Die Bekämpfung nicht-staatlicher Angreifer im Luftraum: Unter besonderer Berücksichtigung des § 14 Abs. 3 LuftSiG und der strafrechtlichen Beurteilung der Tötung von Unbeteiligten [2 ed.] 9783428540112, 9783428140114

Die Diskussion um den Einsatz der Bundeswehr im Inland im Allgemeinen und um den Abschuss von Luftfahrzeugen im Besonder

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Die Bekämpfung nicht-staatlicher Angreifer im Luftraum: Unter besonderer Berücksichtigung des § 14 Abs. 3 LuftSiG und der strafrechtlichen Beurteilung der Tötung von Unbeteiligten [2 ed.]
 9783428540112, 9783428140114

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Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1068

Die Bekämpfung nicht-staatlicher Angreifer im Luftraum Unter besonderer Berücksichtigung des § 14 Abs. 3 LuftSiG und der strafrechtlichen Beurteilung der Tötung von Unbeteiligten

Von Manuel Ladiges Zweite, durchgesehene und ergänzte Auflage

Duncker & Humblot · Berlin

MANUEL LADIGES

Die Bekämpfung nicht-staatlicher Angreifer im Luftraum

Schriften zum Öffentlichen Recht Band 1068

Die Bekämpfung nicht-staatlicher Angreifer im Luftraum Unter besonderer Berücksichtigung des § 14 Abs. 3 LuftSiG und der strafrechtlichen Beurteilung der Tötung von Unbeteiligten

Von Manuel Ladiges Zweite, durchgesehene und ergänzte Auflage

Duncker & Humblot · Berlin

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

1. Auflage 2007 Alle Rechte vorbehalten

© 2013 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 0582-0200 ISBN 978-3-428-14011-4 (Print) ISBN 978-3-428-54011-2 (E-Book) ISBN 978-3-428-84011-3 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

In Memory of Stephen Shawn Martin

Vorwort zur 2. Auflage Das Interesse an den Themen Einsatz der Streitkräfte im Innern im Allgemeinen und Einsatz auf Grundlage des LuftSiG im Besonderen ist knapp sechs Jahre nach dem Erscheinen der Erstauflage ungebrochen, wie ein Blick in das Literaturverzeichnis der Zweitauflage zeigt. Im Folgenden geht es jedoch nicht um eine inhaltliche Revision der Ergebnisse der Untersuchung; der Text der Erstauflage ist daher im Wesentlichen unverändert geblieben. Die Entwicklungen in Rechtsprechung und Literatur seit der inhaltlichen Fertigstellung der Untersuchung im Sommer 2006 werden in einem gesonderten Kapitel behandelt, dessen Gliederung der Erstauflage angelehnt ist. Die Zweitauflage kann keine umfassende Aktualisierung der Literaturnachweise gewährleisten. Die Neuauflagen werden daher in der Regel nur verwendet, wenn sie inhaltlich Neues enthalten. Relevante Aufsätze, Monographien usw. aus der Zeit nach März 2007 sind selbstverständlich berücksichtigt, vereinzelt auch frühere Beiträge, auf die ich bis März 2007 nicht zugreifen konnte. Ich bedanke mich bei Herrn Dipl.-Jur. Michael Henke, LL.M. für seine Diskussionsbereitschaft und Anmerkungen sowie bei Herrn Professor Dr. Uwe Murmann für die angenehme Arbeitsatmosphäre an seinem Lehrstuhl. Göttingen, im Januar 2013

Manuel Ladiges

Vorwort zur 1. Auflage Die vorliegende Arbeit wurde im Oktober 2006 von der Rechts- und Staatswissenschaftlichen Fakultät der Ernst-Moritz-Arndt-Universität Greifswald als Inauguraldissertation zur Erlangung der Doktorwürde angenommen. Die wesentlichen Teile der Arbeit wurden bis Juli 2006 erstellt. Aktualisierungen wurden bis März 2007 vorgenommen. Ich danke zunächst aufrichtig Herrn Prof. Dr. Wolfgang Joecks, der mich als akademischer Lehrer, Doktorvater und Lehrstuhlinhaber immer gefördert, unterstützt und zu neuen Leistungen angespornt hat. Neben dem Vertrauen, das er mir während meiner Tätigkeit an seinem Lehrstuhl geschenkt hat, hat er mir stets die nötige Freiheit zur wissenschaftlichen Arbeit gelassen. Mein Dank gilt darüber hinaus sämtlichen Mitarbeitern des Lehrstuhls für Strafrecht, insbesondere Wirtschafts- und Steuerstrafrecht. Weiterhin bedanke ich mich bei Herrn Prof. Dr. Claus Dieter Classen für die zügige Erstellung des Zweitgutachtens. Ich danke Herrn Dr. jur. Mattias G. Fischer für zahlreiche fruchtbare Gespräche und Hinweise sowie Herrn David A. Root, B. S., M. B. A., J. D., für die Durchsicht der englischsprachigen Zusammenfassung. Darüber hinaus bin ich Ref. jur. Jochen Korsch, RA Christian Pegel und Ref. jur. John-Robert Skrzepski zu Dank verpflichtet. Meinen Eltern, Dres. med. Marie Luise und Ottfried Ladiges, gebührt der umfassendste Dank, weil sie mich zum Lesen, Lernen und eigenständigen Denken erzogen und immer bei dem Erreichen meiner Ziele unterstützt haben. Weiterhin danke ich meinem Bruder Dipl.-Jur. Benjamin Ladiges für seine zahlreichen Hilfestellungen. Frau Stud. Ref. Ulrike Eichhorn sei Dank für ihre Liebe und Unterstützung, ihr Verständnis für lange Arbeitszeiten und ihre Motivation in einer oftmals anstrengenden Zeit. Mein väterlicher Freund Stephen Shawn „Steve“ Martin hat die Fertigstellung der Untersuchung leider nicht erleben können. Seiner Erinnerung sei diese Arbeit gewidmet. Edinburgh, im März 2007

Manuel Ladiges

Inhaltsverzeichnis 1. Teil Einleitung

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2. Teil Bestimmung verfassungsrechtlicher Begriffe A. „Einsatz“ im Sinne des Art. 87a Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Jegliche Verwendung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Kriterium der „Bewaffnung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Kriterium der „militärischen Verwendung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Kriterium der „innenpolitischen Neutralität“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Führung durch Befehl und Gehorsam . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. „Zweigliedriger Einsatzbegriff“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Ansatz von Schäuble . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8. Mittel der vollziehenden Gewalt bzw. hoheitliches Handeln . . . . . . . . II. Anwendung auf die Tätigkeiten auf Grundlage des LuftSiG . . . . . . . . . . . 1. Maßnahmen nach §§ 14 Abs. 1, 15 Abs. 1 LuftSiG . . . . . . . . . . . . . . . 2. Allgemeine Luftraumüberwachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Vergleich mit AWACS-Überwachungsflügen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 25. März 2003 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Bewertung in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Stellungnahme und Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Exkurs: Luftraumüberwachung bei der WM 2006 . . . . . . . . . . . . . . III. Zusammenfassende Thesen zum Begriff „Einsatz“ im Sinne des Art. 87a Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . B. „Verteidigung“ im Sinne des Art. 87a Abs. 1, 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Verfassungsauftrag und Kompetenzgrundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Begrenzungsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

33 33 34 34 35 36 36 37 38 39 39 41 42 44 46 48 48 49 51 53 54 54 56 59 61 61 62

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Inhaltsverzeichnis IV.

Völkerrechtliche Aspekte der Verteidigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Gewaltverbot gemäß Art. 2 Nr. 4 UN-Charta . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Selbstverteidigungsrecht gemäß Art. 51 UN-Charta . . . . . . . . . . . . . . . a) Definition des „bewaffneten Angriffs“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Neubestimmung des Selbstverteidigungsrechts . . . . . . . . . . . . . (1) Politische Reaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Literaturmeinungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Gutachten des Internationalen Gerichtshofs vom 9. Juli 2004 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Wortlaut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Historische Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Praxis nach dem 11. September 2001 . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Teleologisch-funktionelle Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Umfang des Selbstverteidigungsrechts gegen nicht-staatliche Angreifer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Spezielle völkerrechtliche Regelungen für den Luftverkehr . . . . . . . . a) Art. 3 bis Chicago Convention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Anwendung auf das LuftSiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Eigene Ansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ergebnis zu den völkerrechtlichen Aspekten der Verteidigung . . . . . . V. Neuausrichtung beziehungsweise Erweiterung des verfassungsrechtlichen Verteidigungsbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Air-Policing als originäre Verteidigungsaufgabe . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Betrachtung von der Opferseite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Wirksamkeit der Landesverteidigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ansatz von Wiefelspütz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Kritik gegen eine Neuausrichtung beziehungsweise Erweiterung . . . . . . . VII. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Historische Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Systematik und Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Staatspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Anwendung auf denkbare Gefahrenlagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Grundlegendes zur Bestimmung des Ursprungs der Gefahr . . . . . . . . 2. Grenzüberschreitender Sachverhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Mittelbarer Angriff von außen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

67 68 69 71 73 73 75 77 79 80 81 82 84 87 90 90 91 92 94 96 96 96 99 103 104 105 106 110 111 112 113 118 118 119 119 122 124 125

Inhaltsverzeichnis

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b) Eigene Ansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Mittelbarer Angriff von außen aus völkerrechtlicher Sicht . . . bb) Vereinbarkeit mit Art. 87a Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Staatsangehörigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Deutsche Staatsangehörige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ausländische Staatsangehörige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Angriffe gegen die Bundeswehr . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Grundsätze der Eigensicherung der Streitkräfte . . . . . . . . . . . . . . . . b) Anwendung auf die Praxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Angriffe aus der Bundesrepublik gegen NATO-Staaten . . . . . . . . . . . . IX. Beurteilungsspielraum bezüglich der Verteidigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Entscheidungskompetenz für Einsätze zur Verteidigung . . . . . . . . . . . . a) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Eigene Ansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Luftzwischenfall am 11. September 1972 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Vergleich mit Sekundäreinsätzen der Streitkräfte . . . . . . . . . . . bb) Übertragbarkeit auf den Verteidigungsauftrag . . . . . . . . . . . . . . 3. Gerichtliche Überprüfbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) „Judicial Restraint“ im angloamerikanischen Rechtskreis . . . . . . . b) Rechtsweggarantie gemäß Art. 19 Abs. 4 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . X. Umfang des Verteidigungseinsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . XI. Zusammenfassende Thesen zur Verteidigung im Sinne des Art. 87a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

127 127 131 134 134 134 136 136 136 138 139 142 143 143 144 146 147 148 149 150 152 152 153 156 156 157

C. Streitkräfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 I. Allgemeine Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 II. Abordnung an Gefahrenabwehrbehörden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 D. Exkurs: Verbesserte Ausstattung der Polizeikräfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161

3. Teil Abwehr auf Grundlage des LuftSiG

163

A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 I. Historischer Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 II. Handlungsbedarf nach dem 11. September 2001 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 B. Neuregelungen des LuftSiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167

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Inhaltsverzeichnis I. II.

Allgemeine Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Regelungen bezüglich des Einsatzes der Streitkräfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. § 13 LuftSiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) § 13 Abs. 1 LuftSiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) § 13 Abs. 2 LuftSiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) § 13 Abs. 3 LuftSiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) § 13 Abs. 4 LuftSiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. § 14 LuftSiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) § 14 Abs. 1 LuftSiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) § 14 Abs. 2 LuftSiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) § 14 Abs. 3 LuftSiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) § 14 Abs. 4 LuftSiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. § 15 LuftSiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

C. Verfassungsmäßigkeit der §§ 13 bis 15 LuftSiG in formeller und wehrverfassungsrechtlicher Hinsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Formelle Verfassungsmäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Zuständigkeit für die Regelungen in §§ 13 bis 15 LuftSiG . . . . . . . . . a) Art. 73 Nr. 6 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Art. 73 Nr. 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) „Finaler Ansatz“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Restriktiver Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Extensiver Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Gleichstellung des Verteidigungsbegriffs in Art. 73 Nr. 1 und Art. 87a Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Bewertung der Bundeskompetenz nach Art. 73 Nr. 1 GG . . . c) Ungeschriebene Gesetzgebungskompetenz des Bundes . . . . . . . . . d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ablauf des Gesetzgebungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verfassungsmäßigkeit des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Zustimmungsbedürftigkeit gemäß Art. 84 Abs. 1 GG . . . . . . . bb) Zustimmungsbedürftigkeit gemäß Art. 85 Abs. 1 GG . . . . . . . (1) Einrichtung von Behörden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Zustimmungsbedürftigkeit durch Regelungen des Verwaltungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Zustimmungsbedürftigkeit gemäß Art. 87d Abs. 2 GG . . . . . . (1) Zustimmungsbedürftigkeit durch § 16 Abs. 3 Satz 2 LuftSiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Zustimmungsbedürftigkeit durch § 16 Abs. 2 LuftSiG . . dd) Zustimmungsbedürftigkeit durch die Änderung des LuftVG . .

168 168 168 169 169 170 171 171 172 172 173 174 175 177 177 177 177 179 180 181 182 183 183 185 186 186 187 190 191 192 192 194 197 197 199 200

Inhaltsverzeichnis

II.

c) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Form . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Zwischenergebnis formelle Verfassungsmäßigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . Materielle Verfassungsmäßigkeit der §§ 13 bis 15 LuftSiG aus wehrverfassungsrechtlicher Sicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Vereinbarkeit mit Art. 87a Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Einsatzermächtigung gemäß Art. 35 Abs. 1 GG? . . . . . . . . . . . . . . aa) Bejahung einer ausdrücklichen Zulassung . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Einsatzermächtigung gemäß Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG aa) Allgemeines zum Katastrophennotstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Tatbestandliche Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG als Bundeskompetenz . . . . . . . . (3) Rechtsgrundlagen für Einzelbefugnisse . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Zulässigkeit des Präventiveinsatzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Grammatikalische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Historische Aspekte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Systematische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Bezug zu Art. 35 Abs. 2 Satz 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . (b) Bezug zu Art. 87a Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Bezug zu sonstigen Regelungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . (d) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Teleologische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (6) Zwischenergebnis zum Präventiveinsatz . . . . . . . . . . . . . . . (7) Konstruktion eines „Gesamtunglücksfalls“ . . . . . . . . . . . . . cc) Einschränkung nach Einsatzmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Grammatikalische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Historische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Systematik und Normzweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (6) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Einschränkung in zeitlicher Hinsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Besonderheiten für den Einsatz im überregionalen Katastrophennotstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Entscheidungskompetenz für den Einsatz der Streitkräfte . . . . . . . aa) Entscheidungskompetenz im überregionalen Katastrophennotstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Begriff der „Bundesregierung“ in Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13 201 201 201 202 202 202 203 204 205 206 206 210 211 213 214 218 219 220 221 222 222 223 224 227 227 228 229 232 233 233 235 236 237 240 241 241 242

14

Inhaltsverzeichnis (2) Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) Staatspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Befehls- und Kommandogewalt nach Art. 65a GG . . (c) Vorläufige Notkompetenz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (d) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (e) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Entscheidungskompetenz im regionalen Katastrophennotstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Parlamentsvorbehalt für Einsätze nach Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Eigene Ansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Sonstige Grundlagen für den Streitkräfteeinsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Einsatz nach Art. 87a Abs. 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Einsatz im Verteidigungsfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Einsatz im Spannungsfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Einsatz nach Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Einsatzvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Ansatz von Fiebig . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Eigene Ansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Rechtsfolge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Begriff der „Aufständischen“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Militärische Bewaffnung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Analoge Anwendung von Art. 87a Abs. 4, 91 Abs. 2 Satz 1, 2. Alt., Satz 3 GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Einsatz auf Grundlage von Art. 73 Nr. 6, 87d GG? . . . . . . . . . . . . e) Ungeschriebenes Notrecht als Grundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zusammenfassende Thesen zur Verfassungsmäßigkeit des LuftSiG . . . . .

244 244 247 249 250 253

D. Grundrechtliche Probleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Grundlegendes zur Tötung von Störern und Unbeteiligten . . . . . . . . . . . . 1. Tötung der Störer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Tötung von sonstigen Flugzeuginsassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Behandlung von Unbeteiligten nach geltendem Recht . . . . . . . . . . aa) Begriff „Unbeteiligter“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Gefährdung des Lebens Unbeteiligter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Rechtslage nach dem UZwGBw . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Gefährdung nach dem allgemeinen Polizeirecht . . . . . . . . (3) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

278 280 280 282 282 282 284 284 286 287

253 255 256 258 261 261 261 262 263 264 265 267 268 270 270 272 273 273 273 275 277

Inhaltsverzeichnis

II.

cc) Exkurs: Tötung von Unbeteiligten nach der EMRK . . . . . . . . (1) Grundlegendes zur EMRK . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Ausnahmen vom Tötungsverbot nach Art. 2 Abs. 2 EMRK (3) Einschränkung nach Art. 15 Abs. 2 EMRK . . . . . . . . . . . . (a) Krieg . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Rechtmäßige Kriegshandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Tötung von Dritten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Vereinbarkeit mit der Menschenwürde gemäß Art. 1 Abs. 1 GG . . . . . . . 1. Meinungsstand in der Literatur vor der Diskussion um das LuftSiG . . a) Tötungen durch die Streitkräfte im Notstandsfall . . . . . . . . . . . . . . . b) Tötung Unbeteiligter im Rahmen des Widerstandsrechts . . . . . . . . aa) Ansätze in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Philosophische Betrachtungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ansatz von Fritze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ansatz von Sinn . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Dogmatik der Grenzsituation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Diskussion nach den Anschlägen vom 11. September 2001 . . . . . . . . a) Äußerungen in der öffentlichen Sachverständigenanhörung . . . . . . b) Quantifizierung als Menschenwürdeverstoß . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Weitere Stimmen pro Menschenwürdeverletzung . . . . . . . . . . . . . . . d) Ansatz von Herdegen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Ansatz von Re. Merkel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . f) Ansatz von Gramm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . g) Weitere Stimmen contra Menschenwürdeverletzung . . . . . . . . . . . . 4. Ansicht des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rekurs auf die „Objektformel“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Unsicherheiten in tatsächlicher Hinsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Interpretation und Bewertung des Urteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Rechtswissenschaftliche Äußerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Politische Äußerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Eigene Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Eigene Interpretation des Urteils . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Offenheit der Objektformel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Philosophischer Hintergrund der Objektformel . . . . . . . . . . . . . bb) Weiterentwicklung durch Wintrich und Dürig . . . . . . . . . . . . . . cc) Ansätze in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung . . . .

15 288 289 291 293 294 295 297 298 299 301 301 302 302 303 304 304 305 307 307 309 310 310 312 313 315 316 316 318 318 320 321 321 325 328 328 332 332 333 335

16

Inhaltsverzeichnis dd) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Konkretisierung im Hinblick auf die Tötung Unbeteiligter . . . . . . aa) Entstehungsgeschichtlicher Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Tötungshandlungen durch die Bundeswehr . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Lösungsansätze in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (a) „Schutzbereichslösung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) „Notwehrlösung“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (c) Anwendung kriegsvölkerrechtlicher Grundsätze . . . . (2) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Lebensgefährdungen im Bereich der Wehrpflicht . . . . . . . . . . . (1) Rechtfertigung der Lebensgefährdung . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Widerstandsrecht gemäß Art. 20 Abs. 4 GG . . . . . . . . . . . . . . . d) Praktische Probleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Abschließende Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Vereinbarkeit mit dem Grundrecht auf Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Schutzbereich des Grundrechts auf Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Eingriff durch § 14 Abs. 3 LuftSiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ansatz von Hochhuth . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ablehnung eines Grundrechtsverzichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Praktische Probleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Leben als disponibles Rechtsgut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Legitimer Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Geeignetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Erforderlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Angemessenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Auffassungen in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Ansätze für die Angemessenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Ansätze gegen die Angemessenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Auffassung des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Eigene Auffassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Bedeutung der Formulierung „Höchstwert“ . . . . . . . . . . . . (a) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Eigene Ansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

336 337 337 338 340 340 341 341 343 344 345 347 347 349 350 351 352 355 355 356 357 357 357 358 358 359 360 361 361 362 362 364 365 366 367 370 371 371 372 373

Inhaltsverzeichnis

IV.

V.

(2) Kollision von Schutzpflicht und Achtungsanspruch . . . . . (a) Schleyer-Urteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (b) Anwendung auf § 14 Abs. 3 LuftSiG . . . . . . . . . . . . . . (c) Eigene Ansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Regelungsspielraum des Gesetzgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) „Dammbruch“-Argumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Prognoseunsicherheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Wesensgehaltsgarantie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Sinnhaftigkeit beziehungsweise Möglichkeit einer Regelung . . . . . . . . . . . 1. Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Zusammenfassende Thesen zum Grundrechtsteil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

17 375 379 380 381 383 387 388 389 391 391 391 393 396

4. Teil Befehlsrecht A. Grundlagen des Befehlsrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Verstoß gegen die Menschenwürde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Fehlender dienstlicher Zweck . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Begehung einer Straftat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

398 398 399 399 401

B. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402

5. Teil Strafrechtliche Rechtfertigung der Tötung von Unbeteiligten

403

A. Nothilfe, § 32 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404 B. Rechtfertigender Notstand, § 34 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Grundlegendes zum rechtfertigenden Notstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Ältere Legitimationsansätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Pawliks Ansatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Grundsatz: Keine Abwägung von „Leben gegen Leben“ . . . . . . . . . . . . . . III. Ausnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Rechtfertigender Defensivnotstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Anwendung auf die Konstellation des § 14 Abs. 3 LuftSiG . . . . . 2. Rechtfertigende Pflichtenkollision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

406 407 408 409 411 413 413 413 414 416

18

Inhaltsverzeichnis

IV.

V.

a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kollision von Handlungs- und Unterlassungspflicht . . . . . . . . . . . . aa) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Anwendung auf die Konstellation des § 14 Abs. 3 LuftSiG . . 3. Gefahrengemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Mehrseitige Verteilung von Rettungschancen . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Einseitige Verteilung von Rettungschancen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Bejahung der Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Ablehnung der Rechtfertigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Lebenszeitverkürzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Prognoseunsicherheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Weitere Argumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Ansicht der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . dd) Übertragbarkeit auf die Konstellation des § 14 Abs. 3 LuftSiG Rechtsvergleichende Hinweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Europäischer Raum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Ansätze im angloamerikanischen Strafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) US v Holmes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) „Mignonette-Fall“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Re A . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Aktuelle Äußerungen in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . Eigene Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Strafrechtlicher Schutz des Lebens vor der Vollendung der Geburt . . a) Medizinische Indikation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Leitentscheidung des Reichsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Auffassungen in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Folgerungen für die Abwägung „Leben gegen Leben“ . . . . . . b) Perforation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Lösungsansätze in der Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Eigene Ansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Inkonsequenz der Entschuldigungslösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ansätze in der Literatur für die Entschuldigung . . . . . . . . . . . . . . . b) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Quantitative und qualitative Aspekte im Bereich des Lebens . . . . . . . a) Tötung durch das Unterlassen von Rettungsmaßnahmen . . . . . . . . aa) BGH, Urteil vom 28. Juli 1970 – 1 StR 175/70 . . . . . . . . . . . . bb) Folgerungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Quantifizierung bei Pflichtenkollision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

416 417 417 418 420 421 424 424 427 427 429 430 432 434 436 436 436 437 437 439 441 443 443 444 444 445 446 447 450 451 452 453 455 456 457 459 459 459 460 461

Inhaltsverzeichnis

19

aa) Meinungsstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Aspekte der Abwägung am Ende des menschlichen Lebens . . . . . d) Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Entkräftung der „Dammbruch“-Argumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. „Klugheitsmaxime“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Problem des Notwehr- beziehungsweise Nothilferechts . . . . . . . . . . . . 7. Abschließende Betrachtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VI. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

461 462 464 465 466 467 468 470 474

C. Rechtfertigung als hoheitliche Maßnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 474 D. Zusammenfassende Thesen zur strafrechtlichen Rechtfertigung . . . . . . . . . 475

6. Teil Entschuldigungsgründe und „rechtsfreier Raum“

476

A. Entschuldigender Notstand, § 35 Abs. 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 476 B. Verbotsirrtum, § 17 Satz 1 StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 476 C. Entschuldigung durch Handeln auf Befehl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 478 D. Übergesetzlicher entschuldigender Notstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 480 I. Historischer Hintergrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 480 II. Anwendung auf den Abschuss von Luftfahrzeugen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 481 E. Figur des „rechtsfreien Raums“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Befürworter aus dem strafrechtlichen Schrifttum . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Gegenpositionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

482 483 484 484

F. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 488

7. Teil Zusammenfassung und Ausblick

489

8. Teil English Summary I.

493

Deployment of the Bundeswehr against attacks by non-state actors . . . . . 493

II. Deployment of the Bundeswehr in a state of emergency . . . . . . . . . . . . . . 494 III. Violation of basic rights . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 494 IV.

Justification of killing innocent people . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 496

20

Inhaltsverzeichnis 9. Teil Aktuelle Entwicklungen in Rechtsprechung und Literatur

A. Verfassungsrechtliche Begriffe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der Einsatzbegriff im Sinne von Art. 87a Abs. 2 GG . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . 2. Die Hauptsacheentscheidung im Verfahren zur AWACS-Überwachung 3. Der Plenarbeschluss des Bundesverfassungsgerichts . . . . . . . . . . . . . . . 4. Auswirkung für die Verwendung der Streitkräfte nach §§ 13 ff. LuftSiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. „Verteidigung“ im Sinne des Art. 87a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 GG . . . . . .

498 499 499 499 500 501 502 503

B. Entwicklungen im materiellen Wehrverfassungsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Abwehr auf Grundlage des LuftSiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1. Formelle Verfassungsmäßigkeit des LuftSiG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zuständigkeit des Bundes für §§ 13 bis 15 LuftSiG . . . . . . . . . . . . b) Zustimmungsbedürftigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Der Rechtsrahmen für den Einsatz im Katastrophennotstand . . . . . . . a) Allgemeine Anforderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Zulässige Einsatzmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Entscheidungsbefugnis für den Einsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Wehrverfassungsrechtlicher Parlamentsvorbehalt? . . . . . . . . . . . . . . e) Sonstige Auswirkungen des Plenarbeschlusses auf Streitkräfteeinsätze . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Abschuss als Maßnahme des übergesetzlichen Notstandes? . . . . . . . . . . . III. Reformdiskussion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

506 506 506 506 507 510 510 511 513 514

C. Grundrechtliche Probleme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Bindungswirkung der grundrechtlichen Ausführungen . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verstoß gegen die Menschenwürde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Kollision von Achtungsanspruch und Schutzpflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

521 521 522 525

515 517 518

D. Strafrechtliche Rechtfertigungslösung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 528 I. Anwendung der Grundsätze des Defensivnotstands . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 528 II. Einseitige Verteilung von Rettungschancen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 533 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 538 Literaturverzeichnis zur 2. Auflage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 593 Sonstige Dokumente (Auswahl) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 607 Sach- und Personenregister . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 609

Abkürzungsverzeichnis a. A. a. F. a. M. ABl. EG Abs. A-Drs. AG AJIL AK Anm. AnwBl AöR ARSP Art. ASIL AT Aufl. AVR AWACS B BayPAG BayVBl. BayVGH BBG Bd. BEG BerDtGfV BerlK BGB BGBl. BGH BGHSt BGHZ BGS BGSG

anderer Ansicht alte Fassung am Main Amtsblatt der Europäischen Gemeinschaften Absatz, Absätze Ausschuss-Drucksache Amtsgericht The American Journal of International Law Alternativkommentar Anmerkung Anwaltsblatt Archiv des öffentlichen Rechts Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie Artikel The American Society of International Law Allgemeiner Teil Auflage Archiv des Völkerrechts Airborne Warning and Control System Beschluss Gesetz über die Aufgaben und Befugnisse der Bayerischen Staatlichen Polizei Bayerische Verwaltungsblätter Bayerischer Verwaltungsgerichtshof Bundesbeamtengesetz Band Bundesentschädigungsgesetz Berichte der Deutschen Gesellschaft für Völkerrecht Berliner Kommentar zum GG Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgesetzblatt Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Strafsachen Entscheidungen des Bundesgerichtshofes in Zivilsachen Bundesgrenzschutz Bundesgrenzschutzgesetz

22 BK BMVg BND BPolG BremPolG BT BT-Drucks. BT-Prot. BVerfG BVerfGE BVerfGG BVerwG BVerwGE BWV BYIL CDU CSU CYIL DDR DÖV DPolBl. DRiZ DVBl. DVP DVWG DZPhil EGMR EJIL EMRK EuGRZ EuZW f. / ff. FAZ FDP FG Fn. FR FS GA GG GO BReg

Abkürzungsverzeichnis Bonner Kommentar zum GG Bundesministerium der Verteidigung Bundesnachrichtendienst Gesetz über die Bundespolizei Bremisches Polizeigesetz Besonderer Teil Bundestags-Drucksachen Bundestags-Plenarprotokoll Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts Bundesverfassungsgerichtsgesetz Bundesverwaltungsgericht Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts Bundeswehrverwaltung; Fachzeitschrift für Administration The British Year Book of International Law Christlich Demokratische Union Christlich Soziale Union Canadian Yearbook of International Law Deutsche Demokratische Republik Die Öffentliche Verwaltung Deutsches Polizeiblatt Deutsche Richterzeitung Deutsches Verwaltungsblatt Deutsche Verwaltungspraxis; Fachzeitschrift für die öffentliche Verwaltung Deutsche Verkehrswissenschaftliche Gesellschaft Deutsche Zeitschrift für Philosophie Europäischer Gerichtshof für Menschenrechte European Journal of International Law Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten Europäische Grundrechte-Zeitschrift Europäische Zeitschrift für Wirtschaftsrecht folgend / folgende Frankfurter Allgemeine Zeitung Freie Demokratische Partei Festgabe Fußnote Frankfurter Rundschau Festschrift Goltdammer’s Archiv für Strafrecht Grundgesetz Geschäftsordnung der Bundesregierung

Abkürzungsverzeichnis GS GYIL HdBStR Hg./hg. HILJ HSOG HuV-I ICAO ICJ ICLQ IGH ILM JA JIR JoCL JöR JR JURA JuS JZ KAL KJ KritV LG LK LuftSiG LuftVG m. E. m.w. N. Max Planck UNYB MdB MDR MG MüKo n. F. NATO NJW NK NStZ NVA NVwZ

23

Gedächtnisschrift German Yearbook of International Law Handbuch des Staatsrechts der Bundesrepublik Deutschland Herausgeber/herausgegeben Harvard International Law Journal Hessisches Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung Humanitäres Völkerrecht-Informationsschriften (Zeitschrift) International Civil Aviation Organization International Court of Justice International and Comparative Law Quarterly Internationaler Gerichtshof International Legal Materials Juristische Arbeitsblätter Jahrbuch für internationales Recht Journal of Criminal Law Jahrbuch des öffentlichen Rechts der Gegenwart Juristische Rundschau Juristische Ausbildung Juristische Schulung Juristen Zeitung Korean Air Lines Kritische Justiz Kritische Vierteljahresschrift für Gesetzgebung und Rechtswissenschaft Landgericht Leipziger Kommentar zum StGB Luftsicherheitsgesetz Luftverkehrsgesetz meines Ermessens mit weiteren Nachweisen Max Planck Yearbook of United Nations Law Mitglied des Bundestages Monatsschrift für Deutsches Recht Maschinengewehr Münchener Kommentar zum StGB neue Folge/neue Fassung North Atlantic Treaty Organisation Neue Juristische Wochenschrift NomosKommentar zum StGB Neue Zeitschrift für Strafrecht Nationale Volksarmee Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht

24 NWVBl. NZWehrr OGHBrZ OGHSt OLG OVG PKK POG RhPf PolG NRW PVS Rdn. RevGDIP RGBl. RiA RuP SchwurG SchwZStR SG SJZ SK SOG MV Sp. SPD StGB StPO StraFO SZ ThürVBl. TranspR u. a. UBWV UN UNO UNYB US UZwG UZwGBw

VBlBW

Abkürzungsverzeichnis Nordrhein-Westfälische Verwaltungsblätter Neue Zeitschrift für Wehrrecht Oberster Gerichtshof für die Britische Zone Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes für die Britische Zone in Strafsachen Oberlandesgericht Oberverwaltungsgericht Arbeiterpartei Kurdistans Polizei- und Ordnungsbehörden Gesetz Rheinland Pfalz Polizeigesetz des Landes Nordrhein-Westfalen Politische Vierteljahresschrift Randnummer(n) Revue Générale de Droit International Public Reichsgesetzblatt Recht im Amt Recht und Politik Schwurgericht Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht Soldatengesetz Süddeutsche Juristenzeitung Systematischer Kommentar zum StGB Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung in Mecklenburg-Vorpommern Spalte Sozialdemokratische Partei Deutschlands Strafgesetzbuch Strafprozessordnung Strafverteidiger Forum Süddeutsche Zeitung Thüringer Verwaltungsblätter Transportrecht und andere/unter anderem Unterrichtsblätter für die Bundeswehrverwaltung United Nations United Nations Organization United Nations Year Book United States Gesetz über den unmittelbaren Zwang bei Ausübung öffentlicher Gewalt durch Vollzugsbeamte des Bundes Gesetz über die Anwendung unmittelbaren Zwanges und die Ausübung besonderer Befugnisse durch Soldaten der Bundeswehr und zivile Wachpersonen Verwaltungsblätter für Baden-Württemberg

Abkürzungsverzeichnis VerwArch VG VN VPR VR VVDStRL VwGO WehrG WEU WRV WStG WVK YJIL ZaöRV ZDV ZEuS ZfZ ZG ZgS ZIS zit. ZLW ZP ZRP ZRPh ZSE ZStW

25

Verwaltungsarchiv Verwaltungsgericht Vereinte Nationen; Zeitschrift für die Vereinten Nationen und ihre Sonderorganisationen Verteidigungspolitische Richtlinien Verwaltungsrundschau Veröffentlichungen der Vereinigung der Deutschen Staatsrechtslehrer Verwaltungsgerichtsordnung Wehrgesetz Westeuropäische Union Weimarer Reichsverfassung Wehrstrafgesetz Wiener Vertragsrechtskonvention The Yale Journal of International Law Zeitschrift für ausländisches öffentliches Recht und Völkerrecht Zentrale Dienstvorschrift Zeitschrift für europarechtliche Studien Zeitschrift für Zölle und Verbrauchsteuern Zeitschrift für Gesetzgebung Zeitschrift für die gesamte Staatswissenschaft Zeitschrift für Internationale Strafrechtsdogmatik zitiert Zeitschrift für Luft- und Weltraumrecht Zusatzprotokoll Zeitschrift für Rechtspolitik Zeitschrift für Rechtsphilosophie Zeitschrift für Staats- und Europawissenschaften Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft

1. Teil

Einleitung Vor gut 50 Jahren, am 12. November 1955, wurde die Bundeswehr gegründet. Die intensiv diskutierte Wiederbewaffnung der Bundesrepublik war eine Reaktion auf das militärische Bedrohungspotential der Staaten des Warschauer Pakts. Hauptaufgabe der neu aufgestellten Streitkräfte war die Verteidigung des bundesdeutschen Staatsgebietes im Zusammenwirken mit den Bündnispartnern der NATO gegen Angriffe konventioneller Streitkräfte. Dieses Bedrohungsszenario besteht seit Ende des Kalten Krieges nicht mehr. Der Schwerpunkt der Tätigkeiten der Bundeswehr hat sich von der klassischen Landesverteidigung zu Aufgaben der internationalen Krisenreaktion und Krisenbewältigung verschoben. Die verfassungs- und völkerrechtlichen Probleme dieser Tätigkeiten sind in den 1990er Jahren intensiv diskutiert worden. Als richtungsweisend ist das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 12. Juli 1994 zu der Zulässigkeit von Auslandseinsätzen der Bundeswehr zu nennen.1 Auch in jüngster Zeit wurden die Regelungen des so genannten Parlamentsbeteiligungsgesetzes2 ausführlich in der juristischen Literatur untersucht.3 Rechtliche Fragen der Bekämpfung von nicht-staatlichen Organisationen durch die Bundeswehr außerhalb der Bundesrepublik werden daher in dieser Arbeit nur vereinzelt am Rande behandelt.4 Die vorliegende Untersuchung wendet den Blick zurück auf die Abwehr von Gefahren, die das Staatsgebiet der Bundesrepublik unmittelbar betreffen. Dabei liegt der Schwerpunkt auf der Bekämpfung von Angriffen, die durch nicht-staatliche Organisationen durchgeführt werden. Dieses Thema hat nach den terroristischen Anschlägen vom 11. September 2001 eine erhebliche Bedeutung erlangt, da sich die Frage stellt, wie die Bundesrepublik auf mögliche Angriffe 1

BVerfGE 90, 286. Gesetz über die parlamentarische Beteiligung bei der Entscheidung über den Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Ausland vom 18. März 2005, BGBl. I, 775. 3 Vgl. F. Schröder, Das parlamentarische Zustimmungsverfahren zum Auslandseinsatz der Bundeswehr in der Praxis, 2005; T. Schaefer, Verfassungsrechtliche Grenzen des Parlamentsbeteiligungsgesetzes, 2005; D. Wiefelspütz, Parlamentsheer, insbesondere 312 ff. 4 Vgl. dazu etwa D. Sigloch, 139 ff.; W. S. Heinz, in: Fleck (Hg.), Rechtsfragen der Terrorismusbekämpfung durch Streitkräfte, 67 (77 ff.); D. Wiefelspütz, ZaöRV 65 (2005), 819 ff.; D. Blumenwitz, ZRP 2002, 102 ff. 2

28

1. Teil: Einleitung

nicht-staatlicher Organisationen reagieren will und kann. Diese Fragestellung hat auch eine besondere verfassungsrechtliche Bedeutung, da die Abwehr nichtstaatlicher Angreifer in vielen Fällen einen Einsatz der Streitkräfte innerhalb der Bundesrepublik erforderlich machen wird. Der Einsatz im Innern außerhalb des Verteidigungsauftrages unterliegt jedoch gemäß Art. 87a Abs. 2 GG besonderen verfassungsrechtlichen Einschränkungen. Es stellt sich daher zunächst die Frage, ob und unter welchen Voraussetzungen die wehrverfassungsrechtlichen Vorschriften des Grundgesetzes einen Einsatz der Streitkräfte innerhalb der Bundesrepublik zulassen. Festzustellen ist, dass die Frage eines Einsatzes der Streitkräfte im Inland ein politisch brisantes Thema ist.5 Teilweise entsteht der Eindruck, dass Teile der Bevölkerung und der Politik ein gestörtes Verhältnis zur Bundeswehr haben. Dabei ähneln sich die Argumentationslinien zwischen der aktuellen Diskussion und der Debatte um die Einfügung der Notstandsverfassung in das Grundgesetz in den 1960er Jahren.6 Es verwundert, dass im Jahr 2003 die Bundeswehr einem „Feind im Innern“ gleichgestellt und gegen die Erweiterungen der Sekundäraufgaben der Streitkräfte mit den Schreckensszenarien eines militaristischen Obrigkeitsstaates argumentiert wird.7 Derartige Äußerungen können ebenso wenig wie das Argument, der Staat müsse notfalls auch die Streitkräfte in Anspruch nehmen, um seine Bevölkerung vor Gefahren zu schützen, bei einer Beurteilung der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit eines Einsatzes der Bundeswehr zur Bekämpfung von nicht-staatlichen Angreifern helfen. Erforderlich ist eine nüchterne Betrachtung, die weder das Auftreten von neuartigen Bedrohungen noch den Sinn und Zweck der gegenwärtigen verfassungsrechtlichen Regelungen aus dem Blick verliert. Der Einsatz der Streitkräfte außerhalb des Verteidigungsauftrages ist in jüngster Zeit durch das Gesetz zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben vom 11. Januar 2005,8 das als Kernstück in Art. 1 das Luftsicherheitsgesetz (LuftSiG) enthält, auf eine einfachgesetzliche Grundlage gestellt worden: So enthal5 Vgl. M. Fischer, in: Meier-Walser (Hg.), Deutsche Sicherheitspolitik – Rückblick, Bilanz, Perspektiven, 119 (120), der zu Recht von einer „irrational-überhitze[n] Atmosphäre“ spricht. Siehe auch die zum Teil polemischen Ausführungen von W.-D. Narr, 21 ff. 6 Siehe die – aus heutiger Sicht nicht zu rechtfertigende – Kritik zur Notstandsverfassung bei R. Ver, 14 ff., 49 ff. 7 W. Wette, Die Zeit vom 5. Juni 2003; siehe aber auch O. Schily, EuGRZ 2005, 290 (291), der ursprünglich zu den Gegnern der Notstandsverfassung gehört hat und heute anerkennt, dass die „Kassandrarufe der radikalen Kritiker“ sich nicht bewahrheitet haben und die Notstandsgesetzgebung nicht den Weg in einen autoritären Staat gebahnt hat; ähnlich auch K. Ipsen, Beck Aktuell, Meldung vom 21. Februar 2006, becklink 170498. 8 BGBl. I, 78, geändert durch Art. 49 des Gesetzes vom 21. Juni 2005, BGBl. I, 1818.

1. Teil: Einleitung

29

ten die §§ 13 bis 15 LuftSiG Regelungen für den Streitkräfteeinsatz im Katastrophennotstand nach Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG. Das Bundesverfassungsgericht hat jedoch in seinem Urteil vom 15. Februar 2006 – 1 BvR 357/059 die Regelung des § 14 Abs. 3 LuftSiG für verfassungswidrig erklärt und die Nichtigkeit der Vorschrift festgestellt.10 Dabei sind allerdings wesentliche Fragen, die den Einsatz der Streitkräfte zur Abwehr nicht-staatlicher Angreifer betreffen, unbeantwortet geblieben. Vor dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts haben sich auch andere Gerichte am Rande mit dem LuftSiG auseinandergesetzt.11 Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof ist dabei implizit von der Verfassungsmäßigkeit des § 14 Abs. 3 LuftSiG ausgegangen, indem er die Regelungen des § 14 Abs. 1 und 3 LuftSiG heranzieht, um die staatlichen Gegenmaßnahmen gegen gezielte Flugzeugabstürze auf Kernkraftwerke zu belegen.12 Im Folgenden werden zunächst die verfassungsrechtlichen und völkerrechtlichen Grundlagen der Bekämpfung von nicht-staatlichen Angreifern dargestellt. Verfassungsrechtlich sind dabei die Begriffe „Einsatz“ und „Verteidigung“ im Sinne des Art. 87a Abs. 2 GG von besonderer Bedeutung. Im Rahmen des Völkerrechts geht es vor allem um die Reichweite des Selbstverteidigungsrechts nach Art. 51 UN-Charta. Dabei wird geklärt, inwieweit sich die völkerrechtlichen Grundsätze auf den verfassungsrechtlichen Verteidigungsbegriff übertragen lassen. Anhand von Beispielen wird sodann untersucht, in welchen Fällen die Bundeswehr zur Verteidigung gegen nicht-staatliche Angreifer eingesetzt werden kann. Dabei kommt der Frage, unter welchen Voraussetzungen ein Angriff von außen vorliegt, eine besondere Bedeutung zu. Im Anschluss werden die einfachgesetzlichen Regelungen der §§ 13 bis 15 LuftSiG erläutert und ihre Vereinbarkeit mit dem Grundgesetz untersucht. Dabei geht es zunächst um die Frage, ob die Vorschriften mit den wehrverfassungsrechtlichen Vorschriften des Grundgesetzes vereinbar sind. Der Schwerpunkt liegt auf den Regelungen in Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG, die nach dem Willen des Gesetzgebers die Grundlage für den Streitkräfteeinsatz nach dem LuftSiG darstellen.13

9

BVerfG, NJW 2006, 751. M. Baldus, NVwZ 2006, 532 (533), weist allerdings zu Recht darauf hin, dass die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht als Argument gegen die Ausweitung der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit des Einsatzes der Streitkräfte außerhalb des Verteidigungsauftrages verstanden werden kann. 11 Siehe die Nachweise unten 3. Teil C. I. 2. b) cc) (2). 12 BayVGH, Urteil vom 12. Januar 2006 – 22 A 03.40019, Rdn. 74; siehe zu diesen Gegenmaßnahmen auch BT-Drucks. 15/2829. 13 Vgl. BT-Drucks. 15/2361, 20. 10

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1. Teil: Einleitung

Im Folgenden wird die grundrechtliche Dimension der Bekämpfung nichtstaatlicher Angreifer, insbesondere die Problematik der Tötung von Unbeteiligten, erörtert. Es ist zu beobachten, dass die Argumentation der gegensätzlichen Meinungen hier häufig ins Apodiktische abgleitet: Die einen verweisen auf die Unantastbarkeit der Menschenwürde und das Grundrecht auf Leben der Unbeteiligten, während die andern den staatlichen Schutzauftrag angesichts der Todesgeweihtheit der Flugzeugpassagiere betonen. Das Bundesverfassungsgericht, das in der gesetzlichen Ermächtigung der Tötung von Unbeteiligten in § 14 Abs. 3 LuftSiG einen Verstoß gegen die Menschenwürde sieht, hat in diesem Zusammenhang keine wirklich neuen Argumente angeführt, auch wenn das Urteil zumindest einen vorläufigen Höhepunkt der Diskussion darstellt. Diese Untersuchung wird entgegen der höchstrichterlichen Auffassung zeigen, dass die Konstruierung eines Verstoßes gegen die Menschenwürde nicht überzeugend vertreten werden kann. Weiterhin wird auf das Grundrecht auf Leben nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und auch – was häufig übersehen wird – nach Art. 2 Abs. 1 EMRK eingegangen. Oft wird dabei vergessen, dass die Bundeswehr kein abstraktes Gebilde ist, sondern sich aus Menschen zusammensetzt. Daher stellt sich auch die Frage der strafrechtlichen Verantwortung der handelnden Soldaten und der militärischen beziehungsweise zivilen Befehlsgeber. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Frage ausdrücklich offengelassen.14 In der Literatur sind die Fragen der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit des Einsatzes der Streitkräfte, die Grundrechtsproblematik der Tötung von Unbeteiligten sowie die strafrechtliche Verantwortung bisher noch nicht umfassend betrachtet worden. Die vielfältigen Abhandlungen, die bisher im Zusammenhang mit dem LuftSiG erschienen sind, beschränken sich überwiegend nur auf einen oder zwei der genannten Aspekte. Die vorliegende Untersuchung widmet sich dagegen allen drei Aspekten.15 Nur auf diese Weise ist eine vollständige Beurteilung möglich, denn das Ergebnis der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit des Streitkräfteeinsatzes beeinflusst auch die strafrechtliche Betrachtung. Andererseits können Lösungsansätze aus der strafrechtlichen Dogmatik auch im Bereich der grundrechtlichen Fragestellungen relevant werden. Es soll kurz erwähnt werden, dass die Streitkräfte bei der Abwehr von nichtstaatlichen Angreifern bis zu dem Vorliegen einer tatsächlichen Gefahrenlage praktisch keine Rolle spielen. Vielmehr sind an erster Stelle polizeiliche und nachrichtendienstliche Maßnahmen zu nennen, die terroristische Aktivitäten bereits im Vorfeld aufklären und verhindern sollen.16 Der Gesetzgeber ist in diesem Bereich nach den Anschlägen vom 11. September 2001 mit der Verab14

BVerfG, NJW 2006, 751 (759 Abs. 130). Als vierter und untergeordneter Aspekt werden zusätzlich Fragen des Befehlsrechts bei einem Einsatz der Streitkräfte auf Grundlage des LuftSiG untersucht. 15

1. Teil: Einleitung

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schiedung des so genannten Terrorismusbekämpfungsgesetzes17 zügig tätig geworden und hat vor allem die Befugnisse der Polizei und der Nachrichtendienste erweitert.18 Auch auf europäischer Ebene sind diesbezüglich Maßnahmen umgesetzt worden.19 Die gesamte Diskussion um den Einsatz der Streitkräfte zur Abwehr nichtstaatlicher Angreifer ist stark auf die Bedrohung durch entführte Passagierflugzeuge ausgerichtet. Dies darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass auch andere Bedrohungsszenarien denkbar sind.20 Diese Arbeit behandelt dennoch ausschließlich den Einsatz der Streitkräfte zur Gefahrenabwehr im Luftraum, da zum einen ansonsten der Umfang gesprengt werden würde und zum anderen einfachgesetzliche Vorschriften für andere Bereiche der Gefahrenabwehr (noch) nicht vorliegen. Es bestehen jedoch innerhalb der Regierungskoalition Pläne für die Verabschiedung eines „Seesicherheitsgesetzes“, das die Abwehr von seewärtigen Angriffen zum Gegenstand haben soll.21 Die verfassungsrechtlichen Probleme eines solchen Einsatzes innerhalb der Bundesrepublik sind mit den Problemen hinsichtlich des Einsatzes nach dem LuftSiG vergleichbar. Zweifelhaft ist, ob es sinnvoll ist, einzelne Ausführungsgesetze für jede Teilstreitkraft zu erlassen. Im Sinne einer transparenten und übersichtlichen Regelungstechnik spricht hier vieles dafür, die einzelnen Bereiche in einem Gesetz zu vereinen. Dabei sollte sich der Gesetzgeber fragen, ob die Aufgabenwahrnehmung der Streitkräfte

16 Vgl. insbesondere zur Rasterfahndung H. Schulze-Fielitz, FS Schmitt Glaeser, 2003, 407 (419 ff.). Allerdings hat das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 4. April 2006 (BVerfG, NJW 2006, 1939) festgestellt, dass eine „allgemeine Bedrohungslage, wie sie im Hinblick auf terroristische Anschläge seit dem 11. September 2001 durchgehend bestanden hat, oder außenpolitische Spannungslagen“ nicht für die Anordnung der Rasterfahndung ausreichen. 17 Gesetz zur Bekämpfung des internationalen Terrorismus vom 9. Januar 2002, BGBl. I, 361, 3142. 18 Vgl. ausführlich zur „Ausweitung sicherheitsrechtlicher Regelungsansprüche“ bis zum Jahr 2005 J. Saurer, NVwZ 2005, 275 ff.; O. Lepsius, Leviathan 32 (2004), 64 (68 ff.); E. v. Bubnoff, NJW 2002, 2672 (2675 f.); E. Denninger, StV 2002, 96 ff.; kritisch zu den Maßnahmen W. Hoffmann-Riem, ZRP 2002, 497 ff. In diesem Zusammenhang ist dem ehemaligen Generalbundesanwalt Nehm zuzustimmen, dass trotz aller denkbaren Anstrengungen im Bereich der präventiven Gefahrenabwehr eine absolute Sicherheit nicht zu erreichen ist, vgl. K. Nehm NJW 2002, 2665 (2671). 19 Zum Beispiel die Verordnung des Rates über spezifische Maßnahmen zur Terrorismusbekämpfung vom 27. Dezember 2001, ABl. EG 2001 Nr. L 344, 70; vgl. C. Gusy, GA 2005, 215 ff.; v. Bubnoff, NJW 2002, 2672 f. 20 Vgl. P. Dreist, in: Blaschke u. a. (Hg.), Sicherheit statt Freiheit?, 77 (79 ff.). 21 Vgl. bereits die Äußerungen von MdB O. Schröder (CDU/CSU), Anhörung, 45. Zu den terroristischen Gefahren auf See ausführlich M. Stehr, 114 ff.; vgl. auch H.-J. Bühl, Europäische Sicherheit 1/2006, 69 (72 f.); T. Papenroth, DPolBl. 2005, 25 ff.; R. Wolfrum, Hansa – International Maritime Journal 4/2003, 12 ff.; zu den völkerrechtlichen Regelungen vgl. R. Wolfrum, FS Eitel, 2003, 649 ff.

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1. Teil: Einleitung

nicht generell eines Ausführungsgesetzes bedarf. Es ist jedenfalls festzustellen, dass zurzeit erhebliche Unsicherheiten hinsichtlich der Ermächtigungsgrundlagen der Streitkräfte zur Durchführung des Verteidigungsauftrages und bei der Wahrnehmung der Sekundäraufgaben nach Art. 87a Abs. 3, 4 GG und Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG bestehen. Die vorliegende Untersuchung beschränkt sich nicht auf die Betrachtung der Abwehr von Gewalttaten terroristischer Angreifer. Der Begriff „Terrorismus“ ist trotz zahlreicher Definitionsvorschläge22 weiterhin unklar und wirft daher im Rahmen einer juristischen Betrachtung Abgrenzungsprobleme auf. Vielmehr geht es vorliegend allgemein um die Bekämpfung von nicht-staatlichen Angreifern, die im Gegensatz zu regulären Streitkräften nicht von einem Staat aufgestellt worden sind.

22 Siehe nur aus jüngster Zeit etwa H. Hess, FS Lüderssen, 2002, 489 ff.; S. Diebitz, ARSP 2005, 558 ff.; K. Schmalenbach, NZWehrr 2000, 15 ff.; vgl. aus historischer Sicht B. Saul, Netherlands International Law Review LII (2005), 57 ff.

2. Teil

Bestimmung verfassungsrechtlicher Begriffe Einleitend wird auf die verfassungsrechtlichen Begriffe des Einsatzes, der Verteidigung und der Streitkräfte im Sinne des Art. 87a Abs. 2 GG eingegangen, da eine Begriffsklärung für den weiteren Verlauf der Arbeit erforderlich ist. In der Literatur existieren ausführliche Untersuchungen zu den Begriffen „Einsatz“ und „Verteidigung“.1 Ziel der vorliegenden Arbeit ist es daher nicht, neue, abschließende Definitionen zu entwickeln. Vielmehr geht es darum, die Begriffe im Zusammenhang mit der Abwehr von nicht-staatlichen Angreifern im Luftraum zu erläutern.

A. „Einsatz“ im Sinne des Art. 87a Abs. 2 GG Zunächst ist zu klären, welche Tätigkeiten der Streitkräfte zur Gefahrenabwehr im Luftraum überhaupt einen Einsatz im Sinne des Art. 87a Abs. 2 GG darstellen. Die einzelnen Maßnahmen der Streitkräfte werden in § 14 Abs. 1 und Abs. 3 sowie § 15 Abs. 1 Satz 1 und 2 LuftSiG genannt. Weiterhin sind Soldaten der Bundeswehr ohne eine besondere einfachgesetzliche Ermächtigungsgrundlage oder Aufgabenzuweisung im „Nationalen Lage- und Führungszentrum – Sicherheit im Luftraum“ im Bereich der Luftraumüberwachung tätig. Der Einsatzbegriff hat in der rechtswissenschaftlichen Literatur zwei „Diskussionswellen“ erlebt. Die erste fand in den 1960er Jahren im Rahmen der Debatte um die Einfügung von Notstandsregelungen in das Grundgesetz statt, die zweite wurde anlässlich der Verwendung von Soldaten der Bundeswehr im Ausland im Rahmen von Operationen der NATO beziehungsweise der Vereinten Nationen während der 1990er Jahre geführt. Das Bundesverfassungsgericht hat in der Vergangenheit in seinen Entscheidungen zu Tätigkeiten der Bundeswehr im Ausland2 den Begriff „Einsatz bewaffneter Streitkräfte“ geprägt,3 ohne 1 Vgl. insbesondere J.-P. Fiebig, Der Einsatz der Bundeswehr im Innern, 2004, der auf jeweils über 100 Seiten die Begriffe „Verteidigung“ und „Einsatz“ auslegt und definiert. 2 BVerfGE 90, 286; 108, 34. 3 Vgl. ausführlich F. Schröder, Zustimmungsverfahren zum Auslandseinsatz der Bundeswehr, 165 ff.

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2. Teil: Bestimmung verfassungsrechtlicher Begriffe

diesen jedoch zu definieren.4 Auch in seiner Entscheidung zu § 14 Abs. 3 LuftSiG setzt das Bundesverfassungsgericht den Begriff des Einsatzes offenbar voraus und verliert kein Wort zu seiner Definition. Der Wortlaut des Art. 87a Abs. 2 GG bietet keine Anhaltspunkte zur Auslegung des Begriffs „Einsatz“.5 Allerdings ist festzuhalten, dass der militärische Einsatzbegriff, wie er in Dienstvorschriften und in der militärischen Fachsprache zu finden ist,6 nicht für die verfassungsrechtliche Auslegung maßgebend ist.7

I. Meinungsstand 1. Jegliche Verwendung Die weiteste Ansicht definiert jede Verwendung der Bundeswehr als Einsatz, da der verfassungsändernde Gesetzgeber sämtliche Formen der Verwendung der Bundeswehr abschließend in Art. 87a Abs. 2 GG habe regeln wollen.8 Dies wird unter anderem damit begründet, dass der Gesetzgeber 1968 selbst die Katastrophenhilfe als Einsatz in Art. 35 GG ausgestaltet hat.9 Ein Abstellen auf Kriterien wie „militärisch“, „bewaffnet“ oder „gewaltausübend“ würde zudem „in vielen Fällen zu unlösbaren Abgrenzungsproblemen führen“.10 Daher sei ein Handeln der Bundeswehr unterhalb der „Einsatzschwelle“11 nicht denkbar.12 4 Es kann jedoch angenommen werden, dass Tätigkeiten der Bundeswehr, die unter den Begriff „Einsatz bewaffneter Streitkräfte“ fallen, auch einen Einsatz im Sinne des Art. 87a Abs. 2 GG darstellen. 5 J.-P. Fiebig, 111 ff. 6 Gemäß der ZDV 1/50 wird ein Einsatz als „die Durchführung von Gefechts- und Kampfeinsätzen oder entsprechender Aufgaben“ definiert. Darüber hinaus werden in der Militärsprache häufig auch reine Hilfsleistungen, wie zum Beispiel der Hochwasserschutz oder die Lieferung von Versorgungsgütern, als Einsatz bezeichnet. 7 N. K. Riedel, DÖV 1989, 890 (892); E. Beckert, BWV 1986, 145 (147). Allerdings meint E. Schemann, 38, dass Regelungen von Zentralen Dienstvorschriften als der Verfassung nachrangige Vorschriften im Lichte des Art. 87a Abs. 2 GG zu sehen seien und daher auch für die Bedeutung des verfassungsrechtlichen Einsatzbegriffes eine indizielle Bedeutung hätten. 8 D. Deiseroth, Neue Justiz 47 (1993), 145 (148); D. Majer, BWV 1992, 221; K. Kersting, NZWehrr 1983, 64 (68 f.). Nach B. K. W. Bähr, Verfassungsmäßigkeit des Einsatzes, 142, liegt ein Einsatz vor, „wenn der Staat die Hilfe seiner Streitkräfte außerhalb ihres internen Dienstbetriebes ziel- und zweckgerichtet zur Abwehr konkreter gegenwärtiger Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung im In- und Ausland in Anspruch nimmt.“; A. Reich, Art. 87a Rdn. 3, definiert Einsatz als „bestimmungsgemäße Verwendung“. 9 B. K. W. Bähr, Verfassungsmäßigkeit des Einsatzes, 139. 10 B. K. W. Bähr, Verfassungsmäßigkeit des Einsatzes, 140 m.w. N.; vgl. G. Burmester, NZWehrr 1993, 133 (139). 11 Vgl. zu diesem Begriff S. Brunner, Deutsche Soldaten im Ausland, 55.

A. „Einsatz‘‘ im Sinne des Art. 87a Abs. 2 GG

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Dieser weite Auslegungsansatz vermag jedoch nicht zu überzeugen: Zunächst gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass jegliche Tätigkeit der Streitkräfte dem Verfassungsvorbehalt des Art. 87a Abs. 2 GG unterfallen sollte. Es würde vielmehr dem Willen des verfassungsändernden Gesetzgebers widersprechen, Tätigkeiten wie karitative Unterstützungsleistungen, Ernteeinsätze oder Repräsentationsaufgaben nur auf Grundlage einer ausdrücklichen verfassungsrechtlichen Bestimmung zuzulassen.13 Bei der rein technischen Hilfeleistung ist ein Missbrauch der Streitkräfte im innerstaatlichen Bereich nicht zu befürchten. Daher kann auch die Kritik Bährs nicht überzeugen, der den restriktiveren Definitionsansätzen „eine – je nach politischer Tendenz – vom Grundgesetz nicht gedeckte Manipulation am Einsatzbegriff“ vorwirft.14 2. Kriterium der „Bewaffnung“ Einige Stimmen stellen entscheidend auf die Bewaffnung der handelnden Soldaten ab.15 Einsatz sei demnach die „Verwendung als spezifisch bewaffnete – nicht notwendig erst militärisch kämpfende – Vollzugsorgane“.16 Als Argument wird vor allem vorgetragen, die Streitkräfte seien gerade aufgrund ihrer Bewaffnung besonders „gefürchtet“.17 Gegen das Merkmal der Bewaffnung spricht zunächst die Entstehungsgeschichte:18 So enthielt der so genannte „Höcherl-Entwurf“ vom 11. Januar 1963 noch eine Unterscheidung zwischen „bewaffneten“ und „unbewaffneten“ Einsätzen der Streitkräfte.19 Diese Unterscheidung wurde aber bewusst aufgegeben. Weiterhin ist die Bewaffnung als Abgrenzungskriterium ungeeignet: F. Schröder weist zu Recht darauf hin, dass Panzer zum Transport von Hilfsgütern oder Kriegsschiffe zur Rettung von Schiffbrüchigen verwendet werden können,20 12 Vgl. J. Lorse, ZRP 2005, 6 f., der auch die technische Hilfeleistung und sonstige „Unterstützungsleistungen der Streitkräfte in ihrer Gesamtheit“ oberhalb der Einsatzschwelle des Art. 87a Abs. 2 GG ansiedelt; K. Kersting, NZWehrr 1983, 64 (68 f.). 13 Vgl. BT-Drucks. V/2873, 13. 14 B. K. W. Bähr, Verfassungsmäßigkeit des Einsatzes, 142. 15 v. Münch/Kunig-K.-A. Hernekamp, Art. 87a Rdn. 13; Sachs-J. Kokott, Art. 87a Rdn. 14; J. M. Mössner, FS Schlochauer, 1981, 97 (107); E. Klein, ZAöRV 34 (1974), 429 (435), wobei Klein anerkennt, dass „im Einzelfall auch der unbewaffnete Dienst der Streitkräfte“ ein Einsatz sein kann; H.-J. Hofer, NZWehrr 1973, 2 (5). 16 v. Münch/Kunig-K.-A. Hernekamp, Art. 87a Rdn. 13. 17 Vgl. W. Speth, 46. 18 B. K. W. Bähr, Verfassungsmäßigkeit des Einsatzes, 140 m.w. N. in Fn. 62. 19 Vgl. Art. 115l Abs. 3 Satz 1 des Entwurfes (BT-Drucks. IV/891): „Sollen die Streitkräfte gemäß Absatz 1 Buchstabe c im Innern mit der Waffe [Hervorhebung des Verf.] eingesetzt werden, so bedarf es hierzu der vorherigen Zustimmung des Bundestages [. . .].“ 20 F. Schröder, Zustimmungsverfahren zum Auslandseinsatz der Bundeswehr, 181.

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2. Teil: Bestimmung verfassungsrechtlicher Begriffe

ohne dass dies eine Gewaltausübung beinhalten würde. Daher kann das Merkmal der Bewaffnung auch in der Praxis den Einsatzbegriff nicht zuverlässig definieren. 3. Kriterium der „militärischen Verwendung“ Ein weiterer Ansatz fragt danach, ob die Streitkräfte „für militärische Vorhaben verwendet werden“. Der Begriff „militärische Verwendung“ soll dabei nicht als Gegensatz zu der „bewaffneten Verwendung“ verstanden werden,21 sondern es komme darauf an, ob die Tätigkeit der Streitkräfte im Hinblick auf Mittel, Vorgehensweise und Zielsetzung spezifisch militärische Elemente aufweist.22 Dies sei der Fall, wenn die fraglichen Tätigkeiten notwendigerweise mit Gewaltanwendungsbefugnissen verbunden sind und nicht von Dritten mit entsprechenden technischen, personellen und organisatorischen Kapazitäten übernommen werden könnten.23 Auch dieser Ansatz ist wenig hilfreich. Er verlagert das Auslegungsproblem lediglich in den Begriff der „militärischen Verwendung“,24 ohne klare Abgrenzungsmerkmale dafür liefern zu können, wann eine Tätigkeit militärisch und wann sie nicht-militärisch ist. 4. Kriterium der „innenpolitischen Neutralität“ Dürig hat einen Ansatz entwickelt, der den Einsatzbegriff über das Merkmal der „innenpolitischen Neutralität“25 definiert.26 Dieses Element sei wegen des Wesens des Militärs erforderlich, das für den demokratischen Staat eine latente Bedrohung darstelle. Armeen würden dazu neigen, „eine ,Eigendynamik‘ zu entfalten, die sie zu willigen Instrumenten bei innenpolitischen Machtproben prädestiniert“.27 Bartke greift Dürigs Argumentation auf und bejaht einen Einsatz immer dann, wenn die Bundeswehr in einer politischen Krise oder einer Konfliktsituation in Anspruch genommen wird.28 In diese Richtung argumen21 Vgl. B. Nölle, 81. Nölle bejaht eine militärische Verwendung aber jedenfalls dann, wenn der Einsatz von Waffen erforderlich ist. 22 A. Coridaß, 85 f.; U. Schopohl, 132. 23 U. Schopohl, 133. 24 Vgl. W. März, 27. 25 Vgl. zum Begriff der innenpolitischen Neutralität bereits C. Schmitt, Der Hüter der Verfassung, 100 ff., wobei Schmitt maßgeblich auf eine parteipolitische Neutralität abstellt. 26 Maunz/Dürig-G. Dürig, Art. 87a Rdn. 34. 27 Maunz/Dürig-G. Dürig, Art. 87a Rdn. 29; vgl. auch K. D. Bracher, 91 f. 28 M. Bartke, 146 ff. Bartke versteht im Ergebnis auch technische Hilfsleistungen als Einsatz, da auch bei diesen Verwendungen die Bundeswehr aufgrund der Verfüg-

A. „Einsatz‘‘ im Sinne des Art. 87a Abs. 2 GG

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tiert auch v. Bülow, der Einsatz als „jede [. . .] nicht bloß innenpolitisch neutrale Streitkräfteverwendung als ,Mittel der vollziehenden Gewalt‘, gleichgültig, ob diese bewaffnet erfolgt oder nicht“ definiert.29 Teilweise wird ein Verstoß gegen die innenpolitische Neutralität in der Nutzung von militärischem „Know-how“ gesehen.30 Das Merkmal der innenpolitischen Neutralität ist viel zu unbestimmt, um sachgerechte Abgrenzungen zu gewährleisten und kann daher kein normativer Maßstab für den Einsatzbegriff sein.31 So bleibt unklar, warum die Nutzung von militärischem „Know-how“ innenpolitisch nicht neutral sein soll. Auch kann von einer bemühten „Wertedistanz“32 zwischen der Bundeswehr und der freiheitlichen demokratischen Grundordnung der Bundesrepublik Deutschland heute längst keine Rede mehr sein.33 5. Führung durch Befehl und Gehorsam Schmidt-Jortzig nennt neben dem Erfordernis einer unmittelbaren Zwangsanwendung die Führung durch Befehl und Gehorsam als maßgebliches Kriterium des Einsatzbegriffes.34 Ähnlich verstehen andere einen Einsatz als funktionsgerechte Verwendung im Rahmen einer militärischen Hierarchie35 oder meinen, „jede organisierte Verwendung von Truppeneinheiten“ stelle einen Einsatz dar.36 Diese Ansicht kann jedoch nicht überzeugen, da jede dienstliche Tätigkeit von Soldaten ohnehin auf dem Prinzip von Befehl und Gehorsam beruht und daher eine Abgrenzung des Einsatzes zu einer schlichten Verwendung nicht erleichtert wird.37 Das Kriterium der Verwendung im Rahmen einer übergeordnebarkeit von Waffen und schwerem Gerät „als Sieger aus jeder staatlichen Machtprobe hervorgehen“ würde. Bartke begründet aber nur unzureichend, warum eine rein technische Hilfe überhaupt eine „innerstaatliche Machtprobe“ beinhalten sollte. 29 C. v. Bülow, Einsatz der Streitkräfte zur Verteidigung, 60. 30 N. K. Riedel, Einsatz deutscher Streitkräfte im Ausland, 210 f.; B. Reinemann, VR 1995, 176; R. Jahn/N. K. Riedel, DÖV 1988, 957 (960). 31 So auch D. Wiefelspütz, BWV 2004, 121 (124); F. Schröder, Zustimmungsverfahren zum Auslandseinsatz der Bundeswehr, 182. 32 Vgl. C. v. Bülow, Einsatz der Streitkräfte zur Verteidigung, 59. 33 Ebenso P. Dreist, NZWehrr 2006, 45 (55); siehe auch C. Lutze, DPolBl. 2005, 12 (13). 34 E. Schmidt-Jortzig, DÖV 2002, 773 (776). 35 E. Schemann, 60 f.; F. Kirchhof, HdBStR, Band III, § 78 Rdn. 29; T. Stein, FS Doehring, 1989, 935 (941); T. Stein/H. Kröninger, JURA 1995, 254 (256). 36 M. Oldiges, in: Achterberg/Püttner (Hg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Band 2, § 23 Rdn. 14. 37 F. Schröder, Zustimmungsverfahren zum Auslandseinsatz der Bundeswehr, 181; M. Ladiges, Speyerer Arbeitshefte Nr. 159 (2004), 161 (165).

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2. Teil: Bestimmung verfassungsrechtlicher Begriffe

ten Befehlsgewalt spielt lediglich bei der Definition des Begriffs „Streitkräfte“38 eine Rolle. 6. „Zweigliedriger Einsatzbegriff“ Einen neuen Ansatz, den so genannten „zweigliedrigen Einsatzbegriff“, hat vor kurzem Linke entwickelt:39 Es komme darauf an, ob die Streitkräfte hoheitlich gegenüber dem Bürger auftreten oder durch den Bund ohne Ersuchen eines Landes in dessen Kompetenzbereich eingesetzt werden.40 Im Umkehrschluss seien schlichte Verwendungen der Streitkräfte, die nach einem Anfordern und unter der Regie des betroffenen Landes erfolgen, und Maßnahmen des Bundes auf dem Gebiet der bundeseigenen Verwaltung kein Einsatz im Sinne des Art. 87a Abs. 2 GG.41 Linke stützt sich bei der Heranziehung einer föderativen Komponente des Einsatzbegriffes maßgeblich auf historische und systematische Erwägungen: „Die Einordnung des Art. 87a Abs. 2 GG in den VIII. Abschnitt [des Grundgesetzes] ist also keine falsa demonstratio, sondern Ausdruck der kompetenzwahrenden Funktion dieser Vorschrift zu Gunsten der Eigenstaatlichkeit der Länder, die jeden militärischen Eingriff in ihren Kompetenzraum zum unmittelbar verfassungsrechtlich rechtfertigungsbedürftigen Einsatz macht.“42

Linkes Ansatz ist zirkelschlussartig, da er den Einsatzbegriff dadurch bestimmt, ob der Bund die Streitkräfte ohne Ersuchen eines Landes einsetzt. Weiterhin ist die Betonung des föderalen Einsatzaspektes überflüssig, da es keinen verfassungsrechtlichen Anwendungsbereich eines solchen Aspektes gibt. Der Bund hat keine rechtliche Möglichkeit, die Streitkräfte gegen den Willen eines Landes in dessen Aufgabenbereich zu verwenden. Eine solche Verwendung kann nur im Rahmen der allgemeinen Amtshilfe gemäß Art. 35 Abs. 1 GG erfolgen. Amtshilfe durch die Streitkräfte kann nur nach einem Hilfeersuchen der anfordernden Behörde geleistet werden. Ein eigenes Tätigwerden des Bundes mittels der Streitkräfte kommt damit nicht in Betracht. Im Fall des Einschreitens des Bundes nach Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG, das auch gegen den Willen des betroffenen Landes möglich ist, liegt schon nach der verfassungsrechtlichen Formulierung ein Einsatz vor. 38

Siehe unten 2. Teil C. I. Einen föderalen Aspekt des Einsatzbegriffes hat bereits Brunner im Jahre 1993 betont. Er meint, dass jede Unterstellung der Streitkräfte unter Weisungen eines Landes oder einer sonstigen zwischenstaatlichen Einrichtung einen Einsatz darstellt, unabhängig davon, zu welchen Verwendungen die Streitkräfte herangezogen werden, vgl. S. Brunner, Deutsche Soldaten im Ausland, 54 f. 40 T. Linke, AöR 129 (2004), 489 (496, 507 ff.). 41 T. Linke, AöR 129 (2004), 489 (513). 42 T. Linke, AöR 129 (2004), 489 (508). 39

A. „Einsatz‘‘ im Sinne des Art. 87a Abs. 2 GG

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7. Ansatz von Schäuble Vor kurzer Zeit hat sich der Bundesminister des Innern Wolfgang Schäuble zu dem Einsatzbegriff im Sinne des Art. 87a Abs. 2 GG geäußert. Er ist der Auffassung, dass der Einsatz der Streitkräfte etwas anderes ist als polizeiliche Gefahrenabwehr. Wörtlich führt Schäuble aus: „Beim Einsatz der Streitkräfte geht es um Verteidigung [. . .] und dabei gelten die völkerrechtlichen Regeln des ius in bello zumindest entsprechend.“43

Schäubles Ansatz würde die Regelung des Art. 87a Abs. 2 GG bedeutungslos machen, denn diese Regelung betrifft gerade die verfassungsrechtliche Begrenzung des Einsatzes der Streitkräfte außerhalb des Verteidigungsauftrages. Die Gleichstellung des Einsatzbegriffes mit dem Verteidigungsauftrag widerspricht fundamental dem Willen des verfassungsändernden Gesetzgebers, den Einsatz der Streitkräfte außerhalb des Verteidigungsauftrages zu begrenzen44 und kann daher nicht überzeugen. 8. Mittel der vollziehenden Gewalt bzw. hoheitliches Handeln Überwiegend wird darauf abgestellt, dass der Einsatzbegriff sich danach bestimmt, ob die Streitkräfte „hoheitlich“45 beziehungsweise als „Mittel der vollziehenden Gewalt“46 tätig werden. Diese Meinung kann sich vor allem auf die Entstehungsgeschichte stützen. Der Bericht des Rechtsausschusses des Deutschen Bundestages vom 9. Mai 1968 führt aus, dass Art. 87a Abs. 2 GG „die Zuweisung von Vollzugsbefugnissen an die Streitkräfte außer zur Verteidigung einer ausdrücklichen Regelung im Grundgesetz“ vorbehält.47 Zur Abgrenzung des hoheitlichen Handelns, das einen Einsatz darstellt, zu einer schlichten Verwendung wird vielfach auf Eingriffsbefugnisse abgestellt.48 Es soll darauf ankommen, ob hoheitliche Aufgaben unter Inanspruchnahme von Zwangs- und Eingriffsbefugnissen wahrgenommen werden. Auch das Bundesministerium der Verteidigung hat in der Vergangenheit das Kriterium der hoheitlichen Zwangsanwendung als maßgeblich für die Bestim43

W. Schäuble, EuGRZ 2005, 294 (296). BT-Drucks. V/2873, 12 f. 45 Statt vieler C. Arndt, DVBl. 1968, 729 (730). 46 Dreier-W. Heun, Art. 87a Rdn. 15; H. Stein, 156; D. Wiefelspütz, BWV 2004, 121 (122); W. Brunkow, NZWehrr 1971, 12 (15). 47 BT-Drucks. V/2873, 12 f. 48 D. Sigloch, 55; M. Schultz, 178; M. Zimmer, 56; Jarass/Pieroth-B. Pieroth, Art. 87a Rdn. 7; Seifert/Hömig-D. Hömig, Art. 87a Rdn. 6; H. Jochum, JuS 2006, 511 (512); C. Lutze, NZWehrr 2001, 117 (119); G. Gornig, JZ 1993, 123 (126); R. Emde, NZWehrr 1992, 133 (142). 44

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2. Teil: Bestimmung verfassungsrechtlicher Begriffe

mung des hoheitlichen Handelns angesehen. So wird in einer Ausarbeitung ausgeführt: „Einsatz der Streitkräfte bedeutet nicht ihre Verwendung schlechthin, sondern nur im Rahmen der ,vollziehenden Gewalt‘, als deren Teil die Streitkräfte das äußere Gewaltmonopol des Staates repräsentieren. [. . .] Entscheidend ist vielmehr, dass die Streitkräfte zur Ausübung oder Unterstützung von Gewalt zur Durchsetzung einer Position verwendet werden.“49

Diese Position hat im Wesentlichen auch die Bundesregierung im Zusammenhang mit der Frage der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit von Auslandseinsätzen der Bundeswehr vertreten.50 Ähnlich beschreibt März einen Einsatz als jede nicht-gewaltneutrale Verwendung.51 Andere nehmen eine Abgrenzung anhand des Zwecks der Verwendung vor. So bejaht Lutze einen Einsatz bei einer „Inanspruchnahme der Bundeswehr zur zielgerichteten Gefahrenabwehr“.52 Dies sei dann der Fall, wenn materielle Polizeiaufgaben von der Bundeswehr übernommen werden.53 Unter diesen Aufgaben versteht Lutze vor allem Tätigkeiten, die zur Verhütung von Straftaten dienen.54 Nach Brunner liegt eine hoheitliche Verwendung im Inneren vor, wenn der „Zweck der Verwendung die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ist“.55 Darüber hinaus bestehen noch einige Einzelmeinungen, die zum Teil mehrere Ansätze miteinander verbinden. So stellt O. Hoffmann auf das Kriterium der „intentionellen Anwendung militärischer Gewalt“, das heißt das „physische Einwirken auf Menschen und Sachen durch die Streitkräfte mittels militärischer Hilfsmittel zum Zwecke der Durchsetzung einer Position“, ab.56 In diese Richtung gehen auch andere Stimmen, die als Abgrenzungskriterium die Verwendung von Soldaten zur „staatlichen Gewaltausübung“57, „zur Ausübung oder Unterstützung von Gewalt“58, „für Strafverfolgungszwecke“59 oder eine „ho-

49 Ausarbeitung des Bundesministeriums der Verteidigung VR II, August 1988, zitiert nach E. Schemann, Fn. 98. 50 Vgl. BVerfGE 90, 286 (328). 51 W. März, 27. 52 C. Lutze, NZWehrr 2001, 117 (121 f.); a. A. V. Röben, ZaöRV 63 (2003), 585 (586 Fn. 4), der ohne nähere Begründung meint, bei einer „polizei-funktionalen Verwendung“ der Streitkräfte, etwa bei der Bekämpfung von Piraterie, liege kein Einsatz vor. 53 C. Lutze, NZWehrr 2001, 117 (121); P. Kirchhof, FS Bernhardt, 1995, 797 (808). 54 C. Lutze, NZWehrr 2001, 117 (121). 55 S. Brunner, Deutsche Soldaten im Ausland, 56. 56 O. Hoffmann, 191 ff. 57 S. Brunner, Deutsche Soldaten im Ausland, 55. 58 C. v. Bülow, NZWehrr 1984, 237 (240). 59 H. Klückmann, DVBl. 1977, 952 (954).

A. „Einsatz‘‘ im Sinne des Art. 87a Abs. 2 GG

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heitliche Verwendung der Streitkräfte als bewaffnete Vollzugsorgane“60 heranziehen. Das Kriterium des Grundrechtseingriffes kann die Abgrenzung zwischen einem hoheitlichen und einem schlichten Handeln und damit auch die Abgrenzung zwischen einem Einsatz im Sinne des Art. 87a Abs. 2 GG und einer Verwendung der Streitkräfte am zuverlässigsten gewährleisten. Es ist jedoch erforderlich, hiervon rein mittelbare Eingriffe auszunehmen, da ansonsten der Einsatzbegriff ausufern würde und sich im Ergebnis der bereits abgelehnten Auffassung annähern würde, die jegliche Verwendung ausreichen lässt. Ein Einsatz liegt demnach nur bei finalen Grundrechtseingriffen vor. Für die Anknüpfung an Grundrechtseingriffe spricht insbesondere, dass der verfassungsändernde Gesetzgeber Furcht vor einer Erosion von Grundrechten durch notstandsrechtliche Maßnahmen hatte.61 Die Streitkräfte sollten – auch wegen der allgemeinen Wehrpflicht – nur in Ausnahmefällen Zwangsmaßnahmen gegen die eigene Bevölkerung anwenden dürfen. Es ging also um den Schutz der Bürger vor den Streitkräften.62 Eines solchen Schutzes bedarf es aber auch nur dann, wenn zu befürchten ist, dass die Streitkräfte den Bürgern eingreifend gegenübertreten. Im Übrigen ist es nicht ausreichend, auf den Zweck des Tätigwerdens der Streitkräfte zur Gefahrenabwehr abzustellen, da auch rein technische Maßnahmen, wie zum Beispiel der Hochwasserschutz, zur Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung erfolgen können, ohne dass ein Einsatz im Sinne des Art. 87a Abs. 2 GG vorliegt. Im Ergebnis ist an dieser Stelle festzuhalten, dass ein Einsatz im Sinne des Art. 87a Abs. 2 GG eine Verwendung der Streitkräfte als Mittel der vollziehenden Gewalt voraussetzt. Ein solches Handeln liegt vor, wenn die Streitkräfte final in Grundrechte eingreifen. Eine weitere Konkretisierung des Einsatzbegriffes wird im Folgenden anhand der Tätigkeiten der Streitkräfte zur Gefahrenabwehr im Luftraum vorgenommen.

II. Anwendung auf die Tätigkeiten auf Grundlage des LuftSiG Unabhängig davon, wie der Begriff Einsatz im Sinne des Art. 87a Abs. 2 GG zu verstehen ist, besteht Einigkeit darüber, dass jedenfalls der Abschuss eines Flugzeuges oder eines sonstigen Flugkörpers durch die unmittelbare Einwirkung mit Waffengewalt gemäß § 14 Abs. 3 LuftSiG als eine bewaffnete militärische Maßnahme, die final in Grundrechte eingreift, einen Einsatz darstellt.63 Hiervon 60 61 62

S. Oeter, NZWehrr 2000, 89 (97). Vgl. BT-Prot. V/117, 5873 f., 5877. Vgl. T. Linke, AöR 129 (2004), 489 (510 ff.).

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2. Teil: Bestimmung verfassungsrechtlicher Begriffe

geht auch das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zu § 14 Abs. 3 LuftSiG aus, ohne dies näher zu begründen. Zweifelhaft ist jedoch, ob auch die sonstigen Maßnahmen der Streitkräfte auf Grundlage des LuftSiG einen Einsatz darstellen. Sollte dies der Fall sein, so müssten auch für diese Maßnahmen ausdrückliche Zulassungen im Grundgesetz bestehen. Die Tätigkeiten der Streitkräfte zur Gefahrenabwehr im Luftraum lassen sich schematisch wie folgt darstellen:

Einsatzschwelle?

Intensität der Maßnahmen

– Unmittelbare Waffeneinwirkung (Abschuss) – Abgeben von Warnschüssen – Erzwingen der Landung – Abdrängen – Warnen, Umleiten und Überprüfen – Allgemeine Luftraumüberwachung

1. Maßnahmen nach §§ 14 Abs. 1, 15 Abs. 1 LuftSiG Unklar ist, ob auch die Maßnahmen nach §§ 14 Abs. 1, 15 Abs. 1 LuftSiG, die der unmittelbaren Einwirkung mit Waffengewalt gemäß § 14 Abs. 3 LuftSiG vorgelagert sind, unter den Einsatzbegriff fallen.64 Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts sagt hierzu recht wenig aus, da das Bundesverfassungsgericht insoweit die Verfassungsbeschwerde als unzulässig angesehen hat.65 Aller63 K. Paulke, 112; K. Baumann, JURA 2006, 447 (450); K. Odendahl, Die Verwaltung 38 (2005), 425 (438); U. Sittard/M. Ulbrich, JuS 2005, 432 (433); M. Fischer, JZ 2004, 376 (379); H. Sattler, NVwZ 2004, 1286; T. Linke, DÖV 2003, 890 (891 f.). 64 Dafür zum Beispiel P. J. Tettinger, ZLW 2004, 334 (340): „Bei der Inanspruchnahme bewaffneter Kampfjets der Luftwaffe für Maßnahmen im Sinne von § 14 Abs. 1 E LuftSiG [geht es] gewiss um einen Einsatz mit der Konsequenz, dass die Grundregel des Art. 87a Abs. 2 GG greift.“ 65 BVerfG, NJW 2006, 751 (752 Abs. 76). Die Beschwerdeführer haben nach Ansicht des Bundesverfassungsgerichts im Zusammenhang mit diesen Vorschriften keine eigene Beschwer geltend gemacht.

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dings bezeichnet es die vorgelagerten Befugnisse der Streitkräfte gemäß §§ 14 Abs. 1, 15 Abs. 1 LuftSiG wörtlich als „Einsatzmaßnahmen“; 66 dies könnte dafür sprechen, dass es sich um Tätigkeiten handelt, die einen Einsatz im Sinne des Art. 87a Abs. 2 GG darstellen. Weiterhin führt das Bundesverfassungsgericht aus: „Die Streitkräfte, deren Einsatz [Hervorhebung des Verf.] die §§ 13 bis 15 LuftSiG regeln, werden vom Bund nach Art. 87a Abs. 1 Satz 1 GG zur Verteidigung aufgestellt.“67 Auch dieser Satz tendiert in Richtung der Einsatzqualität. Weitgehende Einigkeit besteht noch über die Einsatzqualität des Abdrängens und des Abgebens von Warnschüssen nach § 14 Abs. 1 LuftSiG.68 Hier wird zu Recht ein Einsatz im Sinne des Art. 87a Abs. 2 GG angenommen, denn die Streitkräfte werden eingreifend tätig. Teilweise werden auch die Warnung und Umleitung in der Luft nach § 15 Abs. 1 LuftSiG als Einsätze im Sinne des Art. 87a Abs. 2 GG angesehen.69 Epping und Laschewski meinen, dass allenfalls die Überprüfung eines Luftfahrzeuges „grenzwertig“ sei, da diese noch unterhalb der Einsatzschwelle liegen könnte.70 Allein der Hinweis auf eine Grenzwertigkeit kann für eine Bewertung jedoch nicht weiterhelfen. Auch Spranger greift den Gedanken auf, dass eine Identifizierung nach § 15 Abs. 1 Satz 1 LuftSiG noch als bloße Verwendung der Streitkräfte verstanden werden könnte.71 Dagegen spreche jedoch, dass eine derartige Betrachtung einen einheitlichen Vorgang in lebensfremder Weise aufspalten würde. Insofern seien auch Tätigkeiten des Air-Policing, die „innerhalb kürzester Zeit und unmittelbar in weiterreichende Maßnahmen einmünden“ können, ein Einsatz im Sinne des Art. 87a Abs. 2 GG.72 Zum Teil wird hier undifferenziert vertreten, dass „bewaffnete Verwendungen der Luftwaffe zur Wahrnehmung von materiell polizeilichen Luftraumsicherungsaufgaben“ generell als Einsatz gelten.73 Noch weitgehender bewertet Dreist Tätigkeiten im Bereich des Air-Policing generell als Einsatz.74 Zirkel66 BVerfG, NJW 2006, 751 (752). Allerdings wird diese Formulierung im Zusammenhang mit § 15 Abs. 1 LuftSiG nicht einheitlich verwendet, denn an anderer Stelle spricht das Bundesverfassungsgericht von „sonstigen Maßnahmen“, siehe BVerfG, NJW 2006, 751 (753 Abs. 80). 67 BVerfG, NJW 2006, 751 (754 Abs. 93). 68 K. Fehn/M. Brauns, 59. 69 K. Paulke, 112; J. Martínez Soria, DVBl. 2004, 597 (605); V. Epping, Stellungnahme, 9; a. A. C. Gramm, GreifRecht 2/2006, 82. 70 G. Laschewski, 135; V. Epping, Stellungnahme, 9. 71 T. M. Spranger, in: Fleck (Hg.), Rechtsfragen der Terrorismusbekämpfung durch Streitkräfte, 183 (189). 72 T. M. Spranger, in: Fleck (Hg.), Rechtsfragen der Terrorismusbekämpfung durch Streitkräfte, 183 (189); ähnlich auch V. Epping, Anhörung, 39. 73 T. Linke, DÖV 2003, 890 (892). 74 P. Dreist, NZWehrr 2002, 133 (139).

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2. Teil: Bestimmung verfassungsrechtlicher Begriffe

schlussartig meint M. Fischer, der „Einsatz von Abfangjägern“ sei ein Einsatz im Sinne des Art. 87a Abs. 2 GG.75 Andere setzen sich mit der Frage der Einsatzqualität der Aufgabenwahrnehmung gemäß § 15 Abs. 1 LuftSiG überhaupt nicht auseinander.76 Dagegen unterscheidet Droege zwischen den verschiedenen Maßnahmen und meint, Tätigkeiten der Streitkräfte nach §§ 14 Abs. 1, 15 Abs. 1 LuftSiG seien als „minimalinvasive reine Luftraumüberwachungsmaßnahmen“ möglicherweise noch als schlichte Verwendung einzuordnen.77 Ähnlich äußert sich Emde – allerdings ohne Bezug zum LuftSiG –, der noch keinen Einsatz darin sieht, wenn Abfangjäger versuchen, Luftfahrzeuge durch ihre Anwesenheit abzuschrecken.78 Fraglich ist, ob eine Erheblichkeitsschwelle bei der Definition des Einsatzes berücksichtigt werden sollte. Es wäre angesichts einer geringeren Missbrauchsgefahr denkbar, unerhebliche Eingriffe wie das Abdrängen oder das Zwingen zur Landung aus dem Einsatzbegriff auszugrenzen. Dagegen spricht jedoch, dass der verfassungsändernde Gesetzgeber selbst Tätigkeiten wie die Verkehrsregelung, die mit vergleichbar geringfügigen Eingriffen verbunden sind, ausdrücklich in Art. 87a Abs. 3 Satz 1 GG genannt hat. Insofern kann nicht auf eine Erheblichkeit abgestellt werden. Zudem würde die Anerkennung einer Erheblichkeitsschwelle eine Abgrenzung in der Praxis wiederum erschweren. Weiterhin weist Laschewski zu Recht darauf hin, dass die Umleitung oder Warnung in der Regel eine Anwendung von Zwang für den Fall impliziert, dass der Umleitung oder Warnung nicht nachgekommen wird.79 Im Ergebnis sind daher auch Maßnahmen gemäß §§ 14 Abs. 1, 15 Abs. 1 LuftSiG ein Einsatz im Sinne des Art. 87a Abs. 2 GG. 2. Allgemeine Luftraumüberwachung Am 1. Oktober 2003 wurde das so genannte „Nationale Lage- und Führungszentrum – Sicherheit im Luftraum“ in Kalkar eingerichtet. Beamte der Bundespolizei, Angehörige der deutschen Flugsicherung sowie Soldaten der Bundeswehr sind dort 24 Stunden am Tag damit beschäftigt, Bewegungen im Luft75

M. Fischer, JZ 2004, 376 (379). Vgl. T. Stein, FS R. Mußgnug, 2005, 85 (90); D. Winkler, DÖV 2006, 149 (150), die nur die in § 14 Abs. 1, 3 LuftSiG geregelten Maßnahmen auf die Einsatzqualität hin untersucht. 77 M. Droege, NZWehrr 2005, 199 (204 f.); in diese Richtung wohl auch C. Gramm, DVBl. 2006, 653, der die Maßnahmen nach § 15 Abs. 1 Satz 1 LuftSiG „unterhalb der Schwelle zum bewaffneten Streitkräfteeinsatz im Innern“ einordnet. Unklar bleibt jedoch, ob Gramm die Maßnahmen auch unterhalb der Schwelle des unbewaffneten Einsatzes ansieht. 78 R. Emde, NZWehrr 1992, 133 (147). 79 G. Laschewski, 134. 76

A. „Einsatz‘‘ im Sinne des Art. 87a Abs. 2 GG

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raum der Bundesrepublik zu überwachen.80 Diese Überwachung dient dem Zweck, Informationen über etwaige Zwischenfälle und Abweichungen im Luftraum zu erkennen. Durch die Zentralisierung sollen die notwendigen Erkenntnis-, Entscheidungs- und Handlungsabläufe effektiv zusammengefasst werden.81 Das Bundesministerium der Verteidigung hat am 10. März 2004 im Bundestag eine kleine Anfrage zu der Rechtsgrundlage der Einrichtung des „Nationalen Lage- und Führungszentrums – Sicherheit im Luftraum“ beantwortet.82 Nach den Ausführungen des damaligen Parlamentarischen Staatssekretärs beim Bundesminister der Verteidigung Hans Georg Wagner handelt es sich bei den Tätigkeiten der Soldaten um eine „Verwendung [Hervorhebung des Verf.] der Streitkräfte [. . .] im Rahmen der Amtshilfe“.83

Widersprüchlich ist jedoch, dass Wagner zugleich ausdrücklich auf die Abwehr eines besonders schweren Unglücksfalls nach Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG Bezug nimmt. Diese Bezugnahme macht nur dann Sinn, wenn die Tätigkeit der Soldaten gerade keine schlichte Verwendung, sondern ein Einsatz im Sinne des Art. 87a Abs. 2 GG ist, da ansonsten eine Bezugnahme auf Art. 35 Abs. 1 GG ausreichend gewesen wäre. Wagner führt weiterhin aus, dass durch die Einrichtung des „Nationalen Lage- und Führungszentrums – Sicherheit im Luftraum“ nicht die Gefahr bestehe, dass es zu einer Aufweichung des Trennungsgebotes zwischen der Aufgabenwahrnehmung der Polizeikräfte gegen Gefahren von innen und der Streitkräfte gegen Gefahren von außen kommen kann. Vielmehr werde die Tätigkeit der Bundeswehr „sofort beendet, wenn vermutete terroristische Angriffe unterbleiben sollten“.84 Die Bundesregierung hat zudem am 8. März 2006 anlässlich einer kleinen Anfrage der Abgeordneten Petra Pau (DIE LINKE) die Auffassung vertreten, das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu § 14 Abs. 3 LuftSiG habe keine Auswirkungen auf die Tätigkeit von Soldaten der Bundeswehr im „Nationalen Lage- und Führungszentrum – Sicherheit im Luftraum“. Nach Angaben des Parlamentarischen Staatssekretärs Peter Altmaier nehmen die Soldaten weiterhin Tätigkeiten zur Einleitung und Koordination von Maßnahmen gemäß § 15 Abs. 1 Satz 2 LuftSiG wahr.85 80 K. Paulke, 35, führt aus – offenbar unter Rückgriff auf den damaligen Bundesminister des Innern Schily (BT-Prot. 15/89, 7883) –, die Soldaten befänden sich „dort rund um die Uhr im Einsatz [Hervorhebung des Verf.]“. Ob Paulke damit meint, es handelt sich um einen Einsatz im Sinne des Art. 87a Abs. 2 GG ist zweifelhaft, da sie den Begriff „Einsatz“ auch auf die Beamten des Bundesgrenzschutzes bezieht. 81 BT-Prot. 15/89, 7883. 82 BT-Prot. 15/96, 8584 f. 83 BT-Prot. 15/96, 8585. 84 BT-Prot. 15/96, 8585. 85 BT-Prot. 16/21, 1613 (Anlage 2).

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Das Problem der Einsatzqualität der allgemeinen Luftraumüberwachung im „Nationalen Lage- und Führungszentrum – Sicherheit im Luftraum“ ist in der Literatur weitgehend ignoriert worden.86 Die Aussage, „die Abwehr terroristischer Gefahren im Luftraum“ stelle einen Einsatz dar,87 ist zu pauschal, da nicht deutlich ist, wann die Abwehr beginnt. Durch die allgemeine Luftraumüberwachung werden Gefahren durch Luftzwischenfälle überhaupt erst erkannt. Im weiteren Verlauf werden die Abfangjäger der Bundeswehr über die Lage informiert und an das entsprechende Luftfahrzeug herangeführt.88 Die konkreten Zwangsmaßnahmen auf Grundlage des LuftSiG können somit nicht losgelöst von der allgemeinen Luftraumüberwachung durchgeführt werden. Daraus folgt, dass – in einem weiten Sinne – auch die Luftraumüberwachung der Abwehr von Gefahren im Luftraum dient. Es ist daher nicht zutreffend, dass die Identifizierung eines Luftfahrzeuges durch die Alarmrotte der Luftwaffe als „erste Stufe des air policing“ bezeichnet wird.89 Die erste Stufe stellt die allgemeine Luftraumüberwachung dar. Fraglich ist daher, ob die Tätigkeit der Soldaten im Rahmen der allgemeinen Luftraumüberwachung im „Nationalen Lage- und Führungszentrum – Sicherheit im Luftraum“ dem Einsatzbegriff des Art. 87a Abs. 2 GG unterfällt. Sollte dies der Fall sein, müsste sich diese Tätigkeit – soweit sie außerhalb des Verteidigungsauftrages erfolgen sollte – gemäß Art. 87a Abs. 2 GG auf eine ausdrückliche verfassungsrechtliche Zulassung stützen können. Im Folgenden wird daher untersucht, ob auch unterstützende Tätigkeiten, die nicht unmittelbar Grundrechtseingriffe bewirken, einen Einsatz darstellen können. a) Meinungsstand Teilweise wird vertreten, ein Einsatz liege auch dann vor, wenn Eingriffe, Regelungen oder die Anwendung von Zwang unmittelbar vorbereitet werden.90 Das Merkmal der „Unmittelbarkeit“ soll der Abgrenzung von „Unterstützungs-

86 Eine kurze Betrachtung findet sich bei J. Martínez Soria, DVBl. 2004, 597 (605). Martínez Soria meint, die Überwachung verstoße gegen „Art. 35 GG in Verbindung mit Art. 87a Abs. 2 GG“, da die Aufgabenwahrnehmung nicht zeitlich befristet ist und zudem die Soldaten unter einer militärischen Führung tätig werden. Zu der Frage der Einsatzqualität äußert er sich jedoch nicht. A. Archangelskij, 134 f., spricht die Problematik kurz an und meint, ein Einsatz im Sinne des Art. 87a Abs. 2 GG liege nicht vor, da „die bloße Luftraumüberwachung in niemandes Rechte eingreift, sondern nur schützt“. Archangelskij setzt sich aber nicht mit der Frage der Unterstützung von eingreifenden Tätigkeiten auseinander. 87 K. Paulke, 112; H. Sattler, NVwZ 2004, 1286. 88 Vgl. R. Niklaus, 53 ff. 89 So aber T. M. Spranger, in: Fleck (Hg.), Rechtsfragen der Terrorismusbekämpfung durch Streitkräfte, 183 (189). 90 R. Emde, NZWehrr 1992, 133 (143).

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maßnahmen im weitesten Sinne“, die keinen Bezug zum Kampfgeschehen haben, dienen.91 Diese Argumentation bezog sich vor allem auf Tätigkeiten der Bundeswehr im Ausland, zum Beispiel die logistische Unterstützung fremder Streitkräfte.92 Fiebig hat den Gedanken der mittelbaren Unterstützung auch für Einsätze im Inneren aufgegriffen. Er meint, es gebe auch „mittelbar obrigkeitliche Verwendungen der Bundeswehr mit Einsatzcharakter“. Darunter seien Tätigkeiten der Bundeswehr zu verstehen, die selber noch keine hoheitliche Tätigkeit darstellen, aber „unmittelbar obrigkeitliches Tätigwerden nicht-militärischer Kräfte“ ermöglichen.93 In diese Richtung argumentiert auch Dreist, der es ausreichen lässt, dass die jeweiligen Tätigkeiten der Bundeswehr „zur Ausübung hoheitlichen Zwanges gegenüber dem Bürger beitragen [Hervorhebung des Verf.]“; eine solche Tätigkeit sei bei der „Einsatzleitung von Jagdflugzeugen“ gegeben.94 Wiefelspütz wendet sich gegen diese Auffassung, da sie mit beträchtlichen Auswirkungen auf problematische Weise verfassungsrechtliches Neuland betrete. Die Konsequenz wäre, dass vielfältige Unterstützungsmaßnahmen der Bundeswehr, die als schlicht-hoheitlich eingestuft werden und daher auf Grundlage des Art. 35 Abs. 1 GG zulässig seien, nicht mehr durchgeführt werden könnten.95 Gegen Fiebigs Auffassung spreche weiterhin, dass ein und dieselbe Unterstützungsmaßnahme der Bundeswehr zur Tätigkeit anderer Behörden entweder nur hoheitlichen oder nur nicht-hoheitlichen Charakter haben kann. Ein und dieselbe Maßnahme könne nicht – abhängig von dem Tätigwerden anderer Behörden – einmal hoheitlich und ein andermal nicht-hoheitlich sein.96 Wiefelspütz hat weiterhin in der öffentlichen Sachverständigenanhörung zum LuftSiG am 26. April 2004 vertreten, die Aufklärung durch ein Flugzeug der Bundeswehr sei ein öffentlich-rechtlicher Realakt, von dem keine Zwangswirkung ausgehe. Daher liege keine Einsatzqualität der Maßnahmen vor.97 Wiefelspütz mag Recht haben mit seiner Kritik, dass Unterstützungsleistungen für andere Behörden durch die Bundeswehr nicht unter den Einsatzbegriff gemäß Art. 87a Abs. 2 GG fallen. Bei der allgemeinen Luftraumüberwachung handelt es sich jedoch um einen anderen Sachverhalt. Die Soldaten im „Nationalen Lage- und Führungszentrum – Sicherheit im Luftraum“ werden nicht für 91

R. Emde, NZWehrr 1992, 133 (143). Vgl. N. K. Riedel, Einsatz deutscher Streitkräfte im Ausland, 233 ff.; M. Schultz, 178 f. 93 J.-P. Fiebig, 202; zustimmend H. Jochum, JuS 2006, 511 (512). 94 P. Dreist, NZWehrr 2006, 45 (68). 95 D. Wiefelspütz, BWV 2004, 121 (123). 96 D. Wiefelspütz, BWV 2004, 121 (123). 97 D. Wiefelspütz, Anhörung, 29. 92

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andere Behörden tätig, sondern bereiten eigene Einsätze der Streitkräfte vor. Dies spricht eher für die Einsatzqualität von Maßnahmen der allgemeinen Luftraumüberwachung. b) Vergleich mit AWACS-Überwachungsflügen Bei der Beurteilung der Frage der Einsatzqualität hilft ein Vergleich zur Tätigkeit der Bundeswehr bei der Luftraumüberwachung durch AWACS-Flugzeuge.98 Die Soldaten an Bord der AWACS-Flugzeuge sammeln lediglich Informationen und werten diese aus, ohne selbst unmittelbar in das Kampfgeschehen einzugreifen.99 Die Besatzungen nehmen also selbst keine Eingriffe vor. Dennoch lag nach Auffassung der FDP-Bundestagsfraktion im Zusammenhang mit AWACS-Überwachungsflügen im Februar und März 2003 über der Türkei, an denen auch deutsche Soldaten beteiligt waren, ein Einsatz bewaffneter Streitkräfte vor,100 mit der Folge, dass eine konstitutive Zustimmung des Bundestages erforderlich gewesen wäre.101 Die Bundesregierung hatte eine derartige Zustimmung jedoch nicht eingeholt. Zur Begründung führte sie aus, die AWACS-Flüge würden lediglich der strikt defensiven Luftraumüberwachung über der Türkei dienen und die Soldaten würden keinerlei Unterstützung für Operationen gegen den Irak leisten.102 Daraufhin beantragte die FDP-Bundestagsfraktion beim Bundesverfassungsgericht, im Wege der einstweiligen Anordnung die Erforderlichkeit der konstitutiven Zustimmung des Bundestages festzustellen. aa) Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 25. März 2003 Diesen Antrag lehnte das Bundesverfassungsgericht am 25. März 2003 ab.103 Eine Klärung, ob ein „Einsatz bewaffneter Streitkräfte“ vorliegt, könne erst im Hauptsacheverfahren getroffen werden. Das Bundesverfassungsgericht hält im

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Airborne Warning and Control System. Vgl. dazu näher P. Dreist, ZaöRV 64 (2004), 1001 (1006). 100 Vgl. die Ausführungen des FDP-Vorsitzenden G. Westerwelle, BT-Prot. 15/34, 2714 ff. 101 Ein entsprechender Entschließungsantrag ist am 20. März 2003 im Bundestag gescheitert, vgl. BT-Prot. 15/35, 2920. 102 Vgl. die Ausführungen des damaligen Bundeskanzlers G. Schröder, BT-Prot.15/ 34, 2727. Auch im ähnlichen Fall der Entsendung von AWACS-Flugzeugen in die Vereinigten Staaten nach dem 11. September 2001 vertrat die Bundesregierung die Ansicht, dass keine Zustimmung des Bundestages erforderlich sei, http://archiv. bundesregierung.de/bpaexport/artikel/68/59068/multi.htm. 103 BVerfGE 108, 34. 99

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Rahmen dieses Hauptsacheverfahrens104 eine Konkretisierung für erforderlich, wann deutsche Soldaten „in bewaffnete Unternehmungen einbezogen“105 sind und inwieweit eine „mittelbare Einbeziehung in bewaffnete Unternehmungen den Parlamentsvorbehalt auslöst“.106 Das Bundesverfassungsgericht schließt einen Einsatz der Streitkräfte im Rahmen der AWACS-Flüge nicht grundsätzlich aus, da es immerhin den Antrag auf einstweilige Anordnung nicht als offensichtlich unbegründet ansieht.107 Das Bundesverfassungsgericht formuliert allerdings im ersten Satz der Beschlussbegründung: „Der Antrag betrifft die Frage, ob der gegenwärtige Einsatz [Hervorhebung des Verf.] deutscher Soldaten in AWACS-Flugzeugen der NATO in der Türkei der Zustimmung des Deutschen Bundestages bedarf.“108

Ob das Bundesverfassungsgericht mit dieser Formulierung eine Vorentscheidung andeutet oder lediglich sprachlich ungenau den militärischen Sprachgebrauch verwendet hat, kann der Verfasser nicht beurteilen. Bemerkenswert ist, dass bis zum heutigen Tage keine Entscheidung in der Hauptsache ergangen ist und auch nicht absehbar ist, wann eine solche Entscheidung ergehen wird.109 bb) Bewertung in der Literatur Die Literatur hat sich zu der Entscheidung unterschiedlich geäußert: So stellt Fischer-Lescano im Zusammenhang mit dem Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Ausland auf eine „Gesamtbetrachtung“ ab. Für die Frage eines Einsatzes komme es nicht erst auf die Abwehr eines konkreten Angriffs an. Vielmehr sei es ausreichend, dass die Tätigkeit der Streitkräfte darauf gerichtet ist, Gefahren frühzeitig zu erkennen und etwaige Gegenmaßnahmen zu ermöglichen.110 Ent104 Eine Entscheidung im Hauptsacheverfahren steht zum jetzigen Zeitpunkt noch aus. Auch das Parlamentsbeteiligungsgesetz hat in diesem Punkt keine Klärung gebracht, vgl. F. Schröder, NJW 2005, 1401 ff.; W. Weiß, NZWehrr 2005, 100 ff. 105 Vgl. BVerfGE 90, 286 (387 f.). 106 BVerfGE 108, 34 (43). 107 BVerfGE 108, 34 (42); vgl. W. Weiß, NZWehrr 2005, 100 (106), der meint, das Bundesverfassungsgericht tendiere zu einer Auslegung, die auch Überwachungsaufgaben als Einsatz bewaffneter Streitkräfte ansieht, soweit diese Bedeutung für eine militärische Auseinandersetzung erhalten könnten; ähnlich auch M. Krajewski, AVR 41 (2003), 419 (421); C. Gramm, UBWV 2003, 161 (163); zurückhaltender M. Nolte, NJW 2003, 2359 (2360). 108 BVerfGE 108, 34. 109 Die lange Verfahrensdauer mag daran liegen, dass es der Opposition offenbar weniger um die rechtlichen Fragen des Falles ging, sondern vielmehr darum, der Bundesregierung eine politische Niederlage beizubringen, vgl. H. Sauer, JA 2004, 19 (22). Anzumerken ist, dass auch das Parlamentsbeteiligungsgesetz keine ausreichende Definition für den Begriff des „Einsatzes bewaffneter Streitkräfte“ enthält, vgl. M. Rau, AVR 44 (2006), 93 (98). 110 A. Fischer-Lescano, NVwZ 2003, 1474 (1475). Im Ergebnis wäre nach FischerLescanos Auffassung auch für die Entsendung von AWACS-Flugzeugen in die Verei-

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scheidend sei, „ob für ein Gebrauchmachen hoheitlicher Vollziehungsgewalt eine konkrete Möglichkeit besteht“.111 Auch Dreist tendiert zu der Annahme eines Einsatzes, soweit die AWACS-Flugzeuge eine „wesentliche militärische Führungsfunktion“ wahrgenommen haben. Die Gefahr der Einbeziehung in kriegerisches Geschehen sei ausreichend.112 Gilch argumentiert, diese Gefahr sei durch die zumindest indirekte Beteiligung der Türkei an den Operationen gegen den Irak gegeben gewesen, da die AWACS-Aufklärer das Staatsgebiet einer „kriegsbefangenen Konfliktpartei“ geschützt hätten.113 Lutze meint, Überwachungsflüge würden jedenfalls dann einen Einsatz im verfassungsrechtlichen Sinn darstellen, wenn der Luftraum eines Bündnispartners, der an ein Kriegsgebiet angrenzt, überwacht werden soll, denn in diesen Fällen handele es sich um eine funktionsgerechte Tätigkeit innerhalb einer militärischen Hierarchie.114 Auch Schaefer bewertet die Verwendung deutscher Soldaten in den AWACSAufklärungsflugzeugen als Einsatz bewaffneter Streitkräfte. Es sei ausreichend, dass die AWACS-Aufklärer dazu dienen sollten, potentielle Angriffsabsichten zu erkennen und gegebenenfalls Gegenmaßnahmen zur Abwehr angreifender Flugzeuge zu unterstützen.115 Durch die Sammlung von Informationen und die Weiterleitung dieser Informationen an andere militärische Stellen seien die Soldaten der Bundeswehr als „Teil einer militärischen Informationskette in bewaffnete Operationen einbezogen“ gewesen.116 Schaefer betont auch zu Recht, dass es – entgegen den Äußerungen des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder117 – für die Frage des Einsatzes unbeachtlich ist, ob die Bundeswehrsoldaten einen rein defensiven oder einen offensiven Auftrag erfüllen.118 Gegen diese Auffassungen wendet sich Wiefelspütz: Die abstrakte Möglichkeit eines Einsatzes könne nicht einem konkreten Einsatz gleichgestellt werden.119 AWACS-Flüge zur Erfüllung von NATO-Bündnispflichten seien auch dann kein Einsatz im Sinne des Art. 87a Abs. 2 GG, wenn in fremdes Staatsgebiet „hineingeschaut“ werden sollte.120 Entgegen Dreist sei auch eine erhöhte nigten Staaten nach dem 11. September 2001 (Operation „Eagle Assist“) eine Zustimmung des Bundestages erforderlich gewesen; eine solche Zustimmung ist jedoch nicht erfolgt. 111 A. Fischer-Lescano, NVwZ 2003, 1474 (1476); C. Fischer/ders., KritV 2002, 113 (118 f.). 112 P. Dreist, ZaöRV 64 (2004), 1001 (1038). 113 A. Gilch, 94. 114 C. Lutze, DÖV 2003, 972 (974). 115 T. Schaefer, 246 f. 116 T. Schaefer, 246. 117 Vgl. BT-Prot. 15/34, 2727. 118 T. Schaefer, 243. 119 D. Wiefelspütz, Parlamentsheer, 303 ff.; ders., ZaöRV 64 (2004), 363 (378).

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Gefahr oder ein erhöhter Grad an Wahrscheinlichkeit der Einbeziehung in Kampfhandlungen unbeachtlich.121 Allerdings anerkennt Wiefelspütz auch, dass jedenfalls ein Einsatz vorliegen würde, wenn die Besatzungen der AWACSFlugzeuge als „Teil einer militärischen Informationskette in bewaffnete Operationen verstrickt“ sind, obwohl die AWACS-Flugzeuge selbst unbewaffnet sind.122 c) Stellungnahme und Ergebnis Als Grundgedanke ist festzustellen, dass es für einen Einsatz nicht erforderlich ist, dass die handelnden Soldaten selber unmittelbar eingreifend tätig werden. Vielmehr liegt ein Einsatz auch dann vor, wenn eingreifende Maßnahmen anderer Soldaten ohne die unterstützende Tätigkeit nicht möglich sind. Ein Einsatz beginnt nicht erst dann, wenn Eingriffe vorgenommen werden, sondern bereits, wenn die Streitkräfte Vorbereitungen für Eingriffshandlungen treffen und diese Eingriffe ohne weiteres Zuwarten vornehmen können, soweit dies erforderlich ist.123 Damit liegt ein Einsatz auch dann vor, wenn die Streitkräfte potentiell zu Eingriffshandlungen oder zur Unterstützung dieser Eingriffshandlungen herangezogen werden könnten.124 Die Aufgaben der allgemeinen Luftraumüberwachung können mit Tätigkeiten des Objektschutzes (vgl. Art. 87a Abs. 3 GG) verglichen werden. Auch hier werden Soldaten zunächst nur überwachend tätig, ohne Eingriffshandlungen vorzunehmen. Dennoch sind Tätigkeiten im Objektschutz ein Einsatz. Bewacht eine Gruppe Sicherungssoldaten ein gefährdetes Objekt, so ist auch der Gruppenführer im Einsatz, selbst wenn dieser nur mit einem Fernglas die Umgebung beobachtet, um gegebenenfalls den unterstellten Soldaten Befehle zur Ausführung von Eingriffshandlungen zu geben.125 Allerdings muss eine Grenze bei den Unterstützungsmaßnahmen gezogen werden. So ist ein Soldat, der eine Sicherungsgruppe mit Verpflegung versorgt, nicht im Einsatz im Sinne des Art. 87a Abs. 2 GG, auch wenn er durch seine Handlung die Einsatztätigkeit der Sicherungssoldaten fördert. Eine unterstützende Tätigkeit muss daher immer 120

D. Wiefelspütz, NVwZ 2005, 496 (497). D. Wiefelspütz, NVwZ 2005, 496 (497). 122 D. Wiefelspütz, Parlamentsvorbehalt, 55. 123 Vgl. M. Fischer, JZ 2004, 376 (379), der zu Recht davon ausgeht, dass bereits das präventive Stationieren von Luftabwehrraketen zur Abwehr von Gefahren aus dem Luftraum unter den Einsatzbegriff des Art. 87a Abs. 2 GG fällt. 124 Ebenso C. Lutze, DPolBl. 2005, 12 (13); ders., DÖV 2003, 972 (974); M. Wild, DÖV 2000, 622 (624); ansatzweise auch J. Ipsen, Anhörung, 55. 125 Das Gleiche gilt auch, wenn Soldaten, die keine Vorgesetzten sind, Aufklärungstätigkeiten übernehmen, um gegebenenfalls Informationen für die unmittelbar ausführenden Soldaten zu sammeln. 121

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2. Teil: Bestimmung verfassungsrechtlicher Begriffe

mit den Sicherungsaufgaben des Objektschutzes vergleichbar sein, um unter den Einsatzbegriff des Art. 87a Abs. 2 GG zu fallen. Die Ablehnung eines Einsatzes kann entgegen Wiefelspütz auch nicht darauf gestützt werden, dass die Soldaten im „Nationalen Lage- und Führungszentrum – Sicherheit im Luftraum“ nicht im Rahmen einer konkreten Gefährdungslage tätig werden. Die Abgrenzung des Einsatzbegriffes über das Vorliegen einer konkreten Gefährdungslage würde der Begrenzungsfunktion des Art. 87a Abs. 2 GG126 widersprechen. Wiefelspütz’ Auffassung würde nämlich dazu führen, dass die Verwendung der Streitkräfte zum Objektschutz innerhalb der Bundesrepublik in einer abstrakten Gefährdungslage jederzeit zulässig wäre, da insoweit die Begrenzungsfunktion des Art. 87a Abs. 2 GG noch nicht greifen würde. Folgte man Wiefelspütz’ Auffassung, wäre also ein flächendeckender Objektschutz durch die Bundeswehr mangels der Einsatzqualität so lange zulässig, wie keine konkrete Gefährdung vorliegen würde. Daher kann eine einschränkende Auslegung des Einsatzbegriffes anhand des Erfordernisses des Tätigwerdens in einer konkreten Gefährdungslage nicht überzeugen. Im Ergebnis stellt die luftraumüberwachende Tätigkeit von Soldaten im „Nationalen Lage- und Führungszentrum – Sicherheit im Luftraum“ einen Einsatz im Sinne des Art. 87a Abs. 2 GG dar, soweit Maßnahmen der Streitkräfte auf Grundlage des LuftSiG oder andere Eingriffsmaßnahmen durch die Soldaten vorbereitet und unterstützt werden. Dies heißt jedoch noch nicht automatisch, dass die allgemeine Luftraumüberwachung durch die Bundeswehr nicht mit Art. 87a Abs. 2 GG vereinbar wäre. Die Luftraumüberwachung ist vielmehr auch präventiv möglich, soweit sie zur Abwehr von Angriffen von außen dient, da sie dann durch den Verteidigungsauftrag der Streitkräfte verfassungsrechtlich legitimiert ist. Der Verteidigungsauftrag umfasst dabei nicht nur die unmittelbaren Abwehrhandlungen, sondern auch die erforderliche Vorbereitung hierzu. Die Streitkräfte dürfen daher auf Grundlage des Verteidigungsauftrages auch Einsätze vollziehen, die zur Feststellung dienen, ob Abwehrhandlungen überhaupt durch den Verteidigungsauftrag legitimiert werden können.127 Wie weit der Verteidigungsauftrag im Einzelnen reicht, wird im Folgenden dargestellt. Festzuhalten ist, dass es für die Luftraumüberwachung durch die Streitkräfte innerhalb der Bundesrepublik, soweit sie sich gegen solche Angriffe richtet, die 126

Siehe dazu unten 2. Teil B. III. 2. Ähnlich wie bei dem Rechtsinstitut des Gefahrerforschungseingriffs des allgemeinen Gefahrenabwehrrechts, können die Streitkräfte „Erforschungseinsätze“ zur Überprüfung, ob die Voraussetzungen für einen Einsatz zur Verteidigung vorliegen, unmittelbar auf Grundlage des Verteidigungsauftrages unternehmen. Ein Rückgriff auf Regelungen der Sekundäreinsätze ist damit für derartige Maßnahmen nicht erforderlich. 127

A. „Einsatz‘‘ im Sinne des Art. 87a Abs. 2 GG

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nicht auf Grundlage des Verteidigungsauftrages bekämpft werden können, gemäß Art. 87a Abs. 2 GG einer ausdrücklichen verfassungsrechtlichen Zulassung bedarf. Dies bedeutet nicht etwa, dass die Tätigkeit der Soldaten im „Nationalen Lage- und Führungszentrum – Sicherheit im Luftraum“ aus tatsächlichen Gründen Anlass zu Beunruhigung geben sollte.128 Eine Überwachung des Luftraums durch militärische Stellen ist schon deshalb erforderlich, da die weiteren Maßnahmen zur Gefahrenabwehr im Luftraum in erster Linie durch die Luftwaffe getroffen werden. Ob die Tätigkeiten der Streitkräfte zur allgemeinen Luftraumüberwachung zur Abwehr von Angriffen von innen auf eine ausdrückliche verfassungsrechtliche Zulassung gestützt werden können, wird im 3. Teil der Arbeit geprüft. d) Exkurs: Luftraumüberwachung bei der WM 2006 Der Bundesminister des Innern Wolfgang Schäuble hat im Zusammenhang mit der Fußball-Weltmeisterschaft 2006 in der Bundesrepublik wiederholt gefordert, Streitkräfte zur Gefahrenabwehr zu verwenden.129 Dabei sollte die Bundeswehr nach der Auffassung Schäubles mit AWACS-Maschinen den Luftraum überwachen, allgemeine Aufgaben des Objektschutzes wahrnehmen und andere Sicherheitskräfte logistisch unterstützen.130 Schäuble hat auch nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu § 14 Abs. 3 LuftSiG vertreten, dass die Tätigkeiten zur Luftraumüberwachung verfassungsrechtlich unbedenklich seien.131 In diese Richtung geht auch Wiefelspütz und meint: „Das ist eine Selbstverständlichkeit. Die Bundeswehr kann mit AWACS-Flugzeugen den Luftraum überwachen und logistische Hilfe geben.“132

Schäuble und Wiefelspütz gehen anscheinend davon aus, dass die Luftraumüberwachung lediglich eine schlichte Verwendung der Streitkräfte, aber keinen Einsatz im Sinne von Art. 87a Abs. 2 GG darstellt. Nach den vorstehenden Ausführungen liegt jedoch ein Einsatz vor, der einer ausdrücklichen verfas-

128

In diese Richtung aber A. Fischer-Lescano, KJ 2004, 67 (68). Vgl. Meldung vom 9. Februar 2006, http://www.spiegel.de/politik/deutschland/ 0,1518,400058,00.html; siehe dazu ausführlich P. Dreist, NZWehrr 2006, 45 ff.; N. Drees/M. Niedzwicki, UBWV 2006, 139 ff. 130 Eine anders lautende offizielle Stellungnahme der Bundesregierung findet sich in BT-Drucks. 16/143, 3. 131 Interview mit W. Schäuble am 16. Februar 2006, http://www.bmi.bund.de/cln_ 028/nn_122688/Internet/Content/Nachrichten/Medienspiegel/2006/02/BM__Luftsicher heitsgesetz.html. 132 Zitiert nach M. Lutz, Die Welt vom 5. Januar 2006, http://www.welt.de/data/ 2006/01/05/827056.html. 129

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2. Teil: Bestimmung verfassungsrechtlicher Begriffe

sungsrechtlichen Zulassung bedarf. Von einer „Selbstverständlichkeit“ des Streitkräfteeinsatzes kann daher keine Rede sein.

III. Zusammenfassende Thesen zum Begriff „Einsatz“ im Sinne des Art. 87a Abs. 2 GG 1. Ein Einsatz der Streitkräfte im Sinne des Art. 87a Abs. 2 GG liegt vor, wenn diese als Mittel der vollziehenden Gewalt tätig werden. Ein solches Tätigwerden zeichnet sich durch finale Grundrechtseingriffe aus. 2. Ein Einsatz beginnt nicht erst dann, wenn Eingriffshandlungen tatsächlich vorgenommen werden. Es ist vielmehr ausreichend, dass die Tätigkeit der Soldaten auf das Eingreifen in Grundrechte gerichtet ist. 3. Dabei kommt es nicht auf eine konkrete Gefahrenlage an. Für das Vorliegen eines Einsatzes ist es unerheblich, dass Grundrechtseingriffe durch die Tätigkeit der Streitkräfte unwahrscheinlich sind. Ausreichend ist, dass die Tätigkeit unmittelbar dazu dient, im Falle einer Gefahrenlage in Grundrechte eingreifen zu können. 4. Neben den Soldaten, die unmittelbar Grundrechtseingriffe vornehmen beziehungsweise deren Tätigkeit auf das Vornehmen von Grundrechtseingriffen gerichtet ist, sind auch die Soldaten im Einsatz, die den Einsatz der ausführenden Soldaten unterstützen oder vorbereiten, soweit diese Handlungen auf eine kausale Unterstützung des konkreten Einsatzes gerichtet sind. 5. Dies bedeutet, dass sämtliche Aufgaben der Bundeswehr nach §§ 13 bis 15 LuftSiG einen Einsatz im Sinne des Art. 87a Abs. 2 GG darstellen. Das Gleiche gilt auch für die Tätigkeit der allgemeinen Luftraumüberwachung durch Soldaten.

B. „Verteidigung“ im Sinne des Art. 87a Abs. 1, 2 GG Zunächst muss untersucht werden, ob der Einsatz der Streitkräfte zur Abwehr von nicht-staatlichen Angreifern im Luftraum unter den Begriff „Verteidigung“ im Sinne des Art. 87a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 GG fallen kann. Dabei besteht im Schrifttum keine Einigkeit darüber, ob Art. 87a Abs. 1 Satz 1 GG oder Art. 87a Abs. 2 GG die verfassungsrechtliche Grundlage für einen Einsatz der Streitkräfte zur Verteidigung darstellt.133 Dieser Streit muss im Rahmen dieser Unter133 Für Art. 87a Abs. 2 GG als alleinige Ermächtigung: v. Mangoldt/Klein/StarckM. Baldus, Art. 87a Abs. 1 Rdn. 13, Dreier-W. Heun, Art. 87a Rdn. 16; J.-P. Fiebig, 210 Fn. 2 m.w. N. Für Art. 87a Abs. 1 Satz 1 GG: P. Kirchhof, FS Bernhardt, 1995, 797 (805); U. Fink, JZ 1999, 1016 (1018); K. Dau, NZWehrr 1998, 89 (92). P. Kirchhof und Dau

B. „Verteidigung‘‘ im Sinne des Art. 87a Abs. 1, 2 GG

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suchung nicht entschieden werden, da jedenfalls darüber Einigkeit besteht, dass der Verteidigungsbegriff in beiden Absätzen die identische Bedeutung hat.134 Insbesondere in den 1990er Jahren gab es eine lebhafte Diskussion in der rechtswissenschaftlichen Literatur über den Verteidigungsbegriff.135 Diese Diskussion wurde im Wesentlichen im Hinblick auf die Verwendungen der Streitkräfte im Ausland im Rahmen von Missionen der Vereinten Nationen geführt. Im Mittelpunkt standen die Fragen, ob der Verfassungsvorbehalt des Art. 87a Abs. 2 GG auch für Auslandseinsätze gilt und inwieweit Einsätze der Bundeswehr im Ausland unter den Verteidigungsbegriff fallen. Je nach politischer Tendenz wurde versucht, den Verteidigungsbegriff mehr oder weniger weit zu fassen. In dieser Arbeit verschiebt sich die Betrachtungsweise auf den Verteidigungsbegriff im Zusammenhang auf die Abwehr von Gefahren im Luftraum, die durch nicht-staatliche Angreifer verursacht werden. Es geht also nicht mehr um die Zulässigkeit eines Auslandseinsatzes, sondern um die Zulässigkeit des Einsatzes der Streitkräfte innerhalb der Bundesrepublik. Anhand von Beispielsfällen wird erörtert, ob die Abwehr nicht-staatlicher Angreifer auf den Verteidigungsauftrag gestützt werden kann. Wegen der besonderen Bedeutung des LuftSiG behandeln die Beispielsfälle die Abwehr von Gefahren im Luftraum. Eine juristische Bestimmung des Verteidigungsbegriffes macht auch entgegen Beckert Sinn, der den Verteidigungsbegriff nur in formeller Hinsicht als Rechtsbegriff sieht. Beckert kritisiert, dass der Begriff der Verteidigung erst bestimmt werden könne, nachdem festgestellt worden ist, welche Qualität der Angriff hat.136 Der Begriff Verteidigung könne aufgrund der „Komplexität der Gefahrensituationen in den verschiedensten Teilen der Welt“ nicht durch juristische meinen, Art. 87a Abs. 1 Satz 1 GG müsse die Ermächtigung zur Verteidigung enthalten, da ansonsten bis zur Einfügung des Art. 87a Abs. 2 GG kein Einsatz zur Verteidigung möglich gewesen wäre. 134 C. v. Bülow, Einsatz der Streitkräfte zur Verteidigung, 163; J.-P. Fiebig, 210 m.w. N. 135 Vgl. nur – ungeachtet der vielen Aufsätze – die große Anzahl von Monographien: M. Limpert, Auslandseinsatz der Bundeswehr, 2002; E. Schemann, Verfassungsrechtliche Legitimation nichtmilitärischer Auslandseinsätze der Bundeswehr, 1998; M. Schultz, Die Auslandsentsendung von Bundeswehr und Bundesgrenzschutz zum Zwecke der Friedenswahrung und Verteidigung, 1998; S. J. Lang, Internationale Einsätze der Bundeswehr unter rechtlichen, politischen und militärischen Aspekten, 1997; B. K. W. Bähr, Verfassungsmäßigkeit des Einsatzes der Bundeswehr im Rahmen der Vereinten Nationen, 1994; A. Hörchens, Der Einsatz der Bundeswehr im Rahmen der Vereinten Nationen, 1994; W. März, Bundeswehr in Somalia, 1993; M. Bartke, Verteidigungsauftrag der Bundeswehr, 1991; O. Hoffmann, Bundeswehr und Friedensicherung, 1991; U. Schopohl, Der Außeneinsatz der Streitkräfte im Frieden, 1991; N. K. Riedel, Einsatz der Streitkräfte im Ausland, 1989; C. v. Bülow, Einsatz der Streitkräfte zur Verteidigung, 1984. 136 E. Beckert, NZWehrr 1984, 9 (14).

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2. Teil: Bestimmung verfassungsrechtlicher Begriffe

Auslegungsmethodik definiert werden. Vielmehr gebiete das Sicherheitsinteresse eines jeden Staates, die Entscheidung über das Vorliegen des Verteidigungszustandes der Politik zu überlassen.137 Im Ergebnis könne nur die Ausführung der Verteidigungshandlungen rechtsstaatlich kontrolliert werden, nicht aber die Grundentscheidung über den Einsatz zur Verteidigung.138 Beckert ist zuzustimmen, dass die Begriffbestimmung maßgeblich von der Angriffsseite abhängig ist. Es kann jedoch beantwortet werden, welche Qualität ein Angriff, der ein Handeln der Streitkräfte zur Verteidigung zulässig macht, aufweisen muss. Durch eine rechtliche Definition des Angriffs kann die rechtliche Definition des Verteidigungsbegriffes hergeleitet werden.139 Dies schließt nicht aus, dass die Exekutive einen Beurteilungsspielraum hinsichtlich der Voraussetzungen eines Einsatzes der Streitkräfte zur Verteidigung hat. Zuvor sind aber die grundsätzlichen Voraussetzungen zu bestimmen, auf die sich dieser Beurteilungsspielraum bezieht.

I. Meinungsstand Die inhaltlich engste Auffassung setzt den Verteidigungsbegriff im Sinne des Art. 87a Abs. 2 GG mit dem Begriff „Verteidigungsfall“ im Sinne des Art. 115a Abs. 1 Satz 1 GG gleich; als Verteidigungsobjekt könne daher einzig das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland in Betracht kommen.140 Die Hauptargumente sind, dass wegen der begrifflichen Ähnlichkeit zwischen „Verteidigung“ und „Verteidigungsfall“141 und der verfassungsrechtlichen Systematik142 diesen Begriffen auch die gleiche Bedeutung zukommen müsse. Zudem habe der verfassungsändernde Gesetzgeber bei der Einfügung des Art. 115a GG den Regelungsinhalt der Vorgängervorschrift des Art. 59a GG a. F. übernehmen wollen.143 Im Ergebnis seien Einsätze der Bundeswehr zur Verteidigung im Sinne des Art. 87a Abs. 2 GG erst nach der vorherigen Feststellung des Verteidi137

E. Beckert, NZWehrr 1984, 9 (22). E. Beckert, NZWehrr 1984, 9 (23). 139 J.-P. Fiebig, 211. 140 B. K. W. Bähr, Verfassungsmäßigkeit des Einsatzes, 118 f.; M. Bartke, 67 ff., 234; A. Coridaß, 42 ff.; K. Fehn/B. J. Fehn, JURA 1997, 621 (622); B. K. W. Bähr, ZRP 1994, 97 (100); C. Arndt, DÖV 1992, 618 f.; R. Emde, NZWehrr 1992, 133 (134). Aus jüngster Zeit M. Schütte, DPolBl. 2005, 15 (16); C. Arndt, DÖV 2005, 908 (909); M. Kutscha, KJ 2004, 228 (232 f.). 141 Stellvertretend für viele C. Arndt, DÖV 1992, 618 (619); a. A. H. Kind, DÖV 1993, 139, der von einer „unübersehbaren sprachlichen Differenz“ zwischen den Begriffen „Verteidigung“ und „Verteidigungsfall“ spricht. 142 Vgl. A. Coridaß, 42 f. 143 A. Coridaß, 37; B. K. W. Bähr, ZRP 1994, 97 (99). Diese Meinung wird heute ganz überwiegend abgelehnt, vgl. die Darstellung bei J.-P. Fiebig, 233 ff. Auch das Bundesverfassungsgericht, BVerfGE 90, 286 (385 f.), hat entschieden, dass die Fest138

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gungsfalls verfassungsrechtlich zulässig.144 Dieser Meinung hat sich anscheinend auch Bundespräsident Horst Köhler in seiner Stellungnahme zur Unterzeichnung des LuftSiG vom 12. Januar 2005 angeschlossen.145 Andere Stimmen beziehen den Verteidigungsbegriff nicht einseitig auf die Bundesrepublik Deutschland. Auch die Verteidigung fremder Staaten im Rahmen eines Bündnisses sei vom Verteidigungsauftrag umfasst.146 Dafür spreche, dass die Bundesrepublik bereits 13 Jahre Mitglied der NATO war, als Art. 87a Abs. 2 GG in der heute geltenden Fassung in das Grundgesetz eingefügt worden ist.147 Zudem sei zu Zeiten des Kalten Krieges ein Auseinanderfallen zwischen dem Verteidigungsfall und dem Bündnisfall nicht denkbar gewesen.148 So hieß es zum Beispiel aus militärischer Sicht: „Eine rein nationale Verteidigung der Bundesrepublik Deutschland ist weder angestrebt, noch wäre sie überhaupt möglich. [. . .] Mehr als andere Nato-Partner ist die Bundesrepublik auf engste Zusammenarbeit im Bündnis eingestellt.“ 149

Teilweise wird wegen der allgemeinen Auffassung, dass sich die Staatlichkeit aus Staatsgebiet, Staatsvolk und Staatsgewalt zusammensetzt,150 auch der Schutz bedrohter deutscher Staatsbürger im Ausland unter den Verteidigungsbegriff gefasst.151 Diese „Personalverteidigung“ finde dann Anwendung, wenn ein ausländischer Staat nicht dazu in der Lage ist, deutschen Staatsbürgern einen „notwendigen Mindestschutz“ zu gewährleisten.152 Konkret wurde so die Evakuierung deutscher Staatsbürger aus der deutschen Botschaft in Tirana im Jahr 1997 legitimiert.153

stellung des Verteidigungsfalls nicht Voraussetzung für jeden Verteidigungseinsatz der Bundeswehr ist. 144 B. K. W. Bähr, ZRP 1994, 97 (99); ausdrücklich dagegen M. Kriele, ZRP 1994, 103 (104 f.). 145 Pressemitteilung vom 12. Januar 2005: „Denn die Bundeswehr kann außer im Verteidigungsfall (Art. 87a Abs. 2 GG) nur in den vom Grundgesetz ausdrücklich zugelassenen Fällen eingreifen.“ Die Pressemitteilung ist abrufbar unter http://www. bundespraesident.de . 146 R. Fuchs, 256 f.; M. Brenner/D. Hahn, JuS 2001, 729 (732); H. Fibich, ZRP 1993, 5 (7); J. Wieland, DVBl. 1991, 1174 (1179); vgl. zum historischen Hintergrund aus jüngster Zeit M. Fischer, Das Parlament vom 23. Mai 2005, 2. 147 U. K. Preuß, KJ 1993, 263 (266); U. Bachmann, MDR 1993, 397 (398). 148 M. Bartke, 106; H. Woopen, NZWehrr 1983, 201 (212); vgl. H. Boldt, ZRP 1992, 218 (220). 149 E. Obermann (Hg.), 584. 150 Siehe statt vieler J. Isensee, HdBStR, Band II, § 15 Rdn. 49. 151 O. Depenheuer, DVBl. 1997, 685 (688) m.w. N. 152 P. Dreist, NZWehrr 2003, 152 (163); V. Epping, AöR 124 (1999), 423 (437 ff.); a. A. R. Zuck, MDR 1991, 120. 153 Vgl. die Äußerungen des damaligen Bundesministers der Verteidigung V. Rühe, BT-Prot. 13/166, 14982.

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Einige Autoren definieren Verteidigung als Schutz völkerrechtlich geschützter Rechtsgüter beziehungsweise Rechtspositionen,154 wobei einige dies auf den Schutz von Rechtsgütern der Bundesrepublik155 oder zumindest von Rechtsgütern eigener Bündnispartner beschränken wollen.156 In diese Richtung geht auch das Verständnis des Bundesministeriums der Verteidigung: „Verteidigung heute umfasst allerdings mehr als die herkömmliche Landesverteidigung an den Landesgrenzen gegen einen konventionellen Angriff. Sie schließt die Verhütung von Konflikten und Krisen, die gemeinsame Bewältigung von Krisen und die Krisennachsorge ein. Dementsprechend lässt sich Verteidigung geographisch nicht mehr eingrenzen [. . .].“157

Die heute wohl überwiegend vertretene Meinung interpretiert den Verteidigungsbegriff nach völkerrechtlichen Maßstäben. Verteidigung im Sinne des Art. 87a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 GG umfasst demnach alle Maßnahmen der kollektiven und individuellen Selbstverteidigung nach Art. 51 UN-Charta.158 Diese Meinung teilt neuerdings auch das Bundesverwaltungsgericht, das – soweit ersichtlich – in seinem Urteil vom 21. Juni 2005 als erstes oberstes Bundesgericht ausdrücklich Stellung zum Verteidigungsbegriff genommen hat: „Da der Normtext des Art. 87a Abs. 1 und 2 GG von ,Verteidigung‘, jedoch – anders als die zunächst vorgeschlagene Fassung [. . .] – nicht von ,Landesverteidigung‘ spricht und da zudem der verfassungsändernde Gesetzgeber bei Verabschiedung der Regelung im Jahre 1968 auch einen Einsatz im Rahmen eines NATOBündnisfalls als verfassungsrechtlich zulässig ansah, ist davon auszugehen, dass ,Verteidigung‘ alles das umfassen soll, was nach dem geltenden Völkerrecht zum Selbstverteidigungsrecht nach Art. 51 der Charta der Vereinten Nationen (UNCharta), der die Bundesrepublik wirksam beigetreten ist, zu rechnen ist.“159

Dies bedeute konkret, der Einsatz der Bundeswehr „zur Verteidigung“ sei stets nur als Abwehr gegen einen „militärischen Angriff“ erlaubt, aber nicht zur 154 C. Raap, Deutsches Wehrrecht, 11; C. Burkiczak, ZRP 2003, 82 (83); K. Dau, NZWehrr 1998, 89 (94); C. Kreß, ZaöRV 57 (1997), 329 (353 f.), der „allgemein auf den Schutz deutscher Rechtspositionen“ abstellt; H. Woopen, NZWehrr 1983, 201 (209). 155 C. v. Bülow, NZWehrr 1984, 238 (251). 156 O. Hoffmann, 161. 157 BMVg, VPR, Nr. 5; vgl. FAZ vom 2. Mai 2006, 1, zu den Äußerungen des amtierenden Bundesministers der Verteidigung Franz Josef Jung; siehe auch T. Stein, FS Doehring, 1989, 935 (940), der meint, die Verteidigung der Bundesrepublik könne überall dort erfolgen, „von wo aus existentielle Interessen der Bundesrepublik“ bedroht oder angegriffen werden. 158 Sachs-J. Kokott, Art. 87a Rdn. 21 f.; v. Mangoldt/Klein/Starck-M. Baldus, Art. 87a Abs. 2 Rdn. 41; Jarass/Pieroth-B. Pieroth, Art. 87a Rdn. 9; K. Ipsen, in: K.D. Schwarz (Hg.), Sicherheitspolitik, 615 (619); R. Wolfrum, HdBStR, Band VII, § 176 Rdn. 19; J. M. Mössner, FS Schlochauer, 1981, 97 (103 ff.); D. Wiefelspütz, ZaöRV 65 (2005), 819 (822 ff.); K. Kersting, NZWehrr 1982, 84 (85); ähnlich W. Brunkow, Rechtliche Probleme, 31; D. Sigloch, 101 f. 159 BVerwG, NJW 2006, 77 (80).

B. „Verteidigung‘‘ im Sinne des Art. 87a Abs. 1, 2 GG

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Verfolgung, Durchsetzung und Sicherung ökonomischer oder politischer Interessen.160 Ähnliche Tendenzen finden sich bereits in der älteren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. So heißt es in dem Beschluss vom 16. Dezember 1983 zur Zulässigkeit der Aufstellung nuklearer Mittelstreckenraketen innerhalb der Bundesrepublik: „Im Rahmen der Zielvorgaben des Grundgesetzes, wie sie im vorliegenden Zusammenhang insbesondere in den Art. 1 Abs. 2, 24 Abs. 2 GG Ausdruck gefunden haben, und im Rahmen des völkerrechtlich Zulässigen [Hervorhebung des Verf.] schließt ihre [gemeint sind die zuständigen Bundesorgane] verfassungsrechtliche Kompetenz zur Außen- und Verteidigungspolitik die Kompetenz ein, die Bundesrepublik Deutschland wirksam zu verteidigen.“161

In der so genannten „Postkartenentscheidung“ heißt es, aus den wehrverfassungsrechtlichen Vorschriften komme der „eindeutige und unmissverständliche Wille des Verfassungsgebers zum Ausdruck, dass die Streitkräfte der Verteidigung gegen bewaffnete Angriffe [Hervorhebung des Verf.] dienen sollen“.162 Auch wenn in dieser Entscheidung nicht ausdrücklich auf das völkerrechtliche Selbstverteidigungsrecht Bezug genommen wird, so verwendet das Bundesverfassungsgericht mit dem Rückgriff auf den „bewaffneten Angriff“ zumindest eine Formulierung des Tatbestandes des Art. 51 UN-Charta, um den Verteidigungsauftrag der Streitkräfte zu beschreiben.

II. Bewertung Als kleinster gemeinsamer Nenner kann vorläufig festgehalten werden: „Verteidigung“ im Sinne des Art. 87a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 GG ist jedenfalls die Abwehr eines von außen kommenden militärischen Angreifers, der Kombattantenstatus aufweist,163 zum Schutz des Territoriums der Bundesrepublik Deutschland.164 Eine Gleichstellung des Verteidigungsbegriffes mit dem „Verteidigungsfall“ nach Art. 115a ff. GG kann nicht überzeugend begründet werden und kann als überholt angesehen werden.165 Es ist eben nicht jeder „Fall der Verteidigung“ 160

BVerwG, NJW 2006, 77 (81). BVerfGE 66, 39 (60 f.). 162 BVerfGE 69, 1 (22), unter Berufung auf BVerfGE 48, 127 (160). 163 Hierfür plädieren zum Beispiel F. Kirchhof, HdBStR, Band III, § 78 Rdn. 24; M. Oldiges, in: Achterberg/Püttner (Hg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Band 2, § 23 Rdn. 18; K. Odendahl, Die Verwaltung 38 (2005), 425 (438 f.); R. Mußgnug, DÖV 1989, 917; M. Schreiber, DÖV 1969, 729 (730). 164 P. Dreist, NZWehrr 2004, 89 (95); D. Wiefelspütz, NZWehrr 2003, 45 (55); C. Arndt, DÖV 1992, 618. 165 Vgl. BVerfGE 90, 286 (385 f.); siehe auch D. Wiefelspütz, RuP 2007, 3 (4 f.). 161

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2. Teil: Bestimmung verfassungsrechtlicher Begriffe

automatisch ein „Verteidigungsfall“ im Sinne von Art. 115a ff. GG.166 Dies hat K. Ipsen bereits im Jahr 1978 detailliert nachgewiesen: Wortlaut und Systematik lassen eine Gleichstellung der Begriffe „Verteidigung“ und „Verteidigungsfall“ nicht zu.167 Weiterhin würde das Grundgesetz über die Regelung des Art. 115a Abs. 1 GG, die auch den unmittelbar drohenden Angriff erfasst, einen präventiven Verteidigungseinsatz erlauben und damit möglicherweise in Konflikt mit dem völkerrechtlichen Selbstverteidigungsrecht geraten.168 Außerdem hat der Verteidigungsbegriff in Art. 87a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 GG im Gegensatz zu den Regelungen des Verteidigungsfalls eine andere Funktion. Letztere bewirken weitgehende Verschiebungen innerhalb der innerstaatlichen Rechtsordnung, um effektiver auf eine äußere Bedrohung reagieren zu können;169 dagegen umschreibt der Verteidigungsbegriff den Primärauftrag der Streitkräfte, ohne dass zur Erfüllung dieses Auftrages der Rückgriff auf die Regelungen in Art. 115a ff. GG zwingend erforderlich ist.170 Weiterhin ist – nicht erst durch das erwähnte Urteil des Bundesverwaltungsgerichts – eine deutliche Richtung zur Auslegung des Verteidigungsbegriffes im Sinne des völkerrechtlichen Selbstverteidigungsrechts festzustellen. Dies bedeutet jedoch nicht automatisch eine Gleichstellung des völkerrechtlichen Selbstverteidigungsrechts und des verfassungsrechtlichen Verteidigungsbegriffes, wie es das Bundesverwaltungsgericht vertritt.171 Ein solches Verständnis vernachlässigt, dass jedenfalls auch die Eigensicherung der Streitkräfte172 unter den Verteidigungsbegriff fällt. Zudem könnte es erforderlich und verfassungsrechtlich zulässig sein, auch Angriffe von außen, die unterhalb der Intensität des bewaffneten Angriffs liegen, durch die Bundeswehr auf Grundlage des Verteidigungsauftrages zu bekämpfen.173 Eine völlige Gleichsetzung des verfassungsrechtlichen Verteidigungsbegriffes mit dem völkerrechtlichen Selbstverteidigungsrecht gemäß Art. 51 UN-Charta kann daher nicht überzeugen. Allerdings ist festzuhalten, dass sich der verfassungsrechtliche Verteidigungsbegriff am völkerrechtlichen Selbstverteidigungsrecht orientiert. Für eine Orientierung am völkerrechtlichen Selbstverteidigungsrecht spricht zunächst, dass sich aus einer Gesamtschau der Präambel und Art. 24 bis 26 GG ergibt, dass eine völkerrechtsfreundliche Auslegung des Grundgesetzes geboten 166

So ausdrücklich E. Busch, NZWehrr 1981, 52 (56). K. Ipsen, in: K.-D. Schwarz (Hg.), Sicherheitspolitik, 615 (617). So regelt Art. 87a Abs. 3 GG die Zulässigkeit von Sekundäraufgaben der Streitkräfte im Verteidigungsfall, die nicht zur Verteidigung dienen. 168 K. Ipsen, in: K.-D. Schwarz (Hg.), Sicherheitspolitik, 615 (617 f.). 169 V. Epping, Der Staat 31 (1992), 39 (44). 170 K. Ipsen, in: K.-D. Schwarz (Hg.), Sicherheitspolitik, 615 (618 f.). 171 BVerwG, NJW 2006, 77 (80). 172 Siehe dazu unten 2. Teil B. VII. 5. 173 Vgl. S. Brunner, Deutsche Soldaten im Ausland, 42. 167

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ist.174 Daraus folgt – unabhängig von der Frage des Verhältnisses zwischen Völkerrecht und dem innerstaatlichen Recht –, dass der Verteidigungsbegriff jedenfalls nicht im Widerspruch zu den allgemeinen Regeln des Völkerrechts stehen darf.175 Unbestritten ist, dass das Gewaltverbot gemäß Art. 2 Nr. 4 UN-Charta eine allgemeine Regel des Völkerrechts im Sinne des Art. 25 Satz 1 GG ist.176 Das Gleiche gilt auch für das völkerrechtliche Selbstverteidigungsrecht nach Art. 51 UN-Charta.177

III. Zwischenergebnis „Verteidigung“ im Sinne des Art. 87a Abs. 1 Satz 1, 2 GG ist maßgeblich nach den Grundsätzen des Selbstverteidigungsrechts gemäß Art. 51 UN-Charta auszulegen. Der Verteidigungsbegriff hat dabei verschiedene Funktionen. Insbesondere die Begrenzungsfunktion des Art. 87a Abs. 2 GG ist für die Beurteilung einer „Weiterentwicklung“, „Neuausrichtung“ beziehungsweise „Erweiterung“ des Verteidigungsbegriffes im Zusammenhang mit der Abwehr nichtstaatlicher Angreifer wichtig. 1. Verfassungsauftrag und Kompetenzgrundlage Art. 87a Abs. 1 Satz 1 GG formuliert nicht nur eine Aufgabe des Bundes, sondern normiert auch den Verfassungsauftrag, eine effektive militärische Verteidigung zu gewährleisten.178 Gleichzeitig besteht ein Bestandsschutz zu Gunsten der Streitkräfte, der nur durch eine Verfassungsänderung aufgehoben werden könnte.179 Ein Ausführungsgesetz für die Einzelmaßnahmen zur Erfüllung des Verteidigungsauftrages existiert jedoch nicht. Es gibt daher keine einfachgesetzlichen Ermächtigungsgrundlagen für einen Einsatz der Streitkräfte zur Verteidigung. Lediglich ein Teilbereich des Verteidigungsauftrages, die Eigensicherung der Streitkräfte, ist durch das UZwGBw180 einfachgesetzlich normiert. Vielfach 174 BVerfGE 31, 58 (75); Maunz/Dürig-M. Herdegen, Art. 20 Rdn. 26; A. Bleckmann, DÖV 1996, 137 ff.; a. A. im Zusammenhang mit dem Verteidigungsbegriff M. Brenner/D. Hahn, JuS 2001, 729 (733). 175 C. v. Bülow, Einsatz der Streitkräfte zur Verteidigung, 65. 176 M. Bothe, in: Schaumann (Hg.), Völkerrechtliches Gewaltverbot und Friedenssicherung, 11 (26); C. v. Bülow, Einsatz der Streitkräfte zur Verteidigung, 66 m.w. N. 177 Maunz/Dürig-M. Herdegen, Art. 25 Rdn. 26; K. Stern, Staatsrecht, Band I, 489; C. v. Bülow, Einsatz der Streitkräfte zur Verteidigung, 67 m.w. N. 178 Vgl. BVerfGE 28, 36 (47); v. Mangoldt/Klein/Starck-M. Baldus, Art. 87a Abs. 1 Rdn. 5; A. Poretschkin, Zivilverteidigung, 74, 134. 179 v. Mangoldt/Klein/Starck-M. Baldus, Art. 87a Abs. 1 Rdn. 5; G. Hahnenfeld, NZWehrr 1976, 161 (162); a. A. ohne überzeugende Begründung A. Krölls, 39.

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2. Teil: Bestimmung verfassungsrechtlicher Begriffe

wird daher vertreten, der verfassungsrechtliche Verteidigungsauftrag sei die unmittelbare Ermächtigungsgrundlage für Eingriffshandlungen zur Umsetzung dieses Auftrages.181 So meint Quaritsch, das eigentliche Handeln der Streitkräfte, nämlich der Krieg und die Übung des Krieges, könne „naturgemäß“ weder durch Gesetze noch durch Rechtsverordnungen normiert werden.182 Andere entnehmen die Befugnisse der Streitkräfte dem Kriegsvölkerrecht.183 Da die entsprechenden Bestimmungen des Kriegsvölkerrechts als „allgemeine Regeln des Völkerrechts“ gemäß Art. 25 Satz 1 GG Bestandteil des Bundesrechts seien, sei eine ausdrückliche Regelung der Befugnisse der Bundeswehr für den Einsatz zur Verteidigung nicht erforderlich.184 Ungeachtet dessen, ob diese Begründungsansätze zutreffen,185 muss bei einem Einsatz zur Verteidigung nicht unbedingt ein Kriegszustand oder der Verteidigungsfall vorliegen.186 Zumindest bestehen rechtsstaatliche Bedenken, dass keine einfachgesetzlichen Ermächtigungsgrundlagen für die Zwangsanwendung durch die Streitkräfte existieren.187 Auf § 14 Abs. 1, 3 LuftSiG kann jedenfalls – ungeachtet der Frage der Verfassungsmäßigkeit dieser Regelungen – nicht zurückgegriffen werden, da das LuftSiG ausdrücklich nur den Einsatz im Katastrophennotstand, aber nicht den Einsatz zur Verteidigung regelt. 2. Begrenzungsfunktion Wichtiger für die vorliegende Untersuchung ist die Begrenzungsfunktion des Verteidigungsbegriffes, die sich aus Art. 87a Abs. 2 GG ergibt.188 Diese Funk180 Gesetz über die Anwendung unmittelbaren Zwanges und die Ausübung besonderer Befugnisse durch Soldaten der Bundeswehr und verbündeter Streitkräfte sowie zivile Wachpersonen (UZwGBw) vom 12. August 1965, BGBl. I, 796; zuletzt geändert durch Gesetz vom 11. September 1998, BGBl. II, 2405. Siehe zur Eigensicherung gegen Angriffe aus dem Luftraum unten 2. Teil B. VIII. 5. 181 Vgl. BT-Drucks. V/2873, 13; E. Jess/S. Mann, Einl. Rdn. 53 m.w. N.; N. H. R. Lück, D97; a. A. in Bezug auf Eingriffe gegenüber der eigenen Bevölkerung R. Mußgnug, DÖV 1989, 917 (918). 182 H. Quaritsch, VVDStRL 26 (1968), 207 (210). 183 v. Mangoldt/Klein/Starck-M. Baldus, Art. 87a Ab. 2 Rdn. 69; K. Ipsen, in: K.D. Schwarz (Hg.), Sicherheitspolitik, 615 (627) m.w. N.; R. Mußgnug, DÖV 1989, 917 (918). 184 R. Mußgnug, DÖV 1989, 917 (918). 185 Kritisch M. Jahn, 161. 186 Dies übersieht R. Mußgnug, der die Befugnisse der Bundeswehr im Verteidigungsfall mit den Befugnissen der Bundeswehr zur Erfüllung des Verteidigungsauftrages gemäß Art. 87a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 GG gleichsetzt, vgl. R. Mußgnug, DÖV 1989, 917 ff. 187 M. Zulegg, ZLW 1975, 189 (197). 188 Darüber hinaus enthält der Verteidigungsbegriff noch eine – hier nicht näher zu behandelnde – zweite Begrenzungsfunktion: Im Zusammenhang mit Art. 26 GG soll deutlich gemacht werden, dass der Einsatz der Streitkräfte nicht zur Führung eines

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tion wurde bereits in der Entstehungsgeschichte deutlich: So heißt es im Bericht des Rechtsausschusses des Bundestages zum Entwurf der Wehrbeitragsnovelle in der 2. Wahlperiode zu Art. 143 GG a. F., „dass bei der gegenwärtigen Verfassungslage keine Befugnis besteht, die Bundeswehr im inneren Notstand einzusetzen“.189 Weiterhin differenzierte der Regierungsentwurf der 4. Wahlperiode190 zwischen einem Abschnitt Xa. „Zustand der äußeren Gefahr“191 und einem Abschnitt Xb. „Zustand der inneren Gefahr“.192 Diese deutliche, direkt aus der Gesetzestechnik ersichtliche Trennung wurde abgemildert auch im so genannten Benda-Entwurf193 beibehalten.194 Bei der Änderung beziehungsweise Ergänzung des Art. 87a GG im Jahr 1968,195 bei der auch die Regelungen in Art. 87a Abs. 2 bis 4 GG in das Grundgesetz eingefügt worden sind, ging der verfassungsändernde Gesetzgeber davon aus, dass der Begriff „Verteidigung“ so wie in der Vorgängerregelung zu verstehen ist. Insofern kann auf den oben beschriebenen Willen des verfassungsändernden Gesetzgebers aus der 2. Wahlperiode zurückgegriffen werden.196 C. Arndt, der wesentlich am Gesetzgebungsverfahren der Ergänzung des Grundgesetzes durch die Notstandsverfassung beteiligt gewesen ist,197 beschreibt die Begrenzungsfunktion folgendermaßen: Es „kommt demonstrativ zum Ausdruck, dass die zentrale Aufgabe der Bundeswehr die Verteidigung nach außen [Hervorhebung des Verf.] ist. In Übereinstimmung mit Art. 26 Abs. 1 GG wird damit unterstrichen, dass prinzipiell die Bundeswehr nicht anders als zu Verteidigungszwecken und nicht im Inneren – d. h. nicht gegen die eigene Bevölkerung oder Teile von ihr – eingesetzt werden darf.“198

Im Ergebnis kann als gesichert angesehen werden, dass von innen kommende Gefahren nicht unter den Verteidigungsbegriff im Sinne des Art. 87a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 GG fallen. Angriffskrieges zulässig ist, vgl. v. Mangoldt/Klein/Starck-M. Baldus, Art. 87a Abs. 1 Rdn. 12. 189 BT-Drucks. II/2150, 5. 190 BT-Drucks. IV/891. 191 Dieser Abschnitt enthielt im Wesentlichen die heute geltenden Vorschriften des Verteidigungsfalls in Art. 115a ff. GG. 192 Dieser Abschnitt des Entwurfes regelte die Abwehr von Gefahren für den Bestand des Bundes oder eines Landes, die heute in Art. 87a Abs. 4 in Verbindung mit Art. 91 Abs. 2 GG geregelt ist. 193 BT-Drucks. IV/3494. 194 Der Benda-Entwurf enthielt keinen eigenen Abschnitt für den „Zustand der inneren Gefahr“ mehr. Allerdings wurde der wesentliche Regelungsgehalt dieses früheren Abschnitts in Art. 91 GG integriert. 195 Durch das 17. Gesetz zur Ergänzung des Grundgesetzes vom 24. Juni 1968, BGBl. I, 790. 196 So auch J.-P. Fiebig, 227 f. 197 Vgl. H. P. Bull, DÖV 1997, 290 (291). 198 C. Arndt, DVBl. 1968, 729 (730).

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Die Regelung des Art. 87a Abs. 2 GG bedeutet jedoch nicht, wie es häufig in der Literatur zu lesen ist, dass der Einsatz der Streitkräfte im Innern auf die Wahrnehmung der Sekundäraufgaben gemäß Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 und Art. 87a Abs. 3, 4 Satz 1 GG beschränkt ist.199 Auch soll durch Art. 87a Abs. 2 GG der Einsatz der Streitkräfte im Innern nicht ausgeschlossen werden,200 sondern es geht um die Begrenzung von Einsätzen gegen Angriffe von innen. Daher können – und dies soll hier ausdrücklich betont werden – auch Einsätze zur Verteidigung innerhalb des Bundesgebietes stattfinden.201 Folglich sind Ansätze, die meinen, „interne Einsätze“ der Bundeswehr könnten nicht unter den Verteidigungsbegriff fallen, wenig hilfreich.202 Auch die Aussage, dass weder Art. 87a Abs. 1 noch Art. 87a Abs. 2 GG den Einsatz der Streitkräfte im Innern regeln,203 trifft nicht zu. Für die Bestimmung des Verteidigungsbegriffes kommt es daher nicht in erster Linie darauf an, wo die Streitkräfte tätig werden, sondern vielmehr darauf, gegen wen sich die Verteidigung richtet. Sinn und Zweck des Art. 87a Abs. 2 GG ist ein grundsätzliches Verbot des Streitkräfteeinsatzes gegen die eigene Bevölkerung. Daneben tritt – wie Brunner zutreffend ausführt – die Sicherung der Eigenstaatlichkeit der Länder, insbesondere der Zuständigkeit der Länder zur allgemeinen Gefahrenabwehr.204 Das Grundgesetz hat sich dafür entschieden, die Aufgabenbereiche der Verteidigung gegen Gefahren von außen und der Abwehr von Gefahren von innen grundsätzlich voneinander zu trennen (Trennungsgebot).205 Dieses Trennungsgebot gilt jedoch nicht absolut, wie es manche206 immer wieder (zu Unrecht) betonen.207 199 G. Laschewski, 50; A. Archangelskij, 123 f.; A. Borsdorff/C. Deyda, 108 f.; H. Jochum, JuS 2006, 511 (513); P. Dreist, UBWV 2006, 93 (96); ders., NZWehrr 2006, 45 (56); ders., DPolBl. 2005, 7 (8): „Als Einsatzoptionen für den Streitkräfteeinsatz im Innern kommen die Artikel 35 Abs. 2 und 3 GG sowie Artikel 87a Abs. 3 und 4 GG in Betracht, die den Inneneinsatz abschließend regeln und alle den Charakter einer Notkompetenz haben.“; C. Gramm, NZWehrr 2003, 89 (92). Unverständlich ist, dass O. Lepsius, FG B. Hirsch, 2007, 47 (53), sogar ausführt, die Regelungen in Art. 35 Abs. 2 Satz 1 und Abs. 3 GG würden den Einsatz der Streitkräfte im Inneren „abschließend“ normieren. O. Lepsius ignoriert hier die Einsatzmöglichkeiten nach Art. 87a Abs. 3 und Abs. 4 GG. 200 So aber K. Paulke, 77. 201 Aus historischer Sicht war zu Zeiten des Kalten Krieges sogar sicher davon auszugehen, dass die Bundeswehr im Falle eines Angriffs des Warschauer Paktes Verteidigungshandlungen maßgeblich auf dem Staatsgebiet der Bundesrepublik vorgenommen hätte. 202 V. Epping, AöR 124 (1999), 423 (437). 203 Vgl. P. Dreist, NZWehrr 2004, 89 (95). 204 S. Brunner, Deutsche Soldaten im Ausland, 56; vgl. auch T. Linke, AöR 129 (2004), 489 (507 ff.). 205 Vgl. J.-P. Fiebig, 264. Der Begriff Trennungsgebot wird auch bezüglich der Aufgabenverteilung zwischen der Polizei und Nachrichtendiensten verwendet, vgl. ausführlich M. König, 151 ff. 206 Siehe aus jüngster Zeit nur D. H. Heinke, DPolBl. 2005, 18: „Der Bundeswehr kommt nach der insoweit eindeutigen Bestimmung des Grundgesetzes [gemeint ist

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Den Regelungen in Art. 87a Abs. 3, 4 Satz 1 GG und in Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG ist vielmehr zu entnehmen, dass der verfassungsändernde Gesetzgeber durchaus auch die Wahrnehmung von Polizeiaufgaben durch die Streitkräfte beabsichtigte, auch wenn diese Wahrnehmung nicht der Regelfall sein sollte.208 Diese Zuständigkeiten der Streitkräfte sind Ausdruck einer „traditionellen Verbindung [Hervorhebung des Verf.] von Polizei und Militär im Ausnahmezustand“,209 wobei diese Verbindung auch heute noch aktuell ist.210 Der Grundgedanke der Ergänzung des Grundgesetzes durch die Notstandsverfassung war, dass es in besonderen Gefahrensituationen erforderlich sein kann, auf das Potential der Streitkräfte zu polizeilichen Zwecken zurückzugreifen,211 auch wenn durch die Schaffung von strengen Voraussetzungen die Zulässigkeit des Streitkräfteeinsatzes zur Bekämpfung von inneren Gefahren eng begrenzt worden ist.212 Die Begrenzungsfunktion ist durch das Erfordernis einer ausdrücklichen verfassungsrechtlichen Zulassung für Einsätze der Streitkräfte außerhalb des Verteidigungsauftrages besonders abgesichert. Primäraufgabe der Streitkräfte ist die Verteidigung; andere Aufgaben sind dagegen die Ausnahme. Auch wenn keine Regel, wonach Ausnahmevorschriften generell restriktiv auszulegen sind,213 existieren sollte, hat das Bundesverfassungsgericht ein „Gebot strikter Texttreue“ für Einsätze außerhalb des Verteidigungsauftrages aufgestellt.214 Aus der Entstehungsgeschichte ergibt sich, dass durch Art. 87a Abs. 2 GG die Ableitung von Aufgaben der Streitkräfte aus „ungeschriebenen Zuständigkeiten aus der Natur der Sache“ verhindert werden sollte. Befugnisse, „die sich aus einem Wortzusammenhang mit der Verteidigungskompetenz ergeben“, sollten dagegen nicht ausgeschlossen werden.215

Art. 87a Abs. 2 GG] im Rahmen der Gewährleistung der inneren Sicherheit keine – auch nicht eine subsidiäre – Rolle zu.“ Die einzige Ausnahme sieht Heinke in der Regelung der „Katastrophenhilfe nach Art. 35 Abs. 2 GG“. Es ist festzustellen, dass die vorstehende Aussage unzutreffend ist. 207 Vgl. Bühl, Europäische Sicherheit, 1/2006, 69 (70). 208 N. H. R. Lück, 6. 209 C. H. Ule, DVBl. 1967, 865 (867). 210 Ebenso M. Fischer, in: Meier-Walser (Hg.), Deutsche Sicherheitspolitik – Rückblick, Bilanz, Perspektiven, 119 (121). 211 Daher ist es unverständlich, dass vertreten wird, die Bundeswehr zähle nicht zu den „Sicherheitsbehörden“, das heißt den Behörden, deren Hauptaufgabe die Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit in einem weiten Sinne ist, vgl. M. König, 43. 212 Vgl. V. Götz, HdBStR, Band III, § 79 Rdn. 35. 213 Vgl. K. Larenz/C.-W. Canaris, 175; ausdrücklich im Zusammenhang mit Art. 87a Abs. 2 GG M. Baldus, Stellungnahme, 14. 214 BVerfGE 90, 286 (356 f.); BVerfG, NJW 2006, 751 (754 Abs. 93). 215 BT-Drucks. V/2873, 13.

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Fraglich ist, wie das „Gebot strikter Texttreue“ im Einzelnen zu verstehen ist.216 Baldus meint, das „Gebot strikter Texttreue“ enthalte kein Auslegungsverbot;217 allerdings müsse im Zweifel der grammatikalischen Auslegung im Kollisionsfall mit anderen Auslegungsmethoden der Vorrang eingeräumt werden.218 Bähr meint anschaulich, der Ausdrücklichkeitsvorbehalt gebiete, dass allein durch den Blick in die Verfassung beurteilt werden kann, welche Normen einen Einsatz außer zur Verteidigung zulassen.219 B. Hirsch, einer der Beschwerdeführer im Verfahren gegen § 14 Abs. 3 LuftSiG, versteht den Verfassungsvorbehalt des Art. 87a Abs. 2 GG wie folgt: „Ausdrücklich, das heißt in klaren Worten, nicht vielleicht, nicht bei teleologischer Auslegung, nicht mal eben so und auf der schwankenden Grundlage der Überlegungen des Innenministers des Bundeslandes Hessen, weder in analoger Anwendung des Gesetzes über die Anwendung des unmittelbaren Zwangs, noch in einer fein ziselierten Klausel des Luftverkehrsgesetzes.“220

Zu beachten ist, dass nach allgemeiner Auffassung Art. 35 Abs. 2 Satz 2 GG eine ausdrückliche Zulassung im Sinne des Art. 87a Abs. 2 GG ist, obwohl diese Regelung nur von einem „Anfordern“ der Streitkräfte spricht, aber nicht – etwa wie Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG – die Formulierung „Einsatz“ beziehungsweise „einsetzen“ enthält. Bei einer strengen Wortlautauslegung – wie sie Hirsch anscheinend fordert – könnte man Art. 35 Abs. 2 Satz 2 GG durchaus nicht als ausdrückliche Zulassung für einen Streitkräfteeinsatz außerhalb des Verteidigungsauftrages ansehen. Der Regelungsgehalt des Art. 35 Abs. 2 Satz 2 GG würde sich dann auf das Recht der Länder, die Streitkräfte zu bloßen Verwendungen anzufordern, und die Pflicht des Bundes, die angeforderten Einheiten zur Verfügung zu stellen, beschränken. Ein solches Verständnis wäre jedoch mit der historischen, systematischen und teleologischen Auslegung des Art. 35 Abs. 2 Satz 2 GG nicht vereinbar.221 Daher vertritt auch niemand ernsthaft, dass ein Einsatz der Streitkräfte gemäß Art. 35 Abs. 2 Satz 2 GG nicht dem Ausdrücklichkeitsvorbehalt des Art. 87a Abs. 2 GG genügt.222 216 H. A. Wolff, Ungeschriebenes Verfassungsrecht, 166, meint dagegen, Art. 87a Abs. 2 GG besäße eine „atemberaubende Klarheit“. Diese Klarheit bezieht sich allenfalls auf den Wortlaut, nicht aber auf die Bedeutung. 217 M. Baldus, Stellungnahme, 18. 218 v. Mangoldt/Klein/Starck-M. Baldus, Art. 87a Abs. 2 Rdn. 29. 219 B. K. W. Bähr, ZRP 1994, 97 (102). 220 B. Hirsch, ZRP 2003, 378; siehe auch ders., KritV 2006, 3 (14); ders., ZRP 2004, 273; kritisch dazu M. Baldus, Anhörung, 35. 221 Siehe dazu unten 3. Teil C. II. 222 Es sind allenfalls folgende Literaturstimmen zu nennen, die sich jedoch nicht ausführlich mit der Frage des Ausdrücklichkeitsvorbehalts auseinandersetzen, so dass möglicherweise nur eine Ungenauigkeit in Bezug auf die Formulierung vorliegt: H. Stein, 164 ff., der nur Art. 87a Abs. 3, Abs. 4 Satz 1 GG als ausdrückliche Zulassungen für Einsätze der Streitkräfte im Inneren diskutiert; T. Günther, in: Thiel (Hg.),

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Aus der allgemeinen Anerkennung des Art. 35 Abs. 2 Satz 2 GG als ausdrückliche Zulassung eines Einsatzes außerhalb des Verteidigungsauftrages folgt daher, dass Art. 87a Abs. 2 GG keine strikte Auslegung nur nach dem Wortlaut fordert. Die Frage, ob bestimmte Regelungen des Grundgesetzes eine ausdrückliche Zulassung für den Einsatz der Streitkräfte darstellen oder nicht, wird im Laufe der Arbeit im Zusammenhang mit der jeweiligen Verfassungsnorm erörtert. Heillos umstritten ist die Frage, ob der Ausdrücklichkeitsvorbehalt sowohl für Einsätze der Streitkräfte innerhalb als auch außerhalb der Bundesrepublik gilt.223 Das Bundesverfassungsgericht hat diese Frage ausdrücklich offengelassen.224 Da jedoch Einigkeit darüber besteht, dass die Begrenzungsfunktion jedenfalls für Einsätze der Streitkräfte im Innern der Bundesrepublik gilt, ist eine Entscheidung des Streites im Rahmen dieser Untersuchung nicht erforderlich. Die Beschreibung „im Innern“ bedeutet innerhalb des Staatsgebietes der Bundesrepublik Deutschland.225 Dazu gehört auch das Küstenmeer, das eine maximale Breite von 12 Seemeilen hat,226 sowie der Luftraum über dem Staatsgebiet.227

IV. Völkerrechtliche Aspekte der Verteidigung Da der verfassungsrechtliche Verteidigungsbegriff an den völkerrechtlichen Begriff der Selbstverteidigung gemäß Art. 51 UN-Charta anknüpft, ist es erforderlich, die Grundlagen des völkerrechtlichen Selbstverteidigungsrechts darzustellen. Eine besondere Bedeutung in Bezug auf die Abwehr nicht-staatlicher Angreifer kommt dabei der Diskussion um die Weiterentwicklung des völkerrechtlichen Selbstverteidigungsrechts im Zusammenhang mit den Anschlägen vom 11. September 2001 zu.

Wehrhafte Demokratie, 329 (335) und K. Windthorst, in: Thiel (Hg.), Wehrhafte Demokratie, 365 (413), die nur Art. 35 Abs. 3 GG, aber nicht Art. 35 Abs. 2 Satz 2 GG, als Zulassung im Sinne des Art. 87a Abs. 2 GG nennen. 223 Die Stellungnahmen hierzu sind Legion, vgl. die Nachweise bei F. Schröder, Zustimmungsverfahren zum Auslandseinsatz der Bundeswehr, 29. 224 Vgl. BVerfGE 90, 286 (355). 225 H. Neumann, BWV 2003, 1. 226 D.-E. Khan, Staatsgrenzen, 583; K. Stern, Staatsrecht, Band I, 236; H. Neumann, BWV 2003, 1. 227 W. Schwenk/E. Giemulla, 211 f. Es ist jedoch nicht geklärt, bis zu welcher Höhe die Lufthoheit reicht. Jedenfalls erstreckt sich die Lufthoheit aber bis zu der Luftschicht, in der „herkömmliche Luftfahrzeuge“ verkehren können. Diese Luftschicht endet 50 bis 60 km über dem Erdboden, vgl. D.-E. Khan, Staatsgrenzen, 640 f.

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1. Gewaltverbot gemäß Art. 2 Nr. 4 UN-Charta Die Fundamentalnorm des Kriegsvölkerrechts ist Art. 2 Nr. 4 UN-Charta, das so genannte universelle Gewaltverbot, das den Staaten die Gewaltanwendung in ihren internationalen Beziehungen verbietet. Gewalt im Sinne von Art. 2 Nr. 4 UN-Charta ist als Waffengewalt, also als militärische Gewalt, zu verstehen. Teilweise wird gefordert, den Gewaltbegriff restriktiv auszulegen und den Abschuss eines zivilen Luftfahrzeuges nicht als Gewalt im Sinne von Art. 2 Nr. 4 UN-Charta anzusehen.228 Diese Ansicht kann nicht überzeugen, da der Abschuss eines Passagierflugzeuges mit möglicherweise hunderten Toten nur als militärische Gewaltanwendung verstanden werden kann.229 Das völkerrechtliche Gewaltverbot verbietet nur die Anwendung militärischer Gewalt der Staaten „in ihren internationalen Beziehungen“.230 Grundvoraussetzung ist daher zunächst – unabhängig davon, wie eng der Begriff „militärische Gewalt“ zu definieren ist – eine Gewaltanwendung innerhalb einer „internationalen Beziehung“. Festzuhalten ist, dass jede grenzüberschreitende Gewaltanwendung, zum Beispiel der Abschuss eines zivilen Luftfahrzeuges im Luftraum eines anderen Staates, innerhalb einer „internationalen Beziehung“ stattfindet.231 Dagegen berührt die Gewaltanwendung im Innern eines Staates grundsätzlich nicht Art. 2 Nr. 4 UN-Charta;232 insbesondere wird nicht die Durchsetzung der staatlichen Gebietshoheit tangiert. Jeder Staat hat das Recht – selbst wenn kein bewaffneter Angriff im Sinne des Art. 51 UN-Charta vorliegt –, Verletzungen seines Hoheitsgebietes zu verhindern, notfalls auch durch Waffengewalt.233 Daraus folgt, dass ein angegriffener Staat im nationalen Luftraum „aus eigener Machtvollkommenheit, kraft seiner territorialen Souveränität“ die gebotenen Abwehrmaßnahmen treffen kann.234 Die Bekämpfung von Gewalttaten innerhalb des eigenen Staatsgebietes ist also in erster Linie eine innere Angelegenheit und betrifft nicht internationale Beziehungen.235 Weiterhin soll ein Verstoß gegen das Gewaltverbot auch ausgeschlossen sein, da Art. 2 Nr. 4 UN-Charta nur Gewalt gegen einen anderen Staat, aber nicht gegen eine terroristische Vereinigung oder Einzeltäter verbiete.236 228

A. Verdross/B. Simma, § 472; J. F. Bentzien, 176. So auch K. Paulke, 44; vgl. ausführlich zu diesem Streit L. Horn, 56 ff. 230 A. Verdross/B. Simma, § 468; D. Schindler, BerDtGfV 26 (1986), 11 (14 f.). 231 L. Horn, 40 f.; D. Wiefelspütz, Parlamentsvorbehalt, 16; vgl. D. Blumenwitz, BayVBl. 1986, 737. 232 D. Schindler, BerDtGfV 26 (1986), 11 (15); M. Krajewski, KJ 2001, 363 (373). 233 K. Hailbronner, BerDtGfV 26 (1986), 49 (67); G. Meier, Der bewaffnete Angriff, 54 f. Dieser Grundsatz wird auch „Territorialprinzip“ genannt. 234 C. Tomuschat, EuGRZ 2001, 535 (540); vgl. M. Karg, JURA 2003, 129 (130 f.); K. Hailbronner, JZ 1973, 544 (546). 235 D. Blumenwitz, BayVBl. 1986, 737. 229

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Allerdings ist diese Auffassung nicht ohne Widerspruch geblieben. So soll keine rein innerstaatliche Angelegenheit vorliegen, wenn sich die Gewaltanwendung gegen fremdes Eigentum und fremde Staatsangehörige richtet. Der erforderliche internationale Bezug sei dann dadurch gegeben, dass sich die Gewaltanwendung auf die politischen Beziehungen zwischen den betroffenen Staaten auswirken könnte. Zu den internationalen Beziehungen zählten auch „internationale Situationen“, die in Art. 1 Nr. 1 UN-Charta genannt werden.237 L. Horn begründet dies mit einem Vergleich zu der Abwehr von feindlichen Streitkräften auf dem eigenen Staatsgebiet. Hier sei ebenfalls zunächst Art. 2 Nr. 4 UNCharta tangiert, auch wenn die militärische Abwehr durch Art. 51 UN-Charta gerechtfertigt ist.238 Horns Auffassung ist vorzugswürdig, da sie einen Rückgriff auf das völkerrechtliche Selbstverteidigungsrecht grundsätzlich auch dann eröffnet, wenn die Abwehrhandlungen auf dem eigenen Territorium stattfinden. Damit wird gewährleistet, dass solche Abwehrhandlungen nicht einem „völkerrechtsfreien Raum“ zugeordnet, sondern von den Regelungen der UN-Charta in rechtliche Bahnen gelenkt werden. Weiterhin würde eine lebensfremde Aufspaltung vorliegen, wenn Abwehrmaßnahmen durch grenzübergreifende Gegenangriffe unter das völkerrechtliche Selbstverteidigungsrecht fallen und dagegen für Kampfhandlungen auf dem eigenen Staatsgebiet lediglich auf das Territorialprinzip zurückgegriffen wird. Nur in Fällen, in denen Angriffshandlungen nicht die Intensität eines bewaffneten Angriffs im Sinne des Art. 51 UN-Charta erreichen, besteht demnach ein Bedürfnis zur Rechtfertigung über das Territorialprinzip beziehungsweise zur Verneinung einer Gewaltanwendung im Sinne von Art. 2 Nr. 4 UN-Charta. 2. Selbstverteidigungsrecht gemäß Art. 51 UN-Charta Das völkerrechtliche Selbstverteidigungsrecht ist in Art. 51 UN-Charta geregelt und ist die wichtigste Ausnahme239 zum universellen Gewaltverbot gemäß Art. 2 Nr. 4 UN-Charta. Art. 51 UN-Charta setzt einen „bewaffneten Angriff“ („armed attack“, „aggression armée“) voraus. Das völkerrechtliche Selbstverteidigungsrecht weist eine auffällige Nähe zum innerstaatlichen Notwehrrecht auf.240 Ähnlich wie beim Notwehrrecht finden sich zwei unterschiedliche Begründungsansätze: Zum einen wird auf die staatliche Selbsterhaltung abge236

S. Talmon, in: März (Hg.), An den Grenzen des Rechts, 101 (126). Vgl. A. A. Majid, GYIL 29 (1986), 190 (193 f.). 238 L. Horn, 45 f. 239 Vgl. O. Dörr, in: Dörr (Hg.), Ein Rechtslehrer in Berlin, 33 (38), der das völkerrechtliche Selbstverteidigungsrecht als „Mutter aller Ausnahmen“ bezeichnet. 240 M. Jahn, 575; Maunz/Dürig-G. Dürig, Art. 2 Abs. 2 Rdn. 19; vgl. K. Doehring, FS Carstens, Band 2, 1984, 527 (538), der auch im Völkerrecht den aus dem Straf237

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stellt,241 andere betonen dagegen den Rechtsbewährungsgedanken im Sinne einer überindividuellen Notwehrtheorie242 oder rekurrieren auf das innerstaatliche Notstandsrecht.243 Dabei wird das Selbstverteidigungsrecht sowohl aus dem Naturrecht244 als auch aus völkergewohnheitsrechtlichen Grundsätzen abgeleitet.245 Im Bereich des völkerrechtlichen Selbstverteidigungsrechts ist vieles umstritten. Einigkeit besteht jedoch weitgehend darüber, dass der Begriff „bewaffneter Angriff“ sich nicht mit der Formulierung „Drohung oder Anwendung von Gewalt“ in Art. 2 Nr. 4 UN-Charta deckt.246 Der Begriff „bewaffneter Angriff“ ist enger als die Gewaltanwendung.247 Es besteht also eine „Lücke“ zwischen dem Gewaltanwendungsverbot und dem Selbstverteidigungsrecht. Teilweise wird der Versuch unternommen, diese Lücke durch die Anerkennung eines „kleinen Selbstverteidigungsrechts“ zu schließen, das nicht dem Gewaltverbot gemäß Art. 2 Nr. 4 UN-Charta unterliegt, sondern nach allgemeinen völkerrechtlichen Maßstäben zu beurteilen ist.248 Dieses „kleine Selbstverteidigungsrecht“ könne die Abwehr von Grenzverletzungen, sonstigen Grenzzwischenfällen und Maßnahmen gegen das unerlaubte Eindringen von Luftfahrzeugen rechtfertigen.249 Die jeweiligen Abwehrhandlungen könnten sich sowohl gegen Einzelpersonen beziehungsweise nicht-staatliche Personengruppen als auch gegen staatliche Gewaltakte richten.250 Dagegen meinen andere, ein „kleines Selbstverteidigungsrecht“ sei überflüssig, da die Abwehr von Grenzverletzungen auch auf den Schutz der Gebietshoheit gestützt werden könne. Das Gewaltverbot sei nicht tangiert, daher bedürfe es in diesen Fällen auch keiner Rechtfertigung.251 Im Ergebnis macht es kaum einen Unterschied, ob man die Gewaltanwendung zur Durchsetzung der Territorialhoheit bereits auf Tatberecht bekannten Grundsatz „Das Recht braucht dem Unrecht nicht zu weichen“ heranzieht. 241 K. Stern, Staatsrecht, Band II, 1290 f. 242 K. Radke, 149. 243 N. Krisch, Selbstverteidigung und kollektive Sicherheit, 322 ff. 244 K. Doehring, Völkerrecht, Rdn. 757; E. Kaufmann, 193; siehe auch N. Krisch, Selbstverteidigung und kollektive Sicherheit, 316 ff. 245 F. Schinzel, 12 f. 246 D. Volk, 103 f. m.w. N. 247 D. Volk, 106 m.w. N. 248 G. Dahm, FS Laun 1962, 48 (57); K. Hailbronner, Luftgrenzen, 43 ff.; A. Verdross/B. Simma, § 472; vgl. insbesondere zu terroristischen Angriffen unterhalb der Schwelle des bewaffneten Angriffs K. M. Meessen, YJIL 2003, 341 (353); S. Heselhaus, JA 1999, 984 (988). 249 Vgl. A. Verdross/B. Simma, § 472. Eine andere Frage ist, welche Maßnahmen im Einzelnen zur Abwehr von unerlaubt eindringenden Luftfahrzeugen völkerrechtlich zulässig sind. Siehe dazu unten 2. Teil B. IV. 3. 250 G. Dahm, FS Laun, 1962, 48 (58). 251 Vgl. K. Hailbronner, Luftgrenzen, 46 f.; weitere Nachweise bei L. Horn, 43 Fn. 32.

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standsebene nicht unter den Gewaltanwendungsbegriff nach Art. 2 Nr. 4 UNCharta subsumiert oder die Gewaltanwendung auf der Rechtfertigungsebene aufgrund eines „kleinen Selbstverteidigungsrechts“ zulässt.252 Daher kann der Streit hier offen bleiben. Fraglich ist weiterhin, ob neben dem kodifizierten Selbstverteidigungsrecht ein „naturgegebenes Selbstverteidigungsrecht“ existiert. Dies wird von Teilen der Literatur mit dem Argument vertreten, dass aufgrund des Wortlautes von Art. 51 UN-Charta „keineswegs das naturgegebene Recht (inherent right, droit naturel) zur individuellen und kollektiven Selbstverteidigung“ beeinträchtigt wird.253 Dieses völkergewohnheitsrechtliche Selbstverteidigungsrecht wurde auch vom Internationalen Gerichtshof bestätigt.254 Der Streit ist für die vorliegende Untersuchung praktisch bedeutungslos, denn auch das gewohnheitsrechtliche Selbstverteidigungsrecht setzt einen bewaffneten Angriff voraus und besteht damit nur, soweit die Voraussetzungen des Art. 51 UN-Charta vorliegen.255 a) Definition des „bewaffneten Angriffs“ Eine Legaldefinition des Begriffs „bewaffneter Angriff“ findet sich nicht. Es existiert jedoch eine Definition des Aggressionsbegriffes („act of aggression“) im Sinne des Art. 39 UN-Charta durch eine Resolution der UN-Generalversammlung vom 15. Dezember 1974 (Aggressionsdefinition).256 In Art. 3 der Resolution werden sieben Fallgruppen der Aggression aufgezählt, wobei diese Aufzählung gemäß Art. 4 nicht abschließend ist. Streitig ist, welche Relevanz der Aggressionsdefinition für die Definition des bewaffneten Angriffs gemäß Art. 51 UN-Charta zukommt.257 Die Meinungen in der Literatur reichen von dem Verständnis einer Legaldefinition258 bis zu einer 252 Der einzige Unterschied liegt darin, dass bei einer Lösung auf der Rechtfertigungsebene eine Benachrichtigung des UN-Sicherheitsrates gemäß Art. 51 Satz 2 UNCharta erforderlich ist. 253 D. Schindler, BerDtGfV 26 (1986), 11 (17); K. M. Meessen, YJIL 2003, 341 (347). 254 Urteil vom 27. Juni 1986, Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua (Nicaragua v. United States), ICJ Reports 1986, 14 (102, § 193). 255 ICJ Reports 1986, 14 (103, § 194); D. Volk, 136; H. Kelsen, Principles of International Law, 67. Von der Benachrichtigungspflicht nach Art. 51 Satz 2 UN-Charta könnte aber bei der Ausübung des völkergewohnheitsrechtlichen Selbstverteidigungsrecht verzichtet werden. 256 Resolution 3314 (XXIX). 257 Bereits die Frage der Rechtsqualität an sich ist heftig umstritten, vgl. T. Bruha, Aggression, 277 ff. 258 Vgl. die Nachweise bei C. Kreß, Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht, 112 Fn. 491.

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völligen Bedeutungslosigkeit259 für die Auslegung des Art. 51 UN-Charta. Dagegen wird zu Recht eine vermittelnde Position vertreten. Demnach stellt die Aggressionsdefinition keine abschließende Definition des bewaffneten Angriffs dar. Es lassen sich jedoch Anhaltspunkte für die Auslegung des Selbstverteidigungsrechts aus der Aggressionsdefinition ableiten.260 Es besteht weitgehend Einigkeit darüber, dass der bewaffnete Angriff eine gewisse Intensität erreichen muss.261 Diese Auffassung hat auch der Internationale Gerichtshof in der so genannten „Nicaragua-Entscheidung“ bestätigt.262 Daher rechtfertigt nicht jegliche Gewaltanwendung die Ausübung des Selbstverteidigungsrechts. Dieser Grundsatz folgt aus dem allgemeinen Ziel der Friedenssicherung durch die UN-Charta. Die Rechtfertigung von zwischenstaatlicher Gewalt muss restriktiv gehandhabt werden, um diesem Ziel gerecht zu werden. Auch die Aggressionsdefinition enthält in Art. 2 eine so genannte Geringfügigkeitsklausel, wonach Handlungen nicht als Aggression gelten, wenn sie nicht von „ausreichender Schwere sind“. Wenn also geringfügige Gewaltakte schon keine Aggression darstellen, so können sie erst recht nicht als bewaffneter Angriff im Sinne des Art. 51 UN-Charta gelten. Der Begriff des bewaffneten Angriffs ist nicht auf Waffen im herkömmlichen militärischen Sinne beschränkt. Neben Waffen im technischen Sinne (wie Schusswaffen, Bomben usw.) können auch solche im nichttechnischen Sinne (wie Luft- oder Wasserfahrzeuge) Mittel eines bewaffneten Angriffs sein.263 Fraglich ist, wie intensiv das Ausmaß des Schadens sein muss. Jedenfalls sollen selbst „zahlreiche unschuldige Menschen“, die durch einen Selbstmordattentäter getötet werden, nicht ausreichen, um die Anwendung des Selbstverteidigungsrechts zu rechtfertigen.264 „Ohne Zweifel“ soll ein bewaffneter Angriff aber dann vorliegen, wenn das Leben tausender Menschen bedroht ist.265 In der Vergangenheit wurde in der völkerrechtlichen Literatur überwiegend vertreten, dass ein bewaffneter Angriff nur von staatlichen Kräften ausgehen

259 M. Bothe, JIR 18 (1975), 127 (136); weitere Nachweise bei C. Kreß, Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht, 113 Fn. 492. 260 BVerwG, NJW 2006, 77 (95); D. Volk, 107; D. Blumenwitz, BayVBl. 1986, 737 (739). 261 D. Volk, 115 m.w. N.; a. A. H. Fischer, in: K. Ipsen, Völkerrecht, § 59 Rdn. 28; vgl. zur Erreichung der Angriffsintensität durch eine „Nadelstichtaktik“ von terroristischen Angreifern Y. Z. Blum, GYIL 19 (1976), 223 (233 ff.). 262 ICJ Reports 1986, 14 (103, § 195). 263 S. Talmon, in: März (Hg.), An den Grenzen des Rechts, 101 (142 f.). 264 S. Talmon, in: März (Hg.), An den Grenzen des Rechts, 101 (144). 265 Vgl. S. Talmon, in: März (Hg.), An den Grenzen des Rechts, 101 (150), der anscheinend in Anlehnung an die Opferzahlen der Anschläge vom 11. September 2001 die Zahl von 3500 Menschen nennt.

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kann.266 Dabei sei zumindest erforderlich, dass die Gewaltakte Privater einem anderen Staat zugerechnet werden können.267 Ob diese restriktive Auslegung vor dem Hintergrund der völkerrechtlichen Entwicklungen der vergangenen fünf Jahre überzeugen kann, wird im Folgenden dargestellt. aa) Neubestimmung des Selbstverteidigungsrechts Die Anschläge vom 11. September 2001 auf das World Trade Center und das Pentagon bedeuteten nicht nur eine politische Zäsur, sondern aus den Reaktionen auf die Anschläge lassen sich auch völkerrechtliche Aspekte herausarbeiten, die für die Abwehr von Gefahren im Luftraum von Bedeutung sind.268 (1) Politische Reaktionen Der UN-Sicherheitsrat hat schnell auf die Anschläge mit den Resolutionen vom 12. September 2001 (1368/2001)269 und vom 28. September 2001 (1373/ 2001)270 reagiert. Die einstimmig angenommene Resolution 1368 verurteilte die Anschläge und bezeichnete sie als „Bedrohung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit“. Die Präambel der Resolution 1368 verwies zudem allgemein auf das Recht auf individuelle und kollektive Selbstverteidigung.271 Die ebenfalls einstimmig angenommene Resolution 1373 enthielt Maßnahmen gegen den internationalen Terrorismus, die sich auf Kapital VII der UN-Charta stützen, und bekräftigte zugleich das Recht auf Selbstverteidigung. Eine ähnliche Bezugnahme auf das Selbstverteidigungsrecht findet sich auch in den Resolutionen der Organisation Amerikanischer Staaten.272 Die Verurteilung des internationalen Terrorismus als Bedrohung des Weltfriedens und der internatio266 A. Epiney, 261 f.; R. J. Erickson, 134; H. Fischer, in: K. Ipsen, Völkerrecht, § 59 Rdn. 28; vgl. aber auch M. Krajewski, AVR 40 (2002), 183 (184 Fn. 9), der zahlreiche Nachweise zur Diskussion über die Anwendbarkeit des Selbstverteidigungsrechts gegen terroristische Angriffe vor dem 11. September 2001 anführt; Y. Z. Blum, GYIL 19 (1976), 223 ff. 267 ICJ Reports, 14 (103, § 195); J. Ipsen, Anhörung, 21; M. Krajewski, AVR 40 (2002), 183 (188); M. Ruffert, ZRP 2002, 247 f.; K. Schmalenbach, NZWehrr 2000, 177 (178); ausführlich zu den verschiedenen Verwicklungskonstellationen C. Kreß, Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht, 130 ff. 268 Vgl. S. Talmon, in: März (Hg.), An den Grenzen des Rechts, 101 (158), der vom „Big Bang“ des Selbstverteidigungsrechts spricht. 269 ILM 40 (2001), 1277, im Folgenden als Resolution 1368 bezeichnet. 270 ILM 40 (2001), 1278, im Folgenden als Resolution 1373 bezeichnet. 271 Vgl. A. Cassese, EJIL 12 (2001), 993 (996), der das Abstellen auf Art. 39 UNCharta und den Verweis auf das Selbstverteidigungsrecht als „ambiguous and contradictory“ (doppeldeutig und widersprüchlich) bezeichnet. 272 Resolutionen vom 21. September 2001, ILM 40 (2001), 1270 (1271) und ILM 40 (2001) 1273.

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nalen Sicherheit ist seitdem zu einer Standardformulierung in Resolutionen des UN-Sicherheitsrates geworden.273 Der NATO-Rat hat am 12. September 2001 wie folgt Stellung genommen: „The Council agreed that if it is determined that this attack was directed from abroad against the United States, it shall be regarded as an action covered by Article 5 of the Washington Treaty [. . .].“274

Mit dieser ersten und bislang einzigen Feststellung des Bündnisfalls gemäß Art. 5 des NATO-Vertrages in der Geschichte der NATO hat der NATO-Rat die Anschläge auch als bewaffneten Angriff im Sinne des Art. 51 UN-Charta verstanden.275 Am 2. Oktober 2001 traf NATO-Generalsekretär Lord Robertson im Nachhinein die Feststellung, dass die Angriffe von außen gegen die Vereinigten Staaten gerichtet waren.276 Aus deutscher Sicht ist auf die Äußerungen des damaligen Bundeskanzlers Gerhard Schröder hinzuweisen. Er führte am 19. September 2001 vor dem Bundestag unter anderem aus: „Der Weltsicherheitsrat hat damit [gemeint ist die Resolution 1368] eine Weiterentwicklung bisherigen Völkerrechts vorgenommen. Bislang galt ein bewaffneter Angriff, eine Störung des Weltfriedens, der Weltsicherheit immer dann, wenn es sich um einen Angriff von einem Staat auf einen anderen Staat handelte. Mit dieser Resolution – das ist das entscheidend Neue – sind die völkerrechtlichen Voraussetzungen für ein entschiedenes, auch militärisches Vorgehen gegen den Terrorismus geschaffen worden.“277

Die Aussagen Schröders wurden in einem Antrag der Bundesregierung an den Bundestag vom 7. November 2001 bezüglich der Beteiligung der Bundeswehr an der Operation „Enduring Freedom“ wiederholt. Wörtlich heißt es: „Artikel 51 der Satzung der Vereinten Nationen gibt das Recht auf individuelle Selbstverteidigung gegen die terroristischen Angriffe vom 11. September 2001 auch mit militärischen Mitteln.“278

273 N. Krisch, in: C. Walter u. a. (Hg.), Terrorism as a Challenge for National and International Law: Security versus Liberty?, 879 (882); vgl. die Resolutionen 1456 (2003) vom 20. Januar 2003 und 1465 (2003) vom 13. Februar 2003. 274 NATO Press Release (2001), 214, http://www.nato.int/docu/pr/2001/p01-124e. htm. 275 Der Begriff des bewaffneten Angriffs ist in Art. 5 NATO-Vertrag und in Art. 51 UN-Charta gleich zu verstehen; siehe zum Beispiel K. Kersting, Bündnisfall und Verteidigungsfall, 22. 276 Rede vom 2. Oktober 2001, http://www.nato.int/docu/speech/2001/s011002a. htm. 277 BT-Prot. 14/187, 18302; ähnlich BT-Prot. 14/198, 19284; siehe auch die Zusammenfassung von Äußerungen und Erklärungen von Mitgliedern der Bundesregierung zur Bekämpfung von terroristischen Angreifern nach dem 11. September 2001 bei J. Pfeil, ZaöRV 64 (2004), 1105 (1109 ff.).

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(2) Literaturmeinungen Viele Literaturstimmen haben die Anschläge angesichts des immensen Schadensausmaßes als bewaffneten Angriff im Sinne des Art. 51 UN-Charta bewertet.279 Teilweise wird der allgemeine Verweis auf das Selbstverteidigungsrecht in den Resolutionen 1368 und 1373 so verstanden, dass der UN-Sicherheitsrat das Selbstverteidigungsrecht gegen nicht-staatliche Angreifer ausdrücklich anerkannt hat, auch wenn möglicherweise eine Zurechnung zu einem anderen Staat nicht vorliegt.280 Dies wird vor allem in der US-amerikanischen Literatur vertreten.281 Als Argument wird auch auf die „Privatisierung der Gewalt“ verwiesen. Tatsache ist, dass in den letzten Jahrzehnten eine Entwicklung dahin festzustellen ist, dass bewaffnete Konflikte durch nicht-staatliche Organisationen, wie Guerillagruppen, regionale Warlords, Söldnerfirmen oder durch international agierende Terrorgruppen ausgetragen werden.282 Diese Entwicklung wurde besonders durch den Wegfall effektiver Staatsgewalt in zahlreichen Gebieten der Welt gefördert.283 Das Selbstverteidigungsrecht gemäß Art. 51 UN-Charta müsse daher auch dann anwendbar sein, wenn Private von außen angreifen, ohne von 278 BT-Drucks. 14/7296, 1. Der Bundestag hat diesem Antrag nach namentlicher Abstimmung zugestimmt, BT-Prot.14/202, 19895. 279 M. N. Schmitt, 25 ff.; R. Scholz, Stellungnahme, 3 f.; H.-J. Heintze, Internationale Politik und Gesellschaft 3/2004, 38 (52); D. Wiefelspütz, NZWehrr 2003, 45 (52); J. Delbrück, GYIL 44 (2001), 9 (16): „immense destruction of lives of thousands of people“. Insbesondere US-amerikanische Rechtswissenschaftler haben die Anschläge vom 11. September 2001 mit dem japanischen Angriff auf Pearl Harbor am 7. Dezember 1941 verglichen, vgl. S. D. Murphy, HILJ 43 (2002), 41 (47); zustimmend A. Pellet/V. Tzankov, HuV-I 2004, 68 (71); aus deutscher Sicht M. Stürmer, Die Welt vom 12. September 2001, 8: „Pearl Habor der westlichen Zivilisation“; siehe allgemein zum humanitären Schutz vor Angriffen nicht-staatlicher Akteure D. Fleck, FS Eitel, 2003, 69 ff. 280 Y. Dinstein, War, Aggression, and Self-Defence, 207; K. Doehring, Völkerrecht, Rdn. 759; E. Klein, in: Isensee (Hg.), Der Terror, der Staat und das Recht, 7 (27 f.); C. Schaller, 12; J. A. Frowein, FS R. Mußgnug, 2005, 271 (276); A. Pellet/V. Tzankov, in: Société française pour le droit international (Hg.), Les nouvelles menaces contre la paix et la sécurité internationales, 95 (100 f.); S. Hobe, ZLW 2006, 333 (337); P. Dreist, NZWehrr 2004, 89 (96); C. Tietje/K. Nowrot, NZWehrr 2002, 1 (10); J. A. Frowein, ZaöRV 62 (2002), 879 (885 ff.); siehe auch C. Kreß, Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht, 234 f. 281 Siehe zum Beispiel J. E. Stromseth, The George Washington International Law Review 38 (2006), 561 (566); S. D. Murphy, AJIL 99 (2005), 62 (67); R. Wedgwood, AJIL 99 (2005), 52 (58); N. Rostow, Cornell International Law Journal 35 (2002), 475 (481); J. J. Paust, Cornell International Law Journal 35 (2002), 533 (534 f.); H. H. Koh, HJIL 43 (2002), 23 (24); T. M. Franck, AJIL 95 (2001), 839 (840). 282 Vgl. statt vieler H. Münkler, Die neuen Kriege, 33 ff.; T. Bruha, AVR 40 (2002), 383 f. 283 Vgl. D. Thürer, BerDtGfV 34 (1996), 9 ff.; M. Herdegen, BerDtGfV 34 (1996), 49 ff.

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einem anderen Staat unterstützt zu werden.284 Auf das Merkmal der staatlichen Zurechnung soll bei Angriffen, die hinsichtlich ihres Zerstörungspotentials mit staatlichen Auseinandersetzungen vergleichbar sind, verzichtet werden können. Anderenfalls würde das Völkerrecht, insbesondere das Selbstverteidigungsrecht gemäß Art. 51 UN-Charta, einen „signifikanten Bedeutungsverlust“ davon tragen.285 E. Klein formuliert prägnant: „Werden internationale Bedrohungen staatsunabhängig, können Völkerrechtsregeln nicht an der Staatsgebundenheit festhalten.“286

Meessen greift nicht auf das Selbstverteidigungsrecht nach Art. 51 UNCharta zurück, sondern bemüht das gewohnheitsrechtliche Selbstverteidigungsrecht („customary law on self-defense“), um die militärische Bekämpfung von terroristischen Angreifern zu rechtfertigen.287 Es sei unerheblich, dass die Angriffe durch den „society-induced terrorism“288 im Einzelfall keinem Staat zugerechnet werden können. Das grundlegende Prinzip des Selbstverteidigungsrechts, dass jeder Staat seine Existenz verteidigen dürfe,289 erlaube die Bekämpfung von nicht-staatlichen Angreifern unter Beachtung der Erforderlichkeit und der Verhältnismäßigkeit.290 Eine solche Ausweitung des Selbstverteidigungsrechts ist nicht ohne Widerspruch geblieben. So wird vertreten, ein bewaffneter Angriff im Sinne des Art. 51 UN-Charta setze auch nach der völkerrechtlichen und politischen Entwicklung nach dem 11. September 2001 einen staatlichen Angriff oder zumindest eine staatliche Verwicklung in den Angriff Privater voraus.291 Diese Ansicht stützt sich vor allem darauf, dass der UN-Sicherheitsrat im Zusammenhang mit den Anschlägen lediglich allgemein auf das Selbstverteidigungsrecht 284 K. Doehring, Völkerrecht, Rdn. 759, 1042; Simma-A. Randelzhofer, UN-Charter, Art. 51 Rdn. 34; H.-G. Dederer, JZ 2004, 421 (424); D. Wiefelspütz, NZWehrr 2003, 45 (51); W. Heintschel v. Heinegg/T. Gries, AVR 40 (2002), 145 (155 ff.); M. Krajewski, AVR 40 (2002), 183 (197 f.); C. Tomuschat, EuGRZ 2001, 535 (540). 285 D. Wiefelspütz, NZWehrr 2003, 45 (51). 286 E. Klein, in: Isensee (Hg.), Der Terror, der Staat und das Recht, 7 (28). 287 K. M. Meessen, YJIL 2003, 341 (347). 288 Wörtlich „gesellschaftlich-verursachter Terrorismus“, das heißt Terrorismus, der nicht durch einen Staat verursacht worden ist. 289 Vgl. aus jüngster Zeit zur Problematik der Bedeutungslosigkeit des völkerrechtlichen Gewaltverbots bei existentiellen Bedrohungen K. Ipsen, FS Delbrück, 2005, 371 (375 ff.). 290 K. M. Meessen, YJIL 2003, 341 (349). 291 M. Bothe, in: Vitzthum (Hg.), Völkerrecht, 8. Abschn. Rdn. 11; T. M. Spranger, in: Fleck (Hg.), Rechtsfragen der Terrorismusbekämpfung durch Streitkräfte, 183 (187); M. G. A. Zahner, BayVBl. 2006, 490 (493); E. Giemulla, ZLW 2005, 32 (44); W. Bausback, NVwZ 2005, 418 (420); R. Streinz, JöR n. F. 52 (2004), 219 (225); J. Pejic, BYIL 2004, 71 (97 f.); D. Kugelmann, JURA 2003, 376 (379); D. Blumenwitz, ZRP 2002, 102 (104); C. Fischer/A. Fischer-Lescano, KritV 2002, 113 (134); L. Condorelli, RevGDIP 105 (2001), 829 (838).

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verwiesen, dieses aber nicht ausdrücklich auf die Angriffe nicht-staatlicher Akteure bezogen hat.292 Die Resolutionen seien nur insoweit eine Weiterentwicklung der Haltung des UN-Sicherheitsrates zu terroristischen Anschlägen, als terroristische Akte zum ersten Mal abstrakt als Gefährdung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit im Sinne des Art. 39 UN-Charta bezeichnet worden sind.293 Zuvor sei eine solche Feststellung nur bezüglich konkreter terroristischer Anschläge getroffen worden. Die Resolutionen verwendeten gerade nicht den Begriff „armed attack“, sondern lediglich den Ausdruck „terrorist attacks“.294 Auch die internationalen Reaktionen, die maßgeblich durch den unmittelbaren Eindruck der Anschläge geprägt waren, könnten keine andere Bewertung rechtfertigen, denn eine Staatenpraxis, die sich offensichtlich außerhalb des Völkerrechts bewegt, könne keine Auslegungshilfe für das Selbstverteidigungsrecht bieten.295 Auch wenn die Anschläge als Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu verurteilen seien, könnten sie dennoch nicht mit kriegerischen Gewaltakten gleichgestellt werden. In erster Linie gehe es um Straftaten, die durch die zuständigen Strafverfolgungsbehörden verfolgt werden müssten.296 Auf militärische Gegenmaßnahmen dürfe dagegen nicht zurückgegriffen werden.297 (3) Gutachten des Internationalen Gerichtshofs vom 9. Juli 2004 298 Im Zusammenhang mit der Diskussion um den Begriff des bewaffneten Angriffs wird vielfach die Rechtsauffassung des Internationalen Gerichtshofs zu dem Bau von Sicherheitsanlagen durch Israel zum Schutz vor terroristischen Angriffen aus den Palästinenser-Gebieten übersehen. Im Jahr 2002 begann Israel mit der Errichtung einer Schutzmauer, die die Palästinenser-Gebiete von Israel abtrennen sollte. Maßgebliche Teile dieser Schutzmauer verlaufen auf palästinensischem Gebiet. Zudem wird die Bewegungsfreiheit der Palästinenser 292 Statt vieler J. Kammerhofer, Netherlands Yearbook of International Law XXXV (2004), 143 (181). 293 J. D. Aston, ZaöRV 62 (2002), 257 (258). In Ziffer 3 der Resolution 1373 stellte der UN-Sicherheitsrat allgemein fest: „such acts like any act of international terrorism, constitute a threat to international peace and security“. 294 K. Paulke, 59 f.; J. N. Maogoto, Brooklyn Journal of International Law 31 (2006), 404 (452); C. Fischer/A. Fischer-Lescano, KritV 2002, 113 (134). 295 M. G. Kohen, in: Byers/G. Nolte (Hg.), United States Hegemony and the Foundations of International Law, 197 (229 f.). 296 Vgl. aus deutscher Sicht P. Dreist, NZWehrr 2004, 89 (99). 297 Vgl. K. Paulke, 92 f. 298 ICJ, Legal Consequences of the Construction of a Wall in the Occupied Palestinian Territory, Advisory Opinion of the Court vom 9. Juli 2004, http://www.icj-cij.org (im Folgenden zitiert: IGH Gutachten, Abs.).

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erheblich eingeschränkt. Vor diesem Hintergrund war und ist die Errichtung des Schutzwalles politisch hoch umstritten.299 Daher hat die UN-Generalversammlung am 8. Dezember 2003 die Einholung eines juristischen Gutachtens beim Internationalen Gerichtshof beantragt, ob die Errichtung des Schutzwalles völkerrechtlich gerechtfertigt war. Gegenüber der UN-Generalversammlung ausdrücklich auf die Resolutionen 1368 und fen.300 Der Bau der Schutzmauer sei durch gungsrecht Israels gegen die terroristischen bieten gerechtfertigt.

hat sich Israel zur Rechtfertigung 1373 des UN-Sicherheitsrates berudas völkerrechtliche SelbstverteidiAngriffe aus den Palästinenser-Ge-

In dem Gutachten hat der Internationale Gerichtshof die Berufung Israels auf das Selbstverteidigungsrecht abgelehnt und folgendes ausgeführt: „Article 51 of the Charter thus recognizes the existence of an inherent right of selfdefence in the case of armed attack by one State against another State [Hervorhebung des Verf.]. However, Israel does not claim that the attacks are imputable to a foreign State. The Court also notes that Israel exercises control in the Occupied Palestinian Territory and that, as Israel itself states, the threat which it regards as justifying the construction of the wall originates within, and not outside, that territory. The situation is thus different from that contemplated by Security Council resolutions 1368 (2001) and 1373 (2001), and therefore Israel could not in any event invoke those resolutions in support of its claims to be exercising a right of self-defence.“301

Diese Ausführungen könnten so verstanden werden, dass der Internationale Gerichtshof einer Ausweitung des Selbstverteidigungsrechts auch gegen nichtstaatliche Angreifer durch die Resolutionen und Ereignisse nach dem 11. September 2001 entgegenwirken wollte.302 Die Begründung des Internationalen Gerichtshofs ist dabei sehr knapp ausgefallen und setzt sich mit den zahlreichen Veröffentlichungen und Meinungen im Schrifttum nicht auseinander.303 Insofern kann zu diesem Zeitpunkt noch nicht abschließend beurteilt werden, wie eng 299 Vgl. zu den politischen Hintergründen G. R. Watson, AJIL 99 (2005), 6 ff.; siehe aus israelischer Sicht D. Barak-Erez, International Journal of Constitutional Law 2006, 540 ff. 300 Israels Vertreter führte aus: These resolutions „have clearly recognized the right of the States to use force in self-defence against terrorist attacks“, vgl. IGH Gutachten, Abs. 138. 301 IGH Gutachten, Abs. 139. Die Richter Higgins, Kooijman und Buergenthal haben zu diesem Punkt jeweils ein abweichendes Sondervotum abgefasst. Im Wesentlichen haben die genannten drei Richter eine Beschränkung des Selbstverteidigungsrechts auf Angriffe staatlicher Akteure vor dem Hintergrund der Resolutionen 1368 und 1373 des UN-Sicherheitsrates abgelehnt. 302 In diese Richtung argumentiert A. Bianchi, GYIL 47 (2004), 343 (374 f.). 303 Vgl. T. Bruha/C. J. Tams, FS Delbrück, 2005, 85 (100); kritisch hierzu D.-E. Khan, Die Frieden-Warte 79 (2004), 345 (366).

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die Rechtsprechung des Internationalen Gerichtshofs den Begriff des bewaffneten Angriffs zukünftig auslegen wird. Jedenfalls wird man das Gutachten nicht dahingehend verstehen können, dass Fälle der indirekten staatlichen Aggression mittels nicht-staatlicher Akteure304 nicht als Angriff eines Staates gelten.305 Die Grundsätze der Zurechnung von Gewaltakten Privater zu Lasten eines Staates haben sich durch das Gutachten nicht verändert. Die genaue Betrachtung des Wortlautes ergibt, dass eine Einschränkung des Selbstverteidigungsrechts in Bezug auf Angriffe eines anderen Staates nicht ausdrücklich durch den Internationalen Gerichtshof getroffen worden ist. Der Satz „Article 51 of the Charter thus recognizes the existence of an inherent right of individual self-defence in the case of armed attack by one State against another State“ bedeutet im Prinzip lediglich, dass der Internationale Gerichtshof jedenfalls Angriffe anderer Staaten bei einer entsprechenden Intensität unter den Begriff des bewaffneten Angriffs subsumiert. Die Aussage bedeutet dagegen nicht unbedingt, dass nur Angriffe anderer Staaten einen bewaffneten Angriff auslösen können.306 Im Übrigen scheint der Verweis auf die Resolutionen 1368 und 1373 zu implizieren, dass – obwohl die Angriffe aus den Palästinenser-Gebieten nicht mit den Angriffen vom 11. September 2001 vergleichbar sind – der UN-Sicherheitsrat nach Auffassung des Internationalen Gerichtshofs durch diese Resolutionen ausgedrückt hat, dass auch Angriffe nicht-staatlicher Akteure die Anwendbarkeit des Selbstverteidigungsrecht rechtfertigen können. Ansonsten wäre die Betonung des Unterschiedes der Angriffssituationen überflüssig. Der Internationale Gerichtshof betont weiterhin eine wichtige Voraussetzung des Selbstverteidigungsrechts, die so selbstverständlich erscheint, dass sie in der Literatur häufig nur am Rande oder überhaupt nicht erwähnt wird. Das Selbstverteidigungsrecht besteht nur bei einem bewaffneten Angriff von außen. Gewaltakte, die ihren Ursprung innerhalb des eigenen Staatsgebietes oder innerhalb eines kontrollierten Gebietes307 haben („the threat [. . .] orginates within, and not outside, that territory“), können keinen bewaffneten Angriff darstellen.308 bb) Bewertung Die Auslegung von völkerrechtlichen Verträgen, also auch die Auslegung der UN-Charta, erfordert zum Teil eine andere Auslegungsmethodik als die Ausle304

Vgl. Art. 3g) der Aggressionsdefinition. Ebenso T. Bruha/C. J. Tams, FS Delbrück, 2005, 85 (93). 306 S. D. Murphy, AJIL 99 (2005), 62 (63). 307 Vgl. zur Frage der Kontrolle durch Israel T. Bruha/C. J. Tams, FS Delbrück, 2005, 85 (89 f.). 308 IGH Gutachten, Abs. 139. 305

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2. Teil: Bestimmung verfassungsrechtlicher Begriffe

gung innerstaatlicher Rechtssätze. In formaler Hinsicht ist zu beachten, dass gemäß Art. 111 UN-Charta der deutsche Text nicht verbindlich für die Auslegung ist.309 Die UN-Charta ist als völkerrechtlicher Vertrag, der die Verfassung einer internationalen Organisation bildet, auch nach ihren Zielen, also teleologischfunktionell auszulegen.310 Bei der Auslegung sind im besonderen Maße die völkerrechtliche Praxis sowie die Auffassungen der Mitgliedsstaaten und der UN-Gremien zu beachten.311 (1) Wortlaut Aus dem Wortlaut der UN-Charta lässt sich eine Beschränkung des Selbstverteidigungsrechts auf staatliche Angreifer nicht erkennen.312 Art. 51 UN-Charta spricht allgemein von einem bewaffneten Angriff auf einen UN-Mitgliedsstaat, ohne jedoch Einschränkungen in Bezug auf das Angriffssubjekt zu regeln. Eine Auslegung des Wortlautes im Zusammenhang mit Art. 2 Nr. 4 UN-Charta deutet sogar eher auf eine weite Auslegung des bewaffneten Angriffs hin, denn Art. 2 Nr. 4 UN-Charta spricht ausdrücklich von der Gewaltanwendung eines Mitgliedsstaates gegen einen anderen Staat. Dieser Zusammenhang der Gewaltausübung zwischen zwei Staaten findet sich jedoch in Art. 51 UN-Charta gerade nicht.313 Zwar könnte argumentiert werden, dass bei der Formulierung des Art. 51 UN-Charta314 die Mitgliedsstaaten grundsätzlich von einem bewaffneten zwischenstaatlichen Konflikt ausgingen.315 Eine solche Argumentation würde jedoch den Umstand vernachlässigen, dass Art. 51 UN-Charta vom „naturgegebenen“ Selbstverteidigungsrecht spricht, das heißt, das Selbstverteidigungsrecht muss auch im Lichte des vor 1945 geltenden völkerrechtlichen Gewohnheitsrechts ausgelegt werden. 309 Vielmehr sind gemäß Art. 111 UN-Charta der chinesische, französische, russische, englische und spanische Wortlaut gleichermaßen für die Auslegung verbindlich. 310 A. Verdross/B. Simma, § 780. Zu den Zielen gehören gemäß Art. 1 Nr. 1 UNCharta insbesondere die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit. 311 C. Tietje/K. Nowrot, NZWehrr 2002, 1 (17 f.); vgl. W. Karl, Vertrag und spätere Praxis im Völkerrecht, 148 f.; B. Grzeszick, AVR 41 (2003), 484 (493 f.). 312 S. D. Murphy, AJIL 99 (2005), 62 (64); F. Becker, AVR 43 (2005), 218 (239); T. Bruha, in: Koch (Hg.), Terrorismus – Rechtsfragen der äußeren und inneren Sicherheit, 51 (65). 313 So auch S. D. Murphy, AJIL 99 (2005), 62 (64); siehe aber auch F. Naert, Revue de Droit Militaire et de Droit de la Guerre 43 (2004), 55 (60), der meint, in die Ausnahmevorschrift des Art. 51 UN-Charta könne die Formulierung „between States“ des Art. 2 Nr. 4 UN-Charta mit hineingelesen werden; ähnlich auch A. Fischer-Lescano, in: Bothe u. a. (Hg.), Redefining Sovereignty, 335 (356). 314 Vgl. zu den verschiedenen Formulierungsvorschlägen auf der Konferenz von San Francisco im Jahr 1945 T. M. Franck, Recourse to Force, 45 ff. 315 Vgl. K. Oellers-Frahm, FS Delbrück, 2005, 503 (505).

