Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses: Bestandsschutz- und Mobilitätsinteresse des Arbeitnehmers in Abwägung zum Organisationsinteresse des Arbeitgebers [1 ed.] 9783428503674, 9783428103676

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Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses: Bestandsschutz- und Mobilitätsinteresse des Arbeitnehmers in Abwägung zum Organisationsinteresse des Arbeitgebers [1 ed.]
 9783428503674, 9783428103676

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KATHARINA GAMILLSCHEG

Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses

Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht Band 196

Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses Bestandsschutz und Mobilitätsinteresse des Arbeitnehmers in Abwägung zum Organisationsinteresse des Arbeitgebers

Von

Katharina Gamillscheg

Duncker & Humblot · Berlin

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme

Gamillscheg, Katharina:

Die Beendigung des Arbeitsverhältnisses : Bestandsschutz und Mobilitätsinteresse des Arbeitnehmers in Abwägung zum Organisationsinteresse des Arbeitgebers I Katharina Gamillscheg. Berlin : Duncker und Humblot, 2001 (Schriften zum Sozial- und Arbeitsrecht; Bd. 196) Zug!.: Berlin, Freie Univ., Diss., 2000 ISBN 3-428-10367-X

D 188 Alle Rechte vorbehalten Humblot GmbH, Berlin Fremddatenübernahme: Klaus-Dieter Voigt, Berlin Druck: Werner Hildebrand, Berlin Printed in Germany

© 2001 Duncker &

ISSN 0582-0227 ISBN 3-428-10367-X Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706 9

Meinen Eltern

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommersemester 2000 vom juristischen Fachbereich der Freien Universität Berlin als Dissertation angenommen. Mein Dank richtet sich an die Freie Universität Berlin, vertreten durch den Dekan des rechtswissenschaftliehen Fachbereichs Herrn Professor Dr. Hubert Rottleuthner, für die Möglichkeit, diese Arbeit auf einer wissenschaftlichen Mitarbeiterstelle zu erstellen. Besonderen Dank schulde ich Herrn Professor Dr. Claas-Hinrich Germelmann, Vizepräsident des Landesarbeitsgerichts Berlin. Er war nicht nur bereit, das Zweitgutachten zu dieser Arbeit zu übernehmen und zügig zu erstellen, sondern hat mir während meiner Tätigkeit immer sehr wertvolle fachliche Anregungen auch zu anderen wissenschaftlichen Ausarbeitungen gegeben. Persönlich besonders verbunden fühle ich mich Herrn Professor Dr. Dieter Heckelmann, für den ich fünf Jahre lang jeden Tag sehr gerne gearbeitet habe. Seine menschliche Wärme und fachliche Kompetenz waren prägend für das sehr gute Klima am Lehrstuhl. Die vorliegende Arbeit hat er durch zahlreiche Anregungen und konstruktive Kritik begleitet. Für alles gilt ihm mein aufrichtiger Dank! Herzlich danke ich an dieser Stelle auch Frau Angelika Thymian für die Übernahme der Korrekturarbeiten. Berlin, im April 2001

K. G.

Inhaltsverzeichnis Teil A

Einleitung I. Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Abgrenzung des Bestandsschutzes zu anderen Forderungen und Ansprüchen l. "Recht auf Arbeit"? . . . . . . . .. . .. . .. . . . . . . . . . . . . . .. . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Vergabe der Arbeitsplätze nach objektiven Kriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Recht am Arbeitsplatz als absolutes Recht?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111. Gang der Arbeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

21 21 25 25 27 29 29

Teil B

Grundrechte im Arbeitsrecht und ihre Abwägung I. Grundrechte und einfachgesetzliche bzw. tarifliche Regelungen . . . . . . . . . . . l. Respekt vor dem Gesetzgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Respekt vor der Tarifautonomie. . .... . . ... . .......... . . . . .. . ....... . II. Grundrechte und der Einzelne als Anspruchsberechtigter . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Anspruch der Bürger gegen den Staat. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Objektive Wertordnung der Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Schutzpflichten der Grundrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Verhältnis von der objektiven Wertordnung der Grundrechte und Schutzpflichtlehre . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Arbeitsvertragsbezogene Grundrechte und Sozialstaatsprinzip. . . . . . . . . . . a) Sozialstaatsprinzip als Auslegungsmaßstab . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Art. 12 Abs. l GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Schutzpflichten zugunsten des Arbeitnehmers. . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Schutzpflichten zugunsten des Arbeitgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Art. 14 Abs. I GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Art. 2 Abs. I GG . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

32 32 32 34 35 35 36 37 38 38 38 39 40 41 41 42

Teil C

Freiheitliche Gewährleistungen des Art. 12 GG für das Mobilitätsinteresse des Arbeitnehmers

44

I. Verbot des Zwangs zur Arbeit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 I. Abschlußfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 2. Zwang zur Arbeit durch das SGB III? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44

10

Inhaltsverzeichnis

II. Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitnehmer - Gewährleistung des Mobilitätsinteresses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Kündigungsfreiheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Ordentliche Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Gesetzliche Kündigungsfristen... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (I) Zweck der Kündigungsfrist....................... .. ..... (2) Verstoß gegen das Mobilitätsinteresse?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Länge der Kündigungsfristen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Kündigungsfrist bei Langzeitverträgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Arbeitsvertragliche Vereinbarungen über Kündigungsfristen . . . . . cc) Verlängerung oder Verkürzung der Fristen durch tarifliche Regelungen.............. . ................................. . ... b) Außerordentliche Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Antrag auf Auflösung........ . .................................... . a) Anforderungen an die Unzumutbarkeit der Fortsetzung nach herrschender Ansicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Anforderungen an die Unzumutbarkeit der Fortsetzung nach den Grundsätzen der praktischen Konkordanz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Besonderheit bei nichtiger Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Verfahrensrechtliche Besonderheit. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Aufhebungsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Befristung auf Wunsch des Arbeitnehmers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5. Widerspruch beim Betriebsübergang......... .. . . ....... .. .... . . . ... . 6. Berufsausbildungsvertrag. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7. Rückzahlungsklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Zulässigkeit von Rückzahlungsklauseln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rückzahlungsklauseln in Tarifverträgen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Übernahme von Ausbildungskosten....... . . ... .. .. ........ .... .. . 8. Wettbewerbsvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Widerstreitende Interessen.... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gesetzliche Lösung zur Herstellung "praktischer Konkordanz" . . .... . 9. Unverfallbarkeit des betrieblichen Ruhegelds . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Entwicklung der betrieblichen Altersversorgung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtsgrundlagen für die betriebliche Altersversorgung . . . . . . . . . . . . . c) Verletzung des Mobilitätsinteresses bei alter Rechtslage. . ... . ...... . d) Korrektur der Rechtslage durch das Bundesarbeitsgericht und den Gesetzgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . e) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

46 46 46 47 47 47 47 48 48 48 49 49 50

51 52 53 54 55 56 56 56 57 58 58 59 59 60 61 61 61 61 62 63 63

Inhaltsverzeichnis

II

Teil D

Die Gewährleistungen der Grundrechte und ihre Umsetzung Kündigung und aUgemeiner Kündigungsschutz

65

I. Abschnitt

Umsetzung der Schutzpflichten des Art. 12 Abs. 1 GG mit dem vordringlichen Ziel des Arbeitnehmerschutzes I. Kündigungsschutzgesetz und Wirklichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Studie des Max-Planck-Instituts/Hamburg ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Erste Instanz.. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Berufungsinstanz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . d) Rückschluß auf heutige Lage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Statistik der Arbeitsgerichte .... . .. . ... . . . . . . .. .. . . .. , . . . . . . . . . . . . . . a) Arbeitsgerichte. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Analyse.. . ............. .. .... . . . ........................... . . . 3. Kurzzeitige Änderungen im Arbeitsförderungs-Reformgesetz und im Sozialgesetzbuch. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Analyse der wesentlichen Ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Bestandsschutz durch allgemeine Formeln . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Kündigungsschutz außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes . . . . . . . . . . . . a) Treu und Glauben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Treu und Glauben und "sozialwidrige Kündigungen" . . . . . . . . . . . bb) Treu und Glauben und andere Fälle . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kündigung zur Unzeit . . . ............. . .... ... .... . ..... . ..... .. c) Sittenwidrigkeit....... .. ............ . .... . . ... ..... .... ... .. . . . 2. Bestandsschutz durch Androhung von Schadensersatzforderungen . . . . . . . a) ,,Mobbing" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Allgemeines Schadensrecht? .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Bestandsschutz durch das Kündigungsschutzgesetz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Vorläufer des Kündigungsschutzgesetzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Allgemeine Anforderungen an eine sozialgerechte Kündigung . . . . . . . . . . a) Wesen der Kündigung als Prognoseentscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Grundsatz der ultima ratio.. . .. ..... .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . c) Interessenahwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Dogmatische Legitimation einer allgemeinen Interessenabwägung.......... . ... . . .................. . . . ..... . ........... (I ) Allgemeine Interessenahwägung als Schöpfung der Rechtsprechung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Ansicht von Hueck/v. Hoyningen-Huene. . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Ansicht von Preis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

65 65 66 66 67 68 70 71 71 73 75 76 77 77 77 77 80 81 82 82 82 84 84 85 85 86 87 88 90 90 90 91 92

12

Inhaltsverzeichnis (4) Spätere Ansicht des Bundesarbeitsgerichtes.... . ........ .. . (5) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Erhebliche Umstände der Abwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Einzelne Kündigungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Personenbedingte Gründe der Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Krankheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (I) Ultimaratio Prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Interessenahwägung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Alter... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Ausländer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verhaltensbedingte Kündigung ................. . . . ............... aa) Verhaltensbedingte Gründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (I) Art der Störung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Betriebsbezogenheil der Störung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Ultimaratio ....... . .. ..................................... (I ) Versetzung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Ahmahnung ... . . . .. . ..... . .. .......................... cc) Interessenahwägung ... ............... . .... . . ... ...... . ..... c) Sonderfall: Verdachtskündigung ............ . ..................... aa) Kündigungsgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Ultimaratio ..... .. .. .... ... .. . . . ... . ....... .. ......... . . . . cc) Wiedereinstellungspflicht bei Entkräftung des Verdachts ........ d) Sonderfall: Gefährdung von Betriebsgeheimnissen..... ... .......... e) Betriebsbedingte Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Dringende betriebliche Erfordernisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Ultimaratio ....... ... ........ . ..... . .... . . . ...... . ........ (I) Weiterbeschäftigung auf freiem Arbeitsplatz . . . . . . . . . . . . . . . (a) Gesetzliche Regelung: § I Abs. 2 S. 2 Nr. I b) KSchG . (b) Versetzung innerhalb des Unternehmens? .... . ......... (c) Rechtliche Situation bei Widerspruch des Aufnahmebetriebs?.... . . .. ........ .. . . ......................... (2) Versetzung innerhalb eines Konzerns ? . . .... . ..... ... ..... (3) Anordnung von Kurzarbeit .......... . ................. .. (4) Verstoß bei Beschäftigung von Leiharbeitnehmern? ... .. . . .. f) Sonderfall: Druckkündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Kündigungsgrund . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Dogmatische Einordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Exkurs: Entschädigungspflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Ultima Ratio..... .. ... . .. . . . ........... .... .. . ......... .. .. g) Absolute Sozialwidrigkeitsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Widerspruch gemäߧ I Abs. 2 S. 2 Nr. I a) und b) KSchG ..... bb) Auswahlrichtlinie . ...... . . . . .... ........... . ..... .. .. . .. .. . 4. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

92 93 94 96 96 96 98 98 99 I0 I 102 I 02 102 103 104 I 04 104 106 106 106 107 108 109 109 I09 III !II 111 112 112 113 115 116 117 117 117 117 118 119 120 120 121 122

Inhaltsverzeichnis IV. Bestandsschutz durch den Anspruch auf Weiterbeschäftigung .... . .. . . .. . . I. Anspruch auf Weiterbeschäftigung gemäß § I 02 Abs. 5 BetrVG . . . . . . . . a) Notwendigkeit der Weiterbeschäftigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Gesetzliche Regelung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtsfortbildung: Weiterbeschäftigungsanspruch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Begründung für die Rechtsfortbildung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Rechtsfolgen bei Wirksamwerden der Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . V. Wiedereinstellungsanspruch. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Ausgangslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Neuere Rechtsprechung zum Wiedereinstellungsanspruch .. ... . ... ... . . 3. Dogmatische Begründungsversuche . ........ ..... ............ . . .. .. .. 4. Wiedereinstellungsanspruch als Ergebnis von "praktischer Konkordanz" . 5. Wiedereinstellung als tariflicher Anspruch .. ... . . ............ ........ VI. Kündigungsverbot wegen eines Betriebsübergangs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

13 123 123 123 124 125 125 127 128 128 128 129 130 132 132

2. Abschnitt

Einschränkungen des aUgemeinen Kündigungsschutzes mit dem vordringlichen Ziel der Sicherung von Unternehmerrechten 134 I.

Artt. 12 Abs. I, 14 Abs. I, 2 Abs. I GG und der Schutz der Arbeitgeberinteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Der formelle Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes . . . . . . . a) Arbeitnehmerbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Wartezeit. ............ . ....... . .... . ... . ........ . .. . . ..... . ... . c) Kleinbetrieb- Allgemeines ..... . ....... .. .................. . ... . aa) Verfassungswidrigkeit des § 23 Abs. I S. 2 KSchG wegen Gleichheitsverstosses? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Verfassungswidrigkeit des § 23 Abs. I S. 2 KSchG wegen Verstosses gegen Art. 12 Abs. I GG? ............. . . .... ... .. .... (I) Auslegung des Betriebsbegriffs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Lösungsvorschläge aus der Literatur .............. . . .. .. .. (3) Lösungsansatz des Bundesarbeitsgerichts .......... ........ (4) Eigene Stellungnahme . ....... ... .............. ........ cc) Verfassungswidrigkeit des § 23 Abs. I S. 2 wegen Verstosses gegen Art. 19 Abs. 4 GG? . . . .... . . . . .... .. . . . .. . .... ... .... dd) Exkurs: Rechtslage zwischen 1996 und 1999 . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rationalisierungsmaßnahmen ....... ... .. .. . . . .......... . . . . ... . .... a) Beendigungskündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Änderungskündigung ... . . ............. ... ... . ........... ....... c) Exkurs: Vorrang der Unternehmerentscheidung in anderen Bereichen. 3. Sozialauswahl .. . .. .... . . ... .... .. .. . ..... .. .. . ..... . . . ........... 4. Kündigungsschutzklage bei Sozialwidrigkeit (§ 4 KSchG) .. . . . ......... a) Lehre vom punktuellen Streitgegenstand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Andere Unwirksamkeitsgründe .. . ... .. ... ...... .... .. . . . . .... . ...

134 134 135 137 138 139 141 142 143 144 144 146 146 148 148 150 153 154 155 155 158

14

Inhaltsverzeichnis

5. Frist für den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung ............ 6. Auflösung gegen Abfindung(§ 9 Abs. I S. 2 KSchG) ............... . . 7. Einzuhaltende Kündigungsfristen .... ... . . .. . ........... . . ..... . .. . . . 8. Leitende Angestellte ....... ... ................. . . . .. .. ............. II. Tendenzschutz, Arbeitnehmer der Kirchen. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zwischenergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

159 160 161 161 164 166

3. Abschnitt

Wahrnehmung von Schutzpflichten im Interesse anderer Mit-Arbeitnehmer I.

Soziale Auswahl. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Betroffener Arbeitnehmerkreis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Auswahlkriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Betriebszugehörigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Unterhaltspflichten ...... . . ......... . ........................... 3. Vergreisung der Belegschaft? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 4. Arbeitnehmer unter besonderem Kündigungsschutz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Berufung auf fehlerhafte Sozialauswahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . III. Zwischenergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

166 167 167 168 169 169 170 170 171 172

Teil E

Die Gewährleistungen der Grundrechte und ihre Umsetzung Kündigung und besondere Kündigungsbeschränkungen I.

Besonderer Kündigungsschutz am Beispiel des § 9 MuSchG. . . . . . . . . . . . . . I. Voraussetzungen des § 9 MuSchG. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Mitteilung an den Arbeitgeber . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Änderungen der Arbeitsbedingungen . . . . . . .. . . . . . .. . . . .. . . . . . .. . . c) Ausnahmen vom Kündigungsverbot, behördliche Genehmigung . . . . . . 2. Vorrang vor Arbeitskampfordnung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Anfechtung und Mutterschutz ... ................... .. .... . .......... a) Anfechtung nach § 119 Abs. 2 BGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Anfechtung nach § 123 BGB .. .. ......... . . .. ........ ..... .... .. 4. Anfechtung von Eigenkündigung und Aufhebungsvertrag . . . . . . . . . . . . . . 5. Befristeter Arbeitsvertrag einer Schwangeren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Verstärkter Arbeitnehmerschutz wegen Verletzung von Grundrechten ...... I. Persönlichkeitsrecht (Artt. I Abs. I, 2 Abs. I GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Gleichberechtigung der Geschlechter (Art. 3 Abs. 2/3 GG) . . . .......... a) Unmittelbare Benachteiligung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Mittelbare Benachteiligung . ... ... . ... : .. . . ..... .. .. . .. .. .. ..... . 3. Gleichbehandlung (Art. 3 Abs. I GG) . .. ....... .. .......... .... .....

173 173 174 174 177 177 179 179 179 181 182 184 185 186 187 188 188 188 189

Inhaltsverzeichnis

15

4. Gewissens- und Meinungsfreiheit (Artt. 4 Abs. I GG, 5 Abs. I GG) . . . . a) Gewissensfreiheit (Art. 4 Abs. I GG) ..................... .. ...... b) Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. I GG) ............ . ................ 5. Ehe und Familie (Art. 6 Abs. I GG). . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verhältnis zu den einzelnen Kündigungsgründen ................... c) Sonderfall: Kündigung wegen Streikteilnahme? .................. . . aa) Koalitionsmäßige Tätigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Streikexzess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Teilnahme am rechtswidrigen Streik .......................... dd) Kündigung wegen Wegfalls des Arbeitsplatzes oder Umstrukturierung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Lösende Aussperrung und§ 25 KSchG ... . .................. . 7. Zwischenergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

190 190 191 193 194 194 195 196 196 I 97 197 198 199 200

Teil F

Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch Kündigung und der Schutz durch die Betriebsverfassung I. Vorläufer des Kündigungsschutzes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . II. Geltendes Recht. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Anhörungsrecht bei Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Widerspruch gegen Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Schutz der Mitglieder des Betriebsrats und ihnen gleichgestellter Personen a) Ordentliche Kündigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Kündigung aus wichtigem Grund... .. ....... ... ............. . ... . III. Zwischenergebnis. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

20 I 20 I 202 202 204 204 204 206 206

TeilG

I.

Die Gewährleistungen der Grundrechte und ihre Umsetzung weitere Fälle der unfreiwilligen Aufgabe des Arbeitsplatzes

208

Aufhebungsvertrag . . ............ .. ................. . ............. .. .. I. Allgemeine Aufklärungspflicht des Arbeitgebers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Aufklärungspflicht über Kündigungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Anfechtung des Aufhebungsvertrages .......... . ....... . . . .... . . .. . .. a) Irrtumsanfechtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Anfechtung wegen widerrechtlicher Drohung . . . . . . .. . ............. 4. Widerrufsrecht? . . . . .. ...... . . . .. . . .......... .. . . ......... .. ... . ... 5. "Billigkeitskontrolle" des Aufhebungsvertrages? .. . . . . ...... ..... . .... a) Ansicht von Hoyningen-Huene. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Ansicht von Fastrich .... . . . . ......... . ............. . . ... ... . ....

208 209 211 212 212 213 2 15 216 216 216

16

Inhaltsverzeichnis

c) Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ............... .... . aa) Reaktionen der Literatur auf die Rechtsprechung. . . . . . . . . . . . . . . bb) Stellungnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6. Erfordernis der praktischen Konkordanz beim Abschluß eines Aufhebungsvertrages . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . a) Vertragsimparität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Herstellung von praktischer Konkordanz ....................... .. . aa) Aufhebungsvertrag mit Abfindungsvereinbarung ............ .. . bb) Aufhebungsvertrag ohne Abfindungsvereinbarung . . . . . . . . . . . . . . c) Prozessuale Geltendmachung ...... . .... ..... ...... .. . . . . . ..... . . II. Befristete Arbeitsverhältnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . I. Allgemeines . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Sachlicher Grund. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Maßgeblicher Zeitpunkt für den sachlichen Grund.................. .. . 4. Erleichterte Befristungsmöglichkeiten ...................... . ....... .. a) Jüngere Gesetzgebung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Verhältnis zum unbefristeten Vertrag ... . .. . ................ .. ... . . c) Haltung der Rechtsprechung gegenüber der gesetzlichen Konkretisierung . ................. . .................................. .. ... d) Beschäftigungsförderungsgesetz und spätere Tarifverträge. . . . . . . . . . . III. Auflösend bedingter Arbeitsvertrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . IV. Bedingter Aufhebungsvertrag ............. . .......... ..... ............ V. Abgenötigte Eigenkündigung .. . ....... ..... ............. ... ........... VI. Auflösung auf Antrag des Arbeitgebers (§ 9 Abs.l S. 2 KSchG) .. . ....... 1. Rechtslage vor 1951 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 2. Rechtslage von 1951 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3. Geltendes Recht ....... . ..... .. ..................... . ........ . ..... a) Voraussetzungen für den Antrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . b) Auflösungszeitpunkt ....... .. ... .. . .. ........ . . . ..... ........... VII. Lösende Aussperrung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . VIII. Zwischenergebnis .. .. ........ . ........ .. .. . ......... . .... . .... . ....

217 218 219 220 220 222 223 225 226 227 227 229 234 235 235 237 238 239 240 241 242 243 243 244 244 245 245 246 247

Teil H Gesamtergebnis

249

Literaturverzeichnis

255

Sachwortverzeichnis

267

Abkürzungsverzeichnis a.A. a.a.O. ab!. Abs. AcP a.E. a.F.

AFG AGBG allg. Anm. AP AR-Blattei ArbG ArbRBerG ArbRHb ArbuR Art. Autl. BArbBI. BAG BAGE BB BBiG Bd. Beil. Bem. BEnGG BeschFG BetrAVG BetrVG BGB BGH BGHZ BGBI. BlStSozArbR 2 Gamillschcg

anderer Ansicht am angegebenen Ort ablehnend Absatz Archiv für civilistische Praxis am Ende alte Fassung Arbeitsförderungsgesetz Gesetz zur Regelung der allgemeinen Geschäftsbedingungen allgemein Anmerkung Arbeitsrechtliche Praxis Arbeitsrecht-Blattei Arbeitsgericht Arbeitsrechtsbereinigungsgesetz Arbeitsrechts-Handbuch Arbeit und Recht Artikel Auflage Bundesarbeitsblatt Bundesarbeitsgericht Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts Betriebs-Berater Bundesbildungsgesetz Band Beilage Bemerkung Bundeserziehungsgeldgesetz Beschäftigungsförderungsgesetz Gesetz über betriebliche Altersversorgung Betriebsverfassungsgesetz Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Zivilsachen Bundesgesetzblatt Blätter für Steuerrecht, Sozialversicherung und Arbeitsrecht

18

BT-Drs BVerfG BVerfGE bzw. ca. CDU DB ders. d.h. dies. Diss. DJT Drs. DZWir EFZG EG ErfK etc. EuGH evtl. EzA

FDP

ff. Fn. FS gern. Ge wO GG ggf. GK GS HGB h.M. Hrsg. InsO i.V. m. JZ KSchG LAG LAGE LS mind. MüKo

Abkürzungsverzeichnis Bundestagsdrucksache Bundesverfassungsgericht Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts beziehungsweise circa Christlich Demokratische Union Der Betrieb derselbe das heißt dieselben Dissertation Deutscher Juristentag Drucksache Deutsche Zeitschrift für Wirtschaftsrecht Entgeltfortzahlungsgesetz Europäische Gemeinschaft Erfurter Kommentar zum Arbeitsrecht et cetera Europäischer Gerichtshof eventuell Entscheidungssammlung zum Arbeitsrecht Freiheitlich Demokratische Partei fortfolgende Fußnote Festschrift gemäß Gewerbeordnung Grundgesetz gegebenenfalls Gemeinschaftskommentar Großer Senat Handelsgesetzbuch herrschende Meinung Herausgeber Insolvenzordnung in Verbindung mit Juristenzeitung Kündigungsschutzgesetz Landesarbeitsgericht Entscheidung der Landesarbeitsgerichte Leitsatz mindestens Münchener Kommentar

Abkürzungsverzeichnis MünchArb m.w.N. MuSchG NJW NJW-RR Nr. n.v. NZA RAG RdA Rdz. RG RGZ Rspr. s. s. o.

s.

SAE SchwbG SGB SPD str. st. Rsp. TVG u.a. usw. u.U. V.

vgl. WiB ZfA ZPO ZRP zust. z.B. z.T.

2*

Münchener Handbuch zum Arbeitsrecht mit weiteren Nachweisen Mutterschutzgesetz Neue Juristische Wochenzeitung NJW Rechtsprechungs-Report Nummer nicht veröffentlicht Neue Zeitschrift für Arbeitsrecht Reichsarbeitsgericht Recht der Arbeit Randzahl Reichsgericht Entscheidungen des Reichsgerichts in Zivilsachen Rechtsprechung siehe siehe oben Seite Sammlung Arbeitsrechtlicher Entscheidungen Schwerbehindertengesetz Sozialgesetzbuch Soziale Partei Deutschland streitig ständige Rechtsprechung Tarifvertragsgesetz unter anderem und so weiter unter Umständen vom vergleiche Wirtschaftliche Beratung Zeitschrift für Arbeitsrecht Zivilprozeßordnung Zeitschrift für Rechtspolitik zustimmend zum Beispiel zum Teil

19

Teil A

Einleitung I. Ausgangslage Die Arbeitslosigkeit, die sich seit vielen Jahren um die 10%-Marke bewegt 1, ist zum beherrschenden Problem der Politik geworden. Alle politischen Parteien versprechen, sie zu bekämpfen, die Bundesregierung hat sie im Bündnis für Arbeit zu dem Maßstab erhoben, an dem sie gemessen werden will. An Vorschlägen fehlt es nicht, hart im Raum stoßen sich jedoch liberale und sozialstaatliche Argumente und Thesen. Im Mittelpunkt der Diskussion steht die Vorstellung, daß das geltende Arbeitsrecht, insbesondere der Kündigungsschutz, zu einem, wenn nicht dem entscheidenden Hindernis bei der Überwindung der Arbeitslosigkeit geworden ist2 • Der Arbeitgeber, so wird argumentiert, werde in der Führung seines Unternehmens, der raschen Reaktion auf die Forderungen des Marktes durch Anpassung der Arbeitnehmerzahl an den wechselnden Bedarf behindert; in Zeiten wirtschaftlichen Aufschwungs ziehe er es deshalb vor, sich mit Überstunden oder Leiharbeitnehmern zu behelfen, statt neue Kräfte einzustellen. Auch die Gründung neuer Unternehmen werde durch die Furcht vor der Bürde des Kündigungsschutzes gebremst. Sachverständige haben dargelegt, daß das geltende Recht das Beschäftigungsniveau senke. Eine 1997 veröffentlichte Studie belegt, daß die Arbeitgeber den Kündigungsschutz an dritter Stelle der Beschäftigungshemmnisse sehen4 • Diese Vorstellung findet nicht nur in der Öffentlichkeit5 und in der Wirtschaftswissenschaft6 , son1 Die Arbeitslosenquote betrug im Bundesgebiet im Februar 2000 I 0,9 % bezogen auf alle zivilen Erwerbspersonen; in den alten Ländern lag die Quote bei 8,9 %, in den neuen Ländern bei 19,3 %; http://www.arbeitsamt.de/hst/services/statistik/ zentral/index.html. 2 Franz/Rüthers, RdA 1999, S. 32, S. 33; Trappehi/Lambrich, RdA 1999, S. 243 "Einstellungsbremse"; "Kündigungsschutz kostet die Unternehmen immer mehr", Handelsblatt v. 03.08.2000. 3 Jahresgutachten des Sachverständigenrates 1994/95 BT-Drs 13/26, S. 258, Nr. 442. 4 Hromadka, NZA 1998, S. I, S. 3 mit Verweis auf Iwd 711997 S. 8. 5 Hier ist namentlich die Wirtschaftsredaktion der Frankfurter Allgemeinen Zeitung zu nennen. 6 Ökonom Wolfgang Franz in Handelsblatt v. 03.08.2000: "Das gesamte Kündigungsschutzrecht gehört auf den Prüfstand".

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Teil A: Einleitung

dem auch wachsend in der Arbeitsrechtswissenschaft breite Unterstützung7 . Insbesondere Reuter hat auf den Zusammenhang von Kündigungsschutz und Arbeitslosigkeit seit langem hingewiesen8• Damit ist das Pendel weit in die eine Richtung zurückgeschlagen, es nähert sich den Vorstellungen der Zeit vor 1914, als man die Möglichkeit, sich von einem unbefristeten Vertrag durch einseitige Kündigung zu lösen, für einen unverzichtbaren Teil der persönlichen Freiheit überhaupt angesehen hat. Gegen sie mußte sich der Gedanke des Kündigungsschutzes erst Stück für Stück durchsetzen. Die Entwicklung, die in ihren Einzelheiten hier nicht nachzuzeichnen ist9 , begann mit dem Betriebsrätegesetz 1920. Zielrichtung des Gesetzes war ursprünglich gewesen, die willkürliche Kündigung zu verhindern, mit der der Arbeitgeber der Vertretung der Arbeiter die Wählerbasis entziehen konnte. Das Gesetz ist dann jedoch zur Grundlage eines allgemeinen Kündigungsschutzes geworden, der gesetzlich im Kündigungsschutzgesetz niedergelegt und durch die Rechtsprechung seit 1951 in weiten Teilen konkretisiert wurde. Diese Entwicklungen von Gesetz und Rechtsprechung stehen nicht beziehungslos nebeneinander, sondern sind einer höherrangigen Werteordnung unterworfen. Der Gesetzgeber kann nicht beliebig die Bremsen anziehen oder lockern. Alle Nonnsetzung und Rechtsprechung ist den Grundrechten unterworfen. Die Grundrechte spannen den Bogen zwischen den liberalen Freiheitsrechten, Art. 2 GG - Vertragsfreiheit, Gewerbefreiheit - und Art. 14 GG - Eigentum und Erbrecht, auf der Arbeitgeberseite und der Garantie des Sozialstaats - Artt. 20, 28 GG - auf der Arbeitnehmerseite. Art. 12 GG -als Garant der Berufsfreiheit- ist beiden Seiten zuzurechnen: Er ist zum einen das wichtigste Freiheitsrecht des Arbeitnehmers, zum anderen steht auch die Unternehmerische Freiheit unter seinem Schutz. Für Neef, NZA 2000, S. 7 ff. Vgl. schon RdA 1973, S. 345ff., 1978, S. 344ff. und 25 Jahre Bundesarbeitsgericht (1979) S. 405 ff. Reuter sieht im Ausbau des Bestandsschutzes geradezu eine Verhinderung der Verwirklichung der Berufsfreiheit; der Wettbewerb um die Arbeitsplätze könne vor dem Schutz derer, die einen Arbeitsplatz bereits haben, nicht haltmachen. Das Kündigungsschutzgesetz schaffe ein Privileg der bereits Beschäftigten, "unangreifbare Oasen der Bequemlichkeit" dürften sich in den Betrieben jedoch nicht bilden. Diese Ansicht ist im Einzelfall sicherlich zutreffend, doch wird dem Arbeitgeber gestattet, den weniger Befähigten zugunsten der Befähigteren zu kündigen, würde dies alle Arbeitnehmer betreffen, die sodann der ständigen Drohung mit dem Verlust des Arbeitsplatzes ausgesetzt wären (ohne daß für die Auswahl der Besseren eine Garantie gegeben wäre); dies ginge in der anderen Richtung zu weit. In ähnlichem Sinn wieReuterauch Schwerdtner, ZfA 1977, S. 47, S. 76f.; Franz/Rüthers, RdA 1999, S. 32, S. 35; kritisch Hersehe), RdA 1975, S. 28, S. 29ff. 9 Dazu vgl. Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, Band I (7. Aufl. 1963) s. 620ff. 7

8

I. Ausgangslage

23

alle Grundrechte fordert das Bundesverfassungsgericht unwidersprochen größtmögliche Effektivierung. Die kollidierenden Grundrechtswirkungen sind dabei in ihrer Wechselwirkung zu erfassen und so zu begrenzen, daß sie für die Beteiligten möglichst weitgehend wirksam werden 10; dabei liegt es in der politischen Verantwortung des Gesetzgebers, die ökonomischen und sozialen Rahmenbedingungen festzulegen und die Interessenlage entsprechend zu bewerten 11 • Sollen beide Seiten an dieser Effektivierung teilhaben, kann das Ergebnis nur ein Kompromiss sein, sog. praktische Konkordanz 12• Sie herzustellen ist in erster Linie Aufgabe des Gesetzgebers, bei seinem Schweigen oder bei Lücken des Gesetzes Aufgabe der Rechtsprechung. Voraussetzung wiederum der praktischen Konkordanz ist eine vollständige und widerspruchsfreie Bestandsaufnahme der Teile, aus der sie sich zusammensetzen soll. Die Bedeutung der menschlichen Arbeit muß nicht näher dargelegt werden. Der Arbeitsplatz sichert die wirtschaftliche Existenz des Einzelnen und ist deshalb Voraussetzung für die Entfaltung seiner Persönlichkeit. Im Wertesystem des Grundgesetzes ist die Persönlichkeit der höchste Wert, und zum Kern der Persönlichkeit ist die Arbeit geworden. Nur wer Arbeit hat, kann seinen und seiner Familie Lebensunterhalt selbst bestreiten, hat eine Chance auf eine angemessene Wohnung, einen erholsamen Urlaub und die Pflege seiner privaten Interessen. Arbeit ist ebenfalls Ausdruck der Entfaltung der Persönlichkeit, wo sie als solche Befriedigung verleiht, das Bundesverfassungsgericht spricht von "gesellschaftlicher Stellung und Selbstwertgefühl"13. In seiner Entscheidung zur Weiterbeschäftigung von 1985 14 hat der Große Senat des Bundesarbeitsgerichtes diesen Aspekt zur tragenden Säule seiner Begründung gemacht. Für viele gehobene Tätigkeiten trifft das auch zu. So war Ausgangspunkt der Rechtsprechung zur Beschäftigungspflicht der Fall einer Ärztin, die nach einem Kündigungsschutzprozeß noch um ihre Beschäftigung kämpfen mußte 15 ; in AP Nr. 14 ging es um einen Verwaltungsangestellten der Universität Mainz. Für schlechthin alle Tätigkeiten kann das allerdings nicht gelten. Viele Arbeiten sind eintönig und mühsam, und dennoch kämpft der Arbeitnehmer 10 BVerfG v. 27.01.1998 E 97, S. 169, S. 176; Kühling, FS Dieterich, S. 325, S. 331. 11 Kühling, FS Dieterich, S. 325, S. 331. 12 Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, § 2 III 2. c) bb), Rdz. 72. 13 BVerfG v. 27.1.1998 AP Nr. 17 zu § 23 KSchG 1969 unter B. I. 3. b) aa). 14 BAG v. 27.02.1985 AP Nr. 14 zu§ 611 BGB Beschäftigungspflicht Zur besonderen Bedeutung des Beschäftigungsanspruchs im Bereich der Bühne, Germeimann ZfA 2000, S. 149, S. 171; allgemein zum (Weiter-)Beschäftigungsanspruch, Reidel, NZA 2000, S. 454ff. 15 BAG v. 10.11.1955 AP Nr. 2 zu§ 611 BGB Beschäftigungspflicht

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Teil A: Einleitung

um den Erhalt des Arbeitsplatzes und ist darin von der Rechtsordnung zu schützen. Besonders bei längerdauernder Arbeitslosigkeit verliert der Betroffene (zumindest nach seinem subjektiven Empfinden) die soziale Anerkennung. Diese gehört aber zu den Grunderfordernissen menschlicher Existenz 16• Dem hat das Bundesverfassungsgericht I99I 17 Rechnung getragen und der Rechtsordnung die Schutzpflicht für den Bestandsschutz übertragen. Gegenüber steht die Unternehmerische Tätigkeit, die die Arbeitsplätze schafft. Sie steht ebenso unter dem Schutz des Grundgesetzes, Artt. 2 Abs. I, I2 Abs. I und I4 GG. Auch die Rechte der Arbeitsuchenden und die der Allgemeinheit fordern Beachtung 18 • Die Beendigung von Arbeitsverhältnissen betrifft somit einen komplexen Sachverhalt. Die beteiligten Interessen stehen sich diametral gegenüber. Einen Einklang zwischen ihnen herzustellen, ist ausgeschlossen, versucht werden kann lediglich der angemessene Ausgleich. Hat der Gesetzgeber bereits seinen weiten Ermessens- und Gestaltungsspielraum ausgeübt, so ist dies zu respektieren. Bestehen Lücken, so bestimmt sich die Angemessenheil nach dem Gewicht, das die Rechtsordnung dem einzelnen Interesse jeweils beimißt 19• Die Schutzpflicht aus Art. I2 Abs. I GG ist damit der Ausgangspunkt der weiteren Überlegungen. Gesetzgeber und Rechtsprechung haben für die Gewährleistung seiner Garantie für beide Seiten (Arbeitnehmer und Arbeitgeber) ausreichend Sorge zu tragen. Zwar stellt das Bundesverfassungsgericht fest, daß die geltenden Kündigungsvorschriften dieser Schutzpflicht Rechnung trügen, doch kann darin kein "allgemeines Gütesiegel" erblickt werden20. Die knappe Feststellung des Senats kann eine entsprechende Überprüfung der einzelnen Vorschriften und ihrer Ausformung, wie sie sie durch die Rechtsprechung erfahren haben, nicht ersetzen. Es ist darüber hinaus sogar die Frage aufzuwerfen, ob dem Gericht nicht darin zu widersprechen ist, daß die Schutzpflicht nur auf die Fälle der Kündigung beschränkt ist. Vielmehr ist zu untersuchen, ob nicht alle Fälle des unfreiwilligen Arbeitsplatzverlustes unter diesem Aspekt neu zu überprüfen sind. Das Grundrecht steht über den einzelnen Gesetzen und wird durch sie konkretisiert, aber nicht zur Disposition gestellt. Schwerdtner, ZfA 1977, S. 46, S. 52. BVerfG v. 24.04.1991 E 84, 133, S. 146 ("Warteschleife"); v. 10.03.1992 E 85, S. 360, S. 372 f. (hier allerdings weniger deutlich formuliert). 18 Problembeschreibung der "dreiseitigen Interessenbetroffenheit" bei Preis, FS Dieterich, S. 429, 435. 19 S. Badura, RdA 1999, S. 8, S. 9. 2 Kühling, FS Dieterich, S. 325, S. 327. 16 17

°

Il. Abgrenzung des Bestandsschutzes

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Diesen Problemstellungen widmet sich die vorliegende Arbeit. Es soll geprüft werden, inwieweit die Schutzpflichten auf die Beendigung des Arbeitsverhältnisses einwirken. Die Frage stellt sich sowohl, wenn der Arbeitnehmer das Vertragsende wünscht, aber vor allem, wenn dies gegen seinen Willen geschieht, also in erster Linie bei der Kündigung durch den Arbeitgeber, aber auch in den anderen Fällen wie z. B. beim Aufhebungsoder befristeten Vertrag. Das soll nicht bedeuten, daß damit auch alle Einzelheiten des Kündigungsrechts zu Verfassungsrecht geworden sind, über das nur das Bundesverfassungsgericht entscheiden kann. Die Grundrechte bilden vielmehr nur den Maßstab, an dem das Arbeitsrecht zu messen ist. Es wird damit ebensowenig zu Verfassungsrecht wie das Zivil- oder öffentliche Recht, das der Zensur des Bundesverfassungsgerichts unterworfen wird. Die Analyse kann nicht (mit allen, die Wertungen des Art. 12 Abs. 1 GG mißachtenden Folgen) deshalb unterbleiben, weil sie auf der Grundlage des Verfassungsrechts erfolgt21 ; man mag darin den Schritt "über den Rubikon" sehen, die Folgerungen sind jedoch zwingend, ein "naiver Verfassungsrausch"22 ist das nicht.

II. Abgrenzung des Bestandsschutzes zu anderen Forderungen und Ansprüchen Bevor mit der Analyse der Schutzpflichtbestimmung aus Art. 12 GG als zentraler Frage der vorliegenden Arbeit begonnen wird, bedarf es noch der inhaltlichen Abgrenzung zu anderen Forderungen und Ansprüchen, die ebenfalls diskutiert werden, teilweise auch mit der Frage der Schutzpflichtbestimmung zusammenhängen, die aber den Bestandsschutz des Arbeitsverhältnisses nicht direkt berühren und somit in der folgenden Darstellung nicht vertieft werden sollen. 1. "Recht auf Arbeit"?

In der politischen Diskussion ist häufig das "Recht auf Arbeit" angesprochen. Der Anspruch auf Bestandsschutz ist hiervon streng zu unterscheiden. Mit dem "Recht auf Arbeit" meint man einen subjektiv-öffentlichen Anspruch eines jeden gegen den Staat auf Bereitstellung eines Arbeitsplatzes. Diese Forderung hat eine lange Geschichte. Ein Recht auf Arbeit wurde als Grundrecht erstmals in der französischen Revolution erklärt. Die Frühsozialisten verliehen ihm eine prinzipielle Dimension; später wurde es Hanau, Deregulierung des Arbeitsrechts (1997), S. 29. Art. 12 Abs. I GG dürfe nicht in Anspruch genommen werden, um "in einem naiven Verfassungsrausch spezifische Bestandsschutzregeln als von der Verfassung gefordert und als verfassungsfest zu erklären.": so Papier, RdA 1989, 137, S. 139. 21

22

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Teil A: Einleitung

dann von der sozialistischen Lehre in eine umfassende Vision der klassenlosen Gesellschaft eingeschmolzen23 . Das Programm eines Rechts auf Arbeit setzte sich auch in nicht kommunistischen Gesellschaften weiter durch. In der Weimarer Reichsverfassung wurde in Art. 163 Abs. 224 ein Recht auf Arbeit proklamiert. Es blieb jedoch ein uneingelöstes Versprechen, das den Arbeitslosen - 1933 betrug ihre Zahl sechs Millionen - als Verhöhnung vorkommen mußte. Das Vertrauen in die Politik und sogar in die Verfassung ging verloren 25 . Angesichts der Erfahrungen dieser Zeit hat der Parlamentarische Rat bei der Schaffung des Grundgesetzes von einer Aufnahme des Rechts auf Arbeit, auf angemessenes Gehalt etc. in das Grundgesetz verzichtet. Die Sorge, ein weiteres Mal damit Schiffbruch zu erleiden, war zu groß. Die Bemühungen um die verfassungsrechtliche Verankerung eines solchen Rechts auf Arbeit für jeden, der Arbeit wünscht, sind jedoch immer noch lebendig. Mehrere Länderverfassungen enthalten ein solches "Recht" als Staatszielbestimmung26. Man hatte Art. 12 Abs.l GG daraufhin geprüft, ob sich aus ihm ein so zu verstehender öffentlich-rechtlicher Anspruch herleiten ließe. Überwiegend wurde dies nur als politische Forderung betrachtet27, einige wenige sahen es bereits als Bestandteil des geltenden Rechts an28 ; neben einem Hinweis auf den Sozialstaatsgrundsatz wurde auf das Stabilitätsgesetz verwiesen, das den Staat neben anderem zu einer Politik der Vollbeschäftigung verpflichtet. Als die "primitivste Anspruchsebene" des Rechts auf Arbeit sah man die Forderung nach einem gesicherten Arbeitsplatz29 . Zur Rechtfertigung der damit verbundenen Belastung des Unternehmers verwies Däubler auf das Apothekenurteil30, das die Berufsfreiheit unter einen abgestuften Gesetzesvorbehalt gestellt hat; er verglich eine Zuweisung von Arbeitskräften durch den Gesetzgeber oder die Verwaltung rechtlich mit Auflagen für Zwecke des Umweltschutzes, mit zwingenDazu Badura, FS Berber (1973) S. II, S. 37. "Jedem Deutschen soll die Möglichkeit gegeben werden, durch wirtschaftliche Arbeit seinen Unterhalt zu erwerben .. .. "Demgegenüber war in § I des ersten Entwurfes eines Sozialisierungsgesetzes (RGBI. (1919) I, S. 341) noch folgende Regelung enthalten: "Das Reich gewährleistet jedem Deutschen die Möglichkeit, durch eine seinen Fähigkeiten entsprechende Arbeit sein Leben zu unterhalten." 25 Murswiek, Handbuch des Staatsrechts § 112 Rdz. 44. 26 Vgl. Badura, Staatsrecht, S. 195 C Rdz. 93. 27 Scholz, ZfA 1981 S. 265, S. 283ff; Wank, Das Recht auf Arbeit im Verfassungsrecht und im Arbeitsrecht (1980) 33; Zöllner, 52. DJT Bd. I, D 91 ff.; Richardi, Betriebsverfassung und Privatautonomie (1973) S. 28, S. 32; Schwerdtner, ZfA 1977, s. 47, s. 53ff. 28 Däubler in Achten u.a., Recht auf Arbeit, S. 159, S. 166ff. 29 Stuby in: Achten u. a. Recht auf Arbeit S. 75, S. 78. 30 BVerfG v. 11.06.1958 E 7, 777ff. 23

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II. Abgrenzung des Bestandsschutzes

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den Ladenschlußzeiten oder dem vormals geltenden31 Nachtbackverbot32 . Die Diskussion hierzu ist wohl Vergangenheit. Heute besteht weitgehend Einigkeit darüber, daß das Grundgesetz in realistischer Einschätzung der Möglichkeiten auf die Verankerung eines Grundrechts auf Arbeit in diesem Sinn verzichtet hat33 . Als einklagbarer Anspruch hat es in einer Marktwirtschaft keinen Platz. Es könnte nur dadurch verwirklicht werden, daß der Staat selbst umfassend als Arbeitgeber auftritt34 oder daß private Arbeitgeber durch gesetzlichen Kontrahierungszwang angewiesen werden, bestimmte benannte Arbeitnehmer einzustellen35 . In einer privatwirtschaftlieh organisierten Arbeitswelt wären die damit verbundenen Auflagen ein Angriff auf den unantastbaren Kern der Berufsfreiheit der Arbeitgeber36. Wie illusionär jene Vorstellungen waren, wird erkennbar, wenn man mit dem heutigen - und wohl schon dem damaligen - Wissensstand die Erfahrungen der sozialistischen Länder heranzieht, von denen behauptet wurde37 , sie hätten die Arbeitslosigkeit völlig überwunden, die dies aber nur mit einem nicht mehr konkurrenzfähigen Mangel an Produktivität der Arbeit erkauft haben. Die Intention des Art. 12 Abs. 1 GG wie des Sozialstaatsgrundsatzes finden an der Wirklichkeit der privatwirtschaftlich organisierten Arbeitswelt ihre unübersteigbare Grenze. Einen Anspruch darauf, im erwählten Beruf Beschäftigung zu finden, gewährt Art. 12 GG als das "Grundrecht der Arbeit" niche8 . 2. Vergabe der Arbeitsplätze nach objektiven Kriterien

Es ist allerdings daran zu denken, ob sich aus dem Auftrag des Art. 12 Abs. 1 GG die Forderung an den privaten Arbeitgeber ableiten läßt, bei der Vergabe der Arbeitsplätze nur objektive, auf den Arbeitsplatz bezogene 31 Aufgehoben durch Art. 2 Nr. I des Gesetzes zur Änderung des Gesetzes über den Ladenschluß und zur Neuregelung der Arbeitszeit in Bäckereien und Konditoreien vom 30.07.1996 (BGBI. I S. 1186) 32 Däubler in: Achten u.a. Recht auf ArbeitS. 159, S. 166f. 33 Preis, Prinzipien, S. 117. 34 Nach dem Muster von Art. 118 der Verfassung der UdSSR von 1936 ist das Recht auf Arbeit (gleichzeitig mit der Pflicht zur Arbeit) auch in Art. 24 der Verfassung der ehemaligen "DDR" kodifiziert worden; es war bereits in § 2 des Arbeitsgesetzbuchs 1962 enthalten gewesen. 35 Vgl. MünchArbR/Buchner, § 39 Rdz. 26ff.; Rath, Garantie des Rechts auf Arbeit, 1974, S. 2. 36 Rath, Garantie des Rechts auf Arbeit, 1974, S. 146. 37 Däubler in: Achten u. a. Recht auf Arbeit, S.l59, 170. 38 Gamillscheg, Arbeitsrecht I, S. 115; Badura, RdA 1999, S. 8, S. 10; Pietzcker, NVwZ 1984, S. 550, S. 556; Söllner, ArbuR 1991, S. 45, S. 46. Sogar im Entwurf der EU - Grundrechtscharta ist "das Recht auf Arbeit" nicht mehr enthalten, vgl. Lörcher, ArbuR 2000, S. 241, S. 242.

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Teil A: Einleitung

Anforderungen zu stellen. Hinweis für eine entsprechende Annahme kann in der Beschränkung des Fragerechts bei der Einstellung gesehen werden39 . Man begründet diese allerdings in erster Linie mit dem Schutz der Persönlichkeit des Stellungssuchenden. Die Arbeitsgesetzbuchkommission 1978 hatte einen entsprechenden Vorschlag formuliert. Art. 3 des Entwurfs eines Arbeitsverhältnisgesetzes besagt: "Bei der Einstellung ... darf der Arbeitgeber den Bewerber nur aus sachbezogenen, den zu besetzenden Arbeitsplatz betreffenden Gründen abweisen" 40. Wäre dies Gesetz geworden, so könnte die hierin liegende Konkretisierung des Wertes von Art. 12 Abs. l GG nicht in Zweifel gezogen werden. Ein schutzwürdiges Interesse des Arbeitgebers an willkürlicher Bewerberauswahl wird auch von Wank41 verneint. Eine gewisse Annäherung an diese Vorstellung bringt § 2 Abs. l SGB III ("Die Arbeitgeber haben bei ihren Entscheidungen verantwortungsvoll deren Auswirkungen auf die Beschäftigung der Arbeitnehmer und von Arbeitslosen ...einzubeziehen"/2, doch will der Gesetzgeber damit nur die Arbeitslosenversicherung entlasten43 • Die herrschende Meinung lehnt dagegen jede Einschränkung der Auswahlfreiheit des Arbeitgebers ab, sie sieht darin eine Verletzung seiner Vertragsfreiheit in ihrer Form der Abschlußfreiheit44. Im öffentlichen Dienst besteht allerdings eine solche Verpflichtung bereits mit Art. 33 Abs. 2 GG, der Art. 12 Abs.l GG insoweit ergänzt45 . Die Vorschrift gewährleistet jedem Deutschen nach Eignung, Befähigung und fachlicher Leistung gleichen Zugang zu den öffentlichen Ämtern. Hieraus erwächst der Anspruch des Bewerbers im öffentlichen Dienst auf eine ermessensfehlerfreie Entscheidung. Sie muß sachgerecht und nicht diskriminierend ausgeübt werden. Soweit jede andere Entscheidung ermessensfehlerhaft wäre, läßt sich hieraus der Anspruch auf Einstellung auf einen bestimmten Arbeitsplatz ableiten. Für die Beurteilung der Eignung des Bewerbers spielt insbesondere die Treue zur Verfassung eine Rolle, die in den letzten Jahrzehnten die Rechtsprechung häufig beschäftigt hat46 . Im 39 Däubler, Das Arbeitsrecht 2, S. 9lff., Rdz. 50ff.; vgl. BAG v. 02.12.1999 im Zusammenhang mit einem Personalfragebogen DB 2000, S. 1418, S. 1419. 40 Vgl. auch Badura, FS Berber (1973) S. II, S. 22f.; Gamiiischeg, FS Werner Weber (1974) S. 793ff.; ähnlich wohl Wiedemann, FS Hersehe! (1982) S. 463, s. 465f. 41 Das Recht auf Arbeit im Verfassungsrecht und im Arbeitsrecht (1980) S. 105. 42 Vgl. Schaub, NZA 1997,S. 810f. 43 Gamillscheg, Arbeitsrecht I, S. 128. 44 Vgl. MünchArbR/Buchner, § 39 Rdz. 25ff., 96ff.; Boemke, NZA 1993, S. 532, s. 534. 45 BVerfG v. 23.10.1997 AP Nr. 72 Einigungsvertrag Anlage I Kap. XIX unter 3. a); Badura, Staatsrecht, S. 317f., D Rdz. 104. 46 BAG v. 19.03.1980; v. 10.12.1980; 15.07.1982 AP Nr. 8, 15, 20 zu Art. 33 Abs. 2 GG.

ITI. Gang der Arbeit

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einzelnen ist auf dieses Thema, das den Bestandsschutz nur am Rande berührt, nicht einzugehen. 3. Recht am Arbeitsplatz als absolutes Recht?

Abzugrenzen ist der Anspruch auf Bestandsschutz noch mit dem "Recht am Arbeitsplatz". Zuweilen wird dies als absolutes Recht im Sinne von § 823 Abs. 1 BGB bezeichnet47 • Die Ansicht wurde von Nipperdey begründet, um ein Gleichgewicht herzustellen, nachdem die Rechtsprechung das absolute Recht des Arbeitgebers am "eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb" anerkannt hatte, mit dem der Streik bekämpft werden konnte, ohne auf § 138 BGB zurückgreifen zu müssen. Ein entsprechendes Recht am Arbeitsplatz sollte sich gegen eine rechtswidrige Aussperrung richten. Diese Ansicht ist mit der überwiegenden Meinung abzulehnen48 . Die Verletzung eines absoluten Rechts am Arbeitsplatz würde zu Schadensersatzansprüchen führen, deren Konsequenzen nicht vorhersehbar wären49. Ein arbeitswilliger Arbeitnehmer könnte bei ·einem rechtswidrigen Streik den Streikenden verklagen, weil er nicht arbeiten konnte. Für den ausgesperrten Arbeitnehmer wäre mit ihr nichts gewonnen. Wenn die Aussperrung rechtswidrig war, hat er seinen Anspruch auf Lohn behalten, mehr50 könnte selbst der Anspruch aus § 823 BGB nicht geben. Das Bundesarbeitsgericht läßt die Entscheidung hierüber ausdrücklich offen5 1. In jedem Fall - so räumt es ein - würde die tatbestandsmäßige Verletzung eines solchen Rechts die Rechtswidrigkeit nicht per se indizieren, sondern es bedürfte hierzu wie beim allgemeinen Persönlichkeitsrecht und dem Recht am ausgeübten und eingerichteten Gewerbebetrieb ihrer Feststellung anband der mißbilligenden Art der Schädigung.

111. Gang der Arbeit Der Gang der Darstellung ist durch den Problemaufriß vorgezeichnet. Unter B. werden zunächst die Grundlagen der Wirkung der Grundrechte im Arbeitsrecht dargestellt. Es wird untersucht, auf welche Weise die ein47 Vgl. Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, Band JI/2, S. 99,5ff.; nach BAG v. 30.09.1970 AP Nr. 2 zu § 70 BAT sprach noch einiges für die Annahme als absolutes Recht. Nunmehr offen gelassen BAG 4.6.1998 EzA § 823 Nr. 9 (LS). 48 Vgl. KR-Etzel, § I KSchG Rdz. 533; Hersehe!, BB 1977, S. 708, S. 709; Scholz in Maunz/Dürig, Art. 12 Abs. l GG Rdz. 51; Zöllner, 25 Jahre BAG (1979) S. 745, S. 751; Seiter, Streikrecht und Aussperrungsrecht ( 1975) S. 457 ff. 49 Riesenhuber, JZ 1999, S. 711, S. 716. 50 Abgesehen vielleicht von Bankzinsen oder Ähnlichem. 51 BAG v. 4.6.1998 EzA § 823 Nr. 9.

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Teil A: Einleitung

zeinen Grundrechte, die in ihrer ursprünglichen Bedeutung Abwehrrechte des einzelnen gegen den Staat bedeuten, auf die normative Ordnung insgesamt mitbestimmend wirken. Die Lehre der objektiven Wertordnung und die neuere Schutzpflichtlehre werden erläutert. Der Inhalt von Art. 12 Abs. 1 GG als die zentrale Norm für das Arbeitsverhältnis und die sich aus diesem Grundrecht ergebenden Schutzpflichten werden vorgestellt. Darüber hinaus ist der Blick auf Gewährleistungen anderer Grundrechte zu richten. Insbesondere Art. 14 Abs. 1 GG enthält für den Arbeitgeber weitere, wichtige Garantien, für die Schutzpflichten bestehen. Die durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützte Privatautonomie ist ebenfalls zu nennen, auch sie enthält Aufträge an die Rechtsordnung, die in die Abwägung einzubeziehen sind, da sie die Positionen von Arbeitnehmer und Arbeitgeber aus Artt. 12 Abs. 1 und 14 Abs. 1 GG ergänzen. Aufgrund dieser Feststellungen wird zunächst analysiert, welche freiheitlichen Gewährleistungen Art. 12 Abs. 1 GG für den Arbeitnehmer enthält. Insbesondere wird überprüft, ob die Rechtslage dem Mobilitätsinteresse des Arbeitnehmers, das heißt seiner Freiheit ohne unangemessene Bindung, einen Arbeitsplatz wieder verlassen zu können, ausreichend entspricht (unter C.). Der Hauptteil der Arbeit richtet sich sodann auf den Bestandsschutz des Arbeitsverhältnisses. Unter D. wird untersucht, auf welche Weise die Gewährleistungen der Grundrechte in der Rechtsordnung umgesetzt wurden. Dabei geht es zunächst um den allgemeinen Kündigungsschutz. Diese allgemeinen kündigungsrechtlichen Regelungen begünstigen und befriedigen unterschiedliche Interessenlagen. Untersucht werden deshalb im Unterabschnitt I zunächst die Kündigungsbeschränkungen, die das vordringliche Ziel der Sicherung von Arbeitnehmerinteressen verfolgen. Im Unterabschnitt 2 werden die Lockerungen der Kündigungsschranken analysiert, die in erster Linie die Position der Arbeitgeber stärken, und im Unterabschnitt 3 widmet sich die Arbeit den Regelungen, die maßgeblich im Interesse der anderen Arbeitnehmer liegen. Es wird jeweils geprüft, ob die gesetzliche Regelung und/oder die Rechtsprechung die praktische Konkordanz zwischen den einander widerstreitenden Grundrechtspositionen angemessen wahren. Einen besonderen Stellenwert nehmen im Kündigungsrecht die besonderen Kündigungsschutzregeln ein. Auch sie konkretisieren Schutzaufträge, die der Verfassung zu entnehmen sind. Unter E. werden diese besonderen, aus den Grundrechten abzuleitenden Kündigungsschranken untersucht. § 9 MuSchG, der exemplarisch für eine positivrechtliche Umsetzung eines Grundrechtsauftrags (Art. 6 Abs. 4 GG) gewählt wurde, wird eingehend dargestellt. Nicht jede Kündigungsschranke findet ihren Ursprung in der Verfassung, wie am Beispiel der Betriebsverfassung gezeigt wird. Um so mehr müssen

III. Gang der Arbeit

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sich ihre Folgen daran messen lassen, ob sie die verfassungsrechtlichen Interessen nicht übergebührlich zurückdrängen (unter F.). Einen weiteren wichtigen Bereich stellen die Möglichkeiten dar, das Arbeitsverhältnis auf andere Weise als durch Kündigung zu beenden. Angesprochen sind hier vor allem der Aufhebungsvertrag oder die Befristung des Arbeitsverhältnisses. Den Abschluß der Arbeit bildet mithin unter G. die Fragestellung, ob nach geltender Rechtslage auch für den Bereich der weiteren Auflösungstatbestände die Erfordernisse der praktischen Konkordanz eingehalten und gegebenenfalls gewahrt sind.

Teil B

Grundrechte im Arbeitsrecht und ihre Abwägung Für die konkreten Auswirkungen der Grundrechte auf das Arbeitsverhältnis, namentlich die Artt. 2, 12, 14 GG, bedarf es zunächst der Klärung, auf welche Weise sie auf das Arbeitsrecht überhaupt Einfluß nehmen.

I. Grundrechte und einfachgesetzliche bzw. tarifliche Regelungen 1. Respekt vor dem Gesetzgeber

Die Grundrechte binden Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung als unmittelbar geltendes Recht, Art. I Abs. 3 GG. Daß die arbeitsrechtlichen Gesetze an den Grundrechten gemessen werden, entspricht deshalb dem allgemeinen Verständnis. Bundesarbeitsgericht 1 und Bundesverfassungsgericht2 haben sich schon mehrfach damit beschäftigt, ob arbeitsrechtliche Regelungen gegen Grundrechte verstoßen. Das Kündigungsschutzgesetz bietet dafür einige Beispiele. Der Gesetzgeber hat indessen beim Ausgleich der einander widersprechenden Interessen von Arbeitnehmer, Arbeitsuchendem, Arbeitgeber und der Allgemeinheit einen weiten Ermessens- und Gestaltungsspielraum3 , so daß die gerichtliche Kontrolle problematisch sein kann. Anlaß zur Sorge gibt, daß durch die Bindung der Gesetzgebung an die Verfassung, so selbstverständlich sie im Grundsatz ist, doch die Maßgeblichkeit des Willens des allein unmittelbar demokratisch legitimierten Parlaments in Frage gestellt wird, wenn letztlich das Bundesverfassungsgericht dem Gesetzgeber die Richtung angibt. Der Rang des Gesetzes als Ausdruck des Willens der Mehrheit kommt sonst keinem ande1 Vgl. die Diskussion um die Verfassungswidrigkeit des Auflösungszeitpunkts des § 9 Abs. 2 KSchG, BAG v. 16.05.1984 AP Nr. 12 zu§ 9 KSchG 1969; ein anderes Beispiel ist der Verstoß der früheren Regelung der Kündigungsfristen gemäß § 622 a.F.; vgl. BAG v. 16.11.1982 u. 30.05.1990 AP Nr. 16 und 28 zu§ 622 BGB. 2 Beispielsweise v. 29.01.1990 EzA zu § 9 KSchG 1969 Nr. 34; v. 30.05.1990 AP Nr. 28 zu§ 622 BGB; v. 27.01.1998 AP Nr. 17 zu§ 23 KSchG 1969. 3 Vgl. BVerfG v. 01.03.1979 E 50S. 290, S. 332ff.; v. 22.05.1979 E 51 S. 193, S. 208; v. 06.10.1987 E 77 S. 84, S. 106; statt aller Stern, Staatsrecht Band III/l, s. 989f.

I. Grundrechte und einfachgesetzliche bzw. tarifliche Regelungen

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ren Staatsakt zu4 . Das Bundesverfassungsgericht trägt dem in vielen entscheidungserheblichen Aussagen Rechnung und respektiert den Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers. Dieser ist erst überschritten, wenn von einem "angemessenen Ausgleich der Interessen nicht mehr gesprochen werden kann"5 . Im Bereich der arbeitsrechtlichen Gesetzgebung spielen die Grundrechte für das Verhältnis der Arbeitnehmer zum Arbeitgeber eine herausragende Rolle. Der Arbeitnehmer befindet sich gegenüber dem Arbeitgeber in einer Position der Unterlegenheit. Schon der Begriff der "abhängigen Arbeit", mit der die herrschende Meinung das Arbeitsverhältnis definiert, deutet darauf hin. Aus der Abhängigkeit (der "Imparität", dem "Machtgefälle"; dem "oben und unten, wie sonst nur im öffentlichen Recht"6 ) ergibt sich das arbeitsrechtliche Schutzprinzip7 . Die Abhängigkeit des Arbeitnehmers ist die Grundlage der Gesetzgebung. Das Defizit des Arbeitnehmers an Verhandlungsmacht wird durch sie und die sie ergänzende Rechtsprechung wettgemacht, soweit dies mit der Erfüllung der Produktionsaufgabe, die dem Arbeitgeber gestellt ist, vereinbar ist. Gerade das Kündigungsrecht beweist dies. Die Kündigung durch den Arbeitnehmer ist im wesentlichen frei, die Kündigung durch den Arbeitgeber vielen Beschränkungen unterworfen. Der Arbeitnehmer genießt grundsätzlich Bestandsschutz; der Arbeitgeber kann den Arbeitnehmer nicht halten, selbst wenn dessen Arbeit für das Unternehmen oder die Dienststelle unverzichtbar ist ("Mobilität des Arbeitnehmers"). § 622 Abs. 2 BGB unterwirft nur die Kündigung des Arbeitgebers den verlängerten Fristen; Abs. 6 sieht nur den Fall, daß zu Lasten des Arbeitnehmers eine ungleiche Frist vereinbart wurde. Bei der Anfechtung des Arbeitsvertrages wird nur diskutiert, ob die Regeln des Bürgerlichen Gesetzbuchs für die Anfechtung des Arbeitgebers Anwendung finden können. Der Betriebsrat setzt sich nur für den Arbeitnehmer ein. Wenn der Gesetzgeber der Meinung wäre, Arbeitgeber und Arbeitnehmer seien wirtschaftlich gleich stark und damit imstande, ihre Interessen im Arbeitsvertrag auszugleichen, wären alle diese Regelungen nicht verständlich und eine unverhältnismäßige Fesselung der Vertragsfreiheit Die Bestimmung des § 105 GewO: "Die Festsetzung der Verhältnisse zwischen den selbständigen Gewerbetreibenden und den gewerblichen Arbeitern ist Dürig in Maunz/Dürig, Art. I Rdz. 105; Badura, RdA 1999, S. 8, S. 9. Beispielsweise: BVerfG 27.1.1998 AP Nr. 17 zu § 23 KSchG 1969 unter B. I. 3) a); "Die Lehre von der Schutzfunktion der Grundrechte verändert damit nicht das Prinzip der Gewaltenteilung", Preis, FS Dieterich (1999), S. 429, S. 442. 6 KR-Friedrich, § 13 KSchG Rdz. 180. 7 Für viele Autoren Grundlage für Auslegung und Lückenfüllung. Siehe vor allem Wiedemann, Das Arbeitsverhältnis als Austausch- und als Gemeinschaftsverhältnis (1966); Söllner, FS Kissel (1994) S. 1121, S. 1125; Ehmann, FS Wiese (1998) S. 99, S. 107; Preis, FS Dieterich (1999), S. 429, S. 441. 4

5

3 Gamill.chcg

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Teil B: Grundrechte im Arbeitsrecht und ihre Abwägung

... Gegenstand freier Übereinkunft" gibt die Zustände des vorigen Jahrhunderts wieder und ist deshalb kein Abbild der heutigen Rechtslage, selbst wenn sie in nachkonstitutioneller Zeit aufrecht erhalten wurde 8 . 2. Respekt vor der Tarifautonomie

Die Tarifnormen sind als Regelungen für das Arbeitsverhältnis ebenfalls den Grundrechten unterworfen9 . Sie verwirklichen in weitem Umfang die Aufgabe, die sonst der Gesetzgeber erfüllen müßte: Die Herstellung eines gerechten Ausgleichs der Interessen von Arbeit und Entgelt (im weitesten Sinn). Der Tarifvertrag sorgt für angemessene Arbeitsbedingungen. Die Tarifparteien verfügen über einen weiten Ermessensspielraum. Dabei steht im Vordergrund, daß der Tarifvertrag im wesentlichen ein zusammenhängendes Ganzes darstellt, wo zuweilen an einer Stelle eine grundrechtswirksame Position zurückgenommen wird, um an anderer Stelle einen Vorteil für den Arbeitnehmer einzuhandeln, so daß der Arbeitnehmer insgesamt mit dem Tarifvertrag günstiger dasteht als ohne ihn 10. Auf diese Besonderheit ist Rücksicht zu nehmen, wenn es um den Stellenwert des einen oder anderen Grundrechts geht. Was im Arbeitsvertrag eine Verletzung des Grundrechts bedeuten kann, muß dies nicht gleichermaßen in einem Tarifvertrag sein. Daß der Gesetzgeber auf den Tarifvertrag vertraut, zeigen die sogenannten tarifdispositiven Gesetze. Sie gestatten eine Verschlechterung des gesetzlichen Standards durch Tarifvertrag, während Arbeitsvertrag oder Betriebsvereinbarung an die Vorgaben des Gesetzes gebunden sind. Das Beispiel aus dem Kündigungsrecht sind die Kündigungsfristen. Sie sind an sich zwingend; eine Vereinbarung mit dem Arbeitnehmer, daß eine Frist nicht eingehalten wird, ist unwirksam 11 • Im Tarifvertrag können die Fristen gemäß § 622 Abs. 4 BGB jedoch verkürzt oder aufgehoben werden. Es ist anzunehmen, daß für eine solche Gestaltung, die den Interessen der Arbeitgeber entgegenkommt, an anderer Stelle des Vertrages eine Gegenleistung erfolgt ist 12• A.A. Boemke, NZA 1993, S. 532, S. 534. Vgl. BAG 25.2.1998 DB 1998, S. 1420; MünchArbR/Löwisch, § 239 Rdz. 64; Stern, III/1 S. 1274 ff.; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. 667 ff.; Oetker, RdA 1997, S. 17. 10 Vgl. etwa BAG v. 20.10.1993 AP Nr. 10 zu § I TVG Tarifverträge: Bundesbahn unter II. 2. b). 11 ErfK-Müller-Giöge, § 622 Rdz. 78. 12 Die Fristen haben in den letzten Jahren die Frage der Gleichbehandlung von Arbeitern und Angestellten aufgeworfen, dazu Kommentare zu § 622 BGB; sie muß für die tarifliche Regel jeweils neu beantwortet werden. Das ist hier jedoch nicht zu vertiefen. 8

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II. Grundrechte und der Einzelne als Anspruchsberechtigter

35

Die Legitimation hierfür findet sich in Art. 9 Abs. 3 GG, der die staatliche Ordnung im Bereich der Regelung der Arbeitsbedingungen weit zurückdrängt. Ein Mindestlohn dürfte beispielsweise nicht gesetzlich festgelegt werden. Auch das Bundesverfassungsgericht ist an den Autonomiebereich gebunden und darf erst, wenn das Verhalten der Tarifpartner nicht mehr von der verfassungsrechtlichen Garantie des Art. 9 Abs. 3 GG getragen wird, korrigierend von außen eingreifen. Dieser einmalige Stellenwert, den die Tarifautonomie einnimmt, ist auch bei den hier vorzunehmenden Abwägungen stets zu berücksichtigen.

II. Grundrechte und der Einzelne als Anspruchsberechtigter 1. Anspruch der Bürger gegen den Staat In ihrer klassischen Funktion sind Grundrechte "Abwehrrechte des Bürgers gegen den Staat" 13 • Wie soeben dargestellt, bindet Art. 1 Abs. 3 GG Gesetzgebung, Verwaltung und Rechtsprechung unmittelbar. Die Rechtsordnung ist mithin verpflichtet, Eingriffe in die grundrechtliehen Schutzgüter des Einzelnen zu unterlassen. Korrespondierend zu diesem Zurückhaltungsgehot an den Staat stehen dem Betroffenen Abwehransprüche zu. Die Grundrechte gewährleisten somit die vor staatlichen Zugriffen geschützte individuelle Selbstbestimmung und eine autonome Lebensplanung und -führungl4. Als Leistungsrechte sind Grundrechte dagegen nur im Ausnahmefall anzusehen. Grundsätzlich gilt, daß die Schöpfer des Grundgesetzes in realistischer Einschätzung der Situation darauf verzichtet haben, sogenannte soziale Grundrechte einzufügen, wie am Beispiel eines "Rechts auf Arbeit" bereits dargelegt wurde 15• Einen eigenständigen Bereich nimmt das grundrechtlich verankerte Gleichbehandlungsgebot ein. Es besteht ein verfassungsrechtlicher Anspruch auf Gleichbehandlung, wenn diese geboten ist 16, den der Staat entweder durch eine zusätzliche Leistung oder ein Unterlassen erfüllen kann. Es handelt sich hierbei um die schwierige Materie der Teilhaberechte gegenüber dem Staat, die möglicherweise über Art. 3 Abs. 1 GG vermittelt werden können 17• Das hiesige Thema ist indessen von diesem Komplex BVerfGE 7, S. 198, S. 204; 68, S. 193, S. 205 Dreier in: H. Dreier, GG, Vorb. Rdz. 45. 15 Ausführlich: Dreier in: H. Dreier, GG, Vorb. Rdz. 50; s.o. A. Il. I. 16 Wenn also kein sachlicher Grund für eine Ungleichbehandlung vorliegt; Heun in: H. Dreier, GG, Art. 3, Rdz. 17, 29f. 17 Ausführlich: Dreier in: H. Dreier, GG, Vorb. Rdz. 52ff. m.w.N. 13 14

3*

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Teil B: Grundrechte im Arbeitsrecht und ihre Abwägung

nicht näher betroffen, so daß auf eine vertiefte Auseinandersetzung verzichtet wird.

2. Objektive Wertordnung der Grundrechte Bei der Wirkung der Grundrechte als reine Abwehrrechte ist es jedoch nicht geblieben. Seit dem Lüth-Urteil 18 hat das Bundesverfassungsgericht die Grundrechte als eine objektive Wertordnung angesehen, die für alle Bereiche des Rechts, insbesondere also für das Arbeitsrecht, Geltung verlangt19. In dieser Funktion haben die Grundrechte nicht nur Abwehrcharakter, sondern bestimmen die normative Ordnung insgesamt mit. Dies erfolgt dadurch, daß sich der Rechtsgehalt der Grundrechte "im Privatrecht durch das Medium der dieses Rechtsgebiet unmittelbar beherrschenden Vorschriften"20 entfaltet. In anderen Entscheidungen21 spricht das Gericht nicht von dem im Grundrecht verkörperten Wert, sondern vom objektiven Gehalt der Grundrechte, in dem sich wiederum die Interessen der Beteiligten widerspiegeln. In der Sache ist zwischen den unterschiedlichen Begriffen allerdings kein Unterschied zu sehen22 . Der "Transport" des objektiven Gehalts der Grundrechte in das Zivilrecht erfolgt über die Generalklauseln, wie beispielsweise Treu und Glauben, § 242 BGB, Fürsorgepflicht und durch verfassungskonforme Auslegung23 der auslegungsfähigen Einzelnorm, "Gründe im Verhalten" usw. Diese Lehre erlaubt eine abgestimmte Anwendung der in den Grundrechten angelegten objektiven Ordnung; auf die den Grundrechten beigegebenen Gesetzesvorbehalte kommt es nicht an, sogenannte "mittelbare Drittwirkung"24. Das Bundesarbeitsgericht hat eine Begrenzung der Staatsgerichtetheit der Grundrechte ebenfalls nicht anerkannt und über die mittelbare Drittwirkung die Gewährleistungen insbesondere des Art. 12 Abs. I GG in das Verhältnis von Arbeitgeber und Arbeitnehmer in zahllosen Fällen wirksam werden lassen25 . Die Arbeitsgerichtsbarkeit gilt mit Recht als die "grundrechtsfreudigste" Gerichtsbarkeit überhaupt26.

18

BVerfG v. 15.01.1958 E 7 S. 198, S. 205f.; vgl. auch v. 29.05.1973 E 35 S. 79,

s. 116.

MünchArbR/Richardi, § 10 Rdz. I. BVerfG v. 15.01.1958 E 7, S 198, S. 205. 21 Zum Beispiel: BVerfG v. 01.13.1979 E 50, S. 290, S. 337. 22 MünchArbR/Richardi, § 10 Rdz. 10. 23 Dreier in: H. Dreier, GG, Vorb. Rdz. 57. 24 Statt aller: Stern, Staatsrecht Band III/1, S. 1538ff. m.w. N. 25 Vgl. Übersicht über die Rechtsprechung bei Gamillscheg, Die Grundrechte im Arbeitsrecht (1989) S. 37-74. 26 Söllner, FS Kissel (1994) S. 1121, S. 1125 mit Verweis auf Stern, Staatsrecht III/1, S. 1429; Gamillscheg, Arbeitsrecht I, S. 135. 19

20

II. Grundrechte und der Einzelne als Anspruchsberechtigter

37

3. Schutzpflichten der Grundrechte

Eine neuere Lehre kommt zu vergleichbaren Ergebnissen wie die Lehre der mittelbaren Drittwirkung auf eine etwas abweichende Weise: Nach der Schutzpflichtlehre begründen die Grundrechte Pflichten des Staates zum Schutz des von den Grundrechten gewährleisteten Rechtsguts, die in erster Linie die Legislative, bei ihrem Fehlen aber genauso die Exekutive zu erfüllen hat27. Dem einzelnen Grundrechtsträger erwächst daraus ein Recht auf staatliche Maßnahmen, "die zum Schutz seines grundrechtlich gewährleisteten Freiheitsraumes unerläßlich sind"28 • Der Staat hat sich mithin "schützend und fördernd" vor die Grundrechte zu stellen, seine Gewalt wird nicht abgewehrt, sondern gefordert29 . Mit geeigneten Maßnahmen sollen Rechtsgutverletzungen vermieden werden 30. Die Besonderheit der Schutzpflicht besteht darin, daß sie auch gegenüber Grundrechtsbeeinträchtigungen durch Dritte besteht. Es sind damit verschiedene Ebenen zu unterscheiden. Zum einen ist der Staat gehalten, den Grundrechtsschutz zu verwirklichen. Dabei ist allerdings zu beachten, daß dem Gesetzgeber bei der Erfüllung der Schutzpflicht ein "weiter Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsbereich"31 zusteht. Zum anderen geht es um die Ebene des einzelnen gegenüber dem Staat und schließlich um die Beziehungen verschiedener Grundrechtsträger untereinander32 • Das Bundesverfassungsgeriche3 und in seinem Gefolge das Bundesarbeitsgeriche4 sind auf diese neue Deutung der Drittwirkung eingeschwenkt und haben die Schutzpflichtlehre immer weiter ausgestaltet. Damit ist der Anspruch des Einzelnen gegen die Rechtsordnung, ihn vor Angriffen Dritter zu schützen, zu einer Grundrechtsfrage geworden35 • Die Durchsetzung solcher Schutzpflichten erfordert indessen ein abgestimmtes Verhalten. Bei privatrechtliehen Beziehungen 27 Die Schutzpflicht des Gesetzgebers ist in den letzten Jahren insbesondere in den folgenden Fällen betont worden: BVerfG v. 07.02.1990 E 81 S. 242, S. 254f. (Handelsvertreter); v. 19.10.1993 E 89 S. 214, S. 231 f. (Bürgschaftsentscheidung); v. 24.04.1991 E 84 S. 133, S. 146f. (Warteschleife); v. 27.01.1998 AP Nr. 17 zu § 23 KSchG 1969 unter B. I. I. (Kleinbetriebsklausel). 28 BVerfGE v. 29.05.1973 E 35 S. 79, S. 116; vgl. dazu Badura, Staatsrecht S. 97f., C Rdz. 22; Stern, a.a.O. III/2 S. 1772ff.; MünchArbR/Richardi, § 10 Rdz. 13. 29 Dreier in: H. Dreier, GG, Vorb. Rdz. 62. 30 Dreier in: H. Dreier, GG, Vorb. Rdz. 62. 3! BVerfG v. 29.10.1987 E 77, S. 170, S. 214. 32 MünchArbR/Richardi, § 10 Rdz. 13. 33 Beispielsweise BVerfG v. 25.02.1975 E 39, S. I, S. 47; v. 16.10.1977 E 46, s. 160, s. 164; V. 14.01.1981 E 56, s. 54, s. 73. 34 Beispielsweise BAG (GS) v. 12.06.1992 NZA 1993, S. 547; (GS) v. 27.09.1994 NJW 1995, S. 210. 35 So auch Dreier in: H. Dreier, GG, Vorb. Rdz. 63.

