdrängung eines DBA per se bestehen könne, da insoweit nur eine Rechtslage wiederhergestellt werde, die auch ohne Abschluss eines entsprechenden Abkommens zulässig wäre.163 Dementsprechend könne Bezugspunkt allenfalls die Rechtslage nach Inkrafttreten des derogierenden Gesetzes sein: Soweit diese Rechtslage zu einer Doppelbesteuerung führe, sei ein Eingriff gegeben, da den Steuerpflichtigen ein durch das DBA zuvor gewährleistetes subjektives Recht auf Vermei160 Jansen/Weidmann, IStR 2010, 596 (599 f.); Frotscher, in: FS Schaumburg, S. 708 ff. 161 Soweit man die Ertragsbesteuerung nicht als Eingriff in Art. 14 Abs. 1 GG ansieht, unabhängig von der steuertatbestandlichen Anknüpfung an konkrete vermögenswerte Positionen; zum Problemkreis siehe BVerfG, Beschluss vom 18.01.2006 – 2 BvR 2194/99 – BVerfGE 115, 97 (108 ff.); Frotscher, in: FS Schaumburg, S. 707; Möstl, DStR 2003, 720 (724 f.). 162 Jansen/Weidmann, IStR 2010, 596 (601). 163 Frotscher, in: FS Schaumburg, S. 706 ff.; Frotscher, in: StbJb 2009/10, S. 164 f.

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Die Bewältigung kollidierender Missbrauchsmaßstäbe

dung der Doppelbesteuerung wieder entzogen werde, was insbesondere in Fällen der beschränkten Steuerpflicht anzunehmen sei.164 Richtigerweise kann allenfalls mithilfe dieser Argumentation ein spezifischer Zusammenhang zwischen einem Treaty Override und der damit verbundenen Grundrechtsbeeinträchtigung hergestellt werden; der pauschale Verweis auf Art. 2 Abs. 1 erscheint hierfür ungeeignet. In beiden Varianten ist sodann die erforderliche Rechtfertigung im Lichte des Treaty Override beurteilen. Die Begründung der ersten Ansicht lautet, dass die aus dem Rechtsstaatsprinzip fließende Schranke der Verhältnismäßigkeit unter Berücksichtigung des Rechtsstaatsprinzips und der Völkerrechtsfreundlichkeit auszulegen sei; da ein Treaty Override hiergegen verstoße, müsse auch die Abwägung grundsätzlich gegen den Eingriff ausfallen.165 Eine Ausnahme sei nur dann möglich, wenn durch den Treaty Override tragende Verfassungsgrundsätze wie die aus Art. 3 Abs. 1 GG abgeleitete Besteuerungsgleichheit verwirklicht werden, so dass ein Treaty Override zur Missbrauchsabwehr und zur Verhinderung der Keinmalbesteuerung zulässig sei.166 Die andere Ansicht möchte den Begriff der verfassungsmäßigen Ordnung im Sinne des Art. 2 Abs. 1 GG entsprechend auszulegen, d.h. unter Beachtung des Rechtsstaatsprinzips und der Völkerrechtsfreundlichkeit des GG, und lehnt somit eine Rechtfertigung ab.167 Soweit jedoch die Beseitigung einer als unsachgemäß empfundenen Begünstigung in Rede steht– wie in den Fällen der Missbrauchsabwehr und der Verhinderung der Doppel-Nichtbesteuerung (Keinmalbesteuerung) –, soll hingegen nur eine Inhaltsbestimmung und damit schon kein eigenständiger Grundrechtseingriff durch das das DBA verdrängende Gesetz vorliegen.168 Auf die Rechtfertigung komme es dann gar nicht mehr an. Beide Ansichten wollen folglich die Grundsätze der Görgülü-Entscheidung verwerten, wenn auch nur mittelbar über das Verhältnismäßigkeitsprinzip bzw. die verfassungsmäßige Ordnung im Sinne von Art. 2 Abs. 1 GG. Dies ist im Ergebnis aber nur ein weiterer Versuch, das Ziel der Völkerrechtsfreundlichkeit zu einem absoluten Prüfungsmaßstab von Verfassungsrang „hochzuzonen“. Die bereits geäußerten Bedenken gegen eine solche Auslegung abstrakter Rechtsprinzipien169 gelten daher gleichermaßen. Dies würde weiterhin unberücksichtigt lassen, dass es doch auch gerade der verfassungsrechtlichen Ordnung im Sinne des Art. 25 und Art. 59 Abs. 2 GG entspricht, dass durch einfaches Recht von Völkervertragsrecht abgewichen darf. An der bereits dar164 165 166 167 168 169

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Frotscher, in: FS Schaumburg, S. 708. Jansen/Weidmann, IStR 2010, 596 (99 f.). Jansen/Weidmann, IStR 2010, 596 (601 f.). Frotscher, in: FS Schaumburg, S. 710. Frotscher, in: FS Schaumburg, S. 711. Siehe oben D.II.2.c.bb(2)(b)(bb), S. 245.

Zuordnungskriterien im Kollisionsfall

gestellten objektiv-rechtlichen Bewertung ändert sich daher nichts, die Anknüpfung an Grundrechte ersetzt allenfalls die ansonsten fehlende subjektivrechtliche Klagemöglichkeit. Die genannten Ansichten sind letztlich auch primär vor dem Hintergrund des § 50d Abs. 10 EStG zu sehen, dem als rein fiskalische Sicherung von Besteuerungssubtrat über diese Argumentation eine verfassungswidrige Doppelbesteuerung beigemessen wird.170 Für die weitere Untersuchung sind sie daher nicht relevant. (cc)

Treaty Override und ungeschriebener abkommensrechtlicher Missbrauchsvorbehalt

Gleichermaßen zu einem differenzierten Ergebnis gelangen diejenigen Stimmen, die von einem ungeschriebenen Missbrauchsvorbehalt in DBA ausgehen.171 Dieser könne demnach als Legitimationsbasis für die Anwendung nationaler Missbrauchsvorbehalte erachtet werden, eine Derogation von Abkommensrecht sei insoweit als ultima ratio zulässig172 bzw. ein Widerspruch zum Völkervertragsrecht schon von vornherein nicht gegeben.173 Gegen diese Sichtweise wurde vorgebracht, dass dies jedenfalls aber eine Einzelfallprüfung voraussetze, ein Treaty Override hingegen über den konkreten Fall hinaus seine Wirkung allgemein entfalte.174 Diese Kritik übersieht jedoch, dass – schon um von dem durch das Zustimmungsgesetz anwendbaren DBA überhaupt abweichen zu können, aber auch generell aufgrund des Vorbehalts des Gesetzes – eine gesetzliche Grundlage für einen solchen Eingriff bestehen muss, insbesondere wenn eine Begünstigung versagt werden soll. Zwar könnte auch § 42 AO eine solche Grundlage darstellen; da dessen Maßstab nach der hier vertretenen Ansicht im Ergebnis aber durch weitere Wertungen bestimmt werden muss, ist damit auch das relevante DBA einzubeziehen.175 Die Möglichkeit einer Konkretisierung des Maßstabs speziell in Bezug auf den Ab-

170 Frotscher, in: FS Schaumburg, S. 712; Frotscher, in: StbJb 2009/10, S. 170 ff.; Jansen/Weidmann, IStR 2010, 596 (603 ff.). 171 Birk, in: H/H/Sp, § 2 AO Rn. 90ff.; Forsthoff, IStR 2006, 509 (509); Lüdicke, DBAPolitik, S. 37; Menhorn, IStR 2005, 325 (327); Prokisch, in: Vogel/Lehner, DBA, Art. 1 Rn. 117. Siehe auch BFH, Urteil vom 20.03.2002 – I R 38/00 (Hilversum I) – BStBl II 2002, 819 (822 f.); OECD, OECD-MK 2008, Art. 1 Rn. 9.2. 172 Lüdicke, DBA-Politik, S. 37. Siehe hierzu auch schon B.III.1, S. 202. 173 In diesem Sinne Frotscher, FS Schaumburg, S. 689, wenn auch speziell zum Verhältnis von § 50d Abs. 3 EStG zum Begriff des Nutzungsberechtigten im Sinne des Art. 10 Abs. 2 OECD-MA. 174 Bron, IStR 2007, 431 (432); Jankowiak, Doppelte Nichtbesteuerung, S. 257 f.; Seer, IStR 1997, 481 (482); Stein, IStR 2006, 505 (507); Vogel, in: Vogel/Lehner, DBA, Einl. Rn. 197 f. m.w.N.. 175 Hierzu siehe schon oben Fn. 914.

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Die Bewältigung kollidierender Missbrauchsmaßstäbe

kommensmissbrauch durch eine eigene Vorschrift muss dem Gesetzgeber von daher zugestanden werden. Von vielen Autoren wird mangels inhaltlicher Übereinstimmung ein solcher ungeschriebener Missbrauchsvorbehalt jedoch von vornherein abgelehnt.176 In dieser Argumentation dürfte sich indes zunächst ein anderes Problem zeigen: Namentlich geht es darum, ob das Völkerrecht Maßstäbe vorgibt, in welchen Einzelfällen diese Grundlage greifen soll und an denen sich der nationale Gesetzgeber bei der Bestimmung unilateraler Missbrauchsvorbehalte dann orientieren muss, oder ob er den Maßstab des Missbrauchsvorbehalts eigenständig definieren darf. Dies ist in dem Sinne zu beantworten, dass sich mangels inhaltlich übereinstimmender Maßgaben dem Völkerrecht eine solche konkrete Maßstäblichkeit nicht entnehmen lässt, auch nicht dem Grundsatz substance over form, da dieser hierfür nicht hinreichend bestimmt ist.177 Es kommt insoweit erst gar nicht zu einer Kollision von Missbrauchsmaßstäben. Der Schluss von der fehlenden inhaltlichen Maßstäblichkeit des Völkerrechts auf die grundsätzlich fehlende Legitimation des nationalen Gesetzgebers zur Derogation erscheint jedoch nicht zwingend. Vielmehr ließe sich hieraus genauso folgern, dass wenn das Völkerrecht schon keine eigenen Maßstäbe vorgibt, der nationale Gesetzgeber dann erst recht zur Konkretisierung berechtigt sein muss; ein ungeschriebener Missbrauchsvorbehalt würde demnach als ungeschriebene Öffnungsklausel wirken. Schranken des zulässigen Missbrauchsvorbehalts würden sich dann allein aus den nationalen Maßstäben ergeben, insbesondere aus dem strukturgebenden Rahmen des § 42 AO.178 Bei einem solchem Verständnis des allgemeinen Missbrauchsvorbehalt können jedenfalls echte Missbrauchsverhinderungsvorschriften, die sich in das Gesamtmissbrauchskonzept des nationalen Gesetzgebers einordnen lassen, keinen verfassungswidrigen Treaty Override darstellen. (3)

Folgerungen für kollidierende Missbrauchsmaßstäbe

Wie gezeigt sprechen die besseren Argumente dagegen, einen Treaty Override als generell verfassungswidrig anzusehen. Es kann offen bleiben, ob aufgrund einer Differenzierung zwischen verschiedenen sachlichen Beweggründen des Gesetzgebers eine Unzulässigkeit der Abkommensderogation im Einzelfall gegeben sein kann, da jedenfalls unilaterale Vorschriften zur echten Missbrauchsverhinderung, die sich innerhalb der vom sonstigen nationalen Recht gesetzten Schranken bewegen, sich insbesondere in den Rahmen des § 42 AO einordnen lassen, im DBA-Fall gerechtfertigt wären. Kollisionen zwischen 176 Stein, IStR 2006, 505 (507) und oben Fn. 901. 177 Siehe bereits oben B.III.1, S. 202; so aber Jankowiak, Doppelte Nichtbesteuerung, S. 257 f., allerdings mit Ähnlichkeit zum unionsrechtlichen Missbrauchsbegriff. 178 Siehe schon oben D.II.2.c.bb(2)(c)(cc), S. 253.

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Zuordnungskriterien im Kollisionsfall

Maßstäben des nationalen Rechts und solchen aus DBA sind somit nicht im Wege eines hierarchischen Vorrangs zugunsten des Völkerrechts zu lösen. Aus dem Blickwinkel des nationalen Rechts179 könnte mithin letztlich auf den ungeschriebenen abkommensrechtlichen Missbrauchsvorbehalt verzichtet werden, da es dann keiner zusätzlichen Legitimationsbasis zur Derogation – nach Art einer ungeschriebenen Öffnungsklausel – bedarf. Ein Vorrang eines allgemeinen Missbrauchsmaßstabs des internationalen Steuerrechts gegenüber dem nationalen Recht existiert mangels inhaltlicher Konkretisierung ohnehin nicht. Ausdrückliche Öffnungsklauseln in DBA vermeiden dieses Problem von vornherein, da unilaterale Vorschriften dann schon völkerrechtlich rechtmäßig sind. Dem Grundgesetz und der neueren Rechtsprechung zur Implementierung von Völkervertragsrecht kann allenfalls eine nochmalige Betonung der Völkerrechtsfreundlichkeit entnommen werden, dies aber nur innerhalb der methodisch vertretbaren Grenzen. Mangels einer strikten Rangordnung bleiben im Verhältnis von Völkerrecht – genauer: DBA – und nationalem Recht insoweit ausschließlich Kollisionslösungen bei Ranggleichheit relevant. In diesem Zusammenhang könnte der Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit als Auslegungsgrundsatz nochmals fruchtbar gemacht werden. Die Anforderungen an ein wirksames Abweichen von DBA wären unter diesen Umständen nochmals zu hinterfragen. cc.

Unionsrecht und Völkerrecht

Auch im Verhältnis zwischen Unionsrecht und Völkerrecht ließen sich Rangfragen erörtern, diese sind jedoch für diese Untersuchung nicht relevant. Es ließe sich allenfalls die Feststellung treffen, dass auch die EU in einzelnen Sachbereichen völkerrechtliche Verträge abschließen darf, wobei regelmäßig zwischen ausdrücklichen und impliziten Vertragsschlusskompetenzen unterschieden wird.180 Bei der Rangbewertung des so von der Union als Rechtspersönlichkeit geschaffenen Völkervertragsrechts innerhalb des Unionsrecht wird sodann üblicherweise von einem Vorrang des Völkervertragsrechts gegenüber dem Sekundärrecht der Union und von einem Vorrang des Primärrechts gegenüber dem Völkervertragsrecht ausgegangen.181 Da keine Vertragsschlusskompetenz der Union im Bereich der direkten Steuern besteht und damit kein DBA unter Beteiligung der Union als Rechtssubjekt existiert, kann ein ent-

179 Insgesamt könnte jedoch unter Einbeziehung des Unionsrechts eine andere Betrachtung angezeigt sein, dazu sogleich unter B.II.2.c.dd(2), S. 259. 180 Ausführlich hierzu Schmalenbach, in: Callies/Ruffert, EUV/EGV, Art. 300 EGV Rn. 2 ff. 181 Schmalenbach, in: Callies/Ruffert, EUV/EGV, Art. 300 EGV Rn. 82.

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Die Bewältigung kollidierender Missbrauchsmaßstäbe

sprechender Kollisionsfall zwischen Missbrauchsmaßstäben jedoch nicht eintreten. dd.

Unionsrecht, Völkerrecht und nationales Recht

Anders könnte sich dies darstellen, wenn die Betrachtung erweitert und quasi dreigliedrig vorgenommen wird. Mit anderen Worten geht es darum, welchen Rang das von den Mitgliedstaaten geschaffene Völkervertragsrecht innerhalb des Unionsrechts einnimmt, insbesondere wie sich das Zusammenwirken von DBA und nationalem Steuerrecht aus Sicht des Unionsrechts darstellt. Hierzu sind zweierlei Konstellationen zu betrachten, anhand derer auf ein etwaiges Rangverhältnis kollidierender Missbrauchsmaßstäben zwischen Unionsrecht und DBA geschlossen werden könnte, namentlich das Problem der Meistbegünstigung und nochmalig – diesmal im Lichte des Unionsrechts – das Problem des Treaty Override. (1)

Meistbegünstigung im Unionsrecht

Ausgangspunkt der Diskussion unter dem Stichwort der Meistbegünstigung ist die Überlegung, dass sämtliche mitgliedstaatlichen Maßnahmen an das Unionsrecht gebunden sind, dies gilt daher grundsätzlich auch beim Abschluss völkerrechtlicher Verträge wie DBA, sei es mit anderen Mitgliedstaaten oder mit Drittstaaten.182 Die Autonomie des Unionsrechts macht insoweit keinen Halt vor dem umgesetzten Abkommensrecht.183 Daraus wird nun geschlossen, dass es unzulässig sei, steuerliche Privilegien nur bilateral den in bestimmten Vertragsstaaten ansässigen Personen zu gewähren, diese müssten vielmehr für alle Mitgliedstaaten gelten.184 Ein Steuerpflichtiger aus einem EU-Mitgliedstaat (Herkunftsstaat) könnte sich demnach bei Investitionen in einem anderen Mitgliedstaat (Zielstaat) auf diejenigen Vergünstigungen berufen, die der Zielstaat mit einem anderen Staat, sei es innerhalb oder außerhalb der Union (Drittstaat), völkervertraglich vereinbart hat, mithin auch auf das für ihn günstigste DBA. Zur Begründung wird darauf verwiesen, dass andernfalls eine verbotene Diskriminierung der Ansässigen aus anderen Herkunftsstaaten durch eine Maßnahme des Zielstaates vorliege, da es sich um eine steuerliche Ungleichbehandlung beschränkt Steuerpflichtiger und damit vergleichbarer Sachverhalte handele.185 Sondervorteile, die nur in bestimmten Mitgliedstaaten ansässigen Ausländern gewährt werden, ließen sich nicht mit der Schaffung eines einheitlichen Wirtschaftsraumes als Ziel der 182 EuGH, Urteil vom 21.09.1999 – C-307/97 (Saint-Gobain) – DStRE 1999, 836 (840 f.), Rn. 51; Lüdicke, DBA-Politik, S. 26; Rädler, in: FS Debatin, S. 343. 183 Wassermeyer, in: DStJG 1996, S. 156. 184 Sedemund, Europäisches Ertragsteuerrecht, Rn. 281. 185 Schuch, in: Gassner/Lang/Lechner, DBA und EU-Recht, S. 112 ff.; Wassermeyer, in: DStJG 1996, S. 164; Weggenmann, IStR 2003, 677 (679).

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Zuordnungskriterien im Kollisionsfall

Verträge der Europäischen Union vereinbaren.186 Bei Anerkennung einer solchen Meistbegünstigung im Unionsrecht ließe sich sodann die These vertreten, dass das Unionsrecht, insbesondere das Primärrecht des AEUV, gegenüber DBA gegenüber stets und absolut vorrangig sei;187 demnach könnte man im Kollisionsfall auch von einem hierarchischen Rangverhältnis ausgehen, Missbrauchsmaßstäbe des Unionsrechts wären vorrangig. Indes findet sich Kritik an einem Meistbegünstigungsgebot im Unionsrecht. So sollen die den Grundfreiheiten innewohnenden Diskriminierungsverbote schon deshalb nicht einschlägig sein, da in der Konstellation der Meistbegünstigung der Ansässige des EU-Herkunftsstaats nicht mit dem Ansässigen des Zielstaates verglichen werden dürfe: Unter der Prämisse der wirtschaftlichen Aktivität im Zielstaat könne letzterer gar kein DBA in Anspruch nehmen, so dass Vergleichsmaßstab allenfalls eine anderer beschränkt Steuerpflichtiger aus dem Drittstaat sein könne – damit stehe indes kein Fall der Inländergleichbehandlung im Quellenstaat in Rede, sondern eine Ausländergleichbehandlung.188 Diese sei jedenfalls nicht von den Grundfreiheiten erfasst.189 Versuche, eine solche Ausländergleichbehandlung aus dem allgemeinen Diskriminierungsverbot des Art. 18 AEUV (Art. 12 EG) abzuleiten, sollen an der Subsidiarität gegen den Grundfreiheiten scheitern.190 In Rede stehe allenfalls eine Diskriminierung durch den Herkunftsstaat in Folge fehlender Anrechnung.191 Der EuGH hat indes einen anderen Weg beschritten und in der Rechtssache „D“ die Versagung der streitgegenständlichen Begünstigung aus anderen Erwägungen gebilligt: So stehe es mangels ertragsteuerlicher Harmonisierung und mangels allgemeiner, unionsrechtlichen Kriterien den Mitgliedstaaten frei, im Rahmen bilateraler DBA die Anknüpfungspunkte für die Aufteilung der Steuerhoheit festzulegen.192 Dass die gegenseitigen Rechte und Pflichten solcher Abkommen nur für Personen gelten, die in einem der beiden vertragschließenden Mitgliedstaaten wohnen, sei eine Konsequenz, die sich aus dem Wesen bilateraler Abkommen zur Vermeidung der Doppelbesteuerung ergebe; beschränkt Steuerpflichtige aus verschiedenen Herkunftsstaaten mit unter186 Weggenmann, IStR 2003, 677 (679); Herzig/Dautzenberg, DB 1992, 2519 (2521 f.). 187 Weggenmann, IStR 2003, 677 (679), mit Verweis auf Oppermann, Europarecht, Rn. 626. 188 Lehner, IStR 2001, 329 (336); Lehner, in: Vogel/Lehner, DBA, Einl. 268; Rödder/Schönfeld, IStR 2005, 523 (525). 189 Rödder/Schönfeld, IStR 2005, 523 (525); Streinz, Europarecht, Rn. 793. 190 Haase, Internationales und Europäisches Steuerrecht, Rn. 811 m.w.N. Siehe bereits oben Fn. 533. Gegen die Subsidiarität und damit eine Meistbegünstigung begründend Schuch, in: Gassner/Lang/Lechner, DBA und EU-Recht, S. 116 ff. 191 Lehner, IStR 2001, 329 (336); Rödder/Schönfeld, IStR 2005, 523 (525). 192 EuGH, Urteil vom 05.07.2005 – C-376/03 – IStR 2005, 483 (485), Rn. 52.

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Die Bewältigung kollidierender Missbrauchsmaßstäbe

schiedlichen DBA zum Zielstaat befänden sich nach Ansicht des EuGH daher nicht in einer vergleichbaren Lage.193 Dies wurde in einer späteren Entscheidung nochmals bestätigt194 und fand sowohl beim BFH195 als auch in der wohl herrschenden Ansicht in der Literatur Anklang.196 Dem ist zuzustimmen, da dies der Kompetenz zur Aufteilung der Besteuerung am besten Rechnung trägt. Eine abkommensrechtliche Meistbegünstigung liefe auf eine von der Ansässigkeit unabhängige, weitgehend freie Wahl der Abkommensberechtigung hinaus.197 Somit wäre die bei den Mitgliedstaaten verbliebene DBA-Kompetenz ausgehöhlt,198 und de facto eine Harmonisierung innerhalb der Union hin zur jeweils günstigsten Regelung erfolgt – in Ersetzung eines hierfür eigentlich notwendigen Harmonisierungsaktes oder gar eines multilateralen Abkommens. Damit hätte eine abkommensrechtliche Meistbegünstigung den gleichen Effekt als das hier zur Untersuchung vorliegende, auch unionsrechtlich missbilligte Treaty Shopping. Der teilweise vorgetragenen Kritik, dies führe faktisch zu einer unberechtigten generellen Rechtfertigung der Rechtsatzform des DBA,199 lässt sich entgegenhalten, dass gerade die Reziprozität der DBA – genauer: der streitgegenständlichen Vergünstigung – die Rechtfertigung bedingt. Soweit diese Prämisse der wechselseitig abhängigen Abkommensregelungen nicht erfüllt ist, sondern vielmehr eine einseitige Vergünstigung ohne Gegenseitigkeitsverhältnis vor-

193 EuGH, Urteil vom 05.07.2005 – C-376/03 – IStR 2005, 483 (486), Rn. 61. In der Rechtsprechung vermischen sich hierbei die Ebenen der Tatbestandsmäßigkeit der Diskriminierung und der Rechtfertigung. Nach dem Urteilswortlaut ließe sich die mangelnde Vergleichbarkeit durchaus als Element der Rechtfertigung angesehen, wenn auch ein Widerspruch zur Feststellung des EuGH in Rn. 45, IStR 2005, 483 (485), verbleibt, hierzu vgl. Sedemund, Europäisches Ertragsteuerrecht, Rn. 289 ff. Nach hier vertretener Ansicht ist die Frage der Vergleichbarkeit im Inbound-Fall eine Frage der Tatbestandsmäßigkeit der Diskriminierung, jedenfalls aber eine Einschränkung im Wege der Verhältnismäßigkeitsprüfung nicht zu prüfen. 194 EuGH, Urteil vom 12.12.2006 – C-374/04 (ACT Group Litigation) – IStR 2007, 138 (143), Rn. 91. 195 BFH, Beschluss vom 19.12.2007 – I R 66/06 – IStR 2008, 367 (370). 196 Lüdicke, DBA-Politik, S. 27 f.; Rödder/Schönfeld, IStR 2005, 523 (526); Wunderlich, EuR 2007 Beiheft zu Heft 3, S. 21 f. Siehe auch Pott, IStR 2010, 131 (132) zum „besonderen Respekt für DBA“ durch den EuGH sowie Pache/Bielitz, EuR 2006, 316 (325 ff.) zu einer „gemeinschaftsrechtlichen Rücksichtnahmepflicht“. Zustimmend aber tendenziell kritisch Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, S. 225 f. Differenzierend auch Kofler, DBA und Gemeinschaftsrecht, S. 793 ff. 197 Lehner, in: Vogel/Lehner, DBA, Einl. 268. 198 Wunderlich, EuR 2007 Beiheft zu Heft 3, S. 21 f. 199 Lang, in: Gassner/Lang/Lechner, DBA und EU-Recht, S. 33 f.; Schuch, in: Gassner/Lang/Lechner, DBA und EU-Recht, S. 127 ff.

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Zuordnungskriterien im Kollisionsfall

liegt, muss eine Rechtfertigung ausscheiden.200 Insoweit bleiben DBA keineswegs unangetastet,201 dies ist jedoch eine Frage des Einzelfalls. Insgesamt sprechen die besseren Argumente gegen ein Meistbegünstigungsgebot im Unionsrecht202 und damit auch gegen die These des unbedingten Rangverhältnisses. Für diese Untersuchung ist damit nicht von einem generellen Vorrang des Unionsrechts gegenüber dem DBA-Recht auszugehen; umgekehrt verbleiben aber DBA auch nicht per se „unantastbar“. (2)

Treaty Override aus Sicht des Unionsrechts

Auch das Problem des Treaty Override kann im weitesten Sinne als Rangfrage erachtet werden.203 Über das bisher Dargelegte hinaus ergibt sich eine zusätzliche Perspektive aus Sicht des Unionsrechts durch die Frage, ob ein Treaty Override als solcher rechtskonform ist – unabhängig von der sich durch die Derogation als Folge ergebenden konkreten Rechtslage, welche im Einzelfall mit dem Anwendungsvorrang des Unionsrechts in Einklang zu bringen ist.204 Zur Beurteilung einer solchen generellen Zulässigkeit des Treaty Override wurde insbesondere Art. 293 Spstr. 2 EG a.F.205 diskutiert. Hiernach leiten die Mitgliedstaaten soweit erforderlich untereinander Verhandlungen ein, um zugunsten ihrer Staatsangehörigen Doppelbesteuerung innerhalb der Gemeinschaft zu beseitigen. Diese Vorschrift wurde vom EuGH und der überwiegenden Lehre jedoch als bloße Zielvorschrift angesehen, aus der keine einklagbare Verpflichtung zur Vermeidung der Doppelbesteuerung abgeleitet werden 200 Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, S. 225 f.; Rödder/Schönfeld, IStR 2005, 523 (526); Thömmes, IWB Fach 11a, 887 (888). 201 In diesem Sinne ließe sich auch die frühere Entscheidung EuGH, Urteil vom 21.09.1999 – C-307/97 (Saint-Gobain) – DStRE 1999, 836 (841), Rn. 58 ff., systematisch einordnen. 202 Nach richtiger Ansicht folgt auch kein Meistbegünstigungsgebot aus dem allgemeinen Diskriminierungsverbot des Art. 24 OECD-MA, da es an der Vergleichbarkeit der Situation nicht Ansässiger mangelt, hierzu Rädler, in: FS Debatin, S. 335 ff.; Weggenmann, IStR 2003, 677 (677). Vgl. aber auch Toifl, in: Gassner/Lang/Lechner, DBA und EU-Recht, S. 139 ff. Anders Sedemund, Europäisches Ertragsteuerrecht, Rn. 299 ff., der ein Meistbegünstigungsrecht aus dem Zusammenwirken von Grundfreiheiten und Art. 24 OECD-MA ableiten will; hierzu siehe auch BFH, Urteil vom 29.01.2003 – I R 6/99 – BStBl II 2004, 1043 (1044 f.), wonach aufgrund völkervertraglicher Diskriminierungsverbote unionsrechtswidrige Vorschriften auch im Verhältnis zu Nicht-EUStaaten unanwendbar seien. 203 Hierzu siehe schon oben D.II.2.c.bb(2), S. 240. 204 Brombach-Krüger, Ubg 2008, 324 (326); Bron, IStR 2007, 431 (435); Forsthoff, IStR 2006, 509 (510); Jankowiak, Doppelte Nichtbesteuerung, S. 267. Daher missverständlich gegen die Zulässigkeit des Treaty Override aufgrund einer Verletzung der Grundfreiheiten Seer, IStR 1997, 520 (522). 205 I.d.F. des Vertrages von Nizza.

259

Die Bewältigung kollidierender Missbrauchsmaßstäbe

könne.206 Ohnehin war umstritten, ob bilaterale DBA überhaupt von der Vorschrift erfasst seien.207 Ebenso abgelehnt wurde ein Rekurs auf die allgemeine Treuepflicht des Art 10 EG a.F., da dieser eine mitgliedstaatliche Pflicht vorausgesetzt hätte, die auf akzessorische Weise der Funktionsfähigkeit der Gemeinschaft im Verhältnis zu ihren Mitgliedstaaten diene, hinreichend bestimmt sei, und es zu keiner Störung der innergemeinschaftlichen Funktionsverteilung komme.208 Zusammenfassend ergab sich aus den genannten Erwägungen somit auch keine unionsrechtliche Pflicht zum Unterlassen eines Treaty Override.209 Dies gilt nach der aktuellen Rechtslage umso mehr, als Art. 293 Spstr. 2 EG a.F. im Zuge des Vertrages von Lissabon ersatzlos entfallen ist. Der spezifische Umstand, dass es sich um eine Abkommensderogation handelt, könnte weiterhin aber am Maßstab der Grundfreiheiten zu messen sein. Als problematisch erscheint dabei, dass nach richtiger und insbesondere in der Rechtsprechung vertretener Ansicht der Umstand eines Treaty Override keine Frage der Auslegung des Unionsrechts darstellt und sich damit einer Überprüfung anhand der Grundfreiheiten entzieht.210 Nur das nationale Recht kann letztlich beurteilen, ob überhaupt eine Abkommensderogation vorliegt. Vereinzelt wird zur Begründung auch ein Umkehrschluss dergestalt angeführt, dass wenn schon die Beachtung eines Abkommens eine Verletzung gegen die Grundfreiheiten nicht ausschließen könne, könne dies auch ein Verstoß nicht.211 206 EuGH, Urteil vom 12.05.1998 – C-336/96 (Gilly) – DStRE 1998, 445 (447), Rn. 16; Bron, IStR 2007, 431 (434); Frotscher, in: FS Schaumburg, S. 700; Gosch, IStR 2008, 413 (419); Jankowiak, Doppelte Nichtbesteuerung, S. 267; Knobbe-Keuk, Unternehmenssteuerrecht, S. 340; Wessel, Doppelbesteuerung und EWG-Vertrag, S. 140. 207 Bron, IStR 2007, 431 (434); Busching/Trompeter, IStR 2005, 510 (513); Seer, IStR 1997, 520 (522). 208 Von Bogdany, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der EU, Art. 10 EG Rn. 10 ff.; Bron, IStR 2007, 431 (434); Forsthoff, IStR 2006, 510 (511); Jankowiak, Doppelte Nichtbesteuerung, S. 267 f. Andere Ansicht Hey, in: Lüdicke, Wo steht das deutsche Internationale Steuerrecht, S. 153. 209 Bron, IStR 2007, 431 (434); Frotscher, in: FS Schaumburg, S. 700; Gosch, IStR 2008, 413 (419); Jankowiak, Doppelte Nichtbesteuerung, S. 268; Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d Abs. 9 EStG Rn. 23. In diese Richtung jedoch Busching/Trompeter, IStR 2005, 510 (513). 210 EuGH, Urteil vom 06.12.2007 – C-298/05 (Columbus Container) – IStR 2008, 63 (64), Rn. 46 f.; Brombach-Krüger, Ubg 2008, 324 (326); GA Mengozzi, Schlussanträge vom 29.03.2007 – C-298/05 – EuGHE I 2007, 10451 (10463), Rn. 46. Der BFH hat sich dem angeschlossen, BFH, Beschluss vom 19.12.2007 – I R 66/06 – IStR 2008, 367 (370). Andere Ansicht Jacob/Nosky, IStR 2008, 358 (359), tendenziell auch Lang, in: FS Reiß, S. 681 f. 211 Forsthoff, IStR 2006, 510 (511); GA Geelhoed, Schlussanträge vom 06.04.2006 – C-513/04 (Kerckhaert/Morres) – EuGHE I 2006, 10967 (10978 f.), Rn. 37.

260

Zuordnungskriterien im Kollisionsfall

Die Feststellung der fehlenden Jurisdiktion des EuGH in Bezug auf das Problem des Treaty Override greift indes zu kurz, da dessen Beurteilung eng mit dem Problem verbunden ist, ob überhaupt eine unionsrechtliche Pflicht zur Vermeidung der Doppelbesteuerung existiert. Sowohl die Rechtsprechung des EuGH zum Allgemeininteresse der Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse als auch die herrschende Auffassung im Schrifttum gelangen im Ergebnis aber nur im Einzelfall zu einer konkreten Zuweisung der Verantwortlichkeit an einen bestimmten Mitgliedstaat.212 Ein Treaty Override kann in diesem Zusammenhang zumindest mittelbar relevant werden, da die Rechtslage nach dessen Inkrafttreten regelmäßig Diskriminierungsfragen im Rahmen einer Grundfreiheitsprüfung aufwirft, sodann dürfte in einer Vielzahl der Fälle auf gerade diesen Rechtfertigungsgrund ankommen. Nach einer in der Literatur im Vordringen befindlichen Ansicht müsse hierbei nun gerade der Umstand des Treaty Override berücksichtigt werden: Wenn nämlich die in einem DBA vorgenommene ausgewogene Aufteilung durch einen Mitgliedstaat mittels Treaty Override einseitig gestört werde, lasse sich nämlich durchaus eine konkrete Verantwortlichkeit gerade dieses Mitgliedstaats für die unionsrechtlich unerwünschte Doppelbesteuerung feststellen, so dass die Berufung auf den Rechtfertigungsgrund kritisch gesehen werden müsse.213 Mit anderen Worten wird das gegenständliche DBA zum Ersatzmaßstab214 der ansonsten grundsätzlich fehlenden unionsrechtlichen Verteilungsmaßstäbe. Dem ist jedenfalls dann zu folgen, wenn – sozusagen zeitlich vor dem Treaty Override – allein infolge der gegenständlichen DBA-Regelung ein unionsrechtskonformer Zustand bestand.215 Da sich auch der EuGH bislang eine Einzelfallprüfung in diesem Bereich vorbehalten hat,216 erscheint es auch nicht ganz fernliegend, dass diese Argumentation trotz der ablehnenden Haltung im Fall Columbus Container217 Berücksichtigung in der Rechtsprechung finden 212 EuGH, Urteil vom 14.11.2006 – C-513/04 (Kerckhaert/Morres) – DStR 2006, 2118 (2120), Rn. 22 f.; EuGH, Urteil vom 06.12.2007 – C-298/05 (Columbus Container) – IStR 2008, 63 (64), Rn. 45; Hey, in: Lüdicke, Wo steht das deutsche Internationale Steuerrecht, S. 154 f.; Kofler, SWI 2006, 62 (70). Siehe ausführlich schon oben B.II.1.b.bb(3)(b)(dd), S. 151 ff. 213 Gosch, IStR 2008, 413 (420); Hey, in: Lüdicke, Wo steht das deutsche Internationale Steuerrecht, S. 155; Jankowiak, Doppelte Nichtbesteuerung, S. 270; Kofler, DBA und Gemeinschaftsrecht, S. 258 ff. 214 Englisch, Dividendenbesteuerung, S. 257 ff.; Forsthoff, IStR 2006, 510 (512); Kofler, DBA und Gemeinschaftsrecht, S. 259. 215 Gosch, IStR 2008, 413 (420). Vgl. hierzu EuGH, Urteil vom 08.11.2007 – C-379/05 (Amurta) – IStR 2007, 853 (858), Rn. 79 f. m.w.N. 216 Siehe oben B.II.1.b.bb(3)(b)(dd), S. 151 ff. 217 EuGH, Urteil vom 06.12.2007 – C-298/05 (Columbus Container) – IStR 2008, 63 (64), Rn. 46 f. Siehe auch oben vor Fn. 210.

261

Die Bewältigung kollidierender Missbrauchsmaßstäbe

dürfte. Zusätzliche Beachtung verdient die Tatsache, dass die Einbeziehung des Treaty Override in die Rechtfertigungsprüfung letztlich den entscheidenden Gedanken im Zusammenhang mit der Meistbegünstigungsproblematik nochmals aufgreift – namentlich die Ausgeglichenheitsvermutung – allerdings mit umgekehrter Wirkung auf die Mitgliedstaaten. Dies muss jedoch kein Widerspruch sein, sofern man aus der Perspektive des Steuerpflichtigen die Situation der Meistbegünstigung und des Treaty Override als ebenso gegenläufig erachtet.218 Alles in allem gibt ein Treaty Override im Unionsrecht jedenfalls Anlass zur kritischen Betrachtung des Allgemeininteresses der Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse und dürfte zumindest ein starkes Indiz dafür sein, dass sich ausnahmsweise doch eine Verantwortlichkeit gerade eines Mitgliedstaates zur Vermeidung der Doppelbesteuerung ergibt. Dies gilt erst recht, soweit sich ein sachlicher Zusammenhang zu Quellensteuern besteht.219 Von einer generellen Unzulässigkeit des Treaty Override aus Sicht der Grundfreiheiten kann aber dennoch keine Rede sein. Nur in diesem Falle aber dürfte allein der hierarchische Rang des Unionsrechts einer Abkommensderogation durch das nationale Recht entgegenstehen. Auch im Wege der hier vorgenommenen dreigliedrigen Betrachtung ergibt sich mithin keine zusätzliche, absolute Kollisionsregel im Sinne eines Ranges. Das hier vertretene Lösungsmuster bleibt indes im Rahmen des Anwendungsvorranges zwischen Unionsrecht und nationalem Recht von hoher Relevanz.

3.

Kollisionsentscheidung bei Ranggleichheit

a.

Kollisionsregeln und Normauslegung

Soweit dem in Rede stehenden Lebenssachverhalt die maßgebliche Norm und damit der anzuwendende Missbrauchsmaßstab nicht schon nach den zuvor aufgezeigten Kriterien per Rangordnung zugeordnet werden können, müssen Kollisionen innerhalb gleichen Ranges nach anderen Regeln entschieden werden. Nach allgemeiner Ansicht gelangen hierzu im einfachen Recht220 vornehmlich die sog. römisch-rechtlichen tradierten, ungeschriebenen allgemei-

218 Plakativ ausgedrückt: Bei der Meistbegünstigung möchte sich der nichtansässige Steuerpflichtige auf ein DBA berufen, dies wird ihm (völkerrechtlich) zu Recht verweigert. Beim Treaty Override hingegen ist er zwar ansässig, es wird aber (völkerrechtlich) zu Unrecht die Anwendung verweigert. 219 Hierzu bereits oben B.II.1.b.bb(3)(b)(dd), S. 151, insbesondere und Fn. 634. Speziell zu § 50d Abs. 3 EStG, siehe im 2. Teil, B.II.3.b.cc, S. 459. 220 Bei einem Normenkonflikt zwischen Grundrechten ist das Prinzip der praktischen Konkordanz anzuwenden, Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof, HStR Bd. V, § 100 Rn. 94.

262

Zuordnungskriterien im Kollisionsfall

nen Kollisionsregeln221 lex posterior derogat legi priori und lex specialis derogat legi generali zur Anwendung.222 Die hergebrachte Bezeichnung als Kollisionsregel könnte dabei implizieren, dass diese Grundsätze quasi unbesehen anzuwenden seien, so als hätten sie selbst Normcharakter.223 Nach herrschender Ansicht sollen diese indes nicht a priori, sondern nur de lege lata gelten.224 Dem ist zuzustimmen, da es sich stets um eine Frage der Auslegung bzw. der Rechtsfindung im Allgemeinen handelt, welche Norm im Kollisionsfall vorgeht.225 Insoweit kann den genannten Grundsätzen nur eine bedingte Geltung dergestalt zugemessen werden, dass diese zwar eine Indizwirkung entfalten, welche am Normenkonflikt verifiziert werden muss, aber auch falsifiziert werden kann.226 Zudem ist schon das Vorliegen eines Normwiderspruchs von der Auslegung der betreffenden Normen abhängig, nach Möglichkeit ist schon auf diese Weise eine Kollision zu vermeiden.227 Die klassischen Kollisionsregeln sind bei Ranggleichheit mithin als (gewichtige) Auslegungsgrundsätze zu begreifen; bei insbesondere systematischer Auslegung der prima facie widersprechenden Normen228 kann sich im Einzelfall auch ein Zuordnung entgegen der genannten Regeln ergeben. b.

Kollisionslösung durch Zeitenfolge

Nach dem Grundsatz lex posterior derogat legi priori geht die später in Kraft getretene, jüngere Rechtsnorm der früher in Kraft getretenen, älteren Rechts221 März, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. II, Art. 31 Rn. 14. Zur Darstellung der Rechtsnatur siehe Vranes, ZaöRV 65 (2005), S. 392 ff. 222 Hensel, in: Anschütz/Thomas, HStR Bd. 2 1932, S. 314; Hummel, IStR 2005, 35 (36); März, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. II, Art. 31 Rn. 14; Maschke, Rangordnung der Rechtsquellen, S. 8; Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 4 Rn. 37; Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof, HStR Bd. V, § 100 Rn. 94. 223 Maschke, Rangordnung der Rechtsquellen, S. 8. In diese Richtung auch F. Kirchhof, Private Rechtsetzung, S. 493: „anerkannte Grundsätze der Rechtsordnung der Neuzeit.“ 224 März, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. II, Art. 31 Fn. 34 m.w.N.; Hummel, IStR 2005, 35 (36); Maurer, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 4 Rn. 37; Zippelius, Juristische Methodenlehre, S. 41. Allerdings sollen diese Regeln ihre Verankerung im grundgesetzlichen Rechtsstaatsprinzip finden und daher selbst zu den im Konfliktfalle zu berücksichtigenden Verfassungsrechtsgütern gehören, vgl. Hummel, IStR 2005, 35 (36). Ausführliche Auseinandersetzung m.w.N. bei Vranes, ZaöRV 65 (2005), S. 392 ff., dort als „der Rechtsordnung inhärente Interpretationskriterien“ bezeichnet, S. 397 ff. 225 Enneccerus/Nipperdey, Allgemeiner Teil, Halbbd. 1, S. 351; Larenz, Methodenlehre, S. 257; Zippelius, Juristische Methodenlehre, S. 41. 226 Engisch, Einheit der Rechtsordnung, S. 47; März, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. II, Art. 31 Fn. 34 m.w.N. 227 Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 212; Zippelius, Juristische Methodenlehre, S. 41. 228 Vgl. auch Achterberg, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 17 Rn. 37; Engisch, Einführung in das juristische Denken, S. 212; Larenz, Methodenlehre, S. 257.

263

Die Bewältigung kollidierender Missbrauchsmaßstäbe

norm vor.229 Hintergrund dieser Kollisionslösung durch Zeitenfolge ist die Annahme, dass der Normgeber mit Erlass der neuen Norm die entgegenstehende ältere Norm stillschweigend aufheben wollte.230 Dies schränkt die Kollisionsregel insoweit ein, als die Vermutung nur dann gerechtfertigt ist, soweit der jeweilige Normgeber überhaupt die jeweilige Kompetenz zur Aufhebung der früheren Norm besitzt. Zudem gilt in besonderem Maße, dass sich im Wege der Auslegung eine abweichende Beurteilung ergeben kann, etwa wenn eine Neuregelung eine Sachmaterie nicht vollumfänglich regelt: In diesem Fall kann sowohl die Fortgeltung als auch die Ersetzung des alten Rechts denkbar sein.231 Umgekehrt kann aber auch erst die Auslegung ergeben, dass eine Norm einer anderen (logisch mit ihr vereinbaren) Vorschrift vorgehen oder sie aufheben soll, wenn eine jüngere Norm als abschließende Regelung einer bestimmten Norm zu interpretieren ist.232 Gegen eine Übertragung der lex posterior Regel als Auslegungsgrundsatz auf die Situation kollidierender Missbrauchsmaßstäbe sind keine grundlegenden Bedenken anzubringen. Prämisse muss aber die Abänderungskompetenz bleiben, da sich nur so die Vermutung begründen lässt; insoweit verbleibt der Anwendungsbereich zunächst innerhalb der jeweiligen Rechtskreise. Das Beispiel der Missbrauchsklauseln in DBA zeigt jedoch, dass auch Ausnahmen denkbar wären – wenn dies auch der Tatsache geschuldet ist, dass aufgrund des Erfordernisses des Zustimmungsgesetzes die Kompetenz grundsätzlich gegeben ist. Bedenken in diesem Zusammenhang wurden bereits unter dem Stichwort des Treaty Override dargelegt und entkräftet.233 Verwiesen sei in diesem Zusammenhang aber nochmals auf § 2 Abs. 1 AO, welcher eine Vermutungswirkung zugunsten der Abkommensregel begründen und insoweit den Grundsatz des lex posterior entkräften könnte;234 dass diese Vermutungswirkung nach ganz h.M. durch eine ausdrückliche Vorranganordnung beseitigt

229 Achterberg, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 17 Rn. 40; Hensel, in: Anschütz/Thomas, HStR Bd. 2 1932, S. 314; Larenz, Methodenlehre, S. 256; März, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. II, Art. 31 Rn. 14; Zippelius, Juristische Methodenlehre, S. 40. 230 Achterberg, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 17 Rn. 40; Larenz, Methodenlehre, S. 256; Ott, Die Methode der Rechtsanwendung, S. 206; Zippelius, Juristische Methodenlehre, S. 40. Ausführlich auch Vranes, ZaöRV 65 (2005), S. 396 f. m.w.N. 231 Zippelius, Juristische Methodenlehre, S. 40 f. 232 Zippelius, Juristische Methodenlehre, S. 41. 233 Zum Treaty Override als Rangproblem siehe ausführlich oben D.II.2.c.bb(2), S. 240 ff. 234 Birk, in: H/H/Sp, § 2 AO Rn. 165 ff.; Busching/Trompeter, IStR 2005, 510 (512 f.); Gosch, IStR 2008, 413 (418); Musil, RIW 2006, 287 (290); Pahlke, in: Pahlke/König, AO, § 2 Rn. 19; Seer, IStR 1997, 481 (484). Nach anderer Ansicht ist dies als Bestätigung der lex specialis Regel zu sehen, hierzu vgl. oben Fn. 94.

264

Zuordnungskriterien im Kollisionsfall

werden kann,235 stimmt mit der Qualifizierung des lex posterior als (bloßer) Auslegungsgrundsatz überein. c.

Kollisionslösung durch Spezialität und rahmenausfüllende Konkretisierung

aa.

Spezialität im klassischen Sinne

Nach dem Grundsatz lex specialis derogat legi generali geht die spezielle Rechtsnorm der allgemeinen vor.236 Diese Regel stützt sich auf die Vermutung, dass der Gesetzgeber eine Abänderungs- und Konkretisierungsbefugnis für einen bestimmten Bereich nutzen wollte und bei einem Vorrang der allgemeinen Norm eine Norm ohne Inhalt erlassen würde.237 Eine Kollisionslösung infolge einer solchen Spezialität im klassischen Sinne setzt voraus, dass die spezielle Norm alle Begriffsmerkmale der allgemeinen enthält und mindestens ein zusätzliches;238 nicht möglich ist dies, soweit sich Tatbestände nur teilweise decken.239 Umstritten ist hierbei das Verhältnis des lex specialis Satzes zu dem der lex posterior: Nach überwiegender Auffassung soll zumindest im Zweifel der sachbezogene Aspekt der Spezialität auch gegenüber dem temporären der Zeitenfolge den Vorrang genießen, so dass die später in Kraft getretene, aber allgemeine Rechtsnorm (lex posterior generalis) eine früher ergangene Spezialregelung (lex prior specialis) grundsätzlich nicht zu derogieren vermag;240 richtigerweise darf jedoch auch insoweit keine absolute Hierarchie bestehen, so dass dieser Konflikt stets unter Heranziehung sämtlichen verfügbaren Auslegungsmaterials gelöst werden muss241 und im Ergebnis mitunter auch der lex posterior generalis der Vorzug gegeben werden kann. Bezogen auf Missbrauchsmaßstäbe könnte eine Spezialität insbesondere dann in Rede stehen, wenn eine bestimmte Umgehungsform als missbräuchlich erachtet wird, d.h. insbesondere bei – verglichen mit der allgemeinen Vorschrift 235 BFH, Urteil vom 13.07.1994 – I R 120/93 – BStBl II 1995, 129 (130); Drüen, in: Tipke/Kruse, AO, § 2 AO Rn. 2; Gosch, IStR 2008, 413 (418); Streinz, in: Sachs, GG, Art. 59 Rn. 37. Näheres siehe oben Fn. 95. 236 Achterberg, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 17 Rn. 41; Larenz, Methodenlehre, S. 256 f.; März, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. II, Art. 31 Rn. 14; Ott, Die Methode der Rechtsanwendung, S. 206; Zippelius, Juristische Methodenlehre, S. 39. 237 Vranes, ZaöRV 65 (2005), S. 399 ff. m.w.N. 238 Larenz, Methodenlehre, S. 256 f.; Zippelius, Juristische Methodenlehre, S. 39. 239 Larenz, Methodenlehre, S. 257 f. spricht insoweit von „kumulativer Konkurrenz“, bei der auch die Anwendung nebeneinander denkbar ist. 240 Lex generalis posterior non derogat legi speciali priori. März, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. II, Art. 31 Rn. 14; Ossenbühl, in: Isensee/Kirchhof, HStR Bd. V, § 100 Rn. 94. Reimer/Rust, IStR 2005, 842 (845). Tendenziell umgekehrt jedoch Vranes, ZaöRV 65 (2005), S. 402. 241 Vranes, ZaöRV 65 (2005), S. 402 f.

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Die Bewältigung kollidierender Missbrauchsmaßstäbe

des § 42 AO – speziellen Missbrauchsklauseln des nationalen Rechts, wie etwa §§ 50d Abs. 3, 50g Abs. 4 EStG, sekundärrechtlichen Missbrauchsvorbehalten wie Art. 1 Abs. 2 MTRL, Art. 5 Abs. 1 ZLRL, und Limitation on Benefits Klauseln wie Art. 28 DBA-USA. Diese wären demnach vorrangig anwendbar; die überwiegende Ansicht sieht in speziellen Missbrauchsvorbehalten insoweit eine Typisierung des Missbrauchs.242 bb.

Konkretisierungswirkung rahmenausfüllender Missbrauchsvorbehalte

Indes greift die Feststellung einer klassischen Spezialität für das Verhältnis von rahmenbildender und rahmenausfüllender Norm zu kurz, da nach hier vertretener Ansicht Missbrauchsvorbehalte nicht nur Maßstäbe umfassen, die stets als Verhältnis von allgemein zu speziell erachtet werden können. Denn dies würde jeweils voraussetzen, dass der allgemeine Maßstab unabhängig von eventuellen Spezialregelungen, durch die er verdrängt würde, – gewissermaßen aus sich heraus – anwendbar wäre. Dies ist aber gerade nicht der Fall, wenn – wie gezeigt – die Generalklausel des § 42 AO nur strukturgebend einen abstrakten Rahmen des Missbrauchsmaßstabs festlegt und der konkrete Maßstab erst unter Zuhilfenahme weiterer gesetzlicher Wertungen konkretisiert werden kann, wozu auch spezielle Missbrauchsvorbehalte zählen. In ähnlichem Zusammenhang hat Achterberg gar eine eigene Kollisionsregel in Form der lex completa derogat legi complenti geprägt, nach der die rahmenbildende (allgemeine) Norm der rahmenausfüllenden (speziellen) vorgehe.243 Diese Regel müsse im Rahmen einer Kollision gleichrangigen Rechts Anwendung finden, wenn nach dem ersichtlichen Willen des Normgebers weder der Vorrang des lex posterior noch des lex specialis gelten solle.244 Eine Übertragung dieses Gedankens auch das Verhältnis von § 42 AO und speziellen Missbrauchsvorbehalten erscheint gerechtfertigt, da diese ein gemeinsames Konzept der Verhinderung von Steuerumgehungen und mithin ein übergreifender, gemeinsamer Missbrauchsbegriff zugrunde liegt; folglich unterfallen auch spezielle Normen bei der Bestimmung des Maßstabs eines Missbrauchs grundsätzlich dem abstrakten Rahmen i.S.v. § 42 Abs. 2 AO.245 Es wäre jedoch falsch, hieraus eine hierarchische Rangwirkung zwischen dem abstrakten Maßstab des § 42 AO und dem konkreten Maßstab der speziellen Missbrauchsvorschrift abzuleiten, da es sich jeweils um einfaches Recht han242 Siehe etwa Hey, StuW 2008, 167 (171); ausführlich bereits oben B.I.3.c, S. 124 m.w.N. 243 Achterberg, DÖV 73, 289 (293); ders., Allgemeines Verwaltungsrecht, § 17 Rn. 42. Siehe auch Würtenberger, Staatsrechtliche Probleme, S. 344: Das ausführungsbedürftige Gesetz gehe dem ausführenden vor. 244 Achterberg, Allgemeines Verwaltungsrecht, § 17 Rn. 42. 245 Ausführlich (m.w.N.) oben B.I.3.b, S. 123.

266

Zuordnungskriterien im Kollisionsfall

delt, und eine innergesetzliche Rangordnung – wie schon im Zusammenhang mit § 2 Abs. 1 AO246 – auf solche Weise nicht begründet werden kann. Die Rückbindung an den Rahmen des § 42 Abs. 2 AO muss jedoch als eigener Auslegungsgrundsatz bei der Kollision berücksichtigt werden und steht insoweit in Widerspruch zu der richtigerweise gleichfalls nur als Auslegungsgrundsatz wirkenden tradierten Kollisionsregel der lex specialis. Die Annahme einer verdrängenden Spezialität im klassischen Sinne würde weiterhin auch nicht der Tatsache gerecht werden, dass der Gesetzgeber durch die Neufassung des § 42 AO, insbesondere die Anordnung des Abs. 1 S. 2 und S. 3 – nochmals klar gemacht hat, dass er § 42 AO als zumindest subsidiären Auffangtatbestand vorgesehen hat.247 Hinzu kommt, dass § 42 AO als jüngere Vorschrift gar die Vermutung des lex posterior für sich beanspruchen könnte, und auch hiernach eine uneingeschränkte Spezialität zu hinterfragen sein dürfte. All dies streitet dafür, im Hinblick auf das Zusammenwirken von strukturgebendem, abstraktem Rahmen des § 42 Abs. 2 AO und maßstabskonkretisierendem Spezialvorbehalt die Spezialitätsregel zwar nicht vollständig außer Kraft zu setzen, aber zumindest abzumildern. Insoweit besteht ein Spannungsverhältnis zwischen den genannten Auslegungsgrundsätzen, bei dem der Konkretisierungswirkung rahmenausfüllender Normen zwar ein substantielles Gewicht zugesprochen werden kann, diese aber keinesfalls als absolut wirkend zu betrachten ist. Zur Entscheidung über mögliche Anwendungswidersprüche zwischen den verschiedenen Missbrauchsmaßstäben ist insoweit einer Einzelfallbetrachtung der Vorzug zu geben. In systematischer Hinsicht mag man hierbei auch von einer Spezialität im weiten Sinne sprechen, da in erster Linie weiterhin der konkretisierende Maßstab des speziellen Vorbehalts die Qualifikation als missbräuchlich bestimmt; wie zu zeigen ist, kann dies im Regelfall auch in Übereinstimmung mit dem Rahmen des § 42 Abs. 2 AO erfolgen. Mitunter handelt es sich gar um eine nur scheinbare Kollision, da sich Generalklausel und Spezialvorschrift jedenfalls in eindeutig missbräuchlichen Konstellationen nicht widersprechen, sondern überlagern und ergänzend zusammenwirken. Zugleich bedeutet dies aber auch, dass § 42 AO als lex completa nicht in dem Sinne verdrängt wäre, dass dessen Prüfung von vornherein nicht stattfindet. Die Frage nach der Einordnung spezieller Missbrauchsvorbehalte in den abstrakten Rahmen des § 42 Abs. 2 AO ist mithin nach wie vor aufgeworfen. Mittels Fallgruppenbildung soll im Folgenden untersucht werden, inwieweit die Konkretisierungswirkung rahmenausfüllender Maßstäbe näher systematisiert 246 Siehe D.II.2.b.aa, S. 227, insbesondere auch Fn. 40. 247 Ob dies im Ergebnis gelungen ist, ist eine andere Frage, hierzu sogleich D.II.3.c.bb(2)(b), S. 271.

267

Die Bewältigung kollidierender Missbrauchsmaßstäbe

werden kann und sich möglicherweise nähere Zuordnungskriterien bestimmen lassen. (1)

1. Fallgruppe: Tatbestandsmäßigkeit der Spezialnorm

Die erste Fallgruppe kennzeichnet sich dadurch, dass der Tatbestand der speziellen Missbrauchsvorschrift erfüllt sein soll – zunächst jedoch unter Vernachlässigung einer eventuell erforderlichen Möglichkeit eines Gegenbeweises im Einzelfall, da dies als gesonderte Fallgruppe betrachtet wird. Im Schrifttum ist man sich weitgehend248 einig, dass im Falle der Tatbestandsmäßigkeit der Spezialvorschrift deren Rechtsfolgenbefehl Vorrang hat und die streitgegenständliche Gestaltung mithin als missbräuchlich zu qualifizieren und die Besteuerung entsprechend vorzunehmen ist; insoweit hat sich auch durch die Neufassung des § 42 Abs. 1 AO die Rechtslage nicht geändert,249 mitunter wird § 42 Abs. 1 S. 2 AO n.F. ausdrücklich als deklaratorisch angesehen.250 Auf eine Prüfung des § 42 Abs. 1 S. 3 i.V.m. Abs. 2 – und damit auch das tatbestandliche Vorliegen eines Missbrauchs – kommt es nach dieser Auffassung nicht mehr an. Nach der im Rahmen dieser Untersuchung zugrunde gelegten aufgrund Funktion des § 42 Abs. 2 AO als strukturgebender Rahmentatbestand erweist sich diese Kollision letztlich als unproblematisch: Ausweislich des Wortlauts, welcher einen gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteil erfordert, muss namentlich der Maßstab im Einzelfall unter Zuhilfenahme der gesetzlichen Wertungen im Einzelfall konkretisiert werden; der Begriff der Unangemessenheit einer Gestaltung ist somit insbesondere teleologisch auszulegen, und enthält hierdurch ein objektivierendes Element.251 Für die Beurteilung, was als gesetzlich nicht vorgesehen gilt, kann aber nicht nur das umgangene Gesetz herangezogen werden, das in den Fällen der Tatbestandserschleichung die jeweilige Vergünstigung gewährt, sondern natürlich auch – und zwar unter besonderer Beachtung – eine gegen die missbräuchliche Inanspruchnahme gerichtete spe-

248 Abweichend hiervon vertreten einige Stimmen, dass es in bestimmten Fällen, in den § 42 AO zu einer Zurechnungsverschiebung führt, zu einem logischen Vorrang der Generalklausel gegenüber der Spezialnorm komme, siehe Häussermann/Rengier, IStR 08, 679 (680); Kinzl, IStR 07, 561 (565). Argumentiert wird hierbei mit der noch darzustellenden BFH-Rechtsprechung zum Verhältnis der §§ 7 ff. AStG und § 42 AO, hierzu sogleich D.II.3.c.bb(2)(a), S. 270, insbesondere bei Fn. 256. Zur Auseinandersetzung im Rahmen des § 50d Abs. 3 EStG siehe im 2. Teil, B.II.1.b.aa, S. 428. 249 Fischer, in: H/H/Sp, § 42 AO Rn. 292; Hahn-Joecks, in: K/S/M, EStG, § 50d Rn. E 9; Hey, BB 2009, 1044 (1047 f.); Kaiser, IStR 2009, 121 (127); Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 41 250 Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50d Rn. 30; Hahn, DStZ 08, 483 (486). 251 Zur Herleitung ausführlich im 1. Teil, B.I.2.c.bb(2), S. 73.

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Zuordnungskriterien im Kollisionsfall

zielle Vorschrift.252 Diese konkretisiert den abstrakten Maßstab, indem sie eine entsprechende Gestaltung ausdrücklich als nicht vorgesehen und damit unangemessen missbilligt, so dass die Finanzverwaltung vom Vorliegen eines Missbrauchs ausgehen darf.253 Es handelt sich es hierbei aber gerade nicht um eine Verdrängungswirkung infolge klassischer Spezialität, sondern um eine rahmenausfüllende Konkretisierung, d.h. ein maßstabsbildendes Zusammenwirken von § 42 Abs. 2 AO als Rahmentatbestand und der jeweiligen Spezialvorschrift als rahmenausfüllender Norm. Dennoch kann auch im Rahmen der Generalklausel ein Anwendungsbereich des Spezialitätsgrundsatzes im klassischen Sinne verbleiben, da das soeben beschriebene Verhältnis nur hinsichtlich des inhaltlich anzuwendenden Maßstabs, und damit auf der Tatbestandsseite greift. Sofern die Spezialvorschrift jedoch darüber hinaus eine von § 42 AO abweichende Rechtsfolge trifft, kann es bei der Rechtsanwendung immer noch zu einer Kollision der Rechtsfolge kommen, die der Auflösung bedarf. Insoweit ist kein Grund ersichtlich, von der Anwendung des lex specialis Grundsatz abzusehen; in der Neufassung des § 42 AO wird dies durch § 42 Abs. 1 S. 2 AO deklaratorisch bestätigt.254 Mitunter ergeben sich hierbei ohnehin die gleichen Ergebnisse, wenn faktisch die Konkretisierung der Unangemessenheit zu einer Konkretisierung der angemessen Gestaltung und deren Besteuerungsfolgen führt, und damit § 42 Abs. 1 S. 3 AO entsprochen wird. (2)

2. Fallgruppe: Nichttatbestandsmäßigkeit der Spezialnorm

Die 2. Fallgruppe soll hingegen durch die Nichttatbestandsmäßigkeit der speziellen Missbrauchsnorm gekennzeichnet sein. Ob dies zwingend bedingt, dass auch § 42 AO infolge einer Verdrängungs- oder Abschirmwirkung nicht zur Annahme eines Missbrauchs führt, ist nicht erst seit der Neufassung des § 42 AO im Rahmen des JStG 2008 umstritten.

252 Vgl. auch Dörr/Fehling, NWB F 2, 9671 (9676); Fischer, in: H/H/Sp, § 42 AO Rn. 292, unter Betonung des lex specialis Grundsatzes. Zum Einfluss des sog. Wertungsvorranges der Spezialvorschrift allgemein auf die Unangemessenheit Mack/Wollweber, DStR 2008, 182 (186). Hey, BB 2009, 1044 (1048). 253 Siehe schon oben B.I.2.b.cc, S. 63 und B.I.2.b.dd, S. 66. Damit ist zugleich die These der klassischen Innentheorie widerlegt, welche ein Bedürfnis für spezielle Konkretisierungen verneint, da Auslegung und Analogie derjenigen Normen, die durch die Sondervorschrift abgesichert werden sollen, einen hinreichenden Umgehungsschutz gewährleisten; man könne daher allenfalls von einer Appellfunktion ausgehen; so Fischer, in: H/H/Sp, AO, § 42 Rn. 291; Sieker, Umgehungsgeschäfte, S. 214. 254 Vgl. bereits oben Fn. 249 f.

269

Die Bewältigung kollidierender Missbrauchsmaßstäbe

(a)

Rückblickende Betrachtung

Die Rechtsprechung verfolgte hierzu schon frühzeitig die Linie, dass spezielle Vorschriften im Allgemeinen nach dem Grundsatz lex specialis Vorrang gegenüber § 42 AO genießen.255 Im Ergebnis wurde dies auch gegenüber der Hinzurechnungsbesteuerung der §§ 7 ff. AStG vertreten, dort allerdings ging man von einem logischen Vorrang des § 42 AO aus, da dieser auf vorgeschalteter Prüfungsebene bereits die Einkünftezurechnung verschiebe; bei der Anwendung der Norm seien aber die entsprechenden gesetzlichen Wertungen zu berücksichtigen, so dass tatbestandlich ein Missbrauch ausscheide, wenn allein Umstände i.S.d. § 8 AStG vorliegen.256 In Bezug auf etwa § 50d Abs. 3 EStG war die Rechtsprechung weniger konstant: Während der BFH es in Hilversum I noch dahinstehen ließ, da er beide Vorschriften als tatbestandsmäßig ansah,257 wurde später in Hilversum II betont, dass § 50d Abs. 1a EStG (a.F.) den tatbestandlichen Rahmen abschließend vorgebe; um Wertungswidersprüche auszuschließen, müsse die tatbestandliche enger gefasste Norm auf die allgemeinere Vorschrift durchschlagen.258 In SOPARFI wurde hingegen formuliert, dass § 42 AO durch die spezielle Vorschrift sogar abschließend verdrängt werde.259 Im Schrifttum wurde von der überwiegenden Ansicht ebenfalls der Spezialitätsgrundsatz hervorgehoben und § 42 AO als verdrängt angesehen.260. 255 BFH, Urteil vom 13.12.1989 – I R 118/87 – BStBl II 1990, 474 (477); BFH, Urteil vom 15.12.1999 – I R 29/97 – BStBl II 2000, 527 (532 f.). 256 BFH, Urteil vom 23.10.1991 – I R 40/89 – BStBl II 1992, 1026 (1028); BFH, Urteil vom 10.06.1992 – I R 105/89 – BStBl II 1992, 1029 (1031).; BFH, Urteil vom 19.01.2000 – I R 94/97 (Dublin Docks I) – BStBl II 2001, 222 (223). Für die Annahme eines Missbrauchs müssten daher weitere Umstände hinzutreten, aufgrund derer es sich um eine in wirtschaftlicher Hinsicht inhaltsleere und bedeutungslose Briefkastengesellschaft handele, BFH, Urteil vom 19.01.2000 – I R 117/97 – IStR 2000, 182 (183). 257 BFH, Urteil vom 20.03.2002 – I R 38/00 (Hilversum I) – BStBl II 2002, 819 (821). 258 BFH, Urteil vom 31.05.2005 – I R 74/04 u.a. (Hilversum II) – BStBl II 2006, 118 (120). So auch FG Köln, Urteil vom 16.03.2006 – 2 K 1139/02 – IStR 2006, 425 (426). 259 BFH, Urteil vom 29.01.2008 – I R 26/06 (SOPARFI) – IStR 2008, 364 (364 f.), insbesondere Leitsatz 1. Im selben Verfahren wurde auch ausdrücklich festgestellt, dass soweit dem BFH, Urteil vom 29.10.1997 – I R 35/96 (Sportler-Vermarktung) – BStBl II 1998, 235 (237), etwas Gegenteiliges entnommen werden könne, daran nicht mehr festgehalten werde. Diese Feststellung war jedoch nicht nötig, da im genannten Verfahren ausschließlich festgestellt wurde, dass die damalige Schaffung des § 50d Abs. 1 EStG erst zum VZ 1994 nicht der Anwendung des § 42 AO auf einen Sachverhalt des VZ 1990 entgegenstehe. 260 Bächle/Rupp/Ott/Knies, Internationales Steuerrecht, S. 715; Drüen, in: Tipke/Kruse, § 42 AO Rn. 20; Clausen, DB 2003, 1593 (1595); Füger/Rieger, IStR 1998, 353 (357); Gosch, in: Harburger Steuerprotokoll 1999, S. 237; Hensel, A., in: FS Zitelmann, S. 273 f.; a.A: Höppner, in: FS Rädler, S. 333 f.; Koenig, in: Pahlke/Koenig, AO, § 42 Rn. 6; Sieker, Umgehungsgeschäfte, S: 36 ff.; Tipke, StRO III, S. 1346 f.

270

Zuordnungskriterien im Kollisionsfall

Gegen dieses als missliebig empfundene Ergebnis versuchte der Gesetzgeber mit einer Änderung des § 42 AO durch das StÄndG 2001261 vorzugehen, indem gemäß dessen neu angefügten Abs. 2 die Vorschrift anwendbar sein sollte, soweit ihre Änderung nicht gesetzlich ausdrücklich ausgeschlossen war. Die als „Klarstellung“262 bezeichnete, in Wirklichkeit aber fiskalisch motivierte Rechtsprechungskorrektur263 verfehlte ihre Wirkung aber, weil Rechtsprechung und Literatur an der oben genannten Abschirmwirkung festhielten und nach wie vor die Spezialvorschrift jedenfalls wertungsmäßig auf § 42 AO durchschlagen ließen.264 Als Ausnahme hiervon wurden zwei Fallgruppen genannt: So sollte die Wirkung des lex specialis Grundsatzes nicht greifen, sofern es sich um eine „unechte“, d.h. nicht abschließende Spezialvorschrift handele und sofern die spezielle Vorschrift selbst umgangen werde.265 (b)

Beurteilung im Lichte des § 42 AO n.F.

Dem ist der Gesetzgeber mit dem JStG 2008 erneut entgegen getreten;266 Gemäß § 42 Abs. 1 S. 2 und S. 3 AO n.F. soll gelten: „Ist der Tatbestand einer Regelung in einem Einzelsteuergesetz erfüllt, die der Verhinderung von Steuerumgehungen dient, so bestimmen sich die Rechtsfolgen nach jener Vorschrift. 3Anderenfalls entsteht der Steueranspruch beim Vorliegen eines Missbrauchs im Sinne des Absatzes 2 so, wie er bei einer den wirtschaftlichen Vorgängen angemessenen rechtlichen Gestaltung entsteht.“

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Jedenfalls aber sollte die Konkretisierung des Missbrauchs durch die Spezialvorschrift zur Folge haben, dass selbst bei einer Anwendbarkeit des § 42 AO dem Grunde nach in tatbestandlicher Hinsicht ein Missbrauch ausscheiden sollte, da auch insoweit die speziellen Wertungen zu berücksichtigen seien, dazu auch sogleich Fn. 264. Steueränderungsgesetz 2001 vom 20.12.2001, BGBl I 2001, S. 3794. BT-Ds. 14/7341, S. 39 f. Drüen, in: Tipke/Kruse, § 42 AO Rn. 20a; Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50d Rn. 30. BFH, Urteil vom 20.03.2002 – I R 63/99 (Delaware) – BStBl II 2003, 50 (53); BFH, Urteil vom 25.02.2004 – I R 42/02 (Dublin Docks II) – BStBl II 2005, 14 (17); Blesinger, in: Kühn/von Wedelstädt, AO, § 42 Rn. 30; Clausen, DB 2003, 1593 (1595); Drüen, in: Tipke/Kruse, § 42 AO Rn. 20b; Fischer, in: H/H/Sp, § 42 AO Rn. 292. Speziell zu § 50d Abs. 3 EStG siehe auch Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50d Rn. 30; Hahn-Joecks, in: K/S/M, EStG, § 50d Rn. E 7; Musil, RIW 2006, 286 (291); Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 41. Instruktiv Drüen, in: Tipke/Kruse, § 42 AO Rn. 20b. Diese Änderung soll gemäß der Gesetzesbegründung – ähnlich wie schon § 42 Abs. 2 AO a.F. im Rahmen des StÄndG – das Verhältnis zu einzelgesetzlichen Regelungen „klarer fassen“, siehe BT-Ds. 16/7036, S. 6. Dennoch sieht auch hierin die Literatur eine versuchte Korrektur der genannten Rechtsprechung, in dem eine bestimmte Prüfungsreihenfolge im Gesetz festgeschrieben werde, Carlé, DStZ 2008, 653 (654); Drüen, in: Tipke/Kruse, vor § 42 AO Rn. 13; Ratschow, in: Klein, AO, § 42 Rn. 91; Wienbracke, DB 2008, S. 664 (669).

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Die Bewältigung kollidierender Missbrauchsmaßstäbe

Das Anliegen des Gesetzgebers, eine zumindest subsidiäre Anwendung der Generalklausel gegenüber speziellen Missbrauchsregelungen zu erreichen, erscheint auch verständlich, da er stets nur reagieren kann und bereits bestehende Vorschriften gegenüber neuen Gestaltungmodellen ansonsten leerlaufen.267 Die Finanzverwaltung geht in der Folge von der Zulässigkeit einer solchen Anwendung des § 42 AO aus; allein die Existenz einer speziellen Regelung schließe die Anwendbarkeit des § 42 Abs. 1 S. 3, Abs. 2 AO nicht aus.268 Hierbei solle sich der Missbrauch alleine nach den Voraussetzungen des Abs. 2 bestimmen.269 Im Schrifttum findet sich ebenso Vertreter der These, dass spezielle Tatbestände die allgemeine Missbrauchsregelung nur im Umfang ihrer eigenen Tatbestandsmäßigkeit verdrängen und daher eine weitere (subsidiäre) Prüfung des § 42 AO möglich sein solle.270 Hierzu wird insbesondere auf die subjektive, historische Auslegungsmethode verwiesen, wonach nach dem gesetzgeberischen Willen eine Auslegung des nachrangig anwendbaren allgemeinen Missbrauchstatbestands im Korsett des Spezialtatbestands ausscheide.271 Nach herrschender Ansicht in der Literatur steht dem nach wie vor die Abschirmwirkung spezieller Missbrauchsvorbehalte entgegen; die Verdrängungswirkung in Folge des lex specialis Grundsatzes wirke sich zumindest als Wertungsvorrang auf § 42 AO aus, so dass der Tatbestand des Missbrauchs nicht gegeben sei.272 Als Argument wird hierfür angeführt, dass der Gesetzgeber nicht seine eigenen Wertungen unterlaufen dürfe; die spezielle Missbrauchsnorm gebe insoweit den Maßstab für die Annahme eines Missbrauchs zwingend vor.273 Für den Fall, dass diese leerläuft und Rechtsfolgenlücken 267 Vgl. Koenig, in: Pahlke/Koenig, AO, § 42 Rn. 6. In diesem Zusammenhang ist auch der (unveröffentlichte) Entwurf einer Anzeigepflicht von Steuergestaltungsmodellen (§ 138a AO-E) zu sehen, ausführliche Stellungnahmen hierzu siehe Flämig, DStR 2007, Beiheft zu Heft 44, S. 1 ff.; Kessler/Eicke, BB 2008, 2370; Loritz, ZSteu 2007, 415 (419 f.); Wienbracke, DStZ 2007, 664. 268 Ziff. 1 AEAO zu § 42 AO. 269 BT-Drucks 16/7036, S. 24. 270 Kaiser, IStR 2009, 121 (127); Koenig, in: Pahlke/Koenig, AO, § 42 Rn. 6. Zu der – abzulehnenden – Ansicht, wonach § 42 AO im Wege der Einkünftezurechnung sogar vorrangig gegenüber § 50d Abs. 3 EStG wäre, siehe schon zuvor B.II.1.b.aa, S. 428. 271 Koenig, in: Pahlke/Koenig, AO, § 42 Rn. 6. 272 Drüen, Ubg 2008, 31 (34); Fischer, in: H/H/Sp, § 42 AO Rn. 292; Hey, BB 2009, 1044 (1048); Kinzl, IStR 07, 561 (565); Mack/Wollweber, DStR 2008, 182 (186); Ratschow, in: Klein, AO, § 42 Rn. 91; Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 41; Wagner, in: Blümich, ESt – KSt – GewSt, § 50d EStG Rn. 61; Wienbracke, DB 2008, 664 (669). Siehe auch Bünning/Mühle, BB 2006, 2159 (2162), allerdings unter Ablehnung des Spezialitätsgrundsatzes. 273 Drüen, Ubg 2008, 31 (34); Fischer, in: H/H/Sp, § 42 AO Rn. 292; Ratschow, in: Klein, AO, § 42 Rn. 91. Der Gesetzgeber hat insoweit „seinen claim abgesteckt“, Fischer, in:

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Zuordnungskriterien im Kollisionsfall

entstehen, seien diese durch eine Änderung der Spezialvorschrift zu bewältigen.274 Nach hier vertretener Ansicht folgt aus der Funktion des § 42 AO als strukturgebender Rahmentatbestand eine Einschränkung der Spezialitätsregel; der Konkretisierung ist zwar besonderes Gewicht beizumessen, aber es bleibt bei einem Spannungsverhältnis zur Rückbindung an den abstrakten Rahmen des § 42 Abs. 2 AO. Es handelt sich hierbei aber gerade nicht um eine Verdrängungswirkung infolge Spezialität, sondern um ein maßstabsbildendes Zusammenwirken von § 42 Abs. 2 AO als Rahmentatbestand und der jeweiligen Spezialvorschrift als rahmenausfüllender Norm (rahmenausfüllende Konkretisierung). Mithin ist zumindest denjenigen Ansichten eine Absage zu erteilen, die nicht nur einen tatbestandsmäßigen Wertungsvorrang befürworten, sondern die Generalklausel des § 42 AO im Sinne einer absoluten Unbeachtlichkeit als „nicht anwendbar“ verdrängt ansehen.275 Dies hängt zwar in gewissem Maße auch vom Verständnis des Begriffs der Anwendbarkeit im Zusammenhang mit Normen ab; als weniger kritisch anzusehen wäre insoweit eine Gleichsetzung von Anwendbarkeit und Tatbestandsmäßigkeit.276 § 42 AO bleibt indes definitiv anwendbar in dem Sinne, dass er auf seine Tatbestandsvoraussetzungen hin zu prüfen ist, und muss daher zumindest formal als subsidiärer Auffangtatbestand angesehen werden277 – jedenfalls dies hat der Gesetzgeber mit der Neufassung des § 42 Abs. 1 S. 2 und S. 3 AO bewirkt. Insoweit kann aber zumindest regelmäßig davon ausgegangen werden, dass bei Nichterfüllung der Tatbestandsmerkmale des Spezialvorbehalts, auch kein Missbrauchs i.S.v. § 42 Abs. 2 AO vorliegt. Wie bereits dargelegt, ist der Rahmen einer unangemessenen, gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteils durch teleologische Inbezugnahme der einschlägigen Einzelsteuergesetze auszufüllen; hierzu gehört selbstverständlich auch die jeweilige spezielle Missbrauchsnorm, die bereits eine konkrete Missbrauchsgestaltung regelt. Es liegt daher das Auslegungsergebnis nahe, dass der Steuerpflichtige keinen gesetz-

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FR 2008, 306 (310 f.), m.w.N. Drüen, Ubg 2008, 31 (34), spricht von der „maßstabsetzenden Kraft spezieller Missbrauchsvorschriften.“ BFH, Urteil vom 15.12.1999 – I R 29/97 – BStBl II 2000, 527 (532 f.); Dörr/Fehling, NWB F 2, 9671 (9676); Drüen, in: Tipke/Kruse, § 42 AO Rn. 20. Dies ist nur erforderlich, soweit nicht schon eine teleologische Auslegung möglich ist. So zu vermuten bei Micker, FR 2009, 409 (410); Schaumburg, Internationales Steuerrecht, Rn. 16.153 und 16.160. Ähnlich auch Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50d Rn. 30. In diesem Sinne wäre daher ein Missverständnis möglich in Bezug auf etwa Drüen, in: Tipke/Kruse, § 42 AO Rn. 20; Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50d Rn. 30; Schönfeld, in: F/W.B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 41; Wagner, in: Blümich, ESt – KSt – GewSt, § 50d EStG Rn. 61. Ähnlich Hey, BB 2009, 1044 (1048 f.); Ratschow, in: Klein, AO, § 42 Rn. 91.

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Die Bewältigung kollidierender Missbrauchsmaßstäbe

lich nicht vorgesehenen Steuervorteil ausnutzt und aufgrund dieses objektivierenden Merkmals somit keine unangemessene Gestaltung vorliegt.278 Damit ist aber nicht per se ausgeschlossen, dass sich in Einzelfällen noch auf andere Weise – trotz der Nichttatbestandsmäßigkeit der Spezialnorm – noch ein konkreter Maßstab in Bezug auf die streitgegenständliche Gestaltung ermitteln und anwenden lässt.279 Dies muss schon aufgrund der Funktion der Kollisionsregeln als bloße Auslegungsgrundsätze und erst recht durch das hier vorliegende Spannungsverhältnis zum umgekehrt wirkenden Grundsatz der Rückbindung an § 42 Abs. 2 AO (lex completa derogat legi complenti)280 gefolgert werden. Erhalten bleibt insoweit die teleologische Inbezugnahme der umgangenen Vorschrift, aber insbesondere auch die Gründe der Nichttatbestandsmäßigkeit der speziellen Missbrauchsnorm könnten hierfür fruchtbar gemacht werden; entscheidungserheblich dürfte hierbei im Allgemeinen sein, welche Tatbestandsmerkmale der konkretisierenden Vorschrift gerade nicht erfüllt waren und welche Funktion diese im Gesamtkontext der Norm einnehmen. Mit anderen Worten lässt sich trotz der – und mitunter auch gerade durch die – Nichttatbestandsmäßigkeit der Vorschrift der abstrakte Rahmen des § 42 Abs. 2 AO noch ausfüllen und konkretisieren. Gemeint ist insbesondere die oftmals missliche Unterscheidung zwischen dem sich insbesondere bei systematischer Auslegung ergebenden sachlichen Anwendungsbereich der Vorschrift – nur dieser solle nach der herrschenden Lehre die Abschirmwirkung auslösen281 – und den einzelnen (Sach-) Tatbestandsmerkmalen der Vorschrift. Sofern es sich bei letzteren etwa Merkmale wie Sperrfristen und andere Aufgriffsgrenzen (safe haven) handelt, die dem Steuerpflichtigen Planungssicherheit im Rahmen der konkreten Gestaltung gewährleisten, muss auch der Maßstab im Rahmen des § 42 Abs. 2 S. 1 zu einer Qualifizierung als nicht miss-

278 Grundlegend hierzu siehe bereits im 1. Teil, B.I.2.c.bb(2), S. 73, sowie zuvor unter B.II.1.b.aa, S. 428. So auch Dörr/Fehling, NWB F 2, 9671 (9676); angedeutet bereits von Fischer, in: FR 2008, 306 (310 f.), im Anschluss hieran Gabel, Spezielle Missbrauchsnormen, S. 42; Hey, in: DStJG Bd. 33, S. 146. Einen Zusammenhang zwischen Wertungsvorrang und Unangemessenheit stellen auch Hey, BB 2009, 1044 (1048), und Mack/Wollweber, DStR 2008, 182 (186), her. 279 Dies entspricht auch der Tatsache, dass der gesetzlich nicht vorgesehene Steuervorteil nicht das alleinige Element der Unangemessenheit i.S.v. § 42 Abs. 2 S. 1 AO ist, hierzu im 1. Teil B.I.2.c.bb(2), S. 73. Vgl. auch Hahn, DStZ 2008, 483 (488 f.), der bei Hinzutreten weiterer Umstände ebenfalls eine Tatbestandsmäßigkeit des § 42 AO als möglich erachtet. 280 Siehe Fn. 243. 281 Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50d Rn. 30. Vgl. auch Hahn, DStZ 2008, 483 (488 f.),

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Zuordnungskriterien im Kollisionsfall

bräuchlich führen.282 Die „Abschirmwirkung“ kann daher je nach Norm und je nach Grund deren Nichttatbestandsmäßigkeit unterschiedlich ausfallen und muss jeweils im Einzelnen festgestellt werden. Soweit im Schrifttum wie schon zu § 42 Abs. 2 AO a.F. weitere Ausnahmen von der Abschirmwirkung diskutiert werden – so solle der Rückgriff einerseits im Falle des „Missbrauchs der Missbrauchsvorschrift“, andererseits bei sog. „unechten“ Spezialvorschriften möglich sein283 –, werden beide Varianten durch die hier befürwortete teleologische Verwertung der Einzelvorschrift erfasst, so dass diese Zustimmung verdienen. Erstere wird dadurch erfasst, dass bei teleologischer Betrachtung auch die Gründe der Nichttatbestandsmäßigkeit der speziellen Vorschrift zur Wertung des unangemessenen, gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteils heranzuziehen sind. Bei der zweiten Variante deckt sich dies mit dem allgemeinen Vorbehalt der anderweitigen Maßstabsfindung im Rahmen des § 42 Abs. 2 AO. Hierbei ist jedoch auch zu beachten, dass die scheinbar klare Differenzierung zwischen „echten“ und „unechten“ Missbrauchsvorbehalten nach der Neufassung des § 42 Abs. 1 S. 2 und S. 3 AO unter Vorbehalt steht; denn spätestens mit der Änderung durch das JStG 2008 hat der Gesetzgeber klar gemacht, dass er § 42 AO als zumindest subsidiären Auffangtatbestand ansieht; es ist daher zu hinterfragen, ob es angesichts dieses Regelungswillens überhaupt noch „echte“ Spezialvorschriften geben kann. Zumindest zukünftige284 Spezialklauseln sind vor diesem Hintergrund aber kritisch auf ihren abschließenden Charakter zu überprüfen; eine Fortführung der gesetzgeberischen Intention in dem Sinne, dass spezielle Normen ausdrücklich oder konkludent nur noch nach Art von den Missbrauch bejahenden Regelbeispielen gefasst werden, ist nicht gänzlich auszuschließen. Insoweit handelt es sich bei § 42 AO auch um eine lex posterior, die nicht automatisch gegenüber dem Spezialitätsgrundsatz zurücktritt.285

282 Zum Aspekt der Planungssicherheit siehe oben B, Fn. 486 m.w.N. Vgl. aber auch Drüen, Ubg 2008, 31 (34); Hey, in: DStJG Bd. 33, S. 145; Micker, FR 2009, 409 (410), jeweils zur Abschirmwirkung. 283 Grundlegend Drüen, in: Tipke/Kruse, § 42 AO Rn. 20b, nun auch vor § 42 AO Rn. 14; Dörr/Fehling, NWB F 2, 9671 (9676); Gabel, Spezielle Missbrauchsnormen, S. 43; Hey, in: DStJG Bd. 33, S. 145 f.; Wienbracke, DB 2008, 664 (669). 284 Eine andere Frage ist, ob sich auf die Auslegung bereits bestehender Normen auswirken könnte. Hiergegen spricht der Auselgungsgrundsatz, dass die spätere allgemeine die frühere speziellere Norm nicht verdrängen könne, hierzu oben Fn. 240; andererseits siehe aber auch Koenig, in: Pahlke/Koenig, AO, § 42 Rn. 6, der dies auf bestehende Vorschriften zu übertragen scheint. 285 Hierzu oben, D.II.3.c.aa, S. 265.

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Die Bewältigung kollidierender Missbrauchsmaßstäbe

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3. Fallgruppe: Unwiderlegbare Typisierung und Gegenbeweis des § 42 Abs. 2 S. 2 AO

Es wurde schon angedeutet, dass noch eine dritte Fallgruppe der Kollision (bzw. des Zusammenwirkens) von spezieller Missbrauchsnorm und § 42 AO existiert, die sich streng genommen zwischen286 den beiden bereits dargelegten Varianten der Tatbestandsmäßigkeit bzw. Nichttatbestandsmäßigkeit der Spezialnorm bewegt: Es stellt sich die Frage, ob im Hinblick auf die in § 42 Abs. 2 S. 2 AO vorgesehene Rechtfertigung durch außersteuerliche Gründe dem Steuerpflichtigen eine solche Möglichkeit des Gegenbeweises auch gegenüber den vom Gesetzgeber eigentlich als unwiderlegbare Vermutungen ausgestalten speziellen Typisierungen des Missbrauchs zugestanden werden muss. Im Schrifttum wird dies nur vereinzelt diskutiert und im Ergebnis aber abgelehnt; argumentiert wird insoweit mit dem umfassenden Vereinfachungszweck der Spezialvorschrift, der Verdrängungswirkung infolge deren Spezialität – wobei zum Teil auch auf § 42 Abs. 1 S. 2 AO rekurriert wird – sowie mit einem Umkehrschluss aus der ausdrücklichen Widerlegbarkeit mancher Spezialvorschriften.287 Dennoch wird aus verfassungsrechtlichen Gründen – insbesondere zur Vermeidung einer Unverhältnismäßigkeit – mitunter die Möglichkeit einer teleologischen Reduktion der Spezialnorm befürwortet.288 Die Rechtsprechung stand dieser Frage unter Geltung des § 42 AO a.F. bislang tendenziell ablehnend gegenüber, hat sich aber auch vereinzelt offen ge-

286 Denn einerseits führt die mangelnde Widerlegbarkeit der Spezialvorschrift bei isolierter Betrachtung zu deren Tatbestandsmäßigkeit; andererseits muss sich unter Umständen gerade aus § 42 Abs. 2 S. 2 AO ergeben, dass unter Einbeziehung dieser Wertung des abstrakten Rahmens der Tatbestand des Missbrauchs gerade nicht gegeben wäre. 287 Drüen, in: Tipke/Kruse, vor § 42 AO Rn. 12; Gabel, Spezielle Missbrauchsnormen, S. 29 f. Vgl. auch Hey, in: DStJG Bd. 33, S. 149 f., sowie S. 173. 288 Hey, in: DStJG Bd. 33, S. 173, im Anschluss hieran auch Gabel, Spezielle Missbrauchsnormen, S. 206 ff.; siehe dazu auch im Folgenden B.I.3.d, S. 127. Gleiches dürfte gelten für den Anwendungsvorrang des Europarechts, vgl. Hey, in: DStJG Bd. 33, S. 174.

276

Zuordnungskriterien im Kollisionsfall

zeigt.289 Dass sich die Finanzverwaltung zumindest implizit hiergegen ausspricht, verwundert demgegenüber nicht.290 Indes lassen sich auch Argumente für die Anwendung des § 42 Abs. 2 S. 2 AO gegenüber speziellen Missbrauchsnormen finden; hierfür streitet insbesondere die Funktion des § 42 AO n.F. nicht nur als Grundnorm der Steuerumgehung, sondern auch als strukturgebender Rahmentatbestand, die aufgrund des identischen Begriffs der Steuerumgehung auch gegenüber Spezialvorschriften anzuerkennen ist, so dass auch diesen der abstrakte Rahmen des § 42 Abs. 2 AO zur Bestimmung eines Missbrauchs als maßstäblich zugrunde gelegte werden muss, diese mithin hieran gebunden sind.291 Auch aus der widerlegbaren Ausgestaltung einiger weniger spezieller Normen kann keineswegs ein Umkehrschluss gezogen werden, das Bedürfnis für eine solche allgemeine Anwendung der Gegenbeweismöglichkeit wird hierdurch vielmehr verstärkt.292 Angesichts der grundsätzlich anzuerkennenden Typisierungsbefugnis des Gesetzgebers auch im Bereich der Rechtfertigung293 und des damit verfolgten Vereinfachungszwecks kann diese Funktion dennoch nicht dazu führen, dass dem Steuerpflichtigen stets – d.h. gegenüber allen Spezialnormen und in allen Sachverhalten – die Nachweismöglichkeit des § 42 Abs. 2 S. 2 AO in exakt dieser Form als subjektiver Motivtest gewährleistet werden muss. Andernfalls wäre der Vereinfachungszweck der Spezialvorschrift mitunter auf bloße Nachweisfragen reduziert;294 insbesondere im Zusammenhang mit grenzüberschreitenden Gestaltungen würde sich aufgrund der Beweisvorsorge- und Beweisbeschaffungspflicht des § 90 Abs. 2 AO durch die Typisierung faktisch kaum ein Unterschied gegenüber § 42 Abs. 2 S. 2 AO ergeben. Insoweit muss dem Gesetzgeber die Möglichkeit zugestanden werden, mittels spezieller Missbrauchsnormen zu bestimmen, welche außersteuerlichen Gründe er in 289 Siehe BFH, Urteil vom 11.12.2001 – VIII R 23/01 –DStRE 2002, 568 (571 f.); BFH, Urteil vom 03.08.2005 – I R 62/04 – DStR 2006, 131 (131). Anders BFH, Urteil vom 07.10.2009 – II R 58/08 –DStR 2009, 2534 (2535); in diesem Sinne auch FG Köln, Urteil vom 04.03.1999 – 2 K 5886/96 – EFG 1999, 963 (963 f.), hierzu ausführlich im 2. Teil, B.II.3.c.bb, S. 469. Siehe auch Gabel, Spezielle Missbrauchsnormen, S. 30 m.w.N. in Fn. 163 und 164, dort zur Unterscheidung zwischen teleologischer Rechtsfortbildung und einschränkender Auslegung. 290 Vgl. Ziff. 1 S. 3 Spstr. 1 zu § 42 AEAO. 291 Siehe bereits oben B.I.3.b, S. 123, sowie Gabel, Spezielle Missbrauchsnormen, S. 29. 292 Auch Hey, in: DStJG Bd. 33, S. 173, schränkt dieses Argument selbst ein, da es an einem in sich konsistentem System der Spezialgesetzgebung fehle. 293 Vgl. schon oben B.I.3.c, S. 124, sowie Gabel, Spezielle Missbrauchsnormen, S. 191. Hierzu zählt auch der Nachweis einer wirtschaftlichen Tätigkeit. 294 Gabel, Spezielle Missbrauchsnormen, S. 183 ff., scheint hierin kein durchschlagendes Argument zu sehen.

277

Die Bewältigung kollidierender Missbrauchsmaßstäbe

Bezug auf bestimmte Gestaltungen als beachtlich i.S.v. § 42 Abs. 2 S. 2 AO ansieht. Sofern sich die Spezialvorschrift überhaupt mit möglichen einschlägigen Salvierungsgründen befasst, handelt es sich bei der Typisierung mithin um eine rahmenausfüllende Konkretisierung auch der Rechtfertigung der Gestaltung, so dass diese grundsätzlich vorrangig anzuwenden ist; unter dieser Prämisse wäre zugleich eine Einordnung in den abstrakten Rahmen des § 42 Abs. 2 S. 2 AO gewährleistet. Mit anderen Worten fällt die Abwägung im Spannungsverhältnis der Auslegungsgrundsätze zwischen einerseits der Rückbindung an den abstrakten Rahmen des § 42 Abs. 2 AO (als lex completa) und andererseits der Zuordnungsregel der Spezialität im Regelfall zugunsten der Konkretisierungswirkung des spezielleren Missbrauchsvorbehalts aus. Es muss indes gleichermaßen wie in Bezug auf die Unangemessenheit einer Gestaltung gelten, dass es sich nicht um eine Spezialität im klassischen Sinne handelt, sondern um eine rahmenausfüllende Konkretisierung, die sich insbesondere aus der teleologischen Auslegung des jedenfalls formal zu prüfenden § 42 Abs. 2 S. 2 AO unter Einbeziehung der Spezialvorschrift ergibt; die Vorschriften wirken somit auch in dieser Hinsicht zusammen anstatt verdrängend. Entsprechend muss aber auch hier der Vorbehalt gelten, dass jedenfalls bei Hinzutreten besonderer Gründe auch ein gegenteiliges Auslegungsergebnis erzielt werden kann. Zu denken ist insbesondere an solche Fälle, in denen sich bei teleologischer Auslegung nicht nur der speziellen Missbrauchsvorschrift, sondern auch der ursprünglich umgangenen Norm noch ein beachtlicher Grund über die rahmenausfüllende Wirkung der Spezialnorm hinaus ergibt. Dies ist unproblematisch, soweit sich die Konkretisierung bei entsprechender Auslegung als nicht abschließende Typisierung ergibt. Hierher gehören aber auch diejenigen Fälle, in denen der Tatbestand der Spezialnorm planwidrig über den Gesetzeszweck hinausgeht, so dass bei isolierter Betrachtung der Norm die Voraussetzungen einer teleologischen Reduktion gegeben wären.295 Faktisch entspricht dies einer Reduktion der Konkretisierungswirkung, so dass aufgrund der weiterbestehenden Rückbindung an den abstrakten Rahmen des § 42 Abs. 2 S. 2 AO dessen subjektiver Motivtest eröffnet ist. Erst recht muss dies gelten, wenn aufgrund einer zusätzlichen Kollisionsregel, insbesondere in Form des hierarchischen Ranges – sei es des Geltungsvorrangs des Verfassungsrechts oder des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts – ansonsten eine Ungültigkeit oder Unanwendbarkeit der speziellen Maßstäbe zu befürchten wäre. In der Literatur werden in Einzelfällen vergleichbare Er295 Drüen, in: Tipke/Kruse, § 4 AO Rn. 381 f.; Larenz, Methodenlehre, S. 375; Zippelius, Juristische Methodenlehre, S. 69 f. Nach Gabel, Spezielle Missbrauchsnormen, S. 206, sei dies dann der Fall, wenn eine Missbrauchsnorm planwidrig mehr Konstellationen erfasse als sie bei strikter Orientierung am Vermeidungszweck erfassen dürfte. Siehe insbesondere zu den sog. „Mäander-Strukturen“ im 2. Teil, B.I.2.a.bb(2), S. 365.

278

Zuordnungskriterien im Kollisionsfall

gebnisse erzielt infolge einer teleologischen bzw. geltungserhaltenden Reduktion ausschließlich der Spezialnorm zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit.296 Auch der BFH hat sich jüngst im Schlussurteil Columbus Container im Zusammenhang mit § 20 Abs. 2 AStG zu einer geltungserhaltenden Reduktion bekannt.297 Demgegenüber erscheint es aber systematisch vorzugswürdig, eine bestehende Gegenbeweismöglichkeit heranzuziehen, deren Anwendbarkeit sich schon im Kollisionsverhältnis ranggleichen Rechts auf die Funktion als strukturgebender Rahmentatbestand gründen kann, und die nur einer zusätzlichen Überwindung des Auslegungsgrundsatzes der Spezialität bedarf. Andere befürworten die faktische, wertende Anwendung einer eigentlich aus Ranggründen für unanwendbar erklärten Norm im Kleide des § 42 AO.298 Durch die hier befürwortete bloße Reduktion der Konkretisierungswirkung bleibt die rahmenausfüllende Norm aber auch rechtstechnisch anwendbar, ohne sich gegenüber der Kollisionsregel des Ranges in Widerspruch zu setzen. Auch § 42 Abs. 1 S. 2 AO steht dem nicht entgegen, da dies letztlich nur deklaratorisch die Kollision der Rechtsfolgen bei Bejahung eines Missbrauchs betrifft,299 während es in Form des Abs. 2 S. 2 AO um den übergreifenden, abstrakten Maßstab des Missbrauchs bereits auf Tatbestandsebene geht, der auch für spezielle Vorschriften bindend300 und der Frage der Rechtsfolge mithin logisch vorgelagert ist. Im Übrigen ist diese Norm, ebenso wie der dort zum Ausdruck kommende Spezialitätsgrundsatz, nur Zuordnungskriterium einer Kollision ranggleicher Normen und Missbrauchsmaßstäbe und muss daher gegenüber einer Kollisionslösung unter Einfluss des hierarchischen Ranges zurücktreten. cc.

Zusammentreffen unterschiedlicher Spezialnormen

Durchaus denkbar ist auch ein Zusammentreffen unterschiedlicher spezieller Missbrauchsnormen im Hinblick auf eine Gestaltung, so dass sich die Frage stellt, welcher dieser Maßstäbe den abstrakten Rahmen des § 42 AO konkreti296 Zum Verfassungsrecht Gabel, Spezielle Missbrauchsnormen, S. 206 ff.; hierzu ausführlich im 2. Teil, B.II.1.a.aa(3), S. 424. Zum Unionsrecht und zum Begriff der „geltungserhaltenden Reduktion“ siehe Gosch, DStR 2009, 1553 (1555 f.); Hey, in: DStJG Bd. 33, S. 174; Hey, StuW 2011, 301 (313 f.); Micker, FR 2009, 409 (413 ff.), je m.w.N. Hierzu auch im 2. Teil, B.II.3.c.bb, S. 469. 297 BFH, Urteil vom 21.10.2009 – I R 114/08 (Columbus Container) – DStR 2010, 37 (39); siehe auch schon BFH, Urteil vom 25.08.2009 – I R 88/07, 89/07 – DStR 2009, 2295 (2303). 298 Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50d Rn. 30; Hahn-Joecks, in: K/S/M, EStG, § 50d Rn. E 9; Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 41. Siehe im 2. Teil, B.II.3.c.bb, S. 469. 299 Siehe bereits oben D.II.3.c.bb(1), S. 268, sowie bei Fn. 249. 300 Vgl. bereits B.I.3.b, S. 123.

279

Die Bewältigung kollidierender Missbrauchsmaßstäbe

siert. Soweit deren Verhältnis nicht schon aufgrund unterschiedlichen Rangs gelöst werden kann, kann hierbei – neben der Zeitenfolge – auch das Zuordnungskriterium der Spezialität im klassischen Sinne in Betracht kommen, so dass allein die nochmals enger gefasste Spezialvorschrift den Missbrauch im Sinne von § 42 Abs. 2 AO konkretisiert. Diese Frage stellt sich auch in Bezug auf die Kollision von speziellen Missbrauchsmaßstäben in Doppelbesteuerungsabkommen gegenüber späteren, derogierenden unilateralen Vorschriften. Aufgrund der Implementierung ins nationale Recht und der Ablehnung eines hierarchischen Vorrangs des Treaty Override ist hier einerseits von Ranggleichheit auszugehen, im Ergebnis bleibt aber infolge der ausdrücklichen Derogationsanordnung zunächst die ausschließliche Anwendbarkeit der unilateralen Missbrauchsvorschrift vorgezeichnet. Es ließe sich aber im Einzelfall unter Betonung des Grundsatzes der Völkerfreundlichkeit, in Übereinstimmung mit der jüngsten Rechtsprechung des BVerfG, hinterfragen, ob damit auch ein Abweichen von speziellen Maßstäben des Völkervertragsrechts gewollt war. Auf diese Weise könnten einzelne unilaterale Vorschriften trotz ihrer prima facie Einordnung als Treaty Override dennoch hinter DBA-Regelungen zurückstehen.

4.

Kollisionsentscheidung nach der äußeren Form der Rechtsquelle?

Eine Kollisionsentscheidung wäre darüber hinaus auch durch eine Unterscheidung allein nach der äußeren Form der Rechtsquelle denkbar, aus der sich Missbrauchsmaßstäbe ergeben. Namentlich könnte so – dem klassischen Rechtsquellendualismus des Internationalen Steuerrechts entsprechend301 – zwischen einer abstrakt-generelle Regelung eines Gesetzes und einem bilateralen, zwischenstaatlichen Vertrag differenziert werden. An einer solchen Sichtweise ist jedoch schon formell zu bemängeln, dass gemäß Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG unstreitig erst ein nationaler Rechtsakt in Form des Zustimmungsgesetzes die innerstaatliche Geltung (Transformationstheorie) bzw. Anwendbarkeit (Vollzugstheorie) befiehlt.302 Weiterhin würde dies insgesamt das bereits ausführlich dargelegte Problem des Treaty Override in anderem Licht erscheinen lassen: Würde man im Kollisionsfall Missbrauchsmaßstäbe allein nach der formellen Einkleidung in einen bilateralen Vertrag als vorrangig anwendbar erklären, so wäre damit ein Zustand hergestellt, der als hierarchische Rangfolge gerade abgelehnt wurde, noch dazu wo ein Groß301 Reimer, in: Möllers/Voßkuhle/Walter, Internationales Verwaltungsrecht, S. 184; Schmidt-Aßmann, in: Hoffmann-Riem/Schmidt-Assmann/Voßkuhle, Grundlagen des Verwaltungsrechts, § 5 Rn. 44. 302 Hierzu siehe oben Fn. 87 m.w.N.

280

Zwischenergebnis

teil der dort aufgeführten Gegenstimmen gerade den Missbrauchsfall ausnimmt. Dies würde auch nicht der Sichtweise des Unionsrechts auf den Charakter der DBA entsprechen, welche diese zunächst der gleichen Kontrolle wie andere Maßnahmen der Mitgliedstaaten unterwirft, um dann auf Ebene der Rechtfertigung im Wege der Ausgeglichenheitsvermutung eine Einzelfallbetrachtung materieller Art vorzunehmen.303 Insgesamt wird dem eine Kollisionsentscheidung allein nach der äußeren Form des Missbrauchsmaßstabes nicht gerecht. Allerdings dürfte nichts dagegen sprechen, die äußere Form als Indiz für die Anwendbarkeit anderer Kollisionsregeln, etwa des Spezialitätsgrundsatzes, heranzuziehen. In diesem Sinne ließe sich als weiteres Unterscheidungspaar nach der äußeren Form auch zwischen allgemeinen Rechtsgrundsätzen und kodifizierten Missbrauchsmaßstäben differenzieren, wobei sich aber aus ersteren – wie regelmäßig – gar keine konkreten Maßstäbe ergeben dürften, und mithin die Unterscheidung hinfällig wäre.

III. Zwischenergebnis Auch wenn das deutsche Internationale Steuerrecht keine geschlossene Rechtsordnung im formellen Sinne, sondern vielmehr einen aus unterschiedlichen Rechtskreisen zusammengesetzten, mehrebenigen Rechtsraum im materiellen Sinne darstellt, müssen sich im Interesse der Orientierungssicherheit und des Rechtsfriedens Normen zu einer widerspruchslosen Einheit zusammenfügen lassen. Kollidierende Missbrauchsmaßstäbe im Falle grenzüberschreitender Investitionen unter deutscher Beteiligung sind daher aufzulösen und eine eindeutige Zuordnung des anzuwendenden Maßstabs vorzunehmen. Eine Kollision von Missbrauchsmaßstäben liegt vor, wenn auf ein und dieselbe Gestaltung mehrere Missbrauchsmaßstäbe anwendbar sind und es je nach Maßstabsanwendung im Einzelfall zu unterschiedlichen Ergebnissen bei der Beurteilung als inhaltlich missbräuchlich („Ob“ der Missbräuchlichkeit) kommen kann. Ausreichend ist der theoretische Widerspruch auf Normebene, so dass als Kollision im weiten Sinne auch solche Fälle einer Zuordnung bedürfen, bei denen im Ergebnis von einem Zusammenwirken auszugehen ist; hierzu gehört insbesondere das Problem der Öffnungsklauseln und das Verhältnis von strukturgebendem, abstrakten Rahmentatbestand zu konkretisierendem Spezialmaßstab. Insbesondere ist das Kriterium der hierarchischen Rangordnung von Bedeutung. Dieses wirkt zwar grundsätzlich in Form eines Geltungsvorranges, vor allem zwischen verschiedenen Rechtskreisen und bezogen auf die Kollision 303 Hierzu siehe D.II.2.c.dd(2), S. 259 ff.

281

Die Bewältigung kollidierender Missbrauchsmaßstäbe

inhaltlicher Maßgaben ist jedoch ein bloßer Anwendungsvorrang regelmäßig ausreichend. Zudem wirken sich Rangfragen schon bei der Inhaltsbestimmung der niederrangigen Norm aus. Innerhalb des nationalen Rechts mangelt es jedoch an höherrangigen unmittelbaren Maßstäben, die eine solche Rangordnung zwingend begründen, so dass nur der allgemeine Einfluss der verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen verbleibt. Im Unionsrecht zeigt sich eine Rangordnung zwischen Primärrecht und Sekundärrecht, welche grundsätzlich absolut wirkt. Diese verhindert jedoch nicht die sekundärrechtliche Konkretisierung des Primärrechts, sofern dies unbestimmt ist oder eine Beschränkung durch die Mitgliedstaaten zulässig wäre. Einschränkend abweichende Maßstäbe zu Gunsten der Marktteilnehmer sind demnach möglich. Sekundärrechtliche Öffnungsklausen sind stets im Lichte der primärrechtlichen Maßstäbe zu sehen, soweit sich der Vorbehalt der jeweiligen Gewährleistung typischerweise als Eingriff in den Schutzbereich der Grundfreiheiten darstellt. Rangordnungen existieren indes nicht nur innerhalb der jeweiligen Rechtskreise, sondern auch rechtskreisübergreifend; aufgrund der Mehrebenigkeit kommt es hierauf in besonderem Maße an. Allen voran ist der Anwendungsvorrang des Unionsrechts gegenüber dem nationalen Recht heranzuziehen, welcher ganz grundsätzlich auch im Steuerrecht gilt, und nach dem auch die Kollision von Missbrauchsmaßstäben zu lösen ist. Mitgliedstaaten können eine Beschränkung der Grundfreiheiten durch nationale Vorschriften daher nur dann unter dem Gesichtspunkt des Missbrauchs rechtfertigen, sofern auch nach den unionsrechtlich geltenden Maßstäben hiervon auszugehen ist, wenn also ein Missbrauch der Grundfreiheiten vorliegt (Biperspektivität des Missbrauchsbegriffs). Dies gilt gleichermaßen für Missbrauchsmaßstäbe im Sekundärrecht, jedoch unter gleichzeitiger Beachtung des Vorrangs des Primärrechts, so dass entsprechende Öffnungsklauseln den Spielraum der Mitgliedstaaten nicht erweitern können. Kollisionen zwischen Maßstäben des nationalen Rechts und solchen aus DBA sind hingegen nicht im Wege eines strikten hierarchischen Vorrangs zugunsten des Völkerrechts zu lösen, da die besseren Argumente gegen die Verfassungswidrigkeit eines Treaty Override sprechen. Eine Abkommensderogation wäre aber jedenfalls bei unilateralen Vorschriften zur echten Missbrauchsverhinderung, die sich innerhalb der vom sonstigen nationalen Recht gesetzten Schranken bewegen und sich insbesondere in den strukturgebenden Rahmens des § 42 AO einordnen lassen, gerechtfertigt. Insoweit kann auf den ungeschriebenen abkommensrechtlichen Missbrauchsvorbehalt verzichtet werden, mangels inhaltlicher Konkretisierung ergeben sich daraus ohnehin keine vorrangigen Maßstäbe. Innerhalb der methodisch vertretbaren Grenzen muss jedoch dem Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit Rechnung getragen werden, mangels strikter Rangordnung aber allenfalls als Auslegungsgrundsatz in Relation zu Kollisionslösungen bei Ranggleichheit. 282

Zwischenergebnis

Schwierigkeiten bereitet demgegenüber eine dreigliedrige Betrachtung zwischen Völkerrecht, Unionsrecht und nationalem Recht, insbesondere die unionsrechtliche Qualifizierung des von den Mitgliedstaaten geschaffenen Abkommensrechts. Im Ergebnis lässt sich die Zuordnung im Kollisionsfall nicht nach einem absoluten Rangverhältnis, sondern stets nur im Einzelfall vornehmen. So ist insbesondere ein Meistbegünstigungsgebot abzulehnen, so dass ein hierarchischer Vorrang des Unionsrechts gegen über dem DBA-Recht zurückzuweisen ist. Ebenso kann nicht von einer generellen Unzulässigkeit des Treaty Override als solchen aus Sicht des Unionsrechts die Rede sein, im Einzelfall kann sich jedoch ein mittelbarer Einfluss über das Allgemeininteresse der Aufteilung der Besteuerungshoheit – und damit im Rahmen des allgemeinen Anwendungsvorrangs – ergeben. Allerdings sind DBA nicht per se „unantastbar“. Sofern ein hierarchisches Rangverhältnis nicht festgestellt werden kann, können Kollisionen von Missbrauchsmaßstäben unter Rückgriff auf die tradierten, römisch-rechtlichen Kollisionsregeln lex posterior derogat legi priori und lex specialis derogat legi generali aufgelöst werden. Diese sind allerdings keine starren Regeln, die a priori gelten, sondern stets nur als gewichtige Auslegungsgrundsätze im Rahmen der allgemeinen juristischen Methodik anzuwenden, so dass auch Abweichungen im Einzelfall denkbar sind. Hierbei trägt vor allem der Spezialitätsgrundsatz im klassischen Sinne dem Verhältnis von § 42 AO und spezieller Missbrauchsvorbehalte, insbesondere dem Verständnis des § 42 AO als strukturgebendem Rahmentatbestand nicht ausreichend Rechnung. Aufgrund des identischen Begriffs der Steuerumgehung ist von einer grundsätzlichen Rückbindung an den abstrakten Missbrauchsmaßstab des § 42 Abs. 2 AO auszugehen (lex completa derogat legi complenti), die zwar keine innergesetzliche Rangwirkung herbeiführt, aber gleichfalls als Auslegungsgrundsatz der lex specialis-Regel entgegenwirkt und zumindest deren Abmilderung bedingt. Im genannten Spannungsverhältnis verbleibt es dabei bei der primären Maßgeblichkeit der Konkretisierungswirkung rahmenausfüllender Maßstäbe, die indes nicht absolut wirkt und daher im Einzelfall auch zurücktreten kann. Anstatt von verdrängender Spezialität ist daher im Grundsatz von einem Zusammenwirken von abstraktem Rahmen und der rahmenausfüllenden Norm auszugehen. Im Falle der Tatbestandsmäßigkeit der Spezialnorm wird auf diese Weise ein Steuervorteil als gesetzlich nicht vorgesehen und die Gestaltung somit als unangemessen und damit missbräuchlich konkretisiert. Im Falle deren Nichttatbestandsmäßigkeit folgt hieraus regelmäßig das Gegenteil, sprich die Qualifikation als nicht missbräuchlich; § 42 AO wird aber nicht verdrängt im Sinne einer absoluten Unbeachtlichkeit, sondern bleibt zumindest formal als subsidiärer Auffangtatbestand zu prüfen, was auch der gesetzgeberischen Intention in Form des § 42 Abs. 1 S. 2 und S. 3 AO n.F. entspricht. Die rahmenausfüllende Konkretisierung kann hierbei durch teleologi283

Die Bewältigung kollidierender Missbrauchsmaßstäbe

sche Inbezugnahme nicht nur der umgangenen Vorschrift, sondern insbesondere auch der Tatbestandsmerkmale der Spezialnorm und deren Funktion im Gesamtkontext der Norm erfolgen, so dass sich zumindest in Einzelfällen trotz oder gerade wegen der Nichttatbestandsmäßigkeit noch ein konkreter Maßstab ermitteln und anwenden lässt. Die „Abschirmwirkung“ kann je nach Norm und je nach Grund deren Nichttatbestandsmäßigkeit unterschiedlich ausfallen und muss jeweils im Einzelnen festgestellt werden. Zuzustimmen ist somit insbesondere den Fallgruppen des „Missbrauchs der Missbrauchsvorschrift“ und der „unechten“ Spezialvorschrift; besonderes Augenmerk verdienen aber auch solche Tatbestandsmerkmale einer Spezialnorm, die einen sachlichen bzw. systematischen Anwendungsbereich beschreiben. Die rahmenausfüllende Konkretisierungswirkung erstreckt sich ebenso auf den Bereich der Rechtfertigung durch außersteuerliche Gründe. Zwar sind spezielle Missbrauchsnormen gleichermaßen an den abstrakten Rahmen des § 42 Abs. 2 S. 2 AO rückgebunden, allerdings muss dem Gesetzgeber auch insoweit eine Typisierungsbefugnis zur Erlangung einer umfassenden Vereinfachungswirkung zugestanden werden. In diesem Spannungsverhältnis überwiegt daher grundsätzlich die Konkretisierungswirkung der speziellen Missbrauchsvorbehalte, indem diese bestimmen, welche außersteuerlichen Gründe bei gewissen Umgehungsformen als beachtlich i.S.v. § 42 Abs. 2 S. 2 AO angesehen werden können. Gleichermaßen muss aber auch hier der Vorbehalt gelten, dass eine rahmenausfüllende Konkretisierung dadurch nicht abschließend gesperrt ist, sondern sich unter Einbeziehung der umgangenen Norm und teleologischen Wertungen der Spezialvorschrift im Einzelfall noch ein beachtlicher Grund ermitteln lässt und insoweit doch ein Gegenbeweis zulässig ist. Neben der nicht abschließend als unwiderlegbar typisierten Vermutung zählen hierzu insbesondere die Fälle, in denen bei isolierter Betrachtung der Spezialnorm eine teleologische Reduktion in Betracht kommt. Insoweit wird die ohnehin nur als Auslegungsgrundsatz fungierende Konkretisierungswirkung reduziert, so dass die Rückbindung der Spezialvorschrift an den abstrakten Rahmen des § 42 Abs. 2 S. 2 AO letztlich doch überwiegt und dessen Anwendung ermöglicht. Erst recht muss dies gelten, wenn zu diesem Spannungsverhältnis noch eine weitere Kollisionsregel in Form des hierarchischen Ranges hinzutritt, wie im Falle des verfassungsrechtlichen Geltungsvorrangs oder des unionsrechtlichen Anwendungsvorrangs. § 42 Abs. 1 S. 2 AO steht dieser Lösung als logisch nachgelagert und aus Ranggründen nicht entgegen. Allein nach der äußeren Form der Rechtsquelle, aus der sich Missbrauchsmaßstäbe ergeben, ist eine Kollisionsentscheidung jedoch nicht möglich.

284

2. Teil: Maßnahmen gegen Treaty Shopping Im 1. Teil wurde aufgezeigt, dass nicht jede Steuergestaltung zugleich als Steuerumgehung erachtet werden kann, sondern der Missbrauchscharakter anhand gesonderter inhaltlicher Maßgaben bestimmt werden muss. Ansätze zu solchen Missbrauchsmaßstäben finden sich in allen Teilrechtskreisen des deutschen Internationalen Steuerrechts. Trotz einer gemeinsamen Schnittmenge lassen sich in vielfacher Hinsicht Unterschiede feststellen, so dass sich im Falle einer grenzüberschreitenden Sachverhaltsgestaltung das Problem der Kollision verschiedener Maßstäbe ergibt, sowohl innerhalb der formellen Rechtskreise, als auch in besonderem Maße – bedingt durch die Mehrebenigkeit des Rechtsgebiets – zwischen diesen übergreifend. Darüber hinaus existieren Missbrauchsvorbehalte auch in Form von General- und Öffnungsklauseln. Bei Verdacht auf einen Gestaltungsmissbrauch muss die Rechtspraxis nun all diese Maßstäbe und Normen dem streitgegenständlichen Sachverhalt zuordnen können, um eine eindeutige Rechtsanwendung zu gewährleisten, insbesondere hinsichtlich der Fragen, ob tatsächlich ein Missbrauch vorliegt, und auf welche Rechtsfolge hieraus zu schließen ist. Dies alles trifft auch auf den Untersuchungsgegenstand des Treaty Shopping zu, welches gemeinhin als – zumindest potentiell – missbräuchlich eingeordnet wird.1 Aus diesem Grunde müssen sich auch die im deutschen Internationalen Steuerrecht vorherrschenden Maßnahmen, die sich spezifisch gegen Treaty Shopping richten, an den im 1. Teil gefundenen Ergebnissen messen lassen. Dabei ist in einem ersten Schritt zu klären, wie anhand der Systematik und des Tatbestands der jeweiligen Norm die Qualifizierung als missbräuchlich erfolgen kann und welche Rechtsfolge sich hieraus ergibt. Vor allem aber erfordert dies in einem zweiten Schritt eine Untersuchung, inwieweit die so analysierte Norm Kollisionsfragen im Hinblick auf die im 1. Teil gefundenen Maßstäbe aufwirft, und wie diese unter Heranziehung der dargestellten allgemeinen Zuordnungskriterien zu lösen sind. Anhand dieser Ergebnisse lassen sich die Maßnahmen abschließend bewerten. Prüfungsgegenstand sind insoweit die in jüngerer Vergangenheit fortentwickelten2 Missbrauchsvorbehalte des deutschen internationalen Steuerrechts, namentlich die §§ 50d Abs. 3 und § 50g Abs. 4 EStG, sowie – exemplarisch für die Tendenz im Bereich der Limitation on Benefits Klauseln – der revidierte Art. 28 DBA-USA. Die Generalklausel des § 42 AO ist aufgrund ihrer Funktion als Rahmentatbestand jeweils von vornherein in diese Betrachtung miteinzubeziehen. 1 2

Einleitung, B.I, S. 17. Zur Entwicklung siehe Einleitung, B.II, S. 17 f.

285

A.

Limitation on Benefits Klauseln am Beispiel des Art. 28 DBA-USA

Sog. Limitation on Benefits Klauseln sind spezielle Missbrauchsvorbehalte zur Verhinderung der missbräuchlichen Einschaltung von Zwischengesellschaften in Leistungsbeziehungen, insbesondere in Quellensteuerfällen, und damit unmittelbar gegen Treaty Shopping gerichtet.1 Wenn diese auch noch in anderen deutschen Abkommen vorhanden sind,2 so ist doch gerade Art. 28 DBA-USA in mehrfacher Hinsicht bemerkenswert. So wurden Limitation on Benefits in den 80er Jahren durch die USA entwickelt und sind seitdem ständiger, nicht verhandelbarer Bestandteil der US-Abkommenspolitik.3 Aus diesem Grunde wird die Existenz des Art. 28 DBA-USA auch als Zugeständnis an den amerikanischen Vertragspartner aufgefasst.4 Dementsprechend lässt sich auch vertreten, dass Limitation on Benefits in deutschen Abkommen gegenüber Staaten mit „schwächerer“ Verhandlungsmacht nach eben diesem Vorbild durchgesetzt werden. Ebenso ist davon auszugehen, dass sich die OECD am amerikanischen Vorbild orientiert.5 Weiterhin ist das DBA-USA aufgrund der hohen wirtschaftlichen Relevanz der Länderbeziehungen von besonderem Interesse. Dies gilt umso mehr, als im Zuge der Abkommensrevision 2006 – unter weiteren Voraussetzungen – in Art. 10 Abs. 3 DBA-USA eine zusätzliche Quellensteuerbefreiung auf Dividenden vereinbart wurde; die Neu-

1

2 3

4 5

Bächle/Rupp/Ott/Knies, Internationales Steuerrecht, S. 151; Dannecker/Werder, BB 2006, 1716 (1718); Goebel/Glaser/Wangler, DStZ 2009, 197 (198); Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rn. 1; Haase, Internationales und Europäisches Steuerrecht, Rn. 734; Wolff, in: Debatin/Wassermeyer, DBA, Art. 28 DBA-USA Rn. 1. Siehe auch oben 1. Teil B, Fn. 943. Hierzu siehe bereits oben B.II.2.b.cc, S. 210 f. Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rn. 2; Jacob, IStR 2001, 45 (46); Kessler/Eicke, IStR 2007, 159; Lüdicke, DBA-Politik, S. 43; Wolff, in: Debatin/Wassermeyer, DBA, Art. 28 DBA-USA Rn. 1. Hierzu siehe US-Musterabkommen 2007 vom 15.11.2006, Journal of Taxation 2006, Vol. 105, S. 324. Ohne Verhinderung des Treaty Shopping könnte die Gegenseitigkeit der Vergünstigungen in DBA nicht aufrechterhalten bzw. erreicht werden, da dritte Staaten keinen Anlass zum Abschluss eines eigenen Abkommens hätten. Jacobs, Internationales Unternehmensbesteuerung, S. 1077; Linn, IStR 2010, 542 (546). Nach Endres/Wolff, IStR 2006, 721 (729), „zeigte sich die amerikanische Verhandlungsführung unerbittlich in ihrer Mission gegen den Abkommensmissbrauch.“ Siehe insbesondere Vega, Limitation on Benefits, S. 91 ff. zu Parallelen zwischen Art. 22 des US-Musterabkommens und den Vorschlägen der OECD im OECDMusterkommentar 2008, Art. 1 Rn. 9.4 f.

287

Limitation on Benefits Klauseln am Beispiel des Art. 28 DBA-USA

fassung der Limitation on Benefits Klausel des Art. 28 DBA-USA ist hiermit im Zusammenhang zu sehen6 und daher erst recht in den Fokus gerückt.

I.

Normanalyse

1.

Systematik

Limitation on Benefits gemäß Art. 28 DBA-USA werden aus dem Blickwinkel des deutschen Internationalen Steuerrechts in zwei Fällen relevant: Zum einen in der typischen Inbound-Konstellation, wenn eine Obergesellschaft aus einem Drittstaat über eine Zwischenholding in den USA in eine operative Gesellschaft in Deutschland investiert; zum anderen in den Fällen, in denen Deutschland quasi Sitz der Zwischenholding ist, und eine Muttergesellschaft aus einem Drittstaat auf diesem „Umweg“ in den USA investieren möchte. Letztere Fälle sind seit der Revision des DBA 2006 alles andere als abwegig, stellt doch die mögliche vollständige Quellensteuerbefreiung auf Schachteldividenden eine seltene7 und sehr willkommene Begünstigung für potentielle Investoren dar; insoweit kann es vor allem für EU-Gesellschaften, deren Sitzstaat mit den USA ein weniger günstiges DBA geschlossen hat, einen Sinn ergeben, über eine Zwischengesellschaft in Deutschland tätig zu werden. In beiden Fällen ist die Zwischengesellschaft in einer Treaty Shopping Gestaltung aufgrund ihres Sitzes oder Ortes der Geschäftsleitung formal im jeweils anderen Vertragsstaat ansässig und daher grundsätzlich abkommensberechtigt, Art. 4 Abs. 1 S. 1 DBA-USA.8 Die Ansässigkeit ist insoweit systematisch vorrangig zu prüfen. Mithilfe der Limitation on Benefits wird einer solchen Gesellschaften die Vorteile des Abkommens dennoch versagt, wenn es an einem engen Bezug zum Ansässigkeitsstaat fehlt bzw. aufgrund eines fehlenden wirt6

7 8

Dannecker/Werder, BB 2006, 1716 (1718 f.); Kreienbaum/Nürnberger, IStR 2006, 806 (809); Prokisch, in: Vogel/Lehner, DBA, Art. 1 Rn. 144. Nach Kofler, DBA und Gemeinschaftsrecht, S. 502, ist als Faustregel davon auszugehen, dass der Umfang der gewährten Abkommensvorteile und Konzessionen in direkter Korrelation zur Komplexität der jeweiligen Limitation on Benefits Klausel steht. Weitere Beispiele finden sich in den Abkommen mit Norwegen, Schweden und der Schweiz sowie eingeschränkt mit Frankreich und Malta, Dannecker/Werder, BB 2006, 1716 (1718), Fn. 15 und 16. Art. 4 Abs. 1 S. 1 DBA-USA, aber vgl. auch Art. 1 OECD-MA: “Im Sinne dieses Abkommens bedeutet der Ausdruck ‚eine in einem Vertragsstaat ansässige Person‘ eine Person, die nach dem Recht dieses Staates dort aufgrund ihres Wohnsitzes, ihres ständigen Aufenthalts, des Ortes ihrer Geschäftsleitung, des Ortes der Gründung oder eines anderen ähnlichen Merkmals steuerpflichtig ist, und umfasst auch diesen Staat und seine Gebietskörperschaften.” Unter den Begriff der Person fallen auch Gesellschaften, d.h. juristische Personen und Rechtsträger, die als solche besteuert werden, Art. 3 Abs. 1 lit. d) und e) DBA-USA.