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(2) Historische Aspekte Der unbestrittene „Klassiker“ des Selbstverteidigungsrechts ist der so genannte Caroline-Fall aus dem Jahr 1837, der in einer unüberschaubaren Anzahl von Publikationen behandelt worden ist. Dabei geht es vor allem um die Frage der Existenz eines präventiven Selbstverteidigungsrechts,316 die hier nicht weiter behandelt wird. Aber auch für die vorliegend zu untersuchende Fragestellung können die Grundsätze des Caroline-Falls fruchtbar gemacht werden. Im Jahr 1837 fand ein Aufstand in Kanada gegen die britische Regierung statt. Dieser Aufstand wurde von Freiwilligen mit US-amerikanischer Staatsbürgerschaft insbesondere dadurch unterstützt, dass diese die kanadischen Aufständischen vom Territorium der Vereinigten Staaten aus mit Nachschub versorgten. Dabei unterließen es sowohl die Bundesregierung der Vereinigten Staaten als auch die Regierungen der betreffenden US-Bundesstaaten gegen diese Unterstützungsleistungen vorzugehen. Infolge der Rebellion besetzten am 13. Dezember 1837 kanadische und usamerikanische Aufständische die im Niagara-Fluss innerhalb kanadischen Territoriums gelegene Insel Navy Island. Die Insel diente in den folgenden Wochen als Ausgangsbasis für Angriffe der Aufständischen gegen kanadische Schiffe und Einrichtungen. Dabei wurden die Aufständischen durch das Schiff „The Caroline“ vom amerikanischen Ufer aus versorgt.317 In der Nacht des 29. Dezembers 1837 zerstörte eine britische Einheit dieses Schiff, während es sich in einem US-amerikanischen Hafen befand. Dabei wurden mindestens zwei US-amerikanische Staatsbürger getötet. Nach Protesten der Vereinigten Staaten318 berief sich Großbritannien auf sein völkerrechtliches Selbstverteidigungsrecht, das auch Maßnahmen gegen die Unterstützungshandlungen Privater rechtfertige.319 Im Jahr 1841 wurde Alexander McLeod, ein stellvertretender kanadischer Sheriff, wegen der Beteiligung an der Zerstörung des Schiffes wegen Mordes und Brandstiftung vor einem US-amerikanischen Gericht angeklagt. Nach britischen Protesten, die sich darauf stützten, dass McLeod nicht strafrechtlich verfolgt werden könne, da er im britischen Auftrag und nicht als Privatperson gehandelt habe,320 wurde dieser freigelassen. Dabei wurde von britischer Seite erneut das Recht des Staates zur Selbstverteidigung und Selbsterhaltung betont. Die US-amerikanische Seite hat das Selbstverteidigungsrecht gegen die Handlungen der eigenen Staatsbürger im Zusammenhang mit der Unterstützung der kanadischen

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Vgl. statt vieler T. Breitwieser, NZWehrr 2005, 45 ff. Vgl. zum Sachverhalt des Falles R. Y. Jennings, AJIL 32 (1938), 82 ff. 318 Brief des Secretary of State John Forsyth an den britischen Gesandten Henry Fox vom 5. Januar 1838: The incident has caused „the most painful emotions of surprise and regret“ and would be made „the subject of a demand for redress“, zitiert nach R. Y. Jennings, AJIL 32 (1938), 82 (85). 319 Fox führte am 6. Februar 1838 als Antwort unter anderem aus: Die Notwendigkeit der Selbstverteidigung und Selbsterhaltung („necessity of self-defence and selfpreservation“) rechtfertige das britische Vorgehen, zitiert nach R. Y. Jennings, AJIL 32 (1938), 82 (85). 320 Vgl. R. Y. Jennings, AJIL 32 (1938), 82 (94). 317

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2. Teil: Bestimmung verfassungsrechtlicher Begriffe Aufständischen nicht grundsätzlich bestritten. Der US-amerikanische Außenminister Daniel Webster vertrat jedoch in einem berühmt gewordenen Schreiben vom 24. April 1841 die Ansicht, dass im vorliegenden Fall die Voraussetzung der präventiven Selbstverteidigung, eine gegenwärtige und überwältigende Gefahrenlage, die keine Wahl der Mittel und keinen Augenblick zur Überlegung lässt, nicht vorgelegen habe.321

Beide Seiten haben damit anerkannt, dass das Selbstverteidigungsrecht grundsätzlich auch die Abwehr von Angriffen nicht-staatlicher Gruppierungen rechtfertigen kann.322 Dabei lag auch keine aktive Unterstützung des kanadischen Aufstandes durch die Bundesregierung der Vereinigten Staaten oder sonstige usamerikanische Staatsorgane vor.323 Vor dem Hintergrund, dass mit dem Caroline-Fall eine rechtliche Konturierung des völkerrechtlichen Selbstverteidigungsrechts begann, spricht vieles dafür, dass die Aussage, das Selbstverteidigungsrecht beschränke sich auf die Abwehr von Angriffen staatlicher Streitkräfte, historisch nicht belegbar ist. Die historische Betrachtung stützt vielmehr die Auffassung, dass auch nicht-staatliche Angreifer auf Grundlage des Selbstverteidigungsrechts bekämpft werden können.324 (3) Praxis nach dem 11. September 2001 Zunächst sind hier die Resolutionen 1368 und 1373 zu nennen. Formal ist zu bedenken, dass der UN-Sicherheitsrat nie zuvor im Zusammenhang mit terroristischen Anschlägen auf das Selbstverteidigungsrecht verwiesen hat.325 Zudem dürfte die nicht ausdrückliche Anerkennung des Selbstverteidigungsrechts auf das Bestreben der Vereinigten Staaten selbst zurückzuführen sein, die möglicherweise durch eine explizite Feststellung den Eindruck einer Abhängigkeit von den Vereinten Nationen befürchteten.326 Der ausdrückliche Hinweis auf das 321 Vgl. BVerwG, NJW 2006, 77 (95). Die englische Formulierung lautete: „Undoubtedly it is just, that while it is admitted that exceptions growing out of the great law of self-defense do exist, those exceptions should be confined to cases in which the necessity of that self-defense is instant, overwhelming, and leaving no choice of means, and no moment for deliberation“, zitiert nach D. Volk, 140 Fn. 751. 322 Vgl. H. N. Götz, in: Schlochauer (Hg.), Wörterbuch des Völkerrechts, Erster Band, 267. 323 Die US-amerikanischen Behörden sind nach anfänglicher Zurückhaltung sogar aktiv gegen die Unterstützung des Aufstandes vorgegangen, wenn auch mit nur geringem Erfolg, vgl. R. Y. Jennings, AJIL 32 (1938), 82. 324 C. Stahn, in: C. Walter u. a. (Hg.), Terrorism as a Challenge for National and International Law: Security versus Liberty, 827 (849). 325 T. Bruha/M. Bortfeld, VN 49 (2001), 161 (164). 326 H. Neuhold, ZaöRV 64 (2004), 263 (274); J. A. Frowein, ZaöRV 62 (2002), 879 (886).

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Selbstverteidigungsrecht macht nur dann Sinn, wenn der UN-Sicherheitsrat selbst davon ausgeht, dass auch nicht-staatliche Angreifer einen bewaffneten Angriff im Sinne des Art. 51 UN-Charta auslösen können.327 Es liegt also nahe, zumindest von einer impliziten Anerkennung des Selbstverteidigungsrechts auszugehen.328 Weiterhin spricht die Reaktion des UN-Sicherheitsrates auf die Ausführungen der Vereinigten Staaten und Großbritanniens vom 7. Oktober 2001, mit denen diese Staaten den UN-Sicherheitsrat gemäß Art. 51 Satz 2 UN-Charta über militärische Maßnahmen informierten, für die Anerkennung des Selbstverteidigungsrechts gegenüber nicht-staatlichen Angreifern durch den UN-Sicherheitsrat. Die Vereinigten Staaten und Großbritannien führten unter anderem aus: „We may find that our self-defence requires further actions with respect to other organizations [Hervorhebung des Verf.] and other States.“329

Damit wurde deutlich gemacht, dass sich die Maßnahmen zur Selbstverteidigung nicht nur gegen Staaten, sondern auch gegen nicht-staatliche Organisationen richten sollten, ohne dass das Erfordernis einer staatlichen Zurechnung genannt worden ist. Der UN-Sicherheitsrat hat diese Rechtsauffassung zumindest stillschweigend gebilligt.330 Im Übrigen ist allen Stimmen, die das Selbstverteidigungsrecht gegen Gewaltakte Privater mit der Begründung ablehnen, die Resolutionen 1368 und 1373 hätten nicht ausdrücklich ein Selbstverteidigungsrecht gegen nicht-staatliche Angreifer anerkannt, entgegenzuhalten, dass eine solche Anerkennung ohnehin rein deklaratorisch gewesen wäre,331 denn die Ausübung des Selbstverteidigungsrecht ist nicht davon abhängig, dass der UN-Sicherheitsrat das Vorliegen der Voraussetzungen des Art. 51 UN-Charta feststellt, sondern allein davon, dass ein bewaffneter Angriff gegeben ist. Die Resolutionen 1368 und 1373 machen deutlich, dass sich der UN-Sicherheitsrat Maßnahmen gegen den internationalen Terrorismus vorbehält, auch wenn keine staatliche Verwicklung besteht. Wenn also der UN-Sicherheitsrat über Art. 41 und 42 UN-Charta Maßnahmen gegen nicht-staatliche Angreifer

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C. Gray, 165; C. Prittwitz, FS Lüderssen, 2002, 499 (510). Vgl. S. Talmon, in: März (Hg.), An den Grenzen des Rechts, 101 (159). 329 Schreiben der Vereinigten Staaten vom 7. Oktober 2001, zitiert nach S. D. Murphy, AJIL 96 (2002), 237 (245 f.). Großbritannien hat ein inhaltlich ähnliches Schreiben vorgelegt, vgl. M. Byers, ICLQ 51 (2002), 401 (411 Fn. 51). 330 Ebenso S. Talmon, in: März (Hg.), An den Grenzen des Rechts, 101 (161); J. Ulrich, Virginia Journal of International Law 45 (2005), 1029 (1047 f.); siehe auch zur Praxis in Bezug auf frühere Militärschläge gegen nicht-staatliche Akteure J. N. Maogoto, Battling Terrorism, 165. 331 W. Heintschel v. Heinegg/T. Gries, AVR 40 (2002), 145 (152 f.); vgl. auch H. Hilgenberg, FS Eitel, 2003, 141 (156 f.). 328

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2. Teil: Bestimmung verfassungsrechtlicher Begriffe

unternehmen kann, so ist unverständlich, warum ausgerechnet ein angegriffener Staat kein Recht zur Selbstverteidigung gegen solche Angriffe haben soll.332 Im Übrigen darf die Reaktion der NATO nicht übersehen werden, auch wenn die Auffassung von NATO-Organen nur eingeschränkt für die Auslegung der UN-Charta herangezogen werden kann. Die NATO stellte für die Feststellung des Bündnisfalls gemäß Art. 5 des NATO-Vertrages, der ebenfalls die Formulierung „bewaffneter Angriff“ verwendet, lediglich darauf ab, dass der Angriff von außen auf die Vereinigten Staaten gerichtet war. Die Bedingung, dass der Angriff auch von einem anderen Staat ausging oder diesem zugerechnet werden konnte, stellte die NATO dagegen nicht auf.333 In der Erklärung der NATO heißt es nämlich nicht, dass es erforderlich ist, dass die Anschläge von einem anderen Staat gesteuert worden sind oder diesem zugerechnet werden können, sondern nur: „that this attack was directed from abroad“.334 Es ging also nur um einen Außenbezug, nicht aber um einen staatlichen Außenbezug. Die Staatenpraxis nach dem 11. September 2001 weist damit eine deutliche Tendenz dahingehend auf, auch bei Angriffen nicht-staatlicher Organisationen das Selbstverteidigungsrecht anzuerkennen, soweit eine kriegsähnliche Dimension der Angriffe gegeben ist. Eine staatliche Verwicklung ist in diesen Fällen nicht zwingend erforderlich. (4) Teleologisch-funktionelle Auslegung Das Selbstverteidigungsrecht ist ein fundamentales Recht aller Staaten und nimmt vor dem Hintergrund, dass seine Ausübung die Existenz des angegriffenen Staates sichern soll, eine besonders wichtige Stellung innerhalb der UNCharta ein. Neben dem konkreten Aspekt der Verteidigung eines einzelnen Staates ist das Selbstverteidigungsrecht auch eine Ergänzung zur Erreichung der friedenssichernden Ziele der UN-Charta335 im Allgemeinen, da ein potentieller Aggressor mit unilateralen Maßnahmen der Selbstverteidigung rechnen muss und daher nicht auf einen Dissens innerhalb der Vereinten Nationen vertrauen kann.336 Eine weitere Abschwächung der friedenssichernden Funktion der UN-Charta kann nur dadurch verhindert werden, dass das Völkerrecht auf die oben be332

T. Bruha, AVR 40 (2002), 383 (393); T. M. Franck, AJIL 95 (2001), 839 (840). Vgl. C. Stahn, in: C. Walter u. a. (Hg.), Terrorism as a Challenge for National and International Law: Security versus Liberty, 827 (849); a. A. ohne überzeugende Begründung U. Häußler, ZRP 2001, 537 (540). 334 NATO Press Release (2001), 214 abrufbar unter www.nato.int/docu/pr/2001/ p01-124e.htm. 335 Vgl. Art. 1 Nr. 1 UN-Charta. 336 M. Jahn, 575. 333

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schriebene „Privatisierung der Gewalt“337 reagiert. Auch in der Vergangenheit hat sich gezeigt, dass das Völkerrecht zu einer Weiterentwicklung als Antwort auf neu auftretende tatsächliche Umstände fähig ist. So hat eine Entwicklung des Völkerrechts, das ursprünglich lediglich zwischenstaatliches Recht darstellte, bereits dahingehend stattgefunden, dass auch nicht-staatliche Akteure in völkerrechtliche Regelungen mit einbezogen worden sind.338 Diese Entwicklung darf beim Selbstverteidigungsrecht nach Art. 51 UN-Charta als eines der wichtigsten Materien des Völkerrechts nicht halt machen. Die Einordnung der Gewaltakte nicht-staatlicher Organisationen als Verbrechen schließt neben der Strafverfolgung den Rückgriff auf militärische Maßnahmen nicht aus. Auch kriminelle Handlungen können einen bewaffneten Angriff im Sinne des Art. 51 UN-Charta darstellen.339 Zudem sind die Strafverfolgung einerseits und ein militärisches Vorgehen zur Abwehr von nicht-staatlichen Angreifern andererseits verschiedene Handlungsoptionen des angegriffenen Staates, die getrennt voneinander betrachtet werden müssen. Die grundsätzliche Fixierung des Selbstverteidigungsrechts auf Angriffe fremder Staaten birgt die Gefahr der völkerrechtlichen Schutzlosstellung bei Angriffen Privater in sich. Jedenfalls solange es um die Abwehr von gegenwärtigen Gefahren geht, kann auch nicht argumentiert werden, dass die Loslösung von der Zurechnung zu Lasten eines Staates zu einer unzulässigen Ausweitung des Selbstverteidigungsrechts führen würde. Wenn zum Beispiel ein Angriff aus dem Luftraum gerade stattfindet, ist es ohne weiteres möglich, dass sich die Abwehr unmittelbar gegen die Angreifer richtet; eine Ausweitung von zwischenstaatlichen Konflikten ist nicht zu befürchten. Als Einwand könnte geltend gemacht werden, es bedürfe gar keiner Anerkennung des Selbstverteidigungsrechts im Fall nicht-staatlicher Angriffe, da diese bereits auf Grundlage des Territorialprinzips oder des so genannten „kleinen Selbstverteidigungsrechts“ unmittelbar abgewehrt werden dürften. Dieser Einwand ist zweifellos richtig, verkennt jedoch einen wichtigen Punkt. Das „kleine Selbstverteidigungsrecht“ ist zur Abwehr von Gefahren unterhalb der Schwelle des bewaffneten Angriffs entwickelt worden. Soweit diese Schwelle durch nicht-staatliche Angreifer überschritten wird, erscheint es sinnvoller, direkt auf Art. 51 UN-Charta zurückzugreifen.340 Dabei ist vor allem auch zu bedenken, dass Angriffe nicht-staatlicher Organisationen auch aus hoheitsfreien Räumen 337

Siehe oben 2. Teil B. IV 2. a) aa) (2). Vgl. zu der Entwicklung bezüglich der Einbeziehung von Nicht-Regierungs-Organisationen in das Völkerrecht R. Wedgwood, in: R. Hofmann (Hg.), Non-State Actors as New Subjects of International Law, 22 ff. 339 Ebenso S. D. Murphy, HILJ 43 (2002), 41 (49). 340 Das Selbstverteidigungsrecht kann nach allgemeiner Auffassung auch dann geltend gemacht werden, wenn fremde Streitkräfte auf dem eigenen Staatsgebiet bekämpft werden sollen. Daher spricht das Territorialprinzip nicht gegen die Anerken338

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2. Teil: Bestimmung verfassungsrechtlicher Begriffe

herrühren können.341 So könnte es erforderlich sein, nicht-staatliche Angreifer, die Luftfahrzeuge für einen Angriff einsetzen, außerhalb des eigenen Staatsgebietes im internationalen Luftraum zu bekämpfen. Das Gleiche würde für die Fälle gelten, in denen der Angriff von der hohen See ausgeht.342 In diesen Fällen könnte nicht mehr auf das Territorialprinzip zurückgegriffen werden, da es insoweit nicht mehr um die Durchsetzung der eigenen Staatshoheit geht. Es wäre unzumutbar zu fordern, dass ein angegriffener Staat solange warten müsste, bis sich die Angreifer in seinem Hoheitsgebiet befinden, bevor er Maßnahmen zur Abwehr der Gefahr einleiten dürfte. Die Ablehnung der Anwendbarkeit des Selbstverteidigungsrechts könnte weiterhin dazu führen, dass sich Staaten bei der Ausübung militärischer Gewalt gegen nicht-staatliche Angreifer außerhalb des eigenen Staatsgebietes darauf berufen, es sei kein Verstoß gegen das Gewaltverbot des Art. 2 Nr. 4 UN-Charta gegeben, da dieses nur innerhalb zwischenstaatlicher Konflikte greife.343 Der Rückgriff auf das Selbstverteidigungsrechts macht diese Argumentation überflüssig und führt damit zu einer rechtlichen Eingrenzung der Gewalt auch in hoheitsfreien Räumen.344 Die Anerkennung des Selbstverteidigungsrechts gegen nicht-staatliche Angreifer ist damit das Korrelat zur Anerkennung des Gewaltverbotes gemäß Art. 2 Nr. 4 UN-Charta bei der Anwendung militärischer Gewalt gegen die Positionen einer nicht-staatlichen Organisation. Damit wird die friedenssichernde Funktion der UN-Charta gerade gestärkt, da ansonsten die Bekämpfung der nicht-staatlichen Organisation außerhalb der Regelungen des Völkerrechts stehen würde.345 Die Anerkennung des Selbstverteidigungsrechts unterstützt die friedenssichernde Funktion auch dadurch, dass der Staat, der die Selbstverteidigung ausübt, den UN-Sicherheitsrat gemäß Art. 51 Satz 2 UN-Charta von den getroffenen Maßnahmen unterrichten muss.346 Diese Unterrichtungspflicht würde nicht bestehen, wenn die Bekämpfung von nicht-staatlichen Organisationen a priori weder von Art. 2 Nr. 4 UN-Charta noch von Art. 51 UN-Charta erfasst werden würde.347

nung des Selbstverteidigungsrechts bei der Verteidigung gegen nicht-staatliche Angreifer innerhalb des eigenen Staatsgebietes. 341 Dies betont zu Recht T. Bruha, in: Koch (Hg.), Terrorismus – Rechtsfragen der äußeren und inneren Sicherheit, 51 (74). 342 Es wäre zum Beispiel denkbar, dass Raketen von einem Schiff außerhalb des Staatsgebietes auf die Bundesrepublik abgefeuert werden. 343 Vgl. auch M. Ruffert, ZRP 2002, 247. 344 Vgl. J. Delbrück, Die Friedens-Warte 74 (1999), 139 (156). 345 J. A. Frowein, ZaöRV 62 (2002), 879 (887). 346 K. Oellers-Frahm, FS Delbrück, 2005, 503 (514). 347 Allerdings darf nicht übersehen werden, dass der Unterrichtungspflicht ohnehin kein hoher Wert zugemessen wird, vgl. Y. Dinstein, War, Aggression, and Self-Defence, 216 ff.

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Angesichts der Resolutionen 1368 und 1373 wäre die Differenzierung, dass Angriffe von Privaten zwar einerseits den internationalen Frieden bedrohen können, aber andererseits nicht auf Grundlage des Selbstverteidigungsrechts bekämpft werden dürfen, nicht sinnvoll.348 Auch weist Bruha zu Recht darauf hin, dass der UN-Sicherheitsrat durch die Resolutionen die „staatsähnliche Dimension“ von nicht-staatlichen Angriffen, die ein kriegsähnliches Ausmaß erreichen, betont hat.349 Der Verzicht auf die Loslösung von der Zurechnung zu einem Staat hat weiterhin einen großen praktischen Vorteil. Die Suche nach einem verantwortlichen Staat für die Angriffe Privater ist nicht länger erforderlich. Auch in unklaren Situationen kann damit das Recht zur Selbstverteidigung ausgeübt werden. Es ist keinem Staat zumutbar, im Fall der gegenwärtigen Anwendung von Gewalt durch nicht-staatliche Angreifer zu prüfen, ob eine staatliche Verwicklung in den Angriff vorliegt oder dies sogar nachzuweisen, bevor konkrete militärische Abwehrmaßnahmen getroffen werden dürften. b) Umfang des Selbstverteidigungsrechts gegen nicht-staatliche Angreifer Das Selbstverteidigungsrecht gegen nicht-staatliche Angreifer besteht – ebenso wie das Selbstverteidigungsrecht gegen staatliche Angriffe350 – nicht schrankenlos. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Gewaltakte einer nichtstaatlichen Organisation keinem anderen Staat zugerechnet werden können. In diesen Fällen fehlt grundsätzlich die Legitimation, unter Berufung auf das Selbstverteidigungsrecht Verteidigungshandlungen auf fremdem Staatsgebiet oder gar gegen fremde Staaten selbst zu führen. Die Bekämpfung der nichtstaatlichen Angreifer darf damit grundsätzlich nur auf dem eigenen Staatsgebiet, in hoheitsfreien Räumen oder auf dem Gebiet eines so genannten „Failed State“351 erfolgen. Eine begrenzte Ausnahme ist denkbar, wenn die Angreifer sich unmittelbar nach einem erfolgten Angriff in ein fremdes Staatsgebiet zurückziehen und dabei bereits von Streitkräften des angegriffenen Staates verfolgt werden. Duldet ein Staat, dass nicht-staatliche Gruppen von seinem Territorium aus operieren oder ist er unfähig, gegen diese Gruppen vorzugehen, kann eine begrenzte Bekämpfung von nicht-staatlichen Organisationen auch auf Grundlage 348

Vgl. H.-G. Dederer, JZ 2004, 421 (424). T. Bruha, in: Koch (Hg.), Terrorismus – Rechtsfragen der äußeren und inneren Sicherheit, 51 (63). 350 Siehe zur Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes bei der Ausübung des Selbstverteidigungsrechts M. Krugmann, insbesondere 90 ff. 351 Vgl. zu diesem Begriff J. Delbrück, FS Rauschning, 2001, 427 ff.; R. Geiß, GYIL 47 (2004), 457 (460 ff.). 349

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der analogen Anwendung von Neutralitätsrecht oder dem Schutzzweck der territorialen Integrität gerechtfertigt sein. Es ist nach klassischem Neutralitätsrecht anerkannt, dass ein angegriffener Staat auch das Territorium eines neutralen Staates verletzen kann, soweit von dessen Territorium Angriffshandlungen ausgehen, die der neutrale Staat nicht unterbinden kann oder will.352 So versteht zum Beispiel Classen das Souveränitätsrecht des Staates und dessen Pflicht, die Operationen von nicht-staatlichen Gruppen, die Gewaltakte gegen andere Staaten begehen, auf seinem Territorium zu unterbinden, als zwei Seiten einer Medaille. Daher sei eine Bekämpfung der nicht-staatlichen Angreifer durch einen anderen Staat auch auf dem Gebiet des Aufenthaltsstaates – wenn auch unter engen Voraussetzungen – völkerrechtlich zulässig, soweit letzterer seiner Verpflichtung zur Unterbindung der Gewalttaten privater Organisationen nicht oder nicht ausreichend nachkommt.353 Teilweise wird auch argumentiert, dass eine nicht-staatliche Organisation, die bewaffnete Angriffe im Sinne des Art. 51 UN-Charta initiiert, nicht mehr zu den inneren Angelegenheiten des Aufenthaltsstaates gehört. Der Aufenthaltsstaat habe durch die Duldung der nicht-staatlichen Organisation gebilligt, dass sich diese aus dem Schutzbereich seiner Territorialhoheit entfernt. Daher würde dieser Staat den Anspruch auf die Achtung seines Territoriums verlieren, soweit die nicht-staatliche Organisation bekämpft wird.354 Der Aufenthaltsstaat sei dann dazu verpflichtet, die Maßnahmen gegen die nicht-staatlichen Gruppen auf seinem Territorium zu dulden.355 In den Fällen, in denen keine aktive Unterstützung durch den Aufenthaltsstaat vorliegt, müssen die Grundsätze der Erforderlichkeit und Angemessenheit der Ausübung des völkerrechtlichen Selbstverteidigungsrechts in einem besonderen Maße beachtet werden. Die Verteidigungshandlungen dürfen sich nur gegen die nicht-staatlichen Angreifer richten. Andere Einrichtungen des Aufenthaltstaates selbst dürfen nicht gezielt angegriffen werden.356 Die Maßnahmen der Selbstverteidigung dürfen nicht den Charakter von Vergeltungsmaßnahmen annehmen. Mit anderen Worten: Art. 51 UN-Charta regelt die „Selbst-Verteidigung“, nicht aber die „Fremd-Bestrafung“.357 Das Handeln der Streitkräfte muss der Gefahrenabwehr dienen und von einem subjektiven Verteidigungswillen geprägt sein.358 Keinesfalls darf das Selbstverteidigungs352 K. Ipsen, in: K. Ipsen, Völkerrecht, § 72, Rdn. 13 ff.; Simma-A. Randelzhofer, UN-Charter, Art. 51 Rdn. 28; M. Krajewski, AVR 40 (2002), 183 (203). 353 C. D. Classen, in: Société française pour le droit international (Hg.), Les nouvelles menaces contre la paix et la sécurité internationales, 129 (137). 354 M. Krajewski, AVR 40 (2002), 183 (203 f.). 355 Vgl. D. Volk, 153. 356 R. Grote, in: C. Walter u. a. (Hg.), Terrorism as a Challenge for National and International Law: Security versus Liberty?, 951 (975). 357 G. Zimmer, 57; Simma-A. Randelzhofer, UN-Charta, Art. 51 Rdn. 37.

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recht als „Deckmantel“ für andere politische oder wirtschaftliche Ziele missbraucht werden. Eine etwaige Strafverfolgung von Angehörigen der nicht-staatlichen Angreifer muss der Justiz vorbehalten bleiben. Die Streitkräfte dürfen allerdings unterstützend tätig werden, um Straftäter dingfest zu machen. Nicht unerwähnt bleiben darf, dass das völkerrechtliche Selbstverteidigungsrecht selbstverständlich auch in zeitlicher Hinsicht beschränkt ist. Auch wenn unter besonderen Umständen möglicherweise ein begrenztes präventives Selbstverteidigungsrecht anzuerkennen ist,359 so sind Verteidigungsmaßnahmen jedenfalls dann nicht mehr zulässig, wenn der bewaffnete Angriff abgeschlossen ist. Die Feststellung dieses Zeitpunktes bereitet bei Angriffen nicht-staatlicher Organisationen, die üblicherweise punktuelle Angriffe über einen längeren Zeitraum begehen, besondere Schwierigkeiten.360 Daher wird man annehmen können, dass bei einer solchen Bedrohungslage eine Gegenwärtigkeit des Angriffs gegeben ist, solange weitere Gewalttaten angekündigt werden. Teilweise wurde jedoch die Ausübung des Selbstverteidigungsrechts gegen die terroristischen Strukturen und die Taliban-Regierung in Afghanistan durch die Vereinigten Staaten und ihre Verbündeten mit dem Hinweis auf die Beendigung des Angriffs kritisiert.361 Dieses Problem soll hier nicht diskutiert werden, da in den Fällen, in denen es um die Abwehr von Gewalttaten nicht-staatlicher Organisationen im Luftraum geht, jedenfalls ein gegenwärtiger Angriff vorliegt. Neben dieser zeitlichen Beschränkung kann das Selbstverteidigungsrecht nur soweit und solange ausgeübt werden, bis der UN-Sicherheitsrat gemäß Art. 51 Satz 1, 2. Halbsatz UN-Charta entsprechende Maßnahmen zur „Wahrung oder Wiederherstellung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit“ unternimmt.362 In diesem Zusammenhang darf nicht übersehen werden, dass der UN-Sicherheitsrat zwar auf rechtlicher Ebene eine umfassende Kompetenz für entsprechende Maßnahmen hat, jedoch hinsichtlich der praktischen Umsetzung 358 O. Schachter, International Law 167: „From the standpoint of self-defense (in contrast to retribution) the use of force must have a defensive purpose; it must be intended to prevent and deter future attacks.“ 359 Vgl. zum Streitstand BVerwG, NJW 2006, 77 (95); H. Fischer, in: K. Ipsen, Völkerrecht, § 59 Rdn. 29 f. 360 D. Kugelmann, JURA 2003, 376 (381); W. Heintschel v. Heinegg/T. Gries, AVR 40 (2002), 145 (157). 361 O. Corten/F. Dubuisson, RevGDIP 2002, 51 (71 ff.); vgl. auch F. Mégret, KJ 2002, 156 (166 f.); a. A. M. Krajewski, AVR 40 (2002), 183 (202); M. E. O’Connel, FS Fleck, 2004, 405 (411), die ausführt: „Further clear and convincing evidence showed the attacks would continue from Afghanistan in the future.“ 362 Zum Teil wird hier mit Hinweis auf die Resolution des UN-Sicherheitsrates 1390 (2002) vom 16. Januar 2002 vertreten, dass die militärischen Maßnahmen der Vereinigten Staaten und ihrer Verbündeten in Afghanistan nicht mehr auf das Selbstverteidigungsrecht gestützt werden könnten, vgl. A. Pellet/V. Tzankov, in: Société française pour le droit international (Hg.), Les nouvelles menaces contre la paix et la sécurité internationales, 95 (102).

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2. Teil: Bestimmung verfassungsrechtlicher Begriffe

von der Unterstützung – gerade auch von der militärischen Unterstützung – der Mitgliedsstaaten abhängig ist.363 c) Zwischenergebnis Das Völkerrecht lässt eine Bekämpfung von nicht-staatlichen Angreifern auf Grundlage des Selbstverteidigungsrechts zu. Angesichts der zunehmenden Privatisierung der Gewalt ist die Zurechnung zu einem andern Staat nicht zwingend erforderlich. Bei einer fehlenden Zurechnung müssen die Grundsätze der Erforderlichkeit und Verhältnismäßigkeit der Maßnahmen zur Selbstverteidigung jedoch besonders sorgfältig beachtet werden. Im Ergebnis bedeutet eine derartige Auslegung des völkerrechtlichen Selbstverteidigungsrechts, dass auch die Bundesrepublik (völkerrechtlich) berechtigt ist, bei Angriffen nicht-staatlicher Akteure von außen, die die Intensität eines bewaffneten Angriffs im Sinne des Art. 51 UN-Charta erreichen, von ihrem Selbstverteidigungsrecht Gebrauch zu machen.364 Welche Folgen diese Auslegung des völkerrechtlichen Selbstverteidigungsrechts für den verfassungsrechtlichen Verteidigungsbegriff hat, wird an späterer Stelle untersucht.364a 3. Spezielle völkerrechtliche Regelungen für den Luftverkehr Die völkerrechtlichen Grundsätze des Luftverkehrs sind vor allem im Abkommen über die Internationale Luftfahrt365 (Chicago Convention) vom 7. Dezember 1944 kodifiziert. In Art. 1 Chicago Convention wird zunächst die staatliche Lufthoheit ausdrücklich anerkannt. Ein unerlaubtes Eindringen eines Luftfahrzeuges in den Luftraum eines Staates bedeutet grundsätzlich – unabhängig von der Motivation – einen Verstoß gegen die Lufthoheit, den der betroffene Staat abwehren darf. Diese Abwehrmaßnahmen sind jedoch nicht unbeschränkt zulässig. So enthält Art. 3 bis Chicago Convention eine Sperrvorschrift für die Anwendung von Waffengewalt gegen zivile Luftfahrzeuge. Die Bundesrepublik hat die Chicago Convention ohne jegliche Vorbehalte ratifiziert.366 Fraglich ist daher, ob die unmittelbare Einwirkung mit Waffengewalt gegen zivile Luftfahrzeuge, wie sie in § 14 Abs. 3 LuftSiG vorgesehen war, mit völkerrechtlichen Grundsätzen vereinbar ist. In der parlamentarischen Diskussion bezüglich § 14 Abs. 3 LuftSiG sind diese völkerrechtlichen Probleme erstaunlicherweise mit keinem Wort behandelt worden. 363

Vgl. C. Tomuschat, DÖV 2006, 357 (358). D. Wiefelspütz, NZWehrr 2003, 45 (52). 364a Siehe unten 2. Teil B. V. 365 Sartorius II, Nr. 399. 366 R. Geiß, Michigan Journal of International Law 27 (2006), 227 (228). 364

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a) Art. 3 bis Chicago Convention Die Einfügung des Art. 3 bis Chicago Convention367 war eine Reaktion auf den Abschuss eines koreanischen Passagierflugzeuges durch die Sowjetunion über der Insel Sachalin im Jahr 1983.368 Diese Ergänzung ist nach herrschender Meinung die deklaratorische Kodifizierung eines allgemein gültigen völkerrechtlichen Grundsatzes.369 Art. 3 bis (a) Chicago Convention lautet: „Die Vertragsstaaten anerkennen, dass sich jeder Staat der Anwendung von Waffen gegen im Flug befindliche Zivilluftfahrzeuge enthalten muss und dass im Fall des Ansteuerns das Leben der Personen an Bord und die Sicherheit des Luftfahrzeuges nicht gefährdet werden dürfen. Diese Bestimmung ist nicht so auszulegen, als ändere sie in irgendeiner Weise die in der Charta der Vereinten Nationen niedergelegten Rechte und Pflichten der Staaten.“

Ein Ausnahmekatalog vom Verbot der Anwendung von Waffengewalt ist nicht in der Chicago Convention geregelt. Kaiser spricht daher von einer „nahezu absoluten Regel“.370 Unklar ist, ob Art. 3 bis (a) Chicago Convention neben ausländischen Luftfahrzeugen auch inländische Luftfahrzeuge erfasst. Milde meint, aus der Entstehungsgeschichte folge, dass die Schutzwirkung des Art. 3 bis (a) Chicago Convention nur ausländische Luftfahrzeuge erfasse, das heißt nur solche, die in einem anderen Staat registriert sind.371 Allerdings müsse bei einem Abschuss eines inländischen Luftfahrzeuges gegebenenfalls Rücksicht auf das Recht auf Leben ausländischer Staatsbürger genommen werden.372 Andere meinen dagegen zu Recht, auch inländische Luftfahrzeuge seien vom Schutzbereich erfasst, sofern sich diese in der Luft befinden.373 Eine Differenzierung zwischen inländischen und ausländischen Luftfahrzeugen wurde trotz entsprechender Vorschläge nicht in Art. 3 bis (a) Chicago Convention aufgenommen.374 Weiterhin 367 In Kraft getreten für die Bundesrepublik am 1. Oktober 1998, BGBl. 1999 II, 307. Art. 3 bis (a) lautet in der englischen Fassung: „The contracting States recognize that every State must refrain from resorting to the use of weapons against civil aircraft in flight and that, in case of interception, the lives of persons on board and the safety of aircraft must not be endangered. This provision shall not be interpreted as modifying in any way the rights and obligations of States set forth in the Charter of the United Nations.“ 368 Zu den Hintergründen der Ergänzung siehe G. F. Fitzgerald, CYIL 1984, 291 ff.; M. Milde, Annals of Air and Space Law 1986, 105 ff. 369 L. Horn, 152 m.w. N. in Fn. 233; G. Richard, Annals of Air and Space Law, 1984, 147 (153). Dies ergibt sich auch aus der Formulierung „Die Vertragsstaaten anerkennen“. 370 S. Kaiser, TranspR 2004, 353 (355). 371 M. Milde, Annals of Air and Space Law 1986, 105 (126). 372 Vgl. M. Milde, Annals of Air and Space Law 1986, 105 (126 f.). 373 L. Horn, 156; B. Cheng, in: Storm van’s Gravesande/van der Veen Vook (Hg.), Air Worthy, Liber Amicorum I.H.Ph. Diederiks-Verschoor, 47 (63).

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soll Art. 3 bis (a) Chicago Convention vor allem das Leben von zivilen Passagieren und nicht die Sachsubstanz des Luftfahrzeuges schützen. Daher scheint eine Differenzierung zwischen der „Nationalität“ des Luftfahrzeuges nicht sachgerecht. Weiterhin ist davon auszugehen, dass sich auch an Bord eines inländischen Luftfahrzeuges regelmäßig ausländische Staatsangehörige befinden. Etwas anderes könnte nur dann gelten, wenn ein reiner Inlandsbezug vorliegt und von vornherein ausgeschlossen ist, dass ausländische Staatsangehörige betroffen werden könnten.375 b) Anwendung auf das LuftSiG Die Maßnahmen der Streitkräfte gemäß §§ 14 Abs. 1, 15 Abs. 1 LuftSiG stellen keinen Verstoß gegen Art. 3 bis Chicago Convention dar.376 Das Recht, Luftfahrzeuge zur Landung oder zur Einhaltung bestimmter Luftwege zu zwingen, wird durch Art. 3 bis (a) Chicago Convention nicht ausgeschlossen.377 Dagegen sind nach dem Wortlaut grundsätzlich Maßnahmen der Waffenanwendung, wie sie nach § 14 Abs. 3 LuftSiG vorgesehen waren, nicht zulässig. Eine Rechtfertigung der Anwendung von Waffengewalt wäre nur über Art. 3 bis (a) Satz 2 Chicago Convention möglich, wenn sich aus der UN-Charta ein Recht zum Abschuss des Luftfahrzeuges ergibt. Als möglicher Rechtfertigungsgrund ist hier zunächst das völkerrechtliche Selbstverteidigungsrecht gemäß Art. 51 UN-Charta zu nennen. Allerdings wurde vor dem 11. September 2001 überwiegend vertreten, ein unerlaubt eindringendes ziviles Luftfahrzeug sei hinsichtlich der potentiellen Gefahr nicht mit einem bewaffneten Angriff vergleichbar.378 Folgte man dieser Auffassung, wäre ein Rückgriff auf Art. 51 UN-Charta als Rechtfertigung der Waffenanwendung gegen ein ziviles Luftfahrzeug ausgeschlossen. Diese Ansicht kann jedoch angesichts der neu aufgetretenen terroristischen Bedrohungen und der Anerkennung des Selbstverteidigungsrechts im Zusammenhang mit den terroristischen Anschlägen vom 11. September 2001 keine absolute Regel sein.379 374

Vgl. L. Horn, 156. So zum Beispiel beim Frankfurter Luftzwischenfall am 5. Januar 2003. 376 Es wäre allenfalls denkbar, dass das Abgeben von Warnschüssen auf ein Zivilluftfahrzeug nach § 14 Abs. 1 LuftSiG bereits einen Verstoß darstellt, da bereits dadurch ein erhöhtes Risiko begründet wird. 377 S. Kaiser, TranspR 2004, 353 (356); M. Milde, Annals of Air and Space Law 1986, 105 (127). 378 C. E. P. Vogel, 59; G. Dahm/J. Delbrück/R. Wolfrum, Völkerrecht Band I/1, 440; K. Hailbronner, JZ 1973, 544 (546); siehe aber auch L. Horn, 98, der bereits im Jahr 1991 die Verhältnismäßigkeit der Anwendung von Waffengewalt bejahte, wenn „ein gezielt herbeigeführter Absturz einer entführten Linienmaschine auf ein dicht besiedeltes Gebiet oder auf ein Kernkraftwerk“ zu befürchten sei. Großzügiger bezüglich einer Gewaltanwendung ist Bentzien, der eine Spionagetätigkeit als ausreichende Rechtfertigung für einen Abschuss ansieht, J. F. Bentzien, 181. 375

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Dementsprechend vertritt die überwiegende Literaturmeinung, ein Abschuss eines zivilen Luftfahrzeuges sei als ultima ratio völkerrechtlich zulässig.380 Archangelskij verweist auf eine „Störung der Geschäftgrundlage“, da zum Zeitpunkt der Ergänzung der Chicago Convention durch Art. 3 bis der Missbrauch von zivilen Luftfahrzeugen als Waffe nicht vorhersehbar gewesen sei.381 Eine vertiefte Auseinandersetzung mit dem grundsätzlichen Verbot der Einwirkung von Waffengewalt gemäß Art. 3 bis Chicago Convention und einem möglichen Rechtfertigungsgrund findet jedoch in der deutschsprachigen Literatur nicht statt.382 Dagegen meinen andere, der Abschuss eines entführten zivilen Luftfahrzeuges verstoße gegen Art. 3 bis (a) Chicago Convention.383 Nach Giemulla könne auch nicht argumentiert werden, dass Art. 2 Nr. 4 UN-Charta dem Abschuss eines Luftfahrzeuges nicht entgegenstehe,384 denn durch diese Argumentation würde der allgemeinen Anerkennung der Lufthoheit in Art. 1 Chicago Convention der Vorrang vor der spezielleren Regelung in Art. 3 bis (a) Chicago Convention zukommen.385 Demnach seien eine dem § 14 Abs. 3 LuftSiG entsprechende Regelung und ein darauf gestützter Abschuss eines zivilen Luftfahrzeuges völkerrechtswidrig.386 Geiß vertritt eine differenzierte Auffassung: Zwar könne der Abschuss eines zivilen Luftfahrzeuges grundsätzlich durch Art. 3 bis (a) Satz 2 Chicago Con379 Siehe dazu oben 2. Teil B. IV. 2. a). Nennenswert ist auch die Resolution A33-1 der ICAO, abrufbar unter www.icao.int/icao/en/assembl/a33/resolutions_a33.pdf, 1 f. Die Resolution bezeichnet die Anschläge vom 11. September 2001 als „use of civil aircraft for an armed attack on civilized society“. Vgl. auch R. Geiß, Michigan Journal of International Law 27 (2006), 227 (246 ff.). 380 K. Paulke, 46, die jedoch die besondere Problematik des Art. 3 bis (a) Chicago Convention überhaupt nicht beachtet; T. M. Spranger, in: Fleck (Hg.), Rechtsfragen der Terrorismusbekämpfung durch Streitkräfte, 183 (186); M. Shaw, 476; S. Hobe, ZLW 2006, 333 (337); implizit C. Tomuschat, EuGRZ 2001, 535 (540); zweifelnd Giemulla/Schmid-E. Giemulla, LuftVG, § 1 Rdn. 15. 381 A. Archangelskij, 121. 382 Eine ausführliche Untersuchung findet sich bei R. Geiß, Michigan Journal of International Law 27 (2006), 227 ff.; siehe auch M. Shaw, 476. 383 E. Giemulla, ZLW 2005, 32 (44); S. Kaiser, TranspR 2004, 353 (356); vgl. auch die Äußerungen des deutschen Vertreters bei der ICAO: The shooting down of a civilian aircraft „under any circumstances whatsoever [Hervorhebung des Verf.] represents [. . .] a clear violation of international law and the principle of international civil aviation community“, zitiert nach J. Z. Gertler, Annals of Air and Space Law 1985, 63 (70). 384 In diese Richtung argumentiert T. M. Spranger, in: Fleck (Hg.), Rechtsfragen der Terrorismusbekämpfung durch Streitkräfte, 183 (186). 385 E. Giemulla, ZLW 2005, 32 (44); siehe auch Giemulla/van Schyndel-E. Giemulla, LuftSiG, § 14 Rdn. 67 ff. 386 E. Giemulla, ZLW 2005, 32 (45); vgl. auch die entsprechenden Bedenken deutscher Luftwaffenpiloten bei J. Bittner, Die Zeit vom 3. November 2005.

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vention gerechtfertigt sein, soweit ein bewaffneter Angriff im Sinne des Art. 51 UN-Charta vorliegt. Allerdings greife die Regelung des § 14 Abs. 3 LuftSiG auch dann, wenn kein bewaffneter Angriff vorliegt, da nicht danach unterschieden wird, ob der Angriff einem anderen Staat zugerechnet werden kann oder nicht.387 c) Eigene Ansicht Die Meinung von Kaiser und Giemulla vermag nicht zu überzeugen. Kaiser setzt sich überhaupt nicht mit der Rechtfertigungsmöglichkeit nach Art. 3 bis (a) Satz 2 Chicago Convention auseinander. Giemulla geht zwar auf das anerkannte Recht zur Durchsetzung der Territorialhoheit als mögliche Rechtfertigung ein, aber auch er diskutiert nicht die Anwendung des völkerrechtlichen Selbstverteidigungsrechts gemäß Art. 51 UN-Charta. Zutreffenderweise ist eine Waffenanwendung gegenüber zivilen Luftfahrzeugen mit offensichtlich harmlosen Absichten unzulässig, wenn die Waffenanwendung lediglich dazu dient, eine Landung zu erzwingen.388 Wenn jedoch ein Angriff vorliegt oder dieser nach den Umständen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit gegeben ist, so verbietet Art. 3 bis (a) Chicago Convention nicht den Abschuss des Luftfahrzeuges. Dies gilt zunächst für die Fälle, in denen durch das Luftfahrzeug ein bewaffneter Angriff im Sinne des Art. 51 UNCharta gegeben ist, denn das völkerrechtliche Selbstverteidigungsrecht stellt eine Durchbrechung des Verbots der Waffenanwendung gemäß Art. 3 bis (a) Chicago Convention dar.389 Insofern hat die Anerkennung des Selbstverteidigungsrechts gegen nicht-staatliche Angreifer einen weiteren Vorteil, denn es wird eine Rechtfertigungsmöglichkeit für die Abwehr von entführten und als Waffe missbrauchten Luftfahrzeugen nach Art. 3 bis (a) Satz 2 Chicago Convention geschaffen. Diese Rechtfertigungsmöglichkeit würde nicht bestehen, wenn die Bekämpfung nicht-staatlicher Angreifer lediglich auf das Territorialprinzip gestützt werden würde. Aus völkerrechtlicher Sicht verbietet auch die mit einer Waffenanwendung verbundene Tötung von zivilen Passagieren und Besatzungsmitgliedern nicht per se einen Abschuss, da das Recht auf Leben durch das humanitäre Völkerrecht keinen absoluten Schutz genießt.390 Allerdings bedarf es einer besonderen

387

R. Geiß, Michigan Journal of International Law 27 (2006), 227 (249 f.). L. Horn, 167; K. Hailbronner, JZ 1973, 544 (547). 389 C. E. P. Vogel, 58; G. F. Fitzgerald, CYIL 1984, 291 (305). 390 L. Horn, 77; vgl. zur gerechtfertigten Tötung in Kriegszeiten Y. Dinstein, in: Henkin (Hg.), The International Bill of Rights, 114 (120); siehe auch unten 3. Teil D. II. 6. c) bb) (1) (c). 388

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Beachtung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes und des Grundsatzes des letzten Mittels. Problematischer ist der Fall, in dem das Luftfahrzeug zwar als Waffe verwendet werden soll, aber der zu erwartende Schadensausmaß nicht mit einer kriegsanalogen Zerstörung vergleichbar ist. Hier würde kein bewaffneter Angriff vorliegen und das völkerrechtliche Selbstverteidigungsrecht gemäß Art. 51 UNCharta wäre damit nicht anwendbar. L. Horn meint, es sei nicht ersichtlich, dass die Vertragsstaaten durch die Kodifizierung des Art. 3 bis (a) Chicago Convention das Recht zur Abwehr von Angriffen unterhalb der Schwelle des bewaffneten Angriffs gemäß Art. 51 UN-Charta aufgeben wollten.391 Es wäre auch denkbar, auf den Gedanken eines völkerrechtlichen Notrechts zurückzugreifen. So hat G. Jellinek grundlegend zur völkerrechtlichen Verpflichtung in Fällen der Not ausgeführt: „Hier tritt das Notrecht des Staates ein, welches ihm gebietet, seine Existenz höher zu achten als die Verpflichtungen, welche er gegen Fremde übernommen hat.“

Juristisch betrachtet liege ein Fall der unverschuldeten „Unmöglichkeit der Leistung“ vor.392 Der Ansatz eines völkerrechtlichen Notrechts erscheint jedoch zweifelhaft: Ist die Schwelle des bewaffneten Angriffs nicht überschritten, so wird auch eine Existenzgefährdung des Staates nicht vorliegen. Allerdings ist fraglich, ob bei dem Missbrauch eines eigentlich zivilen Luftfahrzeuges überhaupt noch von einem zivilen Luftfahrzeug gemäß Art. 3 bis (a) Chicago Convention gesprochen werden kann. Der zivile Charakter bestimmt sich maßgeblich nach dem Verwendungszweck eines Luftfahrzeuges. Die Nutzung als Waffe rückt ein ziviles Luftfahrzeug in die Nähe zu einem militärischen Luftfahrzeug,393 für das gemäß Art. 3 Chicago Convention die besonderen Schutzvorschriften nicht gelten.394 Um die Schutzwirkung des Art. 3 bis (a) Chicago Convention nicht zu unterlaufen, ist bei Passagierflugzeugen aber grundsätzlich von einer zivilen, nicht missbräuchlichen Nutzung auszugehen.395 Weiterhin ist festzuhalten, dass nicht jede missbräuchliche Nutzung eines zivilen Luftfahrzeuges die Schutzwirkung des Art. 3 bis (a) Chicago Convention ausschließt. So weist Richard zu Recht darauf hin, dass die Abgrenzung zwischen einer militärischen und einer zivilen Nutzung schwierig sein kann.396 Bei 391 392 393 394 395

L. Horn, 159. G. Jellinek, 62. Vgl. J. N. Maleev, 212; a. A. G. F. Fitzgerald, CYIL 1984, 291 (305). A. A. R. Geiß, Michigan Journal of International Law 27 (2006), 227 (229 ff.). So auch L. Horn, 157; G. Richard, Annals of Air and Space Law 1984, 146

(156). 396

G. Richard, Annals of Air and Space Law 1984, 146 (156).

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2. Teil: Bestimmung verfassungsrechtlicher Begriffe

dem Einsatz eines Passagierflugzeuges zu Spionagezwecken liegt zum Beispiel eine missbräuchliche Nutzung vor. Allerdings ist die Schutzwirkung des Art. 3 bis (a) Chicago Convention noch nicht aufgehoben, da das Luftfahrzeug nicht als Waffe missbraucht wird. Auch ein unerlaubtes Eindringen kann noch keine Gleichsetzung mit einem militärischen Luftfahrzeug rechtfertigen. Jedenfalls aber dann, wenn das Luftfahrzeug zur Waffe umfunktioniert wird, kann von einer zivilen Nutzung keine Rede mehr sein. Ist nach allen Umständen von einem solchen Missbrauch auszugehen, so verstößt ein Abschuss als letztes Mittel nicht gegen Art. 3 bis (a) Chicago Convention, auch wenn sich im Nachhinein ein (unvermeidbarer) Irrtum herausstellen sollte.397 Bei einer Umfunktionierung eines Passagierflugzeuges zur Waffe ist ein besonders strenger Verhältnismäßigkeitsmaßstab zu beachten. Durch die Anwendung des Missbrauchsgedanken, liegt also auch dann keine Verletzung des Art. 3 bis (a) Chicago Convention vor, wenn der Angriff mittels eines Luftfahrzeuges noch nicht die Intensität eines bewaffneten Angriffs im Sinne des Art. 51 UN-Charta erreicht. d) Zwischenergebnis Art. 3 bis (a) Chicago Convention verbietet nicht ausnahmslos die Anwendung von Waffengewalt gegen ein Passagierflugzeug, das als Waffe zu Begehung eines Angriffs gegen die Bundesrepublik verwendet wird. 4. Ergebnis zu den völkerrechtlichen Aspekten der Verteidigung Aus völkerrechtlicher Sicht ist eine Abwehr von nicht-staatlichen Gewalttaten, die die Intensität eines bewaffneten Angriffs erreichen, auf Grundlage des völkerrechtlichen Selbstverteidigungsrechts gemäß Art. 51 UN-Charta zulässig, auch wenn die Angriffshandlungen keinem anderen Staat zugerechnet werden können. Unter den soeben beschriebenen Voraussetzungen liegt bei einem Abschuss eines zivilen Luftfahrzeuges auch kein Verstoß gegen Art. 3 bis (a) Chicago Convention vor.

V. Neuausrichtung beziehungsweise Erweiterung des verfassungsrechtlichen Verteidigungsbegriffs Der verfassungsrechtliche Verteidigungsbegriff gemäß Art. 87a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 GG orientiert sich maßgeblich am völkerrechtlichen Selbstverteidigungsrecht, wie oben dargestellt worden ist.398 Eine deckungsgleiche Definition des 397 398

L. Horn, 219. Siehe oben 2. Teil B. II.

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völkerrechtlichen Selbstverteidigungsrechts und des verfassungsrechtlichen Verteidigungsbegriffs anzunehmen, wäre jedoch voreilig. Die Übertragung der völkerrechtlichen Grundsätze muss mit dem Grundgesetz vereinbar sein, insbesondere darf die Begrenzungsfunktion des Art. 87a Abs. 2 GG durch eine völkerrechtliche Auslegung nicht unterlaufen werden. Der verfassungsrechtliche Verteidigungsbegriff wird daher in zweifacher Hinsicht begrenzt. Zum einen darf er nicht weiter reichen als das völkerrechtliche Selbstverteidigungsrecht, zum anderen muss die Begrenzungsfunktion des Art. 87a Abs. 2 GG beachtet werden. Alle Tätigkeiten der Streitkräfte, die sich innerhalb dieses normativen Rahmens bewegen, können auf Grundlage des Verteidigungsauftrags erfolgen. Unter dem Einfluss der völkerrechtlichen Entwicklung wird verstärkt eine Neuausrichtung beziehungsweise Erweiterung des verfassungsrechtlichen Verteidigungsbegriffes gefordert. Dabei wird von der Grundannahme ausgegangen, der Verteidigungsbegriff sei alles andere als eindeutig399 und könne als „offen und entwicklungsfähig“ bezeichnet werden.400 Insofern sei eine Auslegung im Gesamtzusammenhang der verfassungsrechtlichen Regelungen erforderlich.401 Dabei geht es vor allem darum, den Kreis der Angreifer, die auf Grundlage des Verteidigungsauftrages bekämpft werden dürfen, auszuweiten. Die herkömmlichen Definitionsansätze stammen noch aus der Zeit des Kalten Krieges beziehungsweise aus den 1990er Jahren, in denen die Bundeswehr langsam versuchte, ein neues Selbstverständnis zu entwickeln, das über die reine Verteidigung an der innerdeutschen Grenze hinausging. Seit dieser Zeit hat sich die sicherheitspolitische Lage grundlegend verändert. Dies wird vor allem durch das geflügelte Wort des ehemaligen Bundesministers der Verteidigung Peter Struck: „Unsere Sicherheit wird nicht nur, aber auch am Hindukusch verteidigt“402 deutlich. Auch die Verteidigungspolitischen Richtlinien vom 21. Mai 2003 machen eine grundlegende Veränderung des Verständnisses des Verteidigungsauftrages deutlich. Zwar wird klargestellt, dass die politische und verfassungsrechtliche Aufgabe der Bundeswehr die „Verteidigung Deutschlands gegen eine äußere Bedrohung bleibt“. Im gleichen Satz heißt es jedoch weiter, die Bundeswehr verteidige „Deutschland gegen jede [Hervorhebung des Verf.] Bedrohung seiner Bevölkerung und seines Territoriums“.403 Eine erhöhte Bedeutung komme insbesondere der gewachsenen Bedrohung des deutschen Hoheitsgebietes durch terroristische Angriffe zu.404 Dabei stelle der Schutz der 399

Vgl. O. Depenheuer, DVBl. 1997, 685 (686). C. Lutze, NZWehrr 2003, 101 (112); V. Epping, AöR 124 (1999), 423 (437). 401 C. Burkiczak, VR 2004, 379 (382). 402 BT-Prot. 15/97, 8601. 403 BMVg, VPR, Nr. 74. 404 Zu ähnlichen Formulierungen siehe BMVg, Weißbuch 2006, 65: „Angesichts der wachsenden Bedrohung des deutschen Hoheitsgebietes durch terroristische Angriffe gewinnt der Schutz der Bürgerinnen und Bürger und der Infrastruktur an Bedeutung. 400

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2. Teil: Bestimmung verfassungsrechtlicher Begriffe

Bevölkerung „zusätzlich Anforderungen an die Bundeswehr bei der Aufgabenwahrnehmung im Inland [Hervorhebung des Verf.]“.405 Es darf nicht übersehen werden, dass es sich bei diesen Äußerungen in erster Linie um politische Auffassungen handelt. Die Verteidigungspolitischen Richtlinien sind zudem lediglich ein innerministerielles Papier, das noch nicht einmal vom Bundeskabinett beschlossen worden ist.406 Es ist daher unstreitig, dass die Ausführungen keinen Rechtscharakter und schon gar nicht Verfassungsrang haben. Dennoch können die sicherheitspolitischen Rahmenbedingungen und die politische Überzeugung der Bundeswehrführung Einfluss auf die Auslegung des Verteidigungsbegriffs haben.407 Bereits im Jahr 1988 hat Blumenwitz den Gedanken aufgegriffen, dass ein Einsatz der Bundeswehr trotz der Regelung des Art. 87a Abs. 2 GG auch dann nach „allgemeinen Grundsätzen“ möglich sein müsse, wenn nur die Bundeswehr über die zum Schutz oder Rettung erforderlichen Mittel verfügt. Dies sei zum Beispiel beim Aufbringen eines von Piraten oder Terroristen gekaperten Schiffes der Fall.408 Auch Oldiges hat im Jahr 2000 eine Weiterentwicklung des Verteidigungsbegriffes gefordert. Dieser müsse sich „von seiner herkömmlichen Fixierung auf militärische Feindseligkeiten lösen und [. . .] auch neuartige internationale Konfliktfelder – Wirtschaft, Ökologie, Migration, Staatsterrorismus – einbeziehen“.409

Dies gelte jedoch nur insoweit, als sich derartige Bedrohungen „territorial oder personell auf die Bundesrepublik Deutschland beziehen, ein existentiell relevantes Gewicht besitzen und auch völkerrechtlich den Einsatz militärischer Gewalt rechtfertigen“.410 Er stellt zusätzliche Anforderungen an die Bundeswehr bei der Aufgabenwahrnehmung im Inland und damit an ihr Zusammenwirken mit den für die innere Sicherheit zuständigen Stellen des Bundes und der Länder.“ 405 BMVg, VPR, Nr. 75; kritisch hierzu S. Gose, Bürgerrechte & Polizei/CILIP 75 (2/2003), 43 f. 406 Allerdings ist das Weißbuch 2006, das zum Teil ähnliche Aussagen wie die Verteidigungspolitischen Richtlinien enthält, vom Bundeskabinett am 25. Oktober 2006 beschlossen worden. 407 Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu § 14 Abs. 3 LuftSiG will die Bundesregierung eine neue Definition des Verteidigungsbegriffes beziehungsweise des Verteidigungsfalls auch verfassungsrechtlich verankern, vgl. FAZ vom 2. Mai 2006, 1. 408 D. Blumenwitz, NZWehrr 1988, 133 (144). 409 M. Oldiges, in: Achterberg/Püttner (Hg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Band 2, § 23 Rdn. 18; ähnlich Bundesminister der Verteidigung F. J. Jung, Sicherheit + Stabilität 1/2006, 64. 410 M. Oldiges, in: Achterberg/Püttner (Hg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Band 2, § 23 Rdn. 18; vgl. v. Münch/Kunig-K.-A. Hernekamp, Art. 87a Rdn. 4.

B. „Verteidigung‘‘ im Sinne des Art. 87a Abs. 1, 2 GG

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Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 ist von militärischer sowie von politischer Seite wiederholt festgestellt worden, dass die Trennung von polizeilicher und militärischer Gefahrenabwehr in Zeiten asymmetrischer Bedrohungen überholt sei.411 Diesen asymmetrischen Bedrohungen müsse durch ein engeres Zusammenwirken von Polizei und Streitkräften begegnet werden. Das Festhalten an einem Konzept, nach dem die Streitkräfte streng auf die Verteidigung militärischer Angriffe von außen gerichtet seien, mag sich während des Kalten Krieges bewährt haben, versage jedoch angesichts eines Bedrohungspotentials, das keine klaren Frontlinien mehr aufweise. In den eher nichtjuristischen Stellungnahmen wird ein „ganzheitlicher Sicherheitsbegriff“ befürwortet, der die Gewährleistung der äußeren Sicherheit mit der inneren Sicherheit verbindet. Dieser Sicherheitsbegriff müsse die politische, wirtschaftliche, ökologische und militärische Dimension zusammenfassen. Ohne eine Neuausrichtung sei zudem die Fähigkeit der Bundesrepublik, ihre Bündnispflichten gegenüber der NATO und der WEU zu erfüllen, gefährdet.412 Die Neuausrichtung des Verteidigungsbegriffes wurde vor allem im Zusammenhang mit der Abwehr von terroristischen Gefahren aus dem Luftraum diskutiert. Dabei werden für eine erweiterte Auslegung verschiedene juristische Ansätze fruchtbar gemacht, die im Folgenden dargestellt werden. Diese Ansätze können grundsätzlich auch auf nicht-staatliche Angriffe, die nicht aus dem Luftraum herrühren, übertragen werden. 1. Air-Policing als originäre Verteidigungsaufgabe Am 23. September 2001 haben die Bundesländer Bayern und Sachsen als Reaktion auf die Anschläge vom 11. September 2001 einen Antrag in den Bundesrat eingebracht, in dem es unter anderem heißt: „Weiterhin gehört nach überkommenem Verständnis auch der gesamte Bereich der Luftabwehr, also insbesondere die Identifizierung und – im Bedrohungsfall – die Bekämpfung von Luftfahrzeugen, die sich unberechtigt oder mit feindlicher Absicht im Luftraum der Bundesrepublik Deutschland bewegen, zur Verteidigung im Sinne

411 Aus sicherheitspolitischer Sicht vgl. statt vieler R. Eggenberger, in: Borchert (Hg.), Weniger Souveränität – Mehr Sicherheit, 116 (119 ff.); NATO-Generalsekretär Lord Robertson, The Role of the Military in Combating Terrorism, Rede vom 9. Dezember 2002, http://www.nato.int/docu/speech/2002/s021209b.htm. Allerdings ist dieser Gedanke nicht neu, sondern wurde gewissermaßen wieder „aufgewärmt“, vgl. P. Badura, ThürVBl. 1994, 169 (173): „Die Trennung von ,innen‘ und ,außen‘ [hat] im Hinblick auf gewaltsame Konflikte seit dem letzten Krieg an Realität verloren.“ Weiterhin heißt es bereits bei L. Dierske, Die Polizei 1964, 353 (354), in Bezug auf die Infiltrationsbestrebungen durch die Staaten des Warschauer Paktes: „Im Übrigen sei in diesem Zusammenhang auf das Ineinander-Übergehen von äußerer und innerer Sicherheit verwiesen.“ 412 G. Weiler, in: Frank/Hirschmann (Hg.), Die weltweite Gefahr, 381 (386).

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2. Teil: Bestimmung verfassungsrechtlicher Begriffe

des Grundgesetzes und ist mit militärischen Mitteln der deutschen und alliierten Luftstreitkräfte wahrzunehmen.“ Damit sei auch der „Schutz konkreter – auch ziviler – Objekte gegen drohende Angriffe aus der Luft mit ein[geschlossen], unabhängig davon, ob diese Angriffe aus dem Ausland oder vom Inland aus unternommen werden“.413

Bereits vor diesem Antrag wurden Überlegungen angestellt, die Bundeswehr generell zur Abwehr von terroristischen Gefahren aus dem Luftraum heranzuziehen.414 Krings und Burkiczak gehen hinsichtlich der Auslegung des Verteidigungsbegriffes von der Grundannahme aus, dass wegen des Nebeneinanders von individuellen Schutzansprüchen und dem Verfassungsgebot der wirksamen militärischen Landesverteidigung415 im Rahmen der Wortlautgrenze eine Auslegung favorisiert werden müsse, „die es dem Staat ermöglicht, seiner Schutzverpflichtung in möglichst effektiver und lückenloser Weise nachzukommen“.416 Daraus schließen sie, dass die Streitkräfte für Maßnahmen zur Gefahrenabwehr zuständig sind, die de facto von der Polizei nicht wahrgenommen werden können. Sie meinen, das Gebot der Trennung zwischen polizeilichen und militärischen Aufgaben mache nur dann einen Sinn, wenn überhaupt die Gefahr besteht, dass das Militär polizeiliche Aufgaben an sich zieht. Da aber im Bereich der Gefahrenabwehr im Luftraum die Polizei aus tatsächlichen Gründen gar keine Möglichkeit habe, tätig zu werden, sei dieser Bereich der Gefahrenabwehr von „vornherein der Bundeswehr zugewiesen“.417 Weiter heißt es: „Ein entsprechender Einsatz zum Schutz von Gebäuden und Anlagen gegen Angriffe aus der Luft ist daher kein Inlandseinsatz im engeren Sinne, der dem gesonderten Verfassungsvorbehalt unterliegt, sondern Landesverteidigung.“418

Zusammenfassend meint Burkiczak: „Die Beschränkungen der Zulässigkeit des Inlandseinsatzes der Bundeswehr durch Art. 87a Abs. 2 GG verlieren aufgrund einer teleologischen Auslegung ihre Relevanz, sobald und soweit die Bundeswehr nicht polizeiliche Aufgaben übernimmt, sondern typischerweise dem Militär zugeordnete Handlungsweisen vollzieht. Hierzu freilich zählt der Einsatz bewaffneter Luftfahrzeuge. Entsprechend verfügt die Polizei ja nicht zufällig hinsichtlich der notwendigen Waffen weder tatsächlich noch 413 BR-Drucks. 993/01, 3; zustimmend R. Clement, Europäische Sicherheit 12/ 2001, 49; wohl auch F. Ossenbühl, NVwZ 2002, 290 (291), der beiläufig von der „Luftabwehr als Gegenstand des Verteidigungsauftrages“ spricht. 414 Vgl. die Nachweise bei W. Grubert, 308 f. 415 Vgl. BVerfGE 48, 127 (159 f.); 69, 1 (21); BVerwGE 55, 217 (219). 416 C. Burkiczak, VR 2004, 379 (382); G. Krings/C. Burkiczak, NWVBl. 2004, 249 (252). 417 G. Krings/C. Burkiczak, DÖV 2002, 501 (511); siehe auch G. Krings/C. Burkiczak, NWVBl. 2004, 249 (252) und C. Burkiczak, VR 2004, 379 (382); zustimmend A. Archangelskij, 130. 418 G. Krings/C. Burkiczak, DÖV 2002, 501 (511).

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rechtlich über die Möglichkeit, gegen zu Angriffswerkzeugen umfunktionierte Zivilflugzeuge wirksam einzuschreiten.“419

Burkiczak anerkennt allerdings, dass „im Hinblick auf den Angriff wohl nicht gänzlich auf das Merkmal der Herkunft ,von außen‘ verzichtet werden“ kann und damit auch auf das Angriffssubjekt abzustellen ist.420 Ausreichend sei aber, „dass die Aktion aus dem Ausland initiiert, geplant oder angeordnet wird oder in sonstiger Weise Auslandsbezug aufweist“.421 Auch Wiefelspütz meint, dass der Verteidigungsauftrag der Streitkräfte insbesondere dann einschlägig sein wird, wenn Anschläge aus der Luft drohen, selbst wenn es sich um ein einzelnes Luftfahrzeug handeln sollte.422 Dieser Ansatz wird möglicherweise von der täglichen Praxis untermauert.423 So hält die Luftwaffe rund um die Uhr zwei Jagdstaffeln in Bereitschaft, um neben dem Verteidigungsauftrag auch allgemeine Aufgaben der Luftraumüberwachung und Luftsicherung zu erfüllen. Dabei gehören zu diesen allgemeinen Aufgaben die Identifizierung und Eskortierung von Luftfahrzeugen, die unangemeldet in den deutschen Luftraum eingedrungen sind oder illegal flüchten, sowie sonstige Maßnahmen, die erforderlich sind, um die öffentliche Sicherheit des Luftraums zu gewährleisten.424 Diese Tätigkeiten hat die Luftwaffe von Beginn ihrer Existenz an ausgeübt. Dabei ist die Luftwaffe in das NATO-Konzept der integrierten Luftverteidigungsorganisation gegen äußere Bedrohungen eingebunden. Seit dem 11. September 2001 werden diese Organisationsstrukturen auch genutzt, um die von zivilen Luftfahrzeugen ausgehenden Bedrohungen zu erkennen und gegebenenfalls abzuwehren, wobei dann allerdings der betroffene Staat in nationaler Verantwortung handelt.425 Das Bundesministerium der Verteidigung schreibt dazu in den Verteidigungspolitischen Richtlinien vom 21. Mai 2003: „Die Überwachung des deutschen Luft- und Seeraums sowie die Wahrnehmung luft- und seehoheitlicher Aufgaben in ressortübergreifender Zusammenarbeit sind ständige Aufgaben“ der Bundeswehr.426 419 C. Burkiczak, VR 2004, 379 (383); ähnlich C. Hillgruber/J. Hoffmann, NWVBl. 2004, 176 (178). 420 C. Burkiczak, VR 2004, 379 (383). 421 C. Burkiczak, VR 2004, 379 (383); siehe auch C. Lutze, NZWehrr 2003, 101 (114). Zu den Einzelheiten der Steuerung eines Angriffs von außen siehe unten 2. Teil B. VIII. 3. 422 D. Wiefelspütz, NZWehrr 2003, 45 (56). 423 Vgl. zu den tatsächlichen Gegebenheiten ausführlich Generalleutnant H. Marzi (Stellvertreter des Inspekteurs der Luftwaffe), Anhörung, 27 f.; T. Linke, DÖV 2003, 890 (894 f.), hält diese Praxis für verfassungswidrig. 424 Vgl. T. Linke, DÖV 2003, 890. 425 P. Dreist, in: Blaschke u. a. (Hg.), Sicherheit statt Freiheit?, 77 (85 f.). 426 BMVg, VPR, Nr. 80.

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Teilweise werden die Tätigkeiten der Luftwaffe zur Luftraumüberwachung und Luftsicherung rechtlich missbilligt. Emde nennt als Beispiel das Überfliegen des deutschen Luftraums durch Aufklärungsflugzeuge einer fremden Macht. Dies würde zwar eine Verletzung des Luftraums darstellen, es läge jedoch nur eine bloße „Unfriedlichkeit“ vor, die keinesfalls einen Angriff mit Waffengewalt im Sinne des Art. 115a Abs. 1 GG darstelle.427 Die Luftwaffe dürfte nur versuchen, durch ihre Anwesenheit abzuschrecken, da dies mangels eines „hoheitlichen Handelns“ noch keinen Einsatz darstelle. Der Abschuss eines Luftfahrzeuges dagegen fiele in die Zuständigkeit des Bundesgrenzschutzes.428 Auch andere meinen, die Abwehr terroristischer Angriffe aus der Luft sei nicht vom Verteidigungsbegriff des Art. 87a Abs. 2 GG erfasst, da kein „militärischer Angriff“ vorläge.429 Der Ansatz Emdes kann nicht überzeugen. Die Luftwaffe kann zur Verteidigung eingesetzt werden, wenn es sich um Angriffe von außen handelt.430 Dabei wird eine Überprüfung von unidentifizierten Luftfahrzeugen noch verfassungsrechtlich zulässig sein, soweit diese Überprüfung dazu dient, festzustellen, ob ein Angriff von außen vorliegt. Sollte sich herausstellen, dass dies nicht der Fall ist, handelt es sich nicht mehr um eine Tätigkeit im Rahmen des Verteidigungsauftrages. Daraus folgt, dass ein Einsatz zur Luftraumüberwachung nicht auf den Verteidigungsauftrag gestützt werden kann, wenn von vornherein feststeht, dass weder eine Gefahr von außen noch eine Gefahr für die Streitkräfte selbst vorliegt.431 Daher konnte ein Einsatz gegen das entwendete Kleinflugzeug über Frankfurt a. M. am 5. Januar 2003 nicht „zur Verteidigung“ erfolgen.432 Sollte sich im Laufe der Luftraumüberwachungsmaßnahmen ergeben, dass kein Angriff von außen vorliegt, muss der Einsatz abgebrochen werden, soweit er nicht auf Sekundäraufgaben der Streitkräfte gestützt werden kann. Auch Krings und Burkiczak kann nicht gefolgt werden: Allein der Umstand, dass nur die Streitkräfte die Möglichkeit der effektiven Gefahrenabwehr im Luftraum durch den Einsatz von Kampfflugzeugen oder auch – was häufig übersehen wird – durch Boden-Luft-Raketen und Flugabwehrgeschützen haben, kann noch nicht dazu führen, das Air-Policing als originäre Verteidigungsaufgabe anzusehen,433 denn ein „exklusives Können in der Zuständigkeitsordnung des Grundgesetzes [begründet] nicht automatisch das rechtliche Dürfen“.434 Al427 R. Emde, NZWehrr 1992, 133 (147); vgl. N. K. Riedel, Einsatz deutscher Streitkräfte im Ausland, 151. 428 R. Emde, NZWehrr 1992, 133 (147 f.). 429 H. Sattler, NVwZ 2004, 1286; T. Linke, DÖV 2003, 890 (893); P. Wilkesmann, NVwZ 2002, 1316 (1320). 430 Vgl. M. Schultz, 239 f.; P. Dreist, in: Blaschke u. a. (Hg.), Sicherheit statt Freiheit?, 77 (85 f.). 431 So auch C. Burkiczak, VR 2004, 379 (383). 432 A. A. Steinkamm, loyal – Magazin für Sicherheitspolitik 2/2003, 19.

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lerdings ist Krings und Burkiczak anzuerkennen, dass das tatsächliche Können der Streitkräfte nicht ihr einziges Argument ist, da sie auch auf den Sinn und Zweck des Art. 87a Abs. 2 GG abstellen. Aber auch dieser argumentative Ansatz kann durch Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG widerlegt werden, wonach die Streitkräfte zur Bekämpfung „organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer“ eingesetzt werden können. Diese Regelung war nach dem Willen des verfassungsändernden Gesetzgebers gerade deshalb erforderlich, da nur die Streitkräfte die tatsächlichen Möglichkeiten haben, effektiv gegen einen militärisch bewaffneten Gegner vorzugehen. Dies bedeutet, dass Art. 87a Abs. 2 GG auch dort ohne Abstriche Anwendung findet, wo die Polizeikräfte nicht die Fähigkeiten zur Gefahrenabwehr haben, da ansonsten die Begrenzungsfunktion des Art. 87a Abs. 2 GG unterlaufen werden würde.435 Im Ergebnis kann daher die Luftraumüberwachung und -sicherung nicht mit dem Argument der exklusiven Fähigkeit der Streitkräfte zur Gefahrenabwehr im Luftraum auf den Verteidigungsauftrag gestützt werden. 2. Betrachtung von der Opferseite Hernekamp plädiert wegen der Gefahren der asymmetrischen Kriegsführung für eine Auslegung des Verteidigungsbegriffes von der Opferseite her. Dabei befürwortet er anscheinend eine vollständige Loslösung von der Qualität des Angriffssubjekts. Konkret nimmt Hernekamp einen Einsatz zur Verteidigung auch dann an, wenn das Bedrohungspotential des Angriffs dem Verheerungsausmaß herkömmlicher zwischenstaatlicher Konflikte in nichts nachsteht.436 Dieser Meinung hat sich jüngst auch Jochum angeschlossen, die auf eine „existenziell relevante Zerstörungswirkung“, eine „militärähnliche Organisationsstruktur“ und eine internationale Aktionsfähigkeit abstellt, ohne allerdings explizit einen Angriff von außen zu fordern.437 Würtenberger geht sogar noch weiter und meint, selbst die Vorschrift des § 14 Abs. 3 LuftSiG sei eine Regelung für den Einsatz zur Verteidigung gewesen.438 433 Jarass/Pieroth-B. Pieroth, Art. 87a Rdn. 9; K. Paulke, 88; P. Dreist, NZWehrr 2004, 89 (95); C. Gramm, NZWehrr 2003, 89 (97). 434 T. Linke, NZWehrr 2004, 115 (118); C. Gramm, NZWehrr 2003, 89 (97). 435 So auch K. Paulke, 8; H. Sattler, NVwZ 2004, 1286; T. Linke, DÖV 2003, 890 (892). 436 v. Münch/Kunig-K.-A. Hernekamp, Art. 87a Rdn. 4; zustimmend R. Zippelius/ T. Würtenberger, 491; vgl. zu den Auswirkungen des 11. Septembers 2001 T. Bruha, in: Koch (Hg.), Terrorismus – Rechtsfragen der äußeren und inneren Sicherheit, 52 (54), der den „kriegsähnlichen Charakter der Anschläge“ betont. 437 H. Jochum, JuS 2006, 511 (513). 438 R. Zippelius/T. Würtenberger, 491. Diese Auffassung ist grundlegend falsch, da § 14 Abs. 3 LuftSiG eine Regelung für den Einsatz der Streitkräfte außerhalb des Verteidigungsauftrages darstellte.

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2. Teil: Bestimmung verfassungsrechtlicher Begriffe

Ähnlich wie Hernekamp meint Jerouschek, bei einem „Angriff auf den Gesamtstaat“ durch einen Terrorangriff mittels eines entführten Passagierflugzeuges liege ein bewaffneter Angriff im Sinne des Art. 115a Abs. 1 GG vor.439 Jerouschek stellt dabei nicht darauf ab, ob eine Gefahr von innen oder von außen vorliegt, sondern leitet seine Meinung aus der Betrachtung der „Angriffsrichtung“, das heißt nach dem Ziel des Angriffs, ab.440 Diese Meinung, die lediglich auf das Ergebnis oder das Ziel eines Angriffs abstellt, ist abzulehnen, da sie die Herkunft des Angriffs nicht berücksichtigt und daher auch die Bekämpfung von Angriffen von innen unter den Verteidigungsauftrag subsumiert, soweit ein entsprechendes Schadenspotential besteht. Eine derartige Auslegung ist jedoch mit der Begrenzungsfunktion des Art. 87a Abs. 2 GG nicht vereinbar, da der Verteidigungsauftrag nicht die Abwehr von Angriffen von innen umfasst.441 3. Wirksamkeit der Landesverteidigung Lutze greift vor allem den Gedanken der „wirksamen militärischen Landesverteidigung“ auf:442 Die beträchtlichen Kosten, welche die Allgemeinheit für den Unterhalt der Streitkräfte aufbringt, ließen sich nur dann rechtfertigen, wenn die Bundeswehr auch einen wirksamen Schutz für die Bundesrepublik und ihre Bürger gewährleisten kann. Dieser wirksame Schutz lasse sich nur erreichen, wenn die Streitkräfte auch die Gewalttaten terroristischer Gruppierungen, die hinsichtlich des Angriffspotentials feindlichen Streitkräften gleich stehen, auf Grundlage des Verteidigungsauftrages abwehren dürfen.443 Eine Loslösung vom Kombattantenstatus der Angreifer sei darüber hinaus verfassungsrechtlich geboten, da „das Grundgesetz kein Gemeinwesen toleriert, das seine Bevölkerung und seine verfassungsrechtlichen und verfassungspolitischen Grundwerte vor äußeren Bedrohungen nicht zu schützen suchte“.444 Ähnlich wie Krings und Burkiczak meint Lutze, die von ihm vertretene Auslegung des Verteidigungsbegriffes verstoße nicht gegen Sinn und Zweck des Art. 87a Abs. 2 GG, denn diese Regelung diene lediglich zur Begrenzung des Einsatzes der Streitkräfte als „Machtmittel im Inneren“, nicht aber als verfassungsrechtliches Verbot für den Einsatz im Innern innerhalb des Verteidigungsauftrages.445 439

G. Jerouschek, FS H.-L. Schreiber, 2003, 185 (197). G. Jerouschek, FS H.-L. Schreiber, 2003, 185 (197). 441 Siehe oben 2. Teil B. III. 2. 442 C. Lutze, NZWehrr 2003, 101 (112). 443 C. Lutze, NZWehrr 2003, 101 (113). 444 C. Lutze, NZWehrr 2003, 101 (113); ähnlich Maunz/Dürig-R. Scholz, Art. 12a Rdn. 5. 440

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Die Auffassung, dass der Staat verpflichtet sein sollte, seine Bürger im Notfall auch mit Hilfe der Streitkräfte zu schützen, ist durchaus zutreffend. Es gilt jedoch das oben Gesagte: Die Aufgabenerweiterung der Streitkräfte darf nicht mit den fehlenden Fähigkeiten anderer Sicherheitskräfte begründet werden. Auch die Figur einer staatlichen Schutzpflicht kann den Verteidigungsauftrag nicht erweitern. Staatliche Schutzpflichten begründen keine eigenständigen Kompetenzen der Streitkräfte, sondern können nur im Rahmen der bestehenden verfassungsrechtlichen Kompetenzordnung wahrgenommen werden.446 Daher ist Lutzes Argumentation insoweit nicht mit der Begrenzungsfunktion des Art. 87a Abs. 2 GG vereinbar, als er im Ergebnis auch Angriffe von innen auf Grundlage des Verteidigungsauftrages bekämpfen will. 4. Ansatz von Wiefelspütz Wiefelspütz vertritt eine weite Auslegung des Verteidigungsbegriffes, obwohl er auch anerkennt, dass terroristische Bedrohungsszenarien für sich genommen noch keine Rechtfertigung für die Loslösung des Verteidigungsbegriffes von der Voraussetzung eines militärischen Angriffs sind. „Die Aufgabe dieser Verknüpfung ist jedoch dann geboten, wenn die gesamten Umstände eines terroristischen Anschlags mit einem militärischen Angriff gleichzusetzen sind und der Angriff von außen auf die Integrität des Bundesgebietes nicht nach Maßgabe des Art. 87a Abs. 4 und Art. 91 GG unter Inanspruchnahme der Polizei der Bundesländer und des Bundesgrenzschutzes bekämpft werden kann.“447

Dabei seien an die Voraussetzungen der Gleichstellung keine zu hohen Anforderungen zu stellen. Es sei ausreichend, dass angesichts des „Ausmaßes, der Tragweite und der Intensität des Angriffs allein die Streitkräfte in der Lage sind, dem Angriff wirksam zu begegnen“.448 Daraus folge, dass bei drohenden terroristischen Anschlägen, die nach Art und Ausmaß mit den Anschlägen vom 11. September 2001 gleichzusetzen sind, die Streitkräfte auf Grundlage des Verteidigungsauftrages nach Art. 87a Abs. 2 GG tätig werden können.449 Dabei sei nicht unbedingt ein bewaffneter Angriff im Sinne des Art. 51 UN-Charta erforderlich. Soweit ein Angriff von außen vorliegt, sei bereits ausreichend, dass die Gefahrenabwehr nicht mit polizeilichen Mitteln erfolgen kann.450 Wiefelspütz ist grundsätzlich zuzustimmen, da er die Auslegung des Verteidigungsauftrages an das völkerrechtliche Selbstverteidigungsrecht anlehnt und da445 446 447 448 449 450

C. Lutze, NZWehrr 2003, 101 (113). Ebenso C. Gramm, NZWehrr 2005, 133 (140). D. Wiefelspütz, NZWehrr 2003, 45 (55). D. Wiefelspütz, Parlamentsvorbehalt, 24; M. Schultz, 237. D. Wiefelspütz, Parlamentsheer, 128 ff.; ders., Parlamentsvorbehalt, 24. D. Wiefelspütz, NZWehrr 2003, 45 (56).

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bei nicht auf das Erfordernis eines Angriffs von außen verzichtet. Ob Wiefelspütz’ Ansatz sich mit dem verfassungsrechtlichen Verteidigungsbegriff deckt, wird abschließend nach der Darstellung der kritischen Stimmen in Bezug auf eine Erweiterung des Verteidigungsbegriffes geprüft.

VI. Kritik gegen eine Neuausrichtung beziehungsweise Erweiterung Die Erweiterung des Verteidigungsbegriffes wird von zahlreichen Stimmen in der Literatur abgelehnt. Der Verteidigungsauftrag der Streitkräfte erfasst nach dieser Auffassung nur die Abwehr von „militärischen Angriffen“ durch andere Staaten. Es sei zumindest eine Zurechnung zu einem anderen Staat erforderlich.451 Daher könne nicht auf den Kombattantenstatus der Angreifer verzichtet werden.452 Die Abwehr nicht-staatlicher Angriffe könne auch dann nicht auf den Verteidigungsauftrag gestützt werden, wenn diese von außen erfolgen und hinsichtlich des zu erwartenden Schadensausmaßes eine kriegsähnliche Dimension erreichen.453 Sittard und Ulbrich begründen diese Auffassung mit dem Argument, auch der völkerrechtliche Verteidigungsbegriff setze den Kombattantenstatus der Angreifer voraus.454 Das Völkerrecht bestimmt, welche Personen als Kombattanten gelten. Eine Legaldefinition ist in Art. 43 Abs. 2 des I. Zusatzprotokolls zu den Genfer Konventionen enthalten.455 Demnach ist der Kombattantenstatus den Angehörigen der Streitkräfte einer am Konflikt beteiligten Partei mit Ausnahme des Sanitätsund Seelsorgepersonals vorbehalten.456 Streitkräfte können nur von Völkerrechtssubjekten aufgestellt werden,457 wobei nicht-staatliche Gruppen keine Völkerrechtssubjekte und die Angehörigen solcher Gruppen keine Kombattan-

451 F. Hase, DÖV 2006, 213 (214); M. Droege, NZWehrr 2005, 199 (206); H. Sattler, NVwZ 2004, 1286; siehe auch K. Ipsen, Beck Aktuell, Meldung vom 21. Februar 2006, becklink 170498; A. Musil/S. Kirchner, Die Verwaltung 39 (2006), 373 (382). 452 M. Schütte, DPolBl. 2005, 15 (16); U. Sittard/M. Ulbrich, JuS 2005, 432 (433); A. Fischer-Lescano, KJ 2004, 67 (79); in diese Richtung auch E. Giemulla, ZLW 2005, 32 (33 f.); ähnlich auch K. Fehn/M. Brauns, 57, die einen „Angriff fremder Streitkräfte auf das Bundesgebiet“ für einen Einsatz zur Verteidigung voraussetzen. Die Terrorismusbekämpfung sei dagegen eine polizeiliche Aufgabe, wobei es nicht auf die Intensität der Bedrohung ankomme. 453 C. Gramm, NZWehrr 2005, 133 f. 454 U. Sittard/M. Ulbrich, JuS 2005, 432 (433). 455 Zusatzprotokoll vom 8. Juni 1977 zu den Genfer Abkommen vom 12. August 1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte (Protokoll I), BGBl. II 1990, 1551. 456 Zu Einzelheiten siehe K. Ipsen, in: Fleck (Hg.), Handbuch des humanitären Völkerrechts in bewaffneten Konflikten, Nr. 304 ff. 457 Vgl. R. Buß, 200; A. A. Steinkamm, Streitkräfte, 76 f.

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ten sind.458 Allerdings wäre es denkbar, als Korrelat zur Anerkennung des völkerrechtlichen Selbstverteidigungsrechts zur Bekämpfung nicht-staatlicher Angreifer diesen auch den Kombattantenstatus zuzusprechen, obwohl sie nicht von staatlicher Seite aufgestellt worden sind.459 So meint Volk, dass auch Terroristen als Kombattanten gelten, soweit sie „in bewaffneten Gruppen mit einer Führungsstruktur organisiert sind“.460 Der Ansatz Volks ist jedoch abzulehnen. Erforderlich für den Kombattantenstatus ist nicht nur eine Führungsstruktur, sondern gemäß Art. 43 Abs. 1 Satz 2 ZP I gerade auch ein internes Disziplinarsystem, dass die Einhaltung des humanitären Völkerrechts gewährleistet.461 Terroristische Gruppen verfügen jedoch nicht über ein solches Disziplinarsystem, da ihre Vorgehensweise durch völkerrechtswidrige Aktionen gekennzeichnet ist. Viele begründen das Erfordernis des Angriffs eines anderen Staates mit dem Argument der Prognoseunsicherheit.462 Die Loslösung von der formalen Betrachtungsweise, dass der Verteidigungsauftrag nur die Abwehr von Angriffen anderer Staaten umfasst, würde zu einer erheblichen Rechtsunsicherheit führen. In der konkreten Abwehrsituation sei die Feststellung, ob ein Angriff von außen vorliegt, in aller Regel nicht möglich. Damit könne eine Abwehr auch nicht auf der Grundlage des Verteidigungsauftrages erfolgen.463 Nach Wieland bedeutet Verteidigung im Sinne des Art. 87a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 GG nicht die Abwehr von Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung, sondern die Abwehr und Abschreckung eines Aggressors im Sinne der Aggressionsdefinition der UN-Generalversammlung vom 14. Dezember 1974.464 Es gehe also um die Abwehr kriegerischer Bedrohungen durch andere Staaten, nicht aber um die Abwehr terroristischer Angriffe. Unter der Geltung des Grundgesetzes herrsche in der Bundesrepublik eine andere Rechtslage als in den Vereinigten Staaten; dies vermöge auch die Erklärung des Beistandsfalles durch die NATO-Staaten nicht zu ändern.465 Im Ergebnis könnten daher terro458

K. Paulke, 74; D. Wiefelspütz, NZWehrr 2003, 45. Vgl. A. Fischer-Lescano, in: Bothe u. a. (Hg.), Redefining Sovereignty, 335 (359 f.). 460 D. Volk, 152; a. A. F. Hase, DÖV 2006, 213 (214); M. Schröder, AöR 103 (1978), 122 (147). 461 Vgl. M. Bothe, FS Delbrück, 2005, 67 (68), der für ein solches Disziplinarsystem „eine gewisse [. . .] Zugehörigkeit zum Staatsapparat einer Konfliktpartei“ voraussetzt. 462 K. Paulke, 90; F. Hase, DÖV 2006, 213 (214); M. Droege, NZWehrr 2005, 199 (206); U. Sittard/M. Ulbrich, JuS 2005, 432 (433); H. Sattler, NVwZ 2004, 1286; C. Gramm, NZWehrr 2003, 89 (91). 463 H. Sattler, NVwZ 2004, 1286; R. Schmidt-Radefeldt, in: Borchert (Hg.), Weniger Souveränität – Mehr Sicherheit, 76 (80). 464 J. Wieland, in: Fleck (Hg.), Rechtsfragen der Terrorismusbekämpfung durch Streitkräfte, 167 (173 f.); Dreier-W. Heun, Art. 87a Rdn. 11. 465 J. Wieland, in: Fleck (Hg.), Rechtsfragen der Terrorismusbekämpfung durch Streitkräfte, 167 (174). 459

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2. Teil: Bestimmung verfassungsrechtlicher Begriffe

ristische Angriffe, selbst wenn diese eine militärähnliche Struktur aufweisen, nicht ohne eine Grundgesetzänderung durch die Bundeswehr innerhalb der Bundesrepublik bekämpft werden.466 In eine ähnliche Richtung geht Paulke und führt aus, dass Angriffe, die nicht von einem Völkerrechtssubjekt gesteuert oder massiv gefördert werden, als Handlungen ziviler Störer zu werten seien. Nach dem Trennungsprinzip seien diese daher durch die Polizeikräfte zu bekämpfen; ein Einsatz zur Verteidigung komme dagegen nicht in Betracht.467 Dreist meint, nach deutschem Recht seien Terroristen, die Taten wie solche des 11. September 2001 begehen, Straftäter.468 Die von ihnen ausgehenden Gefahren für die Bundesrepublik könnten nicht durch die Streitkräfte auf Grundlage des Verteidigungsauftrages bekämpft werden. Vielmehr liege nur eine Beeinträchtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung vor; zuständig seien daher die Polizeikräfte und die Staatsanwaltschaften der Länder.469 Möstl lehnt eine Erweiterung des Angreiferbegriffes mit dem Argument ab, der Verteidigungsauftrag der Streitkräfte umfasse nur die Abwehr von Gefahren für die äußere Sicherheit der Bundesrepublik.470 Der Begriff „äußere Sicherheit“ bezeichne jedoch nur den Schutz im Verhältnis zu anderen staatlichen Mächten.471 Ein Einsatz der Streitkräfte zur Terrorismusbekämpfung innerhalb der Bundesrepublik könne daher auch dann nicht auf den Verteidigungsauftrag gestützt werden, wenn der Angriff von außen kommt.472 Hase argumentiert mit einer grundlegenden Unterscheidung zwischen Krieg und Frieden: Diese Unterscheidung dürfe auch in Zeiten zunehmender terroristischer Bedrohungen nicht verwischt werden.473 Die Bejahung eines Einsatzes zur Verteidigung gegen terroristische Angriffe würde die „spezifische Differenz von Krieg und Frieden auch insofern in inakzeptabler Weise relativier[en], als die militärische Gewalt in eine auch im Frieden jederzeit aktivierbare Größe umgewandelt wird“.

466 J. Wieland, in: Fleck (Hg.), Rechtsfragen der Terrorismusbekämpfung durch Streitkräfte, 167 (174). 467 K. Paulke, 75, 92 f.; C. Lutze, NZWehrr 2003, 101 (111). 468 P. Dreist, NZWehrr 2004, 89 (99); ebenso F. Hase, DÖV 2006, 213 (214); M. Ronellenfitsch, Anhörung, 57. 469 P. Dreist, NZWehrr 2004, 89 (99); ähnlich auch B. Hirsch, KritV 2006, 3 (15); M. Schütte, DPolBl. 2005, 15 (18). 470 M. Möstl, 415. 471 M. Möstl, 277. 472 M. Möstl, 419. 473 F. Hase, DÖV 2006, 213 (215).

B. „Verteidigung‘‘ im Sinne des Art. 87a Abs. 1, 2 GG

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Es sei nicht gerechtfertigt, bereits wegen der Aktionen einer „Handvoll“ international agierender Terroristen einen „tief greifenden Wandel der Grundlagen und des Selbstverständnisses staatlichen Handelns“ vorzunehmen.474 Starck führt in einer Urteilsanmerkung zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu § 14 Abs. 3 LuftSiG folgendes aus: „Solange nicht in Art. 87a Abs. 2 GG (ergänzend) oder an einer anderen Stelle des Grundgesetzes geregelt ist, dass die Streitkräfte auch zur Abwehr von Gefahren aus der Luft eingesetzt werden können, wenn dies erforderlich ist, ist eine wirksame Bekämpfung terroristischer Angriffe unter Benutzung von Flugzeugen nicht im Zuständigkeitsbereich des Bundes.“475

Dabei geht Starck vermutlich davon aus, dass auch das Bundesverfassungsgericht die Bekämpfung von terroristischen Angriffen als eine Aufgabe versteht, die nicht unter den Verteidigungsauftrag der Streitkräfte subsumiert werden kann. Zum Teil wird die Frage des Verteidigungsauftrages nur pauschal und undifferenziert diskutiert. So meint Giemulla, der Einsatz der Streitkräfte zum Zwecke eines Abschusses eines in der Gewalt von Terroristen befindlichen Zivilflugzeuges diene nicht der Verteidigung und sei deshalb nicht von Art. 87a Abs. 2 GG gedeckt.476 Eine solche Bewertung kann schon deshalb nicht überzeugen, da sie sich mit der Frage eines terroristischen Angriffs von außen und der Weiterentwicklung des völkerrechtlichen Selbstverteidigungsrechts nicht auseinandersetzt. B. Hirsch greift zwar nicht die grundsätzliche Orientierung des verfassungsrechtlichen Verteidigungsbegriffes am völkerrechtlichen Selbstverteidigungsrecht an, er lehnt aber die Zulässigkeit der Abwehr nicht-staatlicher Angreifer auf Grundlage des Verteidigungsauftrages ab, da sich „nach noch herrschender Meinung [. . .] trotz einer Reihe militärischer Vorgänge ein solches Völkergewohnheitsrecht noch nicht gebildet“ habe.477 Allerdings hält es Hirsch weder für nötig, auch nur einen Vertreter dieser angeblichen „herrschenden Meinung“ zu nennen, noch setzt er sich mit der Diskussion über die Definition des bewaffneten Angriffs im Sinne des Art. 51 UN-Charta auseinander. Im Übrigen kommt es auch nicht auf ein entsprechendes Völkergewohnheitsrecht an, sondern es geht um die Auslegung eines geschriebenen Tatbestandsmerkmals.

474 475 476 477

F. Hase, DÖV 2006, 213 (215). C. Starck, JZ 2006, 417. E. Giemulla, ZLW 2005, 32 (34). B. Hirsch, KritV 2006, 3 (15).

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2. Teil: Bestimmung verfassungsrechtlicher Begriffe

VII. Bewertung Bevor abschließend auf die Bewertung der Ansätze zur Neuausrichtung beziehungsweise Erweiterung des Verteidigungsbegriffes eingegangen wird, soll zunächst untersucht werden, ob es sich bei der Loslösung vom Kombattantenstatus des Angreifers beziehungsweise bei dem Verzicht auf eine staatliche Verwicklung in einen Angriff nicht-staatlicher Organisationen überhaupt um eine Neuausrichtung beziehungsweise Erweiterung handelt. Angesichts der Unbestimmtheit des Verteidigungsbegriffes scheint es nicht ausgeschlossen, dass sich eine Begrenzung auf Angriffe durch die Kombattanten fremder Staaten von vornherein nicht aus dem Verteidigungsbegriff ableiten lässt. So vertrat zum Beispiel Schultz bereits in seiner Dissertation aus dem Jahr 1998 die Ansicht, dass die Bundeswehr auch Angriffe paramilitärischer Gruppen abwehren könne, soweit diese Angriffe in „militäradäquater“ Weise erfolgen.478 Der Wortlaut des Art. 87a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 GG selbst lässt eine Einschränkung auf Angriffe staatlicher Streitkräfte nicht erkennen, denn es heißt in Art. 87a Abs. 1 Satz 1 GG gerade nicht: „Der Bund stellt Streitkräfte zur Verteidigung gegen fremde Staaten auf.“ Auch in Art. 87a Abs. 2 GG wird das Angriffssubjekt nicht spezifiziert. Vielmehr ist nur generell von „Verteidigung“ die Rede. Aus dem Wortlaut folgt nicht mehr und nicht weniger, als dass Verteidigung die Abwehr von Gefahren und Schutz vor Angriffen bedeuten soll. Welche Qualität die Gefahr oder der Angriff haben muss, ist nicht ersichtlich.479 Streng genommen kann noch nicht einmal sicher festgestellt werden, dass sich die Verteidigung gegen Angriffe von außen richten muss.480 Aus dem Wortlaut ist lediglich ersichtlich, dass die Streitkräfte das Ausführungsorgan der Verteidigung sind. Weiterhin ist entgegen Starck zu konstatieren, dass das Bundesverfassungsgericht im Urteil zu § 14 Abs. 3 LuftSiG keineswegs die Aussage getroffen hat, dass die Abwehr von terroristischen Angriffen unter Benutzung von Flugzeugen nicht auf Grundlage des Verteidigungsauftrages erfolgen kann. Es hat vielmehr zur Auslegung des Verteidigungsbegriffes überhaupt keine Aussagen gemacht und musste dies auch nicht, da die Regelungen der §§ 13 ff. LuftSiG sich nicht auf den Verteidigungsauftrag, sondern auf Sekundäraufgaben der Streitkräfte stützen.

478 479 480

M. Schultz, 237. M. Baldus, in: Erberich u. a. (Hg.), Frieden und Recht, 259 (280). J.-P. Fiebig, 214 f.

B. „Verteidigung‘‘ im Sinne des Art. 87a Abs. 1, 2 GG

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1. Historische Aspekte In Art. 79 Satz 1 WRV481 fand sich eine dem Art. 87a Abs. 1 Satz 1 GG vergleichbare Regelung. Vom Wortlaut ist die Bestimmung bezüglich des Angreifers, gegen den verteidigt werden soll, jedoch genauso unklar wie Art. 87a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 GG. Gebhard führte aus, dass zur Verteidigung des Reichs vor allem „der Einsatz der Wehrmacht des Reichs gegen einen aktuellen Angriff von außen auf das Reichsgebiet“ gehöre. Umfasst seien weiterhin die „Friedensmaßnahmen, die der Reichsverteidigung dienen, also insbesondere die Unterhaltung eines stehenden Heeres und dessen Ausrüstung“.482 Etwas enger äußerte sich Anschütz, der Verteidigung als eine kriegerische Verwendung der Wehrmacht zur Abwehr äußerer Feinde verstand.483 Diese Konkretisierung durch die Formulierung „kriegerische Verwendung“ verweist wohl auf den herkömmlichen Begriff des Krieges, das heißt eine militärische Auseinandersetzung zwischen Staaten. Die Auffassung Anschütz’ deutet darauf hin, dass der Begriff „Verteidigung“ im Sinne des Art. 79 Satz 1 WRV tatsächlich nur die Abwehr feindlicher Truppen eines anderen Staates umfasste. Sicher ist dies, wie die Meinung Gebhards zeigt, jedoch nicht. Als gesichert kann jedoch gelten, dass die Verteidigung jedenfalls nach außen gerichtet sein musste. Systematisch wird dies durch die Regelung des Art. 48 Abs. 2 Satz 1 WRV belegt, die Verwendungen der Reichswehr im Innern „im Dienste der Reichsexekution und zur Erhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ ermöglichte. Durch die Formulierung „Erhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung“ folgte, dass die Reichswehr Aufgaben der Polizeibehörden wahrnehmen konnte.484 Hätte Art. 79 Satz 1 WRV auch die Verteidigung nach Innen erfasst, wäre die eigenständige Regelung des Art. 48 Abs. 2 Satz 1 WRV überflüssig gewesen. Gebhard formulierte, „die Aufrechterhaltung der Ruhe und Ordnung im Innern des Reichs“ gehöre nicht zum Verteidigungsbegriff.485 Eine weitere Vorgängervorschrift war Art. 87a GG a. F.,486 der von 1956 bis 1968 in Kraft war. Dabei besteht Einigkeit, dass die Zuweisung der alleinigen Exekutivkompetenz für die Verteidigung an den Bund in Art. 87a Abs. 1 Satz 1 481

Diese Bestimmung lautete: „Die Verteidigung des Reichs ist Reichssache.“ L. Gebhard, Art. 79 Anm. 3. a). 483 G. Anschütz, Art. 79 Anm. 1. 484 L. Gebhard, Art. 48 Anm. 10. b). 485 L. Gebhard, Art. 79 Anm. 3. c). 486 Diese Regelung lautete: „Die zahlenmäßige Stärke der vom Bund zur Verteidigung aufgestellten Streitkräfte und die Grundzüge ihrer Organisation müssen sich aus dem Haushaltsplan ergeben.“ 482

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2. Teil: Bestimmung verfassungsrechtlicher Begriffe

GG und die spezielle Regelung des Budgetrechts des Parlaments nur eine redaktionelle Änderung darstellte und der Verteidigungsbegriff des Art. 87a GG a. F. in die Nachfolgervorschrift übernommen wurde. Eine eigenständige Beurteilung der Auslegung des Art. 87a GG a. F. kann daher unterbleiben; die entsprechenden Argumente zu beiden Vorschriften können gemeinsam dargestellt werden. 2. Entstehungsgeschichte Im zweiten schriftlichen Bericht des Rechtsausschusses des Bundestages zum Entwurf der Wehrbeitragsnovelle487 in der 2. Wahlperiode heißt es zu Art. 143 GG a. F., „dass bei der gegenwärtigen Verfassungslage keine Befugnis besteht, die Bundeswehr im Inneren Notstand einzusetzen“.488 Dies bedeutet, dass ein Einsatz der Bundeswehr zur Abwehr eines inneren Notstandes, also einer inneren Gefahr, nicht zur Verteidigung im Sinne des Art. 87a GG a. F. gedient hätte. Art. 87a GG a. F. wies also der Bundeswehr die Aufgabe der Abwehr von äußeren Gefahren zu, wobei keine Aussagen darüber getroffen worden sind, welche Qualität diese Gefahren aufweisen müssen. Auch aus Materialien der 4. Wahlperiode wird deutlich, dass sich die Verteidigung gegen Gefahren von außen richten musste.489 In dem Bericht des Rechtsausschusses des Bundestages490 zum Regierungsentwurf aus der 5. Wahlperiode491 heißt es zu Art. 87a des Entwurfes, Verteidigung bedeute eine „militärische Verteidigung“. Hieraus wird zum Teil abgeleitet, die Verteidigung dürfe sich nur gegen militärische Angriffe fremder Staaten richten.492 Zwingend ist diese Auslegung jedoch nicht, denn „militärische Verteidigung“ bedeutet nicht mehr, als dass es um die Verteidigung durch das Militär mit militärischen Mitteln geht.493 Gegen wen verteidigt werden soll, ist dagegen nicht zweifelsfrei festzustellen. Die Entstehungsgeschichte bestätigt damit eindeutig, dass es bei Verteidigung um die Abwehr von Gefahren von außen geht. Weniger deutlich ist, ob der Verteidigungsbegriff tatsächlich eine Beschränkung auf die Abwehr von Angriffen feindlicher Staaten enthält. Man könnte allenfalls anführen, dass die Bundes487

BT-Drucks. II/124, II/125 und II/171. BT-Drucks. II/2150, 5. 489 Siehe bereits oben 2. Teil B. III. 2. 490 BT-Drucks. V/2873, 13. 491 BT-Drucks. V/1879. 492 So K. Paulke, 83, die zu Unrecht meint, ein militärisches Handeln setze begriffsnotwendig einen Angriff militärischer Art voraus. Diese Lesart ist nicht zwingend. Militärisches Handeln kann auch allgemein als Handlungen des Militärs verstanden werden, ohne dass dies Rückschlüsse auf die Art des Angriffs zulässt. 493 J.-P. Fiebig, 228; M. Baldus, NVwZ 2004, 1278 (1281). 488

B. „Verteidigung‘‘ im Sinne des Art. 87a Abs. 1, 2 GG

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wehr gerade im Hinblick auf die Bedrohung durch die Warschauer-Pakt-Staaten aufgestellt worden ist. Zweifelhaft ist jedoch, ob aufgrund dieses leitenden Motivs die Abwehr sonstiger äußerer Gefahren ausgeschlossen sein sollte. Dazu ist in den Gesetzesmaterialien nichts ersichtlich. In diesem Zusammenhang ist auch das Verständnis der Bundesrepublik bezüglich des Staates „Deutschland“ zu beachten. Die Bundesrepublik war zumindest offiziell bis zum Abschluss des so genannten Grundlagenvertrages vom 21. Dezember 1972 der Ansicht, dass die Bundesrepublik und das Gebiet der DDR einen deutschen Gesamtstaat bildeten. Ausgehend von diesem Grundsatz wären die Truppen der NVA also keine Truppen eines feindlichen Staates gewesen. Folgte man der Beschränkung des Verteidigungsbegriffes auf Angriffe fremder Staaten, hätte dies zu der seltsamen Konsequenz geführt, dass die Bundeswehr nicht für die Abwehr von Angriffen durch Truppen der NVA zuständig gewesen wäre. Ein solches Ergebnis kann aber nicht Wille des verfassungsändernden Gesetzgebers gewesen sein. 3. Systematik und Normzweck Aus der systematischen Stellung ist bereits oben494 herausgearbeitet worden, dass die Abwehr innerer Gefahren nicht zum Verteidigungsauftrag der Streitkräfte zählt. Innere Gefahren sind solche, die ihren Ursprung unmittelbar in der Bundesrepublik Deutschland haben. Hintergrund der Neufassung von Art. 87a GG durch die Notstandsverfassung war es, die Sicherheit des freiheitlichen demokratischen Rechtsstaats und die Rechtsgüter seiner Bevölkerung gegen jedwede Gefahr zu verteidigen und dabei auch auf die Streitkräfte zurückzugreifen. Aus der Systematik der wehrverfassungsrechtlichen Vorschriften hat das Bundesverfassungsgericht die Aufgabe der „militärischen Landesverteidigung“ abgeleitet, die sich gegen bewaffnete Angriffe richtet.495 An keiner Stelle ist jedoch davon die Rede, dass der Verteidigungsbegriff aus systematischen Gründen auf die Bekämpfung von staatlichen Angreifern mit Kombattantenstatus beschränkt oder eine staatliche Verwicklung in den Angriff erforderlich ist. Eine derartige Betrachtung würde zudem im Zusammenhang mit Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG zu kaum nachvollziehbaren Ergebnissen führen: So soll ein Einsatz der Streitkräfte gegen ausländische nicht-staatliche Angreifer nicht auf Grundlage des Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG zulässig sein, da diese Regelung nur den inneren Notstand umfasse;496 gleichzeitig wird aber auch der Einsatz zur Verteidigung abgelehnt. Im Ergebnis würde dies bedeuten, dass inländische An494 495

Siehe oben 2. Teil B. III. 2. BVerfGE 48, 127 (159); 69, 1 (21).

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2. Teil: Bestimmung verfassungsrechtlicher Begriffe

greifer durch die Streitkräfte auf Grundlage des Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG bekämpft werden dürften, soweit dessen Voraussetzungen vorliegen. Ein Einsatz der Streitkräfte gegen ausländische nicht-staatliche Angreifer wäre jedoch weder auf Grundlage des Verteidigungsauftrages noch auf Grundlage des Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG zulässig. Der Umstand, dass durch Art. 87a Abs. 2 GG gerade der Missbrauch der Streitkräfte gegenüber der eigenen Bevölkerung ausgeschlossen werden sollte, wird hier ad absurdum geführt. Eine Beschränkung des Verteidigungsauftrages auf Angriffe von fremden Staaten würde dazu führen, dass der Bundeswehr ein größeres Aufgabenspektrum zur Abwehr von Gefahren von innen als zur Verteidigung nach außen zukommen würde. Dieses Ergebnis wäre jedoch von der Grundausrichtung des Verteidigungsauftrages nicht mehr gedeckt. Eine Beschränkung auf den Kombattantenstatus der Angreifer kann auch aus einem weiteren Grund nicht überzeugen. Angriffe gegen die Bundesrepublik von außen können von Freischärlern, Söldnern oder Terroristen geführt werden, die keinen Kombattantenstatus aufweisen.497 Diese Personengruppen müssten dann durch die Polizeikräfte bekämpft werden; sie wären also durch den Status des Nichtkombattanten im Vorteil, da sie nicht mit militärischer Gegenwehr rechnen müssten. Der Kombattantenstatus soll aber gerade die Kombattanten gegenüber den Nichtkombattanten privilegieren, die sich unrechtmäßig an einem bewaffneten Konflikt beteiligen. Für den verfassungsrechtlichen Verteidigungsbegriff ist es daher unerheblich, ob Streitkräfte mit Kombattantenstatus oder irreguläre Kämpfer angreifen.498 Dies gilt im Übrigen entgegen Sittard und Ulbrich499 auch für das völkerrechtliche Selbstverteidigungsrecht, da ein bewaffneter Angriff im Sinne des Art. 51 UN-Charta unstreitig – jedenfalls, soweit eine staatliche Zurechnung vorliegt – auch dann gegeben sein kann, wenn bewaffnete Banden oder Söldner mit staatlicher Unterstützung angreifen.500 Eine Beschränkung auf den Kombattantenstatus beziehungsweise auf eine Zurechnung des Angriffs zu einem anderen Staat würde zudem den Aspekt der Eigensicherung der Streitkräfte vernachlässigen. Die Eigensicherung der Streitkräfte auf Grundlage des UZwGBw zum Schutz ihrer Angehörigen, ihres Geräts

496 K. Paulke, 124; A. Musil/S. Kirchner, Die Verwaltung 39 (2006), 373 (377); vgl. auch P. Dreist, DPolBl. 2005, 7 (8). 497 K. Ipsen, in: Fleck (Hg.), Handbuch des humanitären Völkerrechts in bewaffneten Konflikten, Nr. 302 f. 498 Vgl. G. Meier, AVR 16 (1974/75), 375 (383). 499 Vgl. U. Sittard/M. Ulbrich, JuS 2005, 432 (433). 500 Siehe dazu auch Art. 3g) der Aggressionsdefinition, der Angriffe bewaffneter Banden, irregulärer Truppen oder Söldner als Aggression qualifiziert, soweit diese von einem anderen Staat entsendet werden. Auch völkerrechtlich kommt es daher nicht unbedingt auf den Kombattantenstatus der Angreifer an.

B. „Verteidigung‘‘ im Sinne des Art. 87a Abs. 1, 2 GG

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sowie von militärischen Sicherheitsbereichen ist gegenüber jeglichen Angriffen verfassungsrechtlich zulässig und direkt vom Verteidigungsauftrag legitimiert. Eine Abgrenzung danach, dass die Angehörigen terroristischer Organisationen im Gegensatz zu den Kombattanten feindlicher Streitkräfte „Straftäter“ sind und daher nicht durch die Bundeswehr auf Grundlage des Verteidigungsauftrages bekämpft werden dürfen,501 kann nicht überzeugen. Die Frage, ob jemand Straftäter ist oder nicht, ist unerheblich für die Bewertung, ob die Streitkräfte zur Verteidigung tätig werden können. Es geht nicht um die Strafverfolgung – die ohnehin zum Beispiel bei Selbstmordattentätern bedeutungslos ist –, sondern um die Abwehr von Angriffen, also um ein präventives Tätigwerden. Auch gibt es keinen Anhaltspunkt dafür, dass die Streitkräfte keine Verteidigungshandlungen gegen Personen vornehmen dürfen, die Kriegsverbrechen nach dem Völkerstrafrecht begehen. Die Frage, ob die Angreifer Straftatbestände verwirklichen, spielt daher für die Definition des Verteidigungsbegriffes keine Rolle. Auch die immer wieder angeführten Prognoseunsicherheiten502 sprechen nicht für eine Einschränkung hinsichtlich des Status der Angreifer. Dies folgt schon daraus, dass Lebenssachverhalte im Allgemeinen mit Prognoseunsicherheiten verbunden sind. Zudem ist zum Beispiel Paulke wenig konsequent. Einerseits weist sie auf die Prognoseunsicherheiten hin, die durch die Abkopplung des Verteidigungsbegriffes von einem Angriff durch Kombattanten eines anderen Staates entstehen würden, andererseits hält sie es für ausreichend, dass Angehörige terroristischer Vereinigungen von außen in die Bundesrepublik eindringen und dabei „von ihrem Heimatstaat oder einem anderen Völkerrechtssubjekt umfassende Unterstützung erfahren, so dass ihr Handeln dem Völkerrechtssubjekt als eigenes Agieren zurechenbar ist. Zudem muss von den Tätern eine massive Gewaltbereitschaft kriegsanalogen Ausmaßes ausgehen.“503

Liegen diese Voraussetzungen nicht vor, handele es sich um einen Fall der polizeilichen Gefahrenabwehr.504 Auch hier blieben Prognoseunsicherheiten bestehen, die sogar noch größer sind, als wenn lediglich auf einen Angriff von außen abgestellt wird. So anerkennt Paulke selbst, dass selbst in langwierigen Gerichtsprozessen schwer aufgeklärt werden kann, ob und welche Form der Beteiligung eines Völkerrechts-

501

So zum Beispiel P. Dreist, NZWehrr 2004, 89 (99). Zum Beurteilungsspielraum der staatlichen Entscheidungsträger siehe ausführlich unten 2. Teil B. XI. 503 K. Paulke, 92; eine ähnliche Argumentationslinie findet sich bei F. Hase, DÖV 2006, 213 (214). 504 K. Paulke, 92. 502

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2. Teil: Bestimmung verfassungsrechtlicher Begriffe

subjektes vorliegt.505 Zusätzliche Voraussetzungen neben einem Angriff von außen vereinfachen die Prognose nicht, sondern machen sie noch unsicherer. Die Auffassung Wielands, der den Verteidigungsauftrag auf die Abwehr von Angreifern im Sinne der Aggressionsdefinition der UN-Generalversammlung vom 14. Dezember 1974506 beschränkt, ist bereits aus methodischen Gründen abzulehnen. Ein solches Verständnis überzeugt schon deshalb nicht, weil sich dann die berechtigte Frage stellt, wie der Verteidigungsbegriff vor 1974 auszulegen war. Weiterhin enthält die Aggressionsdefinition lediglich Anhaltspunkte für die Definition des „bewaffneten Angriffs“ in Art. 51 UN-Charta. Zudem heißt es in Art. 4 der Aggressionsdefinition ausdrücklich, dass Art. 3 keine abschließende Definition der Aggression darstellt. Daher ist es nicht von vornherein ausgeschlossen, dass auch die Gewalttaten nicht-staatlicher Angreifer unter den Begriff der Aggression fallen können. Die Aggressionsdefinition kann lediglich Anhaltspunkte dafür bieten, welche Angriffe auf Grundlage des verfassungsrechtlichen Verteidigungsauftrages bekämpft werden können.507 Letztlich übersieht Wieland, dass nach Art. 3g) der Aggressionsdefinition auch die Angriffe bewaffneter Banden, irregulärer Truppen oder Söldner eine Aggression darstellen, soweit diese von einem Staat entsendet werden. Gerade solche Angriffe können durchaus als terroristischer Angriff verstanden werden. Eine Abwehr dieser Angriffe auf Grundlage des Verteidigungsauftrages lehnt Wieland jedoch gerade ab.508 Auch die Kritik von Hase, der eine Verwischung zwischen Frieden und Krieg befürchtet, ist nicht haltbar. Bei einem Einsatz zur Verteidigung geht es nicht um die Außerkraftsetzung der friedensmäßigen Rechtsordnung. Eine Modifikation der Friedensordnung bleibt der Feststellung des Verteidigungsfalls gemäß Art. 115a Abs. 1 GG vorbehalten. Ein punktueller Einsatz zur Verteidigung führt daher keinen Kriegszustand herbei. So würde niemand auf die Idee kommen, dass Maßnahmen der Eigensicherung der Streitkräfte, die auf Grundlage des Verteidigungsauftrages erfolgen,509 den Kriegszustand auslösen. Weiterhin vermengt Hase die Fragestellung des Schutzes von Unschuldigen und die Definition des Verteidigungsbegriffes gemäß Art. 87a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 GG miteinander.510 Eine solche Vermischung kann jedoch nicht weiterhelfen, denn Hase übersieht, dass die Bekämpfung von nicht-staatlichen Angreifern auch in anderen Konstellationen als im Fall der Entführung eines Passagierflugzeuges

505

K. Paulke, 77; vgl. hierzu M. Fischer, JZ 2004, 376 (380). Resolution Nr. 3314 (XXIX). 507 Vgl. E. Busch, Marineforum 6/1989, 190 (192). 508 Vgl. J. Wieland, in Fleck (Hg.), Rechtsfragen der Terrorismusbekämpfung durch Streitkräfte, 167 (173 f.). 509 Siehe dazu unten 2. Teil B. VIII. 3. 510 Vgl. F. Hase, DÖV 2006, 213 (215). 506

B. „Verteidigung‘‘ im Sinne des Art. 87a Abs. 1, 2 GG

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erforderlich sein könnte. Die Frage, welche Maßnahmen zur Erfüllung des Verteidigungsauftrages im Einzelnen verfassungsrechtlich zulässig sind, kann erst beantwortet werden, nachdem der Verteidigungsbegriff definiert worden ist. Bei der herkömmlichen Auslegung des Verteidigungsbegriffes ist zudem ein gewichtiger Punkt weitgehend unbeachtet geblieben, auch wenn manche Autoren von einer Offenheit und Auslegungsfähigkeit des Verteidigungsbegriffes ausgehen: Bei einer genauen Betrachtung des Wortlautes des Art. 87a Abs. 2 GG wird zunächst deutlich, dass sich der Ausdrücklichkeitsvorbehalt nicht auf den Einsatz der Streitkräfte zur Verteidigung, sondern lediglich auf den Einsatz außerhalb des Verteidigungsauftrages bezieht. Das vom Bundesverfassungsgericht aufgestellte „Gebot strikter Texttreue“511 ist daher für die Auslegung des Verteidigungsauftrages nur eingeschränkt anwendbar. Allerdings ist zuzugeben, dass aus der Systematik folgt, dass der Verteidigungsbegriff nicht grenzenlos auslegbar ist, da ansonsten der Ausdrücklichkeitsvorbehalt ins Leere laufen würde. Es ist aber festzuhalten, dass diese systematische Ableitung eine weniger strikte Auslegung des Verteidigungsbegriffes zulässt, soweit der Sinn und Zweck des Art. 87a Abs. 2 GG beachtet werden. Der Telos des Art. 87a Abs. 2 GG liegt in der grundsätzlichen Aufgabenzuweisung der Streitkräfte für die Abwehr von Gefahren von außen.512 Geht es also um die Abwehr von Gefahren von außen, so kann für die Bestimmung, wie diese Gefahr im Einzelnen beschaffen ist und von wem sie ausgeht, der Ausdrücklichkeitsvorbehalt keine Rolle mehr spielen. Insofern ist in dieser Hinsicht der Verteidigungsbegriff auslegungsfähig und kann durchaus die Abwehr von Angriffen von außen umfassen, die noch nicht die Intensität des bewaffneten Angriffs gemäß Art. 51 UNCharta erfassen, soweit es nicht um grenzüberschreitende Verteidigungshandlungen geht. Die Begrenzungsfunktion des Art. 87a Abs. 2 GG hat nicht den Sinn, die Bundesrepublik bei nicht-staatlichen Angriffen von außen, die nicht von den Polizeikräften abgewehrt werden können, schutzlos zu stellen. Der Verteidigungsbegriff ist nicht davon abhängig, wo die Verteidigungshandlung vorgenommen wird. Vielmehr ist er innerhalb und außerhalb der Bundesrepublik identisch zu bewerten. Entscheidend ist, ob eine Gefahr von innen oder von außen vorliegt. Zur Klarstellung soll hier noch einmal darauf hingewiesen werden, dass nicht nur Art. 87a Abs. 3, 4 Satz 1 GG und Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG ausdrückliche Zulassungen für den Streitkräfteeinsatz innerhalb der Bundesrepublik sind, sondern auch – und sogar in erster Linie – der Verteidigungsauftrag.513

511 512 513

BVerfGE 90, 286 (357). Siehe oben 2. Teil B. III. 2. Siehe bereits oben 2. Teil B. III. 2.

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2. Teil: Bestimmung verfassungsrechtlicher Begriffe

4. Staatspraxis Im Übrigen spricht auch die Staatspraxis gegen eine Beschränkung des Angreiferbegriffes. So hat die Bundesregierung den Einsatz der Bundeswehr zur Evakuierung deutscher Staatsangehöriger und anderer Personen aus der deutschen Botschaft in der albanischen Hauptstadt Tirana am 14. März 1997514 auf den Verteidigungsauftrag der Streitkräfte gestützt.515 Dabei wurden die deutsche Botschaft und die deutschen Staatsangehörigen weder durch Kombattanten noch durch die Streitkräfte eines anderen Staates angegriffen. Bei den Angreifern handelte es sich vielmehr um militärisch bewaffnete Zivilisten. Die Angriffe waren auch keinem anderen Staat zuzurechnen. Bereits vor dieser Rettungsoperation finden sich Äußerungen des Bundesministeriums der Verteidigung wie: „Im Rahmen der Landes- und Bündnisverteidigung ist die Abwehr terroristischer Bedrohung und subversiver Kräfte erforderlich für den Schutz eigener Einrichtungen, Kräfte und Mittel.“516

Auch wenn politische Äußerungen oder die Rechtsauffassung der Bundesregierung für sich genommen verfassungsrechtliche Begriffe nicht definieren können, so spricht dieses Verständnis doch für einen Verteidigungsbegriff, der auch die Abwehr nicht-staatlicher Angreifer umfasst. 5. Zwischenergebnis Als Zwischenergebnis steht an dieser Stelle fest, dass der Verteidigungsbegriff im Sinne des Art. 87a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 GG die Abwehr von äußeren Angriffen erfasst. Die Einschränkung, dass nur Streitkräfte eines anderen Staates bekämpft werden dürfen, besteht nicht. Ebenso wenig lässt sich das Erfordernis einer staatlichen Zurechnung der Gewaltakte Privater für den verfassungsrechtlichen Verteidigungsbegriff aufstellen. Ob eine Zurechnung zu Lasten eines anderen Staates nachweisbar ist, ist lediglich für die völkerrechtliche Zulässigkeit von Gewaltmaßnahmen gegen diesen Staat von Bedeutung. Für den Verteidigungsbegriff nach Art. 87a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 GG spielt eine solche Zurechnung dagegen nicht zwingend eine Rolle, da es möglich ist, dass die Verteidigungsmaßnahmen lediglich innerhalb der Bundesrepublik oder auch in hoheitsfreien Räumen stattfinden.

514

Vgl. hierzu ausführlich W. Hermsdörfer, BayVBl. 1998, 652 ff. Vgl. die Äußerungen des damaligen Bundesministers der Verteidigung V. Rühe, BT-Prot. 13/166, 14982; gegen eine solche Erweiterung des Verteidigungsbegriffes argumentiert C. Gramm, NZWehrr 2005, 133 (139). 516 BT-Drucks. 13/6924, 5. 515

B. „Verteidigung‘‘ im Sinne des Art. 87a Abs. 1, 2 GG

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Wie oben dargestellt worden ist, kommt bei der Bestimmung des verfassungsrechtlichen Verteidigungsbegriffes dem völkerrechtlichen Selbstverteidigungsrecht nach Art. 51 UN-Charta eine besondere Bedeutung zu, auch wenn zwischen beiden Begriffen keine hundertprozentige Übereinstimmung besteht. Es ist zu konstatieren, dass ein bewaffneter Angriff im Sinne des Art. 51 UNCharta auf Grundlage des Verteidigungsauftrages bekämpft werden kann, auch wenn er sich innerhalb der Bundesrepublik ereignet. Weiterhin können die Streitkräfte auf Grundlage des Verteidigungsauftrages auch dann eingesetzt werden, wenn die Intensität des bewaffneten Angriffs im Sinne des Art. 51 UNCharta (noch) nicht erreicht ist, soweit es sich um einen Angriff von außen handelt, der durch die Polizeikräfte nicht abgewehrt werden kann.

VIII. Anwendung auf denkbare Gefahrenlagen Auch wenn nachgewiesen worden ist, dass sich die Verteidigung im Sinne des Art. 87a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 GG gegen Angriffe von außen richten muss, so ist damit noch nicht zweifelsfrei festgestellt worden, wann in concreto ein solcher Angriff vorliegt. Im Folgenden geht es daher um die Frage der Abgrenzung zwischen inneren Gefahren und äußeren Gefahren. Trotz der vielfach beschworenen Vermischung dieser zwei Teilbereiche muss versucht werden, Abgrenzungskriterien zu entwickeln, da ansonsten der Verteidigungsbegriff konturenlos werden würde. Zur Verdeutlichung werden verschiedene Beispielsfälle gebildet und sodann untersucht, ob bei diesen eine Gefahr von außen vorliegt. Der folgende Grundfall wird dabei unter verschiedenen Gesichtspunkten abgewandelt, um spezielle Abgrenzungsschwierigkeiten darzustellen und anschließend eine Lösung entwickeln zu können. Grundfall: Eine nicht-staatliche ausländische Organisation bemächtigt sich eines in Kopenhagen gestarteten Luftfahrzeuges. Die Entführung des Luftfahrzeuges geschieht noch außerhalb der Bundesrepublik. Anschlagsziel ist die anlässlich eines Fußballspieles ausverkaufte und gefüllte AOL-Arena in Hamburg.

1. Grundlegendes zur Bestimmung des Ursprungs der Gefahr Das Grundgesetz enthält keine Definition, wann eine Gefahr von innen oder von außen vorliegt. Auch einfachgesetzliche Definitionsansätze fehlen. Dagegen enthielt der genannte Höcherl-Entwurf noch eine ausführliche Definition der inneren Gefahr. Art. 115i des Entwurfes lautete: „Ein Zustand der inneren Gefahr liegt vor, wenn der Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes 1. durch die Einwirkung von außen,

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2. Teil: Bestimmung verfassungsrechtlicher Begriffe

2. durch Gewalt oder Drohung mit Gewalt, 3. durch Nötigung eines Verfassungsorgans oder 4. durch Missbrauch oder Anmaßung von Hoheitsbefugnissen ernstlich und unmittelbar bedroht ist.“517

Vielfach wird in der Literatur zwischen den Begriffen der „inneren Sicherheit“ und der „äußeren Sicherheit“ unterschieden.518 Dabei wird als Gewährleistung innerer Sicherheit die Aufgabe des Rechtsgüterschutzes und der Rechtsdurchsetzung im Innern des Staatsgebietes verstanden. Äußere Sicherheit meint dagegen den Schutz und die Verteidigung des Staates nach außen, insbesondere im Verhältnis zu anderen Mächten.519 Möstl ist der Auffassung, der Verteidigungsauftrag der Streitkräfte umfasse nur die „Abwehr von Gefahren für die äußere Sicherheit des Staates“.520 Aus diesem Grundsatz schließt Möstl: „für die Frage, ob gegen terroristische Bedrohungen besonderer Art und Intensität nicht ein Einsatz des Militärs im Innern in Betracht gezogen werden müsste, ist es ohne Belang, ob diese Bedrohung von einer rein inländisch oder auch im Ausland operierenden Terrororganisation ausgeht“.521

Die Begrifflichkeiten der inneren und der äußeren Sicherheit helfen jedoch nicht weiter, da Vorgänge untersucht werden, in denen von außen kommende Gefahren Rechtsgüter innerhalb der Bundesrepublik beeinträchtigen oder zumindest bedrohen. Im Grundfall geht es nämlich sowohl um die Verteidigung gegen eine Gefahr, die von außen kommt, als auch um die Rechtsdurchsetzung und den Rechtsgüterschutz innerhalb der Bundesrepublik. Es sind also beide Bereiche der Sicherheit betroffen. Dies zeigt, dass eine Abgrenzung über die Begriffe innere und äußere Sicherheit – jedenfalls im Sinne von Möstls Verständnis – den Ursprung der Gefahr vernachlässigt. Daher wird im Folgenden der Verteidigungsbegriff über die Begriffe Gefahr von innen beziehungsweise Gefahr von außen abgegrenzt. Der klassische Fall einer Gefahr von außen ist natürlich ein Angriff eines anderen Staates mittels seiner Streitkräfte. Ein solcher Angriff hat seinen unmittelbaren Ursprung außerhalb der Bundesrepublik. Diese Gefahr wird auch nicht durch das Übertreten der feindlichen Streitkräfte in das Inland zu einer Gefahr von innen. Festzuhalten ist, dass es immer um den Ursprung der Gefahr in räumlicher Hinsicht geht. So meint P. Kirchhof zu Recht, dass eine Gefahr von innen ihre Ursache im „Geltungsbereich der zu verteidigenden Rechtsordnung“ haben 517 518 519 520 521

BT-Drucks. IV/891, 4. M. Möstl, 277 m.w. N. in Fn. 1. M. Möstl, 277. M. Möstl, 415. M. Möstl, 286.

B. „Verteidigung‘‘ im Sinne des Art. 87a Abs. 1, 2 GG

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muss.522 Ein rein innerstaatlicher Vorgang kann auch immer nur eine Gefahr von innen darstellen. „Ursache, Anlass und Stoßrichtung“ liegen bei einer Gefahr von außen dagegen außerhalb des Staatsgebietes.523 Eine Gefahr von außen setzt daher einen grenzüberschreitenden Sachverhalt voraus.524 Die innere Gefahr und die äußere Gefahr müssen dabei nicht zwingend in einem Exklusivitätsverhältnis zueinander stehen. Vielmehr geht Speth zu Recht davon aus, dass beide Fälle zusammentreffen können. Speth nennt beispielsweise einen Angriff von außen, der innerhalb der Bundesrepublik zu einer Erhebung von Bevölkerungsteilen führt, die mit dem Angreifer sympathisieren.525 Teilweise wird die Auffassung vertreten, es genüge, dass die Gefahr einen irgendwie gearteten Auslandsbezug aufweist.526 Dieser undifferenzierte Ansatz kann zur Lösung, wann eine Gefahr von außen im Einzelfall vorliegt, die auf Grundlage des Verteidigungsauftrages bekämpft werden kann, nichts beitragen. Zu Recht weist Fiebig darauf hin, dass es eine Vielzahl von denkbaren Bezügen zum Ausland geben kann.527 Wo die Gefahr bekämpft wird, ist dagegen nebensächlich. Auch ein Verteidigungseinsatz kann im Innern der Bundesrepublik stattfinden, denn es wäre lebensfremd zu fordern, dass die Maßnahmen zur Verteidigung an der Staatsgrenze aufhören müssten.528 Sind die Angreifer also von außen in die Bundesrepublik eingedrungen und bestand der Angriff bereits zum Zeitpunkt des Eindringens, ist ihre Bekämpfung vom Verteidigungsauftrag gedeckt. Allerdings wird teilweise vertreten, dass nur Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 und Art. 87a Abs. 3, 4 Satz 1 GG verfassungsrechtliche Zulassungen für den Streitkräfteeinsatz im Innern darstellen.529 Limpert meint ausdrücklich, Einsätze im Innern seien nicht vom Verteidigungsauftrag umfasst.530 Es heißt aber in Art. 87a Abs. 2 GG gerade nicht: „Im Innern dürfen die Streitkräfte nur nach Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 und Art. 87a Abs. 3, 4 Satz 1 GG eingesetzt werden.“ Insofern wäre es grundlegend falsch, anzunehmen, die Abgrenzung des Verteidigungsauftrages zu den sekundären Aufgaben der Streitkräfte würde über den Ort erfolgen, an dem die Streitkräfte tätig werden. Mit anderen Worten: Auch der Verteidigungsauftrag stellt eine ausdrück522

P. Kirchhof, Zulässigkeit des Einsatzes staatlicher Gewalt, 83 (85). W. Speth, 40. 524 W. Heintschel v. Heinegg/T. Gries, AVR 40 (2002), 145 (149). 525 W. Speth, 40. 526 R. Niklaus, 9; M. Hochhuth, NZWehrr 2002, 154 (155 Fn. 2). 527 J.-P. Fiebig, 279. 528 J.-P. Fiebig, 280. 529 Vgl. W. Melzer/C. Haslach/O. Socher, NVwZ 2005, 1361 (1363): „Gefahrenabwehr im Innern ist Sache der Polizei.“ 530 M. Limpert, 20. 523

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2. Teil: Bestimmung verfassungsrechtlicher Begriffe

liche Zulassung für den Einsatz der Streitkräfte im Innern der Bundesrepublik dar. Damit ist auch die Gefahrenabwehr innerhalb des Staatsgebietes der Bundesrepublik, soweit sie vom Verteidigungsauftrag gedeckt ist, eine originäre Aufgabe der Streitkräfte.531 2. Grenzüberschreitender Sachverhalt Im Sinne einer formalen Betrachtung könnte man auf das Erfordernis eines Grenzübertritts abstellen. Ein Angriff von außen läge dann vor, wenn der Angriff unmittelbar außerhalb des Staatsgebietes beginnt und auf ein inländisches Ziel gerichtet ist. Dagegen würde ein Angriff von innen vorliegen, wenn der Angriff zu keiner Zeit die Staatsgrenze der Bundesrepublik von außen nach innen überschreitet.532 Dementsprechend meint Tettinger, dass jedenfalls ein Einsatz gegen ein entführtes Luftfahrzeug, das innerhalb der Bundesrepublik gestartet ist, nicht auf den Verteidigungsauftrag gestützt werden könnte.533 Im Grundfall dringt ein bereits außerhalb des deutschen Luftraums entführtes Flugzeug in das Hoheitsgebiet der Bundesrepublik ein. Wegen des Grenzübertritts handelt es sich damit um eine Gefahr von außen und die Bundeswehr kann unmittelbar auf Grundlage des Verteidigungsauftrages tätig werden.534 Es bedarf also keines Rückgriffes auf die Sekundäraufgaben der Streitkräfte, obwohl die Verteidigungshandlungen innerhalb der Bundesrepublik vorgenommen werden. Es handelt sich um Gefahrenabwehr im Innern, die vom Verteidigungsauftrag gedeckt ist. Es muss dabei noch nicht in jedem Fall zu einem Grenzübertritt gekommen sein. Ausreichend ist vielmehr, dass das Verhalten der Angreifer auf den Grenzübertritt gerichtet ist. So können die Streitkräfte bei einem Anschlagsziel innerhalb der Bundesrepublik jedenfalls auch dann auf Grundlage des Verteidigungsauftrages tätig werden, wenn die Angreifer sich während des Anfluges noch in einem hoheitsfreien Raum befinden. Auf den ersten Blick scheint das formale Kriterium des Grenzübertritts eine zweifelsfreie Abgrenzung zu ermöglichen.535 Dieser Schein trügt jedoch, da

531

Siehe bereits oben 2. Teil B. III. 2. J.-P. Fiebig, 286, formuliert hier anschaulich: „Bildhaft gesprochen liegt ein verteidigungsfremder innerer Angriff vor, wenn man ihn sich als räumliche Bewegung vom Angriffsbeginn auf das Angriffsziel zu vorstellt – exemplarisch sei die Flugbahn des Geschosses einer Schusswaffe vom Abfeuern bis zum Treffen des Ziels angeführt –, die auf dem Weg vom Angriffsbeginn beziehungsweise der Gefahrenquelle zum Angriffsziel nicht die Staatsgrenze der Bundesrepublik von außen nach innen überqueren muss.“ 533 P. J. Tettinger, ZLW 2004, 334 (340). 534 Vgl. W. Melzer/C. Haslach/O. Socher, NVwZ 2005, 1361 (1363). 535 Vgl. Maunz/Dürig-R. Herzog, Art. 115a Rdn. 25; M. Fischer, JZ 2004, 376 (379). 532

B. „Verteidigung‘‘ im Sinne des Art. 87a Abs. 1, 2 GG

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noch nicht beantwortet worden ist, wann der Angriff zeitlich beginnt. Zur Verdeutlichung hilft die folgende Abwandlung: Abwandlung des Grundfalls: Die nicht-staatlichen Angreifer entführen das Flugzeug erst, als dieses sich bereits innerhalb des Luftraums der Bundesrepublik befindet. Bis zu diesem Zeitpunkt haben sie sich wie normale Fluggäste verhalten.

Hier ist zweifelhaft, ob bereits zum Zeitpunkt des Grenzübertritts ein Angriff bestand.536 Sollte dieser erst zum Zeitpunkt der Entführung selbst vorliegen, spräche viel für eine innere Gefahr, da diese innerhalb des deutschen Hoheitsgebietes begründet wird. Allerdings wäre es auch denkbar auf den eigentlichen Ursprung der Gefahr, das heißt auf das Anbordgehen der Angreifer und den Start des Luftfahrzeuges im Ausland abzustellen. Fiebig greift bei der Differenzierung zwischen Angriffsbeginn und Angriffsvorbereitung auf die strafrechtlichen Kriterien der Abgrenzung zwischen der straflosen Tatvorbereitung und dem strafbaren Versuch zurück: „Hier soll der Angriffsbeginn als Beginn der Ausführung des Angriffs, wenn die Vorbereitung bereits abgeschlossen ist, dort angesetzt werden, wo der oder die Ausführenden zum einen – in Anlehnung an die strafrechtliche Abgrenzung von Vorbereitung und Versuch – in subjektiver Sicht die Schwelle des ,Jetzt geht’s los!‘ überschreiten und aus Sicht eines objektiven Dritten, der jedoch nicht mehr weiß, als er sieht, ein Angriff im Sinne eines unmittelbar auf die Verletzung eines Rechtsguts gerichteten Verhaltens vorliegt.“537

In der Abwandlung verhalten sich die Angreifer wie jeder andere Fluggast auch. Ein objektiver Dritter, der nur auf visuelle Informationen zurückgreifen kann, könnte damit bis zum eigentlichen Beginn der Flugzeugentführung nicht von einem Angriff ausgehen. Auch wird mit dem Besteigen des Flugzeuges im Ausland die subjektive Schwelle zum „Jetzt geht’s los!“ noch nicht überschritten sein, sondern erst dann, wenn keine weiteren Zwischenschritte bis zur Entführung erforderlich sind. Daher liegt nach Fiebigs Ansicht der Angriffsbeginn „im Moment des Beginns der Übernahme der Gewalt an Bord des Luftfahrzeugs“.538 Ein Einsatz zur Verteidigung ist nach Fiebig nur dann zulässig, wenn die Gewaltanwendung außerhalb der Bundesrepublik beginnt, nicht aber, wenn das Luftfahrzeug zu diesem Zeitpunkt bereits den deutschen Luftraum erreicht hat.539

536 Diesen Aspekt übersieht K. Paulke, 75 ff., die allein auf das Starten im Ausland oder in der Bundesrepublik abstellt. 537 J.-P. Fiebig, 287; gegen diesen Ansatz wendet sich D. Wiefelspütz, NZWehrr 2005, 147 (150 f.). 538 J.-P. Fiebig, 292. 539 J.-P. Fiebig, 291 f.

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2. Teil: Bestimmung verfassungsrechtlicher Begriffe

Dieses Ergebnis ist aus den folgenden Gründen nicht befriedigend: Die Angreifer hätten es ansonsten durch ihr eigenes Verhalten in der Hand, die zulässige Reaktion der Bundesrepublik gegen den Angriff zu bestimmen. Durch ein planmäßiges Vorgehen könnten sich die Angreifer durch das Entführen eines Passagierflugzeuges innerhalb der Bundesrepublik einer Abwehr durch die Streitkräfte auf Grundlage des Verteidigungsauftrages bewusst entziehen, um somit – soweit die Voraussetzungen für eine Sekundäraufgabenwahrnehmung der Streitkräfte nicht vorliegen – nur durch die Polizeikräfte des Landes oder des Bundes bekämpft werden zu können, die aber nicht über die notwendigen tatsächlichen Mittel für eine Gefahrenabwehr im Luftraum verfügen. Zugespitzt lautet die Frage also: Kann es einen Unterschied für das Handeln auf Grundlage des Verteidigungsauftrages machen, ob dass Flugzeug nördlich oder südlich von Flensburg entführt wird? Folgte man der Auffassung Fiebigs, müsste man die Frage bejahen. Dieses Ergebnis kann jedoch weder vom verfassungsändernden Gesetzgeber gewollt sein noch durch die Begrenzungsfunktion des Art. 87a Abs. 2 GG erklärt werden. Eine Lösungsmöglichkeit besteht darin, bei der Gefahrenabwehr im Luftraum im Sinne einer formalen Betrachtung darauf abzustellen, ob das betreffende Luftfahrzeug im Ausland gestartet ist. Ein Angriff von außen würde dann unabhängig von dem Ort der Entführung vorliegen. Diese Betrachtung vermeidet Abgrenzungsschwierigkeiten, da in der Regel festgestellt werden kann, wo ein Luftfahrzeug gestartet ist. Dagegen wird es schwieriger oder gar unmöglich sein, festzustellen, ob sich das Luftfahrzeug im Zeitpunkt des unmittelbaren Ansetzens zum Angriff im Sinne von Fiebigs Abgrenzung außerhalb oder innerhalb der Bundesrepublik befunden hat. Weiterhin würde das Abstellen auf den Entführungsort ein einheitliches Geschehen in einer lebensfremden Weise aufteilen. 3. Mittelbarer Angriff von außen Die Fälle eines mittelbaren Angriffs von außen zeichnen sich dadurch aus, dass sich die Angreifer zunächst friedlich von außen in die Bundesrepublik begeben. Dabei gehören sie einer Organisation an, die Angriffe gegen die Bundesrepublik begehen will. Zu einem bestimmten Zeitpunkt führen sie Gewaltakte, die von außen geplant oder zumindest unterstützt worden sind, innerhalb der Bundesrepublik aus. Weiterhin ist es denkbar, dass eine ausländische Organisation auf im Inland lebende Deutsche oder ausländische Staatsbürger Einfluss nimmt, um diese zur Begehung von Gewaltakten innerhalb der Bundesrepublik zu bestimmen, oder Unterstützung für solche Gewaltakte leistet. Diese Fallgestaltungen sind nicht grundsätzlich neu. Bereits in der Vergangenheit wurde die Bedrohung durch Agenten des potentiellen Feindes, die als „Fünfte Kolonne“ in der Bundesrepublik leben, diskutiert.540 Auf eine ausführliche Analyse der

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rechtlichen Folgen eines mittelbaren Angriffs von außen kann jedoch – soweit ersichtlich – nicht zurückgegriffen werden. Fall 2: Ausländische Staatsangehörige, die von einer ausländischen Organisation oder einem ausländischen Staat finanziert, ausgebildet und befehligt werden, entführen ein Luftfahrzeug, das sich auf einem Inlandsflug befindet. Das Anschlagsziel liegt in der Bundesrepublik.

Zweifelhaft ist, wie der Fall 2 zu behandeln ist. Dabei sind zwei verschiedene Probleme zu beachten: Erstens, kann bereits die Steuerung oder Unterstützung von außen genügen, um eine Gefahr von außen zu bejahen, obwohl die Gefahr unmittelbar erst innerhalb der Bundesrepublik entstanden ist und zweitens, wie sollen diese Umstände in der konkreten Situation festgestellt werden? a) Meinungsstand Manche Stimmen lassen es ausreichen, dass terroristische Anschläge, die innerhalb der Bundesrepublik begangen werden, aus dem Ausland gesteuert werden.541 Es sei nicht erforderlich, dass der Anschlag unmittelbar aus dem Ausland heraus begangen wird.542 Lutze nennt als Beispiel das Einschleusen von Soldaten in das Bundesgebiet, die erst danach Kampfhandlungen gegen die Bundesrepublik begehen. Diese Soldaten könnten durch die Streitkräfte auf Grundlage des Verteidigungsauftrages bekämpft werden. Gleiches müsse für Angehörige nicht-staatlicher Organisationen gelten, die in die Bundesrepublik einreisen und später dort Gewaltakte verüben, soweit sie von außen gesteuert und unterstützt werden.543 Baldus knüpft an die Geschehnisse vom 11. September 2001 an. Ausgehend vom Grundsatz der völkerrechtlichen Auslegung des Verteidigungsbegriffes meint er, dass die Abwehr von Gewalttaten internationaler Terrororganisationen unter den Verteidigungsauftrag fällt, soweit die Angriffe das völkerrechtliche 540

Vgl. H. U. Schroeder, Wehrkunde 1973, 11 (12). G. Laschewski, 54; D. Wiefelspütz, NWVBl. 2006, 41 (42); C. Lutze, NZWehrr 2003, 101 (114); implizit auch W. Heintschel v. Heinegg/T. Gries, AVR 40 (2002), 145 (149), die meinen, ein Angriff von außen liege bei den Anschlägen vom 11. September 2001 „außer Frage“; in diese Richtung bereits R. Clement, Europäische Sicherheit 12/2001, 49. 542 G. Krings/C. Burkiczak, DÖV 2002, 501 (502), die sich allerdings ausdrücklich nur auf das Vorliegen des Verteidigungsfalls nach Art. 115a GG beziehen. Ihr Gedanke lässt sich jedoch auch auf den Einsatz zur Verteidigung nach Art. 87a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 GG übertragen. 543 C. Lutze, NZWehrr 2003, 101 (114); vgl. auch A. Archangelskij, 126, der meint, etwaige Anschläge der „Terror-Gruppe Al-Qaida“ würden einen Angriff von außen darstellen, da diese Terroristen „außerhalb des Bundesgebietes ausgebildet und in die Bundesrepublik zum Verüben von Angriffen eingeschleust werden“. 541

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2. Teil: Bestimmung verfassungsrechtlicher Begriffe

Selbstverteidigungsrecht auslösen.544 Der erforderliche Außenbezug sei bei „Angriffen international aktionsfähiger Gruppierungen immer gewahrt [. . .] – unabhängig von den territorialen Modalitäten der jeweiligen Angriffshandlung.“545 Auch Wiefelspütz meint, Anschläge mit einem vergleichbaren Ablauf wie am 11. September 2001 könnten durch die Streitkräfte auf Grundlage des Verteidigungsauftrages abgewehrt werden, denn im Rahmen einer „Gesamtbetrachtung“ sei wesentlich, ob die Täter „ferngesteuert“ waren und damit ihr Handeln einem militärischen Angriff von außen gleichkommt.546 In diesen Fällen sei es unschädlich, dass der eigentliche Geschehensablauf ausschließlich innerhalb der Bundesrepublik stattfindet.547 Fiebig meint dagegen, auf eine Unterstützung oder Steuerung von außen komme es nicht an. Dies zeige die Regelung des inneren Notstandes nach Art. 87a Abs. 4 Satz 1 in Verbindung mit Art. 91 Abs. 2 GG, die nur anwendbar sei, wenn keine äußere Gefahr vorliege.548 Aus der Entstehungsgeschichte folge, dass es unerheblich sei, „wo zum Beispiel ein Aufstand als Prototyp des inneren Notstandes geplant oder vorbereitet wurde beziehungsweise von wo aus ein solcher gesteuert, finanziert oder in sonstiger Weise unterstützt wird“. Die Abgrenzung zwischen inneren und äußeren Gefahren erfolge über den Ort, wo der Angriff stattfindet beziehungsweise sich ereignet. Alles, was der Vorbereitung eines Angriffs diene, sei dabei irrelevant.549 Auch Paulke lehnt in den Fällen der Steuerung oder Unterstützung aus dem Ausland einen Angriff von außen ab, denn Art. 87a Abs. 2 GG sei nicht für „innerstaatliche Kämpfe“ konzipiert. Vielmehr sei auch gegen Terroristen kein Einsatz zur Verteidigung im Innern zulässig.550 In diese Richtung geht auch Winkler, die darauf abstellt, ob primär auf die „Ausnutzung innerer Sicherheitslücken“ abgezielt wird. Ein solcher Fall liege vor, wenn ein innerhalb der Bundesrepublik gestartetes Zivilflugzeug durch Steuerung von außen zum Angriff genutzt werden soll.551 Ähnlich argumentiert auch Wilkesmann, der den Eintritt des Verteidigungsfalls bei einem Einschleusen „subversiver Elemente“ oder „Sabotagetrupps“ von außen in die Bundesrepublik mit der Begründung ablehnt, den deutschen Streitkräften sei nach dem Grundgesetz weniger als nach dem völkerrechtlichen Selbstverteidigungsrecht gestattet.552 M. Fischer führt aus, für die Feststellung eines Außenbezuges seien klare Abgrenzungskriterien 544

v. Mangoldt/Klein/Starck-M. Baldus, Art. 87a Abs. 2 Rdn. 52. M. Baldus, NVwZ 2004, 1278 (1281 Fn. 27). 546 D. Wiefelspütz, RuP 2006, 71 (72). 547 D. Wiefelspütz, NZWehrr 2005, 147 (151). 548 J.-P. Fiebig, 287. 549 J.-P. Fiebig, 287. 550 K. Paulke, 77; Sachs-J. Kokott, Art. 87a Rdn. 26a; ähnlich N. Drees/M. Niedzwicki, UBWV 2006, 139 f. 551 D. Winkler, DÖV 2006, 149 (151). 545

B. „Verteidigung‘‘ im Sinne des Art. 87a Abs. 1, 2 GG

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erforderlich; daher könne nicht auf eine Planung oder Steuerung aus dem Ausland abgestellt werden. Der Angriff müsse „unmittelbar“ aus dem Ausland heraus gegen das Staatsgebiet der Bundesrepublik verübt werden.553 b) Eigene Ansicht Eine undifferenzierte Ablehnung eines Angriffs, der aus dem Ausland gesteuert oder unterstützt wird, aber erst innerhalb der Bundesrepublik stattfindet, kann nicht überzeugen. Eine solche Ansicht berücksichtigt weder den Sinn und Zweck des Art. 87a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 GG noch die völkerrechtlichen Grundsätze einer mittelbaren Aggression in einem ausreichenden Maße. Zunächst werden im Folgenden die völkerrechtlichen Grundsätze einer Steuerung oder Unterstützung von außen dargestellt und anschließend die Übertragbarkeit dieser Grundsätze auf den verfassungsrechtlichen Verteidigungsbegriff geprüft. aa) Mittelbarer Angriff von außen aus völkerrechtlicher Sicht In der Staatspraxis554 und in der völkerrechtlichen Literatur555 ist die staatliche Verwicklung in Gewaltakte Privater und ein daraus resultierendes Selbstverteidigungsrecht ein Dauerthema. Kreß unterscheidet in seiner umfassenden Dissertation im Anschluss an Brownlie556 sieben verschiedene Fallgruppen der staatlichen Verwicklung in Gewaltakte Privater.557 Dabei geht es im Rahmen der vorliegenden Untersuchung weniger um das Merkmal der staatlichen Zurechnung, da nach der hier vertretenen Auffassung diese Zurechnung nicht zwingend für die Ausübung des Selbstverteidigungsrechts erforderlich ist, sondern vielmehr darum, dass wegen dieser Zurechnung auch Handlungen im Ausland, die erst im Inland zu unmittelbaren Gewaltakten führen, als Angriff von

552 P. Wilkesmann, NVwZ 2002, 1316 (1320). Wilkesmann übersieht hier, dass nach zutreffender Auffassung der Eintritt des Verteidigungsfalls nicht Voraussetzung für einen Einsatz zur Verteidigung ist. 553 M. Fischer, JZ 2004, 376 (380). 554 Vgl. die detaillierte Darstellung der Staatspraxis seit 1945 bei C. Kreß, Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht, 41 bis 102. 555 Vgl. ausführlich zu den verschiedenen Meinungen C. Kreß, Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht, 142 bis 168; siehe aus jüngster Zeit umfassend T. Becker, Terrorism and the State, 2006. 556 I. Brownlie, ICLQ 7 (1958), 712 f. 557 C. Kreß, Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht, 23 f. Diese sind im Einzelnen: Entsendekonstellation, Entsendeförderungskonstellation, Duldungskonstellation, Sorgfaltswidrigkeitskonstellation, Unfähigkeitskonstellation, Anstiftungskonstellation und die Unterstützungskonstellation.

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2. Teil: Bestimmung verfassungsrechtlicher Begriffe

außen bewertet werden können, da auch der Begriff des bewaffneten Angriffs in Art. 51 UN-Charta einen Angriff von außen voraussetzt.558 In den Fällen der Unterstützung oder Steuerung gewaltsamer Aktionen von außen waren in der Vergangenheit folgende Fallgruppen als ausreichend für einen „bewaffneten Angriff“ anerkannt: 1. Die Entsendekonstellation, das heißt, ein Staat entsendet Private auf das Territorium eines anderen Staates, damit diese dort Gewaltakte ausführen. 2. Die Entsendeförderungskonstellation, das heißt, ein Staat fördert die von seinem Staatsgebiet ausgehende Entsendung von Privaten in einen anderen Staat zur Begehung von Gewaltakten durch Ausrüstungs-, Ausbildungs- und Organisationshilfe. 3. Die Anstiftungskonstellation, das heißt, ein Staat bestimmt in einem anderen Staat befindliche Private zur Begehung von Gewaltakten ebendort. Richtungweisend für die Bewertung dieser Konstellationen ist die Aggressionsdefinition der UN-Generalversammlung vom 15. Dezember 1974. Nach Art. 3g) der Aggressionsdefinition stellt „The sending by or on behalf of a State of armed bands, groups, irregulars or mercenaries, which carry out acts of armed force against another State of such gravity as to amount to the acts listed above, or is substantial involvement therein“ einen Fall der Aggression dar.

Auch wenn die Aggressionsdefinition den „bewaffneten Angriff“ nicht verbindlich definiert, lassen sich jedoch Anhaltspunkte für die Auslegung des Art. 51 UN-Charta aus der Aggressionsdefinition ableiten.559 Im Ergebnis lässt sich festhalten, dass weitgehend Konsens darüber besteht, dass bei der Entsende- und der Entsendeförderungskonstellation ein staatlicher bewaffneter Angriff im Sinne des Art. 51 UN-Charta vorliegt, soweit es sich um hinreichend schwerwiegende Gewaltakte handelt.560 Damit handelt es sich also um einen Angriff von außen, auch wenn die entsendeten Gruppen erst innerhalb des Staatsgebietes des angegriffenen Staates Gewalttaten begehen. Problematischer ist die Beurteilung der so genannten Duldungskonstellation, in der ein Staat lediglich duldet, dass nicht-staatliche Organisationen sich auf seinem Staatsgebiet aufhalten und von dort Gewaltakte gegen andere Staaten begehen. Gegen eine solche Zurechnung wird häufig auf die „Nicaragua-Entscheidung“ des Internationalen Gerichtshofs verwiesen, in der unter Rückgriff auf die Aggressionsdefinition Unterstützungsleistungen wie „the provision of weapons or logistical support“ nicht als bewaffneter Angriff, sondern lediglich 558

Siehe oben 2. Teil B. IV. 2. a) aa) (3). Siehe oben 2. Teil B. IV. 2. a). 560 C. Kreß, Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht, 115, 145 m.w. N. in Fn. 595. 559

B. „Verteidigung‘‘ im Sinne des Art. 87a Abs. 1, 2 GG

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als Verstoß gegen das Gewaltverbot angesehen worden sind.561 Wenn also die Lieferung von Waffen oder Bereitstellung von logistischer Unterstützung nicht für eine Zurechnung ausreicht, dann müsste dies erst recht für die bloße passive Duldung auf dem eigenen Staatsgebiet gelten.562 Seit dem 11. September 2001 wird jedoch verstärkt vertreten, dass auch die Duldungskonstellation für die Zurechnung eines bewaffneten Angriffs ausreicht.563 Es soll genügen, dass ein Staat oder ein quasi-staatliches Gebilde wissentlich als „safe haven“, also als Ausbildungs-, Vorbereitungs-, oder Rückzugsraum, für nicht-staatliche Angreifer dient.564 Diese Weiterentwicklung der Grundsätze der mittelbaren Aggression wird auch dadurch bestätigt, dass der UN-Sicherheitsrat die Militäraktionen der Vereinigten Staaten und ihrer Verbündeten gegen die Strukturen der Taliban und al-Qaida in Afghanistan ab Oktober 2001 gebilligt hat.565 Im Ergebnis bedeutet dies, dass schon ein vorsätzliches Unterlassen eines Staates für eine Zurechnung von Gewaltakten Privater ausreichen kann. Im Übrigen darf nicht übersehen werden, dass es in der Vergangenheit nicht um die Zurechnung eines bewaffneten Angriffs, sondern „nur“ um die Zurechnung eines Gewaltverstoßes ging. Es spricht vieles dafür, die Grenze der Zurechnung umso niedriger anzusetzen, desto schwerwiegender die Gewaltanwendung ist.566

561

ICJ Reports 1968, 14 (103 f., § 195). H. Fischer, in: K. Ipsen, Völkerrecht, § 59 Rdn. 28; M. Bothe, in: Vitzthum (Hg.), Völkerrecht, 8. Abschn. Rdn. 11; M. J. Glennon, ASIL proceedings 97 (2003), 150 f.; M. Kotzur, AVR 40 (2002), 454 (475); C. Stahn, ZaöRV 62 (2002), 183 (228); O. Corten/F. Dubuisson, RevGDIP 106 (2002), 51 (55 ff.); K. Schmalenbach, NZWehrr 2000, 177 (186 f.). 563 Simma-A. Randelzhofer, UN-Charter, Art. 51 Rdn. 34; O. Dörr, in: Dörr (Hg.), Ein Rechtslehrer in Berlin, 33 (40); R. Geiger, 371; T. M. Franck, Recourse to Force, 66 ff.; J. A. Frowein, FS R. Mußgnug, 2005, 271 (276); M. E. O’Connel, FS Fleck, 2004, 405 (411); H. Hilgenberg, FS Eitel, 2003, 141 (156); K. M. Meessen, in: Société française pour le droit international (Hg.), Les nouvelles menaces contre la paix et la sécurité internationales, 109 (116 f.); H. Krieger, AVR 44 (2006), 159 (174 f.); R. Streinz, JöR n. F. 52 (2004), 219 (238); R. Wolfrum, Max Planck UNYB 7 (2003), 1 (35 ff.); D. Kugelmann, JURA 2003, 376 (380); M. E. Kurth, ZRP 2003, 195; M. Saalfeld, Europäische Sicherheit 2/2002, 40; S. R. Ratner, AJIL 96 (2002), 905 (908); C. Tietje/K. Nowrot, NZWehrr 2002, 1 (11); T. Bruha/M. Bortfeld, VN 2001 161 (166); bereits vorher in diese Richtung C. Kreß, Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht 273 f.; O. Schachter, Israel Yearbook on Human Rights 1989, 209 (218). 564 Vgl. die Äußerungen des US-Präsidenten G. W. Bush am 11. September 2001: „We will make no distinction between the terrorists who committed these acts and those who harbor them.“, http://www.whitehouse.gov/news/releases/2001/09/200109 11-16.html. 565 Des Weiteren hat der UN-Sicherheitsrat bereits zuvor unter Anwendung des „safe-haven-Grundsatzes“ kollektive Zwangsmaßnahmen gegen das Taliban-Regime in Afghanistan verhängt, vgl. die Resolutionen 1267 (1999) vom 25. Oktober 1999 und 1333 (2000) vom 19. Dezember 2000. 566 Vgl. T. Bruha, AVR 40 (2002), 383 (404). 562

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2. Teil: Bestimmung verfassungsrechtlicher Begriffe

Aus völkerrechtlicher Sicht ist festzuhalten, dass auch eine mittelbare Verursachung von außen bei einem hinreichenden Schädigungspotential oder -ausmaß als ein bewaffneter Angriff von außen angesehen werden kann. Dieses Ergebnis deckt sich auch mit den Reaktionen auf die Anschläge vom 11. September 2001. Die Handlungsabläufe dieser Anschläge fanden unmittelbar innerhalb des Staatsgebietes der Vereinigten Staaten statt. Dennoch wurde das Selbstverteidigungsrecht anerkannt und damit auch ein Angriff von außen angenommen, da die Planung, Finanzierung und Steuerung der Angriffe außerhalb der Vereinigten Staaten stattgefunden hatte. Es ist erforderlich, dass der Außenbezug sich in einer wesentlichen Unterstützung von außerhalb der Bundesrepublik äußert. Eine völlig untergeordnete Förderung reicht nicht aus. Jedenfalls wird es genügen, wenn eine „Organisationsherrschaft“ im Sinne einer mittelbar täterschaftlichen Begehung im Ausland besteht. Eine solche Organisationsherrschaft hat Roxin für die Zurechnung von Tatbeiträgen innerhalb von Untergrundbewegungen und Verbrecherbanden entwickelt.567 Merkmale der Organisationsherrschaft sind nach Roxin das Vorliegen eines Machtapparates, den ein Hintermann zur Durchführung von Straftaten benutzen kann. Der unmittelbar Ausführende müsse sich dem Willen des Hintermanns unterordnen und fungiere nur noch als austauschbares Rädchen im Getriebe des Machtapparates.568 In Literatur und Rechtsprechung hat Roxins Auffassung überwiegend Anerkennung gefunden,569 auch wenn Einzelheiten streitig sind. Bei internationalen Organisationen liegt jedoch die Anwendung der Grundsätze der Organisationsherrschaft nahe.570 Schleust eine derartige Organisation Mitglieder in die Bundesrepublik ein, damit diese nach klaren Anweisungen bestimmte Ziele angreifen sollen, liegt ein ausreichender Außenbezug vor, um eine Abwehr auf den Verteidigungsauftrag stützen zu können. Es ist jedoch zu beobachten, dass die nicht-staatlichen Organisationen teilautonome Zellen bilden, um so staatlichen Gegenmaßnahmen entgehen zu können und die Führungsebene zu schützen. Den Teilorganisationen kann dabei eine wichtige Bedeutung bei der Auswahl der Angriffsziele und der konkreten Durchführung zukommen. Vor diesem Hintergrund ist es zweifelhaft, ob in diesen Fällen noch von einer Organisationsherrschaft gesprochen werden kann. In Anlehnung an die strafrechtlichen Kriterien Roxins wird es ausreichen, dass die einzelnen Zellen nicht im Widerspruch zu der generellen Zielsetzung der Führungsebene handeln,571 solange sie aus dem Ausland finanziell, logistisch, per567

C. Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 244 ff., 250; kritisch F.-C. Schroeder,

168 f. 568 569 570 571

LK-C. Roxin, § 25 Rdn. 128. MüKo-W. Joecks, § 25 Rdn. 123 m.w. N. in Fn. 299. So auch C. Urban, 103. Vgl. C. Roxin, Täterschaft und Tatherrschaft, 250.

B. „Verteidigung‘‘ im Sinne des Art. 87a Abs. 1, 2 GG

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sonell oder informationell unterstützt werden. Es genügt also, dass ein generelles Handlungsziel gesetzt wird, auch wenn den unmittelbaren Angreifern ein eigener Handlungsspielraum zur Erreichung dieses Ziels verbleibt. Zusammenfassend ist festzustellen, dass das Agieren einer internationalen Organisation ausreicht, um einen Außenbezug begründen zu können. Dieses Ergebnis deckt sich mit der Beurteilung der Geschehensabläufe der Anschläge vom 11. September 2001. Nachdem oben konstatiert worden ist, dass auf eine staatliche Zurechnung völlig verzichtet werden kann, liegt ein Angriff von außen im völkerrechtlichen Sinne auch dann vor, wenn nicht-staatliche Organisationen Angriffe, die unmittelbar innerhalb der Bundesrepublik ablaufen, von außerhalb planen, steuern oder wesentlich unterstützen.572 bb) Vereinbarkeit mit Art. 87a Abs. 2 GG Die aus dem Völkerrecht abgeleiteten Prinzipien des mittelbaren Angriffs von außen können grundsätzlich auf die Auslegung des verfassungsrechtlichen Verteidigungsbegriffes übertragen werden. Die Bundeswehr könnte demnach auch im Fall 2 den Angriff auf Grundlage des Verteidigungsauftrages bekämpfen, obwohl die eigentlichen Angriffshandlungen innerhalb der Bundesrepublik stattfinden. Auf den ersten Blick wird mit der Einbeziehung des mittelbaren Angriffs von außen Neuland bezüglich der Auslegung des Verteidigungsbegriffes begangen. Die Argumentation fußt aber im Wesentlichen auf der völkerrechtlichen Interpretation des Selbstverteidigungsrechts. Damit bewegt sich das dargestellte Ergebnis vollständig im Rahmen sowohl der überwiegenden Literaturmeinung als auch der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, die den Verteidigungsbegriff unter Rückgriff auf das völkerrechtliche Selbstverteidigungsrecht nach Art. 51 UN-Charta definieren.573 Auch historische Argumente sprechen dafür, eine Verwicklung von außen auch im Sinne des verfassungsrechtlichen Verteidigungsbegriffes ausreichen zu lassen. Schon vor dem Zweiten Weltkrieg wurde die Unterstützung von bewaffneten Banden, die sich auf dem Territorium eines anderen Staates befanden, oder das Unterlassen eines Staates, gegen diese Banden vorzugehen, als ein bewaffneter Angriff verstanden.574 Von daher ist davon auszugehen, dass bei der Einfügung beziehungsweise Änderung des Art. 87a GG diese Grundsätze bekannt waren. Es lassen sich in der Entstehungsgeschichte an keiner Stelle An-

572

Ebenso K. Doehring, Völkerrecht, Rdn. 759. Siehe oben 2. Teil B. I. 574 Vgl. G. Meier, Der bewaffnete Angriff, 76, der auf das Londoner Abkommen vom Juli 1933 verweist. 573

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2. Teil: Bestimmung verfassungsrechtlicher Begriffe

haltspunkte dafür finden, dass die Streitkräfte bei einem mittelbaren Angriff von außen nicht zur Verteidigung tätig werden sollten. Für diejenigen, die trotz der völkerrechtlichen Herleitung dieses Grundsatzes eine Übertragbarkeit auf den Verteidigungsauftrag der Bundeswehr wegen Art. 87a Abs. 2 GG ablehnen und eine Militärisierung der Polizei oder eine „Verpolizeilichung“575 des Militärs befürchten, wird abschließend noch folgendes Beispiel genannt, das sich an Art. 3e) der Aggressionsdefinition anlehnt.576 Fall 3: Der Staat A stationiert Teile seiner Streitkräfte im Konsens mit der Bundesrepublik auf dem deutschen Staatsgebiet. Einige Zeit nach dieser Stationierung geraten die Bundesrepublik und Staat A in einen Streit und Staat A befiehlt seinen innerhalb der Bundesrepublik stationierten Truppen den Angriff auf die Bundesrepublik.

Stellt man auf den unmittelbaren Ort des Angriffs ab, so würde ein Angriff von innen vorliegen. Damit wäre ein Einsatz der Streitkräfte zur Verteidigung nicht zulässig.577 Auch ein Einsatz nach Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG wäre zur Bekämpfung der feindlichen Streitkräfte nicht möglich, da Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG nur die Bekämpfung von inländischen Aufständischen, nicht aber die Abwehr gegen feindliche Streitkräfte umfasst.578 Folgt man der Auffassung, die einen Einsatz der Bundeswehr zur Gefahrenabwehr im Innern ablehnt, könnten die feindlichen Streitkräfte nur durch die Polizeikräfte des Bundes und der Länder, nicht aber durch die Bundeswehr auf Grundlage des Verteidigungsauftrages bekämpft werden. Noch unverständlicher wäre die Situation, wenn der Staat A zusätzlich mit Streitkräften aus dem Ausland angreift. Diese dürften dann auf Grundlage des Verteidigungsauftrages abgewehrt werden, während die Bekämpfung der Truppen, die sich zu Beginn der Kampfhandlungen bereits innerhalb der Bundesrepublik befanden, weiterhin in den Zuständigkeitsbereich der Polizeikräfte fallen würde. Dieses absurde Ergebnis ist mit dem Sinn und Zweck der Begrenzungsfunktion des Art. 87a Abs. 2 GG nicht vereinbar. Zutreffend ist jedoch auch, dass ein undifferenzierter Verweis auf das Selbstverteidigungsrecht nach Art. 51 UN-Charta der Begrenzungsfunktion des Art. 87a Abs. 2 GG nicht gerecht werden würde. So meint Meier, ein bewaff575 Vgl. M. Fischer, in: Meier-Walser (Hg.), Deutsche Sicherheitspolitik – Rückblick, Bilanz, Perspektiven, 119 (121). 576 Vgl. C. Kreß, Gewaltverbot und Selbstverteidigungsrecht, 205; ähnlich bereits K.-J. Schneider, 44 f. 577 A. A. möglicherweise C. Arndt, DÖV 1992, 618, der meint, es sei „ohne Bedeutung, von wo aus dieser Angriff geführt wird“. Aus dem Zusammenhang kann jedoch wahrscheinlich entnommen werden, dass die Formulierung „von wo“ als „von wo aus dem Ausland“ zu lesen ist. 578 Vgl. G. Laschewski, 81; K. Paulke, 124; G. Krings/C. Burkiczak, DÖV 2002, 501 (511).

B. „Verteidigung‘‘ im Sinne des Art. 87a Abs. 1, 2 GG

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neter Angriff im Sinne des Völkerrechts liege auch dann vor, wenn ein ausländischer Staat einen anderen Staat dadurch angreift, dass er die Staatsangehörigen des letzteren derart unterstützt, dass diese sich militärisch organisieren und ihren eigenen Staat angreifen.579 Es ist also denkbar, dass sich ein Außenbezug darin äußert, dass inländische Gruppen von außen so unterstützt und gesteuert werden, dass sie den Status von militärisch bewaffneten und organisierten Aufständischen im Sinne des Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG erreichen.580 Gegen die Angriffe einer solchen Gruppe können die Streitkräfte nicht auf Grundlage des Verteidigungsauftrages tätig werden.581 Hier enthält Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG eine Sperrfunktion, die nicht durch den Außenbezug durchbrochen werden kann. Der Grund liegt darin, dass durch Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG vor allem der Einsatz der Streitkräfte gegen die eigene Bevölkerung verfassungsrechtlich beschränkt werden sollte.582 Zweifelhaft ist, ob diese Sperrfunktion auch dann greift, wenn ausländische Staatsangehörige, die seit längerer Zeit rechtmäßig und friedlich in der Bundesrepublik leben, von außen zur Begehung von Angriffen angestiftet werden. Dagegen spricht ein Vergleich mit dem Fall 3: Obwohl die ausländischen Streitkräfte sich rechtmäßig innerhalb der Bundesrepublik aufhielten, liegt wegen der Befehlsgebung aus dem Ausland ein Angriff von außen vor. Es ist letztlich – wie schon bei der grundsätzlichen Auslegung des Verteidigungsbegriffes – der systematische Zusammenhang zwischen Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG einerseits und Art. 87a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 GG andererseits zu beachten: So meint Paulke, die von international operierenden terroristischen Gruppen ausgehenden Gefahren erwüchsen nicht in dem von Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG vorausgesetzten Maße innerhalb der Bundesrepublik. Selbst wenn die unmittelbare Ausführung eines Angriffs im Innern stattfindet, blieben die Terroristen „äußere Feinde“ und könnten nicht auf Grundlage des Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG bekämpft werden.583 Verneint man das Vorliegen einer Gefahr von außen bei einem nur mittelbaren Außenbezug – wie es auch Paulke tut584 –, so könnten also nicht-staatliche Angreifer, die zunächst friedlich in die Bundesrepublik einreisen und sodann Anschläge ausführen, weder auf Grundlage des Verteidi579

G. Meier, Der bewaffnete Angriff, 77. Vgl. zu Unternehmungen in diese Richtung während des Kalten Krieges R. Mußgnug, Recht in Ost und West, Sondernummer 1983, 26 (32); H. U. Schroeder, Wehrkunde 1973, 11 (12); L. Dierske, Wehrkunde 1963, 291 (293). 581 Vgl. R. Mußgnug, Recht in Ost und West, Sondernummer 1983, 26 (32). 582 H. Sattler, NVwZ 2004, 1286 (1290); C. Lutze, NZWehrr 2003, 101 (104). 583 K. Paulke, 124. 584 K. Paulke, 77, meint, Art. 87a Abs. 2 GG sei nicht für „innerstaatliche Kämpfe“ konzipiert. 580

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2. Teil: Bestimmung verfassungsrechtlicher Begriffe

gungsauftrages noch nach Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG mit militärischen Mitteln durch die Streitkräfte bekämpft werden. Es würde also eine Lücke entstehen, die sich nicht mit der Begrenzungsfunktion des Art. 87a Abs. 2 GG erklären lässt und mit dem Verteidigungsauftrag im Sinne der Bekämpfung von Gefahren von außen nicht zu vereinbaren ist. Aus diesem Ergebnis folgt, dass auch bei einem mittelbaren Angriff von außen ein ausreichender Außenbezug für eine Abwehr auf Grundlage des Verteidigungsauftrages gegeben ist. Ansonsten wären die mittelbaren Angreifer gegenüber deutschen Aufständischen privilegiert, die nach Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG bekämpft werden können. Eine solche Privilegierung würde dem Sinn und Zweck des Art. 87a Abs. 2 GG jedoch gerade entgegenlaufen, der den Einsatz der Streitkräfte gegen die eigene Bevölkerung limitieren soll. cc) Zwischenergebnis Wird ein nicht-staatlicher Angriff, der innerhalb der Bundesrepublik stattfinden soll oder stattfindet, außerhalb der Bundesrepublik geplant, gesteuert oder unterstützt, so ist die Abwehr eines solchen Angriffs auf Grundlage des Verteidigungsauftrages möglich. Ein solcher Außenbezug wird dabei regelmäßig vorliegen, wenn es sich um Angriffe international agierender Gruppen handelt.585 4. Staatsangehörigkeit Vor dem Hintergrund der Sperrwirkung des Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG ist zweifelhaft, ob die Abgrenzung zwischen einer Gefahr von innen oder von außen durch das Merkmal der Staatsangehörigkeit erfolgen kann. a) Deutsche Staatsangehörige Fraglich ist zunächst, ob die Bundeswehr unter keinen denkbaren Umständen Angreifer mit deutscher Staatsbürgerschaft auf Grundlage des Verteidigungsauftrages bekämpfen kann. Fall 4: Deutsche Staatsangehörige, die keine Kontakte zum Ausland haben, entführen ein in Kopenhagen gestartetes Flugzeug außerhalb des deutschen Luftraums, um es auf die AOL-Arena in Hamburg zu stürzen.

Paulke bildet ein weitgehend identisches Beispiel. Unter Berufung auf Lutze verneint sie einen Angriff von außen mit der Begründung, die deutschen Staats-

585

Vgl. A. Archangelskij, 126.

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angehörigen würden nicht zu äußeren Feinden werden.586 Deutsche Aggressoren blieben inländische Gegner, welche durch die Streitkräfte ausschließlich nach den Vorschriften des inneren Notstandes nach Art. 87a Abs. 4 Satz 1, 91 GG bekämpft werden dürften.587 Dagegen meinen andere, die Staatsangehörigkeit könne angesichts internationaler terroristischer Strukturen kein entscheidendes Abgrenzungskriterium sein.588 Möglicherweise haben Paulke und Lutze mit ihrer Aussage Recht, dass nichtstaatliche Angreifer, welche die deutsche Staatsangehörigkeit besitzen, durch die Begehung eines Angriffs, der von außen auf die Bundesrepublik zielt, nicht zu „äußeren Feinden“ werden. Es geht aber auch nicht um die Einordnung der Angreifer als „äußere“ oder „innere“ Feinde, sondern darum, ob eine Gefahr von außen oder von innen vorliegt. Die Subjektsqualität der Angreifer interessiert daher zunächst nicht. Stellt man auf das Kriterium der Grenzüberschreitung ab, so würde ohne weiteres auch dann ein Angriff von außen vorliegen, wenn dieser durch deutsche Staatsangehörige geführt wird. Dieses Ergebnis widerspricht auch nicht dem Grundsatz, dass die Streitkräfte gegen Angreifer aus der eigenen Bevölkerung grundsätzlich nur auf Grundlage des Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG militärisch eingesetzt werden dürfen. Der Grund hierfür liegt darin, dass die deutschen Angreifer durch die Wahl des Angriffs von außerhalb der Bundesrepublik die Privilegierung gegenüber ausländischen Angreifern verloren haben. Bilden sich militärisch bewaffnete und organisierte Gruppen von Deutschen innerhalb der Bundesrepublik, so ist es den Polizeikräften im Vorfeld möglich, gegen diese Gruppierungen vorzugehen. Dies ist jedoch nicht möglich, wenn deutsche Staatsbürger die Angriffe von außerhalb der Bundesrepublik vorbereiten und ausführen. Zudem würden Abgrenzungsschwierigkeiten entstehen, wenn in den Fällen des Grenzübertrittes die Staatsangehörigkeit der Angreifer ermittelt werden müsste. Paulke und Lutze übersehen auch einen weiteren Punkt: Deutsche Staatsangehörige verdingen sich als Söldner für fremde Staaten und andere nicht-staatliche Organisationen. Würde ein Angriff dieser Söldner von außen vorliegen, so ist nicht ersichtlich, warum die Bundeswehr wegen der deutschen Staatsangehörigkeit der Angreifer nicht zur Verteidigung eingesetzt werden könnte. Daher ist es in Fall 4 gerechtfertigt, den Angriff unmittelbar auf Grundlage des Verteidigungsauftrages zu bekämpfen.

586

K. Paulke, 76; C. Lutze NZWehrr 2003, 101 (114). K. Paulke, 76. 588 D. Winkler, DÖV 2006, 149 (151); W. Heintschel v. Heinegg/T. Gries, AVR 40 (2002), 145 (153), die diese Ausführungen jedoch auf das Merkmal eines Angriffs von außen im Zusammenhang mit dem völkerrechtlichen Selbstverteidigungsbegriff beziehen. 587

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2. Teil: Bestimmung verfassungsrechtlicher Begriffe

b) Ausländische Staatsangehörige Es wäre denkbar einen Angriff von außen immer dann anzunehmen, wenn ausländische Staatsangehörige die Bundesrepublik angreifen. Eine solche Auffassung würde jedoch vernachlässigen, dass auf den Ursprung der Gefahr abzustellen ist. Daher muss neben einem personellen Außenbezug auch ein sachlicher Außenbezug vorliegen. Entschließen sich innerhalb der Bundesrepublik lebende Ausländer zur Begehung von Gewalttaten gegen die Bundesrepublik, ohne dass eine Steuerung oder Unterstützung von außen gegeben ist, liegt daher eine Gefahr von innen vor, für deren Bekämpfung in erster Linie die Polizeikräfte zuständig sind. 5. Angriffe gegen die Bundeswehr Im Zusammenhang mit der Diskussion um das LuftSiG ist die Frage der Gefährdung der Bundeswehr durch Angriffe aus dem Luftraum kaum diskutiert worden.589 Dies liegt wohl vor allem daran, dass der Gesetzgeber das Problem der Eigensicherung der Streitkräfte nicht mit in seine Überlegungen einbezogen hat. Dennoch ist die Thematik der Eigensicherung der Streitkräfte auch im Zusammenhang mit der Abwehr von Angriffen aus dem Luftraum von Bedeutung, denn durch den Angriff auf das Pentagon am 11. September 2001 hat sich gezeigt, dass sich nicht-staatliche Angreifer nicht nur gegen zivile Objekte wenden, sondern bewusst auch militärische Objekte angreifen.590 Daher ist in Zukunft nicht ausgeschlossen, dass nicht-staatliche Angreifer Einrichtungen der Bundeswehr zum Ziel ihrer Angriffe machen könnten. a) Grundsätze der Eigensicherung der Streitkräfte Es ist anerkannt, dass zur Verteidigung im Sinne des Art. 87a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 GG nicht nur die direkte Abwehr von Gefahren von außen durch Kampfhandlungen zählt, sondern auch alle Maßnahmen, die Grundlage und Voraussetzung für konkrete Verteidigungsmaßnahmen sind.591 Dazu gehören zunächst die in Art. 87a Abs. 1 Satz 1 GG ausdrücklich genannte Aufstellung sowie eine ausreichende Ausrüstung, Ausstattung und Ausbildung der Streitkräfte. Der Verteidigungsauftrag umfasst aber auch die Abwehr von Bedrohungen jeglicher Art gegen Angehörige der Streitkräfte, militärische Liegenschaften 589 Siehe aber J.-P. Fiebig, 298 ff., der die Grundsätze der Eigensicherung im Zusammenhang mit dem Verteidigungsauftrag aufgearbeitet hat. 590 Als weiteres Beispiel ist der Angriff am 12. Dezember 2000 auf den US-amerikanischen Zerstörer USS Cole zu nennen. 591 J.-P. Fiebig, 298 m.w. N.

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und militärisches Gerät.592 Dieser Bestandteil des Verteidigungsauftrages wird als Eigensicherung oder Selbstschutz der Streitkräfte bezeichnet.593 Die Eigensicherung ist stets verfassungsrechtlich zulässig, unabhängig davon, ob es sich um einen Angriff von militärischen oder nicht-militärischen Angreifern beziehungsweise Inländern oder Ausländern handelt. Ebenso wenig kommt es hinsichtlich der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit des Einsatzes darauf an, ob es um die Abwehr von Gefahren, die von innen oder von außen herrühren, geht. Daraus folgt, dass die Abwehr von Gefahren aus dem Luftraum gegen die Streitkräfte selbst ohne weiteres direkt durch den Verteidigungsauftrag legitimiert ist, ohne dass es eines Rückgriffs auf andere Verfassungsbestimmungen bedarf. Ermächtigungsgrundlagen für Einzelmaßnahmen finden sich bei Gefahren von innen zunächst im UZwGBw. Nach § 10 Abs. 4 UZwGBw können Maßnahmen des unmittelbaren Zwanges mit allen dienstlich zugelassenen Waffen, auch mit Explosivmitteln, durchgeführt werden. Berechtigt hierzu sind gemäß § 1 UZwGBw die Wach- und Sicherungssoldaten, besonders beauftragte Angehörige fremder Streitkräfte sowie zivile Wachpersonen. Vielfach wird vertreten, dass sich in Notsituationen auch nicht nach § 1 UZwGBw berechtigte Soldaten auf Notwehr beziehungsweise Nothilfe nach § 32 StGB berufen können, um einen gegenwärtigen Angriff gegen Rechtsgüter nach § 3 UZwGBw abzuwehren, soweit die besonderen Vorschriften des UZwGBw nicht bewusst umgangen werden.594 Teilweise wird auch ein gewohnheitsrechtliches „administratives Selbstverteidigungsrecht“ herangezogen.595 Dagegen lehnt Klinkhardt einen Rückgriff auf die allgemeinen Notrechte ab.596 Die Frage kann vorliegend offen bleiben, da ein solcher Rückgriff im Rahmen der Gefahrenabwehr im Luftraum nicht erforderlich ist, obwohl die Piloten der Alarmrotten nicht dauerhaft zu dem in § 1 Abs. 1 UZwGBw genannten Personenkreis gehören. Nach den dienstlichen Ausführungsbestimmungen zum UZwGBw können jedoch Offiziere und Unteroffiziere mit Portepee durch Befehl Sicherheitsaufgaben an andere Soldaten übertragen und sie damit ad hoc zur Anwendung von Gewalt nach den Regelungen des UZwGBw berechti592

W. Brunkow, Rechtliche Probleme, 34. Vgl. W. Grubert, 224 f. 594 N. H. R. Lück, 198 ff.; G. Großmann, Teil II, Rdn. 143 ff.; E. Lingens, 121 Fn. 5. Ebenso sollen sich die Wachsoldaten selbst auf Notwehr und Nothilfe berufen können, soweit das UZwGBw keine Regelungen enthält, vgl. ZDV 10/6 „Der Wachdienst in der Bundeswehr“, Rdn. 112; E. Jess/S. Mann, § 15 Rdn. 56. 595 Vgl. zur Rechtslage vor Erlass des UZwGBw LG Flensburg, Urteil vom 25. Oktober 1960 – 7 Ks 1/60 (S 5/60) (nicht veröffentlicht); Einzelheiten hierzu bei G. Großmann, Teil II, Rdn. 3, 145. Das gewohnheitsrechtliche Selbstverteidigungsrecht ist dabei auf die Grundsätze der „militärischen Anstaltspolizei“ zur Zeiten der Reichswehr gegründet worden, vgl. dazu R. Liepmann, 41 ff. 596 I. Klinkhardt, JZ 1969, 700 f. 593

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2. Teil: Bestimmung verfassungsrechtlicher Begriffe

gen.597 Liegt ein Angriff von außen gegen die Streitkräfte vor, so sollen die Abwehrmaßnahmen auf kriegsvölkerrechtliche Grundsätze gestützt werden können.598 Dies gilt aber nur, soweit hinsichtlich der Gewaltintensität ein bewaffneter Angriff im Sinne des Art. 51 UN-Charta vorliegt; wird diese Schwelle nicht erreicht, so bedarf es eines Rückgriffs auf das UZwGBw. b) Anwendung auf die Praxis Als Grundfall dient hier das folgende Beispiel: Fall 5: Privatpersonen fliegen mit einem Heißluftballon über eine Bundeswehrkaserne und werfen Handgranaten ab.

Die Bewertung von Fall 5 ist unproblematisch, da hier ein unmittelbarer Angriff auf die Streitkräfte aus dem Luftraum heraus vorliegt. Zur Eigensicherung dürfen die Wachsoldaten das Luftfahrzeug beschießen und falls nötig Luftunterstützung anfordern. Alle Tätigkeiten, die zur Abwehr des Angriffs auf die Kaserne erforderlich sind, fallen unmittelbar unter den Verteidigungsauftrag nach Art. 87a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 GG. Die Feststellung, ob ein Angriff von außen oder von innen vorliegt, ist damit für die Frage, ob ein Einsatz sich auf den Primärauftrag der Streitkräfte stützen kann, überflüssig. Probleme entstehen aber, wenn zunächst nicht deutlich ist, welche Absichten die Täter bei der Entführung eines Flugzeuges oder bei einem sonstigen Angriff mittels eines Luftfahrzeuges verfolgen. Selbst wenn nach den Umständen relativ sicher von der Begehung eines Selbstmordanschlages ausgegangen werden kann, so werden regelmäßig Unsicherheiten bezüglich des Anschlagsziels bestehen. Angesichts der dichten Besiedelung der Bundesrepublik, der immer noch verstreuten Dislozierung der Bundeswehr und den erheblichen Geschwindigkeiten von Luftfahrzeugen kann nicht ausgeschlossen werden, dass – ähnlich wie am 11. September 2001 – militärische Objekte unmittelbar als Anschlagsziel ins Auge gefasst werden. Dazu kommt noch eine mittelbare Gefährdung, wenn sich der Angriff zum Beispiel gegen eine Chemiefabrik oder ein Kernkraftwerk richtet, die in der Nähe einer Kaserne liegen, und durch diesen Angriff das militärische Objekt mittelbar betroffen wird. Die Abwehr einer mittelbaren Gefährdung kann verfassungsrechtlich auf den Verteidigungsauftrag gestützt werden, wenn letztere hinsichtlich des zu erwartenden Schadensausmaßes 597 Vgl. G. Großmann, Teil III, Rdn. 3; ZDV 10/6 „Der Wachdienst in der Bundeswehr“, Rdn. 305. Bei der Gefahrenabwehr im Luftraum ist davon auszugehen, dass immer entsprechende Befehle durch Offiziere erteilt werden. Ein Befehl, der zur Eigensicherung der Streitkräfte dient, enthält implizit auch die Übertragung von Sicherheitsaufgaben im Sinne des § 1 Abs. 1 UZwGBw. 598 G. Großmann, Teil II, Rdn. 182.

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einem direkten Angriff gleichkommt. Es muss sich also um mittelbare Beeinträchtigungen von erheblicher Intensität handeln. Festzuhalten ist aber auch, dass eine Gefährdung von Angehörigen der Streitkräfte nicht ohne weiteres durch die Anwendung des Grundsatzes der Eigensicherung einen Einsatz zur Verteidigung rechtfertigen kann. So ist im Grundfall nach einer lebensnahen Sachverhaltsauslegung davon auszugehen, dass sich in der AOL-Arena auch Soldaten der Bundeswehr befinden. Dennoch wäre es verfehlt, wegen der Anwesenheit dieser Soldaten einen Einsatz zur Verteidigung anzunehmen. Es muss vielmehr um die Gefährdung von Einrichtungen oder Einheiten der Streitkräfte gehen. Angriffe, die nicht mit der Dienstausübung der Soldaten im Zusammenhang stehen, können daher nicht über den Grundsatz der Eigensicherung bekämpft werden.599 Soweit nicht zweifelsfrei festzustellen ist, ob sich ein Angriff auch gegen die Bundeswehr richten soll, besteht ein Spannungsverhältnis zwischen einer effektiven Eigensicherung der Streitkräfte einerseits und der Begrenzungsfunktion des Art. 87a Abs. 2 GG andererseits. Es dürfte einleuchten, dass die bloße Möglichkeit einer Bedrohung der Streitkräfte nicht dazu führen darf, ohne Differenzierung auch den Einsatz der Streitkräfte zur Bekämpfung von Gefahren von innen unter den Verteidigungsauftrag zu subsumieren. Auf der anderen Seite darf eine zu stringente Auslegung des Art. 87a Abs. 2 GG nicht dazu führen, dass die Eigensicherung der Streitkräfte praktisch wirkungslos wird, denn ansonsten könnte die Erfüllung des Verteidigungsauftrages der Bundeswehr gefährdet werden. Diese Problematik wird im Zusammenhang mit dem Beurteilungsspielraum bezüglich der Entscheidung über den Einsatz der Streitkräfte weiter ausgeführt. 6. Angriffe aus der Bundesrepublik gegen NATO-Staaten Denkbar ist des Weiteren, dass ein Angriff vom Staatsgebiet der Bundesrepublik ausgeht und das Angriffsziel sich in einem anderen NATO-Staat befindet. Fall 6: Eine deutsche nicht-staatliche Organisation bemächtigt sich eines Inlandsfluges. Es kann festgestellt werden, dass das Anschlagsziel in Frankreich liegt. Die Bundeswehr hat die Möglichkeit noch innerhalb des deutschen Hoheitsgebietes Maßnahmen gegen das Luftfahrzeug zu ergreifen.

Bei Angriffen auf andere NATO-Staaten ist insbesondere Art. 5 des NATOVertrages von Bedeutung. Dieser legt fest, dass ein Angriff auf einen Bündnispartner als Angriff gegen alle Bündnispartner gilt. Angriffe auf einen NATOStaat stehen daher (völker-)rechtlich einem Angriff auf die Bundesrepublik 599

Vgl. § 3 Abs. 1 Nr. 1 UZwGBw.

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2. Teil: Bestimmung verfassungsrechtlicher Begriffe

gleich. Auch verfassungsrechtlich kann ein Einsatz im Rahmen des NATOBündnisfalls zur Verteidigung erfolgen, da auch die Verteidigung im Rahmen eines Systems kollektiver Sicherheit eine originäre Verteidigungsaufgabe der Bundeswehr darstellt.600 Zu beachten ist, dass die NATO bereits vor der Feststellung des Bündnisfalls nach dem 11. September 2001 ausgeführt hat, dass auch Terror- oder Sabotageakte die Sicherheitsinteressen des Bündnisses berühren könnten.601 Paulke meint, ein Einsatz der Streitkräfte innerhalb der Bundesrepublik könne nicht durch den Bündnisfall gemäß Art. 5 NATO-Vertrag legitimiert werden.602 Im Anschluss prüft sie, ob Art. 24 Abs. 2 GG eine ausdrückliche Zulassung für den Einsatz der Bundeswehr im Innern darstellt, was sie jedoch verneint.603 Paulkes Argumentation berücksichtigt nicht genügend, dass nach zutreffender Ansicht auch die Verteidigung im Rahmen des NATO-Bündnisses unmittelbar zu dem Verteidigungsauftrag der Bundeswehr gehört. Dies ergibt sich auch durch den völkerrechtlichen Auslegungsansatz, denn Art. 51 UN-Charta nennt ausdrücklich auch die kollektive Selbstverteidigung. Beim Vorliegen des Bündnisfalls könnte die Bundeswehr damit auf Grundlage des Verteidigungsauftrages tätig werden, ohne dass ein Rückgriff auf Art. 24 Abs. 2 GG erforderlich wäre. Nach Baldus kommt es für den Bündnisfall nicht darauf an, ob der Angriff gegen einen Bündnispartner vom Territorium der Bundesrepublik selbst herrührt.604 Er verweist darauf, dass weder im WEU-Vertrag noch im NATO-Vertrag Ausnahmen für den Fall geregelt seien, dass ein Angriff von dem Territorium eines Mitgliedsstaates ausgeht.605 Diese Begründung ist jedoch etwas kurz geraten: So enthält Art. 11 Abs. 1 des NATO-Vertrages eine so genannte „protective clause“, die besagt, dass kein Vertragspartner durch seine vertraglichen Verpflichtungen gezwungen werden kann, gegen die eigene Verfassung zu verstoßen.606 Regelungen des Grundgesetzes gehen also im Konfliktfall den Verpflichtungen des NATO-Vertrages vor. 600 BVerwG, NJW 2006, 77 (80); K. Ipsen, in: K.-D. Schwarz (Hg.), Sicherheitspolitik, 615 (622 f.); W. Schroeder, JuS 1995, 398 (401). 601 Vgl. das Strategische Konzept der NATO vom April 1999, Nr. 24, http:// www.nato.int/germany/docu/p99-065d.htm. Siehe auch BMVg, Weißbuch 2006, 67: „Bei Angriffen auf Bündnispartner gilt die Beistandsverpflichtung. Diese kann auch bei der Abwehr asymmetrischer und terroristischer Angriffe eintreten.“ 602 K. Paulke, 96; ebenso P. Wilkesmann, NVwZ 2002, 1316 (1321). 603 K. Paulke, 97; a. A. Sachs-J. Kokott, Art. 87a Rdn. 26a; K. Doehring, in: J. Schwarz/Steinkamm (Hg.), Rechtliche und politische Probleme des Einsatzes der Bundeswehr „out of area“, 67 (71). 604 v. Mangoldt/Klein/Starck-M. Baldus, Art. 87a Abs. 2 Rdn. 47. 605 v. Mangoldt/Klein/Starck-M. Baldus, Art. 87a Abs. 2 Rdn. 47. 606 Vgl. BVerwG, NJW 2006, 77 (97 f.).

B. „Verteidigung‘‘ im Sinne des Art. 87a Abs. 1, 2 GG

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Insbesondere könnte die Regelung des Art. 87a Abs. 2 GG Verpflichtungen des NATO-Vertrages verdrängen oder modifizieren. Voraussetzung für den Bündnisfall und damit auch für den Einsatz der Bundeswehr zur Verteidigung ist, dass ein bewaffneter Angriff von außen vorliegt. Ein Außenbezug im Sinne des Bündnisfalls liegt dabei nur dann vor, wenn der Angriff von außerhalb des Gebietes der Mitgliedsstaaten der NATO ausgeht oder zumindest von außerhalb dieses Gebietes gesteuert oder unterstützt wird.607 In Bezug auf die Anschläge des 11. Septembers 2001 ist daher festzuhalten, dass das Wort „abroad“ in der Formulierung „that this attack was directed from abroad“ nicht „außerhalb der Vereinigten Staaten“, sondern „außerhalb des Gebietes der Mitgliedsstaaten der NATO“ bedeutet. Die Kehrseite des Grundsatzes des Art. 5 NATO-Vertrag, dass ein Angriff auf einen Mitgliedsstaat einen Angriff auf alle Mitgliedsstaaten darstellt, liegt also darin, dass der Angriff von außerhalb der NATO-Mitgliedstaaten herrühren muss. Dies wird schon dadurch belegt, dass ein Angriff eines Mitgliedsstaates gegen einen anderen keinen Bündnisfall im Sinne des Art. 5 NATO-Vertrag auslöst. Das Gleiche gilt, wenn Angriffe von dem Territorium eines Mitgliedsstaates ausgehen. Dies schließt nicht aus, dass die französischen Streitkräfte den Angriff auf Grundlage ihres eigenen Verteidigungsauftrages abwehren, denn aus französischer Sicht liegt ein Angriff von außen vor. Damit wird deutlich, dass sich bei der Feststellung des NATO-Bündnisfalls die Blickrichtung verändert: Im Rahmen des nationalen Verfassungsrechts ist es ausreichend, dass der Angriff außerhalb des eigenen Staatsgebietes herrührt; für den NATO-Bündnisfall muss der Angriff von außerhalb des Gebietes der NATO-Mitgliedsstaaten ausgehen. Daher wäre im Fall 6 kein Verteidigungseinsatz der Bundeswehr zulässig. Denkbar sind aber auch Fälle, in denen nicht-staatliche Angreifer mit einem Luftfahrzeug außerhalb des NATO-Gebietes starten und durch den Luftraum der Bundesrepublik fliegen, um einen anderen NATO-Mitgliedsstaat anzugreifen. Hier würde ein Angriff von außen im Sinne des Art. 5 des NATO-Vertrages auf den betroffenen Staat vorliegen und damit der Bündnisfall eintreten. Die Bundeswehr könnte in einem derartigen Fall also direkt auf Grundlage des Verteidigungsauftrages tätig werden. Ein Rückgriff auf Art. 24 Abs. 2 GG wäre nicht erforderlich. Insofern erübrigt sich die Diskussion, ob Art. 24 Abs. 2 GG eine ausdrückliche Zulassung im Sinne des Art. 87a Abs. 2 GG für den Streitkräfteeinsatz außerhalb des Verteidigungsauftrages darstellt.608 607 NATO Press Release (2001), 214, www.nato.int/docu/pr/2001/p01-124e.htm: „The Council agreed, that if it is determined that this attack was directed [Hervorhebung des Verf.] from abroad against the United States, it shall be regarded as an action covered by Article 5 of the Washington treaty [. . .].“ 608 Ablehnend K. Paulke, 97; a. A. Sachs-J. Kokott, Art. 87a Rdn. 26a.

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2. Teil: Bestimmung verfassungsrechtlicher Begriffe

Auch in der Fallgestaltung, dass sich der Angriff auf den ersten Blick nicht gegen die Bundesrepublik richtet, kann es zu einer mittelbaren Schädigung innerhalb der Bundesrepublik kommen. Lorse bildet das Beispiel, dass mittels eines innerhalb der Bundesrepublik gestarteten Luftfahrzeuges ein atomarer Unglücksfall auf französischer Seite im deutsch-französischen Grenzgebiet herbeigeführt werden soll.609 Da die Bundeswehr – wie soeben festgestellt – nicht über die Konstruktion des Bündnisfalls tätig werden kann, stellt sich die Frage, ob angesichts der mittelbaren Gefahrenlage nicht direkt auf den Verteidigungsauftrag zurückgegriffen werden kann.610 Dies ist zu bejahen, soweit ein Schadensausmaß zu befürchten ist, das mit einem direkten Angriff auf die Bundesrepublik vergleichbar ist. In diesem Fall dürfte die Bundeswehr jedenfalls innerhalb des Luftraums der Bundesrepublik zur Verteidigung tätig werden, soweit eine Gefahr von außen vorliegt. Es können also Parallelen zu den Grundsätzen der Eigensicherung der Streitkräfte gegenüber mittelbaren Gefährdungen gezogen werden.

IX. Beurteilungsspielraum bezüglich der Verteidigung Nachdem die eigentlichen Voraussetzungen eines Einsatzes der Streitkräfte zur Verteidigung herausgearbeitet worden sind, stellt sich in einem zweiten Schritt die Frage, wie festgestellt werden kann, ob ein Fall der Verteidigung vorliegt. Dieses Problem stellte sich viele Jahre, in denen ein massiver konventioneller Angriff auf die Bundesrepublik zu befürchten war, nicht in dem Maße, wie es heute der Fall ist. So wurde vertreten, im Allgemeinen sei die Vermutung eines Angriffs nur dann begründet, wenn fremde bewaffnete Militärflugzeuge oder Raketen unerlaubt in den deutschen Luftraum eindringen.611 Vor diesem Hintergrund ist zu erklären, dass sich die Literatur nur vereinzelt mit einem Beurteilungsspielraum im Zusammenhang mit dem Einsatz zur Verteidigung auseinandergesetzt hat. Ausführungen zum „Prognose-Problem“ behandeln lediglich den Bereich der präventiven Verteidigung gegen einen drohenden Angriff im Sinne des Art. 115a Abs. 4 GG.612 In der Rechtsprechung finden sich Tendenzen zur Anerkennung eines Beurteilungsspielraums,613 allerdings beziehen sich diese Entscheidungen nicht ausdrücklich auf einen Kampfeinsatz zur Verteidigung.

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J. Lorse, Die Verwaltung 38 (2005), 471 (489). Vorausgesetzt, dass der Angriff nach den dargestellten Grundsätzen nicht von innerhalb der Bundesrepublik herrührt. 611 M. Zulegg, ZLW 1975, 189 (192). 612 Maunz/Dürig-R. Herzog, Art. 115a Rdn. 34; C. v. Bülow, Einsatz der Streitkräfte zur Verteidigung, 127 f.; K. Ipsen, DÖV 1971, 583 (584). 613 Vgl. BVerwGE 97, 203 (209). 610

B. „Verteidigung‘‘ im Sinne des Art. 87a Abs. 1, 2 GG

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Die Problematik ist jedoch von erheblicher Bedeutung, denn gerade bei Zwischenfällen in der Luft dürfte eine Tatsachenfeststellung besonders schwierig sein.614 Zur Klärung wird im Folgenden nach grundsätzlichen Ausführungen hinsichtlich der Entscheidungskompetenz für Einsätze zur Verteidigung auf einen tatsächlichen Luftzwischenfall am 11. September 1972 zurückgegriffen. 1. Entscheidungskompetenz für Einsätze zur Verteidigung Die grundsätzliche Fragestellung, welches Organ für die Entscheidung über den Einsatz zur Verteidigung zuständig ist, ist stark durch die Diskussion über das Erfordernis eines konstitutiven Parlamentsvorbehalts für den Einsatz bewaffneter Streitkräfte überlagert.615 Diesem Erfordernis ist jedoch eine grundsätzliche Entscheidung über den Einsatz zur Verteidigung vorgelagert, da der Bundestag insoweit kein Initiativrecht hat.616 Das Grundgesetz enthält keine ausdrückliche Regelung für die Entscheidungskompetenz für den Einsatz auf Grundlage des Verteidigungsauftrages. Allerdings folgt aus der Formulierung des Art. 87a Abs. 1 Satz 1 GG „Der Bund [Hervorhebung des Verf.] stellt Streitkräfte zur Verteidigung auf“ und der Natur der Bundeswehr, dass die Entscheidungskompetenz jedenfalls bei einem Bundesorgan liegt. Welches Bundesorgan konkret entscheidungsbefugt ist, ist dagegen nicht auf den ersten Blick ersichtlich. Jedenfalls sagt die Regelung über die Feststellung des Verteidigungsfalls in Art. 115a GG nichts über die Entscheidungskompetenz aus,617 da bereits nachgewiesen worden ist, dass die Begriffe Verteidigungsfall und Verteidigung nicht identisch sind.618 a) Meinungsstand Überwiegend wird mit einem Vergleich zu den Regelungen in Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG und Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG argumentiert, welche die Entscheidungskompetenz für Sekundäreinsätze der Streitkräfte der Bundesregierung als Kollegialorgan zuweisen.619 Dieser Gedanke müsse auch auf einen Einsatz zur Verteidigung übertragen werden. Daher könne die Bundesregierung nur als Kollegium über einen Verteidigungseinsatz entscheiden.620 614

Vgl. K. Hailbronner, Luftgrenzen, 44. Siehe dazu auch unten 3. Teil C. II. 1. d) cc). 616 BVerfGE 90, 286 (389); T. Schaefer, 175 f. 617 C. v. Bülow, Einsatz der Streitkräfte zur Verteidigung, 207. 618 Siehe oben 2. Teil B. II. 619 Siehe dazu unten 3. Teil C. II. 1. d) aa). 620 K. Kersting, Bündnisfall und Verteidigungsfall, 204; C. v. Bülow, Einsatz der Streitkräfte zur Verteidigung, 213 f.; R. Geiger, 377 f.; K. Ipsen, in: K.-D. Schwarz (Hg.), Sicherheitspolitik, 615 (626); ders., DÖV 1971, 583 (587). 615

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2. Teil: Bestimmung verfassungsrechtlicher Begriffe

Andere Ansichten sind in der Literatur kaum zu finden. Allerdings führt Steinkamm beiläufig aus, dass „alle übrigen Exekutivbefugnisse“ außer die Befugnisse des Bundespräsidenten zur Verleihung von Orden- und Ehrenzeichen sowie die Ernennung und Entlassung der Offiziere und Unteroffiziere (Art. 60 Abs. 1 GG) und die Feststellung des Verteidigungsfalls gemäß Art. 115a GG dem Bundesminister der Verteidigung zustehen.621 Da sich Steinkamm jedoch nicht ausführlich mit der Entscheidungskompetenz bezüglich eines Einsatzes zur Verteidigung auseinandersetzt, ist fraglich, ob er diese Entscheidung tatsächlich dem Bundesminister der Verteidigung zuweisen will. b) Eigene Ansicht Die erstgenannte Auffassung kann nicht überzeugen. Fraglich ist bereits, ob durch die Regelung der Befehls- und Kommandogewalt in Art. 65a GG überhaupt eine planwidrige Lücke im Grundgesetz existiert, die einer Schließung durch eine Analogiebildung zu Art. 35 Abs. 3 Satz 1, 87a Abs. 4 Satz 1 GG bedarf.622 Jedenfalls fehlt es bei einem Einsatz zur Verteidigung an einer vergleichbaren Interessenlage zu Art. 35 Abs. 3 Satz 1, 87a Abs. 4 Satz 1 GG: Zum einen ist die Verteidigung eine Bundesaufgabe; eine Beeinträchtigung der Länderbelange ist daher – anders als beim Einsatz im überregionalen Katastrophennotstand nach Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG – nicht zu befürchten.623 Zum anderen richtet sich der Verteidigungseinsatz in der Regel nicht final gegen die eigene Bevölkerung wie der Einsatz nach Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG. Grundsätzlich hat der Bundesminister der Verteidigung gemäß Art. 65a GG die Befehls- und Kommandogewalt über die Streitkräfte. Erst beim Vorliegen des Verteidigungsfalls geht diese gemäß Art. 115b GG auf den Bundeskanzler über. Solange der Verteidigungsfall nicht festgestellt ist, kommt dem Bundesminister der Verteidigung die Entscheidungskompetenz für den Einsatz der Streitkräfte zu,624 soweit diese Befugnis nicht – wie in Art. 35 Abs. 3 Satz 1 und Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG – der Bundesregierung zugewiesen ist. Eine Kollegialentscheidung könnte allenfalls erforderlich sein, wenn der Einsatz zur Verteidigung im Ausland stattfinden soll, da in diesen Fällen ein deut-

621

A. A. Steinkamm, FS Ritter, 1995, 325 (336). So H. Schwarz, 287, der die genannten Vorschriften analog anwendet. 623 Vgl. BVerfG, NJW 2006, 751 (756 Abs. 113). Das Bundesverfassungsgericht begründet das Erfordernis der Kollegialentscheidung der Bundesregierung für den Einsatz nach Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG unter anderem mit dem Eingriff in Länderbelange. 624 Vorbehaltlich eines etwaigen konstitutiven Parlamentsvorbehalt für den Einsatz bewaffneter Streitkräfte. 622

B. „Verteidigung‘‘ im Sinne des Art. 87a Abs. 1, 2 GG

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licher ressortübergreifender Charakter vorliegen würde.625 Unbeschadet dessen wird der Bundesminister der Verteidigung schon wegen der politischen Brisanz seiner Entscheidung eine Zustimmung der Bundesregierung oder zumindest des Bundeskanzlers einholen, soweit dies der Sachlage nach überhaupt möglich ist. Zu beachten ist, dass die Befehls- und Kommandogewalt des Bundesministers der Verteidigung nicht außerhalb der Richtlinienkompetenz des Bundeskanzlers und des Kollegialprinzips nach Art. 65 Satz 1 und 3 GG steht.626 Der Bundesminister der Verteidigung kann sich also nicht unter Berufung auf Art. 65a GG über eine Entscheidung der Bundesregierung hinwegsetzen. Dies ändert jedoch nichts daran, dass er über den Einsatz zur Verteidigung entscheiden kann, solange keine Entscheidung der Bundesregierung vorliegt. Gegen dieses Ergebnis kann auch nicht mit der Regelung des § 15 Abs. 1 GO BReg627 argumentiert werden.628 Grundsätzlich wird man bei einem Verteidigungseinsatz der Bundeswehr von einer „Angelegenheit von allgemeiner innen- oder außenpolitischer Natur“ ausgehen können.629 Allerdings stellt die GO BReg lediglich untergeordnetes Regierungsinnenrecht dar und bezweckt eine politische Abstimmung in besonderen Fällen, ohne jedoch eine verfassungsrechtliche Bindungswirkung zu besitzen.630 § 15 Abs. 1 GO BReg ist daher nicht in der Lage, die Befehls- und Kommandogewalt des Bundesministers der Verteidigung gemäß Art. 65a GG einzuschränken. Auch für den Einsatz der Streitkräfte zur Verteidigung ist wegen der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts eine parlamentarische Zustimmung erforderlich, soweit der Verteidigungsfall nicht festgestellt worden ist.631 Bei Angriffen aus dem Luftraum wird jedoch in der Regel ein Eilfall vorliegen, so dass die parlamentarische Zustimmung nachgeholt werden kann.632 625 Vgl. T. Stein, in: Frowein/T. Stein, Rechtliche Aspekte einer Beteiligung der Bundesrepublik Deutschland an Friedenstruppen der Vereinten Nationen, 17 (26); A. Hörchens, 25. 626 G. Hautmann, 206; A. Siedschlag, 115; C. v. Bülow, Einsatz der Streitkräfte zur Verteidigung, 213; S. Detterbeck, HdBStR, Band III, § 66 Rdn. 39; G. C. v. Unruh, FS H. J. Wolff, 1973, 109 (136); J. Lorse, DÖV 2004, 329 (330). 627 § 15 Abs. 1 GO BReg lautet: „Der Bundesregierung sind zur Beratung und Beschlussfassung zu unterbreiten alle Angelegenheiten von allgemeiner innen- oder außenpolitischer, wirtschaftlicher, sozialer, finanzieller oder kultureller Bedeutung [. . .].“ 628 Vgl. S. J. Lang, 155; A. Siedschlag, 119; T. Stein, FS Doehring, 1989, 935 (943 Fn. 43); R. Thalmair, ZRP 1993, 201 (204); M. Pechstein, JURA 1991, 461 (467). 629 Die außenpolitische Natur könnte sich insbesondere dadurch ergeben, dass durch einen Abschuss ausländische Staatsbürger getötet werden. 630 M. Schröder, HdBStR, Band II, § 50 Rdn. 24; Sachs-M. Oldiges, Art. 65 Rdn. 31. 631 BVerfGE 90, 286 (387); vgl. S. C. Spies, FS Fleck, 2004, 531 (537); D. Wiefelspütz, NVwZ 2005, 496; a. A. für den Bündnisfall T. Stein/H. Kröninger, JURA 1995, 254 (261). 632 Vgl. BVerfGE 90, 286 (388).