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Teil B: Grundrechte im Arbeitsrecht und ihre Abwägung

bedeutet jede Begrenzung der Vertragsfreiheit zugunsten eines Betroffenen einen Eingriff in die verfassungsrechtlichen Rechte des anderen Beteiligten. Sofern der Gesetzgeber noch keinen angemessenen Ausgleich der konkurrierenden Interessen vorgenommen hat, ist die Verwirklichung des Ausgleichs im Einzelfall die Sache der Gerichte ("praktische Konkordanz"36). 4. Verhältnis von der objektiven Wertordnung der Grundrechte und Schutzpflichtlehre

Die Schutzpflichtlehre hat sich aus dem Verständnis des objektiv-rechtlichen Gehalts der Grundrechte heraus entwickelt37 • Sie geht damit über die Lehre der mittelbaren Drittwirkung noch hinaus, da sich aus ihr konkrete Ansprüche ableiten lassen38 • Die Lehre der Schutzpflichten wird deshalb auch für die vorliegende Darstellung den Leitfaden bilden; für die Ausfüllung, Auslegung und Konkretisierung der Generalklauseln, wie insbesondere Fürsorge- und Treuepflicht, und die auslegungsbedürftigen Normen bleibt aber die Einbeziehung der in den Grundrechten angelegten Werte nach wie vor unverzichtbar. 5. Arbeitsvertragsbezogene Grundrechte und Sozialstaatsprinzip

Nachdem die grundsätzliche Wirkung der Grundrechte auf die Privatrechtsordnung in ihren wesentlichen Zügen dargestellt worden ist, kommt es nunmehr darauf an zu präzisieren, welche Schutzpflichten für die Frage nach einem angemessenen Bestandsschutz des Arbeitsverhältnisses beachtet werden müssen. Hierzu bedarf es einer kurzen Betrachtung der Bedeutung und des Einflusses des Sozialstaatsprinzips auf die arbeitsvertragsbezogenen Grundrechte. a) Sozialstaatsprinzip als Auslegungsmaßstab

Das Sozialstaatsprinzip wird aus Art. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 GG abgeleitee9. Es verpflichtet den Staat zu "sozialer Gerechtigkeit"40• Dieser hat den Regelungs- und Gestaltungsauftrag, "für einen Ausgleich der sozialen Gegensätze und damit für eine gerechte Sozialordnung zu sorgen"41 • Das Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, § 2 III 2. c) bb), Rdz. 72. ErfK-Dieterich, GG, Vorb. Rdz. 41. 38 Ausführlich zu der Entwicklung: C. Müller, Die Berufsfreiheit des Arbeitgebers, Diss. Köln, 1996, S. 79ff. 39 Herzog in Maunz-Dürig, GG, Art. 20, VIII, Rdz. 2 ff. 40 BVerfG v. 17.08.1956 E 5, S. 85, S. 198. 41 BVerfG v. 18.07.1967 E 22, S. 180, S. 204. 36

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II. Grundrechte und der Einzelne als Anspruchsberechtigter

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Sozialstaatsprinzip begründet seine Pflicht zu "sozialer Aktivität". Der Staat hat "sich um einen erträglichen Ausgleich der widerstreitenden Interessen und um die Herstellung erträglicher Lebensbedingungen für alle zu bemühen"42 sowie die Lebensverhältnisse - insbesondere auf dem Gebiet der Wirtschaft - gestaltend zu ordnen43 . Für das Arbeitsrecht zog man lange Zeit daraus die Konsequenz, daß in der Verpflichtung zum sozialen Rechtsstaat inhaltlich die Verpflichtung mit eingeschlossen sei, alle Anstrengungen zu unternehmen, Arbeitslosigkeit zu vermeiden44 • Das Sozialstaatsprinzip ist indessen allein keine Grundlage konkreter Ansprüche. Art. 12 Abs. 1 GG bietet hierfür die speziellere Grundlage. Das Sozialstaatsprinzip gewinnt allerdings Bedeutung und Inhalt im Zusammenwirken mit anderen Normen, namentlich bei der Auslegung der Grundrechte45 . Ihnen wird im Lichte sozialstaatliehen Denkens der Auftrag zugeschrieben, die realen Bedingungen für die Ausübung ihrer Freiheitsgarantien zu schaffen. So ist es auch für die Schutzpflichtlehre ergänzend mit heranzuziehen. b) Art. 12 Abs. 1 GG

Die Grundlage des heutigen Verständnisses von Art. 12 Abs. 1 GG ist immer noch das sogenannte "Apothekenurteil" des Bundesverfassungsgerichts vom 11.6.195846 . Danach enthält Art. 12 Abs. 1 GG ein einheitliches Grundrecht der Berufsfreiheit, das sich tatbestandlieh auf alle Dimensionen beruflicher Betätigung erstreckt: Angefangen von der freien Wahl der Ausbildungsstätte und der damit verbundenen Wahl der Berufsausbildung bis hin zur freien Entscheidung darüber, welchen Beruf der Einzelne wann, wo und wie ausüben sowie welchen Arbeitsplatz er zu seiner Ausübung wählen will. Für die Eingriffe in die Freiheit von Berufswahl und Berufsausübung hatte das Bundesverfassungsgericht die Stufentheorie entwickelt. Die verschiedenen Stufen "Auswahl und Ausübung" spielen in der Praxis jedoch keine wirkliche Rolle. Man geht vielmehr davon aus, daß sich freie Wahl und freie Berufsausübung nicht scharf auseinanderhalten lassen, da sie ineinander übergehende Phasen einer einheitlichen Gewährleistung der Berufsfreiheit bezeichnen47. BVerfG v. 19.12.1951 EI, S. 97, S. 105. BVerfG v. 29.11.1961 E 13, S. 230, S. 233. 44 Badura, StaatsrechtS. 256f., D Rdz. 35; Schwerdtner, ZfA 1977, S. 47, S. 69; Scholz, 25 Jahre BAG (1979), S. 511, S. 526; und ZfA 1981, S. 265, S. 283. 45 Std. Rspr. seit BVerfG v. 19.12.1951 E I, S. 97, S. 105; vgl. KR-Etzel,§ I KSchG Rdz. 16; Kittner/Däubler/Zwanziger, Einl, Rdz. 10; Papier, RdA 1989, s. 137, s. 139. 46 BVerfGE 7, S. 377ff. 47 Scholz in Maunz/Dürig, Art. 12 Rdz. 14; BVerfG a.a.O. S. 405ff.; ErfK-Dieterich, Art. 12 Rdz 9. 42

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Teil B: Grundrechte im Arbeitsrecht und ihre Abwägung

aa) Schutzpflichten zugunsten des Arbeitnehmers Art. 12 Abs. 1 GG wird als das "Grundrecht der Arbeit"48 oder auch als das "Muttergrundrecht" der abhängigen Arbeit49 bezeichnet. Das Bundesverfassungsgericht betont dabei insbesondere den personalen Bezug des Grundrechts. Arbeit sei Beruf und Lebensgrundlage mit Wert und Würde für alle sozialen Schichten50 . Damit ist als Teil der objektiven Wertordnung des Art. 12 Abs. 1 GG der Persönlichkeitswert der Arbeit anzusehen51 . Daraus folgt ein hoher Stellenwert, der einen bedachtsamen und für den Arbeitnehmer würdigen Umgang mit seiner Arbeitskraft gebietet. In erster Linie sind damit natürlich die Grundfragen der abhängigen Arbeit, nämlich die Aufgabe und der Erhalt des Arbeitsplatzes als Grundlage der Persönlichkeitsverwirklichung angesprochen, wobei heute vor allem der Bestandsschutz für das Arbeitsverhältnis die zentrale Rolle spielt. Durch die Kündigung wird in besonderer Weise in das Grundrecht der Berufsfreiheit eingegriffen52. In der Warteschleifenentscheidung53 beschreibt das Bundesverfassungsgericht den Schutzbereich des Art. 12 Abs. 1 GG und stellt dann das Recht auf Bestandsschutz erstmals auf die Grundlage der Schutzpflichtlehre. Die Entscheidung besagt in den hier interessierenden Teilen: "Art. 12 garantiert ... auch die freie Wahl des Arbeitsplatzes ... [bei dieser] geht es vielmehr um die Entscheidung für eine konkrete Betätigungsmöglichkeit oder ein bestimmtes Arbeitsverhältnis. Dazu zählt namentlich bei abhängig Beschäftigten auch die Wahl des Vertragspartners ... [es] bezieht die freie Arbeitsplatzwahl neben der Entscheidung für eine konkrete Beschäftigung auch auf den Willen des einzelnen, diese beizubehalten oder aufzugeben. Das Grundrecht entfaltet seinen Schutz demnach gegen alle staatlichen Maßnahmen, die diese Wahlfreiheit beschränken. Das ist vor allem dann der Fall, wenn der Staat den einzelnen am Erwerb eines zur Verfügung stehenden Arbeitsplatzes hindert, ihn zur Annahme eines bestimmten Arbeitsplatzes zwingt oder die Aufgabe eines Arbeitsplatzes verlangt. Dagegen ist mit der Wahlfreiheit weder ein Anspruch auf Bereitstellung eines Arbeitsplatzes eigener Wahl noch eine Bestandsgarantie für den einmal gewählten Arbeitsplatz verbunden. Ebensowenig verleiht das Grundrecht unmittelbaren Schutz gegen den Verlust eines Arbeitsplatzes aufgrund privater Dispositionen. Insoweit obliegt dem Staat lediglich eine aus Art. 12 I GG folgende Schutzpflicht, der die geltenden Kündigungsvorschriften hinreichend Rechnung tragen . ..".

Söllner, ArbuR 1991, S. 45, S. 46. Gamillscheg, Die Grundrechte im Arbeitsrecht ( 1989), S. 58; ders. Arbeitsrecht I, S. 114. 50 BVerfG v. 11.06.1958 E 7, S. 377, S. 397. 51 BAG (GS) v. 12.06.1992 NZA 1993, S. 547, S. 549. 52 BAG v. 16.11.1995 AP Nr. 54 Einigungsvertrag An!. I Kap. XIX unter III.2. 53 v. 24.04.1991 E 84 S. 133, S. 146f. 48

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II. Grundrechte und der Einzelne als Anspruchsberechtigter

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Es steht damit fest, daß Art. 12 Abs. 1 GG als das "Grundrecht der Arbeit", im Lichte des sozialstaatliehen Auftrags aus Artt. 20, 28 GG ausgelegt, einen gesetzlichen Mindeststandard an Bestandsschutz54 garantiert. Berufsfreiheit bedeutet aber auch die Möglichkeit, den einmal gewählten Arbeitsplatz wieder aufzugeben55 . Angesprochen ist damit das Mobilitätsinteresse des Arbeitnehmers, das ihn vor einer ungerechtfertigten Bindung an einen Arbeitsplatz, den er zu verlassen wünscht, schützt. Dieser Inhalt von Art. 12 Abs. 1 GG ist verletzt56, wenn von einem angemessenen Ausgleich nicht mehr gesprochen werden kann57 • bb) Schutzpflichten zugunsten des Arbeitgebers Der Arbeitgeber kann sich ebenso auf den Schutz des Art. 12 Abs. 1 GG berufen, der ihm den erforderlichen Freiraum für seine berufliche Tätigkeit gewährleistet58 . Als wesentliches und deshalb Schützenswertes Element der Berufsfreiheit des Arbeitgebers wird seine Abschlußfreiheit angesehen. Mit dieser Gewährleistung korrespondiert auch das Recht, sich von geschlossenen Verträgen wieder zu lösen. Art. 12 Abs. 1 GG erfasst also auch die Privatautonomie für die berufliche Teilnahme am Rechtsverkehr, es bedarf keines Rückgriffs auf die allgemeine Vertragsfreiheit des Art. 2 Abs. 1 GG59 . So besteht die Schutzpflicht der Rechtsordnung, den Arbeitgeber davor zu schützen, an abgeschlossene Verträge übermäßig gebunden zu sein60. Die Schutzpflicht zugunsten des Arbeitgebers ist damit gleichzeitig Grenze der Schutzpflicht zugunsten des Arbeitnehmers61 .

c) Art. 14 Abs. 1 GG Die Stellung des Arbeitgebers bei der gegenseitigen Abwägung der Rechte und Interessen gründet sich vor allem auch aus dem Zusammenspiel von Artt. 12 Abs. 1 GG und 14 Abs. 1 GG. Art. 14 Abs. 1 GG schützt das Eigentum, das im verfassungsrechtlichen Sinne über das SachDieterich, RdA 1992, S. 330, S. 332; B. Preis, NZA 1997, S. 626, S. 627. BAG (GS) v. 12.06.1992 NZA 1993, S. 547, S. 549 spricht von dem erforderlichen Freiraum, den Art. 12 Abs. I S. 2 GG dem Arbeitnehmer gewährleistet. 56 Wieland in: H. Dreier, GG, Art. 12 Rdz. 151. 57 Allgemein: Kühling, FS Dieterich, S. 325, S. 332; MünchArbR/Richardi, § 10 Rdz. 14. 58 Müller, Berufsfreiheit des Arbeitgebers, S. 21 ff. 59 Badura, RdA 1999, S. 8, S. 10; Oetker, Der arbeitsrechtliche Bestandsschutz unter dem Firmament der Grundrechtsordnung, S. 21 m. w. N. 60 ErfK-Dieterich, Art. 12 Rdz. 34; Scholz in Maunz-Dürig, Art. 12 Rdz. 50. 61 Ohne konkreten Bezug auf Art. 12: Preis, FS Dieterich (1999), S. 429, S. 441. 54

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Teil B: Grundrechte im Arbeitsrecht und ihre Abwägung

eigenturn nach § 903 BGB hinausgeht62 • Unter dem Schutz der Verfassung stehen mithin alle vermögenswerten Rechte, die dem Inhaber ebenso ausschließlich wie das Eigentum an einer Sache zur eigenständigen Verfügung zugeordnet werden63 . Die Interessen des Arbeitgebers als Unternehmer, die der Erhaltung des Arbeitsplatzes entgegenstehen, ergeben sich aus der ihm gestellten Aufgabe. Die "Funktionsfähigkeit des Unternehmens ist Ausfluß dieses Grundrechts"64 . Er organisiert die Arbeit und schafft die Grundlage dafür, daß die Menschen mit Waren und Dienstleistungen in angemessener Qualität und zu Preisen, die sie auch aufbringen können, versorgt werden. Vor allem bietet er damit Arbeitsplätze für die anderen Arbeitnehmer. Von den durch die Wirtschaft geschaffenen Werten werden die Steuern abgeschöpft, mit denen der Staat wiederum die innere und äußere Ordnung aufrecht erhält. Grundlage der Aufgabenerfüllung ist das Eigentum an den Produktionsmitteln. Es bildet die Voraussetzung einer freiheitlichen Wirtschafts- und Sozialordnung. Nur eine auf das Privateigentum gestützte Wirtschaft ist effizient, wie das Beispiel der sozialistischen Länder in der Vergangenheit gezeigt hat. Darüber hinaus steckt im Eigentum die Arbeit in der Vergangenheit (des Eigentümers selbst oder der Person, von der er es erworben oder geerbt hat). Man kann das Interesse an Bestand und Entwicklung des Unternehmens in Parallele zum Bestandsschutz des Arbeitsverhältnisses als "Unternehmensschutz" oder "Organisationsinteresse" bezeichnen.

d) Art. 2 Abs. 1 GG Zusätzlich gewährleistet Art. 2 Abs. 1 GG die wirtschaftliche Betätigungsfreiheit von Arbeitnehmer und Arbeitgeber und schützt die Arbeit als Ausdruck ihrer Persönlichkeit. Der Schutzbereich erfasst jedes menschliche Verhalten. Durch dieses weite Verständnis wird Art. 2 Abs. l GG als ein Auffanggrundrecht angesehen, das dann einschlägig ist, wenn kein spezielleres Freiheitsrecht eingreift65 . Für die vorliegende Arbeit kommt es im wesentlichen auf die Freiheitsgarantien des Art. 2 Abs. 1 GG im allgemeinen wirtschaftlichen Verkehr und um die Gewährleistung der Privatautonomie66 an. Jede Entscheidung zur praktizierten Vertragsautonomie67 fällt ErfK-Dieterich, Art. 14 GG Rdz. 4. ErfK-Dieterich, Art. 14 GG Rdz. 4. 64 So im Mitbestimmungsurteil BVerfG v. 01.03.1979 E 50S. 290, S. 352. 65 Dreier in: H. Dreier, GG, Art. 2 Rdz. 22. 66 Rückführung dieser Freiheit auf Art. 2 Abs. 1 GG, BVerfG v. 16.0l.l957 E 6, S. 32, S. 41; v. 23.06.1993 E 89, S. 48, S. 61. 67 ErfK-Dieterich, Art. 2 GG Rdz. 2; Dreier in: Dreier, GG, Art. 2 GG Rdz. 20; Oetker, RdA 1997, S. 9, S. 11. 62

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li. Grundrechte und der Einzelne als Anspruchsberechtigter

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damit unter den Schutz von Art. 2 Abs. l GG, soweit nicht der Bereich eines spezielleren Grundrechts, namentlich Art. 12 Abs. 1 GG68 , betroffen ist. Aufgabe der Rechtsordnung ist, dafür zu sorgen, allen Beteiligten am Rechtsverkehr ein hohes Maß an Selbstbestimmung zu ermöglichen, doch darf beim Ausgleich ihrer widerstreitenden Interessen ihre "strukturell ungleiche Verhandlungsstärke"69 nicht unberücksichtigt bleiben. Das heißt, daß die Position der Arbeitgeber grundsätzlich eine andere Bewertung als die der Arbeitnehmer70 verlangt. Jeder Schluß von einer Aussage zugunsten des Arbeitnehmers auf eine spiegelbildlich gleichwertige Lage beim Arbeitgeber71 verkennt den Unterschied der beiden Situationen. Das ergibt sich aus der Abhängigkeit des Arbeitnehmers vom Arbeitgeber, der Unumkehrbarkeit dieses Verhältnisses, der Einseitigkeit des Arbeitsrechts. Die sicherlich grundsätzlich zutreffende Vorstellung, daß die Beendigung eines Dauerschuldverhältnisses durch einen Aufhebungsvertrag Teil der negativen Vertragsfreiheit und damit in Art. 2 Abs. I GG verankert ist, muß sich dem unterordnen, sie kann nicht als abstrakte Aussage genügen, um die Verletzung konkreter Interessen der Arbeitnehmer zu rechtfertigen 72 . Es ist nunmehr das Anliegen dieser Arbeit zu überprüfen, ob den verfassungsrechtlichen Bedeutungen der unterschiedlichen Interessen von Arbeitnehmer und Arbeitgeber durch die gesetzliche und richterrechtliche Ausgestaltung im Bereich der Auflösung des Arbeitsverhältnisses jeweils ausreichend Rechnung getragen wird.

Oben B. II. 5. b) bb). BVerfG v. 07.02.1990 E 81, S. 242 (Handelsvertreterentscheidung) 70 Pietzcker, NVwZ 1984, S. 550, S. 554. 71 Ein Beispiel: "Der Abschluß des Arbeitsvertrages ist eine freie Entscheidung von Arbeitgeber und Arbeitnehmer. So wie jeder Bürger die Freiheit hat, sich unter den offenen Stellen die passendste auszusuchen ... , kann der Unternehmer darüber entscheiden, ob und wen er als Arbeitnehmer einstellt", Meise!, Arbeitsrecht für die betriebliche Praxis Rdz. 125, S. 87. Auch Dömer, ARBlattei. SD 1010.9.1. Rdz. 63 spricht von der "grundsätzlich gleichwertigen" Position von Arbeitgeber und Arbeitnehmer aus Art. 12. 72 Vgl. aber BAG v. 30.09.1993 AP Nr. 37 zu § 123 BGB. 68

69

Teil C

Freiheitliche Gewährleistungen des Art. 12 GG für das Mobilitätsinteresse des Arbeitnehmers I. Verbot des Zwangs zur Arbeit Aus Art. 12 GG als Freiheitsrecht folgt als ein wesentlicher Inhalt, daß kein Arbeitnehmer gegen seinen Willen zu einer Tätigkeit gezwungen werden kann. Dies ist insbesondere in Art. 12 Abs. 2 und 3 GG niedergelegt1.

1. Abschlußfreiheit Besonderer Ausdruck des Verbots, jemanden zur Arbeit zu zwingen, ist die herrschende Vertragsabschlußfreiheit des Arbeitnehmers, die ihre verfassungsrechtliche Grundlage in Artt. 2 Abs. I GG, 12 Abs. I GG findet. Der Arbeitnehmer ist in seiner Entscheidung frei, einen Arbeitsvertrag zu schließen oder diesen abzulehnen. Daß er zu diesem Abschluß wirtschaftlich in der Regel gezwungen ist, ändert daran nichts. Eine Pflicht zur Arbeit enthält das Grundgesetz, anders als die Weimarer Verfassung 2 , selbst als moralischen Appell nicht. Auch ein großes Interesse des Arbeitgebers, einen bestimmten Arbeitnehmer einzustellen, verdient in diesem Kernbereich der freiheitlichen Gewährleistung der Berufsfreiheit keine Berücksichtigung. Es besteht für den Arbeitgeber keine Möglichkeit, den Arbeitnehmer zum Abschluß des Vertrages zu zwingen, wenn auch noch so günstige Angebote ihre Wirkung verfehlen.

2. Zwang zur Arbeit durch das SGB 111? Ein mittelbarer Zwang zur Aufnahme einer ggfs. unerwünschten Arbeit wird allerdings durch das SGB III auf den Arbeitslosen ausgeübt. Leistun1 Art. 12 Abs. 2: "Niemand darf zu einer bestimmten Arbeit gezwungen werden, ... "; Art. 12 Abs. 3: "Zwangsarbeit ist nur bei einer gerichtlich angeordneten Freiheitsentziehung zulässig." 2 Art. 163 Abs. I: "Jeder Deutsche hat unbeschadet seiner persönlichen Freiheit die sittliche Pflicht, seine geistigen und körperlichen Kräfte so zu betätigen, wie es das Wohl der Gesamtheit erfordert."

I. Verbot des Zwangs zur Arbeit

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gen der Arbeitslosenversicherung erhält nicht, wer eine zurnutbare Arbeit ablehnt3. Was zurnutbar ist, definiert nunmehr § 121 SGB III abschließend4. Danach kann ein Arbeitsloser eine nachgewiesene Stelle nicht ohne Folgen deshalb ausschlagen, weil sie außerhalb seines Berufskreises und Wohnorts liegt oder weil das aus ihr erzielbare Arbeitsentgelt um bis zu 20% (nach drei Monaten Arbeitslosigkeit: bis zu 30%) unter dem letzten Entgelt liegt, nach dem das Arbeitslosengeld berechnet wird; nach sechs Monaten muß er eine Arbeit annehmen, auch wenn diese nicht mehr als das Arbeitslosengeld erbringt. Die erworbene berufliche Qualifikation des Arbeitslosen wirkt sich bezüglich der Zumutbarkeitsbeurteilung mithin nur noch aus, wie sie in der Vergütung einen Niederschlag gefunden hatte, das als Grundlage zur Berechnung des Arbeitslosengeldes diente. Ein eigener Berufsschutz besteht nicht mehr, § 121 Abs. 5 SGB III. Der Arbeitslose muß gemäß Abs. 5 getrennte Haushaltsführung und gemäß Abs. 45 Pendelzeiten bis zu insgesamt zweieinhalb (bei einer Arbeitszeit unter sechs Stunden: zwei) Stunden in Kauf nehmen. Mit dieser Vorschrift sind die Voraussetzungen, unter denen eine angebotene Arbeit als unzumutbar zurückgewiesen werden konnte, gegenüber der Zeit der Geltung des Arbeitsförderungsgesetzes (AFG) erheblich verschärft worden. Von einem verfassungswidrigen Zwang zur Arbeit kann dennoch nicht gesprochen werden. Die angebotene Stelle anzutreten, ist eine Obliegenheit, keine Pflicht. Der Arbeitslose, der die Stelle ablehnt, wird nicht zum Antritt der angebotenen Arbeit gezwungen, er verliert lediglich den Anspruch auf das Arbeitslosengeld, um Mißbräuchen entgegenzutreten und die Finanzen der Arbeitslosenversicherung zu entlasten6 . Es ist allenfalls zu fragen, ob die Verschärfung der Bedingungen, wie sie vorgenommen wurde, auch rückwirkend eintreten konnte. Die Neufassung von § 121 SGB III (vormals § 103 b AFG n.F.) galt ab dem 01.04.1998 uneingeschränkt ohne Übergangsfrist7. Man könnte argumentieren, daß die Beiträge in der Vergangenheit für Leistungen nach den alten, milderen Zumutbarkeitsregeln erbracht wurden. Dem steht entgegen, daß eine Beschränkung der Neuregelung auf zukünftige Fälle die Effizienz der Neuordnung erheblich beeinträchtigt und die im Interesse des Gemeinwohls dringend gebotene Neustrukturierung auf weitere Zeit hinausgeschoben hätte. Ein Vertrauensschutz der Beitragszahler kann sich demgegenüber nicht durchsetzen. Hierin zeigt sich die Verantwortlichkeit des Einzelnen, seine eigene Arbeitslosigkeit und damit die Zum Problem Pietzcker, NVwZ 1984 S. 550f., S. 555. Niese!, NZA 1997, S. 580, S. 582. 5 Zuletzt geändert durch das 2. SGB III Änderungsgesetz vom 21.07.1999, BGBI. I S. 1648. 6 NZA 1997, S. 474f. (Mitteilungen und Dokumente). 7 Niese!, NZA 1997, S. 580, S. 582. 3 4

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Teil C: Freiheitliche Gewährleistungen

Inanspruchnahme der Arbeitslosenunterstützung zu vermeiden 8 • Der Gesetzgeber hat seine Kompetenz nicht überschritten. Es bedeutet ebenso keinen verfassungswidrigen Zwang zur Arbeit, wenn die Sozialhilfe entsprechend versagt wird9 (§§ 18, 19, 20 BSHG).

II. Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitnehmer Gewährleistung des Mobilitätsinteresses Als Freiheitsrecht garantiert Art. 12 Abs. 1 GG das Recht des Arbeitnehmers, frei darüber zu entscheiden, ob er seinen Arbeitsplatz aufgeben möchte. Das zum Inhalt des Art. 12 Abs. 1 GG gehörende Recht, den Arbeitsplatz wieder zu verlassen, zeigt sich in einer Fülle von Einzelfällen. Viele Normen berücksichtigen diese Freiheit des Arbeitnehmers. Es fällt jedoch auf, daß die Begründungen selten auf Art. 12 Abs. 1 GG und seine Schutzpflichten zurückgreifen, obwohl hier die Grundlagen für die Regelungen zu finden sind. Es muß deshalb überprüft werden, ob der verfassungsrechtlichen Dimension im Einzelfall ausreichend Rechnung getragen ist. 1. Kündigungsfreiheit

a) Ordentliche Kündigung Zur freien Wahl des Arbeitsplatzes gehört die Freiheit, ordentlich kündigen zu können. Sie ist selbst dann keinen Einschränkungen unterworfen, wenn durch den Weggang des Arbeitnehmers eine sozial wichtige Arbeit unterbleibt, z. B. der Fortgang des einzigen Anästhesisten aus dem Krankenhaus. Der Arbeitnehmer hat bisher lediglich die Kündigungsfrist einzuhalten, nunmehr bedarf seine Kündigung zusätzlich der Schriftform 10.

Vgl. Begründung Dt. BT Drs. 13/4941, S. 153. BSG v. 22.06.1977 E 44, S. 71, S. 74ff. 10 Gesetz zur Vereinfachung und Beschleunigung des arbeitsgerichtliehen Verfahrens vom 20.01.2000, nach dem § 623 BGB neu gefaßt wird und die Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu seiner Wirksamkeit als zwingende Voraussetzung der Schriftform bedarf. Das Gesetz wird am 01.05.2000 in Kraft treten, vgl. BT-Drucks. 14/2490; dazu Schaub, NZA 2000, S. 344, § 47f.; Preis/Gotthardt, NZA 2000, s. 348 ff. 8

9

II. Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitnehmer

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aa) Gesetzliche Kündigungsfristen ( 1) Zweck der Kündigungsfrist Die Länge der Kündigungsfrist ist in § 622 BGB geregelt. Im allgemeinen dient sie den Interessen des Arbeitnehmers und soll ihm die Möglichkeit geben, innerhalb des Laufs der Frist eine neue Stelle zu finden. Die Folgen der Kündigung werden abgeschwächt, nicht aufgehalten 11 • Die Vorschrift ist arbeitsvertraglich unabdingbar. Ein vorheriger Verzicht auf Einhaltung der Kündigungsfrist durch den Arbeitnehmer ist unwirksam 12• Kündigt der Arbeitnehmer, so will die Frist allerdings auch dem Arbeitgeber Zeit gewähren, einen Ersatz zu suchen, sie schützt auf diese Weise seine Personalplanung 13 . (2) Verstoß gegen das Mobilitätsinteresse? Die Einhaltung der gesetzlichen Kündigungsfrist kann den Arbeitnehmer durchaus in seiner Mobilität beengen. Dennoch bedeutet sie keine verfassungswidrige Bindung an den Arbeitsplatz. Daß Fristen grundsätzlich einzuhalten sind, ist das Ergebnis des konkreten Ausgleichs zwischen den beschriebenen Interessen von Arbeitnehmer und Arbeitgeber, wie ihn der Gesetzgeber getroffen hat. Daß der Arbeitnehmer eine besondere Aufstiegschance hätte, die bei Einhaltung der Kündigungsfrist verloren geht, entbindet ihn deshalb nicht von ihrer Einhaltung, rechtfertigt also keine fristlose Kündigung 14• Hier hat die Rechtsprechung das Interesse des Arbeitgebers an der planmäßigen Organisation des Betriebs vorgehen lassen. (3) Länge der Kündigungsfristen § 622 Abs. 2 BGB enthält einen Katalog verlängerter Fristen bei entsprechend längerer Betriebszugehörigkeit Die Vorschrift stellt selbst klar, daß die verlängerte Frist nur vom Arbeitgeber einzuhalten ist. Der Arbeitnehmer kann seinerseits mit der allgemeinen Frist von vier Wochen kündigen. Vor lokrafttreten des Kündigungsfristengesetzes von 1993 war dies unklar gewesen. Nach dem Wortlaut des früheren § 622 BGB hätte die verlängerte Frist gleichermaßen für die Kündigung des Arbeitnehmers gegolten. Die Rechtsprechung hatte sich jedoch darüber hinweggesetzt 15 und damit dem 11 12 13

14 15

Güntner, ArbuR 1974, S. 97, Fn. 2. ErfK-Müller-Glöge, § 622 Rdz. 78. ErfK-Müller-Glöge, § 622 Rdz. I. BAG v. 01.10.1970 AP Nr. 59 zu§ 626 BGB (LS). BAG v. 25.1l.l971 AP Nr. II zu§ 622 BGB unter 2. a) b).

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Teil C: Freiheitliche Gewährleistungen

"Wert" des Art. 12 Abs. 1 GG in seiner Funktion als Schutz des Mobilitätsinteresses des Arbeitnehmers Rechnung getragen. Das Gericht hat dies vor allem mit dem "Willen des Gesetzgebers" begründet: es sei nicht anzunehmen, daß er die Stellung des kündigungsbereiten Arbeitnehmers habe erschweren wollen. Dies entspricht der Ansicht, daß das, was der Gesetzgeber will, dem Auftrag entsprechen muß, den Art. 12 Abs. 1 GG insoweit erteilt.

(4) Kündigungsfrist bei Langzeitverträgen Die wohl älteste gesetzliche Sicherung der Freiheit des Arbeitnehmers vor unzumutbarer Bindung an den Arbeitsplatz enthält § 624 BGB. Er gestattet eine Kündigung durch den Arbeitnehmer mit sechsmonatiger Frist, was immer der Arbeitsvertrag, der für eine längere Zeit als fünf Jahre abgeschlossen wurde, besagt. Damit soll eine Bindung für längere Zeit oder sogar auf Lebenszeit verhindert werden, sie wäre mit der in Art. 12 Abs. l GG verankerten Mobilitätsfreiheit nicht vereinbar. bb) Arbeitsvertragliche Vereinbarungen über Kündigungsfristen Nicht selten sind allerdings Vereinbarungen im Arbeitsvertrag, durch die die Frist verlängert wird (§ 622 Abs. 5 S. 2 BGB). Insbesondere gilt das für mittlere und leitende Angestellte. Im allgemeinen hatte die Rechtsprechung hier keinen Anlaß zur Kontrolle. Da eine lange Frist vom Arbeitgeber selbst eingehalten werden muß (§ 622 Abs. 6 BGB), ist nicht anzunehmen, daß dem Arbeitnehmer eine überlange Frist ohne zwingenden Grund abgenötigt wird oder, daß bei der Vereinbarung von einem angemessenen Ausgleich nicht ausgegangen werden kann. cc) Verlängerung oder Verkürzung der Fristen durch tarifliche Regelungen Der Tarifvertrag kann die Fristen verlängern und abkürzen, § 622 Abs. 4 S. l BGB. Findet sich die Regelung in einem Tarifvertrag wieder, so gilt hier der Respekt vor der Tarifautonomie (Art. 9 Abs. 3 GG), das Vertrauen in die Richtigkeilsgewähr des Tarifvertrags 16• Von einem angemessenen Interessenausgleich ist deshalb grundsätzlich ohne gesonderte Prüfung auszugehen. 16 Dieser Aspekt wird von Oetker nicht ausreichend beachtet, der die Tarifvertragsparteien in gleicher Weise wie den Gesetzgeber an das aus Art. 12 Abs. I GG abzuleitende Untermaßgebot binden will, RdA 1997, S. 9, S. 17.

Il. Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitnehmer

49

b) Außerordentliche Kündigung

Steht dem Arbeitnehmer ein wichtiger Grund nach § 626 Abs. 1 BGB zur Seite, so kann er ohne Einhaltung einer Frist kündigen. Unwirksam sind grundsätzlich Vereinbarungen, durch die dieses Recht erschwert oder hinausgeschoben wird. Wenn die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar wird, muß der Arbeitnehmer die Freiheit behalten, die Arbeitsstelle sofort wieder zu verlassen 17, um der Schutzpflicht aus Art. 12 Abs. 1 GG zu genügen. Im Einzelfall kann es indessen geboten sein, das Interesse des Arbeitnehmers zurücktreten zu lassen. Eine zeitlich kurz bemessene Auslauffrist einzuhalten, kann, entgegen der herrschenden Meinung, dann zurnutbar werden, wenn die dafür sprechenden Interessen des Arbeitgebers und anderer Personen insoweit überwiegen. Der schon erwähnte Narkosefacharzt mag ein Beispiel dafür sein, wenn von seinem Einsatz eine lebensrettende Operation abhängt und Ersatz in kurzer Zeit nicht gefunden werden kann. Allerdings muß wegen der Bedeutung des Mobilitätsinteresses der Rahmen für die Ausnahmen eng gesteckt werden. Allein wirtschaftliche Gründe des Arbeitgebers können nicht ausreichen. Der Arbeitgeber hat die Möglichkeit ihrer Berücksichtigung schon dadurch verspielt, daß er dem Arbeitnehmer einen wichtigen Grund zur Kündigung gegeben hat. 2. Antrag auf Auflösung

Eine eigenständige Art der Auflösung des Arbeitsvertrags auf Betreiben des Arbeitnehmers bildet der Antrag 18 auf Auflösung gemäß § 9 Abs. 1 S. 1 KSchG, wenn sich die Sozialwidrigkeit der Kündigung bzw. das Fehlen eines wichtigen Grundes herausgestellt hat 19• Prozeßrechtlich handelt es sich dabei um einen uneigentlichen Eventualantrag, der nur für den Fall des Obsiegens des Feststellungsantrages gestellt wird20 ; eine selbständige Geltendmachung des Auflösungsbegehrens im Klagewege ist nicht statthaft21 • Der Auflösungsantrag kann schon mit der Kündigungsschutzklage gestellt werden. 17 KR-Fischermeier, § 626 Rdz. 57, Staudinger/Preis, § 626 BGB Rdz. 38; MüKo- Schwerdtner, § 626 Rdz. 65; Papier, RdA 1989, S. 137, S. 139. 18 Das Gericht ist nicht befugt, das Arbeitsverhältnis trotz Zerrüttung von sich aus aufzulösen; Hueck/v. Hoyningen-Huene, § 9 Rdz. 18; KR - Spilger, § 9 KSchG Rdz. 15 19 Vgl. Kommentare zu § 9 KSchG; MüKo - Schwerdtner, § 622 BGB Anh. Rdz. 465ff. 20 BAG v. 19.12.1958 AP Nr. I zu § 133 b Gewü; KR-Spilger, § 9 KSchG Rdz. 16. 21 BAG v. 29.05.1959 AP Nr. 19 zu§ 3 KSchG.

4 Gamillschcg

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Teil C: Freiheitliche Gewährleistungen

a) Anforderungen an die Unzumutbarkeit der Fortsetzung nach herrschender Ansicht

Die Auflösung des Arbeitsvertrags durch das Gericht setzt voraus, daß dem Arbeitnehmer die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses nicht zugemutet werden kann. Da § 9 KSchG die zukünftige Gestaltung des Arbeitsverhältnisses betrifft, sind hierfür die Tatsachen maßgeblich, wie sie am Ende der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz bekannt sind22 . Nach welchen Kriterien die Konkretisierung des unbestimmten Rechtsbegriffes "Unzumutbarkeit" zu erfolgen hat, hat sich gewandelt. Die ältere Rechtsprechung23 forderte das Vorliegen von Gründen wie im Falle des § 626 Abs. 1 BGB. Diese Ansicht hat sie 1981 aufgegeben24. Nunmehr genügen auch Umstände, die noch keinen "wichtigen Grund" im Sinn des § 626 BGB bilden. Die in § 626 geforderte Unzumutbarkeit, das Arbeitsverhältnis nur bis zum Ende der Kündigungsfrist durchzuhalten, ist nicht dieselbe, wie wenn es sich darum handelt, das Arbeitsverhältnis überhaupt fortzusetzen. Hier geht es darum, ob der Arbeitnehmer gehalten sein soll, auf unbestimmte Zeit bzw. bis zum Ende des befristeten Vertrags in einem Betrieb auszuharren, dessen Inhaber ihn nicht will und der darüber hinaus die Prozeßkosten eines verlorenen Verfahrens zu tragen hat. Dementsprechend werden an den Antrag des Arbeitnehmers geringere Anforderungen gestellt. Manche Entscheidungen lassen es bereits genügen, daß die offensichtlich unbegründete Kündigung das Verhältnis der Parteien erheblich belastet25 . Man verlangt aber, daß die Auflösungsgründe in einem inneren Zusammenhang mit der Kündigung stehen oder sich im Laufe des Prozesses ergeben haben26 . Beispiele sind die Verhärtung des Verhältnisses der Parteien, eine den Arbeitnehmer kränkende Suspendierung, Konflikte mit Kollegen, die im Prozeß als weniger schutzbedürftig genannt wurden, (voraussehbare) Maßregelung nach Rückkehr usw. Dennoch soll die Tatsache der Sozialwidrigkeit der Kündigung für sich allein genommen den Auflösungsantrag nicht rechtfertigen. Allein der KR - Spilger, § 9 KSchG Rdz. 40. BAG v. 05.1l.l964 AP Nr. 20 zu § 7 KSchG.- Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung beruhte die Studie des Max-Planck-Instituts (unten D. I. Unterabschnitt I. 1.). Sie kam zu dem Ergebnis (Band II S. 806ff.), daß dem Auflösungsantrag kaum je statt gegeben wurde. Nach Änderung der Rechtsprechung kann dies nicht mehr als repräsentativ angesehen werden. 24 BAG v. 26.ll.l981 AP Nr. 8 zu § 9 KSchG 1969 (LS). 25 LAG Frankfurt v. 16.0l.l980 BB 1981, S. 122; LAG Harnburg v. 05.08.1981 MDR 1982, S. 82. 26 KR- Spilger, § 9 KSchG Rdz. 41; Hueck/v. Hoyningen-Huene, § 9 Rdz. 36; Kittner/Däubler/Zwanziger, § 9 Rdz. IOa. 22 23

II. Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitnehmer

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Wunsch des Arbeitnehmers, an den alten Arbeitsplatz nicht zurückzukehren, reicht nach herrschender Meinung als Rechtfertigung der Auflösung nicht aus, ebensowenig die Tatsache des Kündigungsschutzprozesses als solche, sofern er sachlich und ohne persönliche Angriffe geführt wurde. "Der Arbeitnehmer hat nicht etwa die freie Wahl, ob er bei festgestellter Unwirksamkeit der Kündigung das Arbeitsverhältnis fortsetzen oder ob er gegen eine Abfindung ausscheiden will"27 . Der Auflösungsantrag ist auch zurückzuweisen, wenn er sich als rechtsmißbräuchlich darstellt; auf Gründe, die der Arbeitnehmer selbst treuwidrig herbeigeführt hat, um die Auflösung und die Zahlung einer Abfindung zu erreichen, kann er sich nicht berufen28. Nicht ausreichend als Auflösungsgrund ist ferner die Annahme einer anderen Stelle29. § 12 KSchG habe die Rechtsfolgen, die sich daraus ergeben, abschließend und ausreichend geregelt.

b) Anforderungen an die Unzumutbarkeit der Fortsetzung nach den Grundsätzen der praktischen Konkordanz Die herrschende Ansicht, die sich aus dem Wortlaut der Bestimmung nicht legitimieren kann, ist abzulehnen. Sie ist mit dem Schutz des Mobilitätsinteresses durch Art. 12 Abs. 1 GG, der so gut wie nie erwähnt wird, nicht vereinbar. Sie läßt die Ergebnisse der Rechtstatsachenforschung30 außer Acht, wonach nur ein verschwindend geringer Prozentsatz der Rückkehrer auf Dauer auf dem alten Arbeitsplatz verbleibt. Es ist zudem schwer zu begründen, daß vom Arbeitnehmer ein Auflösungsgrund von solchem Gewicht verlangt wird, während es für den Antrag des Arbeitgebers auf Auflösung, § 9 Abs. 1 S. 2 KSchG genügt, daß die Aussichten auf eine gedeihliche Zusammenarbeit getrübt sind. Damit kommt das Gesetz (in der Auslegung der herrschenden Meinung) stärker dem Arbeitgeber als dem Arbeitnehmer entgegen, obwohl doch die Sozialwidrigkeit der Kündigung den Grund des Problems darstellt. Die herrschende Meinung hat die Konsequenz, daß der Arbeitnehmer, der seinen Prozeß gewonnen hat, dennoch zur Weiterarbeit verpflichtet bleibt. Verweigert er die Rückkehr an den Arbeitsplatz, erlangt sogar der Arbeitgeber einen wichtigen Grund zur Kündigung mit allen Folgen zum Beispiel für das Arbeitslosengeld (Sperrzeit 27 BAG v. 24.9.1992 AP Nr. 3 zu Einigungsvertrag Anl. I Kap. XIX unter I.3.; ebenso Hueck/v. Hoyningen-Huene, § 9 KSchG Rdz. 32ff., ErfK - Ascheid, § 9 KSchG Rdz. 13 ff.; Löwisch, § 9 KSchG Rdz. 29 f., KR - Spilger, § 9 KSchG Rdz. 36ff; MüKo- Schwerdtner, § 622 BOB Anh. Rdz. 469. 28 BAG v. 15.02.1973 AP Nr. 2 zu§ 9 KSchG 1969 unter II. 4. c) 29 KR- Spilger, § 9 KSchG Rdz. 44; ErfK-Ascheid, § 9 KSchG Rdz. 15 a.a. O.: "Dieser Konflikt wird vielmehr über § 12 gelöst" (also trotz Sozialwidrigkeit der Kündigung oder FehJens eines wichtigen Grundes: keine Abfindung). 30 Unten D. I. Unterabschnitt I. I. 4*

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Teil C: Freiheitliche Gewährleistungen

für 12 Wochen gemäß § 144 Abs. 1 Nr. 1 SGB Ill). Will der Arbeitnehmer dem in letzter Minute entgehen, bleibt ihm nur, die Kündigungsschutzklage zurückzunehmen mit der Folge, daß die Prozeßkosten (sogar die Anwaltskosten des Arbeitgebers!) von ihm zu tragen sind, § 46 Abs. 2 ArbGG i. V. m. § 296 Abs. 3 ZPO. Daß ein solcher Fall die Gerichte offensichtlich noch nicht beschäftigt hat, beweist nicht, daß dies gerechtfertigt ist. Die Auslegung des Art. 12 Abs. 1 GG weist einen anderen Weg. In der Abwägung der beteiligten Interessen ist dem Arbeitnehmerinteresse der größere Stellenwert beizumessen. Der Arbeitgeber hat durch seine ungerechtfertigte Kündigung den Anlaß gegeben. Diese Kündigung stellt eine Vertragsverletzung dar, gegen die sich der Arbeitnehmer nur durch Erhebung einer Kündigungsschutzklage wehren kann. Einen Schadensersatzanspruch wegen einer positiven Vertragsverletzung kann er nicht geltend machen. An seine Stelle ist die Abfindung gemäß §§ 9, lO KSchG getreten. Entscheidet sich der Arbeitnehmer also gegen eine Weiterbeschäftigung und für die Zahlung einer Abfindung, so ist diesem Willen der Vorrang einzuräumen. Die Ungewißheit, wie sich das Arbeitsverhältnis in der Zukunft gestalten wird, bildet die taugliche Begründung für den Auflösungsantrag. Dem Antrag ist deshalb grundsätzlich stattzugeben. c) Besonderheit bei nichtiger Kündigung

Ist die Kündigung sowohl sozialwidrig wie aus anderem Grund nichtig, so ist der Arbeitnehmer - anders als der Arbeitgeber - berechtigt, den Auflösungsantrag zu stellen; daß ein weiterer Mangel gegeben ist, kann ihm die Befugnis des § 9 KSchG nicht nehmen31 • Beruht die Nichtigkeit der Kündigung dagegen allein auf einem Verstoß gegen eine sonstige Vorschrift32 oder wird nur dieser zum Gegenstand des Prozesses, so ist es dem Arbeitnehmer verwehrt, Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Zahlung einer Abfindung zu verlangen. § 13 Abs. 3 KSchG schließt bei der Nichtigkeit der Kündigung aus anderem Grund als ihrer Sozialwidrigkeit oder dem Fehlen eines wichtigen Grundes seinem Wortlaut nach die Zuerkennung einer Abfindung gemäß §§ 9, lO KSchG aus 33 . Wo mithin die Kündigung 31 KR - Spilger, § 9 Rdz. 27; ErfK-Ascheid, § 9 Rdz. 5; BAG v. 30.04.1987 - 2 AZR 302/86 - nicht amtlich veröffentlicht. 32 Daß es sich hierbei nicht nur um einen zu vernachlässigenden Anwendungsbereich handelt, zeigt eindrucksvoll die Auflistung der Beispiele für die Rechtsunwirksamkeit der Kündigung aus sonstigen Gründen bei KR-Friedrich, § 13 KSchG Rdz. 178-198a. 33 Hueck/v. Hoyningen-Huene, § 13 Rdz. 93; KR-Friedrich, § 13 KSchG Rdz. 326.

II. Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitnehmer

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an § I KSchG nicht scheitern würde - Beispiel etwa, daß die Nichtigkeit allein auf § 102 Abs. I S. 3 BetrVG beruht -, hat der Arbeitnehmer nur die Wahl, von sich aus zu kündigen oder in den Betrieb zurückzukehren, selbst wenn das Verhältnis der Parteien durch den Prozeß unzumutbar belastet ist. Nur wenn die Kündigung zusätzlich sozialwidrig war, gewährt § 6 KSchG Abhilfe. Nach dieser Vorschrift kann die Klage, sofern sie innerhalb von drei Wochen eingereicht worden ist, bis zum Schluß der mündlichen Verhandlung auf Feststellung der Sozialwidrigkeit ausgedehnt werden 34 , so daß der Antrag auf Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen die Zahlung einer Abfindung wieder gestellt werden kann. Die Vorschrift ist rechtspolitisch fragwürdig. Wo das Kündigungsverbot den Arbeitnehmer besonders schützen will, sollte ihm die Möglichkeit der Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Abfindung selbst ohne Beweis der Sozialwidrigkeit, die möglicherweise eine langwierige Beweisaufnahme erzwingt, gegeben werden 35 . Der Gesetzgeber hat sich jedoch anders entschieden, und ein Verstoß gegen seinen weiten Gestaltungs- und Ermessensspielraum ist nicht anzunehmen. Der Inhalt der Regelung ist also zu respektieren. De lege ferenda wäre aber eine Gesetzesänderung wünschenswert. d) Verfahrensrechtliche Besonderheit Das Verfahrensrecht setzt dem Antrag ebenfalls Hindernisse entgegen. Er ist bis zum Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung in der Tatsacheninstanz jederzeit möglich. Die ausdrückliche Regelung in § 9 Abs. I S. 3 KSchG geht als Iex specialis den §§ 527, 528 ZPO (Zurückweisung wegen verspäteter Antragstellung) vor36. Hat der Arbeitnehmer die Stellung des Antrags in der ersten Instanz jedoch versäumt, so kann er Berufung nicht zu dem Zweck einlegen, dies nachzuholen. Nach allgemeinem Prozeßrecht fehlt es an der Beschwer37 . Damit ist er, wie Schaub38 mit Recht sagt, gegenüber Beleidigungen nach Schluß der Verhandlung "nahezu schutzlos". Nicht in allen Fällen kann er hierbei auf § 628 Abs. 2 BGB zählen. 34 Siehe deshalb den "Rat" von Kittner/Däubler/Zwanziger, § 13 Rdz. 34 und KR-Friedrich, § 13 Rdz. 352, in jedem Fall, auch einen Antrag auf Feststellung der Sozialwidrigkeit zu stellen. 35 Hierzu Wilhelm, NZA Beil. 3/1988 S. 18, S. 22. 36 KR- Spilger, § 9 KSchG Rdz. 20; Hueck/v. Hoyningen-Huene, § 9 KSchG Rdz. 22, Bauer/Hahn, DB 1990, S. 2471. 37 BAG v. 23.06.1993 AP Nr. 23 zu § 9 KSchG 1969 (LS); Hueck/v. Hoyningen-Huene, § 9 KSchG Rdz. 22; Löwisch, § 9 KSchG Rdz. 21; KR- Spilger, § 9 KSchG Rdz. 20. 38 ArbRHandB § 141 III I.

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Teil C: Freiheitliche Gewährleistungen

Diese Rechtslage ist mit dem objektiven Gehalt des Art. 12 Abs. l GG nicht vereinbar. In der Abwägung kann der genannte, materiell inhaltslose Grundsatz des Verfahrensrechts das Mobilitätsinteresse des Arbeitnehmers nicht verdrängen. Eine verfassungskonforme Auslegung des Prozeßrechtes fordert es vielmehr - entgegen der herrschenden Ansicht -, dem Arbeitnehmer zu gestatten, in Berufung zu gehen, nur um die Auflösung des Arbeitsverhältnisses nach § 9 KSchG zu erreichen, selbst wenn der Antrag in erster Instanz noch nicht gestellt worden war. 3. Aufbebungsvertrag39

Aufhebungsverträge sind in der Rechtswirklichkeit häufiger als Kündigungen. Ihr Verhältnis wurde von einem Praktiker einmal mit 7 zu 3 angegeben40. In der Regel geht die Initiative zum Abschluß eines Aufhebungsvertrages vom Arbeitgeber aus. Der Arbeitnehmer kann allerdings seinerseits ein Interesse an der Aufhebung haben, wenn er sich von seinem Arbeitsvertrag lösen will, ohne die Kündigungsfrist einzuhalten. In anderen Fällen ist es sein Wunsch, eine sonst drohende (berechtigte) Kündigung durch den Arbeitgeber zu vermeiden. Der Aufhebungsvertrag unterliegt, soweit er vom Arbeitnehmer angeboten oder freiwillig angenommen wird, keinen Beschränkungen. "Das Recht der Arbeitsvertragsparteien, das Arbeitsverhältnis einverständlich zu beenden, gehört zum Grundrecht der Berufsfreiheit41 . Der Aufhebungsvertrag bedarf nunmehr der Form, § 623 BGB,42 allerdings greifen Genehmigungsvorbehalte einer Behörde nicht ein43 . Hierin zeigt sich der Schutz des Mobilitätsinteresses in der Ausprägung der Vertragsfreiheit Voraussetzung ist allerdings wie bei der Eigenkündigung die absolute Freiwilligkeit auf 39 MünchArbR/Wank, § 115; Wisskirchen/Worzalla, DB 1994, S. 577ff. und 1997, S. 577ff.; Hoß/Ehrich, DB 1997, S. 625ff. 40 So der Gesamtbetriebsratsvorsitzende von "Michelin" Schieck, in Kittner (Hrsg.), Tagung der IG Metall zum Kündigungsschutzrecht 1977 (1978). Bei Angestellten ist die Auflösung des Arbeitsverhältnisses über Auflösungsverträge noch stärker verbreitet. 41 BAG v. 30.09.1993 AP Nr. 37 zu§ 123 BGB unter II. 8. a) b). 42 Tarifverträge sehen bereits heute zuweilen eine Form vor. Der durch das Arbeitsgerichtsbeschleunigungsgesetz vom 20.01.2000 neugefasste § 623 BGB, Inkrafttreten am 01.05.2000, sieht zukünftig ein zwingendes Schriftformerfordernis für den Abschluß von Aufhebungsverträgen vor; dazu Schaub, NZA 2000, S. 344, § 47 f.; Preis/Gotthardt, NZA 2000, S. 348 ff. 43 Die Arbeitsplatzverordnung in der Fassung von 1942 verlangte, kriegsbedingt, auch bei Einigung der Parteien über die Aufhebung des Vertrages in zahlreichen Fällen Zustimmung des Arbeitsamtes; vgl. Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechtes, Band I, S. 528, Fn. 2. - Beschränkungen der Aufhebungsfreiheit auch im Verteidigungsfall, doch ist das hier nicht darzustellen.

II. Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitnehmer

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Seiten des Arbeitnehmers44. Fehlt es daran, setzt die Kontrolle der Rechtsordnung ein. Es sind dies allerdings die Fälle des Bestandsschutzes, die später behandelt werden45 . 4. Befristung auf Wunsch des Arbeitnehmers Wird ein Arbeitsvertrag auf Wunsch des Arbeitnehmers befristet, so ist dies wirksam 46. Eine Kontrolle, ob für die Befristung ein sachlicher Grund gegeben ist, erfolgt nicht; der Wille des Arbeitnehmers als Ausdruck seines Wunsches nach Mobilität ist Grund genug. Freilich gilt hier ebenso wie beim Aufhebungsvertrag, daß es sich um echte Freiwilligkeit handeln muß. Nur dann gebietet die Schutzpflicht aus Art. 12 Abs. I GG, daß eine kontrollierende Prüfung der Befristung durch die Rechtsordnung unterbleibt. Der Arbeitnehmer muß die Befristung, nicht (nur) den . Arbeitsvertrag wollen47 . Andererseits begibt sich der Arbeitnehmer durch die Befristung der Möglichkeit, während der vereinbarten Dauer des Arbeitsverhältnisses vor seinem Ende zu kündigen, es sei denn, sie wurde vertraglich zwischen den Parteien des Arbeitsvertrages vereinbart. Der Arbeitnehmer muß das wissen, eine Anfechtung der Befristung wegen eines Irrtums über diesen Umstand ist nicht möglich. Dies erscheint im Hinblick auf Art. 12 Abs. l GG auch sachgerecht. Dem Mobilitätsinteresse wurde genügend Rechnung dadurch getragen, daß allein der Wunsch nach der Befristung als Grund zu entsprechender Vertragsgestaltung ausgereicht hat48 • Eine darüber hinausgehende zusätzliche Kündigungsmöglichkeit innerhalb der Vertragsdauer würde den Arbeitgeber in seinem Organisationsinteresse zu stark beeinträchtigen, da er die Unternehmerische Planung darauf ausgerichtet hat, den Arbeitnehmer bis zu einem bestimmten Datum zu beschäftigen. Bei der Abwägung der Interessen und der widerstreitenden Grundrechtspositionen in ihrer Wechselwirkung hat hier dann das Interesse des Arbeitnehmers zurückzutreten.

44 Nach Ansicht von Bauer/Diller, DB 1995, S. 1810, 1812, befindet sich der Arbeitnehmer zuweilen sogar" . .. in einer glänzenden Verhandlungsposition.". 45 Unten G. I. 46 Hueck/v. Hoyningen-Huene, § I KSchG Rdz. 567. 47 BAG v. 26.08.1998 AP Nr. 203 zu§ 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag. 48 Der durch das Arbeitsgerichtsbeschleunigungsgesetz vom 20.01.2000 neugefasste § 623 BGB, Inkrafttreten am 01.05.2000, sah für den Abschluß eines befristeten Arbeitsvertrages ein zwingendes Schriftformerfordernis vor; dazu Schaub, NZA 2000, S. 344, § 47f.; Preis/Gotthardt, NZA 2000, S. 348ff.; nunmehr§ 14 IV Tz BfG.

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Teil C: Freiheitliche Gewährleistungen

5. Widerspruch beim Betriebsübergang

Ausdruck des Mobilitätsinteresses des Arbeitnehmers ist ebenfalls sein Widerspruchsrecht gegen den Übergang seines Arbeitsverhältnisses auf den Erwerber des Betriebs gemäß § 613 a BGB. Niemand kann ihn zwingen, bei einem Arbeitgeber zu arbeiten, den er nicht will49 . Hier gilt das zur Abschlußfreiheit50 Gesagte entsprechend. Daß das anfangs im Schrifttum bezweifelt wurde51 , hatte keine Grundlage im Gesetz. Das Interesse des Erwerbers, eine eingearbeitete Belegschaft zu übernehmen, tritt demgegenüber zurück. Der Arbeitnehmer muß freilich wissen, daß er eine Kündigung durch den Veräußerer riskiert52 . Es ist ihm deshalb das Recht einzuräumen, innerhalb einer kurzen Frist den Widerspruch zurücknehmen, es sei denn, dies bedeutete für den Erwerber eine Erschwerung, die das Gewicht eines betriebsbedingten Kündigungsgrundes hat. 6. Berufsausbildungsvertrag

Vereinbarungen in einem Berufsausbildungsvertrag, der für die Zeit nach Abschluß der Ausbildung Beschränkungen bei der Arbeitsplatzwahl enthält, sind nichtig, § 5 Abs. 1 S. 1 BBiG. Diese Vorschrift ist ebenfalls eine Ausprägung des durch Art. 12 Abs. l GG geschützten Mobilitätsinteresses53 . Für den Fall der ordentlichen Kündigung des Auszubildenden darf der Verfall einer Kaution oder Vertragsstrafe nicht vereinbart werden, § 5 Abs. 2 Nr. 2 BBiG54 . 7. Rückzahlungsklauseln55

Das Mobilitätsinteresse gemäß Art. 12 Abs. I GG wird auch dadurch gewahrt, daß die Rechtsprechung im Bereich der freiwilligen Leistungen, insbesondere beim Weihnachts- und Urlaubsgeld, keine Bindungen an den 49

Ständige Rechtsprechung der Arbeitsgerichte; dazu Müller-Glöge, NZA 1999,

s. 449, s. 455.

Oben C. I.! . Hersehe!, Anm. zu BAG v. 02.10.1974 ArbuR 1975, S. 379, S. 382f.; Kraft, FS 25 Jahre Bundesarbeitsgericht (1979) S. 299, S. 307. 52 Im Fall des BAG v. 18.09.1997 SAE 1999, S. 136, S. 139 stellt das Gericht die Wirksamkeit der Kündigung selbst eines Betriebsratsmitglieds fest. § I 03 BetrVG wird in diesem Fall für unanwendbar gehalten, § 15 Abs. 4 oder 5 KSchG. SJ ErfK-Schlachter, BBiG § 5 Rdz. l. 54 BAG v. 11.03.1971 u. 09.03.1972 AP Nr. 9 (LS), 12 (LS) zu§ 622 BGB. 55 MünchArbR/Hanau, § 76 Rdz. I ff.; Kittner/Däubler/Zwanziger, Ein! Rdz. 794ff.; Lipke/Vogt/Steinmeyer, Sonderleistungen im Arbeitsverhältnis D Rdz. 169ff., s. 105ff. 50

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II. Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitnehmer

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Arbeitsplatz anerkennt, die über ein gewisses Maß hinausgehen. Diese Rechtsprechung wurde in den sechziger Jahren entwickelt. Ihr Grundgedanke ist inzwischen Gewohnheitsrecht geworden, selbst wenn in den Einzelheiten noch Klärungsbedarf besteht56. a) Zulässigkeil von Rückzahlungsklauseln

Ausgangspunkt war die Entscheidung AP Nr. 22 zu § 611 BGB Gratifikation57. Es ging um eine Vertragsklausel, in der sich die Arbeitnehmerin zur Rückzahlung einer Weihnachtsgratifikation verpflichtet hatte, wenn sie innerhalb eines halben Jahres nach Empfang des Geldes kündigen würde. Ein solcher Vorbehalt ist nicht grundsätzlich unwirksam, die Vertragsfreiheit gemäß Art. 2 Abs. I GG gilt hier ebenso. Sie darf aber nicht unkontrolliert sein. Würde man solche Klauseln im Arbeitsvertrag ohne Beschränkung gelten Jassen, könnte der Arbeitgeber den Arbeitnehmer dadurch an den Betrieb binden, daß er sich Rückzahlung der freiwilligen Leistung bis zur nächsten solchen Leistung versprechen läßt: Etwa bei einem Weibnachtsgeld bis zum nächsten Weihnachtstermin, eine "Bindungswirkung ohne Ende" (Bundesarbeitsgericht). Es wäre das eine einseitige Kündigungserschwerung58. Das Bundesarbeitsgericht hat einen Mittelweg zwischen der Zulässigkeit der Rückzahlungsabrede und ihrer Unwirksamkeit beschritten. Die Dauer der zulässigen Bindung ist von der Höhe der Zuwendung abhängig. Das ist ein Beispiel für die "praktische Grundrechtskonkordanz", wie sie schließlich nach Berücksichtigung aller Gesichtspunkte vom Gesetzgeber (im Arbeitsrecht meist aber vom Richter) herzustellen ist. Gegen das Interesse des Arbeitnehmers, sich einen anderen Arbeitsplatz zu suchen, steht der durch die Gratifikation "vergoldete" Wunsch des Arbeitgebers, einen in der Regel nicht sofort ersetzbaren Mitarbeiter an den Betrieb zu binden, ein Interesse, das die anderen dort beschäftigten Arbeitnehmer insoweit teilen. Bei der Abwägung ist freilich gegen die Position des Arbeitgebers zu Dazu Gamillscheg, Arbeitsrecht I, S. 117 ff. BAG v. 10.05.1962; vgl. BAG v. 27.07.1972 AP Nr. 75 zu§ 611 BGB Gratifikation, ständige Rechtsprechung, ebenso v. 14.06.1995 AP Nr. 176 zu § 611 BGB Gratifikation. 58 Deshalb wurde die Begründung zuweilen darin gesucht, die Rückzahlungspflicht verstoße gegen den Grundgedanken des § 622 Abs. 6 (früher: 622 Abs. 5) BGB, wonach die Kündigungsfrist des Arbeitnehmers nicht länger sein darf als die vom Arbeitgeber einzuhaltende Frist, vgl. BAG v. 27.07.1972 AP Nr. 75 zu § 61 I BGB Gratifikation. Dabei wurde zuwenig beachtet, daß diese Vorschrift ihrerseits Ausdruck des in Art. 12 Abs. I GG mitverankerten Schutzes des Mobilitätsinteresses des Arbeitnehmers ist; auch sie will verhindern, daß der Arbeitgeber eine übermäßige Bindung auferlegt, weil er sie selbst nicht einzuhalten braucht. 56 57

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Teil C: Freiheitliche Gewährleistungen

berücksichtigen, daß die mit dem Rückzahlungsvorbehalt belastete freiwillige Leistung, mag sie rechtlich eine freiwillige sein, dennoch durch die Arbeit in der Vergangenheit verdient worden ist. Mit dem Rückgang des Arbeitskräftemangels hat die Bindung an den Betrieb ihre Bedeutung vielfach verloren; umso weniger scheint deshalb eine Rückzahlungspflicht angemessen.

b) Rückzahlungsklauseln in Tarifverträgen Tarifverträge sind vielfach an die Stelle der einseitigen Gewährung durch den Arbeitgeber in der Form von Gesamtzusagen oder vertraglicher Einheitsregelung getreten. Die Rückzahlung bei nachfolgender Kündigung unterliegt dann nur dem Tarifvertrag; eine davon zulasten des Arbeitnehmers abweichende vertragliche Vereinbarung der Arbeitsvertragsparteien ist wirkungslos, § 4 Abs. 1 TVG. Die Rechtsprechung hat allerdings gestattet, daß der Tarifvertrag von den Richtlinien des Bundesarbeitsgerichtes zulasten des Arbeitnehmers abweicht; diese sind tarifdispositiv59 . Eine allzu enge Bindung an die vom Gericht nur ad hoc gefundenen Richtlinien wäre mit der in Art. 9 Abs. 3 GG garantierten Tarifautonomie nicht vereinbar. Es ist davon auszugehen, daß das Entgegenkommen der Arbeitnehmerseite in dieser Frage an einer anderen Stelle kompensiert wird. Die verfassungsrechtlich garantierte Gestaltungsfreiheit der sozialen Gegenspieler aus Art. 9 Abs. 3 GG ist zu respektieren und läßt den Schutzanspruch von Art. 12 Abs. 1 GG zurücktreten. Damit dient dieses Beispiel als ein weiterer Beweis dafür, daß die Grundrechtsordnung in ihrer Gesamtheit für den Bereich der arbeitsrechtlichen Ordnung entscheidend ist.

c) Übernahme von Ausbildungskosten Rückzahlungsklauseln werden oft dort vereinbart, wo der Arbeitgeber eine Ausbildung des Arbeitnehmers durch Weiterzahlung des Entgelts oder durch Übernahme der Ausbildungskosten übernimmt. Sie können, wie etwa bei einem Piloten, eine große Höhe erreichen und so die Mobilität des Arbeitnehmers, die der Rückzahlungspflicht ausgesetzt ist, erheblich beschränken. Die Schutzpflicht aus Art. 12 Abs. 1 GG verlangt, daß diesem Aspekt Rechnung getragen wird. Dabei sind alle Umstände zu berücksichtigen. Für die Überlegung, wieweit die Rückzahlungspflicht angemessen ist, spielen daher der Nutzen der besseren Ausbildung für Arbeitgeber und Arbeitnehmer, die Länge der vorgesehenen Bindung an den Arbeitsplatz und die Höhe der vom Arbeitgeber getragenen Aufwendungen eine 59

BAG v. 10.05.1962 AP Nr. 54 zu § 611 BGB Gratifikation.

TI. Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitnehmer

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Rolle60. In der Rechtsprechung haben sich für diese Abwägung gewisse Durchschnittswerte durchgesetzt, die den Rahmen für die Entscheidung vorgeben. Auf diese Weise wird die erforderliche Rechtssicherheit wiederhergestellt61. 8. Wettbewerbsvereinbarung62

Ein weiteres Beispiel der Sicherung des Mobilitätsinteresses des Arbeitnehmers aus Art. 12 Abs. 1 GG, um vom wirtschaftlich überlegenen Arbeitgeber nicht an der freien Wahl des Arbeitsplatzes unangemessen gehindert zu werden, bilden die §§ 74 ff. HGB. In ihnen sind die Beschränkungen enthalten, die dem Versprechen der Enthaltung von Wettbewerb nach Ende des Arbeitsverhältnisses entgegenstehen. Die 1914 in das Handelsgesetzbuch aufgenommenen §§ 74 ff. HGB gehören zu den ältesten gesetzlichen Vorbildern für die "praktische Konkordanz" der Interessen des Arbeitnehmers aus Art. 12 Abs. 1 GG und die des Arbeitgebers aus Artt. 12 Abs. 1, 14 Abs. I GG. a) Widerstreitende Interessen

Für den Arbeitnehmer geht es um sein Recht, den Arbeitsplatz aus freier Entscheidung zu verlassen, sei es, um in einem Konkurrenzunternehmen zu arbeiten oder, um sich in derselben Branche selbständig zu machen. Der Interessenlage des Arbeitgebers widerspricht dabei, daß der Arbeitnehmer die Kenntnisse, gewissermaßen das "Know-How" des Unternehmens, das er beim Arbeitgeber erworben hat, in Konkurrenz zu ihm verwerten will. Das läuft einmal dem durch Art. 14 Abs. 1 GG geschützten Interesse des Arbeitgebers an der alleinigen Verwertung der in seinem Unternehmen angesammelten Werte zuwider, aber auch den Interessen der im Betrieb verbleibenden anderen Arbeitnehmer, die unter den Schutz von Art. 12 Abs. 1 GG stehen. Es ist kein Zufall, daß hauptsächlich technische und wissenschaftliche Tätigkeiten Gegenstand von Wettbewerbsvereinbarungen sind. Die chemische Industrie ist dafür das wichtigste Beispiel. Für die Bewertung des Wettbewerbsverbots sind trotzdem enge Grenzen nötig. Andernfalls wäre die Gefahr zu groß, den Arbeitnehmer zeitlich und örtlich unbegrenzt am Wettbewerb zu hindem und ihn damit praktisch zum Verbleib beim alten Arbeitgeber zu zwingen. 60 Auch andere Überlegungen sind anzutreffen, vgl. BAG v. 19.03. 1980 AP Nr. 5 zu§ 611 BGB Ausbildungsbeihilfe (2.LS) (Förderung der Familie). 61 Siehe hierzu Schaub, ArbRHandB, § 176 V. 3. a.E. 62 MünchArbR/Wank, § 130; Kittner/Däubler/Zwanziger, Einl. Rdz. 836ff.

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Teil C: Freiheitliche Gewährleistungen

b) Gesetzliche Lösung zur Herstellung "praktischer Konkordanz" Der Gesetzgeber hat den Interessenwiderstreit gelöst. Ein nachvertragliches Wettbewerbsverbot ist nur verbindlich, wenn eine Entschädigung gezahlt wird (§ 74 Abs. 2 HGB) und eine besondere Interessenlage beim Arbeitgeber vorliegt. Für diese begnügt sich das Gesetz mit zwei Generalklauseln, dem berechtigten geschäftlichen Interesse des Arbeitgebers und der unbilligen Erschwerung des Fortkoromens des Arbeitnehmers nach Ort, Zeit oder Gegenstand (§ 74a Abs. 1 HGB). Das "berechtigte Interesse" kann vor Ablauf der gesetzlich zulässigen Dauer der Wettbewerbsabrede enden, wenn etwa der Betrieb eingestellt und damit der Wettbewerb früher zulässig wird63 . Die "unbillige Erschwerung" will eine Übersicherung verhindem64. Wer beispielsweise nur innerhalb Berlins verkauft, kann dem Arbeitnehmer nicht verbieten, in Wien Kunden zu suchen. Das Gesetz begrenzt die zulässige Dauer der vereinbarten Enthaltung vom Wettbewerb auf zwei Jahre (§ 74 Abs. I S. 3 HGB). Damit ist, ein seltener Fall bei der praktischen Konkordanz, ein Aspekt der Güterahwägung mit einer festen Zahl bestimmt65 . Daran sind die Gerichte gebunden. Hier erweist sich der Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers. Selbst wenn die vom Arbeitnehmer erworbenen Kenntnisse, etwa eines Verfahrens bei der Herstellung von Medikamenten, längere Zeit als zwei Jahre von Bedeutung sind und der Konkurrenz damit willkommen wären, ändert sich an der Dauer der Karenz nichts. Nach dem Ablauf der Frist wird unwiderlegbar vermutet, daß eine unbillige Erschwerung des beruflichen Fortkoromens des Arbeitnehmers gegeben ist66. Die durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützten Belange des einzelnen Arbeitnehmers werden also denen des Arbeitgebers und der anderen Arbeitnehmer in einem potentiell sehr sensiblen Bereich augenscheinlich vorgezogen, ein Opfer, das auch der Rechtssicherheit gebracht wird. Mit der Ausübung der Gestaltungsmacht durch den Gesetzgeber ist ebenso eine Auslegung ausgeschlossen, nach der Wettbewerbsbeschränkungen ohne entsprechende Vereinbarung allein aus Treu und Glauben gemäß § 242 BGB oder der nachwirkenden Treuepflicht abzuleiten wären67 .

63 64 65 66 67

MüKo HGB/v. Hoyningen-Huene, § 74 Rdz. 14. MüKo HGB/v. Hoyningen-Huene, § 74 Rdz. II . Zu § 323 UmwG unten D. I. Unterabschnitt III. 3. E) (b). MüKo HGB/v. Hoyningen-Huene, § 74 Rdz. 14. MüKo HGB/v. Hoyningen-Huene, § 74 Rdz. l.

TI. Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitnehmer

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9. Unverfallbarkeit des betrieblichen Ruhegelds

Die Unverfallbarkeit des betrieblichen Ruhegelds ist ein weiteres Beispiel des hier relevanten Prinzips. a) Entwicklung der betrieblichen Altersversorgung

Die betriebliche Altersversorgung hat sich insbesondere nach dem letzten Weltkrieg entwickelt. Die Sozialrente konnte nach den Entwertungen durch Krieg und Währungsreform 1948 die Ansprüche nicht mehr befriedigen; erst die Reform von 1957, durch die die Finanzierung der Rentenversicherung auf das Umlagesystem umgestellt wurde, hat einen Wandel gebracht. Sie kann aber immer noch, insbesondere bei den mittleren und höheren Angestellten mit entsprechend höherem Einkommen, die Aufrechterhaltung des Lebensstandards nach Ausscheiden aus dem Arbeitsleben nicht gewährleisten. So ist das betriebliche Ruhegeld zur zweiten Säule der Alterssicherung geworden68 . b) Rechtsgrundlagen für die betriebliche Altersversorgung

Anspruchsgrundlage für das Ruhegeld ist in erster Linie das Versprechen des Arbeitgebers in den Formen von Einzelzusage, Gesamtzusage, vertraglicher Einheitsregelung oder betrieblicher Übung. Daneben ist für eine Reihe von Fällen der Tarifvertrag einschlägig. Ein Gesetz, das den Arbeitgeber zur Zahlung eines betrieblichen Ruhegeldes verpflichtet, besteht nicht. c) Verletzung des Mobilitätsinteresses bei alter Rechtslage

Da es sich, abgesehen von den durch Tarifvertrag erfaßten Fällen, um eine freiwillige Leistung des Arbeitgebers handelt, war es anfangs üblich, daß der Anspruch nur bestand, wenn der Arbeitnehmer bis zur Fälligkeit des Ruhegelds (Alter, Invalidität, bei Versorgungsversprechen zugunsten der Angehörigen: Tod des Arbeitnehmers) in den Diensten des Arbeitgebers verblieben war. Schied er vorher aus, war die Anwartschaft verfallen. Das hat sich als starke Bindung an den Betrieb ausgewirkt. Je näher der Zeitpunkt der Pensionierung heranrückte, umso schwerer wurde es für den Arbeitnehmer, eine neue Stelle anzunehmen. Bei dem neuen Arbeitgeber konnte er in der Regel keinen gleichwertigen Anspruch mehr erwerben, da die Lebensarbeitszeit nicht wiederholt werden kann. Das betriebliche Ruhe68 "3-Säulen-Konzept", gesetzliche Rente, betriebliche Altersversorgung, Eigenvorsorge - MünchArbR/Förster/Rühmann, § 104 Rdz. 10.

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Teil C: Freiheitliche Gewährleistungen

geld wurde zu einer "goldenen Fessel", die das Mobilitätsinteresse des Arbeitnehmers verletzte: Hatte er gekündigt, so ging ihm die in langen Jahren seiner Betriebszugehörigkeit erworbene Anwartschaft verloren. Das verletzte wiederum Art. 14 Abs. 1 GG. Das Ruhegeld ist zwar kein nachgezahltes Entgelt, wird aber doch durch die Arbeit in der Vergangenheit mitverdient und ist weder Fürsorgeleistung noch Schenkung69. Besonders unbillig war der Verlust der Anwartschaft, wenn die Kündigung betriebsbedingt vom Arbeitgeber ausgegangen war, der durch das Ruhegeldversprechen in seinen gesetzlichen Kündigungsmöglichkeiten nicht beschränkt wurde.

d) Korrektur der Rechtslage durch das Bundesarbeitsgericht und den Gesetzgeber Diesen Zustand hat das Bundesarbeitsgericht als "Rechtsnot" angesehen und in einer Pilotentscheidung von 197270 das Umdenken erzwungen. Die Bedingung, daß der Arbeitnehmer bis zum Tag der Pensionierung in den Diensten des Arbeitgebers verbleiben mußte, wurde für unwirksam erklärt, wenn er dem Betrieb mehr als 20 Jahre angehört hatte. § 1 des Betriebsrentengesetzes von 1976 hat dies in verbesserter Form zum Gesetz erhoben. Die Versorgungszusage bleibt trotz Ausscheidens des Arbeitnehmers aufrechterhalten, wenn sie entweder mindestens I 0 Jahre bestanden hat oder der Arbeitnehmer mindestens 12 Jahre dem Betrieb angehört und die Zusage mindestens drei Jahre bestanden hat, § I Abs. 1 BetrAVG. Die Höhe des Anspruchs bemißt sich nach dem Verhältnis von tatsächlicher zu möglicher Dienstzeit, § 2 BetrAVG. Das insoweit verringerte Ruhegeld wird in dem Zeitpunkt fällig, der im Ruhegeldversprechen angegeben ist, also in der Regel an dem Tag, an dem der Arbeitnehmer ausgeschieden wäre, wenn er im Betrieb verblieben wäre.

Allerdings besteht gemäß § 3 BetrAVG die Möglichkeit einer Abfindung hinsichtlich der erworbenen Anwartschaft bei vorzeitigem Ausscheiden. Mit Wirkung zum 01.01.1999 sind die Abfindungsmöglichkeiten durch das Rentenreformgesetz vereinfacht worden71 .

Hilger, RdA 1981, S. 6, S. 7f. BAG v. 10.03.1972 AP Nr. 156 zu § 242 BGB Ruhegehalt unter III. 5.: "Es liegt ... eine Regelungslücke im Bereich der arbeitsrechtlichen Schutzgesetzgebung vor. Diese Lücke zu schließen, ist wegen der gegebenen Rechtsnot Aufgabe und Pflicht der Gerichte im Rahmen der ihnen obliegenden Rechtsfortbildung". 71 Hierzu: ErfK-Steinmeyer, § 3 BetrAVG Rdz. 20ff. 69

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II. Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch den Arbeitnehmer

63

e) Stellungnahme Die Unverfallbarkeit der Ruhegeldanwartschaft dient anschaulich als eindrucksvoller Beweis für die Typik, von der hier ausgegangen wird. Mit den Regeln der Gesetzesauslegung hätte sich AP Nr. 156 zu § 242 Ruhegehalt nicht begründen lassen. Das Bundesarbeitsgericht hatte zwar in der zitierten Wendung von einer Lücke gesprochen, eine solche hat indessen nicht vorgelegen. Wenn es dem Arbeitgeber freigestanden hatte, ein Ruhegeld überhaupt zu versprechen, so konnte er es als ein Minus an die genannten Bedingungen binden. Das hätte aber die vom Gericht zu Recht beschworene "Rechtsnot" begründet, und deshalb hat es einer Schutzpflicht des Gesetzgebers, der das Gericht insoweit zuvorgekommen ist, entsprochen einzugreifen, wie das dann geschehen ist. Diese Schutzpflicht läßt sich nur aus Art. 12 Abs. I GG ableiten.

10. Zwischenergebnis Die unter C. li. dargestellten Fälle bilden keinen unzusammenhängenden Kranz von Einzellösungen. Sie sind Ausdruck einer übergreifenden Norm des Inhalts, daß der Arbeitnehmer durch den Arbeitsvertrag nicht unangemessen an den Arbeitsplatz gebunden werden darf. Diese Aussage ist Teil von Art. 12 Abs. I GG und hat damit verfassungsrechtlichen Rang. In der Abwägung dieser Garantie zu den Interessen des Arbeitgebers und der anderen Arbeitnehmer ist dem Mobilitätsinteresse des Arbeitnehmers grundsätzlich der Vorrang einzuräumen. Am eindrucksvollsten zeigt sich dieses Prinzip in der Entwicklung der betrieblichen Altersversorgung, das allein vom Grundsatz der Vertragsfreiheit aus betrachtet, durchaus an die Bedingung geknüpft werden durfte, daß der Arbeitnehmer im Betrieb verbleibt. Dieser Zustand hat indessen die . Mobilitätsgarantie aus Art. 12 Abs. I GG mißachtet, und war deshalb von der Rechtsprechung - und später vom Gesetzgeber - zu beseitigen. Ähnlich lassen sich die Begrenzungen der Rückzahlungspflicht bei Gratifikation und Schulungskosten usw. dogmatisch begründen. Hier haben ebenfalls keine Lücken des Gesetzes vorgelegen, da die entsprechenden Verfallklauseln von der Vertragsfreiheit gedeckt gewesen wären, trotzdem gebot der übergeordnete Auftrag aus Art. 12 Abs. I GG, korrigierend einzugreifen. Die Abwägung der beiderseitigen Interessen, namentlich das Mobilitätsinteresse aus Art. 12 Abs. 1 GG auf der Arbeitnehmerseite und die vornehmlich wirtschaftlichen Interessen aus Artt. 12 Abs. 1, 14 Abs. 1 GG auf Arbeitgeberseite, erfolgte zugunsten des Arbeitnehmers. So kann abschließend für den Bereich der Gewährleistung des Mobilitätsinteresse des Arbeitnehmers eine positive Bilanz gezogen werden. Trotz der oben vorgetragenen Kritik im Bereich des Auflösungsan-

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Teil C: Freiheitliche Gewährleistungen

trags nach § 9 KSchG wird das Mobilitätsinteresse des Arbeitnehmers durch das Gesetz und die es ausführende und evtl. ausfüllende Rechtsprechung ausreichend gesichert. Die Rechtsordnung kommt also ihrem Schutzpflichtauftrag aus Art. 12 Abs. 1 GG bezüglich der freien Wahl des Arbeitsplatzes und dessen Aufgabe durch den Arbeitnehmer in angemessener Weise nach.

Teil D

Die Gewährleistungen der Grundrechte und ihre Umsetzung- Kündigung und allgemeiner Kündigungsschutz 1. Abschnitt

Umsetzung der Schutzpflichten des Art. 12 Abs. 1 GG mit dem vordringlichen Ziel des Arbeitnehmerschutzes I. Kündigungsschutzgesetz und Wirklichkeit Während die Umsetzung des Mobilitätsinteresses in der Rechtswirklichkeit wenig Schwierigkeiten bereitet, bietet der Bereich des Bestandsschutzes ein anderes Bild. Bevor hierzu in Konkordanzabwägungen eingetreten werden kann, ist auf rechtstatsächliche Befunde einzugehen, die diese Bewertungen beeinflussen können. Dies zeigt sich insbesondere im Bereich des allgemeinen Kündigungsschutzgesetzes. Trotz der Beschwörungen des Gegenteils 1 durch das Bundesarbeitsgericht ist das Kündigungsschutzgesetz ein Abfindungs- und kein Bestandsschutzgesetz. Es ist einhellige Meinung, daß der Zweck des Kündigungsschutzgesetzes "Erhalt des Bestandes des Arbeitsverhältnisses" in der Praxis nach Ausspruch der Kündigung nicht erreicht wird 2 . In der Regel der Fälle beendet die Kündigung das Arbeitsverhältnis unabhängig von ihrer Sozialwidrigkeit Gesetz und Wirklichkeit klaffen weit auseinander. Aktuelles Zahlenmaterial, das dies beweist oder widerlegt, ist leider nicht verfügbar. Die Rechtstatsachenforschung wird in Deutschland zu Unrecht vernachlässigt. Deshalb ist die Bundesregierung anläßlich der Verabschiedung des Arbeitsrechtlichen Beschäftigungsförderungsgesetzes 1996 aufgefordert worden, Kündigungsschutz und -praxis in 1 BAG v. 05.11.1964 AP Nr. 20 zu § 7 KSchG; v. 29.01.1981 AP Nr. 6 zu § 9 KSchG 1969; v. 26.11.1981 AP Nr. 8 zu § 9 KSchG 1969; v. 25.10.1989 AP Nr. 36 zu § 611 BGB Direktionsrecht 2 So berichtet der Gesamtbetriebsratsvorsitzende von Michelin Deutschland, bei Kittner (Hrsg.), Tagung der IG Metall zum Kündigungsschutzrecht 1977 ( 1978), daß in 670 Fällen ein einziger Arbeitnehmer wieder eingestellt wurde, während alle anderen abgefunden wurden. 5 Gamillschcg

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Teil D: Die Gewährleistungen der Grundrechte und ihre Umsetzung

der Bundesrepublik erneut untersuchen zu lassen3 . Bis aktuelle Zahlen vorliegen, ist man auf die Ende der siebziger Jahre vorgestellte umfängliche empirische Untersuchung der sozialwissenschaftliehen Abteilung des MaxPlanck-lnstituts für ausländisches und internationales Privatrecht4 in Harnburg angewiesen 5 . 1. Studie des Max-Planck-Instituts/Hamburg Auftraggeber für diese Studie war der Bundesminister für Arbeit und Sozialordnung. Gegenstand der Untersuchung, die den Zeitraum von Oktober 1978 bis September 1980 umfaßt, war das Kündigungsgeschehen im Bereich der privaten Wirtschaft und die gerichtliche Abwicklung von Kündigungsstreitigkeiten in fünf ausgewählten Arbeitsamtsbezirken. 612 Unternehmen, 740 Betriebsräte und 879 gekündigte Arbeitnehmer wurden aus diesem Anlaß befragt. Eine umfangreiche Gerichtsanalyse wurde durchgeführt. An ihr waren die Arbeitsrichter, ein Teil der ehrenamtlichen Richter, die Gewerkschaftssekretäre und Arbeitgeberverbandsvertreter beteiligt. Ferner wurden über 1500 Gerichtsakten zu den verschiedenen Prozeßstadien und Instanzen ausgewertet. a) Allgemeines

Die Studie ergab, daß 1978 etwa 1,2 Millionen arbeitgeberseitige Kündigungen (ohne den öffentlichen Dienst) ausgesprochen worden sind. Davon waren etwa 80% ordentliche-, 15% außerordentliche Kündigungen und in etwa 5% der Fälle wurde eine außerordentliche Kündigung hilfsweise mit einer ordentlichen verbunden. Arbeitern wurde relativ häufiger gekündigt als Angestellten. Gut 77% aller Kündigungen wurden ihnen gegenüber ausgesprochen, obwohl ihr Gesamtanteil an der Beschäftigtenzahl nur etwa 56% ausmacht. Besonders auffällig war das Mißverhältnis im Bereich der außerordentlichen Kündigung. 83% aller fristlosen Kündigungen wurden gegenüber Arbeitern ausgesprochen6 .