288

Normanalyse

schaftlichen Grundes für die Gestaltung ein typisierter Missbrauchsverdacht besteht. Dies wird erreicht, indem Art. 28 Abs. 1 DBA-USA die Inanspruchnahme der Abkommensvergünstigungen von der Eigenschaft als „berechtigte Person“ abhängig macht; die tatbestandlichen Voraussetzungen („Tests“9) hierfür finden sich sodann insbesondere in Abs. 2, aber auch in den folgenden Absätzen, die teilweise erweiternd bzw. einschränkend, teilweise aber auch lediglich definierend wirken. Inhaltliche Maßgaben sind insoweit die Gesellschafterstruktur der Zwischengesellschaft, die Geschäftsbeziehungen zwischen Gesellschaft und Gesellschaftern sowie Art und Umfang der wirtschaftlichen Aktivität der Gesellschaft. Bei positivem Ergebnis ist sodann von einem hinreichenden Bezug zum Vertragsstaat bzw. von der Existenz wirtschaftliche Gründe für die Gestaltung auszugehen. Die verschiedenen Tests des Art. 28 DBAUSA typisieren damit strenggenommen das Nichtvorliegen eines Abkommensmissbrauchs10 und sind daher sog. safe haven11 Regelungen vergleichbar. Die Abkommensberechtigung ist weiterhin grundsätzlich aus der Sicht des Quellenstaates zu beurteilen, Art. 3 Abs. 2 DBA-USA. Zwar erfordern Art. 10 Abs. 2 und Abs. 3 DBA-USA – ebenso wie das OECDMA – schon in tatbestandlicher Hinsicht, dass die im anderen Vertragsstaat ansässige Gesellschaft zugleich Nutzungsberechtigter der Dividenden sein muss, um in den Genuss der Vergünstigungen zu gelangen. Diese Einschränkung ist alleine jedoch nicht geeignet, Treaty Shopping zu verhindern, da das Konzept des Nutzungsberechtigten per se zu unbestimmt ist;12 Art. 28 DBA-USA ergänzt den darin enthaltenen Leitgedanken.13 Art. 28 DBA-USA findet in seiner grundsätzlichen Fassung auf sämtliche Vergünstigungen durch den Quellenstaat – nicht des Ansässigkeitsstaats, vgl. Art. 28 Abs. 1 DBA – Anwendung, auch auf den reduzierten Quellensteuersatz von 5% bzw. 15%.14 Im Falle der gänzlichen Quellensteuerbefreiung, welche

9 Dannecker/Werder, BB 2006, 1716 (1718); Lüdicke, DBA-Politik, S. 43; Wolff, in: Debatin/Wassermeyer, DBA, Art. 28 DBA-USA Rn. 4. 10 Vgl. Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rn. 1; sowie Wolff, in: Debatin/Wassermeyer, DBA, Art. 28 DBA-USA Rn. 4. 11 Zum Begriff siehe Hey, in: DStJG Bd. 33, S. 162 f. An der Dogmatik des § 42 Abs. 2 AO angelehnt wird insoweit das Vorliegen einer angemessenen Gestaltung typisiert. 12 Siehe D.III.2.b.aa, S. 206. 13 Im Bedarfsfall kann dieser indes zusätzlich – bei weiterer Konkretisierung durch nationales Recht – herangezogen werden, vgl. Prokisch, in: Vogel/Lehner, DBA, Art. 1 Rn. 127; Vega, Limitation on Benefits, S. 89; Wolff, in: Debatin/Wassermeyer, DBA, Art. 28 DBAUSA Rn. 32. 14 Der reduzierte Satz von 5% ist anwendbar, wenn der Nutzungsberechtigte eine Gesellschaft ist, der unmittelbar mindestens 10% der stimmberechtigten Anteile der die Dividenden zahlenden Gesellschaft gehören (sog. Schachteldividende), Art. 10 Abs. 2 lit. a)

289

Limitation on Benefits Klauseln am Beispiel des Art. 28 DBA-USA

zusätzlich unter der Voraussetzung einer nochmals erhöhten Mindestbeteiligung steht,15 wird die Klausel gemäß Art. 10 Abs. 3 lit. a) DBA-USA jedoch leicht modifiziert, so dass hinsichtlich einzelner Tests die Voraussetzungen verschärft werden, insbesondere die Voraussetzungen des Abs. 2 lit. f) und des Abs. 4 nicht je alleine ausreichen, sondern kumulativ zu prüfen sind. Als Rechtfertigung hierfür lässt sich anführen, dass die Quellensteuerbefreiung aufgrund ihrer Attraktivität bei gleichzeitig weitgehender Exklusivität in besonderem Maße zu Treaty Shopping anreizt und daher auch besonders gesichert werden muss.16

2.

Tatbestandsvoraussetzungen

a.

Grundstruktur der Norm

Nicht nur aufgrund letztgenannter Modifizierung stellt sich die Regelung des Art. 28 DBA-USA als äußerst unübersichtlich dar, zahlreiche Sonderregeln erhöhen zudem den Umfang.17 So statuiert zunächst Abs. 1 die Grundregel, wonach nur „berechtigte Personen“ im Sinne des Abs. 2 Anspruch auf die Abkommensvergünstigungen im Quellenstaat hätten. Besagter Abs. 2 enthält sodann einen Katalog alternativer Voraussetzungen in Form der lit. a) bis f), die zum Teil wiederum aus mehreren Tatbestandsvoraussetzungen bestehen; gemäß dem Einleitungssatz des Abs. 2 wird hierbei insgesamt auf ein Steuerjahr abgestellt. Einige der Alternativen werden indes nur schwerlich in Bezug auf Treaty Shopping praktisch relevant.18 Abs. 3 knüpft hieran an, indem bestimmte Gesellschaften den Berechtigten gleichgestellt werden. Abs. 4 hingegen stellt in gewissem Bruch hierzu allein auf die wirtschaftliche Aktivität ab,

15

16 17 18

DBA-USA; in allen anderen Fällen greift der normale Satz von 15%, Art. 10 Abs. 2 lit. b) DBA-USA. Der Nutzungsberechtigte muss zum Zeitpunkt des Entstehens des Dividendenanspruchs seit einem Zeitraum von 12 Monaten unmittelbar Anteile in Höhe von mindestens 80% der Stimmrechte an der die Dividenden auszahlenden Gesellschaft halten, Art. 10 Abs. 3 lit. a) DBA-USA. Dies gilt nicht für sog. Pensionsfonds, hierzu siehe Art. 10 Abs. 3 lit. b), Abs. 9 sowie DBA-USA. Diese sind unter ähnlichen Voraussetzungen auch im Rahmen der allgemeinen Fassung des Art. 28 als begünstigt anzusehen, Art. 28 Abs. 2 lit. e) DBA-USA. Siehe auch Endres/Wolff, IStR 2006, 721 (722); Schnitger, IWB Fach 8 Gruppe 2, 1439 (1440). Vom vollständigen Abdruck der Vorschrift wird aus Platzgründen abgesehen. Zu diesen zählen: natürliche Personen, Art. 28 Abs. 2 lit. a) DBA-USA; der Vertragsstaat bzw. dessen Gebietskörperschaften, Art. 28 Abs. 2 lit. b) DBA-USA; gemeinnützige Rechtsträger, Art. 28 Abs. 2 lit. d) DBA-USA; gewisse Altersvorsorgeeinrichtungen, Art. 28 Abs. 2 lit. e) DBA-USA. Zu all diesen vgl. etwa Vega, Limitation on Benefits, S. 117 ff.; Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rn. 18 ff. und Rn. 55 ff.

290

Normanalyse

kann allerdings im Zusammenhang mit der Quellensteuerbefreiung gemäß Art. 10 Abs. 3 DBA-USA die Abkommensvergünstigungen nur kumulativ mit anderen „Tests“ begründen. Abs. 5 wird demgegenüber lediglich als Einschränkung bei Zwischenschaltung von Betriebsstätten in Drittstaaten relevant. Abs. 6 wiederum schafft einen Ausnahmetatbestand für deutsche Investmentvermögen. All diese Maßgaben stellen allein auf objektive Kriterien ab, auf subjektive Beweggründe der Steuerpflichtigen kommt es grundsätzlich nicht an.19 Allenfalls könnten diese im Rahmen der gemäß Abs. 7 möglichen Ermessensentscheidung über die Abkommensberechtigung im Einzelfall Berücksichtigung finden.20 Im Folgenden sollen nun – jeweils bereits nach zusammengehörigen Kriterien geordnet – die im Zusammenhang mit Treaty Shopping Gestaltungen relevanten „Tests“ näher untersucht werden. b.

Die relevanten „Tests“ im Einzelnen

aa.

Börsenhandelstest, Art. 28 Abs. 2 lit. c) DBA-USA

(1)

Grundlagen des Börsenhandelstests

Nach dem sog. „Börsenhandelstest“21 ist eine Gesellschaft berechtigte Person im Sinne des Abs. 1, sofern ihre Hauptaktiengattung regelmäßig an einer oder mehreren von den Vertragsstaaten anerkannten Börsen gehandelt wird, Abs. 2 lit. c) aa). Leitgedanke dieser Regelung ist, dass ein solcher Anteilshandel grundsätzlich vom Einfluss der Gesellschaft unabhängig ist, und die wirtschaftlichen Interessen dieser und der Anteilseigner – auch untereinander – getrennt sind; im Idealfall des funktionierenden Marktes führt dies zu einer Streuung der Anteilseignerschaft.22 Insgesamt spricht dies typischerweise gegen die bloße Zwischenschaltung der betreffenden Gesellschaft im Rahmen eines Treaty Shopping, so dass auf die genaue Kenntnis der hinter der Gesellschaft stehenden Gesellschafter verzichtet werden kann; aus Sicht der Gesell-

19 Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rn. 7; Wolff, in: Debatin/Wassermeyer, DBA, Art. 28 DBA-USA Rn. 4. 20 Hierzu siehe A.I.2.c, S. 314. 21 Endres/Wolff, IStR 2006, 721 (721); Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rn. 21; Prokisch, in: Vogel/Lehner, DBA, Art. 1 Rn. 144b; Wolff/Eimermann, IStR 2006, 837 (839); Wolff, in: Debatin/Wassermeyer, DBA, Art. 28 DBA-USA Rn. 47. Teilweise findet sich auch die Bezeichnung als „Stock Exchange Test”, siehe Dannecker/Werder, BB 2006, 1716 (1718); Endres, PIStB 2006, 259 (260); Kofler, DBA und Gemeinschaftsrecht, S. 502, oder als „Publicly Traded Test“, so Goebel/Glaser/Wangler, DStZ 2009, 197 (198); Kreienbaum/Nürnberger, IStR 2006, 806 (809); Prokisch, in: Vogel/Lehner, DBA, Art. 1 Rn. 144b. 22 Vega, Limitation on Benefits, S. 126 f.

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Limitation on Benefits Klauseln am Beispiel des Art. 28 DBA-USA

schaft wäre die exakte Anteilseignerstruktur auch nur schwer nachzuweisen und würde häufigen Wechseln unterliegen. Als anerkannte Börsen werden gemäß der Definition des Abs. 8 lit. a in Bezug auf die USA das NASDAQ-System und sog. Effektenbörsen23 erachtet, Abs. 8 lit. a) aa); deutsche Börsen sind gemäß Abs. 8 lit. a) bb) anerkannt, soweit dort Aktien amtlich gehandelt werden. Der frühere Begriff des Amtlichen Handels dürfte hierbei dem jetzigen des regulierten Marktes i.S.v. §§ 32 ff. BörsG 2007 entsprechen, ein Handel im sog. Freiverkehr soll hingegen nicht ausreichen.24 Für die Einordnung als anerkannte Börse ist dabei nicht Voraussetzung, dass sich diese im Ansässigkeitsstaat der Gesellschaft befindet, dies wird erst im Zusammenhang mit dem zusätzlichen Erfordernis des Abs. 2 lit. c) aa) Variante A) relevant. Dementsprechend ist auch eine Erweiterung des Kreises der anerkannten Börsen bei gegenseitigem Einvernehmen möglich, Abs. 8 lit. a) cc); insoweit ist insbesondere die Einbeziehung auch von Börsen anderer EUMitgliedstaaten denkbar, welche gerade nicht – anders als in anderen USAbkommen durchaus erfolgt25 und aufgrund unionsrechtlicher Vorgaben möglicherweise geboten26 – von vornherein anerkannt sind. Die Voraussetzungen einer Anerkennung lassen sich insoweit aus dem typisierenden Hintergrund des Börsenhandelstest ableiten, so dass man ernsthafte Zulassungsvoraussetzungen, eine breit gestreute Anteilseignerschaft und ein signifikantes Handelsvolumen als Kriterien erachten dürfte.27 Soweit der Test auf den Handel der Hauptaktiengattung abstellt, sind hierunter regelmäßig die Stammaktien der Gesellschaft zu verstehen, sofern diese die Mehrheit der Stimmrechte und des Wertes repräsentieren, Abs. 8 lit. b) aa).28 23 D.h. eine im Sinne des Securities Exchange Act 1934 registrierte Börse, u.a. New York Stock Exchange, American Stock Exchange, Pacific Stock Exchange, siehe auch Wolff, in: Debatin/Wassermeyer, DBA, Art. 28 DBA-USA Rn. 211. 24 Schnitger, IWB Fach 8 Gruppe 2, 1439 (1442), allerdings noch auf den „amtlichen Markt“ i.S.v. § 2 Abs. 5 WpHG a.F. verweisend. Einzelaufzählung bei Wolff, in: Debatin/Wassermeyer, DBA, Art. 28 DBA-USA Rn. 211. Vgl. auch Kumpan, in: Schwark/Zimmer, KMRK, § 2 WpHG Rn. 120 m.w.N. 25 Beispielsweise Art. 22 DBA USA-UK, hierzu siehe auch Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rn. 24. 26 Zu Kollisionsfragen im Zusammenhang mit Unionsrecht siehe im Folgenden A.II.2, S. 320 ff. 27 Vgl. Vega, Limitation on Benefits, S. 134. 28 Damit wird einer Forderung des US-Musterabkommens 2006 entsprochen, hierzu siehe Vega, Limitation on Benefits, S. 128 f. mit Verweis auf die zugehörigen Technical Explanations des US Department of Treasury vom 15.11.2006. Zu evtl. Problemfällen im Einzelnen, insbesondere auch der KGaA, siehe Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rn. 27 f sowie Wolff, in: Debatin/Wassermeyer, DBA, Art. 28 DBAUSA Rn. 49.

292

Normanalyse

Zusätzlich wird jedoch von Abs. 2 lit. c) aa) der regelmäßige Handel aller eventuell vorhandenen Vorzugsaktiengattungen gefordert. Hierdurch sollen Umgehungsstrategien vermieden werden, die eine Einkommensdurchleitung auch jenseits der Stimmrechtsanteile ermöglichen.29 Der Begriff der Vorzugsaktie ist in diesem Zusammenhang missverständlich, da gerade nicht eine Aktie i.S.v. §§ 139 ff. AktG gemeint ist, sondern laut der Definition des Abs. 8 lit. c) – in der englischen Sprachfassung als disproportionate class of shares bezeichnet – hierfür allein die Einräumung einer unverhältnismäßig hohen Beteiligung an bestimmten im anderen Staat erzielten Einkünften kennzeichnend ist, mithin sog. Geschäftsbereichsaktien (tracking stocks) gemeint sind.30 Umstritten ist jedoch, wann von einem regelmäßigen Handel auszugehen ist. Anders als die vorgenannten Tatbestandselemente ist dies nicht im Rahmen des Abkommens definiert. Richtigerweise dürfte hierbei gemäß Art. 3 Abs. 2 DBA-USA die Sichtweise des jeweiligen das Abkommen anwendenden Staates, d.h. des Quellenstaates maßgeblich sein.31 Für die USA als Quellenstaat wird überwiegend32 auf Vorschriften im Zusammenhang mit der Anerkennung bestimmter Publikumsgesellschaften im Rahmen der Zweigniederlassungsteuer (branch profit tax) abgestellt; im Ergebnis solle ein regelmäßiger Handel daher voraussetzen, dass die Anteile an mindestens 60 Tagen in nennenswertem Umfang gehandelt werden und das zusammengefasste Handelsvolumen über das gesamte Jahr 10% der durchschnittlich ausgegeben Aktien erreichen müssen.33 Aus deutscher Sicht findet sich der Begriff des regelmäßigen Handels sogar in § 7 Abs. 6 S. 3 AStG wieder, ist aber dort ebenso nicht definiert. Nach einer Ansicht sei regelmäßig in diesem Zusammenhang mit nachhaltig i.S.v. § 15 Abs. 2 EStG gleichzusetzen.34 Die Gegenansicht stellt vielmehr auf die gewöhnliche Bedeutung als geregelt bzw. ordentlich ab, was ein Minimum 29 Siehe hierzu v.a. die Beispiele bei Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rn. 31; Vega, Limitation on Benefits, S. 129 f.; Wolff, in: Debatin/Wassermeyer, DBA, Art. 28 DBA-USA Rn. 51 f. 30 Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rn. 30; Vega, Limitation on Benefits, S. 129; Wolff, in: Debatin/Wassermeyer, DBA, Art. 28 DBA-USA Rn. 51 f. 31 Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rn. 33; Wolff, in: Debatin/Wassermeyer, DBA, Art. 28 DBA-USA Rn. 50. 32 Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rn. 33; Schnitger, IWB Fach 8 Gruppe 2, 1439 (1442); Wolff, in: Debatin/Wassermeyer, DBA, Art. 28 DBA-USA Rn. 50; jeweils mit Verweis auf die Technical Explanations des US Department of Treasury zu Art. 28 Abs. 2 DBA-USA. A.A. Schnitger, IWB Fach 8 Gruppe 2, 1439 (1442), der diese Anforderungen als zu eng und mangels abkommensrechtlicher Definition auch als kaum gewollt erachtet. 33 Sec. 884(e)(4)(B) IRC und die detaillierten Anforderungen hierzu in § 1.8445(d)(4)(i)(B) Treasury Regulations. 34 Wassermeyer, in: Debatin/Wassermeyer, DBA, Art. 1 OECD-MA Rn. 33. Zustimmend Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rn. 34.

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Limitation on Benefits Klauseln am Beispiel des Art. 28 DBA-USA

an Dauer und Quantität voraussetze.35 Letztere Ansicht erscheint insoweit vorzugswürdig, als bei der Auslegung des Begriffes vornehmlich der Grundkonzeption der typisierenden Betrachtung durch den Börsenhandelstest Rechnung zu tragen ist. Daher darf eine bloße formelle Börsenzulassung nicht genügen;36 hierdurch wäre die Trennung der wirtschaftlichen Interessen von Gesellschaft und Anteilseignern noch nicht hinreichend belegt. Von einer solchen kann allenfalls bei einem Mindestmaß an tatsächlichem Handel – bezogen auf Volumen und/oder Frequenz – ausgegangen werden. Dies zeigt im Ergebnis aber auch, dass damit letztlich eine börsenrechtliche Frage betroffen ist, wird doch bei nicht ausreichender Aktivität früher oder später die Beendigung des amtlichen Handels durch die zuständigen Behörden37 relevant werden. Bei ordnungsgemäßer Handhabung der kapitalmarktrechtlichen Vorschriften durch die ausdrücklich anerkannten Börsen wird sich das Problem mithin kaum stellen, für die Anerkennung anderer Börsen ist dies insoweit schon Zulassungskriterium. (2)

Erfordernis einer wesentlichen Präsenz

Sofern nach dem Vorgenannten von einem regelmäßigen Handel an einer anerkannten Börse auszugehen ist, wird dadurch noch kein Anspruch auf die Abkommensvergünstigungen begründet, zusätzlich muss die Gesellschaft eine wesentliche Präsenz38 im Ansässigkeitsstaat vorweisen können. Eine solche ist gemäß Abs. 2 lit. c) aa) Variante A gegeben, wenn die Hauptaktiengattung hauptsächlich in einer inländischen, d.h. im Ansässigkeitsstaat der Gesellschaft gelegenen Börse, gehandelt wird. Diese Voraussetzung ist nicht deckungsgleich mit derjenigen der anerkannten Börse i.S.v. Abs. 8 lit. a), für welche der örtliche Bezug nicht entscheidend ist. Ausgeschlossen werden durch diese Einschränkung insbesondere sog. Inversionsstrukturen39 – die Notierung an einer US-Börse reicht demnach nicht aus, wenn die in Deutschland ansässige Gesellschaft Einkünfte aus US-Quellen bezieht und umgekehrt. Als Problemfälle zeigen sich vor allem Doppel- bzw. Mehrfachnotierungen, insoweit wird auch das Tatbestandsmerkmal hauptsächlich relevant. 35 Prokisch, in: Vogel/Lehner, DBA, Art. 1 Rn. 129. 36 Wolff, in: Debatin/Wassermeyer, DBA, Art. 28 DBA-USA Rn. 50. 37 Im Einzelnen durch Aussetzung oder Beendigung der Notierung, § 25 Abs. 1 S. 1 BörsG bzw. den Widerruf der Börsenzulassung gem. § 39 Abs. 1 BörsG. 38 Sog. „Substantial Presence Test“, vgl. Prokisch, in: Vogel/Lehner, DBA, Art. 1 Rn. 129; Wolff/Eimermann, IStR 2006, 837 (840). Von Wassermeyer/Schönfeld, DB 2006, 1970 (1971) in der Variante lit. A) als „Publicity Traded Corporation Test“ und bei lit. B) als „International Headquarters Test“ bezeichnet. 39 Konzernspitzen börsennotierter US-Konzerne werden hierbei ins Ausland verlegt, vgl. Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rn. 36; Wolff, in: Debatin/Wassermeyer, DBA, Art. 28 DBA-USA Rn. 53 m.w.N.

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Normanalyse

Mangels Definition im Abkommen entscheidet hierüber wiederum der Anwendestaat, Art. 3 Abs. 2 DBA-USA. Maßstab des hauptsächlichen Handels dürfte insoweit rein quantitativ die Zahl der gehandelten Aktien sein.40 Einer Ansicht nach erfordert dies, dass mehr als 50% des gesamten Handelsvolumens im Ansässigkeitsstaat der Gesellschaft gehandelt werden,41 mithin also eine absolute Mehrheit. Nach anderer Auffassung ist es ausreichend, wenn in keinem anderen Staat mehr Aktien gehandelt werden,42 so dass eine relative Mehrheit genügen würde. Gemessen am Zweck des erst im Zuge der Abkommensrevision eingefügten Präsenztests ist dem Erfordernis einer relativen Mehrheit zu folgen, da hierdurch ein hinreichender Bezug zum Ansässigkeitsstaat sichergestellt und Inversionsstrukturen vermieden werden können, ohne wirtschaftlich sinnvolle Mehrfachnotierungen übermäßig zu behindern; zudem streitet hierfür der Vergleich mit Abs. 2 lit. c) aa) B) i.V.m. Abs. 8 lit. d). Eine Möglichkeit der Erweiterung auf hauptsächlichen Handel an Börsen in anderen EU-Mitgliedstaaten besteht indes nicht, so dass die Erweiterungsmöglichkeit des Abs. 8 lit. a) cc) insoweit leer läuft. Alternativ lässt es Abs. 2 lit. c) aa) Variante B) ausreichen, dass sich der hauptsächliche Ort der Geschäftsführung und Überwachung im Ansässigkeitsstaat befindet. Dies ist eine Erleichterung für internationale Konzerne, die im Zuge der Globalisierung nicht nur an Börsen des Heimatlandes notiert werden. Unter Geschäftsführung und Überwachung sollen nach Abs. 8 lit. d) die strategie-, finanz- und geschäftspolitischen Entscheidungen bzgl. der Gesellschaft und ihrer Tochtergesellschaften verstanden werden. Teilweise wird dies gleichgesetzt mit einer Wahrnehmung der täglich Aufgaben der Unternehmensleitung43 Andere hingegen betonen zu Recht, dass gerade nicht das gewöhnliche Tagesgeschäft, sondern die wesentlichen Entscheidungen mit perspektivischer Bedeutung hiervon umfasst sind.44 Aus deutscher Sicht bedeutet dies, dass – trotz regelmäßiger Übereinstimmung in der Praxis – keine volle Deckungsgleichheit mit § 10 AO besteht, welcher tendenziell stärker auf das

40 Wassermeyer/Schönfeld, DB 2006, 1970 (1972); Wolff/Eimermann, IStR 2006, 837 (839 f.). 41 Goebel/Glaser/Wangler, DStZ 2009, 197 (199); Schnitger, IWB Fach 8 Gruppe 2, 1439 (1442). 42 Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rn. 33; Wolff, in: Debatin/Wassermeyer, DBA, Art. 28 DBA-USA Rn. 54. Hierfür spricht auch der Verweis der Technical Explanations zu Art. 28 abs. 2 DBA-USA auf die Regelungen zur Branch Profits Tax, § 1.884-5(d)(3) Treas. Reg. 43 Prokisch, in: Vogel/Lehner, DBA, Art. 1 Rn. 129; Wolff, in: Debatin/Wassermeyer, DBA, Art. 28 DBA-USA Rn. 55. 44 Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rn. 43; Wassermeyer/Schönfeld, DB 2006, 1970 (1972).

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Limitation on Benefits Klauseln am Beispiel des Art. 28 DBA-USA

Tagesgeschäft fokussiert ist45 und allein die Ansässigkeit (als Vorfrage) begründen kann, Art. 4 Abs. 1 DBA-USA. Der hauptsächliche Ort ist in diesem Sinne nach dem quantitativ und qualitativ überwiegenden Teil der Tätigkeit zu bestimmen,46 gemäß dem Wortlaut des Abs. 8 lit. d) ist ein relatives Überwiegen ausreichend. Weiterhin bemerkenswert an der Definition des Abs. 8 lit. d) ist die zusätzliche Erfassung der Mehrzahl der zur Vorbereitung und Herbeiführung dieser Entscheidungen erforderlichen laufenden Tätigkeiten. Damit soll verhindert werden, dass allein ein vorübergehendes Zusammentreffen der Entscheidungsträger zu einer Sitzung im Ansässigkeitsstaat anlässlich der genannten Entscheidungen einen ausreichenden Nexus begründet.47 (3)

Indirekter Börsenhandelstest

Der Börsenhandelstest führt nicht nur dazu, dass die börsennotierte Gesellschaft selbst als Berechtigte i.S. des Art. 28 anzusehen ist. Unter bestimmten Voraussetzungen qualifizieren auch zugleich von diesen kontrollierte Tochtergesellschaften für die Abkommensvergünstigungen. Dies leuchtet ohne weiteres ein, sofern die Muttergesellschaft nicht direkt im anderen Staat investieren will – sei es über eine dortige Betriebsstätte, (weitere) Tochtergesellschaft oder auf andere Weise – sondern etwa zunächst mit 100%-iger Beteiligung eine Tochtergesellschaft im eigenen Ansässigkeitsstaat gründet, in der sämtliche Auslandsaktivitäten gebündelt werden. Auch in diesen Fällen erscheint ein Treaty Shopping ausgeschlossen, da die Einkünfte letztlich einer berechtigten Gesellschaft zuzuordnen sind. Für die Inanspruchnahme der Vergünstigungen ist als praktische Erleichterung somit auch die indirekte48 Erfüllung des Börsenhandelstests ausreichend: gemäß Abs. 2 lit. c) bb) sind auch solche Gesellschaften berechtigte Personen i.S.v. Art. 28, deren Aktien zu mehr als 50% der Stimmrechte und des Wertes unmittelbar oder mittelbar von maximal fünf Gesellschaften gehalten werden, 45 Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rn. 43 f.; Wolff, in: Debatin/Wassermeyer, DBA, Art. 28 DBA-USA Rn. 221. 46 Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rn. 44; Wassermeyer/Schönfeld, DB 2006, 1970 (1971 f.); Wolff, in: Debatin/Wassermeyer, DBA, Art. 28 DBA-USA Rn. 221. 47 Goebel/Glaser/Wangler, DStZ 2009, 197 (199); Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rn. 43; Wassermeyer/Schönfeld, DB 2006, 1970 (1971). 48 Daher von Dannecker/Werder, BB 2006, 1716 (1719), und Kofler, DBA und Gemeinschaftsrecht, S. 502, auch als Indirect Stock Exchange Test bezeichnet; a.A. Wassermeyer/Schönfeld, DB 2006, 1970 (1972), die dies – unter Abgrenzungsschwierigkeiten zu Art. 28 Abs. 2 lit. f) – bereits als erste Variante des „Ownership Test“ bezeichnen, hiergegen sprechen jedoch die systematische Stellung und ein Vergleich mit genanntem Art. 28 Abs. 2 lit. f) DBA-USA, welcher alternativ zu prüfen ist. Widersprüchlich Prokisch, in: Vogel/Lehner, DBA, Art. 1 Rn. 129 („Ownership Test“) und Rn. 144b („Börsenhandelstest“).

296

Normanalyse

welche den Börsenhandelstest i.S.v. lit. c) aa) bestehen. Das Erfordernis der mindestens 50%-igen Beteiligung bringt hierbei zum Ausdruck, dass nur von der börsennotierten Muttergesellschaft kontrollierte Tochtergesellschaften die Vergünstigung beanspruchen können, denkbaren Umgehungen soll über den Bezug auf Stimmrechte und Wert sowie die Einbeziehung evtl. Vorteilsaktiengattungen i.S.v. Abs. 8 lit. c) begegnet werden. Die restlichen Anteile können hingegen von Ansässigen in Drittstaaten gehalten werden, da das DBA auch so eine Zwischenschaltung nur zum Abkommensmissbrauch typisiert ausschließt. Die Beschränkung auf maximal fünf qualifizierte Anteilseigner soll verhindern, dass sich unabhängige Unternehmen unter einem gemeinsamen Dach (bzw. in einer gemeinsamen Tochtergesellschaft) zusammenschließen, um die Quellensteuervergünstigungen zu erlangen.49 Insoweit soll die Erleichterung primär auf „echte“ Konzerne beschränkt werden. Strittig ist indes, wie der Begriff der Aktien in diesem Zusammenhang zu verstehen ist, insbesondere ob nur Tochtergesellschaften in Form der AG hierfür qualifizieren; die Definition des Abs. 8 lit. b) bb) beantwortet diese Frage nicht. Nach einer Ansicht sei dieser Begriff tatsächlich in Sinne des AktG auszulegen, so dass insbesondere eine Tochtergesellschaft in Form der GmbH nicht unter Abs. 2 lit. c) bb) falle; diese könnten allenfalls im Rahmen des sog. „Ownership Test“, Abs. 2 lit. f) als Berechtigte qualifizieren.50 Nach anderer Ansicht erschließe sich zwar der Sinn der Begrenzung nicht, jedoch sei der Wortlaut insoweit eindeutig; überlegenswert sei jedoch eine teleologische Erweiterung oder die Anwendung der Ermessenklausel des Abs. 7.51 Die wohl überwiegende Ansicht beschränkt demgegenüber trotz der Verwendung des Begriffs Aktie den Anwendungsbereich nicht auf die Aktiengesellschaft im Sinne des AktG; hierfür streitet insbesondere die Verwendung des Ausdrucks shares in der englischen Sprachfassung, welcher – so wie in Art. 28 Abs. 3 lit. a) und in Abs. 4 lit. c) auch tatsächlich erfolgt – am besten mit Anteile zu übersetzen ist; ein sachlicher Grund für die abweichende, einschränkende deutsche Übersetzung als Aktie ist nicht ersichtlich.52 In diesem Sinne soll also auch eine nicht börsennotierte Kapitalgesellschaft i.S.v. Art. 3 Abs. 1 lit. e) DBA-USA die Voraussetzungen des Abs. 2 lit. c) bb) erfüllen können. Für diese Lösung spricht weiterhin, dass sich insbesondere das Problem der Einbeziehung einer deutschen GmbH allenfalls für die USA als Quellenstaat stellen

49 50 51 52

Wolff, in: Debatin/Wassermeyer, DBA, Art. 28 DBA-USA Rn. 61 m.w.N. Schnitger, IWB Fach 8 Gruppe 2, 1439 (1443). Wassermeyer/Schönfeld, DB 2006, 1970 (1972). Goebel/Glaser/Wangler, DStZ 2009, 197 (200); Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rn. 49; Wolff/Eimermann, IStR 2006, 837 (840).

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Limitation on Benefits Klauseln am Beispiel des Art. 28 DBA-USA

könnte, welche gemäß Art. 3 Abs. 2 DBA-USA über die Anwendung des Abkommens und damit über den Begriff shares entscheiden würden.53 Als weitere Erleichterung und als Zugeständnis an das Bedürfnis weiterer Untergliederung im Konzern lässt Abs. 2 lit. c) bb) auch die mittelbare Anteilseignerschaft durch eine börsennotierte Gesellschaft ausreichen, sofern diese im Ergebnis bei hochgerechneter Anteilsquote zu 50% beteiligt ist. Zusätzlich ist dann Voraussetzung, dass jeder Zwischenbeteiligte in einem der beiden Vertragsstaaten ansässig ist; die Ansässigkeit im Quellenstaat reicht ob des eindeutigen Wortlauts hierbei aus.54 Erst recht solle dies für die börsennotierte Muttergesellschaft gelten, von der die Abkommensberechtigung abgeleitet wird.55 Eine bestimmte Rechtsform56 oder gar die Qualifizierung als Berechtigter i.S.v. Art. 28 DBA-USA57 werden in Bezug auf die Zwischenbeteiligten hingegen nicht gefordert. bb.

Ownership and Base Erosion Test, Art. 28 Abs. 2 lit. f) DBA-USA

Alternativ können sich beschränkt steuerpflichtige Gesellschaften auch über den sog. „Ownership and Base Erosion test“58 des Abs. 2 lit. f) aa) als Berech53 Wolff, in: Debatin/Wassermeyer, DBA, Art. 28 DBA-USA Rn. 62. Allerdings sollen insoweit Restzweifel verbleiben, als das US-Recht keine Entsprechung der GmbH – auch nicht in Form der Corporation – kenne. 54 Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rn. 52; Schnitger, IWB Fach 8 Gruppe 2, 1439 (1444); Wassermeyer/Schönfeld, DB 2006, 1970 (1972). Strittig bleibt jedoch die Anwendbarkeit bei sog. Doppelansässigkeit: Nach Schnitger, IWB Fach 8 Gruppe 2, 1439 (1444) sind doppelansässige Gesellschaften nicht in einem der Vertragsstaaten ansässig und erfüllen daher nicht die genannten Kriterien. Wolff, in: Debatin/Wassermeyer, DBA, Art. 28 DBA-USA Rn. 65 hingegen verweist wohl zu Recht darauf, dass diese selbst keine Vergünstigungen beanspruchen, die Doppelansässigkeit somit nicht schadet und diese Zwischenbeteiligte sein können. 55 Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rn. 52; Wassermeyer/Schönfeld, DB 2006, 1970 (1972); Wolff, in: Debatin/Wassermeyer, DBA, Art. 28 DBA-USA Rn. 61. 56 Schnitger, IWB Fach 8 Gruppe 2, 1439 (1443). 57 Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rn. 53. Missverständlich insoweit Vega, Limitation on Benefits, S. 136, der im Haupttext zunächst von qualified residents spricht, um in der zugehörigen Fn. 61 jedoch die „normale“ Ansässigkeit (residence) ausreichen zu lassen; dies lässt sich womöglich auf eine Differenz zum US-MA zurückführen. 58 Dannecker/Werder, BB 2006, 1717 (1719); Endres, PIStB 2006, 259 (260); Endres/Wolff, IStR 2006, 721 (722); Goebel/Glaser/Wangler, DStZ 2009, 197 (201); Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rn. 69; Kofler, DBA und Gemeinschaftsrecht, S. 503; Kreienbaum/Nürnberger, IStR 2006, 806 (809); Prokisch, in: Vogel/Lehner, DBA, Art. 1 Rn. 144b; Scherer, Doppelbesteuerung und EG-Recht, S. 143; Wolff/Eimermann, IStR 2006, 837 (840). Wassermeyer/Schönfeld, DB 2006, 1970 (1972), sprechen in Abgrenzung zu lit. c) bb) hingegen vom „indirect ownership test“.

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Normanalyse

tigte im Sinne des Art. 28 DBA-USA qualifizieren. Hierunter fallen Gesellschaften aller Rechtsformen, soweit diese bestimmte Anforderungen an die Struktur ihrer Anteilseigner erfüllen (Ownership Test); sofern jene gewissermaßen auch ohne die Einschaltung der Zwischengesellschaft zu den Vergünstigungen berechtigt wären, geht Abs. 2 lit. f) zu Recht59 typisierend davon aus, dass die konkret die Vergünstigungen ersuchende Gesellschaft nicht in erster Linie zur Erlangung der Abkommensvorteile und damit rechtsmissbräuchlich zwischengeschaltet wurde. In einer zweiten Stufe dieses Tests soll zudem eine weitere Umgehung mittels bloßer Zahlungsabflüsse ausgeschlossen werden (Base Erosion Test). Zur Erlangung der vollständigen Quellensteuerbefreiung gemäß Art. 10 Abs. 3 DBA-USA sind – abweichend von der ansonsten grundsätzlichen Alternativität der Tests – kumulativ die Voraussetzungen des Abs. 4 im Hinblick auf die Dividenden zu erfüllen. (1)

Ownership Test

Die Anforderungen im Rahmen des Abs. 2 lit. f) aa) sind zeitlicher, quantitativer und qualitativer Natur:60 Die Anteile an der betreffenden Gesellschaft müssen an mindestens der Hälfte der Tage des Steuerjahres zu mindestens 50% von bestimmten berechtigten Personen im Sinne des Abs. 2 gehalten werden. In zeitlicher Hinsicht erfolgt somit eine Einschränkung gegenüber Abs. 2 lit. c) bb). Der entscheidende Unterschied zur Alternative des indirekt angewendeten Börsenhandelstests, Abs. 2 lit. c) bb), besteht indes in erleichterten Anforderungen an den maßgeblichen Gesellschafterkreis, da hierfür nicht nur börsennotierte Gesellschaften, sondern alle61 anderen Berechtigten i.S.v. Art. 28 Abs. 2 qualifizieren. Zudem spielt der Streit um die erforderliche Rechtsform der Tochtergesellschaft hier richtigerweise keine Rolle, da gemäß dem Einleitungssatz auf andere als natürliche Personen und somit die Definition des Art. 3 Abs. 1 lit. d) DBA-USA abzustellen ist.62 Die abweichende Ansicht, die sich auf die Verwendung des Begriffs Aktiengattungen stützt,63 übersieht, dass nach dem ausdrücklichen Wortlaut des Abs. 2 lit. f) auch das sonstige wirtschaftliche Eigentum, d.h. jede Beteiligung am Eigenkapital eines 59 Auch nach dem abstrakten Maßstab des § 42 AO ist die Eignung und das Bedürfnis zur Durchleitung klassische Maßgabe und erster Ansatzpunkt, vgl. 1. Teil, B.I.2.d.cc(3)(b), S. 117. 60 Vega, Limitation on Benefits, S. 148. 61 Die Alternative des Abs. 2 lit. c) bb) ist nicht genannt, da dann bereits hiernach die Vergünstigung bestünde, vgl. Schnitger, IWB Fach 8 Gruppe 2, 1439 (1448); Wolff, in: Debatin/Wassermeyer, DBA, Art. 28 DBA-USA Rn. 88. Die Alternative des lit. f) fehlt denknotwendigerweise, da eine mittelbare Beteiligung ausreicht und ansonsten die Prozentgrenzen potenziert würden. 62 Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rn. 70; Schnitger, IWB Fach 8 Gruppe 2, 1439 (1448). 63 Wassermeyer/Schönfeld, DB 2006, 1970 (1973).

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Limitation on Benefits Klauseln am Beispiel des Art. 28 DBA-USA

Rechtsträgers,64 die erforderliche Beteiligungsquote vermitteln kann. In quantitativer Hinsicht beträgt diese 50% der Anteile, eine Beschränkung der Höchstzahl der jeweiligen Anteilseigner existiert nicht. Die Anforderungen an den Gesellschafterkreis sind jedoch insoweit enger gefasst, als nach dem eindeutigen Wortlaut des lit. f) aa) der Gesellschafter, von dem die Berechtigung abgeleitet wird – und zusätzlich jeder Zwischengeschaltete bei mittelbarer Ableitung – in demselben Staat wie der Einkünfteempfänger ansässig sein muss.65 (2)

Base Erosion Test

Die kumulativ zu prüfenden Komponente des Base Erosion Test des Abs. 2 lit. f) bb) stellt demgegenüber auf die Verwendung der so erzielten Einkünfte ab. Hierdurch soll sog. Durchlaufgesellschaften begegnet werden, welche im Wege steuerlich abzugsfähiger Zahlungen trotz der formellen Beteiligung berechtigter Anteilseigner Einkünfte an nicht abkommensberechtigte Personen weitertransferieren.66 Selbst bei Erfüllung des Ownership Test sind also Gesellschaften nicht vergünstigungsberechtigt, wenn mindestens die Hälfte ihres Rohgewinns des Steuerjahres unmittelbar oder mittelbar für in ihrem Ansässigkeitsstaat abzugsfähige Zahlungen an Personen verwendet werden, die nicht in einem der Vertragsstaaten ansässig und nach einem der Tests berechtigte Personen sind, Abs. 2 lit. f) bb). Anders ausgedrückt dürfen weniger als die Hälfte des Rohgewinns steuerlich wirksam an Nichtberechtigte weitergeleitet werden. Strittig ist hierbei der als Maßstab verwendete Begriff des Rohgewinns, da dieser im Abkommen nicht definiert ist. Aus Art. 3 Abs. 2 DBA-USA könnte insofern wieder die Sicht des Quellenstaates als Anwenderstaat entscheidend sein.67 Jedoch wird darauf verwiesen, dass dieser Grundsatz im Falle des Base Erosion Test zu modifizieren sei: Aus dem Abkommenszusammenhang ergebe sich, dass die Erodierung der steuerlichen Bemessungsgrundlage im Ansässigkeitsstaat als schädlich erachtet werde, demnach müsse sich diese Frage auch nach dessen Recht bestimmen.68 Letztere Erwägung ist durchaus legitim und 64 Wolff, in: Debatin/Wassermeyer, DBA, Art. 28 DBA-USA Rn. 87. 65 Auch hiermit sollen sog. „Inversionsgestaltungen“ vermieden werden, hierzu schon oben Fn. 39 und Wolff/Eimermann, IStR 2006, 837 (840). 66 Goebel/Glaser/Wangler, DStZ 2009, 197 (201); Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rn. 69; Prokisch, in: Vogel/Lehner, DBA, Art. 1 Rn. 129; Schnitger, IWB Fach 8 Gruppe 2, 1439 (1448); Vega, Limitation on Benefits, S. 158 f.; Wassermeyer/Schönfeld, DB 2006, 1970 (1972 f.); Wolff, in: Debatin/Wassermeyer, DBA, Art. 28 DBA-USA Rn. 95. 67 Goebel/Glaser/Wangler, DStZ 2009, 197 (200); Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rn. 83; Vega, Limitation on Benefits, S. 159 f. 68 Wolff, in: Debatin/Wassermeyer, DBA, Art. 28 DBA-USA Rn. 100.

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daher auch in Art. 22 Abs. 2 lit. e) ii) US-MA69 ausdrücklich so vorgesehen. Indes könnte sich hieraus in Zweifelsfällen das Dilemma ergeben, dass – bezogen auf den Fall einer deutschen Zwischengesellschaft, die in den USA investiert – die USA über die Quellensteuervergünstigung einer deutschen Gesellschaft auf der Basis des Rohgewinns und möglicherweise auch der Abzugsfähigkeit im Sinne des deutschen Rechts entscheiden müsste; es ist äußerst fraglich ob dieser Zustand gewollt wäre.70 Letztlich lassen sich solche Streitfragen daher sinnvoll nur im Wege eines Verständigungsverfahrens, Art. 25 DBA-USA, klären. Die Sichtweise der USA dürfte sich insoweit am Begriff des gross income i.S.v. Sec. 61 (a) IRC orientieren, d.h. Rohgewinn würde sich bemessen als Bruttoeinnahmen abzgl. der Kosten der Leistungserstellung.71 Aus deutscher Sicht bietet sich ein Abstellen auf § 276 HGB an,72 welcher als Rohergebnis die Gesamtleistung des Unternehmens abzgl. des Materialaufwandes definiert. Beide Varianten sehen sich – unabhängig eventueller Unterschiede im Detail – der grundsätzlichen Kritik ausgesetzt, dass diese Referenzwerte schlicht zu umfangreich seien, da sie nahezu die gesamte Wertschöpfung umfassen;73 zur Einhaltung der 50%-Grenze zwinge dies zur Beschaffung von Leistungen im Ansässigkeitsstaat und sei damit insbesondere unionsrechtlich bedenklich74 und fernab jeglicher ökonomischer Realität.75 Tatsächlich wird diese Ausgestaltung grenzüberschreitenden Wirtschaftsbeziehungen nicht gerecht. Ebenso wenig definiert ist der Begriff der abzugsfähigen Zahlung. Hinsichtlich der Entscheidungsbefugnis stellt sich insoweit grundsätzlich das gleiche Problem, ob sich dies nach der Sichtweise des Quellen- oder des Ansässigkeitsstaates bestimmt. Es besteht jedoch Einigkeit, dass es nicht auf einen tatsächlichen Abfluss, sondern auf die bloße aufwandswirksame Erfassung an-

69 US-Musterabkommen 2006, zu finden unter http://www.ustreas.gov/press/releases/ reports/hp16801.pdf: “50 percent of the person’s gross income for the taxable year, as determined in the person's State of residence” 70 Polemisch und überspitzt ausgedrückt: Das deutsche (Steuer-)Recht ist kompliziert genug und es werden bereits genügend Sichtweisen zu unzähligen Streitfragen vertreten, warum sollte zu diesem Zustand gerade eine US-Finanzbehörde das letzte Wort haben? 71 Scherer, Doppelbesteuerung und EG-Recht, S. 147 f.; Schnitger, IWB Fach 8 Gruppe 2, 1439 (1449); Wolff, in: Debatin/Wassermeyer, DBA, Art. 28 DBA-USA Rn. 100. 72 Goebel/Glaser/Wangler, DStZ 2009, 197 (201); Wassermeyer/Schönfeld, DB 2006, 1970 (1973) m.w.N.; Wolff, in: Debatin/Wassermeyer, DBA, Art. 28 DBA-USA Rn. 100. 73 Goebel/Glaser/Wangler, DStZ 2009, 197 (201); Wassermeyer/Schönfeld, DB 2006, 1970 (1973). 74 Goebel/Glaser/Wangler, DStZ 2009, 197 (201). 75 Wassermeyer/Schönfeld, DB 2006, 1970 (1973).

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Limitation on Benefits Klauseln am Beispiel des Art. 28 DBA-USA

kommt.76 Hierzu gehören insbesondere Entgelte für die Überlassung von Kapital und Nutzungen sowie Dienstleistungsvergütungen.77 Keine abzugsfähige Zahlung sollen demgegenüber Dividenden und vergleichbare Vergütung für Kapitalüberlassungen mit Beteiligungscharakter darstellen.78 Nicht ausgenommen sind im Abkommenstext – entgegen der ausdrücklichen Erwähnung Art. 22 Abs. 2 lit. e) ii) US-MA79 – dem Fremdvergleichsgrundsatz entsprechende Zahlungen für Dienstleistungen und Sachvermögen. Hieran wird berechtigte Kritik geäußert, wäre eine solche Ausnahme doch im Rahmen des allgemeinen Geschäftsverkehrs sinnvoll, ohne dass damit die Gefahr des Einsatzes von Durchlaufgesellschaften erhöht wäre. Mangels Verankerung im Wortlaut scheint aber nur der Rückgriff auf die Ermessenklausel des Abs. 7 möglich zu sein.80 Genannte Zahlungen sind nur dann schädlich i.S.d. Abs. 2 lit. f) bb), wenn es sich bei dem Empfänger um Nicht-Ansässige oder81 Nicht-Berechtigte i.S.v. Art. 28 DBA-USA handelt;82 für die umgekehrte Einordnung als zugelassener Empfänger kann allerdings dahinstehen, ob diese im Quellenstaat oder im anderen Staat ansässig sind.83 Eine Ausnahme im Falle des Zahlungsabflusses an Ansässige in anderen EU-Staaten ist nicht vorgesehen, auch aus diesem Grund

76 Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rn. 89; Schnitger, IWB Fach 8 Gruppe 2, 1439 (1449); Wolff, in: Debatin/Wassermeyer, DBA, Art. 28 DBA-USA Rn. 96. 77 Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rn. 89; Schnitger, IWB Fach 8 Gruppe 2, 1439 (1449); Wolff, in: Debatin/Wassermeyer, DBA, Art. 28 DBA-USA Rn. 96. 78 Schnitger, IWB Fach 8 Gruppe 2, 1439 (1449). Die praktische Relevanz dieser Kategorie scheint jedoch gering zu sein, da in diesen Fällen schon die Erfüllung des ownership test hinterfragt werden muss. 79 US-Musterabkommen 2006, http://www.ustreas.gov/press/releases/reports/hp16801.pdf: “…payments that are deductible for purposes of the taxes covered by this Convention in the person’s State of residence (but not including arm's length payments in the ordinary course of business for services or tangible property).” 80 Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rn. 91; Wolff/Eimermann, IStR 2006, 837 (840), Fn. 30. 81 Die Formulierung „und“ in der deutschen Version ist irreführend, da ein NichtAnsässiger nie Berechtigter i.S.v. Art. 28 DBA-USA sein kann, siehe Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rn. 92. Vgl. Vega, Limitation on Benefits, S. 159 f. zur englischen Sprachfassung. 82 Zum Hintergrund des Ausschlusses der Tochtergesellschaften börsennotierter Gesellschaften, Abs. 2 lit. c) bb) siehe Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rn. 92. 83 Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rn. 93; Schnitger, IWB Fach 8 Gruppe 2, 1439 (1449).

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soll die Unionsrechtskonformität der Klausel fraglich sein.84 Allerdings erfasst der Base Erosion Test auch mittelbare Zahlungen an schädliche Empfänger; dies richtet sich insbesondere gegen sog. „back-to-back“ Konstruktionen, bei denen die Zahlungen zunächst an Berechtigte abfließen, von diesen aber – vergleichbar einer Durchlaufgesellschaft – an Nicht-Berechtigte weitergeleitet werden.85 Dass es insoweit immer auf den ultimativen wirtschaftlichen Empfänger ankommt, erscheint zwar als Anliegen verständlich, könnte aber bei Weiterverfolgung von Zahlungsströmen durchaus praktische Schwierigkeiten bereiten.86 In zeitlicher Hinsicht stellt der Base Erosion Test zur Bemessung des schädlichen Zahlungsabflusses auf das einzelne Steuerjahr anstatt auf eine Durchschnittsbetrachtung ab. Insoweit kann es aufgrund einer zufälligen Veränderung der Berechnungsgrundlagen zu periodischen Verwerfungen hinsichtlich der Berechtigung zu Vergünstigungen kommen, welche über eine Anwendung der Ermessensklausel des Abs. 7 abzumildern sind.87 cc.

Derivative Benefits and Base Erosion Test, Art. 28 Abs. 3 DBA-USA

(1)

Derivative Benefits – abgeleitete Abkommensrechte

Nach dem sog. „Derivative Benefits Test“,88 Abs. 3 lit. a) ist eine Gesellschaft vergünstigungsberechtigt, wenn deren Anteile von in bestimmten Drittstaaten ansässigen Personen gehalten werden, die potentiell berechtigt wären. Dann lassen sich die Abkommensrechte von diesen ableiten, da durch die Zwischenschaltung kein zusätzlicher Vorteil und somit auch kein missbräuchliches Treaty Shopping begründet wird. Da auch hier auf die Struktur der Anteilseigner abgestellt wird, handelt es sich strenggenommen um eine Variante des Ownership Test;89 konsequenterweise wird daher auch in Abs. 3 lit. b) zusätzlich auf den Base Erosion Test Bezug genommen. Wichtigstes Unterscheidungsmerkmal zu Abs. 2 lit. f) ist die Ansässigkeit der potentiell berechtigten Anteilseigner in Drittstaaten, insoweit leistet das Kon84 So Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rn. 94; Wassermeyer/Schönfeld, DB 2006, 1970 (1973). Als zumindest „integrationshemmend“ bezeichnet von Scherer, Doppelbesteuerung und EG-Recht, S. 148. 85 Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rn. 85 f. 86 Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rn. 87. 87 Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rn. 82. 88 Dannecker/Werder, BB 2006, 1716 (1719); Endres, PIStB 2006, 259 (260); Goebel/Glaser/Wangler, DStZ 2009, 197 (201); Kreienbaum/Nürnberger, IStR 2006, 806 (810); Prokisch, in: Vogel/Lehner, DBA, Art. 1 Rn. 144c; Wolff/Eimermann, IStR 2006, 837 (840). 89 Goebel/Glaser/Wangler, DStZ 2009, 197 (201); Vega, Limitation on Benefits, S. 192; Wolff, in: Debatin/Wassermeyer, DBA, Art. 28 DBA-USA Rn. 106.

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Limitation on Benefits Klauseln am Beispiel des Art. 28 DBA-USA

zept abgeleiteter Abkommensrechte einen Beitrag zur Multilateralisierung und trägt der wirtschaftlichen Integration der Vertragsstaaten in staatenübergreifende Organisationen Rechnung.90 Aus diesem Grunde wird der Derivative Benefits Test von der herrschenden Lehre auch im besonderen Zusammenhang mit einer möglichen Unionsrechtswidrigkeit abkommensbeschränkender Limitation on Benefits Klauseln gesehen und soll diesem Ergebnis wohl entgegenwirken,91 wobei der Erfolg dieses Ansatzes überwiegend in Zweifel gezogen wird.92 Im Einzelnen erfordert Abs. 3 lit. a), dass mindestens 95% der gesamten Stimmrechte und des Wertes (sowie 50% der gesamten Stimmrechte und des Wertes aller Vorzugsaktien) unmittelbar oder mittelbar von maximal sieben sog. gleichberechtigt Begünstigten gehalten werden. Im Vergleich zum Ownership Test des Abs. 2 lit. f) wird mithin ein signifikant höheres Beteiligungserfordernis (95% statt 50%) vorausgesetzt, zusätzlich muss sich dies ausdrücklich auch auf die Stimmrechte beziehen; die Anzahl der höchstens zulässigen qualifizierten Anteilseigner wird dagegen leicht auf sieben erhöht. Da Abs. 3 lit. a) auch in der deutschen Fassung von Anteilen spricht, ist eine bestimmte Rechtsform der Tochtergesellschaft unstreitig nicht Voraussetzung;93 für den Begriff der Vorzugsaktiengattungen kann auf die Ausführungen zum Börsenhandelstest verwiesen werden.94 (2)

Gleichberechtigt Begünstige

Entscheidendes Kriterium zur Anwendung des Derivative Benefits Test ist damit dasjenige des gleichberechtigt Begünstigten (equivalent beneficiary), welches in Abs. 8 lit. e) definiert wird. Hierzu zählen gemäß Abs. 8 lit. e) aa) Ansässige anderer Mitgliedstaat der EU, des EWR oder der NAFTA, wenn diese – kurz gefasst – unter vergleichbaren Einschränkungen vergleichbaren Abkommensvergünstigungen unterliegen. In Drittstaaten ansässige Anteilseigner unterliegen vergleichbaren Abkommensvergünstigungen, wenn das auf sie anwendbare DBA mit dem Quellen90 Schnitger, IWB Fach 8 Gruppe 2, 1439 (1450); Wolff, in: Debatin/Wassermeyer, DBA, Art. 28 DBA-USA Rn. 106. 91 Dannecker/Werder, BB 2006, 1716 (1719); Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBAUSA, Art. 28 Rn. 96; Prokisch, in: Vogel/Lehner, DBA, Art. 1 Rn. 130 und 144c; Schnitger, IWB Fach 8 Gruppe 2, 1439 (1453). 92 Vgl. Dannecker/Werder, BB 2006, 1716 (1719); Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rn. 96; Schnitger, IWB Fach 8 Gruppe 2, 1439 (1453). Zur Beurteilung im Rahmen dieser Untersuchung siehe sogleich A.I.2, S. 320. 93 Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art/ 28 Rn. 97; umstritten ist dies im Rahmen des indirekten Börsenhandelstests, Abs. 2 lit. c) bb), hierzu siehe oben A.I.2,b.aa(3), S. 296. 94 Siehe oben A.I.2.b.aa(1), S. 291.

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staat auch materiell dieselben Vergünstigungen gewährt. Bezogen auf die Quellenbesteuerung von Dividenden muss also das einschlägige DBA mit Tatbestand und Rechtsfolge des Art. 10 Abs. 2 bzw. Abs. 3 DBA-USA verglichen werden. Eine Erleichterung hierfür findet sich in Abs. 8 lit. e) a.E., da für den insoweit erforderlichen Vergleich der Beteiligungsquote nicht auf die tatsächliche Quote des potentiell gleichberechtigt Begünstigten, sondern auf diejenige der die Vergünstigung aus dem DBA-USA konkret ersuchenden (Tochter-)Gesellschaft abzustellen ist. Ohne diese Erleichterung wäre etwa im Falle der Quellensteuerbefreiung des Art. 10 Abs. 3 DBA-USA die dort erforderliche Beteiligungsquote von 80% schon bei je hälftiger Beteiligung zweier Anteilseigner von diesen nicht erfüllbar und damit die in Abs. 3 lit. a) als zulässige erachtete Höchstzahl von bis zu sieben Anteilseignern faktisch außer Kraft gesetzt.95 Eine weitere Erleichterung, die jedoch nur auf US-Gesellschaften Anwendung findet, die Dividenden, Zinsen und Lizenzgebühren aus deutschen Quellen beziehen, enthält Abs. 8 lit. f): Vergleichbare Abkommensvergünstigungen können auch dann bejaht werden, wenn zwar das DBA zwischen Deutschland und dem Drittstaat keine vergleichbare Vergünstigung enthält, sich ein solcher Anspruch aber aus den einschlägigen Richtlinien (MTRL und ZLRL) ergibt. Dies ist in praktischer Hinsicht nachzuvollziehen, da viele Abkommen zwischen den EU-Staaten nicht an die aus den Richtlinien abzuleitenden Vergünstigungen angepasst wurden,96 auch weil diese ohnehin das DBA-Recht überlagern. Unter vergleichbaren Einschränkungen ist in diesem Zusammenhang so zu verstehen, dass der gleichberechtigt Begünstigte einen Anspruch aus einem eigenen DBA des Drittstaats mit dem Quellenstaat (bzw. den einschlägigen Richtlinien) nur unter mit Art. 28 DBA-USA vergleichbaren einschränkenden Voraussetzungen geltend machen darf, d.h. wenn das jeweilige Abkommen eine eigene Limitation on Benefits Klausel enthält, die tatbestandlich Art. 28 DBA-USA entspricht. Enthält das Abkommen keine solche Einschränkung, so ist zu prüfen, ob der jeweilige Anteilseigner der die Vergünstigung ersuchenden Gesellschaft sich bei – mangels Ansässigkeit im anderen Vertragsstaat natürlich nur hypothetischer97 – Anwendbarkeit des Art. 28 DBA-USA nach dessen Maßstäben qualifizieren würde, Abs. 8 lit. e) aa). Richtigerweise dürfte dieser hypothetische Test auch dann maßgeblich sein, wenn das Abkommen mit dem Drittstaat zwar Einschränkungen vorsieht, die aber tatbestandlich hin95 Zu Beispielen vgl. Wassermeyer/Schönfeld, DB 2006, 1970 (1975); Wolff, in: Debatin/Wassermeyer, DBA, Art. 28 DBA-USA Rn. 232. 96 Wolff, in: Debatin/Wassermeyer, DBA, Art. 28 DBA-USA Rn. 234. 97 Schnitger, IWB Fach 8 Gruppe 2, 1439 (1451) spricht von „fiktiver“, Wolff, in: Debatin/Wassermeyer, DBA, Art. 28 DBA-USA Rn. 114 und 228, von „analoger“ Anwendung.

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Limitation on Benefits Klauseln am Beispiel des Art. 28 DBA-USA

ter Art. 28 DBA-USA zurückblieben, d.h. weniger streng sind, da Ansässige in solchen Drittstaaten anderenfalls sogar schlechter gestellt wären als ohne Limitation on Benefits Klausel.98 Insgesamt stellt sich der Derivative Benefits Test als sehr effektive Schranke der Abkommensvergünstigungen dar, insbesondere durch den kumulativ erforderlichen materiellen Vergleich der Begünstigungen. Hieraus erfolgt jedoch zugleich, dass im Rahmen des Abs. 3 stets nach den verschiedenen Einkunftsarten unterschieden werden muss und damit als Rechtsfolge des Art. 28 Abs. 3 DBA-USA auch die Zuerkennung oder Versagung der Abkommensvergünstigung nur hinsichtlich bestimmter Einkunftsteile denkbar ist.99 Aus dem Wortlaut des Einleitungssatzes des Abs. 8 lit. e), der mit der Formulierung wenn anstelle von soweit die Stellung als gleichberechtigt Begünstigter vom genannten Begünstigungsvergleich abhängig macht, ergibt sich zudem, dass bei Fehlschlagen dieses Vergleichs die Vergünstigung insgesamt nicht gewährt wird, auch nicht die relativ ungünstigere aus dem DBA mit dem Drittstaat.100 Dass als gleichberechtigt Begünstigte gemäß Abs. 8 lit. e) bb) auch Berechtigte im Sinne des Abs. 2 fingiert werden, rechtfertigt sich aus der hohen Mindestbeteiligung und der Verweisungstechnik des Abs. 3 lit. a), da ansonsten diese Voraussetzung des Derivative Benefits Test bei zusätzlicher Beteiligung einer solchen Gesellschaft mit mehr als 5% nicht erfüllbar wäre, Art. 28 Abs. 2 bleibt insoweit für diese anwendbar.101 Erleichternd gegenüber den dort zu erfüllenden Tests wirkt sich indes aus, dass die Ansässigkeit in einem der beiden Vertragsstaaten ausreicht, und bei mittelbarer Beteiligung weder eine bestimmte Ansässigkeit noch Rechtsform der Zwischengesellschaften erforderlich ist, solange im Ergebnis die Beteiligungsquote von 95% erreicht wird.102 98 Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rn. 109. 99 Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rn. 117; Wolff, in: Debatin/Wassermeyer, DBA, Art. 28 DBA-USA Rn. 111. In der englischen Sprachfassung kommt dies auch deutlich zum Ausdruck, indem die Definition des gleichberechtigt Begünstigung ausdrücklich nur „with respect to an item of income“ Anwendung findet. 100 Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rn. 112 ff.; Schnitger, IWB Fach 8 Gruppe 2, 1439 (1452); Wolff, in: Debatin/Wassermeyer, DBA, Art. 28 DBAUSA Rn. 114. Dies führt beispielsweise dazu, dass die deutsche Tochtergesellschaft einer EU-Muttergesellschaft nicht von Art. 10 Abs. 2 lit. a) (Ermäßigung auf 5% bei Schachteldividenden), gebrauchen machen – insoweit selbstverständlich –, aber gerade auch nicht von einer etwaigen leicht ungünstigeren Ermäßigung (etwa 10% bei Schachteldividenden) im DBA zwischen dem EU-Drittstaat und den USA. 101 Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rn. 130 f. Schnitger, IWB Fach 8 Gruppe 2, 1439 (1452). 102 Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rn. 138 f.; Wassermeyer/Schönfeld, DB 2006, 1970 (1975); Wolff, in: Debatin/Wassermeyer, DBA, Art. 28 DBA-USA Rn. 115 ff.

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Normanalyse

Über diesen Weg ließe sich die im Falle der vollständigen Quellensteuerbefreiung gem. Art. 10 Abs. 3 lit. a) bb) grundsätzlich erforderliche kumulative Prüfung des Art. 28 Abs. 2 lit. f) mit Abs. 4 umgehen.103 (3)

Base Erosion Test

Der Base Erosion Test entspricht demjenigen des Abs. 2 lit. f), mit der Maßgabe dass auf Zahlungen an gleichberechtigt Begünstigte abzustellen ist – bzw. aufgrund der negativen Formulierung auf Zahlungen an Personen, die dies gerade nicht sind. Aufgrund der Definition des gleichberechtigt Begünstigten in Abhängigkeit von bestimmten Einzelvergünstigungen kann auch hier das Ergebnis hinsichtlich der konkreten Einkunftsart unterschiedlich ausfallen.104 dd.

Active Trade or Business Test, Art. 28 Abs. 4 DBA-USA

Der sog. „Active Trade or Business Test”105 verfolgt einen völlig anderen Ansatz: Gemäß Abs. 4 muss die Gesellschaft im Ansässigkeitsstaat aktiv gewerblich tätig sein und die streitigen Einkünfte müssen im Zusammenhang oder aus Anlass dieser Tätigkeit anfallen. Hiermit wird eine typisierte Vermutung gegen Treaty Shopping weder aus der Anteilseignerschaft noch sonst der Gesellschaftsstruktur,106 sondern ausschließlich aus der wirtschaftlichen Tätigkeit des die Vergünstigung ersuchenden – konkret auf diese Untersuchung bezogen: des dividendenempfangenden107 – Steuerpflichtigen abgeleitet. Schon deshalb kann Abs. 4 trotz des missverständlichen Wortlauts Anspruch auf alle Vergünstigungen der deutschen Fassung nur hinsichtlich der jeweiligen Einkunftsart geprüft werden, außerdem ergibt sich dies aus dem Tatbestandsmerkmal des Zusammenhangs zwischen wirtschaftlicher Tätigkeit und konkret bezogenen Einkünften.108 Die englische Sprachfassung ist infolge des Zusatzes with respect to an item of income insoweit eindeutig. Grundsätzlich steht Abs. 4 zu den anderen, von Gesellschafter bzw. Rechtsform abhängigen Tests im Verhältnis der Alternativität; dies gilt jedoch nicht im Falle der vollständigen Quellensteuerbefreiung, für die gemäß Art. 10 Abs. 3 lit. a) bb) DBA-USA der

103 Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rn. 134; Schnitger, IWB Fach 8 Gruppe 2, 1439 (1452). 104 Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rn. 143 ff. 105 Dannecker/Werder, BB 2006, 1716 (1718); Endres, PIStB 2006, 259 (260); Goebel/Glaser/Wangler, DStZ 2009, 197 (202 f.); Kreienbaum/Nürnberger, IStR 2006, 806 (810); Wassermeyer/Schönfeld, DB 2006, 1970 (1973); Wolff/Eimermann, IStR 2006, 837 (841). 106 Insoweit ist auch die Rechtsform der Gesellschaft belanglos, Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rn. 149. 107 Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rn. 148. 108 Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rn. 148; Wolff, in: Debatin/Wassermeyer, DBA, Art. 28 DBA-USA Rn. 127.

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Limitation on Benefits Klauseln am Beispiel des Art. 28 DBA-USA

Active Trade or Business Test nur kumulativ mit dem Ownership and Base Erosion Test die Abkommensvergünstigung begründen kann. Kerntatbestandsmerkmal des Tests in Abs. 4 ist die Feststellung einer aktiven gewerblichen Tätigkeit. Eine Ansicht möchte dies unter Verweis auf den Aktivitätskatalog des § 8 Abs. 1 AStG bestimmen.109 Dies wird jedoch von der überwiegenden Lehre aufgrund der unterschiedlichen Zielsetzung der Normen abgelehnt, es gehe nicht um die aktive Tätigkeit, sondern das aktive Ausüben einer gewerblichen Tätigkeit.110 § 8 Abs. 1 AStG könne allenfalls als Indiz erachtet werden, vorgeschlagen wird stattdessen die Heranziehung des § 15 Abs. 2 EStG.111 Relevant wird dies zur Einordnung bestimmter vermögensverwaltender Tätigkeiten, indes lässt sich hierzu vorrangig der Abkommenstext heranziehen. Ausdrücklich ausgenommen sind demnach Tätigkeiten mit Kapitalanlagecharakter für eigene Rechnung; hieraus wird etwa auf die Unbeachtlichkeit „passiver Holdinggesellschaften geschlossen.112 Im Umkehrschluss sollen andere Formen der – im Sinne des § 15 Abs. 2 EStG gewerblichen – Vermögensverwaltung den Aktivitätstest erfüllen können, insbesondere auch die Tätigkeit einer geschäftsleitenden Holdinggesellschaft.113 Eine aktive gewerbliche Tätigkeit steht dann im Zusammenhang mit den streitgegenständlichen Einkünften, wenn die Tätigkeit im Quellenstaat einen Teil der gewerblichen Betätigung im Ansässigkeitsstaat darstellt oder diese ergänzt.114 Teil der gewerblichen Tätigkeit ist sie dann, wenn es sich um eine gemeinsame Wertschöpfungskette handelt, insbesondere wenn die Aktivitäten die Entwicklung, Herstellung oder den Vertrieb desselben Produkts oder derselben Produktart oder ähnliche Dienstleistungen betreffen.115 Teilweise wird im Zusammenhang mit der Quellensteuerbefreiung des Art. 10 Abs. 3 DBA109 110 111 112

Nachweise bei Wassermeyer/Schönfeld, DB 2006, 1970 (1973), Fn. 27. Wolff, in: Debatin/Wassermeyer, DBA, Art. 28 DBA-USA Rn. 135. Wassermeyer/Schönfeld, DB 2006, 1970 (1973). Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rn. 160; Prokisch, in: Vogel/Lehner, DBA, Art. 1 Rn. 144d; Wolff/Eimermann, IStR 2006, 837 (841). 113 Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rn. 162; Wolff, in: Debatin/Wassermeyer, DBA, Art. 28 DBA-USA Rn. 136; vgl. auch das BMF-Schreiben zu § 50d Abs. 3 EStG, Tz. 6.2; zweifelhaft bleibt jedoch, ob auch diese Sichtweise von den US-Behörden geteilt wird, da die engl. Sprachfassung managing investments evtl. über das bloße Verwalten hinausgeht. Im Ergebnis kommt es darauf nicht an, soweit nicht über die Tätigkeit eines verbundenen Unternehmens zugerechnet werden kann, Abs. 4 lit. c. 114 Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rn. 163 ff.; Goebel/Glaser/Wangler, DStZ 2009, 197 (203); Wolff, in: Debatin/Wassermeyer, DBA, Art. 28 DBA-USA Rn. 138 m.w.N. 115 Wolff, in: Debatin/Wassermeyer, DBA, Art. 28 DBA-USA Rn. 139 mit zahlreichen Beispielen.

308

Normanalyse

USA vertreten, die Einkünfte müssten aus betrieblichen Funktionen stammen, die der Muttergesellschaft dienen, so dass ein Subordinationsverhältnis zu fordern sei und die dividendenzahlende Gesellschaft selbst gewerblich tätig sein müsse.116 Diese Konsequenz lässt sich jedoch nur schwerlich mit dem Wortlaut des Abs. 4 vereinbaren, welcher keine bestimmte Tätigkeit im Quellenstaat, sondern nur im Ansässigkeitsstaat fordert; demnach wäre bei Dividendeneinkünften auch die Kapitalanlage auf eigene Rechnung durch die ausschüttende Tochtergesellschaft unschädlich.117 Von einem Ergänzen der Tätigkeiten in Quellen- und Ansässigkeitsstaat soll hingegen gesprochen werden, wenn diese zur selben Gesamtbranche gehören und zueinander derart in einer Beziehung stehen, dass der Erfolg und Misserfolg sich aufeinander auswirke.118 Nach dem Wortlaut des Abs. 4 reicht jedoch auch schon die Einkünfteerzielung aus Anlass der gewerblichen Tätigkeit aus, d.h. wenn die Generierung der Einkünfte das Betrieben der aktiven Tätigkeit erleichtert oder fördert.119 Die Anforderungen sind insoweit gegenüber dem Vorgenannten spürbar abgemildert. Einschränkend wirkt sich indes Abs. 4 lit. b) aus, wonach die aktive gewerbliche Tätigkeit im Ansässigkeitsstaat erheblich sein muss. Damit soll die Erlangung der Abkommensberechtigung mittels lediglich vorgeschobener Tätigkeit vermieden werden.120 Dieser Vorbehalt ist ausdrücklich des Wortlauts aber nur anwendbar, soweit auch im Quellenstaat eine gewerbliche Tätigkeit vorliegt. Umstritten ist insoweit, ob hieraus ein Subordinationsverhältnis zu fordern sei,121 was aber aus den oben genannten Gründen abzulehnen ist. Erheblich ist die Tätigkeit, wenn sie im Vergleich zu der im anderen Staat von Bedeutung ist;122 teilweise wird dabei betont, dass es sich um einen rein qualitativen Vergleich handele.123 Als Kriterien der Erheblichkeit sollen insbesondere die Art der Tätigkeit, aber auch die jeweilige Größe des Geschäftsbetriebs sowie die 116 Wassermeyer/Schönfeld, DB 2006, 1970 (1973 f.); genannt wird etwa die Vertriebstätigkeit. 117 Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rn. 152. 118 Wolff, in: Debatin/Wassermeyer, DBA, Art. 28 DBA-USA Rn. 145; allerdings verbleiben die Konturen dieser Abgrenzung unscharf und daher unsicher. 119 Wolff, in: Debatin/Wassermeyer, DBA, Art. 28 DBA-USA Rn. 148. Unklar bleibt indes, ob hierzu schon die bloße Bereitstellung von Mitteln ausreicht, vgl. Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rn. 170 f. 120 Wolff, in: Debatin/Wassermeyer, DBA, Art. 28 DBA-USA Rn. 155. 121 So Schönfeld, DB 2006, 1970 (1974); a.A. Wolff, in: Debatin/Wassermeyer, DBA, Art. 28 DBA-USA Rn. 155. 122 Goebel/Glaser/Wangler, DStZ 2009, 197 (203). 123 Schnitger, IWB Fach 8 Gruppe 2, 1439 (1453 f.). Ähnlich auch Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rn. 177 f.

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Limitation on Benefits Klauseln am Beispiel des Art. 28 DBA-USA

anteiligen Beiträge zum gesamten Geschäftsbetrieb herangezogen werden können.124 Schon hierin ließe sich auch ein quantitatives Element erblicken; dies gilt erst recht insoweit, als nach richtiger Auffassung der US-Behörden auch Maßgrößen wie Umsatz, Rohgewinn, Personalaufwand, etc. – jedenfalls im Rahmen einer Einzelfallprüfung – herangezogen werden können.125 Quantitative Aspekte dürften auch deshalb im Vordergrund stehen, da in qualitativer Hinsicht bereits das Erfordernis des Zusammenhangs bzw. Anlasses einschränkend wirkt. Erleichtert wird der Aktivitätstest durch Abs. 4 lit. c), welcher eine indirekte Feststellung durch die Zurechnung der Tätigkeiten verbundener Unternehmen zulässt; insoweit sollen keine Nachteile für Holdingstrukturen entstehen.126 In Anlehnung an Art. 9 Abs. 1 DBA-USA werden gemäß Abs. 4 lit. c) S. 2 und S. 3 als verbundene Unternehmen solche angesehen, die – kurz gefasst – zu mehr als 50% aneinander beteiligt sind oder einander tatsächlich oder faktisch beherrschen.127 Auch wenn nach dem Wortlaut des lit. c) eine konkrete Ansässigkeit der verbundenen Unternehmen nicht gefordert ist, sprechen sowohl der Sinn und Zweck der Feststellung als auch der systematische Zusammenhang mit lit. a) dafür, dass nur Tätigkeiten im Ansässigkeitsstaat derjenigen Gesellschaft, die die Vergünstigungen beansprucht – und deren echte Abkommensberechtigung über die bloße formelle Ansässigkeit hinaus im Wege dieses Tests gerade festgestellt werden soll – zugerechnet werden können.128 Selbst mit dieser Einschränkung geht das DBA aber über die von der Finanzverwaltung für das nationale Recht propagierte und nun in § 50d Abs. 3 S. 2 EStG normierte isolierte Betrachtungsweise hinaus, welche jeder Zurechnung sachlicher Funktionsvoraussetzung zwischen Konzerngesellschaften entgegenwirken soll.129

124 Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rn. 177 f. 125 Wolff, in: Debatin/Wassermeyer, DBA, Art. 28 DBA-USA Rn. 157, mit Verweis auf die Technical Explanations zum US-MA 2006. 126 Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rn. 180. 127 Zu den alternativen Voraussetzungen im Einzelnen mit Beispielen vgl. Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rn. 182; Wolff, in: Debatin/Wassermeyer, DBA, Art. 28 DBA-USA Rn. 162 128 Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rn. 183; Schnitger, IWB Fach 8 Gruppe 2, 1439 (1454); Wolff, in: Debatin/Wassermeyer, DBA, Art. 28 DBA-USA Rn. 161. Kritisch insoweit jedoch Goebel/Glaser/Wangler, DStZ 2009, 197 (203), und Wassermeyer/Schönfeld, DB 2006, 1970 (1974), die die fehlende Verankerung dieser Einschränkung im Wortlaut betonen. 129 Siehe B.I.2.b.ee, S. 404.

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Normanalyse

ee.

Triangular Provision, Art. 28 Abs. 5 DBA-USA

Die sog. „Triangular Provision“130 des Abs. 5 verfolgt im Vergleich zum bereits Dargelegten eine andere Zielsetzung: Hiernach werden die Abkommensvergünstigungen dennoch – trotz Erfüllung eines der vorgenannten Tests – versagt, wenn ein Unternehmen des Ansässigkeitsstaates Einkünfte aus dem Quellenstaat über eine in einem Drittstaat gelegene Betriebsstätte bezieht (sog. Dreiecksfälle) und diese Einkünfte aufgrund der Zurechnung zu der Betriebsstätte, vgl. Art. 10 Abs. 7 DBA-USA, dort und im Ansässigkeitsstaat zusammen genommen einer niedrigen oder keinen Steuerbelastung unterliegen. Als Grenze hierfür wird eine tatsächliche Gesamtsteuerlast nur 60% des Betrages bei Direktbezug ohne Zwischenschaltung einer Betriebsstätte festgesetzt. Durch diese Einschränkung werden somit keine zusätzlichen Alternativen der „echten“ Abkommensberechtigung typisiert, vielmehr soll sie Gestaltungen verhindern, die die Freistellung von Betriebsstätteneinkünften zur Generierung von nicht oder nur niedrig besteuerten Einkünften nutzen.131 Aus diesem Grunde wird die Vorschrift auch im engeren Zusammenhang mit Art. 1 Abs. 7 DBA-USA gesehen, teilweise sogar ausdrücklich ein spezifischer Bezug zu Treaty Shopping verneint.132 Letztlich wird durch die Vorschrift dem Quellenstaat die ungewöhnliche Möglichkeit eröffnet, die Niedrigbesteuerung in Ansässigkeitsstaat und Betriebsstätte durch die Nichtgewährung der Abkommensvorteile zu sanktionieren.133 Folge des Abs. 5 wäre im Bereich der für Treaty Shopping relevanten Einkünfte aus Dividenden, Zinsen und Lizenzgebühren jedoch keine gänzliche Versagung, da diese gemäß Abs. 5 S. 2 bis zu nur 15% besteuert werden dürfen. Weitere Rückausnahmen existieren bei Vorliegen einer aktiven gewerblichen Tätigkeit in der Betriebsstätte.134 Im Falle der Quellensteuerbefreiung des Art. 10 Abs. 3 DBA-USA ist die Anwendbarkeit des Abs. 5 jedoch umstritten, da dessen lit. a) nur auf bestimmte Tests verweist, ohne den Abs. 5 einzubeziehen; die wohl überwiegende Ansicht verweist jedoch darauf, dass nach Sinn und Zweck der Vorschrift die Einschränkung für alle Berechtigten und alle

130 Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rn. 188; Wassermeyer/Schönfeld, DB 2006, 1970 (1976). 131 Dannecker/Werder, BB 2006, 1716 (1719); Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBAUSA, Art. 28 Rn. 187; Wolff, in: Debatin/Wassermeyer, DBA, Art. 28 DBA-USA Rn. 171. 132 Wolff/Eimermann, IStR 2006, 837 (839). 133 Schnitger, IWB Fach 8 Gruppe 2, 1439 (1454); Wassermeyer/Schönfeld, DB 2006, 1970 (1977). 134 Im Einzelnen siehe Wolff, in: Debatin/Wassermeyer, DBA, Art. 28 DBA-USA Rn. 178 ff.

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Limitation on Benefits Klauseln am Beispiel des Art. 28 DBA-USA

Vergünstigungen gelte, erst recht bei der vollständigen Befreiung von Quellensteuer.135 Unabhängig vom fragwürdigen spezifischen Bezug zur Verhinderung des Treaty Shopping ist die Triangular Provision im Bereich dieser Untersuchung aus mehreren Gründen nur von untergeordneter Bedeutung. Relevant kann diese namentlich nur dann werden, wenn der Ansässigkeitsstaat die Freistellungsmethode gemäß Art. 23 Abs. 3 lit. a) anwendet, d.h. wenn es sich um Einkünfte aus US-Quellen handelt; im umgekehrten Fall nämlich wenden die USA als Ansässigkeitsstaat die Anrechnungsmethode an.136 Zusätzlich müssen aus deutscher Sicht die Einkünfte tatsächlich der Betriebsstätte zuzuordnen sein, insbesondere die jeweiligen Betriebsstättenvorbehalte wie etwa Art. 10 Abs. 7 DBA-USA erfüllt sein. Im Falle der Nicht- oder Niedrigbesteuerung könnten insoweit die Missbrauchsvorbehalte der §§ 20 Abs. 2 AStG, 50d Abs. 9 S. 1 EStG, ins Spiel gelangen, so dass schon nach deutschem Steuerrecht eine ausreichende Besteuerung in Deutschland als Ansässigkeitsstaat sichergestellt wäre und Art. 28 Abs. 5 DBA-USA keine Anwendung mehr finden würde.137 Denkbar wären seit dem UntStRefG – unter der umstrittenen138 Prämisse der Berücksichtigung der Gewerbesteuer im maßgeblichen Belastungsvergleich gemäß Abs. 5 – allenfalls Sachverhaltskonstellationen mit hohem Gewerbesteueranteil, da diese bei Besteuerung im Ausland nicht anfällt; die Gesamtsteuerlast könnte daher die Grenze von 60% im Vergleich zur Besteuerung im Inland unterschreiten. 139 In Bezug auf die für Treaty Shopping typischerweise einschlägige Einkunftsart der Dividenden ergibt sich eine weitere Relativierung der praktischen Bedeu135 Dannecker/Werder, BB 2006, 1716 (1719); Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBAUSA, Art. 28 Rn. 206; a.A. Wassermeyer/Schönfeld, DB 2006, 1970 (1976). 136 Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rn. 189; Wolff/Eimermann, IStR 2006, 837 (839). 137 Wolff, in: Debatin/Wassermeyer, DBA, Art. 28 DBA-USA Rn. 176. Siehe auch Schnitger, IWB Fach 8 Gruppe 2, 1439 (1455), der als möglichen Anwendungsbereich eine eventuelle Diskrepanz der sog. Aktivitätskataloge ins Feld führt. Diskutiert wurde gleichfalls die Konstellation einer EU-Betriebsstätte, hierzu ist allerdings zu berücksichtigen, dass zumindest § 20 Abs. 2 AStG nicht als unionsrechtswidrig angesehen werden kann, EuGH, Urteil vom 06.12.2007 – C-298/05 (Columbus Container) – IStR 2008, 63; Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rn. 198. 138 Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rn. 192; Wassermeyer/Schönfeld, DB 2006, 1970 (1978). 139 Siehe Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rn. 195 ff. mit Modellrechnung. Als „kurioses Ergebnis“ wird dort bezeichnet, dass mithin aufgrund der Senkung des Körperschaftssteuersatzes in Deutschland die USA in Zukunft höhere Quellensteuer erheben dürfen, die Deutschland anschließend auf die abgesenkte Körperschaftsteuer anrechnen muss, Rn. 202.

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tung des Abs. 5 dadurch, dass gemäß § 8b Abs. 1 S. 1 KStG – von den Rückausnahmen im Falle der vGA, § 8b Abs. 1 S. 2-4 KStG, und des pauschalierten Betriebsausgabenabzugsverbotes, § 8b Abs. 5 KStG, abgesehen140 – auch ausländische Dividenden im Rahmen der KSt grundsätzlich nicht steuerbar sind; die zu vergleichende Gesamtsteuerbelastung bei Bezug über eine Betriebsstätte kann insoweit kaum niedriger ausfallen. ff.

Investmentvermögen, Art. 28 Abs. 6 DBA-USA

Ebenfalls als einschränkende Voraussetzung konzipiert ist Abs. 6, der abweichend von den bisher genannten Tests spezielle Erfordernisse an die Abkommensberechtigung deutscher Investmentvermögen i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 1 InvStG stellt, d.h. deutsche Investmentfonds und Investmentaktiengesellschaften. Grund hierfür ist, dass diese als steuerlich transparent behandelt werden141 und bei einer Weiterausschüttung an Steuerausländer grundsätzlich keine KapESt anfällt, § 7 Abs. 1 Nr. 1 InvStG; insoweit ist von einem besonderer Anreiz auszugehen, diese zu Treaty Shopping Konstruktionen zu nutzen.142 Abs. 6 statuiert daher eine spezielle Mindestbeteiligungsquote von 90%,143 die von berechtigten Anteilseignern erfüllt werden muss, und enthält insoweit eine höhere Schwelle als der vergleichbare Ownership Test bzw. der indirekte Börsenhandelstest. Die Anzahl der möglichen Anteilseigner ist indes nicht beschränkt, da es sich häufig um Publikumsvermögen handeln wird; ebenso wenig existieren spezielle Erfordernisse an die Rechtsform oder Ansässigkeit eventueller Zwischenbeteiligter bei nur mittelbarer Beteiligung.144

140 Vgl. Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rn. 204; Wassermeyer/Schönfeld, DB 2006, 1970 (1977 f.); Wolff, in: Debatin/Wassermeyer, DBA, Art. 28 DBA-USA Rn. 176. 141 Aus diesem Grunde war vor der Revision des Abkommens auch deren generelle Abkommensberechtigung strittig; nach neuer Rechtslage ist diese zu bejahen, siehe Protokoll Nr. 2 b) zu Art. 4 Abs. 1 DBA, sowie Art. 28 Abs. 6 e contrario; vgl. hierzu Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rn. 213; Schnitger, IWB Fach 8 Gruppe 2, 1439 (1456); 142 Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rn. 213; Jacob, IStR 2001, 45 (50); Wolff/Eimermann, IStR 2006, 837 (842). 143 Das Nachweisverfahren hierzu ist im Einzelnen noch unklar, siehe Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rn. 215; Schnitger, IWB Fach 8 Gruppe 2, 1439 (1457). Als problematisch könnte sich insoweit erweisen, dass Anteile an deutschen Sondervermögen bzw. Investmentaktiengesellschaften regelmäßig in Form von Inhaberpapieren begeben werden, und es den betroffenen deutschen Investmentvermögen in aller Regel nur schwer möglich ist, einen direkten Nachweis über die Zusammensetzung ihres Anlegerpublikums zu führen, Jacob, IStR 2001, 45 (50). 144 Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rn. 215.

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Limitation on Benefits Klauseln am Beispiel des Art. 28 DBA-USA

c.

Ermessensklausel, Art. 28 Abs. 7 DBA-USA

Die bisher dargelegten Tests typisieren mit unterschiedlichen Ansätzen das Nichtvorliegen eines Abkommensmissbrauchs. Gesellschaften, die diesen Anforderungen nicht genügen, kann jedoch im Wege der Ermessensklausel des Abs. 7 gleichwohl die Berechtigung zur Inanspruchnahme der Abkommensvergünstigungen zuerkannt werden; dem auch „Competent Authority Test“145, „Bona-fide-Klausel“146 oder „Gnadenklausel“147 genannten Abs. 7 kommt insoweit eine Auffangfunktion zu. Eine solche ist deshalb erforderlich, da die Tests der Abs. 2-6 im Interesse der Rechtssicherheit und Praktikabilität nur objektive Kriterien statuierten und durch deren Nichterfüllung – im Lichte der Gesamtsystematik des Art. 28 – ein Missbrauch typisiert wurde.148 Abs. 7 ermöglicht somit die Wiederlegung dieser Typisierung im Einzelfall.149 Im Gegensatz zu den als safe haven wirkenden Tests werden die Abkommensvergünstigungen indes nicht automatisch gewährt, vielmehr ist eine zusätzliche administrative Entscheidung vonnöten. Als problematisch erscheint, dass die Gewährung der Abkommensvergünstigung im Rahmen des Abs. 7 S. 1 nach dem Wortlaut können im Ermessen der jeweiligen das Abkommen anwendenden Behörde steht. Gemäß Abs. 7 S. 2 ist hierbei in Betracht zu ziehen, ob die Errichtung, der Erwerb oder das Bestehen der die Abkommensvergünstigungen beanspruchenden Personen oder die Tätigkeit als solche hauptsächlich dazu dient, die Vergünstigungen nach dem DBA in Anspruch zu nehmen. Kriterium scheinen demnach zuvorderst subjektive Motive der Steuerpflichtigen zu sein, konkrete objektive Maßgaben werden zunächst nicht genannt. Hieraus wird teilweise geschlossen, dass die Ermessensentscheidung schlicht zu unbestimmt sei150 und mithin kaum handhabbar und prognostizierbar wäre. Die überwiegende Ansicht will diesen Schwierigkeiten dadurch begegnen, dass auch im Rahmen des Abs. 7 objektive Anhaltspunkte heranzuziehen seien und die Behörde nicht völlig frei ent-

145 Kreienbaum/Nürnberger, IStR 2006, 806 (810); Stevens, IStR 2011, 335 (335); Thömmes, IStR 2007, 577 (577). 146 Wolff, in: Debatin/Wassermeyer, DBA, Art. 28 DBA-USA Rn. 201; ähnlich Vega, Limitation on Benefits, S. 214: „General Good Faith Clause”. 147 Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rn. 219; Wassermeyer/Schönfeld, DB 2006, 1970 (1976). 148 Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rn. 219. 149 Wassermeyer/Schönfeld, DB 2006, 1970 (1976). 150 Thömmes, IStR 2007, 577 (577).

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scheiden könne.151 Insbesondere ergebe sich aus S. 2, dass vornehmlich auf die die Vergünstigungen in Anspruch nehmende Person abzustellen sei.152 Im Lichte der Regelungssystematik des Art. 28 DBA-USA ist letzterer Ansicht im Grundsatz zuzustimmen, so dass sich insgesamt eine objektivierte Ermessensentscheidung ergeben muss. Denn im Gesamtkontext des DBA-USA soll die Klausel Abkommensmissbrauch durch Treaty Shopping verhindern, hierzu werden verschiedene Sachverhaltsgestaltungen typisiert. Aus Gründen der Praktikabilität und Rechtssicherheit erfolgt dies regelungstechnisch durch die Umkehrung des Grundsatzes der Abkommensberechtigung in Abs. 1, so dass die Vergünstigungen nur bei positiver Erfüllung zusätzlicher Voraussetzungen gewährt werden; die Tests des Abs. 2 wirken daher als safe haven Regelungen, welche lediglich das Nichtvorliegen eines Missbrauchs typisieren.153 Wären diese abschließend und würde es an einer Auffangklausel wie Abs. 7 fehlen, so würden auch solche Gestaltungen ausgeschlossen werden, die bei Einzelbetrachtung einen hinreichenden Bezug zum Ansässigkeitsstaat aufweisen und daher keinen Fall des Treaty Shopping darstellen. Dies wäre schon deshalb unbillig, da ohne die umkehrend wirkende Anordnung des Abs. 1 ein allgemeiner Missbrauchsvorbehalt – mit oder ohne einer typisierenden Aufzählung – auch entsprechend abstrakt hätte formuliert werden müssen und hierzu notwendigerweise auch auf objektive Kriterien zu verweisen gewesen wäre. Soweit sich die typisierten Tests als zu eng erweisen und daher objektiv nicht missbräuchliche Fälle auf eine sachgerechte Handhabung des Abs. 7 angewiesen sind, kann nur durch eine objektivierte Entscheidung eine ungerechtfertigte Doppelbesteuerung vermieden werden. Nach Sinn und Zweck des Abkommens im Ganzen als auch des Art. 28 DBA-USA im Speziellen, sowie im Hinblick auf die weitgehende Übereinstimmung im Hinblick auf die Existenz zumindest eines allgemeinen bzw. ungeschriebenen Missbrauchsvorbehalts des Völkerrechts, darf den Vertragspartnern unterstellt werden, dass diese – trotz unterschiedlicher Vorstellungen im Detail – eine solche Doppelbesteuerung nicht gewollt haben und nur missbräuchliche Gestaltungen von den Abkommensvorteilen ausgeschlossen werden sollten. Ein freies Ermessen ist daher abzulehnen. Aus Sicht des deutschen Verfassungsrechts würde damit auch eine Besteuerung nach der tatsächlichen wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit i.S.v. Art. 3 Abs. 1 GG gewährleistet werden.154

151 Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rn. 221; Vega, Limitation on Benefits, S. 214; Wolff, in: Debatin/Wassermeyer, DBA, Art. 28 DBA-USA Rn. 203. 152 Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rn. 221. 153 Hierzu siehe bereits A.I.1, S. 288. 154 Als problematisch dürfte sich in der Rechtspraxis erweisen, dass gemäß Art. 3 Abs. 2 DBA-USA aber der jeweils andere Vertragsstaat (hier: USA) über die Quellenbesteue-

315

Limitation on Benefits Klauseln am Beispiel des Art. 28 DBA-USA

Dass genaue Kriterien der Ermessensentscheidung in Abs. 7 nicht ausdrücklich genannt sind, steht dem nicht entgegen, da sich diese aus Zweck und Systematik des Abs. 2 ergeben und aus den materiellen Rechtfertigungen der ausdrücklich normierten Tests abstrahieren lassen. Leitgedanke muss hierbei der hinreichende Bezug der die Vergünstigung ersuchenden Gesellschaft zu ihrem Ansässigkeitsstaat sein. Insoweit lässt sich vornehmlich die Gesellschafterstruktur der Gesellschaft als inhaltliche Maßgabe festhalten; in Abs. 2 tritt dies in unterschiedlichen Ausprägungen zu Tage. Konkret ist insbesondere auf die Ansässigkeit der Gesellschafter sowie deren Anzahl abzustellen, vgl. den Ownership Test des Abs. 2 lit. f) aa). Auch ist von Belang, inwieweit die Anteilseigner austauschbar sind und tatsächlich wechseln und daher andere wirtschaftliche Interessen als die Gesellschaft selbst verfolgen, was sich im Börsenhandelstest des Abs. 2 lit. c) niederschlägt. Weiterhin ist die hypothetische Berechtigung der Anteilseigner zu Abkommensvergünstigungen aus eigenen DBA ohne Zwischenschaltung der konkret steuerpflichtigen Gesellschaft zu berücksichtigen,155 was sich im Derivative Benefits Test des Abs. 3 widerspiegelt. Zudem ist die wirtschaftliche Aktivität im Ansässigkeitsstaat als Maßgabe zur Feststellung eines hinreichenden Bezugs geeignet. Neben der Ausübung einer aktiven gewerblichen Tätigkeit im Sinne des Abs. 4 kann insbesondere auch die etwaige Kontinuität historischer Tätigkeiten vor der Zwischenschaltung weiterer Gesellschaften,156 und verallgemeinert jeder wirtschaftliche Grund für die Errichtung der Gesellschaft im jeweiligen Ansässigkeitsstaat157 herangezogen werden. Generell ist, soweit ein Bezug zu den ausdrücklich normierten Tests besteht, in die Ermessensentscheidung einzubeziehen, in welchem Ausmaß und aus welchen Gründen diese nicht erfüllt werden.158 Auf diese Weise könnten insbesondere Härtefälle, in denen ein Test aufgrund der strikten Auslegung eines einzelnen Tatbestandsmerkmals nicht anwendbar ist, im Wege des Abs. 7 befriedigend gelöst werden; dies wird etwa für den Fall vertreten, dass der Base Erosion Test aufgrund eines hohen Zahlungsabflusses an NichtBerechtigte fehlschlägt, weil auch im Sinne des Fremdvergleichsgrundsatzes

155 156 157

158

316

rung der in Deutschland ansässigen, aber in den USA beschränkt steuerpflichtigen Gesellschaft entscheidet; hierzu siehe auch A.II.3.c, S. 344. Vgl. auch Vega, Limitation on Benefits, S. 220. Vega, Limitation on Benefits, S. 218 f. Endres/Wolff, IStR 2006, 721 (723); Vega, Limitation on Benefits, S. 219; Wolff, in: Debatin/Wassermeyer, DBA, Art. 28 DBA-USA Rn. 203. Von Vega, Limitation on Benefits, S. 219 f., werden in diesem Zusammenhang noch positiv die Abhängigkeit der Gesellschaft von bestimmten Ressourcen sowie negativ die Nutzung spezieller Steuervergünstigungen im Ansässigkeitsstaat genannt. Vgl. Vega, Limitation on Benefits, S. 220 f.

Normanalyse

angemessene Zahlungen eingerechnet werden159 oder sich unterjährige Sondereffekte ergeben.160 In Anlehnung an den Derivative Benefits Tests wird darüber hinaus gefordert, dass auch die Mitgliedschaft in internationalen Organisationen als objektives Kriterium zu beachten sei.161 Insbesondere müsse die Ansässigkeit der Gesellschafter in einem Mitgliedstaat der EU im Rahmen der Ermessensentscheidung als für die Gewährung von Abkommensvorteilen sprechender Umstand gewertet werden, da nur so den aus dieser Mitgliedschaft resultierenden Verpflichtungen Rechnung getragen werden könne.162 Eine solche Sichtweise kommt – anders als im DBA-USA – in anderen Abkommen der USA mit EUStaaten mitunter auch ausdrücklich zum Ausdruck;163 in der Konsequenz wären insbesondere der Wechsel des Ansässigkeitsstaates des Anteilseigners, der Verkauf an andere Anteilseigner und die Ausweitung der wirtschaftlichen Aktivitäten jeweils innerhalb des betreffenden Wirtschaftsraumes unschädlich.164 Als Kriterium bleiben diese Erwägungen selbst dann bestehen, wenn sich im Lichte des Unionsrechts Limitation on Benefits Klauseln als zulässig erweisen.165 Hinsichtlich der Rechtsfolge stellt sich die Ermessensklausel als flexibel dar. So können im Ergebnis nicht nur umfassend die Abkommensvergünstigungen zuerkannt oder versagt werden, sondern auch auf bestimmte Einkünfte beschränkt werden.166 Weiterhin wird von der Zulässigkeit zeitlicher Beschränkungen und sicherstellender Bedingungen ausgegangen.167 Über diese entscheidet zwar grundsätzlich der das Abkommen anwendende Quellenstaat, Abs. 7 S. 1; gemäß Abs. 7 S. 3 ist jedoch eine Konsultation mit dem Ansässig159 160 161 162 163

164 165 166 167

Siehe bereits oben A.I.2.b.bb(2), S. 300 ff., insbesondere Fn. 80. Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rn. 225. Vega, Limitation on Benefits, S. 219. Endres/Wolff, IStR 2006, 721 (723); Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rn. 223; Wassermeyer/Schönfeld, DB 2006, 1970 (1976). Vgl. etwa den Notenwechsel zum Protokoll vom 30.09.2005 USA-Schweden und die Technical Explanations zu Art. 10 und Art. 23 Abs. 6 DBA UK-USA, jeweils zu finden unter http://www.ustreas.gov/offices/tax-policies/treaty.shtml. Zu Art. 26 Abs. 7 DBA USA-NL siehe auch Stevens, IStR 2011, 335 (337), mit Praxisbeispiel. Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rn. 223. Dazu siehe im Folgenden A.II.2, S. 320 ff. Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rn. 221; Prokisch, in: Vogel/Lehner, DBA, Art. 1 Rn. 129; Wolff, in: Debatin/Wassermeyer, DBA, Art. 28 DBAUSA Rn. 201. Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rn. 221; Goebel/Glaser/Wangler, DStZ 2009, 197 (204); Wolff, in: Debatin/Wassermeyer, DBA, Art. 28 DBA-USA Rn. 201; jeweils mit Verweis auf die Technical Explanations zum US-MA 2006.

317

Limitation on Benefits Klauseln am Beispiel des Art. 28 DBA-USA

keitsstaat erforderlich, bevor eine nach dem Abkommen zu gewährende Vergünstigung nach diesem Absatz versagt wird. Da Abs. 7 gewissermaßen als Auffangtatbestand in Ergänzung der typisierten Tests nur zu Gunsten des Steuerpflichtigen wirken kann, ist diese Formulierung jedoch missverständlich. Denn die Versagung der Vergünstigung ergibt sich eigentlich bereits aus der Einschränkung des Abs. 1 und der Nichterfüllung der spezielleren Tests. Gesellschaften, die hiernach keinen Anspruch auf Vergünstigungen haben, werden regelmäßig eine positive Entscheidung nach Abs. 7 ersuchen. Wird auch diese abgelehnt, bedarf es ausweislich des Abs. 7 einer vorherigen Konsultation, mithin dürfte dies als der Regelfall bei Nichtgewährung von Abkommensvorteilen nach Art. 28 DBA-USA insgesamt anzusehen sein.

3.

Rechtsfolge

Wie gezeigt ergibt sich die Rechtsfolge des Art. 28 DBA-USA erst aus dem Zusammenspiel von Abs. 1 und den folgenden Tests: Erster normiert grundlegend, dass die Ansässigkeit per se nicht genügt, um Abkommensvergünstigungen in Anspruch zu nehmen, vielmehr muss die Berechtigung durch zusätzliche Voraussetzungen positiv festgestellt werden. Insoweit normieren die Tests des Abs. 2 verschiedene Anwendungsfälle, nach denen typisiert gerade kein Missbrauchsverdacht besteht (safe haven). Infolge dieser Systematik ergibt sich, dass die steuerpflichtige Gesellschaft aktiv tätig werden muss – und insoweit auch die Nachweislast besitzt –, um den mit der Umkehrung des Abs. 1 faktisch verbundenen Missbrauchsverdacht aus der Welt schaffen zu können. Während der Derivative Benefits Tests, Abs. 3, und der Active Business Test, Abs. 4, eine Prüfung stets in Bezug auf konkrete Einkünfte vor, so dass jeweils nur bestimmte Vergünstigungen gewährt bzw. versagt werden, gehen die übrigen Test von einem Alles-oder-Nichts-Prinzip aus: Bei Erfüllung deren Tatbestandsmerkmale können grundsätzlich alle Abkommensvorteile beansprucht werden, bei Nichterfüllung gar keine; es wird hierbei – anders als gem. Abs. 3 i.V.m. Abs. 8 lit. e) aa) – unberücksichtigt gelassen, ob auch ohne die Zwischengesellschaft bestimmte Vorteile hätten gewährt werden müssen, so dass sich eine Art überschießender Rechtsfolge bei gänzlicher Versagung ergeben kann.168 Auch insoweit dürfte die Ermessensklausel des Abs. 7 einen Anwendungsbereich haben und derartige hypothetische DBA-Ansprüche für die Einzelfallentscheidung anzuerkennen sein.

168 Lüdicke, DBA-Politik, S. 48.

318

Kollisionsfragen

II.

Kollisionsfragen

Gemäß vorstehender Analyse des Art. 28 DBA-USA handelt es sich um eine spezielle Missbrauchsvorschrift, die mittels verschiedener Tests das Nichtvorliegen eines Missbrauchs typisiert und in Abs. 7 einen Auffangtatbestand bereithält, der anhand objektivierter Maßgaben echte DBA-Fälle von denen der missbräuchlichen Gestaltung unterscheiden soll. Im zweiten Schritt ist nun zu klären, ob die so dargestellte Norm Kollisionsfragen im Hinblick auf die im 1. Teil gefundenen Maßstäbe aufwirft, und wie diese unter Heranziehung der dargestellten allgemeinen Zuordnungskriterien zu lösen sind.

1.

Rechtskreisinterne Kollision

Theoretisch denkbar wäre insoweit, dass eine abkommensrechtliche Missbrauchsvorschrift in rechtskreisinternen Konflikt mit völkerrechtlichen Maßstäben gerät. Indes existiert kein allgemein gültiger Missbrauchsbegriff im Völkerrecht, der aus sich selbst heraus inhaltliche Maßgaben bestimmt; den Ansätzen eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes oder eines ungeschriebenen Missbrauchsvorbehalts kommen allenfalls die Funktion einer Eröffnung der Anwendung unilateraler Vorschriften zu.169 Das Völkerrecht enthält damit keinen allgemeinen Maßstab, an dem sich die Bestimmung des Missbrauchs durch eine konkrete Missbrauchsnorm in DBA messen lassen kann. Hieran ändert auch nichts die Einbeziehung anderer völkerrechtlicher Grundnormen wie Art. 24 OECD-MA, welcher das völkerrechtliche Diskriminierungsverbot zum Ausdruck bringt und sich inhaltsgleich in Art. 24 DBA-USA wiederfindet. Trotz der missverständlichen deutschen Übersetzung als Gleichbehandlungsgebot wird dadurch lediglich eine Benachteiligung, nicht auch eine Bevorzugung der von dieser Vorschrift geschützten Personen untersagt; ansonsten würden entgegen dem Sinn und Zweck der DBA als gegenseitige Abkommen möglicherwiese Steueransprüche Dritter begründet werden170 und damit indirekt eine Meistbegünstigung herbeigeführt. Eine Differenzierung zwischen ansässigen und nicht ansässigen Steuerpflichtigen ist demnach zulässig, für die erforderliche Vergleichbarkeitsprüfung des Diskriminierungsverbotes ist ein strenger Maßstab anzuwenden.171 Vertreten wird insoweit allenfalls, dass ein Ansässiger eines DBA-Vertragsstaates eine aufgrund anderer Erwägungen – insbesondere unionsrechtlicher Vorgaben – im anderen Vertragsstaat anzuwendende Erleichterung über Art. 24 OECD-MA gleichfalls für

169 1. Teil, B.III.1, S. 202. 170 Rust, in: Vogel/Lehner, DBA, Art. 24 Rn. 3 m.w.N. 171 Wichmann, in: Lüdicke, Wo steht das deutsche Internationale Steuerrecht, S. 116 f. Siehe auch BFH, Urteil vom 19. 11. 2003 – I R 22/02 – IStR 2004, 379 (381).

319

Limitation on Benefits Klauseln am Beispiel des Art. 28 DBA-USA

sich reklamieren könne.172 Damit geht es lediglich um eine mittelbare Ausdehnung der Reichweite dieser davon getrennt zu sehenden Vorgaben und nicht um eine unmittelbare Maßstäblichkeit des abkommensrechtlichen Diskriminierungsverbotes. Mithin sind die Vertragsstaaten bei der Ausgestaltung der Limitation on Benefits Klausel untereinander keinerlei völkerrechtlichen Beschränkungen unterworfen.

2.

Rechtskreisübergreifende Kollision mit Unionsrecht

a.

Grundlegung

In Betracht kommt weiterhin eine Kollision der typisierenden Missbrauchsvorschrift des Art. 28 DBA-USA mit den aus den Grundfreiheiten abgeleiteten, primärrechtlichen173 Maßstäben des Unionsrechts. Denkbar ist, dass infolge einer rechtskreisübergreifenden Kollisionsregel – insbesondere des Anwendungsvorranges des Unionsrechtes – den unionsrechtlichen Maßstäben der Vorrang einzuräumen und Art. 28 DBA-USA im Kollisionsfalle damit grundsätzlich unanwendbar wäre. Im Fokus steht insbesondere die Ausgestaltung des Ownership Test des Abs. 2 lit. f) aa), der in einem anderen EU-Mitgliedstaat ansässige Anteilseigner nicht als Berechtigte im Sinne der Vorschrift erachtet und damit möglicherweise eine Diskriminierung nach der Ansässigkeit begründet.174 Diskutiert wird darüber hinaus der im Zuge der Abkommensrevision neu geschaffene Derivative Benefits Test des Abs. 3, der mutmaßlich einer möglichen Inkompatibilität entgegenwirken solle.175 Überwiegend wird jedoch attestiert, dass er dieses Ziel verfehlt habe, da dessen Anforderungen erheblich strenger sein als der entsprechende Ownership Test.176 Dies zeigt zum einen ein Vergleich der er172 So Sedemund, BB 2006, 2781 (2785). 173 Auf einen Verstoß gegen Sekundärrecht, insbesondere Art. 1 Abs. 2 MTRL, kann es nicht ankommen, da dies nur die Quellenbesteuerung der Dividenden erfasst, die von Deutschland aus nach dem anderen EU-Mitgliedstaat ausgeschüttet werden; von deren Steuerfreiheit ist auszugehen. Bezugspunkt hier kann nur der diskriminierende Abschluss des DBA mit dem anderen Vertragstaat (USA) sein, der zu einer ungleichen Besteuerung der Dividenden aus den USA führt, hierzu sogleich A.II.2.d.aa, S. 327. 174 Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rn. 14; Kofler, DBA und Gemeinschaftsrecht, S. 505; Schnitger, IWB Fach 11 Gruppe 2, 599 (606); Wolff, in: Debatin/Wassermeyer, DBA, Art. 28 DBA-USA Rn. 12. 175 Dannecker/Werder, BB 2006, 1716 (1719); Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBAUSA, Art. 28 Rn. 96; Prokisch, in: Vogel/Lehner, DBA, Art. 1 Rn. 130 und 144c; Schnitger, IWB Fach 8 Gruppe 2, 1439 (1453). 176 Goebel/Glaser/Wangler, DStZ 2009, 197 (207); Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rn. 96; Schnitger, IWB Fach 8 Gruppe 2, 1439 (1453); Wolff, in:

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Kollisionsfragen

forderlichen Beteiligungsquoten, welche für EU-Anteilseigner von 50% auf 95% modifiziert wird; zum anderen ist die Geltendmachung sog. abgeleiteter Abkommensrechte äußerst effektiv durch die in Abs. 8 lit. e) vorzufindende Definition des gleichberechtigt Begünstigten eingeschränkt, wonach zusätzlich die Vereinbarung von Vergünstigungen gleichen Standards in Abkommen zwischen dem Ansässigkeitsstaat des Anteilseigners und dem jeweiligen Quellenstaat erforderlich ist.177 Auch wird als zweifelhaft erachtet, ob die Ermessensklausel des Abs. 7 die potentielle Unionsrechtswidrigkeit zu beseitigen imstande wäre. Jedenfalls bedeutet der Verweis auf eine Einzelfallentscheidung für den Steuerpflichtigen einen zusätzlichen Verwaltungs- und Kostenaufwand sowie eine zeitliche Verzögerung, und er ist – auch unter der Prämisse einer objektivierten, der überstaatlichen Bindung Rechnung tragenden Entscheidung178 – im Ergebnis mit Unsicherheiten belastet. Alleine in der automatischen Nichtgewährung könnte daher gleichermaßen eine Diskriminierung erachtet werden.179 Als kritisch angesehen werden weiterhin die Börsenklausel des Abs. 2 lit. c), welche – ungeachtet einer möglichen einvernehmlichen Erweiterung – primär nur Börsen in den Vertragsstaaten, nicht auch in anderen Mitgliedstaaten der EU erfasst,180 der Ausschluss von EU-Muttergesellschaften im Rahmen des indirekten Börsenhandelstests,181 und zu guter Letzt die Nichtberücksichtigung steuerlich abzugsfähiger Zahlungen an in der EU ansässige Personen im Zuge des Base Erosion Test.182 Die bislang wohl überwiegende Ansicht in der Literatur geht vor diesem Hintergrund von einem Verstoß gegen die Grundfreiheiten des AEUV durch Art. 28 DBA-USA im Besonderen und Limitation on Benefits Klauseln in DBA im Allgemeinen aus.183 Teilweise wird hierbei eindeutig Position bezo-

177 178 179 180 181 182 183

Debatin/Wassermeyer, DBA, Art. 28 DBA-USA Rn. 12. Dannecker/Werder, BB 2006, 1716 (1719), sehen darin allenfalls eine Abmilderung der Problematik. Zu den Einzelheiten vgl. oben A.II.2.b.bb, S. 298, und A.I.2.b.cc, S. 303. Siehe oben A.I.2.c, S. 314. Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rn. 14; Kofler, in: FS Loukota, S. 235; zur Altfassung Becker/Thömmes, DB 1991, 566 (567); Schnitger, IWB Fach 11 Gruppe 2, 599 (607); Wolff, in: Debatin/Wassermeyer, DBA, Art. 28 DBA-USA Rn. 12. Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rn. 14; Kofler, DBA und Gemeinschaftsrecht, S. 505. Kofler, DBA und Gemeinschaftsrecht, S. 505. Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rn. 14; Kofler, DBA und Gemeinschaftsrecht, S. 505; Scherer, Doppelbesteuerung und EG-Recht, S. 155; Schnitger, IWB Fach 11 Gruppe 2, 599 (607); Wassermeyer/Schönfeld, DB 2006, 1970 (1973). Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rn. 14; Kofler, DBA und Gemeinschaftsrecht, S. 505 m.w.N. unter Fn. 304; Schnitger, IWB Fach 11 Gruppe 2, 599

321

Limitation on Benefits Klauseln am Beispiel des Art. 28 DBA-USA

gen und vertreten, es bestünden „kaum Zweifel“ daran, dass diese nicht im Einklang mit Unionsrecht stünden,184 diese seien „offensichtlich unzulässig.“185 Zur Begründung wird regelmäßig auf die Entscheidung des EuGH in den sog. Open Skies Fällen verwiesen, in denen der Abschluss eines Luftverkehrsabkommens mit den USA durch die jeweiligen Mitgliedstaaten als Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit erachtet wurde.186 Dieses Ergebnis könne insoweit übertragen werden, als schon der Abschluss eines Abkommens mit einer Limitation on Benefits Klausel als Verstoß gegen die Grundfreiheiten gewertet werden müsse.187 Andere Stimmen hingegen stehen der Annahme eines Verstoßes gegen die Grundfreiheiten kritisch gegenüber188 und sehen sich durch eine jüngere Entscheidung des EuGH in der Rechtssache ACT Group Litigation bestätigt, die vornehmlich aufgrund des zwischenzeitlich entwickelten Allgemeininteresses der Aufteilung der Besteuerungsbefugnis eine Klausel zur Beschränkung der Abkommensberechtigung in einem innereuropäischen Fall gebilligt hat.189 Im Anschluss an dieses Urteil gestehen auch Befürworter der Unionsrechtswidrigkeit ein, dass ein Verstoß keinesfalls als gesichert erachtet werden könne.190 Unter Heranziehung der im Rahmen dieser Untersuchung entwickelten Maßstäbe und Kollisionsregeln ist im Folgenden hierzu Stellung zu nehmen. b.

Meistbegünstigung und Anwendungsvorrang als mögliche Kollisionsregeln

Die Fragestellung betrifft wie gezeigt eine mögliche rechtskreisübergreifende Kollision zwischen den aus den Grundfreiheiten abgeleiteten unionsrechtlichen Maßstäben und einer Missbrauchsvorschrift aus dem DBA-Recht. Als kollisionslösende Entscheidungsregel kommt daher insbesondere diejenige einer rechtskreisübergreifenden Rangordnung in Betracht, vornehmlich in Gestalt des Anwendungsvorranges des Unionsrechts. Da die völkerrechtlichen Vereinbarungen in Form der Limitation on Benefits jedoch in nationales Recht

184 185 186 187 188 189 190

322

(606); zur Altfassung siehe auch Becker/Thömmes, DB 1991, 566 (567); Scherer, Doppelbesteuerung und EG-Recht, S. 154 f. Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rn. 14. Lüdicke, in: FS Wassermeyer, S. 484. EuGH, Urteil vom 05.11.2002 – C-476/98 – EuZW 2003, 82 (89) zum Abkommen Deutschlands; Nachweise zu Abkommen anderer EU-Staaten bei Kofler, DBA und Gemeinschaftsrecht, S. 511, Fn. 339. Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rn. 14; Kofler, in: FS Loukota, S. 222. Linn, IStR 2010, 542 (543); Wolff, in: Debatin/Wassermeyer, DBA, Art. 28 DBA-USA Rn. 12. EuGH, Urteil vom 12.12.2006 – C-374/04 – IStR 2007, 138 (143), Rn. 87 ff. Kofler, DBA und Gemeinschaftsrecht, S. 526.

Kollisionsfragen

implementiert werden müssen und diese dann nationale Gesetze ergänzen (und durch diese ergänzt werden), ergibt sich indes die Notwendigkeit einer dreigliedrigen Betrachtung. Es wurde aufgezeigt, dass mit dieser auch die Frage aufgeworfen wird, welchen Rang das von den Mitgliedstaaten geschaffene Völkervertragsrecht innerhalb des Unionsrechts einnimmt; hieraus könnte sich unter dem Stichwort der Meistbegünstigung ein besonderes Rangverhältnis im Kollisionsfall ergeben. Unter diese Prämisse wäre den unionsrechtlichen Maßstäben eine absoluter, hierarchischer Vorrang einzuräumen und Art. 28 DBAUSA im Kollisionsfalle unanwendbar.191 Ein Zusammenhang zwischen Limitation on Benefits Klauseln und der Meistbegünstigungsthese erscheint insoweit nicht völlig abwegig. Denn sollten sich solche Abkommensbeschränkungen im Lichte des Unionsrechts als diskriminierend erweisen und daher gegenüber Ansässigen aus anderen Mitgliedstaaten unanwendbar sein, so könnten sich diese womöglich – jedenfalls im wirtschaftlichen Ergebnis192 – auf ihnen günstige Regelungen berufen, die der betreffende Mitgliedstaat mit Drittstaaten vereinbart hat. Entsprechende Parallelen wurden auch im Rahmen der Rechtssache ACT Group Litigation geäußert.193 Aus umgekehrter Perspektive sollen Limitation on Benefits Klauseln gerade die unerwünschte Inanspruchnahme des Abkommens durch Nichtberechtigte verhindern und damit – vor allem aus Sicht des Quellenstaates – gewissermaßen eine „Meistbegünstigung durch Selbsthilfe“ ausschließen.194 Indes greift ein pauschaler Verweis auf die Konstellation der Meistbegünstigung an dieser Stelle zu kurz. Denn nur unter der Prämisse der diskriminierenden Wirkung und damit der unionsrechtlichen Unanwendbarkeit der Limitation on Benefits Klauseln erscheint der Vergleich angebracht; dieser kann die entsprechende Inkompatibilität – die zunächst noch auf dem Prüfstand steht – daher nicht schon begründen, dies wäre ein Zirkelschluss. Weiterhin wurde oben bereits dargelegt, dass selbst bei Einordnung in die Konstellation der Meistbegünstigungsfälle hieraus keineswegs eine absolute, allgemeingültige Rangordnung abzuleiten ist; ausgehend von der grundsätzlichen Betrachtung im Verhältnis von Unionsrecht und nationalem Recht ist den Besonderheiten des Einflusses des DBA-Rechts vielmehr im Einzelfall durch das Allgemeinin-

191 Zur Herleitung siehe oben 1. Teil, D.II.2.c.dd(1), S. 256 f. 192 Da die unmittelbare Geltendmachung der Steuervergünstigung gegenüber dem Drittstaat ausscheidet, dürfte insoweit ein Staatshaftungsanspruch gegenüber dem anderen Mitgliedstaat (Sitz der Zwischengesellschaft) und dadurch eine mittelbare Kompensation relevant werden. 193 GA Geelhoed, Schlussanträge vom 23.02.2006 – C-374/04 – EuGHE I 2006, 11673 (11714), Rn. 99. 194 Kofler, DBA und Gemeinschaftsrecht, S. 508.

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Limitation on Benefits Klauseln am Beispiel des Art. 28 DBA-USA

teresse der Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse Rechnung zu tragen.195 Die aufgezeigte Nähe zur Meistbegünstigung weist somit vornehmlich darauf hin, dass dies gleichermaßen für die nähere Auseinandersetzung mit der Vereinbarkeit der Limitation on Benefits Klauseln im Lichte der Grundfreiheiten gelten muss. Es verbleibt daher bei der zweigliedrigen Betrachtung, so dass allenfalls die kollisionslösende Regel des Anwendungsvorranges zugrunde zu legen ist. Demnach können Mitgliedstaaten eine Beschränkung der Grundfreiheiten durch nationale Vorschriften grundsätzlich nur dann unter dem Gesichtspunkt des Missbrauchs rechtfertigen, sofern auch nach den unionsrechtlich geltenden Maßstäben hiervon auszugehen ist, wenn also ein Missbrauch der Grundfreiheiten vorliegt.196 Voraussetzung hierfür ist zum einen jedoch die Feststellung eines Kollisionsfalls, d.h. es müsste sich um einen tatbestandlichen Eingriff in eine Grundfreiheit und somit um eine Beschränkung (i.w.S.) der Grundfreiheiten handeln. Zum anderen kann sich – wie im Folgenden zu zeigen ist – aus dem Allgemeininteresse der Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse eine Modifizierung dieser Kollisionsregel dergestalt ergeben, dass sich aufgrund des nicht vollständigen Deckungsbereichs der Rechtfertigungsgründe197 durchaus eine Abweichung vom unionsrechtlichen Missbrauchsbegriff ergeben kann. Die erforderliche Rechtfertigungsprüfung ist von daher nicht beschränkt. c.

Anwendbare Grundfreiheit

Als relevante Grundfreiheit kommt im Zusammenhang mit den Limitation on Benefits sowohl die Niederlassungsfreiheit, Art. 49 AEUV (Art. 43 EG), als auch die Kapitalverkehrsfreiheit, Art. 63 AEUV (Art. 56 EG) in Betracht. Der Gewährleistungsinhalt der Niederlassungsfreiheit umfasst gemäß Art. 49 Abs. 2 AEUV (Art. 43 Abs. 2 EG) die Aufnahme und Ausübung selbständiger Erwerbstätigkeiten sowie die Gründung und Leitung von Unternehmen nach den Bestimmungen des Aufnahmestaates für seine eigenen Angehörigen;198 eine Niederlassung ist hiernach eine feste Einrichtung, die bei Eingliederung in die nationale Volkswirtschaft der tatsächlichen Ausübung einer selbständigen Erwerbstätigkeit zu dienen bestimmt ist.199 Für die Kapitalverkehrsfreiheit hingegen existiert keine gesetzliche Legaldefinition, allenfalls kann mittelbar 195 Siehe schon oben im 1. Teil D.II.2.c.dd(1), S. 256, und auch D.II.2.c.dd(2), S. 259, zum ähnlich gelagerten Problemkreis des Treaty Override. 196 Zur Herleitung siehe ausführlich im 1. Teil D.II.2.c.aa(2), S. 236. 197 Vgl. im 1. Teil, B.II.1.b.cc(7), S. 183. 198 Gemäß Art. 54 Abs. 1 AEUV (Art. 48 Abs. 1 EG) stehen Gesellschaften mit Sitz, Verwaltung oder Hauptniederlassung den entsprechenden natürlichen Personen gleich. 199 EuGH, Urteil vom 25.07.1991 – C-221/89 (Factortame II) – EuGHE I 1991, 3905 (3965), Rn. 20; EuGH, Urteil vom 30.11.1995 – C-55/94 – EuGHE I 1995, 4165 (4195), Rn. 25; Randelzhofer/Forsthoff, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der EU, Art. 43 EGV Rn. 13.

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Kollisionsfragen

aus primärrechtlichen Orientierungspunkten und aus der Nomenklatur des Anhang I der Kapitalverkehrsrichtlinie 88/361/EWG vom 24.06.1988 auf den Begriff des Kapitalverkehrs geschlossen werden.200 Insoweit besteht jedoch weitgehend Einigkeit, dass die Freiheit des Kapitalverkehrs auch grundsätzliche Bezüge zu Direktinvestitionen und damit zur Niederlassung aufweist, indem sie Beteiligungen an und die Gründung und Erweiterung von neuen und bestehenden (Tochter-)Unternehmen umfasst; in diesem Zusammenhang kommt im Übrigen auch der Bezug von Dividenden als „Kapitalbewegung“ in Betracht.201 Limitation on Benefits Klauseln, die sich insbesondere gegen die rechtsmissbräuchliche Einschaltung von Zwischengesellschaften richten, berühren daher beiderseits den sachlichen Anwendungsbereich. Die Literatur lässt dabei die Frage der anwendbaren Grundfreiheit zumeist offen.202 Hierfür spricht, dass innerhalb der Europäischen Union die Abgrenzung zwischen Niederlassungsfreiheit und Kapitalverkehrsfreiheit nicht von Bedeutung ist, da beide Freiheiten den gleichen Schutzumfang gewährleisten.203 Allerdings kann eine Auseinandersetzung in sog. Drittstaatensachverhalten erforderlich werden, da der territoriale Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit auf die Union begrenzt ist, die Kapitalverkehrsfreiheit gemäß Art. 63 Abs. 1 AEUV (Art. 56 Abs. 1 EG) dagegen auch im Verhältnis zu Drittstaaten Anwendung findet, sog. erga omnes Wirkung.204 Nach Ansicht des EuGH und der h.L. ist die Abgrenzung primär abhängig von Zweck und der Regelungsgehalt der strittigen Norm: Es ist abstrakt darauf abzustellen, ob der Gegenstand der nationalen Regelung an das Vorhandensein eines sicheren Einflusses auf die Beteiligungsgesellschaft abstellt.205 In diesen 200 EuGH, Urteil vom 06.06.2000 – C-35/98 (Verkooijen) –IStR 2000, 432 (433), Rn. 27; Ress/Ukrow, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der EU, Art. 63 AEUV Rn. 107 f. 201 EuGH, Urteil vom 06.06.2000 – C-35/98 (Verkooijen) –IStR 2000, 432 (433), Rn. 28; Renger, Treaty Shopping, S. 29; Ress/Ukrow, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der EU, Art. 63 AEUV Rn. 111; Scherer, Doppelbesteuerung und EG-Recht, S. 160. 202 Vgl. Dannecker/Werder, BB 2006, 1716 (1719); Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rn. 14; Kofler, DBA und Gemeinschaftsrecht, S. 505. Nur von der Niederlassungsfreiheit spricht etwa Wolff, in: Debatin/Wassermeyer, DBA, Art. 28 DBA-USA Rn. 12. 203 Rust, DStR 09, 2568 (2569); Sedlaczek, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 43 EG Rn. 103. Zur Konvergenz der Grundfreiheiten siehe bereits oben B.II.1.b.aa, S. 136 m.w.N. 204 Ress/Ukrow, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der EU, Art. 63 AEUV Rn. 102; Rust, DStR 09, 2568 (2569); Schwenke, IStR 2007, 748 (751). 205 EuGH, Urteil vom 12.09.2006 – C-196/04 (Cadbury Schweppes) – IStR 2006, 670 (671), Rn. 33; EuGH, Urteil vom 12.12.2006 – C-374/04 (ACT Group Litigation) – IStR 2007, 138 (139), Rn. 39; EuGH, Urteil vom 24.05.2007 – C-157/05 (Holböck) – IStR 2007, 441 (441), Rn. 22; Dölker/Ribbrock, BB 2007, 1928 (1930 f.); Köh-

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Limitation on Benefits Klauseln am Beispiel des Art. 28 DBA-USA

Fällen wäre keine eigenständige Prüfung der Kapitalverkehrsfreiheit angezeigt, die Auswirkungen auf diese stellen nur die unvermeidliche Konsequenz eines Eingriffs in die Niederlassungsfreiheit dar.206 In einem zweiten Schritt soll nach Ansicht des EuGH darüber hinaus aber auch entscheidend sein, ob im konkreten Fall ein sicherer Einfluss vorhanden ist.207 Die Kapitalverkehrsfreiheit ist jedoch zu prüfen, wenn die streitgegenständliche Vorschrift generell die Beweglichkeit des Kapitals schützt, Auswirkungen auf die Niederlassungsfreiheit wären dann nur eine unvermeidliche Konsequenz der Beschränkung des Kapitalverkehrs.208 Durch die Beteiligung der USA könnte auf den ersten Blick ein solcher Drittstaatensachverhalt gegeben sein und daher eine Abgrenzung erforderlich werden. Bei näherem Hinsehen zeigt sich indes, dass Art. 28 DBA-USA im Zusammenhang mit Treaty Shopping praktisch nur in der Konstellation als Verstoß gegen die Grundfreiheiten relevant werden kann, in denen eine EUMuttergesellschaft über eine deutsche Zwischengesellschaft in den USA investiert und mittels des DBA-USA Entlastung von US-Quellensteuern beansprucht. Denn im umgekehrten Falle, d.h. bei einer Zwischenschaltung einer US-Gesellschaft zwischen EU-Anteilseigner und deutscher Tochtergesellschaft, würden regelmäßig keine zusätzlichen Quellensteuervorteile begründet: Bei direkter Beteiligung würden in der Regel ohnehin keine Quellensteuern aufgrund der MTRL anfallen, und nur ganz wenige EU-Staaten haben selbst einen Verzicht der Quellenbesteuerung mit den USA vereinbart – und wenn, dann jedenfalls unter engeren Voraussetzungen.209 Im Übrigen fiele diese Konstellation in den Anwendungsbereich des Art. 28 Abs. 8 lit. f) DBAUSA, so dass die EU-Muttergesellschaft jedenfalls in Bezug auf den Vergleich der Vergünstigungen regelmäßig als gleichberechtigt Begünstigte anzusehen

206 207

208 209

326

ler/Tippelhofer, IStR 2007, 645; Rust, DStR 09, 2568 (2569) m.w.N. Zur ausführlichen Darstellung der Abgrenzung siehe unten B.II.3.b, S. 443. EuGH, Urteil vom 17.09.2009 – C-182/08 (Glaxo Wellcome) – DStRE 2009, 1370 (1373), Rn. 50 f.; Rust, DStR 09, 2568 (2569 f.). EuGH, Urteil vom 12.12.2006 – C-374/04 (ACT Group Litigation) – IStR 2007, 138 (139), Rn. 37 ff.; EuGH, Urteil vom 26.06.2008 – C-284/06 (Burda) – DStRE 2009, 424 (428), Rn. 69; EuGH, Urteil vom 21.01.2010 – C-311/08 (Société de Gestion Industrielle) – IStR 2010, 144 (146), Rn. 33 ff; vgl. auch Rust, DStR 09, 2568 (2569) m.w.N. Hiergegen mehren sich kritische Stimmen, vgl. nur Hindelang, IStR 2010, 443 (444 ff.) m.w.N. Auch der BFH, Urteil vom 11.01.2012 – I R 25/10 – DB 2012, 838, ist hierauf nicht eingegangen. EuGH, Urteil vom 17.09.2009 – C-182/08 (Glaxo Wellcome) – DStRE 2009, 1370 (1373), Rn. 50; siehe auch Herzig/Dautzenberg, DB 1992, 1 (6); Schönfeld, DB 2007, 80 (81). Vgl. nur die Mindestbeteiligungsquote von 80% gem. Art. 10 Abs. 3 lit. a) DBA-USA mit derjenigen von 10% des Art. 3 Abs. 1 lit. a) MTRL.

