Die deliktische Haftung für Arbeitnehmer: Ein Beitrag zur deliktischen Verhaltenszurechnung [1 ed.] 9783428480937, 9783428080939

121 98 10MB

German Pages 115 Year 1994

Report DMCA / Copyright

DOWNLOAD FILE

Polecaj historie

Die deliktische Haftung für Arbeitnehmer: Ein Beitrag zur deliktischen Verhaltenszurechnung [1 ed.]
 9783428480937, 9783428080939

Citation preview

FRANK WAL TER SCHMITZ

Die deliktische Haftung für Arbeitnehmer

Schriften zum Bürgerlichen Recht Band 169

Die deliktische Haftung für Arbeitnehmer Ein Beitrag zur deliktischen Verhaltenszurechnung

Von

Frank Walter Schmitz

Duncker & Humblot . Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Schmitz, Frank Walter: Die deliktische Haftung für Arbeitnehmer: ein Beitrag zur deliktischen Verhaltenszurechnung / von Frank Walter Schmitz. Berlin : Duncker und Humblot, 1994 (Schriften zum bürgerlichen Recht; Bd. 169) Zug!.: Mainz, Univ., Diss., 1993 ISBN 3-428-08093-9 NE:GT

Alle Rechte vorbehalten

© 1994 Duncker & Humblot GmbH. Berlin

Fotoprint: Werner Hildebrand, Berlin Printed in Germany ISSN 0720-7387 ISBN 3-428-08093-9

Vorwort Die Arbeit wurde im Jahre 1993 vom Fachbereich der Johannes GutenbergUniversität als Dissertation angenommen. Zu besonderem Dank: verpflichtet bin ich Frau Professor Dr. Barbara Grunewald, die das Thema angeregt und die Arbeit mit viel Verständnis gefördert hat. Meinen Eltern Reinhold und Brigitte und meiner Großmutter ist diese Arbeit gewidmet.

Frank Schmitz

Inhaltsverzeichnis VorbeDlerlrung .. ........... . . . .... ......... . . ...................... .. ..... .... .. .......... . . . .. ........... . .

9

Erster Teil Die Aufsichts- und OrganisatioDSpflicht des Geschäftsherrn gemäß § 831 Abs. 1 BGB

11

I. Entwicklung der Aufsichtspflicht aus der Auswahlpflicht des § 831 Abs. I Satz 2 BGB

12

D. Das Verhältnis von Eignungspriifung und Eignungsaufsicht .................................

20

m. Die Pflicht zum sorgfältigen Beschaffen von Vorrichtungen und Gerätschaften gemäß

§ 831 Abs. I Satz 2 BGB, 2. Alt. BGB...........................................................

22

IV. Die Leitungspflicht gemäß § 831 Abs. I Satz 2,3. Alt. BGB ...............................

23

V. Die Organisationspflicht gemäß § 831 Abs. I Satz 2 BGB ...................................

26

VI. Verhältnis der Verkehrspflichten des Geschäftsherrn gemäß § 831 Abs. I Satz 2 BGB zueinander... . . .. . ......... . . . . . ......... . ............ ........................ .... . ............ . . ... . ...

27

VD. Der dezentralisierte Entlastungsbeweis ...........................................................

28

Zweiter Teil Die Aufsichts- und OrganisatioDSpflichten des Geschäftsherrn gemäß § 823 Abs. 1 BGB

31

I. Die allgemeine Aufsichtspflicht des Geschäftsherrn gemäß § 823 Abs. I BGB ..........

37

D. Die betriebliche Organisationspflicht des Geschäftsherrn gemäß § 823 Abs. I BGB....

42

1. Die betriebliche Organisationspflicht als Verkehrspflicht im Rahmen des § 823 Abs. I BGB........................................................................................

44

2. Der Inhalt der betrieblichen Organisationspflicht ....... ...... ............ ......... ........

47

3. Die Grenzen der betrieblichen Organisationspflicht. .. . . . . . . .. ...... . . . ............ ..... ...

50

Dritter Teil Die Lehre vom sogenannten körperschaftlichen OrganisatiODSmangel

56

I. Die Haftung der juristischen Person gemäß §§ 30,31 BGB..................................

59

D. Einbeziehung leitender Angestellter in den direkten Anwendungsbereich der §§ 30, 31 BGB ...................................................................................................

60

Inhaltsverzeichnis

8

m.

Die analoge Anwendung der §§ 30, 31 BGB....................................................

62

I. Abgrenzung zum Verrichtungsgehilfen.......................................................

63

2. Das Nichtvorliegen einer Gesetzeslücke. .....................................................

67

3. Die §§ 30, 31 BGB als nicht analogiefähige Ausnahmevorschriften....................

68

a) Die Vertretertheorie ................ ....................................... ...... ......... ....

69

b) Die sogenannte Organtheorie...............................................................

70

c) Repräsentationshaftung .. . . ............ ... ............... . .. ...... ... . ................. ......

73

d) Funktionale Haftungsbegrenzung durch § 31 BGB ....................................

74

e) Analyse der rur die Einbeziehung verfassungsmäßig berufener Vertreter maßgeblichen Interessenlage. .. . .. .......... . . . .. .. ........... ... .. . . . .. . .................. . .....

75

4. Die funktionelle Entbehrlichkeit der Lehre vom körperschaftlichen Organisationsmangel..............................................................................................

77

5. Zusammenfassung................................................................................

78

IV. Die Gesamtanalogie ..................................................................................

79

V. Die körperschaftliche Bestellpflicht als Verkehrspflicht des § 823 Abs. 1 BGB ..........

81

1. Die verbandsrechtliche Systemwidrigkeit der körperschaftlichen Bestellpflicht ......

82

2. Die körperschaftliche Bestellpflicht als deliktische Verkehrspflicht.............. .......

85

3. Die körperschaftliche Bestellpflicht als Verkehrspflicht zum Schutze fremden Vermögens..............................................................................................

86

VI. Zusammenfassung.. . . ................... . . ........ . . . ............ . .. . . . ... . . ... ...... . ........ . ......

89

Vierter Teil Revitalisierung des § 831 Abs. 1 BGB

91

I. Vergleich des § 831 BGB mit § 278 und § 823 Abs. 1 BGB.................................

92

11. Der dezentralisierte Entlastungsbeweis als Hemmnis zur sachgerechten Anwendung des § 831 Abs. 1 BGB ...............................................................................

97

m.

Die allgemeine Aufsichts- und Organisationspflicht im Rahmen des § 831 Abs. 1 BGB 100

Zusammenfassung der wesentlichen Ergebnisse.................................................... 103

Literaturverzeichnis ....................................................................................... 106

Vorbemerkung Verletzt ein Arbeitnehmer absolute Rechtsgüter eines Dritten, haftet der Träger des Unternehmens. Während diese Regel als Grundsatz unbestritten ist, bestehen seit jeher Zweifel über deren Reichweite und Begründung. Wenn diese Unsicherheit in der bisherigen Rechtsprechung bislang auch einer weitgehend angemessenen Kasuistik nicht im Weg gestanden haben mag, so stellt sie doch angesichts der in ihrer Dimension noch gänzlich unabsehbaren Entwicklung von Haftungsmäglichkeiten im Bereich von Industrie und Dienstleistungsgewerbe ein erhebliches Risiko dar. Dabei ist insbesondere an die Rechtsunsicherheit für den Unternehmer zu denken, der keine adäquate Schadensprävention betreiben kann, wenn er aufgrund einer ungewissen Dogmatik kaum vorhersieht, welche Rechtsgutsverletzungen ihm in Zukunft zugerechnet werden können. Zudem hat die Rechtsunsicherheit zur Folge, daß der Geschädigte mit einem nur schwer kalkulierbaren Prozeßrisiko belastet wird. Das vom Gesetzgeber vorgesehene Modell zur Lösung der angesprochenen haftungsrechtlichen Problematik ist § 831 Abs. 1 BGB. Nach dieser Vorschrift haftet der Geschäftsherr für rechtswidrige Verletzungshandlungen seines Verrichtungsgehilfen, sofern er sich vom Vorwurf eines Verschuldens nicht entlasten kann. Die Regelung wurde schon frühzeitig von Rechtsprechung und Literatur als nicht ausreichend betrachtet. Als Folge dieser Einschätzung zersplitterte die einheitliche Haftungsgrundlage des § 831 BGB in ein Palette verschiedener, unverbunden nebeneinander angeordneter Begründungsmuster. So kann heute die Haftung eines Unternehmensträgers für das Verhalten seines Arbeitnehmers beispielsweise aus culpa in contrahendo (c.i.c.) positiver Vertragsverletzung (PVv) in Verbindung mit einem Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter oder aus § 823 Abs. 1 BGB in Verbindung mit einer erweiterten Anwendung des § 31 BGB begründet werden.

10

Vomemerlrung

Die vorliegenden Überlegungen bemühen sich, diese wenig faßbare Rechtslage zu sichten, zu ordnen und in der Konzentration der deliktischen Pflichten auf eine einzige Anspruchsgrundlage zu einem geschlossenen und berechenbaren deliktischen Haftungssystem auszubauen. Im einzelnen wird die Arbeit folgenden Gedankengang entwickeln: (1) Der erste Teil beschreibt die Reichweite der traditionellen Haftungsgrundlage des § 831 BGB, insoweit diese Norm den von dem Geschäftsherrn zu leistenden Pflichtenstandard bestimmt. (2) Im zweiten Teil soll der Pflichtenstandard des § 823 Abs. 1 BGB herausgearbeitet werden. Dabei wird der Konstruktion einer deliktischen Haftung mit Hilfe der Pflichtenkomplexe der allgemeinen Aufsichtspflicht und betrieblichen Organisationspflicht sowohl hinsichtlich ihrer dogmatischen als auch praktischen Effizienz besonderes Augenmerk geschenkt. (3) Der darauf folgende Abschnitt beschäftigt sich mit der Problematik der deliktischen Haftung der juristischen Person. Hier wird zu klären sein, ob die Einbeziehung leitender Angestellter in den Anwendungsbereich der §§ 30, 31 BGB überhaupt mit den grundlegenden Prinzipien des Bürgerlichen Gesetzbuchs zu vereinbaren ist. (4) Als Schluß stein der Betrachtung erscheint der Versuch, die von der bisherigen Judikatur allzu verstreut verorteten deliktischen Pflichtenkomplexe auf die gesetzlich vorgesehene Haftungsgrundlage des § 831 BGB zu zentrieren und damit der Rechtsprechung eine tragfähige und für die Betroffenen kalkulierbare Basis zu geben.

Erster Teil Die Aufsicbts- und Organisationspflicht des Geschäftsherrn gemäß § 831 Abs. 1 BGB § 831 Abs. 1 BGB ist ein zusammengesetzter Tatbestand 1. Seine Elemente sind rechtswidrige Verletzungshandlung des Verrichtungsgehilfen und zumindest vermutetes Verschulden des Geschäftsherrn. Er entspricht damit dem Grundsatz, daß eine allgemein deliktische Haftung grundsätzlich nur bei Vorliegen eigenen Verschuldens in Betracht kommt2 . Im Gegensatz zu § 278 BGB ergibt sich die deliktische Haftung des Geschäftsherrn nicht aus der bloßen Betrauung eines anderen mit Aufgaben, die dem Geschäftsherrn obliegen. Nach dem Willen des Gesetzgebers soll sich daher eine Haftung des Geschäftsherrn nicht schon daraus ergeben, daß er von der Möglichkeit, arbeitsteilig zu wirtschaften, Gebrauch macht3 . Die Haftung für fremdes Verschulden, wie sie § 278 BGB normiert und die der garantierten Erfüllung der vertraglich begründeten Pflichten entspricht4 , wurde zum Schutz von Kleinunternehmern und der Landwirtschaft gerade nicht übemommen5• Auf der anderen Seite sollte der Geschäftsherr sich aber nicht durch die Übertragung seiner Pflichten gänzlich von der deliktischen Haftung freistellen können. Der Geschäftsherr sollte auch nach erfolgter Aufgabendelegation an einen Verrichtungsgehilfen weiterhin für die Gefahrabwendung zuständig bleiben6 . Er bleibt gerade wegen seiner herausgehobenen Stellung, seiner be-

1 BriJggemeier, AcP 191 (1991), S. 38. 2 Vgl. Jauemig-Teichmann, BGB, § 831 Anm. La; RGRK-Steffen, BGB, § 831 Rdn. 1. 3 Erman-Schiemann, BGB, § 831 Rdn. 1.

4 RGRK-Steffen, BGB, § 831 Rdn. 1; v. Caemmerer, Wandlungen des Deliktsrechts, S. 532 Fn. 300 m.w.Nachw. 5 Motive

n, S. 736; Protokolle, S. 2773

6 Protokolle, Mugdan

n, S.

ff.

1092; RGRK-Steffen, BGB, § 831 Rdn. 2.

12

Erster Teil: Aufsichts- und Organisationspflicht gemäß § 831 Abs. 1 BGB

sonderen Übersicht und damit der entscheidend effektiveren Möglichkeit, Gefahrenlagen zu erkennen und abzuwenden, selbst potentieller Deliktsschuldner7 • Sofern er die auf diesem Gedanken basierenden und von der Rechtsordnung ihm auferlegten Ptlichten nicht erfüllt bzw. deren Erfüllung nicht nachweisen kann (§ 831 Abs. 1 Satz 2 BGB), haftet der Geschäftsherr gemäß § 831 Abs. 1 BGB. Folglich ist festzuhalten, daß die deliktische Haftung nicht darauf beruht, daß er sich die Vorteile von Aufgabendelegationen zunutze macht, sondern auf der damit verbundenen, bei ihm verbleibenden besseren Möglichkeit zur Gefahrabwendung. Mit anderen Worten: Nicht die Schaffung von mehr oder weniger komplexen Organisationen zur Erfüllung von Aufgaben, sondern die dem Geschäftsherm verbleibende Möglichkeit zur Gefahrbeherrschung ist der Grundgedanke, der ihn trotz Ptlichtendelegation weiterhin gemäß § 831 Abs. 1 BGB haften läßt. Daher lassen sich die dem Geschäftsherm in § 831 Abs. 1 BGB auferlegten Ptlichten, welche an seine bessere Fähigkeit zur Vermeidung von Rechtsgutsverletzungen anknüpfen, zwanglos in das System der deliktischen Verkehrsptlichten einordnen8 . Sie sind jedoch keine neuen, originären, aus der Ptlichtendelegation entstandenen Verkehrsptlichten, sondern Rudimente einer ursprünglich in der Person des Geschäftsherm entstandenen, aber auf einen Dritten übertragenen Verkehrsptlicht9 . Dies ist der dogmatische Ausgangspunkt.

I. Entwicklung der Aufsichtspflicht aus der Auswahlpflicht des § 831 Abs. 1 Satz 2 BGB Begeht der vom Geschäftsherm eingesetzte Verrichtungsgehilfe in Ausführung der ihm übertragenen Verrichtung eine rechtswidrige Rechtsgutsverletzung, so muß der Geschäftsherr, um einer deliktischen Haftung zu entgehen, unter anderem nachweisen, daß er den Verrichtungsgehilfen sorgfältig ausge-

7 Erman-Schiemann, BGB, § 831 Rdn. 2. 8 Vgl. RGRK-Steffen, 8GB, § 831 Rdn. 1,2,4,36; Erman-Schiemann, BGB, § 831 Rdn. 2; Erman-Schiemann, BGB, § 823 Rdn. 83; Münch.Komm.-Menens, BGB, § 831 Rdn. \.

9 Vgl. RGRK-Steffen, BGB, § 831 Rdn. 4.

I. Entwicklung der Aufsichtspflicht aus der Auswahlpflicht des § 831 12 BGB

13

wählt hat, § 831 Abs. 1 Satz 2, 1. Alt. BGB. Ihm obliegt mithin die Pflicht, den Gehilfen bei dessen Einstellung auf seine Eignung zur ordnungsgemäßen Erfüllung der ihm zu übertragenden Aufgaben zu überprüfen 10 . Dabei sind die Anforderungen, die an eine sorgfältige Auswahl zu stellen sind, nicht in allen Fällen gleich. Die Anforderungen, denen der zur Auswahl Verpflichtete gerecht zu werden hat, hängen vom jeweiligen Gefahrenpotential der übertragenen Aufgabe ab 11 • Meist wird bei Tätigkeiten, bei deren Ausführung typischerweise keine hohe Gefährdung Dritter zu erwarten ist, eine Überprüfung der körperlichen und fachlichen Zuverlässigkeit ausreichen 12. Dies kann jedoch nicht mehr gelten, sobald sich konkrete Zweifel an der Eignung des Verrichtungsgehilfen ergeben. In diesem Sinne hatte schon das OLG Stuttgart13 folgenden Sachverhalt zu entscheiden: Der Beklagte hane einen Bürgersteig neu hergestellt. Nach Abschluß der Bauarbeiten beauftragte er einen seiner Arbeiter, den Bretterbelag zu entfernen. Dies geschah jedoch nicht vollständig, so daß der Kläger in der Nacht über ein unbeleuchtet liegengebliebenes Bren stürzte und sich verletzte. Zur Begründung des die Klage abweisenden Urteils führte das OLG folgendes aus: Die erforderliche Sorgfalt bei der Auswahl von Verrichtungsgehilfen, die mit "ganz einfachen Verrichtungen" betraut werden, seien bereits erfüllt, "wenn der Arbeiter nach seinem Beruf für die Aufgabe geeignet erscheint, wenn diese Aufgabe überhaupt keine Fachkenntnisse oder technische Geschicklichkeit verlangt und der Beauftragte nach Alter und Geschlecht der Verrichtung gewachsen ist". Da dem Geschäftsherrn zudem keine besonderen Gründe erkennbar waren, die ihn von der Bestellung eben dieses Arbeiters hänen abhalten müssen, wie "z.B. Trunksucht, Leichtsinn, Vergeßlichkeit", wurde im vorliegenden Fall der Entlastungsbeweis als erbracht angesehen.

10 Erman-Schiemann,

BGB,

§ 831

Rdn.17;

Münch.Komm.-Menens,

BGB,

§ 831

Rdn. 10 ff.; Palandt-Thomas, BGB, § 831 Rdn. 13; Staudinger-Schäfer, BGB, § 831 Rdn. 146. 11

Vgl.

BGH,

VersR

1983,

S. 668;

Erman-Schiemann,

BGB,

§ 831

Rdn. 17;

Münch.Komm.-Menens, BGB, § 831 Rdn. 9; Palandt-Thomas, BGB, § 831 Rdn. 13; Staudinger-Schäfer, BGB, § 831 Rdn. 138; Deutsch, Unerlaubte Handlung und Schadensersatz, Rdn. 312, S. 157. 12 Erman-Schiemann, BGB, § 831 Rdn. 17; Staudinger-Schäfer, BGB, § 831 Rdn. 139. 13 OLG Stuttgart, OLGE 9, S. 42.

14

Erster Teil: Aufsichts- und Organisationspflicht gemäß § 831 Abs. 1 BGB

Wesentlich höhere Anforderungen an die Sorgfältigkeit der Auswahl sind jedoch bei solchen Tätigkeiten zu stellen, die regelmäßig ein hohes Gefahrenpotential für Dritte in sich bergen l4 . Eine Prüfung, die lediglich die fachlichen Kenntnisse und Fähigkeiten des Verrichtungsgehilfen berücksichtigt, kann hier nicht mehr ausreichen. Der Geschäftsherr hat sich in diesen Fällen auch über die Charaktereigenschaften des Verrichtungsgehilfen zu informieren und gegebenfalls - trotz ausreichender Qualifikation - von einem Einsatz des Verrichtungsgehilfen abzusehen 15. In einem vom BGH 16 zu entscheidenden Fall war ein Omnibus der beklagten Bundesbahn nachts auf einem unbeschrankten Bahnübergang mit einem Personenzug kollidiert. Zu dem Zusammenstoß kam es deshalb, weil der bei der Beklagten angestellte Fahrer Laufgrund von Trunkenheit den herannahenden Zug übersah. Zu den tödlich verunglückten Insassen des Omnibusses gehörte auch der Sohn des Klägers, der nun Ersatz der entgangenen Dienste von der Beklagten verlangte. In seiner Urteilsbegriindung fUhrt der BGH aus l7 , daß gerade bei Tätigkeiten, die mit besonderen Gefahren fUr die allgemeine Sicherheit verhunden seien, strenge Anforderungen an die Auswahl des Verrichtungsgehilfen zu stellen seien. Die Auswahlpflicht erstrecke sich in diesen Fällen auch auf die Charaktereigenschaften des Gehilfen, wie "Gewissenhaftigkeit, Zuverlässigkeit, ... VerantwortungsgefUhl" und "die erforderliche sittliche Reife" .

Darüber hinaus hat der Geschäftsherr, soweit dies zur Gefahrvermeidung erforderlich ist, den Gehilfen in die übertragene Tätigkeit einzuweisen und zu belehren l8 . Gerade wenn die Verrichtung besondere Qualifikationen erfor14 Vgl. RGZ 142, 356, 362; BGH, VersR 1961, S. 330, 332; BGH, VersR 1967, S. 63, 64; BGH, VersR 1970, S.327; BGH, NIW 1978, S. 1681; vgl. zum letzteren jedoch auch Münch.Komm.-Menens, BGB, § 831 Rdn. 12 und dort Fn. 19; Ennan-Schiemann, BGB, § 831 Rdn. 17; Staudinger-SchäJer, BGB, § 831 Rdn. 139 f. 15 Ennan-Schiemann, BGB, § 831 Rdn. 17; Schmidt-Salzer, Produkthaftung, Rdn.4.240, S. 247 f.; Staudinger-SchäJer, BGB, § 831 Rdn. 141 ff., jeweils m.w. Nachw. der Rechtsprechung; zur Priifungspflicht im Verhältnis zum PersönIichkeitsrecht des Arbeitnehmers vgl. Münch.Komm.-Menens, BGB, § 831 Rdn. 13 m.w.Nachw. 16 BGH, VersR 1957, S. 463 ff. 17 BGH, VersR 1957, S. 464 m.w.Nachw. der Rechtsprechung des RG. 18 BGHZ 24, 200, 214; BGH, NIW 1966, S.399, 402; BGH, LM, BGB, § 831 [Fc] Nr. 11; Heiss, Dezentralisierter Entlastungsbeweis, S.31; Schmidt-Salzer, Produkthaftung, Rdn. 4.242, S. 249 f.

I.