BT-Drucks. 13/5107, S. 27. Forschungsbericht Kündigungspraxis und Kündigungsschutz in der Bundesrepublik Deutschland von Josef Falke, Armin Höland, Barbara Rhode und Gabriele Zimmermann, hrsg. v. Bundesminister für Arbeit und Soziales, 1981, Band I und Band II. 5 Vgl. z.B. BVerfG v. 27.0l.l997 AP Nr. 17 zu§ 23 KSchG 1969, das die ermittelten Zahlen zum Kleinbetrieb seiner Entscheidung zugrunde legt. 6 Band I, S. 79ff.; Band II S. 960. 3

4

I. Abschn.: I. Kündigungsschutzgesetz und Wirklichkeit

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b) Erste Instanz

Die Auswertung der gerichtlichen Verfahren hat das folgende Bild ergeben: Nur 7,9% aller gekündigten Arbeitnehmer haben überhaupt Klage erhoben, nur jeder 13. Gekündigte ging damit vor Gericht. Für die Bewertung dieser Zahl ist man auf Vermutungen angewiesen. Unter den 92,1% der nicht angegriffenen Kündigungen sind sicherlich in erster Linie die Kündigungen zu finden, die vom Arbeitnehmer als berechtigt angesehen wurden, weil sie ihre wirtschaftlichen oder persönlichen Gründe anerkannt haben oder jedenfalls nicht glaubten, gegen sie mit Erfolg vorgehen zu können. Dem entspricht, daß gegen personen- und verhaltensbedingte Gründe in rund 10% der Fälle vorgegangen wurde; lagen der Kündigung betriebsbedingte Gründe zugrunde, gingen nur rund 4% der Betroffenen vor Gericht. Eine bedeutende Rolle spielt hierbei der Betriebsrat7 . Hat er einer Kündigung zugestimmt, so rechnet sich der Arbeitnehmer wenig Chancen aus, gegen Betriebsrat und Arbeitgeber vor Gericht zu bestehen. Deshalb hat Aufsehen erregt, daß als Ergebnis der Unternehmerbefragung der Betriebsrat bei etwa 66% der Kündigungen zugestimmt hatte8 . Bei vorangegangenem Widerspruch des Betriebsrats war hingegen die Klagebereitschaft deutlich höher9 . Des weiteren sind die Kündigungen zu nennen, bei denen der Arbeitnehmer Aussicht gehabt hätte, den Fall zu gewinnen, diese Chance aber aus Rechtsunkenntnis oder in der Überzeugung, sich nicht durchsetzen zu können 10, nicht ergriffen hat; ein anderes Motiv mag die Überlegung gewesen sein, daß eine gedeihliche Weiterarbeit nicht zu erwarten war und eine unter Umständen erreichbare Abfindung den Aufwand nicht lohne. Zum gerichtlichen Verfahren selbst geben die amtlichen Tätigkeitsberichte 11 der Arbeitsgerichte Aufschluß: 1978 12 wurden bei den Arbeitsgerichten insgesamt 284.429 13 Klagen eingereicht. Erledigt wurden insgesamt Hierzu Moritz, ArbuR 1983, S. 10, S. II f. Band I, S. 189, Band II, S. 963. 9 Band II, S. 966. 10 Besonders der hohe Anteil der Arbeiterkündigungen läßt eine gewisse intellektuelle Unterlegenheit vermuten. 11 Für 1978: BArbBI. 1979, Heft 4/Tab. 90; für 1979: BArbBI. 1980, Heft 4/Tab. 114. 12 Die Zahlen enthalten nicht die Angelegenheiten der Lohnausgleichskasse und der Zusatzversorgungskasse für das Baugewerbe. Diese Klagen sind untypisch für arbeitsgerichtliche Streitigkeiten und würden das Bild verfälschen. 13 Diese Zahl ist, verglichen mit den späteren Jahren, deshalb so hoch, weil sich darunter 35.821 Massenklagen befanden, die von der IG-Metall und der IG Druck 7

8

s•

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Teil D: Die Gewährleistungen der Grundrechte und ihre Umsetzung

251.913 Klagen 14, davon betrafen 111.043 Kündigungen, was einer Quote von 44,08% entspricht. Von den erledigten Sachen (alle Streitgegenstände) wurden durch streitiges Urteil 28.807 (= 11,4%), durch sonstiges Urteil 15 25.574 (= 10,2%), durch Vergleich 102.672 (= 40,8%) und auf andere Weise (im wesentlichen durch Klagerücknahme 16) 94.860 (= 37,66%) erledigt. 1979 wurden insgesamt 237.877 Klagen erhoben. Erledigt wurden insgesamt 244.136 Klagen. Davon betrafen 106.931 Kündigungen. Dies entspricht einer Quote von 43,8%. Von den erledigten Klagen (alle Streitgegenstände) wurden durch streitiges Urteil 27.774 (entspricht 11,37%), durch sonstiges Urteil 25.115 (entspricht 10,28%), durch Vergleich 102.952 (entspricht 42,16%) und auf andere Weise 88.295 (entspricht 36,2%) erledigt. Aufschlußreich sind die Ergebnisse für die Kündigungsverfahren im Jahre 1979. Kündigungsstreitigkeiten wurden in erster Instanz in 14% der Fälle mit streitigem Urteil beendet. 7,5% der Urteile stellten die Auflösung, 6,5% den Weiterbestand des Arbeitsverhältnisses fest. In 60% der Kündigungsstreitverfahren wurde ein Vergleich geschlossen, 19% der Klagen zurückgenommen, und 7% erledigten sich auf sonstige Weise 17• Den größten Anteil an den Erledigungen hatten also die Vergleiche. Bei ihnen wurde in 6% der Fälle Weiterbeschäftigung beim Arbeitgeber vereinbart, in 94% das Arbeitsverhältnis aufgelöst. Nach Einschätzung der Richter waren in rund 60% der Abfindungsvergleiche die Kündigungen an sich ungerechtfertigt. - Den durch Klagerücknahme erledigten Fällen lag zudem oft ein außergerichtlicher Vergleich zugrunde. Einigten sich die Parteien außerhalb des Gerichtes, so wurde in etwa 20-25% der Fälle Weiterbeschäftigung vereinbart 18. c) Berufungsinstanz Eine wichtige Rolle für die Erkenntnis der Effektivität des Kündigungsschutzgesetzes spielen die Ergebnisse in zweiter Instanz. Nach der Studie wurden die meisten Berufungen, etwa 61 ,7%, von Arbeitgeberseite eingelegt19; in 35,8% der Fälle legte der Arbeitnehmer die Berufung ein, in und Papier wegen der Lohnzahlung nach der suspendierenden Aussperrung im Arbeitskampf 1978 initiiert wurden. 14 Darunter befanden sich die Altfälle aus den vorangegangenen Jahren. 15 Z. B.: Versäumnisurteil, Verzichtsurteil, AnerkenntnisurteiL 16 Band II, S. 768 f. 17 Band TI, S. 968. 18 Band II, S. 768, 968 f. 19 Band II, S. 782.

I. Abschn.: I. Kündigungsschutzgesetz und Wirklichkeit

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2,5% der Fälle beide Parteien. Während fast gegen die Hälfte der Urteile, die den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses feststellten, Berufung eingelegt worden war, geschah dies nur gegen ein Viertel der klageabweisenden Urteile20. Durch Vergleich wurden in zweiter Instanz 44% aller Kündigungssachen erledigt21 . In 79% dieser Vergleiche wurde ein Abfindungsvergleich geschlossen, dabei ging den Vergleichsverhandlungen in 67% der Streitigkeiten ein detaillierter Vorschlag des Gerichts in der mündlichen Verhandlung voraus22 . Erging ein streitiges Urteil, so wurde in 47,7% der Fälle festgestellt, daß das Arbeitsverhältnis zum vorgesehenen Zeitpunkt aufgelöst war, zu 44,3 %, daß es nicht aufgelöst war, und in 8,2% der Sachen wurde eine außerordentliche Kündigung in eine ordentliche umgedeutet. Daten zum Schicksal der Weiterbeschäftigung nach rechtskräftigem Abschluß des Rechtsstreits ermittelte das Max-Planck-Institut durch Befragung der Arbeitnehmer und der Unternehmer. Es bestätigte sich, daß, sofern die Weiterbeschäftigung mittels eines Vergleiches vereinbart wurde, es in etwa 90% der Fälle tatsächlich zur Weiterbeschäftigung kam. Dagegen wurden nur 40% der Arbeitnehmer weiterbeschäftigt, die ein stattgebendes rechtskräftiges Urteil erstreiten konnten. Von diesen 40% schied etwa ein Drittel der Arbeitnehmer bereits nach kurzer Zeit wieder aus dem Betrieb aus23 . Als Gesamtergebnis ergab die Studie, daß nur 1,7% aller Kläger auf streitigem gerichtlichen Weg die Rückkehr an den Arbeitsplatz tatsächlich erreichte24. Ein höherer Anteil ergab sich, wenn die Arbeitnehmer miteinbezogen wurden, die aufgrund einer gerichtlichen wie außergerichtlichen Einigung weiterbeschäftigt wurden. Hier betrug die Quote der Weiterbeschäftigten etwa 9% 25 . Als Regel war aufzustellen, daß der Prozeß mit einer Geldzahlung endete. Die gesetzliche Konzeption wurde damit "auf den Kopf gestellt"26 . Wertet man allerdings die Geldzahlung bereits als Erfolg des Arbeitnehmers, liegt die Erfolgsquote der klagenden Arbeitnehmer bei etwa 71%27. 20 21

22 23 24 25 26 27

Band ll, S. 783. Band ll, S. 773. Band ll, S. 775 f. Band ll, S. 972 f. Band II, S. 973. Hierzu Auswertung der Studie in RdA 1981, S. 300, S. 302. Moritz, ArbuR 1983, S. 10, S. 13. Moritz, ArbuR 1983, S. 10, S. 13.

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Teil D: Die Gewährleistungen der Grundrechte und ihre Umsetzung

d) Rückschluß auf heutige Lage

Bevor aus diesen Analysen Rückschlüsse auf die heutige Zeit gezogen werden, stellt sich die Frage, inwieweit die Ergebnisse noch repräsentativ sein können. Die Entwicklung auf dem Arbeitsmarkt ist rasant vorangegangen. Die Anzahl der ausgesprochenen Kündigungen hat sich erhöht, allerdings ebenso die Zahl der Erwerbstätigen und der Arbeitsuchenden. Die Statistik weist aus, daß es 1978 knapp 23 Millionen Erwerbstätige gab. Der Anteil der weiblichen Erwerbstätigen lag bei 8.630.00028 . Die Zahl der Arbeitslosen lag unter einer Million29 . 1994 betrug die Gesamtzahl der abhängig Beschäftigten bereits über 25 Millionen, hierunter waren knapp II Millionen weibliche Erwerbstätige30. Gleichzeitig stieg die Zahl der Arbeitsuchenden auf etwa 3,7 Millionen im Jahresdurchschnitt31 an. Die Wiedervereinigung hat ebenfalls eine Wende auf dem Arbeitsmarkt gebracht. Die Einführung der Marktwirtschaft hat auf dem Gebiet der ehemaligen "DDR" zum Zusammenbruch ganzer Industriebereiche und damit zu einem Massenabbau von Arbeitsplätzen geführt. Die Zahl der Industriebeschäftigten ist von 2,3 Millionen im vierten Quartal von 1990 auf 743.000 im Juni 1993 gesunken32 • Eine gesamtdeutsche Bewertung der Effektivität des Kündigungsrechts ist selbst heute noch schwierig. Das Kündigungsschutzgesetz wurde zwar von der "DDR" mit dem ersten Staatsvertrag, dem dazu ergangenen Mantelgesetz der "DDR" sowie dem Änderungsgesetz zum Arbeitsgesetzbuch der "DDR" übernommen. Der Einigungsvertrag hat dann das gesamte Arbeitsvertragsrecht in den neuen Bundesländern für anwendbar erklärt. Hiervon gab es allerdings einige Ausnahmen, die eine vollständige Vergleichbarkeit der Kündigungspraxis mit der Lage in den alten Bundesländern noch verhindern 33 . Kap. XIX Sachgebiet A Abschnitt II der Anlage I zum Einigungsvertrag sieht eine Reihe von Sonderkündigungsgründen vor; unbefristet gilt die Regelung, daß eine Tätigkeit für das Ministerium für Staatssicherheit eine fristlose Kündigung rechtfertigt, wenn "ein Festhalten am Arbeitsverhältnis unzumutbar erscheint"34• Eine weitere Besonderheit bestand darin, als § 613 a BGB zum einen in der Gesamtvollstreckung unanwendbar war und zum anderen Amtliche Statistik BArbBI. 1996, Heft 7-8, Tab. 194. RdA 1979, S. 291; BArbBI. 1998, Heft 6 Tab. 173 für 1975: 888.900 Arbeitsuchende. 30 Amtliche Statistik BArbBI. 1996, Heft 7-8, Tab. 194. 3I BArbBI. 1998, Heft 6 Tab. 173. 32 Nolte- Schäfer, WSI- Mitt. 1993, S. 635. 33 Zur Frage der Abwicklung von Einrichtungen im öffentlichen Dienst: Germelmann, NZA 1991, Beil. I, S. 26 ff. 34 Siehe nur BAG v. 10.12.1998 NZA 1999, S. 537. 28

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I. Abschn.: I. Kündigungsschutzgesetz und Wirklichkeit

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das Kündigungsverbot des § 613a Abs. 4 S. 1 BGB allgemein erheblich gelockert wurde35 • Diese auf Art. 232 § 5 Abs. 2 Nr. 2 EGBGB beruhende Modifikation galt für Kündigungen, die zwischen dem 12.04.1991 und dem 31.12.1998 den Betroffenen zugingen 36 . Die wenigen Hinweise sollen genügen, um die besondere Lage in den neuen Bundesländern aufzuzeigen. Nicht jeder hier getroffene Rückschluß auf das typische Arbeitnehmerverhalten in Kündigungsstreitigkeiten vermag deshalb repräsentativ für das gesamte Bundesgebiet sein. Im Ergebnis erscheint der Rückgriff auf die Erkenntnisse der Studie trotzdem erlaube7 . Zumindest anband des äußeren Prozeßverhaltens kann nachgewiesen werden, daß sich die Situationen nicht erheblich verändert haben.

2. Statistik der Arbeitsgerichte Für das gerichtliche Verfahren sind anband der jährlichen Tätigkeitsberichte der Arbeitsgerichte einige aktuelle Zahlen verfügbar38 .

a) Arbeitsgerichte 199539 wurden bei den Arbeitsgerichten 627.935 Klagen eingereicht. Erledigt wurden insgesamt 621.4604 Klagen. Davon betrafen 287.008 Kündigungen. Dies entspricht einer Quote von 46,18%.

°

Von den erledigten Sachen (alle Streitgegenstände) wurden durch streitiges Urteil 48.452 (entspricht 7,8%), durch sonstiges Urteil 75.284 (entspricht 12,11 %), durch Vergleich 249.734 (entspricht 40,19%) und auf andere Weise 247.990 (entspricht 39,9%) der Klagen erledigt. 199641 wurden bei den Arbeitsgerichten 675.637 Klagen eingereicht. Erledigt wurden insgesamt 656.207 42 Klagen. Davon betrafen 313.586 Kündigungen. Dies entspricht einer Quote von 47,79%. KR-Pfeiffer, § 6l3a Rdz. 123. ErfK-Preis, § 613a Rdz. 125f.; KR-Pfeiffer, § 613a Rdz. 124ff. 37 Ebenso Hümmerich, NZA 1999, S. 342. 38 Auch bei diesen Zahlen blieben die Rechtsstreitigkeiten in Angelegenheiten der Lohnausgleichkasse und der Zusatzversorgungskasse für das Baugewerbe außer Betracht. 39 Es wäre zuviel des Guten, sämtliche Tätigkeitsberichte der Arbeitsgerichtsbarkeit seit 1979 hier darstellen zu wollen. Es soll der Hinweis genügen, daß die Zahlen auch für die Jahre 1980-1994 überprüft wurden und die erkennbare Linie voll bestätigen. 1995 ist insoweit ein passender Einstieg in die Darstellung, da seitdem gesamtdeutsche Zahlen veröffentlicht wurden, BArbBI. 1996, Heft 10/Tab. 314. 40 Darunter befinden sich Altfalle aus vorangegangenen Jahren. 35 36

72

Teil D: Die Gewährleistungen der Grundrechte und ihre Umsetzung

Von den erledigten Sachen (alle Streitgegenstände) wurden durch streitiges Urteil 50.065 (entspricht 7,62%}, durch sonstiges Urteil 82.585 (entspricht 12,59%}, durch Vergleich 266.742 (entspricht 40,65%) und auf andere Weise 256.815 (entspricht 39,14%) der Klagen erledigt. 199743 wurden bei den Arbeitsgerichten 659.185 Klagen eingereicht. Erledigt wurden insgesamt 672.80444 Klagen. Davon betrafen 310.295 Kündigungen. Dies entspricht einer Quote von 46,12%. Von den erledigten Sachen (alle Streitgegenstände) wurden durch streitiges Urteil 53.103 (entspricht 7,89%), durch sonstiges Urteil 87.231 (entspricht 12,97%), durch Vergleich 266.276 (entspricht 39,58%) und auf andere Weise 266.194 (entspricht 39,56%) der Klagen erledigt. 199845 wurden bei den Arbeitsgerichten 584.686 Klagen eingereicht. Erledigt wurden insgesamt 625.46246 Klagen. Davon betrafen 285.474 Kündigungen. Dies entspricht einer Quote von 45,64%. Von den erledigten Sachen (alle Streitgegenstände) wurden durch streitiges Urteil 50.649 (entspricht 8,09%), durch sonstiges Urteil 84.688 (entspricht 13,54%), durch Vergleich 256.123 (entspricht 40,95%) und auf andere Weise 234.002 (entspricht 37,41 %) der Klagen erledigt. Zur Verdeutlichung sind die Zahlen tabellenmäßig noch mal in Beziehung gesetzt: Jahr

Erledigte Davon Vergleiche Klagen Kündigungen insgesamt in% in%

Streitige Urteile in%

Sonstige Urteile in%

Erledigt in sonstiger Weise in%

1978

251.913

44,08

40,8

11,4

10,2

37,66

1979

244.136

43,8

42,16

11,37

10,28

36,2

1995

621.460

46,18

40,19

7,8

12,11

39,9

1996

656.207

47,79

40,65

7,62

12,59

39,14

1997

672.804

46,12

39,58

7,89

12,97

39,56

1998

625.462

45,64

40,95

8,09

13,54

37,41

41 42

43 44

45 46

BArbBI. 1997, Heft 9/Tab. 273. Darunter befinden sich Altfalle aus vorangegangenen Jahren. BArbBI. 1998, Heft 10/Tab. 300. Darunter befinden sich Altfalle aus vorangegangenen Jahren. BArbBI. 1999, Heft II/Tab. 325. Darunter befinden sich Altfalle aus vorangegangenen Jahren.

l. Abschn.: I. Kündigungsschutzgesetz und Wirklichkeit

73

b) Analyse Wie man erkennen kann, ist die Anzahl der erledigten Klagen seit 1979 stark gestiegen. 1995 ist ein neuer Streitrekord aufgestellt worden47, der 1996 noch übertroffen wurde48 • Ein kaum spürbarer Rückgang von 1,6% war 1997 zu verzeichnen49 • Eine weitere Entspannung ist 1998 zu verzeichnen50. Dies mag auf verschiedene Faktoren zurückzuführen sein. Zum einen hat die Rezession der letzten Jahre zu einem vermehrten Ausspruch von Kündigungen geführt, was sich in einem Anstieg der Kündigungsschutzprozesse niedergeschlagen hat51 . Zudem veranlaßt die schlechte Lage auf dem Arbeitsmarkt die Betroffenen zu klagen, um zumindest noch eine Abfindung zu erhalten. So ist die Prozeßbereitschaft der Betroffenen insgesamt größer geworden. Je mehr Entlassungen ausgesprochen werden, desto mehr Kündigungsklagen werden eingereicht52. In aussichtsreichen Fällen, das kommt hinzu, decken Rechtsschutzversicherungen das Kostenrisiko; schließlich und nicht zuletzt greift das Gewerkschaftsmitglied auf den gewerkschaftlichen Rechtsschutz zurück. Bemerkenswert ist dagegen, daß sich die Anteile der jeweiligen Erledigungsaften über die Jahre kaum verändert haben. Der Anteil der Vergleiche bei den erledigten Sachen ist mit leichteren Schwankungen fast unverändert geblieben. Rückläufig sind die Zahlen streitiger Urteile. Dagegen ist der Anteil der sonstigen Urteile leicht gestiegen. Die Quote der Erledigung auf sonstige Weise ist dagegen auffallig konstant geblieben. Lediglich kleinere Schwankungen sind in einzelnen Jahren zu verzeichnen. Das aktuelle Zahlenmaterial gibt zwar keinen differenzierten Aufschluß über die Ergebnisse der verschiedenen Erledigungsaften und welchem Streitgegenstand sie zuzuordnen sind, es belegt aber, daß das äußere Prozeßverhalten insgesamt vergleichbar mit der Lage von 1978179 geblieben ist. Die Untersuchung des Max-Planck-Instituts hat, wie erwähnt, ergeben, daß 94% der Vergleiche die Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen eine Abfindung vorsahen. Es besteht kein Anlaß zu der Annahme, daß sich dieses Verhältnis entscheidend gebessert hat. Die rechtliche Situation hat sich seit damals nicht verändert. Jedes arbeitsgerichtliche Verfahren beginnt gemäß § 54 Abs. 1 ArbGG mit einer Güteverhandlung vor dem Vorsitzenden53. Sie hat den Zweck, eine gütliche Einigung der Parteien herbeizuführen, mithin einen frühen Vergleich anzustreben, der natürlich ebenso in der Grotmann-Höfling, Grotmann-Höfling, 49 Grotmann-Höfling, so Grotmann-Höfling, 51 Grotmann-Höfling, 52 Grotmann-Höfling, 47

48

ArbuR ArbuR ArbuR ArbuR ArbuR ArbuR

1997, 1997, 1998, 1999, 1998, 1999,

S. 268, S. 269. S. 474. S. 394. S. 335. S. 394, ders. ArbuR 1999, S. 335, S. 336. S. 335, S. 336 m. w. N.

74

Teil D: Die Gewährleistungen der Grundrechte und ihre Umsetzung

Rücknahme der Kündigung bestehen kann ( vgl. § 54 Abs. 2 ArbGG). Selbst nach einer erfolglosen Güteverhandlung haben die Richter während des ganzen Verfahrens eine gütliche Einigung anzustreben, § 57 Abs. 2 ArbGG. Daneben macht § 61 a ArbGG dem Richter die besondere Förderung der Kündigungsverfahren zur Pflicht. Bestandsstreitigkeiten sind vorrangig zu erledigen. Schon die Güteverhandlung soll innerhalb von zwei Wochen nach Klageerhebung stattfinden, Abs. 2. Scheitert sie und wird die Hauptverhandlung nicht in einem unmittelbar anschließenden Verfahren abgeschlossen, so soll der Vorsitzende den Beklagten auffordern, binnen zweier Wochen Stellung zu nehmen (Abs. 3). Gedacht war die Vorschrift als bestandsschützende Norrn54. Nach der Begründung des Regierungsentwurfes soll durch besonders schnelle Erledigung des entsprechenden Verfahrens erreicht werden, daß der Arbeitsplatz erhalten bleibt, damit nicht, wie regelmäßig bei langer Verfahrensdauer, vollendete Tatsachen geschaffen werden, die eine Rückkehr unmöglich machen, wie unberechtigt die Kündigung auch w~5 . Zusätzlich sollen die wirtschaftlichen Risiken gering gehalten werden. Bezüglich der Intention, den Arbeitsplatz zu erhalten, war die Vorschrift - wie die Praxis zeigt -jedoch kontraproduktiv. Ein frühzeitiger Vergleich schafft zwar schnell Rechtsklarheit, führt aber in der Regel zum Verlust des Arbeitsplatzes56. Zu Beginn des Verfahrens ist das Risiko des Prozesses - bis auf die eindeutigen Fälle - mangels einer Beweisaufnahme noch nicht einschätzbar. Der Arbeitgeber weiß zwar, daß ein verlorener Prozeß ihn viel Geld kosten kann, man denke nur an die Nachzahlung des Entgelts gemäß § 615 BGB, er ist aber dennoch zumindest in dieser Phase des Verfahrens selten bereit, nachzugeben und den Arbeitnehmer weiterzubeschäftigen. Zu einer Abfindung in einem Aufhebungsvertrag ist er eher bereit57 • Bei betriebsbedingten Kündigungen ist diese Annahme in schwierigen wirtschaftlichen Zeiten besonders gerechtfertigt. Gründe, weshalb Arbeitgeber heute eher als 1978179 eine 53 Durch das Arbeitsgerichtsbeschleunigungsgesetz vom 20.01.2000 wird § 54 Abs. I um einen weiteren Satz ergänzt, nach dem der Vorsitzende die Güteverhandlung mit Zustimmung der Parteien in einem weiteren, alsbald stattzufindenden Termin fortsetzen kann. Die Änderung wird zum 01.05.2000 in Kraft treten, zu den Auswirkungen Germelmann, NZA 2000, S. 1017, 1018. Es ist umstritten, inwieweit die Vorbereitung durch den Vorsitzenden erfolgen kann. Teilweise wird vertreten, daß die Güteverhandlung wie jede andere Verhandlung auch vorbereitet werden darf, so daß auch § 56 ArbGG unmittelbar anwendbar sei, Münch-ArbR/Brehm, § 390, Rdz. 41. Dagegen Germelmann/Matthes/Prütting, §54 Rdz. 14, die überzeugend darauf verweisen, daß § 56 ArbGG ein spezielle Regelung für das streitige Verfahren darstellt. 54 Dazu allgemein: Germelmann/Matthes/Prütting, § 61 a Rdz. I. 55 BT Drucks. 8/1567, S. 17. 56 Zimmermann, BB 1984, S. 478, S. 479. 57 Hümmerich, NZA 1999, S. 342, S. 343.

I. Abschn.: I. Kündigungsschutzgesetz und Wirklichkeit

75

Weiterbeschäftigung im Vergleichswege anbieten sollten, sind nicht ersichtlich. Der Arbeitnehmer kann seinerseits die rechtliche Lage nicht abschätzen. Er hat wenig Möglichkeiten, auf den Arbeitgeber einzuwirken. Damit steht er vor der Alternative, den Streit frühzeitig gegen eine Abfindungszahlung zu beenden, oder ein Verfahren mit ungewissem Ausgang weiterzubetreiben. Soweit er trotz der Verfahrensbeschleunigungspflicht der Gerichte, seinen alten Arbeitsplatz wegen des Ablaufs der Kündigungsfrist bereits verlassen mußte, setzt auch die Entfremdung vom Betrieb und den Kollegen ein. Selbst wenn er also später obsiegen sollte, sind die Chancen auf eine Rückkehr an seinen Arbeitsplatz nicht günstig. Der Richter kennt den Lauf der Dinge. Er macht sich keine Illusionen58 darüber, daß eine Rückkehr auf den alten Arbeitsplatz selten von Dauer ist; er sieht somit in einer Bereinigung der Lage gegen Abfindung für den Arbeitnehmer die günstigere Lösung. So befürwortet er einen Vergleich gegen eine Abfindung. Die Lage ist mithin keine andere als 1978/80. Ein Vergleich bedeutet in aller Regel die endgültige Trennung der Parteien. Ähnliche Überlegungen gelten für die Erledigung auf sonstige Weise. Es fehlt zwar an einer AufschlüsseJung darüber, welche Anteile den außergerichtlichen Vergleichen, den Klagerücknahmen etc. im einzelnen zukommen. Für die Annahme, daß seit 1978 eine entscheidende Veränderung eingetreten ist, gibt es aber keine Anhaltspunkte. 3. Kurzzeitige Änderungen im Arbeitsförderungs-Reformgesetz und im Sozialgesetzbuch

Bis zum 24.03.1999 stellte sich noch die Frage, welche Auswirkungen die Änderungen im Sozialgesetzbuch auf das Prozeßverhalten der Arbeitnehmer haben würden. § 140 Abs. 3 SGB III sah vor, daß die Abfindung, Entschädigung oder ähnliche Leistung, die ein Arbeitnehmer wegen der Beendigung des Arbeitsverhältnisses erhalten hatte, grundsätzlich auf die Hälfte des Arbeitslosengeldes angerechnet würde, soweit ein gewisser Freibetrag überschritten war. Die Literatur59 war gegen diese Neuregelung Sturm gelaufen.

58 Die Studie belegt, daß die Parteien in besonderem Maße zu einem Vergleich gedrängt wurden, der indessen häufig widerrufen wurde. Band II S. 969. 59 Bader, ArbuR 1998, S. 56ff.; Kreßel, NZA 1997, S. 1138ff.; Niese!, NZA 1997, S. 580ff.; Rolfs, NZA 1997, S. 793ff.

76

Teil D: Die Gewährleistungen der Grundrechte und ihre Umsetzung

Der Kritik ist nunmehr ihr Gegenstand abhanden gekommen. Das Gesetz zur Änderung der Berücksichtigung von Entlassungsentschädigungen im Arbeitsförderungsgesetz vom 24.03.1999 hob § 140 SGB III ersatzlos aufS0 .

4. Analyse der wesentlichen Ergebnisse Im Ergebnis steht fest, daß ein effektiver Bestandsschutz durch ein gerichtliches Verfahren, das die Sozialwidrigkeit der Kündigung feststellen soll, nicht erreicht wird. Ist eine Kündigung erst einmal ausgesprochen, so wird es für den Arbeitnehmer schwer, seinen Arbeitsplatz zu behalten oder aufihn zurückzukehren. Damit ist die Wirkung der kündigungsbeschränkenden allgemeinen Normen aber nicht generell in Frage zu stellen. Ebensowenig darf voreilig der Schluß gezogen werden, daß der Schutzpflichtauftrag aus Art. 12 Abs. 1 GG an der tatsächlichen Lage gescheitert wäre. Die allgemeinen Normen entfalten ihre bestandsschützende Wirkung an anderer Stelle, nämlich bereits im Vorfeld des Kündigungsausspruchs. Es ist davon auszugehen, daß ein verständiger Arbeitgeber vor einer voreiligen Kündigung zurückschreckt, da er die Lasten eines Prozesses scheut. Nicht umsonst wird in der allgemeinen Diskussion um die Auflockerung des Kündigungsschutzes immer wieder seine beschäftigungshemmende Wirkung beschworen. Das Bundesverfassungsgericht hat in seiner Entscheidung zur Kleinbetriebsklausel entsprechend ausgeführt: .,Die Erwartung des Arbeitgebers, ein Arbeitsverhältnis nur gegen Abfindung beenden zu können, wirkt sich im Vorfeld einer Kündigung arbeitsplatzschützend aus. Er wird diese Aufwendungen nur in Fällen in Kauf nehmen, die ihm besonders dringlich erscheinen. Im Abfindungsvergleich wird der vom Gesetz in erster Linie erstrebte Bestandsschutz von den Parteien in einen Geldausgleich um gemünzt, . . . Auch darin schlägt sich mithin der durch das Gesetz vermittelte Schutz nieder61 ." Der allgemeine Kündigungsschutz als Gesamtheit wird in seiner Präventionswirkung dem Auftrag aus Art. 12 Abs. 1 GG mithin gerecht. Klärungsbedarf besteht freilich noch, ob die Normen im Detail die Schutzaufträge jeweils ausreichend umsetzen. Es sind also Abwägungen vorzunehmen, ob die Ausgestaltung im Einzelnen jeweils das erforderliche Gleichgewicht herstellt. Dabei spielen alle beteiligten Interessen eine Rolle, die verfassungsrechtlich relevant sind. Soweit sie miteinander kollidieren, sind sie in 60 BGBI. 1999, Teil I Nr. 14 S. 396; Wisskirchen, NZA 1999, S. 405; zur jetzigen Lage der steuerrechtliehen und sozialrechtlichen Behandlung: Schaub, BB 1999, s. 1059 ff. 61 BVerfG v. 27.01.1998 AP Nr. 17 zu§ 23 KSchG unterB.I.3.c) a.E.

I. Abschn.: II. Bestandsschutz durch allgemeine Formeln

77

ihrer Wechselwirkung zu erfassen und so zu begrenzen, daß sie für die Beteiligten weitgehend wirksam werden62 .

II. Bestandsschutz durch allgemeine Formeln Bestandsschutz vermittelt nicht nur das Kündigungsschutzgesetz. Auch allgemeine Regelungen begrenzen die Kündigungsfreiheit des Arbeitgebers. Sie haben insbesondere in der letzten Zeit in der Diskussion der Fachliteratur einen besonderen Stellenwert eingenommen, da durch die Neuregelungen des Kündigungsschutzgesetzes (übergangsweise) der persönliche Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes stark eingeschränkt wurde63 . Damit wurde die generelle Frage wieder interessant, welche Schutzmechanismen die Rechtsordnung außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes bietet. Diese allgemeinen Formeln unterliegen indessen derselben Grundrechtsbindung wie das Kündigungsschutzgesetz selbst, so daß zu fragen ist, ob sie dem Schutzpflichtauftrag ausreichend Rechnung tragen. Vor allem stellt sich die Frage, ob den allgemeinen Formeln neben der notwendig für den Einzelfall herzustellenden Grundrechtskonkordanz überhaupt noch rechtlicher Eigenwert als Abwägungsmaßstab zukommen kann. 1. Kündigungsschutz außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes

a) Treu und Glauben aa) Treu und Glauben und "sozialwidrige Kündigungen" Die allgemeine zivilrechtliche Generalklausel von "Treu und Glauben"

(§ 242 BGB) spielt bei der Sicherung des Arbeitsplatzes eine eher beschei-

dene Rolle. Die Kündigung durch den Arbeitgeber als zivilrechtliches Gestaltungsrecht muß sich nach der Rechtsordnung grundsätzlich an § 242 BGB messen lassen64• Nach der Lehre von der mittelbaren Drittwirkung der Grundrechte wirken die Grundrechte und die in ihnen verkörperte objektive Wertordnung über die Generalklauseln auf das Privatrecht ein65 . Wie bereits oben dargelegt, ist dem Recht aus Art. 12 Abs. I GG insbesondere der Persönlichkeitswert der Arbeit zu entnehmen. Der besondere Stellenwert der Persönlichkeit fordert mithin unmittelbar aus Art. 12 GG, BVerfG v. 27.01.1998 E 97, S. 169, S. 176. Dazu unter D. 2. Abschnitt I. I. c). 64 BAG v. 23.06.1994 AP Nr. 9 zu§ 242 Kündigung; v. 28.09.1972 AP Nr. 2 zu § 134 BGB; v. 16.02.1989 AP Nr. 46 zu § 138 BGB; KR-Hillebrecht/Spilger, § 622 BGB Rdz IOOf. 65 Dreier in: H. Dreier; GG, Vorb. Rdz. 60. 62 63

78

Teil D: Die Gewährleistungen der Grundrechte und ihre Umsetzung

daß der Arbeitnehmer seinen Arbeitsplatz nicht ohne sachlichen Grund verliert. Erhält dieser Grundsatz als Ausdruck der objektiven Wertordnung über die Generalklausel des § 242 BGB Einzug in das Privatrecht, so könnten allgemeine Kündigungsbeschränkungen - wie sie zum Beispiel ihren Ausdruck durch das Kündigungsschutzgesetz erfahren haben - auch über diesen Weg Beachtung verlangen. Bei dieser Annahme ist allerdings eine wichtige Einschränkung zu beachten. Der Gesetzgeber hat im allgemeinen Kündigungsschutzgesetz unter Inanspruchnahme seines weiten Gestaltungs- und Ermessensspielraums bereits eine Konkretisierung von und eine Grenzziehung durch Art. 12 Abs. I GG vorgenommen. Nach seiner Vorstellung ist die Anwendung der kündigungsbeschränkenden Normen an bestimmte Voraussetzungen wie den Ablauf einer Wartezeit von sechs Monaten (§ 1 Abs. 1 KSchG) und eine bestimmte Betriebsgröße von mehr als fünf vollzeitbeschäftigten Arbeitnehmern (§ 23 Abs. 1 KSchG) geknüpft. In der Auslegung des materiellen Gehaltes von § 242 BGB ist dies zu respektieren. Die Gerichte dürfen bei der Überprüfung der Kündigung an den Maßstäben des § 242 BGB Umstände, die die Kündigung (lediglich) sozialwidrig (§ 1 KSchG) gemacht hätten, nicht als Verstöße gegen § 242 BGB in Betracht ziehen66. Das Kündigungsschutzgesetz kann für die aus seinem Geltungsbereich ausgenommenen Arbeitnehmer nicht auf dem Umweg über § 242 BGB doch noch Anwendung finden. Daß die Auslegung der in § 1 KSchG vorgesehenen Tatbestände ihrerseits nicht gegen Treu und Glauben verstoßen darf, ist eine andere Frage. Der Respekt vor der Gestaltungsfreiheit und dem Ermessensspielraum des Gesetzgebers, so unangefochten er in seiner Kernaussage ist, ist allerdings gerade in diesem Bereich ins Wanken geraten. Beweis hierfür ist die jüngste Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts zur Kleinbetriebsklausel67. Als Ausgangspunkt seiner Überlegungen wählt der erste Senat zwar den "Respekt vor der gesetzgeberischen Einschränkung des gesetzlichen Kündigungsschutzes durch § 23 Abs. 1 KSchG", führt aber weiter aus, daß der verfassungsrechtliche Schutz des Arbeitsplatzes in Verbindung mit dem Sozialstaatsprinzip ein gewisses Maß an sozialer Rücksichtnahme in jedem Fall gebiete. Vor sachfremden Erwägungen bei der Kündigung sei der Arbeitnehmer zu schützen. Außerdem dürfte ein durch langjährige Mitarbeit 66 BAG v. 23.09.1976 AP Nr. I zu § I KSchG 1969 Wartezeit unter Il.3.a); v. 02.11.1983 AP Nr. 29 zu § I02 BetrVG 1972 unter Il.2.a); grundsätzlich so BVerfG 27.1.1998 AP Nr. 17 zu § 23 KSchG 1969; Stahlhacke, FS Wiese, S. 513, S. 523; Oetker, RdA 1997, S. 9, S. 18; Boemke, WiB 1997, S. 617, S. 621.- Weitgehend Verstoß gegen § 242 BGB bejahend Otto, FS Wiese (1998) S. 353, S. 366. 67 V. 27.01.1998 AP Nr. 17 zu § 23 KSchG 1969; bestätigt durch BAG v. 21.02.2001 DB 2001, S. XX.

I. Abschn.: II. Bestandsschutz durch allgemeine Formeln

79

gewachsenes Vertrauen in den Fortbestand des Arbeitsverhältnisses nicht unberücksichtigt bleiben. Das Bundesverfassungsgericht legt zudem dar, daß der objektive Gehalt der Grundrechte sich ebenso im Verfahrensrecht widerspiegeln könne. Es läßt aber unentschieden, ob die Beweislastverteilung (zulasten des Arbeitgebers) gemäß § 1 Abs. 2 S. 4 KSchG außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes bei der Anwendung der Generalklauseln gemäß §§ 138, 242 BGB gelten müßte. Eine Tendenz zu einer zumindest abgestuften Darlegungsund Beweislastverteilung läßt es aber erkennen68 . Die Anlehnung an die Voraussetzungen einer sozialgerechten Kündigung im Sinne des § 1 KSchG ist in diesen Aussagen unverkennbar. Das Bundesverfassungsgericht fordert, daß der Kleinbetriebsinhaber für seine Kündigung einen sachbezogenen Grund habe; weiter sei zumindest eine in Richtung von § 1 Abs. 3 KSchG vorgenommene "soziale Auswahl" vorzunehmen, und langjährige Mitarbeit fordere vor der Kündigung eine Interessenabwägung69. Es wird sich zeigen, wie die Arbeitsgerichte in Zukunft mit diesen Vorgaben umgehen werden. Eine zu starke Anlehnung an die Voraussetzungen für eine sozialgerechte Kündigung ist aber entschieden abzulehnen. Dies muß insbesondere deshalb gelten, weil das Bundesverfassungsgericht in seiner Entscheidung die Richtung dafür weist, daß der "Kleinbetrieb" zum "Kleinunternehmen" geworden ist70. Werden aber vom Anwendungsbereich des § 23 Abs. 1 KSchG künftig nur die Arbeitgeber erfaßt, in deren Unternehmen nicht mehr als 5 Arbeitnehmer beschäftigt werden, so hängt deren Geschäftserfolg von jedem einzelnen Arbeitnehmer ab; typischerweise arbeitet der Unternehmer selbst als "Chef vor Ort" mit. Das Vertrauensverhältnis zwischen ihm und "seinen Leuten" hat einen besonderen Stellenwert. Diesen "Kleinunternehmer" hat der Gesetzgeber vor Augen gehabt, als er den Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes einschränkte. In diesen Betrieben/Unternehmen wollte er die relative Kündigungsfreiheit erhalten. Damit hat der Gesetzgeber die widerstreitende Interessenlage der Schutzrechte aus Art. 12 Abs. 1 GG auf der einen Seite, und der aus Artt. 12 Abs. I, 14 Abs. 1 GG auf der anderen Seite selbst einem angemessenen Ausgleich zugeführt. Dieser Wille ist unbedingt zu beachten. Jede andere 68 Unter Hinweis auf Preis, NZA 1997, S. 1256, S. 1269; hierzu Gragert/Kreutzfeldt, NZA 1998 S. 567, S. 569f. 69 So ebenfalls Kittner, NZA 1998, S. 731, S. 733; Gragert/Kreutzfeldt, a.a.O. S. 568. 70 Vgl. bspw. Kühling, FS Dieterich, S. 325, S. 332 und unten D. 2. Unterabschnitt I. I.

80

Teil D: Die Gewährleistungen der Grundrechte und ihre Umsetzung

Einschätzung ist eine Verletzung des Grundsatzes der Gewaltenteilung, ein Verstoß gegen Art. 20 GG. bb) Treu und Glauben und andere Fälle Das Gesagte hindert nicht, daß die Kündigung eines von dem Kündigungsschutz ausgenommenen Arbeitnehmers in anderen, von § l KSchG nicht erfaßten Fällen gegen § 242 BGB verstoßen kann und damit unwirksam ist71 • Wo die Konkretisierung durch den Gesetzgeber nicht stattgefunden hat, bestimmt Art. 12 Abs. l GG den sachlichen Gehalt des anzuwendenden § 242 BGB. Insbesondere kann eine Verletzung des Persönlichkeitsrechts die Kündigung unwirksam machen. Einseitige Vertragsbeendigungen aus Leichtfertigkeit, schlechter Laune, Verärgerung, Willkür oder wegen eines verbotenen Motivs sind hier beispielsweise angesprochen. Dabei sind alle Umstände des Falls für die Prüfung heranzuziehen. Die Verletzung des Persönlichkeitsrechts mag beispielsweise bei einer Kündigung ohne jeden Grund, einer Kündigung "nur eben so", sogar stärker sein als bei Vorliegen eines verbotenen Motivs. Es mag im Einzelfall dazu kommen, daß die Kündigung bei einem altgedienten Mitarbeiter eher als Verstoß gegen Treu und Glauben angesehen wird als bei einem, der erst seit kurzer Zeit im Betrieb ist. Daraus ist aber - anders als bei Kündigungen, die dem Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes unterliegen -, kein Grundsatz zu formulieren, dem stets das gleiche Gewicht beigemessen wird. Anstößig ist auch eine Kündigung, in der die Überlegenheit ausgespielt wird, die mit der Verfügung über die Arbeitsplätze einhergeht: so etwa, wenn sie damit begründet wird, daß der Bewerber einen schriftlichen Arbeitsvertrag verlangt72. Ergibt die Abwägung, daß das Interesse des Arbeitnehmers im Rahmen des Art. 12 Abs. 1 GG höher zu bewerten ist als das Vertrauen auf die vom Gesetz gewährte Kündigungsfreiheit nach Art. 14 Abs. 1 GG, so scheitert die Wirksamkeit der Kündigung an § 242 BGB. Schwerdtner ist der Ansicht, eine treuwidrige Kündigung könne wegen der mit ihr verbundenen Diskreditierung allenfalls zum Schadensersatz wegen Verletzung des allgemeinen Persönlichkeitsrechtes verpflichten, nicht aber zum Bestandsschutz des Arbeitsverhältnisses führen 73 . Das Bundesar71 BAG v. 08.6.1972 AP Nr. 2 zu§ 134 BGB; v. 13.07.1978 AP Nr. 18 zu§ 102 BetrVG 1972; v. 21.03.1980 AP Nr. I zu§ 17 SchwbG; Lakies, DB 1997, S. 1078, S. 1081; Stahlhacke, FS Wiese, S. 513, S. 523; Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung und Kündigungsschutz Rdz. 183. - Zuletzt bestätigt durch BVerfG 27.1.1998 AP Nr. 17 zu§ 23 KSchG 1969. 72 ArbG Düsseldorf v. 9.9.1992 BB 1992, S. 2364f.; ErfK-Preis, BGB § 612a Rdz. 13. Gleichzeitig liegt hier ein Verstoß gegen § 612 a BGB vor. 73 MüKo-Schwerdtner, (2. Aufl.) Vor § 620 Rdz. I 85.

I. Abschn.: II. Bestandsschutz durch allgemeine Formeln

81

beitsgericht berücksichtigt diese Auffassung mit Recht niche4 . Sie verkennt, daß der objektive Wertgehalt des Art. 12 Abs. 1 GG andere Rechtsfolgen auslöst, als eine allgemeine Persönlichkeitsverletzung im Rahmen des § 823 Abs. 1 auszulösen vermag. Persönlichkeit und Arbeit sind zwar eng miteinander verbunden, dennoch von dem blanken Recht auf Entfaltung der Persönlichkeit, wie es Art. 2 Abs. 1 GG garantiert, zu unterscheiden. Allein mit einer Schadensersatzpflicht wäre die Durchsetzung des objektiven Gehalts von Art. 12 Abs. 1 GG, daß der Verlust des Arbeitsplatzes nur mit sachlichem Grund gerechtfertigt ist, nicht gewährleistet. b) Kündigung zur Unzeit

Gemäß §§ 671 Abs. 2, 723 Abs. 2 BGB dürfen Kündigungen nicht zur Unzeit ausgesprochen werden. Nach Ansicht von Oetker75 besitzt diese Aussage des Auftrags- und Gesellschaftsrechts einen verallgemeinerungsfähigen Inhalt und soll deshalb auch für die Kündigung im Arbeitsverhältnis gelten. Die Grenze zur treuwidrigen Kündigung gemäß § 242 BGB ist dabei unscharf. Für diese Ansicht spricht, daß die Allgemeinheit der Formel von Treu und Glauben Konkretisierung erfährt. Bundesgerichtshof6 und Bundesarbeitsgericht77 haben zur Wirksamkeit "unzeitgemäßer" Kündigungen Stellung genommen. Das Bundesarbeitsgericht läßt die Entscheidung darüber offen, ob aus der Unzeitigkeil alleine bereits die Unwirksamkeit folgt78 oder noch eine besondere Beeinträchtigung der Interessen des Arbeitnehmers hinzukommen muß. Damit ist auch die Rechtsprechung in dieser Frage ein Beleg dafür, daß die Wirksamkeit der Kündigung von der Gesamtabwägung und der Herstellung von praktischer Konkordanz der Interessen abhängig ist. Die Rechte des Arbeitnehmers aus Art. 12 Abs. 1 GG sind nachteilig betroffen, wenn ihm zur Unzeit gekündigt wird. Ob dieser Umstand aber dafür ausreicht, die Kündigung insgesamt als unwirksam anzusehen, hängt davon ab, ob für die Seite des Arbeitgebers Grundrechtspositionen, wie sie ihm Artt. 12 Abs. 1, 14 Abs. 1 GG vermitteln, vorliegen, und ob diese das Recht des Arbeitnehmers im Einzelfall zurückdrängen können.

Z. B. BAG v. 23.06.1994 AP Nr. 9 zu § 242 BGB Kündigung (LS). ArbuR 1997, S. 41, S. 47. 76 BGH v. 14.11.1953 NJW 1954, S. 106 (Gesellschafterkündigung). 77 BAG v. 14.11.1984 AP Nr. 88 zu§ 626 BGB; vgl. LAG Bremen 29.10.1985 BB 1986, S. 393 (Kündigung am Tag eines schweren Arbeitsunfalls). 78 BAG v. 14.11 .1984 a. a. 0 . Unter 11.4. 74

75

6 Gamillschcg

82

Teil D: Die Gewährleistungen der Grundrechte und ihre Umsetzung

c) Sittenwidrigkeit19

Ebenso kann eine Kündigung gegen die guten Sitten (§ 138 BGB) verstoßen. Dies war anfangs mit der Begründung in Zweifel gezogen worden, als abstraktes Rechtsgeschäft könne die Kündigung nicht sittenwidrig sein80. Bereits das Reichsarbeitsgericht81 hat diese Ansicht zurückgewiesen: keine Handlung darf sich zu den guten Sitten in Widerspruch setzen82 . Heute ist ein solcher Zweifel nicht mehr möglich, wie § 13 Abs. 2 KSchG beweist, der den Verstoß gegen die guten Sitten ausdrücklich erwähnt. Beispiele der sittenwidrigen Kündigung liegen etwa vor, wenn der Arbeitgeber aus niedrigen Motiven wie Rache handelt oder der Kündigung die Ablehnung eines unsittlichen Angebots durch den Arbeitgeber vorausgegangen ist83 . Wenn das Bundesverfassungsgericht vom verfassungsrechtlich gebotenen Mindestschutz84 spricht, meint es auch solche Fälle. In der Literatur nimmt die Erörterung der sittenwidrigen Kündigung viel Raum ein, in der Praxis ist ihre Bedeutung gering. Kritik erregt, daß die Nichtigkeit häufig auf dieselben Umstände gestützt wird, die einen Verstoß gegen § 242 BGB begründet hätten85 . Obwohl die Abgrenzung schwierig ist86, kann sie im Einzelfall dennoch erforderlich sein, da die Rechtsfolgen unsinnigerweise unterschiedlich sind. Eine sittenwidrige Kündigung ist nach § 13 Abs. 2 KSchG, eine treuwidrige nur nach § 13 Abs. 3 KSchG zu behandeln. Bei sittenwidriger Kündigung gelten bei Klage innerhalb der Frist des § 4 KSchG die §§ 9, 10 KSchG. Der Arbeitnehmer kann mithin Auflösung des Arbeitsverhältnisses gegen Abfindung verlangen, bei der (nur) treuwidrigen Kündigung gilt das nicht87 •

2. Bestandsschutz durch Androhung von Schadensersatzforderungen a) "Mobbing"

Der Bestandsschutz muß ebenso davor bewahren, daß der Arbeitnehmer durch Schikane zur Eigenkündigung getrieben wird. Solche Schikanen sind 79 BAG v. 12.10.1954 AP Nr. 5 zu § 3 KSchG; v. 23.11.1961 AP Nr. 22 zu § 138 BGB. 80 Dazu MüKo/Schwerdtner, (2. Autl .) Vor§ 620 Rdz. 187. 81 RAG v. 24.04.1929 E 4 S. 23, S. 27. 82 Hersehe!, DB 1973, S. 80, S. 81. 83 Boemke, WiB 1997, S. 617, S. 620; Stahlhacke, FS Wiese, S. 513, S. 525f. 84 BVerfG 27.1.1998 AP Nr. 17 zu§ 23 KSchG 1969 unter B. I. 3. b) cc). 85 BAG v. 08.06.1972 AP Nr. I zu§ 13 KSchG 1969 unter 4., v. 23.09.1976 AP Nr. I zu§ I KSchG 1969 Wartezeit unter 11.3.; v. 12.03.1986 AP Nr. 23 zu Art. 33 Abs. 2 GG; KR-Friedrich, § 13 KSchG Rdz. 229f. 86 Ausführlich Preis, NZA 1997, S. 1256, S. 1266 m. w.N. 87 Für entsprechende Anwendung der §§ 9, 10, 12 spricht sich KR-Friedrich, § 13 KSchG Rdz. 330ff. bereits nach aktueller Gesetzeslage aus.

I. Abschn.: II. Bestandsschutz durch allgemeine Formeln

83

in der letzten Zeit unter dem Schlagwort "Mobbing" zu einem viel besprochenen Thema geworden88 ; die Schikanen sind dem Arbeitgeber zuzurechnen, wenn sie von einem oder mehreren Mitarbeitern ausgehen, der Arbeitgeber aber nicht einschreitet. Eine besonders verwerfliche Form des "Mobbings" ist die sexuelle Belästigung durch einen Vorgesetzten, Kollegen oder sogar durch den Arbeitgeber selbst. Der Arbeitnehmer braucht sich dem nicht auszusetzen, sondern kann seinerseits aus wichtigem Grund kündigen und den ihm dadurch erwachsenen Schaden einklagen, § 628 Abs. 2 BGB. Hier versucht das Gesetz, durch die Drohung mit Schadensersatz von einem Verhalten abzuschrecken, durch das der Arbeitnehmer den Arbeitsplatz verliert. Obwohl die Ausgangslage im Vergleich zur arbeitgeberseiligen Kündigung entgegengesetzt ist, so kann die Begründung der Rechtsfolge wiederum in der Interessenahwägung gesucht werden. Der Arbeitnehmer, der zu der Eigenkündigung durch das krasse Fehlverhalten von anderen getrieben wird, verdient den Schutz der Rechtsordnung. Er wird in seiner Grundrechtsausübung von Art. 12 Abs. l GG empfindlich gestört, so daß die Schutzpflicht fordert, ihn zu schützen. Kann die Androhung von Schadensersatz ihn präventiv vor den Belästigungen nicht wirksam sichern, so soll er für die erlittene Interessenverletzung zumindest durch die Zahlung von Schadensersatz Genugtuung erhalten. Die Interessen des Arbeitgebers oder der anderen Arbeitnehmer können sein Recht insoweit nicht überwiegen. Die Wiedergutmachung gemäß § 249 BGB besteht darin, den Arbeitnehmer so zu stellen, als würde er weiterbeschäftigt Die Ersatzpflicht besteht bis zu dem Zeitpunkt, an dem das Arbeitsverhältnis voraussichtlich ordnungsgemäß hätte beendet werden können. Es fragt sich, ob sich deshalb die Ersatzpflicht des Arbeitgebers auch bis zum potentiellen Eintritt des Arbeitnehmers ins Rentenalter erstrecken kann, wie das im Schrifttum vertreten wird 89 . Die herrschende Meinung beläßt es indessen bei der Kündigungsfrist als Maßstab für den Schadensersatz, sogenannter Verfrühungsschaden90. Die Ansicht, die einen Schadensersatzanspruch bis zum Zeitpunkt des Renteneintritts für möglich hält, übersieht, daß hier der Bogen zulasten des Arbeitgebers überspannt wird. Zum einen ist zu berücksichtigen, daß der Gesetzgeber von 1900 das zu ersetzende Erfüllungsinteresse des Arbeitge88 ArbG Kiel v. 27.2.1997 NZA-RR 1998, S. 212; ErfK-Preis, § 611 Rdz. 888 m.w.N.; Schaub, ArbRHandB § 108 V. 8. m.w.N. 89 Für unbegrenzte Zeit etwa MüKo/Schwerdtner, § 628 Rdz. 56. - Übersicht über das Problem auch bei ErfK-Müller-Giöge, § 628 Rdz. 41 ff. 90 BAG v. 09.05.1975 AP Nr. 8 zu § 628 BGB unter Gründe II. 2. a); LAG Hamm v. 12.6.1984 NZA 1985, S. 159; ErfK-Müller-Giöge, § 628 Rdz. 67. 6*

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Teil D: Die Gewährleistungen der Grundrechte und ihre Umsetzung

bers gemäß §§ 628 Abs. 2, 249 Abs. 1 BGB durch eine freie Kündigungsmöglichkeit des Arbeitgebers begrenzt wußte. Der Gesetzgeber konnte mithin davon ausgehen, daß der Arbeitgeber seinerseits ordentlich kündigen und damit das Arbeitsverhältnis nach Ablauf der Kündigungsfrist seinem Ende zuführen konnte91 • Erst durch die Einführung des allgemeinen Kündigungsschutzes wurde das freie Kündigungsrecht beschränkt und die mögliche Dauer der Ersatzpflicht verlängert. Zum anderen würde sich ein Wertungswiderspruch zu § I0 KSchG ergeben, der die Abfindung selbst bei sittenwidriger Kündigung auf 18 Monatsverdienste beschränkt. Für den Höchstumfang der Ersatzpflicht bei arbeitgeberseiligen Kündigungen hat der Gesetzgeber damit den Konflikt zwischen Arbeitnehmer- und Arbeitgeberinteresse durch § 10 KSchG gelöst. Ein potentiell unbegrenzter Haftungsumfang im Rahmen des § 628 Abs. 2 BGB verstieße mithin gegen die Einheit der Rechtsordnung, so daß die Ansicht des Bundesarbeitsgerichtes den Vorzug verdient. b) Allgemeines Schadensrecht?

Der Vollständigkeit halber sei erwähnt, daß die übrigen Schadensersatzansprüche des bürgerlichen Rechts nur eine geringe Rolle spielen. § 1 KSchG ist kein Schutzgesetz im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, so daß ein Anspruch aus Delikt ausscheidet. Bestandsschutzansprüche auf der Grundlage der positiven Vertragsverletzung werden nach allgemeiner Ansicht durch die Regeln über den Kündigungsschutz verdrängt92 .

3. Zwischenergebnis Die allgemeinen Regeln (u.a. §§ 138, 242 BGB) können nicht dazu dienen, außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes dieselben Ergebnisse wie unter dessen Anwendbarkeit zu erzielen. Andernfalls wäre die Konkretisierung des Schutzauftrags aus Art. 12 GG mit dem Kündigungsschutzgesetz über die Konkordanz zwischen den Artt. 12 und 14 GG über Gebühr hinaus ausgedehnt und die Gewaltenteilung tangiert. Der bestandsschützende Anwendungsbereich der allgemeinen Normen ist deshalb eher beschränkt. Soweit er im Einzelfall betroffen ist, so ist die Kündigung des Arbeitgebers gemäß § 242 oder 138 BGB nichtig. Wird der Arbeitnehmer zur Eigenkündigung getrieben, so können hohe Schadensersatzansprüche entstehen (§ 628 Abs. 2 BGB).

91

92

Vgl. Medicus, Allgemeiner Teil des BGB, Rdz. 728, S. 280. Zum Ganzen: ErfK-Ascheid, § I KSchG Rdz. 23 m. w.N.

l. Abschn.: III. Bestandsschutz durch das Kündigungsschutzgesetz

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111. Bestandsschutz durch das Kündigungsschutzgesetz Das Kündigungsschutzgesetz steht im Mittelpunkt der Diskussion um den Bestandsschutz. Seine Regelungen wurden bereits mehrfach in Bezug genommen, da sie zum Verständnis und zur Auslegung der im Vorangegangenen behandelten allgemeinen Normen der § 242 und § 138 BGB einzubeziehen waren. Im folgenden geht es um die Analyse der konkreten Anforderungen, die das Gesetz an eine arbeitgeberseilige Kündigung stellt, vor dem Hintergrund, ob den verfassungsrechtlichen Schutzpflichten der Rechtsordnung für die Rechte des Arbeitnehmers aus Art. 12 Abs. 1 GG jeweils in angemessener Weise Rechnung getragen wird. Dies kann zu dem Ergebnis führen, daß ein Untermaß, Übermaß oder angemessener Schutz vorliegt. In den Fällen des Unter- bzw. Übermaßes ist zu entscheiden, welches Ergebnis bei sachgerechter Abwägung tatsächlich angebracht ist. 1. Vorläufer des Kündigungsschutzgesetzes

Zum besseren Verständnis einiger Regelungen ist ein kurzer Blick auf die historische Entwicklung des allgemeinen Kündigungsschutzes erforderlich. Das Kündigungsschutzgesetz ist ein relativ junges Gesetz. Das Bürgerliche Gesetzbuch von 1900 ist noch vom Grundsatz der Kündigungsfreiheit ausgegangen und hat in ihr einen Ausdruck der allgemeinen Handlungsfreiheit gesehen. Der erste Kündigungsschutz wurde durch das Betriebsrätegesetz vom 04.02.1920 eingeführt. Gemäß § 84 Abs. 1 BRG konnten die Arbeitnehmer bei einer Kündigung durch den Arbeitgeber Einspruch beim Arbeiter- oder Angestelltenrat erheben, wenn bestimmte Gründe vorlagen. Es war dies der begründete Verdacht, daß die Kündigung wegen der Zugehörigkeit zu einem bestimmten Geschlecht, wegen politischer, militärischer, konfessioneller oder gewerkschaftlicher Zugehörigkeit oder Nichtzugehörigkeit zu einem politischen Verein oder einem militärischen Verband erfolgt war. Einspruch war weiter möglich, wenn die Kündigung ohne Angabe von Gründen oder deshalb erfolgte, weil sich der Arbeitnehmer weigerte, dauernd andere Arbeiten, als bei der Einstellung vereinbart, zu verrichten. Schließlich konnte gegen die Kündigung eingewendet werden, daß sie sich als unbillige, nicht durch das Verhalten des Arbeitnehmers oder durch die Verhältnisse im Betrieb bedingte Härte darstellte. Ob eine "Unbilligkeif' im Einzelfall vorlag, hing aber auch von der wirtschaftlichen Situation des Arbeitnehmers ab. Es galt die Regelung, daß, obwohl der fehlende sachliche Grund für eine einseitige Vertragsbeendigung feststand, im weiteren zusätzlich eine Interessenahwägung vorgenommen wurde, die ergeben

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Teil D: Die Gewährleistungen der Grundrechte und ihre Umsetzung

mußte, daß die Kündigung den Arbeitnehmer auch wirtschaftlich schwer treffe. Abgelöst wurde das BRG durch das Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit vom 20.01.1934 (AOG), das in der Sache die individuellen Kündigungsbeschränkungen übernommen hatte93 . Als das AOG am 1.1.1947 beseitigt wurde, mußten die Gerichte auf Generalklauseln zurückgreifen, soweit nicht andere Gesetze bereits an die Stelle des AOG getreten waren. An ein Zurück zur Zeit vor 1920 wurde jedoch nicht gedacht. Der Kündigungsschutz "hatte sich, wie sich rasch zeigte, seit 1920 eingebürgert, und er entspricht so sehr dem sozialen Empfinden unserer Zeit, daß er trotz Fortfalls der gesetzlichen Regelung beibehalten wurde. Das ist umso bemerkenswerter, als drei Jahrzehnte früher die Kündigungsfreiheit noch als selbstverständlich gegolten hatte": so der Altmeister des Kündigungsrechts Alfred Hueck94 . Auf dieser Überzeugung beruht der Kündigungsschutz und die (über das Gesetz hinausreichende) Idee des Bestandsschutzes bis heute. Inzwischen hatte sie in Art. 12 Abs. 1 GG ihre verfassungsrechtliche Verankerung gefunden. Das erste Kündigungsschutzgesetz wurde dann auf der Grundlage des sogenannten Hattenheimer Entwurfs95 am 13.08.1951 im Bundesgesetzblatt veröffentlicht96. Es folgte das 1. Arbeitsrechtsbereinigungsgesetz vom 14.08. 1969, aufgrund dessen das Kündigungsschutzgesetz in der Fassung vom 25.08.1969 neugeordnet wurde. Es enthält zusammengefaßt die Prüfungsmaßstäbe für Kündigungen, die unter den Geltungsbereich des Gesetzes fallen.

2. Allgemeine Anforderungen an eine sozialgerechte Kündigung Eine Kündigung ist sozialwidrig, wenn nicht einer der drei Kündigungsgründe vorliegt (§ 1 Abs. 2 S. 1 KSchG) oder wenn Hinderungsgründe gemäß § 1 Abs. 2 S. 2 und 3 KSchG gegeben sind. Die Bindung des Kündigungsrechts an bestimmte, objektiv nachweisbare Gründe ist bereits als Bestandteil des notwendigen Interessenausgleichs anzusehen97 . Die in § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG genannten Kündigungsgründe sind jedoch nicht isoliert zu betrachten. Sie unterliegen der Kontrolle durch die im folgenden für jede Einzelfrage darzustellende Konkordanzabwägung der einschlägigen 93 94

95 96 97

Hueck/v. Hoyningen-Huene, Ein!. Rdz 23. Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, Band I ( 1967) S. 621. RdA 1950, S. 63. BGBI. S. 499. Preis, FS Dieterich (1999), S, 429, S. 455.

I. Abschn.: III. Bestandsschutz durch das Kündigungsschutzgesetz

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Verfassungsnormen. Der konkrete Kündigungsgrund rechtfertigt eine Kündigung erst in Übereinstimmung mit ihr. Da das Kündigungsschutzgesetz eine Konkretisierung des Bestandsschutzauftrags nach Art. 12 GG ist, ist von einem prinzipiellen und tendenziellen Vorrang des Arbeitnehmersschutzes auszugehen, der nur durch besonders gewichtige Arbeitgeberschutzrechte aus Artt. 12 Abs. 1 und 14 Abs. 1 GG ausgeräumt werden kann. a) Wesen der Kündigung als Prognoseentscheidung

Veranlaßt ist eine Kündigung und damit der Entzug des Arbeitsplatzes durch das Interesse des Betriebs. Hierzu ist Konkordanz zwischen dem Bestandsschutzinteresse des Arbeitnehmers und dem Schutz- und Organisationsinteresse des Arbeitgebers herzustellen. Die Kündigung aus personenoder verhaltensbedingten Gründen soll keine Sanktion für das vorangegangene Geschehen sein, sondern künftige betriebliche Belastungen bzw. Vertragsgefährdungen ausschließen98 . Die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers muß aus diesem Grund unwirtschaftlich oder unzumutbar sein99 . Der Anlaß der Kündigung bildet dabei die Grundlage für die Prognose, ob in Zukunft eine gedeihliche Zusammenarbeit erwartet werden kann. Man spricht vom Prognoseprinzip. Die Vorkommnisse (z. B. Krankheit oder Zuspätkommen) begründen die Kündigung nur, wenn zu vermuten (nicht auszuschließen) ist, daß die Erfüllung des Arbeitsvertrags unzumutbar erschwert bleibt oder jene Vorkommnisse sich wiederholen werden. Bei schweren Verfehlungen reicht es dagegen aus, daß das Vertrauen endgültig zerstört ist und es in Zukunft bleibt, selbst wenn eine Wiederholung als solche nicht zu erwarten ist. Daß die Kündigung eine solche Negativprognose im Prinzip verlangt, ist weitgehend anerkannt 100 und genügt dem Bestandsschutzauftrag des Art. 12 Abs. 1 GG. Dagegen ist zweifelhaft und noch nicht abschließend geklärt, wie sicher die Prognose sein muß, um die Kündigung zu rechtfertigen. Nach Ansicht von v. Hoyningen-Huene ist eine an Sicherheit grenzende Wahrschein1ichkeit101 zu verlangen. Damit nähert v. Hoyningen-Huene die Kündigung an eine strafrechtliche Sanktionierung an. Das widerspricht aber dem Grundansatz, daß sie keine Sühne für vergangenes Tun sein soll. Das Recht des Arbeitgebers an einer ungestörten Betriebsführung verlangt hier mehr 98 Preis, NZA 1997, S. 1073, S. 1076 m.w.N.; differenzierend Adam, NZA 1998,5.284, s. 285f 99 Es handelt sich dabei um eine Form der Unzumutbarkeit, wie sie auch § 78a BetrVG ins Auge faßt, Hueck/v. Hoyningen-Huene, § I KSchG Rdz. 121. 100 Hueck/v. Hoyningen-Huene, § I KSchG Rdz. 130; Kittner/Däubler/Zwanziger, § I KSchG Rdz. 77 m. w. N. für die krankheitsbedingte Kündigung. 101 Hueck/v. Hoyningen-Huene, § I KSchG Rdz. 133.

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Teil D: Die Gewährleistungen der Grundrechte und ihre Umsetzung

Berücksichtigung. Immerhin stammt die Störung des Betriebsablaufs aus der Sphäre des Arbeitnehmers. Hiervon sind nicht nur die Arbeitgeberseite, sondern auch die Kollegen betroffen, die ebenfalls ein Interesse an einem reibungslosen Betriebsablauf haben. Beruht der Kündigungsgrund darauf, daß der Arbeitnehmer lange Zeit oder häufig immer wieder kurze Zeit gefehlt hat, so sind die anderen Arbeitnehmer auch diejenigen, die durch Mehraufwand den Ablauf des Betriebes gewährleisten müssen. Der Interessenahwägung entspricht es damit besser, wenn man eine Prognose gelten läßt, für die eine nicht geringe Wahrscheinlichkeit spricht. Das Recht des betroffenen Arbeitnehmers kann hier keinen höheren Stellenwert einnehmen. Wird die Prognose widerlegt und verletzt das Ergebnis dann das Gerechtigkeitsgefühl, weil der Kündigungsgrund während der Laufzeit der Kündigungsfrist wegfällt, so kann dem damit begegnet werden, daß der Arbeitgeber zur Wiedereinstellung bzw. Rücknahme der Kündigung verpflichtet sein soll 102 . Bei betriebsbedingter Kündigung bezieht sich die Prognose darauf, daß ohne die Kündigung ein Personalüberhang mit einer gewissen Sicherheit und auf längere Zeit bestehen würde. Hier genügt eine vernünftige betriebswirtschaftliche Betrachtung 103 • Das Recht des Arbeitgebers, die wirtschaftlichen Entscheidungen autonom zu treffen, korrespondiert mit der Ansicht, daß er allein das Wirtschaftsrisiko trägt, und findet seine verfassungsrechtliche Verankerung in Artt. 12 Abs. 1, 14 Abs. 1 GG. Dieser Bereich der Unternehmerischen Freiheit verträgt keine zu starke Beschränkung, so daß die Interessen des Arbeitnehmers hier zu Recht zurücktreten. Die Abwägung ändert sich zugunsten des Arbeitnehmers dann wieder, wenn die Prognose unerwartet widerlegt wird. Diesem Umstand kann man auf dem erwähnten Weg einer Wiedereinstellungspflicht gerecht werden. Der Konflikt der verfassungsrechtlichen Interessenlagen ist für Anforderungen an die Prognoseentscheidung also unter stärkerer Berücksichtigung der Unternehmerinteressen zu lösen.

b) Grundsatz der ultima ratio Weiter ist die Kündigung nur begründet, wenn kein milderes Mittel zur Verfügung steht, das die Interessen des Unternehmens in gleicher Weise wahrt, Grundsatz der ultima ratio 104 • Er ist Teil des VerhältnismäßigkeitsDazu unten D. I. Unterabschnitt V. BAG v. 19.06. 1991 AP Nr. 53 zu § I KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung (I . LS). 102

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l. Abschn.: III. Bestandsschutz durch das Kündigungsschutzgesetz

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prinzips, das überall Beachtung verlangt, wo in Grundrechte eingegriffen wird 105 . Gleichgültig, auf welchen Grund die Kündigung gestützt wird, muß sie ein geeignetes, erforderliches und verhältnismäßiges Mittel im engeren Sinne darstellen, um die betriebliche Beeinträchtigung zu beseitigen 106. Die Verhältnismäßigkeit im engeren Sinn, also die Frage, ob angesichts der Schwere des Verlustes des Arbeitsplatzes dem Arbeitgeber der Verzicht auf die Kündigung zuzumuten ist, fließt mit der sogleich zu behandelnden Frage der Interessenahwägung zusammen. Für das Erfordernis der ultima ratio seien nur einige Beispiele genannt, die jeweils Ausdruck einer Abwägung der beteiligten Interessen sind, bei denen die des Arbeitnehmers bevorzugt behandelt werden. Der Grundsatz der ultima ratio besagt, daß nicht vorschnell gekündigt werden darf. Das Gesetz verwirklicht ihn selbst, als den Arbeitgeber die Verpflichtung trifft, den Arbeitnehmer auf eine andere freie Stelle im Betrieb oder Unternehmen 107 zu versetzen, wenn dadurch die Kündigung vermieden werden kann (§ 1 Abs. 2 Nr. l b) KSchG). Die Abwehr der Kündigung durch Versetzung hat ihren Hauptanwendungsfall bei der betriebsbedingten Kündigung, sie ist aber bei den anderen Kündigungsgründen ebenso geboten, wo dies notwendig ist. Eine krankheitsbedingte Kündigung ist beispielsweise dadurch zu vermeiden, daß der Arbeitnehmer auf einen leidensgerechten Arbeitsplatz versetzt wird, der unter Umständen durch Ausübung des Direktionsrechts freigemacht werden muß 108• Die Kündigung wegen Krankheit kann beispielsweise auch durch Einstellung einer Hilfskraft vermieden werden 109• Zur ultima ratio als milderem Mittel gehört weiter die Vorschaltung der Ahmahnung vor der verhaltensbedingten Kündigung 110• Fällt der Arbeitsplatz nicht sofort weg, kann statt einer fristlosen eine fristgerechte Kündigung ultima ratio sein 111 • Eine eigenständige Frage, die aber ebenfalls in 104 BAG v. 30.05.1978 AP Nr. 70 zu§ 626 BGB; v. 22.2.1980 AP Nr. 6 zu§ I KSchG 1969 Krankheit; v. 27.09.1984 AP Nr. 8 zu§ 2 KSchG 1969; v. 15.12.1994 AP Nr. 66 zu § I KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung; Hueck/v. HoyningenHuene, § I KSchG Rdz. 139 f. 105 MünchArbR/Berkowsky, § 134 Rdz. 62ff.; Bitter/Kiel, RdA 1995, S. 26, S. 29f.; Hueck/v. Hoyningen-Huene, § I KSchG Rdz. 139m. w.N. 106 Ausführlich Preis, Prinzipien S. 265 ff. 107 Hierzu vgl.: BAG v. 13.09.1973 AP Nr. 2 zu§ I KSchG 1969; v. 17.05.1984 AP Nr. 21 zu § I KSchG Betriebsbedingte Kündigung. 108 BAG v. 29.01.1997 SAE 1998, S. 15; Anm. K. Gamillscheg, SAE 1998, S. 17ff.; Bernardi, NZA 1999, S. 683ff.; Lepke, Kündigung bei Krankheit, Rdz. 159. 109 BAG v. 22.02.1980 u. 25.11.1982 AP Nr. 6, 7 zu§ I KSchG 1969 Krankheit. 110 Dazu unten D. l. Unterabschnitt III. 3. b) aa) (b). 111 BAG v. 21.11.1996 AP Nr. 130 zu§ 626 BGB.

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Teil D: Die Gewährleistungen der Grundrechte und ihre Umsetzung

diesen Bereich hineinspielt, ist, inwieweit zur Vermeidung der Kündigung Kurzarbeit angeordnet werden muß 112• Allen Beispielen ist gemeinsam, daß dem Arbeitgeber trotz seiner Organisationsfreiheit im Betrieb abverlangt wird, betrieblich umzudisponieren, wenn die grundsätzliche Möglichkeit dazu besteht. Wenn nach der zurnutbaren Umorganisation 113 (oder der Ahmahnung des Arbeitnehmers) wieder ein relativ geregelter Arbeitsablauf erwartet werden kann, geht in der Interessenabwägung die existentielle Bedeutung des Arbeitsplatzes für den Arbeitnehmer vor. c) Interessenahwägung

aa) Dogmatische Legitimation einer allgemeinen Interessenahwägung ( 1) Allgemeine Interessenahwägung als Schöpfung der Rechtsprechung

Die Praxis hat zu den beiden Voraussetzungen der ordentlichen Kündigung, der Prognoseentscheidung und der ultima ratio, eine allgemeine Interessenabwägung hinzugefügt, die den jeweiligen Besonderheiten des Falles gerecht werden soll. Das Bundesarbeitsgericht überprüfte bereits 1954 zunächst mit einer allgemein wertenden Betrachtung Art und Ausmaß der Vertragsstörung und unterwarf sodann die beiderseitigen Belange einer abschließenden Abwägung 114• Begründet wurde dies damit, daß in der Wendung "sozial ungerechtfertigt" in § 1 Abs. 1 KSchG ein unbestimmter Rechtsbegriff zu sehen sei, der erst noch durch eine zusätzliche, auf den Fall bezogene richterliche Interessenahwägung ausgefüllt werden müsse. § 1 Abs. 2 KSchG fordere eine Prüfung, ob der Kündigungsgrund (überhaupt) gewichtig genug ist, um die Kündigung als sozial gerechtfertigt erscheinen zu lassen; dem Tatsachenrichter stehe dazu ein (weiter) Beurteilungsspielraum zu 115• Bei dieser "Endkontrolle" sei allerdings darauf zu achten, daß nicht ein und derselbe Gesichtspunkt für die beiden Wertungen Dazu unten D. I. Unterabschnitt III. 3. e) bb) (c). Nach Bernardi ist die Grenze der Zumutbarkeit erreicht, wenn die Um- und Versetzung einer Vielzahl von Arbeitnehmern erforderlich ist, um einen leidensgerechten Arbeitsplatz freizumachen, NZA 1999, S. 683, S. 685. 114 Std. Rspr.: BAG v. 07.10.1954 AP Nr. 5 zu § 1 KSchG; v. 20.10.1954 AP Nr. 6 a.a.O.; v. 25.6.1964 AP Nr. 14 a.a.O.; v. 22.2.1980 AP Nr. 6 zu§ 1 KSchG 1969; v. 09.04.1987 AP Nr. 18 a.a. O.; 16.2.1989 AP Nr. 20 a.a.O.; v. 29.07.1993 AP Nr. 27 a.a. O.; KR-Etzel, § 1 KSchG Rdz. 221; Meise!, ZfA 1985, S. 227. In AP Nr. 71 zu § I KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung (v. 05.10.1995) läßt das Gericht dahingestellt, ob eine an Hand berechtigter betrieblicher Bedürfnisse gemäß S. 2 getroffene Auswahl zusätzlich der Kontrolle des§ 315 BGB zu unterwerfen ist unter II. 3. c). 112

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I. Abschn.: III. Bestandsschutz durch das Kündigungsschutzgesetz

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herangezogen werde 116• Das hat Widerspruch erfahren 117• Die Kritiker bemängeln, daß diese zusätzliche Interessenahwägung contra Iegern erfolge; man könne nur rätseln, wie das Gericht 118 dieses Erfordernis in § 1 Abs. 2 KSchG finden konnte 119• Herschel hat eingewendet, eine Interessenabwägung, die die gesetzliche Abwägung überschreitet, entziehe § l KSchG Systematik und Rationalität; die Kündigung werde unkalkulierbar 120• Ob diese Zusatzwertung mit dem Gesetz vereinbar ist, wenn bereits das Vorliegen eines Kündigungsgrundes grundsätzlich zu bejahen ist, ist mithin umstritten und bedarf schon deshalb einer eingehenderen Untersuchung, weil die zusätzliche Interessenahwägung die Unsicherheit über den schließliehen Ausgang des Prozesses über die Kündigung, die zu dem lauten Ruf nach Abbau des Kündigungsschutzes geführt hat, weiter verstärkt. (2) Ansicht von Huecklv. Hoyningen-Huene Hueck/v. Hoyningen-Huene 121 begründen die Kritik mit der Entstehungsgeschichte des Gesetzes; danach 122 sollte der Schutz des Gesetzes eingreifen, wenn einer der in Abs. 2 KSchG genannten Gründe nicht vorliegt, "ohne daß noch für eine Abwägung Raum wäre, ob der Verlust des Arbeitsplatzes aus sonstigen, außerhalb des Arbeitsverhältnisses liegenden Gründen den Arbeitnehmer mehr oder weniger hart treffen würde". Dieses Argument kann jedoch nicht überzeugen. Die zitierte Stelle bezieht sich auf den Rechtszustand, der durch das Kündigungsschutzgesetz abgelöst werden sollte; gemeint war dort eine Interessenahwägung zulasten des Arbeitnehmers, wenn feststand, daß ein Kündigungsgrund nicht vorlag, aber wegen der (guten) wirtschaftlichen Lage des Arbeitnehmers trotzdem angenommen wurde, die Kündigung sei für ihn keine "unbillige Härte" 123 . Die hier zu besprechende Interessenahwägung als Prinzip des Kündigungsschutzes wird 115 BAG v. 12.08.1976 AP Nr. 3 zu§ I KSchG 1969 unter li.; v. 07.03.1980 AP Nr. 9 zu § I KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung. 116 Otto, Anm. BAG v. 25.11.1982 in EzA § I KSchG Krankheit Nr. 10 unter 5. 117 Güntner, ArbuR 1974, S. 135, 143f.; Bötticher, FS für Erich Molitor (1962) S. 123, S. 128ff.; Hersehe!, DB 1973, S. 80; ders. DB 1984, S. 1527; Coen, ArbuR 1984, S. 320; Preis, Prinzipien S. 221; Joost, Anm. zu BAG v. 15.2.1984 in EzA § I KSchG Krankheit Nr. 15 unter 4. IIS BAG v. 15.2.1984 a.a.O. 119 Joost, Anm. zu BAG v. 15.2.1984 in EzA § I KSchG Krankheit Nr. 15 unter 4.; Peterek, Anm. zu BAG v. 02.11.1983 EzA § I KSchG Krankheit Nr. 13 unter 3.; Wank, RdA 1987 S. 129, S. 144. 120 DB 1984, S. 1523, S. 1524. 121 § I KSchG Rdz. 136; siehe Preis, Prinzipien S. 201 f. 122 RdA 1951, S. 61, S. 63. 123 Siehe oben D. I. Abschnitt III. I.

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Teil D: Die Gewährleistungen der Grundrechte und ihre Umsetzung

dagegen zugunsten des Arbeitnehmers vorgenommen und kann die Kündigung sozialwidrig machen, obwohl ein Kündigungsgrund als solcher bejaht werden muß. Damit verfolgen beide "Interessenabwägungen" gegensätzliche Ziele, so daß von der ausdrücklichen Abkehr der einen nicht auf die Unzulässigkeil der anderen geschlossen werden kann. (3) Ansicht von Preis

Preis vertritt die vermittelnde Ansicht, daß eine Interessenahwägung grundsätzlich erforderlich sei, nur im Rahmen der betriebsbedingten Kündigung sei sie nicht statthaft. Der Gesetzgeber habe bei der betriebsbedingten Kündigung durch das Merkmal der "dringenden betrieblichen Erfordernisse" sowie durch die Notwendigkeit der Sozialauswahl eine konkrete Wertentscheidung getroffen, so daß für eine zusätzliche richterliche Interessenahwägung kein Raum mehr sei. Bei verhaltens- und personenbedingten Kündigungen fehle es hingegen an einer gesetzgebensehen Konfliktlösung, so daß eine richterliche Abwägung der widerstreitenden Interessen erforderlich sei 124. (4) Spätere Ansicht des Bundesarbeitsgerichtes

Das Bundesarbeitsgericht selbst hat später die Anwendungsfälle der Interessenabwägung125 eingeschränkt. Nunmehr gilt, daß bei einer an sich betriebsbedingten Kündigung eine weitere Interessenahwägung zugunsten des Arbeitnehmers nur in seltenen Ausnahmefallen in Frage kommt. Solche "Härtefalle" seien dann anzunehmen, wenn der Arbeitnehmer aufgrund persönlicher Umstände besonders schutzwürdig sei; hier könne dann eine zumeist nur vorübergehende Weiterbeschäftigung dem Arbeitgeber zumutbar sein. Allerdings wurde ein solcher Härtefall, der den Arbeitgeber unter Umständen verpflichten kann, den Arbeitnehmer vorübergehend (und nur kurze Zeit) weiterzubeschäftigen, noch nicht entschieden. Es mag sein, daß es sich hierbei um ein Rückzugsgefecht des zweiten Senats gehandelt hat. Damit entspricht die Auffassung des Bundesarbeitsgerichts weitgehend der Meinung von Preis. Von den Befürwortem der allgemeinen Interessenahwägung wurde diese Schwenkung des Bundesarbeitsgerichtes kritisiert, sie sehen insoweit den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verletzt. Aus dem Merkmal der "dringenden" betrieblichen Erfordernisse, so ihr Argument, 124 Preis, Prinzipien S. 221 f. und NZA 1997, S. 1073, S. 1078; zustimmend MünchArbR/Berkowsky, § 134, Rdz. 47. 125 BAG v. 30.04.1987 AP Nr. 42 zu § I KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung; v. 18.01.1990 Nr. 27 zu § 2 KSchG 1969; ErfK-Ascheid, § I KSchG Rdz. 462; MüKo-Schwerdtner, § 622 BGB Anhang Rdz. 386.