Kollisionsfragen

wäre. Mithin ist der Grundfreiheitsverstoß nicht von der erga omnes Wirkung der Kapitalverkehrsfreiheit abhängig210 und der räumliche Anwendungsbereich der Grundfreiheiten insoweit unproblematisch, eine Auseinandersetzung kann daher an dieser Stelle unterbleiben.211 Ungeachtet dessen könnte die Abgrenzungsfrage im Rahmen dieser Untersuchung wohl ohnehin nicht allgemein geklärt werden. Es kann insoweit nicht mit endgültiger Sicherheit gesagt werden, ob – im Sinne des ersten, abstrakten Prüfungsschrittes der h.L. und des EuGH – die Norm das Vorhandensein eines sicheren Einflusses voraussetzt. Zwar enthalten die Tests durchaus bestimmte Beteiligungshöhen, aber diese würden gerade die Abkommensvergünstigungen zugestehen; die grundsätzliche Versagung – technisch umgesetzt durch die Anordnung des Art. 28 Abs. 1 DBA-USA – ist hiervon zunächst unabhängig. Allerdings dürfte die jeweilige Vergünstigungsnorm des DBA, die durch Art. 28 DBA-USA in gewissem Sinne vorenthalten wird, einzubeziehen sein, und nur in Abhängigkeit hiervon ließe sich diese Frage endgültig beantworten; bei einer Fokussierung auf den Nullquellensteuersatz des Art. 10 Abs. 3 DBAUSA (Mindestbeteiligung von 80%) müsste diese bejaht, im Rahmen der bloßen Quellensteuerreduktion des Art. 10 Abs. 2 DBA (Mindestbeteiligung von 10% bzw. gar keine Mindestbeteiligung) verneint werden. Sollte diese Sichtweise abgelehnt und stattdessen bei isolierter Betrachtung des Art. 28 DBA gerade kein sicherer Einfluss erforderlich sein, wäre jedenfalls nach der Vorgehensweise des EuGH im zweiten Schritt das Vorhandensein eines solchen im konkreten Entscheidungssachverhalt maßgeblich.212 Insoweit hat auch der EuGH eine generelle Festlegung auf eine der genannten Grundfreiheiten vermieden.213 d.

Tatbestandsmäßigkeit des Eingriffs

aa.

Bezugspunkt der Ungleichbehandlung

Voraussetzung eines Kollisionsfalles im Sinne des Anwendungsvorrangs ist weiterhin das Vorliegen eines tatbestandsmäßigen Eingriffs in den Schutzbereich der jeweiligen Grundfreiheit. Dass Limitation on Benefits anders als gängige spezielle Missbrauchsvorbehalte einem DBA entstammen, steht der Annahme eines Eingriffs nicht entgegen, da sämtliche mitgliedstaatlichen Maßnahmen und damit grundsätzlich auch Maßnahmen im Zusammenhang 210 So aber Wassermeyer/Schönfeld, DB 2006, 1970 (1973). 211 Im Rahmen dieser Untersuchung muss es auch ausreichen, dass jedenfalls in der erstgenannten Konstellation der Schutzbereich sachlich und räumlich eröffnet ist, da schon damit ein Kollisionsfall gegeben wäre. 212 Siehe bereits oben Fn. 207. 213 Vgl. auch EuGH, Urteil vom 12.12.2006 – C-374/04 (ACT Group Litigation) – IStR 2007, 138 (139), Rn. 37.

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Limitation on Benefits Klauseln am Beispiel des Art. 28 DBA-USA

mit völkerrechtliche Verträgen – sei es mit anderen Mitgliedstaaten oder mit Drittstaaten – an das Unionsrecht gebunden sind.214 Indem Art. 28 DBA-USA – insbesondere der Ownership Test – an die Ansässigkeit der Gesellschafter anknüpft, könnte dies eine Diskriminierung nach der Staatsangehörigkeit bzw. Sitz der Muttergesellschaft begründen, da deren Tochtergesellschaften im Gegensatz zu rein inländischen Gesellschaften ungleich behandelt werden und daher die Quellensteuervergünstigungen nicht erlangen; auch der Derivative Benefits Test bringt keine Abhilfe, da ausländische Gesellschaften tatbestandlich engere Voraussetzungen zu erfüllen hätten.215 Als Bezugspunkt kommt insoweit zunächst die Anwendung der DBA-Regeln in Betracht, d.h. die Anwendung eines bestimmten Quellensteuersatzes im konkreten Fall unter Gewährung oder – eben wegen Art. 28 DBA-USA – unter Versagung der einschlägigen Vergünstigung. Im Falle der hier im Blickpunkt stehenden Konstellation der Zwischengesellschaft in Deutschland und der operativen Gesellschaft in den USA werden diese Maßnahmen jedoch von den USA als Quellenstaat angewendet, Art. 3 Abs. 2 DBA-USA. Diese sind jedoch nicht an das Unionsrecht gebunden und haben auch sonst keine völkerrechtliche Verpflichtung gegenüber Gesellschaften anderer Unionsstaaten übernommen, so dass ein Eingriff in Form der Anwendung des Abkommens durch die USA ausscheidet.216 Ein Eingriff kann daher allenfalls im Abschluss des Abkommens unter Einschluss der Limitation on Benefits Klausel gesehen werden. Die herrschende Ansicht bejaht dies, da der an das Unionsrecht gebundene Vertragsstaat – hier also Deutschland – dem anderen Vertragsstaat die Anwendung der Klausel und dadurch die Möglichkeit einer diskriminierenden Ungleichbehandlung einräumt.217 Zur weiteren Begründung und zur Bekräftigung, dass es am Vorliegen eines Eingriffs kaum ernsthafte Zweifel gebe, wird gemeinhin auf die Rechtsprechung des EuGH zu bilateralen Luftverkehrsabkommen Bezug genommen:218 In den sog. Open Skies Fällen wurde ein Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit darin erachtet, dass abhängig von Eigentum und Kontrolle bestimmte Luftfahrtunternehmen von der Anwendung der Abkommen ausgeschlossen werden konnten, während die Anwendung bei einheimischen Luftfahrtunternehmen gesichert war.219 Im Urteil wurde als Bezugspunkt ausdrück214 Siehe bereits oben 1.Teil, D, S. 256 und Fn. 182. 215 Zu den Ungleichbehandlungen im Einzelnen siehe bereits A.II.2.a, S. 320, sowie die vorhergehende Normanalyse im Detail. 216 Kofler, DBA und Gemeinschaftsrecht, S. 513; Lüdicke, in: FS Wassermeyer, S. 484; Wassermeyer/Schönfeld, DB 2006, 1970 (1973). 217 Kofler, DBA und Gemeinschaftsrecht, S. 513. 218 Kofler, DBA und Gemeinschaftsrecht, S. 513; Thömmes, IStR 2007, 577 (578). 219 EuGH, Urteil vom 05.11.2002 – C-476/98 – EuZW 2003, 83 (91), Rn. 153 ff.

328

Kollisionsfragen

lich die Ermöglichung der Ungleichbehandlung durch den Abschluss des Vertrages unter Einbeziehung einer der Limitation on Benefits vergleichbaren Eigentums- und Kontrollklausel festgestellt.220 bb.

Vergleichbarkeit und DBA-Geltung

Es ist jedoch zu hinterfragen, ob diese Rechtsprechung uneingeschränkt auf Schranken der Abkommensvergünstigungen in DBA übertragen werden kann, insbesondere ob nicht die bei den Mitgliedstaaten verbliebene Kompetenz zu Verhandlung und Abschluss der DBA eine Differenzierung gebietet. Es ist an dieser Stelle zu betonen, dass der EuGH zwar relativ eindeutig über die Reichweite des Gebots der Inländergleichbehandlung judiziert hat, eine relevante Diskriminierung aber stets logisch vorrangig die Vergleichbarkeit der Situationen voraussetzt; dies gilt erst recht in steuerrechtlichen Fällen, und dort insbesondere für Inboundinvestitionen, die einen Fall der beschränkten Steuerpflicht darstellen.221 Eine solche Vergleichbarkeitsprüfung ist auch hier anzustellen, in Folge des oben genannten Bezugspunkts ist demnach allein maßgeblich, ob Deutschland der Tochtergesellschaft einer EU-Muttergesellschaft die gleichen Vergünstigungen ermöglichen muss wie rein deutschen Gesellschaften, weil sich diese in einer vergleichbaren Situation befinden. An dieser Vergleichbarkeit könnte es insoweit durch die Einwirkungen des Abkommens fehlen, da differenziert nach dem Sitz der Gesellschafter Deutschland ein eigenes DBA geschlossen hat, der Sitzstaat der Muttergesellschaft jedoch nicht. Zwar hat der EuGH in den Open Skies Fällen die Diskriminierung ohne weitere Vergleichbarkeitsprüfung bejaht; daraus wird zum Teil geschlossen, dass aus dem Prinzip der Inländergleichbehandlung die grundsätzliche Verpflichtung folge, den Angehörigen anderer Mitgliedstaaten gleichermaßen den Zugang zu Vorteilen eines bilateralen Vertrages zu eröffnen, wie sie für Staatsangehörige des Vertragsstaates vorgesehen sind.222 Nach der geltenden unionsrechtlichen Kompetenzordnung und bei derzeitigem Harmonisierungsstand sind indes allein die Mitgliedstaaten zum Abschluss der Doppelbesteuerungsabkommen223 berechtigt. Die in diesen insgesamt und damit möglicherweise auch im Rahmen der Limitation of Benefits berührte Freiheit der Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse könnte daher unter Umständen der Unionsrechtswidrigkeit entgegengehalten werden.

220 EuGH, Urteil vom 05.11.2002 – C-476/98 – EuZW 2003, 83 (91), Rn. 154. 221 Hierzu siehe ausführlich bereits im 1. Teil B.II.1.b.bb(2), S. 143 ff. 222 Kofler, DBA und Gemeinschaftsrecht, S. 513. Dem Umstand der Existenz eines eigenen Luftverkehrsabkommens wurde insoweit keine Bedeutung beigemessen. 223 Von ist die Interessenlage auch eine andere als im Bereich des Luftfahrtverkehrs, in dem von einer umfänglicheren Harmonisierung auszugehen ist, hierzu unten Fn. 240.

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Limitation on Benefits Klauseln am Beispiel des Art. 28 DBA-USA

e.

Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse

Nach ständiger Rechtsprechung des EuGH folgt die Kompetenz zur Aufteilung der Besteuerungsbefugnis und der Vermeidung der Doppelbesteuerung aus der Steuerhoheit224 und findet ihre Rechtfertigung dadurch, dass sich nach gegenwärtigem Harmonisierungsstand aus dem Unionsrecht keine allgemeinen Kriterien für die Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse unter den Mitgliedstaaten ableiten lassen.225 Es sei an dieser Stelle noch dahingestellt, ob sich diese mit den dargelegten Argumenten bereits als Frage des Eingriffs auswirkt, indem die mangelnde Vergleichbarkeit der Situationen eine Diskriminierung von vornherein nicht entstehen lässt, oder ein entsprechender Eingriff durch ein zwingendes Allgemeininteresse gerechtfertigt wäre.226 Einen Unterschied im Ergebnis könnte dies allenfalls dann nach sich ziehen, wenn insoweit eine Konkurrenz zu anderen Rechtfertigungsgründen – insbesondere demjenigen der Missbrauchsverhinderung – als problematisch erachtet wird; dies ist jedoch noch gesondert darzustellen. aa.

Die Rechtssache ACT Group Litigation

Die Frage, ob sich die vertragsschließenden Mitgliedstaaten beim Abschluss von Doppelbesteuerungsabkommen unter Einschluss einer Klausel im Stile des Art. 28 DBA-USA tatsächlich auf genannte Kompetenz zur Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse berufen dürfen, scheint insoweit durch die Rechtssache ACT Group Litigation vorgezeichnet:227 In der dort zugrunde liegenden Fallgestaltung wurde aufgrund des DBA zwischen dem Vereinigten Königreich und den Niederlanden die Vergünstigung einer teilweisen Steuergutschrift im Vereinigten Königreich Gesellschaften versagt, die in den Niederlanden gebietsansässig sind, wenn diese wiederum von einem in einem dritten Mitgliedstaat (wie Deutschland) ansässigen Steuerpflichtigen beherrscht werden, sofern das entsprechende (britisch-deutsche) Abkommen keine vergleichbare Bestimmung über eine teilweise Steuergutschrift im Vereinigten Königreich enthält.

224 EuGH, Urteil vom 21.09.1999 – C-307/97 (Saint-Gobain) – DStRE 1999, 836 (840 f.), Rn. 56; EuGH, Urteil vom 05.07.2005 – C-376/03 (D) – IStR 2005, 483 (485), Rn. 52; weitere Nachweise siehe 1. Teil, B, Fn. 610. 225 EuGH, Urteil vom 14.11.2006 – C-513/04 (Kerckhaert/Morres); weitere Nachweise siehe bereits oben 1. Teil, B, Fn. 619. 226 Hierzu allgemein bereits im 1. Teil, B.II.1.b.bb(2), S. 143. In Bezug auf die Aufteilung der Besteuerungsbefugnis wurde dies zunächst als Rechtfertigungsgrund entwickelt, in jüngerer Zeit aber das Element der Vergleichbarkeit betont, hierzu siehe auch schon 1. Teil, B.II.1.b.bb(3)(b)(dd), S. 151. 227 EuGH, Urteil vom 12.12.2006 – C-374/04 – IStR 2007, 138.

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Kollisionsfragen

Den Schlussanträgen von GA Geelhoed folgend228 judizierte der EuGH, dass eine solche Bestimmung keinen Verstoß gegen Grundfreiheiten begründe, da es sich um einen integralen Bestandteil des Abkommens handele, der zu dessen Ausgewogenheit beitrage; die Frage, für welche Gesellschaften als vergünstigungsberechtigte Ansässige ein bilaterales Abkommen gelte, sei Teil der Abwägung der Besteuerungskompetenz und damit eine Konsequenz des Wesens bilateraler Doppelbesteuerungsabkommen.229 Der EuGH folgerte daraus, dass sich Gesellschaften in einem anderen Mitgliedstaat (wie Deutschland), der keine vergleichbare Steuergutschrift in einem eigenen Abkommen vereinbart hat, in Bezug auf den Steuergegenstand nicht in der vergleichbaren Situation befänden wie Gesellschaften in den Niederlanden.230 Eine Diskriminierung liege daher nicht vor.231 Im Anschluss an diese Entscheidung wird nun gefolgert, dass Limitation on Benefits generell unbedenklich seien,232 Vertreter der Gegenansicht betonen indes, dass dies noch nicht das Ende der Diskussion um die Unionsrechtswidrigkeit darstelle.233 Die Entscheidung ist daher im Folgenden kritisch zu würdigen. bb.

Die Reziprozität der Limitation on Benefits als Lackmustest

Auffällig ist hierbei, dass der EuGH einen Schwerpunkt darauf legt, die Limitation on Benefits als integralen Teil des Abkommens zu klassifizieren, der zur Ausgewogenheit beitrage. Tatsächlich dürfte sich gerade die Reziprozität der jeweiligen Abkommensregel als Lackmustest des Verhältnisses von bilateraler Betrachtungsweise und einheitlichem Markt erweisen: Einerseits sind Maßnahmen im Zusammenhang mit völkerrechtlichen Verträgen grundsätzlich tauglicher Prüfungsgegenstand,234 andererseits muss aber durch die Anerkennung der Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse dem Spannungsverhältnis von Steuersouveränität und Kompetenzausübungsschranke Rechnung getragen werden. Insoweit behält sich schließlich auch der EuGH vor, die Ausübung

228 GA Geelhoed, Schlussanträge vom 23.02.2006 – C-374/04 (ACT Group Litigation) – EuGHE I 2006, 11673 (11714 f.), Rn. 97 ff. 229 EuGH, Urteil vom 12.12.2006 – C-374/04 (ACT Group Litigation) – IStR 2007, 138 (143), Rn. 88 ff. 230 EuGH, Urteil vom 12.12.2006 – C-374/04 (ACT Group Litigation) – IStR 2007, 138 (143), Rn. 91. 231 EuGH, Urteil vom 12.12.2006 – C-374/04 (ACT Group Litigation) – IStR 2007, 138 (143), Rn. 93. So auch schon GA Geelhoed, Schlussanträge vom 23.02.2006 – C-374/04 (ACT Group Litigation) – EuGHE I 2006, 11673 (11714 f.), Rn. 100. 232 Linn, IStR 2010, 542 (543). 233 Kofler, DBA und Gemeinschaftsrecht, S. 508 ff. 234 Siehe bereits oben 1. Teil, D, S. 256 und Fn. 182.

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Limitation on Benefits Klauseln am Beispiel des Art. 28 DBA-USA

dieser Zuständigkeit dennoch an den Grundfreiheiten zu messen.235 Eine wechselseitige Abkommensregel, die an der Ausgeglichenheitsvermutung bilateraler Steuerabkommen teilnimmt, ist somit dem Bereich der Freiheit zum Abschluss der Doppelbesteuerungsabkommen zuzuordnen, wie sie in der Rechtsprechung zur Aufteilungsbefugnis betont wird, und unterliegt demnach grundsätzlich keiner inhaltlichen Kompatibilitätskontrolle. Soweit dies nicht der Fall ist und es sich stattdessen um einseitige Vergünstigungen ohne Gegenseitigkeitsverhältnis handelt, ist von einer vollen Überprüfbarkeit auszugehen.236 Zwar wird vereinzelt eingewendet, dass der Aspekt der Reziprozität nicht operationalisiert werden könne und daher eine bloße Scheinbegründung darstelle, die zur gemeinschaftsrechtlichen Akzeptanz von völkerrechtlichen Verträgen zulasten Dritter führe.237 Dem muss jedoch widersprochen werden, da gerade die wechselseitige Vereinbarung von Steuervergünstigungen den Kern eines Doppelbesteuerungsabkommens ausmacht. Sofern man also einen Rest an Entscheidungsfreiheit der Mitgliedstaaten aus der Zuständigkeit zur Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse ableiten will – und dies ist nach hier vertretener Ansicht als Ausgleich des Spannungsverhältnisses zwischen Steuersouveränität und grundfreiheitlicher Kompetenzausübungsschranke geboten – kann dies vornehmlich an der Wechselseitigkeit des Verzichts orientiert werden, welcher hiernach der grundsätzlich freien Abschlusskompetenz zuzuordnen ist. Abzulehnen ist weiterhin die These, dass die Reziprozität letztlich eigenes Steueraufkommen schützen bzw. entsprechende Verluste gegenfinanzieren solle und damit in den Bereich der untauglichen Rechtfertigung durch fiskalischen Interessen falle,238 da die wechselseitige Vermeidung der Doppelbesteuerung schon aus volks- und außenwirtschaftlichen Gründen im nationalen Interesse liegt239 und daher nicht auf eine solche Steuerbilanz reduziert werden kann. In diesem Sinne stellt sich die Kompatibilitätsprüfung eines Doppelbesteuerungsabkommens letztlich anders dar als die von der Gegenansicht bemühte – und mithin überinterpretierte – Entscheidung im Bereich des Luftverkehrs in Sachen Open Skies. Denn während wie gezeigt das direkte Steuerrecht mit Ausnahme einzelner Harmonisierungsakte grundsätzlich Sache der Mitgliedstaaten verbleibt, ist in Sachen Luftverkehr von einer einheitlichen europäischen Marktordnung und einem einheitlichen Luftraum auszugehen, vgl. auch 235 EuGH, Urteil vom 21.09.1999 – C-307/97 (Saint-Gobain) – DStRE 1999, 836 (840 f.), Rn. 57; weitere Nachweise siehe 1. Teil, B, Fn. 628. 236 Vgl. auch Thömmes, IWB Fach 11a, 887 (888), im Kontext der Meistbegünstigung. 237 Kofler, DBA und Gemeinschaftsrecht, S. 508 f. 238 In diesem Sinne Kofler, DBA und Gemeinschaftsrecht, S. 517 f. 239 Näheres siehe Bächle/Rupp/Ott/Knies, Internationales Steuerrecht, S. 17.

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Kollisionsfragen

Art. 100 Abs. 1 S. 2 AEUV (Art. 80 EG), so dass marktordnungsrechtlich ein nationaler Luftverkehr gar nicht mehr existiert.240 Soweit es damit entscheidend auf die Reziprozität der jeweiligen Abkommensregel ankommt, stellen sich die Limitation on Benefits in der Tat als wechselseitig abhängige Abkommensregelungen dar. Entscheidend hierfür ist weniger die beiderseitige formelle Geltung für die Ansässigen des jeweils anderen Vertragsstaates, sondern der systematische Zusammenhang mit den Regeln der Ansässigkeit: Soweit Art. 28 DBA-USA als Leitlinie den engen Bezug zum Ansässigkeitsstaat – insbesondere in Form des Ownership Test des Art. 28 Abs. 2 lit. f) DBA-USA – als zusätzliche tatbestandliche Voraussetzung statuiert, wird in abkommenstypischer Weise die wechselseitige Berechtigung zur Inanspruchnahme der Vergünstigungen festgelegt. Der EuGH spricht daher bei Limitation on Benefits zu Recht von einem „integralen Bestandteil“ der DBA, die zu deren allgemeiner Ausgewogenheit beitragen.241 Der Einwand der Differenzierung zwischen der grundsätzlich zu akzeptierenden Ansässigkeit der Zwischengesellschaft und einer Diskriminierung durch den Verlust der Vergünstigungen durch die Ansässigkeit deren Anteilseigner, d.h. der Muttergesellschaft in einem anderen Mitgliedstaat,242 verfängt demgegenüber nicht. Denn zum einen ist dies Voraussetzung, nicht Begründung der Diskriminierung, da nur deshalb die Grundfreiheiten der Muttergesellschaft als Bezugspunkt in Betracht kommen. Zum anderen dürfen die genannten Vorschriften aufgrund des dargelegten systematischen Zusammenhangs nicht formalistisch getrennt betrachtet werden. Es kommt hinzu, dass Art. 28 DBA-USA vornehmlich der Absicherung der Quellensteuerbestimmungen (Art. 10-12 DBA-USA bzw. OECD-MA) dient, welche richtigerweise für sich in Anspruch nehmen, in wechselseitiger Weise der Vermeidung bzw. Minderung der Doppelbesteuerung zu dienen.243 In der Neurevision kommt dies besonders deutlich in der Quellensteuerbefreiung des Art. 10 Abs. 3 lit. a) DBA-USA zum Ausdruck. Die Limitation on Benefits sind insoweit nicht nur in sich, sondern auch gegenüber den materiellen Vergünstigungen als wechselseitig und damit abkommenstypisch ausgeglichen anzusehen. Für diese Einordnung streitet nicht zuletzt auch die restriktive Abkommenspolitik der USA, die den Abschluss eines Abkommens ohne eine ent240 Jung, in: Callies/Ruffert, EUV/EGV, Art. 80 EGV Rn. 19 m.w.N. Aus dieser internen Zuständigkeit folgt jedoch nicht zwangsläufig eine Außenkompetenz ausschließlich der Gemeinschaft, siehe auch die Urteilsbesprechung von Pitschas, EuZW 2003, 82 (92 ff.) zu EuGH, Urteil vom 05.11.2002 – C-476/98. 241 EuGH, Urteil vom 12.12.2006 – C-374/04 (ACT Group Litigation) – IStR 2007, 138 (143), Rn. 90. 242 Kofler, DBA und Gemeinschaftsrecht, S. 510. 243 Thömmes, IWB Fach 11a, 887 (888).

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Limitation on Benefits Klauseln am Beispiel des Art. 28 DBA-USA

sprechende Limitation on Benefits Klausel rigoros ablehnen und dies aufgrund ihrer Verhandlungsmacht auch durchzusetzen imstande ist.244 Entsprechend wäre auch der Versuch einer Neuverhandlung unter Hinweis auf mögliche unionsrechtliche Bedenken aussichtslos,245 wie auch die Umstände der Revision zum 01.06.2006 verdeutlicht haben.246 Somit ist davon auszugehen, dass die Limitation on Benefits Klausel des Art. 28 DBA-USA aufgrund ihrer abkommenstypischen Reziprozität dem Bereich der gebotenen grundsätzlichen Freiheit zur Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse zuzuordnen ist und demnach keiner inhaltlichen Kompatibilitätskontrolle unterliegt. cc.

Das Kriterium der Verantwortlichkeit in Bezug auf die Doppelbesteuerung

Von Bedeutung ist schließlich noch, ob eine Verantwortlichkeit des vertragschließenden Mitgliedstaats in Bezug auf die Doppelbesteuerung festgestellt werden kann. Der Grundsatz der freie Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse geht insoweit von einem Mangel an allgemeinen, aus dem Unionsrecht abgeleiteten Kriterien zur Aufteilung der Steuerhoheiten aus; sofern im Ausnahmefall jedoch eine konkrete Verantwortlichkeit festgestellt werden kann, ist sowohl nach Ansicht des EuGH als auch der herrschenden Literatur der entsprechende Mitgliedstaat zur Vermeidung der Doppelbesteuerung verpflichtet und kann sich nicht auf das entsprechende Allgemeininteresse berufen.247 In diesem Zusammenhang ist insbesondere die Entscheidung Kommission/Italien zu nennen, in der der EuGH in der unterschiedslosen Quellenbesteuerung durch den Quellenstaat eine Gefahr der Doppelbesteuerung erachtete, mit der Konsequenz, dass der Ansässigkeitsstaat der ausschüttenden Gesellschaft dafür Sorge tragen müsse, dass gebietsfremde Anteilseigner im Vergleich zu Gebietsansässigen eine gleichwertige Behandlung erfahren.248 Indes kann Deutschland als Sitz der Zwischengesellschaft nicht als Verursacher der Doppelbesteuerung angesehen werden, da unter Geltung der MTRL eine eige244 Siehe schon oben A, S. 287. Auch Wolff, in: Debatin/Wassermeyer, DBA, Art. 28 DBAUSA Rn. 12 spricht in diesem Zusammenhang ausdrücklich von der Reziprozität. 245 Wolff, in: Debatin/Wassermeyer, DBA, Art. 28 DBA-USA Rn. 12. Vgl. auch Schnitger, IWB Fach 11 Gruppe 2, 599 (609) und Kofler, DBA und Gemeinschaftsrecht, S. 528. 246 Auch hierzu siehe oben A, S. 287. 247 Der EuGH behält sich insoweit eine Ausnahme vor, die h.L. überwindet dadurch die fehlende Verantwortlichkeit im Rahmen der allerdings generell betonten Inkompatibilität der Doppelbesteuerung. Zur ausführlichen Darlegung siehe im 1. Teil B.II.1.b.bb(3)(b)(dd), insbesondere S. 154 f. m.w.N. 248 EuGH, Urteil vom 19.11.2009 – C-540/07 – DStRE 2009, 1444 (1447), Rn. 53. So zuvor auch schon EuGH, Urteil vom 12.12.2006 – C-374/04 (ACT Group Litigation) – IStR 2007, 138 (142), Rn. 70.

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Kollisionsfragen

ne Besteuerung nicht vorgenommen wird. Diese wird allein durch die Investition im Drittstaat und die dortige Quellenbesteuerung ausgelöst. Es leuchtet nicht ein, inwieweit der – auf eigene Besteuerungsrechte ohnehin verzichtende – Mitgliedstaat hierfür in Haftung genommen werden kann, insbesondere bei dem hier einzig vorwerfbaren Bezugspunkt des Eingriffs in Form des Abschlusses des Abkommens. Denn die Alternative der Besteuerung unter Verzicht auf ein DBA kann kaum als Maßstab angesehen werden, da dann die Quellensteuer im Drittstaat erst recht bestehen bliebe; und auch der EuGH hat gerade den Abschluss eines solchen als sinnvollen Mechanismus zur Erfüllung der in genannten Fällen – ausnahmsweise – bestehenden Verpflichtung zur Beseitigung der Doppelbesteuerung erachtet.249 Mangels eigener Verantwortlichkeit für die Doppelbesteuerung kann demnach der Ansässigkeitsstaat der Zwischengesellschaft nicht zur Vermeidung der Doppelbesteuerung verpflichtet sein, so dass sich auch gemessen an diesem Kriterium Limitation on Benefits als unionsrechtlich zulässig erweisen. Zugleich zeigt sich dadurch, dass etwaige Bestrebungen250 zum Scheitern verurteilt sind, die Entscheidung des EuGH in Sachen ACT Group Litigation auf innergemeinschaftliche Abkommen zu beschränken, bei Abkommen gegenüber Drittstaaten jedoch eine Kompatibilitätsprüfung der Limitation on Benefits vorzunehmen. Denn soweit aus den genannten Gründen allenfalls eine Verpflichtung des Quellenstaates zur Vermeidung der Doppelbesteuerung begründet werden kann, wäre dies lediglich im innergemeinschaftlichen Sachverhalt möglich, in dem auch der Quellenstaat den grundfreiheitlichen Bindungen unterliegt. Genau dies hat der EuGH im ersten Teil der Entscheidung explizit geprüft, jedoch einen Grundfreiheitsverstoß abgelehnt, da der Quellenstaat – dort war es Großbritannien – durch das streitgegenständliche DBA seiner Verpflichtung zur Vermeidung der Doppelbesteuerung im Verhältnis zum Gesellschafter der im Quellenstaat beschränkt steuerpflichtigen (Zwischen-) Gesellschaft nachgekommen sei.251 Gegenüber Drittstaaten, und damit 249 EuGH, Urteil vom 12.12.2006 – C-374/04 (ACT Group Litigation) – IStR 2007, 138 (142), Rn. 71. 250 Kofler, DBA und Gemeinschaftsrecht, S. 512. 251 EuGH, Urteil vom 12.12.2006 – C-374/04 (ACT Group Litigation) – IStR 2007, 138 (142), Rn. 70 f. Es ließe sich zwar darüber streiten, ob diese Verpflichtung auch dann noch als erfüllt angesehen werden kann, wenn dieses Abkommen aber – so das bereits genannte Ergebnis des zweiten Teils der Entscheidung – zu Recht wiederum Gesellschaften mit Anteilseignern in Drittstaaten ausschließt. Eine solche Gesamtbetrachtung hat der EuGH jedenfalls nicht vorgenommen und dies könnte wie gezeigt allenfalls dem Quellenstaat vorgehalten werden, nicht aber dem Ansässigkeitsstaat der Zwischengesellschaft. Richtig dürfte in diesen innergemeinschaftlichen Fällen sein, auch den Drittstaat als Ansässigkeitsstaat der Anteilseigner in die Verpflichtung zu nehmen, da dieser durch Mitwirkung an einem entsprechenden DBA mit dem Quellenstaat – unter wech-

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Limitation on Benefits Klauseln am Beispiel des Art. 28 DBA-USA

auch im Falle des Art. 28 DBA-USA gegenüber den USA als Quellenstaat, ist eine solche Argumentation mangels Bindung an das Unionsrecht von vornherein nicht möglich. Die in der Auseinandersetzung mit der Rs. ACT Group Litigation vertretene Differenzierung zwischen innergemeinschaftlichen DBA und solchen mit Drittstaaten spricht somit argumentum a fortiori sogar für die Zulässigkeit der Limitation on Benefits des Art. 28 DBA-USA. dd.

Folgen einer unterstellten Inkompatibilität

Schließlich streiten auch die möglichen Folgen einer unterstellten Inkompatibilität gegen die Unionsrechtswidrigkeit. Bereits aufgezeigt wurde, dass aufgrund der restriktiven Abkommenspolitik und der entsprechenden Verhandlungsmacht der USA der Versuch einer Neuverhandlung unter Hinweis auf mögliche unionsrechtliche Bedenken aussichtslos wäre.252 Es käme daher allenfalls die Beseitigung der Unionsrechtswidrigkeit durch eine Kündigung des Abkommens durch den Mitgliedstaat – in diesem Falle Deutschland – in Betracht.253 Während diese Folge in den Open Skies Fällen von der Kommission sogar beabsichtigt wurde, um ein multilaterales Abkommen aushandeln zu können,254 erweist sich eine Kündigung in DBA-Fällen als kontraproduktiv, da die Vermeidung der Doppelbesteuerung unionsrechtlich erstrebenswert und daher geboten ist und ein multilaterales Steuerabkommen politisch in weiter Ferne liegt, wie auch die Streichung des Art. 293 2. Spstr. EG durch den Vertrag von Lissabon verdeutlicht. Vereinfacht ließe sich dies auf die Formel bringen, dass in Bezug auf die USA allenfalls zwischen der Geltung eines DBA unter Einschluss des Art. 28 DBA-USA oder alternativ ohne jegliches DBA unterschieden werden kann, der Abschluss unter Eliminierung des Art. 28 erweist sich insoweit als praktisch unmöglich. Dass ein Mitgliedstaat für eine Gleichbehandlung durch den Drittstaat sorgen könne255 erweist sich mithin als bloßes Wunschdenken, der Abschluss EU-konformer US-Abkommen würde letztlich unmöglich gemacht.256

252 253 254 255 256

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selseitigem Verzicht auf Besteuerungsgrundlagen – die Voraussetzungen schaffen müsste oder gar eine unilaterale Anrechnung verfügen kann. Eine einseitige Verpflichtung des Quellenstaates dürfte demnach nicht zu fordern sein, so dass sich mangels klarer Aufteilungskriterien im Ergebnis gleichermaßen wie nach der isolierten Betrachtung des EuGH kein Verstoß gegen die Niederlassungsfreiheit durch den Quellenstaat ergeben dürfte. Siehe bereits oben S. 334 und Fn. 245. Allgemein zu Abkommen Schmalenbach, in: Callies/Ruffert, EUV/EGV, Art. 307 EG Rn. 11; speziell zu Limitation on Benefits Kofler, in: FS Loukota, S. 237 f. Pitschas, EuZW 2003, 82 (93 ff.) zu EuGH, Urteil vom 05.11.2002 – C-476/98. Lüdicke, in: FS Wassermeyer, S. 484. Wolff, in: Debatin/Wassermeyer, DBA, Art. 28 DBA-USA Rn. 12.

Kollisionsfragen

Diese Schwierigkeiten werden auch von Befürwortern einer Unionsrechtswidrigkeit zugestanden.257 Diskutiert wird jedoch eine aus staatshaftungsrechtlichen Grundsätzen abgeleitete Verpflichtung des vertragsschließenden Mitgliedsstaates, für eine mittelbare, d.h. wirtschaftliche Gleichstellung der Anteilseigner anderer Mitgliedstaaten zu sorgen.258 Da eine Anrechnungsverpflichtung aufgrund der Quellensteuerfreiheit zwischen Mitgliedstaaten speziell bei Dividenden im Zusammenhang mit Treaty Shopping jedoch ausscheidet, kommt diese lediglich in Form einer direkten Erstattung der zusätzlichen Steuerlast in Betracht, d.h. in Höhe der Differenz der von den USA bei Anwendung des Art. 28 DBA-USA zusätzlich erhobenen Quellensteuern.259 Die fehlende Verhandelbarkeit aus Sicht der USA und die Unangemessenheit einer Kündigung des Abkommens muss indes auch bei der Prüfung eines solchen staatshaftungsrechtlichen Anspruchs berücksichtigt werden, so dass schon aufgrund eines Mangels an rechtmäßigen, zumutbaren Alternativverhaltensweisen das Erfordernis des hinreichend qualifizierten Verstoßes gegen das Unionsrecht260 zu verneinen wäre. Es würde auch ein befremdliches Ergebnis darstellen, wenn gerade der Ansässigkeitsstaat der Zwischengesellschaft, der selbst keine eigene Besteuerung vornimmt und damit keine Ursache der Doppelbesteuerung gesetzt hat, eine solche Erstattung und damit eine zusätzliche Verminderung des Steueraufkommens hinnehmen müsste. Da jedenfalls der Quellenstaat als Drittstaat nicht unmittelbar verpflichtet werden kann, erscheint es vielmehr Sache des Ansässigkeitsstaates des Anteilseigners, die Doppelbesteuerung seiner Staatsangehörigen und der dort ansässigen Gesellschaften zu vermeiden bzw. abzumildern. Dies könnte etwa in Form der Anrechnung im Inland geschehen; nahe liegender erscheint es jedoch, die Position der eigenen Steuerpflichtigen schlicht dadurch zu verbessern, dass ein eigenes entsprechenden Abkommens mit den USA ausgehandelt wird. In Form des damit verbundenen, wechselseitigen Verzichts auf eigenes Steueraufkommen würde der Ansässigkeitsstaat 257 Kofler, DBA und Gemeinschaftsrecht, S. 528 f.; Schnitger, IWB Fach 11 Gruppe 2, 599 (609). 258 Kofler, DBA und Gemeinschaftsrecht, S. 527 f.; Schnitger, IWB Fach 11 Gruppe 2, 599 (607 ff.). 259 Die zu erstattende Differenz ist nicht zwangsläufig mit dem Betrag der von den USA erhobenen Quellensteuer identisch, da sie von vielerlei Faktoren abhängt, insbesondere ob aufgrund der Derivative Benefits Klausel ein anderer Steuersatz angewendet wurde, ob aufgrund der Ermessensklausel nicht ohnehin eine Quellensteuerreduktion erreicht wurde, und selbstverständlich auch von der Höhe des Quellensteuersatzes, der von inländischen und daher im Sinne des Art. 28 DBA-USA vergünstigungsberechtigten Gesellschaften erreicht worden wäre. 260 EuGH, Urteil vom 05.03.1996 – C-46/93 (Brasserie du pêcheur) – EuGHE I 1996, 1029 (1149), Rn. 51; Schnitger, IWB Fach 11 Gruppe 2, 599 (608).

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Limitation on Benefits Klauseln am Beispiel des Art. 28 DBA-USA

letztlich der eigenen Verantwortlichkeit nachkommen; dies korrespondiert zudem mit der hier betonten Reziprozität der Doppelbesteuerungsabkommen. Auch mit Blick auf die Folgen einer möglichen Inkompatibilität ist daher von der Zulässigkeit der Limitation on Benefits, insbesondere des Art. 28 DBAUSA, im Lichte des Unionsrechts auszugehen. ee.

Verhältnis zum Allgemeininteresse der Missbrauchsverhinderung

Zu guter Letzt ist jedoch noch fraglich, ob sich dieses Ergebnis mit den aus dem Unionsrecht abgeleiteten Maßstäben zur Bestimmung eines Missbrauchs vereinbaren lässt. Diese Betrachtung steht im Raum, da Limitation on Benefits als typisierende Vorschrift nach Sinn und Zweck gegen Missbrauchsgestaltungen gerichtet sind,261 und somit möglicherweise eine Beeinträchtigung der zwischenstaatlichen Verteilungsgerechtigkeit durch künstliche Gestaltungen streitgegenständlich ist. Aufgrund der rechtskreisübergreifenden Kollisionsregel des Anwendungsvorrangs können Mitgliedstaaten eine Beschränkung der Grundfreiheiten grundsätzlich nur dann unter dem Gesichtspunkt des Missbrauchs rechtfertigen, sofern auch nach den unionsrechtlichen Maßstäben hiervon auszugehen ist, wenn also ein Missbrauch der Grundfreiheiten vorliegt (Biperspektivität des Missbrauchsbegriffs).262 Diese setzen insbesondere das Vorliegen einer künstlichen, jeder wirtschaftlichen Realität baren Gestaltung voraus und sehen eine strenge Verhältnismäßigkeitsprüfung vor, die sowohl die Typisierung abstrakt an das Vorliegen einer sachlichen Vermutungsbasis knüpft, als auch die Möglichkeit des Gegenbeweises im Einzelfall erfordert.263 Wie noch zeigen ist, wäre es tatsächlich fraglich, ob Limitation on Benefits den genannten differenzierten Anforderungen an die Zulässigkeit von Missbrauchsvorbehalten entspricht, so dass ein Verstoß gegen die Grundfreiheiten gegeben scheint.264 Insoweit stellt sich an dieser Stelle das Problem des Verhältnisses der Allgemeininteressen, da im Vorhergehenden – gemessen an der Kompetenz zur Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse – Art. 28 DBA-USA als mit dem Unionsrecht vereinbar angesehen wurde. Nach hier vertretener Ansicht besteht zwar kein formelles Konkurrenzverhältnis zwischen den verschiedenen Allgemeininteressen; da in Fällen künstlicher Gestaltung jedoch regelmäßig auch die Verteilungsgerechtigkeit betroffen ist und somit ein Leerlaufen der besonderen Anforderungen, die an die Rechtfertigung zur Missbrauchsverhinderung ge261 Siehe oben A.I.1, S. 288. 262 Siehe bereits im 1. Teil, D.II.2.c.aa(2), S. 236 und die dort genannten Verweise. 263 Siehe im 1. Teil die Zusammenfassung unter B.II.3, S. 200 f. und ausführlich zuvor unter B.II.1.b.cc, S. 158 ff. 264 So Kofler, DBA und Gemeinschaftsrecht, S. 516 ff.; Lehner, in: Vogel/Lehner, DBA, Einl. 266a.

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Kollisionsfragen

stellt werden, zu befürchten wäre, sind deren Maßstäbe grundsätzlich auch im Rahmen der Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse zu berücksichtigen – hilfsweise im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung.265 In Bezug auf die Limitation on Benefits kann diesem Grundsatz jedoch nicht gefolgt werden. Wie bereits dargelegt wurde, erweist sich die Reziprozität dieser Abkommensregelungen als Lackmustest der Vereinbarkeit mit dem Unionsrecht. Diese wirkt sich nach richtiger Ansicht, die auch der EuGH in der Sache ACT Litigation vertreten hat,266 schon in der Weise aus, dass es an einer objektiven Vergleichbarkeit der Situationen zwischen beschränkt und unbeschränkt Steuerpflichtigen fehlt; diese ist jedenfalls im Inbound-Fall unabdingbare Voraussetzung der Annahme einer Diskriminierung.267 Die in den als wechselseitig festgestellten Limitation on Benefits getroffene Ungleichbehandlung – vereinfacht: nach der Ansässigkeit der Anteilseigner – betrifft insoweit objektiv nicht vergleichbare Situationen, als letztlich nur im vertragsschließenden Mitgliedstaat ansässige Anteilseigner nach dem Wesen des Abkommens aus diesem berechtigt sind; richtigerweise scheidet damit schon eine Diskriminierung aus.268 In der Folge kommt es streng genommen auf eine Rechtfertigung und damit einen möglichen Konflikt verschiedener Allgemeininteressen gar nicht mehr an; mangels Verhältnismäßigkeitsprüfung ist demnach auch für eine mittelbare Berücksichtigung der spezifischen Anforderungen an unilaterale Missbrauchsvorbehalte kein Raum. Im Lichte der hier zugrunde gelegten Betrachtung der Kollision von Missbrauchmaßstäben liegt mit anderen Worten von vornherein kein Kollisionsfall vor, der den Vorrang der unionsrechtlichen Maßstäbe begründen könnte. Mithin bliebt es dabei, dass die Limitation on Benefits als vereinbar mit Unionsrecht anzusehen ist; hierin liegt kein Widerspruch begründet. Im Übrigen ist keineswegs gesichert, dass Art. 28 DBA-USA tatsächlich einen Verstoß gegen unionsrechtliche Missbrauchsmaßstäbe begründet; eine solche Bewertung erscheint aber zumindest vertretbar. Als problematisch würde sich namentlich schon erweisen, dass die Limitation on Benefits Klausel aus Sicht des Mitgliedstaates, dem allein in Form des konkreten Vertragsschlusses der Vorwurf eines Eingriffs gemacht werden könnte, primär der Verhinderung der Steuerumgehung im Quellenstaat dient, d.h. in der für eine Beeinträchtigung 265 Ausführlich siehe oben 1. Teil, B.II.1.b.cc(7), S. 183 ff. 266 EuGH, Urteil vom 12.12.2006 – C-374/04 – IStR 2007, 138 (143), Rn. 91. Zuvor auch schon GA Geelhoed, Schlussanträge vom 23.02.2006 – C-374/04 – EuGHE I 2006, 11673 (11715), Rn. 101. 267 Siehe oben S. 145 und die Nachweise im 1. Teil, B, Fn. 574. 268 So auch EuGH, Urteil vom 12.12.2006 – C-374/04 (ACT Group Litigation) – IStR 2007, 138 (143), Rn. 93. Siehe schon oben A.II.2.d.bb, S. 329.

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Limitation on Benefits Klauseln am Beispiel des Art. 28 DBA-USA

der Grundfreiheiten allein relevanten Konstellation einer Steuerumgehung im Drittstaat (USA);269 allenfalls mittelbar im Wege der Reziprozität kann die Verhinderung einer Steuerumgehung im eigenen Hoheitsbereich begründet werden, dann aber durch Ansässige außerhalb des Geltungsbereichs des Unionsrechts. Dass Art. 28 DBA-USA eine typisierende Missbrauchsvorschrift darstellt, ist hierbei nicht per se schädlich. Erforderlich ist jedoch, dass dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit des Gegenbeweises im konkreten Fall eröffnet ist, dies nicht an übermäßige Voraussetzungen geknüpft ist, und auch dass – bei abstrakter Betrachtung – die Typisierung nicht unsachgerecht und/oder in Verkennung der sich aus dem Begriff der Künstlichkeit ergebenden Maßstäbe und damit unverhältnismäßig ist.270 Ins Auge sticht zunächst die in der Systematik des Art. 28 DBA-USA begründete, gegenüber der Grundvoraussetzung der Ansässigkeit zusätzliche Umkehrwirkung, wonach die Inanspruchnahme der Abkommensvergünstigungen in Abs. 1 generell von der Eigenschaft als „berechtigte Person“ abhängig gemacht wird. Infolge dessen wirken die Tests des Abs. 2 nicht als Typisierungen des Vorliegens einer missbräuchlichen Gestaltungen, sondern als Typisierung des Nichtvorliegens einer solchen,271 und daher bedarf es keines generalklauselartigen Ausschlusses missbräuchlicher Gestaltungen. Es könnte insoweit vorgebracht werden, dass allein mit dieser Systematik eine Beweislastumkehr vorgenommen ist, der es an einer sachlichen Rechtfertigung mangelt und die daher schon bei abstrakter Betrachtung unverhältnismäßig ist. Andererseits erscheint es überzeugender, die Regelung des Art. 28 DBA bei einer solchen Gesamtbetrachtung als Typisierung am Leitgedanken des hinreichenden Bezugs zum Ansässigkeitsstaat zu verstehen272 und damit eine sachliche Rechtfertigung im Grundsatz anzuerkennen. Es bietet sich daher an, vielmehr die einzelnen Tests auf ihre Berechtigung zur Typisierung hin zu untersuchen. Durchaus lassen sich dann etwa in Form des Active Trade or Business Test des Abs. 4, oder in Form des – alleine jedoch nicht genügenden – Base Erosion Test des Abs. 2 lit. f) bb), Ansätze im Detail finden, die einen Missbrauchsverdacht rechtfertigen. Sofern aber etwa in Form des Ownership Tests des Abs. 2 lit. f) aa) – dann unter Einbeziehung des Abs. 1 – allein die Ansässigkeit der Anteilseigner einen Missbrauchsfall begründet, könnte dies über das erforderliche Maß hinausgehen. Insgesamt bleibt jedoch zu berücksichtigen, dass die Konzipierung der Einzeltests als safe ha269 Kofler, DBA und Gemeinschaftsrecht, S. 517. 270 Ausführlich siehe 1. Teil, B.II.1.b.cc(6), S. 179 ff. 271 Vgl. Gohr, in: Endres/Jacob/Gohr/Klein, DBA-USA, Art. 28 Rn. 1; sowie Wolff, in: Debatin/Wassermeyer, DBA, Art. 28 DBA-USA Rn. 4. Siehe auch bereits oben A.I.1, S. 288. 272 Siehe schon oben A.I.1, S. 288.

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ven durchaus zu Gunsten des Steuerpflichtigen wirken kann und auch so intendiert ist.273 Eine zu enge Typisierung wäre demnach allenfalls in Anbetracht der Umkehranordnung des Abs. 1 zu beanstanden. Es spricht viel dafür, dass in diesem Fall eine Sanierung durch die Derivative Benefits Klausel aufgrund ihrer ungleich strengeren Anforderungen abzulehnen wäre.274 Das Schicksal des Art. 28 DBA-USA vor dem Hintergrund der unionsrechtlichen Missbrauchsmaßstäbe dürfte letztlich entscheidend vom Verständnis der Ermessensklausel des Abs. 7 abhängen. Diese ermöglicht unzweifelhaft eine positive Einzelfallentscheidung zu Gunsten der Steuerpflichtigen und stellt insbesondere auch explizit auf die Motive des Steuerpflichtigen ab.275 Im Lichte der Gesamtsystematik ist nach hier vertretener Ansicht die Entscheidung nach objektivierten Maßstäben zu treffen und stellt daher keine freie Ermessensentscheidung dar; hierbei ist insbesondere die Bindung an die Grundfreiheiten einzubeziehen.276 Ob die Versagung einer automatischen Gewährung und der Verweis auf eine Einzelfallentscheidung per se zur Unverhältnismäßigkeit führen, ist demgegenüber offen. Einerseits könnte hier der Grundgedanke des Allgemeininteresses der Wahrung der Steueraufsicht herangezogen werden, und auch die Missbrauchsverhinderung lässt ja Typisierungen mit der bloßen Möglichkeit des Einzelnachweises zu.277 Andererseits verbleibt es dabei, dass der Verweis auf Abs. 7 den Steuerpflichtigen mit unsicheren Erfolgschancen zurücklässt. Dies resultiert insbesondere auch aus der Tatsache, dass hierüber grundsätzlich der Anwendestaat entscheidet, d.h. in der gegenständlichen Konstellation die USA als Quellenstaat. Die Einwirkungsmöglichkeiten von deutscher Seite auf diese sind gering und allenfalls im Wege der vor einer Ablehnung erforderlichen Konsultation gemäß Art. 28 Abs. 7 S. 4 DBA-USA und eines Verständigungsverfahrens gemäß Art.25 DBA-USA denkbar. Die betroffenen Gesellschaften könnten daher trotz objektivierter Maßstäbe in erheblichem Umfang einem Bereich unkontrollierbaren Verwaltungsermessens unterworfen sein, was dem Schutzgedanken eines Abkommens widerspreche.278

273 In diesem Zusammenhang mag auch eine Rolle spielen, dass nach amerikanischem Rechtsverständnis aufgrund der Zurückhaltung gegenüber richterlicher Auslegung die Frage der Abkommensberechtigung rechtssicher („judge proof“) geregelt werden sollte. 274 Kofler, DBA und Gemeinschaftsrecht, S. 522. 275 Von daher dürfte das Entfallen der Prüfung der Missbrauchsabsicht als subjektives Element nicht zu beanstanden sein; a.A. Kofler, DBA und Gemeinschaftsrecht, S. 519. 276 Hierzu siehe oben A.I.2.c, S. 314. 277 Andere Ansicht Kofler, DBA und Gemeinschaftsrecht, S. 525, der die Versagung der unmittelbaren Gewährung per se als unverhältnismäßig und damit als Verstoß ansieht. 278 Jacobs, Internationales Unternehmensbesteuerung, S. 1077.

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Limitation on Benefits Klauseln am Beispiel des Art. 28 DBA-USA

Unter Einbezug der Umkehrregelung des Abs. 1 und der sehr eng gefassten Tests des Abs. 2 ließe sich daher vertreten, dass Art. 28 DBA-USA im Lichte der Gesamtsystematik trotz Existenz der Ermessensklausel des Abs. 7 insgesamt übermäßige Anforderungen an den Nachweis der „Berechtigung“ und damit an die Erlangung der Vergünstigungen stellt und daher als unverhältnismäßig anzusehen ist.279 Wie gezeigt kann dies aber dahinstehen, da die konkrete Ausgestaltung aufgrund der Wechselseitigkeit keiner Kompatibilitätskontrolle unterliegt.

3.

Rechtskreisübergreifende Kollision mit nationalem Recht

a.

Art. 28 DBA-USA und spezielle Missbrauchsvorbehalte

Kollisionsfragen wirft Art. 28 DBA-USA auch in Relation zum nationalen Recht auf; so ist insbesondere das Verhältnis zu den speziellen Missbrauchsvorbehalten des § 50d Abs. 3 EStG und des § 50g Abs. 4 EStG samt den darin enthaltenen Missbrauchsmaßstäben ungeklärt. Als Zuordnungsregel im Kollisionsfall könnte hier zum einen eine rechtskreisübergreifende Hierarchie zugunsten der einem DBA entstammenden Maßstäbe bei gleichzeitigem Zurücktreten der innerstaatlichen Normen in Betracht kommen. Eine solche absolute Rangwirkung ist nach hier vertretener Ansicht jedoch abzulehnen, ein sog. Treaty Override rechtswirksam; allenfalls könnten sich aus dem insoweit betonten Grundsatz der Völkerfreundlichkeit mittelbare Auswirkungen auf die Auslegung des Inhalts der nationalen Vorschrift und damit auch deren Missbrauchsmaßstäbe ergeben.280 Insgesamt ist demnach davon auszugehen, dass sich etwaige Zuordnungskriterien primär auf die nationale Vorschrift auswirken; das genannte Verhältnis kann daher erst nach der Einzeldarstellung der Maßnahmen im nationalen Recht sinnvoll untersucht werden und ist sodann nochmals aufzugreifen.281 b.

Art. 28 DBA-USA und § 42 AO

Im Verhältnis zur Generalklausel des § 42 AO ist aufgrund der hier vertretenen Auffassung zu § 42 Abs. 2 AO davon auszugehen, dass die zuvor beschrieben Einwirkung des Art. 28 DBA-USA in der Konkretisierung des Maßstabs des Missbrauchs i.S.v. § 42 Abs. 2 AO in Bezug auf das spezielle Abkommen und die hierin gewährten Vergünstigungen besteht; auch diesbezüglich handelt es sich um eine rahmenausfüllende Konkretisierung.282 279 Auf die Unverhältnismäßigkeit stellt auch Kofler, DBA und Gemeinschaftsrecht, S. 519, entscheidend ab. Vgl. auch Lüdicke, DBA-Politik, S. 48. 280 Siehe 1. Teil, D.II.2.c.bb(3), S. 254. 281 Siehe im Folgenden B.II.2, S. 435. 282 Ausführlich hierzu mit Fallgruppen im 1. Teil, D.II.3.c.bb, S. 266 ff.

342

Kollisionsfragen

Sind gemäß Art. 28 DBA-USA mangels Erfüllens eines einschlägigen „Tests“ die Voraussetzungen eine Quellensteuerentlastung nicht gegeben, so kann § 42 AO dahinstehen, da dann schon kein Vergünstigungsanspruch besteht, der nach nationalem Recht noch versagt werden muss; eine Verdrängung der Limitation on Benefits Klausel durch § 42 AO wird soweit ersichtlich nicht vertreten. Auch eine ausnahmsweise Anwendung des § 42 Abs. 2 S. 2 AO kommt nicht in Betracht, da Art. 28 Abs. 7 DBA-USA selbst einen subjektiv ausgerichteten Gegenbeweis ermöglicht, der bei richtiger Auslegung kein echtes Ermessen gewährt, so dass die Exkulpationsmöglichkeit bereits geprüft wurde, und zwar aufgrund der erforderlichen Konsultation auch durch die deutsche Finanzverwaltung. Im umgekehrten Falle, d.h. im Falle des Bestehens eines objektiven Tests, ist § 42 AO nach hier dargelegter Systematik jedenfalls formal subsidiär anwendbar, eine Sperrwirkung besteht nicht. Dies entspricht der herrschenden Meinung in Rechtsprechung und Literatur, nach der Fragen der persönlichen Einkünftezurechnung der Abkommensanwendung vorgelagert sind und daher durch diese nicht ausgeschlossen werden.283 Zuvorderst bezieht sich dieses Argument indes auf die Theorien zu ungeschriebenen oder konkludenten Missbrauchsvorbehalten in DBA und damit eine mögliche Rangwirkung284 – wie gezeigt ist Treaty Override jedoch kein solches allgemeingültiges Zuordnungskriterium.285 Im Verhältnis des § 42 AO zu ausdrücklichen Missbrauchsvorbehalten ist die subsidiäre Anwendung auch deshalb zu relativieren, da insoweit eine zusätzliche Überlagerung durch die Kollisionsregel der Spezialität bzw. der rahmenausfüllenden Konkretisierung erfolgt. Jedenfalls allein aus § 42 AO und dem umgangenen DBA heraus wird sich dabei kein anderer konkreter Maßstab eines Missbrauchs ermitteln lassen, der über die Wertung des Art. 28 DBA hinausgeht, zumal ganz besonders aufgrund des Grundsatzes der Völkerrechtsfreundlichkeit eine DBA-freundliche Auslegung geboten ist.286 In 283 BFH, Urteil vom 29.07.1976 – VIII R 41/74 – BStBl II 1977, 261 (263); Hey, in: Lüdicke, Wo steht das deutsche Internationale Steuerrecht, S. 147; Prokisch, in: Vogel/Lehner, DBA, Art. 1 Rn. 105; Wolff, in: Debatin/Wassermeyer, DBA, Art. 28 DBAUSA Rn. 8. Vgl. auch Henkel, in: Mössner, Steuerrecht international tätiger Unternehmen, Rn. E 407 ff. A.A. Fischer, in: H/H/Sp, § 42 AO Rn. 571: Jeder Rechtskreis müsse die Umgehung seiner Normen selbst organisieren. 284 Vgl. Schaumburg, Internationales Steuerrecht, Rn. 16.146, sowie im 1. Teil, B.III.1, S. 202. 285 1. Teil, D.II.2.c.bb(2), S. 240 ff. m.w.N. 286 Grundlegend Piltz, BB 1987, Beilage zu Heft 14, S. 9 f.; Vogel, in: Haarmann, Auslegung und Anwendung von DBA, S. 4 f.; die h.M. spricht insoweit auch von einer Ausrichtung des § 42 AO am Vertragszweck, Schaumburg, Internationales Steuerrecht, Rn. 16.148 f.

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Limitation on Benefits Klauseln am Beispiel des Art. 28 DBA-USA

Anlehnung an die Sichtweise zum nationalen Recht ist dies allenfalls bei missbräuchlicher Erfüllung eines objektiven Tests des Art. 28 DBA-USA denkbar. Aufgrund der eher restriktiven Ausgestaltung des Art. 28 DBA-USA erscheint für einen Versagung gemäß § 42 AO praktisch ohnehin kein Bedürfnis zu bestehen, zudem ist die Finanzverwaltung auch hier im Rahmen des Konsultationsverfahrens bereits beteiligt. Etwas anderes könnte nur dann gelten, wenn sich ein spezieller Maßstab gegenüber DBA-Vorschriften aus anderen speziellen Missbrauchsnormen des nationalen Rechts wie § 50d Abs. 3 EStG ableiten lässt und dieser Maßstab auch unter Berücksichtigung des Art. 28 DBA-USA – nach Art eines Treaty Override – eine Konkretisierungswirkung ermöglicht. Mit anderen Worten geht es dann aber doch lediglich um eine Kollision der rahmenausfüllenden Maßstäbe untereinander, welche an späterer Stelle aufzulösen ist.287 c.

Art. 28 DBA-USA im Lichte des Verfassungsrechts

Eine Kollision mit nationalem Recht erscheint indes noch auf einer anderen Ebene, und zwar im Verhältnis zum Verfassungsrecht denkbar. Dieses enthält zwar keine unmittelbaren Maßstäbe, könnte aber als verfassungsrechtlicher Rahmen288 des nationalen Missbrauchsbegriffs mittelbar relevant werden. Ausgangspunkt dieser Überlegung ist, dass es sich bei der Limitation on Benefits Klausel letztlich um eine typisierende Missbrauchsvorschrift handelt; als solche ist ihr immanent, dass im Einzelfall auch Fälle erfasst werden, in denen nach den sonst gültigen Maßstäben kein Missbrauch geben ist; es stellt sich daher in besonderem Maße das Problem der Rechtfertigung im Lichte des Gleichheitssatzes des Art. 3 Abs. 1 GG in seiner bereichsspezifischen Ausprägung der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit.289 Demzufolge könnte auch Art. 28 DBA-USA an den sich aus dieser Einordnung ergebenden Folgen zu messen sein. Namentlich würde dies eine Orientierung am realitätsgerechten Durchschnittsfall erfordern,290 und dürfte sich die Typisierung in Anbetracht der damit verbundenen Verwaltungsvereinfachung nicht als unverhältnismäßig herausstellen.291 Abgeleitet aus dem Rechtsstaatsprinzip wäre auch das Gebot der Normenklarheit und Vorhersehbarkeit zu beachten.292

287 288 289 290 291

Hierzu B.II.2, S. 435. Vgl. hierzu insbesondere B.I.1.b, S. 47 f. Siehe schon im 1. Teil, B.I.1.b, S. 47 und B.I.3.d, S. 127. Hey, StuW 2008, 167 (176); Lang, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 4 Rn. 132. BVerfG, Beschluss vom 25.09.1992 – 2 BvL 5/91 u.a. (Existenzminimum) – BVerfGE 87, 153 (172); Hey, in: DStJG Bd. 33, S. 168; Lang, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 4 Rn. 132. 292 Hey, in: DStJG Bd. 33, S. 171.

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Kollisionsfragen

Vordergründig stellt sich jedoch die Frage, inwieweit sich Art. 28 DBA-USA als Bestandteil eines DBA und damit eines völkerrechtlichen Vertrages tatsächlich an den genannten verfassungsrechtlichen Rechtsmaßstäben messen lassen muss. Nach früher vertretener Ansicht seien völkerrechtliche Verträge generell einer verfassungsgerichtlichen Kontrolle nicht zugänglich, da es sich um sog. justizfreie Hoheitsakte handele; hierzu wurde insbesondere auch auf die entsprechende Rechtslage und Praxis in Frankreich, Großbritannien und den USA verwiesen.293 Das BVerfG hat diese Ansicht in seiner Entscheidung zum sog. Saarstatut unter Berufung auf die Gewährleistung effektiven Rechtschutzes in Art. 19 Abs. 4 GG abgelehnt294 und wird darin zu Recht von der heute ganz herrschenden Lehre bestätigt, die darüber hinaus die vollständige Grundrechtsgebundenheit aller Staatsgewalt gemäß Art. 1 Abs. 3 GG und die Voraussetzungslosigkeit, mit der dem Bundesverfassungsgericht in Art. 93 Abs. 1 GG die Aufgabe des verfassungsrechtlichen Rechtsschutzes zugewiesen ist, ins Feld führt.295 Prüfungsgegenstand ist insoweit nicht das Abkommen, sondern das als Umsetzungsakt erforderliche Zustimmungsgesetz i.S.v. Art. 59 Abs. 2 S. 1 GG.296 Umstritten ist allerdings, ob die Kontrolle von Vertragsgesetzen als Maßnahme der auswärtigen Gewalt verfassungsimmanenten Schranken unterliegt. Eine solche Berücksichtigung der Besonderheiten der hoheitlichen Betätigung nach außen wird von der verfassungsgerichtliche Rechtsprechung unter Zustim293 Siehe vornehmlich die Stellungnahme der Bundesregierung im Verfahren zum sog. Saarstatut, in BVerfGE 4, 157 (161). Vgl. auch Schneider, Gerichtsfreie Hoheitsakte, S. 33 f.; Tomuschat, in: Isensee/Kirchhof, HStR Bd. VII, 2. Auflage, § 172 Rn. 53 f. Darstellung m.w.N. auch bei Grewe, in: Isensee/Kirchhof, HStR Bd. III, 2. Auflage, § 77 Rn. 89 ff.; Kempen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. II, Art. 59 Abs. 2 Rn. 98. Zur Rechtsvergleichung siehe Nettesheim, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 59 Rn. 233, S. 129 Fn. 1 m.w.N. 294 BVerfG, Urteil vom 04.05.1955 – 161 BvF 1/55 – BVerfGE 4, 157 (161). 295 Callies, in: Isensee/Kirchhof, HStR Bd. IV, § 83 Rn. 33; Grewe, in: Isensee/Kirchhof, HStR Bd. III, 2. Auflage, § 77 Rn. 92; Kempen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. II, Art. 59 Abs. 2 Rn. 98; Nettesheim, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 59 Rn. 233; Pernice, in: Dreier, GG, Bd. II, Art. 59 Rn. 52 f. 296 BVerfG, Beschluss vom 21.03.1961 – 1 BvL 3/58 u.a. – BVerfGE 12, 281 (288); Beschluss vom 14.05.1986 – 2 BvL 2/83 – BVerfGE 72, 200 (238 f.); Callies, in: Isensee/Kirchhof, HStR Bd. IV, § 83 Rn. 33; Grewe, in: Isensee/Kirchhof, HStR Bd. III, 2. Auflage, § 77 Rn. 89; Kempen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. II, Art. 59 Abs. 2 Rn. 98; Nettesheim, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 59 Rn. 233 f.; Pernice, in: Dreier, GG, Bd. II, Art. 59 Rn. 52. Verfahren, die Doppelbesteuerungsabkommen zum Gegenstand haben, sind dennoch eine Seltenheit, soweit ersichtlich hat sich das BVerfGE erst zweimal hiermit beschäftigt: BVerfG, Beschluss vom 10.03.1971 – 2 BvL 3/68 – BVerfGE 30, 272 (280); BVerfG, Beschluss vom 14.05.1986 – 2 BvL 2/83 – BVerfGE 72, 200 (238 f.).

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Limitation on Benefits Klauseln am Beispiel des Art. 28 DBA-USA

mung der wohl überwiegenden Ansicht im Schrifttum bejaht: Das BVerfG betont in diesem Zusammenhang, dass es darauf verzichte, „Politik zu treiben,“ d.h. in den von der Verfassung für die anderen Verfassungsorgane garantierten Raum freier politischer Gestaltung einzugreifen.297 Da das Gericht sich jedoch nicht selbst aus seinem verfassungsrechtlichen Prüfungsauftrag entlassen könne,298 sei der Sache nach nicht von einer funktionell-formalen Kontrollgrenze, sondern vielmehr von einer Reduzierung der materiellen Kontrolldichte auszugehen, in jeweiliger Abhängigkeit von den relevanten verfassungsrechtlichen Normen und deren Regelungsintensität,299 sowie der Eigenart der in Rede stehenden Sachbereiche.300 Diese Selbstbeschränkung dokumentiere sich, indem den zuständigen Organen weite Einschätzungs-, Prognose- oder Ermessensspielräume zugestanden werden.301 Einschätzungen und Wertungen außenpolitischer Art blieben demzufolge in erster Linie lediglich der Grenze offensichtlicher Willkür unterworfen.302 Die Gegenansicht hält dem zwar entgegen, dass insbesondere im Hinblick auf die Grundrechtsgebundenheit des Art. 1 Abs. 3 GG keine Differenzierung zwischen innerstaatlicher und auswärtiger öffentlicher Gewalt zugelassen sei.303 Indes ist auch in anderen Bereichen die Existenz solcher Entscheidungsspielräume mit der Folge einer reduzierter Kontrolldichte anerkannt,304 insbesondere in der Begrenzung auf die Verletzung spezifischen Verfassungsrechts im

297 BVerfG, Urteil vom 31.07.1973 – 2 BvF 1/73 (Grundlagenvertrag) – BVerfGE 36, 1 (14 f.). 298 BVerfG, Beschluss vom 08.12.1952 – 1 PBvV 1/52 – BVerfGE 2, 79 (96); Callies, in: Isensee/Kirchhof, HStR Bd. IV, § 83 Rn. 33; Nettesheim, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 59 Rn. 234; Pernice, in: Dreier, GG, Bd. II, Art. 59 Rn. 54. 299 Badura, Staatsrecht, Rn. D 137; Callies, in: Isensee/Kirchhof, HStR Bd. IV, § 83 Rn. 33; Hesse, in: FS Huber, S. 270; Kempen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. II, Art. 59 Abs. 2 Rn. 99 f. 300 BVerfG, Urteil vom 04.05.1955 – 161 BvF 1/55 (Saarstatut) – BVerfGE 4, 157 (162); BVerfG, Urteil vom 22.11.2001 – 2 BvE 6/99 (NATO-Strategiekonzept) – BVerfGE 104, 151 (210); Callies, in: Isensee/Kirchhof, HStR Bd. IV, § 83 Rn. 33. 301 BVerfG, Beschluss vom 16.12.1980 – 2 BvR 419/80 (Rudolf Hess) – BVerfGE 55, 349 (365); BVerfG, Beschluss vom 18.04.1996 – 1 BvR 1452/90 u.a. (Restitutionsausschluss) – BVerfGE 94, 12 (35); Callies, in: Isensee/Kirchhof, HStR Bd. IV, § 83 Rn. 33; Kempen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. II, Art. 59 Abs. 2 Rn. 99. 302 BVerfG, Beschluss vom 16.12.1980 – 2 BvR 419/80 (Rudolf Hess) – BVerfGE 55, 349 (365); BVerfG, Urteil vom 18.12.1984 – 2 BvE 13/83 (NATO-Doppelbeschluss) – BVerfGE 68, 1 (97); Callies, in: Isensee/Kirchhof, HStR Bd. IV, § 83 Rn. 33. 303 Giegerich, ZaöRV 57 (1997), 409 (446); Pernice, in: Dreier, GG, Bd. II, Art. 59 Rn. 54; Tomuschat, in: Isensee/Kirchhof, HStR Bd. VII, 2. Auflage, § 172 Rn. 53 f. 304 Kempen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. II, Art. 59 Abs. 2 Rn. 100.

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Kollisionsfragen

Rahmen der Überprüfung instanzgerichtlicher Entscheidungen305 sowie in der in vielerlei Hinsicht beschränkten verfassungsgerichtliche Kontrolle im Bereich des Unionsrechts.306 Zudem geht der Verweis auf Art. 1 Abs. 3 jedenfalls in seiner Absolutheit fehl, da relativierte Grundrechtsbindungen im offenen Verfassungsstaat durchaus in Kauf genommen werden, wie schon der Blick auf Art. 23 Abs. 1 und Art. 24 Abs. 1, je i.V.m. mit Art. 79 Abs. 3 GG, zeigt.307 Nach richtiger Ansicht stellen sich die rechtliche Vorgaben und Determinanten auch in Bezug auf die Grundrechtsbindung der auswärtigen Gewalt somit insgesamt anders dar als in rein innerstaatlichen Angelegenheiten.308 Für die Anwendung immanenter Schranken im Rahmen der verfassungsgerichtlichen Kontrolle spricht nicht zuletzt die Tatsache, dass der Inhalt der völkerrechtlichen Verträge nicht einseitig bestimmt werden kann, sondern der Staat auf den Konsens mit dem Vertragspartner angewiesen ist.309 Diese Gegenseitigkeit im völkerrechtlichen Verkehr und der aus Art. 25 GG abgeleitete Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit erfordern eine besondere Handlungsfähigkeit mit entsprechenden Entscheidungsspielräumen.310 Von einer solchen stark reduzierten materiellen Kontrolldichte ist auch in Bezug auf DBA auszugehen, da der damit verbundene wechselseitige Verzicht auf Besteuerungsrechte in besonderem Maße einen gerichtsfreien, politischen Handlungsspielraum bei der Verhandlung des Umfangs und der Voraussetzungen der Inanspruchnahme dieser Vergünstigungen erfordert. Dies entzieht aber nicht sämtliche Regelungen in einem DBA jeglicher Kontrolle am Maßstab der Verfassungsmäßigkeit. So hat das BVerfG in den beiden Verfahren, in denen solche Abkommen Prüfungsgegenstand waren, jeweils die Verfassungswidrigkeit aufgrund eines Verstoßes gegen das aus dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 S. 1 GG abgeleitete Rückwirkungsverbot bejaht. Allerdings handelte es sich jeweils um Vertragsänderungen, die rückwir305 Siehe etwa BVerfG, Urteil vom 22.06.1982 – 1 BvR 1376/79 – BVerfGE 61, 1 (6); weitere Nachweise siehe Kempen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. II, Art. 59 Abs. 2 Rn. 100 Fn. 230. 306 Vgl. nur BVerfG, Beschluss vom 22.10.1986 – 2 BvR 197/83 (Solange II) – BVerfGE 73, 339; BVerfG, Urteil vom 12.10.1993 (Maastricht) – 2 BvR 2134/92 u.a. – BVerfGE 89, 155; 307 Callies, in: Isensee/Kirchhof, HStR Bd. IV, § 83 Rn. 34. 308 Nettesheim, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 59 Rn. 235; zur abgestuften und kontextspezifischen Grundrechtsgeltung in Abhängigkeit von den verschiedenen Formen der Ausübung auswärtiger Gewalt, siehe dort Rn. 221 ff. 309 BVerfG, Beschluss vom 18.04.1996 – 1 BvR 1452/90 u.a. (Restitutionsausschluss) – BVerfGE 94, 12 (35). 310 Callies, in: Isensee/Kirchhof, HStR Bd. IV, § 83 Rn. 34 m.w.N.; Kempen, in: v. Mangoldt/Klein/Starck, GG, Bd. II, Art. 59 Abs. 2 Rn. 100; Nettesheim, in: Maunz/Dürig, GG, Art. 59 Rn. 238.

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Limitation on Benefits Klauseln am Beispiel des Art. 28 DBA-USA

kend die bis dahin geltende einkommensteuerrechtliche Lage zum Nachteil der Steuerpflichten veränderten: Im ersten Fall ermöglichte die Vertragsrevision die rückwirkende Anwendung des – im nationalen Steuerrecht damals noch nicht vorgesehenen – Progressionsvorbehalts auf freigestellte Einkünfte;311 im zweiten Fall wurde durch die Änderung rückwirkend der bisher vereinbarte Verzicht der Besteuerung im Inland beseitigt, indem bestimmte Einkünfte der (fiktiven) unbeschränkten Einkommensbesteuerung unterworfen wurden, anstatt diese wie nach bisheriger Rechtslage nur als beschränkt steuerpflichtige oder gar als nicht steuerbare Einkünfte zu behandeln. Dies zeigt, dass es zur Beurteilung der Verfassungsmäßigkeit einer Abkommensregel ganz wesentlich auf deren – durch das Zustimmungsgesetz als verbindlich angeordnete – Einwirkung auf die innerstaatliche Rechtslage ankommt. In diesem Sinne ist die Limitation on Benefits Klausel als grundlegende Bestimmung der wechselseitigen Abkommensberechtigung anzusehen, d.h. mit der Zustimmung hierzu steht und fällt auch die Frage, ob sich der jeweilige Steuerpflichtige auf DBA-Vergünstigungen berufen kann. Dies gilt erst recht in Bezug auf Art. 28 DBA-USA, da sowohl die grundsätzliche Existenz als auch die konkrete Ausgestaltung der Norm aufgrund der restriktiven Politik der USA praktisch nicht verhandelbar sind (bzw. waren).312 Als Vergleichsmaßstab aus Sicht derjenigen Gesellschaften, die zwar im Inland beschränkt oder unbeschränkt steuerpflichtig sind, jedoch nach Art. 28 DBA von der Abkommensanwendung ausgeschlossen sind, kann daher allenfalls eine rein unilaterale Besteuerung ohne Doppelbesteuerungsabkommen angesehen werden. Wie schon im Lichte des Unionsrechts streitet damit die Reziprozität des Art. 28 DBA-USA gegen eine umfassende Inhaltskontrolle, eine eventuelle Ungleichbehandlung gegenüber abkommensberechtigten Gesellschaften wäre mangels Vergleichbarkeit wohl nicht tatbestandlich im Sinne des allgemeinen Gleichheitssatzes, Art. 3 Abs. 1 GG. Von Willkür kann in diesem Zusammenhang ersichtlich nicht gesprochen werden. Dies gilt selbst dann, wenn man von einem verfassungsrechtlichen Anspruch auf Vermeidung der Doppelbesteuerung ausgeht. Gegen einen solchen Anspruch spricht, dass das Völkerrecht der Steuerhoheit des Staates einen weiten Spielraum gibt und demzufolge keineswegs ausgeschlossen ist, dass derselbe steuerlich erfasste Tatbestand von zwei Staaten durch eine gleichartige Steuer belegt wird und damit eine vielfach als unerwünschte Doppelbesteuerung ein311 BVerfG, Beschluss vom 10.03.1971 – 2 BvL 3/68 – BVerfGE 30, 272 (280 ff.); Gegenstand war Art. 1 S. 1 des Vertragsgesetzes vom 05.03.1959, BGBl II 1959, S. 182 i.V.m. Abschnitt II Nr. 14 des Zusatzprotokolls vom 09.09.1957 zum Abkommen vom 15.07.1931 zwischen dem Deutschen Reich und der Schweiz. 312 Siehe bereits oben A, S. 287.

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Kollisionsfragen

tritt.313 Abweichend von dieser völkerrechtlichen Sichtweise könnte für einen solchen Anspruch jedoch der Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ins Feld geführt werden: Indem der Gesetzgeber das Welteinkommensprinzip zugrunde legt, zugleich jedoch davon ausgehen muss, dass seine Steuerbürger in einem anderen Staat zusätzlich nach dem Territorialitätsprinzip besteuert werden, begründet er eine mögliche Besteuerung über die tatsächliche wirtschaftliche Leistungsfähigkeit hinaus und ist deshalb verfassungsrechtlich zur Vermeidung dieser Doppelbesteuerung verpflichtet.314 Indes würde diese Argumentation im Inboundfall (Sitz der operativen Gesellschaft in Deutschland, Sitz der Zwischengesellschaft in den USA) nicht greifen, da Deutschland insoweit ausschließlich eine Quellenbesteuerung der beschränkt steuerpflichtigen Gesellschaft durchführt, § 2 Nr. 1 KStG. Durch das Inkrafttreten des Abkommens unter Einschluss einer Limitation on Benefits Klausel bliebe diese im schlimmsten Falle unverändert bestehen; die Verfassungsmäßigkeit der Quellenbesteuerung an sich dürfte schon wegen Art. 3 Abs. 1 GG kaum umstritten sein und wäre überdies eine gesonderte Streitfrage. Jedenfalls ergibt sich so kein Anspruch des beschränkt Steuerpflichtigen auf Abschluss eines bestimmten Doppelbesteuerungsabkommens – unabhängig davon, dass ein Unterlassen aufgrund der erforderlichen, aber praktisch unerreichbaren Zustimmung durch den Vertragspartner USA kaum vorwerfbar wäre. Im umgekehrten Fall (Deutschland als Sitz der Zwischengesellschaft) scheint die genannte Argumentation zunächst zu greifen, da die Zwischengesellschaft aufgrund ihres Sitzes oder ihrer Geschäftsleitung im Inland als unbeschränkt steuerpflichtig dem Welteinkommensprinzip unterliegt, § 1 Abs. 1, 2 KStG. Den Staat trifft daher möglicherweise eine solche verfassungsrechtliche Pflicht zur Vermeidung bzw. Abmilderung der Doppelbesteuerung, um die echte wirtschaftliche Leistungsfähigkeit im Sinne des Art. 3 Abs. 1 GG zu erfassen. Auch dies führt aber keineswegs zum Anspruch auf Abschluss eines bestimmten Doppelbesteuerungsabkommens, da insoweit die unilateralen Vorschriften zur Vermeidung der Doppelbesteuerung gemäß § 34c EStG (Anrechungs- bzw. Abzugsverfahren) als vorrangig anzusehen sind. Selbst man aufgrund einer Schutzpflicht gegenüber den unbeschränkt Steuerpflichtigen die Ausgestaltung des Art. 28 DBA-USA einer verfassungsrechtlichen Prüfung unterwerfen würde, so könnte man dem Staat mangels einseitiger Einwirkungsmöglichkeit nur den Abschluss des DBA an sich vorwerfen. Damit wäre man faktisch vor die 313 Badura, Staatsrecht, Rn. I 17. Insoweit existiert keine allgemeine völkerrechtliche Verpflichtung zur Beseitigung der Doppelbesteuerung, Lang, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 2 Rn. 41. 314 Bächle/Rupp/Ott/Knies, Internationales Steuerrecht, S. 17. Tendenziell so auch Lang, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 2 Rn. 36.

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Limitation on Benefits Klauseln am Beispiel des Art. 28 DBA-USA

Alternative gestellt, aufgrund einiger weniger dem Großteil der Steuerpflichtigen den möglichen DBA-Schutz versagen zu müssen, dies kann nicht gewollt sein. Limitation on Benefits sind somit dem typischen, konsensbedürftigen Regelungsgegenstand zuzuordnen; als Bestimmung der Abkommensberechtigung begründen sie keine eigene Steuerbarkeit, sondern knüpfen an bestehende Regelungen zur Quellenbesteuerung bzw. des Welteinkommensprinzip an. Schon aufgrund ihrer praktischen Nichtverhandelbarkeit im Falle des Art. 28 DBAUSA kann auch von einer willkürlichen Maßnahme nicht die Rede sein, so dass diese keiner materiellen Inhaltskontrolle am Maßstab des Verfassungsrechts unterliegen; der Handlungsspielraum der zuständigen Organe muss insoweit gewahrt bleiben. Zu guter Letzt sei noch darauf verwiesen, dass selbst unter der Prämisse einer umfassenden Überprüfbarkeit Art. 28 DBA-USA keineswegs als verfassungswidrig angesehen werden müsste. Insbesondere in Bezug auf die Verhältnismäßigkeit der Typisierung könnte es vornehmlich auf die Frage der Widerlegbarkeit im Einzelfall ankommen.315 Eine solche ist aber in Form der Ermessensklausel des Abs. 7 gewährleistet. Zwar könnten just in den Fällen, in denen Deutschland als Sitz der Zwischengesellschaft möglicherweise eine weitergehende Verpflichtung gegenüber den eigenen Steuerpflichtigen trifft, die Erfolgsaussichten einer solchen Einzelfallentscheidung dadurch gemindert sein, dass letztlich gemäß Art. 3 Abs. 2 DBA-USA die USA als Quellenstaat hierüber entscheiden; dies liegt jedoch in der Natur der Sache. Nach hier vertretener Ansicht gewährt Abs. 7 ohnehin kein freies Ermessen, sondern ist an objektiven Anhaltspunkten auszurichten,316 so dass die Widerlegbarkeit gewährleistet sein dürfte.317 Auch vor dem Hintergrund des Gebots der Normenklarheit und der Vorhersehbarkeit wäre ein Verstoß abzulehnen. Zwar geht die Literatur einhellig davon aus, dass Art. 28 DBA-USA sprachlich kompliziert und systematisch unübersichtlich sei und die Auslegung und Anwendung in der Praxis eine schwere Bürde darstelle.318 Das BVerfG zeigt sich in diesem Bereich jedoch nach wie vor reserviert und hat jüngst im Falle der sog. Mindestbesteuerung (§ 2 Abs. 3 EStG a.F.) eine entsprechende Vorlage des BFH,319 als unzulässig zu315 Siehe bereits oben im 1. Teil, B.I.3.d.bb, S. 129. 316 Hierzu siehe oben A.I.2.c, S. 314. 317 Im Streitfall müsste Deutschland seine Ansicht im Wege des Konsultationsverfahrens des Art. 28 Abs. 7 S. 3 DBA-USA geltend machen. 318 Endres/Wolff, IStR 2006, 721 (729); Goebel/Glaser/Wangler, DStZ 2009, 197 (207); Schnitger, IWB Fach 8 Gruppe 2, 1439 (1457); Wassermeyer/Schönfeld, DB 2006, 1970 (1971). 319 BFH, Beschluss vom 06.09.2006 – XI R 26/04 – DStR 2006, 2019.

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Bewertung

rückgewiesen, da es Aufgabe der Rechtsanwendungsorgane sei, Zweifelsfragen zu klären und Auslegungsprobleme mit den herkömmlichen Mitteln juristischer Methode zu bewältigen, und für eine konkrete Normenkontrolle dargelegt werden müsse, dass eine Entscheidung für eine Auslegungsmöglichkeit diesen Rahmen sprengen würde.320 Die besseren Argumente sprechen mithin dafür, dass Art. 28 DBA-USA keine (mittelbare) Kollision mit nationalem Recht hinsichtlich des verfassungsrechtlichen Rahmens des nationalen Missbrauchsbegriffs begründet.

III. Bewertung Die Limitation on Benefits Klausel des Art. 28 DBA-USA ist aufgrund ihrer Gesamtsystematik eine spezielle Missbrauchsvorschrift, die einen positiven Missbrauchsnachweis nicht erfordert, sondern sich in Form verschiedener, ausschließlich objektiver Tests auf die Typisierung des Nichtvorliegens eines Missbrauchs beschränkt. Die inhaltlichen Maßgaben sind hierbei im Grundgedanken richtig angesetzt, da sie die Gesellschafterstruktur und die Geschäftsbeziehungen zwischen Gesellschaft und Gesellschaftern sowie Art und Umfang ihrer wirtschaftlichen Aktivität betreffen. Insoweit orientiert sich die Missbrauchsnorm an Anforderungen, die nach hier vertretener Ansicht auch für den Missbrauchsmaßstab bei grenzüberschreitenden Gestaltungen im nationalen Recht prägend sind.321 Die relevanten Tests sind indes aufgrund des Einflusses des angloamerikanischen Rechtssystems nach hiesigem Empfinden zum Teil überdetailliert, aus der Zurückhaltung gegenüber richterlicher Auslegung folgt insoweit das Bestreben, die Kriterien rechtssicher („judge-proof“) festzuhalten. Auch das Bemühen der Vertragspartner, eine Anwendung auf NichtMissbrauchsfälle über die unvermeidbare Verallgemeinerung hinaus zu verhindern, hat zu einem äußerst komplizierten Abkommenstext geführt.322 Zu Recht sieht die herrschende Ansicht im Schrifttum den Art. 28 DBA-USA als sprachlich kompliziert und systematisch unübersichtlich323 an, welcher den Rechtsanwender vor Herausforderungen bei der Abkommensanwendung und auslegung stellt324 und damit im Ergebnis eine rechtssichere Handhabung in einer zentralen Frage – der Abkommensberechtigung – gerade erschwert.325

320 321 322 323 324 325

BVerfG, Beschluss vom 12.10.2010 – 2 BvL 59/06 – DStR 2010, 2290 (2293), Rn. 59 ff. Siehe insbesondere 1. Teil, B.I.2.d.cc(2), S. 112. Prokisch, in: Vogel/Lehner, DBA, Art. 1 Rn. 130. Wassermeyer/Schönfeld, DB 2006, 1970 (1971). Schnitger, IWB Fach 8 Gruppe 2, 1439 (1457). Lüdicke, DBA-Politik, S. 47.

351

Limitation on Benefits Klauseln am Beispiel des Art. 28 DBA-USA

Zum Teil wird daher auch der Ruf nach einem Anwendungsschreiben bzgl. Auslegungsfragen laut.326 Die Vorschrift ist aber nicht nur mit praktischen Anwendungsschwierigkeiten verbunden, auch die Ausgestaltung einzelner Kriterien erscheint in der Sache mitunter als zu eng gefasst. So kann beispielsweise die starre Regelung des Gesellschafterkreises im Wege des Ownership Tests Probleme bereiten und nicht nur passgenau Missbrauchsfälle zu erfassen. Wenig überzeugend ist zudem die Einbeziehung von Leistungen, die dem Fremdvergleichsmaßstab entsprechen, in die Berechnung des Base Erosion Tests.327 Weiterhin kann die steuerjahrbezogene Betrachtungsweise zu kurzfristigen Zufallsergebnissen führen.328 Des Weiteren ist die Fassung des Derivative Benefits Tests – entgegen seines multilateralen Grundgedankens – durch die kumulativen Einschränkungen, insbesondere der höheren Beteiligungsquote und dem Erfordernis einer vergleichbaren Vergünstigung praktisch kaum erfüllbar.329 Zuletzt schießt auch die Rechtsfolge des Art. 28 DBA-USA teilweise über das Ziel hinaus, indem regelmäßig die Abkommensvorteile ganz versagt werden und eine hypothetische Berechtigung ohne Einschaltung der Zwischengesellschaft – welche gegen Treaty Shopping spricht – nicht immer berücksichtigt werden kann. Unter Zugrundelegung der Gesamtsystematik kann die Ausgestaltung der verschiedenen Tests somit eine signifikante Hürde für die verbliebenen Zwischengesellschaften darstellen, die diese Anforderungen nicht erfüllen und damit faktisch unter Missbrauchsverdacht gestellt werden. Die Kasuistik gewährleistet insoweit nicht immer eine ausgewogene Lösung.330 Positiv kann sich aus Sicht des Steuerpflichtigen die Fassung als safe haven auswirken, wenn in der Sache damit Planungssicherheit gewährleistet wird. Auch die Ermessenklausel des Abs. 7 hätte insgesamt klarer abgefasst werden können; nach hier vertretener Ansicht ist diese im Ergebnis aber unter Heranziehung der genannten objektiven Kriterien weitgehend handhabbar und kann daher in einigen Zweifelsfragen zu einer sachgerechten Anwendung der Abkommensschranke beitragen.331 Ein freies Ermessen ist abzulehnen, da eine ungerechtfertigte Doppelbesteuerung infolge der Nichtgewährung der Vergünstigung selbst bei nicht missbräuchlichen Gestaltungen nicht im Interesse der Vertragspartner liegt. Objektive Kriterien ergeben sich insoweit aus den Leitgedanken der einzelnen Tests, die Maßgaben umfassen daher: Die Rechtsform, 326 327 328 329 330 331

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Goebel/Glaser/Wangler, DStZ 2009, 197 (207). Siehe A.I.2.b.bb(2), S. 300. Lüdicke, DBA-Politik, S. 47. Hierzu vgl. A.I.2.b.cc(2), S. 304. Jacobs, Internationales Unternehmensbesteuerung, S. 1077. Hierzu ausführlich A.I.2.c, S. 314 ff.

Bewertung

die Ansässigkeit sowie die Anzahl und Beständigkeit der Anteilseigner; deren hypothetische Berechtigung zu eigenen Vergünstigungen gegenüber dem Quellenstaat; die Ausübung einer wirtschaftlichen Tätigkeit; subjektive Gründe und äußere Umstände der Errichtung der Zwischengesellschaft; Verpflichtungen gegenüber internationalen Organisationen. Die Gründe und das Ausmaß der Nichterfüllung der Tests können ebenfalls miteinbezogen werden, insoweit besteht keine Sperrwirkung.332 Die genannten Kritikpunkte stehen den im 1. Teil entwickelten Maßgaben ohnehin nicht entgegen. Aufgrund der Reziprozität der Doppelbesteuerungsabkommen im Allgemeinen und des Art. 28 DBA-USA im Speziellen, sowie der faktischen Nichtverhandelbarkeit ist die Existenz und Ausgestaltung der Limitation on Benefits Klausel sowohl unionsrechtlich zulässig als auch im Ergebnis verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Allerdings ist dadurch die Eignung des Art. 28 DBA-USA als Muster des Vorgehens gegen Treaty Shopping in Frage gestellt. Die übermäßige Detailliertheit verhindert insoweit die notwendige Flexibilität zur Anpassung an denkbare Fallgestaltungen. Hinzu kommt eine mögliche Divergenz zwischen den verschiedenen Abkommensfassungen, insbesondere aber auch im Hinblick auf das OECD-MA, das ansonsten die Ausgestaltung der Doppelbesteuerungsabkommen prägt.333 Da es sich bei Treaty Shopping jedoch um ein internationales Problem handelt, ja sogar in erster Linie die vorhandenen Abkommen den Anreiz zu dieser Gestaltung erst bilden, erscheint es in systematischer Hinsicht vorzugswürdig, Maßnahmen hiergegen auch im Recht der Doppelbesteuerungsabkommen zu verankern; damit wäre letztlich auch allen völkerrechtlichen (und im Hinblick auf andere Vertragsstaaten auch deren innerstaatlichen) Bedenken Rechnung getragen.334 Dem Vorschlag, auf ein entsprechendes OECD-Muster hinzuwirken, mit dem die genannten Kritikpunkte an Art. 28 DBA-USA eliminiert werden können, und das bei Erhaltung der Flexibilität zugleich als Muster dienen kann,335 muss daher zugestimmt werden; die gegebenfalls als erforderlich erachtete nähere Konkretisierung ließe sich im Bedarfsfalle dabei auch in Protokollen und Zusatzvereinbarungen festhalten.

332 Vgl. auch das Kollisionsproblem zwischen § 42 AO und speziellen Missbrauchsnormen, 1. Teil, D.II.3.c.bb.2(b), S. 271: Auch dort können die Gründe der Nichttatbestandsmäßigkeit noch zur Maßstabskonkretisierung verwertet werden. 333 Hierzu vgl. auch Lüdicke, DBA-Politik, S. 46. 334 Lüdicke, DBA-Politik, S. 45. 335 Lüdicke, DBA-Politik, S. 45 f.

353

B.

§ 50d Abs. 3 EStG

Die sog. „Anti-Treaty-Shopping-Regelung“1 des § 50d Abs. 3 EStG ist im Ausgangspunkt auf das Monaco-Urteil2 des BFH zurückzuführen, in dem die Zwischenschaltung einer Schweizer Aktiengesellschaft in einer klassischen Inbound Treaty Shopping Gestaltung als nicht rechtsmissbräuchlich angesehen wurde. Infolge dessen wurde die Nichtanwendbarkeit des § 42 AO in den Fällen der beschränkten Steuerpflicht befürchtet und hierauf mit der Schaffung des § 50d Abs. 1a EStG a.F. durch das StMBG3 zum 01.01.1994 reagiert.4 Zugleich wurde mit der Ausgestaltung der Norm auch der damalige Rechtsstand in Sachen „Basisgesellschaften“, insbesondere die zugehörige Rechtsprechung des BFH kodifiziert.5 An der durch das StÄndG6 ab VZ 2002 in § 50d Abs. 3 EStG enthaltenen Vorschrift hielt man auch fest, als sich die damaligen Bedenken hinsichtlich § 42 AO letztlich als unzutreffend erwiesen.7 Dieser ursprüngliche, gewissermaßen nur formelle Regelungsgehalt sollte erst im Laufe der weiteren Rechtsentwicklung zu einem eigenen materiellen Gehalt anwachsen. Nachdem der BFH im Urteil Hilversum II8 mehrere Zweifelsfragen der Norm zu Gunsten der steuerpflichtigen Gesellschaft entschied, wurde § 50d 1

2 3 4 5 6 7

8

Kraft, IStR 1994, 370 (370 f.); Vogel, Diskussionsbeitrag in: Vogel, Grundfragen, S. 261; Zettler, Treaty Shopping, S. 20. Aus der neueren Literatur siehe Bader, Steuergestaltung mit Holdinggesellschaften, S. 128; Brähler, Internationales Steuerrecht, S. 364; Grotherr, IStR 2006, 361 (361) und RIW 2006, 898 (906 ff.); Hergeth/Ettinger, IStR 2006, 307 (307); Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, S. 1058 f.; Kessler/Eicke, IStR 2006, 577 (577) und DStR 2007, 781 (781); Kollruss, IStR 2007, 870 (870). BFH, Urteil vom 29.10.1981 – I R 89/80 – BStBl II 1982, 150. Mißbrauchsbekämpfungs- und Steuerbereinigungsgesetz (StMBG) vom 21.12.1993, BGBl I 1993, S. 2310. BT-Ds. 12/5630, S. 65; Klein/Hagena, in: H/H/R, § 50d EStG Rn. 51; Piltz, IStR 2007, 793 (794); Strobl-Haarmann, in: FS Raupach, S. 616. Hahn-Joecks, in: K/S/M, EStG, § 50d Rn. E 24; Hofmann, § 50d Abs. 3 EStG, S. 44; Renger, Treaty Shopping, S. 20 f. („legislative Zementierung“). Dies war und ist für die Auslegung der Norm von Bedeutung. StÄndG 2001 vom 20.12.2001, BGBl I 2001, S. 3794. Eigentliche Aussage des Monaco-Urteils war die Zurückhaltung bei der Übertragung der sog. Basisgesellschaftenrechtsprechung auf Inboundfälle, diese wurde spätestens mit der Entscheidung Sportler-Vermarktung aufgegeben, siehe BFH, Urteil vom 29.10.1997 – I R 35/96 – BStBl II 1998, 235 (237); ausführlich hierzu unter B.I.2.d.aa, S. 93. Zur Rechtsentwicklung beim Treaty Shopping vgl. insgesamt auch Strobl-Haarmann, in: FS Raupach, S. 613 ff. sowie Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG, vor Rn. 1. BFH, Urteil vom 31.05.2005 – I R 74/04 u.a. – BStBl II 2006, 118. Zur Darstellung der Entscheidung siehe unten B.I.2.b.aa, S. 373.

355

§ 50d Abs. 3 EStG

Abs. 3 EStG durch das JStG 20079 insoweit verschärft, als neue Tatbestandsmerkmale eingeführt, das Verhältnis der bisherigen Merkmale verändert und weitere Auslegungsfragen im Gesetzestext im Sinne der Finanzverwaltung festgeschrieben wurden.10 Die zum 01.01.2007 in Kraft getretene Fassung ist im Folgenden daraufhin zu analysieren, unter welchen Voraussetzungen die Qualifizierung einer Gestaltung als missbräuchlich erfolgt und welche Rechtsfolge sich hieraus ergibt, sowie inwieweit dies Kollisionsfragen im Hinblick auf die im 1. Teil gefundenen Maßstäbe aufwirft und wie diese unter Heranziehung der dargestellten allgemeinen Zuordnungskriterien zu lösen sind. Anhand dieser Ergebnisse lässt sich § 50d Abs. 3 EStG als Maßnahme gegen Treaty Shopping abschließend bewerten.

I.

Normanalyse

§ 50d Abs. 3 EStG i.d.F. des JStG 2007 lautet:11 „(3) Eine ausländische Gesellschaft hat keinen Anspruch auf völlige oder teilweise Entlastung nach Absatz 1 oder Absatz 2, soweit Personen an ihr beteiligt sind, denen die Erstattung oder Freistellung nicht zustände, wenn sie die Einkünfte unmittelbar erzielten, und 1. für die Einschaltung der ausländischen Gesellschaft wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe fehlen oder 2. die ausländische Gesellschaft nicht mehr als 10 Prozent ihrer gesamten Bruttoerträge des betreffenden Wirtschaftsjahres aus eigener Wirtschaftstätigkeit erzielt oder 3. die ausländische Gesellschaft nicht mit einem für ihren Geschäftszweck angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teilnimmt. 9 JStG 2007 vom 13.12.2006, BGBl I 2006, S. 2878. Zu § 50d Abs. 3 EStG i.d.F. des BeitrRLUmsG siehe den Nachtrag unter C, S. 479 ff. 10 Insoweit kann die Änderung durch das JStG 2007 als sog. Nichtanwendungsgesetz bezeichnet werden, vgl. Beußer, IStR 2007, 316 (316); Kessler/Eicke, DStR 2007, 781 (786 f.). Zur Entstehungsgeschichte samt Gesetzesmaterialien siehe auch Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG, vor Rn. 1. § 50d Abs. 3 EStG i.d.F. bis zum 31.12.2006 lautete: “(3) Eine ausländische Gesellschaft hat keinen Anspruch auf völlige oder teilweise Entlastung nach Absatz 1 oder 2, soweit Personen an ihr beteiligt sind, denen die Erstattung oder Freistellung nicht zustände, wenn sie die Einkünfte unmittelbar erzielten, und für die Einschaltung der ausländischen Gesellschaft wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe fehlen und sie keine eigene Wirtschaftstätigkeit entfaltet.” 11 Zu § 50d Abs. 3 EStG i.d.F. des BeitrRLUmsG siehe den Nachtrag unter C, S. 479 ff.

356

Normanalyse

Maßgebend sind ausschließlich die Verhältnisse der ausländischen Gesellschaft; organisatorische, wirtschaftliche oder sonst beachtliche Merkmale der Unternehmen, die der ausländischen Gesellschaft nahe stehen (§ 1 Abs. 2 AStG), bleiben außer Betracht. An einer eigenen Wirtschaftstätigkeit fehlt es, soweit die ausländische Gesellschaft ihre Bruttoerträge aus der Verwaltung von Wirtschaftsgütern erzielt oder ihre wesentlichen Geschäftstätigkeiten auf Dritte überträgt. Die Sätze 1 bis 3 sind nicht anzuwenden, wenn mit der Hauptgattung der Aktien der ausländischen Gesellschaft ein wesentlicher und regelmäßiger Handel an einer anerkannten Börse stattfindet oder für die ausländische Gesellschaft die Vorschriften des Investmentsteuergesetzes gelten.“

1.

Systematik

§ 50d Abs. 3 EStG ist in unmittelbarem Regelungszusammenhang mit den vorstehenden Absätzen zu sehen. Ausgangspunkt ist insoweit § 50d Abs. 1 S. 1 EStG, demzufolge die im nationalen Steuerrecht verschiedentlich vorgesehenen Steuerabzugstatbestände – in Bezug auf Treaty Shopping sind dies die KapESt gemäß §§ 43 ff. EStG12 sowie die für besondere Einkunftsarten vorgesehene Abzugsteuer gemäß § 50a Abs. 1 EStG13 – selbst dann Anwendung finden, wenn der Steuerpflichtige in materieller Hinsicht zu einer vollständigen oder teilweisen Entlastung von diesen Quellensteuern berechtigt ist. Eine solche Vergünstigung kann sich namentlich aufgrund eines DBA oder aufgrund der zur Umsetzung der unionsrechtlichen Vorgaben aus MTRL und ZLRL ergangenen §§ 43b und 50g EStG ergeben. Die hiernach erforderliche Entlastungswirkung wird stattdessen durch ein (nachgelagertes) besonderes Erstattungsverfahren, § 50d Abs. 1 EStG, oder durch eine Freistellung bereits im Abzugsverfahren, § 50d Abs. 2 EStG, erreicht; letztere ist infolge von Zinsund Liquiditätseffekten regelmäßig günstiger.14 Hieraus ergibt sich zugleich die Konsequenz, dass § 50d Abs. 3 EStG solchen Gestaltungen nicht entgegenwirken kann, bei denen von vornherein keine der genannten Quellensteuern erhoben wird. Insoweit ist etwa der Anwendungsbereich bei Zinserträgen beschränkt, da diese nur in bestimmten Fällen der Kapitalertragsteuer und der zugleich erforderlichen beschränkten Steuerpflicht unterfallen, § 43 Abs. 1 Nr. 2, Nr. 7 und § 49 Abs. 1 Nr. 5 lit. c) und lit. d) EStG. Aus diesem Grunde läuft § 50d Abs. 3 EStG seit der Einführung der sog. Zins12 Hierzu grundlegend im 1. Teil, C.III.1, S. 27 ff. 13 Über § 50a Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 S. 1 EStG (i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 2 lit. f), Nr. 3, Nr. 6, Nr. 9 EStG) werden somit auch Lizenzeinkünfte i.H.v. 15% belastet; hierzu siehe auch im 1. Teil, C.III.2, S. 31. Insgesamt zur Anwendung von § 50d Abs. 3 EStG bei Nutzungsvergütungen vgl. Beußer, IStR 2007, 316 (316 ff.). 14 Zur Entlastung gem. § 50d Abs. 1 und Abs. 2 EStG vgl. auch schon in der Einleitung, C.III.3, S. 32.

357

§ 50d Abs. 3 EStG

schranke – §§ 4h EStG, 8a KStG – durch das UntStRefG 2008 im Bereich der Fremdfinanzierung regelmäßig leer:15 Während nach alter Rechtslage übermäßige Fremdkapitalzinsen beim (ausländischen) darlehensgewährenden Gesellschafter als verdeckte Gewinnausschüttungen in Dividendeneinkünfte umqualifiziert wurden, § 8a Abs. 1 S. 1 KStG a.F., verbleiben diese nach der Neufassung stets Kapitaleinkünfte i.S.v. § 20 Abs. 1 Nr. 7 EStG, unabhängig davon, ob auf der Ebene der fremdfinanzierten deutschen Tochterkapitalgesellschaft die Zinsschranke eingreift oder nicht. § 50d Abs. 3 EStG steht auch nicht solchen Repatriierungsstrategien entgegen, die auf dem Gestaltungswege eine Zuordnung der Einkünfte zu einem inländischen Betriebsvermögen und damit eine Veranlagung der ausländischen Muttergesellschaft gemäß §§ 50 Abs. 2 S. 2 Nr. 1, 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG i.V.m. § 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG bezwecken, um sodann aufgrund der erforderlichen Anrechnung und des § 8b Abs. 1 KStG im Ergebnis eine Erstattung der KapESt zu erreichen.16 Als problematisch erweist sich zudem die Anwendung des § 50d Abs. 3 EStG im Zusammenhang mit Veräußerungsgewinnen. Vor dem UntStRefG 2008 war eine Quellensteuer auf Veräußerungsgewinne nicht vorgesehen und dementsprechend der Anwendungsbereich nach ganz herrschender Auffassung nicht eröffnet.17 Infolge des UntStRefG wurden Veräußerungstatbestände den Ein-

15 Heuermann, in: Blümich, ESt – KSt – GewSt, § 4h EStG Rn. 21; Kollruss, IStR 2007, 780 (780). Nachteil dieser Variante ist jedoch die grundsätzlich. vollumfängliche Steuerpflicht der Zinseinkünfte im Ansässigkeitsstaat der Zwischengesellschaft, da dann auch kein Schachtelprivileg für Dividendeneinkünfte (analog § 8b Abs. 1 KStG im deutschen Recht) greift. 16 Kollruss, IStR 2007, 870 (870 f.). Vorgeschlagen werden insoweit die Begründung einer atypisch stillen Beteiligung an der inländischen Gesellschaft oder die Zwischenschaltung einer gewerblich geprägten Personengesellschaft im Inland; in beiden Fällen wäre der ausländische Anteilseigner als gewerblicher Mitunternehmer im Inland unbeschränkt steuerpflichtig. Zu beachten wären jedoch die sich dann aus § 42 AO ergebenden Grenzen des Gestaltungsmissbrauchs, insbesondere hinsichtlich der Substanzanforderungen; ablehnend insoweit Kollruss, IStR 2007, 870 (876), unter Berufung auf die Nutzung „typischer Gestaltungen“. Nach hier vertretener Ansicht ist dies ein Beispiel für die fehlende „Abschirmwirkung“ des § 50 Abs. 3 EStG trotz dessen Nichttatbestandsmäßigkeit, hierzu im 1. Teil, D.II.3.c.bb(2)(b), S. 271, sowie im Folgenden B.II.1.b.bb, S. 431. 17 Siehe BMF, Schreiben vom 03.04.2007 – IV B 1 - S 2411/07/0002 (Anwendungserlass § 50d Abs. 3 EStG) – DStR 2007, 719 (720), Tz. 2, wonach eventuelle Entlastungsansprüche, die sich aus der Zuweisung des Besteuerungsrechtes nach einem DBA für andere Einkünfte ergeben, z.B. Gewinne aus der Veräußerung von Beteiligungen, nicht in den Anwendungsbereich fallen. Eine Anwendung auf andere DBA-Vergünstigungen ohne Quellensteuer scheitert nicht nur aufgrund dieses systematischen Zusammenhangs, sondern auch am Charakter als eng auszulegende Ausnahmevorschrift, vgl. Gosch, in:

358

Normanalyse

nahmen aus Kapitalerträgen zugeordnet und unterfallen gemäß § 43 Abs. S. 1 Nr. 8-12 EStG damit zumindest der Art nach grundsätzlich auch der KapESt. Dennoch ergibt sich oftmals weiterhin eine Lücke in der Quellenbesteuerung, da es im Regelfall an einer auszahlenden Stelle i.S.v. § 44 Abs. 1 S. 3 i.V.m. S. 4 fehlt – und nur diese ist zunächst zum Kapitalertragsteuerabzug verpflicht (sog. Steuerentrichtungspflichtiger).18 Insbesondere im Falle der Thesaurierung der Dividenden und späterer Veräußerung der Beteiligung dürfte der Veräußerungsgewinn von § 50d Abs. 3 EStG unberührt bleiben.19 Zum besseren Verständnis der Struktur der Vorschrift – insbesondere des Zusammenwirkens der einzelnen Tatbestandsmerkmale – bietet es sich an, zwischen persönlichen und sachlichen Voraussetzungen zu unterscheiden:20 In persönlicher Hinsicht betrifft § 50 Abs. 3 S. 1 Hs. 1 EStG ausländische Gesellschaften, soweit Personen an ihnen beteiligt sind, denen die Erstattung oder Freistellung nicht zustände, wenn sie die Einkünfte unmittelbar erzielten; die Voraussetzungen in sachlicher Hinsicht finden sich in den anschließenden Nr. 1-3 des Abs. 3 S. 1, wobei es sich um die Kerntatbestandsmerkmale und zugleich Maßstäbe des Missbrauchsbegriffs i.S.v. § 50d Abs. 3 EStG handelt. Für die Versagung der skizzierten Quellensteuerentlastungen als Rechtsfolge des § 50d Abs. 3 S. 1 EStG ist infolge des JStG 2007 zusätzlich zu den persönlichen Voraussetzung des einleitenden Hs. 1 lediglich die alternative Erfüllung einer der sachlichen Voraussetzungen der Nr. 1-3 erforderlich, was sich aus der Verknüpfung oder zwischen den einzelnen Nummern ergibt.21 Diese Untertei-

18

19

20 21

Kirchhof, EStG, § 50d Rn. 31; Hahn-Joecks, in: K/S/M, EStG, § 50d Rn. G 23; Micker, FR 2009, 409 (414 f.) m.w.N. auch zur Gegenansicht. Insbesondere im Falle der Veräußerung von GmbH-Anteilen ist dies mangels Verkehrsgängigkeit der Fall. Zwar verbleibt der Gläubiger der Kapitalerträge (d.h. der Anteilsveräußerer) der Schuldner der KapESt, § 44 Abs. 1 S. 1 EStG, ein Rückgriff scheitert dann aber an der Exkulpationsmöglichkeit des § 44 Abs. 5 S. 2 EStG, siehe Schönfeld, IStR 2007, 850 (851); Hofmann, § 50d Abs. 3 EStG, S. 56. Vgl. auch das Anwendungsschreiben zu Einzelfragen der Abgeltungsteuer, BMF, Schreiben vom 22.12.2009 – IV C 1 - S 2252/08/10004 – Rn. 144. Micker, FR 2009, 409 (415); Schönfeld, IStR 2007, 850 (851). Vgl. auch Renger, Treaty Shopping, S. 61 f., der weiterhin einen Anteilsrückkauf durch die Tochtergesellschaft vorschlägt, zugleich aber die Gefahr einer Anwendung des § 42 AO sieht. Hierzu, insbesondere zur kollisionsrechtlichen Beurteilung, siehe B.II.1.b.bb, S. 431. Das einschränkende Erfordernis des Vorliegens inländischer Einkünfte hinsichtlich der Veräußerungsgewinne kann sich in diesem Zusammenhang nicht nur unter den engen Voraussetzungen des § 49 Abs. 1 Nr. 5 lit. d) EStG, sondern auch aus § 49 Abs. 1 Nr. 2 lit. e) aa) i.V.m. § 17 EStG ergeben. Loschelder, in: Schmidt, EStG (30. Auflage 2011), § 50d Rn. 46; Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 10. Kessler/Eicke, IStR 2006, 577 (577); Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 10; Wiese/Süß, GmbHR 2006, 972 (974). Nach der Altfassung war kumulativ

359

§ 50d Abs. 3 EStG

lung kann zudem im Rahmen der kollisionsrechtlichen Überprüfung, insbesondere zum Vergleich mit § 42 Abs. 2 AO, fruchtbar gemacht werden. Die folgenden S. 2 und S. 3 sind im Zusammenhang mit den sachlichen Tatbestandsmerkmalen zu sehen, da insoweit Näheres zu deren Feststellung geregelt wird: Zum einen ist gem. S. 2 keine konzernübergreifende Zurechnung vorgesehen, zum anderen konkretisiert S. 3 den Begriff der eigenen Wirtschaftstätigkeit i.S.v. S. 1 Nr. 3. In S. 4 finden sich demgegenüber zwei eng umgrenzte Ausnahmen vom Anwendungsbereich. Insgesamt handelt es sich bei § 50d Abs. 3 EStG somit um einen speziellen Missbrauchsvorbehalt, der in seinem Geltungsbereich – Quellensteuervergünstigungen im Inboundfall – bestimmte Gestaltungen als missbräuchlich typisiert.22 Wie noch zu zeigen ist, betrifft dies – gemessen am abstrakten Rahmen des § 42 Abs. 2 AO – sowohl Elemente der Angemessenheit, als auch der Rechtfertigung der Gestaltung durch den Nachweis außersteuerlicher Gründe. Darüber hinaus trifft § 50d Abs. 3 EStG gegenüber § 42 Abs. 1 S. 3 AO eine – zumindest auf den ersten Blick – eigenständige Rechtsfolge in Form der Versagung der Entlastungswirkungen.

2.

Tatbestandsmerkmale im Einzelnen

a.

Persönliche Voraussetzungen, § 50d Abs. 3 S. 1 Hs. 1 EStG

Gemäß § 50 Abs. 3 S. 1 Hs. 1 EStG hat eine ausländische Gesellschaft keinen Anspruch auf völlige oder teilweise Entlastung nach Abs. 1 oder Abs. 2, soweit Personen an ihr beteiligt sind, denen die Erstattung oder Freistellung nicht zustände, wenn sie die Einkünfte unmittelbar erzielten. Persönliche Voraussetzung ist daher das Vorliegen einer ausländischen Gesellschaft, an der nicht erstattungsberechtigte Personen beteiligt sind. In diesen Tatbestandsmerkmalen kommt zum Ausdruck, dass die ausländische Gesellschaft zur Durchleitung der Einkünfte zumindest geeignet und auch erforderlich ist, und insoweit ein Anreiz zur missbräuchlichen Gestaltung vorliegt; § 50d Abs. 3 S. 1 Hs. 1 EStG typisiert mithin Elemente der Unangemessenheit der objektiven Gestaltung, wie sie im Lichte der Struktur des § 42 Abs. 2 AO Voraussetzung für die Annahme eines Missbrauchs ist.

erforderlich, dass es an wirtschaftlichen Gründen fehlt und die Gesellschaft keine eigene Wirtschaftstätigkeit entfaltet, BFH, Urteil vom 31.05.2005 – I R 74/04 u.a. – IStR 2005, 710 (710); Hergeth/Ettinger, IStR 2006, 307 (308) m.w.N.; Loschelder, in: Schmidt, EStG (30. Auflage 2011), § 50d Rn. 46. Siehe auch im Folgenden B.I.2.b.aa, S. 373. 22 So ausdrücklich die Begründung zum Regierungsentwurf, BT-Ds. 16/2712, S. 100; vgl. auch Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50d Rn. 24.

360

Normanalyse

aa.

Ausländische Gesellschaft

(1)

Gesellschaft

Der Begriff der Gesellschaft i.S.v. § 50d Abs. 3 EStG ist nach dem systematischen Zusammenhang zu bestimmen: Er umfasst all diejenigen Gesellschaftsformen, die überhaupt in den Genuss von Entlastungen im Sinne von Abs. 1 und Abs. 2 kommen können, d.h. die in Abhängigkeit von der jeweils einschlägigen Rechtsgrundlage den Voraussetzungen des entsprechend anzuwendenden DBA, des § 43b Abs. 2 EStG oder des § 50g Abs. 3 Nr. 5 lit. a aa) EStG, unterfallen.23 Auch die Finanzverwaltung fasst den Begriff so auf.24 Bei Inanspruchnahme der Richtlinienvergünstigungen lässt sich die zulässige Rechtsform somit aus Anlage 2 zu § 43b EStG bzw. Anlage 3a zu § 50g EStG ersehen;25 auf eine Einordnung nach innerstaatlichem Recht kommt es insoweit nicht an, da ein Typenvergleich nur für die (unbeschränkt steuerpflichtige) Tochtergesellschaft vorgesehen ist.26 Keine Anwendung – auch nicht analog – findet die Vorschrift hingegen auf im Rahmen des § 50g Abs. 1 S. 1 EStG begünstigte EU-Betriebsstätten.27 In Bezug auf völkervertragliche Vergünstigungen ist hingegen das betreffende Abkommen maßgeblich; in Anlehnung an Art. 3 Abs. 1 lit. b) OECD-MA sind als „Gesellschaft“ juristische Personen oder Rechtsträger, die als solche besteuert werden, anzusehen. In diesem Zusammenhang können somit auch Personengesellschaften als ausländische Gesellschaft i.S.v. § 50d Abs. 3 EStG qualifizieren. Fraglich ist jedoch, wie darüber zu entscheiden ist, ob die Personengesellschaft wie eine juristische Person („intransparent“) besteuert wird, da dies je nach Recht der Vertragsstaaten in Einzelfällen unterschiedlich beurteilt werden kann (sog. „hybride Gesellschaften“).

23 Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50d Rn. 28a; Hahn-Joecks, in: K/S/M, EStG, § 50d Rn. E 18; Lüdicke, in: Piltz/Schaumburg, Unternehmensfinanzierung, S. 106 f.; Mössner, in: Fischer, Wirtschaftliche Aktivitäten von Ausländern, S. 97 f.; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, Rn. 16.164; Wagner, in: Blümich, ESt – KSt – GewSt, § 50d EStG Rn. 67. 24 BMF, Schreiben vom 03.04.2007 – IV B 1 - S 2411/07/0002 (Anwendungserlass § 50d Abs. 3 EStG) – DStR 2007, 719 (720), Tz. 3. 25 BMF, Schreiben vom 03.04.2007 – IV B 1 - S 2411/07/0002 – DStR 2007, 719 (720), Tz. 3; Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50d Rn. 28a; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, Rn. 16.164. 26 Hahn-Joecks, in: K/S/M, EStG, § 50d Rn. E 18 a. 27 Vorrangig solle insoweit § 50g Abs. 4 EStG anwendbar sein, so Wagner, in: Blümich, ESt – KSt – GewSt, § 50d EStG Rn. 67. Dies gilt aber nur vorbehaltlich eines eigenen Regelungsgehalts als spezielle Missbrauchsnorm. Wie zu zeigen ist, besteht ein solcher nicht, so dass es letztlich auf § 42 Abs. 2 AO i.V.m. den materiellen Vergünstigungen ankommt, hierzu unten C.II.1, S. 502.

361

§ 50d Abs. 3 EStG

Nach Ansicht des BMF erfolgt die Einordnung für deutsche Besteuerungszwecke grundsätzlich nach innerstaatlichem Recht, so dass ein Typenvergleich 28 vorzunehmen ist; zugleich soll aber Entlastung von Quellensteuern nur dann gewährt werden, wenn die Einkünfte nach dem Recht des anderen Staates dort als Einkünfte einer ansässigen Person steuerpflichtig sind. Daher ist eine Personengesellschaft, die nach ausländischem Recht als Kapitalgesellschaft behandelt wird, ebenfalls Gesellschaft im Sinne von § 50d Abs. 3 EStG.29 Diese Ansicht wird in der Literatur überwiegend geteilt.30 Dem ist grundsätzlich zuzustimmen, da hierdurch verhindert wird, dass nicht berechtigte Drittstaatengesellschafter über die Zwischenschaltung hybrider Rechtsformen die Schranke des § 50d Abs. 3 EStG umgehen und somit trotz Funktionslosigkeit der Zwischengesellschaft eine Quellensteuerentlastung erreichen könnten. (2)

Ausländisch

Die Gesellschaft muss zudem eine ausländische sein. Nach Ansicht der Finanzverwaltung und der Literatur ist dies – in Anlehnung an § 7 Abs. 1 AStG – der Fall, wenn die Gesellschaft weder Sitz noch Geschäftsleitung im Inland hat.31 Auch wenn es nicht unmittelbarer Prüfungsgegenstand ist, so wird § 50d Abs. 3 EStG zudem nur dann relevant, wenn auch die Ansässigkeitsvoraussetzungen der jeweiligen Entlastungsvorschrift erfüllt sind, d.h. wenn es sich im Falle der §§ 43b, 50g EStG um Gesellschaften in der EU handelt, und bei Anwendung eines DBA um Gesellschaften, die im anderen Vertragsstaat ansässig sind. In letzterem Falle32 ergibt sich ein Problem bei sog. Doppelansässigkeit, d.h. bei Gesellschaften die aufgrund eines Auseinanderfallens von Sitz und Gesell28 Hierzu vgl. Rengers, in: Blümich, ESt – KSt – GewSt, § 1 KStG Rn. 143 ff. m.w.N. 29 BMF, Schreiben vom 03.04.2007 – IV B 1 - S 2411/07/0002 – DStR 2007, 719 (720), Tz. 3. 30 Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50d Rn. 28a; Hahn-Joecks, in: K/S/M, EStG, § 50d Rn. E 18. Siehe aber auch Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 51, der im Hinblick auf den Grundgedanken dieser Ansicht – der Verhinderung von Umgehungen durch hybride Gestaltungen – eine Entlastung auch für abkommensberechtigte Gesellschafter einer Personengesellschafter verlangt und sich gegen eine „subject-to-tax“ Beschränkung ausspricht: Seiner Ansicht nach soll die Entlastung gewährt werden, soweit die Einkünfte nach dem Recht des anderen Staates dort als Einkünfte einer ansässigen Person gelten. 31 BMF, Schreiben vom 03.04.2007 – IV B 1 - S 2411/07/0002 – DStR 2007, 719 (720), Tz. 4; Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50d Rn. 28a; Hahn-Joecks, in: K/S/M, EStG, § 50d Rn. E 18; Hofmann, § 50d Abs. 3 EStG, S. 37; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, Rn. 16.164; Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 54; Wagner, in: Blümich, ESt – KSt – GewSt, § 50d EStG Rn. 67. 32 Zu etwaigen Problemfällen bei Inanspruchnahme der EU-Richtlinien siehe Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 53 m.w.N.

362

Normanalyse

schaften in beiden Vertragsstaaten ansässig sind. In den Abkommen wird hierbei üblicherweise der Ort der tatsächlichen Geschäftsleitung als maßgeblich erachtet, die Gesellschaft gilt mithin nur dort als ansässig, vgl. Art. 4 Abs. 3 OECD-MA.33 Finanzverwaltung und herrschende Lehre übertragen diese Regelung auf § 50d Abs. 3 EStG: Demnach ist als ausländisch auch eine solche Gesellschaft anzusehen, die nach dem anzuwendenden DBA als nur im anderen Vertragsstaat ansässig gilt.34 Für die Bestimmung der antragstellenden Gesellschaft als ausländisch kommt es hingegen nicht darauf an, wo deren Gesellschafter ansässig sind, insbesondere ob inländische, unbeschränkt steuerpflichtige Anteilseigner an ihr beteiligt sind; problematisch ist in diesen Konstellationen vielmehr, ob damit nicht erstattungsberechtigte Personen an der Gesellschaft beteiligt sind.35 bb.