Entwicklung der Aufsichtspflicht aus der Auswahlpflicht des § 831 I 2 BGB

15

dert, darf sich der Geschäftsherr bei der Auswahl seines Gehilfen nicht mit denjenigen fachlichen und charakterlichen Eigenschaften begnügen, die im allgemeinen für ausreichend erachtet werden 19. Ihm obliegt es, den Aufgabenbereich des Verrichtungsgehilfen klar und verständlich20 festzulegen. Desgleichen hat er die Anforderungen zu defInieren, denen gemäß die Verrichtung auszuführen ist21 und ihn in den ordnungsgemäßen Gebrauch technischer Gerätschaften einzuweisen22 . Die Rechtsgrundlage für diesen erweiterten Pflichtenkreis sieht der BGH ebenfalls in § 831 Abs. 1 Satz 2, 1. Alt. BGB23. Hiergegen könnte sich der Einwand ergeben, daß sich jedenfalls aus dem Wortlaut dieser Vorschrift nicht unmittelbar ergibt, daß diese intensivierte Pflichtigkeit noch der Auswahlpflicht zuzuordnen ist24 . Allerdings ist zu bedenken, daß es sich bei der Auswahlpflicht darum handelt, die Eignung des Gehilfen für eine bestimmte Verrichtung zu gewährleisten. Um die Eignung des Verrichtungsgehilfen aber herbeizuführen und sicherzustellen, muß der Geschäftsherr dafür Sorge tragen, daß der Verrichtungsgehilfe nicht nur generell in der Lage ist, den Aufgaben des übertragenen Typus gerecht zu werden, sondern auch die spezielle Befähigung erhält, die ihm übertragene Verrichtung auch unter den jeweiligen konkreten Umständen zu erfüllen. Denn nur, wenn er hinreichend über seine Tätigkeit und, sofern erforderlich, deren betriebliches Umfeld informiert ist, kann er in der Lage sein, Gefahrenpotentiale zu erkennen und zu vermeiden. Er ist also erst dann nicht nur generell, sondern konkret geeignet, die ihm übertragene Verrichtung ordnungsgemäß zu erfüllen. Um diese konkrete Geeignetheit des Verrichtungsgehilfen herzustellen, muß der Geschäftsherr aber verpflichtet sein, dem Gehilfen die notwendigen Verhaltensanweisungen und Informationen in verständlicher Weise mitzuteilen, zumal nur er regelmäßig 19 BGH, VersR 1956, S. 382; BGH, VersR 1962, S. 332, 333; RGRK-Sleffen, BGB, Rdn. 46; Schmidr-Salzer, Produkthaftung, Rdn. 4.242, S. 249.

§

831

20 BGH VersR 1962, S. 332, 333. 21 Vgl. BGH, VersR 1956, S. 382. 22 Vgl. BGH, OB 1958, S. 1184; BGH, VersR 1978, S. 82; RGRK-Sreffen, BGB, § 831 Rdn.46; Schmidt-Salzer, Produkthaftung, Rdn.4.245, S.242 m.w.Nachw. der Rechtsprechung. 23 Siehe die Rechtsprechungsnachweise in Fn. 22. 24 Vgl. Heiss, Dezentralisierter Entiastungsbeweis, S. 31 f.

16

Erster Teil: Aufsichts- und Organisationspflicht gemäß § 831 Abs. 1 BGB

darüber verfügt. Damit wird deutlich, daß nur ein wohleingewiesener und informierter Verrichtungsgehilfe ein sorgfältig zur konkreten Verrichtung ausgewählter Gehilfe ist. Mithin findet die Belehrungspflicht des Geschäftsherrn sehr wohl ihren dogmatischen Angelpunkt in der Auswahlpflicht des § 831 Abs. 1 Satz 2, 1. Alt. BGB. Die oben herausgearbeiteten Grundsätze gelten nicht nur bei der Einstellung des Verrichtungsgehilfen. Sie fmden bei jeder Betrauung des Verrichtungsgehilfen mit neuen Aufgaben Anwendung, sofern diese eine höhere oder wesentlich andere QualifIkation des Gehilfen erfordern25 . Die Rechtsprechung ist hier aber nicht stehen geblieben. Sie ist emen Schritt weiter gegangen und hat im Rahmen der Auswahlpflicht postuliert, daß der Geschäftsherr die Eignung des Verrichtungsgehilfen fortlaufend zu überprüfen hat26 • Die Auswahlpflicht verliert damit ihren Charakter als singulärer Anfangsakt und nimmt das Moment fortlaufender Beaufsichtigung in sich auf. Diese Auslegung, der in § 831 Abs. 1 Satz 2, 1. Alt. BGB normierten Auswahlpflicht im Sinne einer Eignungsaufsicht erscheint zunächst gewagt, da die Formulierung" ... bei der Auswahl ... " in § 831 Abs. 1 Satz 2 BGB die Auslegung als einmaligen Akt nahelegt. Daher soll sich die Eignungsaufsicht nach Schiemann27 nicht aus dem Wortlaut des § 831 Abs. 1 Satz 2 BGB ergeben. Aus dem gleichen Grund hält sie Heiss28 wohl für eine richterrechtliche Rechtsfortbildung. Darüber hinaus sprechen gerade die Pro-

25 Vgl. Münch.Komm.-Menens, BGB, § 831 Rdn. 20. 26 RGZ 78, 107, 109; RGZ 79, 101, 106; RGZ 87, 1,4; RGZ 120, 154, 161; RGZ 128, 149, 153; RGZ 136,4, 11; RGZ 142, 306, 361 f.; RG, JW 1920, s: 492 Nr. 4; RG, JW 1928, s. 1046, 1047; RG, JW 1930, s. 2927, 2930; RG, JW 1930, S. 3213, 3214; RG, JW 1937, S. 1964, 1965; BGH, VersR 1959, S. 310, 311; BGH, NJW 1964, S. 2401, 2402; BGH, VersR 1966, S. 364, 364 f.; BGH, VersR 1966, S. 564; BGH, VersR 1969, S. 518, 519; BGH, VersR 1970, S. 284, 285; KÖlZ, Deliktsrecht, Rdn. 282, S. 106; Deutsch, Unerlaubte Handlung und Schadensersatz, Rdn.312, S. 157 f.; Heiss, Dezentralisierter Entlastungsbeweis, S. 30 f.; Jauemig-Teichmann, BGB, § 831 Anm.3.b; EsserlWeyers, Schuldrecht, Band 1lI, § 58 12, S. 500; Schmidl-Salzer, Produkthaftung, Rdn.4.203, S.223; Münch.Komm.-Mertens, BGB, § 831 Rdn. 15 ff.; RGRK-Sleffen, BGB, § 831 Rdn. 37, 40. 27 Erman-Schiemann, BGB, § 831 Rdn. 18. 28 Heiss, Dezentralisierter Entlastungsbeweis, S. 32.

I. Entwicklung der Aufsichtspflicht aus der Auswahlpflicht des § 831 I 2 BGB

17

tokolle29 gegen eine Pflicht des Geschäftsherrn zur Beaufsichtigung semer Gehilfen. Dort heißt es: •... , daß die Aufsichtspflicht nur dann in Frage kommt, wenn der Geschäftsherr die Verrichtung des von ihm Bestellten unter seiner Leitung vornehmen läßt, während der Geschäftsherr nur rur ordnungsmäßige Sorgfalt bei der Auswahl einstehen soll, wenn detjenige, dem die Verrichtung aufgetragen ist, dieselbe selbständig auszuruhren hat.·

Entscheidend für die Haftung aus § 831 Abs. 1 Satz 2, 1. Alt. BGB ist jedoch, daß der Verrichtungsgehilfe im Zeitpunkt der Verletzungshandlung unsorgfältig ausgewählt ist30 . Der Geschäftsherr hätte daher eigentlich bei jeder einzelnen Verrichtung des Gehilfen zu prüfen, ob der Verrichtungsgehilfe auch weiterhin geeignet ist, die übertragene Tätigkeit ordnungsgemäß zu erfüllen. Da dies dem Geschäftsherrn aber praktisch nicht zumutbar ist, muß von ihm zumindest verlangt werden, daß über die Eignung der eingesetzten Verrichtungsgehilfen Aufsicht geführt wird31 . Es führte zu untragbaren Ergebnissen, wollte man die Auswahlpflicht mit sorgfältiger Auswahl im Zeitpunkt der ersten Betrauung mit einer Verrichtung als erfüllt ansehen32 . Man kann wohl schlechterdings einen ehemals fachlich und charakterlich geeigneten Busfahrer, der im Laufe der Jahre zum Alkoholkranken geworden ist und nun einen alkoholbedingten Unfall verursacht - um ein etwas plakatives Beispiel zu verwenden -, als im Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses sorgfältig ausgewählt betrachten. In diesem Sinne hat schon das Reichsgericht33 entschieden, daß •... nur ein wohl beaufsichtigtes Personal als wohl ausgewählt erachtet werden kann ... ".

29 Protokolle U, S. 598; vgl. dazu auch v. Bar, Verkehrspflichten, S. 23; Heiss, Dezentralisierter Entlastungsbeweis, S.28; Seiler, JZ 1967,

s.

525 ff.; Methammer, Entwicklung der

Haftung rur Gehilfenhandeln, S. 145 ff. 30 Ständige Rechtsprechung seit RGZ 53,53,57; Leßmann, JA 1980, S. 193; Schmidt-Sal-

zer, Produkthaftung, Rdn. 4.238, S. 246 (und passim); Schreiber, Jura 1987, S. 652; Weigen, Ausservertragliche Haftung, S. 20. 31 Vgl. Weigen, Ausservertragliche Haftung, S. 20. 32 So wohl v. Bar, Verkehrspflichten, S. 23. 33 RGZ 87, 1,4. 2 Schmitz

18

Erster Teil: Aufsichts- und Organisationsptlicht gemäß § 831 Abs. 1 BOB

Dieses Urteil weist jedoch einen bedeutsamen Unterschied zu den vorhergehenden Entscheidungen des Reichsgerichts zur gleichen Problematik auf. In den vorhergehenden Fällen wurde vom Kläger stets verlangt, den Nachweis einer etwaigen Unzuverlässigkeit des Gehilfen zu erbringen. So ist im Urteil des Reichsgerichts vom 14.12.1911 34 ausgeführt, eine Entlastung bezüglich der Aufsicht sei "... jedenfalls dann erforderlich, wenn der Verletzte den Nachweis führt, daß sich der Angestellte ... im Verlauf der Dienstzeit als unzuverlässig erwiesen, hat .• Dies legt nahe, daß das Reichsgericht zumindest nicht von einer stets bestehenden Aufsichtspflicht des Geschäftsherrn ausging. Die Aufsichtspflicht wird grundsätzlich als Ausnahme konzipiert, für deren Vorliegen den Kläger die Beweislast trifft. Mit dieser Auffassung bricht dann das Reichsgericht in seiner Entscheidung vom 25.2.191535 . Die Aufsichtspflicht wird generalisiert. Sie ist nun fester Bestandteil des vom Geschäftsherrn nach § 831 Abs. 1 Satz 2, 1. Alt. BGB zu erbringenden Exkulpationsbeweises, ohne daß es eines weiteren Nachweises des Klägers bedarf. Im Rahmen der Eignungsaufsicht gilt ebenfalls ein flexibler Pflichtenmaßstab36 , abhängig von der Gefahr für das geschützte Rechtsgut37 und der zu befürchtenden Schadenshöhe. Zwar ist regelmäßig eine unausgesetzte Überwachung des Gehilfen nicht erforderlich, doch sind grundsätzlich unerwartete Kontrollen notwendig. So läßt der BGH38 den Exkulpationsbeweill denn auch scheitern, wenn "... die Beld. nichts über gelegentliche, nicht nur unvermutete, sondern auch unauffällige Kontrollen ... vorzutragen vermochte". Auf derartige Kontrollen könne "regelmäßig auch bei bewährtem Personal nicht verzichtet werden"39.

34 RGZ 78, 107, 109. 35 RGZ 87, 1,4. 36 Vgl. RGRK-Sreffen, BGB,

§

831 Rdn. 41; Esser/Weyers, Schuldrecht, § 58 12, S. 500.

37 Vgl. Schmidt-Salzer, Produkthaftung, Rdn. 4.247, S. 254. 38 BGH, VersR 1969, S. 518, 519. 39 Vgl. auch RGZ 136, 4, 11; BGH, VersR 1955, S.746; BOH, VersR 1959, S.994; BGH, VersR 1970, S. 284,285 f.

I. Entwicklung der Aufsichtspflicht aus der Auswahlpflicht des § 831 1 2 BGB

19

Es ist aber darauf hinzuweisen, daß es sich bei den von der Rechtsprechung postulierten Pflichten um allgemeingültige, aber nicht schlechthin verbindliche Anforderungen an die Eignungsaufsicht handelt. Wird die Eignung durch andere vom Geschäftsherrn ergriffene Maßnahmen gewährleistet, so können auch diese völlig ausreichen. Der BGH hat in seinem Urteil vom 25.1.1966 festgestellt40 , daß ein als Kraftfahrer eingesetzter Gehilfe ebensogut dann ausreichend überwacht werden könne, •... wenn der Dienstherr und sein Vertreter ... so häufig an den Fahrten teilnähmen, daß die Mitfahrten nicht mehr als Kontrollen empfunden werden und der Kraftfahrer deshalb sein gewöhnliches Fahrverhalten an den Tag lege .• 41

Gelegentliche Kontrollen, die nur dazu dienen, den Verrichtungsgehilfen von Pflichtverletzungen abzuschrecken, können allerdings nicht genügen, den Entlastungsbeweis des Geschäftsherrn herbeizuführen 42 . Kommen aber besondere, die Gefahr steigernde Momente ins Spiel, so sind erhöhte Anforderungen an die Eignungsüberwachung zu stellen. Diese können sich zum einen aus der Person des Verrichtungsgehilfen ergeben43 . So kann etwa das hohe Alter des Gehilfen eine planmäßige und ständige Kontrolle notwendig machen44 • Zum anderen können gesteigerte Aufsichtspflichten auch in der Art der übertragenen Tätigkeit ihre Begründung finden 45 • Wird beispielsweise eine Krankenschwester mit einer Injektion betraut, deren Durchführung höchste Sorgfalt und die Beherrschung einer neuen Injektionstechnik erfordert, so ist eine über die übliche für Krankenschwestern notwendige Eignungsüberwachung hinausgehende gesteigerte Kontrolle der Eignung erforderlich46 •

40 BG", VersR 1966, S. 364. 41 Vgl. auch BG", VersR 1955, S. 775; BG", VersR 1960, S. 473, 474 f. 42 Vgl. zu den Anforderungen an die Kontrollpflicht BGH, VersR 1961, S.330, 332 m.w.Nachw. der Rechtsprechung. 43 Vgl. RGRK-Sreffen, BGB, § 831 Rdn. 41. 44 Vgl. BG", VersR 1964, S. 948, 949. 45 Vgl. EsserlWeyers, Schuldrecht, § 5812, S. 500; Schreiber, Jura 1987, S. 652. 46 Vgl. BG", VersR 1960, S. 19,21.

20

Erster Teil: Aufsichts- und Organisationspflicht gemäß § 831 Abs. 1 BGB

Werden konkrete Anhaltspunkte deutlich, die auf eine fachliche oder charakterliche Ungeeignetheit des Verrichtungsgehilfen hindeuten, so ist der Geschäftsherr gehalten, von allgemeinen Überwachungsmaßnahmen zu konkreten Anweisungen und gezielten Kontrollen des Gehilfen überzugehen oder, falls erforderlich, gänzlich vom Einsatz des Gehilfen abzusehen47 •

n. Das Verhältnis von Eignungsprüfung und Eignungsaufsicht Fraglich ist in diesem Zusammenhang, in welchem Verhältnis Eignungsprüfung und Eignungsaufsicht zueinander stehen. Ist seit der Einstellungsprüfung erst kurze Zeit vergangen und dem Geschäftsherrn daher keine Zeit verblieben, sich durch eine ausreichende Beaufsichtigung des Verrichtungsgehilfen ein hinreichendes Bild von dessen Zuverlässigkeit im täglichen Einsatz zu machen, so reicht eine sorgfältige Eignungsprüfung zur Entlastung grundsätzlich aus48 . Sollten aber schon während dieser Tätigkeit konkrete Zweifel an der fachlichen oder charakterlichen Qualifikation des Verrichtungsgehilfen auftreten, so genügt in diesen Fällen eine sorgfältige Eignungsprüfung selbstverständlich nicht mehr. Zusätzlich muß eine sorgfältige Eignungsaufsicht nachgewiesen werden49 . Sollte zum Zeitpunkt der Einstellung nicht ausreichende Sorgfalt obwaltet haben, schadet dies nicht, wenn nur durch sorgfältige Eignungsaufsicht der Entlastungsbeweis zum Zeitpunkt der schädigenden Handlung geführt werden kann. Zu Recht hat auch der Bundesgerichtshof in seinem Urteil vom 27.1.197050 nicht darauf abgehoben " ... , ob die Bekl. bei der friiheren Einstellung der Leute die von ihr im allgemeinen zu fordernde Sorgfalt beachtet hat, sondern entscheidend51 darauf, ob sie im Zeitpunkt der

47 Vgl. RGRK-Steffen, BGB, § 831 Rdn.42 und die umfangreiche Kasuistik in den Rdn.43 ff. 48 Vgl. OLG Stuttgart, VersR 1987, S. 515; RGRK-Steffen, BGB, § 831 Rdn. 40. 49 RGRK-Steffen, BGB, § 831 Rdn. 40. 50 BGH, VersR 1970, S. 318, 319. 51 Hervorhebung durch den Verf.

U. Das Verhältnis von Eignungsptiifung und Eignungsaufsicht

21

Beauftragung der Leute mit der hier in Rede stehenden Fahrt von deren Zuverlässigkeit so überzeugt sein konnte, daß sie ihnen ohne Verletzung ihrer Sorgfaltspflicht diesen Auftrag erteilen durfte (BGHZ 8, 239 [243] = VersR 53, 117).·

Daher kann festgehalten werden, daß es sich bei der Auswahlpflicht schwerpunktmäßig um eine Aufsichtspflicht des Geschäftsherrn bezüglich der Eignung des Verrichtungsgehilfen handelt. Nur dann, wenn dem Geschäftsherrn zwischen erstmaliger Betrauung mit der Verrichtung und schädigender Handlung kein ausreichender Zeitraum verbleibt, um sich einen Eindruck von der Qualifikation des Verrichtungsgehilfen zu machen, reicht eine sorgfältige Eignungsprüfung im Zeitpunkt der Einstellung aus. Diese weitreichende Akzentverschiebung ist auch durch rechtstatsächliche Vorgaben gerechtfertigt. Zwar dürften amtliche Zeugnisse - soweit vorhanden und zur sorgfältigen Eignungsprüfung erforderlich - in der Regel zuverlässigen Aufschluß über die fachliche Qualifikation des Verrichtungsgehilfen geben52 . Aber über die Bewährung des Verrichtungsgehilfen in der Praxis des alltäglichen Einsatzes sagen sie naturgemäß nichts aus. Die charakterliche Eignung und Dauerzuverlässigkeit ist jedoch ein wesentliches Element der Schadensvermeidung. Um diese zu ermitteln, bieten sich aber nur die Arbeitszeugnisse des Verrichtungsgehilfen aus vorangegangenen Arbeitsverhältnissen an oder aber informelle Auskünfte bei den früheren Arbeitgebern. Letztere Informationsquelle zur Exkulpation zu nutzen, dürfte dem Geschäftsherrn aber aufgrund des zu gewährleistenden Schutzes des Persönlichkeitsrechts des Arbeitnehmers versagt sein53. Auch durch die Rechtsprechung zur Erteilung und inhaltlichen Ausgestaltung von Arbeitszeugnissen54 haben diese einen Charakter angenommen, die oftmals die Eignung des Gehilfenl Arbeitnehmers - um es gelinde auszudrücken - "schönfärben "55 und ohne Kenntnis des Jargons der Personalleiter häufig nicht mehr in Deckung mit der Realität zu bringen sind. Daher bietet die kontinuierliche Beaufsichtigung auch in der betrieblichen Praxis56 zwar nicht die einzige, aber doch die zuverlässigste 52 Vgl. Münch.Komm.-Mertens, BGB, § 831 Rdn. 11. 53 Vgl. in diesem Sinne auch Münch.Komm.-Mertens, BGB, § 831 Rdn. 11 Fn. 16. 54 Vgl. dazu BGH, OB 1964, S. 517; Erman-Hanau, BGB, § 630 Rdn. 9 ff. 55 Vgl. Münch.Komm.-Mertens, BGB, § 831 Rdn. 11. 56 Vgl. auch Heiss, Dezentralisierter Entlastungsbeweis, S. 32 f.

22

Erster Teil: Aufsichts- und Organisationspflicht gemäß § 831 Abs. I BGB

Quelle, die Eignung des Verrichtungsgehilfen zu ermitteln und zu sichern. Die Auswahlpflicht des Geschäftsherrn stellt mithin berechtigterweise im wesentlichen eine Überwachungspflicht hinsichtlich der fortlaufenden Gewährleistung der Eignung des eingesetzten Gehilfen dar.

ill. Die Pflicht zwn sorgfältigen Beschaffen von Vorrichtungen und Gerätschaften gemäß § 831 Abs. 1 Satz 2, 2. Alt. BGB Darüber hinaus trifft den Geschäftsherrn - unter vom Kläger zu beweisenden Umständen57 - die Verpflichtung, funktionstüchtige Gerätschaften und Vorrichtungen zur Verfügung zu stellen, § 831 Abs. 1 Satz 2, 2. Alt. BGB. Innerhalb dieses Pflichtenkomplexes liegt der Schwerpunkt aus dem gleichen Grund wie bei der Auswablpflicht - nämlich der Maßgeblichkeit des Zeitpunkts der Vornahme der schädigenden Handlung - nicht auf dem einmaligen Akt des Beschaffens der benötigten Gerätschaften und Vorrichtungen, sondern auf ihrer kontinuierlichen sorgfältigen Überwachung und Überprüfung58 . Daher gilt, insbesondere beim Einsatz medizinisch-technischer Gerätschaften, der Grundsatz, daß es " ... durch technische Kontrollen gewährleistet sein" muß, "daß das Gerät, wenn es zum Einsatz kommt, funktionsfihig ist und fehlerfrei arbeitet. In diesem Zusammenhang ist es - im Interesse des betroffenen Patienten - ein Fehlverhalten, wenn die Geräte erst ausgesondert werden, nachdem sich die Unzulänglichkeit intraoperativ ergeben hat und der Patient geschädigt worden ist. Erforderlich sind deshalb Kontrollen und Weisungen, durch die sichergestellt wird, daß nur einwandfreie Meßgeräte eingesetzt werden. "59

Zudem ist die Auslegung der Begriffe "Vorrichtungen" und "Gerätschaften" durch die Rechtsprechung recht weit60 , so wurden z.B. vom Reichsgericht61 die Eisenbahngleise als Vorrichtung der Eisenbahngesellschaft angesehen. Bedenkt man des weiteren, daß etwa 32 % aller Rechtsgutsverletzungen 57 Vgl. RGRK-Steffen, BGB, § 831 Rdn. 47 m.Nachw. der Rechtsprechung. 58 Vgl. BfÜggemeier, Deliktsrecht, Rdn. 669, S. 404. 59 OLG Düsseldorf, VersR 1985, S. 744, 745 f. 60 So auch Heiss, Dezentralisierter Entlastungsbeweis, S. 33. 61 Vgl. RG, Recht 1914, Nr. 2073.