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folge das Erfordernis einer Verhältnismäßigkeitsprüfung 126, die neue Rechtsprechung bedeute dagegen die Anerkennung eines absoluten Kündigungsgrundes und verlasse damit die Konzeption des Gesetzes einer einzelfallbezogenen Prüfung. Dies sei keine Frage der schlichten Auslegung des Gesetzes, sondern der gebotenen Berücksichtigung der Vorgaben des Art. 12 Abs. 1 GG 127 . Preis hat dem wiederum mit Recht entgegengehalten, durch die Tatbestände der betriebsbedingten Kündigung habe der Gesetzgeber ausreichend Raum für die Berücksichtigung des Einzelfalles gelassen und die Reichweite des Art. 12 Abs. 1 GG insoweit selbst bestimmt 128• (5) Stellungnahme

Die Unterscheidung der betriebsbedingten von den anderen Kündigungsgründen ist zunächst ein interessengerechter Ansatz. Es sollte bei der Kritik an der Interessenahwägung als solcher und an ihrer dogmatischen Eingliederung in die Tatbestandsvoraussetzungen berücksichtigt werden, daß bei der Schaffung des Gesetzes der Gesetzgeber die Frage offenließ, was unter "personenbedingten", bzw. "verhaltensbedingten" Gründen zu verstehen sei. Die Rechtsprechung wurde aufgefordert, rechtssatzförmige Voraussetzungen zu entwickeln. Hierfür mußte diese eine Lösung suchen, die einen angemessenen Ausgleich für die einander widerstreitenden Interessen aus Art. 12 Abs. 1 GG und Artt. 12 Abs. 1 und 14 Abs. 1 GG bietet. Seit 1954 vertritt das Bundesarbeitsgericht die Annahme, daß beispielsweise der Kündigungsgrund "personenbedingt" eine erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher oder vertraglicher Interessen erfordert. Diese rein objektive Feststellung der Beeinträchtigung begünstigt die Belange der Arbeitgeber. Für den Ausgleich bedurfte es mithin weiterer Kriterien, die auch das Interesse des Arbeitnehmers stärker berücksichtigen. Deshalb hielt das Bundesarbeitsgericht eine zusätzliche Interessenahwägung für erforderlich, um den Umständen des Einzelfalls gerecht zu werden. Es kann unterstellt werden, daß die Diskussion um die Interessenahwägung in dieser Form nicht entbrannt wäre, hätte das Bundesarbeitsgericht 1954 nicht das Erfordernis der isolierten Interessenahwägung bejaht, sondern direkt, den Ausgleich der Interessen formulierend, festgestellt: "Die personenbedingte Kündigung erfordert eine erhebliche Beeinträchtigung betrieblicher oder vertraglicher Interessen des Arbeitgebers, die gewichtiger als die Interessen des Arbeitnehmers einzustufen sind." Trotz der dogmatischen Fragwürdig126 127 128

Kittner/Däubler/Zwanziger, § I KSchG Rdz. 293. Kittner/Däubler/Zwanziger, § I KSchG Rdz. 294. Preis a. a. 0.

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keit einer zusätzlichen Interessenahwägung wäre eine rein objektive Betrachtungsweise nicht zu vertreten; der damit verbundene Gewinn an Rechtssicherheit wäre durch die im Einzelfall drohende Ungerechtigkeit auf Kosten des Arbeitnehmers zu teuer erkauft, selbst wenn in letzter Zeit der Rechtssicherheit (= Voraussehbarkeit des Ausgangs eines Kündigungsschutzprozesses) vom Gesetzgeber manche Konzessionen gemacht werden. Vielmehr besteht Einigkeit, daß bei der Prüfung der Rechtswirksamkeit der Kündigung der Einzelfall berücksichtigt werden muß. Löwisch 129 löst das Problem beispielsweise über den Gedanken der ultima ratio: "Da die personenbedingte Kündigung die Fälle betrifft, in denen der Arbeitnehmer eine Arbeitsleistung nicht oder nicht mehr ordnungsgemäß erfüllen kann, ohne daß ihn hieran ein Verschulden trifft, wäre es unverhältnismäßig, wenn der Arbeitgeber kündigen würde, obwohl es einen ihm zurnutbaren Weg gibt, um erbrachte und geschuldete Arbeitsleistung wieder in Einklang zu bringen." Ähnliche Überlegungen lassen sich zur verhaltensbedingten Kündigung anführen, für sie gilt dasselbe. bb) Erhebliche Umstände der Abwägung Problematisch ist allerdings, welche Merkmale bei der Interessenahwägung berücksichtigt werden dürfen. Die Mitberücksichtigung aller denkbaren Billigkeitserwägungen 130 führt zu weit, da die damit verbundene Unsicherheit über das Schicksal der Kündigung den Arbeitgeber zu stark belasten würde. Die Interessenahwägung bei der personenbedingten und verhaltensbedingten Kündigung hat sich auf die Umstände zu beschränken, deren Ursprung und Auswirkungen sich im Arbeitsverhältnis finden. Es ist eine "normativ strukturierte Interessenabwägung" vorzunehmen 131 . Damit ist gemeint, daß nur solche Kriterien berücksichtigt werden können, die arbeitsvertraglich relevante Umstände betreffen. Überlegungen, die ausschließlich der privaten Sphäre von Arbeitnehmer und Arbeitgeber zuzurechnen sind, haben außer Betracht zu bleiben. Für den Arbeitnehmer kommt es in erster Linie auf die Dauer seiner Betriebszugehörigkeit an. Mit Zurückhaltung wird z. B. das Lebensalter bewertet. Erst wenn der personenoder verhaltensbedingte Kündigungsgrund berufs- und altersbedingt ist, spielt das Lebensalter eine Rolle. Es erhält also erst durch die Gesamtbetrachtung mit der Betriebszugehörigkeit seinen Stellenwert bei der lnteressenabwägung132. Noch weniger ist z. B. die familiäre Situation zu berückArbeitsrecht Rdz. 1348. So aber KR-Etzel, § I KSchG Rdz. 233. 131 KR-Hillebrecht, 4. Autl., § 626 Rdz. 184aff.; Preis, NZA 1997, S. 1073, s. 1078. 132 Preis, Prinzipien S. 232. 129 130

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sichtigen. Sie ist im Arbeitsverhältnis ohne Bedeutung und hat regelmäßig keinen Einfluß auf den Kündigungsgrund gehabt 133 • Ob Unterhaltsverpflichtungen berücksichtigt werden dürfen, ist eine schwierige Frage. Sie nehmen einen besonderen Platz bei der betriebsbedingten Kündigung ein, was wiederum ein Ausfluß des Gebots der Sozialstaatlichkeit aus Artt. 20 Abs. I, 28 Abs. I GG ist. Die Vorstellung, daß Kündigungsschutz besonders da geboten ist, wo sonst materielle Not droht, findet deshalb einen Widerschein in der sozialen Auswahl, § I Abs. 3 KSchG. Wenn der Arbeitgeber sich bei der betriebsbedingten Kündigung auf das in Art. I4 Abs. I GG verankerte Recht als Unternehmer stützen darf, kann die soziale Bindung des Eigentums, nämlich Ausübung zum Wohle der Allgemeinheit (Art. I4 Abs. 2 GG), nicht außer Betracht bleiben. Bei personen- und verhaltensbedingten Gründen spielen diese Aspekte eine untergeordnete Rolle. Hier steht im Vordergrund, daß der Kündigungsgrund aus der Sphäre des Arbeitnehmers stammt und diesen dafür deshalb eine größere Verantwortlichkeit trifft. Unterhaltsverpflichtungen weisen hier keinen arbeitsvertragliehen Bezug auf134 . Ebenfalls unberücksichtigt hat die allgemeine wirtschaftliche Lage des Arbeitnehmers zu bleiben. Eine saubere Abgrenzung zu bestehenden Unterhaltsverpflichtungen wäre sowieso kaum möglich. Die Vermögenslage kann nicht mitbestimmend dafür sein, ob dem Arbeitgeber nach dem Gesetz ein Kündigungsgrund zusteht 135 • Diese Einschätzung läßt sich auch aus der historischen Entwicklung des Kündigungsschutzes begründen. Das BRG I920 stellte auf die "unbillige Härte" der Kündigung ab. Es kam auf die wirtschaftliche Situation des Gekündigten an, auf die Not, in die er durch den Verlust des Arbeitsplatzes geraten würde. Daraus ergab sich, daß eine willkürliche Kündigung wirksam und unanfechtbar wurde, wenn der Verlust des Einkommens auf anderem Wege, etwa durch einen gut verdienenden Ehepartner oder ein eigenes Vermögen, ausgeglichen werden konnte 136. Von dieser Vorstellung hat sich der Gesetzgeber I951 gelöst. Liegt kein Kündi133 Zu den Ausnahmen insbesondere im Tendenzbetrieb, unten D. 2. Unterabschnitt II. 134 Die Frage kann allerdings vernachlässigt werden; Preis hat nachgewiesen, daß in der Praxis die Unterhaltsverpflichtungen bei personen- und verhaltensbedingten Kündigungen im Rahmen der Interessenahwägungen keine ausschlaggebende Rolle spielen, Preis, Prinzipien S. 233. 135 Preis, NZA 1997, S. 1073ff., S. 1078. 136 Zu Ende gedacht, gestattete diese Formel die Austauschkündigung zugunsten des sozial Schwächeren, etwa des Junggesellen zugunsten des/der Arbeitslosen, der/ die eine Familie zu ernähren hat. In letzter Konsequenz ließe sich damit eine Rotation auf den Arbeitsplätzen begründen, um jeden Arbeitslosen zeitweise in Arbeit zu bringen und damit vor allem der beruflichen (und allgemein-menschlichen) Oequalifikation entgegenzuwirken, die mit der Langzeitarbeitslosigkeit verbunden ist.

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gungsgrund vor, dann kommt es auf eine zusätzliche Abwägung, ob der Verlust des Arbeitsplatzes den Arbeitnehmer hart treffen würde, nicht an. Diese Erwägungen sind erweiterbar und auf den umgekehrten Fall übertragbar. Liegt ein verhaltens- oder personenbedingter Kündigungsgrund vor, so können wirtschaftliche Umstände nicht dafür den Ausschlag geben, die Kündigung dennoch als sozialwidrig anzusehen. 3. Einzelne Kündigungsgründe

Neben den allgemeinen Abwägungskriterien für die Wirksamkeit einer Kündigung sind nunmehr die speziellen gesetzlichen Voraussetzungen des Kündigungsschutzgesetzes im Hinblick auf die Konkordanz der Rechte des Arbeitnehmers aus Art. 12 Abs. I und des Arbeitgebers aus Artt. 12 Abs. I und 14 Abs. I GG zu prüfen. Die Kündigung vermag das Arbeitsverhältnis nur aufzulösen, wenn sie im Sinne des § l Abs. 2 S. l KSchG sozial gerechtfertigt ist. "Soziale Rechtfertigung" ist ein rechtstechnischer Begriff137, der in § l Abs. 2 und 3 KSchG mit den personen-, verhaltens- und betriebsbedingte Gründen näher beschrieben ist. Es sind dies unbestimmte, aber hinreichend bestimmbare Begriffe, die der richterlichen Konkretisierung bedürfen 138 • Für sie hat die Rechtsprechung im Laufe der Zeit rechtssatzförmige Voraussetzungen entwickelt. Alle Kündigungsgründe setzen einen objektiv nachprüfbaren Grund voraus. Alle Gründe müssen, um vor Art. 12 Abs. l GG Bestand zu haben, arbeitsvertrags- oder betriebsbezogen sein 139 und dürfen die Rechte des Arbeitnehmers nicht unangemessen benachteiligen. a) Personenbedingte Gründe der Kündigung

aa) Krankheit Die meisten Fälle, bei denen personenbedingte Kündigungen ausgesprochen werden, stehen im Zusammenhang mit einer Krankheit des Arbeitnehmers, und zwar als langandauernde Krankheit oder als häufige Kurzerkrankung140. Die Krankheit an sich begründet kein Kündigungshindemis 141 , wie § 8 EntgeltfortzahlungsG, der die Entgeltfortzahlung bei einer Kündigung 137 BAG v. 12.10.1979 AP Nr. 7 zu § I KSchG Betriebsbedingte Kündigung unter III. 138 Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung und Kündigungsschutz, Rdz. 613. 139 Preis, Prinzipien S. 227 ff. 140 Hueck/v. Hoyningen-Huene, § I KSchG Rdz. 217ff.; Lepke, Kündigung bei Krankheit, Rdz. 82 ff. 141 Schmitt, EFZG, § 8 Rdz. 2.

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"aus Anlaß der Arbeitsunfähigkeit" anordnet, beweist. Kündigungsgrund ist andererseits auch nicht die Krankheit als solche, sondern wiederum die Prognose, daß die Wiederherstellung der Arbeitsfähigkeit in zurnutbarer Zeit nicht zu erwarten ist bzw. die vielfachen Unterbrechungen wegen immer wieder neuer Krankheiten nicht aufhören werden 142. Einschlägig ist hier das Organisationsinteresse des Arbeitgebers, die Ungewißheit über die endgültige bzw. störungsfreie Besetzung des Arbeitsplatzes zu beenden. Es wurde oben 143 bereits dargelegt, welche Anforderungen an die Sicherheit der Prognose zu stellen sind, um den verfassungsrechtlich gebotenen Ausgleich zwischen den beteiligten Interessen aus Art. 12 Abs. I und Artt. 12 Abs. 1 und 14 Abs. 1 GG sicherzustellen. Das besondere Problem, welche Anforderungen an die Konkordanz der beteiligten Interessen zu stellen ist, wenn sich die Prognose während des Laufs der Kündigungsfrist als falsch bewahrheitet, wird im Rahmen des Wiedereinstellungsanspruchs erörtert 144. Bei der langanhaltenden Krankheit spielt das finanzielle Interesse des Arbeitgebers als Kündigungsgrund keine Rolle. Seine Entgeltpflicht endet nach sechs Wochen; daß sie dem Arbeitgeber während dieser Zeit zuzumuten ist, ergibt sich aus dem Gesetz, § 3 Abs. 1 EntgeltfortzahlungsG. Der Gesetzgeber hat mithin für diesen Bereich seine Gestaltungsmacht eingesetzt und diesen Aspekt des Interessenkonfliktes gelöst. Anhaltspunkte dafür, daß er dabei seinen weiten Entscheidungsspielraum überschritten hat, ergeben sich nicht. Zweifel melden sich dagegen bei den häufigen Kurzerkrankungen, bei denen, wenn es sich um verschiedene Krankheiten handelt, bei einer jeden die Sechswochenfrist der Entgeltfortzahlung erneut einsetzt145. Das kann zu nicht mehr tragbaren Belastungen des Arbeitgebers führen, aus denen dann die Gerichte die Befugnis zur Kündigung ableiten146. Die Interessen der Arbeitgeber gehen dann vor.

BAG v. 12.04.1984, DB 1985, S. 873f. Siehe oben D. I. Unterabschnitt III. 2. a). 144 Siehe unten D. I. Unterabschnitt V. 145 Zur näheren Bestimmung der "anderen Erkrankungen": Schmitt, EFZG, § 3 Rdz. 194ff. 146 BAG v. 05.07.1990 AP Nr. 26 zu § I KSchG Krankheit, es ging um Kosten der Lohnfortzahlung in Höhe von 57.264,69 DM in acht Jahren; LAG Hamm v. 15.12.1981 DB 1982, S. 283, das von einem "eklatanten Mißverhältnis zwischen Leistung und Gegenleistung" spricht; Allgemein Lepke, Kündigung bei Krankheit, Rdz. 103ff. 142 143

7 Gamillschcg

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( 1) Ultima ratio Prinzip

Der ultima ratio Grundsatz greift auch hier ggfs. für einen angemessenen Interessenausgleich korrigierend ein. Das wirkt sich bei der Möglichkeit der Versetzung auf einen Arbeitsplatz aus, bei dem die Krankheit, etwa eine körperliche Behinderung, keine Rolle spielt (Handarbeiter wird Portier). Setzt der neue Arbeitsplatz die Umsetzung eines dort beschäftigten Arbeitnehmers voraus, so kommt es zunächst darauf an, ob der Arbeitgeber die Versetzung kraft Weisungsrechts anordnen kann. Ist dies nicht der Fall, müßte er vielmehr eine Änderungskündigung aussprechen, so ist dieser Weg versperrt; den Platz zur Vermeidung einer Kündigung freizumachen, ist kein Grund, mit dem die Änderungskündigung begründet werden könnte 147 • Wird die Versetzung durch das Weisungsrecht gedeckt, ist weiter zu fragen, ob sie dem anderen Arbeitnehmer zurnutbar ist. Dies wiederum wird davon beeinflußt, mit welcher Härte die Kündigung den erkrankten Arbeitnehmer sonst treffen würde. Insoweit spielt die Solidarität der Arbeitnehmer untereinander eine Rolle. Im Rahmen des Einzelfalles sind hier mithin neben den Interessen des erkrankten Arbeitnehmers und des Arbeitgebers besonders auch die Rechte der Kollegen berührt, die durch die Versetzung Änderungen der Arbeitsbedingungen hinnehmen müssen. Ihre Belange sind in die Abwägung miteinzubeziehen. Welches Ergebnis zu treffen ist, kann nicht allgemeingültig formuliert werden, dafür sind zu sehr die Umstände des Einzelfalls entscheidend. (2) Interessenahwägung

Wann das Gegeninteresse des Arbeitgebers das Bestandsinteresse überwiegt, kann ebenfalls nicht abstrakt formuliert werden. Ein Lehrsatz "nach acht/zwölf/vierzehn Wochen kann gekündigt werden" kann nicht aufgestellt werden. Hier setzt vielmehr die Interessenabwägung 148 ein, wobei das existentielle Recht des Arbeitnehmers, seinen Arbeitsplatz nicht vorzeitig zu verlieren (Art. 12 Abs. 1 GG) gegen das Interesse des Arbeitgebers (Artt. 12 Abs. 1 und 14 Abs. 1 GG) und der Kollegen (jeweils Art. 12 Abs. 1 GG) an einem ungestörten Betriebsablauf abzuwägen ist. Wenn die Krankheit eine Dauer erreicht hat oder mit Sicherheit erreichen wird, die unter gewöhnlichen Umständen, "im Normalfall", die Kündigung rechtfertigt, ist zu prüfen, ob weitere Umstände des Sachverhalts der Kündigung trotzdem noch entgegenstehen. Ein solcher Gesichtspunkt ist z. B. die längere Betriebszugehörigkeit, insbesondere dann, wenn die Arbeit schwer 147 K. Gamillscheg, Anm. zu BAG v. 29.01.1997 SAE 1998, S. 17, S. 21; siehe LAG Hamm v. 20.01.2000, NZA- RR 2000, S. 239. 148 Hueck/v. Hoyningen-Huene, § 1 KSchG Rdz. 235 ff.

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war, so daß ein ursächlicher Zusammenhang mit dem Verschleiß der Kräfte im Dienste des Unternehmens naheliegt Ein anderer solcher Umstand ist etwa die Tatsache, daß die Krankheit Spätfolge eines Arbeitsunfalls oder einer Berufskrankheit ist 149 • Hier erscheint als Zurechnungsgrund, daß die Krankheit aus der Verantwortungssphäre des Arbeitgebers stammt und er deshalb hinnehmen muß, daß sein Recht im Rahmen der Interessenahwägung weniger Gewicht hat. Daß Arbeitsunfall und Berufskrankheit seiner Sphäre zuzurechnen sind, ergibt sich aus der alleinigen Kostentragungspflicht des Arbeitgebers für die Unfallversicherung, die sogar einen vom Arbeitnehmer grob fahrlässig selbst herbeigeführten Unfall noch abdeckt 150. Für die vielfachen Kurzerkrankungen gelten entsprechende Überlegungen. Allerdings spielt zusätzlich eine Rolle, ob dem Arbeitgeber die Entgeltfortzahlung finanziell weiterhin zurnutbar ist. Eine Gefährdung für die Existenz des Betriebs trifft den Unternehmer in dem Kernbereich seiner unternehmerischen Freiheit, die in Artt. 12 Abs. I, I4 Abs. I GG verankert ist und in der Abwägung ein höheres Gewicht verlangt. Gewichtig sind hier ebenso die Rechte der anderen Arbeitnehmer, die ein existentielles Interesse an dem Erhalt ihrer Arbeitsplätze haben, das wiederum eine Schutzpflicht aus Art. I2 Abs. I GG begründet. bb) Alter Das Erreichen eines bestimmten Lebensalters ist nach der Rechtsprechung für sich genommen kein Kündigungsgrund 151 • Es ist allerdings ein Interesse des Unternehmers zu berücksichtigen, das wiederum unter dem Schutz von Artt. I2 Abs. 1 und I4 Abs. I GG steht, den Arbeitsplatz freizumachen, damit jüngere Kräfte aufrücken können; ein vernünftiger Altersaufbau im Unternehmen kann für dessen Erfolg vielfach auf Dauer unerläßlich sein; der gekündigte Arbeitnehmer könnte schließlich durch das Altersruhegeld angemessen versorgt sein. Besonders werden diese Überlegungen bei Angehörigen des mittleren oder gehobenen Managements angestellt. Die Kündigung wegen eines höheren Alters stützt sich auf die Erfahrung, 149 BAG v. 06.09.1989 AP Nr. 22 zu § I KSchG 1969 Krankheit (2. LS).; ebenso sollen Schwerbehinderung und Unterhaltspflichten in die Interessenahwägung einfließen, BAG NZA 2000, S. 768; Pflüger, DB 1995, S. 1761 ff. 150 Auf das Betriebsrisiko als Zurechnungsgrund ist hier im einzelnen nicht einzugehen. Seine wichtigsten Anwendungsbereiche sind die Betriebsrisikolehre bei der Verteilung des Lohnrisikos zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer, wenn die Arbeit ohne Verschulden einer Seite unmöglich wird, dazu MünchArbR/Boewer, § 79, und bei der Haftung des Arbeitnehmers für Schäden, die er dem Arbeitgeber zugefügt hat, MünchArbR/Blomeyer, § 59. 151 BAG v. 28.09.1961 AP Nr. I zu § I KSchG Personenbedingte Kündigung; Kittner/Däubler/Zwanziger, § I Rdz. 117.

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daß die Arbeitsfähigkeit typischerweise im Alter nachläßt (Verschleißtatbestand). Der Verschleiß als solcher ist ein eigenständiger personenbedingter Kündigungsgrund 152• Der Arbeitnehmer will seinen Arbeitsplatz freilich nicht wegen der Abnahme seiner körperlichen und geistigen Kräfte verlieren, und darin ist er von der Rechtsordnung grundsätzlich wegen der Schutzpflicht aus Art. 12 Abs. 1 GG auch zu schützen. Wie dieser Konflikt zu lösen ist, hängt davon ab, ob der Gesetzgeber bereits durch die Ausübung seines Gestaltungsspielraums die Frage entschieden hat. Nach § 41 Abs. 4 SGB VI kann eine Kündigung nicht darauf gestützt werden, daß der Arbeitnehmer Altersruhegeld beziehen könnte. § 41 SGB VI schließt indessen die Kündigung wegen des Erreichens des Pensionsalters nicht grundsätzlich aus. Die Vorschrift verbietet nur, daß die Kündigung ausschließlich auf diesen Umstand gestützt wird. Deshalb zwingt sie nicht dazu, eine Kündigung zur Durchsetzung eines vernünftigen Altersaufbaus grundsätzlich zu verneinen, wenn dieser im Unternehmen in der Tat eine Rolle spielt und damit die Kraft dringender betrieblicher Erfordernisse besitzt. Dies muß der Arbeitgeber freilich vortragen und beweisen. Eine besondere Rolle spielen in diesem Bereich die Tarifverträge. Die Einführung von Altersgrenzen in Tarifverträgen, die das Arbeitsverhältnis automatisch erlöschen lassen, ist allgemein anerkannt 153 , ein Beispiel ist § 60 BAT. Zu den genannten Gründen kommt hier die besondere Bedeutung der Tarifautonomie gemäß Art. 9 Abs. 3 GG, die der Rechtsordnung grundsätzlich die Achtung ihrer Regelungen abverlangt. Die Elemente der Abwägung der praktischen Konkordanz sind mithin auf der einen Seite das Interesse des Arbeitnehmers aus Art. 12 Abs. 1 GG, das im Alter nicht weniger geschützt ist als in jüngeren Jahren, auf der Gegenseite das Interesse des Arbeitgebers an einem unternehmensgerechten Altersaufbau der Belegschaft, in gewissen Fällen die Sicherheit dritter Personen, bei tariflichen Altersgrenzen der grundsätzliche Vorrang der Tarifautonomie sowie die durch sie hergestellte Rechtssicherheit Einige Entscheidungen 154 haben allerdings für die Wirksamkeit der Vertragsbeendigung darauf abgestellt, ob der Übergang in den Ruhestand durch ein betriebliches Ruhegeld abgefedert wird. Darauf sollte es jedoch nicht ausschließlich ankommen dürfen. Eine Betriebsvereinbarung besitzt nicht die Kraft, dem Arbeitnehmer ein Recht, das ihm Art. 12 Abs. 1 GG verleiht, wieder zu entziehen. Zudem sind die betrieblichen Ruhegelder in ihrer Höhe ganz unterschiedlich. Eine Minirente könnte den Verlust des Arbeitsplatzes nicht ausgleichen. Dann ist Hueck/v. Hoyningen-Huene, § I KSchG Rdz. 253. Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I S. 679ff.; Krit. MünchArbR/Löwisch/ Rieble, § 259 Rdz. 94. 154 BAG v. 28.09.1961 AP Nr. I zu § I KSchG Personenbedingte Kündigung; v. 25.03.1971 AP Nr. 5 zu § 57 BetrVG (1952). 152

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dem Richter aber nicht zuzumuten, die Grenze zur sozialgerechten Kündigung im Kündigungsschutzprozeß bei irgend einem Betrag zu ziehen. Die Gefährdung der Rechtssicherheit wäre zu groß. In der Fülle der Einzelheiten, die der Richter bei der praktischen Konkordanz zu beachten hat, verdient ein besonders hohes Ruhegeld jedoch Berücksichtigung. cc) Ausländer Die Kündigung ist sozialgerecht, wenn dem Arbeitnehmer die rechtliche Möglichkeit der Arbeit fehlt. Das ist bei einem Ausländer der Fall, dessen Arbeitserlaubnis, §§ 284ff. SGB III, abgelaufen und deren Verlängerung nicht zu erwarten ist. In Anwendung des ultima ratio Grundsatzes ist die Kündigung jedoch sozialwidrig, solange die Verlängerung als möglich erscheint und dem Arbeitgeber zugemutet werden kann, dies abzuwarten und den Bedarf in anderer Weise zu decken 155 • Bei der Abwägung dieser Umstände spielt ebenso eine Rolle, wieweit der Arbeitnehmer sich selbst um die Erlaubnis bemüht 156• Diese Ausführungen gelten freilich nicht für Staatsangehörige der Mitgliedstaaten der Europäischen Union, da sie bezüglich der Beschäftigungs- und Arbeitsbedin. gungen, insbesondere bei Kündigungen, nicht unterschiedlich von inländischen Arbeitnehmern behandelt werden dürfen (Art. 39 Abs. 2 Amsterdamer Vertrag).

Von der Kündigung wegen der abgelaufenen Arbeitserlaubnis sind die Fälle zu unterscheiden, bei denen die Arbeitserlaubnis schon bei Einstellung fehlt und mit ihr nicht gerechnet werden kann. Hier ist der Arbeitsvertrag nichtig, § 134 BGB, sogenannte Ausländerschwarzarbeit Einer Kündigung bedarf es nicht. Dennoch entsteht in diesem Fall ein faktisches Arbeitsverhältnis, unabhängig von einer etwaigen Strafbarkeit (§§ 92 Abs. I Nr. 3 iVm § 14 Abs. 2 S. 2 oder 56 Abs. 3 S. 3 AuslG) der Beteiligten. Der Arbeitnehmer kann den Lohn verlangen, den er bei ordnungsgemäßem Arbeitsvertrag verdient hätte, allerdings ist dies keine Ableitung aus dem Schutzgedanken des Art. 12 Abs. I GG, sondern dient allein der Bekämpfung der Ausländerschwarzarbeit Würde man anders entscheiden, so hätte der Arbeitgeber den Vorteil seiner rechtswidrigen und strafbaren Handlung und würde hierzu nur noch mehr animiert.

155

gung. 156

BAG v. 07.02.1990 AP Nr. 14 zu§ I KSchG 1969 Personenbedingte KündiLöwisch, § I KSchG Rdz. 199.

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b) Verhaltensbedingte Kündigung 157 aa) Verhaltensbedingte Gründe

( 1) Art der Störung Die Kündigung kann auch auf verhaltensbedingte Gründe gestützt werden. Verhaltensbedingt ist eine Kündigung, wenn der Arbeitnehmer für Störungen im Leistungsbereich, im betrieblichen Bereich, im Vertrauensbereich oder im Unternehmensbereich verantwortlich ist. Der betriebliche Bereich wird noch in die Unterbereiche der Störung der Betriebsordnung, des Betriebsfriedens und des Betriebsablaufes aufgegliedert 158 . Für die verhaltensbedingte Kündigung ist entscheidend, daß der Arbeitnehmer seine Vertragspflicht verletzt hat. Er verwirkt damit den Schutz durch Art. 12 Abs. 1 GG, und die Interessen des Arbeitgebers erlangen in der Abwägung mehr Gewicht. Welche Pflichten das sind, ergibt sich aus dem Arbeitsvertrag und dem Gesamtbild der von ihm übernommenen Tätigkeit. Deshalb setzt die Kündigung in der Regel Verschulden voraus. Fehlt es an der Verschuldensfahigkeit, so ist die Kündigung dennoch sozialgerecht, wenn weitere solche Vorkommnisse zu befürchten sind und die betriebliche Ordnung dadurch ernstlich gestört würde 159 • Eine besondere Verschiebung innerhalb der praktischen Konkordanz zugunsten des Bestandsschutzes und, damit verbunden, im Interesse der Betriebsverfassung 160 ergibt sich aus der Bewertung eines Fehlverhaltens im Zusammenhang mit der Ausübung des Betriebsratsamtes. Grundsätzlich sind Amtspflicht und Arbeitspflicht des Betriebsratsmitglieds voneinander zu trennen. Verletzung der Amtspflicht rechtfertigt nur die Enthebung vom Amt, § 23 Abs. 1 BetrVG, Verletzung der Arbeitspflicht nur (mit den Sicherungen des § 15 KSchG und § 103 BetrVG) die fristlose Entlassung (§ 626 Abs. 1 BGB). Bei der Bewertung wird jedoch berücksichtigt, daß eine in Ausübung des Amts begangene Verletzung des Arbeitsvertrags wegen dieses Zusammenhangs milder beurteilt wird, als wenn sie von einem Nichtamtsträger begangen wurde 161 • Es kommt darauf an, ob die Ausübung des Amtes für die Vertragsverletzung kausal geworden ist 162, Beispiel etwa 157 Vgl. Hueck/v. Hoyningen-Huene, § I KSchG Rdz. 270ff., 304ff.; Löwisch, § I KSchG Rdz. 82 ff., 114 ff. 158 BAG v. 26.05.1977 AP Nr. 5 zu § 611 Beschäftigungspflicht unter II. 6. b.; v. 04.11.1981 AP Nr. 4 zu § I KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung; v. 24.09. 1987 AP Nr. 19 zu § I KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung. 159 BAG v. 21.01.1999, DB 1999, S. 1400, S. 1401 bestätigt die insoweit bestehende gefestigte Rspr. 160 Hierbei handelt es sich allerdings um keine verfassungsrechtliche Position, dazu unten F.

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die Beleidigung des Arbeitgebers während einer heftigen Diskussion oder auf Flugblättern in Verfolgung betrieblicher Ziele 163 . Diese besondere Bewertung ist begründet. Es würde die Bereitschaft gerade von Menschen mit einfacher Bildung zur Übernahme des Amts schwächen, wenn sie fürchten müssen, daß ihre Art, sich auszudrücken, von einem Gericht als Vertragsverletzung angesehen werden könnte; es genügt schon, daß diese Sorge besteht, selbst wenn sie unbegründet ist. Eine Verletzung der Gleichbehandlung mit den anderen Arbeitnehmern oder eine Bevorzugung wegen des Amtes ist dies nicht. Die Besonderheit liegt darin, daß nur der Amtsinhaber (oder Wahlbewerber) in diese Gefahr geraten kann. Hat die Vertragsverletzung mit dem Amt nichts zu tun (Beispiel etwa ein Spesenbetrug), so bleibt es bei der Bewertung wie bei allen anderen Arbeitnehmern. (2) Betriebsbezogenheil der Störung

Der Vorgang, der zum Anlaß der Kündigung genommen wird, muß betriebsbezogen sein. Ein Verhalten in der Freizeit rechtfertigt in der Regel keine Kündigung. Das gilt etwa für intime Beziehungen zwischen Mitarbeitern, soweit sie das Betriebsklima nicht unangemessen belasten. Insoweit tritt neben den Schutz aus Art. 12 Abs. 1 GG der Schutz der persönlichen Entfaltung, Art. 2 Abs. 1 GG. Allerdings sind Ausnahmen zu beachten. Ein außerdienstliches Verhalten kann das Vertrauen des Arbeitgebers so nachhaltig belasten, daß dies eine Kündigung wiederum rechtfertigt. Ein Beispiel ist etwa eine Verurteilung eines Lehrers wegen eines Sittlichkeitsdeliktes 164• Stärkeren Bindungen seines Freizeitverhaltens ist der Arbeitnehmer im Tendenzbetrieb unterworfen. Werden sie vom Arbeitnehmer mißachtet, so tritt sein Recht aus Art. 12 Abs. 1 GG vor dem Schutz zurück, den die Rechtsordnung der Tendenzverwirklichung (Art. 140 GG/Art. 137 Weimarer Reichsverfassung) gewährt und die den allgemeinen Schutz der Arbeitgeberseite aus Artt. 12 Abs. I und 14 Abs. 1 GG verstärken. Das wurde bei kirchlichen Mitarbeitern von Bundesarbeitsgericht und Bundesverfassungsgericht mehrfach entschieden 165 • 161 BAG v. 16.10.1986 AP Nr. 95 zu § 626 BGB; Kittner/Däubler/Zwanziger, § 15 KSchG Rdz. 36. 162 BAG v. 11.12.1975 AP Nr. I zu§ 15 KSchG 1969. 163 Ähnlich wurde bei einem Mitglied des Aufsichtsrats entschieden, der in vermeintlicher Wahrnehmung seines Amtes die Verschwiegenheitsptlicht verletzt hatte; BAG v. 04.04.1974 AP Nr. I zu§ 626 BGB Arbeitnehmervertreter im Aufsichtsrat. 164 Hueck/v. Hoyningen-Huene, § I KSchG Rdz. 325; BAG v. 20.09.1984 AP Nr. 13 zu § I KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung. 165 Vgl. zu dem Fall des Arztes eines kirchlichen Krankenhauses, der sich in der Öffentlichkeit gegen die kirchlichen Vorstellungen zur Abtreibung gewandt hatte,

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bb) Ultima ratio ( 1) Versetzung

Die verhaltensbedingte Kündigung ist sozialwidrig, wenn sie durch eine dem Arbeitnehmer zurnutbare und von ihm gebilligte Versetzung vermieden werden kann. Ein Beispiel ist etwa ein feindseliges Verhalten des Arbeitnehmers zu einem Kollegen, das das Betriebsklima belastet, dem aber durch eine Versetzung in eine andere Abteilung der Boden entzogen wird. Hier gelten die oben für die personenbedingte Kündigung bereits angeführten maßgeblichen Abwägungskriterien für die Herstellung der praktischen Konkordanz entsprechend. Der Interessenschutz des Unternehmers tritt hinter dem existentiellen Interesse des Arbeitnehmers am Erhalt des Arbeitsplatzes zurück, wenn durch zurnutbare Umorganisation ein Zustand hergestellt werden kann, der einen geregelten Arbeitsablauf wieder gewährleistet und dem Arbeitgeber für seine Leistung eine adäquate Gegenleistung einbringt. (2) Abmahnung 166

Der wichtigste Anwendungsfall des ultima ratio Grundsatzes ist das Erfordernis einer Ahmahnung vor Ausspruch der verhaltensbedingten Kündigung. Sie ist als Rechtsinstitut gesetzlich nicht geregelt, vielmehr von der Rechtsprechung aus der Übertragung des Grundgedankens des § 326 BGB - Fristsetzung vor Rücktritt - auf das Kündigungsrecht und aus dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz entwickelt worden 167 . Das Schrifttum ist dem Bundesarbeitsgericht in der Annahme des Erfordernisses einer Ahmahnung gefolgt 168 und hat die Notwendigkeit der Ahmahnung insbesondere aus den Grundsätzen der Verhältnismäßigkeit und der Zukunftsbezogenheit der Kündigung abgeleitet 169 • Die Ahmahnung spielt bei der verhaltensbedingten Kündigung eine Rolle, da der Arbeitnehmer in der Zukunft sein eigenes Verhalten steuern kann. Da die Kündigung grundsätzlich für die Zukunft BAG v. 21.10.1982 AP Nr. 14 zu Art. 140 GG und BVerfG v. 04.06.1985 AP Nr. 24 a.a.O. 166 Hunold, NZA- RR 2000, S. 169ff.; BAG v. 18.01.1968 AP Nr. 28 zu § 66 BetrVG; v. 18.01.1980 AP Nr. 3 zu § I KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung; v. 09.08.1984 AP Nr. 12 zu§ I KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung; v. 10.11.1988 AP Nr. 3 zu § 611 BGB Abmahnung; v. 17.02.1994 Nr. 116 zu § 626 BGB; Hueck/v. Hoyningen-Huene, § I KSchG Rdz. 280ff.; Kittner/Däubler/ Zwanziger, Einl. Rdz. 72ff., Schaub, NZA 1997, S. 1185ff. m. w. N. 167 BAG v. 19.06.1967 AP Nr. I zu § 124 Ge wO unter Gründe lU. 168 Kittner/Däubler/Zwanziger, Einl. Rdz. 72 m. w.N. 169 Kittner/Däubler/Zwanziger, EinI. Rdz. 73 m. w. N.

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wirkt, sie ist keine Bestrafung, ist ihr die Warnung vorzuschalten. Der Arbeitnehmer ist erst einmal darauf hinzuweisen, daß er bei Wiederholung seinen Arbeitsplatz gefahrdet. Die Ahmahnung darf allerdings ihrerseits nicht übermäßig sein. Ein erstmaliges Zuspätkommen um fünf Minuten rechtfertigt eine Rüge, aber keine Abmahnung, die in die Akten aufgenommen wird. Das gebietet die Achtung vor der Persönlichkeit 170, der Arbeitnehmer ist kein Schulkind. Ob das Fehlverhalten den Leistungsbereich oder den Vertrauensbereich berührt, wird zuweilen unterschieden, doch ist dies unerheblich. Das Bundesarbeitsgericht hat die Unterscheidung inzwischen aufgegeben 171 • Darüber hinaus ist die Ahmahnung ein weiteres klassisches Beispiel für das Prinzip der Interessenabwägung, das hier geschildert wird. Der Arbeitnehmer hat seine Vertragspflichten nicht eingehalten und den Arbeitgeber damit in seinem Interesse an einem ungestörten Betriebsablauf verletzt (Artt. 12 Abs. l, 14 Abs. l GG). Damit tritt das Gewicht seiner eigenen Interessen, für die nach Art. 12 Abs. l GG die Schutzpflicht besteht, etwas zurück. In der Gesamtbetrachtung bleibt indessen wegen der existentiellen Bedeutung des Arbeitsplatzes das Arbeitnehmerinteresse höher einzustufen als der reibungslose Ablauf des Betriebsalltags, soweit die Störungen nur leicht bis mittelschwer und vor allem behebbar sind. Der Arbeitgeber muß selbstverständlich keine dauerhafte Beeinträchtigung hinnehmen, andererseits wird seinem - verletzten - Interesse zunächst ausreichend Genugtuung dadurch verschafft, daß der Arbeitnehmer gewarnt ist, daß weitere Fehlverhalten gleicher Art die Kündigung bedeuten. Es ist dann Sache des Arbeitnehmers, das störende Verhalten einzustellen und den reibungslosen Betriebsablauf wieder zu gewährleisten. Verhält er sich dem nicht entsprechend, so hat er den Schutz aus Art. 12 Abs. I GG verwirkt, das Interesse des Arbeitgebers erhält nun den höheren Stellenwert, und die Kündigung ist berechtigt. Daß die Interessenahwägungen nicht statisch vorzunehmen sind, ergibt sich auch aus den Fällen, bei denen der Verhaltensverstoß des Arbeitnehmers besonders schwerwiegend war. Es ist dann zu prüfen, ob es dem Arbeitgeber überhaupt zurnutbar ist, zunächst noch eine Warnung auszusprechen. Es sind das typischerweise die Fälle, in denen auch der Arbeitnehmer wissen mußte, daß dies selbst beim ersten Mal nicht geduldet werden kann 172• In der Regel weisen die Verstöße die Schwere eines wichHueck/v. Hoyningen-Huene, § I KSchG Rdz. 296. Hueck/v. Hoyningen-Huene, § I KSchG Rdz. 283 mit Nachw. der Rechtsprechung des BAG (Rdz. 283a), das eine vorherige Abmahnung überwiegend im Leistungsbereich voraussetzt, das aber ebenfalls im Vertrauensbereich teilweise andere Ergebnisse findet, BAG v. 14.02.1996 AP Nr. 26 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung unter II. 5. 170 171

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tigen Grundes auf. Solche Fälle sind im Leistungsbereich etwa Trunkenheit eines Busfahrers am Steuer oder im Vertrauensbereich Verrat eines Betriebsgeheimnisses gegen Entgelt. Eine Ahmahnung ist ebenfalls dann entbehrlich, wenn wegen der Art, Schwere oder der Folgen des Fehlverhaltens die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses unzumutbar ist 173 • Hier überwiegen die verfassungsrechtlich verankerten Interessen des Arbeitgebers. Der Arbeitnehmer hat das Recht verloren, die Pflicht der Rechtsordnung, sich schützend vor seine Interessen zu stellen, einzufordern. cc) Interessenahwägung Ist ein verhaltensbedingter Grund gegeben, der die Kündigung im allgemeinen rechtfertigt, so ist immer noch als letztes eine Interessenahwägung vorzunehmen. Hier wird es vor allem auf die bisherigen Verdienste des Arbeitnehmers ankommen. Bei der hier vorzunehmenden Abwägung sind neben den Rechten von Arbeitnehmer und Arbeitgeber insbesondere auch die der Kollegen zu berücksichtigen. Eine verhaltensbedingte Kündigung kann im Interesse der Belegschaft nötig werden. Dem Bestandsschutzinteresse des Gekündigten steht dann zusätzlich das in Art. 12 Abs. I GG verankerte Recht der anderen Arbeitnehmer gegenüber, ihre Arbeit in einem friedlichen und entspannten Betriebsklima zu verrichten. c) Sonderfall: Verdachtskündigung 114

aa) Kündigungsgrund Die Verdachtskündigung wird überwiegend als ein Unterfall der verhaltensbedingten Kündigung angesehen 175 • Nach anderer Ansicht ist sie als personenbedingte Kündigung einzustufen 176. Kündigungsgrund ist nicht die Tat, wegen der der Arbeitnehmer verdächtigt wird, denn sie ist nicht bewiesen, sondern die Ungewißheit, die dem Arbeitgeber die Weiterarbeit mit diesem Mitarbeiter unzumutbar macht 177 • Ihre Einordnung in das Gefüge der Grundrechte im Arbeitsrecht ist schwierig. Der Bestandsschutz aus 172 BAG v. 26.08.1993 AP Nr. 112 zu § 626 BGB; v. 12.07.1984 AP Nr. 32 zu § 102 BetrVG 1972 unter Grunde B.III.3.a). m BAG v. 13.12.1984 AP Nr. 81 zu§ 626 BGB unter Grunde 111. I. 174 Hueck/v. Hoyningen-Huene, § I KSchG Rdz. 260ff.; KR-Etzel, § I KSchG Rdz. 523ff.; MüKo-Schwerdtner, § 626 BGB Rdz. 171 ff.; Naujok, ArbuR 1998, s. 398ff. 175 Mit ausführlichen Nachweisen: KR-Fischermeier, § 626 Rdz. 210ff. 176 Preis, Prinzipien S. 329; Hueck/v. Hoyningen-Huene, § I KSchG Rdz. 261.

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Art. 12 Abs. 1 GG wird hier durch den Wert des Art. 1 Abs. I GG verstärkt178. Die Kränkung des zu Unrecht beschuldigten und entlassenen Arbeitnehmers wiegt schwer, sicherlich schwerer, als dies bei einer unberechtigten betriebsbedingten Kündigung der Fall ist, wo der Große Senat Art. 1 und 2 GG zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht hat 179• Viele Verfasser lehnen deshalb die Verdachtskündigung überhaupt ab. Sie sehen in ihr eine Verletzung der Unschuldsvermutung des Grundgesetzes, die ebenso in Art. 6 der Europäischen Menschenrechtskonvention verankert ist 18o. Dabei wird indessen übersehen, daß die Kündigung keine Strafe ist, sondern ein ebenfalls im Grundgesetz verankertes Mittel des Arbeitgebers zur ordnungsgemäßen Führung seines Betriebs 181 . Kündigungsgrund ist nach allgemeiner Meinung der Verlust des Vertrauens des Arbeitgebers in den Arbeitnehmer. Das Vertrauen muß allerdings für das Arbeitsverhältnis erheblich sein; er muß sich auf Taten oder Umstände beziehen, die, wenn sie sich verdichten, eine verhaltensbedingte oder fristlose Kündigung rechtfertigen würden. Der Verdacht muß auch dringend sein; die bloße Möglichkeit der Verfehlung genügt nicht, selbst wenn sie im Arbeitgeber die entsprechende Überzeugung begründet. Damit erweist sich nicht das fehlende Vertrauen, sondern das Fehlen der objektiven Vertrauenswürdigkeit als die eigentliche Rechtfertigung der Verdachtskündigung. Kündigungsgrund ist also eine schwerwiegende Erschütterung dieser Vertrauenswürdigkeit 182. Bei der Verdachtskündigung sind die Grenzen der praktischen Konkordanz insoweit zugunsten des Arbeitgebers verschoben, als er bei allen anderen Kündigungsgründen die Beweislast ihres Vorliegens trägt 183 . bb) Ultimaratio Ausdruck der ultima ratio ist hier, daß eine Verdachtskündigung nur ausgesprochen werden darf, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer vorher Gelegenheit gegeben hat, den Verdacht zu entkräften 184. Es wäre unfair, 177 Vgl. zuletzt BAG v. 14.09.1994 u. 13.09.1995 AP Nr. 24 und 25 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung; LAG Köln v. 30.07.1999 NZA - RR 2000, s. 189f. 178 Dömer ARBlattei. SD 1010.9.1. Rdz. 63. 179 Oben A. I. 180 Vgl. Dörner NZA 1992, S. 865, S. 871, ders. NZA 1993, S. 873, S. 877. 18 1 Vgl. zuletzt wieder BAG v. 21.11.1996 AP Nr. 130 zu § 626 BGB unter II.4.a). 182 Argumentationsführung des BAG v. 12.08.1999 NZA 2000, S. 421, 424 ("Arbeitnehmer bricht ... das Vertrauen des Arbeitgebers"). 183 BAG v. 14.09.1994 AP Nr. 24 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung.

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den Arbeitnehmer erst im Prozeß mit den Tatsachen zu konfrontieren, aus denen der Verdacht geschöpft wird. Eine schuldhaft ohne vorherige Anhörung ausgesprochene Kündigung ist deshalb unwirksam 185 . Die Kränkung der Persönlichkeit bei einer unberechtigten Verdachtskündigung bewirkt insoweit eine weitere Verschiebung der Grenzen der praktischen Konkordanz, als es für die Rechtmäßigkeit der Kündigung auf den Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung ankommt 186. Entlastungstatsachen sind zu berücksichtigen, selbst wenn sie im Zugangszeitpunkt der Kündigung nicht bekannt sein konnten 187 • Diese Ansicht wird von der Literatur angezweifelt. Die Wirksamkeit der Kündigung soll bestehen bleiben, allerdings stellen sie dem Arbeitnehmer einen Wiedereinstellungsanspruch in Aussicht 188 . Ob man den maßgeblichen Zeitpunkt in der Weise verschiebt oder bei späterer Entkräftung des Verdachts einen Wiedereinstellungsanspruch annimmt 189, ist allerdings zweitrangig, wenn man diesen als Wiedereinsetzung in den vorigen Stand versteht. Im Ergebnis ist man sich einig, selbst wenn als Begründung die Schutzpflicht aus Art. 12 Abs. 1 GG nicht herangezogen wird, daß die Interessen des Arbeitnehmers hier den Vorrang vor den Interessen des Arbeitgebers und des Verfahrensrechts verdienen und deshalb nicht hinter prozessualen Fragen zurücktreten dürfen. cc) Wiedereinstellungspflicht bei Entkräftung des Verdachts Die Schutzpflicht aus Art. 12 Abs. 1 für den Arbeitnehmer wirkt noch über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses hinaus. Den Arbeitgeber trifft auch nach Abschluß des Prozesses die Wiedereinstellungspflicht des Arbeitnehmers, wenn sich seine Unschuld später herausgestellt hat 190• Wenn der Arbeitnehmer es fordert, ist seine Rehabilitation im Betrieb bekanntzumachen. Die Abwägung kann erst dann wieder zu einem anderen Ergebnis 184 BAG v. 13.09.1995 AP Nr. 25 zu § 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung; dazu Lücke, BB 1998, S. 2259 ff. l85 BAG v. 30.04.1987 AP Nr. 19 zu§ 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung. 186 Vgl. BAG v. 04.06.1964 AP Nr. 13 zu§ 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung; umstritten, vgl. Hueck/v. Hoyningen-Huene, § I KSchG Rdz. 266 m. w. N. 187 BAG v. 14.09.1994 AP Nr. 24 zu§ 626 BGB Verdacht strafbarer Handlung. 188 Hueck/v. Hoyningen-Huene, § I KSchG Rdz. 266; dazu unten D. I. Unterabschnitt V. 189 Hueck/v. Hoyningen-Huene, a. a. 0 . 190 Gamillscheg, AcP 164 (1964) S. 385, S. 437f.; Meinel/Bauer, NZA 1999, S. 575, S. 581, die allerdings verlangen, daß der Anspruch innerhalb von drei Wochen nach der Kenntnis der Entlastung gerichtlich geltend gemacht wird; in diesem Ausnahmefall bejaht auch Kaiser, ZfA 2000, S. 205, S. 225, den Wiedereinstellungsanspruch.

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führen, wenn dringende betriebliche Gründe der Wiedereinstellung entgegenstehen und die Einzelfallprüfung ein Übetwiegen der Unternehmerischen Rechte aus Artt. 12 Abs. 1 und 14 Abs. 1 GG ergibt. Die Durchsetzungskraft der Schutzpflicht kann auch nicht davon abhängen, daß der Arbeitnehmer einen Prozeß gewagt hat. Auch wenn er sich nicht gerichtlich gegen die Kündigung zur Wehr gesetzt hat, fordert Art. 12 Abs. 1 GG die Rechtsordnung auf, dafür zu sorgen, daß er einen Wiedereinstellungsanspruch erhält, wenn dem keine übetwiegenden betrieblichen Gründe entgegenstehen. Die Rehabilitation muß freilich unanfechtbar sein. Ergibt sich aus dem freisprechenden Strafurteil, daß Tat und Verschulden lediglich nicht bewiesen wurden, oder wird das staatsanwaltliehe Ermittlungsverfahren nach § 170 Abs. 2 S. 1 StPO eingestellt 191 , kann auf dieser Grundlage auch keine Wiedereinstellung begründet werden. d) Sonderfall: Gefährdung von Betriebsgeheimnissen

Eine Vorstufe zur Verdachtskündigung bildet die Kündigung wegen (triftiger) Bedenken, Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisse könnten gefährdet werden. Ein Beispiel ist, daß der Ehemann der Arbeitnehmerio in ein Konkurrenzunternehmen eingetreten ist 192• Auf der Seite des Arbeitnehmers steht neben seinem Bestandsschutzinteresse im Fall der Eheschließung Art. 6 Abs. I GG, in den anderen Fällen einer vergleichbaren engen Bindung sein Recht auf Respektierung seiner Privatsphäre, Art. 2 Abs. I GG; mit wem der Arbeitnehmer zusammenlebt, ist seine Sache. Dennoch wird man dem Interesse des Arbeitgebers aus Art. 14 Abs. l GG den Vorzug geben müssen, wenn Bestand und Entwicklung des Unternehmens sonst bedroht sind. e) Betriebsbedingte Kündigung

aa) Dringende betriebliche Erfordernisse Die Kündigung aus dringenden betrieblichen Erfordernissen ist die zentrale Figur des Kündigungsrechts, wo die Rechte des Arbeitnehmers aus Artt. 2 Abs. 1 und 12 Abs. 1 GG und des Arbeitgebers aus Artt. 12 Abs. 1 und 14 Abs. 1 GG zum Ausgleich gebracht werden müssen. Wie das Wort "dringend" anzeigt, tritt der Bestandsschutz nicht vor jedem betrieblichen 191 BAG v. 20.08.1997 AP Nr. 3 zu § I KSchG 1969 Wiedereinstellungsanspruch. 192 LAG Harnburg 27.03.1969 BB 1970 S. 1096; Hueck/v. Hoyningen-Huene, § I KSchG Rdz. 200; Löwisch, § I KSchG Rdz. 207.

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Interesse zurück. Der bloße Wunsch etwa, bestehende Spannungen innerhalb der Belegschaft, die für sich genommen kündigungsrechtlich irrelevant sind, durch Auswechslung der Arbeitnehmer zu beheben oder dem Ärger eines Kunden über einen Mitarbeiter entgegenzukommen, rechtfertigt die Entlassung nicht. Äußert sich ein Arbeitnehmer über die Verhältnisse im Betrieb unzufrieden und kann man daraus seine Absicht schließen, ihn alsbald zu verlassen, so reicht dies als Kündigungsgrund nicht aus, selbst wenn der Arbeitgeber an dem geplanten Weggang nicht zweifelt. Anders ist es, wenn der Abkehrwille feste Formen angenommen hat und die Gefahr droht, daß der Betrieb durch den Weggang des Arbeitnehmers in ernste Schwierigkeiten gerät. Bietet sich dann dem Arbeitgeber die Gelegenheit, eine Ersatzkraft einzustellen, so kann dies eine betriebsbedingte Kündigung rechtfertigen 193 • Das Wort "betrieblich" zeigt, daß der Wunsch des Arbeitgebers, sich aus Gründen, die mit dem Betrieb nichts zu tun haben, vom Arbeitnehmer zu trennen, nicht berücksichtigt wird 194• Diese Aussage wird durch § 9 KSchG bestätigt, der die Auflösung des Arbeitsverhältnisses auf Antrag des Arbeitgebers auf Gründe beschränkt, die eine gedeihliche Zusammenarbeit nicht mehr erwarten lassen. Die Folge kann sein, daß der Arbeitgeber über viele Jahre verpflichtet wird, jemanden zu beschäftigen und zu bezahlen, mit dem er keinen persönlichen Umgang pflegen würde. Die alte Regel des Zivilrechts, daß sich niemand auf unbestimmte Zeit ohne Möglichkeit einseitiger Aufkündigung verpflichten kann, § 624 BGB 195 , ist hier unanwendbar. Das Interesse des Arbeitnehmers muß aber weichen, wenn sein Arbeitsplatz weggefallen ist. Hier sind es die inner- und/oder außerbetrieblichen Ursachen, die den Unternehmer zu einer Entscheidung gezwungen haben, die für den Wegfall des Arbeitsplatzes kausal ist. Diese Unternehmerische Entscheidung muß vom Gericht ohne Prüfung anerkannt werden, es sei denn sie ist offensichtlich willkürlich. Dem Arbeitgeber kann nicht auferlegt werden, Arbeitskräfte zu bezahlen, die nicht gewinnbringend eingesetzt werden können. Seine finanziellen Mittel wären bald erschöpft, und niemand würde ihm diesen Verlust aus anderen Quellen ersetzen. Daß es einzelne Situationen gibt, die zwischen diesen Extremen liegen - Pflicht, eine werdende Mutter ohne Arbeitsleistung zu bezahlen, als Beispiel -, ändert am Grundsätzlichen nichts. 193 BAG v. 22.10.1964 AP Nr. 16 zu § I KSchG Betriebsbedingte Kündigung; a. A. Kittner/Däubler/Zwanziger, § I KSchG Rdz. 306. 194 In Wahrheit müßte es aus dringenden betrieblichen oder Unternehmerischen Erfordernissen heißen, Joost, Betrieb und Unternehmen S. 357ff. 195 Siehe oben C. 5.

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Daß in der privaten Wirtschaft eine Entlohnung ohne Arbeit auf Dauer nicht tragbar ist, zeigt sich bei den tariflichen Kündigungsbeschränkungen. Wenn der Tarifvertrag, wie häufig, nicht schon selbst Ausnahmen zum Kündigungsschutz im Fall der Stillegung oder längerdauernder Unmöglichkeit vorsieht, so hat doch die Rechtsprechung hierin einen wichtigen Grund zur fristlosen Kündigung gesehen 196• bb) Ultima ratio Der Grundsatz der ultima ratio spielt bei der betriebsbedingten Kündigung seine wichtigste Rolle. Teilweise findet er in der gesetzlichen Regelung seinen Niederschlag, teilweise ist er bei der Auslegung einzelner Tatbestandsmerkmale als Abwägungsfaktor wertend heranzuziehen. ( 1) Weiterbeschäftigung auf freiem Arbeitsplatz

(a) Gesetzliche Regelung: § I Abs. 2 S. 2 Nr. I b) KSchG Die Kündigung ist sozialwidrig, wenn der Arbeitnehmer auf einem freien Arbeitsplatz weiterbeschäftigt werden könnte 197• Das ergibt sich aus § I Abs. 2 S. 2 Nr. I. b) KSchG. Diese Vorschrift ist allerdings keine besondere Leistung der Gesetzgebungsgeschichte. Sie verdankt ihre Einfügung in das Gesetz der Neufassung des § 102 BetrVG. Es wurde nicht beachtet, daß Abs. 2 S. 2 mit S.I unvereinbar ist, da nur S. 2, nicht aber S. I .die Weiterbeschäftigung auf einem anderen Arbeitsplatz vom Widerspruch des Betriebsrats abhängig macht. Die Rechtsprechung hat das Problem in der Weise gelöst, daß es den Widerspruch des Betriebsrats als Voraussetzung der allgemeinen Sozialwidrigkeit der Kündigung als nicht geschrieben ansieht 198 : Die Kündigung ist auch ohne Widerspruch des Betriebsrates sozialwidrig, wenn eine Weiterbeschäftigung (wie ursprünglich) im Betrieb oder (wie seit I972) in einem anderen Betrieb des Unternehmens möglich ist. Das wurde damit begründet, das neue Gesetz habe den Kündigungsschutz nicht verschlechtem wollen 199 .

Zuletzt BAG 5.2.1998 AP Nr. 143 zu§ 626 BGB. Vgl. statt aller BAG v. 14.05.1987 AP Nr. 12 zu§ I TVG Tarifverträge: Lufthansa (LS). 198 So seit BAG v. 17.05.1984 AP Nr. 21 zu§ I KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung (LS) unter III. 3. d). 199 BAG v. 13.09.1973 AP Nr. 2 zu§ I KSchG 1969. 196 197

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(b) Versetzung innerhalb des Unternehmens? Die Erstreckung der Versetzungspflicht auf das Unternehmen ist indessen nicht selten problematisch. Bei einem überschaubaren Unternehmen, wenn sich die Betriebe in räumlicher Nähe befinden, so daß zwischen ihnen ein Austausch der Arbeitnehmer stattfindet, verdient sie Billigung. Die Leitentscheidung BAG AP Nr. 21 zu § 1 KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung hatte es mit einem Fa11 solcher räumlicher Nähe zu tun. Daß sich hier die Schutzpflicht aus Art. 12 Abs. 1 GG durchgesetzt hat, beweist die Tatsache, daß hier schon vor der gesetzlichen Regelung die Fürsorgepflicht in Dienst genommen wurde, um den Arbeitgeber zu einer Versetzung zu zwingen200; in einem anderen Fall wurde der Begriff "Betrieb" zu diesem Zweck entsprechend weit ausgelegt201 . Für die Ausdehnung des Schutzbereichs auf das Unternehmen kann in anderen Fällen ein Schutzbedürfnis dagegen nicht in gleicher Weise behauptet werden. Die Interessenahwägung ist nicht statisch vorzunehmen, und so sind Situationen zu berücksichtigen, die eine andere Wertung der beteiligten Interessen erfordern. Die Rechte des Arbeitgebers aus Art. 12 Abs. 1 und 14 Abs. 1 GG (und die der Arbeitslosen aus Art. 12 Abs. 1 GG) müssen höher bewertet werden, als das Recht des Gekündigten, wenn die beiden Betriebe räumlich entfernt sind und keine personeBen Verbindungen bestehen. Das Kündigungsrisiko des Arbeitgebers wird unerträglich verschärft, wenn in einer späteren Phase des Verfahrens dargetan wird oder nicht widerlegt werden kann, daß es irgendwo an anderer Stelle einen freien Platz gegeben hatte, auf den der Arbeitnehmer hätte versetzt werden können. Handelt es sich um ein Filialunternehmen mit Hunderten von Betrieben, würde schon die bloße Behauptung, dies sei so, die Beweislast zulasten des Arbeitgebers verschieben. Damit wäre er in seiner Unternehmerfreiheit zu stark beschränkt. Hinzu kommt das Interesse der Arbeitslosen am Platz des Aufnahmebetriebes, denen durch diese Versetzung die Aussicht auf einen Arbeitsplatz genommen wird. (c) Rechtliche Situation bei Widerspruch des Aufnahmebetriebs? § 1 Abs. 2 S. 2 Nr. 1. b) KSchG ist weiter deshalb undurchdacht, weil auf den Widerspruch des Betriebsrats des Kündigungsbetriebes abgestellt wird, während der Betriebsrat des Aufnahmebetriebes unerwähnt bleibt, so daß die allgemeine Vorschrift des § 99 Abs. 1 BetrVG anwendbar bleibt. Der Betriebsrat des Aufnahmebetriebes kann der Einste11ung widersprechen, wenn durch sie einem im Betrieb schon beschäftigten Arbeitnehmer eine 200 201

BAG v. 25.03.1959 AP Nr. 27 zu § 611 BGB Fürsorgepflicht. BAG v. 26.08.1971 AP Nr. I zu§ 23 KSchG 1969.

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Kündigung oder ein anderer wirtschaftlicher Nachteil droht (§ 99 Abs. 2 Nr. 3 BetrVG). Ein solcher Nachteil läßt sich konstruieren, insbesondere, wenn der Arbeitgeber die Kündigung an sich will. Man kann argumentieren, daß in einem solchen Fall der Platz eben nicht frei ist, die Versetzung scheitert202 . Es kann zusätzlich angeführt werden, daß dem Arbeitgeber nicht zugemutet werden kann, ein Verfahren gegen den Betriebsrat des aufnehmenden Betriebes durchzuführen, das er aus dem gleichen Grund nur mit wenig Nachdruck durchführen wurde. Schließlich spricht für diese Lösung, daß alle diese Dinge als Vorfrage in einem Kündigungsschutzverfahren geklärt werden müßten; wer wie reagiert hätte, würde auf zu vielen unbeweisbaren Hypothesen beruhen. Ungelöst bleibt freilich das Problem, wenn der Arbeitnehmer einen Anspruch auf den Arbeitsplatz hat. Hier ist zu unterscheiden. § 99 Abs. 2 Nr. 3 BetrVG kann nicht dadurch ausgehebelt werden, daß der Arbeitgeber einem von ihm bevorzugten Bewerber um den Arbeitsplatz die Einstellung verspricht. Vertragliche oder vorvertragliche Ansprüche können das Mitbestimmungsrecht nicht schmälern. Es fragt sich jedoch, ob dies in gleicher Weise gilt, wenn der Arbeitnehmer einen gesetzlichen Anspruch, wie zum Beispiel aus § 1 Abs. 2 S. 2 Nr. 1. b) KSchG, hat. Würde man hier dem Betriebsrat ein Widerspruchsrecht geben, hätte der Betriebsrat, wie nach dem BRG 1920, eine Art Sperr-Recht, würde er zum Nachteil eines Arbeitnehmers über dessen Recht aus Art. 12 Abs. 1 GG entscheiden. Das wäre ein Widerspruch innerhalb der Rechtsordnung 203 . Die Regelung ist, wie gesagt, undurchdacht; es gibt allerdings keine Rechtsprechung, in der die erwähnten Fragen entscheidungserheblich gewesen wären. Im Einzelfall muß auch hier die Interessenahwägung entscheiden. Die beteiligten Interessen sind daraufhin zu überprüfen, ob sie von ihrer Art und ihrem Gewicht her geeignet sind, die zugunsten des einzelnen Arbeitnehmers bestehende Schutzpflicht aus Art. 12 Abs. 1 GG zu beschränken.

(2) Versetzung innerhalb eines Konzerns? Nach herrschender Meinung kann eine Versetzung innerhalb des Konzerns, besondere Umstände vorbehalten 204, nicht verlangt werden 205 . Die 202 Vgl. BAG v. 29.1.1997 AP Nr. 32 zu § I KSchG 1969 Krankheit unter II.l.d); Kittner/Däubler/Zwanziger § I KSchG Rdz. 383. 203 Zweifel angemeldet bei K. Gamillscheg, Anm. zu BAG v. 29.01.1997 SAE 1998, S. 17, S. 21 ; Richardi, NZA 1999, S. 617, S. 619f.; eine ähnliche Problematik kann sich im Zusammenhang mit dem Wiedereinstellungsanspruch ergeben, hierzu Boewer, NZA 1999, S. 1177, S. 1181. 204 BAG v. 22.05.1986 AP Nr. 4 zu § I KSchG 1969 Konzern: etwas anderes kann sich aus Arbeitsvertrag, vertraglicher Absprache oder einer Selbstbindung des Arbeitgebers ergeben (3.LS).

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herrschende Meinung ist sicherlich unanfechtbar, wenn ein Arbeitsplatz bei VW wegfällt, Audi jedoch eine solche Kraft sucht. "Konzern" ist rechtlich aber ebenfalls gegeben, wenn ein Unternehmen aus steuerlichen oder haftungsrechtlichen Gründen im Sinne des § 123 UmwG aufgespalten wird, ohne daß sich am tatsächlichen Zuschnitt der Zusammenarbeit etwas geändert hat. Hier sind wiederum Fälle denkbar, wo die Schutzpflicht aus Art. 12 Abs. 1 GG es fordern könnte, eine Versetzungspflicht auf den "Konzern" auszudehnen. Der Kündigungsschutz kann nicht durch Maßnahmen verkürzt werden, auf die weder Arbeitnehmer noch Betriebsrat Einfluß haben. Die Frage ist durch den Gesetzgeber geklärt worden. § 323 Abs. 1 UmwG gewährt einen zeitlichen Kündigungsschutz, in dem er die Verschlechterung der kündigungsrechtlichen Lage des betroffenen Arbeitnehmers für die Dauer von zwei Jahren ausschließt. Das bedeutet, daß das Kündigungsschutzgesetz anwendbar bleibt, selbst wenn die Betriebsgröße unter den Schwellenwert des § 23 KSchG sinkt. Auf der Suche nach einer möglichen Versetzungsmöglichkeit ist auf den Ursprungsbetrieb abzustellen. Entsprechendes gilt für die Sozialauswahl206• Damit liegt hier wiederum der oben bereits angesprochene Ausnahmefall 207 vor, daß der Gesetzgeber einen Aspekt der Güterahwägung zwischen Unternehmens- und Arbeitnehmerinteresse mit einer festen Größe bestimmt hat. Der Gesetzgeber hat hier dem Unternehmensinteresse den Vorrang eingeräumt. Angesichts seines weiten Entscheidungsspielraums ist dies hinzunehmen. Daß der Gesetzgeber die Problematik insgesamt gesehen hat, zeigt § 322 Abs. 1 UmwG. Ändert die Spaltung des Betriebs seine Organisation nicht, so wird vermutet, daß ein gemeinsamer Betrieb geführt wird208 , der nach Abs. 2 einen Betrieb im Sinne des Kündigungsschutzrechts darstellt mit allen Konsequenzen, die sich aus § 23 Abs. 1 KSchG zugunsten der Arbeitnehmer ergeben. Insgesamt kann also von einem fairen Kompromiß ausgegangen werden.

205 Hueck/v. Hoyningen-Huene, § I KSchG Rdz. 392 m. w. N.; Löwisch, § I KSchG Rdz. 262; zum Parallelproblem der konzernbezogenen Durchführung der Sozialauswahl, s. Kukat, BB 2000, S. 1242, S. 1243f. 206 KR-Friedrich, § 322, 323, 324 UmwG Rdz. 41 f. 207 Zur Wettbewerbsklausel oben C. II. 9. 208 Ein gemeinschaftlicher Betrieb wird allerdings nicht direkt dann angenommen, wenn die Muttergesellschaft der Tochtergesellschaft anordnet, bestimmte Arbeiten für sie zu erledigen, für eine gemeinsame Leitung müssen mehrere Anhaltspunkte vorliegen, BAG v. 29.04.1999 NZA 1999, S. 932.

I. Abschn.: III. Bestandsschutz durch das Kündigungsschutzgesetz

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(3) Anordnung von Kurzarbeit

Mit dem Grundsatz der ultima ratio wird begründet, daß ein vorübergehender Arbeitsmangel durch Kurzarbeit zu überbrücken ist, statt ihm durch Kündigungen eines oder einiger Arbeitnehmer Rechnung zu tragen209 . Es ist dies "ein wesentliches Mittel zur Vermeidung betriebsbedingter Kündigungen. Ein vorübergehendes Absinken des Personalbedarfs kann auf diese Weise auf die Schultern vieler Arbeitnehmer verteilt werden und braucht nicht in der Entlassung Weniger zu münden"210 . So zu verfahren, ist für den Arbeitgeber ebenso vorteilhaft, der die eingearbeitete Belegschaft auf diese Weise zusammenhält und sich nach Ende der Auftragsflaute nicht um neue Arbeitskräfte bemühen muß. Dabei ist die Beurteilung der wirtschaftlichen Lage zunächst Sache der Unternehmerischen Entscheidung des Arbeitgebers; dieser muß von der nur vorübergehenden Natur des Arbeitsmangels ausgehen. Daß es Sache des Arbeitgebers ist, über die wirtschaftliche Seite autonom zu entscheiden, ist Ausfluß der Garantie, wie sie in Artt. 12 Abs. 1, 14 GG verfassungsrechtlich verankert ist. Das Interesse des Einzelnen und die hierfür bestehende Schutzpflicht aus Art. 12 Abs. 1 GG sind nicht geeignet, den Kernbereich der Unternehmerischen Entscheidungsfreiheit zu beschneiden. Der Grundsatz "Kurzarbeit statt Kündigung" ist jedoch in der Praxis nicht ohne Schwierigkeiten zu verwirklichen; es besteht keine einheitliche Sichtweise211 • Besteht kein Betriebsrat, so muß sich der Arbeitgeber der Zustimmung der Arbeitnehmer versichern, die dazu nicht immer bereit sein werden; für einen Anspruch auf Herabsetzung der Arbeitszeit mit entsprechender Lohnkürzung, Zug um Zug gegen Verzicht auf die Kündigung anderer Arbeitnehmer ist eine Grundlage nicht zu sehen. Besteht ein Betriebsrat, so kann Kurzarbeit durch Betriebsvereinbarung selbst ohne Zustimmung der Arbeitnehmer eingeführt werden, § 87 Abs. 1 Nr. 3 BetrVG. Wenn der Betriebsrat seine Zustimmung verweigert, müßte der 209 Vgl. BAG v. 15.06.1989 AP Nr. 45 zu § I KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung unter II. I. b) cc ); v. 07.02.1985 AP Nr. 9 zu § I KSchG 1969 Soziale Auswahl unter III.5.a); 04.03.1986 AP Nr. 3 zu § 87 BetrVG 1972 Kurzarbeit; v. 26.06.1997 AP Nr. 86 zu § I KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung; Hueck/ v. Hoyningen-Huene, § l KSchG Rdz. 384ff.; Kittner/Däubler/Zwanziger, § I KSchG Rdz 287ff.; Löwisch, FS Wiese (1998) S. 249ff. Nach Ansicht von ErfKAscheid, § I KSchG Rdz. 429, fehlt es hier bereits an einem Kündigungsgrund, dem dauernden Wegfall des Arbeitsplatzes. 210 Löwisch, FS Wiese S. 249. 211 Kittner/Däubler/Zwanziger § I KSchG Rdz. 288; Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung und Kündigungsschutz Rdz. 641 ; MüKo-Schwerdtner, § 622 Anh. Rdz. 375. Hiebach reichert die Diskussion durch einen Verweis auf § 2 Abs. I SGB III an, ArbuR 1999, S. 209, S. 211 ; ebenso Bepler, ArbuR 1999, S. 219, S. 222. 8*

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Teil D: Die Gewährleistungen der Grundrechte und ihre Umsetzung

Arbeitgeber (auf seine Kosten!) ein Einigungsstellenverfahren durchführen. Da er im Grunde ebenso wie der Betriebsrat die Kündigung will, scheint das eher theoretisch zu sein. Die überwiegende Meinung beläßt es deshalb bei der Kündigung, wenn der Betriebsrat seine Mitwirkung verweigert oder die Kurzarbeit erst gar nicht verlangt hatte212 • Daß der Betriebsrat einer an sich möglichen Kurzarbeit zur Vermeidung einer Kündigung widerspricht, erscheint freilich als Verletzung seiner Amtspflicht, wie dies schon oben im Zusammenhang mit dem Widerspruch gemäß § 99 Abs. 2 Nr. 3 BetrVG zur Sprache gekommen ist, umso mehr, als es sich in diesem Fall um einen Arbeitnehmer handelt, für den der Betriebsrat unmittelbar zuständig ist. Andererseits ist eine Einheitsantwort nicht möglich. Das vom Betriebsrat zu wahrende kollektive Interesse und das individuelle Interesse des Arbeitnehmers decken sich nicht, auch zwischen ihnen ist praktische Konkordanz herzustellen. Kann die Kündigung nur durch eine längere Kurzarbeit vermieden werden, wiegen die den anderen Arbeitnehmern auferlegten Opfer wahrscheinlich aber schwerer. Allerdings kann selbst dort, wo eine geringe Verkürzung der Arbeitszeit genügen würde, um die Kündigung aufzufangen, sich die Kündigung mit Angebot der Wiedereinstellung als bessere Lösung anbieten, sobald der Engpaß überbrückt worden ist. Die Entscheidung muß dem Einzelfall vorbehalten bleiben. Nötig ist jedenfalls eine genauere Bewertung anhand der beteiligten Interessen und Werte und dem Gewicht, das den einzelnen verfassungsrechtlichen Garantien, wie sie Artt. 12 Abs. I und 14 Abs. 1 GG vermitteln, zukommen. Der ultima ratio Grundsatz ist aber verletzt, wenn die Kündigung durch Abbau von Überstunden vermieden werden kann213 . (4) Verstoß bei Beschäftigung von Leiharbeitnehmern?

Ein Verstoß gegen das ultima ratio Prinzip wird auch angenommen, wenn ein Arbeitsplatz zur Verfügung steht, der zur Zeit durch einen Leiharbeitnehmer besetzt ise 14• Hier sind jedoch Zweifel angebracht. Kein vernünftiger Arbeitgeber wird einem Arbeitnehmer kündigen und statt dessen einen teuren Leiharbeitnehmer beschäftigen, wenn die Beschäftigung auf Dauer gesichert ist. Einem schwankenden Kräftebedarf Rechnung zu tragen, ist jedoch eine unternehmensehe Entscheidung, in die das Gericht nicht hinein212 BAG v. 11.09.1986 BB 1987 S. 1882, S. 1884; v. 04.03.1986 AP Nr. 3 zu § 87 BetrVG 1972 Kurzarbeit unter B. II. 3. g) a. E.; Löwisch, § I KSchG Rdz. 279. 21 3 Löwisch, § I KSchG Rdz. 281; a.A. MüKo-Schwerdtner, § 622 BGB Anh. Rdz. 375, der darin eine unüberprütbare Unternehmerische Entscheidung sieht, ebenfalls dieser Ansicht: B. Preis, NZA 1997, S. 625, S. 630. 214 Hueck/v. Hoyningen-Huene, § I KSchG Rdz. 383.

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reden darf. Es ist auch hier der Kernbereich der Garantie aus Art. 14 Abs. l GG berührt, so daß die Schutzpflicht des Arbeitnehmers aus Art. 12 Abs. l GG insoweit zurücktreten muß. f) Sonderfall: Druckkündiguni 15

aa) Kündigungsgrund ( 1) Ausgangslage

Druckkündigung nennt man eine dem Arbeitgeber aufgezwungene Kündigung. Der Zwang wird von anderen Personen ausgeübt, die für den Fall Nachteile androhen, daß der Arbeitnehmer nicht entlassen oder versetzt wird. Wichtige Anwendungsfälle sind etwa die Weigerung von Arbeitnehmern oder dem Betriebsrat, mit einem Vorgesetzten, dem die Fähigkeit zur Personalführung fehlt, oder einem Kollegen zusammenzuarbeiten, der aus anderem Grund unbeliebt geworden ist. Gedroht wird zumeist mit der eigenen Kündigung. Ein anderer Anwendungsbereich ist das Verlangen von Geschäftspartnern des Arbeitgebers, die aus unterschiedlichen Gründen den Arbeitnehmer entfernt sehen wollen und ansonsten mit dem Abbruch der Geschäftsbeziehungen drohen216. (2) Dogmatische Einordnung

Rechtsdogmatisch wird die Druckkündigung überwiegend als betriebsbedingte Kündigung angesehen217 . Von Druck als eigenständigem Kündi215 Hueck/v. Hoyningen-Huene, § I KSchG Rdz. 201 ff., KR-Etzel, § I KSchG Rdz. 495f.; KR- Fischerrneier, § 626 Rdz. 204ff.; MüKo-Schwerdtner, § 626 BGB Rdz. 177ff. 216 Vgl. BAG v. 18.09.1975 AP Nr. 10 zu § 626 BGB Druckkündigung (nachlässige Arbeit auf Kosten der anderen Arbeitnehmer); v. 04.10.1990 AP Nr. 12 a. a. 0. (Weigerung der weiteren Zusammenarbeit durch Vorgesetzte, Schwestern und Änte); v. 31.01.1996 Nr. 13 a.a.O. (ebenso bei Leiterin eines Kindergartens, Rückwirkung des schlechten Betriebsklimas auf die Kinder); v. 10.03.1977 Nr. 9 zu § 313 ZPO (Arbeitnehmer hat seine Frau erschossen, ist aber wegen Zurechnungsunfähigkeit freigesprochen worden); Hueck/v. Hoyningen-Huene, § I KSchG Rdz. 201 ff.; Löwisch, § I KSchG Rdz. 299; ErfK-Müller-Giöge, § 626 BGB Rdz. 218ff.; Staudinger/Preis, § 626 Rdz. 235. -Zur Ablehnung eines Mitarbeiters wegen Aids vgl. MünchArbR/Berkowsky, § 136 Rdz. 95ff. 217 BAG v. 04.10.1990 AP Nr. 12 zu§ 626 BGB Druckkündigung unter 11.1.; v. 19.06.1986 AP Nr. 33 zu § I KSchG Betriebsbedingte Kündigung unten II. 2. a). Das Bundesarbeitsgericht hat inzwischen allerdings anerkannt, daß eine Druckkündigung als eine personenbedingte Kündigung angesehen werden könne, v. 31.01.1996 AP Nr. 13 zu § 626 BGB Druckkündigung, wie es ein Teil der Literatur gefordert hatte, Hueck/v. Hoyningen-Huene, KSchG §I Rdz. 205 m.w.N.

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gungsgrund ist nur zu sprechen, wenn sonst ein Kündigungsgrund fehlt; insbesondere gilt dies dann, wenn Anlaß der Druckausübung die Wahrnehmung eines Grundrechts, wie der negativen Koalitionsfreiheit bei einem Außenseiter, ist. Der Arbeitgeber hat zunächst die Pflicht, sich vor den Arbeitnehmer zu stellen218 • Tut er dies nicht, sondern gibt er vorschnell dem Druck nach, dann wird es vielfach am Beweis des Drucks als Kündigungsgrund fehlen. Bleibt indessen der Versuch der Verteidigung des verdrängten Arbeitnehmers erfolglos, so überwiegt das unternehmensehe Interesse ebenfalls gegenüber dem Bestandsinteresse des Arbeitnehmers. Dem Arbeitgeber wird gestattet, dem Druck nachzugeben219, wenn anders ein erheblicher Schaden für den Betrieb (und damit Verdienstaussichten und Arbeitsplätze der anderen Mitarbeiter) droht. An die Seite der Arbeitgeberinteressen treten damit - wie bei jeder betriebsbedingten Kündigung - auch noch die Interessen der anderen Arbeitnehmer hinzu, die wiederum ein in Art. 12 Abs. 1 GG geschütztes Interesse auf den Erhalt ihrer Arbeitsplätze haben, so daß das Recht des Einzelnen unterliegt. Die Druckkündigung ist ein weiteres Beispiel dafür, daß das Kündigungsrecht davon bestimmt ist, welches verfassungsrechtlich geschützte Interesse sich gegenüber dem Gegeninteresse durchsetzt. Deshalb kann das Ergebnis nicht schematisch festgestellt werden. Entgegen der Rechtsprechung sollte zum Beispiel das Fehlen einer nachhaltigen Verteidigung des Arbeitnehmers durch den Arbeitgeber vor dem Druck für sich allein genommen kein Grund sein, die Kündigung für unwirksam anzusehen220 . Das in Artt. 12 Abs. 1 und 14 Abs. 1 GG verankerte unternehmensehe Organisationsinteresse ist hier berührt. Es sind Umstände denkbar, daß dieses Recht höher zu bewerten ist als das geschützte Bestandsinteresse des Arbeitnehmers aus Art. 12 Abs. 1 GG. Es kann nicht übersehen werden, daß für ihn die Situation ebenso belastend ist. Dem Arbeitgeber sollte deshalb der Gegenbeweis offenstehen, daß ein Einreden auf die Personen, die den Druck ausüben, sinnlos gewesen wäre.

(3) Exkurs: Entschädigungspflicht Die Lage des gekündigten Arbeitnehmers stellt im Kündigungsrecht allerdings eine Besonderheit dar. Er mußte gehen, um Schaden vom Betrieb abzuwenden. Der Gesetzgeber hat diesen Fall nicht als einen dringenden betrieblichen Grund im Sinne des § 1 KSchG vor Augen gehabt. Die Lage des Arbeitnehmers ähnelt vielmehr der Aufopferung, für die das Zivilrecht seit langem den Aufopferungsanspruch entwickelt hat221 • Es ist deshalb der BAG v. 18.09.1975 AP Nr. 10 zu§ 626 BGB Druckk:ündigung. A.A. Kittner/Däubler/Zwanziger, § 1 KSchG Rdz. 333. 220 A.A. BAG v. 18.09.1975 AP Nr. 10 zu § 626 BGB Druckkündigung; Preis, Prinzipien S. 230. 218

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Vorschlag gemacht worden, daß die Kündigung nicht ohne Zahlung einer Abfindung (§ 9 KSchG) gestattet wird222 . Die Vermutung ist erlaubt, daß dasselbe Ergebnis in der Praxis vielfach dadurch erreicht wird, daß das Gericht die Kündigung für ungerechtfertigt ansieht, einem Auflösungsantrag des Arbeitgebers aber stattgibt. bb) Ultima Ratio Ist die Kündigung dem Grunde nach berechtigt, so ist abzuwägen, ob sie das mildeste Mittel darstellt. Kann der Druck durch Versetzung abgewendet werden, ist der andere Arbeitsplatz dem Arbeitnehmer unter Umständen im Wege der Änderungskündigung anzubieten 223 . Der Grundsatz der ultima ratio verlangt weiter, auf den Ausspruch der Kündigung als fristlose zu verzichten. Es ist ein Übermaß und vom Organisationsinteresse aus Art. 14 Abs. 1 GG nicht mehr gedeckt, dem Arbeitnehmer zusätzlich noch den Makel einer solchen Kündigung und die damit verbundene Erschwerung bei der Suche nach einem neuen Arbeitsplatz aufzuerlegen. Hier setzt die Schutzpflicht zu seinen Gunsten aus Art. 12 Abs. 1 GG wieder ein. Bis zum Ablauf der Kündigungsfrist kann der Arbeitnehmer suspendiert werden, freilich nur unter Fortzahlung des Entgelts. Bei der Interessenahwägung kommt der Grundsatz zum Tragen, daß vorangegangenes Tun, hier des Arbeitgebers, das Risiko verschieben kann. Hatte er die Drucksituation selbst in vorwerfbarer Weise herbeigeführt, so entfällt sein Recht zur Kündigung224. Er hat in diesen Fällen keinen Anspruch auf den Schutz der Rechtsordnung, insbesondere des Grundgesetzes, so daß die oben beschriebenen Abwägungen nicht mehr zu seinen Gunsten entschieden werden können.