Beteiligung nicht erstattungsberechtigter Personen

(1)

Grundsätze der fiktiven Entlastungsberechtigung

Weiterhin müssen Personen an der ausländischen Gesellschaft beteiligt sein, denen die Erstattung oder Freistellung nicht zustände, wenn sie die Einkünfte unmittelbar erzielten. Es wird daher die fiktive Entlastungsberechtigung36 der 33 Sog. „Tie-breaker-rule“, hierzu grundlegend Lehner, in: Vogel/Lehner, DBA, Art. 4 Rn. 240 ff. Als Ausnahme ist insbesondere das DBA-USA hervorzuheben, in dem eine solche Regel fehlt und stattdessen ein Verständigungsverfahren vorgesehen ist, hierzu Dannecker/Werder, BB 2006, 1716 (1717). 34 BMF, Schreiben vom 03.04.2007 – IV B 1 - S 2411/07/0002 – DStR 2007, 719 (720), Tz. 4; Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50d Rn. 28a; Mössner, in: Fischer, Wirtschaftliche Aktivitäten von Ausländern, S. 98. Hieran ändert auch die vom IDW, Schreiben vom 21.02.2007, S. 2, geäußerte Kritik, dass sich der Begriff damit in Widerspruch zu § 7 Abs. 1 AStG setze, nichts: Die Rechtsordnung muss es hinnehmen und im Rahmen der allgemeinen juristischen Methodik bewältigen, dass gleichlautende Begriffe in unterschiedlichen Regelungszusammenhängen unterschiedlich ausgelegt werden können. Vgl. aber auch Renger, Treaty Shopping, S. 60, der eine Doppelansässigkeit (Sitz im Inland, Geschäftsleitung im Ausland) vorschlägt, um § 50d Abs. 3 EStG zu umgehen und die Berechtigung zur Entlastung zu erhalten; dieser Vorschlag steht unter der Prämisse, dass die „Tie-breaker-rule“ gerade keine Anwendung im Rahmen des § 50d Abs. 3 EStG findet. Ein – von Renger auch erörterter – Nachteil dieser Konstruktion wäre in jedem Fall die beschränkte Steuerpflicht der Gesellschafter der Zwischengesellschafter in Deutschland hinsichtlich der Dividenden. Im Zusammenhang mit Richtlinienvergünstigungen weist Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 54, zu Recht darauf hin, dass es sich bei fortbestehender unbeschränkter Steuerpflicht in Deutschland – wofür Sitz oder Geschäftsleitung ausreichen, vgl. § 1 Abs. 1 KStG – vielmehr um ein Problem der Anrechnungsmöglichkeit gemäß §§ 31 Abs. 1 S. 1 KStG, 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG handelt dürfte. 35 Zu solchen „Mäander-Strukturen“ siehe sogleich B.I.2.a.bb(2), S. 365. 36 Günkel/Lieber, Ubg 2008, 383 (384); Kempf/Meyer, DStZ 2007, 584 (585); Wagner, in: Blümich, ESt – KSt – GewSt, § 50d EStG Rn. 67. Andere Stimmen bezeichnen dies als

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§ 50d Abs. 3 EStG

Gesellschafter der antragstellenden ausländischen Gesellschaft geprüft. Person in diesem Sinne können sowohl natürliche als auch juristische Personen sein, welche – insbesondere als Gläubiger der Kapitalerträge – einen entsprechenden Entlastungsanspruch gem. Abs. 1 oder Abs. 2 haben können.37 Konsequenterweise kann dies im Hinblick auf transparent besteuerte Personengesellschaften dahinstehen, da diese nicht selbst – sondern allenfalls deren Gesellschafter – nach DBA und den einschlägigen Richtlinien entlastungsberechtigt sein können.38 Die Beteiligung muss grundsätzlich eine gesellschaftsrechtliche sein, welche etwa an Nennkapital, Stimmrechten oder Gewinnausschüttung bestehen kann; (partiarische) Darlehen, stille Beteiligungen oder Genussrechte reichen hingegen nicht aus.39 Bei mehreren Gesellschaftern erfolgt die Prüfung der Berechtigung für jeden gesondert, da ausweislich des Wortlauts „soweit“ auch eine nur anteilige Versagung der Entlastungsberechtigung in Betracht kommt; insoweit kann der genaue Verteilungsmaßstab strittig sein.40 Umstritten ist darüber hinaus, ob auch Rechtsbeziehungen, die hinsichtlich der oben genannten Maßgaben einer gesellschaftsrechtlichen Beteiligung gleichstehen, und etwa ein wirtschaftliches Eigentum an den Gesellschaftsanteilen vermitteln, als Beteiligung in diesem Sinne anzusehen sind;41 sofern man dies trotz teleologi-

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mittelbare Entlastungsberechtigung – bezogen auf die Gesellschafterstellung an der inländischen operativen Gesellschaft, z.B. Kessler/Eicke, DStR 2007, 526 (527); eine Zwischenposition bezieht Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 91: fiktive Prüfung der mittelbaren Entlastungsberechtigung. Im Hinblick darauf, dass im Ergebnis aber auch auf tiefergehende Beteiligungsstrukturen der Zwischengesellschaft abzustellen ist – hierzu sogleich B.I.2.a.bb(3), S. 369 – und somit sowohl unmittelbare als auch mittelbare Gesellschafter der ausländischen Zwischengesellschaft auf ihre Entlastungsberechtigung zu überprüfen sind, sollte am Begriff fiktive Entlastungsberechtigung festgehalten werden; in diesem Sinne könnte zwischen der mittelbar fiktiven und der unmittelbar fiktiven Entlastungsberechtigung unterschieden werden. Hahn-Joecks, in: K/S/M, EStG, § 50d Rn. E 19; Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 81. Hahn-Joecks, in: K/S/M, EStG, § 50d Rn. E 19; Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 81. Zu hybriden Gesellschaften, die nach dem Recht (nur) eines Staates wie eine juristische Person besteuert werden, siehe oben B.I.2.a.aa(1), S. 361, insbesondere Fn. 29 f. Hahn-Joecks, in: K/S/M, EStG, § 50d Rn. E 20; Mössner, in: Fischer, Wirtschaftliche Aktivitäten von Ausländern, S. 101. Hahn-Joecks, in: K/S/M, EStG, § 50d Rn. E 20 ff.; Mössner, in: Fischer, Wirtschaftliche Aktivitäten von Ausländern, S. 101. Hierzu vgl. auch die Darstellung der Rechtsfolgenanordnung, unten B.I.3, S. 416. Bejahend etwa Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 84; Strunk, in: Korn, EStG, § 50d Rn. 33 m.w.N. auch zur Gegenansicht.

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Normanalyse

scher Auslegung verneint, dürfte jedenfalls Raum für eine Anwendung des § 42 AO bestehen.42 Die maßgeblichen Personen sind insbesondere dann nicht erstattungsberechtigt, wenn sie zum einen dem Grunde nach über keinen43 der in Abs. 1 und 2 genannten Entlastungsansprüche verfügen – etwa aufgrund der Ansässigkeit in einem Nicht-DBA-Staat oder außerhalb des räumlichen Geltungsbereichs der einschlägigen Richtlinien bzw. deren Umsetzung –, zum anderen aber auch dann, wenn ein solcher fiktiver Anspruch nicht der Höhe nach die von der Zwischengesellschaft beantragte Vergünstigung erreicht.44 (2)

Mäander-Strukturen

Umstritten sind indes sog. „Mäander-Strukturen“45, bei denen im Inland unbeschränkt steuerpflichtige Personen als Gesellschafter an der ausländischen Zwischengesellschaft beteiligt sein können. Soweit es sich um einen Alleingesellschafter handelt, ist ein steuerlicher Vorteil dieser Gestaltung – jedenfalls im Hinblick auf die hier relevanten Quellensteuern – auf den ersten Blick nicht zu erschließen, da dieser Anteilseigner bei direkter Beteiligung an der inländischen, operativen Gesellschaft eine Anrechnung gemäß § 31 Abs. 1 S. 1 KStG i.V.m. § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG geltend machen könnte, bzw. eine Quellensteuer wie § 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG mangels beschränkter Steuerpflicht des Einkünfteerzielers von vornherein nicht anfällt; auch die 5%-Besteuerung des § 8b Abs. 5 KStG wäre bei Weiterausschüttung im Ergebnis gewahrt. Zu nennen sind jedoch Zins- und Liquiditätsvorteile, insbesondere falls die ausländische Gesellschaft eine Freistellung im Abzugsverfahren gemäß § 50d Abs. 2 EStG erreichen kann. Die Frage ist indes umso mehr von Interesse bei internationalen Joint Ventures, d.h. wenn an der ausländischen Zwischengesellschaft noch weitere, ebenfalls ausländische Anteilseigner beteiligt sind; hiernach steht eine

42 Zur Anwendung von § 42 AO im Falle einer „Umgehung der Spezialvorschrift“ vgl. Drüen, in: Tipke/Kruse, § 42 AO Rn. 20b. Zum Verhältnis der Normen im Einzelnen siehe unten B.II.1.b, S. 427. 43 Nicht notwendig ist derselbe Entlastungsanspruch, so dass z.B. identische Ansprüche nach anderen DBA nicht zur Versagung führen. 44 Zu beiden Fällen vgl. auch Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 92 mit Beispielen. Ob hieraus als Rechtsfolge die gänzliche oder nur anteilige Versagung der Entlastung gegenüber der antragstellenden Zwischengesellschaft folgt, ist ein Frage der Rechtsfolgenanordnung und in diesem Zusammenhang zu erörtern, siehe B.I.3, S. 416. 45 Hofmann, § 50d Abs. 3 EStG, S. 37; Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 82 f.

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§ 50d Abs. 3 EStG

anteilige Versagung des Entlastungsanspruchs in Bezug auch46 auf den inländischen Gesellschafter im Raum. Nach einer Ansicht soll in diesen Fällen – wenn die Gestaltung rein steuerlich motiviert ist – allenfalls § 42 AO Anwendung finden können; dies ergebe sich aus den historischen Umständen, die zur Schaffung des § 50d Abs. 3 EStG geführt haben, namentlich der Erweiterung des allgemeinen Missbrauchsvorbehalts auf beschränkt Steuerpflichtige; gegenüber unbeschränkt steuerpflichtigen Anteilseignern sei dies nicht erforderlich.47 Die Finanzverwaltung hingegen erachtet Gesellschafter mit Wohnsitz, Sitz oder Geschäftsleitung im Inland als nicht entlastungsberechtigte Personen und sieht demnach die persönlichen Voraussetzungen des Abs. 3 Hs. 1 als erfüllt an.48 Die wohl herrschende Literatur teilt diese Einschätzung mit der Begründung, dass der Wortlaut in Bezug auf die Gesellschafter der antragstellenden Gesellschaft zweifelsfrei nicht zwischen inländischen, unbeschränkt steuerpflichtigen und ausländischen, beschränkt steuerpflichtigen Gesellschaftern unterscheide.49 Zudem sei aufgrund der systematischen Stellung im Abschnitt IX die Vorschrift – trotz der historischen Umstände – nicht nur im Zusammenhang mit der beschränkten Steuerpflicht zu sehen;50 für Inländer sei gleichermaßen eine Entlastung von Quellensteuern durch die Zwischenschaltung einer ausländischen Kapitalgesellschaft denkbar.51 In jüngerer Zeit sieht sich diese bislang herrschende Meinung jedoch zunehmender Kritik ausgesetzt, die insbesondere auf die Anrechnungsmöglichkeit nach §§ 31 Abs. 1 S. 1 KStG, 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG, und die Erstattung gemäß § 44b Abs. 5 EStG verweist: Dies sei einer Entlastungsberechtigung im Sinne von § 50d Abs. 3 Hs. 1 EStG gleichzustellen;52 jedenfalls aber bedürfe die 46 Daneben verbleibt § 50d Abs. 3 EStG unstreitig im Hinblick auf die Beteiligung der ausländischen Anteilseigner zu prüfen. 47 Frotscher, EStG, § 50d Rn. 26; Lüdicke, in: Piltz/Schaumburg, Unternehmensfinanzierung, S. 107. 48 BMF, Schreiben vom 03.04.2007 – IV B 1 - S 2411/07/0002 (Anwendungserlass § 50d Abs. 3 EStG) – DStR 2007, 719 (720), Tz. 4. Es dürfte sich daher um ein Versehen handeln, dass Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50d Rn. 33 Fn. 7, sowie Hahn-Joecks, in: K/S/M, EStG, § 50d Rn. E 19 Fn. 35, jeweils das genannte BMF-Schreiben als Beleg für die gegensätzliche Position zitieren. 49 Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50d Rn. 28b; Hahn-Joecks, in: K/S/M, EStG, § 50d Rn. E 19; Micker, FR 2009, 409 (414); Schaumburg, Internationales Steuerrecht, Rn. 16.164. 50 Micker, FR 2009, 409 (414). 51 Klein/Hagena, in: H/H/R, § 50d EStG Rn. 55; Micker, FR 2009, 409 (414). In diesem Sinne kann auch das Argument der Gleichbehandlung mit beschränkt Steuerpflichtigen herangezogen werden. 52 Günkel/Lieber, Ubg 2008, 383 (384); Kempf/Meyer, DStZ 2007, 584 (585 f.).

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Normanalyse

Vorschrift bei teleologischer Betrachtung einer Begrenzung dergestalt, dass die Vorschrift nur in Einzelfällen anzuwenden sei, in denen durch die Zwischenschaltung der ausländischen Gesellschaft eine Quellensteuerherabsetzung erreicht werde, die bei unterstelltem Direktbezug der Dividende (der Höhe nach) nicht erfolgen könnte.53 Ergänzend wird vorgebracht, dass hierfür auch eine wirtschaftliche Betrachtungsweise spreche, da im Falle der Weiterausschüttung durch die ausländischen Zwischengesellschaft an den inländischen Bezugsberechtigten unter Beachtung der §§ 3 Nr. 40 EStG, 8b KStG die gleichen Steuerfolgen wie bei Direktbezug eintreten sollen.54 Letzterem Argument kann freilich nicht uneingeschränkt zugestimmt werden, denn jedenfalls eine Freistellung im Abzugsverfahren würde Zins- und Liquiditätsvorteile verursachen, die bei Direktbezug im Inland nicht entstehen würden; auch die Versteuerung beim Anteilseigner – besonders im Hinblick auf § 8b Abs. 5 KStG – wäre in Form der im Belieben der Gesellschafter stehenden Weiterausschüttung zumindest zeitlich planbar. Schon dies widerspricht der Anordnung des § 43 Abs. 1 S. 3 EStG, wonach der Abzug von KapESt ungeachtet der Steuerbefreiung des § 8b KStG vorzunehmen ist. Es muss daher zumindest eine Freistellung im Abzugsverfahren, § 50d Abs. 2 EStG ausgeschlossen werden. Es ist aber tatsächlich als bedenklich anzusehen, dass dem inländischen Gesellschafter durch die Zwischenschaltung einer – wenn auch funktionslosen – Gesellschaft die Anrechnungsmöglichkeit gemäß § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG versagt ist, und er dadurch wirtschaftlich schlechter steht; insoweit handelt es sich um eine „überschießende“ Rechtsfolge des § 50d Abs. 3 EStG, der eine steuerbegünstigte Gewinnverlagerung in Drittstaaten unterbinden will. Ungeachtet dessen kann es natürlich wirtschaftliche Gründe für die Einschaltung einer ausländischen Gesellschaft in eine Joint-Venture-Struktur geben; zu Recht werden daher Nachteile für wirtschaftlich sinnvolle Gestaltung befürchtet.55 Zum Teil mag man diese im Wege einer sachgerechten Auslegung der sachlichen Voraussetzungen korrigieren können: So ist insbesondere die Annahme 53 Günkel/Lieber, Ubg 2008, 383 (384); Kempf/Meyer, DStZ 2007, 584 (586); Prokisch, in: Vogel/Lehner, DBA. Art. 1 Rn. 133g; Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 83, der insoweit von einer „verhältnismäßigen Begrenzung“ spricht. In rechtsmethodischer Hinsicht dürfte diese Ansicht eine teleologische Reduktion in tatbestandlicher Hinsicht darstellen; letztlich käme man zum gleichen Ergebnis wie einer Anwendung im Rahmen des § 42 AO. 54 Kempf/Meyer, DStZ 2007, 584 (586). In Bezug auf Lizenzzahlung wäre etwa eine Quellensteuer gar nicht angefallen. 55 Günkel/Lieber, Ubg 2008, 383 (384); Kempf/Meyer, DStZ 2007, 584 (586). Im Einzelfall kann auch eine transparente Gestaltung der Joint-Venture Gesellschaft angezeigt sein, vgl. Günkel/Lieber, Ubg 2008, 383 (384).

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§ 50d Abs. 3 EStG

eines wirtschaftlichen Grundes, § 50d Abs. 1 Nr. 1 EStG in diesem Lichte zu sehen; darzulegen wäre dann insbesondere, aus welchen Gründen eine (weitere) Holdinggesellschaft im Ausland erforderlich ist und das Joint Venture nicht unmittelbar im Zielland vollzogen wird, hierdurch entsteht das Anrechnungsproblem ohnehin erst. Dies gilt entsprechend für die übrigen sachlichen Voraussetzungen, so auch für die Frage, inwieweit die Holding eines Joint Venture einer eigenen Wirtschaftstätigkeit nachgeht.56 Aufgrund der Alternativität der sachlichen Tatbestandsvoraussetzungen kann dies aber nicht alle Bedenken beseitigen. Es zeigt sich damit, dass der Wortsinn des Gesetzes planwidrig über den eigentlichen Zweck der Missbrauchsvermeidung hinausreicht, mithin die Voraussetzungen einer teleologischen Reduktion gegeben wären.57 Dem ist aber nicht dadurch zu begegnen, dass insoweit die Maßstabswirkung des § 50d Abs. 3 EStG gänzlich beseitigt wird; für die Finanzverwaltung muss insbesondere die typisierende Vermutungswirkung einer unangemessenen Gestaltung erhalten bleiben. Im Lichte der im Rahmen dieser Untersuchung zugrunde gelegten Zuordnungskriterien im Verhältnis von § 42 Abs. 2 AO und speziellem Missbrauchsvorbehalt liegt somit ein Anwendungsfall der ausnahmsweise zulässigen Möglichkeit des Gegenbeweises gemäß § 42 Abs. 2 S. 2 AO vor.58 Damit bleibt es indes dabei, dass Inländerbeteiligungen in sog. Mäanderstrukturen tatbestandsmäßig als Beteiligung nicht erstattungsberechtigter Personen von § 50d Abs. 3 EStG erfasst werden, um die vom Gesetzgeber beabsichtige Maßstabs- und Vereinfachungswirkung zu erhalten; insbesondere bedarf es keiner weiteren Begründung der Unangemessenheit, da insoweit der gesetzlich nicht vorgesehene Steuervorteil i.S.v. § 42 Abs. 2 S. 1 AO hinreichend konkretisiert ist. Ohnehin wirken § 42 Abs. 2 AO und § 50d Abs. 3 EStG auf diese Weise zusammen und nicht im Sinne einer gegenseitig ausschließenden Verdrängungswirkung. Es ist im beschriebenen Inlandsfall jedoch ein beachtlicher außersteuerlicher Grund gegeben, der über die Typisierung des § 50d Abs. 3 EStG hinausgeht – inso-

56 In diesem Zusammenhang muss etwa ausnahmsweise auch die aktive Beteiligungsverwaltung nur einer Tochtergesellschaft als aktive Beteiligungsverwaltung angesehen werden, soweit die Führung durch die Holding mit entsprechend gesteigerter Intensität vorgenommen wird, hierzu unten B.I.2.b.cc(2), S. 385. 57 Hierzu Drüen, in: Tipke/Kruse, § 4 AO Rn. 381 f.; Larenz, Methodenlehre, S. 375; Zippelius, Juristische Methodenlehre, S. 69 f. Vgl. auch Gabel, Spezielle Missbrauchsnormen, S. 206. 58 Hierzu siehe ausführlich im 1. Teil, D.II.3.c.bb(3), S. 276. Alternativ vgl. aber auch BFH, Urteil vom 22.04.2009 – I R 53/07 – DStR 2009, 1469 (1471), zu einer analogen Anwendung von § 50d Abs. 1 EStG zur Erstattung von KapESt, die über den Umfang der beschränkten Steuerpflicht hinausgeht.

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Normanalyse

weit mag man auch von einer Reduktion der Konkretisierungswirkung sprechen.59 Zugleich wird durch diese Lösung auch dem Regelungsanliegen des Gesetzgebers, der sich gegen die Verlagerung in Drittstaaten wendet, nochmals Rechnung getragen. Denn eine Nichtanwendbarkeit der Missbrauchsvorschrift gegenüber inländischen Anteilseignern bei einer Beteiligung nicht erstattungsberechtigter Personen aus Drittstaaten wäre – trotz möglicher Aufteilung der Vergünstigung – dennoch insgesamt als problematisch anzusehen: Denn auf diese Weise hätte die ausländische Gesellschaft – die Funktionslosigkeit der Zwischengesellschaft unterstellt – zumindest anteilig Quellensteuern erspart; die Weiterausschüttung der Dividenden (zurück) an den inländischen Anteilseigner ist damit aber noch nicht sicher gestellt, so dass es durchaus vorstellbar erscheint, dass durch entsprechende Gestaltung im Ergebnis doch der Drittstaatengesellschafter nach einer Thesaurierung wirtschaftlich hiervon profitiert.60 Diese Gefahr besteht nicht, soweit wie vorliegend befürwortet die Zwischengesellschaft zur Erlangung einer Quellensteuererstattung den Nachweis einer nicht missbräuchlichen Gestaltung infolge beachtlicher außersteuerlicher Gründe im Einzelfall führen muss, wobei insbesondere auf die Weiterausschüttung an den inländischen Gesellschafter ankommen kann. Eine Freistellung im Abzugsverfahren wird aufgrund der genannten Zins- und Liquiditätsvorteile jedoch selbst dann nicht in Betracht kommen. (3)

Durchgriff auf mehrstufige Beteiligungsstrukturen

Da auch juristische Personen – in diesem Falle: unmittelbare – Beteiligungen an der antragstellenden Zwischengesellschaft – halten können, ist fraglich, ob sich die Prüfung der Erstattungsberechtigung nur auf die juristische Person selbst beschränkt, oder ob auch deren Anteilseigner – sprich: die an der antragstellenden Gesellschaft nur mittelbar Beteiligten – in die Prüfung einzubeziehen sind, bzw. unter welchen Voraussetzungen dies erfolgen muss. Nach einer Ansicht ist die Betrachtung stets nur im Hinblick auf die unmittelbar Beteiligten vorzunehmen. Als Beleg hierfür wird zumeist der Wortlaut des Abs. 3 ins Feld geführt, wonach als Beteiligung nur die unmittelbare, gesellschaftsrechtliche Beteiligung zu verstehen und eine weitere Differenzierung nicht möglich sei.61 Das BMF hatte im Anwendungserlass zu § 50d Abs. 3

59 Vgl. auch die systematische Darstellung unten B.II.1.b, S. 427. 60 Vorstellbar ist zumindest die Thesaurierung der Gewinne in der ausländischen Zwischengesellschaft mit anschließender Weiterleitung in den Drittstaat im Rahmen vertraglicher Rechtsbeziehungen. 61 Flick, IStR 1994, 223 (224); Mössner, in: Fischer, Wirtschaftliche Aktivitäten von Ausländern, S. 102. Schaumburg, Internationales Steuerrecht, Rn. 16.164. Kessler/Eicke,

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§ 50d Abs. 3 EStG

EStG zu dieser Frage ausgeführt, dass eine fehlende Entlastungberechtigung der unmittelbar beteiligten Gesellschaft mögliche mittelbare Entlastungsberechtigungen solcher Gesellschafter ausschließe, die an dieser oder weiteren nachgeschalteten Gesellschaften beteiligt sind62 und zum Beleg auf die Entscheidung des BFH in der Sache Hilversum I verwiesen.63 Hieraus wurde zum Teil geschlossen, dass auch die Finanzverwaltung die Betrachtung strikt auf die Ebene der unmittelbar Beteiligten begrenze und mittelbar Beteiligte auszublenden seien.64 Daran anknüpfend wurde gar die Schaffung einer „Doppelholdingstruktur“ durch Vorschaltung einer weiteren, persönlich entlastungsberechtigten Holdinggesellschaft (EU-Kapitalgesellschaft, die die subjektiven Anwendungsvoraussetzungen des Art. 2 Abs. 1 MTRL erfüllt) vorgeschlagen; da es dann an den kumulativ erforderlichen persönlichen Voraussetzungen des § 50d Abs. 3 S. 1 Hs. 1 EStG fehle, käme es auf die sachlichen Kriterien des folgenden S. 1 Nr. 1-3 gar nicht mehr an.65 Durch eine solche Gestaltung könnte § 50d Abs. 3 EStG aber leicht umgangen werden; die herrschende Lehre geht daher berechtigterweise davon aus, dass die Prüfung der fiktiven Entlastungsberechtigung auch auf mittelbar Beteiligte, d.h. die Anteilseigner der antragstellenden Gesellschaft auszudehnen ist.66 Es erscheint sachlich gerechtfertigt und systematisch konsequent, durch „funktionslose“ Gesellschafter gleichermaßen hindurch zu blicken, da diese selbst kein Treaty Shopping betreiben, und letztlich auf die mittelbaren Anteilseigner abzustellen.67 Zudem ist es auch mit dem Wortlaut der Vorschrift vereinbar und systematisch vorzugswürdig, mögliche Umgehungsgestaltungen bereits über eine sachgerechte Auslegung der speziellen Vorschrift zu verhindern, anstatt auf § 42 AO verweisen zu müssen, da so die konkretisierende Maßstabs-

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DStR 2007, 526 (527), – die die Gegenansicht vertreten – bezeichnen dies als „Two-tierapproach“. BMF, Schreiben vom 03.04.2007 – IV B 1 - S 2411/07/0002 – DStR 2007, 719 (720), Tz. 4. BFH, Urteil vom 20.03.2002 – I R 38/00 (Hilversum I) – BStBl II 2002, 819 (822): Im Streitfalle war an der den Entlastungsantrag i.S.v. § 50d Abs. 1 EStG stellenden niederländischen B.V. eine Gesellschaft auf den Bermudas beteiligt (Nicht-DBA-Staat); deren Gesellschafter wiederum waren teilweise in den USA ansässig und hätten bei direkter Beteiligung einen DBA-Anspruch vorweisen können. Der BFH sah dies (zu Recht, dazu im Folgenden) als nicht relevant an. Kessler/Eicke, DStR 2007, 526 (528). Kessler/Eicke, DStR 2007, 526 (530). Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50d Rn. 32; Hofmann, § 50d Abs. 3 EStG, S. 41; Krabbe, IStR 1998, 76 (77); Kempf/Meyer, DStZ 2007, 584 (586); Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 82; Wagner, in: Blümich, ESt – KSt – GewSt, § 50d EStG Rn. 68. Günkel/Lieber, Ubg 2008, 383 (384); Lüdicke, IStR 2010, 539 (539).

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Normanalyse

wirkung und damit die Vereinfachungswirkung erhalten bleiben.68 In gleichem Maße stellt auch § 2 SteuerHBekV69 auf eine Prüfung der mittelbar und unmittelbar Beteiligten ab. Zu unterscheiden ist bei der Frage der fiktiven Entlastungsprüfung indes zwischen den persönlichen und sachlichen Voraussetzungen der Entlastungsberechtigten, wie sie auch in der Systematik des § 50d Abs. 3 EStG zum Ausdruck kommt: Die überwiegende Ansicht lehnt insoweit einen Durchgriff auf mittelbar Beteiligte ab, soweit die unmittelbaren Gesellschafter nicht persönlich entlastungsberechtigt sind, d.h. im Nicht-DBA-Staat bzw. im EU-Ausland – je nach beantragter Vergünstigung – ansässig sind.70 Gerade diese Variante hatte der BFH in Hilversum I zu entscheiden,71 und in diesem Sinne hat nun auch die Finanzverwaltung in einem Ergänzungserlass72 ihre Sichtweise klargestellt. Zwar wird von einigen Autoren dagegen vorgebracht, dass den mittelbaren Gesellschaftern bei Funktionslosigkeit der weiteren, zwischengeschalteten Gesellschaft zumindest die Vorteile erhalten bleiben müssten, die sie bei direkter Beteiligung hätten und deshalb durch in Drittstaaten ansässige funktionslose Gesellschaften stets durchzublicken sei.73 Eine solche Sichtweise würde aber darauf hinauslaufen, eine tatsächlich gewählte – und i.S.v. § 42 AO unangemessene Gestaltung – gegen den Charakter der Missbrauchsvorbehalte zugunsten der letztlich Steuerpflichtigen zu negieren;74 im Übrigen wäre in diesen Fällen stets eine wirtschaftliche Verlagerung der Quellensteuervorteile auf nicht berechtigte Anteilseigner in Drittstaaten außerhalb der gesellschaftlichen Gewinnverteilung zu befürchten.75 68 Vgl. schon zuvor B.I.2.a.bb(2), S. 365. 69 Steuerhinterziehungsbekämpfungsverordnung (SteuerHBekV) vom 18.09.2009, BGBl I 1999, S. 3046. Zu den damit zusammenhängenden verfahrensrechtlichen Auswirkungen siehe unten B.I.2.d.bb, S. 414. 70 Eilers/Schneider, in: StbJb 2007/08, S. 182; Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50d Rn. 32; Günkel/Lieber, Ubg 2008, 383 (384); Hahn-Joecks, in: K/S/M, EStG, § 50d Rn. E 73c; Kempf/Meyer, DStZ 2007, 584 (585 f.); Lüdicke, IStR 2010, 539 (539); Wagner, in: Blümich, ESt – KSt – GewSt, § 50d EStG Rn. 68. 71 Siehe bereits oben Fn. 63 mit Darstellung des Streitfalls. 72 BMF, Schreiben vom 21.06.2010 – IV B 5 - S 2411/07/10016 :005 (Ergänzungserlass § 50d Abs. 3 EStG) – IStR 2010, 539 (539). In diesem Sinne hatte das BMF bereits im Wege eines nicht amtlichen Schreibens eine entsprechende Anfrage beantwortet, vgl. BMF, Schreiben vom 10.07.2007 - IStR 2007, 555 (556). 73 Kessler/Eicke, DStR 2007, 526 (529); Klein/Hagena, in: H/H/R, § 50d EStG Rn. 55; Kraft, IStR 1994, 370 (376). 74 Vgl. BFH, Urteil vom 03.03.1983 – V R 183/83 – BStBl II 1989, 205 (206); Koenig, in: Pahlke/Koenig, AO, § 42 Rn. 29, sowie schon oben im 1. Teil, B.I.2.c.bb(1), S. 72 und Fn. 161 zum Merkmal des Steuervorteils. 75 Sofern man allein auf diese Gefahr abstellt, wäre indes auch die Eröffnung des Gegenbeweises i.S.v. § 42 Abs. 2 S. 2 AO in Betracht zu ziehen.

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§ 50d Abs. 3 EStG

Summa summarum muss daher im Falle der – in diesem Rahmen unterstellten – Funktionslosigkeit der nach DBA oder einer EU-Richtlinie antragstellenden Zwischengesellschaft wie folgt vorgegangen werden:76 Unter Ausblendung dieser Gesellschaft ist zunächst auf deren unmittelbaren Gesellschafter abzustellen (unmittelbare fiktive Entlastungsberechtigung); ist dieser schon persönlich nicht erstattungsberechtigt, so ist insgesamt eine Anrecht auf die Vergünstigungen nicht gegeben und § 50d Abs. 3 EStG in Bezug auf die antragstellende Zwischengesellschaft anwendbar. Ist hingegen dieser unmittelbare Gesellschafter persönlich entlastungsberechtigt und erfüllt er die weiteren Voraussetzungen des § 50d Abs. 3 EStG, so steht schon auf dieser Ebene fest, dass an der antragstellende Zwischengesellschaft (insoweit) nur persönlich entlastungsberechtigte Personen beteiligt sind und daher ihr gegenüber § 50d Abs. 3 EStG mangels Tatbestandsmäßigkeit nicht anzuwenden ist. Erst in dem Falle, dass der unmittelbare Anteilseigner der Gesellschaft zwar persönlich entlastungsberechtigt i.S.v. § 50d Abs. 3 Hs. 1 EStG ist, aber als funktionslose Gesellschaft die sachlichen Voraussetzungen des § 50d Abs. 3 EStG Nr. 1-3 EStG nicht erfüllt, wird die Berechtigung im Hinblick auf die in der Beteiligungskette vorgeschalteten Gesellschafter geprüft (mittelbare fiktive Entlastungsberechtigung). Diese Prüfung ist gegebenfalls wie beschrieben fortzusetzen.77 Unter Umständen muss insoweit auch eine Aufteilung der Entlastungsquoten bei mehreren Beteiligten über mehrere Ebenen berücksichtigt werden, da die Prüfung ausweislich des Wortlauts (soweit) für jeden Gesellschafter gesondert vorzunehmen ist.78

76 Vgl. auch folgende Darstellungen: BMF, Schreiben vom 21.06.2010 – IV B 5 – S 2411/07/10016 :005 (Ergänzungserlass § 50d Abs. 3 EStG) – IStR 2010, 539 (539); Hahn-Joecks, in: K/S/M, EStG, § 50d Rn. E 73c ff.; Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 94; jeweils mit Anwendungsbeispielen. 77 Eilers/Schneider, in: StbJb 2007/08, S. 183; Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 94. Persönlich berechtigte, aber funktionslose Gesellschaften sind jeweils außer Acht zu lassen. 78 Siehe schon oben B.I.2.a.bb(1), S. 363, sowie Fn. 40. Vgl. hierzu auch BMF, Schreiben vom 21.06.2010 – IV B 5 - S 2411/07/10016 :005 (Ergänzungserlass § 50d Abs. 3 EStG) – IStR 2010, 539 (539). Bei Zwischenschaltung von Gesellschaftern, die der Höhe nach in geringerem Maße zu Vergünstigungen berechtigt wären, stellt sich das gleiche Problem wie bei unmittelbarer Beteiligung: Einerseits ist das Tatbestandsmerkmal erfüllt, andererseits aber gegebenfalls nur eine anteilige Versagung als Rechtsfolge gerechtfertigt, vgl. schon oben Fn. 44 und unten B.I.3, S. 416. Zur Berechnung in diesem Falle siehe auch Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 94.

372

Normanalyse

b.

Sachliche Voraussetzungen, § 50d Abs. 3 S. 1 Nr. 1-3, S. 2-3 EStG

aa.

Grundlegung und nochmaliger Rückblick

Die Tatbestandsvoraussetzungen des § 50d Abs. 3 EStG in sachlicher Hinsicht finden sich in den dem Hs. 1 folgenden Nr. 1, Nr. 2 und Nr. 3; hierbei handelt es sich um diejenigen Kernmerkmale, nach denen eine ausländische Zwischengesellschaft als funktionslos und damit als missbräuchlich im Sinne der Vorschrift erachtet werden kann, die anschließenden S. 2 und S. 3 ergänzen diese Merkmale. Im Lichte der hier vertretenen Auffassung zu § 42 Abs. 2 AO handelt es sich sowohl um Elemente der Angemessenheit als auch um Elemente der Rechtfertigung der Gestaltung.79 Anhand der sachlichen Voraussetzungen lässt sich erkennen, dass nicht nur die Existenz der Norm per se auf die Rechtsprechung des BFH zurück zu führen ist, sondern auch inhaltlich auf den Rechtsstand in Sachen „Basisgesellschaften“ Bezug genommen wurde: So war nach der Fassung bis zum 31.12.2006 Tatbestandsvoraussetzung, dass für die Einschaltung der ausländischen Gesellschaft wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe fehlen und sie keine eigene Wirtschaftstätigkeit entfaltet.80 Aufgrund dieser „statischen“ Kodifizierung der Rechtsprechung des BFH nach dem damaligen Stand konnte die spätere Weiterentwicklung dieser Rechtsprechung – insbesondere zum Verhältnis der beiden Elemente, aber auch zur aufkommenden Bedeutung der Substanzanforderungen81 – nur bedingt bei der Anwendung der speziellen Missbrauchsvorschrift nachvollzogen werden.82 Insoweit trat zu der zunächst nur formell wirkenden Norm im Laufe der Zeit ein materieller Regelungsgehalt hinzu. Auf diese Weise war es möglich, dass der BFH – anders als noch zu der einen vergleichbaren Sachverhalt betreffenden Entscheidung Hilversum I, in der die

79 Dass in Bezug auf grenzüberschreitende Gestaltung eine trennscharfe Abgrenzung nur bedingt möglich ist, wurde bereits zu den Vermutungswirkung und Nachweislasten im Rahmen des § 42 Abs. 2 AO dargelegt, siehe 1. Teil, B.I.2.d.cc, S. 116. 80 Ausführlich bereits oben B, S. 355, sowie im 1. Teil B.I.2.d.bb(1), S. 96. § 50d Abs. 3 EStG i.d.F. bis zum 31.12.2006 lautete: “(3) Eine ausländische Gesellschaft hat keinen Anspruch auf völlige oder teilweise Entlastung nach Absatz 1 oder 2, soweit Personen an ihr beteiligt sind, denen die Erstattung oder Freistellung nicht zustände, wenn sie die Einkünfte unmittelbar erzielten, und für die Einschaltung der ausländischen Gesellschaft wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe fehlen und sie keine eigene Wirtschaftstätigkeit entfaltet.” 81 Siehe ausführlich im 1. Teil, B.I.2.d.bb(2), S.101, sowie B.I.2.d.bb(3)(b), S. 105. 82 Vgl. auch oben Fn. 5. Renger, Treaty Shopping, S. 20 f., spricht insoweit von „legislativer Zementierung“.

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§ 50d Abs. 3 EStG

fehlende Substanz als entscheidungsleitend angesehen wurde83 – in der Rechtssache Hilversum II die Anwendung des § 50d Abs. 3 EStG a.F. gegenüber einer Zwischengesellschaft in den Niederlanden ablehnte:84 Die zur Entscheidung stehende Gestaltung betraf einen im niederländischen Hilversum ansässigen Konzern der Fernseh-Unterhaltungsbranche, dessen europäisches Geschäft in den Niederlanden konzentriert war und der hierzu mehrere Gesellschaften in der Rechtsform einer B.V. (Besloten Vennootschap) gegründet hatte; diese hielten neben weiteren Beteiligungen im europäischen Ausland auch Anteile einer deutschen GmbH und begehrten in diesem Zusammenhang Entlastung von der KapESt gemäß der MTRL i.V.m. §§ 44d, 50d Abs. 1 EStG (a.F.). Die streitgegenständliche niederländische Holdinggesellschaft war von Mehrfachgeschäftsführern geleitet und hatte weder eigenes Personal, noch Geschäftsräume, noch Telekommunikationsanschlüsse vorzuweisen, so dass sie bei formaler Betrachtung als substanzlos zu kategorisieren war; Alleingesellschafter war – wie auch bei deren Schwestergesellschaften – eine Holdinggesellschaft auf den niederländischen Antillen.85 Für den BFH war entscheidend, dass die Ausgliederung der B.V. konzernstrategisch und langfristig angelegt war, und dass aufgrund der Ansässigkeit in dem Staat, in dem der Konzern auch sein aktives Geschäft (durch Schwestergesellschaften) konzentriert hatte, davon auszugehen war, dass diese auf eigene Rechnung und funktional eigenwirtschaftlich Aufgaben erfüllte; insgesamt wurde hiermit ein wirtschaftlicher Grund für die Einschaltung als gegeben angesehen.86 Auf die festgestellte Substanzschwäche kam es mithin nicht mehr an, auch da der BFH in Übereinstimmung mit der h.L. daran festhielt, dass für eine Versagung sowohl wirtschaftlicher Grund als auch eigenwirtschaftliche Tätigkeit fehlen müssten.87

83 BFH, Urteil vom 20.03.2002 – I R 38/00 – BStBl II 2002, 819 (822). Dazu siehe schon 1. Teil, B:I.2.d.bb(3)(b), S. 105. 84 BFH, Urteil vom 31.05.2005 – I R 74/04 u.a. – BStBl II 2006, 118, auch zur nachfolgenden Urteilsdarstellung. Zur Zusammenfassung siehe auch Renger, Treaty Shopping, S. 1 f. 85 Diese sind aus dem räumlichen Geltungsbereich des DBA Deutschland-Niederlande ausgeschlossen, vgl. dort Art. 27; sie sind auch nicht Teil der EU, sondern als sog. Überseeische Länder und Hoheitsgebiete nur teilweise assoziiert, siehe Art. 198 ff. und Anhang II des AEUV. 86 BFH, Urteil vom 31.05.2005 – I R 74/04 u.a. – BStBl II 2006, 118 (120). 87 BFH, Urteil vom 31.05.2005 – I R 74/04 u.a. – BStBl II 2006, 118 (120), und IStR 2005, 710 (710), dort mit Anmerkung von Haarmann, S. 713; Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50d Rn. 28c; Hergeth/Ettinger, IStR 2006, 307 (308) m.w.N.; Loschelder, in: Schmidt, EStG (30. Auflage 2011), § 50d Rn. 46. Bestätigt wurde diese Sichtweise in BFH, Urteil vom 29.01.2008 – I R 26/06 (SOPARFI) – IStR 2008, 364 (365).

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Während diese Entscheidung in weiten Teilen der Literatur begrüßt wurde,88 hat die Finanzverwaltung hierauf zunächst mit einem Nichtanwendungserlass reagiert,89 kurze Zeit später wurde im Rahmen des JStG 2007 die Vorschrift als Reaktion auf das dargestellte Urteil verschärft.90 Aufgrund der beschriebenen Entstehungsgeschichte kommt der historischen Auslegung eine besondere Bedeutung zu. Nach der geltenden Fassung sind die Tatbestandsvoraussetzungen in sachlicher Hinsicht gegeben – und die Vergünstigung daher zu versagen –, wenn „1. für die Einschaltung der ausländischen Gesellschaft wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe fehlen oder 2. die ausländische Gesellschaft nicht mehr als 10 Prozent ihrer gesamten Bruttoerträge des betreffenden Wirtschaftsjahres aus eigener Wirtschaftstätigkeit erzielt oder 3. die ausländische Gesellschaft nicht mit einem für ihren Geschäftszweck angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teilnimmt.“

Aufgrund der oder-Verknüpfung ist nun eine alternative Erfüllung ausreichend; zudem wurden mit der Nr. 3 die sog. Substanzanforderungen als eigenes Tatbestandsmerkmal in das Gesetz aufgenommen, welches bislang inzident im Rahmen der eigenen Wirtschaftstätigkeit geprüft wurde.91 Maßgebend sind ausschließlich die Verhältnisse der ausländischen Gesellschaft; organisatorische, wirtschaftliche oder sonst beachtliche Merkmale der Unternehmen, die der ausländischen Gesellschaft nahe stehen, bleiben außer Betracht, § 50d Abs. 3 S. 2 EStG. An einer eigenen Wirtschaftstätigkeit fehlt es, soweit die ausländische Gesellschaft ihre Bruttoerträge aus der Verwaltung von Wirt-

88 Grotherr, IStR 2006, 351 (363 ff.); Haarmann, IStR 2005, 713 (713); Hergeth/Ettinger, IStR 2006, 307 (308); Hölzemann, IStR 2006, 830 (834 f.); Ritzer/Stangl, FR 2005, 1063 (1069). Siehe auch Kessler/Eicke, PIStB 2006, 23 (23): „Dies ist eine für den internationalen Steuerplaner wegweisende Entscheidung, in der der BFH aus der einstigen Klippe einen Fels in der Brandung des internationalen Steuerrechts macht.“ 89 BMF, Schreiben vom 30.01.2006 – IV B 1 - S 2411 - 4/06 – BStBl I 2006, 166. 90 Gemäß dem Regierungsentwurf zum JStG 2007, BT-Ds. 16/2712, S. 100, sollte dies lediglich eine „Klarstellung“ bezwecken, „was Sinn und Zweck der Vorschrift ist“. Nach allgemeiner Ansicht in der Literatur liegt darin keine bloße deklaratorische, sondern eine rechtsprechungsbrechende Gesetzesänderung, vgl. hierzu Eilers/Schneider, in: StbJb 2007/08, S. 177; Hahn-Joecks, in: K/S/M, EStG, § 50d Rn. E 1b; Klein, in: H/H/R, Jahresband 2007, § 50d EStG Rn. J 06-2; Ritzer/Stangl, FR 2006, 757 (764); Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 4; Wiese/Süß, GmbHR 2006, 972 (973). 91 Dies entsprach der gängigen Auffassung zu § 42 AO; siehe schon im 1. Teil, B.I.2.d.bb(3), S. 103 ff.

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§ 50d Abs. 3 EStG

schaftsgütern erzielt oder ihre wesentlichen Geschäftstätigkeiten auf Dritte überträgt, § 50d Abs. 3 S. 3 EStG. bb.

Wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe, § 50d Abs. 3 S. 1 Nr. 1 EStG

Gemäß § 50d Abs. 3 S. 1 Nr. 1 EStG ist die Entlastung zu versagen, wenn für die Einschaltung der ausländischen Gesellschaft wirtschaftliche oder92 sonst beachtliche Gründe fehlen. Allerdings kommt es trotz des Wortlautes weniger auf die historischen Umstände der Errichtung der Gesellschaft denn auf die Gründe für die aktuell bestehende Zwischenschaltung in die jeweiligen Rechtsbeziehungen an.93 Es leuchtet indes als selbstverständlich ein, dass zur Bestimmung der Gründe nicht auf einen formellen Gesellschaftszweck, sondern auf das tatsächliche, wirtschaftliche Handeln der jeweiligen Organe abzustellen ist; vorgeschobene Gründe sind daher unbeachtlich.94 Die Formulierung geht unmittelbar auf die frühere Basisgesellschaftenrechtsprechung zurück, so dass die entsprechenden Entscheidungen im Rahmen des § 42 AO bei der Auslegung zu berücksichtigen sind.95 Von daher wäre es zunächst naheliegend, dass die jeweiligen Gründe nicht nur die Zwischenschaltung einer Gesellschaft an sich, sondern gerade die Zwischenschaltung im Ausland rechtfertigen müssten.96 Soweit dagegen insbesondere unionsrechtliche Bedenken angeführt werden97 ist dies grundsätzlich erst in einem zweiten Schritt kollisionsrechtlich zu überprüfen.98 Jedenfalls sind Einwände dergestalt, dass der jeweiligen Rechtfertigung auch durch eine im Inland ansässige Gesellschaft genüge getan sein könnte, grundsätzlich unbeachtlich, da dies auf eine Überprüfung fiktiv-alternativer Sachverhaltsverwirklichung hi92 Schon dieser Satz ist missverständlich formuliert; gemeint ist, dass sowohl wirtschaftliche als auch sonst beachtliche Gründe fehlen müssen, Wagner, in: Blümich, ESt – KSt – GewSt, § 50d EStG Rn. 70. 93 Hofmann, § 50d Abs. 3 EStG, S. 43; Piltz, IStR 2007, 793 (796); Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 122. 94 Hahn-Joecks, in: K/S/M, EStG, § 50d Rn. E 26; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, S. 438; Piltz, IStR 2007, 793 (796); Wagner, in: Blümich, ESt – KSt – GewSt, § 50d EStG Rn. 70. Aus der alten Basisgesellschaftenrechtsprechung siehe BFH, Urteil vom 29.07.1976 – VIII R 142/73 – BStBl II 1977, 263 (265); BFH, Urteil vom 09.12.1981 – VIII R 11/77 – BStBl II 1981- 239 (342). 95 Hahn-Joecks, in: K/S/M, EStG, § 50d Rn. E 24; Hofmann, § 50d Abs. 3 EStG, S. 44; Piltz, IStR 2007, 793 (794); Schaumburg, Internationales Steuerrecht, Rn. 16.165. Gemäß Piltz, IStR 2007, 793 (795), sollen sich die Gründe an sich im Vergleich hierzu auch nicht weiterentwickelt haben. 96 BFH, Urteil vom 29.07.1976 – VIII R 41/74 – BStBl II 1977, 261 (263); Renger, Treaty Shopping, S. 11 f. 97 Haarmann, in: FS Djanani, S. 291; Klein/Hagena, in: H/H/R, § 50d EStG Rn. 56. 98 Unten B.II.3.c.aa(1)(b), S. 463;vgl. aber auch unten B.I.2.b.cc(4), S. 391.

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nausliefe.99 Im Folgenden sollen mögliche wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe im Einzelnen untersucht werden. (1)

Wirtschaftliche Gründe

Welche Erwägungen als wirtschaftliche Gründe i.S.v. § 50d Abs. 3 S. 1 Nr. 1 EStG qualifizieren, ist auch noch in der Neufassung umstritten. Die Gesetzesbegründung zum JStG 2007 begnügt sich insoweit mit einer negativen Abgrenzung, wonach solche nicht vorliegen, wenn die ausländische Gesellschaft überwiegend der Sicherung von Inlandsvermögen in Krisenzeiten dient oder für eine künftige Erbregelung oder für den Aufbau der Alterssicherung der Gesellschafter eingesetzt werden soll.100 Auch schon in den Materialien zur ursprünglichen Fassung durch das StMBG findet sich keine Definition, sondern lediglich die bereits bemühte Bezugnahme auf die Rechtsprechung des BFH.101 Die Finanzverwaltung wiederholt im Anwendungserlass letztlich nur die genannten Negativbeispiele und beschränkt sich ansonsten auf die Feststellung, dass die Gesellschaft nicht nur formal zwischengeschaltet sein dürfe.102 Auch in der Literatur wird aus der Historie vorwiegend auf die Weitergeltung der genannten Kasuistik verwiesen.103 Demnach müssten als wirtschaftliche Gründe insbesondere anerkannt werden: Die Einschaltung der Gesellschaft als Spitze eines weltweit aufzubauenden Konzerns, der Erwerb von Beteiligungen von einigem Gewicht, um den Beteiligungsgesellschaften gegenüber geschäftsleitende Funktionen wahrzunehmen, sowie die Schaffung einer konzerneigenen Finanzierungsgesellschaft zur Finanzierung von mindestens zwei Tochtergesellschaften.104 Für die fortwährende Akzeptanz dieser (Positiv-) Beispiele spricht zudem, dass das BMF diese – anders als die einleitend genannten Erwägungen – nicht ausdrücklich ausgeschlossen hat.105 Bei einer unveränderten Bezugnahme sollen als wirtschaftlicher Grund andererseits nicht als ausreichend erachtet werden: Die Wahrnehmung geschäftsleitender Funktionen nur gegenüber einer Tochtergesellschaft sowie das bloße Halten des Stammkapitals bzw. der Anteile auch mehrerer Tochtergesellschaft bei gleich99 Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50d Rn. 28c; Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 123. 100 BT-Ds. 16/2712, S. 100. 101 BT-Ds. 12/5630, S. 65. 102 BMF, Schreiben vom 03.04.2007 – IV B 1 - S 2411/07/0002 – DStR 2007, 719 (720), Tz. 5. 103 Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50d Rn. 28c; Hahn-Joecks, in: K/S/M, EStG, § 50d Rn. E 51; Klein/Hagena, in: H/H/R, § 50d EStG Rn. 56; Piltz, IStR 2007, 793 (797); Schaumburg, Internationales Steuerrecht, Rn. 16.165. 104 Siehe bereits oben 1. Teil, B.I.2.d.bb(2), S. 101, m.w.N.; ebenso Hahn-Joecks, in: K/S/M, EStG, § 50d Rn. E 51; Hofmann, § 50d Abs. 3 EStG, S. 44. 105 Piltz, IStR 2007, 793 (797).

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zeitiger Beschränkung auf die Wahrnehmung der Gesellschafterrechte.106 Letztgenannte Beispiele sind jedoch schon deshalb kritisch zu sehen, da diese Sachverhalte bereits im Rahmen der Entwicklung zu § 42 AO vornehmlich bei der Bestimmung des Fehlens einer eigenwirtschaftlichen Tätigkeit zu berücksichtigen sind107 und dies erst recht im Rahmen des § 50d Abs. 3 EStG gelten muss, welcher eine eindeutige Aufteilung auf unterschiedliche (sachliche) Tatbestandsmerkmale vorsieht. Vorzugswürdig erscheint daher der Ansatz, zunächst unabhängig von dieser Kasuistik eine positive Begriffsbestimmung vorzunehmen und wirtschaftliche Gründe danach zu bemessen, ob die Einschaltung der Realisierung eines betrieblichen Vorteils in einem überschaubaren Zeitraum dient.108 Betriebliche Vorteile können sich in diesem Sinne nicht nur unmittelbar in einer Ertragssteigerung oder Aufwandsminderung niederschlagen, sondern sich auch mittelbar durch die Generierung zusätzlicher Chancen oder die Vermeidung von Risiken ergeben, solange ein hinreichender Zusammenhang feststellbar ist.109 Zu berücksichtigen ist, dass nach der Neufassung allein das Fehlen eines wirtschaftlichen Grundes die Versagung sachlich begründet, bzw. – aus Sicht der antragstellenden Gesellschaft – ein solcher stets vorliegen muss, um die Entlastung beanspruchen zu können. Um keine übermäßigen Anforderungen zu stellen110 und den verbleibenden Tatbestandsmerkmalen einen eigenen, substantiellen Regelungsbereich zuzubilligen, ist daher eine restriktive Auslegung des Fehlens wirtschaftlicher Gründe bzw. – wiederum aus Sicht der Gesellschaft – eine weite Auslegung deren Vorliegens angezeigt. In diesem Lichte sind auch die bereits genannten Streitfälle zu sehen. Die in der Gesetzesbegründung und dem Anwendungserlass ausgeschlossenen Fallgruppen – Sicherung von Inlandsvermögen in Krisenzeiten, Einsatz für eine künftige Erbregelung oder für den Aufbau der Alterssicherung der Gesellschafter – sind daher zu Recht als kritisch und als zu weitgehend zu erach-

106 Auch hierzu m.w.N. im 1. Teil, B.I.2.d.bb(2), S. 101, sowie Hahn-Joecks, in: K/S/M, EStG, § 50d Rn. E 26; Hofmann, § 50d Abs. 3 EStG, S. 44. 107 Zur Darstellung m.w.N. siehe im 1. Teil, B.I.2.d.bb(3)(a), S. 103. Aufgrund der historischen Herleitung gilt dies ungeachtet der Tatsache, dass es nach der Neufassung des § 42 Abs. 2 AO im Lichte von Vermutungswirkungen und Nachweislasten durchaus Kongruenztendenzen geben kann. 108 Micker, FR 2009, 409 (412); Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 123, mit Verweis auf BFH, Urteil vom 24.02.1976 – VIII R 155/71 – BStBl II 1977, 265 (266). 109 Vgl. auch Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 123. 110 Zu den verfassungsrechtlichen Anforderungen an typisierende Missbrauchsvorbehalte siehe allgemein im 1. Teil, B.I.3.d, S. 127, sowie speziell zu § 50d Abs. 3 EStG sogleich unter B.II.1.a.aa, S. 420.

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ten.111 Im Schrifttum werden weiterhin exemplarisch die Vorbereitung eines Wohnsitzwechsels und der Verlagerung der beruflichen Tätigkeit ins Ausland, die Einschaltung einer Gesellschaft als zentrale Vermögenshaltungs- und Vermögensverwaltungsstelle für ein breit gestreutes Vermögen, der Schutz der Anonymität der Investitionen aus absatzwirtschaftlichen Gründen („buy national“), sowie die Verwertung der Beteiligung zur Kreditbesicherung bzw. zur Verbesserung der Finanzierungsmöglichkeiten im Allgemeinen genannt.112 All dies dient der Realisierung eines betrieblichen Vorteils und ist bei der gebotenen weiten Auslegung als ausreichender wirtschaftlicher Grund anzusehen. Teilweise wird sogar noch einen Schritt weitergegangen und in Anlehnung an das betriebswirtschaftliche Schrifttum auf sämtliche betriebswirtschaftlichen Zwecke der Vorschaltung von Holdinggesellschaften verwiesen:113 In Ergänzung oder Vertiefung zu den bisher genannten Gründen sollen insbesondere die kapital- und stimmrechtsmäßige Konzentration, die Führungs- und Gesellschafterkontinuität, die Moderationsfunktion für Abstimmungen im Management zwischen Beteiligungsgesellschaften, Einspar- und Synergieeffekte im Zusammenhang mit der Nachfrage nach und der Verwaltung von Kapital, die erleichterte Eigenkapitalbeschaffung von dritter Seite, Erwägungen des CashManagements und des Zins- und Devisenmanagements, Risikoausgleicherwägungen sowie Informations- und Transaktionskostenvorteile beachtlich sein.114 Diese dürften regelmäßig stets dann gegeben sein, wenn mehr als eine Beteiligung gehalten wird.115 Auch steuerliche Vorteile sind selbstverständlich betriebliche Vorteile, eine Nichtberücksichtigung wäre unternehmerisch falsch; nach Sinn und Zweck sowie Historie der Vorschrift ist es dennoch unstrittig, dass allein steuerliche Gründe grundsätzlich keinen ausreichender Grund i.S.v. § 50d Abs. 3 S. 1

111 Haarmann, in: FS Djanani, S. 290 f.; Kessler/Eicke, IStR 2006, 577 (578); Korts, IStR 2007, 663 (663); Piltz, IStR 2007, 793 (798), jeweils mit Beispielen und Nachweisen. In besonderem Maße gilt dies für die Fallgruppe „Sicherung von Inlandsvermögen in Krisenzeiten“, die nach in der Literatur vertretener Ansicht abstrakt betrachtet als gerechtfertigt angesehen werden könne, nur sei die Gestaltung im konkret entschiedenen Fall des BFH eben ungeeignet zur Herbeiführung dieses Ziels gewesen, so Haarmann, in: FS Djanani, S. 290; Korts, IStR 2007, 663 (663). 112 Piltz, IStR 2007, 793 (797). 113 Vgl. Haarmann, in: FS Djanani, S. 287. 114 Haarmann, in: FS Djanani, S. 288 f. m.w.N.; Scheffler, in: Lutter, Holding-Handbuch, S. 36 ff. Zusammenfassend auch Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 123. 115 Haarmann, in: FS Djanani, S. 290.

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Nr. 1 EStG darstellen.116 Aus den genannten Gründen ist dieser Ausschluss indes allein auf steuerliche Vorteile im Inland beschränkt. Dies entspricht dem Regelungsgedanken des § 50d Abs. 3 EStG, der allein die missbräuchliche Inanspruchnahme deutscher Quellensteuern verhindern will. Der im Schrifttum und vereinzelt auch in der Rechtsprechung vertretenen Ansicht, wonach das Ausnutzen ausländischer Steuervorteile bei der Beurteilung außersteuerlicher Gründe zu berücksichtigen ist,117 muss daher zugestimmt werden. (2)

Sonst beachtliche Gründe

Sonst beachtliche Gründe stehen den bereits dargestellten wirtschaftlichen Gründen gleich; hierbei sollen nach dem Willen des Gesetzgebers und der Finanzverwaltung rechtliche, politische oder auch religiöse Gründe in Betracht kommen.118 In der Literatur wird als Beispiel vornehmlich die Verdeckung einer direkten Beteiligung aus politischen oder religiösen Motiven aus dem Umfeld des Investors genannt;119 zudem werden als rechtliche Gründe teilweise kartellrechtliche, arbeitsrechtliche und haftungsrechtliche Erwägungen in Erwägungen gezogen,120 die nach hier vertretener Ansicht aber regelmäßig schon als betrieblicher Vorteil und damit als wirtschaftlicher Grund qualifizieren 116 Haarmann, in: FS Djanani, S. 291; Hahn-Joecks, in: K/S/M, EStG, § 50d Rn. E 26; Piltz, IStR 2007, 793 (795); Wagner, in: Blümich, ESt – KSt – GewSt, § 50d EStG Rn. 70. 117 Dies bezieht sich üblicherweise auf ausländische Steuervergünstigungen, BFH, Urteil vom 07.09.2005 – I R 118/04 – DStR 2005, 2120 (2121); Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50d Rn. 28c; Haarmann, in: FS Djanani, S. 289 f.; Hahn-Joecks, in: K/S/M, EStG, § 50d Rn. E 26; Micker, FR 2009, 409 (412); Piltz, IStR 2007, 793 (797).; Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 123. Haarmann, in: FS Djanani, S. 289 f., und Piltz, IStR 2007, 793 (797), wollen dies auch auf sonstige Besonderheiten des ausländischen Steuerrechts übertragen, wie etwa Holdingprivilegien oder grenzüberschreitende Verlustverrechnung. Nicht ganz unproblematisch ist es aber, wenn auch das Ausnutzen des Steuergefälles in diesem Zusammenhang als unschädlich genannt wird, so etwa Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50d Rn. 28c; Hahn-Joecks, in: K/S/M, EStG, § 50d Rn. E 26, jeweils mit Verweis auf BFH, Urteil vom 20.03.2002 – I R 63/99 (Delaware) – BStBl II 2003, 50 (51 f.). Denn im zugrundliegenden Urteil hat der BFH ausdrücklich das Vorliegen eines besonderen wirtschaftlichen Grundes offen gelassen und lediglich klargestellt, dass das Ausnutzen des Steuergefälles keinen gesonderten Missbrauchsvorwurf begründe. In diesem Sinne kann dem zugestimmt werden, der entsprechende betriebliche Vorteil der Ertragsbesteuerung im Ausland ist insoweit nicht durch den Zweck des § 50d Abs. 3 EStG „gesperrt“. 118 BT-Ds. 16/2712, S. 100; BMF, Schreiben vom 03.04.2007 – IV B 1 - S 2411/07/0002 – DStR 2007, 719 (720), Tz. 5. 119 Hofmann, § 50d Abs. 3 EStG, S. 46; Piltz, IStR 2007, 793 (799); Renger, Treaty Shopping, S. 11 m.w.N.; Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 124. 120 Haarmann, in: FS Djanani, S. 289; Kessler/Eicke, IStR 2006, 577 (579).

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könnten. Darüber hinaus wird die mangelnde Konturierung beklagt und darauf verwiesen, dass diese kaum praktisch relevant werden dürften121 – auch aufgrund der Tatsache, dass für eine Gewährung der Entlastung kumulativ die Voraussetzungen der Nr. 2 und 3 einzuhalten wären, die schon historisch auf die Darlegung wirtschaftlicher Gründe zugeschnitten sind. (3)

Bezugspunkt der Betrachtung, § 50d Abs. 3 S. 2 EStG

Sowohl hinsichtlich des Vorliegens der wirtschaftlichen als auch der sonst beachtliche Gründe ist problematisch, auf wen sich diese Betrachtung bezieht, mit anderen Worten, wer diese Gründe geltend machen bzw. vorweisen muss – die Gesellschaft selbst oder deren Anteilseigner? Ausgangspunkt dieser Fragestellung ist § 50d Abs. 3 S. 2 EStG, wonach ausschließlich die Verhältnisse der ausländischen Gesellschaft maßgeblich sind; organisatorische, wirtschaftliche oder sonst beachtliche Merkmale der Unternehmen, die der ausländischen Gesellschaft nahe stehen (§ 1 Abs. 2 AStG), bleiben außer Betracht. Diese Regelung ergänzt insbesondere122 die sachliche Voraussetzung des S. 1 Nr. 1 EStG und richtet sich gegen die Argumentation des BFH in der Sache Hilversum II.123 Schon die Gesetzesbegründung möchte daher Struktur- und Strategiekonzepte eines Konzerns zur Rechtfertigung von Steuerentlastungen nach Abs. 1 oder Abs. 2 EStG ausschließen, da sich konzerninterne Merkmale relativ einfach gestalten bzw. begründen ließen und die Vorschrift dadurch leicht umgangen werden könnte; außerdem seien derartige Merkmale in der Praxis kaum nachprüfbar.124 In die gleiche Richtung stößt die Finanzverwaltung im Anwendungserlass zu § 50d Abs. 3 EStG und präzisiert dazu in Bezug auf Abs. 3 S. 1 Nr. 1, dass Umstände, die sich aus Verhältnissen des Konzernverbundes ergeben – wie z.B. Gründe der Koordination, Aufbau der Kundenbeziehungen, Kosten, örtliche Präferenzen, gesamtunternehmerische Konzeption –, keine wirtschaftlichen oder sonst beachtlichen Gründe darstellen sollen.125

121 Hofmann, § 50d Abs. 3 EStG, S. 46; Piltz, IStR 2007, 793 (799); Renger, Treaty Shopping, S. 11, je m.w.N. Auch der BFH hat hierzu bislang noch nicht judiziert und diese nur theoretisch vorbehalten, siehe B.I.2.d.bb(2), S. 101. 122 Schon aufgrund der systematischen Stellung, aber auch nach seinem Wortlaut, nimmt S. 2 auf sämtliche sachlichen Voraussetzungen des S. 1 Nr. 1-3 Bezug, BMF, Schreiben vom 03.04.2007 – IV B 1 - S 2411/07/0002 – DStR 2007, 719 (721), Tz. 9; Piltz, IStR 2007, 793 (796); Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 173. Zur sog. isolierten Betrachtungsweise siehe auch im Folgenden B.I.2.b.ee, S. 404. 123 Siehe bereits oben B.I.2.b.aa, S. 373, insbesondere vor Fn. 86. 124 BT-Ds. 16/2712, S. 60. 125 BMF, Schreiben vom 03.04.2007 – IV B 1 - S 2411/07/0002 – DStR 2007, 719 (720 f.), Tz. 5 und Tz. 9.

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§ 50d Abs. 3 EStG

Dieser Sichtweise ist das Schrifttum einhellig entgegen getreten mit dem Argument, dass sich die antragstellende ausländische Gesellschaft nicht selbst einschalten könne, sondern hierfür immer allein die Sphäre der Anteilseigner die Verantwortung trage, da diese schließlich auch die Gesellschaft zu deren Zwecke einsetze.126 Weitere Kritik äußert sich darin, dass im Konzernsteuerrecht stets das Konzernumfeld in die Betrachtung einzubeziehen sei und dies einer isolierten Betrachtungsweise widerspreche, so etwa in den §§ 1 AStG, 8b KStG, 14 ff. KStG.127 Im Lichte der Entstehungsgeschichte, der genannten Argumente und selbst unter Berücksichtigung der Umgehungsgefahr muss der Literatur zugestimmt werden und die Sphäre des Anteilseigners für die Bestimmung der jeweiligen Gründe maßgeblich sein, so dass Struktur- und Strategiekonzepte im Konzern nicht grundsätzlich ausgeschlossen, sondern unter gewissen Einschränkungen doch beachtlich sind. Entscheidend dürfte hierbei sein, dass diese auch tatsächlich einem übergreifenden Konzept zuzuordnen sind, d.h. nicht nur einzelfallbezogen, sondern auf Dauer angelegt sind,128 und auch tatsächlich umgesetzt werden, anstatt nur auf dem Papier zu existieren.129 Weiterhin spricht für diese Sichtweise die bereits dargelegte weite Auslegung der wirtschaftlichen Gründe;130 vom Wortlaut des § 50d Abs. 3 S. 1 Nr. 1 EStG wären Struktur- und Strategiekonzepte als betrieblich vorteilhaft ohne weiteres umfasst. Hierdurch wird die Regelung des S. 2 keineswegs sinnentleert, denn diese steht weiterhin einer unbeschränkten Zurechnung der sachlichen Voraussetzungen etwa zwischen Schwestergesellschaften (als nahe stehende Personen i.S.v. § 1 Abs. 2 AStG) entgegen: Zum einen ist der antragstellenden Gesellschaft verwehrt, sich ohne eigene Rechtfertigung allein auf die wirtschaftliche

126 Altrichter-Herzberg, GmbHR 2007, 579 (580); Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50d Rn. 29c; Hahn-Joecks, in: K/S/M, EStG, § 50d Rn. E 54; Hofmann, § 50d Abs. 3 EStG, S. 43; Kaiser, IStR 2009, 121 (126); Piltz, IStR 2007, 793 (796); Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 125. A.A. Fischer, in: H/H/Sp, § 42 AO Rn. 284, infolge des innentheoretischen Ansatzes. Dies gilt insbesondere für die Kategorie der sonst beachtlichen Gründe, da in Bezug auf eine Kapitalgesellschaft weder politische noch religiöse Gründe vorstellbar sind, Piltz, IStR 2007, 793 (796). 127 Kessler/Eicke, IStR 2006, 577 (580). 128 Kessler/Eicke, IStR 2006, 577 (579 f.); Wagner, in: Blümich, ESt – KSt – GewSt, § 50d EStG Rn. 70. In diesem Sinne schon BFH, Urteil vom 31.05.2005 – I R 74/04 u.a. – BStBl II 2006, 118 (120). 129 Altrichter-Herzberg, GmbHR 2007, 579 (580); Hofmann, § 50d Abs. 3 EStG, S. 45; Kessler/Eicke, IStR 2006, 577 (580). Hierzu schon allgemein oben Fn. 94. 130 Ebenso Altrichter-Herzberg, GmbHR 2007, 579 (580). Nach Piltz, IStR 2007, 793 (796), würde andernfalls das Tatbestandsmerkmal der Nr. 1 regelmäßig leerlaufen (argumentum ad absurdum).

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Gründe der Errichtung anderer Konzerngesellschaften zu berufen;131 zum anderen wird die isolierte Betrachtungsweise noch in Bezug auf die weiteren Tatbestandsmerkmale der eigenwirtschaftlichen Tätigkeit und der angemessenen Substanz relevant.132 Es bedarf insoweit keiner Rechtsfortbildung, da eine solche Auslegung noch durch den Wortsinn des S. 2 gedeckt wäre; aufgrund des dargestellten systematischen und teleologischen Zusammenhangs muss lediglich die historische Auslegung zurückstehen. cc.

Eigene Wirtschaftstätigkeit, § 50d Abs. 3 S. 1 Nr. 2, S. 3 EStG

(1)

Grundsätze der eigenen Wirtschaftstätigkeit

Gemäß § 50d Abs. 3 S. 1 Nr. 2 EStG ist die Entlastung zu versagen, wenn die ausländische Gesellschaft nicht mehr als 10% ihrer gesamten Bruttoerträge des betreffenden Wirtschaftsjahres aus eigener Wirtschaftstätigkeit erzielt; an einer solchen fehlt es gemäß S. 3, soweit die ausländische Gesellschaft ihre Bruttoerträge aus der Verwaltung von Wirtschaftsgütern erzielt oder ihre wesentliche Geschäftstätigkeiten auf Dritte überträgt. Im Vergleich zur Altfassung wurde das Erfordernis der eigenen Wirtschaftstätigkeit durch das JStG 2007 somit nicht nur zu einem alternativen Versagungsgrund verändert, sondern zugleich auch eine prozentuale Untergrenze eingeführt, um so die Deklarierung von Minimaltätigkeiten zur Erreichung der Entlastung zu verhindern.133 Insoweit nähert sich die Neufassung des § 50d Abs. 3 EStG in gewissem Maße an den Rechtsstand zu § 42 AO an, da schon nach der zwischenzeitlich fortentwickelten Basisgesellschaftenrechtsprechung, aber auch in der Fassung des JStG 2008, selbst bei Bejahung einer eigenwirtschaftlichen Tätigkeit in Einzelfällen – insbesondere bei nicht ins Gewicht fallenden Tätigkeiten – aufgrund einer Gesamtwürdigung noch eine unangemessene Gestaltung bejaht werden konnte bzw. kann.134 Dennoch handelt es sich in der Praxis regelmäßig

131 Hahn-Joecks, in: K/S/M, EStG, § 50d Rn. E 54; Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 125. Schwierig ist hingegen zu beantworten, welche Auswirkung S. 2 auf die Frage hat, ob die Vorschaltung einer weiteren Holdinggesellschaft als Obergesellschaft dem wirtschaftlichen Grund für die Einschaltung einer weiteren (Zwischen)Holding entgegensteht; S. 2 dürfte dies eher verneinen denn bestätigen. 132 Dies bestätigt sich bei einer historischen Betrachtung, wonach durch die Regelung des S. 2 insbesondere die Zurechnung der aktiven Wirtschaftstätigkeit nahestehender Personen verhindert werden sollte, hierzu Piltz, IStR 2007, 793 (796). Umstritten ist allerdings, inwieweit hiernach die Existenz anderer aktiv tätiger Konzerngesellschaften im selben Staat als Indiz gegen die missbräuchliche Einschaltung herangezogen werden kann, hierzu unten B.I.2.b.ee, S. 404. 133 BT-Ds. 16/2712, S. 60. 134 Vgl. nur im 1. Teil, B.I.2.d.cc(2)(a), S. 112.

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um das bedeutsamste Kriterium,135 was sich auch in theoretischer Hinsicht dadurch belegen lässt, dass nach hier vertretener Ansicht das Kriterium des wirtschaftlichen Grundes weit auszulegen ist und dessen Fehlen daher nur in engen Grenzen angenommen werden kann. Eine eigene Wirtschaftstätigkeit erfordert – ähnlich der Voraussetzung des Gewerbebetriebs in § 15 Abs. 2 EStG – eine Beteiligung der Gesellschaft am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr, d.h. eine von Gewinnerzielungsabsicht getragene nachhaltige Beteiligung am Leistungs- und Güteraustausch; die Tätigkeit muss nach außen in Erscheinung treten und sich an eine – wenn auch begrenzte – Allgemeinheit richten.136 Ob die Gesellschaft auch genügend Substanz zur Durchführung der Tätigkeit aufweist, ist nach der Neufassung erst im Rahmen des § 50d Abs. 3 S. 1 Nr. 3 EStG als eigenständige Voraussetzung zu prüfen; folglich sind auch die damit verbundenen Rechtsprobleme dort zu erörtern und im Rahmen der Nr. 2 zunächst unbeachtlich.137 Unproblematisch sind insoweit diejenigen Erscheinungsformen einer Holding, die nach betriebswirtschaftlicher Lehre aufgrund eines eigenständigen Gewerbes neben der Beteiligungsverwaltung als sog. „Mischformen“ gekennzeichnet werden.138 Eine reine Vermögensverwaltung scheidet schon nach diesen Maßstäben als nicht ausreichend aus, dies stellt auch § 50d Abs. 3 S. 3 Alt. 1 klar, wonach eine eigene Wirtschaftstätigkeit fehlt, wenn die ausländische Gesellschaft ihre Bruttoerträge aus der Verwaltung von Wirtschaftsgütern erzielt.139

135 Eilers/Schneider, in: StbJb 2007/08, S. 178. 136 BFH, Urteil vom 09.07.1986 – I R 173/83 – BStBl II 1986, 851 (851); Hahn-Joecks, in: K/S/M, EStG, § 50d Rn. E 56; Renger, Treaty Shopping, S. 13. Dies entspricht auch der Rechtsprechung und h.M. zu § 42 AO, auf die daher ergänzend zurückgegriffen werden kann, hierzu vgl. nur im 1. Teil, B, Fn. 374. Siehe auch die Gesetzesbegründung in BTDs. 16/2712, S. 60, die von einer Erzielung „am Markt“ ausgeht und zudem auf § 50d Abs. 3 S. 1 Nr. 3 EStG verweist. 137 Nach bisheriger Rechtslage sowohl im Rahmen des § 50d Abs. 3 EStG als auch im Rahmen des § 42 AO war dies inzident im Rahmen der eigenwirtschaftlichen Tätigkeit zu prüfen, siehe etwa oben im 1. Teil, B.I.2.d.cc(2)(a), S. 112. Diese tatbestandliche Verselbständigung ist die Konsequenz aus der BFH-Entscheidung Hilversum II, die trotz Substanzschwäche die Entlastung gewährt hat, hierzu ausführlich oben B.I.2.b.aa, S. 373. 138 Bader, Steuergestaltung mit Holdinggesellschaften, S. 39, Lutter, in: Lutter, Holding-Handbuch, S. 13 f.; Scheffler, in: Lutter, Holding-Handbuch, S. 31. Eine „operative“ Holding soll nach diesen Stimmen hingegen nur die Intensität des Führungseinflusses bei Ausübung reiner geschäftsleitender Funktion umschreiben. 139 Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 181, folgert allein hieraus im Wege einer Negativabgrenzung den Begriff der eigenen Wirtschaftstätigkeit. Der hier vertretene positive Ansatz ist jedoch im Hinblick auf etwaige Streitfälle vorzuziehen. Zu Recht hebt er des Weiteren hervor, dass S. 3 in der Alt. 1 das Problem der eigenen

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Diese scheinbar klare Abgrenzung ist aber in zahlreichen Einzelfragen umstritten, auf die im Folgenden näher einzugehen ist. (2)

Beteiligungsverwaltung

Die wichtigste und zugleich am heftigsten umstrittene Fallgruppe ist diejenige der Beteiligungsverwaltung. Denn auch das Halten von Anteilen an einer oder mehreren Gesellschaften kann als Verwaltung von Wirtschaftsgütern angesehen werden und wäre gemäß S. 3 somit unbeachtlich.140 In Übereinstimmung mit der bisherigen Rechtslage wird aber schon in der Gesetzesbegründung darauf verwiesen, dass nicht nur bloße Vermögensverwaltung vorliege, sondern eine eigene Wirtschaftstätigkeit bejaht werden könne, soweit geschäftsleitende Funktionen im Zusammenhang mit den jeweiligen Beteiligungen ausgeübt werden. Eine Geschäftsleitung liege vor, wenn zu dem Halten der jeweiligen Beteiligung noch eine Managementtätigkeit hinzukomme; zwingende Voraussetzung sei jedoch eine tatsächliche Managementtätigkeit für mehr als eine Untergesellschaft.141 Die Finanzverwaltung schließt sich dem im Anwendungserlass an und unterscheidet insoweit zwischen der aktiven und der passiven Beteiligungsverwaltung: Eine aktive Beteiligungsverwaltung und damit eine eigene Wirtschaftstätigkeit solle vorliegen, wenn Beteiligungen von einigem Gewicht142 erworben werden, um diesen gegenüber geschäftsleitende Funktionen wahrzunehmen; passive Beteiligungsverwaltung und demnach nicht ausreichend sei die Ausübung geschäftsleitender Funktionen gegenüber nur einer Tochtergesellschaft oder das bloße Halten der Anteile unter Ausübung der Gesellschafterrechte.143 Augenfällig ist hierbei die Anlehnung an die früher von der Rechtsprechung entschiedenen Konstellationen.144 In Übereinstimmung mit dem betriebswirtschaftlichen Schrifttum greift auch die Literatur diese Gedanken auf und differenziert zumeist zwischen einer geschäftsleitenden Holding und der bloßen Verwaltungsholding.145

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Wirtschaftstätigkeit und in Alt. 2 dasjenige der eigenen Wirtschaftstätigkeit adressiert. Vgl. schließlich auch BT-Ds. 16/2712, S. 60. Siehe schon BT-Ds. 16/2712, S. 60. BT-Ds. 16/2712, S. 60, auch zum Vorstehenden. Hierfür solle nicht die Höhe der kapitalmäßigen Beteiligung entscheidend sein, sondern ob tatsächlich auf das Geschäft Einfluss genommen wird, BMF, Schreiben vom 03.04.2007 – IV B 1 - S 2411/07/0002 – DStR 2007, 719 (720), Tz. 6.2. BMF, Schreiben vom 03.04.2007 – IV B 1 - S 2411/07/0002 – DStR 2007, 719 (720), Tz. 6.2. Siehe schon im 1. Teil, B.I.2.d.bb(3)(a), S. 103. Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50d Rn. 28d; Hahn-Joecks, in: K/S/M, EStG, § 50d Rn. E 57; Hundt, in: FS Debatin, S. 158; Renger, Treaty Shopping, S. 14 f. Kessler/Eicke, IStR 2006, 577 (579), verwenden die Unterscheidung geschäftsleitende/reine Holding.

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Uneinigkeit besteht jedoch darüber, nach welchen Kriterien die Abgrenzung vorzunehmen ist, mithin wann tatsächlich geschäftsleitende Funktionen ausgeübt werden. Nach Ansicht des BMF sind hierfür Führungsentscheidungen erforderlich, welche sich durch ihre langfristige Natur, ihre Grundsätzlichkeit und ihre Bedeutung für die geleitete Beteiligungsgesellschaft auszeichnen, im Gegensatz zu nur kurzfristig und ausführungsbezogenen bzw. zur Durchführung nur einzelner Geschäftsfunktionen erforderlichen Entscheidungen.146 In der Literatur wird teilweise ebenso die strategische Führung und Einflussnahme betont.147 Hervorgehoben wird jedoch ganz überwiegend, dass allein die von der Finanzverwaltung bemühten Kriterien keine sichere Abgrenzung gewährleisten.148 Zudem wird im Schrifttum darauf verwiesen, dass jedenfalls keine umfassende Konzernleitung erforderlich sei, sondern lediglich ein Teil der denkbaren Führungsaufgaben ausgeübt werden müsse.149 Dem ist mit dem

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Die betriebswirtschaftliche Lehre verwendet zum Teil abweichende Begrifflichkeiten bei in der Sache gleicher Zielrichtung: Eine sog. Verwaltungsholding hält und verwaltet die von ihr gehaltenen Beteiligungen an anderen Unternehmen; sie beschränkt sich auf die Ausübung der Mitgliedschaftsrechte aus den Anteilen und nimmt keine Führungsfunktionen wahr; regelmäßig finanziert sie die Beteiligungen auch, da insoweit ein unmittelbarer, nicht trennbarer Zusammenhang mit der Beteiligung an sich besteht, so dass auch eine Finanzholding in diese Kategorie fällt, vgl. Bader, Steuergestaltung mit Holdinggesellschaften, S. 30; Haarmann, in: FS Djanani, S. 287; Hintzen, Zwischenholding, S. 9; Keller, Unternehmensführung, S. 55 f.; Lutter, in: Lutter, Holding-Handbuch, S. 14 f.; Scheffler, in: Lutter, Holding-Handbuch, S. 30 f.; mitunter wird auch von einer Holding im weiten Sinne gesprochen, vgl. Bader, Steuergestaltung mit Holdinggesellschaften, S. 30; Kessler, Euro-Holding, S. 10. Demgegenüber zeichnet sich eine Managementholding bzw. Führungsholding dadurch aus, dass sie nicht nur verwaltet, sondern die Beteiligungsgesellschaften zusätzlich führt, indem sie deren wirtschaftliche bzw. unternehmerischer Ziele sowie die mittel- und langfristige Unternehmensstrategie koordiniert; i.d.R. beschränkt sich dies auf die geschäftliche Oberleitung, vgl. Bader, Steuergestaltung mit Holdinggesellschaften, S. 34 f.; Hintzen, Zwischenholding, S. 14 f.; Keller, Unternehmensführung, S. 55 f.; Kessler, Euro-Holding, S. 10; Lutter, in: Lutter, Holding-Handbuch, S. 11 ff.; Scheffler, in: Lutter, Holding-Handbuch, S. 31 f. BMF, Schreiben vom 03.04.2007 – IV B 1 - S 2411/07/0002 – DStR 2007, 719 (720), Tz. 6.3. Siehe z.B. Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50d Rn. 28d, der bei Vorliegen einer Nominalbeteiligung von mind. 25% eine geschäftsleitende Funktion als indiziert ansieht. Zustimmend Eilers/Schneider, in: StbJb 2007/08, S. 181. So auch die betriebswirtschaftliche Literatur, die als Kennzeichen der Führungsholding die Koordination der wirtschaftlichen bzw. unternehmerischen Ziele sowie der mittel- und langfristigen Unternehmensstrategie ansieht, hierzu bereits Fn. 145. Günkel/Lieber, Ubg 2008, 383 (386); Hahn-Joecks, in: K/S/M, EStG, § 50d Rn. E 66a; Korts, IStR 2007, 663 (664). Günkel/Lieber, Ubg 2008, 383 (386); Korts, IStR 2007, 663 (664); Renger, Treaty Shopping, S. 15; Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 188.

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FG Köln150 zuzustimmen, da schon der BFH im Rahmen der Basisgesellschaftenrechtsprechung nur einzelne Funktionen als ausreichend erachtet hat151 und dies aufgrund der Historie der Vorschrift berücksichtigt werden muss. Dies gilt umso mehr bei der im Rahmen des § 50d Abs. 3 S. 1 EStG vorgegebenen Alternativität der sachlichen Tatbestandsmerkmale, die einer zu engen Fassung entgegensteht. Eine geschäftsleitende Tätigkeit liegt demnach vor, wenn mehrere der im Folgenden genannten substantiellen Führungsaufgaben durch die ausländische Gesellschaft ausgeübt werden: Koordination und allgemeines Management, Strategievorgabe, Unterstützung im Personalbereich, Finanzund Rechnungswesen, Rechts-, Steuer- und Unternehmensberatung, Produktüberwachung, Marketing und Vertrieb, Nutzungsüberlassung, Darlehensgewährung sowie Bürgschaftsübernahme.152 Von den meisten Autoren wird hierbei grundsätzlich akzeptiert, dass die Führungsfunktion gegenüber mindestens zwei Beteiligungsgesellschaften ausgeübt werden muss, mit dem Argument, dass die Zwischengesellschaft als Holding nur einer Tochtergesellschaft keine eigene gewerbliche Tätigkeit ausübe, sondern nur diejenige der operativen Gesellschaft nachvollziehe, mithin also nur ein einziges gewerbliches Unternehmen bestehe.153 Hieran wird aber auch Kritik geäußert.154 Dieser ist zuzustimmen, denn das Argument der Identität des gewerblichen Unternehmens steht nicht zwingend der Feststellung entge150 FG Köln, Urteil vom 16.03.2006 – 2 K 1139/02 – IStR 2006, 425 (427). 151 BFH, Urteil vom 29.01.1975 – I R 135/70 – BStBl II 1975, 553 (555); BFH, Urteil vom 09.12.1980 – VIII R 11/77 – BStBl II 1981, 339 (342), dort als wirtschaftlicher Grund angesehen; Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, S. 438. 152 BFH, Urteil vom 29.01.1975 – I R 135/70 – BStBl II 1975, 553 (555); BFH, Urteil vom 23.10.1991 – I R 40/89 – BStBl II 1992, 1026 (1028); FG Köln, Urteil vom 16.03.2006 – 2 K 1139/02 – IStR 2006, 425 (427); Bächle/Rupp/Ott/Knies, Internationales Steuerrecht, S. 715; Korts, IStR 2007, 663 (664); Renger, Treaty Shopping, S. 15; Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 188, mit Beispielen. Kessler/Eicke, DStR 2007, 781 (783), argumentieren gegen ein zu enge Sichtweise noch mit dem „heutigen Trend dezentral geführter Konzerne“ und sehen ein Sonderproblem in einer Kollision mit dem Schweizer Holdingregime, das eine Steuerbefreiung vom Schwerpunkt der Beteiligungsverwaltung und von Nichtvorliegen einer Geschäftstätigkeit abhängig mache, so dass ein Zielkonflikt bestehe. Zum Problem der abweichenden Geschäftsleitungsbetriebsstätte siehe Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 189. 153 Hofmann, § 50d Abs. 3 EStG, S. 48, mit Verweis auf Flume, DB 1959, 1296 (1298). Vgl. auch BFH, Urteil vom 09.12.1980 – VIII R 11/77 – BStBl II 1981, 339 (342). Siehe auch die Nachweise in Fn. 145, dort wird diese Einschränkung regelmäßig ohne gesonderte Erörterung hingenommen. 154 Nach Micker, FR 2009, 409 (413), ist auch die aktive Managementtätigkeiten gegenüber nur einer Tochtergesellschaft als genauso auf dem Markt tätig ausreichend. Kritisch auch Korts, IStR 2007, 663 (664): Es handele sich um eine neue Voraussetzung, die keineswegs so selbstverständlich sei wie vom BMF gefordert.

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gen, dass dieses von der Holdinggesellschaft ausgeübt wird. Dies zeigt sich insbesondere, sofern die ausländische Gesellschaft Führungsentscheidungen über das erforderliche Mindestmaß hinaus ausübt und insoweit selbst „operativ“155 tätig ist. Im Übrigen steht das Gegenargument der einheitlichen Geschäftstätigkeit nicht einer solchen Betrachtung entgegen, dass diese bei entsprechender Führungsintensität gerade durch die Zwischengesellschaft ausgeübt wird – Substanzerwägungen sind insoweit gerade unbeachtlich. Da auch der Wortlaut des § 50d Abs. 3 S. 1 Nr. 2 keine Beschränkung vorgibt, ist mithin zwar die aktive Beteiligungsverwaltung im Regelfall nur gegenüber mehreren Tochtergesellschaften gegeben; gegenüber nur einer Tochtergesellschaft muss dies aber dadurch kompensiert werden können, dass nicht nur ein Teil der Führungsaufgaben wahrgenommen, sondern die gesamte operative Leitung durch die Holding vorgegeben wird.156 Unter Beachtung dieser Grenzen zählen die von den geleiteten Gesellschaften gezahlten Dividenden und sonstigen Erträge auch im Rahmen der Berechnung der 10%-Grenze nicht mehr als bloße passive Beteiligungserträge, sondern als Erträge aus einer eigenen aktiven Wirtschaftstätigkeit der ausländischen Gesellschaft.157 (3)

Outsourcing und eigene Wirtschaftstätigkeit

Gemäß § 50d Abs. 3 S. 3 Alt. 2 EStG fehlt eine eigene Wirtschaftstätigkeit, soweit die ausländische Gesellschaft ihre wesentlichen Geschäftstätigkeiten auf Dritte überträgt. Strenggenommen liegt dieses Problem an der Schnittstelle zum Substanzerfordernis des S. 1 Nr. 3, da es beim Outsourcing auch an einer angemessenen Ausstattung mit eigenem Personal fehlen könnte.158 Dennoch legt der Wortlaut des S. 3 Alt. 1 eine Erörterung im Zusammenhang mit S. 1 Nr. 2 nahe. 155 Mit zunehmender Führungsintensität spricht die betriebswirtschaftliche Literatur von einer operativ führenden Holding, Bader, Steuergestaltung mit Holdinggesellschaften, S. 39, Lutter, in: Lutter, Holding-Handbuch, S. 13 f.; Scheffler, in: Lutter, Holding-Handbuch, S. 31. 156 Gerade im Zusammenhang mit Joint-Venture-Gestaltungen sind weiterhin Fälle möglich, die eine starke wirtschaftliche Rechtfertigung in Anspruch nehmen können und tatsächlich auch ausreichende Substanz aufweisen, jedoch nur die eine operative Gesellschaft im Inland führen. Würde man zwingend eine zweite Beteiligung verlangen, so wäre aufgrund der Alternativität des S. 1 Nr. 1-3 allein deshalb eine Versagung zu befürchten. Hilfsweise wäre auch hier eine solche Reduktion der Konkretisierungswirkung zu überlegen, die zur außerordentlichen Gewährung einer Gegenbeweismöglichkeit führt, vgl. unten B.II.1.b.cc, S. 433. 157 BMF, Schreiben vom 03.04.2007 – IV B 1 - S 2411/07/0002 – DStR 2007, 719 (721), Tz. 7. Dazu ausführlich sogleich unter B.I.2.b.cc(6), S. 396. 158 So auch die herrschenden Literatur und Rechtsprechung zu § 42 AO, hierzu im 1. Teil, B.I.2.d.bb(3)(c), S. 108. Hierzu sogleich nochmals B.I.2.b.dd, S. 401.

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Schon im Hinblick auf § 42 AO war umstritten, inwieweit ein solches Outsourcing der Bejahung einer eigenen Wirtschaftstätigkeit entgegenstehen kann; der BFH hat unter Zustimmung des Schrifttums jedenfalls das Auslagern von Kapitalanlagetätigkeiten gebilligt, soweit im Namen und auf Rechnung der ausländischen Gesellschaft gehandelt werde, ihr das Letztentscheidungsrecht zustehe und sie typischerweise das damit verbundene unternehmerische Risiko trage.159 Diese Sichtweise wurde in der Literatur auf § 50d Abs. 3 EStG a.F. übertragen.160 Hiergegen scheint der neueingefügte Abs. 3 S. 3 zu zielen. Da es letztlich darum geht zu bestimmen, ob das Handeln natürlicher Personen – nur diese können letztlich Entscheidungen treffen – eben der ausländischen Gesellschaft zuzurechnen sind oder etwa doch deren Anteilseignern oder gar anderen Gesellschaften, erscheint diese Entscheidung des Gesetzgebers verständlich.161 Vor diesem Hintergrund ist indes die Einschränkung zu sehen, dass nur die Übertragung wesentlicher Tätigkeiten schädlich ist; dies ist jeweils in Abhängigkeit von der Funktion der Gesellschaft im Einzelfall zu bestimmen,162 mithin je nachdem welche Wirtschaftstätigkeit überhaupt geltend gemacht wurde. Zu fragen ist, ob trotz der Auslagerung noch eine substantielle Entscheidungsbefugnis – über ein theoretisches Letztentscheidungsrecht hinaus – verbleibt.163 Soweit etwa die Wirtschaftstätigkeit insbesondere in der geschäftsleitenden Führung der Beteiligungsgesellschaften besteht, steht S. 3 einer Auslagerung der diese begründenden Führungsentscheidungen entgegen. Im Zusammenhang mit § 8 Abs. 1 Nr. 3 AStG, welcher einen in kaufmännischer Weise eingerichteten Geschäftsbetrieb erfordert, hat der BFH in einer aktuellen Entscheidung zwar an der grundsätzlichen Zulässigkeit des Outsourcing festgehalten: So sei ein solcher Geschäftsbetrieb auch bei einer Tätigkeitsauslagerung im Wege eines Betriebsführungsvertrages auf eine Manage159 Aus der Rechtsprechung: BFH, Urteil vom 19.01.2000 – I R 94/97 (Dublin Docks I) – BStBl II 2001, 222 (224); BFH, Urteil vom 20.03.2002 – I R 63/99 (Delaware) – BStBl II 2003, 50 (52 f.). Aus der Literatur siehe Hölzemann, IStR 2006, 830 (835); Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, S. 438 m.w.N. 160 Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50d Rn. 28d; Hahn-Joecks, in: K/S/M, EStG, § 50d Rn. E 34 f.; Renger, Treaty Shopping, S. 17 m.w.N. 161 Renger, Treaty Shopping, S. 17; Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 184. Ohne Wertung Kaiser, IStR 2009, 121 (127). 162 Hahn-Joecks, in: K/S/M, EStG, § 50d Rn. E 59; Hofmann, § 50d Abs. 3 EStG, S. 50. Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 184, spricht insoweit von der „wirtschaftlichen Kernfunktion“. 163 Vgl. auch die Gesetzesbegründung in BT-Ds. 16/2712, S. 60, wonach vor allem die Möglichkeit ausgeschlossen werden solle, sämtliche Geschäftstätigkeiten auszulagern. Reine Hilfsfunktionen können unproblematisch ausgelagert werden, vgl. Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 184.

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§ 50d Abs. 3 EStG

mentgesellschaft vorhanden, da es insoweit auf die Organisation des Betriebs, nicht auf die eigene Ausübung ankomme; insbesondere verbleiben die unternehmerischen Chancen und Risiken nach allgemeinen ertragsteuerlichen Zurechnungsgrundsätzen bei der streitgegenständlichen Zwischengesellschaft.164 Im Schrifttum wird sodann eine Übertragung dieser Rechtsprechung auf § 50d Abs. 3 EStG gefordert.165 Hiergegen spricht aber zum einen der unterschiedliche Wortlaut der Vorschriften; insbesondere enthält § 8 Abs. 1 Nr. 3 AStG keine dem § 50 Abs. 3 S. 3 Alt. 2 EStG vergleichbare Einschränkung, so dass die vom BFH vorgenommene Auslegung des Geschäftsbetriebs als zulässig erachtet werden kann. Weiterhin ist zu berücksichtigen, dass es sich dort um einen Outbound-Fall und um die Übertragung auf eine Gesellschaft handelte, an der eine eigene Beteiligung bestand; mithin geht es um das Outsourcing auf nachgelagerte Gesellschaften. Zudem ist – wie schon in den bisherigen Fällen zum Outsourcing – zu betonen, dass die jeweils ausgelagerten Finanzierungs- und Anlageentscheidungen im Outboundfall austauschbare Zielgesellschaften betreffen konnten. Im Falle des Treaty Shopping (Inboundfall) steht dieses operative Investment in Form der inländischen Kapitalgesellschaft jedoch von vornherein fest und es geht im Lichte des § 50d Abs. 3 EStG gerade darum, dass zwischen dieser und den eigentlichen Anteilseignern eine weitere Gesellschaft zwischengeschaltet wird – deren Rechtfertigung entfällt, wenn die maßgebliche Tätigkeit ohnehin von Dritten vorgenommen wird, die unter Umständen noch dazu vordergründig den Anteilseigner zuzurechnen sind. In diesem Sinne hat auch der BFH in der Entscheidung SOPARFI das Auslagern der wesentlichen Entscheidungen auf Dritte – und erst recht auf die Anteilseigner der Zwischengesellschaft bzw. diesen nahestehende Personen – als Anzeichen gegen eine eigene wirtschaftliche Tätigkeit angesehen.166 Ausdrücklich wurde hierbei auf die Maßstäbe der Künstlichkeit im Sinne des Unionsrechts verwiesen, so dass auch die Einbeziehung des Unionsrechts nichts an der Anordnung des § 50 Abs. 3 S. 3 Alt. 2 EStG zu ändern vermag.167

164 BFH, Urteil vom 13.10.2010 – I R 61/09 –DStR 2010, 2565 (2566). 165 Für eine uneingeschränkte Übertragung – auch auf § 50d Abs. 3 EStG – plädieren Süß/Mayer-Theobald, IStR 2011, 114 (114 f.). 166 BFH, Urteil vom 29.01.2008 – I R 26/06 (SOPARFI) – IStR 2008, 364 (365 f.). 167 Hierzu ausführlich B.II.3.c.aa(1)(d), S. 467. Süß/Mayer-Theobald, IStR 2011, 114 (115), ist mithin zu widersprechen, soweit diese im Verbot des Outsourcing per se einen Konflikt mit den unionsrechtlichen Maßstäben erachten. Die fehlende Möglichkeit des Gegenbeweises ist hiervon getrennt zu beurteilen.

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Ort der eigenwirtschaftlichen Tätigkeit

Umstritten ist ebenfalls, ob es eine räumliche Einschränkung der eigenwirtschaftlichen Tätigkeit gibt. Nach Ansicht der Finanzverwaltung muss die Tätigkeit namentlich im Sitzstaat der antragstellenden Gesellschaft ausgeübt werden.168 Diese Auffassung bezieht sich bei genauer Betrachtung insgesamt auf die eigenwirtschaftliche Tätigkeit und würde daher auch echte gewerbliche Tätigkeiten in Form einer ausländischen Betriebsstätte ausschließen – und zwar auch ohne Unterscheid, ob diese in einem Drittstaat oder in einem anderen EU-Staat ausgeübt wird.169 Mithin sind diese Fälle zunächst auch von denjenigen der aktiven Beteiligungsverwaltung zu unterscheiden – in Bezug auf letztere ist die Auffassung der Finanzverwaltung auch nicht völlig geklärt. Denn für die erforderliche Beteiligung an mehr als einer Tochtergesellschaft, um als geschäftsleitend qualifizieren zu können, scheint das BMF an einer Stelle sogar nur „inländische“ Beteiligungen zu adressieren,170 um dies später zumindest auf EUTochtergesellschaften zu erweitern.171 Bei ersterer Stelle dürfte es sich um eine in diesem Sinnzusammenhang missverständliche Übernahme der entsprechenden BFH-Rechtsprechung handeln, die jedenfalls bei mehreren Beteiligungen im Inland eine Outbound-Basisgesellschaft als nicht missbräuchlich akzeptiert hat.172 Eine derartige Beschränkung wäre in Bezug auf den Inboundfall des § 50d Abs. 3 EStG schon deshalb unsinnig, da eine weitere Beteiligung im Ansässigkeitsstaat der ausländischen Gesellschaft ja eine stärkeren Bezug hierzu belegt und demnach erst recht die Ansässigkeit im Ausland rechtfertigen kann. Jedenfalls scheint eine Beteiligung in einem Drittstaat außerhalb der EU den Anforderungen nicht zu genügen, im Hinblick auf die oben genannte allgemein formulierte Einschränkung möglicherweise sogar eine Beteiligung in einem anderen EU-Staat als dem des Sitzes der antragstellenden Gesellschaft ebenso wenig ausreichen.173

168 BMF, Schreiben vom 03.04.2007 – IV B 1 - S 2411/07/0002 – DStR 2007, 719 (721), Tz. 6.4. 169 Zu Recht empfindet dies Korts, IStR 2007, 663 (664) als zumindest bedenklich. Zu kollisionsrechtlichen Einflüssen im Rahmen diese Untersuchung siehe insgesamt unter B.II, S. 442. 170 BMF, Schreiben vom 03.04.2007 – IV B 1 - S 2411/07/0002 – DStR 2007, 719 (720), Tz. 6.2., S. 1. 171 BMF, Schreiben vom 03.04.2007 – IV B 1 - S 2411/07/0002 – DStR 2007, 719 (720), Tz. 6.2., S. 2. 172 Siehe oben im 1. Teil, B, Fn. 378. 173 Insoweit wäre dann auch kein Unterscheid zwischen der räumlichen Beschränkung aktiver Tätigkeiten im Rahmen einer Betriebsstätte und derjenigen der aktiven Beteiligung an ausländischen Tochtergesellschaften zu erkennen. Das im Anwendungserlass,

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In der Literatur wird ganz überwiegend jegliche räumliche Einschränkung abgelehnt, da sich diese aus dem Wortlaut der Vorschrift nicht ableiten lasse;174 dies gilt in besonderem Maße für gewerbliche Aktivitäten in ausländischen Betriebsstätten, da die Sichtweise der Finanzverwaltung den allgemeinen Grundsätzen steuerlicher Einkünftezurechnung zuwider laufen würde.175 Eine Nichtberücksichtigung als eigene Wirtschaftstätigkeit solle schließlich die ausländische Gesellschaft auch doppelt nachteilig treffen, da diese dennoch als Bruttoerträge zu qualifizieren sind und somit weiterhin den Referenzwert für das Erreichen der 10%-Grenze erhöhen.176 Auch das Verbot der Abfärbung dürfte jedenfalls bei Betriebsstätten nicht entgegenstehen, da es sich insoweit um eigene Einkünfte handelt und nicht um ein Zurechnung fremder Einkünfte.177 Mit den genannten Argumenten wird auch eine räumliche Einschränkung in Bezug auf den Sitz der geleiteten Tochtergesellschaften bei der aktiven Beteiligungsverwaltung abgelehnt:178 Es könne keinen Unterscheid machen, ob die Investition und die daraus entstehenden Erträge unmittelbar im Wege der Betriebsstätte oder mittelbar im Wege der Dividendenerträge zuzurechnen seien.179 So sehr dies auch als berechtigt erscheint – dennoch kann die Finanzverwaltung für ihre Position ein sehr starkes Argument vorweisen, mit dem es sich auseinander zu setzen gilt. Aus der EuGH-Rechtsprechung zur künstlichen Gestaltung wird insoweit das Erfordernis einer aktiven, ständigen und nachhaltigen Teilnahme am dortigen Marktgeschehen abgeleitet, um einer wirklichen wirtschaftlichen Tätigkeit nachzugehen.180 Die Einschränkung der aktiven, ständigen und nachhaltigen Teilnahme geht hieraus zwar nicht zwingend

174 175 176 177 178 179 180

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Tz. 6.4., genannte Beispiel vermag dies nicht aufzuklären, da hiernach jedenfalls eine aktive Betriebsstätte z.B. in Japan unbeachtlich sein solle. Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50d Rn. 29d; Günkel/Lieber, Ubg 2008, 383 (387); HahnJoecks, in: K/S/M, EStG, § 50d Rn. E 60; IDW, Schreiben vom 21.02.2007, S. 4; Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 184. Altrichter-Herzberg, GmbHR 2007, 579 (581); Hofmann, § 50d Abs. 3 EStG, S. 50; Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 184. Altrichter-Herzberg, GmbHR 2007, 579 (581); Hofmann, § 50d Abs. 3 EStG, S. 50. Günkel/Lieber, Ubg 2008, 383 (387). Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50d Rn. 28d; Günkel/Lieber, Ubg 2008, 383 (386); Klein, in: H/H/R, Jahresband 2007, § 50d EStG Rn. J 06-13; Hofmann, § 50d Abs. 3 EStG, S. 49; Schönfeld, FR 2007, 506 (509). Altrichter-Herzberg, GmbHR 2007, 579 (581); Hofmann, § 50d Abs. 3 EStG, S. 50. BMF, Schreiben vom 03.04.2007 – IV B 1 - S 2411/07/0002 – DStR 2007, 719 (720), Tz. 6.1., verweist ausdrücklich hierauf. Zur Darlegung der unionsrechtlichen Maßstäbe vgl. im 1. Teil, B.II.1.b.cc(4), S. 169 ff.

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hervor, aber jedenfalls die Teilnahme am dortigen Wirtschaftsleben und damit die wirkliche Integration in den Mitgliedstaat sind als notwendig anzusehen.181 Insoweit dürfen zwar nicht die beiden Ebenen des Missbrauchsbegriffs vermischt werden, da diese Formel vordergründig dazu dient, die Berechtigung der Berufung auf die unionsrechtliche Niederlassungsfreiheit zu überprüfen.182 Dies wäre grundsätzlich erst in einem zweiten Schritt kollisionsrechtlich zu berücksichtigen; dass der nationale Missbrauchsmaßstab insoweit großzügiger wäre, wäre dabei unproblematisch. Dennoch könnten die Maßstäbe der Künstlichkeit jedenfalls dem Wortlaut nach ohne weiteres schon bei der unilateralen Auslegung der Vorschrift Berücksichtigung finden. Hierfür spricht auch die Bindung an den abstrakten Rahmen des § 42 Abs. 2 AO, in dessen Neufassung dies nach hier vertretener Auffassung zur Bestimmung der eigenwirtschaftlichen Tätigkeit (inklusive der erforderlichen Substanz) herangezogen werden kann.183 Dies streitet dafür, die unionsrechtlichen Maßstäbe bei der Auslegung der eigenwirtschaftlichen Tätigkeit nicht völlig außer Acht zu lassen, ohne dass dies bereits eine Vorwegnahme der kollisionsrechtlichen Beurteilung wäre – schließlich würde der insoweit maßgebliche Anwendungsvorrang ohnehin nur zugunsten der Steuerpflichtigen wirken. Auch die jüngere Rechtsprechung scheint hierzu zu tendieren und die eigenwirtschaftliche Tätigkeit im Rahmen des § 50d Abs. 3 EStG (a.F.) von vornherein in diesem Lichte auszulegen.184 Nichtsdestotrotz ist auch unter Beachtung dieser Maßgabe eine Beschränkung des Ortes der eigenwirtschaftlichen Tätigkeit im Rahmen des § 50d Abs. 3 S. 1 Nr. 2 EStG abzulehnen. Denn es ist zu bedenken, dass sich die notwendige Teilnahme am dortigen Marktgeschehen vornehmlich auf das Erfordernis einer substantiellen Präsenz bezieht – und damit der sachlichen Voraussetzung der Nr. 3 zugehörig ist, welche aufgrund der alternativen Verknüpfung der Nummern auch dann noch zu prüfen ist – und zu einer Versagung führen kann –, wenn eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit bejaht wurde. Wenn der Gesetzgeber mit dem JStG 2007 dies bewusst als eigenständiges Tatbestandsmerkmal ausgestaltet hat, so steht dies einer Vermischung der entsprechenden Anforderungen bereits bei der Beurteilung des Ob des Vorliegens einer eigenwirtschaftlichen Tätigkeit entgegen. Und noch aus einem weiterem Grund ist jegliche örtliche Beschränkung abzulehnen: Denn in Bezug auf die eigenwirtschaftliche 181 Zur Darlegung der unionsrechtlichen Maßstäbe vgl. im 1. Teil, B.II.1.b.cc(4)(a), S. 170. 182 Vgl. auch Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 184. 183 Siehe oben im 1. Teil, B.I.2.d.cc(2)(b), S. 114. Erst recht ist dies zu berücksichtigen, soweit man wie hier § 42 Abs. 2 AO als abstrakten Rahmen und § 50d Abs. 3 EStG als konkretisierenden Maßstab ansieht. 184 BFH, Urteil vom 29.01.2008 – I R 26/06 (SOPARFI) – IStR 2008, 364 (365 f.); im Anschluss daran FG Köln, Urteil vom 16.03.2006 – 2 K 1564/08 – EFG 2010, 2004 (2005 f.).

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Tätigkeit in Form der aktiven Beteiligungsverwaltung (geschäftsleitende Holding) handelt es sich bei den objektiv geforderten Führungsentscheidungen gerade um eine eigene Tätigkeit der ausländischen Gesellschaft, die – eine ausreichende Substanz i.S. der Nr. 3 unterstellt – dann eben gerade doch von dieser in deren Ansässigkeitsstaat ausgeübt wird; erst recht muss dies gelten für eine unselbständige Betriebsstätte, deren Geschäfte in noch stärkerem Maße von der Stammgesellschaft geleitet werden als bei einer rechtlich verselbständigten Tochtergesellschaft.185 (5)

Weitere Sonderfälle

Eine Beteiligung am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr liegt nach Ansicht der Finanzverwaltung – unter Zustimmung der Literatur – auch dann vor, wenn Dienstleistungen (lediglich) gegenüber einer oder mehrerer Konzerngesellschaften erbracht werden, sofern dies gegen gesondertes Entgelt geschieht und wie gegenüber fremden Dritten abgerechnet wird.186 Ein solcher Leistungsaustausch kann auf vielerlei Weise von statten gehen,187 schließt aber zumindest eine Verrechnung im Rahmen von Umlageverträgen (Pool-System) aus.188 Als Erträge ausscheiden müssen ebenfalls Vergütungen für Kosten der Konzernführung, für rechtliche und organisatorische Vorteile der Eingliede185 Gleichwohl ist es unter Berücksichtigung der Auffassung der Finanzverwaltung nicht vollständig auszuschließen, dass es jedenfalls als eigenwirtschaftliche Tätigkeit unbeachtlich sein könnte, wenn sich diese alleine durch eine aktive Betätigung außerhalb des Ansässigkeitsstaats äußert. Jedenfalls aber darf bei Feststellung einer eigenwirtschaftlichen Tätigkeit im Ansässigkeitsstaat nicht das Erreichen der 10%-Grenze aufgrund einer zusätzlichen Auslandstätigkeit erschwert sein; solche Aktivitäten wären daher im Rahmen des Referenzwertes der Bruttoerträge nicht zu berücksichtigen bzw. zumindest insoweit der Gegenbeweis zu eröffnen, hierzu sogleich B.I.2.b.cc(6), S. 396. 186 BMF, Schreiben vom 03.04.2007 – IV B 1 - S 2411/07/0002 – DStR 2007, 719 (720), Tz. 6.1. Zustimmend Renger, Treaty Shopping, S. 13. Nach Kessler/Eicke, DStR 2007, 781 (785), solle maßgeblich sein, ob ein unabhängiges Unternehmen bereit wäre, für die erbrachten Aktivitäten zu zahlen oder sie selbst auszuüben; ebenso Hahn-Joecks, in: K/S/M, EStG, § 50d Rn. E 58. 187 Hahn-Joecks, in: K/S/M, EStG, § 50d Rn. E 58; Hofmann, § 50d Abs. 3 EStG, S. 48. Kessler/Eicke, DStR 2007, 781 (785), verwenden hierfür insgesamt der Begriff der „management service fees“. Umfasst werden – in Anlehnung an das Problem der Verrechnungspreise – insbesondere Buchhaltungstätigkeiten, Beratung in wirtschaftlichen und rechtlichen Angelegenheiten der einzelnen Gesellschaft, Überlassung von Arbeitskräften, Aus- und Fortbildung, soziale Sicherung des Personals, sowie Koordination der Beschaffung von Waren, Materialien und Ausrüstungsgegenständen, vgl. BMF, Schreiben vom 23.02.1983 – IV C 5 – S 1341 - 4/83 (Verwaltungsgrundsätze Einkünfteabgrenzung) – BStBl I 1983, 218 (229), Tz. 6.3.1; Kessler/Eicke, DStR 2007, 781 (785). 188 Kessler/Eicke, DStR 2007, 781 (785). Ebenso Eilers/Schneider, in: StbJb 2007/08, S. 182; Hahn-Joecks, in: K/S/M, EStG, § 50d Rn. E 58.

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rung, für reine Gesellschafteraufwendungen sowie solche zum Schutz und Verwaltung der Beteiligungen.189 Die so erwirtschafteten Erträge stellen unabhängig von einer Einstufung der Beteiligungsverwaltung als „aktiv“ bzw. „geschäftsleitend“ Bruttoerträge i.S. der 10% Grenze der Nr. 2 dar. Für Irritationen sorgt zudem, dass S. 3 insgesamt die Verwaltung von Wirtschaftsgütern von der eigenen Wirtschaftstätigkeit ausschließen will, ohne hierzu zwischen eigenen und fremden Wirtschaftsgütern bzw. zwischen aktiver und passiver Vermögensverwaltung zu unterscheiden. Zu Recht wird in der Literatur darauf hingewiesen, dass etwa die Tätigkeit einer – entsprechend ausgestatteten – Vermietungsgesellschaft schon nach allgemeinen Grundsätzen eine aktive, gewerbliche Tätigkeit darstellen kann;190 gleiches gilt, soweit entgeltlich für andere fremde Wirtschaftsgüter verwaltet werden.191 Hierfür spricht auch die Gesetzesbegründung, nach der Einkünfte aus der Vermögensverwaltung bzw. der Verwaltung von Wirtschaftsgütern lediglich als regelmäßig nicht am Markt erzielt angesehen werden.192 Diskutiert werden darüber hinaus noch Ausnahmen für Tätigkeiten, die zwar unstrittig nur vermögenswaltend sind, aber entweder sich auf ausländische Wirtschaftsgüter beziehen (z.B. passive Beteiligung an ausländischer Gesellschaft) oder aber deren Erträge von vornherein keinen Steuerabzug an der Quelle auslösen (z.B. Immobilienvermögen), da § 50d Abs. 3 EStG nur die Verhinderung der Umgehung deutscher Quellensteuern bezweckt.193 Angesichts des insoweit eindeutigen Wortlauts dürfte es aber zu weit gehen, diese Tätigkeiten doch als eigenwirtschaftliche Tätigkeiten anzusehen; dem Normtelos kann vielmehr auch durch eine besondere Behandlung der Erträge aus den genannten Tätigkeiten im Rahmen der Berechnung des erforderlichen Umfangs (10%-Grenze) bzw. durch Eröffnung der Gegenbeweismöglichkeit des § 42 Abs. 2 S 2 AO infolge einer Reduktion der Konkretisierungswirkung Rechnung getragen werden.194 Insoweit bliebe auch eine Vereinfachungswirkung in Form der Vermutung des Missbrauchs erhalten.

189 BMF, Schreiben vom 23.02.1983 – IV C 5 - S 1341 - 4/83 – BStBl I 1983, 218 (228), Tz. 6.3.2; Kessler/Eicke, DStR 2007, 781 (785). 190 Micker, FR 2009, 409 (413). Vgl. auch schon BFH, Urteil vom 17.11.2004 – I R 55/03 (Stiftung II) – DStRE 2005, 580 (581 f.); Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 184. 191 Günkel/Lieber, Ubg 2008, 383 (385); Schönfeld, FR 2007, 506 (508 f.). 192 BT-Ds. 16/2712, S. 60. Im Ergebnis dürfte daher der Begriff der „Verwaltung von Wirtschaftsgütern“ i.S.v. § 7 Abs. 6a AStG auszulegen sein, vgl. Günkel/Lieber, Ubg 2008, 383 (386). 193 Vgl. Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 183. 194 Hierzu sogleich im Folgenden, B.I.2.b.cc(6), S. 396.

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10%-Grenze: Erforderlicher Umfang der eigenen Wirtschaftstätigkeit

Gegenüber der früheren Rechtslage trifft die Neufassung in der Nr. 2 nun auch eine Aussage zum erforderlichen Umfang der eigenwirtschaftlichen Tätigkeit, da die Entlastung zu versagen ist, wenn die ausländische Gesellschaft nicht mehr als 10 Prozent ihrer gesamten Bruttoerträge des betreffenden Wirtschaftsjahres aus eigener Wirtschaftstätigkeit erzielt. Die Einführung dieser prozentualen Untergrenze bezweckt den Ausschluss der Deklarierung von Minimaltätigkeiten zur Erreichung der Entlastung in der Tradition der Basisgesellschaftenrechtsprechung195 und bestätigt damit einerseits die zur Altfassung herrschende Ansicht zur Unbeachtlichkeit solcher Tätigkeiten.196 Andererseits wird der erforderliche Umfang nun erstmalig quantifiziert; eine solche Geringfügigkeits- bzw. Unschädlichkeitsgrenze197 kann auch zur Bestimmtheit der Norm198 und – wie jede Typisierung, insbesondere durch Freigrenzen – zu Rechts- und Planungssicherheit auf Seiten des Steuerpflichtigen beitragen.199 Nicht ausdrücklich adressiert werden indes die sog. Alibitätigkeiten i.e.S., d.h. eigenwirtschaftliche Tätigkeiten, die zwar nicht völlig unbedeutend sind, aber 195 BT-Ds. 16/2712, S. 60. Zu § 42 AO siehe BFH, Urteil vom 05.03.1986 – I R 201/82 – BStBl II 1986, 496 (498), und oben im 1. Teil, B.I.2.d.bb(3)(d), S. 110. Vgl. auch BMF, Schreiben vom 03.04.2007 – IV B 1 - S 2411/07/0002 – DStR 2007, 719 (721), Tz. 7, wonach der aktive Bereich im Verhältnis zum vermögensverwaltenden Bereich nicht unwesentlich sein dürfe. 196 Zur früher h.M. siehe Hahn-Joecks, in: K/S/M, EStG, § 50d Rn. E 37; Krabbe, IStR 1995, 382 (384). Dies entspricht auch der traditionellen Anknüpfung an die Basisgesellschaftenrechtsprechung. Die a.A. verwies auf die Streichung des Zusatzes „es sei denn, die diesem Bereich zuzuordnenden Einkünfte fallen nicht ins Gewicht“ während des Gesetzgebungsverfahrens, Klein/Hagena, in: H/H/R, § 50d EStG Rn. 57. Hierbei handelte es sich jedoch lediglich um eine Vereinfachung auf Empfehlung des Finanzausschusses, BT-Ds. 12/6078, S. 125. Damit im Zusammenhang zu sehen ist auch der Streit um ein mögliche Aufteilung der Rechtsfolge bei gemischten Tätigkeiten, auch dieser dürfte sich durch die Ausgestaltung als typisierende Grenze erledigt haben, siehe Hahn-Joecks, in: K/S/M, EStG, § 50d Rn. E 55; Ritzer/Stangl, FR 2006, 757 (765), jeweils mit Erläuterungen und Nachweisen zur Streitdarstellung; vgl. hierzu auch schon im 1. Teil, B.I.2.d.bb(3)(d), S. 110. Unklar m.E. die Ausführungen von Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50d Rn. 29d und 32, der jeweils unter Berufung auf das soweit erst von einer Aufteilung spricht, im Ergebnis aber doch zu einer Versagung in toto gelangen will; dies ist wohl so zu verstehen, dass bei einem Bezug der konkreten Einkünftim Zusammenhang mit dem „passiven“ Segment eine Entlastung insgesamt nicht gewährleistet werden soll. 197 Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50d Rn. 29d. 198 Bünning/Mühle, BB 2006, 2159 (2163), mit der Einschränkung, dass die Grenze selbst bestimmt sein müsse. 199 Siehe hierzu schon oben im 1. Teil, Fn. 486 und Fn. 798, sowie oben A.III, S. 351.

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in keinerlei sachlichen Zusammenhang mit den anderen „passiven“ Einkünften stehen. Der BFH hat bei solchen gemischten Tätigkeiten in Einzelfällen durchaus einen Missbrauch i.S. des § 42 AO bejaht und sodann eine Aufteilung vorgenommen.200 In der Literatur war bislang umstritten, ob eine solche Segmentierung bei fehlendem Sachzusammenhang auch im Rahmen des § 50d Abs. 3 EStG zu berücksichtigen sei, zur Bejahung wurde insbesondere auf das soweit im Einleitungssatz verwiesen.201 Hiergegen spricht in der Neufassung schon der Umkehrschluss daraus, dass der Gesetzeswortlaut der Nr. 2 einen sachlichen Zusammenhang nicht fordert und nach den Gesetzesmaterialien nur der Ausschluss der Minimaltätigkeiten (in geringem Umfang) sichergestellt werden soll.202 Auch die Finanzverwaltung erachtet einen sachlichen Zusammenhang als nicht erforderlich.203 Letztlich folgt dies schon aus der Aufnahme der festen, prozentual bestimmten Geringfügigkeitsgrenze, da sich das soweit systematisch und sprachlich nur auf den Fall des Unterschreitens dieser Geringfügigkeitsgrenze beziehen könnte;204 dies ergibt jedoch keinen Sinn, so dass das frühere Wortlautargument zugunsten einer Aufteilung gemischter Tätigkeiten nicht mehr besteht und es mithin auf einen sachlichen Zusammenhang zwischen eigenwirtschaftlicher Tätigkeit und sonstiger „passiver“ Tätigkeit nicht ankommen kann. Der erforderliche Umfang i.H.v. 10% der Bruttoerträge ist angelehnt an die Freigrenze des § 9 AStG bei gemischten Einkünften.205 Die Referenzgröße der Bruttoerträge wird dort grundsätzlich als Gesamtheit der Solleinnahmen ohne durchlaufende Posten und ohne eine eventuell gesondert auszuweisende Umsatzsteuer verstanden,206 wobei in mancher Hinsicht auch die hiermit verbun200 BFH, Urteil vom 23.10.1991 – I R 52/90 – BFH/NV 1992, 271 (271); BFH, Urteil vom 28.01.1992 –VIII R 7/88 – BStBl II 1993, 84 (87); Brockmeyer, in: Klein, AO (9. Auflage 2006), § 42 Rn. 39; Schwarz, in: Schwarz, AO, § 42 Rn. 123. 201 Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50d Rn. 32; Hahn-Joecks, in: K/S/M, EStG, § 50d Rn. E 39 f.; Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 76. 202 BT-Ds. 16/2712, S. 60. 203 BMF, Schreiben vom 03.04.2007 – IV B 1 - S 2411/07/0002 – DStR 2007, 719 (721), Tz. 7. 204 Micker, FR 2009, 409 (415); Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 133, der zu Recht von einer „entweder-oder-Betrachtung“ ausgeht. 205 BT-Ds. 16/2712, S. 60; BMF, Schreiben vom 03.04.2007 – IV B 1 - S 2411/07/0002 – DStR 2007, 719 (721), Tz. 7. 206 BMF, Schreiben vom 14.05.2004 – IV B 4 - S 134 - 11/04 (Anwendungserlass AStG) – BStBl I 2004, SonderNr. 1, S. 34, Tz. 9.0.1. Bei Einkünfteermittlung gemäß § 4 Abs. 3 EStG ist auf die Ist-Einnahmen abzustellen, BMF a.a.O. Hierbei ist zu berücksichtigen, dass die Art der Gewinnermittlung das Auslegungsergebnis nicht beeinflussen darf, vgl. Edelmann, in: Kraft, AStG, § 9 Rn. 71. Eine Berücksichtigung von Vermögensminderungen bzw. Aufwendungen findet nicht statt, dies dürfte im Lichte der Zielsetzung – der Gewichtung der Aktivitäten – nicht zu beanstanden sein.

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§ 50d Abs. 3 EStG

denen Probleme importiert werden.207 Dass der Referenzwert mit dem Betrag von 10% angesetzt wurde, kann dabei – unabhängig von den mit jeglicher Typisierung verbundenen Problemen – wohl weniger als willkürlich, denn als von der Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers gedeckt angesehen werden.208 Die herrschende Lehre im Schrifttum scheint der 10%-Grenze dennoch eher kritisch gegenüberzustehen209 – wohl bedingt durch weitere im Folgenden darzustellende Einzelprobleme. Zuvorderst stellt sich hierbei die Frage der Berücksichtigung von Erträgen die von Beteiligungsgesellschaften gezahlt werden, insbesondere in der Form von Dividenden und Zinsen. Soweit es sich um eine „passive“ Beteiligungsverwaltung handelt, führen diese Erträge dazu, dass es sich zwar um Solleinnahmen handelt, die den Referenzwert der Bruttoerträge erhöhen, ohne aber Erträge aus eigener Wirtschaftstätigkeit darzustellen, so dass das Erreichen der 10% Grenze i.S. des § 50d Abs. 3 S. 1 Nr. 2 EStG – in voller Übereinstimmung mit dem Regelungszweck – durch diese erschwert wird. Anders verhält sich dies mit den Erträgen aus einer „aktiven“ Beteiligungsverwaltung, d.h. soweit die ausländische Gesellschaft geschäftsleitend tätig ist; da es sich dann – richtigerweise – um eine eigene Wirtschaftstätigkeit handelt, müssen auch die hieraus erwirtschafteten Erträge als solche in die Berechnung eingehen, d.h. sie erhöhen sowohl den Referenzwert als auch die hieran zu messende Summe der eigenwirtschaftlichen Erträge.210 Da es nur auf die Bruttoerträge ankommt, ist die Steuerfreiheit gemäß § 8b Abs. 1 KStG insoweit unbeachtlich.211 Dies umfasst allerdings nicht nur Erträge aus Dividenden, sondern nach Ansicht der Finanzverwaltung insbesondere auch von der geleiteten Gesellschaft

207 Micker, FR 2009, 409 (412); Ritzer/Stangl, FR 2006, 757 (764). 208 Vgl. Kessler/Eicke, IStR 2006, 577 (579); siehe aber auch Eilers/Schneider, in: StbJb 2007/08, S. 179; hierzu insgesamt später B.II.1.a, S. 419. Zur Rechtslage im Hinblick auf das Unionsrecht vgl. etwa Frotscher, EStG, § 50d Rn. 154; im Einzelnen siehe B.II.3.c.aa(1)(c), S. 464. 209 Altrichter-Herzberg, GmbHR 2007, 579 (581 f.); Gosch, in: FS Reiß, S. 616; HahnJoecks, in: K/S/M, EStG, § 50d Rn. E 55a; Micker, FR 2009, 409 (412); Wagner, in: Blümich, ESt – KSt – GewSt, § 50d EStG Rn. 72. 210 BMF, Schreiben vom 03.04.2007 – IV B 1 - S 2411/07/0002 – DStR 2007, 719 (721), Tz. 7. Insoweit wird faktisch § 8 AStG herangezogen, Bünning/Mühle, BB 2006, 2159 (2163). Zur funktionalen Betrachtungsweise ausführlich auch Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 137. Hierbei handelt es sich nicht um eine teleologische Reduktion; a.A. Günkel/Lieber, Ubg 2008, 383 (386). 211 Die Befürchtungen von Günkel/Lieber, DB 2006, 2197 (2198), und Kessler/Eicke, IStR 2006, 577 (579), allerdings jeweils zu den Entwürfen des JStG 2007, dürften daher unberechtigt sein.

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gezahlte Zinsen und sonstige Erträge.212 Dem ist zuzustimmen, da Leistungsbeziehungen zwischen ausländischer Gesellschaft und deren Tochtergesellschaften als sog. konzerninterne Dienstleistungen schon nach allgemeinen Maßstäben als Erträge aus eigener Wirtschaftstätigkeit qualifizieren können. Auf einen Fremdvergleich kommt es bei der aktiven Beteiligungsverwaltung (aber nur bei dieser) nicht mehr an, da eine nicht zutreffende Verrechnung solcher Dienstleistung etwa in Form überhöhter Fremdkapitalzinsen ohnehin nur den für die – ebenfalls als „gute Erträge“ qualifizierenden – Dividendenzahlungen verfügbaren Gewinn schmälern würde. Als problematisch erweisen sich jedoch „passive“ Beteiligungserträge, die nicht aus der streitgegenständlichen Inlandsbeteiligung, sondern aus (dritt-) ausländischen Beteiligungen stammen. Diese dürften jedenfalls insoweit nicht unter dem Verdacht des Treaty Shopping stehen, als diese keine Einkünftedurchleitung aus Deutschland heraus bezwecken können; bei sehr hohen Beteiligungseinkünften aus dem Ausland kann jedoch der Referenzwert der Bruttoerträge für die ausländische Gesellschaft derart erhöht sein, dass die Erfüllung des Versagungsgrundes der Nr. 2 EStG hiervon abhängt. Mit dem Argument, dass der Missbrauchsvorwurf aber nicht von einem (weiteren) Auslandssachverhalt abhängig sein dürfe, wird im Schrifttum mithin eine teleologische Reduktion des § 50d Abs. 3 S. 1 Nr. 2 EStG gefordert; folglich sollen solche Erträge, die in keinerlei Zusammenhang mit deutscher Quellensteuer stehen, nicht als Bruttoerträge in die Berechnung einfließen.213 Entsprechendes dürfte gelten, soweit es sich um die Verwaltung von (inländischen) Wirtschaftsgütern handelt, die von vornherein nicht dem Steuerabzug an der Quelle unterliegen.214 Eine teilweise geforderte absolute Betragsgrenze vergleichbar § 9 AStG215 könnte zwar die meisten der genannten Problemfälle ebenfalls bewältigen, allerdings widerspricht dies dem Ausgangsgedanken der Gewichtung der jeweiligen Tätigkeiten. 212 BMF, Schreiben vom 03.04.2007 – IV B 1 - S 2411/07/0002 – DStR 2007, 719 (721), Tz. 7. Ebenso IDW, Schreiben vom 21.02.2007, S. 5. 213 Altrichter-Herzberg, GmbHR 2007, 579 (582); Eilers/Schneider, in: StbJb 2007/08, S. 179; Micker, FR 2009, 409 (413); Schaumburg, Internationales Steuerrecht, Rn. 16.166. Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 184, möchte diese sogar als eigenwirtschaftlich einordnen, was für die ausländische Gesellschaft aufgrund der prozentualen Berechnung noch günstiger wäre; dem steht m.E. aber der Wortlaut des § 50d Abs. 3 S. 3 EStG entgegen. Zum vergleichbaren Problem der Relevanz des Ortes der eigenwirtschaftlichen Tätigkeit im Übrigen siehe bereits oben B.I.2.b.cc(4), S. 391. 214 Micker, FR 2009, 409 (413), auch zur Gegenansicht. Weitergehend Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 184. 215 Altrichter-Herzberg, GmbHR 2007, 579 (581); Eilers/Schneider, in: StbJb 2007/08, S. 179.