IV. Leitungspflicht gemäß § 831 Abs. I Satz 2, 3. Alt. BGB

23

im ärztlichen Bereich ihre Ursache in unsorgfaltig installierten oder überwachten medizinisch-technischen Gerätschaften finden62 , so ließe sich vermuten, daß § 831 Abs. 1 Satz 2, 2. Alt. BGB auch in der Rechtsprechung eine erhebliche Rolle spielt. Dies ist aber nicht der Fall. Sichtet man die einschlägigen Kommentierungen und Rechtsprechungsdarstellungen63 , so bevorzugt die Rechtsprechung durchweg die Lösung dieser Fallkonstellationen über § 823 Abs. 1 BGB, ohne daß dies hinreichend begründet wird. Aufgrund dessen wird denn auch in der Literatur64 in § 831 Abs. 1 Satz 2, 2. Alt. BGB ein noch nicht ausgeschöpftes Potential gesehen, haftungsrelevantes Geräteversagen einer dogmatisch überzeugenden Lösung zuzuführen. Festzuhalten bleibt, daß § 831 Abs. 1 BGB dem Geschäftsherrn nicht nur Sorgfaltspflichten hinsichtlich seines personellen Organisationsbereichs, sondern auch die Pflicht zur kontinuierlichen, sorgfaltigen Gewährleistung seines sachlich-gegenständlichen Bereichs auferlegt.

IV. Die Leitungspflicht gemäß § 831 Abs. 1 Satz 2,3. Alt. BGB Neben der Pflicht zur sorgfältigen Auswahl und zur sorgfältigen Eignungsüberwachung kann den Geschäftsherrn eine Obliegenheit zur Leitung der konkret in Frage stehenden Verrichtung treffen. Auch die Leitungspflicht beruht wie die Auswahlpflicht auf dem Gedanken der Gefabrabwendung und fmdet daher ebenfalls ihren Ursprung in den allgemeinen Verkehrspflichten65 . Durch die Formulierung "sofern er ... die Ausführung der Verrichtung zu leiten hat ... " in § 831 Abs. 1 Satz 2 BGB macht der Gesetzgeber deutlich, daß eine Leitungspflicht nicht generell besteht. Es bedarf also besonderer gefabrsteigernder Momente, welche die Leitung der Verrichtung erforderlich erscheinen lassen. Den Kläger trifft eine dahingehende Beiweispflicht. Diese besonderen Gefabrenmomente können sich zum einen aus dem Wesen der Verrichtung ergeben, z.B. aus deren Außergewöhnlichkeit66 oder einem aus 62 Vgl. BriJggemeier, Deliktsrecht, Rdn. 664, S. 403. 63 Z.B. Giesen, JZ 1982, S. 349; ders., Arzthaftungsrecht, S. 60 ff. 64 Heiss, Dezentralisierter Entlastungsbeweis, S. 33; Helm, AcP 166 (\966), S. 395. 65 RGRK-Sleffen, BGB, § 831 Rdn. 50. 66 RGRK-Sleffen, BGB, § 831 Rdn. 51.

24

Erster Teil: Aufsichts- und Organisationspflicht gemäß § 831 Abs. I BGB

ihr resultierenden gesteigerten Risiko, sofern mit einem solchen nach der allgemeinen Lebenserfahrung zu rechnen ist. Als exemplarisch soll hier das BGR-Urteil vom 28.3.1963 67 angeführt werden. Durch große Kälte brach die Anbohrstelle einer Gashauptleitung. Dadurch drang Gas in ein Zimmer, in dem der Kläger schlief, ein. Er wurde so schwer verletzt, daß er bleibende Schäden erlitt. Er verlangte von der beklagten Stadtgemeinde, die das Gasversorgungsunternehmen als Eigenbetrieb unterhält, Schadensersatz, da sie es unterlassen habe, nach Kenntnis des Gasrohrbruchs alles Erforderliche zu tun, um Schaden von Hausbewohnern im Gefahrenbereich abzuwenden. Den Entlastungsbeweis sah der BGH mit folgender Begründung als nicht erbracht an: "Die von ihr vorgelegten bis zum Februar 1956 erlassenen Betriebsvorschriften enthalten keine Weisung rnr den Fall, daß in einem gasverseuchten Anwesen verschlossene Räume angetroffen werden. Der Beld. kann zwar zugegeben werden, daß eine Dienstanweisung rnr das Personal der X.-Werke nicht vorausschauend jeden möglichen Fall erfassen und hierffir Einzelweisungen geben kann. Der Fall, daß in einem gasbedrohten Anwesen Wohnungs- oder Zimmertüren versperrt sind und daß sich nicht mit voller Gewißheit feststellen läßt, ob sich jemand in den verschlossenen Räumen befindet, liegt aber nicht so sehr außerhalb jeder Erfahrung, daß mit ihm nicht gerechnet werden müßte und daß er keiner vorherigen Regelung in einer verbindlichen Anweisung bedürfte. Da die Bek!. rnr diesen Fall keine verbindliche Regelung getroffen hat, muß ihr ein schuldhafter Organisationsmangel zur Last gelegt werden. Einer derartigen Vorschrift hätte es zu der nach § 831 Abs. I Satz I BGB vorgesehenen Leitung ihrer Angestellten und Gehilfen bedurft. Die Unterlassung einer derartigen Leitung verstößt gegen die im Verkehr erforderliche Sorgfalt. "68

Ferner kann eine Leitung der Verrichtung unter Umständen notwendig sein, wenn die Verrichtung einen außergewöhnlichen Anreiz zur Begehung von Straftaten bietet69 . Zum anderen können aber auch personelle Momente eine Leitung nach der Verkehrsanschauung erforderlich machen. Dies verkennt Reiss, wenn er meint, die Leitungspflicht finde ihre Begründung ausschließlich in der aus der Eigenart der Verrichtung resultierenden Gefährlichkeit70 . Wie das Urteil des 67 BGH, VersR 1963, S. 1206 ff. 68 BGH, VersR 1963, S. 1206; vg!. auch RG, Recht 1910, Nr. 3494; BGH, VersR 1962, S. 332, 333.

69 Vg!. RGRK-Sleffen, BGB, § 831 Rdn. 51. 70 Vg!. Heiss, Dezentralisierter Entlastungsbeweis, S. 30.

IV. Leitungspflicht gemäß § 831 Abs. I Satz 2, 3. Alt. BGB

25

BGH vom 15.10.1971 71 zeigt, kann sich gerade auch aus Gründen, die in der Person des Gehilfen liegen, eine Pflicht zur Leitung der übertragenen Verrichtung ergeben: Dort verwechselte der von der Beklagten als Fahrer eingesetzte Verrichtungsgehilfe während des Einfüllens von Heizöl in die Tankanlage des Klägers deren Einfüllstutzen mit dem Pfeilrohr der Sicherheitswanne. Von dort sickerte das Heizöl in den Erdboden. Der Kläger verlangt Schadensersatz von der Beklagten in der Höhe der Beseitigungskosten. Der BGH führt in der Urteilsbegriindung aus72: "Wenn der Beld. für Öltransporte und das Befüllen von Tankanlagen einen Kraftfahrer einsetzte, der mit den besonderen Gefahren dieser Tätigkeit nicht vertraut war, dann war er verpflichtet, diesen Fahrer entsprechend zu unterrichten und ihm die erforderlichen Verhaltensregeln zu erteilen. Dies folgt aus der in solchen Fällen bestehenden Leitungspflicht des Geschäftsherrn ... "73.

Zudem kann die Pflicht zur Leitung der Verrichtung ihre Begründung in dem Bestehen von Unfallverhütungsvorschriften finden74 . Diese sind dem Gehilfen nicht nur bekanntzumachen, sondern es ist darüber hinaus dafür Sorge zu tragen, daß diese auch eingehalten werden75. Die Leitungspflicht wird in der Regel durch Dienstanweisungen und -vorschriften76 ausgeübt. Diese können zwar abstrakten Charakter haben, d.h. für eine unbestimmte Anzahl gleicher Gefahrensituationen gelten, müssen jedoch inhaltlich so bestimmt sein, daß der Verrichtungsgehilfe daraus klar entnehmen kann, wie er sich bei der Ausführung der konkreten Verrichtung zu

71 BGH, VersR 1972, S. 67 ff. 72 BGH, VersR 1972, S. 66, 69. 73 Vgl. dazu auch BGH, VersR 1973, S. 713, 714, dort wird allerdings nicht hinreichend deutlich, ob die in der Urteilsbegriindung postulierten Anforderungen an den Entlastungsbeweis der Leitungs-, Einweisungs- oder Überwachungspflicht zuzuordnen sind. 74 Vgl. BGH, VersR 1964, S. 241, 243. 75 Vgl. RGRK-Sreffen, BGB, § 831 Rdn. Si. 76 Vgl. BGHZ 17, 214, 220; BGH, VersR 1962, S. 332, 333; BGH, VersR 1963, S. 1208,

1210; Ennan-Schiemann, BGB, § 831 Rdn.22; RGRK-Sleffen, BGB, § 831 Rdn. 51, jeweils m.w.Nachw. zur RG-Rechtsprechung.

26

Erster Teil: Aufsichts- und Organisationspflieht gemäß § 831 Abs. 1 BGB

verhalten hat. Mangels Bestimmtheit der Dienstanweisung kann daher die Anweisung, generell für Gefahrlosigkeit zu sorgen, nicht ausreichen77 .

V. Die Organisationspflicht gemäß § 831 Abs. 1 Satz 2 BGB Beim Einsatz von Verrichtungsgehilfen findet die Organisationspflicht ihren dogmatischen Anknüpfungspunkt zunächst in § 831 Abs. 1 Satz 2 BGB und nicht in § 823 Abs. 1 BGB. Zur Leitungspflicht des Geschäftsherrn gemäß § 831 Abs. 1 Satz 2, 3. Alt. BGB gehört nämlich auch die Pflicht, die Tätigkeitsbereiche der zur Verrichtung eingesetzten Gehilfen aufeinander abzustimmen, die sogenannte Koordinationspflicht78. So hat der Geschäftsherr dafür Sorge zu tragen, daß seine Verrichtungsgehilfen in der Art eingesetzt werden, daß diese nicht bei der Ausführung der ihnen übertragenen Tätigkeit einer ständigen Arbeitsüberlastung unterliegen und es dadurch zu übermüdungsbedingten Rechtsgutsverletzungen kommt79 • Des weiteren ist im Zusammenhang mit der Gewährleistung der sorgfältigen Eignungsaufsicht durch regelmäßige Kontrollen des Verrichtungsgehilfen erforderlich, daß der Geschäftsherr eine solche Überwachung systematisch plant und organisiert80 . Denn nur dann, wenn dies geschehen ist, wird es dem Geschäftsherrn möglich sein, den einzelnen Verrichtungsgehilfen namhaft zu machen, der die Rechtsgutsverletzung rechtswidrig herbeigeführt hat, und so den Exkulpationsbeweis auf diesen zu beschränken und nicht für alle an der Verrichtung beteiligten Gehilfen den Entlastungsbeweis antreten zu müssen81 . Darüber hinaus hat der Geschäftsherr , anknüpfend an seine Pflicht gemäß § 831 Abs. 1 Satz 2, 2. Alt. BGB Vorrichtungen und Gerätschaften zu beschaffen, dafür zu sorgen, daß eine zur Gefahrabwendung ausreichende be77 Vgl. BGH, VersR 1962, S. 332, 336. 78 Vgl. RGRK-Steffen, BGB, § 831 Rdn. 51. 79 Vgl. BGH, LM, BGB, § 831 [Fe] Nr. 3; Schmidt-Salzer, Produkthaftung, Rdn.4.295, S.220. 80 Vgl. Jauemig-Teichmann, BGB, § 831 Anm. 3.ee; Müneh.Komrn.-Menens, BGB, § 831 Rdn.15. 81 Vgl. BGH, NJW 1968, S. 247, 248.

VI. Verhältnis der Verkehrspflichten gemäß § 831 Abs. 1 Satz 2 BGB zueinander

27

triebliehe Struktur geschaffen wird. Diese hat zu gewährleisten, daß die zur Verfügung gestellten Vorrichtungen und Gerätschaften dem Stand der Technik entsprechen und im erforderlichen Maße auf ihre Verkehrssicherheit hin überprüft werden82 . Obwohl eine Organisationspflicht in § 831 Abs. 1 Satz 2 BGB nicht ausdrücklich erwähnt ist, zeigt dies deutlich, daß alle drei in § 831 Abs. 1 Satz 2 BGB normierten Pflichtenkomplexe des Geschäftsherrn - Pflicht zur sorgfältigen Eignungsaufsicht, Leitungspflicht und Pflicht zur Beschaffung von Vorrichtungen und Gerätschaften - zugleich das Element pflichtgemäßer Koordination und Organisation des Betriebsablaufs beinhalten. Wird diese Pflicht verletzt, so führt dies folglich zu einer Versagung des Entlastungsbeweises des Geschäftsherrn gemäß § 831 Abs. 1 Satz 2 BGB.

VI. Verhältnis der Verkehrspflichten des Geschäftsherm gemäß § 831 Abs. 1 Satz 2 BGB zueinander Eine klare Grenzziehung zwischen Leitungs-, Organisations-, Einweisungsund Überwachungspflicht im Sinne einer Eignungsaufsicht ist nicht möglich83 • Eine Grobsondierung dahingehend, daß sich eine Überwachungspflicht maßgeblich aus der Person des Verrichtungsgehilfen ergebe, wogegen die Pflicht zur Leitung der Verrichtung ihre Begründung in den Besonderheiten der Verrichtung fmde 84 , erscheint ungeeignet. Dies vor allem deshalb, weil sie sich auch aus mangelnder Berufspraxis des eingesetzten Gehilfen ergeben kann 85 , also aus persönlichen Eigenschaften des Verrichtungsgehilfen. Zum anderen hat aber auch die Eigenart der Verrichtung gerade Einfluß auf Inhalt und Umfang der Eignungsaufsicht86 . Darüber hinaus findet eine Annäherung von Leitungspflicht und Auswahlpflicht dadurch statt, daß - wie oben gese-

82 Vgl. dazu auch Münch.Komm.-Mene/lS, BGB, § 831 Rdn. 21. 83 So auch RGRK-Steffen, BGB, § 831 Rdn. 50. 84 An der Tauglichkeit des Kriteriums zweifelnd, schon Helm, AcP 166 (1966), S. 394. 85 Siehe oben, S. 24 f. 86 Siehe oben, S. 19.

28

Erster Teil: Aufsichts- und Organisationspflicht gemäß § 831 Abs. I BGB

hen87 - die Auswahlpflicht auch die Pflicht des Geschäftsherrn umfaßt, den Verrichtungsgehilfen ordnungsgemäß in seine Tätigkeit einzuweisen. Diese Einweisungspflicht ist aber im wesentlichen inhaltlich mit den Anforderungen identisch, die im Rahmen der Leitungspflicht an die Anweisungen des Geschäftsherrn zu stellen sind. Daher ist auch im Urteil des BGH vom 3.4.1973 88 nicht ersichtlich, ob die Entscheidung auf eine Verletzung der Einweisungspflicht oder der Leitungspflicht gestützt wird 89 . Demgemäß lassen mehrere Urteile, in denen ein Anspruch aus § 831 BGB bejaht wurde, nicht deutlich sichtbar werden, welche spezielle dem Geschäftsherrn obliegende Pflicht von diesem konkret verletzt wurde90 . Wie gesehen, bringt § 831 Abs. 1 BGB damit deutlich zum Ausdruck, daß bei der Delegation von Verrichtungen auf weisungsgebundene Gehilfen weitreichende Gefahrabwendungspflichten beim Geschäftsherrn verbleiben. Diese beziehen sich sowohl auf die dauernde Gewährleistung der Eignung der Verrichtungsgehilfen als auch auf die Kontrolle über die sorgfältige Ausführung der Verrichtung und der Bereitstellung funktionstauglicher Vorrichtungen und Gerätschaften. Letztlich umfaßt § 831 Abs. 1 BGB aber auch die organisatorische Gewährleistung dieser Pflichten.

VII. Der dezentralisierte Entlastungsbeweis Trotz dieser umfangreichen Pflichtenkomplexe, welchen dem Geschäftsherrn bei der Delegation seiner primären Verkehrspflichten durch § 831 BGB auferlegt werden, ist der Anwendungsbereich der Norm aufgrund des sogenannten dezentralisierten Entlastungsbeweises erheblich eingeschränkt.

87 Vgl. oben, S. 14 f. 88 BGH, VersR 1973, S. 713 ff. 89 Für ersteres würden zwar Fonnulierungen in den Entscheidungsgründen sprechen, für letzteres jedoch das zur Begründung zitierte BGH-Urteil, welches sich nur mit der Verletzung der Leitungspflicht beschäftigt, vgl. BGH, VersR 1972, S. 67, 69. 90 Vgl. z.B. RGZ 96, 81, 82 f.; BGH, VersR 1964, S. 1045, 1046; BGH, VersR 1965, S. 183, 185.

VU. Der dezentralisierte Entlastungsbeweis

29

Danach müsse es dem Geschäftsherrn in Großbetrieben gestattet sein, nicht nur seine primären Verkehrspflichten auf Gehilfen zu übertragen. Der Geschäftsherr sei, im Interesse eines vernünftigen Wirtschaftens, ebenfalls gezwungen, die aus der Delegation seiner primären Verkehrspflichten entstandenen Aufsichtspflichten wiederum zur Ausübung auf Zwischengehilfen zu übertragen. Ohne eine derartige zweite Delegation sei die Funktionstauglichkeit eines jeden Großbetriebes erheblich beeinträchtigt, wenn nicht von vornherein verhindert91 . Damit stellt sich aber die Frage, für welchen der eingesetzten Gehilfen sich der Geschäftsherr entlasten muß. In der Rechtsprechung und großen Teilen der Literatur wird es weitgehend als ausreichend angesehen, wenn sich der Geschäftsherr bezüglich des Zwischengehilfen entlasten kann92 . Epochemachend für diese Auffassung war das Urteil des Reichsgerichts vom 14.12. 1911 93 : Dort war der Kläger von einem Kutscher der beklagten Omnibus-Aktiengesellschaft überfahren worden. Der Kutscher des Omnibusses war jedoch nicht vom Vorstand der Beklagten, sondern von einem dazu bestellten "Betriebsbeamten" eingestellt worden. Als Begründung führt das Reichsgericht94 aus, daß der Geschäftsherr nach § 831 BGB für etwaige Schäden deshalb aufzukommen habe, "weil er ... in der Auswahl des Angestellten, in der Beschaffung der etwa erforderlichen Gerätschaften oder in der etwa erforderlichen Leitung der ihm aufgetragenen Verrichtungen die im Verkehr erforderliche Sorgfalt vernachlässigt hat. Zur Haftung des Geschäftsherm aus § 831 gehört es mithin, daß ein Verschulden nach den bezeichneten Richtungen denkbar ist. Wenn ... der Umfang eines großen industriellen Betriebes oder einer sonstigen großen Verwaltung oder wenn andere persönliche Hindernisse dem Geschäftsherm selbst die Auswahltätigkeit hinsichtlich der niederen Angestellten unmöglich machen und diese einem Angestellten höherer Ordnung übertragen werden muß, dann hat sich insoweit der Entiastungsbeweis auf diese letztere Person zu richten. "

91 Vgl. Erman-Schiemann, BGB, § 831 Rdn. 51; RGRK-Steffen, BGB, § 831 Rdn. 52. 92 Vgl. z.B. RGZ 78, 107 ff.; RGZ 87, 1,2; RG, JW 1914, S. 759,759 f.; RGZ 89, 136, 137 f.; BGHZ 4, 1,2 ff.; BGH, VersR 1964, S. 297; BGH, VersR 1974, S. 243,244; BGH, VersR 1978, S. 722, 723; vgl. auch Erman-Schiemann, BGB, § 831 Rdn. 21; RGRK-Steffen, BGB, § 831 Rdn. 52; Münch.Komm.-Menens, BGB, § 831 Rdn. 62. 93 RGZ 78, 107 ff. 94 RGZ 78, 107, 108.

30

Erster Teil: Aufsichts- und Organisationspflicht gemäß § 831 Ab •. I BGB

Mit anderen Worten: Der dezentralisierte Entlastungsbeweis wurde unmittelbar aus dem das Deliktsrecht und auch § 831 BGB prägenden Verschuldensprinzip begründet. Dort, wo aus tatsächlichen Gründen (Komplexität der Wirtschafts- oder Verwaltungsorganisation) eine Überwachung der untersten Organisationsebenen dem Geschäftsherrn nicht mehr möglich sei, könne auch kein Verschulden vermutet werden, denn die erforderliche Sorgfalt richte sich immer nur auf die Gewährleistung des zur Gefahrabwendung Möglichen. Würde man vom Geschäftsherrn verlangen, auch die untersten Organisationsebenen zu überwachen, so verlangte man von ihm Unmögliches. Aus der Verschuldensvermutung des § 831 BGB wäre eine VerschuldensfIktion geworden. Folgt man dieser Auffassung, so bietet § 831 BGB letztlich kein ausreichendes Instrumentarium, Rechtsgutsverletzungen Dritter durch größere Unternehmen einer befriedigenden deliktsrechtlichen Lösung zuzuführen, da dem Geschäftsherrn häufig eine Entlastung hinsichtlich seiner Zwischengehilfen gelingen wird.