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2. Teil: Bestimmung verfassungsrechtlicher Begriffe

2. Luftzwischenfall am 11. September 1972 Am 11. September 1972 kam es zu einem Luftzwischenfall während der Abschlussfeier der Olympischen Spiele in München: Der Chef des polizeilichen Leitungsstabes bei den Olympischen Spielen meldete dem damaligen Bundesminister der Verteidigung Georg Leber, dass in Stuttgart ein Flugzeug gestohlen worden ist, das von Terroristen dazu benutzt werden sollte, Bomben auf die Abschlussfeier zu werfen. Die Polizei habe um Unterstützung durch die Luftwaffe gebeten.633 Die Olympiade war bereits durch die Geiselnahme und anschließende Tötung von Angehörigen der israelischen Olympiamannschaft durch die palästinensische Terrorgruppe „Schwarzer September“ überschattet worden, so dass die Sicherheitslage stark angespannt war. In Folge der Überprüfung des Luftraums wurde bei Ulm ein nicht identifiziertes Luftfahrzeug mit Flugrichtung nach München erkannt. Leber gab den Befehl zum Start einer Alarmrotte, die scharfe Waffen trug. Kurz darauf meldete die Luftraumüberwachung, das Luftfahrzeug sei außer Kontrolle und wahrscheinlich zum Tiefflug übergegangen, um sich der Radarüberwachung zu entziehen. Daraufhin befahl Leber die Alarmrotte zur Luftraumüberwachung nach München. Wenige Minuten später wurde das Flugzeug im Anflug auf München gemeldet.634 Kurz bevor das Flugzeug die Nähe des Olympiastadions erreichte, wurde es als finnisches Zivilflugzeug identifiziert, dessen Radaranlage zeitweise ausgefallen war.635

Es war Leber nach eigenen Angaben völlig klar, dass eine Heranziehung der Bundeswehr „eine Fülle staatsrechtlicher und politischer Probleme in sich barg“.636 Dennoch war es für ihn „unvorstellbar, dass der deutsche Verteidigungsminister es zulassen durfte“, dass auf das Olympiastadion eine Bombe abgeworfen werden würde.637 Möglicherweise kann diese Fülle staatsrechtlicher Probleme gelöst werden. Zum besseren Verständnis soll der Ausgangsfall leicht abgewandelt werden: Die Abfangjäger der Luftwaffe stellen fest, dass es sich tatsächlich um ein gestohlenes Luftfahrzeug mit Kurs auf München handelt. Auf Grund einer Sichtidentifizierung wird festgestellt, dass das Luftfahrzeug wahrscheinlich von ausländischen Staatsangehörigen gesteuert wird. Versuche zur Kontaktaufnahme bleiben erfolglos. Der wiederholten Forderung, den Abfangjägern zu einem Flugplatz zu folgen, kommen die Piloten nicht nach. 633

G. Leber, 227 f. G. Leber, 229. 635 G. Leber, 230. 636 G. Leber, 228; siehe auch K. Odendahl, Die Verwaltung 38 (2005), 425: „Eine gesetzliche Grundlage für das Handeln des Verteidigungsministers gab es 1972 nicht.“ Diese Aussage ist nicht ganz korrekt. Es ist lediglich zutreffend, dass es keine gesetzliche Grundlage für einen Abschuss des Luftfahrzeuges gab. Der Befehl an die Alarmrotte, den Sachverhalt in Bezug auf einen möglichen Angriff aufzuklären, war dagegen verfassungsrechtlich zulässig; siehe oben 2. Teil A. II. 2. c). 637 G. Leber, 229. 634

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Bei einer derartigen Situation würde vieles dafür sprechen, ein Handeln der Bundeswehr direkt auf den Verteidigungsauftrag zu stützen, obwohl das Luftfahrzeug innerhalb der Bundesrepublik gestartet ist. Angesichts des Anschlages während der Olympiade durch die palästinensische Terrorgruppe „Schwarzer September“, deren Vorgehen von außen geplant und unterstützt worden ist, wäre es in der Abwandlung sehr wahrscheinlich gewesen, dass tatsächlich ein Angriff von außen vorliegt. Ebenso wäre durch den Abwurf von Bomben auf das Olympiastadion ein kriegsanaloger Schaden zu erwarten gewesen.638 Die Voraussetzungen des Handelns der Streitkräfte zur Verteidigung wären also gegeben gewesen, wenn die genannten Annahmen zutreffend gewesen wären. Allerdings hätte nicht sicher festgestellt werden können, ob diese Annahmen tatsächlich zutreffend gewesen wären. Fraglich ist daher, ob die Bundeswehr auch in einer nicht vollständig aufgeklärten Tatsachenlage zur Verteidigung tätig werden darf. Dabei ist zu beachten, dass durch das zusätzliche Erfordernis eines drohenden, kriegsanalogen Zerstörungsausmaßes nicht nur die Tatsachenfeststellung Schwierigkeiten bereitet, sondern auch ein Prognoseproblem auftreten kann. a) Meinungsstand Überwiegend wird in der Literatur auf eine ex-ante-Betrachtung abgestellt.639 Dem Bundesministerium der Verteidigung komme dabei eine Einschätzungsprärogative zu, da es nicht angehen könne, dass bei einem unklaren Sachverhalt zunächst Polizeikräfte gegen einen möglicherweise überlegenen Gegner tätig werden müssen.640 Es gehe nicht darum, ob „vielleicht ein Angriff von außen vorliegen könnte“;641 vielmehr komme es darauf an, dass im Rahmen einer exante-Betrachtung „bei verständiger Würdigung aller Umstände“ ein Angriff von außen oder von innen angenommen werden kann. Etwaige Unsicherheiten, die bei einer solchen Entscheidung bestünden, dürften nicht dazu führen, dass weder Bundeswehr noch Polizeikräfte gegen einen Angriff tätig werden können.642 Einige Stimmen gehen sogar soweit, dass im Zweifel auf Grundlage des Verteidigungsauftrages gehandelt werden könne.643 Ein Einsatz zur Verteidigung

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Vgl. G. Leber, 229. J. Isensee, FS P. Kirchhof, 2003, 7 (35); D. Wiefelspütz, NZWehrr 2005, 146 (149); ähnlich E. Schmidt-Jortzig, DÖV 2002, 773 (777) „ex tunc“; vgl. zu Auslegungsansätzen des Art. 59a GG a. F. mit Hilfe des strafrechtlichen Notwehrbegriffs D. Falge, 11 ff. 640 D. Wiefelspütz, Parlamentsvorbehalt, 25. 641 D. Wiefelspütz, NZWehrr 2005, 146 (149). 642 D. Wiefelspütz, NZWehrr 2005, 146 (149). 639

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2. Teil: Bestimmung verfassungsrechtlicher Begriffe

könnte demnach auch dann erfolgen, wenn unklar ist, ob ein Angriff von außen vorliegt.644 Andere bewerten die Frage eines Beurteilungsspielraums zurückhaltender. Sattler meint, ein Fall der Verteidigung sei nicht gegeben, wenn die entsprechenden Voraussetzungen nicht zu klären seien.645 Die bloße Möglichkeit eines Angriffs von außen sei nicht ausreichend. Vielmehr sei erforderlich, dass dies hinreichend wahrscheinlich ist.646 Teilweise wird sogar gefordert, es müsse zweifelsfrei feststehen, dass ein Angriff von außen vorliegt.647 Droege weist auf das Problem hin, dass durch die Bejahung einer ex-anteBetrachtung die Gefahr besteht, dass die in Art. 87a Abs. 2 GG enthaltene Auslegungsregel des „Gebots der strikten Texttreue“ unterlaufen werden könnte.648 Auch Gramm meint, die Prognoseunsicherheiten hätten keine Auswirkungen auf die grundgesetzliche Kompetenzverteilung. Keinesfalls dürfe ein Einsatz der Streitkräfte damit begründet werden, dass vielleicht ein Angriff von außen vorliegen könnte.649 b) Bewertung Für die ex-ante-Betrachtung spricht zunächst ein Vergleich mit dem Selbstverteidigungsrecht gemäß Art. 51 UN-Charta. Ungeachtet der Probleme bezüglich des Rechts zur präventiven Selbstverteidigung reicht es aus, dass aus einer ex-ante-Sicht ein bewaffneter Angriff vorliegt.650 In der US-amerikanischen Literatur wird zum Teil sogar vertreten, es sei genügend, die Voraussetzungen des völkerrechtlichen Selbstverteidigungsrechts nach der Durchführung der Maßnahmen zur Selbstverteidigung nachzuweisen.651 Ob diese weite Ansicht zutrifft, ist zweifelhaft.652 Richtig ist, dass es ausreichen kann, die konkreten Voraussetzungen des Selbstverteidigungsrechts erst nach der Abwehr eines bewaff643 J. Wieland, in: Fleck (Hg.), Rechtsfragen der Terrorismusbekämpfung durch Streitkräfte, 167 (175): „Selbstverständlich umschließt der Verteidigungsbegriff aber auch Fälle, in denen nicht klar ist, ob Deutschland durch ein Luftfahrzeug von außen angegriffen wird.“ 644 J. Wieland, in: Fleck (Hg.), Rechtsfragen der Terrorismusbekämpfung durch Streitkräfte, 167 (175); D. Wiefelspütz, NZWehrr 2003, 45 (55 f.); P. Wilkesmann, NVwZ 2002, 1316 (1320). 645 H. Sattler, NVwZ 2004, 1286. 646 M. Droege, NZWehrr 2005, 199 (206); M. Zulegg, ZLW 1975, 189 (197). 647 H. Stein, 163. 648 Vgl. BVerfGE 90, 286 (357). 649 C. Gramm, NZWehrr 2003, 89 (91). 650 J. Delbrück, GYIL 44 (2001), 9 (11). 651 T. M. Franck, AJIL 95 (2001), 839 (842). 652 Vgl. J. I. Charney, AJIL 95 (2001), 835 (836).

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neten Angriffs darzulegen, wenn die Führung des Nachweises aus tatsächlichen oder zeitlichen Gründen nicht zu einem früheren Zeitpunkt möglich gewesen ist. Allerdings müssen zum Zeitpunkt der Ausübung des Selbstverteidigungsrechts Anhaltspunkte gegeben sein, die auf das Vorliegen eines bewaffneten Angriffs schließen lassen. aa) Vergleich mit Sekundäreinsätzen der Streitkräfte Fraglich ist, ob die Gedanken zum völkerrechtlichen Selbstverteidigungsrecht auch auf die verfassungsrechtlichen Vorschriften übertragen werden können. Dafür spricht zunächst die Regelung für den Einsatz der Streitkräfte im inneren Notstand gemäß Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG. Hiernach ist der Einsatz der Streitkräfte bereits zur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes verfassungsrechtlich zulässig. Es stellt sich daher auch hier ein Prognose- und Tatsachenfeststellungsproblem, da die Entscheidungsträger eine drohende Gefahr zu beurteilen haben. Der Begriff „drohende Gefahr“ in Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG ist, ebenso wie in Art. 91 GG,653 in Anlehnung an allgemeine gefahrenabwehrrechtliche Grundsätze zu definieren.654 Demnach liegt eine drohende Gefahr vor, wenn angesichts der objektiven Sachlage nach der Lebenserfahrung mit einer gewissen Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen ist, dass es bei dem Unterlassen von Abwehrmaßnahmen zum Eintritt eines Schadensereignisses kommen wird.655 Im Umkehrschluss bedeutet dies natürlich auch, dass der Einsatz der Streitkräfte im Schadensfall erst recht zulässig ist.656 Das Gleiche gilt im Katastrophenfall, wenn man annimmt, dass ein präventiver Einsatz zur Abwehr eines unmittelbar drohenden besonders schweren Unglücksfalls zulässig ist.657 Über den Grad der Wahrscheinlichkeit besteht keine Übereinstimmung. Die Bandbreite der Ansichten reicht von einer hinreichenden bis zu einer ernsthaften Wahrscheinlichkeit.658 Ohne die Feinheiten dieser praktisch bedeutungslosen Meinungsvielfalt zu erörtern, kann konstatiert werden, dass eine drohende Gefahr im Sinne von Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG der konkreten Gefahr im Sinne des Polizeirechts entspricht.659 Eine abstrakte Gefahr, die lediglich eine theoretische Verletzungsgefahr beinhaltet, reicht dagegen nicht aus.660 653

P. Eichhorn, 159. Statt vieler J.-P. Fiebig, 335 m.w. N. in Fn. 62; a. A. ohne überzeugende Begründung R. Schikowski, 34. 655 J.-P. Fiebig, 335; P. Eichhorn, 160. 656 J.-P. Fiebig, 335; J. Pannkoke, 216. 657 Siehe dazu unten 3. Teil C. II. 1. b) bb). 658 Vgl. die Nachweise bei J.-P. Fiebig, 335. 654

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2. Teil: Bestimmung verfassungsrechtlicher Begriffe

Im Ergebnis können bei einem Sekundäreinsatz der Streitkräfte nach Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG oder gemäß Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG Unsicherheiten bezüglich des tatsächlichen Schadenseintritts bestehen; dennoch können die Streitkräfte zur Gefahrenabwehr eingesetzt werden. Nach den allgemeinen gefahrenabwehrrechtlichen Grundsätzen kommt es lediglich darauf an, dass nach den Umständen des Einzelfalles eine drohende Gefahr vorliegt. Der Bundesregierung beziehungsweise den zuständigen Landesorganen im Fall des Art. 35 Abs. 2 Satz 2 GG muss daher ein Entscheidungsspielraum anhand der festgestellten Tatsachenlage zukommen. Sollte sich ex-post herausstellen, dass die Voraussetzungen des Sekundäreinsatzes nicht vorlagen, führt dies nicht automatisch zur Verfassungswidrigkeit des Einsatzes. In Anlehnung an das Polizeirecht ist es ausreichend, dass die Tatsachenfeststellungen im Rahmen einer vernünftigen Betrachtung den Schluss einer drohenden Gefahr zuließen. Ausreichend für den Sekundäreinsatz der Streitkräfte ist daher auch eine Anscheinsgefahr. Damit wird deutlich, dass die Anerkennung eines Beurteilungsspielraums hinsichtlich der Voraussetzungen eines Sekundäreinsatzes der Streitkräfte noch kein Verstoß gegen die Begrenzungsfunktion des Art. 87a Abs. 2 GG darstellt. Da bereits für die Sekundäreinsätze der Streitkräfte, die strengeren Anforderungen als der Einsatz zur Verteidigung unterliegen, eine ex-ante-Betrachtung ausreichend ist, spricht vieles dafür, dass eine derartige Betrachtung auch für den Verteidigungseinsatz genügt. bb) Übertragbarkeit auf den Verteidigungsauftrag Auch ein Einsatz auf Grundlage des Verteidigungsauftrages kann sich gegen eine drohende Gefahr richten, denn es wäre lebensfremd zu fordern, dass zunächst der Schaden eintreten müsste, bevor die Bundeswehr Verteidigungshandlungen unternehmen darf. Wenn sogar für den Eintritt des weiterreichenden Verteidigungsfalls gemäß Art. 115a Abs. 1 GG bereits ein drohender Angriff genügt, so muss eine drohende Gefahr erst recht für den Einsatz der Streitkräfte zur Verteidigung ausreichen.661 Demnach ist, soweit noch kein Schaden eingetreten ist, von vornherein jeder Verteidigungseinsatz mit Prognoseproblemen behaftet, ohne dass damit ein Einsatz zur Verteidigung ausgeschlossen wäre. 659 K. Stern, Staatsrecht, Band II, 1470; Sachs-K. Windhorst, Art. 91 Rdn. 10; J.-P. Fiebig, 336. 660 P. Eichhorn, 159. 661 In diesem Zusammenhang geht es nicht um die Anerkennung eines präventiven völkerrechtlichen Selbstverteidigungsrechts, sondern darum, dass die Bundeswehr einen gegenwärtigen Angriff auch dann auf Grundlage des Verteidigungsauftrages abwehren kann, wenn sich der Angriff noch nicht in einem Schadenseintritt realisiert hat.

B. „Verteidigung‘‘ im Sinne des Art. 87a Abs. 1, 2 GG

151

Wie auch bei den Sekundäreinsätzen muss dem Entscheidungsträger ein Beurteilungsspielraum zukommen. Der Bundesminister der Verteidigung muss nach pflichtgemäßem Ermessen die zur Verfügung stehenden Tatsachen würdigen und auf Grundlage dieser Würdigung auch die Prognose treffen, welche Folgen durch die Gefahr zu erwarten sind.662 Wichtige Kriterien für die Entscheidung sind insbesondere Informationen zu Kurs, Geschwindigkeit und Flughöhe, die auf einen Missbrauch eines Luftfahrzeuges als Waffe hindeuten.663 Neben diesen Kriterien kann auch auf Geheimdienstinformationen und andere Erkenntnisse zurückgegriffen werden. Dies wird auch in der Praxis umgesetzt, denn im „Nationalen Lage- und Führungszentrum – Sicherheit im Luftraum“ in Kalkar fließen Informationen von Geheimdiensten und anderen Staaten zusammen.664 Vor diesem Hintergrund ist eine sachgerechte Bewertung der Lage nicht generell ausgeschlossen. Wie im allgemeinen Polizeirecht, kommt es bei der Beurteilung der Gefahr auch auf subjektive Kriterien an.665 Danach ist es ausreichend, wenn der Bundesminister der Verteidigung aufgrund seiner Kenntnis der Tatsachenlage vertretbar davon ausgeht, dass ein Angriff von außen vorliegt, der ein ausreichendes Schadensausmaß verursachen könnte. Auch ein „Anscheins-Angriff von außen“ rechtfertigt demnach einen Einsatz zur Verteidigung. Die Entscheidung des Bundesministers der Verteidigung und das hierauf gestützte Handeln von Soldaten wären also aus wehrverfassungsrechtlicher Sicht auch dann verfassungsgemäß, wenn ex-post festgestellt wird, dass die Voraussetzungen eines Einsatzes zur Verteidigung nicht vorlagen. Es darf jedoch nicht übersehen werden, dass durch die Anerkennung eines weiten Beurteilungsspielraums bezüglich der Voraussetzungen des Einsatzes zur Verteidigung die Begrenzungsfunktion des Art. 87a Abs. 2 GG unterlaufen werden könnte. Daher ist es abzulehnen, im Zweifel von einem Angriff von außen auszugehen. Eine solche Vermutungsregel für einen Einsatz zur Verteidigung wäre mit Art. 87a Abs. 2 GG nicht vereinbar. Es muss hinreichend wahrscheinlich sein, dass ein Angriff von außen gegeben ist, der nicht durch die Polizeikräfte abgewehrt werden kann. Eine solche hinreichende Wahrscheinlichkeit ist im Zweifel immer dann anzunehmen, wenn der Angriff von einem im Ausland gestarteten Luftfahrzeug ausgeht. Handelt es sich jedoch um ein innerhalb der Bundesrepublik gestartetes Flugzeug, so liegt es nahe, zunächst einen Angriff von innen zu vermuten. Allerdings wurde oben nachgewiesen, dass auch die Angriffe international agierender Gruppen einen Einsatz zur Verteidigung möglich machen können, selbst wenn die Angriffshandlungen unmittelbar innerhalb 662 663 664 665

Vgl. L. Horn, 99. L. Horn, 99. Vgl. R. Niklaus, 54. Vgl. C. Gusy, Polizeirecht, Rdn. 118 ff.

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2. Teil: Bestimmung verfassungsrechtlicher Begriffe

der Bundesrepublik stattfinden. Bei einem Inlandsflug muss daher auf zusätzliche Informationen, wie zum Beispiel die Passagierliste des Flugzeuges, zurückgegriffen werden. Es wäre auch vertretbar, einen Angriff von außen anzunehmen, wenn Geheimdienstinformationen auf die konkrete Begehung von Anschlägen durch international agierende Gruppen hindeuten. Hinweise darauf, dass Selbstmordattentäter ein Luftfahrzeug zum Absturz bringen wollen, können ein gewisses Indiz für eine Steuerung von außen sein, denn das Selbstmordattentat ist als Mittel zur Anschlagsbegehung für inländische Angreifer eher untypisch. Auch bei der Frage der Eigensicherung der Streitkräfte kommt dem Bundesminister der Verteidigung ein Beurteilungsspielraum zu.666 Allerdings müssen hier konkrete Hinweise dafür vorliegen, dass sich ein Angriff gegen die Streitkräfte richtet oder diese wesentlich in Mitleidenschaft ziehen soll. Eine zurückhaltende Beurteilung ist wegen der Begrenzungsfunktion des Art. 87a Abs. 2 GG geboten. Diese Zurückhaltung darf jedoch nicht dazu führen, dass eine Eigensicherung der Streitkräfte nicht mehr effektiv gewährleistet werden kann. Das Spannungsverhältnis zwischen der Gewährleistung einer effektiven Eigensicherung gegen Angriffe von innen und der Beachtung der Begrenzungsfunktion des Art. 87a Abs. 2 GG kann nur im Rahmen einer pflichtgemäßen Beurteilung des Einzelfalls aufgelöst werden. Keinesfalls darf der Aspekt der Eigensicherung jedoch dazu missbraucht werden, um großzügig gegen Angriffe von innen auf Grundlage des Verteidigungsauftrages vorzugehen. 3. Gerichtliche Überprüfbarkeit Weiterhin ist zu klären, ob und in welchem Umfang die Entscheidung über den Einsatz zur Verteidigung (verfassungs-)gerichtlich überprüfbar ist. Eine Überprüfbarkeit wird zum Teil mit dem Argument, es handele sich um eine politische Entscheidung, abgelehnt.667 a) „Judicial Restraint“ im angloamerikanischen Rechtskreis Besonders im angloamerikanischen Rechtskreis wird die Entscheidung über Krieg und Frieden und damit auch über einen Verteidigungseinsatz der Streitkräfte der politischen Führung zugewiesen. Eine gerichtliche Überprüfung findet im Wesentlichen nicht statt. Zur Begründung werden die Grundsätze der 666 Angriffe, die sich unmittelbar gegen eine bestimmte militärische Einrichtung oder Einheit richten, können auch eigenständig von der Bundeswehr selbst bekämpft werden, ohne dass eine Entscheidung des Bundesministers der Verteidigung erforderlich ist. Die Entscheidungsbefugnis liegt dann bei den jeweilig zuständigen Vorgesetzten. 667 E. Beckert, NZWehrr 1984, 9 (22).

B. „Verteidigung‘‘ im Sinne des Art. 87a Abs. 1, 2 GG

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„königlichen Prägorative“ beziehungsweise die „Act of State Doctrine“ herangezogen.668 Diese Rechtsauffassung ist durch eine jüngste Entscheidung des britischen High Court of Justice zur Rechtmäßigkeit der britischen Beteiligung am Irak-Krieg bestätigt worden.669 Eine (politische) Überprüfung der Exekutiventscheidung bleibt dem Parlament vorbehalten.670 Diese Gedanken sind auch im deutschen Rechtskreis aufgegriffen worden. So hat sich die Bundesregierung in der Vergangenheit in verfassungsgerichtlichen Verfahren auf die Grundsätze der „political question doctrine“ berufen,671 die der Supreme Court der Vereinigten Staaten als eine Selbstbeschränkung für die Überprüfung politischer Entscheidungen aufgestellt hat.672 In eine ähnliche Richtung argumentierten die Vertreter der Lehre vom justizfreien Hoheitsakt, nach deren Auffassung bestimmte „hochpolitische“ Handlungen, wie zum Beispiel Kriegshandlungen, keiner gerichtlichen Kontrolle unterliegen.673 b) Rechtsweggarantie gemäß Art. 19 Abs. 4 GG In der Bundesrepublik ist ein solches Verständnis durch die Regelung des Art. 19 Abs. 4 GG ausgeschlossen,674 nach der hoheitliche Entscheidungen nicht schlechthin einer gerichtlichen Kontrolle entzogen werden dürfen. Daher hat das Bundesverfassungsgericht auch die Argumentation der Bundesregierung mit den Grundsätzen der „political question doctrine“ nicht anerkannt.675 Ebenso wenig lässt die umfassende Bindungswirkung der Exekutive an Gesetz und Recht durch Art. 20 Abs. 3 GG einen rechtsfreien Raum zu, in dem hoheitliche Akte keiner richterlichen Kontrolle unterliegen.676 Die deutschen Gerichte 668

H. Barnett, 146 f. Vgl. H. Krieger, in: Fleck (Hg.), Rechtsfragen der Terrorismusbekämpfung durch Streitkräfte, 223 (228). 670 Vgl. hierzu A. W. Bradley/K. D. Ewing, 376 f. 671 Vgl. die Ausführungen der Bundesregierung zum Saarstreit bei F. Schuppert, 96; siehe zur „political question doctrine“ ausführlich E. Chemerinsky, § 2.8. 672 Vgl. ausführlich H. Schwarz, 68 ff. 673 H. Schneider, Gerichtsfreie Hoheitsakte, 33 f.; H. Ehmke, VVDStRL 20 (1963), 53 (76); U. Scheuner, FS Smend, 1952, 253 (291), der seine Auffassung über das Bestehen justizfreier Hoheitsakte vor dem Hintergrund der Geltung des Grundgesetzes relativiert; weitere Nachweise bei H. Schwarz, 303 f. 674 W. G. Grewe, HdBStR, Band III, § 77 Rdn. 92 m.w. N. in Fn. 168; vgl. zur Reichweite des Art. 19 Abs. 4 GG im Verteidigungsfall R. Mußgnug, Recht in Ost und West, Sondernummer 1983, 26 (29). 675 BVerfGE 4, 157 (161); 68, 1 (62). Interessant ist der Ansatz des US-amerikanischen Rechtswissenschaftlers Franck, der die Rechtsprechungspraxis des Bundesverfassungsgerichts heranzieht, um durch einen „rule of evidence“ Grundsatz die „political question doctrine“ zu ersetzen, vgl. T. M. Franck, Political Questions/Judicial Answers, 129 ff. 676 M. Jahn, 121 m.w. N. 669

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2. Teil: Bestimmung verfassungsrechtlicher Begriffe

haben auch in Fällen von hoher politischer Bedeutung677 eine umfassende Beweiserhebungskompetenz; sie sind nicht an die Auffassung der Exekutive gebunden.678 Weiterhin ist allgemein anerkannt, dass das Bundesverfassungsgericht die Voraussetzungen des Verteidigungsfalls überprüfen kann, da durch Abschnitt Xa. des Grundgesetzes der äußere Notstand gerade verrechtlicht werden sollte.679 Eine weitgehende Beschränkung des gerichtlichen Überprüfungsspielraums wäre im Übrigen auch mit dem Selbstverständnis des Bundesverfassungsgerichts als eigenständiges oberstes Verfassungsorgan (vgl. § 1 Abs. 1 BVerfGG) und gleichzeitig als „Hüter der Verfassung“ nicht vereinbar.680 Bei der Entscheidung über den Einsatz zur Verteidigung nach Art. 87a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 GG geht es jedoch nicht um die Feststellung des Verteidigungsfalls gemäß Art. 115a Abs. 1 GG. Die Möglichkeit der gerichtlichen Überprüfbarkeit der Feststellung des Verteidigungsfalls kann daher nicht ohne weiteres auf die Entscheidung über den Einsatz zur Verteidigung übertragen werden. Allerdings hat das Bundesverwaltungsgericht durch Urteil vom 21. Juni 2005 entschieden, dass die Voraussetzungen des Verteidigungsbegriffes im Sinne des Art. 87a Abs. 2 GG durch das jeweils zuständige Gericht überprüfbar seien.681 Diese grundsätzlich anzuerkennende gerichtliche Überprüfbarkeit lässt offen, wie weit der Umfang der gerichtlichen Kontrolle reicht. Dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts ist hierzu nichts zu entnehmen, da das Gericht keine Überprüfung vorgenommen hat.682 M. Jahn hat jüngst in seiner Habilitationsschrift zum Strafrecht des Staatsnotstandes eine „Verstärkung der Prüfungsintensität“ bei Einsätzen im Katastrophennotstand und nach Art. 87a Abs. 4 Satz 1 in Verbindung mit Art. 91 GG gefordert. Die Anerkennung eines nicht überprüfbaren, weiten Beurteilungsspielraums der Exekutive tendiere zur Anwendung der political-question-Doktrin und sei mit dem Grundgesetz nicht vereinbar.683 Auch wenn Jahn seine Aussa677 Vgl. aus jüngster Zeit zu den „politischen“ Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts R. C. van Ooyen, Der Begriff des Politischen des Bundesverfassungsgerichts, 196 ff. 678 Dabei darf nicht übersehen werden, dass das Bundesverfassungsgericht nicht über militärischen Sachverstand verfügt, so dass es die Einschätzung der militärischen Führung schon aus praktischen Gründen in vielen Fällen übernehmen wird, vgl. F. Schoch/R. Wahl, FS Benda, 1995, 265 (272). 679 Vgl. Graf Vitzthum, HdBStR, Band VII, § 170 Rdn. 54, der gleichzeitig auch einen „weiten Beurteilungsspielraum“ der handelnden Organe betont; vgl. zur Absicherung der Stellung des Bundesverfassungsgerichts durch Art. 115g GG E. Benda, FS von der Heydte, 2. Halbband, 1977, 793 (801 ff.). 680 Vgl. K. Stern, NWVBl. 1994, 241 (243). 681 BVerwG, NJW 2006, 77 (81). 682 Vgl. BVerwG, NJW 2006, 77 (81). 683 M. Jahn, 124.

B. „Verteidigung‘‘ im Sinne des Art. 87a Abs. 1, 2 GG

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gen nicht ausdrücklich auf den Einsatz der Streitkräfte zur Verteidigung bezieht, so könnte sein Ansatz dennoch auf die Überprüfbarkeit der Anwendung des Verteidigungsbegriffes übertragen werden. Zu beachten ist jedoch, dass das Bundesverfassungsgericht gerade in Fragen der Außen- und Sicherheitspolitik Zurückhaltung geübt und der Exekutive eine Einschätzungsprärogative eingeräumt hat, die lediglich durch das Willkürverbot beschränkt werde.684 In der so genannten Nachrüstungsentscheidung vom 18. Dezember 1984 heißt es: „Einschätzungen und politische Wertungen dieser Art obliegen der Bundesregierung. Das Grundgesetz zieht dieser Beurteilungsmacht nur die Grenze offensichtlicher Willkür. Das Bundesverfassungsgericht hat innerhalb dieser äußersten Grenze nicht nachzuprüfen, ob Einschätzungen und Wertungen dieser Art zutreffend oder unzutreffend sind, da es insoweit rechtlicher Maßstäbe ermangelt; sie sind politisch zu verantworten.“685

Ähnlich hat auch das Bundesverwaltungsgericht in einem Urteil vom 14. Dezember 1994 betont, dass die für das Verteidigungswesen zuständigen Bundesorgane darüber zu entscheiden haben, welche Maßnahmen zur Konkretisierung des Verteidigungsauftrages erforderlich sind:686 „Dabei handeln sie weitgehend nach politischen Erwägungen und in eigener Verantwortung. Der dem Bundesminister der Verteidigung bei der Entscheidung, was zur Erfüllung der hoheitlichen Verteidigungsaufgaben der Bundeswehr zwingend notwendig ist, zustehende verteidigungspolitische Beurteilungsspielraum kann im Hinblick auf die Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 GG freilich nicht unbegrenzt sein.“

Der Prüfungsmaßstab sei aber darauf begrenzt, ob der Bundesminister der Verteidigung von einem zutreffenden Sachverhalt ausgegangen ist und sich von sachgerechten Erwägungen hat leiten lassen.687 Das Bundesverfassungsgericht hat zwei Verfassungsbeschwerden gegen diese Entscheidung nicht angenommen.688 Angesichts dieser Rechtsprechung ist die gerichtliche Überprüfbarkeit eines Verteidigungseinsatzes der Streitkräfte hinsichtlich seiner Voraussetzungen und seiner Durchführung auf eine Missbrauchskontrolle zu beschränken.689 Das jeweils zuständige Gericht muss den Beurteilungsspielraum des Bundesministers 684

Vgl. BVerfGE 4, 157 (168 ff.); 36, 1 (14 f.); 40, 171 (178); 55, 349 (368). BVerfGE 68, 1 (97); kritisch zu dieser richterlichen Selbstbeschränkung B.-O. Bryde, JURA 1986, 363 (364). 686 BVerwGE 97, 203 (209). 687 BVerwGE 97, 203 (209); ähnlich auch BGH, NJW 1995, 2174 (2175). 688 BVerfG, Beschluss vom 3. Mai 1995 – 2 BvR 519/95 und Beschluss vom 16. August 1995 – 1 BvR 332/95; kritisch zur Nichtannahme H. Sendler, NJW 1995, 3291 (3292). 689 Ähnlich bereits U. Scheuner, FS Smend, 1952, 253 (300). 685

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2. Teil: Bestimmung verfassungsrechtlicher Begriffe

der Verteidigung respektieren und darf nicht selbst ex-post eine eigene Beurteilung der Lage vornehmen. Die Feststellung des Verteidigungsfalls unterliegt dagegen einer strikteren Überprüfbarkeit, da diese Feststellung weitreichende Folgen für die innerstaatliche Rechtsordnung hat. Solche Folgen werden durch eine Entscheidung über einen punktuellen Streitkräfteeinsatz zur Verteidigung jedoch nicht ausgelöst. Daher ist es gerechtfertigt, die gerichtliche Überprüfbarkeit einzuschränken. 4. Zwischenergebnis Der Bundesminister der Verteidigung hat jedenfalls dann die Entscheidungskompetenz über den Einsatz der Streitkräfte zur Verteidigung, soweit es um Verteidigungshandlungen auf dem Gebiet der Bundesrepublik geht. Dabei kommt ihm hinsichtlich der Feststellung der Voraussetzungen des Verteidigungsbegriffes ein nicht vollständig gerichtlich überprüfbarer Beurteilungsspielraum zu. Es ist ausreichend, dass nach einer gewissenhaften Würdigung der Tatsachenlage davon auszugehen ist, dass die Voraussetzungen für einen Verteidigungseinsatz gegeben sind.

X. Umfang des Verteidigungseinsatzes Es wäre unzureichend, wenn ein Einsatz der Bundeswehr zur Verteidigung erst dann verfassungsrechtlich zulässig wäre, wenn tatsächlich von einem Angriff von außen ausgegangen werden kann. Vor dem Hintergrund des Grundsatzes, dass zu dem Verteidigungsbegriff auch alle Tätigkeiten gehören, die zu einer effektiven Wahrnehmung des Verteidigungsauftrages erforderlich sind, liegt ein Einsatz zur Verteidigung auch dann vor, wenn die Streitkräfte durch ihr Handeln zunächst feststellen sollen, ob die Voraussetzungen eines Einsatzes zur Verteidigung vorliegen. In Anlehnung an den Gefahrenverdacht des allgemeinen Polizeirechts kann von einem „Verteidigungsverdacht“ gesprochen werden. Der Bundesminister der Verteidigung kann daher die Luftwaffe zur Gewinnung von näheren Informationen bei Luftzwischenfällen einsetzen, auch wenn noch nicht abzuschätzen ist, ob ein Angriff von außen vorliegt. Allerdings muss zumindest von der Möglichkeit eines Angriffs von außen ausgegangen werden können. Sollte zweifelsfrei feststehen, dass eine Gefahr von innen gegeben ist, so ist ein Einsatz auf Grundlage des Verteidigungsauftrages nicht zulässig. Um der Begrenzungsfunktion des Art. 87a Abs. 2 GG gerecht zu werden, kann jedoch nicht jedes Handeln der Streitkräfte auf den „Verteidigungsverdacht“ gestützt werden. Vielmehr sind nur solche Tätigkeiten zulässig, die zur Aufklärung der Tatsachenlage und zur Vorbereitung von Eingriffsmaßnahmen dienen. Ein Abschuss eines Luftfahrzeuges selbst kann nicht auf den „Verteidigungsverdacht“ gestützt werden, denn ansonsten würde wieder der Grundsatz

B. „Verteidigung‘‘ im Sinne des Art. 87a Abs. 1, 2 GG

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„Im Zweifel für die Verteidigung“ gelten, der nicht mit Art. 87a Abs. 2 GG zu vereinbaren ist.

XI. Zusammenfassende Thesen zur Verteidigung im Sinne des Art. 87a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 GG 1. Der verfassungsrechtliche Verteidigungsbegriff gemäß Art. 87a Abs. 1, Satz 1, Abs. 2 GG orientiert sich maßgeblich an dem völkerrechtlichen Selbstverteidigungsrecht im Sinne des Art. 51 UN-Charta. Daraus folgt, dass die Bundeswehr immer dann zur Verteidigung eingesetzt werden kann, wenn ein bewaffneter Angriff im Sinne von Art. 51 UN-Charta vorliegt. 2. Das völkerrechtliche Selbstverteidigungsrecht rechtfertigt auch die Abwehr von Gewalttaten nicht-staatlicher Angreifer, soweit diese Angriffe mit dem Zerstörungspotential von militärischen Angriffen vergleichbar sind und von außen herrühren. 3. Für die Anerkennung des Selbstverteidigungsrechts ist es nicht erforderlich, dass die Handlungen der nicht-staatlichen Angreifer einem anderen Staat zugerechnet werden können. Für den Fall, das eine Zurechnung nicht möglich ist, bestehen jedoch enge Grenzen für die Ausübung des Selbstverteidigungsrechts. 4. Der verfassungsrechtliche Verteidigungsbegriff in Art. 87a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 GG umfasst die Abwehr von Angriffen von außen. Angriffe, die ihren Ursprung innerhalb der Bundesrepublik haben, können nicht auf Grundlage des Verteidigungsauftrages abgewehrt werden. 5. Eine Beschränkung des Verteidigungsauftrages auf die Bekämpfung von Truppen eines anderen Staates oder von nicht-staatlichen Angriffen, die einem anderen Staat zugerechnet werden können, ist vom Grundgesetz nicht geboten und würde auch der Anlehnung an das völkerrechtliche Selbstverteidigungsrecht nicht gerecht werden. 6. Die Abgrenzung zwischen dem Angriff von innen und dem Angriff von außen geschieht zunächst über das Kriterium des Grenzübertritts. Ein Angriff von außen liegt aber auch dann vor, wenn die unmittelbaren Angriffshandlungen innerhalb der Bundesrepublik stattfinden und diese von außen gesteuert, geplant oder wesentlich unterstützt werden. 7. Erreicht ein Angriff von außen nicht die Intensität eines bewaffneten Angriffs im Sinne des Art. 51 UN-Charta, so kann die Bundeswehr diesen Angriff auf Grundlage des Verteidigungsauftrages bekämpfen, soweit die Polizeikräfte hierzu nicht in der Lage sind. 8. Auch die Eigensicherung der Bundeswehr gehört unmittelbar zum Verteidigungsauftrag. Daher kann ein Angriff, der sich gegen die Bundeswehr

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2. Teil: Bestimmung verfassungsrechtlicher Begriffe

selbst richtet oder Einrichtungen der Bundeswehr mittelbar in einem wesentlichen Umfang beeinträchtigen würde, auf Grundlage des Verteidigungsauftrages bekämpft werden. 9. Der Bundesminister der Verteidigung entscheidet im Rahmen einer ex-anteBetrachtung, ob die Voraussetzungen für einen Einsatz zur Verteidigung vorliegen. Dabei kommt ihm ein gerichtlich nicht vollständig überprüfbarer Beurteilungsspielraum zu.

C. Streitkräfte I. Allgemeine Definition Eine Legaldefinition des Begriffs „Streitkräfte“ findet sich nicht im Grundgesetz. Nach dem allgemeinen Sprachgebrauch sind Streitkräfte „ein in bestimmter Weise organisierter, bewaffneter und mit spezifischen Aufgaben versehener menschlicher Verband“.690 Es mag daher nahe liegen, den Begriff „Streitkräfte“ im Sinne des Art. 87a Abs. 2 GG mit dem Begriff „Bundeswehr“ gleichzusetzen.691 Dies ist jedoch nicht zutreffend. Die Bundeswehrverwaltung, die Rechtspflege der Bundeswehr und die Militärseelsorge zählen nicht zum verfassungsrechtlichen Begriff der „Streitkräfte“,692 obwohl diese Bereiche durchaus im Sinne eines weiten Verständnisses zum Begriff „Bundeswehr“ gehören. Aus der Gegenüberstellung der Polizei, des Bundesgrenzschutzes und den Streitkräften in Art. 35 Abs. 2, Abs. 3 Satz 1 und in Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG ergibt sich weiterhin, dass die Polizeikräfte der Länder und die Bundespolizei nicht Teil der Streitkräfte sind.693 Im Ergebnis gehören nur Soldaten zu den Streitkräften.694 Nicht umfasst sind jedenfalls ausländische Truppen, auch wenn diese in der Bundesrepublik stationiert sind, da der verfassungsändernde Gesetzgeber weder in Art. 87a Abs. 1 Satz 1 GG die Aufstellung fremder Truppen beabsichtigte 690

P. Karpinski, 12. Vgl. R. Kreutzer, DVBl. 1969, 399 Fn. 11. 692 J.-P. Fiebig, 98; B. K. W. Bähr, Verfassungsmäßigkeit des Einsatzes, 143 m.w. N. in Fn. 2; J. Pannkoke, 207; D. Walz, NZWehrr 1997, 89 ff.; H. G. Pieper/F. Miedeck, JA 1992, 244. 693 N. P. Kleiner, Aufgabe(n) und Befugnisse der Streitkräfte, 27; J.-P. Fiebig, 74, J. Pannkoke, 207. 694 Maunz/Dürig-G. Dürig, Art. 17a Rdn. 23; H. Olboeter, 1. Nach § 1 Abs. 1 Satz des Gesetzes über die Rechtsstellung der Soldaten – Soldatengesetz (SoldG) ist Soldat, „wer auf Grund der Wehrpflicht oder freiwilliger Verpflichtung in einem Wehrdienstverhältnis steht.“ Weiterhin wird man den Bundesminister der Verteidigung und seinen Vertreter – obwohl sie keine Soldaten sind – zu den Streitkräften zählen, da sie gemäß § 1 Abs. 2 WStG zu den militärischen Vorgesetzten gehören, vgl. BVerwG 46, 55. 691

C. Streitkräfte

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noch in Art. 87a Abs. 2 GG den Aufgabenkreis fremder Militäreinheiten innerhalb der Bundesrepublik regeln wollte.695 Dabei kommt es nicht auf eine bestimmte Anzahl von Soldaten an. Die gelegentlich vertretene Auffassung, ein einzelner Soldat oder nur eine kleinere Gruppe von Soldaten würden nicht dem Anwendungsbereich des Art. 87a Abs. 2 GG unterfallen,696 kann nicht überzeugen.697 Auch einzelne Soldaten können mit modernen Waffensystemen – so zum Beispiel die Piloten eines Kampfflugzeuges – ein erhebliches Eingriffspotential erreichen. Zudem ist völlig unklar, wie groß die Anzahl von Soldaten sein muss, um unter den Streitkräftebegriff zu fallen. Allerdings muss der einzelne Soldat oder die kleine Gruppe von Soldaten militärisch geführt werden, das heißt, bei einem Handeln „auf eigene Faust“ außerhalb der dienstlichen Verpflichtungen sind einzelne Soldaten nicht als Streitkräfte zu definieren.698 Am häufigsten ist die Definition, Streitkräfte seien „das in der Bundeswehr organisierte militärische Instrument der Bundesrepublik Deutschland“.699 Etwas präziser definiert Fiebig Streitkräfte als „das aus Soldaten bestehende, in der Bundeswehr organisierte, der Befehls- und Kommandogewalt des Bundesministers der Verteidigung unterstehende und nach dem Prinzip von Befehl und Gehorsam strukturierte militärische Instrument der Bundesrepublik Deutschland“.700 Damit steht fest, dass die zur Abwehr von nicht-staatlichen Angreifern tätig werdenden Soldaten zu den Streitkräften im Sinne des Art. 87a Abs. 2 GG gehören.

II. Abordnung an Gefahrenabwehrbehörden Im Zusammenhang mit Tätigkeiten von Bundeswehrsoldaten zur Unterstützung der Polizeikräfte bei der Fußball-WM 2006 wurde vom Bundesminister des Innern Wolfgang Schäuble vorgeschlagen, Soldaten an die Bundespolizei „auszuleihen“, um so auf die Fähigkeiten der Bundeswehr zurückgreifen zu 695

J.-P. Fiebig, 73 m.w. N. in Fn. 73. U. Schopohl, 32; H.-J. Hofer, NZWehrr 1973, 2 (5). Vgl. zum Einsatz der Streitkräfte im Ausland D. Wiefelspütz, Parlamentsvorbehalt, 38, der einen konstitutiven Parlamentsvorbehalt in Fällen ablehnt, in denen einzelne Soldaten oder eine geringe Anzahl von Soldaten tätig werden. Wiefelspütz’ Meinung wird zu Recht überwiegend abgelehnt, siehe T. Schaefer, 203; P. Dreist, ZG 2004, 39 (52 f.). 697 Vgl. G. Großmann, Teil II, Rdn. 367, der es jedoch auch für „diskutabel“ hält, das Auftreten von Soldaten als Individualpersonen nicht als Einsatz zu verstehen; J.-P. Fiebig, 99. 698 Vgl. E. Beckert, BWV 1983, 217. 699 Maunz/Dürig-G. Dürig, Art. 87a Rdn. 9; J. Pannkoke, 207 f.; J.-P. Fiebig, 65 m.w. N. 700 J.-P. Fiebig, 99 Fn. 205. 696

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2. Teil: Bestimmung verfassungsrechtlicher Begriffe

können.701 Die Soldaten sollten dabei Aufgaben des Objektschutzes übernehmen.702 Gegen eine solche Abordnung bestehen bereits einfachgesetzliche Zweifel. Zwar ist die Abordnung von Beamten an eine andere Dienststelle unter bestimmten Voraussetzungen gemäß § 27 BBG möglich, allerdings sind Soldaten keine Beamten, auch wenn das Soldatengesetz teilweise die Regelungen des BBG für anwendbar erklärt. Eine analoge Anwendung des § 27 BBG ist jedoch nach Ansicht von Ehmann ausgeschlossen.703 Weitaus gewichtiger sind in diesem Zusammenhang die verfassungsrechtlichen Bedenken. Durch eine vorübergehende Abordnung von Soldaten an die Bundespolizei könnte die Begrenzungsfunktion des Art. 87a Abs. 2 GG umgangen werden.704 Es wäre ein seltsam anmutendes Ergebnis, wenn der Einsatz von Bundeswehreinheiten gegen Gefahren von innen kurzerhand dadurch zulässig wäre, dass die Einheiten an die Bundespolizei abgeordnet und damit dem Bundesminister des Innern unterstellt werden. Eine Abordnung kann die fehlende Zuständigkeit der Bundeswehr zur Bekämpfung von Gefahren von innen außerhalb der geregelten Sekundäraufgaben nicht ersetzen. Zu beachten ist letztlich auch, dass eine Abordnung jedenfalls in Bezug auf die Wahrnehmung von Abwehrmaßnahmen gegen erhebliche Luftzwischenfälle weitgehend wirkungslos bleiben würde. Selbst wenn eine Abordnung an die Polizeikräfte verfassungsrechtlich zulässig wäre, so wären die Soldaten strikt an die gesetzlichen Vorschriften der jeweiligen Polizeibehörde gebunden. Ein Rückgriff auf die Regelungen des LuftSiG wäre damit ausgeschlossen. Gegen die Wahrnehmung von Objektsicherungsaufgaben durch die Bundeswehr sprechen auch praktische Gründe: Die Ausbildung der Soldaten beschränkt sich im Objektschutz weitgehend auf die Sicherung von militärischen Einrichtungen. Ein Vorgehen gegen eine große Anzahl von potentiellen Störern auf öffentlichen Plätzen ist nicht mit der Verhinderung von Straftaten gegen die Bundeswehr im Sinne von § 3 UZwGBw vergleichbar.705 701 Konrad Freiberg, der Vorsitzende der Gewerkschaft der Polizei, nennt diese Vorschläge „abenteuerlich“: Ansonsten „könnte man ja gleich die gesamte Bundeswehr in Polizeiuniformen stecken“, zitiert nach www.spiegel.de/politik/deutschland/0,1518, 401183,00.html. 702 Vgl. Meldung vom 9. Februar 2006, http://www.spiegel.de/politik/deutschland/ 0,1518,400058,00.html. Ablehnend zum Beispiel der Antrag der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN vom 12. Januar 2006, BT-Drucks. 16/359. 703 T. Ehmann, http://www.deutsches-wehrrecht.de/Aufsaetze/Ehmann-20Einsatz% 20Bw%20im%20Innern.pdf, 5 f. 704 C. Gramm, NZWehrr 2003, 89 (97); M. Schütte, DPolBl. 2005, 15 (17), spricht von einem „juristische[n] Kunstgriff, dem keine verfassungsrechtliche Beständigkeit eingeräumt werden könnte“. 705 Vgl. R. Stober, NJW 2006, Heft 7, III; C. Gusy, VVDStRL 63 (2003), 150 (186 f.). Allerdings meint P. Langenbach, NJW 2006, Heft 14, XVI f., die Feldjäger-

D. Exkurs: Verbesserte Ausstattung der Polizeikräfte

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Zu konstatieren ist daher, dass Soldaten, die an Polizeibehörden abgeordnet werden, weiterhin als Streitkräfte gelten, auch wenn sie vorübergehend nicht mehr der Befehls- und Kommandogewalt des Bundesministers der Verteidigung unterstehen.

D. Exkurs: Verbesserte Ausstattung der Polizeikräfte Die verfassungsrechtliche Problematik des Streitkräfteeinsatzes zur Gefahrenabwehr im Luftraum außerhalb des Verteidigungsauftrages könnte ohne Verfassungsänderung gelöst werden, wenn die Bundespolizei über die entsprechenden Fähigkeiten zur Gefahrenabwehr im Luftraum verfügen würde, da dann ein Rückgriff auf die Bundeswehr nicht mehr erforderlich wäre. Allerdings müsste die Bundespolizei dafür mit Kampfflugzeugen ausgerüstet werden und über entsprechend ausgebildetes Personal verfügen können. Teilweise wird jedoch vertreten, eine derartige Ausrüstung von Polizeikräften sei rechtspolitisch abzulehnen und auch verfassungsrechtlich unzulässig.706 Schenke begründet dies mit dem Argument, der Grundgesetzgeber habe nie daran gedacht, die Polizei mit militärischen Mitteln auszustatten. Zudem bestehe die Gefahr, dass durch eine Schaffung von „paramilitärischen Einheiten“ der Polizei der Ausdrücklichkeitsvorbehalt des Art. 87a Abs. 2 GG unterlaufen wird.707 Diese Auffassung kann jedoch nicht überzeugen. In der Vergangenheit waren der Bundesgrenzschutz und teilweise auch Einheiten der Bereitschaftspolizei der Länder durchaus mit militärischen Waffen wie Granatwerfern und leichten Panzern ausgerüstet.708 Es kann daher keine Rede davon sein, dass der Wille des Gesetzgebers eine Ausrüstung der Polizei mit militärischen Mitteln verbietet.709 Aus verfassungsrechtlicher Sicht spricht daher nichts dagegen, zumindest die Bundespolizei mit Kampfflugzeugen auszurüsten, um so eine nicht-militärische Luftraumüberwachung und -sicherung zu ermöglichen. Das Bundespolizeigesetz müsste angepasst werden, um entsprechende Ermächtigungsgrundlagen truppe sei durchaus in der Lage, zur Gefahrenabwehr gegen „Hooligans“ tätig zu werden. 706 W.-R. Schenke, NJW 2006, 736 (737); E. B. Franz/T. Günther, VBlBW 2006, 340 (347); F. Hase, DÖV 2006, 213 (216); vgl. auch J. Isensee, FS P. Kirchhof, 2003, 7 (37); T. Linke, NZWehrr 2006, 177 (178). 707 W.-R. Schenke, NJW 2006, 736 (737 Fn. 12). 708 Vgl. H. Busch, 61, 182 ff.; G. Wacke, JZ 1962, 137 (142). 709 Eine andere, hier nicht zu diskutierende, Frage ist, inwieweit der Gebrauch derartiger Waffen durch die Polizei mit dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz vereinbart werden kann, vgl. hierzu C. Arndt, DVBl. 1965, 189 (191); G. Wacke, JZ 1962, 137 (142 ff.).

162

2. Teil: Bestimmung verfassungsrechtlicher Begriffe

für Einzelmaßnahmen zu schaffen. Das Problem der Tötung von Unbeteiligten würde sich in diesem Fall allerdings genauso stellen, wie bei einem Einsatz der Streitkräfte. Es ist jedoch zu erwarten, dass eine solche Erweiterung der Zuständigkeiten und der Ausrüstung der Bundespolizei wohl vor allem an finanziellen Fragen scheitern wird.710 Daraus jedoch zu schließen, es wäre „barer Nonsens“711 die Bundespolizei entsprechend auszustatten, ist nicht nachvollziehbar: Durch die Entscheidung des verfassungsändernden Gesetzgebers, den Verteidigungsauftrag der Bundeswehr zur Abwehr von Gefahren von außen zu beschränken, entsteht eine Lücke in der Wahrnehmung des staatlichen Schutzauftrages. Es wäre daher nur vernünftig, diese Lücke mittels der Bundespolizei zu schließen, wenn der politische Wille für eine Aufgabenerweiterung der Bundeswehr fehlt.

710 711

So auch K. Fehn/M. Brauns, 78. J. Isensee, FS P. Kirchhof, 2003, 7 (37).

3. Teil

Abwehr auf Grundlage des LuftSiG Im 3. Teil geht es um den Einsatz nach den Regelungen der §§ 13 bis 15 LuftSiG, die sich nach dem Willen des Gesetzgebers auf die Zulassung für den Einsatz der Streitkräfte im Katastrophennotstand gemäß Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG stützen. Im Folgenden werden zunächst die Regelungen des LuftSiG, die den Streitkräfteeinsatz betreffen, dargestellt und im Anschluss die Vereinbarkeit dieser Regelungen mit den wehrverfassungsrechtlichen Bestimmungen des Grundgesetzes geprüft. Der Abschluss des 3. Teils bildet sodann die Untersuchung der grundrechtlichen Fragen der Tötung von Unbeteiligten gemäß § 14 Abs. 3 LuftSiG.

A. Einleitung I. Historischer Hintergrund Bereits in der Vergangenheit waren gewaltsame Flugzeugentführungen Anlass für gesetzgeberisches Tätigwerden. Ende der 1960er und Anfang der 1970er Jahre erschütterten zahlreiche Flugzeugentführungen, vor allem im Nahen Osten, den kommerziellen Luftverkehr. Die internationale Staatengemeinschaft reagierte hierauf durch die Abkommen von Den Haag1 und von Montreal2. Dabei wurde vor allem auf eine Abschreckung potentieller Täter durch empfindliche strafrechtliche Sanktionen gesetzt, nachdem sich herausgestellt hatte, dass technische Präventivmaßnahmen die Luftsicherheit nur höchst unzulänglich gewährleisten konnten.3 Zweifelhaft ist bereits, ob diese strafrechtlichen Sanktionen geeignet sind, politische Überzeugungstäter abzuschrecken. Sicher ist, dass Selbstmordattentäter, die mittels der Flugzeugentführung weitere, ungleich erheblichere Folgen herbeiführen wollen, nicht von der Appellfunktion des Strafrechts erreicht werden.4 Von daher muss der repressive Ansatz durch einen präventiven ergänzt 1 Übereinkommen zur Bekämpfung der widerrechtlichen Inbesitznahme von Luftfahrzeugen vom 16. Dezember 1970, BGBl. 1972 II, 1506. 2 Abkommen zur Bekämpfung von illegalen Akten gegen die Sicherheit der zivilen Luftfahrt vom 23. September 1971; BGBl. 1977 II, 1229. 3 Vgl. K. Hailbronner, Luftpiraterie, 8.

164

3. Teil: Abwehr auf Grundlage des LuftSiG

werden, der sich nicht nur auf technische Maßnahmen im Vorfeld beschränkt, sondern auch Antworten darauf gibt, wie eine gegenwärtige, von Luftfahrzeugen ausgehende Bedrohung bekämpft werden kann. Der Gesetzgeber hat das Problem der Gefahrenabwehr im Luftraum trotz des Zwischenfalls bei den Olympischen Spielen am 11. September 19725 ignoriert.6 Dabei hatte Zulegg bereits im Jahr 1975 eine Änderung des Grundgesetzes gefordert, um den Einsatz von Streitkräften im Luftraum außerhalb des Verteidigungsfalls rechtlich abzusichern. Dabei betonte er auch die Notwendigkeit für „detaillierte Vorschriften für die Gewaltanwendung in der Luft“.7 Das Untätigbleiben des Gesetzgebers ist umso erstaunlicher, wenn man die Sicherheit des Luftverkehrs – und auch die Sicherheit vor Angriffen aus dem Luftverkehr heraus – als ein Rechtsgut begreift, dessen Durchsetzung durch den Staat von jedermann und zu jeder Zeit gefordert werden darf.8 Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch L. Horns Untersuchung über die Anwendung militärischer Gewalt gegen zivile Passagierflugzeuge aus dem Jahr 1991, in der er Szenarien diskutiert, die zehn Jahre später leider Wirklichkeit werden sollten.9 Es ist ein schwerwiegendes Versäumnis des Gesetzgebers, trotz den wiederholten Mahnungen aus der Rechtswissenschaft keinerlei Anstrengungen unternommen zu haben, um die Gefahrenabwehr im Luftraum rechtlich abzusichern. Dieses langjährige Versäumnis hat letztlich dazu geführt, dass die Regelungen des LuftSiG nicht ausgereift genug sind, um als rechtliche Grundlage für die Gefahrenabwehr durch die Streitkräfte im Luftraum zu dienen, wie im Folgenden nachgewiesen wird. Dabei beschränkt sich die vorliegende Untersuchung auf die rechtlichen Probleme. Es bleibt ausgeklammert, ob die Regelungen des LuftSiG und die Ausstattung der Luftwaffe überhaupt ausreichen, um reale Bedrohungen wirksam abzuwehren. Dies scheint zumindest zweifelhaft zu sein.10 4 H.-J. Bühl, Europäische Sicherheit 1/2006, 69; J. Isensee, in: Isensee (Hg.), Der Terror, der Staat und das Recht, 83 (105), meint in Bezug auf den Selbstmordattentäter: „An ihm zerbricht die Logik des Rechtsstaates.“ 5 Siehe oben 2. Teil B. IX. 2. 6 Allerdings stellt O. Schily, EuGRZ 2005, 290 (292), die Regelungen des LuftSiG in einen historischen Kontext zum Münchener Luftzwischenfall. 7 M. Zulegg, ZLW 1975, 189 (201 f.). Zulegg wörtlich: „All diese gesetzlichen Regelungen wären sehr bald [Hervorhebung des Verf.] erforderlich, um zu vermeiden, dass die deutschen Staatsorgane im Luftraum über der Bundesrepublik Deutschland hilflos gegenüber schwerwiegenden Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung sind oder aber außerhalb der Legalität die Gefahr bekämpfen. In einem Rechtsstaat sollte kein Anlass bestehen, sich auf den Satz ,Die Not kennt kein Gebot‘ zu berufen.“ 8 V. Brähler, in: Thiel (Hg.), Wehrhafte Demokratie, 251 (257). 9 L. Horn, 98, 193. 10 Vgl. G. Krings/C. Burkiczak, NVWBl. 2004, 249 (253).

A. Einleitung

165

Dennoch sollten praktische Schwierigkeiten nicht als Argument gegen gesetzliche Regelungen angeführt werden, denn es liegt in der Natur von Regelungen zur Gefahrenabwehr, dass sie nicht in jedem Fall Erfolg versprechend sind.

II. Handlungsbedarf nach dem 11. September 2001 Die Bundesregierung hatte nach den Anschlägen vom 11. September 2001 erkannt, dass die herkömmlichen rechtlichen und tatsächlichen Voraussetzungen ungenügend sind, um terroristische Bedrohungen aus dem Luftraum effektiv abwehren zu können. So erklärte der damalige Bundesminister des Innern Otto Schily bereits am 19. September 2001 im Bundestag, in Zukunft werde „ein Ineinandergreifen von militärischen und polizeilichen Operationen notwendig sein“. Bei einer Bedrohung durch den Terrorismus dürfe man sich nicht auf „philosophische Haarspaltereien“ einlassen.11 Dabei blieb es auf Seiten der Bundesregierung zunächst bei politischen Absichtserklärungen. Erst die Entführung eines Sportflugzeuges am 5. Januar 2003, bei der ein geistig verwirrter Mann damit drohte, sich mit dem Flugzeug in ein Hochhaus in Frankfurt a. M. zu stürzen,12 scheinen die Tatsache, dass Bedrohungen aus dem Luftraum auch in der Bundesrepublik existieren, wieder in das politische Bewusstsein gerückt zu haben. Bemerkenswert ist, dass die Bundesregierung erst weitere zehn Monate später, am 5. November 2003, mit dem „Gesetz zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben“ einen Entwurf vorgelegt hat,13 um den „wirksamen Schutz des Luftverkehrs gegen Flugzeugentführungen, Sabotageakte und sonstige gefährliche Eingriffe“14 auf eine gesetzliche Grundlage zu stellen. Bis zum Inkrafttreten des Gesetzes am 15. Januar 2005 dauerte es wiederum mehr als ein Jahr.15 Dies verdeutlicht, dass der Ausspruch Böckenfördes aus dem Jahr 1978 vom „verdrängten Ausnahmezustand“16 auch heute leider nichts an Aktualität verloren hat. Genauso aktuell bleiben die Gefahren, die aus dem Luftverkehr herrühren: So stürzte sich am 22. Juli 2005 ein Mann in Selbstmordabsicht mit einem Kleinflugzeug vor das Reichstagsgebäude; dabei lag glücklicherweise kein terroristischer Hintergrund vor.17 Als Reaktion auf diesen Vorfall erließ das Bundesminis11

BT-Prot. 14/187, 18331. Zu den Hintergründen siehe R. Niklaus, 46 f. 13 BR-Drucks. 827/03. 14 BR-Drucks. 827/03, 1. 15 Angesichts des zeitlich erheblichen Abstands zu den Anschlägen vom 11. September 2001 ist es nur schwer nachvollziehbar, dass F. Herzog, FG B. Hirsch, 2006, 89, das LuftSiG in einen Zusammenhang mit „aufgeregten und eiligen gesetzgeberischen Aktivitäten“ nach diesen Anschlägen stellt. 16 E.-W. Böckenförde, NJW 1978, 1881 ff. 17 Vgl. A. Borsdorff/C. Deyda, 107. 12

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3. Teil: Abwehr auf Grundlage des LuftSiG

terium für Verkehr-, Bau- und Wohnungswesen in Abstimmung mit dem Bundesministerium des Innern, dem Bundesministerium für Verteidigung und der Berliner Senatsverwaltung für Inneres mit Wirkung vom 1. August 2005 ein Flugbeschränkungsgebiet für alle Flüge nach Sichtflugregeln über bestimmte Teile der Berliner Innenstadt.18 Grundidee des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben war es, die im Luftverkehrsgesetz zersplitterten und mit fremden Regelungsmaterien verbundenen Bestimmungen zur Abwehr äußerer Gefahren für die Luftsicherheit zusammenzufassen, komplizierte Zuständigkeitsabgrenzungen zu begradigen und die EU-Luftsicherheitsverordnung19 in die gesetzlichen Bestimmungen einzuarbeiten. Weiterhin sollte der Einsatz der Streitkräfte zur Unterstützung der Polizeibehörden ausdrücklich geregelt werden. Das zu begrüßende Ziel war die Schaffung von „Rechtssicherheit und [. . .] Rechtsklarheit“.20 Nach der Gesetzbegründung war das Gesetz zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben die einzig mögliche Lösung dieser Vorhaben.21 Insbesondere Art. 1 des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben, der das Luftsicherheitsgesetz (LuftSiG) enthält, war (und ist) in der politischen Diskussion und der juristischen Fachliteratur in Bezug auf seine Sinnhaftigkeit und Verfassungsmäßigkeit heftig umstritten. Daher wird im Folgenden untersucht, ob das LuftSiG tatsächlich Rechtssicherheit und Rechtsklarheit durch die Schaffung von ausreichenden Ermächtigungsgrundlagen für den Einsatz der Streitkräfte im Innern außerhalb des Verteidigungsauftrages schafft. Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu § 14 Abs. 3 LuftSiG22 besteht zumindest Klarheit darüber, dass es keine verfassungsgemäße Ermächtigungsgrundlage für eine unmittelbare Einwirkung mit Waffengewalt auf ein Luftfahrzeug gibt. Dies ist jedoch nur eine „negative Rechtssicherheit“, indem deutlich gemacht worden ist, dass ein Teilbereich des LuftSiG nicht mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben vereinbar ist, wobei das Bundesverfassungsgericht durch seine Urteilsbegründung genügend Interpretationsspielraum23 belas-

18 Siehe hierzu ausführlich K. Baumann, DÖV 2006, 331 ff. Anzumerken ist, dass – soweit keine effektiven staatlichen Reaktionsmöglichkeiten zur Durchsetzung dieses Verbotes vorhanden sind – ein solches Flugverbot in Bezug auf die Bekämpfung von terroristischen Anschlägen wohl ähnlich uneffektiv ist, wie ein Halteverbot vor einer Bank, um präventiv gegen Bankräuber vorzugehen. 19 Verordnung (EG) Nr. 2320/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2002 (Abl. EG Nr. L 355, 1); siehe zum Air-Policing im europäischen Rahmen V. Heise, 18, http://www.swp-berlin.org/de/common/get_document. php?id=1406. 20 BR-Drucks. 827/03, 1. 21 BR-Drucks. 827/03, 1. 22 BVerfG, NJW 2006, 751. 23 Siehe zur Interpretation des Urteils unten 3. Teil D. II. 5.

B. Neuregelungen des LuftSiG

167

sen und viele Fragestellung im Bereich der Gefahrenabwehr im Luftraum offengelassen hat.24 Immerhin hat selbst einer der engagiertesten Verteidiger der Regelungen des LuftSiG, MdB Dieter Wiefelspütz, der noch anlässlich der öffentlichen Sachverständigenanhörung25 und in zahlreichen Veröffentlichungen die Vereinbarkeit des LuftSiG mit den Regelungen des Katastrophennotstandes beschworen hat,26 nunmehr selbst erkannt, dass sich eine „klarstellende und Rechtssicherheit stiftende Grundgesetzänderung anbietet“.27 An dieser Stelle ist festzuhalten, dass ein vergleichbarer Ablauf wie am 11. September 2001 von den §§ 13 bis 15 ff. LuftSiG nicht erfasst wäre, da die Abwehr ähnlicher nicht-staatlicher Angriffe von außen unmittelbar unter den Verteidigungsauftrag fällt.28 Bei einem Einsatz zur Verteidigung wäre § 14 Abs. 3 LuftSiG grundsätzlich nicht anwendbar gewesen. Zur Rechtfertigung von Eingriffen bei einem Einsatz zur Verteidigung wäre ein Rückgriff auf kriegsvölkerrechtliche Regelungen erforderlich.29

B. Neuregelungen des LuftSiG Das Gesetz zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben ist ein Artikelgesetz und enthält insgesamt neun Artikel. Kern des Gesetzes ist das in Art. 1 enthaltene LuftSiG. Die übrigen Artikel enthalten Änderungen des Luftverkehrsgesetzes, des Bundesgrenzschutzgesetzes sowie anderer Gesetze wegen Folgeänderungen durch die Einführung des LuftSiG. Diese Regelungen sind für den Einsatz der Streitkräfte im Innern außerhalb des Verteidigungsauftrages ohne Bedeutung und werden im Folgenden nur dann erläutert, wenn sie Bedeutung für die formelle Verfassungsmäßigkeit haben. Den Schwerpunkt der Betrachtung bildet der dritte Abschnitt des LuftSiG, der den Streitkräfteeinsatz betrifft.

24

Vgl. M. Baldus, NVwZ 2006, 532 (534). Vgl. D. Wiefelspütz, Anhörung, 29 f. 26 D. Wiefelspütz, BWV 2004, 121; ders., Die Polizei 2003, 301; ders., NZWehrr 2003, 45; ders., ZRP 2003, 140. 27 D. Wiefelspütz, NWVBl. 2006, 41 (45); siehe auch ders., ZRP 2007, 17 ff. 28 Unzutreffend ist daher die Auffassung J. F. Lindners, JZ 2006, 902 (903 Fn. 10), der meint, dass § 14 Abs. 3 LuftSiG bei einer Konstellation wie am 11. September 2001 Anwendung gefunden hätte. 29 Vgl. unten 3. Teil D. II. 6. c) bb) (1) (c). 25

168

3. Teil: Abwehr auf Grundlage des LuftSiG

I. Allgemeine Regelungen Die §§ 1 bis 12 LuftSiG enthalten allgemeine Regelungen in Bezug auf die Luftsicherheitsbehörden und deren Befugnisse.30 Diese Regelungen dienen der Zusammenführung der vorher in verschiedenen Gesetzen enthaltenen Regelungen für die Abwehr von äußeren Gefahren bezüglich der Sicherheit des Luftverkehrs;31 sie spielen für den Streitkräfteeinsatz keine Rolle und werden lediglich im Zusammenhang mit der Zustimmungsbedürftigkeit des Gesetzes erörtert.

II. Regelungen bezüglich des Einsatzes der Streitkräfte Der dritte Abschnitt des LuftSiG mit der Überschrift „Unterstützung und Amtshilfe durch die Streitkräfte“ enthält Regelungen für einen Streitkräfteeinsatz zur Unterstützung der Polizeikräfte der Länder im Luftraum. Erstmalig in der bundesdeutschen Geschichte wird damit eine einfachgesetzliche Regelung geschaffen, die den Einsatz der Streitkräfte im Innern außerhalb des Verteidigungsauftrages normiert. Der im Regierungsentwurf noch enthaltene § 16 regelte den Schadensausgleich bei einem Einsatz entsprechend der §§ 51 ff. BGSG.32 Diese Regelung wurde jedoch nicht Gesetz.33 1. § 13 LuftSiG § 13 LuftSiG lautet: § 13 Entscheidung der Bundesregierung (1) Liegen auf Grund eines erheblichen Luftzwischenfalls Tatsachen vor, die im Rahmen der Gefahrenabwehr die Annahme begründen, dass ein besonders schwerer Unglücksfall nach Artikel 35 Abs. 2 Satz 2 oder Abs. 3 des Grundgesetzes bevorsteht, können die Streitkräfte, soweit es zur wirksamen Bekämpfung erforderlich ist, zur Unterstützung der Polizeikräfte der Länder im Luftraum zur Verhinderung dieses Unglücksfalles eingesetzt werden. (2) Die Entscheidung über einen Einsatz nach Artikel 35 Abs. 2 Satz 2 des Grundgesetzes trifft auf Anforderung des betroffenen Landes der Bundesminister der Verteidigung oder im Vertretungsfall das zu seiner Vertretung berechtigte Mitglied der Bundesregierung im Benehmen mit dem Bundesminister des Innern. Ist sofortiges Handeln geboten, ist das Bundesministerium des Innern unverzüglich zu unterrichten.

30

Ausführlich dazu A. Borsdorff/C. Deyda, 30 ff. BT-Drucks. 15/2361, 14. 32 Vgl. hierzu T. Linke, DÖV 2005, 289 ff. 33 Dies übersehen W. Melzer/C. Haslach/O. Socher, NVwZ 2005, 1361 (1364 f.); siehe die berechtigte Kritik von A. Meyer, NVwZ 2006, 671 f. 31

B. Neuregelungen des LuftSiG

169

(3) Die Entscheidung über einen Einsatz nach Artikel 35 Abs. 3 des Grundgesetzes trifft die Bundesregierung im Benehmen mit den betroffenen Ländern. Ist eine rechtzeitige Entscheidung der Bundesregierung nicht möglich, so entscheidet der Bundesminister der Verteidigung oder im Vertretungsfall das zu seiner Vertretung berechtigte Mitglied der Bundesregierung im Benehmen mit dem Bundesminister des Innern. Die Entscheidung der Bundesregierung ist unverzüglich herbeizuführen. Ist sofortiges Handeln geboten, sind die betroffenen Länder und das Bundesministerium des Innern unverzüglich zu unterrichten. (4) Das Nähere wird zwischen Bund und Ländern geregelt. Die Unterstützung durch die Streitkräfte richtet sich nach den Vorschriften dieses Gesetzes.

a) § 13 Abs. 1 LuftSiG § 13 Abs. 1 LuftSiG ist die einfachgesetzliche Grundnorm für den Streitkräfteeinsatz. Voraussetzung ist zunächst, dass aufgrund eines erheblichen Luftzwischenfalls Tatsachen vorliegen, die im Rahmen der Gefahrenabwehr die Annahme begründen, dass ein besonders schwerer Unglücksfall nach Art. 35 Abs. 2 Satz 2 oder Abs. 3 Satz 1 GG bevorsteht. Ein Luftzwischenfall ist nach der Gesetzesbegründung jede „Abweichung vom normalen Luftbetrieb“.34 Erfasst sind neben den so genannten „RenegadeFällen“35 auch Vorfälle im Zusammenhang mit Ballons, Raketen oder sonstigen Flugkörpern, das heißt mit Luftfahrzeugen im Sinne des § 1 Abs. 2 LuftVG. Ein Luftzwischenfall ist „erheblich“, wenn durch ihn ein besonders schwerer Unglücksfall bevorsteht. Dadurch soll sichergestellt werden, dass nicht jeder Luftzwischenfall einen Streitkräfteeinsatz ermöglicht. Vielmehr muss eine besondere Gefahrenintensität erreicht sein, beziehungsweise es müssen wenigstens Tatsachen vorliegen, welche die Annahme des Eintritts einer entsprechenden Schadensquantität und -qualität begründen. b) § 13 Abs. 2 LuftSiG § 13 Abs. 2 LuftSiG regelt die Zuständigkeit und das Entscheidungsverfahren für den Einsatz im regionalen Katastrophennotstand gemäß Art. 35 Abs. 2 Satz 2 GG. Dazu muss die Annahme bestehen, dass der besonders schwere Unglücksfall lediglich das Gebiet eines Bundeslandes betreffen wird.

34

BT-Drucks. 15/2361, 20. Die Terminologie wird uneinheitlich verwendet. So fordert R. Niklaus, 9, dass das Flugzeug als Waffe gegen zivile Objekte missbraucht werden soll. Zutreffenderweise kann jedoch bereits die unbefugte oder gar gewaltsame Übernahme über die Kontrolle eines zivilen Flugzeuges einen „Renegade-Fall“ darstellen. 35

170

3. Teil: Abwehr auf Grundlage des LuftSiG

In § 13 Abs. 2 Satz 1 LuftSiG wird klargestellt, dass es zunächst einer Anforderung durch das betroffene Bundesland bedarf, bevor eine Entscheidung auf Ebene des Bundes getroffen werden kann. Welche Behörde auf Landesebene für die Anforderung zuständig ist, richtet sich nach Landesrecht.36 Anforderungsberechtigt können insbesondere der Minister beziehungsweise Senator für Inneres sowie die ihm untergeordneten Behörden sein.37 Die Entscheidungsbefugnis, ob einer solchen Anforderung nachgekommen wird, weist § 13 Abs. 2 Satz 1 LuftSiG im Regelfall dem Bundesminister der Verteidigung zu. Im Ausnahmefall kann auch das zu seiner Vertretung berechtigte Mitglied der Bundesregierung die Entscheidung treffen. Nach der Gesetzesbegründung ergibt sich die Zuständigkeit des Bundesministers der Verteidigung beziehungsweise seines Vertreters aus der Bundesregierung aus Art. 65 Satz 2 GG.38 Das Ressortprinzip weise die Zuständigkeit für einen Bundeswehreinsatz dem Bundesminister der Verteidigung zu, der zudem in Friedenszeiten gemäß Art. 65a GG die Befehls- und Kommandogewalt über die Bundeswehr wahrnehme. Besonders wird betont, dass die Regelung sicherstelle, dass immer ein Mitglied der Bundesregierung zuständig ist.39 Weiterhin ist gemäß § 13 Abs. 2 Satz 1, letzter Halbsatz LuftSiG im Benehmen mit dem Bundesminister des Innern zu entscheiden. Dadurch soll dem erfahrungsgemäß zeitlich engen Handlungsspielraum bei der Gefahrenabwehr im Luftraum Rechnung getragen werden.40 „Benehmen“ bedeutet weniger als ein Einverständnis. Das Bemühen um die Herstellung eines Einverständnisses ist ausreichend.41 Nach § 13 Abs. 2 Satz 2 LuftSiG kann in Eilfällen, in denen ein sofortiges Handeln geboten ist, auf die Herstellung des Benehmens mit dem Bundesminister des Innern verzichtet werden. c) § 13 Abs. 3 LuftSiG Nach der Gesetzesbegründung ist in der Regel davon auszugehen, dass mehrere Bundesländer durch den drohenden Eintritt des besonders schweren Unglücksfalls unmittelbar gefährdet sind.42 Die Entscheidung über einen Einsatz 36 Vgl. J. Pannkoke, 241; vgl. H. Neumann, BWV 2003, 1 (2), zur Regelung in Niedersachsen, wo die Katastrophenschutzbehörde (in der Regel ein Landkreis oder eine kreisfreie Stadt) anforderungsberechtigt ist. 37 N. P. Kleiner, Aufgabe(n) und Befugnisse der Streitkräfte 369; vgl. zu verschiedenen Länderregelungen P. Eichhorn, 130. 38 BT-Drucks. 15/2361, 20. 39 BT-Drucks. 15/2361, 20. 40 BT-Drucks. 15/2361, 20 f. 41 BT-Drucks. 15/2361, 20. 42 BT-Drucks. 15/2361, 21; ebenso G. Jerouschek, FS H.-L. Schreiber, 2003, 185 (197).

B. Neuregelungen des LuftSiG

171

im überregionalen Katastrophennotstand liegt gemäß Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG grundsätzlich bei der Bundesregierung.43 Dies berücksichtigt § 13 Abs. 3 Satz 1 LuftSiG, der die Entscheidungsbefugnis der Bundesregierung im Benehmen mit den betroffenen Ländern zuweist. Dabei betrifft das erforderliche Benehmen der Länder in sachlicher Hinsicht nur das „Ob“, nicht aber das „Wie“ eines Einsatzes.44 Für die Erklärung des Benehmens auf Länderebene sind die Organe zuständig, die auch über eine Anforderung nach Art. 35 Abs. 2 Satz 2 GG entscheiden können. § 13 Abs. 3 Satz 2 bis 4 LuftSiG regeln Eilfälle. Wenn es nicht möglich ist, eine rechtzeitige Entscheidung der Bundesregierung herbeizuführen, geht die Entscheidungsbefugnis – wie in § 13 Abs. 2 LuftSiG – auf den Bundesminister der Verteidigung beziehungsweise auf seinen Vertreter aus der Bundesregierung über. Im letzteren Fall ist das Benehmen des Bundesministers des Innern erforderlich. Nach dem Willen des Gesetzgebers ist § 13 Abs. 3 Satz 2 LuftSiG eine „gesetzliche Vertretungsregelung“ für die Entscheidungsbefugnis der Bundesregierung nach Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG.45 Eine Entscheidung der Bundesregierung ist gemäß § 13 Abs. 3 Satz 3 LuftSiG unverzüglich herbeizuführen. § 13 Abs. 3 Satz 4 LuftSiG bestimmt, dass die betroffenen Länder und das Bundesministerium des Innern über einen Einsatz der Bundeswehr unterrichtet werden müssen. d) § 13 Abs. 4 LuftSiG Einzelheiten des Verfahrens bei der Herstellung des Benehmens beziehungsweise bei der Unterrichtung überlässt § 13 Abs. 4 Satz 1 LuftSiG einer besonderen Regelung zwischen Bund und Ländern. Gemäß § 13 Abs. 4 Satz 2 LuftSiG erfolgt der Streitkräfteeinsatz ausschließlich nach den Vorschriften des LuftSiG.46 2. § 14 LuftSiG § 14 LuftSiG enthält nähere Bestimmungen für den Einsatz zur Unterstützung der Polizeikräfte der Länder und lautet:47

43 Siehe zu möglichen Ausnahmen von diesem Grundsatz in Eilfällen unten 3. Teil C. II. 1. d) aa). 44 BT-Drucks. 15/2361, 21. 45 BT-Drucks. 15/2361, 21. 46 Anders stellt sich die Rechtslage beim Einsatz der Bundespolizei dar. So lautet § 11 Abs. 2 Satz 1 BPolG: „Die Unterstützung eines Landes durch die Bundespolizei nach Abs. 1 richtet sich nach dem für das Land geltenden Recht.“

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3. Teil: Abwehr auf Grundlage des LuftSiG

§ 14 Einsatzmaßnahmen, Anordnungsbefugnis (1) Zur Verhinderung des Eintritts eines besonders schweren Unglücksfalles dürfen die Streitkräfte im Luftraum Luftfahrzeuge abdrängen, zur Landung zwingen, den Einsatz von Waffengewalt androhen oder Warnschüsse abgeben. (2) Von mehreren möglichen Maßnahmen ist diejenige auszuwählen, die den Einzelnen und die Allgemeinheit voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigt. Die Maßnahme darf nur so lange und so weit durchgeführt werden, wie ihr Zweck es erfordert. Sie darf nicht zu einem Nachteil führen, der zu dem erstrebten Erfolg erkennbar außer Verhältnis steht. (3) Die unmittelbare Einwirkung mit Waffengewalt ist nur zulässig, wenn nach den Umständen davon auszugehen ist, dass das Luftfahrzeug gegen das Leben von Menschen eingesetzt werden soll, und sie das einzige Mittel zur Abwehr dieser gegenwärtigen Gefahr ist.48 (4) Die Maßnahme nach Absatz 3 kann nur der Bundesminister der Verteidigung oder im Vertretungsfall das zu seiner Vertretung berechtigte Mitglied der Bundesregierung anordnen. Im Übrigen kann der Bundesminister der Verteidigung den Inspekteur der Luftwaffe generell ermächtigen, Maßnahmen nach Absatz 1 anzuordnen.

a) § 14 Abs. 1 LuftSiG § 14 Abs. 1 LuftSiG ist die Grundbefugnisnorm für Eingriffsmaßnahmen der Streitkräfte bei einem Einsatz nach dem LuftSiG. In abgestufter Reihenfolge werden Einzelmaßnahmen näher beschrieben. So dürfen die Streitkräfte Luftfahrzeuge abdrängen, zur Landung zwingen, den Einsatz von Waffengewalt androhen oder Warnschüsse abgeben. b) § 14 Abs. 2 LuftSiG Die Maßnahmen nach § 14 Abs. 1 LuftSiG unterwirft § 14 Abs. 2 LuftSiG wegen des verfassungsrechtlich gebotenen Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes einem strengen Verhältnismäßigkeitsmaßstab. Bei mehreren möglichen Maßnahmen zur Gefahrenabwehr ist diejenige Maßnahme anzuwenden, die den Einzelnen und die Allgemeinheit voraussichtlich am wenigsten beeinträchtigt. Weiterhin ist ein Streitkräfteeinsatz in sachlicher und zeitlicher Hinsicht nur solange und soweit zulässig, wie die originär zuständigen Gefahrenabwehrbehörden die 47 M. Kutscha, KJ 2004, 228 (239), bezeichnet § 14 LuftSiG als „Musterbeispiel legislativer Irreführung“, da Abs. 1 suggeriere, dass der gezielte Abschuss eines Flugzeuges nicht zu den zulässigen Abwehrmaßnahmen gehöre. Er kritisiert, dass erst in Abs. 3 die unmittelbare Einwirkung mit Waffengewalt geregelt ist. Kritisch zur Gesetzestechnik auch B. Hirsch, ZRP 2004, 273 f. 48 § 14 Abs. 3 LuftSiG ist vom Bundesverfassungsgericht mit Urteil vom 15. Februar 2006 als nichtig erklärt worden und hat damit keine Gesetzeskraft (§ 95 Abs. 3 Satz 1 BVerfGG). Dennoch wird der (beabsichtigte) Regelungsgehalt wegen der besonderen Bedeutung des § 14 Abs. 3 LuftSiG dargestellt.

B. Neuregelungen des LuftSiG

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Situation nicht mit eigenen Mitteln bewältigen können. Sobald eine derartige Situation nicht mehr vorliegt, ist der Einsatz zu beenden.49 c) § 14 Abs. 3 LuftSiG § 14 Abs. 3 LuftSiG enthielt als ultima ratio die Ermächtigung zur unmittelbaren Einwirkung mit Waffengewalt gegen Luftfahrzeuge. Voraussetzung für diesen schwersten denkbaren Eingriff war, dass nach den Umständen davon ausgegangen werden konnte, dass das Luftfahrzeug gegen das Leben von Menschen eingesetzt werden sollte und die unmittelbare Einwirkung mit Waffengewalt das einzige Mittel zur Abwehr dieser gegenwärtigen Gefahr war. Nach der Gesetzesbegründung war es erforderlich, dass das Luftfahrzeug selbst als Tatwaffe zur Gefährdung von Menschenleben eingesetzt wurde. Die Nutzung als bloßes Hilfsmittel zur Tatbegehung war dagegen nicht ausreichend.50 Das Luftfahrzeug musste zielgerichtet zum Einsatz von rechtswidriger Gewalt, die auf die Tötung von anderen Menschen außerhalb des Luftfahrzeuges selbst gerichtet war, benutzt werden. Nach allen vorliegenden Umständen musste von einem Missbrauch des Luftfahrzeuges als Waffe zur Lebensbedrohung der Flugzeuginsassen und weiterer Menschen ausgegangen werden können.51 Der Bundestagsabgeordnete Hans-Christian Ströbele hat in der parlamentarischen Diskussion die Ansicht geäußert, § 14 Abs. 3 LuftSiG enthalte keine Regelung für den Abschuss eines Flugzeuges, in dem sich Personen befinden, die keinen Bezug zu einem terroristischen Anschlag haben.52 Geregelt werde lediglich die Anwendung von Waffengewalt, ohne dass durch das Gesetz entschieden werde, ob auch gegenüber Unbeteiligten Waffengewalt angewendet werden dürfe. Diese Frage könne nicht vom Gesetzgeber geregelt werden, sondern sei ein Fall des „übergesetzlichen Notstandes“ und müsse nach den Kriterien der Rechtsprechung geklärt werden.53 Das Luftsicherheitsgesetz lege nach der geltenden Rechtslage lediglich klare Zuständigkeiten dahingehend fest, wer über den Einsatz der Streitkräfte unter Beachtung der „allgemeinen Rechtsgrundsätze 49

BT-Drucks. 15/2361, 21. BT-Drucks. 15/2361, 21. 51 BT-Drucks. 15/2361, 21. 52 BT-Prot. 15/89, 7893. Ströbele wörtlich: „In diesem Gesetz findet sich gerade keine Regelung für den Abschuss eines Flugzeuges, das mit Passagieren besetzt ist, die überhaupt keinen Bezug zu einem terroristischen Anschlag haben.“ Vgl. auch die Äußerungen Ströbeles in der Anhörung des Innenausschusses, Anhörung, 33 f., und in der Aktuellen Stunde zur Haltung der Bundesregierung zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Luftsicherheitsgesetz, BT-Prot. 16/20, 1566; zustimmend W. Mitsch, ZRP 2005, 243. 53 BT-Prot. 15/89, 7893, 7894. 50

174

3. Teil: Abwehr auf Grundlage des LuftSiG

und [. . .] allgemeinen Abwägungsregelungen“ entscheiden kann.54 In diese Richtung äußerte sich auch der damalige Bundesminister des Innern Otto Schily anlässlich der Verhandlung vor dem Bundesverfassungsgericht bezüglich der Verfassungsmäßigkeit von § 14 Abs. 3 LuftSiG.55 Diese Meinung überzeugt aus den folgenden Gründen nicht. Zunächst ist aufgrund des weiten Wortlautes des § 14 Abs. 3 LuftSiG nicht erkennbar, dass nur die Tötung von Störern erlaubt sein sollte. Nach der Gesetzesbegründung war für die Anwendung des § 14 Abs. 3 LuftSiG Voraussetzung, dass „zusätzlich zu dem Leben der im Luftfahrzeug befindlichen Menschen zielgerichtet auch das Leben anderer Menschen durch den Einsatz von Gewalt rechtswidrig bedroht wird“.56 Eine solche „rechtswidrige“ Bedrohung der Menschen im Luftfahrzeug wäre aber nur denkbar gewesen, wenn es sich bei diesen Personen um unbeteiligte Passagiere oder Besatzungsmitglieder, nicht aber um Störer gehandelt hätte.57 Im Ergebnis sollte § 14 Abs. 3 LuftSiG eine Ermächtigungsgrundlage zum Abschuss einer entführten Passagiermaschine und zur Tötung der Flugzeuginsassen darstellen.58 Das Bundesverfassungsgericht hat sich dieser Auslegung des § 14 Abs. 3 LuftSiG mit einer ähnlichen Begründung angeschlossen.59 Es ist anzumerken, dass die Fassung des § 14 Abs. 3 LuftSiG zu eng gewesen ist, um auf Angriffe aus dem Luftraum angemessen reagieren zu können, denn die Regelung erfasste nur solche Fälle, in denen das Luftfahrzeug selbst als Waffe missbraucht und gegen das Leben von Menschen eingesetzt werden sollte. Dagegen wäre § 14 Abs. 3 LuftSiG nicht anwendbar gewesen, wenn aus einem Luftfahrzeug Bomben oder Raketen abgeschossen worden wären.60 d) § 14 Abs. 4 LuftSiG Nach § 14 Abs. 4 Satz 1 LuftSiG hat nur der Bundesminister der Verteidigung beziehungsweise sein Vertreter aus der Bundesregierung die Befugnis, Maßnahmen nach § 14 Abs. 3 LuftSiG anzuordnen. Weiterhin kann der Bundesminister der Verteidigung gemäß § 14 Abs. 4 Satz 2 LuftSiG den Inspekteur der 54

H.-C. Ströbele, BT-Prot. 15/89, 7895. FR vom 10. November 2005, 4. 56 BT-Drucks. 15/2361, 21. 57 Vgl. K. Baumann, DÖV 2004, 853 (854 f.). 58 K. Paulke, 244 ff.; J. Ipsen, Anhörung, 22; J. Kersten, NVwZ 2005, 661 f.; H. Otto, JZ 2005, 473 (480); M. Kutscha, KJ 2004, 228 (239); siehe auch E. Klein, FS R. Mußgnug, 2005, 71 (75 f.), der die Interpretation Ströbeles als „Flucht aus der Verantwortung der das Gesetz befürwortenden Abgeordneten“ bezeichnet. 59 BVerfG, NJW 2006, 751 (753 Abs. 81). 60 R. Scholz, Stellungnahme, 10. Im Sinne einer effektiven Gefahrenabwehr wäre es wünschenswert, wenn der Gesetzgeber auch diesen Punkt bei den Überlegungen zur Neuregelung von Aufgaben der Bundeswehr berücksichtigen würde. 55

B. Neuregelungen des LuftSiG

175

Luftwaffe generell ermächtigen, Maßnahmen nach § 14 Abs. 1 LuftSiG anzuordnen, die unterhalb der Schwelle des § 14 Abs. 3 LuftSiG liegen. Laut Gesetzesbegründung entspricht dies den üblichen Befehlsstrukturen.61 Dabei darf § 14 Abs. 4 LuftSiG nicht ohne den systematischen Zusammenhang mit § 13 LuftSiG ausgelegt werden, wie es allerdings Pieroth und Hartmann tun. Sie schließen aus dem Wortlaut des § 14 Abs. 4 Satz 1 LuftSiG, der Bundesminister der Verteidigung könne „gemäß § 14 Abs. 4 LuftSiG alleine und auf eigene Initiative hin tätig“ werden.62 Auch Lepsius meint, der Einsatz nach § 14 Abs. 3 LuftSiG könne sich aus kompetenzrechtlichen Gründen nicht auf den regionalen Katastrophennotstand gemäß Art. 35 Abs. 2 Satz 2 GG stützen, weil dieser „die Anforderung der Streitkräfte durch ein Land betrifft, nicht aber das selbständige Tätigwerden des Bundesministers der Verteidigung“.63 Voraussetzung für Anordnungen des Bundesministers der Verteidigung nach § 14 Abs. 4 Satz 1 LuftSiG oder des Inspekteurs der Luftwaffe gemäß § 14 Abs. 4 Satz 2 LuftSiG ist aber zunächst, dass überhaupt eine generelle Entscheidung über den Streitkräfteeinsatz nach § 13 Abs. 2, 3 LuftSiG getroffen worden ist.64 § 14 Abs. 4 LuftSiG regelt nur das „Wie“ eines Einsatzes, aber nicht das „Ob“. Von einem alleinigen Tätigwerden kann folglich nicht die Rede sein.65 Vielmehr setzt eine Entscheidung des Bundesministers der Verteidigung im regionalen Katastrophennotstand stets eine Anforderung durch das betroffene Land voraus. 3. § 15 LuftSiG § 15 LuftSiG lautet: § 15 Sonstige Maßnahmen (1) Die Maßnahmen nach § 14 Abs. 1 und 3 dürfen erst nach Überprüfung sowie erfolglosen Versuchen zur Warnung und Umleitung getroffen werden. Zu diesem

61

BT-Drucks. 15/2361, 21. B. Pieroth/B. J. Hartmann, JURA 2005, 729 (733). 63 O. Lepsius, FG B. Hirsch, 2006, 47 (53 f. Fn. 38). 64 Vgl. S. Kaiser, TranspR 2004, 353 (354). Dabei ist unklar, ob die Entscheidungskompetenz nach § 13 Abs. 3 Satz 2 LuftSiG verfassungsgemäß ist, siehe dazu unten 3. Teil C. II. 1. d) aa). 65 Auch nicht mit der Begründung eine verklammernde Auslegung von §§ 13 und 14 LuftSiG liege fern, da gemäß § 14 Abs. 4 „nur“ der Bundesminister einen Streitkräfteeinsatz befehlen könne; so aber B. Pieroth/B. J. Hartmann, JURA 2005, 729 (733). § 14 Abs. 4 Satz 1 LuftSiG soll nämlich lediglich deutlich machen, dass über einen Abschuss kein Soldat in eigener Verantwortung, sondern nur der Bundesminister der Verteidigung beziehungsweise sein Vertreter aus der Bundesregierung entscheiden darf. Keinesfalls stellt § 14 Abs. 4 LuftSiG jedoch eine Durchbrechung der Entscheidungsbefugnis über das „Ob“ des Einsatzes gemäß § 13 Abs. 2, 3 LuftSiG dar. 62

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3. Teil: Abwehr auf Grundlage des LuftSiG

Zweck können die Streitkräfte auf Ersuchen der für die Flugsicherung zuständigen Stelle im Luftraum Luftfahrzeuge überprüfen, umleiten oder warnen. Ein generelles Ersuchen ist zulässig. Die Voraussetzungen für ein Tätigwerden werden in diesem Fall durch vorherige Vereinbarung festgelegt. (2) Der Bundesminister der Verteidigung kann den Inspekteur der Luftwaffe generell ermächtigen, Maßnahmen nach Absatz 1 anzuordnen. Der Inspekteur der Luftwaffe hat den Bundesminister der Verteidigung unverzüglich über Situationen zu informieren, die zu Maßnahmen nach § 14 Abs. 1 und 3 führen könnten. (3) Die sonstigen Vorschriften und Grundsätze der Amtshilfe bleiben unberührt.

Neben § 14 Abs. 2 LuftSiG berücksichtigt auch § 15 Abs. 1 Satz 1 LuftSiG das Prinzip der Verhältnismäßigkeit. Sinn der erforderlichen Überprüfung ist es, Tatsachen zu sammeln, aufgrund derer entschieden werden kann, ob im Rahmen der Gefahrenabwehr anzunehmen ist, dass ein besonders schwerer Unglücksfall nach Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG bevorsteht oder nicht.66 Die Maßnahmen der Streitkräfte gemäß § 15 Abs. 1 Satz 1 LuftSiG setzen dabei ein Ersuchen der für die Flugsicherung zuständigen Stelle voraus. Primär ist das Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Stadtentwicklung für die Flugsicherung zuständig.67 Bei einem erheblichen Luftzwischenfall im Sinne des § 13 Abs. 1 LuftSiG ist jedoch zu befürchten, dass der Funkkontakt zum betreffenden Luftfahrzeug abbricht und die Flugsicherung wegen der fehlenden Ausstattung mit Aufklärungsflugzeugen und Tiefflugradar die Position des Luftfahrzeuges nicht feststellen kann.68 In einer solchen Lage hat die Flugsicherung aus tatsächlichen Gründen nicht die Möglichkeit, Maßnahmen zur Überprüfung, Umleitung oder Warnung durchzuführen. Die Regelung in § 15 Abs. 1 Satz 2 LuftSiG stellt sicher, dass das Bundesministerium für Verkehr, Bau- und Stadtentwicklung sich der Fähigkeiten der Streitkräfte im Wege der Amtshilfe bedienen kann. § 15 Abs. 1 Satz 3 LuftSiG erklärt ein generelles Amtshilfeersuchen für zulässig. Dieses generelle Ersuchen kann in sachlicher Hinsicht ein Tätigwerden der Streitkräfte in Form der Überprüfung, Warnung und Umleitung im Vorfeld von Maßnahmen nach § 14 Abs. 1 LuftSiG bei gleichartigen, besonders eilbedürftigen Fällen umfassen.69

66

Vgl. BT-Drucks 15/2361, 21. Vgl. ausführlich zur Flugsicherung durch die zivilen Behörden W. Schwenk/E. Giemulla, 221 ff. 68 BT-Drucks. 15/2361, 21. 69 BT-Drucks. 15/2361, 21 f. 67

C. Verfassungsmäßigkeit der §§ 13 bis 15 LuftSiG

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C. Verfassungsmäßigkeit der §§ 13 bis 15 LuftSiG in formeller und wehrverfassungsrechtlicher Hinsicht I. Formelle Verfassungsmäßigkeit Im Rahmen der formellen Verfassungsmäßigkeit wird im Folgenden geprüft, ob der Bund die Gesetzgebungskompetenz für die Regelungen in §§ 13 bis 15 LuftSiG hat und ob das Gesetzgebungsverfahren ordnungsgemäß abgelaufen ist. Dabei spielen diese formellen Fragen bei der Bewertung des Streitkräfteeinsatzes im Rahmen des LuftSiG nur eine untergeordnete Rolle. Dennoch sind sie von Interesse, da die Streitkräfte Einzelmaßnahmen zur Gefahrenabwehr im Luftraum, die mit Eingriffsbefugnissen verbunden sind, nur auf Grundlage einer verfassungsgemäßen Ermächtigungsgrundlage ausführen dürfen. 1. Zuständigkeit für die Regelungen in §§ 13 bis 15 LuftSiG Grundsätzlich haben gemäß Art. 70 Abs. 1 GG die Länder das Recht der Gesetzgebung, soweit das Grundgesetz dieses Recht nicht dem Bund zugewiesen hat. Nach der Gesetzesbegründung der Bundesregierung ergibt sich die Kompetenz des Bundes aus Art. 73 Nr. 1 GG, „der dem Bund die ausschließliche Regelungskompetenz insbesondere auch für die Verwendung der Streitkräfte in einem besonders schweren Unglücksfall zuweist. Im Übrigen ergibt sich die Gesetzgebungskompetenz des Bundes aus Art. 73 Nr. 6 GG (Luftverkehr), welcher auch die polizeiliche Sicherheit des Luftverkehrs umfasst“.70

Vielfach wird die Gesetzgebungskompetenz des Bundes ausschließlich auf Art. 73 Nr. 6 GG gestützt. Weil diese Regelung in Bezug auf das LuftSiG spezieller ist, wird zunächst auf Art. 73 Nr. 6 GG eingegangen. a) Art. 73 Nr. 6 GG Art. 73 Nr. 6 GG begründet die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz des Bundes für „den Luftverkehr“. Der Begriff Luftverkehr umfasst dabei alle mit dem Flugwesen unmittelbar zusammenhängenden Tätigkeiten, Institutionen sowie Aufsichtsmaßnahmen.71 Teilweise wird auf das Kriterium der Unmittelbarkeit verzichtet.72

70

BT-Drucks. 15/2361, 14. v. Münch/Kunig-P. Kunig, Art. 73 Rdn. 27; Schmidt-Bleibtreu/Klein-R. Sannwald, Art. 73 Rdn. 64; Umbach/Clemens-D. C. Umbach, Art. 73 Rdn. 49. 72 v. Mangoldt/Klein/Starck-M. Heintzen, Art. 73 Nr. 6 Rdn. 52. 71

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3. Teil: Abwehr auf Grundlage des LuftSiG

Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts erfasst die Kompetenz nach Art. 73 Nr. 6 GG nicht nur Regelungen, die den „reinen“ Luftverkehr betreffen. Vielmehr habe der Bund eine umfassende Gesetzgebungskompetenz für das gesamte Luftfahrtwesen: „Die jeweilige Gesetzgebungskompetenz des Bundes umfasst auch Regelungen, welche der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung in dem jeweiligen Sachbereich dienen; sie sind diesem Kompetenzbereich zuzuordnen.“73

Weiterhin gebe es keine Anhaltspunkte dafür, dass der Verfassungsgeber die Zuständigkeit des Bundes aus Art. 73 Nr. 6 GG nur auf die Fälle der so genannten Betriebsgefahr begrenzen wollte.74 Aus dem Zusammenhang mit Art. 87d GG folge, dass der Bund auch für Regelungen „gegen Flugzeugentführungen und Sabotageakte“ zuständig sei.75 Allerdings wird zum Teil vertreten, es müsse sich um „luftverkehrstypische Gefahren“ handeln.76 Zahlreiche Stimmen in der Literatur nehmen Art. 73 Nr. 6 GG als Gesetzgebungskompetenz für §§ 13 bis 15 LuftSiG an:77 Die Länder hätten die Gesetzgebungskompetenz für die Gefahrenabwehr nur soweit, wie das Grundgesetz dem Bund keine Gesetzgebungskompetenz zugewiesen habe, wie dies durch Art. 73 Nr. 6 GG geschehen sei.78 Die Regelungen des LuftSiG dienten der Sicherheit des Luftverkehrs. Daher bestehe der notwendige Sachzusammenhang79 mit Art. 73 Nr. 6 GG: „Die Sicherheit ist immanente Voraussetzung dafür, dass Luftverkehr wirkungsvoll stattfinden kann. Sicherheit bedingt Abwehr möglicher Gefahren.“80

Zum Teil wird auch ausdrücklich vertreten, die Kompetenz des Art. 73 Nr. 6 GG umfasse nicht nur Regelungen zur Abwehr von Gefahren für den Luftverkehr, sondern auch Regelungen zur Abwehr von Gefahren, die aus dem Luftverkehr herrühren.81 73 BVerwGE 95, 188 (191); vgl. auch K. Baumann, in: Ziekow (Hg.), Aktuelle Probleme des Fachplanungs- und Raumordnungsrechts 2004, 9 (13 f.). 74 BVerwGE 95, 188 (191 f.). 75 BVerwGE 95, 188 (191). 76 Schmidt-Bleibtreu/Klein-R. Sannwald, Art. 73 Rdn. 65. 77 K. Paulke, 38; G. Laschewski, 130; A. Archangelskij, 90; M. Baldus, Stellungnahme, 7; P. J. Tettinger, Stellungnahme, 1; W.-R. Schenke, FG B. Hirsch, 2006, 75 (76); T. Linke, NWVBl. 2006, 71 (72 f.); C. Burkiczak, NZWehrr 2006, 89 (95); B. Pieroth/B. J. Hartmann, JURA 2005, 729 (730); K. Odendahl, Die Verwaltung 38 (2005), 425 (437 f.); U. Sittard/M. Ulbrich, JuS 2005, 432 (433); C. Gramm, NZWehrr 2003, 89 (96). 78 M. Baldus, Stellungnahme, 7. 79 Vgl. BVerfGE 3, 407 (433); 78, 374 (386 f.). 80 BVerwGE 95, 188 (191); M. Baldus, Stellungsnahme, 7 f.; B. Pieroth/B. J. Hartmann, JURA 2005, 729 (730). 81 G. Laschewski, 130; E. B. Franz/T. Günther, VBlBW 2006, 340 (341); C. Gramm, NZWehrr 2003, 89 (96); V. Epping, Stellungnahme, 2, der jedoch auch eine

C. Verfassungsmäßigkeit der §§ 13 bis 15 LuftSiG

179

Diese Auffassung kann jedoch nicht überzeugen, denn streng genommen handelt es sich bei Maßnahmen nach den §§ 13 bis 15 LuftSiG gar nicht um Maßnahmen, die der Abwehr von Angriffen auf die Sicherheit des Luftverkehrs dienen. Vielmehr sollen Angriffe, die sich aus dem Luftraum auf andere Ziele richten, abgewehrt werden.82 Zu Recht meint Giemulla, dass es „geradezu zynisch“ klingen würde, wenn der Abschuss eines Luftfahrzeuges mit der polizeilichen Sicherheit des Luftverkehrs begründet werden würde.83 Von daher liegt es nahe, eine Kompetenz auf Grundlage des Art. 73 Nr. 6 GG abzulehnen. Es geht nicht um die Sicherheit des Luftverkehrs, sondern um die Sicherheit vor dem Missbrauch des Luftverkehrs. Die Befürworter der Kompetenz nach Art. 73 Nr. 6 GG übersehen auch, dass das Bundesverfassungsgericht eine Gesetzgebungskompetenz kraft Sachzusammenhangs nur dann annimmt, soweit die Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung nicht der alleinige und unmittelbare Gesetzeszweck ist.84 Das LuftSiG dient aber dem alleinigen Zweck der Aufrechterhaltung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (vgl. § 1 LuftSiG). Schon deshalb kann sich die Gesetzgebungskompetenz des Bundes nicht aus Art. 73 Nr. 6 GG ergeben. Dieses Ergebnis vertritt auch das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zu § 14 Abs. 3 LuftSiG. Zur Begründung führt es an, dass es in §§ 13 bis 15 LuftSiG nicht um ein Handeln des Bundes im Bereich des Luftverkehrs beziehungsweise der Luftsicherheit geht, sondern um die Unterstützung der Gefahrenabwehr der Länder. Damit handele es sich um „Ausführungsregelungen zum Streitkräfteeinsatz in den Konstellationen des Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG“ und nicht um die Bundeskompetenz für den Luftverkehr.85 b) Art. 73 Nr. 1 GG Gemäß Art. 73 Nr. 1 GG hat der Bund die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz für „die auswärtigen Angelegenheiten sowie die Verteidigung einschließlich des Schutzes der Zivilbevölkerung“. Durch die Normierung dieser Gesetzgebungskompetenz wurde erstmals im Grundgesetz der Begriff „Verteidigung“ verwendet. Landeskompetenz erwägt, wenn es sich „um Gefahren aus der Luft für andere Bereiche“ handelt. 82 So auch E. Giemulla, ZLW 2005, 32 (33): „Womit immer man den Abschuss von Zivilluftfahrzeugen rechtfertigen mag: mit der Sicherheit der Bevölkerung, von industriellen Großanlagen oder sonstigen sicherheitsempfindlichen Bereichen – der Sicherheit des Luftverkehrs dient er nun wirklich nicht.“; zustimmend auch R. Schmidt, Staatsorganisationsrecht, Rdn. 804. 83 E. Giemulla, ZLW 2005, 32 (33). 84 BVerfGE 8, 143 (150); S. Richter, 27. 85 BVerfG, NJW 2006, 751 (754 Abs. 91).

180

3. Teil: Abwehr auf Grundlage des LuftSiG

Dabei ist der Begriff Verteidigung im Sinne des Art. 73 Nr. 1 GG unklar und umstritten. Immerhin war bis zur Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu § 14 Abs. 3 LuftSiG weitgehend anerkannt, dass er nicht die gleiche Bedeutung wie der Verteidigungsbegriff in Art. 87a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 GG hat.86 Problematisch bei einer Bestimmung der Gesetzgebungskompetenz ist, dass der Gegenstand „Verteidigung“ im Gegensatz zu anderen ausschließlichen Gesetzgebungskompetenzen des Bundes keinen in sich geschlossenen Bereich darstellt, sondern auf eine Vielzahl von regelungsbedürftigen Rechtsgebieten übergreifen kann. Dies trifft insbesondere auf den Konfliktfall zu, in dem viele Kompetenznormen, die auf den ersten Blick nicht die Verteidigung betreffen, einen verteidigungsrelevanten Charakter aufweisen können.87 Im Wesentlichen sind drei unterschiedliche Definitionsansätze vorhanden: aa) „Finaler Ansatz“ Ausgehend von der Abhängigkeit der Weite des Regelungsgegenstandes Verteidigung von einer Konfliktsituation meint R. Fuchs, Art. 73 Nr. 1 GG begründe keine Legislativkompetenz für einen bestimmten Regelungsgegenstand. Vielmehr werde der Bundesgesetzgeber „zu einem finalen gesetzgeberischen Tätigwerden zur Verteidigung, nicht bloß zu einem Tätigwerden auf bestimmten gegenständlichen Bereichen der Verteidigung“, ermächtigt.88 Die Bundeskompetenz werde lediglich durch den allgemeinen Grundsatz der Verhältnismäßigkeit begrenzt.89 Nach diesem Ansatz erfolgt also die Bestimmung der Bundeskompetenz rein zweckorientiert.90 Dieser Ansatz kann nicht überzeugen: Die Begründung einer Bundeskompetenz würde demnach davon abhängen, ob nach dem Willen des Gesetzgebers eine solche Kompetenz besteht. Es kann jedoch nicht auf die Vorstellung des Gesetzgebers ankommen, sondern nur auf den materiellen Gehalt der jeweiligen Regelungen.91 Ansonsten wäre das System der Gesetzgebungszuständigkeiten des Grundgesetzes der Beliebigkeit des Gesetzgebers ausgeliefert.

86 Vgl. BVerwG, DÖV 1973, 490 (492); Umbach/Clemens-D. C. Umbach, Art. 73 Rdn. 23 m.w. N.; a. A. v. Mangoldt/Klein-C. Pestalozza, Art. 73 Nr. 1 Rdn. 37; A. Fischer-Lescano, AöR 128 (2003), 52 (72 f.); P. Kirchhof, FS Bernhardt, 1995, 797 (803 f.). 87 Vgl. Maunz/Dürig-T. Maunz, Art. 73 Rdn. 14; J. Heinen, NZWehrr 2002, 177 (179). Maunz verweist auf die konkurrierende Gesetzgebungskompetenz für das „Ernährungswesen“ (Art. 74 Abs. 1 Nr. 17 GG), die im Konfliktfall sicherlich auch den Regelungsgegenstand Verteidigung betreffe. 88 R. Fuchs, 53 f. 89 R. Fuchs, 73 ff. 90 Vgl. C. v. Bülow, Einsatz der Streitkräfte zur Verteidigung, 40. 91 Ebenso C. Burkiczak, NZWehrr 2006, 89 (94).

C. Verfassungsmäßigkeit der §§ 13 bis 15 LuftSiG

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bb) Restriktiver Ansatz Der restriktive Ansatz geht maßgeblich auf die Kommentierung von Maunz zu Art. 73 Nr. 1 GG zurück, wobei allerdings auch er den Sachbereich der Verteidigung weiter als einen Sachbereich „Streitkräfte“ oder „Bundeswehr“ sieht.92 Nach Maunz erstreckt sich die Gesetzgebungskompetenz jedoch nur auf solche „Maßnahmen, die der Abwehr von Angriffen anderer Staaten auf die Bundesrepublik dienen“.93 Etwas anderes ergebe sich auch nicht durch die Formulierung „Schutz der Zivilbevölkerung“, da „unzweifelhaft“ nur der Schutz gegenüber „kriegsbedingten Gefahren“, nicht aber gegenüber jeglichen Gefahren gemeint sei.94 In diese Richtung argumentiert auch Schopohl, der „alle der staatlichen Selbstbehauptung nach außen dienenden, über den militärischen Bereich hinausgehenden Aufgaben“ von der Bundeskompetenz nach Art. 73 Nr. 1 GG erfasst sieht.95 Auch Eichhorn lehnt eine generelle Gesetzgebungskompetenz des Bundes für den Katastrophennotstand ab. Die Formulierung „Schutz der Zivilbevölkerung“ in Art. 73 Nr. 1 GG begründe eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes nur für solche Katastrophen, die im Zusammenhang mit einem Verteidigungsfall stehen.96 Steinkamm folgt grundsätzlich der restriktiven Auslegung.97 Allerdings subsumiert er Regelungen, die der Vorbeugung und Beseitigung von Naturkatastrophen und Unglücksfällen dienen, unter den Bereich des Zivilschutzes und bejaht so eine Bundeskompetenz.98

92 Maunz/Dürig-T. Maunz, Art. 73 Rdn. 49. Nicht nachvollziehbar ist, dass C. v. Bülow, Einsatz der Streitkräfte zur Verteidigung, 42, Maunz’ Ansatz als „extensive Auslegung“ bezeichnet, denn nach Maunz wäre eine Gesetzgebungskompetenz für den Bereich des Sekundäreinsatzes ausgeschlossen. 93 Maunz/Dürig-T. Maunz, Art. 73 Rdn. 49. 94 Maunz/Dürig-T. Maunz, Art. 73 Rdn. 51; E. Giemulla, ZLW 2005, 32 (33); vgl. auch § 1 Abs. 1 Satz 1 des Zivilschutzgesetzes vom 25. März 1997, BGBl I 1997, 726: „Aufgabe des Zivilschutzes ist es, durch nichtmilitärische Maßnahmen die Bevölkerung, ihre Wohnungen und Arbeitsstätten, lebens- oder verteidigungswichtige zivile Dienststellen, Betriebe, Einrichtungen und Anlagen sowie das Kulturgut vor Kriegseinwirkungen [Hervorhebung des Verf.] zu schützen und deren Folgen zu beseitigen oder zu mildern.“ 95 U. Schopohl, 67. 96 P. Eichhorn, 36, 38 f.; vgl. M. Oldiges, in: Achterberg/Püttner (Hg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Band 2, § 23 Rdn. 211. 97 A. A. Steinkamm, FS W. Geiger, 1989, 310 (322). 98 A. A. Steinkamm, FS W. Geiger, 1989, 310 (325).

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3. Teil: Abwehr auf Grundlage des LuftSiG

cc) Extensiver Ansatz Das Bundesverwaltungsgericht hat sich in einer Entscheidung zu Fragen des Aufwendungsersatzes bei Einsätzen der Bundeswehr im Katastrophenschutz Maunz’ Auffassung dahingehend angeschlossen, dass die Bundeskompetenz für den Sachbereich der Verteidigung mehr als nur Regelungen bezüglich der Streitkräfte oder der Bundeswehr umfasst.99 Das Bundesverwaltungsgericht hat jedoch die Einschränkung auf Maßnahmen, die der Abwehr von Angriffen anderer Staaten dienen, nicht übernommen. Vielmehr könne jeglicher Einsatz der Streitkräfte durch den Bund geregelt werden. Explizit führt das Bundesverwaltungsgericht aus: „So könnte der Bundesgesetzgeber auf der Grundlage des Art. 73 Nr. 1 GG ein Gesetz zur Ausführung des Art. 35 Abs. 2 GG hinsichtlich des Einsatzes der Streitkräfte erlassen“.100

Der überwiegende Teil der Literatur versteht, teilweise unter Berufung auf das genannte Urteil des Bundesverwaltungsgerichts, Verteidigung im Sinne des Art. 73 Nr. 1 GG als „umfassende Kompetenzgrundlage für das Recht der Streitkräfte“101, das heißt auch für den Einsatz der Bundeswehr außerhalb des Verteidigungsfalls und des Verteidigungsauftrages, also zum Beispiel im Katastrophennotstand nach Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG.102 Weiterhin bestehe die Bundeskompetenz nicht nur in Bezug auf die Abwehr von Angriffen anderer Staaten auf die Bundesrepublik, da dies eine Ausgrenzung von Einsätzen im Rahmen der Vereinten Nationen, von Einsätzen im Innern und Nothilfe durch die Streitkräfte bedeuten würde.103

99 BVerwG, DÖV 1973, 490 (492); siehe zu den Hintergründen der Entscheidung F. Saländer, BWV 1974, 135 ff. 100 BVerwG, DÖV 1973, 490 (492). 101 Schmidt-Bleibtreu/Klein-R. Sannwald, Art. 73 Rdn. 13. 102 v. Münch/Kunig-P. Kunig, Art. 73 Rdn. 9; v. Mangoldt/Klein/Starck-M. Heintzen, Art. 73 Nr. 1 Rdn. 12; AK-M. Bothe, Art. 73 Rdn. 2; Umbach/Clemens-D. C. Umbach, Art. 73 Rdn. 23; Jarass/Pieroth-B. Pieroth, Art. 73 Rdn. 4; Sachs-C. Degenhart, Art. 73 Rdn. 6; G. Laschewski, 131; K. Odendahl, Die Verwaltung 38 (2005), 425 (436); W. Brunkow, NZWehrr 1971, 12 (13); a. A. D. Majer, NVwZ 1991, 653 (655), die meint, die Länder seien für die Regelungen des Katastrophenschutzes bei Unglücksfällen zuständig. Zur Begründung führt Majer an, dass der Bund gemäß Art. 73 Nr. 1 GG nur „im Verteidigungsfall“ für die Regelungen des Zivilschutzes zuständig sei. Dabei übersieht sie, dass Art. 73 Nr. 1 GG von „Verteidigung“ und nicht von „im Verteidigungsfall“ spricht. Daher ist ihre Auffassung abzulehnen. 103 v. Mangoldt/Klein/Starck-M. Heintzen, Art. 73 Nr. 1 Rdn. 12.

C. Verfassungsmäßigkeit der §§ 13 bis 15 LuftSiG

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dd) Gleichstellung des Verteidigungsbegriffs in Art. 73 Nr. 1 und Art. 87a Abs. 2 GG Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung zu § 14 Abs. 3 LuftSiG den Begriff der Verteidigung in Art. 73 Nr. 1 GG und in Art. 87a Abs. 2 GG gleichgestellt: „Da diese Artikel [gemeint sind Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG] unstreitig zu den Regelungen des Grundgesetzes gehören, die im Sinne des Art. 87a Abs. 2 GG den Einsatz der Streitkräfte außerhalb der Verteidigung ausdrücklich zulassen [. . .], geht es § 14 Abs. 3 LuftSiG ebenso wie den übrigen Regelungen des Abschnitts 3 des Gesetzes, auch im Sinne der Kompetenznorm des Art. 73 Nr. 1 GG, nicht um Verteidigung“.104

Eine nähere Begründung für diese Auffassung gibt das Bundesverfassungsgericht nicht. Dies überrascht, da es sich ausdrücklich gegen die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts105 und seine eigene frühere Rechtsprechung stellt, wie im Folgenden dargestellt wird. ee) Bewertung der Bundeskompetenz nach Art. 73 Nr. 1 GG Der restriktive Ansatz geht von einem überholten Verständnis des Verteidigungsbegriffs aus. Wie bereits oben dargestellt wurde, umfasst der Verteidigungsauftrag der Streitkräfte gemäß Art. 87a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 GG mehr als lediglich die Abwehr von Angriffen anderer Staaten.106 Auch die Gleichstellung des Verteidigungsbegriffs in Art. 73 Nr. 1 GG und Art. 87a Abs. 2 GG durch das Bundesverfassungsgericht kann nicht überzeugen. Vom Wortlaut ist zu bedenken, dass in Art. 73 Nr. 1 GG von der „Verteidigung einschließlich des Schutzes der Zivilbevölkerung“ die Rede ist. Ein solcher Zusatz findet sich jedoch nicht in Art. 87a Abs. 2 GG. Dies ist dadurch zu erklären, dass das Grundgesetz in Art. 73 Nr. 1 GG eine aus zivilen und militärischen Komponenten bestehende Gesamtverteidigung regelt.107 So sind auf Grundlage der Gesetzgebungskompetenz zahlreiche Gesetze ergangen, die zur Sicherstellung einer logistischen Grundversorgung für die Bevölkerung und die Bundeswehr dienen.108 Diese Regelungen betreffen – jedenfalls soweit es um

104 BVerfG, NJW 2006, 751 (754 Abs. 90); zustimmend Giemulla/van Schyndel-E. Giemulla, LuftSiG, Vorbemerkung zu Abschnitt 3 Rdn. 5; K. Baumann, JURA 2006, 447 (450); W. Hetzer, StraFo 2006, 140 (146). 105 BVerwG, DÖV 1973, 490 (492). 106 Siehe oben 2. Teil B. VII. 107 J.-P. Fiebig, 232; G. Großmann, Teil II, Rdn. 327; vgl. zum Begriff „Gesamtverteidigung“ auf nationaler Ebene J. v. Kalckreuth, 22. 108 Vgl. zu den einzelnen Gesetzen H.-J. Wipfelder/H.-G. Schwenck, Rdn. 1216 f.

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3. Teil: Abwehr auf Grundlage des LuftSiG

die zivile Komponente geht – unzweifelhaft nicht die Tätigkeiten der Streitkräfte im Sinne des Verteidigungsauftrages gemäß Art. 87a Abs. 2 GG. Die Begriffe der Verteidigung in Art. 73 Nr. 1 GG und in Art. 87a Abs. 2 GG haben weiterhin eine völlig andere Funktion. Art. 87a Abs. 2 GG will die Tätigkeiten der Streitkräfte verfassungsrechtlich limitieren; Art. 73 Nr. 1 GG soll dagegen ein gesetzgeberisches Tätigwerden im Bereich des Militärwesens ermöglichen.109 Daher ist es auch wenig überzeugend, die Diskussion um den Verteidigungsauftrag der Streitkräfte anhand der Kompetenznorm des Art. 73 Nr. 1 GG darzustellen.110 Verteidigung im Sinne des Art. 73 Nr. 1 GG ist daher im Sinne einer umfassenden Auslegung als Bundeskompetenz für alle Regelungen, welche die Bundeswehr betreffen, zu verstehen. Diese Auffassung hat im Übrigen auch das Bundesverfassungsgericht in der Vergangenheit vertreten. So hat der Zweite Senat mit Beschluss vom 8. Dezember 1982 ausgeführt: „Die Zuständigkeit des Bundes für die Heilfürsorgeansprüche der Angehörigen der Bundeswehr (§ 30 Abs. 1 Soldatengesetz) gründet sich auf seine Gesetzgebungsbefugnis für die Verteidigung (Art. 73 Nr. 1 GG) [. . .]. Die Regelung der Dienstverhältnisse in den Streitkräften stellt sich als ein notwendiger Bestandteil der Wehrverfassung dar und ist untrennbar mit ihr verzahnt [. . .]. Das Dienstrecht der Zivildienstleistenden, deren Dienst – unbeschadet wesensverschiedener Aufgabenbereiche – lediglich an die Stelle des primär zu leistenden Wehrdienstes tritt [. . .], gehört ebenfalls zu dem speziellen Sachbereich des Art. 73 Nr. 1 GG.“111

In dieser Entscheidung versteht das Bundesverfassungsgericht den Verteidigungsbegriff in Art. 73 Nr. 1 GG als umfassende Kompetenzgrundlage für Regelungen der Wehrverfassung. Es wäre wohl kaum vertretbar, das Dienstrecht der Zivildienstleistenden unter den Verteidigungsbegriff nach Art. 87a Abs. 2 GG zu subsumieren. Dies wäre jedoch erforderlich, wenn man der Gleichstellung des Begriffs der Verteidigung im Sinne der aktuellen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts folgt. Im Ergebnis ist daher der extensiven Auffassung zu folgen, die auch Regelungen für einen Einsatz der Streitkräfte im Katastrophennotstand gemäß Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG auf die Bundeskompetenz für Verteidigung im Sinne des Art. 73 Nr. 1 GG stützt. Die Bundeskompetenz nach Art. 73 Nr. 1 GG reicht allerdings nicht bis in den Bereich der allgemeinen Gefahrenabwehr, da ansonsten die Länderkompetenzen beschnitten werden würden.112 Eine solche Begrenzung der Länderzu109 Vgl. die Äußerungen im verfassungsändernden Gesetzgebungsverfahren bei J.-P. Fiebig, 232 Fn. 232. 110 So aber O. Lepsius, FG B. Hirsch, 2006, 47 (55 f.). 111 BVerfGE 62, 354 (367 f.). 112 So auch ausdrücklich C. Hillgruber/J. Hoffmann, NVWBl. 2004, 176 (180); vgl. K. Ipsen, in: K.-D. Schwarz (Hg.), Sicherheitspolitik, 615 (630).

C. Verfassungsmäßigkeit der §§ 13 bis 15 LuftSiG

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ständigkeiten ist nur im Verteidigungsfall nach Art. 115c Abs. 1 GG zulässig.113 Ein Eingriff in die Gesetzgebungskompetenz der Länder liegt mit den Regelungen der §§ 13 bis 15 LuftSiG auch nicht vor, da lediglich Regelungen für den Einsatz der Streitkräfte im Katastrophennotstand getroffen werden.114 Keinesfalls geht es um Bereiche der allgemeinen Gefahrenabwehr. Im Ergebnis hat der Bund daher gemäß Art. 73 Nr. 1 GG die Gesetzgebungskompetenz für die Regelungen in §§ 13 bis 15 LuftSiG. c) Ungeschriebene Gesetzgebungskompetenz des Bundes Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass sich die Gesetzgebungskompetenz für Regelungen, die den Streitkräfteeinsatz nach Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG betreffen, direkt aus diesen Vorschriften ergibt.115 Im Ergebnis lehnt das Bundesverfassungsgericht eine Bundeskompetenz für die Regelung des § 14 Abs. 3 LuftSiG jedoch ab, da sich diese „Vorschrift nicht mit den wehrverfassungsrechtlichen Vorgaben des Grundgesetzes vereinbaren lässt“.116 Eine ähnliche Auffassung haben zuvor Hillgruber und J. Hoffmann vertreten, die eine Bundeskompetenz aus der Natur der Sache annehmen. Aus der Pflicht zur Aufstellung von Streitkräften in Art. 87a Abs. 1 Satz 1 GG und den im Grundgesetz geregelten Möglichkeiten eines Streitkräfteeinsatzes folge, dass der Bund auch die Kompetenz für Bestimmungen habe, die den Streitkräfteeinsatz im Katastrophennotstand näher regeln. Eine Länderkompetenz sei dagegen nicht denkbar.117 Die Ableitung der Gesetzgebungskompetenz unmittelbar aus Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG kann nicht überzeugen.118 In Art. 35 GG heißt es nicht: „Das Nähere bezüglich des Einsatzes der Streitkräfte wird durch Bundesgesetz geregelt.“ Die Anerkennung von Kompetenzen aus materiellen Vorschriften des Grundgesetzes würde eine Gefahr für die grundsätzliche Gesetzgebungskompetenz der Länder gemäß Art. 70 Abs. 1 GG bedeuten.119 Letztlich

113 Art. 115c Abs. 1 GG begründet eine konkurrierende Gesetzgebungskompetenz des Bundes auch für solche Sachgebiete, die ansonsten den Ländern vorbehalten sind, und enthält damit eine Bundeskompetenz, die über Art. 73 Nr. 1 GG hinausgeht, vgl. BT-Drucks. V/1879, 26; R. Fuchs, 62. 114 Nach der hier vertretenen Auffassung können die Streitkräfte bei einem Einsatz im Katastrophennotstand auf Grundlage von Bundesrecht tätig werden, siehe ausführlich hierzu unten 3. Teil C. II. 1. b) aa) (3). 115 BVerfG, NJW 2006, 751 (754 Abs. 91). 116 BVerfG, NJW 2006, 751 (754 Abs. 92). 117 C. Hillgruber/J. Hoffmann, NWVBl. 2004, 176 (180). 118 Kritisch zur Auffassung des Bundesverfassungsgerichts auch C. Gramm, GreifRecht 2/2006, 82 (83 Fn. 9).

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3. Teil: Abwehr auf Grundlage des LuftSiG

ist der Weg des Bundesverfassungsgerichts durch ein weites Verständnis des Verteidigungsbegriffs im Sinne des Art. 73 Nr. 1 GG auch überflüssig. d) Zwischenergebnis Der Bund hat die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz für die Regelungen der §§ 13 bis 15 LuftSiG nach Art. 73 Nr. 1 GG. Die Frage, ob die Regelungen, die in Ausübung dieser Kompetenz erlassen worden sind, mit Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG und Art. 87a Abs. 2 GG vereinbar sind, ist kein Problem der formellen Verfassungsmäßigkeit, wie es das Bundesverfassungsgericht annimmt.120 Vielmehr geht es um materielles Verfassungsrecht,121 nämlich um die Frage, unter welchen Voraussetzungen die Streitkräfte im Katastrophennotstand eingesetzt werden und welcher Einsatzmittel sie sich bedienen dürfen. Daher werden diese Fragestellungen im Rahmen der materiellen Verfassungsmäßigkeit geprüft. 2. Verfahren Fraglich ist des Weiteren, ob das LuftSiG in einem ordnungsgemäßen Verfahren beschlossen worden ist. Problematisch ist hier, dass das Gesetz zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben in seiner Gesamtheit zustimmungsbedürftig sein könnte; sonstige Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Verfahrens bestehen nicht. Zunächst wird im Folgenden der tatsächliche Ablauf des Gesetzgebungsverfahrens dargestellt und im Anschluss rechtlich bewertet. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts hat in Bezug auf die Verfassungsmäßigkeit des Verfahrens keine Klärung gebracht.122 Die Beschwerdeführer sind zwar von der Zustimmungsbedürftigkeit des LuftSiG gemäß Art. 87d Abs. 2 119 Ähnlich auch R. Schmidt, Staatsorganisationsrecht, Rdn. 804. Allerdings ist Schmidts Prüfung der Gesetzgebungskompetenzen für § 14 Abs. 3 LuftSiG unvollständig, da er die Kompetenz aus Art. 73 Nr. 1 GG nicht anspricht. 120 Vgl. BVerfG, NJW 2006, 751 (754 Abs. 92); siehe auch K. Odendahl, Die Verwaltung 38 (2005), 425 (443). Odendahl bezeichnet die Vorschriften des LuftSiG bezüglich des Einsatzes der Streitkräfte als „formell verfassungswidrig“, obwohl sie eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes bejaht. Diese formelle Verfassungswidrigkeit leitet sie aus einem Verstoß gegen Art. 87a Abs. 2 GG ab. Die formelle Verfassungsmäßigkeit betrifft jedoch lediglich Fragen der Zuständigkeit, des Verfahrens und der Form. Ein etwaiger Verstoß gegen Art. 87a Abs. 2 GG ist daher entgegen Odendahl ein Problem des materiellen Verfassungsrechts. 121 Vgl. auch M. Sachs, JuS 2006, 448 (450); C. Burkiczak, NZWehrr 2006, 89 (94), der ausführt, dass die inhaltliche Rechtmäßigkeit für die Zuordnung einer bestimmten Gesetzgebungskompetenz unerheblich ist. 122 Unverständlich ist daher, warum K. Baumann, JURA 2006, 447 (453), meint, das Bundesverfassungsgericht habe eine „vollständige Verfassungsrechtsprüfung“ vorgenommen.

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GG ausgegangen. Allerdings sei die Verfassungsbeschwerde insoweit unzulässig, da die Begründung nicht ausführe, „welche Vorschriften mit einem nach Art. 87d Abs. 2 GG zustimmungsauslösenden Inhalt konkret durch das jetzt erlassene Gesetz geändert worden sein sollen und inwieweit dies nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu dieser Vorschrift [. . .] die Zustimmungsbedürftigkeit des Änderungsgesetzes begründet haben könnte“.123

Zu Recht kritisiert Schenke diesen Weg des Bundesverfassungsgerichts. Die Beschwerdeführer haben substantiiert eine Grundrechtsverletzung geltend gemacht. Das Bundesverfassungsgericht hat im so genannten Elfes-Urteil selbst anerkannt, dass eine Verletzung eines Freiheitsgrundrechts auch dann vorliegt, wenn ein Eingriff unter Verstoß gegen objektiv-rechtliche Bestimmungen erfolgte.124 Ist eine Verfassungsbeschwerde zulässig, so hat das Bundesverfassungsgericht von Amts wegen auch solche objektiv-rechtlichen Verstöße zu prüfen, die von den Beschwerdeführern überhaupt nicht oder nicht mit einer hinreichenden Begründung geltend gemacht worden sind.125 Vor der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts haben sich einige Fachgerichte mit der Frage der Zustimmungsbedürftigkeit des LuftSiG auseinandergesetzt. Dabei wurden zum Teil erhebliche Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit des Verfahrens geäußert.126 Andere Gerichte halten die Regelungen des LuftSiG für verfassungsgemäß, ohne jedoch ausdrücklich die Frage der Zustimmungsbedürftigkeit anzusprechen.127 Abschließende Entscheidungen liegen noch nicht vor, da es sich überwiegend um Verfahren im vorläufigen Rechtsschutz nach § 80 Abs. 5 VwGO handelte. a) Ablauf des Gesetzgebungsverfahrens Das LuftSiG geht auf einen Entwurf der Bundesregierung für das Gesetz zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben 128 zurück. Der Gesetzentwurf wurde 123 BVerfG, NJW 2006, 751 (752 Abs. 74). Bereits zuvor hat sich das Bundesverfassungsgericht in einem Beschluss vom 17. März 2005 – 1 BvR 470/05 bezüglich einer Verfassungsbeschwerde gegen die Zuverlässigkeitsüberprüfungen nach § 7 LuftSiG aus formellen Gründen nicht mit der Frage der Zustimmungsbedürftigkeit des LuftSiG auseinandergesetzt. 124 BVerfGE 6, 32; vgl. auch BVerfGE 77, 170 (230). 125 W.-R. Schenke, NJW 2006, 736; U. Fink, JZ 1999, 1016 (1018). 126 VG Minden, Beschluss vom 7. November 2005 – 3 L 735/05; VG Braunschweig, Beschluss vom 10. Oktober 2005 – 2 B 247/05; VG Hamburg, Beschluss vom 8. Februar 2006 – 5 E 3691/05. 127 OVG Nordrhein-Westfalen, Urteil vom 28. April 2005 – 20 A 4721/03; OVG Niedersachsen, Beschluss vom 3. Mai 2005 – 12 MS 132/05; BayVGH, Beschluss vom 12. Juli 2005 – 20 CS 05.1674, S. 9 des Umdrucks; VG Sigmaringen, Urteil vom 12. Mai 2005 – 2 K 264/05; VG Düsseldorf, Urteil vom 9. Juni 2005 – 6 K 7954/04.

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3. Teil: Abwehr auf Grundlage des LuftSiG

nach Billigung durch die Bundesregierung am 5. November 2003 dem Bundesrat am 7. November 2003 gemäß Art. 76 Abs. 2 Satz 1 GG zugeleitet.129 Der Bundesrat hat in der 795. Sitzung am 19. Dezember 2003130 zu dem Entwurf gemäß Art. 76 Abs. 2 Satz 2 GG Stellung genommen und zahlreiche Änderungen gefordert, die jedoch nicht den Einsatz der Streitkräfte betrafen.131 Anschließend wurde der Entwurf mit der Stellungnahme des Bundesrates und der Gegenäußerung der Bundesregierung am 14. Januar 2004 dem Bundestag zugeleitet.132 Die erste Lesung fand am 30. Januar 2004 statt, wobei die parlamentarische Debatte sich schwerpunktmäßig mit der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit des im Gesetzentwurf vorgesehenen Einsatzes der Streitkräfte im Innern befasste.133 Im Anschluss an die erste Lesung wurde der Gesetzentwurf an den (federführenden) Innenausschuss, den Auswärtigen Ausschuss, den Rechtsausschuss, den Verteidigungsausschuss, den Ausschuss für Verkehr, Bau und Wohnungswesen und den Ausschuss für Tourismus überwiesen.134 Am 26. April 2004 fand im Innenausschuss des Bundestages eine öffentliche Sachverständigenanhörung zum Gesetzentwurf der Bundesregierung, zum Gesetzentwurf der Unionsfraktion „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Artikel 35 und 87a)“135 und zum Antrag der Unionsfraktion „Mehr Sicherheit im Luftverkehr“136 statt.137 Am 16. Juni 2004 legte der Innenausschuss seine Beschlussempfehlung und seinen Bericht zu den genannten Vorlagen vor.138 Dabei hat der Innenausschuss den Gesetzentwurf der Bundesregierung in der Fassung des Änderungsantrages der Koalitionsfraktionen auf Ausschussdrucksache 15(4)118 mit den Stimmen der Koalition angenommen und die beiden Vorlagen der Opposition abgelehnt.139 Anschließend ist der Bundestag am 18. Juni 2004 erwartungsgemäß der Beschlussempfehlung des Innenausschusses gefolgt und hat das Gesetz zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben mit den Stimmen der Koalitionsfraktionen beschlossen.140 Die Vorlagen der Opposition wurden vom Bundestag mehrheitlich abgelehnt.141 128

BR-Drucks. 827/03. Anschreiben des Bundeskanzlers an den Präsidenten des Bundesrates vom 7. November 2003, BR-Drucks. 827/03, 3. 130 BR-Prot. 795, 21. 131 BR-Drucks. 827/03 (B). 132 BT-Drucks. 15/2361. 133 Vgl. BT-Prot. 15/89, 7881–7902. 134 BT-Prot. 15/89, 7902 und 7881. 135 BT-Drucks. 15/2649. 136 BT-Drucks. 15/747. 137 Innenausschuss-Prot. 15/35. 138 BT-Drucks. 15/3338. 139 BT-Drucks. 15/3338, 36. 140 BT-Prot. 15/115, 10545. 129

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Im Bundesrat wurde der Entwurf dem (federführenden) Innenausschuss, dem Verteidigungsausschuss und dem Verkehrsausschuss zugewiesen; die Ausschüsse legten ihre Beschlussempfehlung am 30. Juni 2004 vor.142 Am 9. Juli 2004 hat der Bundesrat auf seiner 802. Sitzung seine Zustimmung zu dem Gesetzentwurf versagt. Weiterhin hat der Bundesrat mit der Mehrheit seiner Mitglieder festgestellt, dass der Gesetzentwurf der Zustimmung des Bundesrates bedarf und den Vermittlungsausschuss angerufen.143 Der Bundestag wurde am 14. Juli 2004 von der Anrufung des Vermittlungsausschusses unterrichtet.144 Am 22. September 2004 hat der Vermittlungsausschuss das Vermittlungsverfahren abgeschlossen, ohne einen Einigungsvorschlag erzielt zu haben.145 Am 23. September 2004 beantragte das Land Baden-Württemberg, der Bundesrat möge beschließen, dass für den Fall, dass das Gesetz zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben nicht zustimmungsbedürftig sein sollte, Einspruch gemäß Art. 77 Abs. 3 GG eingelegt wird.146 Auf der 803. Sitzung des Bundesrates am 24. September 2004 fand sich keine Mehrheit für den Gesetzentwurf. Im Anschluss wurde der Antrag BadenWürttembergs, vorsorglich Einspruch einzulegen, mit einer Mehrheit von 41 Stimmen angenommen.147 Der Bundestag wurde über diesen Beschluss am gleichen Tag unterrichtet.148 Am 24. September 2004 wies der Bundestag den Einspruch entsprechend eines Antrages der Koalitionsfraktionen vom gleichen Tag149 in namentlicher Abstimmung mit 303 Ja-Stimmen zu 278 Nein-Stimmen zurück.150 Die nach Art. 77 Abs. 4 Satz 1 GG erforderliche Mehrheit der Mitglieder (301 Stimmen)151 wurde damit erreicht.

141

BT-Prot. 15/115, 10545. BR-Drucks. 509/1/04. 143 BR-Prot. 802, 362. 144 BT-Drucks. 15/3587. 145 BR-Drucks. 716/04. 146 BR-Drucks. 716/1/04. 147 BR-Prot. 803, 414; BR-Drucks. 716/04 (B). 148 BT-Drucks. 15/3759. 149 BT-Drucks. 15/3761. 150 BT-Prot. 15/127, 11619 ff. Bemerkenswert ist, dass Bundesminister des Inneren Wolfgang Schäuble am 17. Februar 2006 im Bundestag (BT-Prot. 16/20, 1567) in Bezug auf das Zustandekommen des LuftSiG ausgeführt hat: „Die damalige Opposition hat [. . .] gesagt [. . .], dass sie das Schutzanliegen des Gesetzes für richtig hält. Deswegen haben wir zugestimmt. Wir haben aber gleichzeitig gesagt, dass wir nicht glauben, dass es eine hinreichende verfassungsrechtliche Grundlage gibt. Das ist die historische Wahrheit.“ Offenbar nimmt es Schäuble hier mit der „historischen Wahrheit“ nicht besonders genau, denn ausweislich des Bundestagsprotokolls vom 24. September 2004 hat die Opposition (und auch der damalige Abgeordnete Schäuble) geschlossen gegen das LuftSiG gestimmt. 151 Vgl. BT-Prot. 15/127, 11619. 142

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3. Teil: Abwehr auf Grundlage des LuftSiG

b) Verfassungsmäßigkeit des Verfahrens Die Frage der Verfassungsmäßigkeit des Verfahrens ist – trotz der zahlreichen Veröffentlichungen zum LuftSiG – von keiner Seite ausführlich untersucht worden.152 Dies ist erstaunlich, da der Bundesrat im Verfahren Bedenken bezüglich der Frage der Zustimmungsbedürftigkeit angemeldet hat.153 Soweit die Frage überhaupt angesprochen wird, geht die Tendenz in Richtung der Zustimmungsfreiheit des Gesetzes.154 Nach Art. 50 GG wirken die Länder bei der Gesetzgebung des Bundes durch den Bundesrat mit. In besonderen Fällen bedarf es der Zustimmung des Bundesrates zu dem entsprechenden Gesetz. Diese Zustimmung ist nur dann erforderlich, wenn das Grundgesetz dies ausdrücklich bestimmt (Enumerationsprinzip).155 Dabei ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts das gesamte Gesetz zustimmungsbedürftig, wenn bereits eine einzige Bestimmung die Zustimmung des Bundesrates erforderlich macht.156 Der ursprüngliche Gesetzentwurf war unstreitig zustimmungsbedürftig.157 Im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens wurde jedoch absehbar, dass für den Gesetzentwurf keine Mehrheit im Bundesrat zu erreichen war.158 Daher wurden Bestimmungen, die nach Meinung der Regierungskoalition die Zustimmungsbedürftigkeit auslösten, kurz vor der dritten Lesung und Beschlussfassung im Bundestag geändert beziehungsweise aufgehoben.159 Dabei bewirkten diese Änderungen nach Ansicht der Regierungskoalition, dass das ursprünglich zustimmungsbedürftige Gesetz nunmehr zustimmungsfrei ist.160 Dagegen ergibt sich

152

Siehe nunmehr aber auch W.-R. Schenke, FG B. Hirsch, 2006, 75 (76 ff.). BR-Drucks. 509/04 (B), 6 f.; BR-Prot. 803, 467; BR-Drucks. 716/04 (B). 154 K. Paulke, 17, spricht von einem „zustimmungsfreien Gesetz“, ohne jedoch die Frage der Zustimmungsbedürftigkeit überhaupt zu prüfen; siehe auch K. Baumann, Kriminalistik 2005, 666 (667), der die Regelung des § 5 Abs. 5 LuftSiG als „tragfähiges Fundament“ bezeichnet und damit anscheinend von der formellen Verfassungsmäßigkeit des LuftSiG ausgeht. 155 BVerfGE 1, 76 (79); K. Stern, Staatsrecht, Band II, 144. 156 St. Rspr. BVerfGE 8, 274 (294 ff.); 24, 184 (195); 48, 127 (177 f.); K. Stern, Staatsrecht, Band II, 145; R. Herzog, HdBStR, Band III, § 58 Rdn. 15; a. A. Sondervoten BVerfGE 55, 274 (331 ff., 341 ff.); C. Gramm, AöR 124 (1999), 212 (224 f.); W. R. v. Hase, DÖV 1973, 838 (840 f.). 157 BT-Drucks. 15/2361, 5: „Der Bundestag hat mit Zustimmung (Hervorhebung des Verf.) des Bundesrates das folgende Gesetz beschlossen.“ 158 Die Regierungskoalition befürchtete eine Blockade des Gesetzes im Bundesrat; vgl. die Äußerungen von MdB Stokar von Neuforn (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN), BT-Prot. 15/115, 10541. 159 So zum Beispiel § 7 Abs. 9 Satz 1, § 16 LuftSiG, vgl. BT-Drucks 15/3338, 40 f.; MdB C. Binninger (CDU/CSU) bezeichnete diese Änderungen als „Nacht-undNebel-Aktion“, BT-Prot. 15/115, 10538 f. 160 Vgl. BT-Drucks. 15/3338, 38; BT-Prot. 15/115, 10544. 153

C. Verfassungsmäßigkeit der §§ 13 bis 15 LuftSiG

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nach der Rechtsauffassung des Bundesrates die Zustimmungsbedürftigkeit des Gesetzes aus Art. 84 Abs. 1 GG und Art. 87d Abs. 2 GG;161 auf diese Vorschriften wird im Folgenden eingegangen. aa) Zustimmungsbedürftigkeit gemäß Art. 84 Abs. 1 GG Art. 84 Abs. 1 GG regelt die landeseigene Verwaltung bei der Ausführung von Bundesgesetzen. Da die Länder gemäß Art. 83 GG die Bundesgesetze in eigener Angelegenheit ausführen, soweit das Grundgesetz keine andere Form der Verwaltung bestimmt oder zulässt, regeln die Länder gemäß Art. 84 Abs. 1 GG auch die Einrichtung der Behörden und das Verwaltungsverfahren.162 Eine bundeseinheitliche Regelung ist gemäß Art. 84 Abs. 1, letzter Halbsatz GG nur durch ein Bundesgesetz möglich, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf. Zweck der Vorschrift ist es, die Grundentscheidung des Grundgesetzes, den Ländern die umfassende Verwaltungszuständigkeit zuzuweisen, abzusichern, damit keine „Verschiebungen im bundesstaatlichen Gefüge im Wege der einfachen Gesetzgebung über Bedenken des Bundesrates hinweg herbeigeführt werden können“.163 Der Bundesrat ist der Ansicht, dass die Verpflichtung der Länder, die Luftsicherheitsbehörden einzurichten, gemäß Art. 84 Abs. 1 GG zur Zustimmungsbedürftigkeit führt:164 Das LuftSiG weise den Luftsicherheitsbehörden Aufgaben und Befugnisse zu, die über die Aufgaben und Befugnisse der Luftfahrtbehörden hinausgingen und sie qualitativ veränderten: So könnten nach § 5 Abs. 1 Satz 3 LuftSiG die Luftsicherheitsbehörden beim Schutz von Sicherheitskontrollen bewaffnete Polizeivollzugsbeamte einsetzen. Darüber hinaus werde gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 4 LuftSiG die Verpflichtung der Luftsicherheitsbehörden begründet, einen Großteil der Luftfahrzeugführer einer Zuverlässigkeitsprüfung zu unterziehen, wodurch den Luftsicherheitsbehörden eine wesentliche neue Aufgabe übertragen werde.165 Das LuftSiG ist entgegen der Auffassung des Bundesrates aus offensichtlichen Gründen nicht nach Art. 84 Abs. 1 GG zustimmungsbedürftig. Der Bundesrat geht von einem systematischen Fehler aus, auf den unverständlicherweise im Gesetzgebungsverfahren von keiner Seite hingewiesen worden ist.166 Der

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BR-Drucks. 509/04, 6 f. In den Jahren von 1981–2001 waren 50,6% aller Bundesgesetze auf Grund von Art. 84 Abs. 1 GG zustimmungspflichtig. So verwundert es nicht, dass bereits in den 1950er Jahren von einem „großen Einfallstor“ die Rede war, vgl. H. Schneider, DVBl. 1953, 257. 163 BVerfGE 75, 108 (150), unter Verweis auf BVerfGE 55, 274 (318 ff.). 164 BR-Drucks. 509/04 (B), 6. 165 Vgl. BR-Drucks. 509/04 (B), 6. 162

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3. Teil: Abwehr auf Grundlage des LuftSiG

vom Bundesrat bemühte Art. 84 Abs. 1 GG ist hier nicht einschlägig, denn Art. 84 Abs. 1 GG findet nur Anwendung bei der Ausführung von Bundesgesetzen durch die Länder in eigener Angelegenheit gemäß Art. 83 GG. Bei der Verwaltungstätigkeit der Luftsicherheitsbehörden handelt es sich jedoch – wie ein Blick in das Gesetz zeigt – gemäß § 16 Abs. 2 LuftSiG um Tätigkeiten im Rahmen der Bundesauftragsverwaltung. Im Übrigen nimmt der Bundesrat selbst an anderer Stelle einen Fall der Auftragsverwaltung an, da zur Begründung der Zustimmungsbedürftigkeit auch Art. 87d Abs. 2 GG herangezogen wird.167 bb) Zustimmungsbedürftigkeit gemäß Art. 85 Abs. 1 GG Die Zustimmungsbedürftigkeit könnte sich jedoch aus Art. 85 Abs. 1 GG ergeben, der im Bereich der Bundesauftragsverwaltung Anwendung findet. Gemäß Art. 85 Abs. 1 GG bleibt die Einrichtung der Behörden auch im Bereich der Bundesauftragsverwaltung Angelegenheit der Länder, soweit nicht durch Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, etwas anderes bestimmt wird. (1) Einrichtung von Behörden Der Begriff „Einrichtung von Behörden“ in Art. 85 Abs. 1 GG ist wie in Art. 84 Abs. 1 GG zu definieren.168 Der Begriff Behörde in diesem Sinne umfasst die „in den Organismus der Staatsverwaltung eingeordnete, organisatorische Einheit von Personen und sächlichen Mitteln, die mit einer gewissen Selbständigkeit ausgestattet dazu berufen ist, unter öffentlicher Autorität für die Erreichung der Zwecke des Staates oder von ihm geförderter Zwecke tätig zu sein“.169

Im Sinne einer weiten Auslegung sind damit alle „amtlichen Stellen“ erfasst.170 Die Definition des Begriffes „Einrichtung“ bereitet Schwierigkeiten. Dies liegt zunächst daran, dass im VII. Abschnitt des Grundgesetzes sowohl der Begriff „Einrichtung“171 als auch die Begriffe „Errichtung“ beziehungsweise 166 Es wurde jedoch wiederholt auf die (angebliche) Zustimmungsbedürftigkeit gemäß Art. 84 Abs. 1 GG abgestellt: BR-Drucks. 509/1/04; BR-Drucks 509/04 (B), 6 f.; E. Huber, BR-Prot. 803, 467; BR-Drucks. 716/04 (B). 167 BR-Drucks. 509/04 (B), 6. 168 Das Fehlen der Formulierung „regeln“ schließt dieses Ergebnis nicht aus, da dieses Fehlen lediglich durch unterschiedliche Standorte der Vorgängerregelungen im Herrenchiemseer Entwurf bedingt ist, vgl. v. Mangoldt/Klein/Starck-H.-H. Trute, Art. 85 Rdn. 10. 169 BVerfGE 10, 20 (48); K. Stern, Staatsrecht, Band II, 799. 170 M. Antoni, AöR 113 (1988), 329 (363). 171 Vgl. Art. 84 Abs. 1, 85 Abs. 1, 86 Satz 2, 87 Abs. 1 Satz 2 GG.

C. Verfassungsmäßigkeit der §§ 13 bis 15 LuftSiG

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„errichten“172 verwendet werden. Daher könnte man annehmen, dass die Einrichtung nicht gleichzeitig die Errichtung umfasst.173 Aus der Entstehungsgeschichte folgt jedoch, dass beide Begriffe gleich auszulegen sind: In den Beratungen des Parlamentarischen Rates hieß es zunächst „Organisation der Behörden“, womit die gesamte Organisation einschließlich des Aufbaus, das heißt der Errichtung, und der Einrichtung gemeint war.174 Lediglich aus sprachlichen Gründen wurde dann die Formulierung „Organisation“ durch „Einrichtung“ ersetzt, ohne dass dies eine inhaltliche Änderung bedeuten sollte.175 „Einrichtung“ bezeichnet demnach die Errichtung einer neuen Behörde, die nähere Ausgestaltung einer bestehenden Behörde sowie die sachliche und persönliche Ausstattung.176 Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 8. April 1987 einschränkend festgestellt, dass eine bloß mittelbare Einwirkung auf die Tätigkeit von Landesbehörden nicht der Zustimmung des Bundesrates bedarf: „Zur Einrichtung der Behörden [. . .] gehört auch die Festlegung ihres näheren Aufgabenkreises, nicht jedoch eine bloß mittelbare Wirkung auf ihre Tätigkeit. Die Festlegung des Aufgabenkreises einer Behörde ist qualitativ zu sehen; rein quantitative Vermehrungen bereits bestehender Aufgaben greifen nicht in den den Ländern vorbehaltenen Bereich ein, sie sind vielmehr schon dadurch bedingt, dass den Ländern die Ausführung der Bundesgesetze vom Grundgesetz gemäß Art. 83 GG zugewiesen ist.“177

Im Ergebnis begründet also Art. 85 Abs. 1 GG die Zustimmungsbedürftigkeit, wenn das Gesetz die Einrichtung von Behörden regelt. § 2 LuftSiG sieht die Existenz von Luftsicherheitsbehörden auf Länderebene vor, die so vorher nicht bestanden haben. Es ist durchaus denkbar, dass die Luftfahrtbehörden der Länder die Funktion der Luftsicherheitsbehörden wahrnehmen, wie dies auch nach der Gesetzesbegründung beabsichtigt ist.178 Dennoch werden die Länder verpflichtet, Luftsicherheitsbehörden zu errichten, sei es durch eine bloße Umbenennung. Auch eine solche Pflicht zur Umbenennung dürfte in die Organisa172

Vgl. Art. 87 Abs. 3 GG. D. Haun, 100 ff., nennt drei unterschiedliche Auslegungsmöglichkeiten; J. Kratzer, AöR 77 (1951/52), 266 (268), unterscheidet die Begriffe und meint, die „Errichtung“ von Landesbehörden sei im Gegensatz zur „Einrichtung“ stets reine Ländersache und könne daher nicht durch Bundesgesetz erfolgen. 174 Verhandlungen des Parlamentarischen Rates, Ausschuss für Zuständigkeitsabgrenzung, Stenografischer Bericht, 20. Sitzung, 9 f. 175 E.-W. Böckenförde, Organisationsgewalt, 53; D. Haun, 103. 176 BVerfGE 75, 108 (150); v. Münch/Kunig-S. Broß, Art. 84 Rdn. 11; K. Stern, Staatsrecht, Band II, 799. 177 BVerfGE 75, 108 (150 f.); a. A. A. Sauter, FS F. Klein 1994, 561 (564); G. Britz, DÖV 1998, 636 (638 ff.), die darauf abstellt, dass auch die Veränderung von Aufgaben in quantitativer Hinsicht in die Organisationshoheit der Länder eingreife, sofern es zu einer „erheblichen“ Veränderung komme. 178 Vgl. BT-Drucks. 15/2361, 15. 173

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tionsgewalt der Länder eingreifen und so zur Zustimmungsbedürftigkeit des Gesetzes führen.179 Allerdings wäre es auch denkbar, zu vertreten, dass die Umbenennung als solche noch nicht zustimmungsbedürftig ist, da insoweit die Organisationsgewalt der Länder nur in einem sehr geringen Maße betroffen ist. Daher werden im Folgenden auch weitere Regelungen des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben untersucht, aus denen sich die Zustimmungsbedürftigkeit ergeben könnte. (2) Zustimmungsbedürftigkeit durch Regelungen des Verwaltungsverfahrens Der Begriff „Verwaltungsverfahren“ umfasst nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts „jedenfalls“ Regelungen, die „die Tätigkeit der Verwaltungsbehörden im Blick auf die Art und Weise der Ausführung des Gesetzes einschließlich ihrer Handlungsformen, die Form der behördlichen Willensbildung, die Art der Prüfung und Vorbereitung der Entscheidung, deren Zustandekommen und Durchsetzung sowie verwaltungsinterne Mitwirkungsund Kontrollvorgänge in ihrem Ablauf“ betreffen.180

Dabei ist es nicht ausreichend, dass durch das Gesetz ein Verwaltungshandeln der Länder ausgelöst wird. Vielmehr ist für die Zustimmungsbedürftigkeit erforderlich, dass das Gesetz auch das „Wie“ des Verwaltungshandelns bindend festlegt. Es muss also „nicht nur irgendein, sondern ein verfahrensmäßiges Verhalten der Verwaltung“ geregelt werden.181 Im Gegensatz zu Art. 84 Abs. 1 GG wird jedoch das Verwaltungsverfahren nicht in Art. 85 Abs. 1 GG genannt. Dies soll aber nicht bedeuten, dass der Bund keine Gesetzgebungskompetenz für das Verwaltungsverfahren hat: Das Bundesverfassungsgericht bemüht einen Erstrechtschluss aus Art. 84 Abs. 1 GG und führt aus: „Es ist nicht ersichtlich, warum die Kompetenz des Bundes für die Regelung des Verwaltungsverfahrens bei der ihm näher stehenden Auftragsverwaltung weniger weit gehen sollte als bei der Ausführung von Bundesgesetzen in landeseigener Verwaltung.“182

Die Nichterwähnung des Verwaltungsverfahrens in Art. 85 Abs. 1 GG sei als „Redaktionsversehen“ zu verstehen, das entsprechend korrigiert werden 179

Vgl. D. Haas, AöR 80 (1955), 81 (93). BVerfGE 55, 274 (320 f.); 75, 108 (152). 181 BVerfGE 75, 108 (152). Das Bundesverfassungsgericht hat eine Regelung des Verwaltungsverfahrens abgelehnt, wenn eine Norm einen materiell-rechtlichen Anspruch gewährt und damit zwar ein Handeln der Behörde erzwingt, aber keine Regelungen über die Durchführung der Gewährung dieses Anspruches enthält. 182 BVerfGE 26, 338 (385). 180

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müsse.183 Teile der Literatur befürworten dagegen eine ungeschriebene Annexkompetenz des Bundes für Regelungen des Verwaltungsverfahrens.184 Nach der Auffassung des Bundesrates stellen § 7 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 8 LuftSiG Regelungen des Verwaltungsverfahrens dar.185 Gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 4 LuftSiG186 seien die Führer von Luftfahrzeugen nach § 1 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 und 5 LuftVG einer Zuverlässigkeitsprüfung zu unterziehen. Dadurch sei erforderlich, das Verwaltungsverfahren im Zusammenwirken der Luftsicherheitsbehörden und der Luftfahrtbehörden neu einzuführen, da der überwiegende Anteil dieser Luftfahrer der Aufsichtszuständigkeit der Landesluftfahrtbehörden unterliege.187 In § 7 Abs. 8 LuftSiG188 werde eine bisher nicht existierende Pflicht zur Unterrichtung über die Durchführung von Zuverlässigkeitsüberprüfungen zwischen den verschiedenen Luftsicherheitsbehörden begründet. Es kann offen bleiben, ob die genannten Vorschriften tatsächlich Regelungen des Verwaltungsverfahrens darstellen, wenn solche Regelungen im Bereich der Bundesauftragsverwaltung a priori nicht zustimmungsbedürftig sind. Hierüber besteht Streit, da die Zustimmungsbedürftigkeit sich zumindest nicht aus dem Wortlaut des Art. 85 Abs. 1 GG ergibt. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Frage bisher offen gelassen.189 Gegen das Erfordernis der Zustimmungsbedürftigkeit wird vor allem mit dem Wortlaut des Art. 85 Abs. 1 GG argumentiert, der gerade kein Zustimmungserfordernis vorsieht. Insofern gebe es keinen Anhaltspunkt für die Zustimmungspflicht.190

183 Dem Bundesverfassungsgericht folgend: Jarass/Pieroth-B. Pieroth, Art. 85 Rdn. 3; Sachs-A. Dittmann, Art. 85 Rdn. 10; G. Britz, DÖV 1998, 636 (640); M. Antoni, AöR 113 (1988), 329 (419). 184 C. Heitsch, 320; J. Zech, DVBl. 1987, 1089 (1091). 185 BR-Drucks. 509/04 (B), 7. 186 Die Bestimmung lautet: „Zum Schutz vor Angriffen auf die Sicherheit des Luftverkehrs (§ 1) hat die Luftsicherheitsbehörde die Zuverlässigkeit folgender Personen zu überprüfen: [. . .] 4. Luftfahrer im Sinne des § 4 Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 1 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 und 5 des Luftverkehrsgesetzes und entsprechende Flugschüler [. . .].“ 187 BR-Drucks. 509/04 (B), 7. 188 § 7 Abs. 8 LuftSiG lautet: „Die Luftsicherheitsbehörden unterrichten sich gegenseitig über die Durchführung von Zuverlässigkeitsüberprüfungen, soweit dies im Einzelfall erforderlich ist. Absatz 7 Satz 1 gilt entsprechend.“ 189 Vgl. BVerfGE 26, 338 (384). 190 Maunz/Dürig-P. Lerche, Art. 85 Rdn. 28; v. Münch/Kunig-S. Broß, Art. 85 Rdn. 8; P. Badura, Staatsrecht, Teil G Rdn. 48; M. Antoni, AöR 113 (1988), 328, 419; aus der älteren Literatur: H. v. Hausen, DÖV 1960, 1 (5); H. Schäfer, DÖV 1960, 641 (646); K.-A. Bettermann, VVDStRL 17 (1959), 118 (159 f. insbesondere Fn. 123); A. Köttgen, DÖV 1952, 422 f.

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Teile der Literatur fordern dagegen eine Zustimmung des Bundesrates.191 Dafür spreche zunächst ein Vergleich mit Art. 85 Abs. 2 Satz 1 GG, wonach der Erlass allgemeiner Verwaltungsvorschriften durch die Bundesregierung einer Zustimmung des Bundesrates bedarf.192 Gehe man vom Zweck des Zustimmungserfordernisses aus, bundesrechtliche Eingriffe in die Organisationshoheit der Länder einer föderalen Kontrolle zu unterwerfen, sei kein Grund ersichtlich, Verfahrensvorschriften hinsichtlich der Zustimmungsbedürftigkeit anders zu behandeln als Regelungen über die Behördeneinrichtung.193 Die Gegenmeinung führe zu einer „Erweiterung der Zugriffsmöglichkeiten des Bundes insoweit, als auf das föderalistische Korrektiv einer Zustimmung des Bundesrates verzichtet wird“.194 In der Tat spricht vieles für die Zustimmungsbedürftigkeit, wenn man davon ausgeht, dass die Nichterwähnung des Verwaltungsverfahrens in Art. 85 Abs. 1 GG ein „Redaktionsversehen“ ist. So meint Britz in diesem Zusammenhang, das Wortlautargument der Gegenmeinung überzeuge nicht, denn die Annahme eines „Redaktionsversehens“, das sich ja gerade auf den Wortlaut beziehe, schließe eine Argumentation mit dem Wortlaut aus.195 Allerdings spricht für eine Differenzierung zwischen Art. 84 Abs. 1 GG und Art. 85 Abs. 1 GG, dass die Bundesauftragsverwaltung in einem engeren Verhältnis zum Bund steht als die landeseigene Verwaltung. Dies spricht durchaus dafür, im Bereich des Art. 85 Abs. 1 GG dem Bundesrat (und damit mittelbar den Ländern) nur ein Mitwirkungsrecht zukommen zu lassen, so dass keine Zustimmungsbedürftigkeit besteht. Clemens und Umbach weisen im Übrigen zu Recht darauf hin, dass eine Argumentation der Vergleichbarkeit mit Art. 84 Abs. 1 GG auf einem Zirkelschluss beruht, da die Vergleichbarkeit erst dann beurteilt werden kann, wenn die Frage der Zustimmungsbedürftigkeit geklärt ist.196 Daher können Regelungen des Verwaltungsverfahrens im Bereich der Bundesauftragsverwaltung nach Art. 85 Abs. 1 GG durch zustimmungsfreies Bundesgesetz getroffen werden. 191 v. Mangoldt/Klein/Starck-H.-H. Trute, Art. 85 Rdn. 12; Sachs-A. Dittmann, Art. 85 Rdn. 11; Jarass/Pieroth-B. Pieroth, Art. 85 Rdn. 3; J. Ipsen, Staatsrecht I, Rdn. 627; G. Britz, DÖV 1998, 636 (640). Ein dritter Ansatz wird von C. Heitsch, 324, vertreten, der Regelungen des Verwaltungsverfahrens „bei umfassendem oder sonst substantiellem Inhalt“ für zustimmungsbedürftig hält. Eine solche Differenzierung zwischen punktuellen und umfassenden Regelungen sei wegen Art. 105a Abs. 5 Satz 1 GG gerechtfertigt, da punktuelle Regelungen des Verwaltungsverfahrens typischerweise keinen nennenswerten Einfluss auf die nach Art. 105a Abs. 5 Satz 1 GG von den Ländern zu tragenden Verwaltungskosten hätten. 192 Jarass/Pieroth-B. Pieroth, Art. 85 Rdn. 3; BK-R. Bartlsperger, Art. 90 Rdn. 84. 193 H.-U. Erichsen/C. Biermann, JURA 1998, 494 (499); G. Britz, DÖV 1998, 636 (640). 194 Sachs-A. Dittmann, Art. 85 Rdn. 11. 195 G. Britz, DÖV 1998, 636 (640). 196 Umbach/Clemens-T. Clemens/D. C. Umbach, Art. 85 Rdn. 23.

C. Verfassungsmäßigkeit der §§ 13 bis 15 LuftSiG

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Somit kann offen bleiben, ob die vom Bundesrat angeführten Bestimmungen in § 7 Abs. 1 Nr. 4, Abs. 8 LuftSiG überhaupt Regelungen des Verwaltungsverfahrens darstellen, da sie keine Zustimmungsbedürftigkeit nach Art. 85 Abs. 1 GG auslösen können. cc) Zustimmungsbedürftigkeit gemäß Art. 87d Abs. 2 GG Gemäß Art. 87d Abs. 1 GG wird die Luftverkehrsverwaltung grundsätzlich in bundeseigener Verwaltung ausgeführt. Nach Art. 87d Abs. 2 GG besteht auch die Möglichkeit, Aufgaben der Luftverkehrsverwaltung durch Bundesgesetz, das der Zustimmung des Bundesrates bedarf, auf die Länder zu übertragen. Art. 87d Abs. 2 GG wird daher als Fall der „fakultativen Bundesauftragsverwaltung“ bezeichnet.197 Luftverkehrsverwaltung umfasst neben der gesetzlich geregelten Beaufsichtigung des Luftverkehrs im Sinne des eigentlichen Luftverkehrsrechts einschließlich des Luftpolizeirechts auch weitere Verwaltungstätigkeiten wie das Luftnutzungsrecht;198 es muss sich nicht zwingend um Tätigkeiten im Bereich der Eingriffsverwaltung handeln.199 Die Aufgaben der Luftsicherheitsbehörden nach dem LuftSiG fallen daher unproblematisch unter den Begriff der Luftverkehrsverwaltung. (1) Zustimmungsbedürftigkeit durch § 16 Abs. 3 Satz 2 LuftSiG Die Zustimmungsbedürftigkeit könnte sich aus § 16 Abs. 3 Satz 2 LuftSiG200 ergeben. Diese Vorschrift bestimmt, dass Aufgaben der Luftsicherheitsbehörden nach dem LuftSiG in bundeseigener Verwaltung ausgeführt werden, wenn dies zur Gewährleistung der bundeseinheitlichen Durchführung der Sicherheitsmaßnahmen erforderlich ist.201 Dadurch können den Bundesländern Aufgaben im Bereich der Luftverkehrsverwaltung entzogen und gemäß § 16 Abs. 3 Satz 3

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Sachs-K. Windhorst, Art. 87d Rdn. 36. v. Mangoldt/Klein/Starck-H.-D. Horn, Art. 87d Abs. 1 Rdn. 19; Sachs-K. Windhorst, Art. 87d Rdn. 10; M. Droege, DÖV 2006, 861 (864). 199 C. J. Tams, NVwZ 2006, 1226 (1227). 200 § 16 Abs. 3 LuftSiG lautet: „Die Zulassung von Luftsicherheitsplänen gemäß § 9 Abs. 1 einschließlich der Überwachung der darin dargestellten Sicherungsmaßnahmen wird durch das Luftfahrtbundesamt in bundeseigener Verwaltung ausgeführt. Im Übrigen können die Aufgaben der Luftsicherheitsbehörden nach diesem Gesetz in bundeseigener Verwaltung ausgeführt werden, wenn dies zur Gewährleistung der bundeseinheitlichen Durchführung der Sicherheitsmaßnahmen erforderlich ist. In den Fällen des Satzes 2 werden die Aufgaben von der vom Bundesministerium des Innern bestimmten Bundesbehörde wahrgenommen; das Bundesministerium des Innern macht die Übernahme von Aufgaben sowie die zuständigen Bundesbehörden im Bundesanzeiger bekannt.“ 201 Vgl. hierzu ausführlich A. Meyer, ZRP 2004, 203 (205 f.). 198

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3. Teil: Abwehr auf Grundlage des LuftSiG

LuftSiG auf eine vom Bundesministerium des Innern zu bestimmende Bundesbehörde rückübertragen werden. Nach der Gesetzesbegründung ersetzt § 16 Abs. 3 Satz 2 LuftSiG die Aufgabenrückübertragung auf Antrag eines Landes gemäß § 31 Abs. 2 Nr. 19 LuftVG a. F.202 Die Ermächtigung des Bundes, Aufgaben der Luftverkehrsverwaltung von sich aus – ohne vorherigen Antrag des betroffenen Landes an sich zu ziehen – soll der „Verfahrensvereinfachung und -beschleunigung“ dienen. Dabei ist nach der amtlichen Begründung vor der Rückübertragung das Benehmen mit dem betroffenen Land herzustellen;203 dies ist jedoch nicht durch den Gesetzestext rechtlich abgesichert. Grundsätzlich enthält das Recht des Bundes zur Aufgabenübertragung auf die Länder auch das Recht zur vollständigen oder teilweisen Aufgabenrückübertragung auf den Bund.204 Fraglich ist jedoch, ob dies im Rahmen des Art. 87d Abs. 2 GG auch durch ein zustimmungsfreies Gesetz erfolgen kann. Der Bundesrat meint, die Zuständigkeitsverteilung zwischen Bund und Ländern könne nicht durch einen einfachen Organisationsakt geregelt werden. Vielmehr bedürfe nach dem actus-contrarius-Gedanken nicht nur die Übertragung, sondern auch die Entziehung – in Form der Rückübertragung auf den Bund – von Aufgaben der Luftverkehrsverwaltung nach Art. 87d Abs. 2 GG eines zustimmungsbedürftigen Gesetzes.205 Daher ist der Bundesrat der Auffassung, dass die Rückübertragung von Aufgaben auf den Bund gem. § 16 Abs. 3 Satz 2 LuftSiG die Zustimmungsbedürftigkeit des LuftSiG begründet. Er befürchtet insoweit ein „Eindringen“ des Bundes in den grundsätzlich den Ländern vorbehaltenen Bereich der Verwaltung, da im Gegensatz zu der Regelung des § 31 Abs. 2 Nr. 19 LuftVG a. F. die Rückübertragung nach § 16 Abs. 3 Satz 2 LuftSiG weder von einem Antrag noch von einer Zustimmung des betroffenen Landes abhängig ist.206 Ein ähnlicher Streit bestand bereits bezüglich des Entwurfes eines Gesetzes zur Übertragung der Aufgaben der Bahnpolizei und der Luftsicherheit auf den Bundesgrenzschutz vom 29. August 1991.207 Konkret ging es um die Regelung des § 31 Abs. 2 Nr. 19 LuftVG a. F. Demnach konnten die Aufgaben zum Schutz vor Angriffen auf den Luftverkehr nach §§ 29c, 29d LuftVG a. F. auf Antrag eines Landes durch den Bund in bundeseigener Verwaltung, anstatt in der grundsätzlich vorgesehenen Form der Bundesauftragsverwaltung durchgeführt werden.208 Das Erfordernis eines zustimmungsbedürftigen Gesetzes wurde 202 BT-Drucks. 15/2361, 22. Durch Art. 2 Nr. 10 b) des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben wurde § 31 Abs. 2 Nr. 19 LuftVG aufgehoben. 203 BT-Drucks. 15/2361, 22. 204 BVerfGE 97, 198 (226). 205 BR-Drucks. 509/04 (B), 6. 206 BR-Drucks. 509/04 (B), 6. 207 BT-Drucks. 12/1091.

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von W. Schreiber mit der Begründung abgelehnt, das Grundgesetz gebiete keine bundeseinheitliche Ausgestaltung der Luftverkehrsverwaltung.209 Dem folgend hat das Bundesverfassungsgericht nach einer Normenkontrollklage des Landes Nordrhein-Westfalen zu §§ 29c, 29d LuftVG a. F. entschieden, dass die Rückübertragung von Aufgaben keine Zustimmungsbedürftigkeit auslöst.210 Dagegen vertreten andere, auch für die Rückübertragung von Aufgaben der Luftverkehrsverwaltung sei ein zustimmungsbedürftiges Gesetz erforderlich.211 Dies ergebe sich insbesondere aus der „Rechtslogik“, denn im Zweifel habe die Aufhebung als actus contrarius in der gleichen Rechtsform zu erfolgen wie der Übertragungsakt selbst.212 Der Streit kann in Bezug auf § 16 Abs. 3 Satz 2 LuftSiG offen bleiben, wenn diese Bestimmung keine Aufgabenrückübertragung enthält, denn dann würde jedenfalls der actus-contrarius-Gedanke nicht greifen. Bei genauer Betrachtung regelt § 16 Abs. 3 Satz 2 GG nur die Möglichkeit der Rückübertragung, nicht aber die Rückübertragung selbst. Daher wird keine Zustimmungsbedürftigkeit nach Art. 87d Abs. 2 GG ausgelöst. Die Frage, ob die Rückübertragung durch einen einseitigen Organisationsakt des Bundes zulässig ist, oder ob es hierfür eines Gesetzes bedarf, ist kein Problem der formellen Verfassungsmäßigkeit, sondern vielmehr – eine in der vorliegenden Untersuchung nicht zu behandelnde – Frage der materiellen Verfassungsmäßigkeit von § 16 Abs. 3 Satz 2 LuftSiG.213 (2) Zustimmungsbedürftigkeit durch § 16 Abs. 2 LuftSiG Die Zustimmungsbedürftigkeit könnte sich weiterhin aus § 16 Abs. 2 LuftSiG ergeben, der regelt, dass die Aufgaben der Luftsicherheitsbehörden nach dem LuftSiG und der Verordnung (EG) Nr. 2320/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 16. Dezember 2002 zur Festlegung gemeinsamer Vorschriften für die Sicherheit in der Zivilluftfahrt214 durch die Länder im Auftrag des 208

Vgl. BT-Drucks. 12/1091, 10. W. Schreiber, DVBl. 1992, 589 (595). 210 BVerfGE 97, 198 (226 f.); zustimmend M. Hofmann/Grabherr-E. Grabherr, LuftVG, § 31 Rdn. 19. 211 H.-J. Papier, DVBl. 1992, 1 (6); Giemulla/Schmid-E. Giemulla, LuftVG, § 31 Rdn. 32. 212 H.-J. Papier, DVBl. 1992, 1 (6); a. A. S. Jutzi, DÖV 1992, 650 (653), der meint, mit Argumenten der Rechtslogik könne nicht argumentiert werden, wenn der Gesetzgeber selbst eine abweichende Regelung schafft. 213 Dabei soll ausreichend sein, dass lediglich die Möglichkeit der Rückübertragung durch ein formelles Bundesgesetz geregelt ist und die Rückübertragung selbst nach „allgemein verfassungsgebotenen Maßgaben für die exekutive Durchführung“ vorgenommen wird, v. Mangoldt/Klein/Starck-H.-D. Horn, Art. 87d Abs. 2 Rdn. 45. 214 ABl. EG Nr. L 355, 1. 209

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Bundes wahrgenommen werden, soweit in § 16 Abs. 3 und 4 LuftSiG nichts anderes bestimmt ist. Die Aufgaben der Luftsicherheitsbehörden stellen – wie oben festgestellt – solche der Luftverkehrsverwaltung im Sinne des Art. 87d Abs. 1 GG dar. Die Aufgabenübertragung auf die Länder kann gemäß Art. 87d Abs. 2 GG nur durch ein zustimmungsbedürftiges Gesetz erfolgen. Allerdings könnte als Argument für die Zustimmungsfreiheit vorgebracht werden, dass § 16 Abs. 2 LuftSiG lediglich eine zuvor existierende Vorschrift, nämlich § 31 Abs. 2 Nr. 19 LuftVG a. F., wiederholt. Zu beachten ist jedoch, dass durch die Tatsache, dass – wie soeben dargestellt – die Rückübertragung von Aufgaben der Luftverkehrsverwaltung gemäß § 16 Abs. 2 LuftSiG im Gegensatz zu der Vorgängervorschrift nicht von dem Einverständnis des betroffenen Landes abhängig ist, ein neuer Regelungsgehalt vorliegt.215 Daher begründet jedenfalls § 16 Abs. 2 LuftSiG die Zustimmungsbedürftigkeit des gesamten Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben216 und damit auch des LuftSiG.217 dd) Zustimmungsbedürftigkeit durch die Änderung des LuftVG Die Zustimmungsbedürftigkeit kann sich weiterhin daraus ergeben, dass ein seinerseits zustimmungsbedürftiges Gesetz geändert wird. Das Bundesverfassungsgericht hat dazu entschieden, dass eine solche Änderung zumindest dann zustimmungspflichtig ist, wenn das Änderungsgesetz zustimmungsbedürftige Regelungen des Ursprungsgesetzes ändert.218 Durch Art. 2 des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben ist unter anderem § 31 Abs. 2 Nr. 19 LuftVG aufgehoben worden. Das Bundesverfassungsgericht hat entschieden, dass § 31 Abs. 2 Nr. 19 Satz 1 LuftVG a. F. zustimmungspflichtig war, da nach dieser Regelung Aufgaben der Luftverkehrsverwaltung gemäß §§ 29c, 29d a. F. LuftVG auf die Länder übertragen worden sind.219

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So auch W.-R. Schenke, FG B. Hirsch, 2006, 75 (77 f.). In diese Richtung tendieren auch VG Minden, Beschluss vom 7. November 2005 – 3 L 735/05; VG Braunschweig, Beschluss vom 10. Oktober 2005 – 2 B 247/05. 217 Es ist darauf hinzuweisen, dass wegen dieses Ergebnisses der in der Praxis wichtige Teil des LuftSiG, der die alltäglichen Maßnahmen zur Gewährleistung der Luftsicherheit durch die Luftsicherheitsbehörden regelt, verfassungswidrig ist. Das Handeln der Luftsicherheitsbehörden kann sich daher nicht auf verfassungsgemäße Ermächtigungsgrundlagen nach dem LuftSiG stützen. Es wäre wünschenswert, wenn der Gesetzgeber tätig werden würde, um den äußerst wichtigen Bereich der Gewährleistung der Luftsicherheit auf eine verfassungsgemäße Grundlage zu stellen, da ansonsten eine erhebliche Rechtsunsicherheit bestehen bleibt. 218 BVerfGE 37, 363 (383); ausführlich zur Streitfrage vor der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts M. Lepa, DVBl. 1974, 399 ff.; gegen die Rechtsprechung zum Beispiel W. R. v. Hase, DÖV 1973, 838 ff. 219 BVerfGE 97, 198 (226 f.). 216

C. Verfassungsmäßigkeit der §§ 13 bis 15 LuftSiG

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Fraglich ist, ob eine zustimmungsbedürftige Änderung auch dann vorliegt, wenn – wie im vorliegenden Fall – Regelungen, welche die Zustimmungsbedürftigkeit ausgelöst haben, gestrichen werden.220 H.-R. Horn meint, auch die vollständige Aufhebung einer nach Art. 87d Abs. 2 GG zustimmungsbedürftigen Regelung bedürfe der Zustimmung des Bundesrates, da hierdurch die Aufgabenübertragung durch die Beendigung geregelt werde.221 Uerpmann schließt dies zu Recht auch daraus, dass der Kompetenzentzug die Länderbelange ähnlich stark berührt, wie die Aufgabenübertragung an sich.222 Im Ergebnis wird die Zustimmungsbedürftigkeit daher auch durch die Aufhebung des § 31 Abs. 2 Nr. 19 LuftVG ausgelöst. c) Zwischenergebnis Das Gesetz zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben konnte nur mit der Zustimmung des Bundesrates verabschiedet werden. Die erforderliche Zustimmung ist jedoch nicht erfolgt.223 Daher ist das Gesetz nicht nach Art. 78 GG zustande gekommen und damit formell verfassungswidrig. 3. Form Bundespräsident Horst Köhler hat nach gut dreimonatiger Prüfung224 das Gesetz zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben am 11. Januar 2005 gemäß Art. 82 Abs. 1 Satz 1 GG ausgefertigt. Es ist am 14. Januar 2005 im Bundesgesetzblatt verkündet worden225 und damit gemäß Art. 9 des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben am 15. Januar 2005 in Kraft getreten. 4. Zwischenergebnis formelle Verfassungsmäßigkeit Der Bund hat die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz gemäß Art. 73 Nr. 1 GG, soweit es um Regelungen für den Streitkräfteeinsatz nach Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG geht. Allerdings ist das gesamte LuftSiG we-

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Vgl. die Nachweise bei R. Schmidt, JuS 1999, 861 (866). v. Mangoldt/Klein/Starck-H. R. Horn, Art. 87d Abs. 2 Rdn. 48. 222 v. Münch/Kunig-R. Uerpmann, Art. 87d Rdn. 17. 223 BR-Drucks. 716/04 (B). 224 Der Bundespräsident hat nach seiner rechtlichen Überprüfung des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben „erhebliche Bedenken“ bezüglich der Verfassungsmäßigkeit – insbesondere im Hinblick auf die Regelung des § 14 Abs. 3 LuftSiG – geäußert und angeregt, dass die entsprechenden Vorschriften durch das Bundesverfassungsgericht überprüft werden sollten, vgl. FAZ vom 13. Januar 2005, 1 f. 225 BGBl. I, 78. 221

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3. Teil: Abwehr auf Grundlage des LuftSiG

gen der fehlenden Zustimmung des Bundesrates zum Gesetz zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben bereits formell verfassungswidrig.

II. Materielle Verfassungsmäßigkeit der §§ 13 bis 15 LuftSiG aus wehrverfassungsrechtlicher Sicht Unklar ist, ob die Regelungen für einen Einsatz der Streitkräfte nach dem LuftSiG aus wehrverfassungsrechtlicher Sicht verfassungsgemäß sind. Dabei sind schwerpunktmäßig folgende Fragestellungen zu untersuchen: 1. Sind die Regelungen mit den tatbestandlichen Voraussetzungen des Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG vereinbar? 2. Welche Einsatzmittel stehen den Streitkräften im Katastrophennotstand zur Verfügung? 3. Was bedeutet der Begriff „Bundesregierung“ in Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG? 4. Ist ein konstitutiver Parlamentsvorbehalt für den Einsatz der Streitkräfte im Katastrophennotstand erforderlich? 1. Vereinbarkeit mit Art. 87a Abs. 2 GG In der bisherigen Diskussion war heftig umstritten, ob ein Einsatz der Streitkräfte auf Grundlage von §§ 13 bis 15 LuftSiG mit Art. 87a Abs. 2 GG vereinbar ist. Neben den Regelungen des Katastrophennotstandes gemäß Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG, auf die sich die Bundesregierung stützt, wird der Vollständigkeit halber untersucht, ob auch andere Verfassungsnormen als ausdrückliche Zulassung für den Streitkräfteeinsatz zur Abwehr von Gefahren im Luftraum außerhalb des Verteidigungsauftrages in Betracht kommen. a) Einsatzermächtigung gemäß Art. 35 Abs. 1 GG Art. 35 Abs. 1 GG regelt den allgemeinen Grundsatz, dass alle Behörden des Bundes und der Länder sich gegenseitig Rechts-226 und Amtshilfe leisten. Dabei besteht weitgehend Einigkeit über die Behördeneigenschaft der Streitkräfte227 sowie deren Berechtigung und Verpflichtung zur Leistung von Amtshilfe nach den allgemeinen Grundsätzen.228 226 „Rechtshilfe“ ist die von einem ersuchten Gericht geleistete Hilfe, vgl. Dreier-H. Bauer, Art. 35 Rdn. 13. Da daher ein Rechtshilfegesuch an die Streitkräfte nicht möglich ist, wird im Folgenden nur die Amtshilfe behandelt. 227 Siehe zur Behördeneigenschaft ausführlich H. Klückmann, 23c ff. 228 K. Paulke, 126 ff.; H. Klückmann, 107; W. Speth, 112 ff.; R. Jahn/N. K. Riedel, DÖV 1988, 957 (958); a. A. E. Beckert, BWV 1983, 217 (218 f.); kritisch auch

C. Verfassungsmäßigkeit der §§ 13 bis 15 LuftSiG

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Allerdings ist damit noch offen, welche Maßnahmen die Streitkräfte nach Art. 35 Abs. 1 GG vornehmen dürfen. Zu Recht meint Paulke, dass aus der grundsätzlichen Amtshilfefähigkeit noch keine Rückschlüsse auf die verfassungsrechtlichen Befugnisse der Streitkräfte gezogen werden können.229 Auf Art. 35 Abs. 1 GG kann als Grundlage für einen Einsatz der Streitkräfte nur dann zurückgegriffen werden, soweit diese Vorschrift eine ausdrückliche Zulassung für einen Einsatz außerhalb des Verteidigungsauftrages darstellt. aa) Bejahung einer ausdrücklichen Zulassung Der ehemalige Bundesminister der Verteidigung Rupert Scholz hat als erster die Auffassung vertreten, der allgemeine Amtshilfegrundsatz des Art. 35 Abs. 1 GG stelle eine ausdrückliche Zulassung im Sinne des Art. 87a Abs. 2 GG für einen Einsatz der Streitkräfte dar.230 Einsätze auf Grundlage des Art. 35 Abs. 1 GG seien jedoch nur in Ausnahmefällen möglich, in denen „Fragen der äußeren Sicherheit beziehungsweise der Landesverteidigung sich mit Problemen der inneren Sicherheit vermengen“.231 Hochhuth hat den Gedanken der Anwendung des allgemeinen Amtshilfegrundsatzes konkret auf den Einsatz der Streitkräfte zur Gefahrenabwehr im Luftraum übertragen, ohne sich jedoch mit dem Erfordernis der einschränkenden Auslegung gemäß Art. 87a Abs. 2 GG auseinanderzusetzen.232 Er spricht von einer „Spontanhilfe“ als Amtshilfe durch die Streitkräfte.233 Ähnlich führt Ronellenfitsch unter Berufung auf Hochhuth beiläufig aus: „Der Einsatz der Luftwaffe ist daher eine luftpolizeiliche Aufgabenwahrnehmung im Wege der Amtshilfe nach Art. 35 Abs. 1 GG [Hervorhebung des Verf.], die durch Art. 87a Abs. 2 GG nicht ausgeschlossen wird.“ 234

P. Eichhorn, 172 ff., der bereits in rein technischer Hilfeleistung die Möglichkeit einer „große[n] innenpolitische[n] Gefahr“ sieht. 229 K. Paulke, 131. 230 Vgl. R. Scholz, BT-Prot. 12/203, 17601. Scholz nennt hier nur Art. 35 GG, ohne sich ausdrücklich auf den Abs. 1 zu beziehen; ausdrücklich aber Maunz/Dürig-R. Scholz, Art. 12a Rdn. 10. 231 Maunz/Dürig-R. Scholz, Art. 12a Rdn. 10. Als Beispiele hierfür nennt Scholz schwere Gefährdungen an der Landesgrenze, Bedrohungen durch so genannten Staatsterrorismus, Evakuierung gefährdeter deutscher Staatsbürger und Kriminalitätsbekämpfung mit Aufklärungsflugzeugen. 232 M. Hochhuth, NZWehrr 2002, 154 (159 ff.). 233 M. Hochhuth, NZWehrr 2002, 154 (159). 234 M. Ronellenfitsch, DVBl. 2005, 65 (66).

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3. Teil: Abwehr auf Grundlage des LuftSiG

bb) Bewertung Schon der Wortlaut spricht dagegen, Art. 35 Abs. 1 GG als ausdrückliche Zulassung anzusehen, da weder von einem „Einsatz“ noch von „Streitkräften“ die Rede ist. Scholz’ Meinung wird daher dem Ausdrücklichkeitsvorbehalt des Art. 87a Abs. 2 GG nicht gerecht. Entstehungsgeschichtlich ist weiterhin zu berücksichtigen, dass nach der Nordseeflut im Jahr 1962 allgemein davon ausgegangen worden ist, dass der Einsatz von Feldjägereinheiten zur Gefahrenabwehr nicht verfassungsrechtlich legitimiert gewesen ist.235 Vielmehr war der verfassungsändernde Gesetzgeber der Meinung, für hoheitliches Handeln seien Sonderregelungen in Art. 35 Abs. 2, 3 GG erforderlich. Ferner kann die ersuchte Behörde im Rahmen der allgemeinen Amtshilfe nach Art. 35 Abs. 1 GG nur innerhalb ihrer gesetzlichen Befugnisse handeln und darf nicht auf Grund der Amtshilfe Aufgaben wahrnehmen, für die sie sonst keine Befugnis hätte.236 Die Bewertung des Art. 35 Abs. 1 GG als ausdrückliche Zulassung für den Einsatz der Streitkräfte würde aber deren Befugnisse erweitern. Die Sonderregelungen für den Streitkräfteeinsatz in Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG sprechen auch systematisch gegen Scholz’ Auffassung, da sie überflüssig wären, wenn bereits Art. 35 Abs. 1 GG eine ausdrückliche Zulassung für einen Einsatz der Streitkräfte außerhalb des Verteidigungsauftrages darstellen würde.237 Die herrschende Meinung238 geht somit zu Recht davon aus, dass ein Einsatz der Streitkräfte nicht auf die allgemeine Amtshilfevorschrift des Art. 35 Abs. 1 gestützt werden kann.239

235 So ging Helmut Schmidt, der damals Innensenator von Hamburg war, selbst von der Verfassungswidrigkeit des von ihm angeordneten Einsatzes aus, vgl. H. Klückmann, DÖV 1976, 333 (334). Daher ist unverständlich, warum E. Barth, DÖV 1966, 153 (160), ausführt, niemand habe Zweifel an der Gesetzmäßigkeit dieses Einsatzes geäußert. 236 E. Denninger, JA 1980, 280 (282). 237 Statt vieler v. Mangoldt/Klein/Starck-T. v. Danwitz, Art. 35 Abs. 1 Rdn. 15. 238 v. Mangoldt/Klein/Starck-T. v. Danwitz, Art. 35 Abs. 1 Rdn. 15; K. Paulke, 132 ff. m.w. N. in Fn. 606; J.-P. Fiebig, 327 f.; W. Grubert, 256 f.; M. Baldus, Stellungnahme, 15; H. Walter, DPolBl. 2005, 2; D. Wiefelspütz, BWV 2004, 121 (123); M. Tönsgerlemann, ZfZ 2003, 362 (367 f.); C. Lutze, NZWehrr 2003, 101 (105 f.); V. Epping, NZWehrr 1993, 103 (110 f.); E. Beckert, BWV 1986, 145 (150); ders., NZWehrr 1984, 9 (12). 239 Gegen dieses Ergebnis spricht auch nicht, dass das Bundesverfassungsgericht einen Einsatz der Streitkräfte nach Art. 24 Abs. 2 GG als verfassungsrechtlich zulässig angesehen hat, obwohl in Art. 24 Abs. 2 GG nicht von einem „Einsatz der Streitkräfte“ die Rede ist, denn das Bundesverfassungsgericht hat nicht festgestellt, dass der Einsatz außerhalb der Bundesrepublik überhaupt einer ausdrücklichen Zulassung bedarf.

C. Verfassungsmäßigkeit der §§ 13 bis 15 LuftSiG

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b) Einsatzermächtigung gemäß Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG Nach der amtlichen Begründung stützt sich der Einsatz der Streitkräfte nach dem LuftSiG auf die Einsatzermächtigungen in Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG.240 Diese Bestimmungen erfassen den Katastrophennotstand, wobei zwischen dem regionalen Katastrophennotstand in Art. 35 Abs. 2 Satz 2 GG, der sich auf ein Land beschränkt, und dem überregionalen Katastrophennotstand in Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG, der das Gebiet mehrerer Länder gefährdet, unterschieden wird. Beide Bestimmungen lassen nach allgemeiner Ansicht einen Einsatz der Streitkräfte außerhalb des Verteidigungsauftrages ausdrücklich zu.241 Im regionalen Katastrophennotstand kann das betroffene Land die Streitkräfte „zur Hilfe“ anfordern. Wegen des Verfassungsprinzips der Bundestreue korreliert mit diesem Anforderungsrecht grundsätzlich die Pflicht des Bundes, Streitkräfte zur Verfügung zu stellen.242 Eine Ausnahme gilt, wenn der Bund die Streitkräfte für die Wahrnehmung eigener Aufgaben zwingend benötigt und das Abstellen an ein Land diese Aufgabenwahrnehmung gefährden würde. Als Beispiel ist zu nennen, dass sich die Streitkräfte in erhöhter Alarmbereitschaft befinden oder gar zur Verteidigung eingesetzt werden.243 Dem Bund kommt weiterhin ein Entscheidungsspielraum zu, in welchem Umfang er welche Einheiten der Bundeswehr zur Verfügung stellt. Im überregionalen Katastrophennotstand kann der Bund auch ohne ein vorheriges Anfordern der betroffenen Länder die Streitkräfte einsetzen, soweit dies zur wirksamen Bekämpfung des Katastrophennotstandes erforderlich ist. In diesen Fällen liegt also ein selbstinitiiertes Einschreiten des Bundes vor, welches sogar gegen den Willen der betroffenen Länder zulässig ist. Welche rechtlichen Folgen diese Unterscheidung hat, wird im Folgenden geklärt. Dabei werden wegen des engen Zusammenhangs und der Überschneidungen der Tatbestands240 BT-Drucks. 15/2361, 20 f. Soweit ersichtlich hat als erster M. Zulegg, ZLW 1975, 187 (198), einen Streitkräfteeinsatz im Luftraum auf Grundlage von Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG diskutiert. 241 BVerfG, NJW 2006, 751 (754 Abs. 90); J.-P. Fiebig, 324 m.w. N. in Fn. 30; W. Speth, 125 f.; a. A. möglicherweise H. Stein, 164 ff., der nur Art. 87a Abs. 3, Abs. 4 Satz 1 GG als Zulassungen für Einsätze der Streitkräfte im Innern diskutiert. Teilweise wird auch nur Art. 35 Abs. 3 GG, aber nicht Art. 35 Abs. 2 Satz 2 GG als ausdrückliche Zulassung genannt: vgl. T. Günther, in: Thiel (Hg.), Wehrhafte Demokratie, 329 (335); K. Windthorst, in: Thiel (Hg.), Wehrhafte Demokratie, 365 (413). Nicht nachvollziehbar ist die Auffassung A. Greiners, Die Polizei 2000, 161, der Art. 87a Abs. 4 GG als „abschließende [. . .] Regelung“ für den polizeilichen Einsatz der Streitkräfte versteht. 242 BVerwG, DÖV 1973, 490 (491); Jarass/Pieroth-B. Pieroth, Art. 35 Rdn. 5; Dreier-H. Bauer, Art. 35 Rdn. 30; Sachs-W. Erbguth, Art. 35 Rdn. 40. 243 BT-Drucks. V/2873, 9 und 14; C. Arndt, DVBl. 1968, 729.

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merkmale die Regelungen des regionalen und des überregionalen Katastrophennotstandes gemeinsam erörtert, soweit keine Besonderheiten bestehen. Für die Beantwortung der Frage, ob die Regelungen der §§ 13 bis 15 LuftSiG von den ausdrücklichen Zulassungen in Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG gedeckt sind, sind die folgenden drei Hauptprobleme zu klären: 1. Erlauben die Regelungen in Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG einen präventiven Einsatz der Streitkräfte? 2. Sind die Streitkräfte hinsichtlich der Wahl ihrer Einsatzmittel eingeschränkt? 3. Welches Organ hat die Entscheidungskompetenz für den Einsatz nach Art. 35 Abs. 3 Satz 1 und gibt es gegebenenfalls Ausnahmen hinsichtlich der Entscheidungskompetenz? aa) Allgemeines zum Katastrophennotstand Im Bereich des Katastrophennotstandes gemäß Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG ist vieles umstritten. Dabei geht es – unabhängig von spezifischen Problemen des LuftSiG – zunächst um die Frage, ob die Wahrnehmung von Katastrophenschutzaufgaben Länder- oder Bundessache ist und auf welcher gesetzlichen Grundlage ein Streitkräfteeinsatz möglich ist. Die Spanne der Meinungen reicht dabei von der generellen Anwendung von Landesrecht über eine Differenzierung zwischen dem regionalen und dem überregionalen Katastrophennotstand bis hin zur Bejahung der generellen Anwendung von Bundesrecht. Das Bundesverfassungsgericht hat zu diesen Fragestellungen nicht explizit Stellung genommen. Allerdings hat es die Verfassungswidrigkeit des § 14 Abs. 3 LuftSiG nicht damit begründet, dass die Streitkräfte im Katastrophennotstand nicht auf Grundlage von bundesgesetzlichen Ermächtigungsgrundlagen tätig werden dürfen. Weiterhin hat es anerkannt, dass Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 Satz 1 GG eine Gesetzgebungskompetenz des Bundes begründen.244 Die Anerkennung einer Bundeskompetenz macht aber nur dann Sinn, wenn die Streitkräfte auch Bundesrecht anwenden dürfen. (1) Tatbestandliche Voraussetzungen Grundvoraussetzung von Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG ist das Vorliegen einer „Naturkatastrophe“ oder eines „besonders schweren Unglücks-

244 BVerfG, NJW 2006, 751 (754 Abs. 91). Allerdings liegt nach der hier vertretenen Auffassung eine Bundeskompetenz gemäß Art. 73 Nr. 1 GG vor, siehe oben 3. Teil B. I. 1. b) ee).

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falls“.245 Im Zusammenhang mit dem Einsatz der Streitkräfte nach dem LuftSiG kommt nur das Tatbestandsmerkmal „besonders schwerer Unglücksfall“ in Betracht.246 Nach der herkömmlichen Definition sind Unglücksfälle Schadensereignisse größeren Ausmaßes, die durch menschliches Fehlverhalten oder technische Unzulänglichkeiten verursacht werden.247 Besonders schwer ist ein Unglücksfall, wenn er eine Mehrzahl von Personen gefährdet oder jedenfalls nicht nur eine private, sondern auch eine öffentliche Dimension aufweist.248 Als Beispiele werden besonders schwere Verkehrsunfälle, schwere Flugzeug- und Eisenbahnunglücke, Stromausfälle mit Auswirkungen für lebenswichtige Einrichtungen, Großbrände durch Brandstiftung, Unfälle in Kernenergieanlagen und andere Unfälle mit Strahlenrisiko genannt.249 Das Bundesverfassungsgericht hat diesen Definitionsansatz weitgehend übernommen.250 Die nähere Bestimmung, wann ein Unglücksfall als „besonders schwer“ gilt, bereitet Schwierigkeiten.251 Es handelt sich um einen unbestimmten Rechtsbegriff, bei dem eine eindeutige Grenzziehung schwerfällt. Es gibt ein Stufenverhältnis, das von einem einfachen über einen schweren bis zu einem besonders schweren Unglücksfall reicht.252 Es bestehen also Entscheidungsspielräume, die nicht voll juristisch überprüfbar sind.253 Ob ein Unglücksfall „besonders schwer“ ist, ist eine Einzelfallentscheidung, bei der zu berücksichtigen ist, dass die Einsatzmöglichkeiten der Streitkräfte nach Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG Ausnahmeregelungen darstellen.254 Allerdings sind an die Beurtei245 Irreführend ist insoweit Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG, der nur von einem „Unglücksfall“ spricht. Dabei ergibt sich aus dem systematischen Zusammenhang mit Art. 35 Abs. 2 Satz 2 GG, dass auch dieser Unglücksfall ein besonders schwerer sein muss, vgl. D. Esklony, 220 Fn. 1005; H. Neumann, BWV 2003, 1 f. 246 Vgl. M. Fischer, JZ 2004, 376 (381): „Terroranschläge unter den Begriff der Naturkatastrophe zu subsumieren, ist von vornherein ausgeschlossen.“ Die Auffassung Reichs ist abzulehnen, der meint, dass auch Naturkatastrophen von Menschen mittelbar verursacht werden könnten und somit eine Abgrenzung zwischen der Naturkatastrophe und dem besonders schweren Unglücksfall nach der menschlichen Einflussnahme „wirklichkeitsfremd“ sei, A. Reich, Art. 35 Rdn. 3. 247 K. Stern, Staatsrecht, Band II, 1463. 248 K. Stern, Staatsrecht, Band II, 1463. 249 P. Eichhorn, 107. 250 BVerfG, NJW 2006, 751 (754 Abs. 98). 251 Vgl. M. Fischer, Das Parlament vom 24. Januar 2005, 3. Zu weitgehend ist die Ansicht T. M. Sprangers, NZWehrr 1998, 233 (236), der bereits die ungenehmigte Aufsuchung und Gewinnung von Bodenschätzen des deutschen Festlandssockels unter Verstoß gegen § 1 Festlandsockelgesetz a. F. für einen besonders schweren Unglücksfall im Sinne des Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG ausreichen lässt. 252 Vgl. W. Grubert, 254. 253 Vgl. P. Eichhorn, 127. 254 v. Münch/Kunig-M. Gubelt, Art. 35 Rdn. 25; P. Eichhorn, 108.

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3. Teil: Abwehr auf Grundlage des LuftSiG

lung, ob ein besonders schwerer Unglücksfall vorliegt, vor dem Hintergrund der Effektivität der Gefahrenabwehr keine überspannten Voraussetzungen zu stellen. Eine Grenze ist aber erreicht, wenn ein besonders schwerer Unglücksfall missbräuchlich angenommen wird, um einen Einsatz der Bundeswehr zu rechtfertigen.255 Zweifelhaft ist, ob auch vorsätzliches menschliches Handeln einen Unglücksfall auslösen kann. Gegen die Einbeziehung von vorsätzlichem Handeln könnte die Absicht des verfassungsändernden Gesetzgebers sprechen, den Katastrophennotstand in Art. 35 Abs. 2, 3 GG zu regeln und so zu „entpolitisieren“. 256 Systematisch wurden die Regelungen des Katastrophennotstandes von Art. 87a Abs. 4 GG getrennt, der die Bekämpfung der von Menschen geschaffenen inneren Unruhen regelt.257 Diese Trennung könnte bedeuten, dass die Abwehr von vorsätzlichen Schädigungen außerhalb von Art. 87a Abs. 4 GG nicht zulässig ist.258 In diese Richtung argumentiert Keidel, der den Katastrophennotstand auf naturbedingte oder technisch bedingte Gefahren reduziert, zu deren Abwehr „im Allgemeinen nicht ein Vorgehen gegen aufsässige Menschen erforderlich ist“.259 H. A. Wolff meint, die systematische Beziehung zum Begriff der „Naturkatastrophe“ deute darauf hin, dass die Einsatzmöglichkeiten nach Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG nicht auf die Abwehr finaler Verletzungshandlungen durch Menschen zugeschnitten sind.260 Dies werde auch durch die historische Auslegung bestätigt, da die Bestimmungen des Katastrophennotstandes nach der Hamburger Flutkatastrophe von 1962 in Art. 35 GG eingefügt worden sind.261 Ähnlich meint Schütte im Hinblick auf das vorsätzliche Herbeiführen eines Unglückfalls, dass „ein von Terroristen provozierter Flugzeugabsturz nicht in dieses Bild der Verfassung“ passe.262 Auch der Präsident des Bundesverfassungsgerichts Hans-Jürgen Papier hat in der Vergangenheit Zweifel an einer Ausdehnung des Begriffs „Unglücksfall“ 255 Siehe auch zum Entscheidungsspielraum hinsichtlich der Voraussetzungen für einen Verteidigungseinsatz der Streitkräfte oben 2. Teil B. IX. 2. b) bb). 256 Vgl. Maunz/Dürig-T. Maunz, Art. 35 Rdn. 15. 257 Vgl. D. Esklony, 217. 258 Vgl. M. Fischer, JZ 2004, 376 (381). 259 D. Keidel, 78; ähnlich auch V. Krey/W. Meyer, ZRP 1973, 1 (2), die einen „katastrophenähnlichen“ besonders schweren Unglücksfall voraussetzen und daher einen Einsatz der Streitkräfte im Zusammenhang mit der vorsätzlichen Begehung von Straftaten verneinen. 260 H. A. Wolff, ThürVBl. 2003, 176 (177); zweifelnd auch T. Stein, FS R. Mußgnug, 2005, 85 (92). 261 H. A. Wolff, ThürVBl. 2003, 176 (177). Im Ergebnis meint H. A. Wolff allerdings, bei terroristischen Anschlägen, die mit dem 11. September 2001 vergleichbar seien, könnte die Bundeswehr durch eine „extensive Auslegung des Art. 35 GG“ eingesetzt werden. Eine Regelung durch einfaches Gesetz sei dagegen nicht ausreichend. 262 M. Schütte, DPolBl. 2005, 15 (17).

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auf vorsätzliches menschliches Verhalten geäußert,263 wobei diese Zweifel durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu § 14 Abs. 3 LuftSiG überholt sein dürften. Die herrschende Literatur264 und das Bundesverfassungsgericht lassen zu Recht ein vorsätzliches menschliches Handeln genügen. Dafür spricht zunächst, dass sich eine Differenzierung bezüglich der subjektiven Einstellung des Verursachers des besonders schweren Unglücksfalls weder aus dem Wortlaut noch aus der Entstehungsgeschichte entnehmen lässt.265 Sinn und Zweck der Regelungen in Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG ist es, eine Grundlage für eine effektive Bekämpfung von Unglücksfällen zu schaffen. Daher ist zu berücksichtigen, dass gerade vorsätzliches Handeln ein noch größeres Schadenspotential als ein fahrlässiges Handeln beinhalten kann. Systematisch spricht auch die Regelung in Art. 9 Abs. 3 Satz 3 GG, die einen Einsatz der Streitkräfte nach den Regelungen des Katastrophennotstandes gegen legale Arbeitskämpfe verbietet, dafür, auch vorsätzliches Handeln zu erfassen. Denn die besondere Schutzregelung in Art. 9 Abs. 3 Satz 3 GG, die so genannte Arbeitskampfschutzklausel, wäre nicht erforderlich gewesen, wenn ein legaler Arbeitskampf, der vorsätzliches Handeln voraussetzt, schon gar nicht unter den Begriff „besonders schwerer Unglücksfall“ fällt und damit ein Einsatz der Streitkräfte schon von vornherein nicht auf Grundlage von Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und 3 Satz 1 GG möglich wäre.266 Des Weiteren weist Spranger zu Recht darauf hin, dass der Begriff „besonders schwerer Unglücksfall“ von der Folgenseite und nicht aus der Perspektive der Art der Verursachung auszulegen ist.267 Auch die historischen Argumente Wolffs überzeugen nicht: Der verfassungsändernde Gesetzgeber hatte bei der Einfügung von Art. 35 Abs. 2, Abs. 3 GG gerade die vorsätzlichen Ausschreitungen von Plünderern im Zusammenhang mit der Flutkatastrophe im Jahr 1962 im Blick, die einen Einsatz der Streitkräfte erforderlich gemacht hatten. 263 FAZ vom 22. Februar 2003, 4; vgl. auch J. Bittner, Die Zeit vom 1. Oktober 2003, 6. 264 M. Jahn, 66; H. Jochum, JuS 2006, 511 (514); W. Höfling/S. Augsberg, JZ 2005, 1080 (1087); C. Hillgruber/J. Hoffmann, NWVBl. 2004, 176 (177); M. Fischer, JZ 2004, 376 (381); T. M. Spranger, NZWehrr 1998, 233 (237); O. Gebhardt/H. Strixner, BWV 1977, 175 (178); im Ergebnis auch D. Wiefelspütz, NZWehrr 2003, 45 (60 f.); ders., ZRP 2003, 140; G. Krings/C. Burkiczak, DÖV 2002, 501 (502); M. Hochhuth, NZWehrr 2002, 154 (156). 265 Ebenso BVerfG, NJW 2006, 751 (755 Abs. 100). 266 Vgl. hierzu J. Glückert, 118 f. Glückert ist allerdings der Meinung, dass ein Arbeitskampf schon begrifflich keinen besonders schweren Unglücksfall darstellen könne. Die Erwähnung von Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG habe lediglich demonstrativ deutlich machen sollen, dass die Notstandsregelungen des Grundgesetzes kein potentielles Instrument zur Beeinträchtigung von arbeitsrechtlichen Arbeitskämpfen darstellen. 267 T. M. Spranger, NJW 1999, 1003 (1004).

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(2) Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG als Bundeskompetenz Dass die Bekämpfung eines besonders schweren Unglücksfalls im regionalen Katastrophennotstand gemäß Art. 35 Abs. 2 Satz 2 GG in die Zuständigkeit des betroffenen Landes fällt, dürfte nicht weiter zweifelhaft sein. Die Einordnung der Aufgabenwahrnehmung im überregionalen Katastrophennotstand nach Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG ist dagegen streitig. Teilweise wird in der Literatur vertreten, die Bekämpfung des Unglücksfalls bleibe auch hier eine Landesaufgabe.268 Diese Auffassung wird durch die Gesetzesbegründung zum LuftSiG gestützt, die davon ausgeht, dass das LuftSiG die Unterstützung der Länder zur Gefahrenabwehr regelt.269 Dieser Ansicht hat sich auch das Bundesverfassungsgericht angeschlossen.270 Dagegen wird zu Recht überwiegend vertreten, dass der Bund im Fall des überregionalen Katastrophennotstandes die Streitkräfte kraft eigener Kompetenz einsetzen kann.271 Dafür spricht, dass der Bund ohne den Willen der betroffenen Länder handeln kann. Zudem ist bei einer länderübergreifenden Gefahr kein Platz für einen dezentralisierten Katastrophenschutz. Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG ist ein „Eingeständnis föderalen Unvermögens“.272 Im Übrigen ist es nicht ausreichend, dass behauptet wird, der Bund nehme im überregionalen Katastrophennotstand eine Landesaufgabe wahr. Vielmehr müsste auch festgestellt werden können, für welches Bundesland der Bund handelt. Dies wird insbesondere dann schwierig oder gar unmöglich sein, wenn nicht eindeutig abgegrenzt werden kann, wie viele und welche Länder durch die konkrete Gefahr betroffen sind. Dabei ist Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG nicht etwa – wie Lorse mit dem Hinweis auf das Fehlen von einfachgesetzlichen Bundesregelungen meint – eine „hinkende Bundeskompetenz“.273 Das Fehlen von einfachgesetzlichen Normen kann nicht maßgeblich für die Auslegung einer Verfassungsnorm sein. Vielmehr ist es die Entscheidung des Gesetzgebers, ob er einen bestimmten Bereich für regelungsbedürftig ansieht oder ob er auf eine Regelung verzichtet.

268

E. Klein, HdBStR, Band VII, § 169 Rdn. 33; C. Knödler, BayVBl. 2002, 107

(110). 269

BT-Drucks. 15/2361, 20. BVerfG, NJW 2006, 751 (755 Abs. 106, 757 Abs. 116). 271 Sachs-W. Erbguth, Art. 35 Rdn. 41; P. Eichhorn, 119; W. Speth, 140; D. Keidel, 119, 167; N. P. Kleiner, Aufgabe(n) und Befugnisse der Streitkräfte, 401 ff.; H. Klückmann, 173; E. Klein, HdBStR, Band VII, § 169 Rdn. 34; J. Lorse, Die Verwaltung 38 (2005), 471 (486); N. P. Kleiner, DVBl. 1977, 240 (241); T. Stein, in: D. Merten/ Papier (Hg.), Handbuch der Grundrechte, Band I, § 24 Rdn. 46, spricht von einer „tiefgreifende[n] Kompetenzverschiebung“. 272 J. Lorse, Die Verwaltung 38 (2005), 471 (486). 273 J. Lorse, Die Verwaltung 38 (2005), 471 (477). 270

C. Verfassungsmäßigkeit der §§ 13 bis 15 LuftSiG

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Trotz des Vorliegens einer Bundeskompetenz ist der Bund nach dem Prinzip des bundesfreundlichen Verhaltens dazu gehalten, den Bundesländern Gelegenheit zur Stellungnahme zu geben und – soweit dies möglich ist – über die Maßnahmen der Katastrophenbekämpfung ein Einvernehmen zu erzielen.274 (3) Rechtsgrundlagen für Einzelbefugnisse Sehr streitig ist, auf welche Rechtsgrundlagen sich Einzelmaßnahmen der Streitkräfte bei einem Einsatz nach Art 35 Abs. 2 Satz 2 oder Abs. 3 Satz 1 GG stützen können. Es besteht keine ausdrückliche verfassungsrechtliche Regelung. Weiterhin existiert – abgesehen von den Regelungen des LuftSiG – kein Ausführungsgesetz für den Streitkräfteeinsatz im Katastrophennotstand. Auch fehlt eine dem § 11 Abs. 2 BPolG vergleichbare Regelung, nach dem die Bundespolizei bei einer Verwendung zur Unterstützung der Länder im Katastrophennotstand das Polizeirecht des betroffenen Landes anzuwenden hat.275 Eine beachtliche Literaturmeinung vertritt, dass sowohl im regionalen als auch im überregionalen Katastrophennotstand die Streitkräfte nur landesrechtliche Vorschriften zur Ausübung von Zwangsmaßnahmen anwenden dürfen.276 Die Gegenposition meint, in beiden Fällen des Katastrophennotstandes könnten die Streitkräfte auf Grundlage von Bundesrecht handeln.277 Diese Auffassung beruft sich in rechtlicher Hinsicht maßgeblich auf zwei Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts, das die Unzulässigkeit des Vollzugs von Landesrecht durch Bundesorgane festgestellt hat.278 Zudem würde das Erfordernis der Anwendung von 16 verschiedenen Polizeigesetzen der Länder durch die Streitkräfte zu Problemen in der Praxis führen, da die Soldaten der Bundeswehr im Allgemeinen sogar im Bereich des Sonderpolizeirechts der Streitkräfte nur geringe Kenntnisse hätten279 und im Bereich des allgemeinen Polizei- und Ordnungsrechts keinerlei Ausbildung bekommen würden.280 Laschewski begründet 274

v. Mangoldt/Klein/Starck-T. v. Danwitz, Art. 35 Abs. 3 Rdn. 80. § 11 Abs. 2 BPolG ist deckungsgleich mit seiner Vorgängervorschrift des § 11 Abs. 2 BGSG a. F.; vgl. zum Streit über die dogmatische Einordnung der Verwendung der Bundespolizei zur Unterstützung eines Landes D. Heesen/J. Hönle/A. Peilert, § 11 BGSG Rdn. 3 ff. 276 Maunz/Dürig-T. Maunz, Art. 35 Rdn. 18; Umbach/Clemens-S. Magen, Art. 35 Rdn. 39; v. Mangoldt/Klein/Starck-T. v. Danwitz, Art. 35 Abs. 3 Rdn. 84; v. Münch/ Kunig-M. Gubelt, Art. 35 Rdn. 28, 30; B. Schlink, Die Amtshilfe, 163 f.; E. Klein, HdBStR, Band VII, § 169 Rdn. 35; G. Robbers, DÖV 1989, 926 (928); B. Riegel, Die Polizei 1979, 37. 277 P. Karpinski, 86; W. Speth, 138 f.; E. Klein, FS R. Mußgnug, 2005, 71 (74 f.); D. Wiefelspütz, NWVBl. 2006, 41 (43 f.); R. Mußgnug, Recht in Ost und West, Sondernummer 1983, 26 (31 f.). 278 BVerfGE 12, 205 (221); 21, 312 (327); vgl. K. Zeidler, DVBl. 1960, 573 ff. 279 Vgl. K.-H. Lessing, Die Polizei 1984, 191. 275

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3. Teil: Abwehr auf Grundlage des LuftSiG

die durchgängige Anwendung von Bundesrecht mit der Zulässigkeit des Präventiveinsatzes. Eine Beschränkung auf eine Waffenanwendung, wie sie nach dem entsprechenden Landespolizeirecht zulässig wäre, wäre „widersinnig“, denn das betroffene Land fordere die Streitkräfte ja gerade deshalb an, weil die Fähigkeiten der Landespolizeikräfte zur Gefahrenabwehr nicht ausreichen.281 Eine vermittelnde Meinung befürwortet beim Einsatz im regionalen Katastrophennotstand die Anwendung von Landesrecht und im überregionalen Katastrophennotstand die Anwendung von Bundesrecht.282 Keine diese Meinung kann in Gänze überzeugen. Zunächst ist ein formaler Aspekt zu bedenken. Wenn man zutreffend – wie oben näher ausgeführt283 – davon ausgeht, dass der Bund auf Grundlage des § 73 Nr. 1 GG die Gesetzgebungskompetenz für Regelungen des Streitkräfteeinsatzes nach Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG hat, so macht diese Gesetzgebungskompetenz nur dann Sinn, wenn die Streitkräfte auch auf Grundlage von bundesrechtlichen Vorschriften eingesetzt werden können.284 Das Bestehen einer Gesetzgebungskompetenz, die Regelungen betrifft, die materiell nicht angewandt werden dürfen, könnte nicht widerspruchsfrei begründet werden. Weiterhin kann auch das Argument nicht überzeugen, die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zur Unzulässigkeit der Ausführung von Landesrecht durch Bundesbehörden285 sei überholt. Es ist methodisch fragwürdig, die Änderungen des Grundgesetzes durch die Notstandsverfassung als Gegensatz zu der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts zu verstehen, denn eine entsprechende Regelung findet sich nicht im Grundgesetz, auch wenn Äußerungen im Gesetzgebungsverfahren in diese Richtung deuten.286 Das Bundesverfassungsgericht hat auch nach 1968 weiter ausdrücklich auf seine Rechtsprechung zur Unzulässigkeit der Anwendung von Landesrecht durch Bundesbehörden verwiesen.287 Dadurch ist anzunehmen, dass das Bundesverfassungsgericht nicht unbedingt davon ausgeht, dass seine Rechtsauffassung durch die Einfügung von Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG in das Grundgesetz überholt ist. Um sowohl den Länderbelangen als auch den praktischen Erfordernissen der Streitkräfte zu genügen, bietet sich eine vierte Lösung an. Demnach können die 280

B. Riegel, Die Polizei 1979, 37 (40). G. Laschewski, 94, unter Berufung auf M. Baldus, NVwZ 2004, 1278 (1284). 282 K. Paulke, 199, 203. 283 Siehe oben 3. Teil C. I. 1. 284 Das Gleiche gilt natürlich auch, wenn man – wie das Bundesverfassungsgericht – eine Bundeskompetenz direkt aus den Regelungen des Katastrophennotstandes ableitet. 285 Vgl. BVerfGE 12, 205 (221); 21, 312 (327). 286 Vgl. BT-Drucks. V/2873, 10. 287 BVerfGE 26, 338 (368). 281

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einzelnen Befugnisse der Streitkräfte durch Bundesgesetz geregelt werden, allerdings dürfen sich diese Regelungen in qualitativer Hinsicht nicht von den Befugnissen in den Landespolizeigesetzen unterscheiden.288 Mit anderen Worten: Die grundsätzliche Zulässigkeit von Einzelmaßnahmen muss sich aus dem Landespolizeirecht ergeben; die Durchführung selbst kann durch Bundesgesetz geregelt werden.289 In diesem Zusammenhang wäre es sinnvoll, dass der Bund ein allgemeines Ausführungsgesetz zu Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG erlässt, um die einzelnen Befugnisse der Streitkräfte – auch außerhalb der Gefahrenabwehr im Luftraum, die nur einen Teilbereich des Katastrophennotstandes erfasst – abschließend und zweifelsfrei zu regeln. bb) Zulässigkeit des Präventiveinsatzes Die Regelungen des Art. 35 Abs. 2 Satz 2, 3 Satz 1 GG sind unstreitig dann anwendbar, wenn der Schaden durch den Unglücksfall bereits verursacht worden ist. Nach § 13 Abs. 1 LuftSiG können die Streitkräfte aber auch zur „Verhinderung dieses Unglücksfalls“ eingesetzt werden und nach § 14 Abs. 1 LuftSiG „zur Verhinderung des Eintritts eines besonders schweren Unglücksfalls“ Maßnahmen ergreifen. Zwar sprach § 14 Abs. 3 LuftSiG nicht ausdrücklich von einem „Verhindern“, jedoch wurde durch die Formulierungen „zur Abwehr dieser Gefahr“ und „gegen das Leben von Menschen eingesetzt werden soll [Hervorhebung vom Verf.]“ deutlich, dass auch die unmittelbare Einwirkung mit Waffengewalt als Präventivmaßnahme zulässig sein sollte. Nach den Regelungen des LuftSiG ist also das Bevorstehen eines besonders schweren Unglücksfalls für den Einsatz der Streitkräfte ausreichend. Um der Begrenzungsfunktion des Art. 87a Abs. 2 GG gerecht zu werden, dürfen die einfachgesetzlichen Regelungen der §§ 13 bis 15 LuftSiG nicht über den verfassungsrechtlichen Regelungsgehalt hinausgehen,290 das heißt, ein Präventiveinsatz ist nur dann zulässig, wenn er mit den Regelungen des Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG vereinbar ist. Bis zur Vorlage des Gesetzentwurfs des LuftSiG wurde diese Frage nur von wenigen Autoren beiläufig beachtet.291 Das aktuelle Meinungsbild in der Litera-

288 Insbesondere aus der historischen und systematischen Auslegung ergibt sich, dass die Streitkräfte im Fall des Katastrophennotstandes bei der Wahl ihrer Einsatzmittel auf die Anwendung polizeilicher Gewalt beschränkt sind, siehe dazu unten 3. Teil C. II. 1 b) cc). 289 Ähnlich C. Hillgruber/J. Hoffmann, NWVBl. 2004, 176 (180). 290 So auch K. Paulke, 151 f. 291 Wohl als erster W. Brunkow, NZWehrr 1971, 12 (19), allerdings ausdrücklich nur in Bezug auf die Naturkatastrophe; W. Speth, 128, der einen Präventiveinsatz bejaht; ebenso G. Großmann, Teil II, Rdn. 347.