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§ 50d Abs. 3 EStG

Indes muss – wie schon im Rahmen der sog. Mäanderstrukturen216 – dem Typisierungs- und Vereinfachungsinteresse des Gesetzgebers zumindest dadurch Rechnung getragen werden, dass die Maßstabswirkung des § 50d Abs. 3 EStG in Bezug auf die konkretisierende Vermutung einer unangemessenen Gestaltung erhalten bleibt und dem Steuerpflichtigen vielmehr ausnahmsweise die Möglichkeit des Gegenbeweises gemäß § 42 Abs. 2 S. 2 AO offensteht. In den genannten Fällen wäre demnach der Nachweis eines beachtlichen außersteuerlichen Grundes naheliegend, der durch die Konkretisierungswirkung des § 50d Abs. 3 EStG nicht ausgeschlossen ist.217 Dass die Berechnung nach dem Wortlaut der Vorschrift stets für das betreffende Wirtschaftsjahr vorzunehmen ist, könnte bei wortlautgetreuer Auslegung zu erheblichen praktischen Schwierigkeiten aus Sicht der antragstellenden Gesellschaft bzw. deren Tochtergesellschaft führen. Bei einer möglichen Änderung der rechnerischen Bezugsgrößen ist insbesondere bei gemischt tätigen Gesellschaften aufgrund dieses starren Bezugs eine wechselnde Beurteilung des Vorliegens der Missbräuchlichkeit über verschiedene Wirtschaftsjahre hinweg vorstellbar und damit keine Planungssicherheit gegeben;218 im Schrifttum wird daher die Forderung nach einer Durchschnittsbetrachtung erhoben.219 Zwar lässt die Finanzverwaltung aus Billigkeitsgründen eine Unterschreitung der 10%-Grenze zu, wenn diese in den vergangenen drei Wirtschaftsjahren überschritten wurde bzw. bei Neugründungen, wenn voraussichtlich in drei folgenden Wirtschaftsjahren überschritten wird.220 Dies ist zwar grundsätzlich zu begrüßen, ändert aber nichts am insoweit missglückten Wortlaut der Vorschrift; während sich vergleichbare periodische Verwerfungen im Rahmen des Base Erosion Test des Art. 28 Abs. 2 lit. f) bb) DBA-USA im Wege der Ermessenklausel des dortigen Abs. 7 abmildern lassen, ist dies allein innerhalb des § 50d Abs. 3 EStG nicht möglich. Auch hier muss daher § 42 Abs. 2 S. 2 AO in der beschriebenen Weise Anwendung finden.

216 Siehe B.I.2.a.bb(2), S. 365. 217 Hierzu siehe ausführlich im 1. Teil, D.II.3.c.bb(3), S. 276. 218 Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50d Rn. 29d; Günkel/Lieber, DB 2006, 2197 (2198); Hahn-Joecks, in: K/S/M, EStG, § 50d Rn. E 61a; Micker, FR 2009, 409 (412); Schönfeld, , in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 135. In verfahrensrechtlicher Hinsicht ließe sich dieses Problem mithilfe eines Widerrufsvorbehalts im Rahmen der Freistellungsbescheinigung (§ 50d Abs. 2 EStG) in den Griff kriegen, vgl. BMF, Schreiben vom 03.04.2007 – IV B 1 - S 2411/07/0002 – DStR 2007, 719 (721), Tz. 15. 219 Micker, FR 2009, 409 (412); Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 135. 220 BMF, Schreiben vom 03.04.2007 – IV B 1 - S 2411/07/0002 – DStR 2007, 719 (721), Tz. 7.

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dd.

Angemessen eingerichteter Geschäftsbetrieb, § 50d Abs. 3 S. 1 Nr. 3 EStG

Gemäß § 50d Abs. 3 S. 1 Nr. 3 EStG ist des Weiteren die Entlastung zu versagen, wenn die ausländische Gesellschaft nicht mit einem für ihren Geschäftszweck angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teilnimmt. Die damit angesprochene Frage der fehlenden Substanz einer Gesellschaft wurde von der Rechtsprechung – wie zu § 42 AO – auch im Rahmen des § 50d Abs. 3 EStG a.F. als Unterfrage des Vorliegens einer eigenwirtschaftlichen Tätigkeit angesehen;221 ebenso hielt das Schrifttum daran fest, dass eine Gesellschaft ohne jegliche Ausstattung nur schwerlich eine unternehmerische Tätigkeit ausüben könne, betonte jedoch zugleich, dass hierfür eine funktionsbezogene Betrachtung erforderlich sei.222 Als Reaktion auf die aus Sicht der Finanzverwaltung nachteilige Rechtsprechung in Sachen Hilversum II223 und SOPARFI224 wurde dies nun in der Neufassung in Form der Nr. 3 als eigenständiger, alternativer Versagungsgrund ausgestaltet; insofern wird hierin eine Verschärfung gesehen.225 Nach der Gesetzesbegründung solle gerade diese Voraussetzung die Abgrenzung gegenüber den sog. Basisoder Domizilgesellschaft gewährleisten und auch aus Gründen der Administrierbarkeit der Rechtsvorschrift unbedingt erforderlich sein.226 Vereinzelt wird der Wortlaut der Nr. 3 insoweit als missverständlich angesehen, als scheinbar nur für den Fall der Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr das Fehlen eines angemessenen eingerichteten Geschäftsbetriebes schädlich sei; nach Sinn und Zweck der Vorschrift sei die Vergünstigung aber ebenso zu versagen, wenn die Gesellschaft mangels eingerichteten Geschäftsbetriebs von vornherein nicht am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teilnehme.227 Darauf dürfte es jedoch regelmäßig nicht ankommen, da nach hier vertretener Auffassung das Vorliegen einer eigenen Wirtschaftstätigkeit von einer solchen Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr abhängig ist und in diesen Fällen regelmäßig bereits eine Versagung gemäß der Nr. 2 221 BFH, Urteil vom 20.03.2002 – I R 38/00 – BStBl II 2002, 819 (822). Siehe bereits oben B.I.2.b.aa, S. 373, und schon im 1. Teil, B.I.2.d.bb(3), S. 103 ff. 222 Eilers, in: FS Wassermeyer, S. 325; Grotherr, IStR 2006, 361 (364); Hahn-Joecks, in: K/S/M, EStG, § 50d Rn. E 36; Kessler/Eicke, PIStB 2006, 167 (167); Renger, Treaty Shopping, S. 16. 223 BFH, Urteil vom 31.05.2005 – I R 74/04 u.a. – BStBl II 2006, 118. 224 BFH, Urteil vom 29.01.2008 – I R 26/06 – IStR 2008, 364 (365 f.); FG Köln, Urteil vom 16.03.2006 – 2 K 1564/08 – EFG 2010, 2004 (2005 f.). 225 Eilers/Schneider, in: StbJb 2007/08, S. 182; Kessler/Eicke, IStR 2006, 577 (580); Renger, Treaty Shopping, S. 25. 226 BT-Ds. 16/2712, S. 60 227 Vgl. die „korrigierende Auslegung“ von Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 152.

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§ 50d Abs. 3 EStG

in Betracht kommen wird; jedenfalls aber ist das Merkmal der Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr im gleichen Sinne auszulegen. Ausdrücklich lassen sowohl Gesetzgeber als auch Finanzverwaltung – unter Zustimmung der Literatur – hierfür auch (fremdübliche) konzerninterne Dienstleistungen und die Ausübung geschäftsleitender Funktionen gegenüber Tochtergesellschaften ausreichen.228 Zu klären ist nun, unter welchen Voraussetzungen (positiv gewendet) vom Vorliegen eines angemessen eingerichteten Geschäftsbetriebs auszugehen ist. Die Finanzverwaltung fordert hierzu im Anwendungserlass unter Verweis auf die Rechtssache Hilversum I229 qualifiziertes Personal, Geschäftsräume und technische Kommunikationsmittel und beruft sich zudem darauf, dass auch nach der Rechtsprechung des EuGH ein greifbares Vorhandensein nachweisbar sein müsse; der angemessene Umfang des Geschäftsbetriebs richte sich aber nach dem jeweiligen Geschäftszweck der antragstellenden Gesellschaft.230 Tatsächlich hat der EuGH in der dort genannten Entscheidung Cadbury Schweppes für eine wirkliche wirtschaftliche Tätigkeit – in Abgrenzung zu einer künstlichen Gestaltung – gefordert, dass diese Feststellung auf objektiven, von dritter Seite nachprüfbaren Anhaltspunkten beruht, die sich u.a. auf das Ausmaß des greifbaren Vorhandenseins der beherrschten ausländischen Gesellschaft in Form von Geschäftsräumen, Personal und Ausrüstungsgegenständen beziehen.231 Jedenfalls die Bezugnahme auf den EuGH und damit die Heranziehung der objektiven Maßgaben der Künstlichkeit erscheint gerechtfertigt. Denn in der Sache geht es dort darum, ob die ausländische Gesellschaft aufgrund ihrer Ausstattung überhaupt einer wirklichen Wirtschaftstätigkeit im Ansässigkeitsstaat nachgehen kann.232 Dies entspricht im Wesentlichen dem, was ständige Rechtsprechung und h.L. bislang unter der Frage geprüft haben, ob die Gesellschaft aufgrund ihrer Substanz überhaupt eine eigene wirtschaftliche Tätigkeit ausüben kann;233 insoweit könnte ein den unionsrechtlichen Anforderungen 228 BT-Ds. 16/2712, S. 60; BMF, Schreiben vom 03.04.2007 – IV B 1 - S 2411/07/0002 – DStR 2007, 719 (720), Tz. 6.1. Zustimmend Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50d Rn. 29e; Renger, Treaty Shopping, S. 13. Vgl. auch Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 156, mit Hinweis auf die (frühere) Rechtslage zu § 8 AStG. 229 Unter Verweis auf, BFH, Urteil vom 20.03.2002 – I R 38/00 – BStBl II 2002, 819 (822). 230 BMF, Schreiben vom 03.04.2007 – IV B 1 - S 2411/07/0002 – DStR 2007, 719 (721), Tz. 8. 231 EuGH, Urteil vom 12.09.2006 – C-196/04 – IStR 2006, 670 (674), Rn. 67. Ausführlich siehe bereits im 1. Teil, B.II.1.b.cc(4), S. 169. 232 EuGH, Urteil vom 12.09.2006 – C-196/04 – IStR 2006, 670 (673 f.), Rn. 52 ff. und Rn. 66. 233 Siehe oben B.I.2.b.aa, S. 373, sowie im 1. Teil, B.I.2.d.bb(3)(b), S. 105.

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vergleichbarer Maßstab – wie schon im Rahmen der Neufassung des § 42 Abs. 2 AO – zur unilateralen Auslegung der Vorschrift herangezogen werden, ohne damit einer kollisionsrechtlichen Wertung vorzugreifen.234 Aufgrund des Zusammenhanges von Substanzanforderungen und eigenwirtschaftlicher Tätigkeit, die nach allgemeiner Ansicht auch im Inboundfall zu prüfen ist, spielt es daher auch keine Rolle, dass es sich bei der Entscheidung Cadbury Schweppes um eine Outboundgestaltung handelte.235 Dem Ganzen scheint auch die Rechtsprechung zuzuneigen, die sich in der Entscheidung SOPARFI ausdrücklich auf die entsprechenden Maßgaben bezogen hat.236 Auch im Schrifttum zur Neufassung wird das Erfordernis einer angemessenen personellen und sachlichen Ausstattung im Grundsatz akzeptiert, da nur so die wirtschaftliche Tätigkeit selbständig ausgeübt werden kann.237 Betont wird jedoch – wie auch schon früher –,238 dass sich der quantitative und qualitative Umfang der angemessenen Substanz sich immer nur funktionsbezogen im Hinblick auf die konkret übernommenen Aufgaben beziehe.239 Dem ist im Hinblick auf die Relevanz der Substanzanforderungen zur Feststellung der eigenen Wirtschaftstätigkeit zuzustimmen, eine schematische Forderung nach einer absolut bestimmten Ausstattung, würde dem nicht gerecht. Dies entspricht auch der hier vertretenen Auffassung zu § 42 Abs. 2 AO n.F. Damit erscheint indes klar, dass in Abhängigkeit von der Funktion auch eine Herabsetzung der Substanzanforderungen jedenfalls dann denkbar ist, wenn die konkreten Tätigkeiten ohne besonderen Geschäftsbetrieb ausgeübt werden können; dies betrifft insbesondere Kapitalanlage- und Finanzierungsfunktionen im Rahmen einer geschäftsleitenden Holdingtätigkeit (aktive Beteili-

234 Vgl. auch schon oben B.I.2.b.cc(4), S. 391. Die Kollisionslage wird dadurch aber sicherlich entschärft, da es insoweit an einem Widerspruch fehlt. Die Einwände von Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50d Rn. 29e, wonach für vergleichbare Holdinggesellschaften im Inland kein solches Erfordernis bestehe und § 50d Abs. 3 EStG gerade keine Gegenbeweismöglichkeit i.S. eines „Motivtests“ enthalte, sind daher auch erst in diesem zweiten Schritt zu berücksichtigen, hierzu unten B.II.3, S. 442 ff. Dies gilt entsprechend für die Kritik von Haarmann, in: FS Djanani, S. 292. 235 A.A. Haarmann, in: FS Djanani, S. 292. 236 BFH, Urteil vom 29.01.2008 – I R 26/06 –IStR 2008, 364 (365). Hieran anknüpfend FG Köln, Urteil vom 16.03.2006 – 2 K 1564/08 – EFG 2010, 2004 (2005 f.). 237 Bünning/Mühle, BB 2006, 2159 (2164); Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 153. 238 Siehe Fn. 222. 239 Bünning/Mühle, BB 2006, 2159 (2164); Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50d Rn. 29e; Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 153 und 155.

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§ 50d Abs. 3 EStG

gungsverwaltung).240 In diesem Sinne hat auch der BFH in der Rechtssache SOPARFI entschieden.241 Zur früheren Rechtslage wurde eine entsprechende Reduzierung regelmäßig auch mit der Frage der möglichen Auslagerung auf fremde Dritte verbunden.242 Angesichts des eindeutigen Wortlauts des § 50d Abs. 3 S. 3 EStG, der einer Auslagerung der wesentlichen Tätigkeiten entgegensteht, die den eigenwirtschaftlichen Charakter erst begründen, ist aber hieran auch im Rahmen der Nr. 3 festzuhalten: Wenn auch die Substanzanforderungen im Zusammenhang mit Kapitalanlage- und Finanzierungstätigkeiten entsprechend herabgesetzt sind, so sind diese grundsätzlich auch durch eigenes Personal in Ausübung eines eigenen Geschäftsbetriebs durchzuführen.243 ee.

Isolierte Betrachtungsweise, § 50d Abs. 3 S. 2 EStG

In Zusammenhang mit den sog. Substanzanforderungen wird auch die isolierte Betrachtungsweise des S. 2 nochmals relevant, wonach es ausschließlich auf die Verhältnisse der ausländischen Gesellschaft ankommt. Eine besondere Bedeutung hat dieser ergänzende Satz im Rahmen der Feststellung eines wirtschaftlichen Grundes gemäß Nr. 1, indes bezieht er sich nach Wortlaut und systematischer Stellung auf sämtliche sachliche Tatbestandsvoraussetzungen der Nr. 1-3.244 S. 2 verhindert damit letztlich zwar nicht, dass die Gründe der Anteilseigner zur Einschaltung der Gesellschaft maßgeblich sind,245 es wird aber damit klargestellt, dass es nicht ausreicht, wenn eine andere Konzerngesellschaft aus wirtschaftlichem Grund errichtet wurde (Nr. 1), und dass die antragstellende ausländische Gesellschaft selbst eine eigene wirtschaftliche Tätigkeit im erforderlichen Umfang von 10% der Bruttoerträge (Nr. 2) sowie ei240 Vgl. Günkel/Lieber, Ubg 2008, 383 (386); Kaiser, IStR 2009, 121 (125); Klein/Hagena, in: H/H/R, § 50d EStG Rn. 58. Noch weitergehend Haarmann, in: FS Djanani, S. 292, der eine Substanzforderung nur im Hinblick auf besondere Funktionen akzeptieren will, dies allerdings vornehmlich unionsrechtlich begründet. Dem ist mit Fischer, in: H/H/Sp, § 42 AO Rn. 555, entgegen zu treten, der zu Recht betont, dass die unternehmensbezogene Betrachtung nicht zu einer völligen Unbeachtlichkeit substantieller Ausstattung führen dürfe. 241 BFH, Urteil vom 29.01.2008 – I R 26/06 –IStR 2008, 364 (365). Hieran anknüpfend FG Köln, Urteil vom 16.03.2006 – 2 K 1564/08 – EFG 2010, 2004 (2005 f.). 242 Hierzu im 1. Teil, B.I.2.d.bb(3)(c), S. 108. 243 Hierzu bereits B.I.2.b.cc(3), S. 388; in diese Richtung auch Kaiser, IStR 2009, 121 (125), in Anlehnung an die SOPARFI-Entscheidung (Fn. 241); a.A. Haarmann, in: FS Djanani, S. 293. 244 BMF, Schreiben vom 03.04.2007 – IV B 1 - S 2411/07/0002 – DStR 2007, 719 (721), Tz. 9; Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50d Rn. 29e; Hahn-Joecks, in: K/S/M, EStG, § 50d Rn. E 63; Piltz, IStR 2007, 793 (796); Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 173. 245 Siehe dort B.I.2.b.bb(3), S. 381.

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nen eigenen angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb hierzu (Nr. 3) vorweisen muss. Die isolierte Betrachtungsweise des S. 2 verhindert insoweit eine umfassende gesellschaftsübergreifende Abfärbung im Konzern.246 Bei wortlautgetreuer Auslegung kann im Lichte der Neufassung mitunter nicht mehr gegen die Anwendbarkeit der Vorschrift vorgebracht werden kann, dass sich im Ansässigkeitsstaat der antragstellenden Gesellschaft noch eine weitere, unstreitig aktiv tätige und mit ausreichender Substanz ausgestattete (Schwester-) Konzerngesellschaft befindet.247 Es zeigt sich an dieser Stelle (erneut) der Nachteil einer unwiderlegbar typisierenden Missbrauchsvorschrift: Denn dass die alternativ gegebene Möglichkeit der Beteiligungsverwaltung durch die bereits bestehende, aktiv tätige Schwestergesellschaft durchaus als Indiz gegen das Vorliegen eines Missbrauchs herangezogen werden kann, zeigt sich nicht zuletzt an Art. 28 Abs. 4 lit. c) S. 1 DBA-USA, der eine Merkmalsübertragung im Rahmen des Active Trade or Business Test zulässt.248 Dies muss vor allem dann gelten, wenn die Auslagerung auf eine rechtlich selbständige Holdinggesellschaft anstelle der Anbindung an eine bereits vorhandene aktive Schwestergesellschaft auf steuerliche Gründe im Ansässigkeitsstaat zurückzuführen ist, da diese für die Beurteilung einer missbräuchlichen Entlastung von deutscher Quellensteuer unbeachtlich sind.249 Da hiermit schon – auch gemessen am abstrakten Rahmen des § 42 Abs. 2 AO – die Erforderlichkeit der Zwischenschaltung der konkreten Gesellschaft verneint werden muss, ist objektiv kein Missbrauch gegeben und der Wortlaut geht über den Missbrauchsvermeidungszweck hinaus. Auch hier ist mithin die Möglichkeit des Gegenbeweises des § 42 Abs. 2 S. 2 AO infolge einer aus der Rückbindung an den abstrakten

246 Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50d Rn. 29e; Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 171, dort in Rn. 172 auch mit Überlegungen zu einer Ausnahme bei Organschaft bzw. Gruppenbesteuerung. 247 So noch die Argumentation in BFH, Urteil vom 31.05.2005 – I R 74/04 u.a. (Hilversum II) – BStBl II 2006, 118 (120); hierzu auch bereits oben B.I.2.b.aa, S. 373, sowie Grotherr, IStR 2006, 361 (362); Kessler/Eicke, PIStB 2006, 167 (167). Bei vorgeschalteten Konzerngesellschaften ist ohnehin eine mittelbare fiktive Prüfung des § 50d Abs. 3 EStG in Bezug auf den Anteilseigner vorzunehmen, siehe B:I.2.a.bb(3), S. 369. 248 Hierzu oben A.I.2.b.dd, S. 307, insbesondere vor Fn. 126. Ebenso Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 171 a.E.; Bünning/Mühle, BB 2006, 2159 (2164), sehen dies zumindest eine Kontrollüberlegung an. Hierin liegt auch keine Anwendung von § 42 AO zugunsten des Steuerpflichtigen, da mit dieser Argumentation keine Verbesserung des Status quo, sondern lediglich die Abwehr des § 50d Abs. 3 EStG bezweckt wird. 249 Hierzu bereits oben Fn. 117.

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§ 50d Abs. 3 EStG

Rahmen des Missbrauchs i.S.v. § 42 Abs. 2 AO folgenden Reduktion der Konkretisierungswirkung eröffnet.250 c.

Die Ausnahmen des § 50d Abs. 3 S. 4 EStG

§ 50d Abs. 3 S. 1-3 EStG sind nicht anzuwenden, wenn eine der beiden Ausnahmen des S. 4 vorliegt: In der Alt. 1 sind Gesellschaften ausgenommen, mit deren Hauptaktiengattung ein wesentlicher und regelmäßiger Handel an einer anerkannten Börse stattfindet, die Alt. 2 betrifft Gesellschaften, für die die Vorschriften des Investmentsteuergesetzes (InvStG) gelten. Unter der Geltung dieser Ausnahmen kann eine ausländische Gesellschaft, die nach den sachlichen Tatbestandsvoraussetzungen als funktionslos anzusehen ist, dennoch die Vergünstigungen i.S.d. § 50d Abs. 1 und 2 EStG erlangen. Im Anwendungserlass vertrat das BMF noch die Ansicht, dass sich die Prüfung ausschließlich auf die antragstellende Gesellschaft beziehe, d.h. ausschließlich diese den Tatbestand der Ausnahmen erfüllen müsse.251 Schon damals wurde entgegengehalten, dass S. 4 auch beim Durchgriff auf tiefergestaffelte Beteiligungsstrukturen für mittelbar an der deutschen Gesellschaft beteiligte Gesellschaften anwendbar sein müsse, da der Gesetzeswortlaut insoweit nicht beschränkt sei und die Wertung als nicht missbräuchlich genauso übertragen werden müsse.252 Letzteres Argument verdient Beachtung insbesondere mit Blick auf die Konzeption des indirekten Börsenhandelstest, Art. 28 Abs. 2 lit. c) bb) DBA-USA, da hiernach auch Tochtergesellschaften börsennotierter Gesellschaften von der entsprechenden Typisierung als „nicht missbräuchlich“ profitieren.

250 Siehe unten, B.II.1.b.cc, S. 433. Als problematisch erweist sich insoweit, dass die Neufassung des JStG 2007 insoweit gegen die BFH-Entscheidung Hilversum II gerichtet ist (siehe oben Fn. 86), so dass dies möglicherweise gar nicht planwidrig sein könnte. Das Regelungsanliegen steht aber lediglich einer Qualifizierung der streitgegenständlichen Zwischengesellschaft als „aktiv“ entgegen – dem wird bei der hier vertretenen Lösung sogar entsprochen, es wird nur aus weiteren Gründen auf die Aktivität verzichtet; ebenfalls waren Aspekte des ausländischen Rechts bislang nicht einbezogen. Unter dem Einfluss der Kollisionsregel des Ranges (insbesondere des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts) kann auch kein anderes Ergebnis vertreten werden, hierzu auch unten B.II.3.c.bb, S. 469. 251 BMF, Schreiben vom 03.04.2007 – IV B 1 - S 2411/07/0002 – DStR 2007, 719 (721), Tz. 10. Zustimmend Hahn-Joecks, in: K/S/M, EStG, § 50d Rn. E 78, mit Verweis auf das Verbot der Merkmalsübertragung des S. 2. 252 Günkel/Lieber, Ubg 2008, 383 (385); IDW, Schreiben vom 21.02.2007, S. 6; Klein, in: H/H/R, Jahresband 2007, § 50d EStG Rn. J 06-14; Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 207.

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Normanalyse

Im Anschluss an die Akzeptanz der Prüfung auch mittelbarer Beteiligter im Rahmen der persönlichen Tatbestandsvoraussetzungen253 hat die Finanzverwaltung nun ihre Sichtweise korrigiert und im Ergänzungserlass klargestellt, dass wenn die antragstellende, entlastungsberechtigte Gesellschaft die Ausnahmevoraussetzung selbst nicht erfüllt, darauf abzustellen ist, ob ein an ihr unmittelbar oder mittelbar Beteiligter einen dieser Tatbestände erfüllt, sofern diese selbst persönlich entlastungsberechtigt ist.254 Eine in einem Drittstaat ansässige, börsennotierte Gesellschaft kann damit aber weiterhin nicht die Funktionslosigkeit ihrer Tochtergesellschaften heilen; dies ist im Hinblick auf die herrschende und auch hier vertretene Ansicht zur Erforderlichkeit der persönlichen Entlastungsberechtigung im Rahmen der Durchgriffsbetrachtung255 konsequent und entspricht ebenso dem Grundgedanken des Börsenhandelstest des Art. 28 Abs. 2 lit. c) DBA-USA, der die Ansässigkeit der börsennotierten Gesellschaft in einem der Vertragsstaaten fordert. aa.

Börsenklausel, § 50d Abs. 3 S. 4 Alt. 1 EStG

§ 50 Abs. 3 EStG findet gemäß dessen S. 4 Alt. 1 keine Anwendung, wenn mit der Hauptgattung der Aktien der ausländischen Gesellschaft ein wesentlicher und regelmäßiger Handel an einer anerkannten Börse stattfindet. Vorbild dieser Regelung ist laut Gesetzesbegründung § 7 Abs. 6 S. 3 Hs. 2 AStG,256 so dass sich deren Auslegung hieran orientieren kann.257 Zudem typisiert auch Art. 28 Abs. 2 lit. c) DBA-USA börsennotierte Gesellschaften und deren Tochtergesellschaften als nicht missbräuchlich; Grundgedanke ist insoweit, dass aufgrund des börsenbasierten Anteilshandels im Idealfall sowohl die Anteilseignerschaft gestreut ist, als auch diese gegenüber der notierten Gesellschaft eigene Interessen verfolgen, so dass eine Zwischenschaltung zur bloßen Durchleitung der Einkünfte fernliegt.258 Da dies unter vergleichbaren Voraussetzungen wie § 50d Abs. 3 S. 4 EStG steht, ist auch das zu Art. 28 DBA-USA Gesagte heranzuziehen. Die Regelung des § 50d Abs. 3 S. 4 Alt. 1 EStG ergibt zudem einen Sinn vor dem Hintergrund, dass bei einer börsennotierten Gesellschaft ein unterjähriger Wechsel im Gesellschafterbestand und damit auch eine Änderung der persönlichen Entlastungsberechtigung der Anteilseigner als 253 Siehe B.I.2.a.bb(3), S. 369. 254 BMF, Schreiben vom 21.06.2010 – IV B 5 - S 2411/07/10016 :005 (Ergänzungserlass § 50d Abs. 3 EStG) – IStR 2010, 539 (539). In diesem Sinne hatte das BMF bereits im Wege eines nicht amtlichen Schreibens eine entsprechende Anfrage beantwortet, vgl. BMF, Schreiben vom 10.07.2007 - IStR 2007, 555 (556). Vgl. auch Günkel/Lieber, Ubg 2008, 383 (385); Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 207. 255 Siehe oben bei Fn. 70 m.w.N. 256 BT-Ds. 16/2712, S. 101. 257 Klein, in: H/H/R, Jahresband 2007, § 50d EStG Rn. J 06-14. 258 Im Einzelnen siehe oben A.I.2.b.aa(1), S. 291.

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§ 50d Abs. 3 EStG

nicht ganz fernliegend erscheint und auch der Gesellschaft der jeweilige Beteiligungsumfang nicht rechtssicher bekannt ist, so dass insoweit Unklarheit über die persönlichen Tatbestandsvoraussetzungen i.S. des Abs. 3 S. 1 herrscht.259 Die Finanzverwaltung verweist zur Auslegung des Begriffes der anerkannten Börse im Anwendungserlass auf den organisierten Markt i.S.v. § 2 Abs. 5 WpHG und vergleichbare Märkte mit Sitz außerhalb von EU und EWR.260 Damit wäre im deutschen Kapitalmarkt nur das Marktsegment des regulierten Marktes i.S.v. §§ 32 ff. BörsG betroffen, nicht aber dasjenige des privatrechtlich geregelten Freiverkehrs, § 48 BörsG;261 der Begriff entspricht in dieser Auslegung somit demjenigen des Art. 28 Abs. 8 lit. a) bb) DBA-USA.262 Eine Erleichterung zur Einstufung ausländischer Märkte als organisierte Märkte in diesem Sinne bietet die im Amtsblatt der EU veröffentlichte „Übersicht über die geregelten Märkte”.263 Im Schrifttum wird hingegen eine Börse schon dann als anerkannt eingestuft, wenn sie die Genehmigung der zuständigen (ausländischen) Aufsichtsbehörde hat.264 Im Hinblick auf den Grundgedanken der Ausnahme dürfte dies aber nur dann gelten, wenn die jeweilige Börse einen Handel von ernsthaften Zulassungsvoraussetzungen, einer breit gestreute Anteilseignerschaft und einem signifikanten Handelsvolumen als Kriterien abhängig macht.265 Als Hauptaktiengattung versteht das BMF im Anwendungserlass zum AStG solche Aktien, die das Aktienkapital repräsentieren und in der Regel auch Stimmrechte verleihen.266 Dem wird in der Literatur grundsätzlich zugestimmt,267 allerdings zum Teil auch darauf hingewiesen, dass der Schutzzweck

259 Zu den entsprechenden Nachweisschwierigkeiten schon Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 202. 260 BMF, Schreiben vom 03.04.2007 – IV B 1 - S 2411/07/0002 – DStR 2007, 719 (721), Tz. 10.1. 261 Kumpan, in: Schwark/Zimmer, KMRK, § 2 WpHG Rn. 120 m.w.N. 262 Siehe oben A.I.2.b.aa(1), S. 291. Anders Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 203. 263 Informationen der Mitgliedstaaten vom 11.07. 2009, ABlEG C 158, S. 3; Kumpan, in: Schwark/Zimmer, KMRK, § 2 WpHG Rn. 120. 264 Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50d Rn. 29f; Klein, in: H/H/R, Jahresband 2007, § 50d EStG Rn. J 06-14. 265 Vgl. oben A.I.2.b.aa(1), S. 291, zur Frage der Anerkennung weiterer Börsen i.S.v. Art. 28 Abs. 8 lit. a) cc) DBA-USA. 266 BMF, Schreiben vom 14.05.2004 – IV B 4 - S 134 - 11/04 – BStBl I 2004, SonderNr. 1, S. 26, Tz. 7.6.2. 267 Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50d Rn. 29f; Hahn-Joecks, in: K/S/M, EStG, § 50d Rn. E 77.

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für gehandelte Vorzugsaktien genauso gelten müsse.268 Im Hinblick auf den Regelungszweck des § 50 Abs. 3 S. 4 Alt. 1 EStG geht es indes darum, diejenigen Aktiengattungen zu erfassen, die den nötigen Einfluss auf die ausländische Gesellschaft gewährleisten.269 Daher kann einerseits der bloße Handel von Vorzugsaktien nicht genügen, andererseits sind Umgehungsstrategien im Wege sog. Geschäftsbereichsaktien, die zur weiteren Einkünftedurchleitung geeignet wären, gleichermaßen wie im Rahmen des Art. 28 DBA-USA zu verhindern, so dass auf die Ausführung hierzu, insbesondere zu den dortigen Abs. 8 lit. b) aa) und lit. c) verwiesen werden kann.270 Zudem verlangt das Gesetz einen wesentlichen und regelmäßigen Handel dieser Aktien. In der Literatur und der Finanzverwaltung wird diesbezüglich vor allem quantitativ darauf abgestellt, dass der Handel einen nicht unbedeutenden Teil betreffen müsse.271 Dies entspricht im Wesentlichen auch der hier bevorzugten Auffassung zum regelmäßigen Handel im Sinne des Art. 28 Abs. 2 lit. c aa) DBA-USA, die im Hinblick auf die Grundkonzeption der typisierenden Betrachtung ein Minimum an Dauer und Quantität des Handels zur Trennung der wirtschaftlichen Interessen von Gesellschaft und Anteilseignern voraussetzt.272 bb.

Investmentgesellschaften, § 50d Abs. 3 S. 4 Alt. 2 EStG

§ 50 Abs. 3 EStG findet darüber hinaus gemäß S. 4 Alt. 2 keine Anwendung, wenn für die ausländische Gesellschaft die Vorschriften des InvStG gelten. Nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 InvStG ist dieses Gesetz anzuwenden auf ausländische Investmentvermögen und Investmentanteile i.S. der § 2 Abs. 8 und Abs. 9 InvG. Der Regelungszweck dieser Ausnahme dürfte demjenigen der Alt. 1 vergleichbar sein, da es sich bei diesen regelmäßig ebenso um Publikumsvermögen handelt und ähnliche Probleme durch den wechselnden Gesellschafterbestand und dessen Nachweis bestehen. Anzumerken ist indes, dass in Bezug auf Investmentgesellschaften auch eine andere Sichtweise vertreten werden könnte, wie ein Blick, auf Art. 28 Abs. 6 DBA-USA zeigt: Dort nämlich sind die 268 Klein, in: H/H/R, Jahresband 2007, § 50d EStG Rn. J 06-14; Protzen, in: Kraft, AStG, § 7 Rn. 335. 269 Zutreffend Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 204; siehe auch oben vor Fn. 258. 270 Zur Darstellung m.w.N. siehe oben A.I.2.b.aa(1), S. 291. 271 BMF, Schreiben vom 14.05.2004 – IV B 4 - S 134 - 11/04 (Anwendungserlass AStG) – BStBl I 2004, SonderNr. 1, S. 26, Tz. 7.6.2.;Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50d Rn. 29f; Hahn-Joecks, in: K/S/M, EStG, § 50d Rn. E 77. Es solle auch ausreichen, wenn der Handel einer notierten Gesellschaft einmal ausgesetzt werde oder nur in geringem Umfang stattfinde, so Klein, in: H/H/R, Jahresband 2007, § 50d EStG Rn. J 06-14. 272 Siehe oben A.I.2.b.aa(1), S. 291 m.w.N.

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§ 50d Abs. 3 EStG

Anforderungen an die Berechtigung zur Quellensteuerentlastung für deutsche Investmentvermögen i.S.d. § 2 Abs. 1 Nr. 1 InvStG – d.h. deutsche Investmentfonds, § 2 Abs. 1 InvG, und Investmentaktiengesellschaften, § 2 Abs. 5 InvG – in Form einer erhöhten Mindestbeteiligungsquote sogar verschärft, da diese als steuerlich transparent behandelt werden und aufgrund § 7 Abs. 1 Nr. 1 InvStG keine Verpflichtung zum Abzug von KapESt existiert, so dass aus US-Sicht insoweit ein erhöhter Anreiz zu einer missbräuchlichen Reduzierung von US-Quellensteuern besteht.273 Wollte das deutsche Steuerrecht diese Gedanken auf § 50d Abs. 3 EStG übertragen, so würde die Administrierbarkeit der Vorschrift jedoch praktisch unmöglich gemacht werden. Als ausländische Investmentvermögen gelten gemäß § 2 Abs. 8 S. 1 InvG dem Recht eines anderen Staates unterstehende Investmentvermögen i.S.v. § 1 S. 2 InvG, also Vermögen zur gemeinschaftlichen Kapitalanlage, die nach dem Grundsatz der Risikomischung in Vermögensgegenständen i.S.d. § 2 Abs. 4 InvG angelegt sind; hierzu gehören insbesondere Wertpapiere (Nr. 1), Beteiligungen an Grundstücksgesellschaften (Nr. 6) und Unternehmensbeteiligungen (Nr. 9), und damit auch Beteiligungen an deutschen Kapitalgesellschaften. Anders als im Inland ist dies nicht davon abhängig, ob bestimmte formale Kriterien wie ein Rückgaberecht der Anleger eingehalten sind, so dass insoweit der „materielle Investmentbegriff“ gilt274 und es sich damit um eine praktisch weitreichende Ausnahme handeln könnte.275 Demgegenüber bestimmt § 2 Abs. 9 InvG in der nun geltenden Fassung, dass als ausländische Investmentanteile nur solche Anteile an ausländischen Investmentvermögen anzusehen sind, bei denen der Anleger gegen Rückgabe seines Anteils sein Anteil an dem Investmentvermögen ausgezahlt wird oder aber die ausländische Investmentgesellschaft in ihrem Sitzstaat einer Investmentaufsicht unterliegt. Diesbezüglich wurde durch das InvÄG276 somit der formelle Investmentbegriff eingeführt und insoweit eine Gleichstellung mit inländischen Investmentanteilen herbeigeführt.277 Zuvor galt auch hier nur der materielle Investmentbegriff. Vor diesem Hintergrund ist es zu sehen, dass die Finanzverwaltung im Anwendungserlass nur ausländische Investmentvermögen des Kapitalgesellschaftstyps, d.h. mit (deutschen) Investmentaktiengesellschaft i.S.v. § 2 Abs. 5 InvG vergleichbare Konstruktionen als Ausnahmen i.S.v. § 50d Abs. 3 S. 4

273 Im Einzelnen mit Nachweisen siehe A.I.2.b.ff, S. 313. 274 Häussermann/Rengier, IStR 08, 679 (681); Klein, in: H/H/R, Jahresband 2007, § 50d EStG Rn. J 06-14. 275 Klein, in: H/H/R, Jahresband 2007, § 50d EStG Rn. J 06-14. 276 Gesetz zur Änderung des Investmentgesetzes und zur Anpassung anderer Vorschriften vom 21.12.2007, BGBl I 2007, S. 3089. 277 Häussermann/Rengier, IStR 08, 679 (681).

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EStG angesehen hat.278 Das Schrifttum hat dies im Lichte der Altfassung des InvG aufgrund der Unschärfe des damals allein geltenden materiellen Investmentbegriffs aufgegriffen.279 Hiergegen wurde unter Beachtung der Änderungen durch das InvÄG Kritik geäußert mit der Begründung, dass der Verweis des Wortlauts insoweit nicht beschränkt sei – insbesondere keine Begrenzung auf § 2 Abs. 9 InvG erfolge – und sich genaugenommen nur § 2 Abs. 8 InvG mit dem Investmentvehikel selbst beschäftige, Abs. 9 jedoch deren Anteilseigner im Blick habe.280 Letzteres entspricht jedoch gerade dem Sinn und Zweck des § 50d Abs. 3 EStG, der insgesamt die Entlastung von der Stellung der Anteilseigner der Zwischengesellschaft abhängig macht; zuzugeben ist allerdings, dass damit nicht notwendigerweise die Beteiligung in Deutschland unbeschränkt Steuerpflichtiger erfordert wird, so dass ebenso gute Gründe für die Weitergeltung des materiellen Investmentbegriffs im Rahmen des § 50d Abs. 3 S. 4 EStG sprechen.281 Diesbezüglich wäre eine gesetzgeberische Klarstellung in Folge der Änderung des InvG wünschenswert. Hinzuweisen ist indes darauf, dass ausländische Investmentvermögen in der Regel mehr als nur reine Vermögensverwaltung ausüben und die Ausnahme regelmäßig lediglich deklaratorischer Art sein dürfte.282 Dies folgt unter anderem daraus, dass das BMF aufgrund der Eigenheiten der Investmentvermögen, insbesondere gesetzgeberischer bzw. aufsichtsrechtlicher Vorgaben, berechtigterweise weder die Gewinnermittlung nach den Regeln der Überschusseinkünfte (§ 3 Abs. 1 InvStG) noch eine mitunter erforderliche Auslagerung der Tätigkeiten auf eine besondere Verwaltungsgesellschaft als schädlich ansieht.283 d.

Beweislast

aa.

Grundsätze

Umstritten ist im Rahmen des § 50d Abs. 3, wer die objektive Beweislast (Feststellungslast)284 für das Vorliegen der Tatbestandsvoraussetzungen der 278 BMF, Schreiben vom 03.04.2007 – IV B 1 - S 2411/07/0002 – DStR 2007, 719 (721), Tz. 10.2. 279 Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50d Rn. 29f; Hahn-Joecks, in: K/S/M, EStG, § 50d Rn. E 78; Klein, in: H/H/R, Jahresband 2007, § 50d EStG Rn. J 06-14. 280 Häussermann/Rengier, IStR 08, 679 (684 ff.). 281 Häussermann/Rengier, IStR 08, 679 (685); Süß/Mayer, DStR 2009, 1741 (1743 f.); a.A. Helios/Schmies, BB 2009, 1100 (1110). 282 Bericht des Finanzausschusses vom 09.11.2006, BT-Ds. 16/3368, S. 19. 283 BMF, Schreiben vom 03.04.2007 – IV B 1 - S 2411/07/0002 – DStR 2007, 719 (721), Tz. 10.2. Zustimmend Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 206. 284 Da eine subjektive Beweislast dem Steuerrecht grundsätzlich fremd ist, wird auch von der objektiven Feststellungslast gesprochen, hierzu Koenig, in: Pahlke/Koenig, AO, § 42 Rn. 34; Wagner, in: Kühn/von Wedelstädt, AO, § 88 Rn. 7.

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§ 50d Abs. 3 EStG

Versagung trägt. Nach Ansicht der Finanzverwaltung solle die Feststellungslast, dass die Tatbestandsvoraussetzungen des Abs. 3 nicht erfüllt sind, die antragstellende Gesellschaft treffen.285 In der Literatur wird dem teilweise zugestimmt und zur Begründung auf § 90 Abs. 2 AO verwiesen, wonach die ausländische Gesellschaft die entsprechenden Nachweise zu erbringen habe;286 dies wird jedoch bestritten.287 Eine vermittelnde Ansicht lässt diese Frage wiederum offen und stützt sich darauf, dass der Streit in Folge der erhöhten Mitwirkungspflicht des § 90 Abs. 2 jedenfalls regelmäßig unbeachtlich sei288 bzw. die ausländische Gesellschaft die „faktische“ Feststellungslast trage.289 Nicht zutreffend ist es jedenfalls, wenn von einer nachteiligen Beweislastumkehr gesprochen wird.290 Denn weiterhin gilt die Grundregel, dass die Finanzverwaltung die objektive Beweislast für die steuerbegründenden und erhöhenden Tatsachen trägt, der Steuerpflichtige diese für die steuerentlastenden oder -mindernden Tatsachen.291 Da sich die Versagung der Entlastung als Rechtsfolge des § 50d Abs. 3 EStG steuererhöhend auswirkt, handelt es sich bei dessen Tatbestandsmerkmalen mithin um steuererhöhende Merkmale, für die Finanzverwaltung die objektive Beweislast trägt.292 Der Verweis auf § 90 Abs. 2 AO ist in dem Zusammenhang berechtigt, da die antragstellenden Gesellschaft nicht nur die allgemeine Mitwirkungspflicht i.S.v. § 90 Abs. 1 S. 1 AO trifft, sondern sich die Sachverhalte zur Beurteilung der sachlichen wie persönlichen Voraussetzungen in Bezug auf die ausländische Zwischengesellschaft auf Vorgänge außerhalb des Geltungsbereiches des AO beziehen. Die ausländische Gesellschaft ist daher verpflichtet, den Sachverhalt aufzuklären und die erforderlichen Beweismittel zu beschaffen, soweit es ihr tatsächlich und rechtlich möglich ist, § 90 Abs. 2 S. 1 und S. 2 AO. Die erhöhte Mitwirkungspflicht zeigt sich somit in einer Beweismittelbeschaf-

285 BMF, Schreiben vom 03.04.2007 – IV B 1 - S 2411/07/0002 – DStR 2007, 719 (721), Tz. 14. 286 Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50d Rn. 28f; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, Rn. 16.164; Wagner, in: Blümich, ESt – KSt – GewSt, § 50d EStG Rn. 75. 287 Klein/Hagena, in: H/H/R, § 50d EStG Rn. 59 m.w.N. 288 Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 221. 289 Hahn-Joecks, in: K/S/M, EStG, § 50d Rn. E 79. 290 Kessler/Eicke, DStR 2007, 781 (782). 291 BFH, Urteil vom 02.03.1966 – II 113/61 – BStBl III 1966, 509 (10 f.); BFH, Urteil vom 05.11.1970 – V R 71/67 – BStBl II 1971, 220 (224); Rätke, in: Klein, AO, § 88 Rn. 51 m.w.N.; Seer, in: Tipke/Kruse, § 96 FGO Rn. 83; Seer, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 22 Rn. 191; Weber-Grellet, Steuern im modernen Verfassungsstaat, S. 39; Wünsch, in: Pahlke/Koenig, AO, § 88 Rn. 27. 292 Vgl. auch Hahn-Joecks, in: K/S/M, EStG, § 50d Rn. E 79.

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Normanalyse

fungs- und gar Beweisvorsorgepflicht.293 Eine Verletzung der Mitwirkungspflichten des § 90 Abs. 2 AO führt indes nicht zu einer Übertragung der objektiven Beweislast (Feststellungslast) auf den Steuerpflichtigen, sondern zu einer Reduzierung des Beweismaßes zu Lasten des Steuerpflichtigen.294 Insofern kann schon dann von einem steuererhöhend wirkenden Sachverhalt ausgegangen werden, wenn hierfür – unter Berücksichtigung der Beweisnähe des Steuerpflichtigen und seiner Verantwortung für die Aufklärung des Sachverhalts – (lediglich) eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht.295 Daher ist es grundsätzlich auch unproblematisch, wenn aus einer mangelnden Aufklärung nachteilige Folgen für die ausländische Gesellschaft gezogen werden, insbesondere wenn im Rahmen der persönlichen Voraussetzungen weitere Informationen über die jeweiligen Anteilseigner fehlen.296 Dies dürfte in gleichem Maße für die sachlichen Voraussetzungen gelten, so dass insbesondere eine fehlende Aufklärung über die wirtschaftlichen Gründe, über Umfang und Eigenart der jeweiligen Tätigkeit und über die konkrete Substanz der ausländischen Gesellschaft zu Lasten dieser geht.297 Der Unterschied zu den oben genannten Ansichten der Finanzverwaltung und der Literatur, die entgegen dieser Darstellung von einer Umkehr der Feststellungslast in Folge des § 90 Abs. 2 AO ausgehen, zeigt sich im Rahmen der freien richterlichen Beweiswürdigung, § 96 Abs. 1 S. 1 FGO. Nach der hier befürworteten Lösung erscheint es jedenfalls in Einzelfällen als möglich, dass das Gericht trotz Unmöglichkeit einer näheren Aufklärung tatrichterlich nicht hinreichend vom Vorliegen eines Versagungsgrundes überzeugt ist. 298 293 Seer, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 21 Rn. 172. Wagner, in: Kühn/von Wedelstädt, AO, § 88 Rn. 11. Zu § 50d Abs. 3 EStG siehe auch Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 221. 294 Ax/Große/Melchior/Lotz/Ziegler, Abgabenordnung, Rn. 1010; Rätke, in: Klein, AO, § 88 Rn. 25; Seer, in: Tipke/Kruse, AO, § 162 Rn. 5; Seer, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 22 Rn. 190 f. Im Ergebnis auch Wagner, in: Kühn/von Wedelstädt, AO, § 88 Rn. 11. Insoweit befindet sich das Sachaufklärungsdefizit außerhalb der Sphäre des nach der Rosenbergschen Normbegünstigungstheorie Beweisbelasteten; hierdurch kann ein Ausgleich zwischen Beweislast und Beweismaß geschaffen werden, ohne dadurch eine übermäßige Vielzahl an Beweislastentscheidungen zu erhalten, so Seer, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 22 Rn. 191. 295 Vgl. Ziff. 1 S. 1 AEAO zu § 90. 296 BFH, Beschluss vom 09.07.1986 – I B 36/86 – BStBl II 1987, 487 (489); Hahn-Joecks, in: K/S/M, EStG, § 50d Rn. E 79; Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 221. 297 Angedeutet bei Hahn-Joecks, in: K/S/M, EStG, § 50d Rn. E 79; Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 221. 298 So hat das FG Köln, Urteil vom 28.04.2010 – 2 K 1564/08 – EFG 2010, 2004 (2005 f., rkr.) im Anschluss an die SOPARFI-Entscheidung des BFH (Urteil vom 29.01.2008 – I R 26/06 – IStR 2008, 364) zu § 50d Abs. 3 EStG a.F. trotz vorliegender Substanz-

413

§ 50d Abs. 3 EStG

Weitere Konsequenz dieser Ansicht ist, dass eine Beschränkung auf bestimmte Beweismittel in Bezug auf den grenzüberschreitenden Sachverhalt abzulehnen ist. Insbesondere geht es daher zu weit, wenn die Finanzverwaltung fordert, dass Führungsentscheidungen zur Begründung aktiver Beteiligungsverwaltung hinreichend zu dokumentieren seien.299 Zur Bestimmung des entscheidungserheblichen Sachverhalts sind stattdessen sind alle Beweismittel der AO, d.h. Urkunden, Sachverständigengutachten, Zeugenaussagen, und (subsidiär) die Vernahme der Beteiligten, §§ 92 ff. AO, im Rahmen der freien Beweiswürdigung zu berücksichtigen.300 Für die Voraussetzungen des § 50d Abs. 3 S. 4 EStG als steuermindernde Ausnahmeregelung trägt die ausländische Gesellschaft hingegen schon nach allgemeinen Beweisregeln301 die Feststellungslast. bb.

§ 2 SteuerHBekV

Im Zusammenhang mit dem Vorstehenden ist ergänzend auf die besonderen Nachweis- und Mitwirkungspflichten infolge des § 2 SteuerHBekV302 i.V.m. § 51 Abs. 1 Nr. 1 lit. f) bb) EStG hinzuweisen. So heißt es in § 2 S. 1 SteuerHBekV zur Versagung der Entlastung vom Steuerabzug:

299 300 301 302

414

schwäche festgestellt, dass es auch im Lichte der erhöhten Mitwirkungspflicht des § 90 Abs. 2 AO nicht vom Fehlen einer eigenen Wirtschaftstätigkeit überzeugt ist, sondern vielmehr nach einer „informellen Anhörung“ des Verwaltungsratsvorsitzenden eher Anhaltspunkte zugunsten einer eigenen Wirtschaftstätigkeit fand. Auf die Neufassung des § 50d Abs. 3 EStG dürfte dies ohne weiteres zu übertragen sein. Bei § 42 AO n.F. könnte dies möglicherweise deshalb anders zu sehen sein, da dort Abs. 2 S. 2 die Nachweislast in Form der außersteuerlichen Gründe objektiv dem Steuerpflichtigen auferlegt; ob dies auch für die fehlende eigenwirtschaftliche Tätigkeit gilt, oder ob diese im Rahmen der Unangemessenheit, Abs. 2 S. 1, der Feststellungslast der Finanzverwaltung unterliegt, ist zukünftig durch die Rechtsprechung zu entwickeln. Im Rahmen des § 50d Abs. 3 EStG kann dies mitunter auch als eine Art prozessualer Vorbehalt gegenüber der auf den ersten Blick unwiderlegbaren Vermutung verstanden werden: Insoweit lässt sich nämlich nicht immer trennscharf unterscheiden zwischen einerseits dem tatrichterlichen Spielraum beim Vorliegen einzelner (alternativer) Versagungsgründe und andererseits einer Gesamtwürdigung des Sachverhalts als nicht missbräuchlich. Dies muss aber im Lichte der Gewaltenteilung und auch revisionsrechtlich an Grenzen stoßen. Die Gewährung eines Gegenbeweises im Wege des § 42 Abs. 2 S. 2 AO – und zwar schon de lege lata, aber auch de lege ferenda – ist daher zu bevorzugen. BMF, Schreiben vom 03.04.2007 – IV B 1 - S 2411/07/0002 – DStR 2007, 719 (721), Tz. 14. IDW, Schreiben vom 21.02.2007, S. 7; Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 222, dort auch zu ausländischen Zeugen, die mangels Ladungsfähigkeit als sog. präsente Beweismittel i.S.d. § 90 Abs. 2 AO beizubringen sind. Vgl. oben Fn. 291. Steuerhinterziehungsbekämpfungsverordnung (SteuerHBekV) vom 18.09.2009, BGBl I 1999, S. 3046.

Normanalyse

„Hat eine ausländische Gesellschaft Anspruch auf völlige oder teilweise Entlastung vom Steuerabzug nach § 50d Absatz 1 und 2 oder § 44a Absatz 9 des Einkommensteuergesetzes und sind an dieser Gesellschaft unmittelbar oder mittelbar natürliche Personen beteiligt, deren Anteil an ihr 10 Prozent übersteigt, wird diese Entlastung ungeachtet des § 50d Absatz 3 des Einkommensteuergesetzes nur gewährt, 1. wenn die Gesellschaft den Namen und die Ansässigkeit der natürlichen Personen offen legt, 2. soweit keine der Voraussetzungen des § 51 Absatz 1 Nummer 1 Buchstabe f Satz 2 des Einkommensteuergesetzes erfüllt ist.“

Der in der Nr. 2 der Rechtsverordnung genannte Vorbehalt der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage, § 51 Abs. 1 Nr. 1 lit. f) S. 2 EStG, lautet: „Die besonderen Nachweis- und Mitwirkungspflichten gelten nicht, wenn die außerhalb des Geltungsbereichs dieses Gesetzes ansässigen Beteiligten oder andere Personen in einem Staat oder Gebiet ansässig sind, mit dem ein Abkommen besteht, das die Erteilung von Auskünften entsprechend Artikel 26 des Musterabkommens der OECD zur Vermeidung der Doppelbesteuerung auf dem Gebiet der Steuern vom Einkommen und vom Vermögen in der Fassung von 2005 vorsieht oder der Staat oder das Gebiet Auskünfte in einem vergleichbaren Umfang erteilt oder die Bereitschaft zu einer entsprechenden Auskunftserteilung besteht.“

Die besonderen Pflichten des § 2 SteuerHBekV betreffen somit Fälle, in denen die ausländische Gesellschaft in einer nicht oder nur beschränkt kooperierenden Jurisdiktion303 ansässig ist; Namen und Ansässigkeit der Gesellschafter, die nicht nur unwesentlich (d.h. zu mehr als 10%) beteiligt sind, müssen in diesen Fällen genannt werden, ansonsten wird die Entlastung versagt. Die Vorschrift läuft jedoch leer, solange es aktuell – so auch ausdrücklich die Finanzverwaltung304 – an „unkooperativen“ Staaten i.S. des § 51 Abs. 1 Nr. 1 lit. f) S. 2 EStG fehlt.305

303 BT-Ds. 16/13106, S. 14; Podewils, DStZ 2009, 686 (686 f.); Schaumburg, Internationales Steuerrecht, Rn. 16.164. 304 BMF, Schreiben vom 05.01.2010 – IV B 2 - S 1315/08/10001-09 (SteuerHBekG und SteuerHBekV: Nicht kooperierende Staaten und Gebiete) – DStR 2010, 55 (55). 305 Sie wird daher nicht weiter untersucht. Zu möglichen rechtsstaatlichen und rechtspolitischen Bedenken sowie zu Kollisionsproblemen im Bereich des Treaty Shopping, vgl. Eilers/Dann, BB 2009, 2399 (2403); Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50d Rn. 25a; Podewils, DStZ 2009, 686 (688 ff.); Seer, in: Tipke/Kruse, AO, § 90 Rn. 30 ff.

415

§ 50d Abs. 3 EStG

3.

Rechtsfolgenanordnung

Die Rechtsfolge des § 50d Abs. 3 EStG erscheint auf den ersten Blick klar, indem der ausländischen Gesellschaft die begehrte Entlastung, d.h. eine Erstattung gezahlter Quellensteuer gemäß Abs. 1 bzw. die Freistellung bereits im Abzugsverfahren gemäß Abs. 2, versagt wird. Die grundsätzliche Zuordnung der Einkünfte zur Zwischengesellschaft bleibt hiervon aber unberührt; in dieser Hinsicht scheint sich jedenfalls auf den ersten Blick die Rechtsfolge von derjenigen des § 42 Abs. 1 S. 3 AO unterscheiden, dessen Besteuerung nach der angemessenen Gestaltung in Zusammenhang mit funktionslosen Zwischengesellschaften üblicherweise als Verschiebung der Einkünftezurechnung verstanden wird, während § 50d Abs. 3 EStG die Existenz der Zwischengesellschaft anerkennt.306 Darauf wird indes im Rahmen der kollisionsrechtlichen Beurteilung noch zurückzukommen sein.307 Zu beachten ist allerdings, dass die Rechtsfolge nur greift, soweit die persönlichen Voraussetzungen vorliegen. Daraus folgt, dass bei Beteiligung mehrerer Anteilseigner die jeweiligen Tatbestandsvoraussetzungen gesondert zu überprüfen sind und bei nur teilweiser Bejahung bzw. Verneinung gegenüber bestimmten Anteilseignern die Entlastung entsprechend aufzuteilen ist.308 Der Steuerentlastungsanspruch der antragstellenden ausländischen Gesellschaft ergibt sich dann aus der Summe der fiktiven Entlastungsansprüche der beteiligten Gesellschafter.309 Zur entsprechenden Berechnung ist ein Verteilungsschlüssel (maßgebliche Beteiligungsquote) notwendig, der sich entweder nach den Anteilen am Nennkapital, an den Stimmrechten oder nach der Gewinnausschüttung bemessen lässt.310 Als rechtssicher und leicht nachprüfbar erscheint dabei ein Abstellen auf die Nennkapitalbeteiligung – jedenfalls im Ausgangspunkt – geeignet.311 Da es jedoch bei § 50d Abs. 3 EStG darum geht, den Ab306 Vgl. BFH, Urteil vom 29.10.1997 – I R 35/96 (Sportler-Vermarktung) – BStBl II 1998, 235 (237); Koenig, in: Pahlke/Koenig, AO, § 42 Rn. 78 m.w.N. aus der Rechtsprechung; siehe auch Häussermann/Rengier, IStR 2008, 679 (680); Wolff, in: Debatin/Wassermeyer, DBA, Art. 28 DBA-USA Rn. 8. Zu § 50d Abs. 3 EStG vgl. Gosch, in: FS Reiß, S. 601. 307 Hierzu siehe B.II.1.b(1), S. 428. 308 Eilers/Schneider, in: StbJb 2007/08, S. 182; Hahn-Joecks, in: K/S/M, EStG, § 50d Rn. E 22; Micker, FR 2009, 409 (415); Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 71. 309 BMF, Schreiben vom 03.04.2007 – IV B 1 - S 2411/07/0002 – DStR 2007, 719 (721), Tz. 13. 310 Hahn-Joecks, in: K/S/M, EStG, § 50d Rn. E 20; Mössner, in: Fischer, Wirtschaftliche Aktivitäten von Ausländern, S. 101; Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 72. 311 Vgl. Hahn-Joecks, in: K/S/M, EStG, § 50d Rn. E 20; Mössner, in: Fischer, Wirtschaftliche Aktivitäten von Ausländern, S. 101.

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Normanalyse

fluss von quellensteuerbefreiten Einkünften in Drittländer zu verhindern, müssen bei wirtschaftlicher Betrachtung auch von der Kapitalquote abweichende Gewinnvereinbarungen berücksichtigt werden könne, um entsprechende Umgehungen zu verhindern.312 Eine festgestellte abweichende Gewinnquote hat daher zur Bestimmung der Entlastungshöhe Vorrang. Die anteilige Berechnung ist sinngemäß anzuwenden, soweit es zu einem Durchgriff auf mittelbar Beteiligte kommt.313 Umstritten ist, ob sich das soweit im Rahmen der persönlichen Voraussetzungen nicht nur auf die Gesellschafteranteile bezieht, sondern auch auf die Höhe der Entlastungsberechtigung, falls der jeweilige Anteilseigner zwar dem Grunde nach, nicht aber der Höhe nach persönlich entlastungsberechtigt ist. Denn für das Auslösen des Tatbestandes reicht schon letzteres aus, da auch eine Verstärkung einer ansonsten bestehenden Quellensteuervergünstigung mittels funktionsloser Zwischengesellschaft als rechtsmissbräuchliches Treaty Shopping anzusehen ist.314 Es geht mithin darum, ob die antragstellende Gesellschaft aufgrund des soweit zumindest den geringeren Vergünstigungssatz – insbesondere aufgrund eines DBA — des jeweiligen Anteilseigners gelten machen kann. Eine Ansicht hält dem entgegen, dass der Wortlaut der Norm ausschließlich auf die antragstellende Gesellschaft bezogen ist und daher nur eine Komplettversagung in Betracht kommen könne.315 Die h.M. befürwortet hingegen eine solche Beschränkung der Rechtsfolge, so dass sich das soweit insgesamt auf die persönlichen Voraussetzungen bezieht.316 Bei anderer Betrachtung käme die Zwischenschaltung einer Bestrafung gleich, da die Obergesellschaft sonst schlechter stünde als bei direkter Beteiligung, obwohl sie einen eigenen Entlastungsanspruch hätte.317 Die Rechtsfolge sei nach dem Normtelos so zu bemessen, dass nur diejenigen Vorteile abzuschöpfen sind, die infolge der missbräuchlichen Zwischenschaltung entstehen.318 Dies ist auch im Lichte des Verhältnismäßigkeitsprinzips verfassungsrechtlich geboten,319 sowie im Hinblick 312 Hofmann, § 50d Abs. 3 EStG, S. 39; Micker, FR 2009, 409 (415); Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 72 und 84. Vgl. auch Hahn-Joecks, in: K/S/M, EStG, § 50d Rn. E 22. 313 Hierzu oben B.I.2.a.bb(3), S. 369. Vgl. auch Gosch, in: Kirchhof, EStG. § 50d Rn. 49. 314 Vgl. auch bereits oben vor Fn. 44. 315 Grotherr, IStR 2006, 362 (366). 316 Altrichter-Herzberg, GmbHR 2007, 579 (583); Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50d Rn. 32; Hahn-Joecks, in: K/S/M, EStG, § 50d Rn. E 72c; Klein/Hagena, in: H/H/R, § 50d EStG Rn. 63. 317 Hahn-Joecks, in: K/S/M, EStG, § 50d Rn. E 72d; Weiske, IStR 07, 314 (315). 318 Altrichter-Herzberg, GmbH R 207, 579 (583); Schaumburg, Internationales Steuerrecht, Rn. 16.168; Weiske, IStR 07, 314 (315). 319 Siehe im Einzelnen unten bei Fn. 356.

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§ 50d Abs. 3 EStG

auf die Rechtsfolge des § 42 Abs. 1 S. 3 AO konsequent, welche aufgrund der dort angewendeten Verschiebung der Einkünftezurechnung ebenfalls die ursprüngliche Entlastung wirtschaftlich erhalten würde.320 Auch die Finanzverwaltung scheint dies zu akzeptieren.321 In Bezug auf die fiktive Berechtigung mittelbarer Gesellschafter gilt dies analog dem Beteiligungsdurchgriff allerdings nur unter der Prämisse einer persönlichen Entlastungsberechtigung.322 Während nach der Altfassung noch umstritten war, ob sich das soweit auch auf sachliche Voraussetzungen bezog, insbesondere ob hierdurch eine Aufteilung gemischter Tätigkeiten zu veranlassen war, hat sich dieser Streit in der Neufassung nunmehr erledigt, da dies in Verbindung mit der Unschädlichkeitsgrenze von 10% (Nr. 2) keinen Sinn ergibt,323 das Substanzerfordernis der Nr. 3 wiederum nur hiermit in Zusammenhang stehen kann, und eine Aufteilung wirtschaftlicher Gründe kaum vorstellbar ist.324 Das soweit bezieht sich daher nicht (mehr) auf die sachlichen Voraussetzungen der Nr. 1-3.325

II.

Kollisionsfragen

Sofern sämtliche persönlichen und zusätzlich eine sachliche Voraussetzung des § 50d Abs. 3 EStG erfüllt sind, ist als Rechtsfolge die Versagung der in den vorangehenden Abs. 1 und Abs. 2 geregelten Vergünstigungen zur Entlastung von deutschen Quellensteuern vorgesehen. § 50d Abs. 3 EStG typisiert somit bestimmte Gestaltungen als missbräuchlich i.S.v. § 42 Abs. 2 AO – sowohl bezüglich deren Angemessenheit, als auch deren Rechtfertigung326 – und trifft eine eigene Rechtsfolgenanordnung. Die Norm wirft damit schon innerhalb des nationalen Rechtskreises Kollisionsfragen gegenüber den im 1. Teil erarbeiteten Maßstäben auf; darüber hinaus bestehen auch rechtskreisübergreifend Kollisionen – sowohl in Bezug auf das Recht der Doppelbesteuerungsabkommen als Teil des internationalen Steuerrechts i.e.S., als auch in besonderem Maße in Bezug auf die Missbrauchsmaßstäbe des Unionsrechts.

320 Siehe bereits oben Fn. 306. 321 BMF, Schreiben vom 03.04.2007 – IV B 1 - S 2411/07/0002 – DStR 2007, 719 (721), Tz. 13. 322 Siehe hierzu oben B.I.2.a.bb(3), S. 369. Vgl. auch Günkel/Lieber, Ubg 2008, 383 (384). 323 Ausführlich m.w.N. oben B.I.2.b.cc(6), S. 396, insbesondere unter Fn. 196. 324 Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50d Rn. 32; Micker, FR 2009, 409 (415); Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 77. 325 Micker, FR 2009, 409 (415); Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 76 f. Zumindest missverständlich daher Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50d Rn. 32. 326 Zur Strukturierung hinsichtlich der einzelnen Tatbestandsmerkmale vgl. oben B.I.2.a, S. 360, und oben Fn. 79.

418

Kollisionsfragen

1.

Rechtskreisinterne Kollisionen

Innerhalb des nationalen Rechtskreises ergibt sich eine mögliche Kollision des § 50d Abs. 3 EStG zum einen unmittelbar mit der Generalklausel des § 42 AO; zum anderen besteht ein potentieller Widerspruch zu den verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen des Missbrauchs, welche zumindest mittelbar die inhaltlichen Maßstäbe beeinflussen und gleichzeitig über die Gültigkeit des jeweiligen Normbefehls entscheiden. Als ranghöhere Rechtsquellen sind diese vorab darzustellen, da die Erkenntnisse hieraus gleichsam die Untersuchung des erstgenannten Kollisionsverhältnisses beeinflussen könnten.327 Die mögliche Kollision mit § 50g Abs. 4 EStG ist aufgrund dessen S. 2 EStG im dortigen Zusammenhang zu untersuchen.328 a.

§ 50d Abs. 3 EStG im Lichte der verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen des Missbrauchs

Der Grundsatz der Gestaltungsfreiheit sowie der aus Art. 3 Abs. 1 GG folgende Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit in seinen verschiedenen Ausprägungen, aber auch das Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG, bilden die verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen zur Bestimmung der Maßstäbe eines Missbrauchs; trotz eines grundsätzlich weiten gesetzgeberischen Gestaltungsspielraums können sich hieraus in Bezug auf spezielle Missbrauchsvorbehalte – zu denen auch § 50d Abs. 3 EStG gehört – Auswirkungen auf deren Norminhalt ergeben, so dass diese zumindest mittelbar die jeweiligen Maßstäbe mitbestimmen.329 Auch wenn dies keinen Kollisionsfall zwischen Missbrauchsmaßstäben im engeren Sinne darstellt, ergibt sich der genannte Einfluss aus der Kollisionsregel der rechtskreisinternen Rangordnung, die sich im Wege eines Geltungsvorrangs oder einer verfassungskonformen Auslegung äußern kann.330 Außer Betracht soll hier zunächst bleiben, ob sich infolge des Abweichens von Missbrauchsklauseln in Doppelbesteuerungsabkommen ein relevanter Verfassungsverstoß ergibt, da dies nach der hier zugrunde gelegten Systematik untrennbar mit der Frage nach einer rechtskreisübergreifenden Kollision verbunden ist.

327 Dies würde insbesondere für den Fall gelten, dass § 50d Abs. 3 EStG insgesamt oder aufgrund einzelner tatbestandlicher Vorgaben als verfassungswidrig anzusehen wäre. 328 Hierzu unten C.II.1, S. 502. 329 Vgl. im 1. Teil, B.I.1.b, S. 47, und B.I.3.d, S. 127. 330 Hierzu im 1. Teil, D.II.2.b.aa, S. 227.

419

§ 50d Abs. 3 EStG

aa.

Verhältnismäßigkeit der Typisierung

(1)

Vorgaben im Allgemeinen

Als typisierende Missbrauchsvorschrift beschränkt § 50d Abs. 3 EStG die grundsätzlich bestehende Gestaltungsfreiheit, indem einer beschränkt steuerpflichtigen, ausländischen Gesellschaft der andernfalls bestehende Entlastungsanspruch gemäß Abs. 1 bzw. Abs. 2 versagt wird. Es kann dahin stehen, ob hierin ein Eingriff in eine freiheitsrechtlich geschützte Position liegt, da dieser – vorbehaltlich der Schranken-Schranke der Verhältnismäßigkeit – grundsätzlich zur Herstellung der Besteuerung nach der echten wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit gerechtfertigt wäre; mangels spezifischer verfassungsrechtlicher Vorgaben zur Konkretisierung des Missbrauchs ist hierbei von einem weiten Gestaltungsspielraum auszugehen, der auch eine Befugnis zur Typisierung mit einschließt.331 Typisierende Normen erfassen indes regelmäßig in Einzelfällen auch Gestaltungen, die nach den sonstigen Maßstäben als nicht missbräuchlich erachtet werden können; eine solche überschießende Tendenz ist gleichfalls eine rechtfertigungsbedürftige Ungleichbehandlung.332 Auch § 50d Abs. 3 EStG wirft nach diesen Maßgaben verfassungsrechtliche Probleme auf und kann insoweit – schon aufgrund der bei isolierter Betrachtung vorgefundenen Ausgestaltung als grundsätzlich unwiderlegbare Typisierung – mit den verfassungsrechtlichen Grundlagen des Missbrauchsmaßstabs kollidieren.333 Die Normzwecke, d.h. die Vermeidung des Missbrauchs zur (folgerichtigen) Umsetzung der ursprünglichen Belastungsentscheidung und damit zur Besteuerung der tatsächlichen wirklichen Leistungsfähigkeit, sind auch hierfür grundsätzlich geeignete Rechtfertigungsgründe; diese müssen allerdings verhältnismäßig ausgestaltet sein.334 Im Einzelnen bedeutet dies, dass es sich um eine sachgerechte, d.h. am realitätsgerechten Durchschnittsfall orientierte Typisierung handeln muss.335 Im Schrifttum wird in diesem Zusammenhang konkretisiert, dass sachgerechte Tatbestandsmerkmale sowie eine Ausrichtung des Tatbestands am sachnächsten Leitbild des jeweiligen Umgehungskonstrukts erforderlich seien336 Mit an331 Siehe schon 1. Teil, B.I.1.b, S. 47. Grundlegend Hey, in: DStJG Bd. 33, S. 166 f. 332 Ausführlich hierzu 1. Teil, B.I.3.d, S. 127 ff.; Hey, in: DStJG Bd. 33, S. 168; Gabel, Spezielle Missbrauchsnormen, S. 110 ff., unter Betonung des Folgerichtigkeitsprinzips. 333 Zur überschießenden Tendenz des § 50d Abs. 3 EStG siehe Gabel, Spezielle Missbrauchsnormen, S. 116. 334 Siehe 1. Teil, B.I.3.d.aa, S. 127; Hey, in: DStJG Bd. 33, S. 168; Gabel, Spezielle Missbrauchsnormen, S. 138 ff. 335 Siehe 1. Teil, B.I.3.d.aa, S. 127; Lang, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 4 Rn. 132. 336 Gabel, Spezielle Missbrauchsnormen, S. 138 ff., insbesondere S. 153.

420

Kollisionsfragen

deren Worten darf die Norm nicht schon bei abstrakter Betrachtung ihrer Tatbestandsmerkmale aufgrund einer unsachgerechten Typisierung eine Vielzahl nicht missbräuchlicher Sachverhalte betreffen. Als weitere Forderung wird von einigen aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz abgeleitet, dass je gröber der Missbrauchstatbestand typisiert wurde, desto eher müsse dem Steuerpflichtigen eine realistische Exkulpationschance eingeräumt werden, und insoweit seien unwiderlegbare Typisierungen bedenklich.337 Die Bestimmung der Gröbe der Typisierung könne dabei unter Rückgriff auf die Beweisregeln erfolgen, so dass darauf abzustellen sei, ob sich die typisierten Sachverhalte bei Subsumtion unter die Generalklausel als Anscheinsbeweis darstellten, oder ob es sich um bloße Indizien für eine missbräuchliche Gestaltung handele.338 Nach anderer Ansicht werden selbst unwiderlegbare Vermutungen der Missbrauchsabsicht als zulässig erachtet.339 Im Rahmen dieser Untersuchung soll indes für die Prüfung der Verhältnismäßigkeit insgesamt ein struktureller Vergleich mit § 42 AO fruchtbar gemacht, sowohl in Bezug auf die Typisierung des Tatbestands der Unangemessenheit, als auch in Bezug auf Existenz und Erforderlichkeit einer Gegenbeweismöglichkeit.340 (2)

Tatbestandliche Typisierungswirkung des § 50d Abs. 3 EStG

Aus Sicht des Gesetzgebers stellt sich das Problem der Verhältnismäßigkeit in Bezug auf § 50d Abs. 3 EStG (n.F.) nicht; ausweislich der Gesetzesbegründung werde lediglich von der Typisierungsbefugnis für eine Vielzahl von Einzelfällen Gebrauch gemacht.341 Im Schrifttum finden sich einige Stimmen, die dem entgegentreten: So sei die 10%-Grenze des S. 1 Nr.2 nicht geeignet, Missbrauchsfälle von gesetzestreuem Verhalten zu unterscheiden und daher eine unsachgerechte Typisierung;342 andere erachten insbesondere die Alternativität der sachlichen Voraussetzungen als problematisch, so dass auch normale Finanzholding- oder Spartenkonzerne und damit Nichtmissbrauchskonstellationen nicht nur in Einzelfällen erfasst werden.343 Teilweise wird lediglich at337 Gabel, Spezielle Missbrauchsnormen, S. 183 ff.; Hey, in: DStJG Bd. 33, S. 168 f.; Lang, in: Tipke/Lang, Steuerrecht, § 4 Rn. 132. 338 Gabel, Spezielle Missbrauchsnormen, S. 188 f. Ein Fall des Anscheinsbeweises solle auch bei den sog. tatsächlichen Vermutungen gegeben sein, hierzu unten bei Fn. 362. 339 Wendt, in: DStJG, Bd. 33, S. 133. 340 Siehe 1. Teil, B.I.3.d.cc, S. 130. 341 BT-Ds. 16/2712, S. 60. 342 Wiese/Süß, GmbHR 2006, 972 (976). Siehe auch Klein, in: H/H/R, Jahresband 2007, § 50d EStG Rn. J 06-5. 343 Eilers/Schneider, in: StbJb 2007/08, S. 189; Gabel, Spezielle Missbrauchsnormen, S. 116; Hey, in: DStJG Bd. 33, S. 150; Klein, in: H/H/R, Jahresband 2007, § 50d EStG Rn. J 06-5.

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§ 50d Abs. 3 EStG

testiert, dass die Norm jedenfalls in rechtspolitischer Hinsicht weit über das Ziel der erstrebten Missbrauchsvermeidung hinausschieße.344 Es wird aber auch vertreten, dass § 50d Abs. 3 EStG keine grundsätzlichen verfassungsrechtlichen Fragen aufwerfe, sofern die Ausgestaltung der Merkmale sachgerecht erfolgen könne.345 Der angesprochene Vergleich des § 50d Abs. 3 EStG mit § 42 Abs. 2 AO kann hierbei insbesondere zur Klärung der Frage herangezogen werden, ob die Norm schon auf Tatbestandsebene unsachgerecht eine Vielzahl nicht missbräuchlicher Fallgestaltungen betrifft. Dies ist zwar nicht unproblematisch, da für die entsprechende Wertung als „missbräuchlich“ der Rahmen des § 42 Abs. 2 AO durch insbesondere teleologische Inbezugnahme der speziellen einzelgesetzlichen Vorschriften ausgefüllt werden muss; dies schließt grundsätzlich auch die spezielle Missbrauchsnorm mit ein, so dass eine solche Entscheidung nicht immer autonom getroffen werden kann. Die Rechtfertigung dieser Vorgehensweise ergibt sich indes aus der Funktion des § 42 Abs. 2 AO als strukturgebender Rahmentatbestand: Spezielle Missbrauchsvorbehalte können zwar die Unangemessenheit und Elemente der Rechtfertigung konkretisieren; das identische Konzept der Steuerumgehung spricht jedoch gleichermaßen für eine Rückbindung an dessen Rahmen, so dass sich zumindest ein struktureller Vergleichsmaßstab ergibt.346 Gerade in Bezug auf das Treaty Shopping ist dies ohne weiteres möglich, da die Norm durch die langjährige Rechtsprechungspraxis zu den Basisgesellschaften beeinflusst wurde, ja sogar den damaligen Rechtsstand festschrieb.347 Dies liefert jedoch zugleich den Befund, dass die Tatbestandsmerkmale des § 50d Abs. 3 EStG im Lichte des § 42 Abs. 2 AO per se durchaus sachgerecht erscheinen, und zwar auch bezogen auf die Neufassung, denn im Großen und Ganzen bestimmen die in § 50d Abs. 3 EStG verwendeten Maßstäbe ebenso noch die Maßstäbe des Missbrauchs i.S.v. § 42 AO im Zusammenhang mit grenzüberschreitenden Gestaltungen:348 In den persönlichen Voraussetzungen des § 50d Abs. 3 S. 1 EStG spiegelt sich insofern die Eignung und Erforderlichkeit der Gesellschaft zur Durchleitung und insoweit der Gestaltungsanreiz wider, das Rechtfertigungselement des wirtschaftlichen Grundes scheint349 in S. 1 Nr. 1 aufgegriffen; auch das Vorliegen einer eigenen Wirtschaftstätigkeit 344 Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50d Rn. 29. Siehe auch Frotscher, EStG, § 50d Rn. 97, der in rechtspolitischer Hinsicht zumindest einen Gegenbeweis fordert. 345 Frotscher, EStG, § 50d Rn. 97. 346 Ausführlich, auch zum Vorstehenden und m.w.N., siehe im 1. Teil, B.I.3.d.cc, S. 130. 347 Vgl. bereits B.I.2.b.aa, S. 373. 348 Siehe hierzu ausführlich im 1. Teil, B.I.2.d.cc(2), S. 112. 349 Zum Auseinanderfallen der Begriffe und der Einbeziehung auch der Nr. 2 und Nr. 3 in die Typisierung der Rechtfertigung siehe im Folgenden B.II.1.a.aa(3), S. 424.

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Kollisionsfragen

i.S.v. Nr. 2 und die hierzu erforderliche angemessene Substanz i.S.v. Nr. 3 sind objektiv Teil der relevanten Maßstäbe; und es ist nicht gesondert zu kritisieren – unter Vernachlässigung der Alternativität – dass letzteres als eigenständiges Merkmal herausgestellt wird, da dies stets zumindest inzidenter Prüfungsmaßstab war. Als neu geschaffenes typisierendes Element kann allenfalls die Geringfügigkeitsgrenze von 10% hinterfragt werden. Jedoch kann diese auch zugunsten der Steuerpflichtigen wirken, indem sie für Rechtssicherheit sorgt; insbesondere wird das Maß der schon immer zu prüfenden unbedeutenden Tätigkeit erstmals quantifiziert, und die nach früherer Rechtslage weiteren Zweifelsfälle der gemischt tätigen Zwischengesellschaft in Form der sachfremden Alibitätigkeit werden hierdurch unbeachtlich.350 Die Existenz einer solchen Grenze ist daher unproblematisch, und auch deren Höhe erscheint mit Blick auf die Einschätzungsprärogative des Gesetzgebers verfassungsrechtlich gerechtfertigt.351 Dies gilt umso mehr, als in den meisten Problemfällen an der Grenze zum Missbrauch eine sachgerechte Auslegung, auch der gegenüberzustellenden Erträge aus eigener Wirtschaftstätigkeit möglich ist.352 Insoweit ist jedenfalls von einer verfassungskonformen Auslegung auszugehen, die genannte Kollision mit den verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen beeinflusst schließlich wiederum (mittelbar) den Norm- und Maßstabsinhalt.353 Dies ist auch dann zu berücksichtigen, wenn man von der singulären Betrachtung der einzelnen Tatbestandsmerkmale zu einer Gesamtbetrachtung der Systematik der Vorschrift übergeht. In diesem Falle stellt sich die Alternativität der sachlichen Tatbestandsvoraussetzungen durchaus als problematisch dar.354 Allerdings stehen diese zunächst unter dem Vorbehalt der kumulativ erforderlichen persönlichen Tatbestandsvoraussetzungen, die im Ergebnis eine Eignung der Gesellschaft zur missbräuchlichen Durchleitung von Einkünften zur Quellensteuerreduktion nahelegen; dies ist auch bei § 42 AO als der entscheidende Gestaltungsanreiz von jeher und auch in der Neufassung Teil des objektiven Maßstabs und der Vermutungsbasis eines Missbrauchs; das Hinzutreten auch nur eines weiteren sachlichen Elementes rechtfertigt nach hier vertretener 350 Im Einzelnen m.w.N. oben B.I.2.b.cc(6), S. 396. 351 Kessler/Eicke, IStR 2006, 577 (579). 352 Zur erweiternden Auslegung des Begriffs der eigenen Wirtschaftstätigkeit insbesondere im Zusammenhang mit der aktiven Beteiligungsverwaltung nur einer Tochtergesellschaft siehe B:I.2.b.cc(2), S. 385. Vgl. aber auch B.I.2.b.cc(5), S. 394, und allgemein B.II.1.b.cc, S. 433, zu Fällen einer ausnahmsweise erforderlichen Reduktion. Zum Problem der Unwiderlegbarkeit siehe die gesonderte Darstellung im Folgenden, B.II.1.a.aa(3), S. 424. 353 Allgemein hierzu im 1. Teil, D.II.2.b.aa, S. 227. 354 Aus der Literatur siehe oben Fn. 343.

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§ 50d Abs. 3 EStG

Ansicht im Rahmen des § 42 Abs. 2 AO insgesamt die Vermutung einer missbräuchlichen Gestaltung.355 Als weitere Ausprägung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes ist die Rechtsfolge der Spezialvorschrift streng an der Besteuerung der angemessenen Gestaltung auszurichten, d.h. eine Pönalisierung zu vermeiden und ausschließlich eine Eliminierung der durch die missbräuchliche Gestaltung kausal und zurechenbar hervorgerufenen Steuervorteile zu erreichen.356 Dies rechtfertigt nochmals die zuvor schon festgestellte357 nur anteilige Versagung der Quellensteuervorteile im Falle des nur der Höhe nach unzureichenden fiktiven Entlastungsanspruchs des Anteilseigners der Zwischengesellschaft. (3)

Erforderlichkeit und Existenz eines Gegenbeweises

Zu untersuchen bleibt aber noch, inwieweit § 50d Abs. 3 EStG die Vorgaben der Gegenbeweismöglichkeit des § 42 Abs. 2 S. 2 AO umzusetzen vermag. Streitpunkt ist die auf den ersten Blick erkennbare unterschiedliche Verwertung des Fehlens wirtschaftlicher (oder sonst beachtlicher) Gründe: Im Rahmen des § 42 Abs. 2 S. 2 AO ist im Wege des einfachen Gegenbeweises eine solche Rechtfertigung der Gestaltung vorgesehen, die subjektive Elemente berücksichtigt – zugleich erschöpft sich aber der subjektive Tatbestand (Missbrauchsabsicht) hierin; insofern handelt es sich dort um eine widerlegbare Ausgestaltung im Sinne eines subjektiven Motivtests.358 In § 50d Abs. 3 S. 1 Nr. 1 EStG ist der fehlende wirtschaftliche Grund jedoch als lediglich alternative Tatbestandsvoraussetzung abgebildet; so kann die Norm tatbestandsmäßig sein, ohne dass es auf das Fehlen wirtschaftlicher Gründe i.S.d. Nr. 1 ankommt. Nach der Ansicht, die selbst unwiderlegbare Vermutungen der Missbrauchsabsicht als zulässig erachtet,359 wäre dies unproblematisch; eine pauschale Wertung unabhängig von der Ausgestaltung der konkreten Spezialnorm geht aber angesichts der Schranke der Verhältnismäßigkeit zu weit und würde auch den hier geforderten strukturellen Vergleich mit dem Rahmen des § 42 Abs. 2 jedenfalls in Bezug auf dessen S. 2 stets leerlaufen lassen. Die Gegenansicht erachtet § 50d Abs. 3 EStG mangels eines solchen echten, subjektiven Motiv-

355 Siehe im 1. Teil, und B.I.2.d.cc(3)(b), S. 117 ff.; vgl. auch Frotscher, EStG, § 50d Rn. 97, der die sachlichen Tatbestandsmerkmale des § 50d Abs. 3 EStG von vornherein als unterschiedlich stark ausgestaltete Indizien betrachtet. 356 Gabel, Spezielle Missbrauchsnormen, S. 159 ff. m.w.N. 357 Oben B.I.3, S. 416. 358 Siehe bereits im 1. Teil, B.I.2.c.cc, S. 78 ff. und B.I.2.c.dd, S. 86, insbesondere Fn. 276. 359 Wendt, in: DStJG, Bd. 33, S. 133.

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Kollisionsfragen

tests als unverhältnismäßige Typisierung.360 Allerdings ist diese These nicht völlig widerspruchsfrei hergeleitet, da die Erforderlichkeit einer solchen „Exkulpationsmöglichkeit“ vorwiegend von der Gröbe der Typisierung abhängig gemacht wird, die sich wiederum in Anlehnung an die Beweisregeln ermitteln lasse; nur sofern sich die von der Typisierung erfassten Sachverhalte bei Subsumtion unter die Generalklausel im Wege des Anscheinsbeweis als missbräuchlich erfassen ließen, solle ein materielle Typisierung ohne Exkulpationsmöglichkeit zulässig sein.361 Als Beispiel für Letzteres werden indes ausdrücklich die tatsächlichen Vermutungen des BFH im Rahmen der Basisgesellschaftenrechtsprechung genannt.362 Da diese aber auch der Ausgestaltung des § 50d Abs. 3 EStG zugrunde liegen, und sich auch die Neufassung hieran noch orientiert, insbesondere jede der alternativen sachlichen Tatbestandsvoraussetzungen eine ausreichende Vermutungsbasis begründet, könnte es insoweit schon an der Ausgangsvoraussetzung der Gröbe der Typisierung fehlen. Es erscheint daher keineswegs sicher, dass § 50d Abs. 3 EStG in seiner konkreten Ausgestaltung die Grenze der Verhältnismäßigkeit überschreitet. Die Fragestellung lautet daher, ob eine Typisierung des subjektiven Motivtests durch verobjektivierte Tatbestandsmerkmale zuzulassen ist. Aus Sicht des Unionsrechts ist dies eindeutig zu verneinen, aber darum geht es an dieser Stelle (noch) nicht.363 Auch hierfür ist das Maß des Abweichens vom abstrakten Rahmen des § 42 Abs. 2 S. 2 AO geeigneter Bezugspunkt, so dass insoweit eine Korrelation zwischen der Verhältnismäßigkeit der Typisierung und der Funktion des § 42 Abs. 2 AO als strukturgebender Rahmentatbestand besteht.364 Für eine solche Typisierung und damit für die Verhältnismäßigkeit spricht, dass ansonsten der Vereinfachungszweck der Spezialvorschrift auf Nachweisfragen reduziert würde; gegenüber der Neufassung des § 42 Abs. 2 AO läge damit in § 50d Abs. 3 EStG kein Gewinn, auch da verbleibende Unterschiede durch die Beweisvorsorge- und Beweismittelbeschaffungspflicht infolge der erhöhten Mitwirkungspflicht des § 90 Abs. 2 AO nivelliert würden. Ebenso wird in der Literatur im anderen Zusammenhang eine Typisierung der Rechtfertigung im Rahmen einer objektiv ausgerichteten Gegenbeweismöglichkeit doch zugelassen, wozu auch der Nachweis einer wirtschaftlichen Tätigkeit zähle.365 Zu berücksichtigen ist insoweit, dass gerade § 50d Abs. 3 S. 1 360 Hey, in: DStJG Bd. 33, S. 150 und S. 164 f.; im Anschluss hieran auch Gabel, Spezielle Missbrauchsnormen, S. 190. 361 Gabel, Spezielle Missbrauchsnormen, S. 188. 362 Gabel, Spezielle Missbrauchsnormen, S. 189, dort auch Fn. 792. 363 Dazu allgemein im 1. Teil, B.II.1.b.cc(6), S. 179, und speziell zu § 50d Abs. 3 EStG im Folgenden, B.II.3.c.bb, S. 469. 364 Siehe im 1. Teil, B.I.3.d.cc, S. 130. 365 Gabel, Spezielle Missbrauchsnormen, S. 191.

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§ 50d Abs. 3 EStG

Nr. 2 EStG sowohl Elemente der Unangemessenheit als auch der Rechtfertigung typisiert; auch Nr. 3 kann hierbei nicht außer Acht gelassen werden, da sich dies auf das Vorliegen einer eigenen Tätigkeit auswirkt. Zudem hat die (frühere) Rechtsprechung diesen Merkmalen eine gegenseitige Indizwirkung zugesprochen.366 Mit anderen Worten sind die außersteuerlichen Gründe i.S.v. § 42 Abs. 2 S. 2 AO nicht deckungsgleich mit dem Fehlen des wirtschaftlichen (oder sonst beachtlichen) Grundes i.S.v. § 50d Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG, sondern erstere finden sich auch in den anderen sachlichen Tatbestandsmerkmalen der Nr. 2 und Nr. 3 wieder. Unterliegen diese Versagungsgründe von vornherein einer engen Auslegung, dann müssen die Konzeption der Alternativität und die daraus resultierende unterschiedliche Art der Implementierung der Widerlegbarkeit nicht zwingend einen Verstoß gegen das Prinzip der Verhältnismäßigkeit bedingen. Demnach ist die Berücksichtigung einer Rechtfertigung i.S.d. § 42 Abs. 2 S. 2 AO im Rahmen der sachlichen Tatbestandsvoraussetzungen des § 50d Abs. 3 EStG noch möglich; bei entsprechender Auslegung kann die Norm daher als noch verhältnismäßig aufrechterhalten werden. Ebenso ist der Struktur des § 42 Abs. 2 AO grundsätzlich Genüge getan, da trotz des Auslegungsgrundsatzes der Rückbindung von Spezialnormen an den abstrakten Rahmen des § 42 Abs. 2 S. 2 AO dem Gesetzgeber zur Erlangung und Erhaltung einer umfassenden Vereinfachungswirkung eine Typisierungsbefugnis auch im Bereich der Rechtfertigung zugestanden werden muss. § 50d Abs. 3 EStG konkretisiert in seiner gesamten Ausgestaltung mithin, welche außersteuerlichen Gründe als beachtlich i.S.v. § 42 Abs. 2 S. 2 AO angesehen werden können, so dass auch der strukturelle Vergleich den Befund der Verhältnismäßigkeit stützt.367 366 So solle die fehlende Substanz gegen eine eigene Wirtschaftstätigkeit sprechen, und die fehlende Wirtschaftstätigkeit spreche gegen das Vorliegen eines wirtschaftlichen Grundes für die Einschaltung der ausländischen Gesellschaft, siehe oben im 1. Teil, B.I.2.d.bb(1)(b), S. 99, und B.I.2.d.bb(3)(b), S. 105. 367 Die Gegenansicht behilft sich insoweit de lege lata mit der Schaffung einer echten subjektiven Exkulpationsmöglichkeit im Wege der teleologischen Reduktion, Gabel, Spezielle Missbrauchsnormen, S. 209 f.; de lege ferenda wird gar eine vor die Klammer gezogene Exkulpationsmöglichkeit für alle Missbrauchsnormen angedacht, aber letztlich verworfen, a.a.O. S. 187. Aufgrund der hier zugrunde gelegten Funktion des § 42 Abs. 2 AO als strukturgebender Rahmentatbestand wäre aber – hilfsweise – vorrangig die Eröffnung des subjektiven Motivtests des § 42 Abs. 2 S. 2 AO auch für spezielle Missbrauchsnormen in Betracht zu ziehen. Insoweit würde die ohnehin nur als Auslegungsgrundsatz fungierende Regel der lex specialis zu einer rahmenausfüllenden Konkretisierungswirkung reduziert, so dass die Rückbindung der Spezialvorschrift an den abstrakten Rahmen des § 42 Abs. 2 S. 2 AO (lex completa) grundsätzlich weiter besteht. Dies muss vor allem dann gelten,

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Kollisionsfragen

bb.

Bestimmtheit

Typisierende Missbrauchsvorbehalte müssen weiterhin in besonderem Maße das Gebot der Normenklarheit und der Vorhersehbarkeit beachten, da ansonsten der rechtfertigende Vereinfachungszweck durch Rechtsunsicherheit und Vollzugsprobleme neutralisiert würde.368 Nach Ansicht des BFH in Hilversum I verbieten sich indes verfassungsrechtliche Bedenken gegenüber der Tatbestandsmäßigkeit des § 50d Abs. 3 EStG a.F. mit Blick auf die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe, da sich diese an diejenigen anlehnen, die zu § 42 AO entwickelt worden sind und die durch die hierzu ergangene jahrzehntelange Rechtsprechung und Rechtspraxis verfestigt und konkretisiert worden sind.369 Dies muss in gleichem Maße für die Neufassung gelten, die hierauf ganz überwiegend Bezug nimmt. Insbesondere die sachliche Voraussetzung des S. 1 Nr. 3 (angemessen eingerichteter Geschäftsbetrieb) ist ebenso historisch verfestigt, als dass dies neue Bestimmtheitsprobleme bereiten würde. Allenfalls der in S. 1 Nr. 2 als Geringfügigkeitsgrenze neu aufgenommene Referenzwert der Bruttoerträge kann im Rahmen des § 50d Abs. 3 EStG als bislang ungeklärt erachtet werden, ist aber einer ausreichende Konkretisierung im Wege der Auslegung nach den Regeln der juristischen Methodenlehre zugänglich, ebenso die Ausnahmetatbestände des S. 4.370 Die angefügten S. 2 und S. 3 wirken gegenüber den bislang enthaltenen Tatbestandsvoraussetzungen ohnehin lediglich ergänzend. b.

Verhältnis des § 50d Abs. 3 EStG zu § 42 AO

Als spezieller Missbrauchsvorbehalt kann § 50d Abs. 3 EStG darüber hinaus unmittelbar mit der Generalklausel des § 42 AO kollidieren. Vor der Neufassung des § 42 AO spiegelten sich die generell zu dessen Kollision mit Spezialvorschriften in Rechtsprechung und Schrifttum vertretenen Ansichten und Argumente auch im Verhältnis zu § 50d Abs. 3 EStG wider. Während der BFH es in Hilversum I noch dahinstehen ließ, da er beide Vorschriften als tatbestandsmäßig ansah,371 wurde später in Hilversum II betont, dass § 50d Abs. 1a

368 369

370 371

wenn zu dem genannten Spannungsverhältnis der Zuordnung ranggleicher Normen eine weitere Kollisionsregel in Form des hierarchischen Geltungsvorrangs des Verfassungsrechts hinzutritt. Ausführlich hierzu siehe im 1. Teil, D.II.3.c.bb(3), S. 276. Vgl. im 1. Teil, B.I.3.d, S. 127 sowie Hey, StuW 2008, 167 (177 f.). BFH, Urteil vom 20.03.2002 – I R 38/00 (Hilversum I) – BStBl II 2002, 819 (823). Hierzu zustimmend Stoschek/Peter, IStR 2002, 656 (661): Eine teilweise verfehlte Vorschrift, die auf einer teilweise verfehlten Rechtsprechung beruhe, werde deshalb noch nicht verfassungswidrig. Zu den Anforderungen im Allgemeinen siehe oben 1. Teil, B, Fn. 288. BFH, Urteil vom 20.03.2002 – I R 38/00 (Hilversum I) – BStBl II 2002, 819 (821).

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§ 50d Abs. 3 EStG

EStG (a.F.) den tatbestandlichen Rahmen abschließend vorgebe; um Wertungswidersprüche auszuschließen, müsse die tatbestandliche enger gefasste Norm auf die allgemeinere Vorschrift durchschlagen.372 In SOPARFI wurde hingegen formuliert, dass nicht nur § 50d Abs. 3 EStG der allgemeinen abgabenrechtlichen Vorschrift des § 42 AO vorgehe; § 42 AO werde sogar wird durch die spezielle Vorschrift abschließend verdrängt.373 Der jedenfalls fortbestehende Wertungsvorrang aufgrund des lex specialis Grundsatzes war auch für den überwiegenden Teil der Literatur das entscheidende Argument, bei einer fehlenden Tatbestandsmäßigkeit des § 50 Abs. 3 EStG einen Missbrauchsvorwurf i.S. § 42 AO trotz dessen Abs. 2 abzulehnen.374 Nach Ansicht der Finanzverwaltung gilt der Vorrang infolge des Spezialitätsgrundsatzes nur für den Fall der Tatbestandsmäßigkeit des § 50d Abs. 3 EStG; liegen dessen Voraussetzungen hingegen nicht vor, so sei § 42 AO zu prüfen, da dessen Anwendbarkeit nicht durch § 42 AO a.F. ausgeschlossen sei.375 Im Lichte der Neufassung des § 42 AO ist die Kollisionsfrage aktueller denn je. Unter Heranziehung der in dieser Untersuchung zugrunde gelegten allgemeinen Zuordnungskriterien376 ist diese im Folgenden in Anlehnung an die dort zugrunde gelegten Fallgruppen darzustellen. aa.

Tatbestandsmäßigkeit des § 50d Abs. 3 EStG

Im Falle der Tatbestandsmäßigkeit des § 50d Abs. 3 EStG – zunächst unter Vernachlässigung einer eventuell erforderlichen besonderen Gegenbeweismöglichkeit – ist das Meinungsbild im Schrifttum überwiegend auf dessen vorrangige Anwendung gerichtet und daher die Entlastung zu versagen, insoweit habe sich auch durch die Neufassung des § 42 Abs. 1 AO die Rechtslage

372 BFH, Urteil vom 31.05.2005 – I R 74/04 u.a. (Hilversum II) – BStBl II 2006, 118 (120). So auch FG Köln, Urteil vom 16.03.2006 – 2 K 1139/02 – IStR 2006, 425 (426). 373 BFH, Urteil vom 29.01.2008 – I R 26/06 (SOPARFI) – IStR 2008, 364 (364 f.), insbesondere Leitsatz 1. Im selben Verfahren wurde auch ausdrücklich festgestellt, dass soweit dem BFH, Urteil vom 29.10.1997 – I R 35/96 (Sportler-Vermarktung) – BStBl II 1998, 235 (237), etwas Gegenteiliges entnommen werden könne, daran nicht mehr festgehalten werde. Diese Feststellung war jedoch nicht nötig, da im genannten Verfahren ausschließlich festgestellt wurde, dass die damalige Schaffung des § 50d Abs. 1 EStG erst zum VZ 1994 nicht der Anwendung des § 42 AO auf einen Sachverhalt des VZ 1990 entgegenstehe. 374 Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50d Rn. 30; Hahn-Joecks, in: K/S/M, EStG, § 50d Rn. E 7; Musil, RIW 2006, 286 (291); Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d Abs. 3 EStG Rn. 41. 375 BMF, Schreiben vom 03.04.2007 – IV B 1 - S 2411/07/0002 – DStR 2007, 719 (721), Tz. 12. 376 1. Teil, D.II.3.c.bb, S. 266 ff.

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Kollisionsfragen

nicht geändert.377 Auch die Finanzverwaltung bestätigt im Anwendungserlass den Vorrang aufgrund der Spezialität.378 Der Spezialitätsgrundsatz im klassischen Sinne trägt indes dem Verhältnis von § 42 AO und spezieller Missbrauchsvorschrift, insbesondere dem Verständnis des § 42 AO als Rahmentatbestand mit dem abstrakten Missbrauchsmaßstab in Abs. 2 – welches mitunter eine eigenständige, gegenläufige Kollisionsregel bedingt – nicht ausreichend Rechnung.379 Anstatt von verdrängender Spezialität ist hier von einem Zusammenwirken von abstraktem Rahmen und der rahmenausfüllenden Norm auszugehen, deren Konkretisierungswirkung den Maßstab im Einzelfall grundsätzlich weiter bestimmt. Im Falle der Tatbestandsmäßigkeit der Spezialnorm wird auf diese Weise ein Steuervorteil als gesetzlich nicht vorgesehen und die Gestaltung somit als unangemessen und damit missbräuchlich konkretisiert. Dennoch wird teilweise auch vertreten, dass selbst in diesen Fällen (und erst recht natürlich im Falle der Nichttatbestandsmäßigkeit des § 50d Abs. 3 EStG) § 42 AO selbständig anwendbar sein und § 50d Abs. 3 EStG sogar verdrängen könne, wenn und soweit infolge der Klassifizierung als sog. „Basisgesellschaft“ die steuerliche Existenz der Zwischengesellschaft verneint werde und es zur Verschiebung der Einkünftezurechnung komme.380 Diese Ansicht ist angelehnt an die Rechtsprechung des BFH zum Verhältnis von § 42 AO zu §§ 7 ff. AStG, in der die Zurechnung der Einkünfte bei den Gesellschaftern als Rechtsfolge des § 42 AO als logisch vorrangig erachtet wurde;381 auf § 50d Abs. 3 EStG komme es dann nicht an, da der Basisgesellschaft von vorneherein keine Einkünfte zugerechnet werden.382 Dies verkennt jedoch, dass es sich bei § 50d Abs. 3 EStG gerade um die Kodifizierung der Basisgesellschaftenrechtsprechung handelt383 und schon bei einer isolierten Betrachtung des § 42 Abs. 2 AO keine wesentlich anderen Maßstäbe angelegt werden können, als diejenigen, die ohnehin von § 50d Abs. 3 EStG 377 Hahn-Joecks, in: K/S/M, EStG, § 50d Rn. E 9; Hey, BB 2009, 1044 (1047 f.); Kaiser, IStR 2009, 121 (127); Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 41. Mitunter wird § 42 Abs. 1 S. 2 AO n.F. ausdrücklich als deklaratorisch angesehen, vgl. Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50d Rn. 30. 378 BMF, Schreiben vom 03.04.2007 – IV B 1 - S 2411/07/0002 (Anwendungserlass § 50d Abs. 3 EStG) – DStR 2007, 719 (721), Tz. 12. 379 Hierzu ausführlich, auch zum Folgenden, im 1. Teil, D.II.3.c.bb(1), S. 268. 380 Häussermann/Rengier, IStR 08, 679 (680); Kinzl, IStR 07, 561 (565). 381 Siehe oben 1. Teil, D, Fn. 256. Es soll somit ein Gleichlauf des Verhältnisses von § 50d Abs. 3 EStG und §§ 7 ff. AStG zu § 42 AO stattfinden, siehe auch Musil, RIW 2006, 286 (291). 382 Häussermann/Rengier, IStR 08, 679 (680). 383 Hierzu bereits oben B, S. 355, und Fn. 5.

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§ 50d Abs. 3 EStG

umschrieben werden.384 Das aus der Rechtsfolge des § 42 AO abgeleitete Argument der Zurechnungsverschiebung in den Hinzurechnungsfällen ist ebenfalls nicht zielführend. § 50d Abs. 3 EStG bewegt sich einerseits seiner Natur nach im Bereich der steuerlichen Einkünftezurechnung; die Vorschrift nimmt andererseits jedoch die Zuordnung der Einkünfte zur ausländischen Zwischengesellschaft hin und erkennt damit deren steuerliche Existenz an.385 Einer Zurechnungsverschiebung wie in den Outboundfällen, in denen im Ergebnis eine Besteuerung der angemessenen Gestaltung nur in Form der Besteuerung beim inländischen Anteilseigner in Betracht kommt, bedarf es im Inboundfall und damit auch aus Sicht des § 50d Abs. 3 EStG indes gar nicht: Hier geht es allein darum, ob die Entlastung von Quellensteuern zu gewähren ist, und genau diese Frage entscheidet die genannte Vorschrift in Form der Versagung. Eine fiktive Zuordnung der quellensteuerbelasteten Einkünfte zu den Anteilseignern der ausländischen Gesellschaft würde zu keinem anderen Ergebnis gelangen, da insoweit der Antragsteller schlicht die materiellen Anspruchsvoraussetzungen – etwa die innereuropäische Ansässigkeit i.S.d. § 43b EStG – nicht erfüllen würde. Aufgrund der Quellenbesteuerung, die infolge des § 50d Abs. 1 S. 1 EStG ungeachtet solcher Ansprüche greift, kann es dahinstehen, wer letztlich der beschränkt Steuerpflichtige ist, auch da jedenfalls der inländische Schuldner bzw. die auszahlende Stelle als Steuerentrichtungspflichtiger bestehen bleiben, §§ 44 Abs. 1 S. 3, 50a Abs. 5 S. 2 EStG. Einer zusätzlichen Fiktion in Form der Zurechnungsverschiebung – und nur das wäre sie386 – bedarf es daher nicht, von einem logischen Vorrang kann mithin nicht gesprochen werden. Eine Verdrängung des § 50d Abs. 3 EStG durch § 42 AO zur Begründung eines Missbrauchs ist demnach abzulehnen. Soweit im konkreten Anwendungsfall § 50d Abs. 3 EStG tatbestandsmäßig ist, bleibt es somit bei der schlichten Rechtsfolgenkollision. Indes ergibt sich selbst diesbezüglich kein wesentlicher Unterscheid zum Rechtsfolgenbefehl des § 42 Abs. 1 S. 3 AO, da – wie gezeigt – im Inboundfall die Frage der Zurechnungsverschiebung nur insoweit relevant ist, als dadurch die materielle Anspruchsberechtigung der antragstellenden Gesellschaft verneint werden kann; letztlich führt dies genauso zur Versagung des Entlastungsanspruchs wie § 50d Abs. 3 EStG. Die Anordnung des § 42 Abs. 1 S. 2 AO ist mithin nicht nur allgemein hinsichtlich des Zuordnungskriteriums der spezielleren Rechtsfolge deklaratorisch, sondern wie gezeigt auch für die Beurteilung der konkreten Normkollision ohne Relevanz. Der Grund hierfür liegt darin, dass faktisch die Konkretisierung der Unangemessenheit spiegelbildlich zu einer Konkreti384 Im Einzelnen vgl. im 1. Teil, B.I.2.d.cc(2), S. 112 ff. 385 Vgl. bereits oben Fn. 306, sowie Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50d Rn. 26. 386 Vgl. auch zum ähnlich gelagerten Problem der §§ 7 ff. AStG die Kritik von Hahn, DStZ 2008, 483 (487).

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Kollisionsfragen

sierung der angemessenen Gestaltung und deren Besteuerungsfolgen führt, und damit § 42 Abs. 1 S. 3 AO entsprochen wird. bb.

Nichttatbestandsmäßigkeit des § 50d Abs. 3 EStG

Im umgekehrten Falle, d.h. soweit § 50d Abs. 3 EStG nicht tatbestandsmäßig ist, ging die Finanzverwaltung schon in der Altfassung des § 42 AO von der Zulässigkeit einer zumindest subsidiären Anwendung aus; 387 mit der Neufassung des § 42 AO solle dies generell gelten, so dass allein die Existenz einer speziellen Regelung die Anwendbarkeit des § 42 Abs. 1 S. 3, Abs. 2 AO nicht ausschließe, sondern nur deren Tatbestandsmäßigkeit.388 Auch im Schrifttum findet sich ebenso Vertreter der These, dass spezielle Tatbestände die allgemeine Missbrauchsregelung nur im Umfang ihrer eigenen Tatbestandsmäßigkeit verdrängen und daher eine weitere (subsidiäre) Prüfung des § 42 AO möglich sein solle.389 Nach herrschender Ansicht in der Literatur steht dem nach wie vor die Abschirmwirkung spezieller Missbrauchsvorbehalte entgegen; die Verdrängungswirkung in Folge des lex specialis Grundsatzes wirke sich zumindest als Wertungsvorrang auf § 42 AO aus, so dass der Tatbestand des Missbrauchs nicht gegeben sei.390

387 BMF, Schreiben vom 03.04.2007 – IV B 1 - S 2411/07/0002 – DStR 2007, 719 (721), Tz. 12. 388 Ziff. 1 AEAO zu § 42 AO. Bei einer solchen subsidiären Anwendung solle sich der Missbrauch alleine nach den Voraussetzungen des Abs. 2 bestimmen, siehe BT-Drucks 16/7036, S. 24. 389 Kaiser, IStR 2009, 121 (127); Koenig, in: Pahlke/Koenig, AO, § 42 Rn. 6. Zu der – abzulehnenden – Ansicht, wonach § 42 AO im Wege der Einkünftezurechnung sogar vorrangig gegenüber § 50d Abs. 3 EStG wäre, siehe schon zuvor, B.II.1.b.aa, S. 428. Hierzu wird insbesondere auf die subjektive, historische Auslegungsmethode verwiesen, wonach nach dem gesetzgeberischen Willen eine Auslegung des nachrangig anwendbaren allgemeinen Missbrauchstatbestands im Korsett des Spezialtatbestands ausscheide, Koenig, in: Pahlke/Koenig, AO, § 42 Rn. 6. 390 Drüen, Ubg 2008, 31 (34); Fischer, in: H/H/Sp, § 42 AO Rn. 292; Hey, BB 2009, 1044 (1048); Kinzl, IStR 07, 561 (565); Mack/Wollweber, DStR 2008, 182 (186); Ratschow, in: Klein, AO, § 42 Rn. 91; Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 41; Wagner, in: Blümich, ESt – KSt – GewSt, § 50d EStG Rn. 61; Wienbracke, DB 2008, 664 (669). Siehe auch Bünning/Mühle, BB 2006, 2159 (2162), allerdings unter Ablehnung des Spezialitätsgrundsatzes. Als Argument wird hierfür angeführt, dass der Gesetzgeber nicht seine eigenen Wertungen unterlaufen dürfe; die spezielle Missbrauchsnorm gebe insoweit den Maßstab für die Annahme eines Missbrauchs zwingend vor, Drüen, Ubg 2008, 31 (34); Fischer, in: H/H/Sp, § 42 AO Rn. 292; Ratschow, in: Klein, AO, § 42 Rn. 91. Der Gesetzgeber hat insoweit „seinen claim abgesteckt“, Fischer, in: FR 2008, 306 (310 f.), m.w.N. Drüen, Ubg 2008, 31 (34), spricht von der „maßstabsetzenden Kraft spezieller Missbrauchsvorschriften.“

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§ 50d Abs. 3 EStG

Nach hier vertretener Ansicht kann regelmäßig davon ausgegangen werden, dass bei Nichterfüllung der Tatbestandsmerkmale der Steuerpflichtige keinen gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteil ausnutzt und aufgrund dieses objektivierenden Merkmals keine unangemessene Gestaltung vorliegt.391 Dies ist aber nicht auf eine Spezialität i.e.S., sondern auf ein maßstabsbildendes Zusammenwirken von § 42 Abs. 2 AO als Rahmentatbestand und § 50d Abs. 3 EStG als rahmenausfüllender Norm zurückzuführen. § 42 AO wird insoweit nicht verdrängt im Sinne einer absoluten Unbeachtlichkeit, sondern bleibt zumindest formal als subsidiärer Auffangtatbestand zu prüfen, was auch der gesetzgeberischen Intention in Form des § 42 Abs. 1 S. 2 und S. 3 AO n.F. entspricht. Eine rahmenausfüllende Konkretisierung kann indes weiterhin noch durch teleologische Inbezugnahme nicht nur der umgangenen Vorschrift, sondern insbesondere auch der Tatbestandsmerkmale der Spezialnorm und deren Funktion im Gesamtkontext der Norm erfolgen, so dass sich zumindest in Einzelfällen trotz oder gerade wegen der Nichttatbestandsmäßigkeit noch ein konkreter Maßstab ermitteln und anwenden lässt. Auf diese Weise lässt sich auch die oftmals missliche Unterscheidung zwischen dem sachlichen Anwendungsbereich der Vorschrift und einzelnen Tatbestandsmerkmalen bewältigen. Bezogen auf § 50d Abs. 3 EStG bedeutet dies, dass alleine das Fehlen eines Entlastungsanspruchs i.S.v. § 50d Abs. 1 und Abs. 2 EStG – wenn also schon der systematische Zusammenhang mit den dort aufgegriffenen Quellensteuern nicht besteht – zwar keine Versagung gemäß Abs. 3 begründen kann, aber dies auch noch nicht zur Annahme einer angemessenen Gestaltung führt.392 Ebenso führt die Alternativität der sachlichen Tatbestandsvoraussetzung hierzu, dass wenn diese sämtlich abzulehnen sind – der Steuerpflichtige mit anderen Worten alle drei Hürden nimmt – kein Raum für einen Missbrauch i.S.d. § 42 AO mehr bleibt. Gleiches gilt, sofern die Versagung der Entlastung des § 50d Abs. 3 EStG an dessen S. 4 scheitert, d.h. die ausdrücklich vorgesehenen Ausnahmen der Börsenklausel und der Investmentgesellschaft einschlägig sind; dieser gesetzlichen Wertung darf im Rahmen des § 42 Abs. 2 AO nicht zuwi-

Für den Fall, dass diese leerläuft und Rechtsfolgenlücken entstehen, seien diese durch eine Änderung der Spezialvorschrift zu bewältigen, soweit nicht schon eine teleologische Auslegung möglich ist, BFH, Urteil vom 15.12.1999 – I R 29/97 – BStBl 2000, 527 (532 f.); Dörr/Fehling, NWB F 2, 9671 (9676); Drüen, in: Tipke/Kruse, § 42 AO Rn. 20. 391 Hierzu ausführlich m.w.N., auch zum Folgenden, bereits im 1. Teil, D.II.3.c.bb(2)(b), S. 271. 392 Die unter B.I.1, S. 357, systematisch ausgeschlossenen Gestaltungen sind daher an § 42 Abs. 2 AO zu messen, wobei die übrigen Voraussetzungen des § 50d Abs. 3 EStG durchaus rahmenausfüllend herangezogen werden können. Hierzu vgl. auch bereits Fn. 16.

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Kollisionsfragen

dergelaufen werden.393 Die Nichterfüllung der persönlichen Voraussetzungen löst demgegenüber keine Abschirmwirkung aus; dies kann vor allem für sog. Mäanderstrukturen, aber auch für Gestaltungen mit bloßer wirtschaftlicher Durchleitung abseits gesellschaftsrechtlicher Beteiligung relevant werde.394 cc.

Möglichkeit des Gegenbeweises bei Tatbestandsmäßigkeit des § 50d Abs. 3 EStG

Die rahmenausfüllende Konkretisierungswirkung erstreckt sich ebenso auf den Bereich der Rechtfertigung durch außersteuerliche Gründe: Zwar sind Spezialnormen ebenfalls an den abstrakten Rahmen des § 42 Abs. 2 S. 2 AO gebunden, allerdings muss dem Gesetzgeber eine Typisierungsbefugnis zur Erlangung einer umfassenden Vereinfachungswirkung zugestanden werden, so dass in diesem Spannungsverhältnis die Zuordnungsregel der lex completa regelmäßig überwiegt; es ist mithin eine Konkretisierung zulässig, welche außersteuerlichen Gründe bei bestimmten Umgehungsformen als beachtlich i.S.v. § 42 Abs. 2 S. 2 AO angesehen werden können.395 Da § 50d Abs. 3 EStG sowohl die Unangemessenheit als auch in allen sachlichen Tatbestandalternativen Elemente der Rechtfertigung typisiert, ist von einer solchen Konkretisierung hier auszugehen, so dass ein Gegenbeweis über die objektivierten Tatbestandselemente hinaus grundsätzlich nicht in Betracht kommt. Gleichermaßen muss aber auch hier der Vorbehalt gelten, dass eine rahmenausfüllende Konkretisierung nicht abschließend gesperrt ist, sofern sich unter Einbeziehung der umgangenen Norm und teleologischen Wertungen der Spezialvorschrift im Einzelfall – gewissermaßen außerordentlich – noch ein beachtlicher außersteuerlicher Grund ermitteln lässt; insbesondere zählen hierzu die Fälle, in denen bei isolierter Betrachtung der Spezialnorm eine teleologische Reduktion in Betracht kommt. Insoweit wird die ohnehin nur als Auslegungsgrundsatz fungierende Konkretisierungswirkung reduziert, so dass die Rückbindung der Spezialvorschrift an den abstrakten Rahmen des § 42 Abs. 2 S. 2 AO letztlich doch überwiegt und dessen Anwendung ermöglicht. Allerdings bleibt der Gegenbeweis somit nicht in allen Missbrauchsfällen eröffnet, sondern nur im Zusammenhang mit bestimmten, sich an abstrakten Kriterien orientierenden Fallgestaltungen.396

393 Ebenso Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50d Rn. 30, allerdings im Zusammenhang mit einer möglichen Unionsrechtswidrigkeit. 394 Zu Mäanderstrukturen vgl. B.I.2.a.bb(2), S. 365; zur bloßen wirtschaftlichen Durchleitung siehe B.I.2.a.bb(1), S. 363. 395 Ausführlich, auch zum Folgenden, im 1. Teil D.II.3.c.bb(3), S. 276; dort auch zur Gegenansicht m.w.N. 396 Von der Finanzverwaltung und im Rahmen des Finanzprozesses vor dem FG dürfte insoweit ein zweistufige Prüfung angebracht sein: Auf der ersten Stufe geht es insoweit

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§ 50d Abs. 3 EStG

In Bezug auf § 50d Abs. 3 EStG betrifft dies zum einen die sog. Mäandergestaltungen, in denen dem inländischen Anteilseigner jede Anrechnungsmöglichkeit im Rahmen der Veranlagung endgültig verwehrt wäre, dies aber bei wirtschaftlicher Betrachtung nicht missbräuchlich sein kann;397 zum anderen gehören hierzu diejenigen Verwerfungen, die sich infolge der Konzeption der gesamten Bruttoerträge als Referenzwert der 10%-Grenze ergeben, so dass trotz substantieller eigener Wirtschaftstätigkeit aufgrund hoher passiver Erträge bzw. Erträge aus nicht quellensteuerbelasteten Einkünften der Tatbestand des Abs. 3 S. 1 Nr. 2 verwirklicht wäre.398 Dies gilt erst recht für mögliche periodische Verwerfungen infolge einer streng wirtschaftsjahrbezogenen Betrachtung – mit anderen Worten findet sich hierin eine Rechtsgrundlage für die „Billigkeitsregelung“ der Finanzverwaltung.399 Hierzu gehört letztlich auch die durch ausländisches Recht begründete konzerninterne Auslagerung einer Beteiligung innerhalb des Ansässigkeitsstaates von einer aktiven Schwestergesellschaft auf die antragstellende Zwischengesellschaft, so dass auch hier der Gegenbeweis eröffnet ist.400 § 50d Abs. 3 EStG bleibt aber stets insoweit konkretisierend, als dass hierdurch die Unangemessenheit der Gestaltung vermutet wird, und lediglich die Möglichkeit des Gegenbeweises eröffnet wird. Hinzu kommt, dass in diesen Fällen ansonsten eine unverhältnismäßige Ausgestaltung der Missbrauchsnorm im Einzelfall zu befürchten wäre, so dass für diese Lösung ergänzend die Kollisionsregel in Form des verfassungsrechtlichen Geltungsvorrangs hinzutritt und dies eine Auslegung im Lichte der Verhältnismäßigkeit bedingt, die sich auch schon auf den Norminhalt auswirkt. § 42 Abs. 1 S. 2 AO kann aus genanntem Grunde nicht entgegenstehen; ebenso betrifft dies nur die Kollision der Rechtsfolgen, die Möglichkeit des Gegenbeweises ist aber schon auf der Ebene des Maßstabs eines Missbrauchs und mithin logisch vorgelagert zu entscheiden. Eine zusätzliche Erweiterung findet die Widerlegbarkeit zudem im Fall der Kollision mit Unionsrecht.401

397 398 399 400 401

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um die abstrakte Geltendmachung einer der genannten Fallgruppen, erst bei Bejahung dessen muss auf der zweiten Stufe über den Missbrauch im Einzelfall mittels einer Gesamtwürdigung und unter Feststellungslast des Steuerpflichtigen entschieden werden. Siehe B.I.2.a.bb(2), S. 365. Siehe B.I.2.b.cc(5), S. 394. Siehe oben B.I.2.b.cc(6), S. 396, und Fn. 220. Siehe B.I.2.b.ee, S. 404. Hierzu unten B.II.3.c.bb, S. 469.

Kollisionsfragen

2.

Rechtskreisübergreifende Kollision mit DBA-Vorschriften

§ 50d Abs. 3 EStG kollidiert weiterhin mit dem Recht der Doppelbesteuerungsabkommen, und zwar in zweierlei Hinsicht: Zum einen wird im Falle des Treaty Shopping i.e.S. als Rechtsfolge des Abs. 3 der nach DBA grundsätzlich bestehende Entlastungsanspruch versagt; zum anderen ist das Verhältnis zu den gelegentlich in den DBA selbst enthaltenen speziellen Missbrauchsvorbehalten wie die Limitation on Benefits des Art. 28 DBA-USA zu hinterfragen. a.

§ 50d Abs. 3 EStG als Treaty Override

Die unilaterale Versagung eines abkommensrechtlich gewährten Entlastungsanspruch zielt auf das Grundproblem des Treaty Override: In diesem Zusammenhang ist daher zunächst darauf einzugehen, ob der Derogationswille des nationalen Gesetzgebers in § 50d Abs. 3 EStG zumindest so hinreichend zum Ausdruck gekommen ist, dass die aus der Auslegungsregel402 des § 2 Abs. 1 AO und letztlich auch aus dem Grundsatz der völkerrechtsfreundlichen Auslegung abgeleitete Vermutung des Vorrangs der abkommensrechtlichen Regel beseitigt wurde – mit anderen Worten ist zu fragen, ob überhaupt ein Treaty Override vorliegt. In Teilen des Schrifttums wird vorgebracht, dass sich die eigentliche Derogation in § 50d Abs. 1 S. 1 EStG befindet, wonach das Abzugsverfahren der in der Sache einschlägigen Quellensteuern (§§ 43 ff., 50a EStG) „ungeachtet des (…) jeweiligen Abkommens zur Vermeidung der Doppelbesteuerung“ Anwendung finden.403 Allerdings wäre allein dieser Verweis auf ein nachrangiges Erstattungs- bzw. Abzugsverfahren noch nicht völkerrechtlich problematisch.404 Unter Einschluss des Abs. 3 ergibt sich indes ein qualitativ anderer Eingriff; die ganz überwiegende Ansicht in der Literatur sieht daher auch in § 50d Abs. 3 EStG ein eindeutiges Treaty Override, da die DBAVergünstigung sodann definitiv versagt wird.405 Ebenso hat die Rechtsprechung zu § 50d Abs. 1a EStG a.F. geurteilt und hierbei hervorgehoben, dass 402 403 404 405

Siehe bereits 1. Teil, B, Fn. 949. Albert, Steuerumgehungen, S. 42 f.; Gosch, IStR 2008, 413 (415). Frotscher, EStG § 50d Rn. 13. Frotscher, EStG § 50d Rn. 13; Prokisch, in: Vogel/Lehner, DBA, Art. 1 Rn. 133b; Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 31. Zwar wird von einigen Stimmen vertreten, dass das Hinwegsetzen über die abkommensrechtliche Regelungen in § 50d Abs. 3 EStG lediglich hinreichend deutlich, nicht aber explizit zum Ausdruck komme, etwa Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50d Rn. 25; Schaumburg, Internationales Steuerrecht, Rn. 1.162; diese lassen es aber zur Begründung eines Treaty Override ausreichen. Soweit in anderen Zusammenhang das explizite Abweichen gefordert wird, soll gerade der Wortlautzusatz ungeachtet des Abkommens nach Art eines Musterbeispiels ausreichen, hierzu oben 1. Teil, D, Fn. 95. Vgl. aber auch unten bei Fn. 415 und Fn. 418.