221 Larenz/Wolf, Allgemeiner Teil § 19 Rdz. 38; Konzen, Aufopferung im Zivilrecht, S. 228 ff. 222 MüKo-Schwerdtner, § 626 BGB Rdz. 181 ; ErfK-Müller-Glöge, § 626 BGB Rdz. 225; so schon Hersehe!, RdA 1953 S. 41, S. 42. 223 BAG v. 31.01.1996 AP Nr. 13 zu§ 626 BGB Druckkündigung (außerordentliche Änderungskündigung, da Arbeitnehmerio gemäß § 53 BAT unkündbar geworden war). 224 BAG v. 26.01.1962 AP Nr. 8 zu § 626 BGB Druckkündigung unter II. 4. a); Hueck/v. Hoyningen-Huene, § I KSchG Rdz. 204; a. A. ErfK-Müller-Glöge, § 626 BGB Rdz. 224.

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g) Absolute Sozialwidrigkeitsgründe aa) Widerspruch gemäß § 1 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 a) und b) KSchG Der Gesetzgeber hat normiert, daß die Kündigung dann scheitert, wenn durch den Widerspruch des Betriebsrats gegen die Kündigung gemäß § 1 Abs. 2 S. 2 ein sogenannter absoluter Sozialwidrigkeitsgrund225 vorliegt. "Absolut" soll heißen, daß nach Feststellung der Voraussetzungen für einen berechtigten Widerspruch eine abschließende Bewertung des Sachverhalts durch das Arbeitsgericht nicht mehr vorzunehmen ist. Fehlt es dagegen am Widerspruch (oder weist er einen Verfahrensmangel auf), dann soll die Verteidigung des Arbeitnehmers gegen die Kündigung auf die "relative" Sozialwidrigkeit nach § 1 Abs. 2 S. 1 KSchG beschränkt sein. Es kann unterstellt werden, daß das Bundesarbeitsgericht diese Lehre entwickelt hat, um der Neuregelung des § 1 KSchG von 1972 für den Fall einen Sinn vorzubehalten, wenn man mit dem Gericht auf den Widerspruch des Betriebsrats als Voraussetzung der ("relativen") Sozialwidrigkeit der Kündigung verzichtete226. Der Sinn der Lehre von der absoluten Sozialwidrigkeit ist nicht leicht zu erfassen. Eine "abschließende Bewertung" nimmt das Gericht vor, wenn es trotz Vorliegens eines Kündigungsgrundes die Kündigung in Anwendung der Interessenabwägung, etwa wegen ihrer besonderen Härte, für unwirksam halten will. Eine Interessenahwägung "zugunsten des Arbeitgebers" gibt es dagegen nicht. Fehlt es an einem Kündigungsgrund, ist die Kündigung stets und ohne weiteres nichtig, selbst wenn sich die Klage nur auf § 1 Abs. 2 S. 1 stützen kann, etwa weil ein Betriebsrat nicht besteht. Die relative Sozialwidrigkeit ist also nicht schwächer als die absolute. Die Schutzpflichten, die sich aus der Verfassung (Artt. 12 Abs. 1 und 14 Abs. 1 GG) für die einzelnen beteiligten Interessen ergeben, erlauben es nicht, daß hier nur ein minderer Schutz gewährleistet wird. Es läßt sich allerdings auch nicht mit einem ausgewogenen Interessenausgleich vereinbaren, wenn das Gericht ohne eigene Prüfungskompetenz an die Bewertung des Betriebsrats gebunden wäre. Es muß das Vorliegen des Kündigungsgrundes in gleicher Weise wie sonst prüfen 227 ; stellt sich heraus, daß die Kündigung begründet war, so war der Widerspruch des Betriebsrats unberechtigt und kann im Kündigungsschutzverfahren keine Wirkung entfalten. Es fehlt aus diesem Grund an der "absoluten SozialwidHueck/v. Hoyningen-Huene, § I KSchG Rdz. 495 ff. BAG v. 13.09.1972 AP Nr. 2 zu § I KSchG 1969; Hueck/v. HoyningenHuene, § I KSchG Rdz. 498. 227 Auch BAG v. 06.06.1984 AP Nr. 16 zu § I KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung (I. LS) spricht von den "durch die objektive Rechtslage begründeten Einwendungen" des Betriebsrats. 225 226

I. Abschn.: lll. Bestandsschutz durch das Kündigungsschutzgesetz

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rigkeit", die Kündigung ist wirksam. Ein anderes Ergebnis ließe sich nicht begründen. Das verfassungsrechtlich geschützte Recht des Arbeitgebers auf eine freie unternehmensehe Tätigkeit aus Artt. 14 Abs. l, 12 Abs. 1 GG wäre auf unverhältnismäßige Weise beeinträchtigt, wenn der Betriebsrat dem Arbeitgeber durch einen unberechtigten Widerspruch ein Kündigungsrecht, das die Rechtsordnung ihm gewährt, nehmen könnte. bb) Auswahlrichtlinie Bei der Bewertung der Interessen bedarf das Widerspruchsrecht nach § I Abs. 2 S. 2 Nr. I. a) KSchG einer besonders kritischen Betrachtung228 • Der Widerspruch kann vom Betriebsrat eingelegt werden, wenn die Kündigung gegen eine Auswahlrichtlinie gemäß § 95 BetrVG verstößt. Auswahlrichtlinien nach § 95 BetrVG spielen an sich eine untergeordnete Rolle. Es versteht sich, daß die Richtlinie dem Gesetz entsprechen muß229 • Damit besteht für Kündigungsrichtlinien kein großer Spielraum. Löwisch230 sieht deshalb Regelungsmöglichkeiten nur dort, wo die Richtlinie Verfahrensvorschriften, etwa die vorherige Anhörung des Arbeitnehmers, enthält, die nicht beachtet wurden. Verstößt der Arbeitgeber allerdings hiergegen, so ist die Kündigung bei erfolgtem Widerspruch unwirksam. Auf ein Verschulden des Arbeitgebers an dem Verstoß kommt es dabei nicht an. Folglich ist dies der einzige wirkliche "absolute Sozialwidrigkeitsgrund". Die gesetzgebensehen Motive für diese Regelung liegen ähnlich wie bei § 102 Abs. I S. 3 BetrVG darin, das Interesse an der Durchsetzung der Betriebsverfassung dem Interesse des Arbeitgebers an der Berücksichtigung dringender betrieblicher Erfordernisse, also der ordnungsgemäßen Führung des Betriebes vorzuziehen; geschützt wird ebenso das Vertrauen der Arbeitnehmer in die Einhaltung der Richtlinien, für die möglicherweise an anderer Stelle eine Konzession gemacht worden war. Es fragt sich trotzdem, ob der Gesetzgeber nicht mit dieser Regelung seine Gestaltungsmacht überschritten hat. Ihm steht zwar ein weiter Spielraum zu, doch muß dieser den verfassungsrechtlichen Wertungen ausreichend Rechnung tragen. Die Möglichkeit zur Kündigung aus dringenden betrieblichen Erfordernissen gehört zum Kernbereich der verfassungsrechtlichen Garantien für den Arbeitgeber aus 14 Abs. I GG. Seine Vertragsbeendigungsfreiheit gewährleistet Art. 12 Abs. l GG. Es besteht die Schutzpflicht der Rechtsordnung, diese geschützten Güter vor unzumutbaren 228 Bereits 1972 bei ihrer Einführung wurden die Regelungen als "gesetzestechnisch nicht (. . .) geglückt" angesehen, siehe Übersicht über das arbeitsrechtliche Schrifttum bei Heckelmann, ZfA 1973, S. 425, S. 489. 229 Richardi, § 95 BetrVG Rdz. 17. 230 Löwisch, § I KSchG Rdz. 383.

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Teil D: Die Gewährleistungen der Grundrechte und ihre Umsetzung

Beeinträchtigungen zu bewahren. Es muß ihm eine Unternehmensführung gestattet sein, mit der er den wirtschaftlichen Aspekten der freien Marktwirtschaft ausreichend Rechnung trägt. Von dieser wirtschaftlichen Unternehmensführunghängen ebenso die Interessen der anderen im Unternehmen beschäftigten Arbeitnehmer ab, die ihrerseits den Schutz aus Art.12 Abs. 1 GG in Anspruch nehmen können. Daß eine dem Grunde nach betrieblich dringend benötigte Kündigung in jedem Fall an einer betrieblichen Regelung scheitern soll, die ihrerseits keine verfassungsrechtliche Garantie für sich in Anspruch nehmen kann 231 , ist als Übermaß zu werten. Eine teleologische Reduktion der Vorschrift kann als Ergebnis der Interessenahwägung geboten sein. Es kommt dabei auf die Umstände des Einzelfalls an. Es ist zu unterscheiden, ob der Arbeitgeber die Auswahlrichtlinie versehentlich übersehen oder absichtlich verletzt hat; auch ist von Bedeutung, ob der Betriebsrat darin überhaupt eine Beeinträchtigung seiner Funktionen gesehen hatte. Vor allem aber kommt es darauf an, ob die Kündigung für die wirtschaftliche Existenz des Betriebes von großer Bedeutung ist.

4. Zwischenergebnis Die Prüfung des allgemeinen Kündigungsschutzgesetzes unter der Fragestellung, wie sich die Gewährleistungen der maßgeblichen Grundrechte aus Artt. 12 Abs. 1, 14 Abs. 1 und 2 Abs. 1 GG in ihrer rechtlichen Ausgestaltung niedergeschlagen haben, hat das folgende Bild ergeben: Der Gesetzgeber hat grundsätzlich durch die Schaffung des Kündigungsschutzgesetzes von seiner Regelungskompetenz Gebrauch gemacht und dabei seinen weiten Gestaltungsspielraum im wesentlichen nicht überschritten und den Schutzauftrag zugunsten des Arbeitnehmers aus Art. 12 Abs. 1 GG angemessen konkretisiert. Das Kündigungsschutzgesetz ist trotz seines geringen Erfolges, den Arbeitsplatz nach dem Ausspruch der Kündigung dem Arbeitnehmer zu erhalten, geeignet, bereits im Vorfeld der Kündigung den Arbeitnehmer davor zu bewahren, ohne sachlichen Grund den Arbeitsplatz zu verlieren. In der Konkretisierung der einander widersprechenden Interessen wurde in der Fülle der einzelnen Regelungen den Interessen des Arbeitnehmers der Vorzug vor den Interessen des Arbeitgebers eingeräumt. Ihre Überprüfung ergab, daß diese Bevorzugung des Arbeitnehmers in der Regel gerechtfertigt ist, da der Schutzauftrag der Verfassung aus Art. 12 Abs. 1 GG sehr hoch anzusetzen ist. Die Auslegung der gesetzlichen Regelungen obliegt den Gerichten, deren Rechtsprechung ebenfalls an den Aufträgen der Verfassung zu messen ist, und die im Ergebnis diesen angemessen nachkommen. 231

Dazu unten F.

I. Abschn.: IV. Bestandsschutz durch Anspruch auf Weiterbeschäftigung

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Eine andere Sichtweise war indessen im Bereich der "absoluten Sozialwidrigkeitsgründe" erforderlich. Es mußte festgestellt werden, daß die Entscheidung des Gesetzgebers, das Kündigungsrecht des Arbeitgebers zu beschneiden, wenn der Betriebsrat berechtigterweise gemäß § 1 Abs. 2 S. 2 Nr. 1 a) KSchG der Kündigung widerspricht, ein Übermaß darstellen kann. Die Einzelfallprüfung kann deshalb eine teleologische Reduktion der Vorschrift ergeben.

IV. Bestandsschutz durch den Anspruch auf Weiterbeschäftigung232 1. Anspruch auf Weiterbeschäftigung gemäߧ 102 Abs. 5 BetrVG a) Notwendigkeit der Weiterbeschäftigung

Einen besonderen Stellenwert für den Bestandsschutz nimmt eine Pflicht des Arbeitgebers ein, den Arbeitnehmer nach erfolgter Kündigung weiterzubeschäftigen. Heftig umstritten war und ist die Frage, ob Weiterbeschäftigung nach Ablauf der Kündigungsfrist verlangt werden kann, wenn der Arbeitnehmer Kündigungsschutzklage erhoben hat233 . Das Bedürfnis hierzu ist stark. Ist der Arbeitnehmer erst einmal aus dem Betrieb ausgeschlossen, kann er nichts dagegen tun, daß sein Arbeitsplatz anders besetzt wird oder sonstige Organisationsmaßnahmen eine tatsächliche Rückkehr erschweren bzw. praktisch unmöglich machen. Als Folge der Dauer der Kündigungsschutzverfahren gibt der Arbeitnehmer selbst dann auf, wenn die Kündigung sozialwidrig oder ein wichtiger Grund nicht gegeben ist. Die rechtliche Ausgangslage könnte für einen Anspruch auf Weiterbeschäftigung sprechen. Seit Inkrafttreten des Kündigungsschutzgesetzes 1951 wird das Arbeitsverhältnis durch eine sozialwidrige Kündigung nicht mehr aufgelöst, sein Weiterbestehen ist Gegenstand einer Feststellungsklage. Gehört die Beschäftigung zu den Pflichten des Arbeitgebers, dann hat die unwirksame Kündigung an dieser Pflicht nichts geändert. Andererseits hat eine wirksame Kündigung das Arbeitsverhältnis aufgelöst und die Beschäftigungspflicht beendet. Was gilt, ist bis zur rechtskräftigen Entscheidung offen, aber die eine Aussage ist nach dem Gesetzeswortlaut genauso gültig wie die andere. Die Ansicht war jedoch verbreitet, daß die unwirksame Kündigung insoweit neue Verhältnisse schafft, als die Beschäftigungspflicht erst einmal endet234. Man hatte sich daran gewöhnt, daß der KündigungsschutzErfK-Ascheid, § 4 KSchG Rdz. 94ff. Hueck/v. Hoyningen-Huene, § 4 KSchG Rdz. 94 mit umfassendem Überblick über die Diskussion. 23 2 233

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Teil D: Die Gewährleistungen der Grundrechte und ihre Umsetzung

prozeß tatsächlich nur um die Abfindung geführt wurde; zu diesem Zweck war aber eine Weiterbeschäftigung nicht nötig. b) Gesetzliche Regelung In einem Teilbereich hatte § 102 Abs. 5 BetrVG die Rechtslage geändert. Widerspricht der Betriebsrat der Kündigung unter den dort genannten engen Voraussetzungen - abschließender Katalog der Widerspruchsgründe; Widerspruch binnen einer Woche - schriftlich, so ist der Arbeitnehmer, wenn er Kündigungsschutzklage erhoben hat, unter den alten Bedingungen weiterzubeschäftigen, bis das Verfahren beendet ist235 . Die Bestimmung ist eine Reaktion auf die schon 1972 für jedermann erkennbare Tatsache, daß das Gesetz zu einem "Abfindungsgesetz" geworden war, seinen Zweck mithin nicht mehr erfüllte. Das Motiv für die Schaffung des § 102 Abs. 5 BetrVG war deshalb die "sachgerechte Sicherung des Arbeitsplatzes"236. § 102 Abs. 3 und 5 BetrVG waren das Ergebnis der Beratungen des zuständigen Ausschusses des Bundestages; sie erhielten ihre heutige Fassung aus einer Verbindung der Entwürfe der damaligen sozialliberalen Bundesregierung und der CDU/CSU. Sie haben große rechtliche Schwierigkeiten mit sich gebracht und können nicht als gelungene Rechtsentwicklung angesehen werden237 . Die erzwungene Weiterbeschäftigung aus einem der in Abs. 3 genannten Gründe kann das Unternehmensinteresse schwerwiegend verletzen. Ob eine Versetzung (Abs. 3 Nr. 3) innerhalb von Betrieb und Unternehmen möglich ist, betrifft den Kernbereich der Unternehmerischen Entscheidung, die der Richter nicht besser treffen kann als der Unternehmer. Dieser wird einen Mitarbeiter nicht entlassen, wenn er ihn an der vom Betriebsrat bezeichneten Stelle (insbesondere im gleichen Betrieb) einsetzen kann; lehnt er das ab, spricht zunächst einmal die Vermutung dafür, daß er seine Gründe haben wird. Ob diese Gründe lediglich vorgeschoben waren, wird sich im Prozeß herausstellen. Der Zwang zur unveränderten Weiterbeschäftigung kann hingegen eine notwendige Unternehmerische Maßnahme blockieren. Wenn sich später die Kündigung als wirksam erweist, kann der Schaden kaum wieder ausgeglichen werden. Es würde sogar an einem Anspruchsgegner fehlen; der gekündigte Arbeitnehmer hat nur ein Recht geltend gemacht, das ihm vom Gesetz gegeben wird. Der Betriebsrat ist nicht vermögensfähig, für eine Haftung der Mitglieder, die 234 Vgl. insbesondere BAG v. 26.05.1977 AP Nr. 5 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht 235 Zu den Voraussetzungen: Reidel, NZA 2000, S. 454, S. 455 ff. 236 So der Ausschußbericht zu BT- Drs. 6/2929 S. 7; dazu Brox, 25 Jahre BAG (1979) S. 37, S. 41 ff. 237 Krit. auch Lieb, Arbeitsrecht, S. 128, Rdz. 387.

I. Abschn.: IV. Bestandsschutz durch Anspruch auf Weiterbeschäftigung

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den Widerspruch formuliert haben, ist eine Grundlage nicht gegeben. Rein praktisch ist es ebensowenig lebensnah, daß der Arbeitgeber sich auf den Prozeß mit dem Betriebsrat einlassen würde. Die Weiterbeschäftigung gemäß Abs. 5 wird nur selten in Anspruch genommen. Das kann nicht verwundern. Schon die formellen Voraussetzungen führen zu Unterschieden bei gleichen Tatbeständen. Versäumt der Betriebsrat den Widerspruch um einen Tag oder bringt er ihn in gutem Glauben mündlich vor, so entfällt der Anspruch. Wegen dieser Mängel wurde die Forderung immer stärker, Weiterbeschäftigung unabhängig von § 102 Abs. 5 BetrVG zu ermöglichen. Dennoch blieb und bleibt das Hindernis, daß die Weiterbeschäftigung zur vorläufigen Sicherung des Arbeitsplatzes in § 102 Abs. 5 BetrVG ausdrücklich geregelt worden war. Alles sprach dafür, darüber nicht hinauszugehen. Der Umkehrschluß drängte sich auf238.

2. Rechtsfortbildung: Weiterbeschäftigungsanspruch Mit der Entscheidung des Großen Senats239 ist der Schritt richterlicher Rechtsfortbildung dennoch240 getan worden. Sie ist ein Beweis für die Stärke, mit der sich die Schutzpflicht aus Art. 12 Abs. 1 GG zu Wort gemeldet hat241 . Das Bundesarbeitsgericht setzte sich ohne großes Federlesen darüber hinweg, daß kurz vorher ein Vorstoß zweier sozialdemokratisch regierter Länder im Bundesrat, die Weiterbeschäftigung gesetzlich einzuführen, an der Mehrheit im Bundesrat gescheitert war42. Daß seine richterrechtliche Einführung einen Verstoß gegen die Gewaltenteilung darstellen würde, lag mithin nahe.

a) Begründung für die Rechtsfortbildung Das Bundesarbeitsgericht ging indessen davon aus, daß der Gesetzgeber den verfassungsrechtlichen Vorgaben zu wenig Beachtung geschenkt habe, es mithin Aufgabe des Gerichts gewesen sei, korrigierend einzugreifen. Die vom Großen Senat bevorzugte Begründung ist allerdings wenig überzeugend. Sie geht einmal dahin, Zweck des § I 02 Abs. 5 BetrVG sei nicht so sehr der Schutz des Arbeitnehmers als vielmehr der gewesen, die Stellung BAG v. 26.05.1977 AP Nr. 5 zu§ 611 BGB Beschäftigungspflicht unter III. 6. V. 27.02.1985 AP Nr. 14 zu§ 611 BGB Beschäftigungspflicht 240 Stark kritisch Bengelsdorf, DB 1986 S. 168 ff., 222 ff., der jedoch den verfassungsrechtlichen Hintergrund der Entscheidung übergeht. 241 Gamillscheg, FS Dieterich, (1999) S. 185, S. 186. 242 Vgl. die Darstellung bei Bengelsdorf, DB 1986, S. 168, S. 172. 238

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Teil D: Die Gewährleistungen der Grundrechte und ihre Umsetzung

des Betriebsrats gegenüber dem Arbeitgeber zu stärken243 . Wäre das richtig, würde sich, ebenso wie bei der Weiterbeschäftigung wegen Verletzung einer Auswahlrichtlinie, die Frage des Übermaßes stellen. Das Organisationsinteresse des Unternehmers, das seine verfassungsrechtliche Verankerung in Artt. 12 Abs. 1, 14 Abs. 1 GG findet, könnte so starken Beschneidungen nicht allein zum Zwecke der Sicherung betriebsverfassungsrechtlicher Rechte, die ihrerseits keine grundrechtliche Stütze haben, unterworfen werden. Die Äußerung im Ausschußbericht widerlegt jedoch die Ansicht des Bundesarbeitsgerichts. Zweck der Vorschrift war die "sachgerechte Sicherung des Arbeitsplatzes", so daß die Interessenahwägung zwischen den grundrechtliehen Gütern von Arbeitnehmer und Arbeitgeber vorzunehmen war. Ein zweites Argument des Großen Senats geht dahin, die Vorenthaltung der Beschäftigung verletze das Persönlichkeitsrecht des Gekündigten, der die Achtung seiner Mitwelt verliere. Es ist dies die Begründung von 1955244, die aber allenfalls in wenigen Ausnahmen einleuchtet; in der Masse der Fälle, in denen Weiterbeschäftigung verlangt wird, geht es nur um die materielle Sicherung des Arbeitsplatzes und dem Anliegen, seinen Arbeitsplatz nicht ohne sachlichen Grund zu verlieren. Es geht auf Seiten des Arbeitnehmers um den "Wert" des Art. 12 Abs. 1 GG, nicht der Artt. 1 und 2 GG. Die Begründung des Großen Senats ist fast ausschließlich auf Kritik gestoßen 245 . Sie hat jedoch nicht gehindert, daß die Weiterbeschäftigung seit 1985 praktiziert und im Wesentlichen nicht mehr angezweifelt wird. Die Praxis hat sich auf die Richtlinien des Großen Senats eingestellt. Sie gehen dahin, Weiterbeschäftigung bei offensichtlich unwirksamer Kündigung sofort (mittels einstweiliger Verfügung246), in den anderen Fällen bei entsprechender Klage zusammen mit dem der Kündigungsschutzklage stattgebenden Urteil von Arbeits- bzw. Landesarbeitsgericht zu bewilligen. Es gibt nur wenige Beispiele wie diese Rechtsfortbildung, daß sich ein soziales Schutzanliegen gegen ein neues Gesetz durchsetzt. Ohne den Schutzauftrag, den Art. 12 Abs. 1 GG gibt, ließe sich diese Entwicklung gar nicht erklären.

Gamillscheg, FS Dieterich, ( 1999) S. 185, S. 191. BAG v. I 0.11 .1955 AP Nr. 2 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht. 245 Vgl. Adomeit NJW 1986, S. 901 f.; Hueck/v. Hoyningen-Huene, § 4 Rdz. 99 m. w. N. Von Hoyningen-Huene, hält die Entscheidung für verfassungswidrig; Wank, RdA 1987 S. 129, S. 150f. 246 hierzu Reidel, NZA 2000, S. 454, S. 460. 243

244

I. Abschn.: IV. Bestandsschutz durch Anspruch auf Weiterbeschäftigung

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b) Rechtsfolgen bei Wirksamwerden der Kündigung

Wird die Kündigungsschutzklage schließlich abgewiesen oder nachträglich durch einen Vergleich wirksam oder wird das Ende des Arbeitsverhältnisses auf diesen Zeitpunkt zurückdatiert, weil das Arbeitsverhältnis gemäß § 9 KSchG aufgelöst wird, so steht nunmehr fest, daß die Beschäftigung nicht auf der Grundlage des Arbeitsvertrags erbracht wurde. Welche Wirkungen das auf die Gegenleistung für diese Zeit hat, ist umstritten247 . Der Große Senat hat sich zur Rechtsnatur des Weiterbeschäftigungsverhältnisses bei wirksamer Kündigung nicht festgelegt. Er spricht von einem möglicherweise faktischen oder einem nur tatsächlichen Arbeitsverhältnis248 ; der Unterschied des tatsächlichen zum faktischen Arbeitsverhältnis liege darin, daß bei erzwungener Weiterbeschäftigung der Wille des Arbeitgebers fehle, während beim faktischen Arbeitsverhältnis dieser Wille, zwar fehlerhaft und damit rechtlich unwirksam, doch immerhin gegeben sei. Erfolgt die Weiterbeschäftigung lediglich zur Abwendung der Zwangsvollstreckung aus dem Weiterbeschäftigungsurteil, so besteht bei später festgestellter Wirksamkeit der Kündigung kein Rechtsgrund für die Weiterbeschäftigung. Die gegenseitigen Ansprüche von Arbeitgeber und Arbeitnehmer sind deshalb nach der Ansicht des Bundesarbeitsgerichts mit den Grundsätzen des Bereicherungsrechtes abzuwickeln. Das hat komplizierte Abwägungen zur Folge, welcher Teil der Gegenleistung des Arbeitgebers dem Wert der zugeflossenen Arbeit entspricht und für den damit gemäß § 818 Abs. 2 BGB Wertersatz zu leisten ist und welcher nicht. So hat das Gericht in einer Leitentscheidung249 die Jahressonderleistung, nicht aber Urlaubsahgeltung und Krankenentgelt, zum zu ersetzenden Wert gerechnet. Richtiger erscheint die Ansicht, die hier ein faktisches Arbeitsverhältnis annimmt250. Das bedeutet, daß das Arbeitsverhältnis während der Zeit der Weiterbeschäftigung wie ein fehlerfreies zu behandeln ist251 . Dies wird am besten der Schutzpflicht aus Art. 12 Abs. 1 GG, soweit sie sich auf die Ausübung des Berufs bezieht, gerecht. Es muß jeden Arbeitnehmer von der Forderung nach Weiterbeschäftigung abschrecken, wenn ihm mit der Rück247 Lieb, Arbeitsrecht, S. 130, Rdz. 393; Löwisch, Arbeitsrecht, S. 380, Rdz. 1379; Zöllner/Loritz, ArbeitsrechtS. 306f. 248 BAG GS AP Nr. 14 zu § 611 BGB Beschäftigungspflicht unter II. 3. b). 249 V. 10.03.1987 AP Nr. 1 zu§ 611 BGB Weiterbeschäftigung; siehe auch BAG v. 17.01.1991 u. 12.02.1992 AP Nr. 8, 9 zu§ 611 BGB Weiterbeschäftigung; billigend ErfK-Preis, § 611 BGB Rdz. 173. 250 Kreßel, JZ 1988, S. 1102, S. 1106f.; Künzl, ArbuR 1993, S. 389, S. 394; Löwisch, Arbeitsrecht, S. 380, Rdz. 1379; LAG Niedersachsen v. 10.03.1989 LAGE § 611 Beschäftigungspflicht Nr. 27; Gamillscheg, FS Dietelich (1999) S. 185, s. 197ff. 25 1 Schaub, ArbRHandB § 35 III. 3.

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Teil D: Die Gewährleistungen der Grundrechte und ihre Umsetzung

zahlung überzahlter Teile des Entgelts oder sogar mit Schadensersatzklagen, die auf § 717 Abs. 2 ZPO begründet werden, gedroht wird. Die verfassungsrechtlichen Rechte des Arbeitgebers, eine wirksame Kündigung auszusprechen oder das Verfahren in der geschilderten Art zu beenden, müssen hier zurückstehen. Insbesondere ist zu berücksichtigen, daß er für seine Leistungen einen adäquaten Gegenwert, nämlich die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers, erhalten hat.

V. Wiedereinstellungsanspruch Ein weiteres Beispiel für den Durchsetzungswillen des in Art. 12 Abs. 1 GG enthaltenen Wertes und der aus ihm abzuleitenden Schutzpflicht ist die neuere Lehre zum Wiedereinstellungsanspruch252 . Das Problem ist dabei das folgende: 1. Ausgangslage

Für die Bestimmung der Wirksamkeit der Kündigung kommt es nach allgemeiner Ansicht auf ihren Zugangszeitpunkt an 253 . Eine Kündigung, die in diesem Augenblick begründet ist, bleibt dies grundsätzlich selbst dann, wenn sich bis zum Ende der Kündigungsfrist bzw. des Kündigungsschutzverfahrens neue Tatsachen ergeben, die den Kündigungsgrund wegfallen lassen, sei es, daß sich die Prognoseentscheidung nicht erfüllt, sei es, daß sich nachträglich die Möglichkeit für eine Versetzung durch einen freiwerdenden Arbeitsplatz ergibt254 • Diese Regel besteht aus Gründen "der Rechtssicherheit, Verläßlichkeit und Klarheit"255 . Das Bundesarbeitsgericht hat dies vor kurzem ausdrücklich bestätigt256 . 2. Neuere Rechtsprechung zum Wiedereinstellungsanspruch

Das Bundesarbeitsgericht hat in jüngsten Entscheidungen diese starre Sichtweise insoweit erheblich gelockert, als es bei Vorliegen bestimmter 252 Boewer, NZA 1999, S. 1121 ff.; ders., NZA 1999, S. 1177ff.; Raab, RdA 2000, S. 147ff.; Kaiser, ZfA 2000, S. 205ff.; Nicolai/Noack, ZfA 2000, S. 87ff. 253 Raab, RdA 2000, S. 147, S. 151; Kaiser, ZfA 2000, S. 205, S. 209; Hueck/ v. Hoyningen-Huene, §I KSchG Rdz. 156 m.w.N. aufRspr. und Lit. 254 BAG v. 15.12 1994 AP Nr. 66 zu § I KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung unter II. 3. a); dazu Boewer, NZA 1999, S. 1121, 1123. 255 BAG v. 27.02.1997 AP Nr. I zu § I KSchG 1969 Wiedereinstellung unter 11.4.b). 256 BAG v. 27.02.1997 AP Nr. zu § I KSchG 1969 Wiedereinstellung unter 11.2.c).

l. Abschn.: V. Wiedereinstellungsanspruch

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Umstände einen eigenständigen Wiedereinstellungsanspruch des Arbeitnehmers in Aussicht stellt257 . Davon erfaßt sind die Fälle, in denen sich beispielsweise innerhalb des Laufs der Kündigungsfrist die Prognose als falsch erweist - im entschiedenen Fall kam es doch noch zu einem Betriebsübergang, so daß der Arbeitsplatz nicht mehr wegfiel258 • Denkbar ist auch, daß die Krankheit im Augenblick der Kündigung als dauerhaft erscheint und dennoch rechtzeitig abheilt259 ; oder es kommen neue Aufträge herein, mit denen niemand rechnen konnte, und die innerhalb der Kündigungsfrist den Wegfall des Arbeitsplatzes verhindern. Ist es in solchen Fällen möglich, den Arbeitnehmer trotz der bereits ausgesprochenen Kündigung weiterzubeschäftigen, so soll ihm nunmehr grundsätzlich ein selbständiger Wiedereinstellungsanspruch zustehen 260 • Der Anspruch entsteht nicht, wenn der Arbeitgeber bereits gutgläubig Dispositionen getroffen hat, die die Wiedereinstellung unzumutbar erscheinen lassen261 . Stehen weniger Arbeitsplätze zur Wiederbesetzung zur Verfügung, als Mitarbeiter entlassen wurden, hat sich der Arbeitgeber an die Regeln der sozialen Auswahl zu halten262 • 3. Dogmatische Begründungsversuche263

Dogmatisch begründet das Bundesarbeitsgericht diesen Anspruch mit § 242 BGB, dem für Fälle des widersprüchlichen Verhaltens eine anspruchsbegründende Wirkung zuerkannt wird264. Das findet bereits im Anfechtungsrecht eine Parallele: Anfechtung ist wie die Kündigung ein rechtsvernichtendes Gestaltungsrecht Im Anfechtungsrecht sind Fälle denkbar, in denen eine im Zeitpunkt der Anfechtungserklärung vorhandener Grund im nachhinein wieder wegfällt. Mit dem Grundsatz des ,.Venire contra factum proprium" ist in solchen Situationen anerkannt, daß sich der Anfechtende unter Umständen an dem Vertrag festhalten lassen muß265 . 257 BAG v. 27.02.1997 AP Nr. I zu§ I KSchG 1969 Wiedereinstellung; BAG v. 17.06.1999 NZA 1999, S. 1328; hierzu Meinel/Bauer, NZA 1999, S. 575, S. 576.; stark kritisch Ricken, NZA 1998, S, 460. 258 BAG v. 27.02.1997 AP Nr. I zu § I KSchG 1969 Wiedereinstellung; LAG Hamm v. 28.07.1999, NZA-RR 2000, S. 134f. 259 Eine positive Gesundheitsprognose muß allerdings bestehen, BAG v. 17.06.1999 NZA 1999, S. 1328 (eine dreiwöchige Entziehungskur bei einem Alkoholiker reicht noch nicht aus). 260 Zur Ausgangslage vgl. Raab, RdA 2000, S. 147, S. 148. 261 BAG v. 27.02.1997 AP Nr. I zu § 1 KSchG 1969 Wiedereinstellung unter II.4.d)dd); Boewer, NZA 1999, S. 1177, S. 1178. 262 KR-Etzel,§ I KSchG Rdz. 569; )dd); Boewer, NZA 1999, S. 1177, S. 1179. 263 Siehe auch Darstellung bei Raab, RdA 2000, S. 147, 149ff. 264 BAG v. 27.02.1997 a. a.O. unter II. 4. c); dazu Boewer, NZA 1999, S. 1121, S. 1126.

9 Gamillschcg

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Teil D: Die Gewährleistungen der Grundrechte und ihre Umsetzung

Eine mit der Fürsorgepflicht begründete Wiedereinstellungspflicht hatte schon Alfred Hueck266 bejaht. Eine andere Begründung für dieses Ergebnis könnte die Herleitung aus dem ultima ratio Prinzip sein. Der Grundsatz besagt in diesem Zusammenhang, daß die endgültige Kündigung das Verhältnismäßigkeitsgebot verletzt, wenn dem Interesse des Arbeitgebers mit einer vorläufigen Kündigung hinreichend gedient ist. Der Eingriff in das Bestandsschutzinteresse des Arbeitnehmers ist nur mit der Einschränkung gestattet, daß der Arbeitgeber das Risiko einer falschen Prognose trägt. Eine weitere Lösung wäre gewesen, auf den Zeitpunkt des Ablaufs der Kündigungsfrist abzustellen267 , so wie es das Bundesarbeitsgericht im Rahmen der Verdachtskündigung annimmt; sie käme bei den Kosten des Kündigungsprozesses zu einem unterschiedlichen Ergebnis. 4. Wiedereinstellungsanspruch als Ergebnis von "praktischer Konkordanz"

Im Ergebnis führen alle Begründungsansätze zu der Konsequenz, daß dem Arbeitnehmer sein Arbeitsplatz erhalten bleiben soll. Der eigentliche dogmatische Auftrag hierfür läßt sich aus den verfassungsrechtlichen Vorgaben widerspruchsfrei herleiten268 . Der Verlust des Arbeitsplatzes trotz des Wegfalls des Kündigungsgrundes wegen beispielsweise einer zwischenzeitlich widerlegten Prognose wäre mit den verfassungsrechtlichen Garantien aus Art. 12 Abs. 1 GG, den Arbeitsplatz nicht ohne sachlichen Grund zu verlieren, nicht vereinbar. Die formalen Aspekte der Rechtssicherheit, Verläßlichkeit und Klarheit können das elementare Recht des Arbeitnehmers auf Erhaltung des Arbeitsplatzes nicht von vornherein verdrängen. Das Beharren des Arbeitgebers auf der Kündigung ist so lange nicht durch die Abwägung der verfassungsrechtlichen Güterkollision gedeckt, soweit sein Organisationsinteresse nicht übermäßig beansprucht wird. Ob ein Wiedereinstellungsanspruch entsteht, stellt sich innerhalb des Laufs der Kündigungsfrist, also während einer feststehenden und überschaubaren Zeitspanne heraus. Besteht noch die unveränderte Möglichkeit zur Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers, so ist das Organisationsinteresse nicht tangiert, zumindest kann es das Bestandsinteresse des Arbeitnehmers nicht verdrängen. Preis, Prinzipien S. 353 m. w. N. FS für Hedemann S. 312, S. 327f.; dagegen Ricken, NZA 1998, S. 460, s. 463. 267 Gamillscheg, AcP 164 (1964), S. 385, S. 393f. 268 Dies wird von Kaiser, ZfA 2000, S. 205, S.208 nicht berücksichtigt. Auch Nicolai/Noack gehen von einer grenzüberschreitenden Rechtsfortbildung aus, ZfA 2000, s. 87, s. 113. 265

266

l. Abschn.: V. Wiedereinstellungsanspruch

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Die Grenzen der praktischen Konkordanz verschieben sich erst dann wieder, wenn der Arbeitgeber gutgläubig Dispositionen über die betriebliche Struktur getroffen hat, die die Wiedereinstellung unzumutbar erscheinen lassen269 , dann überwiegen seine Rechte aus Artt. 12 Abs. 1 und 14 Abs.1 GG das Interesse des Arbeitnehmers wieder und ein Wiedereinstellungsanspruch besteht nicht. Es ist deshalb nicht einzusehen, weshalb ein solcher Wiedereinstellungsanspruch eine weitere unerträgliche Rechtsunsicherheit darstellen soll, wie dies teilweise angenommen wird270• Die verfassungsrechtlich geschützten Interessen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer sind, den Umständen der Einzelsituation angepaßt, jeweils in einen angemessenen Ausgleich zu bringen. Es ist auch erforderlich, diesen verfassungsrechtlichen Auftrag über einen selbständigen Wiedereinstellungsanspruch umzusetzen, wie es die Lösung des Bundesarbeitsgerichts vorsieht271 . Auf diese Weise kann verhindert werden, daß der Arbeitgeber im gerichtlichen Verfahren einen Auflösungsantrag gemäß § 9 Abs. 1 S. 2 KSchG stellt. Das Antragsrecht besteht als echter Eventualantrag nicht, wenn die soziale Rechtfertigung der Kündigung zunächst positiv festgestellt wird und ein eigenständiger Wiedereinstellungsanspruch bejaht wird. Anders läge der Fall, wenn für die Frage der Rechtswirksamkeit der Kündigung auf den Ablauf der Kündigungsfrist abgestellt würde oder wenn das Fehlgehen der Prognoseentscheidung als Teil der ultima ratio angesehen würde. Nach diesen Lösungen stünde dem Arbeitgeber prozeßrechtlich das Antragsrecht gemäß § 9 Abs. 1 S. 2 KSchG zu, da die Kündigung selbst sozialwidrig wird. Im Einzelfall mag man zwar dem Antrag des Arbeitgebers den Einwand des Rechtsmißbrauchs entgegenhalten können. Solche Lösungen sind aber angesichts der verfassungsrechtlichen Bedeutung des Arbeitsplatzerhaltes mit einer nicht akzeptablen Rechtsunsicherheit verbunden.

269 BAG v. 27.02.1997 AP Nr. I zu § I KSchG 1969 Wiedereinstellung unter II. 4. d) dd); Boewer, NZA 1999, S. 1177, 1178. Ausführliche Darstellung der verschiedenen Interessenlagen auch bei Raab, RdA 2000, S. 147, S. 154, der es allerdings versäumt, die Grundrechtsgarantien als dogmatische Grundlage seiner Erwägungen anzuerkennen. Insoweit muß seiner Feststellung widersprochen werden, daß der Wiedereinstellungsanspruch eine "Entdeckung" der Rechtsprechung sei, a. a. 0 . S. 165. 270 So aber Ricken NZA 1998, S. 460, S. 465 . 271 Zustimmend Boewer, NZA 1999, S. 1121, S. 1128; ablehnend aus prozeßrechtlichen, betriebsverfassungsrechtlichen und kündigungsschutzrechtlichen Gesichtspunkten: Kaiser, ZfA 2000, S. 205, S. 214 f. 9*

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Teil D: Die Gewährleistungen der Grundrechte und ihre Umsetzung

5. Wiedereinstellung als tariflicher Anspruch Von der Wiedereinstellungspflicht, weil sich die Prognose nicht bewahrheitet hat, ist die Pflicht zur Wiedereinstellung nach Entlassung wegen Arbeitsmangels zu unterscheiden, die zuweilen Gegenstand von Tarifverträgen ist272 . Für den Arbeitgeber bedeutet sie die Möglichkeit, nach Behebung der Flaute (oder bei Saisonarbeit: nach Wiederaufnahme der Arbeit) auf eingearbeitete Kräfte zurückgreifen zu können. Der Arbeitnehmer nimmt die Kündigung leichter hin, wenn er mit der Wiedereinstellung rechnet, wie das insbesondere bei witterungsabhängigen Arbeitsverhältnissen oft der Fall ist. Im Rahmen solcher Wiedereinstellungspflichten ist der Arbeitgeber nicht verpflichtet, das Gebot der sozialen Auswahl zu beachten273 . In solchen Fällen ist jedoch die Interessenahwägung neu vorzunehmen. In sie einzubeziehen sind hier auch die Interessen der anderen Arbeitslosen aus Art. 12 Abs. I GG, auf deren Kosten die Wiedereinstellung der eingearbeiteten Arbeitnehmer geht, da ihnen auf diese Weise die Chance, wieder zu Arbeit zu kommen, verkürzt wird. Freilich gilt es auf der anderen Seite, auch die Tarifautonomie zu beachten, deren Gewicht durch Art. 9 Abs. 3 GG ganz erheblich zu bewerten ist. Im Ergebnis ist deshalb von der Rechtmäßigkeit solcher Vereinbarungen auszugehen. Ob sie immer sozial wünschbar sind, ist eine andere Frage.

VI. Kündigungsverbot wegen eines Betriebsübergangs Eine weitere wichtige Absicherung des Bestands des Arbeitsverhältnisses bilden § 613 a Abs. 1 und 4 BGB. Die Vorschrift ist ein weiteres Beispiel für eine Nachbesserung der Rechtslage durch den Gesetzgeber, zu der Art. 12 Abs. I GG den Auftrag gab. § 613 a Abs. 1 BGB wurde 1972 in das BGB eingefügt. Er besagt, daß die Arbeitsverhältnisse bei einem rechtsgeschäftlichen Erwerb des Betriebes auf den Erwerber kraft Gesetzes übergehen. Um Absatz 4, der eine Kündigung wegen des Betriebsübergangs für unwirksam erklärt, wurde die Vorschrift durch das Arbeitsrechtliche EGAnpassungsgesetz vom 13.08.1980274 ergänzt. Vorher hatte es hierfür an einer positivrechtlichen Grundlage gefehlt. Der einzige Fall eines automatischen Übergangs eines Rechtsverhältnisses war § 571 BGB gewesen, der den Erwerbereines Hausgrundstücks in die Mietverträge eintreten läßt. Für die anderen Fälle hatte die herrschende MeiSiehe nur BAG v. 23.02.2000 NZA 2000, S. 894, 895. BAG v. 15.03.1984 AP Nr. 2 zu§ I KSchG 1969 Soziale Auswahl 274 BGBI. (1980) I S. 1308. Umsetzung der Richtlinie v. 14.02.1977 zur Angleichung der Rechte über die Wahrung von Ansprüchen der Arbeitnehmer beim Übergang von Unternehmen, Betrieben und Betriebsteilen. Kittner/Däubler/Zwanziger, § 613a Rdz. 2ff.; MüKo-Schaub, § 613a Rdz. 2. 272 273

I. Abschn.: VI. Kündigungsverbot wegen eines Betriebsübergangs

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nung einen dreiseiligen Vertrag zwischen Veräußerer, Erwerber und betroffener Person verlangt. Für die Übertragung eines Betriebs hatte das bedeutet, daß der Erwerber die Übernahme eines Arbeitnehmers ablehnen konnte; damit war er (in den Grenzen des offensichtlichen Rechtsmißbrauchs) frei gewesen, die leistungsschwächeren Arbeitnehmer auszuschließen. Auf die Veräußerung selbst hatte (und haben) weder der Arbeitnehmer noch der Betriebsrat Einfluß. Manche Stimmen in der Rechtslehre, beispielsweise Nikisch275 , hatten eine entsprechende Anwendung des § 571 BGB auf den Erwerb eines Betriebs angeregt. Das Bundesarbeitsgericht war dem nicht gefolgt. Es hatte sich allgemein noch nicht festgelegt, in einzelnen Fällen den automatischen Übergang des Arbeitsverhältnisses jedoch vemeint276. Diese unbillige Rechtslage wurde durch die Einfügung des § 613 a BGB beseitigt. Die Vorschrift will verhindern, daß die Arbeitgeber, "ohne § 1 Abs. 3 KSchG beachten zu müssen, sich für die jungen, unverbrauchten, gegen die langjährig beschäftigten und verschlissenen, kurzum die besonders schutzbedürftigen Arbeitnehmer entscheiden dürfen"277 • Daß damit einmal eine Betriebsübernahme mit Rettung der Restarbeitsplätze scheitert, hat der Gesetzgeber in Kauf genommen. Die Entscheidung liegt innerhalb seines Beurteilungsspielraums. In der Mehrzahl der Fälle ergibt sich die Nichtigkeit allerdings bereits daraus, daß der Betriebsübergang als solcher keinen Arbeitsplatz wegfallen läßt, mithin keinen Kündigungsgrund darstellt278 . Dennoch ist Abs. 4 mehr als diese Klarstellung, nämlich ein selbständiges Kündigungsverbot im Sinn von § 13 Abs. 3 KSchG. Daraus folgt, daß die Klagefrist des § 4 KSchG nicht eingehalten zu werden braucht. Viel Sinn gibt das freilich nicht, da hier Verwirkung nicht allzu spät eingreift: es liegt deshalb nahe, die Frist dennoch - analog - anzuwenden. Dafür spricht ebenso § 113 Abs. 2 lnsO, der dies neuerdings bei einem Betriebsübergang im Insolvenzverfahren anordnet, und die kürzlich eingeführte Übernahme der Frist bei der Anfechtung des Ablaufs einer Befristung, § 1 Abs. 5 BeschFG279. Dem Organisationsinteresse des Arbeitgebers wäre eine einArbeitsrecht, I. Bd., 3. Aufl., S. 659ff. Leitender Angestellter: BAG v. 18.02.1960 AP Nr. I zu § 419 BGB Betriebsnachfolge; Lehrer an einer Privatschule: v. 29.11.1962 Nr. 6 a.a.O.; Ruhegeldempfänger, früherer leitender Angestellter: v. 29.04.1966 Nr. 7 a.a.O. 277 BAG v. 26.05.1983 AP Nr. 34 zu§ 613a BGB unter B. II. 4. c). 278 Zur besonderen Frage des Wiedereinstellungsanspruchs, wenn die geplante Betriebsstillegung durch eine Betriebsübernahme gemäß § 613 a BGB überholt wird, s. Boewer, NZA 1999, S. 1177, S. 1179. 279 allgemein zur Befristungsklage: Vossen, NZA 2000, S. 704ff.; wird die Frist versäumt, so wird auch wie im Kündigungsschutzrecht das Vorliegen einer wirksamen Befristung fingiert: BAG v. 09.02.2000, S. 712. Seit dem 01.01.2001 in § 17 Tz BfG geregelt. 275

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Teil D: Die Gewährleistungen der Grundrechte und ihre Umsetzung

heitliche Handhabung förderlich, den Schutzzweck der Vorschrift würde dies nicht gefährden. 2. Abschnitt

Einschränkungen des allgemeinen Kündigungsschutzes mit dem vordringlichen Ziel der Sicherung von Unternehmerrechten I. Artt. 12 Abs. 1, 14 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG und der Schutz der Arbeitgeberinteressen Der Arbeitgeber genießt als Unternehmer die Berufsfreiheit aus Art. 12 Abs. 1 GG; seine Arbeit ist ebenfalls Ausdruck seiner Persönlichkeit, so wie die Verfassung eine abgestimmte freiheitliche wirtschaftliche Betätigungsfreiheit in Art. 2 Abs. I GG gewährleistet. Vor allem kann er sich auf den Schutz des Art. 14 Abs. I GG berufen. Die "Funktionsfähigkeit des Unternehmens ist Ausdruck dieses Grundrechts" 280• Diese Rechte und Interessen des Arbeitgebers 281 , die für ein frei(er)es Kündigungsrecht streiten ("Unternehmensschutz" und "Organisationsinteresse"), sind im Vorangegangenen bereits vielfach erwähnt worden, da sie bei der Herstellung der praktischen Konkordanz stets zu beachten sind. Die bisherige Anwendung der Konkordanzlehre bezog sich aber mehr auf Fallgestaltungen, in denen die Abwägung der widerstreitenden Grundrechte primär durch Normen und Abwägungsgrundsätze zugunsten der Arbeitnehmerseite bestimmt war. Es ist nunmehr die Konkordanzprüfung auf die Fälle auszudehnen, in denen das Arbeitsrecht (oder seine Abwägungsprinzipien) seinerseits die Verfassungsposition des Arbeitgebers konkretisiert. Im Kernbereich der Unternehmerischen Betätigung hat die Rechtsordnung darauf zu achten, daß die durch Art. 12 Abs. I, 14 Abs. 1 und 2 Abs. I GG geschützten Werte im unverzichtbaren Umfang gewahrt bleiben; die Interessen des Arbeitnehmers müssen im gleichen Umfang zurücktreten. Es ist deshalb zu untersuchen, ob auch für diese Bereiche jeweils ein angemessener Ausgleich der widerstreitenden Interessen gefunden wurde und zu finden ist. 1. Der formelle Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes Zu den wichtigsten - und umstrittensten - Bereichen, die dem Unternehmerinteresse den Vorrang vor dem Arbeitnehmerinteresse geben, gehört der 280 281

So Mitbestimmungsurteil des BVerfG v. 01.03.1979 E 50, S. 290, S. 352. Vgl. Müller, Die Berufsfreiheit des Arbeitgebers (1996).

2. Abschn.: I. Artt. 12 Abs. I, 14 Abs. I, 2 Abs. I GG

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eingeschränkte Anwendungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes. § 1 Abs. 1 KSchG schützt nicht alle Menschen, die abhängige Arbeit leisten, sondern nur Arbeitnehmer, die bereits eine Wartezeit von sechs Monaten in Betrieben erfüllt haben, die nicht nach § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG vom Geltungsbereich des Gesetzes ausgenommen sind (Kleinbetriebsklausel). Grundsätzlich ist dem Gesetzgeber hier wie sonst auch ein weiter Gestaltungsspielraum eingeräumt, die politische Gestaltung der Gesellschaft kann nicht auf die Gerichte verlagert werden. Der Gleichheitssatz, der den Gesetzgeber genauso bindet, verbietet jedoch Unterscheidungen, die nicht mehr durch anerkennenswerte Zwecke gerechtfertigt werden und damit den Stempel der Willkür tragen. Es gilt also auch für den Bereich der formellen Voraussetzungen des Kündigungsschutzgesetzes zu prüfen, ob und wie das Gesetz selbst und seine Auslegung den Konkordanznotwendigkeiten des divergierenden Verfassungsrechts entspricht.

a) Arbeitnehmerbegriff Dies gilt bereits für die Bestimmung des Arbeitnehmerbegriffs. Kündigungsschutz genießt nur der Arbeitnehmer. Dieser Begriff wird in § 1 Abs. 1 KSchG nicht definiert. Es ist mithin auf den allgemeinen Arbeitnehmerbegriff282 zurückzugreifen. Dieser ist in seinem Kernbereich unproblematisch, in den Randbereichen zum Werkunternehmer bzw. Dienstnehmer überaus unscharf283 . Eine Definition, unter die in Zweifelsfallen subsumiert werden kann, ist in der Wissenschaft bisher nicht gefunden worden. Die Praxis beruft sich zwar auf die sogenannte persönliche Abhängigkeit, doch ist das eine Leerformef84, die nicht verdeckt, daß nach vielem Hin und Her letztlich das Gericht entscheidet. Im wesentlichen wird auf den Grad der Fremdbestimmtheit der Arbeitszeit abgestellt. Die Rechtsprechung befindet sich jedoch im Wandel. In Zeiten moderner Arbeitszeitformen, die ein hohes Maß an Flexibilität bei der Arbeitszeiteinteilung mit sich bringen, kann die Arbeitnehmereigenschaft nicht mehr hiervon maßgeblich abhängig gemacht werden. Die aus Art. 12 Abs. 1 GG resultierende Schutzpflicht gebietet vielmehr, daß umgedacht wird und der Arbeitnehmerbegriff parallel zu den Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt weiterentwickelt wird. Die Einzelheiten füllen in den Kommentaren viele Seiten. Sie sind hier nicht darzustellen285. Gemeinsam ist ihnen indessen, daß die Ableitung aus der Schutz282 Vgl. KR-Etzel, § I KSchG Rdz. 33ff.; Kittner/Däubler/Zwanziger, Ein!. Rdz. 32 ff.; MünchArbR/Richardi § 24. 283 Die aktuelle Problematik der "falschen Selbständigen" ist ein Thema für sich, das deshalb an dieser Stelle aus der Betrachtung bleibt. 284 So MünchArbR/Richardi § 24 Rdz. 22 f.

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pflicht des Art. 12 Abs. l GG kaum je selbst nur angesprochen wird. Erst das LAG Köln hat hier in einer bemerkenswerten Initiative zur Neubestimmung des Arbeitnehmerbegriffs den nötigen Bezug hergestellt286. Die Praxis stellt bei der Einordnung in den Begriff des Arbeitnehmers auf die tatsächliche Gestaltung der Beziehungen zwischen den Parteien ab, nicht auf das Etikett, das sie ihrem Vertrag aufgeklebt haben. Handelt es sich danach um abhängige Arbeit, wie sie typischerweise von Arbeitnehmern geleistet wird, so ist das Arbeitsrecht und damit der Kündigungsschutz anwendbar87 . Die zwingenden Bestimmungen des Arbeitsrechts können damit nicht umgangen werden. Das Abstellen auf die tatsächlichen Verhältnisse darf jedoch nicht absolut gelten. Wenn nach der objektiven Lage sowohl ein Arbeitsverhältnis als auch ein freier Dienstvertrag gegeben sein kann, entscheidet der Wille der Parteien288 . Hat der Beschäftigte sich frei und unbeeinflußt für einen Werk- oder Dienstvertrag entschieden, so ist das zu respektieren 289 . Insoweit darf sein Vertrag nicht gegen seinen Willen als Arbeitsvertrag gewertet werden. Ob Freiwilligkeit besteht, ist im wesentlichen eine Beweisfrage. Sie wird immer im Sinn der Selbständigkeit zu entscheiden sein, wenn der Beschäftigte selbst im Prozeß auf dieser Stellung aufbaut, etwa, um eine Vergütung einzuklagen, die ihm als Arbeitnehmer nicht zustehen würde. Die Konsequenz ist natürlich, daß er sich entscheiden muß. Er kann nicht einerseits die höhere Vergütung des Werkunternehmers verlangen und sich später andererseits, etwa in einem Kündigungsverfahren, auf seine Stellung als Arbeitnehmer berufen. Auch diese Regelung findet letztlich ihre Stütze in der Verfassung. Art. 12 Abs. 1 285 Vgl. nur aus der Ietzen Zeit: Arbeitnehmereigenschaft bejaht: Sprecher und Übersetzer in einer Rundfunkanstalt, BAG v. 22.3.1998 EzA § 611 Arbeitnehmerbegriff Nr. 64; pauschal bezahlter Fotoreporter: v. 16.6.1998 EzA § 611 Arbeitnehmerbegriff Nr. 65; Familienhelferin: Arbeitnehmereigenschaft bejaht, BAG v. 6.5.1998 EzA § 611 Arbeitnehmerbegriff Nr. 66; freier Mitarbeiter: Sportreporter, BAG v. 22.4.1998 EzA § 611 Arbeitnehmerbegriff Nr. 67; Rechtsanwalt: "kann freier Mitarbeiter sein", BAG v. 3.6.1998 EzA § 611 Arbeitnehmerbegriff Nr. 70.Aus der Literatur vgl. MünchArbR/Richardi § 24; Hueck/v. Hoyningen-Huene, § I KSchG Rdz. 22ff.; Griebeling, NZA 1998, S. 1137ff. 286 LAG Köln v. 30.6.1995 ArbuR 1996, S. 413, zitiert bei Kittner/Däubler/ Zwanziger, Ein!. Rdz. 37a. 287 Unbestritten, vgl. zuletzt BAG v. 19.11.1997 AP Nr. 90 zu§ 611 BGB Abhängigkeit unter I. I. b); MünchArbR/Richardi § 24 Rdz. 52ff.; Wank, Arbeitnehmer und Selbständige (1988), S. 111 ff. 288 BAG v. 08.06.1967 AP Nr. 6 zu§ 611 BGB Abhängigkeit; v. 14.02.1974 AP Nr. 12 a.a.O.; zu den gemischten Verträgen siehe BAG v. 24.08.1972 AP Nr. 2 zu § 611 BGB Gemischter Vertrag, mit weiterführender Anm. von Heckelmann, der ebenfalls für eine umfassende Interessenahwägung zur Ermittlung des Ergebnisses plädiert. 289 Vgl. ArbG Passau 13.3.1998 BB 1998, S. 1266; vgl. LAG Köln 28.4.1995 ArbuR 1996, S. 412; MünchArbR/Richardi, § 24 Rdz. 61.

2. Abschn.: I. Artt. 12 Abs. I, 14 Abs. I, 2 Abs. I GG

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GG schützt die selbständige Arbeit ebenso wie die abhängige. An seine Seite tritt zudem Art. 2 Abs. 1 GG, der dem Beschäftigten garantiert, nach seinem freien Willen sein Dienstverhältnis zu gestalten, so daß ihm von der Rechtsordnung kein Modell übergestülpt wird, dessen Schutz er objektiv nicht braucht und das er subjektiv nicht möchte. b) Wartezeit

Der Schutz durch das Kündigungsschutzgesetz setzt erst ein, wenn die Betriebszugehörigkeit des Arbeitnehmers sechs Monate im Unternehmen bestanden hat. Damit spielt diese Wartezeit die Rolle einer gesetzlich verordneten Probezeit, sie gilt aber unabhängig von einer Erprobung. Aus dem Wortlaut des § 1 Abs. 1 S. 1 KSchG ("bestanden hat") ergibt sich, daß es für den Ablauf der Wartezeit auf den Zugang der Kündigung ankommt, nicht auf den Ablauf der Kündigungsfrist290• Das Kündigungsschutzgesetz von 1951 hatte auf die Dauer der "Beschäftigung" abgestellt, wie das dem Probezweck entspricht. Das hat jedoch zu manchen Unzuträglichkeiten geführt, wenn die Beschäftigung durch Urlaub, Krankheit oder aus einem anderen Grund unterbrochen worden war. Die Neufassung des Gesetzes von 1969 stellt deshalb auf die Dauer des Bestandes des Arbeitsverhältnisses ab, wobei es keinen Unterschied ausmacht, ob die Zeit im Betrieb/Unternehmen nur in einem reinen Arbeitsverhältnis oder auch in einem Ausbildungsverhältnis verbracht wurde291 . Daraus wird vielfach geschlossen, daß Zweck des Gesetzes nunmehr sei, den Arbeitnehmer vor Ablauf der Wartezeit kein Recht an einem besonderen Schutz für den Arbeitsplatz erwerben zu lassen 292• Es wäre dies eine Wertung, die insbesondere durch Art. 14 Abs. 1 GG geprägt wird, der Art. 12 Abs. 1 GG in seiner Anwendung zugunsten des Arbeitnehmers insoweit verdränge. Diese Ansicht ist jedoch wenig überzeugend. Der Gesetzgeber hat 1969 nicht an solche Wertungen gedacht, sondern er wollte in einer Frage, die zu vielen Zweifeln Anlaß gegeben hatte, klare Verhältnisse schaffen. Daß der Arbeitnehmer kein Anrecht für einen verstärkten Arbeitsplatzschutz erworben hat, ist die Wirkung der Norm, nicht ihre Begründung. Für die meisten Tätigkeiten erscheint ein halbes Jahr als reichlich lang (zum Vergleich: Im Hattenheimer Entwurf war eine Wartezeit von drei 290 BAG v. 20.07.1977 AP Nr. 3 zu Art. 33 Abs. 2 GG; v. 28.09.1978 u. 18.08.1982 Nr. 19 und 24 zu§ 102 BetrVG 1972; zur Bedeutung krankheitsbedingter Fehlzeiten: Lepke, Kündigung bei Krankheit, Rd.z. 84. 29 1 H.M. BAG v. 02.12.1999 DB 2000, S. 1469f. für den Bereich des § 622 Abs. 2 BGB mit Verweis auf die h. M. im Zusammenhang auf § I Abs. I KSchG. 292 Vgl. BAG v. 16.02.1995 AP Nr. I zu Einigungsvertrag Anl. li Kap. VI unter B. I. 2. b).

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Monaten vorgesehen gewesen293 ), doch ist dem Gesetzgeber eine solche pauschale Bewertung gestattet. Bis zum Ablauf der Wartezeit wird die Kündigung nicht auf ihre Sozialwidrigkeit hin kontrolliert; die übrigen Kündigungshindernisse - besonderer Kündigungsschutz, Vorschriften des BGB über Form oder Zugang usw ., Grundrechte des Arbeitnehmers, insbesondere Art. 5 GG294 - sind jedoch wie bei den länger währenden Arbeitsverhältnissen zu beachten. Es wird vorgetragen, daß Arbeitnehmer in der Wartezeit betriebsbedingt stets vorrangig zu entlassen sind, wenn für eine Kündigung mehrere Arbeitnehmer in Frage kommen295 . Diese Ansicht ist zu undifferenziert. In ihr steckt eine Überbewertung der Betriebszugehörigkeit, auf die der Arbeitnehmer oft genug keinen Einfluß hat. Der sozialstaatliehen Grundlage der sozialen Auswahl aus Artt. 20 Abs. 1, 28 Abs. 1 GG wird sie zumindest in dem Fall, wo den Arbeitnehmer weitergehende Unterhaltspflichten als die anderen treffen, nicht gerecht. Im Ergebnis stehen hier die Interessen der Arbeitnehmer, jeweils geschützt durch Art. 12 Abs. 1 GG, miteinander im Konflikt. Daß die Schutzpflicht der Rechtsordnung für diejenigen Arbeitnehmer, die bereits unter den Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes fallen, nur weil sie bereits auf eine längere Betriebszugehörigkeit zurückblicken können, immer höher zu bewerten sei, ist nicht gerechtfertigt. Vielmehr ist jeweils nach den Umständen des Falls zu entscheiden, wobei die Kürze der Betriebszugehörigkeit einer dieser Umstände sein kann. c) Kleinbetrieb296

-

Allgemeines

Das Kündigungsschutzgesetz findet in den sogenannten Kleinbetrieben keine Anwendung. Hierbei handelt es sich um einen stark umstrittenen Bereich, der unter dem Blickwinkel der verfassungsrechtlichen Güterahwägung und den daraus folgenden Schutzpflichten der Rechtsordnung einer eingehenden Betrachtung bedarf. Gemäß § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG sind Arbeitnehmer in Betrieben mit weniger als sechs Angestellten vom ordentlichen Kündigungsschutz ausgenommen. Diese sogenannte Kleinbetriebsklausel ist vielfältiger Kritik und verfassungsrechtlichen Bedenken ausgesetzt, mit denen sich das Bundesverfassungsgericht beschäftigt hat297 . § 23 Hierzu: Hueck/v. Hoyningen-Huene, § I KSchG Rdz. 63. Vgl. BVerfG v. 28.04.1976 AP Nr. 2 zu § 74 BetrVG unter II. 295 Hueck/v. Hoyningen-Huene, § I KSchG Rdz. 460; einschränkend, unter Aufgabe der früheren Rechtsprechung, BAG v. 25.04.1985 AP Nr. 7 zu § I KSchG 1969 Soziale Auswahl unter B. II. 5., KR - Etzel, § I KSchG Rdz. 676. kritisch Oetker, FS Wiese (1998) S. 333, S. 337. 296 Otto, FS Wiese (1998) S. 353, S. 358; Bader, NZA 1999, S. 64, S. 66. 297 BVerfG 27.1.1998 AP Nr. 17 zu§ 23 KSchG 1969. 293

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KSchG hat auch eine wechselvolle Gesetzgebungsgeschichte hinter sich. Durch das Arbeitsrechtliche Beschäftigungsförderungsgesetz vom 25.9. 1996298 wurde der Schwellenwert der Beschäftigten für die Anwendbarkeit des ersten Abschnitts des Kündigungsschutzgesetzes von 6 auf 11 Arbeitnehmer heraufgesetzt. Auf die Wiedergabe der heftig geführten Diskussion wird verzichtet299 . Ab 1.1.1999 ist dies wieder rückgängig gemacht worden 300. Der Kleinbetriebsklausel kommt deshalb eine so große Bedeutung zu, weil 1996 laut Statistik knapp 10% der abhängig Beschäftigten (rund 3 Millionen Arbeitnehmer) in Kleinbetrieben mit bis zu fünf Arbeitnehmern beschäftigt waren. Diese Zahl erhält ihre besondere Brisanz vor dem Hintergrund, daß in Kleinbetrieben erheblich häufiger gekündigt wurde als in Großbetrieben. Während in Betrieben mit mehr als 2000 Arbeitnehmern eine Kündigung auf 48 Arbeitnehmer in einem Jahr fiel, wurde in Arbeitsstätten mit bis zu fünf Arbeitnehmern jährlich einem von sieben gekündigt301. Damit entfielen rund 20% aller arbeitgeberseitigen Kündigungen auf die vom Kündigungsschutz ausgeschlossenen Betriebe. Ohne den Druck des Kündigungsschutzgesetzes, das ist offensichtlich, greifen Arbeitgeber häufiger zur Kündigung. Das Gesetz bewahrt also die Arbeitnehmer vor leichtfertigen Kündigungen, bei denen der Arbeitgeber sich keine Chance ausrechnet, vor Gericht zu bestehen; eine eingehende Betrachtung der Norm ist deshalb erforderlich. Es muß überprüft werden, ob der Gesetzgeber hier innerhalb seines Gestaltungsspielraums gehandelt hat oder ob die Grenzen der Gestaltungsfreiheit unter Umständen überschritten wurden. aa) Verfassungswidrigkeit des § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG wegen Gleichheitsverstosses? Die Kleinbetriebsklausel war schon vor der Rechtsänderung von 1996 von einigen Stimmen in der Literatur als verfassungs- (und europarechts-302) BGBI. I S. 1476 Kittner/Trittin, (3. Aufl), § 23 KSchG Rdz. 8ff.; Buschmann, ArbuR 1996, s. 285, s. 286f. 300 Gesetz zu Korrekturen in der Sozialversicherung und zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte, BGBI. I 1998 Nr. 85 S. 3849; Kittner/Däubler/Zwanziger, Ein!. Rdz. 31 e; Preis, RdA 1999, S. 311, S. 312. 301 Falke/Höland u. a., Band l, S. 74, Tabelle 1/18. 3°2 Das Arbeitsgericht Reutlingen hatte dem Europäischen Gerichtshof die Frage der Vereinbarkeil des § 23 Abs. l S. 2 KSchG mit Art. 92 Abs. I EWG-Vertrag vorgelegt. Nach Ansicht des Gerichts ergab sich aus § 23 Abs. l S. 2 ein ungerechtfertigter Wettbewerbsvorteil für Kleinbetriebe, S. 3 bewirke ebenso eine indirekte Diskriminierung der Frau. In seinem Urteil vom 30. 11.1993 (AP Nr. 13 zu § 23 KSchG 1969) hat der Europäische Gerichtshof die Bedenken des Arbeitsgerichtes, 298 299

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widrig angesehen worden 303 . Es wurde eine Verletzung von Art. 3 Abs. GG gerügt. Dies wurde auf die Annahme gestützt, daß der gesetzgebensehe Zweck des Kündigungsschutzgesetzes, den Arbeitsplatz zu sichern, in der Praxis fast durchgängig nicht erreicht werde. Der Bestandsschutz ist, was nicht mehr bestritten wird, durch die Praxis der Abfindung verdrängt worden. Bei Schaffung des § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG, so die Begründung der Kritiker, habe man jedoch angenommen, daß eine ungerechtfertigte Kündigung den Arbeitsplatz nicht gefährdet. Unter dieser Prämisse stützte sich die Begründung der Kleinbetriebsklausel maßgeblich auf die Andersartigkeit der Kleinbetriebe. Die Herausnahme aus dem Kündigungsschutz wurde damit begründet, im Kleinbetrieb herrschten persönliche Verhältnisse, der Arbeitgeber Handwerker, der "Tante-Emma-Laden", freier Beruf, "der Unternehmer als Chef vor Ort"304 - arbeite meist selbst mit, und deshalb könne ihm die Zusammenarbeit mit einem Arbeitnehmer, den er nicht mehr will, der ihm "weniger genehm" (Bundesverfassungsgericht) ist, nicht zugemutet werden. Die Kritiker wandten indessen ein, daß dieser besondere persönliche Kontakt als Grund versage, wenn es im Regelfall doch zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses komme 305 . Für die Kleinbetriebsklausel wurden und werden weiter mittelstandspolitische Erwägungen dahingehend, daß Kleinbetriebe wirtschaftlich geringer belastbar seien, vorgebracht; der Kleinunternehmer müsse im Vergleich zu den großen Unternehmen und Konzernen flexibler auf arbeitsmarktpolitische Schwankungen reagieren, um wettbewerbsfähig zu bleiben 306. Demgegenüber besagt die Kritik, daß Kleinbetriebe aufgrund von Rationalisierungen im Gegenteil in der Lage seien, besonders effektiv und wirtschaftlich ertragreich zu arbeiten307 . Schließlich weist man noch darauf hin, daß gerade in Kleinbetrieben ein effektiver Rechtsschutz notwendig sei. Wegen des häufig geringen Organisationsgrades der Belegschaft hätten die Gewerkschaften nur selten Zutritt308, so daß die Arbeitnehmerrechte besonders schwach gesichert seien. sie waren in der Tat etwas weit hergeholt, zurückgewiesen. Eine Beihilfe im Sinne des Art. 92 Abs. I EWG-Vertrag sei nicht gegeben. In der Vorschrift sei ebensowenig eine mittelbare Diskriminierung von Frauen zu sehen. Es sei zwar so, daß in der Bundesrepublik der Hauptteil der Teilzeitkräfte weiblich sei, von der Herausnahme der Kleinbetriebe seien aber alle Arbeitnehmer des Kleinbetriebs, unabhängig von ihrer vertraglichen Stundenzahl, betroffen. 303 Kraushaar, DB 1988, S. 2202ff., ders., ArbuR 1988, S. 137, S. 142; ders., BB 1992, S. 1787ff.; Ramm, ArbuR 1991, S. 257ff., Vorlagebeschluß des ArbG Reutlingen v. 11.12.1986 ArbuR 1987, S. 417; Vorlageanfrage an EuGH wegen Europarechtswidrigkeit des § 23 Abs.l S. 2 KSchG, ArbG Reut1ingen v. 03.05.1991 EzA § 23 KSchG Nr. 12. 304 BVerfG 27.1.1998 AP Nr. 17 zu§ 23 KSchG 1969 unter B. I. 3. b) bb). 30 5 Kraushaar, ArbuR 1988, S. 137, S. 140. 306 KR-Weigand, § 23 KSchG Rdz. 14. 307 Ramm, ArbuR 1991, S. 257, S. 264; Kraushaar, ArbuR 1988. S. 137, S. 142.

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Bundesverfassungsgeriche09 und Bundesarbeitsgeriche 10 haben trotz dieser Bedenken einen Verstoß gegen Art. 3 Abs. 1 GG verneint. Zwischen den Arbeitsverhältnissen in einem Kleinbetrieb und denen in größeren Betrieben bestünden Unterschiede, die eine Ungleichbehandlung rechtfertigten. In erster Linie seien das die schon erwähnten engeren persönlichen Beziehungen des Inhabers zu seinen Arbeitskräften, um das Funktionieren des Betriebes zu gewährleisten. Dem ist zuzustimmen. Der Gesetzgeber konnte insoweit dem Interesse des Arbeitgebers an der reibungslosen Führung seines Betriebes (damit ist verbunden, das soll immer wieder betont werden, ebenso das Interesse der anderen Arbeitnehmer an einem erträglichen Betriebsklima, auf das sich das Bundesverfassungsgericht ebenso bezieht) Rechnung tragen. Daneben verweist das Bundesarbeitsgericht darauf, daß die Kleinbetriebe verwaltungsmäßig und wirtschaftlich weniger belastbar seien; gedacht war an Prozeßführungskosten, arbeitsrechtlich und wirtschaftlich bedingte Vorhaltekosten und eventuelle Abfindungen. Die Gewährleistung größerer arbeitsmarktpolitscher Freizügigkeit des Kleinunternehmers im Interesse der Volkswirtschaft bilde einen sachlichen Grund zur Ungleichbehandlung311 • Im übrigen verwies das Bundesarbeitsgericht noch auf die Entstehungsgeschichte des Kündigungsschutzes in Deutschland seit der Einführung des Betriebsrätegesetzes (BRG) von 1920. Beschränkungen nach der Betriebsgröße habe es im BRG ebenso gegeben und seien nach den einzelnen Ländergesetzen nach 1945 mit denselben Begründungen, enge persönliche Zusammenarbeit und kleinere Verhältnisse, unter Umständen stärkere finanzielle Belastungen, üblich gewesen312 • Der Hinweis auf die Denaturierung des Kündigungsschutzgesetzes zum Abfindungsgesetz könne diese Entscheidung nicht ändern, damit werde lediglich die Zweckmäßigkeit des Gesetzes in Zweifel gezogen, was aber zur Annahme seiner Verfassungswidrigkeit wegen eines Verstoßes gegen Art. 3 Abs. l GG nicht ausreiche3 13 . bb) Verfassungswidrigkeit des§ 23 Abs. 1 S. 2 KSchG wegen Verstosses gegen Art. 12 Abs. 1 GG? Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der Vorschrift bestehen allerdings dort, wo der "Kleinbetrieb" Teil eines größeren Unternehmens ist (Filiale etwa einer Bank oder eines Lebensmitteluntemehmens). Warum ein Unter308 309 310

311 312 313

Kraushaar, ArbuR 1988, S. 137, S. 139. BVerfG v. 27.1.1998 AP Nr. 17 zu§ 23 KSchG 1969 unter B. II. BAG v. 19.04.1990 AP Nr. 8 zu§ 23 KSchG 1969 (I.LS). BAG v. 19.04.1990 a.a.O. unter II. 2. a) bb). BAG v. 19.04.1990 a.a.O. unter II. 2. a) aa). BAG v. 19.04.1990 a.a.O. unter II. 2. a) dd).

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nehmen, wie ein Kautbaus oder eine Bank, das überall in der Bundesrepublik eine Filiale mit bis zu fünf Vollzeitarbeitnehmern unterhält, keinen Kündigungsschutz gewähren soll, nur weil jede Filiale für sich den traditionellen Betriebsbegriff erfüllt, ist seit langem Gegenstand heftiger Kritik 314. Die ungefilterte Anwendung des allgemeinen Betriebsbegriffs und die damit verbundene Privilegierung dieser Unternehmen könnte gegen die Schutzpflicht aus Art. 12 Abs. 1 GG verstoßen. Art. 12 Abs. I GG garantiert einen grundrechtliehen Mindeststandard an Schutz vor dem Verlust des Arbeitsplatzes315 , der hier nicht mehr gewährleistet ist. Allein der Respekt vor der Regelung des Gesetzgebers könnte veranlassen, den Betriebsbegriff im weiten, traditionellen Sinne zu verstehen, wenn dies in seinem Willen lag und noch von seinem weiten Gestaltungsspielraum gedeckt gewesen wäre. Der Gesetzgeber hat indessen bei der Herausnahme der Kleinbetriebe aus dem Kündigungsschutz nicht die Unternehmen mit vielen Filialen privilegieren wollen, sondern den "echten" Kleinbetrieb. Der gesetzgeberische Wille steht mithin einer eventuell erforderlichen verfassungskonformen Auslegung des § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG nicht entgegen. ( 1) Auslegung des Betriebsbegriffs

Ansatz für eine eingehende Untersuchung ist damit der Betriebsbegriff. Nach herrschender Meinung hat das Kündigungsrecht den Begriff übernommen, wie er in der Betriebsverfassung entwickelt worden ise 16. Ursprünglich beruhte das auf dem Zufall, daß der Kündigungsschutz Inhalt des Betriebsrätegesetzes war. Deshalb wurde die Begrenzung auf fünf Arbeitnehmer, die in der Betriebsverfassung ihren guten Sinn hat, mit übernommen317. 1957 hatte das Bundesarbeitsgericht gemeint, der Betriebsbegriff sei "so geklärt, daß der Senat keinen Anlaß hat, über die Unterscheidung längere Ausführungen zu machen"318 . Das hat sich inzwischen geändert; in 314 Das Problem wird dadurch erschwert, daß manche Unternehmen bewußt größere Einheiten spalten und damit unter die Schwellen des § 23 KSchG (ebenso: §§ 99 und !II BetrVG) drücken, um dem Kündigungsschutz (und den Mitbestimmungsrechten des Betriebsrats) zu entgehen, Düwell, ArbuR 1998, S. 149, S. 150. Vgl. nunmehr allerdings § 322 UmwG. 315 BVerfG v. 24.04.1991 E 84, S.l33ff. 3 16 BAG v. 23.03.1984 AP § 23 KSchG 1969 Nr.4; v. 29.01.1992 AP Nr. I zu § 7 BetrVG 1972; v. 17.01.1978 AP § I BetrVG 1972 Nr. I; v. 25.11.1980 AP Nr. 2 § I BetrVG 1972; v. 23.09.1982 AP Nr. 3 zu § 4 BetrVG 1972; KR- Etzel, § I KSchG Rdz. 142ff.; trotz einiger Vorbehalte: Hueck/v. Hoyningen-Huene, § 23 Rdz. 4; Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung und Kündigungsschutz Rdz. 604; krit. Kania/Gilberg, NZA 2000, S. 678, S. 679. 317 Joost, Betrieb und Unternehmen S. 342. 3 18 BAG v. 03.12.1957 AP Nr. I zu§ 88 BetrVG 1952.

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einer Entscheidung vom 03.12.1985 319 hat der erste Senat das Gegenteil zugeben müssen, daß nämlich der herkömmliche Begriff für die eigentlich klärungsbedürftigen Probleme keine Hilfe ist. Dennoch greift die Praxis nach wie vor auf ihn zurück, wie er vor 74 Jahren von Erwin Jacobi 320 gebildet wurde. Danach ist "Betrieb" die organisatorische Einheit, mit deren Hilfe jemand allein oder in Gemeinschaft mit seinen Mitarbeitern einen bestimmten arbeitstechnischen Zweck fortgesetzt verfolgt, der sich nicht in der Befriedigung des Eigenbedarfes erschöpft. Während die Auslegung früher um den arbeitstechnischen Zweck gekreist ist, stellt die Praxis heute darauf ab, wo die organisatorischen Entscheidungen in sozialen und personellen Angelegenheiten getroffen werden 321 . Bedenken ergeben sich wegen der Unbestimmtheit des Begriffs. Der Bestandsschutz wird durch den Betriebsbegriff direkt berührt. Unwägbarkeilen sind nicht hinzunehmen, wenn Interessen von so elementarer Bedeutung davon betroffen werden. Hier setzt der Schutzpflichtauftrag des Art. 12 Abs. 1 GG an die Rechtsordnung ein. Es ist zu verhindern, daß der Arbeitsplatz aus Gründen aufgegeben muß, die in ihrem verfassungsrechtlichen Wert die Bedeutung des Art. 12 Abs. 1 GG nicht überwiegen können. (2) Lösungsvorschläge aus der Literatur

Namentlich Joost vertritt die Ansicht, daß die Übernahme des betriebsverfassungsrechtlichen Betriebsbegriffes in das Kündigungsschutzrecht verfehlt sei 322 . Wie vor ihm bereits Löwisch323 schlägt Joost vor, den Betriebsbegriff im Sinne des § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG rein arbeitgeberbezogen zu sehen. "Der Ausdruck Betrieb umschreibt demnach nichts anderes als den Geschäftsbereich (Tätigkeitsbereich) des Arbeitgebers"324. Der eigentliche Grund des Gesetzgebers, nämlich die persönliche Zusammenarbeit auf engem Raum, würde auf diese Unternehmen nicht zutreffen; für ihre Befreiung von der Last des Kündigungsschutzes fehle jede Rechtfertigung. Mit einer auf den Arbeitgeber bezogenen Interpretation des Betriebsbegriffs stimme überein, daß die Vorschrift für den öffentlichen Dienst nicht auf den betriebsverfassungsrechtlichen Parallelbegriff der "Dienststelle" abstellt, 319 320

s. 9.

AP Nr. 28 zu§ 99 BetrVG 1972 unter II. l. a) b). In FS für Ehrenberg ( 1927), Betrieb und Unternehmen als Rechtsbegriff. S. I,

321 Vgl. Kommentare zu §§ I, 4 BetrVG.- Hinweis auf die Unbrauchbarkeit des Organisationsbegriffs bei Joost, a. a. 0 . S. 95 ff. 322 Joost, Betrieb und Unternehmen S. 341. 323 Löwisch, § 23 KSchG Rdz. 7. 324 Joost, Betrieb und Unternehmen S. 344, mit Verweis auf Konzen, Unternehmensaufspaltungen S. 20.