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tur ist höchst uneinheitlich.292 Teilweise wird eine „Rechtsklarheit schaffende Verfassungsänderung gefordert“.293 Das Bundesverfassungsgericht hat zwar in seinem Urteil zu § 14 Abs. 3 LuftSiG die Zulässigkeit eines Präventiveinsatzes im Rahmen des Katastrophennotstandes bejaht, allerdings ist die Begründung des Bundesverfassungsgerichts zweifelhaft. Daher soll diese Fragestellung im Folgenden – auch im Hinblick auf den grundsätzlichen Streit in der Literatur – ausführlich untersucht werden. (1) Grammatikalische Auslegung Aus dem Wortlaut selbst ist nicht ausdrücklich zu entnehmen, ob ein Einsatz bereits zur Verhinderung eines Unglücksfalls oder erst nach dessen Eintreten verfassungsrechtlich zulässig ist. Einen Anhaltspunkt bietet aber möglicherweise die Formulierung des Art. 35 Abs. 2 Satz 2 GG, dass das Anforderungsrecht „bei [Hervorhebung des Verf.] einem besonders schweren Unglücksfall“ besteht. Ein Teil der Literatur versteht die Formulierung „bei“ dahingehend, dass der Unglücksfall bereits eingetreten sein muss.294 Das Wort „bei“ enthalte eine zeit292 Für einen präventiven Einsatz: G. Laschewski, 90; A. Archangelskij, 132 f.; R. Zippelius/T. Würtenberger, 491 f.; M. Baldus, Stellungnahme, 17; V. Epping, Stellungnahme, 6 f.; G. Robbers, Stellungnahme, 5 f.; R. Scholz, Anhörung 38; T. M. Spranger, in: Fleck (Hg.), Rechtsfragen der Terrorismusbekämpfung durch Streitkräfte, 183 (193); E. Klein, FS R. Mußgnug, 2005, 71 (73); E. B. Franz/T. Günther, VBlBW 2006, 340 (342); H. Jochum, JuS 2006, 511 (514); K. Baumann, JURA 2006, 447 (451); D. Winkler, DÖV 2006, 149 (155); O. Schily, EuGRZ 2005, 290 (292); W. Melzer/C. Haslach/O. Socher, NVwZ 2005, 1361 (1364); B. Pieroth/B. J. Hartmann, JURA 2005, 729 (733); U. Sittard/M. Ulbrich, JuS 2005, 432 (434); C. Hillgruber/ J. Hoffmann, NWVBl. 2004, 176 (177); H. Sattler, NVwZ 2004, 1286 (1287); M. Fischer, JZ 2004, 376 (382); T. Linke, NZWehrr 2004, 115 (119); M. Ladiges, Speyerer Arbeitshefte Nr. 159 (2004), 161 (176); D. Wiefelspütz, NZWehrr 2003, 45 (62); C. Gramm, NZWehrr 2003, 89 (93); M. Hochhuth, NZWehrr 2002, 154 (157). Gegen einen präventiven Einsatz: v. Mangoldt/Klein/Starck-T. v. Danwitz, Art. 35 Abs. 2 Rdn. 71, 78; Giemulla/van Schyndel-E. Giemulla, LuftSiG, § 13 Rdn. 42 ff.; K. Paulke, 153; A. Gilch, 170; J.-P. Fiebig, 326; M. Jahn, 66; K. Fehn/M. Brauns, 60; W. Schwenk/E. Giemulla, 210; R. Schmidt, Staatsorganisationsrecht, Rdn. 804; P. J. Tettinger/W. Erbguth, Rdn. 655; R. Schmidt-Radefeldt, in: Borchert (Hg.), Weniger Souveränität – Mehr Sicherheit, 76 (81); T. Stein, FS R. Mußgnug, 2005, 85 (92 ff.); J. Isensee, FS P. Kirchhof, 2003, 7 (36); P. Dreist, NZWehrr 2006, 45 (58); F. Hase, DÖV 2006, 213 (216); R. Stober, NJW 2006, Heft 7, III; M. Schütte, DPolBl. 2005, 15 (17); K. Odendahl, Die Verwaltung 38 (2005), 425 (440 f.); E. Giemulla, ZLW 2005, 32 (35 ff.); M. Droege, NZWehrr 2005, 199 (208); R. Stober/S. Eisenmenger, NVwZ 2005, 121 (123); G. Krings/C. Burkiczak, NWVBl. 2004, 249 (251); S. Gose, Grundrechte-Report 2004, 174 (176); S. Kaiser, TranspR 2004, 353 (355); C. Burkiczak, VR 2004, 379 (381); P. J. Tettinger, ZLW 2004, 334 (341); H. A. Wolff, ThürVBl. 2003, 176 (177); C. Lutze, NZWehrr 2003, 101 (104 f.); G. Krings/C. Burkiczak, DÖV 2002, 501 (512); P. Dreist, NZWehrr 2002, 133 (138); P. Wilkesmann, NVwZ 2002, 1316 (1321). 293 Dreier-H. Bauer, Art. 35 Rdn. 31; H. H. Klein, ZRP 2003, 140.

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liche Komponente; daher könne Hilfe „bei“ den Maßnahmen zur Bekämpfung eines Unglücksfalls erst dann geleistet werden, wenn sich dieser bereits verwirklicht hat.295 Weiterhin deute auch der übliche Sprachgebrauch darauf hin, dass ein Unglücksfall die „sichtbare Katastrophe“ bezeichnet.296 Noch weitgehender meint J. Ipsen ohne nähere Begründung, die Begriffe „Naturkatastrophe“ und „besonders schwerer Unglücksfall“ seien „ersichtlich auf die Folgenbeseitigung angelegt, nicht jedoch auf die Verhinderung der drohenden Katastrophe“.297 Dieser Auffassung wird mit der Begründung widersprochen, der Begriff „bei“ sei nicht zeitlich zu verstehen, sondern beziehe sich funktional auf den bestimmten Hilfsanlass.298 Des Weiteren seien auch die Begriffe „zur Hilfe“ und „anfordern“ in die Auslegung mit einzubeziehen. So meint Robbers, die Präposition „zur“ besitze „bereits begrifflich eine Zukunftskomponente“. Die Formulierung „Hilfe“ umfasse sowohl Aufrechterhaltung als auch Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung.299 Dabei beruft sich Robbers auf Scholz, der für die Auslegung des Art. 35 Abs. 2 Satz 2 GG die Begriffe der „Aufrechterhaltung“ und „Wiederherstellung“ in Art. 35 Abs. 2 Satz 1 GG heranzieht und über den Begriff „Aufrechterhaltung“ einen präventiven Einsatz begründet.300 Robbers stützt die Zulässigkeit eines präventiven Einsatzes auch auf den Begriff „anfordern“. Das „Anfordern“ von Streitkräften setze eine gewisse Vorlaufzeit voraus, um einen sinnvollen Einsatz zu gewährleisten. Daher müsse die Anforderung auch vor dem tatsächlichen Eintritt des besonders schweren Unglücksfalls erfolgen können, soweit die Geschehnisse absehbar sind.301 Baldus weist darauf hin, dass die Regelung des Katastrophennotstandes gerade nicht von einem „eingetretenen Unglücksfall“ spricht. Daher könne es nicht unzulässig sein, das Partizip „bevorstehender“ vor dem Wort „Unglücksfall“ mitzu294 So ausdrücklich J.-P. Fiebig, 325; K. Paulke, 153; K. Fehn/M. Brauns, 60; M. Droege, NZWehrr 2005, 199 (208); E. Giemulla, ZLW 2005, 32 (35 f.); C. Lutze, NZWehrr 2003, 101 (105); G. Krings/C. Burkiczak, DÖV 2002, 501 (512). 295 K. Paulke, 153. Paulke nennt als Beispiel, dass ein Arzt einem Verletzen bei seiner Genesung nur dann Hilfe leisten kann, wenn bereits ein pathologischer Zustand vorliegt. 296 E. Giemulla, ZLW 2005, 32 (36). 297 J. Ipsen, Anhörung, 21 f.; ähnlich S. Kaiser, TranspR 2004, 353 (355). 298 G. Robbers, Stellungnahme, 6. 299 G. Robbers, Stellungnahme, 6; ders., Anhörung, 42. 300 G. Robbers, Anhörung, 42; R. Scholz, Anhörung, 38. Soweit ersichtlich hat diese Ansicht zuerst Speth vertreten, vgl. W. Speth, 128. Wie unterschiedlich hier jedoch die Wortlautauslegung ist, zeigt sich an der Auffassung Lehnguts, der meint, die Formulierung „zur Hilfe“ bedeute, dass der Zweck des Einsatzes der Streitkräfte darin liege, „die Folgen der Katastrophe oder des Unglücks einzudämmen“, G. Lehngut, 57. 301 G. Robbers, Stellungnahme, 5 f.

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lesen, wenn die Gegenmeinung das Partizip „eingetretener“ vor „Unglücksfall“ setzt.302 Fraglich ist auch, ob die Formulierung „Gefährdet [. . .] der Unglücksfall“ in Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG weiter hilft. Manche meinen, auch die Gefährdung beziehe sich eindeutig auf einen eingetretenen Unglücksfall; gemeint sei also die Gefährdung durch die Folgen des Unglücksfalls, nicht aber durch den drohenden Unglücksfall.303 So versteht Burkiczak das Wort „Gefährdet“ in Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG nicht im Sinne einer Gefährdungssituation, bei der eine Schadensrealisierung droht. Vielmehr beziehe es sich lediglich auf den bereits entstandenen Unglücksfall nach Art. 35 Abs. 2 Satz 2.304 T. Stein meint, der Begriff „Gefährdet“ weise lediglich darauf hin, dass die schon eingetretene Katastrophe noch nicht ihr volles Ausmaß erreicht haben muss. Ein präventiver Einsatz wegen einer möglichen Gefährdung sei dagegen verfassungsrechtlich nicht zulässig.305 Andere begründen mit der Formulierung „Gefährdet“ wiederum die Zulässigkeit eines präventiven Einsatzes.306 Auch das Bundesverfassungsgericht meint, das Tatbestandsmerkmal „Gefährdet“ bedeute, es müssten „noch nicht alle Konsequenzen eingetreten“ sein. Ausreichend sei, dass die „Dinge sich vielmehr noch auf die Katastrophe hinbewegen“.307 Martínez Soria differenziert bei der Auslegung „Hilfe bei einem Unglücksfall“ hinsichtlich der Gewissheit, ob der Unglücksfall eintreten wird. „Bei“ sei dahingehend zu verstehen, dass die Streitkräfte nicht zur Abwehr einer konkreten, das heißt nur hinreichend wahrscheinlichen Gefahr, eingesetzt werden können.308 Ein präventiver Einsatz wäre nur dann zulässig, wenn „der Unglücksfall sicher [Hervorhebung des Verf.] eintritt“.309 Insofern könne auf den Begriff der „gegenwärtigen Gefahr“ des allgemeinen Polizeirechts310 zurückgegriffen werden. Ausreichend für die Zulässigkeit des Streitkräfteeinsatzes sei daher eine Gefahrensituation, bei der die Einwirkung des schädigenden Ereignisses bereits begonnen hat oder bei der diese Einwirkung unmittelbar oder in allernächster Zeit mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit bevorsteht.311

302

M. Baldus, Stellungnahme, 18. K. Odendahl, Die Verwaltung 38 (2005), 425 (441); M. Droege, NZWehrr 2005, 199 (208); C. Lutze, NZWehrr 2003, 101 (105). 304 C. Burkiczak, VR 2004, 379 (381). 305 T. Stein, FS R. Mußgnug, 2005, 85 (94). 306 Vgl. G. Robbers, Stellungnahme, 6. 307 BVerfG, NJW 2006, 751 (756 Abs. 111). 308 J. Martínez Soria, DVBl. 2004, 597 (602). 309 J. Martínez Soria, DVBl. 2004, 597 (602). 310 Vgl. W.-R. Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, Rdn. 78. 311 J. Martínez Soria, DVBl. 2004, 597 (602). 303

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Methodisch unsauber ist jedenfalls der Ansatz von Hillgruber und J. Hoffman, die in Art. 35 Abs. 2 Satz 2 GG einfach den Begriff „Gefahr“ mit hineinlesen; als Konsequenz hieraus legen sie die Regelung nach den allgemeinen polizeirechtlichen Grundsätzen aus.312 Der Begriff „Gefahr“ findet sich jedoch überhaupt nicht in Art. 35 Abs. 2 Satz 2 GG. Diejenigen, die einen präventiven Einsatz ablehnen, könnten sich eventuell auf die amtliche Definition des Bundesministeriums der Verteidigung stützen. Diese Definition differenziert offenbar zwischen Naturkatastrophen und besonders schweren Unglücksfällen und lässt für eine Naturkatastrophe bereits „unmittelbar drohende Gefahrenzustände“ ausreichen, während für den besonders schweren Unglücksfall ein „Schadensereignis“ erforderlich ist.313 Die Formulierung „Schadensereignis“ spricht dafür, dass eine Störung eingetreten sein muss und damit wäre kein präventiver Einsatz zulässig. Im Gegensatz dazu zieht das Bundesverfassungsgericht die Differenzierung im Hilfeerlass heran, um die Zulässigkeit des präventiven Einsatzes zu begründen: Wenn für Naturkatastrophen ein unmittelbar drohender Gefahrzustand ausreichen soll, so müsse dies auch für den besonders schweren Unglücksfall gelten, denn die beiden Tatbestände ließen sich nicht immer scharf voneinander abgrenzen und die Übergänge zwischen einer drohenden Gefahr zum Schadenseintritt könnten fließend sein.314 Zweifelhaft ist bereits, ob ein ministerieller Erlass überhaupt zur Auslegung einer verfassungsrechtlichen Regelung herangezogen werden kann.315 Jedenfalls offenbart die Begründung des Bundesverfassungsgerichts in diesem Punkt eine Schwäche: Wenn es einerseits die Formulierung „unmittelbar drohende Gefahrenzustände“ des Hilfeerlasses als Anknüpfungspunkt heranzieht, stellt sich andererseits die Frage, warum es die Formulierung „Schadensereignis“ im Zusammenhang mit dem besonders schweren Unglücksfall übergeht. Zu Recht meint das Bundesverfassungsgericht allerdings, dass die Formulierung „bei“ keine Erkenntnisse für die Auslegung bietet.316 Die Wortlautauslegung ist weitgehend unergiebig, was sich insbesondere darin zeigt, dass dieselbe Formulierung von verschiedenen Autoren gegensätzlich bewertet wird. Auch das Wort „Gefährdet“ kann nur eingeschränkt nutzbar gemacht werden, wenn man sich vor Augen hält, dass diese Gefährdung auf die Betroffenheit mehrerer Bundesländer abstellt und somit eine sachliche, aber 312

C. Hillgruber/J. Hoffmann, NVWBl. 2004, 176 (177). Vgl. Hilfeleistungsrichtlinie des Bundesministers der Verteidigung vom 8. November 1988. 314 BVerfG, NJW 2006, 751 (755 Abs. 102). 315 Durch Art. 87a Abs. 2 GG wird nicht ein „Gebot strikter Texttreue“, sondern ein „strikter Verfassungstexttreue“ gefordert. 316 BVerfG, NJW 2006, 751 (755 Abs. 103). 313

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keine zeitliche Komponente aufweist. Allerdings wird fast durchgängig Art. 35 Abs. 3 Satz 2 GG übersehen, in dem es ausdrücklich heißt: „Beseitigung der Gefahr“. Dies spricht dafür, dass gerade nicht nur ein Einsatz zur Folgenbeseitigung zulässig ist, da ansonsten eine Formulierung wie „Beseitigung der Störung“ oder „Beseitigung des Schadens“ nahe gelegen hätte. Jedenfalls im Bereich des überregionalen Katastrophennotstandes lässt sich somit aus der Wortlautauslegung ein Ansatz für die Zulässigkeit eines präventiven Einsatzes gewinnen. Dieser Gedanke kann auch auf Art. 35 Abs. 2 Satz 2 GG übertragen werden, da es nicht ersichtlich ist, warum der Begriff des besonders schweren Unglücksfalls im regionalen Katastrophennotstand anders als im überregionalen Katastrophennotstand ausgelegt werden sollte. (2) Historische Aspekte Fraglich ist, ob historische Aspekte etwas zur Auslegung beitragen können. So spricht nach der Beschlussempfehlung des Innen- und Verkehrsausschusses des Bundesrates die historische Auslegung angeblich gegen die Zulässigkeit eines präventiven Einsatzes, wobei diese Auffassung nicht begründet wird.317 Paulke meint dagegen, historische Erkenntnisse ließen sich nicht gewinnen, da vergleichbare Regelungen zur Katastrophenhilfe durch die Streitkräfte in früheren Verfassungen fehlen würden.318 Paulkes Ansicht trifft jedoch nur eingeschränkt zu. Der Einsatz der Streitkräfte auf Anforderung eines Landes nach Art. 35 Abs. 2 Satz 2 GG ähnelt dem historischen Requisitionsprinzip, das einen Einsatz der Streitkräfte im Innern außerhalb des Auftrages zur Verteidigung gegen äußere Gefahren ermöglichte. Pannkoke ist sogar ausdrücklich der Ansicht, dieses Requisitionsprinzip habe über Art. 35 Abs. 2 Satz 2 GG Eingang in das Grundgesetz gefunden.319 Das Requisitionsprinzip stützte sich in erster Linie auf die Kabinettsorder vom 17. Oktober 1820,320 das landesrechtliche Requisitionsrecht in Art. 66 Abs. 2 der Reichsverfassung vom 16. April 1871, die Dienstvorschrift vom 19. März 1914321 und auf § 17 Abs. 1 WehrG.322 Aus keiner dieser Vorschriften wird ersichtlich, dass ein präventives Einschreiten der Streitkräfte ausgeschlossen 317 BR-Drucks. 827/1/03, 1. Diese Beschlussempfehlung ist jedoch nicht Teil der endgültigen Stellungnahme geworden. 318 K. Paulke, 154. 319 J. Pannkoke, 241. 320 Vgl. ausführlich J. Pannkoke, 141 f. 321 Vgl. ausführlich J. Pannkoke, 165 ff. 322 RGBl. 1921, 329 (332 f.); § 17 Abs. 1 Satz 1 WehrG lautete: „Im Falle öffentlicher Notstände oder einer Bedrohung der öffentlichen Ordnung hat die Wehrmacht auf Anfordern der Landesregierungen und der von diesen bestimmten Behörden Hilfe zu leisten.“

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sein sollte. Vielmehr deutet die Formulierung „Bedrohung der öffentlichen Ordnung“ in § 17 Abs. 1 WehrG darauf hin, dass eine Störung oder ein Schadenseintritt gerade nicht vorausgesetzt war, sondern bereits eine entsprechende „Polizeigefahr“ für die Requisition der Reichswehr genügte.323 Zuzugeben ist, dass die Regelung des § 17 Abs. 1 WehrG nur eingeschränkt zur Auslegung des Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG herangezogen werden kann. Unter Berücksichtigung der Tatsache, dass Art. 35 Abs. 2 Satz 2 GG inhaltlich an die Regelung des § 17 Abs. 1 WehrG anknüpft, deutet die historische Auslegung in Richtung der Zulässigkeit eines Präventiveinsatzes. Jedenfalls lassen sich keine historischen Argumente finden, die gegen die Zulässigkeit eines präventiven Einsatzes sprechen. (3) Entstehungsgeschichte Die Regelungen des Katastrophennotstandes wurden im Jahr 1968 im Zuge der Verabschiedung der so genannten Notstandsverfassung in das Grundgesetz eingefügt. Neben den Ergänzungen in Art. 87a Abs. 3 und 4 GG wollte der verfassungsändernde Gesetzgeber auch Einsatzmöglichkeiten der Streitkräfte bei Naturkatastrophen und besonders schweren Unglücksfällen eröffnen. Dies geschah nach den Erfahrungen der Nordseeflut im Jahr 1962,324 bei der sich herausstellte, dass die Polizeikräfte alleine nicht in der Lage waren, die öffentliche Sicherheit und Ordnung zu gewährleisten. Daher sollten die Streitkräfte neben der technischen Hilfeleistung – die verfassungsrechtlich bereits 1962 zulässig war – auch polizeiliche Befugnisse ausüben dürfen.325 Der entstehungsgeschichtliche Hintergrund der Regelung bestand also in einem besonders schweren Unglücksfall, der bereits eingetreten war. Ob aus diesem Umstand aber auch zu schließen ist, dass der verfassungsändernde Gesetzgeber einen präventiven Einsatz ausschließen und nur den Einsatz zur Folgenbeseitigung zulassen wollte, ist nicht gesichert. So meint Baldus, der verfassungsändernde Gesetzgeber habe die Frage des Präventiveinsatzes nicht reflektiert.326 Der entstehungsgeschichtliche Hintergrund der Ergänzung des Art. 35 GG könne daher nicht für eine Ablehnung eines Präventiveinsatzes herangezogen werden.327

323

P. Kroß, 50. Siehe zu den tatsächlichen Gegebenheiten E. Riggert, Wehrkunde 1962, 289 ff. 325 Vgl. M. Baldus, Stellungnahme, 16. 326 M. Baldus, Anhörung, 34. Bemerkenswert ist auch, dass vor der Diskussion über das LuftSiG die Frage der Zulässigkeit eines Präventiveinsatzes in der Literatur trotz einer umfangreichen Erörterung des Einsatzes der Streitkräfte im Innern nur am Rande erörtert worden ist. 327 M. Baldus, Anhörung, 35. 324

220

3. Teil: Abwehr auf Grundlage des LuftSiG

Aufschluss könnte der Regierungsentwurf aus dem Jahr 1962328 bringen. Dieser enthielt einen eigenen Abschnitt „Xc“ mit der Überschrift „Katastrophenzustand“. Art. 115m dieses Abschnittes sollte lauten: „Sind Leib und Leben der Bevölkerung, insbesondere durch eine Naturkatastrophe, ernstlich und unmittelbar gefährdet (Katastrophenzustand), so finden Artikel 115h und 115l entsprechende Anwendung.“

Aus der Entstehungsgeschichte wird jedoch nicht ersichtlich, aus welchen Gründen die Formulierung „ernstlich und unmittelbar gefährdet“ aufgegeben worden ist. Möglicherweise wollte der verfassungsändernde Gesetzgeber damit bewusst die Zulässigkeit von präventiven Einsätzen ausschließen. Andererseits liegt es nicht fern, dass davon ausgegangen worden ist, dass ein präventiver Einsatz nach den herkömmlichen Grundsätzen des Gefahrenabwehrrechts ohnehin zulässig wäre. Damit kann aus der Entstehungsgeschichte kein Auslegungsergebnis gewonnen werden. Aus der Entstehungsgeschichte folgt aber, dass der Ansatz von K. Fehn und Brauns nicht überzeugen kann, die meinen, die Verhinderung eines Verbrechens und die Abwehr damit verbundener Gefahren sei eine reine Polizeiaufgabe, bei der die Streitkräfte im Rahmen des Katastrophennotstandes keine Hilfe leisten dürften.329 Vielmehr sollte nach den Erfahrungen der Nordseeflut von 1962 gerade die präventive Bekämpfung von Straftaten durch die Streitkräfte ermöglicht werden. (4) Systematische Auslegung Die Regelungen des Katastrophennotstandes müssen systematisch mit anderen Regelungen des Grundgesetzes zur Bekämpfung von Ausnahmefällen ausgelegt werden.330 Solche Regelungen finden sich in Art. 35 Abs. 2 Satz 1 GG, in Art. 87a Abs. 4 in Verbindung mit Art. 91 Abs. 2 Satz 1 GG sowie in Art. 91 Abs. 1 GG. Weiterhin muss auch die Begrenzungsfunktion des Art. 87a Abs. 2 GG mit in die Überlegungen einfließen. Das Bundesverfassungsgericht hat die Zulässigkeit eines Präventiveinsatzes nicht auf systematische Argumente gestützt. Allerdings hat es betont, dass das Fehlen der Formulierung „gefährdet“ eine gleiche Auslegung bezüglich Art. 35 Abs. 2 Satz 2 einerseits und Abs. 3 GG andererseits nicht ausschließt.331

328 329 330 331

BT-Drucks. IV/891. K. Fehn/M. Brauns, 61. Vgl. V. Epping, Stellungnahme, 6 f. Vgl. BVerfG, NJW 2006, 751 (755 Abs. 103).

C. Verfassungsmäßigkeit der §§ 13 bis 15 LuftSiG

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(a) Bezug zu Art. 35 Abs. 2 Satz 1 GG Manche Stimmen332 nehmen Bezug auf Art. 35 Abs. 2 Satz 1 GG.333 Diese Regelung lautet: „Zur Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der öffentlichen Sicherheit oder Ordnung kann ein Land in Fällen von besonderer Bedeutung Kräfte und Einrichtungen des Bundesgrenzschutzes zur Unterstützung seiner Polizei anfordern, wenn die Polizei ohne diese Unterstützung eine Aufgabe nicht oder nur unter erheblichen Schwierigkeiten erfüllen könnte.“

Einigkeit besteht jedenfalls darüber, dass die Formulierung „Aufrechterhaltung“ in Art. 35 Abs. 2 Satz 1 GG eine Unterstützung der Polizei bereits im Bedrohungsstadium vor Eintritt eines tatsächlichen Schadens umfasst,334 da auch die „Wiederherstellung“, also ein Handeln nach Eintritt eines Schadens, genannt ist. Art. 35 Abs. 2 Satz 1 GG regelt also klassische Aufgaben der Gefahrenabwehr.335 Teilweise wird vertreten, die verschiedenen Einsatz- und Unterstützungsmöglichkeiten von Polizei- und Streitkräften in Art. 35 Abs. 2, 3 GG stünden in einem Stufenverhältnis zueinander, wobei die Voraussetzungen von Art. 35 Abs. 2 Satz 1 über Abs. 2 Satz 2 bis zu Abs. 3 Satz 1 GG enger werden würden.336 Dies folge daraus, dass im Gegensatz zu den Streitkräften von der Polizei und dem Bundesgrenzschutz kein „Machtmissbrauch staatsgefährdenden Ausmaßes“ zu befürchten sei. Das Fehlen der Formulierung „Aufrechterhaltung“ in Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG deute darauf hin, dass ein präventiver Einsatz der Streitkräfte gerade nicht zulässig ist.337 Andere kommen im Rahmen der Betrachtung des Art. 35 Abs. 2 Satz 1 GG genau zu dem gegensätzlichen Ergebnis. So meint Robbers, Satz 2 stelle einen „Sonderfall“ innerhalb von Art. 35 Abs. 2 GG dar.338 Daher könne die Formulierung „Aufrechterhaltung“ auch in den Satz 2 hinein gelesen werden.339

332 v. Mangoldt/Klein/Starck-T. v. Danwitz, Art. 35 Abs. 2 Rdn. 71; K. Paulke, 158; P. J. Tettinger, ZLW 2004, 334 (341 f.); G. Krings/C. Burkiczak, DÖV 2002, 501 (512). 333 Diese Regelung stellt nach zutreffender Auffassung keine ausdrückliche Zulassung eines Streitkräfteeinsatzes außerhalb des Verteidigungsauftrages dar; vgl. ausführlich J.-P. Fiebig, 320 ff. 334 K. Paulke, 158; vgl. G. Robbers, Stellungnahme, 6. 335 P. J. Tettinger, Stellungnahme, 3. 336 K. Paulke, 158. 337 K. Paulke, 159; vgl. auch G. Krings/C. Burkiczak, DÖV 2002, 501 (512), die auf einen „Umkehrschluss“ aus Art. 35 Abs. 2 Satz 1 GG abstellen. 338 G. Robbers, Stellungnahme, 6; C. Hillgruber/J. Hoffmann, NVWBl. 2004, 176 (177). 339 A. A. K. Paulke, 158, die eine Sonderstellung von Satz 2 ablehnt.

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3. Teil: Abwehr auf Grundlage des LuftSiG

(b) Bezug zu Art. 87a Abs. 2 GG Paulke stellt vor allem auf den systematischen Bezug zu Art. 87a Abs. 2 GG ab, da die Regelungen in Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG in einem „untrennbaren Verhältnis“ zu Art. 87a Abs. 2 GG stünden.340 Die Ratio des Art. 87a Abs. 2 GG, polizeiliche und militärische Aufgabenbereiche strikt zu trennen und somit eine Vermischung dieser Bereiche aufs Äußerste zu begrenzen, gelte zum einen bezüglich der wahrzunehmenden Tätigkeiten und zum anderen auch in zeitlicher Hinsicht.341 Ließe man einen präventiven Einsatz zu, würde dies „eklatante Schwierigkeiten bei der Abgrenzung polizeilicher und militärischer Tätigkeitsbereiche aufwerfen“, da eine „stetige Unsicherheit“ über potentielle Angreifer und deren Zielrichtung bestehen würde.342 Dies lasse befürchten, dass die Streitkräfte entgegen den verfassungsrechtlichen Vorgaben permanent Aufgaben der Gefahrenabwehr übernehmen würden. Die von den Streitkräften ausgehende „Ursupationsgefahr“ würde sich erhöhen, wenn die Streitkräfte auch zur Verhinderung eines Unglücksfalls eingesetzt werden dürften.343 (c) Bezug zu sonstigen Regelungen Die Bestimmungen des Katastrophennotstandes müssen auch im Zusammenhang mit den Einsatzmöglichkeiten in Art. 87a Abs. 3 und 4 GG ausgelegt werden. Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG erlaubt den Einsatz der Streitkräfte bereits „zur Abwehr einer drohenden Gefahr“ und erfasst also unstreitig auch ein präventives Tätigwerden. Teilweise wird argumentiert, das Fehlen einer solchen Formulierung in Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG bedeute im Umkehrschluss, ein präventives Vorgehen sei auf der Grundlage dieser Normen verfassungsrechtlich nicht zulässig.344 Fiebig verweist auch auf die restriktiven Voraussetzungen des Streitkräfteeinsatzes nach Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG in Verbindung mit Art. 91 Abs. 2 GG. Diese Restriktionen dürften nicht durch eine großzügige Auslegung von Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG überspielt werden.345 Teilweise wird argumentiert, die Zulässigkeit eines präventiven Einsatzes würde eine Legitimation des zivilen Objektschutzes auf Grundlage des Katastrophennotstandes bedeuten.346 Paulke befürchtet in diesem Zusammenhang,

340 341 342 343 344 345 346

K. Paulke, 156. K. Paulke, 156 f. K. Paulke, 157. K. Paulke, 157. K. Paulke, 159. J.-P. Fiebig, 326. K. Paulke, 159, unter Berufung auf P. Dreist, NZWehrr 2002, 133 (138).

C. Verfassungsmäßigkeit der §§ 13 bis 15 LuftSiG

223

dass die Streitkräfte auch zu „reinen Wachaufgaben“, die aber grundsätzlich der Polizei vorbehalten seien, herangezogen werden könnten. Die Bejahung eines präventiven Einsatzes unterlaufe im Ergebnis die spezielleren Regelungen über den Schutz ziviler Objekte und insbesondere auch die engeren tatbestandlichen Anforderungen der Zulässigkeit des Streitkräfteeinsatzes in Art. 87a Abs. 3, Abs. 4 Satz 1 GG.347 Linke argumentiert mit einem systematischen Zusammenhang mit Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG in Verbindung mit Art. 91 Abs. 2 GG in die entgegengesetzte Richtung. Ein Abwarten bei einem unmittelbar drohenden Unglücksfall könnte dazu führen, dass die Voraussetzungen dieser Regelungen eintreten würden. Damit würde den vermeintlich geschützten Länderinteressen ein „Bärendienst“ erwiesen werden, da die Bundesregierung die Aufgaben dann ohnehin an sich ziehen könnte.348 (d) Bewertung Gegen die Auslegung im Zusammenhang mit Art. 35 Abs. 2 Satz 1 GG349 sprechen gewichtige methodische Gründe: Es muss unbedingt berücksichtigt werden, dass Art. 35 Abs. 2 Satz 1 GG erst im Jahr 1972, also nach der Ergänzung des Grundgesetzes durch die Notstandsverfassung, in das Grundgesetz eingefügt worden ist.350 Art. 35 Abs. 2 Satz 1 GG kann also bei der Auslegung, ob ein präventiver Einsatz zulässig ist, allenfalls eine untergeordnete Rolle spielen. Würde es auf den Wortlaut des Art. 35 Abs. 2 Satz 1 GG für die Auslegung von Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG ankommen, würde sich die Frage stellen, ob die Zulässigkeit des Einsatzes der Streitkräfte auf Grundlage von Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG nach 1972 anders zu beurteilen ist, als von 1968 bis 1972. Es gibt jedoch keine Anhaltspunkte dafür, dass der verfassungsändernde Gesetzgeber durch die Einfügung von Art. 35 Abs. 2 Satz 1 GG irgendwelche Aussagen in Bezug auf die Zulässigkeit eines Streitkräfteeinsatzes nach Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG machen wollte. Daher kann Art. 35 Abs. 2 Satz 1 GG zur systematischen Auslegung nichts beitragen. Paulke erklärt nicht überzeugend, warum durch die Bejahung eines präventiven Einsatzes zur Abwehr einer unmittelbar drohenden Gefahr eine Vermi-

347

K. Paulke, 160. T. Linke, NZWehrr 2004, 115 (119). 349 Statt vieler C. Hillgruber/J. Hoffmann, NWVBl. 2004, 176 (177), die von einem „engen Zusammenhang zwischen Art. 35 Abs. 2 Satz 1 GG und Art. 35 Abs. 2 Satz 2 GG“ sprechen. 350 Durch das 31. Gesetz zur Änderung des Grundgesetzes vom 28. Juli 1972, BGBl. I, 1305; vgl. zum Hintergrund der Ergänzung J. Brinkmann, BWV 1985, 82 (85). 348

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3. Teil: Abwehr auf Grundlage des LuftSiG

schung zwischen polizeilichen und militärischen Aufgaben zu befürchten ist. Auch Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG sieht einen präventiven Einsatz ausdrücklich vor.351 Das Argument mit einer „Ursupationsgefahr“ durch einen präventiven Einsatz ist überzogen. Wenn überhaupt, besteht eine solche Gefahr nicht wegen einer weiten Auslegung von Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG, sondern auf Grund der Existenz der Bundeswehr an sich.352 Es spricht vieles dafür, aus der ausdrücklichen Regelung des Präventiveinsatzes in Art. 87a Abs. 4 Satz 1 und Art. 91 GG einen allgemein anerkannten gefahrenabwehrrechtlichen Grundsatz abzuleiten, der auch im Bereich des Katastrophennotstandes gilt. Die systematische Auslegung stützt daher die These der Zulässigkeit eines Präventiveinsatzes im Rahmen des Katastrophennotstandes. (5) Teleologische Auslegung Es hat sich gezeigt, dass die bisherigen Auslegungsmethoden zu keinem eindeutigen Ergebnis führen. Insbesondere fällt auf, dass häufig ein und derselbe Anknüpfungspunkt für die Auslegung diametral beurteilt wird. Fraglich ist daher, ob der Telos der Regelungen des Katastrophennotstandes ein klares Auslegungsergebnis liefern kann. Teile der Literatur vertreten, ein präventiver Einsatz sei mit Sinn und Zweck des Katastrophennotstandes nicht vereinbar, da er die Qualität des Streitkräfteeinsatzes verändere. So meint Wilkesmann, Voraussetzung für einen präventiven Einsatz nach dem LuftSiG sei eine regelmäßige Zusammenarbeit der Luftwaffe mit den Luftsicherheitsbehörden. Damit werde über den Anwendungsbereich der Amtshilfe hinausgegangen, die nur punktuelles Zusammenwirken erlaube.353 In diese Richtung argumentieren auch Fiebig und Paulke, die durch eine weite Auslegung des Katastrophennotstandes das Unterlaufen der Begrenzungsfunktion des Art. 87a Abs. 2 GG und der restriktiven Voraussetzungen des Art. 87a Abs. 3 und 4 in Verbindung mit Art. 91 GG befürchten.354 Auch Dreist meint, durch die Anerkennung des Präventiveinsatzes bestehe die Gefahr, dass über die Regelungen des Katastrophennotstandes eine Form des zivilen Objektschutzes legitimiert werde.355 Ein großer Teil der Literatur bejaht einen präventiven Einsatz dagegen mit Hinweis auf den Schutzzweck von Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG.356

351

Siehe oben 2. Teil B. IX. 2. b) aa). So auch zu Recht M. Fischer, JZ 2004, 376 (381). 353 P. Wilkesmann, NVwZ 2002, 1316 (1321). 354 J.-P. Fiebig, 326; K. Paulke, 159 f. Siehe zu dieser Argumentation bereits den vorangegangenen Gliederungspunkt der systematischen Auslegung. 355 P. Dreist, NZWehrr 2002, 133 (138). 352

C. Verfassungsmäßigkeit der §§ 13 bis 15 LuftSiG

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Die Idee der Prävention – Schadensabwehr vor Schadensbeseitigung – sei ein allgemeiner Rechtsgedanke, der sich in allen Rechtsgebieten finde.357 Hochhuth formuliert umgangssprachlich: „Man muss nicht warten, bis das Kind in den Brunnen gefallen ist.“358 Übertragen auf einen Einsatz der Streitkräfte im Katastrophennotstand bedeute dies, ein Abwarten trotz der Gewissheit, dass ein größerer oder schwer wieder rückgängig zu machender Schaden oder rechtswidriger Zustand eintreten könnte, widerspreche dem Grundgedanken der Regelungen des Katastrophennotstandes. Es sei „lebensfremd“ zu fordern, „ein rechtzeitig aufgestiegener Jäger der Luftwaffe müsse den Einschlag des entführten Jets im Reaktor abwarten, weil erst dann das Tatbestandsmerkmal ,Unglücksfall‘ vorliege“.359

Die restriktive Auslegung gefährde eine erfolgreiche Gefahrenabwehr und könnte schwere Sachschäden sowie zahlreiche Opfer, die bei rechtzeitigem Handeln vermeidbar gewesen wären, zu verantworten haben.360 Auch das Bundesverfassungsgericht hat den Sinn und Zweck eines „wirksamen Katastrophenschutz[es]“ betont.361 Der Bund müsse zu einer „effektiven Hilfeleistung im Aufgabenbereich der Länder“ befähigt sein. Es sei daher weder im überregionalen noch im regionalen Katastrophenfall erforderlich, dass die zum Schadensereignis führende Gefahrentwicklung ihren Abschluss gefunden hat.362 Oft wird in diesem Zusammenhang das Argument angeführt, die Bundesregierung beziehungsweise die Landesregierungen müssten auch bei einer drohenden Flutkatastrophe selbstverständlich nicht tatenlos zusehen, bis sich die Gefahr in vollem Umfang verwirklicht hat.363 Dabei liegt hier offenbar ein falsches Verständnis des Einsatzbegriffes vor. Dies macht insbesondere Linke mit seiner Formulierung „Mehr Hände tragen eben mehr Sandsäcke“ deutlich.364 Ähnliche Äußerungen finden sich bei Robbers, der auf einen „Einsatz der Streitkräfte“ zur „Stabilisierung der Deiche“ abstellt.365 Auch Wiefelspütz hat während der Sachverständigenanhörung zum LuftSiG rhetorisch gefragt:

356 C. Hillgruber/J. Hoffmann, NWVBl. 2004, 176 (177 f.); V. Epping, Stellungnahme, 7; G. Robbers, Stellungnahme, 5 ff.; M. Baldus, Stellungnahme, 16 ff.; M. Hochhuth, NZWehrr 2002, 154 (157). 357 M. Hochhuth, NZWehrr 2002, 154 (157). 358 M. Hochhuth, NZWehrr 2002, 154 (157). 359 M. Hochhuth, NZWehrr 2002, 154 (157). 360 T. Linke, NZWehrr 2004, 115 (119). 361 BVerfG, NJW 2006, 751 (755 Abs. 100). 362 BVerfG, NJW 2006, 751 (755 Abs. 102). 363 C. Gramm, NZWehrr 2003, 89 (93); T. Linke, NZWehrr 2004, 115 (119). 364 T. Linke, NZWehrr 2004, 115 (119). 365 G. Robbers, Stellungnahme, 7.

226

3. Teil: Abwehr auf Grundlage des LuftSiG

„Muss die Bundesregierung warten, bis der Deich gebrochen ist, um dann tätig zu werden oder ist es nicht völlig in Ordnung, wenn sie die Gefahr abwendet, indem der Deich gesichert wird?“366

Unterstützungsleistungen der Streitkräfte wie das Stapeln von Sandsäcken oder sonstige Maßnahmen zur Absicherung eines Deiches gegen Hochwasser sind schlichte Verwendungen und kein Einsatz im Sinne des Art. 87a Abs. 2 GG. Für die nicht-hoheitliche Verwendung der Bundeswehr im Katastrophennotstand bedarf es daher keines Rückgriffes auf Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG.367 Vielmehr sind solche Verwendungen bereits auf Grundlage des Art. 35 Abs. 1 GG zulässig. Ein Vergleich zwischen den Maßnahmen im Rahmen des Hochwasserschutzes einerseits und Gefahrenabwehrmaßnahmen auf Grundlage des LuftSiG andererseits geht daher fehl, da es sich um rechtlich unterschiedlich zu beurteilende Sachverhalte handelt. Diejenigen, die die Einführung von allgemeinen Objektschutzaufgaben der Bundeswehr durch die Hintertür befürchten, übersehen, dass der präventive Einsatz auf Grundlage des Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG nur bei einem unmittelbar drohenden Gefahrenzustand verfassungsrechtlich zulässig ist. Keinesfalls soll bereits die Abwehr von abstrakten Gefahren durch die Streitkräfte erfolgen. Es kann daher keine Rede davon sein, dass die Zulässigkeit des Präventiveinsatzes dazu führen würde, dass die Bundeswehr zu „reinen Wachaufgaben“ herangezogen wird.368 Die Begrenzungsfunktion des Art. 87a Abs. 2 GG ist nicht betroffen, da es nur um konkrete Maßnahmen der Gefahrenabwehr im Luftraum geht. Flächendeckende Streitkräfteeinsätze sind wegen der Bejahung der Zulässigkeit eines Präventiveinsatzes nicht zu befürchten.369 Auch die im Einzelfall möglicherweise auftretenden Prognoseunsicherheiten können nicht grundsätzlich dazu führen, die Zulässigkeit eines präventiven Einsatzes abzulehnen. In einem konkreten Luftzwischenfall kommt es – wie bei der Beurteilung der Voraussetzungen des Verteidigungsauftrages – auf eine ex-anteBetrachtung und eine pflichtgemäße Beurteilung an.370 Es ist jedoch nicht zu befürchten, dass durch diese ex-ante-Betrachtung der Aufgabenbereich der Streitkräfte entgegen Art. 87a Abs. 2 GG verfassungswidrig ausgeweitet wird, denn auch in Bezug auf andere verfassungsrechtliche Regelungen für den Streitkräfteeinsatz ist eine ex-ante-Betrachtung zulässig.371

366

D. Wiefelspütz, Anhörung, 30. A. A. W. Knelangen, in: Krause/Irlenkaeuser (Hg.), Bundeswehr – Die nächsten 50 Jahre, 252 (257). 368 So aber K. Paulke, 159. 369 M. Baldus, Stellungnahme, 19. 370 So auch C. Hillgruber/J. Hoffmann, NWVBl. 2004, 176 (178); vgl. P. Eichhorn, 127. 371 Siehe oben 2. Teil B. IX. 2. b) aa). 367

C. Verfassungsmäßigkeit der §§ 13 bis 15 LuftSiG

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(6) Zwischenergebnis zum Präventiveinsatz Die Regelungen des Katastrophennotstandes in Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG stellen eine ausdrückliche Zulassung im Sinne des Art. 87a Abs. 2 GG für den Einsatz der Streitkräfte zur präventiven Abwehr eines besonders schweren Unglücksfalls dar. Einer näheren Konkretisierung bedarf die Frage, wie intensiv diese Gefahr sein muss. Das Bundesverfassungsgericht fordert eine Sachlage, in der der Schaden mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eintreten wird. Der Gefahrbegriff sei im Zusammenhang mit einem besonders schweren Unglücksfall wie eine gegenwärtige Gefahr im polizeirechtlichen Sinne zu verstehen.372 Schenke kritisiert das Erfordernis der an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit zu Recht:373 Das Bundesverfassungsgericht leitet die Zulässigkeit des Präventiveinsatzes maßgeblich aus den Regelungen im Hilfeerlass des Bundesministeriums der Verteidigung zum Einsatz bei Naturkatastrophen ab, die auch den unmittelbar drohenden Gefahrzustand erfassen und führt wörtlich aus: „Für besonders schwere Unglücksfälle kann [. . .] nichts anderes gelten“.374 Eine unmittelbar drohende Gefahr setzt jedoch nicht einen Schadenseintritt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit voraus, sondern lässt eine hinreichende Gefahr ausreichen.375 Das Bundesverfassungsgericht widerspricht sich also in diesem Punkt selbst. Dies mag damit zu erklären sein, dass im Ergebnis für eine Maßnahme wie den Abschuss eines Luftfahrzeuges eine mit an Sicherheit grenzende Gefahr erforderlich sein wird. Dies bedeutet jedoch nicht, dass für jeglichen Streitkräfteeinsatz nach Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG ein Schadenseintritt mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu befürchten sein muss.376 Daher ist im Allgemeinen eine unmittelbar drohende Gefahr ausreichend. (7) Konstruktion eines „Gesamtunglücksfalls“ Der Vollständigkeit halber ist Hochhuths Ansatz des „Gesamtunglücksfalls“ zu erwähnen. Nach Hochhuth bilden die Flugzeugentführung und der dadurch eintretende Schaden am Boden einen „Gesamtunglücksfall“.377 Daher liege ein 372 BVerfG, NJW 2006, 751 (755 Abs. 103); siehe bereits vor der Entscheidung J. Martínez Soria, DVBl. 2004, 597 (602). 373 W.-R. Schenke, NJW 2006, 736 (737). 374 Vgl. BVerfG, NJW 2006, 751 (755 Abs. 102). 375 W.-R. Schenke, Polizei- und Ordnungsrecht, Rdn. 69; Lisken/Denninger-E. Denninger, Teil E Rdn. 32. 376 W.-R. Schenke, NJW 2006, 736 (737). 377 M. Hochhuth, NZWehrr 2002, 154 (158); zustimmend A. Archangelskij, 133.

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3. Teil: Abwehr auf Grundlage des LuftSiG

Schadensereignis bereits vor, bevor es zu dem Absturz des Luftfahrzeuges gekommen ist.378 Die Streitkräfte könnten dann auch ohne verfassungsrechtliche Zweifel auf Grundlage des Katastrophennotstandes eingesetzt werden, ohne dass es auf den Streit um die Zulässigkeit von Präventiveinsätzen ankommen würde. Dieser Ansatz ist jedoch nur begrenzt hilfreich, da die Konstruktion des „Gesamtunglücksfalls“ schon aus tatsächlichen Gründen nur eingreifen kann, wenn bereits durch den drohenden Gefahrenzustand an sich andere Menschen oder bedeutende Sachgüter gefährdet sind. Andere Fälle, wie zum Beispiel der Frankfurter Luftzwischenfall vom 5. Januar 2003, könnten nicht über Hochhuths Ansatz gelöst werden.379 Giemulla weist zu Recht darauf hin, dass auch der Gesetzgeber offensichtlich nicht von der Konstruktion eines „Gesamtunglücksfalls“ ausgeht. Vielmehr unterscheidet das LuftSiG zwischen einem „erheblichen Luftzwischenfall“ und dem dadurch möglicherweise eintretenden besonders schweren Unglücksfall.380 Letztlich ist die Konstruktion eines „Gesamtunglücksfalls“ überflüssig, da feststeht, dass auch der Einsatz zur Abwehr einer unmittelbar drohenden Gefahr nach den Regelungen des Katastrophennotstandes verfassungsrechtlich zulässig ist. Daher ist Hochhuths Ansatz abzulehnen. cc) Einschränkung nach Einsatzmittel Ein Einsatz der Streitkräfte zur Gefahrenabwehr im Luftraum setzt jedenfalls im Fall des § 14 Abs. 3 LuftSiG, möglicherweise aber auch schon beim Abgeben von Warnschüssen nach § 14 Abs. 1 LuftSiG, die Anwendung militärischer Gewalt voraus. Ob dies mit der Begrenzungsfunktion des Art. 87a Abs. 2 GG vereinbar ist, ist zweifelhaft. Aus der Formulierung „soweit“ in Art. 87a Abs. 2 GG folgt, dass sich die Begrenzungsfunktion nicht nur auf das „Ob“ des Einsatzes, sondern auch auf das „Wie“ bezieht. Dabei ist umstritten, welche Befugnisse den Streitkräften im Rahmen eines Einsatzes nach Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG zukommen.381 Im Wesentlichen werden dazu zwei gegensätzliche Meinungen vertreten.

378 Ähnlich auch W.-R. Schenke, FG B. Hirsch, 2006, 75 (81), der in der „Übernahme der Kommandogewalt in einem Flugzeug durch Terroristen einen bereits eingetretenen Unglücksfall“ sieht. 379 K. Paulke, 164; C. Lutze NZWehrr 2003, 101 (105 Fn. 17). 380 E. Giemulla, ZLW 2005, 32 (37). 381 Siehe zur Frage der Anwendbarkeit von Bundes- oder Landesrecht bereits oben 3. Teil C. II. 1. b) aa) (3).

C. Verfassungsmäßigkeit der §§ 13 bis 15 LuftSiG

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(1) Meinungsstand Eine enge Auffassung lehnt Einsätze im „militärfachlichen Sinne“,382 einen „militärischen Einsatz“383 beziehungsweise „militärischen Waffeneinsatz“,384 einen „kriegsmäßigen Kampfeinsatz“385 oder den „Einsatz spezifisch militärischer Mittel“386 beziehungsweise eine „spezifisch militärische Bewaffnung“387 auf Grundlage des Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG ab. Eine militärische Gewaltanwendung soll dabei nach Eichhorn vorliegen, wenn der Waffeneinsatz auf Lebensvernichtung abzielt, wogegen das polizeiliche Tätigwerden darauf beschränkt sei, angriffs- und fluchtunfähig zu machen.388 Die Streitkräfte hätten bei einem Einsatz nach Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG lediglich die Befugnis zur Wahrnehmung polizeilicher Aufgaben.389 Großmann spricht stellvertretend für viele von „typisch vollzugspolizeilichen Tätigkeiten“, das heißt, die Regelung und Lenkung des Verkehrs, das Vorgehen gegen Plünderer und Saboteure, das Entfernen und Aufhalten von Schaulustigen sowie die Inanspruchnahme von fremdem Eigentum.390 Bei der Aufgabenwahrnehmung dürften die Streitkräfte nur die nach dem jeweiligen Landespolizeirecht zulässigen Waffen verwenden.391 Dafür spreche zunächst, dass die Streitkräfte im Fall des Art. 35 Abs. 2 Satz 2 GG in die Struktur der Länder integriert würden und daher eine Art modifizierter Organleihe gegeben sei. Der Bundeswehr erwüchsen hingegen keine eigenen polizeilichen Aufgaben.392 Die 382

T. Linke, NZWehrr 2004, 115 (122). Implizit P. Badura, ThürVBl. 1994, 169 (173). 384 W. Hecker, KJ 2006, 179 (181); ähnlich auch E. B. Franz/T. Günther, VBlBW 2006, 340 (342). 385 B. Hirsch, KritV 2006, 3 (16). 386 J. Isensee, FS P. Kirchhof, 2003, 7 (35). 387 J. Pannkoke, 251; R. Hoffmann, in: Sterzel (Hg.), Kritik der Notstandsgesetze, 86 (115); T. Stein, FS R. Mußgnug, 2005, 85 (95). 388 P. Eichhorn, 118. 389 J. Isensee, FS P. Kirchhof, 2003, 7 (35); B. Pieroth/B. J. Hartmann, JURA 2005, 729 (733 f.); T. Linke, NZWehrr 2004, 115 (122); ders. AöR 129 (2004), 489 (524); J. Martínez Soria, DVBl. 2004, 597 (601); zweifelnd P. Dreist, NZWehrr 2004, 89 (103). Bereits vor dem LuftSiG vertreten dies: Y. Jou, 77; D. Keidel, 79 f.; E. Schunck, 43; S. Bisanz/D. Gerstenberg, in: Hirschmann/Leggemann (Hg.), Der Kampf gegen den errorismus, 319 (324); T. M. Spranger, NJW 1999, 1003 (1004); G. Robbers, DVBl. 1989, 926 (928 f.); H. Bold, Zivilverteidigung 1987, 26 (28); C. Arndt, DVBl. 1968, 729 (730); noch enger E. Benda, Die Notstandsverfassung, 147; C.-O. Lenz, 113. 390 G. Großmann, Teil II, Rdn. 350 f. 391 T. M. Spranger, Wehrverfassung im Wandel, 91; H. Sattler, NVwZ 2004, 1286 (1288); C. Arndt, DVBl. 1968, 729 (730). 392 J. Martínez Soria, DVBl. 2004, 597 (601); ähnlich in Bezug auf Art. 35 Abs. 2 Satz 2 GG H. Tegtmeyer/A. Emenet, Die Polizei 2000, 337 (340). 383

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3. Teil: Abwehr auf Grundlage des LuftSiG

Regelungen des Katastrophennotstandes seien daher nicht auf den Abschuss eines Passagierflugzeuges zugeschnitten.393 Andere sprechen sich gegen eine Beschränkung nach der Art der Einsatzmittel aus. Die Regelungen in Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG seien spezielle Anwendungsfälle des Art. 87a Abs. 2 GG, der von einem „Einsatz“ spricht und damit die Verwendung der Streitkräfte unter Nutzung ihrer militärischen Waffen umfasst.394 Eine Einschränkung würde eine empfindliche Lücke für den Fall schaffen, dass die Gefahrenabwehr die Verwendung militärischer Waffen erforderlich macht. Es sei nicht ersichtlich, dass eine solche Lücke vom verfassungsändernden Gesetzgeber gewollt war.395 Die im LuftSiG verankerten Maßnahmen der Streitkräfte gefährdeten auch nicht die Sicherung der innenpolitischen Neutralität der Streitkräfte und seien daher trotz des Vorbehaltes des Art. 87a Abs. 2 GG auf Grundlage von Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG zulässig.396 Da der Staat eine Schutzpflicht gegenüber der gefährdeten Bevölkerung habe, bestehe auch die Möglichkeit, Waffen gegen ein Flugzeug einzusetzen.397 Laschewski stellt dabei maßgeblich darauf ab, dass die Länder mit der Bekämpfung des besonders schweren Unglücksfalls überfordert seien. Daher müsse ein Einsatz der Bundeswehr auch mit Mitteln, die über das Landespolizeirecht hinausgehen, zulässig sein.398 Baldus meint weiterhin, dass gerade die Streichung der Formulierung „als Polizeikräfte“ im Gesetzgebungsverfahren gegen eine Einschränkung der zulässigen Einsatzmittel spreche. Im Übrigen sei es nicht nachvollziehbar, wenn das Grundgesetz unterschiedliche Einsatzbegriffe verwenden würde.399 Nach Wiefelspütz beinhaltet Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG eine Sonderzuständigkeit des Bundes für extreme Gefahren.400 Die einschränkende Auslegung sei weder zwingend noch überzeugend, auch wenn es in der Geschichte der Bundesrepublik bislang keinen Fall gegeben hat, in dem die Bundeswehr über den Gebrauch einer leichten Bewaffnung in Innern hinausgegangen ist.401 „Einsatz“ im Sinne des Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG umfasse jedoch prinzipiell die funktions- und lagegerechte Anwendung aller Mittel und Fähigkeiten der Bundes393 Statt vieler v. Mangoldt/Klein/Starck-T. v. Danwitz, Art. 35 Rdn. 71; C. Gramm, NZWehrr 2003, 89 (96). 394 G. Laschewski, 133; M. Baldus, Stellungnahme, 22; U. Sittard/M. Ulbrich, JuS 2005, 432 (434), P. Dreist, NZWehrr 2004, 89 (103), der dennoch eine Ermächtigung zum Abschuss eines Zivilflugzeuges ablehnt. 395 M. Baldus, Stellungnahme, 22. 396 M. Baldus, Anhörung, 36. 397 G. Robbers, Anhörung, 23. 398 G. Laschewski, 134; ähnlich auch C. Gramm, DVBl. 2006, 653 (655). 399 M. Baldus, NVwZ 2006, 532 (535). 400 D. Wiefelspütz, Anhörung, 30. 401 J. Martínez Soria, DVBl. 2005, 597.

C. Verfassungsmäßigkeit der §§ 13 bis 15 LuftSiG

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wehr, auch wenn sie lediglich zur Gefahrenabwehr eingesetzt wird.402 Daher könnten der Bundeswehr bei einem besonders schweren Unglücksfall, der auf einem terroristischen Anschlag beruht, nicht die zur effektiven Aufgabenwahrnehmung erforderlichen Waffen vorenthalten werden.403 Hochhuth behauptet, die Ermächtigung der Bundesregierung zum Streitkräfteeinsatz umfasse unstreitig alle Mittel und Handlungen, die der Bundeswehr „zu Gebote“ stehen, sofern sie erforderlich und die übrigen rechtlichen Voraussetzungen gegeben sind. Weder Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG noch sonstige Verfassungsnormen enthielten eine Einschränkung der zulässigen Waffen oder Mittel der Bundeswehr.404 Gramm hat die „Entdeckung“ des Verbotes des Einsatzes spezifisch militärischer Waffen durch das Bundesverfassungsgericht scharf kritisiert: Es könne nicht mit dem „Gebot strikter Texttreue“ argumentiert werden, da eine Beschränkung der Einsatzmittel gerade nicht in den Regelungen des Katastrophennotstandes enthalten sei. Weiterhin gefährde eine derartige Beschränkung insbesondere dann eine wirksame Gefahrenbekämpfung, wenn die Anwendung militärischer Waffengewalt unbedingt erforderlich ist und die polizeilichen Mittel nicht ausreichen.405 Das Bundesverfassungsgericht hat im Urteil zu § 14 Abs. 3 LuftSiG keine Zweifel an seiner Auffassung bezüglich der verfassungsrechtlich zulässigen Einsatzmittel gelassen. So lautet der 2. Leitsatz: „Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 Satz 1 GG erlaubt es dem Bund nicht, die Streitkräfte bei der Bekämpfung von Naturkatastrophen und besonders schweren Unglücksfällen mit spezifisch militärischen Waffen einzusetzen.“406

Daraus folge, dass „militärische Kampfmittel, beispielsweise die Bordwaffen eines Kampfflugzeugs, wie sie für Maßnahmen nach § 14 Abs. 3 LuftSiG benötigt werden“, nicht im Katastrophennotstand eingesetzt werden dürfen.407 Ähnlich wie bei dem Streit darüber, ob ein präventiver Einsatz zulässig ist, gehen die Meinungen weit auseinander. Daher muss – wie bei dem Streit um 402

D. Wiefelspütz, Die Polizei 2003, 301 (305); zustimmend A. Archangelskij, 132. D. Wiefelspütz, Die Polizei 2003, 301 (305). 404 M. Hochhuth, NZWehrr 2002, 154 (161 f.). 405 C. Gramm, DVBl. 2006, 653 (655). Gramm nennt folgendes Beispiel: „Unbekannte haben sich eines Panzers Leopard bemächtigt und fahren durch Berlin auf den Reichstag zu. Alles deutet darauf hin, dass sie Reichstag und Kanzleramt unter Beschuss nehmen wollen. [. . .] Mangels Ausrüstung mit panzerbrechenden Waffen kann die Polizei den Panzer mit Gewalt nicht aufhalten. Das Land Berlin bittet die Streitkräfte daraufhin um Hilfe. Die Streitkräfte verfügen zwar über panzerbrechende Waffen, dürfen sie aber – unterstellt, sie wären rechtzeitig vor Ort – nicht einsetzen, weil diese nicht im Berliner Landesrecht vorgesehen sind.“ 406 BVerfG, NJW 2006, 751. 407 BVerfG, NJW 2006, 751 (755 Abs. 106). 403

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3. Teil: Abwehr auf Grundlage des LuftSiG

die Zulässigkeit des Präventiveinsatzes – auf die allgemeinen Auslegungsmethoden zurückgegriffen werden. (2) Grammatikalische Auslegung Der Wortlaut der Regelungen in Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG schweigt über die näheren Befugnisse. Auffällig ist jedoch auf den ersten Blick, dass in Art. 35 Abs. 2 Satz 2 GG nicht die Rede von einem „Einsatz“ oder „einsetzen“ ist, sondern nur von „anfordern“ der Streitkräfte durch das betroffene Land. Dennoch ist wegen des systematischen Zusammenhangs zwischen Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 Satz 1 GG davon auszugehen, dass beide Vorschriften einen Einsatz der Bundeswehr zulassen und dabei auch nicht hinsichtlich der zulässigen Einsatzmittel differenzieren. Ansonsten würde sich der Regelungsgehalt des Art. 35 Abs. 2 Satz 2 auf eine Hilfspflicht des Bundes im Anforderungsfall beschränken, ohne dass ein hoheitliches Handeln der Streitkräfte möglich wäre. Eine solche Intention des verfassungsändernden Gesetzgebers ist jedoch nicht ersichtlich. Entscheidend für die grammatikalische Auslegung sind die Formulierungen „zur Hilfe“ in Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und „zur Unterstützung der Polizeikräfte“ in Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG. Das Bundesverfassungsgericht führt aus, das Wort „Hilfe“ in Art. 35 Abs. 2 Satz 2 GG bestimme notwendigerweise auch die Art der Einsatzmittel der Streitkräfte. Die Streitkräfte dürften keine Mittel verwenden, die qualitativ von denen der Polizeikräfte abweichen.408 Das gleiche Ergebnis gelte auch für den Einsatz nach Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG. Zwar könne die Bundesregierung im Fall des überregionalen Katastrophennotstandes die Streitkräfte eigenständig auch ohne oder gegen den Willen der betroffenen Länder einsetzen, dennoch folge aus der Formulierung „zur Unterstützung der Polizeikräfte“ der Länder, dass auch in diesem Fall kein Einsatz mit „militärtypischer Bewaffnung“ erlaubt ist.409 Unter Berufung auf C. Arndt410 legt das Bundesverfassungsgericht die Formulierungen „zur Hilfe“ und „zur Unterstützung“ damit im Ergebnis identisch aus.411 Diese Lesart des Bundesverfassungsgerichts ist jedoch nicht zwingend. Es ist durchaus möglich, dass die Formulierungen „zur Hilfe“ und „zur Unterstützung“ nicht mehr bedeuten sollen, als dass ein Einsatz der Streitkräfte nur zulässig ist, wenn das betreffende Land nicht zur Bekämpfung der Gefahr bereit

408

BVerfG, NJW 2006, 751 (755 Abs. 106). BVerfG, NJW 2006, 751 (757 Abs. 116). 410 C. Arndt, DVBl. 1968, 729 (730). 411 Ebenso J. Pannkoke, 250; N. P. Kleiner, Aufgabe(n) und Befugnisse der Streitkräfte, 379; H. Schäfer, AöR 93 (1968), 37 (67). 409

C. Verfassungsmäßigkeit der §§ 13 bis 15 LuftSiG

233

oder fähig ist.412 Im Sinne eines solchen Verständnisses würden die Formulierungen lediglich das Subsidiaritätsprinzip für den Einsatz der Streitkräfte betonen, ohne allerdings Einschränkungen hinsichtlich der Einsatzmittel regeln zu wollen. So meint auch K. Ipsen im Zusammenhang mit Art. 87a Abs. 4 GG, dass die Formulierung „zur Unterstützung“ praktisch keinen Aussagewert habe.413 Sie wiederhole lediglich den Grundsatz, dass der Streitkräfteeinsatz nur bei einem Nicht-Ausreichen der Polizei- und Bundesgrenzschutzkräfte zulässig sei. Ihre Funktion bestehe allein darin, den Einsatzzweck zu bestimmen, ohne weitere Begrenzungen eines Einsatzes zu beinhalten.414 Daher lässt sich aus der Wortlautauslegung kein eindeutiges Ergebnis gewinnen. (3) Historische Auslegung Auch hinsichtlich der zulässigen Einsatzmittel können Anhaltspunkte aus dem Requisitionsrecht nach § 17 Abs. 1 Satz 1 WehrG gewonnen werden. Ähnlich wie in Art. 35 Abs. 2 Satz 2 GG war auch in § 17 WehrG von einem „Hilfe zu leisten“ die Rede. Daraus folgte, dass die Reichswehr lediglich zu polizeilichen Zwecken von den Ländern angefordert werden konnte. Die Reichswehr sollte wie die Polizei Hoheitsgewalt und Zwangsbefugnisse ausüben dürfen.415 Historisch steht damit fest, dass auch die Prinzipien des Requisitionsrechts, die über die Regelungen des Katastrophennotstandes auch in das Grundgesetz Eingang gefunden haben,416 für eine Beschränkung der Einsatzmittel der Bundeswehr im Katastrophennotstand sprechen. (4) Entstehungsgeschichte Hintergrund der Ergänzung war es – wie bereits oben ausgeführt – nach den Erfahrungen der Hamburger Flutkatastrophe im Jahr 1962, hoheitliche Tätigkeiten der Streitkräfte, wie die Abwehr von Plünderungen und die Aufrechterhaltung der allgemeinen Sicherheit und Ordnung, auf eine verfassungsrechtliche Grundlage zu stellen.417 Der Rechtsausschuss des Bundestages hat in seinem Abschlussbericht zum Einsatz der Streitkräfte im Katastrophennotstand ausgeführt, dass die Streitkräfte auch zur „Wahrnehmung der im Rahmen eines solchen Einsatzes durchweg an412 413 414 415 416 417

In diese Richtung H. Neumann, BWV 2003, 1 (3). BK-K. Ipsen, Art. 87a Rdn. 163. BK-K. Ipsen, Art. 87a Rdn. 164. P. Kroß, 67. J. Pannkoke, 241. Vgl. W. Grubert, 248.

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3. Teil: Abwehr auf Grundlage des LuftSiG

fallenden Aufgaben polizeilicher Art, wie zum Beispiel Absperrungen von gefährdeten Grundstücken und Verkehrsregelungen“ befugt sein sollen.418 Im Rahmen der entstehungsgeschichtlichen Auslegung kann auch der Regierungsentwurf aus dem Jahr 1967419 herangezogen werden. Dieser Entwurf sprach in Art. 91 Abs. 1 von einem Einsatz der Streitkräfte „als Polizeikräfte“.420 Durch diese Formulierung sollte klar gestellt werden, dass ein Einsatz nur mit polizeilichen Mitteln und unter Anwendung polizeirechtlicher Vorschriften zulässig sein sollte.421 Dies sollte sowohl im regionalen Katastrophennotstand als auch im überregionalen Katastrophennotstand gelten.422 Ein darüber hinausgehender Streitkräfteeinsatz sollte im Bereich des Katastrophennotstandes gerade ausgeschlossen werden.423 Die Formulierung „als Polizeikräfte“ wurde jedoch nicht Teil der endgültigen Fassung und steht daher auch nicht in Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG. Unklar ist daher, ob die Formulierung bewusst aufgegeben worden ist, um den Einsatz nicht zu beschränken, oder ob das Weglassen keine Änderungen in der Sache bedeuten sollte. C. Arndt, der selber am Gesetzgebungsverfahren mitgewirkt hat, bestätigt letzteres: Der verfassungsändernde Gesetzgeber habe die Formulierungen „zur Hilfe“ oder „Unterstützung der Polizeikräfte“ nicht anders verstanden als die Formulierung „als Polizeikräfte“.424 Dieser Argumentation folgt im Übrigen auch das Bundesverfassungsgericht. Auf die Formulierung „als Polizeikräfte“ sei nur deshalb verzichtet worden, weil die Formulierungen „zur Hilfe“ und „zur Unterstützung“ nach Auffassung des verfassungsändernden Gesetzgebers die gleiche Bedeutung zukommen sollte.425 Die Äußerungen im Gesetzgebungsverfahren hätten deutlich gemacht, dass die Streitkräfte lediglich für polizeiliche Aufgaben und mit polizeirechtlichen Befugnissen eingesetzt werden sollten.426 Wiefelspütz meint dagegen, eine solche Einschränkung der Einsatzmittel sei in der historischen Staatspraxis nicht erwogen worden.427 Dieses Argument kann schon deshalb nicht überzeugen, da in der Staatspraxis noch überhaupt kein Einsatz der Streitkräfte auf Grundlage von Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG stattgefunden hat.428 418 419 420 421 422 423 424 425 426 427

BT-Drucks. V/2873, 10. BT-Drucks. V/1879. BT-Drucks. V/1879, 31. A. Hopfauf, ZRP 1993, 321 (322); H. Schäfer, AöR 93 (1968), 37 (66). H. Schäfer, AöR 93 (1968), 37 (67). H. Schäfer, AöR 93 (1968), 37 (66). G. Lehngut, 129; C. Arndt, DVBl. 1968, 729 (730). BVerfG, NJW 2006, 751 (756 Abs. 108). BVerfG, NJW 2006, 751 (757 Abs. 116). D. Wiefelspütz, NZWehrr 2003, 45 (61).

C. Verfassungsmäßigkeit der §§ 13 bis 15 LuftSiG

235

Es kann jedenfalls festgehalten werden, dass die entstehungsgeschichtliche Auslegung für eine Einschränkung in Bezug auf die zulässigen Einsatzmittel der Streitkräfte bei einem Einsatz im Rahmen des Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG spricht. (5) Systematik und Normzweck Das Bundesverfassungsgericht hat zu Recht die Stellung des Katastrophennotstandes in Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG im Gegensatz zu den sonstigen Zulassungen von Sekundäreinsätzen der Streitkräfte in Art. 87a Abs. 3 und 4 GG betont.429 Mit dieser gesetzgeberischen Trennung sollte der Katastrophennotstand „entpolitisiert“ werden.430 Die Regelungen des Katastrophennotstandes enthalten gegenüber Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG deutlich geringere Voraussetzungen für die Zulässigkeit des Einsatzes der Streitkräfte. Dies spricht dafür, ebenfalls nur Einsätze mit einer geringeren Einsatzintensität zuzulassen. Im Katastrophennotstand geht es gerade nicht um die Bekämpfung eines militärisch bewaffneten und organisierten Gegners wie etwa in Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG. Ohne eine Einschränkung hinsichtlich der Einsatzmittel würden die Streitkräfte, deren Ausbildung und Ausrüstung auf die Vernichtung des Gegners abzielen, über das Ziel hinausschießen.431 Die hohe Einsatzschwelle des Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG würde erheblich an Bedeutung verlieren, wenn der militärische Streitkräfteeinsatz bereits gemäß Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG zulässig wäre. Fraglich ist jedoch, ob die Gleichstellung zwischen dem regionalen und dem überregionalen Katastrophennotstand durch das Bundesverfassungsgericht zutreffend ist. Zu beachten ist, dass der Bund im überregionalen Katastrophennotstand eine originäre Bundeskompetenz wahrnimmt.432 Demnach handelt es sich bei der Gefahrenabwehr nach den §§ 13 bis 15 LuftSiG in der Regel um die Wahrnehmung einer Bundeskompetenz. Eine Beschränkung auf die nach Landesrecht zulässigen Waffen kann daher nicht mit dem Argument der Wahrnehmung einer Landesaufgabe durch den Bund begründet werden.433 Da aber die Tatbestandsmerkmale „zur Hilfe“ und „zur Unterstützung“, welche die Formulierung „als Polizeikräfte“ sinnwahrend ersetzt haben, den gleichen Bedeutungs428 Tätigkeiten der Bundeswehr zur Hilfeleistung bei Überflutungen usw. stellen keinen Einsatz im Sinne des Art. 87a Abs. 2 GG dar und sind demnach bereits auf Grundlage von Art. 35 Abs. 1 GG verfassungsrechtlich zulässig. 429 BVerfG, NJW 2006, 751 (756 Abs. 109). 430 C. Arndt. DVBl. 1968, 729. 431 Vgl. P. Kirchhof, Zulässigkeit des Einsatzes staatlicher Gewalt, 83, 102. 432 Siehe oben 3. Teil C. II. 1. b) aa) (2). 433 So aber ausdrücklich BVerfG, NJW 2006, 751 (757 Abs. 116).

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3. Teil: Abwehr auf Grundlage des LuftSiG

gehalt haben, können die Streitkräfte auch im überregionalen Katastrophennotstand in Bezug auf die Wahl der Einsatzmittel nur wie Polizeikräfte eingesetzt werden, obwohl sie eine Bundesaufgabe wahrnehmen. Etwas anderes folgt auch nicht aus der Argumentation von Baldus, der meint, die Polizeigewalt der Länder könne bei der Gefahrenabwehr im Luftraum schon deshalb nicht beeinträchtigt sein, da es sich hierbei um einen speziellen Bereich der Gefahrenabwehr handele, der wegen Art. 87d GG dem Bund zugewiesen sei.434 Dieser Ansatz übersieht – ähnlich wie bei der Argumentation zur Gesetzgebungskompetenz nach Art. 73 Nr. 6 GG435 –, dass es in §§ 13 bis 15 LuftSiG überhaupt nicht um die Abwehr von Gefahren für die Luftsicherheit geht, sondern vielmehr um die Abwehr von Gefahren im Luftraum, die andere Rechtsgüter bedrohen. Entgegen der Mindermeinung kann auch nicht mit dem Vorliegen einer unbeabsichtigten Lücke argumentiert werden, denn der verfassungsändernde Gesetzgeber hat die Befugnisse der Streitkräfte außerhalb des Verteidigungsauftrages bewusst restriktiv geregelt. Auftretende Lücken bei der Gefahrenabwehr sind daher der Regelung des Art. 87a Abs. 2 GG geschuldet und müssen außerhalb des Verteidigungsauftrages der Streitkräfte von Verfassungs wegen hingenommen werden. Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass die zum Teil geltend gemachten Lücken so nicht existieren. So ist es vertretbar, in dem von Gramm gebildeten Beispiel des Panzerangriffs auf den Reichstag und das Bundeskanzleramt436 einen Einsatz der Streitkräfte nach Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG anzunehmen; ein Rückgriff auf die Regelungen des Katastrophennotstandes ist insoweit überflüssig. (6) Zwischenergebnis Die Streitkräfte sind beim Einsatz im regionalen und im überregionalen Katastrophennotstand Beschränkungen bezüglich der Art der Einsatzmittel unterworfen. Die Aussage des Bundesverfassungsgerichts, die Streitkräfte dürfen nicht mit „spezifisch militärischen Waffen“ eingesetzt werden,437 bedarf jedoch einer näheren Konkretisierung.438 In der Urteilsbegründung führt das Bundesverfassungsgericht dazu aus: Die Ausrichtung der Aufgabenwahrnehmung der Streitkräfte auf den Zuständigkeitsbereich der Länder zur Gefahrenabwehr

434 435 436 437 438

M. Baldus, Anhörung, 10; ders., Stellungnahme, 8. Siehe oben 3. Teil C. I. 1. a). Vgl. C. Gramm, DVBl. 2006, 653 (655). BVerfG, NJW 2006, 751. Siehe zum Begriff der „militärischen Waffe“ T. Linke, NZWehrr 2006, 177 ff.

C. Verfassungsmäßigkeit der §§ 13 bis 15 LuftSiG

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„bedeutet, dass die Streitkräfte [. . .] zwar die Waffen verwenden dürfen, die das Recht des betreffenden Landes für dessen Polizeikräfte vorsieht. Militärische Kampfmittel, beispielsweise die Bordwaffen eines Kampfflugzeugs, wie sie für Maßnahmen nach § 14 Abs. 3 LuftSiG benötigt werden, dürfen dagegen nicht zum Einsatz gebracht werden.“439

Nimmt man diese Ausführung ernst, so wäre zum Beispiel auch ein Abdrängen durch ein Kampfflugzeug gemäß § 14 Abs. 1 LuftSiG nicht zulässig, denn auch dabei handelt es sich um den Einsatz einer spezifisch militärischen Waffe, über die die Polizei nicht verfügt. Die besondere Gefahr, der durch eine einschränkende Auslegung in Bezug auf die Einsatzmittel begegnet werden soll, liegt aber nicht in der Verwendung „spezifisch militärischer Waffen“, sondern in der Anwendung von spezifisch militärischer Gewalt. Ob eine Waffe dabei in einem formellen Sinne spezifisch militärisch oder polizeilich ist, kommt es nicht an. Ansonsten wäre es auch möglich, durch eine Erweiterung der zulässigen Waffen in den Landespolizeigesetzen die Beschränkung bezüglich der Einsatzmittel zu unterlaufen. Weiterhin würde eine ähnliche Abgrenzungsproblematik entstehen wie bei der Meinung, die den Einsatzbegriff über das Merkmal der Bewaffnung definieren will. Unzulässig ist daher eine spezifisch militärische Gewaltanwendung, das heißt ein Waffeneinsatz, der auf die Vernichtung und Bekämpfung des Feindes auch unter Inkaufnahme der Schädigung Unbeteiligter abzielt.440 Setzen die Streitkräfte ihre spezifisch militärischer Bewaffnung dagegen zu Maßnahmen ein, die in ähnlicher Form auch durch die Polizeikräfte vorgenommen werden dürfen, so ist dies mit Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG vereinbar. So kann zum Beispiel ein Abdrängen eines Luftfahrzeuges mittels eines Kampfflugzeuges mit einer polizeilichen Zwangsanwendung verglichen werden. Auch das Abgeben von Warnschüssen ist in den Landespolizeigesetzen vorgesehen.441 Auf die Tatsache, dass Warnschüsse gemäß § 14 Abs. 1 LuftSiG durch die Bordwaffen eines Kampfflugzeuges und nicht durch polizeiliche Dienstwaffen abgegeben werden, kommt es nicht an. Im Ergebnis können daher Maßnahmen der Streitkräfte wie das Abgeben von Warnschüssen oder das Abdrängen gemäß § 14 Abs. 1 LuftSiG auf die Regelungen des Katastrophennotstandes gestützt werden, obwohl dafür spezifisch militärische Waffen eingesetzt werden. Maßgeblich ist also nicht, welche Waffen zur Anwendung gebracht werden, sondern wie diese eingesetzt werden. dd) Einschränkung in zeitlicher Hinsicht Nach dem Willen des Gesetzgebers, der § 15 Abs. 1 LuftSiG als eine Regelung im Bereich der Unterstützung der Länder beim Katastrophenschutz ver439 440 441

BVerfG, NJW 2006, 751 (755 Abs. 106). P. Eichhorn, 118. Vgl. zum Beispiel § 111 Abs. 1 Satz 3 SOG-MV.

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3. Teil: Abwehr auf Grundlage des LuftSiG

steht, werden Fähigkeiten und Ressourcen der Streitkräfte dauerhaft in Anspruch genommen.442 Dabei sollen die Tätigkeiten der Streitkräfte nach § 15 Abs. 1 Satz 1 LuftSiG auf Grundlage der allgemeinen Amtshilfe gemäß Art. 35 Abs. 1 GG zulässig sein.443 Ob dies zutreffend ist, ist zweifelhaft. Jedenfalls ist festzuhalten, dass entgegen der Auffassung Gramms444 das Bundesverfassungsgericht weder ausdrücklich noch inzident ausgeführt hat, dass die in § 15 LuftSiG geregelten Maßnahmen „unbedenklich“ sind, denn das Bundesverfassungsgericht hat hinsichtlich § 15 LuftSiG die Verfassungsbeschwerde als unzulässig bewertet und daher keine materiellen Aussagen zu dieser Vorschrift getroffen.445 Wie bereits festgestellt, können nur Verwendungen der Streitkräfte, die nicht die Einsatzschwelle des Art. 87a Abs. 2 GG überschreiten, auf Art. 35 Abs. 1 GG gestützt werden.446 Da die Maßnahmen nach § 15 Abs. 1 Satz 1 LuftSiG jedoch einen Einsatz im Sinne des Art. 87a Abs. 2 GG darstellen,447 scheidet der Weg über Art. 35 Abs. 1 GG aus. Die Argumentation mit Art. 35 Abs. 1 GG ist unabhängig von der Frage der Einsatzqualität auch deshalb zweifelhaft, da den Streitkräften eine dauerhafte Wahrnehmung von Aufgaben im Bereich der Überwachung des Luftraums übertragen wird. Die allgemeine Amtshilfe ist jedoch dadurch gekennzeichnet, dass sie in konkreten Einzelfällen in Anspruch genommen werden kann. Eine auf Dauer angelegte Zusammenarbeit zwischen der für die Flugsicherung zuständigen Behörden und den Streitkräften ist daher mit den Regeln des Amtshilferechts nicht mehr vereinbar.448 Baldus meint dagegen, eine dauerhafte Aufgabenwahrnehmung der Streitkräfte könnte sich doch auf Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG stützen, denn die Stellung der Regelungen des Katastrophennotstandes im Amtshilfeartikel sei nicht als inhaltliche Verbindung zur Amtshilfe zu verstehen. Die Regelung in Art. 35 GG beruhe nur auf dem Willen des verfassungsändernden Gesetzgebers, den Katastrophennotstand zu „entpolitisieren“ und könne daher als „systematische Irreführung“ bezeichnet werden.449 Der Einsatz der Streitkräfte

442 So sind allein im Jahr 2004 (als das LuftSiG noch nicht in Kraft gewesen ist!) die Alarmrotten der Luftwaffe etwa 20 Mal gestartet, um Flugzeuge, zu denen kein Funkkontakt hergestellt werden konnte, zu überprüfen, siehe FR vom 9. November 2005, 2. Nach anderen Berichten finden diese Alarmflüge seit dem 11. September 2001 sogar „mehrmals pro Woche“ statt, vgl. J. Bittner, Die Zeit vom 3. November 2005. 443 BT-Drucks. 15/2361, 21 f. 444 C. Gramm, GreifRecht 2/2006, 82 (83). 445 BVerfG, NJW 2006, 751 (752 Abs. 76). 446 Siehe oben 3. Teil C. II. 1. a) bb). 447 Siehe oben 2. Teil A. II. 1. 448 C. Gramm, NZWehrr 2003, 89 (95 f.); T. Linke, DÖV 2003, 890 (894); C. Raap, DVP 2002, 382 (385). 449 M. Baldus, Stellungnahme, 22.

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im Katastrophennotstand sei daher nicht auf ein „punktuelles und befristetes Tätigwerden“ beschränkt.450 Baldus ist insoweit zuzustimmen, dass durchaus dauerhaft Aufgaben auf die Streitkräfte übertragen werden können. Dies beantwortet jedoch nicht die Frage, welche Aufgaben durch die Streitkräfte permanent wahrgenommen werden dürfen. Die Maßnahmen nach § 15 Abs. 1 Satz 1 LuftSiG wären nur dann auf Grundlage von Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG verfassungsrechtlich zulässig, wenn diese Regelungen nicht nur die Bekämpfung eines unmittelbar drohenden Unglückfalls erfassen, sondern darüber hinaus bereits Einsätze zur Bekämpfung einer abstrakten Gefährdungslage beziehungsweise Einsätze zur Erforschung einer möglichen Gefährdungslage verfassungsrechtlich erlauben würden. Es kann jedenfalls nicht die Rede davon sein, dass § 15 Abs. 1 Satz 3 LuftSiG tatsächlich an eine „reale Gefährdungslage im Einzelfall“ anknüpft, wie etwa Lorse ausführt.451 Die Regelungen des § 15 Abs. 1 LuftSiG gehen über die Bekämpfung eines unmittelbar drohenden schweren Unglücksfalls hinaus und stellen eine Vorverlagerung des Einsatzes der Streitkräfte dar. An anderer Stelle meint Lorse zutreffend, dass dies einen „Schritt von der Gefahrenabwehr zur Gefährdungsvorsorge“ darstellt.452 Auch wenn es de lege ferenda sinnvoll und erforderlich sein dürfte, die Streitkräfte zur Aufklärung im Luftraum einzusetzen,453 ist diese Loslösung von einer unmittelbar drohenden Gefahr mit den Regelungen des Katastrophennotstandes nicht mehr vereinbar. Ansonsten würde der Streitkräfteeinsatz tatsächlich durch die „Hintertür“ der abstrakten Gefährdungslage ohne Anknüpfungspunkt an eine unmittelbare Bedrohung möglich werden. Festzuhalten ist daher, dass die dauerhafte Wahrnehmung von Tätigkeiten, die Einsatzcharakter aufweisen, nicht nach Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG verfassungsrechtlich zulässig ist.454 Die Regelungen des Katastrophennotstandes lassen – anders im Bereich des Verteidigungsauftrages – auch keine Einsätze der Streitkräfte zur Gefahrerforschung zu.455 Diese Differenzierung ist damit zu begründen, dass die Wahrnehmung des Verteidigungsauftrages in die originäre Zuständigkeit der Streitkräfte fällt. Dies ist jedoch im Fall des Katastrophennotstandes anders. Wegen der

450

M. Baldus, Stellungnahme, 22; ähnlich D. Wiefelspütz, Anhörung, 30. J. Lorse, Die Verwaltung 38 (2005), 471 (481). 452 J. Lorse, Die Verwaltung 38 (2005), 471 (482); vgl. auch allgemein zur Entwicklung der „Gefahrenvorsorge“ nach dem 11. September 2001 F. Schoch, Der Staat 43 (2004), 347 (350 ff.); C. Calliess, DVBl. 2003, 1096 (1098 ff.). 453 So auch J. Lorse, Die Verwaltung 38 (2005), 471 (483). 454 J. Martínez Soria, DVBl. 2004, 597 (605); C. Gramm, NZWehrr 2003, 89 (95 f.). 455 V. Epping, Stellungnahme, 9; G. Laschewski, 135. 451

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3. Teil: Abwehr auf Grundlage des LuftSiG

Subsidiarität des Einsatzes der Streitkräfte gegenüber anderen Maßnahmen sind zunächst die Polizeikräfte und Katastrophenschutzbehörden gefordert, um festzustellen, ob ein besonders schwerer Unglücksfall unmittelbar droht. Zu Recht weist Epping auch auf Kompetenzprobleme bei einem Einsatz nach § 15 Abs. 1 LuftSiG hin. Die Streitkräfte sollen nach § 15 Abs. 1 Satz 2 LuftSiG auf ein Ersuchen der für die Luftsicherung zuständigen Behörden hin tätig werden. Eine Entscheidung des betroffenen Landes beziehungsweise der Bundesregierung oder zumindest des Bundesministers der Verteidigung ist demnach nicht vorgesehen. Diese Kompetenzzuweisung ist mit Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG nicht vereinbar.456 c) Besonderheiten für den Einsatz im überregionalen Katastrophennotstand Grundvoraussetzung für einen Einsatz nach Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG ist, dass der Unglücksfall mehr als das Gebiet eines Bundeslandes betrifft. Dabei ging der Gesetzgeber davon aus, dass wegen der besonderen Mobilität von Luftfahrzeugen sich die Gefährdung in der Regel nicht auf ein Bundesland beschränken werde. Grundsätzlich sei daher beim Vorliegen eines erheblichen Luftzwischenfalls von den Voraussetzungen des überregionalen Katastrophennotstandes auszugehen. Gegen diese Argumentation hat sich zuerst Wieland gewandt. Der eigentliche Unglücksfall, das heißt der Schaden durch einen Flugzeugabsturz, werde sich in den meisten Fällen gerade auf ein Bundesland beschränken, auch wenn zuvor möglicherweise mehrere Bundesländer überflogen worden sind.457 Etwas anderes könnte für Angriffe auf Kernkraftwerke gelten, bei denen ein länderübergreifendes Schadensausmaß zu erwarten ist. Das würde bedeuten, dass immer auf die Möglichkeit eines Angriffs auf ein Atomkraftwerk abgestellt werden müsste, um einen überregionalen Unglücksfall annehmen zu können.458 In diese Richtung argumentiert auch Sattler und meint, der besonders schwere Unglücksfall müsse mehrere Bundesländer „kumulativ, nicht alternativ betreffen“.459 Das Bundesverfassungsgericht hat sich zu dieser Frage nicht geäußert. Die Antwort setzt bei dem Streit um die Zulässigkeit des Präventiveinsatzes an. Ein Abstellen auf das Erfordernis eines eingetretenen Schadensereignisses würde in 456 V. Epping, Stellungnahme, 10; G. Laschewski, 135, der diese Aussage jedoch ausdrücklich nur auf Art. 35 Abs. 3 GG bezieht. 457 J. Wieland, in: Fleck (Hg.), Rechtsfragen der Terrorismusbekämpfung durch Streitkräfte, 167 (179). 458 J. Wieland, in: Fleck (Hg.), Rechtsfragen der Terrorismusbekämpfung durch Streitkräfte, 167 (179); E. B. Franz/T. Günther, VBlBW 2006, 340 (343 f.). 459 H. Sattler, NVwZ 2004, 1286 (1289).

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der Tat für die Meinung Wielands und Sattlers sprechen, denn der Schaden würde in der Regel nur ein Bundesland betreffen. Da aber nach zutreffender Auffassung ein Einsatz der Streitkräfte auch zur präventiven Abwehr eines unmittelbar drohenden Unglückfalls zulässig ist,460 kommt es darauf an, dass mehrere Bundesländer unmittelbar bedroht sind. Besteht zunächst eine Bedrohung, die mehrere Bundesländer alternativ treffen könnte, so liegt ein überregionaler Katastrophennotstand im Sinne des Art. 35 Abs. 1 Satz 1 GG vor, auch wenn sich der Schaden im weiteren Verlauf nur in einem Bundesland realisiert. Betrifft dieser Schaden lediglich ein Bundesland, so verkümmert der überregionale Katastrophennotstand, der noch zu dem Zeitpunkt der Bedrohungslage bestanden hatte, zu einem regionalen Katastrophennotstand. d) Entscheidungskompetenz für den Einsatz der Streitkräfte Die Entscheidungskompetenz für den Streitkräfteeinsatz zur Gefahrenabwehr im Luftraum ist in § 13 Abs. 2 und 3 LuftSiG geregelt. Dabei wird zwischen der Entscheidungskompetenz im regionalen Katastrophennotstand (13 Abs. 2 LuftSiG) und im überregionalen Katastrophennotstand (§ 13 Abs. 3 LuftSiG) unterschieden.461 Im Folgenden wird untersucht, ob sich diese Regelungen innerhalb der Vorgaben des Grundgesetzes bewegen. Dabei steht zunächst außer Frage, dass die einfachgesetzlichen Entscheidungskompetenzen nicht den Regelungen in Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG widersprechen dürfen. Erstaunlicherweise wurde diese Problematik in der parlamentarischen Debatte und den zahlreichen kritischen Stellungnahmen des Bundesrates mit keinem Wort erwähnt. Das Problem der Entscheidungsbefugnis war jedoch bereits beim Frankfurter Zwischenfall vom 5. Januar 2003 deutlich geworden. In diesem Fall hatte der damalige Bundesminister der Verteidigung Peter Struck mit Hinweis auf seine Befehls- und Kommandogewalt die Entscheidungsbefugnis für sich beansprucht.462 aa) Entscheidungskompetenz im überregionalen Katastrophennotstand § 13 Abs. 3 LuftSiG regelt die Entscheidungskompetenz im überregionalen Notstand; dabei hat Satz 1 nur deklaratorische Bedeutung, indem er die Regelung der Entscheidungskompetenz in Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG inhaltlich wie460 461 462

Siehe oben 3. Teil C. II. 1. b) bb) (6). Siehe im Einzelnen oben 3. Teil B. II. 1. Vgl. J. Lorse, DÖV 2004, 329.

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3. Teil: Abwehr auf Grundlage des LuftSiG

derholt. Probleme könnten aber bezüglich der Vertretungsregelung für Eilfälle bestehen. Diese ist nach der Gesetzesbegründung eine „gesetzliche Vertretungsregelung“ für die Entscheidungsbefugnis der Bundesregierung nach Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG.463 Im Folgenden stellen sich daher zwei Fragen: 1. Wie ist der Begriff „Bundesregierung“ im Sinne des Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG zu definieren? 2. Gibt es Ausnahmen – insbesondere bei Gefahr im Verzug –, in denen die Entscheidungskompetenz delegierbar ist? (1) Begriff der „Bundesregierung“ in Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG In Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG heißt es, „[. . .] so kann die Bundesregierung [. . .] Einheiten [. . .] der Streitkräfte zur Unterstützung der Polizeikräfte einsetzen“. Die Entscheidungsbefugnis für einen Einsatz der Streitkräfte nach Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG liegt damit unzweifelhaft bei der Bundesregierung, wobei unklar ist, wie dieser Begriff näher zu verstehen ist. Nach der herrschenden Meinung wird die Formulierung „Bundesregierung“ im Grundgesetz „in aller Regel“ gemäß der Legaldefinition in Art. 62 GG464 verwendet.465 Dementsprechend hält die ganz herrschende Meinung in der Literatur eine Kollegialentscheidung des Bundeskabinetts für einen Einsatz nach Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG erforderlich.466 Diese Meinung hat das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil zu § 14 Abs. 3 LuftSiG ausdrücklich bestätigt.467 Die herrschende Auffassung stützt sich dabei vor allem auf einen Vergleich des Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG mit Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG.468 In beiden 463

BT-Drucks. 15/2361, 21. Art. 62 GG lautet: „Die Bundesregierung besteht aus dem Bundeskanzler und aus den Bundesministern.“ 465 Vgl. BVerfGE 26, 338 (395 f.); Jarass/Pieroth-B. Pieroth, Art. 62 Rdn. 2; v. Mangoldt/Klein/Starck-M. Schröder, Art. 62 Rdn. 14; Maunz/Dürig-R. Herzog, Art. 62 Rdn. 6; S. Detterbeck, HdBStR, Band III, § 66 Rdn. 10. 466 Dreier-H. Bauer, Art. 35 Rdn. 32; Seifert/Hömig-D. Hömig, Art. 35 Rdn. 12; G. Laschewski, 97; K. Paulke, 182; J. Pannkoke, 249; M. Oldiges, Bundesregierung, 208 f.; W. Speth, 142; D. Esklony, 227; P. Eichhorn, 132; Y. Jou, 89; M. Ehrhardt, Kommandogewalt, 64; V. Epping, Kriegswaffenkontrolle, 217 Fn. 32; C.-O. Lenz, 115; P. Karpinski, 90; D. Keidel, 125; H. Klückmann, 173; K. Ipsen, in: K.-D. Schwarz (Hg.), Sicherheitspolitik, 615 (626); J. Wieland, in: Fleck (Hg.), Rechtsfragen der Terrorismusbekämpfung durch Streitkräfte, 167 (179); O. Lepsius, FG B. Hirsch, 2006, 47 (57); E. Klein, ZG 2005, 289 (292 f.); H. Sattler, NVwZ 2004, 1286 (1289); J. Lorse, DÖV 2004, 329 (334); H. Neumann, BWV 2003, 1 (2 f.); K. Ipsen, DÖV 1971, 583 (587). 467 BVerfG, NJW 2006, 751 (756 Abs. 113); zustimmend S. Hobe, ZLW 2006, 333 (335). 464

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Fällen geht es um eine selbstinitiierte Entscheidung des Bundes bezüglich des Einsatzes der Streitkräfte. Für den Fall des inneren Notstandes nach Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG ist allgemein anerkannt, dass nur die Bundesregierung als Kollegialorgan über einen Einsatz der Streitkräfte entscheiden kann.469 Der Bundesminister der Verteidigung kann diese Entscheidung nicht alleine treffen;470 auch nicht auf Grundlage seiner Befehls- und Kommandogewalt nach Art. 65a GG.471 Die spezielle Entscheidungskompetenz der Bundesregierung als Kollegialorgan gemäß Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG verdrängt damit die allgemeine Befehls- und Kommandogewalt gemäß Art. 65a GG. Gründe, die ein anderes Ergebnis für Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG rechtfertigen würden, seien nicht ersichtlich.472 Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG stelle insoweit eine „ausdrückliche Überlagerung der Befehls- und Kommandogewalt durch Befugnisse der Bundesregierung“ dar.473 Etwas anderes ergebe sich auch nicht aus der besonderen Eilbedürftigkeit einer Entscheidung, da diese Eilbedürftigkeit nicht dazu führen könne, auf eine „einwandfreie verfassungsrechtliche Grundlage“ zu verzichten.474 Das Bundesverfassungsgericht argumentiert weiterhin mit einer Schutzbedürftigkeit der Bundesländer, die von dem Streitkräfteeinsatz betroffen sind. Durch das Erfordernis der Kollegialentscheidung würden die Belange der Länder gesichert, die den Einsatz der Streitkräfte in ihrem Kompetenzbereich dulden müssen.475 Sollte diese Auffassung zutreffen, dann könnte der Gesetzgeber eine Verschiebung der Entscheidungskompetenz nicht durch einfaches Bundesgesetz oder durch einen Kabinettsbeschluss herbeiführen.476 Die Gegenmeinung differenziert hinsichtlich der Definition der Bundesregierung. So spricht Böckenförde von den „beiden Begriffen der Bundesregierung“, das heißt der „Bundesregierung als das Gesamtorgan, das Kanzler, Minister, Kollegium in sich vereinigt, und [der] Bundesregierung als das Kollegium von Kanzler und Ministern, das sog. Bundeskabinett“.477 Wird der Begriff im Sinne 468 Ferner ist Art. 91 Abs. 2 Satz 1 GG zu beachten; vgl. dazu H.-J. Rungweber, 42 f. Bereits der Einsatz von Polizeikräften anderer Länder durch den Bund bedarf demnach einer Kabinettsentscheidung. 469 v. Mangoldt/Klein/Starck-M. Baldus, Art. 87a Abs. 4 Rdn. 119; H. M. Parche, 158 f.; J. Pannkoke, 232; H.-J. Rungweber, 91 f.; R. Schikowski, 46; H. Oberreuter, 248; R. Mußgnug, Recht in Ost und West, Sondernummer 1983, 26 (33); K. Ipsen, Der Staat 21 (1972), 1 (25 f.); C. Arndt, DVBl. 1968, 729 (732). 470 So ausdrücklich J. Pannkoke, 232; R. Mußgnug, Recht in Ost und West, Sondernummer 1983, 26 (33). 471 P. Karpinski, 27; C. Arndt, DVBl. 1968, 729 (732). 472 Ebenso H. H. Klein, ZRP 2003, 140. 473 T. v. Danwitz, 56; ähnlich E. Klein, FS R. Mußgnug, 2005, 71 (74). 474 E. Klein, FS R. Mußgnug, 2005, 71 (74). 475 BVerfG, NJW 2006, 751 (756 Abs. 113). 476 S. Detterbeck, HdBStR, Band III, § 66 Rdn. 11. 477 E.-W. Böckenförde, Organisationsgewalt, 138 Fn. 40.

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3. Teil: Abwehr auf Grundlage des LuftSiG

des Gesamtorgans verwendet, so könne die jeweilige Aufgabe oder Zuständigkeit von dem nach der inneren Organisationsstruktur zuständigen Organ wahrgenommen werden, welches dann für die Bundesregierung tätig werde.478 Die Formulierung „Bundesregierung“ sei daher ein „Verweisungsbegriff“,479 der sowohl auf die Regierung als Kollegium als auch auf den Bundeskanzler oder auf einen einzelnen Bundesminister Bezug nehme.480 Die Bedeutung der Verweisung müsse durch eine Auslegung der jeweiligen Vorschrift ermittelt werden.481 Dementsprechend hat Robbers in Bezug auf das LuftSiG vertreten, eine Kollegialentscheidung der Bundesregierung sei nicht erforderlich. Der Begriff „Bundesregierung“ in Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG stelle vielmehr eine „Verantwortungszuweisung“ dar, wobei die Möglichkeit verbleibe, dass die Bundesregierung die Entscheidung über einen konkreten Einsatz durch einen Vorratsbeschluss oder eine Delegierung auf die nach dem LuftSiG zuständigen Organe überträgt.482 Vorauszuschicken ist, dass das Bundeskabinett – unabhängig davon, welche Auffassung zutreffend ist – jedenfalls nur für das „Ob“ des Einsatzes als „wichtigste Basisentscheidung“ zuständig sein kann. Entscheidungen über Einzelfragen des Einsatzes bleiben dem Bundesminister der Verteidigung vorbehalten.483 (2) Ausnahmen Trotz des bundesverfassungsgerichtlichen Judikats und der herrschenden Literaturmeinung soll untersucht werden, ob es vertretbar ist, Ausnahmen von dem Erfordernis einer Kollegialentscheidung zuzulassen. (a) Staatspraxis Möglicherweise kann ein Blick auf die Staatspraxis zu einer Lösung beitragen. Obwohl es keine Staatspraxis bezüglich des Einsatzes der Streitkräfte gemäß Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG gibt, könnte auf die Staatspraxis zum Einsatz

478 479 480 481

E.-W. Böckenförde, Organisationsgewalt, 138 Fn. 40. Vgl. M. Oldiges, Bundesregierung, 140. Dreier-G. Hermes, Art. 62 Rdn. 11. Dreier-G. Hermes, Art. 62 Rdn. 11; E. B. Franz/T. Günther, VBlBW 2006, 340

(343). 482

G. Robbers, Anhörung, 54. Vgl. P. Eichhorn, 132; a. A. für einen Einsatz nach Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG H. M. Parche, 158 f., der meint, der Kabinettsbeschluss müsse auch das „Wie“ des Einsatzes umfassen. Allerdings habe die Bundesregierung die Möglichkeit, die Leitung des Einsatzes auf den Bundesminister der Verteidigung zu übertragen. 483

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der Bundeswehr im Ausland zurückgegriffen werden,484 soweit Parallelen bezüglich der Entscheidungskompetenz bestehen. Das Bundesverfassungsgericht hat zur Entscheidungskompetenz bei Einsätzen der Bundeswehr im Ausland festgestellt, das der „Einsatz bewaffneter Streitkräfte“ grundsätzlich der vorherigen konstitutiven Zustimmung485 des Bundestages bedarf.486 Dies folge aus der parlamentarischen Verantwortung der Streitkräfte und der Einordnung der Bundeswehr als „Parlamentsheer“.487 Der Bundestag hat insoweit jedoch kein Initiativrecht,488 sondern kann nur auf Grund eines Antrages der Bundesregierung seine Zustimmung erteilen. Dabei ist davon auszugehen – auch wenn dies durch das Bundesverfassungsgericht nicht ausdrücklich festgestellt worden ist –, dass grundsätzlich die Bundesregierung als Kollegialorgan über die Antragstellung beim Bundestag zu entscheiden hat.489 Dau führt zutreffend aus, dass nach der Einsatzentscheidung der Bundesregierung und der Zustimmung durch den Bundestag der Bundesminister der Verteidigung kraft seiner Befehls- und Kommandogewalt die zur praktischen Durchführung notwendigen Befehle geben kann. Dies bedeutet, dass selbst der Bundesminister der Verteidigung nicht über das „Ob“, sondern nur über die Modalitäten des Einsatzes entscheiden kann.490 Insoweit bestehen bezüglich der Entscheidungskompetenz für Einsätze nach Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG und solche im Ausland keine Unterschiede auf der Ebene der Exekutive. In der Staatspraxis wurde diese starre Zuständigkeitsregelung in zumindest einem Eilfall nicht beachtet. Konkret handelte es sich um die Operation „Libelle“ am 14. März 1997, die zur Rettung von deutschen Staatsangehörigen und 484

Vgl. V. Epping, Stellungnahme, 8. Die Rechtsfigur des konstitutiven Parlamentsvorbehalts gab es bis dahin nicht. Es wurde herkömmlich zwischen dem einfachen Parlamentsbeschluss und der Verabschiedung von Gesetzen unterschieden. Der konstitutive Parlamentsvorbehalt ist ein Parlamentsakt „eigener Art“, der zwischen einem einfachen Parlamentsbeschluss und einem Gesetz steht; siehe D. Wiefelspütz, Parlamentsvorbehalt, 46 f.; P. Dreist, BWV 2005, 29 (34). 486 BVerfGE 90, 286 (381 ff.); bestätigt durch BVerfGE 108, 34 (42); sehr kritisch hierzu V. Epping, AöR 124 (1999), 423 (445 ff.); G. Roellecke, Der Staat 34 (1995), 415 (423 ff.). Bereits vor der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts für einen Parlamentsvorbehalt zum Beispiel S. Brunner, ZRP 1991, 133 (136); vgl. auch grundlegend B. Rieder, 337 ff. 487 BVerfGE 90, 286 (382); vgl. zur parlamentarischen Kontrolle grundlegend G. Willms, Parlamentarische Kontrolle und Wehrverfassung, 1959. 488 BVerfGE 90, 286 (389). 489 F. Schröder, Zustimmungsverfahren zum Auslandseinsatz der Bundeswehr, 295; T. Schaefer, 36; R. Schmidt-Radefeldt, JURA 2003, 201 (202); V. Epping, AöR 124 (1999), 423 (455); teilweise wird auch Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG analog angewendet, siehe G. Gornig, JZ 1993, 123 (127). 490 K. Dau, NZWehrr 1994, 177 (183). Über einen Einsatz der Streitkräfte zur Verteidigung innerhalb der Bundesrepublik kann der Bundesminister der Verteidigung jedoch auch alleine entscheiden, siehe bereits oben 2. Teil B. IX. 1. b). 485

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anderen Personen aus der deutschen Botschaft in der albanischen Hauptstadt Tirana diente, nachdem die Staatsgewalt in Albanien zusammengebrochen war. Der Bundeskanzler, der Bundesminister des Auswärtigen sowie der Bundesminister der Verteidigung beschlossen am 14. März 1997, die in der Botschaft befindlichen Personen aus der Luft zu evakuieren. An der wenige Stunden später stattfindenden Operation beteiligten sich Heeresfliegerkräfte der regulären SFOR-Truppe und die Fregatte „Niedersachsen“. Die Eingeschlossenen konnten unversehrt gerettet werden, obwohl es zu heftigen Schusswechseln zwischen den Bundeswehrsoldaten und albanischen Aufständischen kam.491 Eine (zustimmende) Kollegialentscheidung der Bundesregierung wurde erst nach der Durchführung der Operation eingeholt.492 Der Bundestag billigte den Einsatz nachträglich am 20. März 1997 mit einer großen Mehrheit.493 Hier lag in einem Fall von besonderer Eilbedürftigkeit keine Entscheidung der Bundesregierung über den Einsatz vor, obwohl dies nach den verfassungsgerichtlichen Vorgaben grundsätzlich erforderlich gewesen wäre. Eine gerichtliche Überprüfung des Vorgehens ist nicht erfolgt. Von Seiten der Bundesregierung und des Bundestages hat die Eilentscheidung jedoch Zustimmung erfahren. Auch die Literatur hat sich zu dieser Eilentscheidung weitgehend positiv geäußert.494 So meint Dau, es sei verfassungsrechtlich unbedenklich, „unter Eilgesichtspunkten auch die Kompetenz für eine militärische Rettungsaktion den nach den Art. 65 GG betroffenen Ressortministern [. . .] zu übertragen und die Sache nach dem Einsatz dem Kabinett vorzulegen“.495

Dau führt zunächst historische Erwägungen an: Die Kollegialzuständigkeit der Bundesregierung sei in Zeiten des Kalten Krieges, in denen ein Einsatz mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einer umfassenden militärischen Auseinandersetzung geführt hätte, gerechtfertigt gewesen.496 Durch die sicherheitspolitischen Wandlungen werde aber deutlich, „dass die grundgesetzliche Kompetenzverteilung für Entscheidungen des Verfassungsorgans ,Bundesregierung‘ auf einen

491 Es ist daher davon auszugehen, dass es sich bei der Rettungsoperation um einen Einsatz bewaffneter Streitkräfte handelte, vgl. auch D. Sigloch, 123. 492 F. Schröder, Zustimmungsverfahren zum Auslandseinsatz der Bundeswehr, 295. 493 BT-Prot. 13/166, 14989; kritisch H. H. Klein, FS Schmitt Glaeser, 2003, 245 (262 f.). 494 Zustimmend T. Schaefer, 352 f.; C. Raap, DVP 2002, 282 (283); K. Dau, NZWehrr 1998, 89 (96 f.); vgl. zu einer 1994 in Ruanda geplanten Rettungsoperation bereits H. G. Franzke, NZWehrr 1996, 189 ff.; zu den völkerrechtlichen Aspekten von Rettungseinsätzen im Allgemeinen W. Ader, 265 ff.; T. Stein, NZWehrr 2000, 1 (5 ff.); Frhr. v. Lersner, HuV-I 1999, 156 ff. 495 K. Dau, NZWehrr 1998, 89 (96). 496 K. Dau, NZWehrr 1998, 89 (97).

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politischen und strategischen Kontext ausgerichtet ist, der von der heutigen Lage erheblich abweicht“.497 Die Einhaltung verfassungsrechtlich bedingter Organzuständigkeiten sei kein Selbstzweck und dürfe insbesondere nicht zu Lasten von Menschenleben gehen. Dies werde auch durch das Bundesverfassungsgericht bestätigt, das eine Notkompetenz der Bundesregierung bei Gefahr im Verzug als Rechtfertigung für die „Derogation der verfassungsrechtlichen Zuständigkeitsordnung“ anerkennt.498 Wenn demnach in Eilfällen auf die Zustimmung des Bundestages verzichtet werden kann, so sei auch keine Kollegialentscheidung der Bundesregierung erforderlich, wenn wegen einer drohenden Gefahr für Leib oder Leben weder ein Bundestagsbeschluss noch ein Kollegialbeschluss der Bundesregierung rechtzeitig möglich ist.499 Epping argumentiert noch weitgehender mit der Befehls- und Kommandogewalt des Bundesministers der Verteidigung gemäß Art. 65a GG. Diese beinhalte auch die Entscheidungskompetenz für Auslandseinsätze der Bundeswehr.500 Die Befehls- und Kommandogewalt werde – soweit Meinungsverschiedenheiten bestehen – aber durch die Richtlinienkompetenz des Bundskanzlers gemäß Art. 65 Satz 1 GG und das Kollegialprinzip gemäß Art. 65 Satz 3 GG beschränkt.501 (b) Befehls- und Kommandogewalt nach Art. 65a GG Gemäß Art. 65a GG hat der Bundesminister der Verteidigung die Befehlsund Kommandogewalt über die Streitkräfte. Art. 65a GG stellt damit eine Sonderregelung des Grundsatzes dar, dass jeder Minister seinen Geschäftsbereich selbständig und eigenverantwortlich leitet (Ressortprinzip, Art. 65 Satz 2 GG). Insofern ist es denkbar, auf Art. 65a GG zurückzugreifen, um zumindest in Eilfällen eine Entscheidungskompetenz des Bundesministers der Verteidigung begründen zu können. In diese Richtung geht die amtliche Begründung des LuftSiG: Grundlage der Entscheidungsbefugnis des Bundesministers der Verteidigung beziehungsweise des zu seiner Vertretung berechtigten Mitglieds der Bundesregierung seien Art. 65 Satz 2 und Art. 65a GG.502 Demnach weise das Ressortprinzip dem

497

K. Dau, NZWehrr 1998, 89 (96). K. Dau, NZWehrr 1998, 89 (97); vgl. BVerfGE 90, 286 (388). 499 K. Dau, NZWehrr 1998, 89 (97). 500 V. Epping, AöR 124 (1999), 423 (453). 501 V. Epping, AöR 124 (1999), 423 (453 f.). 502 BT-Drucks. 15/2361, 20; vgl. V. Epping, Stellungnahme, 8; a. A. E. Klein, ZG 2005, 289 (292). 498

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Bundesminister der Verteidigung als Träger der Befehls- und Kommandogewalt im Frieden die Zuständigkeit für den Einsatz der Bundeswehr zu. Weiterhin sei es ausreichend, dass gewährleistet ist, dass „immer nur ein Mitglied der Bundesregierung entscheidet“.503 Zumindest einige Bundesminister der Verteidigung haben die Befehls- und Kommandogewalt auch als Kompetenz für Eilfälle verstanden. So vertrat Peter Struck im Zusammenhang mit dem Frankfurter Luftzwischenfall, auf Grund seiner Befehls- und Kommandogewalt wäre er befugt gewesen, über einen Abschuss und damit auch über einen Einsatz der Streitkräfte zu entscheiden.504 Auch der damalige Bundesminister der Verteidigung Georg Leber beanspruchte am 11. September 1972 die Entscheidungskompetenz für einen Einsatz von Abfangjägern auf Grund seiner Amtsstellung.505 Eine Entscheidung der Bundesregierung über das „Ob“ eines Einsatzes lag in beiden Fällen nicht vor. Epping begründet diese Auffassung juristisch. Er anerkennt zwar, dass grundsätzlich eine Kollegialentscheidung der Bundesregierung für den Streitkräfteeinsatz nach Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG erforderlich ist. Dennoch meint er, die Eilkompetenz des § 13 Abs. 3 Satz 2 LuftSiG ersetze nicht Entscheidung des Regierungskollegiums, da gemäß § 13 Abs. 3 Satz 3 LuftSiG eine Entscheidung der Bundesregierung unverzüglich nachzuholen ist.506 Die aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG abgeleitete Schutzpflicht des Staates für das Leben und die körperliche Unversehrtheit gebiete, dass eine Eilkompetenz bei Gefahr im Verzug besteht. Ein solcher Fall liege bei Luftzwischenfällen angesichts der hohen Geschwindigkeiten von Luftfahrzeugen auch regelmäßig vor.507 Im selben Atemzug geht Epping sogar noch einen Schritt weiter und meint, die Bundesregierung als Kollegium könnte dem Bundesminister der Verteidigung selbst dann, wenn kein Eilfall vorliegt, die Befugnis für einen Einsatz der Streitkräfte übertragen. Dies sei in der Staatspraxis durch Beschlüsse der Bundesregierung bezüglich der Auslandseinsätze der Streitkräfte belegt.508

503

BT-Drucks. 15/2361, 20. Vgl. J. Lorse, DÖV 2004, 329. 505 Vgl. G. Leber, 227 ff. 506 V. Epping, Stellungnahme, 8; grundsätzlich zustimmend A. Archangelskij, 135. 507 V. Epping, Stellungnahme, 8. Bemerkenswert ist, dass Epping in seiner Stellungnahme für den Innenausschuss des Bundestages vermutlich unter dem Eindruck der amtlichen Begründung in BT-Drucks. 15/2361 argumentiert, indem er auf Seite 8 seiner Stellungnahme fast den gleichen Wortlaut verwendet. 508 V. Epping, Stellungnahme, 8. 504

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(c) Vorläufige Notkompetenz Ein Grundprinzip im Gefahrenabwehrrecht ist, dass in besonderen Gefahrensituationen, in denen die zeitliche Komponente eine wichtige Rolle spielt, eine Zuständigkeitsverlagerung auf die handlungsfähige Behörde stattfinden kann.509 Es wäre also grundsätzlich denkbar, den Gedanken einer Eilkompetenz auf die Entscheidungsbefugnis für den Einsatz der Streitkräfte zu übertragen. Soweit ersichtlich haben zuerst Gebhardt und Strixner diesen Gedanken im Bereich des Einsatzes der Streitkräfte nach Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG formuliert: „Ist jedoch sofortige Hilfe geboten, [. . .] hat jeder Kommandeur, Dienststellenleiter und Einheitsführer selbst die erforderlichen Maßnahmen zu treffen.“510

Insofern gelte die Entscheidungskompetenz der Bundesregierung nicht ausnahmslos; im Eilfall könne sogar auf eine Entscheidung des Bundesministers der Verteidigung verzichtet werden.511 Ohne ausdrücklichen Bezug auf Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG meint Rieder, den Regelungen in Art. 73 Nr. 1, 87a GG sei zu entnehmen, „dass sie diejenigen Verteidigungsmaßnahmen decken, die zur Erhaltung der Verteidigungsfähigkeit unabdingbar sind“.512 Daraus folge, dass der Bundesminister der Verteidigung in Eilfällen auf Grundlage der Befehls- und Kommandogewalt nach Art. 65a GG vorläufige Verteidigungsmaßnahmen befehle könne. Insbesondere sei eine Beschlussfassung der Bundesregierung nicht erforderlich, da eine Angelegenheit vorläge, „die keinen Aufschub durch Beratung und Beschlussfassung im Bundeskabinett [. . .] duldet“.513 Franz und T. Günther bejahen eine Eilkompetenz des Bundesministers der Verteidigung mit Hinweis auf die Zulässigkeit des Präventiveinsatzes. Die Tatsache, dass Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG Situationen regelt, die typischerweise eine Eilbedürftigkeit aufweisen, schließe dieses Ergebnis nicht aus.514

509 So zum Beispiel bei der Eilzuständigkeit der Polizei zur Gefahrenabwehr im Sinne von § 7 Abs. 1 Nr. 3 SOG MV. 510 O. Gebhardt/H. Strixner, BWV 1977, 175 (179). 511 O. Gebhardt/H. Strixner, BWV 1977, 175 (179). 512 B. Rieder, 356. 513 B. Rieder, 357 f. 514 E. B. Franz/T. Günther, VBlBW 2006, 340 (343).

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3. Teil: Abwehr auf Grundlage des LuftSiG

(d) Bewertung Im Allgemeinen ist die Frage der Entscheidungskompetenz für Tätigkeiten des Staates in Ausnahmesituationen von einer besonderen Bedeutung, da das zur Entscheidung befugte Organ die Definitionsmacht über die Ausnahmesituation erhält. Diese herausgehobene Stellung unterstrich C. Schmitt mit den Worten: „Souverän ist, wer über den Ausnahmezustand entscheidet.“515

Zu beachten ist jedoch, dass die Entscheidung über den Einsatz der Streitkräfte gemäß Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG nicht mit den erheblichen Veränderungen der Kompetenzordnung durch die Regelungen des Verteidigungsfalls in den Art. 115a ff. GG vergleichbar ist, sondern sich im Fall der Gefahrenabwehr auf Grundlage des LuftSiG auf ein punktuelles Handeln der Streitkräfte bezieht. Weiterhin kann die Argumentation mit einem Vergleich zu Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG nur eingeschränkt weiterhelfen. Es ist grundsätzlich anzuerkennen, dass die Entscheidungsbefugnis nach Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG im Regelfall der Bundesregierung als Kollegium zugewiesen ist. Der Vergleich zu Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG schließt jedoch eine Verschiebung der Entscheidungskompetenz im Eilfall nicht zwingend aus, da in dieser Regelung kein ausdrückliches Verbot einer Ausnahme geregelt ist. Vielmehr wird hinsichtlich der Entscheidungskompetenz für einen Einsatz der Streitkräfte nach Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG sogar vertreten, dass für den Fall, dass die Bundesregierung handlungsunfähig ist, durch eine analoge Anwendung des Art. 115i Abs. 1 GG auch eine Landesregierung über den Einsatz entscheiden kann.516 Im Rahmen einer systematischen Auslegung kann nachgewiesen werden, dass das Grundgesetz gerade in Ausnahmesituationen eine Verschiebung der Entscheidungskompetenzen vorsieht: So enthielt bereits Art. 59a Abs. 2 Satz 1 GG a. F.517 eine besondere Regelung für die Feststellung des Verteidigungsfalls bei Gefahr im Verzug oder für

515 C. Schmitt, Politische Theologie, 11; vgl. H. Hofmann, Der Staat 44 (2005), 171 (178 ff.); siehe auch R. Ver, 49 ff., der den Ausspruch Schmitts im Zusammenhang mit der Diskussion um die Einfügung der Notstandsverfassung in das GG aufgegriffen hat. 516 v. Münch/Kunig-K.-A. Hernekamp, Art. 87a Rdn. 37; G. Laschewski, 77. 517 Art. 59a GG lautete: „(1) Die Feststellung, dass der Verteidigungsfall eingetreten ist, trifft der Bundestag. Sein Beschluss wird vom Bundespräsidenten verkündet. (2) Stehen dem Zusammentritt des Bundestages unüberwindliche Hindernisse entgegen, so kann bei Gefahr im Verzug der Bundespräsident mit Gegenzeichnung des Bundeskanzlers diese Feststellung treffen und verkünden. Der Bundespräsident soll zuvor die Präsidenten des Bundestages und des Bundesrates hören.“

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den Fall, dass der Einberufung des Bundestages unüberwindliche Hindernisse entgegenstanden.518 Unter diesen Voraussetzungen konnte der Bundespräsident nach Gegenzeichnung des Bundeskanzlers das Vorliegen des Verteidigungsfalls anstelle des eigentlich dafür zuständigen Bundestages feststellen. Auch die aktuellen Bestimmungen, die zeitgleich mit den Regelungen des Katastrophennotstandes in das Grundgesetz aufgenommen worden sind, enthalten Sonderregelungen für Fälle, in denen die originär zuständigen Organe keine Entscheidung treffen können. Hier ist vor allem Art. 115a Abs. 2 GG519 zu nennen, der ausdrücklich eine Eilkompetenz für die Feststellung des Verteidigungsfalls enthält und somit auch für den Einsatz der Streitkräfte bedeutend sein kann. Weiterhin regelt Art. 115i Abs. 1 GG Kompetenzverschiebungen von den Bundesorganen zu den Landesregierungen, wenn sofortiges selbständiges Handeln erforderlich ist. Weiterhin hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass die grundsätzlich erforderliche konstitutive Zustimmung des Bundestages zu „Einsätzen bewaffneter Streitkräfte“520 die „militärische Wehrfähigkeit und die Bündnisfähigkeit der Bundesrepublik Deutschland nicht beeinträchtigen“ darf.521 Bei Gefahr im Verzug ist die Bundesregierung – ohne eine Ermächtigung durch den Bundestag einholen zu müssen – dazu berechtigt, vorläufig über den Einsatz zu entscheiden und an entsprechenden Beschlüssen in den Bündnissen oder internationalen Organisationen mitzuwirken und diese vorläufig zu vollziehen. Der Bundestag muss jedoch „umgehend“ mit dem Einsatz befasst werden, wobei „die Streitkräfte zurückzurufen [sind], wenn der Bundestag dies verlangt“.522 Damit hat das Bundesverfassungsgericht den grundsätzlichen Gedanken einer Notkompetenz für Eilfälle auch auf die Entscheidungskompetenz für einen Einsatz der Streitkräfte übertragen, auch wenn es in seiner Entscheidung über die Zulässigkeit von Auslandseinsätzen der Bundeswehr natürlich keine ausdrücklichen Aussagen über die Entscheidungskompetenz nach Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG gemacht hat.

518 Vgl. zu Art. 59a Abs. 2 GG a. F. G. Willms, 164 f. Willms geht sogar davon aus, dass sich der Bundespräsident und der Bundeskanzler auch durch ihre Stellvertreter (vgl. Art. 57, 69 GG) vertreten lassen konnten. 519 Art. 115a Abs. 2 GG: „Erfordert die Lage unabweisbar ein sofortiges Handeln und stehen einem rechtzeitigen Zusammentritt des Bundestages unüberwindliche Hindernisse entgegen oder ist er nicht beschlussfähig, so trifft der Gemeinsame Ausschuss diese Feststellung mit einer Mehrheit von zwei Dritteln der abgegebenen Stimmen, mindestens der Mehrheit der Mitglieder.“ 520 BVerfGE 90, 286 (381). 521 BVerfGE 90, 286 (388). 522 BVerfGE 90, 286 (388).

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3. Teil: Abwehr auf Grundlage des LuftSiG

Es könnte nun argumentiert werden, dass die Existenz dieser Sonderregelungen, die im Bereich des Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG gerade nicht gelten, dafür sprechen, dass der verfassungsändernde Gesetzgeber im Fall des überregionalen Katastrophennotstandes gerade keine Ausnahme von der Entscheidungsbefugnis des Kollegialorgans zulassen wollte. Für diese Ansicht finden sich jedoch in den zahlreichen und ausführlichen Gesetzesmaterialien zur Notstandsverfassung keinerlei Anhaltspunkte. Vielmehr spricht vieles dafür, dass, wenn sogar in Bezug auf die wesentlich bedeutsame Feststellung des Verteidigungsfalls Ausnahmen hinsichtlich der Entscheidungskompetenz zulässig sind, dies erst recht für den Streitkräfteeinsatz nach Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG gelten müsste. Die Tatsache, dass der verfassungsändernde Gesetzgeber keine Sonderregelung in Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG getroffen hat, ist lediglich den Umstand geschuldet, dass die Problematik einer Eilentscheidung nicht reflektiert worden ist, so dass insoweit eine planwidrige Regelungslücke vorliegt, die grundsätzlich durch eine Analogiebildung geschlossen werden kann. Gegen eine Analogiebildung könnte sprechen, dass der Zweck des Erfordernisses der Kollegialentscheidung ist, angesichts der Reichweite und Problematik des Einsatzes der Streitkräfte die Entscheidung auf mehrere Schultern zu verteilen523 und damit eine größere Absicherung gegen Fehlentscheidungen oder den Missbrauch des Einsatzes der Streitkräfte zu haben.524 Weiterhin weist Paulke auch zu Recht darauf hin, dass die Gefahrenabwehr im Luftraum in sachlicher Hinsicht nicht nur Fragen des Verteidigungsressorts berührt, sondern auch solche des Innen-, des Justiz- und des Verkehrsressorts betreffen kann.525 Allerdings ist zu beachten, dass durch die Anerkennung einer Ausnahme die generelle Zuständigkeit der Bundesregierung nicht in Frage gestellt wird. Eine Missbrauchsgefahr ist demnach nicht gegeben, weil die Bundesregierung die Entscheidung jederzeit an sich ziehen kann. Die Auffassung der herrschenden Literaturmeinung und des Bundesverfassungsgerichts widerspricht dem Sinn der wirksamen Katastrophenbekämpfung, den auch das Bundesverfassungsgericht im Zusammenhang mit der Zulässigkeit des Präventiveinsatzes ausdrücklich betont hat.526 Eine wirksame Katastrophenbekämpfung setzt die Möglichkeit voraus, Entscheidungsprozesse in Eilfällen zu delegieren, soweit dadurch nicht die grundsätzliche Entscheidungskompetenz der Bundesregierung ausgehöhlt wird.527

523 524 525 526 527

Vgl. J. Pannkoke, 249. D. Esklony, 227. K. Paulke, 183. BVerfG, NJW 2006, 751 (755 Abs. 101). W.-R. Schenke, NJW 2006, 736 (737 f.).

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Auch mit der Begrenzungsfunktion des Art. 87a Abs. 2 GG kann nicht gegen eine Eilzuständigkeit argumentiert werden. Es geht nicht um eine materielle Ausweitung der Möglichkeiten des Einsatzes der Streitkräfte außerhalb des Verteidigungsauftrages, die dem „Gebot strikter Texttreue“ zuwiderlaufen würde, sondern lediglich um eine Ausnahme auf der Zuständigkeitsebene. Gegen diese Auffassung spricht auch nicht, dass der Begriff „Bundesregierung“ in der Regel im Sinne der Legaldefinition des Art. 62 GG zu verstehen ist, denn diese Regelvermutung lässt Ausnahmen zu, soweit diese verfassungsrechtlich begründet werden können.528 Die verfassungsrechtliche Begründung wurde soeben durch den Verweis auf die Befehls- und Kommandogewalt des Art. 65a GG sowie auf die sonstigen Sonderregelungen des Grundgesetzes aufgezeigt. Eine Beeinträchtigung der Länderbelange durch eine Eilentscheidung des Bundesministers der Verteidigung ist nicht in dem Maße zu befürchten, wie es das Bundesverfassungsgericht betont.529 Ein Missbrauch des selbstinitiierten Einschreitens des Bundes ist wegen des Rechts des Bundesrates gemäß Art. 35 Abs. 3 Satz 2 GG die Beendigung des Streitkräfteeinsatzes zu fordern, nicht zu befürchten. Im Übrigen ist zu beachten, dass die Länder im überregionalen Katastrophennotstand ohnehin mit der Wahrnehmung der Gefahrenabwehr überfordert sind, so dass das Einschreiten des Bundes zu ihrem Vorteil geschieht. (e) Zwischenergebnis Für den Einsatz der Streitkräfte nach Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG ist grundsätzlich eine Entscheidung der Bundesregierung als Kollegium erforderlich. Allerdings besteht aus verfassungsrechtlicher Sicht kein Grund, in besonderen Fällen, in denen eine effektive Gefahrenabwehr ansonsten nicht möglich ist, ausnahmsweise eine Entscheidung des Bundesministers der Verteidigung zuzulassen, soweit die grundsätzliche Entscheidungsbefugnis der Bundesregierung bestehen bleibt. bb) Entscheidungskompetenz im regionalen Katastrophennotstand Die Entscheidung über die Anforderung der Streitkräfte bleibt nach § 13 Abs. 2 Satz 1 LuftSiG bei dem betroffenen Bundesland. Diese Regelung ist mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben vereinbar. Weiterhin ist es verfassungsrechtlich zulässig, dass der Bundesminister der Verteidigung als Inhaber der Be-

528 529

S. Detterbeck, HdBStR, Band III, § 66 Rdn. 11. Vgl. BVerfG, NJW 2006, 751 (756 Abs. 3).

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3. Teil: Abwehr auf Grundlage des LuftSiG

fehls- und Kommandogewalt gemäß § 13 Abs. 2 Satz 1 LuftSiG über einen Einsatz nach der Anforderung durch das Land entscheidet.530 Dennoch meint Paulke, die Regelung des § 13 Abs. 2 Satz 1 LuftSiG sei verfassungswidrig, da sie die Länderinteressen nicht ausreichend gewährleiste.531 Dabei geht Paulke von der zutreffenden Grundannahme aus, dass im regionalen Katastrophennotstand die Gefahrenabwehr Recht und Aufgabe des anfordernden Landes bleibt.532 Zwar versuche § 13 Abs. 2 Satz 1 LuftSiG dem Erfordernis der Beteiligung durch die Herstellung des Benehmens mit dem Bundesminister des Innern gerecht zu werden,533 dennoch werde die Beteiligung der Landesbehörden am Ablauf des Einsatzes nicht ausreichend gewährleistet, denn es könne davon ausgegangen werden, dass in der Praxis wegen des schnellen Handlungsbedarfs auf § 13 Abs. 2 Satz 2 LuftSiG ausgewichen wird.534 Die Problematik der Berücksichtigung der Länderbelange bei der Gefahrenabwehr im regionalen Katastrophennotstand ist jedoch nicht in erster Linie an § 13 Abs. 2 LuftSiG festzumachen, zumal nach den Regelungen des LuftSiG ein Einsatz im regionalen Katastrophennotstand ohne die vorherige Anforderung des betroffenen Landes überhaupt nicht möglich ist. Wichtiger ist, dass die Entscheidungskompetenzen in § 14 Abs. 3, 4 LuftSiG keine Berücksichtigung der Länderbelange vorsehen. Dies mag damit zu erklären sein, dass der Gesetzgeber bei der Gefährdung durch erhebliche Luftzwischenfälle grundsätzlich von einem überregionalen Katastrophennotstand ausging.535 Sattler und Droege meinen, die Anordnungskompetenz des Bundesministers der Verteidigung für Maßnahmen nach § 14 Abs. 3 LuftSiG und die Anordnungskompetenz des Inspekteurs der Luftwaffe für Maßnahmen nach § 14 Abs. 1 LuftSiG seien mit Art. 35 Abs. 2 Satz 2 GG nicht vereinbar.536

530 W. Speth, 134. Unsubstantiiert ist daher die Kritik von Narr, der meint, der Einsatz der Streitkräfte folge wegen § 13 Abs. 2 LuftSiG einer „militärischen Logik“, siehe W.-D. Narr, 7. Narr berücksichtigt nicht, dass zunächst eine Entscheidung einer Landesregierung erforderlich ist. 531 K. Paulke, 179. 532 BVerfG, NJW 2006, 751 (755 Abs. 106); Sachs-W. Erbguth, Art. 35 Rdn. 40; G. Robbers, DÖV 1989, 926 (928 f.). 533 K. Paulke, 179. Unklar bleibt, warum Paulke meint, dass das Herstellen des Benehmens mit dem Bundesminister des Innern die Beteiligung der Länder an der Gefahrenabwehr gewährleisten kann. 534 K. Paulke, 179. 535 Vgl. BT-Drucks. 15/2361, 20. 536 M. Droege, NZWehrr 2005, 199 (207); H. Sattler, NVwZ 2004, 1286 (1289); vgl. auch die Stellungnahme des Ausschusses für Innere Angelegenheiten des Bundesrates vom 8. Januar 2004, BR-Drucks. 827/1/03, 2.

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Diese undifferenzierte Aussage kann jedoch nicht überzeugen. Dem Bundesminister der Verteidigung muss die Befehlsgewalt über die Streitkräfte erhalten bleiben. Die Länder sind gegenüber den angeforderten Streitkräften nicht weisungsbefugt, da diese nicht aus den militärischen Befehlsstrukturen herausgelöst werden.537 Daher sind die Länder schon rechtlich nicht in der Lage, entsprechende Maßnahmen anzuordnen, wie sie in § 14 Abs. 1, 3 LuftSiG vorgesehen sind beziehungsweise vorgesehen waren. Auch im regionalen Katastrophennotstand können lediglich die militärische Führung und der Bundesminister der Verteidigung den Streitkräften Befehle erteilen. Allerdings müssen der Bund und das betroffene Land die Gefahr im Rahmen eines „einvernehmlichen Zusammenwirkens“538 bekämpfen. Keidel meint sogar, die Länder müssten die Möglichkeit haben, „die Tätigkeit der Streitkräfte zu beaufsichtigen und zu leiten“.539 Daraus folgt, dass der Bund im regionalen Katastrophennotstand jedenfalls nicht gegen den Willen des betroffenen Landes handeln darf. § 14 Abs. 4 LuftSiG muss daher einschränkend ausgelegt werden: Sind die zuständigen Landesbehörden der Meinung, dass Maßnahmen nach dem LuftSiG nicht durchgeführt werden sollen, so kann der Bundesminister der Verteidigung sich nicht durch die Berufung auf seine Befehls- und Kommandogewalt nach Art. 65a GG über den erklärten Willen des Landes hinwegsetzen. Die Verantwortung für ein Untätigbleiben bei der Gefahrenabwehr liegt dann beim Land. Das grundsätzliche Erfordernis eines „einvernehmlichen Zusammenwirkens“ schließt jedoch nicht aus, dass in Einzelfällen gehandelt wird, ohne dass eine entsprechende Willensäußerung des Landes vorliegt. In diesem Zusammenhang darf nicht übersehen werden, dass es sich bei den Tätigkeiten nach § 14 Abs. 1, 3 LuftSiG nur um ein punktuelles Handeln der Streitkräfte zur Gefahrenabwehr handelt. Eine Beeinträchtigung der Länderbelange ist daher wegen der Anordnungsbefugnis des Bundesministers der Verteidigung nicht zu befürchten, soweit beachtet wird, dass die Befehls- und Kommandogewalt nicht gegen den Willen des anfordernden Landes ausgeübt werden darf. cc) Parlamentsvorbehalt für Einsätze nach Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG? Fraglich ist, ob vor dem Hintergrund des Urteils des Bundesverfassungsgerichts zur Zulässigkeit von Auslandseinsätzen der Bundeswehr540 der Einsatz 537 Dreier-H. Bauer, Art. 35 Rdn. 30; Umbach/Clemens-S. Magen, Art. 35 Rdn. 35; G. Laschewski, 95; W. Speth, 136; K.-D. Uelhoff, Europäische Sicherheit 6/1998, 43 (44); anders noch M. Ladiges, Speyerer Arbeitshefte Nr. 159 (2004), 161 (175). 538 Vgl. BT-Drucks. V/2873, 10; D. Keidel, 127; W. Speth, 137. 539 D. Keidel, 127. 540 BVerfGE 90, 286 ff.

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3. Teil: Abwehr auf Grundlage des LuftSiG

der Streitkräfte im Katastrophennotstand von einer vorherigen Zustimmung des Bundestages abhängig ist. Jedenfalls der Abschuss eines Luftfahrzeuges stellt einen Einsatz bewaffneter Streitkräfte dar. Dies spricht für das Erfordernis einer konstitutiven Zustimmung des Bundestages; eine solche Zustimmung ist nach dem LuftSiG jedoch nicht vorgesehen. Unbeachtlich ist zunächst, dass in den Fällen des Einsatzes auf Grundlage des LuftSiG in der Regel ein Fall der Gefahr im Verzug vorliegen dürfte und damit die parlamentarische Zustimmung im Nachhinein eingeholt werden könnte,541 denn das LuftSiG geht offensichtlich davon aus, dass es überhaupt keiner parlamentarischen Zustimmung – weder vor noch nach einem Einsatz bewaffneter Streitkräfte – bedarf. Das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Urteil zu § 14 Abs. 3 LuftSiG diese Frage mit keinem Wort angesprochen. Dies ist möglicherweise bereits ein Indiz dafür, dass die Zustimmung des Bundestages für den Einsatz der Streitkräfte im Katastrophennotstand nicht erforderlich ist. (1) Meinungsstand In der Literatur wurde teilweise bereits vor der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zu der Zulässigkeit von Auslandseinsätzen der Bundeswehr eine Zustimmung des Bundestages für Einsätze nach Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG für erforderlich gehalten, da ansonsten ein substantieller Verlust an freiheitlicher Demokratie entstehe.542 Diesen Gedanken haben Teile der Literatur aufgegriffen und meinen, das Erfordernis eines konstitutiven Parlamentsvorbehalts sei jedenfalls auf Einsätze nach Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG zu übertragen.543 Teilweise wird ausdrücklich ein konstitutiver Parlamentsvorbehalt auch für Einsätze nach Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG gefordert.544 Als Argument wird angeführt, dass Einsätze, die gegen einen Teil der eigenen Bevölkerung gerichtet sind, hinsichtlich der parlamentarischen Kontrolle nicht schlechter behandelt werden dürften, als ein Einsatz im Ausland.545 Dafür spreche auch die aus Art. 20 Abs. 3 GG abgeleitete so genannte Wesentlich541

Vgl. BVerfGE 90, 286 (388). K.-H. Hall, JZ 1970, 353 (355 f.); eine Zusammenstellung der verschiedenen Argumente findet sich bei H. M. Parche, 175 ff. 543 M. Oldiges, in: Achterberg/Püttner (Hg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Band 2, § 23 Rdn. 34, 50; vorsichtiger Sachs-J. Kokott, Art. 87a Rdn. 48, wobei auch Kokott anerkennt, dass das Bundesverfassungsgericht den konstitutiven Parlamentsvorbehalt nur für Auslandseinsätze aufgestellt hat. 544 P. Dreist, ZaöRV 64 (2004), 1001 (1034). 545 D. Esklony, 233 f. Esklony bezieht seine Auffassung ausdrücklich nur auf einen Einsatz nach Art. 87a Abs. 4 GG. Jedoch spricht er allgemein von „Streitkräfteeinsatz im Inneren“, so dass er wohl auch Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG meint. 542

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keitstheorie,546 nach der der Gesetzgeber verpflichtet ist, in grundlegenden normativen Bereichen, insbesondere im Bereich der Grundrechtsausübung, alle wesentlichen Entscheidungen selbst zu treffen, anstatt sie der Exekutive zu überlassen.547 Auch eine etwaige besondere Eilbedürftigkeit könne nicht als Argument gegen einen grundsätzlichen Parlamentsvorbehalt angeführt werden, da das Bundesverfassungsgericht Ausnahmen für Eilfälle zugelassen habe.548 Lutze stellt in erster Linie auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ab, um das Erfordernis des Parlamentsvorbehalts auch für bewaffnete Einsätze im Innern zu begründen: Das Bundesverfassungsgericht habe seine Äußerungen, dass die grundgesetzlichen Regelungen über die Wehrverfassung für den Einsatz bewaffneter Streitkräfte grundsätzlich eine Beteiligung des Bundestages vorsehen, nicht geographisch eingegrenzt.549 Zudem spreche das Gericht allgemein von einem „Parlamentsheer“550 und differenziere nicht zwischen einem Einsatz im Inland und zwischen einem Einsatz im Ausland.551 Weiterhin würden sich die Verfassungsbestimmungen, welche das Gericht zur Begründung eines konstitutiven Parlamentsvorbehalts nennt, nämlich Art. 59a a. F., 45a, 45b GG und Art. 87a Abs. 1 Satz 2, 115a GG, auf sämtliche Aufgaben der Bundeswehr beziehen.552 Teilweise wird in der Literatur – ohne allerdings die Frage des Einsatzes im Katastrophennotstand besonders anzusprechen – die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dahingehend interpretiert, jede konkrete Entscheidung über den Einsatz bewaffneter Streitkräfte stehe unter einem Parlamentsvorbehalt.553 Andere meinen, eine Zustimmung des Bundestages sei lediglich für den Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Ausland erforderlich.554 Das Bundesverfassungsgericht habe den konstitutiven Parlamentsvorbehalt nur auf Einsätze be546 D. Esklony, 233; vgl. M. Oldiges, in: Achterberg/Püttner (Hg.), Besonderes Verwaltungsrecht, Band 2, § 23 Rdn. 34, der die „enorme politische Tragweite“ des Einsatzes betont. 547 Vgl. zur Wesentlichkeitstheorie BVerfGE 20, 150 (157 f.); 34, 165, (192 f.); 40, 237 (249). 548 D. Esklony, 234. 549 C. Lutze, DÖV 2003, 972 (977); ders., DPolBl. 2005, 12 (13); zweifelnd M. Jahn, 165 Fn. 175, der allerdings seine „Sympathie“ für Lutzes Auffassung bekundet. 550 Vgl. BVerfGE 90, 286 (382). 551 P. Dreist, NZWehrr 2004, 89 (107). 552 C. Lutze, DÖV 2003, 972 (977). 553 Jarass/Pieroth-B. Pieroth, Art. 87a Rdn. 11; M. Limpert, 45; V. Röben, ZaöRV 63 (2003), 585 (592); C. Fischer/A. Fischer-Lescano, KritV 2002, 113 (114); G. Geiger, NZWehrr 2001, 133 (145); K. Dau, NZWehrr 1994, 177 (183); G. Nolte, ZAöRV 54 (1994), 652 (673). 554 K. Nowrot, NZWehrr 2003, 65 (66); N. K. Riedel, DÖV 1995, 135 (136); W. Schreiber, NVwZ 1995, 521 (524).

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waffneter Streitkräfte im Rahmen eines Systems kollektiver Sicherheit bezogen.555 Oeter meint ausdrücklich unter Berücksichtigung der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, dass alle Streitkräfteeinsätze „nach außen [Hervorhebung des Verf.] die vorherige Zustimmung des Bundestages erfordern“.556 Daher unterliege der Einsatz nach Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG keinem Parlamentsvorbehalt.557 Die Bundesregierung hat im Zusammenhang mit der Entsendung von AWACS-Flugzeugen zur Unterstützung der Vereinigten Staaten nach dem 11. September 2001 vertreten, das Bundesverfassungsgericht habe lediglich den bewaffneten Einsatz außerhalb des NATO-Gebietes unter die Voraussetzung eines konstitutiven Parlamentsvorbehalts gestellt.558 Andere Einsätze bewaffneter Streitkräfte, also auch solche im Rahmen des Katastrophennotstandes, könnte die Bundesregierung demnach ohne die Zustimmung des Bundestages beschließen. (2) Eigene Ansicht Das Erfordernis eines konstitutiven Parlamentsvorbehaltes für den Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Katastrophennotstand gemäß Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG kann aus folgenden Gründen nicht überzeugen: Zunächst ist höchst zweifelhaft, ob das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil über die Zulässigkeit von Auslandseinsätzen der Bundeswehr überhaupt Aussagen in Bezug auf den Streitkräfteeinsatz im Katastrophennotstand treffen wollte. Zwar spricht für die erste Ansicht, dass das Bundesverfassungsgericht allgemein den Charakter der Bundeswehr als „Parlamentsheer“ betont559 und einen bewaffneten Einsatz der Bundeswehr generell vom Erfordernis eines konstitutiven Parlamentsvorbehalt abhängig gemacht hat, ohne ausdrücklich zwischen verschiedenen Einsatzarten zu unterscheiden.560 Allerdings verkennt eine solche Interpretation, dass sich das Bundesverfassungsgericht lediglich mit der Zulässigkeit militärischer Einsätze im Rahmen von Operationen der Vereinten Nationen, der NATO beziehungsweise der WEU beschäftigt und keinerlei Aussagen für Einsätze nach Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG getroffen hat.561 555

Vgl. M. Zimmer, 215 ff.; H. H. Rupp, JZ 2003, 899. S. Oeter, NZWehrr 2000, 89 (96); ähnlich C. Arndt, NJW 1994, 2197 (2198). 557 J. Pannkoke, 249; J.-W. Oberwinter, 148; T. Linke, AöR 129 (2004), 489 (536); D. Wiefelspütz, NZWehrr 2003, 45 (63). 558 BT-Prot. 14/226, 22437 (Anlage 5); vgl. auch C. Fischer/A. Fischer-Lescano, KritV 2002, 113 (118 f.). 559 BVerfGE 90, 286 (382). 560 Vgl. BVerfGE 90, 286 (381 ff.). 556

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Auch die Entstehungsgeschichte spricht gegen einen konstitutiven Parlamentsvorbehalt: Ursprünglich war im so genannten „Höcherl-Entwurf“ ein Parlamentsvorbehalt für Einsätze im Innern vorgesehen.562 Diese Regelung wurde jedoch bewusst nicht in das Grundgesetz übernommen. In der parlamentarischen Debatte wurde darauf verwiesen, dass ein Parlamentsvorbehalt – insbesondere bei einem Einsatz nach Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG – wenig praktikabel sei.563 Systematisch sprechen Art. 87a Abs. 4 Satz 2 GG und Art. 35 Abs. 3 Satz 2 GG gegen einen Parlamentsvorbehalt. Durch Art. 87a Abs. 4 Satz 2 GG wird deutlich gemacht, dass dem Bundestag selbst im Falle des inneren Notstandes lediglich ein nachträgliches Kontrollrecht564 zukommt.565 Im Bereich des Katastrophennotstandes hat der Bundestag noch nicht einmal ein solches nachträgliches Mitwirkungsrecht. Vielmehr weist Art. 35 Abs. 3 Satz 2 GG ausschließlich dem Bundesrat das Recht zu, von der Bundesregierung eine Beendigung des Streitkräfteeinsatzes zu verlangen. Dieses Aufhebungsrecht des Bundesrates wurde in das Grundgesetz aufgenommen, um den Ländern über ihre Vertretung im Bundesrat die Möglichkeit zu geben, Verschiebungen der föderalen Kompetenzordnung und einem möglichen Missbrauch des Streitkräfteeinsatzes gemäß Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG entgegen zu wirken.566 Es wäre erstaunlich, wenn dem Bundestag durch die Bejahung eines konstitutiven Parlamentsvorbehaltes weitaus mehr Rechte zustehen würden als dem Bundesrat, obwohl gerade die Rechte der Länder durch einen Einsatz nach Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG betroffen sind. Gleiches gilt für Art. 35 Abs. 2 Satz 2 GG. Für diesen weniger weit reichenden Fall ist gleichfalls im Umkehrschluss keine Zustimmung des Bundestages erforderlich.567 Des Weiteren geht es bei der Gefahrenabwehr mit Hilfe des Einsatzes der Streitkräfte im regionalen Katastrophennotstand um ein Tätigwerden im Verantwortungsbereich des betroffenen Landes. Das Erfordernis einer Zustimmung des Bundestages würde die Entscheidung auf Landesebene zu einer Entscheidung auf Bundesebene aufwerten. Es ist jedoch Sache des anfordernden Landes, ob 561 So auch G. Schulze, JR 1995, 98: „Das Bundesverfassungsgericht [hat] mit diesem Ausspruch den seit den fünfziger Jahren bis heute andauernden Streit über die Verfassungsmäßigkeit von Auslandseinsätzen [Hervorhebung des Verf.] beendet.“ 562 Vgl. Art. 115l Abs. 3 Satz 1 des Entwurfes, BT-Drucks. IV/891: „Sollen die Streitkräfte gemäß Absatz 1 Buchstabe c im Inneren mit der Waffe eingesetzt werden, so bedarf es hierzu der vorherigen Zustimmung des Bundestages, in den Fällen des Absatz 2 Satz 1 des Ausschusses nach Artikel 115a Abs. 2.“ 563 So MdB D. Haase (SPD), 175. Sitzung des Bundestages vom 16. Mai 1968, Stenographische Berichte, Band 67, 9439. 564 Dieses nachträgliche Kontrollrecht ist der Ausgleich für das Nichterfordernis einer vorherigen Zustimmung des Bundestages, vgl. M. Jahn, 165. 565 Ebenso T. Linke, AöR 129 (2004), 489 (536); vgl. A. Thomsen, 70. 566 K. Stern, Staatsrecht, Band II, 1466. 567 G. Robbers, Stellungnahme, 8.

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es auf die Hilfe der Streitkräfte zurückgreifen will oder die Gefahrenabwehr mit eigenen Kräften durchführt. Im Übrigen wäre der konstitutive Parlamentsvorbehalt wegen der grundsätzlichen Hilfeleistungspflicht des Bundes568 praktisch bedeutungslos. Diese systematischen Bedenken lassen sich nicht durch die Aussage entkräften, das Bundesverfassungsgericht habe die wehrverfassungsrechtlichen Differenzierungen in Bezug auf die parlamentarische Mitwirkung zu großen Teilen eingeebnet.569 Das Bundesverfassungsgericht hat vielmehr ausgeführt, das Prinzip der konstitutiven Zustimmung des Bundestages gelte „unbeschadet der im Grundgesetz ausdrücklich geregelten Fälle“ für Einsätze bewaffneter Streitkräfte.570 Mit anderen Worten: Die Zuweisung der Entscheidungsbefugnis über den Streitkräfteeinsatz im Katastrophennotstand an die Exekutive verdrängt als Spezialregelung den allgemeinen Parlamentsvorbehalt.571 Letztlich bildet auch die inhaltliche Ausgestaltung des so genannten Parlamentsbeteiligungsgesetzes572 einen Anhaltspunkt dafür, dass kein konstitutiver Parlamentsvorbehalt bei Einsätzen bewaffneter Streitkräfte auf Grundlage von Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG besteht: Das Bundesverfassungsgericht hatte angeregt, dass die näheren Modalitäten der parlamentarischen Zustimmung gesetzlich geregelt werden sollten.573 Das in der Umsetzung dieser Anregung erlassene Parlamentsbeteiligungsgesetz enthält aber durchgehend nur solche Regelungen, die einen Außeneinsatz der Streitkräfte betreffen. Ebenso wenig wurde im Laufe des Gesetzgebungsverfahrens von irgendeiner Seite der Ansatz eingebracht, dass auch Streitkräfteeinsätze im Katastrophennotstand eine parlamentarische Zustimmung erfordern.574 Vielmehr wurde in den Begründungen zu allen Gesetzesentwürfen betont, der konstitutive Parlamentsvorbehalt beziehe sich nur auf bewaffnete Einsätze im Ausland.575 Auch in der parlamentarischen 568

Siehe oben 3. Teil C. II. 1. b) aa). So aber C. Lutze, DÖV 2003, 972 (977). 570 BVerfGE 90, 286 (387). 571 Vgl. v. Mangoldt/Klein/Starck-M. Baldus, Art. 87a Abs. 4 Rdn. 119. Baldus meint, die Konstruktion einer Zustimmungspflicht des Bundestages oder des Bundesrates würde „den in Satz 1 und Satz 2 mit hinreichender Deutlichkeit zum Ausdruck gekommenen Willen des Verfassungsgesetzgebers übergehen“. 572 Gesetz über die parlamentarische Beteiligung bei der Entscheidung über den Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Ausland vom 18. März 2005, BGBl. I, 775; vgl. sehr kritisch hierzu C. Arndt, DÖV 2005, 908 ff. 573 BVerfGE 90, 286 (389 f.). Von Anfang an war in diesem Zusammenhang von einem „Entsendegesetz“ die Rede, vgl. D. Blumenwitz, FS Ritter, 1995, 311. Die Formulierung „Entsendegesetz“, die auch in späteren Gesetzesentwürfen aufgenommen worden ist, weist deutlich darauf hin, dass der Einsatz der Bundeswehr außerhalb der Bundesrepublik geregelt werden sollte. 574 Vgl. die unterschiedlichen Entwürfe der Fraktionen: FDP, BT-Drucks. 15/1985; SPD/BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, BT-Drucks. 15/2742. 575 Vgl. BT-Drucks. 15/1985, 4; BT-Drucks. 15/36, 1; BT-Drucks. 15/2742, 4. 569

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Debatte am 3. Dezember 2004 wurde der Parlamentsvorbehalt ausschließlich auf Auslandseinsätze bezogen.576 Dementsprechend lautet § 1 Abs. 2 des Parlamentsbeteiligungsgesetzes: „Der Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte außerhalb des Geltungsbereichs des Grundgesetzes bedarf der Zustimmung des Bundestages.“

Der Gesetzgeber ist der Meinung, die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts umgesetzt und die durch das Bundesverfassungsgericht konkretisierten Rechte des Bundestages weder eingeschränkt noch ausgeweitet zu haben.577 (3) Ergebnis Wie die Entscheidung zum Einsatz der Streitkräfte nach Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG ist auch die Entscheidung einer Landesregierung oder der Bundesregierung nach Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG eine Exekutiventscheidung. Die Bejahung eines konstitutiven Parlamentsvorbehaltes würde daher eine nicht hinnehmbare Verschiebung der grundgesetzlichen Kompetenzordnung bewirken. Daher besteht für Einsätze bewaffneter Streitkräfte nach Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG kein konstitutiver Parlamentsvorbehalt. Die Entscheidungskompetenz liegt allein bei den jeweilig zuständigen Exekutivorganen.

2. Sonstige Grundlagen für den Streitkräfteeinsatz Der Gesetzgeber hat den Streitkräfteeinsatz nach §§ 13 bis 15 LuftSiG auf Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG gestützt. Der Vollständigkeit halber werden darüber hinaus auch sonstige Vorschriften untersucht, die einen Einsatz der Streitkräfte außerhalb des Verteidigungsauftrages zulassen. a) Einsatz nach Art. 87a Abs. 3 GG Art. 87a Abs. 3 GG regelt den so genannten „äußeren Notstand“578 und begründet gefahrenabwehrrechtliche Befugnisse der Streitkräfte, zum Beispiel Befugnisse zum Schutz ziviler Objekte.579 Dabei ist in Art. 87a Abs. 3 Satz 1 GG der Objektschutz durch die Streitkräfte im Zusammenhang mit dem Verteidigungsauftrag geregelt, während Art. 87a Abs. 3 Satz 2 GG den Objektschutz zur Unterstützung der Polizei betrifft. Es ist einhellige Meinung, dass Art. 87a 576 577 578 579

Vgl. BT-Prot. 15/146, 13635-13652. BT-Drucks. 15/2742, 4. Vgl. Maunz/Dürig-G. Dürig, Art. 87a Rdn. 40 m.w. N. Ausführlich zu Art. 87a Abs. 3 GG M. Schreiber, DÖV 1969, 729 ff.

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Abs. 3 GG eine ausdrückliche Zulassung für den Streitkräfteeinsatz im Sinne des Art. 87a Abs. 2 GG ist.580 Grundvoraussetzung ist zunächst die Feststellung des Verteidigungsfalls (Art. 115a Abs. 1 Satz 1 GG) oder des Spannungsfalls (Art. 80a GG). Das Vorliegen des Bündnisfalls (Art. 80a Abs. 3 Satz 1 GG) oder des Zustimmungsfalls (Art. 80a Abs. 1 Satz 1 GG) reicht dagegen nicht aus.581 aa) Einsatz im Verteidigungsfall Der Verteidigungsfall ist in Art. 115a Abs. 1 Satz 1 GG legal definiert und liegt demnach vor, wenn „das Bundesgebiet mit Waffen angegriffen wird oder ein solcher Angriff unmittelbar droht“. Auch wenn hier keine Einigkeit darüber besteht, welche Qualität das Angriffssubjekt haben muss, so ist unstreitig, dass der Angriff eine gewisse Erheblichkeit aufweisen muss.582 Dies folgt daraus, dass die erheblichen Verschiebungen der verfassungsrechtlichen Ordnung gemäß Art. 115b ff. GG nur in einem Kriegszustand gerechtfertigt sind, nicht aber schon bei Angriffen oder Bedrohungen unter dieser Erheblichkeitsschwelle. Wie auch der Verteidigungsbegriff im Sinne des Art. 87a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 GG setzt der Verteidigungsfall einen Angriff von außen voraus.583 Allerdings ist es hier ähnlich wie bei dem Begriff des bewaffneten Angriffs im Sinne von Art. 51 UN-Charta584 nicht erforderlich, dass der Angriff mit Waffen im Sinne des WaffG durchgeführt wird,585 sondern es reicht ein Zerstörungspotential, das mit einem konventionellen Angriff vergleichbar ist. Vereinzelt wird vertreten, ein Terrorangriff mittels eines entführten Flugzeuges käme einem Angriff mit Waffengewalt auf das Bundesgebiet gleich, womit der Verteidigungsfall vorläge.586 Konsequenterweise bejaht Jerouschek auch, dass dann die Streitkräfte gemäß Art. 87a Abs. 3 GG zum Objektschutz herangezogen werden könnten.587 In diese Richtung geht auch Schmidt-Jortzig, der es zumindest für denkbar hält, dass „ABC-Attacken sowie individuelle Luftan-

580

Vgl. die umfangreichen Nachweise bei J.-P. Fiebig, 315 Fn. 1. v. Münch/Kunig-K.-A. Hernekamp, Art. 87a Rdn. 16; K. Stern, Staatsrecht, Band II, 1478. 582 Sachs-G. Robbers, Art. 115a Rdn. 8; v. Mangoldt/Klein/Starck-R. Grote, Art. 115a Rdn. 8; K. Paulke, 114; C. Lutze, NZWehrr 2003, 101 (103). 583 v. Mangoldt/Klein/Starck-R. Grote, Art. 115a Rdn. 8. 584 Siehe oben 2. Teil B. IV. 2. a). 585 So aber v. Münch/Kunig-L. A. Versteyl, Art. 115a Rdn. 12. 586 G. Jerouschek, FS H.-L. Schreiber, 2003, 185 (197); M. Hochhuth, NZWehrr 2002, 154 (155 Fn. 2), will bei einer Annäherung eines entführten Flugzeuges aus dem Ausland den Verteidigungsfall annehmen. 587 G. Jerouschek, FS H.-L. Schreiber, 2003, 185 (197). 581

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griffe mittels selbstmörderisch genutzter Flugzeuge“ den Verteidigungsfall begründen könnten.588 Jedenfalls ist die undifferenzierte Ansicht Jerouscheks abzulehnen. Zwar kann ein Einsatz zur Abwehr nicht-staatlicher Angreifer ein Einsatz zur Verteidigung im Sinne des Art. 87a Abs. 2 GG sein, aber er wird wohl nur in den seltensten Fällen die Existenz des Staates so stark bedrohen, dass er die erheblichen Verschiebungen der staatlichen Ordnung gemäß Art. 115b ff. GG rechtfertigen würde.589 Dies könnte allenfalls dann anders sein, wenn sich die Angriffe über einen längeren Zeitraum mit erheblicher Intensität gegen die Bundesrepublik richten. Davon ist jedoch in der Regel bei erheblichen Luftzwischenfällen im Sinne des § 13 Abs. 1 LuftSiG nicht auszugehen.590 Weiterhin berücksichtigt Jerouschek nicht, dass für den Eintritt des Verteidigungsfalls stets ein Angriff von außen gegeben sein muss. bb) Einsatz im Spannungsfall Der Einsatz der Streitkräfte zum Objektschutz ist auch im Spannungsfall verfassungsrechtlich zulässig. Im Gegensatz zum Verteidigungsfall enthält das Grundgesetz jedoch keine Definition des Spannungsfalls. In der entsprechenden Vorschrift des Art. 80a GG wird der Spannungsfall zwar in Abs. 1 Satz 2 genannt, aber nicht näher bestimmt, sondern begrifflich vorausgesetzt. Die Entscheidung darüber, ob unter den konkreten Umständen der Spannungsfall vorliegt, trifft der Bundestag. Überwiegend wird der Spannungsfall als ein Zustand staatlicher Anspannung unterhalb des Verteidigungsfalls beschrieben.591 Erforderlich sei eine schwere außenpolitische Konfliktsituation, bei der eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für den Eintritt des Verteidigungsfalls besteht und die eine erhöhte Verteidigungsbereitschaft nötig macht.592 Der Spannungsfall wird daher als „Vorstufe“ zum Verteidigungsfall bezeichnet.593 In formeller Hinsicht ist gemäß Art. 80a Abs. 1 GG für die Feststellung des Spannungsfalls durch den Bundestag eine 2/3-Mehrheit der abgegebenen Stimmen erforderlich.594 Anders als beim Verteidigungsfall gibt es für den Span588 E. Schmidt-Jortzig, DÖV 2002, 773 (777); siehe auch T. v. Danwitz, 53 f., der meint, der Verteidigungsfall liege bei einem terroristischen Luftangriff auf ein Kernkraftwerk vor. 589 Ähnlich auch v. Mangoldt/Klein/Starck-R. Grote, Art. 115a Rdn. 16. 590 So auch C. Burkiczak, VR 2004, 379 (382). 591 Vgl. auch die (teilweise politischen) Definitionsansätze aus der Entstehungsgeschichte bei K. O. Juschka, BWV 1970, 193 (194). 592 W. Daleki, 40 f. m.w. N. in Fn. 9. 593 Vgl. zu diesem Stufenverhältnis Graf Vitzthum, HdBStR, Band VII, § 170 Rdn. 6; H. Oberreuter, 252 f. 594 J.-P. Fiebig, 319 m.w. N. in Fn. 11.

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nungsfall keine Ausnahmetatbestände, die diesen fingieren könnten. In der Regel wird es beim Angriff einer nicht-staatlichen Organisation an dieser Feststellung aber fehlen, so dass der Schutz ziviler Objekte gegen Angriffe aus dem Luftraum nicht auf Art. 87a Abs. 3 Satz 2 GG gestützt werden könnte. Sollte der Spannungsfall wegen einer außen- oder sicherheitspolitischen Krise festgestellt worden sein, so wäre ein Schutz ziviler Objekte durch die Bundeswehr gegen Bedrohungen aus dem Luftraum denkbar. Dies wird zum Teil zu Unrecht mit der Begründung abgelehnt, terroristische Angriffe könnten schon keine Vorstufe des Verteidigungsfalls darstellen und somit auch nicht geeignet sein, den Spannungsfall zu begründen.595 Wenn aber der Spannungsfall bereits wegen einer anderen Bedrohungslage festgestellt worden ist, kann der Einsatz der Streitkräfte zum Schutz ziviler Objekte vor nicht-staatlichen Angriffen aus dem Luftraum durchaus auf Art. 87a Abs. 3 Satz 2 GG gestützt werden.596 Weiterhin spricht angesichts der oben beschriebenen Auslegung des Verteidigungsbegriffes im Sinne des Art. 87a Abs. 2 GG vieles dafür, dass die Feststellung des Spannungsfalls durch den Bundestag auch dann möglich ist, wenn es konkrete Hinweise auf massive und wiederholte Angriffe nicht-staatlicher Akteure gegen die Bundesrepublik Deutschland gibt, die einem mit Waffengewalt geführten Angriff gleichkommen. Auch in diesem Fall eines Einsatzes der Streitkräfte zur Verteidigung können – je nach Sachlage – Maßnahmen zur Erhöhung der Verteidigungsbereitschaft erforderlich sein, obwohl der Verteidigungsfall im Sinne des Art. 115a Abs. 1 GG möglicherweise nicht vorliegen wird. Für die Feststellung des Spannungsfalls kommt es daher nicht maßgeblich auf das spätere Vorliegen des Verteidigungsfalls an, sondern vielmehr darauf, dass eine erhöhte Gefahr durch Bedrohungen von außen gegeben ist, die einen Verteidigungseinsatz der Bundeswehr erforderlich machen könnte. Bezüglich der Feststellung kommt dem Bundestag ein Beurteilungsspielraum zu.597 Eine Missbrauchsgefahr besteht angesichts der erforderlichen qualifizierten Mehrheit von 2/3 der abgegebenen Stimmen nicht. b) Einsatz nach Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG Unstreitig stellt Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG eine ausdrückliche Zulassung für den Einsatz der Streitkräfte außerhalb des Verteidigungsauftrages dar.598 595 K. Paulke, 118; ähnlich auch P. Dreist, in: Blaschke u. a. (Hg.), Sicherheit statt Freiheit?, 77 (96). 596 Allerdings ist anzumerken, dass Art. 87a Abs. 3 Satz 2 GG lediglich die Zulassung für den Streitkräfteeinsatz gemäß Art. 87a Abs. 2 GG darstellt. Die Möglichkeit des Streitkräfteeinsatzes beantwortet noch nicht die Frage, auf welcher Rechtsgrundlage die Streitkräfte tätig werden dürfen und ob sie in die Rechte Unbeteiligter eingreifen dürfen. 597 K. O. Juschka, BWV 1970, 193 (194).

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Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG regelt den so genannten „inneren Notstand“ oder „politischen Notstand“ und weist dabei den Streitkräfte Befugnisse zur Gefahrenabwehr zu. aa) Einsatzvoraussetzungen Die Bundesregierung kann die Streitkräfte „[z]ur Abwehr einer drohenden Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes [. . .] zur Unterstützung der Polizei und des Bundesgrenzschutzes beim Schutze von zivilen Objekten und bei der Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer einsetzen“.599

Zusätzlich müssen die Voraussetzungen des Art. 91 Abs. 2 GG vorliegen, das heißt, das betroffene Land muss entweder nicht zur Gefahrenabwehr bereit sein oder nicht in der Lage sein, die Gefahr abzuwehren. Weiterhin kann auf die Streitkräfte erst dann zurückgegriffen werden, wenn die Polizeikräfte und die Bundespolizei zur Gefahrenabwehr nicht mehr ausreichen. Aus diesen Gründen ist der Streitkräfteeinsatz subsidiär und nur als ultima ratio zulässig.600 Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG begründet eine Bundeskompetenz. Den Ländern kommen entgegen C. Arndt601 keine Weisungsbefugnisse gegenüber den Streitkräften oder dem Bund zu.602 Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG ist einschränkend auszulegen und erfasst nicht die Abwehr von Gefahren, die von außen herrühren. Es muss sich vielmehr um Gefahren handeln, die ihren Ursprung innerhalb der Bundesrepublik haben.603 Dies erklärt, warum im Zusammenhang mit den Gewalttaten internationaler nicht-staatlicher Organisationen die Regelung des Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG als Grundlage für den Einsatz der Streitkräfte eher am Rande diskutiert wird.604 Dennoch ist, soweit die Voraussetzungen des Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG vor598

J.-P. Fiebig, 332 m.w. N. in Fn. 55. Vgl. zu den genannten Rechtsgütern im Einzelnen J.-P. Fiebig, 336 ff. 600 Maunz/Dürig-G. Dürig, Art. 87a Rdn. 88; Sachs-J. Kokott, Art. 87a Rdn. 46; M. Jahn, 163 m.w. N. in Fn. 165. 601 C. Arndt, DVBl. 1968, 729 (731). 602 K. Ipsen, DVBl. 1969, 396 (398). Dieses Ergebnis begründet K. Ipsen zu Recht mit einem Verweis auf Art. 91 Abs. 2 GG, dessen Voraussetzungen für einen Einsatz der Streitkräfte gemäß Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG vorliegen müssen. Art. 91 Abs. 2 GG ermöglicht es der Bundesregierung, die Polizei des betroffenen Landes ihren Weisungen zu unterstellen. Insofern wäre es widersinnig, wenn dann wiederum das betroffene Land gegenüber den Streitkräften weisungsbefugt wäre. 603 K. Paulke, 123 f.; E. Schunck, 53; P. Dreist, UBWV 2006, 93 (97); A. Musil/ S. Kirchner, Die Verwaltung 39 (2006), 373 (377); G. Krings/C. Burkiczak, DÖV 2002, 501 (511). 604 Vgl. M. Jahn, 171. 599

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liegen, ein Einsatz der Streitkräfte zur Gefahrenabwehr im Luftraum grundsätzlich verfassungsrechtlich zulässig. Diese Fälle werden jedoch von §§ 13 bis 15 LuftSiG nicht erfasst, da diese Vorschriften lediglich die Unterstützung der Länder bei der Gefahrenabwehr nach Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG regeln und daher keine Anwendung bei einem Einsatz der Streitkräfte gemäß Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG finden. Im Folgenden geht es um die Frage, ob erhebliche Luftzwischenfälle ausreichend sein können, um die in Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG geschützten Rechtsgüter zu gefährden.605 Dies wird überwiegend für den Fall eines entführten Zivilflugzeuges, das zum Absturz gebracht werden soll, abgelehnt.606 So führt zum Beispiel Giemulla aus, dass der internationale Terrorismus die gesamte westliche Welt „ins Visier genommen hat“ und dort Angst und Schrecken verbreite. Dies als Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung beziehungsweise für den Bestand des Bundes oder eines Landes zu sehen, gehe „jedenfalls zur Zeit sicherlich noch zu weit“.607 Fiebig meint in Bezug auf die Anschläge des 11. Septembers 2001: „Deshalb wäre ein Angriff nach dem Muster des New Yorker Angriffs auf das World Trade Center keine Gefahrensituation nach Art. 87a Abs. 4 GG.“608

Spranger lässt es dagegen ausreichen, dass es „Tausende von Toten“ geben könnte, um eine Gefahr für die freiheitlich demokratische Grundordnung anzunehmen.609 Auch Schenke meint, dass für die „Abwehr von terroristischen Angriffen aus dem Inneren, die nicht von außen gesteuert werden“, ein Rückgriff auf Art. 87a Abs. 4 GG möglich ist.610 Einigkeit besteht jedenfalls darüber, dass das Merkmal der freiheitlichen demokratischen Grundordnung, das auch in anderen Regelungen des Grundgesetzes zu finden ist,611 in Anlehnung an die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts612 zu bestimmen ist.613 Das Merkmal „Bestand des Bundes oder eines Landes“ setzt sich aus den drei Elementen Staatsgebiet, Staatsvolk und 605 Zurückhaltend P. J. Tettinger/W. Erbguth, Rdn. 654; C. Burkiczak, VR 2004, 379 (382); H. Sattler, NVwZ 2004, 1286 (1291); M. Fischer, JZ 2004, 376 (382 f.); P. Dreist, NZWehrr 2004, 89 (101); E. Schmidt-Jortzig, DÖV 2002, 773 (776); allerdings meint P. J. Tettinger, FS J. Kirchhoff, 2002, 281 (288), dass ein Einsatz zur „Abschirmung von Kernkraftwerken gegen Angriffe aus der Luft“ auf Grundlage von Art. 87a Abs. 4, 91 Abs. 2 GG möglich wäre. 606 K. Paulke, 125; J.-P. Fiebig, 390 ff.; P. Dreist, NZWehrr 2004, 89 (91 f.). 607 E. Giemulla, ZLW 2005, 32 (34). 608 J.-P. Fiebig, 391. 609 T. M. Spranger, NZWehrr 1999, 72 (73). 610 W.-R. Schenke, FG B. Hirsch, 2006, 75 (79). 611 Vgl. Art. 10 Abs. 2, Art. 11 Abs. 2, Art. 18, Art. 21 Abs. 2, Art. 91 Abs. 1 GG. 612 Vgl. BVerfGE 2, 1 (12 f.); 5, 85. 613 N. P. Kleiner, Aufgabe(n) und Befugnisse der Streitkräfte, 271 f. m.w. N.

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Staatsgewalt zusammen.614 Konkret sind die territoriale Integrität, die verfassungsmäßige Handlungsfähigkeit des Staates nach außen und nach innen und die staatlich zu gewährleistende Sicherheit der Bevölkerung einschließlich ihrer Existenzgrundlagen geschützt.615 Es erscheint glücklicherweise fernliegend, dass Angriffe inländischer Gruppierungen den Bestand der Bundesrepublik als Rechtssubjekt an sich in Frage stellen könnten.616 Diese Angriffe könnten jedoch eine erhebliche Anzahl von Menschenleben innerhalb der Bundesrepublik bedrohen. Zu klären ist daher, ob auch das Leben deutscher Staatsbürger unter den Schutzbereich des Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG zu subsumieren ist. (1) Ansatz von Fiebig Fiebig hat die durch Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG geschützten Rechtsgüter ausführlich untersucht.617 Er kommt zum Ergebnis, dass bei der Bedrohung des Lebens der Bevölkerung eine Gefahr für den Bestand des Bundes oder eines Landes erst bei der Wahrscheinlichkeit vorliegt, dass mindestens 50% der Gesamtbevölkerung des Bundes beziehungsweise des betroffenen Landes vernichtet werden.618 Auch bei der drohenden Tötung von 100.000 Menschen bei einer sportlichen Großveranstaltung sei daher keine ausreichende Gefahr gegeben.619 Fiebig lehnt einen Einsatz auf Grundlage des Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG selbst dann ab, wenn durch einen Flugzeugabsturz auf das Berliner Reichstagsgebäude die Gesamtheit der Mitglieder des Bundestages sowie die Mehrzahl der Mitglieder der Bundesregierung getötet werden würden, da der Bestand der Bundesrepublik durch die Tötung von Politikern und Amtsträgern, die jederzeit ersetzbar seien, nicht bedroht werde. Eine ausreichende Gefährdung liege erst vor, wenn dieser Angriff den Teil eines Gesamtangriffs darstellt.620

614

J.-P. Fiebig, 336 m.w. N. K. Stern, Staatsrecht, Band II, 1470 m.w. N.; Maunz/Dürig-G. Dürig, Art. 87a Rdn. 100. 616 Der Bestand des Bundes beziehungsweise eines Landes ist jedoch jedenfalls dann verletzt, wenn das Staatsvolk in seiner Gesamtheit vernichtet wird. 617 J.-P. Fiebig, 336. 618 J.-P. Fiebig, 386. Eine solche Bedrohungslage könnte nach Fiebig allenfalls durch einen Flugzeugabsturz auf ein Kernkraftwerk gegeben sein; gleichzeitig sei der Bestand des Bundes oder eines Landes auch dann bedroht, wenn mehr als 50% des jeweiligen Staatsgebietes dauerhaft verseucht sind. In diese Richtung bereits W. Speth, 188 f. 619 J.-P. Fiebig, 387, 390 f. 620 J.-P. Fiebig, 387, 391. 615

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3. Teil: Abwehr auf Grundlage des LuftSiG

(2) Eigene Ansicht Fiebig hat sicherlich Recht mit dem Argument, dass Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG im Gegensatz zur Regelung des Art. 48 Abs. 2 WRV, welche die Aktivierung der Notbefugnisse des Reichspräsidenten bereits bei einer „erheblichen Störung oder Gefährdung der öffentlichen Sicherheit“ vorsah, eine intensivere Gefahrensituation voraussetzt.621 Die Tötung von Einzelpersonen, mögen sie auch wichtige Entscheidungsträger sein, oder eine sporadische Begehung von Anschlägen mit einer geringen Intensität können daher einen Einsatz der Streitkräfte nach Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG noch nicht rechtfertigen. Weiterhin betont Fiebig zu Recht, dass die Gefahrensituation in Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG vor dem Hintergrund der weiterreichenden Befugnisse der Streitkräfte über einen besonders schweren Unglücksfall im Sinne von Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG hinausgehen muss.622 Das Erfordernis der Lebensbedrohung von mehr als 50% der Bevölkerung des Bundes oder eines Landes ist mit dem Charakter der Bundesrepublik als wehrhafte Demokratie jedoch nicht zu vereinbaren.623 Bereits das Aufstellen einer konkreten prozentualen Begrenzung erweckt Zweifel. Zwar mag es zutreffend sein, dass die Bundesrepublik auch bei einem Verlust von fast der Hälfte ihrer Bevölkerung weiterhin existieren könnte, dennoch würde der Staat hinsichtlich seiner Aufgabe, die Sicherheit seiner Bevölkerung zu gewährleisten, auf ganzer Linie versagen. Weiterhin ist zu beachten, dass gerade die Angriffe nicht-staatlicher Organisationen, auch wenn sie nicht Millionen Menschen das Leben kosten, durch die Verbreitung von Angst und dem permanenten Gefühl der Bedrohung zu einer Lähmung der Gesellschaft führen können.624 Naturgemäß ist es nicht möglich, einen festen Abgrenzungsmaßstab zu entwickeln, um die Gefahr hinsichtlich der Vernichtung des Staatsvolkes prozentual zu bestimmen. Es ist kaum vermittelbar – auch wenn Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG den Bestand eines einzelnen Bundeslandes schützt –, warum die Gefahr der Vernichtung von 40% der Gesamtbevölkerung nicht für eine Bedrohungslage nach Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG ausreichen soll, dafür aber die Gefahr der Vernichtung von 50% einer Stadtstaatbevölkerung.

621 J.-P. Fiebig, 350; ebenso M. Krenzler, 40; vgl. zu den Voraussetzungen des Art. 48 Abs. 2 WRV im Einzelnen L. Gebhard, Art. 48 Anm. 10b); C. Schmitt, VVDStRL 1 (1924), 63 (91 f.). 622 J.-P. Fiebig, 366. 623 Siehe zur verfassungsrechtlichen Grundentscheidung der wehrhaften Demokratie M. Thiel, in: Thiel (Hg.), Wehrhafte Demokratie, 1 ff. 624 M. Kötter, Der Staat 43 (2004), 373 ff.; vgl. auch H. Münkler, PVS 2001, 581 (588). US-amerikanische Untersuchungen haben zum Beispiel ergeben, dass die Selbstmordrate in den Vereinigten Staaten nach dem 11. September 2001 signifikant gestiegen ist, vgl. G. Prins, Cornell International Law Journal 35 (2002), 611 (612).

C. Verfassungsmäßigkeit der §§ 13 bis 15 LuftSiG

269

Auch Fiebigs Auffassung, dass die Ausschaltung des obersten Legislativ- und des obersten Exekutivorgans des Bundes nicht zu einer Gefährdung des Bestandes des Bundes führen soll, ist nicht haltbar. Obwohl die Amtsträgereigenschaft innerhalb eines demokratischen Systems nicht an Personen gebunden ist, so würde doch die Handlungsfähigkeit der Bundesrepublik durch die Vernichtung des Bundestages und der Bundesregierung grundlegend beeinträchtigt werden, auch wenn die Handlungsfähigkeit nach Neuwahlen wieder hergestellt werden könnte. Auch das Demokratieprinzip spricht dagegen, die Tötung sämtlicher gewählter Volksvertreter des Bundes nicht als Gefahr für dessen Bestand anzusehen. Trotz der Unsicherheiten, die bei einem Angriff auf die Bevölkerung und der damit verbundenen Bedrohung der Existenz des Bundes oder eines Landes bestehen, kann bei einem Angriff, der in massiver Weise auf Lebensvernichtung abzielt, im Übrigen auch das Schutzgut der freiheitlich demokratischen Grundordnung betroffen sein. Zu den Gewährleistungen der freiheitlich demokratischen Grundordnung gehört auch die Achtung der im Grundgesetz konkretisierten Menschenrechte, vor allem die Achtung der Menschenwürde und des Grundrechts auf Leben.625 Bei einer massiven Verletzung dieses Achtungsanspruches durch die Tötung von Tausenden von Menschen bei einem gleichzeitigen Untätigbleiben des Staates spricht viel für eine Verletzung der freiheitlich demokratischen Grundordnung. Eine präzise Festlegung einer Untergrenze ist nicht möglich. Jedenfalls reicht aber eine Tötung oder die Bedrohung des Lebens von über 3000 Menschen wie am 11. September 2001. Daher ist Sprangers Aussage zuzustimmen, dass eine Bedrohung des Lebens von Tausenden von Menschen ausreichend für den Einsatz der Streitkräfte nach Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG ist.626 Hierfür spricht auch, dass Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG keine Gefahr für den Bestand der freiheitlich demokratischen Grundordnung voraussetzt. Es ist also nicht erforderlich, dass diese Grundordnung durch einen Angriff insgesamt beseitigt werden könnte. Ausreichend ist, dass der Angriff sich in massiver Weise gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung richtet. Dies ist bei einer gezielten Tötung von unschuldigen Menschen zur Durchsetzung von politischen Forderungen oder zur Einschüchterung und Verunsicherung der Bevölkerung durchaus der Fall.

625 626

BVerfGE 2, 1 (12 ff.); 5, 85 (140). T. M. Spranger, NZWehrr 1999, 72 (73).

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3. Teil: Abwehr auf Grundlage des LuftSiG

bb) Rechtsfolge Liegen die Voraussetzungen des Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG vor, so können die Streitkräfte zum Schutz ziviler Objekte und zur Bekämpfung von organisierten und militärisch bewaffneten Aufständischen eingesetzt werden.627 (1) Begriff der „Aufständischen“ Fraglich ist zunächst, ob die Angehörigen einer nicht-staatlichen Organisation dem Begriff „Aufständischen“ zugeordnet werden können.628 In einem zweiten Schritt ist sodann zu prüfen, ob eine bestimmte Mindestanzahl an „Aufständischen“ vorauszusetzen ist. Baldus meint, dass terroristische Gruppierungen regelmäßig nicht unter den Begriff der „organisiert und militärisch bewaffneten Aufständischen“ subsumiert werden könnten.629 Dagegen vertritt Laschewski zu Recht – allerdings ohne sich mit der quantitativen Frage auseinanderzusetzen –, dass „moderne Terrorgruppen“, die straff organisiert sind und eine professionelle Führungsriege besitzen, als organisierte Aufständische zu bewerten sind.630 Auch Hernekamp schließt nicht aus, dass Angehörige von „Terror-Organisationen“ bei Vorliegen des in Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG vorausgesetzten Bedrohungspotentials Aufständische sein können.631 Sinn und Zweck der Vorschrift des inneren Notstandes ist in erster Linie die Verteidigung der in Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG genannten Rechtsgüter. Gegen wen diese Rechtsgüter verteidigt werden, ist zweitrangig. Weiterhin wäre es nicht sachgerecht, nicht-staatliche Angreifer im Vergleich zu putschenden Militäreinheiten besser zu stellen, indem man eine Abwehrmöglichkeit auf Grundlage des Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG ablehnt. Offen ist weiterhin, wie das quantitative Moment der Angreifer zu bewerten ist.632 Jedenfalls ist die Aussage Keidels, die Zahl der Aufständischen müsse 627

Zusätzlich müssen die Voraussetzungen des Art. 91 Abs. 2 GG erfüllt sein. Bereits vor dem Hintergrund der terroristischen Aktivitäten in den 1960/70er Jahren stellte sich die Frage, ob die Bundeswehr auf Grundlage des Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG zur Bekämpfung des organisierten Linksterrorismus eingesetzt werden durfte. So forderte H. H. Klein im Jahr 1979 eine Erweiterung der Einsatzmöglichkeiten der Bundeswehr nach Art. 87a Abs. 4 GG, vgl. H. H. Klein, VVDStRL 37 (1979), 53 (104). 629 v. Mangoldt/Klein/Starck-M. Baldus, Art. 87a Abs. 4 Rdn. 117; ähnlich auch R. C. van Ooyen, Internationale Politik und Gesellschaft 1/2002, http://fesportal.fes.de/ pls/portal30/docs/FOLDER/IPG/IPG1_2002/ARTOOYEN.HTM. 630 G. Laschewski, 81. 631 v. Münch/Kunig-K.-A. Hernekamp, Art. 87a Rdn. 41. 632 Vgl. M. Jahn, 167: „Kann man aber den Kampf der sechs gegen 60 Millionen mit der klassischen Bürgerkriegssituation in Weimar vergleichen?“ 628

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„in die Zehntausende gehen“,633 weder mit dem Wortlaut noch mit dem Sinn und Zweck des Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG, die Polizeikräfte in besonderen Gefährdungslagen durch die Bundeswehr zu unterstützen, zu vereinbaren.634 In der jüngeren Vergangenheit hat Spranger635 die Möglichkeit eines Einsatzes der Streitkräfte nach Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG im Zusammenhang mit den Aktivitäten der kurdischen PKK unmittelbar nach der Festnahme ihres Anführers Öcalan bejaht.636 M. Jahn stimmt Spranger mit der Begründung zu, auch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte637 habe im Zusammenhang mit den Ausschreitungen der PKK in der Türkei die Voraussetzungen der Derogationsklausel in Art. 15 EMRK als erfüllt angesehen.638 Dem ist jedoch entgegenzuhalten, dass die Tatbestandsmerkmale des Art. 15 Abs. 1 EMRK nicht ohne weiteres auf Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG übertragen werden können. Dies folgt bereits aus dem unterschiedlichen Regelungszweck der Vorschriften: Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG ermöglicht den Einsatz der Streitkräfte bei außergewöhnlichen Notlagen, Art. 15 EMRK erlaubt dagegen Grundrechtseinschränkungen im Fall eines öffentlichen Notstandes. Zudem enthält Art. 15 EMRK keine Konkretisierung des Angriffssubjekts, um das es hier gerade geht. Die Formulierung „organisiert und militärisch bewaffnet“ deutet eher in die Richtung einer qualitativen anstatt einer quantitativen Bestimmung des Angriffssubjekts,639 wobei eine Bekämpfung von Einzelpersonen ausgeschlossen ist.640 So ist denkbar, dass bereits einige hundert organisierte und militärisch bewaffnete Personen, die im Untergrund operieren, ein ausreichendes Gefährdungspotential für die in Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG genannten Rechtsgüter verursachen. Eine solche Auslegung widerspricht auch nicht dem Ausdrücklichkeitsvorbehalt gemäß Art. 87a Abs. 2 GG, da Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG den Begriff „Aufständische“ hinsichtlich seiner quantitativen Voraussetzungen nicht spezifiziert. Im Ergebnis ist daher festzuhalten, dass ein Einsatz der Streitkräfte nach Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG nicht nur gegen eine Massenbewegung zulässig ist, 633

D. Keidel, 65. Ebenso M. Jahn, 167. 635 T. M. Spranger, NZWehrr 1999, 72 (73 f.). 636 Vgl. die Äußerungen des Öcalan-Vertrauten Ali Ghasi, Spiegel vom 22. Februar 1999, 32 f., der von der Möglichkeit von „Tausenden von Toten“ in der Bundesrepublik spricht, da aufgebrachte Kurden zu Selbstmordanschlägen fähig seien. 637 Vgl. EGMR, Slg. 1996-VI, S. 2276 Nr. 53 und 54 – Aksoy/Türkei. 638 M. Jahn, 168. 639 In diese Richtung auch E. Klein, HdBStR, Band VII, § 169 Rdn. 40; K. Doehring, ZRP 1978, 25; M. Jahn, 171, wendet die „Je-Desto-Formel“ mit der Folge an, dass bei „einem gesteigerten Ausmaß der Gefahr für das Schutzgut gleichzeitig die Anforderungen an die Zahl der ,Aufständischen‘ sinken“. 640 M. Jahn, 168. 634

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3. Teil: Abwehr auf Grundlage des LuftSiG

sondern auch zur Abwehr einer nicht-staatlichen Gruppierung, die eine gewisse Größe erreicht. Als Anhaltspunkt kann dabei auf Jahn zurückgegriffen werden, der eine „absolute Untergrenze [. . .] im Bereich von ungefähr zwanzig Personen“ ansetzt.641 (2) Militärische Bewaffnung Streitig ist weiterhin, wie das Merkmal der „militärischen Bewaffnung“ zu definieren ist. In der Vergangenheit ging es dabei vornehmlich um die Frage, ob die Aufständischen über Waffen, die exklusiv der Bundeswehr vorbehalten sind (zum Beispiel Panzer und Artilleriegeschütze), verfügen müssen642 oder ob es ausreicht, dass sie mit Schusswaffen und Explosivmitteln ausgerüstet sind, über die zumindest ausnahmsweise auch die Polizeikräfte verfügen können.643 Für den Bereich der Abwehr von Gefahren aus dem Luftraum kann der Streit offen bleiben. Eine militärische Bewaffnung ist jedenfalls zu bejahen, wenn Raketen oder Kampfflugzeuge als Angriffsmittel eingesetzt werden.644 Weniger deutlich ist dagegen, ob der Missbrauch eines zivilen Luftfahrzeuges als Waffe als militärische Bewaffnung angesehen werden kann. Stellte man auf eine formale Betrachtung ab, etwa derart, dass es sich um in der Kriegswaffenliste genannte Waffen handeln müsste,645 würde eine militärische Bewaffnung nicht vorliegen. Allerdings wurde im Zusammenhang mit dem völkerrechtlichen Selbstverteidigungsrecht dargestellt, dass auch ein Anschlag mittels eines zivilen Luftfahrzeuges einen „bewaffneten Angriff“ im Sinne des Art. 51 UNCharta darstellen kann.646 Es muss daher darauf ankommen, dass die eingesetzten Mittel einer Kriegsfolge gleichkommen und dadurch „Waffengleichheit“647 zwischen dem Arsenal der Aufständischen und dem der Streitkräfte besteht.648 Im Ergebnis kann daher auch der Missbrauch eines Luftfahrzeuges ausreichend dafür sein, um eine militärische Bewaffnung im Sinne des Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG zu bejahen.

641 642

M. Jahn, 172. In diese Richtung M. Jahn, 174; M. Trotter, 90; C. Arndt, DVBl. 1968, 729

(732). 643 Maunz/Dürig-G. Dürig, Art. 87a Rdn. 122; K. Stern, Staatsrecht, Band II, 1485; G. Laschewski, 80; P. Karpinski, 41; H. M. Parche, 163; N. P. Kleiner, Aufgabe(n) und Befugnisse der Streitkräfte, 302; K. Ipsen, DVBl. 1969, 396 (398 f.). 644 A. A. P. Wilkesmann, NVwZ 2002, 1316 (1321), der einen Einsatz auf Grundlage von Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG ohne nähere Begründung gänzlich ablehnt. 645 M. Jahn, 174 m.w. N. in Fn. 201. 646 Siehe oben 2. Teil B. IV. 2. 647 v. Münch/Kunig-K.-A. Hernekamp, Art. 87a Rdn. 43; G. Laschewski, 80. 648 So auch M. Jahn, 175, der aber grundsätzlich eine formale Betrachtung bejaht; K. Paulke, 123.

C. Verfassungsmäßigkeit der §§ 13 bis 15 LuftSiG

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cc) Ergebnis Ein Einsatz der Bundeswehr auf Grundlage des Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG zur Bekämpfung von Angriffen aus dem Luftraum ist verfassungsrechtlich zulässig, soweit ein entsprechendes Gefährdungspotential erreicht wird. Bei Angriffen, die von außen gegen die Bundesrepublik gerichtet sind, ist Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG jedoch nicht anwendbar. c) Analoge Anwendung von Art. 87a Abs. 4, 91 Abs. 2 Satz 1, 2. Alt., Satz 3 GG Hochhuth will darüber hinaus die Vorschriften in Art. 87a Abs. 4, 91 Abs. 2 Satz 1, 2. Alternative, Satz 3 GG analog anwenden, um einen Streitkräfteeinsatz außerhalb des Verteidigungsauftrages zu ermöglichen.649 Im Wege dieser Analogiebildung könne darüber weggesehen werden, dass die Voraussetzungen des Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG, die „drohende Gefahr für den Bestand oder freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes“, bei einem terroristischen Angriff mittels eines entführten Flugzeuges nicht vorliegen würden. Eine vergleichbare Interessenlage sei jedenfalls bei der Tötung „von Zehntausenden oder vielleicht sogar Hunderttausenden von Inlandsbewohnern“ oder der „Verseuchung großer Flächen des Staatsgebietes“ gegeben.650 Zweifelhaft ist bereits, ob überhaupt eine Gesetzeslücke vorliegt, denn theoretisch können auch die Polizeikräfte des Bundes und der Länder die Abwehr von Gefahren aus dem Luftraum als eigene Aufgabe wahrnehmen, auch wenn sie dazu aus tatsächlichen Gründen nicht in der Lage sind. Die Lücke liegt daher nicht im Gesetz, sondern in den tatsächlichen Gegebenheiten. Eine Analogiebildung, die einen Einsatz der Streitkräfte außerhalb des Verteidigungsauftrages legitimieren will, würde weiterhin dem „Gebot strikter Texttreue“651 widersprechen und somit die Begrenzungsfunktion des Art. 87a Abs. 2 GG unterlaufen. Daher ist dieser Ansatz abzulehnen.652 d) Einsatz auf Grundlage von Art. 73 Nr. 6, 87d GG? Art. 87d GG regelt in Abs. 1, dass die Luftverkehrsverwaltung in bundeseigener Verwaltung geführt wird, wobei nach Abs. 2 auch den Ländern durch zu649 M. Hochhuth, NZWehrr 2002, 154 (160 f.). Hochhuth nennt in Fn. 24 weiterhin am Rande auch die Möglichkeit einer Analogie zu Art. 87a Abs. 3 GG, welche aber eine „etwas umwegigere Konstruktion“ darstelle. 650 M. Hochhuth, NZWehrr 2002, 154 (160). 651 BVerfGE 90, 286 (357). 652 So auch K. Paulke, 126; J. Martínez Soria, DVBl. 2004, 597 (599).

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3. Teil: Abwehr auf Grundlage des LuftSiG

stimmungsbedürftiges Gesetz Aufgaben der Luftverkehrsverwaltung als Auftragsverwaltung übertragen werden können. Der Begriff Luftverkehrsverwaltung ist dabei weit zu verstehen und umfasst auch luftpolizeiliche Aufgaben.653 Art. 73 Nr. 6 GG regelt die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz des Bundes für den Bereich des Luftverkehrs. Als erster hat Gramm einen Einsatz auf Grundlage von Art. 73 Nr. 6, 87d GG angedacht, aber auch gleichzeitig zu Recht ausgeführt, dass durch das Bestehen einer Gesetzgebungs- und Verwaltungskompetenz des Bundes noch keine Aufgabenzuweisung an die Streitkräfte begründet werden kann.654 Im Folgenden erwägt Gramm, ob angesichts der faktischen Monopolstellung der Streitkräfte bezüglich der Fähigkeit zur effektiven Wahrnehmung der Abwehr von Gefahren im Luftraum die benötigten Luftwaffeneinheiten nicht als Streitkräfte, sondern als eine „Sonderpolizei Luft“ tätig werden dürften.655 Dazu wäre erforderlich, dass die entsprechenden Bundeswehreinheiten für die Dauer des Einsatzes nicht mehr der Befehls- und Kommandogewalt des Bundesministers der Verteidigung unterstehen, sondern den zuständigen (Bundes-)Polizeibehörden unterstellt werden. In diesem Fall sei kein Einsatz der Streitkräfte mehr gegeben, sondern nur ein Handeln der Gefahrenabwehrbehörden, die sich der Streitkräfte als ausführendes Organ bedienen.656 Dem ist entgegenzuhalten, dass Art. 87d GG kaum als ausdrückliche Zulassung für einen Einsatz der Streitkräfte zu verstehen ist. Eine solche Auslegung käme einer schleichenden Aufgabenerweiterung „aus der Natur der Sache“ gleich und ist daher abzulehnen.657 Auch eine kurzfristige Herauslösung der Soldaten aus den militärischen Weisungsverhältnissen kann keine andere Bewertung rechtfertigen. Etwas anderes wäre allenfalls denkbar, wenn Soldaten im statusrechtlichen Sinne dauerhaft aus der militärischen Führungs- und Organisationsstruktur ausgegliedert und in polizeiliche Strukturen eingegliedert werden. Eine kurzfristige ad hoc Ausgliederung ist mit der Begrenzungsfunktion des Art. 87a Abs. 2 GG nicht vereinbar, da es ansonsten möglich wäre, Einheiten der Bundeswehr durch eine kurzfristige Abordnung von Soldaten an die Polizeikräfte einzusetzen und damit die wehrverfassungsrechtlichen Vorschriften für den Streitkräfteeinsatz zu umgehen.658

653

Siehe oben 3. Teil C. I. 1. a). C. Gramm, NZWehrr 2003, 89 (96 f.). 655 C. Gramm, NZWehrr 2003, 89 (97). 656 C. Gramm, NZWehrr 2003, 89 (97), stellt jedoch auch selbst fest, dass der von ihm angedachte Lösungsweg wegen des Ausdrücklichkeitsvorbehalts des Art. 87a Abs. 2 GG keine Rechtssicherheit bieten würde. 657 P. Dreist, NZWehrr 2004, 89 (106). 658 Siehe bereits oben 2. Teil C. II. 654

C. Verfassungsmäßigkeit der §§ 13 bis 15 LuftSiG

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e) Ungeschriebenes Notrecht als Grundlage Im Rahmen dieser Untersuchung kann und soll der Frage, ob der Staat sich in Gefahrensituationen auf ein über(grund-)gesetzliches Notrecht berufen kann,659 nicht ausführlich nachgegangen werden. Dennoch wird im Folgenden kurz untersucht, ob ein Einsatz der Streitkräfte außerhalb des Verteidigungsauftrages auf Grundlage eines staatlichen Notrechts legitimiert werden kann. Die Literatur beruft sich teilweise auf ein ungeschriebenes Notrecht, um einen Einsatz der Streitkräfte zur Abwehr von außergewöhnlichen Gefahren im Luftraum verfassungsrechtlich zu rechtfertigen. So will H. A. Wolff ein ungeschriebenes Staatsnotrecht beziehungsweise strafrechtliche Rechtfertigungsgründe heranziehen, um die Aufgaben der Bundeswehr außerhalb des Verteidigungsauftrages zu erweitern.660 Konkret sollen so Einsätze gerechtfertigt werden, in denen „klar ist, dass der Grund, weshalb formal gesehen ein Verbot vorliegt, nicht gerade auf die Situation zugeschnitten ist, um die es geht“.661 Auch Wilkesmann meint, die „Einheit der Verfassung“ verpflichte den Staat dazu, seine Bürger und seine freiheitliche Verfassung gegen terroristische Angriffe zu schützen. Rechtsgrundlage für das „staatliche Notwehrrecht“ sei § 34 StGB, der innerhalb der gesamten Rechtsordnung gelte.662 Den Gedanken einer Schutzpflicht betont auch Blumenwitz und meint, der Einsatz der Streitkräfte sei nach allgemeinen Rechtsgrundsätzen geboten, wenn die spezifischen Fähigkeiten der Streitkräfte zum Schutz vor Gefahren erforderlich sind. Ein solcher Einsatz werde auch nicht durch Art. 87a Abs. 2 GG ausgeschlossen.663 Das Bundesministerium des Innern hat nach dem Frankfurter Luftzwischenfall vom 5. Januar 2003 vertreten, ein Abschuss durch die Luftwaffe wäre durch die Rechtsfigur des „übergesetzlichen Notstands“ gedeckt gewesen.664 659 Ablehnend zum Beispiel H. Kelsen, Allgemeine Staatslehre, 157; E.-W. Böckenförde, FS M. Hirsch, 1981, 259 (263); E. Denninger, VVDStRL 37 (1979), 7 (51); C. Arndt, NJW 1961, 897 (899). Bejahend zum Beispiel K. Stern, Staatsrecht, Band II, 1334 ff.; J. Isensee, HdBStR, Band VII, § 162 Rdn. 96 f.; Frhr. v. d. Heydte, FS Laforet, 1952, 59 ff., der unter Berufung auf E. Kaufmann eine verfassungsrechtliche „clausula rebus sic stantibus“ entwickelt; aus jüngster Zeit K. Schmalenbach, NVwZ 2005, 1357 (1360). 660 H. A. Wolff, ThürVBl. 2003, 176 (177); vgl. R. Bernhardt, DÖV 1977, 457 (458), der bereits im Jahr 1977 die Anwendung von ungeschriebenen Notstandsbefugnissen bei „grenzüberschreitenden Sachverhalten, etwa bei Einwirkungen des internationalen Terrorismus“, angedacht hat. 661 H. A. Wolff, ThürVBl. 2003, 176 (177). 662 P. Wilkesmann, NVwZ 2002, 1316 (1322). 663 D. Blumenwitz, NZWehrr 1988, 133 (144). Blumenwitz beschäftigt sich allerdings in dieser Veröffentlichung schwerpunktmäßig mit dem „nach außen wirkende[n] Einsatz“ der Streitkräfte. 664 Vgl. die Äußerungen des Sprechers des Bundesministeriums des Innern bei M. Fischer, JZ 2004, 376 (383); diese Konstruktion befürwortet auch P. J. Tettinger, Stellungnahme, 4.

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3. Teil: Abwehr auf Grundlage des LuftSiG

Auch der damalige Bundesminister der Verteidigung Peter Struck hat bei einer Ansprache am 22. Oktober 2003 anlässlich eines Besuches im „Nationalen Lage- und Führungszentrum – Sicherheit im Luftraum“ in Kalkar vertreten, der Abschuss eines Verkehrsflugzeuges sei durch ein „staatliches Notrecht“ ohne weitere gesetzliche Grundlage im Rahmen der Unterstützung der Polizeikräfte der Länder legitimiert, um einen besonders schweren Unglücksfall zu verhindern. Zuständig für die Anordnung eines solchen Einsatzes sei der Bundesminister der Verteidigung beziehungsweise ein Vertreter aus dem Bundeskabinett.665 Ähnlich hat sich der Bundesminister der Verteidigung Franz Josef Jung nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu § 14 Abs. 3 LuftSiG in Bezug auf den Abschuss eines Luftfahrzeuges, in dem sich keine Unbeteiligten befinden, geäußert. Jung wörtlich: „Wenn eine Notlage besteht, kann und werde ich handeln.“666

Diese Aussagen beziehen sich möglicherweise nicht nur auf eine etwaige strafrechtliche Rechtfertigung der Befehlsgeber und der handelnden Soldaten, sondern auch auf die verfassungsrechtliche Zulässigkeit des Streitkräfteeinsatzes. Ungeachtet dessen, ob ein solches überverfassungsrechtliches Notrecht anzuerkennen ist, darf nicht übersehen werden, dass dieses nur in besonders gelagerten Ausnahmefällen Anwendung finden könnte, die sich jenseits aller denkbaren Fallgestaltungen bewegen.667 Die Bedrohung durch nicht-staatliche Angriffe aus dem Luftraum müsste aber selbst in der Bundesrepublik hinreichend bekannt sein. Dies zeigt bereits der Vorfall während der Olympischen Spiele 1972.668 Auch die Vorgehensweise, dass nicht-staatliche Angreifer durch die Verwendung von Luftfahrzeugen als Waffe Selbstmordattentate begehen, ist nicht so neu, wie es nach dem 11. September 2001 immer wieder behauptet worden ist.669 Auch wenn diese Vorfälle in Vergessenheit geraten sein mögen, so kann spätestens nach den Erfahrungen vom 11. September 2001 von einem außergewöhnlichen Extremfall keine Rede mehr sein.670 Ein leichtfertiges oder gar bewusstes Untätigbleiben des Gesetzgebers im Hinblick auf die Bedrohungen aus dem Luftraum kann zu keinem anderen Er665 Rede am 22. Oktober 2003, abrufbar unter www.bmvg.de . 666 Der Tagesspiegel vom 18. Februar 2006, 4; kritisch hierzu W.-R. Schenke, NJW 2006, 737 (739). 667 K. Stern, Staatsrecht, Band II, 1336; P. Dreist, NZWehrr 2004, 89 (107); C. Gramm, NZWehrr 2003, 89 (98). 668 Vgl. G. Leber, Vom Frieden, 227 ff. 669 Siehe J. Croitoru, 52, der auf einen selbstmörderischen Angriff mittels eines Privatflugzeuges in Japan im Jahr 1976 hinweist. 670 So auch P. Dreist, NZWehrr 2004, 89 (107).

C. Verfassungsmäßigkeit der §§ 13 bis 15 LuftSiG

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gebnis führen. Zulegg hat bereits im Jahr 1975 eine Verfassungsänderung gefordert, um den Einsatz der Luftstreitkräfte außerhalb des Verteidigungsauftrages zu legitimieren und gleichzeitig auch gefordert, ein Ausführungsgesetz für die Gewaltanwendung zu schaffen.671 Diese sinnvolle Forderung wurde seitens des Gesetzgebers jedoch nicht aufgegriffen. Es kann nicht angehen, durch eine so genannte mutige Auslegung grundlegende Verfassungsprinzipien zu verbiegen, nur um so ein gesetzgeberisches Untätigbleiben zu korrigieren.672 Weiterhin wäre die Anerkennung der Zulässigkeit eines Einsatzes der Streitkräfte auf Grundlage eines ungeschriebenen Notrechts des Staates nicht mit der Begrenzungsfunktion des Art. 87a Abs. 2 GG zu vereinbaren. Eine solche Konstruktion würde dazu führen, dass die Zulässigkeit eines Einsatzes der Streitkräfte aus ungeschriebenen Grundsätzen abgeleitet wird. Gerade diese Möglichkeit soll aber durch den Ausdrücklichkeitsvorbehalt des Art. 87a Abs. 2 GG verhindert werden. Die Berufung auf ein ungeschriebenes Notrecht des Staates oder auf die Grundsätze eines übergesetzlichen Notstandes ist mit dem „Gebot strikter Texttreue“ nicht zu vereinbaren und daher jedenfalls im Rahmen der Beurteilung der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit des Streitkräfteeinsatzes außerhalb des Verteidigungsauftrages abzulehnen.673

III. Zusammenfassende Thesen zur Verfassungsmäßigkeit des LuftSiG 1. Der Bund hat die ausschließliche Gesetzgebungskompetenz für die Regelungen der §§ 13 bis 15 LuftSiG gemäß Art. 73 Nr. 1 GG. Ob diese Regelungen mit den wehrverfassungsrechtlichen Vorschriften des Grundgesetzes vereinbar sind, ist eine materiell-verfassungsrechtliche Frage. 2. Das LuftSiG ist ein zustimmungsbedürftiges Gesetz. Da der Bundesrat die erforderliche Zustimmung ausdrücklich verweigert hat, sind sämtliche Vorschriften des LuftSiG formell verfassungswidrig. 3. Ein Einsatz der Streitkräfte außerhalb des Verteidigungsauftrages kann – jedenfalls innerhalb der Bundesrepublik – nicht auf die allgemeine Amtshilferegelung in Art. 35 Abs. 1 GG gestützt werden.

671

Zulegg, ZLW 1975, 189 (201). Vgl. B. Walter, NZWehrr 2006, 70 (84): „Im Verfassungsstaat darf nie die Situation eintreten, dass in Ausnahmelagen der Einsatz einer generell geeigneten Organisation aufgrund der Rechtsordnung nicht möglich ist, weil die entsprechende gesetzliche Vorsorge nicht getroffen wurde, und erforderliche Maßnahmen dann mit ,übergesetzlicher Notstand‘ oder gar ,Not kennt kein Gebot‘ begründet werden.“ 673 Ebenso G. Laschewski, 104; M. Jahn, 176; M. Baldus, Stellungnahme, 15; V. Epping, NZWehrr 1993, 103 (112); K. Amelung, NJW 1977, 833 (838). 672

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3. Teil: Abwehr auf Grundlage des LuftSiG

4. Im Katastrophennotstand nach Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG können die Streitkräfte auch zur Abwehr eines unmittelbar drohenden besonders schweren Unglücksfalls eingesetzt werden. Dabei dürfen die Streitkräfte jedoch nur polizeiliche Mittel anwenden. Eine spezifisch militärische Gewaltanwendung, wie sie in § 14 Abs. 3 LuftSiG vorgesehen war, ist mit Art. 87a Abs. 2 GG nicht vereinbar. 5. Die Entscheidungsbefugnis für einen Einsatz der Streitkräfte nach Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG liegt grundsätzlich bei der Bundesregierung als Kollegialorgan. In Ausnahmefällen ist jedoch eine Eilentscheidung des Bundesministers der Verteidigung verfassungsrechtlich zulässig, soweit die grundsätzliche Entscheidungskompetenz der Bundesregierung gewährleistet bleibt. Die Zustimmung des Bundestages ist nicht erforderlich. 6. Ein Einsatz der Streitkräfte auf Grundlage der §§ 13 bis 15 LuftSiG kann weder auf die ausdrücklichen Zulassungen eines Streitkräfteeinsatzes nach Art. 87a Abs. 3 oder Abs. 4 Satz 1 GG noch auf überpositive Notrechte gestützt werden. 7. Allerdings können die Regelungen in Art. 87a Abs. 3 Satz 1 GG und Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG, soweit die entsprechenden Voraussetzungen vorliegen, eine ausdrückliche verfassungsrechtliche Zulassung für den Einsatz der Streitkräfte zur Gefahrenabwehr im Luftraum außerhalb des Verteidigungsauftrages darstellen.

D. Grundrechtliche Probleme Die vorstehenden Ausführungen haben gezeigt, dass das LuftSiG formell verfassungswidrig ist und dass die Regelungen über den Einsatz der Streitkräfte in §§ 13 bis 15 LuftSiG nur teilweise mit materiellem Wehrverfassungsrecht vereinbar sind. Diese verfassungsrechtlichen Probleme ließen sich durch eine Grundgesetzänderung und ein entsprechendes Ausführungsgesetz beseitigen,674 auch wenn dazu in der Vergangenheit politischer Wille und Mut gefehlt haben.675 Nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu § 14 Abs. 3 LuftSiG äußerten sich jedoch Politiker der Regierungskoalition positiv zu einer Grundgesetzänderung.676 Allerdings ist zu beobachten, dass aus Reihen der SPD trotz 674 Vgl. ausführlich zu Lösungsvorschlägen hinsichtlich einer Verfassungsänderung K. Paulke, 323 ff. 675 So auch C. Gramm, NZWehrr 2005, 133 (155 Fn. 52), der die zahlreichen Vorstöße zur Änderung des Grundgesetzes aufführt. 676 Vgl. die Ausführungen der Bundesministerin der Justiz B. Zypries, FR vom 16. Februar 2006, 8. Zypries hält im Bereich der Luft- und Seesicherheit eine „klarstellende Änderung des Grundgesetzes in engen Grenzen“ für möglich. Siehe auch BMVg, Weißbuch 2006, 71.