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§ 50d Abs. 3 EStG

jede andere Deutung die Missbrauchsklausel in Bezug auf DBA entgegen der ausdrücklichen gesetzgeberischen Intention gegenstandslos machen würde.406. Aufgrund der Regelungssystematik des § 50d Abs. 3 EStG, insbesondere des Anknüpfens an Abs. 1 S. 1, ist dem zuzustimmen; § 50d Abs. 3 EStG ist daher ein Treaty Override. In Abhängigkeit von der zum Treaty Override im Allgemeinen vertretenen Sichtweise wird auch die Kollision von § 50d Abs. 3 EStG mit dem DBARecht unterschiedlich qualifiziert; die gängigen Positionen reichen hierbei von der unproblematischen Zulässigkeit jedenfalls nach nationalem Recht407 über zumindest zweifelnde Äußerungen408 bis hin zur Verfassungswidrigkeit aufgrund eines Verstoßes gegen das Rechtsstaatsprinzip i.V.m. dem Prinzip der Völkerrechtsfreundlichkeit.409 Wie bereits dargelegt sprechen die besseren Argumente hierbei gegen die Verfassungswidrigkeit des Treaty Override.410 Besondere Beachtung verdienen indes die vermittelnden Ansichten und deren Ergebnisse in Bezug auf § 50d Abs. 3 EStG. So will eine im Vordringen befindliche Ansicht einen Treaty Override zumindest dann als verfassungsrechtlich gerechtfertigt und somit als zulässig erachten, wenn die Vorschrift der Verhinderung echter Abkommensmissbräuche dient.411 In Ermangelung eines gemeinsamen Maßstabs des internationalen Steuerrechts, und da es allein um die Vereinbarkeit des Treaty Override mit innerstaatlichem Recht geht, qualifiziert eine Vorschrift hierfür, wenn sie sich an den innerstaatlichen, allgemeinen Maßgaben für das Vorliegen eines Missbrauchs orientiert, insbesondere also den strukturgebenden Rahmen des § 42 Abs. 2 AO einhält.412 Es wurde bereits dargelegt, dass § 50d Abs. 3 EStG bei entsprechend sachgerechter Auslegung als Typisierung sowohl der Unangemessenheit als auch der Rechtfertigung diesen Vorgaben Rechnung trägt, auch unter Berücksichtigung des § 90 Abs. 2 AO;413 mithin ist selbst bei Zugrunde-

406 BFH, Beschluss vom 28.11.2001 – I B 169/00 – BFH/NV 2002, 774 (774 f.). 407 Hahn-Joecks, in: K/S/M, EStG, § 50d Rn E 5; Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 31; sowie die Nachweise im 1. Teil, D, bei Fn. 134. 408 Vgl. etwa Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50d Rn. 25; Jankowiak, Doppelte Nichtbesteuerung, S. 267. 409 Stein, IStR 2006, 506 (508 f.); Weigell, IStR 2009, 636 (639 f.); Vogel, IStR 2005, 29 (29 f.). 410 Siehe insgesamt die Darstellung im 1. Teil, D.II.2.c.bb(3), S. 254. 411 Rust/Reimer, IStR 2005, 843 (847), gehen hierbei von einem legitimen Änderungsinteresse infolge des Demokratieprinzips aus; Gosch, IStR 2008, 413 (419); Hey, in: Lüdicke, Wo steht das deutsche Internationale Steuerrecht, S. 152; Weigell, IStR 2009, 636 (640), relativieren insoweit den Maßstab der Görgülü-Entscheidung; 412 Hierzu ausführlich im 1. Teil, D.II.2.c.bb(2)(c)(aa), S. 250. 413 Siehe dazu B.II.1.a.aa, S. 420.

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Kollisionsfragen

legung dieser Ansicht § 50d Abs. 3 EStG im Hinblick auf das Problem des Treaty Override als verfassungsgemäß zu erachten. Zum gleichen Ergebnis muss man gelangen, soweit man von einem ungeschriebenen Missbrauchsvorbehalt in Doppelbesteuerungsabkommen ausgeht,414 da dieser – nach Art einer ungeschriebenen Öffnungsklausel – unilaterale Vorschriften zur echten Missbrauchsverhinderung, die sich innerhalb der vom sonstigen nationalen Recht gesetzten Schranken bewegen und sich insbesondere in den strukturgebenden Rahmen des § 42 AO einordnen lassen, im DBA-Fall rechtfertigt und hiernach bereits kein Widerspruch zum Völkerrecht gegeben ist.415 Schon die Gesetzesbegründung zu § 50d Abs. 1a EStG a.F. hat sich hierauf berufen,416 und im Schrifttum findet dieser Gedanke ebenfalls Zustimmung.417 In diesem Zusammenhang sind auch diejenigen Stimmen zu nennen, die die völkerrechtliche Zulässigkeit – und mithin die Verfassungsmäßigkeit – der Norm damit begründen, dass es sich um eine Frage der steuerlichen Einkünftezurechnung handele, die nicht Gegenstand des DBA, sondern des nationalen Steuerrechts sei.418 Somit muss auch mit den vermittelnden Ansichten § 50d Abs. 3 EStG als völkerrechtlich zulässig bzw. verfassungsgemäß angesehen werden. Die Kollision des § 50d Abs. 3 EStG mit dem abkommensrechtlichen Entlastungsanspruch ist daher zugunsten der unilateralen Vorschrift aufzulösen, so dass diese anwendbar bleibt und den genannten Anspruch versagen darf. Dem Grundgesetz und der neueren Rechtsprechung zur Implementierung des Völkervertragsrechts innerhalb des Gesamtgefüges der Verfassung kann im Zusammenhang mit dem Problem des Treaty Override lediglich eine nochmalige Betonung des Grundsatzes der Völkerrechtsfreundlichkeit entnommen 414 Siehe etwa Lüdicke, DBA-Politik, S. 37; Prokisch, in: Vogel/Lehner, DBA, Art. 1 Rn. 117; sowie die Nachweise im 1. Teil, D, Fn. 171 ff. Zur Herleitung dieses Vorbehalts vgl. auch schon im 1. Teil, B.III.1, S. 202. 415 Siehe schon im 1. Teil, D.II.2.c.bb(2)(c)(cc), S. 253, und D.II.2.c.bb(3), S. 254. 416 BT-Ds. 12/5630, S. 65. 417 Prokisch, in: Vogel/Lehner, DBA, Art. 1 Rn. 133b; sowie Frotscher, FS Schaumburg, S. 689, speziell zum Verhältnis von § 50d Abs. 3 EStG zum Begriff des Nutzungsberechtigten im Sinne des Art. 10 Abs. 2 OECD-MA. Vgl. auch Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50d Rn. 25. 418 Wiese/Süß, GmbHR 2006, 972 (974). Siehe aber auch Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50d Rn. 25, der ein Abweichen jedenfalls von der Zurechnungsvorgabe des Art. 7 Abs. 1 OECD-MA thematisiert. Problematisch an dieser Ansicht ist, dass § 50d Abs. 3 EStG die formale Einkünftezuordnung tatsächlich hinnimmt; anders als im Outboundfall (§ 7 ff. AStG) ist eine Zurechnungsverschiebung zur Besteuerung der an gemessenen Gestaltung indes nicht zwingend erforderlich und die bloße Versagung der Entlastung gleichermaßen zielführend, hierzu vgl. schon oben B.II.1.b.aa, S. 428.

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§ 50d Abs. 3 EStG

werden, dies aber nur innerhalb der methodisch vertretbaren Grenzen.419 Dieser Gedanke ist im Lichte der eindeutigen Derogationsanordnung des § 50d EStG allenfalls dann einer nochmaligen Untersuchung wert, wenn noch ein weiteres Zuordnungskriterium im Kollisionsfall hinzutritt, namentlich dasjenige der Zeitenfolge (lex posterior derogat legi priori). Vor diesem Hintergrund wäre ein Auslegungsspielraum dergestalt zu überlegen, dass ein Abweichen der unilateralen Vorschrift von später ergangenen Doppelbesteuerungsabkommen nicht in Betracht kommt.420 Mit anderen Worten könnte in Kenntnis des Vorhandenseins des § 50d Abs. 3 EStG durch die innerstaatliche Inkorporation eines Doppelbesteuerungsabkommens ohne entsprechende Öffnungsklausel zum Ausdruck kommen, dass ein Abweichen von diesem Abkommen nicht gewollt ist; denn durch die Aufnahme einer solchen Klausel421 könnte Deutschland von vornherein einen Konflikt mit Völkerrecht vermeiden. Gegen eine solche Sichtweise kann indes angeführt werden, dass sich der Gesetzgeber zu § 50d Abs. 3 EStG ausdrücklich auf einen allgemeinen Umgehungsvorbehalt bezogen hat422 und daher kein Auslegungsspielraum für eine zeitliche Einschränkung gewollt wäre; sodann müsste auch die Neufassung durch das JStG 2007 in zeitlicher Hinsicht berücksichtigt werden. Der relevante Zeitpunkt dürfte außerdem weniger im Inkrafttreten des Umsetzungsgesetzes, sondern im Vertragsschluss mit dem anderen Staat liegen, da hiernach der Einfluss auf den Inhalt des Abkommens und damit auf die Existenz einer Öffnungsklausel verloren geht. Die Wechselseitigkeit der Vereinbarung spricht nicht zuletzt ganz grundsätzlich gegen die genannte Einschränkung der Derogationswirkung, da die Durchsetzbarkeit selbst einer solchen Klausel nicht zwingend gesichert ist, dies gilt insbesondere für Revisionsabkommen.423 Als Folge der Betonung des Grundsatzes der Völkerrechtsfreundlichkeit mag man sich aber zumindest auf die rechtspolitische Forderung besinnen, dass in 419 Zur Begründung vgl. D.II.2.c.bb(3), S. 254. 420 Vgl. auch Rust/Reimer, IStR 2005, 843 (846). § 2 Abs. 1 AO ist nach teilweise vertretener Auffassung so zu lesen, dass hierdurch die Vermutungswirkung des lex posterior Grundsatzes bei Erlass einer derogierenden unilateralen Norm in Bezug auf frühere DBA beseitigt wird und deshalb ausdrücklich angeordnet werden müsse, hierzu bereits oben 1. Teil, D, Fn. 94. Der vorliegende Gedanke zielt aber in die gegenteilige Richtung und verstärkt damit § 2 Abs. 1 AO. 421 Siehe etwa im 1. Teil die Gemeinsame Erklärung zum DBA-Vereinigtes Königreich vom 30.03.2010, S. 2 (Fn. 918), sowie Art. 23 Abs. 1 DBA-Schweiz in der Fassung des Revisionsprotokolls vom 12.03.2002 samt Nr. 2 des zugehörigen Protokolls (Fn. 916). 422 Siehe oben Fn. 416. 423 Zu diesem Argument siehe auch schon A.II.3.c, S. 344. Als problematisch würde sich in dem Zusammenhang auch erweisen, ob die Verweisung auf innerstaatliche Vorbehalte als statisch oder als dynamisch auszulegen wäre, sofern das Abkommen hierüber keine Aussage trifft.

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Kollisionsfragen

künftigen Neuverträgen und in grundlegenden Revisionen die Existenz einer Öffnungsklausel zumindest zu verhandeln und im Falle der vertraglichen Durchsetzbarkeit in den Abkommenstext aufzunehmen ist. Aufgrund der besseren Argumente pro Zulässigkeit des Treaty Override, insbesondere der dualistischen Trennung der Rechtskreise, sowie der eindeutigen Anordnung des § 50d EStG dürfte der gescheiterte Versuch einer solchen Öffnungsklausel aber nicht zwingend einer Anwendung des § 50d Abs. 3 EStG entgegenstehen. b.

§ 50d Abs. 3 EStG und abkommensrechtliche Missbrauchsklauseln

Etwas anderes muss gelten, wenn zu der Problematik des Treaty Override (und der Zeitenfolge) noch eine weitere Zuordnungsregel hinzutritt, etwa in Form des Grundsatzes des Vorrangs der lex specialis im klassischen Sinne.424 Nur vereinzelt wird dies in der Literatur bestritten und der Treaty Override Wirkung ein unbedingter Vorrang eingeräumt.425 Die ganz herrschende Meinung und selbst die Finanzverwaltung gehen demgegenüber davon aus, dass der unilaterale Vorbehalt des § 50d Abs. 3 EStG nicht gegenüber solchen Doppelbesteuerungsabkommen anwendbar ist, die selbst spezielle Missbrauchsvorbehalte enthalten;426 dem hat sich jüngst auch der BFH angeschlossen.427 Die Anforderungen an eine spezielle Missbrauchsklausel im Einzelnen sind jedoch umstritten: Für die Finanzverwaltung, einen Teil der Lehre und wohl auch die Rechtsprechung soll insoweit entscheidend sein, dass es sich um eine abschließende Regelung handeln muss.428 Im Schrifttum werden hiergegen Be-

424 1. Teil, D.II.3.c, S. 265. 425 Schaumburg, Internationales Steuerrecht, Rn. 1.162 426 BMF, Schreiben vom 03.04.2007 – IV B 1 - S 2411/07/0002 (Anwendungserlass § 50d Abs. 3 EStG) – DStR 2007, 719 (721), Tz. 11; Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50d Rn. 25; Günkel/Lieber, Ubg 2008, 383 (389); Hahn-Joecks, in: K/S/M, EStG, § 50d Rn. E 9; Klein, in: H/H/R, Jahresband 2007, § 50d EStG Rn. J 06-4; Klein/Hagena, in: H/H/R, § 50d EStG Rn. 52; Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 32; Wagner, in: Blümich, ESt – KSt – GewSt, § 50d EStG Rn. 56. 427 BFH, Urteil vom 19.12.2007 – I R 21/07 – DStR 2008, 962 (962 f.), zu Art. 23 Abs. 1 DBA-Schweiz a.F.; für diese Entscheidung war von zusätzlicher Bedeutung, dass die Vertragsstaaten in der Zwischenzeit anlässlich einer Abkommensrevision die Ersetzung dieses Artikel durch eine Öffnungsklausel vereinbart hatten (hierzu auch im 1.Teil, B, Fn. 916). Die Neufassung war zwar auf den streitgegenständlichen Veranlagungszeitraum nicht anwendbar; die Tatsache, dass die Abkommensrevision ausweislicher der vertraglichen Vereinbarungen erst zu einem späteren Zeitpunkt in Kraft treten sollte, hat der BFH jedoch als Argument für ein konstitutive Wirkung der Änderung herangezogen und der Altfassung somit eine abschließende Wirkung beigemessen. 428 BMF, Schreiben vom 03.04.2010 – IV B 1 - S 3411/07/0002 – DStR 2007, 719 (721), Tz. 11; Wagner, in: Blümich, ESt – KSt – GewSt, § 50d EStG Rn. 67 (unklar noch Rn. 56); im Ergebnis auch Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 32;

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§ 50d Abs. 3 EStG

fürchtungen geäußert, dass dies zu einer restriktiven Handhabung der Ausnahme führe, insbesondere im Hinblick auf weniger detaillierte Missbrauchsregelungen429 oder sofern die DBA-Norm hinter den Anforderungen des § 50 Abs. 3 EStG zurückbleibe.430 Nach einer Ansicht solle daher zumindest eine solche ausdrückliche Regelung ausreichen, die Fälle des Abkommensmissbrauchs detailliert und umfassend regelt.431 In Bezug auf die vorliegende Untersuchung ist das Ergebnis dennoch eindeutig, da nach einhelliger Auffassung Art. 28 DBA-USA als umfassend und abschließend konzipierte Missbrauchsvorschrift selbst den Standard der strengeren Auffassung erfüllt.432 Auch nach der hier vertretenen Auffassung stehen Doppelbesteuerungsabkommen, die nicht nur bloße Öffnungsklauseln, sondern eigene objektive Maßgaben in Form von Limitation on Benefits Klauseln enthalten, einer Anwendung des § 50 Abs. 3 EStG entgegen. Sollte nach dem Muster des Art. 28 DBA-USA ein Abkommensmissbrauch anzunehmen sein, so ergibt sich der Vorrang schon aus rechtssystematischen Gründen, da als dessen Rechtsfolge von vornherein ein materieller Entlastungsanspruch i.S.v. § 50d Abs. 1 und Abs. 2 zu verneinen ist und es insoweit auch keiner (nachgeschalteten) Versagung durch Abs. 3 bedarf. Gleiches muss indes im umgekehrten Fall gelten, sofern ein Anspruch auf die Abkommensvergünstigungen gemäß Art. 28 DBA besteht, d.h. die Zwischengesellschaft einen der als safe haven wirkenden objektiven Tests erfüllt. Trotz dessen Detailreiche und restriktiver Ausrichtung kann § 50d Abs. 3 EStG aber im Hinblick auf die Zurechnung von Substanzmerkmalen verbundener Unternehmen möglicherweise über dessen Regelungsbereich hinausgehen;433 denkbar ist weiterhin, dass sich eine antragstel-

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siehe weiterhin BFH, Urteil vom 19.12.2007 – I R 21/07 – DStR 2008, 962 (962 f.), dazu aber auch vorstehende Fn. 427. Klein, in: H/H/R, Jahresband 2007, § 50d EStG Rn. J 06-4; Eilers/Schneider, in: StbJb 2007/08, S. 177, insbesondere zu Art. 29 Abs. 2 DBA-Österreich; zugleich auch Befürchtungen im Hinblick auf die Zeitenfolge äußernd. Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50d Rn. 25, dort Fn. 7; Hahn-Joecks, in: K/S/M, EStG, § 50d Rn. E 9. Nach Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 32, dürfe es hierauf nicht ankommen, da ein Vergleich sämtlicher Anwendungsfälle dem Rechtsanwender nicht zuzumuten sei. Klein/Hagena, in: H/H/R, § 50d EStG Rn. 52; dort inzwischen aber auch bezogen auf den Begriff des Nutzungsberechtigten. Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50d Rn. 25; Günkel/Lieber, Ubg 2008, 383 (389); HahnJoecks, in: K/S/M, EStG, § 50d Rn. E 9; Klein, in: H/H/R, Jahresband 2007, § 50d EStG Rn. J 06-4; Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 32; Wagner, in: Blümich, ESt – KSt – GewSt, § 50d EStG Rn. 56. Eilers/Schneider, in: StbJb 2007/08, S. 177, betonen, dass dies gar die einzige Klausel sei, die diesen erfülle. Vgl. aber auch Art. 23 DBA-Kuwait, hierzu im 1.Teil, B, bei Fn. 945. Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 32; siehe aber auch oben B.I.2.b.ee, S. 404, zu einer möglichen Reduktion der Konkretisierungswirkung.

Kollisionsfragen

lende Gesellschaft erfolgreich auf die Ermessensklausel des Art. 28 Abs. 7 DBA-USA beruft. Auf § 50d Abs. 3 EStG kann es dann schon deshalb nicht ankommen, da die Limitation on Benefits Klausel den Maßstab des Missbrauchs – auch im Vergleich zu § 50d Abs. 3 EStG – dadurch näher konkretisiert, dass sie sich auf einen ganz bestimmten Vergünstigungsanspruch – auf bestimmte Einkunftstatbestände, gegenüber einem bestimmten Vertragsstaat und aus einem bestimmten Abkommen – bezieht und die missbräuchliche Inanspruchnahme durch entsprechende Voraussetzungen verhindern will. Mit Blick auf die Struktur des § 42 Abs. 2 AO kann daher davon gesprochen werden, dass Limitation on Benefits Klauseln gegenüber § 50d Abs. 3 EStG den spezielleren, rahmenausfüllenden Maßstab bereit halten. Insoweit besteht auch kein Bedürfnis, im Verhältnis spezieller Vorbehalte untereinander vom Auslegungsgrundsatz der lex specialis abzuweichen, da es an der gegenläufigen Auslegungsregel der lex completa mit Blick auf den Rahmen des § 42 Abs. 2 AO fehlt.434 Abschließend ist zu hinterfragen, welche Art von Abkommensnormen eine solche Wirkung entfaltet. In Bezug auf Art. 28 DBA-USA ist der abschließende Regelungscharakter aufgrund der zugrunde liegenden Interessenlagen, des Gangs der Abkommensverhandlungen sowie aufgrund der Existenz der Ermessensklausel des Abs. 7, die eine abschließende Einzelfallregelung bezweckt, eindeutig. Bei allen anderen Abkommen ist zumindest zu fordern, dass sich die Klausel mit den Grundfragen des Treaty Shopping befasst, d.h. sie muss sich auf den Missbrauch von Quellensteuern beziehen und insbesondere Fragen der Gesellschafterstruktur sowie Aktivitäts- und Substanzvorbehalte enthalten. Bei entsprechend detaillierter Ausgestaltung kann auf diesem Wege die abschließende Wirkung zumindest vermutet werden. Ein großzügiger Maßstab zur Feststellung der entsprechenden „Spezialität“ der Abkommensnorm ist auch aufgrund des nochmals betonten Grundsatzes der völkerrechtsfreundlichen Auslegung anzulegen; zudem wollte schon der Gesetzgeber mit § 50 Abs. 3 EStG nur den allgemeinen Umgehungsvorbehalt konkretisieren. Im Zweifel sind daher allein die Maßgaben des DBA anzulegen, ein Rückgriff auf § 50d Abs. 3 EStG zur Bestimmung des Missbrauchs i.S.v. § 42 Abs. 2 AO nicht angezeigt. Erst recht muss dies gegenüber späteren Doppelbesteuerungsabkommen gelten, da dann die Vermutung des lex posterior hinzutritt. Beispielsweise der neue gefasste Art. 10 Abs. 6 DBA-UK entspricht den genannten Anforderungen indes nicht, so dass § 50d Abs. 3 EStG insoweit weiterhin anwendbar bleibt: Zum einen kann mangels objektiver Maßgaben selbst bei völkerrechtsfreundlicher Auslegung keine abschließende Wirkung gewollt 434 Allgemein siehe im 1. Teil, D.II.3.c.cc, S. 279.

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§ 50d Abs. 3 EStG

sein; zum anderen enthält das Abkommen in Form der gemeinsamen Erklärung hierzu noch eine allgemeine Öffnungsklausel gegenüber unilateralen Vorbehalten, so dass auch die Zeitenfolge hieran nichts ändern kann.435

3.

Rechtskreisübergreifende Kollision mit Unionsrecht

a.

Grundlegung

Als typisierende Missbrauchsvorschrift könnte § 50d Abs. 3 EStG mit den unionsrechtlichen Missbrauchsmaßstäben kollidieren, welche aus den Grundfreiheiten abgeleitet werden und sich grundsätzlich auch in der Öffnungsklausel des Art. 1 Abs. 2 MTRL wiederfinden. Aus dem hierarchischen Zuordnungskriterium des Anwendungsvorranges des Unionsrechtes könnte sich hiernach die Unanwendbarkeit der Vorschrift in innereuropäischen Sachverhalten oder zumindest deren unionskonforme Auslegung ergeben. Im Schrifttum wird im Anschluss an die Neufassung durch das JStG 2007 in zahlreichen Beiträgen auf den möglichen Verstoß des § 50d Abs. 3 EStG gegen Unionsrecht hingewiesen. Teilweise wird hierbei zwar die grundsätzlich anzuerkennende Stoßrichtung der Vorschrift betont;436 die überwiegende Auffassung geht dennoch von einer diskriminierenden Ungleichbehandlung aus, die als unverhältnismäßige Typisierung auch nicht gerechtfertigt werden könne.437 Indes mehren sich die Stimmen, die die Möglichkeit einer restriktiven, 435 DBA-Vereinigtes Königreich vom 30.03.2010, BGBl II 2010, S. 1358 (in Kraft getreten am 30.12.2010). Dessen Art. 10 Abs. 6 lautet: “Entlastungen nach diesem Artikel werden nicht gewährt, wenn der Hauptzweck oder einer der Hauptzwecke einer der Personen, die an der Begründung oder Übertragung der Aktien oder anderen Rechte, für die die Dividende gezahlt wird, beteiligt waren, darin bestand, diesen Artikel mithilfe dieser Begründung oder Übertragung in Anspruch zu nehmen.” In S. 2 der Gemeinsamen Erklärung heißt es ferner: “Unter Berücksichtigung der Absätze 7 bis 12 des Kommentars zu Artikel 1 des OECD- Musterabkommens ist dieses Abkommen nicht so auszulegen, als hindere es einen Vertragsstaat, seine Bestimmungen nach innerstaatlichem Recht zur Verhinderung der Steuerumgehung oder Steuerhinterziehung anzuwenden, wenn diese Bestimmungen dazu dienen, Gestaltungen entgegenzutreten, die einen Abkommensmissbrauch darstellen. Ein Abkommensmissbrauch liegt vor, wenn ein Hauptzweck, bestimmte Transaktionen oder Gestaltungen zu verwirklichen, darin besteht, eine günstigere Steuerposition zu erlangen, und diese günstigere Behandlung unter den gegebenen Umständen dem Sinn und Zweck der einschlägigen Vorschriften des Abkommens widersprechen würde.” 436 Frotscher, EStG, § 50d Rn. 153; Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50d Rn. 26; Micker, FR 2009, 409 (413); Prokisch, in: Vogel/Lehner, DBA, Art. 1 Rn. 133b; Wagner, in: Blümich, ESt – KSt – GewSt, § 50d EStG Rn. 57. 437 Bron, DB 2007, 1273 (1275); Eilers/Schneider, in: StbJb 2007/08, S. 185; Günkel/Lieber, Ubg 2008, 383 (383); Haarmann, in: FS Djanani, S. 294; Kaiser, IStR 2009,

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Kollisionsfragen

unionskonformen Auslegung bzw. einer geltungserhaltenden Reduktion befürworten.438 Im Fokus der Kritik steht hierbei die Regelung des Abs. 3 S. 1 Nr. 2, die eine eigene Wirtschaftstätigkeit im Umfang von mehr als 10% der gesamten Bruttoerträge erfordert,439 und regelmäßig hiermit im Zusammenhang das Fehlen einer Gegenbeweismöglichkeit i.S. eines „echten Motivtests“,440 sowie die Alternativität der sachlichen Tatbestandsvoraussetzungen.441 Auch die Europäische Kommission ist zwischenzeitlich tätig geworden und hat gemäß Art. 258 Abs. 1 AEUV (Art. 226 Abs. 1 EG) ein Vertragsverletzungsverfahren eingeleitet, in dem Deutschland mit einer begründeten Stellungnahme förmlich zur Änderung der Vorschrift aufgefordert wurde; beanstandet wird hierbei, dass die Vorschrift insbesondere im Hinblick auf die Nr. 2 unverhältnismäßig sei, da es an einer Möglichkeit zum Nachweis des Gegenteils fehle.442 Der Berechtigung dieser Kritik und der Auflösung der möglichen Kollision unter Zugrundlegung der im 1. Teil dargelegten Maßstäbe und allgemeinen Zuordnungskriterien ist im Folgenden nachzugehen. b.

Bestimmung des Prüfungsmaßstabes

Entscheidende Weichenstellung hierfür ist, gegenüber welchen Regelungsgegenständen des Unionsrechts § 50d Abs. 3 EStG einen Widerspruch begründen könnte. In Betracht kommen sowohl sekundärrechtliche Maßstäbe insbesondere in Form des Art. 1 Abs. 2 MTRL, als auch die primärrechtlichen Maßstäbe,

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441 442

121 (128); Kessler/Eicke, IStR 2006, 577 (579); Klein, in: H/H/R, Jahresband 2007, § 50d EStG Rn. J 06-5; Renger, Treaty Shopping, S. 44. Micker, FR 2009, 409 (411 ff.); Prokisch, in Vogel/Lehner, DBA, Art. 1 Rn. 133b; Wagner, in: Blümich, ESt – KSt – GewSt, § 50d EStG Rn. 59. Zum Unterschied und zum Begriff der geltungserhaltenden Reduktion siehe bereits im 1. Teil, D, Fn. 71 f. Eilers/Schneider, in: StbJb 2007/08, S. 185; Kaiser, IStR 2009, 121 (128); Kessler/Eicke, DStR 2007, 781 (782); Klein/Hagena, in: H/H/R, § 50d EStG Rn. 56; Micker, FR 2009, 409 (412); Renger, Treaty Shopping, S. 42; Wiese/Süß, GmbHR 2006, 972 (975). Bron, DB 2007, 1273 (1275), spricht von einem “Verstoß der besonderen Güte“. Bron, DB 2007, 1273 (1275); Eilers/Schneider, in: StbJb 2007/08, S. 185; Frotscher, EStG, § 50d Rn. 159; Günkel/Lieber, Ubg 2008, 383 (383); Kaiser, IStR 2009, 121 (128); Kempf/Meyer, DStZ 2007, 584 (589); Kessler/Eicke, DStR 2007, 781 (786); Korts, IStR 2007, 663 (665); Micker, FR 2009, 409 (413). Eilers/Schneider, in: StbJb 2007/08, S. 185; Grotherr, RIW 2006, 898 (909); Kessler/Eicke, DStR 2007, 781 (782 f.); Klein, in: H/H/R, Jahresband 2007, § 50d EStG Rn. J 06-5; Korts, IStR 2007, 663 (665). Pressemitteilung der Kommission vom 18.03.2010, IP/10/298; zu finden unter: http://ec.europa.eu/taxation_customs/common/infringements/infringement_cases/bycou ntry/index_de.htm. Das Verfahren wird bei der Kommission unter dem Aktenzeichen 2007/4435 geführt.

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§ 50d Abs. 3 EStG

abgeleitet aus den Grundfreiheiten. Letzteres wird im Schrifttum oftmals in den Vordergrund gestellt oder von vornherein keine Differenzierung vorgenommen;443 nur vereinzelt steht die Kollision mit dem Sekundärrecht im Mittelpunkt.444 aa.

Sekundärrecht

Der potentielle Konflikt mit den Regelungen der MTRL445 ist indes augenfällig, da § 50d Abs. 3 EStG gerade auch den materiellen Entlastungsanspruch ausländischer Gesellschaften von der KapESt gemäß § 43b EStG als nationalen Umsetzungsakt der MTRL unter Vorbehalt stellt. Beim Directive Shopping – als Spezialfall des Treaty Shopping i.w.S. – ist die Gestaltung schon definitionsgemäß darauf ausgerichtet, die Anspruchsvoraussetzungen hierfür zu begründen.446 Auf die Person des Anteilseigners der Muttergesellschaft – insbesondere dessen Rechtsform und Sitz – kommt es jeweils ausdrücklich nicht an. Fraglich ist, ob sodann eine Prüfung der Grundfreiheiten überhaupt erforderlich ist. Hierfür könnte sprechen, dass die MTRL – als Instrument zur Beseitigung steuerlicher Mehrfachbelastungen bei Gewinnausschüttungen zwischen

443 Vgl. etwa Frotscher, EStG, § 50d Rn. 148 f.; Hahn-Joecks, in: K/S/M, EStG, § 50d Rn. A 37; Micker, FR 2009, 409 (411); Musil, RIW 2006, 287 (292). 444 Ausdrücklich etwa Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 21; ohne Stellungnahme Kaiser, IStR 2009, 121 (127 f.). 445 Die Ausführungen im Folgenden gelten entsprechend für den materiellen Anspruch gemäß § 50g Abs. 1 EStG in Umsetzung der ZLRL, der aber nicht nur von der KapESt gemäß §§ 43 ff. EStG, sondern auch von der besonderen Quellensteuer des § 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG entlastet; dieser findet zusätzliche Anwendung auf Betriebsstätten (als Zahlender oder als Zahlungsempfänger), der Anwendungsbereich des § 50d Abs. 3EStG ist indes auf Gesellschaften beschränkt, siehe B.I.2.a.aa(1), S. 361. Zu berücksichtigen wäre, dass hier insbesondere auch die Dienstleistungsfreiheit in Betracht kommt; im Ergebnis ist dies indes nicht relevant, siehe unten Fn. 492. 446 Siehe schon in der Einleitung, A.II.2, S. 13. Als subjektive Anspruchsvoraussetzung ist lediglich erforderlich, dass es sich bei der Muttergesellschaft um eine Gesellschaft einer bestimmten Rechtsform (Kapitalgesellschaften und vergleichbare) handelt, die in einem anderen Mitgliedstaat der EU steuerlich ansässig sind, und die einer bestimmten Steuerart (KSt und vergleichbare) unterfällt, Art. 2 Abs. 1 MTRL, § 43b Abs. 2 S. 1 ESTG i.V.m. Anlage 2; die Frage der steuerlichen Ansässigkeit bestimmt sich hierbei ausschließlich nach dem Recht des anderen Mitgliedstaats samt dessen DBA mit Drittstaaten, Art. 2 Abs. 1 lit. b) MTRL, § 43b Abs. 2 S. 1 ESTG i.V.m. Anlage 2 Nr. 2. Die gleichen Voraussetzungen sind im Hinblick auf die Tochtergesellschaft zu fordern, nur dass diese im Inland unbeschränkt steuerpflichtig sein muss, Art. 3 Abs. 1 lit. b) MTRL, § 43b Abs. 2 S. 3 EStG i.V.m. Anlage 2. Zudem muss die Beteiligung die Schwelle des Art. 3 Abs. 1 lit. a) MTRL, § 43b Abs. 2 S. 1 EStG, d.h. eine Beteiligungshöhe von mindestens 10% erreichen, sowie die Beteiligung über mindestens 12 Monate ununterbrochen bestehen, Art 2 Abs. 2 MTRL, § 43b Abs. 2 S. 4 EStG.

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Kollisionsfragen

verbundenen Unternehmen447 – unzweifelhaft zur Erreichung des Gemeinsamen Binnenmarktes i.S.v. Art. 26 Abs. 2 AEUV (Art. 14 Abs. 2 EG) beiträgt und insoweit diejenigen Grundfreiheiten konkretisiert, die ohne die sekundärrechtliche Regelung allgemein anzuwenden wären, namentlich die Niederlassungsfreiheit und/oder448 die Kapitalverkehrsfreiheit. Mit anderen Worten ist das Sekundärrecht der speziellere Regelungsgegenstand und die Kollision grundsätzlich hieran zu beurteilen. Im Schrifttum werden zudem Bedenken gegen das Vorliegen einer Diskriminierung vorgebracht, so dass auch deshalb vorrangig auf den Verstoß gegen die MTRL abzustellen sei.449 Andererseits greift das Zuordnungskriterium der Spezialität nur im Verhältnis ranggleicher Normen; die Grundfreiheiten sind als Teil des Primärrechts jedoch hierarchisch übergeordnet. Dieser Vorrang zeitigt insbesondere dann Wirkung, wenn und soweit das Sekundärrecht keine eigenen unmittelbaren Maßgaben enthält. Dieses Problem steht in Zusammenhang mit der Frage nach der richtigen Auslegung des Art. 1 Abs. 2 MTRL.450 Eine Ansicht befürwortet hierzu, dass die Mitgliedstaaten auch den Inhalt des Missbrauchsbegriffs frei definieren können451 bzw. jedenfalls die Frage der Einkünftezurechnung, die auch in § 50d Abs. 3 EStG betroffen sei, rein nach nationalem Recht zu beurteilen sei.452 Im Ergebnis könnte somit nur eine Kollision gegenüber den grundfreiheitlichen Maßstäben bestehen. Die herrschende gegenteilige Auffassung geht hingegen von einer autonomen unionsrechtlichen Auslegung aus, da ansonsten die Gefahr der uneinheitlichen Auslegung und Anwendung des Unionsrechts bestünde und auch in anderen Sprachfassungen zum Ausdruck komme, dass Miss-

447 Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, S. 167; sowie oben 1.Teil, B, Fn. 830. 448 Zum Verhältnis der Grundfreiheiten siehe bereits oben A.II.2.c, S. 324, aber auch im Folgenden unter B.II.3.b.bb(1), S. 447. 449 Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 21. 450 Bzw. Art. 5 Abs. 1 ZLRL; da sich diese Regelung an die der MTRL anlehnt, verläuft die Problematik parallel. 451 Hahn, IStR 2010, 638 (640); Hey, StuW 2008, 167 (179); Höppner, in: FS Rädler, S. 336 f. Vgl. auch BFH, Urteil vom 20.03.2002 – I R 38/00 (Hilversum I) – BStBl II 2002, 819 (823), der die Frage zwar offen hielt, aber nur in „Randbereichen“ des Missbrauchs für erheblich halten wollte; ein Problem der Gemeinschaftsrechtskonformität stelle sich nicht, wenn der Missbrauch „offensichtlich und nach jedem denkbaren Verständnis“ gegeben sei. 452 Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50d Rn. 26; Hahn-Joecks, in: K/S/M, EStG, § 50d Rn. A 27 ff. In diese Richtung ebenfalls BFH, Urteil vom 20.03.2002 – I R 38/00 (Hilversum I) – BStBl II 2002, 819 (823), wonach es darum gehe, ob der Befreiungstatbestand der MTRL als Konsequenz einer entsprechende Einkünftezuordnung überhaupt wahrgenommen werden könne. Zu den Bedenken gegen dieses „Zurechnungsargument“ im Inboundfall vgl. aber auch oben B.II.1.b.aa, S. 428.

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§ 50d Abs. 3 EStG

brauchsvorbehalte zumindest erforderlich und nicht willkürlich sein dürften.453 Hierbei werden überwiegend die grundfreiheitlichen Maßgaben auf Art. 1 Abs. 2 MTRL übertragen, da dem das gleiche Missbrauchsverständnis und gleiche Rechts- und Prüfungsmaßstäbe zugrunde liegen.454 Andere begründen dies mit der Erforderlichkeit einer Auslegung der Richtlinie;455 bei autonomer Auslegung, gemessen an Regelungsgegenstand und Zielsetzung der Richtlinie, sollen sich aber im Ergebnis die gleichen Maßstäbe ergeben.456 Nach der hier vertretenen Ansicht457 fungiert Art. 1 Abs. 2 MTRL als Öffnungsklausel und enthält selbst keine unmittelbaren Maßstäbe; der Regelungsgegenstand und der Telos der Richtlinie können allerdings mittelbar bei der Auslegung herangezogen werden. Entscheidend ist jedoch, dass aufgrund des hierarchischen Vorrangs des Primärrechts die Öffnungsklausel grundsätzlich im Lichte der grundfreiheitlichen Maßstäbe auszulegen ist. Ausnahmsweise kann es auf den Vorrang zwar dann nicht ankommen, wenn die sekundärrechtliche Gewährleistung über den Anwendungsbereich der Grundfreiheiten hinausgeht und von daher eine solche (rechtskreisinterne) Kollision gar nicht erst entsteht; indes ist hierfür nicht der konkrete Einzelfall maßgeblich, sondern der abstrakte Gewährleistungsinhalt der Richtlinienvergünstigung, da der Maßstab auf normativer Ebene stets einheitlich ausgelegt werden muss. Insoweit ist zu prüfen, ob das Versagen einer Vergünstigung unter Berufung auf die Öffnungsklausel des Art. 1 Abs. 2 MTRL in den dort vorausgesetzten Sachverhalten typischerweise als Eingriff in den Schutzbereich einer Grundfreiheit erachtet werden muss. Sofern dies bejaht wird, zeitigt der Vorrang des Primärrechts Wirkung und die unionsrechtlichen Missbrauchsmaßstäbe müssen diesen entsprechen; aus den mittelbar aus der Zielsetzung der Richtlinie abgelei-

453 Bergmann, StuW 2010, 246 (246 f.) m.w.N. unter Fn. 8; Bron, DB 2007, 1273 (1273 f.); Frotscher, EStG, § 50d Rn. 148; Kaiser, IStR 2009, 121 (127); Knobbe-Keuk, EuZW 1992, 336 (339 f.); Kofler, in: DStJG Bd. 33, S. 220; Musil, RIW 2006, 287 (292); Thömmes, in: FS Wassermeyer, S. 227. 454 Bron, DB 2007, 1273 (1274); Frotscher, EStG, § 50d Rn. 153; Kaiser, IStR 2009, 121 (128); Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 22. Ergänzend wird vorgetragen, dass die Quellensteuerbefreiung keine beliebig entziehbare Steuervergünstigung, sondern eine Konsequenz der Grundfreiheiten sei, siehe Knobbe-Keuk, EuZW 1992, 336 (339 f). 455 EuGH, Urteil vom 17.10.1996 – C-283/94 u.a. (Denkavit Internationaal) – DStRE 1997, 22 (24), Rn. 27 f., dort allerdings im Rahmen von Art. 3 Abs. 2 Spstr. 2 MTRL; Bergmann, StuW 2010, 246 (256 f.); Bron, DB 2007, 1273 (1274), Kofler, in: DStJG Bd. 33, S. 220 m.w.N. 456 Bergmann, StuW 2010, 246 (257 ff.); Kofler, in: DStJG Bd. 33, S. 223. 457 Ausführlich im 1. Teil, D.II.2.b.bb, S. 229.

446

Kollisionsfragen

teten Maßstäben würde sich nichts Gegenteiliges ergeben, sondern der Befund sogar verstärkt werden.458 Dies würde allerdings nur die normative Bestimmung des Prüfungsmaßstabes – quasi die innerunionsrechtliche Kollision – klären; ob tatsächlich im Einzelfall eine Kollision zwischen diesem Maßstab und den Missbrauchsmaßstäben der nationalen Vorschrift besteht, ist in einem zweiten Schritt zu ermitteln. Hierbei kann es nur auf die Anwendbarkeit des einschlägigen Sekundärrechts ankommen, da ansonsten dessen Konkretisierungswirkung völlig leerlaufen würde; diese ist im Falle des § 50d Abs. 3 EStG gegeben, wenn die antragstellende ausländische Gesellschaft im EU-Ausland ansässig ist und die Anwendungsvoraussetzungen der MTRL bzw. des § 43b EStG erfüllt. Soweit unter Rückgriff auf § 50d Abs. 3 EStG die Entlastung des § 50g Abs. 1 EStG in Umsetzung der ZLRL versagt wird, kommt es stattdessen auf deren Öffnungsklausel in Art. 5 Abs. 1 ZLRL an. Diese ist praktisch identisch zu Art. 1 Abs. 2 MTRL, so dass die bereits angestellten Erwägungen gleichermaßen gelten; auf Art. 5 Abs. 2 ZLRL – und dessen strittiges Verhältnis zu Abs. 1 – kommt es hierfür nicht an, dies ist nur im Rahmen des Vorbehalts gemäß § 50g Abs. 4 EStG von Relevanz.459 Zusammengefasst verbleibt als alleiniger Bezugspunkt der kollisionsrechtlichen Überprüfung im Einzelfall die konkretisierende sekundärrechtliche Regelung, sofern diese nach ihrem Regelungszusammenhang anwendbar ist; als deren normativer Maßstab ist indes derjenige der Grundfreiheiten heranzuziehen, sofern die vom Gewährleistungsinhalt der Richtlinienvergünstigung abstrakt erfassten Sachverhalte typischerweise dem Schutzbereich der Grundfreiheiten unterfallen und sich der Vorbehalt des Missbrauchs sodann als Eingriff in diesen erweist. bb.

Grundfreiheiten

(1)

Schutzbereich und Grundfreiheitsträger

Die Vorrangwirkung des primärrechtlichen Maßstabs setzt wie geschildert voraus, dass die vom abstrakten Gewährleistungsinhalt des Sekundärrechts umfassten Sachverhalte typischerweise in den Schutzbereich der Grundfreiheiten fallen. Inwieweit bzw. unter welchen Voraussetzungen sich solche dem 458 Vgl. auch die zuvor in Fn. 456 genannten Stimmen, die schon bei einer isolierten Auslegung des Art. 1 Abs. 2 MTRL zu dem gleichen Ergebnis gelangen wollen. Zum umgekehrten Fall des Zurückbleibens der sekundärrechtlichen Gewährleistungen gegenüber den Grundfreiheiten siehe EuGH, Urteil vom 01.10.2009 – C-247/08 (Gaz de France)– IStR 2009, 774. 459 Zu Art. 5 ZLRL siehe im 1. Teil, B.II.2.e, S. 195; zur Relevanz im Rahmen des § 50g Abs. 4 EStG siehe unten C.II.2, S. 503.

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§ 50d Abs. 3 EStG

Treaty und Directive Shopping zugrunde liegenden Gestaltungen tatsächlich als grundfreiheitlich geschütztes Verhalten darstellen, ist in der Literatur umstritten. Strittig ist hierbei schon, welche der Grundfreiheiten in sachlicher Hinsicht einschlägig ist, da das Innehaben bzw. der Erwerb einer Beteiligung an einer Tochtergesellschaft samt des Bezugs der hieraus resultierenden Dividenden sowohl in den Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit, Art. 49 AEUV (Art. 43 EG), als auch der Kapitalverkehrsfreiheit, Art. 63 AEUV (Art. 56 EG) fallen kann.460 Strittig ist aber insbesondere auch, ob hierfür auf die Zwischengesellschaft selbst oder auf deren Anteilseigner abzustellen ist. Unter Einschluss des Problems des unterschiedlichen räumlichen Geltungsbereichs der genannten Grundfreiheiten ergeben sich auch Wechselwirkungen zwischen diesen Fragestellungen. Zu guter Letzt hängt hiervon auch der Bezugspunkt des Eingriffs ab. (a)

Ebene der Zwischengesellschaft

Im Schrifttum beziehen sich die Erörterungen zu den Grundfreiheiten ganz überwiegend auf das Halten der Beteiligung in Deutschland durch die Zwischengesellschaft; in sachlicher Hinsicht wird hierbei von manchen ausschließlich oder vorrangig auf die Niederlassungsfreiheit abgestellt,461 andere nennen zumindest gleichwertig die Kapitalverkehrsfreiheit oder treffen gar keine Unterscheidung.462 Legt man die Kriterien des EuGH und der wohl herrschenden Ansicht im Schrifttum zugrunde, so ist für eine Abgrenzung der genannten Grundfreiheiten in einem ersten Schritt von entscheidender Bedeutung, ob die streitgegenständliche Norm das Vorhandensein eines sicheren Einflusses voraussetzt; wird dies bejaht, so ist keine eigenständige Prüfung der Kapitalverkehrsfreiheit angezeigt, die Auswirkungen auf diese stellen nur die unvermeidliche Konsequenz eines Eingriffs in die Niederlassungsfreiheit dar.463 Vorliegend kommt es auf Zweck und den Regelungsgehalt des Vorbehalts des Art. 1 Abs. 2 MTRL i.V.m. § 50d Abs. 3 EStG an. Unmittelbar erfordern weder die 460 Zur Herleitung des jeweiligen Gewährleistungsinhalts siehe schon A.II.2.c, S. 324, m.w.N. 461 Vgl. Kessler/Eicke, IStR 2006, 577 (580); Schenke/Mohr, DStZ 2009, 439 (444); Wiese/Süß, GmbHR 2006, 972 (975). 462 Vgl. Bron, DB 2007, 1273 (1275); Frotscher, EStG, § 50d Rn. 149; Hahn-Joecks, in: K/S/M, EStG, § 50d Rn. A 37; Musil, RIW 2006, 287 (291 f.). Von vornherein ohne Differenzierung etwa Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50d Rn. 26. 463 EuGH, Urteil vom 24.05.2007 – C-157/05 (Holböck) – IStR 2007, 441 (441), Rn. 22; EuGH, Urteil vom 17.09.2009 – C-182/08 (Glaxo Wellcome) – DStRE 2009, 1370 (1373), Rn. 50 f.; Rust, DStR 09, 2568 (2569 f.) m.w.N. Siehe auch die Nachweise oben A.II.3, Fn. 205 f.

448

Kollisionsfragen

Öffnungsklausel noch die unilaterale Vorschrift eine bestimmte Beteiligungshöhe, allerdings besteht ein untrennbarer, systematischer Zusammenhang mit dem Entlastungsanspruch des Art. 5 MTRL bzw. § 43b Abs. 1 EStG, dessen missbräuchliche Ausnutzung verhindert werden soll. Insoweit ist dem Regelungszusammenhang nach von einer Mindestbeteiligungshöhe auszugehen, gemäß Art. 3 Abs. 1 lit. a) MTRL bzw. § 43b Abs. 2 S. 1 EStG beträgt diese 10%. Bei einer solchen Beteiligungshöhe ist jedoch grundsätzlich noch nicht vom Vorhandensein eines sicheren Einflusses auszugehen, so dass der Vorbehalt nicht auf eine Einschränkung der Niederlassungsfreiheit abzielt und im Sinne des ersten, abstrakten Prüfungsschrittes alleine eine Prüfung der Kapitalverkehrsfreiheit stattfinden würde.464 Nach bisheriger Rechtsprechung des EuGH bleibt die Niederlassungsfreiheit aber dann zu prüfen, wenn im konkreten Sachverhalt ein sicherer Einfluss festgestellt werden kann.465 Demnach würde die anwendbare Grundfreiheit im Einzelfall von der jeweiligen Höhe der Beteiligung der Zwischengesellschaft an der inländischen Tochtergesellschaft abhängen. Andererseits ist der EuGH in der Rechtssache Glaxo Welcome hiervon etwas abgerückt und hat trotz Vorliegens eines sicheren Einflusses im Einzelfall dem Aspekt der Kapitalverkehrsfreiheit den Vorrang eingeräumt, soweit die gegenständliche Vorschrift spezifisch die Beweglichkeit des Kapitals schützt; Auswirkungen auf die Niederlassungsfreiheit wären dann nur eine unvermeidliche Konsequenz der Beschränkung des Kapitalverkehrs.466 Anders als die jener Entscheidung zugrunde liegende Norm des § 50c EStG wird man dies aber für Art. 1 Abs. 2 MTRL i.V.m. § 50d Abs. 3 EStG nicht sicher be-

464 Ebenso im Ergebnis Renger, Treaty Shopping, S. 29 f. In der Rechtssachen Amurta hat der EuGH selbst bei Vorliegen einer Beteiligungshöhe von 14% allein die Kapitalverkehrsfreiheit geprüft, EuGH, Urteil vom 08.11.2007 – C-379/05 – IStR 2007, 853 (854); eine Beteiligung von jedenfalls 25% hingegen wurde dem sachlichen Geltungsbereich der Niederlassungsfreiheit zugeordnet, EuGH, Urteil vom 10.05.2007 – C492/04 (Lasertec) – IStR 2007, 439 (440), Rn. 20 ff.; vgl. auch Rust, DStR 2009, 2568 (2569). Legt man letzteres zugrunde, so ließe sich vertreten, dass zumindest in der ursprünglichen Fassung der MTRL, welche noch eine Mindestbeteiligung von 25% vorsah, ausschließlich die Niederlassungsfreiheit betroffen war. Siehe aber auch im Folgenden B.II.3.b.bb(1)(c), S. 452, zur möglichen Verwertung der MTRL bei der Abgrenzung des Schutzbereichs auch in der aktuellen Fassung; dort auch zu Art. 5 der ZLRL, welcher mittelbar aufgrund Art. 3 lit. b) ZLRL nach wie vor eine Mindestbeteiligung i.H.v. 25% erfordert. 465 EuGH, Urteil vom 12.12.2006 – C-374/04 (ACT Group Litigation) – IStR 2007, 138 (139), Rn. 37 ff.; Rust, DStR 09, 2568 (2569) m.w.N. IN BFH, Urteil vom 11.01.2012 – I R 25/10 – DB 2012, 838, wurde dies nicht thematisiert. 466 EuGH, Urteil vom 17.09.2009 – C-182/08 (Glaxo Wellcome) – DStRE 2009, 1370 (1373), Rn. 50; Haslehner, IStR 08, 565 (575). Vgl. auch Schönfeld, DB 2007, 80 (81).

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§ 50d Abs. 3 EStG

haupten können, die Vorschrift verbleibt insoweit im Grenzbereich zwischen Niederlassungs- und Kapitalverkehrsfreiheit. Insbesondere die Abhängigkeit von der konkreten Beteiligungshöhe erweist sich als unbefriedigendes Zwischenergebnis.467 In praktischer Hinsicht könnte man noch einwenden, dass innerhalb der Europäischen Union die Abgrenzung zwischen Niederlassungsfreiheit und Kapitalverkehrsfreiheit nicht von Bedeutung ist, da beide Freiheiten den gleichen Schutzumfang gewährleisten.468 Soweit man aber eine Lockerung der Maßstäbe bei bloßen Kapitalbeteiligungen in Erwägung zieht, kann man dies nicht dahinstehen lassen.469 Erst recht gilt dies, wenn der Blick auf die Ebene der Anteilseigner gerichtet wird. (b)

Ebene der Anteilseigner

Von einigen Autoren wird betont, dass für die Prüfung der Grundfreiheiten nicht auf die Zwischengesellschaft, sondern auf deren Anteilseigner abzustellen sei.470 Hierfür spreche, dass die Regelungsintention jedenfalls des § 50d Abs. 3 EStG gegen die Anteilseigner der Zwischengesellschaft gerichtet sei471 und der Zwischengesellschaft letztlich in Abhängigkeit von der Qualifikation ihrer Anteilseigner die Erstattung verweigert werde, so dass die eigentliche Benachteiligung an das grenzüberschreitenden Engagement bei der Einschaltung der Zwischengesellschaft durch deren Gesellschafter anknüpfe.472 Dieses Argument ist nicht von der Hand zu weisen, da der Gedanke in der Ausgestaltung der persönlichen Voraussetzungen des § 50d Abs. 3 EStG zum Tragen kommt. Das Directive Shopping und die Vorbehalte zu dessen Verhinderung sind von vornherein darauf angelegt, dass sich Anteilseigner außerhalb der EU – sei es natürliche Personen oder Gesellschaften – durch das Gründen einer Zwischengesellschaft in das Rechtsregime der MTRL einkaufen. Damit steht aber gleichzeitig im Raum, dass auch die Voraussetzungen der Anwendbarkeit der Grundfreiheiten ähnlich missbräuchlich begründet werden.

467 Noch dazu, da es wie gezeigt hier nur darauf ankommt, ob die sekundärrechtliche Gewährleistung typischerweise dem grundfreiheitlichen Schutzbereich unterfällt, also der konkrete Sachverhalt gerade nicht maßgeblich sein darf. 468 Rust, DStR 09, 2568 (2569); Sedlaczek, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 43 EG Rn. 103. Zur Konvergenz der Grundfreiheiten siehe bereits oben B.II.1.b.aa, S. 136. 469 Siehe hierzu im 1. Teil, B.II.1.b.cc(4)(c), S. 175. 470 Musil, Treaty Overriding, S. 206; Renger, Treaty Shopping, S. 32. Den Verstoß könne aber auch die Zwischengesellschaft geltend machen, Musil, Treaty Overriding, S. 206. 471 Musil, Treaty Overriding, S. 206. 472 Renger, Treaty Shopping, S. 32. Siehe auch Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 23, der dies aber im Rahmen der Niederlassungsfreiheit der Zwischengesellschaft verwertet.

450

Kollisionsfragen

Soweit hiermit ausschließlich eine Verletzung der Grundfreiheiten der Anteilseigner zu prüfen wäre, erweist sich wiederum die Abgrenzung der sachlich einschlägigen Gewährleistung als problematisch. Denn ein Anteilseigner mit Staatsangehörigkeit bzw. Sitz außerhalb der Europäischen Union kommt nur hinsichtlich der Kapitalverkehrsfreiheit als Träger der Grundfreiheiten in Frage, da diese gemäß Art. 63 Abs. 1 AEUV (Art. 56 Abs. 1 EG) auch im Verhältnis zu Drittstaaten Anwendung findet;473 eine Berufung auf die Niederlassungsfreiheit scheidet hingegen aus, da diese grundsätzlich nur bereits berechtigte Anteilseigner aus dem räumlichen Geltungsbereich der EU in Anspruch nehmen könnten, aber in diesen Fällen kein Bedürfnis für eine entsprechende Treaty Shopping Gestaltung bestünde.474 Die Abgrenzung in der Sache ergibt zunächst wiederum den Befund, dass die nun im Fokus stehende Beteiligung, namentlich die des (Drittstaaten-) Gesellschafters an der Zwischengesellschaft, abstrakt keiner der Grundfreiheiten zugeordnet werden kann – schon deshalb, da diese Beteiligung höchstens mittelbar in § 50d Abs. 3 EStG adressiert wird.475 Im Unterschied zur vorgenannten Perspektive muss jedoch davon ausgegangen werden, dass die Beteiligung des Anteilseigners an der Zwischengesellschaft im konkreten Fall typischerweise einen sicheren Einfluss gewährleistet, da nur so die Zwischenschaltung in die alternative Direktinvestition im Inland einen Sinn ergibt und eine quellensteuerbefreite bzw. -reduzierte Umleitung der Dividenden zur Repatriierung möglich ist.476 Nach dem derzeitigen Stand der Rechtsprechung des EuGH zum Verhältnis der Grundfreiheiten dürfte dies bedeuten, dass die Kapitalverkehrsfreiheit in diesen Fällen dann keine Anwendung mehr finden kann.477 Dem473 Sog. erga omnes Wirkung, Ress/Ukrow, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der EU, Art. 63 AEUV Rn. 102; Rust, DStR 09, 2568 (2569); Schwenke, IStR 2007, 748 (751). 474 Siehe Musil, Treaty Overriding, S. 207: Die primäre Niederlassungsfreiheit in Form der Sitzverlegung ist bei Directive Shopping nicht zielführend; zur Unterscheidung primäre und sekundäre Niederlassungsfreiheit vgl. auch Müller-Graff, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 48 EG Rn 14. 475 Es reicht im Rahmen der persönlichen Voraussetzungen schon aus, dass überhaupt eine “nicht erstattungsberechtige Person“ beteiligt ist. 476 Vgl. auch Renger, Treaty Shopping, S. 33 f., allerdings auf eine Beteiligungshöhe von 50% abstellend; dies ist zu hoch gegriffen, da der EuGH jedenfalls eine 25%-ige Beteiligung ausreichen lässt und bei entsprechendem (mittelbaren) Einfluss auf andere Anteilseigner sogar geringere Werte zuzulassen scheint, vgl. EuGH, Urteil vom 10.05.2007 – C-492/04 (Lasertec) – IStR 2007, 439 (440), Rn. 20 ff. 477 EuGH, Urteil vom 26.06.2008 – C-284/06 (Burda) – DStRE 2009, 424 (428), Rn. 69; Rust, DStR 09, 2568 (2569); jüngst bestätigt von EuGH, Urteil vom 21.01.2010 – C-311/08 (Société de Gestion Industrielle) – IStR 2010, 144 (146), Rn. 33 ff.; offen gelassen noch von EuGH, Urteil vom 24.05.2007 – C-157/05 (Holböck) – IStR 2007, 441 (442), Rn. 31. Vgl. aber auch Tippelhofer/Lohmann, IStR 2008, 857 (864). Zur Ausnahme des spezifischen Schutzes der Kapitalverkehrsfreiheit siehe oben Fn. 466.

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§ 50d Abs. 3 EStG

nach könnte sich ein Anteilseigner aus Drittstaaten beim Directive Shopping nicht auf grundfreiheitlichen Schutz berufen. Diese Lösung würde aber zu dem Ergebnis führen, dass im Ganzen betrachtet die Schutzwirkung der Grundfreiheiten sinkt, sofern der Umfang der Beteiligung steigt – ob dies widersprüchlich ist, ist im Schrifttum umstritten, wirkt aber jedenfalls auf den ersten Blick befremdlich und hat daher Kritik an den oben genannten Abgrenzungsmodalitäten hervorgerufen.478 (c)

Stellungnahme

Die isolierte Betrachtung beider Ebenen führt wie gezeigt zu einem keineswegs eindeutigen und damit auch unbefriedigenden Ergebnis. So sehr die Einwände der Ansicht auch berechtigt sind, die die Benachteiligung an die Person des Anteilseigners knüpfen, muss die soeben gezeigte Gefahr des Leerlaufens des grundfreiheitlichen Schutzes doch berücksichtigt werden. Hierfür bleibt als Ansatzpunkt die nach den Vorschriften eines anderen Mitgliedstaates wirksam gegründete Zwischengesellschaft als Grundfreiheitsträger bestehen. Die Ebene der Anteilseigner kann (und muss) aber insoweit berücksichtigt werden, als die dort angestellten Erwägungen auf die Ebene der Zwischengesellschaft durchschlagen. Für die Frage nach der sachlich einschlägigen grundfreiheitlichen Gewährleistung ist daher auf eine Art Gesamtbetrachtung abzustellen. Dass im Verhältnis von Anteilseigner zu Zwischengesellschaft regelmäßig von einem bestimmenden Einfluss auszugehen ist, ist ein erster Anhaltspunkt dafür, insgesamt von einer Niederlassung auszugehen, da die Zwischengesellschaft, deren Anspruch Art. 1 Abs. 2 MTRL i.V.m. § 50d Abs. 3 EStG versagt, gerade aufgrund dieser Kontrolle zwischengeschaltet werden kann; die Beteiligung der Zwischengesellschaft an der (deutschen) Tochtergesellschaft könnte damit als sekundäre Niederlassung i.S.v. Art. 49 Abs. 1 S. 2 AEUV (Art. 43 Abs. 1 S. 2 EG) erachtet werden.479 Hierfür spricht auch eine Alternativ-Betrachtung, da sowohl die gestaltende Perspektive als auch die des Missbrauchsvorbehalts davon ausgehen, dass es sich um die zusätzliche Einschaltung einer Gesellschaft zwischen die bestehende Beteiligung an der inländischen (operativen) Gesellschaft han-

478 Vgl. Haslehner, IStR 2008, 565 (575); Hindelang, IStR 2010, 443 (444 ff.) m.w.N.; a.A. Germelmann, EuZW 2008, 596 (600). 479 Eine sekundäre Niederlassung (Zweigniederlassung) ist von einem Haupthause wirtschaftlich oder rechtlich abhängig, Troberg/Tiedje, in: von der Groeben/Schwarz, EUV/EGV, Bd. I, Art. 43 Rn. 33. Die Frage der primären Niederlassungsfreiheit stellt sich bei Gesellschaften nur im Zusammenhang mit der Sitzverlegung, die aber beim Directive Shopping gerade nicht beabsichtigt ist, vgl. Müller-Graff, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 48 EG Rn 14; Musil, Treaty Overriding, S. 207.

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Kollisionsfragen

delt. Mithin ließe sich davon sprechen, dass allein die Einschaltung einer Zwischenniederlassung problematisch ist. Weiterhin eröffnet auch die Rechtsprechung des EuGH Raum für eine solche Qualifikation. Denn schon abstrakt (1. Prüfungsschritt) dem Schutzbereich der Niederlassung zugeordnet werden solche Normen, die Beziehungen innerhalb einer Unternehmensgruppe betreffen;480 das Erfordernis eines sicheren Einflusses kann insoweit als Unterfall bzw. Indiz dieses Gruppenbezugs angesehen werden.481 Genau um einen solchen Fall handelt es sich doch sowohl bei Art. 1 Abs. 2 MTRL als auch bei § 50d Abs. 3 EStG, da der Missbrauchsvorbehalt von vornherein die Gesamtperspektive eine Steuergestaltung innerhalb eines Unternehmensverbundes im Blick hat und auch in den persönlichen Voraussetzungen unterstellt. Hiermit kann dahinstehen, dass die jeweilige Beteiligung an der inländischen Gesellschaft einen sicheren Einfluss nicht erfordert. Zu guter Letzt spricht gerade die Eröffnung des Anwendungsbereichs der MTRL für diese Lösung. Mit der historischen Mindestbeteiligungsquote von 25%, Art. 3 Abs. 1 lit. a) MTRL a.F., wäre eine Zuordnung zur Niederlassungsfreiheit nach den oben dargestellten Maßstäben des sicheren Einflusses eindeutig.482 Da Art. 3 lit. b) der ZLRL nach wie vor von dieser Höhe ausgeht, muss dies für deren Anwendungsbereich – d.h. im Bereich des Directive Shopping zur Befreiung von Quellensteuern auf Zins- und Lizenzeinkünfte – auch weiterhin gelten. Aber auch in der aktuellen Fassung der MTRL bleibt es dabei, dass diese steuerliche Mehrfachbelastungen bei Gewinnausschüttungen zwischen verbundenen Unternehmen begünstigt,483 ja hierdurch sogar den Zusammenschluss von Gesellschaften auf Unionsebene erleichtern soll.484 Mit anderen Worten zieht gerade diese Beteiligungsquote die Grenzlinie zwischen Unternehmensverbünden und den bloßen Portfoliobeteiligungen und damit – jedenfalls in Bezug auf den Anwendungsbereich der MTRL und die hier in 480 EuGH, Urteil vom 13.03.2007 – C-524/04 (Thin Cap Group Litigation) – IStR 2007, 249 (251), Rn. 33; EuGH, Urteil vom 18.07.2007 – C-231/05 (Oy AA) – IStR 2007, 631 (632), Rn. 23; EuGH, Urteil vom 26.06.2008 – C-284/06 (Burda) – DStRE 2009, 424 (428), Rn. 68. Hierzu siehe auch Tippelhofer/Lohmann, IStR 2008, 857 (862 f.): Nationale Regelungen, die im weiteren Sinne eine subjektübergreifende Besteuerung einander nahe stehender Personen zum Gegenstand haben. 481 Vgl. auch die Stellungnahme der Belgischen Regierung in EuGH, Urteil vom 21.01.2010 – C-311/08 (Société de Gestion Industrielle) – IStR 2010, 144 (145), Rn. 27. 482 Siehe schon Fn. 464. 483 Jacobs, Internationale Unternehmensbesteuerung, S. 167; sowie oben 1. Teil, B, Fn. 830. 484 EuGH, Urteil vom 08.11.2007 – C-379/05 (Amurta) – IStR 2007, 853 (854), Rn. 18; EuGH, Urteil vom 19.11.2009 – C-540/07 (Kommission/Italien) – DStRE 2009, 1444 (1445), Rn. 30.

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§ 50d Abs. 3 EStG

Frage stehende unionsinterne Kollision von Sekundär- und Primärrecht – die Grenzlinie zwischen Niederlassungs- und Kapitalverkehrsfreiheit.485 Zusammengefasst wird das in Art. 1 Abs. 2 MTRL, § 50d Abs. 3 EStG adressierte Problem des Directive Shopping nach der dargelegten Gesamtbetrachtung sachlich vorrangig dem Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit zugeordnet werden müssen. Damit verbleibt jedoch die Frage nach dem räumlichen Schutzbereich unbeantwortet. Denn der Blick auf die Zwischengesellschaft als möglicher Grundfreiheitsträger ändert noch nichts an der Tatsache, dass es sich bei der Niederlassung in Deutschland allenfalls um eine sekundäre Niederlassung durch eine andere Gesellschaft handelt; ob deren Schutz nur von einer ebenso geschützten primären Niederlassung abgeleitet werden kann und damit ein grundfreiheitsberechtigter Anteilseigner vorhanden sein muss, ist im Zusammenhang zu sehen486 mit der im Schrifttum umstrittenen Frage, ob die EU-Gesellschaft im jeweiligen Mitgliedstaat ansässig sein muss. Nach einer Ansicht ist insoweit zwischen der (sekundären) Niederlassungsfreiheit natürlicher Personen gemäß Art. 49 Abs. 1 S. 2 AEUV (Art. 43 Abs. 1 S. 2 EG) und derjenigen von Gesellschaften gemäß Art. 54 Abs. 1 AEUV (Art. 48 Abs. 1 EG) zu unterscheiden; bei letzteren solle aufgrund des Wortlauts der Norm der satzungsmäßige Sitz ausreichen und eine ausreichende Verbindung zum Gemeinschaftsgebiet herstellen, für die Forderung nach einer zusätzlichen Ansässigkeit fehle es an einer Rechtsgrundlage.487 Nach der gegenteiligen Auffassung ist das bei den natürlichen Personen geltende Erfordernis der Ansässigkeit auf die sekundäre Niederlassungsfreiheit von Gesellschaften zu übertragen und ein bloße formale, satzungsmäßige Präsenz hierfür nicht genügend; stattdessen wird überwie-

485 Dass der EuGH in seinen bisherigen Entscheidungen zur innereuropäischen Dividendenbesteuerung mitunter ausschließlich oder parallel auf die Kapitalverkehrsfreiheit abgestellt hat, steht dem nicht entgegen, da sich diese außerhalb des Anwendungsbereichs der MTRL bewegten. Siehe etwa zu Portfoliobeteiligungen, EuGH, Urteil vom 08.11.2007 – C-379/05 – (Amurta) IStR 2007, 853 (854 f.); EuGH, Urteil vom 19.11.2009 – C-540/07 (Kommission/Italien) – DStRE 2009, 1444 (1444 f.); im Umkehrschluss unterstreicht dies sogar die hier genannte These. Vgl. aber auch EuGH, Urteil vom 01.10.2009 – C-247/08 (Gaz de France) – IStR 2009, 774 (777), Rn. 60 f., das als Hinweis auf eine Parallelität der Grundfreiheiten verstanden werden könnte (dort allerdings nicht entscheidungserheblich). 486 Siehe auch Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 23: Es geht darum, ob die Zwischengesellschaft Trägerin der Niederlassungsfreiheit sein kann und sich wirksam hierauf berufen darf. 487 Bröhmer, in: Callies/Ruffert, EUV/EGV, Art. 43 EG Rn. 7; Müller-Huschke, in: Schwarze, EU-Kommentar, Art. 48 EG Rn. 11 f.; ebenso (ohne Begründung) Renger, Treaty Shopping, S. 28.

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Kollisionsfragen

gend eine tatsächliche und dauerhafte Verbindung mit der Wirtschaft des Mitgliedstaates gefordert.488 Letztere Ansicht überzeugt schon deshalb, da eine unbeschränkte Gewährleistung der sekundären Niederlassungsfreiheit nicht dazu führen sollte, dass Unternehmen, die vorwiegend in die Volkswirtschaft von Drittstaaten eingegliedert sind, auf diese Weise den Schutzbereich der Grundfreiheiten erlangen können.489 Damit zeigt sich nochmals, was bereits vermutet wurde: Das Directive Shopping betrifft zugleich die Frage, ob die Voraussetzungen der Anwendbarkeit der Grundfreiheiten missbräuchlich begründet werden. Es geht damit um eine vergleichbare Interessenlage, die auch für die Entscheidung Cadbury Schweppes maßgeblich war und die eine Übertragung auf das vorliegende Problem rechtfertigt.490 Das heißt indes, dass nach der hier vertretenen Ansicht diejenigen Gestaltungen, bei denen möglicherweise eine „echte“ Ansässigkeit fehlt, bei der Bestimmung des Schutzbereichs zunächst tatbestandlich als Ausübung einer Grundfreiheit hingenommen werden müssen, aber unter Beachtung der jeweiligen Maßstäbe entsprechende Beschränkungen der Mitgliedstaaten gerechtfertigt wären (sog. Rechtfertigungslösung).491 Auch dieser Vorbehalt der echten Ansässigkeit des Grundfreiheitsträgers spricht letztlich nochmals dafür, in der Sache von einem Problem der (Zwischen)Niederlassungsfreiheit auszugehen, auf die unmittelbare Gestaltung der Rechtsbeziehung der Zwischengesellschaft zu der inländischen Tochtergesellschaft und die dort bei isolierter Betrachtung feststellbare sachlich einschlägige Grundfreiheit kommt es mithin nicht an.492 Der mögliche Drittstaatenbezug darf daher nicht dazu führen, dass es schon an einer schutzwürdigen Ausübung der Grundfreiheiten fehlt, sondern eröffnet lediglich die Anwendung entsprechender Vorbehalte auf der Rechtfertigungs488 Müller-Graff, in: Streinz, EUV/EGV, Art. 48 EG Rn 23; Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 23; Troberg/Tiedje, in: von der Groeben/Schwarz, EUV/EGV, Bd. I, Art. 48 Rn. 11. Gleiche Ansicht im Ansatz Randelzhofer/Forsthoff, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der EU, Art. 48 EGV Rn. 23; es solle jedoch ausreichen, dass keine Berührung zum EU-Ausland bestehe. 489 Randelzhofer/Forsthoff, in: Grabitz/Hilf, Das Recht der EU, Art. 48 EGV Rn. 23; Troberg/Tiedje, in: von der Groeben/Schwarz, EUV/EGV, Bd. I, Art. 43 Rn. 157. 490 Ebenso Germelmann, EuZW 2008, 596 (599 f.); Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 23. 491 Hierzu ausführlich im 1. Teil, B.II.1.b.cc(3)(d), 168. Siehe auch Germelmann, EuZW 2008, 596 (600), der dies aufgrund des nur punktuellen Eingriffs und aus strukturellen Gründen als vorzugswürdig erachtet. 492 Im Ergebnis ist daher auch für eine Lizenzgestaltung, die über eine Zwischenniederlassung gehalten wird, der Maßstab der Niederlassungsfreiheit anwendbar, obwohl die Lizenzgewährung vorwiegend dem Schutzbereich der Dienstleistungsfreiheit, Art. 56 Abs. 1 AEUV (Art. 46 Abs. 1 EG), zugeordnet werden könnte.

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§ 50d Abs. 3 EStG

ebene. Diejenigen Treaty und Directive Shopping Gestaltungen, die dem abstrakten Gewährleistungsinhalt der MTRL zugrunde liegen, unterfallen daher typischerweise dem Schutzbereich der Grundfreiheiten. (2)

Eingriff

Voraussetzung für den Vorrang der primärrechtlichen Maßstäbe ist weiterhin, dass sich der Vorbehalt des Missbrauchs unter Berufung auf die sekundärrechtliche Öffnungsklausel als Eingriff in die genannte grundfreiheitliche Schutzposition darstellt. Zu prüfen ist daher, ob vergleichbare Sachverhalte unmittelbar oder mittelbar aufgrund des Gesellschaftssitzes unterschiedlich behandelt werden (Diskriminierung) oder ob bei unterschiedsloser Geltung die Maßnahme geeignet ist, die Ausübung der Grundfreiheiten weniger attraktiv zu machen (Beschränkung i.e.S.).493 In der Literatur wird dies in Bezug auf § 50d Abs. 3 EStG vereinzelt ohne große Auseinandersetzung bejaht, da als dessen Rechtsfolge einer ausländischen, Dividenden empfangenden Gesellschaft aufgrund ihrer Funktionslosigkeit die Erstattung der KapESt versagt wird und dies eine nachteilige Steuerfolge und damit zumindest eine Beschränkung sei bzw. hierdurch ausländische Holdinggesellschaften gegenüber inländischen Holdinggesellschaften schlechter gestellt würden.494 Von entscheidender Bedeutung ist indes die Vergleichbarkeit der Sachverhalte, da sich unbeschränkt und beschränkt Steuerpflichtige im Grundsatz nicht in objektiv vergleichbaren Situationen befinden und diese daher unter Berücksichtigung des Normzwecks der eingreifenden Maßnahme im Einzelfall festgestellt werden muss; im Inboundfall gilt dies sowohl für das Vorliegen einer Diskriminierung als auch einer Beschränkung (i.e.S.).495 Im Schrifttum wird insoweit als problematisch erachtet, dass der Anspruch auf vollständige Entlastung von Quellensteuern gemäß Art. 5 MTRL, § 43b Abs. 1 EStG ohnehin nur gebietsfremden Muttergesellschaften offenstehe und daher auch der Vorbehalt des § 50d Abs. 3 EStG i.V.m. Art. 1 Abs. 2 MTRL nur diesen Gesellschaften gegenüber Anwendung finde; einen solchen Vorteil könn-

493 Siehe im 1. Teil, B.II.1.b.aa, S. 136, mit Nachweisen, insbesondere Fn. 534 und 536. 494 Kessler/Eicke, IStR 2006, 577 (581); Klein, in: H/H/R, Jahresband 2007, § 50d EStG Rn. J 06-5; Micker, FR 2009, 409 (411); Schenke/Mohr, DStZ 2009, 439 (444). Siehe auch Renger, Treaty Shopping, S. 32, eine Beschränkung aufgrund der Ansässigkeit der Anteilseigner annehmend. Nach Frotscher, EStG, § 50d Rn. 149 f., sei jedenfalls eine Beschränkung kaum zu bestreiten, da die Notwendigkeit des Nachweises ausreichender Funktion bei Empfänger zur Erzielung der Entlastung eine ausländische Gesellschaft davon abhalten könne, im Inland zu investieren; das Vorliegen einer Diskriminierung wird jedoch als problematisch erachtet, dazu auch im Folgenden. 495 Ausführlich im 1. Teil, B.II.1.b.bb(2), S. 143, zu Nachweisen vgl. Fn. 566 ff.

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Kollisionsfragen

ten inländische Gesellschafter jedenfalls im Abzugsverfahren nicht geltend machen, so dass es an einer Schlechterstellung fehlen dürfte.496 Hiergegen lässt sich der Einwand richten, dass unbeschränkt steuerpflichtigen Körperschaften die Möglichkeit der Anrechnung der KapESt gemäß § 31 Abs. 1 KStG i.V.m. § 36 Abs. 2 S. 2 Nr. 2 EStG auf die Körperschaftsteuerschuld der Muttergesellschaft zusteht, die aufgrund der Steuerbefreiung bei Dividenden, § 8b Abs. 1 KStG zu einer nahezu vollständigen497 Erstattung führt; bei einer beschränkt steuerpflichtigen Körperschaft findet eine Veranlagung hingegen nicht statt, die KapESt entfaltet vielmehr ungeachtet der Steuerbefreiung des § 8b Abs. 1 KStG Abgeltungswirkung, §§ 32 Abs. 1 Nr. 2 KStG, 43 Abs. 1 S. 3 EStG, und bleibt für Inbound-Investitionen somit definitiv bestehen.498 Diese Abgeltungswirkung kann insbesondere bei Portfolioinvestitionen mit guten Gründen als unionsrechtswidrig angesehen werden.499 Eine Ansicht lehnt dennoch eine Diskriminierung ab, da dies aufgrund der verfahrensrechtlichen Trennung von Abzugs- und Veranlagungsverfahren als gesondertes Problem zu betrachten sei.500 Die gegenteilige Auffassung wendet sich gegen eine solche formale Betrachtung, da jedenfalls die Folgen des Abzugsverfahrens für Steuerinländer und Steuerausländer durch die jeweiligen Erstattungsverfahren unterschiedlich abgemildert würden; der für beschränkt Steuerpflichtige vorgesehene Mechanismus werde durch § 50d Abs. 3 EStG 496 Renger, Treaty Shopping, S. 30 f.; Frotscher, EStG, § 50d Rn. 150, allerdings unter Begrenzung auf das Abzugsverfahren. Offen auch Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 21. Bei der besonderen Quellensteuer des § 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG ist die Sachlage von vornherein anders, da diese im Gegensatz zur KapESt nicht unterschiedslos greift, sondern nur bei beschränkt Steuerpflichtigen Vergütungsempfänger Anwendung findet. Die Tatsache, dass ein Quellensteuerverfahren nur für Steuerausländer stattfindet, ist jedoch per se noch keinen Verstoß gegen Grundfreiheiten begründen, da dies zur Sicherstellung der Steueraufsicht gerechtfertigt ist bzw. es insoweit doch an der Vergleichbarkeit fehlt, hierzu vgl. oben im 1. Teil, B.II.1.b.bb(3)(b)(ee), S. 156, aber insbesondere auch EuGH, Urteil vom 22.12.2008 – C-282/07 (Truck Center) – IStR 2009, 135 (137), Rn. 43 ff. Nach Frotscher, EStG, § 50d Rn. 150, entfällt diese Rechtfertigung, soweit sich die zusätzliche Einschränkung des § 50d Abs. 3 EStG als unionsrechtswidrig erweist. 497 Zu beachten ist das pauschalierte Betriebsausgabenabzugsverbot i.H.v. 5% gemäß § 8b Abs. 5 KStG, das im Regelfall zu einer entsprechenden Steuerlast führt; allerdings verbleiben tatsächliche Betriebsausgaben abziehbar (welche in der Praxis aber kaum bestehen). 498 Zu Steuerabzug, Veranlagung und Abgeltungswirkung im Lichte der beschränkten Steuerpflicht siehe schon in der Einleitung, C.II.1.b, S. 29. Siehe auch Frotscher, EStG, § 50d Rn. 150 ff.; Renger, Treaty Shopping, S. 30 f.; Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 21. 499 Siehe oben Einleitung C, bei Fn. 38, dort m.w.N., auch zur Gegenansicht. 500 Renger, Treaty Shopping, S. 30 f. Vgl. auch Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 21, dies im Ergebnis aber offen lassend.

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§ 50d Abs. 3 EStG

quasi durchbrochen, so dass bei wirtschaftlicher Betrachtung eine Schlechterstellung ausländischer Anteilseigner gegenüber inländischen jedenfalls im Erstattungsverfahren gegeben sei.501 Letztere Ansicht überzeugt vor dem Hintergrund der ständigen Rechtsprechung des EuGH. So vertritt dieser, dass sich zwar Dividenden beziehende gebietsansässige und gebietsfremde Anteilseigner in Bezug auf Maßnahmen zur Vermeidung oder Abschwächung der Doppelbesteuerung der von einer gebietsansässigen Gesellschaft ausgeschütteten Gewinne nicht unbedingt in einer vergleichbaren Situation befänden.502 Anders sei dies dann zu beurteilen, und eine Annäherung der Situation der gebietsfremden Anteilseigner an diejenige der gebietsansässigen Anteilseigner festzustellen, wenn ein Mitgliedstaat sämtliche Anteilseigner hinsichtlich der Dividenden, die sie von einer gebietsansässigen Gesellschaft beziehen, einseitig (oder im Wege eines Abkommens) der Einkommensteuer unterwerfe; der Grund hierfür liege darin, dass die Gefahr einer Doppelbesteuerung sodann allein schon durch die Ausübung der Steuerhoheit entstehe und der Sitzstaat dafür zu sorgen habe, dass die gebietsfremden Empfänger im Hinblick auf die Vermeidung der Doppelbesteuerung eine Behandlung erfahren, die der gebietsansässigen gleichwertig sei.503 Diese Rechtsprechung zur Vergleichbarkeit bei der Dividendenbesteuerung war bislang im Zusammenhang mit denjenigen Fällen relevant, die nicht in den Anwendungsbereich der MTRL fielen, sei es aufgrund des Unterschreitens der Mindestbeteiligung oder aus anderen Gründen;504 dennoch verpflichtete der EuGH die Mitgliedstaaten dazu, für eine gleichwertige Vermeidung der Doppelbesteuerung zu sorgen. Dies muss daher erst recht gelten, wenn eine Beteiligung in den Schutzbereich der MTRL fällt, da diese gerade das unions501 Frotscher, EStG, § 50d Rn. 150 f. Offen gelassen von Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 21: Es sei möglich dass die (unionsrechtswidrige) Abgeltungswirkung auf § 50d Abs. 3 EStG mittelbar durchschlage. 502 EuGH, Urteil vom 12.12.2006 – C-374/04 (ACT Group Litigation) – IStR 2007, 138 (151), Rn. 57 ff.; EuGH, Urteil vom 14.12.2006 – C-170/05 (Denkavit France) – DStRE 2007, 289 (292), Rn. 34; EuGH, Urteil vom 08.11.2007 – C-379/05 (Amurta) – IStR 2007, 853 (855), Rn. 37; EuGH, Urteil vom 19.11.2009 – C-540/07 (Kommission/Italien) – DStRE 2009, 1444 (1446), Rn. 51. 503 EuGH, Urteil vom 12.12.2006 – C-374/04 (ACT Group Litigation) – IStR 2007, 138 (151), Rn. 68 ff.; EuGH, Urteil vom 14.12.2006 – C-170/05 (Denkavit France) – DStRE 2007, 289 (292), Rn. 35; EuGH, Urteil vom 08.11.2007 – C-379/05 (Amurta) – IStR 2007, 853 (855), Rn. 38 f.; EuGH, Urteil vom 19.11.2009 – C-540/07 (Kommission/Italien) – DStRE 2009, 1444 (1446), Rn. 52 f. 504 Die Mindestbeteiligung fehlte etwa in EuGH, Urteil vom 08.11.2007 – C-379/05 (Amurta) – IStR 2007, 853; EuGH, Urteil vom 19.11.2009 – C-540/07 (Kommission/Italien) – DStRE 2009, 1444; in EuGH, Urteil vom 01.10.2009 – C-247/08 (Gaz de France)– IStR 2009, 774, scheiterte die Anwendbarkeit an der Rechtsform.

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Kollisionsfragen

rechtliche Element ist, um die Vermeidung der Doppelbesteuerung zwischen verbundenen Unternehmen sicherzustellen und insoweit die grundfreiheitlichen Anforderungen konkretisiert. Der Quellenstaat ist demnach aufgrund der Grundfreiheiten verpflichtet, ein Erstattungsverfahren vorzuhalten, das bei grenzüberschreitenden Fällen insgesamt eine den rein innerstaatlichen Fällen vergleichbare Steuerlast gewährleistet. Die formelle Trennung in unterschiedliche Verfahren steht demnach einer Vergleichbarkeit nicht entgegen; infolge des Vorbehalts des § 50d Abs. 3 EStG i.V.m. Art. 1 Abs. 2 MTRL werden beschränkt steuerpflichtige Gesellschaften im Hinblick auf die definitive Steuerbelastung des Dividendenbezugs auch unzweifelhaft schlechter gestellt, so dass typischerweise eine relevante Diskriminierung vorliegt. Zudem ist zu berücksichtigen, dass die Missbrauchsvorbehalte nach der oben dargestellten Rechtfertigungslösung zugleich die echte Ansässigkeit im Sinne der Berechtigung zur Grundfreiheitsträgerschaft überprüfen – indes gilt dies nur gegenüber ausländischen Dividendenempfängern, so dass auch aus diesem Grunde ein diskriminierender Eingriff vorliegt. Die erforderliche unionsweite Auslegung des Art. 1 Abs. 2 MTRL, dessen Verhältnis zum Primärrecht vorliegend in Frage steht, dürfte ohnehin unter Vernachlässigung der Besonderheiten der nationalen Umsetzungsakte zu prüfen sein. cc.

DBA-Fall und Aufteilung der Besteuerungsbefugnis

Aufgrund der umfangreichen Gewährleistung des Sekundärrechts spielen Vergünstigungsansprüche aus Doppelbesteuerungsabkommen zwischen den Mitgliedstaaten praktisch kaum noch eine Rolle, insbesondere seitdem das Mindestbeteiligungserfordernis auf 10% gesenkt wurde. Theoretisch sind diese aber weiterhin neben der MTRL anwendbar, vgl. Art. 7 Abs. 2 MTRL.505 Mit der oben dargelegten Argumentation wäre der Vorbehalt auch diesen Gestaltungen gegenüber als äußerst problematisch im Lichte der Grundfreiheiten anzusehen; aus der Rechtsprechung des EuGH ließe sich insbesondere eine Verpflichtung zur Vermeidung der Doppelbesteuerung ableiten. Es kommt insoweit wohl nicht in Frage, ähnlich der Argumentation im Rahmen des Art. 28 DBA-USA unter Rückgriff auf die Reziprozität der Doppelbesteuerungsabkommen die Vergleichbarkeit der Sachverhalte zu verneinen,506 da § 50d Abs. 3 EStG von der ausgehandelten Vermeidung der Doppelbesteuerung unilateral im Wege des Treaty Override abweicht. Dies ist zwar nicht per se uni505 Vgl. auch Hey, in: Lüdicke, Wo steht das deutsche Internationale Steuerrecht, S. 157. Für Vergünstigungen nach § 50g Abs. 1 EStG in Umsetzung der ZLRL wird dies in § 50g Abs. 5 EStG sogar ausdrücklich klargestellt; dies kann v.a. gewinnabhängige Zinszahlungen betreffen, hierzu Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50g Rn. 20. 506 Siehe A.II.2.e, S. 330 ff., sowie EuGH, Urteil vom 12.12.2006 – C-374/04 (ACT Group Litigation) – IStR 2007, 138.

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§ 50d Abs. 3 EStG

onsrechtswidrig, steht aber der Berufung auf die freie Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse zwischen den Mitgliedstaaten entgegen.507 Im Rahmen der sekundärrechtlichen Gewährleistung kommen diese Erwägungen von vornherein nicht zum Zuge, da die MTRL die Vermeidung der Doppelbesteuerung in Ihrem Anwendungsbereich verbindlich (und primärrechtskonform) konkretisiert hat und infolge dieser Harmonisierung ausnahmsweise doch schon Kriterien zur Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse existieren; von einer freien Aufteilung kann daher nicht die Rede sein.508 dd.

Zwischenergebnis und Maßstäbe

Zusammengefasst stellen sich diejenigen Gestaltungen, die von der sekundärrechtlichen Gewährleistung insbesondere des Art. 5 MTRL erfasst werden, typischerweise als schutzwürdige Ausübung der Grundfreiheiten dar; der im Wege der Öffnungsklausel des Art. 1 Abs. 2 MTRL ermöglichte Missbrauchsvorbehalt – im deutschen Recht: § 50d Abs. 3 EStG – stellt sich als Eingriff in diese Position dar. Der mögliche Drittstaatenbezug der weiteren Anteilseigner steht dem nicht entgegen, sondern führt auch im Lichte des Primärrechts zu einem solchen Vorbehalt, der sich auf die Ansässigkeit und damit die Grundfreiheitsberechtigung der Zwischengesellschaft bezieht und auf der Rechtfertigungsebene zu prüfen ist. In sachlicher Hinsicht erscheint hierfür die Niederlassungsfreiheit als prägend, da es sich regelmäßig um ein Problem der Zwischenschaltung einer Niederlassung (Zwischenniederlassung) handelt und die Regelung der MTRL insgesamt als einen Unternehmensverbund betreffend angesehen werden kann. Die aus dem Primärrecht – insbesondere der Niederlassungsfreiheit – abgeleiteten Missbrauchsmaßstäbe zeitigen daher auch für die Öffnungsklausel des Art. 1 Abs. 2 MTRL Wirkung. Unter der Prämisse, dass die Anwendungsvoraussetzungen der sekundärrechtlichen Gewährleistung erfüllt sind und daher ein Kollisionsfall zwischen nationalem Recht und Unionsrecht vorliegt, kommt es für den Maßstabsvorrang auf weitere Umstände des Einzelfalls wie den Sitz der Anteilseigner der Zwischengesellschaft und die Höhe der Beteiligung der Zwischengesellschaft an der inländischen Gesellschaft über die Mindestbeteiligung des Art. 3 Abs. 1 lit. a) MTRL hinaus grundsätzlich509 nicht

507 Hierzu im 1. Teil, D.II.2.c.dd(2), S. 259. 508 Das Fehlen unionsweiter Aufteilungskriterien ist auch nach ständiger Rechtsprechung des EuGH der entscheidende Ausgangspunkt der freien Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse, siehe bereits oben 1. Teil, B, Fn. 619. 509 Überlegenswert wäre allenfalls, dass sich mit sinkender Beteiligungshöhe auch die Anforderungen an die sog. Künstlichkeit abzumildern, hierzu im 1. Teil B.II.1.b.cc(4)(c), S. 175; vgl. auch Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 23. Dies ist nach hier vertretener Auffassung aber im Rahmen der angemessenen Substanzausstat-

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Kollisionsfragen

mehr an, da der normative Maßstab auf Ebene der sekundärrechtlichen Norm nicht unterschiedlich ausfallen kann. Vorbehalte im Sinne des Art. 1 Abs. 2 MTRL müssen als Maßstab daher von einer künstlichen Gestaltung, d.h. einer jeder wirtschaftlichen Realität baren Gestaltung ausgehen. Eine Typisierung ist zwar zulässig, muss aber verhältnismäßig ausgestaltet sein. Jedenfalls bei Vorliegen einer sachlichen Vermutungsbasis, die über die Gründung einer Gesellschaft im Ausland hinausgeht, ist nicht zu beanstanden, dass im konkreten Fall der Steuerpflichtige zum Nachweis der tatsächlichen Ansiedlung und Ausübung einer wirklichen wirtschaftlichen Tätigkeit verpflichtet ist; die Norm darf insoweit bei abstrakter Betrachtung nicht über das erforderliche Maß hinausgehen, etwa indem unsachgerecht und/oder in Verkennung der sich aus dem Begriff der Künstlichkeit ergebenden Maßstäbe typisiert wird (abstrakte Prüfungsebene). In jedem Fall aber ist die Möglichkeit eines Gegenbeweises im Einzelfall – im Sinne eines subjektiven Motivtests – erforderlich, um so den Vorrang des Maßstabs der Künstlichkeit umfassend zu gewährleisten (konkrete Prüfungsebene).510 An diesen Vorgaben muss sich die unilaterale Vorschrift des § 50d Abs. 3 EStG messen lassen. c.

Rechtfertigung als Missbrauchsvorschrift

Die rechtskreisübergreifende Kollision zwischen § 50d Abs. 3 EStG und den unionsrechtlichen Maßstäben hängt mithin davon ab, ob die unilaterale Norm den zuvor aufgezeigten Maßstäben gerecht wird; in diesen Fällen ist eine Rechtfertigung der Norm als Missbrauchsvorschrift im Sinne des Art. 1 Abs. 2 MTRL möglich. Anderenfalls ist die Kollision aufgrund des Zuordnungskriteriums des Anwendungsvorrangs zugunsten des Unionsrechts aufzulösen, d.h. die nationale Norm gegenüber solchen Sachverhalten unanwendbar, die sich auf die sekundärrechtliche Gewährleistung berufen können, sofern § 50d Abs. 3 EStG nicht unionskonform ausgelegt bzw. im Wege der geltungserhaltenden Reduktion oder auf andere Weise kollisionsfrei angewendet werden kann. aa.

Abstrakte Prüfungsebene: Vermutungsbasis der Typisierung und Orientierung am Maßstab der Künstlichkeit

Bei einer typisierenden Missbrauchsvorschrift greifen der Vorrang des Maßstabs der Künstlichkeit und das Erfordernis der verhältnismäßigen Ausgestaltung auf einer ersten, abstrakten Prüfungsebene ineinander: Nur dann, wenn tung bei bloßen Kapitalanlage- und Finanzierungstätigkeiten als relevante eigene Wirtschaftstätigkeit ohnehin zu berücksichtigen (auch bei höherer Beteiligung). 510 Siehe ausführlich 1. Teil, B.II.1.b.cc, S. 158 ff.; zusammenfassend unter B.III.3, S. 212. Vgl. auch die im Ergebnis weitgehend gleichen Ansichten in Fn. 454 und 456.

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§ 50d Abs. 3 EStG

sich deren Tatbestand abstrakt am Maßstab der Künstlichkeit orientiert, liegt eine ausreichende Vermutungsbasis vor, die es gestattet, dem Steuerpflichtigen die Nachweislast und damit eine verfahrensrechtlich nachteilige Position aufzubürden. Auf die Widerlegbarkeit der Typisierung kommt es hier noch nicht an, dies ist in einem zweiten Schritt (konkrete Prüfungsebene) zu überprüfen; aus diesem Grunde ist es für die abstrakte Prüfung auch unerheblich, dass in Einzelfällen trotz einer Subsumtion unter die typisierenden Tatbestandsmerkmale der nationalen Vorschrift auch nicht missbräuchliche Gestaltungen – gemessen am Maßstab des Unionsrechts – betroffen sein können. Zu prüfen ist daher, ob sich § 50d Abs. 3 EStG in diesem Sinne abstrakt an künstlichen Gestaltungen orientiert und somit eine verhältnismäßige Vermutungsbasis schafft. Aufgrund der Systematik der Norm bietet sich zunächst eine Einzelbetrachtung der verschiedenen Tatbestandsmerkmale an, deren Ergebnisse sodann in eine abschließende Gesamtbetrachtung einzubeziehen sind. (1)

Einzelbetrachtung

(a)

Persönliche Voraussetzungen, § 50 Abs. 3 S. 1 Hs. 1 EStG

Im Rahmen der Einzelbetrachtung ist auch auf die persönlichen Voraussetzungen des § 50d Abs. 3 S. 1 Hs. 1 EStG einzugehen, welche eine ausländische Gesellschaft erfordern, an der nicht erstattungsberechtigte Personen beteiligt sind. Aus dem Blickwinkel des Unionsrechts kann allein dadurch noch nicht das objektive Element des Missbrauchs begründet werden; insbesondere reicht hierfür nicht allein der tatsächliche Umstand der Gründung von Tochtergesellschaften aus.511 Der Umstand der Ansässigkeit von Gesellschaften im Ausland soll zudem gerade durch die verschiedenen Regelungen zur Förderung des Binnenmarktes als Unterscheidungskriterium eliminiert werden. Andererseits liegt in der Beteiligung von Ansässigen aus Drittstaaten, die nicht erstattungsberechtigt im Sinne der Richtlinie wären, der ursprüngliche Anlass zur Überprüfung der echten Ansässigkeit der Zwischengesellschaft i.S.d. Art. 54 Abs. 1 AEUV (Art. 48 Abs. 1 EG) und mithin deren Berechtigung als Grundfreiheitsträger. Im Sinne der Rechtfertigungslösung ist ein derartiger Missbrauchsvorbehalt unter diesen Voraussetzungen nicht nur tauglicher Ansatzpunkt, sondern sogar geboten. Alleine kann dies jedoch nicht genügen, da die Anteilseigner einer Dividenden empfangenden Gesellschaft im Inland keiner derartigen Prüfung ausgesetzt sind; es muss daher ein weiteres, objektives Element im Sinne der Künstlichkeit hinzutreten. Dies ist aber auch in § 50d Abs. 3 EStG so vorgesehen, da zu den persönlichen Voraussetzungen eines der sachlichen Tatbestandsmerkmale hinzutreten muss, die insoweit die Funkti511 EuGH, Urteil vom 12.09.2006 – C-196/04 (Cadbury Schweppes) – IStR 2006, 670 (673), Rn. 50. Zustimmend Schön, in: FS Reiß, S. 587.

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Kollisionsfragen

onslosigkeit der ausländischen Gesellschaft typisieren; diese müssen sich an künstlichen Gestaltungen orientieren. (b)

Fehlen eines wirtschaftlichen Grundes, § 50d Abs. 3 S. 1 Nr. 1 EStG

Schon das Fehlen eines wirtschaftlichen (oder sonst beachtlichen) Grundes für die Einschaltung der Gesellschaft als erstgenannte sachliche Tatbestandsalternative weicht von dieser Maßgabe ab – indes schon konzeptionell, da hiermit nicht das objektive Element der Künstlichkeit in Rede steht, sondern das subjektive Element der Missbrauchsabsicht; der Nachweis wirtschaftlicher Gründe muss insoweit als Gegenbegriff hierzu verstanden werden.512 Insbesondere ist die Diskrepanz zwischen der hier vorliegenden Ausgestaltung als sachliches, alternatives Tatbestandsmerkmal und dem unionsrechtlichen Erfordernis eines subjektiven Motivtests zu untersuchen; nach dem oben dargelegtem Schema ist dies jedoch eine Frage des zweiten Prüfungsschrittes und daher noch gesondert zu behandeln. An dieser Stelle mag man allenfalls feststellen, dass durch das Fehlen eines wirtschaftlichen Grundes jedenfalls in subjektiver Hinsicht von einem Missbrauch ausgegangen werden kann. Unter Vernachlässigung dieses Unterschiedes könnte allerdings schon auf abstrakter Prüfungsebene kritisiert werden, dass ein wirtschaftlicher Grund i.S.d. Nr. 1 mitunter stets in Bezug auf eine Zwischenschaltung gerade im Ausland gefordert wird;513 im Hinblick auf die erstrebte Gleichstellung inländischer und ausländischer Gesellschaften im Wege der Niederlassungsfreiheit darf es hierauf jedoch nicht ankommen.514 Aus dem gleichen Grunde darf auch der Aspekt der Konzernstrategie nicht außer Acht gelassen werden,515 so dass entsprechende strukturelle Erwägungen der Anteilseigner sehr wohl Berücksichtigung finden können; eine solche Auslegung des Abs. 3 S. 2 i.V.m. Nr. 1 ist aber schon nach nationalem Recht geboten und auch möglich.516 Auch über diese Punkte hinaus ist aufgrund des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts schon bei isolierter Betrachtung der Nr. 1 eine weite Auslegung der wirtschaftlichen Gründe geboten. 512 Siehe ausführlich im 1. Teil, B.II.1.b.cc(5), S. 176. 513 Vgl. BFH, Urteil vom 29.07.1976 – VIII R 41/74 – BStBl II 1977, 261 (263); Renger, Treaty Shopping, S. 11 f. 514 Haarmann, in: FS Djanani, S. 291; Klein/Hagena, in: H/H/R, § 50d EStG Rn. 56. Siehe außerdem Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50d Rn. 28c; Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 123, zur Unbeachtlichkeit fiktiv-alternativer Sachverhaltsverwirklichung, so dass das Argument nicht greift, der jeweiligen Rechtfertigung wäre auch durch eine im Inland ansässige Gesellschaft genüge getan. 515 Frotscher, EStG, § 50d Rn. 155; Micker, FR 2009, 409 (412). Vgl. auch Eilers/Schneider, in: StbJb 2007/08, S. 185, allerdings bezogen auf das Verbot der Merkmalsübertragung als Ganzes. 516 Siehe oben B.I.2.b.bb(3), S. 381.

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§ 50d Abs. 3 EStG

(c)

Eigene Wirtschaftstätigkeit und deren Umfang, § 50d Abs. 3 S. 1 Nr. 2, S. 3 Alt. 1 EStG

Die Regelung des S. 1 Nr. 2, die eine eigene Wirtschaftstätigkeit im Umfang von mehr als 10% der gesamten Bruttoerträge erfordert, steht im Schrifttum ganz besonders in der Kritik: Diese gehe weit über den Maßstab der Künstlichkeit hinaus,517 überschreite die Grenzen der Typisierungsmöglichkeit518 und sei ungeeignet, missbräuchliche Gestaltungen von schützenswerten Holdinggesellschaften zu unterscheiden.519 Zur Überprüfung der Berechtigung dieser Kritik erscheint eine Differenzierung notwendig zwischen der grundsätzlichen Erforderlichkeit einer eigenen Wirtschaftstätigkeit, den Voraussetzungen, unter denen eine solche angenommen werden kann, und der in der Neufassung erstmals enthaltenen Typisierung deren Umfangs. Ersteres kann schon deshalb nicht bestritten werden, da der EuGH die künstliche Gestaltung als Gegenbegriff zu einer tatsächlichen Ansiedlung mit einer wirklichen wirtschaftlichen Tätigkeit konzipiert hat;520 von daher kann es nur um die nähere Ausgestaltung dieser Tätigkeit gehen. Der Maßstab des Unionsrechts geht hierbei aber richtigerweise von keiner besonderen Form der Aktivitätsentfaltung aus, speziell eine Unterscheidung zwischen „aktiven“ und „passiven“ Tätigkeiten ist grundsätzlich unerheblich.521 In diesem Lichte muss auch die Einschränkung des S. 3 Alt. 1 gesehen werden, die die Verwaltung von Wirtschaftsgütern von der eigenen Wirtschaftstätigkeit i.S.d. S. 1 Nr. 2 ausschließen will. In jedem Fall sind daher Verwaltungs- bzw. Vermietungsgesellschaften, die etwa aufgrund des Umfangs ihrer Tätigkeit oder aufgrund der Verwaltung fremder Wirtschaftsgüter nach allgemeinen Kriterien als einer gewerblichen Tätigkeit vergleichbar anzusehen sind bzw. auch innerstaatlich als solche qualifiziert würden (§ 15 Abs. 2 EStG), keinesfalls als künstlich anzusehen522 und dürfen daher nicht durch S. 3 Alt. 1 ausgeschlossen werden, da ansonsten schon ein abstraktes Abweichen vom vorrangigen Maßstab festzustellen wäre. 517 Haarmann, in: FS Djanani, S. 294; Klein, in: H/H/R, Jahresband 2007, § 50d EStG Rn. J 06-5; Kaiser, IStR 2009, 121 (128). 518 Eilers/Schneider, in: StbJb 2007/08, S. 185; Günkel/Lieber, DB 2006, 2197 (2199); Micker, FR 2009, 409 (412). 519 Haarmann, in: FS Djanani, S. 287; Kessler/Eicke, DStR 2007, 781 (782). Vgl. auch Wiese/Süß, GmbHR 2006, 972 (975), die einen Verstoß gegen die MTRL daraus ableiten, dass die Fälle des § 50d Abs. 3 EStG nur einen Randbereich betreffen sollen. 520 EuGH, Urteil vom 12.09.2006 – C-196/04 (Cadbury Schweppes) – IStR 2006, 670 (674), Rn. 54. 521 Siehe im 1. Teil, B.II.1.b.cc(4)(a), S. 170, m.w.N., insbesondere Fn. 743. 522 Vgl. auch oben B.I.2.b.cc(5), S. 394, insbesondere bei Fn. 190 f.; Micker, FR 2009, 409 (413).

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Kollisionsfragen

Angelehnt an das entscheidende Kriterium des EuGH zur Entwicklung der Künstlichkeit aus dem Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit523 muss es auch im Bereich der Verwaltung von Wirtschaftsgütern allgemein gesprochen stets darauf ankommen, ob in dieser eine Teilnahme am Wirtschaftsleben des aufnehmenden Mitgliedstaates zum Ausdruck kommt, die zumindest nicht völlig unbeachtlich ist; Indiz hierfür dürfte vor allem sein inwieweit die Gesellschaft auch tatsächlich nach außen hin auftritt. S. 3 Alt. 1 ließe sich auf diese Weise auch unionsrechtskonform eng auslegen, schon da dies in der Gesetzesbegründung nicht als unbedingter, sondern nur als regelmäßiger Ausschluss angedacht war.524 Für die am heftigsten umstrittene Fallgruppe der Beteiligungsverwaltung bedeutet dies, dass sich jedenfalls solche Einschränkungen der „aktiven“ Beteiligungsverwaltung nicht mehr mit der Künstlichkeit vereinbaren lassen, die über das dargestellte Maß hinausgehen. Vor allem muss daher bei entsprechender Führungsintensität die geschäftsleitende Funktion nur in Bezug auf eine Tochtergesellschaft als ausreichend erachtet werden; die von der Finanzverwaltung insoweit geforderte Einschränkung525 würde daher zu einer unionsrechtswidrigen Anwendung führen. Ebenso ist für die Annahme von Führungsentscheidungen keineswegs eine vollständige Konzernleitung zu verlangen.526 Auch Tätigkeiten der passiven Beteiligungsverwaltung – und damit reine Holdinggesellschaften – dürfen nach diesen Maßstäben nicht vollkommen von der eigenen Wirtschaftstätigkeit ausgeschlossen werden, wenn zumindest in der Inanspruchnahme von Leistungen durch die Zwischengesellschaft eine solche hinreichende Teilnahme am Wirtschaftsverkehr zum Ausdruck kommt.527 Diese Frage ist dann aber der Nr. 3 zugehörig und darf damit bei der hier gebotenen Einzelbetrachtung des S. 1 Nr. 2 nicht zu einem Verstoß auf der abstrakten Prüfungsebene führen: Bei Unterstellung der Möglichkeit eines Gegenbewei523 EuGH, Urteil vom 12.09.2006 – C-196/04 (Cadbury Schweppes) – IStR 2006, 670 (674), Rn. 53 f. 524 BT-Ds. 16/2712, S. 60. Vgl. auch Günkel/Lieber, Ubg 2008, 383 (386). Bei gegenteiliger Sichtweise müsste man von der Unanwendbarkeit des S. 3 Alt. 1 ausgehen, die Regelung des S. 1 Nr. 2 würde aber mit unionskonformer Auslegung des Begriffs eigener Wirtschaftstätigkeit bestehen bleiben. 525 BMF, Schreiben vom 03.04.2007 – IV B 1 - S 2411/07/0002 (Anwendungserlass § 50d Abs. 3 EStG) – DStR 2007, 719 (720), Tz. 6.2. 526 Vgl. schon oben B.I.2.b.cc(2), S. 385, insbesondere bei Fn. 149. 527 Siehe im 1. Teil, B.II.1.b.cc(4)(a), S. 170, und Fn. 741; sowie Schön, in: FS Reiß, S. 587, zur Integration in den anderen Mitgliedstaat. Becker/Thömmes, DB 1991, 566 (566); Bron, DB 2007, 1273 (1275); Frotscher, EStG, § 50d Rn. 155; Renger, Treaty Shopping, S. 40 und 42, verweisen hierzu auf die Kapitalverkehrsfreiheit; dies allein dürfte aufgrund der Prägung des Regelungsgegenstandes durch die Niederlassungsfreiheit nicht entscheidend sein.

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§ 50d Abs. 3 EStG

ses bzw. unter Ausblendung der Alternativität der sachlichen Voraussetzungen kann die fehlende „aktive“ Leistungserbringung am Markt durchaus zumindest als Indiz für eine missbräuchliche Gestaltung gewertet werden. Dies gilt gleichermaßen für die Frage, ob die eigenwirtschaftliche Tätigkeit im Sitzstaat der antragstellenden Gesellschaft ausgeübt werden muss.528 Die Erforderlichkeit eine Teilnahme am dortigen Wirtschaftsleben und damit eine echte Integration im anderen Mitgliedstaat kann auch diesbezüglich auf Seite der Inanspruchnahme von Leistungen geschehen und wäre dann S. 1 Nr. 3 zugehörig, der fehlende Bezug der aktiven Leistungserbringung zum Ansässigkeitsstaat muss aber zumindest als Indiz gewertet werden; die endgültige Bewertung der Orientierung an den Maßstäben der Künstlichkeit liegt daher abstrakt in der Verknüpfung der sachlichen Tatbestandsvoraussetzungen und konkret in der möglicherweise fehlenden Gegenbeweismöglichkeit gegenüber potentiellen Indizien. Zudem ist bei unionskonformer Auslegung die Erbringung von geschäftsleitenden Funktionen gegenüber einer Beteiligung in anderen Staaten mittels eigener Ausstattung ohnehin als im Ansässigkeitsstaat ausgeübt anzusehen.529 Zuletzt verbleibt noch die Frage nach der Typisierung des erforderlichen Umfangs der eigenen Wirtschaftstätigkeit durch die 10%-Grenze. In diesem Zusammenhang wird kritisiert, es gebe keinen Anhaltspunkt für ein prozentuales Mindestmaß im Unionsrecht, dies sei völlig willkürlich.530 Andere erkennen insoweit einen Einschätzungsspielraum an, der noch vom Erfordernis einer echten Geschäftstätigkeit gedeckt sei.531 Es muss dabei berücksichtigt werden, dass die Festlegung einer prozentualen Geringfügigkeitsgrenze bzw. (aus der umgedrehten Perspektive) eines Mindestumfangs gerade den Kern einer Typisierungsmöglichkeit betrifft; dass eine unbedeutende Integration nicht ausreichen darf, erscheint auch im Lichte der Künstlichkeit als berechtigtes Regelungsinteresse. Problematisch ist aber durchaus die rechnerische Konzeption der Prozentgrenze, da deren Erreichen durch bestimmte Bruttoerträge erschwert werden kann, die keineswegs auf eine missbräuchliche Gestaltung hindeuten, da sie aus Drittstaaten stammen oder gar nicht dem Steuerabzug an der Quelle unterliegen. Soweit dem nicht schon durch eine entsprechende unionskonforme Auslegung des Begriffs der Bruttoerträge Rechnung getragen 528 BMF, Schreiben vom 03.04.2007 – IV B 1 - S 2411/07/0002 – DStR 2007, 719 (721), Tz. 6.4. 529 Siehe wiederum oben B.I.2.b.cc(4), S. 391. 530 Bron, DB 2007, 1273 (1275); Wiese/Süß, GmbHR 2006, 972 (975). Vgl. auch Micker, FR 2009, 409 (412) zur Gefahr einer starren Handhabung der 10%-Grenze. 531 Frotscher, EStG, § 50d Rn. 154; siehe auch Kessler/Eicke, IStR 2006, 577 (579), zur gesetzgeberischen Einschätzungsprärogative im Rahmen der verfassungsrechtlichen Beurteilung.

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Kollisionsfragen

werden kann532 stellen sich die Fälle indes als Problem des fehlenden Gegenbeweises im Einzelfall und damit der zweiten Prüfungsebene dar, da ein unbedeutender Anteil der eigenwirtschaftlichen Tätigkeit die Vermutung der Missbräuchlichkeit rechtfertigt. (d)

Angemessen eingerichteter Geschäftsbetrieb, § 50d Abs. 3 S. 1 Nr. 3 EStG

Nach Ansicht des EuGH muss eine tatsächliche Ansiedlung mit wirklicher wirtschaftlicher Tätigkeit auf objektiven, von dritter Seite nachprüfbaren Anhaltspunkten beruhen, die sich u.a. auf das Ausmaß des greifbaren Vorhandenseins der beherrschten ausländischen Gesellschaft in Form von Geschäftsräumen, Personal und Ausrüstungsgegenständen beziehen.533 Die Substanzanforderungen des S. 1 Nr. 3 sind damit Teil der Unterscheidung zwischen künstlicher Gestaltung und echter Niederlassung und daher unionsrechtlich zu akzeptieren.534 Ebenso hierher gehört die Frage der ausreichenden Integration bei „passiven“ Tätigkeiten und im Zusammenhang mit dem Ort der ausgeübten Tätigkeit. Mit der Forderung nach einer Präsenz im Ansässigkeitsstaat und damit einer Integration vor Ort ist es zudem zu vereinbaren, dass S. 3 Alt. 2 der Übertragung der wesentlichen Geschäftstätigkeiten auf Dritte entgegensteht, auch da damit das Outsourcing nicht per se ausgeschlossen wird, sondern nur im Hinblick auf diejenigen Tätigkeiten zu sehen ist, die die eigene Wirtschaftstätigkeit begründen.535 Denn im Lichte des § 50d Abs. 3 EStG geht es gerade darum, dass zwischen der bestehenden inländischen Gesellschaft und den eigentlichen Anteilseignern eine weitere Gesellschaft zwischengeschaltet wird – deren Rechtfertigung entfällt, wenn die maßgebliche Tätigkeit ohnehin von Dritten vorgenommen wird, die unter Umständen noch dazu vordergründig den Anteilseigner zuzurechnen sind. In diesem Sinne hat auch der BFH in der Entscheidung SOPARFI das Auslagern der wesentlichen Entscheidungen auf Dritte – und erst recht auf die Anteilseigner der Zwischengesellschaft bzw. diesen nahestehende Personen – als Anzeichen gegen eine eigene wirtschaftliche Tä-

532 Hierzu oben B.I.2.b.cc(6), S. 396. 533 EuGH, Urteil vom 12.09.2006 – C-196/04 (Cadbury Schweppes) – IStR 2006, 670 (674), Rn. 67. 534 Siehe oben 1. Teil, B, Fn. 732, sowie Hey, in: Lüdicke, Wo steht das deutsche Internationale Steuerrecht, S. 165 f.; Micker, FR 2009, 409 (413); Schön, in: FS Reiß, S. 587. Auch GA Léger, Schlussanträge vom 02.05.2006 – C-196/04 (Cadbury Schweppes) – EuGHE I 2006, 7995 (8026), Rn. 111 ff. stellt (u.a.) auf den Grad der materiellen Präsenz der Tochtergesellschaft im Aufnahmestaat ab. 535 Vgl. auch Frotscher, EStG, § 50d Rn. 156.

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§ 50d Abs. 3 EStG

tigkeit im Sinne des unionsrechtlichen Maßstabs der Künstlichkeit angesehen.536 Vor diesem Hintergrund ist auch die isolierte Betrachtungsweise des S. 2 in Bezug auf S. 1 Nr. 1 und Nr. 2 nicht zu beanstanden. Soweit dadurch aber eine begründete Auslagerung innerhalb des Ansässigkeitsstaates der Zwischengesellschaft erschwert wird, welche im Ergebnis einer Kennzeichnung als missbräuchlich entgegenstehen kann, handelt es sich wiederum um ein Problem des Gegenbeweises, da die Künstlichkeit bei isolierte Betrachtung jedenfalls als ausreichende Vermutungsbasis erachtet werden kann. (e)

Ausnahmeregelungen, § 50d Abs. 3 S. 4 EStG

Als Ausnahmeregelung zum Vorbehalt des Missbrauchs können weder die Börsenklausel, S. 4 Alt. 1, noch die Sonderregel für Investmentgesellschaften, S. 4 Alt. 2, einen Verstoß gegen den unionsrechtlichen Maßstab begründen, da es den Mitgliedstaaten frei steht, hinter dessen Anforderungen zurückzubleiben und eine freiheitsschonendere Regelung zu treffen. (2)

Gesamtbetrachtung und Zwischenergebnis

Bei Einzelbetrachtung orientieren sich die in § 50d Abs. 3 EStG enthaltenen sachlichen Tatbestandsvoraussetzungen also durchaus am Maßstab der Künstlichkeit als objektives Element des Missbrauchs im Sinne des Unionsrechts bzw. sprechen für eine subjektive Missbrauchsabsicht; in problematischen Einzelfragen ist darüber hinaus jedenfalls eine unionskonforme Auslegung möglich. Womöglich anders zu sehen ist dies, wenn im Wege der Gesamtbetrachtung der Normtatbestand als Ganzes auf seine Eignung als abstrakte Typisierung des Missbrauchs zu untersuchen ist. Nach einer Ansicht solle allenfalls das gehäufte Auftreten der drei Haupttatbestandsmerkmale auf einen Missbrauch hindeuten; hier zeige sich deutlich die Alternativverknüpfung der sachlichen Voraussetzungen als das „Grundübel“ des § 50d Abs. 3 EStG.537 Andere hingegen betonen, dass jedes der alternativen Tatbestandsmerkmale einen Missbrauch auch im Sinne des Unionsrechts zumindest indizieren könne, und sich nur die fehlende Gegenbeweismöglichkeit als Verstoß erweise.538

536 BFH, Urteil vom 29.01.2008 – I R 26/06 (SOPARFI) – IStR 2008, 364 (365 f.). Süß/Mayer-Theobald, IStR 2011, 114 (115), ist mithin zu widersprechen, soweit diese im Verbot des Outsourcing per se einen Konflikt mit den unionsrechtlichen Maßstäben erachten. Die fehlende Möglichkeit des Gegenbeweises ist hiervon getrennt zu beurteilen. 537 Grotherr, RIW 2006, 898 (909); Kessler/Eicke, DStR 2007, 781 (782 f.); Korts, IStR 2007, 663 (665). Vgl. auch die Nachweise unter Fn. 441. 538 Frotscher, EStG, § 50d Rn. 158; Hahn-Joecks, in: K/S/M, EStG, § 50d Rn. A 37a; ähnlich Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 23. Siehe auch Wagner,

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Kollisionsfragen

Vor dem Hintergrund der hier bevorzugten Unterscheidung zwischen abstrakter und konkreter Prüfungsebene ist der zweiten Ansicht zuzustimmen. Denn der erforderliche subjektive Motivtest hat seine Funktion gerade darin, das Vorliegen eines Missbrauchs im Einzelfall nach den Gesamtumständen und unter Einbeziehung der subjektiven Erwägungsgründe des Steuerpflichtigen am Maßstab der Künstlichkeit auszurichten; nur dann ist eine Typisierung auch im konkreten Fall verhältnismäßig. Auf der ersten, abstrakten Prüfungsebene geht es indes allein um die Verhältnismäßigkeit dieser nachteiligen Nachweislast, und damit darum, ob die typisierten Tatbestandsmerkmale als ausreichende Vermutungsbasis den Schluss auf eine künstliche Gestaltung nahelegen. Dies ist bei allen alternativen sachlichen Voraussetzungen der Fall, auch da hierzu die kumulativ zu prüfenden persönlichen Voraussetzungen mit einzubeziehen sind, die zwar nicht per se den Missbrauch indizieren, allerdings in Form der Zweifel an der Grundfreiheitsberechtigung zusätzliche Anhaltspunkte darstellen. Auch die Europäische Kommission hat in ihrer Stellungnahme zur Einleitung des Vertragsverletzungsverfahrens gemäß Art. 258 Abs. 1 AEUV (Art. 226 Abs. 1 EG) die Beanstandung auf das Fehlen einer Möglichkeit zum Nachweis des Gegenteils im Hinblick auf die Nr. 2 mit der Folge der Unverhältnismäßigkeit gestützt.539 bb.

Konkrete Prüfungsebene: Möglichkeit des Gegenbeweises im Einzelfall

Wie gezeigt betrifft die Möglichkeit des Gegenbeweises im Rahmen eines „subjektiven Motivtests“ die Verhältnismäßigkeit und den Vorrang der Maßstäbe auch im konkreten Fall. Die Rechtsprechung des EuGH hierzu ist äußerst streng: Eine nationale Regelung, die zur Feststellung einer künstlichen Konstruktion zu steuerlichen Zwecken eine Prüfung objektiver Umstände vorsieht, ist nur dann verhältnismäßig, wenn sie dem Steuerpflichtigen die Möglichkeit eines Gegenbeweises in jedem konkreten Verdachtsfall eröffnet; es ist stets eine strenge Einzelfallbetrachtung erforderlich, die bloße Subsumtion unter verselbständigte Tatbestandsmerkmale vermag diese nicht zu ersetzen.540 in: Blümich, ESt – KSt – GewSt, § 50d EStG Rn. 59: Die Tatbestandsmerkmale führen zu keiner Versagung der Entlastung „um jeden Preis“. 539 Pressemitteilung der Kommission vom 18.03.2010, IP/10/298; zu finden unter: http://ec.europa.eu/taxation_customs/common/infringements/infringement_cases/bycou ntry/index_de.htm. Zwar formuliert die Kommission „insbesondere“, nennt aber keine weiteren Anhaltspunkte einer Unverhältnismäßigkeit. 540 Grundlegend EuGH, Urteil vom 17.07.1997 – C-28/95 (Leur-Bloem) – IStR 1997, 539 (542), Rn. 41; bestätigt in jüngerer Zeit durch EuGH, Urteil vom 13.03.2007 – C-524/04 (Thin Cap Group Litigation) – IStR 2007, 249 (255), Rn. 82; EuGH, Urteil vom 21.01.2010 – C-311/08 (Société de Gestion Industrielle) – IStR 2010, 144 (148),

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§ 50d Abs. 3 EStG

§ 50d Abs. 3 EStG sieht eine solche Möglichkeit – anders als etwa § 8 Abs. 2 AStG – jedoch nicht ausdrücklich vor, da dessen S. 1 Nr. 1 nur als alternative sachliche Tatbestandsvoraussetzung konzipiert ist und die Norm unabhängig hiervon tatbestandsmäßig sein kann. In der Literatur findet sich daher ganz überwiegend das Verdikt der Unverhältnismäßigkeit und damit des Verstoßes gegen den Maßstab des Unionsrechts.541 Allerdings führt der Anwendungsvorrang nur dann zu einer Unanwendbarkeit, soweit nicht § 50d Abs. 3 EStG einer unionskonformen Auslegung oder geltungserhaltenden Reduktion zugänglich ist, und auf diese Weise ein subjektiver Motivtest geschaffen und die Kollision aufgelöst werden kann. In diesen Fällen würde die einschlägige Kollisionsregel bereits bei der Bestimmung des Norminhalts Berücksichtigung finden.542 Einige Autoren sehen tatsächlich auch diesbezüglich eine Möglichkeit der unionskonformen Auslegung, und möchten dies im Rahmen der einzelnen Tatbestandsmerkmale berücksichtigen.543 Die wohl herrschende Literatur lehnt dies hingegen unter Berufung auf die Grenze des Wortsinns ab.544 Dem ist insoweit zuzustimmen, als eine objektive Verankerung der Widerlegbarkeit innerhalb der aufgeführten Tatbestandsmerkmale gerade nicht ausreichend ist, die gezeigten unionsrechtlichen Maßstäbe wenden sich explizit hiergegen. Mithin liegt die Sachlage hier anders als im Rahmen der verfassungsrechtlichen Würdigung des § 50d Abs. 3 EStG, da dort eine Typisierung auch der Rechtfertigung zulässig ist und daher die Norm aufgrund einer solchen Ausle-

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Rn. 66. Aus der Literatur siehe Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50d Rn. 26; Lang, SWI 2006, 273 (283); Micker, FR 2009, 409 (411). Siehe ausführlich auch im 1. Teil, B.II.1.b.cc(6), S. 179 m.w.N. Bron, DB 2007, 1273 (1275); Eilers/Schneider, in: StbJb 2007/08, S. 185; Frotscher, EStG, § 50d Rn. 159; Günkel/Lieber, Ubg 2008, 383 (383); Haarmann, in: FS Djanani, S. 294; Kaiser, IStR 2009, 121 (128); Kempf/Meyer, DStZ 2007, 584 (589); Kessler/Eicke, DStR 2007, 781 (786). Korts, IStR 2007, 663 (665), kritisiert besonders eine Art „Rosinentheorie“ der Finanzverwaltung, indem in Form der Substanzanforderungen Teile der EuGHRechtsprechung verwertet werden, aber die zugehörigen Teile in Form des Motivtests unterschlagen werden. Hierzu im 1. Teil, D.II.2.a, S. 225 (allgemein), sowie D.II.2.c.aa(1), S. 234 (zum Anwendungsvorrang). Prokisch, in Vogel/Lehner, DBA, Art. 1 Rn. 133b; Wagner, in: Blümich, ESt – KSt – GewSt, § 50d EStG Rn. 59. Vgl. auch Micker, FR 2009, 409 (411 ff.), allerdings mit zusätzlichem Ansatz (dazu sogleich). Frotscher, EStG, § 50d Rn. 158 f.; Hahn-Joecks, in: K/S/M, EStG, § 50d Rn. A 37a; Hofmann, § 50d Abs. 3 EStG, S. 33; Renger, Treaty Shopping, S. 43 f. Gegen die Möglichkeit einer einschränkenden Auslegung siehe insbesondere auch Gabel, Spezielle Missbrauchsnormen, S. 206, da dies der Unwiderlegbarkeit widerspreche. Vgl. auch BFH, Beschluss vom 04.09.2002 – I R 21/01 – BStBl II 2003, 306 (310).

Kollisionsfragen

gung als (gerade) noch verhältnismäßig angesehen werden kann;545 die Verhältnismäßigkeitsprüfung im Lichte des Unionsrechts ist insoweit strenger. Fraglich ist indes, ob § 50d Abs. 3 EStG nicht auf andere Weise – d.h. außerhalb der Auslegung der ausdrücklich genannten Tatbestandsmerkmale – eine Möglichkeit des Gegenbeweises zulässt. Da dies über den Wortsinn des Gesetzes hinausgeht und mithin die Grenzen der Auslegung überschreitet, könnte insoweit eine unionskonforme Rechtsfortbildung im Wege der geltungserhaltenden Reduktion in Betracht kommen, welche der Rechtsfigur der teleologischen Reduktion vergleichbar ist.546 Diese würde voraussetzen, dass der gesetzliche Tatbestand planwidrig über den Gesetzeszweck hinausgeht und daher einer Einschränkung bedarf.547 Ein Teil der Literatur lehnt dies in Bezug auf § 50d Abs. 3 EStG unter Verweis auf den insoweit eindeutigen Gesetzeszweck hinausgehe.548 Andere hingegen erachten dies als zulässig, da ausweislich der 545 Siehe oben B.II.1.a.aa, S. 420. 546 Zur teleologischen Reduktion vgl. Drüen, in: Tipke/Kruse, § 4 AO Rn. 344 m.w.N.; Larenz, Methodenlehre, S. 376; Zippelius, Juristische Methodenlehre, S. 69 f. (dort „Restriktion“), sowie Gabel, Spezielle Missbrauchsnormen, S. 209 f.; zur (uneinheitlichen) Terminologie in der Rechtsprechung siehe dort auch, S. 30, insbesondere Fn. 163 f. Hey, StuW 2011, 301 (314), befürwortet demgegenüber einen eigenen Gehalt des Begriffs „geltungserhaltender“ Reduktion. Wie zu zeigen ist, hat dies durchaus seine Berechtigung, da die Fallgestaltungen entscheidend durch das Hinzutreten der Kollisionsregel des Anwendungsvorrangs geprägt werden, während sich die teleologische Reduktion auch innerhalb des gleichen Ranges bewegen kann. Zur geltungserhaltenden Reduktion siehe weiterhin auch Gosch, DStR 2007, 1553 (1555), und Micker, FR 2009, 409 (411), die dies aber jeweils als Frage der unionskonformen Auslegung ansehen. Micker, FR 2009, 409 (413), konzediert jedoch an späterer Stelle, dass die Grenze des Wortlaut überschritten sei. Zitiert wird dort die Entscheidung BFH, Urteil vom 09.08.2006 – I R 31/01 – IStR 2006, 826 (828), in der im Wege der „gemeinschaftsrechtskonformen und normerhaltenden Auslegung“ der geltende KSt-Satz nicht angewandt und stattdessen ein der inländischen Besteuerung vergleichbarer KSt-Satz angesetzt wurde – nicht zuletzt deshalb, um eine mangels entsprechender ausdrücklicher gesetzlicher Regelungen anderweitig gänzlich entfallende Besteuerung im Streitjahr zu vermeiden. Auch dies kann aber nur der Rechtsfortbildung über den Wortsinn hinaus zugeordnet werden. Auf den Wortlaut als Unterscheidungskriterium zwischen unionskonformer Auslegung und Rechtsfortbildung abstellend, Hey, StuW 2011, 301 (306). 547 Drüen, in: Tipke/Kruse, § 4 AO Rn. 381 f.; Larenz, Methodenlehre, S. 375; Zippelius, Juristische Methodenlehre, S. 69 f. Nach Gabel, Spezielle Missbrauchsnormen, S. 206, sei dies dann der Fall, wenn eine Missbrauchsnorm planwidrig mehr Konstellationen erfasse als sie bei strikter Orientierung am Vermeidungszweck erfassen dürfte. Nach Micker, FR 2009, 409 (411), dürfe keine grundlegende Neubestimmung der Vorschrift erfolgen. 548 Eilers/Schneider, in: StbJb 2007/08, S. 185; Kessler/Eicke, DStR 2007, 781 (786); Renger, Treaty Shopping, S. 44.