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Teil D: Die Gewährleistungen der Grundrechte und ihre Umsetzung

sondern auf den der "Verwaltung", die vielfach aus mehreren Dienststellen bestehe25 . Dasselbe Ergebnis erzielt Bepler mit dem Vorschlag, die Vorschrift teleologisch zu reduzieren. Der Ausschluß des Kündigungsschutzgesetzes solle dann nicht gelten, wenn der Inhaber des Kleinbetriebes weitere Betriebsteile oder Betriebe unterhielte, die insgesamt den Schwellenwert übersteigen, oder wenn der Inhaber zwar nur den Kleinbetrieb unterhält, aber von einem anderen Unternehmen rechtlich und wirtschaftlich abhängig sei und von ihm aus geführt werde 326 . (3) Lösungsansatz des Bundesarbeitsgerichts

Das Bundesarbeitsgeriche27 hat das Problem schon 1971 gesehen und bei einem Unternehmen mit mehreren Zweigstellen an verschiedenen Orten mit der "Einheit der Organisation", der angeblichen Unselbständigkeit der Arbeitsstätten, gelöst328 . Vor allem verweist BAG AP Nr. 1 zu § 23 KSchG 1969 auf den eigentlichen Zweck des § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG, nur wirkliche Kleinbetriebe von den Belastungen des Kündigungsschutzes zu befreien. Er entfalle, wenn derselbe Arbeitgeber zahlreiche Verkaufsstellen unterhalte, die jeweils für sich genommen den Schwellenwert nicht übersteigen. Begründet wurde dies mit dem Recht der Leitung des Betriebes, jederzeit unmittelbar in arbeitstechnische Einzelheiten einzugreifen. Ohne Bedeutung sei, daß Zweigstellen und Hauptbetrieb räumlich weit entfernt waren. Joost329wendet dagegen ein, daß damit praktisch jedes gewünschte Ergebnis - je nach Argumentationsschiene - begründet werden könne. Ihm ist zuzugeben, daß das Recht der Untemehmensführung, in die Leitung eines Betriebsteils durch Weisung einzugreifen, nicht Kriterium für die Unselbständigkeit des Betriebsteils sein kann. Das Weisungsrecht gibt der Arbeitgeber durch die Aufgliederung seines Unternehmens nicht preis330• (4) Eigene Stellungnahme

Der Ansicht in der Literatur ist zu folgen. Ihren überzeugenden Argumenten kann indes noch ein weiteres hinzugefügt werden. Die historische Auslegung zum Verhältnis Betrieb - Betriebsteil ist aufschlußreich. § 4 BetrVG Löwisch, § 23 KSchG Rdz. 7; tendenziell Hanau, ZfA 1990, S. 115, S. 117. Bepler, ArbuR 1997, S. 54, S.59. 327 V. 26.08.1971 AP Nr. I zu§ 23 KSchG 1969; siehe auch v. 23.03.1984 AP Nr. 4 zu § 23 KSchG 1969 unter I. 2. a) aa). 328 Krit. und mit weiteren Nachweisen: Kania/Gilberg, NZA 2000, S. 678, S. 680. 329 Joost, Betrieb und Unternehmen S. 340f. 330 BAG v. 03.12.1985 AP Nr. 28 zu§ 99 BetrVG 1972 unter Il. I. c). 325

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2. Abschn.: I. Artt. 12 Abs. I, 14 Abs. I, 2 Abs. I GG

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enthält die Bestimmungen zur Selbständigkeit der Nebenbetriebe und Betriebsteile331 . Vor der Neufassung des Betriebsverfassungsrechts 1972 war der Gegenstand des § 4 BetrVG 1972 in § 3 BetrVG (1952) normiert. § 3 war im Grunde wortgleich zur heutigen Vorschrift, enthielt indessen den wesentlichen Zusatz, daß Nebenbetriebe und Betriebsteile "nur dann" als selbständig galten, wenn weitere, den Betriebsbegriff insoweit begrenzende, Voraussetzungen vorlagen 332 • Die Eigenständigkeil des Betriebsteils war damit die Ausnahme, die Betriebseinheit die Regel 333 . Der Gesetzgeber des Kündigungsschutzgesetzes von 1951 hat mithin ein Verständnis vom einheitlichen Betriebsbegriff vor Augen gehabt. Eine Änderung des gesetzgebensehen Willens parallel zur Entwicklung im Betriebsverfassungsgesetz ist für das Kündigungsrecht nicht erkennbar. Damit kann für das Verhältnis Betrieb - Betriebsteil davon ausgegangen werden, daß die Selbständigkeit einzelner Betriebsteile vom Gesetzgeber nur im Ausnahmefall gewollt war. Es erscheint legitim, diese restriktive Haltung auf die Annahme der Selbständigkeit des Betriebsteils im Verhältnis zum Unternehmen zu übertragen. Diese Auffassung findet zudem ihre Bestätigung in der kürzlich ergangenen Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts334, in der das Gericht zwar die Verfassungsmäßigkeit des § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG bejaht und die Rechtfertigung der Kleinbetriebsklausel mit dem engen persönlichen Verhältnis des mitarbeitenden Arbeitgebers zu "seinen Leuten" anerkennt, dabei aber gegenüber dem bisherigen Verständnis des Begriffs die wichtige Einschränkung macht, daß der Ausschluß vom ordentlichen Kündigungsschutz "auf die Einheiten beschränkt" wird, "für deren Schutz die Kleinbetriebsklausel allein bestimmt ist". Das verlange der Gleichheitssatz in verfassungskonformer Auslegung des Begriffs "Betrieb" in § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG. Im Ergebnis und der Sache nach ist aus "Betrieb" in § 23 KSchG das "Kleinuntemehmen" geworden 335 • Die Rechtsprechung wird sich hierauf einstellen 336 • Im Wege einer verfassungskonformen Auslegung wurde 331

zug.

Auf § 4 BetrVG nehmen auch Kania/Gilberg, NZA 2000, S. 678, S. 681, Be-

332 Däubler/Kittner/Klebe, § 4 BetrVG Rdz. 3; BAG v. 01.02.1963 AP Nr. 5 zu § 3 BetrVG; v. 05.06.1964 AP Nr. 7 zu§ 3 BetrVG. 333 Explizit BAG v. 01.02.1963 AP Nr. 5 zu§ 3 BetrVG unter II. 2. c.), bestätigend v. 05.06.1964 AP Nr. 7 zu§ 3 BetrVG unter 3. c). 334 BVerfG 27.1.1998 AP Nr. 17 zu§ 23 KSchG 1969 unter B. II. 4. b) bb). 335 Vgl. KR-Weigand, § 23 KSchG Rdz. 24ff.; Löwisch, § 23 KSchG Rdz. 7; Preis, RdA 1999, S. 311, 313f.; Kittner NZA 1998, S. 731 S. 732; Kühling, FS Dieterich, S. 325, S. 332; abschwächend Falder, NZA 1998, 1254ff. 336 BAG 12.11.1998 NZA 1999, S. 590, S. 593 unter Gründe II. 4 spricht der 2. Senat bereits davon, daß "das Kündigungsrecht des Kleinunternehmers in hohem Maße schutzwürdig" ist, wobei es klarstellt, daß es damit nicht den Konzern/Unternehmen anspricht. 10 Gami1l,;chcg

146

Teil D: Die Gewährleistungen der Grundrechte und ihre Umsetzung

damit die Forderung der Wissenschaft erfüllt, die letztlich nur dem verfassungsrechtlichen Schutzauftrag des Art. 12 Abs. 1 GG entspricht. Das unternehmensehe Interesse muß insoweit zurücktreten. Im Ergebnis ist damit festzustellen, daß der Betriebsbegriff des § 23 Abs. 1 KSchG eng auszulegen ist, um dem Schutzauftrag des Art. 12 Abs. 1 GG zu genügen. Eine solche verfassungskonforme Auslegung, wie sie von der Literatur und dem Bundesverfassungsgericht gefordert wird, scheitert nicht am Respekt vor einer bereits vorgenommenen Konkretisierung des Schutzauftrages durch eine gesetzliche Regelung, da der Gesetzgeber bei der Schaffung des § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG nicht von dem weiten Betriebsbegriff ausgegangen ist, wie er sich zwischenzeitlich durchgesetzt hatte. cc) Verfassungswidrigkeit des § 23 Abs. 1 S. 2 wegen Verstosses gegen Art. 19 Abs. 4 GG? Nach Ansicht der Kritiker der Kleinbetriebsklausel ist noch ein weiterer Verfassungsverstoß zu prüfen. Durch § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG seien knapp 25% aller Gekündigten ohne Rechtsschutz. Dies unterliege unter dem Gesichtspunkt des Art. 19 Abs. 4 GG erheblichen Bedenken, dem Anspruch auf Justizgewährung337 werde nicht genüge 38 . Zwar richte sich der "substantielle Anspruch auf eine möglichst wirksame gerichtliche Kontrolle" gegen Maßnahmen der öffentlichen Gewalt; es sei jedoch mit dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG und dem Grundsatz des rechtlichen Gehörs, Art. 103 Abs. 1 GG, unvereinbar, dem Gesetzgeber zu gestatten, einen erheblichen Teil der arbeitenden Bevölkerung den Rechtsschutz in einer existentiellen Frage "gegen willkürliche Kündigungen durch den Arbeitgeber" 339 vorzuenthalten. Das Argument nimmt jedoch als gegeben an, was gerade umstritten ist, daß nämlich ein Anspruch besteht, dessen gerichtliche Durchsetzung verkürzt wird. Das Bundesverfassungsgericht ist darauf nicht eingegangen. dd) Exkurs: Rechtslage zwischen 1996 und 1999 Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts erging zu der Rechtslage, wie sie heute wieder besteht und wie sie vor 1996 bestanden hat. Ob die Heraufsetzung des Schwellenwertes von 1996 von 6 auf 11 Arbeitnehmer rechtmäßig gewesen wäre, ist mithin nicht beantwortet worden.

337

338 339

Vgl. Schmidt-Aßmann in Maunz/Dürig GG, Art. 19 Abs. 4 Rdz. 16ff. Kraushaar, ArbuR 1988, S. 137, S. 139. Kraushaar, ArbuR 1988, S. 137, S. 139.

2. Abschn.: I. Artt. 12 Abs. I, 14 Abs. I, 2 Abs. I GG

147

Der Gesetzgeber von 1996340 hatte die Erhöhung des Schwellenwerts hauptsächlich mit beschäftigungspolitischen Interessen begründet. Er erhoffte sich einen Schub von Neueinstellungen; neue Arbeitsplätze seien, wie viele ausländische Beispiele zeigen, vor allem in kleineren und mittleren Betrieben, insbesondere im Handwerks- und Dienstleistungsbereich, zu erwarten. Würden sie zusätzlich nur einen Arbeitnehmer neu einstellen, ergebe das eine halbe Million neuer Arbeitsplätze. Betrieben mit fünf Arbeitnehmern falle es leichter, einen sechsten und siebten Arbeitnehmer einzustellen, wenn der Betrieb dadurch nicht (für die Gesamtheit der Arbeitnehmer) unter das Gesetz fällt und eine spätere "Trennung" (Kündigung) von dem Neueingestellten nicht durch den Kündigungsschutz belastet sei. Diese Betriebe würden durch langwierige Kündigungsschutzverfahren wirtschaftlich erheblich stärker als größere belastet. Sie könnten aus finanziellen Gründen zur Vermeidung des Kündigungsschutzprozesses zumeist Abfindungen nicht anbieten und keine Rücklagen bilden, so daß sie imstande sein müssen, auf Schwankungen in der Auftragslage mit personalwirtschaftlicher Flexibilität zu reagieren. Bei ihnen handele es sich zudem vielfach um Betriebe in der Phase der Existenzgründung, die zu zusätzlichen Einstellungen ermuntert werden sollen. Der typische Kleinbetriebscharakter sei bei den nunmehr miterfaßten Betrieben ebenso gegeben. Selbst hier arbeite der Betriebsinhaber noch so eng mit den Mitarbeitern zusammen, daß im Interesse des Betriebsfriedens und der Funktionsfähigkeit des Betriebes notwendige Entlassungen erleichtert möglich sein sollen341 . Ob sich die optimistische Voraussicht des Gesetzgebers von 1996 bewahrheitet hätte, ist zwar eine müßige Frage. Die Neuregelung lag jedoch innerhalb seines Ermessens; seine Einschätzung der Wirkung der Rechtsänderung war nicht gänzlich unrealistisch. Um eine Förderung der Beschäftigung zu erreichen, stand in diesem Bereich kein milderes Mittel zur Verfügung. Soweit vorgeschlagen wurde, bei § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG Ausnahmen zuzulassen und dem Arbeitgeber die Beweislast dafür aufzuerlegen, daß er nicht in der Lage sei, die Abfindung aufzubringen342, erscheint die damit verbundene Komplizierung als nicht tragbar; eine Regelung mit der Aussicht auf langwierige Prozesse, um deren Vermeidung es gerade geht, hätte sich ebenfalls einstellungshemmend auswirken können. Gleiches gilt für den Vorschlag, ein Umlageverfahren für Kleinbetriebe zur Finanzierung von Abfindungen in Anlehnung an § I 0 LfZG einzuführen343. Selbst mit einem solchen System käme es zunächst zur Klage, die 340

Arbeitsrechtliches Beschäftigungsförderungsgesetz v. 25.09.1996, BGBI. I

34 1

BT-Drs. 13/4612 S. 9f. Ramm, ArbuR 1991, S. 257, S. 265, Fn. 69; Bepler, ArbuR 1997, S. 54, S. 56. Becker/Rommelspacher, ZRP 1976, S. 40, S. 42.

s. 1476 342 343

JO•

148

Teil D: Die Gewährleistungen der Grundrechte und ihre Umsetzung

die Arbeitgeber durch Nichteinstellung vermeiden wollen; man täuscht sich ebenso, wenn man glaubt, daß die finanzielle Belastung dadurch auf längere Sicht geringer ist. Die geplante (und für kurze Zeit umgesetzte) Neufassung des § 23 Abs. 1 S. 2 KSchG war auch verhältnismäßig im engeren Sinne gewesen. Angesichts der Dringlichkeit des Abbaus der Arbeitslosigkeit, des zur Zeit wichtigsten innenpolitischen Ziels der Gesetzgebung, müssen die Interessen der Arbeitnehmer insoweit zurücktreten. Verfolgt ein Gesetz Gemeinwohlbelange von hoher Bedeutung, so rechtfertigt dies selbst fühlbare Einschränkungen grundrechtlicher Positionen, zumal andere Schutznormen nicht ausgeschlossen waren. Verstieß die Kündigung gegen §§ 138, 134, 612a, 613a IV BGB usw., so stand den Arbeitnehmern der Weg zu den Arbeitsgerichten frei. Allerdings hätte es sich auch hier um Kleinunternehmen und nicht nur um Kleinbetriebe handeln müssen. 2. Rationalisierungsmaßnahmen

Der Vorrang der Unternehmerischen Interessen, wie sie durch Artt. 12 Abs. 1, 14 Abs. 1 und 2 Abs. 1 GG gewährleistet werden, zeigt sich noch in weiteren Beispielsfällen, die sich insbesondere im Recht, den Betrieb nach eigenen Vorstellungen zu organisieren, zeigen. Dies gilt für Rationalisierungsmaßnahmen. Hier ist der Kernbereich Unternehmerischen Handelns, Artt. 12 Abs. 1, 14 Abs. 1, berührt. Inwieweit dies zu einer Verschiebung der Gewichte bei der Konkordanzprüfung zu führen hat, ist zu untersuchen. a) Beendigungskündigung

Jeder nicht gerade willkürlichen Kündigung liegt eine Unternehmerische Entscheidung zugrunde, als deren Folge der Arbeitsplatz wegfällt. Man pflegt, diese Entscheidungen auf außerbetriebliche und innerbetriebliche Gründe zurückzuführen344. Ein außerbetrieblicher Grund ist etwa der Rückgang der Aufträge: Ein Handelsgeschäft gerät in den Einzugsbereich eines Supermarkts, die Kunden bleiben weg. Der Arbeitgeber kann nur reagieren, die Kündigung der überzähligen Kräfte ist erforderlich, wenn sich das Geschäft überhaupt noch halten soll. Zu den innerbetrieblichen Gründen zählen alle die Maßnahmen des Arbeitgebers zur möglichst wirtschaftlichen Organisation der Produktion: Einführung neuer Methoden, Einführung von Gruppenarbeit oder Wechselschichten, Aufteilung der Arbeit in Voll- und Teilzeitstellen usw. Die radikalste solcher Maßnahmen ist die Stillegung 344

KR-Etzel, § I KSchG Rdz. 534 ff.

2. Abschn.: I. Artt. 12 Abs. I, 14 Abs. I, 2 Abs. I GG

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des Betriebs oder seiner Teile. Diese Entscheidungen sind vom Gericht grundsätzlich nicht auf Zweckmäßigkeit oder Notwendigkeit zu kontrollieren345. Die Beurteilung, ob die Aussichten auf Gewinn zurückgehen, wie sich die wirtschaftlichen Aussichten von der Abfallwirtschaft bis zur Zuckerindustrie entwickeln werden, ob man der Konkurrenz standhalten kann oder nicht, liegt im Kernbereich der Unternehmerischen Bewertung des Arbeitgebers, wofür ihm die verfassungsrechtlichen Garantien aus Artt. 12 Abs. 1 und 14 Abs. 1 GG ein Alleinentscheidungsrecht zulasten des Bestandsschutzes des Arbeitnehmers gewähren. Daß hier Bestandsschutzerwägungen zurücktreten müssen, korrespondiert mit der Pflicht des Unternehmers, das wirtschaftliche Risiko zu tragen. Das Recht geht davon aus, daß er - bei der "notwendigen pauschalen Betrachtung" - schon aus eigenem Interesse einen Arbeitsplatz nicht abbauen wird, der ihm Gewinn bringt. Es kann nicht die Aufgabe der Gerichte sein, neue Erkenntnisse im Management oder die Fortschritte der technischen Entwicklung besser als der Unternehmer beurteilen zu wollen346. Die gerichtliche Kontrolle hat sich deshalb darauf zu beschränken, ob die Maßnahme, der der Arbeitsplatz zum Opfer gefallen ist, offensichtlich "unsachlich, unvernünftig oder willkürlich" war347. Die Einschränkung hat indessen wenig praktische Bedeutung348 . Die grundrechtliehen Garantien für den Arbeitgeber aus Artt. 12 Abs. 1, 14 Abs. 1 GG verdrängen in diesem Bereich selbst die Tarifautonomie nach Art. 9 Abs. 3 GG. Nach § 113 Abs. 1 InsO ist die Kündigung in der Insolvenz trotz eines eventuellen tariflichen Ausschlusses des Kündigungsrechts zugelassen349. Als einfaches Gesetz könnte die Insolvenzordnung die Tarifautonomie nicht verdrängen; diese Stärke wird ihr nur verliehen, soweit sie die Unternehmerischen Garantien aus Artt. 12, 14 GG konkretisiert. 345 Ständige Rechtsprechung, vgl. etwa BAG v. 07.12.1978, v. 10.11.1994, v. 05.10.1995; 26.09.1996 AP Nr. 6, 65 (unter I. 1.), 71 (unter II. 1.), 80 (unter II. 2. b) zu § I KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung; Hueck/v. Hoyningen-Huene, § I KSchG Rdz. 366ff.; ErfK-Ascheid, § I KSchG Rdz. 434; MüKo-Schwerdtner, § 622 BGB Anhang Rdz. 365, 370ff.; KR-Etzel, § I KSchG Rdz. 533 ff. ; MünchArbR/Berkowsky, § 138 Rdz. 35ff.; Preis, Prinzipien S. 41lff.; wobei in Grenzfällen auch andere Entscheidungen getroffen werden, siehe etwa LAG Thüringen v. 20.4.1998 DB 1998, S. 2474 (Streichung von Stellen und entsprechende Verdichtung der Arbeit, Unüberprüfbarkeit verneint); krit. Bitter, DB 1999, S. 1214ff. 346 MünchArbR/Berkowsky, § 138 Rdz. 33. 347 BAG v. 05.10.1995 u. 26.09.1996 AP Nr. 71 (unter II. 1.), 80 (unter I.) zu § I KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung; Hueck/v. Hoyningen-Huene, § I KSchG Rdz. 371; einschränkend jedoch Kittner/Däubler/Zwanziger, § I KSchG Rdz. 256; die Rechtsprechung analysierend: Schrader, NZA 2000, S. 40 I ff. 348 MüKo-Schwerdtner, § 622 Anh. Rdz. 371 . 349 BAG v. 19.01.2000 NZA 2000, S. 658f.

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Teil D: Die Gewährleistungen der Grundrechte und ihre Umsetzung

Die unternehmensehe Entscheidung muß nicht zwingend auf einen Wegfall von Arbeitsplätzen gerichtet sein. Auch ihre andersartige Besetzung durch "freie Mitarbeiter" anstelle von Angestellten350 - ist vom Bundesarbeitsgericht der gerichtlichen Kontrolle entzogen 351 und damit dem verstärkten Schutz der Artt. 12 Abs. 1, 14 Abs. 1 GG unterstellt worden. b) Änderungskündigung

Bei der Änderungskündigung läßt das Bundesarbeitsgericht für die Freiheit der Unternehmerischen Entscheidung von gerichtlicher Kontrolle dagegen kaum Raum. Die Bedeutung der Änderungskündigung gemäß § 2 KSchG ist allerdings für die vorliegende Arbeit von geringerer Bedeutung. Die Regelung dient in erster Linie dem Vertragsinhaltsschutz und nicht dem Bestandsschutz352 . Interessant ist lediglich ein Ausschnitt aus diesem Komplex, die betriebsbedingte Änderungskündigung, die ausschließlich zur Kürzung des Arbeitsentgeltes (beispielsweise um übertarifliche Lohnbestandteile, geldwerter Zulagen oder sonstige soziale Leistungen) ausgesprochen wird. In wirtschaftlich schwierigen Zeiten stellt die Entgeltänderungskündigung ein Anpassungsinstrument der Arbeitsbedingungen an die wirtschaftliche Lage dar. Damit ist sie eine "typische Erscheinungsform" der Änderungskündigung353. In der Praxis begegnet sie allerdings vielen rechtlichen Schwierigkeiten, weil sie dem allgemeinen zivilrechtliehen Grundsatz widerspricht, daß "Geldmangel" nicht zur Herabsetzung der Verpflichtung führt, sowie dem arbeitsrechtlichen Prinzip, daß der Arbeitgeber das Wirtschaftsrisiko träge54 . So stellt die Rechtsprechung sehr strenge Anforderungen 355 , die dem Organisationsinteresse des Arbeitgebers, insbesondere der Freiheit seiner Unternehmerischen Entscheidung, nicht gerecht werden.

350 Vgl. 9.5.1996 AP Nr. 79 zu § I KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung (sog. Weight Watchers- Entscheidung). 351 Für strenge Anforderungen an die Substantiierung des Vorbringens des Arbeitgebers in einem solchen "mißbrauchsträchtigen" Fall Kittner/Däubler/Zwanziger, § I KSchG Rdz. 336. 352 Fischermeier, NZA 2000, S. 737ff.; Hueck/v. Hoyningen-Huene, § 2 Rdz. 2 m. w. N. auf die Rspr. 35 3 KR-Rost, § 2 KSchG Rdz. 107; dazu Precklein, Prüfungsmaßstab bei der Änderungskündigung ( 1994) S. 85 ff. 354 BAG v. 10.10.1990 AP Nr. 47 zu§ 138 BGB; LAG München v. 06.05.1997 ArbuR 1997, S. 304; Kittner/Däubler/Zwanziger, § 2 KSchG Rdz. 165. 355 Das räumt auch Fischermeier, NZA 2000, S. 737, S. 743, ein, der dies aber wegen der zuvor genannten Gründe für gerechtfertigt hält.

2. Abschn.: I. Artt. 12 Abs. I, 14 Abs. I, 2 Abs. I GG

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Die Kündigung selbst wird zu Recht nicht als Unternehmerische Entscheidung, sondern nur als deren Folge angesehen. Das Bundesarbeitsgericht läßt allerdings auch das Motiv, Lohnkosten zu sparen, nicht als solches gelten 356 . Begründet wird dies damit, der Arbeitgeber könne sich sonst mit der Erklärung begnügen, er habe die Lohnkürzung beschlossen, ohne daß überprüft werden könnte, ob für sie ein dringender betrieblicher Grund vorliege. "Erst wenn der Unternehmer/Arbeitgeber aufgrund des Motivs ... konkrete Maßnahmen im betrieblichen Bereich beschließt, liegt eine unternehmensehe Entscheidung vor, die ... eine Weiterbeschäftigung zu unveränderten Bedingungen ausschließt" 357 . In einem Urteil vom 11.10.1989358 konkretisiert es diese Ausführungen insoweit, als "konkrete Maßnahmen" Teilstillegungen oder Änderungen der Arbeitsorganisation, die zum Zwecke der angestrebten Kostensenkung beschlossen und durchgeführt werden, sein können. Es fragt sich allerdings, wie sich die Entscheidung, einen Teil des Betriebes stillzulegen, nur auf das Gehalt auswirken soll, ohne daß der Arbeitsplatz des Arbeitnehmers eine Änderung erfährt. Dieselbe Überlegung gilt für die Änderungen in der Arbeitsorganisation. Das Bundesarbeitsgericht scheint bei der Konkretisierung einen anderen Fall als die Änderungskündigung zum Zwecke der reinen Gehaltskürzung vor Augen gehabt zu haben. Dieser strengen Auffassung ist deshalb nicht zu folgen, sie trägt der besonderen Bedeutung der verfassungsrechtlichen Garantien aus Artt. 12 Abs. 1, 14 Abs. 1 GG zu wenig Rechnung. Die nicht überprüfbare Unternehmerentscheidung besteht darin, ob, wieviel und wo der Arbeitgeber zukünftig produzieren läßt, ob die Produktpalette eingeschränkt oder erweitert wird, oder ob Maschinen statt menschlicher Arbeit zum Einsatz kommen. Die Entscheidung, Kosten zu senken, gehört genauso zu seinen unternehmenspolitischen Aktivitäten und ist dem Kernbereich der unternehmefischen Freiheit zuzuordnen. Deshalb muß sie ebenso kündigungsschutzrechtlich irrelevant sein359. Die Rechtsordnung darf nicht in die Entscheidung eingreifen wollen, ob das Sanierungskonzept eine finanzielle Sicherung des Betriebes für die Zukunft erreichen kann oder nicht. Die Interessen des Arbeitgebers überwiegen hier die Vertragsinhaltsschutzinteressen des betroffenen Arbeitnehmers, der grundsätzlich das wirtschaftliche Risiko nicht tragen muß. Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts bedeutet eine verfassungsrechtlich unzulässige Verschiebung der wirtschaftlichen Kompetenz. Der Prüfungsmaßstab der Richter muß deshalb auch in diesem Bereich darauf beschränkt bleiben, ob die Entgeltkürzung offenbar unsachlich, unvernünf356 357 358 359

BAG v. 20.03.1986 AP Nr. 14 zu§ 2 KSchG 1969 unter IV. 2. b). BAG a.a. O. unter IV. 2. b). AP Nr. 47 zu§ I KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung unter II. 2. b) bb). Vgl. Preis, NZA 1995, S. 241, 242; a.A. Hromadka, NZA 1996, S. I, S. 10.

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Teil D: Die Gewährleistungen der Grundrechte und ihre Umsetzung

tig oder willkürlich ist. Es bleibt allerdings ebenfalls, wie bei den anderen betriebsbedingten Kündigungen, nachprüfbar, ob die vom Arbeitgeber geltend gemachten außer- und innerbetrieblichen Faktoren vorliegen und zum Sparen zwingen. Dieses Ergebnis ist noch unter einem anderem Gesichtspunkt geboten. Beim Vergleich mit der betriebsbedingten Beendigungskündigung zeigt sich ein interessanter Widerspruch. Es sind Konstellationen denkbar, in denen der Betrieb, durch außerbetriebliche Gründe bedingt, nicht mehr rentabel arbeitet und der Arbeitgeber vor der Wahl steht, ob er künftig einen Arbeitsplatz wegfallen läßt oder ob er versucht, durch eine innerbetriebliche Umstrukturierung die Kosten mit Entgeltkürzungen zu drosseln. Die erste Entscheidung wäre nur daraufhin überprüfbar, ob sie offenbar unsachlich, unvernünftig oder willkürlich wäre, die Gerichte hätten kein weitergehendes Prüfungsrecht Insbesondere gehört es nicht zum Grundsatz der ultima ratio, ob eine Lohnkostensenkung bei dem betroffenen Arbeitnehmer oder den Arbeitnehmern die mildere Maßnahme darstellen könnte. Entscheidet sich der Arbeitgeber dagegen, alle Arbeitsplätze zu erhalten, indem er die Gehälter um beispielsweise die übertarifliche Zulage kürzt, so soll nach jetziger Auffassung des Bundesarbeitsgerichts diese Entscheidung gerichtlich voll überprüfbar sein. Das vorgelegte Sanierungskonzept muß der Prüfung standhalten, ob die Einsparungen unumgänglich sind360. Dabei ist auf den gesamten Betrieb abzustellen und nicht nur auf die wirtschaftliche Situation der betroffenen Betriebsabteilung361 . Die Entscheidung ist mit dem Risiko behaftet, daß sie als nicht ausreichender Grund für eine Kürzung der Gehälter angesehen wird362. Es werden in diesen Fällen also Konkordanzabwägungen vorgenommen, die dem Inhaltsschutz der Verträge der Arbeitnehmer ein höheres Gewicht beimessen als der wirtschaftlichen Entscheidungsfreiheit des Arbeitgebers, Artt. 12 Abs. 1, 14 Abs. 1, 2 Abs. I GG. Es bestehen aber keine besonderen Abwägungskriterien, die eine strengere Kontrolle der Unternehmerischen Entscheidung bei der Änderungskündigung als bei der betriebsbedingten Beendigungskündigung363 rechtfertigen. BAG v. 23.06.1993 - 2 AZR 615/92- nicht veröffentlicht. BAG v. 20.03.1986 AP Nr. 14 zu§ 2 KSchG 1969; v. 11.10.1989 AP Nr. 47 zu § I KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung; bestätigt durch BAG v. 12.11.1998 und 20.08.1998 NZA 1999, S. 471 und S. 255; BAG v. 27.10.1999 NZA-RR 2000, S. 301 f. 362 BAG v. 20.03.1986 AP Nr. 14 zu § 2 KSchG 1969; v. 11.11. 1993 - 2 AZR 454/93 - nicht veröffentlicht. 363 So auch Hanau, ZRP 1996, S. 349, S. 352; Hromadka, NZA 1996, S. 1, S. 7; Löwisch, NZA 1988 S. 633, S. 637; Berger-Delhey, DB 1991 S. 1571, S. 1573; Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung und Kündigungsschutz Rdz. 779 "Prüfung ist 360

361

2. Abschn.: I. Artt. 12 Abs. I, 14 Abs. I, 2 Abs. I GG

153

Als Ergebnis der Konkordanzüberlegung ist vielmehr festzustellen, daß die Entscheidung, aufgrund eines Sanierungskonzeptes Lohnkosten zu senken, als Unternehmerische anzuerkennen ist. Die Überprüfungskompetenz hat sich auf die Mißbrauchskontrolle (etwa die Fälle, in denen durch Lohnkürzungen allein der Unternehmensgewinn gesteigert werden soll364) zu beschränken. Korrektiv vor einer ihrerseits unverhältnismäßigen Verlagerung des Wirtschaftsrisikos auf die Arbeitnehmer sind die tarifvertragliehen Garantien. Durch die Änderungskündigung kann bei beiderseitiger Tarifbindung das Tarifniveau nicht unterschritten werden365 • Dieselbe Überlegung gilt ebenfalls für geldwerte Leistungen, zu denen Betriebsvereinbarungen den Arbeitgeber verpflichten. Zumindest für den Zeitraum der Geltungsdauer wirken die Betriebsvereinbarungen gemäß § 77 Abs. 4 BetrVG unmittelbar und zwingend auf das Arbeitsverhältnis ein366• Auch der arbeitsrechtliche Gleichbehandlungsgrundsatz sichert, daß die Belastung der Arbeitnehmerinteressen nicht einseitig erfolgt und damit das Abwägungsergebnis anders ausfallen müßte. Die Entgeltkürzung bei nur einzelnen Arbeitnehmern oder -gruppen wird daran scheitern, daß für ihre Herausnahme keine sachlichen Gründen bestehen367. Es ist zudem zu beachten, daß die Änderung des Vertragsinhaltes noch in einer zweiten Stufe auf ihre Zumutbarkeit für den Arbeitnehmer zu untersuchen ist. Insgesamt bleibt mithin ausreichend Raum, den Arbeitnehmer vor unverhältnismäßigen, einseitigen Risikoverlagerungen zu schützen. Der notwendige wirtschaftliche Gestaltungsspielraum des Arbeitgebers muß aber im Kern erhalten bleiben. c) Exkurs: Vorrang der Unternehmerentscheidung in anderen Bereichen

Die Freistellung der Unternehmerischen Entscheidung von der gerichtlichen Kontrolle hat ihre Parallelen auch außerhalb des Kündigungsrechts, auf sie soll deshalb nur kurz eingegangen werden. Ein Beispiel ist § 112 BetrVG. Die Betriebsänderung selbst ist zwar mit dem Betriebsrat ausführlich zu beraten; sie endgültig vorzunehmen oder zu unterlassen unterliegt dagegen, anders als die Absicherung der wirtschaftlichen Folgen der in mancherlei Hinsicht komplexer"; differenzierend Kittner, NZA 1997, S. 968,

s. 970f. 364 365 366 367

KR-Etzel, § I KSchG Rdz. 573. BAG v. 10.02.1999 ArbuR 1999, S. 326. Krause, DB 1995, S. 574, S. 575. Kittner/Däubler/Zwanziger, § 2 Rdz. 169.

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Teil D: Die Gewährleistungen der Grundrechte und ihre Umsetzung

Betriebsänderung im Sozialplan, nicht seiner Mitbestimmung368 • Eine zweite Parallele bilden die Aussagen zu den Grenzen der Tarifmacht in diesem Bereich. Forderungen der Gewerkschaft auf Einbeziehung unternehmenscher Entscheidungen in die tarifliche Regelung (oder nur der Verzicht auf eine solche Maßnahme Zug um Zug gegen ein Zugeständnis an anderer Stelle) können freiwillig erfüllt, aber nicht durch Streik erzwungen werden. Welche das sind, ist umstritten und hier im einzelnen nicht darzulegen369 . Dem Vorrang der unternehmefischen Entscheidung trägt schließlich das Mitbestimmungsgesetz Rechnung, indem es den Vorrang der Kapitalseite aufrechterhalten hat (§§ 27 Abs. 2, 29 Abs. 2 MitbestG).

3. Sozialauswahl Besondere Berücksichtigung des Unternehmerinteresses, wie es die Artt. 12 Abs. 1 und 14 Abs. 1 GG schützen, findet sich auch dort, wo einer der für eine Kündigung in Frage kommenden Arbeitnehmer wegen betriebstechnischer, wirtschaftlicher oder sonstiger berechtigter Bedürfnisse (§ 1 Abs. 3 S. 2 KSchG) unentbehrlich ist. Gegenüber dem sozialstaatliehen Aspekt der sozialen Auswahl verlangt hier das Unternehmensinteresse den Vorrang, da die Wirtschaftlichkeit des Betriebes von der Leistung Einzelner im Einzelfall abhängig sein kann. Bessere Leistungen und Fähigkeiten bedingen mithin die Weiterbeschäftigung des sozial an sich stärkeren Arbeitnehmers gegenüber dem sozial Schwächeren, wenn dies im Interesse des geordneten Betriebsablaufs erforderlich ise70. Hier ist aber ebenfalls stets der angemessene Ausgleich zu suchen. Die verfassungsrechtlich geschützten Interessen aus Art. 12 Abs. 1 GG der in die Sozialauswahl einbezogenen Arbeitnehmer am Weiterbestand ihres Arbeitsvertrages fordern eine strenge Handhabung. Völlig unverzichtbar werden in einer solchen Situation nur wenige Arbeitnehmer sein; bei ihnen dürfte es bereits an der Vergleichbarkeit fehlen. Andererseits ist die Weiterbeschäftigung, die durch die betrieblichen Interessen "bedingt" ist, nicht im Sinn "einer gewissen Zwangslage"371 zu verstehen. Es genügt, daß der Arbeitnehmer für den Betrieb "erforderlich" 368 Zu Unrecht wendet sich MüKo-Schwerdtner, § 622 Anh. Rdz. 380 gegen eine "verfassungsrechtliche Überhöhung", indem "Grundrechte der Arbeitgeber und Arbeitnehmer gegeneinander ausgespielt werden", und begründet dies mit den "normativen Wertungen des Betriebsverfassungsrechts". Schwerdtner übersieht, daß auch diese selbst Ausdruck der Abwägung der verfassungsrechtlichen Werte sind. 369 Vgl. ErfK-Dieterich, GG Vorbemerkungen Rdz. 58; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I 339 ff., einschränkend Kempen/Zachert, TVG Grundlagen Rdz. 139 f. 370 BAG v. 24.03.1983 AP Nr. 12 zu § I KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung. 371 So noch BAG v. 20.01.1961 AP Nr. 7 zu§ I KSchG Betriebsbedingte Kündigung.

2. Abschn.: I. Artt. 12 Abs. I, 14 Abs. I, 2 Abs. I GG

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ist372• Die "Erforderlichkeit" läßt sich indessen nicht allein mit vertragsgerechtem Verhalten und fehlerfreiem Arbeiten begründen. Bloße "Nützlichkeit" genügt dagegen ebensowenig. An die betrieblichen Bedürfnisse sind auch umso höhere Anforderungen zu stellen, je größer der Unterschied in der Schutzbedürftigkeit zwischen den beiden Arbeitnehmern ist373 . 4. KündigungsschutzkJage bei Sozialwidrigkeit (§ 4 KSchG)

Ob die Kündigung bei Bestand bleibt, ist für die Organisation der Arbeit von herausragender Wichtigkeit; die finanziellen Folgen einer schließlich für unwirksam erklärten Kündigung können im Einzelfall erheblich sein. Das Interesse des Arbeitgebers, wenn schon nicht über das endgültige Schicksal, so doch zumindest darüber in angemessener Zeit unterrichtet zu sein, ob mit einem Kündigungsschutzverfahren zu rechnen ist, steht außer Zweifel. Es hat seine verfassungsrechtliche Stütze in Artt. 12 Abs. 1 und 14 Abs. 1 GG. Der Gesetzgeber hat die Interessen des Arbeitgebers insbesondere durch die prozessuale Seite des Kündigungsschutzstreites gestärkt. Der Arbeitnehmer muß gemäß § 4 KSchG innerhalb von drei Wochen nach Zugang der Kündigung eine Kündigungsschutzklage erheben. a) Lehre vom punktuellen Streitgegenstand

Die Klage nach § 4 KSchG ist keine Gestaltungs-, sondern eine Feststellungsklage. Streitgegenstand der Feststellungsklage gemäß § 4 KSchG ist nach herrschender Meinung, ob das Arbeitsverhältnis durch die konkrete Kündigung zu dem von ihr gewollten Termin aufgelöst wurde, sogenannter punktueller Streitgegenstand374 . Die Sozialwidrigkeit der Kündigung (ebenso bei Kündigung gemäß § 626 Abs. 1 BGB: Vorliegen oder Fehlen 372 BAG v. 24.03.1983 AP Nr. 12 zu§ I KSchG 1969 betriebsbedingte Kündigung unter V. 2. d); v. 25.04.1985 AP Nr. 7 zu § I KSchG 1969 Soziale Auswahl unter B. II. 4. a). 37 3 Hueck/v. Hoyningen-Huene, § I Rdz. 478. 374 Ständige Rechtsprechung, vgl. BAG v. 13.11.1958 AP Nr. 17 zu § 3 KSchG 1951; v. 31.05.1979 AP Nr. 50 zu § 256 ZPO; v. 12.6.1986 AP Nr. 17 zu § 4 KSchG 1969; v. 30.08.1993 AP Nr. 6 zu § 17a GVG; v. 28.02.1995 AP Nr. 17 zu § 17a GVG; ErfK-Ascheid, § 4 Rdz. 78, Hueck/v. Hoyningen-Huene, § 4 KSchG Rdz. 69ff.; KR-Friedrich, § 4 Rdz. 225 (m.w.N.); Schaub, NZA 1990 S. 85ff.; Boewer, NZA 1997, S. 359 f. Der punktuellen Streitgegenstandstheorie steht die sogenannte bestandsrechtliche Auffassung gegenüber. Nach dieser Lehre ist Gegenstand des Prozesses der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses im Zeitpunkt der letzten Verhandlung in der Tatsacheninstanz schlechthin, Lüke, JZ 1960 S. 203, S. 207; differenzierend Bettermann, ZfA 1985 S. 5, S. 18 f. Sie hat sich nicht durchsetzen können.

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eines wichtigen Grundes) ist nur eine Vorfrage, die nicht in Rechtskraft erwächst. Das Gericht verfügt nicht die Wiederherstellung des durch die Kündigung vorerst aufgelösten Arbeitsverhältnisses, sondern stellt fest, daß es nie zu-bestehen aufgehört hae75 • Die Klage ist mithin materiell-rechtlich nicht notwendig, um die Unwirksamkeit der Kündigung zu begründen, wohl aber, um sie aufrechtzuerhalten376. Entsprechend muß der Klageantrag auf diese Feststellung gerichtet sein. Es genügt, wenn der Wille, eine Klage nach § 4 KSchG zu erheben, ausreichend deutlich zum Ausdruck kommt. Notfalls hat das Gericht den Antrag auszulegen 377 . Gemäß § 7 KSchG ist aber der Mangel einer sozialen Rechtfertigung geheilt, wenn die Frist des § 4 KSchG nicht eingehalten wird, der Arbeitnehmer also erst drei Wochen nach dem Zugang der Kündigung Klage erhebt. Es wird unwiderleglich fingiert, daß die (ordentliche) Kündigung nicht sozialwidrig war bzw. ein wichtiger Grund zur außerordentlichen Kündigung vorgelegen hatte378 . Die Klage ist von Amts wegen (als unbegründet) abzuweisen 379. Das wird aus der Eigenschaft des § 4 KSchG als einer Ausschlußfrist gefolgert. Auf ein Verschulden des Arbeitnehmers bei der Versäumung der Frist kommt es nicht an; allzu unbilligen Ergebnissen beugt § 5 KSchG vor, der in den dort genannten Fällen die nachträgliche Zulassung der Klage vorsiehe 80• Die Lehre vom punktuellen Streitgegenstand hat Konsequenzen, die einer Nachprüfung mit Hilfe der Abwägung zwischen dem Bestandsschutzinteresse und den allgemeinen, im Zivilprozeßrecht entwickelten dogmatischen Vorstellungen nicht standhalten. Wird beispielsweise während des Prozesses die Kündigung erneut ausgesprochen (selbst in der Form einer Trotzkündigung), so ist dies nach der herrschenden Meinung eine zweite Kündigung, die ebenfalls vor Gericht gebracht werden muß. Dabei genügt es zwar, daß der ursprüngliche Klageantrag auf sie ausgedehnt wird 381 . Versäumt der 375 H. M., BAG GS v. 27.2.1985 AP Nr. 14 zu§ 611 Beschäftigungspflicht unter III.; BAG v. 2.4.1987 AP Nr. 96 zu § 626 BGB; KR-Friedrich, § 4 Rdz. 17; Hueck/v. Hoyningen-Huene, § 4 Rdz. 4 (m. w. N.). 376 Versuche, dies dogmatisch anders zu erklären, haben sich nicht durchgesetzt, siehe hierzu Bötticher, BB 1959, S. 1032ff. 377 BAG v. 11.09.1956 AP Nr. 8 zu § 3 KSchG 1951; BAG v. 28. 6.1973 AP Nr. 2 zu § 13 KSchG 1969; BAG v. 21.05.1981 AP Nr. 7 zu § 4 KSchG 1969. Begehrt beispielsweise der Kläger die Verurteilung des Arbeitgebers zur Zahlung einer Abfindung im Sinne der §§ 9, 10 KSchG, so ist in diesem Antrag inzident der Antrag auf Feststellung des Weiterbeslehens des Arbeitsverhältnisses enthalten, BAG v. 19.08.1982 AP Nr. 9 zu § 9 KSchG 1969. 378 Hueck/v. Hoyningen-Huene, § 7 Rdz. 4. 379 BAG v. 26.06.1986 u. 13.04.1989 AP Nr. 14 (unter li. 3. b)), 21 (unter III. 2. b) bb)) zu § 4 KSchG 1969; ErfK-Ascheid, § 4 KSchG Rdz. 57; Hueck/ v. Hoyningen-Huene, § 4 KSchG Rdz. 53; Löwisch, § 4 KSchG Rdz. 62. 380 Zum Bsp. bei einem unverschuldeten Rechtsintum über den Beginn der Dreiwochenfrist, LAG Sachsen Anhalt v. 22.06.1999 NZA 2000, S. 377 f.

2. Abschn.: I. Artt. 12 Abs. I, 14 Abs. I, 2 Abs. I GG

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Arbeitnehmer dies aber, so tritt für die zweite Kündigung die Folge des § 7 KSchG ein, das heißt, der Mangel der Sozialwidrigkeit wird wegen nicht rechtzeitiger Klageerhebung innerhalb von drei Wochen geheilt. Der Arbeitnehmer hätte damit seinen Arbeitsplatz endgültig verloren, obwohl er gemeint hatte, mit der einen Klage alles Nötige getan zu haben. Rechtsprechung und Literatur argumentieren ausschließlich auf dem Boden der punktuellen Streitgegenstandslehre, Art. 12 Abs. 1 GG kommt an keiner Stelle zu Wort. Dem Schutzauftrag des Art. 12 Abs. 1 GG wird dies nicht gerecht. In der Entscheidung AP Nr. 33 382 wird wie selten deutlich, wie die Existenz des Arbeitnehmers, des Chefarztes eines kommunalen Krankenhauses, von rein prozessualen Kategorien ohne materiell-rechtlich verfassungsrechtliche Einbindung abhängig gemacht wird. - Eine unerträgliche Unsicherheit ergibt sich ebenfalls daraus, daß sich oft nachträglich gar nicht mehr unterscheiden läßt, ob die Erklärung von damals eine neue Kündigung oder lediglich die Bekräftigung der ersten Kündigung gewesen war. Von solchen Zufälligkeiten darf der Verlust des Arbeitsplatzes nicht abhängig gemacht werden. Der Schutzauftrag des Art. 12 Abs. I GG muß sich auch an dieser Stelle wieder durchsetzen. Dies ist letztlich dadurch erfolgt, daß nach der herrschenden Meinung der Antrag gemäß § 4 KSchG mit einem (weitergehenden) Feststellungsantrag gemäß § 256 ZPO kombiniert werden kann383 . Der Antrag geht dann dahin festzustellen, daß das Arbeitsverhältnis über den Ablauf der Kündigungsfrist hinaus fortbesteht 384, und erfaßt mithin jede weitere Kündigung, die bis zum Schluß der letzten Verhandlung in der Tatsacheninstanz ausgesprochen wird, sowie jeden anderen Auflösungsgrund, unabhängig davon, wann sie bzw. er in den Prozeß eingeführt werden 385 . Da die allgemeine Feststellungsklage eines besonderen Feststellungsinteresses bedarf, trifft den Arbeitnehmer die Darlegungslast dafür, daß mit der Geltendmachung weiterer Auflösungstatbestände durch den Arbeitgeber zu rechnen ise86 . Auf diese Möglichkeit hat das Gericht den Arbeitnehmer gemäß § 139 ZPO hinzuweisen, insbesondere, wenn er sich nicht durch einen Rechtsanwalt oder Rechtsschutzsekretär vertreten läßt. Mit dieser prozeßrechtlichen Konstruktion kann den untragbaren Folgen des punktuellen Streitgegenstands begegnet und bei der 381 BAG v. 09.03.1961 AP Nr. 31 zu § 3 KSchG; ErfK-Ascheid, § 4 KSchG Rdz. 56; Ascheid, FS Stahlhacke, (1994) S. I, S. IOf. mit Vorschlägen zur Abmilderung bedenklicher Konsequenzen der h. M. 382 BAG AP Nr. 33 zu § 4 KSchG 1969 unter III. 2. a). 383 Kittner/Däubler/Zwanziger, § 4 Rdz. 53; ErfK-Ascheid, § 4 KSchG Rdz. 79ff., Hueck/v. Hoyningen-Huene, § 4 KSchG Rdz. 72ff. 384 Grundlegend: BAG v. 21.01.1988 AP Nr. 19 zu§ 4 KSchG 1969. 385 Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung und Kündigungsschutz Rdz. 1150. 386 BAG v. 16.03.1994 AP Nr. 29 zu§ 4 KSchG 1969 unter Gründe III. 2. b).

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Konkordanzabwägung wieder ein angemessener Ausgleich hergestellt werden. Allerdings gibt es hier auch Ansichten, die die zweite Kündigung dennoch als wirksam ansehen 387 . Insbesondere wird in Zweifel gezogen, ob für die Klage gemäß § 256 ZPO das hinreichende Feststellungsinteresse gegeben ist. So wird vorgetragen388 , die abstrakte Möglichkeit, man könne auf diese Weise einer zweiten Kündigung gerecht werden, genüge nicht; hierzu müsse der Arbeitnehmer vielmehr konkrete Tatsachen vortragen, .,daß sich der beklagte Arbeitgeber weiterer Auflösungstatbestände berühmt". Es ist jedoch zu unterstellen, daß sich der Arbeitgeber seiner künftigen Trotzkündigung kaum vorher .,berühmen" wird. Der zwingenden Schutzpflicht aus Art. 12 Abs.l GG wird mit dieser Ansicht nicht entsprochen. b) Andere Unwirksamkeilsgründe § 4 KSchG gilt kraft ausdrücklicher Regelung nur für die Klage wegen Sozialwidrigkeit der Kündigung oder wegen Fehlens eines wichtigen Grundes. Ist die Kündigung aus einem anderen Grund unwirksam, so ist die spätere Klageerhebung zulässig, § 13 Abs. 3 KSchG. Nach der Entscheidung des Gesetzgebers ist dem Arbeitgeberinteresse dann kein Vorrang mehr einzuräumen, wenn die Unwirksamkeit der Kündigung auf anderen, im Zweifel offensichtlicheren, Gründen als der Sozialwidrigkeit beruht. Einzig die Einrede der Verwirkung kann dieser Klage entgegengehalten werden389 , wobei dem Arbeitnehmer selbstverständlich eine angemessene Überlegungsfrist zukommt. Die Rechtsprechung schwankt zwischen einer Frist von mehreren Wochen und einigen Jahren 390• Als Klageart kommt eine Feststellungsklage gemäß § 256 ZPO in Betrache91 • Der Arbeitnehmer kann auch eine Leistungsklage, etwa auf Zahlung der Vergütung, erheben; die Frage nach der Wirksamkeit der Kündigung muß hier inzident als Vorfrage geklärt werden 392 . So Hueck/v. Hoyningen-Huene, § 4 Rdz. 75c. Hueck/v. Hoyningen-Huene, § 4 Rdz. 76.; BAG 16.3.1994 AP Nr. 29 zu§ 4 KSchG 1969 unter III.3.a). 389 BAG v. 05.12.1961 AP Nr. 80 zu§ 242 BGB Ruhegehalt; v. 05.12.1985 AP Nr. 10 zu § 620 BGB Bedingung unter I. I. c) aa); LAG Hamm v. 25.07.1986 LAGE§ 134 BGB Nr. 3. 390 BAG v. 23.02.1978 AP § 12 SchwbG Nr. 4 unter III. 3.; v. 02.06.1982 AP Nr. Nr. 8 zu § 12 SchwbG unter II. 2. a); v. 19.01.1983 AP Nr. 9 zu§ 12 SchwbG; LAG Nümberg v. 13.04.1995 7 Ta 90/95 n.v.; LAG Berlin v. 17.08.1987 LAGE § 4 KSchG 1969 Nr. 12; Übersicht bei KR-Rost, § 7 KSchG Rdz. 36; Wilhelm, NZA Beil. 3/1988 S. 18, S. 20. 391 § 4 KSchG greift hier nicht ein, vgl. BAG v. 03.12.1964 AP Nr. 79 zu § I KSchG. 392 Hersehe!, Anm. zu BAG v. 09.10.1979 ArbuR 1981 S. 322, S. 324. 387 388

2. Abschn.: I. Artt. 12 Abs. I, 14 Abs. I, 2 Abs. I GG

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5. Frist für den Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung

Zweifel, ob dem Interesse des Arbeitgebers ausreichend Rechnung getragen wird, bestehen allerdings bei der Frist zum Ausspruch einer außerordentlichen Kündigung. § 626 Abs. 2 BGB gibt ihm zwei Wochen Zeit, um eine Kündigung aus wichtigem Grund zu erklären393 . Die Vorschrift verdankt ihre Entstehung dem Wunsch, die Unsicherheit über die Verwirkung des Kündigungsgrundes zu überwinden 394. Dem Arbeitgeber soll nicht gestattet sein, ihn gewissennaßen auf Vorrat zu halten, um damit auf den Arbeitnehmer Druck auszuüben; dieser habe Anspruch auf rasche Klärung seiner Situation. Es wird argumentiert, daß ein Grund, der nicht alsbald zur Kündigung führt, nicht so wichtig sein könne395 . Die Herkunft der Vorschrift von der Verwirkung, also einem der Kernbereiche von Treu und Glauben, wird von der Rechtsprechung jedoch vernachlässigt. Sie folgt dem Grundsatz, daß Ausschlußfristen nach ihrem Wortlaut anzuwenden sind, selbst in Fällen, in denen von einer Schutzbedürftigkeit des Arbeitnehmers wegen der Schwere der Verfehlung sinnvollerweise keine Rede sein kann 396. Zöllner spricht hier mit Recht von der "Heilung skandalöser Fälle, die das absolut nicht verdienen" 397 • Praktische Konkordanz verlangt ein anderes Ergebnis. Der Arbeitnehmer hat einen wichtigen Kündigungsgrund geliefert, der seinen eigenen verfassungsrechtlichen Schutzanspruch zurücktreten und das Schutzbedürfnis des Arbeitgebers besonders hervortreten läßt. Das Organisationsinteresse des Arbeitgebers an einem reibungslosen Arbeitsablauf und auch sein Recht an einer ordnungsgemäßen Vertragserfüllung, beide Interessen sind durch Art. 12 Abs. I, 14. Abs. I und 2 Abs. 1 GG geschützt, werden unverhältnismäßig verletzt, wenn die Kündigung aus fonnellen Gründen für unwirksam erklärt wird und dem Arbeitnehmer seine Verfehlung auf der Grundlage eines auf diese Weise gewonnenen Prozesses noch mit einer Abfindung "belohnt" wird, §§ 13 Abs. 1 iVm 9, 10 KSchG. Die Strenge, mit der die Frist exekutiert wird, statt ihr den Einwand der unzulässigen Verschiebung der praktischen Konkordanz entgegenzusetzen, steht auch in einem unüberbrückbaren Gegen-

393 Als Beispiel dafür, wie schwierig es dabei sein kann, den Fristbeginn zu bestimmen, s. LAG Hamm v. 20.08.1999 DB 1999, S. 2068. 394 MüKo-Schwerdtner, § 626 Rdz. 189; BAG v. 09.01.1986 AP Nr. 20 zu § 626 Ausschlußfrist (LS). 395 MüKo-Schwerdtner, § 626 Rdz. 188. 396 Ein Beispiel etwa BAG v. 05.05.1977 AP Nr. II zu § 626 BGB Ausschlußfrist, wo eine Kündigung verfallen war, obwohl der Arbeitnehmer den Arbeitgeber um 80.000 Mark geschädigt hatte. 397 Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht S. 287 mit weiteren Einzelheiten. Kritik auch bei Oetker, RdA 1997, S. 9, S. 16.

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satz zu der immer wieder vorgetragenen Ansicht, daß die Kündigung aus wichtigem Grund durch Einzelvertrag oder Tarifvertrag auch zugunsten des Arbeitnehmers nicht verändert werden kann398 .

6. Auflösung gegen Abfindung(§ 9 Abs. 1 S. 2 KSchG) An anderer Stelle wird indessen das Gleichgewicht zwischen Bestandsschutz- und Organisationsinteresse des Arbeitgebers wieder empfindlich zulasten des Arbeitnehmers verschoben. Hier ist das Recht des Arbeitgebers zu nennen, trotz sozialwidriger Kündigung, die gerichtliche Auflösung des Arbeitsverhältnisses beantragen zu können, wenn eine den Betriebszwecken dienliche Zusammenarbeit nicht mehr zu erwarten ist (§ 9 Abs. I S. 2 KSchG). In dieser Bestimmung liegt ein weiterer Anwendungsfall der Entscheidung des Gesetzgebers, betriebliche Interessen dem Arbeitnehmerinteresse vorzuziehen. Nach herrschendem Verständnis handelt es sich hierbei um eine ausdrückliche Durchbrechung des angestrebten Bestandsschutzes399; andere Verfasser sehen in den §§ 9, 10 KSchG weniger eine Durchbrechung als eine Ergänzung zu § l KSchG400. Das Abwägungsergebnis verschiebt sich allerdings, wenn zu Unrecht fristlos gekündigt wurde, § 13 Abs. l S. 2 KSchG401 . Gleiches gilt selbst dann, wenn das Arbeitsverhältnis tarifvertraglich unkündbar ist, mithin nur eine außerordentliche Kündigung in Betracht kommt402 . Der Arbeitgeber kann dann gegen den Willen des Arbeitnehmers die Auflösung nicht mehr verlangen403 . Wie sich aus § 13 Abs. 2 und 3 KSchG ergibt, besteht bei sittenwidriger oder aus sonstigen Gründen nichtiger Kündigung ebenfalls keine Antragsbefugnis des Arbeitgebers. Das gilt auch, wenn Sozialwidrigkeit und die oben erwähnten anderen Nichtigkeitsgründe zusammenfallen, so die Rechtsprechung404 und herrschende Lehre405 . Die Vergünstigung, die die Lösungsmöglichkeit für den 398

65.

KR-Fischermeier, § 626 BGB Rdz. 57; MüKo-Schwerdtner, § 626 BGB Rdz.

399 KR-Spilger, § 9 KSchG Rdz. 9; Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung und Kündigungsschutz Rdz. 1186 ff. 400 Hofmann, ZfA 1970 S. 63, S. 76. 401 Dazu krit. Trappehi/Lambrich, RdA 1999, S. 243, S. 244. 402 LAG Köln v. 22.06.1989 LAGE§ 9 KSchG Nr. 14. 403 Dazu krit. Trappehi/Lambrich, RdA 1999, S. 243, S. 244f. 404 BAG v. 09.10.1979, v. 29.01.1981, v. 10.11.1994 AP Nr. 4, 6 (unter III. 1.), 24 (unter II. 2.) zu§ 9 KSchG 1969; LAG Düsseldorf v. 13.12.1988 LAGE§ 612a BGB Nr. 3; LAG Frankfurt v. 2.2.1989 LAGE§ 613a BGB Nr. 16.

2. Abschn.: I. Artt. 12 Abs. I, 14 Abs. I, 2 Abs. I GG

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Arbeitgeber gemäß § 9 KSchG bedeutet, bestehe nur bei alleiniger Sozialwidrigkeit der Kündigung. Es ist zwar daran zu zweifeln, ob dies eine ausgewogene Lösung ist, man muß sie aber hinnehmen. An der Entscheidung des Gesetzgebers bestehen keine Zweifel. Daß die Grenzen seines Gestaltungsspielraums dabei überschritten wären, kann nicht festgestellt werden.

7. Einzuhaltende Kündigungsfristen Nach § 622 BGB a. F. betrug die vom Arbeitgeber einzuhaltende Kündigungsfrist für Arbeiter 14 Tage, für Angestellte sechs Wochen zum Quartalsende. Das Gesetz über die Kündigungsfristen vom 07.10.1993406 hat die Grundfrist für beide Arbeitnehmergruppen auf vier Wochen festgelegt. Das Organisationsinteresse, das in vielen Gewerben, insbesondere in der Bauwirtschaft, seit Jahrzehnten auf die kürzeren Fristen für Arbeiter ausgerichtet war, wurde dadurch erheblich beeinträchtigt. Zwischen dem Schutz der Berufsinteressen des Arbeitnehmers, aber ebenso der Persönlichkeit des Arbeiters, also seinem Anspruch darauf, materiell nicht schlechter als der Angestellte zu stehen, und den Notwendigkeiten der Produktion mußte deshalb die praktische Konkordanz hergestellt werden. Diese Aufgabe konnten nur die Tarifverträge erfüllen, die inzwischen in großer Zahl abgeschlossen wurden407 . Der Gesetzgeber hat die Problematik gesehen. § 622 Abs. 4 n. F. BGB gestattet Abweichungen vom Gesetz selbst zulasten der Arbeitnehmer, das Gesetz ist insoweit tarifdispositiv und trägt damit dem besonderen Wert des Art. 9 Abs. 3 GG Rechnung. Bei der Suche nach der "Mitte" haben die Tarifpartner einen weiten Beurteilungsspielraum; nach ganz herrschender Meinung kann die Frist sogar bis auf Null reduziert werden408 •

8. Leitende Angestellte409 Einen besonderen Schutz erfahren die Interessen des Arbeitgebers im Verhältnis zu seinen leitenden Angestellten. Sie genießen das besondere Vertrauen des Arbeitgebers. Im Gegensatz zu den organschaftliehen Vertre405 Hueck/v. Hoyningen-Huene, § 9 KSchG Rdz. 15; ErfK-Ascheid, § 9 KSchG Rdz. 18; Kittner/Däubler/Zwanziger, § 9 KSchG Rdz. 6. 406 BGBI. (1993) I S. 1668. 407 Vgl. die Übersichten bei KR-Spilger, § 622 BGB Rdz. 252 ff.; MüKoSchwerdtner, § 622 Rdz. 68 ff.; ErfK-Müller-Giöge, § 622 Rdz. 65 ff. 408 MüKo-Schwerdtner, § 622 Rdz. 58; Staudinger/Preis, § 622 Rdz. 65; KRSpilger, § 622 Rdz. 211; BAG v. 02.08.1978 AP Nr. I zu §55 MTL II; v. 28.08.1987, 7 AZR 249/86 n. v. II GamiUschcg

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tem sind sie zwar Arbeitnehmer, nehmen aber im Betrieb besondere Führungsaufgaben wahr. Wegen dieser besonderen Vertrauensstellung hatte das Kündigungsschutzgesetz 1951 (in § 12) sie aus seinem Geltungsbereich vollständig herausgenommen. Dem Arbeitgeber sollte das Recht zuerkannt werden, bei Erschütterung des Vertrauensverhältnisses ohne Beschränkungen kündigen zu können. Für diese Regelung sprach das Interesse des Arbeitgebers an einem reibungslosen Betriebsablauf, der durch den Vertrauensvertust für eine Person, die eine zentrale Führungsaufgabe wahrnimmt, schwer beeinträchtigt werden könnte. Die Schutzpflichten, die die Artt. 12 Abs. 1, 14, Abs. 1 GG entfalten, hätten also durchaus eine entsprechende Regelung gebieten können. Allerdings war bei der Herstellung der praktischen Konkordanz zu berücksichtigen, daß der Vertrauensverlust des Arbeitgebers zu einer Art eines absoluten Kündigungsgrundes gemacht wurde. Absolute Kündigungsgründe sind der Rechtsordnung fremd und stellen eine unverhältnismäßige Beeinträchtigung des Arbeitnehmerinteresses dar. Der Schutz aus Art. 12 Abs. 1 GG gebietet, daß bei der Bewertung einer Sachlage als Kündigungsgrund jeweils die Umstände des Einzelfalls berücksichtigt werden, da jeder Fall anders gelagert ist und eine pauschale Bewertung deshalb nicht angebracht ist. Es kann dahingestellt bleiben, ob der Gesetzgeber mit der alten Regelung die Rechte der leitenden Angestellten unverhältnismäßig verletzt hatte, er hat jedenfalls 1969 die Regelung beseitigt. Der leitende Angestellte unterliegt nunmehr dem Kündigungsschutzgesetz410 und kann die Sozialwidrigkeit der Kündigung vor Gericht geltend machen, § 14 Abs. 2 KSchG. Hier gelten allerdings Einschränkungen. Ob eine Eigenschaft oder ein Verhalten einen Kündigungsgrund bilden, wird durch die Stellung als leitender Angestellter zulasten des Arbeitnehmers beeinflußt. Eine längerwährende Krankheit kann bei einem Betriebsleiter in anderer Weise bedeutsam sein411 als bei seinem Untergebenen. Ebenso kann Weiterbeschäftigung während des Kündigungsrechtsstreits nicht verlangt werden412. Die besondere Berücksichtigung der oben angesprochenen verfassungsrechtlich geschützten Arbeitgeberinteressen nehmen also eine vorrangige Stellung bei der Bewertung der Sozialwidrigkeit ein, ohne indessen die für den leitenden Angestellten sprechenden Schutzpflichten aus Art. 12 Abs. 1 GG von vomherein zu verdrängen. Damit hat der Gesetzgeber einen angemessenen Ausgleich der widerstreitenden Interessen gefunden. 409 Hueck/v. Hoyningen-Huene, § 14 KSchG Rdz. 28ff.; Löwisch, § 14 KSchG Rdz. 24f.; KR-Rost, § 14 KSchG Rdz. 37ff.; ErfK-Ascheid, § 14 KSchG Rdz. 16ff.; MünchArbR/Richardi § 26. 410 Die anderen in § 14 Abs. I KSchG genannten Personen sollen hier nicht behandelt werden. 411 Weitere Beispiele bei KR-Rost, Rdz. 43 ff. 412 Löwisch, § 14 KSchG Rdz. 27.

2. Abschn.: I. Artt. 12 Abs. I, 14 Abs. I, 2 Abs. I GG

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§ 14 KSchG enthält weitere Besonderheiten. Stellt der Arbeitgeber den Auflösungsantrag gegen Zahlung einer Abfindung gemäß § 9 Abs. l S. 2 KSchG, so ist ihm stets stattzugeben413 . Er bedarf keiner Begründung, § 14 Abs. 2 S. 2 KSchG414. Die Störung des Vertrauensverhältnisses ist dabei der hauptsächliche, aber nicht der einzige Grund, sich von einem leitenden Angestellten zu trennen; vielleicht soll der Platz für einen anderen, etwa einen externen Spezialisten, freigemacht werden415 . Ebenso genügt die Skepsis, ob der leitende Angestellte in Zukunft seinen Aufgaben gewachsen sein wird. Den Fährnissen der Darlegung und des Beweises bezüglich der Auflösungsgründe soll der Arbeitgeber nicht ausgesetzt sein. Es entspricht dem Zweck des Gesetzes, in Zweifelsfragen eher gegen als für den leitenden Angestellten zu entscheiden. Vorrangig ist der Schutz des Unternehmens vor den Gefahren, die ein Zerwürfnis in der obersten Etage des Managements für die anderen Arbeitsplätze ebenso bedeuten kann. Der leitende Angestellte genießt also Sozial-, aber keinen Bestandsschutz. Dabei wird berücksichtigt, daß leitende Angestellte in der Regel in der Lage sind, ihre Interessen im Arbeitsvertrag selbst zu wahren. Andererseits ist der Arbeitsmarkt für sie sehr viel enger als für die Nichtleitenden, ihre tatsächliche Abhängigkeit mithin oft größer als bei einem einfachen Arbeiter. Scheidet ein leitender Angestellter aus seinem Unternehmen im Streit aus, so bleibt das zumeist in der Branche zu seinem Nachteil nicht unbekannt. Diesem Umstand soll bei der Festsetzung der Abfindung besondere Bedeutung zukommen416 .

Diese Sonderregel gilt nur für die ordentliche Kündigung, da der Arbeitgeber bei einer grundlosen fristlosen Kündigung kein Antragsrecht gemäß § 9 besitzt, § 13 Abs. 1 S. 2 KSchG417 . Das hat die sonderbare Folge, daß dort, wo das Vertrauensverhältnis besonders stark zerstört ist, der Arbeitgeber die Fortsetzung der Zusammenarbeit hinnehmen muß. Eine weitere Besonderheit besteht darin, daß die Mitwirkungsrechte des Betriebsrates in personellen Angelegenheiten keine Anwendung finden418 , § 5 Abs. 3 BetrVG. Die Kündigung eines leitenden Angestellten hat der 413 Daraus leiten Trappehl/Lambrich einen allgemeinen Rechtsgedanken ab, den sie auf alle Arbeitnehmer mit besonderer Vertrauensstellung übertragen wollen, RdA 1999, s. 243, s. 249. 414 § 14 Abs. 2 KSchG schließt ebenfalls die Anwendbarkeit von § 3 KSchG auf leitende Angestellte aus. Wegen der geringen praktischen Relevanz soll darauf nicht näher eingegangen werden. 415 A.A. KR-Rost, § 14 KSchG Rdz. 5, 37. 416 KR-Rost, § 14 KSchG Rdz. 41; sogar regelmäßig für Höchstabfindungssumme: Popp, DB 1993 S. 734, S. 736. 417 LAG Hamm v. 24.11.1988 DB 1989 S. 685 f. 418 KR-Etzel, § 105 BetrVG Rdz. 2.

II*

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Teil D: Die Gewährleistungen der Grundrechte und ihre Umsetzung

Arbeitgeber dem Betriebsrat lediglich mitzuteilen. Zur Information genügen Angaben über die Art der Kündigung und der Kündigungstermin419. Auf die Wirksamkeit der Kündigung hat eine Verletzung dieser Pflicht - anders als bei §§ 102, 103 BetrVG - keinen Einfluß420. Die anderen Unwirksamkeilsgründe der Kündigung, wie etwa §§ 138, 613a BGB oder 9 MuSchG, erfahren durch die Eigenschaft als leitender Angestellter keine Modifikation. Sie gelten in gleicher Weise wie bei den einfachen Arbeitnehmern421 . Bei der Konkordanzabwägung wird in diesen Fällen, dem Unternehmerinteresse zunächst der automatische Vorrang versagt, da die Ebene des kündigungsrechtlichen "Normalfalls" verlassen ist. Zum Schutz des leitenden Angestellten streiten nunmehr zusätzliche, teilweise verfassungsrechtliche Interessen. Die Eigenschaft als leitender Angestellter kann also in solchen Fällen nicht präjudizierend gegen ihn wirken.

II. Tendenzschutz, Arbeitnehmer der Kirchen422 Ein weiteres gewichtiges Beispiel für die Zurücknahme der Grundfreiheiten des Arbeitnehmers zugunsten des Unternehmens zeigt sich in Tendenzbetrieben. Tendenzbetriebe sind insbesondere Verlage und Zeitungen, Schulen, Gewerkschaften423, Arbeitgeberverbände u. ä. 424• Verhaltensweisen, die der Arbeitgeber in Nicht-Tendenzbetrieben beispielsweise als Ausdruck von Art. 5 GG425 dulden müßte, können hier eine Kündigung rechtfertigen. Dieser gesteigerten Treuepflicht sind jedoch grundsätzlich nur die Tendenzträger unterworfen, also jene Personen, die die Tendenz nach außen darstellen426. Die gesteigerte Loyalitätspflicht des Arbeitnehmers, die bei der Konkordanzabwägung die Berücksichtigung seiner Interessen aus Art. 12 Abs. 1 GG beschränkt, trifft ihn nicht unverhältnismäßig. Der Arbeitnehmer weiß bereits bei Vertragseingehung, daß er sich der Tendenz des Arbeitgebers unterzuordnen hat. Verstöße gegen diese unterliegen deshalb nur einer abgeschwächten Schutzpflicht aus Art. 12 Abs. 1 GG, da sich der Arbeitnehmer freiwillig der Beschränkung unterworfen hat. KR-Etzel, § 105 BetrVG Rdz. 27. KR-Etzel, § 105 BetrVG Rdz. 38. 421 KR-Rost, § 14 KSchG Rdz. 56ff. 422 KR-Etzel, § I KSchG Rdz. 84ff. 423 Vgl. BAG v. 06.12.1979 AP Nr. 2 zu § I KSchG 1969 Verhaltensbedingte Kündigung. 424 KR-Etzel, § I KSchG Rdz. 84. 425 Dazu unten E. TI.4. 426 Auf die besondere Rücksichtnahme der Rechtsprechung auf den Tendenzcharakter zur Befristung des Arbeitsvertrags, etwa bei Bühnenangehörigen oder Arbeitnehmern der Rundfunkanstalten, wird noch eingegangen, unten G. TI.2. 41 9

420

2. Abschn.: II. Tendenzschutz, Arbeitnehmer der Kirchen

165

Die Arbeitnehmer von Kirchen und kirchlichen Einrichtungen unterliegen einer noch weitergehenden Loyalitätspflicht. Sie wird von der herrschenden Meinung aus Artt. 140 GG/137 Abs. 3 WRV, in der die Kirchenautonomie garantiert wird, abgeleitet427. Die Kirchen und Religionsgemeinschaften sind bei der Verwaltung ihrer Angelegenheiten autonom. Soweit sie zur Erfüllung ihrer Aufgaben Arbeitsverträge abschließen, unterliegen sie zwar grundsätzlich dem allgemeinen Arbeitsrecht. Die Gesetze zur Kündigung gehören mithin zu den allgemeinen Gesetzen, die dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht Schranken ziehen428 • Die auslegungsfahigen Begriffe wie "verhaltensbedingter Kündigungsgrund" usw. sind jedoch in einem Sinn auszufüllen, der dem Autonomiegedanken möglichst weitgehend Rechnung trägt, ähnlich wie die den Grundrechten beigegebenen Gesetzesvorbehalte ihrerseits im Licht des einzuschränkenden Grundrechts auszulegen sind. Entsprechend weit ist der Kündigungsschutz zurückgenommen. Die Gerichte respektieren den besonderen Verhaltenskodex, den die christliche Lehre ihren Mitarbeitern auferlegt. Handlungen, die nach dem allgemeinen Verständnis der Grundrechte rechtens sind, aber kirchliches Recht verletzen, sind damit geeignet, eine Kündigung zu rechtfertigen. So wurde als Kündigungsgrund anerkannt, daß die Leiterin eines katholischen Kindergartens entgegen der katholischen Lehre von der Unauflöslichkeit der Ehe einen geschiedenen Mann geheiratet hatte429. Ebenfalls gebilligt wurden die Kündigungen einer Buchhalterio in einem katholischen Jugendheim430 und eines Arztes in einem katholischem Krankenhaus431 , die jeweils aus der Kirche ausgetreten waren. Alle Beispielsfälle, die Zeugnis über den Einfluß der Autonomie ablegen, können an dieser Stelle nicht dargestellt werden. Im Ergebnis ist es nicht zu beanstanden, daß die Schutzpflicht aus Artt. 12 Abs. 1 GG hier hinter Artt. 140 GG/137 WRV zurücktreten muß. Der Arbeitnehmer weiß bei Vertragseingehung, daß er sich der Tendenz seines Arbeitgebers unterzuordnen hat und in den meisten Fällen wird diese schon grundsätzlich seiner eigenen Überzeugung entsprechen.

427 KR-Etzel, § I KSchG Rdz. 79ff.; ErfK-Ascheid, § I KSchG Rdz. 285ff.; Kittner/Däubler/Zwanziger, Einl Rdz. 66ff.; KR-Fischermeier, § 626 BGB Rdz. 123f.; Thüsing, RdA 1997, S. 163, S. 165; Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche s. 2 ff. 428 BVerfG v. 04.06.1985 E 70S. l38ff. 429 BAG v. 25.04.1978 AP Nr. 2 zu Art. 140 GG.; ähnliche Fälle v. 14.10.1980, v. 31.10.1984, v. 18.11.1986, v. 25.05.1988 AP Nr. 7, 20, 35, 36 a.a.O.; vgl. auch v. 04.03.1980 AP Nr. 3 a.a.O. (Heirat mit einem katholischen Priester). Andere Fälle betreffen den Austritt aus der Kirche, BAG AP Nr. 4, 16 a.a.O. 430 BVerfG v. 04.06.1985 a.a.O. 431 BAG v. 12.12.1984 AP Nr. 21 zu Art. 140 GG.

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Teil D: Die Gewährleistungen der Grundrechte und ihre Umsetzung

111. Zwischenergebnis Im Unterabschnitt 2 wurden Einschränkungen des Kündigungsrechts analysiert, durch die das Unternehmerinteresse bevorzugt wird. Auch hierzu war festzustellen, daß die Abwägungsergebnisse im wesentlichen angemessen vom Gesetzgeber und der Rechtsprechung gefunden werden. Einer besonderen Betrachtung bedurfte der § 23 Abs.1 S. 2 KSchG, der den Kleinbetrieb aus dem Geltungsbereich des Kündigungsschutzgesetzes ausnimmt und so wesentliche Kündigungserleichterungen für den Arbeitgeber schafft. In Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts war festzustellen, daß die praktische Konkordanz gewahrt bleibt, wenn der "Kleinbetrieb" als "Kleinunternehmen" verstanden wird. Eine Bevorzugung der Unternehmerinteressen gemäß Artt. 12 Abs. 1, 14 Abs. 1 GG ist auch in der von den Gerichten nicht überprüfbaren Unternehmerischen Entscheidung für verschiedene Rationalisierungsmaßnahmen zu erkennen. Auch diese Bevorzugung ist angemessen und erforderlich. Es war vielmehr zu kritisieren, daß die Rechtsprechung sie nicht ausreichend berücksichtigt. Eine unzulässige Verschiebung der praktischen Konkordanz zulasten des Unternehmerinteresses war bei der Änderungskündigung zum Zwecke der Entgeltkürzung zu bemängeln. Kritik verdiente auch die strikte Handhabung der Rechtsprechung bei der Einhaltung der Frist gemäß § 626 Abs. 2 BGB. Die praktische Konkordanz fordert - wie festgestellt - im Einzelfall ein anderes Ergebnis. 3. Abschnitt

Wahrnehmung von Schutzpflichten im Interesse anderer Mit-Arbeitnehmer Bisher wurde die Anwendung der Konkordanzlehre an solchen Fallgestaltungen dargestellt, die bei der Abwägung der widerstreitenden Interessen primär durch besondere Normen oder Abwägungsgrundsätze die Interessen der Arbeitnehmer und der Arbeitgeber berücksichtigt haben. Es läßt sich noch eine weitere Kategorie herausarbeiten. Im letzten Unterabschnitt geht es um die Darstellung der Gewährleistungen im Bereich des allgemeinen Kündigungsschutzes der Fälle, in denen die Rechtsordnung primär die Interessen der "anderen Arbeitnehmer" den Rechten des zu kündigenden Arbeitnehmers und des Arbeitgebers vorgehen läßt.

3. Abschn.: I. Soziale Auswahl

167

I. Soziale Auswahl432 Kommen für eine Kündigung mehrere Arbeitnehmer in Frage, so muß der Arbeitgeber eine Auswahl treffen, die soziale Gesichtspunkte ausreichend berücksichtigt (§ I Abs. 3 S. 1 KSchG)433 . Der Verlust des Arbeitsplatzes für den einen Arbeitnehmer ist damit von dem sozialen Umfeld der anderen Arbeitnehmer in gleicher Lage abhängig. Hier geht es nicht um den Bestandsschutz im Sinn von Wegfall oder Bestehenbleiben des Arbeitsplatzes, sondern darum, wen die Kündigung am wenigsten hart trifft. Eine Aussage wie: "Der Kündigungsschutzprozeß kennt nur die Einzelfallwürdigung"434 verkennt, daß zwischen den Arbeitnehmern eine rechtliche, noch nicht näher definierte Beziehung besteht, die über das reine Nebeneinander am Arbeitsplatz hinausgeht435 . Das Unternehmensinteresse wird, vorbehaltlich § 1 Abs. 3 S. 2 KSchG, durch die Sozialauswahl insoweit nicht berührt. 1. Betroffener Arbeitnehmerkreis

Die Auswahl hat nach der Fassung des § I KSchG grundsätzlich betriebsbezogen zu erfolgen. Unter besonderen Umständen kann noch eine unternehmensbezogene Auswahl in Betracht kommen. Abgelehnt wird hingegen die konzernbezogene Sichtweise. Begründet wird dies vor allem mit der rechtlichen Selbständigkeit der einzelnen Unternehmen nach § 17 Abs. I AktG, die mit dem Wortlaut des § I Abs. 2 KSchG nicht vereinbar sei436. Nur wenige Ausnahmen durchbrechen diese Regel. Es sind die Fälle, in denen die Parteien die konzernbezogene Sichtweise entweder ausdrücklich in ihren Vertrag einbezogen haben (bereits die Versetzung innerhalb des Konzerns ist vorgesehen437 ) oder, in denen sich der Arbeitgeber durch ent432 Hueck/v. Hoyningen-Huene, § I KSchG Rdz. 431 ff.; KR-Etzel, § I KSchG Rdz. 620ff.; Oetker, FS Wiese (1998) S. 333ff. 433 Zwischen dem I. 10.1996 und dem 1.1.1999 galt eine andere Fassung des Gesetzes, die jedoch wieder rückgängig gemacht wurde; dazu Bader, NZA 1999, S. 64, s. 68ff. 434 BAG v. 25.04.1985 AP Nr. 7 zu§ I KSchG 1969 Soziale Auswahl. 435 Riesenhuber, JZ 1999, S. 711, S. 712. Deshalb kann sich auch der Arbeitnehmer, der einem Betriebsübergang nach § 613 a BGB widersprochen hatte, auf eine mangelhafte Sozialauswahl berufen. Schafft er allerdings damit erst das dringende betriebliche Erfordernis, einen Arbeitsplatz wegfallen zu lassen, so beschneidet er damit seinen eigenen Grundrechtsschutz zugunsten seiner Mit-Arbeitnehmer, die keine Möglichkeit hatten, ihre Arbeitsverhältnisse bei einem anderen Arbeitgeber fortzusetzen, da dieser Umstand bei der Sozialauswahl zu beachten ist, BAG v. 02.12.1999 DB 2000, S. 1418, 1421. 436 BAG v. 14.10.1982 AP Nr. I zu§ I KSchG 1969 Konzern; v. 22.05.1986 AP Nr. 4 a.a.O. 437 BAG v. 14.10.1982 a.a.O.

168

Teil D: Die Gewährleistungen der Grundrechte und ihre Umsetzung

sprechende einseitige Zusagen selbst gebunden hat und auf diese Weise einen Vertrauenstatbestand geschaffen hat. Mit Blick auf das Erfordernis der praktischen Konkordanz ist die konzernbezogene Auswahl aber problematisch. Die Rechte der anderen Mitarbeitnehmer finden zu wenig Berücksichtigung. In die Rechte der Arbeitnehmer in den Schwesterunternehmen wird durch diese Vereinbarungen oder einseitigen Zusagen, die zwar auch unter den Schutzbereich des Art. 2 GG gezogen werden können, belastend eingegriffen. Ihr Bestandsschutzinteresse wird aber durch Art. 12 Abs. 1 GG geschützt und unerwartet betroffen, wenn sie in Sozialauswahlen miteinbezogen werden, die außerhalb ihres eigenen Unternehmens erforderlich werden. Eine Solidargemeinschaft aller Arbeitnehmer im Konzern kann nicht angenommen, damit würde der Bogen überspannt. In der Abwägung ist damit im Regelfall Art. 12 Abs. I GG als das stärkere Recht anzusehen, so daß eine konzernbezogene Sozialauswahl abzulehnen bleibt438 • 2. Auswahlkriterien Die Abwägungen bewegen sich damit im Bereich des Art. 12 Abs. 1 GG, der sowohl für den einen wie für den anderen Arbeitnehmer seinen Schutz entfaltet. Die wichtigsten zu berücksichtigenden und zu vergleichenden Sozialdaten sind Betriebszugehörigkeit, Alter und Unterhaltspflichten, doch gibt es viele Zweifel, welches Merkmal die gewichtigere Rolle spielen soll439 • Wer den Sinn der Vorschrift darin sieht, den erlangten Besitzstand zu wahren, wird bevorzugt die Betriebszugehörigkeit berücksichtigen. Wer dagegen in § 1 Abs. 3 S. l KSchG in erster Linie eine Überbrückungshilfe für die Zeit nach dem Verlust des Arbeitsplatzes sieht, wird dem Lebensalter und den Unterhaltsverpflichtungen das höhere Gewicht beimessen440. Die Rechtsprechung tendiert zur bevorzugten Berücksichtigung der Betriebszugehörigkeit vor dem Lebensalter441 , geht jedoch im Einzelfall auch von ihrer Gleichrangigkeit aus442 .

438

tigt.