D. Grundrechtliche Probleme

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einer entsprechenden Vereinbarung im Koalitionsvertrag677 verstärkt Widerstand gegen eine Verfassungsänderung zur Erweiterung der Aufgaben der Streitkräfte außerhalb des Verteidigungsauftrages geleistet wird,678 so dass zum jetzigen Zeitpunkt noch keine Prognose gewagt werden kann, ob es eine Grundgesetzänderung geben und wie diese gegebenenfalls inhaltlich ausgestaltet sein wird.679 Neben die wehrverfassungsrechtlichen Aspekte tritt die grundrechtliche Problematik der Tötung von Unbeteiligten, wie sie gemäß § 14 Abs. 3 LuftSiG vorgesehen war.680 Dieser Bereich würde sich wegen der Ewigkeitsgarantie des Art. 79 Abs. 3 GG eines gesetzgeberischen Handelns entziehen,681 wenn der Schutz der Menschenwürde gemäß Art. 1 Abs. 1 GG eine Tötung von Personen, die nicht für eine Gefahr verantwortlich sind, schlechthin unter allen denkbaren Umständen verbieten würde.682 Im Folgenden wird zunächst der Meinungsstand in der Literatur vor dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu § 14 Abs. 3 LuftSiG resümiert und im Anschluss die Urteilsbegründung dargestellt und einer kritischen Betrachtung unterzogen. Anders als im Urteil des Bundesverfassungsgerichts wird zunächst ein Verstoß gegen Art. 1 Abs. 1 GG geprüft und sodann auf Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG eingegangen, denn die überwiegende Auffassung in der Literatur683 wendet sich 677 In der Koalitionsvereinbarung zwischen CDU/CSU und SPD vom 18. November 2005 heißt es auf Seite 154: „Gerade im Hinblick auf asymmetrische Formen der Bedrohung, die insbesondere aus terroristischen Aktivitäten bestehen, ist die äußere von der inneren Sicherheit nicht mehr trennscharf zu unterscheiden. Soweit für besondere Gefährdungen der Sicherheit unseres Landes gesetzlicher und verfassungsmäßiger Regelungsbedarf besteht, wird die Bundesregierung Initiativen vorlegen.“ 678 Vgl. http://www.netzeitung.de/spezial/kampfgegenterror/399417.html. 679 Vgl. den Vorschlag zur Änderung des Art. 35 GG von D. Wiefelspütz, ZRP 2007, 17 ff. 680 Siehe oben 3. Teil B. II. 2. c). 681 Vgl. K. Fehn/M. Brauns, 71. 682 Darüber hinaus stellt sich die – hier nicht weiter zu behandelnde – Frage, ob der Gesetzgeber an normverwerfende Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts gebunden ist oder ob er das Recht hat, inhaltlich identische Regelungen neu zu erlassen; vgl. BVerfGE 1, 14 (36 f.); 69, 112 (115 ff.); 77, 84 (103 f.); 96, 260; U. Kischel, AöR 131 (2006), 219 ff.; S. Korioth, Der Staat 30 (1991), 549 ff. 683 Maunz/Dürig-M. Herdegen, Art. 1 Abs. 1 Rdn. 23, meint, das Bundesverfassungsgericht habe keine „konsistente Konstruktion des Verhältnisses von Würde- und Lebensschutz“ entwickelt; siehe auch G. Hermes, 140 f.; P. Dreist, in: Blaschke u. a. (Hg.), Sicherheit statt Freiheit?, 77 (101); J. Ipsen, Staatsrecht II, Rdn. 228; R. Will, FG B. Hirsch, 2006, 29 (40); P. Lerche, FS Mahrenholz, 1994, 515 (519 f.); O. Lepsius, German Law Journal 7 (2006), 761 (776); W. Heun, JZ 2002, 517 (518); E. Schmidt-Jortzig, DÖV 2001, 925 (931); U. Fink, JURA 2000, 210 (211); U. Neumann, ARSP 1998, 153 (159 f.); H. Dreier, DÖV 1995, 1036 (1037). Ausdrücklich für eine Verknüpfung T. Blank, 125, der ausführt: „Die Achtung der Menschenwürde zu garantieren, heißt für die staatliche Gewalt zugleich, das Leben der Bürger zu schützen.“; K.-E. Hain, Der Staat 45 (2006), 189 (204); zustimmend zur Prüfung des Bundesverfassungsgerichts auch K. Baumann, JURA 2006, 447 (449 f.); vgl. aus jüngster Zeit

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3. Teil: Abwehr auf Grundlage des LuftSiG

zu Recht gegen die vom Bundesverfassungsgericht vorgenommene Verknüpfung zwischen der Menschenwürde und dem Grundrecht auf Leben. Für eine grundsätzliche Entkoppelung des Grundrechts auf Leben von der Menschenwürdegarantie spricht insbesondere der in Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG geregelte Gesetzesvorbehalt.684 Auch Burkiczak lehnt in einer Besprechung des Urteils zu § 14 Abs. 3 LuftSiG ausdrücklich die „Vermengung“ der Menschenwürde und des Grundrechts auf Leben ab, die keinen Erkenntnisgewinn erreiche, sondern lediglich eine Einbuße der Klarheit der Grundrechtsdogmatik und der Grundrechtsanwendung bewirke.685 Die Aussage des Bundesverfassungsgerichts, das Leben sei die „vitale Basis der Menschenwürde“ kann auch aus folgendem Grund kein anderes Ergebnis rechtfertigen: Das Leben ist die vitale Basis eines jeden Grundrechts eines Menschen. Dennoch ist noch niemand auf die Idee gekommen, das Grundrecht auf Leben etwa mit der Religionsfreiheit gemäß Art. 4 Abs. 1 GG zu verknüpfen.686 Durch eine solche Verknüpfung wäre es aber denkbar, den fehlenden Schrankenvorbehalt in Art. 4 Abs. 1 GG auf das Grundrecht auf Leben zu übertragen, denn durch eine Tötung würde auch die Ausübung der Glaubens- und Gewissensfreiheit unmöglich gemacht. Dies ist jedoch vom Grundgesetz nicht gewollt, da ansonsten der in Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG geregelte Gesetzesvorbehalt leer laufen würde.

I. Grundlegendes zur Tötung von Störern und Unbeteiligten Zunächst müssen einige Grundfragen geklärt werden. Dabei geht es vor allem um den Schutzbereich des Grundrechts auf Leben und um den Begriff „Unbeteiligter“. Weiterhin ist klärungsbedürftig, inwieweit die geltende Rechtslage die Gefährdung oder sogar die Tötung von Unbeteiligten zulässt. 1. Tötung der Störer Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der Tötung eines Angreifers als ultima ratio zur Abwehr einer Gefahr im Rahmen eines so genannten finalen Rettungsschusses oder finalen Todesschusses wird heute ganz überwiegend bejaht.687 ausführlich zum Verhältnis von Art. 1 Abs. 1 GG und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG J. F. Lindner, DÖV 2006, 577 ff. 684 W. Heun, JZ 2002, 517 (518). 685 C. Burkiczak, NZWehrr 2006, 89 (100). 686 Siehe auch H. Blaesing, 151 Fn. 4. Blaesing ordnet das Grundrecht auf Leben innerhalb einer Rangordnung der Grundrechte unterhalb der Religionsfreiheit ein, da letztere im Gegensatz zu Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG keinem Gesetzesvorbehalt unterliegt. 687 Siehe ausführlich H. Witzstrock, 13 ff. m.w. N.

D. Grundrechtliche Probleme

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Die Auffassung, eine gezielte staatliche Tötung zur Gefahrenabwehr verstoße gegen die Wesensgehaltsgarantie gemäß Art. 19 Abs. 2 GG oder sei als „antizipierte Todesstrafe“ gemäß Art. 102 GG verfassungswidrig,688 kann als überholt angesehen werden.689 Dementsprechend wird eine Rechtfertigung der Tötung der Personen, die sich eines Luftfahrzeuges bemächtigen, um es als Waffe zu missbrauchen, durchweg bejaht.690 Dabei ist anerkannt, dass der Angreifer den Anspruch auf die Achtung seines Grundrechts auf Leben nicht völlig verliert. Zunächst kommt ihm weiterhin ein Abwehranspruch gegen eine staatliche Tötung zu.691 Wegen des strikten Enumerationsprinzips gemäß Art. 18 GG ist der Gedanke der Grundrechtsverwirkung in Bezug auf das Grundrecht auf Leben auch bei einem sozialschädlichen Verhalten abzulehnen.692 Aus staatlicher Sicht liegt damit eine Kollision zwischen der Schutzpflicht für das Leben des Angegriffenen und einer Achtungspflicht für das Leben des Angreifers vor. Die Entscheidung, in diesen Fällen der Schutzpflicht für das Leben des Angegriffenen einen höheren Wert zukommen zu lassen, wird durch das sozialschädliche Verhalten des Angreifers begründet, der selbstbestimmt seine grundrechtlichen Freiheiten missbraucht.693 Daneben tritt die Pflicht des Staates zur Bewahrung der Rechtsordnung.694 Hartleb formuliert unter Rückgriff auf strafrechtliche Grundsätze: Der „Satz, dass ,Recht nicht dem Unrecht weichen muss‘, wandelt sich damit auf verfassungsrechtlicher Ebene zu dem Satz, dass ,sozialkonformer Grundrechtsgebrauch nicht dem sozialschädlichen Grundrechtsmissbrauch weichen muss‘.“ 695

688

So W. Thiele, DVBl. 1979, 705 (707); A. Funk/F. Werkentin, KJ 1976, 121. D. Merten, FS Doehring, 1989, 579 (590 f.); M. Ch. Jakobs, DVBl. 2005, 83 (84); M. Westenberger, DÖV 2003, 627 (628); D. Beisel, JA 1998, 721 (726); T. Schöne/T. Klaes, DÖV 1996, 992 (997). 690 BVerfG, NJW 2006, 751 (760 Abs. 140); K. Paulke, 263 ff.; G. Laschewski, 142; A. Archangelskij, 91 f.; K. Fehn/M. Brauns, 72 ff.; E. Klein, FS R. Mußgnug, 2005, 71 (78); T. Hartleb, NJW 2005, 1397 (1398 f.); W. Höfling/S. Augsberg, JZ 2005, 1080 (1082); K. Odendahl, Die Verwaltung 38 (2005), 425 (444); U. Sittard/M. Ulbrich, JuS 2005, 432 (435); Re. Merkel, Die Zeit vom 8. Juli 2004, 33; M. Baldus, NVwZ 2004, 1278 (1284); M. Pawlik, JZ 2004, 1045; kritisch W.-D. Narr, 18 ff., der die Tötung der Störer als „indirekte Rechtfertigung der Todesstrafe“ bezeichnet; siehe auch allgemein zur gezielten staatlichen Tötung von Terroristen W. Bausback, NVwZ 2005, 418 ff.; siehe aus US-amerikanischer Sicht J. Ulrich, Virginia Journal of International Law 45 (2005), 1029 ff. 691 T. Hartleb, NJW 2005, 1397 (1398); M. Westenberger, DÖV 2003, 627. 692 T. Hartleb, NJW 2005, 1397 (1398); T. Schöne/T. Klaes, DÖV 1996, 992 (996). Das Bundesverfassungsgericht hat zwar in Einzelfällen bei einem menschenverachtenden Verhalten eine Grundrechtsverwirkung über den Rahmen des Art. 18 GG hinaus bejaht, vgl. BVerfGE 12, 1 (4). Eine Übertragbarkeit auf das Grundrecht auf Leben ist jedoch ausgeschlossen, vgl. K. Paulke, 248; R. Zuck, MDR 1988, 920 (921). 693 T. Schöne/T. Klaes, DÖV 1996, 922 (996). 694 M. Westenberger, DÖV 2003, 627 (628). 695 T. Hartleb, NJW 2005, 1397 (1398). 689

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3. Teil: Abwehr auf Grundlage des LuftSiG

2. Tötung von sonstigen Flugzeuginsassen Weitaus problematischer ist die Rechtslage bezüglich der Tötung der sonstigen Flugzeuginsassen, das heißt bezüglich der Passagiere sowie der Besatzungsmitglieder. Diese werden als „Unbeteiligte“, „Nichtstörer“ oder „Unschuldige“ bezeichnet. Dabei wird behauptet, § 14 Abs. 3 LuftSiG stelle ein Novum innerhalb der deutschen Rechtsordnung dar, die ansonsten lediglich die Tötung von Störern rechtfertige, also solchen Personen, die für eine Gefahr verantwortlich sind.696 Der Begriff „Unschuldige“ wird im weiteren Verlauf nicht verwendet. Er enthält eine moralische Dimension und es besteht die Gefahr, dass die gefahrenabwehrrechtliche Betrachtung mit Fragen der strafrechtlichen Vorwerfbarkeit vermengt wird. Es geht jedoch nicht darum, den sonstigen Flugzeuginsassen einen strafrechtlichen Vorwurf zu machen, sondern allein um die Frage, ob und inwieweit der Staat berechtigt ist, diesen Personenkreis in Folge der Abwehr einer von anderen Personen verursachten Gefahr zu töten. Im Folgenden werden die Personen, die nicht selber Teilnehmer oder Täter der Flugzeugentführung sind, als „Unbeteiligte“ bezeichnet. a) Behandlung von Unbeteiligten nach geltendem Recht Bevor auf das spezielle Problem einer Tötungshandlung nach § 14 Abs. 3 LuftSiG eingegangen wird, muss zunächst dargestellt werden, wie das geltende Recht den Begriff des „Unbeteiligten“ definiert und wie die Rechtsordnung Eingriffe in das Leben von Unbeteiligten bewertet. aa) Begriff „Unbeteiligter“ Der Begriff „Unbeteiligter“ ist nicht allgemein gültig gesetzlich bestimmt. Anhaltspunkte finden sich jedoch in den Polizeigesetzen der Länder. So enthält das Bremer Polizeigesetz eine Negativdefinition, nach der als Unbeteiligter gilt, wer weder Mittäter noch Teilnehmer der Tat ist, die den Schusswaffengebrauch erforderlich macht.697 Im übrigen Landespolizeirecht finden sich lediglich Bestimmungen zum Unbeteiligtenbegriff im Zusammenhang mit dem Schusswaffengebrauch gegen eine Menschenmenge. Demnach gilt nicht mehr als Unbeteiligter, wer sich trotz wiederholter Androhung des Schusswaffengebrauchs nicht entfernt, obwohl er die Möglichkeit dazu hat.698 Hintergrund ist die Annahme, 696 E. B. Franz, Der Staat 45 (2006), 501 (502); M. Droege, NZWehrr 2005, 199 (202); M. Hochhuth, NZWehrr 2002, 154 (164). 697 § 46 Abs. 4 Satz 3 BremPolG. 698 Vgl. die Nachweise der einzelnen Länderregelungen bei K. Odendahl, Die Verwaltung 38 (2005), 425 (428 Fn. 15).

D. Grundrechtliche Probleme

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dass in diesen Fällen zumindest eine Billigung oder gar Unterstützung von Gewalttaten vorliegt.699 Überwiegend wird darauf abgestellt, dass bei einem Unbeteiligten die Voraussetzungen des Schusswaffengebrauchs unter den konkreten Umständen nicht vorliegen.700 Mit anderen Worten: der Unbeteiligte ist das Gegenteil des Störers, ersterer trägt keine Verantwortung für die Gefahr.701 Der Bundesgerichtshof hat zum Beispiel entschieden, dass der Mitfahrer eines Motorrades nicht Unbeteiligter ist, soweit er durch sein Gesamtverhalten die Auffassung der Polizei hervorruft oder verfestigt, gemeinsame Sache mit dem Fahrer zu machen.702 Manche meinen, auch Geiseln seien Beteiligte, da es dem allgemeinen Sprachgebrauch widerspreche, sie als „unbeteiligt“ zu bezeichnen.703 Das Gleiche soll für Schaulustige gelten, die sich trotz eines Platzverweises nicht entfernen; hier wird der „Rechtsgedanke der Verwirkung“ bemüht.704 Ähnlich vertritt auch Robbers im Zusammenhang mit § 14 Abs. 3 LuftSiG, die Passagiere eines entführten Flugzeuges seien keine Unbeteiligten.705 Der überwiegenden Meinung kann entgegengehalten werden, dass sie auf einem Zirkelschluss beruht, da die Frage, ob die Voraussetzungen für den Schusswaffengebrauch vorliegen, erst dann beantwortet werden kann, wenn die Frage der Beteiligung geklärt ist. Sinn und Zweck, jemanden als Unbeteiligten einzuordnen, liegt darin, diesen in einem erhöhten Maße vor staatlicher Gewaltanwendung zu schützen. Daher kann auf den Gesichtspunkt der Verantwortlichkeit der Gefahr nicht verzichtet werden.706 Die Passagiere und das Flugpersonal eines entführten Flugzeuges sind als daher Unbeteiligte zu werten, soweit sie die Entführung nicht fördern. Abzulehnen ist die Rechtsauffassung, dass die Personen innerhalb einer Menschenmenge, die sich trotz einer Androhung des Schusswaffengebrauches nicht entfernen, nicht mehr als Unbeteiligte gelten.707 Die Rückausnahmen in § 12 Abs. 2 Satz 2, 2. Halbsatz UZwG und § 16 Abs. 2 Satz 2, 2. Halbsatz UZwGBw wären ansonsten überflüssig. Auch der Gedanke, dass die zur Menschenmenge gehörenden Personen die Begehung von Straftaten billigen, recht699

K. Odendahl, Die Verwaltung 38 (2005), 425 (428). H. Witzstrock, 165; Lisken/Denninger-F. Rachor, Teil F Rdn. 530 m.w. N. 701 H.-G. Sundermann, NJW 1988, 3192. 702 BGHSt 35, 379 (381 ff.); zustimmend D. Dölling, JR 1990, 170. 703 V. Krey/W. Meyer, ZRP 1973, 1 (4); a. A. K. Waechter, JZ 2007, 61 (64); K. Bernsmann, FS Blau, 1985, 23 (31), der meint, die Tatsache, dass eine Geisel Unbeteiligter ist, stehe „außer Streit“. 704 D. Heesen/J. Hönle/A. Peilert, § 12 UZwG Rdn. 13. 705 G. Robbers, Anhörung, 43. 706 F. Mußgnug, 135; K. Odendahl, Die Verwaltung 38 (2005), 425 (429). 707 Hier unterscheidet sich die Rechtslage des UZwGBw von den Regelungen des allgemeinen Polizeirechts; dazu sogleich mehr. 700

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3. Teil: Abwehr auf Grundlage des LuftSiG

fertigt es nicht, sie als Beteiligte zu verstehen. Allein die innere Billigung von Straftaten kann noch nicht ausreichend sein, um jemanden polizeirechtlich zum Verantwortlichen zu machen.708 Es muss zumindest eine Förderung von Straftaten vorliegen. Es ist zu pauschal, sämtlichen Angehörigen der Menschenmenge eine solche Förderung zu unterstellen. bb) Gefährdung des Lebens Unbeteiligter Um sich der rechtlichen Bewertung der Tötung von Unbeteiligten zu nähern, ist es sinnvoll, zunächst die Grundsätze der Gefährdung des Lebens von Unbeteiligten darzustellen. Schlink hat dazu im Zusammenhang mit § 14 Abs. 3 LuftSiG ausgeführt, dass das Leben von Unbeteiligten nach der geltenden Rechtslage nicht „erheblich“ gefährdet werden dürfe.709 Odendahl hält immerhin eine bewusste Gefährdung des Lebens Unbeteiligter für zulässig, wenn der Schusswaffengebrauch das einzige Mittel zur Abwehr einer gegenwärtigen Lebensgefahr ist.710 (1) Rechtslage nach dem UZwGBw Die Gefährdung des Lebens Unbeteiligter ist nach der geltenden Rechtslage möglich. Dies gilt insbesondere bei der polizeilichen Aufgabenwahrnehmung durch die Streitkräfte auf Grundlage des UZwGBw: So verbietet der erste Halbsatz des § 16 Abs. 2 Satz 2 UZwGBw711 den Schusswaffengebrauch, wenn „für den Handelnden erkennbar Unbeteiligte mit hoher Wahrscheinlichkeit gefährdet werden“. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass ein Schusswaffengebrauch, der Unbeteiligte mit einer geringeren Wahrscheinlichkeit als einer „hohen Wahrscheinlichkeit“ gefährdet, erlaubt ist. Zudem enthält der zweite Halbsatz des § 16 Abs. 2 Satz 2 UZwGBw eine Rückausnahme zum ersten Halbsatz. Unbeteiligte dürfen demnach auch mit hoher Wahrscheinlichkeit gefährdet werden, wenn sich dies beim Einschreiten gegen eine Menschenmenge im Sinne des § 15 Abs. 2 UZwGBw nicht vermeiden lässt. Eine Menschenmenge wird im Gefahrenabwehrrecht definiert als größere Anzahl von Personen, die kraft ihrer Zahl eine Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung herbeiführen 708 Ansonsten würde so etwas wie eine „Gesinnungsverantwortlichkeit“ für Gefahren eingeführt werden. 709 B. Schlink, Der Spiegel vom 17. Januar 2005, 34 (35). 710 K. Odendahl, Die Verwaltung 38 (2005), 425 (434). 711 § 16 Abs. 2 Satz 2 UZwGBw lautet: „Es ist verboten, zu schießen, wenn durch den Schusswaffengebrauch für den Handelnden erkennbar Unbeteiligte mit hoher Wahrscheinlichkeit gefährdet werden, außer wenn es sich beim Einschreiten gegen eine Menschenmenge (15 Abs. 2 UZwGBw) nicht vermeiden lässt.“ Inhaltsgleich ist § 12 Abs. 2 Satz 2 UZwG. Auch hier kann eine Gefährdung des Lebens von Unbeteiligten hingenommen werden, vgl. D. Heesen/J. Hönle/A. Peilert, § 12 UZwG Rdn. 15.

D. Grundrechtliche Probleme

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kann und die so groß ist, dass es auf das Weggehen oder Hinzukommen einzelner Personen nicht mehr ankommt.712 Diese Definition ist jedoch unscharf, da die Anzahl der Personen an sich noch keine Gefährdung darstellen kann. Es geht vielmehr darum, dass es bei einer größeren Menschenanzahl schwieriger sein kann, effektive Maßnahmen gegen einzelne Störer anzuwenden, welche die Gruppe als Schutz benutzen.713 Dabei ist es für die Anwendung des § 16 Abs. 2 Satz 2 UZwGBw nicht erforderlich, dass jeder Angehörige der Menschenmenge Straftaten gegen die Bundeswehr begeht, denn dann wäre er ja bereits selbst für die Gefahr verantwortlich und nicht mehr unbeteiligt. Es ist ausreichend, dass durch die Anwesenheit der Menschenmenge die Gefahr von Angriffen durch Störer erhöht wird.714 Wegen des Tatbestandsmerkmales „aus einer Menschenmenge heraus“ ist es dabei unbeachtlich, ob den zu der Menschenmenge gehörenden Personen bewusst ist, dass sie Teil einer Menschenmenge sind, aus der Straftaten gegen die Bundeswehr unter Gewaltanwendung begangen werden.715 Eine große Anzahl von Menschen in einem Luftfahrzeug stellt keine Menschenmenge im Sinne der gefahrenabwehrrechtlichen Vorschriften dar. Im Fall eines erheblichen Luftzwischenfalls unter den Voraussetzungen des § 14 Abs. 3 LuftSiG ergibt sich die besondere Gefährdung nicht aus einer großen Anzahl von Personen, die als Gruppe eine eigene Dynamik entwickeln könnte oder die von Störern als Schutz benutzt wird, sondern durch den Missbrauch eines Luftfahrzeuges als Waffe. Die Anzahl der Unbeteiligten selbst wirkt dagegen nicht gefahrerhöhend.716 Zu Recht meint Pawlik, dass daher die in § 16 Abs. 2 Satz 2, 2. Halbsatz UZwGBw enthaltene Regelung nicht – jedenfalls nicht direkt – für die Lösung der Problemstellung des § 14 Abs. 3 LuftSiG herangezogen werden kann.717 Weiterhin ist zu beachten, dass die Unbeteiligten im Luftfahrzeug anders als die Angehörigen einer Menschenmenge keine Möglichkeit haben, sich von der Gefahrenquelle zu entfernen.718 712 F. Mußgnug, 142; H.-G. Sundermann, Schusswaffengebrauch, 34; E. Lingens, 112. Als Mindestanzahl sind nach der Rechtsprechung 15 bis 20 Personen ausreichend, BGHSt 33, 306. 713 E. Jess/S. Mann, § 15 Rdn. 51. 714 M. Pawlik, JZ 2004, 1045 (1046). 715 E. Jess/S. Mann, § 15 Rdn. 40. Damit kann anders als im Fall des Schusswaffengebrauchs gegen eine Menschenmenge nach dem allgemeinen Polizeirecht auch nicht auf eine Verwirkung des Lebensschutzes abgestellt werden. 716 M. Pawlik, JZ 2004, 1045 (1046 f.). Allerdings kann sich das Gefahrenpotential mittelbar auch mit der Anzahl der unbeteiligten Personen erhöhen, wenn man bedenkt, dass das Gefahrenpotential grundsätzlich mit der Größe des Luftfahrzeuges wächst. Diese Gefahrerhöhung hat jedoch nichts mit der Anzahl der Unbeteiligten an sich zu tun, da es maßgeblich auf die Größe des Luftfahrzeuges ankommt. 717 M. Pawlik, JZ 2004, 1045 (1047). 718 K. Odendahl, Die Verwaltung 38 (2005), 425 (435 f.); vgl. BVerfG, NJW 2006, 751 (758 Abs. 123).

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3. Teil: Abwehr auf Grundlage des LuftSiG

Allerdings macht § 16 Abs. 2 Satz 2, 2. Halbsatz UZwGBw einen wichtigen Rechtsgedanken deutlich: Die Streitkräfte dürfen auch das Leben von Unbeteiligten in besonderen Situationen, in denen eine Gefahrenabwehr nicht anders möglich ist, in einem erheblichen Maße gefährden. Auch wenn die Beeinträchtigung von Unbeteiligten in Folge des Schusswaffengebrauches nach § 16 Abs. 2 Satz 2, 2. Halbsatz in Verbindung mit § 15 Abs. 2 UZwGBw möglichst zu vermeiden ist, ist von einem Einschreiten „gegen [Hervorhebung des Verf.] die Menschenmenge“ die Rede. Damit beinhaltet die Regelung auch die Möglichkeit der Tötung von Unbeteiligten.719 Gegenüber den Unbeteiligten in der Menschenmenge soll sogar bedingter Tötungsvorsatz vorliegen dürfen.720 Eine Tötung mit sicherem Wissen – wie in der Konstellation des § 14 Abs. 3 LuftSiG – wäre dagegen nicht durch die Vorschriften des UZwGBw gedeckt. Jedenfalls zeigt ein Blick in die Vorschriften des UZwG und des UZwGBw, dass die Ansicht Schlinks, nach der Personen, die nicht für eine Gefahr verantwortlich sind, keinen erheblichen Lebensgefährdungen durch Maßnahmen der Gefahrenabwehr ausgesetzt werden dürfen,721 nicht überzeugend ist und durch die geltende Rechtsordnung widerlegt werden kann. (2) Gefährdung nach dem allgemeinen Polizeirecht Ähnliche Regelungen wie in § 16 Abs. 2 Satz 2 UZwGBw finden sich zum Beispiel in den inhaltsgleichen Bestimmungen des § 65 Abs. 1 PolG NRW, des Art. 68 Abs. 1 BayPAG und des § 110 Abs. 1 SOG MV.722 Das Landespolizeirecht arbeitet dabei mit einer anderen Gesetzestechnik als § 16 Abs. 2 Satz 2 UZwGBw. Die Personen einer Menschenmenge werden nicht mehr als Unbeteiligte angesehen, auch wenn von ihnen keine Gefahr ausgeht. Das Problem der

719

E. Jess/S. Mann, § 16 Rdn. 5; kritisch hierzu R. Krüger, 59. W. Stauf, 21; vgl. K. Bernsmann, „Entschuldigung“ durch Notstand, 53 Fn. 61. J. Heinen, NZWehrr 2002, 177 (192), geht sogar davon aus, dass nach § 15 Abs. 2 UZwGBw zur Erreichung der Angriffsunfähigkeit der Menschenmenge die „gezielte [Hervorhebung des Verf.] Tötung einzelner, die zur Menge gehören, zulässig ist“. Siehe aus jüngster Zeit T. Gas, Die Polizei 2007, 33 (36), der – allerdings ohne ausdrücklichen Bezug zum LuftSiG – die Tötung von Unbeteiligten mit dolus eventualis als Verstoß gegen die Menschenwürde ansieht. 721 So B. Schlink, Der Spiegel vom 17. Januar 2005, 34 (35). 722 § 110 SOG MV „Schusswaffengebrauch gegen Personen in einer Menschenmenge“ lautet: „(1) Schusswaffen dürfen gegen Personen in einer Menschenmenge nur gebraucht werden, wenn von ihr oder aus ihr heraus schwerwiegende Gewalttaten begangen werden oder unmittelbar bevorstehen und andere Maßnahmen keinen Erfolg versprechen. (2) Wer sich aus einer solchen Menschenmenge nach wiederholter Androhung des Schusswaffengebrauches nicht entfernt, obwohl ihm das möglich ist, ist nicht Unbeteiligter im Sinne des § 108 Abs. 2.“ 720

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Lebensgefährdung von unbeteiligten Personen wird dadurch gelöst, dass sie per Gesetz als Beteiligte angesehen werden. Dies ist im Hinblick auf den Grundsatz problematisch, dass nur jemand, der für eine Gefahr verantwortlich ist, Beteiligter ist.723 Würde der Beteiligtenbegriff von einer gesetzlichen Fingierung abhängen, wäre es auch möglich gewesen, im LuftSiG zu regeln, dass die Insassen eines als Waffe missbrauchten Luftfahrzeuges nicht als Unbeteiligte gelten. Eine solche Fingierung kann daher das Problem nicht lösen, dass Personen, die nicht für eine Gefahr verantwortlich sind, durch staatliche Maßnahmen getötet werden sollen. Vorzugswürdiger ist daher, dass – wie im UzwGBw und in § 46 Abs. 4 Satz 3 BremPolG – die Personen einer Menschenmenge Unbeteiligte sind, solange sie nicht selber polizeirechtlich verantwortlich für Gefahren sind, die den Gebrauch von Schusswaffen rechtfertigen.724 Allein der Umstand, dass sich jemand nicht von Gewalttätern distanziert oder deren Taten sogar innerlich billigt, macht ihn noch nicht zum Verantwortlichen für derartige Gefahren. Nimmt man die oben genannte Definition des Unbeteiligten ernst, so werden die Personen in einer Menschenmenge nicht kraft Gesetzes zu Beteiligten, wenn sie trotz Androhung die Menschenmenge nicht verlassen haben. Das Nichtverlassen der Menschenmenge vermindert lediglich ihre Schutzwürdigkeit gegenüber der Lebensgefährdung durch den Schusswaffengebrauch, so dass eine Lebensgefährdung rechtmäßig sein kann. (3) Zwischenergebnis Nach der geltenden Rechtslage ist eine Lebensgefährdung von Unbeteiligten unter engen Voraussetzungen möglich. Dies gilt entgegen Odendahl725 nicht nur bei der Abwehr einer gegenwärtigen Lebensgefahr. Vielmehr ist nach § 15 Abs. 2 UZwGBw in Verbindung mit § 3 Abs. 1 Nr. 2 UZwGBw der Schusswaffengebrauch gegen eine Menschenmenge auch dann zulässig, wenn aus ihr heraus Straftaten gegen die Bundeswehr begangen werden. Eine Straftat gegen die Bundeswehr liegt gemäß § 3 Abs. 1 Nr. 2 UZwGBw auch dann vor, wenn Sachgüter wie Waffen, Gerät, Treibstoff oder Munition der Bundeswehr angriffen werden.726 Der Gesetzgeber hat damit dem Schutz von Wehrmitteln und mittelbar auch der Funktionsfähigkeit der Streitkräfte Vorrang vor der Gefähr-

723

Kritisch auch F. Mußgnug, 145. Nicht übersehen werden darf, dass die Unbeteiligten möglicherweise selbst Störer sind, so zum Beispiel, wenn sie einem vorangegangenen Platzverweis nicht nachkommen. Ihre Verantwortlichkeit reicht dann aber nicht so weit, dass sie als Beteiligte an den „schwerwiegenden Gewalttaten“ angesehen werden können. 725 Vgl. K. Odendahl, Die Verwaltung 38 (2005), 425 (434). 726 Vgl. E. Jess/S. Mann, § 3 Rdn. 22. 724

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dung des Lebens von Unbeteiligten eingeräumt.727 Soweit ersichtlich wird von keiner Seite vertreten, dass die Regelungen des UZwGBw mit der Menschenwürde oder mit dem Grundrecht auf Leben unvereinbar sind, da sie eine Lebensgefährdung Unbeteiligter zur Verteidigung von Sachgütern zulassen. Zuzugeben ist allerdings auch, dass die Tötung von Unbeteiligten mit sicherem Wissen sich nicht unerheblich von einer bloßen Gefährdung des Lebens unterscheidet.728 Da allerdings nach dem geltenden Recht bereits bedingter Tötungsvorsatz gegenüber Unbeteiligten zulässig ist, so ist der Schritt zu einer Tötung von Unbeteiligten mit dolus directus 2. Grades nicht mehr so weit, wie es Schlink suggeriert. cc) Exkurs: Tötung von Unbeteiligten nach der EMRK Bisher wurde in der Literatur durchgehend betont, eine Tötung von Unbeteiligten beziehungsweise von Nichtstörern sei der deutschen Rechtsordnung fremd. So meint Murswiek stellvertretend für viele, dass die „Fundamentalität des Lebens“ eine gezielte Tötung von Menschen für Zwecke verbiete, die über die Abwehr eines rechtswidrigen Angriffs hinausgehen.729 Odendahl spricht daher in Bezug auf § 14 Abs. 3 LuftSiG von einem Paradigmenwechsel innerhalb des Rechts der Gefahrenabwehr und meint, dass eine „völlig neue Dimension im Umgang mit unbeteiligten Personen“ gesetzlich verankert worden ist.730 Von keiner Seite ist diese Grundannahme, auf der häufig im Folgenden eine Argumentation gegen die Verfassungsmäßigkeit der Tötung von Unbeteiligten aufgebaut wird, eingehend untersucht worden. Offenbar hat das stetige Repetieren der Aussage, der Staat dürfe Unbeteiligte nicht töten, den Blick auf die europarechtliche Dimension verstellt. Zutreffend ist, dass im deutschen Polizeirecht keine gesetzlichen Ermächtigungsgrundlagen für eine Tötung von Unbeteiligten als sichere Folge von Maßnahmen zur Gefahrenabwehr existieren. Ein besonderer Rechtfertigungsgrund für staatliche Tötungen ist jedoch in Art. 15 Abs. 2 EMRK enthalten. Des Weiteren wurde die EMRK bei der Beurteilung der Tötung von Unbeteiligten bisher fast völlig ausgeblendet.731 Soweit ersichtlich hat im Zusammen727 § 15 Abs. 1 Nr. 1 UZwGBw ist damit das Gegenstück zum repressiven Schutz von Wehrmitteln durch § 109e StGB, vgl. F. Mußgnug, 233 ff. 728 Vgl. K. Waechter, JZ 2007, 61 (64). 729 Sachs-D. Murswiek, Art. 2 Rdn. 171; ähnlich D. Lorenz, HdBStR, Band VI, § 128 Rdn. 42; O. Lepsius, FG B. Hirsch, 2006, 47 (52); P. Kunig, JURA 1991, 415 (421). 730 K. Odendahl, Die Verwaltung 38 (2005), 425 (435); vgl. auch L. Fritze, Tötung Unschuldiger, 189, der einen „Paradigmenwechsel“ im Zusammenhang mit der Tötung Unschuldiger bereits in der Normierung des Widerstandsrechts in Art. 20 Abs. 4 GG sieht.

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hang mit § 14 Abs. 3 LuftSiG zuerst Re. Merkel – wenn auch nur beiläufig – auf den besonderen Schutz des Lebens nach Art. 2 EMRK hingewiesen;732 sein Hinweis wurde in der Literatur jedoch kaum aufgegriffen. Dabei kommt neben Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG auch der EMRK eine Bedeutung zu, soweit deren Gewährleistungen über die Grundrechtsgarantien des Grundgesetzes hinausgehen. (1) Grundlegendes zur EMRK Einigkeit besteht darüber, dass die Rechte der EMRK nicht von den Grundrechtsgewährleistungen des Grundgesetzes verdrängt werden. Die Regelungen der EMRK sichern damit einen „Mindeststandard“ im Grundrechtsbereich.733 In Art. 2 Abs. 1 EMRK wird der Schutz des Lebens ausdrücklich normiert.734 Der Mindestschutz in Bezug auf das Grundrecht auf Leben ergibt sich daraus, dass Art. 2 Abs. 2 EMRK einzelne Fallgruppen der Rechtfertigung von Tötungen aufzählt, während Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG einen allgemeinen und damit grundsätzlich auch weiterreichenden Gesetzesvorbehalt enthält. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat – ähnlich wie das Bundesverfassungsgericht – die herausragende Stellung des Grundrechts auf Leben gemäß Art. 2 Abs. 1 EMRK als „Voraussetzung aller anderen Grundrechte“735 betont. Wie auch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG schützt Art. 2 EMRK das Leben ohne Rücksicht auf seinen sozialen oder wirtschaftlichen Wert oder die verbleibende Lebenszeit.736 Über die Stellung der Gewährleistungen der EMRK innerhalb der deutschen Rechtsordnung besteht ein grundlegender Streit. Es herrscht jedoch überwiegend Einigkeit darüber, dass die EMRK in der Bundesrepublik – anders als in anderen Vertragsstaaten, wie zum Beispiel in Österreich737 – jedenfalls keinen Verfassungsrang innehat.738 Unzweifelhaft ist, dass die Regelungen der EMRK zumindest den Rang von einfachem Bundesrecht haben, da sie durch ein Trans731 Vgl. K. Paulke, 311 Fn. 1297, die lediglich in einer Fußnote Art. 2 EMRK kurz anspricht. 732 Re. Merkel, Die Zeit vom 8. Juli 2004, 33. 733 S. Kadelbach, JURA 2005, 480; siehe auch Art. 53 EMRK. 734 Vgl. zur staatlichen Schutzpflicht durch Art. 2 EMRK C. Dröge, 43 ff.; B. Kneihs, in: Grabenwarter/Thienel (Hg.), Kontinuität und Wandel der EMRK, 21 (35 ff.). 735 EGMR, NJW 2002, 2851 – Pretty/Vereinigtes Königreich; EGMR, 1995, Serie A, Bd. 324 Nr. 146–147 – McCann u. a./Vereinigtes Königreich. 736 C. Grabenwarter, 124. 737 Vgl. R. Machacek, EuGRZ 1983, 453. 738 Statt vieler J. A. Frowein, FS Delbrück, 2005, 279 (280); S. Mückl, Der Staat 44 (2005), 403 (407); B. Schaffarzik, DÖV 2005, 860 (861); vgl. grundlegend F. Klein, FS Laun, 1962, 149 (152 ff.); a. A. in Bezug auf die Individualgrundrechte der EMRK W. Kleeberger, 160.

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formationsgesetz Teil der deutschen Rechtsordnung geworden sind.739 Weiterhin sind die Staatsorgane der Bundesrepublik nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts dazu verpflichtet, die Garantien der EMRK im Wege einer völkerrechtskonformen Auslegung in den Anwendungsbereich der Grundrechte und des Rechtsstaatsprinzips gemäß Art. 20 Abs. 3 GG einzubeziehen.740 Auch wenn nicht die gesamte EMRK eine allgemeine Regel des Völkerrechts darstellt und damit gemäß Art. 25 Satz 1 GG dem Bundesrecht vorgeht, so ist jedoch nicht ausgeschlossen, dass einzelne Gewährleistungen der EMRK unter Art. 25 Satz 1 GG subsumiert werden können.741 Zu den allgemeinen Regeln des Völkerrechts gehören die Normen, denen die Qualität von zwingendem Völkerrecht im Sinne von Art. 53 WVK zukommt, das Völkergewohnheitsrecht sowie die allgemein anerkannten Rechtsgrundsätze nach Art. 38 Abs. 1 b) des Statuts des Internationalen Gerichtshofs.742 Das Recht auf Leben wird in allen Rechtsordnungen und auch in internationalen Abkommen besonders geschützt. Daher spricht vieles dafür, dass das Grundrecht auf Leben gemäß Art. 2 Abs. 1 EMRK eine allgemeine Regel des Völkerrechts im Sinne des Art. 25 Satz 1 GG ist und damit dem einfachen Bundesrecht vorgeht.743 Dies wurde zwar zum Teil in der älteren Literatur verneint, soweit es um die Abgrenzung von Rechten und Pflichten des Einzelnen geht;744 allerdings betrifft die Konstellation des § 14 Abs. 3 LuftSiG nicht das Verhältnis der Bürger untereinander, sondern eine Rechtfertigungsmöglichkeit für Eingriffsmaßnahmen des Staates. Selbst wenn man den Vorrang des Art. 2 EMRK durch die Anwendung des Art. 25 Satz 1 GG ablehnt, so ist zu berücksichtigen, dass das Bundesverfassungsgericht mit Beschluss vom 14. Oktober 2004 ausdrücklich ausgeführt hat: „Das nationale Recht ist unabhängig von dem Zeitpunkt seines Inkrafttretens nach Möglichkeit im Einklang mit dem Völkerrecht auszulegen.“745 739

BGBl. 1952 II, 685, in Kraft seit dem 3. September 1953. Vgl. BVerfGE 31, 58 (75); 63, 343 (370); 111, 307; A. Bleckmann, DÖV 1996, 137 ff. 741 E. Benda, AnwBl 2005, 602; M. Silagi, EuGRZ 1980, 632 (644); H. Guradze, 17, meint, dass der „gesamte normative Teil“ der Konvention, das heißt die „eigentlichen Menschenrechts-Bestimmungen“, zu den allgemeinen Regeln im Sinne des Art. 25 Satz 1 GG gehören. 742 BVerwG, NJW 2006, 77 (82) m.w. N. 743 E. Appell, 9; H. Schorn, 29; wohl auch M. Silagi, EuGRZ 1980, 632 (644 f.), der die in Art. 15 Abs. 2 EMRK genannten Grundrechtsgewährleistungen als allgemeine Regeln des Völkerrechts im Sinne des Art. 25 Satz 1 GG ansieht. 744 K. Doehring, Befehlsdurchsetzung, 27. 745 BVerfGE 111, 307 (324), unter Berufung auf BVerfGE 74, 358 (370); zustimmend K. Grupp/U. Stelkens, DVBl. 2005, 133 (134); grundlegend H. Guradze, 17 f. Allerdings behält sich das Bundesverfassungsgericht eine „Hintertür“ offen und führt in BVerfGE 111, 307 (319) aus: „Das Grundgesetz erstrebt die Einfügung Deutschlands in die Rechtsgemeinschaft friedlicher und freiheitlicher Staaten, verzichtet aber nicht auf die in dem letzten Wort der deutschen Verfassung liegende Souverä740

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Die jüngere Regelung des § 14 Abs. 3 LuftSiG konnte daher die Gewährleistungen der EMRK nicht verdrängen.746 Weiterhin betont das Bundesverfassungsgericht, dass zur Bindung an Gesetz und Recht gemäß Art. 20 Abs. 3 GG auch die Berücksichtigung der EMRK gehört.747 Damit hat jedenfalls die Bundeswehr als Teil der vollziehenden Gewalt die Gewährleistungen der EMRK zu beachten, soweit diese über den Grundrechtsstandard des Grundgesetzes hinausgehen. Der Gesetzgeber hat die EMRK nicht in diesem Maße zu beachten, da dieser gemäß Art. 20 Abs. 3, 1. Halbsatz GG lediglich an die „verfassungsmäßige Ordnung“748 gebunden ist. Ein Verstoß gegen die EMRK hätte also nicht zur Nichtigkeit des § 14 Abs. 3 LuftSiG, sondern allenfalls zur Rechtswidrigkeit seiner Anwendung im Einzelfall geführt. Die Bindungswirkung der EMRK bedeutet jedoch für die Bundeswehr, dass sie keine Tötungshandlungen vornehmen darf, die gegen Art. 2 EMRK verstoßen.749 Daher verdient auch Art. 2 EMRK bei der Behandlung der Problematik der Tötung von Unbeteiligten Beachtung. (2) Ausnahmen vom Tötungsverbot nach Art. 2 Abs. 2 EMRK Eine Tötung wird nach Art. 2 Abs. 2 a) EMRK nicht als Verletzung dieses Artikels betrachtet, wenn sie unbedingt erforderlich ist, um jemanden gegen rechtswidrige Gewalt zu verteidigen. Diese Ausnahme rechtfertigt jedoch nach allgemeiner Auffassung nur die Tötung desjenigen, von dem die abzuwehrende rechtswidrige Gewalt ausgeht.750 Die Tötung der nicht-staatlichen Angreifer wäre also keine Verletzung des Art. 2 EMRK; eine Rechtfertigung der Tötung der unbeteiligten Flugzeuginsassen gemäß Art. 2 Abs. 2 a) EMRK ist dagegen nicht möglich.751 Die weiteren Rechtfertigungsmöglichkeiten sind in der Konstellation des § 14 Abs. 3 LuftSiG nicht einschlägig. nität. Insofern widerspricht es nicht dem Ziel der Völkerrechtsfreundlichkeit, wenn der Gesetzgeber ausnahmsweise Völkervertragsrecht nicht beachtet, sofern nur auf diese Weise ein Verstoß gegen tragende Grundsätze der Verfassung abzuwenden ist.“ 746 Dies wurde vor allem von einer älteren Auffassung vertreten, vgl. K. Doehring, Befehlsdurchsetzung, 26 f.; M. Ch. Jakobs, DVBl. 2006, 83 (86), der insoweit die neuere Entwicklung der Rechtsprechung übersehen hat. 747 BVerfGE 111, 307 (323 und Leitsatz 1). 748 Der Formulierung „verfassungsmäßige Ordnung“ in Art. 20 Abs. 3 GG erfasst lediglich den Normbestand des Grundgesetzes, nicht aber überpositives oder einfachgesetzliches Recht, v. Mangoldt/Klein/Starck-K.-P. Sommermann, Art. 20 Abs. 3 Rdn. 250 f. 749 Vgl. auch § 10 Abs. 4 SG, der regelt, dass Befehle nur unter Beachtung der Regeln des Völkerrechts erteilt werden dürfen. Siehe zum Befehlsrecht auch unten 4. Teil. 750 E. Giemulla, ZLW 2005, 32 (42); A. Sinn, NStZ 2004, 585 (590); vgl. L. Horn, 78. 751 M. Tresselt, 5, meint dagegen, dass Art. 2 Abs. 2 a) EMRK die Tötung von Unbeteiligten nicht schlechthin verbietet, sondern lediglich keine Antwort für die Frage einer Rechtfertigungsmöglichkeit gibt.

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Dieses Ergebnis ist wegen der Formulierung „niemand darf absichtlich [Hervorhebung des Verf.] getötet werden“ in Art. 2 Abs. 1 Satz 2 EMRK zweifelhaft. Die (deutsche) strafrechtliche Dogmatik unterscheidet drei verschiedene Vorsatzformen. Absicht (dolus directus 1. Grades) im Sinne der stärksten Vorsatzform liegt vor, wenn der Täter gerade mit dem Ziel der Tötung der Unbeteiligten handelt; es kommt also auf Finalität an.752 Diese Finalität liegt in der Konstellation des § 14 Abs. 3 LuftSiG jedoch nicht vor, da dass Ziel des Abschusses nicht die Tötung der unbeteiligten Personen, sondern die Abwehr der von dem Luftfahrzeug ausgehenden Gefahr ist. Bezüglich der Tötung der Unbeteiligten liegt „nur“ sicheres Wissen im Sinne von dolus directus 2. Grades vor. Fraglich ist jedoch, ob die Formulierung „absichtlich“ im Sinne der Vorsatzform Absicht zu verstehen ist. Dagegen spricht zunächst, dass die deutsche Textfassung für die Auslegung nicht maßgeblich ist, sondern die englischen und die französischen Fassungen, die die Begriffe „intentionally“ beziehungsweise „intentionnellement“ verwenden. Allerdings ist Bisson der Meinung, die englische Strafrechtsdogmatik könne nichts zur Problemlösung beitragen, da die verschiedenen Vorsatzformen im englischen Strafrecht selbst nicht hinreichend dogmatisch geklärt seien.753 Zumindest die französischen Begriffe „intentionnellement“ beziehungsweise „intention“ setzen weder sicheres Wissen noch absichtliches Wollen des Taterfolges voraus. Ausreichend ist – ähnlich wie beim dolus eventualis –, dass der Täter um die Möglichkeit des Erfolgseintrittes weiß und das entsprechende Risiko billigt.754 Daher spricht die grammatikalische Auslegung gegen eine Beschränkung auf absichtliche Tötungen im Sinne der Vorsatzform Absicht nach dem deutschen strafrechtlichen Verständnis. Aus dem Sinn und Zweck des Art. 2 EMRK ergibt sich vielmehr, dass der Begriff „absichtliche Tötung“ weit auszulegen ist. Es geht weniger um eine bestimmte Vorsatzform, sondern vielmehr darum, dass das menschliche Leben grundsätzlich gegenüber staatlichen Eingriffen geschützt werden soll. So hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte selbst eine fahrlässige Tötung, der eine vorsätzliche Gewaltanwendung vorausgegangen war, als Verletzung des Art. 2 Abs. 1 EMRK angesehen.755 Im Ergebnis scheidet daher eine Rechtfertigung der Tötung von Unbeteiligten nach Art. 2 Abs. 2 a) EMRK aus.

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W. Joecks, § 15 Rdn. 8. F. Bisson, 130; siehe die Darstellung des Streitstandes bei C. M. V. Clarkson/ H. M. Keating, 135 ff., 143, die zum Beispiel sicheres Wissen der Herbeiführung des Erfolges nicht unter den Begriff „intention“ fassen. 754 Vgl. F. Bisson, 130. 755 EGMR, NJW 2001, 2001, Leitsatz 2: „Art. 2 EMRK (Recht auf Leben) erfasst nicht nur vorsätzliche Tötungen, sondern auch die unbeabsichtigte Verursachung des Todes durch eine an sich rechtmäßige Gewaltanwendung.“; siehe auch B. Kneihs, in: Grabenwarter/Thienel (Hg.), Kontinuität und Wandel der EMRK, 21 (33 ff.). 753

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(3) Einschränkung nach Art. 15 Abs. 2 EMRK Eine weitere Ausnahme des Tötungsverbots ist in Art. 15 Abs. 2 EMRK geregelt: Art. 15 Abs. 1 EMRK enthält eine allgemeine Einschränkungsmöglichkeit von Grundrechten bei einer Bedrohung des Lebens der Nation durch einen Krieg oder einen anderen öffentlichen Notstand.756 Zwar stellt Art. 2 Abs. 1 EMRK grundsätzlich ein „notstandsfestes“ Grundrecht dar, eine Einschränkung ist aber gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK gerechtfertigt, wenn eine Tötung auf Grund „rechtmäßiger Kriegshandlungen“ erfolgt.757 Daher ist im Folgenden zu prüfen, ob die mit der Gefahrenabwehr im Luftraum verbundene Tötung von Unbeteiligten durch Art. 15 Abs. 2 EMRK gerechtfertigt werden kann. Grundvoraussetzung einer Einschränkung nach Art. 15 EMRK ist zunächst das Vorliegen eines öffentlichen Notstandes, wobei der Krieg einen Unterfall des öffentlichen Notstandes darstellt;758 dabei muss das „Leben der Nation“ bedroht sein. Die Anforderungen an dieses Merkmal sind nicht zu hoch zu bemessen. Jedenfalls würden Angriffe mit einem vergleichbaren Ausmaß wie am 11. September 2001 ausreichen.759 Zudem kommt dem betroffenen Staat nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte ein Ermessensspielraum zu,760 wodurch ein „niedriges Prüfungsniveau“ existiert.761 Es ist nicht erforderlich, dass der Staat oder die Gesamtheit seiner Bürger schlechthin in seiner beziehungsweise ihrer Existenz bedroht sind. Ausreichend ist, dass ein erhebliches Schadensausmaß droht, das Auswirkungen auf die allgemeine Öffentlichkeit haben würde.762 Beim Vorliegen eines bewaffneten Angriffs im

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Vgl. H.-E. Kitz, 30 ff. Daher ist Groß’ Auffassung unvollständig, der allein auf den Internationalen Pakt über bürgerliche und politische Rechte abstellt und daher meint, internationale Menschenrechtsnormen würden keine Rechtfertigungsmöglichkeit für kriegsbedingte Tötungen begründen, siehe T. Groß, KJ 2000, 642 (644). 758 M. Maslaton, 26; H. Krieger, ZaöRV 62 (2002), 669 (690); K. J. Partsch, in: F. L. Neumann/Nipperdey/Scheuner (Hg.), Die Grundrechte, Erster Band, 235 (309), meint daher, dass ein Notstandsfall im Sinne des Art. 15 Abs. 1 EMRK nicht gegeben ist, wenn „eine Großmacht einem Zwergstaat formell den Krieg erklärt“. 759 So auch S. Schmahl, in: Fleck (Hg.), Rechtsfragen der Terrorismusbekämpfung durch Streitkräfte, 125 (127). Das Vereinigte Königreich hat sich nach den Anschlägen vom 11. September 2001 auf Art. 15 Abs. 1 EMRK berufen, um Art. 5 Abs. 1 EMRK einschränken zu können, siehe hierzu A. Chirinos, Harvard Human Rights Journal 18 (2005), 265 ff. 760 EGMR, 1993, Serie A, 258-B Nr. 43 – Brannigan & McBride/Vereinigtes Königreich; EGMR, 1961, Serie A, Bd. 3, 56 Nr. 28 – Lawless/Irland. 761 M. Maslaton, 37. 762 In der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte lässt sich keine klare Linie erkennen; zudem sind die Aussagen des Gerichtshofs in Bezug auf die Voraussetzungen des Art. 15 Abs. 1 EMRK zum Teil in sich widersprüchlich, vgl. M. Maslaton, 47 ff. 757

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3. Teil: Abwehr auf Grundlage des LuftSiG

Sinne des Art. 51 UN-Charta wird regelmäßig auch ein öffentlicher Notstand im Sinne von Art. 15 Abs. 1 EMRK vorliegen. Die Derogationsmaßnahmen gemäß Art. 15 EMRK sind im Übrigen nur unter Beachtung eines strengen Verhältnismäßigkeitsmaßstabes zulässig. Sie müssen unbedingt erforderlich sein und unterliegen dem Diskriminierungsverbot sowie dem Verbot missbräuchlicher Rechtsausübung.763 (a) Krieg Krieg im Sinne des Art. 15 EMRK wird herkömmlich als eine Auseinandersetzung zwischen zwei oder mehreren Staaten verstanden, die nach Auffassung der beteiligten Parteien den Kriegszustand auslöst.764 Daher würde nach dem herkömmlichen Verständnis ein nicht-staatlicher Angriff mittels eines entführten Passagierflugzeuges nicht unter den Kriegsbegriff fallen. Eine Einschränkung über die Tötung innerhalb einer rechtmäßigen Kriegshandlung gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK wäre daher nur möglich, wenn der Kriegsbegriff extensiver ausgelegt wird. Ein Abstellen auf den herkömmlichen formellen Kriegsbegriff würde dem Sinn und Zweck des Art. 15 EMRK angesichts des Bedrohungspotentials nichtstaatlicher Angreifer nicht gerecht werden.765 So vertritt Frowein zu Recht, dass auch bewaffnete Konflikte unterhalb des förmlichen Kriegszustandes als Krieg im Sinne des Art. 15 EMRK angesehen werden können.766 Bundeskanzler Gerhard Schröder hat im Bundestag wiederholt geäußert, die terroristischen Angriffe vom 11. September 2001 gegen die Vereinigten Staaten seien ein „Krieg gegen die zivilisierte Welt“.767 Die Äußerungen Schröders und auch die ähnliche Wortwahl des US-amerikanischen Präsidenten George W. Bush768 sind zu763

W. Karl, in: Hagen/Mader (Hg.), Gewalt und Recht, 95 (112 f.). C. Grabenwarter, 11; A. Verdross/B. Simma, § 1337 m.w. N.; R. Wolfrum, Max Planck UNYB 7 (2003), 1 (7). 765 Vgl. C. Leggemann, in: Hirschmann/Leggemann (Hg.), Der Kampf gegen den Terrorismus, 255 (258), der angesichts der terroristischen Bedrohungen von einem „Krieg im Frieden“ spricht. Auch Tavernier stellt die materielle Bedeutung des Kriegsbegriffes in den Vordergrund, vgl. P. Tavernier, in: Pettiti u. a. (Hg.), La Convention européenne des droits de l’homme, 497. 766 Frowein/Peukert-J. A. Frowein, Art. 15 Rdn. 6; ebenso W. Karl, in: Hagen/Mader (Hg.), Gewalt und Recht, 95 (107 f.); siehe auch B. Grzeszick, in: Isensee (Hg.), Der Terror, der Staat und das Recht, 55 (63), der einen Krieg dann bejaht, wenn nichtstaatliche Organisationen mit staatlicher Duldung oder Unterstützung einen anderen Staat angreifen. 767 BT-Prot. 14/187, 18301; anders lautende Äußerungen zum Beispiel: MdB R. Claus (PDS), BT-Prot. 14/187, 18315; A. Cassese, EJIL 12 (2001), 993; kritisch auch W. Hetzer, ZRP 2005, 132 (133). 768 Zuerst am Abend des 11. Septembers 2001: „America and our friends and allies join with all those who want peace and security in the world, and we stand together to 764

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nächst in den Bereich der politischen Rhetorik einzuordnen, ohne dass auf sie eine Auslegung des Art. 15 EMRK gestützt werden könnte.769 Dennoch lässt sich eine weniger formelle Auslegung des Begriffs „Krieg“ in Art. 15 EMRK auch rechtlich begründen. Methodisch kann sich diese Auslegung auf den Grundsatz stützen, dass die EMRK ein „lebendiges Instrument ist und im Licht der gegenwärtigen Bedingungen ausgelegt werden muss“.770 Sinn und Zweck der Vorschrift ist es, erleichterte Möglichkeiten für Grundrechtseinschränkungen in Ausnahmesituationen zu schaffen, die das staatliche Gemeinwesen bedrohen. Eine Gefahrenlage kann sich gerade auch durch Gewalttaten nicht-staatlicher Angreifer oder durch sonstige gewaltsame Angriffe ergeben, die formell nicht den Kriegszustand auslösen.771 Angesichts der oben dargestellten Ausdehnung des Selbstverteidigungsrechts auf Angriffe nicht-staatlicher Organisationen772 liegt es nahe, den Kriegsbegriff des Art. 15 EMRK ebenso auf eine Auseinandersetzung zwischen einem Staat und einem nichtstaatlichen Angreifer auszudehnen.773 Das Abstellen auf einen formellen Kriegsbegriff wäre – vor allem angesichts der Tatsache, dass auch nicht-staatliche Angreifer einen bewaffneten Angriff ausführen können – mit dem Normzweck nicht zu vereinbaren. Daher können auch kriegsähnliche Situationen, also insbesondere bewaffnete Angriffe, die von nicht-staatlichen Organisationen geführt werden, unter den Begriff „Krieg“ im Sinne des Art. 15 EMRK fallen.774 (b) Rechtmäßige Kriegshandlung Weiterhin können gemäß Art. 15 Abs. 2 EMRK nur „rechtmäßige Kriegshandlungen“ eine Einschränkung des Rechts auf Leben rechtfertigen. Die Rechtmäßigkeit von Kriegshandlungen bestimmt sich nach dem Kriegsvölkerrecht, insbesondere nach den Regeln der Genfer Konvention.775 Auf die Rechtwin the war against terrorism [Hervorhebung des Verf.].“, www.whitehouse.gov/news/ releases/2001/09/20010911-16.html; kritisch hierzu zum Beispiel M. E. O’Connel, in: Bothe u. a. (Hg.), Redefining Sovereignty, 123 (136 ff.). 769 Vgl. T. Ansah, Virginia Journal of International Law 43 (2003), 797 (80 ff.); C. Stahn, ZaöRV 62 (2002), 183 (191); F. Mégret, KJ 2002, 157 (158), bezeichnet die Wortwahl „Krieg“ als „politisch-ästhetische Metapher“. 770 Ständige Rechtsprechung, siehe nur EGMR, EuGRZ 2002, 133 (140). 771 Dies ist kein neuer Gedanke, sondern ähnliche Ansätze wurden schon in der Vergangenheit vertreten, vgl. insbesondere Frhr. v. d. Heydte, Der moderne Kleinkrieg, 16 ff., zu informellen Gewaltanwendungen, die gerade nicht durch Streitkräfte durchgeführt werden. 772 Siehe oben 2. Teil B. IV. 2. a). 773 Vgl. S. Talmon, in: März (Hg.), An den Grenzen des Rechts, 101 (182). 774 Vgl. M. Kotzur, AVR 40 (2002), 454 (462 f.). 775 T. Opsahl, in: Macdonald u. a. (Hg.), The European System for the Protection of Human Rights, 207 (222); O. Wurst, 110 f. Siehe zu den kriegsvölkerrechtlichen Regelungen bezüglich der Tötung von Unbeteiligten unten 3. Teil D. II. 6. c) bb) (1) (c).

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3. Teil: Abwehr auf Grundlage des LuftSiG

mäßigkeit des Krieges an sich kommt es nicht an.776 Überwiegend wird vertreten, rechtmäßig im Sinne des Art. 15 Abs. 2 EMRK seien nur solche Kriegshandlungen, die sich gegen den „Feind“ richten. Dagegen könnten gegenüber der eigenen Bevölkerung keine rechtmäßigen Kriegshandlungen vorgenommen werden.777 Erberich relativiert diese Aussage und meint, nur „in der Regel“ seien Kriegshandlungen gegenüber der eigenen Bevölkerung nicht rechtmäßig.778 Mitsch bejaht einen Verstoß gegen Art. 2 EMRK, da der Abschuss nach § 14 Abs. 3 LuftSiG keine rechtmäßige Kriegshandlung, sondern eine sonstige Rettungstötung sei.779 Diese Privilegierung der eigenen Bevölkerung kann jedoch aus den folgenden Gründen nicht überzeugen: Im Zusammenhang mit Art. 2 Abs. 2 EMRK wird deutlich, dass Art. 15 Abs. 2 EMRK gerade auch die Tötung von Personen, die nicht für eine Gefahr verantwortlich sind, rechtfertigen will, denn die Tötung von Angreifern stellt bereits nach Art. 2 Abs. 2 EMRK keinen Verstoß gegen das Recht auf Leben dar. Die Regelung des Art. 15 Abs. 2 EMRK kann daher auch die Tötung von Zivilisten, von denen keine Gefahr ausgeht, rechtfertigen, soweit diese Tötung aus militärischen Gründen erforderlich ist.780 Anhaltspunkte dafür, dass Art. 15 Abs. 2 EMRK hinsichtlich der gerechtfertigten Tötung zwischen eigenen und ausländischen Staatsangehörigen differenziert, sind nicht ersichtlich. Eine solche Differenzierung würde im Übrigen auch dem Sinn des Art. 15 EMRK widersprechen, da in einer bewaffneten Auseinandersetzung auch mit Kampfhandlungen auf dem eigenen Staatsgebiet zu rechnen ist. Daher wird es zumindest in Einzelfällen erforderlich sein, die Tötung eigener Staatsangehöriger in Kauf zu nehmen. Auch wäre eine Differenzierung nach der Staatsangehörigkeit der getöteten Personen kaum mit Sinn und Zweck der EMRK vereinbar, da ansonsten bestimmte Personengruppen eine Privilegierung im Bereich des Grundrechts auf Leben genießen würden.781 Im Übrigen hat es der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte grundsätzlich verneint, Art. 15 EMRK im Fall eines Krieges außerhalb des Gebietes der Vertragsstaaten der EMRK anzuwenden.782 Die Tötung von fremden Staats-

776

O. Wurst, 112 m.w. N.; E. Menzel, DÖV 1968, 1 (4). Frowein/Peukert-J. A. Frowein, Art. 15 Rdn. 12; M. Maslaton, 86; J. M. Bergmann, 137; M. Klugmann, 46; K. Doehring, Befehlsdurchsetzung, 33; K. J. Partsch, in: F. L. Neumann/Nipperdey/Scheuner (Hg.), Die Grundrechte, Erster Band, 235 (310 Fn. 252). 778 U. Erberich, 19. Es bleibt allerdings unklar unter welchen Voraussetzungen Erberich Ausnahmen zulassen will. 779 W. Mitsch, Leviathan 33 (2005), 279 (283). 780 Vgl. S. Oeter, AVR 40 (2002), 422 (435 f.). 781 Vgl. auch unten 3. Teil D. II. 6. c) bb) (2). 782 EGMR, EuGRZ 2002, 131 (140). 777

D. Grundrechtliche Probleme

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angehörigen wird im Kriegsfall jedoch zumindest in einem erheblichen Maße nicht auf dem eigenen Staatsgebiet stattfinden. Nach der herrschenden Meinung würde der besondere Rechtfertigungsgrund der Tötung durch rechtmäßige Kriegshandlungen demnach nur noch stark eingeschränkt anwendbar sein. Es ist jedoch nicht ersichtlich, warum die Rechtfertigungsmöglichkeit des Art. 15 Abs. 2 EMRK einen derart engen Anwendungsbereich haben sollte. Im Ergebnis kann daher auch die Tötung eigener Staatsangehöriger durch Art. 15 Abs. 2 EMRK gerechtfertigt sein. Die Formulierung „Kriegshandlung“ deutet darauf hin, dass eine Einschränkungsmöglichkeit des Art. 2 EMRK nur im Spezialfall des Krieges zulässig ist. Eine solche Auslegung würde jedoch im Ergebnis wieder zu einem restriktiven Kriegsbegriff führen. Daher ist es vorzugswürdig, auch bei innerstaatlichen Auseinandersetzungen eine Rechtfertigungsmöglichkeit für Eingriffe in Art. 2 EMRK durch Art. 15 Abs. 2 EMRK anzuerkennen.783 In diesem Fall muss der bedrohte Staat die einschlägigen kriegsvölkerrechtlichen Regelungen analog beachten. b) Ergebnis Die Ausführungen haben gezeigt, dass eine Lebensgefährdung von Unbeteiligten nach der aktuellen Rechtslage durchaus rechtmäßig sein kann. Weiterhin ergibt sich aus der Vorschrift des Art. 15 Abs. 2 EMRK, die seit 1953 als Bundesrecht gilt, dass auch die Tötung von Unbeteiligten als sichere Folge einer staatlichen Abwehrhandlung der deutschen Rechtsordnung nicht fremd ist.784 Soweit ersichtlich wird von keiner Seite vertreten, dass Art. 15 Abs. 2 EMRK mit Art. 1 Abs. 1 oder Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG unvereinbar wäre, obwohl Art. 15 Abs. 2 EMRK nunmehr seit über 50 Jahren als Bundesrecht existiert. Diese Tatsache könnte bereits ein Indiz für die grundrechtliche Unbedenklichkeit des § 14 Abs. 3 LuftSiG darstellen. Zuzugeben ist, dass Art. 15 Abs. 2 EMRK eine außergewöhnliche Lage normiert. Dennoch gibt es unter der Geltung des Grundgesetzes keine eigene „Kriegsordnung“,785 in der rechtliche Maßstäbe keine Rolle mehr spielen würden. Zwar wurde in der Vergangenheit vertreten, dass im Falle des Kriegszustandes oder eines staatlichen Notstandes die üblichen Wertgrundsätze nicht mehr gelten würden, sondern dieser außergewöhnliche Zustand als wertüberwin783

Ähnlich W. Karl, in: Hagen/Mader (Hg.), Gewalt und Recht, 95 (114 f.). Insofern ist die Auffassung Mitschs nicht zutreffend, der meint, dass die Bundeswehr auf dem Gebiet der Verteidigung gegen Angriffe von außen nicht zur Tötung von Unschuldigen befugt ist, vgl. W. Mitsch, JR 2005, 274 (278). 785 Vgl. B. Schlink, Der Spiegel vom 17. Januar 2005, 34 ff., der eine „Rechtslogik des Krieges“ der Friedensordnung gegenüber stellt. 784

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3. Teil: Abwehr auf Grundlage des LuftSiG

dend angesehen werden müsse.786 Diese Auffassung kann jedoch wegen der Grundrechtsbindung aller deutschen Staatsgewalt gemäß Art. 1 Abs. 3 GG als überholt angesehen werden. Dies wird auch vor dem Hintergrund der Änderung des Art. 1 Abs. 3 GG im Jahr 1956 deutlich, durch die das Wort „Verwaltung“ durch die Formulierung „vollziehende Gewalt“ ersetzt worden ist. Damit sollte unterstrichen werden, dass auch die Bundeswehr als Teil der vollziehenden Gewalt einer strikten Grundrechtsbindung unterliegt. Eine Sonderstellung der Bundeswehr innerhalb der Bindung an die Grundrechte und des Rechtsstaatsprinzips sollte gerade verhindert werden.787 Eine solche Sonderstellung würde durch das Abstellen auf einen grundrechtsfreien Raum im Fall eines Krieges wieder entstehen, da gerade im Kriegsfall mit massiven Grundrechtseingriffen durch die Bundeswehr zu rechnen ist. Daher findet keine generelle Außerkraftsetzung der Rechtsordnung im Sinne des Grundsatzes „silent leges inter arma“ statt, auch wenn es zu einer Modifikation von bestimmten Regelungen kommt (vgl. Art. 115a ff. GG). Es erscheint daher verfehlt, in Bezug auf § 14 Abs. 3 LuftSiG von einem „Paradigmenwechsel“ oder gar einem „beispielslosen Tabubruch“ zu reden. Die in § 14 Abs. 3 LuftSiG vorgesehene Regelung stellte keine grundlegende Veränderung der Rechtsordnung, sondern nur eine Fortentwicklung des in Art. 15 Abs. 2 EMRK enthaltenen Rechtsgedankens dar. Ohne der grundrechtlichen Prüfung vorzugreifen, kann bereits an dieser Stelle konstatiert werden, dass es kein absolutes Verbot der Tötung von Unbeteiligten in der deutschen Rechtsordnung gibt. Vielmehr hat die Rechtfertigung der Tötung von Unbeteiligten spätestens über die Regelung des Art. 15 Abs. 2 EMRK unmittelbar Einzug in die deutsche Rechtsordnung genommen.

3. Tötung von Dritten Denkbar sind auch noch Eingriffe in Rechtsgüter unbeteiligter Personen am Boden durch herabstürzende Teile des bekämpften Luftfahrzeuges. Dabei ist anerkannt, dass Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht nur gegen gezielte staatliche Eingriffe, sondern auch gegen unbeabsichtigte Verhaltensweisen Schutz bietet.788 Bezüglich der Tötung von Menschen durch herabstürzende Flugzeugteile nach einer unmittelbaren Einwirkung mit Waffengewalt liegt jedoch allenfalls dolus eventualis vor, wenn man nicht gar eine Billigung der Tötung verneint. Insofern geht es lediglich um eine Lebensgefährdung der Personen am Boden.

786 787 788

Vgl. etwa G. Radbruch, Rechtsphilosophie, 189 f. Vgl. BVerwG, NJW 2006, 77 (86). Statt vieler Sachs-D. Murswiek, Art. 2 Rdn. 141.

D. Grundrechtliche Probleme

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Diese Lebensgefährdung ist angesichts der Grundsätze der Gefährdung von Unbeteiligten durch den Schusswaffengebrauch grundrechtlich unbedenklich. Diese Auffasssung wird offenbar auch vom Bundesverfassungsgericht vertreten, das eine Grundrechtsverletzung lediglich auf die Menschenwürde der „tatunbeteiligte[n] Menschen an Bord [Hervorhebung des Verf.] des Luftfahrzeugs“ bezogen hat.789 Um dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz und dem Grundrecht auf Leben in einem ausreichenden Maße Rechnung zu tragen, muss das staatliche Handeln jedoch darauf bedacht sein, Opfer durch den Flugzeugabschuss am Boden möglichst zu verhindern oder so gering wie möglich zu halten. Ein Abschuss sollte daher – soweit dies den Umständen nach möglich ist – über unbewohntem Gebiet stattfinden.

II. Vereinbarkeit mit der Menschenwürde gemäß Art. 1 Abs. 1 GG Die Garantie der Menschenwürde in Art. 1 Abs. 1 GG ist zweifelsfrei das tragende Prinzip des deutschen Verfassungsrechts. Dennoch fehlt eine positive Definition der Menschenwürde, denn eine solche Definition würde Gefahr laufen, den Schutzbereich einzuschränken und damit der „Unantastbarkeit“ der Menschenwürde Unrecht tun.790 Daher wird überwiegend auf eine negative Umschreibung der Menschenwürdeverletzung abgestellt. Dort, wo menschliches Leben im Sinne des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG besteht, kommt diesem auch Menschenwürde zu,791 auch wenn der Beginn des verfassungsrechtlichen Lebensschutzes im Einzelnen umstritten ist.792 Hinsichtlich des Schutzes kommt es nicht darauf an, dass der Grundrechtsträger sich die Menschenwürde „verdient“ hat,793 vielmehr knüpft der Schutz der Menschenwürde an den menschlichen Gattungsbegriff an.794

789

BVerfG, NJW 2006, 751 (3. Leitsatz). J. F. Lindner, DÖV 2006, 577 (583) m.w. N.; M. Nettesheim, AöR 130 (2005), 71 (77). 791 BVerfGE 39, 1 (41); 88, 203 (251 f.). Das Bundesverfassungsgericht erkennt sogar einen (abgeschwächten) postmortalen Menschenwürdeschutz an, vgl. BVerfGE 30, 173 (194). 792 Vgl. die Darstellung des Meinungsstandes bei T. Geddert-Steinacher, 62 ff.; zum Parallelstreit des Beginns des Menschenwürdeschutzes siehe P. Zaar, 69 ff. 793 In diese Richtung aber N. Luhmann, Grundrechte als Institution, 70. 794 BVerfGE 87, 209 (228); 96, 375 (399); v. Mangoldt/Klein/Starck-C. Starck, Art. 1 Abs. 1 Rdn. 18 m.w. N. 790

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3. Teil: Abwehr auf Grundlage des LuftSiG

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts795 und der herrschenden Auffassung in der Literatur796 darf der Staat unter keinen Umständen in die Menschenwürde eingreifen. Wegen der „Unantastbarkeit“ der Menschenwürde stellt demnach jeder Eingriff zugleich eine Verletzung dar. Ohne diesen Punkt zu vertiefen, sollte jedoch darauf hingewiesen werden, dass diese Auslegung – jedenfalls vom Wortlaut her – keinesfalls zwingend ist: So heißt es zum Beispiel in Art. 3 der Verfassung des Landes Hessen vom 1. Dezember 1946: „Leben und Gesundheit, Ehre und Würde des Menschen sind unantastbar.“ Dennoch lautet Art. 109 Abs. 1 Satz 3 der Verfassung des Landes Hessen: „Die Bestätigung eines Todesurteils bleibt der Landesregierung vorbehalten.“ Auch wenn die grundsätzliche Zulässigkeit der Todesstrafe in Hessen seit dem 24. Mai 1949 wegen Art. 102 GG in Verbindung mit Art. 31 GG verfassungswidrig und nichtig ist, wird deutlich, dass die Formulierung „unantastbar“ nicht zwingend so ausgelegt werden muss, dass keine Eingriffe zulässig sind.797 Im Übrigen sieht auch § 60 Abs. 1 Satz 2 HSOG die Zulässigkeit des finalen Todesschusses vor.798 Auch in der Literatur wird teilweise – trotz der generellen Anerkennung der „Unantastbarkeit“ – vertreten, dass in Ausnahmefällen Eingriffe in die Menschenwürde erfolgen können. So meint Nipperdey: „Staatsnotwehr und Staatsnotstand könnten einen Eingriff rechtfertigen, doch ist bei der Prüfung der Erforderlichkeit des Eingriffs alsdann ein sehr strenger Maßstab anzulegen.“799

Ähnlich – allerdings ohne ausdrücklichen Bezug auf die Menschenwürde – meint E. Albrecht, es erscheine „nicht ausgeschlossen, dass der Staat das Leben seiner eigenen Bürger oder auch fremder Menschen opfern muss, um noch größeres Unheil zu verhindern. Die schnelle Niederschlagung eines Aufstandes, der zu einem großen Blutbad zu führen droht, kann einen solchen Fall darstellen“.800

795

BVerfGE 75, 369 (380). Statt vieler Sachs-W. Höfling, Art. 1 Rdn. 9; v. Münch/Kunig-P. Kunig, Art. 1 Rdn. 4; T. Geddert-Steinacher, 83. 797 Vgl. auch P. Tiedemann, Rechtstheorie 36 (2005), 116 (131 f.). 798 Auch in Rheinland-Pfalz ist die Rechtslage ähnlich: Art. 3 Abs. 1 der Verfassung für Rheinland-Pfalz vom 18. Mai 1947 lautet: „Das Leben des Menschen ist unantastbar.“ Dennoch erlaubt § 63 Abs. 2 Satz 2 POG RhPf den finalen Todesschuss. Bemerkenswert ist auch die Regelung in Art. 1 Satz 2 der Verfassung des Saarlandes vom 15. Dezember 1947, welche die Menschenwürde nur „in den Grenzen des Gesamtwohls“ gewährleistet. 799 H. C. Nipperdey, in: F. L. Neumann/Nipperdey/Scheuner (Hg.), Die Grundrechte, Zweiter Band, 1 (22); a. A. H. Jahrreiß, 10. 800 E. Albrecht, 173. 796

D. Grundrechtliche Probleme

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1. Meinungsstand in der Literatur vor der Diskussion um das LuftSiG Die grundrechtliche Problematik der Tötung von Unbeteiligten ist in der verfassungsrechtlichen Literatur vor dem LuftSiG im Wesentlichen im Zusammenhang mit einem Abwägungsverbot bezüglich des Grundrechts auf Leben diskutiert worden. Zur Thematik einer Menschenwürdeverletzung durch die Tötung von Unbeteiligten gibt es keine ausführliche Untersuchung.801 Dies liegt wohl vor allem daran, dass in der Rechtswissenschaft nicht an die Möglichkeit einer staatlichen Tötung von Unbeteiligten gedacht worden ist. Eine ausführliche, kaum noch übersehbare, Diskussion gibt es dagegen zur Menschenwürdeproblematik bei der Anwendung des polizeilichen Todesschusses, also der gezielten Tötung eines Störers durch den Staat.802 a) Tötungen durch die Streitkräfte im Notstandsfall Vereinzelt finden sich Aussagen zur rechtlichen Bewertung von Tötungen durch die Streitkräfte im Notstandsfall, die sich mit der Tötung von Störern befassen; diese Aussagen lassen sich zum Teil auf die Tötung von Unbeteiligten übertragen. So hat Evers bereits vor Inkrafttreten der Notstandsverfassung ausgeführt, eine „gezielte Vernichtung von Aufständischen oder Insurgenten“ sei durch Art. 1 und 102 GG verboten.803 Im Ergebnis würde dies bedeuten, dass wenn schon die gezielte Tötung von Störern die Menschenwürde verletzen sollte, dies erst recht für die Tötung von Unbeteiligten gelten müsste. Soweit ersichtlich hat sich als erster Ule gegen die Auffassung Evers ausgesprochen.804 Mittlerweile kann die Ansicht Evers als überholt gelten, da fast einhellig anerkannt ist, dass eine gezielte Tötung im Rahmen des polizeilichen Todesschusses nicht gegen Art. 1 Abs. 1 oder Art. 102 GG verstößt.805 Daher würde eine gezielte Tötung von Störern auch im Fall des Streitkräfteeinsatzes gemäß Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG keinen Verstoß gegen die Menschenwürde darstellen, soweit keine andere Möglichkeit der Gefahrenabwehr besteht.806 801 Eine knappe Stellungnahme findet sich allerdings bei P. Lerche, FS Mahrenholz, 1994, 515 (519): „Trotz einiger etwas unklarer Formulierungen in der Judikatur beeinträchtigt die Opferung von Menschenleben als solche nicht automatisch Art. 1 Abs. 1 GG.“ 802 Siehe aus jüngster Zeit ausführlich H. Witzstrock, 16 ff. 803 H. U. Evers, AöR 91 (1966), 1 (35); in diese Richtung auch P. Eichhorn, 177; C. Arndt, DVBl. 1968, 729 (732). 804 C. H. Ule, DVBl. 1967, 865 (871, 873). 805 Dies hat auch das Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung zu § 14 Abs. 3 LuftSiG erneut bestätigt, BVerfG, NJW 2006, 751 (760 Abs. 140 f.). 806 A. A. M. Jahn, 189 f., der allerdings anerkennt, dass bei terroristischen Selbstmordanschlägen auch „schwerste Waffen“ durch die Streitkräfte eingesetzt werden dürfen.

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3. Teil: Abwehr auf Grundlage des LuftSiG

Eine Menschenwürdeverletzung würde dagegen vorliegen, wenn die Vernichtung der Aufständischen der alleinige Zweck des staatlichen Handelns wäre, ohne dass dies zur Abwehr der Gefahr erforderlich wäre. Im Ergebnis kann Evers’ Auffassung nicht zur Begründung eines Menschenwürdeverstoßes durch die Tötung von Unbeteiligten in Folge des Einsatzes der Streitkräfte herangezogen werden. b) Tötung Unbeteiligter im Rahmen des Widerstandsrechts Die Frage der grundrechtlichen Zulässigkeit der Tötung von Unbeteiligten ist vor der Diskussion um § 14 Abs. 3 LuftSiG im Rahmen des Widerstandsrechts angesprochen worden. Dabei kann zunächst festgehalten werden, dass Handlungen, die in (rechtmäßiger) Ausübung des Widerstandsrechts erfolgen, keinen Unrechtscharakter haben und damit strafrechtlich gerechtfertigt sind.807 aa) Ansätze in der Literatur Wie weit das Widerstandsrecht nach Art. 20 Abs. 4 GG reicht, ist in der verfassungsrechtlichen Literatur nicht abschließend geklärt. Eine solche Klärung soll und kann in dieser Untersuchung nicht vorgenommen werden. Festzustellen ist jedoch, dass eine beachtliche Anzahl von Stimmen in der Literatur nicht nur die Tötung des Verfassungsgegners, sondern unter besonderen Umständen auch die Tötung von unbeteiligten Dritten in Ausübung des Widerstandsrechts gemäß Art. 20 Abs. 4 GG als gerechtfertigt bewertet.808 Blank wendet sich in deutlichen Worten gegen diese Auffassung: „Den Tod auch nur eines Menschen um der Rettung vieler anderer willen als rechtens anzuerkennen, hieße, dass die Rechtsordnung duldete, den Menschen als bloßes Mittel zu Erreichung eines bestimmten Zwecks einzusetzen.“809

Zur Begründung beruft Blank sich auf Kant, dass der Mensch als Subjekt sittlichen Gesetzes niemals nur als Mittel zur Erreichung eines anderen Zwecks eingesetzt werden dürfe. Blank geht dabei von der Annahme aus, dass die

807 v. Mangoldt/Klein/Starck-K.-P. Sommermann, Art. 20 Abs. 4 Rdn. 347; R. Dolzer, HdBStR, Band VII, § 171 Rdn. 42; H.-H. Jescheck/T. Weigend, 400; H. Welzel, Strafrecht, 89. 808 R. Dolzer, HdBStR, Band VII, § 171 Rdn. 41; Maunz/Dürig-R. Herzog, Art. 20 Rdn. 60; F. Rettenmaier, VR 2006, 109 (113); G. Jakobs, ZStW 117 (2005), 839 (848); T. Hartleb, NJW 2005, 1397 (1400); M. Pawlik, JZ 2004, 1045 (1053); vgl. J. Isensee, Widerstandsrecht, 72, 77; vorsichtiger F. v. Peter, DÖV 1968, 719 (720 f.), der allerdings auch feststellt, das menschliche Leben sei „immer geringwertiger als die durch Art. 20 GG geschützte Ordnung“. 809 T. Blank, 125; ähnlich auch E. B. Franz, Der Staat 45 (2006), 501 (537).

D. Grundrechtliche Probleme

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Pflicht zur Achtung der Menschenwürde auch die Pflicht zum Schutz des Lebens umfasst. Der Mensch sei Bezugspunkt der rechtlichen Ordnung. Diese „würde ihren Sinn als Mittel zur Ordnung des menschlichen Zusammenlebens ins Entgegengesetzte verkehren, wenn die Rechtsordnung den Menschen selber zum Mittel zur Gestaltung von Rechtsbeziehungen degradieren würde“.810

bb) Rechtsprechung Zur Tötung von Unbeteiligten in Ausübung des Widerstandsrechts gemäß Art. 20 Abs. 4 GG findet sich mangels praktischer Bedeutung keine gesicherte Rechtsprechung. Allerdings finden sich zwei Entscheidungen des Bundesgerichtshofs, die sich am Rande mit der Reichweite des Widerstandsrechts gegenüber dem Staat auseinandersetzen. Der 4. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs hat mit Urteil vom 21. November 1958 – also noch vor der Einfügung des Widerstandsrechts in das Grundgesetz – im Zusammenhang mit § 1 Abs. 3 Nr. 2 BEG ausgeführt: „Es bedarf keiner weiteren Begründung dafür, dass die Verletzung der Rechte unbeteiligter Dritter bei der Ausübung von Widerstands- und Abwehrrechten keine absolute Schranke darstellen kann, wenn ein Angriff gegen den nach allen Richtungen gesicherten und geschützten Machtstaat des Nationalsozialismus und seiner obersten Träger gewagt werden sollte. Notwendig ist aber auch in einem solchen Fall, dass Opfer und Erfolg objektiv in einem nach allgemeiner Rechtsüberzeugung gebilligten Verhältnis zueinander stehen [. . .]. Um einen nach Einfluss und Aufgaben unbedeutenden Träger des nationalsozialistischen Herrschaftssystems [. . .] zu beseitigen, dürfen daher nicht unbeteiligte Dritte ihr Leben verlieren.“811

Damit erkennt der Bundesgerichtshof implizit an, dass die Tötung von Unbeteiligten rechtmäßig sein kann, wenn diese Tötung ein angemessenes Ziel, zum Beispiel die Beseitigung von obersten Funktionären eines diktatorischen Systems, verfolgt.812 Lediglich bei völlig sinnlosem Widerstand813 oder bei keinem angemessenen Verhältnis zwischen den beeinträchtigen Rechtsgütern und dem verfolgten Ziel sei die Beeinträchtigung von Unbeteiligten nicht rechtmäßig. Demnach stellt die Tötung Unbeteiligter keine absolute Grenze bei der Ausübung des Widerstandsrechts dar, sondern es ist lediglich eine besonders 810

T. Blank, 126. BGH, JZ 1959, 770 (771); zustimmend O. Küster, JZ 1959, 772 (773). 812 Siehe zur Rechtfertigung der Tötung von Unbeteiligten bei der Begehung eines „Tyrannenmords“ L. Fritze, in: Backes/Eckhard (Hg.), Jahrbuch Extremismus und Demokratie, 12. Jahrgang, 101 (105 ff.). Weiterhin ist bemerkenswert, dass der Gesetzgeber in der Präambel des BEG von der Rechtmäßigkeit der Widerstandshandlungen am 20. Juli 1944 ausgegangen ist, vgl. BGH, NJW 1962, 195 (196), obwohl bei der Ausführung dieser Widerstandshandlungen nicht die Zielperson selbst, sondern dritte Personen – wie zum Beispiel ein Stenograph – getötet worden sind. 813 Siehe auch BGH, NJW 1962, 195 f.; kritisch dazu A. Arndt, NJW 1962, 430 ff. 811

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3. Teil: Abwehr auf Grundlage des LuftSiG

strenge Verhältnismäßigkeitsprüfung erforderlich, soweit die Rechtsgüter unbeteiligter Personen beeinträchtigt werden. Eine (anscheinend) striktere Linie hat der 3. Strafsenat des Bundesgerichtshofs mit Urteil vom 12. Oktober 1965 – also ebenfalls vor der Ergänzung des Grundgesetzes durch Art. 20 Abs. 4 GG – vertreten, in dem es um Sprengstoffanschläge zur Durchsetzung des „Selbstbestimmungsrechts der Südtiroler“ ging. In den Leitsätzen heißt es unter anderem: „Das ,Widerstandsrecht‘ ist durch den Grundsatz der Güterabwägung eingeschränkt. Diese Einschränkung ist nicht beachtet, wenn im Rahmen des Widerstandsrechts Anschläge gegen unbeteiligte Dritte gerichtet werden.“814

Auf den ersten Blick scheint nach dieser Auffassung die Beeinträchtigung von Unbeteiligten bei der Ausübung des Widerstandsrechts nicht zulässig zu sein. Allerdings ging es hier vor allem darum, dass die Anschläge bewusst gegen Unbeteiligte gerichtet waren, um so eine „Weckung des Weltgewissens“ herbeizuführen.815 Zu der Problematik der Tötung von Unbeteiligten als Folge der Widerstandshandlung, die einem anderen Zweck dient, macht das Urteil dagegen keine Aussagen. cc) Zwischenergebnis Angesichts der dargestellten Rechtsprechung und der überwiegenden Auffassung in der Literatur ist eine Rechtfertigungsmöglichkeit der Tötung von Unbeteiligten durch das Widerstandsrecht gemäß Art. 20 Abs. 4 GG gut vertretbar. Überzeugend ist vor allem das Argument G. Jakobs, der zu Recht betont, dass Art. 20 Abs. 4 GG keinen eigenen Anwendungsbereich mehr hätte, wenn das Widerstandsrecht die Tötung von Unbeteiligten nicht rechtfertigen würde.816 Welche Folgen dieser Ansatz für die staatliche Tötung von unbeteiligten Menschen hat, wird unten erörtert.817 2. Philosophische Betrachtungen Auch die Rechtsphilosophie und die Philosophie haben in jüngster Zeit das Thema der Tötung von Unbeteiligten „entdeckt“. In erster Linie ist hier die Arbeit von Fritze818 zu nennen, der sich zunächst mit der Rechtfertigung der Tö814

BGH, NJW 1966, 310. Vgl. BGH, NJW 1966, 310 (313). 816 G. Jakobs, Strafrecht AT, § 15 Rdn. 4; zustimmend M. Pawlik, FAZ vom 19. Juli 2004, 29. 817 Siehe unten 3. Teil D. II. 6. c) dd). 818 L. Fritze, Tötung Unschuldiger, 131. Fritze definiert den Begriff „Unschuldiger“ nicht in einem strafrechtlichen Sinne. Unschuldiger sei derjenige, der nicht durch 815

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tung von Unbeteiligten durch Georg Elser als Folge eines (gescheiterten) Anschlags auf Adolf Hitler am 9. November 1938 auseinandergesetzt hat.819

a) Ansatz von Fritze Fritzes Ausführungen sind bisher in der verfassungsrechtlichen Diskussion bezüglich § 14 Abs. 3 LuftSiG kaum aufgegriffen worden. Seine Untersuchung dreht sich um die Legitimation des folgenden Grundsatzes „G“: „Jeder, der eine hinreichend große gegenwärtige Gefahr für das Leben von Menschen wahrnimmt, ist auch dann berechtigt, diese Gefahr zu beseitigen, wenn dabei eine vergleichsweise geringe Anzahl Unschuldiger zu Tode kommen kann, aber keine andere Möglichkeit der Gefahrenabwehr besteht.“820

Fritze greift dabei auf das von Rawls zur Legitimation von moralischen und rechtlichen Normen entwickelte Modell des Urzustandes zurück.821 Rawls’ Modell beruht auf der Vorstellung, dass alle Menschen unter einem „Schleier des Nichtwissens“822 leben und lediglich die Naturgesetze sowie „die allgemeinen Tatsachen der menschlichen Gesellschaft“ kennen.823 Damit wüssten die Menschen nicht, ob sie jemals durch eine Gefahr, die durch die Tötung von Unbeteiligten abgewehrt werden soll, betroffen werden. Es sei jedem unbekannt, ob er selbst als Unbeteiligter aufgeopfert werden könnte und wie hoch die Wahrscheinlichkeit einer solchen Aufopferung wäre. Ergibt sich aus einer Norm, die Risiken für einzelne Personen schafft, jedoch gleichzeitig ein Vorteil für die Allgemeinheit, so sei diese Norm legitim.824 Formelhaft lassen sich diese Überlegungen wie folgt darstellen: Man nehme an, durch einen Anschlag würden aus einer Gruppe von 100 Menschen die Hälfte getötet werden. Der Anschlag könnte jedoch dadurch abgewendet werden, indem ein Mensch aus der Gruppe, der nicht für die Gefahr verantwortlich ist, getötet wird. Hier ist der persönliche Nutzen des Einzelnen bei einer Zustimmung zur Tötung des Unbeteiligten deutlich höher als bei einer fatalistischen Betrachtungsweise. Das Risiko des eigenen Todes sinkt von 50% auf 1%. „sein gegenwärtiges unrechtmäßiges – nicht notwendigerweise vorwerfbares – Verhalten dafür sorgt, dass die betreffende Gefahr gegenwärtig droht“, vgl. L. Fritze, Tötung Unschuldiger, 30. 819 L. Fritze, DZPhil 51 (2003), 213 ff. 820 L. Fritze, Tötung Unschuldiger, 30. 821 L. Fritze, Tötung Unschuldiger, 36 ff. 822 J. Rawls, 159 ff. 823 J. Rawls, 183 f. 824 Vgl. L. Fritze, Tötung Unschuldiger, 38 f.

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3. Teil: Abwehr auf Grundlage des LuftSiG

Jedoch anerkennt Fritze, dass die praktische Schwierigkeit darin liegt, die Grenze zu ziehen, bis zu welchem Punkt eine Verrechenbarkeit akzeptiert werden würde.825 Dieses Problem stellt sich insbesondere, wenn der Schadenseintritt nicht sicher ist, so zum Beispiel, wenn der Anschlag nur mit einer geringen Wahrscheinlichkeit von 10% eintreten würde. Dennoch meint Fritze, es könne grundsätzlich Situationen geben, in denen die Anwendung des Grundsatzes „G“ gerechtfertigt sein würde. Auch wenn damit noch kein endgültiges Ergebnis feststehe, so werde dennoch deutlich, dass unter Umständen die Tötung Unschuldiger moralisch legitimierbar sei.826 Fritze hat Recht mit der Aussage, dass quantitative Unterschiede eine nicht zu vernachlässigende Bedeutung für Intuitionen haben,827 auch wenn die Umsetzung dieser Intuitionen im Einzelfall schwierig sein kann. Falls eine zahlenmäßige Grenze überhaupt festgelegt werden kann, so muss diese Entscheidung wegen des Demokratieprinzips dem Gesetzgeber vorbehalten sein. Jedenfalls bedeutet das Problem einer Grenzziehung nicht automatisch, dass quantitative Überlegungen a priori keine Rolle spielen dürfen. Fritze vergleicht das quantitative Verhältnis zwischen Getöteten und Geretteten mit der Haufenparadoxie. Diese ergibt sich aus der Überlegung, dass ein Sandkorn kein Haufen ist und auch zwei Sandkörner keinen Haufen bilden. Infolge einer induktiven Prämisse würde dies für alle natürliche Zahlen n bedeuten, dass auch n + 1 keinen Sandhaufen darstellt. Daraus würde wiederum für alle n folgen, dass n Sandkörner keinen Sandhaufen bilden.828 Dennoch ist man sich darüber einig, dass es eben doch Sandhaufen gibt; lediglich die genaue Definition, wie viele Sandkörner gegeben sein müssen, fällt schwer. Übertragen auf die Tötung von Unbeteiligten würde dies bedeuten, wenn es verboten ist, einen Menschen zur Rettung von einem oder auch zwei Menschen zu töten, so müsste dies auch zur Rettung von drei anderen Menschen und von n + 1 Menschen gelten.829 Nimmt man statt n die Zahl eine Milliarde, würde im Ergebnis die moralische Intuition wohl zur Zulässigkeit der Tötung tendieren. Die Paradoxie des vorstehend Gesagten lässt sich theoretisch dadurch auflösen, dass man die Annahme zugrunde legt, dass bestimmte Aussagen nicht nur vollständig wahr oder falsch, sondern auch mehr oder weniger wahr oder falsch sein können.830 Fritze begründet mit dieser Annahme die Aussage, dass die Tö825 L. Fritze, Tötung Unschuldiger, 171. Fritze meint allerdings, es würde auch „eindeutige Fälle“ geben, ohne jedoch konkrete Beispiele für diese „eindeutigen Fälle“ zu nennen. 826 L. Fritze, Tötung Unschuldiger, 85. 827 L. Fritze, Tötung Unschuldiger, 163. 828 Zur Haufenparadoxie ausführlich R. M. Sainsbury, 45 ff. 829 Vgl. L. Fritze, Tötung Unschuldiger, 164 f.

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tung eines unbeteiligten Menschen zur Rettung einer Anzahl von n + 1 Menschen lediglich „einen hohen, aber keinen absoluten Grad an Geltung hat“.831 b) Ansatz von Sinn Sinn diskutiert aus einer strafrechtlichen Sicht die Voraussetzungen für eine Aufopferungspflicht von Unbeteiligten. Er lehnt zwar grundsätzlich eine Rechtfertigung der Tötung von Unbeteiligten ab, dennoch will er zumindest „theoretisch“ Ausnahmen in Fällen der „absoluten und objektiven Chancenlosigkeit“ akzeptieren: „Nur dann wird die Person ihren Lebensrest als bedeutungslos erkennen und ihr Leben zum Wohle der Allgemeinheit und zur Abwendung der Gefahr opfern wollen. Dieses mangelnde Interesse wird man erst unterstellen können, wenn der Einzelne seinem Tod um der Lebensrettung anderer willen einen Sinn geben wird. Erst jene Sinngebung durch den von der Notstandshandlung Betroffenen rechtfertigt es, die noch verbleibende hypothetische Lebensspanne zu verkürzen. Der Einzelne wird dann nicht Objekt staatlicher Gewalt oder bloßes Mittel zur Zweckerreichung utilitaristischer Ziele, sondern er stirbt auf Grund eigener Sinngebung des unmittelbar bevorstehenden Todes zum Wohle der noch nicht unrettbar in die Gefahrenlage geratenen Personen.“832

Sinn anerkennt zwar, dass eine solche Sinngebung nicht empirisch nachweisbar sein dürfte; dennoch könne sie normativ begründet werden. Er greift dabei auf die idealistische Vorstellung der „Vernunft“ zurück, die auch für den von der Notstandshandlung Betroffenen gelte. Die Aufopferung des eigenen verbleibenden Lebens könne bei völliger Chancenlosigkeit als Ausdruck des kategorischen Imperativs verstanden werden.833 Dagegen spreche auch nicht, dass Kant die eigene Selbsterhaltung als Pflicht gegen sich selbst versteht,834 denn diese Pflicht beanspruche keine Geltung mehr, wenn die Erhaltung eines hypothetischen Lebensrestes zur Lebensvernichtung aller führen würde. Allerdings gelte diese Rechtfertigungsmöglichkeit im Fall der Gefahrengemeinschaft mit einer einseitigen Verteilung von Rettungschancen nur „theoretisch“, da ihr praktisch unüberwindliche Hindernisse entgegenstünden.835 c) Dogmatik der Grenzsituation Pawlik versucht die Regelung des § 14 Abs. 3 LuftSiG durch eine „Dogmatik der Grenzsituation“ zu legitimieren. Dabei greift er zunächst auf Rousseau 830 831 832 833 834 835

Vgl. R. M. Sainsbury, 61 ff. L. Fritze, Tötung Unschuldiger, 168. A. Sinn, NStZ 2004, 585 (588). A. Sinn, NStZ 2004, 585 (589). Vgl. I. Kant, 13. A. Sinn, NStZ 2004, 585 (589).

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zurück, der davon ausgeht, dass der Einzelne eine Mitverantwortung für den Bestand und das Gedeihen seiner politischen Gemeinschaft hat.836 Weiterhin macht Pawlik den Fairnessgedanken Rawls’ fruchtbar,837 der darauf abzielt, dass denjenigen, der von den Leistungen des freiheitlichen Staates profitiert hat, seinerseits die Pflicht trifft, „den Staat der Freiheit zu organisieren und zu erhalten“.838 Die auf diese Weise begründeten Verpflichtungen seien nicht nur auf die eigenen Staatsbürger beschränkt: „Sie erfassen potentiell vielmehr jeden, dem die nunmehr bedrohte Rechtsordnung Daseinsfreiheit vermittelt hat. Wenn ein Angriff, wie es beispielsweise für den islamistischen Terrorismus typisch ist, weniger einem konkreten Staat als vielmehr einer ganzen Staatengemeinschaft gilt, die durch gemeinsame rechtliche Grundüberzeugungen verbunden ist, dann erweitert sich die genannte Aufopferungspflicht sogar auf alle Personen, die bislang von diesem System der Rechtlichkeit haben profitieren können.“839

Pawlik geht weiterhin davon aus, dass sich dieser Gedanke einer Aufopferungspflicht im deutschen Recht im Widerstandsrecht nach Art. 20 Abs. 4 GG widerspiegele. Obwohl sich aus der Regelung des Art. 20 Abs. 4 GG keine direkten Befugnisse des Staates ableiten ließen, führt Pawlik aus: „Jedoch sind auch im Kontext institutionalisierter militärischer Tätigkeit ohne weiteres Situationen denkbar, in denen im Interesse des Fortbestandes des Staates und seiner Rechtsordnung die Aufopferung unschuldiger Bürger unvermeidbar ist.“840

Neben der Pflicht des Soldaten, sein Leben einzusetzen, könne auch der Zivilbevölkerung die Preisgabe des eigenen Lebens „im äußersten Notfall“ abverlangt werden. Ansonsten sei eine militärische Landesverteidigung in Mitteleuropa nicht möglich.841 In Bezug auf § 14 Abs. 3 LuftSiG fordert Pawlik das Vorliegen von drei Voraussetzungen, um einen Abschuss eines zivilen Luftfahrzeuges und die damit verbundene Tötung von unbeteiligten Flugzeuginsassen zu rechtfertigen: Erstens müsse der Abschuss zur „Abwehr einer existentiellen Bedrohung der Rechtsgemeinschaft“ erforderlich sein; eine solche Gefahr sei insbesondere beim Vorliegen des Verteidigungsfalls gemäß Art. 115a Abs. 1 GG beziehungsweise bei einem bewaffneten Angriff im Sinne des Art. 51 UN-Charta gegeben. Zweitens müsse eine „eindeutig positive Kosten-Nutzen-Bilanz“ zu erwarten sein; dabei dürfe berücksichtigt werden, dass das Leben der Abgeschossenen 836 Vgl. J.-J. Rousseau, Zweites Buch, 5. Kapitel: „Wer sein Leben auf Kosten anderer erhalten will, muss es auch für sie hingeben, wenn es nötig ist.“ 837 Vgl. J. Rawls, 133 ff. 838 H. Hofmann, HdBStR, Band V, § 114 Rdn. 36. 839 M. Pawlik, JZ 2004, 1045 (1053). 840 M. Pawlik, JZ 2004, 1045 (1053). 841 M. Pawlik, JZ 2004, 1045 (1053).

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ohnehin verloren sei.842 Die Abwägungsfestigkeit des unschuldigen menschlichen Lebens stehe nicht entgegen, da es gerade um die Abwehr existentieller Bedrohungen gehe.843 Drittens müsse eine Aufopferungsentschädigung – ähnlich wie bei der Inanspruchnahme von Nichtstörern im polizeilichen Notstand – zu Gunsten der Hinterbliebenen geregelt werden.844 Pawlik stellt jedoch im Ergebnis fest, dass § 14 Abs. 3 LuftSiG diesen Voraussetzungen nicht gerecht worden ist.845 § 14 Abs. 3 LuftSiG beschränke sich vor allem nicht auf Angriffe, die eine existentielle Bedrohung des Staatswesens herbeiführen: § 14 Abs. 3 LuftSiG umschreibe „die Eingriffssituation in rein individualistischer Manier: Waffengewalt sei zulässig, wenn davon auszugehen sei, dass das Flugzeug gegen das Leben von Menschen eingesetzt werden solle. Auf seinen inhaltlichen Kern reduziert heißt das: Um Leben zu retten, darf Leben vernichtet werden. In dieser Form stellt die Vorschrift in der Tat den von Merkel gerügten Tabubruch dar.“846

3. Diskussion nach den Anschlägen vom 11. September 2001 Nach dem 11. September 2001 lag der Schwerpunkt der verfassungsrechtlichen Diskussion zunächst eindeutig auf den wehrverfassungsrechtlichen Problemen der Zulässigkeit eines Einsatzes der Streitkräfte außerhalb des Verteidigungsauftrages. Grundrechtliche Fragen der Tötung von Unbeteiligten wurden dagegen zunächst kaum behandelt.847 Erst nach der Vorlage des Gesetzentwurfes zum LuftSiG am 5. November 2003848 ist die grundrechtliche Problematik der Tötung der Flugzeugpassagiere vertieft aufgegriffen worden. Bemerkenswert ist, dass die amtliche Begründung des Gesetzentwurfes kein Wort zur Menschenwürde oder zum Grundrecht auf Leben der unbeteiligten Flugzeuginsassen verliert.849

842

M. Pawlik, JZ 2004, 1045 (1054). M. Pawlik, JZ 2004, 1045 (1054 f.). 844 M. Pawlik, JZ 2004, 1045 (1055). 845 Pawlik meint noch, dass § 14 Abs. 3 LuftSiG die letzte Voraussetzung erfüllt hatte. Jedoch ist nach der Veröffentlichung von Pawliks Aufsatz die Regelung eines Schadensersatzanspruches der Unbeteiligten in § 16 des Gesetzentwurfes, der auf §§ 51 ff. BGSG verwiesen hatte, im Gesetzgebungsverfahren gestrichen worden. 846 M. Pawlik, JZ 2004, 1045 (1055); ähnlich argumentiert auch T. Hartleb, NJW 2005, 1397 (1400 f.). 847 Erste Lösungsansätze finden sich bei M. Hochhuth, NZWehrr 2002, 154 (164 f.), und P. Wilkesmann, NVwZ 2002, 1316 (1322), die maßgeblich mit der „Todesgeweihtheit“ der Passagiere und Besatzungsmitglieder argumentieren. 848 BR-Drucks. 827/03. 849 Vgl. BT-Drucks. 15/2361, 21. 843

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a) Äußerungen in der öffentlichen Sachverständigenanhörung In der öffentlichen Sachverständigenanhörung des Innenausschusses des Bundestages am 26. April 2004850 äußerten sich die Teilnehmer auch zu der grundrechtlichen Problematik des § 14 Abs. 3 LuftSiG. Dabei spielte Art. 1 Abs. 1 GG nur eine untergeordnete Rolle; es wurde überwiegend mit dem Verbot der Abwägung im Bereich des Grundrechts auf Leben argumentiert. Robbers ist der Meinung, dass die Menschenwürde allenfalls „gefährdet“ sei. Sie sei aber nicht „im Sinne von Art. 1 [Abs. 1 GG] beschränkt oder berührt“.851 Dies ergebe sich durch die Schrankenregelung des Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG. Zudem wären die Bejahung eines Verstoßes gegen die Menschenwürde und die damit verbundenen Einschränkungen des staatlichen Handlungsspielraumes eine „Einladung für jeden Straftäter und jeden Terroristen, möglichst viele Flugzeuge zu entführen, weil sie nicht abgeschossen werden dürften“.852 In der schriftlichen Stellungnahme verneint auch Epping, dass die Unbeteiligten zum Objekt des Staates gemacht werden, da eine Tötung wegen der staatlichen Schutzpflicht für die bedrohten Menschen am Boden gerechtfertigt sei.853 Baldus meint ebenfalls, die Menschenwürde der Passagiere bleibe unangetastet: „Die in Kauf genommene Tötung der Passagiere geht nicht mit Verhaltensweisen und Motivationen einher, durch die den Betroffenen der Achtungsanspruch als Mensch abgesprochen wird. Eine solche, zum Tod der Passagiere führende Maßnahme zielt alleine darauf, das Leben der Menschen zu retten, die am Zielort des Absturzes bedroht sind.“854

b) Quantifizierung als Menschenwürdeverstoß Baumann hat sich als erster ausführlich mit dem Schutz der Menschenwürde und § 14 Abs. 3 LuftSiG auseinandergesetzt. Nach Baumann wird eine Tötung dann menschenwürderelevant, „wenn sie Ausdruck der Degradierung des einzelnen Menschen zu einer ersetzbaren Dispositionsmasse ist, über die zur Verfolgung von (möglicherweise durchaus wichtigen) Gemeinwohlzielen verfügt werden kann“.855

850

Innenausschuss-Protokoll 15/35. G. Robbers, Anhörung, 43. 852 G. Robbers, Anhörung, 43. 853 V. Epping, Stellungnahme, 11. 854 M. Baldus, Stellungnahme, 24. 855 K. Baumann, DÖV 2004, 853 (858). Ansätze in diese Richtung finden sich bereits bei T. Blank, 125 f.; K. Fehn/M. Brauns, 67; S. Dönicke, 109 f. 851

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Dies folge aus zwei Gründen: Zum einen werde der Einzelne zu einer bloßen „Rechengröße“, indem seine Wertigkeit als Individuum von äußeren Faktoren bestimmt werde, nämlich durch die Gewichtung anderer Rechtsgüter und Gemeinschaftsbelange. Weiterhin gebiete die Menschenwürde, dass der Mensch stets in „seiner jede Substitution ausschließenden Einzigartigkeit“ wahrgenommen wird. Durch eine Quantifizierung mutiere der Mensch jedoch zu einem „bloßen Zählposten in einem umfangreichen Wertgefüge“. Dies widerspreche der Zielrichtung des Art. 1 Abs. 1 GG, die gesamte verfassungsmäßige Ordnung am Geltungsanspruch des einzelnen Menschen und nicht an den Zielen der Gemeinschaft auszurichten.856 In einem nächsten Schritt greift Baumann die Argumentation von Wilkesmann und Hochhuth, die vertreten, dass die Flugzeuginsassen als ohnehin „Todgeweihte“ geopfert werden dürften,857 auf und prüft, ob das Verbot der Quantifizierung auch auf die Aufopferung „Todgeweihter“ übertragbar ist. Er wendet sich gegen eine Differenzierung nach dem Kriterium der „Todesgeweihtheit“. Zum einen bestehe eine Prognoseunsicherheit im Hinblick auf den zukünftigen Verlauf der Flugzeugentführung, zum anderen ende das Grundrecht auf Leben nach Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und der diesem Grundrecht immanente Menschenwürdekern erst mit dem irreversiblen Verlust der Lebensfunktionen.858 Eine vorzeitige Beendigung von Leben durch staatliche Maßnahmen mit dem Ziel, andere Leben zu retten, könne daher nichts am Vorliegen einer „Quantifizierungssituation“ ändern.859 Die Tötung der Flugzeugpassagiere könne auch nicht mit dem finalen Rettungsschuss verglichen werden: Der zu tötende Angreifer werde nicht „als bloße Verfügungsmasse oder als Zählgröße in einem Rechenexempel zum Ziel des Todesschusses, sondern wegen der durch selbstbestimmtes Verhalten erfolgten Verursachung einer nur durch die Tötung abwendbaren Gefahr für das Leben anderer“.860

Wegen dieser Selbstbestimmtheit werde der Angreifer nicht zum Objekt staatlichen Handelns gemacht; vielmehr könne er als „Gegenspieler“ der Staats856 K. Baumann, DÖV 2004, 853 (858); zustimmend E. Hilgendorf, in: Blaschke u. a. (Hg.), Sicherheit statt Freiheit?, 107 (120); J. F. Lindner, DÖV 2006, 577 (586); K. Lüderssen, StV 2005, 106; B. Pieroth/B. J. Hartmann, JURA 2005, 729 f.; vgl. auch vor der Diskussion bezüglich § 14 Abs. 3 LuftSiG in diese Richtung T. Hörnle, ARSP 2003, 318 (324 ff., 329). 857 P. Wilkesmann, NVwZ 2002, 1316 (1322); M. Hochhuth, NZWehrr 2002, 154 (165 f.). 858 K. Baumann, DÖV 2004, 853 (859). 859 K. Baumann, DÖV 2004, 853 (859); ebenso J. Kersten, NVwZ 2005, 661 (663); T. Hartleb, NJW 2005, 1397 (1398), der die Berücksichtigung der Todesgeweihtheit der Passagiere als das Öffnen der „Büchse der Pandora“ bezeichnet. 860 K. Baumann, DÖV 2004, 853 (859); vgl. T. Schöne/T. Klaes, DÖV 1996, 992 (996).

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3. Teil: Abwehr auf Grundlage des LuftSiG

gewalt den Geschehensablauf durch eigenes Handeln kontrollieren. Seine Subjektsqualität werde durch die Tötung nicht in Frage gestellt.861 c) Weitere Stimmen pro Menschenwürdeverletzung Ähnlich wie Baumann begründet auch Schlink die Verletzung der Menschenwürde durch § 14 Abs. 3 LuftSiG mit einer Verrechnung des Lebens der Passagiere mit dem Leben der zu rettenden Menschen am Boden. Die unbeteiligten Flugzeuginsassen würden zum „bloßen Mittel der Abschuss- und Rettungsaktion gemacht“.862 Kersten folgt im Wesentlichen dem Ansatz Baumanns. Eine normative Kompensation für die Subjektsverletzung aufgrund der Aufopferung der unbeteiligten Passagiere sei nicht ersichtlich; eine Qualifizierung der Passagiere als „Teil der Waffe“863 sei nicht gerechtfertigt. Auch die Entscheidung des Landgerichts Hannover, dass jeder das allgemeine Lebensrisiko zu tragen habe, Opfer eines terroristischen Anschlags werden zu können,864 ändere nichts daran, dass den Passagieren die Pervertierung des Luftfahrzeuges als Waffe nicht zuzurechnen sei.865 Höfling und Augsberg betonen, dass die Unbeteiligten nicht mehr als Menschen, sondern nur noch als „Zielobjekt der staatlichen Maßnahme“ behandelt werden würden, wobei keine irgendwie geartete subjektive Zurechnung stattfinde.866 Archangelskij diskutiert, ob eine Menschenwürdeverletzung trotz des Abschusses mit dem Argument verneint werden kann, dass der Staat auch verpflichtet ist, die Menschenwürde der bedrohten Menschen am Boden zu schützen. Er greift dabei auf die Ausführungen Mangakis’ zurück, der die Frage aufgeworfen hat, ob durch die Aufrechterhaltung des Verbots der Tötung von Unbeteiligten die noch zu rettenden Personen als Zweck für die Aufrechterhaltung des abstrakten Tötungsverbotes gebraucht werden.867 Allerdings meint Archangelskij, im Fall der Kollision zwischen dem Menschenwürdeschutz mehrerer Personen868 sei der Achtungsanspruch der Flugzeuginsassen höherwertig und müsse daher vom Staat vorrangig erfüllt werden:

861 K. Baumann, DÖV 2004, 853 (859 f.); vgl. BVerfG, NJW 2006, 751 (760 Abs. 141). 862 B. Schlink, Der Spiegel vom 17. Januar 2005, 34; zustimmend W. Höfling/ S. Augsberg, JZ 2005, 1080 (1083). 863 Vgl. V. Epping, Anhörung, 58; ähnlich auch G. Robbers, Anhörung, 43. 864 LG Hannover, Urteil vom 27. Oktober 2004 – 13 O 114/04. 865 J. Kersten, NVwZ 2005, 661 (663). 866 W. Höfling/S. Augsberg, JZ 2005, 1080 (1083). 867 Vgl. G. Mangakis, ZStW 84 (1972), 447 (471); siehe zur Bedeutung des Tötungsverbotes im Bereich des § 34 StGB F.-B. Delonge, 118 ff.

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„Die Pflicht des Staates, in unserem Fall die Würde der Menschen am Boden zu schützen, ist damit keine grundrechtliche, sondern wiederum ,nur‘ eine schwächere sozialstaatliche. Ist diese Schutzpflicht aber damit nicht gleichrangig mit der Achtungspflicht gegenüber den Menschen in der Maschine, verletzt der Staat die Menschenwürde der Opfer am Boden nicht, indem er ihnen die Rettungshandlung verweigert.“869

Im Ergebnis formuliert Archangelskij zugespitzt, die Tötung von Unbeteiligten nach § 14 Abs. 3 LuftSiG degradiere diese zu „Kanonenfutter“ und daher sei eine Menschenwürdeverletzung gegeben.870 d) Ansatz von Herdegen Herdegen befürwortet in seiner Neukommentierung des Art. 1 Abs. 1 GG im Maunz/Dürig einen situationsgebundenen Wertungs- und Abwägungsspielraum hinsichtlich des Schutzbereiches der Menschenwürde.871 Der Schutzbereich der Menschenwürde enthalte einen „,Würdekern‘, dessen Verletzung rein-gegenständlich-modal durch die Art der Behandlung in Abstraktion von weiteren Umständen begründet ist (etwa Genozid oder Massenvertreibung). [. . .] In anderen Fällen begründet dagegen nicht der Modus, sondern die Finalität der Maßnahme die Würdeverletzung.“872

Der eigentliche Würdekern sei schmal und werde im Wesentlichen durch Verfolgungsmaßnahmen totalitärer Regime und polizeiliche Exzesse aus rassisch-ethnischen Gründen ausgefüllt. Außerhalb des Würdekerns müsse eine

868 A. Archangelskij, 114, erkennt dabei ausdrücklich die Zulässigkeit einer Abwägung im Bereich der Menschenwürde an. Seine Begründung für dieses Ergebnis überrascht. Er führt aus: „Gerade die Zuweisung einer ,Unantastbarkeit‘ durch das Grundgesetz bedeutet, dass dieses Grundrecht einen bestimmten Rang – nämlich den höchsten – in der Wertehierarchie des Grundgesetzes besitzt und deswegen durchaus – wie jedes andere Grundrecht – einer Abwägung zugänglich ist. Eine ,Sonderstellung‘ dieses Grundrechtes im Vergleich zu den anderen ist nicht plausibel.“ Einerseits meint Archangelskij, dass die Menschenwürde den höchsten Wert innerhalb des Grundgesetzes besitzt, andererseits lehnt er eine Sonderstellung ab und will die Menschenwürde wie die übrigen Grundrechte behandeln. Im Ergebnis begründet er damit die Abwägungsoffenheit mit der Unantastbarkeit der Menschenwürde. Dies ist widersprüchlich, da die Unantastbarkeit den Menschenwürdeschutz gerade unterstreichen, aber keinesfalls abmildern will. 869 A. Archangelskij, 115. 870 A. Archangelskij, 112. 871 Kritisch zu Herdegens Auffassung E.-W. Böckenförde, FAZ vom 3. September 2003, 33 ff. 872 Maunz/Dürig-M. Herdegen, Art. 1 Abs. 1 Rdn. 43. Kritisch zu diesem Ansatz N. Petersen, KJ 2004, 316 (320), der Herdegen vorwirft, er würde die Menschenwürde de facto zu einem Freiheitsgrundrecht mit einfachem Gesetzesvorbehalt degradieren.

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3. Teil: Abwehr auf Grundlage des LuftSiG

„wertende Gesamtwürdigung“ aller relevanten Umstände vorgenommen werden.873 „Die wertende Gesamtbetrachtung bedeutet nicht, dass die Menschenwürde einfach der Abwägung mit anderen Verfassungsbelangen preisgegeben wird. Vielmehr ergibt sich der Achtungsanspruch überhaupt erst aus einer bilanzierenden Gesamtwürdigung. Der so ermittelte Würdeanspruch gilt dann absolut. Eine Abwägung mit anderen Grundrechten und sonstigen Rechtsgütern von Verfassungsrang findet nicht mehr statt. Das meint das Grundgesetz, wenn es in Art. 1 Abs. 1 GG die Würde des Menschen für ,unantastbar‘ erklärt.“874

Herdegen überträgt seine Auffassung auch auf die Tötung unbeteiligter Dritter zum Schutz von Menschenleben. Er meint, eine Würdeverletzung könne nicht mit der Aussage begründet werden, Art. 1 Abs. 1 GG verbiete kategorisch eine Abwägung von „Leben gegen Leben“. Vielmehr habe die Bewertung in erster Linie im Lichte des Grundrechts auf Leben gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG zu erfolgen. Es gehe nämlich „um die Abwägung gleichrangiger Verfassungsgüter mit Höchstrang, um einen Güterkonflikt im Rahmen ein und derselben Grundrechtsgarantie“.875 „In diesem Rahmen finden auch die Alternativlosigkeit der Maßnahme, die Problematik einer zahlenmäßigen Abwägung sowie die verbleibende Lebensperspektive der Betroffenen Berücksichtigung. Die Würdegarantie liefert für einen derartigen Notstand nur wenige zusätzliche Bewertungskriterien. Insbesondere lässt sich die Inkaufnahme der Tötung Unbeteiligter nicht als dessen ,Instrumentalisierung‘ begreifen; denn der Zugriff auf das Leben ist hier nicht Mittel, sondern unausweichliche Folge der Gefahrenabwehr.“876

Ausdrücklich mit Bezug auf § 14 Abs. 3 LuftSiG meint Herdegen: „Auch die Berücksichtigung eines ohnehin unmittelbar drohenden Todes [. . .] verletzt den Würdeanspruch nicht, da sich dieses Kriterium gerade auf das beeinträchtigte Rechtsgut Leben (in seinem schicksalhaft, nicht von Staats wegen geminderten Gehalt) bezieht.“877

In der Verletzung des Grundrechts auf Leben könne aber dann eine Würdeverletzung liegen, wenn die Tötung Vieler zur Rettung Weniger hingenommen

873 Maunz/Dürig-M. Herdegen, Art. 1 Abs. 1 Rdn. 43; siehe auch P. Lerche, FS Mahrenholz 1994, 515 (518): „Einen gewissen Spielraum kann sich der Staat allerdings durch die Analyse verschaffen, dass ein und dasselbe staatliche Einwirken, je nachdem unter welchen näheren Bedingtheiten es zu verantworten ist, in dem einen Fall als Verstoß gegen Art. 1 Abs. 1 GG gewertet werden müsste, in anderen Fällen diesem Verdikt entgeht.“ 874 Maunz/Dürig-M. Herdegen, Art. 1 Abs. 1 Rdn. 43; E.-W. Böckenförde, FAZ vom 3. September 2003, 33 (35), meint, es falle schwer, diese Argumentation als „in sich konsistent“ anzusehen. 875 Maunz/Dürig-M. Herdegen, Art. 1 Abs. 1 Rdn. 90. 876 Maunz/Dürig-M. Herdegen, Art. 1 Abs. 1 Rdn. 90. 877 Maunz/Dürig-M. Herdegen, Art. 1 Abs. 1 Rdn. 90.

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oder die Verhältnismäßigkeit in sonstiger Weise eklatant missachtet werden würde. Art. 1 Abs. 1 GG verbiete es dem Staat, eine Auswahl an das „So-Sein des Einzelnen“ anzuknüpfen und damit zum Richter über die „Wertigkeit“ des einzelnen Lebens zu werden. Im Ergebnis liege ein Verstoß gegen die Menschenwürde aber nur dann vor, wenn durch die Abwägung die Gleichwertigkeit aller menschlichen Existenz in Frage gestellt wird.878 e) Ansatz von Re. Merkel Zunächst stellt Re. Merkel fest, der Staat könne Unbeteiligten „niemals“ eine Pflicht zur Aufopferung des eigenen Lebens auferlegen. Der vollständige Entzug des Grundrechts auf Leben durch § 14 Abs. 3 LuftSiG verletze Art. 3 Abs. 1 GG und „deshalb wohl auch die Menschenwürde, die vor allem den fundamentalen Status als gleiche Rechtsperson, als Grundrechtsträger garantiert“.879 Dennoch diskutiert Merkel – ähnlich wie Sinn – auf theoretischer Ebene eine Rechtfertigung des § 14 Abs. 3 LuftSiG. Die Norm könnte legitimierbar sein, wenn deutlich werden würde, dass es nicht um das Leben der Passagiere geht, sondern um die „Exklusion ,Unschuldiger‘ aus dem Recht“.880 Eine solche Exklusion wäre allerdings nur möglich, wenn es um die Aufrechterhaltung der staatlichen Ordnung geht. Dazu müsste ein terroristischer Angriff vorliegen, der „auf das Herz des Staates“ zielt. Die Tötung von Unbeteiligten könnte also dann gerechtfertigt sein, wenn es darum geht, die Fähigkeit des Staates zur Gewährleistung der Rechtsordnung und des Schutzes seiner Bürger grundsätzlich zu erhalten.881 Merkel führt wörtlich aus: „Wenn die Garantiefunktion des Staates für den Bestand der gesamten Normenordnung bedroht ist, dann mag seine Verpflichtung auf die internen Maximen dieser Ordnung im Extremfall ihren Sinn verlieren. Das ist es, was der Begriff einer Exklusion aus den Grundrechten bezeichnet, und anders wird sich die Konsequenz des Gesetzes schwerlich bezeichnen lassen.“882

878

Maunz/Dürig-M. Herdegen, Art. 1 Abs. 1 Rdn. 90. Re. Merkel, Die Zeit vom 8. Juli 2004, 33; zustimmend J. F. Lindner, FAZ vom 15. Oktober 2004, 8. 880 Re. Merkel, Die Zeit vom 8. Juli 2004, 33; siehe dazu auch J.-M. Silva Sánchez, ZStW 118 (2006), 547 ff.; G. Jakobs, ZStW 117 (2005), 839 (848). 881 Re. Merkel, Die Zeit vom 8. Juli 2004, 33 (34); siehe bereits oben 3. Teil D. II. 2. c). 882 Re. Merkel, Die Zeit vom 8. Juli 2004, 33 (34). 879

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3. Teil: Abwehr auf Grundlage des LuftSiG

f) Ansatz von Gramm Gramm diskutiert – ähnlich wie Pawlik und Sinn883 – den Aufopferungsgedanken als „neue Wertung im Recht“. Es dürfe nicht übersehen werden, dass das Bundesverfassungsgericht in der Vergangenheit betont hat, dass die Menschenwürde in der „Gemeinschaftsbezogenheit und Gemeinschaftsgebundenheit“884 der Menschen wurzelt. Der Aufopferungsgedanke sei dem deutschen Recht nicht fremd, vielmehr habe er seinen Niederschlag zum Beispiel in gesetzlichen Impfzwängen gefunden, die als verfassungskonform angesehen worden sind,885 obwohl sicher absehbar war, dass einige Menschen zu Tode kommen würden: „Die Logik des Impfzwanges ist eindeutig: Um der Gesundheit aller Willen wurde der Tod einiger als unerwünschte, aber statistisch vorhersehbare Folge des staatlichen Zwangseingriffs ,Schutzimpfung‘ hingenommen.“886

Die Aufopferungspflicht greife dabei nicht nur bei Angriffen auf das „Staatsganze“, sondern auch dann, wenn es um die Tötung von unrettbar Verlorenen geht, die zwar zum Objekt staatlichen Handelns gemacht, aber nicht instrumentalisiert werden, da ihr Tod nur die „unvermeidliche Folge der Unterbrechung eines sonst für weit mehr Menschen tödlichen Kausalverlaufs“ ist.887 Auch die Gleichwertigkeit des Lebens werde nicht angetastet, denn es gehe nicht um eine Verrechnung von Menschenleben; vielmehr würde der Verzicht auf den staatlichen Schutz für die bedrohten Menschen am Boden dazu führen, dass diesen eine „negative“ Solidarität zu den Flugzeugpassagieren auferlegt werden würde, wodurch die Menschen am Boden der Willkür und der Anmaßung der Entführer ausgesetzt werden würden.888 g) Weitere Stimmen contra Menschenwürdeverletzung Burkiczak meint, die Quantifizierung stelle keine Menschenwürdeverletzung dar, weil die Tötung der Passagiere nicht Ziel des Abschusses sei, sondern lediglich dessen zwangsläufige und in Kauf genommene Folge. Dadurch würden die Unbeteiligten nicht zum Objekt staatlichen Handelns degradiert.889 Nach Paulke ist eine staatliche Tötung nur dann eine Menschenwürdeverletzung, wenn sie auf Grund einer menschenverachtenden Gesinnung durchgeführt 883 884 885 886 887 888 889

(436).

Siehe oben 3. Teil D. II. 2. a) und b). BVerfGE 4, 7 (15 f.); 109, 133 (151). Vgl. BVerwGE 9, 78; BGHSt 4, 375. C. Gramm, DVBl. 2006, 653 (659). C. Gramm, DVBl. 2006, 653 (660). C. Gramm, DVBl. 2006, 653 (661). C. Burkiczak, VR 2004, 379 (385); ähnlich U. Sittard/M. Ulbrich, JuS 2005, 432

D. Grundrechtliche Probleme

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wird.890 Dies sei jedoch bei einem Abschuss nach § 14 Abs. 3 LuftSiG nicht der Fall. Vielmehr werde mit der Rettung von Menschenleben ein legitimer Zweck verfolgt: „Die im Ultima-Ratio-Fall zu erfolgenden Maßnahmen dienen allein der Rettung eines in diesem Augenblick als höherrangig zu bewertenden Rechtsgutes. Ein elementarer Aspekt ist darin zu sehen, dass den Betroffenen keine höhere Opferlast abverlangt wird, als diejenige, mit der sie bereits seitens der Entführer selbst beschwert sind. Sowohl die Opferposition als auch die Opferlast sind durch die Geiselnehmer begründet.“891

Mit einer ähnlichen Begründung lehnen auch andere eine Menschenwürdeverletzung durch die Tötung von Unbeteiligten bei einem Abschuss gemäß § 14 Abs. 3 LuftSiG ab.892 Odendahl betont dabei, die Unbeteiligten würden nicht als „Instrument der Gefahrenabwehr“ eingesetzt, sondern der Abschuss erfolge in „Erfüllung staatlicher Schutzpflichten“.893 Enders greift zur Ablehnung einer Menschenwürdeverletzung auf die Sicherung des Bestandes der Rechtsordnung als solcher zurück; seine Argumentation ähnelt dem Ansatz der „Dogmatik der Grenzsituation“ von Pawlik. Enders meint, der Staat sei dazu befugt, „jedem Einzelnen die Solidarität abzuverlangen, deren es bedarf, um das rechtlich verfasste Gemeinwesen vor Angriffen zu bewahren, die auf seinen Zusammenbruch abzielen. Die Verpflichtung des Staates, die Bedingungen der Möglichkeit rechtlicher Freiheit überhaupt zu bewahren, genießt Vorrang vor dem Schutz selbst gewichtiger, rechtlich anerkannter Einzelinteressen.“ 894

Linke meint, ein Menschenwürdeverstoß durch § 14 Abs. 3 LuftSiG sei nicht gegeben, da der individuelle Wert des Lebens nicht aufgerechnet werde. Vielmehr sei eine Abschussentscheidung davon abhängig, ob trotz der Folgen der Tötung von Unbeteiligten am Ende größeres Unheil verhindert werden kann: „Dabei erfolgt die scheinbar quantitative Entscheidung nicht willkürlich, sondern auf Grund einer Abwägung der tragischen Eingriffsfolge, des durch den Flugzeugangriff drohenden Schadens und der Chancen eines Abwehrversuches mit militärischen Mitteln.“895

890

K. Paulke, 308; vgl. D. Beisel, JA 1998, 721 (727). K. Paulke, 308. 892 P. Dreist, in: Blaschke u. a. (Hg.), Sicherheit statt Freiheit?, 77 (101); F. Rettenmaier, VR 2006, 109 (111 Fn. 23); K. Odendahl, Die Verwaltung 38 (2005), 425 (450 f.). 893 K. Odendahl, Die Verwaltung 38 (2005), 425 (450 f.). 894 BerlK-C. Enders, Art. 1 Rdn. 93. Unklar bleibt allerdings, wie Enders den Vorrang der staatlichen Schutzpflicht gegenüber der Menschenwürde begründen will, denn an anderer Stelle führt er aus, dass die Menschenwürde „oberstes Konstitutionsprinzip der grundgesetzlichen Ordnung“ ist, vgl. BerlK-C. Enders, Art. 1 Rdn. 52. 895 T. Linke, NWVBl. 2006, 71 (76 f.). 891

318

3. Teil: Abwehr auf Grundlage des LuftSiG

4. Ansicht des Bundesverfassungsgerichts Die Urteilsbegründung des Bundesverfassungsgerichts ähnelt in weiten Teilen Baumanns Argumentation. Es prüft einen Verstoß gegen die Menschenwürde nicht losgelöst von Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, sondern erörtert die Verletzung des Grundrechts auf Leben vor dem Hintergrund des Menschenwürdekerns des Lebens: „§ 14 Abs. 3 LuftSiG steht darüber hinaus im Hinblick auf die Menschenwürdegarantie [. . .] auch materiell mit Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht in Einklang, soweit er es den Streitkräften gestattet, Luftfahrzeuge abzuschießen, in denen sich Menschen als Opfer eines Angriffs auf die Sicherheit des Luftverkehrs im Sinne des § 1 LuftSiG befinden.“896

Mit der Verknüpfung zwischen Menschenwürde und dem Grundrecht auf Leben setzt das Bundesverfassungsgericht seine bisherige Rechtsprechung fort, nach der ein Gesetz, das gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG das Grundrecht auf Leben beschränkt, seinerseits im Lichte dieses Grundrechts und der damit eng verknüpften Menschenwürde ausgelegt werden müsse. Dies folge aus der Tatsache, dass das menschliche Leben „die vitale Basis der Menschenwürde als tragendem Konstitutionsprinzip und oberstem Verfassungswert“ darstelle.897 Diese Auslegung von Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG ist im Zusammenhang mit der Tendenz des Bundesverfassungsgerichts zu sehen, die speziellen Grundrechtsgewährleistungen verstärkt als Ausfluss der Menschenwürde zu verstehen.898 Bedenklich ist dabei, dass dieser Ansatz droht, die einzelnen Grundrechte durch das Hineinlesen der Menschenwürde zu „überfrachten“.899 a) Rekurs auf die „Objektformel“ Einleitend anerkennt das Bundesverfassungsgericht, dass eine Bestimmung der Reichweite des Schutzes der Menschenwürde „nicht ein für allemal abschließend“ möglich ist.900 Zur Auslegung der Menschenwürde rekurriert das

896 BVerfG, NJW 2006, 751 (757 Abs. 118). Damit folgt das Bundesverfassungsgericht im Wesentlichen der Argumentation der Beschwerdeführer, vgl. B. Hirsch, KritV 2006, 3 (8 ff.); P.-A. Albrecht, KritV 2006, 295. 897 BVerfG, NJW 2006, 751 (757 Abs. 119), unter Berufung auf BVerfGE 39, 1 (42); 72 105 (115); 109, 279 (311). 898 Vgl. die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum so genannten „Großen Lauschangriff“, BVerfGE 109, 279 (313 f.). 899 Siehe bereits die Argumentation gegen die Verknüpfung der Menschenwürde und des Grundrechts auf Leben oben 3. Teil D. 900 BVerfG, NJW 2006, 751 (757 Abs. 121), unter Berufung auf BVerfGE 45, 187 (229); 96, 375 (399 f.).

D. Grundrechtliche Probleme

319

Bundesverfassungsgericht dann auf seine „Objektformel“ der früheren Rechtsprechung: Jedenfalls schütze Art. 1 Abs. 1 GG den „einzelnen Menschen nicht nur vor Erniedrigung, Brandmarkung, Verfolgung, Ächtung und ähnlichen Handlungen durch Dritte oder durch den Staat selbst.“901 Weiterhin sei die Vorstellung des Grundgesetzgebers, dass der Mensch „in der Gemeinschaft grundsätzlich als gleichberechtigtes Glied mit Eigenwert“ anzuerkennen ist, zu beachten. Die Verpflichtung zur Achtung und zum Schutz der Menschenwürde schließe es „generell aus, den Menschen zum bloßen Objekt des Staates zu machen“.902 „Schlechthin verboten ist damit jede Behandlung des Menschen durch die öffentliche Gewalt, die dessen Subjektqualität, seinen Status als Rechtssubjekt, grundsätzlich in Frage stellt, indem sie die Achtung des Wertes vermissen lässt, der jedem Menschen um seiner selbst willen, kraft seines Personseins, zukommt. Wann eine solche Behandlung vorliegt, ist im Einzelfall mit Blick auf die spezifische Situation zu konkretisieren, in der es zum Konfliktfall kommen kann.“903

Diesen Maßstäben werde § 14 Abs. 3 LuftSiG nicht gerecht, „soweit vom Abschuss eines Luftfahrzeugs Personen betroffen werden, die als dessen Besatzung und Passagiere auf die Herbeiführung des in § 14 Abs. 3 LuftSiG vorausgesetzten nichtkriegerischen Luftzwischenfalls keinen Einfluss genommen haben“.904

Die Passagiere und die Besatzung eines Luftfahrzeuges befänden sich in einer ausweglosen Lage, die sie nicht mehr unabhängig von anderen selbstbestimmt beeinflussen könnten. Ergreift der Staat in einer solchen Situation Maßnahmen nach § 14 Abs. 3 LuftSiG, so würde er die unschuldigen Menschen „als bloße Objekte seiner Rettungsaktion zum Schutze anderer“ behandeln.905 Das Bundesverfassungsgericht stellt in diesem Zusammenhang vor allem auf die Unbeherrschbarkeit der Situation aus Sicht der „unschuldigen“ Flugzeuginsassen ab: „Flugzeugbesatzung und -passagiere können diesem Handeln des Staates [gemeint ist der Abschuss] auf Grund der von ihnen in keiner Weise beherrschbaren Gegebenheiten nicht ausweichen, sondern sind ihm wehr- und hilflos ausgeliefert mit der Folge, dass sie zusammen mit dem Luftfahrzeug gezielt abgeschossen und infolgedessen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit getötet werden. Eine solche Behandlung missachtet die Betroffenen als Subjekte mit Würde und unveräußerli-

901 BVerfG, NJW 2006, 751 (757 Abs. 121), unter Berufung auf BVerfGE 1, 97 (104); 107, 275 (284); 109, 279 (312). 902 BVerfG, NJW 2006, 751 (757 Abs. 121), unter Berufung auf BVerfGE 27, 1 (6); 45, 187 (228); 96, 375 (399). 903 BVerfG, NJW 2006, 751 (757 f. Abs. 121), unter Berufung auf BVerfGE 30, 1 (25 f.); 109, 279 (311 f.). 904 BVerfG, NJW 2006, 751 (758 Abs. 122). 905 BVerfG, NJW 2006, 751 (758 Abs. 124).

320

3. Teil: Abwehr auf Grundlage des LuftSiG

chen Rechten. Sie werden dadurch, dass ihre Tötung als Mittel zur Rettung anderer benutzt wird, verdinglicht und zugleich entrechtlicht; indem über ihr Leben von Staats wegen einseitig verfügt wird, wird den als Opfern selbst schutzbedürftigen Flugzeuginsassen der Wert abgesprochen, der dem Menschen um seiner selbst willen zukommt.“906 Daher „ist es unter der Geltung des Art. 1 Abs. 1 GG schlechterdings unvorstellbar, auf Grundlage einer gesetzlichen Ermächtigung unschuldige Menschen [. . .] vorsätzlich zu töten“.907

Der Gesetzgeber sei nicht dazu befugt, eine gesetzliche „Eingriffsbefugnis zu Maßnahmen der in § 14 Abs. 3 LuftSiG geregelten Art gegenüber unbeteiligten, unschuldigen Menschen“ zu normieren. Solche Maßnahmen könnten nicht auf diese Weise als rechtmäßig qualifiziert und damit erlaubt werden: „Sie sind als Streitkräfteeinsätze nichtkriegerischer Art mit dem Recht auf Leben und der Verpflichtung des Staates zur Achtung und zum Schutz der menschlichen Würde nicht zu vereinbaren.“908

Auch das Kriterium der Todesgeweihtheit der unbeteiligten Flugzeuginsassen schließe einen Verstoß gegen die Menschenwürde nicht aus, denn: „Menschliches Leben und menschliche Würde genießen ohne Rücksicht auf die Dauer der physischen Existenz des einzelnen Menschen gleichen verfassungsrechtlichen Schutz. Wer dies leugnet oder in Frage stellt, verwehrt denjenigen, die sich wie die Opfer einer Flugzeugentführung in einer für sie alternativlosen Notsituation befinden, gerade die Achtung, die ihnen um ihrer menschlichen Würde willen gebührt.“909

Ebenso wenig sei es mit der Menschenwürde vereinbar, die Unbeteiligten als Teil der Waffe zu sehen, denn damit würde „geradezu unverhohlen zum Ausdruck [gebracht], dass die Opfer [. . .] nicht mehr als Menschen wahrgenommen, sondern als Teil einer Sache gesehen und damit selbst verdinglicht werden“.910 b) Unsicherheiten in tatsächlicher Hinsicht Das Bundesverfassungsgericht begründet seine Auffassung darüber hinaus maßgeblich mit den zu erwartenden Unsicherheiten in tatsächlicher Hinsicht.911 906

BVerfG, NJW 2006, 751 (758 Abs. 124). BVerfG, NJW 2006, 751 (759 Abs. 130). 908 BVerfG, NJW 2006, 751 (759 Abs. 130). 909 BVerfG, NJW 2006, 751 (759 Abs. 132). 910 BVerfG, NJW 2006, 751 (759 Abs. 134); zum Teil wortgleich bereits W. Höfling/S. Augsberg, JZ 2005, 1080 (1083); zustimmend W. Heller, atw – Internationale Zeitschrift für Kernenergie 51 (2006), 343; E. B. Franz/T. Günther, VBlBW 2006, 340 (345). 911 Vgl. M. Baldus, NVwZ 2006, 532 (533), der diese Unsicherheiten als tragendes Argument der Urteilsbegründung versteht; kritisch hierzu K. Baumann, JURA 2006, 447 (452), der meint, das Bundesverfassungsgericht habe seine Argumentation des 907

D. Grundrechtliche Probleme

321

Es sei nicht davon auszugehen, dass „die tatsächliche Lage immer voll überblickt und richtig eingeschätzt werden kann.“ Weiterhin sei es unter Umständen möglich, dass der Abschuss wegen einer Veränderung der Abläufe nicht mehr erforderlich gewesen wäre.912 Das Bundesverfassungsgericht greift im Folgenden vor allem auf die Ausführungen der „Unabhängigen Flugbegleiter Organisation“ zurück. Angesichts der technischen und tatsächlichen Schwierigkeiten der Lageaufklärung und der komplizierten Kommunikationswege blieben die Einschätzungen bezüglich der Motivation und des Ziels der Entführer „wohl bis zuletzt spekulativ“. Darin liege die besondere Gefährlichkeit, dass „häufig wohl mit Übermaß reagiert werden“ wird.913 5. Interpretation und Bewertung des Urteils a) Rechtswissenschaftliche Äußerungen Manche Stimmen interpretieren das Urteil dahingehend, dass eine Verrechnung „Leben gegen Leben“ stets gegen die Menschenwürde verstoße und damit eine Tötung Unbeteiligter niemals vorgenommen werden dürfe.914 So meint Rettenmaier, dass auch im Wege einer Verfassungsänderung eine dem § 14 Abs. 3 LuftSiG entsprechende Norm nicht in das Grundgesetz eingefügt werden könnte, da nach der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts die Tötung von Unbeteiligten stets eine Menschenwürdeverletzung darstelle.915 Ähnlich führt Winkler aus, das Bundesverfassungsgericht habe hinsichtlich des Abschusses eines mit Besatzung und Passagieren besetzten Luftfahrzeuges eine „absolute Schranke“ errichtet, die auch im Wege der Verfassungsänderung nicht überwunden werden könnte.916

Menschenwürdeverstoßes durch den Hinweis auf die Prognoseunsicherheiten unnötig aufgeladen. Festzuhalten ist diesbezüglich, dass wegen der Argumentation mit einem Menschenwürdeverstoß durch das Verdinglichen und Entrechtlichen der Unbeteiligten es nicht mehr darauf ankommen dürfte, ob tatsächlich eine Gefahrenlage vorliegt, in der die Unbeteiligten dem Tode geweiht sind. 912 BVerfG, NJW 2006, 751 (758 Abs. 125). 913 BVerfG, NJW 2006, 751 (758 Abs. 127). 914 So K. Ipsen, Beck Aktuell, Meldung vom 21. Februar 2006, becklink 170498; M. Klingst, Die Zeit vom 16. Februar 2006, http://zeus.zeit.de/text/2006/08/01__leit_ 2_08_06; siehe auch W. Hetzer, StraFo 2006, 140 (145), der dem Bundesverfassungsgericht mit deutlichen Worten zustimmt: „Manche der Sätze sollten in Stein gemeißelt werden und dann vor möglichst vielen Amtszimmern und Ministerbüros aufgestellt werden. Ehemalige und noch im Amt befindliche Funktionsträger könnten so vielleicht (wieder einmal) daran erinnert werden, dass das menschliche Leben die vitale Basis der Menschenwürde als tragendes Konstitutionsprinzip und oberster Verfassungswert ist [. . .].“ 915 F. Rettenmaier, VR 2006, 109.

322

3. Teil: Abwehr auf Grundlage des LuftSiG

Bei Schenke finden sich Ansätze einer differenzierten Bewertung der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts. Er meint, das Gericht habe keinesfalls entschieden, dass eine Tötung von unschuldigen Personen „stets und ausnahmslos verfassungsrechtlich – auch durch eine Verfassungsänderung – ausgeschlossen ist“.917 Ein solches Verständnis würde auf eine „Überfrachtung des Art. 1 Abs. 1 GG mit einem ethischen Rigorismus hinauslaufen“.918 In besonderen Ausnahmefällen müsse angesichts der Schutzpflichten des Staates auch die Tötung von unschuldigen Menschen möglich sein, ohne dass damit gleichzeitig zwingend eine Verletzung der Menschenwürde gegeben wäre.919 Baldus betont zunächst, dass nun – unabhängig davon, ob die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts als überzeugend zu bewerten ist – „Rechtssicherheit und -klarheit“ darüber bestünde, dass der Bundesminister der Verteidigung keinen Abschussbefehl erteilen darf und die Soldaten einen dennoch erteilten Befehl nicht ausführen dürfen.920 Auch die Flugzeugpassagiere dürften darauf vertrauen, in Zukunft nicht von den Streitkräften abgeschossen zu werden; insofern habe sich die Wahrscheinlichkeit erhöht, dass Unbeteiligte nicht auf Grund einer unzutreffenden Prognoseentscheidung getötet werden.921 Baldus deckt aber auch einen „Rest an Unklarheit“ in der Urteilsbegründung auf: So führt das Bundesverfassungsgericht an einer Stelle aus, dass eine verlässliche Aussage über die Todesgeweihtheit nur „im Regelfall“ nicht getroffen werden könne.922 Dies wirft nach Baldus’ Auffassung die durch das Bundesverfassungsgericht nicht beantwortete Frage auf, wie ein Abschuss bei einer Tatsachenlage zu beurteilen wäre, bei der kein vernünftiger Zweifel über die Anschlagspläne der Flugzeugentführer besteht. Es sei in diesem Fall unklar, ob sich das Verdikt der Verfassungswidrigkeit nur auf die gesetzliche Ermächtigungsgrundlage des § 14 Abs. 3 LuftSiG oder auch auf den Abschuss selbst bezieht. Insofern werde die Rechtssicherheit für die Befehlsgeber und die Soldaten „in beunruhigendem Maße reduziert“.923 Gramm kritisiert, dass das Bundesverfassungsgericht von „Streitkräfteeinsätzen nichtkriegerischer Art“ spricht, da diese Formulierung impliziere, dass die Menschenwürde normativ aufgeweicht werden würde und damit nur einen 916 D. Winkler, NVwZ 2006, 536 (538); ähnlich C. Burkiczak, NZWehrr 2006, 89 (103); O. Lepsius, German Law Journal 7 (2006), 761 (769); ders., FG B. Hirsch, 2006, 47 (58). 917 W.-R. Schenke, NJW 2006, 736 (738). 918 Ähnlich bereits K. Bernsmann, „Entschuldigung“ durch Notstand, 324. 919 W.-R. Schenke, NJW 2006, 736 (738). 920 M. Baldus, NVwZ 2006, 532 (534). Baldus verweist zu Recht auf § 11 Abs. 1 Satz 2 SG; siehe ausführlich zum Befehlsrecht unten 4. Teil. 921 M. Baldus, NVwZ 2006, 532 (534). 922 BVerfG, NJW 2006, 751 (759 Abs. 133). 923 M. Baldus, NVwZ 2006, 532 (534).

D. Grundrechtliche Probleme

323

situationsabhängigen Schutz gewährleisten könnte.924 Weiterhin meint er, der Rückgriff auf die Wehr- und Hilflosigkeit der Flugzeugpassagiere könne angesichts der Rechtsprechung zum Schwangerschaftsabbruch nicht überzeugen, denn die Formulierungen im Urteil zu § 14 Abs. 3 LuftSiG „verblassen geradezu vor der Wehr- und Hilflosigkeit eines noch ungeborenen Menschen“.925 Auch Isensee meint, die Begründung eines Menschenwürdeverstoßes sei nicht überzeugend. Das Urteil sei nur auf den ersten Blick ein „Triumph“ der Absolutheit der Menschenwürde“, auf den zweiten Blick dagegen deren „Kapitulation“.926 Das Bundesverfassungsgericht habe lediglich den Schutz der Menschenwürde der Flugzeuginsassen beachtet und dabei den Schutz der bedrohten Menschen am Boden ignoriert: Es „sichert den Geiselnehmern gleichsam freies Geleit und zwingt den Staat, dessen primärer Daseinszweck die Sicherheit seiner Bürger ist, im Ernstfall untätig zu bleiben; aber es gestattet ihm, im Wasser grundrechtlicher Unschuld seine Pilatushände zu waschen“.927

Isensee plädiert unter Berufung auf G. Jakobs928 dafür, es müsse möglich sein, durch eine „versachlichende“ Sicht auch Personen als Gefahrenquelle zu begreifen, soweit sich die von einer Sache ausgehende Gefahr ansonsten nicht bekämpfen lässt. Weiterhin sei es inkonsequent, dass das Bundesverfassungsgericht ohnehin durch die Anerkennung der Tötung der Geiselnehmer eine Relativierung der Menschenwürde vornimmt, indem es in die Menschenwürde „die Unterscheidung zwischen Gut und Böse, Täter und Opfer“ hineinträgt.929 Aus der Sicht des Strafrechtswissenschaftlers kritisiert Spendel das Urteil; es könne eben doch „Notsituationen“ geben, „in denen eine Abwägung von Menschenleben vorgenommen werden muss“:930 „Man muss sich [. . .] wundern über den Gleichmut, um nicht zu sagen: die ,Ungerührtheit‘, mit der das Gericht über die durch seine Entscheidung bedingte Preisgabe der vielen Menschen in dem Hochhaus hinweggeht.“931

924

C. Gramm, DVBl. 2006, 653 (658). C. Gramm, DVBl. 2006, 653 (658). Gramm anerkennt allerdings auch, dass der Staat beim Schwangerschaftsabbruch nicht wie in der Konstellation des § 14 Abs. 3 LuftSiG selbst handelt; dennoch „passen die grundlegenden Wertungen aus der Schwangerschaftsentscheidung und aus dem Urteil zum Luftsicherheitsgesetz nicht recht zusammen“. 926 J. Isensee, AöR 131 (2006), 173 (192). 927 J. Isensee, AöR 131 (2006), 173 (192). 928 Vgl. G. Jakobs, ZStW 117 (2005), 839 (841 ff.). 929 J. Isensee, AöR 131 (2006), 173 (193). 930 G. Spendel, RuP 2006, 131 (133). Spendel nennt als Beispiel unter anderem den so genannten Schottenfall [siehe unten 5. Teil B. III. 3. b)]. 931 G. Spendel, RuP 2006, 131 (132). 925

324

3. Teil: Abwehr auf Grundlage des LuftSiG

Sachs meint weiterhin, die Aussage, dass das menschliche Leben und die Menschenwürde unabhängig von der Dauer der Existenz gleichen verfassungsrechtlichen Schutz genössen, könne angesichts des abgestuften Schutzes in Bezug auf das vorgeburtliche Leben nicht überzeugen.932 Baumann dagegen stimmt den Ausführungen des Bundesverfassungsgerichts durchgehend zu: „Der Staat bedient sich auf der Grundlage einer bloßen quantifizierenden ,SchadenNutzen-Beurteilung‘ des Lebens der Entführungsopfer als Mittel zur Durchführung seiner Rettungsaktion zugunsten Dritter. Völlig zu Recht lässt das Bundesverfassungsgericht bereits dies genügen, um einen Menschenwürdeverstoß gegenüber den ,Nichtstörern‘ anzunehmen.“933

Weiterhin habe das Bundesverfassungsgericht zu Recht auch die Schutzpflicht des Staates gegenüber den bedrohten Menschen am Boden als nachrangig betrachtet, da der Staat niemals aktiv in das Grundrecht auf Leben von Unbeteiligten eingreifen dürfe, um seine Schutzpflicht zu erfüllen.934 Baumann meint, die Entscheidung strahle auf eine Vielzahl aktueller verfassungsrechtlicher Fragen aus, wie zum Beispiel die gentechnische Methodik am Menschen935 sowie die Anwendung von Gewalt im Fall der Rettungsfolter.936 Auch Lindner stimmt der Begründung einer Verletzung der Menschenwürde durch § 14 Abs. 3 LuftSiG zu: Die in § 14 Abs. 3 LuftSiG enthaltene Quantifizierung widerspreche dem „von Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG aufgestellten Postulat der kategorischen Gleichwertigkeit jeden menschlichen Lebens“. Der Staat dürfe auch in Erfüllung der Schutzpflicht zu Gunsten der bedrohten Menschen am Boden nicht in den Achtungsanspruch der unbeteiligten Flugzeuginsassen eingreifen.937 Hobe meint, das Urteil überzeuge „durchweg“. Das Bundesverfassungsgericht habe unter Rückgriff auf die Objektformel überzeugend dargelegt, dass die Inkaufnahme der Tötung Unbeteiligter gegen die Menschenwürde verstößt.938 Lepsius ist der Auffassung, das Urteil schaffe eine angemessene Balance zwischen Sicherheit und Freiheit und trete damit den Bestrebungen des 932

M. Sachs, JuS 2006, 228 (452). K. Baumann, JURA 2006, 447 (452). 934 K. Baumann, JURA 2006, 447 (453). 935 Siehe dazu auch W. Kahl, AöR 131 (2006), 579 (596); C. Starck, JZ 2006, 417 (419), der davon ausgeht, dass die Äußerungen des Bundesverfassungsgerichts zum Menschenwürdeverstoß durch § 14 Abs. 3 LuftSiG „die gesicherte Prognose zu[lassen], dass das Bundesverfassungsgericht verbrauchende Embryonenforschung als Verstoß gegen die Menschenwürde beurteilen wird“. Weiterhin meint Starck, das Urteil stelle eine Schranke für die aktive Sterbehilfe dar. 936 K. Baumann, JURA 2006, 447 (454); siehe zum Zusammenhang der Entscheidung zu § 14 Abs. 3 LuftSiG mit der Rettungsfolter auch W. Hecker, KJ 2006, 179 (191 f.). 937 J. F. Lindner, DÖV 2006, 577 (586). 938 S. Hobe, ZLW 2006, 333 (335 f.). 933

D. Grundrechtliche Probleme

325

Gesetzgebers, Sicherheit auf Kosten der individuellen Grundrechte umsetzen zu wollen, verlässlich entgegen.939 Er hält insbesondere die Formulierung, die Unbeteiligten würden durch § 14 Abs. 3 LuftSiG „verdinglicht und zugleich entrechtlicht“, für überzeugend: Dadurch wird „treffend beschrieben, wie sich der Staat zum Leben der Flugzeuginsassen stellt. Er hat ihr Leben aufgegeben und behandelt sie als entpersönlichte Bestandteile einer gefährlichen Waffe namens Flugzeug, die es im Wege der Gefahrenabwehr zu beseitigen gilt. § 14 Abs. 3 LuftSiG ist also eine Rechtsnorm, bei der der Gesetzgeber die im Flugzeug befindlichen Menschen nicht als Primäradressaten der Norm im Blick hat, obwohl sie die Betroffenen sind. Eine solche Norm muss dem Verdikt des Art. 1 Abs. 1 GG verfallen, ganz unabhängig davon, ob das Leben vernichtet wird.“940

b) Politische Äußerungen Am 17. Februar 2006 fand auf Verlangen der FDP-Bundestagsfraktion eine Aktuelle Stunde im Bundestag zur Haltung der Bundesregierung zum Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu § 14 Abs. 3 LuftSiG statt. Die Abgeordneten Ernst Burgbacher (FDP),941 Guido Westerwelle (FDP)942 und Petra Pau (DIE LINKE)943 begrüßten das Urteil ausdrücklich und nutzten es teilweise zugleich, um generell gegen die Erweiterung der verfassungsrechtlichen Möglichkeiten des Streitkräfteeinsatzes außerhalb des Verteidigungsauftrages zu argumentieren. Besonders bemerkenswert ist, dass sich auch Politiker der ehemaligen Regierungskoalition positiv zur Nichtigkeitserklärung des § 14 Abs. 3 LuftSiG äußerten. So führte der Abgeordnete Rudolf Körper (SPD) aus: „Das Gericht bestätigt uns damit in unserer Auffassung, dass ein bewaffneter Einsatz der Bundeswehr im Inland verboten ist. [Das Protokoll vermerkt hier: „Beifall bei Abgeordneten der SPD“.] Dem Bund ist ein Kampfeinsatz der Streitkräfte mit spezifisch militärischen Waffen weder bei der Bekämpfung besonders schwerer Unglücksfälle noch bei einem überregionalen Katastrophennotstand erlaubt.“944

Der Abgeordnete Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN) begrüßte im Namen seiner Partei die Entscheidung „mit ganzem Herzen“ als „historisch“, da sie die Unantastbarkeit der Menschenwürde wahre.945

939

O. Lepsius, German Law Journal 7 (2006), 761 (772). O. Lepsius, FG B. Hirsch, 2006, 47 (60 f.). 941 BT-Prot. 16/20, 1561 f. 942 BT-Prot. 16/20, 1568 f. 943 BT-Prot. 16/20, 1563 f. 944 BT-Prot. 16/20, 1565. Siehe auch R. Arnold, RuP 2006, 136, der § 14 Abs. 3 LuftSiG als „Fehlentscheidung der Legislative“ bezeichnet, obwohl er dem LuftSiG zugestimmt hat (BT-Prot. 15/127, 11619). 945 BT-Prot. 16/20, 1565. 940

326

3. Teil: Abwehr auf Grundlage des LuftSiG

Die zuletzt genannten Auffassungen sind in der Tat erstaunlich, da das LuftSiG zuvor ungeachtet der vielfach geäußerten verfassungsrechtlichen Bedenken durch den Bundestag verabschiedet worden ist. Insbesondere die Ausführungen des Abgeordneten Körper sind vor dem Hintergrund, dass gerade die SPD sich gegen eine Änderung des Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 GG gewehrt hat, nur schwer nachvollziehbar. Einen wichtigen Ansatz haben der innenpolitische Sprecher der SPD-Bundestagsfraktion Wiefelspütz und der Bundesminister des Innern Wolfgang Schäuble in die Diskussion eingebracht. Sie wollen die Tötung von Unbeteiligten durch einen Rückgriff auf kriegsvölkerrechtliche Regelungen rechtfertigen.946 Schäuble meint, eine derartige Auslegung sei durchaus möglich, da das Bundesverfassungsgericht „über den Verteidigungsfall nicht nachgedacht hat“.947 Schäuble wörtlich: Im Verteidigungsfall „gilt jedenfalls nicht, was das Verfassungsgericht entschieden hat: dass man wenig Leben gegen viel Leben nicht abwägen darf. Wenngleich natürlich das Gebot der Verhältnismäßigkeit dadurch nicht aufgehoben würde. Eines werden wir nicht zulassen: dass man für den Fall des 11. September keine Handlungsmöglichkeiten hat“.948

Schäuble befürchtet weiterhin, dass das Urteil die Legitimation des Staates untergraben könnte. In einer Rede vom 8. Dezember 2006 führt er aus: „[B]eim Kampf gegen die Bedrohung des internationalen Terrorismus und mit Blick auf das Sicherheitsnetz der Bundesrepublik Deutschland [muss man] auch gelegentlich daran denken, dass dieser freiheitlich verfasste Rechtsstaat sich auch 946 D. Wiefelspütz, FR vom 21. Februar 2006, 5; siehe auch ders., RuP 2006, 71 ff.; ähnlich bereits M. Ronellenfitsch, Anhörung, 19: „Auf der Grundlage des Polizeirechts wird sich niemals das Abschießen entführter Flugzeuge unter Inkaufnahme des Opfers unschuldiger Geiseln rechtfertigen lassen. Bei einer Ausweitung des Verteidigungsbegriffes sollte sich die Rechtslage etwas verschieben. Das klingt jetzt zynisch, aber dann kann man von Kollateralschaden eher sprechen als jedenfalls im polizeilichen Bereich.“; kritisch zu diesem Ansatz M. Kutscha, RuP 2006, 202 ff. 947 Interview in FR vom 4. Mai 2006, 4. Zu bemerken ist, dass Schäuble in unzulässiger Weise die Begriffe der „Verteidigung“ und des „Verteidigungsfalls“ miteinander vermengt. A. A. P. Strutynski, http://www.uni-kassel.de/fb5/frieden/themen/Men schenrechte/export.html, der meint, das Verdikt des Menschenwürdeverstoßes bei einer Tötung von Unbeteiligten könne auch auf zwischenstaatliche Konflikte übertragen werden. Strutynskis Auffassung ist nicht überzeugend, da er sich nicht mit der Formulierung „Streitkräfteeinsatz nichtkriegerischer Art“ im Urteil auseinandersetzt. 948 Interview in FR vom 4. Mai 2006, 4. Weiterhin greift Schäuble auch auf die Resolutionen des UN-Sicherheitsrates nach dem 11. September 2001 zurück, siehe Interview in loyal – Magazin für Sicherheitspolitik 5/2006, 20 (22): „Nach dem Urteil aus Karlsruhe ist die verfassungspolitisch sicher sehr schwierige Debatte zu führen über das Abwägungsverbot ,Leben gegen Leben‘. Dafür bietet der Weltsicherheitsrat einen Anhalt. Seine Entscheidung nach dem 11. September 2001, dies sei ein kriegerischer Angriff auf die Vereinigten Staaten nach Art. 51 der UN-Charta gewesen, könnte den Weg auch für uns weisen. [. . .] Die Debatte dazu muss ruhig geführt werden, ohne Schaum vor dem Mund.“

D. Grundrechtliche Probleme

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nicht selbst delegitimieren darf. Das bringt mich zu der Debatte, die wir durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Luftsicherheitsgesetz bekommen haben. So unwahrscheinlich es scheinen mag, dass sich der 11. September wiederholt: Eine Debatte, die zu dem Ergebnis käme, dass der Staat in einer bestimmten existenziellen Bedrohung nicht in der Lage ist, verfassungsmäßigen Schutz zu gewährleisten, weil das von der Verfassung ausgeschlossen ist, würde zur Delegitimierung dieses freiheitlich verfassten Rechtsstaats führen.“949

Im Ergebnis geht es jedoch zu weit, die Abwehr von Gefahren von innen direkt auf kriegsvölkerrechtliche Grundsätze zu stützen.950 Weiterhin unterscheidet Schäuble nicht deutlich genug zwischen den wehrverfassungsrechtlichen Vorschriften des Verteidigungsfalls einerseits und den grundrechtlichen Fragen, die sich mit der Wahrnehmung des Verteidigungsauftrages durch die Streitkräfte ergeben. Allerdings könnte eine Betrachtung von völkerrechtlichen Grundsätzen Argumente gegen den „ethischen Rigorismus“ des Bundesverfassungsgerichts liefern.951 Bundesminister der Verteidigung Franz Josef Jung hat nur drei Tage nach dem Urteil geäußert, dass er im Notfall einen Abschussbefehl erteilen würde, soweit sich keine Unbeteiligten an Bord befinden.952 Damit setzt sich der Bundesminister öffentlich gegen die bundesverfassungsgerichtlichen Vorgaben hinweg, die den Einsatz der Streitkräfte auf Grundlage von Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG mit militärischen Waffen auch für den Fall verbieten, dass lediglich Störer von dem Waffeneinsatz betroffen sind.953 Im Übrigen existiert nach der Nichtigkeitserklärung des § 14 Abs. 3 LuftSiG auch keine einfachgesetzliche Ermächtigungsgrundlage mehr für die unmittelbare Einwirkung mit Waffengewalt auf ein Luftfahrzeug durch die Streitkräfte.954 Vor dem Hintergrund der Bindungswirkung des § 31 Abs. 1 BVerfGG können die Äußerungen Jungs als öffentliche Ankündigung eines rechtswidrigen und verfassungswidrigen Handelns angesehen werden. Jung greift auch die Äußerungen Schäubles 949 Rede „Gesamtstaatliche Sicherheit aus Sicht der Bundesregierung“ vom 8. Dezember 2006, abrufbar unter www.bmi.bund.de. Es ist allerdings anzumerken, dass eine Tätigkeit des Staates, die durch die Verfassung ausgeschlossen ist, niemals unter den verfassungsmäßigen Schutz subsumiert werden kann; daher ist Schäubles Aussage in sich widersprüchlich. 950 Vgl. auch T. Linke, NWVBl. 2007, 101 (104); K. Ipsen, Beck Aktuell, Meldung vom 21. Februar 2006, becklink 170498, der ausführt, dass Bundesverfassungsgericht habe eine „unüberwindbare Barriere gegen das Töten Unschuldiger errichtet“, die auch nicht durch einen Rückgriff auf den Einsatz der Bundeswehr zur Landesverteidigung umgangen werden könne. 951 Siehe dazu unten 3. Teil D. II. 6. c) bb) (2). 952 Der Tagesspiegel vom 18. Februar 2006, 4; kritisch hierzu W.-R. Schenke, NJW 2006, 737 (739). 953 Siehe oben 3. Teil C. II. 1. b) cc) (1). 954 Allenfalls soweit es um die Eigensicherung der Streitkräfte geht, kann auf die Vorschriften des UZwGBw zurückgegriffen werden.

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3. Teil: Abwehr auf Grundlage des LuftSiG

auf und versteht anscheinend selbst die Tötung von Unbeteiligten nicht als absolute Grenze des Streitkräfteeinsatzes.955 Die Bundesministerin der Justiz Brigitte Zypries hat sich ebenfalls öffentlich zu dem Urteil geäußert. Sie meint, die Bundeswehr könne weiterhin nach den Regelungen des LuftSiG eingesetzt werden, soweit durch den Abschuss eines Luftfahrzeuges lediglich die Täter, aber keine Unbeteiligten, betroffen werden.956 Weiterhin ist Zypries der Auffassung, es bestünde keine Möglichkeit, die Tötung von Unbeteiligten zu regeln.957 Zypries irrt, wenn sie meint, die Bundeswehr dürfe auf Grundlage des LuftSiG auch nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts Flugzeuge abschießen, soweit keine Unbeteiligten betroffen werden. Das Bundesverfassungsgericht hat mit deutlichen Worten den Einsatz der Bundeswehr mit militärischen Waffen, insbesondere eine Abschusshandlung, im Rahmen des Katastrophennotstandes als verfassungsrechtlich unzulässig verworfen. Daher wäre auch der Abschuss eines Luftfahrzeuges, bei dem keine Unbeteiligten betroffen werden, auf Grundlage von Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG verfassungswidrig. 6. Eigene Bewertung Die Aussagen des Bundesverfassungsgerichts sind in mehrfacher Hinsicht undeutlich. Zunächst werden diese Unklarheiten und mögliche Lösungsansätze dargestellt. Im Anschluss wird eine eigene Bewertung unternommen. a) Eigene Interpretation des Urteils Fragen wirft zunächst die Formulierung in Abs. 130 des Urteils auf, in dem es heißt, es sei „unter der Geltung des Art. 1 Abs. 1 GG schlechterdings unvorstellbar, auf Grundlage einer gesetzlichen Ermächtigung [Hervorhebung des Verf.] unschuldige Menschen“ vorsätzlich zu töten.958 Diese Formulierung scheint implizit die Aussage zu beinhalten, dass eine Tötung unschuldiger Menschen, die nicht auf einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage beruht, nicht „schlechterdings unvorstellbar“ ist. Ansonsten hätte eine Formulierung in der Art nahe gelegen wie: „Unter Geltung des Art. 1 Abs. 1 GG ist es schlechterdings unvorstellbar, eine gesetzliche Grundlage für die Tötung von unschuldigen Menschen zu schaffen.“ 955 Vgl. Spiegel-Online vom 21. Mai 2006, http://www.spiegel.de/politik/deutsch land/0,1518,417267,00.html. 956 B. Zypries, FR vom 16. Februar 2006, 8; ähnlich auch der saarländische Ministerpräsident P. Müller, Welt am Sonntag vom 19. Februar 2006, http://www.wams.de/ data/2006/02/19/848240.html. 957 Interview in der Welt am Sonntag vom 19. Februar 2006, www.wams.de/data/ 2006/02/19/848217.html. 958 BVerfG, NJW 2006, 751 (759 Abs. 130).

D. Grundrechtliche Probleme

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Allerdings tendiert das Bundesverfassungsgericht an späterer Stelle im Abs. 130 dazu, dass der Gesetzgeber nicht dazu berechtigt ist, eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage für die Tötung Unbeteiligter zu schaffen. Danach könnte die zitierte Aussage so verstanden werden, dass das Bundesverfassungsgericht keine Aussagen zur verfassungsrechtlichen Beurteilung der Tötungshandlung machen wollte, sondern lediglich zur gesetzlichen Grundlage der Tötung.959 Hierfür könnte auch sprechen, dass das Bundesverfassungsgericht die Frage der strafrechtlichen Verantwortung der handelnden Soldaten und der Befehlsgeber ausdrücklich offen lässt960 und die Verfassungsbeschwerde gegen die Norm des § 14 Abs. 3 LuftSiG und nicht gegen die Ausführung dieser Norm in einem Einzelfall gerichtet war. Es kann dem Bundesverfassungsgericht aber wohl nicht unterstellt werden, dass es meint, eine Tötung von Unbeteiligten ohne eine gesetzliche Ermächtigungsgrundlage sei verfassungsrechtlich unbedenklich. Ansonsten würde in dem besonders sensiblen Bereich des Grundrechts auf Leben eine „umgekehrte Wesentlichkeitstheorie“ gelten, denn Eingriffe in das Lebensrecht von Unbeteiligten könnten dann verfassungsgemäß sein, soweit sie ohne gesetzliche Grundlage durchgeführt werden. Vielmehr ist das Urteil dahingehend zu verstehen, dass sowohl die gesetzliche Regelung als auch die Ausführungshandlung wegen eines Verstoßes gegen die Menschenwürde verfassungswidrig sind. Dieses Ergebnis wird nicht dadurch ausgeschlossen, dass das Bundesverfassungsgericht die Frage der strafrechtlichen Verantwortung offengelassen hat, denn es ist zumindest denkbar, dass ein verfassungswidriges Verhalten im Einzelfall strafrechtlich gerechtfertigt oder zumindest entschuldigt ist. Baldus weist zu Recht auf die Betonung der Prognoseunsicherheiten durch das Bundesverfassungsgericht hin.961 Allerdings können die Ausführungen nicht etwa so verstanden werden, dass selbst bei einer absoluten Sicherheit des nahen Todeseintrittes eine Tötung der Unbeteiligten gerechtfertigt wäre, denn das Bundesverfassungsgericht geht unabhängig von der Frage der Prognoseunsicherheiten davon aus, dass die Unbeteiligten durch die Tötung als Mittel zur Rettung anderer benutzt werden und damit eine Verletzung der Menschenwürde gegeben ist.962 Entscheidend ist daher aus Sicht des Bundesverfassungsgerichts, dass die Unbeteiligten durch die Tötung zum Objekt staatlichen Handelns gemacht werden. Dies soll unabhängig davon gelten, ob die Unbeteiligten ohnehin verloren sind oder nicht.963 959

Vgl. M. Baldus, NVwZ 2006, 532 (534). BVerfG, NJW 2006, 751 (759 Abs. 130). 961 M. Baldus, NVwZ 2006, 532 (533). 962 Vgl. BVerfG, NJW 2006, 751 (758 Abs. 124). 963 In diese Richtung interpretiert auch Baumann die Begründung des Bundesverfassungsgerichts, K. Baumann, JURA 2006, 447 (452). 960

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3. Teil: Abwehr auf Grundlage des LuftSiG

Interessant ist zudem, dass das Bundesverfassungsgericht hinsichtlich eines Menschenwürdeverstoßes durch die Tötung Unbeteiligter zwischen Maßnahmen kriegerischer Art und nichtkriegerischer Art unterscheidet, denn es meint ausdrücklich, die Tötung von Unbeteiligten in Folge von „Streitkräfteeinsätze[n] nichtkriegerischer Art [Hervorhebung des Verf.]“ sei mit dem Recht auf Leben und der Menschenwürde nicht zu vereinbaren.964 Auch wenn das Bundesverfassungsgericht nicht über einen Einsatz kriegerischer Art zu entscheiden hatte, deutet die Formulierung „nichtkriegerischer Art“ darauf hin, dass unter Umständen die Tötung von Unbeteiligten bei einem Streitkräfteeinsatz kriegerischer Art nicht gegen das Recht auf Leben und die Menschenwürde der Unbeteiligten verstoßen würde, denn ansonsten wäre die Formulierung „nichtkriegerischer Art“ überflüssig.965 Allerdings geht die Auffassung Gramms zu weit, der meint, das „Gericht beschränkt seine Ausführungen ausdrücklich nur auf nichtkriegerische Streitkräfteeinsätze“. 966 Richtig ist, dass die Urteilsbegründung sich allein auf nichtkriegerische Streitkräfteeinsätze bezieht. Damit ist jedoch noch nicht eindeutig festgestellt, dass sich die Ausführungen keinesfalls auch auf andere Streitkräfteeinsätze beziehen könnten. Zutreffend ist, dass sich § 14 Abs. 3 LuftSiG nicht auf den Verteidigungsauftrag oder auf ein Handeln der Streitkräfte im Verteidigungsfall stützt; daher musste sich das Bundesverfassungsgericht nicht mit der Beurteilung von kriegerischen Streitkräfteeinsätzen auseinandersetzen. Dennoch wirft die Formulierung des Bundesverfassungsgerichts die folgende Frage auf: Macht es einen Unterschied im Hinblick auf die Verletzung der Subjektsqualität, ob Unbeteiligte durch einen Streitkräfteeinsatz „kriegerischer Art“ oder „nichtkriegerischer Art“ getötet werden?967 Oder mit anderen Worten: Gilt der Schutz der Menschenwürde im Krieg „weniger absolut“ als im Frieden?968 Von der Beantwortung dieser Frage hängt ganz wesentlich die Lösung der Problematik der staatlichen Tötung von Unbeteiligten ab. Daher werden im Folgenden auch die Grundsätze der staatlichen Tötung im Krieg dargestellt. Dabei geht es – um Missverständnissen vorzubeugen – nicht darum, eine wie auch immer geartete „Rechtslogik des Krieges“ auf die Friedensordnung zu übertragen. Vielmehr soll untersucht werden, inwieweit die vom Bundesverfassungsgericht und von der wohl überwiegenden Literatur vertretene Auffassung eines Menschenwürdeverstoßes durch die Tötung von Unbeteiligten zur Gefahrenabwehr eine unbedingte Geltung beanspruchen kann. Geht man mit dem Bundes964

BVerfG, NJW 2006, 751 (759 Abs. 130). Siehe zu dieser Differenzierung auch D. Wiefelspütz, RuP 2006, 71; C. Burkiczak, NZWehrr 2006, 89 (101); A. Poretschkin, NZWehrr 2006, 123. 966 C. Gramm, DVBl. 2006, 653 (658). 967 Wobei sich auch die praktische Frage stellt, wie die Begriffe „nichtkriegerischer Art“ und „kriegerischer Art“ voneinander abzugrenzen sind. 968 Vgl. in diese Richtung auch C. Gramm, DVBl. 2006, 653 (656). 965

D. Grundrechtliche Probleme

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verfassungsgericht und der herrschenden Meinung von der Absolutheit und Unabwägbarkeit der Menschenwürdegarantie aus, steht jedenfalls eines fest: Der Schutz der Menschenwürdegarantie muss im Krieg genauso weit reichen wie unter der Geltung der „normalen“ Friedensordnung, denn ansonsten würde die Absolutheit gerade in Frage gestellt werden. Insofern ist es nur teilweise zutreffend, wenn Wiefelspütz ausführt, dass für einen kriegerischen Luftzwischenfall das Kriegsvölkerrecht gilt.969 In diesem Fall gilt auch das Kriegsvölkerrecht, aber die Bindung an die Grundrechte ist wegen Art. 1 Abs. 3 GG dennoch nicht suspendiert. Schenke hat Recht, wenn er den „ethischen Rigorismus“ des Bundesverfassungsgerichts kritisiert. Wer von einer Unabwägbarkeit und Absolutheit der Menschenwürde ausgeht und die Verfassungswidrigkeit des § 14 Abs. 3 LuftSiG mit dem Argument eines Menschenwürdeverstoßes wegen der Entrechtlichung und Verdinglichung von Unbeteiligten durch deren Tötung bejaht, müsste konsequenterweise der Menschenwürde in allen Situationen den Vorrang zukommen lassen. Ein Raum für Ausnahmen wäre ausgeschlossen, so dass es verfassungsrechtlich geboten wäre, lieber den Tod der gesamten Menschheit und die damit verbundene Vernichtung der menschlichen Existenz sehenden Auges hinzunehmen, als eine Menschenwürdeverletzung durch die Tötung eines Unbeteiligten zu verursachen.970 Es geht hier nicht darum, einem „Denken vom Ausnahmefall“ her als fundamentale Perspektive bei der Betrachtung des Rechts und als maßgebliche Quelle der Rechtserkenntnis das Wort zu reden.971 Allerdings kann die rechtliche Lösung einer Fallgestaltung, die maßgeblich von den normalen Umständen abweicht – und dabei handelt es sich bei § 14 Abs. 3 LuftSiG unstreitig972 –, nicht allein durch ein „Denken vom Normalfall“ her gefunden und begründet werden.973 Insofern ist auch der oben beschriebene Rückgriff auf Art. 15 Abs. 2 EMRK notwendig, um Anhaltspunkte für die staatlichen Handlungsmöglichkeiten im Ausnahmefall gewinnen zu können.974 Ein Nicht-Reflektieren oder Verdrängen der Ausnahmelage erinnert an das Motto: „Was nicht sein darf, wird 969

D. Wiefelspütz, RuP 2006, 71. Vgl. die (fiktive) Bedrohungslage des „Katzenkönigfalls“, BGHSt 35, 347 (348); siehe dazu auch unten 5. Teil B. III. 3. b) cc). 971 Vgl. in diese Richtung C. Schmitt, Politische Theologie, 22: „Gerade eine Philosophie des konkreten Lebens darf sich vor der Ausnahme und dem extremen Fall nicht zurückziehen, sondern muss sich in höchstem Maße für ihn interessieren.“ Kritisch zu Schmitts Ansatz im Zusammenhang mit antiterroristischen Maßnahmen äußert sich unter anderem D. Dyzenhaus, 35 ff. 972 C. Gramm, DVBl. 2006, 653 (658) m.w. N. 973 A. A. M. Kotzur, AVR 42 (2004), 353 (363), der meint, „der in unveräußerlicher Menschenwürde gründende Verfassungsstaat“ müsse mit „letzten Aporien“ leben. Daher helfe im Zusammenhang mit dem LuftSiG das Denken vom Ausnahmezustand nicht weiter. 970

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3. Teil: Abwehr auf Grundlage des LuftSiG

nicht sein.“ Die Realität sieht jedoch anders aus. Daher muss die Rechtsordnung auch Ausnahmefälle in ihre Überlegungen mit einbeziehen, wenn sie ihre grundlegende Ordnungsfunktion in diesen Fällen nicht gänzlich aufgeben will. Die Betrachtung von Ausnahmefällen sollte daher nicht grundsätzlich – auch nicht mit historischen und politischen Argumenten – aus den Überlegungen ausgeschlossen werden. Dies gilt umso mehr, da auch § 14 Abs. 3 LuftSiG als eine Ausnahmeregelung zu sehen ist, die über die herkömmlichen Eingriffsbefugnisse zur Abwehr von Gefahren hinausgeht.975 Daher ist es sinnvoll, bei der Bewertung des § 14 Abs. 3 LuftSiG auch andere Ausnahmekonstellation zu betrachten, um so Rückschlüsse auf den Schutz des Grundrechts auf Leben und der Menschenwürde in diesen außergewöhnlichen Situationen gewinnen zu können. b) Offenheit der Objektformel Das Bundesverfassungsgericht begründet die Menschenwürdeverletzung durch § 14 Abs. 3 LuftSiG, soweit Unbeteiligte durch die „unmittelbare Einwirkung mit Waffengewalt“ betroffen werden, maßgeblich mit der „Objektformel“. Diese negative Bestimmung der Menschwürdeverletzung hat Nachteile, da sie in einem erheblichen Maße konkretisierungsbedürftig ist. Auf diese Probleme wird im Folgenden eingegangen; im Anschluss wird eine von der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts abweichende Konkretisierung vorgenommen. Es ist dabei nicht das Ziel der vorliegenden Untersuchung, eine allgemein gültige Definition der Menschenwürde oder eine abschließende Formel zur Bestimmung einer Menschenwürdeverletzung zu entwickeln. Vielmehr geht es darum, die Reichweite der Menschenwürdegarantie im Hinblick auf die staatliche Tötung von Unbeteiligten als sichere Folge der Abwehr von Gefahren zu untersuchen. aa) Philosophischer Hintergrund der Objektformel Unbestritten dürfte sein, dass der Moralphilosophie Kants der größte Einfluss auf die Auslegung der Menschenwürde zukommt.976 Kant führte aus: 974 Vgl. K. J. Partsch, in: F. L. Neumann/Nipperdey/Scheuner (Hg.), Die Grundrechte, Erster Band, 235 (307), der ausdrücklich darauf abstellt, dass die Auslegung des Art. 15 EMRK eine erhebliche Bedeutung für die gesamte EMRK hat und es nicht um ein „Denken vom Ausnahmefall“ geht, wenn die Notstandsklausel für die allgemeine Auslegung herangezogen wird. 975 Mit Ausnahme der Regelung des Art. 15 Abs. 2 EMRK, die ebenfalls eine Rechtfertigungsmöglichkeit für die Tötung von Unbeteiligten enthält. 976 Maunz/Dürig-M. Herdegen, Art. 1 Abs. 1 Rdn. 11 m.w. N.; T. Geddert-Steinacher, 31 ff.; G. Luf, FS E. A. Wolff, 1998, 307 (308); J. Hruschka, ARSP 2002, 463.

D. Grundrechtliche Probleme

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„Der Mensch [. . .] existiert als Zweck an sich selbst, nicht bloß als Mittel zum beliebigen Gebrauche für diesen oder jenen Willen“.977

Der so verstandene Wert des Menschen bestimmt den praktischen Imperativ: „Handle so, dass du die Menschheit, sowohl in deiner Person, als in der Person eines jeden andern, jederzeit zugleich als Zweck, niemals bloß als Mittel brauchest.“978

Die Würde hat dabei nach Kant keinen „Preis“, sie kann gegen kein Äquivalent ausgetauscht werden.979 Trotz vielfacher Zustimmung hat die Kantsche Definition auch Kritik erfahren. So heißt es zugespitzt bei Schopenhauer: „Aber dieser von allen Kantianern so unermüdlich nachgesprochene Satz, ,man dürfe den Menschen immer nur als Zweck, nie als Mittel behandeln‘, ist zwar ein bedeutend klingender und daher für alle die, welche gern eine Formel haben mögen, die sie alles fernern Denkens überhebt, überaus geeigneter Satz; aber beim Lichte betrachtet ist es ein höchst vager, unbestimmter, seine Absicht ganz indirekt erreichender Ausspruch, der für jeden Fall seiner Anwendung erst besonderer Erklärung, Bestimmung und Modifikation bedarf, so allgemein genommen aber ungenügend, wenig sagend und noch dazu problematisch ist.“980

bb) Weiterentwicklung durch Wintrich und Dürig Wintrich und Dürig haben – gegründet auf die Lehre Kants – die Objektformel als Definition eines Verstoßes gegen die Menschenwürde entwickelt und damit gewissermaßen für die Rechtsanwendung operabel gemacht. So führt Wintrich bereits 1952 aus: „Da die Gemeinschaft sich aus freien eigenständigen Personen aufbaut, die durch ihr Zusammenwirken das Gemeinschaftsgut verwirklichen, muss aber der Mensch auch in der Gemeinschaft und ihrer Rechtsordnung immer ,Zweck an sich selbst‘ (Kant) bleiben, darf nie zum bloßen Mittel eines Kollektivs, zum bloßen Werkzeug oder zum rechtlosen Objekt eines Verfahrens herabgewürdigt werden. Hier ist die absolute Grenze gegenüber Zugriffen des Staates in den Selbststand der Person gezogen.“981

977

I. Kant, 43. I. Kant, 44. 979 I. Kant, 49. 980 A. Schopenhauer, 412; siehe auch N. Luhmann, Grundrechte als Institution, 60 Fn. 18, der die Objektformel als „Leerformel“ bezeichnet; ähnlich in jüngster Zeit auch P. Tiedemann, Rechtstheorie 36 (2005), 116 (118). 981 J. M. Wintrich, FS Laforet, 1952, 227 (235 f.). Wintrich hat allerdings in der rechtswissenschaftlichen Literatur weit weniger Beachtung als Dürig gefunden (vgl. nur Graf Vitzthum, JZ 1985, 201 ff.), obwohl Wintrich sich der Objektformel zeitlich vor Dürig bedient hat; siehe auch G. Radbruch, SJZ 1947, Sp. 131 (Sp. 132), der die 978

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3. Teil: Abwehr auf Grundlage des LuftSiG

Ähnlich meint Dürig: „Die Menschenwürde ist getroffen, wenn der konkrete Mensch zum Objekt, zu einem bloßen Mittel, zur vertretbaren Größe herabgewürdigt wird.“982

Es finden sich jedoch bereits bei Wintrich und Dürig Unsicherheiten bezüglich der Anwendung der Objektformel im Einzelfall. Ersterer hat in einer späteren Veröffentlichung die Unzulänglichkeiten seiner Definition selbst eingeräumt.983 Auch Dürig relativiert die Anwendbarkeit der Objektformel bei der Wahrheitsermittlung durch die Polizei. Er meint, dass zwischen dem Achtungsanspruch des Vernommenen und der Schutzpflicht des Staates gegenüber einem Opfer des Vernommenen eine „Güterkollision“ bestehen kann. Dürig weiter: „Insgesamt würde Art. 1 Abs. 1 GG jedenfalls nicht entgegenstehen, wenn de lege ferenda bei aussichtslosen normalen Wahrheitsermittlungen (etwa bei Gewohnheitsverbrechern, bei wegen Meineides vorbestraften) weitergehende Methoden der Wahrheitserforschung zu Gunsten des schuldlosen Opfers ausgeschöpft würden.“984

Damit anerkennt Dürig offenbar, dass ein und dasselbe Verhalten, nämlich die Anwendung „weitergehender Methoden“, je nach der konkreten Situation und der Zweckrichtung des staatlichen Handelns, einerseits gerechtfertigt sein und andererseits eine Verletzung der Menschenwürde im Sinne der Objektformel darstellen kann. Dürigs bemerkenswerte Aussage ist im Zusammenhang mit der aktuellen Diskussion um die Zulässigkeit der Folter kaum aufgegriffen worden. Hier fehlt der Raum, diese Diskussion ausführlich darzustellen und zu bewerten.985 Das höchst uneinheitliche Meinungsbild sowohl in der verfassungsrechtlichen986 als Menschenwürdekonzeption Kants den Verbrechen des Nationalsozialismus entgegenstellt. 982 Maunz/Dürig-G. Dürig, Art. 1 Abs. 1 Rdn. 28 (1. Lfg.); ders., AöR 81 (1956), 117 (127); siehe auch bereits ders., JR 1952, 259. 983 J. M. Wintrich, BayVBl. 1957, 137 (140). 984 G. Dürig, AöR 81 (1956), 117 (128). Mit den „weitergehenden Methoden“ meint Dürig Praktiken, die über die Verbote in § 136a StPO hinausgehen. 985 Vgl. nur die Darstellung bei Maunz/Dürig-M. Herdegen, Art. 1 Abs. 1 Rdn. 45 f. Ausführliche Nachweise über die Literatur bei F. Wittreck, in: Blaschke u. a. (Hg.), Sicherheit statt Freiheit?, 161 (162 Fn. 4). Die Diskussion wurde im Jahr 1992 von prominenter Seite angestoßen, vgl. N. Luhmann, Gibt es in unserer Gesellschaft noch unverzichtbare Normen?, 1; siehe auch P. Lerche, FS Mahrenholz, 1994, 515 (517 ff.); W. Brugger, Der Staat 35 (1996), 67 ff., der auf Luhmanns Ansätze aufbaut. Für eine Rechtfertigung der Folter im Einzelfall spricht sich auch der ehemalige Ministerpräsident Niedersachsens E. Albrecht aus, siehe E. Albrecht, 174. 986 Kategorisch für eine Verletzung der Menschenwürde etwa: Dreier-H. Dreier, Art. 1 Abs. 1 Rdn. 80; AK-A. Podlech, Art. 1 Abs. 1 Rdn. 45; Jarass/Pieroth-H. D. Jarass, Art. 1 Rdn. 14a; B. Pieroth/B. Schlink, Rdn. 365; H. Bielefeldt, 19 ff.; R. Christensen, in: Blaschke u. a. (Hg.), Sicherheit statt Freiheit?, 133 (243 f.); W. Hassemer, FS Maihofer, 1988, 183 (202 f.); G. Frankenberg, KJ 2006, 370 (384 f.); A. Guckelberger, VBlBW 2004, 121 (127); R. Poscher, JZ 2004, 756 (760 f.); J. O. Merten, JR 2003, 405 (407 f.); R. Hamm, NJW 2003, 946; vgl. auch Gebauer, NVwZ 2004,

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auch in der strafrechtlichen987 Literatur macht jedoch deutlich, wie problematisch sich die Anwendung der Objektformel in der Praxis darstellt. cc) Ansätze in der verfassungsgerichtlichen Rechtsprechung Auch das Bundesverfassungsgericht hat in der Vergangenheit auf die Schwächen der Objektformel hingewiesen: „Der Mensch ist nicht selten bloßes Objekt nicht nur der Verhältnisse und der gesellschaftlichen Entwicklung, sondern auch des Rechts, insofern er ohne Rücksicht auf seine Interessen sich fügen muss. Eine Verletzung der Menschenwürde kann darin allein nicht gefunden werden.“988

Im Sinne einer qualifizierenden Formel hat das Bundesverfassungsgericht zusätzlich gefordert, dass eine Menschenwürdeverletzung eine „verächtliche Behandlung“ voraussetzt,989 wobei es diese Formulierungen in späteren Entscheidungen nicht mehr verwendet hat. Allerdings ist aus der Entscheidung zur Verfassungsmäßigkeit der lebenslangen Sicherungsverwahrung deutlich geworden, wie auslegungsfähig die Objektformel ist. Das Bundesverfassungsgericht führt im ersten Leitsatz aus: „Die Menschenwürde wird auch durch eine langdauernde Unterbringung in der Sicherungsverwahrung nicht verletzt, wenn diese wegen fortdauernder Gefährlichkeit der Untergebrachten notwendig ist. Erforderlich ist aber auch in diesen Fällen, die Eigenständigkeit des Untergebrachten zu wahren, seine Würde zu achten und zu schützen.“990 1405 ff., der nicht mit der Menschenwürdeverletzung, sondern maßgeblich mit der Missbrauchsgefahr argumentiert. Für eine Abwägungsoffenheit etwa: v. Mangoldt/Klein/Starck-C. Starck, Art. 1 Abs. 1 Rdn. 79; W. Brugger, Freiheit und Sicherheit, 56 ff.; B. Lemhöfer, RiA 2005, 53 (55 f.); H. Götz, NJW 2005, 953 ff.; W. Brugger, JZ 2000, 165 (167 ff.); ders., Der Staat 35 (1996), 67 ff.; differenzierend E. Hilgendorf, JZ 2004, 331 (336 ff.); vgl. auch J. Isensee, Tabu, 57 ff.; M. Kloepfer, FS 50 Jahre Bundesverfassungsgericht, Band 2, 2001, 77 (97 f.). 987 Gegen eine Rechtfertigung der Folter etwa: LG Frankfurt, NJW 2005, 692; C. Roxin, Strafrecht AT I, § 15 Rdn. 106; ders., FS Eser, 2005, 461 (465); W. Perron, FS Weber, 2004, 143 ff.; K. Lüderssen, FS Rudolphi, 2004, 691 (698 ff.); P.-A. Albrecht, ZStW 117 (2005), 852 (858 Fn. 12); H.-U. Scharnweber, Kriminalistik 2005, 161; K. Ellbogen, JURA 2005, 339 (341 f.); A. B. Norouzi, JA 2005, 306 (308 ff.); F. Saliger, ZStW 116 (2004), 35 (48 f.); J. Kinzig, ZStW 115 (2003), 791 (811); G. Haurand/ J. Vahle, NVwZ 2003, 513 (519 f.). Für eine Rechtfertigungsmöglichkeit plädieren etwa: V. Erb, NStZ 2005, 593 (598 f.); ders., JURA 2005, 24 (26 ff.); R. D. Herzberg, JZ 2005, 321 ff.; W. Steinke, Kriminalistik 2005, 229 (235); G. Jerouschek, JuS 2005, 296 (301 f.); K. Gintzel, Die Polizei 2004, 249 (254); G. Jerouschek/R. Kölbel, JZ 2003, 613 (619 f.); siehe auch ausführlich aus jüngster Zeit G. Wagenländer, 93 ff. 988 BVerfGE 30, 1 (25 f.); ähnlich BVerfGE 109, 279 (312 f.); kritisch zur Objektformel aus jüngster Zeit auch J. F. Lindner, Theorie der Grundrechtsdogmatik, 185 ff.; R. D. Herzberg, JZ 2005, 321 (322). 989 BVerfGE 30, 1 (26).

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3. Teil: Abwehr auf Grundlage des LuftSiG

Ein Verstoß gegen die Menschenwürde liegt damit nicht schon durch die (möglicherweise) lebenslange Sicherungsverwahrung an sich vor, sondern erst dann, wenn diese Sicherungsverwahrung nicht notwendig ist. Die Bewertung, ob eine Menschenwürdeverletzung gegeben ist, ist im Ergebnis vom Vorliegen beziehungsweise vom Nichtvorliegen der einfachgesetzlichen Voraussetzungen der §§ 66 ff. StGB abhängig, welche die Sicherungsverwahrung regeln. Die Frage einer Menschenwürdeverletzung beantwortet sich damit dadurch, ob das Strafrecht die Maßnahme zulässt oder nicht.991 Darüber hinaus liegt ein Verstoß gegen Art. 1 Abs. 1 GG nur dann vor, wenn die Sicherungsverwahrung an sich menschenunwürdig ausgestaltet ist.992 dd) Zwischenergebnis Das Bundesverfassungsgericht erkennt mit der soeben dargestellten Rechtsprechung selbst an, dass die Frage der Menschenwürdeverletzung von der konkreten Situation abhängig ist. So wäre es menschenunwürdig, einen für die Allgemeinheit ungefährlichen Täter aus unlauteren Motiven lebenslang in die Sicherungsverwahrung einzuweisen. Dagegen kann es mit Art. 1 Abs. 1 GG vereinbar sein, bei einem besonders gefährlichen Täter die lebenslange Sicherungsverwahrung anzuordnen, um so die Allgemeinheit zu schützen. Im Ergebnis kommt es also hinsichtlich der Bestimmung eines Menschenwürdeverstoßes neben den objektiven Umständen auch auf die Finalität der staatlichen Maßnahme an. Daher wird im Folgenden von der Grundannahme ausgegangen, dass der Inhalt der Menschenwürde relativ ist. Je nach den Umständen kann ein und dasselbe staatliche Handeln die Menschenwürde verletzen oder eben auch nicht. Weiterhin kann hinsichtlich der Feststellung eines Menschenwürdeverstoßes nach dem Adressaten des staatlichen Handelns differenziert werden.993 Daher ist Herdegen zuzustimmen, dass erst der nach den Umständen des Einzelfalls 990 BVerfGE 109, 133; vgl. BVerfGE 45, 187 (242): „Die Menschenwürde wird auch dann nicht verletzt, wenn der Vollzug der Strafe wegen fortdauernder Gefährlichkeit des Gefangenen notwendig ist und sich aus diesem Grunde eine Begnadigung verbietet. Es ist der staatlichen Gemeinschaft nicht verwehrt, sich gegen einen gemeingefährlichen Straftäter durch Freiheitsentzug zu sichern. Dabei ist es im vorliegenden Zusammenhang verfassungsrechtlich unerheblich, ob der Freiheitsentzug als Sicherungsmaßnahme oder als Strafe verhängt und vollzogen wird.“ Kritisch hierzu K. Lüderssen, FS Rudolphi, 2004, 691 (702), der den Abwägungsprozess, den das Bundesverfassungsgericht vornimmt, als „die große Lebenslüge des Verfassungsrechts“ bezeichnet. 991 So zu Recht R. D. Herzberg, JZ 2005, 321 (323); siehe ausführlich T. Elsner/K. Schobert, DVBl. 2007, 278 ff. 992 BVerfGE 109, 133 (149 ff.). 993 So auch I. v. Münch, FS Rauschning, 2001, 27 (33).

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konkretisierte Inhalt der Menschenwürde einen absoluten Schutz genießt.994 Darin liegt auch kein Verstoß gegen die Menschenwürde an sich, da lediglich eine Konkretisierung des Inhaltes, also des Schutzbereiches, vorgenommen wird. c) Konkretisierung im Hinblick auf die Tötung Unbeteiligter Zur weiteren Konkretisierung der Objektformel im Einzelfall kann auf geistesgeschichtliche und normative, insbesondere völkerrechtlich-rechtsvergleichende, Grundsätze995 zurückgegriffen werden.996 Auch das Bundesverfassungsgericht nutzt diesen Ansatz zur Konkretisierung des Menschenwürdeschutzes und zur Prüfung eines Verstoßes gegen Art. 1 Abs. 1 GG durch das konkrete staatliche Handeln.997 Im Folgenden wird dargestellt, inwieweit sich durch die Auslegung der Entstehungsgeschichte sowie von verfassungsrechtlichen und völkerrechtlichen Regelungen Anhaltspunkte für die Anwendung der Objektformel hinsichtlich der Tötung von Unbeteiligten gewinnen lassen. Bei der völkerrechtlichen Betrachtung geht es vor allem um die Beurteilung von Tötungshandlungen durch die Streitkräfte. aa) Entstehungsgeschichtlicher Hintergrund Unstreitig ist die Verankerung der Menschenwürde und ihre herausgehobene Stellung innerhalb des Grundgesetzes eine Reaktion auf die Erniedrigung und den massenhaften Mord durch die Staatsgewalt aus rassistischen, ethnischen und religiösen Motiven während der nationalsozialistischen Herrschaft im Deutschen Reich.998 Die Regelung der Menschenwürde im ersten Artikel des Grund994

Maunz/Dürig-M. Herdegen, Art. 1 Abs. 1 Rdn. 43. Vgl. zur Gewährleistung der Menschenwürde in anderen Staaten und durch das Völkerrecht W. Heyde, FS Eitel, 2003, 307 ff. 996 Maunz/Dürig-M. Herdegen, Art. 1 Abs. 1 Rdn. 35; kritisch zur vergleichenden Auslegung C. D. Classen, DVBl. 2002, 141 (145 f.). 997 Vgl. BVerfGE 12, 45 (50 f.): „Die allgemeine Wehrpflicht besteht heute in fast allen freiheitlichen-demokratischen Staaten, auch in den dauernd neutralen. In den meisten dieser Staaten wird sie seit langem als eine selbstverständliche Pflicht des (männlichen) Staatsbürgers angesehen [. . .]. Sie steht auch in Deutschland in einer Tradition, die auf die preußischen Reformzeit zu Beginn des 19. Jahrhunderts und ihren – vielfach bereits von demokratischen Gedanken inspirierten – politischen Idealismus zurückführt; bezeichnend ist, dass auch die Weimarer Verfassung sich im Prinzip zu ihr bekannt hat (Art. 133).“ Siehe aber auch C. Grimm, 62, der meint, die Argumentationsweise des Bundesverfassungsgerichts entbehre „einer fundierten historischen Grundlage“. 998 Statt vieler Maunz/Dürig-M. Herdegen, Art. 1 Abs. 1 Rdn. 15; H. Hofmann, AöR 118 (1993), 353 (356); vgl. auch E. Pikart/W. Werner, 587; G. Radbruch, SJZ 1947, Sp. 131 (Sp. 132). 995

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gesetzes diente dazu, „den ganzen Geist des neuen Staatswesens in seinem Gegensatz zu der im Mai 1945 vernichteten Staatsordnung darzutun“.999 Ob die Väter des Grundgesetzes durch die Unantastbarkeit der Menschenwürde die staatliche Tötung von Unbeteiligten auch generell ausschließen wollten, ist dagegen an keiner Stelle belegt. Vielmehr deutet die Entstehungsgeschichte des Art. 26 Abs. 1 Satz 1 GG, der den Angriffskrieg verbietet, darauf hin, dass auch unter Geltung des Grundgesetzes die Tötung von Unbeteiligten in bestimmten Situationen verfassungskonform sein sollte. So wurde teilweise angedacht, den Krieg generell zu verbieten.1000 Dieser Ansatz konnte sich jedoch nicht durchsetzen, da durch Art. 26 Abs. 1 Satz 1 GG deutlich gemacht werden sollte, dass der Verteidigungskrieg – auch wenn die Bundesrepublik zum Zeitpunkt des Inkrafttretens des Grundgesetzes noch nicht über Streitkräfte verfügte – nicht verfassungswidrig ist.1001 Es kann unterstellt werden, dass den Mitgliedern des Parlamentarischen Rates auch bewusst gewesen ist, dass in einem Verteidigungskrieg – insbesondere, wenn dieser sich im dicht besiedelten Mitteleuropa abgespielt hätte – die Tötung von unbeteiligten Personen, die nicht an Kampfhandlungen beteiligt sind, sichere Folge des Einsatzes von Streitkräften gewesen wäre. Es wäre daher widersprüchlich, wenn einerseits der Verteidigungskrieg durch das Grundgesetz nicht verboten werden sollte, aber andererseits die praktische Umsetzung eines solchen Verteidigungskrieges gegen die Menschenwürde verstoßen würde und damit rechtlich unmöglich wäre. Zudem richtete sich die Verankerung der Menschenwürdegarantie vor allem gegen die willkürlichen Tötungen während der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft. Anhaltspunkte dafür, dass die Regelung des Menschenwürdeschutzes auch als Antwort auf Tötungen durch rechtmäßige Kriegshandlungen gedacht war, sind dagegen nicht nachweisbar. bb) Tötungshandlungen durch die Bundeswehr Wie soeben dargestellt, ist unter der Geltung des Grundgesetzes der Krieg nicht grundsätzlich verboten. Das Bundesverfassungsgericht hat vielmehr in ständiger Rechtsprechung unterstrichen, dass der wirksamen militärischen Landesverteidigung sogar Verfassungsrang zukommt.1002 999

Vgl. Maunz/Dürig-M. Herdegen, Art. 1 Abs. 1 Rdn. 15. Vgl. v. Mangoldt/Klein/Starck-U. Fink, Art. 26 Rdn. 4. 1001 Vgl. U. Fink, FS Rauschning, 2001, 89 (90); siehe auch G. Krauss, DÖV 1953, 597 (599), der gerade aus der Verankerung der Menschenwürde im Grundgesetz die Legitimation für das Recht der Selbstverteidigung und der Aufstellung von Streitkräften ableitet. 1002 BVerfGE 28, 243 (261); 48, 127 (159 f.); 69, 1 (21). 1000

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Eine wirksame Landesverteidigung setzt dabei nicht nur die Funktionsfähigkeit der Streitkräfte voraus, sondern diese müssen auch rechtlich in der Lage sein, den Verteidigungsauftrag erfüllen zu können. Die Abwehr von Angriffen gegen die Bundesrepublik setzt – unabhängig davon, ob diese Angriffe von staatlichen oder von nicht-staatlichen Kräften herrühren – regelmäßig die Tötung von Menschen voraus. Dabei kann auch die Tötung von Unbeteiligten nicht ausgeschlossen werden. Unter Umständen wird die Tötung von Unbeteiligten sogar sichere Folge eines zur Erfüllung des Verteidigungsauftrages erforderlichen militärischen Handelns sein. Der Gesetzgeber hat es jedoch offensichtlich nicht für nötig gehalten, Ermächtigungsgrundlagen für den Einsatz der Streitkräfte zur Verteidigung zu schaffen.1003 Dies kann möglicherweise durch die Verhältnisse während des Kalten Krieges erklärt werden: Die Bundeswehr war damals in erster Linie auf die Abschreckung eines Angriffs ausgerichtet und hätte ihren wichtigsten Auftrag verfehlt, wenn es zu Kampfhandlungen gekommen wäre.1004 Heutzutage hat sich die Aufgabenwahrnehmung der Bundeswehr grundlegend gewandelt; dennoch hat der Gesetzgeber nicht auf diese Veränderungen reagiert. Es fehlen auch Regelungen für Auslandseinsätze der Bundeswehr, obwohl nach zutreffender Auffassung die Grundrechtsbindung der vollziehenden Gewalt auch außerhalb des Geltungsbereiches des Grundgesetzes gilt.1005 Folgt man der Logik des aktuellen Urteils des Bundesverfassungsgerichts und der Absolutheit des Menschenwürdeschutzes, spricht vieles dafür, dass die Tötung von Unbeteiligten in einem bewaffneten Konflikt eine Menschenwürdeverletzung darstellt, jedenfalls soweit sicheres Wissen bezüglich der Tötung vorliegt. Dadurch würde aber eine wirksame militärische Landesverteidigung nicht mehr möglich sein. Die einzige Lösung dieses Dilemmas zwischen dem Schutz der Menschenwürde einerseits und der Landesverteidigung andererseits liegt darin, dass das Verbot der Tötung von Unbeteiligten hinter der wirksamen militärischen Landesverteidigung zurücktritt.

1003 Dies ist zumindest vor dem Hintergrund der Wesentlichkeitstheorie und des Bestimmtheitsgebotes verfassungsrechtlich bedenklich. 1004 Vgl. E. Obermann (Hg.), 585 f. 1005 BVerfGE 6, 290 (295); 57, 9 (23); Dreier-H. Dreier, Art. 1 Abs. 3 Rdn. 29; v. Mangoldt/Klein/Starck-M. Baldus, Art. 87a Abs. 2 Rdn. 68; Sachs-M. Sachs, Vor Art. 1 Rdn. 19; M. Schröder, FS Schlochauer, 1981, 137 (138); a. A. H. v. Olshausen, DVBl. 1974, 652 ff.

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3. Teil: Abwehr auf Grundlage des LuftSiG

(1) Lösungsansätze in der Literatur Die Rechtfertigung der Tötung im Krieg wird sowohl in der strafrechtlichen1006 als auch in der öffentlich-rechtlichen Literatur eher stiefmütterlich behandelt.1007 Dies mag der Annahme geschuldet sein, dass in der Praxis des Krieges rechtliche Ge- und Verbote ohnehin relativiert werden. Allein eine rechtswidrige Praxis spricht jedoch nicht dagegen, Tötungshandlungen im Krieg im Hinblick auf ihre Vereinbarkeit mit der Menschenwürde und dem Grundrecht auf Leben zu untersuchen. Jedenfalls kann ein bewaffneter Konflikt nicht als ein „lebensrechtsfreier“1008 Raum angesehen werden, so dass ein Ignorieren der Problematik keine Lösung darstellt. (a) „Schutzbereichslösung“ Um die Befugnisse der Bundeswehr im Kriegsfall an die tatsächliche Lage anpassen zu können, differenziert R. Mußgnug zwischen der Schutzwürdigkeit der feindlichen Streitkräfte sowie der Zivilbevölkerung des Gegners einerseits und der Schutzwürdigkeit der eigenen Bevölkerung andererseits. Die Bundeswehr habe insoweit „zwei Rechtsordnungen“ zu beachten. Beim Vorgehen gegen die erste Personengruppe sei die Bundeswehr lediglich an das internationale Kriegsrecht gebunden,1009 während beim Vorgehen gegen die eigene Bevölkerung das Grundgesetz die Bundeswehr „zur strikten Beachtung seiner Menschen- und Grundrechtsgarantien“ verpflichte, soweit nicht spezielle Einschränkungsmöglichkeiten im Spannungs- oder Verteidigungsfall bestehen.1010 In Bezug auf das Recht auf Leben führt Mußgnug aus: „Wenn feindliche Truppen in das Bundesgebiet eindringen und die Bundeswehr zu Abwehrkämpfen zwingen, so garantiert Art. 2 Abs. 2 GG der Zivilbevölkerung, die zwischen die Fronten gerät, daher das Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit ebenso wie im Frieden. Dass das Kriegsrecht der Bundeswehr den Beschuss des Gegners erlaubt und Art. 87a Abs. 1 GG sie sogar zum Beschießen des Gegners verpflichtet, ändert nichts daran, dass Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG für einen Beschuss des Gegners, der auch die eigene Zivilbevölkerung gefährdet, kategorisch eine gesetzliche Ermächtigung verlangt.“1011 1006 Vgl. E. Schmidhäuser, 315 f., der knapp folgendes ausführt: „Tatbestandlich rechtsgutsverletzende Handlungen des einzelnen Soldaten im Kriege, also vor allem Tötungen, Körperverletzungen und Freiheitsberaubungen, sind im Rahmen des völkerrechtlich Zulässigen gerechtfertigt.“ 1007 Vgl. kritisch dazu M. Kutscha, NVwZ 2004, 801 (802); M. Pawlik, JZ 2004, 1045 (1053 Fn. 89), spricht zu Recht von einer „Strategie des Verschweigens“. 1008 W. Leisner, in: Niedersächsische Landeszentrale für Politische Bildung (Hg.), Das Recht auf Leben, 9 (38). 1009 Zustimmend auch A. Bleckmann, Staatsrecht II, § 18 Rdn. 21. 1010 R. Mußgnug, DÖV 1989, 917 (918). 1011 R. Mußgnug, DÖV 1989, 917 (918).

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Damit will Mußgnug den Gegner und dessen Bevölkerung möglicherweise ganz aus dem Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG herausnehmen. (b) „Notwehrlösung“ Leisner differenziert zunächst zwischen dem „gerechten“ und dem „ungerechten“ Krieg, also zwischen dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg und dem Verteidigungskrieg. Im letzteren Fall könnten militärisch erforderliche Tötungen durch die Anwendung des „Notwehrbegriffs“ gerechtfertigt werden.1012 Der Staat dürfe auch die eigenen Soldaten einer hohen Lebensgefährdung aussetzen; Leisner führt wörtlich aus: „Selbst das klare ,Himmelfahrtskommando‘ wird man legitimieren müssen, wenn es der Rettung vieler anderer dient.“1013

Gegnerische Kombattanten dürften durch die Anwendung einer „einheitlichen Notwehr“ getötet werden, dabei seien die kriegsvölkerrechtlichen Regeln zu beachten.1014 Mit der besonderen Fragestellung der Tötung von unbeteiligten Zivilisten setzt sich Leisner nicht auseinander. Die notwehrrechtliche Begründung wird hier keine Anwendung finden können, da von den Unbeteiligten gerade kein Angriff ausgeht.1015 Daher ist Leisners Ansatz lückenhaft und vermag die Problematik nicht zu lösen. (c) Anwendung kriegsvölkerrechtlicher Grundsätze Das Fehlen von gesetzlichen Ermächtigungsgrundlagen soll nach allgemeiner Auffassung nicht bedeuten, dass die Streitkräfte bei der Erfüllung des Verteidigungsauftrages rechtlich nicht handlungsfähig sind. Vielmehr werde die Vornahme von Tötungen, die dem geltenden Kriegsvölkerrecht nicht widersprechen, durch die wehrverfassungsrechtlichen Vorschriften des Grundgesetzes vorausgesetzt.1016 Die Rechtfertigung solcher Eingriffe beruhe unmittelbar auf dem 1012 W. Leisner, in: Niedersächsische Landeszentrale für Politische Bildung (Hg.), Das Recht auf Leben, 9 (37 f.). 1013 W. Leisner, in: Niedersächsische Landeszentrale für Politische Bildung (Hg.), Das Recht auf Leben, 9 (38.). Es bleibt schleierhaft, wie dieser Ausspruch mit der von Leisner wiederholt vertretenen Auffassung der absoluten Höchstwertigkeit des menschlichen Lebens zu vereinbaren ist. 1014 W. Leisner, in: Niedersächsische Landeszentrale für Politische Bildung (Hg.), Das Recht auf Leben, 9 (38). 1015 Siehe dazu unten 5. Teil A. 1016 Sachs-D. Murswiek, Art. 2 Rdn. 172; AK-A. Podlech, Art. 2 Abs. 2 Rdn. 26; zweifelnd M. Kutscha, KJ 2004, 228 (237); ders., NVwZ 2004, 801 (803 f.); vgl. auch v. Mangoldt/Klein/Starck-M. Baldus, Art. 87a Abs. 2 Rdn. 69, der die kriegsvölker-

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in Art. 87a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 GG festgelegten Verteidigungsauftrag; besondere Ermächtigungsgrundlagen seien nicht erforderlich.1017 Dabei soll bei der Abwehr von feindlichen Kombattanten nach den Regeln des Kriegsvölkerrechts die oft unvermeidliche Beeinträchtigung von Rechtsgütern anderer nichtkombattanter Personen nicht ausgeschlossen sein.1018 Auch diese unvermeidlichen Beeinträchtigungen seien nach der Auffassung des Gesetzgebers unmittelbar auf der Grundlage des Verteidigungsauftrages gerechtfertigt.1019 Großmann meint ausdrücklich, dass auch die eigene Bevölkerung in Mitleidenschaft gezogen werden dürfe.1020 Auch Schulze-Fielitz befürwortet die Rechtfertigung der Tötung von inländischen Bürgern durch den Staat im Fall des Verteidigungskrieges.1021 Das humanitäre Völkerrecht verbietet nicht schlechthin die Zerstörung ziviler Objekte oder die Tötung von Zivilisten in einem bewaffneten Konflikt. Die Grundregel des Art. 48 ZP I1022 untersagt jedoch die unterschiedslose Behandlung von Zivilisten und Kombattanten. Kriegshandlungen dürfen sich daher nur gegen militärische Ziele richten.1023 Die Regelungen in Art. 51 Abs. 4, 5 ZP I enthalten weitere Konkretisierungen von verbotenen unterschiedslosen Behandlungen. Gemäß Art. 51 Abs. 4, Abs. 5 b) ZP I ist ein militärischer Angriff verboten, der „Verluste an Menschenleben unter der Zivilbevölkerung verursacht [. . .], die in keinem Verhältnis zum erwarteten konkreten und unmittelbaren militärischen Vorteil stehen“.

Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass bei Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im Rahmen militärischer Aktionen durchaus unbeteiligte Personen getötet werden dürfen – auch mit sicherem Wissen.1024 Je größer der

rechtlichen Regelungen für die Vornahme von Eingriffen grundsätzlich als ausreichend ansieht und unter besonderen Voraussetzungen sogar einen Rückgriff auf § 7 SG befürwortet. 1017 Vgl. BT-Drucks. V/2873, 13; E. Jess/S. Mann, Einl. Rdn. 53 m.w. N.; N. H. R. Lück, 97; a. A. in Bezug auf die eigene Bevölkerung R. Mußgnug, DÖV 1989, 917 (918). 1018 N. H. R. Lück, 97. 1019 G. Großmann, Teil II, Rdn. 188; E. Jess/S. Mann, Einl. Rdn. 54. 1020 G. Großmann, Teil II, Rdn. 188. 1021 Dreier-H. Schulze-Fielitz, Art. 2 Abs. 2 Rdn. 42. 1022 Die Bundesrepublik ist Vertragsstaat dieses Zusatzprotokolls, vgl. BGBl. 1990 II, 1550. 1023 Siehe zum historischen Hintergrund dieses „Prinzips der Unterscheidung“ O. Kimminich, 131 ff. 1024 S. Schmahl, ZaöRV 66 (2006), 699 (716); siehe zur Anwendung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes O. Kimminich, 152 ff.