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§ 50d Abs. 3 EStG

Gesetzesbegründung, aber auch im Hinblick auf § 42 AO selbst, eine Anwendung der Typisierung auf nachweislich nicht missbräuchliche Fallgestaltungen ausscheiden muss.549 Für die zweite Ansicht spricht, dass sich der Gesetzgeber im Zweifel unionsrechtskonform verhalten will;550 weder aus den Gesetzgebungsmaterialien noch sonst unter Beachtung der historischen Entwicklung der Vorschrift ergibt sich, dass mit der Änderung des § 50d Abs. 3 EStG durch das JStG 2007 das Gegenteil bezweckt wäre.551 Dies liegt auch in dessen Interesse, da auf diese Weise zumindest der beweisrechtliche Vereinfachungszweck der Typisierung in Form der Vermutungswirkung erhalten bleibt. Ansonsten wäre eine Einzelfallgerechtigkeit auch nur über Billigkeitsmaßnahmen zu erreichen.552 Von diesen Erwägungen geleitet hat nun auch der BFH im Schlussurteil Columbus Container zu der vergleichbaren Fallgestaltung des § 20 Abs. 2 AStG eine geltungserhaltende Reduktion der Norm zur Schaffung eines Gegenbeweises ausdrücklich befürwortet.553 Nach der hier vertretenen Ansicht gibt einerseits § 42 Abs. 2 AO den abstrakten Rahmen des Missbrauchs vor, bestehend aus Unangemessenheit und fehlender (subjektiver) Rechtfertigung – und zwar ebenso für spezielle Missbrauchsvorbehalte; andererseits wirken diese auch im Bereich des möglichen Gegenbeweises grundsätzlich konkretisierend, und können mithin bestimmen, welche außersteuerlichen Gründe als beachtlich anzusehen sind.554 Im Sinne einer umfassenden Vereinfachungswirkung ist dieses Spannungsverhältnis zwischen den genannten Auslegungsgrundsätzen im Regelfall zwar zugunsten der Konkretisierungswirkung aufzulösen. Diese wirkt indes nicht abschließend verdrängend, so dass sich im Wege der insbesondere teleologischen Auslegung der Spezialnorm, aber auch unter Einbeziehung der umgangenen Norm, trotz 549 Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50d Rn. 26; Micker, FR 2009, 409 (414). 550 FG Köln, Urteil vom 04.03.1999 – 2 K 5886/96 – EFG 1999, 963 (963 f.); Micker, FR 2009, 409 (414). Vgl. auch Hey, StuW 2011, 301 (314). 551 Insoweit dürfte es auch unerheblich sein, dass es sich beim JStG 2007 um ein rechtsprechungsbrechendes Gesetz handelt; in solchen Fällen könnte man zwar Gabel, Spezielle Missbrauchsnormen, S. 208 f., so verstehen, dass dann eine teleologische Reduktion mangels Planwidrigkeit nicht möglich sei (ausdrücklich wird nur eine einschränkende Auslegung abgelehnt; bei der teleologischen Reduktion wird dies nicht mehr erörtert, obwohl der Gedanke der Planwidrigkeit dies nahe legen würde). Allerdings ging es bei der vorliegenden Rechtsprechungs„korrektur“ durch den Gesetzgeber nicht um die subjektive Exkulpationsmöglichkeit, und schon gar nicht um die Unionsrechtskonformität. 552 Gabel, Spezielle Missbrauchsnormen, S. 209 f. 553 BFH, Urteil vom 21.10.2009 – I R 114/08 (Columbus Container) – DStR 2010, 37 (39); siehe auch schon BFH, Urteil vom 25.08.2009 – I R 88/07, 89/07 – DStR 2009, 2295 (2303). Zustimmend Lieber, IStR 2010, 142 (143). Weitere Nachweise bei Gosch, Ubg 2009, 73 (77 f.). 554 Zur Herleitung – auch zum Folgenden – siehe im 1. Teil, D.II.3.c.cc(3), S. 276.

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Kollisionsfragen

der Tatbestandsmäßigkeit der Spezialnorm mitunter noch ein konkreter Maßstab ermitteln lässt. Für die Frage, ob die Möglichkeit des Gegenbeweises gemäß § 42 Abs. 2 S. 2 AO ausnahmsweise doch – als „subjektiver Motivtest“ – auch gegenüber § 50d Abs. 3 EStG gewährleistet ist, muss somit berücksichtigt werden, dass dessen Normzweck letztlich die missbräuchliche Erschleichung der Quellensteuervergünstigung des § 43b EStG verhindern will; letztere Norm setzt jedoch lediglich die Vorgaben der MTRL in nationales Recht um. Schon deshalb muss eine unionskonforme Auflösung des beschriebenen Spannungsverhältnisses stattfinden; zu Recht wird insoweit dem Gesetzgeber zugutegehalten, dass er sich im Zweifel unionsrechtskonform verhalten will.555 In diesem Sinne wirkt die Kollisionsregel des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts inhaltsbestimmend auf das Verhältnis von Rahmentatbestand und rahmenausfüllendem Maßstab ein, so dass im Ergebnis von einer nicht abschließenden Konkretisierungswirkung jedenfalls der Rechtfertigung ausgegangen werden muss ist; die Maßstäblichkeit des § 50d EStG in Bezug auf die Unangemessenheit bleibt aber hierdurch erhalten, was dem Vereinfachungsinteresse des Gesetzgebers Rechnung trägt; es erscheint auch systematisch vorzugswürdig, eine bereits vorhandene Nachweismöglichkeit zu eröffnen. Rechtstechnisch mag man dies als Reduktion der Konkretisierungswirkung556 bezeichnen, mittels derer der Auslegungsgrundsatz der Spezialität im klassischen Sinne überwunden werden kann. § 42 Abs. 1 S. 2 AO steht dem schon aus Gründen des Ranges nicht entgegen, und auch normlogisch ist die dort thematisierte Kollision der Rechtsfolgen gegenüber der hier betroffenen Widerlegbarkeit als Frage des Missbrauchsmaßstabs nachgelagert. Andere Autoren kommen zu einem vergleichbaren Ergebnis, wenn sie eine Reduktion des § 50d Abs. 3 EStG ablehnen und die Norm für unanwendbar erklären, dann aber mangels Sperrwirkung § 42 AO als subsidiär anwendbar sehen und bei dessen Auslegung § 50d Abs. 3 EStG doch wieder wertend heranziehen;557 mit anderen Worten wird eine zunächst für unanwendbar erklärte Norm letztlich doch faktisch angewendet. Die hier befürwortete Lösung mittels Einschränkung der Konkretisierungswirkung vermeidet den sich in dem Begriff der Anwendbarkeit findenden Widerspruch zur Kollisionsregel des Ranges; die Konkretisierung in Bezug auf die Unangemessenheit – und damit 555 Siehe oben Fn. 550. 556 Diese ist aber nicht nur teleologisch, sondern auch durch den Normrang bedingt; insoweit hat der Begriff der „geltungserhaltenden Reduktion“ durchaus einen eigenen Gehalt, hierzu Hey, StuW 2011, 301 (314), sowie bereits oben 1. Teil, D, Fn. 296. 557 Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50d Rn. 30; Hahn-Joecks, in: K/S/M, EStG, § 50d Rn. E 9; Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 41.

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die Vermutung des Missbrauchs – bleibt dabei von vornherein erhalten. Zudem entspricht dies der Funktion des § 42 Abs. 2 AO als abstrakter Rahmentatbestand, der ohnehin mit den speziellen Vorschriften zusammenwirkt. Es bleibt indes darauf hinzuweisen, dass ein solcher Kollisionsfall mit dem Unionsrecht im Einzelfall zugleich den Nachweis der nicht missbräuchlichen Inanspruchnahme der MTRL erfordert; zumindest im Regelfall dürften dann bereits die Tatbestandsvoraussetzungen des § 50d Abs. 3 EStG nicht erfüllt sein.558

III. Bewertung § 50d Abs. 3 EStG konkretisiert sowohl die Unangemessenheit einer Gestaltung als auch das Vorliegen beachtlicher außersteuerlicher Gründe und damit den Missbrauch im Sinne von § 42 Abs. 2 AO im Zusammenhang mit Quellensteuerentlastungen beschränkt Steuerpflichtiger und ist mithin spezifisch gegen Treaty Shopping und Directive Shopping gerichtet. Trotz zahlreicher und teilweise ganz fundamentaler Kritik ist die Zielrichtung der Norm jedenfalls im Grundsatz auch in der Fassung des JStG 2007 anzuerkennen und entspricht von daher einem nachvollziehbaren Regelungsanliegen des Gesetzgebers. Dies gilt umso mehr, als Missbrauchsklauseln in Doppelbesteuerungsabkommen selten sind und es insoweit am politischen Wille und der faktischen Durchsetzbarkeit einer Angleichung des Abkommensnetzwerkes – selbst innerhalb der Europäischen Union – fehlt. Auch die Grundkonzeption der einzelnen Tatbestandsmerkmale orientiert sich durchaus an objektiven Maßgaben, die man vor allem bei einer Beschränkung der Betrachtung auf das einfache Recht erwarten darf; bei sachgerechter Auslegung der sachlichen Tatbestandsvoraussetzungen des § 50d Abs. 3 S. 1 Nr. 13 EStG samt deren Ergänzung in S. 2 und S. 3 sind die entsprechenden Leitgedanken auch mit Blick auf das Verfassungsrecht559 sowie das Unionsrecht560 anzuerkennen. Zu beachten ist insoweit, dass im Lichte der historischen Entwicklung und bei isolierter Betrachtung des § 42 AO bei Hinzutreten auch nur eines sachlichen Versagungsgrundes zu den persönlichen Voraussetzungen – in denen die Eignung und der eigentliche Gestaltungsanreiz zur Zwischenschaltung zur Einkünftedurchleitung zum Ausdruck kommen – gewichtige Indizien

558 Siehe auch Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 23. 559 Vgl. Frotscher, EStG, § 50d Rn. 97, sowie B.II.1.aa(2), S. 421. 560 Frotscher, EStG, § 50d Rn. 153; Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50d Rn. 26; Micker, FR 2009, 409 (413); Prokisch, in: Vogel/Lehner, DBA, Art. 1 Rn. 133b; Wagner, in: Blümich, ESt – KSt – GewSt, § 50d EStG Rn. 57.

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Bewertung

für die Annahme eines Missbrauchs vorliegen.561 In diesem Sinne ist die typisierende Wirkung des § 50d Abs. 3 EStG durchaus berechtigt. Praktisch wichtigstes Kriterium verbleibt hierbei das Erfordernis einer eigenen Wirtschaftstätigkeit i.S.v. S. 1 Nr. 2, wobei auch die Ergänzung durch S. 3 Alt. 1 kaum Veränderung gegenüber der früheren Rechtspraxis gebracht hat: Als Streitfälle werden insoweit die Fälle der Unterscheidung zwischen aktiver und passiver Beteiligungsverwaltung fortdauern, wobei im Rahmen der Neufassung jedoch geringere Anforderungen hinsichtlich Zahl und Ort der geführten Tochtergesellschaften sowie der erforderlichen Führungsintensität gelten müssen, als es die Finanzverwaltung über den Wortlaut hinaus fordert.562 Soweit nicht in Bezug auf sämtliche Tätigkeitsformen der Verwaltung von Wirtschaftsgütern ein Ausschluss berechtigt erscheint, zeigt sich, dass infolge der Kodifizierung auch ein Stück weit die notwendige Flexibilität zur Handhabung atypischer Gestaltungen verloren gegangen ist. Die mit der Neufassung eingeführte prozentuale Mindestgrenze erscheint sowohl in ihrer Existenz als auch in ihrer grundsätzlichen Ausrichtung berechtigt, Folgeprobleme ergeben sich aber bei der Berechnung im Einzelfall infolge des unspezifizierten Verweises auf die gesamten Bruttoerträge eines Wirtschaftsjahres.563 Die tatbestandliche Verselbständigung der Substanzfrage in der Nr. 3 gebietet zudem eine Betrachtung der damit verbundenen Rechtsfragen ausschließlich im dortigen Zusammenhang, d.h. bei gleichzeitiger Eliminierung im Rahmen der Feststellung des „Ob“ einer eigenen Wirtschaftstätigkeit. Schon diese Erwägungen zweigen, dass die Ausgestaltung des § 50d Abs. 3 EStG im Detail getrost als problematisch bezeichnet werden kann. Vielfach lässt sich dies durch eine enge Auslegung in den Griff kriegen, vielfach muss dies aber scheitern. Schon das einfache Recht legt mithin in einigen abstrakten Fallgestaltungen eine Reduzierung der Konkretisierungswirkung zur Ermöglichung eines außerordentlichen Gegenbeweises nahe – neben den bereits genannten stechen insbesondere die Inländerbeteiligung (Mäandergestaltungen) und die isolierte Betrachtungsweise des S. 2 bei durch ausländisches Recht bedingten Auslagerungen der Beteiligung im Konzern hervor. Das Spannungsverhältnis zwischen den Auslegungsgrundsätzen der rahmenausfüllenden Konkretisierungswirkung und der Rückbindung an den abstrakten Rahmen des § 42 Abs. 2 AO eröffnet eine solche Vorgehensweise.

561 Frotscher, EStG, § 50d Rn. 158; Hahn-Joecks, in: K/S/M, EStG, § 50d Rn. A 37a; Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 23; a.A. Grotherr, RIW 2006, 898 (909); Kessler/Eicke, DStR 2007, 781 (782 f.); 562 Ausführlich m.w.N. oben B.I.2.b.cc, S. 383 ff., auch zum Folgenden. 563 Hierzu B.I.2.b.dd, S. 401.

475

§ 50d Abs. 3 EStG

Die Rechtsprechung scheint in der Praxis einen anderen Weg einzuschlagen, indem sie infolge der fortbestehenden Feststellungslast der Finanzverwaltung trotz des § 90 Abs. 2 AO nur eine Reduzierung des Beweismaßes zugesteht und sich somit die freie richterliche Beweiswürdigung vorbehält. Die Eventualität einer fehlenden tatrichterlichen Überzeugung vom Vorliegen der Versagungsgründe564 kann mitunter auch als prozessualer Vorbehalt gegenüber der als unwiderlegbar gedachten Vermutung verstanden werden. Insgesamt verbleibt die fehlende Möglichkeit eines Gegenbeweises als zentraler Streitpunkt des § 50d Abs. 3 EStG, gerade auch aufgrund der kollisionsrechtlichen Beurteilung im Hinblick auf den Rahmentatbestand des § 42 Abs. 2 AO, das Verfassungsrecht sowie die Maßstäbe des Unionsrechts.565 Im Lichte des nationalen Rechts kann man hierbei aufgrund der umfassenden Typisierungsbefugnis und im Interesse einer weitgehenden Vereinfachungswirkung auch eine allein in objektiven Tatbestandsmerkmalen verankerte Rechtfertigung noch als verhältnismäßig ansehen und dies auch im Hinblick auf den Rahmen des § 42 Abs. 2 S. 2 AO noch aufrechterhalten; die außersteuerlichen Gründe i.S.v. § 42 Abs. 2 S. 2 AO sind insoweit nicht deckungsgleich mit dem Fehlen des wirtschaftlichen (oder sonst beachtlichen) Grundes i.S.v. § 50d Abs. 1 S. 1 Nr. 1 EStG. Die alternative Verknüpfung ist daher de lege lata nicht zwingend schädlich, erst recht da jedenfalls bei verfassungskonformer Auslegung in bestimmten Fallgruppen § 42 Abs. 2 S. 2 AO doch eröffnet wird. Es verbleibt aber dabei, dass diese Ausgestaltung schon aufgrund der erforderlichen unterschiedlichen Auslegung vergleichbarer Tatbestandselemente keineswegs vorbildlich erscheint; im Vergleich zur Regelungsintention des § 42 AO durch das JStG 2008 kann dies gar als befremdlich empfunden werden. Unzweifelhaft besteht daher in rechtspolitischer Hinsicht Verbesserungsbedarf.566 Noch deutlicher zeigt sich diese Schlussfolgerung mit Blick auf das Unionsrecht und den möglichen Verstoß gegen Art. 1 Abs. 2 MTRL. Auch hier ist es zwar de lege lata bei unionskonformer Auslegung und gleichzeitiger Redukti564 Vgl. nur FG Köln, Urteil vom 28.04.2010 – 2 K 1564/08 – EFG 2010, 2004 (2005 f., rkr.) im Anschluss an die SOPARFI-Entscheidung des BFH (Urteil vom 29.01.2008 – I R 26/06 – IStR 2008, 364); hierzu schon Fn. 298. 565 In Bezug auf das Verfassungsrecht vgl. schon Hey, in: DStJG Bd. 33, S. 164 f.; Gabel, Spezielle Missbrauchsnormen, S. 190, sowie im Einzelnen B.II.1.a.aa(3), S. 424, auch zu § 42 Abs. 2 AO. In Bezug auf das Unionsrecht vgl. Frotscher, EStG, § 50d Rn. 158; Hahn-Joecks, in: K/S/M, EStG, § 50d Rn. A 37a; Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 23; Wagner, in: Blümich, ESt – KSt – GewSt, § 50d EStG Rn. 59, sowie die Darstellung bei B.II.3.c.aa(2), S. 468. 566 Frotscher, EStG, § 50d Rn. 97, und Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50d Rn. 29, ist daher zuzustimmen.

476

Bewertung

on der Konkretisierungswirkung möglich, die Anwendung des § 50d Abs. 3 EStG zu erhalten und über die ausnahmsweise Gewährung des Gegenbeweises gemäß § 42 Abs. 2 S. 2 AO in unionsrechtlich erforderlichen Einzelfällen gegensteuern zu können. Zugegebenermaßen ergibt sich eine Relativierung dadurch, dass eine mögliche Kollision eine Darlegung des Nichtvorliegens eines Missbrauchs im unionsrechtlichen Sinne im Einzelfall erfordert, bei der regelmäßig die Voraussetzungen des § 50d Abs. 3 EStG nicht erfüllt sein dürften.567 Zudem wird es weiterhin den nationalen Gerichten vorbehalten sein, über die Voraussetzungen eines Gegennachweises zu entscheiden. Dies ändert aber nichts daran, dass bei abstrakter Betrachtung des Tatbestands die Kollision der Maßstäbe naheliegt. Ein bevorstehendes Vertragsverletzungsverfahren vor dem EuGH568 dürfte hierbei weitere Klarheit bringen. Es wäre daher vor allem mit Blick auf das Unionsrecht anzuregen, die Norm ausdrücklich nach Art einer Typisierung der Vermutungsbasis mit zumindest subsidiärer Gegenbeweismöglichkeit auszugestalten. Für die Notwendigkeit einer solchen Klarstellung selbst bei gegebener geltungserhaltender Reduktion hat sich jüngst Hey im Interesse der Verständlichkeit und Bestimmtheit der Norm ausgesprochen und hierfür weiterhin die Tatbestandsmäßigkeit der Besteuerung und den Grundsatz der Gewaltenteilung ins Feld geführt.569 Letzteres hat zuvor auch schon Gosch hervorgehoben und insoweit ein Tätigwerden des Gesetzgebers (und der Finanzverwaltung) im Sinne eines „konstruktiven Miteinanders der Gewalten“ angemahnt.570 Der zwingenden Verpflichtung zu einer solchen Änderung ist zwar mit den genannten Argumenten entgegenzutreten, die die Verfassungsmäßigkeit und eine unionsrechtskonforme Anwendung im Einzelfall de lege lata begründen. Dass ein solches Vorgehen aber zumindest rechtspolitisch geboten wäre, kann nur Zustimmung finden – auch im Interesse des Individualrechtsschutzes, da entsprechende gerichtliche Verfahren von den Unternehmen aus guten Gründen gescheut werden571 und eine Feststellung einer Unvereinbarkeit im Einzelfall insoweit (noch) in weiter Ferne steht.

567 Schönfeld, in: F/W/B, Außensteuerrecht, § 50d EStG Rn. 23. Ein Verfahren des gerichtlichen Individualrechtsschutzes in Bezug auf § 50d Abs. 3 EStG ist derzeit noch nicht ersichtlich (keine anhängigen Verfahren lt. Juris-Recherche vom 13.04.2011), erst recht nicht vor dem EuGH, vgl. hierzu: http://ec.europa.eu/taxation_customs/resources/documents/common/infringements/case _law/court_cases_direct_taxation_en.pdf (Stand: 13.04.2011). 568 Oben B.II.3, Fn. 442. 569 Hey, StuW 2011, 301 (316). 570 Gosch, Ubg 2009, 73 (77 f.). 571 Vgl. auch Altrichter-Herzberg, GmbHR 2007, 579 (580), der auf erhebliche Kosten, Zeitaufwand und Liquiditätsnachteile verweist und dies als nicht akzeptabel erachtet.

477

§ 50d Abs. 3 EStG

De lege ferenda ist daher ein klarstellender Verweis auf § 42 Abs. 2 S. 2 AO zu ergänzen und Abs. 3 Nr. 1 als alternativer Versagungsgrund zu streichen, da es diesen zur Typisierung der Unangemessenheit ohnehin nicht bedarf; die übrige Ausgestaltung auch der Nr. 2 und Nr. 3 i.V.m. S. 2 und S. 3 kann zusammen mit den persönlichen Voraussetzungen als Vermutungsbasis verstanden werden. § 8 Abs. 2 S. 1 AStG kann insoweit als Muster dienen, sofern man dies auf das Konfliktfeld des Unionsrechts begrenzen mag. Hierzu hätte nach der teils vernichtenden Kritik der Literatur eigentlich auch schon das JStG 2008 mit der grundlegenden Reformierung des § 42 AO Anlass gegeben. Im Sinne der Rechtssicherheit und -klarheit, aber auch im Interesse des Gesetzgebers zur Sicherstellung der Maßstabs- und Vereinfachungswirkung gegenüber einer drohenden Unanwendbarkeit im Einzelfall erscheint dies geboten.

478

C.

Nachtrag: § 50d Abs. 3 EStG i.d.F. des BeitrRLUmsG

Im Rahmen dieser Untersuchung blieb bislang unberücksichtigt, dass § 50d Abs. 3 EStG im Zuge des Gesetzes zur Umsetzung der Beitreibungsrichtlinie (BeitrRLUmsG)1 mit Wirkung zum 01.01.20122 nochmals geändert wurde. Die Vorschrift soll laut Gesetzesbegründung durch die Änderung zielgenauer ausgestaltet werden und die EuGH-Rechtsprechung in Sachen Cadbury Schweppes berücksichtigen.3 Auch auf die Beanstandung der Fassung des JStG 2007 durch die Kommission4 wird verwiesen, so dass die Neuregelung ein drohendes Vertragsverletzungsverfahren vor dem EuGH verhindern und dabei gerade die beanstandete Unverhältnismäßigkeit im Zusammenhang mit dem sachlichen Versagungsgrund der eigenen Wirtschaftstätigkeit, § 50d Abs. 3 S. 1 Nr. 2 EStG, korrigieren soll.5 Die Finanzverwaltung hat zwischenzeitlich ebenfalls schon reagiert und per Erlass zur Gesetzesänderung Stellung genommen.6 Im folgenden Nachtrag wird die Neufassung des BeitrRLUmsG auf Grundlage der bisher gefundenen Ergebnisse kurz gewürdigt.

I.

Kurzanalyse

Durch das BeitrRLUmsG wird § 50d Abs. 3 S. 1 EStG wie folgt gefasst: „Eine ausländische Gesellschaft hat keinen Anspruch auf völlige oder teilweise Entlastung nach Absatz 1 oder Absatz 2, soweit Personen an ihr beteiligt sind, 1

2 3 4 5 6

Gesetz zur Umsetzung der Beitreibungsrichtlinie sowie zur Änderung steuerlicher Vorschriften vom 07.12.2011, BGBl I 2011, S. 2592. Die Neufassung von § 50d Abs. 3 EStG war allerdings in der ursprünglichen Entwurfsfassung noch nicht enthalten und wurde erst im Verfahren vor dem Finanzausschuss eingefügt, siehe die Beschlussempfehlung des Finanzausschusses vom 26.10.2011, BT-Ds. 17/7469, S. 59, und den zugehörigen Bericht, BT-Ds. 17/7524, S. 17. So Art. 25 Abs. 1 BeitrRLUmsG. Nach Ansicht von Behrens, AG 863 (865), soll die Neufassung auch für in der Vergangenheit verwirklichte Sachverhalte gelten, soweit noch keine Festsetzungsverjährung eingetreten ist. Bericht des Finanzausschusses vom 26.10.2011, BT-Ds. 17/7524, S. 17. Pressemitteilung der Kommission vom 18.03.2010, IP/10/298. Siehe bereits oben B.II.3, Fn. 442. Bericht des Finanzausschusses vom 26.10.2011, BT-Ds. 17/7524, S. 17. Nach Engers/Dyckmans, Ubg 2011, 929 (929), erfolgte die Änderung sogar in Abstimmung mit der Kommission. BMF, Schreiben vom 24.01.2012 – IV B 3 - S 2411/07/10016 (Anwendungserlass § 50d Abs. 3 EStG i.d.F. des BeitrRLUmsG) – IStR 2012, 160.

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Nachtrag: § 50d Abs. 3 EStG i.d.F. des BeitrRLUmsG

denen die Erstattung oder Freistellung nicht zustünde, wenn sie die Einkünfte unmittelbar erzielten, und die von der ausländischen Gesellschaft im betreffenden Wirtschaftsjahr erzielten Bruttoerträge nicht aus eigener Wirtschaftstätigkeit stammen, sowie 1. in Bezug auf diese Erträge für die Einschaltung der ausländischen Gesellschaft wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe fehlen oder 2. die ausländische Gesellschaft nicht mit einem für ihren Geschäftszweck angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teilnimmt.“

Die bisherigen Sätze 2 und 3 werden nicht geändert. Auch die Ausnahmen des Satz 4 a.F. bestehen in der Neufassung inhaltlich unverändert fort, finden sich nun aber in Satz 5. Als neuer Satz 4 wird folgende Regelung neu eingefügt: „Die Feststellungslast für das Vorliegen wirtschaftlicher oder sonst beachtlicher Gründe im Sinne von Satz 1 Nummer 1 sowie des Geschäftsbetriebs im Sinne von Satz 1 Nummer 2 obliegt der ausländischen Gesellschaft.“

1.

Die veränderte Systematik

Durch das BeitrRLUmsG bleibt die Tatbestandsseite insoweit unberührt, als dass die persönlichen Voraussetzungen weiterhin kumulativ zu den sachlichen Voraussetzungen vorliegen müssen. Die entscheidende systematische Änderung besteht vielmehr darin, dass die sachlichen Voraussetzungen (Abs. 3 S. 1 Hs. 2 Nr. 1-3) nun auf zwei ebenfalls kumulativ erforderliche Versagungsgründe aufgeteilt werden. Das Fehlen einer eigenwirtschaftlichen Tätigkeit (vormals Nr. 2) ist nach der Neufassung nun stets und gesondert zu prüfen. Die Entlastungswirkung kann aber erst dann versagt werden, wenn hinzutritt, dass es entweder an einem wirtschaftlichen oder sonst beachtlichen Grund für die Einschaltung der ausländischen Gesellschaft fehlt (wie bisher Nr. 1) oder dass die ausländische Gesellschaft nicht mit einem angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb am wirtschaftlichen Verkehr teilnimmt (vormals Nr. 3, nun Nr. 2). Positiv gewendet führt dies dazu, dass die Entlastung gewährt wird, soweit entweder die persönlichen Voraussetzungen fehlen („persönliche Entlastungsberechtigung“), die Bruttoerträge der Zwischengesellschaft aus eigener wirtschaftlicher Tätigkeit stammen („erste sachliche Entlastungsberechtigung“), oder ein wirtschaftlicher Grund für die Einschaltung vorliegt und ein angemessener Geschäftsbetrieb vorhanden ist („zweite sachliche Entlastungsberechtigung“).7 Mit dieser logischen Verknüpfung der einzelnen Tatbestands7

Zu den Begriffen „persönliche“ und „sachliche“ Entlastungsberechtigung siehe BMF, Schreiben vom 24.01.2012 – IV B 3 - S 2411/07/10016 (Anwendungserlass § 50d Abs. 3

480

Kurzanalyse

voraussetzungen nähert sich der Gesetzgeber damit wieder etwas der Fassung des § 50d Abs. 3 EStG vor dem JStG 2007 an.8 Diese auf den ersten Blick sinnvolle Änderung – insbesondere der systematischen Stellung der eigenwirtschaftlichen Tätigkeit – wird aber durch die Erkenntnis getrübt, dass schon das anteilige Vorliegen von Erträgen, die eben nicht aus eigenwirtschaftlicher Tätigkeit stammen, zu einer teilweisen Versagung führen kann. Möglich wird das durch die zweite wesentliche Neuerung des BeitrRLUmsG, nämlich dass § 50d Abs. 3 EStG nunmehr insgesamt als „Aufteilungsklausel“ verstanden werden soll und daher nach der Vorstellung des Gesetzgebers auch9 im Bereich der sachlichen Versagungsgründe die Rechtsfolge der Entlastungsberechtigung weg von einem „Alles-oder-NichtsPrinzip“ durch eine strenge Aufteilung ersetzt wird.10 Vollends zunichte gemacht wird der erste positive Eindruck aber durch den strittigen Bezugspunkt dieser Aufteilungsklausel. Je nach Auslegungsmethode und konkreter Sachverhaltsgestaltung kann es hierbei zu unterschiedlichen Rechtsfolgen kommen.

2.

Die einzelnen Entlastungsberechtigungen und ihre Rechtsfolge

a.

Persönliche Entlastungsberechtigung, § 50d Abs. 3 S. 1 Hs. 1

Der Wortlaut der persönlichen Entlastungsberechtigung blieb unverändert, so dass die Ergebnisse zur Fassung des JStG 2007 fortgelten. Hervorzuheben ist indes, dass die Finanzverwaltung trotz der Diskussion um eine mögliche Einschränkung des § 50d Abs. 3 EStG bei den sog. Mäander-Strukturen leider

EStG i.d.F. des BeitrRLUmsG) – IStR 2012, 160, Tz. 1; siehe auch Lüdicke, IStR 2012, 81 (82). 8 Zu § 50d Abs. 3 EStG i.d.F. bis zum 31.12.2006 siehe oben B, Fn. 10. 9 In Bezug auf die persönlichen Tatbestandsvoraussetzungen war eine gesellschafterbezogene Betrachtungsweise jedenfalls im Grundsatz akzeptiert und allenfalls bei unterschiedlicher Entlastungshöhe strittig. Eine Aufteilung in Bezug auf die sachlichen Tatbestandsvoraussetzungen war i.d.F. des JStG 2007 schon sprachlich unmöglich. Hierzu siehe oben B.I.3, S. 416. Zur Auffassung im Zusammenhang mit der ursprünglichen Fassung des § 50d Abs. 1a bzw. Abs. 3 EStG vgl. auch Hahn-Joecks, in: K/S/M, EStG § 50 Rn. E 76, sowie oben im 1. Teil B.I.2.d.bb(3)(d), S. 110. 10 Bericht des Finanzausschusses vom 26.10.2011, BT-Ds. 17/7524, S. 17. Die Aufteilungsklausel betonen ebenfalls Behrens, AG 2011, 863 (865); Dorfmüller/Fischer, IStR 2011, 857 (860); allerdings bezogen auf die konkret quellensteuerbelasteten Einkünfte, für die die Entlastung begehrt wird, hierzu sogleich. Siehe auch BMF, Schreiben vom 24.01.2012 – IV B 3 - S 2411/07/10016 (Anwendungserlass § 50d Abs. 3 EStG i.d.F. des BeitrRLUmsG) – IStR 2012, 160, Tz. 2.

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Nachtrag: § 50d Abs. 3 EStG i.d.F. des BeitrRLUmsG

weiterhin von einer vollumfänglichen Anwendung ausgeht.11 Auch in der Neufassung muss nach hier vertretener Auffassung ein Gegenbeweis i.S.v. § 42 Abs. 2 S. 2 AO eröffnet sein, aus dem eine Erstattungsmöglichkeit folgt.12 b.

Sachliche Entlastungsberechtigung aufgrund eigener Wirtschaftstätigkeit, § 50d Abs. 3 S. 1 Hs. 2

Die erste sachliche Entlastungsberechtigung unterscheidet – kurzgefasst – danach, ob die Zwischengesellschaft eine eigene Wirtschaftstätigkeit ausübt. Nach Ansicht der Finanzverwaltung handelt es sich dann um „unschädliche“ Erträge.13 Hierbei ist das bisherige Erfordernis eines Umfangs der eigenen Wirtschaftstätigkeit von mindestens 10% der Bruttoerträge, das gegen sog. Minimaltätigkeiten gerichtet war, ersatzlos entfallen. Von der h.L. und der Europäischen Kommission wurde dieser Mindestumfang wegen seiner typisierenden Wirkung als besonders kritisch angesehen.14 aa.

Auslegung der eigenen Wirtschaftstätigkeit

Das Tatbestandsmerkmal der eigenen Wirtschaftstätigkeit hat sich inhaltlich nicht geändert, insbesondere blieb der zugehörige Abs. 3 Satz 3 durch das BeitrRLUmsG unberührt. Trotz aller Kritik hält die Finanzverwaltung auch nach wie vor an ihrer restriktiven Auslegung im Zusammenhang mit der Verwaltung von Beteiligungen fest, wonach die Ausübung von geschäftsleitenden Funktionen allein gegenüber mehreren Tochtergesellschaften als aktive Beteiligungsverwaltung anerkannt werden könne.15 Als „Lichtblick“ lässt es sich aber bezeichnen, wenn ausdrücklich Zinserträge aus der Anlage von entlastungsberechtigten (unschädlichen) Erträgen zu den Bruttoerträgen der eigenen Wirtschaftstätigkeit gezählt werden.16 Gleiches soll für Bruttoerträge gelten, die mit der eigenen Wirtschaftstätigkeit derselben Gesellschaft in einem wirtschaftlich funktionalen Zusammenhang stehen, ohne dass dies zunächst näher erläutert wird.17 11 BMF, Schreiben vom 24.01.2012 – IV B 3 - S 2411/07/10016 (Anwendungserlass § 50d Abs. 3 EStG i.d.F. des BeitrRLUmsG) – IStR 2012, 160, Tz. 4.1. 12 Hierzu oben B.I.2.a.bb(2), S. 365. 13 BMF, Schreiben vom 24.01.2012 – IV B 3 - S 2411/07/10016 (Anwendungserlass § 50d Abs. 3 EStG i.d.F. des BeitrRLUmsG) – IStR 2012, 160, Tz. 2. Siehe auch Maerz/Guter, IWB 2011, 923 (927). 14 Siehe oben B.II.3.c.aa(1)(c), S. 464. 15 BMF, Schreiben vom 24.01.2012 – IV B 3 - S 2411/07/10016 (Anwendungserlass § 50d Abs. 3 EStG i.d.F. des BeitrRLUmsG) – IStR 2012, 160, Tz. 5.2 und 5.3. 16 BMF, Schreiben vom 24.01.2012 – IV B 3 - S 2411/07/10016 (Anwendungserlass § 50d Abs. 3 EStG i.d.F. des BeitrRLUmsG) – IStR 2012, 160, Tz. 5. 17 BMF, Schreiben vom 24.01.2012 – IV B 3 - S 2411/07/10016 (Anwendungserlass § 50d Abs. 3 EStG i.d.F. des BeitrRLUmsG) – IStR 2012, 160, Tz. 5.

482

Kurzanalyse

In der Literatur wird Vergleichbares etwa gefordert im Hinblick auf Beteiligungen an Gesellschaften, die zwar nicht aktiv verwaltet werden, die aber einem aktiven (Teil-) Betrieb der ausländischen Gesellschaft zuzuordnen sind. Insbesondere sollen daher Dividenden einer Vertriebsgesellschaft oder einer Tochterproduktionsgesellschaft wegen Branchennähe und vorhandener Leistungsbeziehung gleichfalls Bruttoerträge aus eigener Wirtschaftstätigkeit vermitteln.18 Dem ist bei der gebotenen engen Auslegung der Versagungsgründe zuzustimmen. Es bleiben aber Zweifel, ob auch die Finanzverwaltung diese Auffassung teilt und einen Fall des wirtschaftlich funktionalen Zusammenhangs mit der eigenen Wirtschaftstätigkeit anerkennt.19 bb.

Bruttoerträge als Bezugspunkt der eigenen Wirtschaftstätigkeit

(1)

Problemdarstellung

Allerdings nimmt der Gesetzeswortlaut weiterhin auf die von der ausländischen Gesellschaft im betreffenden Wirtschaftsjahr erzielten Bruttoerträge Bezug: Die Entlastung wird somit (anteilig) gewährt, soweit20 diese Bruttoerträge aus eigener Wirtschaftstätigkeit stammen; die Entlastung wird versagt, soweit diese Bruttoerträge nicht hieraus stammen. Nach Auffassung der Finanzverwaltung ist dabei der Begriff der Bruttoerträge wie zuvor in Anlehnung an § 9 AStG zu verstehen.21 Auch wenn nicht mehr ausdrücklich auf die gesamten Bruttoerträge der ausländischen Gesellschaft abgestellt wird, legt es der Wortlaut dennoch nahe, dass es genau auf eine solche Gesamtbetrachtung ankommt: Für die erste sachliche Entlastungsberechtigung wäre demnach allein relevant, wie sich die Summe der Erträge der aus18 Engers/Dyckmans, Ubg 2011, 929 (931). 19 Zum Begriff des „wirtschaftlichen funktionalen Zusammenhangs“ in Tz. 5 verweist der Anwendungserlass in einem Klammerzusatz auf das Beispiel bei Tz. 12. Dort wird geschildert, dass die ausländische Gesellschaft ein aktives Geschäft als Produktions- und Vertriebsgesellschaft unterhalten soll und sodann Dividenden und Lizenzzahlungen von einer deutschen Vertriebstochter erhält. In der ursprünglichen Version des Anwendungserlasses war nicht klar, ob die Referenzquote von 30 % die Dividenden oder die Lizenzen miteinbezogen hatte, in der korrigierten Fassung (siehe dazu auch unten Fn. 41) wurden ausdrücklich (nur) die Lizenzzahlungen nach dem wirtschaftlich funktionalen Zusammenhang als eigenwirtschaftlich eingeordnet.Vgl. auch Lüdicke, IStR 2012, 148 (150). 20 Entgegen Engers/Dyckmans, Ubg 2011, 929 (932), dürfte es insoweit wenig strittig sein, dass sich das „soweit“ des einleitenden Hs. 1 nicht nur auf die persönliche Entlastungsberechtigung, sondern auch auf anschließende sachliche Entlastungsberechtigung bezieht; ebenso Lüdicke, IStR 2012, 81 (82). Die entscheidende Frage ist m.E. lediglich, worauf sich dieses „soweit“ bezieht und daher nach welchem Bezugsmaßstab aufgeteilt werden muss, nach den gesamten Bruttoerträgen oder den konkreten Einkünften. Siehe dazu auch im Folgenden. 21 BMF, Schreiben vom 24.01.2012 – IV B 3 - S 2411/07/10016 (Anwendungserlass § 50d Abs. 3 EStG i.d.F. des BeitrRLUmsG) – IStR 2012, 160, Tz. 5.

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Nachtrag: § 50d Abs. 3 EStG i.d.F. des BeitrRLUmsG

ländischen Gesellschaft unterteilen lässt, und zwar in unschädliche Bruttoerträge aus eigener Wirtschaftstätigkeit und in schädliche Einkünfte im Übrigen. Allein dieses Verhältnis wäre der Bezugspunkt für das soweit und würde somit über die anteilige – oder besser: quotale – Entlastungsberechtigung des Antragstellers entscheiden.22 Auf die Qualifikation derjenigen Einkünfte, die mit Quellensteuer (KapESt) belastet sind, und für die damit die Entlastung begehrt wird, käme es zunächst nicht an. Allenfalls mittelbar würde sich deren Qualifikation natürlich auf die Summe der Bruttoerträge und auf das o.g. Verhältnis von schädlichen und unschädlichen Erträgen auswirken. In der Literatur wurde abweichend hiervon jedoch auch ein anderer Bezugspunkt und damit zusammenhängend eine andere Aufteilung der Entlastungsberechtigung genannt. Es wird vertreten, dass es hierfür allein auf die konkret quellensteuerbelasteten Einkünfte ankommen müsse.23 Sind etwa die mit Kapitalertragsteuer belasteten Dividenden als aus „aktiver“ Beteiligungsverwaltung stammend anzusehen, so müsste insoweit die Entlastung vollständig gewährt werden. Handelt es sich um „passive“ Beteiligungsverwaltung, wäre demnach allein die zweite sachliche Entlastungsberechtigung zu prüfen.24 Diese Ansicht wird unterschiedlich begründet, und zwar mit systematischen Erwägungen,25 mit der grammatikalischen Stellung des soweit im Einleitungssatz,26 und mithilfe der teleologischen Auslegung,27 wonach – kurzgefasst – nicht missbräuchliche Fälle nicht erfasst werden dürften. Für den alleinigen Bezug auf die konkreten Einkünfte werden weiterhin die Gesetzesmaterialien ins Feld geführt, nach der es für die Aufteilungsklausel unerheblich sei, ob und in welchem Umfang die ausländische Gesellschaft im Übrigen Bruttoerträge aus unschädlicher Tätigkeit erziele.28 Hinzu kommt, dass die Materialien in einem Beispiel auf Lizenzerlöse verweisen, die einem Steuerabzug unterlegen waren. Diese auf den ersten Blick treffende Fundstelle wird aber dadurch entwertet, dass dort eine Outbound-Konstellation beschrieben wird, bei der unklar bleibt, ob insgesamt keine eigenwirtschaftliche Tätig22 Lüdicke, IStR 2012, 81 (83), auch zum Vorstehenden, insbesondere zum Wegfall des Adjektivs gesamten, dort in Fn. 20. Siehe auch das Beispiel in BMF, Schreiben vom 24.01.2012 – IV B 3 - S 2411/07/10016 (Anwendungserlass § 50d Abs. 3 EStG i.d.F. des BeitrRLUmsG) – IStR 2012, 160, Tz. 12. Vgl. auch Maerz/Guter, IWB 2011, 923 (927) 23 Behrens, AG 2011, 863 (865); Dorfmüller/Fischer, IStR 2011, 857 (862); Maerz/Guter, IWB 2011, 923 (927 f.). 24 Siehe nur die Beispiele von Dorfmüller/Fischer, IStR 2011, 857 (861); Engers/Dyckmans, Ubg 2011, 929 (932). 25 Maerz/Guter, IWB 2011, 923 (928). 26 So Engers/Dyckmans, Ubg 2011, 929 (932), ohne dass dies jedoch die Frage des Bezugsmaßstabes erklären kann, hierzu schon oben Fn. 20. 27 Dorfmüller/Fischer, IStR 2011, 857 (860 f.). 28 Bericht des Finanzausschusses vom 26.10.2011, BT-Ds. 17/7524, S. 17.

484

Kurzanalyse

keit vorliegen soll und ob die Entlastung nun anteilig oder vollständig versagt wird.29 (2)

Stellungnahme

Um es vorweg zu nehmen: Insbesondere der Wortlaut der Vorschrift legt nahe, dass im Grundsatz zwar vom erstgenannten Verständnis ausgegangen werden muss, d.h. zunächst ist das Verhältnis der gesamten Bruttoerträge Bezugspunkt und Aufteilungsmaßstab. Zahlreiche missliche Konsequenzen, insbesondere auch ein Widerspruch zum eigentlichen Normtelos in vielen – wenn auch nicht allen – Fallgestaltungen, verlangen jedoch eine Berichtigung. Den Fehlergebnissen ist insoweit zunächst durch – punktuelle – teleologische Korrektur an anderer Stelle, durch eine sachgerechte Auslegung der zweiten Entlastungsberechtigung und insbesondere durch Eröffnung des Gegenbeweises des § 42 Abs. 2 S. 2 AO entgegenzutreten. Da – wie zu zeigen ist – diese Korrekturen sodann die gesamte Anwendungspraxis der Norm prägen, so muss dies schlicht zu der Erkenntnis führen, dass die Neuregelung mit ihrer Aufteilungsklausel völlig „missraten“30 ist. Sprachlich unterscheidet § 50d Abs. 3 EStG klar zwischen einerseits den konkreten Einkünften im Rahmen der persönlichen Entlastungsberechtigung des Hs. 1 und andererseits eben den Bruttoerträgen, die nicht aus eigener Wirtschaftstätigkeit stammen in Hs. 2, die auch in Hs. 3 Nr. 1 nochmals als diese Erträge aufgegriffen werden. Dieser trennscharfe Wortlaut spricht dagegen, den Bezugsmaßstab der Bruttoerträge nun doch mit den konkreten Einkünften gleichzusetzen.31 Weiterhin wird auf diejenigen Bruttoerträge abgestellt, die im betreffenden Wirtschaftsjahr erzielt werden. Der Verweis auf einen Referenzzeitraum ergäbe keinen Sinn, wenn es allein um die jeweiligen quellensteuerbelasteten Einkünfte ginge.32 Als das betreffende Wirtschaftsjahr soll nach Ansicht der Finanzverwaltung das Jahr des Ertragszuflusses (bei Erstattung gem. § 50d Abs. 1 S. 2 ff. EStG) bzw. das Jahr der Antragstellung (bei Freistellung gem. § 50d Abs. 2 EStG) gelten.33 Insbesondere kann diese wörtliche Auslegung dann zu einem günstigeren Ergebnis für den Steuerpflichtigen führen, wenn die konkreten Einkünfte gerade nicht zu den eigenwirtschaftlichen Erträgen gehören. In der Praxis wird das – 29 Maerz/Guter, IWB 2011, 923 (927). Von Lüdicke, IStR 2012, 81 (84) treffend als bloße „Stimmungsmache“ bezeichnet. 30 Siehe nur den Titel des Beitrags von Lüdicke, IStR 2012, 81 (81), sowie im Folgenden die Bewertung unter C.III, S. 496. 31 Ebenso Lüdicke, IStR 2012, 80 (83 f.). 32 Lüdicke, IStR 2012, 80 (84). 33 BMF, Schreiben vom 24.01.2012 – IV B 3 - S 2411/07/10016 (Anwendungserlass § 50d Abs. 3 EStG i.d.F. des BeitrRLUmsG) – IStR 2012, 160, Tz. 5.

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Nachtrag: § 50d Abs. 3 EStG i.d.F. des BeitrRLUmsG

etwa bei „passiven“ Dividenden – vermutlich sogar der häufiger anzutreffende Fall sein. Denn diese profitieren nach dem Wortlaut nun zumindest anteilig von anderen unschädlichen Erträgen der Zwischengesellschaft, unabhängig von einem (funktionalen) Zusammenhang.34 Dies gilt vor allem unter der Prämisse, dass die zweite sachliche Entlastungsberechtigung aufgrund der restriktiven Auslegung der beachtlichen wirtschaftlichen Gründe keine weitere Entlastung bringt und daher die eigenwirtschaftliche Tätigkeit der maßgebliche Test bleibt.35 Insoweit wird zumindest eine Zielrichtung der Neufassung umgesetzt, dass nämlich allein das Unterschreiten der 10%-Klausel gerade nicht mehr schädlich ist und allein deshalb die gesamte Entlastung versagt werden muss. Dies ist freilich ein schwacher Trost, wenn man bedenkt, dass bei strikter wörtlicher Auslegung dann eben aber auch nur z.B. 9% der Quellensteuer36 erstattet werden. Diese Sichtweise führt aber schon in praktischer Hinsicht zu einigen Problemen. Denn das maßgebliche Verhältnis der Bruttoerträge wird nur in seltenen Ausnahmefällen über mehrere Wirtschaftsjahre hinweg unverändert bleiben, so dass in der Folge auch die Quote der Entlastungsberechtigung variiert.37 Die Finanzverwaltung behilft sich mit einer de minimis-Regel, wonach bei einer Veränderung der Entlastungsquote um weniger als 30 Prozentpunkte eine Neuberechnung unterbleiben könne.38 Wie schon zur Fassung des JStG 2007 ist zwar die Vereinfachung zu begrüßen, was aber nichts an der Tatsache ändert, dass der starre Bezug im Wortlaut missglückt ist.39 Zudem dürfte die Berechnung der Quote eine zumindest anspruchsvolle Aufgabe werden, die insbesondere bei Durchgriff auf mittelbaren Beteiligungsstufen, bei unterschiedlich hohen Entlastungsansprüchen der einzelnen Gesellschafter und bei abweichenden Quellensteuersätzen in der Praxis kaum mehr handhabbar ist.40 Dass dies keine leeren Befürchtungen sind, zeigt schon das Berechnungsbeispiel in der ursprünglichen Fassung des Anwendungserlasses, das nur mit Mühe nachvollziehbar ist und – worauf Lüdicke dankenswerter-

34 35 36 37 38

Lüdicke, IStR 2012, 81 (85). Dazu im Folgenden C.I.2.c.aa, S. 489. Präziser gesagt: 9 % des Betrages, der bei vollständiger Entlastung zu gewähren wäre. Vgl. auch Lüdicke, IStR 2012, 81 (83); Maerz/Guter, IWB 2011, 923 (927). BMF, Schreiben vom 24.01.2012 – IV B 3 - S 2411/07/10016 (Anwendungserlass § 50d Abs. 3 EStG i.d.F. des BeitrRLUmsG) – IStR 2012, 160, Tz. 15. 39 Siehe oben B.I.2.b.cc(6), S. 396. Vgl. auch Lüdicke, IStR 2012, 148 (151), auch zur weiteren Vereinfachung durch Bezug auf frühere Wirtschaftsjahre. 40 Lüdicke, IStR 2012, 81 (86); Maerz/Guter, IWB 2011, 923 (927).

486

Kurzanalyse

weise aufmerksam gemacht hat – aufgrund divergierender Quellensteuersätze von Dividenden und Lizenzen sogar fehlerhaft war.41 Neben diesen praktischen Misslichkeiten besteht sodann noch ein teleologischer Widerspruch. Zwar geht es beim Treaty Shopping gerade um die Feststellung, ob die antragstellende Gesellschaft zur Erlangung von Quellensteuervorteilen eingeschaltet wurde, so dass es im Grundsatz richtig ist, den Blick auf eben die Zwischengesellschaft zu richten und deren „Gehalt“ – im Wesentlichen also deren eigenwirtschaftliche Tätigkeit, andere Gründe für ihre Einschaltung und ggf. auch deren Substanz im Sinne angemessener Ausstattung – zu überprüfen. Die „Aufteilungsklausel“ führt aber dazu, dass in den Fällen „passiver“42 Dividenden stets nur eine anteilige Entlastung gewährt wird und insoweit ein „quotaler Missbrauch“ suggeriert wird.43 Denn die Qualifikation der konkret quellensteuerbelasteten Einkünfte hat zumindest mittelbare Auswirkungen: Diese rechnen natürlich auch zu den gesamten Bruttoerträgen und wirken so auf das Verhältnis von schädlichen und unschädlichen Erträgen der ausländischen Gesellschaft ein. Mit anderen Worten: Solche Dividenden (und andere nicht eigenwirtschaftliche Einkünfte) „verwässern“ ihre eigene Entlastungsquote, und je nach Höhe der Erträge ist dieser Effekt mitunter ganz erheblich. In der Rechtsfolge der Aufteilungsklausel liegt insoweit auch eine ganz entscheidende systematische Abweichung: So bestand die Funktionsweise der klassischen Basisgesellschaftenrechtsprechung i.S.v. § 42 AO darin, dass die konkret quellensteuerbelasteten Einkünfte dem übergeordneten Gesellschafter zugerechnet wurden, in dessen Person dann die jeweiligen Begünstigungsvoraussetzungen überprüft wurden und eben tatbestandlich nicht vorlagen. Im Ergebnis war diese Verschiebung der Einkünftezurechnung auch Grundgedanke und Rechtsfolge der früheren Fassungen des § 50d Abs. 3 EStG.44 Aber nicht nur dies: Wie schon in der Fassung des JStG 2007 führt die Verhältnisrechnung letztlich dazu, dass auch andere „schädliche“ Erträge, die 41 BMF, Schreiben vom 24.01.2012 – IV B 3 - S 2411/07/10016 (Anwendungserlass § 50d Abs. 3 EStG i.d.F. des BeitrRLUmsG) – IStR 2012, 160, Tz. 12. Siehe dazu Lüdicke, IStR 2012, 148 (151). Die Finanzverwaltung sah das wohl genauso und hat – im Übrigen ohne Angabe von Gründen und ohne die Änderung kenntlich zu machen – in der auf der BMF-Homepage veröffentlichten Version das Berechnungsbeispiel entsprechend korrigiert, hierzu siehe IStR 2012, 234. 42 D.h. insbesondere Dividenden, die nicht als Erträge aus eigenwirtschaftlicher Tätigkeit qualifizieren, weil sie nicht aus einer aktiv verwalteten Beteiligung stammen und auch nicht unter die Ausnahme einer funktionalen Zugehörigkeit zu einer anderen eigenwirtschaftlichen Tätigkeit zu subsumieren sind. 43 Lüdicke, IStR 2012, 148 (149). 44 Dazu ausführlich m.w.N. B.II.1.b.aa, S. 428.

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Nachtrag: § 50d Abs. 3 EStG i.d.F. des BeitrRLUmsG

nicht quellensteuerbelastet sind oder gar aus (dritt-)ausländischen Einkunftsquellen stammen, über die Entlastung nach § 50d EStG entscheiden. Im Ergebnis darf dies nicht sein, so dass solche Einkünfte bei teleologischer Betrachtung nicht zu den maßgeblichen Bruttoerträgen zu zählen sind.45 Eine andere Auffassung würde auch dazu führen, dass die Zwischengesellschaft zur Auslagerung von solchen schädlichen Einkünften allein im Hinblick auf deutsche Quellensteuer gezwungen wäre.46 In der Fassung des JStG 2007 war dabei allein entscheidend, ob durch diese Betrachtung der Referenzwert von 10 % aus eigenwirtschaftlicher Tätigkeit noch erreicht werden konnte. Im Hinblick auf eine fortbestehende Vereinfachungswirkung erschien es insoweit sachgerecht, die Steuerpflichtigen auf den Gegenbeweis des § 42 Abs. 2 S. 2 AO verweisen zu dürfen und nach dieser Beweislastverteilung über das „Ob“ eines Missbrauchs zu entscheiden. In der jetzigen Fassung wirkt sich aber jede Veränderung zumindest theoretisch47 auf die begünstigte Quote aus. Im Ergebnis wird daher auch der Umfang des Missbrauchs zu einer dauernden Streitfrage, so dass bei Vorliegen solcher anderen Erträge konsequenterweise stets der Gegenbeweis eröffnet wäre. Dies kann als weiterer Beleg dafür gesehen werden, dass die Aufteilungsklausel verfehlt ist. cc.

Das Verhältnis zur zweiten sachlichen Entlastungsberechtigung, § 50d Abs. 3 S. 1 Hs. 3 EStG

Soweit eine eigene Wirtschaftstätigkeit vorliegt, ist es grundsätzlich unbeachtlich, ob ein wirtschaftlicher Grund für die Zwischenschaltung der Gesellschaft i.S.v. Hs. 3 Nr. 1 vorliegt oder ob die Gesellschaft über einen angemessen eingerichteten Geschäftsbetrieb i.S.v. Hs. 3 Nr. 2 verfügt. Denn Hs. 3 kann dem Wortlaut nach nur relevant werden, soweit gerade keine Bruttoerträge aus eigener Wirtschaftstätigkeit (d.h. „schädliche“ Einkünfte) vorliegen. Dass dies dennoch nicht uneingeschränkt gelten kann, liegt – wie im Folgenden noch zu zeigen ist – nicht nur an der Auslegung der Tatbestandsmerkmale der zweiten Entlastungsberechtigung, insbesondere unter Berücksichtigung der Genese der Vorschrift, sondern ganz vordergründig auch am fortbestehenden Abs. 3 S. 3. Hiernach soll es (weiterhin) an einer eigenen Wirtschaftstätigkeit fehlen, soweit die ausländische Gesellschaft ihre wesentlichen Geschäftstätigkeiten auf Dritte überträgt. Insoweit besteht ein Überschneidungsbereich mit Hs. 3 Nr. 2, der auch die Frage ausreichenden Personals (sowohl in quantitativer Hinsicht

45 Zu den Fallgestaltungen siehe oben B.I.2.b.cc(6), S. 396. 46 Lüdicke, IStR 2012, 148 (150). 47 In der Praxis wird dies abgemildert durch die zuvor genannte de minimis Billigkeitsregeln der Finanzverwaltung.

488

Kurzanalyse

als auch in Bezug auf dessen Qualifizierung) als Frage des angemessenen Geschäftsbetriebs erfasst.48 c.

Sachliche Entlastungsberechtigung aufgrund wirtschaftlichen Grundes und angemessenen Geschäftsbetriebs, § 50d Abs. 3 S. 1 Hs. 3

Nach der Neufassung wird eine Entlastung auch dann gewährt, soweit für die Einschaltung der ausländischen Gesellschaft wirtschaftliche oder sonst beachtliche Gründe vorliegen und – kumulativ – sie mit einem für ihren Geschäftszweck angemessenen eingerichteten Geschäftsbetrieb am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr teilnimmt, § 50d Abs. 3 S. 1 Hs. 3 EStG („zweite sachliche Entlastungsberechtigung“).49 Auch insoweit liegen dann „unschädliche“ Erträge vor. Wie zu zeigen ist, führt dieser § 50d Abs. 3 S. 1 Hs. 3 EStG bei herkömmlicher Auslegung aber nur selten zu einer Entlastung über den nach Anwendung des Hs. 2 ermittelten Anteil hinaus. aa.

Wirtschaftlicher oder sonst beachtlicher Grund, Hs. 3 Nr. 1

Erforderlich ist zum einen, dass für die Einschaltung der ausländischen Gesellschaft ein wirtschaftlicher oder sonst beachtlicher Grund vorliegt. Dieses Tatbestandsmerkmal wird – in Anlehnung an die ältere Basisgesellschaftenrechtsprechung – von der Finanzverwaltung traditionell restriktiv ausgelegt.50 Hieran wird in der Neufassung festgehalten, insbesondere auch an der Unbeachtlichkeit einer Konzernbetrachtung.51 Faktisch fiel das bislang nicht ins Gewicht, da – ungeachtet der Alternativität der einzelnen sachlichen Versagungsgründe in der Fassung des JStG 2007 – 48 BMF, Schreiben vom 24.01.2012 – IV B 3 - S 2411/07/10016 (Anwendungserlass § 50d Abs. 3 EStG i.d.F. des BeitrRLUmsG) – IStR 2012, 160, Tz. 7. Noch mehr als zuvor in der Fassung des JStG 2007 stellt sich somit die Frage des Verhältnisses der einzelnen sachlichen Versagungsgründe. 49 Zu den Begriffen „persönliche“ und „sachliche“ Entlastungsberechtigung siehe BMF, Schreiben vom 24.01.2012 – IV B 3 - S 2411/07/10016 (Anwendungserlass § 50d Abs. 3 EStG i.d.F. des BeitrRLUmsG) – IStR 2012, 160, Tz. 1; siehe auch Lüdicke, IStR 2012, 81 (82). 50 Siehe grundlegend im 1. Teil, A.I.2.d.bb, S. 96 ff. Die restriktive Interpretation betonen auch Engers/Dyckmans, Ubg 2011, 929 (932). 51 BMF, Schreiben vom 24.01.2012 – IV B 3 - S 2411/07/10016 (Anwendungserlass § 50d Abs. 3 EStG i.d.F. des BeitrRLUmsG) – IStR 2012, 160, Tz. 6. Zu Für und Wider einer Konzernbetrachtung siehe insbesondere auch oben B.I.2.b.bb(3), S. 381. Das einzige Zugeständnis einer „eigenwirtschaftlichen Tätigkeit im Aufbau“ dürfte kaum große Relevanz erlangen, da entsprechende Anlaufzeiten in der Praxis mittels zeitlicher Steuerung entsprechender Ausschüttungen bzw. Lizenzvereinbarungen im Regelfall auch so gut überbrückbar sein dürften.

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Nachtrag: § 50d Abs. 3 EStG i.d.F. des BeitrRLUmsG

die eigenwirtschaftliche Tätigkeit als die maßgebliche Hürde angesehen wurde und bei Bejahung einer solchen Tätigkeit regelmäßig auch ein wirtschaftlicher Grund indiziert war.52 Nach der hier vertretenen Auffassung korrespondiert dies mit der systematischen Unterscheidung zwischen dem einzelnen Tatbestandsmerkmal des wirtschaftlichen Grundes i.S.v. Abs. 3 S. 1 Hs. 2 Nr. 1 a.F., das schon bei jeder Realisierung eines betrieblichen Vorteils anzunehmen ist, und der Gesamtbetrachtung der sachlichen Versagungsgründe des Abs. 3 S. 1 Hs. 2 Nr. 1-3 als wirtschaftlicher Grund i.S.v. § 42 Abs. 2 S. 2 AO, welche aus der Rückbindung an den abstrakten Rahmen des § 42 Abs. 2 AO folgt.53 Es erscheint fraglich, ob man sich nach der neuen Systematik und dem Hintergrund der Gesetzesänderung noch auf die bisherige Formel, dass eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit auch einen wirtschaftlichen Grund indiziert, verlassen darf, und welche Gründe stattdessen die (verbliebene) Quellensteuererleichterung rechtfertigen könnten. Zunächst ist aber festzustellen, worauf sich der wirtschaftliche Grund beziehen muss, denn § 50d Abs. 3 S. 1 Hs. 3 Nr. 1 EStG spricht nun davon, dass dies in Bezug auf diese Erträge zu prüfen sei. Hierbei handelt es sich quasi um den Gegenpart des oben diskutierten Bezugspunkts: Bei wörtlicher Auslegung sind die per Betrachtung der Gesamttätigkeit der Zwischengesellschaft ermittelten schädlichen Erträge gemeint, bei anderer Auslegung wiederum die konkret abzugspflichtigen Einkünfte, die eben nach der ersten sachlichen Entlastungsberechtigung des S. 1 Hs. 2 nicht schon als unschädlich qualifizieren.54 Es zeigt sich, dass das Tatbestandsmerkmal des wirtschaftlichen Grundes in der Neufassung für beide Auslegungsvarianten elementar ist. Bei Zugrundelegung der wörtlichen Auslegung wird hiermit über die „Restquote“ entschieden, die nach Anwendung der ersten sachlichen Entlastungsberechtigung verbleibt – entweder weil die konkrete Einkünfte selbst „schädlich“ sind oder die Gesellschaft andere schädliche Erträge erwirtschaftet. In der alternativen Auslegung geht es sogar um ein „Alles-Oder-Nichts“, wenn die streitigen Einkünfte – was praktisch mitunter der häufigere Fall sein wird – eben nicht aus als eigenwirtschaftlicher Tätigkeit stammend angesehen werden, z.B. weil die Finanzverwaltung keine geschäftsleitende Holdingtätigkeit anerkennt. 52 Vgl. Lüdicke, IStR 2012, 81 (83); zurückhaltend Engers/Dyckmans, Ubg 2011, 929 (933). Zur gegenseitigen Indizwirkung in der (älteren) Rechtsprechung des BFH siehe im 1. Teil, A.I.2.d.bb, S. 96 ff. 53 Vgl. ausführlich oben B.II.1.aa(3), S. 424 m.w.N. 54 Zur wörtlichen Auslegung siehe BMF, Schreiben vom 24.01.2012 – IV B 3 – S 2411/07/10016 (Anwendungserlass § 50d Abs. 3 EStG i.d.F. des BeitrRLUmsG) – IStR 2012, 160, Tz. 6; vgl. auch Lüdicke, IStR 2012, 81 (84). Zur Gegenauffassung siehe Dorfmüller/Fischer, IStR 2011, 857 (861); Engers/Dyckmans, Ubg 2011, 929 (933); vgl. aber auch Behrens, AG 2011, 863 (866).

490

Kurzanalyse

Dass es hierbei nach Sinn und Zweck der Vorschrift auf Einkünfte ohne Bezug zu deutschen Quellensteuern nicht ankommen darf, wurde bereits dargelegt. Im Ergebnis verbleiben damit alleine noch diejenigen Einkünfte, deren Qualifikation als „schädlich“ nach der alternativen Auslegung (konkrete Betrachtung) jedenfalls dann relevant wird, wenn auf sie tatsächlich Quellensteuer erhoben würde. Selbst bei diesen Einkünften leuchtet aber wenig ein, warum sie – insbesondere deren Höhe im Verhältnis zu den konkret betrachteten Einkünften – über die Entlastungsquote entscheiden sollen. Auch dies ist ein Beleg dafür, dass die im Wortlaut angelegte Aufteilung per Gesamtbetrachtung verfehlt ist und eine konkrete Betrachtung zweckgerichteter (gewesen) wäre. Da nach Sinn und Zweck ein quotaler Missbrauch aber jedenfalls für solche Einkünfte ausscheiden muss, die selbst als eigenwirtschaftliche qualifizieren, muss selbst in der wörtlichen Auslegung die Restquote über die bereits zur Fassung des JStG 2007 vertretene weite Auslegung des wirtschaftlichen Grundes korrigiert werden, so dass auch hier – die Substanz i.S.v. Hs. 3 Nr. 2 unterstellt – jeder betriebliche Vorteil ausreichend wäre.55 Wenn man den Anlass der Änderung durch das BeitrRLUmsG bedenkt und damit eine Verschärfung der Norm vermeiden will, wäre weiterhin zu überlegen, ob nicht selbst bei unterstellter Gesamtbetrachtung der Aufteilungsquote die eigenwirtschaftliche Tätigkeit auch weiterhin einen wirtschaftlichen Grund für die übrigen passiven Einkünfte indiziert – jedenfalls dann, wenn es sich um nicht untergeordnete Tätigkeiten handelt und zumindest irgendein sachlicher Zusammenhang angenommen werden kann.56 Es gibt m.E. keinen Grund, dies nicht insgesamt zum Maßstab der zweiten sachlichen Entlastungsberechtigung zu erklären. Die enge Auslegung des Merkmals wirtschaftlicher Grund durch die Finanzverwaltung darf dem nicht entgegen stehen. bb.

Angemessen eingerichteter Geschäftsbetrieb, Hs. 3 Nr. 2

Bei der zweiten sachlichen Entlastungsberechtigung muss weiterhin noch das Erfordernis eines angemessen eingerichteten Geschäftsbetriebs erfüllt sein, Hs. 3 Nr. 2. Auch dieses Tatbestandsmerkmal bringt wenig Neues – die „Fron55 Vgl. ausführlich oben B.I.2.b.bb(1), S. 377 m.w.N., und B.II.1.aa(3), S. 424, zur Gesamtbetrachtung der sachlichen Versagungsgründe des Abs. 3 S. 1 Hs. 2 Nr. 1-3 als wirtschaftlicher Grund i.S.v. § 42 Abs. 2 S. 2 AO, welche aus der Rückbindung an den abstrakten Rahmen des § 42 Abs. 2 AO folgt. 56 Freilich wird damit ein „Verbot der Schlechterstellung“ propagiert, dass sich der Entstehungsgeschichte der Vorschrift nicht zwingend entnehmen lässt. Unter Berücksichtigung des hier vertretenen Konzepts der Kollision verschiedener Missbrauchsmaßstäbe lässt sich ansonsten aber eine sinnvolle Einbindung der Neufassung in den festgestellten Rahmen – insbesondere unter Berücksichtigung der Rangwirkungen – nur schwerlich rechtfertigen. Die Einschränkung eines gewissen sachlichen Zusammenhangs kann dabei der ständigen Rechtsprechung zu den sog. Alibitätigkeiten Rechnung tragen.

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Nachtrag: § 50d Abs. 3 EStG i.d.F. des BeitrRLUmsG

ten“ scheinen klar verteilt, insbesondere was die Berechtigung des Merkmals an sich und die Auslegung eines angemessenen Geschäftsbetriebs betrifft. In der Neufassung lohnt sich aber wiederum der Blick auf den Bezugspunkt, da die Zwischengesellschaft den angemessenen Geschäftsbetrieb für ihren Geschäftszweck nachweisen muss. Nach einer Ansicht sei dabei auch in Hs. 3 Nr. 2 hineinzulesen, dass dies in Bezug auf diese Erträge zu prüfen sei.57 Demnach könnte der angemessene Geschäftsbetrieb der Gesellschaft nur im Hinblick auf die nicht aus eigenwirtschaftlicher Tätigkeit stammenden Erträge (sei es bei der Ermittlung der Quote im Rahmen der Gesamtbetrachtung oder konkret bei den jeweiligen Einkünften) relevant werden. Dann müssten aber auch die Anforderungen entsprechend reduziert werden, da eine bloße Kapitalanlage keinen besonderen Geschäftsbetrieb erfordert.58 Nach anderer Ansicht ist der Geschäftszweck des Gesamtunternehmens maßgeblich, da sich der Passus in Bezug auf diese Erträge systematisch nicht auf die Nr. 2 beziehen kann.59 Allerdings kommt es im Rahmen der ersten sachlichen Entlastungsberechtigung für die Erträge aus eigener Wirtschaftstätigkeit (jedenfalls deren anteilige Quote) gerade nicht60 auf einen angemessene Ausstattung der Zwischengesellschaft an. Es stellt sich daher zu Recht die Frage, warum dieser Bereich nun für den verbliebenen Anteil des Gesamtunternehmens relevant sein soll.61 Mit anderen Worten wäre eine Versagung der Entlastung im Bezug auf die nicht eigenwirtschaftlichen Erträge befremdend, wenn dies auf eine zu geringe Substanz im Bereich der eigenwirtschaftlichen Erträge zurückzuführen wäre. Das Ergebnis wäre dem der ersten Ansicht vergleichbar. Das Substanzerfordernis hätte insoweit an Bedeutung verloren. Auch in der Neufassung ist das Verhältnis der einzelnen sachlichen Merkmale somit wenig abgestimmt. Historisch wurde das Substanzerfordernis daraus abgeleitet, dass ansonsten keine eigene Wirtschaftstätigkeit vorliegt.62 Als Relikt dieses systematischen Zusammenhangs kann man es bezeichnen, wenn es weiterhin gem. Abs. 3 S. 3 (wie schon nach dem JStG 2007) an einer eigenen Wirtschaftstätigkeit fehlen soll, soweit die ausländische Gesellschaft ihre wesentlichen Geschäftstätigkeiten auf Dritte überträgt. Insoweit besteht ein Überschneidungsbereich mit Hs. 3 Nr. 2, der grundsätzlich auch die Frage ausreichenden Personals (sowohl in quantitativer Hinsicht als auch in Bezug auf 57 58 59 60

Behrens, AG 2011, 863 (865). Hierzu siehe schon (zur Fassung des JStG 2007) B.I.2.b.dd, S. 401. Engers/Dyckmans, Ubg 2011, 929 (934). Jedenfalls vorbehaltlich des Abs. 3 S. 3 und solange überhaupt eine Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr stattfindet, dazu siehe auch Behrens, AG 2011, 863 (865). 61 Engers/Dyckmans, Ubg 2011, 929 (934). 62 Siehe im 1. Teil, B.I.2.d.bb(3)(b), S. 105.

492

Kurzanalyse

dessen Qualifizierung) als Frage des angemessenen Geschäftsbetriebs erfasst.63 Zudem bleibt die Teilnahme am allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr sowohl ein Element der eigenen Wirtschaftstätigkeit, als auch des Hs. 3 Nr. 2. Hieraus ist einerseits zu folgern, dass aufgrund der – mit dem BeitrRLUmsG nun verfestigten – Auslagerung des Substanzerfordernisses auf eine gesondert zu prüfende Entlastungsberechtigung Tendenzen zur Einschränkung der eigenen Wirtschaftstätigkeit entgegengetreten werden muss. Andererseits zeigt dies wiederum, dass sich § 50d Abs. 3 EStG mit jeder (erzwungenen) Änderung nur weiter von der ursprünglich zugrundeliegenden Systematik entfernt. Im Hinblick auf Praktikabilität und Konformität der Norm mit anderen Regelungsbereichen ist dies kontraproduktiv.

3.

Die „Neuregelung“ der Feststellungslast

Nach § 50d Abs. 3 S. 5 EStG n.F. trägt die ausländische Gesellschaft die Feststellungslast für das Vorliegen wirtschaftlicher oder sonst beachtlicher Gründe i.S.v. S. 1 Nr. 1 sowie des Geschäftsbetriebs i.S.v. S. 1 Nr. 2. Dabei kann man durchaus nach der Erforderlichkeit dieser Änderung fragen. So wird vertreten, dass sich wegen der erhöhten Mitwirkungspflicht des § 90 Abs. 2 AO gar keine Neuerung zur bisherigen Rechtslage ergebe, und dies doch die Finanzverwaltung auch schon bisher so gesehen habe.64 Nach der Gesetzesbegründung sei dies aber zur Gleichstellung mit Inlandssachverhalten geboten.65 Gemeint ist wohl die ausdrücklich veränderte Nachweislast im Wege der Neufassung des § 42 Abs. 2 S. 2 AO, wonach der Steuerpflichtige einen wirtschaftlichen oder sonst beachtlichen Grund nachweisen muss. Dies ist wohl der Grund, warum nur die zweite sachliche Entlastungsberechtigung ausdrücklich adressiert ist. Jedenfalls in der Theorie verbleibt gegenüber der Fassung des JStG 2007 aber insoweit ein feiner Unterschied, als ein Verstoß gegen die Mitwirkungspflicht nach auch hier vertretener Auffassung nicht zu einer Umkehrung der objektiven Beweislast (Feststellungslast), sondern nur zu einer Reduzierung des Beweismaßes führt.66 Aufgrund der freien tatrichterlichen Beweiswürdigung wird sich dies praktisch zwar nur in höchst seltenen Ausnahmefällen auswirken. Vor diesem theoretischen Hintergrund ist es aber dennoch bedenklich, wenn die Finanzverwaltung im Erlasswege die Umkehrung der Feststellungslast auch

63 Siehe oben C.I.2.b.cc, S. 488. 64 Engers/Dyckmans, Ubg 2011, 929 (935). 65 26.10.2011, BT-Ds. 17/7469, S. 59. Gemeint ist wohl die ausdrücklich veränderte Nachweislast im Wege der Neufassung des § 42 Abs. 2 S. 2 AO. 66 Siehe oben B.I.2.d.aa, S. 411.

493

Nachtrag: § 50d Abs. 3 EStG i.d.F. des BeitrRLUmsG

auf die anderen Entlastungsberechtigungen ausweiten will.67 Im Umkehrschluss der ausdrücklichen Beschränkung auf S. 1 Hs. 3 Nr. 1 und Nr. 2 und ausgehend von den gesetzgeberischen Motiven kann man dies durchaus als contra legem bezeichnen.68

II.

Kollisionsfragen

1.

Rechtskreisinterne Kollision

In der Neufassung erscheint sehr fraglich, ob sich § 50d Abs. 3 EStG noch in den abstrakten Rahmen des § 42 Abs. 2 AO einbinden lässt. Insbesondere die bei wörtlicher Auslegung erforderliche Gesamtbetrachtung der gesamten Einkünfte führt mit ihrer standardmäßig anzutreffenden Rechtsfolge – der nur anteilig zu gewährenden Entlastung – inzident zur Annahme eines „quotalen Missbrauchs“. In ein abgestuftes System von Vereinfachung durch Typisierungswirkung und angemessener Nachweislastverteilung lässt sich dies nur schwerlich einordnen. Für die geltende Fassung muss aber das Kriterium sein, dass es sich um eine verhältnismäßige Typisierung nicht nur der Unangemessenheit, sondern auch der Rechtfertigung i.S.v § 42 Abs. 2 AO handeln muss. Dies ist – neben der Rückbindung an den Rahmen des § 42 AO – zugleich der entscheidende Ansatz, um die Norm auch verfassungsrechtlich würdigen zu können. Es ist zumindest zweifelhaft, ob § 50d Abs. 3 EStG i.d.F. des BeitrRLUmsG dem gerecht werden kann. Durch eine zweckorientierte Auslegung werden sich zwar auch diesmal einige der kritischen Konstellationen lösen lassen. Die einzelnen Ansätze hierzu sind teilweise mit der Altfassung vergleichbar, insoweit als der wirtschaftliche Grund i.S.v. § 50d Abs. 3 S. 1 Hs. 3 Nr. 1 EStG weit auszulegen ist, bestimmte „schädliche“ Bruttoerträge außer acht zu lassen sind, und weitere Vereinfachungen für die praktische Anwendung, z.B. bei der Quotenermittlung über mehrere Jahre, vorzunehmen sind. Aber auch jenseits dieser Korrekturen ist als Folge der Aufteilungsklausel festzustellen, dass § 50d Abs. 3 EStG – zumindest für die restliche Entlastungsquote – über die Typisierung der allgemeinen Missbrauchsmaßstäbe hinausgeht und damit die teleologische – und rangbedingte – Reduktion der Konkretisierungswirkung stets greifen muss. Mit anderen Worten kann § 50d Abs. 3 EStG in dieser Form nur dann aufrechterhalten werden, wenn der Gegenbeweis des § 42 Abs. 2 S. 2 AO stets 67 BMF, Schreiben vom 24.01.2012 – IV B 3 - S 2411/07/10016 (Anwendungserlass § 50d Abs. 3 EStG i.d.F. des BeitrRLUmsG) – IStR 2012, 160, Tz. 13. 68 Anders kann dies dann gesehen werden, wenn man die Gesamtheit aller Entlastungsberechtigungen des § 50d Abs. 3 EStG n.F. insgesamt unter den wirtschaftlichen Grund i.S.d. § 42 Abs. 2 S. 2 AO subsumiert, vgl. oben bei Fn. 53.

494

Kollisionsfragen

anzuwenden ist. Dieser Nachweis dürfte zumindest dann erbracht sein, wenn die streitigen Einkünfte bei konkreter Betrachtung – so wie in der überwiegenden Literatur vorgeschlagen – die Anforderungen des § 50d Abs. 3 Hs. 2 (erste sachliche Entlastungsberechtigung) erfüllen.

2.

Rechtskreisübergreifende Kollision

Auch ein Blick auf die rechtskreisübergreifende Kollision mit dem Unionsrecht bestätigt den kritischen Eindruck. Hierbei muss sich der Gesetzgeber ganz besonders sein eigentliches Ziel der Neufassung vorhalten lassen, namentlich eine verbesserte – bzw. erstmalige – Kompatibilität69 mit den entsprechenden unionsrechtlichen Missbrauchsmaßstäben. Teilweise wird vertreten, dass sich der Gesetzgeber mit der Neuregelung nun auf europarechtskonformem Terrain bewege, da der Beweis der wirtschaftlichen Tätigkeit dem Steuerpflichtigen nunmehr möglich sei und Zweifel in einzelnen Konstellationen im Wege der Auslegung zu beheben seien.70 Die Auslagerung der eigenen Wirtschaftstätigkeit auf eine eigenständige Entlastungsberechtigung führt zwar in der Tat dazu, dass umgekehrt für eine Versagung stets das Fehlen einer solchen anzunehmen ist und damit auch der Steuerpflichtige einen entsprechenden Nachweis vorbringen kann. Insoweit wurde richtigerweise zumindest der „Versuch eines Motivtests“ unternommen.71 Die überwiegende Auffassung hält diesen Versuch aber für misslungen und geht weiterhin von einer bloßen Missbrauchsvermutung ohne echten Motivtest aus, die auch nicht künstliche Gestaltungen erfasse; allein durch eine geltungserhaltende Reduktion oder schlichte Nichtanwendung könne ein unionsrechtskonformer Zustand erreicht werden.72 Da die Neufassung wohl mit der Kommission abgesprochen war, stellt sich zu Recht die Frage, ob der Kommission die restriktive Auslegung der einzelnen Tatbestandsmerkmale durch die Finanzverwaltung bewusst war.73 Nach der hier vertretenen Auffassung ist entscheidend, dass die Aufteilungsklausel ganz regelmäßig keine vollständige Entlastung gewähren kann und somit allein § 50d Abs. 3 S. 1 Hs. 2 EStG keinen echten Motivtest gewährleistet. Die nur anteilige Gewährung von Quellensteuerentlastungen stellt aber nach wie vor eine Ungleichbehandlung dar, die eben nicht stets auch auf miss69 Zur Unionsrechtskonformität wegen der Anwendung des § 42 Abs. 2 S. 2 AO de lege lata und zur erforderlichen Änderung de lege ferenda siehe oben B.III, S. 474. 70 Musil, FR 2012, 149 (152). 71 Kraft/Gebhardt, DB 2012, 80 (83). 72 Behrens, AG 2011, 863 (867); Engers/Dyckmans, Ubg 2011, 929 (934); Lüdicke, IStR 2012, 81 (84 f.). 73 Engers/Dyckmans, Ubg 2011, 929 (934); Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50d Rn. 29k.

495

Nachtrag: § 50d Abs. 3 EStG i.d.F. des BeitrRLUmsG

bräuchliche Gestaltungen im Sinne unionsrechtlicher Maßstäbe zurückzuführen ist. Zumindest für die Bewältigung der Kollision auf der konkreten Prüfungsebene kann hierbei – wie zuvor i.d.F. des JStG 2007 – die ergänzende Anwendung des § 42 Abs. 2 S. 2 AO eine unionskonforme Anwendung ermöglichen. Da dies aufgrund der Rückbindung an § 42 AO schon aus dem Blickwinkel des nationalen Rechts in den allermeisten Fallgestaltungen erforderlich ist, mag man hier nicht einmal die Kollisionsregel des Ranges bemühen, die aber jedenfalls zusätzlich auf die erforderliche Reduzierung der Konkretisierungswirkung einwirkt. Dass diese Korrektur die gesamte Anwendung der Norm prägt, kann aber zu der Erkenntnis führen, dass jedenfalls bei wörtlicher Auslegung schon keine sachgerechte Typisierung mehr vorliegt und insoweit bereits zuvor, auf der ersten, abstrakten Prüfungsebene der typisierenden Missbrauchsnorm ein unverhältnismäßiger Eingriff festgestellt werden könnte.74 Allein schon deshalb dürfen in der Neufassung weder an eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit noch an den wirtschaftlichen Grund besondere Anforderungen gestellt werden. Die zu enge Auffassung der Finanzverwaltung kann insoweit keinen Bestand haben.

III. Bewertung Auch wenn die Veränderungen durch das BeitrRLUmsG an den einzelnen (sachlichen) Tatbestandsmerkmalen des § 50d Abs. 3 EStG geringfügig sind, so ergeben sich aus der veränderten systematischen Stellung doch mitunter weitreichende Folgen. Zwar erscheint das Konzept einer Aufteilungsklausel auf den ersten Blick begrüßenswert, und auch der stets mögliche Nachweis einer eigenwirtschaftlichen Tätigkeit stimmt zunächst positiv. Schon insoweit ist aber absehbar, dass die Qualifikation bestimmter Erträge als solche aus eigenwirtschaftlicher Tätigkeit vermehrt Streitpunkt sein wird.75 Beides wird aber dadurch konterkariert, dass in der Auslegung durch die Finanzverwaltung – die durch den Wortlaut der Norm vorgegeben scheint – regelmäßig nur eine anteilige Entlastung erreicht werden kann. Erst recht gilt dies, da gleichzeitig an der restriktiven Auffassung zu den einzelnen Merkmalen weitgehend festgehalten wird. Die beschriebenen Unzulänglichkeiten der Auslegung und des Bezugspunkts der eigenwirtschaftlichen Tätigkeit im Rahmen der Aufteilungsklausel fallen besonders dadurch ins Gewicht, dass die zweite sachliche Entlastungsberechtigung des § 50d Abs. 3 S. 1 Hs. 3 EStG 74 Zur Unterscheidung der Prüfungsebenen siehe bereits B.II.3.c, S. 461. 75 Vgl. auch Engers/Dyckmans, Ubg 2011, 929 (930); Lüdicke, IStR 2012, 148 (149). Vor diesem Hintergrund ist verstärkt zu fragen, ob die Einschränkung der aktiven Beteiligungsverwaltung auf mindestens zwei geleitete Gesellschaften noch zeitgemäß ist, dazu oben B.I.2.b.cc(2), S. 385.

496

Bewertung

bei herkömmlicher Auslegung durch die Finanzverwaltung nur selten eine Entlastung über den nach Anwendung des Hs. 2 ermittelten Anteil hinaus erreichen kann. Ein strikte Bindung an den Wortlaut bereitet dabei nicht nur in der praktischen Anwendung zahlreiche Probleme, sondern widerspricht mit der danach vorzunehmenden Aufteilung mitunter deutlich dem eigentlichen Regelungsziel.76 Zwar kann manchen Fehlergebnissen durch eine sachgerechte Auslegung einzelner Tatbestandsmerkmale gegen dieAuffassung der Finanzverwaltung entgegengetreten werden, aber eben nur teilweise. In der Neufassung wird dabei der Umfang des Missbrauchs zu einer dauernden Streitfrage, und teleologische Korrekturen dürften die gesamte Anwendungspraxis der Norm prägen. Nach der hier vertretenen Auffassung wird damit die Eröffnung des Gegenbeweises des § 42 Abs. 2 S. 2 AO faktisch durchgängig erforderlich sein. Im Ergebnis kann § 50d Abs. 3 EStG somit allenfalls noch als Typisierung der Unangemessenheit i.S.v. § 42 Abs. 2 S. 1 AO wirken und die gesonderte Begründung des gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteils ersetzen. Selbst wenn auf diese Weise die Neufassung noch als ausreichende Rückbindung an den abstrakten Rahmen des § 42 Abs. 2 AO und damit auch als verfassungsmäßige Typisierung Bestand haben könnte, kann dies dennoch nur zu der Erkenntnis führen, dass die Neufassung missraten ist.77 Weiterhin kommt hinzu, dass sich mit jeder Änderung nicht nur das Verhältnis der Merkmale untereinander von der ursprünglichen Systematik entfernt, sondern sich auch die Norm per se nur noch schwerlich in ein stimmiges Konzept von allgemeiner Missbrauchsnorm und speziellen, typisierenden Missbrauchstatbeständen einordnen lässt. Bei der Fassung des BeitrRLUmsG kann kaum noch von einer Vereinfachungswirkung und angemessener Nachweislastverteilung gesprochen werden. Stattdessen muss – überspitzt formuliert – die Systematik der bloßen „Erbsenzählerei“ in Form der Addierung einzelner Teil-Quoten weichen. Entscheidend gegen die Aufteilungsklausel, wie Sie von der Finanzverwaltung verstanden wird, spricht, dass § 50d Abs. 3 EStG damit vom grundlegenden Gedanken der Verschiebung der Einkünftezurechnung – der inneren Rechtfertigung jeglicher Ansätze gegen Treaty Shopping – abweicht. Erst dadurch entsteht das Dilemma eines „quotalen Missbrauchs“.78 Da auch eine verbesserte Unionsrechtskonformität nicht erreicht wurde, erscheint eine Nachbesserung unabdingbar.79 In der aktuellen Fassung stellt sich 76 Lüdicke, IStR 2012, 148 (149). 77 Vgl. hierzu nochmals den Titel des Beitrags von Lüdicke, IStR 2012, 81 (81); vgl. auch die Bewertung von Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50d Rn. 29k. 78 Siehe bereits oben bei Fn. 43. 79 Lüdicke, IStR 2012, 81 (85);

497

Nachtrag: § 50d Abs. 3 EStG i.d.F. des BeitrRLUmsG

aber auch mehr denn je die Frage nach dem Mehrwert einer solchen Vorschrift, wenn die Norm letztlich durchgängig an die Maßstäbe des § 42 AO (und des Unionsrechts) und der gefestigten (und bewährten) Rechtsprechung hierzu sowie zu den vorgängigen Fassungen des § 50d EStG angepasst werden muss. Der Vorschlag von Lüdicke, der als Alternative eine ersatzlose Aufhebung benennt,80 ist daher nicht von der Hand zu weisen. Wie im 1. Teil gezeigt81 könnte § 42 Abs. 2 AO – nicht zuletzt zusammen mit ohnehin vorrangigen, konkretisierenden Missbrauchsmaßstäben – durchaus eine sachgerechte Bewältigung des Treaty Shopping leisten. Allenfalls punktuell wäre dann noch eine Typisierung zu überlegen, die sodann aber eine echte Vereinfachung und die ausdrückliche Einbindung in den Rahmen des § 42 Abs. 2 AO – samt Gegenbeweismöglichkeit – bedingen würde. Der Gesetzgeber könnte sein propagiertes Ziel der Unionsrechtskonformität auf diese Weise ohne weiteres erreichen.

80 Lüdicke, IStR 2012, 81 (86). 81 Siehe insgesamt im 1. Teil, B.I.2.d.cc, S. 111 ff.

498

D.

§ 50g Abs. 4 EStG

Im Zuge der Umsetzung der Vergünstigungen der ZLRL hat sich der Gesetzgeber dazu entschlossen, in § 50g Abs. 4 S. 1 EStG eine eigene Missbrauchsklausel aufzunehmen, derzufolge die Entlastung i.S.d. § 50g Abs. 1 EStG zu versagen oder zu entziehen ist, wenn der hauptsächliche Beweggrund oder einer der hauptsächlichen Beweggründe für Geschäftsvorfälle die Steuervermeidung oder der Missbrauch sind; § 50d Abs. 3 EStG soll hiervon unberührt bleiben, § 50g Abs. 4 S. 2 EStG. Möglicherweise handelt es sich insoweit um einen selbständigen Missbrauchsvorbehalt bei Zins- und Lizenzgestaltungen, der gegen das Treaty Shopping (bzw. Directive Shopping), gerichtet ist; sowohl dessen inhaltliche Maßgaben als auch dessen Verhältnis im Hinblick auf bereits vorhandene unilaterale Missbrauchsnormen und die Anordnung des Art. 5 ZLRL bedürfen im Folgenden einer näheren Untersuchung.

I.

Normanalyse

1.

Systematik

§ 50g Abs. 4 S. 1 bezieht sich systematisch nur auf die (materielle) Entlastung gemäß § 50g Abs. 1 EStG und erfasst daher – im Vergleich zu § 50d Abs. 3 EStG einschränkend – nur Zins- und Lizenzeinkünfte, und nur solche, die sich infolge der ZLRL ergeben; somit handelt es sich ausschließlich um einen Fall des Directive Shopping. Möglichen DBA-Ansprüchen, d.h. insbesondere Ansprüchen von Gesellschaften, die in Drittstaaten ansässig sind, aber auch solchen von EU-Gesellschaften, die über die Vergünstigung der ZLRL hinausgehen, vgl. § 50g Abs. 5 EStG, steht daher nicht diese Norm entgegen. § 50g Abs. 1 EStG erfasst anders als § 43b EStG auch abfließende Zahlungen von Betriebsstätten, und nicht nur von selbständigen Rechtsträger. Von den unter § 50g Abs. 1 EStG zu subsumierenden Tatbeständen stellen Gestaltungen mit Lizenzzahlungen die in der Praxis wichtigere Fallgruppe dar, da diese regelmäßig sowohl der beschränkten Steuerpflicht, § 49 Abs. 1 Nr. 2, lit. f), Nr. 3, Nr. 6 bzw. Nr. 9 EStG, als auch einer Quellensteuer, § 50a Abs. 1 Nr. 3 EStG, unterfallen. Bei Zinsen besteht hingegen nur in wenigen Sonderfällen überhaupt eine Notwendigkeit zur Umgehung der Quellenbesteuerung;1 weitere Gestaltungshürden ergeben sich aus §§ 4h EStG, 8a KStG.

1

Siehe bereits in der Einleitung, C.III, S. 26 ff., aber auch zuvor im Rahmen des § 50d Abs. 3 EStG, B.I.1, S. 357.

499

§ 50g Abs. 4 EStG

§ 50g Abs. 4 EStG findet keine Anwendung, wenn schon der Tatbestand des Entlastungsanspruchs nicht gegeben ist. In diesem Zusammenhang ist insbesondere von Interesse, dass es sich gemäß Abs. 3 S. 1 beim Gläubiger der Zahlungen um den Nutzungsberechtigten handeln muss; es wird daher das Konzept des Nutzungsberechtigten, wie es auch in Art. 10-12 OECD-MA zum Ausdruck kommt, unilateral aufgegriffen.2 Auch dies kann im weitesten Sinne als Maßnahme gegen Treaty bzw. Directive Shopping angesehen werden, da es schon die formale Zwischenschaltung solcher Empfänger wie etwa Treuhänder verhindert, die über die Einkunftsquelle wirtschaftlich gar nicht verfügen können; mangels näherer völkerrechtlicher Vorgaben ist dies im nationalen Recht im Wesentlichen mit den Grundsätzen der wirtschaftlichen Zurechnung gleichzusetzen, so dass sich regelmäßig kein eigenständiger Anwendungsbereich ergibt.3 Dies zeigt sich gerade auch im Hinblick auf die „Definition“ des Abs. 3 Nr. 1 S. 2 lit. a); zumindest in Form des Abs. 3 Nr. 1 S. 2 lit. b) ergibt sich allenfalls ein Erkenntnisgewinn insoweit, als die wirtschaftliche Zurechnung der relevanten Einkünfte zu Betriebsstätten als mögliche Vergünstigte konkretisiert wird.4 § 50g Abs. 4 EStG stellt aufgrund seiner systematischen Stellung und aufgrund seiner allein auf § 50g Abs. 1 EStG bezogenen Rechtsfolge schon den materiellen Entlastungsanspruch unter Missbrauchsvorbehalt; auf verfahrensrechtliche Fragen kommt es mithin grundsätzlich nicht an.

2.

Tatbestand

Gemäß § 50g Abs. 4 S. 1 EStG ist die Entlastung zu versagen oder zu entziehen, wenn der hauptsächliche Beweggrund oder einer der hauptsächlichen Beweggründe für Geschäftsvorfälle die Steuervermeidung oder der Missbrauch sind. Es fällt auf, dass die Norm zum einen keinerlei objektive Maßgaben enthält, sondern sich allein auf subjektive Beweggründe bezieht; zum anderen wird nicht nur der Missbrauch, sondern sogar die bloße Steuervermeidung als schädlicher Beweggrund erachtet. Die Literatur steht diesem „Tatbestand“ nahezu einhellig ablehnend gegenüber. Kritisiert wird zum einen, dass die Tatbestandsvoraussetzungen höchst 2 3 4

Vgl. auch Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50g Rn. 13; Wagner, in: Blümich, ESt – KSt – GewSt, § 50g EStG Rn. 47. Ausführlich hierzu im 1. Teil, B.III.2.b.aa, S. 206. Nach Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50g Rn. 13, ist dies als (innentheoretische) Typisierung einfacher Missbrauchsregeln in Form sog. „Strohmänner“ anzusehen. Diese sind gegenüber allen anderen Missbrauchsvorbehalten systematisch vorrangig, da dann schon der Tatbestand der materiellen Vergünstigung entfällt. Zur Einzeldarstellung siehe auch Wagner, in: Blümich, ESt – KSt – GewSt, § 50g EStG Rn. 49 ff., sowie Rehfeld, in: H/H/R, § 50g EStG Rn. 10.

500

Normanalyse

unbestimmt und unpräzise seien und die Beweggründe als innere Tatsachen sind nur schwer und anhand äußerer Indizien zu ermitteln seien und die Subsumtion weitgehend tatrichterlichen Überzeugungsbildung überantwortet werde.5 Andernorts wird herausgestellt, dass es sich letztlich um einen deklaratorischen Verweis auf § 42 AO handele, da sich die Vorschriften ihrem Gehalt nach entsprechen.6 Ein substantieller Unterschied ergibt sich nur dann, wenn es getreu dem Wortlaut der Vorschrift für eine Versagung genügen soll, dass die Steuervermeidung einen der hauptsächlichen Beweggründe der Gestaltung darstellt.7 Diese kennzeichnet sich aber durch die bloße Nichtverwirklichung des Tatbestandes, und enthält im Gegensatz zur Steuerumgehung gerade kein wertendes Element des Missbrauchs: Steuerumgehung ist die durch den Missbrauch qualifizierte Steuervermeidung.8 Ob dies wirklich gewollt ist erscheint mehr als fraglich, denn dies hätte zur Folge, dass § 50g Abs. 4 S. 1 EStG tatsächlich über die Regelung des § 42 AO hinausginge und insbesondere selbst bei Vorhandensein eines beachtlichen außersteuerlichen Grundes ein weiterer wesentlicher Beweggrund der Steuervermeidung genügen würde, so dass ein weiter Anwendungsbereich bestünde.9 Im Übrigen liegt in jedem Antrag auf Gewährung der Vergünstigung letztlich die Motivation zur Vermeidung der Quellensteuer vor allem des § 50d EStG, so dass die Grundregel des § 50g Abs. 1 EStG praktisch ausgehöhlt wäre. Von daher erscheint es überzeugend, eine isolierte Betrachtung der Begriffe abzulehnen und damit nicht von Steuervermeidung oder Missbrauch, sondern insgesamt von der missbräuchlichen Steuervermeidung auszugehen und sich damit in Übereinstimmung mit § 42 AO zu begeben.10 Bestärkt wird dies durch einen Blick auf den Wortlaut des Art. 5 Abs. 2 ZLRL, der an dieser Stelle von Steuerumgehung und Missbrauch spricht, insoweit liegt ein schlichter

5 Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50g Rn. 13; ähnlich Nieland, in: Lademann, EStG § 50g EStG Rn. 70. 6 Nieland, in: Lademann, EStG § 50g EStG Rn. 70; Wagner, in: Blümich, ESt – KSt – GewSt, § 50g EStG Rn. 79, zur Altfassung des § 42 AO. Vgl. auch Frotscher, EStG, § 50g Rn. 35. 7 Frotscher, EStG, § 50g Rn. 34; Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50g Rn. 13;.Hahn, IStR 2010, 638 (643). 8 Ausführlich hierzu bereits im 1. Teil, A, S. 39 ff. m.w.N., insbesondere in Fn. 11. Hahn, IStR 2010, 638 (643), definiert dies als Verhalten des Steuerpflichtigen, das darauf abziele, für sein wirtschaftliches Handeln eine geringere steuerliche Belastung zu erreichen. 9 Frotscher, EStG, § 50g Rn. 34; Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50g Rn. 13; Hahn, IStR 2010, 638 (643). Vgl. auch Rehfeld, in: H/H/R, § 50g EStG Rn. 17. 10 Frotscher, EStG, § 50g Rn. 35; Hahn, IStR 2010, 638 (643); Rehfeld, in: H/H/R, § 50g EStG Rn. 17.

501

§ 50g Abs. 4 EStG

Übersetzungs- oder Übernahmefehler aus der Richtlinie nahe.11 Schon die einfache Normanalyse muss mangels eigenen echten Tatbestands den Regelungsgehalt des § 50g Abs. 4 S. 1 EStG mithin als äußerst fragwürdig einordnen; die Norm erscheint in Kontext der unterschiedlichen Missbrauchsnormen und maßstäbe schlicht verzichtbar.

II.

Kollisionsfragen

1.

Rechtskreisinterne Kollision

Dieser Befund wird dadurch bestärkt, dass § 50g Abs. 4 S. 1 EStG zudem jeglicher Klassifizierung spezieller Missbrauchsvorbehalte widerspricht: Diese qualifizieren sich durch die Typisierung des Missbrauchs i.S.v. § 42 Abs. 2 AO, nach hier zugrunde gelegtem Verständnis handelt es sich genaugenommen um die Konkretisierung des abstrakten Missbrauchsrahmens;12 § 50g Abs. 4 S. 1 EStG enthält indes keinerlei Maßgaben, die eine solche Konkretisierungswirkung herbeiführen könnten. Zudem ist ein Bedürfnis für eine weitere Generalklausel nicht erkennbar, auch da der Anwendungsbereich des § 42 AO aus Sicht des deutschen Rechts unbeschränkt ist. Es bleibt daher dabei, dass die Norm aus innerstaatlicher Sicht verzichtbar ist.13 Eine Versagung der Vergünstigung allein aufgrund des Beweggrundes der Steuervermeidung würde zudem der Struktur des § 42 Abs. 2 AO widersprechen und auch ansonsten schon begrifflich über den Missbrauchsvermeidungszweck hinausgehen. Ebenso wäre ein solches Verständnis kaum im Gesamtkontext der Missbrauchsvorbehalte folgerichtig; eine verfassungsrechtliche Rechtfertigung müsste in diesen Fällen von vornherein ausscheiden. Gestaltungen, die eine missbräuchliche Inanspruchnahme des § 50g Abs. 1 EStG bezwecken, muss – und kann – insoweit allein durch die bereits bestehenden Missbrauchsvorbehalte entgegengewirkt werden. Denn insbesondere erfasst § 50d Abs. 3 EStG – als im Vergleich des systematischen Anwendungsbereichs grundsätzlich umfassendere Norm14 – auch den materiellen Vergünstigungsanspruch des § 50g Abs. 1 EStG und stellt diesen im Kontext der verfahrensrechtlichen Umsetzung ohnehin unter einen speziellen Missbrauchsvorbehalt, dessen Maßstab insoweit § 42 Abs. 2 AO konkretisiert; eine Notwendigkeit für eine vorgelagerte Missbrauchsverhinderung schon auf Ebe11 Lohse, in: FS Reiß, S. 645. Vgl. auch Hahn, IStR 2010, 638 (639). 12 Ausführlich m.w.N. im 1. Teil, B.I.3.b, S. 123. 13 Hahn, IStR 2010, 638 (643 f.). Der von Wagner, in: Blümich, ESt – KSt – GewSt, § 50g EStG Rn. 77, gezogene Schluss, dass § 50g Abs. 4 S. 1 EStG und § 42 AO nebeneinander anwendbar seien, ist daher abzulehnen. 14 Siehe oben C.I.1, S. 499.

502

Kollisionsfragen

ne des materiellen Anspruchs ist nicht erkennbar. Soweit man § 50g Abs. 4 S. 1 AO tatsächlich einen Regelungsgehalt zuschreiben würde, bliebe diese Möglichkeit jedenfalls durch § 50g Abs. 4 S. 2 EStG unberührt.15 Zuzugeben ist, dass vermeintlich eine Lücke bei Zins- und Lizenzzahlungen an ausländische Betriebsstätten besteht, da § 50d Abs. 3 EStG mangels Vorliegens einer „Gesellschaft“ nicht anwendbar ist; von einer Analogie wird in der Literatur mangels planwidriger Regelungslücke abgesehen.16 Aber auch dann bedarf es § 50g Abs. 4 S. 1 EStG nicht, da schließlich die Versagung noch immer nach § 42 Abs. 2 AO erfolgen kann. Die Nichttatbestandsmäßigkeit des § 50d Abs. 3 EStG steht dem nach teleologischer Auslegung nicht entgegen, da sich entsprechende Gestaltungen außerhalb des systematischen Anwendungsbereichs der Vorschrift bewegen und damit keine abschließende Konkretisierungswirkung gegenüber der subsidiär anwendbaren Generalklausel erreicht wird.17 Der konkrete Maßstab, insbesondere ob es sich um einen gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteil handelt, ist dann unter Berücksichtigung des Telos des § 50g Abs. 1 EStG zu entwickeln – aber nichts würde auch § 50g Abs. 4 EStG besagen. Insoweit dürfte es auf eine Beteiligung nicht erstattungsberechtigter Personen und weitere objektive Umstände einer bloß formalen Zwischenschaltung der Betriebsstätte ankommen; Funktionsvoraussetzungen vergleichbar § 50d Abs. 3 EStG sind aufgrund der unterschiedlichen Ausgestaltung von rechtlich selbständigen Tochtergesellschaften und unselbständigen Betriebsstätten allenfalls in stark abgemilderter Form zu fordern; zudem ist zu berücksichtigen, dass auch der Begriff des Nutzungsberechtigten in § 50g Abs. 1 bereits eine Konkretisierung umfasst.18

2.

Rechtskreisübergreifende Kollision mit Unionsrecht

Die Existenz des § 50g Abs. 4 EStG, obwohl hierfür wie aufgezeigt keine Notwendigkeit aus Sicht des innerstaatlichen Rechts besteht, wird vom Gesetzgeber mit dem Anwendungsvorrang des Unionsrechts begründet: Nach der Gesetzesbegründung solle die Vorschrift sachlich Art. 5 Abs. 2 ZLRL in das innerstaatliche Recht übernehmen, und sie sei im Zusammenhang mit dem 15 Der Gesetzgeber und die herrschende Lehre gehen insoweit aufgrund unterschiedlicher Tatbestandsvoraussetzungen von einer parallelen Anwendung ohne jegliche Sperrwirkung aus: BT-Ds. 15/3679, S. 21; Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50g Rn. 19; Hahn-Joecks, in: K/S/M, EStG, § 50d Rn. E 10; Hofmann, § 50d Abs. 3 EStG, S. 29; Nieland, in: Lademann, EStG § 50g EStG Rn. 72; Wagner, in: Blümich, ESt – KSt – GewSt, § 50g EStG Rn. 77. 16 Wagner, in: Blümich, ESt – KSt – GewSt, § 50d EStG Rn. 67. 17 Insoweit wird keine Abschirm- oder gar Verdrängungswirkung ausgelöst; hierzu insgesamt im 1. Teil, D.II.3.c.bb(2), S. 269. 18 Frotscher, EStG, § 50g Rn. 35.

503

§ 50g Abs. 4 EStG

Vorbehalt der Anwendung innerstaatlicher Missbrauchsvorbehalte in Art. 5 Abs. 1 ZLRL zu sehen.19 Hahn vertritt insoweit die Ansicht, dass der Gesetzgeber damit einer vermeintlichen Umsetzungsverpflichtung nachgekommen ist, die aber weder tatsächlich bestand, noch überhaupt normlogisch möglich sei, da es sich auch bei Art. 5 Abs. 2 ZLRL lediglich um eine Ermächtigung handele.20 Dem ist zuzustimmen, da Art. 5 Abs. 2 ZLRL gegenüber dessen Abs. 1 keine objektiven Maßgaben enthält, die einen selbständigen Gehalt über eine bloße Öffnungsklausel hinaus rechtfertigen; insoweit liegt das Versäumnis aber bereits beim Sekundärrechtsgeber.21 Eine Umsetzungsverpflichtung besteht letztlich weder in Bezug auf Abs. 1 noch auf Abs. 2 – dies wird deutlich, da auch deren Vorbilder in Form des Art. 1 Abs. 2 MTRL und des Art. 15 Abs. 1 FusRL keine entsprechende Ermächtigung im nationalen Recht nach sich gezogenen haben. Vielmehr beziehen sich solche Öffnungsklauseln auf die bereits bestehenden Missbrauchsvorbehalte in Form des § 42 AO und des § 50d Abs. 3 EStG, die – bei entsprechender Auslegung und unter Gewährung des subjektiven Motivtestes des § 42 Abs. 2 S. 2 AO – auch unionskonforme Maßstäbe darstellen. Eine zusätzliche Öffnung des nationalen Rechts diesen gegenüber ist nicht erforderlich, der Anwendungsvorrang des Unionsrechts hiervon unabhängig. Schon der parallele Verweis auf beide Absätze des Art. 5 ZLRL in der Gesetzesbegründung macht den gesetzgeberischen Irrtum insoweit nochmals deutlich. Der Anwendungsvorrang des Unionsrechts steht letztlich auch nochmals einer selbständigen Auslegung des § 50g Abs. 4 S. 1 EStG im Sinne einer Versagung einer Entlastung aufgrund des Beweggrundes der Steuervermeidung entgegen. Dies würde eine Modifizierung des § 42 AO zum Nachteil der von § 50g Abs. 1 EStG betroffenen, d.h. beschränkt Steuerpflichtiger anderer EUMitgliedstaaten, bedingen und würde daher als rechtfertigungsbedürftige Diskriminierung der Grundfreiheiten22 qualifizieren.23 Eine Rechtfertigung zur Verhinderung von Missbräuchen wäre gerade nicht möglich, wenn die Norm bei dieser Auslegung gerade nicht nur den Missbrauch, sondern auch die Steuervermeidung als schädlich erachten würde, so dass dem Maßstab des Unionsrechts offensichtlich nicht Genüge getan ist.24

19 BT-Ds. 15/3679, S. 21. Siehe auch Wagner, in: Blümich, ESt – KSt – GewSt, § 50g EStG Rn. 76. 20 Hahn, IStR 2010, 638 (642 f.). 21 Siehe im 1. Teil, B.II.2.e, S. 195. 22 Vgl. hierzu B.II.3.b, S. 443, insbesondere Fn. 445 m.w.N. 23 Gosch, in: Kirchhof, EStG, § 50g Rn. 13; Hahn, IStR 2010, 638 (643 f.). Vgl. auch Rehfeld, in: H/H/R, § 50g EStG Rn. 17 f. 24 Hahn, IStR 2010, 638 (644).

504

Bewertung

III. Bewertung Eine wortlautgetreue Auslegung dergestalt, dass auch der Hauptbeweggrund der Steuervermeidung eine Versagung des Vergünstigungsanspruchs rechtfertigen könnte, ist nicht möglich, da sich die Norm sodann in Widerspruch zum abstrakten Rahmen des § 42 Abs. 2 AO, zum grundlegenden Verständnis der Steuerumgehung im deutschen Steuerrecht, zu deren verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen sowie zu den Maßstäben eines Missbrauchs i.S.d. Unionsrechts setzen würde. Art. 5 Abs. ZLRL ist mithin schlicht fehlerhaft übernommen worden. Insoweit könnte § 50g Abs. 4 S. 1 EStG lediglich § 42 AO wiederholen, ohne dass hierfür jedoch ein Bedürfnis besteht. Selbst dies kann aber deshalb nicht gelingen, da ein solcher „Regelungsgehalt“ durch die Neufassung des § 42 Abs. 2 AO überholt wäre. In das System von einerseits Generalklausel mit abstraktem Rahmentatbestand und andererseits typisierender Spezialnorm lässt sich die Vorschrift nicht einordnen, da sich aus ihr keinerlei maßstabskonkretisierende Wirkung ergibt. Insbesondere § 50d Abs. 3 EStG kann die allermeisten Anwendungsfälle ohnehin sachgerecht lösen, da ein weitgehender Überschneidungsbereich besteht; für die verbliebene Lücke in Form der Zahlung an ausländische Betriebsstätten ist die Anwendung des § 42 Abs. 2 AO unter Auslegung des § 50g Abs. 1 EStG ausreichend und auch unter Beachtung des Anwendungsvorrangs des Unionsrechts möglich. Wenn auch schon der Richtliniengeber durch das Nebeneinander von Art. 5 Abs. 1 und Abs. 2 ZLRL eine erste Ursache gesetzt hat, so ist letztlich allein ein Fehlverständnis des Gesetzgebers von der Funktion dieser Normen für die Existenz des § 50g Abs. 4 EStG verantwortlich, die sich im Irrglauben einer Umsetzungsverpflichtung manifestiert hat. Auf § 50g Abs. 4 S. 1 – und damit auch auf dessen S. 2 – kann und muss deshalb verzichtet werden.

505

Zusammenfassung der Ergebnisse in Thesen Thesen zum 1. Teil: Gestaltungsmissbrauch im deutschen Internationalen Steuerrecht (S. 37 ff.) A.

Zur Terminologie des Gestaltungsmissbrauchs (S. 39 ff.)

1.

Der Missbrauchscharakter einer Gestaltung ist das entscheidende Differenzierungskriterium zwischen zulässiger Steuergestaltung und unerwünschter Steuerumgehung. Gemeinsam ist beiden ein Planungselement in Form der bewussten Einwirkung auf Anfall und Höhe der Steuern, jedoch enthält die Steuerumgehung ein zusätzliches wertendes Element in Form der Missbräuchlichkeit der Gestaltung; der Gestaltungsmissbrauch ist mithin Mittel zur Steuerumgehung. Anders als mit dem Begriff der Steuerhinterziehung sind hiermit aber nicht notwendig straf- und ordnungsrechtliche Konsequenzen verbunden, so dass es an einem Unrechtselement fehlt.

B.

Maßstäbe zur Bestimmung des Missbrauchscharakters (S. 45 ff.)

2.

Im Hinblick auf den grenzüberschreitenden Charakter des Treaty Shopping ergeben sich Maßstäbe zur Bestimmung eines „Missbrauchs“ nicht allein aus dem nationalen (Außen-)Steuerrecht, sondern auch aus den Rechtsquellen des Europäischen Steuerrechts und des Internationalen Steuerrechts im engeren Sinne.

I.

Nationales Steuerrecht (S. 45 ff.)

1.

Verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen des Gestaltungsmissbrauchs (S. 45 ff.)

3.

Im nationalen Recht lassen sich verfassungsrechtliche Rahmenbedingungen zur Bestimmung des Missbrauchs ableiten, insbesondere in Form des sich aus Art. 3 Abs. 1 GG ergebenden Grundsatzes der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit. Dieser bildet zugleich die verfassungsrechtliche Grenze der sog. Gestaltungsfreiheit, so dass dahinstehen kann, ob es sich bei letzterer ebenso um eine subjektive, grundrechtlich geschützte Rechtsposition handelt.

4.

Zur Wahrung der Gleichmäßigkeit der Besteuerung ergibt sich mitunter eine Pflicht zur Verhinderung von Steuerumgehungen, allerdings unter Einräumung eines weiten Gestaltungsspielraums. Spezifische Vorgaben zur Konkretisierung des Missbrauchsbegriffs lassen sich dem Verfassungsrecht jedenfalls nicht entnehmen. Im Zusammenhang mit speziel-

507

Zusammenfassung der Ergebnisse in Thesen

len Missbrauchsvorbehalten kann sich das Verfassungsrecht aber durchaus auch als Schranke des Missbrauchsbegriffs erweisen. 2.

Missbrauch von rechtlichen Gestaltungsmöglichkeiten, § 42 AO (S. 52 ff.)

5.

§ 42 AO ist die grundlegende Norm zur Verhinderung der Steuerumgehung im nationalen Recht; kennzeichnend hierfür ist das Ausnutzen einer Diskrepanz zwischen Telos und Wortlaut einer Norm durch den Normadressat infolge planmäßiger Sachverhaltsgestaltung zur Erlangung einer günstigen Besteuerung. Dies kann nicht nur durch Vermeidung einer ungünstigen Norm (Tatbestandsvermeidung), sondern auch durch Anwendung einer günstigen Norm (Tatbestandserschleichung) geschehen.

6.

Die Steuerumgehung in Form der Tatbestandserschleichung ist als bloße Sachverhaltsgestaltung von der zweckwidrigen Rechtsausübung als Ausdruck des institutionellen Rechtsmissbrauchs zu unterscheiden; die Vorstellung von der Gestaltungsfreiheit als missbrauchter Rechtsposition geht insoweit fehl.

7.

§ 42 AO ist im Sinne der Außentheorie erforderliches Mittel der Zurückweisung einer Gestaltung als missbräuchlich, dies wird durch die Neufassung bestätigt. Es handelt sich indes um keinen selbständigen Besteuerungstatbestand, so dass zur Ermittlung des konkreten Maßstabes zur Beurteilung des Vorliegens einer Steuerumgehung die jeweilige gesetzliche Wertung des einschlägigen Einzelsteuergesetzes herangezogen werden muss. Nur auf diese Weise lässt sich bestimmen, ob ein Steuervorteil gesetzlich nicht vorgesehen i.S.d. § 42 Abs. 2 S. 1 AO ist.

8.

In der Neufassung erhält § 42 AO zudem die Funktion eines strukturgebenden Rahmentatbestandes, welcher in Form des Abs. 2 den abstrakten Rahmen für den im Einzelfall konkret zu ermittelnden Maßstab zur Beurteilung eines Missbrauchs bestimmt. Dies bezieht sich einerseits auf die teleologische Inbezugnahme der speziellen Einzelsteuernormen zur Bestimmung des gesetzlich nicht vorgesehenen Steuervorteils und damit der Unangemessenheit einer Gestaltung. Andererseits gebietet § 42 Abs. 2 S. 2 AO die Möglichkeit einer Rechtfertigung durch außersteuerliche Gründe. Aus der Aufteilung des Abs. 2 auf die beiden Sätze ist zudem eine Vorgabe der Beweislast abzuleiten. Der Norm lassen sich somit zumindest abstrakte Maßstäbe zur Bestimmung des Begriffs des Missbrauchscharakters einer Steuergestaltung entnehmen.

9.

Die Einordnung als strukturgebender Rahmentatbestand hat Auswirkungen auf das Verhältnis des § 42 AO zu speziellen Missbrauchsvorbehalten. Auch wenn sich § 42 Abs. 1 AO zumindest im Grundsatz eine konkrete Prüfungsreihenfolge entnehmen lässt, so bleibt unter Heran-

508

Thesen zum 1. Teil

ziehung allgemeiner Zuordnungskriterien im Kollisionsfall zu klären, inwieweit § 42 AO als subsidiärer Auffangtatbestand greifen kann, ob und unter welchen Voraussetzungen die Möglichkeit des Gegenbeweises i.S.v. § 42 Abs. 2 S. 2 AO einer speziellen Vorschrift entgegengesetzt werden kann, und auf welche Rechtsfolge bei Bejahung eines Missbrauchs zu erkennen ist. 10.

Als entscheidende Maßgabe des § 42 Abs. 2 AO fungiert auch nach der Neufassung die Unangemessenheit einer Gestaltung. Das Erfordernis des gesetzlichen nicht vorgesehenen Vorteils ist insoweit objektivierendes, aber nicht einziges Element für die Bewertung der Unangemessenheit. Hierin liegt der Ansatzpunkt zur Ermittlung des konkreten Maßstabs des Missbrauchs in Abhängigkeit von der – insbesondere historisch-teleologischen – Wertung des umgangenen Einzelsteuergesetzes. Weiterhin kann zumindest grundsätzlich auf bereits bestehende Argumentationsmuster der Rechtsprechung abgestellt werden; relevant sind zudem nur Gestaltungen, die aus Sicht der Steuerpflichtigen steuerlich vorteilhaft sind.

11.

Daneben kommt es auf das Fehlen beachtlicher außersteuerlicher, insbesondere wirtschaftlicher Gründe an. Insoweit, als dadurch die subjektiven Motive des Steuerpflichtigen Prüfungsgegenstand werden – aber zugleich auch hierauf beschränkt –, lässt sich die Relevanz einer Umgehungsabsicht bejahen. Die objektive Rechtfertigung entspricht damit zugleich einer subjektiven Exkulpationsmöglichkeit. Aus der Struktur des § 42 Abs. 2 AO ergibt sich weiterhin eine Verteilung der Nachweislast, welche dem Gedanken der Sphärenverantwortlichkeit entspricht und eine wesentliche Erleichterung für die Finanzverwaltung darstellen kann.

12.

In grenzüberschreitenden Konstellationen ist als missbräuchlich zu erachten die Zwischenschaltung einer Kapitalgesellschaft im Ausland, die entweder mit Steuerinländern gesellschaftsrechtlich verflochten und in einem Niedrigsteuerland ansässig ist (Outbound) oder der Durchleitung von Einkünfte dient (Inbound), wenn diese ohne wirtschaftlichen oder sonst beachtlichen Grund errichtet ist. Fehlt es an einer eigenen wirtschaftlichen Betätigung, insbesondere wenn die Zwischengesellschaft keine angemessene Substanz aufweist, um ihren Funktionen nachzugehen, so fehlt regelmäßig auch ein beachtlicher wirtschaftlicher Grund für die Zwischenschaltung.

13.

Insgesamt ist jedoch eine Gesamtwürdigung der Umstände maßgeblich, da sowohl trotz fehlender eigenwirtschaftlicher Tätigkeit eine Rechtfertigung mittels beachtlicher außersteuerlicher Gründe möglich ist, als auch trotz Vorliegen einer solchen Tätigkeit eine Bewertung als missbräuchlich angenommen werden kann. Im Inboundfall ist die Eignung 509

Zusammenfassung der Ergebnisse in Thesen

und Erforderlichkeit zur Durchleitung von Einkünften primärer Maßstab der Unangemessenheit. Zudem ist es möglich, eine Unangemessenheit anhand unionsrechtlicher Vorgaben zu bestimmen, d.h. ob eine künstliche Gestaltung oder eine tatsächliche Ansiedlung mit wirklicher wirtschaftlicher Tätigkeit vorliegt. 14.

Da durch die Neuregelung der Nachweislast die Feststellung des Missbrauchs in grenzüberschreitenden Sachverhalten nicht erschwert werden sollte, steht die Aufteilung des § 42 Abs. 2 S. 2 AO n.F. nicht der Möglichkeit entgegen, bei einer Zwischenschaltung von Kapitalgesellschaften zur Durchleitung von Einkünften regelmäßig das Vorliegen des Missbrauchs vermuten zu können. Als Vermutungsbasis kann hierfür vornehmlich das Fehlen einer eigenwirtschaftlichen Tätigkeit herangezogen werden; hierzu reichen allein formale Substanzkriterien aus. Die Bewertung der Substanz auf ihre Angemessenheit ist sodann eine Frage der Rechtfertigung im Rahmen der Gesamtwürdigung.

15.

Auch das Fehlen eines wirtschaftlichen Grundes kann im Übrigen als Teil der Missbrauchsvermutung herangezogen werden; insoweit ist nicht zwischen der Unangemessenheit und Salvierungsgründen zu trennen. Dies ist auch vor dem Hintergrund der erhöhten Mitwirkungspflicht des § 90 Abs. 2 AO gerechtfertigt und führt zu keiner generellen Missbrauchsvermutung. Der Steuerpflichtige kann diese tatsächlichen Vermutungen mittels einfachen Gegenbeweises entkräften, so dass sich gegenüber der bisherigen Rechtslage keine Veränderungen ergeben.

3.

Spezielle Missbrauchsvorbehalte (S. 122 ff.)

16.

Speziellen Missbrauchsvorbehalten und der Generalnorm des § 42 AO liegt ein identisches Konzept der Verhinderung von Steuerumgehungen und mithin ein gemeinsamer Missbrauchsbegriff zugrunde. Dadurch wird die Funktion des § 42 AO als strukturgebender Rahmentatbestand auch für Spezialvorbehalte anerkannt, so dass diese bei der Bestimmung des konkreten Maßstabs eines Missbrauchs grundsätzlich an den abstrakten Rahmen des § 42 Abs. 2 AO gebunden sind.

17.

Spezialnormen konkretisieren regelmäßig den Maßstab der Angemessenheit einer Gestaltung i.S.v. § 42 Abs. 2 S. 1 AO in sachlicher, zeitlicher oder persönlicher Hinsicht; darüber hinaus kann auch die Möglichkeit des Gegenbeweises durch außersteuerliche Gründe typisiert werden und eine von § 42 AO abweichende spezielle Rechtsfolgen angeordnet werden. Hieraus ergeben sich Kollisionsprobleme im Verhältnis von Generalklausel und spezieller Missbrauchsnorm, die unter Beachtung der Funktion des strukturgebenden Rahmentatbestandes besonderer Zuordnungskriterien bedürfen.

510

Thesen zum 1. Teil

18.

Spezielle Missbrauchsnormen erfassen infolge ihrer Typisierungswirkung mitunter auch nicht missbräuchliche Sachverhalte und bedürfen daher einer verfassungsrechtlichen Rechtfertigung, welche sich aus dem Grundsatz der Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ergibt, aber ihrerseits wieder durch das Prinzip der Folgerichtigkeit und der Verhältnismäßigkeit begrenzt wird.

19.

Schon auf Ebene der Tatbestandsmerkmale ist eine sachgerechte Ausgestaltung der Typisierung zu fordern, die nicht schon abstrakt eine Vielzahl abweichender Sachverhalte betrifft. Im Lichte des Verhältnismäßigkeitsprinzips sind weiterhin spezielle Missbrauchsnormen ohne ausdrückliche Möglichkeit des Gegenbeweises einerseits als bedenklich einzustufen; andererseits ist grundsätzlich anzuerkennen, dass eine Typisierung der Rechtfertigung möglich sein muss, auch um den Vereinfachungszweck nicht auf bloße Nachweisfragen zu reduzieren. Dies kann nur in Abhängigkeit von der konkreten Ausgestaltung der Spezialnorm beantwortet werden.

20.

Ausgehend von der Funktion des § 42 AO als strukturgebender Rahmentatbestand auch gegenüber speziellen Missbrauchsvorbehalten kann für die Prüfung der Verhältnismäßigkeit einer Typisierung ein struktureller Vergleich der Spezialnorm mit dem abstrakten Rahmen des § 42 Abs. 2 AO fruchtbar gemacht werden. Dieser kann sich auf die Frage einer unsachgerechten Typisierung der Unangemessenheit beziehen, aber auch auf die Frage der Widerlegbarkeit im Einzelfall, da das Maß der rechtfertigungsbedürftigen Ungleichbehandlung durch die Spezialnorm von der Existenz und der Ausgestaltung einer Gegenbeweismöglichkeit abhängt, ohne hierdurch zugleich jegliche Typisierung der Rechtfertigung auszuschließen. Insoweit besteht eine Korrelation zwischen der Verhältnismäßigkeit der Typisierung und der Funktion des § 42 Abs. 2 AO als strukturgebender Rahmentatbestand; dies muss auch in den Zuordnungskriterien einer möglichen Kollision berücksichtigt werden.

II.

Europäisches Steuerrecht (S. 135 ff.)

1.

Primärrecht (S. 135 ff.)

21.

Maßstäbe zur Bestimmung des Missbrauchscharakters einer Gestaltung lassen sich im Europäischen Steuerrecht vornehmlich den Grundfreiheiten und der Rechtsprechung des EuGH hierzu entnehmen. Dabei sind zwei Perspektiven des Missbrauchsbegriffs zu unterscheiden: Zum einen diejenige des Missbrauchs der Grundfreiheiten, anhand derer die Reichweite dieser Freiheitsrechte bestimmt wird; zum anderen kollidieren diese mit dem Interesse der Mitgliedstaaten zur Verhinderung von

511

Zusammenfassung der Ergebnisse in Thesen

Steuerumgehung durch Missbrauchsvorbehalte (Biperspektivität des Missbrauchs). 22.

In letzterem spiegelt sich der Konflikt zwischen der steuerrechtlichen Kompetenzordnung und deren grundfreiheitlicher Ausübungsschranke wider; deshalb kann eine Rechtfertigung nationaler Vorschriften aus dem Gedanken des (Steuer-)Missbrauchs im Ergebnis nur dann gelingen, wenn es sich gleichzeitig um einen Missbrauch der Grundfreiheiten im Sinne der ersten Perspektive handelt. Insoweit besteht eine wechselbezügliche Verknüpfung der beiden Ansätze.

23.

Ungeachtet einer inhaltlichen Nähe zum institutionellen Rechtsmissbrauch lässt sich der Missbrauch von Grundfreiheiten nicht eindeutig dieser Rechtsfigur oder derjenigen des Umgehungsgeschäftes zuordnen, da die konkreten Sachverhaltsgestaltungen variieren und sich teilweise überschneiden. Als gemeinsame Leitlinie ist aber die Zweckverfehlung der umgangenen oder missbrauchten Regelung festzuhalten. Die inhaltlichen Maßgaben für einen Missbrauch der Grundfreiheiten orientieren sich daher an Tatbestand und Zweck der Grundfreiheiten. Dies kommt im Tatbestandsmerkmal der künstlichen Gestaltung zum Ausdruck, welches eine bloß formelle Ausübung der Grundfreiheiten von der Ermöglichung einer echten grenzüberschreitenden Wirtschaftstätigkeit abgrenzt.