Dieser Aspekt wird von Kukat, BB 2000, S. 1242, S. 1244 nicht berücksich-

439 Zu Zeiten des Arbeitskräftemangels hatte das BAG das Lebensalter des Arbeitnehmers bevorzugt berticksichtigt: BAG v. 12.10.1979 AP Nr. 7 zu § I KSchG Betriebsbedingte Kündigung unter III.I.a). 440 Möhn, BB 1995, S.563; Ehmann, BlSozStARbR 1984 S. 209, 211 ff. 441 BAG v. 18.01.1990 AP Nr. 19 zu § I KSchG soziale Auswahl; BAG v. 18.10.1984 AP Nr. 6 zu § I KSchG 1969 soziale Auswahl unter 11.4.a); LAG Köln 20.03.1991 RdzK I 5d Nr. 30; Jobs, DB 1986 S. 538, S. 540; B. Preis, DB 1986 S. 746, S. 747 Fußnote 14. 442 BAG v. 18.01.1990 a.a.O.

3. Abschn.: I. Soziale Auswahl

169

a) Betriebszugehörigkeit

Dafür, die Betriebszugehörigkeit höher zu bewerten, spricht der Gedanke der Teilhabe des Arbeitnehmers am gemeinsam erwirtschafteten Gewinn. Der Unternehmergewinn beruht zum (großen) Teil auf der Arbeitsleistung der Belegschaft, deshalb erhöht sich der Anteil des einzelnen (und damit bei allen Vorbehalten am Wert des Unternehmens) mit der Dauer seiner Betriebszugehörigkeit daran. Daß der langjährige Verbleib des Arbeitnehmers im Betrieb ein Indiz dafür ist, daß der Arbeitnehmer auf die Wahrnehmung beruflicher Veränderungschancen verzichtet und dem Arbeitgeber Auktuationskosten erspart hatte443 , mag sein, rechtfertigt es jedoch kaum, die soziale Auswahl danach auszurichten. Allgemein besteht das Bedenken gegenüber einer zu großen Gewichtung der Betriebszugehörigkeit, da diese oft nicht vom Willen des Arbeitnehmers abhängt, er mithin ein weiteres Mal dafür bestraft wird, daß er schon einmal seinen Arbeitsplatz verloren hatte. Für die Betriebszugehörigkeit als wichtigstes Kriterium wird schließlich angeführt, daß sie in § 10 KSchG eigens erwähnt wird444• Das Argument ist nicht schlüssig. Bei der Bemessung der Abfindung spielt es mit Recht eine große Rolle, daß der Arbeitnehmer viele Jahre seiner Arbeit dem Unternehmen gewidmet und damit dessen Wert erhöht hat (so pauschal dies gesehen sein mag). Für die Frage, wen die Kündigung weniger hart trifft, ist dies jedoch unerheblich. b) Unterhaltspflichten

Im Zusammenhang mit Unterhaltspflichten ist die nach wie vor umstrittene Frage zu behandeln, inwieweit es eine Rolle spielt, daß der Arbeitnehmer umgekehrt einen Unterhaltsanspruch gegen einen gut verdienenden Ehegatten445 hat, inwieweit also allgemein die Vermögenslage von Bedeutung ist. Es erscheint plausibel, daß von zwei im übrigen vergleichbaren Arbeitnehmern demjenigen zu kündigen ist, der auf andere Weise materiell gesichert ist446• Die Vermögensverhältnisse hängen jedoch, das wird eingewandt, "ganz wesentlich" von der privaten Lebensführung des Arbeitneh443

444

wahl.

Dies führt B. Preis, DB 1986 S.746, S. 749 als weitere Begründung an. BAG v. 18.10.1984 u. 18.01.1990 AP Nr. 6, 19 KSchG 1969 Soziale Aus-

445 Vgl. als ein Beispiel der gegenseitigen Abwägung aller in Betracht kommender Aspekte: BAG v. 12.10.1979 AP Nr. 7 zu § I KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung. 446 Hueck/v. Hoyningen-Huene, § I KSchG Rdz. 469f.; Kittner/Däubler/Zwanziger, § I KSchG Rdz. 474; zurückhaltend Preis, Prinzipien S. 232.

170

Teil D: Die Gewährleistungen der Grundrechte und ihre Umsetzung

mers ab, die wiederum kündigungsrechtlich irrelevant sei447 . Die Schwierigkeit besteht mithin darin, daß die Vermögensverhältnisse Reflex der VermögensJage des Ehegatten sind, so daß eine saubere Trennung selten möglich sein wird. Der sozialstaatliche Auftrag aus Artt. 20, 28 GG, der hier gegeben ist, rechtfertigt auf jeden Fall die grundsätzliche Berücksichtigung44s.

3. Vergreisung der Belegschaft? Der Handhabung der sozialen Auswahl durch die Praxis der Gerichte ist vielfach der Vorwurf gemacht worden, die Bevorzugung von Alter und Betriebszugehörigkeit begünstige eine Vergreisung der Belegschaft. Dem wollte das Reformgesetz von 1996 dadurch Rechnung tragen, daß es die ausgewogene Personalstruktur der Belegschaft zu einem Kriterium der sozialen Auswahl erhoben hat449. Die Beseitigung dieser Vorschrift durch das Gesetz zu Korrekturen in der Sozialversicherung und zur Sicherung der Arbeitnehmerrechte von 1998 zwingt zu dem Schluß, daß es darauf nunmehr nicht mehr ankommen kann. Das mag rechtspolitisch fragwürdig sein, die genannten Besorgnisse waren nicht unbegründet, liegt aber im Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers. Wie die Ausgewogenheit der Personalstruktur in das Geflecht der Überlegungen einzubauen gewesen wäre, war durchaus noch offen450.

4. Arbeitnehmer unter besonderem Kündigungsschutz Arbeitnehmer unter besonderem Kündigungsschutz werden in die soziale Auswahl nicht mit einbezogen451 ; für die Betriebsratsmitglieder ergibt sich das bereits daraus, daß § 15 KSchG außerhalb des Blocks der ordentlichen Kündigung steht. So kann es sein, daß ein älterer Familienvater gehen muß, während ein lediges Mitglied des Betriebsrats seinen Arbeitsplatz behält. Insoweit tritt der sozialstaatliche Aspekt gegenüber den besonderen Schutzanliegen der Betriebsverfassung zurück. Dies liegt im Regelungsspielraum des Gesetzgebers. Besteht der Sonderkündigungsschutz darin, daß die Kündigung von der Zustimmung einer besonderen Stelle abhängt, § 9 Abs. 3 447 Wank, RdA 1987 S. 129, S. 144; Hueck/v. Hoyningen-Huene, § I KSchG Rdz. 473. 448 Der Ausgangspunkt ist hier ein anderer, als beim verhaltens- oder personenbedingten Kündigungsgrund, bei dem zu Recht die Vermögensverhältnisse keine Rolle spielen können. Kritisch Preis, RdA 1999, S. 311, S. 317. 449 Hanau, ZRP 1996, S. 349, S. 352. 45 KR-Etzel, § I KSchG Rdz. 654ff. widmet dem nicht weniger als drei Druckseiten. 451 Hueck/v. Hoyningen-Huene, § I KSchG Rdz. 453.

°

3. Abschn.: II. Berufung auf fehlerhafte Sozialauswahl

171

MuSchG; § 15 SchwbG; § 18 Abs. l S. 2 BErzGG, so können diese Arbeitnehmer in die soziale Auswahl einbezogen werden, wenn entsprechende behördliche Zustimmungen vorliegen452 . Angesichts der üblichen Dauer solcher Genehmigungsverfahren dürfte es sich hierbei jedoch um eine mehr theoretische Frage handeln. Für die zahlreichen tariflichen Verbesserungen der Kündbarkeit gelten dieselben Überlegungen. Sie richten sich in aller Regel nach Alter und Dauer der Betriebszugehörigkeit und lehnen sich damit an das gesetzliche Modell an, so daß es insoweit selten zu einem Widerspruch kommen wird. Wo es dennoch zum Widerspruch kommt453 , gebührt dem Tarifvertrag der Vorrang. Das verlangt das Vertrauen in die staatsfreie, kollektive Regelung der Arbeitsbedingungen, die in einem so wichtigen Punkt wie der Stabilität des Arbeitsverhältnisses nicht deshalb zur Seite geschoben werden sollte, weil sie etwas von der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes abweicht454 . Art. 9 Abs. 3 GG bietet für diese Überlegung die verfassungsrechtliche Untermauerung.

II. Berufung auf fehlerhafte Sozialauswahl Eine weitere Bevorzugung der Rechte der "anderen Arbeitnehmer" vor denen des Unternehmers ist in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur fehlenden Kündigungsberechtigung des Arbeitgebers zu sehen. Wurde mehreren Arbeitnehmern gekündigt und verblieb ein Arbeitnehmer im Betrieb, der sozial weniger schutzbedürftig als die gekündigten war, so können sich nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichtes alle ("beliebig viele") auf die Sozialwidrigkeit ihrer Kündigung berufen455 . Dem ist nicht mehr zuzustimmen. Der Arbeitgeber wird dadurch in möglicherweise existenzbedrohender Weise belastet. Es besteht kein Anlaß, daß ein Fehler in der Beurteilung so unsicherer Kriterien wie der sozialen Auswahl einem Arbeitnehmer einen Vorteil zuschanzt, den ihm das Gesetz nicht gewähren will. Es genügt, wenn sich der Arbeitnehmer auf die Sozialwidrigkeit berufen kann, der bei korrekter Auswahl im Betrieb verblieben wäre. Wer dies im 452 Hueck/v. Hoyningen-Huene, § I KSchG Rdz. 454; MünchArbR/Berkowsky, § 139 Rdz. 93f.; Oetker, FS Wiese (1998) S. 333, S. 339. 453 Vgl. das krasse Beispiel bei Hueck/v. Hoyningen-Huene, § I KSchG Rdz.

456.

454 Vgl. KR-Etzel, § I KSchG Rdz. 679 mit Nachweisen; für Vorrang des Gesetzes dagegen Hueck/v. Hoyningen-Huene, § I KSchG Rdz. 456; Löwisch, § I KSchG Rdz. 323. 455 BAG v. 18.10.1984 AP Nr. 6 zu § I KSchG 1969 Soziale Auswahl; v. 25.04.1985 a. a. 0. (Massenkündigung aus Anlaß der Sanierung der AEG, Berlin); KR-Etzel, § I KSchG Rdz. 672; a.A. LAG Hamm v. 31.08.1994 LAGE Nr. 13 zu § I KSchG Soziale Auswahl.

172

Teil D: Die Gewährleistungen der Grundrechte und ihre Umsetzung

Einzelfall ist, hat das Gericht zu klären. Nur bei ihm ist dieser Fehler kausal geworden. Hier fordert deshalb die angemessene Konkordanzabwägung ein anderes Ergebnis.

111. Zwischenergebnis Im Unterabschnitt 3 wurden abschließend für den Komplex der Grundrechtsgewährleistungen und ihrer Umsetzungen im allgemeinen Kündigungsschutz die Regelungen untersucht, die weder dem besonderen Interesse des Arbeitgebers noch dem des gekündigten Arbeitnehmers vordringlich dienen, sondern die Interessen der anderen Arbeitnehmer bevorzugen. An erster Stelle war das Erfordernis der sozialen Auswahl (§ 1 Abs. 3 S. 1 KSchG) bei der betriebsbedingten Kündigung zu nennen. Hier ist allerdings vor einer zu starken Berücksichtigung der Betriebszugehörigkeit zu warnen, da der Arbeitnehmer oft genug auf diese keinen Einfluß hat. Zu kritisieren war ebenfalls die Rechtsprechung, die bei fehlerhafter Sozialauswahl "beliebig vielen" Arbeitnehmern zugesteht, sich auf den Mangel zu berufen. Sie stellt ein Übermaß an Schutz und damit eine unzulässige Verschiebung der praktischen Konkordanz zulasten des Arbeitgebers dar.

Teil E

Die Gewährleistungen der Grundrechte und ihre Umsetzung - Kündigung und besondere Kündigungsbeschränkungen Die bisher dargestellte Konkordanzprüfung bezog sich maßgeblich auf den allgemeinen Kündigungsschutz, bei dem es in der Regel um die Herstellung des Ausgleichs zwischen Art. 12 Abs. I GG auf Arbeitnehmerseite und Artt. 12 Abs. I und 14 Abs. I GG auf Arbeitgeberseite ging. Die praktische Konkordanz ist indessen auf diese Grundrechte nicht beschränkbar; andere Artikel können im Einzelfall eine ebenso gewichtige Rolle spielen und das Ergebnis der Prüfung entscheidungserheblich beeinflussen. Die "anderen" Grundrechte können die Position auf Arbeitnehmerseite stärken, wenn ihr Schutzbereich durch die Kündigung betroffen wird. Sie entfalten ihren Schutz entweder durch mittelbare Drittwirkung, indem ihr objektiver Gehalt zur Auslegung zivilrechtlicher Generalklauseln herangezogen wird, oder sie geben der Rechtsordnung den Schutzauftrag, zur Realisierung des in ihnen angelegten Wertes tätig zu werden. Beide Methoden der Grundrechtsverwirklichung sind möglich, infolgedessen ist eine genaue Abgrenzung der Wirkungsweise teilweise nicht zu bewerkstelligen. Die Konkordanzerwägungen ändern sich indessen nicht.

I. Besonderer Kündigungsschutz am Beispiel des § 9 MuScbG Besonders schutzbedürftige Personen 1 genießen vielfach einen verstärkten Bestandsschutz. Hervorzuheben ist insbesondere die Gruppe der Frauen unter Mutterschutz2, wie am Beispiel des Art. 6 Abs. 4 GG und seiner Rolle im Mutterschutz modellhaft aufgezeigt werden kann. Von ihr sagt Art. 6 Abs. 4 GG: "Jede Mutter hat Anspruch auf den Schutz und die Fürsorge der Gemeinschaft". Auf der Suche nach praktischer Konkordanz wird das Gegeninteresse des Arbeitgebers an der Organi1 Beispiele: Auszubildende, §§ 14f BBiG; Schwerbehinderte, 15 SchwbG und einige andere Gruppen: Wehrpflichtige, § 2 ArbPISchG; Parlamentarier, Art. 48 Abs. 2 GG; § 2 AbgeordnetenG. 2 § 9 MuSchG; zur europäischen Richtlinie vgl. Däubler-Kittner-Lörcher Nr. 448.

174

Teil E: Die Gewährleistungen der Grundrechte und ihre Umsetzung

sation des Unternehmens einen weiteren Schritt zurückgesetzt3 . So sehr dies nach dem Leitbild des sozialen Staats einleuchtet, so ist doch die Folge nicht zu übersehen, daß sich gerade durch den Mutterschutz die Aussichten der jungen Frauen auf dem Arbeitsmarkt entsprechend verschlechtern. Es hat deshalb Stimmen gegeben, die die Formulierung des Art. 6 Abs. 4 GG so deuten, daß der Staat und nicht der Arbeitgeber die Lasten des Mutterschutzes zu tragen habe4 • Das Gesetz hat jedoch die andere Lösung gewählt. Daran hat man sich zu halten und darf in Zweifelsfragen nicht deshalb gegen die werdende Mutter entscheiden, weil es nach eigener Ansicht Sache der Allgemeinheit wäre, die Lasten zu tragen.

1. Voraussetzungen des§ 9 MuSchG5 § 9 MuSchG verbietet die ordentliche Kündigung und die fristlose Entlassung aus wichtigem Grund und ist damit das stärkste Kündigungsverbot des deutschen Rechts überhaupt6 . Die Vorschrift dient, zusammen mit der Entgeltfortzahlung, primär der Absicherung der Beschäftigungsverbote der §§ 3, 4, 6 MuSchG; ohne das Kündigungsverbot würde der Arbeitgeber sich von diesen Lasten durch Kündigung befreien. Die Schwangere soll aber genauso vor dem psychischen Druck bewahrt werden, den die Sorge um den Verlust des Arbeitsplatzes mit sich bringt. Weiteren Kündigungsschutz gewährt § 18 Abs. 1 BErzGG für den Erziehungsurlaub; er bildet gewissermaßen die Fortsetzung des Mutterschutzes.

a) Mitteilung an den Arbeitgeber Die Nichtigkeit der Kündigung setzt voraus, daß die Schwangerschaft dem Arbeitgeber bekannt ist oder binnen 14 Tagen nach Zugang der Kündigung mitgeteilt wird, § 9 Abs. 1 S. 1, 1. HS. MuSchG; die Überschreitung der Frist ist unschädlich, wenn sie auf einem von der Schwangeren nicht zu vertretenden Grund beruht und die Mitteilung unverzüglich nachgeholt wird (§ 9 Abs. 1 S. 1, 2. HS MuSchG). Diese Fassung des § 9 MuSchG ist das Ergebnis einer längeren Entwicklung der Rechtsprechung, in der sich der 3 Oetker spricht von einem Bestandsschutz, dem eine spezielle grundrechtliche Legitimation verliehen ist, RdA 1997, S. 9, S. 13. 4 Vgl. die Überlegungen in ErfK-Schlachter zum Zuschuß des Arbeitgebers gemäߧ 14 MuSchG und die dort genannten Entscheidungen, § 14 MuSchG Rdz. I f. 5 Buchner/Becker, MuSchG, § 9 Rdz. 6ff.; 71 ff.; MüKo-Schwerdtner, § 622 BGB Anh. Rdz. 591 ff.; MünchArbR/Heenen. § 226 Rdz. 79ff.; Schliemann, NZARR 2000, S. 113 ff. 6 Das Kündigungsverbot geht den Kündigungsvorschriften des Einigungsvertrags vor, BAG v. 24.04.1991 AP Nr, 70 zu Art. 12 Abs. I GG (3. LS).

I. Besonderer Kündigungsschutz am Beispiel des § 9 MuSchG

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Wert des Art. 6 Abs. 4 GG durchgesetzt hat. Ursprünglich mußte die Mitteilung binnen einer Woche, seit I965 binnen zwei Wochen nachgeholt werden. Die Bestimmung wurde als Ausschlußfrist angesehen, die selbst bei schuldloser Versäumung zu beachten war7 ; eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand entsprechend § 5 KSchG hielt man für nicht möglich8 • Auf diese Weise wurden die materiellen, grundrechtlich abgesicherten Interessen der Arbeitnehmerin einem dogmatischen Verständnis der Ausschlußfrist geopfert, das sich seinerseits auf keinen materiellen Wert der Verfassung stützen kann (zudem verlangten die Kommentare von der Schwangeren "aktives Verhalten"; so sollte es der Kündigung nicht entgegenstehen, wenn der Arbeitgeber von der Schwangerschaft nur von dritter Seite erfahren hatte9 , auch hier lag eine nicht gerechtfertigte Verhinderung des Gesetzes). Das Bundesverfassungsgericht hat diese Sicht daher zurückgewiesen und eine grundrechtskonforme Auslegung des § 9 MuSchG erzwungen 10• Danach bleibt der Kündigungsschutz über die 14 Tage hinaus erhalten, wenn die Schwangere an der Versäumung kein Verschulden trifft und die Mitteilung unverzüglich nachgeholt wird 11 • Der Begriff "unverzüglich", also "ohne schuldhaftes Zögern", darf nicht zu eng verstanden werden. Eine Überlegungsfrist, etwa bis die Arbeitnehmerin Rechtsrat eingeholt hat, ist ihr zu bewilligen 12. In der Konkordanzabwägung zwischen den beteiligten Interessen genießen die Rechte der Schwangeren aus Artt. I2 Abs. I und 6 Abs. 4 GG den Vorrang über die Rechte des Arbeitgebers aus Artt. 12 Abs. 1, I4 Abs. I GG, da ein anerkennenswertes Interesse des Arbeitgebers, dies nicht mehr abwarten zu müssen, nicht zu sehen ist. Es bleiben die Fälle, in denen die Kündigung wirksam bleibt, weil die Mitteilung nicht "unverzüglich" erfolgt ist 13 . In ihnen wird dann dem Organisationsinteresse des Arbeitgebers (Artt. 12 Abs. I und I4 Abs. I GG), meist mit "Rechtssicherheit und Rechtsklarheit" umschrieben 14, der Vorzug eingeräumt. Das kann indessen nicht immer überzeugen. Allein aus Grün7 BAG v. 19.12.1968 AP Nr. 29 zu § 9 MuSchG; v. 06.06.1974 Nr. 3 zu § 9 MuSchG 1968 unter III. 8 Menkens, ArbuR 1968, S. 232, S. 234. 9 Überblick über die alte Rechtslage geben: Buchner/Becker, MuSchG, § 9 Rdz. 103. 10 BVerfG v. 25.01.1972; v. 13.11.1979; v. 22.10.1980 AP Nr. I, 7, 8 § 9 MuSchG 1968. 11 BAG AP Nr. 7, 8 zu § 9 MuSchG; ausführlich KR-Pfeiffer, § 9 MuSchG Rdz. 54ff. 12 Es kommt auf den Einzelfall an, Kittner/Däubler/Zwanziger, § 9 MuSchG Rdz. 27; a. A. KR-Pfeiffer, § 9 MuSchG Rdz. 57b. 13 Beispiele für schuldhafte Versäumung: Buchner/Becker, MuSchG, § 9 Rdz. 106. 14 KR-Pfeiffer, § 9 MuSchG Rdz. 57b.

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Teil E: Die Gewährleistungen der Grundrechte und ihre Umsetzung

den der Rechtsklarheit kann das Recht der Schwangeren, ihren Arbeitsplatz zu behalten, nicht zurücktreten. Vielmehr müßte es darauf ankommen, ob das Organisationsinteresse des Arbeitgebers bereits beeinträchtigt wurde. Sofern die Schwangere ihren Arbeitsplatz behalten kann, ohne daß es zu einer Störung des Betriebsablaufs kommt, wie bei noch laufender Kündigungsfrist, hat in der Konkordanzabwägung der Schutz des § 9 Abs. 1 MuSchG Vorrang. Die betriebliche Störung darf dabei freilich auch nicht mit den Folgen einer Weiterbeschäftigung einer Schwangeren begründet werden. Unvereinbar mit dem Schutzgebot des Art. 6 Abs. 4 GG ist ferner die Ansicht, die vom Arbeitgeber "sicheres Wissen" verlangt und die Kündigung bei Bestand läßt, wenn die Unkenntnis des Arbeitgebers von der Schwangerschaft auf Fahrlässigkeit, selbst grober Fahrlässigkeit beruht 15 . Im Gegenteil trifft ihn bzw. seinen Wissensvertreter (schon aus dem Gedanken der Fürsorgepflicht) die Obliegenheit, sich Gewißheit zu verschaffen, wenn er Gerüchte über eine Schwangerschaft in der Belegschaft vernimmt16. Immerhin hatte das Bundesarbeitsgericht schon in einer frühen Entscheidung eine Mitteilung des Arztes "hyperemesis gravid" genügen lassen, obwohl sie der Arbeitgeber nicht verstanden hatte 17 • Eine umfangreiche Kasuistik kreist um die Frage, wessen Wissen der Arbeitgeber sich zurechnen lassen muß. Die Skala wird auf der einen Seite abgeschlossen vom Personalleiter18 , der den Arbeitgeber immer im Wissen vertritt, und auf der anderen Seite durch den Kollegen/die Kollegin am Arbeitsplatz, dem/der die Schwangere ihren Zustand offenbart hat 19. Das Wissen des unmittelbaren Dienstvorgesetzten genügt, selbst wenn es sich um einen Techniker oder Ingenieur usw. handelt, seine Kenntnisse sind dem Arbeitgeber zurechenbar. Anders zu beurteilen sind Fälle, in denen ein Betriebsratsmitglied oder einer der Kollegen der Frau von der Schwangerschaft wußten. Diese Personen stehen nicht im Lager des Arbeitgebers, so daß ihr Wissen um die Schwangerschaft ihm auch nicht zurechenbar ist.

15 KR-Pfeiffer, § 9 MuSchG Rdz. 34; MüKo-Schwerdtner, § 622 BGB Anh. Rdz. 607; MünchArbR/Heenen, § 226 Rdz. 89; Kittner/Däubler/Zwanziger, § 9 MuSchG Rdz. 19. 16 Unzutreffend deshalb MüKo-Schwerdtner a. a. 0 ., der meint, den Arbeitgeber treffe "keinerlei Nachforschungspflicht". 17 BAG v. 13.04.1956 AP Nr. 9 zu § 9 MuSchG. Die Entscheidung wird im Schrifttum zu Unrecht abgelehnt, Nachweise KR-Pfeiffer, a. a. 0. Rdz. 43. 18 KR-Pfeiffer, § 9 MuSchG Rdz. 36. 19 Kittner/Däubler/Zwanziger, § 9 MuSchG Rdz. 22.

I. Besonderer Kündigungsschutz am Beispiel des § 9 MuSchG

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b) Änderungen der Arbeitsbedingungen

Die Interessen des Arbeitgebers müssen nicht in allen Fällen zurückstehen. Gegenüber der Einbusse, die für ihn der Ausfall der Schwangeren bei Weiterbestand seiner Vergütungspflicht bedeutet, ist es ein milderes Mittel, wenn er sie an anderer Stelle mit mutterschutzgeeigneter Arbeit beschäftigen kann 20. Die Versetzung richtet sich nach billigem Ermessen (§ 315 Abs. l BGB). In der hierfür vorzunehmenden Konkordanzabwägung sind die Unternehmerischen Interessen stärker zu berücksichtigen, da der existentielle Schutz, den Art. 6 Abs.4 GG vermittelt, nicht zur Disposition gestellt wird. Weigert sich die Arbeitnehmerin, so wird dadurch zwar das Kündigungsverbot nicht aufgehoben, aber sie verliert den Anspruch auf Entgeltfortzahlung. c) Ausnahmen vom Kündigungsverbo? 1, behördliche Genehmigung 22

Entsprechende Abwägungen gilt es, für Ausnahmen vom Kündigungsverbot anzustellen. Da die Interessenahwägung niemals statisch vorzunehmen ist, müssen auch die Konstellationen Berücksichtigung finden, in denen das Arbeitgeberinteresse trotz des verstärkt geltenden Schutzes für die Schwangere höher zu bewerten ist, und deshalb ein Kündigungsverbot niemals schrankenlos gelten kann (letztlich korrespondiert diese Ansicht damit, daß es auch keinen absoluten Kündigungsgrund geben darf). In solchen Fällen ist dann in der Tat die Allgemeinheit, in erster Linie ihre Familie, aber auch der Staat (durch Fürsorgeleistungen) gefordert, für die Schwangere das Notwendige bereitzustellen. § 9 Abs. 3 MuSchG sieht deshalb vor, daß die oberste Landesbehörde die Kündigung auf Antrag des Arbeitgebers "in besonderen Fällen ausnahmsweise" genehmigt. Hier sind die Situationen angesprochen, in denen die Verpflichtung zur Entgeltfortzahlung vom Arbeitgeber wirtschaftlich nicht zu verkraften ist23 . Ebenso werden Fälle eines besonders schweren Fehlverhaltens hierunter subsumiert, selbst wenn anerkannt ist, daß der "besondere Fall" nicht dem "wichtigen Grund" des § 626 Abs. I BGB gleichzustellen ist24. 20 Vgl. BAG 22.4.1998 AP § 4 Nr. 4 MuSchG 1968 (Versetzung einer Kabinenbegleiterin der Lufthansa auf einen Bodenposten); v. 21.04.1999 NZA 1999,

s. 1044.

Dazu Schliemann, NZA- RR 2000, S. 117. Buchner/Becker, MuSchG, § 9 Rdz. 152. 23 Vgl. BVerwG v. 21.10.1970 AP Nr. 33 zu § 9 MuSchG; v. 18.08.1977 AP Nr. 5 zu § 9 MuSchG 1968; Existenzgefährdung setzen Kittner/Däubler/Zwanziger, § 9 MuSchG Rdz. 33, voraus. 21 22

12 Gamillschcg

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Teil E: Die Gewährleistungen der Grundrechte und ihre Umsetzung

Zu überlegen ist, ob ein besonders kurzer Bestand des Arbeitsverhältnisses zu berücksichtigen wäre. Das Kündigungsverbot des § 9 Abs. 1 MuSchG sieht zwar für seine Anwendbarkeit keine Mindestdauer des Arbeitsverhältnisses vor, die Verantwortung des Arbeitgebers für die Schwangere setzt jedoch erst bei einer gewissen Dauer des Arbeitsverhältnisses ein. Hier sind freilich keine festen Daten anzugeben, es ist jedoch in der Gesamtabwägung, ob ein "besonderes schwerer Fall" vorliegt, beispielsweise auch zu berücksichtigen, daß ein mittelständischer Betrieb, der durch die zusätzlichen Kosten der Mutterschaft wirtschaftlich sehr stark beansprucht wird, die Arbeitnehmerio bereits schwanger eingestellt hat25 . Über die Ausnahmevorschrift hinaus hat die Rechtsprechung in besonders krassen Fällen dem Arbeitgeber gestattet, Beschäftigung und Entgeltfortzahlung bis zur Genehmigung der Kündigung gemäß § 9 Abs. 3 MuSchG zurückzuhalten; dies wurde damit begründet, die Entgegennahme der Dienste sei dem Arbeitgeber nicht zuzumuten, so daß der Annahmeverzug entfalle26. § 9 Abs. 3 MuSchG stellt mit seinem Ausnahmetatbestand das Gleichgewicht her. Ohne die Möglichkeit des Arbeitgebers, wenigstens bei besonderen Umständen die Kündigung der Schwangeren durchzusetzen, wäre die praktische Konkordanz nicht gewährleistet. Allerdings ist die tatsächliche Bedeutung des § 9 Abs. 3 MuSchG gering. Die vorauszusehende Länge des Verfahrens - gegen die Entscheidung der Behörde ist der Verwaltungsgerichtsweg eröffnet - läßt sie weitgehend als wirkungslos erscheinen27 . Vor diesem Hintergrund ist auch der geschilderte korrigierende Eingriff des Bundesarbeitsgerichts zu sehen. In besonders krassen Fällen muß sich das Interesse des Arbeitgebers selbst gegen die Schutzpflichten der Schwangeren durchsetzen können, ohne ein jahrelanges verwaltungsgerichtliches Verfahren abwarten zu müssen. Teilweise wird gefordert, die Entscheidung über die Genehmigung bzw. ihre Versagung den Arbeitsgerichten zu übertragen28. Dies ist überlegenswert, würde das Verfahren aber wahrscheinlich nicht grundlegend beschleunigen. 24 Vgl. BVerwG AP Nr. 33 a.a.O.; Nr. 5 a.a.O.; BVerfG v. 03.07.1985 E 70, S. 219, S. 222. An den Aufhebungsgrund sind "wesentlich strengere Anforderungen zu stellen als an den wichtigen Grund des § 626 BGB"; so MüKo-Schwerdtner, § 622 BGB Anh. Rdz. 591 (die beiden Gründe sind sogar in der Regel wesensverschieden !). 25 Im Vollzug der europäischen Richtlinie Nr. 92/85 wurde allerdings nochmals klargestellt, daß sich die behördliche Genehmigung nur auf Kündigungsgründe beziehen kann, § 9 Abs. 3 MuSchG, die nicht mit dem Zustand der Schwangerschaft zusammenhängen; BT-Drucks. 13/2763, S. 10; KR-Pfeiffer, § 9 MuSchG Rdz. 4. 26 BAG GS v. 26.04.1956 AP Nr. 5 zu§ 9 MuSchG: Schwangere entwendet zunächst Geld aus der Ladenkasse und drohte anschließend mit einem Beil. 27 ErfK-Schlachter § 9 MuSchG Rdz. 18.

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2. Vorrang vor Arbeitskampfordnung Ein weiteres Beispiel für die besondere Durchsetzungskraft des Art. 6 Abs. 4 GG bietet die Entwicklung der Rechtsprechung im Bereich der Arbeitskampfrechtsordnung. Sie hat hier einen weiten Weg in Richtung auf Wahrung der Schutzpflichten aus Artt. 6 Abs. 4 und 12 Abs. I GG zurückgelegt. Die Entscheidung des Großen Senats vom 28.1.1955 29 hatte die lösende Aussperrung von der Kündigung getrennt und damit die Anwendung der Kündigungsverbote zweifelhaft werden lassen. In diesem Sinn hat der erste Senat die lösende Aussperrung von Frauen unter Mutterschutz für zulässig angesehen30, .,eine Rechtsfortbildung contra Iegern, zu der keine dogmatische Umorientierung das Gericht berechtigt hatte" 31 • In seiner nächsten Entscheidung zum Arbeitskampfrecht von 1971 32 hat der Große Senat dies wieder zurückgenommen und auf die lediglich suspendierende Aussperrung mit bloßem Wegfall des Entgelts (einschließlich des Zuschusses zum Mutterschaftsgeld) beschränke 3. Daran zeigt sich, daß der Schutz der werdenden Mutter dem öffentlichen Interesse an einer funktionierenden Arbeitskampfordnung vorgeht.

3. Anfechtung und Mutterschutz a) Anfechtung nach § 119 Abs. 2 BGB Zu einer besonderen Interessenkollision zwischen den beteiligten Interessen von Arbeitgeber und der schwangeren Angestellten kann es im Anwendungsbereich des zivilrechtliehen Instituts der Anfechtung gemäß §§ 119 ff. BGB kommen. Die Anfechtung des Arbeitsvertrages behandelt zwar ein allgemeines Problem der Beendigung des Arbeitsverhältnisses, sie hat aber einen Hauptanwendungsbereich im Mutterschutzrecht Deshalb stellt sich die Frage, ob der in Artt. 6 Abs. 4 und 12 Abs. 1 GG verankerte Schutzzweck des § 9 MuSchG nicht ebenfalls gegenüber einer Anfechtung Berücksichtigung verlangt, die die gleiche Wirkung wie die (fristlose) Kündigung hat, nämlich sofortige Beendigung des Arbeitsverhältnisses auf einseitige Erklärung des Arbeitgebers. Das wird von der herrschenden MeiKR-Pfeiffer, § 9 MuSchG Rdz. 95. BAG AP Nr. I zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 30 BAG v. 19.10.1960 u. 25.01.1963 AP Nr. II, 24 zu Art. 9 GG Arbeitskampf 31 Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht Band I ( 1997) S. 1050. 32 BAG v. 21.04.1971 AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 33 BAG v. 22.10.1986 AP Nr. 4 zu § 14 MuSchG 1968; doch fehlt es nicht an abweichenden Stimmen; MünchArbR/Otto (I. Auflage), § 278 Rdz. 134. 28

29

12°

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nung vemeine4 • Nach allgemeiner Ansicht entfaltet § 9 MuSchG seine Schutzwirkung nur gegenüber Kündigungen. Andere Beendigungsmöglichkeiten werden von der Vorschrift nicht erfasst. Ob dies so grundsätzlich hingenommen werden kann, erscheint fraglich. Es wurde bereits darauf verwiesen, daß die Grundrechte über den einzelnen Gesetzen stehen und durch sie konkretisiert, aber nicht zur Disposition gestellt werden. Die besondere Schutzpflicht der Rechtsordnung, die Schwangere vor dem Verlust ihres Arbeitsplatzes zu bewahren, muß auch an dieser Stelle berücksichtigt werden. Damit ist die Frage aufzuwerfen, ob und ggfs. wie den Schutzpflichten aus Art. 12 Abs. I, Art. 6 Abs. 4 GG ausreichend Rechnung getragen wird. Eine Möglichkeit, den Schutzpflichten nachzukommen, bietet sich in einer restriktiven Handhabung der Anfechtungsgründe. Als Anfechtungsgrund wegen Schwangerschaft kommt in der Regel nur § 119 Abs. 2 BGB wegen Irrtums über eine verkehrswesentliche Eigenschaft der Arbeitnehmerin in Betracht. Hier werden von der herrschenden Lehre gewichtige Einschränkungen vorgenommen. Die Anfechtung des Arbeitsvertrags gemäß § 119 Abs. 2 BGB entfällt, da die Schwangerschaft vorübergeht und damit keine Eigenschaft ist, die im Verkehr als wesentlich angesehen wird35 . Die Begründung erscheint an sich wenig stimmig. In der allgemeinen zivilrechtliehen Lehre zur Anfechtung wegen einer verkehrswesentlichen Eigenschaft wird diese Unterscheidung ansonsten nicht getroffen; andere Umstände, die ebenfalls nicht von Dauer sind, wie eine vorübergehende Zahlungsunfähigkeit oder mangelnde Kreditwürdigkeit, sind von den Zivilgerichten unbedenklich als verkehrswesentliche Eigenschaften von Personen anerkannt worden 36. Daß hier die Rechtsordnung keine einheitlichen Maßstäbe anlegt, ist indessen hinzunehmen und sogar ausdrücklich zu begrüßen, weil auf diesem dogmatischen Umweg der Schutzpflicht der Verfassung nachgekommen wird. Es geht freilich auch direkt, indem die dogmatische Legitimation dort gesucht wird, wo sie verankert ist, nämlich in der Schutzpflicht aus Artt. 6 Abs. 4, 12 Abs. I GG. Mit einer anderen Begründung, die zum selben Ergebnis führt, wird die Anfechtungsmöglichkeit des Arbeitgebers nach § 119 Abs. 2 BGB deshalb verneint, weil Irrtümer über Umstände, nach denen der Arbeitgeber bei der Einstellung nicht fragen darf, keine Anfechtungsrechte wegen Irrtums über verkehrswesentliche Eigenschaften begründen könnten 37• Diese neuere BAG v. 05.12.1957 AP Nr. 2 zu§ 123 BGB. H.M., BAG v. 08.09.1988 AP Nr. I zu § 8 MuSchG 1968 (2. LS); EuGH v. 05.05.1994 AP Nr. 3 EWG-Richtlinie 76/207; ErfK-Preis, § 611 BGB Rdz. 483. 36 RG v. 18.10.1907, RGZ 66, S. 385, S. 389; v. 29.09.1922, RGZ 105, S. 206, s. 208. 34

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Ansicht orientiert sich daran, daß die Frage nach der Schwangerschaft wegen der damit verbundenen möglichen Diskriminierung wegen des Geschlechtes (dazu sogleich) verboten ist. Wie immer dies dogmatisch zu bewerten ist, entspricht auch sie im Ergebnis dem Auftrag der verfassungsrechtlichen Schutzpflicht Freilich dürfen keine einseitigen Abwägungen stattfinden. In der Regel wird zwar das Interesse des Arbeitgebers aus Artt. 12 Abs. I, 14 Abs. I GG an der besonderen Durchsetzungskraft des Art. I2 Abs. I und des Art. 6 Abs. 4 GG weichen müssen. Das Ergebnis ist jedoch nicht schematisch vorwegzunehmen. Die Grenze, bis zu der das Interesse der Arbeitgeber das Nachsehen hat, muß jeweils festgestellt werden. Sie ist überschritten, wenn die Arbeitnehmerio zu Arbeiten eingestellt wurde, die in toto nicht zulässig sind, wie etwa bei einer vorübergehenden Einstellung zu Nachtarbeie 8 oder als Tänzerin. In diesem Fall ist die Schwangerschaft als verkehrswesentliche Eigenschaft anzuerkennen 39 ; daß der Arbeitgeber die Schwangere nur entlohnt, ohne überhaupt einen Gegenwert zu erhalten, ist ihm nicht zuzumuten. b) Anfechtung nach § 123 BGB

In die Überlegung einzubeziehen ist das Anfechtungsrecht des Arbeitgebers wegen einer arglistigen Täuschung, wenn die Arbeitnehmerio bei ihrer Einstellung die Schwangerschaft trotz Nachfrage wissentlich verschwiegen hatte: Kein Zweifel besteht daran, daß der Vorgang unter den Begriff der Täuschung subsumiert werden kann. Aufgrund dieser Täuschung ist bei ihm ein Irrtum entstanden, der ihn zur Abgabe seiner Willenserklärung veranlaßt hatte. Dennoch ist eine Anfechtung gemäß § 123 BGB nicht möglich. Das ist Folge der Rechtsprechung, die in der Frage nach der Schwangerschaft ein unzulässiges Eindringen in die Privatsphäre vermutet und ihre falsche Beantwortung deshalb als nicht arglistig angesehen hat40• Diese Ansicht ist zwar mit dem zivilrechtliehen Gehalt des § 123 Abs. I BGB schwer vereinbar, der lediglich Kenntnis der Unrichtigkeit der Erklärung und ihre Kausalität für die Gegenerklärung fordert. Aber im Ergebnis ist damit die Anfechtung gemäß § 123 BGB ausgeschaltet, und die Rechtsordnung hat dem Schutzanliegen der Grundrechte (Artt. I2 Abs. I und 6 Abs. 4 GG) entsprochen. Das europäische Recht hat schließlich noch einen anderen Ansatz gefunden. Da man nur Frauen nach dem Bestehen einer Schwangerschaft fragt, 37

38 39 40

Kittner/Däubler/Zwanziger, §§ 119-122 Rdz. 10. A.A. EuGH v. 05.05.1994 NZA 1994, S. 609. KR-Pfeiffer, § 9 MuSchG Rdz. 137. So zuletzt: BAG v 20.05.1999, DB 1999, S. 1859.

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bedeutet dies eine Diskriminierung wegen des Geschlechts, so daß die Frage aus diesem Grund zu unterbleiben hat. Aus Sicht der nationalen Rechtsordnung wurde somit an die Seite von Artt. 12 Abs. 1, 6 Abs. 4 GG zusätzlich noch Art. 3 Abs. 3 GG gestellt, der ein Differenzierungsverbot wegen des Geschlechtes enthält41 • Das Bundesarbeitsgericht hat inzwischen die Begründung übernommen, zunächst aber nur in dem Fall, daß sich Frauen und Männer um die Stelle beworben hatten42 • Der Europäische Gerichtshof hat diese Unterscheidung nicht getroffen43 , sie ist infolgedessen vom Bundesarbeitsgericht wieder fallengelassen worden44• Zulässig bleibt die Frage nach der Schwangerschaft, wenn die vorgesehene Beschäftigung Gefahren für Frau und/oder Kind mit sich bringen kann45 . Auch dieses Ergebnis gebietet die Interessenahwägung unter Herstellung von praktischer Konkordanz. In dem Geflecht von Arbeitnehmerin- und Arbeitgeberinteressen ist bei Abwägung der Zulässigkeit der Fragestellung nach der Schwangerschaft noch zu berücksichtigen, daß nicht nur die Interessen des Arbeitgebers aus Artt. 12 Abs. 1, 14 Abs. 1 GG für die Zulässigkeit der Frage sprechen, sondern auch das Recht des ungeborenen Kindes oder der Mutter auf körperliche Unversehrtheil gemäß Art. 2 Abs. 2 GG. Ein Recht der Schwangeren aus Artt. 12 Abs. 1 GG, 6 Abs. 4 GG, sich selbst und das Kind in Gefahr zu bringen, besteht nicht. 4. Anfechtung von Eigenkündigung und Aufbebungsvertrag

In einem sachlichen Zusammenhang mit der Anfechtung des Arbeitsvertrags durch den Arbeitgeber steht die Anfechtung von Eigenkündigung und Aufhebungsvertrag durch die schwangere Arbeitnehmerin. Der besondere zu ihren Gunsten ausgestaltete Schutz hindert sie selbstverständlich nicht daran, selbst zu kündigen oder einen Aufhebungsvertrag zu schließen. Niemand kann sie zwingen, auf ihrer Stelle zu verbleiben; das gebietet schon die Mobilitätsgarantie aus Art. 12 Abs. 1 GG. Es ist jedoch zu verlangen, daß die ArbeitnehmeTin aus eigenem Entschluß handelt46 . Es fragt sich jedoch, was gilt, wenn sie die Eigenkündigung in Unkenntnis ihres Zustands oder in Unkenntnis der Nachteile des herbeigeführten Endes des Heun in: H. Dreier, GG, Art. 3 Rdz.l04. BAG v. 20.02.1986 AP Nr. 31 zu§ 123 BOB. 43 EuGH v. 08.11.1990 AP Nr. 23 zu Art. 119 EWG-Vertrag; dazu Buchner FS Stahlhacke (1994) S. 83, S. 86. 44 BAG v. 15.10.1992 AP Nr. 8 zu§ 6lla BOB. 45 BAG v. 01.07.1993 AP Nr. 36 zu§ 123 BOB (Einstellung zur Arzthelferin). 46 BAG v. 19.8.1982 AP Nr. 10 zu§ 9 MuSchG 1968; Kittner/Däubler/Zwanziger, § 9 MuSchG Rdz. 66ff. 41

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Arbeitsvertrags vornimmt, insbesondere davon ausgeht, daß die Ansprüche gegen die Krankenversicherung davon unberührt bleiben47 . Weiß die ArbeitnehmeTin nichts von ihrem Zustand, so kommt eine Anfechtung gemäß § 119 Abs. 2 BGB in Betracht; verkehrswesentlich kann auch eine Eigenschaft des Anfechtenden selbst sein48 • Die herrschende Meinung lehnt das jedoch unter Anwendung der schon erwähnten Ansicht ab, die Schwangerschaft sei keine verkehrswesentliche Eigenschaft49 • Das ist jedoch eine unzulässige Gleichstellung unterschiedlicher Interessenlagen, die eine eigenständige Begründung nicht erübrigt. Wenn dem Arbeitgeber aus dem genannten Grund die Anfechtung versagt wird, so ist die Rechtsfolge das Weiterbestehen des Arbeitsvertrags. Dies dient dem Schutzzweck des Art. 6 Abs. 4 GG. Versagt man der Anfechtung der Eigenkündigung oder des Aufhebungsvertrags die Wirkung, so bleibt es bei der Auflösung des Vertrags, der Schutzzweck der Vorschrift wird gerade verfehlt. Bezieht sich der Irrtum auf die Rechtsfolgen, also den Verlust der mutterschutzrechtlichen Ansprüche - zum Beispiel Mutterschaftsgeld50, andere Leistungen der Versicherung, Entgeltfortzahlung durch den Arbeitgeber -, so verneint die herrschende Meinung ebenfalls die Berechtigung zur Anfechtung. Sie sieht darin einen Rechtsfolgenirrtum, der zur Anfechtung nicht berechtigt51 • Diese Auffassung ist ebenfalls abzulehnen. Sie verliert aus der Sicht, daß es sich um ein Abwägungsproblem handelt, bei dem auf der Seite der Schwangeren ihr Grundrecht aus Art. 12 Abs. 1 GG, verstärkt durch den Schutz der Mutterschaft gemäß Art. 6 Abs. 4 GG, auf der anderen Seite aber eine allgemeine dogmatische Aussage ohne verfassungsrechtliche Verankerung steht. Die Beschränkung der Anfechtbarkeit eines Rechtsfolgenirrtums wird nicht als eine zwingende logische Notwendigkeit angesehen, sondern als eine Bewertung, die eine Unsicherheit im Rechtsverkehr verhindem wi11 52 . Im Interesse der Rechtssicherheit soll die Irrtumsanfechtung in Grenzen gehalten werden53 .

47 Das Recht zur Anfechtung wird wegen bloßen Rechtsfolgenirrtums verneint; Kutzki, ZTR 2000, S. 161, S. 162. 48 MüKo-Krarner, § 119 BGB Rdz. 109. 49 BAG v. 06.02.1992 AP § 119 BGB Nr. 13 unter II. 2. a); v. 16.02.1983 AP Nr. 22 zu§ 123 BGB; v. 07.11.1997 NZA 1998, S. 824. 50 Zum Umfang des Anspruchs: Schrnitt, LFZG, § 10 Rdz. 6ff. 51 BAG AP Nr. 22 a.a.O.; Nr. 13 a.a.O.; ErfK-Müller-Glöge, § 620 BGB Rdz. 228; KR-Pfeiffer, § 9 MuSchG Rdz. 152; Kittner/Däubler/Zwanziger, § 9 MuSchG Rdz. 33. 52 Larenz, Allgerneiner Teil des deutschen bürgerlichen Rechts (7. Auflage 1989) § 20 II. a) a. E., S. 376. 53 Medicus, Allgerneiner Teil des BGB § 48 III. 1., S. 288.

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Im Verhältnis zu dem, was die Schwangere aufgegeben hat, kann dies keinen ausschlaggebenden Stellenwert beanspruchen54 . Dem Arbeitgeber ist es zuzumuten, daß seine Erwartung, von den Lasten des Mutterschutzes durch die Erklärung der Schwangeren befreit zu sein, enttäuscht wird. Selbstverständlich ist die aber Anfechtung an angemessene zeitliche Grenzen gebunden. Der Ausgleich der Interessen ist zu wahren. 5. Befristeter Arbeitsvertrag einer Schwangeren

Ein besonderes Spannungsverhältnis besteht, wenn der Arbeitsvertrag befristet abgeschlossen wurde und die Arbeitnehmerio schwanger wird. Schon der Große Senat hatte am 12.10.196055 festgestellt: "Ist ein Arbeitsvertrag . . . rechtswirksam befristet, so hindert eine während des Arbeitsverhältnisses eingetretene Schwangerschaft den Arbeitgeber nicht, sich auf die durch den Fristablauf gegebene Beendigung des Arbeitsverhältnisses zu berufen." "Selbst dann", heißt es in den Gründen weite~6 • "wenn ihm (dem Arbeitgeber) eine Weiterbeschäftigung der schwangeren Arbeitnehmerio nach Ablauf der Vertragszeit möglich und zurnutbar wäre, kann er zu einer solchen Weiterbeschäftigung, zu der er nach der gesetzlichen Regelung des Mutterschutzgesetzes nicht verpflichtet ist, nicht gezwungen werden." Diese fast unbestrittene Ansicht57 kennt im Grunde nur das schlichte Argument, daß "Kündigungsschutz" nur gegenüber einer "Kündigung" eingreift und damit andere Beendigungsgründe "schon begrifflich" nicht erfassen kann. Der Gesetzgeber ist dieser Ansicht gefolgt. Im Beschäftigungsförderungsgesetz von 1985 hat er seinen Willen kundgetan, die Befristung des Arbeitsvertrags auf Kosten des Mutterschutzes zu begünstigen, um die Chancen junger Frauen auf Einstellung zu erhöhen58 . Damit hat der Gesetzgeber seinen Entscheidungsspielraum genutzt und die Interessenahwägung der konkurrierenden verfassungsrechtlichen Schutzpflichten konkretisiert. Daß er hierbei seinen Ermessensspielraum überschritten hat, kann nicht festgestellt werden. Zu dieser gesetzlichen Wertung steht allerdings eine Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 28.11 .196359 in Widerspruch. In ihr war die Wie hier Kittner/Trittin, (3. Auf!.), § 611 BOB Rdz. 14. AP Nr. 16 zu § 620 BOB Befristeter Arbeitsvertrag; für entsprechende Anwendung von § 9 MuSchG in dem Fall, daß die ArbeitnehmeTin nach Abschluß des Arbeitsvertrags schwanger geworden ist, MünchArbR/Wank, § 116 Nr. 37f. 56 Unter D. 2 a. E. 57 KR-Pfeiffer, § 9 MuSchG Rdz. 140 m. w. N.; Staudinger/Preis, § 620 Rdz. 95; a.A. MünchArbR/Wank, § 116 Nr. 37f. 58 BGBI. 1985 I S. 70; ErfK-Müller-Glöge, BeschFG § I KSchG Rdz. 6. 59 BAG AP Nr. 26 zu § 620 BOB Befristeter Arbeitsvertrag. 54

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I. Besonderer Kündigungsschutz am Beispiel des § 9 MuSchG

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Berufung des Arbeitgebers auf den Ablauf des Vertrags als Verstoß gegen § 242 BGB angesehen worden, weil der Arbeitgeber der Arbeitnehmerio volle Bewährung während der Probezeit attestiert hatte, mithin allein die inzwischen eingetretene Schwangerschaft Grund für die Nichtverlängerung gewesen war. Bisher hat das Bundesarbeitsgericht in diesem eng gesteckten Rahmen an dem Grundsatz des Verbots des widersprüchlichen Verhaltens festgehalten. Voraussetzung ist ein objektiver Vertrauenstatbestand auf Verlängerung des Arbeitsvertrages, der allein wegen des zwischenzeitliehen Eintritts der Schwangerschaft enttäuscht wird60. Die Darlegungs- und Beweislast liegt bei der Arbeitnehmerin61 • Einerseits entspricht diese Haltung zwar dem Wertesystem, das hier ebenfalls zugrunde gelegt wird. Andererseits kann man kaum den Arbeitgeber zur befristeten Einstellung ermuntern und die Berufung auf den Ablauf des Vertrags dann als treuwidrig bezeichnen, wenn das Ereignis eintritt, vor dem ihn die Befristung schützen sollte. Wenn die dem Beschäftigungsförderungsgesetz zugrunde liegende Bewertung der konkurrierenden Interessen durch den Gesetzgeber verfassungskonform ist, dann ist eine andere Antwort kaum möglich62 . Diskutiert wird noch, daß die Nichtfortsetzung des befristeten Arbeitsvertrages wegen der Schwangerschaft einen Verstoß gegen § 6lla BGB, Benachteiligungsverbot wegen des Geschlechts, darstellen kann. Ein solcher Verstoß begründet aber wegen § 611 a Abs. 3 BGB nur eine Entschädigungspflicht und keinen Einstellungsanspruch63 .

6. Zwischenergebnis § 9 MuSchG ist ein aussagekräftiges Beispiel dafür, daß der Bestandsschutz des Arbeitsverhältnisses nicht nur von der allgemeinen Interessenabwägung zwischen den beteiligten Hauptgrundrechten von Art. 12 Abs. I GG auf Arbeitnehmerseite und Artt. 12 Abs. 1, 14 Abs. 1 GG auf Arbeitgeberseite stattfindet. In die Abwägung sind jeweils alle beteiligten Interessen miteinzubeziehen. Art. 6 Abs. 4 GG stellt dabei ein besonders gewichtiges Grundrecht dar, das den Gesetzgeber dazu veranlaßt hat, seinen Schutz durch eine positivrechtliche Regelung zu konkretisieren. § 9 MuSchG stellt die strengste Kündigungsbeschränkung dar, die der Arbeitgeber hinzunehmen hat. Selbst wenn nach herrschender Ansicht § 9 MuSchG nur auf Kündigungen direkte Anwendung findet, so kann nicht übersehen werden, daß 60 BAG v. 16.03.1989 AP Nr. 8 zu § I BeschFG 1985; LAG Hamm v. 06.06. 1991 LAGE§ 620 Nr. 25. 61 Staudinger/Preis, § 620 Rdz. 94. 62 BAG AP Nr. 26 a. a. 0. wird von Staudinger/Preis, § 620 BGB Rdz. 94 und Löwisch, § I KSchG Rdz. 444 nach wie vor für maßgeblich angesehen. 63 KR-Pfeiffer, § 9 MuSchG Rdz. 141.

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Teil E: Die Gewährleistungen der Grundrechte und ihre Umsetzung

der Schutzauftrag des Art. 6 Abs. 4 GG, in der Verstärkung zu Art. 12 Abs. I GG sich auch in den anderen Fällen der Vertragsauflösung durchsetzt. Auch wenn in der Literatur und Rechtsprechung zur Begründung selten auf die Schutzaufträge der Verfassungsnormen zurückgegriffen wird, so lassen sich die einzelnen Konstruktionen bei der Anfechtung durch den Arbeitgeber dogmatisch nur so erklären. Seine Grenze findet die Auslegung des Schutzauftrags überall dort, wo entweder die Rechte des Arbeitgebers unangemessen beeinträchtigt wären oder der Gesetzgeber innerhalb seines Ermessensspielraums Beschränkungen, wie beim Beschäftigungsförderungsgesetz 1985, vorgenommen hat.

II. Verstärkter Arbeitnehmerschutz wegen Verletzung von Grundrechten Nicht jeder objektive Wert eines Grundrechts ist indessen durch eine eigene positivrechtliche Grundlage zu einem Gesetz erhoben worden wie § 9 MuSchG. Darauf kommt es aber nicht an. Die Grundrechte gelten über die Generalklauseln und die Auslegung der arbeitsrechtlichen Normen im Verhältnis des Arbeitgebers zum Arbeitnehmer, und wo dieser Weg eine Schutzlücke offenläßt, hat die Rechtsordnung die Schutzpflicht, sie im Geist der beteiligten Grundrechte durch Herstellung praktischer Konkordanz zu füllen 64. Damit wird dem Schutz vor der Kündigung durch den Arbeitgeber ein weites Anwendungsfeld eröffnet. Der allgemeine aus Art. 12 Abs. 1 GG ableitbare Schutz verstärkt sich durch den, der dem verletzten Grundrecht zugewandt wird. Besondere Bedeutung erlangen die Kündigungsgrenzen dort, wo sonst Kündigungsfreiheit besteht, also in der Wartezeit der ersten sechs Monate und im Kleinbetrieb; weiter dann, wenn der Arbeitnehmer die Frist des § 4 KSchG versäumt hat und ihm deshalb die Berufung auf die Sozialwidrigkeit der Kündigung versperrt ist. Ob ein Verstoß gegen das Grundrecht vorliegt, aus dem dann im Zusammenspiel mit dem allgemeinen Schutz aus Art. 12 Abs. 1 GG die Nichtigkeit der Kündigung folgt, beurteilt sich nach dem Ergebnis der Abwägung gegenüber dem Interesse des Arbeitgebers an der ordnungsgemäßen Führung des Unternehmens, Artt. 12 Abs. I, 14 Abs. 1 GG. Hier setzt die Suche nach der praktischen Konkordanz ein. Dabei sind die einzelnen Grundrechte allerdings "nicht über einen Kamm zu scheren".

64 Die Inhalte der einzelnen Grundrechte fließen bereits bei der Feststellung des Kündigungsgrundes gemäß § I Abs. I KSchG mit ein. So kann ein Verhalten, etwa eine Arbeitsverweigerung, die Qualität als verhaltensbedingten Kündigungsgrund verlieren, wenn sie in Ausübung des Grundrechts erfolgt ist.

II. Verstärkter Arbeitnehmerschutz wegen Verletzung von Grundrechten

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1. Persönlichkeitsrecht (Artt. 1 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG) Hier ist zunächst das Persönlichkeitsrecht zu nennen. Es ist seit langem gewohnheitsrechtlich anerkannt und findet seine Begründung und Absicherung in Artt. I Abs. I und 2 Abs. I GG. Die Persönlichkeit ist im Arbeitsverhältnis in vielen verschiedenen Hinsichten eingebunden. Die Konstellationen, in denen Persönlichkeitsrecht und Interessen des Arbeitgebers zusammenstoßen, sind deshalb zahlreich und vielgestaltig. Sie können hier nicht alle nachgezeichnet werden. Nur zwei Beispiele, die das Wechselspiel zwischen den Grundrechten verdeutlichen, werden erörtert. Wie sich eine Arbeitnehmerin frisiert und/oder ob sie sich schminkt, ist grundsätzlich ihre Sache; daß dies dem Arbeitgeber nicht gefällt, rechtfertigt keine Kündigung. Für den Kleinbetrieb kann nichts anderes gelten; im Gegenteil muß der Arbeitgeber die Arbeitnehmeein gegen Anfeindungen etwa durch andere Arbeitnehmer in Schutz nehmen. In einem Kosmetiksalon oder einer Parfümerie mag anderes gelten. Anweisungen des Arbeitgebers zur äußeren Erscheinung betreffen hier die Ordnung des Betriebes und unterliegen der Mitbestimmung des Betriebsrats, § 87 Abs. 1 Nr. 1 BetrVG, soweit ein solcher besteht. Wird der Betriebsrat übergangen, so verstärkt dies die Position des Arbeitnehmers, da die Weisung schon aus diesem Grund unwirksam ist und deshalb eine Kündigung nicht rechtfertigt. Willigt der Betriebsrat in eine Betriebsvereinbarung ein, die das Verhalten entsprechend anordnet, so spricht zunächst eine gewisse Vermutung dafür, daß damit eine angemessene Abwägung der beiderseitigen Interessen getroffen worden ist. Aber das ist nicht zwingend. Ist das Schutzinteresse der Persönlichkeit objektiv verletzt, so ist die Betriebsvereinbarung nichtig, die Kündigung unwirksam (und ein guter Glaube des Arbeitgebers an ihre Wirksamkeit ohne Bedeutung). Der Schutzauftrag der Rechtsordnung für die Sicherung der Arbeitnehmerrechte, der durch Art. 1 und 2 GG nochmals verstärkt wird, überwiegt die betrieblichen Belange. Artt. 12 Abs. 1 und 14 Abs.l GG auf Seiten des Arbeitgebers können sich nicht durchsetzen. Eine Kündigung innerhalb der ersten sechs Monate ist trotz grundsätzlicher Kündigungsfreiheit unwirksam, wenn sie wegen der homosexuellen Neigung des Arbeitnehmers erfolgrist65 . Die Entscheidung ist auch ein Beispiel dafür, daß das Persönlichkeitsrecht des Arbeitnehmers grundsätzlich nur dann zurücktreten muß, wenn betriebliche Belange seine Ausübung berühren. In Betracht kommen hierfür besondere Umstände beim Arbeitgeber, wie etwa die Eigenschaft als Tendenzbetrieb, die ihrerseits die Position des Arbeitgebers verstärken.

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BAG v. 23.06.1994 AP Nr. 9 zu§ 242 BGB Kündigung.

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Teil E: Die Gewährleistungen der Grundrechte und ihre Umsetzung

2. Gleichberechtigung der Geschlechter (Art. 3 Abs. 2/3 GG) a) Unmittelbare Benachteiligunl6 Der Arbeitgeber darf dem Arbeitnehmer nicht wegen seines Geschlechts kündigen, Art. 3 Abs. 2 GG. Dieser Grundsatz ist wiederum gesetzlich normiert in § 6lla Abs. 1 S. 1 BGB67 . Die Kündigung ist nichtig, und es ist kaum ein Fall vorstellbar, wo sich überwiegende Interessen des Arbeitgebers dennoch durchsetzen würden. Allenfalls ist zu überlegen, ob § 611 a BGB in einem Haushalt oder in einem Kleinstbetrieb Geltung verlangen können sollte. Eine Ausnahme, allerdings ohne große praktische Relevanz68, besteht, wenn das Geschlecht "unverzichtbare Voraussetzung" für die Erfüllung der Arbeitsaufgabe ist(§ 61la Abs. 1 S. 2 BGB). b) Mittelbare Benachteiligung Eine Schranke des Kündigungsrechts ist ebenso die mittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts. Sie ist anzunehmen, wo die Kündigung auf einen Umstand gestützt wird, der an sich geschlechtsneutral ist, aber bei dem einen Geschlecht signifikant häufiger vorkommt als bei dem anderen, so daß letztlich nur das eine Geschlecht von dem Kündigungsgrund betroffen ist69. Die hauptsächlichen Anwendungsfälle betreffen Einstellung und Beförderung und sind deshalb hier nicht darzustellen. Bei der Kündigung kann die mittelbare Benachteiligung eine Rolle spielen, wenn die soziale Auswahl danach getroffen wird, daß die zu kündigende Person durch Unterhaltsansprüche gegenüber einem gut verdienenden Ehegatten gesichert ist, was bei Frauen häufiger als bei Männem zutrifft. Dennoch liegt es nahe, dies zu ihren Lasten zu berücksichtigen. Die Benachteiligung wegen des Geschlechts ist nur unzulässig, wo sie eine Verletzung der Persönlichkeit darstellt. Dies liegt dann nicht vor, wenn die Alternative die Kündigung einer Person ist, die dies wirtschaftlich schwerer trifft (etwa: Alleinerziehender Vater) 70 . Schieck/Horstkötter, NZA 1998, S. 863. Zur Änderung des § 611 a BGB durch die europäische Richtlinie s. Schlachter, RdA 1998, S. 321 ff. 68 ErfK-Schlachter § 611a BGB Rdz. 20; vgl. BAG v. 12.11.1998 NZA 1999, s. 371. 69 Gamillscheg, Arbeitsrecht I, S. 63. 70 Umstritten: Für Berücksichtigung der wirtschaftlichen Lage innerhalb der Familie BAG v. 08.08.1985 AP Nr. 10 zu § I KSchG 1969 Soziale Auswahl unter III. 2. c) cc). Huecklv. Hoyningen-Huene, § I KSchG Rdz. 469f.; KR-Etzel, § I KSchG Rdz. 690, 702; a.A. Preis, Prinzipien 423ff. 66

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II. Verstärkter Arbeitnehmerschutz wegen Verletzung von Grundrechten

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3. Gleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG)

Ob die Kündigung daran scheitern kann, daß der Arbeitgeber den Gleichbehandlungsgrundsatz gemäß Art. 3 Abs. 1 GG verletzt hat, ist umstritten71 • Soweit dies damit verneint wird, jede Kündigung sei ein individueller Tatbestand, der mit keinem anderen Tatbestand vergleichbar sei72 , ist dies indessen wenig überzeugend. Verkaufen Kollegen gemeinsam Betriebsgeheimnisse an die Konkurrenz, dann ist der Kündigungsgrund so stark, daß etwaige Verschiedenheiten bei den einzelnen Arbeitnehmern ohne Bedeutung sind. Trotzdem darf der Arbeitgeber einerseits nicht eine beliebige Auswahl treffen und willkürlich handeln. Andererseits kann nicht von ihm verlangt werden, entweder alle, die den gleichen Tatbestand verwirklicht haben, oder keinen zu entlassen, wenn er auf alle nicht verzichten kann, dennoch ein abschreckendes Zeichen setzen wi11 73 . Eine "herausgreifende Kündigung" ist indessen nicht zulässig74 • Es ist zu verlangen, daß er die Auswahl nach sachlichen Gesichtspunkten trifft (Rädelsführer75auf der einen Seite oder nicht ersetzbarer Mitarbeiter76 auf der anderen Seite). Das Problem der Gleichbehandlung betrifft jeweils denselben Kündigungstatbestand. Darüber hinaus ist Gleichbehandlung nicht gefordert. Daß der Arbeitgeber in der Vergangenheit eine Verletzung des Arbeitsvertrags nicht zum Anlaß einer Kündigung genommen hat, macht die Kündigung bei einem späteren solchen Geschehen nicht gleichheitswidrig. Wohl aber besteht eine mittelbare Auswirkung auf die lnteressenabwägung. Hat der Arbeitgeber in vergleichbaren früheren Fällen auf den Ausspruch einer fristlosen Kündigung verzichtet, so kann in späteren Fällen angenommen werden, daß es ihm doch zurnutbar ist, das Arbeitsverhältnis jedenfalls bis zum Ablauf der Kündigungsfrist fortzusetzen 77 .

71 KR-Etzel, § I KSchG Rdz. 257 mit umfangreichen Nachweisen; Buchner, RdA 1970, S. 225, S. 227f. 72 Hueck/v. Hoyningen-Huene, § I KSchG Rdz. 154. 73 1969 hat das Bundesarbeitsgericht bei einem wilden Streik, in den die ganze Belegschaft verwickelt war, die Kündigung einer Arbeitnehmerio gebilligt, die deshalb entlassen worden war, weil sie gerade vor dem Arbeitgeber gestanden hatte, BAG v. 21.10.1969 AP Nr. 41 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; KR-Weigand, § 25 KSchG Rdz. 22; Gamillscheg, Arbeitsrecht I, S. 91 f. abl. Hueck/v. HoyningenHuene, § I KSchG Rdz. 153; Preis, Prinzipien 389f. 74 KR-Fischerrneier, § 626 BGB Rdz. 308; Buchner, RdA 1970 S. 225, S. 228. 75 Selbstverständlich kann der Arbeitgeber niemanden zum Rädelsführer "ernennen" und ihm "zum Zweck der Disziplinierung" kündigen, das bedeutet aber nicht, daß es den Rädelsführer in Wirklichkeit nicht gibt. 76 MüKo-Schwerdtner, § 626 BGB Rdz. SOff. 77 KR-Fischerrneier, § 626 BGB Rdz. 309.

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Teil E: Die Gewährleistungen der Grundrechte und ihre Umsetzung

4. Gewissens- und Meinungsfreiheit (Artt. 4 Abs. 1 GG, 5 Abs. 1 GG)

a) Gewissensfreiheit (Art. 4 Abs. 1 GG) Grundsätzlich geht die Erfüllung des Arbeitsvertrags der Wahrung von Pflichten, die das Gewissen dem Arbeitnehmer diktiert, vor; doch gibt es Grenzen78 • Nach der Definition des Bundesverfassungsgerichts ist Gewissen "als ein real erfahrbares seelisches Phänomen zu verstehen, dessen Forderungen, Mahnungen und Warnungen für den Menschen unmittelbar evidente Gebote unbedingten Sollens sind. Als eine Gewissensentscheidung ist jede ernste sittliche, ... Entscheidung anzusehen, die der einzelne in einer bestimmten Lage als für sich bindend und unbedingt verpflichtend innerlich erfährt, so daß er gegen sie nicht ohne ernste Gewissensnot handeln könnte"79 • Das Bundesarbeitsgericht hat diese Begriffsbestimmung übernommen80. Ob eine Kündigung wegen Arbeitsverweigerung (= Nichtarbeit an einem hohen islamischen Feiertag) unbegründet ist, hängt also davon ab, ob sich der Arbeitnehmer für sein Verhalten auf die von Art. 4 Abs. 1 GG ausgehende Schutzpflicht berufen kann. Allerdings ist klarzustellen, daß im Grundsatz das Interesse des Arbeitgebers an einem vertragsgerechten Verhalten vorgeht. Artt. 2 Abs. 1, 12 Abs. 1 und 14 Abs. 1 GG schützen sein berechtigtes Vertrauen darauf. daß zum Wohle des betrieblichen Ablaufs und der reibungslosen Organisation seines Betriebs die vertragsautonom zustandegekommene Vereinbarung zwischen ihm und dem Arbeitnehmer auch eingehalten wird. Sogar der Bestand des Unternehmens als solcher wäre in Gefahr, wenn sich der Arbeitgeber auf das vertragsgerechte Verhalten durch seine Arbeitnehmer nicht grundsätzlich verlassen könnte. Eine große Rolle spielt bei dieser Abwägung deshalb, ob der Arbeitnehmer mit dem Konflikt bei der Wahl des Berufs und der Eingebung des Arbeitsverhältnisses rechnen mußte81 • Einige Ausnahmen sind indessen zu machen. Das Gesetz entbindet Ärzte oder Krankenschwestern usw. von der Mithilfe bei Abtreibungen, Art. 25 Strafrechtsänderungsgesetz von 197482 • Die weitere Entwicklung des Rechts der Abtreibung hat daran nichts geändert83 . Eine Kündigung wegen der Verweigerung der Teilnahme an einem Schwangerschaftsabbruch, die dem Betroffenen aus ethischen und religiösen Motiven nicht möglich ist, ist ErfK-Dieterich, Art. 4 Rdz. 20. BVerfG v. 20.12.1960 E 12, S. 45, S. 54f. 8° BAG v. 20.12.1984 AP Nr. 27 zu § 611 BGB Direktionsrecht 81 BAG v. 20.12.1984 a.a.O.; vgl. zur selben Problematik im Tendenzunternehmen, oben D. 2. Unterabschnitt li. 82 BGBI. I S. 1297. 83 Stoffels, DB 1993 S. 1718, S. 1721. 78

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II. Verstärkter Arbeitnehmerschutz wegen Verletzung von Grundrechten

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also unwirksam, wenn der Arbeitnehmer bei Vertragsschluß von der Beschreibung seiner Arbeitsaufgabe her nicht damit rechnen mußte, an Abtreibungen mitzuwirken. Die ultima ratio verlangt außerdem, den Gewissensbedenken durch zurnutbare Umorganisation der Arbeit Rechnung zu tragen. Sieht sich ein mohammedanischer Metzger durch seine Religion an der Verarbeitung von Schweinefleisch gehindert und könnte diese Arbeit ohne Auswirkung auf den betrieblichen Ablauf einem anderen Arbeitnehmer übertragen werden, der daran keinen Anstoß nimmt, so wäre eine Kündigung wegen Arbeitsverweigerung unberechtigt. Eine Grenze ist hier rasch gezogen. Auch andere Arbeitnehmer könnten in gleicher Weise (und möglicherweise unberechtigt) auf die Berücksichtigung ihrer besonderen Gewissenslagen drängen, so daß aus der Masse solcher Forderungen schnell unzumutbare Erschwerungen bei der Organisation der Arbeit entstehen, die die Rechte des Arbeitgebers aus Artt. 2 Abs. 1, 12 Abs. 1 und 14 Abs. 1 GG in unverhältnismäßiger Weise beeinträchtigen. Das Gewissen kann gleichermaßen allgemein-ethisch oder politisch motiviert sein. Bekannt ist der Fall des Wissenschaftlers, der seine Mitarbeit an der Entwicklung eines den Brechreiz als Folge einer die Verstrahlung hindemden Mittels verweigert hat, weil dies den Ausbruch eines Atomkriegs begünstigen könnte84. Ein anderer Fall betraf die Kündigung eines Drukkers, der die Vervielfältigung von Prospekten und Werbebriefen mit nationalistischen Inhalten verweigerte85 . Die Kündigungen wurden jeweils als unberechtigt erachtet, weil die Arbeitgeber sie durch Umorganisation des Betriebsablaufs hätten vermeiden können. Ein allgemeiner Grundsatz ist indessen nicht aufzustellen, es kommt auf die Umstände des Einzelfalls an.

b) Meinungsfreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG) Schutzpflichten entfaltet im gleichen Maße die Meinungsfreiheit im Betrieb. Art. 5 Abs. 1 GG zählt in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu einem der am höchsten bewerteten Grundrechte überhaupt86. Die Arbeitnehmer verbringen in der Regel einen großen Teil ihrer Lebenszeit an ihrem Arbeitsplatz, so daß dieser selbstverständlich zum Ort geistiger Auseinandersetzung wird87 . Allerdings lassen sich auch für diesen Bereich keine allgemeingültigen Rechtssätze aufstellen, wann die Schutz84 BAG v. 24.05.1989 AP Nr. I zu § 611 BGB Gewissensfreiheit; vgl. auch v. 20.12.1984 Nr. 27 zu§ 611 BGB Direktionsrecht. 85 BAG v. 20.12.1984 AP Nr. 27 zu§ 611 BGB Direktionsrecht 86 BVerfG v. 28.02.1961 E 12, S. 205, S. 259; ErfK-Dieterich, Art. 5 GG Rdz. 3. 87 ErfK-Dieterich, Art. 5 GG Rdz. 28.

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pflicht aus Art. 5 Abs. 1 GG im Zusammenspiel mit Art. 12 Abs. 1 GG für die Seite des Arbeitnehmers die Interessen des Arbeitgebers überwiegen. Hier kommt es wie bei der Gewissensfreiheit immer auf die Umstände des Einzelfalls an. Letztlich können nur einige Beispiele das Wechselspiel der Grundrechtsahwägung verdeutlichen. (1) Die maßvolle Bezeugung der eigenen politischen Meinung, etwa durch eine Anstecknadel, muß der Arbeitgeber hinnehmen. Eine darauf gestützte Kündigung ist bei einem Arbeitnehmer, selbst wenn er noch keinen Kündigungsschutz genießt, unwirksam. Gewissens- und Meinungsfreiheit werden nicht nur wegen des Arbeitnehmers selbst, sondern ebenso wegen der Wirkung geschützt, die ihre Unterdrückung auf andere haben muß. Wenn erst einmal ein Arbeitnehmer wegen einer Anstecknadel gehen mußte, werden es sich die anderen überlegen, ob sie sich in gleicher Weise exponieren und ihren Arbeitsplatz gefährden. Aber auch hier sind Grenzen gesetzt. Der Arbeitgeber muß es nicht hinnehmen, daß er selbst politisch angegriffen wird. Das Bundesarbeitsgericht hat die Kündigung eines Bankangestellten innerhalb der Wartezeit des § 1 KSchG bejaht, der sich im Landtagswahlkampf für die DKP eingesetzt und zur Verstaatlichung der Großbanken aufgefordert hatte88 • Der Arbeitnehmer hatte hier die notwendige Vertrauensbasis selbst zerstört. Eine weitere Grenze für die Bekundung der eigenen religiösen Überzeugung oder politischen Meinung ist der Betriebsfrieden. Wird dieser ernstlich gestört und das Betriebsklima vergiftet, so ist der Arbeitgeber berechtigt, dies nach entsprechender Ahmahnung letzten Endes durch Kündigung zu beenden. Die Rechtsprechung hat dies bei auffälligen und aufreizenden Plaketten bestätigt89• Ebenso können das die Interessen dritter Personen (Geschäftsfreunde usw.) fordern90•

(2) Im Tendenzbetrieb kann die Bekundung der eigenen Überzeugung in Rücksicht auf die Tendenz stärker eingeschränkt sein. Das Bundesarbeitsgericht hat deshalb zu Recht die Kündigung eines Arztes eines kirchlichen Krankenhauses für zulässig erachtet, nachdem dieser im Fernsehen Stellung gegen die Haltung der katholischen Kirche zur Abtreibung genommen hatte91 • (3) Das gilt zugleich im öffentlichen Dienst etwa für Lehrer. Von ihnen ist zu verlangen, daß sie sich glaubwürdig zur freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekennen. Eine Kündigung wegen Mitgliedschaft in einer verfassungsfeindlichen Organisation kann deshalb berechtigt sein92 ; der BAG v. 28.09.1972 AP Nr. 2 zu§ 134 BGB (Fall der ,,Münchner Hypo"). BAG v. 09.12.1982 AP Nr. 73 zu§ 626 BGB (Anti-Strauss-Plakette); MünchArbR/Blomeyer, § 53 Rdz. 89; MüKo-Schwerdtner, § 622 Anh. BGB Rdz. 333. 90 ErfK-Dieterich, Art. 5 GG Rdz. 35. 91 BVerfG v. 04.06.1985 AP Nr. 24 zu Art. 140 GG. 88 89

II. Verstärkter Arbeitnehmerschutz wegen Verletzung von Grundrechten

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Bestandsschutz tritt demgegenüber zurück. Es ist außerdem von Seiten des Arbeitnehmers widersprüchlich, die Mittel seiner Existenz von einem Staat zu erwarten, dessen unverzichtbare Grundlagen er zu verändern bzw. zerstören sucht. Das Beispiel der Weimarer Republik, die sich den ihr von der extremen Rechten und extremen Linken drohenden Gefahren als wehrlos erwiesen hat, liegt der Vorstellung des Grundgesetzes von der "wehrhaften Demokratie" zugrunde. 5. Ehe und Familie (Art. 6 Abs. 1 GG) Ehe und Familie sind in Art. 6 Abs. 1 GG geschützt. Aus dieser Vorschrift hat das Bundesarbeitsgericht abgeleitet, daß die sogenannte Zölibatsklausel, nach der ein Arbeitsvertrag mit Eingebung der Ehe automatisch endet, nichtig ist93 . In aller Regel kann ein überwiegendes und durch Artt. 12 Abs. 1 und 14 Abs. 1 GG geschütztes Interesse des Arbeitgebers nicht dafür anerkannt werden, daß Arbeitnehmern durch Androhung des Arbeitsplatzverlustes vorgegeben wird, ob oder gar wen sie heiraten. Aber selbst in diesem Kernbereich der persönlichen Entfaltungsfreiheit gibt es Ausnahmen, die den Schutz aus Art. 6 Abs. 1 GG zurücktreten lassen. Wie bereits dargestellt, unterliegen die Arbeitnehmer von Kirchen und kirchlichen Einrichtungen einer weitgehenden Loyalitätspflicht94. Diese wird aus Art. 140 GG/137 Abs. 3 WRV abgeleitet95 . Die Gerichte respektieren den besonderen Verhaltenskodex, den die christliche Lehre ihren Mitarbeitern auferlegt. So wurde als Kündigungsgrund anerkannt, daß die Leiterin eines katholischen Kindergartens, entgegen der katholischen Lehre von der Unauflöslichkeit der Ehe, einen geschiedenen Mann geheiratet hatte96• Dies ist ein weiterer Anwendungsfall der praktischen Konkordanz, deren Ergebnis dadurch bestimmt wird, auf wessen Seite die verfassungsrechtlichen Schutzpflichten überwiegen.

BAG 5.3.1980 AP Nr. 8 zu Art. 33 Abs. 2 GG. BAG v. 10.05.1957 AP Nr. I zu Art. 6 Abs. I GG Ehe und Familie. 94 Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche S. 77 ff. 95 KR-Etzel,§ I KSchG Rdz. 79ff.; ErfK-Ascheid, § I KSchG Rdz. 285ff.; Kittner/Däubler/Zwanziger, Ein! Rdz. 66ff.; KR-Fischermeier, § 626 BGB Rdz. 123 f.; Thüsing, RdA 1997, S. 163, S. 165; Richardi, Arbeitsrecht in der Kirche S. 2ff. 96 BAG v. 25.04.1978 AP Nr. 2 zu Art. 140 GG; ähnliche Fälle v. 14.10.1980, v. 31.10.1984, v. 18.11.1986, v. 25.05.1988 AP Nr. 7, 20, 35,36 a.a.O.; vgl. auch v. 04.03.1980 AP Nr. 3 a. a. 0. (Heirat mit einem katholischen Priester). Andere Fälle betreffen den Austritt aus der Kirche, BAG AP Nr. 4, 16 a.a.O. 92

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13 Gamillschcg

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Teil E: Die Gewährleistungen der Grundrechte und ihre Umsetzung

6. Koalitionsfreiheit (Art. 9 Abs. 3 GG) a) Allgemeines

Neben der Meinungsfreiheit ist die Koalitionsfreiheit der wohl wichtigste Bereich, in dem der Arbeitnehmer gegen Diskriminierungen geschützt werden muß. Grundlage ist Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG. Er verbietet Maßnahmen, die das Koalitionsrecht einschränken oder zu behindern suchen. Eine solche Maßnahme kann vor allem die Kündigung sein. Der Schutz dieser grundrechtliehen Gewährleistung ist darüber hinaus positivrechtlich konkretisiert. Eine Kündigung, die wegen Wahrnehmung der koalitionsspezifischen Aufgaben vorgenommen wird, scheitert an dem Maßregelungsverbot gemäß § 612 a BGB 97 . Die Vorschrift macht indessen die Interessenahwägung nicht grundsätzlich überflüssig. Sie schützt ein Recht nur, wenn es besteht, und das entscheidet sich erst nach Abwägung der beiderseitigen Belange. Wie die der koalitionsgemäßen Betätigung entgegenstehenden arbeitsvertragliehen Pflichten jedoch im einzelnen lauten, ist allerdings wiederum im Licht der Garantie des Art. 9 Abs. 3 GG auszulegen. Daß manche Gewerkschaften oder Fraktionen innerhalb der Gewerkschaft eine konfliktarische Haltung einnehmen, ändert daran nichts. Der Wunsch des Arbeitgebers, ein Mitglied einer solchen Gewerkschaft aus dem Betrieb auszuschließen, mag im Einzelfall nachvollziehbar sein, muß aber gegenüber der besonderen Bedeutung der Koalitionsfreiheit zurücktreten. Die Koalitionsfreiheit bildet die Grundlage der Tarifautonomie, der die Regelung der Arbeitsbedingungen im wesentlichen übertragen ist. Dieser allgemeinpolitischen Bedeutung der Koalitionsfreiheit, die über den Rahmen eines Freiheitsrechts weit hinausgeht, wird Art. 9 Abs. 3 GG schon dadurch äußerlich gerecht, daß er als einziges Grundrecht ausdrücklich Drittwirkung genießt. Mit Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG hat schon der Verfassungsgesetzgeber die aus S. 1 entspringende Schutzpflicht direkt angeordnet. Die Kündigung ist auch bei Arbeitsverhältnissen ohne allgemeinen Kündigungsschutz nichtig. Es wäre nicht mit Art. 9 Abs. 3 GG vereinbar, dem Arbeitgeber zu gestatten, während der Wartefrist des § 1 KSchG die Mitglieder der Gewerkschaft oder ihre Anhänger systematisch aus dem Betrieb auszuschließen.

97 Unbestritten, vgl. BAG v. 02.06.1987 AP Nr. 49 zu Art. 9 GG unter III. 2.; Hueck/v. Hoyningen-Huene, § 13 Rdz. 79; MünchArbR/Otto, § 288 Rdz. 23.