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Vorteil einer militärischen Aktion ist, desto mehr unbeteiligte Zivilisten dürfen getötet werden.1025 (2) Bewertung Zunächst ist festzuhalten, dass auch in den Zeiten des Krieges oder eines anderen bewaffneten Konflikts die Grundrechte nicht außer Kraft treten.1026 Eine generelle Aufhebung der Grundrechte ist daher unter der Geltung des Grundgesetzes nicht möglich,1027 auch wenn Bleckmann meint, dass eine strikte Weitergeltung der Grundrechtsgewährleistungen evident illusorisch sei.1028 Gemäß Art. 1 Abs. 3 GG binden die Grundrechte die Bundeswehr als Teil der vollziehenden Gewalt als unmittelbar geltendes Recht, ohne dass eine Ausnahme für besondere Fälle zulässig ist. Die Grundrechtsbindung gilt daher unter allen Umständen. Dies heißt jedoch noch nicht automatisch – wie M. Jahn meint1029 –, dass die Streitkräfte selbst im Verteidigungsfall keine weitergehenden Befugnisse als im Normalfall haben. Denn trotz der generellen Grundrechtsbindung ist es möglich, dass sich in besonderen Gefahrenlagen der Verhältnismäßigkeitsmaßstab verschiebt und damit weitergehende Eingriffe verfassungsrechtlich zulässig sind. Abzulehnen ist der Ansatz von R. Mußgnug, der eine Zwei-Klassen-Gesellschaft der Grundrechtsträger schaffen würde, auf der einen Seite die deutschen 1025 H. P. Gasser, in: Fleck (Hg.), Handbuch des humanitären Völkerrechts in bewaffneten Konflikten, Nr. 509. 1026 M. Jahn, 161. Insoweit kann die Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zu Schadensersatzansprüchen wegen Kriegshandlungen während des Zweiten Weltkrieges nicht auf die Grundrechtsbindung übertragen werden. Der Bundesgerichtshof hat diesbezüglich mit Urteil vom 26. Juni 2003, BGHZ 155, 279 (296), ausgeführt: „Wie das Berufungsgericht zutreffend ausgeführt hat, wurde der Krieg als völkerrechtlicher Ausnahmezustand gesehen, der seinem Wesen nach auf Gewaltanwendung ausgerichtet ist und die im Frieden geltende Rechtsordnung weitgehend suspendiert.“ Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 15. Februar 2006 – 2 BvR 1476/03 eine Verfassungsbeschwerde gegen dieses Urteil nicht angenommen, siehe hierzu S. Boysen, AVR 44 (2006), 363 ff. Zur Staatshaftung wegen Kriegsschäden im Zusammenhang mit NATO-Luftoperationen gegen Serbien siehe BGH, Urteil vom 2. November 2006 – III ZR 190/05; OLG Köln, NJW 2005, 2860; LG Bonn, NJW 2004, 525 (526); siehe zusammenfassend S. Schmahl, ZaöRV 66 (2006), 699 ff. Die Rechtsprechung hat hier eine Schadensersatzpflicht der Bundesrepublik für die Tötung von unbeteiligten Zivilisten verneint. 1027 Vgl. W. Jellinek, VVDStRL 8 (1950), 3 (16): „Eine Verfassungssuspendierung oder eine Verfassungsdurchbrechung, wie nach Art. 48 der Weimarer Verfassung, kennt das Grundgesetz nicht.“ Vgl. zum Streit um die Auslegung des Art. 48 Abs. 2 C. Schmitt, Verfassungslehre, 111 f. Schmitt meinte, der Reichspräsident könne Grundrechtsartikel außer Kraft setzen und „ohne Rücksicht auf gesetzliche Schranken“ handeln. 1028 A. Bleckmann, Staatsrecht II, § 18 Rdn. 15. 1029 M. Jahn, 161.

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Staatsbürger und auf der anderen Seite der „Feind“.1030 Angesichts der Grundrechtsbindung des Art. 1 Abs. 3 GG ist es verfassungsrechtlich unzulässig, eine bestimmte Personengruppe a priori außerhalb der Schutzwirkung der Grundrechte zu stellen. Diese Personen würden ansonsten zu Grundrechtsträgern zweiter Klasse degradiert werden.1031 Unbestritten ist es für eine wirksame militärische Landesverteidigung unabdingbar, dass für Verteidigungshandlungen der Bundeswehr andere gesetzliche Regelungen existieren, als für die Störerbekämpfung nach dem allgemeinen Gefahrenabwehrrecht. Diese sachlichen Zwänge dürfen jedoch nicht dazu führen, bestimmtes staatliches Handeln einem „grundrechtsfreien Raum“ zuzuweisen. Vielmehr muss das Ziel sein, sowohl dem Grundrechtsschutz als auch der Wirksamkeit der militärischen Landesverteidigung im Wege der praktischen Konkordanz eine größtmögliche Entfaltung zu ermöglichen. Dies bedeutet, dass Tötungen von Unbeteiligten im Rahmen militärisch erforderlicher Verteidigungshandlungen gerechtfertigt sein müssen, denn ansonsten wäre eine militärische Verteidigung nicht mehr möglich.1032 Es dürfen aber keinesfalls Menschen aus dem Schutzbereich des Grundrechts auf Leben oder gar der Menschenwürde „herausfallen“. Einen Lösungsweg weisen hier die kriegsvölkerrechtlichen Grundsätze, die eine größtmögliche Schonung der Zivilbevölkerung gewährleisten, aber dennoch auch die Durchführung des militärischen Auftrages ermöglichen. Dabei machen die kriegsvölkerrechtlichen Regeln einen wichtigen Grundsatz deutlich: Die Tötung von Unbeteiligten ist unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes rechtmäßig, soweit diese nicht Ziel der militärischen Aktion sind. Völkerrechtlich kommt es also maßgeblich auf die Finalität der militärischen Handlungen an. (3) Zwischenergebnis Im Ergebnis ist festhalten, dass das Völkerrecht die Tötung von Unbeteiligten unter bestimmten Voraussetzungen erlaubt. Dieses Ergebnis bietet einen weiteren Anhaltspunkt dafür, dass die Tötung von Unbeteiligten nicht unbedingt einen Verstoß gegen die Menschenwürde darstellt. Es ist weiterhin daran zu erinnern, dass die Rechtfertigung von Tötungen innerhalb rechtmäßiger Kriegshand1030 Eine Unterscheidung zwischen den eigenen Bürgern und dem „Feind“ in strafrechtlicher Hinsicht hat G. Jakobs mit seiner Konzeption eines „Feindstrafrechts“ aufgegriffen, vgl. zuerst G. Jakobs, ZStW 97 (1985), 751 (783); die ganz überwiegende Auffassung lehnt diesen Ansatz jedoch ab, vgl. aus jüngster Zeit nur T. Hörnle, GA 2006, 80 ff.; L. Greco, GA 2006, 96 ff. m.w. N. 1031 Vgl. T. Lenckner, Notstand, 250: „Menschenleben bleibt Menschenleben, selbst wenn es das eines Feindes ist.“ 1032 Vgl. M. Pawlik, JZ 2004, 1045 (1053).

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lungen, die im Einklang mit dem humanitären Kriegsvölkerrecht stehen, in Art. 15 Abs. 2 EMRK, der Teil der deutschen Rechtsordnung ist, besonders geregelt ist.1033 cc) Lebensgefährdungen im Bereich der Wehrpflicht Ein Bereich, in dem der Staat durch Gesetz und Zwang in einem erheblichen Umfang (potentielle) Gefährdungen des Lebens seiner Bürger verursacht, ist die allgemeine Wehrpflicht gemäß Art. 12a Abs. 1 GG.1034 Die gesetzliche Grundpflicht des Soldaten ist es gemäß § 7 SG, „der Bundesrepublik Deutschland treu zu dienen und das Recht und die Freiheit des deutschen Volkes tapfer zu verteidigen“. Wegen dieser Grundpflicht ist allgemein anerkannt, dass Soldaten die äußerste Pflicht haben, ihr Leben für die Verteidigung der Bundesrepublik aufzuopfern, wenn dies aus militärischen Gründen erforderlich ist1035 und den Soldaten – wenn auch geringe – Überlebenschancen verbleiben.1036 Diese Aufopferungspflicht besteht in abgeschwächter Form auch schon in Friedenszeiten, zum Beispiel im Rahmen des Wachdienstes. Die Aufopferungspflicht trifft dabei zu einem großen Teil Wehrpflichtige, die nicht aus eigenem Entschluss, sondern wegen einer verfassungsrechtlichen und gesetzlichen Pflicht Wehrdienst leisten. Insbesondere kann nicht darauf verwiesen werden, die Wehrpflichtigen hätten gemäß Art. 4 Abs. 3 GG die Möglichkeit, den Kriegsdienst zu verweigern und damit auch der Aufbürdung von Lebensgefahren zu entgehen. Die Wehrpflicht ist der gesetzliche Regelfall, nur Gewissensgründe berechtigen zur Wehrdienstverweigerung.1037 Diejenigen Männer, die keinen Gewissenskonflikt darin sehen, Kriegsdienst zu leisten, haben 1033

Siehe oben 3. Teil D. I. 2. a) cc) (3). In der vorliegenden Untersuchung soll keine Diskussion um die Verfassungsmäßigkeit der allgemeinen Wehrpflicht entfacht werden. Vielmehr geht es darum zu untersuchen, wie weit der Schutz der Menschenwürde des Wehrpflichtigen reicht und inwieweit er Lebensgefährdungen auf sich nehmen muss, um Anhaltspunkte für die Konkretisierung eines Menschenwürdeverstoßes gewinnen zu können. 1035 W. Hirschmann, 117; J. Dietlein, XI; siehe auch § 6 WStG: „Furcht vor persönlicher Gefahr entschuldigt eine Tat nicht, wenn die soldatische Pflicht verlangt, die Gefahr zu bestehen.“ 1036 Eine Aufopferungspflicht besteht nach der herrschenden Meinung nicht, wenn Lebensrisiken auferlegt werden, die nach militärischen Maßstäben nicht notwendig sind, denn auch Soldaten könne der „Gang in den sicheren Tod“ nicht befohlen werden, vgl. W. Hirschmann, 118 f.; E. Dreher, JZ 1957, 393 (395). Anders wurde dies zum Teil unter der Geltung des § 49 Abs. 1 MStGB gesehen, siehe E. Schwinge, Anm. I zu § 49; siehe auch H. Otto, Pflichtenkollision, 91 f., der aus der Garantenstellung eines Vorpostens für das Leben seiner Kameraden die Pflicht des Vorpostens ableitet, unerwartet auftauchende Feindkräfte zu bekämpfen, obwohl der Soldat dadurch mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu Tode kommen wird. 1037 Das Bundesverfassungsgericht sieht die Erfüllung der Wehrpflicht sogar als „demokratische Normalität“ an, BVerfGE 69, 1 (22). 1034

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also in der Regel keine rechtmäßige Möglichkeit, der Ableistung der Wehrpflicht „zu entgehen“. Trotz der Auferlegung der mit der Wehrpflicht verbundenen Lebensgefährdung sieht das Bundesverfassungsgericht in ständiger Rechtsprechung die allgemeine Wehrpflicht als mit dem Grundgesetz vereinbar an. In der ersten Wehrpflichtentscheidung heißt es: „In der Tat ist die Rechtsmeinung vertreten worden, diese Ermächtigung zur Einführung der allgemeinen Wehrpflicht verstoße gegen übergeordnetes Verfassungsrecht: das Gebot der unbedingten Achtung der Menschenwürde [. . .]. Mit diesen Erwägungen ist jedoch gegen die Verfassungsbestimmung nichts auszurichten. Das Institut der allgemeinen Wehrpflicht verstößt als solches weder gegen die Menschenwürde noch sonst gegen die Grundlagen unseres verfassungsrechtlichen Wertsystems.“1038

Das Bundesverfassungsgericht hat weiterhin aus der Menschenwürde neben einem Schutz- und Achtungsanspruch auch eine Pflicht des (männlichen) Staatsbürgers entwickelt.1039 Dabei rekurriert es offenbar auch auf die philosophischen Vorstellungen Rousseaus, der eine Einstandspflicht der Bürger für das Gemeinwesen gefordert hat.1040 So führt das Bundesverfassungsgericht aus: Die allgemeine Wehrpflicht „knüpft an eine freiheitlich-demokratische Tradition an, die bis auf die Französische Revolution von 1789 und die Reformzeit in Deutschland zu Beginn des 19. Jahrhunderts zurückgeht. Ihr liegt die Vorstellung zugrunde, dass es Pflicht aller männlichen Staatsbürger ist, für den Schutz von Freiheit und Menschenwürde als den obersten Rechtsgütern der Gemeinschaft, deren personale Träger auch sie selbst sind, einzutreten. Sie findet ihre Rechtfertigung darin, dass der Staat, der Menschenwürde, Leben, Freiheit und Eigentum als Grundrechte anerkennt und schützt, dieser verfassungsrechtlichen Schutzverpflichtung gegenüber seinen Bürgern nur mit Hilfe eben dieser Bürger und ihres Eintretens für den Bestand der Bundesrepublik Deutschland nachkommen kann. Mit anderen Worten: Individueller grundrechtlicher Schutzanspruch und gemeinschaftsbezogene Pflicht der Bürger eines demokratisch verfassten Staates, zur Sicherung dieser Verfassungsordnung beizutragen, entsprechen einander.“1041

Diesen Aussagen des Bundesverfassungsgerichts ist grundsätzlich zuzustimmen; es spricht jedoch das Problem der Aufbürdung von Lebensgefahren nicht

1038

BVerfGE 12, 45 (50); siehe auch BVerfGE 38, 154 (167); 48, 127 (161); 69, 1

(21). 1039

Kritisch hierzu C. Grimm, 61 f. Vgl. J.-J. Rousseau, Zweites Buch, 5. Kapitel: „Der Staatsbürger ist deshalb auch nicht länger Richter über die Gefahr, der er sich auf Verlangen des Gesetzes aussetzen soll; und wenn der Fürst ihm gesagt hat: ,Dein Tod ist für den Staat erforderlich‘, so muss er sterben, da nur er auf Grund dieser Bedingung bisher in Sicherheit gelebt hat und sein Leben nicht mehr ausschließlich eine Wohltat der Natur ist, sondern eine ihm bedingungsweise bewilligtes Geschenk des Staates.“ 1041 BVerfGE 48, 127 (161); vgl. auch BVerfGE 12, 45 (51); 38, 154 (167). 1040

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ausdrücklich an. Die mit der Wehrpflicht verbundenen Gefährdungen werden hinter der Formulierung „versteckt“, die männlichen Staatsbürger seien dazu verpflichtet, für den Schutz der Gemeinschaft „einzutreten“ beziehungsweise der Staat dürfe die Bürger zum Schutz und zur Verteidigung „heranziehen“.1042 Diese Pflicht zum „Eintreten“ kann vor allem im Verteidigungsfall auch bedeuten, sein Leben für die Verteidigung der genannten Rechtsgüter einzusetzen. Dieses Ergebnis überrascht in einer Rechtsordnung, in der das Leben des einzelnen Grundrechtsträgers angeblich einen „Höchstwert“1043 darstellt. (1) Rechtfertigung der Lebensgefährdung Um die Wehrpflicht im Hinblick auf Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verfassungsrechtlich zu rechtfertigen, wird zwischen einer Aufopferungspflicht und der Pflicht zum Tragen eines Lebensrisikos unterschieden.1044 Kein Soldat könne gezwungen werden, in den sicheren Tod zu gehen, da dies eine Herabwürdigung des Menschen zum Objekt darstellen würde. Die soldatische Pflicht reiche daher nur soweit, als zumindest eine geringe Möglichkeit des Überlebens besteht.1045 Dies werde auch durch die Formulierung „Bestehen der Gefahr“ in § 6 WStG bestätigt.1046 Dabei sei es allerdings zulässig, dem einzelnen Soldaten im Verteidigungsfall höhere Lebensgefahren aufzuerlegen als in Friedenszeiten.1047 Wegen dieser Unterscheidung lehnen es Höfling und Augsberg ausdrücklich ab, die Tötung von Unbeteiligten in der Konstellation des § 14 Abs. 3 LuftSiG mit der Auferlegung einer Gefahrtragungspflicht für das Leben zu vergleichen.1048 (2) Bewertung Nimmt man die Aussage des Bundesverfassungsgerichts ernst, dass eine Tötung von Unbeteiligten gemäß § 14 Abs. 3 LuftSiG die Menschenwürde verletzt, da „ihre Tötung als Mittel zur Rettung anderer benutzt wird“,1049 so 1042

BVerfGE 12, 45 (51). Siehe zur Bedeutung der „Höchstwert“-Formulierung unten 3. Teil D. III. 3. d) cc) (1). 1044 Ausdrücklich mit Bezug auf § 14 Abs. 3 LuftSiG W. Höfling/S. Augsberg, JZ 2005, 1080 (1082). 1045 J. Schölz/E. Lingens, § 6 Rdn. 7; G. Hautmann, 69; M. Korte, 186; W. Hirschmann, 118 f.; E. Dreher, JZ 1957, 393 (395). 1046 J. Schölz/E. Lingens, § 6 Rdn. 7. 1047 C. Grimm, 58. 1048 W. Höfling/S. Augsberg, JZ 2005, 1080 (1082). 1049 BVerfG, NJW 2006, 751 (758 Abs. 124). 1043

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3. Teil: Abwehr auf Grundlage des LuftSiG

drängt sich die Frage auf, ob eine Subjektsverletzung nicht auch darin zu sehen ist, dass das Leben von Wehrpflichtigen als Mittel zum Schutz anderer und der Gemeinschaft benutzt wird. Diese Frage kann nicht von vornherein durch die Unterscheidung zwischen einer Gefahrtragungspflicht und einer Aufopferungspflicht verneint werden. Dies folgt zunächst daraus, dass eine Abgrenzung zwischen der Pflicht zur bloßen Gefahrtragung und der Aufopferung des Lebens in der Praxis schwierig sein wird, da in fast jeder Situation behauptet werden kann, dass eine geringe Möglichkeit des Überlebens besteht. Zudem wird in einem bewaffneten Konflikt mit Sicherheit eine erhebliche Anzahl von Soldaten ihr Leben verlieren,1050 auch wenn vorher nicht feststeht, wen dieses Los treffen wird. Für den einzelnen Wehrpflichtigen, der im Rahmen seiner Dienstausübung getötet wird, macht es im Ergebnis aber keinen Unterschied, ob er noch eine geringe Überlebenschance hatte oder nicht:1051 Wenn absehbar ist, dass von 100 Soldaten 90 bei der Durchführung eines Auftrages sterben werden, so besteht für jeden einzelnen zunächst zwar nur eine Pflicht zum Tragen einer Lebensgefährdung, für die 90 Getöteten bedeutet diese Pflicht jedoch den vollständigen Einsatz des eigenen Lebens und damit faktisch die Aufbürdung einer Aufopferungspflicht. Zu Verdeutlichung sei das folgende, von Grimm gebildete Beispiel genannt: „Der Gruppenführer befiehlt einem Gruppenmitglied, das durch den Ausfall des MG-Schützen liegen gebliebene, für die Gruppe unter Umständen lebensnotwendige MG trotz starker Feindwirkung sicherzustellen.“ 1052

Grimm bewertet diesen Befehl als rechtmäßig; der Untergebene dürfe den Gehorsam nicht verweigern. Daraus schließt Grimm, dass es „im Kriege nicht mehr möglich ist, im Rahmen einer Güterabwägung dem Wert des Menschen gegenüber einer Waffe eindeutig den Vorrang einzuräumen“.1053 Hier stellt sich konkret die Frage, wann die feindliche Waffenwirkung so intensiv ist, dass der Untergebene den Gehorsam unter Hinweis auf seinen sicheren Tod beziehungsweise auf eine zu geringe Überlebensmöglichkeit verweigern kann. Soweit ersichtlich werden für diese und ähnliche Situationen keine praktikablen Abgrenzungskriterien angeboten, was wohl darin liegt, dass eine derartige Abgrenzung unmöglich sein dürfte. Damit verliert das Argument, der

1050 Vgl. auch M. Baldus NZWehrr 1993, 92 (99); siehe aus jüngster Zeit C. Hillgruber, JZ 2007, 210 (216). 1051 Siehe auch F.-B. Delonge, 123 Fn. 11: „Konsequenterweise wäre dann übrigens in einem Krieg fast jede militärische Aktion rechtswidrig. Hier werden oft Soldaten auf Grund numerischer Abwägung bewusst geopfert. Niemand scheint dies jemals attackiert zu haben.“ 1052 C. Grimm, 58 f. 1053 C. Grimm, 59.

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Wehrpflichtige müsse lediglich Lebensgefahren hinnehmen, an Überzeugungskraft. Der Unterschied bei der Auferlegung von Lebensgefährdungen und der staatlichen Tötung könnte darin liegen, dass der Staat seine Soldaten nicht selbst tötet, sondern dies durch Handlungen des Gegners geschieht. Es darf jedoch nicht übersehen werden, dass der Einzelne durch die Erlangung des Soldatenstatus auf Grund der Wehrpflicht seinen Status als vom Kriegsvölkerrecht geschützte Zivilperson verliert und den Status eines Kombattanten erlangt, der unter erleichterten Bedingungen vom Feind bekämpft und getötet werden kann.1054 Der Staat ist damit zumindest mittelbar dafür verantwortlich, dass Wehrpflichtige in der Erfüllung ihrer soldatischen Pflicht getötet werden.1055 Allerdings könnte man argumentieren, dass die Wehrpflichtigen als Teil der Bundeswehr überhaupt keine Unbeteiligten seien und dass daher die zu § 14 Abs. 3 LuftSiG entwickelten Grundsätze nicht mit der Aufopferung von Wehrpflichtigen verglichen werden könnten. Dabei darf jedoch nicht übersehen werden, dass ein Wehrpflichtiger durch staatlichen Zwang, dem er sich nicht in legaler Weise entziehen kann, Soldat wird. Wegen des Prinzips von Befehl und Gehorsam ist die Selbstbestimmung der Soldaten durch die Erfordernisse des Dienstes – insbesondere im Fall eines bewaffneten Konflikts – stark eingeschränkt. Ein Soldat kann daher nicht mehr frei entscheiden, ob er sich einer Lebensgefährdung aussetzt, oder nicht. (3) Zwischenergebnis Die Entscheidung des verfassungsändernden Gesetzgebers, die militärische Landesverteidigung in wesentlichen Teilen auf die allgemeine Wehrpflicht zu stützen, beinhaltet zugleich die Entscheidung dafür, Menschen zwangsweise für die Verteidigung des Staates und der Gesamtheit seiner Bürger zu opfern, auch wenn dem einzelnen Wehrpflichtigen der sichere Tod nicht auferlegt werden darf.1056 Die Schutzverpflichtung zur Sicherung der Verfassungsordnung wird damit höher als das Leben des Einzelnen bewertet. Die Tatsache, dass ein Teil 1054 Vgl. S. Oeter, in: Fleck (Hg.), Handbuch des humanitären Völkerrechts in bewaffneten Konflikten, Nr. 441 ff. 1055 Vgl. C. Grimm, 67. 1056 Vgl. C. Grimm, 59: „Wer sich jedoch für die Möglichkeit des Krieges als legale Art der Selbstverteidigung einer Nation entschieden hat, wer den (Verteidigungs-) Krieg als solchen mit seiner Vorstellung von Politik im weitesten Sinne und mit seinem Gewissen vereinbaren kann, der wird auch lebensbedrohende Individualmaßnahmen bis hin zum Befehl, eine Stellung bis zum letzten Mann zu halten, akzeptieren müssen. Er wird hinnehmen müssen, dass aus militärischen Erwägungen heraus Züge, Kompanien, Bataillone, ja ganz Armeen geopfert werden, dass Menschen zu Bauern auf dem Schachbrett, zu ohnmächtigen Objekten in den Fingern eines Feldherrn werden.“

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der Bevölkerung verfassungsrechtlich und gesetzlich dazu verpflichtet werden kann, sein Leben für andere einzusetzen, ist ein Indiz dafür, dass die Erfüllung von staatlichen Schutzpflichten auch einen Eingriff in den Achtungsanspruch des Lebens von Unbeteiligten rechtfertigen kann. dd) Widerstandsrecht gemäß Art. 20 Abs. 4 GG1057 Soweit ersichtlich hat als erster Pawlik das Widerstandsrecht gemäß Art. 20 Abs. 4 GG im Zusammenhang mit § 14 Abs. 3 LuftSiG genannt: Er sieht in dem verfassungsrechtlich normierten Widerstandsrecht eine Abkehr vom Liberalismusverständnis, das dem einzelnen Bürger selbst im Extremfall keine Pflicht zur Aufopferung seines Lebens zu Gunsten der politischen Gemeinschaft auferlegt. Vielmehr verpflichte Art. 20 Abs. 4 GG „unschuldige Bürger dazu, äußerstenfalls sogar ihr Leben zu Gunsten ihrer politischen Gemeinschaft hinzugeben“.1058 Im Ergebnis lehnt es Pawlik zwar ab, den auf Rousseau zurückgehenden Grundsatz „Wer sein Leben auf Kosten anderer erhalten will, muss es, sobald es nötig ist, auch für sie hergeben“1059 des Art. 20 Abs. 4 GG auf § 14 Abs. 3 LuftSiG zu übertragen. Denn § 14 Abs. 3 LuftSiG umschreibe den Konflikt in „rein individualistischer Manier“ als Kollision zwischen Leben gegen Leben und berücksichtige nicht den kollektivistischen Aspekt des Widerstandsrechts.1060 Zuzugeben ist, dass eine Ausweitung von staatlichen Befugnissen durch Art. 20 Abs. 4 GG kaum begründbar ist.1061 Es wird zu Recht darauf hingewiesen, dass die durch die Notstandsverfassung eingeführten Befugnisse ihren Sinn verlieren würden, wenn sich auch die Staatsgewalt auf das Widerstandsrecht berufen könnte.1062 Weiterhin geht es bei Art. 20 Abs. 4 GG nicht um staatliche Tötungen, sondern um Tötungen durch Privatpersonen. Allerdings ist der Staat wegen seiner Schutzpflicht für die Menschenwürde dazu verpflichtet, Privaten keine rechtmäßige Möglichkeit zu geben, die Menschenwürde anderer zu verletzen. Folgt man also der Grundaussage, dass Art. 20 Abs. 4 GG auch die Tötung von Unbeteiligten erlaubt, so verliert das Argument des Menschenwürdeverstoßes an Überzeugungskraft. Denn der Menschenwürdeschutz dürfte wegen seiner

1057

Siehe dazu bereits oben 3. Teil D. II. 1. b). M. Pawlik, FAZ vom 19. Juli 2004, 29. 1059 J. J. Rousseau, Zweites Buch, 5. Kapitel. 1060 M. Pawlik, FAZ vom 19. Juli 2004, 29. 1061 Maunz/Dürig-R. Herzog, Art. 20 Abs. 4 Rdn. 49; E. Hilgendorf, in: Blaschke u. a. (Hg.), Sicherheit statt Freiheit?, 107 (128). 1062 v. Mangoldt/Klein/Starck-K.-P. Sommermann, Art. 20 Abs. 4 Rdn. 332. 1058

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Absolutheit bei der Ausübung des Widerstandsrechts nicht geringer sein als in einer „normalen“ Situation. d) Praktische Probleme Das Bundesverfassungsgericht sendet an potentielle Angreifer ein falsches Signal. Nicht-staatliche Angreifer könnten zukünftig unbeteiligte Personen gewissermaßen als „Schutzschild“ missbrauchen und damit staatliche Abwehrmaßnahmen unterlaufen. Man könnte meinen, dass der Typus eines Alleintäters – wie etwa beim Frankfurter Luftzwischenfall am 5. Januar 2003 – aussterben wird. In Zukunft würde zum Beispiel ein Nicht-Gefahrverantwortlicher zu einem „Rundflug“ eingeladen und mit an Bord genommen, um so dem Staat die Möglichkeit einer verfassungsmäßigen Gefahrenabwehr zu nehmen. Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts ist daher ein Anreiz dafür, Angriffe so auszuführen, dass auch Unbeteiligte durch die Maßnahmen zur Gefahrenabwehr betroffen werden.1063 Dabei soll nach Kersten sogar der Grundsatz gelten, dass auch bei Kleinflugzeugen im Zweifel von einer Anwesenheit von Unbeteiligten auszugehen ist.1064 Auch wenn die Angreifer angesichts der Äußerungen des Bundesministers der Verteidigung Franz Josef Jung, der sich offenbar nicht an die Bindungswirkung des Urteils halten will,1065 möglicherweise mit einem Abschuss zu rechnen hätten, so ist die Bundeswehr wegen der vom Bundesverfassungsgericht festgestellten Menschenwürdeverletzung durch die Tötung von Unbeteiligten jedenfalls aus rechtlicher Sicht handlungsunfähig.1066 Dadurch dient das Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht dem Schutz des Lebens von Unbeteiligten, sondern es fördert sogar potentiell deren Lebensgefährdung, denn es ist zu befürchten, dass Angreifer die rechtlichen Probleme nutzen werden, um so zumindest eine größere Chance zu haben, staatlichen Gegenmaßnahmen zu entgehen. Es ist nicht bestreitbar, dass der Staat rechtlich handlungsunfähig wird, wenn sein Handeln die Menschenwürde verletzt. Etwas anderes kann sich auch nicht aus Schäubles Argumentation ergeben, dass die Politik diese Handlungsunfähigkeit nicht zulassen werde. Gemäß § 31 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit § 13 Nr. 8a BVerfGG hat die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über die Nichtigkeit des § 14 Abs. 3 LuftSiG Gesetzeskraft und bindet zudem gemäß § 31 Abs. 1 BVerfGG alle Verfassungsorgane und Behörden des Bundes, auch 1063 1064 1065 1066

Vgl. G. Robbers, Anhörung, 43. J. Kersten, NVwZ 2005, 661 (663). Siehe oben 3. Teil D. II. 5. b). Siehe insbesondere zur Problematik des Befehlsrechts unten 4. Teil.

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3. Teil: Abwehr auf Grundlage des LuftSiG

wenn die Begründung eines Menschenwürdeverstoßes nach der hier vertretenen Auffassung nicht überzeugen kann. Der Rechtswissenschaft bleibt es unbenommen, über das Urteil diskutieren und es entweder als nicht überzeugend oder als richtig zu bewerten. Die vollziehende Gewalt ist dagegen – ungeachtet, ob sie mit dem Urteil konform geht – an die Feststellungen des Bundesverfassungsgerichts gebunden. Das Bundesverfassungsgericht hat diese Problematik selbst erkannt und durch die ausdrückliche Nichtentscheidung der strafrechtlichen Problematik eine Hintertür für die Praxis offengelassen. Nach der Feststellung des Menschenwürdeverstoßes durch eindeutige und harte Formulierungen wäre es allerdings konsequent gewesen, zumindest die strafrechtliche Rechtfertigung auszuschließen, denn es ist wohl kaum vorstellbar, dass ein Handeln, das andere Menschen „verdinglicht und zugleich entrechtlicht“1067 strafrechtlich gerechtfertigt sein kann. Lüderssen hat vor kurzer Zeit den vom Bundesverfassungsgericht vorgenommenen Abwägungsprozess im Bereich der Menschenwürde als „große Lebenslüge des Verfassungsrechts“ bezeichnet.1068 Eine ähnlich „Lebenslüge“ kann darin gesehen werden, einerseits eine Menschenwürdeverletzung durch staatliches Handeln mit hehren Worten zu beschwören und andererseits gerade diese Menschenwürdeverletzung aus praktischen Gründen hinzunehmen. e) Abschließende Betrachtung Die Argumentation eines Verstoßes gegen die Menschenwürde geht im Zusammenhang mit § 14 Abs. 3 LuftSiG fehl. Unabhängig von der zweifelhaften Verknüpfung des Lebensschutzes mit der Menschenwürde sind eine Verächtlichmachung und eine grundsätzliche Missachtung der Würde der Unbeteiligten durch die Regelung des § 14 Abs. 3 LuftSiG nicht ersichtlich. Dieses Ergebnis wird auch durch die Entstehungsgeschichte und völkerrechtliche Regelungen belegt. Die Argumentation mit einem Menschenwürdeverstoß scheint ein Versuch zu sein, die Diskussion um die Rechtfertigung der Tötung von Unbeteiligten im Keim zu ersticken.1069 Durch § 14 Abs. 3 LuftSiG wird auch die Gleichwertigkeit des menschlichen Lebens nicht prinzipiell in Frage gestellt, denn § 14 Abs. 3 LuftSiG erlaubt nicht etwa die Tötung einer als geringer geachteten Personengruppe, sondern der betroffene Personenkreis wird durch die Umstände des Angriffs mittels ei-

1067

BVerfG, NJW 751 (758 Abs. 124). K. Lüderssen, FS Rudolphi, 2004, 691 (702). 1069 Vgl. zum Einsatz der Menschenwürde als „Totschlagargument“ W. Hassemer, EuGRZ 2005, 300 ff. 1068

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nes Luftfahrzeuges bestimmt. Keineswegs geht es darum, einzelnen Menschen von vornherein weniger Schutz zukommen zu lassen als anderen. Bei der Bestimmung einer Menschenwürdeverletzung darf die Zielrichtung des staatlichen Handelns nicht unbeachtet bleiben. Es ist etwas anderes, ob unbeteiligte Menschen aus rassistischen Gründen verfolgt oder gar getötet werden, oder ob die Tötung von Unbeteiligten eine unvermeidliche Folge von Maßnahmen zur Gefahrenabwehr ist. Eine Bewertung der Tötung von Unbeteiligten richtet sich daher maßgeblich nach der Finalität des staatlichen Handelns, dies wird auch durch die kriegsvölkerrechtlichen Regelungen belegt.1070 Es ist sehr fraglich, ob die Tötung von Unbeteiligten gemäß § 14 Abs. 3 LuftSiG tatsächlich „als Mittel zur Rettung anderer benutzt wird“, wie es das Bundesverfassungsgericht annimmt.1071 Von einer Benutzung könnte man eher sprechen, wenn der Staat Unbeteiligte tötet, um so Forderungen von Terroristen nachzukommen, die mit der Begehung von Anschlägen drohen. In diesem Fall würde das Leben der Unbeteiligten zur Gefahrenabwehr eingesetzt werden. Im Fall des § 14 Abs. 3 LuftSiG ist die Tötung jedoch kein Zwischenziel oder Endziel,1072 sondern lediglich Folge der staatlichen Maßnahmen. Daher sind die Unbeteiligten entgegen der Auffassung von Höfling und Augsberg auch nicht das „Zielobjekt“1073 des staatlichen Handelns. In diesem Zusammenhang darf nicht übersehen werden, dass nach geltendem Gefahrenabwehrrecht bereits die Tötung von Unbeteiligten mit dolus eventualis zulässig ist.1074 Zwar ist zutreffend, dass eine sichere Tötung zunächst noch einen Schritt weiter geht, als die bloße Lebensgefährdung.1075 Eines steht jedoch fest: Wenn es bei einem Schusswaffeneinsatz gegen eine Menschenmenge, zum Beispiel nach § 16 Abs. 2 Satz 2 UZwGBw, zur Tötung von Unbeteiligten kommen sollte, liegt keine Menschenwürdeverletzung vor, soweit die Wachsoldaten nicht zielgerichtet gegen die Unbeteiligten vorgegangen sind. Auch hier kommt es also auf die Finalität und nicht auf die Folgen der staatlichen Maß1070

Siehe oben 3. Teil D. II. 6. c) bb). BVerfG, NJW 2006, 751 (756 Abs. 124). 1072 Nicht gefolgt werden kann insoweit K. Paulke, 272, die die Begriffe „absichtliche“ und „wissentliche Tötung“ gleichstellt. Absichtliches Handeln liegt bei der Tötung von Unbeteiligten gemäß § 14 Abs. 3 LuftSiG nicht vor, da das staatliche Handeln nicht final auf die Tötung von Unbeteiligten abzielt. 1073 W. Höfling/S. Augsberg, JZ 2005, 1080 (1083). 1074 Siehe oben 3. Teil D. I. 2. a) bb) (1). 1075 Siehe aber auch K. Odendahl, Die Verwaltung 38 (2005), 425 (450), die annimmt, dass bei einem Abschuss nach § 14 Abs. 3 LuftSiG der Tod von Unbeteiligten lediglich „billigend in Kauf genommen“ werde. Offensichtlich meint Odendahl damit, dass lediglich dolus eventualis in Bezug auf die Tötung von Unbeteiligten vorliegt. Dem kann jedoch nicht gefolgt werden: Bei einem Abschuss eines Luftfahrzeuges ist mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit von der Tötung sämtlicher Flugzeuginsassen auszugehen. Daher liegt die Vorsatzform des dolus directus 2. Grades vor, die sicheres Wissen bezüglich des Erfolgseintrittes ausreichen lässt. 1071

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3. Teil: Abwehr auf Grundlage des LuftSiG

nahmen an. Im Übrigen ist auch nach Art. 15 Abs. 2 EMRK die Tötung von Unbeteiligten als sichere Folge staatlichen Handelns zulässig,1076 wobei noch von keiner Seite vertreten worden ist, dass diese Regelung einen Verstoß gegen die Menschenwürde darstellt. Daher hilft auch der Quantifizierungsgedanke nicht weiter. Die Tötung an sich beziehungsweise die Ermächtigungsgrundlage, die diese Tötung erlauben soll, verstoßen nur dann gegen die Menschenwürde, wenn entweder die Tötung final auf eine Missachtung der Subjektsqualität abzielt oder wenn die Ausführung der Tötung an sich menschenverachtende Züge annimmt.1077 Weiterhin ist Baumann, der den Quantifizierungsgedanken entwickelt hat, entgegenzuhalten, dass er von einer unzutreffenden Prämisse ausgeht, denn in der Konstellation des § 14 Abs. 3 LuftSiG geht es nicht um eine Abwägung von Menschenleben und damit nicht um einen etwaigen Verstoß gegen die Gleichwertigkeit des menschlichen Lebens, sondern um eine Abwägung zwischen der Schutzpflicht und dem Achtungsanspruch.1078 § 14 Abs. 3 LuftSiG regelt nicht die quantitative Aufrechnung von menschlichen Leben,1079 sondern stellt eine gesetzgeberische Entscheidung dar, wie die staatliche Schutzpflicht in einem konkreten Einzelfall zu erfüllen ist. Diesen Gesichtspunkt hat Giemulla zu Recht unter Rückgriff auf strafrechtliche Ansätze herausgearbeitet. Es geht also nicht um ein „Entweder-Oder“,1080 sondern allein darum, dass der Staat seine Schutzpflicht für das Recht auf Leben gegenüber den Personen erfüllt, gegenüber denen die Wahrnehmung der Schutzpflicht aus tatsächlichen Gründen noch möglich ist.1081 Man mag einen Menschenwürdeverstoß darin sehen, dass Unbeteiligte getötet werden, aber ein Abwägungsvorgang nach der Anzahl der getöteten und der geretteten Menschen, auf den man eine Degradierung der Unbeteiligten zur „Rechengröße“1082 stützen könnte, war in § 14 Abs. 3 LuftSiG überhaupt nicht geregelt. Auch das Verbot der Folter und die Rechtfertigung der Tötung von Unbeteiligten können nicht miteinander verglichen werden.1083 Es geht hier um andere 1076

Siehe oben 3. Teil D. I. 2. b). Vgl. D. Beisel, JA 1998, 721 (727). 1078 Daher gehen K. Fehn/M. Brauns, 67, zu Unrecht davon aus, dass § 14 Abs. 3 LuftSiG eine Quantifizierung „wie etwa 40 Passagiere in dem Flugzeug töten, um 2000 Menschen am beziehungsweise im Zielobjekt zu retten“ regelt. 1079 Vgl. E. Giemulla, ZLW 2005, 32 (39). 1080 E. Giemulla, ZLW 2005, 32 (40); ebenso C. Gramm, DVBl. 2006, 653 (660). 1081 Vgl. A. Sinn, NStZ 2004, 585 (592 f.). 1082 K. Baumann, DÖV 2004, 853 (858). 1083 Abzulehnen sind daher die Ausführungen Frankenbergs, der die Frage der Zulässigkeit der „Rettungsfolter“ und die Bewertung der Tötung von Unbeteiligten nach § 14 Abs. 3 LuftSiG miteinander vermengt, vgl. G. Frankenberg, KJ 2006, 370 (383 ff.); siehe auch W. Brugger, Freiheit und Sicherheit, 70 Fn. 289. 1077

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Sachverhalte und Bewertungsebenen.1084 Das Folterverbot und die gerechtfertigte Tötung von Unbeteiligten können vielmehr nebeneinander rechtlich existieren, wie das humanitäre Kriegsvölkerrecht und auch die Regelungen in Art. 15 Abs. 1, 2 EMRK zeigen. Alle diejenigen, die sich hinsichtlich der Verletzung der Menschenwürde durch § 14 Abs. 3 LuftSiG auf die Dürigsche Objektformel berufen, sollten nicht nur auf seine Kommentierung des Art. 1 Abs. 1 GG zurückgreifen, sondern auch die Kommentierung zu Art. 2 Abs. 2 GG beachten. Dürig vertritt ausdrücklich, der Staat dürfe im Kollisionsfall im Bereich des menschlichen Lebens auch auf die „Zahl der auf dem Spiel stehenden Leben abstellen“.1085 Nach Dürigs Auffassung wäre eine Abwägung im Bereich des menschlichen Lebens also nicht zwingend eine Verletzung der Menschenwürde. In Bezug auf die Tötung Unbeteiligter, die keine Rettungschance mehr haben, führt Dürig wörtlich aus: „Die Frage: Ein Leben oder kein Leben ist eindeutig damit zu beantworten, dass wenigstens ein Leben gerettet werden muss.“1086

Nach Dürig stellt damit auch die Tötung unrettbar Verlorener keine Verletzung der Menschenwürde dar, soweit durch diese Tötung die Gefahr für einen anderen Menschen abgewehrt werden kann. 7. Zwischenergebnis Als Ergebnis ist daher festzuhalten, dass die unmittelbare Einwirkung mit Waffengewalt in der Konstellation des § 14 Abs. 3 LuftSiG auch dann keine Verletzung der Menschenwürde darstellt, wenn die Tötung Unbeteiligter sichere Folge der Gefahrenabwehr ist. Entgegen der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts ist der Gesetzgeber dazu befugt, die staatliche Tötung von Unbeteiligten unter besonderen Voraussetzungen zu regeln, soweit die Tötung der Unbeteiligten nicht das Ziel des staatlichen Handelns ist.

III. Vereinbarkeit mit dem Grundrecht auf Leben Auch wenn nach der hier vertretenen Auffassung ein Verstoß gegen die Menschenwürde durch § 14 Abs. 3 LuftSiG nicht besteht, könnte ein Verstoß gegen das Grundrecht auf Leben gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gegeben sein.1087 1084

So auch H. Otto, JZ 2005, 473 (480). Maunz/Dürig-G. Dürig, Art. 2 Abs. 2 Rdn. 13. 1086 Maunz/Dürig-G. Dürig, Art. 2 Abs. 2 Rdn. 23. 1087 Selbstverständlich kann durch die unmittelbare Einwirkung mittels Waffengewalt auch die körperliche Unversehrtheit von Unbeteiligten betroffen sein. Da jedoch 1085

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3. Teil: Abwehr auf Grundlage des LuftSiG

Ein Verstoß gegen das Grundrecht auf Leben könnte insbesondere damit begründet werden, dass das Leben des Einzelnen einen Höchstwert in der verfassungsrechtlichen Ordnung darstellt. 1. Schutzbereich des Grundrechts auf Leben Der Schutzbereich des Grundrechts auf Leben gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG schützt das Leben jedes Menschen und verbietet damit grundsätzlich jede gezielte hoheitliche Tötung sowie staatliches Handeln, das in unbeabsichtigter Weise den Tod eines Menschen herbeiführt. Darüber hinaus ergibt sich aus dem objektiven Gehalt des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG die Pflicht des Staates, das Leben umfassend gegenüber verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigenden Eingriffen Dritter zu schützen,1088 das heißt, der Staat hat solche Eingriffe unter Strafe zu stellen und diese Strafandrohung möglichst wirksam durchzusetzen. In den ersten Entwürfen zum Grundgesetz sollte das Grundrecht auf Leben ebenso wie die Menschenwürde noch als „unantastbar“ gewährleistet werden.1089 Während der Beratungen im Parlamentarischen Rat setzte sich jedoch die heute geltende Form durch, die in Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG einen Gesetzesvorbehalt für das Grundrecht auf Leben ausdrücklich vorsieht. Ein absolutes Recht auf Leben kennt das Grundgesetz also nicht.1090 Dabei sind Beschränkungen des Grundrechts auf Leben nicht mit dem Normalfall klassischer Grundrechtseingriffe vergleichbar. Zum einen stellt das Leben die faktische Basis für die Ausübung aller übrigen Grundrechte dar,1091 zum anderen wird teilweise vertreten, es handele sich um ein „Alles-odernichts-Grundrecht“, bei dem jeder Eingriff zugleich den vollständigen Entzug bedeute.1092 Vor dem Hintergrund dieser besonderen Bedeutung des Lebens hat das Bundesverfassungsgericht in mehreren Entscheidungen das Grundrecht auf Leben als „Höchstwert“ innerhalb der verfassungsrechtlichen Ordnung bezeichnet. So heißt es in der ersten Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch:

die körperliche Unversehrtheit gegenüber dem Recht auf Leben subsidiär ist, wird nur das Grundrecht auf Leben geprüft. 1088 BVerfGE 46, 160 (164). 1089 E. Pikart/W. Werner, 604 Fn. 7. „Unantastbar“ sollte jedoch nicht uneinschränkbar bedeuten, denn nach dem Entwurf war die Tötung aufgrund eines richterlichen Urteils als Strafe für schwerste Verbrechen zulässig. 1090 Dreier-H. Schulze-Fielitz, Art. 2 Abs. 2 Rdn. 41. 1091 Vgl. auch BVerfGE 39, 1 (42). 1092 T. Hartleb, NJW 2005, 1397. Ob diese zweite Auffassung zutrifft, ist höchst zweifelhaft. Immerhin ist anerkannt, dass auch die Gefährdung des menschlichen Lebens bereits einen Eingriff darstellen kann, vgl. M. Sachs, Verfassungsrecht II, 200. Bei einem Eingriff durch eine Lebensgefährdung kann jedoch noch nicht von einem „vollständigen Entzug“ gesprochen werden.

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„Das menschliche Leben stellt, wie nicht näher begründet werden muss, innerhalb der grundgesetzlichen Ordnung einen Höchstwert dar; es ist die vitale Basis der Menschenwürde und die Voraussetzung aller anderen Grundrechte.“1093

Daraus folgt, dass bei Gefährdungen des Grundrechts auf Leben und natürlich erst recht bei einem vollständigen Entzug ungleich höhere Anforderungen an die verfassungsrechtliche Rechtfertigung zu stellen sind, als etwa bei Eingriffen in die allgemeine Handlungsfreiheit gemäß Art. 2 Abs. 1 GG.1094

2. Eingriff durch § 14 Abs. 3 LuftSiG Zunächst ist zu klären, ob die unmittelbare Einwirkung mit Waffengewalt und die damit verbundene Tötung überhaupt einen Eingriff in den Schutzbereich des Lebens darstellen. Ein Eingriff in den Schutzbereich liegt nicht vor, wenn der Träger des Grundrechts wirksam auf die Ausübung dieses Grundrechts verzichtet oder seine Einwilligung in einseitige staatliche Einwirkungen in den Schutzbereich gegeben hat.1095 a) Ansatz von Hochhuth Teilweise wird ein Grundrechtsverzicht auf eine konkludente oder mutmaßliche Einwilligung der unbeteiligten Flugzeuginsassen gestützt. So meint Hochhuth: Man könne „annehmen, dass die meisten Entführten mit dem Abschuss einverstanden wären, wenn er dem zweifelsfreien Absturz um wenige Minuten zuvorkommt und zugleich Hunderte, bei bestimmten technischen Großanlagen wahrscheinlich Tausende vor Ermordung und Siechtum bewahrt“.1096

Dabei beruft er sich auf Telefongespräche der Insassen eines Flugzeuges, das am 11. September 2001 entführt worden und über unbewohntem Gebiet in Pennsylvania abgestürzt ist. b) Ablehnung eines Grundrechtsverzichts Die Konstruktion eines Grundrechtsverzichts wird sowohl aus tatsächlichen als auch aus rechtlichen Gründen von der herrschenden Meinung abgelehnt. 1093 BVerfGE 39, 1 (42); siehe auch BGHSt 46, 279 (285): „Das Leben eines Menschen steht in der Werteordnung des Grundgesetzes – ohne eine zulässige Relativierung – an oberster Stelle der zu schützenden Rechtsgüter.“ G. Duttge, JZ 2006, 899 (900), wendet sich zu Recht gegen diese Auffassung des Bundesgerichtshofs, die den Gesetzesvorbehalt des Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG und die Unantastbarkeit der Menschenwürde nicht genügend beachtet. 1094 D. Lorenz, HdBStR, Band VI, § 128, Rdn. 37 f. 1095 Vgl. D. Merten, FS Schmitt Glaeser, 2003, 53 (61 f.). 1096 M. Hochhuth, NZWehrr 2002, 154 (166 Fn. 44).

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3. Teil: Abwehr auf Grundlage des LuftSiG

aa) Praktische Probleme Baumann verweist zunächst auf praktische Probleme: Wie sollen die unbeteiligten Insassen Kenntnis davon erhalten, dass wegen der Flugzeugentführung ein „zweifelsfreier Absturz“ nur wenige Minuten bevorsteht? Es sei anzunehmen, dass die Entführten überhaupt keine Kenntnis von der wahren Sachlage erhalten.1097 Jerouschek hält „die Unterstellung, die Passagiere würden sich zur Rettung anderer, ihnen gänzlich fremder Personen aufopfern, [für] abwegig“.1098 Auch Droege meint, das Betreten eines Flugzeuges sei noch kein konkludenter Grundrechtsverzicht.1099 Hartleb sieht durch die Konstruktion, dass die Betroffenen im Moment ihres nahen Todes angesichts der Ausweglosigkeit in ihre eigene Tötung einwilligen, gar den „verfassungsrechtlichen Rubikon“ überschritten.1100 Höfling und Augsberg meinen, die Regelvermutung spreche für einen Lebenswillen der unbeteiligten Flugzeuginsassen; ein sicherer Nachweis des Gegenteils sei nicht möglich.1101 Auch das Bundesverfassungsgericht bewertet die Annahme einer mutmaßlichen Einwilligung in die eigene Tötung durch das Besteigen eines Luftfahrzeuges als „nicht mehr als eine lebensfremde Fiktion“ ohne jeden realistischen Hintergrund.1102 bb) Leben als disponibles Rechtsgut Ungeachtet der praktischen Probleme einer Einwilligung in die Tötung beziehungsweise eines Verzichts auf das Grundrecht auf Leben stellt sich die grundlegende Frage, ob das Grundrecht auf Leben überhaupt ein disponibles Rechtsgut ist. Dabei ist grundsätzlich zwischen der strafrechtlichen und der verfassungsrechtlichen Dispositionsbefugnis zu unterscheiden.1103 Im Bereich des strafrechtlichen Lebensschutzes schließt die Regelung des § 216 Abs. 1 StGB, der auch die Tötung auf Verlangen mit Strafe bedroht, die Rechtfertigung einer Tötung durch die Einwilligung des Opfers aus. Das straf1097

K. Baumann, DÖV 2004, 853 (856). G. Jerouschek, FS H.-L. Schreiber, 2003, 185 (188). Jerouschek diskutiert die Frage der (mutmaßlichen) Einwilligung nicht unter dem Gesichtspunkt des Grundrechtsverzichts, sondern im Sinne eines strafrechtlichen Rechtfertigungsgrundes. 1099 M. Droege, NZWehrr 2005, 199 (210). 1100 T. Hartleb, NJW 2005, 1397 (1399). 1101 W. Höfling/S. Augsberg, JZ 2005, 1080 (1085). 1102 BVerfG, NJW 2006, 751 (759 Abs. 131). Allerdings ist festzustellen, dass vor dem Hintergrund einer „Klugheitsmaxime“ eine Einwilligung in die Tötung auf der strafrechtlichen Ebene berücksichtigt werden kann, siehe dazu unten 5. Teil B. V. 5. 1103 Der Begriff „Dispositionsbefugnis“ betrifft in diesem Zusammenhang nicht die Frage, ob das Grundrecht auf Leben gleichzeitig auch ein „Grundrecht auf Sterben“ enthält, sondern ob ein Verzicht auf das Grundrecht auf Leben derart möglich ist, dass staatliche Handlungen keinen Grundrechtseingriff darstellen. 1098

D. Grundrechtliche Probleme

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rechtliche Schrifttum meint zum Teil ausdrücklich, dass § 216 StGB eine „Einwilligungssperre“ für die gesamte Rechtsordnung enthält.1104 Allerdings wird de lege ferenda von einer beachtlichen Literaturmeinung die Straflosigkeit der einverständlichen Tötung gefordert.1105 Auch in der verfassungsrechtlichen Literatur wird die Befugnis zur Disposition über das Grundrecht auf Leben überwiegend verneint.1106 Lediglich vereinzelt wird eine Dispositionsbefugnis auch in Bezug auf das Grundrecht auf Leben bejaht.1107 Schulze-Fielitz anerkennt zwar, dass die Einwilligung des Grundrechtsträgers faktische Beeinträchtigungen rechtfertigen kann; dies gelte jedoch nicht bei einer unmittelbaren Tötung durch ein hoheitliches Handeln.1108 Das Bundesverfassungsgericht hat zu der Problematik bisher nicht ausdrücklich Stellung genommen;1109 auch in dem Urteil zu § 14 Abs. 3 LuftSiG äußert es sich nicht zur grundsätzlichen Frage der Dispositionsbefugnis in Bezug auf das Grundrecht auf Leben, da es lediglich aus tatsächlichen Gründen von einer fehlenden Einwilligung ausgeht. c) Bewertung Der Kritik Baumanns ist zunächst entgegenzuhalten, dass es bei der Frage eines mutmaßlichen Grundrechtsverzichts nicht darum geht, dass alle Grundrechtsträger den Verzicht erklären müssen. Für den mutmaßlichen Verzicht ist auch keine Kenntnis der Unbeteiligten von der Sachlage erforderlich, da maßgeblich ist, wie diese bei Kenntnis der Sachlage entscheiden würden. Baumann ist jedoch zuzustimmen, dass bezüglich aller Unbeteiligten von einer mutmaßlichen Einwilligung ausgegangen werden muss. Es kann angesichts der Einordnung des Lebens als höchstpersönliches Rechtsgut nicht ausreichen, auf die mutmaßliche Einwilligung der Mehrzahl der Flugzeugpassagiere abzustellen. 1104 Schönke/Schröder-A. Eser, § 216 Rdn. 13; LK-B. Jähnke, § 216 Rdn. 17; M. Pawlik, JZ 2004, 1045 (1050), bezeichnet § 216 StGB als „unüberwindliche Hürde“. 1105 Siehe nur G. Jakobs, FS Art. Kaufmann, 1993, 459 (470 f.); N. Hoerster, ZRP 1988, 1 ff.; R. Schmitt, JZ 1979, 462 (465 f.). 1106 Umbach/Clemens-R. Wiedemann Art. 2 Abs. 2 Rdn. 308; v. Münch/Kunig-P. Kunig, Art. 2 Rdn. 51; K. Paulke, 252; V. Epping, Grundrechte, Rdn. 104; M. Kloepfer, FS 50 Jahre Bundesverfassungsgericht, Band 2, 77 (99). 1107 B. Pieroth/B. Schlink, Rdn. 392; E. B. Franz, Der Staat 45 (2006), 501 (517); F. Hufen, NJW 2001, 849 (851). 1108 Dreier-H. Schulze-Fielitz, Art. 2 Abs. 2 Rdn. 36. 1109 Vgl. BVerfGE 76, 248, zur Verfassungsbeschwerde eines Arztes, der aktive Sterbehilfe vornehmen wollte. Das Bundesverfassungsgericht ging in diesem Fall jedoch von der Unzulässigkeit der Verfassungsbeschwerde aus und hat daher keine materiellen Grundrechtsfragen behandelt. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat dagegen vor kurzem entschieden, dass Art. 2 Abs. 1 EMRK kein Recht beinhaltet, mit Hilfe einer dritten Person oder einer Behörde den Tod herbeizuführen, EGMR, NJW 2002, 2581.

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3. Teil: Abwehr auf Grundlage des LuftSiG

Die Argumentation, der Verzicht auf das Grundrecht auf Leben sei abwegig und entbehre jeglicher Grundlage, erhält Risse, wenn man sich die Ausführungen Sinns und Fritzes in Erinnerung ruft, die darauf abstellen, dass vernünftige Menschen damit einverstanden wären, einen geringen Rest ihres Lebens aufzuopfern, um so andere zu retten.1110 Zumindest auf einer theoretischen Ebene ist also durchaus ein Verzicht auf das Grundrecht auf Leben denkbar. Ein gewichtiges Argument der herrschenden Meinung ist jedoch die Regelung des § 216 Abs. 1 StGB. Zwar ist der Weg zweifelhaft, aus der einfachgesetzlichen Vorschrift des § 216 Abs. 1 StGB eine Sperre für einen Verzicht des Grundrechts auf Leben gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG abzuleiten,1111 dennoch ist im Interesse der Einheit der Rechtsordnung auch auf grundrechtlicher Ebene die Dispositionsbefugnis zu verneinen. Ansonsten würden Wertungswidersprüche entstehen, wenn staatliches Handeln einerseits wegen eines Grundrechtsverzichts schon gar keinen Eingriff darstellen würde und andererseits mit Strafe bedroht wäre. Die Bejahung eines Grundrechtsverzichts wäre allenfalls denkbar, wenn man darauf abstellt, dass Flugreisende das Risiko eines möglichen Abschusses des Luftfahrzeuges durch staatliches Handeln bewusst auf sich nehmen. Dann könnte möglicherweise diese bewusste Selbstgefährdung bei einer späteren Realisierung des Abschussrisikos berücksichtigt werden.1112 Allerdings darf nicht übersehen werden, dass nach der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts die Tötung von Unbeteiligten gegen die Menschenwürde verstößt. Die Flugzeugpassagiere müssen daher lediglich das allgemeine technische Risiko und die Gefahr durch kriminelle Anschläge auf den Luftverkehr tragen. Das Risiko der staatlichen Tötung müssen sie jedoch nicht antizipieren,1113 da niemand von einem menschenunwürdigen Handeln des Staates ausgehen muss. d) Zwischenergebnis Durch die unmittelbare Einwirkung mit Waffengewalt gemäß § 14 Abs. 3 LuftSiG liegt ein Eingriff in das Grundrecht auf Leben gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG vor. Im Folgenden ist daher zu prüfen, ob dieser Eingriff gerechtfertigt werden kann.

1110

Siehe oben 3. Teil D. II. 2. a) und b). Vgl. J. F. Lindner, JZ 2006, 373 (375 ff.). 1112 Vgl. T. Hartleb, NJW 2005, 1397 (1399). Auch im Strafrecht ist die Figur der eigenverantwortlichen Selbstgefährdung anerkannt, vgl. BGHSt 4, 88 (93). Allerdings legt der Bundesgerichtshof einen strengen Maßstab bei der Einwilligung in Lebensgefährdungen an. 1113 Siehe auch K. Baumann, DÖV 2004, 853 (857). 1111

D. Grundrechtliche Probleme

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3. Verhältnismäßigkeitsgrundsatz Jegliches staatliches Handeln – auch das der Legislative – muss den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz beachten, der aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitet wird und dem „eine die individuelle Rechts- und Freiheitssphäre verteidigende Funktion“1114 zukommt. Weiterhin meint das Bundesverfassungsgericht, der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz ergebe sich „bereits aus dem Wesen der Grundrechte selbst, die als Ausdruck des allgemeinen Freiheitsanspruchs des Bürgers gegenüber dem Staat von der öffentlichen Gewalt jeweils nur so weit beschränkt werden dürfen, als es zum Schutz öffentlicher Interessen unerlässlich ist.“1115

Der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz setzt sich dabei aus den drei Teilgeboten der Geeignetheit, der Erforderlichkeit und der Angemessenheit beziehungsweise der Verhältnismäßigkeit im engeren Sinne zusammen. a) Legitimer Zweck Zweck des § 14 Abs. 3 LuftSiG ist der Schutz des Lebens von Menschen, die mittels eines Luftfahrzeuges angegriffen werden.1116 Das Grundrecht auf Leben beinhaltet nicht nur ein Abwehrrecht des Bürgers gegen den Staat, sondern es verpflichtet den Staat auch, sich schützend und fördernd vor das menschliche Leben zu stellen.1117 Neben der Dimension des individuellen Rechtsgüterschutzes liegt die Abwehr von Angriffen aus dem Luftraum auch im öffentlichen Interesse. Der Schutz vor Angriffen aus dem Luftraum durch die unmittelbare Einwirkung mit Waffengewalt gemäß § 14 Abs. 3 LuftSiG verfolgt damit keinen Selbstzweck, sondern dient einem legitimen öffentlichen Interesse.1118 Nicht überzeugend ist der Ansatz von Welding, der meint der „exzeptionelle Fall“ des 11. Septembers 2001 rechtfertige nicht die Schaffung von gesetzlichen Grundlagen zur Gefahrenabwehr.1119 Es muss dem Gesetzgeber überlassen bleiben, welche denkbaren Gefahrensituationen er für regelungsbedürftig ansieht. Des Weiteren zeigen der Frankfurter und der Berliner Luftzwischenfall, 1120 dass auch in der Bundesrepublik ein Gefahrenpotential durch Angriffe aus dem Luftraum besteht. 1114

BVerfGE 81, 310 (338). BVerfGE 19, 342 (348 f.); ähnlich BVerfGE 76, 1 (50 f.). 1116 Vgl. BT-Drucks. 15/2361, 20. 1117 Vgl. BVerfGE 39, 1 (42). 1118 K. Paulke, 255 f.; B. Pieroth/B. J. Hartmann, JURA 2005, 729 (731); K. Odendahl, Die Verwaltung 38 (2005), 425 (445); U. Sittard/M. Ulbrich, JuS 2005, 432 (435). 1119 S. O. Welding, RuP 2005, 165 (167). 1120 Siehe oben 3. Teil A. II. 1115

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3. Teil: Abwehr auf Grundlage des LuftSiG

b) Geeignetheit Die Geeignetheit ist gegeben, wenn die jeweilige Regelung die Erreichung des legitimen Zwecks zumindest fördert.1121 Für die Geeignetheit ist nicht erforderlich, dass auf Grundlage des § 14 Abs. 3 LuftSiG tatsächlich alle denkbaren Gefahren abgewehrt werden können. Ausreichend ist, dass die Gefahrenabwehr generell möglich ist, auch wenn sie im Einzelfall keinen Erfolg hat oder aus tatsächlichen Gründen keine Gefahrenabwehrmaßnahmen getroffen werden können.1122 Es ist davon auszugehen, dass durch die unmittelbare Einwirkung mit Waffengewalt ein Angriff mittels eines Luftfahrzeuges beendet werden kann. Allein die Feststellung, die Bundeswehr habe nicht die tatsächlichen Möglichkeiten, alle Gefahren aus dem Luftraum abzuwehren, führt nicht dazu, die Geeignetheit des § 14 Abs. 3 LuftSiG zur Erreichung des legitimen Zwecks grundsätzlich zu verneinen.1123 Im Ergebnis stellt § 14 Abs. 3 LuftSiG daher eine geeignete Regelung dar.1124 c) Erforderlichkeit § 14 Abs. 3 LuftSiG müsste auch zur Erreichung des legitimen Zwecks erforderlich sein. Die Erforderlichkeit ist gegeben, wenn kein milderes, aber gleich effektives Mittel zur Abwendung der Gefahr existiert.1125 Ein milderes Mittel, um eine Flugzeugentführung und damit auch den Missbrauch eines Flugzeuges als Waffe zu verhindern, stellen die Vorfeldmaßnahmen zur Gewährleistung der Luftsicherheit dar.1126 Hier sind vor allem die Gepäck- und Personenuntersuchung sowie die Überprüfung der Zuverlässigkeit von Personen, die Zutritt zu besonders sicherheitsrelevanten Bereichen haben, zu nennen. Diese Vorfeldmaßnahmen sind im LuftSiG zusammengefasst worden,1127 wobei hinsichtlich der praktischen Umsetzung wegen der formellen Verfassungswidrigkeit des gesamten LuftSiG1128 eine erhebliche Rechtsunsi1121

BVerfGE 67, 157 (175); 96, 10 (23). Nicht überzeugend ist daher die Kritik von S. Gose, Bürgerrechte und Polizei/ CILIP 75 (2/2003), 43 (45). 1123 In diese Richtung aber W. Schwenk/E. Giemulla, 210; O. Lepsius, German Law Journal 7 (2006), 761 (775). 1124 Ebenso K. Paulke, 256; K. Odendahl, Die Verwaltung 38 (2005), 425 (445); C. Burkiczak, VR 2004, 379 (384). 1125 BVerfGE 53, 135 (145 f.); 67, 157 (177); 68, 193 (219); 92, 262 (273); B. Pieroth/B. Schlink, Rdn. 285. 1126 Vgl. zum Begriff der „Luftsicherheit“ S. Richter, 16. 1127 Vgl. §§ 3 bis 12 LuftSiG; siehe dazu ausführlich A. Borsdorff/C. Deyda, 30 ff. 1128 Siehe oben 3. Teil C. I. 2. b). 1122

D. Grundrechtliche Probleme

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cherheit besteht.1129 Unabhängig davon, dass solche präventiven Vorkehrungen niemals eine absolute Sicherheit bieten können, kommt es hinsichtlich der Beurteilung der Erforderlichkeit der unmittelbaren Einwirkung mit Waffengewalt gegen ein als Waffe missbrauchtes Luftfahrzeug auf die möglichen Maßnahmen zur Abwehr der Gefahr in der konkreten Situation an.1130 Das Gleiche gilt auch für den Einsatz von so genannten „Sky Marshalls“ oder Flugsicherheitsbegleitern, das heißt von bewaffneten Sicherheitskräften, die an Bord eines Luftfahrzeuges tätig werden, um Flugzeugentführungen zu verhindern.1131 Die Flugsicherheitsbegleiter sind aus tatsächlichen Gründen lediglich in der Lage, eine kleine Prozentzahl von Luftfahrzeugen zu schützen und können daher nicht flächendeckend eingesetzt werden.1132 § 14 Abs. 1 LuftSiG sieht gegenüber § 14 Abs. 3 LuftSiG mildere Maßnahmen wie das Abdrängen, das Erzwingen der Landung, das Androhen von Waffengewalt sowie das Abgeben von Warnschüssen vor. Alle diese Maßnahmen können gegenüber einem entschlossenen Täter jedoch wirkungslos bleiben, so dass letztlich nur auf die unmittelbare Einwirkung mit Waffengewalt zurückgegriffen werden kann. Dadurch, dass die Maßnahmen nach § 14 Abs. 1 LuftSiG vor der unmittelbaren Einwirkung mit Waffengewalt anzuwenden sind, berücksichtigt § 14 Abs. 3 LuftSiG das Prinzip der Erforderlichkeit in einem ausreichenden Maße.1133 Der Gesetzgeber hat vielfältige Maßnahmen zur Verhinderung von Angriffen auf den Luftverkehr und damit auch zur Verhinderung von Gefahren aus dem Luftraum geschaffen. Die unmittelbare Einwirkung mit Waffengewalt gemäß § 14 Abs. 3 LuftSiG steht nur am Ende einer ganzen Reihe von weniger intensiven Eingriffen. Weiterhin sind in der konkreten Situation, in der ein Anschlag 1129 Der Gesetzgeber sollte diesbezüglich umgehend tätig werden, damit zumindest der politisch und rechtlich weitgehend unumstrittene Bereich der Vorfeldmaßnahmen zur Gewährleistung der Luftsicherheit auf eine verfassungsmäßige und eindeutige Rechtslage gestützt werden kann. 1130 K. Odendahl, Die Verwaltung 38 (2005), 425 (445); C. Burkiczak, VR 2004, 379 (384). 1131 § 4a BPolG ermächtigt die Bundespolizei, Maßnahmen zur Aufrechterhaltung und Wiederherstellung der Sicherheit oder Ordnung an Bord von Luftfahrzeugen zu ergreifen; siehe dazu ausführlich W. Schwenk/E. Giemulla, 141 f.; M. Schladebach, NVwZ 2006, 430 (432). 1132 Zu Recht weist K. Paulke, 258 f., darauf hin, dass es nicht möglich ist, an Bord eines jeden Luftfahrzeuges einen Flugsicherheitsbegleiter einzusetzen. Des Weiteren ist es denkbar, dass die Flugsicherheitsbegleiter bei einer Entführung überwältigt werden und damit ihren Auftrag nicht mehr durchführen können. 1133 Die Tatsache, dass § 14 Abs. 3 LuftSiG erst nach der ausdrücklichen Regelung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes in § 14 Abs. 2 LuftSiG steht, ist bedeutungslos, da das Verhältnismäßigkeitsprinzip ohnehin wegen des Rechtsstaatsprinzips gilt und § 14 Abs. 2 LuftSiG insoweit nur eine deklaratorische Funktion hat, vgl. C. Burkiczak, VR 2004, 379 (385).

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3. Teil: Abwehr auf Grundlage des LuftSiG

mittels eines Luftfahrzeuges unmittelbar droht, keine milderen Mittel als der Abschuss denkbar.1134 Das Prinzip der Erforderlichkeit fordert auch, dass der Abschuss möglichst zu einem späten Zeitpunkt erfolgt; dabei darf das Abwarten des Abschusses allerdings nicht dazu führen, dass eine effektive Gefahrenabwehr unmöglich gemacht wird. Für die Ausübung des Ermessens ist weiterhin relevant, dass der Schaden am Boden durch die Folgen des Abschusses möglichst gering gehalten wird. d) Angemessenheit Das Hauptproblem ist die Frage der Angemessenheit der Tötung von Unbeteiligten. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts verlangt das Verhältnismäßigkeitsprinzip, dass der jeweilige Eingriff „in angemessenem Verhältnis zu dem Gewicht und der Bedeutung des Grundrechts“ steht.1135 Dabei muss im Rahmen „einer Gesamtabwägung zwischen der Schwere des Eingriffs und dem Gewicht und der Dringlichkeit der ihn rechtfertigenden Gründe die Grenze der Zumutbarkeit gewahrt“ werden.1136 Hinsichtlich der Beurteilung von gesetzlichen Regelungen reicht es aus, dass die Umsetzung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes im konkreten Fall der Rechtsanwendung überlassen wird.1137 Grundsätzlich ist festzuhalten, dass angesichts der besonderen Bedeutung des Grundrechts auf Leben Tötungen nur unter engen Voraussetzungen gerechtfertigt werden können.1138 Daher ist es nicht möglich, eine Tötung mit dem Schutz von beliebigen Rechtsgütern zu begründen. Allerdings kann unter Umständen auch eine gezielte Tötung zur Verteidigung von Sachgütern gerechtfertigt sein.1139 Diejenigen, die in der Regelung des § 14 Abs. 3 LuftSiG einen Menschenwürdeverstoß sehen, können die Frage der Angemessenheit ohne weiteres verneinen, da eine Norm, die gegen Menschenwürde verstößt, keine angemessene Einschränkung des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG darstellen kann.1140 Da aber – wie oben festgestellt – § 14 Abs. 3 LuftSiG nach der hier vertretenen Auffassung 1134 1135 1136

Ebenso B. Pieroth/B. J. Hartmann, JURA 2005, 729 (731). BVerfGE 67, 157 (173); vgl. auch BVerfGE 90, 145 (173). BVerfGE 83, 1 (19); ähnlich BVerfGE 30, 292 (316); 68, 193 (219); 90, 145

(173). 1137

Vgl. BVerfGE 93, 213 (238 f.). v. Münch/Kunig-P. Kunig, Art. 2 Rdn. 81; B. Pieroth/P. Schlink, Rdn. 403. 1139 Vgl. die Regelungen in § 15 Abs. 1 UZwGBw in Verbindung mit § 3 Abs. 1 Nr. 2 UZwGBw, nach denen auch die Tötung zur Verteidigung von Sachwerten zulässig ist. Soweit ersichtlich wird nicht vertreten, dass diese Regelungen gegen Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG verstoßen würden. 1140 Vgl. B. Pieroth/B. J. Hartmann, JURA 2005, 729 (731). 1138

D. Grundrechtliche Probleme

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mit der Menschenwürde vereinbar ist, muss die Frage der Angemessenheit des Eingriffs in das Grundrecht auf Leben ausführlich untersucht werden. Dazu werden zunächst die Ansätze in der Literatur und des Bundesverfassungsgerichts zur Problematik der Angemessenheit dargestellt und anschließend bewertet. Dabei dürfte die Diskussion in der Literatur auch nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht abgeschlossen sein.1141 Argumente, welche die Angemessenheit des § 14 Abs. 3 LuftSiG in Bezug auf das Grundrecht auf Leben mit dem Hinweis auf einen Verstoß gegen Art. 1 Abs. 1 GG ablehnen, werden im Folgenden nicht mehr aufgegriffen, da bereits dargelegt worden ist, dass die Regelung des § 14 Abs. 3 LuftSiG keine Verletzung der Menschenwürde darstellt. Es geht allein darum, ob Unbeteiligte auch beim Vorliegen eines erheblichen Luftzwischenfalls unbedingt durch das Grundrecht auf Leben geschützt sind. aa) Auffassungen in der Literatur Vor der Diskussion um § 14 Abs. 3 LuftSiG hat sich die Literatur nur am Rande mit der Rechtfertigung von Tötungen von Unbeteiligten auseinandergesetzt. Im Wesentlichen wurde lediglich – unter Berufung auf die einschlägige Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts – ein „Abwägungsverbot“ im Bereich des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG konstatiert, das aus der absoluten Gleichwertigkeit eines jeden menschlichen Lebens abgeleitet werden könne.1142 Aus ethischer Sicht ist das Abwägungsverbot im Bereich des Grundrechts auf Leben eng mit der christlichen Vorstellung, das Leben sei ein Geschenk Gottes, verbunden.1143 Wenn das menschliche Leben als Ganzes einen unendlichen Wert hat, so habe auch jeder einzelne Augenblick eines jeden Lebens für sich genommen einen unendlichen Wert. Peters spricht daher von der „Heiligkeit des Lebens“.1144 1141 Siehe zum Beispiel Spectator, RuP 2007, 1; C. Gramm, DVBl. 2006, 653 (657 ff.); G. Spendel, RuP 2006, 131 ff. 1142 Siehe statt vieler W. Höfling/S. Augsberg, JZ 2005, 1080 (1083). 1143 Vgl. BGH, NJW 1953, 513 (514); siehe zur Rezeption der christlichen Anschauung in der deutschen Rechtsordnung P. Häberle, 19 f. 1144 K. Peters, JR 1949, 496 f.; ebenso bereits H. v. Weber, Notstandsproblem, 37; vgl. L. Fritze, Tötung Unschuldiger, 13. Allerdings soll nicht verschwiegen werden, dass noch im 20. Jahrhundert hoch angesehene Strafrechtswissenschaftler vertreten haben, dass menschliches Leben nicht nur ungleichen Wert haben könne, sondern dass unter Umständen Menschen sogar ein negativer Wert zugesprochen werden müsse, vgl. K. Binding/A. Hoche, 27; siehe auch J. Kohler, Archiv für Rechts- und Wirtschaftsphilosophie 1914/15, 411 (431, 436), der die Frage aufwirft, ob das Leben eines Indianers nicht weniger wert ist, als des Leben eines Goethes. Kohler ist ausdrücklich der Auffassung, dass es eine „Moralpflicht“ sein kann, „sein eigenes bisschen Leben zu opfern, um einen Mann zu erhalten, welcher der Menschheit von großer Bedeutung ist“.

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3. Teil: Abwehr auf Grundlage des LuftSiG

Aus rechtlicher Sicht wird das „totale Gewichtungsverbot“1145 des Lebens aus der fundamentalen Gleichheit aller Menschen in Bezug auf ihr Existenzrecht abgeleitet. Das Gewichtungsverbot sei nicht erst durch den allgemeinen Gleichheitssatz nach Art. 3 Abs. 1 GG normativ abgesichert, sondern stütze sich direkt auf die Menschenwürdegarantie gemäß Art. 1 Abs. 1 GG.1146 (1) Ansätze für die Angemessenheit Teilweise wird vertreten, dass Art. 2 Abs. 2 GG es nicht per se verbiete, Menschenleben quantitativ gegeneinander aufzuwiegen.1147 Dabei dürfe der Gesetzgeber berücksichtigen, dass die Unbeteiligten auch ohne den Abschuss wenige Minuten später getötet werden würden.1148 Von vielen wird der Gedanke einer staatlichen Schutzpflicht aufgegriffen. So meint Robbers: „Der Staat muss seine Schutzpflicht gegenüber der gefährdeten Bevölkerung wahrnehmen und er hat auch eine Schutzpflicht gegenüber den Insassen des Flugzeuges. Das ist ein Konflikt und in einem solchen Konflikt muss hier die Bundesregierung in pflichtgemäßen Ermessen entscheiden.“1149

Baldus hat in der Anhörung im Innenausschuss für eine utilitaristische Betrachtung plädiert und meint, der Staat dürfe sich nicht auf eine fatalistische Position1150 zurückziehen.1151 Auch Sittard und Ulbrich stellen auf eine Betrachtung der Opferzahlen ab: „Einziges zulässiges Entscheidungskriterium kann wohl nur die Anzahl der betroffenen Menschen sein, da sich eine qualitative Betrachtung einzelner Leben verbietet. Somit wäre ein Abschuss jedenfalls bei deutlichem Überwiegen der potenziellen Gesamtopfer der Katastrophe am Boden verhältnismäßig.“1152

1145 1146

T. Hartleb, NJW 2005, 1397 (1398). T. Hartleb, NJW 2005, 1397 (1398), unter Berufung auf BVerfGE 88, 203

(252). 1147 C. Burkiczak, VR 2004, 379 (385); Sperlich, zitiert nach D. Kühner, EuZW 2004, 430 (431); vgl. Maunz/Dürig-G. Dürig, Art. 2 Abs. 2 Rdn. 13: „Obwohl alle Leben gleichwertig sind, kann im Widerstreit verschiedener Leben das staatliche Recht also Maßstäbe aufstellen, für welches Leben es einstehen will. Es kann zum Beispiel auf die Priorität des lebensgefährlichen Angriffs oder die Zahl [Hervorhebung des Verf.] der auf dem Spiel stehenden Leben abstellen; es kann aber auch Pflichtenerwägungen für maßgeblich erklären.“ 1148 C. Burkiczak, VR 2004, 379 (385); vgl. K. Paulke, 276. 1149 G. Robbers, Anhörung, 23; ähnlich V. Epping, Anhörung, 58. 1150 Als Fatalismus wird eine Weltanschauung bezeichnet, die von der Schicksalsergebenheit ausgeht, an der menschliches Handeln nichts ändern könne. 1151 M. Baldus, Anhörung, 12; ders., Stellungnahme 24 f.; M. Ch. Jakobs, DVBl. 2006, 83 (88). 1152 U. Sittard/M. Ulbrich, JuS 2005, 432 (435).

D. Grundrechtliche Probleme

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Teilweise wird eine Aufopferungspflicht zu Lasten der Insassen eines als Waffe missbrauchten Luftfahrzeuges bejaht. So anerkennt Laschewski, dass grundsätzlich eine Aufopferungspflicht nur im Bereich von „bagatellhafte[n] und ersetzbare[n] Rechtsgüter[n]“ auferlegt werden dürfe. Es müsse jedoch auch beachtet werden, dass die Aufopferungspflicht der unbeteiligten Flugzeuginsassen sich nicht auf die „Zukunft ihres Lebens“ bezieht, sondern lediglich auf die „wenigen letzten Minuten“.1153 Roellecke meint, das Bundesverfassungsgericht habe mit dem Schleyer-Urteil1154 das Abwägungsverbot im Bereich des Grundrechts auf Leben aufgegeben. Damit könne auch zur Abwehr polizeilicher Gefahren Leben gegen Leben verrechnet werden. Roellecke führt wörtlich aus: „Viele Leben sind mehr wert als ein oder zwei Leben.“1155

Roellecke fordert, der Rechtsstaat müsse lernen, menschliches Leben einem „Chancen/Risiken-Kalkül auszusetzen“. Ausdrücklich gegen Höfling und Augsberg (dazu sogleich) meint er, dass die Aussage, dass menschliches Leben keiner zahlenmäßigen Abwägung unterworfen werden dürfe, „unrichtig“ ist.1156 Paulke meint, in der Konstellation des § 14 Abs. 3 LuftSiG sei das Abwägungsverbot im Bereich des Grundrechts auf Leben überhaupt nicht tangiert. Es ginge nicht darum, dem menschlichen Leben einen unterschiedlichen Stellenwert zuzumessen und damit eine qualitative Bewertung vorzunehmen.1157 Vielmehr sei die „Entscheidung über Leben und Tod dem Grunde nach bereits vor einem möglichen Abschuss durch staatliche Exekutivorgane gefallen“. Daher werde durch den Abschuss „keine größere Opferzahl und keine stärkere Opferbelastung für den einzelnen“ verursacht.1158 (2) Ansätze gegen die Angemessenheit Das maßgebliche Argument gegen die Angemessenheit des § 14 Abs. 3 LuftSiG ist das absolute Abwägungsverbot des menschlichen Lebens.1159 Nach der 1153 G. Laschewski, 140; siehe auch S. Huster, Merkur – Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken 2004, 1048 (1050): „Es ist schwerlich ein moralischer Skandal, wenn sich eine politische Mehrheit dafür entscheidet, dass es zulässig sein kann, das Leben der entführten Passagiere zu verkürzen, um eine viel größere Anzahl von Menschenleben zu retten.“ 1154 Siehe dazu unten 3. Teil D. III. 3. d) cc) (2) (a). 1155 G. Roellecke, FAZ vom 16. Februar 2005, 37. 1156 G. Roellecke, JZ 2006, 265 (269); gegen das Abwägungsverbot im Bereich des Grundrechts auf Leben auch F. Hufen, NJW 2001, 849 (855). 1157 K. Paulke, 275 f. 1158 K. Paulke, 276; vgl. M. Hochhuth, NZWehrr 2002, 154 (166). 1159 So ausdrücklich in Bezug auf § 14 Abs. 3 LuftSiG W. Höfling/S. Augsberg, JZ 2005, 1080 (1083); B. Schlink, Der Spiegel vom 17. Januar 2005, 34; H. Prantl, SZ vom 2. Februar 2004.

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3. Teil: Abwehr auf Grundlage des LuftSiG

wohl überwiegenden Literaturmeinung ist eine Tötung von Unbeteiligten auch dann unangemessen, wenn ein „Grundrechtspatt“1160 durch eine Kollision zwischen der Schutzpflicht des Staates für das Leben und dem Abwehranspruch von Grundrechtsträgern gegenüber dem Staat besteht.1161 So meint Kersten, die Handlungsoption des § 14 Abs. 3 LuftSiG betreffe nicht den klassischen Fall einer Kollision von Schutzpflichten, in dem zwei Handlungspflichten des Staates miteinander kollidieren: „Vielmehr geht es in der konkreten Entscheidung um die Kollision der staatlichen Pflicht, die unbeteiligten Passagiere nicht zu töten (Abwehrrecht), und der staatlichen Pflicht, die Menschen am Boden zu schützen (Schutzpflicht). Nach liberalem Grundrechtsverständnis geht das Abwehrrecht der Schutzpflicht vor, so dass sich die Tötung von Unbeteiligten nicht mit der Schutzpflicht für das Leben Dritter rechtfertigen lässt.“1162

Von diesem liberalen Grundrechtsverständnis dürfe nicht abgewichen werden. Ansonsten wäre einem Missbrauch durch die Berufung auf die staatlichen Schutzpflichten Tor und Tür geöffnet: „Gefährdet wäre nicht nur die individuelle Freiheit, sondern auch die individuelle Sicherheit.“1163 Die Gleichstellung von grundrechtlichen Abwehrrechten und Schutzpflichten führe zur Möglichkeit der Folter sowie der zwangsweisen Organtransplantation.1164 In die gleiche Richtung argumentieren auch Höfling und Augsberg: In erster Linie gehe es nicht um die Schutzpflicht der durch den Absturz bedrohten Menschen, sondern darum, dass Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG grundsätzlich staatliche Eingriffe in das Grundrecht auf Leben verbietet „Auch wenn eine Pflicht immer nur auf Kosten der anderen erfüllt werden kann, ist deshalb nicht etwa die eine Pflichterfüllung ebenso rechtmäßig wie die andere.“1165

Vielfach wird vertreten, die Todesgeweihtheit der Unbeteiligten dürfe auf der Ebene des Grundrechts auf Leben nicht berücksichtigt werden.1166 Zunächst sei

1160

J. Kersten, NVwZ 2005, 661 (662). K. Fehn/M. Brauns, 66 f.; A. Archangelskij, 108 f.; J. Kersten, NVwZ 2005, 661 (662); W. Höfling/S. Augsberg, JZ 2005, 1080 (1084); ähnlich A. Sinn, NStZ 2004, 585 (590). 1162 J. Kersten, NVwZ 2005, 661 (662); ähnlich A. Sinn, NStZ 2004, 585 (590). 1163 J. Kersten, NVwZ 2005, 661 (662); siehe auch E. Giemulla, NVwZ 2006, 677, der im Zusammenhang mit § 14 Abs. 3 LuftSiG ausführt: „Der Staat darf sich nicht mit Hilfe des Sicherheitsrechts zum Handlanger der Feinde unserer Gesellschaftsordnung machen lassen, die sich die Abschaffung oder zumindest Verformung der Idee von Freiheit und Selbstbestimmung bis zur Unkenntlichkeit zum Ziel gesetzt haben.“ 1164 J. Kersten, NVwZ 2005, 661 (662). 1165 W. Höfling/S. Augsberg, JZ 2005, 1080 (1084). 1166 K. Fehn/M. Brauns, 68 f.; J. Dietlein, XI; F. Rettenmaier, VR 2006, 109 (111); W. Höfling/S. Augsberg, JZ 2005, 1080 (1083). 1161

D. Grundrechtliche Probleme

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unklar, ob dieses Kriterium bereits eine Schutzbereichseinschränkung darstellt oder erst auf der Ebene der Verhältnismäßigkeit zu prüfen ist. Würde bereits der Schutzbereich eingeschränkt, so würden „die Betroffenen schon zu Lebzeiten wie Tote“ behandelt. Dies wäre in faktischer Hinsicht unhaltbar, da der Todeseintritt niemals sicher festgestellt werden könne.1167 Auf der Ebene der Verhältnismäßigkeit müsse wiederum beachtet werden, dass auch der moribunde Mensch genau den gleichen Schutzanspruch hat wie jemand, der sein ganzes Leben noch vor sich hat.1168 Rettenmaier begründet dieses Ergebnis auch mit einem Vergleich zum Strafrecht, das jegliche Lebenszeitverkürzung als Tötung qualifiziere.1169 Weiterhin argumentiert Baumann, dass ein Abstellen auf das Kriterium der „Todesgeweihtheit“ beziehungsweise der einseitigen Verteilung von Rettungschancen zu einer unterschiedlichen Bewertung des Rechtsgutes Leben nach seiner verbliebenen Lebensdauer führen würde.1170 Zur weiteren Abschwächung des Kriteriums der Todesgeweihtheit wird auf die Prognoseunsicherheiten verwiesen.1171 Wegen der „massiven situativen Entscheidungsnöte“1172 sei die Annahme eines hypothetischen Todeseintritts sehr unsicher. Weiterhin sei es methodisch unzulässig, aus einer Tatsachenprognose des zu erwartenden Todeseintritts normative Schlussfolgerungen für die Angemessenheit des § 14 Abs. 3 LuftSiG abzuleiten.1173 Nützlichkeitserwägungen, die auf das Retten einer größeren Zahl von Menschenleben abstellen, dürften jedenfalls im Bereich des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht beachtet werden. Eine solche Argumentation verkenne die „materielle Steuerungsfunktion“ der Grundrechte. Grundrechtspositionen seien „anti-utilitaristisch“1174 und könnten nicht zu Gunsten des Gemeinwohls relativiert werden.1175

1167 W. Höfling/S. Augsberg, JZ 2005, 1080 (1083); B. Schlink, Der Spiegel vom 17. Januar 2005, 34. Es bleibt allerdings unklar, inwieweit Schlinks Auffassung zu § 14 Abs. 3 LuftSiG mit seinen Äußerungen zum pränatalen Lebensschutz zu vereinbaren ist, in denen er einen Verstoß gegen den Menschenwürde- und Lebensschutz bei der Entfaltung des solidarischen Potentials von werdenden Leben, „das ohnehin absterben wird“, verneint, vgl. B. Schlink, Aktuelle Fragen des pränatalen Lebensschutzes, 19 f. 1168 W. Höfling/S. Augsberg, JZ 2005, 1080 (1083). 1169 F. Rettenmaier, VR 2006, 109 (111). 1170 K. Baumann, DÖV 2004, 853 (859). 1171 K. Fehn/M. Brauns, 69; W. Höfling/S. Augsberg, JZ 2005, 1080 (1083); S. Kaiser, TranspR 2004, 353 (354). 1172 W. Höfling/S. Augsberg, JZ 2005, 1080 (1083); vgl. S. Kaiser, TranspR 2004, 353 (354). 1173 W. Höfling/S. Augsberg, JZ 2005, 1080 (1083); M. Pawlik, JZ 2004, 1045 (1050). 1174 Re. Merkel, Die Zeit vom 8. Juli 2004, 33 f.; ähnlich J. Kersten, NVwZ 2005, 661 (663).

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3. Teil: Abwehr auf Grundlage des LuftSiG

A. Meyer argumentiert auch mit einer fehlenden Entschädigungsregelung im LuftSiG. Dieses Fehlen sei „vor dem Hintergrund sozial verantwortlichen staatlichen Handelns nicht hinnehmbar“ und führe dazu, dass § 14 Abs. 3 LuftSiG unangemessen und verfassungswidrig sei.1176 In einer strikten Konsequenz, an der es vielen anderen Stimmen mangelt, führt Rettenmaier daher abschließend zur Angemessenheit des § 14 Abs. 3 LuftSiG aus: „Die nüchterne juristische Analyse, der etwas Beängstigendes anhaftet, führt zu einer eindeutigen Antwort: Der Staat muss tatenlos zusehen.“1177

bb) Auffassung des Bundesverfassungsgerichts Die grundlegende Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zum Grundrecht auf Leben gemäß Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG ist das erste Urteil zum Schwangerschaftsabbruch vom 25. Februar 1975, in dem es heißt: „Die pauschale Abwägung von Leben gegen Leben, die zur Freigabe der Vernichtung der vermeintlich geringeren Zahl im Interesse der Erhaltung der angeblich größeren Zahl führt, ist nicht vereinbar mit der Verpflichtung zum individuellen Schutz jedes einzelnen konkreten Lebens. [. . .] Der Schutz des einzelnen Lebens darf nicht deswegen aufgegeben werden, weil das an sich achtenswerte Ziel verfolgt wird, andere Leben zu retten. Jedes menschliche Leben [. . .] ist als solches gleich wertvoll und kann deshalb keiner irgendwie gearteten unterschiedlichen Bewertung oder gar zahlenmäßigen Abwägung unterworfen werden.“1178

Weiterhin heißt es, es müsse nicht näher begründet werden, dass das Grundrecht auf Leben als „vitale Basis der Menschenwürde und [. . .] Voraussetzung aller anderen Grundrechte“ einen „Höchstwert“ innerhalb der grundgesetzlichen Ordnung einnimmt.1179 In der Entscheidung zu § 14 Abs. 3 LuftSiG lehnt es das Bundesverfassungsgericht ab, die Tötung von Unbeteiligten mit der staatlichen Schutzpflicht zu Gunsten der Personen am Boden zu rechtfertigen. Zwar komme den staatlichen Organen bei der Erfüllung der staatlichen Schutzpflicht ein „weiter Einschät1175 W. Höfling/S. Augsberg, JZ 2005, 1080 (1084); vgl. auch gegen den Utilitarismus als Verfassungsprinzip E. Hilgendorf, in: Brugger (Hg.), Legitimation des Grundgesetzes aus Sicht von Rechtsphilosophie und Gesellschaftstheorie, 249 (266 ff.). 1176 A. Meyer, NVwZ 2006, 671. 1177 F. Rettenmaier, VR 2006, 109 (113); ähnlich auch K. Fehn/M. Brauns, 71; vgl. aber auch G. Roellecke, FAZ vom 16. Februar 2005, 37, der fast auf den Tag genau ein Jahr vor der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts prophezeit hatte: „Im Hinblick auf das World Trade Center wird das Bundesverfassungsgericht jedenfalls nicht erklären, in einem ähnlichen Fall hätten die Flugzeuge nicht abgeschossen werden dürfen.“ 1178 BVerfGE 39, 1 (58 f.). 1179 BVerfGE 39, 1 (42).

D. Grundrechtliche Probleme

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zungs-, Wertungs- und Gestaltungsbereich“ zu,1180 die „Wahl könne aber immer nur auf solche Mittel fallen, deren Einsatz mit der Verfassung in Einklang steht.“1181 Dieses Erfordernis sei jedoch durch § 14 Abs. 3 LuftSiG nicht gewahrt, denn auch den Unbeteiligten komme ein Schutzanspruch bezüglich des Lebens zu. § 14 Abs. 3 LuftSiG sei sowohl eine Verletzung dieses Schutzanspruches als auch eine Verletzung des Achtungsanspruches, da der Staat selbst in das Leben der Unbeteiligten eingreift.1182 cc) Eigene Auffassung Um die Angemessenheit des § 14 Abs. 3 LuftSiG zu beurteilen, ist eine differenzierte Betrachtung erforderlich. Allein der Hinweis auf einen – wie auch immer gearteten – Höchstwert des menschlichen Lebens kann die Unangemessenheit der Tötung von Unbeteiligten noch nicht überzeugend begründen. Dies gilt insbesondere im Hinblick auf die Kollision zwischen der staatlichen Schutzpflicht und dem Achtungsanspruch im Bereich des Grundrechts auf Leben. (1) Bedeutung der Formulierung „Höchstwert“ Zunächst ist es erforderlich, die Bedeutung der Einstufung des Grundrechts auf Leben als „Höchstwert“ innerhalb der verfassungsrechtlichen Ordnung zu konkretisieren. Grundsätzlich mag der „Höchstwert“-Formulierung des Bundesverfassungsgerichts zuzustimmen sein; ihre normative Bedeutung bleibt jedoch unklar. Bemerkenswert ist jedenfalls, dass das Bundesverfassungsgericht nicht die Formulierung „der“ Höchstwert benutzt, sondern das Grundrecht auf Leben nur als „einen“ Höchstwert ansieht.1183 Es geht also offenbar davon aus, dass es mehrere Höchstwerte gibt. So heißt es in einer weiteren Entscheidung: „Die freie menschliche Persönlichkeit und ihre Würde stellen den höchsten Rechtswert innerhalb der verfassungsmäßigen Ordnung dar.“1184

1180 BVerfG, NJW 2006, 751 (760 Abs. 138), unter Berufung auf BVerfGE 77, 170 (214); 79, 174 (202); 92, 26 (46). 1181 BVerfG, NJW 2006, 751 (760 Abs. 138); zustimmend K. Baumann, JURA 2006, 447 (453). 1182 BVerfG, NJW 2006, 751 (760 Abs. 139). An dieser Stelle rekurriert das Bundesverfassungsgericht wiederum auf seine Auffassung, dass die Tötung von Unbeteiligten nach § 14 Abs. 3 LuftSiG auch einen Verstoß gegen die Menschenwürde darstellt. 1183 Vgl. K. Doehring, FS Mosler, 1983, 145. 1184 BVerfGE 45, 187 (227); ähnlich BVerfGE 48, 127 (163); 50, 166 (175); a. A. M. Kloepfer, in: Starck (Hg.), FG aus Anlass des 25jährigen Bestehens des Bundesverfassungsgerichts, Band 2, 405 (412).

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3. Teil: Abwehr auf Grundlage des LuftSiG

(a) Meinungsstand Die verfassungsrechtliche Literatur geht überwiegend von einem Stufenverhältnis zwischen der Menschenwürde und dem Grundrecht auf Leben aus.1185 Dafür spreche vor allem der Schutz der Menschenwürde durch die Ewigkeitsklausel in Art. 79 Abs. 3 GG und der in Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG enthaltene Gesetzesvorbehalt. Teilweise wird dagegen vertreten, dass die Menschenwürde und das Recht auf Leben zwei Höchstwerte bilden, die in keinem hierarchischen Verhältnis zueinander stehen.1186 H. Götz meint, auch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG sei durch den Verweis in Art. 1 Abs. 2 GG von der Ewigkeitsklausel des Art. 79 Abs. 3 GG geschützt. Auch der ausdrückliche Gesetzesvorbehalt in Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG ändere nichts daran, da die Einschränkungen des Schutzbereiches bei Art. 1 Abs. 1 GG „normimmanent“ vollzogen würden.1187 Eine weitere Mindermeinung geht davon aus, dass das Grundrecht auf Leben das höchste Gut innerhalb des Grundgesetzes darstellt.1188 Blank begründet seine Auffassung damit, dass erst das Leben an sich die Entfaltung der Menschenwürde möglich macht. Aus einer philosophischen Sichtweise wird teilweise geltend gemacht, die Formulierung „Höchstwert“ bedeute nicht zwingend, dass eine quantitative Abwägung des Lebens unzulässig ist.1189 Weiterhin gebe es Güter, die so außerordentlich wertvoll seien, dass Ausnahmen von dem Verbot der Tötung Unbeteiligter gemacht werden könnten. Ein solches Gut sei zum Beispiel die „Existenz der Menschheit“.1190

1185 v. Münch/Kunig-P. Kunig, Art. 1 Rdn. 4 f.; H. Blaesing, 149; A. Poretschkin, Zivilverteidigung, 64 ff.; P. Lerche, FS Mahrenholz, 1994, 515 (518 Fn. 18); K. Stern, FS Scupin, 1983, 627 (632 f.); G. Duttge, JZ 2006, 899 (900); F. Wittreck, DÖV 2003, 873 (879); C. D. Classen, GA 1991, 209 (212), geht ausdrücklich davon aus, dass auch das Bundesverfassungsgericht dem Grundrecht auf Leben nicht den höchsten Rang in der Wertordnung des Grundgesetzes zuspricht. 1186 H. Götz, NJW 2005, 953 (954). 1187 H. Götz, NJW 2005, 953 (954). 1188 T. Blank, 125: „Es gibt keine Verfassungsnorm, die dem Recht auf Leben vorgeht.“; S. Peña-Wasaff, 160, „allerhöchster Rang in der Rechtsgüterskala“; M. Kloepfer, in: Starck (Hg.), FG aus Anlass des 25jährigen Bestehens des Bundesverfassungsgerichts, Band 2, 405 (412); ausdrücklich gegen diese Auffassung I. v. Münch, FS Rauschning, 2001, 27 (29 f.). 1189 D. Birnbacher, 221; zustimmend R. Schmücker, DZPhil 2000, 319 (334 Fn. 38). 1190 R. Schmücker, DZPhil 2000, 319 (334 Fn. 38).

D. Grundrechtliche Probleme

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(b) Eigene Ansicht Zunächst ist festzustellen, dass die Einordnung des Grundrechts auf Leben als ein „Höchstwert“ innerhalb der verfassungsrechtlichen Ordnung sprachlich ungenau ist. Aus Gründen der sprachlichen Logik kann es nur ein Rechtsgut geben, das den „Höchstwert“ darstellt, aber es können nicht mehrere Rechtsgüter den höchsten Wert innerhalb einer Ordnung innehaben. Es können allenfalls mehrere Rechtsgüter auf eine „höchste Wertebene“ gestellt werden, um diese Rechtsgüter von anderen abzugrenzen. Im Übrigen ist die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts insoweit widersprüchlich, als es einerseits im 39. Band seiner Entscheidungssammlung das Grundrecht auf Leben als „Höchstwert“ bezeichnet1191 und andererseits nur wenige Jahre später die freie Persönlichkeit und menschliche Würde als „Höchstwert innerhalb der verfassungsmäßigen Ordnung“1192 bewertet. Es kann daher konstatiert werden, dass die „Höchstwert“-Formulierung nur inflationären Wert, aber keine normative Bedeutung hat. Unabhängig davon kann die Einordnung des Grundrechts auf Leben als ein nicht abwägungsfähiger Höchstwert nur dann überzeugend vertreten werden, wenn das Grundrecht auf Leben in jeder denkbaren Situation gegenüber jedem anderen Rechtsgut Vorrang beansprucht. Sollte dies nicht der Fall sein, hätte die Bedeutung der Formulierung „Höchstwert“ keinen normativen Gehalt mehr, sondern könnte in den Bereich der gut gemeinten deklaratorischen Aussagen verwiesen werden.1193 Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Schwangerschaftsabbruch.1194 Dabei ist zunächst festzuhalten, dass nach der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts auch das „sich im Mutterleib entwickelnde Leben als selbstständiges Rechtsgut“ sowohl durch Art. 1 Abs. 1 GG als auch durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG geschützt ist.1195 Daher müsste auch das ungeborene Leben einen „Höchstwert“ innerhalb der verfassungsrechtlichen Ordnung darstellen. 1191

BVerfGE 39, 1 (42). BVerfGE 45, 187 (227); ähnlich BVerfGE 48, 127 (163); 50, 166 (175). 1193 Ähnlich D. Birnbacher, 221 Fn. 38. 1194 Im Rahmen dieser Untersuchung soll weder die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Schwangerschaftsabbruch ausführlich dargestellt noch auf die vielfältigen ethischen, religiösen, sozialen und rechtlichen Pro- und Contraargumente eingegangen werden. Vielmehr geht es darum, zu zeigen, dass selbst das Bundesverfassungsgericht eine Abwägung im Bereich des Lebensschutzes unter bestimmten Situationen als verfassungsrechtlich unbedenklich ansieht. 1195 BVerfGE 39, 1 (35 ff.); 88, 203 (251); siehe aber auch J. Ipsen, JZ 2001, 989 (994), der dem Embryo die Grundrechtssubjektivität abspricht, da ansonsten weite Teile des Rechts des Schwangerschaftsabbruches verfassungsrechtlich nicht zu rechtfertigen wären. 1192

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3. Teil: Abwehr auf Grundlage des LuftSiG

Dennoch differenziert das Bundesverfassungsgericht bezüglich der staatlichen Schutzmaßnahmen für das geborene und für das ungeborene Leben: „Der Gesetzgeber ist grundsätzlich nicht verpflichtet, die gleichen Maßnahmen strafrechtlicher Art zum Schutze des ungeborenen Lebens zu ergreifen, wie er sie zur Sicherung des geborenen Lebens für zweckdienlich und geboten hält.“1196

Weiterhin hält es die Fortsetzung der Schwangerschaft für „unzumutbar“, „wenn sich erweist, dass der Abbruch erforderlich ist, um von der Schwangeren ,eine Gefahr für ihr Leben oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung ihres Gesundheitszustandes abzuwenden‘ [. . .]. In diesem Fall steht ihr eigenes ,Recht auf Leben und körperliche Unversehrtheit‘ (Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG) auf dem Spiel, dessen Aufopferung für das ungeborene Leben von ihr nicht erwartet werden kann.“1197

Zuzugeben ist, dass das Bundesverfassungsgericht auf grundrechtlicher Ebene nicht ausdrücklich dem Recht auf körperliche Unversehrtheit der Schwangeren den Vorrang gegenüber dem Recht auf Leben des ungeborenen Kindes zugesprochen hat, sondern lediglich darauf abgestellt hat, dass der Gesetzgeber unter bestimmten Umständen den Schwangerschaftsabbruch als straffrei werten darf.1198 Dennoch ist es inkonsequent, wenn das Leben einerseits ein verfassungsrechtlicher Höchstwert sein soll und andererseits die Rechtsordnung nicht verlangen kann, dass dieser Höchstwert einer Abwägung mit anderen Rechtsgütern entzogen wird.1199 Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner zweiten Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch vom 28. Mai 1993 seine Aussagen aus dem 39. Band noch weiter relativiert. So heißt es ausdrücklich: „Der Schutz des Lebens ist nicht in dem Sinne absolut geboten, dass dieses gegenüber jedem anderen Rechtsgut ausnahmslos Vorrang genösse; das zeigt schon Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG.“1200

Diese Aussage macht deutlich, dass das Leben keinen „Höchstwert“ im Sinne eines abwägungsunfähigen Rechtsgutes darstellen kann, da es ansonsten immer den Vorrang beanspruchen müsste. Wenn es überhaupt einen Sinn machen sollte, ein bestimmtes Rechtsgut als „Höchstwert“ herauszustellen, so ist dieses Rechtsgut die Menschenwürde, aber nicht das Grundrecht auf Leben. Die Einordnung des Grundrechts auf Leben als Höchstwert ist vor dem Hintergrund zu erklären, dass das Bundesverfassungsgericht bei Eingriffen in das Leben einen besonders strengen Rechtfertigungsmaßstab betonen wollte, der über die Anfor1196

BVerfGE 39, 1 (45). BVerfGE 39, 1 (49). 1198 Vgl. grundlegend R. Herzog, JR 1969, 440 (444 f.). 1199 Zur strafrechtlichen Rechtfertigung in den Fällen der medizinischen Indikation und Perforation siehe unten 5. Teil B. V. 1. 1200 BVerfGE 88, 203 (253 f.). 1197

D. Grundrechtliche Probleme

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derungen bei Eingriffen in sonstige Freiheitsrechte hinausgeht.1201 Ein Verbot der Abwägung lässt sich jedoch nicht mit Verweis auf den angeblichen „Höchstwert“ des Grundrechts auf Leben begründen. (2) Kollision von Schutzpflicht und Achtungsanspruch Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner frühen Rechtsprechung die Grundrechte zunächst rein subjektiv verstanden und aus ihnen keine Schutzpflichten des Staates gegenüber dem Bürger abgeleitet.1202 Eine Wende der Rechtsprechung trat mit der ersten Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch ein.1203 Das Bundesverfassungsgericht benutzte hier zum ersten Mal die Begriffe „Schutzverpflichtung“1204 beziehungsweise „Schutzpflicht“1205 des Staates gegenüber den Grundrechtsträgern: „Die Schutzpflicht des Staates ist umfassend. Sie verbietet nicht nur – selbstverständlich – unmittelbare staatliche Eingriffe in das sich entwickelnde Leben, sondern gebietet dem Staat auch, sich schützend und fördernd vor dieses Leben zu stellen, das heißt vor allem, es auch vor rechtswidrigen Eingriffen von seiten anderer zu bewahren.“1206

Diese Ableitung von staatlichen Schutzpflichten aus den Grundrechten wird auch in der Literatur fast einhellig anerkannt.1207 Die grundrechtlichen Beziehungen zwischen dem Staat, einem Opfer und einem privaten Dritten, der einen Übergriff1208 in Grundrechte des Opfers begeht, werden herkömmlich als ein „determiniertes Dreieck“ beschrieben. Dieses Drei1201

Vgl. BVerfGE 39, 1 (42). Vgl. BVerfGE 1, 97 (104): „Wenn Art. 1 Abs. 1 GG sagt: ,Die Würde des Menschen ist unantastbar‘, so will er sie nur negativ gegen Angriffe abschirmen. Der zweite Satz: ,. . . Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt‘ verpflichtet den Staat zwar zu dem positiven Tun des ,Schützens‘, doch ist dabei nicht Schutz vor materieller Not, sondern Schutz gegen Angriffe auf die Menschenwürde durch andere, wie Erniedrigung, Brandmarkung, Verfolgung, Ächtung usw. gemeint.“ 1203 Vgl. zusammenfassend zur Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts G. Hermes, 43 ff. 1204 BVerfGE 39, 1 (42 und 45). 1205 BVerfGE 39, 1 (42 und Leitsatz 1). 1206 BVerfGE 39, 1 (42); ähnlich BVerfGE 88, 203 (251). 1207 Vgl. die umfangreichen Nachweise bei G. Hermes, 61 f. Fn. 124–127. In der Literatur besteht jedoch Streit über die dogmatische Herleitung der Schutzpflichten. Dabei geht es vor allem um die Frage, ob die staatliche Schutzpflicht Ausdruck des objektiv-rechtlichen Gehaltes der Grundrechte ist oder ob diese auch ein subjektives Recht darstellt, vgl. dazu P. Unruh, 26 ff. Dieser Streit ist jedoch vorliegend ohne Bedeutung und soll daher nicht vertieft werden. 1208 Zur begrifflichen Differenzierung zwischen Eingriffen des Staates und dem Handeln Privater wird hier die Formulierung „Übergriff“ verwendet, vgl. J. Isensee, HdBStR, Band V, § 111 Rdn. 97. 1202

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3. Teil: Abwehr auf Grundlage des LuftSiG

eck wird dabei gebildet durch den Staat an der Spitze, den durch den Übergriff Belasteten, dem ein grundrechtlicher Schutzanspruch zukommt, am Ende des einen Schenkels und den Störer, der einen Achtungsanspruch in Form eines Abwehrrechts gegen den Staat innehat, am Ende des anderen Schenkels.1209 Dieses so beschriebene „mehrpolige“ Grundrechtsverhältnis kann den Staat in eine „Zwickmühle“ führen,1210 wenn er die staatliche Schutzpflicht aus tatsächlichen Gründen nur durch einen Eingriff in den Achtungsanspruch wahrnehmen kann. Relativ unproblematisch ist in diesem Zusammenhang die Konstellation, in der der Private das Opfer rechtswidrig angreift. Hier kommt dem Opfer die höhere Schutzbedürftigkeit zu, so dass der Staat seine Schutzpflicht vorrangig vor dem Achtungsanspruch erfüllen kann; unter Umständen ist der Staat sogar zur Erfüllung der Schutzpflicht unter Inkaufnahme eines Eingriffes in den Achtungsanspruch verpflichtet.1211 Die Konstellation des § 14 Abs. 3 LuftSiG kann jedoch nicht mehr durch ein dreipoliges Grundrechtsverständnis dargestellt werden. Vielmehr wandelt sich das Dreieck zu einem Viereck, denn durch den privaten Angreifer drohen Übergriffe auf zwei verschiedene Personengruppen. Schematisch können die Grundrechtsbeziehungen daher wie folgt dargestellt werden:

Staat Achtungsanspruch

Schutzpflicht

Unbeteiligte im Luftfahrzeug

Menschen am Boden

Angreifer

Der Staat steht hier vor der Entscheidung eines Eingriffes in den Achtungsanspruch eines Grundrechtsträgers, der nicht für die abzuwehrende Gefahr verantwortlich ist und dem daher zunächst im Vergleich zu den zu schützenden Personen die gleiche Schutzbedürftigkeit zukommt, so dass nicht deutlich wird, 1209 Vgl. J. Isensee, HdBStR, Band V, § 111 Rdn. 4 f.; ders., Grundrecht auf Sicherheit, 34 f. 1210 So C. Calliess, JZ 2006, 321 (326). 1211 Vgl. BVerfGE 46, 160 (164 f.).

D. Grundrechtliche Probleme

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ob der Schutzpflicht oder dem Achtungsanspruch der Vorrang zukommt. Die Beantwortung dieser Frage ist in der Literatur heftig umstritten und auf Grund verschiedener Terminologien zum Teil unübersichtlich.1212 Eine höchstrichterliche Stellungnahme liegt hierzu nicht vor. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu § 14 Abs. 3 LuftSiG gibt diesbezüglich wenig her, da es Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG – vermutlich wegen des bereits zuvor angenommenen Verstoßes gegen die Menschenwürde – nur knapp abhandelt. Die Argumentation, die Schutzpflicht könne nur innerhalb des verfassungsrechtlichen Rahmens ausgeübt werden,1213 kann nicht überzeugen, da es gerade darum geht, wie dieser verfassungsrechtliche Rahmen zu definieren ist. Kommt man zum Schluss, dass der staatlichen Schutzpflicht in bestimmten Situationen der Vorrang gebührt, so würde sich der verfassungsrechtliche Rahmen verändern. Die Begründung des Bundesverfassungsgerichts ist daher in diesem Punkt zirkelschlussartig. Ein Teil der Literatur neigt einem generellen Vorrang des Abwehrrechts beziehungsweise des Achtungsanspruches zu.1214 Folgt man dieser Auffassung, wäre die Wahrnehmung der Schutzpflicht zu Gunsten der bedrohten Menschen am Boden unter Missachtung des Achtungsanspruches der Flugzeuginsassen nicht möglich.1215 Erwähnenswert ist in diesem Zusammenhang die Auffassung Archangelskijs, der im Fall des § 14 Abs. 3 LuftSiG die Schutzpflicht lediglich aus dem Sozialstaatsprinzip, aber nicht aus dem Grundrecht auf Leben ableiteten will. Daher sei die Schutzpflicht gegenüber dem Achtungsanspruch nur zweitrangig. Zur Begründung führt er an, dass die grundrechtliche Schutzpflicht ein zurechenbares Verhalten eines Dritten voraussetzt; der Schutz vor Naturgewalten reiche insoweit nicht aus.1216 Dies werde auch durch das Bundesverfassungsgericht bestätigt, das „in seinen Ausführungen zur staatlichen Pflicht zum Schutz des Lebens immer Bezug auf Gefährdungen durch rechtswidrige Eingriffe“ nimmt.1217 Archangelskij übersieht zunächst, dass das Bundesverfassungsgericht in den von ihm zitierten Entscheidungen darauf abstellt, dass die staatliche Schutzpflicht „vor allem“ beziehungsweise „insbesondere“ gegenüber rechtswidrigen Eingriffen Dritter besteht. Im Übrigen ist es verfehlt, die Konstellation des § 14 Abs. 3 LuftSiG mit einer Gefahr durch eine Naturgewalt gleichzusetzen, wie 1212

Einen ausführlichen Überblick gibt M. Dolderer, 262 ff. Vgl. BVerfG, NJW 2006, 751 (760 Abs. 138 f.). 1214 M. Dolderer, 269; G. Robbers, Sicherheit als Menschenrecht, 148 ff.; R. Wahl/ J. Masing, JZ 1990, 553 (559). 1215 So K. Fehn/M. Brauns, 70 f.; A. Archangelskij, 108 f. 1216 A. Archangelskij, 106 f.; zustimmend M. Tresselt, 9 f. 1217 A. Archangelskij, 106, unter Berufung auf BVerfGE 39, 1 (42); 46, 160 (164); 53, 30 (57); 56, 54 (73). 1213

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3. Teil: Abwehr auf Grundlage des LuftSiG

Archangelskij1218 es vertritt. Das Abstellen auf eine Naturgewalt kommt allenfalls in Betracht, wenn der Absturz durch einen technischen Defekt1219 oder extreme Witterungsbedingungen verursacht wird, nicht aber, wenn das Luftfahrzeug durch Menschen als Waffe missbraucht wird. Archangelskij geht hier von der unzutreffenden Prämisse aus, dass die Gefahr dadurch entsteht, dass die unbeteiligten Flugzeugpassagiere auf andere Menschen „geworfen“ werden. Dies ist jedoch vor dem Hintergrund, dass das Gefahrenpotential vom Missbrauch des Luftfahrzeuges ausgeht, nicht der Fall. Keinesfalls werden in der Konstellation des § 14 Abs. 3 LuftSiG Menschen „zum Angriffsmittel umfunktioniert“.1220 Andere bejahen zumindest bei einem Missbrauch eines Passagierflugzeuges als Waffe einen Vorrang der Schutzpflicht bezüglich der bedrohten Menschen am Boden.1221 Dabei müsse insbesondere berücksichtigt werden, dass der Staat aus tatsächlichen Gründen nicht in der Lage ist, seiner Schutzpflicht gegenüber den Insassen des Luftfahrzeuges nachzukommen.1222 Gramm meint, es sei nicht nachvollziehbar, dass der Schutzauftrag des Staates in der Konstellation des § 14 Abs. 3 LuftSiG oder in einer ähnlichen Situation endet: „Der Staat bricht damit in einer äußerst bedrohlichen Lage sein Versprechen eines effektiven Schutzes der Rechte des Einzelnen. [. . .] Grundrechtlich gesprochen überlagert die Abwehrfunktion der Grundrechte im Letzten ihre Schutzfunktion gegenüber Dritten am Boden. Dies klingt mehr nach Verdrängung des Ausnahmezustandes denn nach einer juristischen Lösung.“1223

Es ist anzumerken, dass es wenig hilfreich ist, auf die staatliche Schutzpflicht zu Gunsten des Lebens der Flugzeuginsassen abzustellen. Das Bundesverfassungsgericht formuliert hier etwas undeutlich, „dass auch die in dem Luftfahrzeug festgehaltenen Opfer eines Angriffs Anspruch auf den staatlichen Schutz 1218 A. Archangelskij, 101: „Eine Gefahr, die durch Menschen entsteht, die buchstäblich auf andere Menschen ,geworfen werden‘, [ist] einer Naturgewalt gleichzusetzen.“ 1219 Auch ein technischer Defekt ist in diesem Sinne als Naturgewalt zu verstehen, soweit er nicht von einem Menschen vorsätzlich herbeigeführt wird. 1220 So aber A. Archangelskij, 101. Im Übrigen ist Archangelskijs Auffassung in Bezug auf den Gefahrenherd inkonsistent. So führt er auf Seite 99 aus: „Hier geht die Gefahr für die anvisierten Opfer am Boden streng genommen nicht von den Passagieren selbst aus, sondern von dem Raum, in dem sie sich befinden, nämlich dem Flugzeug.“ 1221 K. Paulke, 281 f.; F. Ekart/D. Kornack, KritV 2006, 349 (364); C. Gramm, DVBl. 2006, 653 (659); E. B. Franz/T. Günther, VBlBW 2006, 340 (346); U. Sittard/ M. Ulbrich, JuS 2005, 432 (435); siehe auch G. Wagenländer, 155 ff., der die Gleichrangigkeit der staatlichen Schutzpflicht und des Achtungsanspruches innerhalb des Menschenwürdeschutzes überzeugend begründet. 1222 F. Hase, DÖV 2006, 213 (218); A. Sinn, NStZ 2004, 585 (592 f.). 1223 C. Gramm, DVBl. 2006, 653 (659).

D. Grundrechtliche Probleme

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ihres Lebens haben“.1224 Diesen Punkt greift Isensee auf und meint, der Staat entziehe sich dieser Schutzpflicht nicht, da er sie wegen der äußeren Umstände ohnehin nicht erfüllen könnte.1225 Es geht jedoch nicht um das Nichterfüllen der staatlichen Schutzpflicht, sondern um den aktiven Eingriff in den Achtungsanspruch des Grundrechts auf Leben. Daher liegt keine Kollision verschiedener staatlicher Schutzpflichten vor, wie es Isensee vermutlich meint. (a) Schleyer-Urteil Kurze Zeit nach der grundlegenden Anerkennung der staatlichen Schutzpflicht für das menschliche Leben in der ersten Entscheidung zum Schwangerschaftsabbruch musste sich das Bundesverfassungsgericht in seinem Urteil im Entführungsfall Schleyer vom 16. Oktober 1977 mit der Reichweite dieser Schutzpflicht auseinandersetzen. Dieses Urteil könnte Anhaltspunkte für die Bewertung der Angemessenheit des § 14 Abs. 3 LuftSiG bieten. Hintergrund der Entscheidung war die Entführung von Hanns-Martin Schleyer, Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie und Präsident der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände. Bei der Entführung wurden drei Personenschützer und Schleyers Fahrer ermordet. Die Entführer verlangten von der Bundesregierung unter anderem die Freilassung von elf inhaftierten Terroristen der Bader-Meinhoff-Gruppe. Für den Fall der Nichterfüllung ihrer Forderungen drohten die Entführer mit der Ermordung Schleyers. Nachdem sich abgezeichnet hatte, dass die Bundesregierung diesen Forderungen nicht nachkommen würde, begehrte Hanns-Eberhard Schleyer, der älteste Sohn des Entführten, im Namen seines Vaters beim Bundesverfassungsgericht unter anderem die folgende einstweilige Anordnung: „Die Antragsgegner sind gehalten, den Forderungen der Entführer [. . .] als unabdingbare Voraussetzung zur Abwendung gegenwärtiger, drohender Gefahr für das Leben des Antragstellers stattzugeben.“1226

Das Bundesverfassungsgericht erkannte zwar an, dass die staatliche Schutzpflicht grundsätzlich auch darauf gerichtet ist, Menschen „vor rechtswidrigen Eingriffen von seiten anderer zu bewahren“.1227 Diese Schutzpflicht gegenüber dem Einzelnen finde jedoch seine grundrechtsimmanente Schranke in Form der gegenüber der Gesamtheit der Bürger bestehenden Schutzpflicht.1228 Daher lehnte das Bundesverfassungsgericht den Erlass der begehrten Anordnung ab: 1224

BVerfG, NJW 2006, 751 (760 Abs. 139). J. Isensee, AöR 131 (2006), 173 (193). 1226 BVerfGE 46, 160 (161); siehe auch zu dem Parallelproblem der privaten Erfüllung der terroristischen Lösegeldforderungen R. Breuer, FG zum 10jährigen Jubiläum der Gesellschaft für Rechtspolitik, 1984, 79 (91 ff.). 1227 BVerfGE 46, 160 (164). 1228 BVerfGE 46, 160 (165); vgl. G. Krings, 66. 1225

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3. Teil: Abwehr auf Grundlage des LuftSiG

„Wie die staatlichen Organe ihre Verpflichtung zu einem effektiven Schutz des Lebens erfüllen, ist von ihnen grundsätzlich in eigener Verantwortung zu entscheiden. Sie befinden darüber, welche Schutzmaßnahmen zweckdienlich und geboten sind, um einen wirksamen Lebensschutz zu gewährleisten. Ihre Freiheit in der Wahl der Mittel zum Schutz des Lebens kann sich in besonders gelagerten Fällen auch auf die Wahl eines bestimmten Mittels verengen, wenn ein effektiver Lebensschutz auf andere Weise nicht zu erreichen ist. Entgegen der durchaus verständlichen Meinung des Antragstellers ist ein solcher Fall hier jedoch nicht gegeben.“1229

Die Ausgestaltung der Schutzpflicht im konkreten Fall könne weder im Voraus normiert noch aus Art. 1 Abs. 2 Satz 1 GG direkt abgeleitet werden. Die zuständigen staatlichen Organe müssten in der Lage sein, angemessen auf den jeweiligen Einzelfall zu reagieren. Die Festlegung auf ein bestimmtes Mittel sei ausgeschlossen, da ansonsten „die Reaktion des Staates für Terroristen von vornherein kalkulierbar würde. Damit würde dem Staat der effektive Schutz seiner Bürger unmöglich gemacht. Dies stünde mit der Aufgabe, die ihm durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gestellt ist, in unaufhebbarem Widerspruch“.1230

Dabei stellte das Bundesverfassungsgericht insbesondere auch darauf ab, dass die Erfüllung der Schutzpflicht gegenüber Schleyer durch die Freilassung der Terroristen möglicherweise die Schutzpflicht des Staates für die „Gesamtheit aller Bürger“ verletzen könnte.1231 (b) Anwendung auf § 14 Abs. 3 LuftSiG Fraglich ist, ob und inwieweit die Aussagen des Bundesverfassungsgerichts im Schleyer-Urteil für die Bewertung des Verhältnisses der staatlichen Schutzpflicht zu Gunsten der bedrohten Menschen am Boden gegenüber dem Achtungsanspruch der unbeteiligten Flugzeuginsassen fruchtbar gemacht werden können. Die Auffassungen in der Literatur gehen diesbezüglich auseinander: Roellecke zieht ausdrücklich das Schleyer-Urteil heran, um den Vorrang der Schutzpflicht zu begründen. Dabei sei es unbeachtlich, dass „der Staat im Schleyer-Fall nichts getan hat, im Fall eines Angriffes aus der Luft aber handeln müsste [. . .]. Wer zum Handeln verpflichtet ist, ist für die Folgen einer Unterlassung verantwortlich. [. . .] Jedenfalls hat das Gericht den Satz, Leben dürfe nicht zu Gunsten eines anderen Lebens geopfert werden, aufgegeben und die Möglichkeit anerkannt, Leben zu verrechnen, nicht nur im Krieg, auch bei der Abwehr polizeilicher Gefahren.“1232

1229

BVerfGE 46, 160 (164 f.). BVerfGE 46, 160 (165). 1231 BVerfGE 46, 160 (165); siehe zur Abwägung der Rechtsgüter aus strafrechtlicher Sicht W. Küper, Darf sich der Staat erpressen lassen?, 104 ff. 1230

D. Grundrechtliche Probleme

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Dagegen lehnen andere den Vergleich zwischen dem Schleyer-Urteil und der Konstellation des § 14 Abs. 3 LuftSiG ab. So führen Höfling und Augsberg aus: „Diese allzu simple und unzulässige Parallelisierung verkennt, dass das damals in Frage stehende Nichteingehen auf Forderungen der Entführer – unter Inkaufnahme der tödlichen Konsequenzen – sich fundamental von der im LuftSiG geregelten Konstellation unterscheidet, die eine bewusste Tötung durch staatliche Funktionsträger vorsieht.“1233

Die Erfüllung einer Handlungspflicht durch den Staat sei zweitrangig, wenn er – wie im Fall des § 14 Abs. 3 LuftSiG – durch die Vornahme der Handlung einen höherwertigen Abwehranspruch verletzt.1234 (c) Eigene Ansicht Zunächst ist festzuhalten, dass die zweifelhafte Betonung des Lebens als „Höchstwert“ noch nichts über die zulässigen Handlungsoptionen des Staates bei einer Kollision zwischen dem Achtungsanspruch und der Schutzpflicht aussagt. Diese Frage lässt sich auch nicht unmittelbar aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG selbst beantworten. Vielmehr gilt die vom Bundesverfassungsgericht aufgestellte Pflicht des Staates, sich „schützend und fördernd vor dieses Leben zu stellen“ notwendigerweise sowohl in Bezug auf die Menschen am Boden als auch hinsichtlich der unbeteiligten Flugzeuginsassen.1235 Historisch gesehen ist zwar die Ableitung der Schutzpflichtendogmatik im Vergleich zur Funktion der Grundrechte als Abwehrrechte des Bürgers gegenüber dem Staat sekundär,1236 dies beinhaltet jedoch noch nicht zwingend das Zurücktreten der staatlichen Schutzpflicht gegenüber dem Achtungsanspruch. Auch die allgemeine Anerkennung des polizeilichen Todesschusses spricht gegen einen absoluten Vorrang des Abwehranspruches, da hier gerade der staatlichen Schutzpflicht der Vorrang gebührt.1237 Wittreck verweist auch zu Recht darauf, dass das Rangverhältnis teilweise aus der strafrechtlichen Dogmatik ab-

1232 G. Roellecke, FAZ vom 16. Februar 2005, 37; ausdrücklich dagegen B. Hirsch, FAZ vom 4. März 2005, 9, der Roelleckes Ansicht als „empörend und falsch“ zurückweist. 1233 W. Höfling/S. Augsberg, JZ 2005, 1080 (1084). 1234 B. Hirsch, KritV 2006, 3 (10); W. Höfling/S. Augsberg, JZ 2005, 1080 (1084). 1235 Vgl. W. Küper, JuS 1981, 785 (788). 1236 Vgl. zur historischen Herleitung G. Krings, 10. 1237 Beim polizeilichen Todesschuss wird der Vorrang der Schutzpflicht mit dem Argument der Gefahrverantwortlichkeit des Täters begründet. Zutreffend ist, dass die Tötung der unbeteiligten Flugzeuginsassen jedenfalls nicht über den Gesichtspunkt der Gefahrverantwortlichkeit zu rechtfertigen ist, vgl. BVerfG, NJW 2006, 751 (760 Abs. 141). Dennoch zeigt sich, dass dem Achtungsanspruch kein absoluter Vorrang zukommt.

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3. Teil: Abwehr auf Grundlage des LuftSiG

geleitet wird, die jedoch für die Grundrechtsdogmatik nicht maßgeblich sein kann.1238 Hase geht bei der Begründung des Vorranges der staatlichen Schutzpflicht methodisch nicht sauber vor, indem er darauf abstellt, dass der Staat aus tatsächlichen Gründen nicht in der Lage ist, seine Schutzpflicht für die Flugzeuginsassen zu erfüllen.1239 Es geht aber gerade nicht um eine Kollision zwischen der staatlichen Schutzpflicht zu Gunsten der Flugzeuginsassen einerseits und der Menschen am Boden andererseits, sondern um die Frage, ob der Achtungsanspruch gegenüber der staatlichen Schutzpflicht zurücktreten kann. Diesen Achtungsanspruch könnte der Staat durchaus dadurch erfüllen, dass er untätig bleibt und abwartet, bis die Flugzeuginsassen durch das Einwirken Dritter getötet werden. Der Gedanke der fehlenden Schutzmöglichkeiten für die Flugzeuginsassen kann aber zur Eingrenzung des Vorranges der staatlichen Schutzpflicht im Verhältnis zum Achtungsanspruch herangezogen werden. Höfling und Augsberg wenden sich zu Recht gegen den pauschalen Vergleich des staatlichen Unterlassens zum Schutz des Leben und der aktiven staatlichen Tötung. Es ist zutreffend, dass die Konstellation im Schleyer-Urteil in tatsächlicher Hinsicht von der Wahrnehmung der staatlichen Schutzpflicht durch die aktive Tötung von Unbeteiligten abweicht. Dennoch kann ein gewichtiger Aspekt des Schleyer-Urteils auch auf den Fall des § 14 Abs. 3 LuftSiG übertragen werden: Das Bundesverfassungsgericht fordert ausdrücklich, dass eine Festlegung des staatlichen Handelns gerade nicht vorgenommen werden darf. Vielmehr muss der Staat mehrere Optionen haben, um terroristische Angriffe abwehren zu können.1240 Die Anerkennung eines absoluten Vorrangs des Achtungsanspruches vor der Schutzpflicht hätte in der Konstellation des § 14 Abs. 3 LuftSiG zur Folge – wie es auch zum Teil vertreten wird1241 –, dass die staatlichen Reaktionsmöglichkeiten von vornherein feststehen würden, denn es würde dann aus rechtlichen Gründen keine Möglichkeit zur Gefahrenabwehr mehr geben. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu § 14 Abs. 3 LuftSiG führt damit genau zu der Konsequenz, die im Schleyer-Urteil noch vermieden werden sollte: Staatliches Handeln wird aus Sicht von nicht-staatlichen Angreifern, die ein Passagierflugzeug als Waffe missbrauchen wollen, kalkulierbar. In diesem Zusammenhang sind die Ausführungen von Isensee zur Existenz eines staatlichen Notrechts von besonderem Interesse. Er lehnt zwar ein Notrecht des Staates durch die Anwendung des § 34 StGB grundsätzlich ab, will 1238 F. Wittreck, in: Blaschke u. a. (Hg.), Sicherheit statt Freiheit?, 161 (180). Im Übrigen ist darauf hinzuweisen, dass auch in der strafrechtlichen Dogmatik die Frage des Vorrangs der Unterlassungs- gegenüber der Handlungspflicht keineswegs zweifelsfrei geklärt ist, siehe unten 5. Teil B. III. 2. b). 1239 F. Hase, DÖV 2006, 213 (218). 1240 Vgl. BVerfGE 46, 160 (165). 1241 Vgl. K. Fehn/M. Brauns, 71; F. Rettenmaier, VR 2006, 109 (113).

D. Grundrechtliche Probleme

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aber die grundrechtlichen Schutzpflichten heranziehen und beruft sich dabei auch auf das Schleyer-Urteil: „Das Bundesverfassungsgericht bahnt einem Notrecht den Weg über die grundrechtlichen Schutzpflichten. Es lässt erkennen, dass diese im Notfall den Staat zu außergewöhnlichen Maßnahmen praeter legem ermächtigen.“1242

So gesehen ist der Vorrang des Achtungsanspruches gegenüber der staatlichen Schutzpflicht gerade in Ausnahmesituationen keine Selbstverständlichkeit. Allerdings muss beachtet werden, dass eine bestehende staatliche Schutzpflicht allein noch keine Grundlage für ein grundrechtsrelevantes Handeln der Exekutive ist. Vielmehr ist es zunächst erforderlich, dass der Gesetzgeber die Schutzpflicht durch die Schaffung von gesetzlichen Ermächtigungsgrundlagen umsetzt.1243 Die Schutzpflichten können weiterhin nur innerhalb der geregelten Kompetenzordnung ausgeübt werden. (3) Regelungsspielraum des Gesetzgebers Die staatlichen Schutzpflichten richten sich in erster Linie an den Gesetzgeber,1244 der die Rechtsordnung so ausgestalten muss, dass die Exekutive die Schutzpflichten in der Praxis effektiv umsetzen kann. Dabei kommt dem Gesetzgeber grundsätzlich ein Entscheidungsspielraum zu.1245 So heißt es bei Lerche: „Eine befriedigendere Lösung kann vielleicht darin erblickt werden, dass aus dem angenommenen unmittelbaren Zusammenprall mehrerer Grundrechtssphären ein Kraftfeld entsteht, das dem Gesetzgeber einen Spielraum eröffnet, einen Spielraum zur eigenständigen Konfliktschlichtung.“1246

Es spricht daher zunächst nichts dagegen, dass durch eine gesetzliche Regelung der Wahrnehmung der staatlichen Schutzpflicht im Einzelfall der Vorrang gegenüber dem Achtungsanspruch eingeräumt wird.1247 Dabei besteht dieser gesetzgeberische Ermessensspielraum natürlich nicht unbeschränkt; er wird insbesondere durch die Verpflichtung zum Schutz der Menschenwürde und durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz begrenzt.1248 1242

J. Isensee, HdBStR, Band VII, § 162 Rdn. 97. Vgl. J. Isensee, Grundrecht auf Sicherheit, 43: „Die grundrechtlichen Schutzpflichten [. . .] heben also die formellen Voraussetzungen des rechtsstaatlichen Handelns nicht auf. Die grundrechtliche Legitimität ersetzt nicht die Legalität.“ 1244 BVerfGE 39, 1 (44); C. Burkiczak, JA 2005, 25 (27). 1245 J. Isensee, Grundrecht auf Sicherheit, 38 f.; P. Kunig, JURA 1991, 215 (419 f.); W. Küper, JuS 1981, 785 (788 Fn. 28). 1246 P. Lerche, Übermaß und Verfassungsrecht, 130. 1247 Vgl. auch Maunz/Dürig-G. Dürig, Art. 2 Abs. 2 Rdn. 13: Im Fall der Kollision von Lebensinteressen ist es Aufgabe des Staates, „Maßstäbe aufzustellen, für welches Leben es einstehen will.“ 1248 Vgl. H. Blaesing, 103. 1243

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3. Teil: Abwehr auf Grundlage des LuftSiG

Ein Beispiel, in dem der staatlichen Schutzpflicht für das Leben seiner Bürger und zugleich dem grundsätzlichen Schutz des Staates durch den verfassungsändernden Gesetzgeber der Vorrang gegenüber dem Achtungsanspruch eingeräumt wird, ist der Bereich der militärischen Landesverteidigung. Hier wird zu Recht von keiner Seite vertreten, dass der Staat sich auf eine fatalistische Position zurückziehen und seine Staatsbürger der Tötung durch Angreifer preisgeben muss, obwohl man auch hier im Sinne der Auffassung von K. Fehn und Brauns meinen könnte, dass „jeder sein – manchmal trauriges Schicksal – selbst tragen muss“.1249 Vielmehr ist die Schutzpflicht des Staates für das Leben seiner Bürger im Verhältnis zum Achtungsanspruch – auch gegenüber von nichtgefahrverantwortlichen Personen – vorrangig. Dies wird durch Art. 15 Abs. 2 EMRK und die entsprechenden Regeln des Kriegsvölkerrechts belegt, die selbst dann die Tötung von Unbeteiligten rechtfertigen, wenn diese Tötung eine sichere Folge der Abwehr von Angreifern ist. Würde man im Sinne der Ansicht Kerstens das „liberale Grundrechtsverständnis“1250 hier konsequent anwenden, müsste man zum Schluss kommen, dass der Staat das Leben seiner Bürger jedenfalls nicht unter Inkaufnahme der Tötung von Unbeteiligten verteidigen dürfte. Dies würde jedoch eine effektive militärische Landesverteidigung unmöglich machen. Insofern spricht vieles dafür, dass der Gesetzgeber einen Vorrang der staatlichen Schutzpflicht normieren darf, soweit – wie bei § 14 Abs. 3 LuftSiG – eine Bedrohung des Lebens von Teilen seiner Bevölkerung vorliegt. Ein Argument dafür, der staatlichen Schutzpflicht in der Konstellation des § 14 Abs. 3 LuftSiG den Vorrang vor dem Achtungsanspruch zukommen zu lassen, könnte weiterhin die „Todesgeweihtheit“ der Menschen sein, in deren Grundrecht auf Leben eingegriffen wird. So führt Paulke aus: „Zwingende Verhältnismäßigkeitsvoraussetzung für den Abschuss einer mit Nichtstörern besetzten Maschine ist somit die Existenz der beschriebenen Ultima-RatioSituation. Es muss mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit feststehen, dass der Tod Unschuldiger auch ohne hoheitliches Eingreifen einträte.“1251

Allerdings bleibt bei dieser Auffassung unberücksichtigt, dass der Tod eines Menschen ohnehin immer auch ohne hoheitliches Eingreifen eintreten wird. Auch wenn Paulke meint, eine Abwägung der Lebensdauer liege nicht vor, da „es für die Passagiere definitiv keine Rettungsmöglichkeit mehr gibt“,1252 übersieht sie, dass die Rettung im Bereich des Grundrechts auf Leben sich immer als eine Lebenszeitverlängerung äußert und so eine Rettung in diesem Sinne

1249 1250 1251 1252

K. Fehn/M. Brauns, 71. Vgl. J. Kersten, NVwZ 2005, 661 (662). K. Paulke, 277. K. Paulke, 277.

D. Grundrechtliche Probleme

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durch ein Unterlassen des Abschusses zumindest theoretisch für einen gewissen Zeitraum noch möglich ist.1253 Es erscheint jedoch denkbar, dass der Gesetzgeber diese „Rettungsmöglichkeit“ durch das Untätigbleiben und damit den Achtungsanspruch der Flugzeuginsassen als weniger gewichtig als die staatliche Schutzpflicht gegenüber den bedrohten Menschen am Boden bewerten darf. Die Gleichwertigkeit des menschlichen Lebens wird dadurch – ähnlich wie bei der unterschiedlichen Gewichtung der Schutzpflichten im Bereich des ungeborenen Lebens – nicht grundsätzlich in Frage gestellt, denn es geht hier nicht um eine qualitative Bewertung des Lebensrestes, sondern allein um die Entscheidung über die Wertigkeit der staatlichen Schutzpflicht. Dabei darf auch nicht übersehen werden, dass die Betonung des absoluten Lebensschutzes auch des moribunden Lebens ihre Rechtfertigung vor allem in der grundsätzlichen Aufrechterhaltung des Tötungsverbotes findet1254 und daher weniger durch den Rechtsgüterschutz selbst zu erklären ist. In eine ähnliche Richtung gehen die Aussagen Bernsmanns, der aus einer strafrechtlichen Sicht die verfassungsrechtlichen Aspekte der Straflosigkeit in den Fällen der Tötung von Menschen innerhalb einer Gefahrengemeinschaft1255 untersucht hat: „Für den Fall der Lebens-Gefahrengemeinschaft erscheint jedenfalls die Erfüllung der Achtungspflicht,1256 die allein die (längerfristige) Möglichkeit zur Grundrechts(be)wahrung eröffnet, eindeutig als vorrangig; die höhere ,Wertigkeit‘ ergibt sich schon aus der materiellen Funktionslosigkeit eines per Strafdrohung bestenfalls kurzfristig zu gewährleistenden Lebensschutzes.“1257

Dabei meint Bernsmann, aus der Strafbarkeit der aktiven Sterbehilfe – bei der nur eine „höchst kurze Lebensspanne“ genommen werde – könne sich nichts anderes ergeben, denn in der Situation der Gefahrengemeinschaft enthalte die Strafdrohung eine „widersprüchliche Botschaft von zweifelhaftem Wert“:1258 1253 Paulke ist zuzustimmen, dass die Opferzahl sich nicht erhöht. Die Opferbelastung ist bei einem Abschuss jedoch für die unbeteiligten Flugzeuginsassen höher, als wenn der Staat untätig bleiben würde, da ihr Leben – sei es nur um einen Augenblick – verkürzt wird. 1254 Vgl. F.-B. Delonge, 118 ff. Im Übrigen ist bereits an dieser Stelle darauf hinzuweisen, dass die Rechtsprechung eine Bewertung des menschlichen Lebens nach seiner Lebenszeit durchaus vornimmt, siehe dazu unten 5. Teil B. V. 3. a). 1255 Zur Beurteilung der Tötung innerhalb einer Gefahrengemeinschaft siehe ausführlich unten 5. Teil B. III. 3. 1256 Zu beachten ist, dass Bernsmann den Begriff Achtungspflicht als Pflicht des Staates versteht, nicht durch das Strafrecht „übermäßig“ in die Rechte des vital bedrohten Notstandstäters einzugreifen. Als Schutzpflicht bezeichnet Bernsmann dagegen, die staatliche Pflicht das Leben des (potentiellen) Notstandsopfers so weit wie möglich zu schützen, vgl. K. Bernsmann, „Entschuldigung“ durch Notstand, 303. 1257 K. Bernsmann, „Entschuldigung“ durch Notstand, 320.

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3. Teil: Abwehr auf Grundlage des LuftSiG

„Damit bleibt festzuhalten, dass die Achtung von Lebenschancen straf- und verfassungsrechtlich als höherwertig zu gelten hat als der allenfalls symbolische Schutz des gleichen Rechtsgutes. Mit der dahinter stehenden Abwägung wird nicht Leben gegen Leben in eine quantifizierende Rechnung gestellt, sondern betont, dass die Pflicht des Staates, sich lebensvernichtender ,Eingriffe‘ zu enthalten, vorrangig dann Beachtung erheischt, wenn die konkurrierende Pflicht, Leben zu erhalten, nur als konkret überhaupt nicht realisierbares Programm verfolgt werden könnte.“1259

Bernsmann bezieht seine Aussagen lediglich darauf, dass der Staat in bestimmten Situationen darauf verzichten dürfe, die Schutzpflicht für das Opfer des Notstandstäters mit Mitteln des Strafrechts durchzusetzen und daher die Möglichkeit vorsehen dürfe, den Notstandstäter zu rechtfertigen oder zumindest zu entschuldigen. Dagegen geht die Schaffung einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage für Eingriffe des Staates – wie sie in § 14 Abs. 3 LuftSiG vorgesehen war – sehr viel weiter als die Straffreistellung, bei der auch berücksichtigt werden kann, dass die Vorwerfbarkeit einer notstandsbedingten Tötung im Fall einer Gefahrengemeinschaft deutlich geringer zu bewerten ist als bei einer „normalen“ Tötungshandlung. Bernsmanns Gedanken zur Straffreistellung des Notstandstäters können aus folgenden Gründen aber auch auf die Rechtfertigung von Eingriffen durch staatliches Handeln übertragen werden. Falls der Staat durch Zwänge, die er nicht selbst herbeigeführt hat, nicht in der Lage ist, seine Schutzpflichten effektiv zu erfüllen, so kann auch ein staatliches Handeln gerechtfertigt sein, „das ,näher‘ an das grundgesetzliche Ziel heranführt“.1260 Die Abwägung des Gesetzgebers zwischen der staatlichen Schutzpflicht und dem Achtungsanspruch stellt dabei keine Antastung der Gleichwertigkeit des menschlichen Lebens dar, denn der Grund für die Anerkennung des Vorranges der staatlichen Schutzpflicht beruht nicht auf Überlegungen, die auf einer grundsätzlichen geringeren Wertigkeit des Lebens der unbeteiligten Flugzeuginsassen beruhen. Es geht allein darum, dass der Gesetzgeber der „Rettungsmöglichkeit“ in Form der Lebenszeitverlängerung durch das Unterlassen von staatlichen Eingriffen ein geringeres Gewicht zumessen darf, als einer dauerhaften Überlebensmöglichkeit. Wie oben ausgeführt worden ist,1261 lassen sich staatliche Eingriffe in das Leben von Unbeteiligten auf einer theoretischen Ebene durchaus rechtfertigen, wenn der Achtungsanspruch materiell funktionslos wird. Wegen des Demokratieprinzips muss es dem Gesetzgeber möglich sein, diese theoretischen Argumente aufzugreifen und auf die Anwendung in der Praxis zu übertragen, soweit keine grundsätzlichen Einwände entgegenstehen, auf die im Folgenden eingegangen wird. 1258 1259 1260 1261

K. Bernsmann, „Entschuldigung“ durch Notstand, 320. K. Bernsmann, „Entschuldigung“ durch Notstand, 321. J. Isensee, HdBStR, Band VII, § 162 Rdn. 97. Siehe oben 3. Teil D. II. 2.

D. Grundrechtliche Probleme

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(4) „Dammbruch“-Argumente Vielfach werden gegen die Anerkennung des Vorranges der staatlichen Schutzpflicht im Verhältnis zu dem Achtungsanspruch so genannte Dammbruch-Argumente vorgetragen. Die Vertreter des Standpunktes des Vorranges des Achtungsanspruches argumentieren vor allem mit dem Problem einer Eingrenzung der Eingriffsmöglichkeiten gegenüber einer bestimmten Personengruppe oder eines einzelnen Menschen zu Gunsten des Lebens von anderen Menschen. Dieses Argument wird auch in der strafrechtlichen Literatur vielfach aufgegriffen.1262 Offensichtlich bereitet der Gedanke Unbehagen, dass nach der Bejahung des Vorranges der Schutzpflicht zum Beispiel moribunde Patienten als Organspender zur Erhaltung des Lebens anderer Menschen missbraucht werden könnten.1263 Und würde der Vorrang der staatlichen Schutzpflicht nicht auch dazu führen, dass zum Beispiel ein Polizist einen unbeteiligten Dritten „benutzen“ darf (oder sogar muss), um eine Grundschulklasse vor dem Tod zu bewahren?1264 Angesichts dieser (scheinbaren) Konsequenzen der Anerkennung des Vorranges der staatlichen Schutzpflicht im Fall des § 14 Abs. 3 LuftSiG ist in der Tat ein Unbehagen nicht zu leugnen. Dieses Unbehagen sollte jedoch nicht dazu führen, den Vorrang der staatlichen Schutzpflicht mit dem Hinweis auf konstruierte Ausnahmefälle grundsätzlich abzulehnen. Vielmehr muss es darum gehen, eine rechtliche Eingrenzung des Vorranges der Schutzpflicht vorzunehmen. Eine Grenze ist dort zu ziehen, wo der Staat gegenüber der Personengruppe, in deren Achtungsanspruch eingegriffen werden soll, seine Schutzpflicht für das Leben nachhaltig erfüllen kann und durch die Berührung des Achtungsanspruches eine neuartige Gefahr für das Leben der Personen schaffen würde. In diesen Fällen hat der Achtungsanspruch Vorrang, da ansonsten staatliche Eingriffe in das Leben von beliebigen Dritten zulässig wären. In der Konstellation des § 14 Abs. 3 LuftSiG geht es also vor allem um den Aspekt, dass die Gefahr nur durch die Inkaufnahme der Tötung der unbeteiligten Flugzeuginsassen, die mit der Gefahrensituation bereits untrennbar verbunden sind, abgewendet werden kann. Der Staat greift jedoch nicht zu Lasten von Personen ein, die wie der

1262

Siehe dazu unten 5. Teil B. III. 3. b) bb) (2). Vgl. K. Fehn/M. Brauns, 71. 1264 Vgl. den Beispielsfall bei D. Birnbacher, 222: „A sieht, wie sich an einer engen und abschüssigen Stelle ein führerloses schweres Baustellenfahrzeug aus seiner Blockierung löst und eine Gruppe ahnungsloser Kinder zu überrollen droht. Es besteht keine Möglichkeit zum Ausweichen. Die einzige Chance, die Maschine zum Halten zu bringen, besteht für A darin, den zufällig in der Nähe stehenden ,dicken Mann‘ B mit aller Kraft vor die Maschine zu werfen. Er muss davon ausgehen, dass B dabei verletzt, wenn nicht sogar getötet wird, gleichzeitig dadurch eine Vielzahl von Kindern vor Verletzungen oder Tod gerettet wird.“ 1263

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3. Teil: Abwehr auf Grundlage des LuftSiG

„dicke Mann“ in Birnbachs Beispiel in keiner Weise von der Gefahr betroffen sind. Die „Dammbruch“-Argumentation lässt sich auch durch die Verneinung eines Menschenwürdeverstoßes durch § 14 Abs. 3 LuftSiG entkräften. Wie oben ausgeführt, liegt eine Verletzung der Menschenwürde nicht vor, da die Tötung der Unbeteiligten nicht auf einem zielgerichteten Handeln des Staates beruht, sondern lediglich Folge der Gefahrenabwehr ist.1265 Anders ist dies jedoch bei dem Organentnahmefall, bei dem die Tötung zumindest ein Zwischenziel darstellt und damit zielgerichtet stattfindet. Im Ergebnis ist daher durch die beschriebene Anerkennung des Vorranges der staatlichen Schutzpflicht im Fall des § 14 Abs. 3 LuftSiG kein „Dammbruch“ im Bereich des menschlichen Lebensschutzes zu befürchten. (5) Prognoseunsicherheiten Zu Recht rügt das Bundesverfassungsgericht grundsätzlich die zu erwartenden Prognoseunsicherheiten. Diese Unsicherheiten können auf zwei verschiedenen Ebenen bestehen: Zunächst könnte – wie bei dem Luftzwischenfall am 11. September 19721266 – fälschlicherweise angenommen werden, dass eine Entführung eines Luftfahrzeuges vorliegt. Zum anderen ist zu befürchten, dass selbst für den Fall, dass eine Flugzeugentführung zweifelsfrei festgestellt werden kann, Unsicherheiten bezüglich der Absichten der Entführer bestehen bleiben können. Jedoch darf nicht unberücksichtigt bleiben, dass jegliches zukunftsgerichtetes menschliches Handeln mit Unsicherheiten behaftet ist. Dies gilt umso mehr im Bereich der Gefahrenabwehr, denn bereits der Begriff „Gefahr“ enthält im Wesentlichen Zukunftselemente. Richtig ist, dass für die Rechtfertigung der Tötung von Unbeteiligten ein besonders hoher Wahrscheinlichkeitsgrad des Missbrauches eines Luftfahrzeuges als Waffe vorliegen muss. Hier ist es zunächst erforderlich, die technischen und praktischen Unzulänglichkeiten bei der Feststellung und Bewertung von erheblichen Luftzwischenfällen abzustellen,1267 um den Entscheidungsträgern eine möglichst vollständige Information über den Sachverhalt zu ermöglichen. Daneben scheint es aber auch ratsam, den ultima-ratio-Charakter einer Abschussermächtigung deutlicher hervortreten zu lassen. Re. Merkel bezeichnet die Formulierung des § 14 Abs. 3 LuftSiG insoweit zu Recht als „nebelhafte Formel“.1268 Daher ist in Übereinstimmung mit U. Neumann § 14 Abs. 3 LuftSiG verfassungskonform einschränkend auszulegen. Es ist erforderlich, dass 1265 1266 1267

Siehe oben 3. Teil D. II. 6. e). Siehe oben 2. Teil B. IX. 2. Vgl. BVerfG, NJW 2006, 751 (758 Abs. 128).

D. Grundrechtliche Probleme

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„mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit a) das Flugzeug gegen Menschenleben eingesetzt werden soll, b) die Flugzeuginsassen bei dieser Aktion gleichfalls ums Leben kommen würden und c) das Unterbleiben der ,Rettungshandlung‘ für die Flugzeuginsassen nur eine ganz geringfügige Lebensverlängerung bedeuten würde“.1269

Der Staat ist verpflichtet, den Sachverhalt weitestgehend aufzuklären und bis zur letzten Möglichkeit einer effektiven Gefahrenabwehr zu warten. Das Argument, es bestünden Prognoseunsicherheiten und ein drohender Absturz könnte – etwa durch das Eingreifen der Passagiere – abgewendet werden, ist nicht ausschlaggebend. Auch in sonstigen Situationen sieht die Rechtsordnung den „glücklichen Zufall“ nicht als erheblich an.1270 e) Wesensgehaltsgarantie Neben dem allgemeinen Verhältnismäßigkeitsgrundsatz tritt die Wesensgehaltsgarantie gemäß Art. 19 Abs. 2 GG. Es wäre denkbar, die Tötung der unbeteiligten Flugzeuginsassen als Verstoß gegen die Wesensgehaltsgarantie zu verstehen, da durch die Tötung faktisch nichts mehr vom Grundrecht auf Leben übrig bleibt. Über die Bedeutung der Wesensgehaltsgarantie besteht ein grundlegender Streit zwischen einer relativen und einer absoluten Lesart.1271 Vor allem die Rechtsprechung versteht Art. 19 Abs. 2 GG überwiegend als Abwägungsvorbehalt dahingehend, dass die Wesensgehaltsgarantie gewahrt bleibt, soweit dem Grundrecht, in das eingegriffen wird, im Einzelfall „das geringere Gewicht [. . .] beizumessen ist“1272 und folgt damit der Theorie vom relativen Wesensgehalt.1273 Dagegen betonen andere den Absolutheitsanspruch des Art. 19 Abs. 2 GG mit dem Hinweis auf den Wortlaut, dass der Wesensgehalt eines Grundrechtes „in keinem Falle“ angetastet werden dürfe.1274 Gerade im Bereich des Grundrechts auf Leben kann die absolute Lesart nicht überzeugen, da ansonsten der Gesetzesvorbehalt des Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG leer laufen würde.1275 Allerdings würde es der Funktion des Art. 19 Abs. 2 GG, 1268

Re. Merkel, Die Zeit vom 8. Juli 2004, 33 (34). NK-U. Neumann, § 34 Rdn. 77. 1270 G. Jerouschek, FS H.-L. Schreiber 2003, 185 (194); ähnlich auch J. Isensee, AöR 131 (2006), 173 (192 Fn. 103); H. Otto, JURA 2005, 470 (477). 1271 Vgl. zu diesem Streit M. Hochhuth, Relativitätstheorie, 150 ff. 1272 BVerwGE 47, 330 (358); ähnlich BGHSt 4, 375 (376 f.); BGH, DÖV 1955, 729 ff. 1273 Aus der Literatur statt vieler Maunz/Dürig-T. Maunz, Art. 19 Abs. 2 Rdn. 16 f. 1274 H. Krüger, DÖV 1955, 597 (599). 1275 v. Münch/Kunig-P. Kunig, Art. 2 Rdn. 85; B. Pieroth/B. Schlink, Rdn. 304; K. Odendahl, Die Verwaltung 38 (2005), 425 (448). Etwas anderes könnte nur dann gel1269

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3. Teil: Abwehr auf Grundlage des LuftSiG

die Grundrechte vor „Aushöhlung“ zu schützen,1276 widersprechen, wenn die Wesensgehaltsgarantie nichts weiter als eine weitere Form der Verhältnismäßigkeitsprüfung darstellen würde, die sich schon aus dem Rechtsstaatsprinzip ergibt. Um die Aporie der Fälle aufzulösen, in denen der Staat den Wesensgehalt eines Grundrechts antasten „muss“,1277 ist die Wesensgehaltsgarantie in Bezug auf Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG nicht individualistisch zu sehen. Vielmehr erlangt Art. 19 Abs. 2 GG hier eine kollektive und generelle Funktion,1278 die nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts garantiert, dass trotz möglicher Einschränkungen auf Grund des Gesetzesvorbehaltes das Grundrecht auf Leben für das soziale Leben als Ganzes noch eine Bedeutung hat.1279 Demnach soll ein Verstoß gegen die Wesensgehaltsgarantie zum Beispiel dann vorliegen, wenn die Tötung gleichzeitig eine Menschenwürdeverletzung darstellt.1280 Dementsprechend bejahen die Befürworter eines Verstoßes gegen Art. 1 Abs. 1 GG durch § 14 Abs. 3 LuftSiG auch einen Verstoß gegen Art. 19 Abs. 2 GG.1281 Odendahl meint dagegen zu Recht, dass die Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG erst verletzt ist, wenn der bewussten Tötung „Tür und Tor geöffnet“ werden würde.1282 Dies wäre zum Beispiel dann der Fall, wenn das LuftSiG den Abschuss jedes Luftfahrzeuges, das von seiner Flugroute abweicht oder sich sonst verdächtig verhält, als Vorsichtsmaßnahme erlauben würde. Dagegen verletzt eine Tötung als letztes Mittel zur Gefahrenabwehr nach § 14 Abs. 3 LuftSiG nicht die Wesensgehaltsgarantie des Art. 19 Abs. 2 GG.1283 Weiterhin liegt nach der hier vertretenen Meinung auch keine Verletzung der Menschenwürde vor, so dass auch insoweit kein Verstoß gegen Art. 19 Abs. 2 GG gegeben ist.

ten, wenn Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG wegen Art. 19 Abs. 2 GG „verfassungswidriges Verfassungsrecht“ darstellen würde. Dies wird – soweit ersichtlich – jedoch von niemandem vertreten. 1276 v. Mangoldt/Klein/Starck-P. M. Huber, Art. 19 Abs. 2 Rdn. 113. 1277 Vgl. M. Hochhuth, Relativitätstheorie, 159 f., der als Beispiel die lebenslange Freiheitsstrafe nennt. 1278 M. Ch. Jakobs, DVBl. 2006, 83 (85). 1279 BVerfGE 2, 266 (285); zustimmend D. Merten, FS Doehring, 1989, 579 (602 m.w. N.). 1280 K. Paulke, 301; B. Hirsch, KritV 2006, 3 (11). 1281 B. Pieroth/B. J. Hartmann, JURA 2005, 729 (731). 1282 K. Odendahl, Die Verwaltung 38 (2005), 425 (448); U. Sittard/M. Ulbrich, JuS 2005, 432 (435). 1283 So auch K. Odendahl, Die Verwaltung 38 (2005), 425 (448).

D. Grundrechtliche Probleme

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4. Ergebnis Der Eingriff in das Grundrecht auf Leben der Unbeteiligten durch die gesetzliche Regelung des § 14 Abs. 3 LuftSiG ist gerechtfertigt, da der Gesetzgeber sich im Einzelfall für die Wahrnehmung der staatlichen Schutzpflicht zu Lasten des Achtungsanspruches entscheiden darf. Für die Beurteilung der Anwendung von § 14 Abs. 3 LuftSiG in der Praxis sind die Verhältnisse der konkreten Sachlage maßgebend. Dabei wird es vor allem auf die Aufklärung der tatsächlichen Gegebenheiten ankommen. Paulke meint zutreffend, dass eine Abschussentscheidung niemals auf „Pauschalurteilen“ basieren darf.1284

IV. Sinnhaftigkeit beziehungsweise Möglichkeit einer Regelung Nachdem die juristischen Aspekte beleuchtet worden sind, wird kurz auf die rechtspolitische Frage eingegangen, ob eine Tötung von Unbeteiligten überhaupt geregelt werden sollte. 1. Meinungsstand Überwiegend wird in der Literatur vertreten, dass staatliche Maßnahmen zur Gefahrenabwehr in Situationen, wie sie § 14 Abs. 3 LuftSiG im Blick hat, nicht gesetzlich geregelt werden sollten: Hartleb ist der Auffassung, dass eine Norm, die eine Aufopferungspflicht des Einzelnen im Falle einer Gefährdung des Gemeinwesens regelt, „kaum vorstellbar“ ist. Bei der näheren Konkretisierung einer solchen Gefahr blieben zu viele Fragen offen: So sei es zweifelhaft, jede terroristische Bedrohung als staatsgefährdend zu bewerten.1285 Als Konsequenz verweist Hartleb auf die „gängigen strafrechtlichen Kriterien“ des übergesetzlichen Notstandes. Diese Lösung sei der einzige Weg in einer Rechtsordnung, „die eine ausweglose ethisch-rechtliche Grenzsituation in Friedenszeiten nicht der ,Rechtslogik des Krieges‘ überantworten will“.1286 Schlink argumentiert, eine Regelung wie § 14 Abs. 3 LuftSiG könne den Handelnden, also den Piloten der Luftwaffe und ihren Vorgesetzten, die Verantwortung für ihr Tun nicht abnehmen. Vielmehr werde das Gewissen eines Sol1284

K. Paulke, 284. T. Hartleb, NJW 2005, 1397 (1401). 1286 T. Hartleb, NJW 2005, 1397 (1401), unter Verweis auf B. Schlink, Der Spiegel vom 17. Januar 2005, 34 (36). 1285

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3. Teil: Abwehr auf Grundlage des LuftSiG

daten, der unschuldige Menschen tötet, unabhängig davon gleich stark belastet, ob er auf Grundlage eines Befehls des Bundesministers der Verteidigung und einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage handelt oder nicht: „Wer meint, dass ein Gesetz und ein Befehl den Konflikt, die Entscheidung und die Qual des Gewissens ersparen könnten, denkt vom Menschen dann doch zu gering.“1287

Die Problematik der strafrechtlichen Verantwortung der Piloten und der Befehlsgeber will Schlink über die Hoffnung auf eine milde Bestrafung oder auf eine Begnadigung durch den Bundespräsidenten lösen.1288 Teilweise findet sich die Aussage, der Gesetzgeber müsse auf eine gesetzliche Regelung verzichten und die Entscheidung über die Tötung von Unbeteiligten in einem rechtsfreien Raum belassen. So meint Hilgendorf: „Das Recht regelt stets nur die gesellschaftliche Normallage. Den extremen Ausnahmefall kann und muss das Recht nicht regeln. Im Extremfall können Entscheidungen notwendig sein, die mit den Regeln der Normallage nicht vereinbar sind. Werden die Extremfälle verrechtlicht, so kann die ganze Rechtsordnung Schaden nehmen, weil im Extremfall möglicherweise Grundwerte und Grundprinzipien angetastet werden müssen, die in der Normallage als unverfügbar gelten.“1289

Fritze anerkennt eine moralische Legitimation der Tötung von Unbeteiligten in besonderen Fällen. Eine gesetzliche Regelung lehnt er jedoch ab, da ansonsten den Unbeteiligten eine entsprechende Duldungspflicht auferlegt werden würde und sie damit das Recht verlieren würden, etwas zur Rettung ihres Lebens zu unternehmen. Der Staat würde dadurch „selbst die wechselseitige Vereinbarung aller Bürger untereinander kündigen, von deren Einhaltung seine Gesetzgebungs- und Sanktionskompetenz allein herrührt“.1290 Höfling und Augsberg befürchten, dass durch die Regelung des § 14 Abs. 3 LuftSiG ein „Argumentationsnotstand“ für den Fall droht, dass der Staat eine Lebensbedrohung nur durch Folter abwenden kann. Eine gesetzliche Kodifizierung könnte zu „Wechselwirkungen“ führen, die sich auch auf andere Rechtsprobleme ausweiten würden, und sei daher abzulehnen:1291 1287 B. Schlink, Der Spiegel vom 17. Januar 2005, 34 (36); siehe auch I. Krampen, NJW 2006, Heft 14, III. 1288 B. Schlink, Der Spiegel vom 17. Januar 2005, 34 (36); ähnlich auch O. Lepsius, FG B. Hirsch, 2006, 47 (71). Der Verweis auf den Gnadenweg ist nicht nur eine Zumutung für die Soldaten, sondern auch ein Rückschritt in die Zeit der Geltung des preußischen Strafgesetzbuches, das im Falle des Notstandes lediglich ein Gnadenrecht der Krone vorsah, vgl. T. Goltdammer, 374. 1289 E. Hilgendorf, in: Blaschke u. a. (Hg.), Sicherheit statt Freiheit?, 107 (130); ähnlich auch J. F. Lindner, DÖV 2006, 577 (587 f.). 1290 L. Fritze, Tötung Unschuldiger, 191. 1291 W. Höfling/S. Augsberg, JZ 2005, 1080 (1088); ähnlich argumentiert auch W. Hecker, KJ 2006, 179 (192 f.), der zu Unrecht das gesamte LuftSiG wegen der Rege-

D. Grundrechtliche Probleme

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„Wer an dieser Stelle bereit ist, von anerkannten und in langen historischen Entwicklungsprozessen erstrittenen Grundprinzipien abzuweichen, riskiert die Übertragung der einmal akzeptierten Norm- und Wertverstöße auch auf andere, quantitativ oder kategorial sich unterscheidende Bereiche. Hier kann, hier darf man nicht weitergehen. Schon der erste Schritt führt in vermintes Terrain.“1292

Lepsius kritisiert, dass das LuftSiG „eine rechtliche Beherrschbarkeit der Entscheidungssituation [suggeriert], die im Tatsächlichen nicht gegeben sein wird“.1293 Dem Bundesminister der Verteidigung komme ein eigenständiger politischer Entscheidungsspielraum zu, daher bedürfe es keiner „Verrechtlichung von Ausnahmefällen auf der Ebene des Regierungshandelns“.1294 Durch den Verzicht auf eine Normierung von Ausnahmefällen entstehe auch keine Rechtsunsicherheit; diese ergebe sich vielmehr durch Regelungen wie § 14 Abs. 3 LuftSiG, die „nicht typisierbare Ausnahmesituationen einem generell-abstrakten Regelwerk zu unterwerfen versuch[en]“. Vereinzelt findet sich jedoch auch eine gegenteilige Argumentation. So meint Dietlein, eine Aufopferungspflicht des Bürgers für den Extremfall könne und müsse gesetzlich geregelt werden. Allerdings seien in diesen Fällen hohe Anforderungen an die inhaltliche Präzisierung der jeweiligen Norm zu stellen: „Nicht zuletzt dürfte sich schließlich aus den objektiven Grundrechtsgehalten auch des Art. 2 Abs. 2 GG eine Pflicht des Gesetzgebers ergeben, die erforderlichen Organisations- und Verfahrensgewährleistungen zur Verfügung zu stellen, um einen grundrechtsschonenden Einsatz des eingriffsintensiven Zugriffsinstrumentariums zu gewährleisten.“1295

2. Stellungnahme Zuerst ist festzustellen, dass die Tatsache, dass § 14 Abs. 3 LuftSiG lediglich einen kleinen Teilbereich des Gefahrenabwehrrechts abdeckt und in der Praxis wohl (glücklicherweise) nur einen geringen Anwendungsbereich haben wird, kein überzeugendes Argument gegen die Kodifizierung ist. Vielmehr muss es dem demokratisch legitimierten Gesetzgeber überlassen bleiben, welche Materie er für regelungsbedürftig hält. Dabei ist es ihm auch nicht verwehrt, Regelungen zu treffen, die wegen ihres ultima-ratio-Charakters in der Praxis nur eine geringe oder sogar überhaupt keine Rolle spielen werden.

lung des § 14 Abs. 3 LuftSiG als „Ergebnis einer bislang beispielslosen rechtspolitischen Verirrung des Bundesgesetzgebers“ diffamiert. 1292 W. Höfling/S. Augsberg, JZ 2005, 1080 (1088). 1293 O. Lepsius, FG B. Hirsch, 2006, 47 (69). 1294 O. Lepsius, FG B. Hirsch, 2006, 47 (71). 1295 J. Dietlein, XI. Dietlein ist der Auffassung, dass § 14 Abs. 3 LuftSiG diesen hohen Anforderungen nicht genügte.

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3. Teil: Abwehr auf Grundlage des LuftSiG

Das Erfordernis einer gesetzlichen Regelung kann auch nicht mit dem Hinweis auf die besondere Ausnahmekonstellation oder eine besondere Tragik der Entscheidung abgelehnt werden. Ein Rechtssystem, das nur Normen für den Normalfall anbietet und vor einer Bewertung schwieriger Fallgestaltungen – aus welchen Gründen auch immer – zurückscheut, verfehlt seinen Sinn, gerade konfliktträchtige Sachverhalte einer rechtlichen Lösung zuzuführen. Es besteht die Gefahr, dass die Rechtsfigur des rechtsfreien Raums als „Alibi“ vorgeschoben wird, damit sich der Gesetzgeber einer eindeutigen Entscheidung entziehen kann.1296 Zu Recht meint Lüderssen daher, dass es merkwürdig wäre, „wenn das Recht gerade dort, wo elementare Fragen von ,Staat und Tod‘ [. . .] anstehen, einen Regelungsverzicht leisten, sich also vorhalten müsste, dass es offenbar nur für die Lösung von Durchschnittsproblemen geeignet ist. Außerdem wäre die bewusste Entscheidung für Nichtregelung einigermaßen paradox. Das Verbot der Abwägung zuungunsten der unschuldig in den Konflikt geratenen Personen soll bestehenbleiben; es sollen auch keine Ausnahmen zugelassen werden, und doch will man schon jetzt wissen, dass im Ernstfall das Verbot übertreten wird.“1297

Zutreffend hat H. J. Hirsch aus strafrechtlicher Sicht darauf hingewiesen, dass das Abstellen auf eine „freie Gewissensentscheidung“ oder eine „eigenverantwortliche Entscheidung“ in Fällen, in denen es um die Eingriffe in fremde Rechtsgüter geht, höchst zweifelhaft ist.1298 Dies muss wegen des Gesetzlichkeitsprinzips und der Wesentlichkeitstheorie erst recht im öffentlichen Recht gelten.1299 Es ist widersprüchlich, dass einerseits relativ unerheblich Eingriffe in das Recht auf informationelle Selbstbestimmung detailliert geregelt werden müssen1300 und andererseits gefordert wird, dass die Tötung von Unbeteiligten, die einen ungleich intensiveren Grundrechtseingriff darstellt, nicht normiert werden soll. Weiterhin muss betont werden, dass die handelnden Soldaten einen Anspruch auf Rechtssicherheit haben.1301 Die Aussage, die Soldaten müssten im Extremfall ihrem eigenen Gewissen gehorchen,1302 geht am Problem vorbei. Der Anspruch auf Rechtssicherheit darf auch nicht durch einen Verweis auf eine mögliche Entschuldigung der Luftwaffensoldaten, die ein Luftfahrzeug in Ausführung eines Befehls abschießen, negiert werden. Weiterhin ist entgegen der Auffas-

1296

Vgl. H. J. Hirsch, FS Bockelmann, 1979, 89 (115). K. Lüderssen, FAZ vom 18. Januar 2005, 37. 1298 H. J. Hirsch, FS Bockelmann, 1979, 89 (114). 1299 Siehe auch zum Streit um die Regelung des finalen Todesschusses H. Lisken, DRiZ 1989, 401 f. 1300 Vgl. BVerfGE 65, 1 (44 ff.). 1301 G. Robbers, Anhörung, 43; M. Fischer JZ 2004, 376 (383); M. Ladiges, Speyerer Arbeitshefte Nr. 159 (2004), 161 (197). 1302 So H. Prantl, Jahrbuch Menschenrechte 2006, 88 (92); ähnlich O. Lepsius, FG B. Hirsch, 2006, 47 (70 f.). 1297

D. Grundrechtliche Probleme

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sung Schlinks davon auszugehen, dass den Soldaten durch eine gesetzliche Regelung der persönliche Gewissenskonflikt zumindest erleichtert wird,1303 da sie dann wissen, dass eine parlamentarische Mehrheit ihr Vorgehen billigt. Abzulehnen ist auch Lepsius’ Auffassung, der unter Hinweis auf eine Entschuldigungslösung meint, dass in der Konstellation des § 14 Abs. 3 LuftSiG überhaupt keine Rechtsunsicherheit gegeben ist,1304 denn durch eine nähere Untersuchung der strafrechtlichen Entschuldigung – die Lepsius keineswegs vornimmt – wird deutlich, dass die Entschuldigungslösung auf tönernden Füßen steht.1305 Im Übrigen ist es widersprüchlich, einerseits auf den „politischen Ausweg“ des Gnadenrechts zu verweisen1306 und andererseits von Rechtssicherheit für die Befehlsgeber und ausführenden Soldaten auszugehen. Letztlich können auch die Befürchtungen von Höfling und Augsberg nicht überzeugen. Art. 15 Abs. 2 EMRK, der die Tötung von Unbeteiligten vorsieht, existiert seit über 50 Jahren als Bundesrecht, ohne dass die befürchteten „Wechselwirkungen“ eingetreten wären. Zudem zeigen das Kriegsvölkerrecht und auch Art. 15 Abs. 2 EMRK, dass einerseits die Rechtfertigung der Tötung von Unbeteiligten in bestimmten Situationen und andererseits das Folterverbot durchaus nebeneinander Geltung beanspruchen können.1307 Vielmehr birgt gerade die Konstruktion eines „rechtsfreien Raums“ oder die Berufung auf überpositive Notrechte die Gefahr einer Abschwächung des Rechtsstaates in sich, da der Staat faktisch dazu gezwungen wird, an den Grenzen der Illegalität zu handeln.1308 Durch die rechtliche Normierung hat die Legislative die Möglichkeit, das Handeln der Exekutive in rechtliche Bahnen zu lenken und so zu verhindern, dass sich Räume entwickeln, die sich einer parlamentarischen Verantwortung entziehen.1309 Zwar ist Lepsius zuzustimmen, dass es Bereiche des Regierungshandelns gibt, die wegen ihrer politischen Natur nur

1303

Ebenso G. Laschewski, 137; ähnlich auch J. Ipsen, Anhörung, 41. O. Lepsius, FG B. Hirsch, 2006, 47 (71). 1305 Siehe unten 6. Teil. 1306 So O. Lepsius, FG B. Hirsch, 2006, 47 (71). 1307 So kann zum Beispiel das Verbot der Folter gemäß Art. 3 EMRK nach Art. 15 Abs. 2 EMRK auch im Notstand nicht angetastet werden, während das Recht auf Leben diesen absoluten Schutz nicht genießt. 1308 W.-R. Schenke, NJW 2006, 737 (739). 1309 Vgl. A. Arndt am 30. Juni 1955 im Hessischen Rundfunk, zitiert nach H. Oberreuter, 201 Fn. 78: „Wo jedoch eine Notstandsverfassung fehlt, oder wo sich eine Regelung der Notstandsbefugnisse als unzureichend erweist, da bricht das Fürchterlichste Bahn, was einem Rechtsstaat widerfahren kann: [. . .] das hemmungslose Unrecht [. . .]. Mangelt es an einem Notstandsrecht, oder ist diese Regelung mangelhaft, so kann ein solcher Mangel verderblicher sein als das mutige Gewähren kräftiger, aber auch klarer und insbesondere genau umgrenzter Vollmachten, vor denen man sich in Weimar so geängstigt hatte.“ 1304

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3. Teil: Abwehr auf Grundlage des LuftSiG

eingeschränkt rechtlich regelbar sind, allerdings gehören Grundrechtseingriffe wie die Tötung von Unbeteiligten nicht in diesen Bereich. Es ist anzumerken, dass es von Seiten des Gesetzgebers „ehrlicher“ gewesen wäre, im Rahmen der Beratungen zu § 14 Abs. 3 LuftSiG ausführlicher auf die Problematik der Kollision zwischen dem Achtungsanspruch und der staatlichen Schutzpflicht einzugehen. Die Legitimation einer gesetzlichen Regelung, welche die Tötung von Unbeteiligten rechtfertigt, sollte nicht lediglich von einem formellen Abstimmungsakt abhängen, sondern es sollte auch deutlich werden, dass sich die Entscheidungsträger mit der besonderen grundrechtlichen Problematik auseinandergesetzt haben. Dabei erscheint nicht ausgeschlossen, dass das Bundesverfassungsgericht einen erneuten Regelungsvorstoß durch den Gesetzgeber positiver bewerten könnte, soweit dieser in den Gesetzesmaterialien den Vorrang der staatlichen Schutzpflicht stichhaltig begründet. Allerdings ist in absehbarer Zeit wohl kaum zu erwarten, dass sich der Gesetzgeber nach der Nichtigkeitserklärung des § 14 Abs. 3 LuftSiG erneut an die Regelung einer Ermächtigungsgrundlage zur Tötung von Unbeteiligten wagen wird. Es ist daher zu befürchten, dass die Exekutive nicht nur in einem rechtsfreien Raum handeln wird – denn von einer rechtlich nicht bewertbaren Materie kann nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts nicht mehr die Rede sein –, sondern sich auch offen über die Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts hinwegsetzen wird. Ein solches Vorgehen gefährdet den demokratischen Rechtsstaat in einem weitaus erheblicheren Maße als die Normierung einer begrenzten Ausnahmeregelung.

V. Zusammenfassende Thesen zum Grundrechtsteil 1. Die Tötung der Störer durch den Abschuss eines Luftfahrzeuges verstößt unter Heranziehung der Grundsätze des polizeilichen Todesschusses nicht gegen die Menschenwürde und das Grundrecht auf Leben. 2. Nach dem geltenden Recht ist die Gefährdung des Lebens von Unbeteiligten in Ausnahmefällen verfassungsrechtlich zulässig. Zusätzlich regelt Art. 15 Abs. 2 EMRK, dass unter Umständen sogar eine Tötung von Unbeteiligten mit sicherem Wissen zulässig sein kann. 3. Im Rahmen einer entstehungsgeschichtlichen, völkerrechtlichen und systematischen Auslegung ergibt sich, dass die staatliche Tötung von Unbeteiligten nicht schlechthin verboten ist und daher auch nicht notwendigerweise eine Verletzung der Menschenwürde darstellt. 4. § 14 Abs. 3 LuftSiG verstößt nicht gegen die Menschenwürde, da die Tötung der Unbeteiligten nicht Ziel des staatlichen Handelns ist, sondern lediglich die Folge der Maßnahme zur Gefahrenabwehr.

D. Grundrechtliche Probleme

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5. Der Gesetzgeber darf unter Beachtung der Menschenwürde und des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes gesetzliche Regelungen schaffen, die der staatlichen Schutzpflicht für das Leben den Vorrang gegenüber dem Achtungsanspruch einräumen. 6. Dabei spielt es keine Rolle, dass möglicherweise Prognoseunsicherheiten bestehen, soweit diese nicht zu beseitigen sind. Allerdings müssen die staatlichen Organe alle Möglichkeiten der Tatsachenaufklärung nutzen.

4. Teil

Befehlsrecht Der Bundesminister der Verteidigung Franz Josef Jung hat angekündigt, er werde jedenfalls in den Fällen, in denen keine Unbeteiligten betroffen sind, trotz der Nichtigkeitserklärung des § 14 Abs. 3 LuftSiG durch das Bundesverfassungsgericht einen Abschuss befehlen, soweit ein Luftfahrzeug als Waffe zur Begehung von Anschlägen benutzt wird.1 Dass ein solcher Befehl rechtswidrig ist, da er gegen materielles Verfassungsrecht verstößt, steht außer Frage. Fraglich ist, ob die Soldaten der Luftwaffe einem Abschussbefehl und auch sonstigen Befehlen, die Maßnahmen auf Grundlage des LuftSiG zum Inhalt haben, überhaupt Gehorsam schulden. Dieses Problem hat eine hohe praktische Relevanz, da bereits nach der Beschlussfassung zum LuftSiG im Bundestag der Vorsitzende des Verbandes der Besatzungen strahlgetriebener Kampfflugzeuge (VBSK), Thomas Wassmann, vertreten hat, dass die Soldaten einen Abschussbefehl verweigern müssten und dies auch tun würden.2 Auch der Vorsitzende des Bundeswehrverbandes, Oberst Bernhard Gertz, hat nach dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts ausgeführt, dass die Soldaten jedenfalls dann die Befehlsausführung verweigern müssten, wenn durch den Abschuss Unbeteiligte getötet werden würden. Dabei müssten die Soldaten im Zweifel davon ausgehen, dass sich auch Unbeteiligte an Bord eines Luftfahrzeuges befinden.3

A. Grundlagen des Befehlsrechts Es ist eine triviale Aussage, dass die Pflicht zum Gehorsam zu den zentralen Dienstpflichten eines jeden Soldaten gehört.4 Keiner näheren Begründung bedarf auch der Grundsatz, dass selbstverständlich jeder rechtmäßige Befehl auszuführen ist. Aber auch rechtswidrige Befehle sind nach der herrschenden Meinung und dem Gesetzeswortlaut verbindlich,5 es sei denn, es liegen Unverbindlichkeitsgründe vor.6 Erst bei besonders gravierenden Rechtswidrigkeitsgründen kann ein Befehl unverbindlich werden. Unverbindliche Befehle muss ein Soldat 1 2 3 4 5

Siehe oben 3. Teil D. II. 5. b). Spiegel vom 21. Juni 2004, 17; vgl. B. Hirsch, KritV 2006, 3 (7). Beck Aktuell, Meldung vom 20. Februar 2006, becklink 170475. Ständige Rechtsprechung BVerwGE 83, 196 (199); BVerwG, NZWehrr 1995, 211. BVerwG, NZWehrr 1969, 65 (66); E. Vitt, NZWehrr 1994, 45 m.w. N. in Fn. 1.

A. Grundlagen des Befehlsrechts

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nicht ausführen; in bestimmten Fällen darf er sie sogar nicht ausführen. Das Bundesverwaltungsgericht hat mit Urteil vom 21. Juni 2005 sieben Fallgruppen der Unverbindlichkeit eines Befehls herausgearbeitet.7 Im Folgenden wird auf die einschlägigen Fallgruppen des Verstoßes gegen die Menschenwürde, des fehlenden dienstlichen Zwecks und der Begehung einer Straftat eingegangen.

I. Verstoß gegen die Menschenwürde Da der Schutz der Menschenwürde nach Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG die oberste Pflicht aller Staatsgewalt darstellt, ist ein Befehl, dessen Ausführung gegen die Menschenwürde verstoßen würde, gemäß § 11 Abs. 1 Satz 3, 1. Halbsatz, 1. Alternative SG unverbindlich.8 Nach der für die Bundeswehr verbindlichen Auffassung des Bundesverfassungsgerichts ist daher jedenfalls ein Abschussbefehl, der mit Sicherheit zur Tötung von Unbeteiligten führt, unverbindlich und darf unter keinen Umständen ausgeführt werden. Auch wenn man der hier vertretenen Meinung folgt, dass die Tötung von Unbeteiligten nicht automatisch einen Verstoß gegen die Menschenwürde darstellt, so sind die Soldaten der Bundeswehr gemäß § 31 Abs. 1 BVerfGG an die entsprechende Entscheidung gebunden. Es kommt daher nicht mehr darauf an, ob die Ausführung eines Befehls, der die Tötung von hunderten Unbeteiligten zur Folge hätte, wegen Unzumutbarkeit auf Grund einer Gewissensbelastung verweigert werden könnte.9

II. Fehlender dienstlicher Zweck Befehle dürfen gemäß § 10 Abs. 4, 1. Alternative SG nur zu dienstlichen Zwecken erteilt werden. Ein dienstlicher Zweck liegt vor, wenn der Befehl dazu erforderlich ist, die durch die Verfassung festgelegten Aufgaben der Streitkräfte zu erfüllen.10 Ist ein solcher Zweck nicht gegeben, so ist der Befehl unverbindlich, wobei der Soldat diesen Befehl dennoch ausführen darf. Der Abschuss eines Luftfahrzeuges in der Konstellation des § 14 Abs. 3 LuftSiG 6 Dies wurde vom Reichsgericht unter der Geltung der alten Rechtslage noch anders gesehen, vgl. RGSt 59, 330 (335). Diese Auffassung ist jedoch durch § 22 Abs. 1 Satz 1 WStG überholt. 7 BVerwG, NJW 2006, 77 (80 ff.); vgl. H. Rostek, 25, der elf Fallgruppen nennt. Über die hier einschlägigen Fallgruppen besteht dabei im Wesentlichen Einigkeit. 8 Es ist im Hinblick auf die Unverbindlichkeit unbeachtlich, ob gegen die Menschenwürde des Untergebenen oder gegen die eines Dritten verstoßen wird. Allerdings darf der letztere Befehl nicht ausgeführt werden, während der Untergebene einen Befehl, der gegen seine Menschenwürde verstößt, durchaus ausführen darf. 9 In diese Richtung argumentieren zum Beispiel U. Battis, DVBl. 2005, 1462 (1463); M. Pawlik, JZ 2004, 1045 (1051). 10 BVerwG, NJW 2006, 77 (80); W. Scherer/R. Alff, § 10 Rdn. 47 und § 11 Rdn. 15 m.w. N.

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4. Teil: Befehlsrecht

müsste also mit dem verfassungsrechtlichen Auftrag der Streitkräfte vereinbar sein. Das Bundesverfassungsgericht hat jedoch zutreffend ausdrücklich festgestellt, dass jedenfalls der Abschuss eines Luftfahrzeuges nicht unter die Regelungen des Katastrophennotstandes subsumiert werden kann.11 Daher würde der Befehl zum Abschuss eines Luftfahrzeuges nur dann zu dienstlichen Zwecken erteilt werden, wenn der Einsatz der Streitkräfte durch den Verteidigungsauftrag oder eine andere ausdrückliche verfassungsrechtliche Zulassung legitimiert wäre. Ob im Einzelfall die verfassungsrechtlichen Voraussetzungen für einen Einsatz vorliegen, hängt von den jeweiligen Umständen ab. So könnte zum Beispiel bei einem Angriff mittels eines Luftfahrzeuges von außen der Verteidigungsauftrag einschlägig sein.12 Das Risiko der rechtlichen Beurteilung, ob ein Befehl zur Erfüllung von Sekundäraufgaben dient, soll dabei beim Untergebenen liegen.13 Gleichzeitig fordert Speth, dass die Tätigkeiten innerhalb des Sekundärauftrages der Bundeswehr durch innerdienstliche Vorschriften ausreichend bestimmt sein müssen.14 Solche innerdienstlichen Vorschriften, die eine genaue Abgrenzung des Verteidigungsauftrages von den Sekundäraufgaben der Streitkräfte ermöglichen, liegen jedoch nicht vor. Eine Grenzziehung in der Praxis wird vor dem Hintergrund der vielfältigen denkbaren Konstellationen eines Angriffs von außen nicht leichtfallen. Der ausführende Soldat sollte sich daher vergewissern, ob sich der Abschuss im Rahmen des Verteidigungsauftrages bewegt oder nicht. Im Zweifel wird er diesbezüglich der Ansicht seiner Vorgesetzten folgen müssen, wobei ihm ein Auskunftsrecht darüber zukommt, auf welcher verfassungsrechtlichen Grundlage der Einsatz erfolgt, damit der Untergebene danach entscheiden kann, welche Einsatzmittel ihm zur Durchführung des Befehls zur Verfügung stehen.15 Allerdings kann der Soldat jedenfalls die Ausführung eines Abschussbefehls, der unter den Voraussetzungen der §§ 13 ff. LuftSiG, das heißt im Fall des Katastrophennotstandes gemäß Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG, erteilt wird, mit dem Hinweis auf den fehlenden dienstlichen Zweck auch dann verweigern, wenn durch den Abschuss lediglich gefahrverantwortliche Personen betroffen sein würden, da ein Einsatz spezifisch militärischer Waffen im Katas11 Insoweit ist die Auffassung von Dreist, der von der Rechtmäßigkeit eines Abschussbefehls ausgeht, durch das Urteil des Bundesverfassungsgericht überholt, vgl. P. Dreist, in: Blaschke u. a. (Hg.), Sicherheit statt Freiheit?, 77 (91). 12 Siehe dazu oben 2. Teil B. XI. 13 W. Speth, 193; a. A. P. Dreist, NZWehrr 2004, 89 (111 f.). 14 W. Speth, 193. 15 Bei einem Handeln in Erfüllung des Verteidigungsauftrages können die Streitkräfte grundsätzlich auf weiterreichende Einsatzmittel als im Katastrophennotstand zurückgreifen, siehe dazu oben 3. Teil C. II. 1. b) cc).

A. Grundlagen des Befehlsrechts

401

trophennotstand nach der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts nicht zu dem verfassungsrechtlichen Auftrag der Bundeswehr gehört16 und damit nicht zu „dienstlichen Zwecken“ erteilt wird. Ohne diesen Punkt vertiefen zu wollen, erscheint es darüber hinaus überlegenswert, zur praktischen Absicherung der Begrenzungsfunktion des Art. 87a Abs. 2 GG auch eine Pflicht zur Gehorsamsverweigerung anzunehmen, soweit die Befehlsausführung einen Einsatz der Streitkräfte innerhalb der Bundesrepublik darstellen würde, der weder vom Verteidigungsauftrag noch einer sonstigen verfassungsrechtlichen Zulassung ausdrücklich legitimiert ist.

III. Begehung einer Straftat Ein Befehl ist gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1 SG auch dann unverbindlich und darf nicht befolgt werden, wenn die Ausführung des Befehls eine Straftat verwirklichen würde. Straftaten in diesem Sinne sind alle Straftaten des nationalen Strafrechts sowie Delikte des Völkerstrafrechts.17 Ob eine Straftat durch den Abschuss und die damit verbundene Tötung von Unbeteiligten vorliegt, wird im Folgenden geprüft und soll daher an dieser Stelle noch nicht erörtert werden; dennoch ist es erforderlich, kurz auf den Begriff „Straftat“ im Sinne des § 11 Abs. 2 Satz 1 SG einzugehen. Teilweise Satz 1 SG setzt.18 Die Ausführung

wird vertreten, dass der Unverbindlichkeitsgrund des § 11 Abs. 2 die Begehung einer rechtswidrigen und schuldhaften Tat vorausextreme Gegenposition hält es dagegen für ausreichend, dass die des Befehls den Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklicht.19

Beide Auffassungen vermögen nicht zu überzeugen. Sinn und Zweck des § 11 Abs. 2 Satz 1 SG ist es, die Begehung strafrechtlichen Unrechts zu verhindern.20 Daher kann die Tatbestandsmäßigkeit alleine noch nicht ausreichen, da kein strafrechtliches Unrecht vorliegt, wenn dem Untergebenen bei der Befehlsausführung Rechtfertigungsgründe zur Seite stehen. Wegen des Ziels der Verhinderung strafrechtlichen Unrechts, ist es unerheblich, dass der Untergebene ohne Schuld handelt, denn der Unrechtsgehalt wird bereits durch das Vorliegen der Strafrechtswidrigkeit verwirklicht. „Straftat“ im Sinne des § 11 Abs. 2 Satz 1 SG ist somit als rechtswidrige Verwirklichung eines Verbrechens oder Vergehens (vgl. § 12 StGB) oder einer Tat nach dem Völkerstrafrecht zu verstehen.21 16

Vgl. BVerfG, NJW 2006, 751. BVerwG, NJW 2006, 77 (81). 18 E. Lingens/H. Marignoni, 61; M. Bartmann, 59 ff., der sich allerdings ausdrücklich nur auf § 22 Abs. 1 Satz 1 WStG bezieht. 19 K. Fehn/M. Brauns, 87; W. Hirschmann, 34. 20 Vgl. H.-H. Jescheck, in: Schüle u. a. (Hg.), Bundeswehr und Recht, 63 (80). 21 W. Fürst/Ho. Arndt, Soldatenrecht, § 11 SG Rdn. 10. 17

402

4. Teil: Befehlsrecht

Daher ist ein Befehl auch dann gemäß § 11 Abs. 2 Satz 1 SG unverbindlich, wenn der ausführende Soldat entschuldigt sein sollte.

B. Ergebnis Spätestens durch die Untersuchung der befehlsrechtlichen Fragen müsste deutlich geworden sein, dass die Organe der Bundesrepublik – jedenfalls nach dem Verständnis des Bundesverfassungsgerichts – im Katastrophennotstand in Bezug auf die Abwehr der Bedrohung durch entführte Passagierflugzeuge rechtlich handlungsunfähig sind.22 Selbst wenn der Bundesminister der Verteidigung in Übereinstimmung mit seinen öffentlichen Äußerungen einen Abschussbefehl erteilen würde, so ist keinesfalls gewährleistet, dass dieser Befehl auch ausgeführt wird beziehungsweise ausgeführt werden darf. Dies ist ein weiteres Argument dafür, die Gefahrenabwehr im Luftraum und die damit verbundene Tötung von Unbeteiligten auf eine eindeutige verfassungsrechtliche Grundlage zu stellen, um so auch im Bereich des Befehlsrechts Rechtssicherheit gewährleisten zu können.

22 Keine Lösung bildet die Option, dass der Bundesminister der Verteidigung dem Soldaten den „Hinweis“ gibt: „Wenn ich an ihrer Stelle wäre, würde ich jetzt den Abschuss ausführen.“, siehe C. Gramm, DVBl. 2006, 653 (657).

5. Teil

Strafrechtliche Rechtfertigung der Tötung von Unbeteiligten Abschließend werden die strafrechtlichen Probleme der Tötung von Unbeteiligten nach § 14 Abs. 3 LuftSiG untersucht. Dieser Punkt ist in einem besonderen Maße klärungsbedürftig, da das Bundesverfassungsgericht die Frage einer strafrechtlichen Rechtfertigung beziehungsweise Entschuldigung ausdrücklich offengelassen hat.1 In diesem Zusammenhang ist es nicht erforderlich, zu erörtern, ob und inwieweit Amtsträger die allgemeinen Rechtfertigungsgründe als Ermächtigungsgrundlage heranziehen können.2 Es geht hier allein darum, ob die ausführenden Soldaten und die Befehlsgeber durch die Tötung von Unbeteiligten strafrechtliches Unrecht verwirklichen. Allerdings geht die herrschende Meinung davon aus, dass die strafrechtlichen Rechtfertigungsgründe nur dann Anwendung finden können, wenn der Gesetzgeber keine engere und abschließende Sonderregelung getroffen hat.3 Daher könnte man § 14 Abs. 3 LuftSiG als Sonderregelung ansehen, die eine Sperrwirkung entfaltet, da das LuftSiG keinen Notrechtsvorbehalt enthält und damit nicht auf die allgemeinen Rechtfertigungsgründe verweist.4 Allerdings ist zu beachten, dass das LuftSiG bereits wegen der formellen Verfassungswidrigkeit5 keine Sperrwirkung erzeugen kann. Insoweit besteht keine Missbrauchsgefahr durch die Umgehung von öffentlich-rechtlichen Spezialvorschriften bei der Anwendung von allgemeinen Rechtfertigungsgründen. Die Frage der strafrechtlichen Verantwortung ist unabhängig von der Bewertung des staatlichen Handelns nach öffentlich-rechtlichen Gesichtspunkten zu

1

BVerfG, NJW 2006, 751 (759 Abs. 130). Diese Fragestellung ist in jüngster Zeit umfassend untersucht worden, vgl. M. Jahn, 273 ff.; siehe auch M. Pawlik, Notstand, 186 ff.; K. Paulke, 214 ff.; P. Kirchhof, NJW 1978, 969 ff. 3 K. Lackner/K. Kühl, § 34 Rdn. 14; Schönke/Schröder-T. Lenckner/W. Perron, § 34 Rdn. 7; H. Tröndle/T. Fischer, § 34 Rdn. 243; F. Schaffstein, GS H. Schröder, 1978, 97 (116 f.); J. Roos, Die Polizei 2002, 348 (352); H. Ostendorf, JZ 1981, 165 (171 f.); J. Schwabe, NJW 1977, 1902 (1907); weitere Nachweise bei M. Pawlik, Notstand, 190 Fn. 41. 4 Vgl. P. Lerche, FS von der Heydte, 2. Halbband, 1977, 1033 (1037 f.). 5 Siehe oben 3. Teil C. I. 2. 2

404

5. Teil: Strafrechtliche Rechtfertigung der Tötung von Unbeteiligten

betrachten. Eine mögliche strafrechtliche Rechtfertigung muss nicht zwingend dazu führen, dass das Handeln aus öffentlich-rechtlicher Sicht rechtmäßig ist.6 Dabei ist grundsätzlich davon auszugehen, dass durch das Vorliegen eines anerkannten Rechtfertigungsgrundes das strafrechtliche Unrecht auch dann ausgeschlossen ist, wenn das Handeln des Amtsträgers aus öffentlich-rechtlicher Sicht nicht rechtmäßig gewesen ist.7 So befürwortet auch Mitsch die grundsätzliche Anwendbarkeit der strafrechtlichen Rechtfertigungsgründe im Fall der Gefahrenabwehr im Luftraum, soweit es um die „spezifisch strafrechtliche Bewertung“ geht.8 Dafür sprechen vor allem die unterschiedlichen Funktionen des Grundrechtsschutzes und der strafrechtlichen Verbote. Die Grundrechte sollen einen möglichst weitreichenden Schutz der Bürger gewährleisten, dagegen ist das Strafrecht fragmentarischer Natur. Wegen dieser fragmentarischen Natur kann es daher auf strafrechtlicher Ebene geboten sein, Handlungen zu rechtfertigen, obwohl diese grundrechtswidrig sind. Im Folgenden werden zunächst die Rechtfertigungsgründe Nothilfe gemäß § 32 StGB und Notstand gemäß § 34 StGB dargestellt. Im Anschluss wird dann noch kurz auf eine untergeordnete Rechtfertigungsmöglichkeit eingegangen.

A. Nothilfe, § 32 StGB Ein nicht-staatlicher Angriff mittels eines Luftfahrzeuges stellt einen gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff, also eine Notwehrlage, dar. Daher ist zunächst an eine Rechtfertigung durch Notwehr beziehungsweise Nothilfe gemäß § 32 StGB zu denken. Die allgemeine Meinung geht jedoch davon aus, dass durch Notwehr nur eine Verletzung von Rechtsgütern des Angreifers zulässig ist.9 Dies scheint so eindeutig zu sein, dass viele auf eine Begründung dieses Grundsatzes verzichten. Teilweise wird auf den Begriff der „Verteidigung“ abgestellt, die schon begrifflich nur gegen den Angreifer möglich sei.10 Dies ist nur teilweise richtig, denn die Formulierung „Verteidigung“ schließt nicht eindeutig aus, dass neben dem Angreifer noch andere Rechtsgutsinhaber beeinträchtigt werden, soweit die Verteidigungshandlung dazu dient, den An6

So aber J. Schwabe, NJW 1977, 1902 (1903). Ebenso F.-B. Delonge, 227 f. 8 W. Mitsch, JR 2005, 274 (276). 9 BGHSt 5, 245 (248); 35, 347 (349); H. Tröndle/T. Fischer, § 32 Rdn. 15; Schönke/Schröder-T. Lenckner/W. Perron, § 32 Rdn. 31 m.w. N.; H. Witzstrock, 163; H. Arndt, 73; P. Bockelmann, FS Dreher, 1977, 235 (248). 10 A. Archangelskij, 86; G. Widmaier, JuS 1970, 611 f. 7

A. Nothilfe, § 32 StGB

405

griff abzuwehren. „Verteidigung“ bedeutet vom Wortlaut nur, dass sich die Notwehrhandlung final gegen den Angreifer richten muss. So haben auch die ältere Rechtsprechung und Literatur teilweise Notwehr als Rechtfertigung der Verletzung von Rechtsgütern nicht-angreifender Personen herangezogen.11 Der Grund der Einschränkung liegt vielmehr in der Bedeutung des Notwehrrechts als „scharfe Waffe“.12 Die erhebliche Weite auf Seiten der notwehrfähigen Rechtsgüter und in Bezug auf die Zulässigkeit von Verteidigungshandlungen sowie das Fehlen einer Verhältnismäßigkeitsabwägung kann nur dann gerechtfertigt sein, wenn die erheblichen Eingriffsbefugnisse der Notwehr nur zu Lasten von Rechtsgütern des Angreifers bestehen.13 Daher kann nicht auf Nothilfe zurückgegriffen werden, um die Tötung der Unbeteiligten zu rechtfertigen. Allerdings befürwortet Spendel eine Ausnahme von diesem Grundsatz: Eine Verletzung von Dritten soll dann gerechtfertigt sein, wenn die dritte Person vom Angreifer als „Schutzschild“ oder in sonstiger Weise durch die Anwendung von vis absoluta für die Durchführung eines Angriffs missbraucht wird.14 Er meint, die dritte Person stehe in diesen Fällen „auf der Seite des Unrechts“ und sei dadurch weniger schützenswert als der Angegriffene. Eine weitere mögliche Ausnahme nennt Rudolphi, der meint, die Tötung eines ungeborenen Kindes sei durch Notwehr gerechtfertigt, soweit eine rechtmäßige Verteidigungshandlung gegenüber der Schwangeren vorliegt.15 Bei einer Entführung eines Passagierflugzeuges liegt es nahe, eine Parallele zu Spendels „Schutzschildfall“ zu bilden.16 In diese Richtung finden sich auch Äußerungen in der Sachverständigenanhörung zum LuftSiG. So führt Epping aus, die Passagiere „sind ja Teil der Waffe und müssen als Teil der Waffe genommen werden“.17 Auch Robbers meint, alle Insassen eines Luftfahrzeuges

11 RGSt 21, 168 (170): „Notwehr ist gegen jedermann [Hervorhebung des Verf.] und überall zulässig.“; vgl. dazu F. v. Calker, ZStW 12 (1892), 443; a. A. zum Beispiel K. Binding, 750. Historisch wird die weite Auslegung des Notwehrrechts teilweise auf die Regelung des Art. 145 der Constitutio Criminalis Carolina gestützt, nach der es ausreichend war, dass der Verteidiger „den nöttiger meynt“; siehe Art. Kaufmann (Hg.), Carolina, 95; H. Tobler, 111 f. Dies deutet darauf hin, dass auch die Beeinträchtigung der Rechtsgüter nicht-angreifender Personen unter Notwehr fiel, soweit die Verteidigungshandlung gegen den Angreifer gerichtet war. 12 Schönke/Schröder-T. Lenckner/W. Perron, § 32 Rdn. 31. 13 Schönke/Schröder-T. Lenckner/W. Perron, § 32 Rdn. 31; siehe G. Jakobs, JR 2000, 404 (405): „Die Tötung in Notwehr ist Konsequenz der andere verletzenden Gestaltung des Organisationskreises; Folgenverantwortung ist notwendiges Synallagma von Organisationsfreiheit.“ 14 LK-G. Spendel, § 32 Rdn. 216; siehe auch ders., NStZ 1994, 279. 15 SK-H.-J. Rudolphi, § 218a Rdn. 16. 16 So in jüngster Zeit auch G. Spendel, RuP 2006, 131 (134). 17 V. Epping, Anhörung, 58.

406

5. Teil: Strafrechtliche Rechtfertigung der Tötung von Unbeteiligten

würden angreifen und seien ein Teil der Waffe; der entgegenstehende Wille der Passagiere sei dabei unbeachtlich.18 Allerdings ist Spendels Auffassung entgegenzuhalten, dass sie die dogmatischen Grenzen der Rechtfertigungsgründe zu sehr verschiebt. Wegen der fehlenden Angemessenheitsklausel im Bereich des § 32 StGB dürfen die Rechtsgüter des „Schutzschildes“ nicht unter den Vorbehalt des Notwehrrechts gestellt werden. Diese Rechtsfolge wäre vor dem Hintergrund der fehlenden Gefahrverantwortlichkeit der dritten Person unangemessen. Daher wird auch zu Recht ganz überwiegend eine Rechtfertigung der Tötung von Unbeteiligten durch den Abschuss eines als Waffe missbrauchten Passagierflugzeuges durch Notwehr oder Nothilfe nach § 32 StGB abgelehnt.19

B. Rechtfertigender Notstand, § 34 StGB Des Weiteren könnte eine Tötung von Unbeteiligten durch die Anwendung des rechtfertigenden Notstands gemäß § 34 StGB in Form der Notstandshilfe gerechtfertigt sein. Anders als § 32 StGB rechtfertigt § 34 StGB grundsätzlich auch Verteidigungshandlungen zu Lasten der Rechtsgüter von unbeteiligten Dritten, wobei im Folgenden zu klären ist, ob auch die Tötung von Unbeteiligten durch § 34 StGB gerechtfertigt werden kann. Vorauszuschicken ist an dieser Stelle, dass in der Literatur eine Rechtfertigung nach § 34 StGB überwiegend verneint wird, wenn die Notstandshandlung gegen die Menschenwürde der von der Notstandshandlung betroffenen Person verstößt.20 Als Hauptargument wird genannt, bei einem Verstoß gegen die Menschenwürde als der unantastbare Höchstwert der Rechtsordnung könne unter keinen Umständen von einem wesentlichen Überwiegen der geschützten Interessen gesprochen werden.21 Andere verneinen die Rechtfertigung durch die Anwendung der Angemessenheitsklausel des § 34 Satz 2 StGB.22 Gramm führt in einer Anmerkung zum Urteil bezüglich § 14 Abs. 3 LuftSiG aus: 18

G. Robbers, Anhörung, 43. A. Archangelskij, 86 ff.; K. Fehn/M. Brauns, 83; E. Hilgendorf, in: Blaschke u. a. (Hg.), Sicherheit statt Freiheit?, 107 (125); E. Giemulla, ZLW 2005, 32 (41); K. Lüderssen, StV 2005, 106; W. Mitsch, JR 2005, 271 (276); H. Otto, JURA 2005, 470 (473); S. Huster, Merkur – Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken 2004, 1047. 20 Die Problematik der Rechtfertigung bei einer Beeinträchtigung der Menschenwürde wird vor allem am Beispiel des von Gallas gebildeten Blutentnahmefalles diskutiert, vgl. W. Gallas, FS Mezger, 1954, 311 (325). Auch wenn dieser Fall zum Teil nicht ausdrücklich unter dem Gesichtspunkt der Menschenwürde, sondern unter dem Stichwort des „Autonomieprinzips“ oder des „Selbstbestimmungsrechts“ diskutiert wird, so geht es doch um die Grundfrage, ob ein Mensch durch die Notstandshandlung als Mittel gebraucht werden darf, vgl. T. Lenckner, Notstand, 117. 21 T. Lenckner, Notstand, 117; A. Meißner, 211. 22 J. Wessels/W. Beulke, Rdn. 319; J. Hruschka, Strafrecht, 145. 19

B. Rechtfertigender Notstand, § 34 StGB

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„Das mit verfassungsrechtlicher Qualität ausgestattete Unwerturteil ,Verstoß gegen die Menschenwürde‘ schlägt gewissermaßen auf die strafrechtliche Bewertung im Rahmen der Rechtfertigungsgründe durch. In Betracht kommt für die Tathandlung des Piloten nur ein Entschuldigungsgrund.“23

Folgt man also der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts, das in der Tötung von Unbeteiligten als sichere Folge von Maßnahmen gemäß § 14 Abs. 3 LuftSiG schlechthin einen Verstoß gegen die Menschenwürde sieht,24 wäre eine Rechtfertigung nach § 34 StGB auch in der Konstellation des § 14 Abs. 3 LuftSiG nicht möglich. Insofern hat das Bundesverfassungsgericht mit der Bejahung eines Menschenwürdeverstoßes bereits eine Vorentscheidung für die strafrechtliche Bewertung getroffen, auch wenn es diese Frage in seinem Urteil zu § 14 Abs. 3 LuftSiG ausdrücklich offen gelassen hat.25 Allerdings muss nach der hier vertretenen Meinung die Tötung von Unbeteiligten nicht zwingend gegen Art. 1 Abs. 1 GG verstoßen,26 so dass eine ausführliche Prüfung der strafrechtlichen Rechtfertigung erforderlich ist.

I. Grundlegendes zum rechtfertigenden Notstand Der rechtfertigende Notstand existierte lange Zeit nur als ungeschriebenes Rechtsinstitut, als so genannter „übergesetzlicher“ rechtfertigender Notstand.27 Erst 1975 wurden die Grundgedanken des rechtfertigenden Notstands in § 34 StGB kodifiziert.28 Gegenüber dem Notwehrrecht weist der rechtfertigende Notstand atypische und irreguläre Züge auf. Neben dem weitgehend deutlichen Merkmal der „gegenwärtigen“ und „nicht anders abwendbaren Gefahr“, ist die erforderliche Interessenabwägung zunächst vage und offen; dies ist dem übergesetzlichen Ursprung des rechtfertigenden Notstands geschuldet.29 § 34 StGB stellt die gesamte Strafrechtsordnung unter einen Notrechtsvorbehalt. Atypisch ist, dass auch Eingriffe in die Rechtsgüter Unbeteiligter, die für das Entstehen der Gefahr nicht verantwortlich sind, durch § 34 StGB gerechtfertigt werden können. Den Unbeteiligten wird zu Gunsten eines fremden Rechtsgutsinhabers ein „Sonderopfer“ zugemutet, wodurch zum Nachteil der Unbeteiligten die rechtlichen Grenzen der Güter- und Freiheitssphären verändert werden. Vor diesem 23

C. Gramm, DVBl. 2006, 653 (657). Vgl. BVerfG, NJW 2006, 751 (759 Abs. 130). 25 Vgl. BVerfG, NJW 2006, 751 (759 Abs. 130). 26 Siehe oben 3. Teil D. II. 6. e). 27 Vgl. grundlegend aus der Rechtsprechung RGSt 61, 242; 62, 137 (138); zusammenfassend M. Wachinger, FG v. Frank, Band 1, 1930, 469 ff. 28 Vgl. zur gesetzgeberischen Entwicklung W. Küper, JuS 1987, 82 ff.; W. Gallas, ZStW 80 (1968), 1 (24 ff.). 29 Vgl. W. Küper, JZ 2005, 105. 24

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5. Teil: Strafrechtliche Rechtfertigung der Tötung von Unbeteiligten

Hintergrund bezeichnet Pawlik den rechtfertigenden Notstand als „begrenzte Ausnahme des Rechts von sich selbst“.30 Wegen dieser Irregularität bedarf der rechtfertigende Notstand einer besonderen Legitimation durch übergeordnete Prinzipien des rechtsstaatlichen Strafrechts. Es würde zu weit führen, hier sämtliche Ansätze zur Legitimation ausführlich dazustellen,31 dennoch sind einige Grundfragen für die mögliche Rechtfertigung der Tötung von Unbeteiligten durch § 34 StGB von Bedeutung. 1. Ältere Legitimationsansätze Frühe Begründungsansätze von Ru. Merkel und Graf zu Dohna betonten ein vorzugswürdiges Gemeinschaftsinteresse an der Erhaltung von Rechtsgütern, an denen die Rechtsgemeinschaft ein gesteigertes Interesse hat.32 Bei Merkel, der wesentlichen Einfluss auf die Entwicklung des übergesetzlichen rechtfertigenden Notstands hatte,33 heißt es: „Wer sein Leben rettet auf Kosten seiner Vermögensinteressen, der handelt vom Standpunkt seiner Gesamtinteressen aus vernünftig; und wer das Leben des A rettet auf Kosten des Eigentums des B, der handelt vom Standpunkt der sozialen Gesamtinteressen aus ebenfalls vernünftig. Notstandshandlungen also, durch welche ein höheres Interesse gerettet wird auf Kosten des geringeren, entsprechen dem Gesamtinteresse [. . .].“34

Zu beobachten ist, dass vor allem in der älteren Literatur durchaus eine Abwägung nach utilitaristischen Gedanken im Bereich der Kollision des Rechtsgutes Leben vertreten worden ist. So schreibt Stammler in seiner grundlegenden Schrift aus dem Jahr 1878: „Das Recht auf Leben [. . .] ist aber nicht das absolute Recht, wie Hegel meint, es haben ihm nicht alle anderen Rücksichten zu weichen, denn für das Gesamtwohl, für die Rettung des Vaterlandes, wird das Leben geopfert [. . .].35

In der späteren Diskussion hat vor allem der Gedanke der „Solidarität“, „Mindestsolidarität“ beziehungsweise einer „Solidaritätspflicht“ 36 als Rechtsgrundsatz, der das Autonomieprinzip im Rahmen des rechtfertigenden Notstands verdrängt, an Gewicht gewonnen.37 Die Folge der Betonung einer solchen Solidaritätspflicht ist, dass sich die Sichtweise von der Begründung eines 30 M. Pawlik, Notstand, 143, im Anschluss an W. Küper, Darf sich der Staat erpressen lassen?, 121. 31 Siehe dazu ausführlich M. Pawlik, Notstand, 29 ff. 32 Graf zu Dohna, 125, 128; siehe auch R. Maurach, 95 ff. 33 Vgl. T. Lenckner, Notstand, 51 ff. 34 Ru. Merkel, 41; ähnliche Ansätze finden sich bereits bei R. Stammler, 74 ff. 35 R. Stammler, 76. 36 Siehe die zahlreichen Nachweise bei M. Pawlik, Notstand, 57 Fn. 3.

B. Rechtfertigender Notstand, § 34 StGB

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Notrechts des Gefährdeten zur Begründung einer Notpflicht des unbeteiligten Dritten verschiebt.38 Das Solidaritätsprinzip kann jedoch nicht grenzenlos gelten, da ansonsten der Rechtsgüterschutz völlig aufgehoben und durch eine einzelfallabhängige Interessenabwägung ersetzt werden würde. Um dies zu verhindern, stellt § 34 StGB die Notstandshandlung unter den Vorbehalt des wesentlichen Überwiegens des Erhaltungsinteresses. 2. Pawliks Ansatz Die Diskussion um die Legitimation des rechtfertigenden Notstands hat mit Pawliks Schrift mit dem Titel „Der rechtfertigende Notstand“ aus dem Jahr 2002 einen „eindrucksvollen Höhepunkt“39 erreicht; daher soll Pawliks Ansatz kurz zusammengefasst werden: Pawlik orientiert sich an der Notrechtslehre Hegels40 und entwickelt dabei eine moderne Gegenposition zur Notrechtskritik Kants.41 Pawlik verfolgt dabei das Ziel, das Legitimationsdilemma des rechtfertigenden Notstands durch eine freiheitstheoretische Legitimation aufzulösen. Er geht dabei von der Grundannahme aus, dass der Gedanke einer personenübergreifenden Maximierung oder Verrechnung von Rechtsgütern und Interessen an einem grundlegenden freiheitstheoretischen Defizit leide: „Die Rechtsordnung soll nicht einen Bestand an Gütern maximieren, sie soll vielmehr Freiheitsrechte garantieren; sie ist eine Gerechtigkeits- und keine Versicherungsordnung.“42

Pawlik kritisiert die Idee einer „Klugheitsmaxime“, die darauf beruht, dass der Einzelne vor dem Hintergrund des Wissens, dass er selbst in eine Notsituation geraten könnte, damit konform geht, zu Gunsten eines in Not Geratenen ein geringwertiges Rechtsgut zu opfern.43 Denn der Solidarische müsse eine „Vorleistung erbringen, ohne in einer etwaigen eigenen Notsituation hinreichend

37 Vgl. J. Renzikowski, Notstand und Notwehr, 195, der die „Überlagerung“ des Autonomieprinzips durch das Solidaritätsprinzip als eine „nicht weiter deduktive ableitbare Wertentscheidung“ einordnet. 38 W. Küper, JZ 2005, 105 (107). 39 So W. Küper, JZ 2005, 105 (115). 40 G. W. F. Hegel, § 127. Hegel bejaht im Kollisionsfall zwischen dem eigenen Leben und dem rechtlichen Eigentum eines anderen ein „Notrecht“, das er „nicht als Billigkeit, sondern als Recht“ versteht. 41 Vgl. zu Kants Ansatz K. Kühl, FS Lenckner, 1998, 142 ff.; W. Küper, Immanuel Kant und das Brett das Karneades, 26 ff. 42 M. Pawlik, Notstand, 43 f., im Anschluss an J. Renzikowski, Notstand und Notwehr, 241. 43 Vgl. K. Kühl, FS H. J. Hirsch, 1999, 259 (275); F. Meyer, GA 2004, 356 (363 ff.); grundlegend J. Rawls, 159 ff.

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5. Teil: Strafrechtliche Rechtfertigung der Tötung von Unbeteiligten

sicher mit einer entsprechenden Gegenleistung rechnen zu können“.44 Weiterhin sei es problematisch, aus einer unterstellten Klugheitsmaxime eine Duldungspflicht abzuleiten. Im Folgenden greift Pawlik auf die Hegelsche Notrechtslehre zurück, die er nicht als „einzelfallbezogene ad-hoc-Stellungnahme“ ansieht, sondern er versucht, die Notrechtslehre in das Gesamtsystem der Hegelschen Rechtsphilosophie einzuordnen.45 Im Ergebnis versteht Pawlik den Notstandskonflikt bei Hegel nicht als Rechtsgüterkollision, sondern als Konflikt zwischen zwei grundsätzlich gleichermaßen berechtigten Teilmomenten rechtlicher Freiheit. Es träfen nicht Rechtsgüter aufeinander, sondern die „Freiheitsansprüche“ von abstraktem Recht und Recht des Wohls.46 Dabei dürfe der Notstandstäter der abstrakt-rechtlichen Verteilung von Rechten und Freiheiten sein „sachlich-situative[s] Recht“ auf Wohl entgegensetzen.47 Durch die Berücksichtigung des „Wohls“ als Moment rechtlicher Freiheit ermöglicht Pawlik eine rechtsphilosophische Betrachtung des Notrechts, die über den Ansatz Kants hinausgeht, nach dessen Auffassung die Notstandsgefahr lediglich ein physisches Bedürfnis erzeugt.48 Denn das Recht auf Wohl lässt sich seinerseits als Freiheitsimplikation begreifen, so dass seine Befriedung auf Kosten der Freiheitsrechte anderer nicht von vornherein unrechtmäßig ist. Pawlik löst den Konflikt zwischen den widerstreitenden Freiheitsinteressen durch die Begründung einer Duldungspflicht des unbeteiligten Dritten. Für die Ableitung dieser Duldungspflicht greift Pawlik auf die Hegelsche Systemebene der „Sittlichkeit“ zurück.49 In diesem Kontext sei die Duldungspflicht eine „sittliche“, eine staatsbürgerliche Pflicht, die ihrerseits „freiheitsermöglichenden Charakter“ habe. Die Duldungspflicht „trägt zur Sicherung der Realbedingungen rechtlicher Freiheit bei, ist allerdings subsidiär gegenüber institutionalisierten Maßnahmen der Notbekämpfung“.50 Im Ergebnis bestätige sich damit die Hegelsche Notrechtslehre: „Es ist freiheitstheoretisch möglich, dem einzelnen als Bestandteil seiner Bürgerstellung die Pflicht aufzuerlegen, in Ausnahmefällen einen fremden Zugriff auf die eigene Rechtssphäre zu dulden.“51

44 45 46 47 48 49 50 51

M. Pawlik, Notstand, 72. M. Pawlik, Notstand, 81. M. Pawlik, Notstand, 89 ff., 99 f., 103. M. Pawlik, Notstand, 88. Vgl. W. Küper, JZ 2005, 105 (108 f.). M. Pawlik, Notstand, 110. M. Pawlik, Notstand, 112. M. Pawlik, Notstand, 122 f.