Zweiter Teil Die Aufsichts- und Organisationspflichten des Geschäftsherrn gemäß § 823 Abs. 1 BGB Schon frühzeitig nahmen daher Rechtsprechung und Literatur die Existenz einer von den Ptlichtigkeiten des § 831 BGB unabhängigen, in § 823 Abs. 1 BGB verorteten allgemeinen Aufsichts- und Organisationspflicht an 1. Die gesetzliche Konzeption der deliktischen Haftung für Hilfspersonen und deren Anknüpfung an ein Verschulden des Geschäftsherrn wurden weithin als unzulänglich empfunden2 . Dieses Verdikt beruht im wesentlichen auf der Erwägung, daß derjenige, der sich die Vorteile einer weitgehenden Ptlichtendelegation zunutze mache, auch die haftungsrechtlichen Nachteile zu tragen habe (Risk-profit-Argument). Eine Erweiterung des Geschäftskreises durch Pflichtendelegation dürfe nicht noch zusätzlich mit einer weitreichenden Haftungsfreistellung des Geschäftsherrn verbunden sein. Deshalb müsse der Geschäftsherr deliktsrechtlich in die Haftung zu nehmen sein, unabhängig von der Frage, ob ihn ein persönlicher Schuldvorwurf treffe. Daher wurde vorgeschlagen, § 831 BGB dahingehend zu novellieren, daß der Geschäftsherr generell für schuldhafte Rechtsgutsverletzungen seiner Verrichtungsgehilfen einzustehen habe. Der Referentenentwurf von 1967 erhielt folglich eine dementsprechende FassungJ. ·Wer einen anderen zu einer Verrichtung bestellt, ist, wenn der andere in Ausführung der Verrichtung durch eine vorsätzlich oder fahrlässig begangene unerlaubte Handlung einem Dritten einen Schaden zufügt, neben dem anderen zum Ersatz des Schadens verpflichtet.·

1 Vgl. dazu die Nachw. in Fn. 34 und Fn. 63. 2 Vgl. Brüggemeier, Deliktsrechts, Rdn. 19, S. 46; v. Caemmerer, Wandlungen des Deliktsrechts, S. 529 f.; Körz, Deliktsrecht, Rdn. 289, S. 108; KiJbler, JZ 1968, S. 542 f.; JauemigTeichmann, BGB, § 831 Anm.1.d; Wussow, NJW 1958, S. 894; RGRK-Sreffen, BGB, § 831 Rdn.3. 3 Abgedruckt bei v. Bar, Verkehrspflichten, S. 269 und Fn. 154.

32

Zweiter Teil: Aufsichts- und Organisationspflichten gemäß § 823 Abs. 1 BGB

Praktisch hätte dies die Einführung einer dem § 278 entsprechenden Verschuldenszurechnung in das Deliktsrecht bedeutet4 • Diese Auffassung scheint nicht zuletzt in der ökonomischen Analyse des Haftungsrechts eine Stütze zu fmden 5 . Untersuche man die deliktische Haftung für Verrichtungsgehilfen unter wirtschaftlichen Gesichtspunkten, so ergebe sich, daß es ökonomisch am sinnvollsten sei, wenn der Geschäftsherr grundsätzlich für schuldhafte Schädigungen durch seine Verrichtungsgehilfen hafte, auch wenn ihm selbst kein Verschulden vorwerfbar sei6 . Ausgangspunkt der Überlegung ist, daß zwischen Verrichtungsgehilfen und Geschäftsherrn Verhandlungen über die Verteilung des Haftungsrisikos geführt würden 7 • Zwar wird zugegeben, daß es in Wirklichkeit regelmäßig nicht zu Verhandlungen über die haftungsrechtliche Risikoverteilung komme, jedoch sei eine Rechtsnorm dann ökonomisch sinnvoll, wenn sie mit dem übereinstimme, was die Parteien (hier: Geschäftsherr und Verrichtungsgehilfe) aufgrund (fiktiver) Verhandlungen vereinbart hätten8 . Ergebnis solcher gedachter Verhandlungen zwischen Geschäftsherrn und Verrichtungsgehilfen wäre, daß der Geschäftsherr das Haftungsrisiko für Schädigungen Dritter übernehmen werde. Dies deshalb, weil er sich gegen ein solches, von seinen Verrichtungsgehilfen verursachtes Haftungsrisiko vergleichsweise günstiger versichern kann, als wenn sich jeder Verrichtungsgehilfe selbst versichern würde9 . Der Geschäftsherr brauchte dem Verrichtungsgehilfen nur das um die anteilige Versicherungsprämie reduzierte Gehalt auszuzahlen. Damit wäre der einzelne Verrichtungsgehilfe auch einverstanden, da sein Einkommen nur mit einer geringeren - vom Geschäftsherrn zu entrichtenden - Versicherungsprämie belastet würde, als wenn er selbst die Prämie zu zahlen hätte lO .

4 Vgl. v. Bar, Verkehrspflichten, S. 269. 5 Grundlegend Mataja, Das Recht des Schadensersatzes vom Standpunkt der Nationalökonomie. 6 Vgl. Kötz, Deliktsrecht, Rdn. 305, S. 114; Schäfer/Ott, Ökonomische Analyse, S. 226 f. 7 Vgl. Kötz, Deliktsrecht, Rdn. 306, S. 114. 8 Vgl. Kötz, Deliktsrecht, Rdn. 306 f., S. 114; Schäfer/Ott, Ökonomische Analyse, S. 250 ff.

9 Kötz, Deliktsrecht, Rdn. 309, S. 114 f. 10 Kötz, Deliktsrecht, Rdn. 309, S. 114 f.

Zweiter Teil: Aufsichts- und Organisationspflichten gemäß § 823 Abs. I BGB

33

Verstärkt wurde die Kritik an der Regelung des § 831 BGB durch die Entwicklung des dezentralisierten Entlastungsbeweises. Durch die Beschreitung dieses Weges wurde der Haftungsbereich des § 831 Abs. 1 BGB weitgehend eingeengt I I. Eine derartig weite Haftungsfreistellung der Träger von Großunternehmen zu Lasten des Geschädigten scheint jedoch untragbar I 2 • Auf diesen Mißstand reagierte sowohl der Gesetzgeber als auch die Rechtsprechung. Der Gesetzgeber versuchte, der entstandenen Haftungslücke durch die Schaffung zahlreicher als Gefährdungshaftungstatbestände ausgestalteter Sondernormen zu begegnen l3 . Trotz der Normierung solcher Gefährdungshaftungstatbestände - welche zudem nicht alle deliktisch bedeutsame Fallgruppen erfassen - hat das allgemeine Deliktsrecht seine Relevanz für den Geschädigten nicht verloren. Zum einen gewähren diejenigen Tatbestände, die eine Haftpflicht anordnen, ohne daß es auf ein Verschulden des Anspruchsgegners selbst ankäme, kein Schmerzensgeld. Darüber hinaus ist in den meisten als Gefährdungshaftung ausgestalteten Tatbeständen die Haftungshöchstgrenze summenmäßig begrenzt I 4, so daß, falls der entstandene Schaden die Haftungssumme übersteigt, wiederum auf die Regelungen des allgemeinen Deliktsrechts zurückgegriffen werden muß. Auch ist darauf hinzuweisen, daß einige aus Gefährdungshaftungstatbeständen resultierende Ansprüche einer für den Geschädigten wesentlich ungünstigeren Vetjährungsregelung unterliegen. Ansprüche nach §§ 823 ff. BGB vetjähren gemäß § 852 BGB nach drei Jahren ab Kenntnis des Verletzten vom Schaden und der ersatzpflichtigen Person. Dagegen beginnt die Vetjährung einiger Ansprüche aus Gefährdungshaftung schon dann, wenn der Verletzte hätte Kenntnis haben müssen l 5, so daß der Fall eintreten kann, daß die allgemeindeliktsrechtlichen Ansprüche trotz glei-

11 Siehe dazu oben S. 27 ff. 12 Vgl. schon RGZ 62, 129, 167; v. Caemmerer, Wandlungen des Deliktsrechts, S. 533 f. 13 Vgl. z.B. §§ I ff. HaftpflichtG; § 7 StVG, § 33 LuftverkehrsG; §§ 25 f. AtomG; § 84 AMG; § 22 WasserhaushaltsG, §§ I tT. ProdukthaftungsG; vgl. auch DeUlsch, NIW 1992, S. 73 f. 14 Vgl. § 10 ProdukthaftungsG, § 12 StVG, § 37 LuftverkehrsG, § 88 AMG, §§ 9, 10 HaftpflichtG. 15 Vgl. z.B. § 12 Abs. I ProdukthaftpflichtG, § 32 AtomG. 3 Schmitz

34

Zweiter Teil: Aufsichts- und Organisationspflichten gemäß § 823 Abs. 1 BGB

cher Verjährungsfrist noch weiterhin durchsetzbar sind, da hier die Verjährung erst mit positiver Kenntnis des Verletzten zu laufen beginnt. Zudem erlöschen die auf das Produkthaftungsgesetz gegründeten Ansprüche gemäß § 13 ProdukthafiungsG bereits zehn Jahre nachdem das schadensstiftende Produkt in Verkehr gebracht wurde - eine Regelung, für die sich im allgemeinen Deliktsrecht keine Entsprechung findet und die daher einen Rückgriff auf die §§ 823 ff. BGB nötig machen kann l6 . Dies alles zeigt deutlich die verbleibend hohe Bedeutsamkeit der §§ 823 ff. BGB selbst innerhalb der Regelungsbereiche der Gefährdungshaftungstatbestände. Aber auch Rechtsprechung und Literatur blieben nicht untätig und versuchten die durch die Rechtsprechung zum dezentralisierten Entlastungsbeweis entstandenen Haftungslücken zu begrenzen. Dies geschieht vor allem durch die ausgedehnte Anwendung der culpa in contrahendo l7 . Es wird von dem Gedanken ausgegangen, daß zwischen Leistungs- und Schutzpflichten zu differenzieren sei. Während die Leistungspflichten die Funktion haben, der Erreichung des Leistungsinteresses zu dienen, sind letztere dazu bestimmt, den Schutz der Rechtsgüter des anderen Teils zu gewährleisten 18. Zur Entstehung solch gearteter Schutzpflichten bedarf es jedoch nicht eines bereits abgeschlossenen Vertrages, vielmehr genügt ein vorvertragliches Näheverhältnis l9 . Werden solche Schutzpflichten verletzt, so führt dies zur Anwendung vertraglicher Haftungsgrundsätze20 . Dies hat für den Geschädigten dreierlei erhebliche Vorteile: Zunächst verjähren Ansprüche aus cic grundsätzlich erst gemäß § 195 BGB nach dreißig Jahren21 . Des weiteren kann der Geschädigte, anders als bei Ansprüchen aus

16 Vgl. zum Verhältnis Produkthaftungsgesetz und allgemeines DeliktsrecQt Schmidt-Salzer, Produkthaftung, Rz. 4.105, S. 136 f. 17 Vgl. RGZ 78,239; BGHZ 62,31; v. Jhering, Jher.Jhb. 4, S. I ff.; Mrk, Festschrift rnr Möhring, S. 385 ff.; Larenz, MDR 1954, S. 515 ff.; Evans-v. Krbek, AcP 179 (1979), S. 85 ff.; Medicus, JuS 1965, S. 209 ff.; jeweils m.w.N. der Literatur und

R~htsprechung.

18 Canaris, Festschrift rnr Larenz, S. 84. 19 Larenz, Schuldrecht, AT, § 9 I, S. 106 f. 20 Canaris, Festschrift rnr Larenz, S. 85. 21 Ausnahmsweise jedoch, sofern sich der Anspruch auf Sach- oder Weflcmängel gründet, gelten die §§ 477, 638; Palandt-Heinrichs, BGB, § 195 Rdn. 10.

Zweiter Teil: Aufsichts- und Organisationspflichten gemäß § 823 Abs. I BGB

35

§§ 823, 831 BGB, auch reine Vermögensschäden ersetzt verlangen22 . Letztlich - und darin wird weitgehend der eigentliche Zweck der cic gesehen23 - kommt bei Vorliegen einer cic § 278 BGB zur Anwendung, so daß der Schädiger ohne Entlastungsmöglichkeit für schuldhafte Schädigungen Dritter durch seine Gehilfen einzustehen hat. Dieser letzte Aspekt hat aber gerade die Kritik an der Konzeption der cic bewirkt. Insbesondere v. Caemmerer glaubt nachweisen zu können, daß es sich in 7Jlhlreichen Fällen der Anwendung der cic im Grenzbereich von Vertrag und Delikt um eine unzulässige Landnahme im Bereich des Deliktsrechtes handelt und die cic lediglich zur Derogierung des § 831 BGB verwendet wird, um angemessene Ergebnisse zu erhalten24 • Vergleicht man etwa die berühmte Linoleumteppich-Entscheidung des Reichsgerichts25 , die bekanntlich nach den Grundsätzen der cic gelöst wurde, mit ähnlichen Fallkonstellationen26 , so fragt sich, warum diese nicht ebenfalls einer Lösung nach cic zugeführt wurden27 • Die Vermutung scheint nicht ungerechtfertigt, daß die cic nur deshalb nicht angewendet wurde, weil eine Haftung des Schädigers über §§ 823 ff. BGB begründet werden konnte. Es wäre aber zu kurz gegriffen, wollte man die cic - im hier interessierenden Problemfeld - als reine Umgehungskonstruktion disqualifizieren28 . Wollte man aber die cic in diesem Bereich, wie v. Caemmerer es fordert29 , zurückdrängen, so verstärkte sich nur das Bedürfnis nach einer sachgerechten deliktsrechtlichen Lösung. 22 Vgl. Canaris, Festschrift für Larenz, S. 85. 23 Vgl. Leßmann, JA 1980, S. 194; Kübler, JZ 1968, S. 543; Kötz, Deliktsrecht, Rdn. 294, S. 110; Broggemeier, Deliktsrecht, Rdn. 19, S. 46.

24 v. Caemmerer, Wandlungen des Deliktsrechts, S. 461 ff.; vgl. auch Larenz, Festschrift für Ballerstedt, S. 402 f.; Kreuzer, JZ 1976, S. 780; StolI, AcP 176 (1976), S. ISO f. Fn.21; Huber, AcP 177 (1977), S. 319 ff.; Holoch, JuS 1977, S. 305 f. 25 RGZ 78, 239 ff. 26 Vgl. z.B. RG JW 1913, S. 23 ff.; RGZ 113,293 ff. 27 Vgl. v. Caemmerer, Wandlungen des Deliktsrechts, S. 461. 28 Vgl. zur Legitimität der cic im Grenzbereich von Vertrag und Delikt Canaris, Festschrift für Larenz, S. 85 ff.

29 v. Caemmerer, Wandlungen des Deliktsrechts, S. 461 ff.

36

Zweiter Teil: Aufsichts- und Organisationspflichten gemäß § 823 Abs. 1 BGB

Allerdings ist auch zu beachten, daß der personale Anwendungsbereich der cic durch die Grundsätze des Vertrages mit Schutzwirkung zugunsten Dritter erheblich erweitert ist30 . Danach sind, soweit zumindest ein personenrechtliches Fürsorgeverhältnis besteht, Dritte in den Schutzpflichtenbereich der cic einbezogen mit der Folge eines eigenen nach vertragsrechtlichen Grundsätzen zu beurteilenden Schadensersatzanspruches bei Verletzung auch ihnen gegenüber bestehender Schutzpflichten. Also auch hier wird § 831 BGB weitgehend durch § 278 BGB verdrängt. Dies scheint den Eindruck zu rechtfertigen, daß die praktische Bedeutung des § 831 BGB letztlich gering ist. Es muß aber bedacht werden, daß weder die cic oder aber cic in Verbindung mit einem Vertrag mit Schutzwirkung zugunsten Dritter dem Geschädigten einen Schmerzensgeldanspruch gewähren (§§ 249, 253 BGB)31. Dies ist der Bereich - abgesehen von Fallkonstellationen, in denen mangels vorvertraglichem Näheverhältnis die cic nicht zur Anwendung kommen kann -, in dem das allgemeine Deliktsrecht wiederum seine volle Bedeutung entfaltet32 . Nicht zuletzt deshalb sehen sich Rechtsprechung und Literatur immer wieder mit erheblichen deliktsrechtlichen Haftungslücken konfrontiert, welche nur durch eine deliktsinteme Lösung zu überwinden sind. Da jedoch der herrschenden Dogmatik eine sachgerechte Anwendung des § 831 BGB durch den dezentralisierten Entlastungsbeweis verwehrt war, mußte sie, um ein Mindestmaß deliktischer Verantwortung des Geschäftsherrn zu gewährleisten33 , dessen Haftung unmittelbar aus § 823 BGB begründen.

30 Vgl. dazu BGH MDR 1959, S. 747; BGH JZ 1960, S. 124 f.; HeiseckelLarenz, NJW 1960, S. 77 ff.; Larenz, IZ 1960, S. 108; Zunft, MDR 1960, S. 543 ff.; ders., AcP 153 (1953), S. 386 ff.; Westermann, JuS 1961, S.340; Gemhuber, Bürgerliches Recht, § 16 U 2, S. 148 ff.; Schreiber, Jura 1980, S. 648, 651; kritisch v. Caemmerer, Wandlungen des Deliktsrechts, S. 464 ff. 31 Vgl. RGRK-Steffen, BGB, § 831 Rdn. 12. 32 Darauf weisen Diederichsen, NJW 1978, S. 1281 für die Produzent~nhaftung, und Laufs, Arztrecht, Rdn. 410, S. 186 f. für die Arzthaftung besonders hin. 33 Vgl. RGRK-Steffen, BGB, § 831 Rdn. 7.

I. Allgemeine Aufsichtspflicht gemäß § 823 Abs. 1 BGB

37

I. Die allgemeine Aufsichtspflicht des Geschäftsherm gemäß § 823 Abs. 1 BGB Von dem an sich billig erscheinenden Gedanken ausgehend, daß es dem Geschäftsherrn nicht gestattet sein dürfe, sich durch Delegation seiner Verkehrspflichten völlig einer deliktischen Verantwortung zu entschlagen, er vielmehr, falls er den Nutzen einer solchen Pflichtendelegation - etwa Erweiterung seines Geschäftskreises - ziehe, auch deren Risiko zu tragen habe, wurde ihm schon vom Reichsgericht frühzeitig eine allgemeine Aufsichtspflicht über seine Verrichtungsgehilfen auferlegt34 . Diese trifft den Geschäftsherrn immer dann, wenn er seine primären Verkehrspflichten auf Dritte überträgt35 . In diesem Sinne hat schon das Reichsgericht36 zwei Jahre nach Inkrafttreten des BGB folgenden Sachverhalt entschieden: Der Stationswärter R des beklagten Eisenbahnuntemehmens hatte, entgegen seinen Dienstanweisungen, den Zugangsweg zu dem Bahnhof nicht ausreichend durch Anzünden aller Laternen beleuchtet. Daher stürzte der Kläger bei dem Versuch, von der Landstraße auf den Zufahrtsweg zu gelangen, und verletzte sich. Während das Reichsgericht noch im ersten Teil der Urteilsbegrundung ausführt, daß § 831 BGB den Geschäftsherm grundsätzlich nicht zur Beaufsichtigung des Stationswärters ver-

34 Vgl. z.B. RGZ 53, 53, 57; RGZ 53,276,281 f.; RG, IW 1903, S. 132 Nr. 294; RG, IW 1906, S. 745 Nr. 16; RG, IW 1911, S. 95 Nr.20; RG, IW 1911, S. 487 Nr. 8 und 9; RGZ 113,293, 297; RG, IW 1939, S. 560 Nr. 22; BGHZ 4, 1, 2 f.; BGH, BB 1957, S. 15; BGH, VersR 1958, S. 33; BGH, NJW 1968, S. 247,248 f.; BGH, NJW 1975, S. 2245, 2246; BGH, BB 1987, S. 2331, 2332; OLG Bremen, VersR 1977, S. 867, 868; OLG Hamm, VersR 1984, S. 243, 244; für die Übertragung von Verkehrspflichten auf selbständige Gehilfen vgl. z.B. BGH, NIW 1976, S.46, 47, BGH, NIW 1982, S.2187, 2188; BGH, OB 1987, S. 1838; EsserslWeyers, Schuldrecht, S. 831 f.; EnnecceroslLehmann, § 234 II 2 e, S.948; Weigert, Ausservertragliche Haftung, S. 19; Geigel, Haftpflichtprozeß, § 823 Rdn. 208 ff., S. 401 ff. § 831 Rdn. 17, S. 462; Ommann, BGB, 8313 a a, S. 1096; Siebert, Rechtsstellung und Haf-

tung des Technischen Überwachungsvereins, S. 71 f.; Palandt-Thomas, BGB, § 823 Rdn. 60; jeweils m.w.N. 35 RGZ 53,53,57; RGZ 113,293,297; RG, IW 1931, S. 1690 f.; RG, IW 1931, S. 2236, 2237 f.; RG, IW 1938, S. 1651, 1652; BGH, LM, BGB, 823 [Eb] Nr.2; BGH, VersR 1983, S. 152; BGH, NJW 1982, S. 2187, 2188; BGH, NJW 1976, S. 46, 47; OLG Bremen, VersR 1977, S. 867, 868; Deutsch, IZ 1984, S. 310; Jauemig-Teichmann, BGB, § 831 Anm. 1I.B.4.c. 36 RGZ 53, 53 ff.

38

Zweiter Teil: Aufsichts- und Organisationspflichten gemäß § 823 Abs. I BGB

pflichte37 , priift es im Anschluß daran eine mögliche Haftung des Geschäftsherrn aus § 823 Abs. 1 BGB und führt in diesem Zusammenhang aus, daß es nicht für rechtsirrtümlich erachtet werden könne, ·wenn daß Berufungsgericht die Beklagte zur einer Beaufsichtigung der Dienstverrichtung des R für verpflichtet erachtet hat. Als Betriebsunternehmerin liegt der Beklagten die Pflicht ob, die Zufahrtsstraße zu beleuchten; ihre Haftung wegen Vernachlässigung dieser Pflicht bestimmt sich daher nicht ausschließlich nach den Vorschriften über die Haftung des Geschäftsherrn für das Tun und Lassen des zur Verrichtung Bestellten, sondern auch nach der Vorschrift in § 823 BGB. Sie selbst hat, bezw. durch ihre verfassungsmäßigen Vertreter, dafür zu sorgen, daß jene Verpflichtung erfüllt werde, und sie würde nicht die im Verkehr erforderliche Sorgfalt beobachtet haben, wenn sie jedwede Kontrolle dariiber unterlassen hätte, ob eine ihr obliegende Pflicht, deren Erfüllung sie einer Person übertragen hatte, für deren Handlungen und Unterlassungen sie nicht schlechthin haftet, auch wirklich erfüllt werde .• 38

Mit dieser geradezu paradigmatischen Entscheidung war nun der Weg eröffnet, § 823 Abs. 1 BGB für die Haftung des Geschäftsherrn bei schädigendem Verhalten seiner Verrichtungsgehilfen fruchtbar zu machen. Die weitere Rechtsprechung zur allgemeinen Aufsichtspflicht ist jedoch nicht einheitlich. Es scheinen in der Rechtsprechung des Reichsgerichts zwei divergierende Tendenzen zu bestehen39 . Zum einen wird die Pflicht zur Oberaufsicht weiterhin in § 831 BGB angesiedelt. Exemplarisch dafür ist das Urteil des Reichsgerichts vom 25.2.1915, die sogenannte Brunnensalz-Entscheidung40 . Die Klägerin hatte in einer Apotheke von der Beklagten hergestelltes künstliches Salz gekauft. Dieses Salz war jedoch mit feinen Glassplittern durchsetzt, woraufhin die Klägerin nach Einnahme des Salzes erkrankte. Zu den Anforderungen, die an das Gelingen des Entlastungsbeweises gemäß § 831 Abs. I Satz 2 BGB zu stellen sind, tritt nach Auffassung des gleichen Zivilsenates hinzu ·der Beweis der allgemeinen Oberaufsicht des Geschäftsherrn, deren er sich niemals entschlagen und die er auch den sorgfaltig ausgewählten Aufsichtsbeamten nicht selbständig überlassen kann ...• 41 .