24.

Trotz dieses Rückbezugs des inhaltlichen Maßstabs auf die tatbestandliche Ausübung der Grundfreiheiten bleibt die Künstlichkeit der Gestaltung aufgrund der Biperspektivität des Missbrauchsbegriffs eine Frage der Rechtfertigung nationaler Missbrauchsvorbehalte.

25.

Konkretisiert für den Anwendungsbereich der Niederlassungsfreiheit ist nur eine jeder wirtschaftlichen Realität bare Gestaltung als künstliche Gestaltung anzusehen. Liegt in Abgrenzung dazu hingegen eine tatsächliche Ansiedlung vor, deren Zweck darin besteht, wirklichen wirtschaftlichen Tätigkeiten im Aufnahmestaat nachzugehen, so handelt es sich nicht um einen Missbrauch der Grundfreiheiten und entsprechende nationale Missbrauchsvorbehalte sind grundsätzlich nicht zu rechtfertigen.

26.

Die Absicht, Steuern zu sparen, wird lediglich insoweit relevant, als diese bei Vorliegen von validen geschäftlichen Gründen für die jeweilige Gestaltung ausgeschlossen ist. Nur in diesem Sinne ist ein subjektives Tatbestandselement zu beachten.

27.

Jedenfalls bei Vorliegen einer sachlichen Vermutungsbasis, die über die Gründung einer Zwischengesellschaft im Ausland hinausgeht und etwa in der Zwischenschaltung substanzschwacher Gesellschaften gesehen werden kann, ist nicht zu beanstanden, dass im konkreten Fall der Steuerpflichtige zum Nachweis der tatsächlichen Ansiedlung und Ausübung

512

Thesen zum 1. Teil

einer wirklichen wirtschaftlichen Tätigkeit verpflichtet ist. Insoweit darf die Norm bei abstrakter Betrachtung nicht über das erforderliche Maß hinausgehen, etwa indem unsachgerecht oder in Verkennung der sich aus dem Begriff der Künstlichkeit ergebenden Maßstäbe typisiert wird (abstrakte Prüfungsebene). 28.

Ohne eine Möglichkeit des Gegenbeweises im konkreten Einzelfall – im Sinne eines subjektiven Motivtests – sind nationale Missbrauchsvorbehalte ebenso unverhältnismäßig (konkrete Prüfungsebene).

29.

Im Anwendungsbereich der Kapitalverkehrsfreiheit liegt es nahe, die Anforderungen insbesondere hinsichtlich der Substanz zu reduzieren, da eine dauerhafte Integration nicht erforderlich ist.

30.

Missbräuchliche Gestaltungen gefährden regelmäßig zugleich die vorgenommene Aufteilung der Besteuerungshoheiten, so dass ein Überschneidungsbereich zwischen den rechtfertigenden Allgemeininteressen der Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse einerseits und der Missbrauchsverhinderung andererseits besteht.

31.

Ein Unterlaufen der spezifischen Anforderungen des letztgenannten Rechtfertigungsgrunds ist grundsätzlich zu vermeiden. Indes steht dies dem Rückgriff auf das erstgenannte Allgemeininteresse nicht entgegen, soweit damit nur die mangelnde Vergleichbarkeit der Situationen zwischen beschränkt und unbeschränkt Steuerpflichtigen festgestellt wird und es auf eine gesonderte Rechtfertigung der Maßnahme und eine Verhältnismäßigkeitsprüfung mithin nicht mehr ankommt.

2.

Sekundärrecht (S. 186 ff.)

32.

Sekundärrechtliche Missbrauchsvorbehalte im harmonisierten Teilbereich des Europäischen Steuerrechts liefern keinen einheitlichen Befund, da die verwendeten Regelungstechniken sehr unterschiedlich sind. Als gemeinsamer Nenner kann zumindest die Anerkennung der Missbrauchsverhinderung als Ziel festgehalten werden. Teilweise enthalten die Richtlinien Öffnungsklauseln, die den Mitgliedstaaten ausdrücklich Maßnahmen zur Verhinderung von Steuerumgehungen und Missbrauch gestatten, wie etwa Art. 1 Abs. 2 MTRL oder Art. 5 Abs. 1 ZLRL; auch Art. 5 Abs. 2 ZLRL umfasst keine objektiven, materiellen Vorgaben und wäre daher überflüssig. Andere Normen geben in eng umgrenzten Rahmen Teilanhaltspunkte zur Bestimmung des Missbrauchsbegriffs, so dass etwa aus Art. 15 Abs. 1 lit. a) FusRL auf die ausschließliche oder überwiegende steuerliche Motivation bei gleichzeitigem Fehlen eines legitimen wirtschaftlichen Grundes als Kennzeichen für eine Steuerumgehung geschlossen werden kann. Überdies kann die Zielsetzung der jeweiligen Richtlinie zumindest im Wege te-

513

Zusammenfassung der Ergebnisse in Thesen

leologischer Auslegung mitberücksichtigt werden. Ergänzt wird dies durch einige wenige speziell geregelte Missbrauchskonstellationen. 33.

All diese Normen sind im Lichte einer unionsrechtlich einheitlichen Auslegung zu sehen. Richtigerweise wird den Mitgliedstaaten damit selbst bei Öffnungsklauseln, die auf nationale Maßnahmen verweisen, kein Gestaltungsspielraum zur eigenen Definition des Missbrauchs eröffnet. Ebenso entspricht es im Bereich des Sekundärrechts gefestigter Rechtsprechung, dass das Verhältnismäßigkeitsprinzip eine strenge Einzelfallprüfung erfordert und somit eine Typisierung nicht unbegrenzt möglich ist.

III.

Internationales Steuerrecht i.e.S. (S. 202 ff.)

34.

Im allgemeinen Völkerrecht und speziell im Recht der DBA existiert kein aus sich heraus anwendbarer Missbrauchsbegriff. Verschiedentlich wird zwar versucht, das Vorhandensein eines allgemeinen Rechtsgrundsatzes oder eines ungeschriebenen Missbrauchsvorbehalts zu belegen, diesen Ansätzen mangelt es jedoch an inhaltlichen Maßgaben zur selbständigen Bestimmung des Missbrauchscharakters einer Gestaltung, sie gehen über die Zuerkennung der Notwendigkeit einer Abweichung von der formellen Gestaltung nicht hinaus. Die Funktion des ungeschriebenen Missbrauchsvorbehalts ist vordergründig in der Eröffnung der Anwendung unilateraler Vorschriften zu sehen. Diese Funktion wird in manchen DBA von ausdrücklichen Öffnungsklauseln wahrgenommen.

35.

Das Konzept des Nutzungsberechtigten nimmt eine Stellung zwischen eigener Maßstabswirkung und bloßer Öffnung gegenüber unilateralen Vorschriften ein, da es einerseits eine wirtschaftliche Zurechnung der Einkünfte ermöglicht, andererseits mangels weiterer Konkretisierung im Völkerrecht auf nationales Recht verweisen muss; insoweit erschöpft sich dies im deutschen Recht grundsätzlich in § 39 AO, kann aber durch den Gesetzgeber weiter konkretisiert werden.

36.

Auch im Völkerrecht selbst geschieht dies durch Aktivitätsklauseln und Limitation on Benefits Klauseln, denen sich konkrete Maßstäbe entnehmen lassen. Aktivitätsklauseln im weiten Sinne kommen standardisiert in nahezu allen deutschen Abkommen vor, Limitation on Benefits Klauseln beanspruchen insoweit noch eine Sonderstellung. Die inhaltlichen Maßgaben umfassen insoweit vor allem Gesellschafterstruktur und innergesellschaftliche Geschäftsbeziehungen sowie Aktivitätsvorbehalte. Im Rahmen solcher Klauseln erscheint die Missbrauchsbekämpfung allein anhand des Abkommens möglich, da die Vorschriften aus sich heraus anwendbar sind.

514

Thesen zum 1. Teil

C.

Überlegungen zur Kongruenz der Missbrauchsmaßstäbe (S. 215 ff.)

37.

Grenzüberschreitende Wirtschaftstätigkeit und grenzüberschreitende Steuergestaltung führen dazu, dass sich in allen relevanten Teilrechtsordnungen Maßstäbe zur Bestimmung des Missbrauchscharakters einer Steuergestaltung finden lassen. Gemeinsam ist all diesen der hiermit verbundene Interessenskonflikt zwischen unternehmerischem Gestaltungsinteresse und fiskalischem Besteuerungsinteresse; dieser wird durch das vorhandene DBA-Netzwerk und die unionsrechtliche Harmonisierung noch verstärkt. Auch aufgrund des transnationalen Exports von Rechtsinstituten ergibt sich ein gewisses Maß an Kongruenz der einzelstaatlichen Steuerrechtsordnungen.

38.

Als materieller gemeinsamer Leitgedanke der verschiedenen Missbrauchsmaßstäbe kann die objektive Zweckverfehlung einer Norm trotz formeller Erfüllung der Voraussetzungen hervorgehoben werden, insbesondere soweit es um die Fallgruppe der Inanspruchnahme einer Begünstigung geht. Überschneidungsbereiche einzelner inhaltlicher Maßgaben existieren insbesondere in Form der Prüfung von Substanzkriterien und der Forderung nach wirtschaftlicher Aktivität. Eine weitere Konvergenz zeigt sich in der zumindest grundsätzlichen Anerkennung der Relevanz subjektiver Motive in Form der Einbeziehung wirtschaftlicher Gründe.

39.

Zwischen den Erfordernissen der künstlichen Gestaltung im Sinne des Unionsrechts und der Unangemessenheit i.S.v. § 42 Abs. 2 AO lässt sich gar eine Tendenz zur Konvergenz entdecken, die aber letztlich der entsprechenden Kollisionsregel geschuldet ist.

40.

Insgesamt erscheint es nicht gerechtfertigt, von einem allgemeinen Missbrauchsverständnis zu sprechen, da trotz gemeinsamer Leitlinien gewichtige Unterschiede zwischen den einzelnen Maßstäben verbleiben. Sowohl Detailtiefe als auch Konkretisierungsgrad der Missbrauchsmaßstäbe werden unterschiedlich determiniert; die Bandbreite reicht von einerseits allgemeinen Vorbehalten oder gar bloßen Öffnungsklauseln über zumindest abstrakte Maßstabsrahmen bis hin zu andererseits eng umgrenzten Spezialvorbehalten.

41.

Noch deutlicher zeigt sich dies bei rechtskreisübergreifender Betrachtung, da der abstrakte Maßstab der Unangemessenheit des § 42 AO und die künstliche Gestaltung i.S.d. Unionsrechts unterschiedliche Bezugspunkte haben: Während im nationalen Steuerrecht der abstrakte Rahmen des Missbrauchs primär durch die umgangene Einzelsteuervorschrift konkretisiert wird, ist der steuerliche Missbrauchsbegriff im Unionsrecht als Folge der Trennung von Kompetenzebene und Recht515

Zusammenfassung der Ergebnisse in Thesen

mäßigkeitsmaßstab an den Missbrauch der Grundfreiheiten rückgebunden; insoweit gibt die künstliche Gestaltung auch bereits konkretere Maßgaben unabhängig vom jeweiligen Steuervorteil vor. Die Abweichung der objektiven Maßstäbe ist zugleich auch Folge der veränderten Interessenlage, da das Unionsinteresse an der Verwirklichung und am Funktionieren des Binnenmarktes berücksichtigt werden muss. 42.

Missbrauchsmaßstäbe sind in Gestalt von allgemeinen Grundsätzen, konkludenten Vorbehalten, völkerrechtlichen Vertragsklauseln, sekundärrechtlichen Vorschriften und formellen Gesetzen in verschiedenen äußeren Formen des Rechts enthalten; mit dieser formalen Qualifikation verbunden sind stets auch Fragen des Ranges in Bezug auf deren Gültigkeit und Norminhalt, die das Gesamtbild des „Missbrauchs“ weniger im Sinne der Kongruenz, sondern der Kollision erscheinen lassen.

D.

Die Bewältigung kollidierender Missbrauchsmaßstäbe (S. 221 ff.)

I.

Zum Begriff der Kollision (S. 221 ff.)

43.

Ansätze zu Missbrauchsmaßstäben finden sich in allen Teilrechtskreisen des deutschen Internationalen Steuerrechts; trotz gemeinsamer Schnittmengen kann es im Falle einer grenzüberschreitenden Sachverhaltsgestaltung zu einer Kollision verschiedener Maßstäbe kommen. Auch wenn es sich hierbei nicht um eine geschlossene Rechtsordnung im formellen Sinne handelt, sondern vielmehr um einen aus unterschiedlichen Rechtskreisen zusammengesetzten, mehrebenigen Rechtsraum im materiellen Sinne, muss die Rechtspraxis im Interesse der Orientierungssicherheit und des Rechtsfriedens Kollisionen zwischen Missbrauchsmaßstäben auflösen und eine eindeutige Zuordnung des anzuwendenden Maßstabs vornehmen.

44.

Eine Kollision von Missbrauchsmaßstäben liegt vor, wenn zur Beurteilung einer grenzüberschreitenden Gestaltung mehrere Missbrauchsmaßstäbe anwendbar sind und es je nach Anwendung im Einzelfall zu unterschiedlichen Ergebnissen bei der wertenden Beurteilung als missbräuchlich („Ob“ der Missbräuchlichkeit) kommen kann. Ausreichend ist der theoretische Widerspruch auf Normebene, so dass als Kollision im weiten Sinne auch solche Fälle einer Zuordnung bedürfen, bei denen im Ergebnis von einem Zusammenwirken auszugehen ist; hierzu gehört insbesondere das Problem der Öffnungsklauseln und das Verhältnis von strukturgebendem, abstraktem Rahmentatbestand zu konkretisierendem Spezialmaßstab.

516

Thesen zum 1. Teil

II.

Zuordnungskriterien im Kollisionsfall (S. 224 ff.)

1.

Kollisionsvermeidung durch Kompetenzordnungen (S. 225)

45.

Kompetenzordnungen vermeiden Kollisionsfälle von vornherein. Im Bereich der Missbrauchsmaßstäbe finden sich aber faktisch – und aufgrund der zugrunde liegenden Interessenlage auch zu Recht – auf allen Ebenen der jeweiligen Teilrechtsordnungen Kompetenzen zur Regelung des Gestaltungsmissbrauchs; erst diese Mehrfachzuständigkeit führt zur Kollision unterschiedlicher Maßstäbe.

2.

Kollisionsentscheidung durch Rangordnung (S. 225 ff.)

46.

Als Zuordnungskriterium im Kollisionsfall ist insbesondere das Kriterium der hierarchischen Rangordnung von Bedeutung. Dieses wirkt zwar grundsätzlich in Form eines Geltungsvorranges; vor allem zwischen verschiedenen Rechtskreisen und bezogen auf die Kollision inhaltlicher Maßgaben ist jedoch ein bloßer Anwendungsvorrang regelmäßig ausreichend. Rangfragen wirken sich schon bei der Inhaltsbestimmung der niederrangigen Norm aus.

47.

Innerhalb des nationalen Rechts mangelt es an höherrangigen unmittelbaren Maßstäben, die eine solche Rangordnung zwingend begründen, so dass nur der allgemeine Einfluss der verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen verbleibt.

48.

Im Unionsrecht zeigt sich eine Rangordnung zwischen Primärrecht und Sekundärrecht, welche grundsätzlich absolut wirkt. Diese verhindert jedoch nicht die sekundärrechtliche Konkretisierung des Primärrechts, sofern dies unbestimmt ist oder eine Beschränkung durch die Mitgliedstaaten zulässig wäre. Maßstäbe des Sekundärrechts, die zu Gunsten der Marktteilnehmer von primärrechtlichen Vorgaben abweichen, sind zulässig.

49.

Sekundärrechtliche Öffnungsklausen sind stets im Lichte der primärrechtlichen Maßstäbe zu sehen, soweit sich der Vorbehalt der jeweiligen Gewährleistung typischerweise als Eingriff in den Schutzbereich der Grundfreiheiten darstellt.

50.

Rangordnungen existieren nicht nur innerhalb der jeweiligen Rechtskreise, sondern auch rechtskreisübergreifend; aufgrund der Mehrebenigkeit kommt es hierauf in besonderem Maße an.

51.

Allen voran ist der Anwendungsvorrang des Unionsrechts gegenüber dem nationalen Recht heranzuziehen, welcher ganz grundsätzlich auch im Steuerrecht gilt, und nach dem auch die Kollision von Missbrauchsmaßstäben zu lösen ist. Mitgliedstaaten können eine Beschränkung der Grundfreiheiten durch nationale Vorschriften daher nur dann unter dem Gesichtspunkt des Missbrauchs rechtfertigen, sofern auch 517

Zusammenfassung der Ergebnisse in Thesen

nach den unionsrechtlich geltenden Maßstäben hiervon auszugehen ist, wenn also ein Missbrauch der Grundfreiheiten vorliegt (Biperspektivität des Missbrauchsbegriffs). Dies gilt gleichermaßen für Missbrauchsmaßstäbe im Sekundärrecht, jedoch unter gleichzeitiger Beachtung des Vorrangs des Primärrechts, so dass entsprechende Öffnungsklauseln den Spielraum der Mitgliedstaaten nicht erweitern können. 52.

Kollisionen zwischen Maßstäben des nationalen Rechts und solchen aus DBA sind nicht im Wege eines strikten hierarchischen Vorrangs zugunsten des Völkerrechts zu lösen, da auch nach der Görgülü-Entscheidung des BVerfG die besseren Argumente gegen die Verfassungswidrigkeit eines Treaty Override sprechen. Innerhalb der methodisch vertretbaren Grenzen muss jedoch dem Grundsatz der Völkerrechtsfreundlichkeit Rechnung getragen werden, mangels strikter Rangordnung aber allenfalls als Auslegungsgrundsatz in Relation zu Kollisionsregeln bei Ranggleichheit.

53.

Eine Abkommensderogation wäre aber jedenfalls bei unilateralen Vorschriften zur echten Missbrauchsverhinderung gerechtfertigt, die sich innerhalb der vom sonstigen nationalen Recht gesetzten Schranken bewegen und die sich insbesondere in den abstrakten Rahmen des § 42 Abs. 2 AO einordnen lassen. Insoweit kann auf den ungeschriebenen abkommensrechtlichen Missbrauchsvorbehalt verzichtet werden, mangels inhaltlicher Konkretisierung ergeben sich daraus ohnehin keine vorrangigen Maßstäbe.

54.

Die unionsrechtliche Qualifizierung des von den Mitgliedstaaten geschaffenen Abkommensrechts erfordert eine dreigliedrige Betrachtung zwischen Völkerrecht, Unionsrecht und nationalem Recht. DBA sind hierbei nicht per se jeglicher Überprüfung am Maßstab des Unionsrechts entzogen.

55.

Ein Meistbegünstigungsgebot ist abzulehnen, so dass ein hierarchischer Vorrang des Unionsrechts gegenüber dem DBA-Recht zurückzuweisen ist. Ebenso kann nicht von einer generellen Unzulässigkeit des Treaty Override als solchen aus Sicht des Unionsrechts die Rede sein; im Rahmen des Allgemeininteresses der Aufteilung der Besteuerungshoheit – und damit im Rahmen des allgemeinen Anwendungsvorrangs – kann dieser aber unter Umständen fruchtbar gemacht werden.

3.

Kollisionsentscheidung bei Ranggleichheit (S. 262 ff.)

56.

Kollisionen zwischen Missbrauchsmaßstäben können unter Rückgriff auf die tradierten, römisch-rechtlichen Kollisionsregeln lex posterior derogat legi priori und lex specialis derogat legi generali aufgelöst werden. Diese sind allerdings keine starren Regeln, die a priori gelten, sondern stets nur im Rahmen der allgemeinen juristischen Methodik – ins-

518

Thesen zum 1. Teil

besondere als Auslegungsgrundsatz – anzuwenden, so dass auch Abweichungen im Einzelfall denkbar sind. Die Entscheidung nach der Zeitenfolge kann insbesondere im Zusammenhang mit DBA von näherem Interesse sein. 57.

Der Spezialitätsgrundsatz im klassischen Sinne trägt dem Verhältnis von § 42 AO und spezieller Missbrauchsvorbehalte, insbesondere dem Verständnis des § 42 AO als strukturgebendem Rahmentatbestand, nicht ausreichend Rechnung. Aufgrund des identischen Begriffs der Steuerumgehung ist von einer grundsätzlichen Rückbindung an den abstrakten Missbrauchsmaßstab des § 42 Abs. 2 AO auszugehen, die gar als eigene Kollisionsregel aufgefasst werden kann (lex completa derogat legi complenti). Diese führt zwar keine innergesetzliche Rangwirkung herbei, wirkt aber gleichfalls als Auslegungsgrundsatz der lex-specialisRegel entgegen und bedingt insoweit zumindest deren Abmilderung.

58.

Im genannten Spannungsverhältnis verbleibt es bei der primären Maßgeblichkeit der Konkretisierungswirkung rahmenausfüllender Maßstäbe, die indes nicht absolut wirkt und daher im Einzelfall auch zurücktreten kann.

59.

Anstatt von verdrängender Spezialität ist im Grundsatz von einem Zusammenwirken von abstraktem Rahmen und der rahmenausfüllenden Norm auszugehen. Im Falle der Tatbestandsmäßigkeit der Spezialnorm wird mithin der entsprechende Steuervorteil als gesetzlich nicht vorgesehen und die Gestaltung somit als unangemessen und damit missbräuchlich konkretisiert.

60.

Im Falle deren Nichttatbestandsmäßigkeit folgt hieraus regelmäßig das Gegenteil, sprich die Qualifikation als nicht unangemessen und damit nicht missbräuchlich; § 42 AO wird aber nicht verdrängt im Sinne einer absoluten Unbeachtlichkeit, sondern bleibt zumindest formal als subsidiärer Auffangtatbestand zu prüfen, was auch der gesetzgeberischen Intention in Form des § 42 Abs. 1 S. 2 und S. 3 AO n.F. entspricht. Die rahmenausfüllende Konkretisierung kann hierbei durch teleologische Inbezugnahme nicht nur der umgangenen Vorschrift, sondern insbesondere auch der Tatbestandsmerkmale der Spezialnorm und deren Funktion im Gesamtkontext der Norm erfolgen, so dass sich zumindest in Einzelfällen trotz oder gerade wegen der Nichttatbestandsmäßigkeit noch ein konkreter Maßstab ermitteln und anwenden lässt.

61.

Eine solche „Abschirmwirkung“ kann je nach Norm und je nach Grund deren Nichttatbestandsmäßigkeit unterschiedlich ausfallen und muss im Einzelfall unter Heranziehung der genannten Auslegungsgrundsätze festgestellt werden. Zuzustimmen ist somit insbesondere den Fallgruppen des „Missbrauchs der Missbrauchsvorschrift“ und der „unechten“ 519

Zusammenfassung der Ergebnisse in Thesen

Spezialvorschrift; besonderes Augenmerk verdienen aber auch solche Tatbestandsmerkmale einer Spezialnorm, die einen sachlichen bzw. systematischen Anwendungsbereich beschreiben. 62.

Die rahmenausfüllende Konkretisierungswirkung erstreckt sich gleichermaßen auf den Bereich der Rechtfertigung durch außersteuerliche Gründe. Zwar sind Spezialnormen ebenso an den abstrakten Rahmen des § 42 Abs. 2 S. 2 AO gebunden, allerdings muss dem Gesetzgeber auch in dieser Hinsicht eine Typisierungsbefugnis zur Erlangung einer umfassenden Vereinfachungswirkung zugestanden werden, so dass auch in diesem Spannungsverhältnis grundsätzlich die rahmenausfüllende Konkretisierungswirkung überwiegt. Spezielle Missbrauchsvorbehalte bestimmen insoweit, welche außersteuerlichen Gründe bei gewissen Umgehungsformen als beachtlich i.S.v. § 42 Abs. 2 S. 2 AO angesehen werden können.

63.

Gleichermaßen muss aber auch hier der Vorbehalt gelten, dass eine rahmenausfüllende Konkretisierung dadurch nicht abschließend gesperrt ist, sofern sich unter Einbeziehung der umgangenen Norm und teleologischen Wertungen der Spezialvorschrift im Einzelfall noch ein beachtlicher Grund – gewissermaßen außerordentlich – ermitteln lässt. Neben der nicht abschließend als unwiderlegbar typisierten Vermutung zählen hierzu insbesondere die Fälle, in denen bei isolierter Betrachtung der Spezialnorm eine teleologische Reduktion in Betracht kommt. Insoweit wird die ohnehin nur als Auslegungsgrundsatz fungierende Konkretisierungswirkung reduziert, so dass die Rückbindung der Spezialvorschrift an den abstrakten Rahmen des § 42 Abs. 2 S. 2 AO letztlich doch überwiegt und dessen Anwendung ermöglicht. Erst recht muss dies gelten, wenn zu diesem Spannungsverhältnis eine weitere Kollisionsregel in Form des hierarchischen Ranges hinzutritt, wie im Falle des verfassungsrechtlichen Geltungsvorrangs oder des unionsrechtlichen Anwendungsvorrangs. § 42 Abs. 1 S. 2 AO steht dieser Lösung als logisch nachgelagert und aus Ranggründen nicht entgegen.

4.

Kollisionsentscheidung nach der äußeren Form der Rechtsquelle? (S. 280 f.)

64.

Allein nach der äußeren Form der Rechtsquelle, aus der sich Missbrauchsmaßstäbe ergeben, ist eine Kollisionsentscheidung nicht möglich.

520

Thesen zum 2. Teil

Thesen zum 2. Teil: Maßnahmen gegen Treaty Shopping (S. 285 ff.) 65.

Im Untersuchungsgegenstand des Treaty Shopping kollidieren in besonderem Maße unterschiedliche Missbrauchsmaßstäbe; die im deutschen Internationalen Steuerrecht spezifisch hiergegen gerichteten Maßnahmen müssen sich insoweit an den im 1. Teil gefundenen Ergebnissen messen lassen, etwaige Kollisionen sind unter Heranziehung der genannten Zuordnungskriterien zu lösen.

A.

Limitation on Benefits Klauseln am Beispiel des Art. 28 DBAUSA (S. 287 ff.)

66.

Art. 28 DBA-USA ist Zugeständnis an den Vertragspartner USA, steht aber exemplarisch für die Tendenz im Bereich der Limitation on Benefits Klauseln.

I.

Normanalyse (S. 288 ff.)

1.

Systematik (S. 288 ff.)

67.

Art. 28 DBA-USA ist seiner Gesamtsystematik nach ein spezieller Missbrauchsvorbehalt, der indes keinen positiven Missbrauchsnachweis erfordert, sondern in Form objektiver „Tests“ ausschließlich das Nichtvorliegen eines Missbrauchs (safe haven) typisiert. Faktisch wird gegenüber denjenigen Gestaltungen, die diese Tests nicht erfüllen, der Missbrauch vermutet.

2.

Tatbestandsvoraussetzungen (S. 290 ff.)

68.

Die inhaltlichen Maßgaben der Tests sind im Grundgedanken richtig angesetzt, da sie die Gesellschafterstruktur, die Geschäftsbeziehungen zwischen Gesellschaft und Gesellschaftern sowie Art und Umfang der wirtschaftlichen Aktivität betreffen, die allesamt einen hinreichenden Bezug zum Ansässigkeitsstaat gewährleisten und auch im nationalen Recht den Missbrauchsmaßstab bei grenzüberschreitenden Gestaltungen prägen.

69.

Der Börsenhandelstest des Art. 28 Abs. 2 lit. c) DBA-USA beruht auf dem Grundgedanken einer gestreuten Anteilseignerschaft mit eigenen wirtschaftlichen Interessen, sowohl untereinander als auch gegenüber der gehandelten Gesellschaft. Dies spricht gegen eine Zwischenschaltung der Gesellschaft zur bloßen Einkünftedurchleitung und vermeidet praktisch unmögliche Nachweiserfordernisse. Die Anforderungen des Tests im Detail müssen sich hieran orientieren und eine solche Trennung der wirtschaftlichen Interessen gewährleisten; erforderlich ist weiterhin eine wesentliche Präsenz im Ansässigkeitsstaat. In Form des indi521

Zusammenfassung der Ergebnisse in Thesen

rekten Börsenhandelstests werden auch Tochtergesellschaften in echten Konzernfällen begünstigt, deren Rechtsform trotz der missverständlichen Verwendung des Begriffs „Aktien“ nicht auf die Form einer AG nach deutschem Recht beschränkt ist. 70.

Der Ownership Test des Art. 28 Abs. 2 lit. f) DBA-USA rückt den Anteilseigner der Zwischengesellschaft in den Vordergrund und stellt mithin zur Bestimmung einer missbräuchlichen Zwischenschaltung auf die Eignung und Erforderlichkeit der Einkünftedurchleitung ab. Die Anforderungen im Einzelnen sind hierbei zeitlicher, quantitativer und qualitativer Natur.

71.

Der Base Erosion Test ergänzt diesen Test, um eine Durchleitung im Wege schädlicher Zahlungsabflüsse an Nichtberechtigte zu verhindern. Die konkrete Ausgestaltung geht über dieses nachvollziehbare Regelungsanliegen hinaus, nicht nur in Bezug auf den unsicheren Referenzwert in Form des Rohergebnisses, sondern auch aufgrund der Erfassung von Leistungen, die dem Fremdvergleichsmaßstab entsprechen. Die streng steuerjahrbezogene Betrachtungsweise kann mitunter gar zu Zufallsergebnissen führen.

72.

Der Derivative Benefits Test des Art. 28 Abs. 3 DBA-USA erweitert den Ownership Test gegenüber Ansässigen aus Drittstaaten im Sinne der Multilateralität und staatenübergreifender Zusammenschlüsse, allerdings um den Preis einer wesentlich höheren Beteiligungsquote und unter der Prämisse einer vergleichbaren Vergünstigung des Drittstaatenbeteiligten. Aufgrund dieser kumulativen Einschränkungen ist der Test in der gegebenen Form praktisch kaum erfüllbar; sofern hiermit eine vermutete Unionsrechtswidrigkeit beseitigt werden sollte, geht dieser Versuch fehl.

73.

Der Active Trade oder Business Test des Art. 28 Abs. 4 DBA-USA bezieht seine Rechtfertigung aus einer typisierten Vermutung gegen Treaty Shopping infolge einer aktiven gewerblichen Tätigkeit der Zwischengesellschaft. Bei positivem Ergebnis wird die Vergünstigung jeweils nur für bestimmte Einkünfte gewährt, auch da ein zusammenhängender oder zumindest anlässlicher Bezug der Tätigkeit zu den begünstigten Einkünften gefordert wird. Passive Holdingtätigkeiten werden hierbei zunächst ausgeschlossen, im Gegenzug aber die Zurechnung einer aktiven Tätigkeit innerhalb eines Konzerns ermöglicht; von daher besteht ein Unterschied zur isolierten Betrachtungsweise des § 50d Abs. 3 S. 2 EStG. Einen konzeptionellen Bruch stellt es dar, dass im Falle des Quellensteuerverzichts auf Dividenden dieser Test nur kumulativ mit dem Ownership Test zur Vergünstigung berechtigt.

522

Thesen zum 2. Teil

74.

Im Wege der Ermessensklausel des Art. 28 Abs. 7 DBA-USA kann der faktische Missbrauchsverdacht im Einzelfall widerlegt und die Vergünstigung per administrativer Entscheidung gewährt werden. Hierbei darf es sich indes nicht um ein freies Ermessen der zuständigen Stellen handeln; aus den Leitgedanken der einzelnen Tests sind daher objektive Kriterien abzuleiten, die sich auch in der Grundkonzeption des Art. 28 DBA widerspiegeln und mithin eine sach- und interessensgerechte Handhabung der Ermessensentscheidung gewährleisten. Die Gründe und das Ausmaß der Nichterfüllung der Tests können ebenfalls miteinbezogen werden, insoweit besteht keine Sperrwirkung. Eine Konsultation der Vertragsstaaten bleibt jedoch im Einzelfall erforderlich.

3.

Rechtsfolge (S. 318 ff.)

75.

Die Rechtsfolge der Limitation on Benefits ergibt sich erst aus der Gesamtsystematik des Art. 28 DBA-USA. Teilweise schießt diese über das Ziel hinaus, wenn die Abkommensvorteile regelmäßig vollumfänglich versagt werden und eine hypothetische Berechtigung der Anteilseigner – welche gegen Treaty Shopping spricht – nicht immer berücksichtigt werden kann.

II.

Kollisionsfragen (S. 319 ff.)

1.

Rechtskreisinterne Kollision (S. 319 f.)

76.

Die Vertragsstaaten sind bei der Ausgestaltung der Limitation on Benefits Klausel untereinander keinerlei völkerrechtlichen Beschränkungen unterworfen; ein allgemeiner Maßstab kann insbesondere weder aus einem allgemeinen Rechtsgrundsatz noch einem ungeschriebenen Missbrauchsvorbehalt abgeleitet werden, und auch aus dem Diskriminierungsverbot des Art. 24 OECD-MA ergibt sich nichts Gegenteiliges.

2.

Rechtskreisübergreifende Kollision mit Unionsrecht (S. 320 ff.)

77.

Ein möglicher Anwendungsvorrang der unionsrechtlichen Missbrauchsmaßstäbe setzt eine Diskriminierung oder Beschränkung grundfreiheitlich geschützter Rechtspositionen voraus. Das Meistbegünstigungsgebot steht in nur faktischem Zusammenhang mit Limitation on Benefits Klauseln und ist als allgemeines Zuordnungskriterium ohnehin abzulehnen.

78.

Limitation on Benefits berühren sowohl den Schutzbereich der Niederlassungsfreiheit als auch der Kapitalverkehrsfreiheit; die genaue Zuordnung kann indes offen bleiben, da es im Hinblick auf Art. 28 DBA-USA auf die erga omnes Wirkung nicht ankommt. Als Bezugspunkt der Diskriminierung kommt allein der Abschluss des Abkommens unter Einschluss einer Limitation on Benefits Klausel in Betracht; infolge der

523

Zusammenfassung der Ergebnisse in Thesen

Kompetenz der Mitgliedstaaten zur Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse ist aber die Vergleichbarkeit der Sachverhalte fraglich. 79.

Die Reziprozität einer Abkommensregel ist als Lackmustest der inhaltlichen Kompatibilitätskontrolle anzusehen; soweit die Ausgeglichenheitsvermutung bilateraler Steuerabkommen reicht, findet diese nicht statt. Limitation on Benefits Klauseln regeln in solcher Weise die wechselseitige Berechtigung zur Inanspruchnahme der Abkommensvorteile, sowohl in sich als auch gegenüber den materiellen Vergünstigungen, und sind daher dem Bereich der freien Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse zuzuordnen. Ebenso trifft den Ansässigkeitsstaat der Zwischengesellschaft keine unmittelbare Verantwortung zur Vermeidung der Doppelbesteuerung durch den Quellenstaat gegenüber Ansässigen anderer Mitgliedstaaten. Auch mit Blick auf die mangelnde Verhandelbarkeit aus Sicht der USA und die Folgen einer möglichen Inkompatibilität ist von der Zulässigkeit der Limitation on Benefits im Lichte des Unionsrechts auszugehen.

80.

Ein möglicher Widerspruch zu den differenzierten unionsrechtlichen Anforderungen zur Rechtfertigung von Missbrauchsvorbehalten steht dem nicht entgegen, da es mangels Vergleichbarkeit auf eine solche Rechtfertigung nicht mehr ankommt und dem Allgemeininteresse der Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse insoweit eigene Bedeutung zukommt; ein Fall der Kollision von Missbrauchsmaßstäben liegt mithin nicht vor. Auch in der Sache erscheint es zwar vertretbar, aber keinesfalls sicher, dass Limitation on Benefits diesen Maßstäben nicht entsprechen.

3.

Rechtskreisübergreifende Kollision mit nationalem Recht (S. 342 ff.)

81.

Art. 28 DBA-USA konkretisiert den Missbrauch i.S.v. § 42 Abs. 2 AO. Ist abkommensrechtlich die Vergünstigung zu versagen, geht § 42 Abs. 2 AO hierin auf; aufgrund der Ermessensklausel des Art. 28 Abs. 7 DBA-USA gilt dies auch für die Möglichkeit des Gegenbeweises i.S.v. § 42 Abs. 2 S. 2 AO. Ist die Vergünstigung nach Art. 28 DBA-USA zu gewähren, bleibt § 42 AO jedenfalls formal subsidiär anwendbar. In der Sache besteht aufgrund der engen Fassung der Limitation on Benefits sowie der bereits bestehenden Beteiligung im Konsultationsverfahren hierfür jedoch schon praktisch kein Bedürfnis; im Lichte des Grundsatzes der völkerrechtsfreundlichen Auslegung erscheint ein abweichender Maßstab im Wege des § 42 AO ohnehin kaum denkbar, so dass die Konkretisierung faktisch abschließend wirkt.

82.

Das Zustimmungsgesetz zu Art. 28 DBA-USA ist als typisierende Missbrauchsvorschrift grundsätzlich einer verfassungsgerichtlicher

524

Thesen zum 2. Teil

Kontrolle unterworfen. Der wechselseitige Besteuerungsverzicht im Wege eines DBA erfordert aber in besonderem Maße gerichtsfreie, politische Handlungsspielräume bei der Ausgestaltung der Vergünstigungen und ihrer Voraussetzungen, so dass die materielle Kontrolldichte stark reduziert ist bis hin zur bloßen Willkürkontrolle. 83.

Als grundlegende Bestimmung der wechselseitigen Abkommensberechtigung sowie aufgrund seiner faktischen Nichtverhandelbarkeit begründet Art. 28 DBA-USA keinen Verstoß gegen den Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG. Hieran kann auch ein eventueller subjektiver Anspruch auf Vermeidung der Doppelbesteuerung nichts ändern, da nur der Abschluss des DBA an sich vorwerfbar wäre, nicht aber die vertraglich vorausgesetzte Beschränkung einzelner Begünstigungen. Auch in der Sache erscheinen Verhältnismäßigkeitsprinzip und Normklarheit als gewahrt.

III.

Bewertung (S. 351 ff.)

84.

Art. 28 DBA-USA ist aufgrund des Einflusses der angloamerikanischen Rechtsetzungstechnik (judge-proof), aufgrund des Bemühens der Vertragspartner, eine Anwendung auf NichtMissbrauchsfälle zu verhindern, sowie infolge zahlreicher Sonderregelungen überdetailliert, sprachlich kompliziert und systematisch unübersichtlich. Praktische Anwendungsschwierigkeiten und wenig Rechtssicherheit sind zu befürchten. Auch die Ausformung einzelner Kriterien erscheint in der Sache als zu eng gefasst; aufgrund der Systematik sowie der kasuistischen Fassung können die Tests eine hohe Hürde darstellen.

85.

In seiner konkreten Ausgestaltung und mangels Flexibilität eignet sich Art. 28 DBA-USA nicht als Muster des Vorgehens gegen Treaty Shopping. In systematischer Hinsicht erscheint es aber vorzugswürdig, Maßnahmen hiergegen im Recht der DBA zu verankern, auch um allen völkerrechtlichen und innerstaatlichen Bedenken Rechnung getragen. Dem Vorschlag, auf ein entsprechendes OECD-Muster unter Eliminierung der vorgetragenen Kritikpunkte hinzuwirken, ist insoweit zuzustimmen.

B.

§ 50d Abs. 3 EStG (S. 355 ff.)

I.

Normanalyse (S. 356 ff.)

1.

Systematik (S. 357 ff.)

86.

§ 50d Abs. 3 EStG typisiert den Missbrauch in Bezug auf bestimmte Quellensteuerentlastungen und konkretisiert hierzu sowohl Elemente der Angemessenheit als auch der Rechtfertigung. Aus dem systematischen Zusammenhang ergibt sich zugleich eine Einschränkung des An525

Zusammenfassung der Ergebnisse in Thesen

wendungsbereichs, so dass zwar die meisten und praktisch wichtigsten, aber nicht sämtliche Treaty Shopping Gestaltungen erfasst werden. Die Vorschrift gliedert sich in persönliche und sachliche Voraussetzungen; diese Unterteilung kann im Rahmen der kollisionsrechtlichen Überprüfung fruchtbar gemacht werden. 2.

Tatbestandsmerkmale im Einzelnen (S. 360 ff.)

87.

Die persönlichen Voraussetzungen des § 50d Abs. 3 S. 1 Hs. 1 EStG konkretisieren die Unangemessenheit der Gestaltung in Form der Eignung und Erforderlichkeit zur Einkünftedurchleitung. Insbesondere das Tatbestandsmerkmal der ausländischen Gesellschaft bemisst sich hierbei nach den Anspruchsvoraussetzungen der materiellen Vergünstigung und ist daher weit auszulegen.

88.

Die Beteiligung nicht erstattungsberechtigter Personen wird im Wege der Prüfung der fiktiven Entlastungsberechtigung dem Grunde und der Höhe nach ermittelt. Aufgrund einer erhöhten Umgehungsgefahr und zur Vermeidung unberechtigter Vorteile gegenüber reinen Inlandsfällen unterfallen auch inländische Anteilseigner dem § 50d Abs. 3 EStG in dem Sinne, dass damit die Unangemessenheit tatbestandlich konkretisiert ist. Im Hinblick auf die Anrechnungsmöglichkeit im Rahmen der innerstaatlichen Veranlagung ist solchen Mäanderstrukturen bei teleologischer Betrachtung indes die Möglichkeit des Gegenbeweises gemäß § 42 Abs. 2 S. 2 AO eröffnet. Eine Freistellung im Abzugsverfahren kann dennoch nicht gerechtfertigt werden.

89.

Die Prüfung erstreckt sich ebenso auf an der antragstellenden Zwischengesellschaft nur mittelbar Beteiligte, um eine Umgehung der Konkretisierungswirkung zu vermeiden. Eine solche mittelbare fiktive Entlastungsberechtigung wird relevant, sofern der unmittelbare Anteilseigner bei inzidenter Prüfung der sachlichen Voraussetzungen des § 50d Abs. 3 S. 1 Nr. 1-3 EStG selbst als funktionslose Gesellschaft qualifiziert. Ein solcher Durchgriff erfolgt indes nicht bei fehlender persönlicher Entlastungsberechtigung i.S.v. § 50d Abs. 3 S. 1 Hs. 1 EStG.

90.

Die sachlichen Tatbestandsvoraussetzungen des § 50d Abs. 3 S. 1 Nr. 13 EStG werden durch die folgenden Sätze S. 2 und S. 3 ergänzt; insgesamt konkretisieren diese sowohl Elemente der Unangemessenheit, in besonderem Maße aber auch der Rechtfertigung i.S.v. § 42 Abs. 2 S. 2 AO. Aufgrund der Alternativität der einzelnen Merkmale erscheint jeweils eine enge Auslegung geboten.

91.

Dies korrespondiert mit einer weiten Auslegung des vom Steuerpflichtigen darzulegenden Erfordernisses des wirtschaftlichen oder sonst beachtlichen Grundes i.S.d. Nr. 1. Eine rein kasuistischer Verweis auf die frühere Rechtsprechung ist im Lichte der tatbestandlichen Verselbstän-

526

Thesen zum 2. Teil

digung der eigenen Wirtschaftstätigkeit hierbei kritisch zu sehen; vorzugswürdig ist insoweit eine positive Begriffsbestimmung, die die Realisierung eines betrieblichen Vorteils zum Maßstab erhebt. 92.

Strategie- und Strukturkonzepte im Konzern sind beachtenswert, da sich die Gründe der Zwischenschaltung allein auf die Gesellschafter der Zwischengesellschaft beziehen können. § 50d Abs. 3 S. 2 EStG steht dem nicht entgegen und wird dadurch auch nicht sinnentleert, da hiermit weiterhin die Zurechnung wirtschaftlicher Gründe zwischen Schwestergesellschaften sowie eine Merkmalszurechnung im Hinblick auf S. 1 Nr. 2 und Nr. 3 unterbunden wird.

93.

Das Erfordernis der Wirtschaftstätigkeit des § 50d Abs. 3 S. 1 Nr. 2 EStG verbleibt auch nach der Neufassung, die eine prozentuale Grenze statuiert, das praktisch wichtigste Kriterium und orientiert sich an § 15 Abs. 2 EStG. Auch die Verwaltung einer Beteiligung kann hierbei als Wirtschaftstätigkeit qualifizieren, sofern diese geschäftsleitend erfolgt. Dies geht über die Ausübung bloßer Gesellschafterrechte hinaus und ist dann der Fall, wenn ein gewisses Maß an substantiellen Führungsaufgaben durch die Zwischengesellschaft ausgeübt wird, nicht notwendigerweise muss dies eine umfassende Konzernleitung darstellen. Regelmäßig kann eine Geschäftsleitung gegenüber mehreren Gesellschaften vorausgesetzt werden, bei der Beteiligungsverwaltung gegenüber nur einer Tochtergesellschaft kann dies indes durch eine entsprechende Führungsintensität kompensiert werden.

94.

Die Übertragung wesentlicher Geschäftstätigkeiten auf Dritte wird vom Gesetzgeber zu Recht als schädlich angesehen, da ansonsten die Rechtfertigung zur Zwischenschaltung in ein bestehendes InboundInvestment entfällt. Die Wesentlichkeit ist in Abhängigkeit von der jeweiligen Funktion zu bestimmen und verhindert jedenfalls die Auslagerung der Führungsentscheidungen bei aktiver Beteiligungsverwaltung. Schädlich ist jedoch nur die Übertragung substantieller Entscheidungsbefugnisse, nicht die unselbständiger Hilfsfunktionen.

95.

Das Problem der räumlichen Einschränkung der geltend gemachten Wirtschaftstätigkeit ist alleine eine Frage der ausreichenden Substanz i.S.d. Nr. 3, so dass eine Ausübung in einer ausländischen Betriebsstätte oder die Ansässigkeit einer geleiteten Gesellschaft in Drittstaaten nicht per se der Annahme einer Wirtschaftstätigkeit entgegensteht. Zudem ist ohnehin der Ort der jeweiligen Führungsentscheidung maßgeblich.

96.

Ein Leistungsaustausch gegenüber Konzerngesellschaften kann unabhängig von der Qualifikation als aktive Beteiligungsverwaltung als eigene Wirtschaftstätigkeit genügen, sofern der Fremdvergleichsgrundsatz gewahrt ist. Ebenso unterfällt die Verwaltung eigener und insbe527

Zusammenfassung der Ergebnisse in Thesen

sondere fremder Vermögensgegenstände nicht dem Ausschluss des S. 3, wenn sie wie in Form einer Vermietungsgesellschaft per aktiver Teilnahme am Marktgeschehen erfolgt und nach innerstaatlichen Maßstäben als gewerblich zu qualifizieren wäre. 97.

Die 10%-Grenze soll Minimaltätigkeiten als unbeachtlich ausschließen und quantifiziert den erforderlichen Umfang bei gemischten Tätigkeiten. Auf einen sachlichen Zusammenhang zwischen der Wirtschaftstätigkeit und der quellensteuerbelasteten Einkünfte kommt es nach der Neufassung nicht mehr an, eine Aufteilung der Quellensteuervergünstigung bei qualitativ gemischt tätigen Gesellschaften ist abzulehnen. Die Bemessung des Referenzwertes mit 10% ist nicht willkürlich, sondern von der gesetzgeberischen Einschätzungsprärogative gedeckt. Dividenden, Zinsen und sonstige Erträge von aktiv geleiteten Gesellschaften müssen unbeschadet eines Fremdvergleichs vollumfänglich auf die 10%-Grenze angerechnet werden.

98.

Mangels einer absoluten Betragsgrenze bereitet die Referenzgröße der Bruttoerträge Probleme bei hohen passiven Einkünften aus ausländischen Quellen oder aus inländischen Quellen, die jedoch keinem Steuerabzug unterliegen; insoweit ist ein Zusammenhang mit der Zwischenschaltung der Gesellschaft zur Einkünftedurchleitung abzulehnen, so dass dies im Ergebnis den Vorwurf des missbräuchlichen Treaty Shopping jedenfalls nicht unwiderlegbar begründen darf. Um gleichzeitig die vom Gesetzgeber beabsichtigte Maßstabswirkung des § 50d Abs. 3 EStG zu erhalten, steht der antragstellenden Gesellschaft infolge einer Reduktion der Konkretisierungswirkung mithin der Gegenbeweis im Sinne des § 42 Abs. 2 S. 2 AO offen, die Vermutung der Unangemessenheit bleibt aufgrund der Subsumtion unter den Begriff der Bruttoerträge erhalten. Entsprechendes gilt für periodische Verwerfungen aufgrund des starren Bezugs auf das betreffende Wirtschaftsjahr.

99.

Das Substanzerfordernis des angemessen eingerichteten Geschäftsbetriebs i.S.v. § 50d Abs. 3 S. 1 Nr. 3 EStG entscheidet über das Vorliegen einer eigenen Wirtschaftstätigkeit und kann in der Sache – wie schon bei § 42 Abs. 2 S. 2 AO – die Maßgaben im Sinne der Künstlichkeit verwerten; hierzu sind objektive Anhaltspunkte in Bezug auf die personelle und sachliche Ausstattung heranzuziehen. Deren Angemessenheit ist quantitativ und qualitativ stets relativ im Hinblick auf die geltend gemachte Funktion zu bestimmen, ein absoluter Maßstab ist abzulehnen. Insbesondere in Bezug auf Anlage- und Finanzierungstätigkeiten ist von reduzierten Anforderungen auszugehen; bei dem damit oftmals verbundenen Outsourcing steht aber nach wie vor Abs. 3 S. 3 entgegen, so dass an eigenem Personal festzuhalten ist.

528

Thesen zum 2. Teil

100. Die isolierte Betrachtungsweise des § 50d Abs. 3 S. 2 EStG bezieht sich auf sämtliche sachlichen Tatbestandsvoraussetzungen der Nr. 1-3 und verhindert eine Abfärbung einzelner Funktionsmerkmale zwischen Konzerngesellschaften. Dies hindert aber nicht die Möglichkeit, eine Trennung der Beteiligung von einer aktiven Schwestergesellschaft innerhalb des ausländischen Ansässigkeitsstaates gesondert zu rechtfertigen, insoweit ist gleichfalls der Gegenbeweis eröffnet. 101. Die Ausnahmen des S. 4 gelten auch mittelbar, d.h. falls nur die – persönlich entlastungsberechtigten – Anteilseigner der Zwischengesellschaft diese erfüllen. In der Börsenklausel des S. 4 Alt. 1 zeigt sich sodann eine Parallele zum Börsenhandelstest des Art. 28 DBA-USA, da Grundkonzeption und einzelne Auslegungsproblemen gleich gelagert sind. Die Ausnahme für Investmentgesellschaften in S. 4 Alt. 2 unterscheidet sich in ihrer Zielrichtung hingegen von der Interessenlage im Falle des Art. 28 Abs. 6 DBA-USA. Unklar bleibt die Rechtslage in Bezug auf die geänderten Investmentbegriffe in Folge des InvÄndG, im Regelfall ist dies aber ohnehin deklaratorisch. 102. § 50d Abs. 3 EStG enthält keine nachteilige Beweislastumkehr; die Finanzverwaltung trägt die Feststellungslast hinsichtlich des steuererhöhenden Tatbestands. Infolge der erhöhten Mitwirkungspflicht des § 90 Abs. 2 AO trifft die antragstellende Gesellschaft jedoch eine Beweismittelbeschaffungs- und Beweisvorsorgepflicht in Bezug auf die persönlichen und sachlichen Tatbestandsvoraussetzungen. Diese führt zu einer Reduzierung des Beweismaßes, nach der eine gewisse Wahrscheinlichkeit für den beweisbelasteten Sachverhalt ausreicht. Eine freie tatrichterliche Beweiswürdigung dergestalt, nicht vom Vorliegen eines Versagungsgrundes überzeugt zu sein, bleibt mithin möglich. 103. Die besondere Nachweis- und Mitwirkungspflicht des § 2 SteuerHBekV in Bezug auf die Anteilseigner der Zwischengesellschaft läuft derzeit leer. 3.

Rechtsfolgenanordnung (S. 416 ff.)

104. Die Entlastung wird in Abhängigkeit von der unterschiedlichen Qualifikation der Anteilseigner der Zwischengesellschaft im Rahmen der persönlichen Voraussetzungen mitunter nur anteilig versagt. Für die Bestimmung der maßgeblichen fiktiven Entlastungsberechtigung ist als Verteilungsschlüssel von der Nennkapitalquote auszugehen, jedoch unter Vorbehalt einer festgestellten abweichenden wirtschaftlichen Verteilungsquote. Gegenüber persönlich Entlastungsberechtigten ist ein bestehender Vergünstigungsanspruch in geringerer Höhe anteilig zu berücksichtigen und von einer gänzlichen Versagung abzusehen.

529

Zusammenfassung der Ergebnisse in Thesen

II.

Kollisionsfragen (S. 418 ff.)

1.

Rechtskreisinterne Kollisionen (S. 419 ff.)

105. Als spezieller Missbrauchsvorbehalt wirft § 50d Abs. 3 EStG Kollisionsprobleme im Hinblick auf die verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen des Missbrauchs auf; in diesem Zusammenhang kann auch ein struktureller Vergleich mit § 42 Abs. 2 AO fruchtbar gemacht werden. 106. Die grundsätzliche tatbestandliche Ausgestaltung der Missbrauchsvermutung des § 50d Abs. 3 EStG ist sowohl im Hinblick auf die frühere Basisgesellschaftenrechtsprechung als auch im Hinblick auf die Maßstäbe des § 42 Abs. 2 (S. 1) AO durchaus sachgerecht. Dies gilt auch unter Berücksichtigung der Alternativität der sachlichen Voraussetzungen, da sich schon in den persönlichen Voraussetzungen die Eignung und Erforderlichkeit zur Einkünftedurchleitung manifestiert, die durch Hinzutreten eines weiteren sachlichen Elements zur (widerlegbaren) Missbrauchsvermutung anwachsen kann. 107. Die außersteuerlichen Gründe i.S.v. § 42 Abs. 2 S. 2 AO sind nicht deckungsgleich mit dem Fehlen des wirtschaftlichen (oder sonst beachtlichen) Grundes i.S.v. § 50d Abs. 3 S. 1 Nr. 1 EStG; § 50d Abs. 3 EStG konkretisiert vielmehr in seiner gesamten Ausgestaltung unter Einschluss der Nr. 2 und Nr. 3, welche außersteuerlichen Gründe als beachtlich i.S.v. § 42 Abs. 2 S. 2 AO angesehen werden können. Damit ist der Struktur des § 42 Abs. 2 AO grundsätzlich Genüge getan, trotz der Rückbindung von Spezialnormen an den abstrakten Rahmen des § 42 Abs. 2 S. 2 AO muss dem Gesetzgeber zur Erlangung und Erhaltung einer umfassenden Vereinfachungswirkung eine Typisierungsbefugnis auch im Bereich der Rechtfertigung zugestanden werden. 108. Unterliegen die Versagungsgründe von vornherein einer engen Auslegung, dann müssen die Konzeption der Alternativität und die daraus resultierende unterschiedliche Art der Implementierung der außersteuerlichen Gründe nicht zwingend einen Verstoß gegen das Prinzip der Verhältnismäßigkeit bedingen. Demnach ist die Berücksichtigung einer Rechtfertigung i.S.d. § 42 Abs. 2 S. 2 AO im Rahmen der sachlichen Tatbestandsvoraussetzungen des § 50d Abs. 3 EStG noch möglich und die Norm kann als noch verhältnismäßig aufrechterhalten werden. 109. Bei Tatbestandsmäßigkeit des § 50d Abs. 3 EStG wird dieser nicht durch die positive Annahme eines Missbrauchs gemäß § 42 AO verdrängt; das Argument der Verschiebung der Einkünftezurechnung ist im Inboundfall belanglos. Auf die deklaratorische Anordnung des Vorrangs der Rechtsfolge kommt es aufgrund identischer Besteuerungsfolgen nicht an. 530

Thesen zum 2. Teil

110. § 42 AO bleibt als subsidiärer Auffangtatbestand formal auch gegenüber § 50d Abs. 3 EStG bestehen. Eine Beurteilung als missbräuchlich darf indes nicht mehr erfolgen, soweit kein sachlicher Versagungsgrund gegeben ist oder ein Ausnahme gemäß S. 4 vorliegt; insoweit ist die Konkretisierung abschließend und der Steuervorteil gesetzlich vorgesehen. § 42 Abs. 2 S. 1 AO steht aber im Raum, soweit bereits kein Entlastungsanspruch i.S.v. § 50d Abs. 1 S. 1 besteht oder es an den persönlichen Voraussetzungen fehlt. Anhand der Voraussetzungen des § 42 Abs. 2 AO ist dann dessen Tatbestandsmäßigkeit eigenständig zu prüfen. 111. Im Spannungsverhältnis zwischen den Auslegungsgrundsätzen der rahmenausfüllenden Konkretisierungswirkung und der Rückbindung an den abstrakten Rahmen des § 42 Abs. 2 AO überwiegt auch in Bezug auf § 50d Abs. 3 EStG grundsätzlich Ersteres, so dass im Regelfall die Rechtfertigung i.S.v. § 42 Abs. 2 S. 2 AO ausreichend konkretisiert ist und grundsätzlich nicht anders beurteilt werden kann. Bei teleologischer Betrachtung der umgangenen Einzelsteuernorm und der speziellen Missbrauchsvorschrift sowie ergänzend im Lichte des Verhältnismäßigkeitsprinzips lassen sich jedoch mehrere abstrakt bestimmte Fallgruppen benennen, in denen die Konkretisierungswirkung reduziert werden muss und die Möglichkeit eines Gegenbeweises ausnahmsweise doch gewährleistet ist. 2.

Rechtskreisübergreifende Kollision mit DBA-Vorschriften (S. 435 ff.)

112. In Form des § 50d Abs. 3 EStG handelt es sich um ein Treaty Override, der als solcher nicht verfassungswidrig ist. Auch die vermittelnden Ansichten, die ein Treaty Override in echten Missbrauchsfällen gestatten, dürften im Hinblick auf die grundsätzliche Ausgestaltung des § 50d Abs. 3 EStG, auch im Vergleich zu § 42 AO, zu diesem Ergebnis gelangen. 113. Der Grundsatz völkerrechtskonformer Auslegung kann auch bei Zusammentreffen mit der Kollisionsregel der Zeitenfolge § 50d Abs. 3 EStG nicht entgegengehalten werden, so dass der Vorbehalt auch gegenüber späteren DBA Geltung findet. Aus rechtspolitischer Sicht bleibt aber bei Neuverträgen und grundlegenden Revisionen die Verhandlung einer Öffnungsklausel vorzugswürdig. 114. Die Derogationsanordnung muss zurückstehen, soweit die Spezialität als weitere Zuordnungsregel hinzutritt, so dass § 50d Abs. 3 EStG gegenüber DBA-Vergünstigungen, die durch abkommensrechtliche Missbrauchsklauseln unter eigenem Vorbehalt stehen, keine Anwendung findet. Die abschließende Wirkung solcher DBA-Klauseln kann bei Be531

Zusammenfassung der Ergebnisse in Thesen

zug auf die Grundfragen des Treaty Shopping mit entsprechender Detailtiefe vermutet werden. Dies gilt insbesonders für Art. 28 DBA-USA. 3.

Rechtskreisübergreifende Kollision mit Unionsrecht (S. 442 ff.)

115. Alleiniger Bezugspunkt der kollisionsrechtlichen Überprüfung im Einzelfall ist im Ergebnis die konkretisierende sekundärrechtliche Regelung. Da es sich im Falle des Art. 1 Abs. 2 MTRL – ebenso wie des Art. 5 Abs. 1 ZLRL – nur um eine Öffnungsklausel handelt und insoweit der Vorrang der primärrechtlichen Maßstäbe Wirkung zeitigen kann, ist als dessen normativer Vergleichsmaßstab derjenige der Grundfreiheiten heranzuziehen, da die vom abstrakten Gewährleistungsinhalt der Richtlinienvergünstigung erfassten Sachverhalte typischerweise dem Schutzbereich der Grundfreiheiten unterfallen und sich der Vorbehalt des Missbrauchs sodann als Eingriff in diesen erweist. 116. Die Frage der sachlich einschlägigen Grundfreiheit zwischen Niederlassungs- und Kapitalverkehrsfreiheit ist hierbei weder durch isolierte Betrachtung der Ebene der Zwischengesellschaft, noch derjenigen der Anteilseigner zu bestimmen, sondern erfordert eine Gesamtbetrachtung, die bei der Zwischengesellschaft als Grundfreiheitsträger ansetzt und die Wertungen der Missbrauchsvorbehalte im Hinblick auf den möglichen Kreis der Anteilseigner mitberücksichtigt. Das Directive Shopping und die Vorbehalte zu dessen Verhinderung stellen sich insofern insgesamt als Problem der Zwischenniederlassung und somit vorrangig des Art. 49 Abs. 1 S. 2 AEUV dar. Innerhalb des Anwendungsbereichs der MTRL steht die Besteuerung von Unternehmensverbünden im Vordergrund, so dass gerade deren Mindestbeteiligungserfordernis als Grenzlinie erachtet werden kann. 117. Infolge des Drittstaatenbezugs der Anteilseigner der Zwischengesellschaft muss deren eingeschränkter räumlicher Schutzbereich im Zusammenhang mit der sekundären Niederlassung berücksichtigt werden; insoweit ist ein Vorbehalt der echten Ansässigkeit der Zwischengesellschaft zu fordern, mit dem der missbräuchlichen Begründung der (räumlichen) Anwendungsvoraussetzungen der Grundfreiheiten entgegen gewirkt werden kann. Entsprechend der Rechtfertigungslösung muss dies zunächst tatbestandlich als schutzwürdige Ausübung der Grundfreiheiten hingenommen werden, die aber durch mitgliedstaatliche Maßnahmen beschränkt werden kann. 118. Im Sinne eines solchen Vorbehalts einer echten Ansässigkeit zur Überprüfung der Berechtigung als Grundfreiheitsträger ist Art. 1 Abs. MTRL i.V.m. § 50d Abs. 3 EStG als diskriminierender Eingriff zu erachten. Speziell in Bezug auf § 50d Abs. 3 EStG steht auch dessen Regelungssystematik nicht der Vergleichbarkeit der Sachverhalte entgegen, ob532

Thesen zum 2. Teil

wohl die Norm an Abs. 1 S. 1 und damit an einen besonderen Entlastungsanspruch nur für beschränkt Steuerpflichtige anknüpft; entscheidend ist vielmehr, dass die Mitgliedstaaten in der Gesamtbetrachtung – und erst recht im Anwendungsbereich der MTRL – eine gleichwertige Vermeidung der Doppelbesteuerung gegenüber beschränkt und unbeschränkt Steuerpflichtigen sicherzustellen haben, so dass es auf die unterschiedliche verfahrenstechnische Ausgestaltung der Vermeidung nicht ankommt. 119. Unter der Prämisse der Anwendungsvoraussetzungen des Sekundärrechts liegt mithin ein Kollisionsfall vor. In den unionsrechtlichen Anforderungen an eine Rechtfertigung des § 50d Abs. 3 EStG als Missbrauchsvorschrift i.S.d. Art. 1 Abs. 2 MTRL zeigt sich sodann der Anwendungsvorrang der aus den Grundfreiheiten abgeleiteten Missbrauchsmaßstäbe. 120. Auf der ersten, abstrakten Prüfungsebene erfordert dieser Vorrang eine Orientierung des Tatbestands des § 50d Abs. 3 EStG am Maßstab der Künstlichkeit, um eine verhältnismäßige Vermutungsbasis zu gewährleisten. Unter der Prämisse einer unionskonformen Auslegung orientieren sich die einzelnen sachlichen Funktionsvoraussetzungen durchaus am Maßstab der Künstlichkeit als objektive Maßgabe, insbesondere kann das Erfordernis der eigenen Wirtschaftstätigkeit der Nr. 2 bei entsprechender Auslegung als ausreichendes Indiz erachtet werden. Auch die Alternativität der Versagungsgründe ist nicht als Problem dieser Prüfungsebene aufzufassen, da jedenfalls unter Hinzuziehung der persönlichen Voraussetzungen jeder einzelne alternative Versagungsgrund einen Missbrauch i.S.d. Unionsrechts als ausreichende Vermutungsbasis typisieren kann und insoweit allein die mangelnde Widerlegbarkeit entgegensteht. 121. Auf der zweiten, konkreten Prüfungsebene ist die Möglichkeit des Gegenbeweises in jedem Verdachtsfall im Wege einer strengen Einzelfallprüfung zur Wahrung der Verhältnismäßigkeit erforderlich und eine Subsumtion unter objektive Tatbestandsmerkmale nicht ausreichend, so dass eine Typisierung der Rechtfertigung – anders als im Lichte des Verfassungsrechts – unionsrechtlich ausscheiden muss. Ein unionsrechtskonformer Zustand kann aber dadurch erreicht werden, dass die Gegenbeweismöglichkeit des § 42 Abs. 2 S. 2 AO in unionsrechtlich gebotenen Fällen auch gegenüber § 50d Abs. 3 EStG eröffnet ist. Insoweit wirken die Vermutung des unionskonformen Verhaltens und die Kollisionsregel des Anwendungsvorrangs inhaltsbestimmend auf das Spannungsverhältnis von rahmenausfüllender Norm und abstraktem Rahmentatbestand ein, so dass im Ergebnis von einer Reduktion der Konkretisierungswirkung auszugehen ist. § 50d Abs. 3 EStG muss nicht 533

Zusammenfassung der Ergebnisse in Thesen

für im Ganzen unanwendbar erklärt werden und bleibt in Bezug auf die Bestimmung der Unangemessenheit i.S.v. § 42 Abs. 2 S. 1 AO maßstäblich. § 42 Abs. 1 S. 2 AO steht dem nicht entgegen. III.

Bewertung (S. 474 ff.)

122. Trotz zahlreicher und teilweise ganz fundamentaler Kritik ist die Zielrichtung der Norm anzuerkennen und entspricht einem nachvollziehbaren Regelungsanliegen des Gesetzgebers. Auch die Grundkonzeption der einzelnen Tatbestandsmerkmale orientiert sich durchaus an objektiven Maßgaben, die man vor allem bei einer Beschränkung der Betrachtung auf das einfache Recht erwarten darf; bei sachgerechter Auslegung der sachlichen Tatbestandsvoraussetzungen sind die entsprechenden Leitgedanken auch mit Blick auf das Verfassungsrecht sowie das Unionsrecht anzuerkennen. 123. Die Ausgestaltung des § 50d Abs. 3 EStG im Detail ist indes als problematisch zu bezeichnen. Vielfach lässt sich dies durch eine enge Auslegung in den Griff kriegen, dies kann aber nicht alle Bedenken beseitigen. Die Rechtsprechung behält sich insoweit prozessual eine eigene tatrichterliche Überzeugung vor. 124. Insgesamt verbleibt die Widerlegbarkeit zentraler Streitpunkt des § 50d Abs. 3 EStG. De lege lata lassen sich die hieraus entstehenden Kollisionen im Hinblick auf den Rahmentatbestand des § 42 Abs. 2 AO, das Verfassungsrecht sowie die Maßstäbe des Unionsrechts im Wege der Auslegung und der Reduktion der Konkretisierungswirkung zur Eröffnung des Gegenbeweises des § 42 Abs. 2 S. 2 AO bewältigen. 125. Unzweifelhaft besteht jedoch in rechtspolitischer Hinsicht Verbesserungsbedarf. Im Interesse der Rechtssicherheit und -klarheit, sowie des Grundsatzes der Gewaltenteilung und des Individualrechtsschutzes, aber auch im gesetzgeberischen Interesse zur Sicherung der umfassenden Maßstabswirkung, erscheint es mithin de lege ferenda geboten, § 50d Abs. 3 EStG als Typisierung der Vermutungsbasis der Unangemessenheit zu verstehen und gleichzeitig mit einer ausdrücklichen, zumindest subsidiären Gegenbeweismöglichkeit auszugestalten.

C.

Nachtrag: § 50d Abs. 3 EStG i.d.F. des BeitrRLUmsG (S. 479 ff.)

I.

Kurzanalyse (S. 479 ff.)

126. Eine entscheidende Änderung durch das BeitrRLUmsG besteht darin, dass systematisch die sachlichen Voraussetzungen auf zwei gesonderte Entlastungsberechtigungen aufgeteilt werden und das Erfordernis einer eigenen wirtschaftlichen Tätigkeit nun stets zu prüfen ist. Weiterhin soll 534

Thesen zum 2. Teil

statt dem früheren „Alles-Oder-Nichts“ nun stets eine Aufteilung der Entlastungsberechtigung als Rechtsfolge greifen. 127. An der Auslegung der einzelnen Tatbestandsmerkmale durch die Finanzverwaltung hat sich grundsätzlich nichts geändert. Aufgrund der neuen Aufteilungsklausel kann dies in Zukunft gar zu ungünstigeren Ergebnissen führen. Insoweit bleibt das Vorliegen einer eigenwirtschaftlichen Tätigkeit der maßgebliche Test. 128. Der Bezugspunkt der Aufteilungskausel ist strittig. Nach dem Wortlaut ist eine Gesamtbetrachtung anzustellen und alleine das Verhältnis verschiedener Erträge der Zwischengesellschaft maßgeblich. Aus dem quotalen Anteil „unschädlicher“ Erträge soll sich der Entlastungsanspruch errechnen lassen. Auf die Qualifikation der konkreten Einkünfte kommt es direkt nicht an, nur soweit diese Teil der Gesamteinkünfte sind und damit die Quote mitbeeinflussen. Schon im Hinblick auf die praktische Anwendung ist dies verfehlt, da die Berechnung über mehrere Ebenen und Wirtschaftsjahre kaum durchführbar ist. 129. Aus teleologischen Gründen wäre eine Aufteilung anhand der konkret zu prüfenden Erträge vorzuziehen. Dies ist in der Neufassung jedoch nicht ohne weiteres möglich. Ein sachgerechtes Ergebnis kann daher allenfalls dadurch erreicht werden, dass bestimmte Bruttoerträge bei der Ermittlung der Gesamtquote herausgenommen werden müssen. Aufgrund der regelmäßig nur anteiligen Begünstigung infolge der Aufteilungsklausel muss zudem der Gegenbeweis i.S.v. § 42 Abs.2 S. 2 AO zur Bestimmung der endgültigen Entlastung stets angewendet werden, da sonst ein „anteiliger Missbrauch“ vorliegen würde. 130. Bei § 50d Abs. 3 S. 1 Hs. 3 Nr. 1 EStG handelt es sich um den spiegelbildlichen Test. Es wirkt sich insoweit negativ aus, dass eine eigenwirtschaftliche Tätigkeit nicht ohne weiteres Indizwirkung für einen wirtschaftlichen Grund entfaltet. Im Wege der Auslegung dürfen an diesen aber letztlich doch keine besonderen Anforderungen gestellt werden. 131. Das Erfordernis des angemessen eingerichteten Geschäftsbetriebs i.S.v. Hs. 3 Nr. 2 hat mit der Neufassung keinen klaren Anwendungsbereich mehr. Zum einen überschneidet sich dies mit dem Merkmal der eigenen Wirtschaftstätigkeit, für das aber eine Substanz nicht ausdrücklich gefordert wird und daher auch nicht per einschränkender Auslegung gefordert werden darf. Zum anderen läuft es schon deshalb regelmäßig leer, da für den Bereich der Zwischengesellschaft, der gerade keine eigen Wirtschaftstätigkeit darstellt, regelmäßig nur minimale Substanzanforderungen erforderlich sind. 132. Die „Neuregelung“ der Feststellungslast ist praktisch überflüssig und beruht auf einer Fehlvorstellung des Gesetzgebers vom Verhältnis von 535

Zusammenfassung der Ergebnisse in Thesen

§ 50d Abs. 3 EStG zu § 42 Abs. 2 S. 2 AO. Dass die Finanzverwaltung die Regelung entgegen der ausdrücklichen Beschränkung auf sämtliche Entlastungsberechtigungen des § 50d Abs. 3 EStG anwenden will, spricht für sich. II.

Kollisionsfragen (S. 494 ff.)

133. In der Neufassung erscheint sehr fraglich, ob sich § 50d Abs. 3 EStG noch in ein abgestuftes System von Vereinfachung durch Typisierungswirkung und angemessener Nachweislastverteilung und damit in den abstrakten Rahmen des § 42 Abs. 2 AO einbinden lässt. 134. Durch eine zweckorientierte Auslegung lassen sich einige kritische Konstellationen lösen. Als Folge der Aufteilungsklausel muss jedoch die teleologische und rangbedingte Reduktion der Konkretisierungswirkung stets greifen; § 50d Abs. 3 EStG kann daher in dieser Form nur aufrechterhalten werden, wenn der Gegenbeweis des § 42 Abs. 2 S. 2 AO stets eröffnet ist. 135. Da die Aufteilungsklausel ganz regelmäßig keine vollständige Entlastung gewähren kann, enthält allein § 50d Abs. 3 S. 1 Hs. 2 EStG keinen echten Motivtest. Die ergänzende Anwendung des § 42 Abs. 2 S. 2 AO ist auch vor dem Hintergrund unionsrechtlicher Maßstäbe erforderlich. Eine verbesserte Kompabilität mit Unionsrecht wurde daher nicht erreicht. 136. Jedenfalls bei wörtlicher Auslegung könnte stattdessen schon gar keine sachgerechte Typisierung mehr vorliegen und insoweit auf der ersten, abstrakten Prüfungsebene der typisierenden Missbrauchsnorm ein unverhältnismäßiger Eingriff festgestellt werden. Allein schon deshalb dürfen in der Neufassung weder an die Annahme einer eigenwirtschaftliche Tätigkeit noch an das Vorliegen eines wirtschaftlichen Grundes besondere Anforderungen gestellt werden. III.

Bewertung (S. 496 ff.)

137. Selbst wenn die Neufassung noch als ausreichende Rückbindung an den abstrakten Rahmen des § 42 Abs. 2 AO und damit als verfassungsmäßige Typisierung ansehen könnte, kann dies dennoch nur zu der Erkenntnis führen, dass die Neufassung „missraten“ ist. Eine Nachbesserung erscheint unabdingbar. 138. Mit jeder Änderung wird die ursprünglichen Systematik und damit auch ein stimmiges Konzept von allgemeiner Missbrauchsnorm und speziellen, typisierenden Missbrauchstatbeständen beseitigt. Überspitzt formuliert muss die Systematik der bloßen „Erbsenzählerei“ in Form der Addierung einzelner Teil-Quoten weichen.

536

Thesen zum 2. Teil

139. Insbesondere weicht § 50d Abs. 3 EStG i.d.F. des BeitrRLUmsG durch die Aufteilungsklausel vom grundlegenden Gedanken der Verschiebung der Einkünftezurechnung – der inneren Rechtfertigung jeglicher Ansätze gegen Treaty Shopping – ab. Erst dadurch entsteht das Dilemma eines „quotalen Missbrauchs“. 140. Es stellt sich die Frage nach dem Mehrwert einer solchen Vorschrift, wenn diese durchgängig an die Maßstäbe des § 42 AO, des Unionsrechts und der Rechtsprechung angepasst werden muss. Forderungen nach einer ersatzlosen Aufhebung sind in der aktuellen Fassung nicht von der Hand zu weisen. 141. Stattdessen wäre auch eine (punktuelle) Typisierung zu überlegen, die sodann aber eine echte Vereinfachung und die ausdrückliche Einbindung in den Rahmen des § 42 Abs. 2 AO – samt Gegenbeweismöglichkeit – bedingen würde. Der Gesetzgeber könnte sein propagiertes Ziel der Unionsrechtskonformität auf diese Weise ohne Weiteres erreichen.

D.

§ 50g Abs. 4 EStG (S. 499 ff.)

142. Eine wortlautgetreue Auslegung des § 50g Abs. 4 S. 1 EStG dergestalt, dass auch der Hauptbeweggrund der Steuervermeidung eine Versagung des Vergünstigungsanspruchs rechtfertigen könnte, ist nicht möglich, da sich die Norm sodann in Widerspruch zum abstrakten Rahmen des § 42 Abs. 2 AO, zum grundlegenden Verständnis der Steuerumgehung im deutschen Steuerrecht, zu deren verfassungsrechtlichen Rahmenbedingungen sowie zu den Maßstäben eines Missbrauchs i.S.d. Unionsrechts setzen würde. Art. 5 Abs. 2 ZLRL wäre insoweit schlicht fehlerhaft übernommen worden. 143. Insoweit könnte § 50g Abs. 4 S. 1 EStG lediglich § 42 AO wiederholen, ohne dass hierfür jedoch ein Bedürfnis besteht. Selbst dies kann aber deshalb nicht gelingen, da ein solcher „Regelungsgehalt“ durch die Neufassung des § 42 Abs. 2 AO überholt wäre. Auch in das System von einerseits Generalklausel mit abstraktem Rahmentatbestand und typisierender Spezialnorm lässt sich die Vorschrift nicht einordnen, da sich aus ihr keinerlei maßstabskonkretisierende Wirkung ergibt. Die allermeisten Anwendungsfälle lassen sich ohnehin über § 50d Abs. 3 EStG sachgerecht lösen, ergänzend wäre § 42 AO heranzuziehen. 144. Wenn auch schon der Richtliniengeber durch das Nebeneinander von Art. 5 Abs. 1 und Abs. 2 ZLRL eine erste Ursache gesetzt hat, so ist letztlich allein ein Fehlverständnis des Gesetzgebers von der Funktion dieser Normen für die Existenz des § 50g Abs. 4 EStG verantwortlich, die sich im Irrglauben einer Umsetzungsverpflichtung manifestiert hat.

537

Zusammenfassung der Ergebnisse in Thesen

Auf § 50g Abs. 4 S. 1 – und damit auch auf dessen S. 2 – kann und muss deshalb verzichtet werden.

538

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Rechtsprechungsverzeichnis EuGH EuGH, Urteil vom 16.12.1960 – 6/60 – EuGHE I 1960, 1163 – Humblet EuGH, Urteil vom 15.07.1964 – 6/64 – EuGHE I 1964, 1251 = NJW 1964, 2371 – Costa/ENEL EuGH, Urteil vom 17.12.1970 – 11/70 – EuGHE I 1970, 1125 = NJW 1971, 343 – Internationale Handelsgesellschaft EuGH, Urteil vom 12.02.1974 – 152/73 – EuGHE I 1974, 153 – Sotgiu EuGH, Urteil vom 11.07.1974 – 8/74 – NJW 1975, 515 – Dassonville EuGH, Urteil vom 03.12.1974 – 33/74 – EuGHE I 1974, 1299 = NJW 1975, 1095 – Binsbergen EuGH, Urteil vom 09.03.1978 – 106/77 – EuGHE I 1978, 629 = NJW 1978, 1741 – Simmenthal EuGH, Urteil vom 05.10.1978 – 26/78 – EuGHE I 1978, 1771 – INAMI/Viola EuGH, Urteil vom 20.02.1979 – 120/78 – EuGHE 1979, 649 = NJW 1979, 1766 – Cassis de Dijon EuGH, Urteil vom 28.01.1986 – C-270/83 – EuGHE I 1986, 273 – avoir fiscal EuGH, Urteil vom 04.12.1986 – 205/84 – EuGHE I 1986, 3755 = NJW 1987, 572 – Versicherungsaufsichtsgesellschaft EuGH, Urteil vom 04.02.1988 – C-157/86 – EuGHE 1988, 673 – Murphy EuGH, Urteil vom 08.05.1990 – C-175/88 – EuGHE I 1990, 1779 = NJW 1991, 1406 – Biehl EuGH, Urteil vom 19.06.1990 – C-213/89 – EuGHE I 1991, 2433 = NJW 1991, 2271 – Factortame I EuGH, Urteil vom 25.07.1991 – C-221/89 – EuGHE I 1991, 3905 – Factortame II EuGH, Urteil vom 28.01.1992 – C-204/90 – EuGHE I 1992, 249 = EuZW 1992, 215 – Bachmann EuGH, Urteil vom 28.01.1992 – C-300/90 – EuGHE I 1992, 305 = EuZW 1992, 217 – Kommission/Belgien EuGH, Urteil vom 01.07.1993 – C-20/92 – EuGHE I 1993, 3777 = NJW 1993, 2431 – Hubbard

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EuGH, Urteil vom 13.07.1993 – C-330/91 – EuGHE I 1993, 4017 = NJW 1994, 35 – Commerzbank EuGH, Urteil vom 24.11.1993 – C-268/91 – EuGHE I 1993, 6097 = NJW 1994, 121 – Keck EuGH, Urteil vom 14.02.1995 – C-279/93 – EuGHE I 1995, 225 = DStR 1995, 326 – Schumacker EuGH, Urteil vom 11.08.1995 – C-80/94 – EuGHE I 1995, 2493 = IStR 1995, 431 – Wielockx EuGH, Urteil vom 30.11.1995 – C-55/94 – EuGHE I 1995, 4165 = NJW 1996, 579 – Gebhard EuGH, Urteil vom 15.12.1995 – C-415/93 – EuGHE I 1995, 4921 = NJW 1996, 505 – Bosman EuGH, Urteil vom 05.03.1996 – C-46/93 – EuGHE I 1996, 1029 – Brasserie du pêcheur EuGH, Urteil vom 23.05.1996 – C-237/94 – EuGHE I 1996, 2617 – O‘Flynn EuGH, Urteil vom 27.06.1996 – C-107/94 – EuGHE I 1996, 3089 = NJW 1996, 2921 – Asscher EuGH, Urteil vom 17.10.1996 – C-283/94, C-291/94 und C-292/94 – EuGHE I 1997, 5063 = DStRE 1997, 22 – Denkavit Internationaal EuGH, Urteil vom 15.05.1997 – C-250/95 – EuGHE I 1997, 2471 = DStRE 1997, 514 – Futura EuGH, Urteil vom 17.07.1997 – C-28/95 – EuGHE I 1997, 4161 = IStR 1997, 539 – Leur-Bloem EuGH, Urteil vom 28.04.1998 – C-158/96 – EuGHE I 1998, 1931 = EuZW 1998, 345 – Kohll EuGH, Urteil vom 12.05.1998 – C-367/96 – EuGHE I 1998, 2843 = EuZW 1999, 56 – Kefalas EuGH, Urteil vom 12.05.1998 – C-336/96 – EuGHE I 1998, 2793 = DStRE 1998, 445 – Gilly EuGH, Urteil vom 16.07.1998 – C-264/96 – EuGHE I 1998, 4695 = DStRE 1998, 636 – ICI EuGH, Urteil vom 09.03.1999 – C-212/97 – EuGHE I 1999, 1459 = DStRE 1999, 414 – Centros EuGH, Urteil vom 29.04.1999 – C-311/97 – EuGHE I 1999, 2651 = DStRE 1999, 520 – Royal Bank of Scotland

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EuGH, Urteil vom 08.07.1999 – C-254/97 – EUGHE I 1999, 4809 = EuZW 1999, 638 – Baxter EuGH, Urteil vom 21.09.1999 – C-307/97 – EuGHE I 1999, 6161 = DStRE 1999, 836 – Saint-Gobain EuGH, Urteil vom 14.10.1999 – C-439/97 – EuGHE I 1999, 7041 = EuZW 2000, 86 – Sandoz EuGH, Urteil vom 26.10.1999 – C-294/97 – EuGHE I 1999, 7447 = DStRE 2000, 303 – Eurowings EuGH, Urteil vom 28.10.1999 – C-55/98 – EuGHE I 1999, 7641 = DStRE 2000, 114 – Vestergaard EuGH, Urteil vom 13.04.2000 – C-251/98 – EuGHE I 2000, 2787 = IStR 2000, 337 – Baars EuGH, Urteil vom 23.03.2000 – C-373/97 – EuGHE I 2000, 1609 – Diamantis EuGH, Urteil vom 06.06.2000 – C-35/98 – EuGHE I 2000, 4071 = IStR 2000, 432 – Verkooijen EuGH, Urteil vom 26.09.2000 – C-478/98 – EuGHE I 2000, 7587 – Kommission/Belgien EuGH, Urteil vom 14.12.2000 – C-110/99 – EuGHE I 2000, 11569 – Emsland Stärke EuGH, Urteil vom 08.03.2001 – C-397/98 und C-410/98 – EuGHE I 2001, 1727 = IStR 2001, 215 – Metallgesellschaft/Hoechst EuGH, Urteil vom 03.10.2002 – C-136/00 – EuGHE I 2002, 8147 = IStR 2002, 736 – Danner EuGH, Urteil vom 05.11.2002 – C-476/98 – EuGHE I 2002, 9855 = EuZW 2003, 82 – Open Skies EuGH, Urteil vom 21.11.2002 – C-436/00 – EuGHE I 2002, 10829 = IStR 2003, 23 – X und Y EuGH, Urteil vom 12.12.2002 – C-324/00 – EuGHE I 2002, 11779 = DStR 2003, 25 – Lankhorst-Hohorst EuGH, Urteil vom 12.06.2003 – C-234/01 – EuGHE I 2003, 5933 = BStBl II 2003, 859 = IStR 2003, 458 – Gerritse EuGH, Urteil vom 18.09.2003 – C-168/01 – EuGHE I 9409 = IStR 2003, 666 – Bosal EuGH, Urteil vom 30.09.2003 – C-167/01 – EuGHE I 2003, 10155 = IStR 2003, 849 – Inspire Art

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EuGH, Urteil vom 11.03.2004 – C-9/02 – EuGHE I 2004, 2431 = DStR 2004, 551 – Hughes de Lasteyrie du Saillant EuGH, Urteil vom 15.07.2004 – C-315/02 – EuGHE I 2004, 7063 = IStR 2004, 522 – Lenz EuGH, Urteil vom 07.09.2004 – C-319/02 – EuGHE I 2004, 7477 = IStR 2005, 680 – Manninen EuGH, Urteil vom 05.10.2004 – C-475/01 – EuGHE I 2004, 8951 = IStR 2004, 864 – Kommission/Griechenland EuGH, Urteil vom 05.07.2005 – C-376/03 – EuGHE I 2005, 5821 = IStR 2005, 483 – D EuGH, Urteil vom 13.12.2005 – C-446/03 – EuGHE I 2005, 10837 = DStR 2005, 2168 – Marks & Spencer EuGH, Urteil vom 19.01.2006 – C-265/04 – EuGHE I 2006, 923 = IStR 2006, 169 – Bouanich EuGH, Urteil vom 21.02.2006 – C-255/02 – EuGHE I 2006, 1609 = DStR 2006, 420 – Halifax EuGH, Urteil vom 21.02.2006 – C-152/03 – EuGHE I 2006, 1711 = DStR 2006, 362 – Ritter-Coulais EuGH, Urteil vom 23.02.2006 – C-471/04 – EuGHE I 2006, 2107 = DStR 06, 414 – Keller Holding EuGH, Urteil vom 07.09.2006 – C-470/04 – EuGHE I 2006, 7409 = DStR 2006, 1691 – N EuGH, Urteil vom 12.09.2006 – C-196/04 – EuGHE I 2006, 7995 = IStR 2006, 670 – Cadbury Schweppes EuGH, Urteil vom 14.09.2006 – C-386/04 – EuGHE I 2006, 8234 = DStR 2006, 1736 – Stauffer EuGH, Urteil vom 03.10.2006 – C-290/04 – EuGHE I 2006, 9461 = BStBl II 2007, 352 = IStR 2006, 743 – Scorpio EuGH, Urteil vom 14.11.2006 – C-513/04 – EuGHE I 2006, 10967 = DStR 2006, 2118 – Kerckhaert/Morres EuGH, Urteil vom 12.12.2006 – C-374/04 – EuGHE I 2006, 11673 = IStR 2007, 138 – ACT Group Litigation EuGH, Urteil vom 14.12.2006 – C-170/05 – EuGHE I 2006, 11949 = DStRE 2007, 289 – Denkavit France EuGH, Urteil vom 13.03.2007 – C-524/04 – EuGHE I 2007, 2107 = IStR 2007, 249 – Thin Cap Group Litigation

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EuGH, Urteil vom 29.03.2007 – C-347/04 – EuGHE I 2007, 2647 = IStR 2007, 291 – ReWe Zentralfinanz EuGH, Urteil vom 10.05.2007 – C-492/04 – EuGHE I 2007, 3775 = IStR 2007, 439 – Lasertec EuGH, Urteil vom 24.05.2007 – C-157/05 – EuGHE I 2007, 4051= IStR 2007, 441 – Holböck EuGH, Urteil vom 28.06.2007 – C-73/06 – EuGHE I 2007, 5655 = DStRE 2008, 827 – Planzer Luxembourg Sàrl EuGH, Urteil vom 05.07.2007 – C-321/05 – EuGHE I 2007, 5795 = DStRE 2008, 419 – Kofoed EuGH, Urteil vom 18.07.2007 – C-231/05 – EuGHE I 2007, 6373 = IStR 2007, 631 ff. – Oy AA EuGH, Urteil vom 11.10.2007 – C-451/05 – EuGHE I 2007, 8251 = DStRE 2008, 479 – Elisa EuGH, Urteil vom 08.11.2007 – C-379/05 – EuGHE I 2007, 9569 = IStR 2007, 853 – Amurta EuGH, Urteil vom 06.12.2007 – C-298/05 – EuGHE I 2007, 10451 = IStR 2008, 63 – Columbus Container EuGH, Urteil vom 21.02.2008 – C-425/060 – EuGHE I 2008, 897 = DStRE 2008, 646 – Part Service Srl EuGH, Urteil vom 28.02.2008 – C-293/06 – EuGHE I 2008, 1129 = IStR 2008, 224 – Deutsche Shell EuGH, Urteil vom 15.05.2008 – C-414/06 – EuGHE I 2008, 3601 = IStR 2008, 400 – Lidl Belgien EuGH, Urteil vom 26.06.2008 – C-284/06 – EuGHE I 2008, 4571 = DStRE 2009, 424 – Burda EuGH, Urteil vom 23.10.2008 – C-157/07 – EuGHE I 2008, 8061 = IStR 2008, 769 – Krankenheim Ruhesitz am Wannsee EuGH, Urteil vom 22.12.2008 – C-282/07 – EuGHE I 2008, 10767 = IStR 2009, 135 – Truck Center EuGH, Urteil vom 12.02.2009 – C-67/08 – EuGHE I 2009, 883 = DStR 2009, 373 – Margarete Block EuGH, Urteil vom 16.07.2009 – C-128/08 – EuGHE I 2009, 6823 = IStR 2009, 622 – Damseaux EuGH, Urteil vom 17.09.2009 – C-182/08 – EuGHE I 2009, 8591 = DStRE 2009, 1370 – Glaxo Wellcome

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EuGH, Urteil vom 01.10.2009 – C-247/08 – EuGHE I 2009, 9225 = IStR 2009, 774 – Gaz de France EuGH, Urteil vom 19.11.2009 – C-540/07 – EuGHE I 2009, 10983 = DStRE 2009, 1444 – Kommission/Italien EuGH, Urteil vom 21.01.2010 – C-311/08 – ABlEU 2010, C 63, 8 = IStR 2010, 144 – Société de Gestion Industrielle EuGH, Urteil vom 25.02.2010 – C-337/08 – ABlEU 2010, C 100, 3 = DStR 2010, 427 – X Holding BV EuGH, Urteil vom 20.05.2010 – C-352/08 – ABlEU 2010, C 179, 5 = IStR 2010, 455 – Zwijnenburg EuGH, Urteil vom 22.10.2010 – C-103/09 – ABlEU 2011, C 55, 6 = IStR 2011, 153 – Weald Leasing Ltd EuGH, Urteil vom 22.10.2010 – C-277/09 – ABlEU 2012, C 63, 6 = IStR 2011, 149 – RBS Deutschland Holding EuGH, Urteil vom 20.10.2011 – C-284/09 – ABlEU 2011, C 362, 3 = DStR 2011, 2038 – Kommission/Deutschland

Schlussanträge der Generalanwälte vor dem EuGH GA Tesauro, Schlussanträge vom 12.05.2000 – C-367/96 – EuGHE I 1998, 2843 – Kefalas GA Alber, Schlussanträge vom 16.05.2000 – C-110/99 – EuGHE I 2000, 11569 – Emsland Stärke GA Alber, Schlussanträge vom 30.01.2003 – C-167/01 – EuGHE I 2003, 10155 – Inspire Art GA Jacobs, Schlussanträge vom 21.02.2003 – C-136/00 – EuGHE I 2002, 8147 – Danner GA Stix-Hackl, Schlussanträge vom 10.04.2003 – C-42/02 – EuGHE I 2003, 3519 – Lindmann GA Kokott, Schlussanträge vom 12.02.2004 – C-242/03 – EuGHE I 2004, 7379 – Weidert/Paulus GA Kokott, Schlussanträge vom 18.03.2004 – C-319/02 – EuGHE I 2004, 7477 – Manninen GA Maduro, Schlussanträge vom 07.04.2005 – C-255/02 – EuGHE I 2006, 1609 – Halifax GA Kokott, Schlussanträge vom 14.07.2005 – C-265/04 – EuGHE I 2006, 923 – Bouanich 586

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GA Geelhoed, Schlussanträge vom 23.02.2006 – C-374/04 – EuGHE I 2006, 11673 – ACT Group Litigation GA Geelhoed, Schlussanträge vom 06.04.2006 – C-513/04 – EuGHE I 2006, 10967 – Kerckhaert/Morres GA Geelhoed, Schlussanträge vom 27.04.2006 – C-170/05 – EuGHE I 2006, 11949 – Denkavit France GA Léger, Schlussanträge vom 02.05.2006 – C-196/04 – EuGHE I 2006, 7995 – Cadbury Schweppes GA Geelhoed, Schlussanträge vom 29.06.2006 – C-524/04 – EuGHE I 2007, 2107 – Thin Cap Group Litigation GA Kokott, Schlussanträge vom 08.02.2007 – C-321/05 – EuGHE I 2007, 5795 – Kofoed GA Mengozzi, Schlussanträge vom 29.03.2007 – C-298/05 – EuGHE I 2007, 10451 – Columbus Container GA Kokott, Schlussanträge vom 16.07.2009 – C-352/08 – ABlEU 2010, C 179, 5 – Zwijnenburg GA Kokott, Schlussanträge vom 10.09.2009 – C-311/08 – ABlEU 2010, C 63, 8 – Société de Gestion Industrielle

BVerfG BVerfG, Beschluss vom 08.12.1952 – 1 PBvV 1/52 – BVerfGE 2, 79 BVerfG, Urteil vom 04.05.1955 – 161 BvF 1/55 – BVerfGE 4, 157 – Saarstatut BVerfG, Urteil vom 16.01.1957 – 1 BvR 253/56 – BVerfGE 6, 32 – Elfes-Urteil BVerfG, Urteil vom 26.03.1957 – 2 BvG 1/55 – BVerfGE 6, 309 = NJW 1957, 705 BVerfG, Beschluss vom 14.04.1959 – 1 BvL 23/57 und 1 BvL 34/57 – BVerfGE 9, 237 = NJW 1959, 979 BVerfG, Beschluss vom 17.05.1960 – 2 BvL 11/59, 2 BvL 11/60 – BVerfGE 11, 126 = NJW 1960, 1563 BVerfG, Beschluss vom 20.12.1960 – 1 BvL 21/60 – BVerfGE 12, 45 = NJW 1961, 355 BVerfG, Beschluss vom 21.03.1961 – 1 BvL 3/58, 1 BvL 18/58, 1 BvL 99/58 – BVerfGE 12, 281 BVerfG, Beschluss vom 10.10.1961 – 2 BvL 1/59 – BVerfGE 13, 153

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BVerfG, Urteil vom 24.01.1962 – 1 BvL 32/57 – BVerfGE 13, 290 = NJW 1962, 437 BVerfG, Urteil vom 24.01.1962 – 1 BvR 845/58 – BVerfGE 13, 331 = NJW 1962, 435 BVerfG, Urteil vom 14.12.1965 – 1 BvR 571/60 – BVerfGE 19, 253 = BStBl I 1966, 201 BVerfG, Urteil vom 20.12.1966 – 1 BvR 320/57, 70/63 – BVerfGE 21, 12 = NJW 1967, 147 BVerfG, Beschluss vom 19.01.1967 – 1 BvR 169/63 – BVerfGE 21, 73 = NJW 1967, 619 BVerfG, Beschluss vom 04.06.1969 – 2 BvR 295/66 – BVerfGE 26, 116 = NJW 1969, 1806 BVerfG, Beschluss vom 22.07.1970 – 1 BvR 285/66 – BVerfGE 29, 104 = BStBl II 1970, 652 = NJW 1970, 1787 BVerfG, Beschluss vom 10.03.1971 – 2 BvL 3/68 – BVerfGE 30, 272 BVerfG, Beschluss vom 09.06.1971 – 2 BvR 225/69 – BVerfGE 31, 145 = NJW 1971, 2122 BVerfG, Beschluss vom 07.07.1971 – 1 BvR 775/66 – BVerfGE 31, 255 = NJW 1971, 2167 BVerfG, Urteil vom 31.07.1973 – 2 BvF 1/73 – BVerfGE 36, 1 = NJW 1973, 1539 – Grundlagenvertrag BVerfG, Beschluss vom 10.06.1975 – 2 BvR 1018/74 – BVerfGE 40, 88 = NJW 1975, 1355 BVerfG, Beschluss vom 08.08.1978 – 2 BvL 8/77 – BVerfGE 49, 89 = NJW 1979, 359 BVerfG, Beschluss vom 12.10.1978 – 2 BvR 154/74 – BVerfGE 49, 343 = NJW 1979, 859 BVerfG, Urteil vom 01.03.1979 – 1 BvR 532/77, 1 BvR 533/77, 1 BvR 419/78, 1 BvL 21/78 – BVerfGE 50, 290 = NJW 1979, 699 – Mitbestimmungsurteil BVerfG, Beschluss vom 23.05.1980 – 2 BvR 854/79 – BVerfGE 54, 143 = NJW 1980, 2572 BVerfG, Urteil vom 01.07.1980 – 1 BvR 23/75 – BVerfGE 54, 224 = NJW 1980, 1900 BVerfG, Beschluss vom 16.12.1980 – 2 BvR 419/80 – BVerfGE 55, 349 = NJW 1981, 1499 – Rudolf Hess

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BVerfG, Urteil vom 22.06.1982 – 1 BvR 1376/79 – BVerfGE 61, 1 = NJW 1983, 1415 BVerfG, Beschluss vom 22.03.1983 – 2 BvR 475/78 – BVerfGE 63, 343 = NJW 1983, 2757 BVerfG, Urteil vom 18.12.1984 – 2 BvE 13/83 – BVerfGE 68, 1 = NJW 1985, 603 – NATO-Doppelbeschluss BVerfG, Beschluss vom 14.05.1986 – 2 BvL 2/83 – BVerfGE 72, 200 = DStR 1986, 48 BVerfG, Beschluss vom 22.10.1986 – 2 BvR 197/83 – BVerfGE 73, 339 = NJW 1987, 577 – Solange II BVerfG, Beschluss vom 23.10.1986 – 2 BvL 7/84, 2 BvL 8/84 – BVerfGE 73, 388 = NJW 1987, 943 BVerfG, Urteil vom 10.02.1987 – 1 BvL 18/81 und 1 BvL 20/82 – BVerfGE 74, 182 = BStBl II 1987, 240 = NJW 1987, 1617 BVerfG, Beschluss vom 26.03.1987 – 2 BvR 589/79, 2 BvR 740/81, 2 BvR 284/85 – BVerfGE 74, 358 = NJW 1987, 2427 BVerfG, Beschluss vom 08.04.1987 – 2 BvR 687/85 – BVerfGE 72, 223 = NJW 1988, 1459 – Kloppenburg BVerfG, Beschluss vom 12.05.1987 – 2 BvR 1226/83, 2 BvR 101/84, 2 BvR 313/84 – BVerfGE 76, 1 = NJW 1988, 626 BVerfG, Beschluss vom 20.05.1987 – 1 BvR 762/85 – BVerfGE 74, 358 = NJW 1988, 757 BVerfG, Beschluss vom 06.06.1989 – 1 BvR 921/85 – BVerfGE 80, 137 = NJW 1989, 2525 BVerfG, Beschluss vom 25.09.1992 – 2 BvL 5/91, 2 BvL 8/91, 2 BvL 14/91 – BVerfGE 87, 153 = DStR 1992, 1532 – Existenzminimum BVerfG, Urteil vom 12.10.1993 – 2 BvR 2134/92, 2 BvR 2159/92 – BVerfGE 89, 155 = NJW 1993, 3047 – Maastricht BVerfG, Beschluss vom 18.04.1996 – 1 BvR 1452/90, 1 BvR 1459/90, 1 BvR 2031/94 – BVerfGE 94, 12 = NJW 1996, 1666 – Restitutionsausschluss BVerfG, Beschluss vom 10.04.1997 – 2 BvL 77/92 – BVerfGE 96, 1 = DStR 1997, 954 BVerfG, Beschluss vom 15.10.1997 – 2 BvN 1/95 – BVerfGE 96, 345 = NJW 1998, 1296 BVerfG, Urteil vom 07.05.1998 – 2 BvR 1991/95, 2 BvR 2004/95 – BVerfGE 98, 214 = NJW 1998, 2341 – Kommunale Verpackungsteuer

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BVerfG, Urteil vom 14.07.1998 – 1 BvR 1640/97 – BVerfGE 98, 218 = NJW 1998, 2515 – Rechtschreibreform BVerfG, Urteil vom 22.11.2000 – 1 BvR 2307/94, 1 BvR 1120/95, 1 BvR 1408/95, 1 BvR 2460/95, 1 BvR 2471/95 – BVerfGE 102, 254 = BayVBl 2001, 110 BVerfG, Urteil vom 22.11.2001 – 2 BvE 6/99 – BVerfGE 104, 151 = NJW 2002, 1559 – NATO-Strategiekonzept BVerfG, Urteil vom 06.03.2002 – 2 BvL 17/99 – BVerfGE 105, 73 = DStRE 2002, 349 – Rentenbesteuerung BVerfG, Beschluss vom 03.03.2004 – 1 BvF 3/92 – BVerfGE 110, 33 = NJW 2004, 2213 BVerfG, Beschluss vom 14.10.2004 – 2 BvR 1481/04 – BVerfGE 111, 307 = NJW 2004, 3407 – Görgülü BVerfG, Beschluss vom 26.10.2004 – 2 BvR 955/00, 2 BvR 1038/01 – BVerfGE 112, 1 = NVwZ 2005, 560 – Alteigentümerbeschluss BVerfG, Beschluss vom 18.01.2006 – 2 BvR 2194/99 – BVerfGE 115, 97 = DStR 2006, 555 - Halbteilungsgrundsatz BVerfG, Beschluss vom 07.11.2006 – 1 BvL 10/02 – BVerfGE 117, 1 = DStR 2007, 235 – Erbschaftsteuer BVerfG, Beschluss vom 13.06.2007 – 1 BvR 1550/03, 1 BvR 2357/04, 1 BvR 603/05 – BVerfGE 118, 168 = DStRE 2007, 1196 BVerfG, Urteil vom 09.12.2008 – 2 BvL 1/07, 2 BvL 2/07, 2 BvL 1/08, 2 BvL 2/08 – BVerfGE 122, 210 = DStR 2008, 2460 – Pendlerpauschale BVerfG, Urteil vom 30.06.2009 – 2 BvE 2/08, 2 BvE 5/08, 2 BvR 1010/08, 2 BvR 1022/08, 2 BvR 1259/08, 2 BvR 182/09 – BVerfGE 123, 267 = NJW 2009, 2267 – Lissabon BVerfG, Beschluss vom 12.10.2010 – 2 BvL 59/06 – DStR 2010, 2290 – Mindestbesteuerung BVerfG, Urteil vom 04.05.2011 – 2 BvR 2333/08, 2 BvR 2365/08, 2 BvR 571/10, 2 BvR 745/10, 2 BvR 1152/10 – Sicherungsverwahrung

BayVerfGH BayVerfGH, Entscheidung vom 12.10.1994 – Vf. 16 C-VII-92, Vf. 5-VII-93 – BayVerfGHE 47, 207 = BayVBl 1995, 76 – Kampfhundeverordnung

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BFH BFH, Urteil vom 22.01.1960 – V 52/56 S – BStBl III 1960, 111 = DB 1960, 343 BFH, Urteil vom 18.12.1963 – I 230/61 – BStBl III 1964, 253 = DStR 1964, 63 BFH, Urteil vom 11.12.1964 – III 193/60 S – BStBl III 1965, 82 = NJW 1965, 792 BFH, Urteil vom 02.03.1966 – II 113/61 – BStBl III 1966, 509 = NJW 1966, 2427 BFH, Urteil vom 03.12.1969 – II 162/65 – BStBl II 1970, 279 = DB 1970, 1205 BFH, Urteil vom 17.07.1968 – I 121/64 – BStBl II 1968, 695 = BB 1968, 1276 BFH, Urteil vom 05.11.1970 – V R 71/67 – BStBl II 1971, 220 = DB 1971, 659 BFH, Urteil vom 29.01.1975 – I R 135/70 – BStBl II 1975, 553 = WM 1975, 1008 BFH, Beschluss vom 07.02.1975 – VIII B 61/74, VIII B 62/74, VIII B 61– 62/74 – BStBl II 1976, 608 BFH, Urteil vom 16.01.1976 – III R 92/74 – BStBl II 1976, 401 BFH, Urteil vom 21.01.1976 – I R 234/73 – BStBl II 1976, 513 BFH, Urteil vom 24.02.1976 – VIII R 155/71 – BStBl II 1977, 265 = DB 1977, 149 BFH, Urteil vom 29.07.1976 – VIII R 41/74 – BStBl II 1977, 261 = DB 1977, 526 BFH, Urteil vom 29.07.1976 – VIII R 142/73 – BStBl II 1977, 263 = DB 1977, 147 BFH, Urteil vom 09.05.1979 – I R 126/77 – BStBl II 1979, 586 = DStR 1979, 535 BFH, Urteil vom 25.10.1979 – VIII R 46/76 – BStBl II 1980, 247 = DStR 1980, 265 BFH, Urteil vom 13.02.1980 – II R 18/75 – BStBl II 1980, 364 = DStR 1980, 512 BFH, Urteil vom 19.03.1980 – II R 23/77 – BStBl II 1980, 598 = DB 1981, 402

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BFH, Urteil vom 09.12.1980 – VIII R 11/77 – BStBl II 1981, 339 = DB 1981, 826 BFH, Urteil vom 29.10.1981 – I R 89/80 – BStBl II 1982, 150 = DB 1982, 679– Monaco BFH, Beschluss vom 29.11.1982 – GrS 1/81 – BStBl II 1983, 272 = BFHE 1378, 433 BFH, Urteil vom 01.12.1982 – I R 43/79 – BStBl II 1985, 2 BFH, Urteil vom 01.02.1983 – VIII R 30/80 – BStBl II 1983, 534 = NJW 1984, 1255 BFH, Urteil vom 20.10.1983 – IV R 175/79 – BStBl II 1984, 221 = DStR 1984, 210 BFH, Urteil vom 10.11.1983 – IV R 62/82 – BStBl 1984, 605 – Niederländische Brüder BFH, Urteil vom 19.12.1984 – I R 31/82 – BB 1985, 1451 BFH, Urteil vom 20.01.1985 – I R 12/82 – BStBl II 1985, 386 = BB 1985, 1185 BFH, Urteil vom 05.03.1986 – I R 201/82 – BStBl II 1986, 496 = BB 1986, 999 BFH, Urteil vom 15.04.1986 – VIII R 285/81 – BFH/NV 1986, 509 BFH, Urteil vom 14.05.1986 – II R 22/84 – BStBl II 1986, 620 = DStR 1986, 695 BFH, Urteil vom 09.07.1986 – I R 173/83 – BStBl II 1986, 851 = BB 1991, 330 BFH, Beschluss vom 09.07.1986 – I B 36/86 – BStBl II 1987, 487 BFH, Urteil vom 18.12.1996 – I R 52/83 – BStBl II 1988, 521 = BB 1987, 1238 BFH, Beschluss vom 04.08.1987 – V B 16/87 – BStBl II 1987, 756 = DStR 1987, 728 BFH, Urteil vom 10.02.1988 – X R 16/82 – BStBl II 1988, 640 = BB 1988, 1445 BFH, Urteil vom 23.02.1988 – IX R 157/84 – BStBl II 1988, 604 = DStR 1988, 422 BFH, Urteil vom 03.03.1988 – V R 183/83 – BStBl II 1989, 205 = DB 1988, 1682 BFH, Urteil vom 21.10.1988 – III R 194/84 – BStBl II 1989, 216 = DB 1989, 808 592

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BFH, Beschluss vom 23.02.1989 – V B 60/88 – BStBl II 1989, 396 = NJW 1989, 2775 BFH, Urteil vom 13.07.1989 – V R 8/86 – BStBl II 1990, 100 = DB 1990, 27 BFH, Urteil vom 30.11.1989 – IV R 97/86 – BFH/NV 1991, 432 BFH, Urteil vom 13.12.1989 – I R 118/87 – BStBl II 1990, 474 = BB 1990, 1191 BFH, Urteil vom 22.08.1990 – I R 69/89 – BStBl II 1991, 38 = NJW 1991, 863 BFH, Urteil vom 17.01.1991 – IV R 132/85 – BStBl II 1991, 607 = DStR 1991, 609 BFH, Urteil vom 06.06.1991 – V R 70/89 – BStBl II 1991, 866 = BB 1991, 21421 BFH, Urteil vom 10.10.1991 – XI R 1/86 – BStBl II 1992, 239 = DB 1992, 558 BFH, Urteil vom 23.10.1991 – I R 40/89 – BStBl II 1992, 1026 = DB 1992, 974 BFH, Urteil vom 23.10.1991 – I R 52/90 – BFH/NV 1992, 271 BFH, Urteil vom 21.11.1991 – V R 20/87 – BStBl II 1992, 446 = NJW 1992, 3055 BFH, Urteil vom 18.12.1991 – XI R 40/89 –DStR 1992, 677 = DB 1992, 1026 BFH, Urteil vom 16.01.1992 – V R 1/91 – BStBl II 1992, 541 = BB 1992, 2059 BFH, Urteil vom 28.01.1992 –VIII R 7/88 – BStBl II 1993, 84 = DB 1992, 1504 BFH, Urteil vom 05.02.1992 – I R 127/90 – BStBl II 1992, 532 = DStR 1992, 496 BFH, Urteil vom 26.02.1992 – I R 85/91 – BStBl II 1992, 937 = DB 1993, 135-138 BFH, Urteil vom 10.06.1992 – I R 105/89 – BStBl II 1992, 1029 = DStR 1992, 1271 BFH, Urteil vom 01.07.1992 – I R 6/92 – BStBl II 1993, 222 = DStR 1993, 49 BFH, Urteil vom 10.09.1992 – V R 104/91 – BStBl II 1993, 253 = NJW 1993, 1551 BFH, Urteil vom 10.12.1992 – V R 90/92 – BStBl II 1993, 700 = BB 1993, 782

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BFH, Urteil vom 06.07.1993 – IX R 112/88 – BStBl II 1998, 429 = DB 1993, 1906 BFH, Urteil vom 19.01.1994 – XI R 57/90 – BFH/NV 1994, 668 BFH, Urteil vom 13.07.1994 – I R 120/93 – BStBl II 1995, 129 = DB 1994, 2531 BFH, Urteil vom 25.01.1994 – IX R 97, 98/90, IX R 97/90, IX R 98/90 – BStBl II 1994, 738 = NJW 1995, 808 BFH, Urteil vom 21.12.1994 – I R 65/94 –NJW 1995, 2375 = BB 1995, 1174 BFH, Urteil vom 06.12.1995 – I R 40/95 – BStBl 1997, 118 = BB 1996, 1419 BFH, Urteil vom 16.01.1996, – IX R 13/92 – BStBl II 1996, 214 = DStR 2000, 107 BFH, Urteil vom 23.10.1996 –I R 55/95 – BStBl II 1998, 90 = DStR 1997, 284 BFH, Urteil vom 18.12.1996 – I R 139/94 – BStBl II 1997, 301 = DStR 1997, 535 BFH, Beschluss vom 27.02.1997 – III R 119/90 – BFH/NV 1997, 619 = DStRE 1997, 720 BFH, Urteil vom 27.08.1997 – I R 8/97 – BStBl II 1998, 163 = DStR 1998, 116 – Stiftung I BFH, Urteil vom 29.10.1997 – I R 35/96 – BStBl II 1998, 235 = DStRE 1998, 324 – Sportler-Vermarktung BFH, Urteil vom 03.02.1998 – IX R 38/96 – BStBl II 1998, 539 = DStR 1998, 711 BFH – Urteil vom 07.07.1998 – VIII R 10/96 – BStBl II 1999, 729 = BFHE 186, 534 BFH, Urteil vom 09.07.1998 – V R 68/96 – BStBl II 1998, 637 = DStR 1998, 1468 BFH, Urteil, vom 21.01.1999 – IV R 96/96 – BStBl II 2002, 771 = DStR 1999, 622 BFH, Urteil vom 27.07.1999 – VIII R 36/98 – BStBl II 1999, 769 = DStR 1999, 1848 BFH, Urteil vom 19.08.1999 – I R 77/96 – BStBl II 2001, 43 = DStR 1999, 1849 BFH, Urteil vom 19.10.1999 – IX R 39/99 – BStBl II 2000, 223 = DStR 2000, 107

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Rechtsprechungsverzeichnis

BFH, Urteil vom 15.12.1999 – I R 29/97 – BStBl II 2000, 527 = DStR 2000, 462 BFH, Urteil vom 19.01.2000 – I R 94/97 – BStBl II 2001, 222 = DStR 2000, 511 – Dublin Docks I BFH, Urteil vom 19.01.2000 – I R 117/97 – BFH/NV 2000, 824 = IStR 2000, 182 BFH, Urteil vom 23.08.2000 – I R 4/97 –BStBl 2001, 260 = DStR 2000, 1953 – Anteilsrotation BFH, Urteil vom 01.02.2001 – IV R 3/00 – BStBl II 2001, 520 = DStRE 2001, 649 BFH, Urteil vom 04.04.2001 – VI R 173/00 – BStBl II 2001, 677 = DStR 2001, 1522 BFH, Urteil vom 18.07.2001 – I R 48/97 – BFH/NV 2001, 1636 = DStR 2001, 1883 BFH, Beschluss vom 28.11.2001 – I B 169/00 – BFH/NV 2002, 774 BFH, Urteil vom 11.12.2001 – VIII R 23/01 – BStBl II 2004, 474 = DStRE 2002, 568 BFH, Urteil vom 20.03.2002 – I R 63/99 – BStBl II 2003, 50 = DStR 2002, 1348 – Delaware BFH, Urteil vom 20.03.2002 – I R 38/00 – BStBl II 2002, 819 = IStR 2002, 597 – Hilversum I BFH, Beschluss vom 04.09.2002 – I R 21/01 – BStBl II 2003, 306 = IStR 2003, 128 BFH, Beschluss vom 23.10.2002 – I R 39/01 – BFH/NV 2003, 289 = GmbHR 2003, 308 BFH, Urteil vom 14.01.2003 – IX R 5/00 – BStBl II 2003, 509 = DStR 2003, 460 BFH, Urteil vom 08.05.2003 – IV R 54/01 – BStBl II 2003, 854 = DStRE 2003, 1032 BFH, Urteil vom 25.02.2004 – I R 42/02 – BStBl II 2005, 14 = DStR 2004, 1282 – Dublin Docks II BFH, Urteil vom 18.03.2004 – III R 25/02 – BStBl II 2004, 787 = DStR 2004, 1078 BFH, Urteil vom 17.11.2004 – I R 55/03 – BFH/NV 2005, 1016 = DStRE 2005, 580 – Stiftung II

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Rechtsprechungsverzeichnis

BFH, Urteil vom 31.05.2005 – I R 74/04, 88/04 – BStBl II 2006, 118 = IStR 2005, 710 – Hilversum II BFH, Urteil vom 03.08.2005 – I R 62/04 – BStBl II 2006, 391 = DStR 2006, 131 BFH, Urteil vom 07.09.2005 – I R 118/04 – BStBl II 2006, 537 = DStR 2005, 2120 BFH, Beschluss vom 06.09.2006 – XI R 26/04 – BStBl II 2007, 167 = DStR 2006, 2019 BFH, Urteil vom 04.10.2006 – VIII R 7/03 – BStBl II 2009, 772 = DStR 2006, 2168 BFH, Urteil vom 24.04.2007 – I R 39/04 – BStBl II 2008, 95 = DStR 2007, 1951 BFH, Urteil vom 09.08.2006 – I R 31/01 – BStBl II 2007, 838 = IStR 2006, 826 (828) BFH, Urteil vom 29.08.2007 – IX R 17/07 – BStBl II 2008, 502 = DStRE 2008, 313 BFH, Beschluss vom 19.12.2007 – I R 66/06 – BStBl II 2008, 510 = IStR 2008, 367 BFH, Urteil vom 19.12.2007 – I R 21/07 – BStBl II 2008, 619 = DStR 2008, 962 BFH, Urteil vom 29.01.2008 – I R 26/06 – BStBl II 2008, 978 = IStR 2008, 364 – SOPARFI BFH, Urteil vom 20.08.2008 – I R 39/07 – BStBl II 2009, 234 = IStR 2008, 849 BFH, Urteil vom 26.11.2008 – I R 7/08 – BFH/NV 2009, 849 = DStR 2009, 632 BFH, Urteil vom 22.04.2009 – I R 53/07 – BFH/NV 2009, 1543 = DStR 2009, 1469 BFH, Urteil vom 25.08.2009 – I R 88/07, 89/07 – BFH/NV 2009, 2047 = DStR 2009, 2295 BFH, Urteil vom 07.10.2009 – II R 58/08 – BStBl II 2010, 302 = DStR 2009, 2534 BFH, Urteil vom 21.10.2009 – I R 114/08 – BStBl II 2010, 774 = DStR 2010, 37 – Columbus Container BFH, Beschluss vom 19.05.2010 – I B 191/09 – IStR 2010, 530

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Rechtsprechungsverzeichnis

BFH, Urteil vom 13.10.2010 – I R 61/09 – BStBl II 2011, 249 = DStR 2010, 2565 BFH, Urteil vom 11.01.2012 – I R 25/10 – DStR 2012, 742

RFH RFH, Urteil vom 16.07.1919 – II A 142/19 – RFHE 1, 126ff. – Mitropa

FG FG Hessen, Urteil vom 20.06.1996 –7 K 1835/95 – EFG 1997, 538 FG Köln, Urteil vom 04.03.1999 – 2 K 5886/96 – EFG 1999, 963 FG Köln, Urteil vom 14.03.2000 – 8 K 543/99 – DStRE 2000, 979 FG Köln, Urteil vom 09.07.2003 – 2 K 535/98 – EFG 2003, 1705 FG Köln, Urteil vom 16.03.2006 – 2 K 1139/02 – IStR 2006, 425 FG Baden-Württemberg, Urteil vom 18.06.2007 – 6 K 31/06 – IStR 2008, 410 FG Münster, Urteil vom 11.11.2008 – 15 K 1114/99 – IStR 2009, 31 FG Hessen, Urteil vom 24.03.2009 – 8 K 399/02 – EFG 2009, 1885 FG München, Urteil vom 30.07.2009 – 1 K 1816/09 – IStR 2009, 864 FG Köln, Urteil vom 28.04.2010 – 2 K 1564/08 – EFG 2010, 2004

BGH BGH, Urteil vom 25.10.1961 – V ZR 103/60 – BGHZ 36, 84 BGH, Urteil vom 15.01.1990 – II ZR 164/88 – BGHZ 110, 47 = NJW 1990, 982

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Stichwortverzeichnis Die Zahlen bezeichnen die Seitenzahlen Active Trade or Business Test 307 ff. Aktivitätsklausel 209, 291 ff. Amtshilfe-Richtlinie 187 Angemessen eingerichteter Geschäftsbetrieb - siehe Substanzerfordernisse Anwendungsvorrang 234 ff., Aufteilung der Besteuerungsbefugnisse 151 ff., 183 ff., 330 ff., 459 Aufteilung (Rechtsfolge) 110 f., 416 ff., 483 ff. Ausländische Gesellschaft 361 ff. Basisgesellschaft 8, 94, 97 ff., 112, 429 f. Bestimmtheitsgebot 88 ff. Beweislast - siehe Feststellungslast Börsenhandelstest - direkter Börsenhandelstest 291 ff. - indirekter Börsenhandelstest 296 f. - wesentliche Präsenz 294 f. Börsenklausel 407 ff., 468 Derivative Benefits Test - Derivative Benefits 303 f. - gleichberechtigt Begünstigte 304 ff. - Base Erosion Test 307 deutsches Internationales Steuerrecht 21 f. Directive Shopping 13 f.

eigenwirtschaftliche Tätigkeit/eigene Wirtschaftstätigkeit 103 ff., 118 f., 383 ff., 482 ff. - Alibitätigkeiten 110, 396, - Beteiligungsverwaltung 104, 385 ff. - Mindestumfang 396 ff., 464 ff. - Ort der eigenen Wirtschaftstätigkeit 391 ff. - siehe auch Outsourcing und Substanzerfordernisse Entlastungsberechtigung - fiktive Entlastungsberechtigung 363 ff. - mehrstufige Beteiligungsstrukturen 369 ff. - siehe auch Mäanderstrukturen Feststellungslast 81 ff., 179 ff., 411 ff., 493 f. - siehe auch tatsächliche Vermutung - siehe auch Gegenbeweis Gestaltungsmissbrauch - Terminologie 39 ff. - verfassungsrechtliche Maßstäbe 45 ff. - siehe auch Steuerumgehung Gestaltungsfreiheit 45 ff. Gegenbeweis 129 f., 179 ff., 276 ff., 424 ff., 469 ff., 495 f. Geltungserhaltende Reduktion 279, 471 ff. Gleichheitssatz - Folgerichtigkeitsprinzip 51 f.

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Stichwortverzeichnis

- Leistungsfähigkeitsprinzip 48 ff. Grundfreiheiten 136 ff., 324 ff., 447 ff. - Eingriff 143 ff., 327 ff., 446, 456 ff. - Rechtfertigung 146 ff., 330, 338 ff., 461 ff. - Schutzbereich 324 ff., 447 ff. - Vergleichbarkeit 143 ff., 329 ff. - Verhältnis zum Sekundärrecht 444 ff. - siehe auch Kapitalverkehrsfreiheit und Niederlassungsfreiheit Inbound 22 ff., 99 ff. Investmentvermögen 313 f., 409 ff., 468 Kapitalertragsteuer 27 ff. Kapitalverkehrsfreiheit - Drittstaaten 325 f. - Verhältnis zur Niederlassungsfreiheit 324 ff. Kollision - Begriff 221 ff. - Zuordnungskriterien 224 ff. - siehe auch Rangordnung, Spezialität und Zeitenfolge Konkurrenz siehe Kollision Konvergenz 217 f. künstliche Gestaltungen 114 f., 169 ff., 461 ff. Lex posterior siehe Zeitenfolge Lex specialis siehe Spezialität Lex superior siehe Rangordnung Limitation on Benefits 210 ff., 287 ff., 439 ff. - Ermessensklausel 314 ff. - Reziprozität 331 ff. 600

- Tests 291 ff. Mäander-Strukturen 365 ff. Meistbegünstigung 256 ff., 322 ff. Missbrauchsbegriff - Biperspektivität 162 f. - Grundfreiheiten 158 ff. - Missbrauchsabsicht 86 f., 176 ff. - Sekundärrecht 186 ff. - spezielle Missbrauchsvorbehalte 122 ff. - Strukturelemente nach § 42 AO 69 ff., 111 ff. - siehe auch künstliche Gestaltungen und Steuerumgehung Missbrauchsvorbehalte - Generalklausel 52 ff. - Öffnungsklauseln 205 f., 440, 446 f., 460 spezielle Missbrauchsvorbehalte 122 ff., 206 ff. - ungeschriebene 202 ff., 253 - siehe auch Rahmentatbestand Mutter-Tochter-Richtlinie 188 ff., 444 ff. Niederlassungsfreiheit 324 ff., 447 ff. Nutzungsberechtigter 206 ff. Outbound 24 f., 97 ff. Outsourcing 108 ff., 388 ff., 467 Ownership and Base Erosion Test - Ownership Test 299 f. - Base Erosion Test 300 ff. Rahmenausfüllende Konkretisierungswirkung 266 ff., 273, 429, 432 ff., 472 ff. Rahmentatbestand 67, 266 f., 432

Stichwortverzeichnis

Rangordnung 225 ff. - rechtskreisintern 227 ff. - rechtskreisübergreifend 234 ff. - siehe auch Anwendungsvorrang Rechtfertigung - Unionsrecht 146 ff., 338 ff., 461 ff. - unangemessene Gestaltung 78 ff., 96 ff., 278 ff., 433 f. - Nachweisverfahren 81 ff., 116 ff. - siehe auch Feststellungslast - siehe auch Gegenbeweis Rule Shopping 15 Spezialität - lex specialis 265, 269, 276, 429 ff., 439, 473 - siehe auch rahmenausfüllende Konkretisierung Steuerflucht 42 f. Steuergestaltung - Terminologie 39 f. - Gestaltungsfreiheit 45 ff. Steuerhinterziehung 42 f. Steuerumgehung 54 ff., 158 - Außentheorie 60 - Innentheorie 59 - Rechtsmissbrauch 56 - Scheingeschäft 57 - Umgehungstrias 57 Steuervermeidung 39 f. Subjektiver Motivtest - siehe Gegenbeweis Substanzanforderungen 105 ff., 401 ff., 467 f., 491 ff. tatsächliche Vermutung 83, 98 ff., 116 ff., 179 ff., 277 ff., 472 f.

Treaty Override - nationales Recht 237 ff., 280, 435 ff. - Rechtfertigung durch Missbrauchsverhinderung 249 ff. - Unionsrecht 259 ff. Treaty Shopping - Definition 10 ff. Typisierung - Konkretisierungswirkung 124 ff. - Verhältnismäßigkeit 129 ff., 179 ff., 276, 420 ff. - Widerlegbarkeit 129 f., 276 ff., 469 ff. - siehe auch Gegenbeweis - siehe auch rahmenausfüllende Konkretisierung Unangemessenheit 69 ff. - gesetzlich nicht vorgesehener Steuervorteil 72 ff., 268 f., 273 f. - Ungewöhnlichkeit 70 ff. - siehe auch tatsächliche Vermutung Verfassungsrecht 45 ff. - siehe auch Gleichheitssatz - siehe auch Verhältnismäßigkeitsprinizip Verhältnismäßigkeitsprinzip - Typisierung 129 ff., 276, 420 ff., 469 ff. - Verfassungsrecht 51, 129 ff. - Unionsrecht 179 ff., 461 ff., 469 ff. Wirtschaftlicher oder sonst beachtlicher Grund 79, 101 ff., 120 f., 176 ff., 376 ff., 463 f., 489 ff.

601

Stichwortverzeichnis

- Isolierte Betrachtungsweise 381 ff., 404 ff. - sonst beachtliche Gründe 103, 380 f.

602

Zeitenfolge 263 Zins-/Lizenzgebührenrichtlinie 195 ff., 504