B. Rechtfertigender Notstand, § 34 StGB

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II. Grundsatz: Keine Abwägung von „Leben gegen Leben“ Die grundsätzliche Duldungspflicht eines unbeteiligten Dritten gegenüber Gefahrenabwehrhandlungen des Notstandstäters kann nach dem Gesetzeswortlaut des § 34 StGB jedoch nur soweit reichen, wie die geschützten Interessen gegenüber den beeinträchtigten Rechtsgütern wesentlich überwiegen und die Notstandstat ein angemessenes Mittel zur Abwendung der Gefahr ist. Die folgende Kernfrage lautet daher, ob einem Unbeteiligten unter Umständen sogar eine Pflicht zur Duldung des eigenen Todes auferlegt werden kann. Die ganz herrschende Auffassung in Rechtsprechung und Literatur vertritt, dass im Rahmen des rechtfertigenden Notstands gemäß § 34 StGB eine Interessenabwägung nach Quantität oder Qualität des menschlichen Lebens unzulässig ist.52 Stellvertretend für viele sei hier Welzel genannt, der ausführt: „Aber wo Menschenleben mit Menschenleben in gemeinsame Gefahr geraten, widerstrebt es sittlichem Gefühl, sie als bloße Rechnungsposten in eine Gesamtrechnung einzusetzen.“53

Die rechnerische Unmöglichkeit einer Abwägung wird damit begründet, dass der Wert des menschlichen Lebens gleichsam „unendlich“ sei und daher auch eine Addierung von mehreren Menschenleben keinen höheren Wert als ein einziges Menschenleben darstellen könne.54 Daher könnten auch äußere Umstände oder ein Vorverhalten keinesfalls die Wertigkeit des menschlichen Lebens erhöhen oder vermindern.55 Teilweise wird auch vertreten, das Verbot der Tötung nicht angreifender Unschuldiger sei ein fundamentaler Rechtsgrundsatz mit vor-

52 BGHSt 35, 347 (350); BGH, NJW 1953, 513; OGHSt 1, 321; 2, 117 (121); H. Tröndle/T. Fischer, § 34 Rdn. 10; MüKo-H. Schlehofer, Vor §§ 32 ff. Rdn. 215; K. Lackner/K. Kühl, § 34 Rdn. 7; SK-H.-L. Günther, § 34 Rdn. 43; W. Gropp, § 6 Rdn. 157; E. Schmidhäuser, 332; R. Maurach/H. Zipf, § 27 Rdn. 25; K. Kühl, Strafrecht AT, § 8 Rdn. 114; H.-H. Jescheck/T. Weigend, 361; C. Roxin, Strafrecht AT I, § 16 Rdn. 33 f.; H. Blei, § 44 Nr. IV. 4.; P. Bockelmann/K. Volk, § 15 Nr. II. 7. f); G. Stratenwerth/L. Kuhlen, § 9 Rdn. 113; T. Lenckner, Notstand, 30; A. Meißner, 196 f.; M. Korte, 186; J. Laber, 151 ff.; G. Spendel, FS Engisch, 1969, 509 (516); W. Gallas, FS Mezger, 1954, 311 (327); W. Mitsch, JR 2005, 271 (277); J. Renzikowski, Jahrbuch für Recht und Ethik 11 (2003), 267 (275 f.); A. Bergmann, JuS 1989, 109 (110 f.); G. Hirsch, ZRP 1986, 239 (241); a. A. F.-B. Delonge, 126; H. Arndt, 83: „Bestritten ist, ob Menschenleben stets gleichwertig sind; hier sollte die Zahl doch entscheidend sein, denn wer einen Menschen opfert, um viele zu retten, opfert geringwertige Güter.“; ausdrücklich in Bezug auf die Bedrohung durch entführte Passagierflugzeuge G. Spendel, RuP 2006, 131 (133 ff.). 53 H. Welzel, MDR 1949, 373 (375). 54 Statt vieler T. Lenckner, Notstand, 30, 92; K. Peters JR 1949, 496. 55 Vgl. W. Mitsch, FS Weber, 2004, 49 (63): „Saddam Hussein dürfte auch dann nicht getötet werden, wenn nur auf diese Weise der Tod des Papstes abgewendet werden könnte.“

412

5. Teil: Strafrechtliche Rechtfertigung der Tötung von Unbeteiligten

staatlicher Wurzel.56 E. Nolte meint gar, das Verbot der Tötung von unschuldigen und wehrlosen Menschen sei der einzige „absolute“ Grundsatz.57 Der Bundesgerichtshof hat im so genannten „Katzenkönigfall“ die Rechtfertigung der Tötung einer unbeteiligten Person durch die Anwendung des § 34 StGB sogar für den Fall abgelehnt, dass eine Gefahr für Millionen von Menschen oder gar die Menschheit besteht, „weil das in § 34 StGB [. . .] vorausgesetzte Überwiegen der Gewichtigkeit des zu schützenden Interesses vor dem zu opfernden eine Abwägung ,Leben gegen Leben‘ nicht gestattet“.58

In Übereinstimmung mit der herrschenden Meinung wird auch in strafrechtlichen Stellungnahmen zu § 14 Abs. 3 LuftSiG eine Rechtfertigung der Tötung der Unbeteiligten auf Grundlage des § 34 StGB überwiegend abgelehnt.59 T. Fischer meint, § 14 Abs. 3 LuftSiG regele keinen Fall des rechtfertigenden Notstands gemäß § 34 StGB. Es handele sich vielmehr um „eine dem Kriegsrecht entnommene Regelung, die das Verbot einer die Menschenwürde verletzenden Instrumentalisierung von Personen zu bloßen (,verbrauchbaren‘) Objekten staatlicher Aufgabenerfüllung außer Acht lässt“.60

Der Staat habe daher keinesfalls das Recht, unbeteiligte Menschen zu töten; eine quantitative Abwägung lasse sich auch nicht auf andere militärische Argumente stützen.61 Allerdings ist festzustellen, dass die Rechtfertigungsthese bei einer Kollision von Lebensinteressen im Zusammenhang mit dem Missbrauch von Luftfahrzeugen als Angriffsmittel wieder an Zustimmung gewonnen hat.62 Zum Teil wird auch in anderen Konstellationen eine Rechtfertigung der Tötung von Unbeteiligten angenommen: So will Kröger die Tötung des ungeborenen Lebens durch Notstand rechtfertigen, wenn von der Schwangeren ein rechtswidriger Angriff ausgegangen ist.63 56

H. Tröndle/T. Fischer, Vor § 32 Rdn. 2. E. Nolte, 35. 58 BGHSt 35, 347 (350). Die Aussagen des Bundesgerichtshofs beziehen sich auf einen Irrtum über das Vorliegen rechtfertigender Umstände, da der Täter von der beschriebenen Gefahr ausging, die aber tatsächlich nicht gegeben war. 59 H. Tröndle/T. Fischer, § 34 Rdn. 16a; Schönke/Schröder-T. Lenckner/W. Perron, § 34 Rdn. 24; K. Lackner/K. Kühl, § 34 Rdn. 8; A. Archangelskij, 54 ff.; H. Dreier, JZ 2007, 261 (265 f.); K. Fehn/M. Brauns, 84; G. Jerouschek, FS H.-L. Schreiber, 2003, 185 (193); B. Hirsch, KritV 2006, 3 (12); W. Mitsch, GA 2006, 11 (23); A. Koch, JA 2005, 745 (747); A. Sinn, NStZ 2004, 585 (591); C. Jäger, ZStW 115 (2003), 765 (789). 60 H. Tröndle/T. Fischer, § 34 Rdn. 16a. 61 H. Tröndle/T. Fischer, § 34 Rdn. 16a. 62 MüKo-V. Erb, § 34 Rdn. 118 ff.; NK-U. Neumann, § 34 Rdn. 77; G. Spendel, RuP 2006, 131 (133 ff.); Re. Merkel, ZStW 114 (2002), 437 (452). 63 LK-P. Kröger, § 218 Rdn. 42. Im Ergebnis ebenso W. Mitsch, JR 2006, 450 (453), der mit einem geringeren Interesse an der Erhaltung des Lebens des nasciturus 57

B. Rechtfertigender Notstand, § 34 StGB

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III. Ausnahmen Trotz des nach der ganz herrschenden Meinung geltenden Abwägungsverbots des menschlichen Lebens im Bereich des rechtfertigenden Notstands gemäß § 34 StGB und des daraus resultierenden Verbots der Tötung Unbeteiligter werden verschiedene Fallgruppen diskutiert, in denen Ausnahmen zulässig sein sollen. Diese Fallgruppen werden im Folgenden dargestellt und in Bezug auf ihre Übertragbarkeit auf die Konstellation des § 14 Abs. 3 LuftSiG hin untersucht. Dabei geht es im Folgenden vor allem darum, zu prüfen, ob die Lehre der Unabwägbarkeit des menschlichen Lebens beziehungsweise des absoluten Verbots der Rechtfertigung der Tötung von nicht-gefahrverantwortlichen Personen konsistent vertreten wird. Sollten sich bei dieser Untersuchung Widersprüche ergeben, die daraus entstehen, dass die herrschende Meinung ihre Auffassung relativiert, so wäre dies ein nicht von der Hand zu weisendes Argument, möglicherweise auch in der Konstellation des § 14 Abs. 3 LuftSiG eine Rechtfertigung der Tötung der Unbeteiligten durch die Anwendung des § 34 StGB zu ermöglichen. 1. Rechtfertigender Defensivnotstand Unter dem Stichwort des rechtfertigenden Defensivnotstandes64 werden solche Fälle diskutiert, in denen objektiv eine Gefahr von einer Person ausgeht, aber diese Person nicht selbst für die Gefahr verantwortlich ist. Beispiele sind Angriffe Schuldloser oder Fälle, in denen wegen der fehlenden Handlungsqualität kein rechtswidriger Angriff vorliegt.65 Daher ist der Defensivnotstand systematisch eher als „Schwundstufe“ des Notwehrrechts und nicht als Unterfall des rechtfertigenden Notstands einzuordnen.66 a) Allgemeines Der rechtfertigende Defensivnotstand unterscheidet sich von § 34 StGB dadurch, dass der Interessenabwägungsmaßstab durch die Anwendung des in § 228 BGB enthaltenen Rechtsgedankens umgekehrt wird.67 Gemäß § 228 im Vergleich mit der Erhaltung des Lebens des angegriffenen Menschens argumentiert. 64 Als „Erfinderin“ des rechtfertigenden Defensivnotstandes gilt O. Lampe, NJW 1968, 88 ff. 65 Als Beispiel für die 2. Alternative ist zu nennen: A wirft B vom Dach eines Hauses, um C zu treffen. Hier ist kein Angriff durch B gegeben, auch wenn dessen Körper eine Gefahr für C darstellt; vgl. W. Joecks, Vor § 13 Rdn. 16. 66 Vgl. F.-B. Delonge, 155; M. Pawlik, JZ 2004, 1045 (1048) m.w. N. in Fn. 33. 67 U. Hellmann, 165.

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5. Teil: Strafrechtliche Rechtfertigung der Tötung von Unbeteiligten

BGB ist eine Notstandshandlung bereits dann gerechtfertigt, wenn die durch die Notstandshandlung verursachte Rechtsgutsverletzung nicht „außer Verhältnis“ zu der abzuwehrenden Gefahr steht.68 Ein wesentliches Überwiegen der geschützten Rechtsgüter wie bei § 34 StGB ist daher nicht erforderlich. Obwohl § 228 BGB ausdrücklich nur für die Beeinträchtigung von Sachen gilt, kann der dieser Regelung zu Grunde liegende Rechtsgedanke auch auf die Notstandshandlungen zu Lasten anderer Rechtsgüter, insbesondere auch zu Lasten des menschlichen Lebens, übertragen werden.69 Zum Teil wird dies allerdings in Bezug auf Notstandshandlungen gegenüber Menschen abgelehnt, da man mit diesen nicht so umgehen dürfe wie mit Sachen.70 Dieser Aussage mag grundsätzlich zuzustimmen sein. Dennoch zeigt ein Vergleich zwischen § 228 Satz 1 BGB und § 32 StGB, dass gegenüber menschlichen Angreifern sogar weitergehende Abwehrmaßnahmen als gegenüber angreifenden Sachen zulässig sein können.71 Überwiegend wird daher zu Recht vertreten, dass über die Anwendung des Defensivnotstandes auch die Tötung der Person, von der die Gefahr faktisch ausgeht, gerechtfertigt werden kann.72 b) Anwendung auf die Konstellation des § 14 Abs. 3 LuftSiG Unabhängig davon, ob durch den rechtfertigenden Defensivnotstand auch die Tötung von Menschen gerechtfertigt werden kann, stellt sich zuvor die Frage, ob ein Angriff mittels eines als Waffe missbrauchten Luftfahrzeuges überhaupt unter die oben genannten Voraussetzungen subsumiert werden kann. Für eine Rechtfertigung von Tötungen durch den rechtfertigenden Defensivnotstand wäre zunächst erforderlich, dass eine Gefahr von den getöteten Menschen ausging. Dies wird teilweise mit dem Argument abgelehnt, die Unbeteiligten würden selbst keine Gefahr für andere begründen; vielmehr gehe die Gefahr allein von dem Luftfahrzeug aus.73 Insofern mache es einen Unterschied, ob ein Mensch als Angriffsobjekt benutzt wird oder ob er sich in dem Angriffsobjekt befindet. Den Unbeteiligten könne der Missbrauch des Luftfahrzeuges als Waffe auch nicht zugerechnet werden.74 Re. Merkel führt aus: 68

Vgl. dazu Palandt-H. Heinrichs, § 228 Rdn. 8. U. Hellmann, 165 f. m.w. N. in Fn. 39; W. Gropp, § 6 Rdn. 137; H.-H. Jescheck/ T. Weigend, 365; J. Hruschka, NJW 1980, 21 (22). 70 So C. Roxin, FS Jescheck, Erster Halbband, 1985, 457 (466 f.); ders., FS Oehler, 1985, 181 (189 ff.). 71 M. Pawlik, GA 2003, 12 (18). 72 MüKo-V. Erb, § 34 Rdn. 156; SK-H.-L. Günther, § 34 Rdn. 43; M. Pawlik, Notstand, 316 m.w. N.; a. A. Schönke/Schröder-T. Lenckner/W. Perron, § 34 Rdn. 30. 73 G. Laschewski, 139; A. Archangelskij, 99; E. Hilgendorf, in: Blaschke u. a. (Hg.), Sicherheit statt Freiheit?, 107 (127); Re. Merkel, Die Zeit vom 8. Juli 2004, 33. 74 M. Pawlik, JZ 2004, 1045 (1049). 69

B. Rechtfertigender Notstand, § 34 StGB

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„Es wäre nachgerade arglistig, den Passagieren der entführten Maschine zu sagen, sie seien leider eine Gefahrenquelle für das Leben anderer geworden und würden deshalb rechtens getötet. [. . .] Der Umstand, dass sie schuldlos im Bauch einer Gefahrenquelle stecken, macht sie nicht selbst zu einer.“75

Zur Verdeutlichung nennt Merkel das Beispiel, dass eine Schwangere in Ausübung des Notwehrrechts getötet wird. Der Verteidiger sei hier im Hinblick auf die Tötung des nasciturus nicht gerechtfertigt; es komme lediglich eine Entschuldigung in Betracht.76 Giemulla meint, die „Rigorosität“, mit der die Anwendbarkeit der Grundsätze des rechtfertigenden Defensivnotstandes auf die Konstellation des § 14 Abs. 3 LuftSiG ablehnt wird, könne nicht überzeugen. Die entscheidende Voraussetzung des Defensivnotstandes liege darin, dass „der zu Tötende ohne sein bewusstes Zutun, das heißt gleichsam schicksalhaft, zum Gefahrenherd geworden sein muss“.77 Diese Voraussetzung sei aber in der Konstellation des § 14 Abs. 3 LuftSiG durchaus gegeben. Giemullas Argumentation geht von einer unzutreffenden Prämisse aus, in dem er unterstellt, dass die „Passagiere zum Gefahrenherd für andere geworden“ sind.78 Die eigentliche Gefahr geht jedoch nicht von den unbeteiligten Personen aus.79 Sie werden nicht selbst als Waffe missbraucht, sondern sind lediglich mit dem als Waffe missbrauchten Luftfahrzeug verhaftet. Die entscheidende Frage muss daher lauten: Ist es für die Anwendung des rechtfertigenden Defensivnotstandes ausreichend, dass die zu tötende Person mit dem Gefahrenherd derart verbunden ist, dass dieser Gefahrenherd nur um den Preis der sicheren Tötung des oder der Unbeteiligten beseitigt werden kann? Robbers bejaht dies – allerdings ohne ausdrücklich Bezug auf den rechtfertigenden Defensivnotstand zu nehmen – und meint daher, es sei ausreichend, dass die Passagiere ein „Teil der Waffe“80 sind. Ähnlich will H. J. Hirsch es im Fall eines untergehenden Schiffes ausreichen lassen, dass die Gefahr von dem Teil des Schiffes ausgeht, in dem sich die geopferten Personen befinden.81 75

Re. Merkel, Die Zeit vom 8. Juli 2004, 33. Re. Merkel, Die Zeit vom 8. Juli 2004, 33; a. A. LK-P. Kröger, § 218 Rdn. 42. 77 E. Giemulla, ZLW 2005, 32 (42). 78 So E. Giemulla, ZLW 2005, 32 (48). 79 Anders wäre die Situation in dem folgenden, von Nozick gebildeten, Beispiel: A befindet sich am Boden eines Brunnens und ist mit einem Lichtstrahlengewehr („raygun“) bewaffnet. Von oben wirft jemand einen dicken Mann (B) in den Brunnen um A zu töten. A kann B mit dem Lichtstrahlengewehr im Flug atomisieren und sich dadurch retten, vgl. R. Nozick, 34; siehe auch J. J. Thomson, Philosophy and Public Affairs 1991, 283 (287). 80 G. Robbers, Stellungnahme, 10. 81 LK-H. J. Hirsch, § 34 Rdn. 74. 76

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5. Teil: Strafrechtliche Rechtfertigung der Tötung von Unbeteiligten

Diese Auffassung kann jedoch nicht überzeugen, da ansonsten der Gesichtspunkt der Verursachung einer Gefahr, der die Heranziehung des Abwägungsmaßstabes des § 228 BGB erst möglich macht, vernachlässigt wird. Ebenso wenig, wie die als Schutzschild missbrauchte Person ein Teil des Angriffs ist, sind die unbeteiligten Flugzeuginsassen ein „Teil der Waffe“ oder ein Teil des Gefahrenherdes. Eine andere Lösung würde die Unbeteiligten faktisch den GefahrVerantwortlichen gleichstellen. Es ist also nicht ausreichend, dass die Verteidigungshandlung zur Abwendung der Gefahr führt;82 die abzuwehrende Gefahr muss auch objektiv durch die in Anspruch zu nehmenden Personen verursacht worden sein. Daher ist eine Rechtfertigungsmöglichkeit nach den Grundsätzen des rechtfertigenden Defensivnotstandes in der Konstellation des § 14 Abs. 3 LuftSiG abzulehnen.83 2. Rechtfertigende Pflichtenkollision Die Einzelheiten der Rechtsfigur der rechtfertigenden Pflichtenkollision können trotz mehrfacher ausführlicher Untersuchungen84 als ungeklärt und umstritten bezeichnet werden. Dabei geht es vor allem um die dogmatische Einordnung und die damit verbundene Stellung der Pflichtenkollision im Prüfungsaufbau.85 Eine Beantwortung dieser Fragen kann und will die vorliegende Arbeit nicht leisten. Das Problem der Pflichtenkollision wird daher im Folgenden lediglich in Bezug auf die Tötung von Unbeteiligten in der Konstellation des § 14 Abs. 3 LuftSiG durch die Streitkräfte diskutiert. a) Allgemeines Nach heute überwiegender Meinung ist anerkannt, dass im Fall der Kollision gleichwertiger Handlungspflichten keine Rechtswidrigkeit vorliegt, wenn der Täter eine der widerstreitenden Pflichten erfüllt und ihm zugleich die Erfüllung der anderen Pflicht unmöglich ist.86 Zur Begründung wird ausgeführt, dass nach

82

A. Onagi, 112. Im Ergebnis ebenso C. Roxin, Strafrecht AT I, § 16 Rdn. 88. 84 Vgl. insbesondere G. M. Scheid, Grund- und Grenzfragen der Pflichtenkollision beim strafrechtlichen Unterlassungsdelikt, 2000; W. Küper, Grund- und Grenzfragen der rechtfertigenden Pflichtenkollision im Strafrecht, 1979; H. Otto, Pflichtenkollision und Rechtswidrigkeitsurteil, 1978. 85 Vgl. U. Neumann, FS Roxin 2001, 421 f. 86 Schönke/Schröder-T. Lenckner, Vor §§ 32 ff. Rdn. 73; J. Baumann/U. Weber/W. Mitsch, § 17 Rdn. 137; H.-H. Jescheck/T. Weigend, 365; U. Neumann, FS Roxin, 2001, 421 (431 f.); W. Gropp, FS H. J. Hirsch, 1999, 207 (216); J. Hruschka, FS Dreher, 1977, 189 (195); G. Mangakis, ZStW 84 (1972), 447 (466, 473); V. Krey, JuS 1971, 248 f. Dabei ist allerdings umstritten, ob die Pflichtenkollision einen eigenstän83

B. Rechtfertigender Notstand, § 34 StGB

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dem Grundsatz „ultra posse nemo tenetur“ vom Täter nichts Unmögliches verlangt werden dürfe.87 Als Schulbeispiel wird häufig der folgende Fall genannt: Der Vater geht mit seinen beiden Söhnen segeln und das Boot kentert. Beide Söhne drohen zu ertrinken. Es ist dem Vater nur möglich, ein Kind zu retten; das andere ertrinkt.88

Die Vertreter der Gegenmeinung bejahen lediglich einen Entschuldigungsgrund, um so wegen des verwirklichten Erfolgsunrechts keine rechtliche Verhaltensbilligung aussprechen zu müssen,89 oder begründen die Straffreiheit mit der Figur des „rechtsfreien Raums“.90 b) Kollision von Handlungs- und Unterlassungspflicht Die Kardinalfrage im Bereich der rechtfertigenden Pflichtenkollision ist, ob auch eine Unterlassungspflicht und eine Handlungspflicht in Bezug auf den Schutz des Rechtsgutes Leben als gleichwertige Pflichten miteinander kollidieren können. In diesen Fällen greift der Täter durch die Befolgung des Handlungsgebotes unter gleichzeitiger Missachtung des Unterlassungsgebotes aktiv in Rechtsgüter dritter unbeteiligter Personen ein. Im Wesentlichen setzt sich hier der Streit um den Vorrang des Achtungsanspruches gegenüber der staatlichen Schutzpflicht91 auf strafrechtlicher Ebene fort. aa) Meinungsstand Die herrschende Auffassung bewertet hier lediglich das Erfüllen der Unterlassungspflicht als rechtmäßig, aber keinesfalls die Befolgung des Handlungsgebotes.92 Mit anderen Worten: Es „wird ein genereller Vorrang des Verbotes gegenüber dem Gebot statuiert.“93 Dementsprechend wird auch die Anwendung der rechtfertigenden Pflichtenkollision in der Konstellation des § 14 Abs. 3 LuftSiG überwiegend abgelehnt,94 denn hier geht es – wie bereits oben im Rahmen der digen Rechtfertigungsgrund darstellt oder ein Unterfall des rechtfertigenden Notstandes ist. 87 Schönke/Schröder-T. Lenckner, Vor §§ 32 ff. Rdn. 73; V. Krey, JuS 1971, 248 (249). 88 Vgl. C. Roxin, Strafrecht AT I, § 16 Rdn. 116. 89 H. Tröndle/T. Fischer, Vor § 32 Rdn. 11. 90 Art. Kaufmann, FS Maurach, 1972, 327 (337); W. Schild, JA 1968, 631 (635). 91 Siehe oben 3. Teil D. III. 3. d) cc) (2). 92 W. Küper, Pflichtenkollision, 29 ff., 34; C. Roxin, Strafrecht AT I, § 16 Rdn. 116 f. m.w. N.; W. Gropp, FS H. J. Hirsch, 1999, 207 (213). 93 U. Neumann, FS Roxin, 2001, 421 (425). 94 K. Fehn/M. Brauns, 84 f.; A. Sinn, NStZ 2004, 585 (586).

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5. Teil: Strafrechtliche Rechtfertigung der Tötung von Unbeteiligten

Grundrechtsprüfung dargestellt worden ist – um eine Kollision zwischen einer Handlungs- und einer Unterlassungspflicht. Zum Teil wird diese Fragestellung unsauber diskutiert. So meint Gintzel im Zusammenhang mit der Diskussion um die Folter im präventiven Bereich, dass in einem Entführungsfall zwei Handlungspflichten des vernehmenden Polizisten kollidieren würden, nämlich einerseits die Pflicht, die Würde des Täters zu achten, und andererseits die Pflicht, die Würde des Entführten zu schützen.95 In diesem Fall geht es jedoch um zwei verschiedene Pflichten, nämlich um eine Unterlassungs- und eine Handlungspflicht! Denn der Polizist hat grundsätzlich die Pflicht, Handlungen zu unterlassen, welche die Menschenwürde des (vermeintlichen) Täters verletzen könnten. Andere vertreten, dass Handlungs- und Unterlassungspflichten durchaus gleichrangig sein können.96 Otto bildet den Fall, dass ein sich verkehrsgerecht verhaltender Autofahrer, der den Tempomat auf eine angemessene Geschwindigkeit eingestellt hat, das Überfahren des unachtsamen Fußgängers A durch Abbremsen verhindern kann. Durch das Abbremsen würde aber sogleich der zu dicht aufgefahrene Motorradfahrer B getötet werden.97 Hier kollidiert die (Handlungs-)Pflicht zum Bremsen mit der (Unterlassungs-)Pflicht, nicht in den Fahrablauf einzugreifen. Nach Ottos Auffassung könne die Handlungspflicht in diesem Fall keinen rechtlichen Vorrang beanspruchen, denn ansonsten sei der Fahrer rechtlich dazu verpflichtet, den Fußgänger zu überfahren. Die Entscheidung für das Unterlassen könne „nicht mit dem Unwerturteil der Verwirklichung von Unrecht belegt werden“.98 bb) Anwendung auf die Konstellation des § 14 Abs. 3 LuftSiG Die Situation beim Abschuss eines Luftfahrzeuges durch die Luftwaffe ist eine grundlegend andere als in Ottos Beispiel, in dem der Fahrer sowohl durch ein Unterlassen als auch durch ein Handeln eine Tötung vornimmt. Wird der Abschuss unterlassen, so führt der Pilot durch sein Verhalten keine Tötung herbei. Diese wird unmittelbar erst durch ein Verhalten der Flugzeugentführer verursacht. Ungeachtet des Streits um den Vorrang der Unterlassungs- gegenüber der Handlungspflicht im Strafrecht, müsste zunächst in den Fällen des § 14 Abs. 3 95

K. Gintzel, Die Polizei 2004, 249 (253). NK-H.-U. Paeffgen, Vor §§ 32 bis 35 Rdn. 171; H. Otto, Grundkurs Strafrecht, Rdn. 206; ders., Pflichtenkollision, 119 ff. 97 H. Otto, Pflichtenkollision, 121. 98 H. Otto, JURA 2005, 470 (474). 96

B. Rechtfertigender Notstand, § 34 StGB

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LuftSiG eine solche strafrechtliche Handlungspflicht zum Abschuss eines Luftfahrzeuges bestehen. Diese Pflicht könnte sich allenfalls daraus ergeben, dass die Luftwaffenpiloten eine strafrechtliche Garantenstellung gemäß § 13 Abs. 1 StGB für das Leben der am Boden bedrohten Menschen haben. In Betracht kommt hier eine Beschützergarantenstellung aus der Amtsträgereigenschaft der Soldaten. Die Frage der Garantenstellung von Amtsträgern ist umstritten: Ein Teil der Literatur meint, alleine auf Grund der öffentlich-rechtlichen Schutzpflichten könne noch keine strafrechtliche Garantenstellung des einzelnen Amtsträgers begründet werden.99 Dagegen bejahen sowohl die Rechtsprechung100 als auch eine erhebliche Anzahl von Literaturstimmen101 die Zulässigkeit der Ableitung von Garantenpflichten aus einer Amtsstellung. Der Streit kann vorliegend offen bleiben, wenn schon aus anderen Gründen in der Konstellation des § 14 Abs. 3 LuftSiG keine Garantenstellung gegeben ist. Eine Garantenpflicht des einzelnen Soldaten beziehungsweise des Befehlsgebers kann nur innerhalb des verfassungsrechtlichen Auftrags der Streitkräfte bestehen. Dabei existiert keine strafrechtliche Pflicht zum Handeln, soweit die zur Erfolgsabwendung erforderliche Handlung nicht durch den verfassungsrechtlichen Auftrag der Streitkräfte gedeckt ist. Der Vorrang der Verfassung vor allgemeinen strafrechtlichen Regelungen wäre verletzt, wenn eine strafrechtliche Garantenstellung den einzelnen Soldaten zu Handlungen verpflichten würde, die ihrerseits gegen den Ausdrücklichkeitsvorbehalt des Art. 87a Abs. 2 GG verstoßen würden. In diesen Fällen besteht wegen der rechtlichen Unmöglichkeit noch nicht einmal eine allgemeine Hilfspflicht gemäß § 323c StGB, denn § 323c StGB begründet keine Pflicht zur Vornahme von verfassungswidrigen Handlungen. Eine Garantenstellung kann auch nicht auf die folgende politische Äußerung gestützt werden: „Die Bundeswehr schützt die Bürger der Bundesrepublik Deutschland gegen jegliche Bedrohungen.“102 Ein solcher Satz entbehrt einer verfassungsrechtlichen Grundlage und kann daher auch keine Rechtswirkungen erzeugen. Die Untersuchung der wehrverfassungsrechtlichen Fragestellungen hat ergeben, dass ein Abschuss eines Luftfahrzeuges durch die Streitkräfte im Katastrophennotstand gemäß Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG verfassungswidrig 99 B. Schünemann, 362 f.; R. Zaczyk, FS Rudolphi, 2004, 361 (369) m.w. N.; H.-J. Rudolphi, JR 1995, 167 f. Allerdings kann einem Amtsträger nach dieser Auffassung eine Garantenstellung zukommen, wenn er eine konkrete Schutzaufgabe übernommen hat. 100 BGHSt 38, 388 ff.; BGH, NStZ 2000, 147; OLG Stuttgart, NJW 1998, 3131. 101 LK-H.-H. Jescheck, § 13 Rdn. 27, 29; J. Brammsen, 190 ff.; M. Pawlik, ZStW 111 (1999), 335 ff. 102 Vgl. BMVg, VPR, Nr. 74.

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5. Teil: Strafrechtliche Rechtfertigung der Tötung von Unbeteiligten

ist, da die Anwendung militärischer Gewalt im Katastrophennotstand nicht mit Art. 87a Abs. 2 GG zu vereinbaren ist.103 Diese Auffassung ist auch durch das Bundesverfassungsgericht bestätigt worden.104 Daraus folgt, dass sowohl die Piloten der Luftwaffe als auch die Befehlsgeber in der Konstellation des § 14 Abs. 3 LuftSiG keine Garantenstellung für das Leben der bedrohten Menschen am Boden und damit auch keine strafrechtliche Handlungspflicht haben, ein Luftfahrzeug abzuschießen.105 Daher kann hier der Streit um das Verhältnis zwischen der Handlungs- und Unterlassungspflicht im Bereich der rechtfertigenden Pflichtenkollision offen bleiben. 3. Gefahrengemeinschaft Die Konstellationen der Gefahrengemeinschaft haben in Bezug auf die Rechtfertigung der Tötung von Unbeteiligten sowohl in der Vergangenheit als auch in der Gegenwart eine besonders wichtige Rolle gespielt. Dabei geht es bei der Gefahrengemeinschaft um Fälle, in denen ohne die Vornahme der Tötungshandlung alle Angehörigen einer Menschengruppe sterben werden. Lenckner definiert den Begriff „Gefahrengemeinschaft“ als „die Situation, dass sich mehrere Rechtsgüter in einer gemeinsamen Gefahr befinden, in der sie alle untergehen müssten, wenn nicht wenigstens das eine auf Kosten der anderen gerettet würde“.106

Das grundlegende Problem liegt hier darin, dass die Befolgung des Tötungsverbotes letztlich nichts zum Rechtsgüterschutz beitragen kann, sondern den Gesamtschaden erhöht. So führte bereits Binding eindrucksvoll aus: „Kollidiert Leben mit Leben und beiden ist verboten, sich auf Kosten des andern zu erhalten, so sollen nach dem Willen des Gesetzes beide zu Grunde gehen. Dieser Wille wäre aber die Unvernunft selbst [. . .].“107

Bindings Aussage hat im weiteren Verlauf der Diskussion von vielen Seiten Zustimmung erfahren. So vertrat auch v. Weber, ein vernünftiges Recht könne es nicht verbieten, „dass nicht wenigstens ein Menschenleben gerettet wird, wenn die Rettung beider unmöglich ist.“108 Küper meint:

103

Siehe oben 3. Teil C. II. 1. b) cc). BVerfG, NJW 2006, 751 (755 Abs. 106, 757 Abs. 116). 105 Dieses Ergebnis steht nicht im Widerspruch zu der oben [3. Teil D. III. 3. d) cc) (3)] vertretenen Auffassung, dass der Gesetzgeber sich grundsätzlich dazu entscheiden kann, dass er der staatlichen Schutzpflicht gegenüber dem Achtungsanspruch den Vorrang einräumen kann, da es bei der rechtfertigenden Pflichtenkollision allein um strafrechtliche Pflichten, aber nicht um grundrechtliche Fragen geht. 106 T. Lenckner, Notstand, 17. 107 K. Binding, 765. 108 H. v. Weber, Notstandsproblem, 30. 104

B. Rechtfertigender Notstand, § 34 StGB

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„Die Befolgung des Tötungsverbots, das doch der Erhaltung menschlichen Lebens dienen soll, scheint bei solchen Konstellationen zu einer geradezu lebensfeindlichen Maxime zu werden, die jede Möglichkeit, Leben zu erhalten, verwehrt, ein sinnloses Lebensopfer erzwingt und sich damit offenbar selbst ad absurdum führt!“109

Dabei sind zwei grundlegend verschiedene Gefahrengemeinschaften denkbar: In der einen sind die Rettungschancen mehrseitig verteilt, das heißt, der Notstandstäter kann die zu tötenden Menschen beliebig aus der insgesamt bedrohten Personengruppe auswählen. Es ist theoretisch möglich, dass jeder auf Kosten des Lebens der anderen gerettet wird. Als Beispiel ist hier der Fährmannfall zu nennen, in dem ein Fährmann Menschen aus einem Boot, das unterzugehen droht, wirft und dadurch die übrigen Insassen rettet.110 In der zweiten Konstellation geht es dagegen um Fälle, in denen die Rettungschancen einseitig verteilt sind, das heißt, ein Teil der Personengruppe kann durch die Tötung der anderen gerettet werden, während letztere keine Überlebensmöglichkeit mehr haben. Dieser Fall ist auch in der Konstellation des § 14 Abs. 3 LuftSiG einschlägig, denn die Personen am Boden können nur durch die Tötung der unbeteiligten Flugzeugpassagiere gerettet werden. Eine Rettung der Flugzeugpassagiere auf Kosten der Menschen am Boden ist dagegen allenfalls in Form einer kurzfristigen Lebenszeitverlängerung, aber nicht in Form einer dauerhaften Überlebensmöglichkeit möglich. a) Mehrseitige Verteilung von Rettungschancen Mit Fallgestaltungen der mehrseitigen Verteilung von Rettungschancen haben sich Rechtsprechung und Literatur intensiv im Zusammenhang mit den Strafverfahren gegen Ärzte, Verwaltungsbeamte und Krankenpfleger wegen der Teilnahme an der so genannten Euthanasie-Aktion im Dritten Reich, die auf die „Vernichtung lebensunwerten Lebens“ gerichtet war, auseinandergesetzt. Dabei ging es darum, dass die Angeklagten einen Teil der ihnen anvertrauten Patienten getötet hatten, um so den anderen Teil der Patienten zu retten.111 Die Angeklagten beriefen sich in diesen Verfahren unter anderem darauf, dass sie vom Gesamtergebnis gesehen durch ihre Beteiligung an den Tötungen Menschenleben gerettet hätten. Bei einer vollständigen Verweigerung der Teilnahme an der Euthanasie-Aktion wären sie möglicherweise durch gehorsamere Personen ersetzt worden, die den Vernichtungsprozess noch beschleunigt hätten. Ganz überwiegend wurde hier eine Rechtfertigung abgelehnt.112 So hat der Oberste Gerichtshof für die Britische Zone mit Urteil vom 23. Juli 1949 festge109

W. Küper, JuS 1981, 785 (790). T. Klefisch, MDR 1950, 258 (261). Der Fährmannfall ist anscheinend der Entscheidung US v Holmes nachgebildet, siehe dazu unten 5. Teil B. IV. 2. a). 111 Vgl. BGH, NJW 1953, 513. 110

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5. Teil: Strafrechtliche Rechtfertigung der Tötung von Unbeteiligten

stellt, ein übergesetzlicher (rechtfertigender) Notstand komme nur dann in Betracht, wenn bei einer Güter- oder Pflichtenkollision die Notstandshandlung zu Lasten eines minderen Rechtsgutes beziehungsweise einer minderhohen Rechtspflicht erfolgt: „Von einem Widerstreit zwischen verschiedenen Rechtsgütern ist schon deshalb nicht zu sprechen, weil als beteiligtes Rechtsgut hier nur das Leben der Kranken in Betracht kommt. Die Versuche, zwei Gruppen von Kranken einander gegenüberzustellen, müssen scheitern.“113

Auch der Bundesgerichtshof hat eine Rechtfertigung verneint und mit Urteil vom 28. November 1952 im Leitsatz festgestellt: „Der Rechtsgedanke, dass gegen Leib oder Leben gerichtete Notstandshandlungen zur Rettung aus einer Gefahrengemeinschaft, in der ohne die rettende Tat alle gleichmäßig verloren wären, erlaubt seien, hat im geltenden Recht keinen Niederschlag gefunden.“114

In der Literatur wird häufig eine Rechtfertigung bei der mehrseitigen Verteilung von Rettungschancen abgelehnt, da der Täter durch die Auswahl der geopferten Personen „Schicksal spielen“115 und sich damit eine gottähnliche Position anmaßen würde.116 Eine Mindermeinung hat jedoch eine Rechtfertigung der Beteiligten gefordert.117 So meint Klefisch: „Ihr Verhalten [ist] durch den Notstand der Pflichtenkollision gerechtfertigt, so dass nicht nur die Schuld, sondern auch nach der herrschenden Meinung der Unrechtsgehalt der Tat entfällt.“118

Klefisch argumentiert zunächst mit dem „natürliche[n] Rechtsempfinden“, wonach der juristisch unbefangene Laie das Verhalten der Beteiligten „unmöglich als Unrecht empfinden“ könne. Auch aus strafrechtlicher Sicht liege ein „echter Pflichtenwiderstreit“ vor. Zwar sei bei einer Abwägung „Leben gegen Leben“ in der Regel keine Rechtfertigung möglich; dies gelte jedoch nicht im 112 C. Roxin, FS Henkel, 1974, 171 (195); W. Gallas, FS Mezger, 1954, 311 (327); H. v. Weber, FS Kiesselbach, 1947, 233 (249); H. Woesner, NJW 1964, 1 (5); H. Welzel, ZStW 63 (1951), 47 (52); F. Hartung, NJW 1950, 151; K. Peters, JR 1950, 742 (745); siehe auch R. P. Broglio, 21 ff. 113 OGHSt 2, 117 (122), unter Berufung auf OGHSt 1, 321 (333 f.). 114 BGH, NJW 1953, 513. 115 Vgl. A. Meißner, 204; E. Schmidt, SJZ 1949, Sp. 559 (Sp. 565 f.). 116 Ähnlich auch P. Bockelmann/K. Volk, § 15 Nr. II. 7. f): „Der Einzelne ist nicht befugt, zu entscheiden, wer wohl sterben muss.“ 117 T. Klefisch, MDR 1950, 258; vorsichtiger E. Kern, ZStW 64 (1952), 255 (289 f.). 118 T. Klefisch, MDR 1950, 258. In diesem Zusammenhang darf nicht übersehen werden, dass Klefisch der juristischen Aufarbeitung von Straftaten während des Dritten Reiches grundsätzlich ablehnend gegenüber stand, vgl. T. Klefisch, MDR 1949, 324 (329).

B. Rechtfertigender Notstand, § 34 StGB

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Fall der Gefahrengemeinschaft. Die Tötung von wenigen sei hier gerechtfertigt, denn, „wer das Leben von Tausenden rettet und nur retten kann, wenn er einen oder einige dem unentrinnbaren Schicksal überlässt, wahrt das höhere Interesse“.119 Die Angeklagten hätten auch nicht etwa „Schicksal gespielt“, indem sie einen Teil der Patienten töteten: „Die nicht geretteten Geisteskranken waren durch einen verbrecherischen Befehl endgültig zur Vernichtung bestimmt. Auch das kann man Schicksal nennen. Wenn die Ärzte aus der Zahl der durch dieses Schicksal Betroffenen möglichst viele retteten, so haben sie nicht selbst Schicksal gespielt, sondern dem Schicksal, das allen bereitet war, die entrissen, die noch zu retten waren.“120

Otto meint in Bezug auf die Euthanasiefälle, dass eine Handlung, die den Tod anderer zur Folge hat, „nicht pflichtwidrig“ ist, „wenn sie in der Absicht der Rettung des Lebens einer möglichst großen Anzahl von Menschen aus einer Zahl Todgeweihter erfolgt und der Handelnde keine Möglichkeit hat, alle zu retten“.121

Otto befürwortet jedoch nicht ausdrücklich eine Rechtfertigung der Täter. Vielmehr geht er lediglich davon aus, dass die Tötungen „nicht rechtswidrig“ waren.122 Allerdings bewertet er die Tötungshandlungen nicht als rechtmäßig. Damit befürwortet er eine dritte Bewertungsmöglichkeit neben Rechtswidrigkeit und Rechtmäßigkeit123 und tendiert in die Richtung des rechtsfreien Raums.124 Zweifelhaft ist, ob die Argumentation, der Täter dürfe bei einer Gefahrengemeinschaft mit mehrseitiger Verteilung von Rettungschancen nicht selbst entscheiden, wer aus der Gruppe der Personen stirbt, ausschlaggebend sein kann. Denn auch bei einer rechtfertigenden Pflichtenkollision wird nicht etwa gefordert, dass der Vater auslosen muss, welchen Sohn er rettet.125 Allerdings könnte auch die Entscheidung, den einen Sohn zu retten, als eine Art „Schicksal spielen“ angesehen werden, da diese Entscheidung zugleich beinhaltet, dass der andere Sohn nicht gerettet wird. Soweit ersichtlich vertritt jedoch niemand, dass der Garant im Fall einer Kollision von gleichwertigen Handlungspflichten zunächst einen Losentscheid durchführen muss, um entscheiden zu können, welche Handlungspflicht er zu erfüllen hat. Im Gegenteil erkennt zum Beispiel Lenckner in diesen Fällen ein „Wahlrecht“ des Vaters ausdrücklich an.126

119 120 121 122 123 124 125 126

T. Klefisch, MDR 1950, 258 (260). T. Klefisch, MDR 1950, 258 (261). H. Otto, Pflichtenkollision, 109. H. Otto, Pflichtenkollision, 111 f. H. Otto, Pflichtenkollision, 112. Siehe zu der Diskussion über die Figur des „rechtsfreien Raums“ unten 6. Teil E. Siehe das Beispiel oben 5. Teil B. III. 2 a). T. Lenckner, GA 1985, 295 (305).

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5. Teil: Strafrechtliche Rechtfertigung der Tötung von Unbeteiligten

b) Einseitige Verteilung von Rettungschancen Einer der am meisten diskutierten Fälle der einseitigen Verteilung von Rettungschancen ist der auf Ru. Merkel zurückgehende „Bergsteigerfall“:127 Drei Bergsteiger (A, B und C) befinden sich auf einer Hochgebirgstour. Dabei stürzen sie auf Grund eines Materialfehlers ab und hängen nun über einer tiefen Schlucht, wobei B und C am unteren Ende des Seils hängen. Wegen des hohen Gewichtes droht das Seil aus seiner Verankerung zu reißen. Um sich zu retten, schneidet der oben hängende A das Seil hinter sich durch. Wegen der Gewichtsverringerung überlebt A, während B und C abstürzen und sterben. Hätte A das Seil nicht durchgeschnitten, wären alle drei gemeinsam wenige Sekunden später gestorben.

Ein weiterer Fall der einseitigen Verteilung der Rettungschancen wird im Zusammenhang mit einem leck geschlagenen Schiff diskutiert, das nur noch dadurch vor dem Untergang bewahrt werden kann, indem die Schotten einer Abteilung geschlossen werden, in der sich noch Menschen befinden. Mayer geht dabei von einer „altherkömmlichen Rechtsgewohnheit“ des Seerechts aus, die ein solches Verhalten rechtfertige.128 Einen solchen gewohnheitsrechtlichen Grundsatz erkennen auch andere mit dem Hinweis auf die nicht existenten Rettungschancen der eingeschlossenen Menschen an.129 aa) Bejahung der Rechtfertigung Vor allem in der älteren Literatur wurde kein absolutes Verbot der Abwägung von Lebensinteressen gefordert. So löste zum Beispiel Oetker den „Bergsteigerfall“ über die Anwendung des Prinzips des „kleineren Übels“: „Die Durchschnittsbetrachtung, die als erhaltenswert alles ansieht, was das Recht durch seine Satzungen schützt und daher in mehrfachem Gutsverlust gegenüber dem einfachen das größere Übel findet, muss den Ausschlag geben.“130

Auch viele andere Stimmen bejahten eine Rechtfertigung der Tötung der unten hängenden Bergsteiger durch A.131 Teilweise wurde sogar vertreten, das Abschneiden sei noch nicht einmal kausal für den Tod von B und C.132 So meinte Ru. Merkel: 127

Ru. Merkel, 48. H. Mayer, 179. 129 Schönke/Schröder-T. Lenckner/W. Perron, § 34 Rdn. 39; LK-H. J. Hirsch, § 34 Rdn. 74; T. Lenckner, Notstand, 31; H. J. Hirsch, FS Bockelmann, 1979, 89 (110); G. Mangakis, ZStW 84 (1972), 447 (474); ähnlich auch H. Otto, Pflichtenkollision, 85; a. A. H.-H. Jescheck/T. Weigend, 361. 130 F. Oetker, FG v. Frank, Band I, 1930, 359 (374). Oetker meinte, im „Bergsteigerfall“ liege wegen der Gewissheit des Untergangs des einen Gutes sogar mehr als eine bloße Gefahrengemeinschaft vor. Mit dieser Aussage unterstrich Oetker die einseitige Verteilung der Rettungschancen. 128

B. Rechtfertigender Notstand, § 34 StGB

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„Der Tod des einen [steht] zwar in kausaler Beziehung zur Handlung des andern, aber diese kausale Beziehung ist ohne jede materielle Bedeutung, weil und sofern die Sachlage die war, dass der Gestürzte auch ohne Handlung des andern, wenn auch eine Sekunde später und mit anderen Modifikationen, den Tod gefunden hätte.“133

Maurach führte utilitaristische Argumente für eine Rechtfertigung im „Bergsteigerfall“ an: „Sehen wir das Recht primär als Gemeinschaftsregelung an [. . .] so ergibt es sich, dass es der Rechtsordnung mehr auf das soziale Gesamtergebnis der Notstandshandlung ankommt [. . .]. [Der Gemeinschaft] aber ist es lieber, dass nur einer ihrer Rechtsgenossen untergeht, und nicht beide (Brett des Karneades), oder dass das materiell wertlosere Gut dem lebenskräftigeren zu weichen hat (Bergsteigerfall).“134

Aus dem aktuellen Schrifttum sind als Befürworter einer Rechtfertigung im „Bergsteigerfall“ vor allem U. Neumann und Erb zu nennen: Durch das Abschneiden des Seils werde ein bereits unausweichlicher Schadensverlauf lediglich „beschleunigt“;135 das Risiko, dem die unten hängenden Bergsteiger ausgesetzt sind, erfahre nur eine „beschleunigte Umsetzung“.136 Wenn die Rettungschancen einseitig verteilt sind, müsse daher die Interessenabwägung im Rahmen des § 34 StGB wegen der Chancenlosigkeit der Getöteten zu Gunsten derer ausfallen, die der Gefahr noch entrinnen können. Die Forderung der rettungslos Verlorenen, ihr Leben dadurch kurzzeitig zu verlängern, indem die anderen Gefährdeten mit in den sicheren Tod genommen werden, sei eine Überstrapazierung der Solidarität der zu Rettenden.137 Auf die Konstellation des § 14 Abs. 3 LuftSiG übertragen bedeutet dies nach Re. Merkel, dass das Lebensrecht der Flugzeugpassagiere sich faktisch auf einen für sie bedeutungslosen Rest reduziere; daher könne die gesellschaftliche Solidarität die „Hergabe“ dieses Lebensrestes verlangen.138

131 J. Rödig, 71 f.; H. v. Weber, 30, 32 f.; H. Henkel, Notstand, 93; M. Jansen, 10; F. Oetker, FG v. Frank, Band I, 1930, 359 (373); E. Schmidt, SJZ 1949, Sp. 559 (Sp. 565). 132 Ru. Merkel, 48; D. Oehler, JR 1951, 489 (494). 133 Ru. Merkel, 48. 134 R. Maurach, 95. 135 NK-U. Neumann, § 34 Rdn. 76. 136 MüKo-V. Erb, § 34 Rdn. 120. 137 NK-U. Neumann, § 34 Rdn. 77; MüKo-V. Erb § 34, Rdn. 119. 138 Re. Merkel, ZStW 114 (2002), 437 (452 f.); siehe auch ders., in: Roxin/Schroth (Hg.), Medizinstrafrecht, 145 (170): „Mir erscheint diese Lösung [gemeint ist die Rechtfertigungslösung bei einer einseitigen Verteilung von Rettungschancen] gegenüber einer starren Unnachgiebigkeit des Grundprinzips, die hier um der minimalen Verlängerung eines unrettbar verlorenen Lebens ein vollständig zu rettendes anderes preisgeben müsste, unbedingt vorzugswürdig.“

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5. Teil: Strafrechtliche Rechtfertigung der Tötung von Unbeteiligten

Erb und Neumann versuchen das Argument zu entkräften, dass die vom Recht geforderte Aufopferung der verbleibenden Lebensspanne der rettungslos Verlorenen eine unzulässige Relativierung des Lebensschutzes bedeutet. Bei der Fallgruppe der „einseitigen Rettungschancen“ komme es nicht zur positiven Zuweisung des Todesschicksals durch den Tötenden; vielmehr werde den Getöteten nur das Recht genommen, sich um den Preis des Todes aller gegen die Notstandshandlung wehren zu können.139 Weiterhin gehe es nicht um die indiskutable Berücksichtigung unterschiedlicher Lebenserwartungen, sondern darum, dass die Schutzmöglichkeit des einen Rechtsgutes nahezu auf null reduziert ist.140 Ähnlich meint Belling, der Notstandstäter habe in der Konstellation der einseitigen Verteilung von Rettungschancen kein eigenes Urteil über den Tod gefällt, sondern er vollstrecke lediglich das Urteil, das durch die Gefahrensituation selbst gefällt worden ist.141 Weiterhin bejaht eine beachtliche Anzahl von Literaturstimmen im „Bergsteigerfall“ eine Rechtfertigung über die Anwendung der Grundsätze des rechtfertigenden Defensivnotstandes, denn die Bergsteiger hätten sich immerhin freiverantwortlich den alpinen Risiken ausgesetzt und müssten daher die Verantwortung dafür übernehmen, dass ihr Körpergewicht andere Menschen gefährdet.142 Dieser Rechtfertigungsansatz kann vorliegend jedoch nicht fruchtbar gemacht werden, da in der Konstellation des § 14 Abs. 3 LuftSiG die Gefahr nicht von den unbeteiligten Flugzeuginsassen, sondern von dem als Waffe missbrauchten Luftfahrzeug ausgeht.143 Otto geht von dem Grundsatz aus, dass die Rechtsordnung einerseits Akte der Selbsterhaltung nicht unbeschränkt tolerieren kann, andererseits aber auch keine unbegrenzte Pflicht zur Aufopferung des eigenen Lebens kennt.144 Daraus folge, dass die Notstandshandlung nur dann rechtswidrig ist, wenn „Rettungschancen nur auf Kosten eines anderen realisiert werden, indem der Handelnde Chancen des Opfers vernichtet und die eigenen dadurch verbessert“.145 Im Bergsteigerfall kommt Otto zur Rechtfertigung der Notstandshandlung, denn A erhalte sein Leben nicht auf Kosten von B und C. Von einer Anmaßung von Rettungschancen durch A könne keine Rede sein, da die beiden unten hängenden Bergsteiger ohnehin keine „reelle Lebenschance“ mehr gehabt hätten.

139

MüKo-V. Erb, § 34 Rdn. 120. NK-U. Neumann, § 34 Rdn. 77. 141 C. Belling, 131 f. 142 SK-H.-L. Günther, § 34 Rdn. 20; LK-H. J. Hirsch, § 34 Rdn. 74; J. Renzikowski, Notstand und Notwehr, 266 f.; M. Pawlik, Notstand, 326 f.; A. Onagi, 114 f. 143 Siehe oben 5. Teil B. III. 1. a). 144 H. Otto, Pflichtenkollision, 77 ff. 145 H. Otto, Pflichtenkollision, 81; im Ergebnis ebenso G. Mangakis, ZStW 84 (1972), 447 (473). 140

B. Rechtfertigender Notstand, § 34 StGB

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Daher sei auch unerheblich, dass die Getöteten möglicherweise eine kurze Zeitspanne weitergelebt hätten, soweit „kein Gesinnungsunwert einen Handlungsunwert der Tat begründet“.146 bb) Ablehnung der Rechtfertigung Die überwiegende Auffassung verneint dagegen eine Rechtfertigungsmöglichkeit auch bei der einseitigen Verteilung von Rettungschancen innerhalb einer Gefahrengemeinschaft.147 Das Verbot der Abwägung von „Leben gegen Leben“ müsse ausnahmslos gelten. So meint Lenckner: „Es geht bei dem Tötungsverbot nicht um die Erhaltung des einzelnen Menschen, sondern um die Bejahung der ,Idee des Lebens‘ überhaupt, um die ,Wahrung des Lebensrechts‘ und die daraus folgende Unantastbarkeit unschuldigen Lebens.“148

Im Folgenden werden zunächst die wichtigsten Argumente gegen eine Rechtfertigungsmöglichkeit dargestellt. (1) Lebenszeitverkürzung Eines der Hauptargumente gegen die Rechtfertigung ist die Tatsache, dass die Todesgeweihtheit als solche zum menschlichen Leben gehört. Jeder Mensch ist seit seiner Geburt bereits unrettbar verloren, da sicher ist, dass er eines Tages sterben wird. Eine Tötung kann daher als Lebenszeitverkürzung verstanden werden, wobei nach der herrschenden Auffassung jede Verkürzung des Lebens eine Tötung darstellt.149 Die logische Schlussfolgerung aus dieser Aussage ist, dass jede Verlängerung des menschlichen Lebens zugleich eine Rettung darstellt. Eine Rettung vor dem Tod selbst ist dagegen nicht möglich, es geht immer nur um eine Verzögerung des Todeszeitpunktes. Von diesem Standpunkt aus betrachtet sind Fälle mit einer einseitigen Verteilung der Rettungschancen nicht möglich, denn die Rettungschance der unbeteiligten Passagiere würde gerade darin liegen, erst durch den Absturz, aber nicht 146

H. Otto, Pflichtenkollision, 83. H. Tröndle/T. Fischer, § 34 Rdn. 16a; Schönke/Schröder-T. Lenckner/W. Perron, § 34 Rdn. 24; K. Lackner/K. Kühl, § 34 Rdn. 8; C. Roxin, Strafrecht AT I, § 16 Rdn. 39 f.; M. Köhler, 296; E. Schmidhäuser, 333; J. Wessels/W. Beulke, Rdn. 319; G. Jakobs, Strafrecht AT, § 13 Rdn. 23; H.-L. Günther, 346; A. Archangelskij, 56 ff.; R. P. Broglio, 24; G. Jerouschek, FS H.-L. Schreiber, 2003, 185 (193); W. Mitsch, GA 2006, 11 (23); A. Koch, JA 2005, 745 (747); A. Sinn, NStZ 2004, 585 (591); C. Jäger, ZStW 115 (2003), 765 (789). 148 T. Lenckner, Notstand, 31. 149 Allerdings kann bei strenger Anwendung der Äquivalenztheorie in Ausnahmefällen auch ohne Lebenszeitverkürzung eine strafbare Tötungshandlung vorliegen, vgl. E. Samson, 98 ff. 147

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5. Teil: Strafrechtliche Rechtfertigung der Tötung von Unbeteiligten

schon durch den Abschuss getötet zu werden. Innerhalb dieser Zeitspanne würde also das Leben der Unbeteiligten „gerettet“ werden.150 Küper bringt dieses Problem prägnant auf den Punkt: „Alle an der ,Gefahrengemeinschaft‘ beteiligten Personen haben in der Notstandslage, um deren Beurteilung es geht, zweifellos noch die Aussicht, eine gewisse Zeitspanne zu leben, wenn auch nicht mehr die Chance, die Gefahrensituation zu überleben. Der Zeitraum, der diese ,Lebenserwartung‘ ausmacht, ist unter der Voraussetzung, dass niemand handelnd (,rettend‘) in die Krise eingreift, freilich für alle mehr oder weniger kurz bemessen, unter Umständen sogar äußerst gering. [. . .] Doch ist diese Spanne menschlicher Existenz [. . .], wie kurz ihre Dauer auch sein mag, unbestreitbar noch ,Leben‘, das als solches unter dem Schutz der Rechtsordnung steht und daran ungeschmälert partizipiert.“151

Eine Rechtfertigung wäre daher nach Küper nur möglich, wenn nachgewiesen werden würde, dass das zeitquantitative Moment der „größeren Lebenserwartung“ gegenüber einer „kürzeren“ oder „sehr kurzen“ Lebenserwartung im Konfliktfall den Vorrang beanspruchen könnte.152 Dieser Nachweis könne jedoch nicht erbracht werden, denn verschiedene Menschenleben seien ungeachtet der künftigen Dauer des Lebens rechtlich gleichwertig.153 An dieser Gleichheit „scheitert die Möglichkeit, für den durch die Rettungshandlung jeweils begünstigten Menschen oder Personenkreis ein ,vorzugswürdiges Lebensinteresse‘ zu begründen.“ Dabei mache es keinen Unterschied, ob die Rettungschancen a priori einseitig verteilt sind oder ob der Täter eine Auswahl trifft.154 Pawlik führt aus, die Berufung auf die (vermeintlich) geringe verbleibende Lebenszeit spreche dem Betroffenen das Recht ab, „selbst darüber zu bestimmen, was er als guten Grund für seinen vorzeitigen Tod anerkennt“. Ein solches Vorgehen möge zwar in einigen Grenzbereichen der medizinischen Sterbehilfe unvermeidlich sein,155 die Konstellation des § 14 Abs. 3 LuftSiG sei jedoch anders gelagert: Es gehe nicht darum, dass den Unbeteiligten Schmerzen 150 Das Gleiche gilt im Übrigen auch im Bergsteigerfall, denn es ist anzunehmen, dass die unten hängenden Bergsteiger durch das Abschneiden des Seils zumindest eine juristische Sekunde zuvor abstürzen und sterben werden. 151 W. Küper, JuS 1981, 785 (792). 152 W. Küper, JuS 1981, 785 (793). 153 Vgl. C. Roxin, ZStW 74 (1962), 411 (429): „Es ist also die These aufzustellen, dass für das Strafrecht jeder Lebensaugenblick jedes Menschen – auch des Todgeweihten – einen unendlichen Wert hat und der quantitativen Messung entzogen ist.“; a. A. G. Spendel, RuP 2006, 131. 154 W. Küper, JuS 1981, 785 (793); zustimmend A. Meißner, 202; J. Laber, 155 f.; G. Jerouschek, FS H.-L. Schreiber, 2003, 185 (193 f.). 155 So wird in den Fällen der Früheuthanasie, das heißt bei einem Schwangerschaftsabbruch wegen schwerer Behinderungen des nasciturus, mit dem vermuteten Eigeninteresse des Betroffenen argumentiert. Es wird stillschweigend davon ausgegangen, dass alle Menschen ein vormoralisches Interesse an Schmerzfreiheit haben und daher eine vorzeitige Beendigung eines Lebens, das von schwersten Qualen geprägt ist, dem Interesse des Betroffenen dient, vgl. Re. Merkel, Früheuthanasie, 552 ff.

B. Rechtfertigender Notstand, § 34 StGB

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erspart bleiben, sondern darum, dass durch ihre Tötung andere Menschen gerettet werden.156 Die Betonung einer Solidaritätspflicht der Unbeteiligten könne nicht überzeugen, denn das Recht der Flugzeugpassagiere, nicht getötet zu werden, stehe systematisch nicht auf der gleichen Stufe wie das Recht der bedrohten Menschen am Boden, Hilfe zu erhalten. Vielmehr erwachse der Abwehranspruch gegen die Tötung aus der Respektierung des Rechtskreises der Unbeteiligten und dieser Respektierungsanspruch sei für einen freiheitlichen Rechtsbegriff schlechthin konstitutiv.157 Daher gehe es nicht um die Forderung der unrettbaren Personen gegenüber den anderen, diese müssten ihnen in den sicheren Tod folgen, sondern um die Forderung der Todgeweihten, dass auch in einer tragischen Situation ihr Lebensinteresse gewahrt bleibt. Darin liege jedenfalls keine Überstrapazierung fremder Solidarität.158 In eine ähnliche Richtung argumentiert auch G. Jakobs: Die Todesgeweihtheit des Notstandsopfers sei irrelevant, soweit ihm die Notstandslage nicht zurechenbar ist; daher könne dem Notstandsopfer auch keine Duldungspflicht auferlegt werden: „Auch wenn durch die Aufopferung des Lebens eines einzelnen Menschen das Leben mehrerer anderer Menschen erhalten werden kann, ohne den Eingriff in das Leben jedoch alle zusammen in kurzer Frist verloren sind, lässt sich kein Recht begründen, einem Menschen die Minima der Existenz zu nehmen.“159

Gegen eine Duldungspflicht wird auch argumentiert, es wäre „unerträglich“160, dem Opfer durch die Auferlegung einer solchen Pflicht sogleich das Notwehrrecht gegen die Tötungshandlung zu nehmen.161 (2) Prognoseunsicherheiten Aus einer praktischen Perspektive heraus wird auch in der strafrechtlichen Literatur vorgebracht, das Kriterium der Todesgeweihtheit sei stets mit Unsicherheiten behaftet.162 So führt Oehler im Zusammenhang mit den Euthanasieprozessen aus:

156

M. Pawlik, JZ 2004, 1045 (1049). M. Pawlik, JZ 2004, 1045 (1049); siehe auch ders., Notstand, 14 ff. 158 M. Pawlik, JZ 2004, 1045 (1050). 159 G. Jakobs, Strafrecht AT, § 13 Rdn. 23. 160 So W. Mitsch, FS Weber, 2004, 49 (66). 161 W. Küper, Pflichtenkollision, 51 Fn. 105. 162 Dieses Argument führen in Bezug auf § 14 Abs. 3 LuftSiG an: A. Koch, JA 2005, 745 (747); C. Jäger, ZStW 115 (2003), 765 (784); A. Sinn, NStZ 2004, 585 (591). 157

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5. Teil: Strafrechtliche Rechtfertigung der Tötung von Unbeteiligten

„Das Leben lehrt die unglaublichsten Zufälle in den sogenannten todsicheren Sachen. [. . .] Wir wissen nur, dass durch bewusstes Handeln Menschen umgekommen sind, auf der anderen Seite steht ein großes Fragezeichen.“ 163

In eine ähnliche Richtung geht Roxins Hinweis darauf, Menschen würden häufig „wie durch ein Wunder“ gerettet.164 Paeffgen überträgt die Prognoseprobleme auch auf die strafrechtliche Bewertung der Tötung von Unbeteiligten in der Konstellation des § 14 Abs. 3 LuftSiG: „Dabei wird zumeist vornehm die Tatsache ausgeblendet, dass es sich bei der Aussage über den tödlichen Ausgang um Prognosen handelt, man also erst kurz vor dem Aufprall auf ein bestimmtes Ziel sagen kann, dass dieses auch getroffen werde [. . .]. In einer solchen Situation die Aufopferung von völlig unbeteiligten Geiseln anzuordnen, lässt sich schwerlich mit irgendwelchen Kategorien der Rechtfertigung (überwiegendes Interesse) plausibel machen.“165

(3) Weitere Argumente Von verschiedener Seite ist auf die Gefahr eines „Dammbruches“ durch die Rechtfertigung der Tötung Unbeteiligter hingewiesen worden.166 Es wird zum Beispiel die Frage aufgeworfen, wie der Staat handeln sollte, wenn eine terroristische Gruppe mit einem atomaren Anschlag droht, wenn nicht eine bestimmte Person durch den Staat getötet wird.167 Roxin befürchtet in diesem Zusammenhang, dass der Rückgriff auf den Gesichtspunkt der einseitigen Verteilung von Rettungschancen zu einer Relativierung des Lebensschutzes führen könnte: „Es wäre dann nicht mehr plausibel, warum es nicht auch außerhalb von Gefahrengemeinschaften zulässig sein sollte, zum Beispiel einen Moribunden zu töten, um durch Transplantation seiner Organe andere Menschen am Leben zu erhalten. Hier ist den Anfängen zu wehren.“168

Pawlik meint, die Tatsachenprognose, dass die Flugzeugpassagiere ohnehin verloren seien, stelle in Ermangelung einer normativen Komponente „weder ein rechtsdogmatisches noch ein rechtsethisches Argument dar“.169 Es bedürfe einer 163

D. Oehler, JR 1951, 489 (492). C. Roxin, Strafrecht AT I, § 16 Rdn. 40; ähnlich auch W. Küper, Pflichtenkollision, 62 f. 165 NK-H.-U. Paeffgen, Vor §§ 32 bis 35 Rdn. 155. 166 E. Hilgendorf, in: Blaschke u. a. (Hg.), Sicherheit statt Freiheit?, 107 (130 f.); siehe bereits oben 3. Teil D. III. 3. d) cc) (4). 167 Vgl. E. Hilgendorf, in: Blaschke u. a. (Hg.), Sicherheit statt Freiheit?, 107 (131); C. Gramm, DVBl. 2006, 653 (660). 168 C. Roxin, Strafrecht AT I, § 16 Rdn. 39; zustimmend K. Fehn/M. Brauns, 84; A. Archangelskij, 61 f. 169 M. Pawlik, JZ 2004, 1045 (1050). 164

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„normativen Überformung“ des Arguments; diese Überformung würde jedoch zu einer nicht hinnehmbaren Abstufung des Lebensschutzes führen: „Lässt man sich einmal auf die Methode der vergleichenden Bewertung von Lebensquanten ein, so gibt es keinen zwingenden Grund, sie auf solche Konstellationen zu beschränken, in denen die verbleibende Lebensspanne und der ihr korrespondierende Lebenswert nahezu bei Null liegen. Ein methodischer Relativismus verträgt sich nicht mit absoluten Grenzen.“170

Auch die strafrechtliche Literatur greift zum Teil auf den Schutz der Menschenwürde zurück, um die Rechtfertigungsthese abzulehnen. So führt zum Beispiel Jäger aus: „[E]in im Humanitätsgedanken wurzelndes Rechtsdenken darf das Menschenleben nicht als bloßen Nützlichkeitswert behandeln, ohne die Würde des Menschen als Rechtswert in Frage zu stellen. Dies gilt um so mehr, als der hervorragendste Ausdruck der Menschenwürde darin besteht, dass der Einzelne – und dies muss ganz unabhängig von seiner Lebenserwartung gelten – nicht zum Objekt fremder Interessen degradiert werden darf. Der utilitaristischen Begründung einer Rechtfertigungslösung steht letztlich das Wesen der Menschenwürde entgegen, die es vor dem Recht und damit auf Unrechtsebene grundsätzlich nicht zulassen darf, wenn Menschen um anderer willen getötet werden.“171

Archangelskij meint, im Bergsteigerfall sei die Möglichkeit der Rettung des oben hängenden Bergsteigers kein Argument dafür, dass aus der Sicht des Strafrechts diese Möglichkeit auch genutzt werden muss. Es sei die Funktion des Strafrechts, dass ein Mensch keine Tötungshandlungen vornimmt, keinesfalls diene die Strafrechtsordnung aber zur Verhinderung der Tötung von Menschen durch Unglücksfälle.172 Beulke begründet den Ausschluss der Rechtfertigung mit dem Hinweis, dass der Gesetzgeber es für nötig gehalten hat, einen begrenzten Ausnahmefall in § 14 Abs. 3 LuftSiG zu regeln. Diese Entscheidung der Legislative sei jedoch nicht verallgemeinerungsfähig: „Dass es einer solchen problematischen Regelung bedurfte, zeigt, dass die allgemeine Rechtfertigung über § 34 [StGB] eine Preisgabe quasi ohnehin verwirkten Lebens zum Schutze anderen Lebens nicht zulässt.“173

170

M. Pawlik, JZ 2004, 1045 (1050). C. Jäger, ZStW 115 (2003), 765 (785). Bemerkenswert ist, dass Jäger seine Aussage im letzten Satz durch die Formulierung „grundsätzlich“ wieder relativiert. Wenn mit einer Verletzung der Menschenwürde argumentiert wird, kann es aber nicht Grundsatz und Ausnahme geben. Die Formulierung „grundsätzlich“ ist offenbar Ausdruck der Tatsache, dass Jäger selbst anerkennt, dass seine Aussage in dieser Absolutheit nicht richtig ist. 172 A. Archangelskij, 57. 173 J. Wessels/W. Beulke, Rdn. 319. 171

432

5. Teil: Strafrechtliche Rechtfertigung der Tötung von Unbeteiligten

Bernsmann wendet sich zwar gegen eine Rechtfertigungsmöglichkeit bei der einseitigen Verteilung von Rettungschancen, allerdings versteht er die „Freigabe“ der Tötungshandlung in einer Lebens-Gefahrengemeinschaft als einen „Straffreiheitsgrund sui generis, der – im Wesentlichen den Regeln des § 35 [StGB] folgend – verbrechenssystematisch zwischen ,Rechtswidrigkeit‘ und ,Schuld‘ anzusiedeln wäre.“174

Gegen eine solche Einordnung könne auch nicht grundsätzlich geltend gemacht werden, dass die strafrechtliche Systematik der Rechtfertigungs- und Entschuldigungsgründe durch das Anerkennen einer „erlaubten“ Handlung aufgeweicht werden würde: „Die Notstandsgefahrengemeinschaft ist ein (seltener) Extremfall der gerichtlichen Praxis und zugleich aus meta-strafrechtlichen Gründen ein Grenzfall des Strafrechts; das muss ausreichen, um eine systematische Ausnahme zu ,rechtfertigen‘ beziehungsweise zu ,erlauben‘.“175

cc) Ansicht der Rechtsprechung Während die Rechtsprechung bei der mehrseitigen Verteilung von Rettungschancen eine Rechtfertigungsmöglichkeit mit deutlichen Worten abgelehnt hat,176 sind ausdrückliche Stellungnahmen zu dem Sonderproblem der einseitigen Verteilung von Rettungschancen auf den ersten Blick nicht ersichtlich. Dennoch hat der Bundesgerichtshof in neuerer Zeit zumindest in einem Fall indirekt zur Frage der Notstandstötungen innerhalb einer Gefahrengemeinschaft Stellung genommen.177 Es handelt sich dabei um den bekannten „Katzenkönigfall“,178 der allerdings meist nur im Zusammenhang mit den Voraussetzungen der mittelbaren Täterschaft gemäß § 25 Abs. 1, 2. Alternative StGB bei einem vermeidbaren Verbotsirrtum des Vordermanns diskutiert wird.179 In diesem Fall spiegelten zwei Personen dem Polizeibeamten R die Existenz des Katzenkönigs vor, der seit Jahrtausenden das Böse verkörpere und die Welt bedrohe. Der Katzenkönig fordere ein Menschenopfer in Gestalt der Frau N. Anderenfalls werde der Katzenkönig innerhalb einer kurzen Frist die Menschheit oder Millionen von Menschen vernichten. R plagten Gewissensbisse, da er erkannte, dass er ein Tötungsdelikt begehen würde. Daraufhin wurde R erklärt, dass das Tötungsverbot in diesem Fall keine Geltung beanspruchen würde, „da es ein göttlicher Auftrag sei und sie die Menschheit zu retten hätten“.180 174 175 176 177 178 179 180

K. Bernsmann, „Entschuldigung“ durch Notstand, 330. K. Bernsmann, „Entschuldigung“ durch Notstand, 330. Siehe ausführlich oben 5. Teil B. III. 3. a). Dies übersieht A. Sinn, NStZ 2004, 585. BGHSt 35, 347. Siehe statt vieler W. Küper, JZ 1989, 935 ff. BGHSt 35, 347 (348).

B. Rechtfertigender Notstand, § 34 StGB

433

Mit kurzen Worten lehnt der Bundesgerichtshof eine Rechtfertigung des R durch Notwehr beziehungsweise Nothilfe gemäß § 32 StGB ab, da kein gegenwärtiger und rechtswidriger Angriff von N ausgehe.181 R könne sich auch nicht auf den rechtfertigenden Notstand gemäß § 34 StGB berufen, da der fiktive Katzenkönig keine tatsächliche gegenwärtige Gefahr darstellt.182 Die Voraussetzungen des rechtfertigenden Notstands waren aber unter dem Aspekt eines Erlaubnistatbestandsirrtums des R zu prüfen, da dieser an eine gegenwärtige Gefahr glaubte. Der Bundesgerichtshof stellt dazu fest, ein Irrtum über die tatsächlichen Voraussetzungen liege nicht vor, da „das in § 34 StGB [. . .] vorausgesetzte Überwiegen der Gewichtigkeit des zu schützenden Interesses vor dem zu opfernden eine Abwägung ,Leben gegen Leben‘ nicht gestattet“. Allerdings sei ein (vermeidbarer) Verbotsirrtum gegeben.183 R hatte sich zumindest in der Konstellation, der Katzenkönig werde die Menschheit vernichten, vorgestellt, dass Frau N auch ohne seine „Opferhandlung“ den Tod finden würde.184 Die Tötung der N hatte sich in der Vorstellung des R demnach auf ein Menschenleben bezogen, das im Unterlassungsfall ohnehin dem nahen Tod verfallen gewesen wäre. Daraus folgt, dass N und die Menschheit insgesamt in der Vorstellung des R eine Gefahrengemeinschaft bildeten. Nach seiner Vorstellung waren die Rettungschancen einseitig verteilt, denn der Katzenkönig forderte gerade ein bestimmtes Opfer in Gestalt der Frau N, aber kein beliebiges Menschenopfer. Der Bundesgerichtshof hat sich in seiner Urteilsbegründung mit dem Problem der einseitigen Verteilung von Rettungschancen jedoch nicht einmal am Rande auseinandergesetzt. Daher scheint es zweifelhaft, ob aus dem „Katzenkönigfall“ tatsächlich die Ablehnung einer Rechtfertigungsmöglichkeit in den Fällen der einseitigen Verteilung von Rettungschancen abgeleitet werden kann. Vielmehr kann eher angenommen werden, dass der Bundesgerichtshof das Problem nicht gesehen hat. Daher kann der „Katzenkönigfall“ auch keinen Aufschluss für die höchstrichterliche Beurteilung des Ausnahmefalls der Gefahrengemeinschaft mit einer einseitigen Verteilung von Rettungschancen geben.

181

BGHSt 35, 347 (349). BGHSt 35, 347 (349 f.). 183 BGHSt 35, 347 (350). 184 Küper ist – soweit ersichtlich – der Einzige, der bisher den „Katzenkönigfall“ im Hinblick auf das besondere Problem der Gefahrengemeinschaft hin untersucht hat. Allerdings berücksichtigt er nur die Konstellation, dass eine Gefahr für „Millionen Menschen“ bestand und beschäftigt sich nicht mit der Alternative, dass die Menschheit durch den Katzenkönig sterben würde, vgl. W. Küper, JZ 1989, 617 (623 f.). 182

434

5. Teil: Strafrechtliche Rechtfertigung der Tötung von Unbeteiligten

dd) Übertragbarkeit auf die Konstellation des § 14 Abs. 3 LuftSiG Bevor der Streit über die Rechtfertigung von Tötungen innerhalb einer Gefahrengemeinschaft mit einer einseitigen Verteilung von Rettungschancen entschieden werden kann, muss zunächst geklärt werden, ob in der Konstellation des § 14 Abs. 3 LuftSiG überhaupt eine derartige Gefahrengemeinschaft vorliegt. Jerouschek bestreitet schon grundsätzlich, dass im Fall eines entführten Passagierflugzeuges eine Gefahrengemeinschaft zwischen den Flugzeuginsassen und den potentiellen Opfern am Boden besteht. Beide Personengruppen würden – anders als im „Bergsteigerfall“ – nicht „im selben Boot“ sitzen, denn die potentiell bedrohten Personen blieben unbestimmt.185 Weiterhin resultiere die beiden Gruppen drohende Gefahr aus unterschiedlichen Ausgangsgefahren.186 Auch Otto lehnt es ab, den Gedanken der Chancenanmaßung, mit dem er den „Bergsteigerfall“ löst, auf den Fall der Tötung unbeteiligter Flugzeugpassagiere zu übertragen. Die Getöteten würden hier „einem anderen, neuartigen Schadensverlauf ausgesetzt, selbst wenn die Art des Todes und der Zeitpunkt des Todeseintrittes identisch sein mögen“.187 Soweit ersichtlich hat zuerst Re. Merkel aus strafrechtlicher Sicht den Gedanken der Gefahrengemeinschaft mit einer einseitigen Verteilung von Rettungschancen auf die Konstellation des § 14 Abs. 3 LuftSiG übertragen.188 Obwohl auch er grundsätzlich von der absoluten Unabwägbarkeit des Lebens ausgeht und eine utilitaristische Betrachtung im Rahmen des § 34 StGB ablehnt,189 meint er doch, die asymmetrische Verteilung der Rettungschancen dürfe bei der Bewertung der Rechtfertigung der Tötung von Unbeteiligten berücksichtigt werden. In Bezug auf die Anschläge vom 11. September 2001 führt er aus: „Die Insassen des Flugzeugs waren jedenfalls und in allernächster Zukunft unrettbar verloren – entweder durch den von den Terroristen geplanten Absturz der Maschine oder durch deren Abschuss. Die weiteren Opfer dagegen, die das Gelingen des Terroraktes zusätzlich gefordert hätte, waren zu retten: eben durch die Notstandstat. In einem solchen Fall – und ausschließlich in ihm – wird das ansonsten nicht

185

G. Jerouschek, FS H.-L. Schreiber, 2003, 185 (189); ebenso A. Archangelskij, 61. G. Jerouschek, FS H.-L. Schreiber, 2003, 185 (189 f.). 187 H. Otto, JURA 2005, 470 (478). 188 Re. Merkel, ZStW 114 (2002), 437 (452); zustimmend A. Sinn, NStZ 2004, 585 (587), der grundsätzlich eine Gefahrengemeinschaft mit einer einseitigen Verteilung von Rettungschancen im Fall des § 14 Abs. 3 LuftSiG bejaht, aber dennoch eine Rechtfertigung der Tötung von Unbeteiligten ablehnt. 189 Re. Merkel, ZStW 114 (2002), 437 (452); ders., in: Institut für Kriminalwissenschaften Frankfurt a. M. (Hg.), Vom unmöglichen Zustand des Strafrechts, 171 (181 ff.). 186

B. Rechtfertigender Notstand, § 34 StGB

435

disponible rechtliche Prinzip, wonach kein Unbeteiligter zur Rettung noch so vieler anderer getötet werden darf, gegenstandslos.“190

Im Fall der „de-facto-Reduktion“ des Lebens auf einen bedeutungslosen Rest könne daher die Pflicht zur gesellschaftlichen Solidarität in Notfällen herangezogen werden, um eine Aufopferungspflicht zu Gunsten der Rettung anderer zu begründen.191 Bemerkenswert ist, dass Merkel noch vor kurzer Zeit – allerdings ohne ausdrücklichen Bezug auf die einseitige Verteilung von Rettungschancen – das Gegenteil seiner jetzigen Auffassung vertreten hat. So führte er im Zusammenhang mit der rechtlichen Bewertung von Tötungen im Kosovo-Konflikt aus: „Wer aber bedrohten Menschen helfen will, legitimiert sich allein aus einer Norm, die es unter keinen Umständen erlaubt, dafür unschuldige Dritte zu töten. Ob er diese Tötungen ,beabsichtigt‘ oder nur mit Bedauern, aber sehenden Auges ,in Kauf nimmt‘, ist gänzlich belanglos. Denn eine Maxime, Unschuldige zu retten, indem man Unschuldige tötet, zerstört sich offenkundig selbst.“192

Auch U. Neumann bejaht das Vorliegen einer Gefahrengemeinschaft mit einer einseitigen Verteilung von Rettungschancen im Fall des § 14 Abs. 3 LuftSiG. Zwar sei diese Regelung „erheblich zu weit geraten“, dennoch könne die Tötung von Unbeteiligten durch staatliches Handeln über die Anwendung der Grundsätze der Gefahrengemeinschaft gerechtfertigt sein.193 Jerouschek ist zuzustimmen, dass sich die Konstellation des § 14 Abs. 3 LuftSiG in tatsächlicher Hinsicht von den „klassischen“ Fällen der Gefahrengemeinschaft insoweit unterscheidet, als es sich nicht aufdrängt, die Flugzeuginsassen und die bedrohten Menschen am Boden als „Gemeinschaft“ anzusehen. Der Unterschied liegt darin, dass sich zum Beispiel im „Bergsteigerfall“ die Beteiligten selbst zu einer Gemeinschaft, aus der dann die Gefahrengemeinschaft entstanden ist, zusammengeschlossen haben, während im Fall des § 14 Abs. 3 LuftSiG die Verbindung durch das rechtswidrige Verhalten Dritter hergestellt wird und die bedrohten Personen am Boden zum Zeitpunkt des Abschusses in der Regel noch nicht eindeutig bestimmbar sind. Maßgeblich ist hier jedoch die Tatsache, dass eine Gefahr für eine Mehrzahl von Menschen besteht und diese Gefahr nur durch die Tötung eines bestimmten Teils dieser Gruppe abgewendet werden kann. Daher ist lediglich entscheidend, dass der Teil der Gruppe, dem keine Rettungschancen mehr bleiben, bestimmt werden kann, auch wenn noch Ungewissheit darüber besteht, wer darüber hinaus durch die Gefahr bedroht ist. Auch der Begriff der „Gemeinschaft“ spielt nur eine untergeordnete Rolle; daher ist es nicht erforderlich, dass sich die Personengruppe gemeinsam – wie etwa im „Bergsteigerfall“ – zu einem gefährli190 191 192 193

Re. Merkel, ZStW 114 (2002), 437 (452). Re. Merkel, ZStW 114 (2002), 437 (453). Re. Merkel, in: ders. (Hg.), Der Kosovo-Krieg und das Völkerrecht, 66 (73 f.). NK-U. Neumann, § 34 Rdn. 77.

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5. Teil: Strafrechtliche Rechtfertigung der Tötung von Unbeteiligten

chen Tun zusammengefunden hat. Ausreichend ist, dass die Angehörigen der Gruppe durch die bestehende Lebensgefahr – wenn auch unfreiwillig und unbewusst – miteinander verbunden sind. Daher liegt auch in der Konstellation des § 14 Abs. 3 LuftSiG eine Gefahrengemeinschaft mit einer einseitigen Verteilung von Rettungschancen vor.

IV. Rechtsvergleichende Hinweise In gebotener Kürze soll die Bewertung der Tötung von Unbeteiligten in Notstandsfällen in anderen Rechtsordnungen dargestellt werden. Dabei gehen die Rechtsauffassungen im internationalen Vergleich weit auseinander. 1. Europäischer Raum Auch die schweizerische und österreichische Strafrechtswissenschaft lehnen eine Rechtfertigung der Tötung von Unbeteiligten wegen der Unwägbarkeit des menschlichen Lebens überwiegend ab.194 Dabei gleichen die Argumentationsmuster den Ansichten der herrschenden Auffassung in der deutschen Strafrechtswissenschaft. Dagegen hat das russische Parlament vor kurzem den Entwurf eines Gesetzes verabschiedet, welches – ähnlich wie § 14 Abs. 3 LuftSiG – den Abschuss eines entführten Passagierflugzeuges im Fall eines drohenden Anschlages gestatten soll.195 2. Ansätze im angloamerikanischen Strafrecht Zwei Präzedenzfälle, ohne die eine Betrachtung der Rechtfertigung von notstandsbedingten Tötungen unvollständig wäre, haben die angloamerikanische Strafjustiz im 19. Jahrhundert beschäftigt. Da diese Fälle die Beurteilung der Tötung Unbeteiligter maßgeblich beeinflusst haben, werden sie im Folgenden kurz dargestellt. Im Anschluss wird anhand der Entscheidung Re A und aktuellen Stellungnahmen aus der rechtswissenschaftlichen Literatur gezeigt, inwieweit der Gesichtspunkt der Gefahrengemeinschaft im angloamerikanischen Strafrecht berücksichtigt wird.

194 G. Stratenwerth, Schweizerisches Strafrecht AT I, § 10 Rdn. 44; O. Triffterer, 233; H. Fuchs, 160. 195 Spiegel-Online vom 26. Februar 2006, http://www.spiegel.de/politik/ausland/ 0,1518,403235,00.html; siehe auch Giemulla/van Schyndel-E. Giemulla, LuftSiG, Vorbemerkung zu Abschnitt 3 Rdn. 21.

B. Rechtfertigender Notstand, § 34 StGB

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a) US v Holmes Die Entscheidung US v Holmes aus dem Jahr 1842196 betraf die folgende Begebenheit: Im April 1841 kollidierte ein amerikanisches Segelschiff mit über 60 Emigranten an Bord vor der Küste Neufundlands mit einem Eisberg. Das Schiff sank; die Besatzung und 33 Passagiere konnten sich in zwei offene Beiboote retten. Als das eine, völlig überfüllte und bereits leck geschlagene Boot zu kentern drohte, ließ der Seemann Holmes 16 Passagiere aus dem Beiboot werfen, um so ein Sinken des Bootes zu verhindern und die übrigen Passagiere zu retten.

Holmes wurden wegen manslaughter (Totschlag) angeklagt und zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten verurteilt. Das Gericht anerkannte – vermutlich durch den Einfluss utilitaristischer Auffassungen –, dass die Tötung einzelner Personen innerhalb einer Gefahrengemeinschaft nicht grundsätzlich verboten sei, soweit dadurch andere Menschen gerettet werden. Allerdings lehnte es die Berufung auf necessity (Notstand) im vorliegenden Fall mit der Begründung ab, die Besatzungsmitglieder hätten gegenüber den Passagieren eine erhöhte Aufopferungspflicht gehabt, soweit in der Situation nicht ein besonderes seemännisches Können erforderlich gewesen wäre.197 Da dies nach Ansicht des Gerichts nicht der Fall gewesen ist, hätten zunächst die Seeleute das Beiboot verlassen beziehungsweise außenbords geworfen werden müssen. Im Übrigen hätten die geopferten Personen durch einen Losentscheid bestimmt werden müssen, was jedoch nicht geschehen war. Das Gericht begründete die Verurteilung also nicht mit der Unzulässigkeit der Abwägung „Leben gegen Leben“ oder mit einem absoluten Verbot der Tötung von unbeteiligten Personen. Damit hat das Gericht zumindest implizit eine Güterabwägung im Bereich des menschlichen Lebens anerkannt.198 b) „Mignonette-Fall“ Die englische Justiz hatte im Jahr 1884 über den berühmten „MignonetteFall“ zu entscheiden.199 Die Jury hatte im Wesentlichen folgenden Sachverhalt festgestellt: 196

Federal Cases, Book 26, No. 15,383, 360 ff. Federal Cases, Book 26, No. 15,383, 360 (366 f.). 198 Vgl. J. Etzel, 34; siehe zum Losverfahren auch G. Calabresi/P. Bobbitt, 41 ff. 199 Regina v Dudley and Stephens (1884) Law Report 14, Queen’s Bench Division, 273. Eine Übersetzung des Urteils findet sich bei G. Radbruch, Geist des englischen Rechts, 93 ff.; vgl. auch die umfassende Untersuchung des „Mignonette-Falls“ und weiterer Vorkommnisse von Kannibalismus unter Schiffbrüchigen von A. W. B. Simpson, insbesondere 95 ff.; siehe auch zu einem ähnlichen Fall nach dem Schiffbruch des Walfängers „Essex“ im Jahr 1820 W. Mitsch, FS Weber, 2004, 49 ff. 197

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5. Teil: Strafrechtliche Rechtfertigung der Tötung von Unbeteiligten

Am 5. Juli 1884 ging die Segeljacht „Mignonette“ 1.600 Seemeilen vom Kap der Guten Hoffnung entfernt in einem Sturm verloren. Kapitän Dudley, Steuermann Stephens, Matrose Brooks und der 17- oder 18-jährige Schiffsjunge Parker konnten sich in ein offenes Beiboot retten, wobei sie lediglich über zwei Dosen Rüben verfügten. Am achtzehnten Tag nach dem Schiffbruch beratschlagten die Schiffbrüchigen, was bei weiter ausbleibender Hilfe zu tun sei und deuteten an, dass eventuell einer von ihnen geopfert werden müsse, um die anderen zu retten. Parker war wegen einer schweren Erkrankung und Teilnahmslosigkeit nicht an diesen Überlegungen beteiligt. Am folgenden Tag schlug Dudley vor, durch Los über die Opferung zu entscheiden, was Brooks jedoch ablehnte.200 Daraufhin tötete Dudley am zwanzigsten Tag mit Zustimmung von Stephens den widerstandsunfähigen Schiffsjungen. Die drei Überlebenden ernährten sich vom Fleisch und Blut Parkers, bis sie am vierten Tag nach der Tat von einem Segelschiff gerettet wurden.

Dudley und Stephens wurden wegen Mordes angeklagt. Es war unstreitig, dass beide gegen den Willen Parkers handelten.201 Zur Verteidigung gegenüber der Anklage beriefen sich beide auf necessity. In Kenntnis der Entscheidung US v Holmes lehnte das englische Gericht eine Rechtfertigung oder Entschuldigung der Täter ab:202 „[I]t is admitted that the deliberate killing of this unoffending and unresisting boy was clearly murder, unless the killing can be justified by some well-recognized excuse admitted by the law. It is further admitted that there was in the case no such excuse, unless the killing was justified by what has been called ,necessity‘.“203

Zunächst zweifelte das Gericht an, ob der Überlebenstrieb gegenüber der Pflicht, für andere zu sterben, den Vorrang beanspruchen könne. Weiterhin gebe es keinen Maßstab, mit dem das Verhältnis des Wertes verschiedener Menschenleben zueinander gemessen werden könnte.204 Zwischen den Zeilen machte das Gericht deutlich, dass es auf einer Verurteilung deshalb besteht, da die beiden erwachsenen Seeleute den Schiffsjungen, also den schwächsten und jüngsten 200 Brooks äußerte sich im Gerichtsverfahren zu den Motiven seiner Ablehnung wie folgt: „Let us all die together. I should not like anyone to kill me, and I should not like to kill anyone else.“, zitiert nach A. W. B. Simpson, 61. 201 Vgl. A. Simonson, ZStW 5 (1885), 367 (373). 202 Zu berücksichtigen ist, dass das englische Strafrecht zum damaligen Zeitpunkt nicht deutlich zwischen Rechtfertigungs- oder Entschuldigungsgründen unterschied. Auch das Gericht setzte sich mit dieser grundsätzlichen Frage nicht auseinander. Es benutzt die Begriffe „justification“ und „excuse“ als Synonyme, die untereinander beliebig vertauscht werden, vgl. G. Radbruch, Geist des englischen Rechts, 78; siehe zur Entwicklung der Differenzierung J. Watzek, 74 ff. 203 Regina v Dudley and Stephens (1884) Law Report 14, Queen’s Bench Division, 273 (286 f.). Das House of Lords hat im Fall R v Howe die Rechtsprechung bestätigt, dass necessity die Tötung von Unbeteiligten nicht rechtfertigen kann, siehe R v Howe (1987) 1 Appeal Cases 417 (422). 204 Regina v Dudley and Stephens (1884) Law Report 14, Queen’s Bench Division, 273 (287): „By what measure is the comparative value of lives to be measured? Is it to be strength, or intellect, or what?“

B. Rechtfertigender Notstand, § 34 StGB

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der Schiffbrüchigen, als Opfer der Tötung ausgesucht hatten.205 In einem obiter dictum distanzierte das Gericht sich allerdings auch von einer Rechtfertigungsmöglichkeit durch Losentscheid.206 Dudley und Stephens wurden wegen Mordes zum Tode verurteilt und umgehend danach zu sechs Monaten Haft „without hard labour“ begnadigt.207 Wegen dieser Entscheidung wird herkömmlich vertreten, dass necessity grundsätzlich kein Rechtfertigungsgrund für die Tötung von Unbeteiligten sein kann.208 c) Re A Die englische Rechtsprechung musste sich im Jahr 2000 mit der Zulässigkeit der Trennung der siamesischen Zwillinge J und M auseinandersetzen.209 Dabei war absehbar, dass beide ohne die Trennung nach drei bis sechs Monaten sterben würden. J war in der Lage, unabhängig von M zu überleben. Die Trennung würde allerdings unweigerlich zur Tötung von M führen, die von J mit Sauerstoff versorgt wurde.210 Die behandelnden Ärzte wollten die Operation vornehmen. Die Eltern weigerten sich jedoch mit dem Argument, dass es nicht Gottes Wille sei, einen Zwilling zu töten, um den anderen zu retten. Der Court of Appeal hat die Trennung erlaubt und zur Begründung ausgeführt, in medizinischen Fällen könne necessity unter Beachtung eines engen Anwendungsbereiches die Tötung von Unbeteiligten rechtfertigen. Das Gericht argumentierte dabei vor allem, dass die Trennung das kleinere Übel („lesser evil“)211 darstellen würde. Wörtlich heißt es:

205 Vgl. G. Radbruch, Geist des englischen Rechts, 98 f.; siehe auch K. Bernsmann, „Entschuldigung“ durch Notstand, 47 f., der auf die massive öffentliche Unterstützung für die Angeklagten hinweist. 206 Regina v Dudley and Stephens (1884) Law Report 14, Queen’s Bench Division, 273 (285); zustimmend J. Watzek, 174; siehe zum Losverfahren aus deutscher Sicht K. Bernsmann, „Entschuldigung“ durch Notstand, 336 ff. 207 A. Simonson, ZStW 5 (1885), 367 (377); siehe auch C. Beck, 227, die meint, dass ein Gericht heute eher für eine Rechtfertigung entscheiden würde, da moralische Erwägungen im englischen Strafrecht nicht mehr so eine wichtige Rolle wie im 19. Jahrhundert spielen würden. 208 Vgl. M. Bohlander, JoCL 70 (2006), 147: „Necessity is not a defence to murder. This principle has been repeated like a mantra ever since the times of R v Dudley and Stephens.“ 209 Re A (2000) 4 All England Law Reports, 961; siehe auch im Allgemeinen zur Trennung von siamesischen Zwillingen Re. Merkel, in: Roxin/Schroth (Hg.), Medizinstrafrecht, 145 ff. 210 Es ist anzumerken, dass das Gericht zu Recht sowohl J als auch M als eine eigenständige Person angesehen hat und nicht dem Argument gefolgt ist, es handele sich um nur ein menschliches Leben, siehe Re A (2000) 4 All England Law Reports, 961 (994 ff.). 211 Re A (2000) 4 All England Law Reports, 961 (1016).

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5. Teil: Strafrechtliche Rechtfertigung der Tötung von Unbeteiligten

„Although M had the right to life, she had little right to be alive. She was alive only because she was sucking the lifeblood out of J, and would survive only as long as J would survive. As for J, she would not survive long because constitutionally she would not be able to cope. If J could speak, she would surely protest and tell M to stop killing her. Thus the fact that only the doctors could help J, while M was beyond help, went into the scales of fairness and justice between the children. There was therefore no doubt that the scales came down heavily in J’s favour. [. . .] The court would therefore grant permission to perform the operation, provided that such an operation would be lawful.“212

Das Gericht hat damit bei seinen Überlegungen zwei Gesichtspunkte entscheidend berücksichtigt: Zum einen betont es die Tatsache, dass M eine Gefahr für das Leben von J darstellt und zum anderen, dass M ohnehin keine Möglichkeit zu einem langfristigen Überleben hat. Bohlander interpretiert die Entscheidung dahingehend, dass – obwohl das Gericht grundsätzlich von der Gleichwertigkeit des menschlichen Lebens ausgeht213 – das Leben von M im Vergleich zu J als weniger schutzwürdig eingestuft worden ist.214 Die Begründung enthält damit Elemente des rechtfertigenden Defensivnotstandes und berücksichtigt auch den Umstand, dass die Rettungschancen durch die medizinische Situation einseitig zu Gunsten von J verteilt waren. Die letztere Tatsache zieht das Gericht heran, um bei der Abwägung zwischen der Handlungspflicht der Ärzte, J zu retten, und der Unterlassungspflicht, keine Gefahr für Ms Leben herbeizuführen, der Handlungspflicht das höhere Gewicht beizumessen: „The doctors must be given the same freedom of choice as the court has given itself and the doctors must make that choice along the same lines as the court has done, giving the sanctity of life principle its place in the balancing exercise that has to be undertaken. The respect the law must have for the right to life of each must go in the scales and weigh equally but other factors have to go in the scales as well. For the same reasons that led to my concluding that consent should be given to operate, so the conclusion has to be that the carrying out of the operation will be justified as the lesser evil and no unlawful act would be committed.“ 215

Besonders bemerkenswert ist, dass Richter Brooke – nachdem er unter Rückgriff auf den „Bergsteigerfall“216 auf die besondere Problematik der Gefahrengemeinschaft mit einseitiger Verteilung von Rettungschancen hinweist – einen Sachverhalt konstruiert, der der Konstellation des § 14 Abs. 3 LuftSiG erstaun212

Re A (2000) 4 All England Law Reports, 961 (962). Re A (2000) 4 All England Law Reports, 961 (1001): „[I]t is impermissible to deny that every life has an equal inherent value. Life is worthwhile in itself whatever the diminution in one’s capacity to enjoy it and however gravely impaired some of one’s vital functions of speech, deliberation and choice may be.“ 214 M. Bohlander, JoCL 70 (2006), 147 (156). 215 Re A (2000) 4 All England Law Reports, 961 (1016). 216 Siehe oben 5. Teil B. III. 3. b). 213

B. Rechtfertigender Notstand, § 34 StGB

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lich nahe kommt: Er nennt das Beispiel, dass ein führerloses Flugzeug, das keinen Treibstoff mehr hat, auf eine dicht besiedelte Stadt zu stürzen droht; in diesem Fall wäre nach Brookes Auffassung ein Abschuss des Flugzeuges und die damit verbundene Tötung von Unbeteiligten erlaubt: „Those inside the aircraft were in any event ,destined to die‘. There would be no question of human choice in selecting the candidates for death, and if their inevitable deaths were accelerated by the plane being brought down on waste ground the lives of countless other innocent people in the town they were approaching would be saved.“217

d) Aktuelle Äußerungen in der Literatur Gerade die Entscheidung US v Holmes hat einen starken Einfluss auf die Entwicklung des Notstandsrechts in den Vereinigten Staaten genommen. So regelt § 3.02 des Model Penal Codes218 ausdrücklich eine Rechtfertigungsmöglichkeit nach dem Prinzip des „kleineren Übels“. Der Model Penal Code stellt zwar kein unmittelbar geltendes Recht dar, dennoch hat er die Strafgesetzgebung der US-Bundesstaaten erheblich beeinflusst, denn die Regelung des § 3.02 wurde in mehreren US-Bundesstaaten in identischer oder ähnlicher Weise in das geltende Recht übernommen.219 Daher wird in der US-amerikanischen Strafrechtswissenschaft vertreten, für eine Rechtfertigung durch necessity sei ohne weiteres eine Abwägung nach der Anzahl der getöteten und geretteten Personen zulässig.220 Dabei meint allerdings Robinson, dass eine Rechtfertigung noch nicht in Betracht kommt, wenn durch die Tötung eines Unbeteiligten nur zwei oder drei Menschenleben gerettet werden. Soweit jedoch eine größere Anzahl von Menschen durch die Tötung gerettet wird, sei der Täter gerechtfertigt.221 Ormerod greift den „Bergsteigerfall“ auf und führt bezüglich einer Rechtfertigung des oben hängenden Bergsteigers („D“) aus: „D, a mountaineer who cuts the rope seconds before he would be dragged over a precipice by E, his falling companion, surely commits no offence. There is no question of choosing between D and E. E is going to die in a matter of seconds 217

Re A (2000) 4 All England Law Reports, 961 (1041). „§ 3.02 Justification Generally: Choice-of-Evils (1) Conduct which the actor believes to be necessary to avoid an evil to himself or to another is justifiable, provided that: (a) the evil sought to be avoided by such conduct is greater than that sought to be prevented by the law defining the offense charged; and (b) neither the Code nor other law defining the offense provides exceptions or defenses dealing with the specific situation involved. [. . .].“ 219 Vgl. J. Etzel, 132 ff. 220 W. R. LaFave, 524: „It is better that two lives be saved and one lost than that two be lost and one saved.“ 221 P. H. Robinson, 413. 218

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5. Teil: Strafrechtliche Rechtfertigung der Tötung von Unbeteiligten

anyway. The question is whether he alone should die a few seconds earlier, or whether they should both die seconds later.“222

Vor diesem Hintergrund bejaht Ormerod auch eine Rechtfertigung durch necessity, wenn die Tötung von unbeteiligten Flugzeugpassagieren erforderlich ist, um einen größeren Schaden abzuwenden: „Following the destruction of the World Trade Center in New York by hijacked aircraft it now appears to be recognized that it would be lawful to shoot down a plane, killing all the innocent passengers and crew if this were the only way to prevent a much greater impending disaster. Even if duress cannot be a defence to murder, it seems quite clear that necessity can.“223

Bohlander hat in einem aktuellen Aufsatz den Fall der siamesischen Zwillinge aufgegriffen und vergleicht diesen mit der Tötung von Unbeteiligten in der Konstellation des § 14 Abs. 3 LuftSiG. Er betont, dass auch im englischen Strafrecht bezüglich der Rechtfertigung zwischen der Tötung der Angreifer und der Tötung der unbeteiligten Flugzeuginsassen unterschieden werden muss.224 Als Argument für die Rechtfertigung der Tötung von Unbeteiligten stellt er zunächst auf das zahlenmäßige Verhältnis zwischen geretteten und getöteten Personen ab: „[N]o one would seriously doubt that shooting down a plane with 50 passengers would be the right thing to do, if the plane was aimed at a busy shopping mall where thousands of people were going about their business [. . .].“225

Bohlander meint weiterhin, dass die Problematik sich zuspitzt, soweit ein zahlenmäßiges Überwiegen nicht vorliegt, denn in diesen Konstellationen verbiete der Grundgedanke des „Mignonette-Falls“ eine unterschiedliche Wertschätzung des menschlichen Lebens. Eine abschließende Stellungnahme nimmt Bohlander nicht vor; allerdings greift er den Ansatz der Todesgeweihtheit der Flugzeuginsassen auf und kommt zum Ergebnis, dass die Aussage, dass necessity unter keinen Umständen die Tötung von Unbeteiligten rechtfertigen kann, keine absolute Geltung haben kann: „[T]he general maxim that necessity is not a defence to murder can no longer be regarded as sacrosanct. It jars with common conceptions of balancing the lives of persons in distinct scenarios, as described above. Indeed, reduced to the underlying moral problem of necessity and the taking of human life, the law has already accepted that human life may have to yield to other, even lower-ranking interests and values.“226

Das Problem der Tötung von Unbeteiligten stellte sich konkret am 11. September 2001 in Bezug auf den Abschuss eines Passagierflugzeuges, das schließ222 223 224 225 226

D. Ormerod, 320 f. D. Ormerod, 322. M. Bohlander, JoCL 70 (2006), 147 (157). M. Bohlander, JoCL 70 (2006), 147 (158). M. Bohlander, JoCL 70 (2006), 147 (161).

B. Rechtfertigender Notstand, § 34 StGB

443

lich über Pennsylvania abstürzte, ohne in ein Anschlagsziel gelenkt worden zu sein. Dabei befand sich dieses Flugzeug bereits im Visier US-amerikanischer Kampfflugzeuge und Präsident George W. Bush hatte bereits den Befehl gegeben, dieses Flugzeug im Notfall abzuschießen.227 In Bezug auf diesen Befehl äußerte Vizepräsident Dick Cheney fünf Tage nach den Anschlägen, dass er keinen Zweifel habe „that we would have been justified in doing that“.228 e) Zwischenergebnis In den beiden zuerst genannten Entscheidungen wird – auch wenn eine Rechtfertigung der Tötung im Ergebnis abgelehnt worden ist – auf Grund des niedrigen Strafrahmens beziehungsweise durch die sofortige Begnadigung zunächst deutlich, dass der Unrechtsgehalt der notstandsbedingten Tötungen erheblich geringer gewesen ist, als bei einer „normalen“ Tötungshandlung. Weiterhin ist festzustellen, dass zumindest im US-amerikanischen Strafrecht eine wesentlich stärkere Tendenz zur Rechtfertigung von notstandsbedingten Tötungen vorhanden ist. Dies kann vor allem damit erklärt werden, dass dem Rechtsgut des menschlichen Lebens entgegen der herrschenden Auffassung in der deutschen Rechtswissenschaft kein unendlicher Wert zugesprochen wird und dadurch eine Abwägung nach Kopfzahlen beziehungsweise nach der verbleibenden Lebenszeit ermöglicht wird. Dabei wird die besondere Problematik der einseitigen Verteilung von Rettungschancen nicht annähernd so intensiv diskutiert wie in der deutschen Strafrechtsliteratur. In dieser Konstellation wird die Rechtfertigung einer kurzfristigen Lebenszeitverkürzung offenbar nicht ernsthaft angezweifelt. Vielmehr machen die Äußerungen im Fall Re A deutlich, dass im englischen Strafrecht eine einseitige Verteilung von Rettungschancen berücksichtigt werden darf.

V. Eigene Stellungnahme Es ist festzustellen, dass beide Seiten – sowohl die Befürworter als auch die Gegner einer Rechtfertigung von notstandsbedingten Tötungen – gewichtige Argumente für ihre Auffassung vortragen. Die Argumentationslinien der Wertungsparadoxie der Befolgung des Tötungsverbotes im Fall der Gefahrengemeinschaft mit einer einseitigen Verteilung von Rettungschancen einerseits und 227

Vgl. B. Woodward, 32. Zitiert nach Re. Merkel, ZStW 114 (2002), 437 (449). Der amtierende Chief of Air Staff der britischen Luftstreitkräfte, Sir Glenn Torpy, äußerte im Gespräch mit dem Verfasser am 28. Februar 2007, die Rechtslage im Vereinigten Königreich sei „slightly different“ im Vergleich zur Bundesrepublik. Im Notfall dürften der Premierminister beziehungsweise der Verteidigungsminister den Abschuss eines Passagierflugzeuges befehlen. 228

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5. Teil: Strafrechtliche Rechtfertigung der Tötung von Unbeteiligten

die Position des absoluten Verbots der Tötung von Unbeteiligten andererseits stehen sich dabei unversöhnlich gegenüber. Im Folgenden geht es vor allem um die notstandsbedingte Tötung bei einer einseitigen Verteilung von Rettungschancen, denn diese Konstellation ist – wie oben ausgeführt worden ist – auch im Fall des § 14 Abs. 3 LuftSiG einschlägig. Um sich dem Problem der notstandsbedingten Tötung in dieser Konstellation nähern zu können, wird im Folgenden zunächst dargestellt, wie der strafrechtliche Schutz des menschlichen Lebens in anderen Ausnahmesituationen ausgestaltet ist. 1. Strafrechtlicher Schutz des Lebens vor der Vollendung der Geburt Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die Frage der rechtlichen Bewertung der Tötung229 menschlichen Lebens vor der Vollendung der Geburt. Dabei geht es im Folgenden um zwei verschiedene Bereiche, zum einen um den medizinisch indizierten Schwangerschaftsabbruch und zum anderen um die Perforation, das heißt die Tötung des ungeborenen Kindes während des Geburtsvorganges. Im Rahmen der vorliegenden Untersuchung soll und kann die ethische und religiöse Diskussion um den Schwangerschaftsabbruch oder die Perforation nicht dargestellt werden. Es soll vor allem die Frage geklärt werden, ob das immer wieder beschworene Verbot der Tötung von Unbeteiligten und das Abwägungsverbot in Bezug auf das menschliche Leben in der Praxis tatsächlich ernst genommen wird. a) Medizinische Indikation Die medizinische Indikation erfasst Fälle, in denen der Abbruch der Schwangerschaft erforderlich ist, um eine Gefahr für das Leben oder die Gefahr einer schwerwiegenden Beeinträchtigung für die körperliche Unversehrtheit der Schwangeren abzuwenden. Die medizinische Indikation ist mittlerweile in § 218a Abs. 2 StGB durch die Formulierung „nicht rechtswidrig“ als ein echter Rechtfertigungsgrund230 ausgestaltet und durch eine soziale Komponente erweitert worden, bei der im Rahmen einer Gesamtwürdigung auch soziale, familiäre und wirtschaftliche Belastungen einzubeziehen sind.231 Bis zum Beginn des Geburtsvorganges gibt es keine zeitliche Begrenzung der Anwendung des § 218a 229 Der Begriff „Tötung“ soll an dieser Stelle keine rechtliche Bewertung implizieren, sondern lediglich wertneutral umschreiben, dass menschliches Leben durch ein menschliches Verhalten beendet wird. 230 Vgl. BT-Drucks. 13/1850, 25; MüKo-W. Gropp, § 218a Rdn. 34 ff.; vgl. zur alten Fassung des § 218a StGB, die von „nicht strafbar“ sprach, H. Tröndle/T. Fischer, § 218a Rdn. 14 m.w. N. 231 H. Tröndle/T. Fischer, § 218a Rdn. 26; C. Belling, 8.

B. Rechtfertigender Notstand, § 34 StGB

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Abs. 2 StGB; allerdings ist in der Endphase der Schwangerschaft in einem besonderen Maße die Zumutbarkeit eines Eingriffs, durch den das Leben des Kindes geschont werden könnte, zu prüfen.232 Wegen der Existenz des § 218a Abs. 2 StGB ist eine Rechtfertigung des Schwangerschaftsabbruches bei einer Gefahr für das Leben der Schwangeren nach der heutigen Rechtslage – jedenfalls, wenn man von der Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift ausgeht233 – unproblematisch möglich. Für die vorliegende Untersuchung ist jedoch von besonderem Interesse, dass vor der Einfügung des § 218a Abs. 2 StGB die Grundsätze des übergesetzlichen rechtfertigenden Notstands herangezogen worden sind, um die Tötung des ungeborenen Lebens im Fall der medizinischen Indikation zu rechtfertigen. aa) Leitentscheidung des Reichsgerichts Als grundlegende Entscheidung ist das Urteil vom 11. März 1927 zu nennen, in dem das Reichsgericht das Kriterium der Interessenabwägung als maßgebliche Grundlage des übergesetzlichen rechtfertigenden Notstands entwickelt hat. In diesem Fall ging es um eine unverheiratete Frau, die von einem Reisenden ein Kind erwartete. Durch diese Umstände wurde sie seelisch so schwer belastet, dass sie an Nervenstörungen erkrankte. Der Frau wurde ärztlich attestiert, dass sie wegen der Schwangerschaft an einer „reaktiven Depression“ leide, welche die ernsthafte Gefahr des Selbstmordes begründen würde. Daraufhin nahm ein Arzt den Schwangerschaftsabbruch vor.234

Das Reichsgericht hat in seiner Urteilsbegründung den Gedanken der „Güterund Pflichtenabwägung“ aufgegriffen und ausgeführt: „Für den Fall des Widerstreits von Pflichten – des Pflichtennotstands – hat sich das Reichsgericht schon wiederholt zu dem Grundsatz bekannt, dass die höhere Pflicht auf Kosten der minder hohen zu erfüllen und die Nichterfüllung der letzteren nicht rechtswidrig ist [. . .]. Aber auch für den Fall des Widerstreits von Rechtsgütern – des Gutsnotstands – hat das Reichsgericht bereits anerkannt, dass dann, wenn ein Ausgleich nicht anders möglich ist, als durch Vernichtung oder Schädigung des einen der beiden Rechtsgüter, das geringerwertige Gut dem höherwertigen weichen muss, der Eingriff in das geringerwertige also nicht rechtswidrig ist.“235

Für den konkreten Fall meint das Reichsgericht, dass „der Verlust des Lebens als auch eine [. . .] schwere Gesundheitsschädigung des fertigen Menschen höher zu bewerten ist, als der Verlust des Lebens der Leibesfrucht“. Dies ergebe sich 232

Schönke/Schröder-A. Eser, § 218a Rdn. 42; MüKo-W. Gropp, § 218a Rdn. 53. Zum Teil wird die Verfassungsmäßigkeit der Rechtfertigungslösung des § 218a StGB bestritten, vgl. C. Belling, 44 ff. 234 Vgl. RGSt 61, 242 (243). 235 RGSt 61, 242 (254). Die Entscheidung muss im Zusammenhang damit gesehen werden, dass zur damaligen Zeit überwiegend vertreten wurde, dass das ungeborene Leben noch kein menschliches Leben ist, vgl. E. Ritter v. Liszt, 139 ff. 233

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5. Teil: Strafrechtliche Rechtfertigung der Tötung von Unbeteiligten

vor allem aus dem Vergleich der Strafdrohungen der Tötungsdelikte und der schweren Körperverletzung im Gegensatz zu den Abtreibungsdelikten.236 Der Bundesgerichtshof ist dieser Rechtsprechung im Wesentlichen gefolgt und hat damit die Interessenabwägung zu Lasten des ungeborenen Lebens mehr oder weniger unreflektiert übernommen.237 bb) Auffassungen in der Literatur In der Literatur hat die Entscheidung des Reichsgerichts weitgehend Zustimmung erfahren und so wurde bereits vor der Einfügung des § 218a Abs. 2 StGB überwiegend eine Rechtfertigung des Schwangerschaftsabbruches im Fall der medizinischen Indikation bejaht.238 Die herrschende Meinung geht davon aus, das Leben der Mutter müsse Vorrang gegenüber dem ungeborenen Leben haben; eine entsprechende Tötung des ungeborenen Lebens sei daher strafrechtlich gerechtfertigt.239 Die Literatur spricht von einem „Spezialfall der Interessenkollision nach § 34 StGB“240 oder einer „gesetzlichen Vorwegabwägung“.241 Für eine Rechtfertigungsmöglichkeit werden vor allem emotionale Gründe genannt. So führt Lenckner aus: „Über allen anderen Erwägungen steht hier das Leid der Mutter, die uns in ihrer Not ungleich näher ist als der anonyme Embryo, in dem noch niemand den Mitmenschen sieht. Es mag eine sehr gefühlsmäßige, von Mitleid und anderen Emotionen bestimmte Reaktion sein, die dagegen spricht, dass man die Mutter einfach ihrem Schicksal überlässt; doch wie die ganze Entwicklung zeigt, handelt es sich dabei um einen Faktor, mit dem nun einmal zu rechnen ist.“242

Eine ähnliche Argumentation findet sich bereits bei Broglio: „Das Kind zur Rettung der Mutter durch künstlichen Abort zu opfern, entspricht gewiss dem Rechtsgefühl der Allgemeinheit, und auch rechtlich erscheint diese höhere Bewertung des fertigen daseinsstarken Menschenlebens gegenüber dem noch in der Entstehung begriffenen wohl begründet; handelt es sich doch nicht um eine ,Person‘ im Rechtssinne, die hier zugunsten des Lebens der Mutter geopfert wird!“243 236

RGSt 61, 242 (255). BGHSt 3, 7 ff. 238 Vgl. zu den rechtsgeschichtlichen Gegebenheiten T. Lenckner, Notstand, 231 ff. 239 LK-P. Kröger, § 218a Rdn. 1; H. Tröndle/T. Fischer, § 218a Rdn. 14 m.w. N.; Schönke/Schröder-A. Eser, § 218a Rdn. 21 f.; T. Lenckner, Notstand, 267; W. Gropp, GA 1988, 1 (28). 240 G. Arzt/U. Weber, § 5 Rdn. 62. 241 SK-H.-J. Rudolphi, § 218a Rdn. 10; Schönke/Schröder-A. Eser, § 218a Rdn. 22; W. Küper, Der „verschuldete“ rechtfertigende Notstand, 125 f. 242 T. Lenckner, Notstand, 267. 243 R. P. Broglio, 30. 237

B. Rechtfertigender Notstand, § 34 StGB

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Bemerkenswert ist auch der Ansatz Dürigs, dessen Objektformel das Bundesverfassungsgericht immerhin zur Begründung eines Menschenwürdeverstoßes durch die Tötung von Unbeteiligten gemäß § 14 Abs. 3 LuftSiG herangezogen hat. Nach Dürig liegt in der Tötung von ungeborenen Leben jedenfalls keine Menschenwürdeverletzung. Das Ausfallen der Abwägung zu Gunsten der Schwangeren will Dürig dabei mit dem Hinweis rechtfertigen, es gehe nicht nur um das Leben der Mutter, sondern auch um die Existenz von Ehe und Familie.244 Häufig wird auf eine besondere Beziehung zwischen der Schwangeren und dem nasciturus hingewiesen.245 So meint Roxin, die Mutter, die „dem Kinde das Leben schenkt“, müsse nur solche Gefahren auf sich nehmen, die üblicherweise mit der Schwangerschaft verbunden sind.246 Eine Aufopferung ihres Lebens könne der Schwangeren dagegen nicht zugemutet werden. Teilweise wird zudem vertreten, dass die Interessenabwägung zu Gunsten der Schwangeren auch durch die Berücksichtigung von Allgemeininteressen zu begründen ist. So würden durch die Ausgestaltung des § 218a Abs. 2 StGB als Rechtfertigungsgrund Laienabtreibungen sowie sonstige negative Folgen des alten Abtreibungsrechts vermieden.247 cc) Folgerungen für die Abwägung „Leben gegen Leben“ Zunächst ist festzuhalten, dass für die Rechtfertigung des Schwangerschaftsabbruchs in den Fällen der medizinischen Indikation wegen der Sonderregelung des § 218a Abs. 2 StGB in der Regel kein Rückgriff auf § 34 StGB mehr erforderlich ist.248 Allerdings ist die Regelung des § 218a Abs. 2 StGB aus dem Prinzip der Interessenabwägung heraus entwickelt worden und kann daher als ein gesetzlich geregelter Sonderfall des § 34 StGB angesehen werden. Dieser Sonderfall müsste mit den grundlegenden Prinzipien des rechtfertigenden Notstands vereinbar sein. Das Reichsgericht begründete die Rechtfertigung ausdrücklich mit dem überwiegenden Interesse an der Erhaltung des geborenen Lebens. Es führte dabei zutreffend aus, dass der strafrechtliche Schutz des menschlichen Lebens im Sinne der Tötungsdelikte gemäß §§ 211 ff. StGB erst mit dem Beginn des Geburtsaktes, das heißt mit dem Einsetzen der Geburtswehen, beginnt und das un-

244

Maunz/Dürig-G. Dürig, Art. 2 Abs. 2 Rdn. 23. Vgl. MüKo-W. Gropp, Vor §§ 218 ff. Rdn. 38 m.w. N. 246 C. Roxin, Strafrecht AT I, § 16 Rdn. 79. 247 H. Tröndle/T. Fischer, § 218a Rdn. 15. 248 Eine Ausnahme, in der auf § 34 StGB zurückgegriffen werden könnte, ist der Abbruch durch einen Nichtarzt bei einer akuten Lebensgefahr. 245

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5. Teil: Strafrechtliche Rechtfertigung der Tötung von Unbeteiligten

geborene Leben dagegen nur einen abgeschwächten Strafrechtsschutz genießt.249 Fraglich ist allerdings, ob diese Grenze zwischen dem Beginn des menschlichen Lebens im Sinne der §§ 211 ff. StGB auch für die Güterabwägung gemäß § 34 StGB maßgeblich ist. Der Umstand, dass einem Rechtsgut nicht der gleiche strafrechtliche Schutz zukommt, muss noch nicht bedeuten, dass dieses Rechtsgut einen geringeren Wert hat.250 Dafür spricht vor allem, dass der Verweis auf die unterschiedlichen Strafdrohungen allein noch nichts über die Wertigkeit eines Rechtsgutes aussagt, da Unterschiede des Strafrahmens häufig Ausdruck der Motivation des Täters und der tatsächlichen Umstände sind. Eine Abstufung der Wertigkeit des Rechtsgutes Leben kann daher nicht mit dem Verweis auf die unterschiedlichen Strafrahmen begründet werden.251 Die unterschiedlichen Strafrahmen können allenfalls ein Indiz für die Wertigkeit von Rechtsgütern sein.252 Zur Verdeutlichung ist hier die Regelung des § 217 StGB a. F. zu nennen, die bei einer Tötung eines unehelichen Kindes durch die Mutter unmittelbar nach der Geburt eine Strafrahmenuntergrenze von drei Jahren Freiheitsstrafe und damit gegenüber §§ 211, 212 StGB eine deutlich verringerte Strafandrohung vorgesehen hatte. Dennoch liegt es auf der Hand, dass das Leben eines neugeborenen, unehelichen Kindes keinen geringeren Wert im Vergleich zu dem Leben eines neugeborenen, ehelichen Kindes hatte, obwohl die Tötung durch die Mutter weniger hart bestraft wurde. Vielmehr wurde die Strafmilderung durch Erwägungen auf der Schuldebene mit dem Hinweis auf einen besonderen psychischen Zustand der Mutter begründet.253 Ansonsten hätte konsequenterweise auch die Tötung des unehelichen Kindes durch einen Dritten unter die Privilegierung des § 217 StGB a. F. fallen müssen. Im Übrigen hat das Bundesverfassungsgericht auch das ungeborene Leben ausdrücklich unter den Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und sogar des Art. 1 Abs. 1 GG gefasst.254 Dem ungeborenen Leben müsste daher im Rahmen der Güterabwägung die gleiche Wertigkeit wie das Leben eines Menschen im Sinne der Tötungsdelikte und ein höherer Rang als die körperliche Unversehrtheit255 eines Menschen zukommen. Im Fall eines Schwangerschafts-

249

BGHSt 31, 348 (350); 32, 194; W. Joecks, Vor § 211 Rdn. 16 f. Siehe bereits E. Schmidt, ZStW 49 (1929), 350 (388), der die Begründung des Reichsgerichts in diesem Punkt scharf kritisiert. 251 Siehe auch W. Esser, MedR 1983, 57 (59 Fn. 19). 252 So auch G. M. Scheid, 32. 253 K. Lackner/K. Kühl, 22. Aufl., § 217 Rdn. 1. 254 BVerfGE 39, 1 (35 ff.); 88, 203 (251). 255 Vgl. auch Art. Kaufmann, FS Maurach, 1972, 327 (340), der die Entscheidung des Reichsgerichts insoweit kritisiert, als auch die Gefahr für die körperliche Unver250

B. Rechtfertigender Notstand, § 34 StGB

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abbruches wegen einer Lebensgefährdung der Mutter kollidieren damit zwei gleichwertige Rechtsgüter.256 Würde man auf eine Pflichtenkollision des behandelnden Arztes abstellen,257 so müsste nach der herrschenden Meinung sogar der Pflicht zum Unterlassen eines Schwangerschaftsabbruches gegenüber der Pflicht zur ärztlichen Hilfe zu Gunsten der Mutter der höhere Rang zukommen. Es drängt sich also die Frage auf: Wie kann der Widerspruch aufgelöst werden, dass die herrschende Meinung einerseits den Schwangerschaftsabbruch bei einer medizinischen Indikation rechtfertigt und andererseits an der Unabwägbarkeit des menschlichen Lebens und dem absoluten Verbot der Tötung von Unbeteiligten festhält? Vordergründig liegt die Lösung in der Aussage: „Der Mensch im strafrechtlichen Sinne existiert erst ab dem Beginn der Geburt.“ Dieser Aussage ist jedoch ungenau und lautet korrekt: „Der Mensch im Sinne der Tötungsdelikte existiert erst ab dem Beginn der Geburt.“ Dies bedeutet, dass auch der nasciturus als Mensch im Sinne des § 34 StGB gilt. Im Übrigen ist zu beachten, dass der 16. Abschnitt des StGB die Überschrift „Straftaten gegen das Leben“ trägt. Auch wenn der Schutz des geborenen und des ungeborenen Lebens tatbestandlich unterschiedlich ausgestaltet ist, so regelt der 16. Abschnitt dennoch Straftaten gegen das Rechtsgut „Leben“, ohne dass auf der Rechtsgutsebene eine Differenzierung stattfindet. Dies spricht dafür, auch bei der Güterabwägung im Rahmen des § 34 StGB keine Differenzierung vorzunehmen. Auch der Ansatz Roxins, der auf eine Rücksichtnahmepflicht des ungeborenen Kindes zu Gunsten der Schwangeren abstellt, vermag nicht zu überzeugen. Das Argument, die Abwägung zwischen kollidierenden Lebensinteressen müsse zu Gunsten desjenigen ausfallen, der selber „Leben schenkt“, scheitert daran, dass es, „konsequent durchgeführt, zu viel rechtfertigen würde“.258 Denn das Kind profitiert das gesamte Leben von dem „Geschenk“ seiner Mutter. Dennoch fordert zu Recht niemand, dass die Lebensinteressen des Kindes dauerhaft gegenüber denen der Mutter zurückstehen müssten. Wenig hilfreich ist die Auffassung Dürigs, der neben dem Schutz der Schwangeren auch den Schutz von Ehe und Familie heranzieht. Zum einen müsste danach differenziert werden, ob die Schwangere überhaupt eine Familie hat oder nicht. Zum anderen würde die Schutzwürdigkeit und die Wertigkeit des menschlichen Lebens von äußeren Faktoren bestimmt werden. Es würde jedoch zu weit gehen, dem Leben eines Alleinstehenden eine geringere Schutzwürdigkeit als dem eines vielfachen Familienvaters einzuräumen. sehrtheit der Schwangeren ausreichen soll, um den Schwangerschaftsabbruch zu rechtfertigen. 256 Vgl. H. Satzger, JuS 1997, 800 (803 f.); a. A. W. Mitsch, JR 2006, 450 (453). 257 Vgl. G. M. Scheid, 25. 258 M. Pawlik, Notstand, 331.

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Eine Rechtfertigung kann nur damit erklärt werden, dass eine Abwägung „Leben gegen Leben“ im Strafrecht vorgenommen und damit der Schutz eines Lebens gegenüber einem anderen als höherwertig eingeordnet wird. So meint auch Dreier, die medizinische Indikation könne nur dann stimmig vertreten werden, wenn man von der Ungleichwertigkeit des menschlichen Lebens ausgeht und dem geborenen Leben den Vorrang einräumt.259 Vor diesem Hintergrund führt auch T. Fischer aus, in Wirklichkeit könne von einer Gleichwertigkeit des geborenen und des ungeborenen Lebens weder rechtlich noch praktisch eine Rede sein. Vielmehr hafte der Betonung der Gleichwertigkeit des menschlichen Lebens angesichts der Praxis des Schwangerschaftsabbruchs und der Regelungen im Bereich der Gentechnik „ein Moment der Heuchelei“ an.260 Fischers Auffassung ist zuzustimmen. Es gibt sicherlich sehr gewichtige Gründe dafür, dem Lebensinteresse der Schwangeren gegenüber dem des ungeborenen Kindes den Vorrang einzuräumen und damit eine Tötung des letzteren zu rechtfertigen. Alle Begründungsansätze können aber nicht über eine Relativierung der Schutzwürdigkeit des ungeborenen Lebens hinwegtäuschen. Die Forderung nach der Berücksichtigung der Interessen der Allgemeinheit innerhalb der Interessenabwägung zeigt zudem, dass utilitaristisches Gedankengut teilweise in der deutschen Strafrechtsordnung vorhanden ist, auch wenn dies immer wieder bestritten wird.261 b) Perforation Bei der Perforation wird das Kind während der Geburt zur Erhaltung des Lebens der Mutter getötet. Eine solche Situation kann vor allem durch die Bildung eines Wasserkopfes beim Kind oder durch Abnormalitäten des Geburtsganges der Frau entstehen. Obwohl eine Tötung des Kindes während des Geburtsvorganges wegen des medizinischen Fortschritts nur noch in äußerst seltenen Fällen erforderlich sein dürfte,262 ist die Frage der rechtlichen Bewertung den-

259 H. Dreier, ZRP 2002, 377 (381); ähnlich W. Gropp, GA 1988, 1 (28); siehe auch J. M. Silva Sánchez, ZStW 118 (2006), 547 (556): „Es existiert keine einzige Notstandslage, welche rechtfertigen kann, einem anderen sein Leben zu rauben, auf das er ein Recht hat. Deshalb muss, wer den Schwangerschaftsabbruch als eine erlaubte Handlung zulässt, von der Verneinung des Lebensrechts ausgehen [. . .].“ 260 H. Tröndle/T. Fischer, Vor §§ 211 bis 216 Rdn. 4a, Vor §§ 218 Rdn. 2. 261 Vgl. A. Archangelskij, 40, der einen utilitaristischen Ansatz mit der Begründung ablehnt, die deutsche Rechtsordnung stelle „sowohl die Zerstörung eigener Sachen als auch den Selbstmord“ nicht unter Strafe; zustimmend M. Tresselt, 8. Ein Blick in das Gesetz zeigt, dass das Gegenteil der Fall ist: So verbietet § 304 StGB auch die gemeinschädliche Sachbeschädigung eigener Sachen und § 109 StGB, § 17 WStG pönalisieren zumindest die Selbstverletzung unter besonderen Voraussetzungen. 262 Vgl. M. Rhonheimer, 191 f.

B. Rechtfertigender Notstand, § 34 StGB

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noch von Interesse, denn es kann nicht ausreichend sein, nur für praktisch bedeutsame Fallgestaltungen eine Bewertung vorzuhalten.263 aa) Lösungsansätze in der Literatur Ganz überwiegend wird auch hier eine Rechtfertigung der Tötung des Kindes bejaht.264 Allerdings kann jedenfalls bei der Perforation nicht mehr mit einem unterschiedlichen strafrechtlichen Schutz argumentiert werden,265 da der Geburtsvorgang bereits begonnen hat und das ungeborene Kind damit ein „Mensch“ im Sinne der §§ 211 ff. StGB ist.266 Vielfach wird daher auf den Gedanken des rechtfertigenden Defensivnotstandes zurückgegriffen. Der nasciturus sei ein Gefahrenherd für das Leben der Schwangeren und dürfe daher getötet werden.267 Weiterhin meint Kühl, die Tötung sei gerechtfertigt, da der Sachverhalt bei einer Perforation den Voraussetzungen des § 218a Abs. 2 StGB ähnele.268 Lugert meint, es wäre „wohl etwas zu weitgehend, von der Mutter zu fordern, sich bei Gleichwertigkeit der kollidierenden Rechtsgüter (,Leben gegen Leben‘) zugunsten ihres Kindes aufzuopfern“.269

Dabei wird als Argument für eine Rechtfertigung gerade auch angeführt, dass Dritte kein Notwehrrecht zu Gunsten des Kindes haben sollen,270 denn ansons263

Vgl. W. Gropp, GA 1988, 1 (7). LK-H. J. Hirsch, § 34 Rdn. 74; LK-B. Jähnke, § 212 Rdn. 10; Schönke/Schröder-A. Eser, Vor §§ 218 ff. Rdn. 41; K. Lackner/K. Kühl, § 34 Rdn. 9; W. Gropp, § 6 Rdn. 137; J. Renzikowski, Notstand und Notwehr, 267 f.; M. Rhonheimer, 216 ff.; C. Roxin, Strafrecht AT I, § 16 Rdn. 79; H.-H. Jescheck/T. Weigend, 365; R. D. Herzberg, NJW 1996, 3043 (3044); unzutreffend insoweit G. Roellecke, FAZ vom 16. Februar 2005, der meint, nach der geltenden Rechtslage sei lediglich eine Entschuldigung gegeben. 265 Abzulehnen ist daher die Ansicht, die Perforation sei kein Tötungsdelikt, sondern mit einem medizinisch indizierten Schwangerschaftsabbruch zu vergleichen. In diese Richtung argumentiert aber L. Otte, 143 f. m.w. N.; siehe auch zum Beginn des Menschseins nach Aufhebung des § 217 StGB a. F. R. D. Herzberg/A. I. Herzberg, JZ 2001, 1106 ff. Die letztere Auffassung ist jedoch nicht überzeugend, da die Streichung des § 217 StGB a. F. ebenso wenig zu einer Neudefinition des Beginns des menschlichen Lebens im Sinne der §§ 211 ff. StGB führen kann, wie dies eine Streichung der §§ 218 ff. StGB könnte, siehe W. Joecks, Vor § 211 Rdn. 16. 266 Vgl. BGHSt 31, 348 (352). 267 H.-L. Günther, 346; G. Lugert, 53 ff.; G. Bemmann, ZStW 83 (1971), 81 (91 ff.). 268 K. Kühl, Strafrecht AT, § 8 Rdn. 139. 269 G. Lugert, 58. Eine Mindermeinung meint, im Fall der Perforation komme nur ein übergesetzlicher entschuldigender Notstand in Betracht, so zum Beispiel SK-E. Horn, § 212 Rdn. 24. 270 G. Jakobs, Strafrecht AT, § 13 Rdn. 22 Fn. 44; L. Otte, 144; C. Roxin, FS Jescheck, Erster Halbband, 1985, 457 (478). 264

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ten bestehe die Gefahr, dass der „schon gravierende vitale Konflikt“ durch das Eingreifen Dritter zusätzlich belastet werden würde.271 Tröndle lehnt eine Rechtfertigungsmöglichkeit gemäß § 34 StGB wegen der Unabwägbarkeit des menschlichen Lebens ab und bejaht dagegen eine Rechtfertigung nach den Grundsätzen der rechtfertigenden Pflichtenkollision.272 Allerdings ist sein Verweis auf die Pflichtenkollision widersprüchlich, da er eine Rechtfertigung nur bei dem Erfüllen der Unterlassungspflicht gegenüber der Handlungspflicht annimmt.273 Bei der Perforation geht es jedoch gerade darum, dass der Arzt handelt und nicht darum, dass er es unterlässt, das ungeborene Kind zu töten. bb) Eigene Ansicht Die Anwendbarkeit des Defensivnotstandes ist bei der Tötung des Kindes während des Geburtsvorgangs sehr zweifelhaft. So wird zu Recht auf die Tatsache hingewiesen, dass die Gefahr nicht unbedingt durch Anomalien des Kindes herrühren muss, sondern insbesondere auch durch eine „geburtsunfreundliche“ Konstitution der Mutter bedingt sein kann.274 Insofern wäre es auch denkbar, die Mutter als Gefahrenherd für das ungeborene Kind zu begreifen und dann diesem über die Anwendung des Defensivnotstandes zur Hilfe zu kommen.275 Soweit ersichtlich unterscheiden die Befürworter der Anwendung des Defensivnotstandes jedoch nicht danach, ob im konkreten Fall die Gefahr durch die Beschaffenheit des Kindes oder durch einen geburtsunfreundlichen Zustand der Schwangeren verursacht wird,276 obwohl die letzteren Fälle wahrscheinlicher sind.277 Wer den rechtfertigenden Defensivnotstand maßgeblich über das 271

L. Otte, 144. Tröndle/Fischer-H. Tröndle, 49. Aufl., § 34 Rdn. 21. 273 Tröndle/Fischer-H. Tröndle, 49. Aufl., Vor § 32 Rdn. 11. 274 Re. Merkel, Früheuthanasie, 612 f.; M. Pawlik, JURA 2002, 26 (31). Diese Fälle können insbesondere bei einer Beckenverengung der Mutter auftreten und können – falls kein Kaiserschnitt durchgeführt werden kann – durch die Anwendung der Kraniotomie, das heißt durch das Zerbrechen des Kindskopfes mit einer Zange, „gelöst“ werden, vgl. M. Rhonheimer, 217. 275 Vgl. C. Belling, 118; F.-B. Delonge, 160 f.; siehe auch Re. Merkel, Früheuthanasie, 616 f., zur US-amerikanischen Rechtsprechung, die über einen Fall zu entscheiden hatte, in dem die Schwangere nur noch wenige Tage zu leben hatte und die Möglichkeit bestand, das gesunde Kind durch einen Kaiserschnitt zu retten, wobei das Leben der Schwangeren durch den Kaiserschnitt verkürzt worden ist. Die Entscheidung fiel hier zu Lasten der Mutter aus. 276 Allerdings nimmt Gropp eine Differenzierung vor, da er im Fall der geburtsunfreundlichen Konstitution allenfalls eine Entschuldigung nach den Grundsätzen des übergesetzlichen entschuldigenden Notstands bejaht, MüKo-W. Gropp, Vor §§ 218 ff. Rdn. 56. 277 M. Pawlik, Notstand, 329. 272

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Kriterium der Kausalität für die Gefahr begründet, muss anerkennen, dass auch die Schwangere kausal für die Gefahr sein kann und möglicherweise sogar eine höhere Verantwortlichkeit für diese Gefahr trägt als das Kind.278 Da eine Differenzierung zwischen dem eigentlichen Gefahrverursacher jedoch nicht stattfindet, sondern generell auf eine Gefahrverursachung durch das in der Geburt befindliche Kind abgestellt wird, spricht vieles dafür, dass auch hier – ähnlich wie bei der medizinischen Indikation – eine Abstufung der kollidierenden Lebensinteressen vorgenommen oder gar der Personenstatus des Kindes als solcher verneint wird.279 Für die Anwendung des Defensivnotstandes kann es auch nicht ausreichend sein, dass – wie H. J. Hirsch es anscheinend vertritt280 – die Tötungshandlung zur Abwehr einer Gefahr erfolgt. Vielmehr muss sich die Notstandshandlung auch gegen den Gefahrverursacher richten. Dabei genügt es entgegen Hirsch nicht, das Kind als „Fremdkörper“ einzustufen und somit immer als Gefahrenquelle anzusehen,281 da eine solche pauschalierende Betrachtung auf den Einzelfall keine Rücksicht nimmt. c) Zusammenfassung Bei genauerer Betrachtung handelt es sich bei Fällen der medizinischen Indikation und der Perforation um eine Gefahrengemeinschaft zwischen der Schwangeren und dem nasciturus. Dabei kann zum einen eine einfach-vitale Indikation vorliegen, in der entweder das ungeborene Kind oder die Schwangere gerettet werden kann.282 Diese Situation kann vor allem im Fall der Perforation vorkommen.283 Bei der einfach-vitalen Indikation sind die Rettungschancen zwischen der Schwangeren und dem ungeborenen Kind mehrseitig verteilt. Zum anderen ist auch eine doppelt-vitale Indikation denkbar, in der lediglich die Schwangere gerettet werden kann, während das ungeborene Kind mangels eigener Lebensfähigkeit keine Überlebenschance hätte.284 Diese Situation wird vor allem in den Fällen der medizinischen Indikation vorkommen, wenn der nasciturus noch nicht selbständig lebensfähig ist. Bei dem letzteren Fall handelt es sich also um eine Gefahrengemeinschaft mit einer einseitigen Verteilung von Rettungschancen, denn die Schwangere kann durch den Abbruch gerettet wer-

278 279 280 281 282 283 284

Vgl. Re. Merkel, Früheuthanasie, 612. M. Pawlik, JURA 2002, 26 (31); G. Jakobs, JR 2000, 404 (406 f.). H. J. Hirsch, FS Eser, 2005, 309 (319). H. J. Hirsch, FS Eser, 2005, 309 (320). C. Belling, 110. Vgl. Re. Merkel, Früheuthanasie, 612. C. Belling, 129.

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den, das ungeborene Kind dagegen nicht. Dennoch ist davon auszugehen, dass letzteres ohne den Eingriff noch eine gewisse Zeitspanne gelebt hätte.285 Es liegt daher auch im Fall der doppelt-vitalen Indikation eine Verkürzung von menschlicher Lebenszeit vor, auch wenn der nasciturus noch kein Mensch im Sinne der Tötungsdelikte ist. Vor diesem Hintergrund kann die stringente Ablehnung der Rechtfertigung der notstandsbedingten Tötung innerhalb einer Gefahrengemeinschaft nicht mehr widerspruchsfrei begründet werden. Denn im Ergebnis wird eine Abwägung nach den vorhandenen Rettungschancen auch in der deutschen Strafrechtspraxis vorgenommen. Dies gilt vor allem für den Fall der Perforation, in dem auch das Argument einer Ungleichwertigkeit des ungeborenen Lebens nicht mehr herangezogen werden kann. Allerdings wird diese Tatsache innerhalb der strafrechtswissenschaftlichen Literatur im Vergleich zur angeblichen Unabwägbarkeit des menschlichen Lebens weitaus weniger stark betont.286 Aus der Sicht eines Philosophen bringt jedoch Rhonheimer das Problem auf den Punkt: „Das grundlegende Argument zur sittlichen Rechtfertigung [. . .] besteht darin, dass die Entscheidung, Mutter und Kind sterben zu lassen, wenn man doch wenigstens das Leben der Mutter retten könnte und das Kind auf jeden Fall (mit nach menschlichem Ermessen moralischer Sicherheit) sterben wird, schlechterdings von der Vernunft – insbesondere aus der Perspektive des Arztes – nicht nachvollzogen werden kann.“287

Daraus folgt, dass eine Tötung von Unbeteiligten in der Konstellation des § 14 Abs. 3 LuftSiG keinen Bruch mit der traditionellen Rechtfertigungsdogmatik darstellt. Vielmehr kann der Gedanke der Rechtfertigung von Tötungen innerhalb einer Gefahrengemeinschaft mit einer einseitigen Verteilung von Rettungschancen durchaus an bereits bestehende Abwägungsgesichtspunkte anknüpfen. So führt Renzikowski für die Rechtfertigung der Perforation apodiktisch aus: „Wer sich für den Erhalt des Lebens des Kindes ausspricht, müsste begründen, warum die Mutter ihr Leben opfern soll.“288

Übertragen auf die Konstellation des § 14 Abs. 3 LuftSiG könnte man formulieren: Wer sich für das Verbot der Tötung der Unbeteiligten ausspricht, müsste begründen, warum die Menschen am Boden ihr Leben für eine kurze Zeitspanne des Lebens der an Bord des Luftfahrzeuges befindlichen Menschen opfern sollten. Die herrschende Auffassung begründet dies vor allem mit dem 285

Vgl. T. Lenckner, Notstand, 260; W. Gropp, GA 1988, 1 (8 f.). Siehe allerdings aus dem älteren Schrifttum R. P. Broglio, 29 ff. 287 M. Rhonheimer, 217. Rhonheimer begründet jedoch nicht, warum in den Fällen der einfach-vitalen Indikation die Abwägung zu Lasten des ungeborenen Kindes ausfallen soll. 288 J. Renzikowski, Notstand und Notwehr, 267. 286

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Argument der Unabwägbarkeit des menschlichen Lebens und dem Verbot der notstandsbedingten Tötung Unbeteiligter. Es kann jedoch nicht widerspruchsfrei begründet werden, warum im Fall der doppelt-vitalen Indikation der Gesichtspunkt der einseitigen Verteilung von Rettungschancen berücksichtigt wird, aber in der Konstellation des § 14 Abs. 3 LuftSiG keine Berücksichtigung bei der Interessenabwägung finden darf.289 Zu Recht will niemand von dem behandelnden Arzt verlangen, dass er die Schwangere sterben lässt. Ebenso wenig dürfte dann vom Luftwaffenpiloten verlangt werden, dass er die bedrohten Menschen am Boden sehenden Auges der Vernichtung durch den Anschlag preisgibt. Weiterhin ist festzustellen, dass diejenigen, die einen Dammbruch bei der Anerkennung der Rechtfertigung der Tötung von Unbeteiligten befürchten oder auf die Prognoseunsicherheiten hinweisen, diese Argumente im Bereich der medizinischen Indikation und der Perforation nicht anführen: So stellt Roxin anders als bei der Beurteilung der Tötung innerhalb einer Gefahrengemeinschaft mit einer einseitigen Verteilung von Rettungschancen nicht darauf ab, die Schwangere könnte trotz einer Lebensgefährdung „wie durch ein Wunder“ überleben,290 wenngleich vor allem die Fälle der medizinischen Indikation nach § 218a Abs. 2 StGB mit nicht unerheblichen Prognoseunsicherheiten behaftet sein dürften.291 Dabei ist zu beachten, dass bei dem Gefahrbegriff des § 218a Abs. 2 StGB gerade im Bereich der Lebensgefährdung der Schwangeren ein geringer (!) Wahrscheinlichkeitsgrad ausreichend ist,292 soweit eine gewissenhafte, pflichtgemäße und sachkundige Prüfung eines Arztes stattgefunden hat.293 2. Inkonsequenz der Entschuldigungslösung Zahlreiche Stimmen, die eine Rechtfertigung der Tötung von Unbeteiligten durch den Abschuss kategorisch ablehnen, meinen im nächsten Atemzug, dass die handelnden Soldaten und die Befehlsgeber entschuldigt sein müssten.294 Mit 289 Siehe auch M. Bohlander, JoCL 70 (2006), 147 (148 f.): „If we reach a certain conclusion for allowing the taking of born or unborn life, then it stands to reason that normally this conclusion should be transferable to other ,category‘ of human life. In other words, if we are allowed to kill an unborn human being for certain reasons, then we should be allowed to kill an independent human being for the same reasons.“ 290 Vgl. C. Roxin, Strafrecht AT I, § 16 Rdn. 40. 291 Insbesondere in der Situation, bei der es um Selbstmorddrohungen der Schwangeren geht – wie bei RGSt 61, 242 –, ist glücklicherweise davon auszugehen, dass diese Drohungen nur selten verwirklicht werden, vgl. AG Celle, NJW 1987, 2307 (2309); Schönke/Schröder-A. Eser, § 218a Rdn. 28; siehe auch BGHSt 2, 111 (115). 292 Schönke/Schröder-A. Eser, § 218a Rdn. 31. 293 Vgl. BGHSt 1, 329 (330). 294 Schönke/Schröder-T. Lenckner/W. Perron, § 34 Rdn. 24; A. Archangelskij, 82, 136; E. Hilgendorf, in: Blaschke u. a. (Hg.), Sicherheit statt Freiheit?, 107 (130); NK-

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anderen Worten: Sie dürfen in der konkreten Situation keinen Abschuss befehlen oder ausführen, haben aber auch keinerlei (strafrechtliche) Konsequenzen zu befürchten. Eine überzeugende Begründung hierfür wird nicht gegeben. Im Folgenden wird untersucht, ob die Bejahung der Entschuldigungslösung konsistent mit der herrschenden Auffassung des absoluten Verbots der Tötung von Unbeteiligten vertreten werden kann.295 a) Ansätze in der Literatur für die Entschuldigung Archangelskij begründet die Entschuldigungslösung in der Konstellation des § 14 Abs. 3 LuftSiG folgendermaßen: „Auch wenn es nach der hier vertretenen Auffassung eine unzulässige Form der Gefahrenabwehr ist – der Motivationsdruck des Befehlshabers, seinen beruflichen Pflichten und seiner Verantwortung vor den Opfern nachzukommen, und nicht sehenden Auges eine noch größere Katastrophe geschehen zu lassen, erscheint so groß, dass hier ein seelischer Zwang zur Begehung der Tat durchaus angenommen werden kann.“296

Zum Teil wird im älteren Schrifttum – ohne Bezug auf § 14 Abs. 3 LuftSiG – argumentiert, dass in den Fällen eines quantitativen Lebensnotstandes eine „erhebliche Unrechts- und Schuldminderung“ vorliege,297 die sich noch verstärke, wenn der Täter unter den Voraussetzungen eines Erlaubnisirrtums handelt.298 Weiterhin sei eine Bestrafung unter general- und spezialpräventiven Gesichtspunkten unzweckmäßig.299 Welzel meint, eine Exkulpation lasse sich auch

H.-U. Paeffgen, Vor §§ 32 bis 35 Rdn. 155; M. Pawlik, JZ 2004, 1045 (1050 f.); a. A. K. Fehn/M. Brauns, 88, die lediglich meinen, dass die Strafe „so mild wie möglich auszufallen“ habe. Eine Straflosigkeit komme jedoch nicht in Betracht, da ansonsten das „Rechtssicherheitsgefühl der Allgemeinheit in unerträglicher Weise“ erschüttert wäre. 295 Um Missverständnissen vorzubeugen: Es geht hier nicht darum, eine Strafbarkeit der Soldaten und Befehlsgeber zu bejahen, sondern lediglich darum, Widersprüche in der Argumentation gegen die Rechtfertigungslösung aufzudecken. 296 A. Archangelskij, 136. 297 SK-H.-J. Rudolphi, Vor § 19 Rdn. 8; W. Küper, JuS 1971, 474 (477). 298 J. Krümpelmann, GA 1968, 129 (136 f.); vgl. zu den Voraussetzungen des Erlaubnisirrtums bezüglich der Teilnahme an der Euthanasie-Aktion OGHBrZ, NJW 1950, 151 (155). 299 C. Roxin, FS Henkel, 1974, 171 (195); C. Jäger, ZStW 115 (2003), 765 (786); W. Küper, JZ 1989, 617 (626); H. Achenbach, JR 1975, 492 (495); vgl. zum gleichen Argument im Zusammenhang mit § 35 StGB M. Pawlik, Jahrbuch für Recht und Ethik 11 (2003), 289 (296 ff.).

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durch den psychischen Druck und die Unzumutbarkeit normgemäßen Verhaltens begründen.300 b) Bewertung Es erscheint fraglich, ob diese Grundsätze, die im Wesentlichen im Zuge der Tötungen während der Euthanasie-Aktion im Dritten Reich entwickelt worden sind, auch auf die Konstellation des § 14 Abs. 3 LuftSiG übertragen werden können. Immerhin hat das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich bestätigt, dass die Tötung von Unbeteiligten eine Verletzung der Menschenwürde darstellt, auch wenn es die Frage einer möglichen (strafrechtlichen) Rechtfertigung oder Entschuldigung offengelassen hat.301 Es kann unterstellt werden, dass diese Rechtsprechung allen Kampfpiloten der Luftwaffe bekannt ist. Weiterhin hat der Bundesgerichtshof im „Katzenkönigfall“ ausdrücklich eine Rechtfertigung der Tötung einer einzelnen Person zur Rettung der Menschheit abgelehnt.302 Die Rechtslage ist heute also durchaus eine andere, als noch zur Zeit des Dritten Reiches, als die Rechtswidrigkeit der Tötung in Gefahrengemeinschaften noch nicht hinreichend geklärt gewesen ist.303 Würde der Verband der Besatzungen strahlgetriebener Kampfflugzeuge heute ein Rechtsgutachten über die Frage der rechtlichen Bewertung eines Abschusses eines mit Unbeteiligten besetzten Flugzeuges in Auftrag geben, würde die Rechtmäßigkeit dieses Abschusses wohl kaum bejaht werden. Nimmt man also die wiederholten Äußerungen des Höchstwertes eines jeden Lebens und damit der Gleichwertigkeit von einer Minute (oder gar einer Sekunde) Lebenserwartung einerseits zu 80 Jahren Lebenserwartung andererseits ernst, so besteht überhaupt kein Anlass, einen psychischen Druck oder eine Unzumutbarkeit des normgemäßen Verhaltens zu konstruieren, denn der Pilot könnte sich nach der herrschenden Meinung auf die Menschenwürde als höchstes Gut des Grundgesetzes berufen. Er könnte in der Gewissheit, dass eine Minute eines einzigen Lebens eines Unbeteiligten genauso wertvoll ist wie die Überlebenserwartung von 60.000 anderen Menschen, einen Abschuss unterlassen.304 Damit wäre der Pilot nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungs-

300

H. Welzel, MDR 1949, 371 (373). BVerfG, NJW 2006, 751 (759 Abs. 130). 302 BGHSt 35, 347 (350). 303 Ein Angeklagter hatte sich sogar eine Rechtsauskunft eingeholt, nach der ihm bestätigt worden war, dass die Tötung eines Teils der Patienten gerechtfertigt sei, vgl. T. Klefisch, MDR 1950, 258 (259). 304 Weiterhin ist anzumerken, dass es widersprüchlich ist, einerseits die Berücksichtigung von quantitativen Gesichtspunkten bei einer Abwägung von Leben gegen Leben im Bereich der Rechtfertigung abzulehnen und andererseits auf der Schuldebene 301

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gerichts sogar auf der moralisch und rechtlich sicheren Seite, denn er hätte immerhin keinen Menschen zum Objekt staatlichen Handelns gemacht und damit „verdinglicht und zugleich entrechtlicht“. 305 Es kann auch nicht (mehr) auf einen Motivationsdruck der Verantwortlichen wegen der Pflicht zur Lebensbewahrung abgestellt werden, da das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich festgestellt hat, dass eine solche Schutzpflicht nur innerhalb des verfassungsrechtlich Zulässigen besteht.306 Im Übrigen haben die Soldaten auch keine strafrechtliche Garantenstellung gemäß § 13 Abs. 1 StGB und noch nicht einmal eine Hilfspflicht gemäß § 323c StGB für die bedrohten Menschen am Boden.307 Folgt man der herrschenden Auffassung, läge die einzige Pflicht der Soldaten darin, den Abschuss und die damit verbundene Tötung von Unbeteiligten zu unterlassen. Auch wenn ein Soldat selber Zweifel an dieser Rechtsauffassung haben sollte, so kann er doch sicher sein, dass eine einstimmige Entscheidung eines Senats des Bundesverfassungsgerichts mehr juristischen Sachverstand enthält als sein laienhaftes Rechtsempfinden. Eine Unzumutbarkeit kann sich keinesfalls daraus ergeben, dass ein Soldat weiß, dass er nach dem Willen des Bundesverfassungsgerichts nicht in die Menschenwürde eingreift, ganz im Gegenteil: Das Problem der Unzumutbarkeit liegt vielmehr darin, dass davon auszugehen ist, dass ein Soldat einen Abschussbefehl trotz einer höchst zweifelhaften Rechtslage erhält und er dadurch in eine Konfliktlage zwischen der grundsätzlichen Pflicht zum Gehorsam einerseits und der Pflicht zum Schutz und Achtung der Menschenwürde andererseits geraten kann. Auch das Argument, das Recht könne dem Täter angesichts der Ausweglosigkeit der unmittelbar bevorstehenden Tötung keinen Rahmen vorgeben,308 ist spätestens seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts nicht mehr überzeugend, denn obwohl die Frage der strafrechtlichen Verantwortung offen geblieben ist, ist die Rechtslage für die Streitkräfte insoweit – auch wenn man

auf das Prinzip des kleineren Übels zurückzugreifen; vgl. im Zusammenhang mit den Euthanasie-Verfahren D. Lang-Hinrichsen, FS Bärmann, 1975, 583 (591). 305 Vgl. BVerfG, NJW 2006, 751 (759 Abs. 134). 306 Auch wenn nach der hier vertretenen Auffassung die staatliche Schutzpflicht bei einer entsprechenden Entscheidung des Gesetzgebers Vorrang vor dem Achtungsanspruch haben kann, sind für die Bundeswehr als Teil der vollziehenden Gewalt die Feststellungen des Bundesverfassungsgerichts gemäß § 31 Abs. 1 BVerfGG bindend. Wegen dieser Bindungswirkung besteht entgegen der Auffassung Archangelskijs auch keine Berufspflicht der Befehlsgeber oder der Soldaten, einen Abschuss zu befehlen beziehungsweise einen entsprechenden Befehl auszuführen, sondern die Soldaten müssen sogar die Ausführung eines derartigen Befehls verweigern, siehe oben 4. Teil A. I. 307 Siehe oben 5. Teil B. III. 2. b) bb). 308 Vgl. A. Sinn, NStZ 2004, 585 (590).

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sie mit guten Gründen anzweifeln kann – eindeutig, dass ein Abschuss verfassungswidrig wäre. Würde der Staat seine Verpflichtung zum Schutz der Menschenwürde der Unbeteiligten gemäß Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG ernst nehmen, könnte auch nicht mit einem fehlenden Bestrafungsbedürfnis argumentiert werden, da ansonsten der Schutz der Menschenwürde ins Leere laufen würde. 3. Quantitative und qualitative Aspekte im Bereich des Lebens Im Folgenden geht es um die Frage, inwiefern der Aspekt der verbleibenden Lebenszeit beziehungsweise die Anzahl von geretteten Personen entgegen des nach der herrschenden Auffassung geltenden Quantifizierungsgebotes im Bereich des menschlichen Lebens bei einer rechtlichen Bewertung doch eine Rolle spielen kann. Das Problem der Quantifizierbarkeit des menschlichen Lebens stellt sich dabei insbesondere bei Unterlassungsdelikten. Zunächst wird anhand eines Urteils des Bundesgerichtshofs dargestellt, wie der Aspekt der verbleibenden Lebenszeit in der Rechtsprechung behandelt wird. Im Anschluss geht es dann um die zahlenmäßige Abwägung im Bereich der Pflichtenkollision. a) Tötung durch das Unterlassen von Rettungsmaßnahmen aa) BGH, Urteil vom 28. Juli 1970 – 1 StR 175/70 Der Bundesgerichtshof hatte einen Fall zu entscheiden, in dem ein Vater es bei einem Hausbrand unterließ, seine zwei Kinder aus dem Fenster zu werfen. Die Kinder hätten wahrscheinlich durch unten stehende Menschen aufgefangen werden können. Der Vater selbst konnte sich durch einen Sprung retten, während seine Kinder verbrannten. Die Kinder hätten durch das Hinauswerfen getötet werden können; allerdings ging das Schwurgericht davon aus, dass sie „mit fast absoluter Gewissheit“ am Leben geblieben wären.309 Diese Tatsachenfeststellung hat der Bundesgerichtshof nicht angezweifelt.310 Er führt weiterhin aus: „In einer solchen Lage gebietet die Rechtsordnung, das Ausmaß des unmittelbar drohenden, mit Sicherheit eintretenden Schadens gegen das kleinere Übel und die geringe Wahrscheinlichkeit einer gleichwertigen Rechtsgutsverletzung abzuwägen. Droht dem Schutzbedürftigen bei weiterer Unterlassung der sichere Tod und kann diese Folge durch sofortiges Eingreifen des Garanten mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit abgewendet werden, so ist die Rechtspflicht zum Handeln begründet [. . .]. Ein sehr hoher Wahrscheinlichkeitsgrad der Rettung vor dem Tode 309 310

Vgl. BGH bei Dallinger, MDR 1971, 361. BGH, JZ 1973, 173.

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gebietet auch, die fernliegende Möglichkeit der Vernichtung des Lebens gerade durch die zur Rettung bestimmte Handlung hinzunehmen.“311

Der Bundesgerichtshof geht damit davon aus, dass der Garant verpflichtet ist, Handlungen zu unternehmen, die zwar die Möglichkeit des Todes, aber auch die Wahrscheinlichkeit einer größeren Lebenszeitverlängerung begründen, auch wenn ein Unterlassen mit Sicherheit eine Lebenszeitverlängerung darstellen würde. Es bleibt unberücksichtigt, dass das Unterlassen des Hinauswerfens eine Lebenszeitverlängerung für die Kinder bedeutete, da der Tod durch das Verbrennen dem Zeitpunkt der gebotenen Handlung nachgelagert gewesen ist. So gesehen hat der Vater durch das Nichtwerfen das Leben seiner Kinder – wenn auch nur für eine kurze Zeitspanne – gerettet, während die Kinder durch das Hinauswerfen möglicherweise eine geringere Lebensdauer gehabt hätten. Soweit ersichtlich hat sich die Literatur noch nicht mit diesem Problem auseinandergesetzt und auch der Bundesgerichtshof verliert zur Lebenszeitverlängerung durch das Unterlassen des Werfens kein Wort. Es wird lediglich behauptet, der Vater habe durch sein Unterlassen das Rechtsgut des Lebens seiner Kinder sicher vernichtet.312 bb) Folgerungen Festzuhalten ist, dass dem Schutzbedürftigen immer der sichere Tod droht, auch wenn dieser erst in weiter Zukunft eintreten wird. Wenn eine Tötung immer als eine Lebenszeitverkürzung zu verstehen ist, so bedeutet dies im Umkehrschluss, dass eine Rettungshandlung eines Garanten eine Lebenszeitverlängerung darstellt. Der Garant ist also dazu verpflichtet, das Leben seiner Schutzbefohlenen zu verlängern. Es geht darum, die Tötung zu einem bestimmten Zeitpunkt zu verhindern, nicht aber den Tod schlechthin; dies ist dem Garanten wegen der Endlichkeit des menschlichen Lebens ohnehin unmöglich. Insofern ist es zweifelhaft, ob es tatsächlich zutrifft, dass der Vater Leben vernichtet hat. Falls es mit der herrschenden Auffassung zutreffend sein sollte, dass jede noch so kurze Zeitspanne des Lebens genauso wertvoll ist wie ein ganzes Menschenleben, so spricht vieles dafür, dass im vorliegenden Fall kein Totschlag durch Unterlassen vorlag. Es zeigt sich, dass sowohl das Rechtsgefühl als auch die Rechtsprechung in die andere Richtung weisen: Eine Handlung, die es wahrscheinlich macht, dass zwei Kinder ihr ganzes Leben noch leben können, ist „besser“ als ein Unterlassen, das das Leben mit Sicherheit – wenn auch nur für einen kurzen Zeitraum – verlängert. Damit wird – zu Recht – die kurze Zeitspanne mit einem geringeren Wert als ein langes Leben angesetzt. Von ei311 312

BGH, JZ 1973, 173 f.; vgl. K. Ulsenheimer, JuS 1972, 252 (253). G. Spendel, JZ 1973, 137 (141).

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ner absoluten Gleichwertigkeit eines jeden Teils des Lebens kann damit keine Rede mehr sein. Dagegen spricht vieles dafür, dass berücksichtigt werden kann, dass dem Leben im Einzelfall nur noch ein materiell funktionsloser Restwert zukommt. Vor diesem Hintergrund erlangt die von R. D. Herzberg aufgeworfene Frage große Bedeutung, wie über die Strafbarkeit zu entscheiden gewesen wäre, wenn eines der Kinder oder sogar beide tatsächlich durch den Wurf getötet worden wären und der Vater damit eine fahrlässige Tötung begangen hätte.313 Eine Rechtfertigung wäre hier allenfalls über § 34 StGB möglich gewesen.314 Dazu wäre es jedoch erforderlich gewesen, die Tötung eines unbeteiligten Menschen, der auch nicht im Sinne des § 228 BGB für eine Gefahr verantwortlich ist, durch Notstand zu rechtfertigen, obwohl eine solche Rechtfertigungsmöglichkeit von der herrschenden Meinung abgelehnt wird.315 Die Rechtfertigung hätte allenfalls mit dem Argument bejaht werden können, dass eine (mutmaßliche) Einwilligung der Kinder vorlag, die im Rahmen der Interessenabwägung des § 34 StGB zu berücksichtigen gewesen wäre. Diesbezüglich existiert jedoch keine gesicherte Rechtsprechung, so dass der Vater sich durch das Werfen eines Strafbarkeitsrisikos ausgesetzt hätte, denn nach der herrschenden Auffassung wäre auch die rechtfertigende Pflichtenkollision nicht einschlägig, da der Vater durch das Werfen die Handlungspflicht und gerade nicht die vorrangige Unterlassungspflicht erfüllt hätte. b) Quantifizierung bei Pflichtenkollision Auch das folgende Beispiel, bei dem Handlungspflichten miteinander kollidieren, lässt am Grundsatz der absoluten Gleichwertigkeit des menschlichen Lebens zweifeln: Vater V geht mit seinen drei Kindern segeln, das Boot kentert. Alle drei Kinder drohen zu ertrinken. V kann entweder die kleinen Zwillinge A und B retten oder den schon größeren C.316

aa) Meinungsstand Nimmt man den Grundsatz ernst, dass jedes Leben ein Höchstwert ist und keinerlei quantitativen Betrachtungen unterliegt, so wäre die Rettung des C genauso „wertvoll“ wie die Rettung von A und B. Küper vertritt konsequent, die 313

R. D. Herzberg, MDR 1971, 881. R. D. Herzberg, MDR 1971, 881 (883). 315 Unproblematisch wäre dagegen die Rechtfertigung, soweit die Kinder lediglich verletzt worden wären. 316 Vgl. den ähnlichen Fall bei W. Küper, Pflichtenkollision, 25. 314

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Rettungspflichten des Vaters seien rechtlich gleichwertig; er hätte also die freie Wahl, ob er das eine Kind oder die beiden Kinder rettet, denn auch das eine gerettete Leben sei wegen der unendlichen Wertigkeit des menschlichen Lebens im Vergleich zu zwei geretteten Leben gleichwertig.317 Diese Auffassung deckt sich mit der Einordnung des menschlichen Lebens als ein absoluter Höchstwert. Allerdings ist diese Auffassung nicht unwidersprochen geblieben. So meint Scheid: „Eine zweckrationale, ,vernünftige‘ Rechtsordnung müsste die Pflicht höher bewerten, die gebietet, dass die beiden Kinder gerettet werden. Es läge ein Fall der ungleichwertigen Handlungspflichtenkollision vor. Denn gleich, wie hoch der Wert eines Menschenlebens für die Rechtsordnung auch sein mag, zwei Menschenleben ergeben eine höhere Summe als eines.“318

Ähnlich ist die Argumentation Mitschs, der ausführt: „Da ein wesentlich überwiegendes Interesse an der Vermeidung des größeren von zwei Übeln besteht, muss auch an der den Eintritt des kleineren Übels fördernden Handlung ein Interesse bestehen, das wesentlich gewichtiger ist als das Interesse an der Unterlassung dieser Handlung. Denn Folge dieser Unterlassung wäre der Eintritt des größeren Übels.“319

Daher wird vertreten, jedenfalls im Fall der Kollision von Handlungspflichten sei eine quantitative Abwägung des menschlichen Lebens zulässig. Der Handlungspflichtige sei sogar rechtlich verpflichtet, die Handlung vorzunehmen, die eine größere Anzahl von Menschen rettet.320 Mit anderen Worten: Der Vater würde bei einer Rettung des C rechtswidrig handeln, da sich keine gleichwertigen, sondern ungleichwertige Handlungspflichten gegenüberstehen. bb) Bewertung Zunächst ist festzuhalten, dass die Zahl der getöteten Menschenleben bei der strafrechtlichen Bewertung durchaus eine Rolle spielen kann. So ist mit der Tötung mehrerer Menschen in der Regel ein höherer strafrechtlicher Unrechtsgehalt verbunden als mit der Tötung eines einzelnen Menschen. Weiterhin ist das Mordmerkmal der Tötung mit „gemeingefährlichen Mitteln“ Ausdruck der Überzeugung, dass bereits die Lebensgefährdung einer größeren Anzahl von Menschen den Unrechtsgehalt einer Tat erhöht.321 317 W. Küper, Pflichtenkollision, 25; ebenso NK-U. Neumann, § 34 Rdn. 132; C. Roxin, Strafrecht AT I, § 16 Rdn. 124. 318 G. M. Scheid, 54. 319 W. Mitsch, FS Weber, 2004, 49 (65). 320 G. M. Scheid, 65; ähnlich auch F.-B. Delonge, 118 ff., 130; D. Linnenbrink, 140 f.; W. Mitsch, FS Weber, 2004, 49 (64); siehe auch Maunz/Dürig-G. Dürig, Art. 2 Abs. 2 Rdn. 13. 321 W. Mitsch, FS Weber, 2004, 49 (63).

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Weiterhin findet sich der Gedanke der Schadensminimierung und der Rechtsgutsmaximierung in der Rechtsordnung und insbesondere im Strafrecht an vielen Stellen: So wird die objektive Zurechnung verneint und damit bereits die Tatbestandsmäßigkeit abgelehnt, wenn ein Kausalbeitrag lediglich eine Risikoverringerung bewirkt,322 zum Beispiel, wenn der Handelnde einen lebensgefährlichen Schlag gegen den Kopf des Opfers auf dessen Schulter ablenkt. Soweit es lediglich um eine Gefahrabschwächung geht, soll ein Rückgriff auf § 34 StGB aus Sicht des Täters unangemessen sein; daher wird der Weg über die fehlende objektive Zurechnung gewählt. Grundgedanke ist, dass Handlungen, die insgesamt gesehen einen Vorteil für das bedrohte Rechtsgut begründen, nicht verboten werden sollen.323 Dieser Grundgedanke spricht auch im vorliegenden Fall dafür, die Handlungspflicht, die zur größtmöglichen Schadensminimierung führt, als vorrangig zu bewerten. Die Auffassung, der Vater dürfe auch nur den C retten, würde auch unter einem anderen Gesichtspunkt zu einer Schieflage führen: Angenommen, ein Handlungspflichtiger muss einen anderen Menschen aus einer Lebensgefahr retten und hat dazu zwei Möglichkeiten. Diese Möglichkeiten unterscheiden sich darin, dass in der ersten Rettungsalternative eine langfristige Überlebensmöglichkeit besteht, in der zweiten kann das Leben dagegen lediglich um eine kurze Zeitspanne verlängert werden. Folgt man der Auffassung Küpers, müsste auch die Wahrnehmung der zweiten Rettungsalternative gerechtfertigt sein, da der Handlungspflichtige menschliches Leben gerettet hätte und die kurzfristige Lebensverlängerung im Vergleich zur langfristigen Lebensverlängerung gleichwertig wäre. Das ausschlaggebende Argument für den Vorrang der Handlungspflicht, die zur Rettung von A und B führt, erschließt sich, wenn man sich den Hintergrund der These der Gleichwertigkeit des menschlichen Lebens vor Augen führt. Aus der Gleichwertigkeit des menschlichen Lebens wird das Verbot der notstandsbedingten Tötung von Unbeteiligten abgeleitet, da es nicht zulässig sei, diesen eine Solidarpflicht zur Duldung der eigenen Tötung aufzuerlegen. Daher geht es um den Rechtsgüterschutz in Bezug auf das einzelne menschliche Leben. Es besteht jedoch die Gefahr, dass die Ansicht Küpers dazu führt, dass das Postulat der Gleichwertigkeit des menschlichen Lebens zum Selbstzweck wird, da durch die Möglichkeit der Schadenserhöhung gerade das Gegenteil des Rechtsgüterschutzes bewirkt wird. Im Übrigen muss auch berücksichtigt werden, dass die Anerkennung des Vorranges der Handlungspflicht zur Rettung von zwei Menschenleben gegenüber der Rettung von einem Menschenleben nicht zwingend bedeutet, dass dadurch die Gleichwertigkeit des menschlichen Lebens 322 H.-H. Jescheck/T. Weigend, 287; W. Joecks, Vor § 13 Rdn. 39; C. Roxin, FS Honig, 1970, 133 (136). 323 C. Roxin, Strafrecht AT I, § 11 Rdn. 53.

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5. Teil: Strafrechtliche Rechtfertigung der Tötung von Unbeteiligten

in Frage gestellt wird, da es zunächst nur um das Rangverhältnis der Handlungspflichten zueinander geht. So differenziert Roxin, der in Bezug auf den Beispielsfall der Auffassung Küpers folgt,324 bei einer Pflichtenkollision auch danach, ob der Handlungspflichtige in Bezug auf die bedrohten Rechtsgüter eine Garantenstellung im Sinne des § 13 Abs. 1 StGB innehat oder ob ihm nur die allgemeine Hilfspflicht gemäß § 323c StGB trifft. Als Begründung führt er an, es gehe nicht um einen unterschiedlichen Wert des Lebens, sondern nur „das Ausmaß des Einstehens- beziehungsweise Helfenmüssens wird gegeneinander abgewogen“.325 Warum diese Differenzierung zwischen der Ebene der Handlungspflicht und der Ebene der Wertigkeit der zu rettenden Rechtsgüter dagegen im Beispielsfall nach Roxins Auffassung nicht gelten soll, ist unverständlich. c) Aspekte der Abwägung am Ende des menschlichen Lebens Auch die rechtliche Bewertung der schmerzlindernden Verabreichung von Medikamenten, die den Todeseintritt beschleunigen, der so genannten indirekten Sterbehilfe, lässt an dem unendlichen Wert eines jeden Lebensaugenblicks zweifeln.326 Nach überwiegender Auffassung ist die Lebenszeitverkürzung zulässig, wenn es darum geht, einem todkranken Patienten unerträgliche Schmerzen zu ersparen.327 Die Schmerzbekämpfung erhält damit den Vorrang gegenüber der Lebensrettung in Form der Lebenszeitverlängerung. H.-L. Schreiber führt aus: Allerdings setzt eine Rechtfertigung voraus, „dass man das Leben überhaupt in den Kreis der abzuwägenden Rechtsgüter einbezieht, den sonst als absolut gesetzten Wert des Lebens insoweit relativiert und Gesichtspunkte der Lebensqualität maßgeblich sein lässt. Eine derartige Abwägung wird man m. E. begrenzt auf die Phase des Sterbens vornehmen dürfen.“328

Die Begründungsansätze für die Rechtfertigung der indirekten Sterbehilfe zur Schmerzlinderung differieren: Teilweise wird bereits die Tötungsrelevanz des Handelns verneint, soweit es auf Schmerzlinderung gerichtet ist, der Vorsatz abgelehnt oder auf eine Sozialadäquanz der Lebenszeitverkürzung abgestellt.329

324

C. Roxin, Strafrecht AT I, § 16 Rdn. 124. C. Roxin, Strafrecht AT I, § 16 Rdn. 123 Fn. 218. 326 Vgl. Re. Merkel, in: Roxin/Schroth (Hg.), Medizinstrafrecht, 145 (169 Fn. 70): „In allen echten Sterbehilfe-Fällen, in denen über die Verkürzung oder Nichtverlängerung des Lebens eines anderen entschieden wird, müssen Abwägungen zur Quantität und Qualität des an sich noch erhaltbaren Lebens eine zentrale Rolle spielen.“ 327 H. Tröndle/T. Fischer, Vor §§ 211 bis 216 Rdn. 18 m.w. N.; K. Chatzikostas, 329; H.-L. Schreiber, NStZ 1986, 337 (341); R. D. Herzberg, NJW 1986, 1635 (1639); G. Stratenwerth, SchwZStR 95 (1978), 60 (79); R. Helgerth, JR 1976, 45; a. A. M. Kohlhaas, NJW 1973, 548 (550). 328 H.-L. Schreiber, NStZ 1986, 337 (341). 329 Vgl. ausführlich MüKo-H. Schneider, Vor §§ 211 ff. Rdn. 97 ff. 325

B. Rechtfertigender Notstand, § 34 StGB

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Überwiegend wird jedoch eine Rechtfertigung durch die Anwendung des § 34 StGB bejaht.330 Im Ergebnis hat auch der Bundesgerichtshof die indirekte Sterbehilfe akzeptiert und führt mit Urteil vom 15. November 1996 im Leitsatz aus: „Eine ärztlich gebotene schmerzlindernde Medikation entsprechend dem erklärten oder mutmaßlichen Patientenwillen wird bei einem Sterbenden nicht dadurch unzulässig, dass sie als unbeabsichtigte, aber in Kauf genommene unvermeidbare Nebenfolge den Todeseintritt beschleunigen kann.“331

Zur Begründung stellt der Bundesgerichtshof darauf ab, dass „die Ermöglichung eines Todes in Würde und Schmerzfreiheit gemäß dem erklärten oder mutmaßlichen Patientenwillen [. . .] ein höherwertiges Rechtsgut als die Aussicht [ist], unter schwersten, insbesondere sog. Vernichtungsschmerzen noch kurze Zeit länger leben zu müssen“.332 Diese Begründung macht deutlich, dass eine Abstufung der Wertigkeit von Leben vorgenommen wird,333 denn eine Lebenszeitverkürzung wäre nicht zulässig, soweit keine unerträglichen Schmerzen vorliegen, aber der Betroffene dennoch sterben möchte. Wäre es zutreffend, dass jeder Augenblick des menschlichen Lebens einen absoluten Höchstwert darstellt, so dürfte nicht nach einer Schmerzbelastung differenziert werden.334 d) Zwischenergebnis Es ist festzustellen, dass der Bundesgerichtshof trotz des generellen Bekenntnisses zum Abwägungsverbot im Bereich des menschlichen Lebens doch eine quantitative Abwägung nach der Lebenszeit vornimmt. Dieses Vorgehen ist auch bisher seitens der Literatur auf keinerlei Widerspruch gestoßen. Weiterhin hat sich gezeigt, dass im Bereich der rechtfertigenden Pflichtenkollision eine Quantifizierung nach der Anzahl der geretteten Menschenleben zulässig ist. Bei der indirekten Sterbehilfe spielen darüber hinaus auch qualitative Aspekte eine Rolle. Insofern erscheint es verfehlt, der Rechtfertigungslösung in Bezug auf Tötungen innerhalb einer Gefahrengemeinschaft einen „methodischen Relativismus“ vorzuwerfen, der sich nicht mit den „absoluten Grenzen“ des Verbots der Berücksichtigung von Lebensspannen vertragen würde,335 denn ein solcher Re330

MüKo-H. Schneider, Vor §§ 211 ff. Rdn. 99 ff. m.w. N. in Fn. 325. BGHSt 42, 301; siehe auch BGHSt 37, 376. 332 BGHSt 42, 301 (305). 333 Vgl. MüKo-H. Schneider, Vor §§ 211 ff. Rdn. 103: „Eine rationale Sterbehilfediskussion kann an einer offenen qualitätsorientierten Bewertung menschlichen Lebens in vielen Fällen schlichtweg nicht vorbeikommen.“ 334 Siehe auch zur Berücksichtigung des Interesses eines schmerzfreien Lebens in Bezug auf das ungeborene Leben Re. Merkel, Früheuthanasie, 552 ff. 331

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5. Teil: Strafrechtliche Rechtfertigung der Tötung von Unbeteiligten

lativismus begründet sich nicht durch die Rechtfertigungslösung, sondern findet in der Strafrechtspraxis bereits statt. Weiterhin haben die vorstehenden Ausführungen gezeigt, dass die beschworenen „absoluten Grenzen“ lediglich relative Grenzen darstellen. 4. Entkräftung der „Dammbruch“-Argumente Vorauszuschicken ist, dass die Argumentation mit der Befürchtung eines „Dammbruches“ oder einer „schiefen Bahn“ schon von vornherein methodisch fragwürdig ist. Wer sich dieser Argumentation im Bereich des menschlichen Lebens bedient, dürfte nie eine Tötung für gerechtfertigt ansehen, da jede Rechtfertigungsmöglichkeit bereits die Gefahr eines „Dammbruches“ beinhalten könnte.336 Es erscheint willkürlich, dass die herrschende Auffassung bestimmte Ausnahmen akzeptiert, wie zum Beispiel die Perforation oder die indirekte Sterbehilfe, aber eine Tötung innerhalb einer Gefahrengemeinschaft mit einer einseitigen Verteilung von Rettungschancen schlechthin ablehnt. Dabei ist zu beachten, dass gerade bei der Anerkennung der indirekten Sterbehilfe die Gefahr eines Missbrauches deutlich höher sein dürfte337 als bei der Anerkennung der Rechtfertigungslösung in Bezug auf die Tötung von Unbeteiligten in der Konstellation des § 14 Abs. 3 LuftSiG. Weiterhin können die „Dammbruch“-Argumente, die vor allem von Roxin vorgetragen werden, auch tatsächlich entkräftet werden. Zunächst soll es dabei um das Argument gehen, dass bei einer Anerkennung der Rechtfertigungsmöglichkeit im Fall der Gefahrengemeinschaft mit einer einseitigen Verteilung von Rettungschancen nicht begründet werden könne, warum die Rechtfertigung der Tötung von Unbeteiligten nicht auch auf andere Bereiche ausgedehnt werden sollte.338 Die Gefahr einer solchen Ausdehnung besteht gerade nicht, wenn man sich den Grundgedanken der Rechtfertigung bei einer Gefahrengemeinschaft vor Augen führt. Es geht eben darum, dass eine bestimmte Personengruppe bereits von einer konkreten Gefahr gezeichnet ist und daher – anders als im Fall der Tötung zu Gunsten einer Organentnahme – keiner neuartigen Gefahr ausgesetzt wird. Der Grund für die Rechtfertigung ist daher nicht allein die Tatsache, dass ein Mensch ohnehin sterben wird, sondern vielmehr, dass die zu Rettenden und die zu Tötenden durch die Gefahr derart miteinander verbunden sind, dass bei einem Unterlassen der Tötungshandlung alle durch die konkrete Gefahr getötet 335

So aber M. Pawlik, JZ 2004, 1045 (1050). Ähnlich auch R. D. Herzberg, NJW 1996, 3043 (3044 f.). 337 Vgl. H. Tröndle/T. Fischer, Vor §§ 211 bis 216 Rdn. 16, der auf die Parallelen zwischen der Begründung der indirekten Sterbehilfe und der aktiven Tötung hinweist. 338 C. Roxin, Strafrecht AT I, § 16 Rdn. 39. 336

B. Rechtfertigender Notstand, § 34 StGB

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werden würden. Weiterhin kann hier auch auf die im Grundrechtsteil angeführten Argumente zurückgegriffen werden.339 In der Konstellation des § 14 Abs. 3 LuftSiG werden Menschen nicht als Nützlichkeitswert behandelt oder als Mittel zur Rettung eingesetzt, sondern sie sterben lediglich als Folge der Gefahrenabwehrmaßnahme und ihre Tötung ist noch nicht einmal das Zwischenziel staatlichen Handelns. Weiterhin kann auch mit Ottos Ansatz der Chancenanmaßung340 argumentiert werden, denn bei der Tötung eines Sterbenden zur Rettung eines anderen Menschen würde der Arzt keine Rettungschancen nutzen, die in der Person des zu Rettenden liegen, sondern solche, die in der Person des Sterbenden liegen. 5. „Klugheitsmaxime“ Bei der Darstellung der rechtsphilosophischen Betrachtungen wurde bereits auf den Punkt hingewiesen, dass vor dem Hintergrund einer „Klugheitsmaxime“ Menschen durchaus damit einverstanden sein würden, einen kurzen Rest ihres Lebens zu opfern, um so andere Menschen retten zu können, da auch sie selbst von diesem grundsätzlichen Einverständnis profitieren könnten, soweit sie diejenigen innerhalb einer Gefahrengemeinschaft sind, die noch eine Rettungschance haben. Dass dieser Gedanke nicht so abwegig ist, wie er auf den ersten Blick und wegen § 216 StGB erscheinen mag, soll an dem folgenden Beispiel von Williams dargestellt werden: Jim, ein westlicher Naturforscher, befindet sich in einem südamerikanischen Dorf. Da dort kürzlich Proteste gegen die Regierung stattgefunden haben, sollen zur Abschreckung zwanzig indianische Protestierer von Soldaten erschossen werden. Jim bekommt vom Befehlshaber des Erschießungskommandos das Recht, eine Geisel auszuwählen und zu töten, wobei dann die restlichen 19 Geiseln freigelassen werden. Falls Jim die eine Geisel nicht tötet, wird der Befehlshaber unverzüglich alle 20 Protestierer erschießen lassen. Sämtliche Geiseln bedrängen Jim, einen von ihnen auszusuchen und zu töten.341

Hier liegt zunächst eine Gefahrengemeinschaft mit einer mehrseitigen Verteilung von Rettungschancen vor, da Jim die Wahl hat, welchen Indianer er tötet, um die übrigen zu retten. Angesichts der Einwilligung der Indianer in die Tötung spricht auch vieles für eine Rechtfertigung der Tötung, wenn man eine Einwilligung im Rahmen der Güterabwägung gemäß § 34 StGB berücksichtigt.342 Auch Fritze und Birnbacher bejahen eine Rechtfertigung der Tötung, da es moralisch richtig sei, durch die Tötung einer Geisel die übrigen zu retten.343

339 340 341

Siehe oben 4. Teil D. III. 3. d) cc) (4). H. Otto, Pflichtenkollision, 83. B. Williams, 61 f.

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5. Teil: Strafrechtliche Rechtfertigung der Tötung von Unbeteiligten

Für die hier interessierende Fragestellung soll der Beispielsfall dahingehend abgewandelt werden, dass den Geiseln nicht mitgeteilt wird, dass Jim einen von ihnen töten kann, um die übrigen zu retten, und daher die Geiseln logischerweise auch nicht ausdrücklich in die Tötung einwilligen, wodurch der eben beschriebene Weg der Rechtfertigung versperrt bleibt. Allerdings könnte Jim auch in der Abwandlung wegen der Klugheitsmaxime davon ausgehen, dass jeder einzelne Indianer mit seiner Tötung einverstanden ist. Aus den Gründen der Vernunft und des Rechtsgüterschutzes müsste also auch in dem Fall, in dem die Geiseln nicht ausdrücklich ihre Einwilligung erklären, eine Rechtfertigung der Tötung einer Geisel durch Jim gerechtfertigt werden. Es könnte zweifelhaft sein, ob diese Gedanken auch auf die Konstellation des § 14 Abs. 3 LuftSiG übertragen werden können, da für die Flugzeugpassagiere von vornherein sicher ist, dass sie keine Überlebenschance haben. Durch ein grundsätzliches Einverständnis bezüglich der Rechtfertigung der Tötung von Unbeteiligten könnten sie ihre Überlebenschancen – anders als die Indianer im „Jim-Fall“ – nicht verbessern. Allerdings profitieren auch die getöteten Unbeteiligten auf einer abstrakten Ebene über dem Einzelfall von der grundsätzlichen Möglichkeit der Tötung von Unbeteiligten bei einer einseitigen Verteilung von Rettungschancen, denn auch sie könnten theoretisch in der Situation der bedrohten Menschen am Boden sein. 6. Problem des Notwehr- beziehungsweise Nothilferechts Die Verneinung einer Rechtfertigung bei der einseitigen Verteilung von Rettungschancen würde im Fall der Tötung von Unbeteiligten als Folge eines Abschusses eines Luftfahrzeuges dazu führen, dass den Unbeteiligten ein Notwehrrecht und anderen Dritten ein Nothilferecht gegen den gegenwärtigen Angriff durch den Luftwaffenpiloten zur Seite stehen würde. Auf den ersten Blick scheint dies ein höchst theoretischer Gedankengang zu sein, denn die unbeteiligten Passagiere haben schon aus praktischen Gründen keine Möglichkeit, sich gegen einen Abschuss zu wehren. Hält man sich jedoch vor Augen, dass die Abfangjäger der Luftwaffe grundsätzlich rottenweise, das heißt mit zwei Luftfahrzeugen gemeinsam, eingesetzt werden, wird die Frage eines Nothilferechts – gegebenenfalls – sogar einer Nothilfepflicht ein praktisches Problem.344 342 In diese Richtung argumentiert W. Mitsch, FS Weber 2004, 49 (65 ff.); allerdings ist zu beachten, dass das Recht zur Tötung nicht auch unbedingt auch eine Handlungspflicht beinhaltet, vgl. E.-J. Lampe, FS Lenckner, 1998, 159 ff. 343 D. Birnbacher, 227; L. Fritze, Tötung Unschuldiger, 173. Fritze argumentiert hier unscharf und meint, sämtliche Geiseln seien todgeweiht, da sie bereits hoffnungslos verloren seien. Dies trifft jedoch nicht zu, da die Mehrzahl von ihnen durch Jims Handlung gerettet werden kann.

B. Rechtfertigender Notstand, § 34 StGB

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Jäger will dieses Problem mit Hinweis auf die sozialethischen Einschränkungen des Notwehr- und Nothilferechts lösen: So sei anerkannt, dass das Notwehrrecht im Fall eines entschuldigenden Notstandes des Angreifenden eingeschränkt ist.345 Für das Nothilferecht geht Jäger sogar von einem vollständigen Ausschluss aus, denn „das Gesetz darf nicht einerseits einer Konfliktpartei die Möglichkeit einräumen, diesen Konflikt aus ethischen Gründen in einer bestimmten Weise zu lösen, und gleichzeitig Dritte zur Konfliktlösung in entgegengesetzter Richtung aufrufen“.346 Jäger ist allerdings entgegenzuhalten, dass das Vorliegen eines übergesetzlichen entschuldigenden Notstands in der Konstellation des § 14 Abs. 3 LuftSiG nicht überzeugend begründet werden kann.347 Pawlik meint, der Ausschluss des Notwehr- und Nothilferechts könne nicht überzeugen, denn auch, wenn der staatliche Strafanspruch wegen eines übergesetzlichen entschuldigenden Notstands nicht durchgesetzt wird, würde dies nicht das Recht zur Verteidigung beschränken. Auch der Umstand, dass die Unbeteiligten ohnehin verloren seien, ändere nichts hieran.348 Dem ist zuzustimmen, denn wenn ein rechtswidriger Angriff durch den Abschuss in Übereinstimmung mit der herrschenden Meinung vorliegt, so bewegt sich die Einschränkung des Notwehr- und Nothilferechts auf unsicherem Boden und führt zu einem Auseinanderfallen zwischen der normativen Wertung und den faktischen Zwängen.349 Für den Ausschluss des Notwehr- und Nothilferechts spricht jedoch, dass dadurch das von Pawlik beschriebene Dilemma der Klugheitsmaxime überwunden werden kann, das darin besteht, dass niemand sicher davon ausgehen könnte, dass die anderen Mitglieder der Rechtsgemeinschaft auch ihrerseits ihre Solidarpflicht erfüllen werden.350 Wenn innerhalb einer Gefahrengemeinschaft den Personen, die keine Rettungschancen mehr haben, das Notwehrrecht genommen wird, so wird gerade gewährleistet, dass das theoretische Konstrukt der Klugheitsmaxime auch in der Praxis umgesetzt werden kann. Für die Möglichkeit des Ausschlusses des Notwehrrechts spricht ein Vergleich zur Begründung der Rechtfertigungslösung im Bereich der medizinischen Indikation und Perforation durch die herrschende Auffassung. Hier soll durch die Rechtfertigungslösung einem Dritten die Möglichkeit genommen werden, Nothilfe zu Gunsten des ungeborenen Kindes zu leisten.351 Gropp meint sogar, 344 Vgl. C. Jäger, ZStW 115 (2003), 765 (789), der als Erster auf dieses besondere Problem hingewiesen hat; M. Pawlik, FAZ vom 19. Juli 2004, 29. 345 C. Jäger, ZStW 115 (2003), 765 (787). 346 C. Jäger, ZStW 115 (2003), 765 (787). 347 Siehe dazu unten 6. Teil D. II. 348 M. Pawlik, JZ 2004, 1045 (1051 Fn. 61). 349 So auch A. Sinn, NStZ 2004, 585 (592). 350 M. Pawlik, Notstand, 72.

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5. Teil: Strafrechtliche Rechtfertigung der Tötung von Unbeteiligten

die Anerkennung eines solchen Nothilferechts im Fall der medizinischen Indikation wäre „ein Rückfall in ein fundamentalistisches Mittelalter“.352 Es ist zwar zutreffend, dass § 218a Abs. 2 StGB insofern nicht mit einer Tötung in der Konstellation des § 14 Abs. 3 LuftSiG vergleichbar ist, da eine gesetzliche Sonderregelung, auf die eine Vorwegabwägung begründet werden könnte, bei der notstandsbedingten Tötung innerhalb einer Gefahrengemeinschaft mit einseitiger Verteilung von Rettungschancen fehlt. Allerdings wird deutlich, dass in bestimmten Situationen eine Rechtfertigungslösung gerade erforderlich ist, um die Rettungshandlung auch praktisch ohne Gegenwehr umsetzen zu können. Da – wie oben dargestellt – die Fälle der medizinischen Indikation in der Regel als Gefahrengemeinschaft mit einer einseitigen Verteilung der Rettungschancen verstanden werden können, spricht dies dafür, auch in der Konstellation des § 14 Abs. 3 LuftSiG einen Notwehr- und Nothilfeausschluss durch die Anerkennung der Rechtfertigungslösung zu akzeptieren. 7. Abschließende Betrachtung Die Untersuchung hat bisher ergeben, dass das Abwägungsverbot im Bereich des menschlichen Lebens und das daraus resultierende Verbot der Tötung von Unbeteiligten von der herrschenden Auffassung nicht widerspruchsfrei begründet werden. Es drängt sich daher die Frage auf, warum zum einen im Bereich des ungeborenen Lebens mit einem natürlichen Rechtsempfinden argumentiert wird und zum anderen in der Konstellation des § 14 Abs. 3 LuftSiG die Aufrechterhaltung des Tötungsverbotes um den Preis der Erhöhung der Opferzahl in Kauf genommen wird. Um die Konsequenz der grundsätzlichen Aufrechterhaltung des Tötungsverbotes darzustellen, soll Welzels berühmter „Weichenstellerfall“353 abgewandelt werden: Nachdem eine Eisenbahnbrücke über eine tiefe Schlucht zerstört worden ist, erhalten mehrere Gleisbauarbeiter den Auftrag, den genauen Schadensumfang festzustellen. Der Zugverkehr soll über eine andere Strecke umgeleitet werden. Wegen eines Missverständnisses fährt dennoch ein Passagierzug auf die zerstörte Brücke zu und droht, die Gleisbauarbeiter zu töten. Weichensteller W erkennt die Gefahr für das Leben der Arbeiter und weiß auch, dass es keine Möglichkeit mehr gibt, den Zug anzuhalten. W meint zu Recht, dass es nur noch einen Ausweg gibt, um die Arbeiter zu retten. Dabei geht er zutreffend davon aus, dass sämtliche Zuginsassen durch den Sturz in die Schlucht sterben werden. Durch das Betätigen einer Weiche kann 351 G. Jakobs, Strafrecht AT, § 13 Rdn. 22 Fn. 44; L. Otte, 144; T. Lenckner, Notstand, 265 f.; C. Roxin, FS Jescheck, Erster Halbband, 1985, 457 (478); siehe auch BVerfGE 88, 203 (279). 352 MüKo-W. Gropp, § 218 Rdn. 37. 353 Vgl. H. Welzel, ZStW 63 (1951), 47 ff.

B. Rechtfertigender Notstand, § 34 StGB

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W den Zug auf ein Nebengleis lenken, das zu einer noch nicht fertig gestellten neuen Brücke führt. Die Zeit, die der Zug nach der Weichenstellung zurücklegt, ist genauso lang, wie wenn der Zug weitergefahren wäre. Der Zug stürzt sodann in die Tiefe und die Passagiere sterben.

Würde man hier streng auf die Äquivalenztheorie abstellen, hätte der W eine vorsätzliche Tötung begangen, da die Tatsache, dass die Zuginsassen auch bei einem normalen Weiterfahren getötet worden wären, als Reserveursache keine Berücksichtigung finden dürfte.354 Allerdings hat Samson dieses Ergebnis mit dem Hinweis auf den Sinn und Zweck der Tötungsdelikte, dem Rechtsgüterschutz zu dienen, überzeugend abgelehnt.355 Hält man sich diesen Aspekt vor Augen, erscheint es zunächst willkürlich, warum W wegen eines Tötungsdelikts bestraft werden soll, wenn die Strecke des Nebengleises ein wenig kürzer als die Hauptstrecke ist und die Eisenbahnpassagiere dadurch im Vergleich zum Unterlassen der Weichenstellung eine Sekunde früher sterben würden. Zwar kann mit der Tatsache der Lebenszeitverkürzung argumentiert werden, jedoch wurde nachgewiesen, dass sogar die Rechtsprechung eine Abstufung nach der Lebenszeit vornimmt. Dies spricht dafür, eine Rechtfertigung der Tötung innerhalb einer Gefahrengemeinschaft mit einseitiger Verteilung von Rettungschancen zuzulassen, soweit es um eine materiell funktionslose Lebenszeitspanne geht.356 Delonge hat die Problematik der Gleichwertigkeit des menschlichen Lebens im Bereich des § 34 StGB auf den Punkt gebracht. Es geht nicht um den Grundsatz der Unabwägbarkeit des menschlichen Lebens, sondern um die „grundsätzliche und radikale Tabuisierung der vorsätzlichen Tötung eines anderen Menschen, der sich nichts hat zuschulden kommen lassen. Diese Tabuisierung soll also insbesondere ,notstandsfest‘ sein. Entkleidet man diese Forderung ihres ethischen ,Überbaus‘, dann lässt sie sich als Verfolgung eines ganz ursprünglichen und sehr natürlichen Interesses erfassen: Dahinter steht das Bedürfnis, das menschliche Leben gegenüber vorsätzlichen Tötungsakten als vom Recht unter allen Umständen geschützt betrachten zu können, zumindest solange dem Betroffenen nicht aus seinem eigenen Verhalten irgendein Vorwurf gemacht werden kann. Es ist die beunruhigende Erschütterung dieses Urvertrauens in den Schutz des Lebens durch die Rechtsordnung, die hier um jeden Preis vermieden werden soll.“357

Der Tabuisierung der Tötung von nicht-gefahrverantwortlichen Personen kann jedoch kein höherer Rang als der Schutz des menschlichen Lebens selbst zukommen. Das Sicherheitsgefühl des Einzelnen und der Allgemeinheit, dass nicht-gefahrverantwortliche Personen jedenfalls nicht vorsätzlich getötet werden dürfen, müsste mit dem Preis der Schutzlosigkeit und der Opferung von bedroh354 355 356 357

Vgl. MüKo-G. Freund, Vor §§ 13 ff. Rdn. 312. E. Samson, 98 ff. In diese Richtung auch K. Bernsmann, „Entschuldigung“ durch Notstand, 320. F.-B. Delonge, 126 f.

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5. Teil: Strafrechtliche Rechtfertigung der Tötung von Unbeteiligten

ten Menschen erkauft werden. Dieser Preis könnte – auch angesichts der Tatsache, dass das Leben keinen absoluten Höchstwert darstellt – zu hoch sein. Allerdings ist es zu weitgehend, eine grundsätzliche Abwägung nach Kopfzahlen zu bejahen, wie dies Delonge aus der konsequenten Anwendung seiner Thesen vertritt,358 denn eine solche Vorgehensweise würde die Gefahr einer Menschenwürdeverletzung der Getöteten begründen, wenn die Tötung zweckgerichtet erfolgt und nicht nur, wie im Fall des § 14 Abs. 3 LuftSiG, eine Folge der Gefahrenabwehr ist. Festzuhalten ist daher, dass das absolute Verbot der Tötung von Unbeteiligten jedenfalls in der Konstellation des § 14 Abs. 3 LuftSiG an einem Legitimationsdilemma leidet, denn es fällt schwer, einen Rechtsgrundsatz, der in der konkreten Situation mehr Schaden als Nutzen verursacht, rational zu begründen.359 Eine Legitimation könnte sich vor allem aus dem Schutz der Menschenwürde oder daraus ergeben, dass das Leben einen absoluten Höchstwert innerhalb der verfassungsrechtlichen Ordnung und damit auch im Strafrecht darstellt. Allerdings wurde bei der Erörterung der grundrechtlichen Fragen bereits nachgewiesen, dass die Tötung von Unbeteiligten nicht zwingend ein Verstoß gegen Art. 1 Abs. 1 GG beinhalten muss und dass auch eine Höchstwertigkeit des Grundrechts auf Leben nicht überzeugend vertreten werden kann. Das grundsätzliche Problem der Legitimierung der Aufrechterhaltung des Tötungsverbotes wird auch von Lenckner eingestanden, der in Bezug auf die medizinische Indikation und die Perforation ausführt: „Ein Festhalten am Lebensprinzip wäre sicher die konsequentere Lösung. Aber damit würde zu hoch gegriffen, weil angesichts des Preises, der dafür bezahlt werden müsste, das menschliche Einfühlungsvermögen schlechterdings überfordert wäre. Eine Rechtsordnung, die dies nicht berücksichtigt, liefe Gefahr, nicht mehr verstanden und hingenommen zu werden.“360

Vor dem Hintergrund, dass bei der Perforation von der herrschenden Auffassung sogar eine Tötung des in der Geburt befindlichen Kindes bei einer mehrseitigen Verteilung von Rettungschancen gerechtfertigt wird, kann nicht mehr überzeugend begründet werden, warum eine Rechtfertigung bei einer Gefahrengemeinschaft mit einseitiger Verteilung von Rettungschancen in der Konstellation des § 14 Abs. 3 LuftSiG unbedingt ausgeschlossen sein muss. Es bleibt unklar, warum Lenckner hier davon ausgeht, dass das „menschliche Einfühlungsvermögen“ durch den Tod der bedrohten Menschen am Boden nicht überfordert wäre. Interessant ist weiterhin, dass Lenckner und andere eine Rechtfertigung von notstandsbedingten Tötungen bejahen, soweit ein entsprechendes „Gewohn358 359 360

Vgl. F.-B. Delonge, 130. Vgl. H. Koriath, Jahrbuch für Recht und Ethik 11 (2003), 317 (334). T. Lenckner, Notstand, 267.

B. Rechtfertigender Notstand, § 34 StGB

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heitsrecht“ besteht.361 Konkret geht es dabei um den bereits erwähnten Fall eines untergehenden Schiffes, das nur durch das Schließen der Schotten einer Abteilung, in der sich noch Menschen befinden, vor dem Untergang gerettet werden kann. Es ist zumindest zweifelhaft, einerseits die „Unantastbarkeit des menschlichen Lebens“ um des „Prinzips willen“ zu fordern362 und andererseits Ausnahmen auf Grundlage einer „altherkömmlichen Rechtsgewohnheit“ zuzulassen. Richtigerweise kann es hier nicht um ein entsprechendes Gewohnheitsrecht gehen, sondern allein um den Grundgedanken, der hinter der Rechtfertigung im „Schottenfall“ steht. Dieser Grundgedanke ist wiederum die einseitige Verteilung von Rettungschancen und der Schutz der Rechtsgüter, die noch gerettet werden können. Lenckner vermag nicht überzeugend zu erklären, warum dieser Gedanke nur in Fällen, in denen eine „lange und feste Überlieferung“ vorliegt, Anwendung findet, aber nicht in anderen Konstellationen der einseitigen Verteilung von Rettungschancen. Auch die etwaigen Prognoseunsicherheiten rechtfertigen nicht zwingend eine andere Bewertung.363 Zunächst ist dabei die Tatsache zu beachten, dass dem rechtfertigenden Notstand wegen des Gefahrbegriffs Prognoseunsicherheiten immanent sind, denn die Gefahr kann sich immer nur auf ein Wahrscheinlichkeitsurteil gründen.364 Die Voraussetzungen des rechtfertigenden Notstands beurteilen sich daher aus einer ex-ante Betrachtung.365 Es ist also grundsätzlich möglich, dass Eingriffe in die Rechtsgüter Unbeteiligter auf Grundlage einer Prognose gerechtfertigt werden, die sich im Rahmen einer ex-post-Betrachtung als unrichtig herausstellen. Dennoch ändert dies nichts daran, dass die ex-anteBetrachtung maßgeblich bleibt. Im Übrigen ist es widersprüchlich, dass zum Beispiel Pawlik meint, die Tatsachenprognose, dass die Flugzeugpassagiere ohnehin verloren seien, stelle in Ermangelung einer normativen Komponente „weder ein rechtsdogmatisches noch ein rechtsethisches Argument dar“366 und gleichzeitig im Zusammenhang mit einem übergesetzlichen Entschuldigungsgrund fordert, dass das verletzte Rechtsgut unrettbar verloren sein muss.367 Wenn die Unrettbarkeit wegen der Unsicherheiten in Bezug auf den tatsächlichen Geschehensablauf kein normatives Argument wäre, dürfte sie auch nicht im Bereich des Schuldvorwurfes berücksichtigt werden. 361 Schönke/Schröder-T. Lenckner/W. Perron, § 34 Rdn. 23, 39; T. Lenckner, Notstand, 31; H. Mayer, 179. 362 T. Lenckner, Notstand, 31. 363 Ähnlich auch M. Bohlander, JoCL 70 (2006), 147 (149). 364 Vgl. A. Finger, FG v. Frank, Band 1, 230 (237): Der Begriff der Gefahr ist ein „Kind unserer Ungewissheit“; siehe allgemein zur Rechtfertigung bei ungewissen tatsächlichen Umständen H. Frister, FS Rudolphi, 2004, 45 ff. 365 LK-H. J. Hirsch, § 34 Rdn. 27 ff.; M. Pawlik, Notstand, 173 m.w. N. in Fn. 173. 366 M. Pawlik, JZ 2004, 1045 (1050). 367 Siehe unten 6. Teil D. II.

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5. Teil: Strafrechtliche Rechtfertigung der Tötung von Unbeteiligten

VI. Ergebnis Angesichts der Widersprüchlichkeit der herrschenden Auffassung und dem Aspekt des Rechtsgüterschutzes bei der Anerkennung der Rechtfertigung der Tötung innerhalb einer Gefahrengemeinschaft mit einer einseitigen Verteilung von Rettungschancen kann die Tötung von Unbeteiligten als sichere Folge eines Abschusses in der Konstellation des § 14 Abs. 3 LuftSiG durch § 34 StGB gerechtfertigt werden.

C. Rechtfertigung als hoheitliche Maßnahme Jerouschek bejaht eine Rechtfertigung des Abschusses als hoheitliche Maßnahme. Als Beispielsfall nennt er einen Terrorangriff mittels eines entführten Passagierflugzeuges, der den „Gesamtstaat“ der Bundesrepublik Deutschland attackiert.368 Bei einem solchen Angriff auf das Bundesgebiet mit Waffengewalt würden die terroristischen Aktivitäten den Verteidigungsfall im Sinne des Art. 115a Abs. 1 Satz 1 GG auslösen. Dann könnten die Streitkräfte gemäß Art. 87a Abs. 3 GG auch zivile Objekte schützen und gemäß §§ 15 ff. UZwGBw in private Rechtsgüter eingreifen.369 Dem Bundeskanzler komme daher die Befugnis zu, „die zur Abwehr eines solchen Terrorangriffs erforderlichen Maßnahmen, nötigenfalls den Abschuss eines Flugzeuges zu ergreifen“.370 Jerouschek ist zunächst entgegenzuhalten, dass es in der Konstellation des § 14 Abs. 3 LuftSiG schon grundsätzlich nicht um einen Einsatz der Streitkräfte im Verteidigungsfall oder nach Art. 87a Abs. 3 GG, sondern um einen Einsatz im Katastrophennotstand gemäß Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG geht. Weiterhin berücksichtigt er nicht, dass die Feststellung des Verteidigungsfalls gemäß Art. 115a Abs. 1 GG – wie auch der Einsatz der Streitkräfte zur Verteidigung – jedenfalls einen Angriff von außen voraussetzt;371 dagegen ist das Angriffsziel, auf das Jerouschek maßgeblich abstellt, nebensächlich. Es bleibt also offen, wie die Tötung von Unbeteiligten bei einem Angriff von innen zu bewerten ist. Des Weiteren ist grundsätzlich zweifelhaft, ob aus einer ausdrücklichen Zulassung des Streitkräfteeinsatzes überhaupt eine strafrechtliche Rechtfertigung abgeleitet werden kann, da die Zulässigkeit des Einsatzes noch nichts über die zulässigen Eingriffsmaßnahmen aussagt. Im Übrigen kann ein Verweis auf die Vorschriften des UZwGBw die Problematik der Tötung von Unbeteiligten nicht lösen. Eine Rechtfertigung durch hoheitliches Handeln unter 368 369 370 371

G. Jerouschek, FS H.-L. Schreiber, 2003, 185 (197). G. Jerouschek, FS H.-L. Schreiber, 2003, 185 (197). G. Jerouschek, FS H.-L. Schreiber, 2003, 185 (198). Siehe dazu ausführlich oben 2. Teil B.

D. Zusammenfassende Thesen

475

Rückgriff auf den Verteidigungsfall kommt daher in der Konstellation des § 14 Abs. 3 LuftSiG nicht in Betracht.

D. Zusammenfassende Thesen zur strafrechtlichen Rechtfertigung 1. Die Tötung von Unbeteiligten kann im Gegensatz zur Tötung der Angreifer nicht durch Notwehr oder Nothilfe gemäß § 32 StGB gerechtfertigt werden. 2. Die Grundsätze des rechtfertigenden Defensivnotstandes finden in der Konstellation des § 14 Abs. 3 LuftSiG keine Anwendung, da die Unbeteiligten keinen Gefahrenherd darstellen. Das Gleiche gilt für die rechtfertigende Pflichtenkollision, da die Soldaten keine strafrechtliche Handlungspflicht haben, den Abschuss vorzunehmen. 3. Allerdings ist eine Rechtfertigung gemäß § 34 StGB unter Berücksichtigung der Grundsätze der Gefahrengemeinschaft mit einseitiger Verteilung von Rettungschancen zu bejahen, denn in diesem Fall verdient der Gedanke des Rechtsgüterschutzes den Vorrang vor dem grundsätzlichen Verbot der Tötung Unbeteiligter.

6. Teil

Entschuldigungsgründe und „rechtsfreier Raum“ Obwohl nach der hier vertretenen Auffassung eine Rechtfertigung der Tötung von Unbeteiligten innerhalb einer Gefahrengemeinschaft mit einer einseitigen Verteilung von Rettungschancen gemäß § 34 StGB in Betracht kommen kann, wird – angesichts der Ablehnung der Rechtfertigungslösung durch die herrschende Literatur und wohl auch durch die Rechtsprechung – im Folgenden der Vollständigkeit halber darauf eingegangen, ob eine Entschuldigung möglich ist oder ob auf eine Bestrafung unter dem Gesichtspunkt der Zuordnung der notstandsbedingten Tötung von Unbeteiligten zu einem „rechtsfreien Raum“ verzichtet werden kann. Dabei geht es vor allem um die praktisch wichtige Frage, ob eine Entschuldigungslösung mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts und des Bundesgerichtshofs zu vereinbaren ist.

A. Entschuldigender Notstand, § 35 Abs. 1 StGB Der in § 35 Abs. 1 StGB geregelte entschuldigende Notstand spielt bei einem Abschuss in der Konstellation des § 14 Abs. 3 LuftSiG keine Rolle, soweit das gemäß § 35 Abs. 1 Satz 1 StGB erforderliche Näheverhältnis zwischen den Befehlsgebern beziehungsweise den ausführenden Soldaten und den bedrohten Menschen am Boden nicht vorliegt.1 Davon ist im Regelfall auszugehen, so dass sich weitere Ausführungen zu § 35 Abs. 1 StGB erübrigen.

B. Verbotsirrtum, § 17 Satz 1 StGB Gemäß § 17 Satz 1 StGB handelt der Täter ohne Schuld, wenn ihm bei der Begehung der Tat die Einsicht fehlt, Unrecht zu tun, und er diesen Irrtum nicht vermeiden konnte. Dabei regelt § 17 Satz 1 StGB neben dem Verbotsirrtum auch den so genannten Erlaubnisirrtum, der darin besteht, dass der Täter über

1

G. Spendel, RuP 2006, 131 (132); M. Pawlik, JZ 2004, 1045 (1050).

B. Verbotsirrtum, § 17 Satz 1 StGB

477

das Vorliegen eines gesetzlich nicht anerkannten Rechtfertigungsgrundes oder über die Reichweite eines Rechtfertigungsgrundes irrt.2 Für die Anwendung des § 17 Satz 1 StGB könnte zum einen sprechen, dass der Bundesgerichtshof in seinem Urteil zu den Euthanasiefällen betont hat, dass vor dem Hintergrund des Meinungsstreites in der Literatur zur Rechtfertigung von Tötungen innerhalb einer Gefahrengemeinschaft das Unrechtsbewusstsein des Notstandstäters besonders sorgfältig geprüft werden müsse3 und zum anderen, dass das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung zu § 14 Abs. 3 LuftSiG eine strafrechtliche Rechtfertigung der Tötung von Unbeteiligten durch einen Abschuss nicht ausdrücklich ausgeschlossen hat.4 Eine Entschuldigung wäre daher denkbar, wenn sich die handelnden Soldaten oder die Befehlsgeber darauf berufen würden, dass sie glaubten, ihr Handeln sei wegen der Rettung von Menschenleben und dem Vorliegen einer Gefahrengemeinschaft mit einer einseitigen Verteilung von Rettungschancen gerechtfertigt. Allerdings ist es höchst zweifelhaft, ob ein derartiger Irrtum auch vermeidbar gewesen wäre. An die Vermeidbarkeit sind im Rahmen des § 17 StGB nach Auffassung des Bundesgerichtshofs strenge Anforderungen zu stellen: Erforderlich ist eine Gewissensanspannung des Täters,5 der „alle seine Erkenntniskräfte und alle seine sittlichen Wertvorstellungen“ auf der Grundlage der Vorstellungen seiner Rechtsgemeinschaft einsetzen muss.6 Bleiben trotz dieser Anstrengungen Zweifel, so hat der Täter eine Erkundigungspflicht, ob seine Rechtsauffassung zutreffend ist.7 Vor dem Hintergrund, dass nach der Auffassung des Verbandes der Besatzungen strahlgetriebener Kampfflugzeuge eine Tötung der Unbeteiligten rechtswidrig ist, der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs, dass selbst die Tötung eines nicht-gefahrverantwortlichen Menschen zur Rettung der Menschheit rechtswidrig wäre, und der eindeutigen Feststellung eines Verstoßes gegen die Menschenwürde durch die sichere Tötung von Unbeteiligten als Folge von Maßnahmen der Gefahrenabwehr durch das Bundesverfassungsgericht, kann von einer Unvermeidbarkeit des Erlaubnisirrtums keine Rede mehr sein. Damit ist eine Entschuldigung gemäß § 17 Satz 1 StGB hinsichtlich der Tötung von Unbeteiligten in der Konstellation des § 14 Abs. 3 LuftSiG nicht möglich. 2

W. Joecks, § 16 Rdn. 28 f. BGH, NJW 1953, 513. 4 BVerfG, NJW 2006, 751 (759 Abs. 130). Allerdings ist zu bemerken, dass die vom Bundesverfassungsgericht genannten Literaturstimmen ganz überwiegend eine Rechtfertigung der Tötung von Unbeteiligten innerhalb einer Gefahrengemeinschaft mit einseitiger Verteilung von Rettungschancen ablehnen und lediglich eine Entschuldigung über die Anwendung eines übergesetzlichen Entschuldigungsgrundes bejahen. 5 BGHSt 2, 194. 6 BGHSt 4, 1 (5); siehe auch aus jüngster Zeit BGH, NJW 2006, 522 (527). 7 BGHSt 4, 236 (243); 5, 284 (289); 21, 18 (22). 3

478

6. Teil: Entschuldigungsgründe und „rechtsfreier Raum‘‘

C. Entschuldigung durch Handeln auf Befehl Lehnt man mit der herrschenden Meinung eine Rechtfertigung der notstandsbedingten Tötung von Unbeteiligten ab, stellt sich weiterhin die Frage, ob ein Abschuss eines Luftfahrzeuges und die damit verbundene Tötung von Unbeteiligten durch die handelnden Soldaten durch einen entsprechenden Befehl gerechtfertigt oder entschuldigt sein kann.8 Ein tatbestandsmäßiges Verhalten von Soldaten kann auf Grund eines Befehls rechtmäßig sein, so dass eine entsprechende Strafbarkeit des Soldaten entfallen würde. Dies gilt jedoch nur, wenn der erteilte Befehl verbindlich ist, denn nur in diesen Fällen besteht aus Sicht des ausführenden Soldaten eine Pflichtenkollision zwischen der Gehorsamspflicht gemäß § 11 Abs. 1 SG und der Pflicht zur Unrechtsvermeidung. Es wurde jedoch bereits oben festgestellt, dass in der Konstellation des § 14 Abs. 3 LuftSiG der Befehl zum Abschuss eines Luftfahrzeuges unverbindlich ist.9 Daher scheidet eine Rechtfertigung durch Handeln auf Befehl aus. Es kommt daher allenfalls eine Entschuldigung durch § 5 Abs. 1 WStG in Betracht.10 Diese Vorschrift, die einen Sonderfall des Irrtums über eine entschuldigende Notstandslage darstellt, lautet: „Begeht ein Untergebener eine rechtswidrige Tat, die den Tatbestand eines Strafgesetzes verwirklicht, auf Befehl, so trifft ihn eine Schuld nur, wenn er erkennt, dass es sich um eine rechtswidrige Tat handelt oder dies nach dem ihm bekannten Umständen offensichtlich ist.“

§ 5 Abs. 1 WStG stellt also eine Privilegierung für auf Befehl handelnde Soldaten dar, da ihnen nach dem Gesetzeswortlaut in der Regel keine Schuld trifft, soweit sie in Ausführung eines Befehls eine Straftat begehen. Dreist hat sich – soweit ersichtlich – als erster mit der Problematik des Befehlsrechts im Zusammenhang mit § 14 Abs. 3 LuftSiG auseinandergesetzt. Er meint, der ausführende Soldat trage nicht die Verantwortung, dass ein Abschuss eines Luftfahrzeuges mit unbeteiligten Insassen verfassungswidrig ist. Dabei beruft er sich auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, das im Zusammenhang mit den Auslandseinsätzen der Bundeswehr festgestellt hatte, dass der einzelne Soldat kein rechtliches Risiko wegen der Beteiligung an einem solchen Einsatz trägt, falls sich im Nachhinein die Verfassungswidrigkeit des Einsatzes herausstellen sollte.11 Dreist überträgt diese Grundsätze auch auf den Be8 In diese Richtung argumentiert F. Ilse, Hamburger Abendblatt vom 25. November 2004, 4. 9 Siehe oben 4. Teil. 10 Vgl. zu den einzelnen Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 WStG ausführlich M. Korte, 88 ff. 11 P. Dreist, NZWehrr 2004, 89 (112); vgl. BVerfGE 88, 173 (184).