Für die gegenläufige Tendenz kann das Urteil des Reichsgerichts vom 29.4 .1926 angeführt werden42 . 37 RGZ 53, 53, 56 f. 38 RGZ 53,53,57. 39 Vgl. dazu auch BriJggemeier, Deliktsrecht, Rdn. 525, S. 330. 40 RGZ 87, I ff. 41 RGZ 87, 1,4. 42 RGZ 113, 293 ff.

I. Allgemeine Aufsichtspflicht gemäß § 823 Abs. I BGB

39

Dort war der Kläger, nachdem er im Geschäftsgebäude des beklagten Zeitungsunternehmens eine Anzeige aufgegeben hatte, auf dem Bürgersteig vor dem Gebäude ausgeglitten, weil der Bürgersteig trotz Eis- und Schneeglätte nicht hinreichend gestreut war. Dabei erlitt der Kläger Verletzungen und begehrt nun Schadensersatz von der Beklagten. Das Reichsgericht begründet hier, wie in RGZ 53, 53 ff. den Anspruch des Klägers wieder unmittelbar aus § 823 BGB, und zwar aus dem Gedanken •... der allgemeinen Pflicht zur Aufsicht, die dem für die Erfüllung von Verkehrspflichten Verantwortlichen, so dem Vorsteher eines Hauswesens oder dem Inhaber eines gewerblichen Unternehmens, obliegt, wenn er die Erfüllung der Verkehrspflichten und gegebenenfalls die zur Sicherung der Erfüllung erforderlichen Schutzmaßnahmen Dritten überläßt .• 43

Was erstaunt, ist, daß die Rechtsprechung des Reichsgerichts also keineswegs einheitlich die weitere Entwicklung der Rechtsprechung vorzeichnet, insbesondere die Grundsatzentscheidung44 des Reichsgerichts zur unmittelbaren deliktischen Haftung des Warenherstellers geht den Lösungsweg über § 831 BGB. Heute muß festgestellt werden, daß in der Produzentenhaftung § 831 BGB so gut wie keine Rolle mehr spielt. Überblickt man die Rechtsprechung anband einschlägiger Entscheidungssammlungen45 , so ist die Zahl der Fälle, bei denen § 831 BGB überhaupt geprüft wird, verschwindend klein. Noch geringer ist allerdings die Zahl der Entscheidungen in diesem Bereich, in denen ein Anspruch nach § 831 BGB bejaht wird46 . Ein anderes Bild bietet sich jedoch bei Schädigungen Dritter durch Verrichtungsgehilfen im Zusammenhang mit der Durchfiihrung von Dienstleistungen im weitesten Sinne, also Schädigungen im Rahmen der Abwicklung von Werk-, Dienst-, ärztlichen Behandlungsverträgen etc. Hier spielt § 831 BGB nach wie vor eine bedeutsame Rolle47 . Warum es häufig geboten ist, in der Produzentenhafiung auf § 823 Abs. 1 BGB auszuweichen, mag von der Problematik des dezentralisierten Entla-

43 RGZ 113,293,297.

44 RGZ 87, 1,4. 45 Z.B. Schmidt-Salzer, Entscheidungssammlung Produkthaftung in vier Bänden und Loseblansammlung. 46 Vgl. BGH, NJW 1968, S. 247, 248 f.; BGH, NJW 1973, S. 1602, 1603 f.; OLG Hamm, BB 1971, S. 845, 846. 47 Siehe dazu die Rechtsprechungsnachweise oben S. 11 ff.

40

Zweiter Teil: Aufsichts- und Organisationspflichten gemäß § 823 Abs. I BGB

stungsbeweises abhängen48 • Zum anderen liegt es auch sicherlich daran, daß die Rechtsprechung einen neuen über die Möglichkeiten der Haftungszuweisung mittels der allgemeinen Aufsichtspflicht hinausgehenden durchschlagenden Haftungstopos in § 823 Abs. I BGB eingeführt hat, den sogenannten betrieblichen Organisationsmangel49 . Will man Aussagen über Inhalt und Umfang der allgemeinen Aufsichtspflicht in ihrem personalen Anwendungsbereich auf mittlerer Abstraktionsebene machen, so stellt sich das Problem ihrer Natur als sekundärer Verkehrspflicht. Zwar sind die einschlägigen Kommentare nach Gefahrenbereichen gegiiedert50 und die Rechtsprechung reich an Ausführungen zu Inhalt und Umfang der primären Verkehrspflichten, etwa zu Konstruktions-, Fabrikations-, Produktbeobachtungsfehlem etc., was jedoch die allgemeine Aufsichtspflicht betrifft, sind inhaltliche Ausführungen nur sporadisch zu fmden. Präzisere Aussagen als die des Reichsgerichts, wonach die allgemeine Aufsichtspflicht "sich nicht auf alle untergeordneten Nebendienste und nicht auf jede einzelne Funktion erstrecken kann" und "namentlich (hat)51 bei untergeordneten, einfachen Diensten, eine besondere Überwachung nicht für jede dienstliche Tätigkeit und nicht ununterbrochen stattzufinden; vielmehr ist nach Lage des Einzelfalles zu entscheiden, ob und inwieweit die Umstande Anlaß zu einer Kontrolle geben. Eine solche wird ... bezüglich der einzelnen Funktion nur dann geboten sein, wenn bei der allgemeinen Revision der Dienstverrichtungen überhaupt Unregelmäßigkeiten sich ergeben, die auch Unregelmäßigkeiten bei der Verrichtung jener einzelnen Funktion befürchten lassen. "52

lassen sich nur schwer machen. Dies liegt vor allem am situationsbedingten Inhalt der Verkehrspflichten53 . Während es jedoch bei der primären Verkehrspflicht noch möglich ist, diese nach typischen Entstehungssituationen, sprich Gefahrenbereichen, zu systematisieren, so scheitert dies bei der allgemeinen Aufsichtspflicht daran, 48 Siehe dazu oben S. 28 ff. 49 Siehe dazu unten S. 42 ff. 50 Vgl. dazu auch Kötz, Deliktsrecht, Rdn. 234, S. 89. 51 Ergänzung durch den Verf. 52 RGZ 53, 53, 58. 53 Vgl. Kötz, Deliktsrecht, Rdn. 234, S. 89.

I. Allgemeine Aufsichtspflicht gemäß § 823 Abs. I BGB

41

daß sie aus der Delegation jedweder primären Verkehrspflicht - egal aus welchem Gefahrenbereich, ob z.B. aus Produzenten-, Arzthaftung oder der Haftung des Streupflichtigen54 - entsteht. Dennoch können die Aussagen über Inhalt und Umfang der allgemeinen Aufsichtspflicht in ihrem personalen Anwendungsbereich konkretisiert werden, ohne sich in einer Fülle von Einzelentscheidungen zu verlieren oder eine probleminadäquate Systematisierung nach Gefahrenbereichen vorzunehmen. Auszugehen ist vom Charakter der allgemeinen Aufsichtspflicht als Verkehrspflicht. Wie bei der Leitungs- und Aufsichtspflicht des § 831 Abs. 1 BGB hängt der Umfang der allgemeinen Aufsichtspflicht von der Intensität der mit der Ausführung der übertragenen Tätigkeit verbundenen Gefahren ab. Je größer die aus der Tätigkeit resultierende Gefahr, desto höhere Anforderungen sind an die zu beachtende Sorgfalt zu stellen55 . Die allgemeine Aufsichtspflicht wird ebenfalls in der Regel durch Anweisung des Geschäftsherrn an die eingesetzten Verrichtungsgehilfen ausgeübt56 . Mindestens erforderlich ist, daß dem Gehilfen der dauernde Eindruck einer bestehenden Kontrolle vermittelt wird. Bei gefahrenträchtigeren Tätigkeiten kann es jedoch nötig werden, ihn einer regelmäßigen Kontrolle zu unterziehen, welche auch Sicherheitsanweisungen und die Einweisung in den übertragenen Tätigkeitsbereich mit umfassen können57 . Selbst bei der Betrauung von Spezialisten darf der Geschäftsherr die Dinge nicht aus den Augen lassen. Eine Intervention seinerseits kann jedoch in diesem Fall erst dann in Betracht kommen, wenn für den Delegierenden konkrete Anhaltspunkte für etwaige Unzuverlässigkeiten erkennbar sind, konkrete Bedenken an der Geeignetheit der zur Gefahrabwendung eingesetzten Mittel bestehen oder aber die Gefahrenlage eine Unterstützung von seiten des Geschäftsherrn erforderlich erscheinen läßt58 . 54 Siehe dazu die Rechtsprechungsnachweise in obigen Fußnoten. 55 Kötz, Deliktsrecht, Rdn. 247, S. 92; Soergel-Hadding, § 31 Rdn. 14. 56 Vgl. dazu Heiss, Dezentralisierter Entlastungsbeweis, S. 52 mit Nachw. der Rechtsprechung. 57 RG, JW 1904, S. 165 Nr. 3; RG, JW 1914, S. 678 Nr. 6, BGH, VersR 1956, S. 115, 116; BGH, VersR 1958, S. 644 f. 58 Vgl. BGH, VersR 1954, S. 334,335; BGH, VersR 1965, S. 38, 40; BGH, VersR 1975, S. 87, 88; BGH, VersR 1976, S. 62, 64 ff.; vgl. auch RGRK-Steffen, BGB, § 831 Rdn. 6.

42

Zweiter Teil: Aufsichts- und Organisationspflichten gemäß § 823 Abs. 1 BGB

ll. Die betriebliche Organisationspflicht des Geschäftsherrn gemäß § 823 Abs. 1 BGB Aber auch hier zeigen sich schnell die Grenzen einer Haftungsbegründung von Großunternehmen für deliktische Schädigungen mittels einer derart ausgestalteten Aufsichtspflicht. Wenn die Haftung des Geschäftsherm aus § 823 Abs. 1 BGB direkt begründet werden muß, da eine Zurechnung fremder Deliktsverursachung mangels funktionstauglicher deliktischer Zurechnungsnorm scheitert, so bedarf es neben der Behauptung einer objektiven Pflichtverletzung von seiten des Geschäftsherm auch des Nachweises einer subjektiv vorwerfbaren Verletzung eben dieser Pflicht. Zur Konstruktion der objektiven Aufsichtspflichtverletzung dient - vor allem der Rechtsprechung - die These von der Undelegierbarkeit der Aufsichtspflicht. Danach sei eine vollständige Delegation der Aufsichtspflicht auf Dritte oder Hilfspersonen unzulässig59 . Mit dem Urteil vom 11.11.1963 60 hielt diese These auch Eingang in die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs. Kläger war dort die Sozialversicherung der durch einen Verkehrsunfall verletzten M. Dieser wurde durch einen Lkw der beklagten Unternehmerin verursacht. Diese hatte die gesamte Betriebsführung ihrem Schwiegersohn übertragen. Es wurde zur Begründung vorgebracht, der Lkw habe zum Zeitpunkt des Unfalls emebliche Mängel aufgewiesen, die seine Verkehrstauglichkeit beeinträchtigten, und der angestellte Lkw-Fahrer habe zu spät gebremst. Im Rahmen der Urteilsgründe führt der Bundesgerichtshof aus: "Doch kann sich der Inhaber eines Betriebes unbeschadet der möglichen Übertragung einzelner Aufgaben der Betriebsleitung nicht völlig von den Pflichten befreien, die mit der Betriebsführung verbunden sind. Schließt die Betriebsausübung Gefahrenquellen für andere ein, so hat der Inhaber für allgemeine Sicherheits- und Aufsichtsanordnungen zu sorgen, nach denen sich der Angestellte in dem ihm übertragenen Wirkungskreis richten muß. Ferner hat er sich zum mindesten von Zeit zu Zeit davon zu überzeugen, daß die allgemeinen Anweisungen über die Betriebssichemeit und Personalüberwachungen auch durchgeführt werden. Ein Entlastungsvorbringen, das darauf hinausläuft, die gesamte Betriebsführung sei einem zuverlässigen Geschäftsführer überlassen, ist von vornherein unzureichend (vgl. RG 1W 1938, 151 ... ). "61

59 Grundlegend RGZ 113, 293, 297; vgl. dazu auch v. Bar, Verkehrspflichten, S. 243 ff. 60 BGH, VersR 1964, S. 297, 297 f. 61 BGH, VersR 1964, S. 297.

11. Betriebliche Organisationspflicht gemäß § 823 Abs. I BGB

43

Ob diese Auffassung mit dem grundlegenden Charakter der Verkehrspflicht als Gefahrabwendungspflicht vereinbart werden kann, ist zu bezweifeln. Man mag in diesem Zusammenhang nur an Fallkonstellationen denken, in denen die vollständige Delegation der allgemeinen Aufsichtspflicht unumgänglich ist, etwa bei Krankheit, Abwesenheit, hohem Alter oder unzureichender Qualifikation des Geschäftsherrn. Eine derartige Delegation als pflichtwidrig im Sinne einer unterlassenen möglichen Gefahrabwendungsmaßnahme zu bezeichnen, kann wohl nicht angehen62 • Vielmehr müßte es in diesen Fällen gerade als verkehrspflichtwidrig bezeichnet werden, wenn die Aufsichtspflicht nicht auf eine sorgfältig ausgewählte Person übertragen wird. Denn dem Geschäftsherrn ist es ja schlichtweg unmöglich, die Aufsicht selbst zu führen. Dabei müssen dann allerdings besonders strenge Anforderungen an die Sorgfaltigkeit der Auswahl der einzusetzenden Person gestellt werden, da diese ohne weitere Überwachung und Kontrolle durch den Geschäftsherrn die übrigen Gehilfen zu beaufsichtigen hat, was erhöhte Anforderungen an deren Qualiftkation und Zuverlässigkeit erforderlich macht. Diese Überlegungen zeigen deutlich, daß die These von der nicht vollständigen Delegierbarkeit Jer allgemeinen Aufsichtspflicht regelmäßig nicht in der Lage ist, eine durchgehende deliktische Inhaftungnahme des Geschäftsherrn herbeizuführen. Sie sollte daher aufgrund ihrer weitgehenden praktischen Funktionslosigkeit und ihrer dogmatischen Unhaltbarkeit aufgegeben werden. Aber selbst, wenn man obige These für berechtigt hält, etwa weil man dem Geschäftsherrn aufgrund des Risk-proftt-Arguments das Risiko der Schädigung Dritter zuweisen will, besteht weiterhin das Problem, daß eine dem Geschäftsherrn subjektiv vorwertbare Verletzung der Aufsichtspflicht auch dann entwickelt werden müßte, wenn es auf den unteren Organisationsebenen eines Großunternehmens zu schädigenden Handlungen gekommen ist. Selbst wenn davon auszugehen ist, daß die Aufsichtspflicht in der Regel durch allgemeine Dienstanweisungen des Geschäftsherrn ausgeübt werden kann, so scheint es bei der Betrachtung der tatsächlichen Betriebsverhältnisse in großen und vielgliedrigen Unternehmungen häuftg eine Fehleinschätzung der realen Möglichkeiten, z.B. eines Vorstandsmitgliedes zu sein, eine solche Aufsicht über-

62 So auch Steindorff, AcP 170 (1970), S. 105.

44

Zweiter Teil: Aufsichts- und Organisationspflichten gemäß § 823 Abs. 1 BGB

haupt gewährleisten zu können. Daher wird in diesen Fällen oftmals eIDe Haftungsbegründung mittels der allgemeinen Aufsichtspflicht am fehlenden subjektiven Verschuldenselement scheitern.

1. Die betriebliche Organisationspjlicht als Verkehrspjlicht im Rahmen des § 823 Abs. 1 BGB

Um diese Haftungslücke zu schließen entwickelten Rechtsprechung und Lehre nun im Rahmen des § 823 Abs. 1 BGB die sogenannte betriebliche Organisationspflicht63 . Danach ist der Geschäftsherr gehalten, derartige Strukturen und Einrichtungen im Unternehmen zu etablieren bzw. schon bei dessen

63 Vgl. z.B. RG, Recht 1920, Nr. 2845; RG, Recht 1940, S. 1293, 1295 f.; BGHZ 24,200, 213; BGH, NIW 1961, S. 455,456; BGH, BB 1956, S. 227 Nr. I; OLG Braunschweig, ESProdukthaftung 0.69, S. 401, 407; OLG Frankfurt, VersR 1969, S. 1121, 1122; BGH, VersR 1967, S. 468, 469; BGH, NIW 1968, S.247, 248 f.; BGH, GRUR 1969, S. 51, 52; BGH, NIW 1969, S. 269, 274 ff.; BGH, NIW 1970, S. 122, 123; BGH, VersR 1971, S. 623, 624; BGH, NIW 1971, S. 1313, 1314; AG Gelsenkirchen, ES-Produkthaftung, m.24, S. 528, 603; BGH, OB 1973, S. 1645, 1646; BGH, ES-Produkthaftung, 1.81, S. 268; BGH, VersR 1976, S. 1000; BGH, NIW 1976, S. 1145, II 46; OLG Köln, VersR 1976, S. 1142; BGH, VersR 1977, S. 543, 545; OLG Bremen, ES-Produkthaftung, 0.55, S.413, 414; OLG Köln, NIW 1978, S. 1690, 1691; BGH, NIW 1978, S. 1683; BGH, OB 1978, S. 1830; AG Essen, NJW 1980, S. 346; BGH, IR 1982, S. 197, 198; BGH, NIW 1982, S. 699 ff.; BGH, VersR 1983, S. 152; BGH, VersR 1983, S. 245, 246; OLG Hamburg, VersR 1984, S. 793 f.; BGH, JuS 1985, S. 990, 991; OLG Karlsruhe, VersR 1987, S. 1248, 1249 f.; BGH, ES-Produkthaftung, 1.231; BGH, MedR 1986, S. 137, 138 ff.; BGH, NIW 1986, S.775, 776 f.; BGH, VersR 1986, S. 705, 706; BGH, OB 1987, S. 155, 156; LG Berlin, VersR 1988, S. 720, 721; OLG Karlsruhe, JuS 1990, S. 232; OLG Diisseldorf, VersR 1990, S. 489; AG Hamburg, TransportR 1990, S. 202, 203; BGH, JZ 1990, S. 486, 487 f.; BGH, ZIP 1992, S. 410, 413; v. Bar, Verkehrspflichten, S.259; Diederichsen, NIW 1978, S. 1283; Schmidl-Salzer, Produkthaftung, Rdn. 4.232 und 4.895 bei zwischenbetrieblicher Arbeitsteilung mit Nachw.; Rebe, JuS 1974, S. 436; BriJggemeier, Oeliktsrecht, Rdn. 127, S. 102, Rdn.554, S. 344 ff.; &serlWeyers, Schuldrecht, § 58 12, S. 499; Kübler, JZ 1978, S. 543 f. zur Haftung von Presseverlagen mit Nachw.; siehe dazu auch L61Jler, DöV 1966, S. 637; Damm, NIW 1988, S. 744; lippen, NJW 1984, S. 2606 ff.; Giesen, JZ 1990, S. 1064; Weslermann, NIW 1974, S. 577; Damm, NJW 1989, S. 744; Canaris, JZ 1968, S.497; Giesen, JZ 1982, S. 350 ff.; Leßmann, JA 1980, S. 198.

H. Betriebliche Organisationspflicht gemäß § 823 Abs. I BOB

45

Aufbau zu schaffen, die es verhindern, daß es zu einem sich in Rechtsgutverletzungen Dritter realisierenden Fehlverhalten seiner Verrichtungsgehilfen kommt. Da menschliches Versagen durch die beste Organisation von Arbeitsabläufen nicht vollständig verhindert werden kann, so sind nicht nur die Arbeitsabläufe möglichst gefährdungsminimierend zu gestalten, sondern es ist darüber hinaus durch ein umfangreiches System von Kontroll-, Informations-, Überwachungs- und Koordinationseinrichtungen zu gewährleisten, daß etwaiges deliktisch relevantes Fehlverhalten der Verrichtungsgehilfen nicht in der Schädigung Dritter mündet64 . Wie bei der allgemeinen Aufsichtspflicht handelt es sich also bei der betrieblichen Organisationspflicht um eine Pflichtigkeit, welche durch die arbeitsteilig bedingte Delegation von primären Verkehrspflichten entsteht65 . Welche organisatorischen Maßnahmen getroffen werden müssen, um Rechtsgutsverletzungen Dritter im konkreten Fall zu verhindern, hängt daher entscheidend von der primär zu gewährleistenden Verkehrspflicht ab 66 . Es sind demgemäß je nach Gefahrenbereich, Unternehmen, Zahl der Beschäftigten etc. andere Organisationsmaßnahmen erforderlich. Diese unterscheiden sich daher gänzlich in einem Krankenhaus67 , einem Presseverlag68 oder einem Industriebetrieb. Wesentlich bleibt aber, daß der Umfang der erforderlichen organisatorischen Maßnahmen abhängt vom Grad der Gefahrlichkeit, welcher aus der Tätigkeit des Unternehmens für Dritte resultiert69 . Aus dem oben Gesagten lassen sich damit drei für das Wesen der betrieblichen Organisationspflicht konstitutive Merkmale extrahieren. Diese sind zum einen ihre Gefahrdungsrelevanz und zum anderen ihr Außenbezug grundsätz-

64 Vgl. dazu v. Bar, Verkehrspflichten, S. 96, 259; Leßmann, JA 1980, S. 199; Heiss, Dezentralisierter Entlastungsbeweis, S. 51 f.; Diederichsen, NIW 1978, S. 1287 ff.; Marschall v. Biberslein, ZfRV 1976, S. 245 ff.; KölZ, Deliktsrecht, Rdn. 295, S. 108 f. 65 Vgl. Brüggemeier, Deliktsrecht, Rdn. 128, S. 102 f. 66 Vgl. dazu EsserlWeyers, Schuldrecht, § 55 V 2, S. 479; Schmidt-Salzer, Produkthaftung, Rdn. 4.180, S. 205 .. 67 Vgl. dazu lippen, NJW 1984, S. 2606; DeUlsch, VersR 1977, S. 103; Giesen, JZ 1982, S. 352 m.w.N. der Rechtsprechung. 68 Vgl. zu den Organisationspflicht von Presseverlagen insbesondere Schmidl, AcP 170 (1970), S. 528; Kübler, JZ 1968, S. 543 f. m.w.N. der Rechtsprechung. 69 BGH, WM 1978, S. 518; v. Bar, Verkehrspflichten, S. 254.

46

Zweiter Teil: Aufsichts- und Organisationspflichten gemäß § 823 Abs. I BGB

lich jedem beliebigen Dritten gegenüber. Dies und letztlich ihr Charakter als abgeleitete Pflichtigkeit rechtfertigen die dogmatische Einordnung der betrieblichen Organisationspflicht als Verkehrspflicht70 . Zwar ließe sich dagegen einwenden, es handele sich bei der betrieblichen Organisationspflicht lediglich um eine Obliegenheit71 , da eine sorgfältige betriebliche Organisation Außenstehenden gegenüber nicht geschuldet werde und daher eine Qualifizierung als Verkehrspflicht mangels Außenbezugs scheitere; aber diese Auffassung ließe sich nur halten, wenn man davon ausginge, Unternehmen führten eine quasi monadenhafte Existenz und wären ausschließlich mit sich selbst beschäftigt. Da es aber gerade Sinn und Zweck von Unternehmungen jeglicher Art ist, mit ihrer Umwelt in Beziehung zu treten - sei es durch ihre Produkte, sei es durch die Erbringung von Dienstleistungen -, ist diese Auffassung zu Recht als wirklichkeitsfremd zu qualifizieren. Folglich ist sie nicht geeignet, gegen die Einordnung der betrieblichen Organisationspflicht als Verkehrspflicht ernsthaft ins Feld geführt zu werden72 • Wenn es sich bei der betrieblichen Organisationspflicht also um eine Verkehrspflicht handelt, so fragt sich, wo sie innerhalb des Deliktsrechtes ihre Verankerung fmdet. Schon oben wurde aufgezeigt, daß auch § 831 Abs. 1 BGB dem Geschäftsherm gewisse Organisationsleistungen abverlangt73. Daher geht wohl auch das Reichsgericht in seinem grundlegenden Urteil zum dezentralisierten Entlastungsbeweis74 davon aus, daß die betriebliche Organisationspflicht vor allem dort ihre Stütze findet. "Die Beklagte, ... , hat sich diesen festgestellten Tatsachen gegenüber auf ihre Aufsichtsorganisation berufen. Das Berufungsgericht ist auf diesen Beweis nicht eingegangen mit der Begründung, daß ihre Organisation jedenfalls im gegebenen Falle versagt habe. Die Revision greift diesen Satz als rechtsirrig und den allgemeinen Charakter des Entlastungsbeweises aus § 831 verkennend an. Allein das Berufungsgericht läßt dem angefochtenen Satze die Erläuterung folgen, daß die Beklagte Einrichtungen treffen müsse, durch die sie von gerichtlichen oder polizeilichen Bestrafungen ihrer Kutscher zuverlässige Kenntnis erhalte und dazu genüge die behaup-

70 So auch v. Bar, Verkehrspflichten, S. 96; Canaris, JZ 1968, S. 497; Steirulotff, AcP 170 (1970), S. 116.

71 BriJggemeier, Deliktsrecht, Rdn. 129, S. 103. 72 Vgl. dazu auch Steirulotff, AcP 170 (1970), S. 116.

73 Siehe dazu oben S. 26 ff. 74 RGZ 178, 107 ff.

D. Betriebliche Organisationspflicht gemäß § 823 Abs. 1 BGB

47

tete Organisation nicht ... In Wahrheit ist hier mithin auf eine mangelhafte Seite der allgemeinen Aufsichtseinrichtungen der Beklagten ... hingewiesen, ... rur die ein Beweisantritt fehle. Diese Erwägung des Berufungsgerichts ist nicht rechtsirrtümlich .• 75

Diesen Weg hat die höchstrichterliche Rechtsprechung jedoch nicht weiter beschritten. Vor allem um die Problematik des dezentralisierten Entlastungsbeweises beim Einsatz von Organisationsgehilfen zu umgehen, hat es die Rechtsprechung vorgezogen - ähnlich wie bei der allgemeinen Aufsichtspflicht - die betriebliche Organisationspflicht in § 823 Abs. 1 BGB zu verorten, um so eine unmittelbare Haftung des Geschäftsherrn zu begründen76.

2. Der Inhall der betrieblichen Organisationspjlicht

Versucht man, auf mittlerer Abstraktionsebene zu beschreiben, welche Anforderungen an die Organisationsstruktur von Unternehmungen aus deliktsrechtlicher Sicht zu stellen sind, so ist zunächst vom allgemeinen Grundsatz der freien Wahl der Gefahrabwendungsmaßnahmen auszugehen77. Danach ist der Verkehrspflichtige grundsätzlich frei in der Auswahl der zu ergreifenden Gefahrbeseitigungsmaßnahmen. Bedenkt man dies und den Charakter der betrieblichen Organisationspflicht als Verkehrspflicht, so ergibt sich folgerichtig der Grundsatz der Organisationsfreiheit. Hiernach hat jede Unternehmung die Auswahl unter denjenigen Organisationskonzeptionen, welche im gleichen Maße geeignet sind, Gefährdungen Dritter zu verhüten78. Berücksichtigt man darüber hinaus, daß die betriebliche Organisationspflicht - als derivative Pflichtigkeit - wesentlich der Gewährleistung der primären Verkehrspflicht dient, wird deutlich, daß sich allgemeine Aussagen inhaltlich-materieller Art bei der Vielzahl der auf die einzelnen Organisationsmaßnahmen wirkenden Faktoren (z.B. Grad der Gefährdung, Unternehmensgröße, Inhalt der primären Verkehrspflicht) nicht machen lassen.

75 RGZ 178, 107, 110. 76 Ab RGZ 89, 136, 137 f.; vgl. auch dazu die Rechtsprechungsnachweise in Fn. 63. 77 Schmidt-Salzer. Produkthaftung, Rdn. 4.741, S. 712 ff. 78 VgI. Schmidt-Salzer. Produkthaftung, Rdn. 4.656, S. 623.

48

Zweiter Teil: Aufsichts- und Organisationspflichten gemäß § 823 Abs. I BGB

Auf formaler Ebene scheinen jedoch einige grundsätzliche allgemeingültige Aussagen möglich. Es lassen sich nämlich vier Organisationskomplexe extrahieren, deren Fehlen oder Funktionsuntauglichkeit die Annahme eines betrieblichen Organisationsmangels rechtfertigen 79. Diese vom Geschäftsherrn zu gewährleistenden Organisationskomplexe sind ein funktionstaugliches Anweisungs-, Kontroll-, Informationssystem und die Koordination dieser Systeme aufeinander. Das Anweisungssystem muß gewährleisten, daß hinreichend deutliche generelle Verhaltensanordnungen erlassen werden und diese ihre funktionell richtigen Adressaten im Unternehmen so schnell wie möglich erreichen80 . Diese haben die Arbeitnehmer auf jeder Organisationsebene zur Vermeidung drittschädigender Handlungen anzuhalten und, sofern Gefahrenlagen auftreten, zu regeln, welche Gefahrabwendungsmaßnahmen zu treffen sind. Dieses Anweisungssystem ist darüber hinaus zu ergänzen, durch Anweisungen an diejenigen Organisationseinheiten, welchen funktionell die praktische Aufsichtstätigkeit über die untersten Organisationsebene zugewiesen ist, um deren Tätigkeit im einzelnen inhaltlich zu bestimmen. Das Kontrollsystem ist derart auszugestalten, daß jeder Verrichtungsgehilfe in dem jeweils erforderlichen Umfang 81 durchgängig beaufsichtigt, überwacht und kontrolliert wird82 . Daher sind Organisationseinheiten zur Qualitätskontrolle83 und Qualitätssicherung zumindest im produzierenden Gewerbe, was deliktsrelevante Qualitätsdefizite betrifft, unverziehtbar. Das Kontrollsystem selbst ist organisatorisch so zu strukturieren, daß die verschiedenen vertikal

79 Vgl. zum folgenden Heiss, Dezentralisierter Entlastungsbeweis, S. 52 ff. 80 Vgl. dazu RGZ 89, 136, 137 f.; BGH, NJW 1956, S. 1106, 1108; BGH, VersR 1962, S. 607, 609; BGH, VersR 1963, 197, 198; BGH, VersR 1965, S. 475, 477; BGH, NIW 1971, S. 1313, 1315; Schmidt-Salzer, Produkthaftung, Rdn.4.235, S. 245; Heiss, Dezentralisierter Entlastungsbeweis, S. 52. 81 Vgl. dazu oben S. 45. 82 Vgl. dazu BGHZ 11, 151, 155; BGHZ 27, 278, 280 f.; BGH, VersR 1962, S. 326, 327; BGH, VersR 1964, S. 950,951; Heiss, Dezentralisierter Entlastungsbeweis, S. 52 m.w.N. der Rechtsprechung. 83 Zum erforderlichen Umfang und Organisation der Qualitätskontrolle vgl. Schmidt-Salzer, Produkthaftung, Rdn. 4.903 ff., S. 860 ff.; Steindor:ff, AcP 170 (1970), S. 114 f.

U. Betriebliche Organisationspflicht gemäß § 823 Abs. I BGB

49

angeordneten Kontrolleinheiten in der Unternehmensleitung als oberster Kontrollebene ihren Abschluß fmden 84 • Zudem ist in jeder Unternehmung ein Informationssystem zu installieren, welches funktionell die Aufgabe hat, Gefahrenlagen zu erkennen und die zuständigen Organisationseinheiten darüber zu unterrichten, damit die erforderlichen Gefahrabwendungsmaßnahmen unverzüglich in Gang gesetzt werden können 85 . Insbesondere im Rahmen der Produzentenhaftung bei der Vermeidung von Produktbeobachtungsfehlern kommt einem gut funktionierenden innerbetrieblichem Informationssystem entscheidende Bedeutung zu. Der Informationsfluß ist jedoch nicht einseitig von unteren nach oberen Organisationsebenen gerichtet86 , vielmehr muß auch gewährleistet sein, daß die untere Organisationsebene diejenigen Informationen erhält, die sie für eine gefährdungslose Ausführung der ihr obliegenden Aufgaben benötigt87 . Zusätzlich sind die organisatorischen Voraussetzungen für einen horizontal verlaufenden Informationsfluß zu schaffen - etwa zwischen Fabrikations- und Konstruktionsabteilung - und sicherzustellen, daß dieser auch stattfmdet, z.B. durch die Installierung regelmäßiger Besprechungen der Abteilungsleiter. Diese drei Organisationsbereiche - Anweisungs-, Kontroll- und Informationssystem - stehen jedoch nicht beziehungslos nebeneinander. Die Funktionstauglichkeit eines jeden einzelnen Systems ist wechselseitig bedingt durch das Funktionieren der anderen beiden Teilsysteme. Daher reicht die Etablierung dieser drei Teilsysteme in das Unternehmen nicht aus, um eine effektive Gefahrenabwehr zu gewährleisten. Vielmehr sind die Teilsysteme so aufeinander abzustimmen, daß jedem diejenigen Mittel zur Verfügung stehen, die ihm eine möglichst optimale Arbeitsweise garantieren. Folglich ist es wesentlicher Bestandteil der Pflichtigkeiten der obersten Organisationsebenen eines Unternehmens, Anweisungs-, Kontroll- und Informationssystem aufeinander

84 Vgl. Heiss, Dezentralisierter Entlastungsbeweis, S. 52. 85 Vgl. dazu RGZ 112, 290, 295; BGH, VersR 1956, S. 115, 116; KG, VersR 1979, S. 260,261; Lippen, NJW 1984, S. 2611; Heiss, Dezentralisierter Entlastungsbeweis, S. 52 f. m.w.N. der Rechtsprechung. 86 So wohl Heiss, Dezentralisierter Entlastungsbeweis, S. 52. 87 Vgl. dazu BGH, JZ 1978, S. 475; BGH, VersR 1956, S. 115, 116; v. Bar, Verkehrspflichten, S. 53. 4 Schmitz

50

Zweiter Teil: Aufsichts- und Organisationspflichten gemäß § 823 Abs. 1 BGB

abzustimmen, zu koordinieren. Dieser organisatorischen Koordinationspflicht88 wird unter anderem nachgekommen durch klare Beschreibung der den einzelnen Organisationseinheiten obliegenden Aufgaben und einer eindeutigen Aufgaben- und Kompetenzverteilung im Unternehmen89 , so daß keine Verantwortungslücken innerhalb des Unternehmens bestehen. Insofern dürfte auch eine Pflicht zur Aufstellung und innerbetrieblichen Bekanntgabe von Organisationsplänen bestehen90 . Sie nur als präventives Entiastungsmittel für einen etwaigen Prozeß anzusehen, bei dem über das Vorliegen eines betrieblichen Organisationsmangels gestritten wird, ist zu kurz gegriffen. Denn besonders in großen und vielgliedrigen Unternehmungen erscheint die Bekanntgabe von Organisationsplänen notwendig und unerläßlich, um zu einer für die Mitarbeiter klaren und eindeutigen Aufgaben- und Kompetenzverteilung beizutragen. Die so ausgestaltete betriebliche Organisationspflicht ist heute der zentrale Haftungstopos zur Herbeiführung der deliktischen Haftung von größeren Unternehmen.

3. Die Grenz.en der betrieblichen Organisationspjlicht

Es soll hier aber nicht unerwähnt bleiben, daß die Konstruktion einer deliktischen Haftung der Träger von Unternehmen über die Verletzung der betrieblichen Organisationspflicht sicherlich nicht das Allheilmittel zur Herbeiführung deliktischer Inverantwortungnahme ist. Insbesondere ist darauf zu achten, daß das Verschuldensprinzip nicht völlig außer acht gelassen wird. Der Begriff des Verschuldens ist heute im Zivilrecht wesentlich ein objektivierter91 . Danach ist Maßstab der erforderlichen Sorgfalt gemäß § 276 88 Besonders deutlich BGH, VersR 1964, S. 950, 951. 89 Vgl. BriJggemeier, Deliktsrecht, Rdn.768, S.449 f.; Giesen, JZ 1982, S. 351 f.; Schmidt-Salzer, Produkthaftung, Rdn. 4.266, S. 266; Heilmann, NJW 1990, S. 1516.

90 Vgl. Steindorff, AcP 170 (1970), S. 118. 91 Vgl. dazu Esser, Karlsruher Forum 1959, S. 18 ff.; Keßler, Fahrlässigkeit, S. 131 f.; Ruemelin, Verschulden, S. 44 ff.; Traeger, Kausalbegriff, S. 195; StoII, Leistungsstörung,

n. Betriebliche Organisationspflicht gemäß § 823 Abs. I BGB

51

Abs. 1 Satz 2 BGB nicht das dem Schädiger persönlich Zumutbare und Mögliche, sondern dasjenige, was an Fähigkeiten von einem typischen Angehörigen des Verkehrskreises oder der Berufsgruppe, welcher der Schädiger zuzuordnen ist, an Sorgfalt abverlangt werden kann92 . Zwar wird heute vielfach noch zwischen innerer und äußerer Sorgfalt differenziert, wobei sich letztere als Verletzung des objektivierten und typisierten Pflichtenmaßstabs darstellt, eine Verletzung der inneren Sorgfalt jedoch nur dann vorliegen solle, wenn der Schädiger entweder die Sorgfaltspflichtsverletzung vermeiden konnte oder die Sorgfaltspflicht schuldhaft verkannt hat. Nur falls beides vorliege, könne ein Verschulden angenommen werden93 . Tatsächlich stellt aber das Festhalten am Erfordernis der Verletzung der inneren Sorgfalt kaum einen Hinderungsgrund dar, das Verschulden des Schädigers im konkreten Fall zu bejahen94 , da bei Verletzung des objektiven Pflichtenelements dem Verletzten der prima-facie-Beweis zur Seite steht bzw. die innere Sorgfaltspflichtverletzung vermutet wird95 . Es erscheint daher angebracht, dieses im wesentlichen funktionslos gewordene Kriterium aufzugeben und im Sinne eines eingliedrigen Fahrlässigkeitsbegriffs für die Annahme des Verschuldens die Verletzung der objektiven Sorgfaltspflicht ausreichen zu lassen 96 . Ist die Verletzung von Verkehrspflichten aber als Unterlassen von Maßnahmen, die ein in gleicher Situation sich befmdender sorgfältiger Mensch zur Vermeidung eines ungerechtfertigt hohen Verletzungsrisikos getroffen hätte, zu definieren97 , so zeigt sich, daß der Begriff des Verschuldens und der

S. 99; Baumann, AcP 155 (1955), S. 505 f.; Larenz, Karlsruher Forum 1959, S. 13 f.; Lorenz, JZ 1961, S. 436 f.; KÖ1Z, Deliktsrecht, Rdn. 112, S. 44. 92 Vgl. dazu KÖ1Z, Deliktsrecht, Rdn. 112 f., S. 44 f. 93 Vgl. dazu BGHZ 80, 186, 196 ff.; v. Bar, Verkehrspflichten, S. 172 ff.; Deutsch, JZ 1988, S. 994 ff.; Larenz, Schuldrecht AT, § 20

m, S. 284 ff.; Ehmann, NJW 1987, S. 402.

94 Vgl. KÖ1Z, Deliktsrecht, Rdn. 118, S. 46. 95 Vgl. zur Beweislast näher unten S. 92 ff. 96 So auch Brüggemeier, Deliktsrecht, Rdn. 114, S. 96; Brüggemeier, AcP 182 (1982), S. 438 ff.; KölZ, Deliktsrecht, Rdn. 118, S. 46. 97Vgl. KÖ1Z, Deliktsrecht, Rdn. 260, S. 98.

52

Zweiter Teil: Aufsichts- und Organisationspflichten gemäß § 823 Abs. I BGB

der Verkehrspflicht identisch ist98 . Ob dies nun im Rahmen der Rechtswidrigkeit99 oder eher wie die Lehre vom Erfolgsunrecht im Rahmen des Verschuldens 100 dogmatisch zu verorten ist, spielt für das praktische Ergebnis keine Rolle lO1 • Festzuhalten ist aber, daß auch die Rechtsprechung die Abgrenzung zur Gefährdungshafiung und damit die Reichweite der deliktischen Verschuldenshaftung in der Regel als Problem der Überspannung der Sorgfaltspflichten l02 , also des objektiven Pflichtenelementes sieht. Schon Esser hat 1941 gezeigt 103, daß die Rechtsprechung in vielen Fällen dazu neigt, die Sorgfaltspflichten zu überspannen und so faktisch oftmals nur noch verbal von einer Verschuldenshaftung ausgeht. Die Gründe dafür liegen sicherlich in einer veränderten Abgrenzung der durch den Verschuldensbegriff gewährleisteten Handlungsspielräume und Integritätsinteressen 104. Darüber hinaus hat sicherlich auch die Entscheidungssituation bei der richterlichen Rechtsfindung eine erhebliche Bedeutung. Dem Richter ist vor allem der Schaden des in seinen absoluten Rechten Verletzten gegenwärtig, der nicht selten bei Ablehnung eines Schadensersatzanspruches in ernsthafte Existenzgefährdung geraten kann, zum anderen ein Beklagter, der nicht nur, sofern es sich um den Träger einer Unternehmung handelt, als fmanzkräftiger er98Vgl. Kötz, Deliktsrecht, Rdn. 106, S. 42, Rdn. 260, S. 97. 99Vgl. dazu Mpperdey, NIW 1957, S. 1777 ff.; BTÜggemeier, AcP 182 (1982), S.433; Wiethölter, Der Rechtfertigungsgrund des verkehrsrichtigen Verhaltens, S. 50 ff.; v. Caemme-

rer, Wandlungen des Deliktsrechts, S. 478 ff.; Larem., Festschrift rur Dölle, Bd. I, S. 169 ff.; Zeuner, JZ 1961, S. 41 ff.; Canaris, JZ 1968, S. 496. 100 Vgl. dazu Weimauer, AcP 167 (1967), S. 292 f.; vgl. dazu auch Kötz, Deliktsrecht, Rdn. 94 f., S. 37 f. 101 So auch Kötz, Deliktsrecht, Rdn.99, S. 39 f., Rdn. 108, S. 42 f.; &serlWeyers, Schuldrecht, § 54 I I, S. 451. 102 Vgl. z.B. BGH, JZ 1990, S. 1082, 1083 f.; BGH, VersR 1989, S. 708; LG Dortmund, VersR 1987, S. 697 f.; BGH, ES-Produkthaftung 1.147, S.264; BGH, ES-Produkthaftung 1.171, S. 224; BGH, ES-Produkthaftung 1.221 (2); BGH, ES-Produkthaftung 1.230 (I f.); BGH, ES-Produkthaftung 1.243 (3); BGH, ES-Produkthaftung 1.244 (1); BGH, BB 1987, S. 155, 156; OLG Stuttgart, ES-Produkthllftung 0.58, S. 422.

103 &ser, Gefährdungshaftung, S. 14 f., 30 ff.; vgl. dazu auch &ser, JZ 1953, S. 130 ff.; Diederichsen, NIW 1978, S. 1288; Canaris, JZ 1968, S. 505; Steifen, VersR 1980, S. 410. 104 Vgl. zum veränderten sozio-ökonomischen und weltanschaulichen Umfeld des Deliktsrechts unten S. 91.

O. Betriebliche Organisationspflicht gemäß § 823 Abs. I BGB

53

scheint, sondern auch häufig gegen die Verwirklichung des sich realisiert habenden Risikos versichert ist l05 . Es verwundert daher nicht, daß dem Prinzip der Verschuldenshaftung im konkreten Fall nicht immer die Bedeutung beigemessen wird, die es von seiner gesetzlichen Funktion her hat. In Verbindung mit einem stark verobjektivierten Fahrlässigkeitsbegriff führt dies zur Herausbildung einer "Grauzone"l06 zwischen Gefiihrdungs- und Verschuldenshaftung I 07 . Es ist aber daran festzuhalten, daß die Sorgfaltspflichten nicht völlig überspannt werden und so eine reine Gefiihrdungshaftung unter dem Deckmantel des Verschuldensprinzips zu institutionieren, vor allem, wenn man richtigerweise darauf beharrt, daß die Schaffung neuer Gefiihrdungshaftungstatbestände unter Gesetzesvorbehalt steht und diese daher als Ausnahmevorschriften nicht analogietähig sind l08 . Im Zusammenhang mit der betrieblichen Organisationspflicht ist besonders darauf hinzuweisen, daß die mangelnde Sachkunde der Organe der juristischen Person unter Umständen einen Aspekt darstellt, der zur Begrenzung der Sorgfaltspflichten führt I 09 . Dies sollte jedoch nicht überbewertet werden, zumal heute die Vorstände in Großunternehmen nicht mehr ausschließlich mit Betriebs-, Volkswirten oder Juristen besetzt sind, sondern der Anteil von Vorstandsmitgliedern mit naturwissenschaftlicher und technischer Ausbildung ständig zunimmt, so daß das Problem der nicht vorwerfbaren mangelnden Sachkenntnis der Unternehmensleitung heute nicht mehr die Relevanz hat, die man ihr auf den ersten Blick beimessen könnte. Befindet sich keine mit ausreichenden Kenntnissen ausgestattete Person im Vorstand des Unternehmens, so hat dieser darauf zu achten, daß er sich, sofern erforderlich, regelmäßig von den zuständigen Spezialisten in einer für ihn verständlichen Form über

105 Vgl. dazu Steifen, VersR 1980, S. 408 ff.

106 Brüggemeier, AcP 182 (1982), S. 400. 107 Vgl. auch Körz, Deliktsrecht, Rdn.264, S.99; ders., Festschrift für Lorenz, S. 109;

Brüggemeier, Deliktsrecht, Rdn.23, S.48; Deutsch, JZ 1984, S.31O; Schmidr-Salzer, Produkthaftung, Rdn. 4.106, S. 137 f.; &serfWeyers, Schuldrecht, § 6302, S. 542 f. 108 Ständige Rechtsprechung seit RGZ 78, 171, 172; vgl. auch BGHZ 55, 229, 232 f.; Jauemig-Teichmann, BGB, Vor § 823 Anrn. 0.2. 109 Vgl. Canaris, JZ 1968, S. 497.