C. Entschuldigung durch Handeln auf Befehl

479

reich des Strafrechts, da die Argumente, die das Bundesverfassungsgericht für die verfassungsrechtliche Beurteilung entwickelt hat, auch für die rechtliche Beurteilung unterhalb der Ebene des Grundgesetzes gelten müssten.12 Man könnte meinen, Dreists Ausführungen hätten durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts keine Relevanz mehr, da die Verfassungswidrigkeit des § 14 Abs. 3 LuftSiG ausdrücklich festgestellt worden ist. Das Bundesverfassungsgericht hat jedoch die strafrechtliche Bewertung der Tötung von Unbeteiligten in der Konstellation des § 14 Abs. LuftSiG offen gelassen.13 Es stellt sich daher die Frage, ob die Aussage Dreists, es sei auch für die strafrechtliche Betrachtung irrelevant, ob sich im Nachhinein die Rechtswidrigkeit eines Abschusses herausstellen würde, zutreffend ist. Dagegen spricht, dass sich die Frage der Verfassungsmäßigkeit eines Auslandseinsatzes der Bundeswehr einerseits und die Frage der Begehung einer Straftat durch die Ausführung eines Befehls andererseits deutlich unterscheiden. Beim ersten Punkt ging es allein um die verfassungsrechtliche Zulässigkeit einer entsprechenden Entsendung der Bundeswehr durch die Exekutive. Eine Beteiligung des einzelnen Soldaten an einem Auslandseinsatz würde kein strafrechtliches Unrecht darstellen, selbst wenn der entsprechende Einsatz verfassungswidrig wäre. Im Gegensatz dazu ist die strafrechtliche Bewertung grundlegend anders, denn hier gilt die Sonderregelung des § 5 Abs. 1 WStG. Zu dieser Regelung hat das Bundesverfassungsgericht ersichtlich in der von Dreist angeführten Entscheidung keine Stellung genommen.14 Die Soldaten wissen zunächst, dass sie eine tatbestandsmäßige Tötung vornehmen. Den Piloten der Bundeswehr ist auch bekannt, dass nach der herrschenden Meinung keine Rechtfertigungsmöglichkeit in Betracht kommt, da sie mehrfach darauf hingewiesen haben, dass sie von der Rechtswidrigkeit eines Abschusses nach § 14 Abs. 3 LuftSiG ausgehen.15 Unerheblich ist, dass der einzelne Soldat wegen der Äußerungen in der Politik und in der Rechtswissenschaft möglicherweise von einer übergesetzlichen Entschuldigung hinsichtlich der Tötung der Unbeteiligten ausgeht, denn nach dem klaren Wortlaut des § 5 Abs. 1 WStG ist bereits das Erkennen, dass es sich um eine rechtswidrige Tat im Sinne des § 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB handelt, ausreichend. Insofern ist es widersprüchlich, dass teilweise auch das Erkennen der Schuldhaftigkeit vorausgesetzt, aber gleichzeitig auf § 11 Abs. 1 Nr. 5 StGB verwiesen wird,16 der nach der allgemeinen Auffassung keine schuldhafte Tat voraussetzt.17 Dass bereits 12

P. Dreist, NZWehrr 2004, 89 (112). BVerfG, NJW 2006, 751 (759 Abs. 130). 14 Vgl. BVerfGE 88, 173 (184). 15 Vgl. oben 4. Teil. Siehe auch BVerfG, Urteil vom 15. Februar 2006 – 1 BvR 357/05, Abs. 67 (insoweit nicht in BVerfG, NJW 2006, 751 ff. abgedruckt). 16 Vgl. J. Schölz/E. Lingens, § 5 Rdn. 2. 13

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6. Teil: Entschuldigungsgründe und „rechtsfreier Raum‘‘

das Erkennen der Rechtswidrigkeit ausreicht, wird auch durch die oben dargestellte Auslegung des § 11 Abs. 2 SG belegt,18 der § 5 Abs. 1 WStG weitgehend gleicht. Im Übrigen darf nicht übersehen werden, dass die Soldaten spätestens seit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts wissen, dass sie einen Abschussbefehl, der Unbeteiligte betrifft, wegen der Menschenwürdeverletzung nicht ausführen dürfen.19 Eine Entschuldigung nach § 5 Abs. 1 WStG ist daher nicht möglich.

D. Übergesetzlicher entschuldigender Notstand Vielfach wird auf die Konstruktion eines übergesetzlichen entschuldigenden Notstands zurückgegriffen. Auch wenn sich über ein derartiges Rechtsinstitut die Regelung und die Anwendung des § 14 Abs. 3 LuftSiG nicht auf verfassungsrechtlicher Ebene rechtfertigen lässt,20 so könnte es dennoch grundsätzlich für die Beurteilung der strafrechtlichen Verantwortung der Befehlsgeber und der handelnden Soldaten herangezogen werden.

I. Historischer Hintergrund Die Figur des übergesetzlichen entschuldigenden Notstands wurde insbesondere im Zusammenhang mit der Tötung Unbeteiligter im Rahmen der Euthanasie-Aktion entwickelt. So hat der Oberste Gerichtshof für die Britische Zone mit Urteil vom 5. März 1949 ausgeführt: „Stand ein solcher Arzt vor der Wahl, jede Teilnahme am Verbrechen abzulehnen, beiseitezutreten, dadurch willfährigeren Kräften Raum zu geben und so alle Patienten [. . .] widerstandslos zu opfern, oder aber möglichst viele von ihnen durch tätiges, nur ihm mögliches Eingreifen zu retten, freilich ausschließlich um den Preis seiner entfernten Mitwirkung bei der Vernichtung der Unrettbaren, so darf die Entscheidung für das Letztere, wenn sie nach sorgfältiger Prüfung und Abwägung allein aus sittlichen Beweggründen geschah, gerechterweise strafrechtlich nicht unbeachtet bleiben.“ 21

Die Angeklagten wurden daher freigesprochen. Dieses Ergebnis hat überwiegend Zustimmung in Rechtsprechung und Literatur gefunden.22 Die Begründungsansätze differieren jedoch: Teilweise wird ein unvermeidbarer Verbotsirr17

MüKo-W. Joecks, § 11 Rdn. 82 m.w. N. Siehe oben 4. Teil III. 19 Siehe oben 4. Teil I. 20 Ebenso M. Pawlik, JZ 2004, 1045 (1051); Re. Merkel, Die Zeit vom 8. Juli 2004, 33. 21 OGHSt 1, 321 (337). 22 Kritische Ansätze finden sich jedoch bei S. Benzler, KJ 1988, 137 ff.; T. Zimmermann, MDR 1954, 147 (149). 18

D. Übergesetzlicher entschuldigender Notstand

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tum23 oder ein übergesetzlicher Schuldausschließungsgrund24 angenommen; andere befürworten einen persönlichen Strafausschließungsgrund,25 der den Schuldspruch zwar nicht aufhebt, aber trotz der vorliegenden rechtswidrigen und schuldhaften Tat vor dem Hintergrund der Tätermotive von einer Bestrafung absieht. Im Anschluss an die Euthanasieverfahren hat sich im Schrifttum ganz überwiegend die Auffassung durchgesetzt, dass einem Täter, der in einer ausweglosen Lage das quantitativ „geringere Übel“ wählt und dazu Menschen tötet, grundsätzlich kein Schuldvorwurf zu machen ist, auch wenn Einzelheiten dieser Entschuldigungslösung umstritten sind.26 Teilweise wird ein derartiger Entschuldigungsgrund auch in der Rechtsprechung bejaht.27 Es handelt sich in diesen Fällen gewissermaßen um eine „entschuldigende Pflichtenkollision“.28 Der Bundesgerichtshof hat sich bezüglich eines solchen „übergesetzlichen Entschuldigungsgrundes“ nur zurückhaltend geäußert29 und diese Frage auch im „Katzenkönigfall“ offengelassen, da der Täter in diesem Fall jedenfalls keine „gewissenhafte Prüfung“ des Sachverhaltes vorgenommen hatte. Der Maßstab für eine solche Prüfung gleicht nach der Auffassung des Bundesgerichtshofs den Anforderungen des unvermeidbaren Verbotsirrtums gemäß § 17 Satz 1 StGB.30

II. Anwendung auf den Abschuss von Luftfahrzeugen Wie bereits oben dargelegt, befürwortet die überwiegende Literaturmeinung eine Entschuldigung der Befehlsgeber und der handelnden Soldaten.31 Dabei werden herkömmlich drei Voraussetzungen für die Anwendung des übergesetzlichen entschuldigenden Notstands genannt: Erstens muss das geschützte 23

Vgl. BGH, NJW 1953, 513 (514). SchwurG Köln, NJW 1952, 358; W. Gallas, FS Mezger, 1954, 311 (332 ff.); A.E. Brauneck, GA 1959, 261 (271); D. Reinicke, MDR 1950, 77 (78); E. Schmidt, SJZ 1949, Sp. 559 (Sp. 568 f.). 25 OGHSt 1, 321 (335); 2, 117 (122); D. Oehler, JR 1951, 489 (494); K. Peters, JR 1949, 496 (498); dagegen mit überzeugenden Argumenten H. Welzel, ZStW 63 (1951), 47 (55 f.). 26 W. Küper, JZ 1989, 617 (626 m.w. N. in Fn. 62); a. A. G. Spendel, FS Engisch, 1969, 515 (523 ff.); H. Woesner, NJW 1964, 1 (5), der einen übergesetzlichen Entschuldigungsgrund wegen der „Geschlossenheit des Strafrechts“ ablehnt. 27 SchwurG Köln, NJW 1952, 358; grundsätzlich auch OLG Hamm, NJW 1976, 721. 28 Vgl. U. Neumann, FS Roxin, 2001, 421 (437 f.). 29 Vgl. BGH, NJW 1953, 513 f.; kritisch zur Konstruktion eines übergesetzlichen Strafausschlussgrunds W. Mitsch, GA 2006, 11 (13). 30 Vgl. BGHSt 35, 347 (350 f.); kritisch dazu W. Küper, JZ 1989, 617 (626). 31 Siehe oben 5. Teil B. V. 2. 24

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6. Teil: Entschuldigungsgründe und „rechtsfreier Raum‘‘

Rechtsgut existenzielles Gewicht haben, zweitens muss das verletzte Rechtsgut ohnehin verloren sein und drittens dürfen keine anderen Möglichkeiten zur Abwendung der Gefahr vorhanden sein.32 Pawlik meint, diese Voraussetzungen seien im Fall des Abschusses nach § 14 Abs. 3 LuftSiG erfüllt.33 Grundsätzlich ist Pawlik zuzustimmen, wenn man in der Konstellation des § 14 Abs. 3 LuftSiG lediglich von einer Kollision von Lebensinteressen ausgeht. Die Bewertung ändert sich jedoch, wenn man bedenkt, dass es nach der Auffassung des Bundesverfassungsgerichts nicht nur um den Schutz von Lebensinteressen, sondern auch um den Schutz der Menschenwürde geht. Zwar ist es vertretbar, dass das Leben der unbeteiligten Flugzeugpassagiere bereits unrettbar verloren ist, aber der Schutz der Menschenwürde ist nach Auffassung der Rechtsprechung weiterhin möglich, indem der Abschuss und die damit verbundene Tötung der Unbeteiligten unterlassen wird, denn dann würde der Staat die Unbeteiligten nicht selbst zum Objekt machen. Daher wäre – unabhängig davon, dass ein Gewissenskonflikt nur schwerlich konstruierbar wäre – nach der herrschenden Auffassung, die einen Verstoß gegen die Menschenwürde durch die Tötung von Unbeteiligten bejaht, in der Konstellation des § 14 Abs. 3 LuftSiG auch der Rückgriff auf einen übergesetzlichen Entschuldigungsgrund versperrt, denn durch den Verweis auf die Menschenwürdeverletzung kann nicht mehr auf das „geringere Übel“ durch die Rettung von Menschenleben abgestellt werden.

E. Figur des „rechtsfreien Raums“ Bisher wurde die Annahme zugrunde gelegt, dass eine tatbestandsmäßige Handlung entweder als rechtswidrig oder als rechtmäßig zu bewerten ist. Rechtswidrigkeit und Rechtmäßigkeit bilden demnach zwei sich gegenseitig ausschließende Begriffe. Darüber hinaus wird in der Literatur eine dritte Kategorie diskutiert, der so genannte „rechtsfreie Raum“. Grundgedanke dieser Auffassung ist, dass es Grenzsituationen geben kann, in denen eine eindeutige rechtliche Bewertung unmöglich ist. Wenn die Rechtsordnung keine Antwort darauf geben kann, ob ein Verhalten rechtswidrig oder rechtmäßig ist, verliere sie insoweit ihren Geltungsanspruch und müsse die Beurteilung dem Gewissen des Handelnden überlassen.34

32

G. Jakobs, Strafrecht AT, § 20 Rdn. 42; M. Pawlik, JZ 2004, 1045 (1051). M. Pawlik, JZ 2004, 1045 (1051). 34 Die Figur des „rechtsfreien Raums“ geht historisch auf Fichte zurück, der im Zusammenhang mit dem Brett des Karneades auf eine „Exemtionstheorie“ zurückgreift, vgl. J. G. Fichte, § 19 I, 252 ff. 33

E. Figur des „rechtsfreien Raums‘‘

483

Angesichts der Ausnahmesituation der Tötung von Unbeteiligten in der Konstellation des § 14 Abs. 3 LuftSiG erscheint es nicht fernliegend, dass die Figur des „rechtsfreien Raums“ Anwendung finden könnte. In eine ähnliche Richtung geht Otto, der die Tötung weniger Unbeteiligter zur Rettung Tausender Menschen jedenfalls nicht in die herkömmlichen Kategorien der Rechtswidrigkeit und Rechtmäßigkeit einordnet: „Der Eingreifende muss hier eine Entscheidung treffen, möglichst viele zu retten. Trifft er diese Entscheidung, so ist sie nicht rechtswidrig im Sinne einer den Wertmaßstäben der Rechtsordnung widersprechenden Entscheidung, sie ist aber im Hinblick auf die Geiseln auch nicht rechtmäßig, so dass die Betroffenen zur Aufopferung ihres Lebens verpflichtet würden. – Sie ist schlicht nicht rechtswidrig.“35

I. Befürworter aus dem strafrechtlichen Schrifttum Maßgeblichen Einfluss auf die Figur des rechtsfreien Raums im Strafrecht kommt Binding zu, der die Auffassung vertrat, dass Notstandshandlungen regelmäßig weder entschuldigt noch rechtmäßig, sondern unverboten seien.36 Eine Weiterentwicklung und Aktualisierung dieser Gedanken haben vor allem Engisch37 und Art. Kaufmann vorgenommen. Nach Kaufmann zeichnet sich der rechtsfreie Raum durch Sachverhaltsgestaltungen aus, bei denen die Rechtsordnung „aus rechtspolitischen oder anderen Gründen ihre Normen zurückzieht und damit [. . .] auf eine Wertung verzichtet“.38 Dabei gehe es vor allem um ethisch umstrittene Fälle, in denen das Recht „weder verbieten noch erlauben“ könne, sondern einen Raum belässt, innerhalb dessen der mündige Bürger zur „freien sittlichen, allein vor dem eigenen Gewissen zu verantwortenden Entscheidung aufgerufen“ sei. Diese Entscheidung habe die Rechtsordnung in jedem Fall zu akzeptieren.39 Als Beispiele nennt Kaufmann die klassischen Fälle der Tötung von Unbeteiligten sowie den medizinisch indizierten Schwangerschaftsabbruch.40

35

H. Otto, JURA 2005, 470 (479). K. Binding, 765 ff.; siehe zusammenfassend zur historischen Diskussion in der Rechtsphilosophie W. Fehsenmeier, 169 ff. Bei der so genannten „Neutralitätslehre“ Bindings muss beachtet werden, dass zu seinen Zeiten der rechtfertigende Notstand nicht gesetzlich geregelt war, sondern aus übergesetzlichen Grundsätzen abgeleitet worden ist. Unter der heutigen Geltung des § 34 StGB ist Bindings Lehre daher überholt. 37 K. Engisch, ZgS 108 (1952), 385 ff. 38 Art. Kaufmann, FS Maurach, 1972, 327 (336); siehe auch ders., JuS 1978, 361 (366); K. Fehsenmeier, 157 ff.; J.-M. Priester, FS Art. Kaufmann, 1993, 499 (510). 39 Art. Kaufmann, FS Maurach, 1972, 327 (341). 40 Art. Kaufmann, FS Maurach, 1972, 327 (338 ff.). 36

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6. Teil: Entschuldigungsgründe und „rechtsfreier Raum‘‘

Fehsenmeier argumentiert mit einem Vergleich zum entschuldigenden Notstand. Es mache im Ergebnis keinen Unterschied, ob man einerseits dem Notstandstäter keinen Schuldvorwurf macht oder ob man andererseits sein Handeln in den Bereich des rechtsfreien Raums einordnet. Jedenfalls stelle auch der Weg über die Entschuldigung keine befriedigende Lösung dar.41 Ähnlich beurteilt Koriath die Entschuldigung des Täters als „Pseudolösung“.42

II. Gegenpositionen Namentlich Radbruch hat unter Berufung auf rechtstheoretische Gründe gegen die Anerkennung eines rechtsfreien Raums argumentiert: „Es liegt im Wesen rechtlicher Ordnung, universal zu sein. Recht kann eine Teilregelung nicht treffen, ohne schon durch die Auswahl des geregelten Teils menschlicher Beziehungen auch zu dem nichtgeregelten Teil – eben durch den Ausschluss von Rechtswirkungen – Stellung zu nehmen. Deshalb ist ein ,rechtsleerer Raum‘ immer nur vermöge des eigenen Willens der Rechtsordnung rechtsleer und überhaupt nicht im strengen Sinne rechtsleer, nicht ein rechtlich ungeregeltes, sondern ein rechtlich im negativen Sinne, durch Verneinung jeder Rechtsfolge geregeltes Tatsachengebiet.“ 43

Radbruchs Auffassung hat unter anderem durch Lenckner44 und Blank45 Zustimmung gefunden. Andere argumentieren, die Anerkennung eines rechtsfreien Raums sei aus logischen Gründen unmöglich, da Rechtswidrigkeit und Rechtmäßigkeit kontradiktorische Gegensätze seien und damit eine dritte Wertungsstufe ausschließen würden.46

III. Bewertung Radbruchs Position ist in ihrer Absolutheit nicht überzeugend. Zu Recht hat bereits Engisch darauf hingewiesen, dass der Preis einer universalen Geltung des Rechts eine Sinnentleerung des Rechts bedeuten würde.47 Art. Kaufmann hat Engischs Gedanken aufgegriffen und führt aus: „Je weiter man die Abstraktion treibt, das heißt je mehr man vom Inhalt des Rechts absieht, umso größer wird sein Geltungsbereich. [. . .] Der Extremfall ist, dass man 41

K. Fehsenmeier, 196. H. Koriath, Jahrbuch für Recht und Ethik 11 (2003), 317 (331). 43 G. Radbruch, Rechtsphilosophie, 181; ähnlich bereits ders., Grundzüge der Rechtsphilosophie, 188: „So wahr jeder Rechtsimperativ eine Norm zu sein beansprucht, so wahr jede Rechtsordnung ihrem eigenen Sinne nach selbstherrlich ist, so wahr muss das Recht auch für jeden denkbaren Tatbestand Geltung beanspruchen.“ 44 T. Lenckner, Notstand, 19. 45 T. Blank, 38. 46 W. Sauer, 236; H.-R. Horn, 24. 47 K. Engisch, ZgS 108 (1952), 385 (402 ff.). 42

E. Figur des „rechtsfreien Raums‘‘

485

aus dem Begriff des Rechts jeglichen Sinngehalt eliminiert. Dann hat das Recht in der Tat universalen Charakter“.48

Die Betonung eines universalen Charakters des Rechts führt damit zu einem formalen und nichts sagenden Rechtsbegriff49 und ist daher abzulehnen. Auch aus praktischer Sicht kann festgestellt werden, dass vielerlei Vorgänge, die nicht menschlichen Ursprungs sind, oder die sich lediglich im Inneren eines Menschen abspielen, keiner rechtlichen Regelung unterworfen sind. Darüber hinaus können auch höchstpersönliche, individuelle Sachverhalte wie Beziehungen und Freundschaften50 sowie Sitten, Anstands- und Benimmregeln, die lediglich durch gesellschaftliche Normen geprägt sind,51 einem rechtsfreien Raum zugeordnet werden. In diesen Fallgruppen bedarf es keiner rechtlichen Steuerung, welche sich zudem kaum durchsetzen lassen würde.52 Weiterhin kann die grundlegende Ablehnung einer dritten Möglichkeit neben Rechtmäßigkeit und Rechtswidrigkeit entkräftet werden. „Rechtmäßig“ kann auch als „nicht rechtswidrig“ in dem Sinne verstanden werden, dass ein menschliches Verhalten nicht im Widerspruch zur Rechtsordnung steht. Dieser fehlende Widerspruch kann sich sowohl aus einem rechtlichen Erlaubnissatz ergeben als auch daraus, dass die Rechtsordnung das Verhalten schlicht nicht geregelt hat.53 In diesem Sinne wäre die Wertungsstufe der Rechtmäßigkeit ein konträrer, nicht aber ein kontradiktorischer Begriff zur Rechtswidrigkeit.54 Zweifelhaft ist jedoch, ob und inwieweit das Prinzip des rechtsfreien Raums in das Strafrecht übertragen werden kann.55 Dabei ist es nicht zu leugnen, dass es wegen der fragmentarischen Natur des Strafrechts durchaus strafrechtsfreie Räume gibt. Der strafrechtsfreie Raum in diesem Sinne zeichnet sich aber gerade dadurch aus, dass ein bestimmtes menschliches Handeln a priori nicht unter die Voraussetzungen eines strafrechtlichen Tatbestandes subsumiert werden kann. Existiert dagegen ein strafrechtlicher Tatbestand, so liegt ein „rechtsbesetzter Raum“56 vor. Die Vertreter der Lehre vom rechtsfreien Raum wollen

48

Art. Kaufmann, FS Maurach, 1972, 327 (333). H. J. Hirsch, FS Bockelmann, 1979, 89 (93). 50 Vgl. BGHZ 57, 229 (232), zur Zerrüttung einer Lebensgemeinschaft als „innerlicher Vorgang“, an den nur in einem begrenzten Maße Rechtsfolgen anknüpfen können. 51 K. Larenz/C.-W. Canaris, 192. 52 H. Henkel, Rechtsphilosophie, 133. 53 H. J. Hirsch, FS Bockelmann, 1979, 89 (95). 54 H. J. Hirsch, FS Bockelmann, 1979, 89 (95). 55 Von einigen Autoren wird diese Frage von vornherein methodisch ungenau miteinander verbunden, vgl. H. Comes, 65 ff. 56 W. Mitsch, FS Weber, 2004, 49 (57 f.); ähnlich E. Hilgendorf, in: Blaschke u. a. (Hg.), Sicherheit statt Freiheit?, 107 (126). 49

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6. Teil: Entschuldigungsgründe und „rechtsfreier Raum‘‘

also ein tatbestandsmäßiges und auch nicht gerechtfertigtes Verhalten einer strafrechtlichen Wertung entziehen. Der Lehre vom rechtsfreien Raum ist mit H.-L. Günther entgegenzuhalten, dass sie über das eigentliche Ziel, die strafrechtliche Verantwortung für ein bestimmtes Handeln auszuschließen, hinausschießt, denn der „rechtsfreie Raum“ bezieht sich nicht nur auf die strafrechtliche Verantwortung, sondern zwangsläufig auf die gesamte Rechtsordnung. Damit kommt es „zu einer sachwidrigen, teleologische Grundregeln einer Wertungsjurisprudenz missachtenden Koppelung ungleicher, differenzierungsbedürftiger Sachverhalte und Rechtsfragen. Für den Strafunrechtsausschluss bedarf es nicht rechtlicher Irrelevanz schlechthin, sondern es genügt strafrechtliche Irrelevanz.“57

Auch wenn rechtsfreie Räume in bestimmten Situationen existieren mögen, so betont H. J. Hirsch zu Recht, dass es allen rechtlichen Maßstäben widersprechen würde, „dass vorsätzliche Tötungen fremden Lebens sich im rechtsfreien Raum abspielen und damit auf eine Stufe mit Spazierengehen und ähnlichen rechtlich irrelevanten Handlungsweisen gestellt werden könnten“.58 Die rechtswidrige Tötung eines anderen Menschen bewegt sich daher auch in außergewöhnlichen Situationen nicht außerhalb der Strafrechtsordnung, auch wenn vor dem Hintergrund besonderer Motivationslagen eine Entschuldigung des Täters in Betracht kommen kann. Weiterhin stellt sich – gerade in dem von Art. Kaufmann genannten Fall des Bretts des Karneades – das Problem des Notwehrrechts gegen einen „unverbotenen“ Angriff. Überwiegend erkennen die Anhänger der Lehre des rechtsfreien Raums die Existenz eines Notwehrrechts gegen den im rechtsfreien Raum handelnden Täter an.59 Lenckner ist zuzustimmen, wenn er daher die Konstruktion einer unverbotenen Notstandshandlung, die gleichsam einen rechtswidrigen Angriff darstellt, als „Etikettenschwindel“ bezeichnet.60 Entgegen Fehsenmeier ist es auch von Bedeutung, ob ein tatbestandsmäßiges Verhalten auf der Schuldebene von der Strafbarkeit ausgenommen oder ob das Verhalten dem rechtsfreien Raum zugeordnet wird. Zuzugeben ist, dass dies für 57

H.-L. Günther, 263 f. H. J. Hirsch, FS Bockelmann, 1979, 89 (107); ähnlich auch D. Lang-Hinrichsen, FS Bärmann, 1975, 583 (589). 59 W. Schild, JA 1978, 631 (636); inkonsequent K. Bindung, 766, der die Zulässigkeit von Notwehr bejaht, aber Nothilfe ablehnt; a. A. Art. Kaufmann, FS Maurach, 1972, 327 (342), der meint, es gäbe wegen der „Eigentümlichkeit solcher Konfliktfälle“ „[k]eine allseits befriedigende Lösung“. Daher spreche „manches dafür, dass das Recht auch insoweit auf eine Regelung verzichtet, denn es lässt sich eben nicht generell sagen, wer die moralisch und rechtlich besseren Gründe auf seiner Seite hat: derjenige, der einen Notstand beseitigen will, oder derjenige, der ihn daran zu hindern sucht.“ 60 T. Lenckner, Notstand, 28; ähnlich C. Roxin, Strafrecht AT I, § 14 Rdn. 30: „rhetorische Geste“. 58

E. Figur des „rechtsfreien Raums‘‘

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den Haupttäter bedeutungslos sein wird; allerdings erlangt die Frage Bedeutung, wenn es um die Strafbarkeit von Teilnehmern geht, da §§ 26, 27 StGB eine rechtswidrige Haupttat voraussetzen. Die Bewertung einer Handlung als „unverboten“ hilft insoweit nicht weiter. Die Ansicht, die Teilnahme an einer „unverbotenen“ Haupttat sei straflos, da kein Handlungsunrecht gegeben sei,61 stellt die Figur des rechtsfreien Raums im Ergebnis einer Rechtfertigung gleich und ist daher wenig konsequent. Es ist zu beobachten, dass die Konstruktion eines rechtsfreien Raums vor allem in solchen Fällen beschworen wird, in denen die geltende Rechtslage nicht das gewünschte Ergebnis bereithält. Die Forderung, dass die Rechtsordnung in bestimmten Situationen ihre Normen zurückziehen und damit auf eine Wertung verzichten soll,62 tendiert in die Richtung des Ignorierens – wenn nicht gar einer Missachtung – der geltenden Rechtsordnung.63 Das Argument des rechtsfreien Raums erscheint als willkommener Ausweg, um sich einer abschließenden strafrechtlichen Wertung eines Sachverhalts entziehen zu können.64 Zudem würde die Anerkennung eines rechtsfreien Raums zu einer erheblichen Unsicherheit führen.65 Abgesehen von einer Nennung von bestimmten Fallgruppen und Beispielen fehlt eine verlässliche Abgrenzung des rechtsfreien Raums zum rechtlich geregelten Raum. Ein Abstellen darauf, dass „eine eindeutige Bewertung weder als rechtswidrig noch als rechtmäßig möglich ist“,66 kann hier wegen der Offenheit der Formulierung „eindeutige Bewertung“ nicht weiterhelfen.67 Auch der Verweis Kaufmanns auf ethisch stark umstrittene Sachverhalte vermag die Grenzen des rechtsfreien Raums nicht näher zu konkretisieren. 61

So zum Beispiel Art. Kaufmann, FS Maurach, 1972, 327 (342). So ausdrücklich Art. Kaufmann, FS Maurach, 1972, 327 (341). 63 Vgl. A. Archangelskij, 25: „Es zieht sich auch letztlich nicht ,die Rechtsordnung‘ zurück, die ja ein theoretisches Gebilde ist. Es ziehen sich vielmehr Rechtsgelehrte und Rechtsanwender zurück, die sich außerstande sehen, eine Entscheidung zu treffen. Dies ist eine in persönlicher Hinsicht völlig akzeptable Entscheidung; man sollte aber nicht versuchen, seine eigenen rechtlichen und moralischen Zweifel zur juristischen Maxime zu machen.“ 64 Siehe H. Henkel, Notstand, 37: Eine „Kapitulation vor den Schwierigkeiten des Notstandsproblems“ könne nicht richtig sein, sie sei „nichts anderes als ein klägliches Ausweichen vor einer klaren und notwendigen Entscheidung.“; a. A. T. Dingeldey, JURA 1979, 478 (482), der meint, die Rechtsordnung könne in bestimmten Fällen keine „gerechte“ Lösung anbieten. 65 Vgl. auch C. Jäger, ZStW 115 (2003), 765 (782 f.), der meint, dass der rechtsfreie Raum „in Wahrheit überhaupt keinen rechtsfreien Raum schafft, sondern die Probleme nur verschiebt und letztlich verdeckt. [. . .] Eine Verortung des Problems jenseits von Unrecht und Schuld löst die Probleme daher nicht, sondern vertieft sie nur.“ 66 So K. Fehsenmeier, 227. 67 So meint zum Beispiel H. Koriath, Jahrbuch für Recht und Ethik 11 (2003), 317 (335), entgegen Art. Kaufmann, dass die Frage des Schwangerschaftsabbruchs „eindeutig entscheidbar“ sei. Koriath beschränkt seinerseits den rechtsfreien Raum auf 62

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6. Teil: Entschuldigungsgründe und „rechtsfreier Raum‘‘

Darüber hinaus verbietet sich die Argumentation mit einer ethischen Umstrittenheit auch deshalb, da Ethik und Recht nicht deckungsgleich sind. Handlungen die ethisch verwerflich sein mögen, können von der Rechtsordnung akzeptiert werden und umgekehrt.

F. Zwischenergebnis Eine Entschuldigung der Tötung der Unbeteiligten kann von der herrschenden Meinung nicht überzeugend begründet werden. Auch die Figur des rechtsfreien Raums findet keine Anwendung. Der Versuch der herrschenden Auffassung, dennoch ohne überzeugende Begründung auf eine Entschuldigung auszuweichen, macht deutlich, dass sie das Ergebnis der Rechtswidrigkeit der notstandsbedingten Tötung von Unbeteiligten im Fall der Gefahrengemeinschaft mit einseitiger Verteilung von Rettungschancen und damit eine Strafbarkeit als unangemessen oder ungerecht einstuft. Diese Widersprüchlichkeit zwischen der „Beschwörung“ des absoluten Verbots der Tötung Unbeteiligter einerseits und der gewünschten Konsequenzlosigkeit der Tötung andererseits kann nur aufgelöst werden, wenn mit der hier vertretenen Lösung eine Rechtfertigung der notstandsbedingten Tötung in einer Gefahrengemeinschaft mit einer einseitigen Verteilung von Rettungschancen anerkannt wird.

„echte Kollisionsfälle“; dazu zählt er den Fall des „Brett des Karneades“ und den Bergsteigerfall.

7. Teil

Zusammenfassung und Ausblick Mit der Regelung des Ausdrücklichkeitsvorbehalts in Art. 87a Abs. 2 GG für den Einsatz der Streitkräfte außerhalb des Verteidigungsauftrages hat sich der verfassungsändernde Gesetzgeber den „Luxus“ geleistet, zur Gewährleistung der Sicherheit der Bundesrepublik nur unter engen Voraussetzungen auf die Streitkräfte zurückgreifen zu können. Diese Entscheidung, die zu Zeiten der Einfügung der so genannten Notstandsverfassung in das Grundgesetz noch nachvollziehbar gewesen sein mag, hat zwangsläufig zur Folge, dass es Fälle geben kann, in denen die spezifischen Fähigkeiten der Streitkräfte auch dann nicht genutzt werden dürfen, wenn dies zur Gefahrenabwehr erforderlich sein sollte. Diese Lückenhaftigkeit ist die zwingende Kehrseite der beabsichtigten Verhinderung eines potentiellen Missbrauches des Streitkräfteeinsatzes außerhalb des Verteidigungsauftrages durch die enumerative Regelung der Einsatzmöglichkeiten im Grundgesetz. Der Verteidigungsauftrag der Streitkräfte gemäß Art. 87a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 GG, der keinesfalls mit dem Verteidigungsfall gleichzusetzen ist, orientiert sich am völkerrechtlichen Selbstverteidigungsrecht im Sinne des Art. 51 UN-Charta. Diese Regelung lässt die Bekämpfung von nicht-staatlichen Angreifern auch dann zu, wenn der Angriff nicht einem anderen Staat zugerechnet werden kann. Zudem hat sich gezeigt, dass der Verteidigungsauftrag durchaus weiter reicht, als die Bekämpfung eines staatlichen Angreifers mit Kombattantenstatus. Maßgebliches Kriterium ist der Angriff von außen, die Qualität des Angriffssubjektes spielt dagegen allenfalls eine untergeordnete Rolle. Daher können die Streitkräfte bewaffnete Angriffe von außen bekämpfen, soweit die Polizeikräfte hierzu nicht in der Lage sind. Der Verteidigungsauftrag ist dabei die primäre verfassungsrechtliche Zulässigkeit für einen Einsatz der Streitkräfte – auch innerhalb der Bundesrepublik. Über den Einsatz zur Verteidigung entscheidet – unbeschadet des Erfordernisses der parlamentarischen Zustimmung – grundsätzlich der Bundesminister der Verteidigung, dem dabei ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Entscheidungsspielraum zukommt. Der Gesetzgeber hat sein Ziel, durch das LuftSiG „Rechtssicherheit und Rechtsklarheit“ im Bereich der Gefahrenabwehr in der Luft zu erreichen, noch nicht einmal ansatzweise erreicht. Das gesamte Gesetz zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben ist wegen der fehlenden Zustimmung des Bundesrates bereits formell verfassungswidrig.

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7. Teil: Zusammenfassung und Ausblick

Des Weiteren sind die Regelungen über den Streitkräfteeinsatz in §§ 13 bis 15 ff. LuftSiG mit den wehrverfassungsrechtlichen Vorschriften des Grundgesetzes nur teilweise vereinbar: Zwar ist ein präventiver Einsatz zur Verhinderung eines besonders schweren Unglücksfalls auf Grundlage der Regelungen des Katastrophennotstandes in Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG nicht ausgeschlossen, soweit es um die Abwehr einer konkreten Gefahr geht, allerdings dürfen die Streitkräfte keine spezifisch militärische Gewalt anwenden, so dass eine unmittelbare Einwirkung mit Waffengewalt im Sinne des § 14 Abs. 3 LuftSiG nicht auf Grundlage der Regelungen des Katastrophennotstandes durchgeführt werden darf. Die Regelungen in Art. 87a Abs. 3, 4 GG können unter Umständen eine verfassungsrechtliche Zulassung für den Streitkräfteeinsatz zur Gefahrenabwehr in der Luft außerhalb des Verteidigungsauftrages darstellen. Allerdings finden die §§ 13 bis 15 LuftSiG in diesem Fall keine Anwendung. Dem Gesetzgeber ist vorzuwerfen, dass er es – trotz zahlreicher Mahnungen und Forderungen aus der Rechtswissenschaft für klare verfassungsrechtliche Grundlagen – unterlassen hat, die wehrverfassungsrechtlichen Probleme durch eine Grundgesetzänderung zu lösen. Der Grund, dass eine solche Verfassungsänderung nicht geschehen ist, liegt wohl darin, dass in der rot-grünen Regierungskoalition eine Ausweitung der Einsatzmöglichkeiten der Bundeswehr auf Verfassungsebene vor allem an dem Willen des kleineren Koalitionspartners scheiterte. Darüber hinaus mögen auch Interessen der Bundesländer, die die Gefahrenabwehr nicht in die Hände der Bundeswehr legen wollten, und Forderungen der Unionsfraktion für weitergehende Streitkräfteeinsätze eine Rolle gespielt haben. Es ist bedauerlich, dass im Interesse der Sicherheit der Bevölkerung und der Verteidigungsbereitschaft der Bundesrepublik keine Verfassungsänderung zu Stande gekommen ist und daher die Bundesrepublik zurzeit jedenfalls in Bezug auf Angriffe aus dem Luftraum von innen weitgehend schutzlos ist. Es ist anzuerkennen, dass die staatliche Tötung von Personen, die nicht für eine Gefahr verantwortlich sind, nur unter besonderen Umständen zulässig ist und eine Ausnahme bleiben muss. Allerdings kann ein absolutes Verbot der Tötung von Unbeteiligten nicht überzeugend vertreten werden, insbesondere stellt der Schutz der Menschenwürde hier keine unüberwindbare Schranke dar. Die undifferenzierte Argumentation mit der Objektformel berücksichtigt nicht, dass die Rechtsordnung und das Völkerrecht an verschiedenen Stellen die Zulässigkeit der Tötung von Unbeteiligten regeln. Eine Konkretisierung der Objektformel ergibt daher, dass eine Tötung von Unbeteiligten gemäß § 14 Abs. 3 LuftSiG keine Menschenwürdeverletzung dargestellt hätte, wenn sie lediglich eine Folge einer unbedingt erforderlichen Gefahrenabwehrmaßnahme gewesen wäre. Mit einem Abwägungs- und Aufrechnungsverbot kann in der Konstellation des § 14 Abs. 3 LuftSiG ohnehin nicht argumentiert werden, da eine solche Aufrechnung durch diese Vorschrift nicht vorgesehen war.

7. Teil: Zusammenfassung und Ausblick

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Auch das Grundrecht auf Leben ist durch die Schaffung einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage zur Tötung von Unbeteiligten nicht zwingend verletzt. In besonderen Ausnahmesituationen kann der Gesetzgeber im Bereich des menschlichen Lebens der staatlichen Schutzpflicht den Vorrang gegenüber dem Achtungsanspruch von Unbeteiligten einräumen, soweit es keine Möglichkeit für einen effektiven Schutz der Unbeteiligten mehr gibt. Der Rücktritt des Achtungsanspruches verletzt dabei nicht die Gleichwertigkeit des menschlichen Lebens, soweit der Vorrang der Schutzpflicht nicht durch eine prinzipielle Geringwertigkeit begründet wird. Aus strafrechtlicher Sicht kann die mit einem Abschuss verbundene Tötung von Unbeteiligten gemäß § 34 StGB unter Berücksichtigung der einseitigen Verteilung von Rettungschancen gerechtfertigt werden. Die ablehnende Auffassung vermag es nicht, die Unabwägbarkeit im Bereich des menschlichen Lebens und das angebliche absolute Verbot der Tötung von Unbeteiligten konsistent zu erklären und ist daher wenig überzeugend. Weiterhin ist auch die Konstruktion einer strafrechtlichen Entschuldigung höchst zweifelhaft. Für die Piloten der Bundeswehr besteht zurzeit jedoch eine untragbare Rechtslage, denn es ist zu befürchten, dass im Notfall ein Befehl zum Abschuss auch dann erteilt wird, wenn Unbeteiligte davon betroffen sind. Lediglich in der Situation, dass eindeutig ein nichtkriegerischer Einsatz vorliegt, kann der Pilot sicher sein, dass er die Ausführung des Befehls verweigern darf und sogar muss. Aber es bleibt offen, wie weit das Bundesverfassungsgericht den Menschenwürdeschutz reichen lässt, soweit es sich um einen kriegerischen Einsatz handelt.1 Möglicherweise wäre der Befehl dann wegen der Konformität mit der Menschenwürde und dem Vorliegen des dienstlichen Zwecks der Erfüllung des Verteidigungsauftrages für den Soldaten verbindlich, so dass er im Fall der Nichtbefolgung mit strafrechtlichen Konsequenzen zu rechnen hätte. Hier würde zumindest eine Strafbarkeit nach § 20 WStG, wenn nicht gar wegen Totschlags durch Unterlassen vorliegen, wenn Menschen durch den Missbrauch eines Luftfahrzeuges getötet werden. Die gesamte Problematik des Einsatzes der Streitkräfte und der Bewertung der Tötung von Unbeteiligten wird damit den Luftwaffenpiloten aufgebürdet. Dies ist ein unhaltbarer Zustand, da gerade derjenige, der im staatlichen Auftrag Menschen töten soll, ein Recht auf Rechtssicherheit haben muss. Ein Verweis auf einen (übergesetzlichen) Entschuldigungsgrund, den Gnadenweg oder gar auf die Hoffnung einer milden Bestrafung ist eine Zumutung für die Soldaten. Die strafrechtliche Rechtfertigungslösung darf nicht über die Tatsache hinwegtäuschen, dass der Staat gegenüber Angriffen aus dem Luftraum durch das 1 Abgesehen von der noch grundsätzlicheren Frage – die das Bundesverfassungsgericht nicht beantwortet hat –, wie ein nichtkriegerischer Einsatz überhaupt von einem kriegerischen Einsatz abzugrenzen ist.

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7. Teil: Zusammenfassung und Ausblick

Urteil des Bundesverfassungsgerichts zu § 14 Abs. 3 LuftSiG handlungsunfähig geworden ist. Soweit es um den Katastrophennotstand geht, dürfen die Streitkräfte noch nicht einmal tätig werden, wenn lediglich gefahrverantwortliche Personen betroffen werden. Im Übrigen verhindert das Verdikt der Menschenwürdeverletzung wegen der genannten befehlsrechtlichen Probleme jedenfalls dann die praktische Umsetzung der Gefahrenbekämpfung, soweit Unbeteiligte betroffen werden. Der Gesetzgeber sollte sich ernsthaft fragen, warum die Streitkräfte in den Bereichen, in denen die Polizeikräfte von Bund und Ländern über keine oder nur unzureichende Fähigkeiten zur Gefahrenabwehr verfügen, nicht zum Schutz der Bundesrepublik herangezogen werden sollten. Dabei geht es nicht etwa um die Befürwortung eines militaristischen Obrigkeitsstaates, sondern um einen weitestgehenden Schutz gerade in Zeiten, in denen sich neue Bedrohungspotentiale abzeichnen und zum Teil bereits Realität sind, die mit den herkömmlichen polizeilichen Mitteln nicht effektiv bekämpft werden können. Es ist nur schwer verständlich, warum der Gesetzgeber auch nach der Nichtigkeitserklärung des § 14 Abs. 3 LuftSiG keinen Handlungsbedarf sieht. Zulegg hat bereits vor über 30 Jahren angeregt, die Gefahrenabwehr im Luftraum auf eine verfassungsrechtliche Grundlage zu stellen. Es bleibt zu hoffen, dass nicht weitere 30 Jahre vergehen werden, bevor sich der Gesetzgeber der Problematik annimmt. Neben den Regelungen zur Zulässigkeit des Streitkräfteeinsatzes auf verfassungsrechtlicher Ebene sind auch einfachgesetzliche Ausführungsbestimmungen erforderlich, damit die Soldaten auf klare und eindeutige Ermächtigungsgrundlagen zurückgreifen können. Der bloße Verweis auf eine verfassungsrechtliche Aufgabennorm der Streitkräfte kann wegen des Gesetzlichkeitsprinzips und des Bestimmtheitsgebotes gerade bei schwerwiegenden Grundrechtseingriffen wie der staatlichen Tötung nicht überzeugen. Dabei sollte eine offene Diskussion darüber geführt werden dürfen, ob der „ethische Rigorismus“ der Befürwortung eines Menschenwürdeverstoßes durch das Bundesverfassungsgericht tatsächlich überzeugend ist. Der Gesetzgeber könnte dabei insbesondere die Ansätze der Urteilsbegründung aufgreifen, in denen das Bundesverfassungsgericht anklingen lässt, dass eine situationsunabhängige Gewährleistung der Menschenwürde sich eben doch nicht so absolut vertreten lässt, wie es das Bundesverfassungsgericht durch seine zum Teil sehr scharfen Formulierungen suggeriert. Über eines müssen sich die Befürworter der Verletzung der Menschenwürde durch die Tötung von Unbeteiligten allerdings im Klaren sein: Wer mit der Unantastbarkeit der Menschenwürde argumentiert und den absoluten Geltungsanspruch des Art. 1 Abs. 1 GG betont, kann unter keinen denkbaren Umständen die Zulässigkeit der staatlichen Tötung von Unbeteiligten vertreten.

8. Teil

English Summary The attacks of September 11, 2001, have shown the need for legislative and executive measures to combat threats stemming from the abuse of civil aircraft as weapons against innocent people. Under the influence of the attacks of September 11 and the incident in the sky over Frankfurt on January 5, 2003, the German legislature adopted a new law entitled Aerial-Security-Act (Luftsicherheitsgesetz, LuftSiG), which inter alia authorized in § 14 para. 3 the immediate use of force against aircraft constituting a threat against the life of other people, as an ultima ratio.1 This provision has triggered an extensive debate concerning the deployment of the Bundeswehr within Germany and the justification of killing innocent passengers on a civil aircraft. On February 15, 2006, the Federal Constitutional Court concluded in his judgment that § 14 para. 3 of the LuftSiG is unconstitutional and, therefore, void.2

I. Deployment of the Bundeswehr against attacks by non-state actors It is questionable whether the use of force by the German Air Force is reconcilable with Article 87a para. 2 of the Basic Law, which states: “Apart from defense, the Armed Forces may be deployed only to the extent expressly permitted by this Basic Law.” However, the term “defense” (Verteidigung) is not defined and some scholars believe that the Bundeswehr can only defend against threats from state actors. The Federal Constitutional Court did not attempt to define the term in the recent case. The German Federal Administrative Court, however, decided on June 21, 2005, that “defense” should be interpreted according to the right of selfdefense under Article 51 of the UN-Charter. Thus, the term “defense” in Article 87a para. 2 of the Basic Law does not have the same meaning as the term “Verteidigungsfall” (state of defense) in Article 115a para. 1 of the Basic Law. Furthermore, the attacks of September 11 demonstrated that non-state actors can 1

The Aerial-Security-Act went into effect on January 15, 2005. Bundesverfassungsgericht (Federal Constitutional Court), Neue Juristische Wochenschrift 2006, 751 ff. For an overview regarding the decision see O. Lepsius, German Law Journal 7 (2006), 761 ff. 2

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8. Teil: English Summary

carry out armed attacks. Hence, the right of self-defense can justify the repulsion of non-state actors even if their operations are not imputable to another state. However, in these cases, the exercise of self-defense is generally limited to the repulsion of the non-state actors only. Additionally, it can be ascertained that Article 3 bis of the Chicago Convention does not forbid the downing of an aircraft if this action is justified by self-defense.3 Therefore, the Bundeswehr can defend against attacks when they originate from outside of Germany. If such an attack cannot be repelled by the police, the Bundeswehr may act on grounds of “defense”.

II. Deployment of the Bundeswehr in a state of emergency Indeed, the LuftSiG covers the repulsion of attacks which originate from within Germany. Therefore, the deployment of the Bundeswehr is not based on defense under Article 87a para. 2 of the Basic Law, but rather on Article 35 para. 2 sentence 2, para. 3 of the Basic Law. These provisions regulate the assistance of the Armed Forces in cases of natural disasters or eminently grave disasters (“besonders schwerer Unglücksfall”). It was unclear whether these articles authorize a deployment to prevent casualty or whether the deployment is limited to measures to redress casualty. The Federal Constitutional Court has decided that a preventive deployment is generally admissible on the basis of Article 35 para. 2 sentence 2, para. 3 of the Basic Law. However, it has also held that the Bundeswehr must not use specific military weapons, consequently precluding the shooting down of an aircraft. Thus, the Court decided that the Bundestag lacks legislative competence because § 14 para. 3 of the LuftSiG cannot be subsumed under the legislative competence for “defense” according to Article 73 Nr. 1 of the Basic Law.

III. Violation of basic rights Many commentators argued that § 14 para. 3 of the LuftSiG meant a paradigm shift in German law. Previously, the state was only permitted to kill attackers, but not innocent bystanders. It was contended that weighing “life against life” would degrade humans to a number and, therefore, disregard their human dignity. The fact that the aircraft might crash only minutes later was considered irrelevant because of the impossibility to predict future events. Furthermore, as a baseline principle, commentators believed human life must be protected without regard to its length.

3 See also concerning Article 3 bis of the Chicago Convention R. Geiß, Michigan Journal of International Law 27 (2006), 227 ff.

8. Teil: English Summary

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The Federal Constitutional Court followed these arguments and held that § 14 para. 3 of the LuftSiG constitutes a violation of human dignity and human life. The Court reasoned that the deliberate killing of innocent passengers by the state would objectify them because it “transforms persons into things and delegalizes them”.4 The Court also rejected the argument that the passengers are “virtually dead” because they will nevertheless die through the crash of the airplane when this is the terrorists’ intended result. Furthermore, the Court pointed out that in many cases the situation will be unclear, so it cannot be assumed that the airplane will crash. Considering these circumstances, the Court held that the killing of innocent humans cannot be justified. Additionally, the Court also negated the question whether the duty to protect the people on the ground who are threatened by the misuse of an aircraft is paramount to the passengers’ right to life. It must be noted, however, that in regard to the violation of human dignity and human life, the Court has only referred to “Streitkräfteeinsätze nichtkriegerischer Art” (non-war deployments of the Armed Forces). This raises the question whether the Court believes that human dignity is worth less in war than in peace. Also, the judgment is silent on the justification of killing innocent people in regard to criminal law. Moreover, the Court held that the downing of an aircraft which is not occupied by innocent passengers, but only by attackers, does not violate human dignity. In this case, the attackers are not treated as objects because they are responsible for the threat themselves and have the opportunity to stop the attack. However, under applicable constitutional law, the Bundeswehr has no legal means to shoot down the attackers because this would require the use of specific military weapons, which is prohibited in a state of emergency under Article 35 para. 2 sentence 2, para. 3 of the Basic Law. However, the position of the Federal Constitutional Court is not convincing. § 14 para. 3 of the LuftSiG did not violate human dignity because the downing of the aircraft does not aim at killing innocent passengers, but instead, at terminating the threat stemming from the hijacked aircraft. Furthermore, the use of the “object-formula” is arguable in this case. Article 15 para. 2 of the European Human Rights Convention shows that the killing of innocent people can be justified under certain circumstances. Also, the Federal Constitutional Court held in previous cases that the German constitution demands the effectiveness of national defense. Indeed, an effective defense would be impossible if the Bundeswehr were, under no means, allowed to kill innocent people. The argument of the violation of human dignity leads to an ethical rigorism because under Article 1 para. 1 of the Basic Law, human dignity is guaranteed as in4 Bundesverfassungsgericht (Federal Constitutional Court), Neue Juristische Wochenschrift 2006, 751 at 758; translation from O. Lepsius, German Law Journal 7 (2006), 761 at 767.

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8. Teil: English Summary

violable. Consequently, it would be inconsistent to allow the killing of innocent people in wartime and simultaneously regard § 14 para. 3 of the LuftSiG as a violation of Article 1 para. 1 of the Basic Law. Contrary to many scholars, it must be emphasized that the ulterior motive of § 14 para. 3 of the LuftSiG is not to weigh lives against each other, but to regard the state’s duty to protect the people who are on the ground as paramount to the duty to respect the life of the passengers. It is preferable to give the legislature authority to make this judgment regarding the right to life of moribund people, as long as the state does not constitute new threats to these people and the death is not an aim or intermediate aim.

IV. Justification of killing innocent people In regard to criminal law, the prevailing opinion in Germany is that § 34 of the German Penal Code (Strafgesetzbuch), which regulates necessity, cannot be a defense to the killing of innocent people because every human life has an indefinite value.5 However, two exceptions to this principle are recognized. Firstly, the so called “rechtfertigender Defensivnotstand” can justify killing an innocent person who does not deliberately pose a threat to other human beings. In Nozick’s example, in which a fat man is thrown down a well and threatens the life of a person on the bottom of the well,6 the latter could claim the Defensivnotstand as a defense. The fact that the fat man was thrown and did not voluntarily attack is irrelevant. However, unlike the fat man, the innocent passengers do not constitute a threat. Instead, the danger is caused by the airplane itself. Therefore, the principle of Defensivnotstand cannot serve as a defense for killing innocent passengers. The second exception is called “rechtfertigende Pflichtenkollision”, which covers the collision of two coequal duties. If it is only possible to fulfill one of these duties, it is justified to omit the other duty. For example, a father who cannot save both of his sons from drowning in the sea commits no crime if he saves only one son. However, this exception is inapplicable here. § 14 para. 3 of the LuftSiG does not cover the collision of two coequal duties because the soldiers and the secretary of defense have no personal duty to violate the human dignity of the innocent passengers.7

5 There is no doubt that the right to self-defence under § 32 German Penal Code could justify the killing of the attackers. For a good overlook concerning the criminal justification see also M. Bohlander, JoCL 70 (2006), 147 ff. 6 R. Nozick, 34. 7 Under § 11 para. 1 sentence 3 Soldatengesetz, a military order, which violates human dignity, is non-binding and the subordinate is prohibited to follow such an order.

8. Teil: English Summary

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The new threats of global terrorism have triggered a discussion among German criminal lawyers about the killing of innocent people who are doomed to die within a short period of time. The idea is that the prohibition of shooting down an airplane would lead to greater evil because the lives of the passengers cannot be saved under any circumstances. This situation was described first by Rudolf Merkel in 1895, who “invented” the following example: Three mountaineers (A, B and C) fall into a gorge, but are still held by their rope. B and C are hanging at the end of the rope, while A is hanging at the top. Because of the weight of all three, the rope will break shortly later. In order to save himself, A cuts the rope behind him just seconds before it would break. This causes the death of B and C.8

The majority of German scholars argue that A may not cut the rope because this will shorten the lives of B und C. It should be kept in mind that the majority also believes that a split-second of human life has an indefinite value and, therefore, is coequal to the entire future life of A. However, this perception is not convincing. The German criminal law justifies an abortion and, therefore, the killing of an unborn child if the life or the health of the pregnant mother is endangered. Additionally, the killing of a child during the procedure of birth can be justified if the mother’s life is threatened. The argument for this justification is that the life of the mother is more precious than the life of the unborn child. However, the Federal Constitutional Court has decided that an unborn child is protected by the right to life under Article 2 para. 2 of the Basic Law. Thus, it is contradictory that a threat to the life of a pregnant woman can justify an abortion, but the threat stemming from a hijacked airplane cannot justify killing innocent passengers. The main idea behind the prohibition of killing innocent people is the protection of life. However, the adherence to this prohibition in the case of a hijacked airplane leads to a result directly contradictory to the idea of protecting life, because it undoubtedly will cause more people to die. Therefore, the killing of innocent people, who have no chance to survive, can be justified in the case of the misuse of an aircraft as a weapon.

8

Ru. Merkel, 48; see also D. Ormerod, 321.

9. Teil

Aktuelle Entwicklungen in Rechtsprechung und Literatur Die Diskussion in Rechtswissenschaft und Rechtsprechung hat auch nach dem Urteil des Ersten Senats zu § 14 Abs. 3 LuftSiG vom 15. Februar 2006 – 2 BvR 357/05 angehalten und ihren vorläufigen Höhepunkt in dem Plenarbeschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 3. Juli 2012 – 2 PBvU 1/11 gefunden. Der Plenarbeschluss kommt in einem wesentlichen Punkt zu einem anderen Ergebnis als der Erste Senat. Nach der neueren Rechtsprechung ist nun auch der Kampfeinsatz mit spezifisch militärischen Waffen im Katastrophennotstand grundsätzlich zulässig. Zugleich grenzt der Plenarbeschluss den Einsatz im Katastrophennotstand stärker von Art. 87a Abs. 4 GG ab und erhöht die Anforderungen an die Feststellung eines besonders schweren Unglücksfalls. Der Plenarbeschluss ist jedoch nicht die einzige einschlägige Entscheidung zur Thematik der Untersuchung. Des Weiteren sind zu nennen: 1. Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 7. Mai 2008 – 2 BvE 1/03 zu den AWACSÜberwachungsflügen in der Türkei,1 2. der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2010 – 2 BvL 8/07, 9/07 zur fehlenden Zustimmungsbedürftigkeit des LuftSiG,2 3. der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 4. Mai 2010 – 2 BvE 5/07 zum Parlamentsvorbehalt bei Streitkräfteeinsätzen im Inland3 sowie 4. die Urteile des Bundesverwaltungsgerichts vom 26. September 2006 – 2 WD 2.06 und vom 16. Oktober 2008 – 2 A 9.07 zum Einsatzbegriff im Sinne von Art. 87 Abs. 2 GG.4 Im Folgenden geht es zunächst um die Begriffe „Einsatz“ und „Verteidigung“ im Sinne von Art. 87a Abs. 2 GG und die Auswirkungen der Diskussion um diese Begriffe auf die Verwendung der Streitkräfte nach dem LuftSiG. Sodann werden die Folgen des Plenarbeschlusses des Bundesverfassungsgerichts für das 1

BVerfGE 121, 135. BVerfGE 126, 77. 3 BVerfGE 126, 55. 4 BVerwGE 127, 1 (13); 132, 110 (119). Diese Entscheidungen werden jedoch in der aktuellen Literatur fast durchweg ignoriert, vgl. z. B. A. Dietz, 550 ff.; J. Thiele, 272 ff.; J. Senger, 70 ff.; I. Fährmann, 33 ff.; U. Fastenrath, Liber Amicorum Wolfrum, 2012, 1935 (1944 ff.); H. Brenneisen/T. Schwarzer/T. Wein, Die Polizei 2009, 282 (284). 2

A. Verfassungsrechtliche Begriffe

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Wehrverfassungsrecht dargestellt. Anschließend geht es um die Diskussion der grundrechtlichen und strafrechtlichen Fragen der Tötung von Unbeteiligten.

A. Verfassungsrechtliche Begriffe I. Der Einsatzbegriff im Sinne von Art. 87a Abs. 2 GG 1. Die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts Das Bundesverwaltungsgericht hat sich zwischenzeitlich als erstes oberstes Bundesgericht näher mit dem Einsatzbegriff auseinandergesetzt. Im Urteil vom 26. September 2006 – 2 WD 2.06 ging es um einen Bataillonskommandeur, der Soldaten zur Unterstützung eines „Historienspektakels“ eines privatrechtlichen Vereins abgeordnet hatte. Dieser Befehl wurde nach Ansicht des Gerichts nicht zu dienstlichen Zwecken erteilt und verstieß daher gegen § 10 Abs. 4 SG, da die unterstützende Tätigkeit der Soldaten sich nicht im Rahmen der verfassungsrechtlichen Aufgaben der Streitkräfte bewegte. Den Einsatzbegriff definiert das Bundesverwaltungsgericht sodann wie folgt: „Bei ,Einsätzen‘ nach Art. 87a Abs. 2 i. V. mit Art. 87a Abs. 3 und 4, Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 Satz 1 sowie Art. 24 Abs. 2 GG geht es um die Inanspruchnahme der Streitkräfte der Bundeswehr als Teil der ,vollziehenden Gewalt‘ i. S. der Art. 20 Abs. 3 GG und Art. 1 Abs. 3 GG zum Zwecke der Gefahrenabwehr unter Androhung oder Inanspruchnahme hoheitlichen Zwangs. Die Regelungen des Art. 35 Abs. 2 und 3 GG wurden nicht wegen der in Notsituationen erforderlichen technischen Hilfeleistungen der Bundeswehr in das Grundgesetz aufgenommen, sondern um Soldaten der Bundeswehr während dieser Zustände auch prinzipiell genuin polizeiliche Eingriffsmöglichkeiten und Zwangsbefugnisse gegenüber Störern einzuräumen [. . .]. Der Verfassungsvorbehalt des Art. 87a Abs. 2 GG erfasst mithin (nur) solche Verwendungen, bei denen die Streitkräfte der Bundeswehr hoheitlichen Zwang einsetzen dürfen, wozu die Anwendung von Waffengewalt, Eingriffe in Rechte Dritter und die (bewaffnete) Bewachung von Objekten gehören.“5

Eine ähnliche Definition findet sich im Urteil vom 16. Oktober 2008 – 2 A 9.07.6 Dort ging es um eine Konkurrentenklage einer zivilen Beamtin des BND, die die Verwendung eines Soldaten auf einem Dienstposten des BND verhindern wollte und sich u. a. darauf berief, eine derartige Verwendung sei schon unabhängig von der Eignung des Soldaten durch Art. 87a Abs. 1 und 2 GG ausgeschlossen. Das Bundesverwaltungsgericht wiederholt zunächst im Wesent-

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BVerwGE 127, 1 (13). BVerwGE 132, 110; bestätigt durch BVerwG, NVwZ 2009, 787 (789); siehe zur Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits M. Ladiges, UBWV 2010, 114 ff. 6

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9. Teil: Aktuelle Entwicklungen

lichen die soeben genannte Definition und ergänzt diese durch das Merkmal der „innenpolitischen Neutralität“. Neben einer militärischen Verwendung falle auch „jede andere Verwendung [. . .], die sich als Mittel der vollziehenden Gewalt darstellt und die Gefahr birgt, die Bundeswehr zu einem Machtpotential (der Exekutive) im Innern werden zu lassen“ unter den Einsatzbegriff, denn Zweck des Art. 87a Abs. 2 GG sei es, „nicht nur jeden bewaffneten, sondern jeden innenpolitisch nicht neutralen Einsatz der Bundeswehr“ zu verhindern.7 Die innenpolitische Neutralität der Bundeswehr werde jedoch durch die Tätigkeit von Soldaten beim BND noch nicht in Frage gestellt. Vielmehr gehe es bei diesen Tätigkeiten um die „schlichte Sammlung und Auswertung von Informationen“, so dass kein hoheitlicher Zwang ausgeübt werde.8 2. Die Hauptsacheentscheidung im Verfahren zur AWACS-Überwachung Mit Urteil vom 7. Mai 2008 – 2 BvE 1/03 hat das Bundesverfassungsgericht entschieden, dass für die Luftraumüberwachung durch AWACS-Flugzeuge in der Türkei im Jahr 2003 eine Zustimmung des Bundestages erforderlich gewesen ist. Ein Einsatz bewaffneter Streitkräfte liege auch dann vor, „wenn die am Einsatz beteiligten Soldaten der Bundeswehr zwar selbst unbewaffnet sind, aber als wesentlicher Teil des den bewaffneten Einsatz durchführenden integrierten militärischen Systems handeln. [. . .] Militärische Einsätze im Handlungsverbund integrierter Streitkräfte lassen sich verfassungsrechtlich nicht angemessen erfassen, wenn man die Frage nach der Einbeziehung in bewaffnete Unternehmungen für einzelne Systemkomponenten und personell getrennte Einsatzfunktionen voneinander getrennt betrachtet“.9 Es ist demnach für die Frage des wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts nicht entscheidend, ob die Soldaten selbst Kampfhandlungen vornehmen, sondern es genügen Unterstützungstätigkeiten, insbesondere im Bereich der Aufklärung. Dies ist ein Indiz dafür, dass auch Aufklärungs- und Überwachungstätigkeiten der Streitkräfte einen Einsatz im Sinne von Art. 87a Abs. 2 GG darstellen, auch wenn noch kein grundrechtsrelevantes Verhalten vorliegt. Die in der Erstauflage dargestellte Problematik der AWACS-Überwachungsflüge im Zusammenhang mit der Auslegung des Einsatzbegriffs kritisiert Trésoret, denn es werde nicht ausreichend zwischen dem Einsatz im Sinne von Art. 87a Abs. 2 GG und dem Einsatz bewaffneter Streitkräfte im Sinne des 7

BVerwGE 132, 110 (118 f.). BVerwGE 132, 110 (120 f.); vgl. auch BVerwG, NVwZ 2012, 320 (322). 9 BVerfGE 121, 135 (168); vgl. zu dieser Entscheidung P. Scherrer, 150 ff.; C. Burkiczak, NVwZ 2008, 752 ff.; S. Sohm, NZWehrr 2008, 235 ff.; M. Ladiges, RuP 2009, 29 ff. 8

A. Verfassungsrechtliche Begriffe

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wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalts differenziert. Jedoch macht die Erstauflage deutlich, dass beide Begriffe nicht deckungsgleich sind,10 auch wenn anzunehmen ist, dass Tätigkeiten, die einen Einsatz bewaffneter Streitkräfte darstellen, auch unter den Einsatzbegriff des Art. 87a Abs. 2 GG fallen.11 3. Der Plenarbeschluss des Bundesverfassungsgerichts Der Plenarbeschluss zum Luftsicherheitsgesetz vom 3. Juli 2012 hat die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zum Einsatzbegriff fortgeführt. Es heißt darin: „Aus Art. 87a Abs. 2 GG ergeben sich Grenzen hinsichtlich der Abwehr von Gefahren, die von einem als Angriffsmittel genutzten Flugzeug ausgehen, nur, soweit es sich um einen Einsatz handelt. Deshalb sind Maßnahmen der Streitkräfte in einer den Verursachern gegenüber rein unterstützenden und solche Unterstützung vorbereitenden Funktion – etwa zur Hilfe bei technisch oder durch gesundheitliche Probleme eines Piloten bedingten Orientierungsschwierigkeiten und zur Aufklärung, ob solche Hilfe benötigt wird – nicht ausgeschlossen. Art. 87a Abs. 2 GG bindet nicht jede Nutzung personeller und sächlicher Ressourcen der Streitkräfte an eine ausdrückliche grundgesetzliche Zulassung, sondern nur ihre Verwendung als Mittel der vollziehenden Gewalt in einem Eingriffszusammenhang [. . .]. Dementsprechend kann auf Luftzwischenfälle in rein technisch-unterstützender Funktion reagiert werden. Dies verbleibt im Rahmen des Art. 35 Abs. 1 GG und ist daher von den Beschränkungen, die für einen Einsatz der Streitkräfte nach Art. 35 Abs. 2 und 3 GG gelten, nicht betroffen. Allerdings liegt eine Verwendung in einem Eingriffszusammenhang nicht erst bei einem konkreten Vorgehen mit Zwang, sondern bereits dann vor, wenn personelle oder sachliche Mittel der Streitkräfte in ihrem Droh- oder Einschüchterungspotential genutzt werden“.12

Die neuere Rechtsprechung deckt sich damit im Wesentlichen mit der in der Erstauflage vertretenen Auffassung.13 Positiv ist, dass nun feststeht, dass für das Überschreiten der Einsatzschwelle ausreichend ist, dass die Streitkräfte bei ihrer

10 Anders Sodan/S. Schmahl, Art. 87a Rdn. 6: „Einfach-gesetzlich wird der Einsatz in § 2 Abs. 1 ParlamentsbeteiligungsG [. . .] definiert.“; dies., in: H. Dreier (Hg.), Macht und Ohnmacht des Grundgesetzes, 107 (111). 11 Siehe oben S. 34 Fn. 4; M. G. Fischer/M. Ladiges, NZWehrr 2011, 221 (228). 12 BVerfG, NVwZ 2012, 1239 (1244); ähnlich D. Wahlen, 214 f. Siehe zur mittelbaren grundrechtsrelevanten Wirkung von Tätigkeiten der Streitkräfte auch H. A. Wolff, in: D. Weingärtner (Hg.), Die Bundeswehr als Armee im Einsatz, 171 (178 ff.); M. Ladiges, NVwZ 2010, 1075 (1077 f.); R. Schmidt-Radefeldt, NZWehrr 2008, 221 (224); J. Seifert/B. Bünker, ThürVBl. 2006, 49 (52). Zurückhaltend in Bezug auf Luftaufnahmen durch Tornadoflugzeuge VG Schwerin, Urteil vom 12. September 2011 – 1 A 1180/07, juris, Rdn. 54 ff. 13 Aus der neueren Literatur im Ergebnis ebenso J. Thiele, 274 ff.; D. Beck, 294 f.; H. Brenneisen/T. Schwarzer/T. Wein, Die Polizei 2009, 282 (284); K. Steinig, NZWehrr 2009, 13 (14).

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9. Teil: Aktuelle Entwicklungen

Tätigkeit hoheitlichen Zwang einsetzen dürfen, so dass es nicht zwingend zu Grundrechtseingriffen kommen muss.14 4. Auswirkung für die Verwendung der Streitkräfte nach §§ 13 ff. LuftSiG Der Plenarbeschluss setzt sich nicht ausdrücklich damit auseinander, ob Tätigkeiten der Luftwaffe nach §§ 13 ff. LuftSiG einen Einsatz darstellen. Klar ist jedoch, dass sämtliche Handlungen nach § 14 Abs. 1 LuftSiG eingreifenden Charakter haben und demnach die Einsatzschwelle überschreiten. Ob dies auch für Überprüfungen, Warnungen und Umleitungen nach § 15 Abs. 1 LuftSiG gilt, wurde in der mündlichen Verhandlung vom 10. Februar 2010 zum Normenkontrollverfahren von Richtern des Zweiten Senats angezweifelt. Das Plenum spricht nun allerdings allgemein im Zusammenhang mit §§ 13 ff. LuftSiG davon, dass diese Vorschriften sich „nicht auf das Vorfeld außenwirksamer Eingriffe“ beschränken, sondern „außenwirksame Eingriffsermächtigungen enthalten“.15 Weiterhin heißt es, „§ 14 und § 15 LuftSiG sind als materielle Eingriffsnormen gefasst“.16 Angesichts des Hinweises auf die Grundrechtsrelevanz der Maßnahmen nach § 15 Abs. 1 LuftSiG ist anzunehmen, dass das Bundesverfassungsgericht auch diese Maßnahmen als Einsatz qualifiziert.17 Gleichzeitig hat das Plenum zutreffend klargestellt, dass ein „ins Vorfeld des Katastrophengeschehens verlagerter Einsatz der Streitkräfte“ nicht zulässig ist.18 Eine dauerhafte Wahrnehmung von Aufgaben der Gefahrenabwehr lässt sich also nicht auf Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 GG stützen.19

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Siehe bereits oben S. 51. BVerfG, NVwZ 2012, 1239 (1241). 16 BVerfG, NVwZ 2012, 1239 (1241). 17 M. Ladiges, NVwZ 2012, 1225 (1226 f.); für Einsatzqualität auch J. Senger, 60 f., 84 f.; P. Dreist, BWV 2011, 26 (28): „Mit dem Einsatz einer Alarmrotte zu Zwecken der Gewährleistung der Luftsicherheit beginnt aber tatsächlich ein einheitlicher Einsatz der Streitkräfte, den man weder künstlich in einen Amtshilfe- und einen Einsatzanteil aufsplitten kann (das führt zur Rechtsunsicherheit) noch bei dem im Wege einer generellen Vereinbarung ohne die notwendige Einzelfallprüfung ein generelles Ersuchen einer festen Aufgabenteilung zugeführt werden darf, weil dies die rechtlichen Vorgaben für die Gewährung von Amtshilfe nach §§ 4 ff. VwVfg nicht zulassen.“ 18 BVerfG, NVwZ 2012, 1239 (1244). 19 Siehe bereits oben S. 237 ff.; ebenso auch S. Schmahl/F. Jung, Ad Legendum 2012, 134 (137): „Die generelle Möglichkeit einer latent-dauerhaften Inanspruchnahme der Streitkräfte im Inneren ist gerade nicht Regelungsgegenstand des Art. 35 Abs. 2 Satz 2 GG“, sondern die Vorschrift erfasse „nur den punktuellen Einsatz der Bundeswehr“. 15

A. Verfassungsrechtliche Begriffe

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II. „Verteidigung“ im Sinne des Art. 87a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 GG Die Auffassung, dass die Ausübung des völkerrechtlichen Selbstverteidigungsrechts nach Art. 51 UN-Charta nicht zwingend einen staatlichen Angriff voraussetzt, hat sich in der (völker-)rechtswissenschaftlichen Literatur weiter verfestigt,20 wobei teilweise zumindest an einer mittelbaren Staatenverantwortlichkeit festgehalten wird.21 Auf Grundlage der Anlehnung des verfassungsrechtlichen Verteidigungsbegriffs an das völkerrechtliche Selbstverteidigungsrecht22 können die Streitkräfte daher auch von außen herrührende terroristische Angriffe im Rahmen des Verteidigungsauftrages bekämpfen.23 Gegen eine extensive Interpretation des Verteidigungsbegriffs wendet sich jedoch Linke und schreibt in einer Rezension zur Erstauflage zur Differenzierung zwischen Angriffen von innen und außen: „Konstruktionen aber, die mithilfe rabulistischer Differenzierungen ausschließlich unter ganz speziellen Umständen das Militär auf den Plan rufen, die Bürger dagegen in einer Vielzahl vergleichbarer Gefahrenlagen schutzlos lassen, vermögen nicht zu überzeugen. Es bleibt also dabei: Die Bundesrepublik Deutschland steht Terrorakten im Luftraum nur ,bedingt abwehrbereit‘ gegenüber.“24

Linke übersieht dabei, dass die Differenzierung nach dem Ursprung des Angriffs durch den Verteidigungsauftrag und die Systematik der Wehrverfassung vorgegeben ist. Er geht zu Unrecht pauschal davon aus, der Staat könnte verheerende Anschläge einer terroristischen Gruppierung mit ausschließlichem Inlandsbezug nicht abwehren, denn bei einer solchen Konstellation könnten die Streitkräfte ggf. auf Grundlage von Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG tätig werden.25 20 Siehe z. B. N. Lubell, 29 ff.; T. Ruys, 485 ff.; J. Thiele, 153 ff.; L. Mammen, 124 ff.; H. F. Schmitz-Elvenich, 54 ff., 192 ff.; C. Gaitanides, in: Verein Deutscher Verwaltungsgerichtstag (Hg.), Dokumentation, 15. Deutscher Verwaltungsgerichtstag, 221 (223 ff.); K. Ipsen, Sicherheit und Frieden 2009, 266 (270 f.); C. J. Tams, EJIL 20 (2009), 359 (381 ff.) m. w. N.; C. Verlage, VR 2008, 6 (8). 21 A. Dietz, 635 f.; J. Föh, 162 ff.; C. Enders, DÖV 2007, 1039 (1044); K. OellersFrahm, ZEuS 2007, 71 (84 ff.), die sich für ein extensives Verständnis der Zurechenbarkeit ausspricht. 22 Für eine völkerrechtsfreundliche Auslegung des Verteidigungsbegriffs aus neuerer Zeit auch D. Beck, 298 ff.; A. L. Paulus, 378 ff.; R. Brinkmann/D. Peters, Sicherheit und Frieden 2008, 19 (25); U. Palm, AöR 132 (2007), 95 (105). 23 Vgl. aus der neueren Literatur im Ergebnis ebenso A. L. Paulus, 384; I. Fährmann, 50 ff.; Sachs-J. Kokott, Art. 87a Rdn. 19, 38; v. Mangoldt/Klein/Starck-M. Baldus, Art. 87a Rdn. 49 ff.; F. Kirchhof, HdBStR, Band IV, § 84 Rdn. 49; H. Hofmann, FS Scholz, 2007, 225 (245); C. Lutze, BayVBl. 2008, 745 (749 f.); P. Badura, ZSE 2007, 358 (361); a. A. M. Thiel, 355 ff.; T. Unger, 67 f.; D. Wahlen, 206 ff.; S. Schmahl, in: H. Dreier (Hg.), Macht und Ohnmacht des Grundgesetzes, 107 (112 f.); zurückhaltend auch C. Gramm, NZWehrr 2007, 221 (226 f.). 24 T. Linke, NWVBl. 2009, 202 (204). 25 Vgl. zu den Voraussetzungen von Art. 87a Abs. 4 GG im Zusammenhang mit Angriffen aus dem Luftraum ausführlich oben S. 265 ff.

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9. Teil: Aktuelle Entwicklungen

Im Ergebnis teilt auch die Bundesregierung die hier dargestellte Auffassung, auch wenn sie – wie sogleich gezeigt wird – dem Ursprung des Angriffs nicht genügend Bedeutung einräumt. Die Bundesregierung ordnet die Abwehr eines Angriffs mittels eines entführten Luftfahrzeugs, das von innerhalb oder von außerhalb der Bundesrepublik gestartet wird, als Angriff von außen und damit als Fall des Verteidigungsauftrages ein, „wenn es sich dabei um einen Angriff eines anderen Staates oder eines De-facto-Regimes auf die Bundesrepublik Deutschland handelt oder wenn und soweit internationale terroristische Aggressionen ein Ausmaß erreicht [sic], das das Selbstverteidigungsrecht nach Artikel 51 UN-Charta auslöst.“26 Diese Auffassung liegt auf der Linie von Depenheuer, der den Verteidigungsauftrag aus dem Blickwinkel der „Unbedingtheit der staatlichen Sicherheitsaufgabe“ interpretiert27 und bei terroristischen Angriffen gänzlich auf den Außenbezug verzichtet, da in diesen Fällen die Unterscheidung zwischen Gefahren von außen und von innen nicht zielführend sei.28 Zudem werde durch Art. 87a Abs. 4 GG bestätigt, dass „die Gefahrenquelle für die Zuständigkeit der Streitkräfte zur militärischen Gefahrenabwehr keinen Aussagewert hat“.29 Es bleibt jedoch dabei, dass der Verzicht auf einen Angriff von außen als Voraussetzung eines Einsatzes zur Verteidigung abzulehnen ist. Stellt man allein auf die Angriffswirkung ab, verliert der Verteidigungsbegriff jegliche Konturen und könnte seine Funktion im Rahmen der Begrenzungsfunktion des Art. 87a Abs. 2 GG nicht mehr erfüllen.30 Gerade die ausdrückliche Regelung für den inneren Notstand, die für den Kampfeinsatz der Streitkräfte außerhalb des Verteidigungsauftrages u. a. eine Gefahr für die freiheitliche demokratische Grundordnung oder den Bestand des Bundes oder eines Landes voraussetzt, zeigt, dass allein die Intensität einer Angriffshandlung keinen Einsatz zur Verteidigung rechtfertigt.31 Eine klare Abgrenzung ist darüber hinaus auch vor dem Hintergrund des Rechts des Bundestags und des Bundesrats, die Einstellung des

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BT-Drucks. 16/7738, S. 4. Maunz/Dürig-O. Depenheuer, Art. 87a Rdn. 2 ff. Siehe auch den Referentenentwurf aus dem Bundesministerium des Innern V I b – 110 020/55 vom 27. September 2006, S. 6, zitiert nach D. Wiefelspütz, ZG 2007, 97 (103); dazu auch W. Schäuble, FS Scholz, 2007, 97 (105). 28 Maunz/Dürig-O. Depenheuer, Art. 87a Rdn. 92 ff.; ähnlich ders., ZG 2008, 1 (6 ff.); siehe auch v. Münch/Kunig-K.-A. Hernekamp, Art. 87a Rdn. 4. 29 Maunz/Dürig-O. Depenheuer, Art. 87a Rdn. 94. 30 Ebenso J. Senger, 115; Sachs-J. Kokott, Art. 87a Rdn. 20; M. G. Fischer, in: R. Glawe (Hg.), Eine neue deutsche Sicherheitsarchitektur – Impulse für die nationale Strategiedebatte, 107 (112); S. Schmahl/F. Jung, Ad Legendum 2012, 134 (135). 31 Siehe auch S. Schmahl, in: H. Dreier (Hg.), Macht und Ohnmacht des Grundgesetzes, 107 (112); M. Ladiges, Humboldt Forum Recht 2009, 19 (28 f.); R. SchmidtRadefeldt, NZWehrr 2008, 221 (226 f.); D. Wiefelspütz, AöR 132 (2007), 44 (63). 27

A. Verfassungsrechtliche Begriffe

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Streitkräfteeinsatzes zu verlangen (Art. 87a Abs. 4 Satz 2 GG), erforderlich, denn ein solches Recht besteht bei einem Einsatz zur Verteidigung nicht.32 Die weite Auslegung des Verteidigungsbegriffs bei Angriffen von außen wird im Ergebnis nicht durch das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Vertrag von Lissabon vom 30. Juni 2009 – 2 BvE 2/08 u. a. in Frage gestellt. Allerdings liest man dort im Zusammenhang mit dem wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt, der „Auslandseinsatz der Streitkräfte ist außer im Verteidigungsfall nur in Systemen gegenseitiger kollektiver Sicherheit erlaubt (Art. 24 Abs. 2 GG)“.33 Diese Feststellung lässt zwei Deutungen zu.34 Erstens könnte das Bundesverfassungsgericht die Begriffe „Verteidigungsfall“ im Sinne von Art. 115a Abs. 1 Satz 1 GG und „Verteidigung“ im Sinne von Art. 87a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 GG gleich verstehen.35 Zweitens könnte es sich um eine unbedachte Formulierung in den Urteilsgründen handeln. Für Letzteres spricht viel, wenn man bedenkt, dass das Bundesverfassungsgericht im Grundsatzurteil vom 12. Juli 1994 entschieden hat, dass die Feststellung des Verteidigungsfalls „nicht Voraussetzung für jeden Verteidigungseinsatz der Bundeswehr“ ist,36 und im Lissabon-Urteil an keiner Stelle deutlich macht, davon abweichen zu wollen.37 Darüber hinaus überzeugt die Gleichstellung auch der Sache nach nicht.38 32 M. Ladiges, in: R. Glawe (Hg.), Eine neue deutsche Sicherheitsarchitektur – Impulse für die nationale Strategiedebatte, 49 (62). 33 BVerfGE 123, 267 (360). 34 Vgl. zur Diskussion R. Glawe, 201 ff.; D. Wahlen, 199 f.; C. Gramm, NZWehrr 2011, 89 (95 f.); dens., DVBl. 2009, 1476 (1477 f.); D. Wiefelspütz, DÖV 2010, 73 (75 ff.); M. Ladiges/R. Glawe, DÖV 2011, 621 (622); v. Arnauld, Jahrbuch Öffentliche Sicherheit 2010/2011, Zweiter Halbband, 97 (112 f.), meint, es sei „höchstrichterlich nunmehr festgestellt, dass Auslandseinsätze, die nicht der Verteidigung dienen, auf Einsätze im Bündnis beschränkt sind“. 35 In diese Richtung H. A. Wolff, ZG 2010, 209 (221). 36 BVerfGE 90, 286 (385 f.); siehe auch die Folgeentscheidungen zum wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt BVerfGE 100, 266 (269); 104, 151 (108); 121, 135 (153 f.), die ebenfalls Auslandseinsätze nicht auf den Verteidigungsfall und Art. 24 Abs. 2 GG beschränken. 37 R. Glawe, 202 f.; Sachs-J. Kokott, Art. 87a Rdn. 32; M. G. Fischer/M. Ladiges, NZWehrr 2011, 221 (224); K. Dau, NZWehrr 2011, 1 (14); M. Ladiges/R. Glawe, DÖV 2011, 621 (622); M. Ladiges, UBWV 2010, 114 (118); R. Glawe, NZWehrr 2009, 221 (225 f.). 38 Gegen die Gleichstellung des Verteidigungsbegriffs nach Art. 87a Abs. 2 GG und dem Verteidigungsfall aus der neueren Literatur J. Senger, 94 f.; J. Thiele, 290; M. Trésoret, 490 f.; Maunz/Dürig-O. Depenheuer, Art. 87a Rdn. 100; K. Dau, NZWehrr 2011, 1 (13 f.); M. Ladiges/R. Glawe, DÖV 2011, 621 (622); P. Reimer/ S. Kempny, VR 2011, 253 (254); S. Schiedermair, AöR 135 (2010), 185 (213); T. Breitwieser, NZWehrr 2009, 150 (160); R. Glawe, NZWehrr 2009, 221 (225 f.). Vereinzelt hält sich allerdings auch in der neueren Literatur noch die unzutreffende Ansicht, der Verteidigungsbegriff des Art. 87a Abs. 2 GG sei mit dem Verteidigungsfall identisch, siehe z.B. S. Jaberg, in: P. Schlotter u. a. (Hg.), Berliner Friedenspolitik, 83

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9. Teil: Aktuelle Entwicklungen

Nochmals betont werden muss, dass auch – und zuallererst – der Verteidigungsauftrag eine verfassungsrechtliche Grundlage für den Einsatz der Streitkräfte im Inland ist, denn dies wird immer noch verkannt.39

B. Entwicklungen im materiellen Wehrverfassungsrecht I. Abwehr auf Grundlage des LuftSiG Der Plenarbeschluss vom 3. Juli 2012 hat den rechtlichen Rahmen für den Einsatz auf Grundlage von §§ 13 ff. LuftSiG im Katastrophennotstand neu gezogen. Diese Entscheidung spielt daher bei den folgenden wehrverfassungsrechtlichen Ausführungen die wichtigste Rolle. Vorauszuschicken ist, dass der Plenarbeschluss die praktische Relevanz der §§ 13 bis 15 LuftSiG deutlich gemacht hat, denn diese Vorschriften dienen – mit Ausnahme von § 14 Abs. 3 LuftSiG – weiterhin als normativer Rahmen für den Einsatz der Luftwaffe im Katastrophennotstand.40 1. Formelle Verfassungsmäßigkeit des LuftSiG a) Zuständigkeit des Bundes für §§ 13 bis 15 LuftSiG Der Plenarbeschluss stützt die Gesetzgebungskompetenz für §§ 13 bis 15 LuftSiG nicht mehr unmittelbar auf die Regelungen zum Katastrophennotstand in Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 Satz 1 GG,41 sondern auf eine Annexkompetenz zum Luftverkehr nach Art. 73 Nr. 6 GG a. F. (nun Art. 73 Abs. 1 Nr. 6 GG).42 Positiv ist dabei die Verneinung einer Bundeskompetenz aus den materiellen Regelungen des Katastrophennotstandes, denn z. B. wird aus Art. 87a Abs. 2 (86); G. Frankenberg, in: Kritische Justiz (Hg.), Verfassungsrecht und gesellschaftliche Realität, 93 (94), der im Rahmen des Verteidigungsbegriffs des Art. 87a Abs. 2 GG auf Art. 115a GG verweist. 39 Vgl. z. B. im Zusammenhang mit dem Plenarbeschluss D. Wiefelspütz, Die Polizei 2012, 265 (269): „Es bleibt beim Numerus clausus der Art. 87a Abs. 3 und Abs. 4 GG sowie Art. 35 Abs. 2 und Abs. 3 GG für den Bundeswehreinsatz im Innern.“ [anders aber ders., ZG 2007, 97 (108)]; U. Sittard/M. Ulbrich, NZWehrr 2007, 60 (62); völlig abwegig H. Prantl, SZ vom 18. August 2012, 4, der in Auseinandersetzung mit dem Plenarbeschluss von einem „ehernen Verbot des Bundeswehr-Einsatzes im Inland“ spricht. 40 Vor diesem Hintergrund ist die Kritik an der ausführlichen Darstellung der rechtlichen Probleme des Einsatzes auf Grundlage des LuftSiG in der Erstauflage [siehe T. Linke, NWVBl. 2009, 202 (204)] gegenstandslos. 41 So noch BVerfGE 115, 118 (141); im Ergebnis zustimmend C. Hümmer, Bundeswehr im Innern, 87. 42 BVerfG, NVwZ 2012, 1239 (1240).

B. Entwicklungen im materiellen Wehrverfassungsrecht

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GG und Art. 73 Abs. 1 Nr. 1, 2. Alt. GG deutlich, dass das Grundgesetz zwischen materieller Bundeskompetenz und Gesetzgebungskompetenz unterscheidet.43 Zweifelhaft ist jedoch, ob man bei einem Missbrauch eines Luftfahrzeuges tatsächlich mit dem Plenum von „spezifisch aus dem Luftverkehr herrührenden Gefahren“ sprechen kann.44 Leider hat der Plenarbeschluss durch die Anerkennung einer Annexkompetenz zum Luftverkehr die Abgrenzung der Gesetzgebungskompetenz für „Verteidigung einschließlich des Schutzes der Zivilbevölkerung“ zum materiellen Verteidigungsbegriff in Art. 87a Abs. 2 GG nicht geklärt. b) Zustimmungsbedürftigkeit Während der Erste Senat im Urteil vom 15. Februar 2006 die Frage der Zustimmungsbedürftigkeit offengelassen hatte,45 entschied der Zweite Senat auf Vorlage des VG Darmstadt46 mit Beschluss vom 4. Mai 2010 – 2 BvL 8, 9/07, dass eine Zustimmung des Bundesrates zum Gesetz zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben nicht erforderlich gewesen ist.47 Die bloße Tatsache, dass das Gesetz den Begriff „Luftsicherheitsbehörden“ verwendet, sei noch keine Regelung zur Einrichtung von entsprechenden Behörden. „Erst recht stellt es keine Regelung der Behördeneinrichtung dar, dass das Gesetz mittelbar auf die Tätigkeit von Landesbehörden einwirkt, indem es, beispielsweise durch Erweiterung des Kreises der Personen, denen gegenüber die Verwaltungstätigkeit wahrzunehmen ist, die den Landesbehörden zufallenden Tätigkeiten quantitativ vermehrt“.48 Auch die Frage, ob nach Art. 85 Abs. 1 GG a. F. Regelungen des Verwaltungsverfahrens zustimmungspflichtig sind, verneint die Entscheidung unter Rückgriff auf das Enumerationsprinzip. Ein Redaktionsversehen bei der Abfassung von Art. 84, 85 GG sei nicht ersichtlich, zumal zwischen Bundesauftragsverwaltung und Landeseigenverwaltung Unterschiede rechtlicher Art bestünden. Auch einen Erst-recht-Schluss von der Zu43

Vgl. oben S. 185 f.; U. Palm, AöR 132 (2007), 95 (101). So BVerfG, NVwZ 2012, 1239 (1240); dagegen M. Ladiges, NVwZ 2012, 1225; ähnlich wie hier auch R. Böhme, 173 f. 45 Vgl. BVerfGE 115, 118 (135 f.). Anzumerken ist, dass sich die Frage der Zustimmungsbedürftigkeit nach dem zum Zeitpunkt des Erlasses des Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben geltenden Recht richtet, d.h. die Änderungen durch die Föderalismusreform I spielen keine Rolle. 46 Beschluss vom 27. Juni 2007 – 5 E 1495/06, juris. 47 BVerfGE 126, 77; im Ergebnis ebenso bereits OVG NRW, Beschluss vom 22. November 2007 – 20 D 38/05.AK, juris, Rdn. 40 ff.; zur Rechtsprechung siehe A. Funke, JURA 2012, 127 ff.; K. Engelken, BayVBl. 2011, 65 ff.; J.-E. Kendzia, NVwZ 2010, 1135 f. 48 BVerfGE 126, 77 (99); siehe auch bereits VG Minden, Urt. vom 8. März 2007 – 7 K 185/06, juris, Rdn. 44 ff. 44

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9. Teil: Aktuelle Entwicklungen

stimmungsbedürftigkeit von Verwaltungsvorschriften bei der Bundesauftragsverwaltung gem. Art. 85 Abs. 2 Satz 1 GG lehnt der Zweite Senat ab, denn anders als der Erlass von Gesetzen sei der Erlass von Verwaltungsvorschriften eine originäre Aufgabe der Exekutive.49 Schwerpunktmäßig beschäftigt sich der Zweite Senat sodann mit Art. 87d Abs. 2 GG und stellt zunächst klar, dass eine gesetzliche Regelung den Ländern Aufgaben überträgt, „soweit sie ihnen Aufgaben zuweist, die ihnen zuvor nicht oblagen“. Demgegenüber stellen „[a]ufgabenbezogene Regelungen, die – wie etwa die Wiederholung oder Konkretisierung bereits früher erfolgter Aufgabenzuweisungen im Rahmen der gesetzlichen Neuregelung einer Materie – den Aufgabenbestand der Länder gegenüber dem bisherigen Rechtszustand nicht vergrößern, [. . .] keine Aufgabenübertragung im von Art. 87d Abs. 2 GG gemeinten, konstitutiven Sinne dar. [. . .] Wo eine Systemverschiebung mangels konstitutiver Bedeutung der gesetzlichen Regelung nicht stattfindet, greift das Zustimmungserfordernis nicht ein“.50

Zwar könnten Änderungen in der Ausgestaltung einer bereits übertragenen Aufgabe zustimmungspflichtig sein, jedoch nur, wenn sie „der übertragenen Aufgabe einen neuen Inhalt und eine wesentlich andere Bedeutung und Tragweite verleihen“. Eine „quantitative [. . .] Erhöhung der Aufgabenlast“ genüge dafür grundsätzlich nicht.51 In Bezug auf Art. 87d Abs. 2 GG begründe „eine Gesetzesänderung, die ohne inhaltliche Veränderung der aufgabenübertragenden Norm lediglich zu einer quantitativen Erhöhung der Vollzugslasten führt, ohne dass dies die Wahrnehmung der übertragenen Aufgabe strukturell oder in anderer Weise schwerwiegend verändert, noch keine Zustimmungsbedürftigkeit.“52 In Bezug auf § 16 Abs. 2 LuftSiG verneint die Entscheidung eine inhaltliche Erweiterung der übertragenen Aufgaben, vielmehr würden lediglich Aufgaben zugewiesen, die zuvor durch § 31 Abs. 2 Nr. 19 LuftVG a. F. übertragen worden waren. Aus dem Verweis in § 16 Abs. 2 LuftSiG auf die Verordnung (EG) Nr. 2320/2002 folge nichts anderes.53 Auch die Ausweitung des Vollzugsaufwands für die Länder „liegt angesichts des weiten Zuschnitts der bereits früher übertragenen Gesamtaufgabe nicht außerhalb des vom Bundesrat seinerzeit gebilligten Rahmens.“54 Weiterhin erfasse Art. 87d Abs. 2 GG nur die Übertragung, nicht jedoch die Rückübertragung, von Aufgaben der Luftverkehrsverwal-

49 BVerfGE 126, 77 (100 ff.); ähnlich oben S. 194 ff.; ablehnend A. Funke, JURA 2012, 127 (131); ders., VerwArch 103 (2012), 290 (302 f.). 50 BVerfGE 126, 77 (103 f.). 51 BVerfGE 126, 77 (105). 52 BVerfGE 126, 77 (106). 53 BVerfGE 126, 77 (107 f.); so auch N.-L. Hauck, 179 ff. 54 BVerfGE 126, 77 (109).

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tung auf den Bund, so dass auch unter dem Gesichtspunkt des actus contrarius-Gedankens keine Zustimmungspflicht bestehe.55 Bemerkenswert ist allerdings, dass der Zweite Senat nicht auf die Frage der Zustimmungsbedürftigkeit durch eine Änderung einer ursprünglich zustimmungsbedürftigen Regelung eingeht. Denn jedenfalls nach der bisherigen Rechtsprechung zieht eine solche Änderung die Zustimmungsbedürftigkeit des ändernden Gesetzes in seiner Gesamtheit nach sich, ohne dass es auf die Erheblichkeit der Änderung ankommt.56 Dies wird vor allem deutlich im Beschluss des Zweiten Senats vom 25. Juni 1974 – 2 BvF 2, 3/73. Dieser unterscheidet zwischen der bloßen Änderung einer zustimmungsbedürftigen Regelung einerseits und Änderungen hinsichtlich an sich nicht zustimmungspflichtiger Regelungen andererseits, die „den nicht ausdrücklich geänderten Vorschriften über das Verwaltungsverfahren eine wesentlich andere Bedeutung und Tragweite verleihen.“57 Vor diesem Hintergrund ist unerheblich, dass der Verzicht auf das Antragserfordernis keine wesentliche Bedeutung hat. Dazu soll ein Beispiel gebildet werden. Man nehme an, der Gesetzgeber hätte die Übertragung und die Möglichkeit der Ausführung der Luftsicherheitsaufgaben in bundeseigener Verwaltung nicht in § 16 Abs. 2, Abs. 3 Satz 2 LuftSiG geregelt,58 sondern das Erfordernis des Antrags eines Landes in § 31 Abs. 2 Nr. 19 LuftVG a. F. gestrichen. Dann hätte eine Änderung einer zustimmungspflichtigen Regelung vorgelegen, die zur Zustimmungsbedürftigkeit geführt hätte. Nichts anders kann für den Fall gelten, dass eine zustimmungsbedürftige Regelung aufgehoben wird und sogleich durch eine neue modifizierte Regelung ersetzt wird.59 Etwas anderes würde lediglich gelten, wenn die Regelung des § 31 Abs. 2 Nr. 19 LuftVG a. F. ohne inhaltliche Änderungen in das LuftSiG verschoben worden wäre,60 da dies nur eine Wiederholung der geltenden Rechtslage gewesen wäre. 55 BVerfGE 126, 77 (110 f.); ebenso N.-L. Hauck, 190 f.; R. Lehmann-Brauns, 227; a. A. VG Braunschweig, Urteil vom 12. Juli 2006 – 2 A 303/05, juris, Rdn. 26 (nicht tragend); Maunz/Dürig-K.-A. Schwarz, Art. 87d Rdn. 43, 47; v. Mangoldt/Klein/ Starck-H.-D. Horn, Art. 87d Rdn. 51. 56 BVerfGE 37, 363 (383); Maunz/Dürig-J. Kersten, Art. 77 Rdn. 101. 57 BVerfGE 37, 363 (383). 58 An dieser Stelle sei anzumerken, dass die Kritik von N. L. Hauck, 186 Fn. 787, an der Darstellung in der Erstauflage zurückzuweisen ist. Das Zitat „die Rückübertragung von Aufgaben der Luftverkehrsverwaltung gemäß § 16 Abs. 2 LuftSiG“ (siehe oben S. 200) interpretiert Hauck falsch. Der Verweis auf § 16 Abs. 2 LuftSiG bezieht sich nicht auf „die Rückübertragung“ sondern auf „Aufgaben der Luftverkehrsverwaltung“, denn es heißt gerade nicht „die Rückübertragung gem. § 16 Abs. 2 LuftSiG von Aufgaben der Luftverkehrsverwaltung“. 59 Tendenziell im Ergebnis ebenso A. Meyer, BayVBl. 2012, 452 (458 f.); ähnlich auch VG Braunschweig, Urteil vom 12. Juli 2006 – 2 A 303/05, juris, Rdn. 26 (nicht tragend). 60 Strenger A. Jänchen/S. Kiefer, ZLW 2009, 245 (247), die schon aufgrund der Aufhebung des § 31 Abs. 2 Nr. 19 LuftVG a. F. und der Neuregelung in § 16 Abs. 2 LuftSiG die Zustimmungsbedürftigkeit bejahen.

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9. Teil: Aktuelle Entwicklungen

Letztlich steht aber für die Praxis fest, dass §§ 13 bis 15 LuftSiG aufgrund der Bindungswirkung der Ausführungen im Beschluss vom 4. Mai 2010 als einfachgesetzliche Grundlage für den Einsatz im Katastrophennotstand dienen können. Es ist nicht anzunehmen, dass der Zweite Senat seine Rechtsauffassung in dem noch anhängigen Verfahren ändern wird. 2. Der Rechtsrahmen für den Einsatz im Katastrophennotstand Die Änderungen durch den Plenarbeschluss gegenüber der Rechtsprechung des Ersten Senats zum Katastrophennotstand (dazu sogleich mehr) sollten nicht vergessen lassen, dass das Plenum das Urteil zu § 14 Abs. 3 LuftSiG in Teilen auch bestätigt hat. Das Plenum hält zu Recht daran fest, dass ein besonders schwerer Unglücksfall auch durch absichtliches Verhalten herbeigeführt werden kann61 und dass ein präventiver Einsatz zur Verhinderung des Eintritts der Schadensfolge eines besonders schweren Unglücksfalls zulässig ist, wenn „der Unglücksverlauf [. . .] bereits begonnen hat und der Eintritt katastrophaler Schäden unmittelbar droht.“62 a) Allgemeine Anforderungen Auf Grundlage eines Vergleichs zwischen den Regelungen zum Katastrophennotstand einerseits und zum inneren Notstand gem. Art. 87a Abs. 4 GG andererseits stellt der Plenarbeschluss strenge Voraussetzungen für den Einsatz im Katastrophennotstand auf: „Art. 87a Abs. 4 GG unterwirft auf dem Hintergrund historischer Erfahrungen [. . .] den Einsatz der Streitkräfte zur Bewältigung innerer Auseinandersetzungen besonders strengen Beschränkungen. Diese Beschränkungen dürfen nicht dadurch umgangen werden, dass der Einsatz statt auf der Grundlage des Art. 87a Abs. 4 GG auf der des Art. 35 Abs. 2 oder Abs. 3 GG erfolgt. Das gilt erst recht für die Verwendung spezifisch militärischer Kampfmittel im Rahmen eines solchen Einsatzes.“63

Konkret entfalte Art. 87a Abs. 4 GG eine „Sperrwirkung für den Einsatz der Streitkräfte nach anderen Bestimmungen“, so dass „die Streitkräfte auf der Grundlage von Art. 35 Abs. 2 und 3 GG [. . .] zur Bekämpfung eines Angreifers nur in Ausnahmesituationen eingesetzt werden, die nicht von der in Art. 87a Abs. 4 GG geregelten Art sind“.64 Die weitere Einschränkung, dass „namentlich 61

BVerfG, NVwZ 2012, 1239 (1244) unter Verweis auf BVerfGE 115, 118 (143 f.). BVerfG, NVwZ 2012, 1239 (1244) unter Verweis auf BVerfGE 115, 118 (144 f.); kritisch U. Fastenrath, JZ 2012, 1128 (1129), der diese hohen Anforderungen bei Hilfsmaßnahmen in Naturkatastrophen für überzogen hält. 63 BVerfG, NVwZ 2012, 1239 (1243). 64 BVerfG, NVwZ 2012, 1239 (1244); in diese Richtung bereits H. Sattler, 33, 35. 62

B. Entwicklungen im materiellen Wehrverfassungsrecht

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Gefahren für Menschen und Sachen, die aus oder von einer demonstrierenden Menschenmenge drohen, keinen besonders schweren Unglücksfall“ darstellen,65 hat für den Einsatz auf Grundlage von §§ 13 bis 15 LuftSiG keine Bedeutung. Das Plenum verwendet auch erstmals den Begriff „Ereignisse von katastrophischen Dimensionen“ als Voraussetzung des besonders schweren Unglücksfalls,66 wobei die genaue Bedeutung dieses Begriffs unklar bleibt.67 b) Zulässige Einsatzmittel Durch den Plenarbeschluss steht nunmehr fest, dass die Streitkräfte beim Einsatz im Katastrophennotstand auch spezifisch militärische Waffen68 verwenden dürfen. Der 2. Leitsatz lautet: „Artikel 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 des Grundgesetzes schließen eine Verwendung spezifisch militärischer Waffen bei einem Einsatz der Streitkräfte nach diesen Vorschriften nicht grundsätzlich aus, lassen sie aber nur unter engen Voraussetzungen zu, die sicherstellen, dass nicht die strikten Begrenzungen unterlaufen werden, die einem bewaffneten Einsatz der Streitkräfte im Inneren durch Artikel 87a Abs. 4 GG gesetzt sind.“69

Ausgangspunkt des Plenums ist die Verwendung der Formulierung „zur Unterstützung“ der Polizeikräfte in Art. 35 Abs. 2 Satz 2 GG und Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG, denn für den Fall des inneren Notstandes in Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG sei anerkannt, dass der Einsatz der Streitkräfte „jedenfalls soweit es um die Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer geht, nicht von vornherein auf die Mittel, die den unterstützten Polizeien zur Verfügung stehen“ beschränkt ist. „Die Identität der Formulierungen deutet trotz der unterschiedlichen Zusammenhänge, in denen sie verwendet werden, darauf hin, dass ihnen keine unterschiedliche Bedeutung zukommen sollte, zumal die Bestimmungen im Gesetzgebungsverfahren durch Aufspaltung einer ursprünglich einheitlichen Regelung entstanden sind und daher nicht davon auszugehen ist, dass dem Gesetzgeber die Übereinstimmung des Wortlauts nicht vor Augen stand.“70 Weiterhin verweist das Plenum darauf, dass eine Verwendung der „spezifischen Mittel“ der Streitkräfte gegebenenfalls für die wirksame Bekämp65

BVerfG, NVwZ 2012, 1239 (1244). BVerfG, NVwZ 2012, 1239 (1243). 67 Vgl. P. Dreist, BWV 2012, 253 (255). 68 Dafür, dass es weniger auf die Bewaffnung an sich, sondern eher auf eine spezifisch militärische Gewaltanwendung ankommt, siehe oben S. 237 und T. Linke, NWVBl. 2006, 174 (177 f.); ähnlich nun auch D. Wahlen, 234 f. 69 BVerfG, NVwZ 2012, 1239; im Ergebnis ebenso aus der neueren Literatur z. B. v. Münch/Kunig-K.-A. Hernekamp, Art. 87a Rdn. 4; B. Walter, NZWehrr 2010, 101 (108 f.). 70 BVerfG, NVwZ 2012, 1239 (1242). 66

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9. Teil: Aktuelle Entwicklungen

fung der Gefahrenlage erforderlich sein könnte.71 Anders als der Erste Senat erkennt das Plenum aus der Entstehungsgeschichte „keine eindeutigen Aufschlüsse“ für eine Beschränkung der zulässigen Einsatzmittel. Der Wille des Gesetzgebers, den Katastrophennotstand schon äußerlich von Art. 87a Abs. 4 GG zu trennen, und die Anhaltspunkte dafür, dass einzelnen am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Personen für den Katastrophennotstand eine Beschränkung auf die polizeilich zugelassenen Einsatzmittel „vorschwebte“, könnten keinen bestimmten Willen des Gesetzgebers begründen.72 Zahlreiche Ansatzpunkte aus der Entstehungsgeschichte und der historische Hintergrund der Einfügung der Regelungen zum Katastrophennotstand in Art. 35 GG sprechen freilich gegen dieses Ergebnis.73 Es ist insbesondere nicht verständlich, warum es im Plenarbeschluss heißt, die Frage der einsetzbaren Mittel werde in den Erläuterungen zum Entwurf des Art. 35 GG nicht behandelt, obwohl nach dem schriftlichen Bericht des Rechtsausschusses vom 9. Mai 1968, auf den das Plenum auch im Übrigen verweist,74 jedenfalls im regionalen Katastrophennotstand die Streitkräfte nach den polizeirechtlichen Vorschriften des jeweiligen Bundeslandes handeln sollten,75 was bedeutet, dass nur die polizeirechtlich zugelassenen Waffen angewendet werden sollten. Insgesamt dürfte das Plenum der entstehungsgeschichtlichen Auslegung nicht genügend Stellenwert beigemessen haben. Man könnte meinen, dass nun das Problem der Verwendung der Bordwaffen eines Kampflugzeugs zur Abwehr von Angriffen aus dem Luftraum für die Praxis gelöst ist. Dies ist jedoch nur eingeschränkt der Fall. Denn die Nichtigkeitserklärung des § 14 Abs. 3 LuftSiG wird durch den Plenarbeschluss nicht berührt. Es besteht also weiterhin keine einfachgesetzliche Grundlage für die „unmittelbare Einwirkung mit Waffengewalt“, selbst wenn sich der Waffeneinsatz lediglich gegen Angreifer richten würde und damit aus grundrechtlicher Sicht unbedenklich wäre. Zwar wäre es denkbar, diese Lücke durch eine analoge Anwendung der Regelungen über den polizeilichen Todesschuss nach dem allgemeinen Polizeirecht zu füllen. Dieser Weg ist jedoch mit Zweifeln behaftet. Zum einen hat der Gesetzgeber mit §§ 13 ff. LuftSiG deutlich gemacht, dass sich der Einsatz der Streitkräfte zur Abwehr von erheblichen Luftzwischenfällen auf bundesrechtliche Spezialregelungen stützen soll, zum anderen würde durch eine analoge Anwendung des Landespolizeirechts die Nichtigkeitserklä71 BVerfG, NVwZ 2012, 1239 (1242); ähnlich Epping/Hillgruber-V. Epping, Art. 35 Rdn. 25.2. 72 BVerfG, NVwZ 2012, 1239 (1242); zustimmend Epping/Hillgruber-V. Epping, Art. 35 Rdn. 25.3; D. Wiefelspütz, Die Polizei 2012, 265 (268 f.). 73 Dazu weitergehend M. Ladiges, NVwZ 2012, 1225 (1226); ähnlich auch P. Dreist, BWV 2012, 253 (255 f.). 74 Vgl. BVerfG, NVwZ 2012, 1239 (1242). 75 Vgl. BT-Drucks. V/2873, S. 10.

B. Entwicklungen im materiellen Wehrverfassungsrecht

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rung des § 14 Abs. 3 LuftSiG desavouiert werden. Dies zeigt, dass weiterhin Regelungsbedarf auf einfachgesetzlicher Ebene besteht.76 c) Entscheidungsbefugnis für den Einsatz Das Plenum hält daran fest, dass auch in Eilfällen stets eine Entscheidung der Bundesregierung als Kollegialorgan über den Einsatz nach Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG erforderlich ist: „Eine Eilkompetenz für ein anderes als das regulär vorgesehene Organ, wie sie in verschiedenen Grundgesetzbestimmungen für den Fall der Gefahr im Verzug vorgesehen ist [. . .], sieht Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG nicht vor; ermächtigt wird allein die Bundesregierung. Danach besteht eine Delegationsbefugnis der Bundesregierung oder eine Befugnis des Gesetzgebers zu abweichender Zuständigkeitsbestimmung auch für Eilfälle nicht [. . .]. Die Ressortzuständigkeit der Bundesminister (Art. 65 Satz 2 GG) und die Zuweisung der Befehls- und Kommandogewalt über die Streitkräfte an den Bundesminister der Verteidigung (Art. 65a GG) können eine abweichende Auslegung [. . .] nicht begründen, weil Art. 35 Abs. 3 Satz 1 GG für die Befugnis, über den Einsatz der Streitkräfte im überregionalen Katastrophennotstand zu entscheiden, eine demgegenüber speziellere Regelung trifft. Etwas anderes folgt auch nicht daraus, dass das Bundesverfassungsgericht in einzelnen Bereichen Eilzuständigkeiten in Abweichung von einer grundsätzlich gegebenen Parlamentszuständigkeit anerkannt hat [. . .]. Dies betraf Bereiche, für die die Entscheidungszuständigkeit im Grundgesetz gerade nicht ausdrücklich geregelt ist.“77

Die bereits in der Erstauflage dargelegte Kritik gegen die strikte Kollegialzuständigkeit der Bundesregierung soll hier nicht wiederholt werden.78 Mittlerweile wird immerhin von einer Anzahl von Autoren eine Ausnahme von der Kollegialzuständigkeit in Sonderfällen befürwortet.79 Gleichwohl ist es nicht 76 Vgl. M. Thiel, 361: „Wer hier das Entstehen einer ,Militärjunta‘ besorgt oder einen Rückschritt zum ,Polizeistaat‘ befürchtet, verkennt die Realitäten sowohl hinsichtlich des bewährten Handelns der gegenwärtigen Gefahrenabwehrbehörden als auch hinsichtlich des Bedrohungspotenzials des internationalen Terrorismus.“; U. Di Fabio, NJW 2008, 421 (423); tendenziell auch Sachs-W. Erbguth, Art. 35 Rdn. 41; zur parallelen Diskussion bei Auslandseinsätzen A. Zimmermann, ZRP 2012, 116 ff. A. A. U. Vosgerau, AöR 133 (2008), 346 (384), der meint, die Entscheidung zu § 14 Abs. 3 LuftSiG habe nichts daran geändert, dass „jedenfalls bei notstandsartigen Situationen [. . .] der Staat auch dann ohne Ermächtigungsgrundlage gefahrenabwehrrechtlich tätig werden und in Grundrechte eingreifen darf, wenn dies dem Wortlaut des Grundgesetzes widerstreitet“. 77 BVerfG, NVwZ 2012, 1239 (1245). 78 Vgl. oben S. 250 ff.; M. Ladiges/R. Glawe, DÖV 2011, 621 (626 f.); im Ergebnis ebenso und in der Herleitung ähnlich nun auch C. Hümmer, Bundeswehr im Innern, 113 ff.; zu Änderungsvorschlägen A. Dietz, 641 f.; D. Wiefelspütz, ZRP 2007, 17 (19). 79 C. Hümmer, Bundeswehr im Innern, 113 ff.; U. Fastenrath, JZ 2012, 1128 (1130); D. Wiefelspütz, DVBl. 2012, 1233 (1236): „Wenn bei Luftzwischenfällen – einem eher schmalen Segment denkbarer Katastrophennotstände – die Eilbedürftigkeit

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9. Teil: Aktuelle Entwicklungen

nachvollziehbar, dass die Bundesregierung selbst in diesem Punkt weiterhin keinen Änderungsbedarf sieht,80 obwohl weiterhin offen ist, wie in zeitkritischen Situationen eine Kollegialentscheidung rechtzeitig getroffen werden soll. d) Wehrverfassungsrechtlicher Parlamentsvorbehalt? Das Bundesverfassungsgericht hat mit Beschluss vom 4. Mai 2010 – 2 BvE 5/0781 entschieden, dass der wehrverfassungsrechtliche Parlamentsvorbehalt nicht für Einsätze im Inland und damit nicht für den Einsatz im Katastrophennotstand gilt. Wörtlich heißt es unter Bezugnahme auf BVerfGE 90, 286 (381 ff.): „Das Bundesverfassungsgericht hat nur für Auslandsverwendungen der Bundeswehr aus dem Grundgesetz das Erfordernis der konstitutiven Zustimmung des Deutschen Bundestages zu bewaffneten Einsätzen abgeleitet. [. . .] Mit Blick auf die Verwendungsmöglichkeiten der Bundeswehr im Innern außerhalb des Verteidigungsfalles und des Spannungsfalles hat der Senat darauf hingewiesen, dass ein nach Art. 87a Abs. 4 Satz 1 GG möglicher Einsatz von Streitkräften beim Schutz von zivilen Objekten und bei der Bekämpfung organisierter und militärisch bewaffneter Aufständischer einzustellen ist, wenn der Deutsche Bundestag oder der Bundesrat es verlangen (Satz 2). Bei Naturkatastrophen oder Unglücksfällen, die das Gebiet mehr als eines Landes betreffen, wird der Einsatz von Streitkräften zur Unterstützung der Polizeikräfte vom Grundgesetz vor allem als bundesstaatliches Problem verstanden: Er ist nach Art. 35 Abs. 3 Satz 2 GG jederzeit auf Verlangen des Bundesrates aufzuheben [. . .]. Ein allgemeines Zustimmungsrecht des Deutschen Bundestages in Bezug auf konkrete Verwendungen der Bundeswehr im Inland, seien es bewaffnete oder unbewaffnete Verwendungen, ist dem Grundgesetz nach den Ausführungen des Senats daher gerade nicht zu entnehmen. Dies gilt unabhängig davon, ob der Verteidigungsfall oder der Spannungsfall vorliegt oder ob dies nicht der Fall ist; denn auch Art. 87a Abs. 3 GG sieht die Zustimmung des Deutschen Bundestages zum konkreten Einsatz der Bundeswehr nicht vor. [. . .] Auch die der Entscheidung BVerfGE 121, 135 zu Grunde liegenden Überlegungen haben den wehrverfassungsrechtlichen Parlamentsvorbehalt lediglich als ein wirksames Mitentscheidungsrecht des Deutschen Bundestages in Angelegenheiten der auswärtigen Gewalt behandelt. [. . .] Aus der im Kontext von Auslandseinsätzen verwendeten Bezeichnung der Bundeswehr als Parlamentsheer alleine lässt sich keine Befugnis des Deutschen Bundestages ableiten.“82 der Entscheidung durch ein einzelnes Mitglied der Bundesregierung eher die Regel als die Ausnahme ist und deshalb eine entsprechende gesetzliche Regelung vorgenommen wird, bewegt man sich gleichwohl im Bereich geordneter Entscheidungsabläufe des Art. 35 Abs. 3 GG.“; tendenziell auch U. Palm, AöR 132 (2007), 95 (104); a. A. etwa v. Münch/Kunig-M. Gubelt, Art. 35 Rdn. 29. 80 Siehe dazu unten S. 520. 81 BVerfGE 126, 55; siehe dazu auch D. Wiefelspütz, NZWehrr 2010, 177 ff.; M. Ladiges, NVwZ 2010, 1075 ff. 82 BVerfGE 126, 55 (69 ff.).

B. Entwicklungen im materiellen Wehrverfassungsrecht

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Dieses Ergebnis liegt auf der Linie der bereits in der Erstauflage vertretenen Auffassung.83 e) Sonstige Auswirkungen des Plenarbeschlusses auf Streitkräfteeinsätze Die neue Rechtsprechung zur Sperrwirkung des Art. 87a Abs. 4 GG hat erhebliche Folgen für den Einsatz der Streitkräfte außerhalb des Verteidigungsauftrages. Dazu wird zunächst folgendes Beispiel gebildet, das wie die Attentate in Norwegen am 22. Juli 2011 gezeigt haben, nicht als völlig realitätsfern abgetan werden kann. Eine Gruppe von 20 deutschen Staatsbürgern schließt sich zusammen, um gewaltsam etwas gegen die aus ihrer Sicht existierende Überfremdung der deutschen Gesellschaft zu unternehmen. Die Gruppierung besorgt sich Schnellfeuerwaffen und Handgranaten und übt gemeinsam unter Anleitung von zwei Anführern der Gruppe, mit diesen Waffen umzugehen und nach infanteristischer Taktik Angriffe durchzuführen. Als Angriffsziel wählt die Gruppierung das Sommerferienlager einer politischen Jugendorganisation, an dem etwa 100 Jugendliche teilnehmen. Das Ferienlager findet auf einer deutschen Insel statt. Die Polizeikräfte können den Angriff nicht beenden, da sie zahlenmäßig zu schwach sind und bei Versuchen, die Insel zu erreichen, unter Beschuss genommen werden. In der Nähe befindet sich eine Fregatte der Marine, auf der Soldaten der Marineschutzkräfte eingeschifft sind. Der Landesinnenminister fordert die Hilfe der Streitkräfte an, um das laufende Morden auf der Insel zu beenden. Dürfte die Fregatte diesem Hilfeersuchen nachkommen?

Auf Grundlage des Plenarbeschlusses wohl nicht. Es handelte sich zwar bei der Gruppierung um militärisch bewaffnete und organisierte Aufständische, aber auch die Tötung einer Vielzahl von Menschen würde für sich genommen noch keine Gefahr für den Bestand oder die freiheitliche demokratische Grundordnung des Bundes oder eines Landes begründen.84 Es käme also die Sperrwirkung des Art. 87a Abs. 4 GG zum Tragen.85 Nach der bisherigen Rechtslage würde der beschriebene Angriff jedoch ohne weiteres einen besonders schweren Unglücksfall im Sinne von Art. 35 Abs. 2 Satz 2 GG darstellen, so dass die Marinesoldaten die Angreifer bei einer Anforderung des betroffenen Landes wenigstens mit polizeilichen Mitteln bekämpfen könnten. 83 Im Ergebnis ebenso nun auch A. Dietz, 543 f.; ders., DÖV 2012, 952 (956); V. Röben, 295. Weitergehend jedoch K. Schneider, in: D. Weingärtner (Hg.), Die Bundeswehr als Armee im Einsatz, 159 (164 ff.), der unter Rückgriff auf BVerfGE 123, 267 (360 f.) zumindest für den Einsatz nach Art. 87a Abs. 4 GG eine Zustimmung des Bundestages fordert; dagegen wiederum T. Linke, in: D. Weingärtner (Hg.), Die Bundeswehr als Armee im Einsatz, 189 (206 f.). 84 Vgl. oben S. 269. 85 Vgl. M. Ladiges, NVwZ 2012, 1225 (1227); a. A. wohl D. Wiefelspütz, Die Polizei 2012, 265 (268): „Es ist freilich zu beachten, dass ein Katastrophennotstand i. S. des Art. 35 GG auch von nichtstaatlichen Angreifern mit politischen Intentionen verursacht werden kann.“

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9. Teil: Aktuelle Entwicklungen

Ebenso stellt sich die Frage, ob die Streitkräfte z. B. gegen gewaltsame Plünderungen von organisierten Banden in Folge eines Versorgungsnotstandes eingesetzt werden könnten. Ein solches Szenario ist durchaus denkbar, wie die Plünderungen in Folge der Flutkatastrophe im Jahre 1962 zeigen. Bei einem solchen Fall würde es sich wohl mit den Worten des Plenums um „Unruhen, die von nichtstaatlichen Angreifern ausgehen“86 handeln, so dass wiederum Art. 87a Abs. 4 GG einen Einsatz auf Grundlage des Katastrophennotstandes ausschließen würde, soweit die strengen Voraussetzungen des Einsatzes im inneren Notstand nicht gegeben wären.87 Im Ergebnis könnte der Plenarbeschluss zu bisher nicht bestehenden Schutzlücken führen, obwohl er das Ziel der Gewährleistung einer wirksamen Gefahrenabwehr durch die Regelungen zum Katastrophennotstand unterstreicht. Zu betonen ist auch, dass sich die Sperrwirkung des Art. 87a Abs. 4 GG nicht nur auf die Verwendung spezifisch militärischer Mittel, sondern auf den Einsatz der Streitkräfte im Katastrophennotstand insgesamt bezieht, denn das Plenum beginnt seine Ausführungen zu den Anforderungen des Einsatzes im Katastrophennotstand mit dem Satz: „Der Einsatz der Streitkräfte als solcher wie auch der Einsatz spezifisch militärischer Kampfmittel kommt allerdings nur unter engen Voraussetzungen in Betracht.“88 Insgesamt zeigt sich, dass die Beschränkung der zulässigen Einsatzmittel im Katastrophennotstand vor dem Hintergrund des Stufenverhältnisses zwischen Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 GG und Art. 87a Abs. 4 GG nachvollziehbar ist. Art. 35 Abs. 2 Satz 2 und Abs. 3 GG stellen an den Streitkräfteeinsatz als solchen keine allzu hohen Anforderungen, begrenzen ihn jedoch in seiner Intensität durch eine Restriktion der zulässigen Einsatzmittel. Die ungleich strengeren Einsatzvoraussetzungen im inneren Notstand rechtfertigen auch den militärischen Kampfeinsatz der Streitkräfte, denn immerhin geht es um die Grundfesten oder gar um den Bestand der Staatlichkeit. Der Plenarbeschluss ebnet dieses Stufenverhältnis ein, indem bei inneren Unruhen unterhalb der Schwelle des Art. 87a Abs. 4 GG, die aber nach dem herkömmlichen Verständnis einen besonders schweren Unglücksfall begründen konnten, nicht einmal eine polizeiliche Verwendung der Streitkräfte zulässig ist.89 Freilich ließe sich bei dem fiktiven Beispielsfall darüber diskutieren, ob sich die Marine auf das Nothilferecht gem. § 32 StGB berufen könnte, um den gegenwärtigen rechtswidrigen Angriff abwehren zu können. Im Prinzip wären die Voraussetzungen der Nothilfe gegeben, jedoch würden die Nothilfehandlungen 86

Vgl. BVerfG, NVwZ 2012, 1239 (1244). M. Ladiges, NVwZ 2012, 1225 (1227). 88 BVerfG, NVwZ 2012, 1239 (1243), Hervorhebung nur hier. 89 Kritisch zum Verständnis des Plenums über das Verhältnis von Art. 87a Abs. 4 GG und Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 GG auch U. Fastenrath, JZ 2012, 1128 (1129 f.). 87

B. Entwicklungen im materiellen Wehrverfassungsrecht

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einen Einsatz im Sinne von Art. 87a Abs. 2 GG darstellen, der sich nicht auf eine verfassungsrechtliche Grundlagen stützen könnte. Es spricht vieles dafür, dass eine Nothilfehandlung, die gegen verfassungsrechtliche Regelungen verstößt, nicht geboten ist im Sinne von § 32 Abs. 1 StGB. Im Übrigen wäre ein entsprechender Befehl auch gem. § 10 Abs. 4, 1. Alternative SG unverbindlich, da er nicht zur Erfüllung der im Grundgesetz verankerten Aufgaben der Streitkräfte erforderlich ist und damit nicht zu dienstlichen Zwecken erteilt wird.

II. Abschuss als Maßnahme des übergesetzlichen Notstandes? Nach der Nichtigkeitserklärung des § 14 Abs. 3 LuftSiG stellte der damalige Bundesminister der Verteidigung Franz Josef Jung in der Presse Überlegungen zu den Handlungsoptionen der Bundeswehr bei terroristischen Angriffen an. Als Grundlage für einen Flugzeugabschuss nannte er den übergesetzlichen Notstand. Wörtlich führte er aus: „Ich wünsche mir eine verfassungsrechtliche Klarstellung. Aber da gibt es noch keinen Konsens in der Koalition. Deshalb müsste ich im Notfall vom Recht des übergesetzlichen Notstands Gebrauch machen: Wenn es kein anderes Mittel gibt, würde ich den Abschussbefehl geben, um unsere Bürger zu schützen.“90

Jungs Äußerungen haben sowohl in der Politik als auch in der Literatur heftigen Widerspruch erfahren.91 Es wurde sogar der Vorwurf des „angekündigte[n] Verfassungsbruchs“ laut.92 An dieser Stelle soll es nicht zum wiederholten Male um die Frage gehen, ob im Staatsnotstandsfall der Einsatz der Streitkräfte auch neben den im Grundgesetz ausdrücklich verankerten Fällen zulässig ist,93 denn Angriffe mittels entführter Flugzeuge gehören nach den leidvollen Erfahrungen vom 11. Septem90 Focus, Meldung vom 16. September 2007, www.focus.de/politik/deutschland/ flugzeugentfuehrung_aid_132959.html (abgerufen am 8. November 2012). 91 Vgl. die parlamentarische Debatte am 19. September 2007, BT-Prot. 16/114, S. 11777 ff. und die Nachweise bei M. Ladiges, NZWehrr 2008, 1. 92 Vgl. O. Depenheuer, ZG 2008, 1; ähnlich auch M. Kloepfer, in: R. Scholz u. a. (Hg.), Realitätsprägung durch Verfassungsrecht, 55 (71). Positiv dagegen M. Bohlander, 130: „Given that the German politicians have [. . .] still not come up with a sorely needed replacement for the quashed legislation, I feel his stance [gemeint ist die Haltung Franz Josef Jungs, M.L.] at least deserves more moral respect than the dithering and procrastination of those who conveniently hide behind the BVerfG and simply wait until the next incident“. 93 Aus der neueren Literatur grundsätzlich dafür etwa J. Isensee, in: O. Depenheuer/C. Grabenwarter (Hg.), Verfassungstheorie, § 6 Rdn. 93 ff.; J. A. Kämmerer, FS Stober, 2008, 595 (605 f.); P. Dreist, BWV 2012, 253 (255); ders., BWV 2011, 26 (29). Dagegen M. Jahn, in: Kunstpalais Erlangen/Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (Hg.), Töten. Ein Diskurs, 190 (197); E. Klein, in: O. Depenheuer/ C. Grabenwarter (Hg.), Verfassungstheorie, § 19 Rdn. 24; M. G. Fischer, in: R. Glawe

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9. Teil: Aktuelle Entwicklungen

ber 2001 zu den bekannten Bedrohungen. Angesichts der intensiven Diskussion sowohl in der Politik als auch in der Rechtswissenschaft über den Einsatz der Streitkräfte ist die Berufung auf ein überverfassungsrechtliches Notrecht kein geeignetes Mittel, um die Unfähigkeit des verfassungsändernden Gesetzgebers, klare rechtliche Grundlagen zu schaffen, auszugleichen.94 Im Übrigen hat Jung einerseits recht, dass das Urteil zu § 14 Abs. 3 LuftSiG gewisse Handlungsspielräume eröffnet, soweit kein Katastrophennotstand vorliegt. Andererseits differenziert er nicht zwischen den verschiedenen verfassungsrechtlichen Grundlagen für den Streitkräfteeinsatz, sondern nennt pauschal den Notfall, in dem es keine anderen Mittel gibt. Die Bundesregierung hat Jungs Äußerungen in einer offiziellen Stellungnahme relativiert. Ohne die unterschiedlichen verfassungsrechtlichen Grundlagen für den Abschuss eines „Renegade Aircraft“ herauszuarbeiten oder die Einschränkung der zulässigen Einsatzmittel im Katastrophennotstand zu thematisieren, hält die Bundesregierung lapidar fest: „Der Bundesminister der Verteidigung erteilt nur rechtmäßige Befehle.“95 Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts vom 15. Februar 2006 betreffe nur § 14 Abs. 3 LuftSiG und „bezieht sich ausdrücklich nicht auf ,die Abwehr von Angriffen, die auf die Beseitigung des Gemeinwesens und die Vernichtung der staatlichen Rechts- und Freiheitsordnung gerichtet sind‘.“96 Die Äußerungen Jungs führten auch zu einem juristischen Nachspiel. Ein Düsseldorfer Rechtsanwalt stellte im verwaltungsgerichtlichen Eilverfahren den Antrag, dem Bundesminister der Verteidigung zu untersagen, ein Flugzeug, in dem der Antragsteller sitzt, abschießen zu lassen, solange es dafür keine klare gesetzliche Grundlage gibt oder der Verteidigungsfall nicht eingetreten ist. Das Begehren hatte jedoch keinen Erfolg, da sowohl das Verwaltungsgericht Köln als auch das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen kein Rechtsschutzbedürfnis sahen.97

III. Reformdiskussion Glaubt man der Koalitionsvereinbarung der Großen Koalition der 16. Legislaturperiode, wollte diese Koalition nach der (ersten) Entscheidung des Bundes(Hg.), Eine neue deutsche Sicherheitsarchitektur – Impulse für die nationale Strategiedebatte, 107 (113 ff.); A. Weber, FS Bothe, 2008, 1229 (1236). 94 Vgl. bereits M. Ladiges, NZWehrr 2008, 1 (6). 95 BT-Drucks. 16/7738, S. 3. 96 BT-Drucks. 16/7738, S. 2 unter Hinweis auf BVerfGE 115, 118 (159); siehe auch BT-Drucks. 16/6486, S. 27. 97 OVG NRW, NZWehrr 2009, 39; VG Köln, NWVBl. 2008, 38. Siehe näher zu den grundrechtlichen Aspekten der Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts unten S. 525.

B. Entwicklungen im materiellen Wehrverfassungsrecht

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verfassungsgerichts zum LuftSiG prüfen, ob gesetzgeberischer Handlungsbedarf bei den Regelungen zur Abwehr von terroristischen Gefahren besteht.98 Freilich kam es trotz der Nichtigkeitserklärung des § 14 Abs. 3 LuftSiG nur zu zaghaften Vorstößen, die nicht über das Stadium eines ministeriellen Entwurfs99 hinauskamen. Ein Grund dafür dürfte gewesen sein, dass vielfach nicht erkannt worden ist, dass die Luftwaffe nach der Rechtsprechung des Ersten Senats bei Luftzwischenfällen selbst dann nicht auf Grundlage von Art. 35 Abs. 2 Satz 2, Abs. 3 GG hätte tätig werden dürfen, wenn lediglich die Angreifer selbst vom Abschuss betroffen worden wären.100 Die von der Wissenschaft und einzelnen Politikern gemachten Reformvorschläge betrafen vor allem die Ausweitung der zulässigen Einsatzmittel im Katastrophennotstand und die verfassungsrechtliche Absicherung einer Eilentscheidungskompetenz des Bundesministers der Verteidigung.101 Obwohl hier grundsätzliche Einigkeit der Koalitionsparteien bestand, wurden die Vorschläge nicht umgesetzt.102 Auch die weitergehende Initiative aus dem Bundesministerium des Innern zu einer Erweiterung des Auftrages der Streitkräfte bei der „unmittelbaren Abwehr eines sonstigen Angriffs auf die Grundlagen des Gemeinwesens“103 fand keinen Konsens.104 In der Folgezeit forderte das Wahlprogramm von CDU/CSU vom 28. Juni 2009, den Einsatz der Bundeswehr zur Abwehr 98 Koalitionsvertrag vom 18. November 2005, S. 116, abrufbar unter www.cdu.de/ doc/pdf/05_11_11_Koalitionsvertrag.pdf (zuletzt abgerufen am 9. Oktober 2012). Zur Reformdiskussion siehe auch B. Merk, 29 ff.; D. Wiefelspütz, Reform, insbesondere 89 ff.; T. Linke, in: D. Weingärtner (Hg.), Die Bundeswehr als Armee im Einsatz, 179 (201 ff.), M. G. Fischer, in: R. Glawe (Hg.), Eine neue deutsche Sicherheitsarchitektur – Impulse für die nationale Strategiedebatte, 107 ff.; M. Ladiges, in: R. Glawe (Hg.), Eine neue deutsche Sicherheitsarchitektur – Impulse für die nationale Strategiedebatte, 49 ff.; B. Walter, Die Polizei 2010, 93 ff.; P. Badura, ZSE 2007, 358 (368 ff.); zur Diskussion um ein „Seesicherheitsgesetz“ A. Zimmermann/K. Bork, in: A. Zimmermann/C. J. Tams (Hg.), Seesicherheit vor neuen Herausforderungen, 79 ff. 99 Vgl. den Entwurf aus dem Bundesministerium des Innern V I b – 110 020/55 vom 27. September 2006, der bei D. Wiefelspütz ZG 2007, 97 (103) dargestellt ist. 100 Vgl. M. G. Fischer, in: R. Glawe (Hg.), Eine neue deutsche Sicherheitsarchitektur – Impulse für die nationale Strategiedebatte, 107 (108 f.). 101 Vgl. D. Wiefelspütz, ZRP 2007, 17 ff.; Entwurf aus dem Bundesministerium des Innern V I b – 110 020/55 vom 27. September 2006, S. 6 f., zitiert nach D. Wiefelspütz ZG 2007, 97 (103). 102 Kritisch zum Untätigbleiben des verfassungsändernden Gesetzgebers etwa C. Pestalozza, in: R. Scholz u. a. (Hg.), Realitätsprägung durch Verfassungsrecht, 31 (44); M. G. Fischer, in: R. Glawe (Hg.), Eine neue deutsche Sicherheitsarchitektur – Impulse für die nationale Strategiedebatte, 107 ff.; M. Ladiges/R. Glawe, DÖV 2011, 621 (625 ff.). 103 Entwurf aus dem Bundesministerium des Innern V I b – 110 020/55 vom 27. September 2006, S. 6, zitiert nach D. Wiefelspütz ZG 2007, 97 (103); siehe auch W. Schäuble, ZRP 2007, 210 (212 f.); kritisch dazu W. Hetzer, StraFo 2008, 93 f.; B. Hirsch, NJW 2007, 1188 (1189); C. Pestalozza, NJW 2007, 492 (493); T. Linke, NWVBl. 2007, 101 (102 ff.); U. Sittard/M. Ulbrich, NZWehrr 2007, 60 (65 ff.); M. Kutscha, Blätter für deutsche und internationale Politik 2007, 355 (360).

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9. Teil: Aktuelle Entwicklungen

von terroristischen Angriffen im Inland verfassungsrechtlich zu ermöglichen;105 dieser Punkt konnte sich jedoch bei den Koalitionsverhandlungen mit der FDP nicht durchsetzen. Vereinzelte weitere Änderungsvorschläge während der 17. Legislaturperiode106 versandeten ebenfalls. Auf der Regierungspressekonferenz vom 20. August 2012 teilte der Sprecher der Bundesregierung Seibert mit, die Bundesregierung begrüße den Plenarbeschluss vom 3. Juli 2012. Eine baldige Verfassungsänderung stehe jedoch auch vor dem Hintergrund des Erfordernisses einer Kollegialentscheidung beim Einsatz nach Art. 35 Abs. 3 GG nicht an.107 Die Bundesregierung wolle die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Normenkontrollverfahren abwarten, bevor Konsequenzen aus dem Plenarbeschluss gezogen werden.108 Im Bereich der Tötung von Personen, die nicht für die abzuwehrende Gefahr verantwortlich sind, genügen die Hinweise auf eine Gewissensentscheidung, die Figur des rechtsfreien Raums oder eine nachträgliche Straflosstellung des handelnden Amtsträgers, der die Extremsituation durch sein rechtswidriges Einschreiten beendet, nicht.109 Leider hat der Gesetzgeber sich bisher nicht darum bemüht, die rechtlichen Probleme von Tötungen durch Soldaten der Bundeswehr im Auslandseinsatz oder beim Einsatz im Inland außerhalb des Verteidigungsauftrages zu lösen, obwohl dies vor dem Hintergrund der Wesentlichkeitstheorie und des Bestimmtheitsgebots unabdingbar für den Grundrechtsstaat ist.110 Hillgruber führt dazu zutreffend aus: „Die These, die Grenzentscheidung dürfe nicht verrechtlicht werden, sondern müsse politisch und ethisch, also demokratisch verantwortet werden, übersieht, dass alles, was die Staatsgewalt tut, auch in Ausnahmelagen, aufgrund ihrer umfassenden, lückenlosen Verfassungsbindung zunächst einmal und vor allem anderen verfassungsrechtlich verantwortbar sein muss. Keinen Ausweg aus dem normativ entschei-

104 Vgl. S. Weiland, www.spiegel.de/politik/deutschland/spd-gegen-grundgesetzaende rung-bundeswehr-einsatz-im-innern-steht-vor-dem-aus-a-584115.html (zuletzt abgerufen am 16. Oktober 2012). 105 www.cdu.de/doc/pdfc/090628-beschluss-regierungsprogramm-cducsu.pdf, S. 72 (zuletzt abgerufen am 16. November 2012). 106 Vgl. M. Ladiges/R. Glawe, DÖV 2011, 621. 107 www.bundesregierung.de/Content/DE/Mitschrift/Pressekonferenzen/2012/08/20 12-08-20-regpk.html (zuletzt abgerufen am 8. November 2012). 108 BT-Drucks. 17/10606, S. 14. 109 In diese Richtung aber I. Stüer, in: S. Bayer/M. Gillner (Hg.), Soldaten im Einsatz, 321 (331); J. v. Bernstorff, Der Staat 2008, 21 (40); C. Gramm, Die Verwaltung 2008, 375 (400 f.); H. Meier, Merkur 2007, 73 (76 f.). 110 Vgl. F. Winkeler, 295, 312: „Ein Recht, das gerade bei zentralen Fragen von Leben und Tod keine Antwort weiß, sondern die Beantwortung einem rechtsfreien Raum überlässt, kann nicht nur begrifflich kein Recht sein.“; H. Hofmann, FS Scholz, 2007, 225 (245 Fn. 95); C. Hillgruber, VVDStRL 67 (2008), 7 (37 ff.); im Zusammenhang mit Auslandseinsätzen auch K. U. Voss, ZRP 2007, 78 (79 ff.); dagegen C. Gramm, Die Verwaltung 2008, 375 (378 f.).

C. Grundrechtliche Probleme

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dungsbedürftigen Dilemma bietet auch die Kategorie des rechtswertungsfreien Raumes. Das Grundgesetz kennt keine rechtswertungsfreien Zonen. Dies gilt für individuelles Verhalten, das grundrechtlich entweder verboten oder erlaubt ist, erst recht aber für die verfassungsgebundene Staatsgewalt selbst“.111

C. Grundrechtliche Probleme I. Bindungswirkung der grundrechtlichen Ausführungen Bevor im Einzelnen auf die grundrechtliche Diskussion eingegangen wird, soll zunächst die Bindungswirkung gem. § 31 Abs. 1 BVerfGG der grundrechtlichen Ausführungen des Ersten Senats zu § 14 Abs. 3 LuftSiG untersucht werden. Gem. § 31 Abs. 1 BVerfGG binden die Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts die Verfassungsorgane des Bundes und der Länder sowie alle Gerichte und Behörden. Die Bindungswirkung erstreckt sich nach dem Bundesverfassungsgericht auf den Tenor und die „tragenden Gründe“ der Entscheidung. „Tragend für eine Entscheidung sind jene Rechtssätze, die nicht hinweggedacht werden können, ohne dass das konkrete Entscheidungsergebnis nach dem in der Entscheidung zum Ausdruck gekommenen Gedankengang entfiele. Nicht tragend sind dagegen bei Gelegenheit einer Entscheidung gemachte Rechtsausführungen, die außerhalb des Begründungszusammenhangs zwischen genereller Rechtsregel und konkreter Entscheidung stehen.“112

Was dies für das Urteil zu § 14 Abs. 3 LuftSiG bedeutet, ist in der Literatur umstritten. Vielfach wird unter Hinweis darauf, dass die Verfassungsbeschwerde bereits aus kompetenzrechtlichen Gründen Erfolg hatte, angenommen, die grundrechtlichen Ausführungen gehörten nicht zu den tragenden Gründen.113 Burkhard Hirsch, einer der erfolgreichen Beschwerdeführer gegen § 14 Abs. 3 LuftSiG, sieht dies anders: „Es ist nichts unverbindlich und unentschieden geblieben. Das ergibt sich sowohl aus den Leitsätzen als auch aus der ausdrücklichen Aufnahme von Art. 2 Abs. 2 GG i. V. mit Art. 1 Abs. 1 GG in den Tenor der Entscheidung und aus dem Gedankengang der Urteilsbegründung. [. . .] Verfassungspolitisch ist es von erheblicher Bedeutung, dass diese aus Art. 1 GG hergeleiteten Grundsätze den Bundesgesetzgeber wegen der Garantie des Art. 79 Abs. 3 GG auch in Zukunft binden, ob es sich nun 111 C. Hillgruber, VVDStRL 67 (2008), 7 (42) unter Hinweis auf BVerfGE 39, 1 (44). Siehe ähnlich bereits oben S. 391 ff. 112 BVerfGE 96, 375 (404); siehe auch BVerfGE 1, 14 (36 f.); 19, 377 (39 1 f.); 79, 256 (264). 113 C. Hümmer, Bundeswehr im Innern, 142; S. Oeter, in: D. Weingärtner (Hg.), Die Bundeswehr als Armee im Einsatz, 61 (74); M. Kloepfer, in: R. Scholz u. a. (Hg.), Realitätsprägung durch Verfassungsrecht, 55 (71); C. Hillgruber, JZ 2007, 209 (217); C. Pestalozza, NJW 2007, 492 ff.

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9. Teil: Aktuelle Entwicklungen

um einen Terrorakt oder um die Bedrohung durch einen Geisteskranken handelt, mag sie zu Lande, zu Wasser oder in der Luft erfolgen.“114

In der Tat spricht die Nennung des Verstoßes gegen das Recht auf Leben in Verbindung mit der Menschenwürdegarantie im Urteilstenor dafür, die Bindungswirkung auch auf die grundrechtlichen Ausführungen zu beziehen.115 Von der Frage der formellen Bindung ist im Übrigen die materielle Reichweite der grundrechtlichen Ausführungen zu trennen. Dabei ist daran zu erinnern, dass der Erste Senat keine allgemeinen Aussagen zur Frage der Rechtfertigung der Tötung von Unbeteiligten gemacht hat, sondern dass es nur um § 14 Abs. 3 LuftSiG im Kontext des Katastrophennotstandes ging.116

II. Verstoß gegen die Menschenwürde Die grundrechtlichen Ausführungen des Ersten Senats, insbesondere die Begründung eines Menschenwürdeverstoßes, haben auch nach 2007 in der Literatur – zum Teil erhebliche – Kritik117 erfahren, aber auch Zustimmung118 gefunden. Vielfach aufgegriffen wird dabei die in der Erstauflage dargestellte Möglichkeit der Differenzierung zwischen Einsätzen kriegerischer und Einsätzen nichtkriegerischer Art.119 Z. B. schreibt Eckart Klein: 114 B. Hirsch, NJW 2007, 1188 f.; tendenziell für tragende Gründe auch T. Linke, in: D. Weingärtner (Hg.), Die Bundeswehr als Armee im Einsatz, 179 (202 f.). 115 So bereits M. Ladiges, NZWehrr 2008, 1 (4); ebenso auch V. Krey/R. Esser, Rdn. 777; H.-J. Papier/C. Krönke, Rdn. 78; Epping/Hillgruber-V. Epping, Art. 35 Rdn. 20.2, der meint, die Tötung von Unbeteiligten wäre selbst durch eine Verfassungsänderung „nicht erfassbar“. 116 Vgl. ausführlich M. Ladiges, NZWehrr 2008, 1 ( 4 ff.). 117 Siehe O. Depenheuer, Selbstbehauptung, 25 ff., 97 ff.; A. V. Dessauer, 34 ff.; A. Dietz, 643 ff.; J. Gauder, 212 ff. (weitgehend inhaltlich übereinstimmend mit den in der Erstauflage dargestellten Argumenten); M. Kloepfer, § 55 Rdn. 71; M. Pawlik, Der Terrorist und sein Recht, 49 Fn. 228; F. Winkeler, insbesondere 218 ff., 255 ff.; MüKoV. Erb, § 34 Rdn. 123; Sachs-D. Murswiek, Art. 2 Rdn. 182a; T. Würtenberger, in: D. Kugelmann (Hg.), Polizei unter dem Grundgesetz, 73 (82); R. D. Herzberg, FS Schnapp, 2008, 103 (117 ff.); O. Depenheuer, FS Isensee, 2007, 43 (46 ff.); F. Hufen, JuS 2010, 1 (8); T. Hörnle, Criminal Law and Philosophy 3 (2009), 111 (117 ff.); C. Lutze, BayVBl. 2008, 745 (748 ff.); C. Enders, DÖV 2007, 1039 (1043); C. Hümmer, VR 2007, 289 (291 ff.); R. Merkel, JZ 2007, 373 (379 ff.); H.-M. Pawlowski, ZRPh 2007, 131 (136). 118 Siehe W. Hetzer, Rechtsstaat oder Ausnahmezustand?, 128 ff.; M. Thiel, 216 ff.; K. H. Gössel, FS Otto, 2007, 41 (55); R. Nickel, Emory International Law Review 24 (2010), 619 (625 ff.); A. Schaer, ZLW 2007, 551 (555 ff.). 119 A. Huhn, 83 ff.; v. Mangoldt/Klein/Starck-M. Baldus, Art. 87a Rdn. 105 ff.; G. Roellecke, FS Herzog, 2009, 393 (404): „Im Krieg ist nun völlig klar, dass ein besetztes Passagierflugzeug, das als Waffe eingesetzt wird, abgeschossen werden darf, und zwar schon dann, wenn nicht sicher ist, ob es als Waffe wirken kann.“; D. Diehl, HuV-I 2010, 4 (13 ff.), der im Anschluss an K. Ipsen, NZWehrr 2008, 156 (163) in der verfassungsrechtlichen Zulässigkeit des Verteidigungskrieges eine „immanente

C. Grundrechtliche Probleme

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„Meines Erachtens muss eine Abwehrmöglichkeit in einer militärischen Angriffen vergleichbaren Gefährdungslage durch Verfassungsänderung gleichfalls geschaffen werden können. Die Tötung Unschuldiger, hier von zu Geiseln genommenen Passagieren, durch staatliche Abwehrmaßnahmen (Abschuss des Flugzeugs), verletzt eben keineswegs immer deren Menschenwürde, beeinträchtigt natürlich das Recht auf Leben, das aber weder nach nationalem noch nach internationalem Recht uneingeschränkt geschützt ist.“120

Dass auch das Bundesverfassungsgericht keinen absoluten Schutz von nicht gefahrverantwortlichen Zivilisten gegenüber Kampfhandlungen der Streitkräfte fordert, zeigen verschiedene Autoren121 treffend unter Hinweis auf den sog. Chemiewaffen-Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 29. Oktober 1987 – 2 BvR 624, 1080, 2029/83, in dem es im dritten Leitsatz heißt: „Mit der Entscheidung für die militärische Landesverteidigung (Art. 24 Abs. 2, 87a, 115a ff. GG) hat das Grundgesetz zu erkennen gegeben, daß der Schutzbereich des Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG Rückwirkungen auf die Bevölkerung bei einem völkerrechtsgemäßen Einsatz von Waffen gegen den militärischen Gegner im Verteidigungsfall nicht umfaßt.“122

Durch diesen Verweis auf den völkerrechtsgemäßen Waffeneinsatz, der den Voraussetzungen der gerechtfertigten Tötung von Unbeteiligten gem. Art. 15 Abs. 2 EMRK123 ähnelt, macht das Bundesverfassungsgericht deutlich, dass die verfassungsrechtliche Verankerung der Aufstellung der Streitkräfte zu Verteidigungszwecken Auswirkungen auf die Menschenwürdegarantie bei der Tötung von Unbeteiligten als unvermeidliche Nebenfolge kriegerischen Handelns der Streitkräfte hat.124 Übereinstimmend schreibt Knut Ipsen, die verfassungsrechtlichen Realitäten der Aufstellung von Streitkräften zur Verteidigung und der Eingliederung in Systeme gegenseitiger kollektiver Sicherheit „setzen, so bitter

Schranke des Art. 1 Abs. 1 Satz 2 GG“ sieht; U. Häußler, Military Law and the Law of War Review 48 (2009), 7 (66 f.); M. Pawlik, FAZ vom 25. Februar 2008, 40; C. Lutze, BayVBl. 2008, 745 (748 ff.); A. Zimmermann/R. Geiß, Der Staat 2007, 377 (385 ff.). Ablehnend aber z. B. T. Linke, in: D. Weingärtner (Hg.), Die Bundeswehr als Armee im Einsatz, 179 (196 ff.). 120 E. Klein, in: O. Depenheuer/C. Grabenwarter (Hg.), Verfassungstheorie, § 19 Rdn. 25; vgl. auch R. Merkel, JZ 2012, 1137 ff. (aus rechtsethischer Perspektive); C. D. Classen, DÖV 2009, 689 (690 f., 696); C. Hümmer, ZRP 2007, 204. Dies wird verkannt von T. Zoglauer, 207, der meint, das völkerrechtliche „Nicht-SchädigungsPrinzip verbietet die Tötung, selbst die Inkaufnahme des Todes Unschuldiger als voraussehbare Nebenwirkung kriegerischer Handlungen“. 121 D. Wiefelspütz, NZWehrr 2008, 89 (102); A. Zimmermann/R. Geiß, Der Staat 2007, 377 (384 f.); siehe auch S. Vöneky, Liber Amicorum Wolfrum, 2012, 1309 (1324 f.); Sachs-D. Murswiek, Art. 2 Rdn. 172; a. A. A. L. Paulus, 385 f. 122 BVerfGE 77, 170 (221); aus strafrechtlicher Sicht dazu A. Eser, FS Wahl, 2011, 665 (674 ff.). 123 Dazu ausführlich oben S. 293 ff. 124 Siehe oben S. 338 ff.

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9. Teil: Aktuelle Entwicklungen

diese Erkenntnis ist, der Anwendung der Objektformel und damit dem Achtungsanspruch der betroffenen Menschen folglich von vornherein eine Beachtungsgrenze, deren Leugnung nur mit gleichzeitiger Ablehnung bewaffneter Friedenswahrung überhaupt einhergehen kann.“125 Auf den ersten Blick widerspricht dies freilich dem absoluten Geltungsanspruch der Menschenwürde, die eben ausweislich des Wortlauts des Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG „unantastbar“ ist. Dass aber im Bereich der Menschenwürdegarantie auch das Bundesverfassungsgericht einen Abwägungsprozess vornimmt, hat jüngst z. B. Baldus überzeugend gezeigt. Die „Behauptung, die Würdegarantie sei absolut und unabwägbar“ ist für ihn „nur ein rhetorisches Mittel“.126 Das Bundesverfassungsgericht bediene sich meist „einer Methode verschleierter Abwägung“; der Menschenwürde werde „gewiss häufig, aber eben nicht stets der Vorrang eingeräumt.“127 Auch andere Autoren sprechen sich zumindest unter bestimmten Umständen für eine situative und damit abwägungsoffene Bestimmung des Würdeanspruchs aus;128 insbesondere in Kollisionsfällen (dazu sogleich mehr) könne das Dogma der Unantastbarkeit keine Geltung beanspruchen.129

125 K. Ipsen, NZWehrr 2008, 156 (162 f.); zustimmend D. Diehl, HuV-I 2010, 4 (13 ff.); anders jedoch der Berichterstatter im Verfahren gegen § 14 Abs. 3 LuftSiG D. Hömig, in: R. Gröschner/O. W. Lembcke (Hg.), Das Dogma der Unantastbarkeit, 25 (43 Fn. 131), der meint, aus der Nennung des nichtkriegerischen Luftzwischenfalls ließe sich nicht ohne weiteres der Umkehrschluss ableiten, „daß nach Auffassung des Bundesverfassungsgerichts im Kriegsfall das Menschenwürdegebot des Art. 1 Abs. 1 GG nicht als Schranken-Schranke beachtlich sein könnte“.; ähnlich wie Hömig auch H.-J. Papier, Der Spiegel vom 14. Januar 2008, 24 (25). 126 M. Baldus, AöR 136 (2011), 529 (539). 127 M. Baldus, AöR 136 (2011), 529 (540). 128 M. Herdegen, in: R. Gröschner/O. W. Lembcke (Hg.), Das Dogma der Unantastbarkeit, 93 (105 ff.); G. Robbers, in: D. Weingärtner (Hg.), Streitkräfte und Menschenrechte, 17 (23 f.); siehe auch K. Möller, Der Staat 2007, 109 (126), der eine Eingriffsrechtfertigung bei Art. 1 Abs. 1 GG nicht unter allen Umständen für ausgeschlossen hält, aber „eine qualifizierte Abwägung fordert, die im Ergebnis eine Rechtfertigung eines Eingriffs in das Menschenwürderecht nur in krassen Ausnahmefällen zulässt.“. A.A. etwa P. Kunig, in: R. Gröschner/O. W. Lembcke (Hg.), Das Dogma der Unantastbarkeit, 121 (130 ff.); U. Sacksofsky, in: J. Masing/J. Wieland (Hg.), Menschenwürde – Demokratie – Christliche Gerechtigkeit, 23 (26 f.). 129 Vgl. v. Mangoldt/Klein/Starck-C. Starck, Art. 1 Rdn. 79; J. Isensee, FS Jakobs, 2007, 205 (227); T. Würtenberger, in: D. Kugelmann (Hg.), Polizei unter dem Grundgesetz, 73 (82); U. Vosgerau, AöR 133 (2008), 346 (373 ff.); J. v. Bernstorff, Der Staat 2008, 21 (24 ff.), der allerdings im Ergebnis einen generellen „Vorrang würderelevanter staatlicher Achtungspflichten vor konkurrierenden grundrechtlichen Schutzpflichten“ (S. 39) annimmt; aus strafrechtlicher Sicht etwa A. Engländer, 336 ff.; R. Merkel, FS Jakobs, 2007, 375 (396 ff.).

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III. Kollision von Achtungsanspruch und Schutzpflicht Breiten Raum nimmt weiterhin die Diskussion um das Verhältnis zwischen dem Achtungsanspruch und der Schutzpflicht hinsichtlich des Grundrechts auf Leben bzw. hinsichtlich der Menschenwürde ein.130 Das in der Erstauflage stark gemachte Argument, die Handlungsoptionen des Staates dürften bei der Kollision von Achtungsanspruch und Schutzpflicht nicht durch den unbedingten Vorrang des Achtungsanspruchs bei terroristischen Angriffen vorhersehbar werden,131 findet sich mittlerweile vielfach in der Literatur,132 wenngleich andere Stimmen an dem unbedingten Vorrang des Achtungsanspruchs festhalten.133 Für die Möglichkeit des Vorrangs der Schutzpflicht argumentiert auch das Oberverwaltungsgericht Nordrhein-Westfalen im Beschluss vom 1. Februar 2008 – 20 B 1842/07. Dabei ging es um einen Antrag, dem Bundesminister der Verteidigung durch eine einstweilige Anordnung zu untersagen, entführte Passagierflugzeuge abzuschießen. Das Oberverwaltungsgericht verneint einen Anordnungsanspruch unter Hinweis auf „gegenläufige Rechte und Schutzansprüche Dritter“: „Ein diesem Begehren korrespondierender Rechtsanspruch, der von vornherein jedwede Lebensinteressen vermutlich noch zu rettender Dritter ausblenden würde, lässt sich weder aus dem unbestreitbar schutzwürdigen Recht des Antragstellers ableiten, nicht Opfer einer vorsätzlichen Tötung zu werden, noch aus seinem Recht, nicht in menschenunwürdiger Weise zum Objekt staatlichen Handelns zu werden. Vielmehr 130

Zusammenfassend J. Isensee, HdBStR, Band IX, § 191 Rdn. 296 ff. Siehe oben S. 382. 132 Vgl. A. Dietz, 650 f.; P. Dreist/H. v. Schubert, in: Evangelisches Kirchenamt für die Bundeswehr (Hg.), Friedensethik im Einsatz, 257 (270); M. Herdegen, in: R. Gröschner/O. W. Lembcke (Hg.), Das Dogma der Unantastbarkeit, 93 (108); Stern/ Becker-C. Enders, Art. 1 Rdn. 66; U. Palm, Der Staat 2008, 41 (58); siehe auch O. Depenheuer, FS Isensee, 2007, 43 (55 f.). Tendenziell für eine grundsätzliche Gleichwertigkeit von Achtungsanspruch und Schutzpflicht auch R. Gröschner/O. W. Lembcke, in: dies. (Hg.), Das Dogma der Unantastbarkeit, 1 (14, 17 f.): „Hätte der Erste Senat im Luftsicherheitsurteil sich ein Dreieck ausgedacht, dessen eine Seite auf die Achtungspflicht gegenüber den Besatzungsmitgliedern und Passagieren des entführten Flugzeugs bezogen ist und dessen andere Seite auf die Schutzpflicht gegenüber den potentiellen Opfern am Boden, hätte er sich jedenfalls nicht hinter der Rhetorik eines schlechthinnigen Vorstellungsverbotes verstecken können.“; F. Ekardt, in: M. Kloepfer (Hg.), Katastrophenrecht: Grundlagen und Perspektiven, 61 (69 ff.); G. Nolte, Die Friedenswarte 2009, 93 (103): „Mir scheint die Konstellation des Luftsicherheitsgesetzes deshalb näher an den klassischen Triage-Fällen zu liegen, in denen entschieden werden muss, welche Patienten die knappe lebensrettende medizinische Behandlung erhalten. In solchen Situationen verliert die Unterscheidung von Handeln und Unterlassen ihre Plausibilität.“; W. Frenz, NVwZ 2007, 631 (632); T. Hörnle, New Criminal Law Review 10 (2007), 582 (603 f.). 133 T. Marzahn, 168 (ohne Begründung); M. Thiel, 209; W. Höfling, FS Isensee, 2007, 525 (528): „Die (verfassungskonforme) Erfüllung einer Schutzpflicht setzt die Beachtung der abwehrrechtlichen Gehalte voraus.“; W. Kluth, FS Isensee, 2007, 535 (544); J. Wolter, FS Küper, 2007, 707 (715); C. D. Classen, DÖV 2009, 689 (694 f.). 131

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verbleibt es in der Entscheidung der Antragsgegnerin und der für sie handelnden Personen, ob sie sich, gegebenenfalls unter Inkaufnahme eines bloß entschuldigten Verhaltens, in den vorgestellten Extremsituationen für einen Abschuss entscheiden. Dabei gilt – wie der Fall Schleyer belegt –, dass eine solche gerichtliche Festlegung des staatlichen Handelns insbesondere deshalb nicht von Verfassungs wegen zugunsten Einzelner erfolgen darf, weil andernfalls die Reaktion des Staates und der für ihn Handelnden für Terroristen von vornherein kalkulierbar würde. Damit würde dem Staat der effektive Schutz seiner Bürger unzuträglich erschwert, was mit den Aufgaben, die ihm durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG und Art. 1 Abs. 1 Satz 1 GG generell gestellt sind, in unauflöslichem Widerspruch stünde.“134

Das Oberverwaltungsgericht greift auch auf die Sinnlosigkeit des kurzzeitigen Weiterlebens aus Sicht der betroffenen Flugzeuginsassen zurück. Diese könnten die Bereitschaft haben, „nicht als bloßes Objekt und Mittel terroristischer Gewalt eines – zumal mit Blick auf die Folgen für weitere Menschenleben – sinnentleerten Todes zu sterben, sondern kurzfristig zwar früher, aber unter Rettung weiteren Lebens sinngebend zu sterben.“135 Und weiter heißt es im Hinblick auf die gemeinsame Gefahr, die für die Flugzeuginsassen und die bedrohten Menschen am Boden droht: „Bei alledem bestehen an der im Kern gleichwertigen Schutzwürdigkeit aller Betroffenen, die über die Verwendung des Flugzeuges als Waffe zu einer Art Gefahrengemeinschaft verbunden sind, keine Zweifel. Letztlich geht es um eine Kollision des unbedingten Anspruchs der Flugzeuginsassen auf Achtung ihrer Menschenwürde mit dem ebenso unbedingten Anspruch der sich am Zielort aufhaltenden Personen auf staatlichen Schutz davor, von den Terroristen als bloßes Mittel zur Erreichung deren terroristischer Ziele missbraucht zu werden, und dem Anspruch der Bevölkerung im übrigen auf Erhalt der zentralen Werte des Staates. Dabei besteht die Besonderheit darin, dass es um keine Auswahlentscheidung im Sinne eines ,entweder oder‘ geht. Vielmehr ist die Frage nach dem Einsatz eines einzig tauglichen Mittels zu beantworten, das diejenigen Menschenleben retten würde, die einzig zu retten sind, dies unter Inkaufnahme des Todes derjenigen, die nach dem – vorgestellten – sicheren Kausalverlauf in jedem Fall alsbald sterben würden.“136

Auch Vosgerau hat 2008 die „Kollision von Grundrechtsfunktionen“ ausführlich analysiert und die Unzulänglichkeit der bundesverfassungsgerichtlichen Lösung des Kollisionsproblems im Fall des § 14 Abs. 3 LuftSiG zutreffend aufgezeigt: „Der scheinbar so einleuchtende Satz, der Staat dürfe sich bei der Erfüllung auch der wichtigsten Schutzpflichten natürlich nur erlaubter, d.h. nicht grundrechtswidriger Mittel bedienen, ist daher in Dreieckskonstellationen stets ein Zirkelschluß. Man holt aus ihm nur heraus, was man vorher hineininterpretiert hat. Wenn der 134

OVG NRW, NZWehrr 2009, 39 (40), unter Hinweis auf BVerfGE 46, 160. OVG NRW, NZWehrr 2009, 39 (40 f.). 136 OVG NRW, NZWehrr 2009, 39 (41); ähnlich auch T. Hörnle, FS Herzberg, 2008, 555 (569 f.). 135

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Flugzeugabschuß unter allen Umständen verboten ist, dann kann man für die weiteren Opfer am Boden eben nichts tun. Aber die Ausgangsfrage war ja gerade, ob er unter allen Umständen verboten ist! Es bleibt daher dabei: sowohl das Urteil des BVerfG zum LuftSiG, wie auch das von der h. M. angenommene ,absolute Folterverbot‘ können letztlich nur dann verfassungsrechtlich richtig sein, wenn ein Primat des Abwehrrechts über die Schutzpflicht angenommen wird, die Schutzpflicht also eine ,zweitrangige‘ Grundrechtsfunktion ist. Solange man dies nicht annehmen will, muß zumindest der Gesetzgeber Dreieckskonstellationen der Art ,Leben gegen Leben‘ oder ,Menschenwürde gegen Menschenwürde‘ eigenständig auflösen können.“137

Im Ergebnis stellt Vosgerau fest, dass § 14 Abs. 3 LuftSiG nicht zwingend gegen die Menschenwürdegarantie oder das Grundrecht auf Leben verstößt, „denn in Dreieckskonstellationen, in denen eine Verletzung dieser Grundrechte faktisch und praktisch nicht zu vermeiden ist, weil eines von zwei potentiellen Opfern oder eine von zwei potentiellen Opfergruppen jedenfalls verletzt werden wird, und die involvierten staatlichen Stellen nur noch entscheiden können, wessen Rechte durch Tun oder Unterlassen aufgeopfert werden sollen, wobei denknotwendig auch die scheinbare Nicht-Entscheidung bzw. das Nichtstun faktisch auf eine Entscheidung für eine Seite hinausläuft, kann der Gesetzgeber Regeln für die Bewältigung dieses Konflikts aufstellen, d. h. er darf letztlich auch anordnen, wessen Leben (und nach Ansicht des BVerfG: mithin wohl auch die Menschenwürde) aufgeopfert wird.“138

Der Vorrang des Achtungsanspruchs kann dagegen nicht mit den Hinweisen Hömigs auf die „Kerkersituation der Opfer an Bord, die der Staat und seine Amtswalter sich auf der Grundlage des § 14 Abs. 3 LuftSiG zunutze machen würden, sowie das zielgerichtete Handeln des Staates gegen wehrlose Menschen“139 widerlegt werden. Denn es geht im Fall des § 14 Abs. 3 LuftSiG ersichtlich weder um die zielgerichtete Tötung der nichtgefahrverantwortlichen Flugzeuginsassen noch nutzt der Staat die von kriminellen Dritten geschaffene Zwangslage der Flugzeuginsassen aus.140

137

U. Vosgerau, AöR 133 (2008), 346 (375); ähnlich bereits oben S. 377. U. Vosgerau, AöR 133 (2008), 346 (383); ähnlich bereits oben S. 383 ff.; vgl. auch M. Kumm, in: G. Pavlakos (Hg.), Law, Rights and Discourse, 131 (156); U. Palm, AöR 132 (2007), 95 (109). 139 D. Hömig, in: R. Gröschner/O. W. Lembcke (Hg.), Das Dogma der Unantastbarkeit, 25 (45 Fn. 141). 140 Vgl. F. Winkeler, 274 f.; Sachs-D. Murswiek, Art. 2 Rdn. 182a; S. Detterbeck, Rdn. 323; R. Müller-Terpitz, HdBStR, Band VII, § 147 Rdn. 62; E. Hilgendorf, FS Puppe, 2011, 1653 (1660): „Die Tötung ist vielmehr unbezweckte, allerdings wissentlich herbeigeführte Nebenfolge des Abschusses“.; C. Bezemek, Journal für Rechtspolitik 15 (2007), 121 (124); R. Merkel, JZ 2007, 373 (380). 138

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D. Strafrechtliche Rechtfertigungslösung Eine Durchsicht der strafrechtlichen Diskussion seit 2007 zeigt, dass zahlreiche Autoren mit unterschiedlichen Argumenten jedenfalls in Ausnahmefällen auch die Tötung von Unbeteiligten rechtfertigen oder zumindest zu einer Rechtfertigungslösung tendieren. Natürlich wird weiterhin von vielen die Rechtfertigung einer notstandsbedingten Tötung von Unbeteiligten absolut ausgeschlossen, wobei immer noch das Argument, eine Abwägung Leben gegen Leben dürfe niemals vorgenommen werden, angeführt wird.141 Die strafrechtliche Diskussion hält dabei teilweise an Grundannahmen fest, die sich normativ nicht begründen lassen, sondern eher auf einem unzutreffenden Vorverständnis beruhen. So liest man bei Roxin: „Selbst zur Rettung von Menschenleben darf der Staat niemanden töten, der an der Entstehung der Gefahr nicht beteiligt ist. Es gibt also Unverfügbares im Recht, das jeder Abwägung entzogen ist.“142 Freilich zeigen Art. 15 Abs. 2 EMRK und die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, dass eine staatliche Tötung von nicht gefahrverantwortlichen Personen nicht stets verboten ist,143 und auch in der strafrechtlichen Literatur wird eine Rechtfertigung der Tötung des Kindes im Fall der Perforation von einer breiten Mehrheit akzeptiert.144

I. Anwendung der Grundsätze des Defensivnotstands Von namhaften Autoren wird eine Rechtfertigung der Tötung der unbeteiligten Flugzeuginsassen durch die Anwendung der Grundsätze des Defensivnotstands befürwortet. Für Hans Joachim Hirsch macht die Tatsache, dass die Pas141 Siehe etwa V. Krey/R. Esser, Rdn. 616 f.; F. Zieschang, JA 2007, 679 (682 f.); dezidiert dagegen R. Merkel, JZ 2007, 373 (379): „Nicht richtig ist auch, dass niemals ,Leben gegen Leben‘ gehalten, niemals gerade aus einer solchen quantitativen ,Verrechnung‘ eine Entscheidung mit tödlichen Folgen abgeleitet werden dürfte. Und ebensowenig stimmt es, dass jemand dadurch ,zum bloßen Objekt‘ gemacht und seine Menschenwürde gerade deshalb verletzt würde.“ 142 C. Roxin, ZIS 2011, 552 (558), der allerdings auf S. 560 dann selbst die Frage der Rechtfertigung der Tötung von Zivilisten im Krieg oder kriegsähnlichen Situationen anspricht. 143 Vgl. BVerfGE 77, 170 (221). Zu Art. 15 Abs. 2 EMRK ausführlich oben S. 293 ff. 144 Siehe z. B. MüKo-V. Erb, § 34 Rdn. 161, der schreibt, die Rechtfertigung der Tötung des Kindes sei „wohl ein allgemeiner Wertekonsens“. Für die in neuerer Zeit verstärkt vertretene Auffassung, die Menschwerdung im Sinne von §§ 211 ff. beginne erst mit der Vollendung der Geburt (so T. Zimmermann, 462 ff.; NK-R. Merkel, § 218 Rdn. 33 ff.) kommt es nicht zum Problem der kollidierenden Lebensinteressen. Gleichwohl überzeugt diese Auffassung nicht, vgl. BGH, NStZ 2010, 214; NStZ 2008, 393, (394); A. B. Dolderer, 145 ff.; MüKo-H. Schneider, Vor § 211 ff. Rdn. 6 ff.; T. Fischer, Vor §§ 211–216 Rdn. 6; C. Sowada, GA 2011, 389 (406) m. w. N.

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sagiere „nur indirekt in die Tat involviert sind, [. . .] eine ihnen gegenüber erfolgende Notstandshandlung nicht etwa zu einer aggressiven. Denn es geht um die Verteidigung gegen die Gefahrenquelle, in der sie räumlich untrennbar einbezogen sind.“145 Ähnlich formuliert Schünemann, dass die Passagiere zwar nicht für den Missbrauch des Flugzeugs als Waffe verantwortlich sind, „aber dennoch Teil der ,Angriffskausalität‘ sind und damit der rechtmäßigen Verteidigung seitens der von dem Flugzeug bedrohten Menschen unterliegen“.146 Gropp bildet als Ausgangsfall der Rechtfertigung durch Defensivnotstand den sog. Radartechniker-Fall: „Familie F fährt auf der Autobahn. Die kerzengerade Trasse führt durch ein Hochwaldgebiet. Mutter M lenkt den Wagen, die beiden Kinder sitzen im Fond, Vater V auf dem Beifahrersitz. Radartechniker V inspiziert ein neu entwickeltes Gerät, mit dem man vom Boden aus die Steuerungselektronik eines Flugzeugs beeinflussen kann. Da sieht V, dass aus der Ferne ein Passagierflugzeug auf ihn zugeflogen kommt und offenbar zur Notlandung auf der Autobahn ansetzt. Wenn es dazu käme, würden Familie F und weitere Benutzer des Fahrstreifens zu Tode kommen, schätzt V die Lage zutreffend ein. V entschließt sich daher, das Flugzeug mit Hilfe seines Radargeräts von der Autobahn ,abzulenken‘. Wie von V angenommen, explodiert es im Wald. Alle 250 Passagiere sowie die Besatzungsmitglieder kommen ums Leben. Hat sich V wegen eines Tötungsdelikts strafbar gemacht?“147

Nach Gropp ist diese Frage zu verneinen, denn V ist „auf Grund defensiven Notstands berechtigt, das Flugzeug abzulenken, auch auf die Gefahr hin, dass die Flugzeugpassagiere ums Leben kommen. Die Passagiere können von V nicht verlangen, dass er sich für sie aufopfert. Im Unterschied zu den sog. ,Weichensteller-Fällen‘, in denen durch das Umstellen der Weiche ,Schicksal gespielt‘ wird und wirklich Unbeteiligte in Anspruch genommen werden, tragen die Passagiere ein selbst (zumindest mit)geschaffenes Risiko.“148 Und auch bei der Entführung eines Passagierflugzeugs komme es nicht auf ein schuldhaftes Verhalten der Flugzeuginsassen, sondern darauf an, ob die Insassen unbeteiligt sind: „Im Beziehungsgeflecht von Flugzeugführern, Flugzeugentführern, Flugzeuginsassen und den gefährdeten Personen am Boden ist es folglich nicht ausschlaggebend, ob sich die Passagiere ein Handeln der Entführer zurechnen lassen müssen oder nicht. Denn im drohenden Abschuss [. . .] realisiert sich gerade zumindest auch eine durch die Passagiere selbst unmittelbar kumulativ geschaffene Gefahr.“149

Köhler greift für eine Rechtfertigungslösung auf allgemeine Zurechnungskriterien zurück. Der Begriff „objektive Zurechnung“ bezeichnet für ihn „objektiv145

H. J. Hirsch, FS Küper, 2007, 149 (154). B. Schünemann, in: U. Neumann/W. Hassemer/U. Schroth (Hg.), Verantwortetes Recht, 145 (153). 147 W. Gropp, GA 2006, 284 (285). 148 W. Gropp, GA 2006, 284 (288). 149 W. Gropp, GA 2006, 284 (287). 146

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normative Voraussetzungen der faktischen Tat- und der Rechts-/Unrechtszurechnung hinsichtlich der rechtlichen Reaktionen darauf, ganz unabhängig vom subjektiven Verschulden und überhaupt vom spezifisch strafrechtlichen Kontext“. Systematisch bestimme sich die objektive Zurechnung dabei „unter dem Gesichtspunkt des Zwangsrechts bzw. der Zwangspflicht zur unmittelbaren Verhinderung einer rechtswidrigen Rechtsgutsverletzung“.150 Eine Abwehrbefugnis infolge objektiver Unrechtszurechnung könne auch ohne Sorgfaltspflichtverstoß oder Handlungsalternative desjenigen, von dem die Gefahr ausgeht, begründet werden.151 Der Gefahrverursacher müsse noch nicht einmal eine Handlung im strafrechtlichen Sinne vornehmen; der Defensivnotstand entspreche vielmehr der Rechtsfigur der „Zustandsstörung“ des Ordnungsrechts.152 Zur Begründung einer Zwangsduldungspflicht des von der Defensivnotstandshandlung Betroffenen führt Köhler auch das Rechtssprichwort „casum sentit dominus“ (den äußeren Zufall spürt der Eigentümer) an. Dieses Sprichwort bezeichne „nicht nur eine empirische Feststellung, sondern impliziert bereits ein objektives Zurechnungsurteil. Ihm entsprechen das selbst im existenziellen Notstand geltende grundsätzliche Verbot, einen zufällig drohenden Schaden aktiv von sich auf einen anderen abzuwälzen, und das Gebot, ihn sich nicht auf andere auswirken zu lassen, also eine Pflicht zu möglichst tätiger Gefahrenbegrenzung, oder letztlich doch eine Zwangsduldungspflicht. Die objektive Zurechnung auf dem Hintergrund des Rechtsbegriffs ist auch hier ein konkret allgemeines Urteil, einbeziehend die interpersonal erweiterte Beurteilungs- und Tatmachtperspektive von möglichster Objektivität hinsichtlich der gesetzmäßigen Gefahrenentwicklung aus dem Rechtskreis der Person und ihrer Einschränkbarkeit. Was also zunächst äußerer Zufall war, kann in der eigengesetzlichen Fortentwicklung personalen Daseins diesem objektiv zurechenbar sein, repräsentiert im tätig einschränkenden Zurechnungsurteil des von der Gefahr Betroffenen oder eines Dritten. Dies ist, dem Grunde nach und abgesehen vom Maß der Eingriffsbefugnis, das allgemeine Prinzip des defensiven Notstandes oder der ,Zustands‘-haftung, unterschieden von der Handlungsverantwortung bei pflichtwidriger (sorgfaltswidriger) oder gar vorsätzlicher Gefahrbegründung [. . .]. Wer beispielsweise ohne jedes vorherige Anzeichen in Ohnmacht fällt und durch seinen unkontrollierten Leib einen anderen zu verletzen droht, ist deshalb unmittelbar zwangsduldungspflichtig nach dem geklärten Prinzip. [. . .] Der Grundsatz des Defensivnotstandes beruht demnach nicht bloß auf einem utilitären Kompensationskalkül (Vorteile/Lastentragung) und ist auch unabhängig davon, ob die Person ihren Bereich so oder anders hätte ,organisieren‘ können.“153

150 M. Köhler, FS Schroeder, 2006, 257 (262); siehe allgemein zur Duldungspflicht auch J. F. Perdomo Torres, 38 ff. 151 M. Köhler, FS Schroeder, 2006, 257 (263). 152 M. Köhler, FS Schroeder, 2006, 257 (263 f.); ähnlich auch J. C. Joerden, ZStW 120 (2008), 11 (19); K. Rogall, NStZ 2008, 1 (3). 153 M. Köhler, FS Schroeder, 2006, 257 (264 ff.).

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Nach Köhler erfasst der dargestellte objektive Zurechnungsgrund nicht nur „Fälle, in denen die personale Existenz ohne im engeren Sinne zurechenbaren Handlungsakt sich gleichwohl objektiv zurechenbar rechtswidrig auf eine andere Person auswirkt“, sondern auch solche „Komplexe, in denen die Person als lebendige Körperlichkeit und Sachen im technischen Zusammenhang miteinander verbunden sind“. Daher seien die Piloten und sonstigen Insassen eines Flugzeugs, das aufgrund höherer Gewalt oder eines technischen Defekts abzustürzen droht, zwangsduldungspflichtig.154 Der Umstand, dass – wie im Fall einer Flugzeugentführung – die Gefahr vorsätzlich durch einen Dritten verursacht worden ist, der die Hauptverantwortlichkeit trägt, ändere an der weiten Zurechnung zu Lasten der übrigen Flugzeuginsassen nichts: „Die der Person objektiv zwangsrechtlich zur Last fallende Gefahr ihrer eigenen personalen Freiheitssphäre, immanent zufällig auch verletzend für andere zu wirken, umschließt auch den einbeziehenden Gebrauch/,Mißbrauch‘ durch das Handeln eines anderen. Die (kriminelle) Inverfügungnahme rückt für die Betroffenen zwar zunächst an die Stelle des äußeren Zufalls. Aber sie schließt doch immanent wiederum an die Eigengesetzlichkeit einer bestimmt verfaßten personalen Sphäre an, die sie sich einbeziehend zunutze macht und wodurch sie sich auswirkt, vom Gegenstand (z. B. dem Messer) eines anderen als Tatwaffe bis hin zu komplexen technisch-gesellschaftlichen Bedingungen.“155

Konkret bedeute dies, dass im erforderlichen und verhältnismäßigen Umfang in die Rechtsgüter der nicht (haupt-)verantwortlichen Person eingegriffen werden darf, wenn ihre personale Sphäre sich nicht vom Handeln des hauptgefahrverantwortlichen Dritten trennen lässt. Bei schweren Verletzungsgefahren, insbesondere bei Lebensgefahr, sei auch eine Tötung gerechtfertigt. Die Tatsache, dass die duldungspflichtige Person die Gefahr nicht verschuldet hat, schließe nur eine Handlungszurechnung und damit zivil- und strafrechtliche Folgen aus, jedoch nicht die „Härte des unmittelbaren Zwangsrechts“.156 „Verfassungsrechtlich gewendet (Art. 1 GG): Die betroffene Person wird nicht bloß als Objekt behandelt, sondern als Subjekt einer objektiven Zurechnungsregel, an der sie mitkonstitutiv (gesetzgebend) teilhat.“157

Rogall stimmt Köhler zu und greift ebenfalls die Frage der Verletzung der Menschenwürde durch die Tötung von nicht gefahrverantwortlichen Personen auf. Eine solche Verletzung lehnt er mit der Begründung ab, der Defensivnotstandstäter sei ja (strafrechtlich) gerechtfertigt.158 Der Schluss von der straf154 M. Köhler, FS Schroeder, 2006, 257 (266 ). Die Kritik bei M. Ladiges, ZIS 2008, 129 (132), nehme ich daher, soweit es die fehlende Auswirkung der Anwesenheit der Flugzeuginsassen betrifft, zurück. 155 M. Köhler, FS Schroeder, 2006, 257 (268). 156 M. Köhler, FS Schroeder, 2006, 257 (269). 157 M. Köhler, FS Schroeder, 2006, 257 (269). 158 K. Rogall, NStZ 2008, 1 (4).

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rechtlichen Rechtfertigung auf das Fehlen eines Verstoßes gegen Art. 1 Abs. 1 GG ist jedoch nicht überzeugend, auch wenn Rogall Recht hat, dass das Bundesverfassungsgericht nur über die Ermächtigungsgrundlage in § 14 Abs. 3 LuftSiG und nicht über die Rechtmäßigkeit einer Ausführungshandlung entschieden hat. Denn die Menschenwürde steht nicht unter dem Vorbehalt der strafrechtlichen Rechtfertigung, sondern umgekehrt kann eine Handlung nur dann strafrechtlich gerechtfertigt sein, wenn sie nicht gegen die Menschenwürde einer anderen Person verstößt.159 Stübinger wendet sich gegen die von Köhler vertretene „Zurechnungsexpansion“ zu Lasten der nichtgefahrverantwortlichen Personen: „Deren schicksalhafte Verstrickung in das Angriffsinstrument soll im Wege einer rechtlichen Zurechnungserweiterung sanktioniert werden dürfen, während oder weil das Schicksal, das den Menschen, die als Zielscheibe des Anschlags gemacht werden sollen, erst noch droht, abgewendet werden kann. Wenn in dieser Weise der Zufall zu einem Moment der juridischen Imputation wird, mit dem über das Lebens-Recht von Unbeteiligten entschieden werden darf, dann könnte man ebenso sagen, dass die Menschen am Zielort das Schicksal der Passagiere teilen sollten, denn dann müsste insgesamt von einer zufälligen Verteilung des Lebensrisikos die Rede sein und es dürfte gar nicht mit Recht entschieden werden, wer weiterleben darf und wer sterben muss. Wer das Schicksal über Zurechnungsfragen der juridischen Vernunft entscheiden lassen möchte, der müsste es für alle gleichermaßen walten lassen. [. . .] Wer zwangsweise auf die Seite des Unrechts gezogen wird, verwirkt dadurch noch nicht sein eigenes Lebensrecht, auch wenn sich das Überlebensinteresse Dritter zu einem Zwangsrecht gegen einen Angreifer verdichtet haben mag.“160

Zwar kann nach überzeugender Auffassung auch die Tötung eines anderen Menschen durch die Anwendung der Grundsätze des Defensivnotstandes gerechtfertigt werden,161 jedoch wird eine derartige Anwendung in der Konstellation eines entführten Passierflugzeugs zu Recht überwiegend abgelehnt.162 Die 159 Vgl. zum Verhältnis von Verfassungsrecht und Strafrecht im Zusammenhang mit § 14 Abs. 3 LuftSiG auch T. Hörnle, Criminal Law and Philosophy 3 (2009), 111 (113 f.). 160 S. Stübinger, ZStW 123 (2011), 403 (421); gegen die weite Zurechnung auch A. Coninx, 86 ff. 161 T. Zimmermann, 168 ff.; Matt/Renzikowski-A. Engländer, § 34 Rdn. 33, 51; NK-U. Neumann, § 34 Rdn. 87; M. Ladiges, JuS 2011, 879 (881) m. w. N. auch zur Gegenauffassung; R. Merkel, JZ 2007, 373 (384). 162 Vgl. I. Bott, 103; A. Coninx, 86 ff.; G. Jakobs, 27 f.; T. Zimmermann, 306 Fn. 190; MüKo-V. Erb, § 34 Rdn. 125, der jedoch sodann (Rdn. 126 f.) die „unauflösliche[. . .] Einbindung des Opfers in die Gefahrenquelle“ und die Unrettbarkeit der Eingriffsadressaten als Argumente für die Rechtfertigung anführt; T. Fischer, § 34 Rdn. 18; Satzger/Schmitt/Widmaier-H. Rosenau, § 34 Rdn. 26; W. Frisch, FS Puppe, 2011, 425 (449 Fn. 104); F. Streng, FS Stöckel, 2010, 135 (146 ff.); H.-L. Günther, FS Amelung, 2009, 147 (153); C. Roxin, ZIS 2011, 552 (559); C. Jäger, JA 2008, 678 (682); T. Hörnle, New Criminal Law Review 10 (2007), 582 (588 f.).

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Tatsache, dass sich neben den Tätern noch andere Personen an Bord befinden, erhöht die Gefahrenquelle nicht oder zumindest nicht spürbar. Köhlers Argumentation ist entgegenzuhalten, dass er keine Kriterien für Konstellationen anbietet, in denen sich die Frage stellt, ob nicht auch die von der Gefahr betroffenen Personen im Sinne der von ihm dargestellten weiten Zurechnungsregeln verpflichtet sind, die Gefahr des zufälligen Todes zu erdulden. Man stelle sich vor, dass ein Attentäter eine entführte Airbus-Maschine auf die Airbusfabrik stürzen will, in denen sich ausschließlich Personen befinden, die an der Herstellung dieses Flugzeugs mitgewirkt haben. Oder der Entführer will eine Lufthansamaschine in die Hauptversammlung der Lufthansa AG lenken, um die dort befindlichen Aktionäre sowie die Mitglieder des Vorstands und des Aufsichtsrats zu töten. Im letzteren Fall könnte man annehmen, dass nach dem von Köhler herangezogenen Sprichwort „casum sentit dominus“ die Zwangsduldungspflicht der Aktionäre, die wirtschaftlich als Eigentümer des Lufthansa-Flugzeugs angesehen werden können, die der Flugzeuginsassen übersteigt. Auch wenn man eine kapitalmäßige Beteiligung an einem Unternehmen insoweit nicht ausreichen lassen will, ließe sich für den Airbus-Fall schon vertreten, dass diejenigen, die freiwillig an der Herstellung eines gefährlichen Produkts mitwirken (beim Flugzeug ergibt sich die Gefährlichkeit aus dem Risiko von Abstürzen) im Verhältnis zu den nicht-gefahrverantwortlichen Flugzeuginsassen die Realisierung dieser Gefahr dulden müssen.

II. Einseitige Verteilung von Rettungschancen Breiten Raum nimmt weiterhin die Diskussion um die Berücksichtigung der einseitigen Verteilung von Rettungschancen innerhalb einer Gefahrengemeinschaft – oder Gefahrgemeinschaft163 – ein. Eine wachsende Zahl von Autoren bejaht unter dem Aspekt der einseitigen Verteilung von Rettungschancen eine Rechtfertigung,164 oder tendiert zumindest zu einer Rechtfertigung,165 wenngleich viele am Tötungsverbot festhalten.166 163

Zur Begrifflichkeit T. Zimmermann, 299 ff. T. Zimmermann, insbesondere 375 ff.; G. Spendel, MUT Nr. 482, Oktober 2007, 62 (68 f.); siehe auch aus grundrechtlicher Sicht OVG NRW, NZWehrr 2009, 39 (40 f.); F. Winkeler, 248 ff.; U. Vosgerau, AöR 133 (2008), 346 (383). 165 W. Joecks, § 34 Rdn. 57 f.; U. Murmann, § 25 Rdn. 51: „Wird die Gefahr nicht auf einen Unbeteiligten verlagert, sondern nur zu Lasten der unrettbar Verlorenen modifiziert, um die zu retten, die sonst zusätzlich ihr Leben verlieren würden, wird man nicht sinnvoll von einer Abwertung menschlichen Lebens sprechen können.“; K. Kühl, § 8 Rdn. 158a [unter Hinweis auf M. Ladiges, JuS 2011, 879 (882)]: „Wer rettbares, erhaltbares Leben zusätzlich zu ohnehin verlorenem Leben ,opfern‘ will, muss sich fragen lassen, ob das nicht zu viele ,Opfer‘ sind.“; ders., JURA 2009, 881 (882); T. Zoglauer, 114, verweist auf die Asymmetrie der Überlebenschancen im Bergsteigerfall und will zugunsten derjenigen, die oben hängen und das Seil durchschneiden, sogar 164

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Hervorzuheben aus der strafrechtlichen Diskussion ist die eingehende Untersuchung von Zimmermann, der ausgehend von einem neo-kontraktualistischen Notstandsmodell Rettungstötungen bei Gefahrgemeinschaften – und zwar bei bestimmten Voraussetzungen auch bei einer mehrseitigen Verteilung von Rettungschancen – rechtfertigen will.167 Den Fall des Missbrauchs eines Passagierflugzeugs als Waffe ordnet Zimmermann überzeugend als Fall der einseitigen Verteilung von Rettungschancen ein.168 Das Überwiegen des Überlebensinteresses der bedrohten Menschen am Boden bejaht er wie folgt: „Wer genau weiß, dass, wie und wann er baldigst stirbt, hat eine qualitativ andersgeartete Zukunft als bloß ein ,alter‘ Mensch; niemand wünscht sich ein Leben im Angesicht des konkreten, unmittelbar bevorstehenden, ,unnatürlichen‘ Todes. Daher lässt sich sagen, dass der ,open-end-Charakter‘ eines menschlichen Lebens unter allen denkbaren Lebensqualitätsaspekten eine ganz besondere Rolle einnimmt, weshalb sein Wegfall die ausnahmsweise Berücksichtigung eines solchen Aspekts bei der Interessenabwägung durchaus zu rechtfertigen vermag. Man wird deshalb in den asymmetrischen Gefahrgemeinschafts-Fällen tatsächlich von einem ,wesentlich überwiegenden Lebensinteresse‘ auf Seiten der faktisch Rettbaren sprechen können. Damit ist übrigens nicht, wie die schlagwortartige Verkürzung auf die Formel ,Abwägung Leben gegen Leben‘ suggeriert, die Aussage verbunden, ein zukunftsoffenes Leben sei ,wertvoller‘ als ein todgeweihtes; denn zweifellos stehen sich nach wie vor absolut gleichwertige Rechtsgüter gegenüber. Lediglich das realisierungsfähige Interesse an diesen Rechtsgütern – und darauf, nicht auf die Rechtsgüterabwägung, kommt es nach Auskunft von § 34 StGB an – ist ein unterschiedliches. Diese unterschiedliche Interessenlage bezüglich gleichwertiger Rechtsgüter ist es, die hier eine Abwägung gestattet.“169

Auch die Angemessenheitsklausel des § 34 Satz 2 StGB schließe dann die Tötung von Unbeteiligten nicht aus. Aus der einseitigen Verteilung von Rettungschancen resultiere „ein nicht unwesentlich erhöhtes altruistisches Interesse am Überleben der rettbaren Gefahrgenossen“, wobei anzunehmen sei, dass auf-

eine Rechtfertigung durch Notwehr (!) anerkennen. Siehe auch T. Hörnle, New Criminal Law Review 10 (2007), 582 (600 ff.) bei einem Abschuss durch Hoheitsträger des Staates. 166 Siehe z. B. N. Iwangoff, 127 f.; Dölling/Duttge/Rössner-G. Duttge, § 34 Rdn. 20; Matt/Renzikowski-A. Engländer, § 34 Rdn. 33; T. Fischer, § 34 Rdn. 17 ff.; AnwKStGB-P. Hauck, § 34 Rdn. 14; Schönke/Schröder-W. Perron, § 34 Rdn. 24; Satzger/ Schmitt/Widmaier-H. Rosenau, § 34 Rdn. 23; LK-F. Zieschang, § 34 Rdn. 17b, 65; F. Streng, FS Stöckel, 2010, 135 (140 ff.); C. Roxin, ZIS 2011, 552 (557); S. Stübinger, ZStW 123 (2011), 403 (423); M. Bergmann/S. Krohe, JURA 2010, 946 (952 f.). Ebenso im Zusammenhang mit der Tötung eines siamesischen Zwillings A. Koch, GA 2011, 129 (139 ff.), der allerdings unter bestimmten Voraussetzungen eine Rechtfertigung nach den Grundsätzen des Defensivnotstands bejaht. 167 T. Zimmermann, 375 ff.; ähnlich nun auch A. Coninx, 94 ff. 168 Vgl. T. Zimmermann, 304. 169 T. Zimmermann, 376 f.

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grund dieses Interesses der Einzelne hinter dem Schleier des Nichtwissens der Regelung „Jedermann ist (als Ultima ratio) dazu verpflichtet, im Angesicht des unabwendbaren und unmittelbar bevorstehenden eigenen Todes seine kurze Rest-Lebenszeit für einen Gefahrgenossen aufzuopfern, falls dieser ausschließlich durch besagtes Opfer noch gerettet werden kann.“ zustimmen würde.170 Zimmermann hält fest: „Unter den Umständen der asymmetrischen Gefahrgemeinschafts-Fälle besteht für die Individuen hinter dem Schleier des Nichtwissens kein Grund, die Forderung nach einem Selbstopfer als ,unzumutbar‘ zurückzuweisen; die kapitale Vereitelung des Lebensentwurfs des Solidaritätspflichtigen, vor der ihn die Angemessenheitsklausel bewahren soll, ist in diesen Fällen bereits weitestgehend von der Realität besorgt. Das existentielle Selbstopfer liegt hier auch im (altruistischen) Interesse des sich opfernden Individuums, weshalb es von der eigenen Tötung zwecks Rettung anderer profitiert.“171

Auch die gegen die Rechtfertigungslösung vorgebrachten Argumente, wie die bestehenden Prognoseunsicherheiten oder die Gefahr eines „Dammbruchs“, widerlegt Zimmermann inhaltlich weitgehend übereinstimmend mit der Erstauflage.172 Die Gegenposition wird monographisch von Bott vertreten, der eine Rechtfertigung von Tötungen im Lebensnotstand kategorisch ablehnt und dabei das bekannte Argumentationsmuster eines „absoluten Lebensschutzes“173 bedient: „Einem Menschen das Recht zuzusprechen, einem anderen Menschen das Leben nehmen zu können, ohne dass dieser durch sein eigenes Verhalten einen Anlass zu einem solchen Eingriff gegeben hat, widerspricht durch seine gleichzeitige Erhöhung wie Erniedrigung des menschlichen Lebens sowohl der Menschenwürde als auch dem Grundgedanken einer am Menschen und der absoluten Wertschätzung des Lebens ausgerichteten humanen Rechtsordnung.“174

Auf die Tatsache, dass sowohl nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts als auch nach der EMRK Eingriffe in das Lebensrecht Unbeteiligter denkbar sind, geht Bott jedoch nicht ein.175 Unsere Rechtsordnung geht – 170

T. Zimmermann, 387. T. Zimmermann, 388; siehe bereits ähnlich oben S. 468. 172 T. Zimmermann, 392 ff.; siehe bereits oben S. 466 f., 473; hinsichtlich der Prognoseunsicherheiten ebenso nun auch A. Coninx, 242 ff. Aus grundrechtlicher Perspektive U. Vosgerau, AöR 133 (2008), 346 (374): „Sollte das Argument der Prognoseunsicherheit so entscheidend sein, wie es im Zusammenhang mit dem LuftSiG nunmehr teilweise behauptet wird, so dürften Polizisten keine Schußwaffen mehr tragen, und der finale Rettungsschuß müßte jedenfalls verboten sein.“ 173 Vgl. I. Bott, 40, 69. 174 I. Bott, 69, 122. 175 Bemerkenswert ist, dass Bott damit implizit sagt, dass die EMRK, die in Art. 15 Abs. 2 die Möglichkeit der Rechtfertigung der Tötung von Unbeteiligten vorsieht, kein Teil einer humanen Rechtsordnung sein kann. 171

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wie auch Art. 2 Abs. 2 Satz 3 GG zeigt – gerade nicht von der absoluten Wertschätzung des Lebens aus, so dass der Ausgangspunkt von Botts Argumentation schief ist.176 Gleichwohl hält Bott seine Argumentation – anders als viele andere – konsequent durch, indem er z. B. eine allgemeine strafrechtliche Rechtfertigung der Tötung des sich im Geburtsvorgang befindlichen Kindes ablehnt177 und auch für die Konstellation des § 14 Abs. 3 LuftSiG die in der Literatur vorgebrachten Argumente für die Entschuldigungslösung einer kritischen Betrachtung unterzieht.178 Die hier vertretene Rechtfertigungslösung lehnt Bott – teilweise in überzogener und unsachlicher Form – ab und wendet sich insbesondere gegen die Berücksichtigung der Tatsache, dass bei einer Gefahrengemeinschaft mit einseitiger Verteilung der Rettungschancen die getöteten Personen nur noch eine geringe Lebenserwartung haben.179 Dabei fällt eingangs auf, dass Bott den Ausgangspunkt, dass wegen der Endlichkeit des Lebens eine Rettung immer (nur) eine Lebenszeitverlängerung ist,180 scheinbar nicht verstanden hat. Er meint, es gehe in der Konstellation der Flugzeugentführung gar nicht um eine Rettung der Passagiere, die ohnehin überleben würden, wenn das Flugzeug nicht in das Anschlagsziel am Boden gesteuert werden würde. Auf Grundlage dieses Verständnisses kritisiert er die Aussage, dass eine Rettung der Flugzeugpassagiere auf Kosten der bedrohten Menschen am Boden allenfalls in Form einer kurzfristigen Lebenszeitverlängerung möglich ist.181 Diese Kritik geht jedoch fehl. Ein Flugzeugabschuss würde stets zeitlich vor dem Absturz in das Anschlagsziel liegen. Das Leben der Passagiere würde also durch das Unterlassen eines Abschusses verlängert werden und in dieser Verlängerung liegt dann die – wenn auch nur ganz kurzfristige – Rettung der Passagiere. Indem Bott meint, diese Verlängerung des Lebens stelle schon gar keine Rettung dar, zeigt er implizit, dass auch er dieser Lebenszeitverlängerung weniger Gewicht beimisst als einem „dauerhaften“ Überleben. Auch Botts Kritik gegen die Darstellung des Urteils des BGH vom 28. Juli 1970 – 1 StR 175/70182 überzeugt nicht, wenn man sich in Erinnerung ruft, dass der Tod eines jeden Menschen eine Gewissheit ist, so dass jede Lebenszeitverlängerung eine Rettung darstellt. Unter diesem Aspekt kann von einer Rettung gesprochen werden, wenn ein Handeln (oder Unterlassen) bewirkt, dass der Tod z. B. erst um 12:01 Uhr eintreten wird, während der Tod bei der geforderten Rettungshandlung zwar nicht mit Sicherheit, aber doch

176 177 178 179 180 181 182

Kritsch zu Recht auch T. Hörnle, GA 2012, 317. I. Bott, 105 ff. I. Bott, 177 ff. I. Bott, 61 ff. Vgl. oben S. 460. Vgl. I. Bott, 60. Vgl. oben S. 459 f.

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möglichweise183 um 12:00 Uhr eingetreten wäre. Ausgehend von Botts Kritik wäre z. B. die Sicherheit, von 12:00 bis 12:01 Uhr noch zu leben, besser als das Risiko, bereits um 12:00 Uhr zu sterben, auch wenn dann eine Aussicht auf eine langfristige Überlebensmöglichkeit bestünde. – Jeder mag selbst beurteilen, ob man dieses Ergebnis teilen möchte.

183 Dass diese Möglichkeit bestand, wird durch die Formulierung des BGH, dass der Tod „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ nicht eingetreten wäre (BGH, JZ 1973, 173), nicht ausgeschlossen.

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– Reform der Wehrverfassung, Frankfurt, 2008, (zit.: Reform). – Auslandseinsatz der Streitkräfte und Grundrechte, in: NZWehrr 2008, S. 89–102. – Der Einsatz bewaffneter deutscher Streitkräfte im Ausland, in: AöR 132 (2007), S. 44–94. – Änderung des Art. 35 GG, „Quasi-Verteidigungsfall“ oder Neuordnung der Wehrverfassung. Der Umgang mit dem Luftsicherheitsurteil des Bundesverfassungsgerichts, in: ZG 2007, S. 97–134. – Vorschlag zur Neufassung des Art. 35 GG, in: ZRP 2007, S. 17–20. Winkeler, Frank: Bedingt abwehrbereit? Die verfassungsrechtliche Zulässigkeit von Gefahrenabwehrmaßnahmen auf Kosten Unschuldiger am Beispiel des Luftsicherheitsgesetzes, Stuttgart u. a. 2007. Wolff, Heinrich Amadeus: Der verfassungsrechtliche Rahmen für die Verwendung der Streitkräfte zur Abwehr von Piraterie, in: ZG 2010, S. 209–221. – Verwendungen der Bundeswehr im Rahmen der Amtshilfe, in: Weingärtner, Dieter (Hg.), Die Bundeswehr als Armee im Einsatz. Entwicklungen im nationalen und internationalen Recht, Baden-Baden 2010, S. 171–187. Wolter, Jürgen: Menschenwürde, Kernbereich privater Lebensgestaltung und Recht auf Leben (Schwerpunkt: Wohnungsüberwachung im Strafprozess- und Polizeirecht), in: Hettinger, Michael u. a. (Hg.), Festschrift für Wilfried Küper, Heidelberg 2007, S. 707–722. Würtenberger, Thomas: Sicherheitsarchitektur im Wandel, in: Kugelmann, Dieter (Hg.), Polizei unter dem Grundgesetz, Baden-Baden 2010, S. 73–90. Zieschang, Frank: Der rechtfertigende und der entschuldigende Notstand, in: JA 2007, S. 679–685. Zimmermann, Andreas: Grundrechtseingriffe durch deutsche Streitkräfte im Ausland und das Grundgesetz, in: ZRP 2012, S. 116–119. Zimmermann, Andreas/Bork, Katharina: Das Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Luftsicherheitsgesetz und seine Bedeutung für ein zukünftiges Seesicherheitsgesetz, in: Zimmermann, Andreas/Tams, Christian J. (Hg.), Seesicherheit vor neuen Herausforderungen, Kiel 2008, S. 79–95. Zimmermann, Andreas/Geiß, Robin: Die Tötung unbeteiligter Zivilisten: Menschenunwürdig im Frieden – Menschenwürdig im Krieg?, in: Der Staat 2007, S. 377–393. Zimmermann, Till: Rettungstötungen. Untersuchungen zur strafrechtlichen Beurteilung von Tötungshandlungen im Lebensnotstand, Baden-Baden, 2009. Zoglauer, Thomas: Tödliche Konflikte. Moralisches Handeln zwischen Leben und Tod, Stuttgart 2007.

Sonstige Dokumente (Auswahl) Baldus, Manfred: Öffentliche Anhörung des Innenausschusses des Deutschen Bundestages am 26. April 2004 – Schriftliche Stellungnahme – zum Gesetzentwurf der Bundesregierung „Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben“ (BT-Drucks. 15/2361), – dem Antrag der Abgeordneten Clemens Binninger, Wolfgang Bosbach, Hartmut Koschyk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU „Mehr Sicherheit im Luftverkehr“ (BT-Drucks. 15/747) und – zum Gesetzentwurf der Abgeordneten Wolfgang Bosbach, Dr. Wolfgang Schäuble, Hartmut Koschyk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Art. 35 und Art. 87a)“ (BT-Drucks. 15/2649); BT-Innenausschuss-Drucksache, A-Drs. 15(4)102 D, (zit.: Stellungnahme). Epping, Volker: Schriftliche Stellungnahme im Rahmen der öffentlichen Sachverständigenanhörung des Innenausschusses des Deutschen Bundestages am 26. April 2004 zu dem a) Gesetzentwurf der Bundesregierung Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben, BTDrucks. 15/2361, b) Antrag der Abgeordneten Clemens Binninger u. a. Mehr Sicherheit im Luftverkehr, BT-Drucks. 15/747, c) Gesetzentwurf der Abgeordneten Wolfgang Bosbach, u. a. Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Art. 35 und Art. 87a), BT-Drucks. 15/2649, BT-Innenausschuss-Drucksache, A-Drs. 15(4)102 B, (zit.: Stellungnahme). Robbers, Gerhard: Stellungnahme für die Öffentliche Anhörung des Innenausschusses des Deutschen Bundestages am 26. April 2004 zu dem a) Gesetzentwurf der Bundesregierung Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben, BTDrucks. 15/2361, b) Antrag der Abgeordneten Clemens Binninger, Wolfgang Bosbach, Hartmut Koschyk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU Mehr Sicherheit im Luftverkehr, BT-Drucks. 15/747,

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Sonstige Dokumente (Auswahl)

c) Gesetzentwurf der Abgeordneten Wolfgang Bosbach, Dr. Wolfgang Schäuble, Hartmut Koschyk, weiterer Abgeordneter und der Fraktion der CDU/CSU „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Grundgesetzes (Art. 35 und Art. 87a)“ (BT-Drucks. 15/2649); BT-Innenausschuss-Drucksache, A-Drs. 15(4)102 A, (zit.: Stellungnahme). Scholz, Rupert: Schriftliche Stellungnahme zur Sachverständigenanhörung des Innenausschusses des Deutschen Bundestages am 26. April 2004 zum Entwurf eines Gesetzes zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben (BT-Drucks. 15/2361), zum Antrag der CDU/CSU-Bundestagsfraktion „Mehr Sicherheit im Luftverkehr“ (BTDrucks. 15/747) sowie zum Gesetzesantrag der CDU-CSU-Bundestagsfraktion zur Änderung des Grundgesetzes (Art. 35 und Art. 87a) (BT-Drucks. 15/2649); BT-Innenausschuss-Drucksache, A-Drs. 15(4)102 E, (zit.: Stellungnahme). Tettinger, Peter J.: Anmerkungen zu den verfassungsrechtlichen Implikationen einer Gesetzesänderung zur Neuregelung von Luftsicherheitsaufgaben; BT-Innenausschuss-Drucksache, A-Drs. 15(4)102 C, (zit.: Stellungnahme). Öffentliche Anhörung von Sachverständigen zum Thema „Luftsicherheitsgesetz“ am 26. April 2004, Innenausschuss-Protokoll Nr. 15/35, (zit.: Sprecher, Anhörung).

Sach- und Personenregister Aggressionsdefinition 71, 107, 116, 128 Air-Policing 43, 99 Altmaier, Peter 45 Amtshilfe, allgemeine 38, 202, 238 Angriff, mittelbarer 124, 127 Aufopferungspflicht 307, 308, 316, 345, 367, 391, 393, 435 AWACS-Luftraumüberwachung 48, 53, 258 Befehls- und Kommandogewalt 144, 145, 159, 170, 243, 274 Befehlsrecht 398, 402 Begrenzungsfunktion 62 Bergsteigerfall 424, 431, 434, 440, 441 Bewaffneter Angriff 71, 76, 83, 105, 114, 128 Bundesauftragsverwaltung 192, 195, 198 Burgbacher, Ernst 325 Bush, George W. 294, 443 Caroline-Fall 81 Cheney, Dick 443 Chicago Convention 90, 91, 494 Dammbruch 387, 430, 455, 466 Defensivnotstand, rechtfertigender 413, 426, 440, 451, 496 Dienstlicher Zweck 399 Dogmatik der Grenzsituation 307, 317 Eigensicherung 60, 114, 116, 136, 142, 152 Einsatzbegriff 33, 225, 230, 237 – zweigliedriger 38 Einwilligung, mutmaßliche 357, 461 EMRK

– Art. 15 271, 293, 384 – Art. 2 288 Enduring Freedom 74 Entscheidungskompetenz – regionaler Katastrophennotstand 253 – überregionaler Katastrophennotstand 241 – Verteidigungseinsatz 143 Entschuldigender Notstand 476 – übergesetzlicher 480 Entschuldigungslösung 395, 455, 476, 481 Euthanasie 421, 429, 457, 477, 480 Failed State 87 Folter 324, 334, 354, 368, 392, 395, 418 Gefahrengemeinschaft 420 – bei Schwangerschaft 453 – einseitige Verteilung von Rettungschancen 424 – mehrseitige Verteilung von Rettungschancen 421 Gertz, Bernhard 398 Gesamtunglücksfall 227 Gewaltverbot 61, 68, 86, 129 Grundrecht auf Leben 355 – Dispositionsbefugnis 358 – Verhältnismäßigkeit 361 – Verzicht 357 Grundrechtskollision 375 Handeln auf Befehl 478 Haufenparadoxie 306 Höchstwert 347, 356, 371, 457

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Sach- und Personenregister

Innerer Notstand 264 Internationaler Gerichtshof 72, 78 Judicial Restraint 152 Jung, Franz Josef 58, 276, 327, 351, 398 Kant, Immanuel 307, 332 Katastrophennotstand – Einsatzmittel 228 – Präventiveinsatz 213 – Rechtsgrundlagen 211 – Voraussetzungen 206 Katzenkönigfall 412, 432, 457 Klugheitsmaxime 409, 467, 469 Köhler, Horst 57, 201 Kollegialorgan 143, 243, 252 Kombattantenstatus 59, 104, 106, 110, 114, 489 Körper, Rudolf 325 Kriegshandlung, rechtmäßige 294, 295 Kriegsvölkerrecht 62, 295, 331, 341, 349, 355, 395 Lebensgefährdung – bei Wehrpflicht 345 – von Unbeteiligten 284 Lebenszeitverkürzung 369, 427, 443, 460, 464, 471 Leber, Georg 146, 248 Luftraumüberwachung, allgemeine 44 Luftsicherheit 163, 166, 179, 198, 236, 362 Luftsicherheitsgesetz – Gesetzgebungsverfahren 187 – Gesetzgebungszuständigkeit 177 – Inhalt 167 – Zustimmungsbedürftigkeit 190 Luftverkehrsverwaltung 197, 273 Medizinische Indikation 444, 450, 472 Menschenwürde 30, 269, 279, 288, 299, 310, 344, 350, 383, 388 Mignonette-Fall 437, 442

NATO 27, 33, 50, 57, 74, 84, 99, 101, 139, 258 Neuausrichtung des Verteidigungsbegriffes 96 Neutralität, innenpolitische 36 Nothilfe 404, 468 Notkompetenz 247, 249 Notrecht – ungeschriebenes 275 – völkerrechtliches 95 Notstand, rechtfertigender 406 – Legitimationsansätze 408 Objektformel 318, 324, 334, 355, 447, 490 – Konkretisierung 337 – Offenheit 332 – philosophischer Hintergrund 332 Objektschutz 51, 160, 226, 261, 263 Organisation Amerikanischer Staaten 73 Parlamentsvorbehalt 49, 143, 255 Pau, Petra 45, 325 Perforation 450, 466, 469 Pflichtenkollision 422, 449, 478, 481 Pflichtenkollision, rechtfertigende 416, 423, 461, 465, 496 Praktischer Imperativ 333 Präventiveinsatz 213, 214, 224, 227, 240 Prognoseunsicherheiten 107, 115, 148, 226, 320, 329, 369, 388, 429, 455, 473 Quantifizierung 310, 316, 324, 354, 459 – bei Pflichtenkollision 461 Re A 439 Rechtsfreier Raum 482 Requisitionsprinzip 218 Rettungsschuss 280, 311 Robertson, George 74 Rousseau, Jean-Jacques 307, 346, 350 Rühe, Volker 57, 118

Sach- und Personenregister Schäuble, Wolfgang 39, 53, 159, 326 Schily, Otto 165, 174 Schleyer-Urteil 367, 379, 380 Schmidt, Helmut 204 Schröder, Gerhard 50, 74, 294 Schutzpflicht 105, 230, 248, 275, 281, 310, 322, 366, 375, 417, 458, 491 Schutzschild 351, 405, 416 Schwangerschaftsabbruch 323, 356, 370, 373, 379, 444, 483 Seesicherheitsgesetz 31 Selbstverteidigungsrecht 59, 60, 67, 92, 96, 105, 114, 119, 148, 272, 295 Spannungsfall 262, 263 Sterbehilfe 385, 428 Streitkräftebegriff 158 Ströbele, Hans-Christian 173, 325 Struck, Peter 97, 241, 248, 275

Todesgeweihtheit 30, 311, 320, 368, 384, 427, 442 Tötungsverbot, Legitimation 472 Trennungsgebot 64

Unbeteiligter, Begriff 282 UN-Sicherheitsrat 73, 83, 86, 129 Unverbindlichkeit, eines Befehls 399 US v Holmes 437, 438. 441

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UZwG 283, 286 UZwGBw 61, 114, 137, 283, 353, 474 VBSK 398, 457 Verbotsirrtum 432, 476, 481 Verteidigungsbegriff 29, 55, 90, 110 Verteidigungsfall 56, 57, 60, 116, 126, 143, 144, 150, 154, 181, 185, 250, 262, 308, 326, 327, 340, 474 Verteidigungspolitische Richtlinien 97, 98, 101 Verwaltungsverfahren 194 Verwendung, militärische 36 Wagner, Hans Georg 45 Wassmann, Thomas 398 Wehrpflicht 41, 345 Weichenstellerfall 470 Weißbuch 2006 97, 140, 278 Wesensgehaltsgarantie 281, 389 Westerwelle, Guido 48, 325 Widerstandsrecht 302, 304, 308, 350 WRV – Art. 48 Abs. 2 111, 268 – Art. 79 111 Würdekern 311, 313, 318 Zwillinge, siamesische 439, 442 Zypries, Brigitte 328