54

Zweiter Teil: Aufsichts- und Organisationspflichten gemäß § 823 Abs. 1 BGB

haftungsrelevante Problemkonstellationen informieren läßt llO , um gegebenenfalls in Absprache mit den Spezialisten gefahrverhütend tätig zu werden ill . Wenn dennoch im konkreten Fall einmal der Schadensersatzanspruch trotz kausaler Schädigung abgelehnt werden muß, so sollte dies nicht lapidar mit der Begründung, es habe sich ein allgemeines Lebensrisiko verwirklicht, abgetan werden. Es muß aber stets bedacht werden, daß es ein solches gibt und daher Schädigungen entstehen können, welche nicht anders als zufällig bezeichnet werden können. Die Konsequenz, daß der Geschädigte dann schadensersatzlos gestellt werden muß, ist aber nicht zwangsläufig. Die Zuweisung des Zufallsschadens ist heute für viele Sachbereiche dem Verursacher zugewiesen, so z.B. durch das Produkthaftungsgesetz und andere Gefährdungshaftungstatbestände. Berücksichtigt man dies, so wird deutlich, daß ein weitreichender Schutz vor Rechtsgutsverletzungen besteht. Sicherlich kann man der Auffassung sein, daß dieser Schutz noch nicht hinreichend in einer gefährdungsreichen, komplex strukturierten, postindustriellen Gesellschaft sei. Dies ist aber ein Problem der Rechtspolitik und sollte in den entsprechenden Gremien diskutiert werden, nicht jedoch unter Umgehung der Prärogative des Gesetzgebers und Durchbrechung des Rechtsstaatsprinzips bei der richterlichen Entscheidungsfmdung durch Einführung einer verdeckten Gefährdungshaftung gelöst werden. Wem aber der durch die Rechtsordnung gewährte Schutz persönlich nicht ausreicht, dem steht es offen, sich gegen die Verwirklichung solcher ihm zugewiesener Risiken zu versichern. Im Rahmen einer demokratisch legitimierten Rechtsordnung erscheint dies als individuell getragene und zu verantwortende Entscheidung. Daher ist es auch gerechtfertigt, den seinem gesteigerten Sicherheitsbedürfnis Rechnung tragenden einzelnen darauf zu verweisen, sich an einer demokratischen Mehrheitsbildung zur Herbeiführung eines gesteigerten gesetzlichen Schutzes zu beteiligen und bis dahin ihn im übrigen die Kosten seiner individuellen Entscheidung treffen zu lassen, sprich die Versicherungsprämie zu zahlen. Eine in den oben aufgezeigten Grenzen verwendete betriebliche Organisationspflicht stellt dann aber

110 Vgl. dazu Schmidt-Salzer, Produkthaftung, Rdn. 4.284 ff., S. 279 ff. III Vgl. Schmidt-Salzer, Produkthaftung, Rdn. 4.236, S. 245.

D. Betriebliche Organisationspflicht gemäß § 823 Abs. I BGB

55

sowohl ein dogmatisches wie praxisgerechtes Mittel zur Herbeifiihrung deliktischer Verantwortlichkeit der Träger von Unternehmen dar.

Dritter Teil Die Lehre vom sogenannten körperschaftlichen Organisationsmangel Dennoch entwickelte die Rechtsprechung und mit ihr ein Teil der Literatur für den Bereich der deliktischen Haftung juristischer Personen - neben der die primären Verkehrspflichten gewährleistenden allgemeinen Aufsichtspflicht und betrieblichen Organisationspflicht - die These, daß die juristische Person, deren Organe nicht in der Lage seien, den ihnen obliegenden Pflichten, also hier der allgemeinen Aufsichtspflicht und betrieblichen Organisationspflicht, nachzukommen, zur Wahrnehmung dieser Pflicht ein besonderes Organ zu schaffen habe. Wird der mit dem Aufgabenbereich Betraute nicht als besonderes Organ der juristischen Person bestellt, so liege ein Organisationsmangel vor. Dieser führe dazu, daß die juristische Person sich dessen Pflichtverletzung wie eine Pflichtverletzung eines ihrer tatsächlich bestellten Organe zurechnen lassen muß l . Damit wurde die Pflicht statuiert, wichtige Tätigkeitsbereiche, insbesondere die allgemeine Aufsichts- und betriebliche Organisationspflicht zumindest von Sonderorganen erfüllen zu lassen.

1 Vgl. z.B. RG, JW 1932, S. 2076 Nr. 9; RGZ 89, 136, 137 f.; RGZ 157,228, 235; RGZ 163,21,29 f.; RG, JW 1938, S. 1651 Nr. 12; BGHZ 24,200,213; BGH, NJW 1980, S. 2810, 2811; vgl. des weiteren die Rechtsprechungsnachweise unten Fn. 45; vgl. auch Landwehr, AcP 164 (1964), S. 483, 498, 501; Hassold, JuS 1982, S. 583; UJ.fller, DöV 1966, S. 637; Slaudinger-Coing, BGB, § 31 Rdn. 29; Palandl-Heinrichs, § 31 Rdn.7; Münch.Komm-Reuler, BGB, § 31 Rdn. 4, RGRK-Sleffen, BGB, § 831 Rdn. 8, 55; Soergel-Hadding, BGB, § 31 Rdn. 15 f., jeweils m.w.N. der Rechtsprechung.

Dritter Teil: Lehre vom sog. körperschaftlichen Organisationsmangel

57

Erstmalig taucht in der Rechtsprechung des Bundesgerichtshof'2 dieser Ansatz in einem Urteil zur Haftung der Banken aufgrund unrichtiger Auskunftserteilung auf. Dem Urteil lag folgender Sachverhalt zugrunde: Die K1ägerin ließ ihre Forderungen aus der laufenden Geschäftsbeziehung mit der Firma H von einer Filiale der beklagten Bank einziehen. Zu diesem Zweck erhielt die Beklagte jeweils ein Duplikat der an die Firma H gesandten Rechnungen, versehen mit einem Inkassoauftrag . Mehrere Monate führte die Beklagte die Aufträge aus, indem sie das bei ihr geführte Konto der Firma H belastete und die Zahlungen auf ein bei der Landesbank geführtes Konto der K1ägerin überwies. Es war vereinbart, daß die Beklagte die K1ägerin zu benachrichtigen habe, falls die Rechnungen nicht jeweils innerhalb von 24 Stunden beglichen wurden. Um dies zu gewährleisten, stimmten sich die K1ägerin und die Angestellte M der Beklagten telefonisch ab. Die K1ägerin behauptete nun, sie sei durch die Angestellte M dazu veranlaßt worden, nicht weiterhin auf sofortiger Bezahlung zu bestehen, sondern von der Firma H Wechsel anzunehmen. Nach Unterredung sowohl mit der Firma H als auch in einem weiteren Gespräch mit M nahm die K1ägerin Wechselakzepte herein, die sie dann aufgrund des Konkurses der Firma H selbst einlösen mußte. Die K1ägerin verlangte von der Beklagten Ersatz des ihr entstandenen Schadens, da die Beklagte ihr unrichtige Auskunft bezüglich der Kreditwürdigkeit der Firma H erteilt habe und dadurch zur Kreditgewährung veranlaßt wurde, obwohl auch die Beklagte selbst Bedenken hinsichtlich der Kreditwürdigkeit der Firma H hatte.

Im Hauptteil des Urteils befaßt sich der Bundesgerichtshof mit der Freizeichnungsklausel für bankmäßige Auskünfte in den Allgemeinen Geschäftsbedingungen der Banken. Am Ende des Urteils erwägt er einen möglichen Anspruch der KJägerin aus § 826 BGB, falls der Filialleiter am Eintritt des Schadens mitgewirkt und hinsichtlich des Schadenseintritts dolus eventualis gehabt habe. Dabei hält der Bundesgerichtshof es für bedeutungslos, ob es sich bei dem Filialleiter um einen verfassungsmäßig berufenen Vertreter im Sinne der §§ 30, 31 BGB oder um einen leitenden Angestellten der Bank handele3 . Eine Begründung dieser Ansicht hält der Bundesgerichtshof offensichtlich nicht für notwendig. Die von ihm angeführten Urteile des Reichsgerichts4 enthalten in den zitierten Passagen ebenfalls keine ausführlichen Stellungnahmen zur haftungsrechtlichen Gleichbehandlung von verfassungsmäßig berufenen Vertretern und leitenden Angestellten. An späterer Stelle des als 2 Vgl. BGHZ 13, 198,203. 3 BGHZ 13, 198,203. 4 RG, BankA 1937, S. 85; RG, Warn.Rspr. 1934, S. 156; RGZ 126, 50, 52; RG, BankA 1932, S. 228; RGZ 157,228,232.

58

Dritter Teil: Lehre vom sog. körperschaftlichen Organisationsmangel

letztes zitierten Urteils5 befaßt sich das Reichsgericht jedoch ausführlicher mit dieser Problematik. Dort wurde die K1ägerin nach dem dem Urteil zugrunde liegenden Sachvemalt von zwei Generaldirektoren der Preußischen StaBtsbank anläßlich einer von ihr begehrten bankmäßigen Auskunft arglistig getäuscht, wodurch sie einen Schaden in der Höhe von 700.000 RM erlitt. In Frage stand nun ein Anspruch gegen die Preußische Staatsbank aus § 826 BGB. Dieser konnte nur gewährt werden, wenn es sich bei den Generaldirektoren um besondere Vertreter handelte, deren Vemalten der Staatsbank über §§ 30,31,89 BGB zugerechnet werden konnte. In diesem Zusanunenhang fiihrt das Reichsgericht unter Hinweis auf die Gesctzgebungsgeschichte aus, daß es Sinn und Zweck der Aufnahme des § 30 in das BGB gewesen sei, die Haftung der juristischen Person gemäß § 31 BGB auf solche Personen zu erweitern, die zwar nicht in vollem U mfang die Vertretung der juristischen Person haben, die aber wegen der etwaigen Überlastung des Vorstandes fiir die Tätigkeit der juristischen Person unentbehrlich seien. Dieser Gedanke verbiete es Personen, die Aufgaben der Organe der juristischen Person ausfiihren, als Verrichtungsgehilfen anzusehen und so der juristischen Person den Entlastungsbeweis zu eröffnen. Daher seien die juristischen Personen dazu verpflichtet, solche als besondere Vertreter im Sinne des § 30 BGB zu bestellen. Geschehe dies nicht, so liege ein "Organisationsmangel" und ein "Verschulden der verfassungsmäßig berufenen Vertreter der juristischen Person" vor, welches die Haftung der juristischen Person aus §§ 826, 30, 31, 89 BGB begründe.

Wie diese These dogmatisch hergeleitet wird, bleibt unausgeführt. Handelt es sich um eine Anwendung der §§ 30, 31 BGB, was die Ausführung zu den leitenden Gedanken des § 30 BGB nahelegen könnte6 , oder wird das Ergebnis auf spezifisch deliktsrechtliche Wertungen gestützt, worauf die Behauptung eines "Organisationsmangels" und eines "Verschuldens des verfassungsmäßig berufenen Vertreters" hindeuten könnte7? All dies bleibt unklarS. Gemeinsam ist jedoch allen diesen Weg beschreitenden Entscheidungen der gleiche, in Billigkeitserwägungen wurzelnde Gedanke, daß im Interesse des Geschädigten es nicht angehen könne, daß sich die juristische Person durch 5 RGZ 157,228,234 ff. 6 So wohl z.B. BGHZ 49, 19,20 f.; BGHZ 13, 198,203; BGHZ 24, 200, 213. 7 So wohl z.B. BGHZ 39,124,129 f.; BGH, NJW 1980, S. 2810, 2811. 8 Ebenso unklar z.B. RG, DR 1944, S. 287; RGZ 162, 129, 166 ff.; RG, JW 1936, S. 915 Nr. 1; RG, JW 1938, S. 1651; RG, Seuff.Arch. 90 Nr. 32.

I. Haftung der juristischen Person gemäß §§ 30, 31 BGB

59

den nach § 831 Abs. 1 Satz 2 BGB eröffneten dezentralisierten Entlastungsbeweis der Haftung entziehe, wenn sie Angestellte mit Aufgaben ihrer verfassungsmäßig berufenen Vertreter betraue, ohne diese gleichzeitig zu besonderen Vertretern gemäß § 30 BGB zu bestellen. Trotz des wenig klaren Begründungsweges wurde dies ständige Rechtsprechung9 •

I. Die Haftung der juristischen Person gemäß §§ 30, 31 BGB § 31 BGB setzt ein zum Schadensersatz verpflichtendes Verhalten des Vorstandes, eines Mitglieds desselben oder eines anderen verfassungsmäßig berufenen Vertreters voraus, das dieser in Ausführung der ihm zustehenden Verrichtung einem Dritten gegenüber begangen haben muß. Als möglicher Anknüpfungspunkt der Haftung fiir deliktisches Verhalten leitender AngestellterIO bietet sich lediglich die gesetzliche Einbeziehung "anderer verfassungsmäßig berufener Vertreter" in die Regelung des § 31 BGB an. § 31 BGB verweist damit auf den vorangegangenen Paragraphen, wonach es der juristischen Person freisteht, in der Satzung fiir gewisse Geschäfte besondere Vertreter vorzusehen. Der Begriff des anderen verfassungsmäßig berufenen Vertreters und des besonderen Vertreters in § 30 BGB sind folglich identisch ll . Soweit in der Satzung nichts anderes bestimmt ist, besitzt dieser besondere Vertreter Vertretungsmacht, kann also die juristische Person in dem Umfange vertreten, wie es der übertragene Geschäftskreis gewöhnlich mit sich bringt, § 30 Satz 2 BGB. Wesentliche Voraussetzung des § 30 BGB ist jedoch, daß die Satzung eröffnet, einen besonderen Vertreter zu bestellen. Die an die Stellung des besonderen Vertreters geknüpfte Rechtsfolge ist also zweifacher Art:

9 Vgl. z.B. die Nachweise in Fn. 45. 10 Damit soll im weiteren der von Rechtsprechung und Literatur mit in den Anwendungsbereich des § 30 BGB einbezogene Personenkreis verstanden werden, ohne daß es sich um ein Vorstandsmitglied noch um einen ordnungsgemäß berufenen verfassungsmäßigen Vertreter handelt. 11 Vgl. auch Protokolle I, S. 522.

60

Dritter Teil: Lehre vom sog. körperschaftlichen Organisationsmangel

1. Soweit in der Satzung nichts Gegenteiliges bestimmt ist, hat der besondere Vertreter Vertretungsmacht für den übertragenen Geschäftskreis. 2. Die juristische Person haftet für diesen unter den weiteren Voraussetzungen des § 31 BGB.

ß. Einbeziehung leitender Angestellter in den direkten Anwendungsbereich der §§ 30, 31 BGB Betrachtet man die Rechtsprechung zum vertikalen Anwendungsbereich l2 der §§ 30, 31 BGB, so ist zunächst einmal auffällig, daß die Formel I3 , mit deren Hilfe ermittelt wird, ob die in Frage stehende Person noch der Regelungswirkung des § 31 BGB unterworfen werden kann, die Satzung mit keinem Wort erwähnt. Allerdings wird gerade im Bereich der Haftung der Banken für deliktische Schädigungen Dritter durch ihre Filialleiter dem Satzungserfordernis größere Beachtung geschenkt. Der Bundesgerichtshof sieht es zumindest für erforderlich an, daß die Einrichtung der Filiale auf die Satzung zurückzuführen sei und die Stellung des Filialleiters mittels Auslegung der Satzung ermittelt werden könne l4 . Die Satzung bildet in diesem Bereich weiterhin das wesentliche Differenzierungskriterium zwischen Verrichtungsgehilfen und besonderen Vertretem l5 . Damit ist zwar das Satzungserfordernis noch nicht vollständig preisgegeben, es wird jedoch als ausreichend angesehen, wenn sich die Stellung des Filialleiters als besonderer Vertreter mittelbar auf die Satzung zurückführen läßt l6 .

12 Vgl. zur Diktion auch Martinek, Repräsentantenhaftung, S. 129. I3 Vgl. statt vieler BGHZ 49,19,21: "Vielmehr genügt es, daß dem Vertreter durch die allgemeine 8etriebsregelung und Handhabung bedeutsame, wesensmäßige Funktionen der juristischen Person zur selbständigen, eigenverantwortlichen Erfiillung zugewiesen sind, daß er also die juristische Person auf diese Weise repräsentiert. " 14 Vgl. BGH, NJW 1977, S. 2259, 2260 m.w.N. der Rechtsprechung. 15 Vgl. RGZ 117, 61, 64; BGH, WM 1970, S. 632, 633. 16 Vgl. RGZ 94,318,320; RGZ, DR 1942, S. 1703.

D. Einbeziehung ltd. Angest.in den Anwendungsbereich der §§ 30, 31 BGB

61

In anderen Bereichen wurde dagegen schon früh im Interesse einer weitgehenden Haftungszurechnung über § 31 BGB das Satzungserfordernis gänzlich außer Betracht gelassen. So sieht der Bundesgerichtshof Chefärzte und leitende Ärzte einer Krankenhausabteilung regelmäßig als besondere Vertreter des Krankenhauses an, ohne daß es auf den Inhalt der Satzung ankommt 17 . Der Bundesgerichtshof stellt auch in seinem Urteil betreffend der Haftung einer Auskunftei fest l8 , daß verfassungsmäßig berufene Vertreter im Sinne des § 31 BGB nicht nur Personen seien, "deren Tätigkeit in der Satzung der juristischen Person vorgesehen ist"19. Begründet wird diese Lösung vom Satzungserfordernis damit, daß es im Interesse des Geschädigten nicht der juristischen Person überlassen werden dürfe, ob sie für die eingesetzte Person nach § 831 Abs. 1 BGB hafte und sich damit die Entlastungsmöglichkeit eröffne, oder aber nach § 31 BGB. Daher könne die Satzung kein entscheidendes Kriterium für den vertikalen Anwendungsbereich des § 31 BGB sein20 . Aber selbst wenn man, wie in den Fällen der Einbeziehung von Bankfilialleitern in den Anwendungsbereich der §§ 30, 31 BGB, noch an die Satzung zumindest anknüpft, so fehlt es doch an einer wirksamen Bestellung der Filialleiter zum besonderen Vertreter. Sieht nämlich die Satzung nichts anderes vor, so sind für die Bestellung eines besonderen Vertreters die Regelungen über die Bestellung des Vorstandes analog anzuwenden21 . Folglich gilt auch § 27 Abs. 1 BGB analog. Mithin wäre ein Beschluß der Mitgliederversammlung zur Bestellung auch eines besonderen Vertreters erforderlich. Die rein faktische Übernahme etwa der Position eines Filialleiters kann daher niemals zu einer direkten Anwendung der §§ 30, 31 BGB führen. Ein solcher

17 Vgl. z.B. BGH, NIW 1972, S. 334; BGHZ 95, 63, 70; BGHZ 101, 215, 218; v. Bar, Verkehrspflichten, S.256; Giesen, JZ 1990, S. 1054 f.; Laufs, Arztrecht, Rdn. 410 ff., S. 187 f. Zur Problematik des gespaltenen Arzt-Krankenhaus-Vertrages siehe ebd., Rdn. 413, S. 188; a.A. BTÜggemeier, Deliktsrecht, Rdn. 762, S. 446 f., der nur den ärztlichen Direktor in den Anwendungsbereich der §§ 30, 31, 898GB einbezieht. 18 BGHZ 49, 19,21. 19 1m Ergebnis ebenso BGH, NIW 1972, S. 334; BGHZ 77,74,76; BGHZ 101,215,218. 20 BGH, NIW 1972, S. 334. 21 Münch.Komm.-Reurer, 8GB, § 30 Rdn. 8, Sraudinger-Coing, BGB, § 30 Rdn. 3.

Driner Teil: Lehre vom sog. körperschaftlichen Organisationsmangel

62

erforderlicher Beschluß ist jedoch in den vorliegenden Fällen, soweit ersichtlich, niemals ergangen22 • Dieser Vergleich der Rechtsprechung mit den gesetzlich normierten Voraussetzungen der §§ 30, 31 BGB zeigt deutlich, daß eine derartig weite Auslegung23 des Begriffs des verfassungsmäßig berufenen Vertreters auch innerhalb der Bankhaftung vom noch möglichen Wortsinn als äußerste Grenze auch der teleologischen Auslegung24 nicht mehr getragen wird. Dies ist insoweit auch einhellige Meinung der Literatur. Vielmehr wird vorgeschlagen, die Einbeziehung leitender Angestellter in den Regelungsbereich der §§ 30, 31 BGB auf eine analoge Anwendung der Paragraphen zu stützen25 .

ill. Die analoge Anwendung der §§ 30, 31 BGB Ob eine solche vorgeschlagene Analogie der §§ 30, 31 BGB auf leitende Angestellte jedoch einer kritischen Untersuchung standhält, soll im folgenden nachgegangen werden. Bevor dies jedoch geschehen kann, muß zuvor noch auf den personalen Anwendungsbereich obiger These eingegangen werden. Wodurch ist der Personenkreis gekennzeichnet, für den die juristische Person nach den §§ 30,31 BGB in Verbindung mit deliktsrechtlichen Normen haftet, ohne daß es sich um Personen handelt, die durch die Satzung als besondere Vertreter bestellt werden? 22 Ob darüber hinaus auch die Eintragung gemäß § 67 Abs. 1 BGB analog erforderlich ist, ist streitig, dafür KG, OLGE 44, 115, 116; BayObLG, NIW 1981, S.2068 m.w.N. der Rechtsprechung und Literatur; ReichertlDanneckerlKühr, Verbandsrecht, Rdn. 846, S.269; SauteriSchweitzer, Der eingetragene Verein, Rdn. 313, S. 225; dagegen RGRK-Steffen, BGB, § 67 Rdn. 1; Staudinger-Coing, BGB, § 67 Rdn. 1; Ennan-Westennann, BGB, § 30 Rdn. 3.

23 Vgl. Schreiber, Jura 1987, S. 654. 24 Vgl. BGH, NIW 1967, S. 343 ff.; Larenz, Methodenlehre, S. 309; Herberger-Koch, JuS 1978, S. 911; Canaris, Die Feststellung von Lücken im Gesetz, S. 22 f., jeweils m. w .N . 25 Vgl. Martinek, Repräsentantenhaftung, S. 143 ff.; Larenz, AT, § 10 D d; Flume, Juristische

Person,

S.388;

Leßmann,

JA

1980,

S. 196; Hassold,

JuS

1982,

S. 583 ff.;

Münch.Komm.-Reuter, BGB, § 31 Rdn.3; Staudinger-Coing, BGB, § 31 Rdn.34; Soergel-

Hadding, BGB, § 31 Rdn. 18; ausdrücklich eine Analogie jedoch verneinend RG, JW 1938, S. 1651.

m. Die analoge Anwendung der §§ 30, 31 BGB

63

Damit stellt sich aber die Frage nach der Abgrenzung zum Verrichtungsgehilfen des § 831 BGB.

1. Abgrenzung zum Verrichtungsgehilfen

Da § 831 BGB an die Möglichkeit des Geschäftsherrn zur Gefahrabwendung anknüpft26 , ist erforderlich, daß der Verrichtungsgehilfe in den Herrschafts- und Organisationsbereich des Geschäftsherrn eingebunden und von dessen Weisungen abhängig ist27 . Eine soziale Abhängigkeit, etwa in der Form eines Arbeitsverhältnisses, ist dabei allerdings nicht zu verlangen28 . Jedoch soll ein Indiz für das Vorliegen eines Unterordnungsverhältnisses des Gehilfen zum Geschäftsherrn zumindest sein, daß es dem Geschäftsherrn rechtlich und tatsächlich möglich sein muß, den Tätigkeitsbereich des Verrichtungsgehilfen zu beschränken oder die Tätigkeit des Gehilfen ganz zu beenden29 . Ob dies jedoch ein wesentliches Kriterium für die Feststellung der Verrichtungsgehilfeneigenschaft ist, muß bezweifelt werden, da auch der Gläubiger von selbständig erbrachten Dienstleistungen ein Weisungs- und Küodigungsrecht besitzt30 . Der Geschäftsherr muß aber zumindest befugt sein, dem Gehilfen Verhaltensanweisungen zu geben. Dabei bedarf es einer ins Einzelne gehenden Weisungsbefugnis nicht. Es ist daher unschädlich, wenn der Geschäftsherr mangels Spezialkenntnissen dazu gar nicht in der Lage ist31 . Folglich spricht es nicht gegen die Einordnung als Verrichtungsgehilfe, daß dem Gehilfen ein eigener Ermessensspielraum bei der Ausführung der Verrichtung zugestanden wird, sofern sein Einsatz Spezialkenntnisse oder Führungsqualitäten verlangt32 . Die Grenze zum selbständig die übertragene Aufgabe ausführenden Unternehmer oder Handwerker ist allerdings dort 26 Siehe oben, S. 11 f. 27 Vgl. dazu BGHZ 26, 152, 159; BGHZ 45,311,313; BGH, NlW 1969, S. 2005, 2007; Erman-Schiemann, BGB, § 831 Rdn. 6; RGRK-Steffen, BGB, § 831 Rdn. 20. 28 Erman-Schiemann, BGB, § 831 Rdn. 6. 29 Vgl. dazu BGHZ 45,311,313; RGRK-Sreffen, BGB, § 831 Rdn. 20. 30 Vgl. §§ 649, 665, 671 Abs. 1,675 BGB; Erman-Schiemann, BGB, § 831 Rdn. 7. 31 RGRK-Steffen, BGB, § 831 Rdn. 20. 32 Vgl. BGH, VersR 1964, S. 297.

64

Dritter Teil: Lehre vom sog. körperschaftlichen Organisationsmangel

zu ziehen, wo eine Person eingesetzt wird, die Dauer und Umfang ihrer Tätigkeit autonom bestimmen kann33 • Vielfach wird daher die Abgrenzung zum Verrichtungsgehilfen mit dem Vorliegen eines Dienst- oder Werkvertrages zusammenfallen34 . Es ist jedoch zu beachten, daß das Tätigwerden aufgrund solcher Verträge lediglich als Indiz zu werten ist, welches die Einordnung als Verrichtungsgehilfe nicht generell ausschließt. Betrachtet man obige Kriterien, die zur Feststellung der Gehilfeneigenschaft dienen, so lassen sich, wenn überhaupt, nur zwei positive Merkmale erkennen: Zum einen die Befugnis des Geschäftsherrn, die Tätigkeit des Verrichtungsgehilfen zu beschränken und zu beenden35 und zum anderen eine mehr oder weniger starke Einbindung des Gehilfen in den Organisations- und Herrschaftsbereich des Geschäftsherrn, verbunden mit der Befugnis zur Verhaltensanweisung. Auch die Art der Verrichtung bietet keine Kriterien, womit sich die Verrichtungsgehilfeneigenschaft einer Person deutlich ermitteln ließe. Denn Verrichtung im Sinne des § 831 Abs. 1 BGB kann jede rechtliche oder tatsächliche Tätigkeit sein, unerheblich ob entgeltlich oder unentgeltlich, ob einfacher oder hochqualifizierter Art, oder auch die Betrauung mit einem ganzen Geschäftsbereich36 . Obige Merkmale beziehen sich im wesentlichen auf die Abgrenzung zu selbständigen Unternehmern. Obwohl sich daher der Personenkreis, für den die juristische Person nach §§ 30, 31 BGB haftet, ohne daß sie zu besonderen Vertretern bestellt wurden, zwanglos unter den Begriff des Verrichtungsgehilfen im Sinne des § 831 Abs. 1 BGB subsumieren läßt - denn auch sie sind in

33 Vgl. z.B. BGHZ 14, 163, 177; Emlan-Schiemann, 8GB, § 831 Rdn. 7; RGRK-Sreffen, BGB, § 831 Rdn. 20 m.w.N. 34 Vgl. BGHZ 26, 152, 159. 35 Zur Geeignetheit dieses Kriteriums vgl. schon die berechtigte Kritik von Schiemann, oben, S. 63 Fn. 30. 36 Vgl. BGH, VersR 1964, S. 297; Emlan-Schiemann, 8GB, § 831 Rdn. 5; RGRK-Sreffen, 8GB, § 831 Rdn. 16, jeweils m.w.N. der Rechtsprechung.

IU. Die analoge Anwendung der §§ 30, 31 BGB

65

die Organisation des Geschäftsherrn eingegliedert und seinen Weisungen häufig unterworfen -, haben Rechtsprechung und Literatur Kriterien entwickelt, die eine Differenzierung bei der Personenkreise möglich erscheinen lassen. Ausgehend von dem Gedanken, daß die juristische Person für den hier in Frage stehenden Personenkreis haften soll, wie z.B. für ein Vorstandsmitglied - also im Interesse einer weitgehenden Haftungszurechnung auf den Unternehmensträger ohne Exkulpationsmöglichkeit -, wird es als erforderlich angesehen, daß dieser Personenkreis Aufgaben in der Organisation der juristischen Person wahrnimmt, die ihn mit einem Vorstandsmitglied vergleichbar machen37 . Dies sei positiv dann der Fall, wenn ein gewisses Maß an Selbständigkeit der Entscheidung38 und Eigenverantwortung für einen größeren Verwaltungsbereich der juristischen Person übertragen werde39 . Nicht erforderlich, aber als Indiz gewertet wird, daß die juristische Person von diesem Personkreis nach außen hin repräsentiert wird40 , rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht besitzt41 oder einen Aufgabenbereich in der Geschäftsführung der juristischen Person wahrnimmt42 . Unschädlich ist es, daß der Angestellte, ohne ein gewisses Maß an Selbständigkeit zu verlieren, sich den Weisungen des Vorstandes oder anderer Organe zu unterwerfen hat43 bzw. einen Beschluß der Mitgliederversammlung ausführt44 . Der Bundesgerichtshof faßt diese Kriterien in der immer wieder stereotyp wiederholten Formel zusam-

37 Vgl. Slaudinger-Coing, BGB, § 31 Rdn. 36. 38 Vgl. dazu RGZ 157, 228, 236; RG, IW 1938, S. 1651, 1651 ff.; BGH, NlW 1977, S. 2259,2260; Ennan-Weslennann, BGB, § 31 Rdn. 1; Soergel-Hadding, BGB, § 31 Rdn. 10; Slaudinger-Coing, BGB, § 31 Rdn. 36. 39 Vgl. Hassold, luS 1982, S.586; Soergel-Hadding, BGB, § 31 Rdn. 10; SlaudingerCoing, BGB, § 31 Rdn. 36. 40 Hassold, luS 1982, S. 587; nach a.A. muß von dem übernommenen Aufgabenbereich eine gewisse Außenwirlrung ausgehen, vgl. Soergel-Hadding, BGB, § 31 Rdn. 10; SlaudingerCoing, BGB, § 31 Rdn. 36. 41 Vgl. RG, DR 1944, S. 287; BGH, NIW 1972, S. 334; Slaudinger-Coing, BGB, § 31 Rdn. 36; Hassold, JuS 1982, S. 586. 42 Vgl. dazu BGH, NlW 1972, S. 334; BGH, NlW 1977, S. 2259, 2260. 43 Vgl. dazu RGZ 157, 228, 236; BGH, NIW 1977, S. 2259, 2260; Hassold, JuS 1982, S. 586; Slaudinger-Coing, BGB, § 31 Rdn. 36. 44 Soergel-Hadding, BGB, § 31 Rdn. 3. 5 Schmitz

66

Dritter Teil: Lehre vom sog. körperschaftlichen Organisationsmangel

men, daß es für die Anwendbarkeit des § 31 BGB ausreiche, wenn dem Angestellten "die allgemeine Betriebsregelung und Handhabung bedeutsame, wesensmäßige Funktionen der juristischen Person zur selbständigen, eigenverantwortlichen Erfüllung zugewiesen sind, daß er also die juristische Person auf diese Weise repräsentiert "45 . Vergleicht man nun die Kriterien für den Personkreis, für den nach § 831 BGB, mit den Personen, für die nach §§ 30, 31 BGB in Verbindung mit Deliktstatbeständen gehaftet wird, so lassen sich keine spezifischen Merkmale zur Differenzierung feststellen. Zwar muß im Rahmen des § 31 BGB eine gewisse Selbständigkeit und Eigenverantwortung bezüglich des größeren Geschäftskreises vorliegen, jedoch sind dies Merkmale, die einer Einordnung als Verrichtungs gehilfen, wie gesehen, nicht entgegenstehen würden. Die Vermutung scheint damit durchaus gerechtfertigt, daß die Einordnung der mit Leitungsaufgaben betrauten Angestellten in § 831 BGB oder §§ 30, 31 BGB nicht von wesensmäßigen Unterschieden, sondern lediglich vom Ergebnis her bestimmt wird, nämlich ob das Gelingen des Entlastungsbeweises im konkreten Fall als billig empfunden wird oder nicht bzw. die Eröffnung einer Haftung gemäß § 831 Abs. 1 BGB nicht im Wege steht. So wurde etwa der Geschäftsführer eines Abbruchuntemehmens vom BGH46 ohne weiteres als Verrichtungsgehilfe der Inhaberin des Unternehmens eingeordnet, obwohl er als alleiniger Geschäftsführer ohne Zweifel die Verwaltungsspitze des Unternehmens darstellte. Da aber in diesem Fall der de-

45 BGHZ 49, 19,21; z.B. führten die Pflichtverletzungen folgender Personen zu einer Haftung der juristischen Person gemäß § 31 i.V.m. deliktsrechtlichen Normen: Filialleiter von Banken und Sparkassen, BGHZ 13, 198,203; BGH, NJW 1967, S. 2259, 2260; BGH, NJW 1984, S. 921,922; Filialleiter einer Warenhausfiliale, RG, JW 1936, S. 915 Nr. 1; Filialleiter eines Selbstbedienungsladens, OLG München, VersR 1974, S.269; Leiter eines innerbetrieblichen Transportwesens, BGH, VersR 1962, S. 664,665; Chefarzt, BGH, NJW 1972, S. 334; Personen in Presse oder Verlagen, die über das Erscheinen möglicherweise Rechte Dritter verletzender Artikel zu entscheiden haben, BGH, NIW 1980, S. 2810,2811; ebenso Leiter der Rechtsabteilung, BGHZ 27, 200, 213; örtliche Streikleitung einer Gewerkschaft, BAG, NJW 1989, S.57, 61; vgl. im übrigen die Rechtsprechungsnachweise bei Münch.Komm.-Reuter, BGB, § 31 Rdn. 14; Pa/andt-Heinrichs, BGB, § 31 Rdn. 9; Staudinger-Coing, BGB, § 31 Rdn. 51 ff. 46 BGH, VersR 1964, S. 297; siehe zum Sachverhalt und den Urteilsgründen ausführlich oben S. 42 f.

m. Die analoge Anwendung der §§ 30, 31

BGB

67

zentralisierte Entlastungsbeweis nach Auffassung des BGH einer deliktischen Haftung nicht entgegenstand, zieht es das Gericht nicht einmal in Erwägung, hier die §§ 30, 31 BGB analog anzuwenden, obgleich der BGH in einem anderen Urteil schon den Leiter eines innerbetrieblichen Transportwesens 47 dem Regelungsbereich der §§ 30, 31 BGB unterwirft.

2. Das Nichtvorliegen einer Gesetzeslücke

Eine analoge Anwendung der §§ 30, 31 BGB auf leitende Angestellte käme nur in Betracht, wenn eine planwidrige Gesetzeslücke vorläge. Deren Vorhandensein erscheint jedoch mehr als zweifelhaft. Dem Gesetzgeber waren schon zur Zeit der Entstehung des BGB Großbetriebe (vor allem im Bereich des Handels und der Banken, des eisen- und stahlproduzierenden Gewerbes) und den mit ihnen verknüpften haftungsrechtlichen Problemen bekannt. Dies zeigt nicht nur der heftige dogmatische Streit um die Konstruktion der Gehilfenhaftung, sondern auch die intensive Einflußnahme der Interessenvertreter von Industrie und Landwirtschaft48 . Es ist daher durchaus berechtigt anzunehmen, daß der historische Gesetzgeber weitreichende Haftungslücken zum Zweck größtmöglicher wirtschaftlicher Bewegungsfreiheit hinzunehmen bereit war. In Bereichen, die der Gesetzgeber als besonders gefahrenträchtig erkannte, entschied er sich für die Übernahme der Sonderregelungen, die diese Sachlage der Gefiihrdungshaftung unterwiesen49 . Von einer Ausdehnung der Gefiihrdungshaftung auf andere Sachlagen hat er jedoch abgesehen. Aus der wirtschaftsliberalistischen GrundeinsteIlung heraus traf also der Gesetzgeber damit bewußt die Entscheidung, daß der Geschäftsherr, unabhängig ob juristische oder natürliche Person, nur für eigenes Verschulden haften dürfe, wie sie in § 831 BGB heute zum Ausdruck kommt.

47 BGH, VersR 1962, S. 664, 665. 48 Vgl. dazu Verhandlungen des 17. DJT, Bd. I, S. 46 ff., 337 ff.; Bd. 2 (Stenographische Berichte), S. 80 ff.; Stenographische Berichte des 18. DJT, Bd. 2, S. 67 ff.; Protokolle, Mugdan 11, S. 1094 f.

49 Vgl. die dem Gesetzgeber des BGB bekannten Vorschriften der § I ff. ReichshaftpflichtG, insbesondere die Haftung der Betreiber von Eisenbahn und Energieanlagen.

68

Dritter Teil: Lehre vom sog. körperschaftlichen Organisationsmangel

Die These, daß der Gesetzgeber nur von der Vorstellung strikt weisungsabhängiger Gehilfen ohne eigene Entscheidungskompetenz geleitet war, erscheint als schwer begründbar. Selbst wenn man davon ausgeht, daß Großbetriebe zu dieser Zeit streng hierarchisch organisiert waren, so muß es doch als wahrscheinlich angesehen werden, daß der Gesetzgeber realistische Anschauungen über den Aufgaben- und Entscheidungsbereich z.B. der Leiter von Zweigniederlassungen oder Abteilungsleiter hatte. Jedenfalls fehlt für das Gegenteil jeder gewichtige Beleg50 . Zwar ist zuzugeben, daß es im Verlauf der Zeit zu einer stärkeren Verantwortungsverlagerung auf untere Organisationsebenen gekommen ist, dies unterscheidet sich jedoch lediglich in der Quantität der Verantwortungsdelegation, nicht aber grundsätzlich in deren Qualität von der Ausgangssituation. Angestellte mit eigenem Entscheidungsspielraum sind keine Phänomene des 20. Jahrhunderts. Dem entspricht auch grundsätzlich die Auslegung des Verrichtungsgehilfenbegriffs, wie er durch die Rechtsprechung vorgenommen wurde. Die Einbeziehung von Personen, die einen größeren Geschäftsbereich mit gewissem Entscheidungs- und Verantwortungsspielraum leiten, in den Bereich des § 831 Abs. 1 BGB muß vielmehr als dem Willen des historischen Gesetzgebers angemessene Auslegung betrachtet werden. Eine Sonderung wäre dagegen nur bei Personen möglich, bei denen das Kriterium der Weisungsabhängigkeit - als zentrales Element der Verrichtungsgehilfeneigenschaft - nicht verläge. Aber gerade bei den nach §§ 30, 31 BGB zu behandelnden leitenden Angestellten soll eine etwaige Weisungsgebundenheit unschädlich sein. Dies gebietet aber, den in Frage stehenden Personenkreis in den Anwendungsbereich des § 831 Abs. 1 BGB mit einzubeziehen. Von einer planwidrigen Gesetzeslücke kann dann aber nicht die Rede sein.

3. Die §§ 30, 31 BOB als nicht analogiejähige AusnahmevorschriJten

Ungeachtet dessen wird die Argumentation nur auf die zweite Voraussetzung der Analogie gestützt, nämlich die Gleichheit der Interessenlage. Dies wird lediglich mit dem bekannten Billigkeitsargument begründet, daß leitende Angestellte ebenso notwendig für die juristische Person seien wie deren

50 Die Fonnulierung "Hausvater" in den Motiven 11, S. 736, 737, zu § 711 des E I ist denn

auch ein schwacher Beleg für die Ausschließlichkeit dieser VorsteUung.

ill. Die analoge Anwendung der §§ 30, 31 BGB

69

Organe und es daher nicht angehen könne, für jene die Entlastungsmöglichkeit nach § 831 Abs. 1 Satz 2 BGB zu eröffnen. Hier erheben sich jedoch erhebliche Zweifel, ob die in §§ 30, 31 BGB tatsächlich geregelte Interessenlage mit obiger identisch ist und ob es sich überhaupt im vertikalen Anwendungsbereich um analogiefähige Normen handelt. Sowohl die dogmatische Auffassung als auch die systematische Stellung des § 31 BGB ist im Zusammenhang mit der Diskussion um das Wesen der juristischen Person umstritten.

a) Die Vertretertheorie Nach der im wesentlichen auf Savigny zurückgehenden sogenannten Vertreter- bzw. Fiktionstheorie ist die juristische Person zwar vermögens-, aber nicht handlungsfähig. Letzteres setze biologische-physiologische Handlungsfähigkeit voraus, welche aber nur natürliche Personen besitzen51 . Daher bedürfe die juristische Person, ähnlich wie die "Unmündigen und Wahnsinnigen", um Rechtsgeschäfte abzuschließen, eines Vertreters52 . Durch diese vermittelt, könne dann die juristische Person am Rechtsverkehr teilnehmen. Die Organe der juristischen Person haben folglich die Stellung eines gesetzlichen Vertreters53 . Aus den allgemein für das ganze Recht der Stellvertretung geltenden Grundsätzen ergebe sich, daß die Folge des rechtsgeschäftlichen Handeins der Organe ihre Wirkung nur für und gegen den Vertretenen, also hier gegenüber der juristischen Person, entfalte. Deliktische Handlungen hingegen treffen den Vertreter selbst. Diesen Grundsatz durchbricht § 31 für den Fall deliktischen Handelns des Organs, denn dessen Folgen sollen nicht nur das Organ, sondern nun auch die juristische Person treffen 54 . Diese Durchbrechung wird im wesentlichen auf den Gedanken gestützt, daß § 31 BGB

51 Vgl. Savigny, System des heutigen römischen Rechts, D, § 90, S. 282.

52 Savigny, System des heutigen römischen Rechts, D, § 90, S. 282, § 95, S. 317. 53 Vgl. dazu auch RöMer, Natürliche und juristische Personen, S. 59; v. Tuhr, AT, S. 464;

Binder, Das Problem der juristischen Persönlichkeit, S. 119 f.; Wolff, Organschaft und juristische Person, S. 52 ff. 54 Vgl. Landwehr, AcP 164 (1964), S. 507.

70

Dritter Teil: Lehre vom sog. körperschaftlichen Organisationsmangel

eine Angleichung der Feststellung von natürlicher und juristischer Person bezweckten. Da die juristische Person nur durch ihre Organe wie eine natürliche Person am Rechtsverkehr teilnehmen könne, sei es billig, sie auch für ihre Organe im Interesse des Rechtsverkehrs wie eine natürliche Person in die deliktische Haftung zu nehmen55 .

b) Die sogenannte Organtheorie Nach der sogenannten Organtheorie wird die juristische Person, verstanden als sozialer Organismus, als selbst willens- und handlungsfähig gedacht. Träger dieser Willens- und Handlungsfähigkeit seien die Organe. Diese stünden der juristischen Person nicht als Dritte gegenüber, vielmehr sei ihr Wollen und Handeln identisch mit dem der juristischen Person56 • Die Vertreter der Organtheorie gehen ebenfalls davon aus, daß die Fähigkeit, durch Willensbetätigung rechtliche Wirkung herbeizuführen, unbedingt notwendig ist, um am Rechtsverkehr selbständig teilzunehmen. Zwar sei der juristische Begriff der Handlungsfähigkeit nicht identisch mit der natürlichen Handlungsfähigkeit, er setze jedoch eben diesen voraus. Da aber der juristischen Person die biologische-physiologische Fähigkeit zum Handeln fehle, bedürfe sie als Träger der OrgansteIlung einer natürlichen Person. Dabei sei es unschädlich, daß als Träger der OrgansteIlung wiederum eine juristische Person bestellt wird, da auch hier die OrgansteIlung letztlich wieder von Organen der zum Organ bestellten juristischen Person wahrgenommen werde. Somit mündet die OrgansteIlung letztlich in einer natürlichen Person als Organträger5 7 . Der Begriff der juristischen Handlungsfähigkeit58 , den das BGB nicht als allgemeinen 55 Vgl. dazu Lenel, DJZ 1902, S. 9 ff.; v. ruhr, AT, S. 464; Graßhoff, Festschrift für Heinit