II. Verstärkter Arbeitnehmerschutz wegen Verletzung von Grundrechten

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b) Verhältnis zu den einzelnen Kündigungsgründen

Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG enthält indessen keinen Schutz vor Umständen, die eine betriebsbedingte Kündigung begründen. Die Kündigung wegen dringender betrieblicher Erfordernisse bleibt erhalten, und die Regeln über die soziale Auswahl werden nicht dadurch verändert, daß der gekündigte Arbeitnehmer Gewerkschaftsmitglied oder aktiver Gewerkschafter (Mitglied des Vertrauenskörpers oder ehrenamtlicher Funktionär der örtlichen Gewerkschaftsleitung usw.) ist. Das ergibt sich schon daraus, daß das Nichtmitglied in seiner negativen Koalitionsfreiheit gleichermaßen durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützt wird, so daß schon aus diesem Grund Gleichbehandlung geboten ist. Nicht anders verhält es sich bei der verhaltensbedingten Kündigung. Die Gewerkschaftszugehörigkeit verleiht keine "Immunität". Allerdings wird man annehmen müssen, daß sich der Maßstab dann verschiebt, wenn der Arbeitnehmer die Pflichten aus dem Arbeitsvertrag bei einer an sich legitimen Tätigkeit für die Gewerkschaft - Werbung, Abhalten von Sitzungen des Vertrauenskörpers, Streit mit den anderen Arbeitnehmern um gewerkschaftliche Ziele oder politische Stellungnahmen - im Übereifer verletzt hat. Es darf ihm zu keinen Nachteil gereichen, daß er sich engagiert hat, während sich die anderen bedeckt halten. Die Koalitionsgarantie, wie sie durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützt wird, drängt hier die durch Art. 12 Abs. 1, 14 Abs. 1 GG geschützten Interessen des Arbeitgebers an einem störungsfreien Arbeits- und Betriebsablauf etwas weiter zurück. Ist jedoch selbst nach diesem erhöhten Maßstab für eine Vertragsverletzung, eine solche zu bejahen, so ist die Kündigung berechtigt. Dann spielt es auch keine Rolle mehr, daß es dem Arbeitgeber willkommen ist, auf diese Weise einen gewerkschaftlich Engagierten aus dem Betrieb ausschließen zu können. Ein solches begleitendes Motiv ist unerheblich98 . Durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zu Art. 3 Abs. 2 und Art. 119 EWG-Vertrag (nunmehr Art. 141 Amsterdamer Vertrag) könnte dies allerdings zweifelhaft geworden sein. Das Gericht hat in einer Entscheidung99, in der der männliche Bewerber in erster Linie wegen seiner erheblich besseren Qualifikation eingestellt worden war, für die Verurteilung des Arbeitgebers genügen lassen, daß die Benachteiligung der weiblichen Bewerberio wegen ihres Geschlechts zu seiner Entscheidung mit 98 Die Meinung ist indessen verbreitet, daß auch ein mitwirkendes gewerkschaftsfeindliches Motiv die Kündigung unwirksam macht, vgl. etwa KR- Friedrich, § 13 KSchG Rdz. 199; auch in der Rechtsprechung des Reichsgerichts hatte es genügt, daß der Kündigung ein koalitionsfeindliches Motiv "anhaftet", vgl. Hueck/Nipperdey, Lehrbuch des Arbeitsrechts, Band 11/1 S. 130 Fußnote 16/17. 99 V. 16.11.1993 APNr. 9 zu§ 611a BGB. 13*

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Teil E: Die Gewährleistungen der Grundrechte und ihre Umsetzung

beigetragen hatte, sogenanntes MotivbündeL Auf die berechtigte Kündigung eines Gewerkschaftsmitglieds ist dies nicht zu übertragen. Die daraus folgende Rechtsunsicherheit wäre für den Arbeitgeber, dem ein solches Motiv jederzeit unterstellt werden kann, unzumutbar. Hierin läge ein nicht hinzunehmender Verstoß gegen die grundrechtlich geschützten Interessen aus Artt. 12 Abs. I, 14 Abs. I GG, der durch die Garantie freier Koalitionstätigkeit nicht begründet werden könnte. Der Fall liegt freilich anders, wenn der Arbeitgeber von seinem Kündigungsgrund nach einigem Zuwarten erst Gebrauch macht, wenn er erfährt, daß der Arbeitnehmer der Gewerkschaft angehört, ihr beigetreten ist oder sich für sie einsetzt. In diesem Fall ist erkennbar, daß dies das auslösende Motiv der Kündigung ist. Hiervor will Art. 9 Abs. 3 GG die Arbeitnehmer jedoch ausdrücklich bewahren! c) Sonderfall: Kündigung wegen Streikteilnahme?

aa) Koalitionsmäßige Tätigkeit Zu den durch Art. 9 Abs. 3 GG privilegierten spezifisch koalitionsgemäßen Tätigkeiten gehört der Streik, soweit er sich in den ihm durch die Rechtsordnung gezogenen Grenzen bewegt 100• In diesem Rahmen ist die Arbeitspflicht suspendiert; der Streik bildet keinen Bruch des Arbeitsvertrags, also keine beharrliche Arbeitsverweigerung. Damit ist die Teilnahme an einem rechtmäßigen Streik ein weiteres eindrucksvolles Beispiel dafür, wie die Qualifizierung bestimmter Umstände als Kündigungsgrund von dem Wechselspiel der grundrechtliehen Gewährleistungen abhängig ist. Wegen der besonderen Garantien des Art. 9 Abs. 3 GG, denen die Schöpfer des Grundgesetzes unmittelbare Drittwirkung beigemessen haben, müssen sogar zentrale geschützte Interessen des Arbeitgebers fast vollständig zurückweichen 101 • Die Arbeitserfüllung durch den Arbeitnehmer ist vertragliche Hauptpflicht, die Position des Arbeitgebers ist also an sich durch Artt. 2 Abs. I, 12 Abs. I und 14 Abs. I GG in ihrer ursprünglichsten Weise geschützt. Trotzdem haben diese Schutzpflichten beim Sonderfall der Arbeitsverweigerung wegen rechtmäßiger Streikteilnahme vor Art. 9 Abs. 3 GG zurückzutreten. Ein besseres Beispiel für die Durchsetzungskraft von grundrechtlichen Garantien, denen ein besonders hoher Stellenwert beigemessen wird, ist kaum denkbar. Wird die Streikteilnahme dennoch durch eine Kündigung sanktioniert, so ist diese wiederum eine Maßnahme gemäß Art. 9 100 Diese sind im Einzelnen hier nicht darzustellen, vgl. ErfK-Kissel Art. 9 GG Rdz. 78 ff., 95 ff.; MünchArbR/Otto §§ 285 ff.; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I S. I065 ff. 101 Dem Interesse des Arbeitgebers wird nur insoweit entsprochen, als auch seine Vergütungspflicht entfällt.

II. Verstärkter Arbeitnehmerschutz wegen Verletzung von Grundrechten

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Abs. 3 S. 2 GG und damit nichtig, §§ 134, 612a BGB. Auch der Vermerk einer Ahmahnung wegen der Teilnahme am rechtmäßigen Streik in den Personalakten ist zu löschen 102 . bb) Streikexzess Anders kann es sein, wenn die Kündigung wegen Ausschreitungen während des Streiks erfolgt. Hier setzt die Interessenahwägung erneut ein, und es ist zu unterscheiden: Friedliches Streikpostenstehen ist durch die Garantie des Art. 9 Abs. 3 GG gedeckt, der Arbeitgeber kann sich dem Posten gegenüber nicht auf sein Eigentum am Grundstück berufen. Der Streikposten muß sich aber auf "gütliches Zureden" gegenüber Arbeitswilligen oder Dritten, die das Gebäude als Lieferanten oder in anderer Funktion betreten wollen, beschränken 103 . Eine andere Beurteilung verlangen Nötigungen 104 oder Beleidigungen. Sie bleiben rechtswidrig und unter Umständen strafbar und rechtfertigen dann eine Kündigung. Wichtigste Anwendungsfalle sind Betriebsbesetzung und Betriebsblockade 105 . Die betroffenen Arbeitnehmer können sich hier nicht mehr auf den Schutz des Art. 9 Abs. 3 GG berufen, so daß die Interessen des Arbeitgebers an den Kündigungen wieder überwiegen. cc) Teilnahme am rechtswidrigen Streik Die Teilnahme an einem rechtswidrigen Streik 106 oder einem wilden Streik 107 genießt ebensowenig die Privilegierung durch Art. 9 Abs. 3 GG. Solche Streiks dienen nicht der Tarifautonomie, sondern verletzen im U. U. sogar bei rechtswidrigem Streik, MünchArb/Otto § 289 Rdz. 46. BAG v. 21.06.1988 AP Nr. 108 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 104 Ob der Tatbestand der Nötigung, § 140 StGB, stets erfüllt ist, ist allerdings umstritten. Eine Mindermeinung im Schrifttum verneint das Vorliegen des Tatbestandsmerkmals "verwerflich", wo die technische Entwicklung so weit fortgeschritten ist, daß ein Streik durch Vorenthaltung der Arbeitsleistung der Streikenden allein keine Wirkung mehr erzielt, weil sich der Arbeitgeber mit wenigen Arbeitswilligen, etwa leitenden Angestellten, behelfen kann. Es wird angeregt, daß im Einzelfall das Paritätsgebot weitergehende Eingriffsrechte erfordert, ErfK-Kissel Art. 9 Rdz. 307. Im öffentlichen Dienst hat man auf die Beamten zurückgegriffen. Die Ansicht hat sich jedoch bisher nicht durchgesetzt, sie verdient keine Billigung. 105 BAG v. 21.06.1988 AP Nr. 109 zu Art. 9 GG Arbeitskampf (Verhinderung der Auslieferung einer Zeitung). 106 Die Gründe für die Rechtswidrigkeit sind vielfältig: Verletzung der Friedenspflicht; Verfolgung eines Kampfziels, das nicht Gegenstand eines Tarifvertrags werden kann, wie insbesondere der politische Streik. 107 BAG v. 20.12.1963 AP Nr. 32 zu Art. 9 GG Arbeitskampf; MünchArbR/Otto, § 289 Rdz. 15ff.; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I l085ff. 102 103

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Teil E: Die Gewährleistungen der Grundrechte und ihre Umsetzung

Gegenteil die tarifliche Ordnung. Besonders der wilde Streik verbraucht die Kräfte, die die Gewerkschaft für einen allgemeinen Streik unvermindert benötigt. Der rechtswidrige Streik suspendiert die Arbeitspflicht nicht, selbst wenn die Gewerkschaft zu ihm aufgerufen hat und der Arbeitnehmer nur diesem Aufruf folgt. Die Arbeitsniederlegung ist eine Verletzung des Arbeitsvertrags und damit als beharrliche Arbeitsverweigerung tatbestandlieh ein wichtiger Grund zur fristlosen Kündigung bzw. Grund einer verhaltensbedingten Kündigung 108• Arbeitskampfrechtliche Besonderheiten bestehen nicht: Die Frist des § 626 Abs. 2 BGB ist einzuhalten, Kündigungsverbote sind zu beachten usw. Daß die Gewerkschaft zum Streik aufgerufen hatte, ist allein keine Entschuldigung. Bei der Bewertung aller Umstände ist aber dem Arbeitnehmer zugute zu halten, daß er sich der Solidarität nicht entziehen wollte oder gemeint hat, dies nicht zu können 109 ; es darf nicht übersehen werden, welche Schwierigkeiten einem Arbeitswilligen ("Streikbrecher") nach Ende des Streiks mit den Kollegen bevorstehen können. Tatsächlich bilden Kündigungen nach einem selbst rechtswidrigen Streik die große Ausnahme. Insbesondere setzt die Kündigung Verschulden voraus. Dieses wird häufig fehlen, wenn ein einfacher Arbeitnehmer sich einem von der Gewerkschaft ausgerufenen Streik anschließt und ihm die Widerrechtlichkeit nicht gegenwärtig ist. Es kann von ihm nicht verlangt werden, die oft komplizierten rechtlichen Zusammenhänge zu durchschauen. Bei einem wilden Streik kann man hingegen eher damit rechnen, daß dem Teilnehmer die Widerrechtlichkeit des Geschehens klar ist, vor allem, wenn die Gewerkschaft von ihm abgeraten hatte. dd) Kündigung wegen Wegfalls des Arbeitsplatzes oder Umstrukturierung Eine besondere Betrachtung verlangt noch die Kündigung, wenn der Arbeitgeber zur Abwehr des Streiks oder aus diesem Anlaß den Betrieb umstrukturiert oder verkleinert und deshalb der Arbeitsplatz eines Streikenden wegfallt. Diese Kündigung unterliegt zwar allen Einschränkungen des Gesetzes; ein milderes Mittel (Versetzung) darf nicht zur Verfügung stehen, die Regeln der sozialen Auswahl müssen beachtet werden, die Kündigung scheitert im Fall des § 9 MuSchG usw. 110• Sie wird aber nicht durch die Tatsache verdrängt, daß sie im Zuge des Arbeitskampfs erfolgt 1 I I. Daß eine 108 BAG v. 14.02.1978 AP Nr. 58 zu Art. 9 GG Arbeitskampf unter 8; v. 29.11.1983 AP Nr. 78 zu § 626 BGB; MünchArbR/Otto § 289 Rdz. 46; KR-Weigand § 25 KSchG Rdz. 21. 109 BAG v. 14.02.1978 AP Nr. 58 zu Art. 9 GG Arbeitskampf unter 8. 110 Löwisch, § 25 KSchG Rdz. 4.

II. Verstärkter Arbeitnehmerschutz wegen Verletzung von Grundrechten

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solche Möglichkeit eine abschreckende Wirkung zeigt und im äußersten Fall sogar die Parität der Verhandlungspartner bedrohen kann, ist nicht zu bestreiten, muß aber im Interesse der Waffengleichheit beider Seiten hingenommen werden. Art. 9 Abs. 3 GG gibt dem Arbeitgeber das Recht, seine Interessen mit den Mitteln des Arbeitskampfs zu wahren. Er ist nicht gezwungen, den Streik ohne Gegenwehr durchzustehen. ee) Lösende Aussperrung und§ 25 KSchG Das Arbeitskampfrecht hat sich von Anfang an im Wege richterrechtlicher Fortbildung entwickelt. Die rechtliche Bewertung des Streiks hat sich dabei immer wieder geändert. Die Anerkennung der Verankerung der Tarifautonomie und damit der Arbeitskampffreiheit in Art. 9 Abs. 3 GG ist erst das Ergebnis der letzten 25 Jahre. Daher kommt es, daß einige Normen ihren Platz in der Dogmatik behaupten, obwohl sie in der Praxis keine Bedeutung mehr besitzen. Zu ihnen gehört § 25 KSchG (früher § 23). Die Vorschrift beruht auf dem Hattenheimer Entwurf und ist alle diese Jahre unverändert geblieben 112 • § 25 KSchG besagt, daß das Gesetz auf Kündigungen und Entlassungen, die lediglich als Maßnahmen in wirtschaftlichen Kämpfen zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer vorgenommen werden, nicht anwendbar ist. Er beruht auf der Überzeugung der Weimarer Zeit, daß die Aussperrung, insoweit lediglich eine Erscheinung des Soziallebens, eine Kündigung voraussetzt, und wollte die Waffengleichheit wiederherstellen, die durch das Gesetz sonst verloren gegangen wäre. Die Vorschrift ist jedoch durch die Entwicklung des Aussperrungsbegriffs überholt worden. In seiner Entscheidung vom 28.1.1955 113 hat der Große Senat in Abkehr von der bis dahin herrschenden Meinung die Aussperrung zu einem eigenständigen kollektivrechtlichen Begriff erhoben und von der Kündigung getrennt. In der Regel sollte sie nur suspendierend wirken. Da aber die Umkehr in der Bewertung des Streiks als beharrliche Arbeitsverweigerung durch den Großen Senat zur Folge hatte, daß der Arbeitgeber nicht mehr mit dem Verlust des Arbeitsplatzes drohen konnte, sollte in besonderen Fällen zum Ausgleich die Aussperrung diese Rolle übernehmen (lösende Aussperrung). Damit war der rechtspolitische Grund für § 25 KSchG weggefallen. Die Rechtsprechung hat auf seinen Gebrauch mehr oder weniger verzichtet, die Vorschrift hat "kaum noch praktische Bedeutung" 114• In der Rechtswissenschaft überwiegt ebenfalls die Ansicht, daß für sie - neben suspendierender 111 MünchArbR/Otto, § 288 Rdz. 23; a.A. Kittner/Däubler/Zwanziger, § I Rdz. 310, die darin einen Verstoß gegen Art. 9 Abs. 3 GG sehen. 112 Zur Vorgeschichte des§ 25 KR-Weigand, § 25 Rdz. 3ff. 113 BAG AP Nr. I zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 114 BAG v. 26.04.1988 AP Nr. 101 zu Art. 9 GG Arbeitskampf unter 11.2.c)dd).

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Teil E: Die Gewährleistungen der Grundrechte und ihre Umsetzung

Aussperrung und Kündigung - kein Raum mehr ist 115 • Das ist begründet. Bei Anwendung von § 25 KSchG wäre jede sozialwidrige Kündigung unangreifbar, soweit sie nur im Zusammenhang mit einem Arbeitskampf erfolgt 116• Das wäre ein unmittelbarer Verstoß gegen Art. 9 Abs. 3 GG und den Schutzauftrag des Art. 12 Abs. I GG, für den eine Rechtfertigung im Gefüge der praktischen Konkordanz nicht zu sehen wäre.

7. Zwischenergebnis Als Ergebnis der vorangegangenen Überlegung bleibt festzuhalten, daß die einzelnen Grundrechte und ihre Schutzpflichten, unabhängig davon, ob aus ihrem Wert einfachgesetzliche Kündigungsschranken gebildet wurden, wie im Beispiel des § 9 MuSchG, das Kündigungsrecht des Arbeitgebers maßgeblich beeinflussen. An erster Stelle stehen dabei Grundrechtsgewährleistungen, auf die sich der Arbeitnehmer berufen kann und die insoweit seine Position gegenüber dem Unternehmerinteresse weiter verstärken. Herausragende Stellung nehmen dabei die Artt. 4 Abs. 1, 5 Abs. l und 9 Abs. 3 GG ein. Sie befinden sich jedoch in einem ständigen Wechselspiel zu den verfassungsrechtlichen Garantien des Arbeitgebers aus Artt. 12 Abs. 1, 14 Abs. l und 2 Abs. l GG. Soweit das Verhalten des Arbeitnehmers, das Anlaß zur Kündigung sein soll, unter den Schutzbereich des Art. 9 Abs. 3 GG fällt, ist allerdings die Position des Arbeitgebers sehr weit zurückgedrängt. Art. 9 Abs. 3 GG als einziges Grundrecht, das mit unmittelbarer Drittwirkung ausgestattet ist, nimmt allerdings einen besonders herausragenden Stellenwert im Gefüge der Grundrechtsordnung ein, so daß die praktische Konkordanz dennoch gewahrt bleibt.

115 KR-Weigand, § 25 KSchG Rdz. 7; Löwisch, § 25 Rdz. 3; K.ittner/Däubler/ Zwanziger, § 25 Rdz. I nennen ihn "historisch überholt". A.A. Hueck/v. Hoyningen-Huene, § 25 Rdz. 18 ff., der seine Bedeutung für einige Fälle vorbehält. 116 So aber Hueck/v. Hoyningen-Huene, § 25 Rdz. 22; wie hier KR-Weigand, § 25 KSchG Rdz. II.

Teil F

Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch Kündigung und der Schutz durch die Betriebsverfassung I. Vorläufer des Kündigungsschutzes Der Schutz durch die Betriebsverfassung nimmt eine besondere Stellung im Bereich der Kündigungsbeschränkungen mit besonderer Zielrichtung ein. Die grundrechtlich geschützten Interessen des Arbeitgebers müssen zurückweichen, obwohl die Betriebsverfassung für sich selbst keinen grundrechtlichen Schutz in Anspruch nehmen kann. Dies läßt sich nur darauf zurückführen, daß der allgemeine Kündigungsschutz und damit die Anfange eines sozialen Arbeitsrechts ihren Ursprung in der Betriebsverfassung haben. Der Regierungsentwurf des Betriebsrätegesetzes von 1920 fußte noch auf der Vorstellung, die Betriebsverfassung gegen willkürliche Kündigungen zu schützen. Das Betriebsrätegesetz hat dagegen erstmalig einen allgemeinen Kündigungsschutz geschaffen 1• Damit war der Bestandsschutz an die Zugehörigkeit zu einem entsprechend organisierten Betrieb gebunden, obwohl schon damals nur eine Minderheit der betriebsratsfähigen Betriebe einen Betriebsrat besaß. Erst wenn die Vermittlung zwischen Rat und Arbeitgeber mißlungen war, konnte der Arbeitnehmer vor dem Arbeitsgericht (anfangs: dem Gewerbe- und Kaufmannsgericht2) klagen. Dem Arbeitnehmer war der Weg zum Gericht jedoch abgeschnitten, wenn der Betriebsrat der Kündigung zugestimmt hat, sogenanntes Sperr-Recht3 • Der aktuelle Gesetzgeber hat ebenfalls die Entscheidung getroffen, die Betriebsverfassung noch heute - angesichts ihrer besonderen Bedeutung -, unter einen besonderen Schutz zu stellen. Da die Interessen einer arbeitnehmerorientierten funktionierenden Betriebsverfassung denen des Arbeitgebers häufig zuwiderlaufen, hat der Gesetzgeber auch in diesem Bereich Abwägungen vorgenommen und zum Gesetz erhoben, die die Grenzen zulasten der Unternehmerrechte verschieben. Daß der Gesetzgeber hierbei seine Kompetenzen grundsätzlich überschritten hat, ist als Allgemeinaussage nicht festzustellen. 1 2

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Siehe oben D. l. Abschnitt III. l. Germelmann/Matthes/Priitting, Einleitung Rdz. 9 ff. GK-Wiese, BetrVG, Ein!. Rdz. 14.

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Teil F: Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch Kündigung

II. Geltendes Recht Der allgemeine Kündigungsschutz ist heute rechtlich nicht mehr vom Bestehen eines Betriebsrates abhängig. Soweit ein Betriebsrat aber in den Kündigungsvorgang miteinzubeziehen ist, bestimmt er dessen Verlauf entscheidend mit. 1. Anhörungsrecht bei Kündigung

Die schwächste Form der Beteiligung des Betriebsrats ist sein Anhörungsrecht nach § 102 Abs. 1 BetrVG4 • Der Arbeitgeber hat der Betriebsvertretung den Namen des Arbeitnehmers, um dessen Kündigung es geht, die Art der Kündigung - ordentliche oder außerordentliche5 -, die wesentlichen Gründe, auf die er die Kündigung stützen möchte6 , und bei betriebsbedingter Kündigung die für die soziale Auswahl erheblichen Sozialdaten anzugeben7 . Hat der zu kündigende Arbeitnehmer die Wartezeit des § 1 KSchG noch nicht erfüllt, so genügt es, wenn der Arbeitgeber dem Betriebsrat seine subjektiven Wertungen mitteilt, soweit sich die Kündigung nicht auf konkretisierbare Kündigungsgründe stützt8 . Das Gesetz spricht zwar nur von einer "Anhörung" des Betriebsrats, diese sollte sich jedoch in der Form einer gemeinsamen Beratung vollziehen. Dem Betriebsrat soll Gelegenheit gegeben werden, auf den Kündigungsentschluß des Arbeitgebers einzuwirken; eine Anhörung durch bloßen Austausch von Schriftstücken ist zwar nicht selten, entspricht aber nicht den Vorstellungen einer vertrauensvollen Zusammenarbeit (§ 2 BetrVG), wie sie gerade bei dem für den Arbeitnehmer wichtigsten Entschluß des Arbeitgebers gegeben sein soll. Inhaltlich wird das Kündigungsrecht des 4 Die Bestimmungen des BetrVG haben ihre Parallelen in den Gesetzen über die Personalvertretung in Bund und Ländern. Sie werden im folgenden nicht mit zitiert. 5 Beabsichtigt der Arbeitgeber zusätzlich zu einer außerordentlichen Kündigung, vorsorglich noch eine ordentliche Kündigung zu erklären, so ist auch dieser Umstand dem Betriebsrat grundsätzlich mitzuteilen. Eine Ausnahme gilt allerdings dann, wenn der Betriebsrat der außerordentlichen Kündigung ausdrücklich und vorbehaltlos zustimmt, BAG v. 16.03.1978 SAE 1979, S. 4. Mit Anmerkung von Hekkelmann, SAE 1979, S. 8, S. 10, der den Ausnahmetatbestand wegen seiner fehlenden Konturenschärfe und wegen der fehlenden Vergleichbarkeit der Prüfungstatbestände des Betriebsrats in Bezug auf außerordentliche und ordentliche Kündigung kritisiert. 6 Z. B. Zahl der Fehltage bei einer Kündigung wegen Krankheit, BAG v. 09.04. 1987 AP Nr. 18 zu§ I KSchG 1969 Krankheit unter I. 2. a); Hueck/v. HoyningenHuene, § I KSchG Rdz. 241. 7 F/K/H/E, § 102 Rdz. 17; zusammenfassend zum Umfang der Betriebsratsanhörung, BAG v. 17.02.2000 BB 2000, S. 1407ff. 8 Fortführung der std. Rspr. BAG v. 03.12.1998 NZA 1999, S. 477.

Il. Geltendes Recht

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Arbeitgebers durch das Anhörungsrecht jedoch nicht eingeschränkt9 . Es ist "nur" eine besondere Ausprägung der Pflicht des Betriebsrats, gemäß § 80 Abs. 1 BetrVG auf die Einhaltung der Gesetze zum Schutz der Arbeitnehmer zu achten. Eine echte Einschränkung der Kündigungsgründe wäre auch nicht zulässig gewesen. Hierin läge ein zu starke Beschneidung der grundrechtlich geschützten Interessen des Arbeitgebers aus Artt. 12 Abs. I und 14 Abs. 1 GG. Allein die Intention des Gesetzgebers, einen Schutz der Betriebsverfassung zu gewährleisten, könnte keine taugliche Rechtfertigung hierfür sein. Der Gesetzgeber hätte mit einer entsprechenden Beschränkung seine Kompetenzen überschritten. Wird allerdings eine Anhörung nicht durchgeführt, so ist die Kündigung gemäß § 102 Abs. 1 S. 3 BetrVG unwirksam. Der Gesetzgeber von 1972 hatte dabei den Fall vor Augen, daß der Betriebsrat übergangen wurde. Dies ist durch die Vorschrift unterbunden worden und lag prinzipiell noch in seinem Gestaltungsspielraum. Nunmehr war aber zu klären, welche Form und welchen Umfang die Unterrichtung des Betriebsrats annehmen muß, um als "Anhörung" zu gelten. Die weite Auslegung, die die Norm durch die Rechtsprechung erfahren hat, ist gesondert zu überprüfen. Für den Arbeitgeber kann es sich fatal auswirken, wenn im Prozeß nachträglich festgestellt wird, daß die Anhörung den gesetzlichen (und richterrechtlichen) Anforderungen nicht genügt hat (ungenügende Angabe der Sozialdaten; Benennung falscher Kündigungsgründe usw.) und die Anhörung aus diesem Fall unwirksam ist 10• Dennoch wird§ 102 Abs. 1 S. 3 BetrVG von der Rechtsprechung rigoros entsprechend seines Wortlauts gehandhabt. Eine nachträgliche Zustimmung des Betriebsrats ist beispielsweise unwirksam 11 • Diesem ist damit gewissermaßen die Beurteilung der eigenen Interessen aus der Hand genommen. Das ist nicht immer einzusehen. Wird z. B. der Arbeitnehmer eines Kollegendiebstahls überführt und kündigt der Arbeitgeber auf der Stelle, so ist es lebensnah anzunehmen, daß der Betriebsrat damit einverstanden ist und nachträglich zustimmt. Die herrschende Meinung will offensichtlich vorbeugen, daß eine lässige Handhabung der Anhörung einreißt, auf die der Arbeitgeber sich dann beruft, wenn die Dinge weniger eindeutig sind. Daß hier die Grundrechtsposition des Arbeitgebers und unter Umständen die der Kollegen berührt wird, kommt dabei so gut wie nie zum Ausdruck. Es ist deshalb zu fordern, daß die Vorschrift nicht ausnahmslos exekutiert wird, sondern im Einzelfall Raum für eine Abwägung läßt, die den verfassungsrechtlichen Vorgaben entspricht. Dies gilt im Besonderen für die Anforderungen an das Anhörungsrecht, die von der Rechtsprechung aufgestellt worden Preis, NZA 1997, S. 1256, S. 1258. Vgl. nurBAG v. 15.09.1998 NZA 1999, S. 269. 11 Die gegenteilige Ansicht wird auch von Richardi, Betriebsverfassungsgesetz § 102 Rdz. 43 ff., der sie früher gebilligt hatte, nicht mehr aufrechterhalten. 9

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Teil F: Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch Kündigung

sind. Eine zu schablonenhafte Anwendung dieser Grundsätze kann im Einzelfall zu einer Zurückdrängung betrieblicher Erfordernisse führen, die den angemessenen Interessenausgleich nicht mehr gewährleisten. 2. Widerspruch gegen Kündigung Liegt einer der Gründe des § 102 Abs. 3 BetrVG vor, so verschiebt sich die Grenzlinie zur Organisationsfreiheit des Arbeitgebers in anderer Weise. Der Betriebsrat kann Widerspruch gegen die Kündigung einlegen; der Arbeitgeber ist dann, wenn der Arbeitnehmer dies verlangt, erst einmal zur Weiterbeschäftigung verpflichtet. Insoweit schon die (selbst schuldlose) Verletzung einer Auswahlrichtlinie gemäß § 95 BetrVG den Betriebsrat ermächtigt, Weiterbeschäftigung zu unveränderten Bedingungen zu fordern, wird damit aber eine Kündigung verhindert, die an sich dringenden betrieblichen Erfordernissen genügt. Deshalb ist hier der Schutz der Betriebsverfassung gegenüber dem Recht des Arbeitgebers aus Artt. 12 Abs. 1 GG und 14 GG überzogen. Das Gesetz übersieht, daß die sozialgerechte wirtschaftlich begründete Kündigung meist genauso im Interesse der Sicherung der Arbeitsplätze erfolgt. Damit verschiebt sich die Grenze zwischen Bestandsund Unternehmensschutz erheblich und nach hiesiger Ansicht in unzumutbarer Weise zulasten des Unternehmens und der anderen Arbeitnehmer 12. 3. Schutz der Mitglieder des Betriebsrats und ihnen gleichgestellter Personen a) Ordentliche Kündigung

Mitglieder des Betriebsrats und die ihnen gleichgestellten Personen 13 unterliegen der ordentlichen Kündigung nur bei Stillegung des Betriebs oder der Betriebsabteilung (§ 15 KSchG). Schutzgegenstand der Vorschrift ist die Kontinuität der Betriebsratsarbeit 14• Sie will mit dazu beitragen, daß sich geeignete Kandidaten für das Betriebsratsamt zur Verfügung stellen; das zeigt sich auch in der Nachwirkung des Kündigungsschutzes gemäß § 15 Abs. 1 S. 2 KSchG. § 15 KSchG dient nicht dem Bestandsschutz im allgemeinen Sinn, sondern nur dem Schutz der Betriebsverfassung 15 . Mit § 15 KSchG ist die Grenze zulasten des Unternehmensinteresses weit verSiehe oben D. I. Abschnitt III. 3. g) bb). Für die nähere Aufzählung: Kittner/Däubler/Zwanziger, § 15 KSchG Rdz. 7. 14 Zum Kündigungsschutz von Ersatzmitgliedern des Betriebsrates, Uhmann, NZA 2000, S. 576ff. 15 BAG v. 29.09.1983 AP Nr. 15 zu§ l3 KSchG unter 11.4.; Hueck/v. HoyningenHuene, § 15 Rdz. I. 12

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II. Geltendes Recht

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schoben. Hier sind deshalb ebenfalls Zweifel angebracht, ob der Gesetzgeber nicht seinen Beurteilungs- und Gestaltungsspielraum überschritten hat. Selbst betrieblich dringend erforderliche und sozialgerechte Kündigungen werden verhindert, sogar bis zum Ende der Nachwirkung. Damit sind die grundrechtliehen Werte aus Artt. 12 Abs. 1, 14 Abs. 1 GG nachhaltig betroffen. Die Betriebsverfassung selbst und der Schutz seiner Mitglieder können diesen Rechten keine grundrechtliehen Positionen entgegenstellen. Soweit also die Kündigung eines Betriebsratsmitglieds aus dringend betrieblichen Erfordernissen begründet ist, ist der unbedingte Kündigungsschutz aus § 15 KSchG teleologisch zu reduzieren. Insgesamt würde es dem Interesse der Betriebsverfassung genügen, wenn die ordentliche Kündigung entsprechend wie die außerordentliche von der Zustimmung durch den Betriebsrat abhängig wäre. Ob sie berechtigt ist, würde in jedem Fall das Gericht entscheiden. Ein Indiz dafür, daß auch eine solche Regelung ausreichen würde, ist darin zu sehen, daß das BRG 1920 sich mit dieser Regel ebenfalls begnügt hatte, §§ 96, 97 BRG. Ebenso liegt eine Überschreitung des zulässigen Rahmens bei der Stilllegung einer Betriebsabteilung vor. Wird sie stillgelegt 16, so gilt wie bei allen Arbeitnehmern, daß die geschützte Person eine Versetzung auf eine freie Stelle verlangen kann. Die herrschende Meinung verpflichtet den Arbeitgeber allerdings, daß er im restlichen Betrieb eine Stelle für das Mitglied, notfalls durch Kündigung des Stelleninhabers, freimacht 17• Hierfür fehlt es indessen an einem Kündigungsgrund. Unter die dringenden betrieblichen Erfordernisse kann dies nicht subsumiert werden. Diese Entwicklung der herrschenden Lehre muß mit Rücksicht auf die Schutzpflichten, die die Rechtsordnung zugunsten des Unternehmers (Artt. 12 Abs. 1 und 14 Abs. 1 GG), und vor allem des betroffenen Arbeitnehmers aus Art. 12 Abs. I GG trifft, zurückgewiesen werden 18• Nach herrschender Meinung greift § 15 KSchG selbst bei einer Massenänderungskündigung ein 19• Dem ist ebenfalls nicht zu folgen. Die Kündigung bedroht die Tätigkeit des Mitglieds nicht; ihn von einer Verschlechterung der Arbeitsbedingungen auszunehmen, die alle anderen trifft, ist eine Bevorzugung, die durch das Amt nicht gerechtfertigt wird. 16 Zum Sinn und Zweck des § 15 Abs. 4 KSchG, der die Kündigung frühestens zum Zeitpunkt der Stillegung gestattet, siehe Heckelmann, Anm. zu BAG v. 23.04.1980 SAE 1981, S. 52, S. 55ff. 17 BAG 25.11.1981 AP Nr. II zu§ 15 KSchG unter III. 3.; Hueck/v. HoyningenHuene, §15 Rdz. 170a; Kittner/Däubler/Zwanziger, § 15 Rdz. 77a; Löwisch, § 15 KSchG Rdz. 64. 18 Zurecht gegen die h.M. Schleusener, DB 1998, S. 2368, S. 2369f. mit Nachweisen. 19 KR-Etzel, § 15 KSchG Rdz 18 mit umfangreichen Nachweisen, kritisch zur h.M. bei außerordentlichen Massenänderungskündigungen Rdz.23.

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Teil F: Auflösung des Arbeitsverhältnisses durch Kündigung

b) Kündigung aus wichtigem Grund Das Betriebsratsamt schützt nicht vor der außerordentlichen Kündigung aus wichtigem Grund. § 15 Abs. 1 S. 1 KSchG nimmt, ohne ihn zu nennen, auf § 626 BGB Bezug. An sich ist es selbstverständlich, daß die Funktionsträger der Betriebsverfassung und die Wahlbewerber bei Vorliegen eines wichtigen Grundes entlassen werden können. Wer seine Kollegen bestiehlt oder sich an der Betriebsratskasse vergreift20, ist nicht schutzwürdig. Es besteht hier kein Anlaß mehr, die Rechte des Arbeitgebers aus Artt. 12, 14 GG zurücktreten zu lassen. Die Abwägung setzt indessen dort wieder ein21 , wo eine in Ausübung des Amts begangene Verletzung des Arbeitsvertrags die Kündigung begründen soll. Solche Vertragsverletzungen müssen milder beurteilt werden, da das Betriebsratsmitglied nur durch die Ausübung des Amtes in die Gefahr kommt, solche Verletzungen zu begehen und der Gesetzgeber diese Tätigkeit unter einen besonderen Schutz gestellt hat.

111. Zwischenergebnis Die Betriebsverfassung hat einen eigenen Stellenwert. Sie ist in keinem Grundrecht verankert22 . Dennoch hat sich der Gesetzgeber dafür entschieden, ihr und ihren Mitgliedern einen besonderen Schutz zukommen zu lassen. Diese Entscheidung lag grundsätzlich in seinem Ermessens- und Gestaltungsspielraum. Es steht ihm frei, über den primären Auftrag des Art. 12 GG hinaus Personen herauszugreifen, deren Sonderbehandlung wegen ihrer Wahrnehmung von wichtigen Aufgaben sachlich gerechtfertigt ist. Allerdings darf der Gestaltungs- und Beurteilungsspielraum nicht überschritten werden. Jede Regelung, welche die Rechte des Unternehmers einschränkt, muß die besondere Schutzpflicht, welche die Artt. 12 Abs. 1 und 14 Abs. 1 GG zugunsten des Arbeitgebers vermitteln, angemessen würdigen. Deshalb ist das Anhörungsrecht gemäß § 102 Abs. 1 BetrVG und seine Ausgestaltung, wie es sie durch die Rechtsprechung erfahren hat, stellenweise im Interesse des Arbeitgebers zurückzunehmen. Auch § 15 KSchG bedarf insoweit einer teleologischen Reduktion, als er Kündigungen aus dringend betrieblichen Gründen verhindert. Die Ansichten der herrschenden Lehre zu Fragen der Versetzung von Betriebsratsmitgliedern bei Teilstillegung und bei Massenänderungskündigungen können ebensoVgl. die Fälle bei Kittner/Däubler/Zwanziger, § 15 KSchG Rdz. 37. Beispielhaft: BAG v. 02.04.1987 AP Nr. 96 zu § 626 BGB; LAG Berlin v. 14.08.1998 BB 1999, S. 421. 22 Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I S. 449. 20

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111. Zwischenergebnis

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wenig geteilt werden, da hier ein Übermaß an Rechtsschutz für die Betriebsratmitglieder auf Kosten des Arbeitgebers und der übrigen Belegschaft gewährt wird. Die hier betroffenen verfassungsrechtlichen Positionen aus Artt. I2 Abs. I und I4 Abs. I GG werden in unverhältnismäßiger Weise zurückdrängt.

Teil G

Die Gewährleistungen der Grundrechte und ihre Umsetzung - weitere Fälle der unfreiwilligen Aufgabe des Arbeitsplatzes Kann als bisheriges Resümee der Ausführungen festgehalten werden, daß die Rechtsordnung das Interesse des Arbeitnehmersam Erhalt seines Arbeitsplatzes gegen eine Kündigung auf eine vielschichtige Weise schützt, so entbindet dies nicht davon, den Blick auch auf andere Auflösungsmöglichkeiten des Arbeitsverhältnisses zu richten. Bei allen geltenden Schutzvorschriften darf nicht übersehen werden, daß neben der Kündigung weitere Möglichkeiten zur Vertragsbeendigung bestehen. Die vorab dargestellten Kündigungsbeschränkungen sind auf sie nicht anwendbar 1• Für sie müssen deshalb andere Kontrollinstrumente gesucht werden. Daß dies erforderlich ist, begründet sich erneut aus dem verfassungsrechtlichen Auftrag. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht in der eingangs zitierten Warteschleifenentscheidung2 davon gesprochen, daß den Schutzpflichten des Art. 12 Abs.l GG durch die geltenden Kündigungsvorschriften Rechnung getragen wird; dennoch ist zu fragen, ob diese These in ihrer Beschränkung haltbar ist. Das Grundrecht steht über der Norm und konkretisiert sie. Umgekehrt kann diese Aussage nicht gelten. Deshalb gelten die Schutzpflichten der Arbeitnehmergrundrechte (Artt. 12 Abs. I, 2 Abs. 1 GG), die die Rechtsordnung auffordern, den Arbeitsplatzverlust sachlich angemessen zu kontrollieren, auch für alle anderen Möglichkeiten der Auflösung von Arbeitsverhältnissen. Die Interessen der anderen Beteiligten, insbesondere die des Arbeitgebers (Artt. 12 Abs. I, 14 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG), sind wiederum in ausgewogener Weise zu berücksichtigen.

I. Aufhebungsvertrag Der Abschluß eines Aufhebungsvertrages hilft Kündigungen zu vermeiden, deren Wirksamkeit oft unsicher ist. Der Arbeitsvertrag wird ohne großes Aufsehen beendet; vor allem erspart sich der Arbeitgeber den eventuellen Gang zum Gericht, der in jedem Fall, selbst wenn er im Prozeß obsiegt, schwer meßbare Verluste mit sich bringen kann. Geht es um eine 1 2

Zöllner/Loritz, Arbeitsrecht S. 293. BVerfG v. 24.04.1991 E 84, S. 133, S. 146.

I. Aufhebungsvertrag

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größere Zahl von Arbeitsplätzen, die wegfallen sollen, spielt für die Planungen ebenso der Zeitverlust eine Rolle, der durch Kündigung mit vorheriger Anhörung des Betriebsrats usw. drohen würde. Deshalb werden Aufhebungsverträge, häufig mit Abfindungszahlungen verbunden, als Mittel des Personalabbaus bevorzugt eingesetze. Besondere Arbeitnehmerschutzvorschriften, wie das Kündigungsschutzgesetz, existieren hier nicht. Nur der neu eingeführte § 623 BGB sieht seit dem 01.05.2000 die Schriftform als Wirksamkeitsvoraussetzung vor4 • Der Schutzzweck des Art. 12 Abs. I GG setzt also dann wieder ein, wenn der Abschluß des Aufhebungsvertrages und die den Arbeitnehmer treffenden Folgen unangemessen erscheinen. Einen Schwerpunkt der Problematik bilden deshalb die Fälle, in denen der Arbeitnehmer in Unkenntnis der Folgen (insbesondere der sozialrechtlichen Nachteile des Vertrags) dem Vertrag vorschnell zustimmt. Angesprochen ist auch die abgenötigte Einwilligung in den Aufhebungsvertrag mit der Drohung einer anderenfalls auszusprechenden Kündigung. Auch für diese Fallgruppen ist die Konkordanz zwischen den beteiligten Interessen aus Artt. 12 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG (auf Arbeitnehmerseite) und 12 Abs. 1, 14 Abs. I, 2 Abs. 1 GG (auf Arbeitgeberseite) herzustellen. 1. Allgemeine Aufldärungspßicht des Arbeitgebers Die Gefahr, dem Auflösungsvertrag vorschnell zuzustimmen, besteht insbesondere dann, wenn der Arbeitnehmer erst nach seinem Abschluß erfährt, welche Konsequenzen er insgesamt mit sich bringt5 . Die Nachteile können enorm sein. Der Arbeitnehmer hat darauf zu achten, ob er mögliche Wartezeiten für die betriebliche Altersversorgung(§ 1 Abs. 1 BetrAVG), der gesetzlichen Renten- (§ 50 Abs.1 Nr. I SGB VI) oder der Arbeitslosenversicherung (§ 123 SGB III) bereits erfüllt hat. Gemäß § 144 Abs. 1 Nr. I SGB III kann gegen den Arbeitnehmer eine Sperrzeit von drei Monaten verhängt werden, wenn er nach dem Abschluß des Aufhebungsvertrages arbeitslos wird. Schwerwiegend und oft unbekannt oder nicht bedacht ist der Verlust der Ansprüche auf Krankengeld gegen die Krankenkassen, wenn Schwangere ihren Beschäftigtenstatus aufgeben6 . 3 Bengelsdorf, ZfA 1995, S. 229, S. 230; ders., DB 1997, S. 874ff.; Zöllner, 52. DJT 1978 Band I D 125. 4 Dazu Schaub, NZA 2000, S. 344, § 47f.; Preis/Gotthardt, NZA 2000, S. 348, s. 354ff. 5 Kutzki, ZTR 2000, S. 161, S. 163. 6 Für Aufklärung (bei schwangeren Frauen) Kittner/Däubler/Zwanziger, § 9 MuSchG Rdz. 69 (im sachlichen Zusammenhang der Kündigung erörtert); ablehnend Hoß/Ehrich, OB 1997, S. 625 ff. 14 Gamillschcg

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Teil G: Die Gewährleistungen der Grundrechte und ihre Umsetzung

In einem eng gesteckten Rahmen bejaht das Bundesarbeitsgericht eine Aufklärungspflicht des Arbeitgebers über die Nachteile7 . Eine allgemeine Aufklärungspflicht wird von der herrschenden Meinung jedoch abgelehnt8 . Das unterliegt Zweifeln9 . Eine Aufklärungspflicht könnte sich aus der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers ableiten lassen. Die allgemeine Fürsorgepflicht ist als Nebenpflicht des Arbeitgebers anerkannt 10 und besteht aus Schutz- und Förderungspflichten. Insbesondere die Schutzpflichten dienen der Erhaltung der Rechtsgüter des Arbeitnehmers 11 • Als unbestimmter Rechtsbegriff dient die Fürsorgepflicht dem Transport der grundrechtlichen, objektiven Wertordnung in das Arbeitsrecht. Die Inhalte des Art. 12 Abs. 1 GG konkretisieren so die Fürsorgepflicht des Arbeitgebers, wobei darauf zu achten ist, daß seine geschützten Interessen nicht unangemessen zurückgedrängt werden. Im Einzelfall bestimmt sich also der Inhalt der Fürsorgepflicht erneut aus der Abwägung der widerstreitenden Interessen 12• Es entspricht der in Artt. 12 Abs. 1 und 2 Abs. 1 GG verkörperten Wertordnung, daß Arbeitnehmer über die freiwillige Aufgabe ihres Arbeitsplatzes frei entscheiden sollen. Eine selbstbestimmte Entscheidung setzt indessen voraus, daß er sich zumindest darüber im klaren ist, daß und welche nachteiligen Konsequenzen möglich sind. Wird der Aufhebungsvertrag in Unwissenheit der Folgen abgeschlossen, so ist der Schutzbereich der Grundrechtsartikel betroffen. Ob und in welchem Umfang den Arbeitgeber eine Aufklärungspflicht trifft, hängt deshalb auch davon ab, ob seine eigenen Interessen dadurch unangemessen benachteiligt würden. Grundsätzlich ist zu unterstellen, daß er mit dem Abschluß von Aufhebungsverträgen Unternehmerische Ziele verfolgt, die unter dem Schutz der Artt. 12 Abs. 1 und 14 Abs. 1 GG stehen. Diese Ziele werden allerdings nicht vereitelt. Trotz der Aufklärungspflicht bleibt der Abschluß des Aufhebungsvertrages möglich. Betroffen wird der Arbeitgeber allerdings in seiner Vertragsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG. Die Privatautonomie gewährleistet grundsätzlich auch, auf Kosten anderer für sich günstige Verträge abzuschließen. Allerdings gilt dies im Arbeitsrecht nur sehr eingeschränkt. Auf Grund der prinzipiellen Arbeitgeberdominanz ist die Vertragsfreiheit des Arbeitgebers 7 BAG v. 18.09.1984 AP Nr. 6 zu § I BetrAVG Zusatzversorgungskassen; v. 13.11.1984 AP Nr. 5 zu § I BetrAVG Zusatzversorgungskassen; v. 10.03.1988 AP Nr. 99 zu § 611 Fürsorgepflicht; v. 13.11.1996 AP Nr. 4 zu § 620 Aufhebungsvertrag. 8 BAG v. 13.11.1996 a.a.O.; Becker-Schaffner, BB 1993, S. 1281, S. 1282; Hoß/Ehrich, DB 1997, S. 625; ErfK-Müller-Giöge, § 620 Rdz. 229. 9 Gamillscheg, FS für Molitor (1962) S. 57, S. 80. 10 BAG v. 13.11.1984 AP Nr.5 zu § I BetrAVG Zusatzversorgungskasse unter Gründe 2/3. a). 11 Preis, ArbeitsrechtS. 383. 12 Preis, Arbeitsrecht S. 383.

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zurückzudrängen. Die besondere Abhängigkeit und die prinzipiell zu unterstellende Überlegenheit des Arbeitgebers gegenüber dem Arbeitnehmer erlauben eine Verschiebung der Grenzen zu seinen Lasten. Es ist ihm also zumutbar, die Verhandlungsbasis des Arbeitnehmers durch eine allgemeine Aufklärung über die Nachteile zu verbessern. Eine unangemessene Belastung des Arbeitgebers, wenn ihm nicht gestattet wird, eine Unwissenheit oder Verwirrung des Arbeitnehmers auszunutzen, ist hierin nicht zu sehen. Die praktische Konkordanz der Interessen bleibt damit gewahrt. Dogmatisch kann der Anspruch somit aus der allgemeinen Fürsorgepflicht als Konkretisierung der Schutzpflichten aus Art. 12 Abs. 1 GG zugunsten des Arbeitnehmers hergeleitet werden. Dabei ist zu überlegen, ob ein pauschaler Hinweis des Arbeitgebers auf die Möglichkeit sozialrechtlicher Nachteile ausreicht oder eine differenzierte Auflistung von ihm zu verlangen ist. Doch sollte man hier schon wegen der späteren Beweislage nicht zuviel verlangen. Für eine überlegte Entscheidung des Arbeitnehmers genügt, daß ihm bewußt ist, daß erhebliche sozialrechtliche Nachteile entstehen können. Wird der Aufhebungsvertrag vom Arbeitnehmer gefordert, so fragt sich, ob die Aufklärungspflicht den Arbeitgeber auch hier trifft. Daß der Arbeitnehmer die Aufklärung nicht nötig hat, wenn er den Aufhebungsvertrag selbst beantragt hat 13 , ist in dieser Allgemeinheit nicht richtig. In den anerkannten Fällen einer bestehenden Aufklärungspflicht stellt das Bundesarbeitsgericht ebenfalls nicht darauf ab, wer die Initiative zum Aufhebungsvertrag ergriffen hat. Das grundsätzliche Erfordernis der Aufklärung ist deshalb auch hier zu bejahen. 2. Aufklärungspflicht über Kündigungsverbot

Ein eigenes, kaum angesprochenes Problem der Aufklärungspflicht stellt es dar, ob der Arbeitgeber auf ein etwa bestehendes Kündigungsverbot des Arbeitnehmers hinzuweisen hat. Für die Verhandlungsbasis des Arbeitnehmers ist dies von erheblicher Bedeutung. Wo ein solches Verbot besteht, ist von einer Verhandlungsüberlegenheit des Arbeitnehmers auszugehen, vorausgesetzt er weiß, diesen Vorteil im Zeitpunkt der Verhandlungen über den Aufhebungsvertrag zu nutzen. Ob dies immer so ist, ist allerdings zweifelhaft; die Unkenntnis selbst elementarer Rechte unter den Arbeitnehmern ist verbreitet. Die Studie des Max-Planck-Instituts weist in diese Richtung. Wie sich aus ihr ergibt, wurden 1978 ca. 44.000 von den Arbeitgebern initiierte Aufhebungsverträge geschlossen. Bei ihnen war besonders auffällig, wie groß gerade die Zahl der Verträge mit Arbeitnehmern unter Sonderkündigungsschutz war. 13 14*

So aber Hoß/Ehrich, a. a. 0. S. 625.

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Teil G: Die Gewährleistungen der Grundrechte und ihre Umsetzung

Von insgesamt 4,4% der Unternehmen wurden 155 Aufuebungsverträge mit Schwerbehinderten abgeschlossen. Die allein für 1978 ermittelte Zahl von Aufuebungsverträgen erreichte damit 5/6 der für den gesamten Zeitraum genannten Zahl von Kündigungen 14• Für unter das Mutterschutzgesetz fallende Frauen berichteten 0,6% der 490 antwortenden Unternehmen von insgesamt sieben Aufuebungsverträgen für das Jahr 1978. Diese Zahl ist höher als l /3 der für den Zeitraum von 1976--1978 ausgesprochenen 17 Kündigungen 15• Das beweist, daß Arbeitgeber Aufuebungsverträge gezielt dafür einsetzen, um sich von Verträgen mit Personen unter besonderem Kündigungsschutz zu lösen; dies ist verständlich, da dies praktisch die einzige Lösungsmöglichkeit ist. Wann in diesen Fällen tatsächlich Unkenntnis des besonderen Kündigungsschutzes gegeben war, ist freilich keiner Statistik zu entnehmen. Sicherlich gab es Fälle, bei denen dieser Umstand den Arbeitnehmern bekannt und eine willkommene Verstärkung ihrer Verhandlungsposition war. Es wird aber ebenfalls andere Fälle gegeben haben, in denen sich die Arbeitnehmer ihrer besonderen Situation nicht bewußt waren. In solchen Fällen ist eine Aufklärung über das Kündigungsverbot unbedingt zu fordern. Dies gebietet die praktische Konkordanz. Im Rahmen der Interessenahwägung treten an die Seite des Arbeitnehmers noch weitere zu berücksichtigende Umstände, teilweise sogar von besonderer verfassungsrechtlicher Bedeutung von z.B. Art. 6 Abs. 4 GG im Fall der Schwangerschaft, die das Interesse des Arbeitgebers zurückdrängen. Daß das Kündigungsverbot unter besonderen Umständen- Genehmigung der Behörde überwunden werden kann, kann bei diesen Überlegungen, die allein auf den Zeitpunkt der Verhandlungen abstellen, vernachlässigt werden. 3. Anfechtung des Aufhebungsvertrages Wurde der Aufuebungsvertrag vereinbart, so fragt sich, ob der Arbeitnehmer sich rückwirkend wieder von ihm lösen kann. In Betracht kommt eine Anfechtung des Vertrags gemäߧ§ 119ff. BGB. a) Irrtumsanfechtung

Die Nichtigkeit des Aufhebungsvertrages kann sich aus einer Irrtumsanfechtung ergeben, §§ 142, 119 Abs. 1, 2 BGB. Die Anfechtung wegen eines Erklärungsirrtums - der Arbeitnehmer verspricht sich - ist eher ein theoretisches Problem. Von Bedeutung ist dagegen der Inhaltsirrtum, wenn sich der Arbeitnehmer über die Rechtsfolgen des Aufuebungsvertrages 14

15

Falke/Höland u. a., Band I S. 115. Falke/Höland u.a., Band I S. 115.

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geirrt hat. Die Praxis gewährt hier kein Anfechtungsrecht 16; der Rechtsfolgenirrtum wird als unbeachtlicher Motivirrtum behandelt 17• Das Problem stellt sich allerdings dann nicht mehr, wenn - wie hier - ein Aufklärungsanspruch aus der Fürsorgepflicht anerkannt wird.

b) Anfechtung wegen widerrechtlicher Drohung Eine Anfechtung wegen widerrechtlicher Drohung (§ 123 Abs. 1 BGB) kann dann in Betracht kommen, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer durch Androhung einer ansonsten auszusprechenden außerordentlichen oder ordentlichen Kündigung dazu veranlaßt, den Aufhebungsvertrag zu unterschreiben. Grundsätzlich erkennt das Bundesarbeitsgericht das lnaussichtstellen einer Kündigung als Drohung mit einem Übel an, das der Arbeitgeber zufügen kann 18• Eine solche Drohung sei indessen nur dann im Sinne von § 123 Abs. 1 BGB widerrechtlich, wenn "ein verständiger Arbeitgeber" in einer vergleichbaren Situation eine außerordentliche/ordentliche Kündigung nicht in Betracht gezogen hätte 19 . Ob sich die angedrohte Kündigung in einem fiktiven Kündigungsschutzprozeß als sozialgerecht erwiesen hätte, wird jedoch als unerheblich angesehen20• Mit dem "verständigen Arbeitgeber" wird ein überaus unscharfes Kriterium herangezogen21 • Maßgeblich für die Beurteilung ist der objektiv mögliche und damit hypothetische Wissensstand des Arbeitgebers 22 . Was ein "verständiger Arbeitgeber" getan hätte, hängt indessen von vielen Einzelheiten ab. Eine ordentliche Kündigung hätte er wohl häufiger in Betracht gezogen, da ihm, anders als bei der außerordentlichen Kündigung, hier die Möglichkeit des Auflösungsantrags 16 BAG v. 16.02.1983 AP Nr. 22 zu § 123 BGB; v. 06.02.1992 AP Nr. 13 zu § 119 BGB; Weber/Ehrich, NZA 1997, S. 414, 418f. 17 BAG v. 10.03.1988 AP Nr. 99 zu§ 611 BGB Fürsorgepflicht unter I. 2.; Benge1sdorf, BB 1994, S. 904, S. 905f. 18 BAG v. 30.09.1993 AP Nr. 37 zu § 123 BGB; vgl. Stah1hacke/Preis/Vossen, Kündigung und Kündigungsschutz Rdz. 34. Das LAG Brandenburg 16.10.1997 DB 1998, S. 2376, sieht in einer Äußerung des Arbeitgebers, die Arbeitnehmerio erhalte eine Abfindung und ein "gutes Zeugnis" nur, wenn sie den Aufhebungsvertrag akzeptiere, keine Drohung. 19 BAG v. 30.01.1986 NZA 1987, S. 91 f.; v. 21.03.1996 AP Nr. 42 zu § 123 BGB (hier aus besonderen Umständen Widerrechtlichkeit bejaht); v. 31.01.1996 AP Nr. 41 zu § 123 BGB; v. 14.02.1996 NZA 1996, S. 811; zur Anfechtung einer Eigenkündigung BAG v. 06.02.1992 AP Nr. 13 zu §119 BGB; s. LAG Hamm 8.3. 1994 LAGE § 123 Nr. 19 mit Anm. Krause. 20 BAG v. 08.12.1955 AP Nr. 4 zu § 9 MuSchG; v. 06.02.1992 AP Nr. 13 zu § 123 BGB; v. 30.09.1993 = Nr. 37 ebenda. 21 Weber/Ehrich, NZA 1997, S. 414, S. 416, sprechen von einer "nichtssagenden Leerfloske1", mit der sich jedes gewünschte Ergebnis begründen ließe. 22 BAG v. 30.01.1986 NZA 1987, S. 91 , S. 92.

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(§ 9 Abs. I S. 2 KSchG) zusteht, und die Praxis zeigt, daß er mit einem solchen Antrag in der Regel erfolgreich ist.

Es wird also eine unsichere Grundlage für die Vemeinung oder Bejahung des Anfechtungsrechts des Arbeitnehmers herangezogen, bei dem es um den Arbeitsplatz geht. Nach dieser Rechtsprechung spielt es zudem keine Rolle, daß der Arbeitnehmer unter Zeitdruck stand oder ihm kein Widerrufsrecht eingeräumt wurde23 und er sich keinen Rat von anderer Seite holen konnte. Die Schutzpflichten aus Art. 12 Abs. 1 GG weisen hier einen anderen Weg. Der Anfechtung ist stattzugeben, wenn die Kündigung unwirksam gewesen wäre, weil es an einem Grund gefehlt hätte oder er nicht beweisbar gewesen wäre. Das kann im Anfechtungsprozeß in gleicher Weise wie im Kündigungsschutzprozeß ermittelt werden. Fehlt es daran, ist die Anfechtung wirksam. Die Interessen des Arbeitgebers, die ihrerseits durch Artt. 12 Abs. 1, 14 Abs. 1 und 2 Abs. 1 GG geschützt sind, werden nicht unangemessen zurückgedrängt. Der Arbeitgeber hat keinen Anspruch darauf besserzustehen, als wenn er gekündigt hätte und sich das Fehlen eines Kündigungsgrundes im Prozeß herausgestellt hätte. Der zusätzliche Schutz aus Art. 2 Abs. 1 GG auf der Seite des Arbeitgebers kann ein solches Ergebnis ebenfalls nicht tragen, wenn die Vertragsimparität so auffällig ist wie im geschilderten Fall. Dem Grundgedanken des Arbeitsrechts muß Rechnung getragen werden, das den Arbeitnehmer deshalb schützt, weil er wirtschaftlich der Schwächere ist und deshalb von einem fairen, keiner Überwachung bedürftigen Austausch von Willenserklärungen nicht ausgegangen werden kann. Die Rechtslage ist freilich dann eine andere, wenn tatsächlich ein Kündigungsgrund bestanden hat. Dann aber ist die Anfechtung auch zurückzuweisen. Das Arbeitsverhältnis war mit dem Abschluß des Aufhebungsvertrages wirksam beendet.

23 Nach Ansicht von ArbG Osnabrück v. 21.1.1995 ArbuR 1995, S. 368, ist der Vertrag unwirksam, wenn keine angemessene Überlegungsfrist eingeräumt wurde; ArbG Wetzlar v. 29.8.1995 ArbuR 1995, S. 2376 hält ihn für anfechtbar gemäß § 123 BGB. - Anders BAG AP Nr. 37 zu § 123 BGB: keine Anfechtung, weil keine Bedenkzeit und kein Widerrufsrecht; ArbG Köln v. 1.6.1993 DB 1993, S. 2135: kein Widerrufsrecht auch bei " erheblicher Verwirrung" des Arbeitnehmers. - Wisskirchen/Worzalla, DB 1994, S. 577, S. 582 lassen nur einen "über das normale Maß hinausgehenden psychischen Druck" als Anfechtungsgrund gelten. Ein psychischer Druck durch Androhung der fristlosen Entlassung, die heute faktisch wie ein Berufsverbot auf Lebenszeit wirkt, ist aber niemals "normal".

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4. Widerrufsrecht?

Die Zweifel könnten ausgeräumt werden, wenn man bei Aufhebungsverträgen grundsätzlich ein Widerrufsrecht von einigen Tagen einräumen würde. Entsprechende Regelungen finden sich heute nur in einigen Tarifverträgen24. Das Widerrufsrecht wird nicht als Inhalt von § 242 BGB (Treu und Glauben) oder der Fürsorgepflicht angesehen25 . Es ist aber daran zu denken, daß der Gesetzgeber tätig wird. 26 . Er hat dies bei Vorliegen bestimmter Umstände mit dem Verbraucherkreditgesetz (VerbrKrG) und dem Haustürwiderrufsgesetz (HaustürWG) getan, um den Verbraucher vor Übereilung zu schützen; Grundlage ist hier ebenfalls die Überzeugung, daß die Vertragsfreiheit dort versagt, wo es an der wirtschaftlichen, beim Haustürgeschäft zudem an der intellektuellen Parität (typischerweise) fehlt. Dem Arbeitgeber geschieht durch den Widerruf (in angemessener Frist) kein Unrecht. Daß niemand Anspruch auf den Abschluß eines Vertrags hat, ist ein unangefochtener Satz des Zivilrechts. Hat er ein Recht auf Auflösung des Arbeitsvertrags, so kann er dies durch Kündigung erreichen. Es bleibt für ihn der Vorteil, daß er einen unter Umständen langwierigen Kündigungsprozeß nicht zu gewärtigen hat; dieser Vorteil verzögert sich nur um die Widerrufsfrist. Der Widerruf richtet sich auf den gesamten Vertrag. Den Widerruf wird der Arbeitgeber in all den Fällen nicht fürchten, in denen der Arbeitnehmer seinen Vorteil frei und souverän gewahrt hat, wie das der Vorstellung mancher Autoren27 entspricht. Aber es wäre nicht zu einem Prozeß gekommen, wäre die Freiwilligkeit stets offensichtlich. Solange der Gesetzgeber allerdings nicht tätig wird, ist nach geltender Rechtslage ein Widerrufsrecht derzeit nicht gegeben. Die praktische Konkordanz der verfassungsrechtlichen Interessen bleibt dennoch gewahrt, wenn man mit der hiesigen Auffassung davon ausgeht, daß den Arbeitgeber bereits eine allgemeine Aufklärungspflicht über die Nachteile trifft.

24 Vgl. etwa BAG v. 24.01.1985 AP Nr. 8 zu § I TVG Tarifverträge: Einzelhandel; weitere Nachweise bei Wisskirchen/Worzalla, DB 1994, S. 577, S. 581 Fußnote 64. 25 BAG v. 24.01.1985 a.a.O.; Boemke, NZA 1993, S. 532, S. 537. Für Widerruf bei Unkenntnis der Folgen der Eigenkündigung einer Schwangeren Kittner/Däubler/ Zwanziger, MuSchG § 9 Rdz. 69. Teilweise wird ein Widerrufsrecht im Wege der Rechtsfortbildung gefordert. Rechtsgrundlage soll § 242 BGB analog sein; LAG Harnburg v. 03.07.1991 LAGE Nr. 6 zu § 611 BGB Autbebungsverträge unter 2. b); dagegen Germelmann, NZA 1997, S. 236, S. 240. 26 Entschiedene Ablehnung bei Bengelsdorf, DB 1997, S. 874ff.; befürwortend Fastrich, RdA 1997, S. 65, S. 73. und MüKo-Schwerdtner, Vor§ 620 BGB Rdz. 23; offengelassen von Germelmann, NZA 1997, S. 236, 240 Fn. 55. 27 Z.B. Bengelsdorf, DB 1997, S. 874, S. 876f.

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5. "Billigkeitskontrolle" des Autbebungsvertrages? Es bleibt die Frage, ob der Aufhebungsvertrag einer über die Voraussetzungen der §§ 119 ff. BGB hinausgehenden weitergehenden Inhaltskontrolle zu unterwerfen ist. a) Ansicht von Hoyningen-Huene Eine solche "Billigkeitskontrolle" wurde bisher abgelehnt. Hierfür kann man repräsentativ auf das Standardwerk von v. Hoyningen-Huene über die Billigkeitskontrolle im Arbeitsrecht verweisen 28 • Seiner Meinung nach unterliegt nur die einseitige Leistungsbestimmung über die Generalklausel in § 315 BGB der Kontrolle, nicht aber der einverständlich abgeschlossene Vertrag. Es ist allerdings die Frage, ob man hier stehen bleiben kann. Das hier geschilderte Prinzip des jeweils erforderlichen Ausgleichs zwischen den grundrechtliehen Schutzpflichten, die den Weg für die Rechtsanwendung bestimmen, gilt prinzipiell auch für den Bereich der zweiseitigen Verträge. b) Ansicht von Fastrich Fastrich hat einen anderen Ansatz entwickelt, welcher der hier vertretenen Ansicht im Ergebnis näherkommt. Er hat sich eingehend mit den verschiedenen Erscheinungsformen der Inhaltskontrolle29 auseinandergesetzt und ihre dogmatischen Grundlagen beschrieben30• Er entwickelt die Inhaltskontrolle aus der dem Arbeitnehmerschutzprinzip zugrundeliegenden Wertung, daß der Arbeitnehmer bei Abschluß des Arbeitsvertrags in der Regel nicht in der Lage ist, seine Interessen angemessen durchzusetzen. Diesen Schutz, so Fastrich, müsse deshalb die Rechtsordnung übernehmen. Dies geschehe nicht nur mit den Mitteln des kollektiven Arbeitsrechtes; das Arbeitsvertragsrecht bedürfe ebenfalls der Kontrolle, wie sie sich mit der Inhaltskontrolle zwischenzeitlich entwickelt habe. Diese Entwicklung sei deshalb gerechtfertigt, weil andernfalls der Bereich zwingender Gesetze ausgeweitet werden müßte, das Arbeitsvertragsrecht würde als Folge verkümmern. Die Inhaltskontrolle garantiere dagegen die notwendige Flexibilität und durch ihre Bindung an die Gesetze und deren richterrechtlichen Die Billigkeit im Arbeitsrecht (1978) S. 174f. Er unterscheidet die allgemeine Inhaltskontrolle von der Billigkeitskontrolle; diese geht vom Einzelfall aus, während die Inhaltskontrolle generalisierende Maßstäbe setzt; Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht (1992) S. 28; ähnlich in RdA 1997, S. 65, S. 70. 3 Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht (1992). 28

29

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Ergänzungen das notwendige Maß an Rechtssicherheie 1• Sie wirkt mithin letztlich zugunsten einer Freiheit, die sie vordergründig beschneidet. c) Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts

Unterstützung findet diese These in der neueren Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts. Die Überzeugung, daß schutzbedürftige Vertragspartner vor den vertraglichen Folgen unter bestimmten Voraussetzungen zu schützen sind, ist in der Handelsvertreter32- und der Bürgschaftsentscheidung33 zur Grundlage von Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts geworden. Das Gericht hatte zwar Sachverhalte des Zi viirechts zu beurteilen, hat dabei aber allgemein zu den Fragen der mangelnden Vertragsparität Stellung genommen. Es verlangte in den Fällen gestörter Parität eine strengere Kontrolle der Vereinbarungen durch die Gerichte. In der Handelsvertreterentscheidung hebt das Gericht den Gedanken der Selbstbestimmung und der Selbstverantwortung als Grundlage der Privatautonomie zwar besonders hervor, unterstreicht aber gleichzeitig den Schutzauftrag der Verfassung zur Gewährleistung einer inhaltlich mit ihren Wertungen übereinstimmenden Ordnung. Bei offensichtlichen Fehlentwicklungen seien dem Vertrag durch zwingendes Gesetzesrecht und mit Hilfe der zivilrechtliehen Generalklauseln Schranken zu setzen34 . Daß damit ebenfalls die Möglichkeit zur Inhaltskontrolle gemeint war, unterstreicht die Bürgschaftsentscheidung35. "Die Zivilgerichte müssen - insbesondere bei der Konkretisierung und Anwendung von Generalklauseln wie § 138 und § 242 BGB - die grundrechtliche Gewährleistung der Privatautonomie in Art. 2 Abs. 1 GG beachten. Daraus ergibt sich ihre Pflicht zur Inhaltskontrolle von Verträgen, die einen der beiden Vertragspartner ungewöhnlich stark belasten und das Ergebnis strukturell ungleicher Verhandlungsstärke sind"36 . Das Bundesverfassungsgericht bestätigt damit eine These von Fastrich, die er bereits für die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes aufgestellt hatte: "Es fragt 31 Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht (1992) S. 201 ; M. Wolf, RdA 1988, S. 270, S. 272; Zöllner, RdA 1989, S. 152, S. 156; Ulmer/Brandner/ Hensen/Schmidt, AGBG § 23 Rdz. !Ia; Wiedemann, Das Arbeitsverhältnis als Austausch- und als Gemeinschaftsverhältnis (1966) S. 65. 32 BVerfG v. 07.2.1990 E 81, S. 242ff. 33 BVerfG v. 19.10.1993 E 89, S. 214ff. 34 BVerfG E 81, S. 242, 256. 35 Eine eingehende Analyse nimmt Fastrich vor: RdA 1997, S. 65 ff. 36 BVerfG v. 19.10.1993 a.a. O. (LS). Dieser Leitsatz steht in einem gewissen Gegensatz zu den Entscheidungsgründen. Dort wurde § 138 BGB zunächst als Vertragskorrektiv genannt, bevor auf das Instrument der Inhaltskontrolle eingegangen wurde. Hergenröder, DZWir 1994, S. 485, S. 490, löst diesen Widerspruch, indem er den Begriff .,Inhaltskontrolle" in einem weiteren Sinne versteht.

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sich daher, ob nicht das Bundesarbeitsgericht in Wahrheit gar nicht auf der Grundlage einer grundsätzlich uneingeschränkten, bis zur Grenze der Sittenwidrigkeit reichenden Vertragsfreiheit argumentiert, sondern von vomherein von einer nur eingeschränkten Vertragsfreiheit ausgeht, in deren Rahmen dann die Wertungen anderer gesetzlicher Vorschriften miteinfließen können" 37 . Die überraschende Wendung der Bürgschaftsentscheidung lag im Besonderen darin, daß nunmehr Hauptpflichten der Vertragsparteien der Inhaltskontrolle unterliegen sollen, welche bisher auf die Nebenpflichten beschränkt wa~ 8 • Das Bundesverfassungsgericht schränkt seine Rechtsprechung zwar insoweit selbst ein, als nicht für alle Situationen der Vertragsimparität Vorsorge getroffen werden könne. "Handelt sich es jedoch um eine typisierbare Fallgestaltung, die eine strukturelle Unterlegenheit des einen Vertragsteils erkennen läßt, und sind die Folgen des Vertrages für den unterlegenen Teil so ungewöhnlich belastend, so muß die Rechtsordnung darauf reagieren und Korrekturen ermöglichen"39. Für die dogmatische Begründung dieser "Inhaltskontrolle" bewegt sich das Bundesverfassungsgericht auf der allgemeinen Ebene des § 242 BGB, der eine immanente Schranke vertraglicher Gestaltungsmacht darstellt und damit die Befugnis zu einer richterlichen Inhaltskontrolle enthalte40 . aa) Reaktionen der Literatur auf die Rechtsprechung Die Reaktionen auf das Urteil waren geteilt. Positive41 wie nachdenkliche42 Stimmen der Literatur haben sich mit dem Problem auseinandergesetzt Bengelsdorf sieht darin eine Gefahr, die Begriffe wie "typisierende Fallgestaltung", "strukturelle Unterlegenheit" oder "ungewöhnliche Belastung" auf arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge zu übertragen. "Es besteht die offensichtliche Gefahr, daß die Begriffe nach dem jeweiligen richterlichen Gutdünken zu Lasten der Rechtssicherheit ausgelegt und in der ungebundenen Art einer beliebigen Billigkeitsrechtsprechung genutzt werden"43 . Germelmann weist ebenfalls darauf hin, daß die "strukturelle Ungleichheit" im Grunde nur ein Schlagwort sei 44. Dieterich hat es dageRichterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht ( 1992) S. 171. Hierzu Preis, DB 1994, S. 261, S. 265. 39 BVerfGE 89, S. 214, S. 232. 40 V. 19.10.1993 E 89, S. 214ff. unter II. 2. c) der Gründe. 41 Preis/Rolfs, DB 1994, S. 261, S. 264; Dieterich, RdA 1995, S. 129, S. 135; ders., DB 1995, S. 1813f.; Zwanziger, DB 1994, S. 982; ders., BB 1996, S. 903. 42 Adomeit, NJW 1994, S. 2468; Bauer/Diller, DB 1995, S. 1810; Bengelsdorf, ZfA 1995, S. 229, S. 251 ff.; ders., BB 1995, S. 978, S. 981. 43 Bengelsdorf, ZfA 1995, S. 229, S.259; ders., DB 1997, S. 874ff. 37

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gen begrüßt45 , daß zukünftig der Grundsatz "Vertrag ist Vertrag"46 nicht mehr blind befolgt wird, wenn dies der Sachlage nicht gerecht wird. Das Bundesarbeitsgericht hat bisher zurückhaltend reagiert und die neuen Grundsätze des Bundesverfassungsgerichts im Bereich des Aufhebungsvertrages noch nicht umgesetzt. Im Augenblick ist noch zwischen einigen Instanzgerichten und dem Bundesarbeitsgericht eine unterschiedliche Linie zu erkennen. Die vorbehaltlose Anerkennung der Beendigungsfreiheit der Arbeitsvertragsparteien war bei den ersteren bereits vor dem Beschluß des Bundesverfassungsgerichts auf Ablehnung gestoßen 47 • Das Landesarbeitsgericht Hamburg48 hat in einem aufsehenerregenden Urteil (sogenannte Überrumpelungsrechtsprechung), einen Aufhebungsvertrag gemäß § 242 BGB für unwirksam erklärt, weil der Arbeitnehmer ohne Vorwarnung und Bedenkfrist ins Personalbüro gerufen wurde und dort einen entsprechenden Vertrag unterschreiben sollte. Das Bundesarbeitsgericht49 steht dieser Tendenz noch ablehnend gegenüber. Es sagt: "Die rechtsgeschäftliche Entscheidungsfreiheit des Einzelnen wird nicht allgemein gegen jede Art der Beeinträchtigung durch eine Zwangslage geschützt, sondern nur gegen die Beeinträchtigung durch arglistige Täuschung oder widerrechtliche Drohung." In den der BürgschaftseiHscheidung nachfolgenden Urteilen wandte es sich sogar ausdrücklich gegen eine Inhaltskontrolle50 . bb) Stellungnahme In der Sache ist dieser neuen Wendung des Bundesverfassungsgerichts volle Zustimmung zu erteilen; das Gericht versäumt indessen, die eigentliche dogmatische Grundlage zu nennen. Sie ist auch hier aus der objektiven Wertordnung und den Schutzpflichten aus den einzelnen Grundrechtsartikeln herzuleiten (Artt. 12 Abs. 1 und 2 Abs. l; Artt. 12 Abs. I, 14 Abs. I, 2 Abs.l GG). Die Vomahme der "Inhaltskontrolle" ist nur ein Beispiel für die praktische Konkordanz, die das Gericht zwischen den widerstreitenden NZA 1997, S. 236, S. 337. Dieterich, RdA 1995, S. 129, S. 135. 46 BVerfG v. 19.03.1993 a. a.O. S. 234. 47 LAG Harnburg v. 03.07.1991 LAGE§ 611 Aufhebungsvertrag Nr. 6 (mit abl. Anm. Bengelsdorf,); ArbG Harnburg v. 13.05.1992- 7 CA 433/91 - unveröffentlicht; v. 22.04.1992 - 7 CA 446/91 - unveröffentlicht; v. 10.12.1990 BB 1991, S. 625; ArbG Freiburg v. 20.6.1991 DB 1991, S. 2600; ArbG Wetzlar v. 07.08.1990 DB 1991, S. 976. 48 LAG Harnburg v. 03.07.1991 a. a. O. 49 V. 30.09.1993 AP Nr. 37 zu § 123 BGB; ebenso Wisskirchen/Worzalla, DB 1994, S. 577, S. 580. 50 BAG v. 30.09.1993 AP Nr. 37 zu§ 123 BGB; BAG v. 14.02.1996 NZA 1996, S. 811 (2. LS). 44

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Interessen herstellt und ein weiterer Beweis dafür, daß die Schutzpflichten das Recht konkretisieren und nicht umgekehrt. Sie ist auch über die Bürgschafts- und Handelsvertreterfälle hinaus auf alle gegenseitigen Verträge anzuwenden, bei denen der angemessene Ausgleich der widerstreitenden verfassungsrechtlichen Schutzgüter nicht gewährleistet ist, mithin auch für arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge. Die Bedenken, die in der Literatur erhoben werden, können dagegen nicht durchgreifen. Eine gewisse Konturlosigkeit der Begrifflichkeiten, wie "strukturelle Unterlegenheit" oder "ungewöhnliche Belastung" läßt sich zwar nicht bestreiten, doch verliert dieses Argument an Stichhaltigkeit, wenn diese Begriffe mit den Wertungen der objektiven Grundrechtsordnung und den Inhalten der Schutzpflichten für den jeweils konkreten Einzelfall aufgefüllt werden. Anstelle einer "Billigkeitskontrolle" ist der Aufhebungsvertrag also konkret an den Grundsätzen der verfassungsrechtlichen Interessenahwägung zu messen. Wie diese vorzunehmen ist, wird nachfolgend differenziert entwickelt.

6. Erfordernis der praktischen Konkordanz beim Abschluß eines Aufhebungsvertrages a) Vertragsimparität

Zunächst ist zu klären, ob die praktische Konkordanz der widerstreitenden Grundrechtsgüter aus Artt. 12 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG auf Arbeitnehmerseite und Artt. 12 Abs. 1, 14 Abs. 1 und 2 Abs. 1 GG auf Arbeitgeberseite bereits durch die Parteien selbst hergestellt werden kann, da sie in der Lage sind, ihre Interessen jeweils gleichberechtigt gegenüber dem anderen Partner zu vertreten. In der Literatur wird beispielsweise vertreten5 1, daß von einer Ungleichheit zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer keine Rede sein kann, da sogar ein Verhandlungsvorteil zugunsten des Arbeitnehmers besteht, wenn der Arbeitgeber die Auflösung wünscht. Bengelsdorf nimmt beispielsweise an, daß "der Arbeitnehmer beim Aushandeln der Abreden des Aufhebungsvertrages rechtlich und faktisch in der Lage ist, seine Interessen zu erkennen sowie auszudrücken, sie den Interessen des Arbeitgebers entgegenzusetzen und ein Verhandlungsergebnis zu erreichen, in dem er Belastungen nur insoweit hinnimmt, wie ihm auf der anderen Seite Vorteile zugute kommen"52. Andere Stellungnahmen weisen dagegen darauf hin, daß die Gesamtsituation der Aufhebungsverhandlungen den Arbeitnehmer psychisch überfordere und sein Wissenstand über die Bedeutung der Verhandlungen dem des Arbeitgebers unterlegen sei53 . Ein allgemein gültiges Bauer/Diller, DB 1995, S. 1810, S. 1811 f. Bengelsdorf, ZfA 1995, S. 229, S. 252 mit Verweis auf Ernst, Aufhebungsverträge (1993) S. 133. 51

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"Richtig" oder "Falsch" ist - wie im Arbeitsrecht so oft - nicht möglich. Es gibt Situationen, wie sie Bengelsdorf beschreibt, und andere, bei denen sich der Arbeitnehmer in der gewohnten Unterlegenheit befindet. Es wird also die Aufgabe des Gerichts sein, anhand einzelner Kriterien auf den konkreten Fall einzugehen. Preis/Rolfs54 weisen zu Recht darauf hin, daß es nicht genügt, auf Globalkriterien wie "allgemeine soziale Schutzbedürftigkeit", "existentielle Abhängigkeit" und "wirtschaftliche und intellektuelle Unterlegenheit" abzustellen. Sie stellen deshalb auf ein Aufeinandertreffen folgender konkretisierender Kriterien ab: - Vorlage eines nicht verhandelbaren Formularvertrages - Vertragsschluß in einer kontrollbedürftigen Situation - geschäftliche Unerfahrenheit des Vertragspartners - Fehlen der Aufklärung über die Vertragsrisiken - Bagatellisierung der einzugehenden Verpflichtung Übernimmt man diese Kriterien zur Feststellung, ob von Vertragsimparität gesprochen werden kann, so zeigt sich, daß es nicht ungewöhnlich ist, daß der Entwurf des Aufhebungsvertrages unterschriftsfertig dem Arbeitnehmer präsentiert wird, ohne daß der Eindruck erweckt wird, daß über den Inhalt groß verhandelt werden könne. Die Gespräche werden ebenso in aller Regel im Büro des Personalleiters häufig ohne Vorankündigung55 geführt. Der Arbeitnehmer, der in das Büro des Personalleiters gerufen wird und entweder nicht damit rechnet, daß er in einen Aufhebungsvertrag einwilligen soll, oder sich durch den Gesprächspartner eingeschüchtert fühlt, wird sich der Situation also oft nicht gewachsen fühlen. Eine kontrollbedürftige Situation kann somit an sich gegeben sein56. Wie gewichtig dieser Umstand im Einzelfall zu bewerten ist, ist indessen Tatfrage. Entscheidend ist zudem, daß der Arbeitnehmer sich in einer deutlichen Unterlegenheit im Wissen über die Tragweite seiner Entschließung befindet. Damit sind nicht in erster Linie das Wissen um den Verlust des Arbeitsplatzes und die Zwanziger, DB 1994, S. 982, S. 984. DB 1994, S. 261 , S. 266. 55 Vgl. etwa LAG Harnburg v. 03.07.1991 a.a.O. 56 Der Blick auf den sachlichen Anwendungsbereich des Haustürwiderrufsgesetzes verdeutlicht diese Annahme. § 1 HaustürWG soll den Kunden vor der Gefahr schützen, durch anbieterinitiierten Vertragsschluß außerhalb des regulären Geschäftsbetriebes in seiner Entscheidungsfreiheit überfordert zu werden, Müko-Uimer, § I HaustürWG, Rdz. I . Im Vordergrund stehen dabei Abschlüsse innerhalb der privaten und beruflichen Sphäre, § I Nr. 1-3 HaustürWG. Als kontrollbedürftig erkennt der Gesetzgeber mithin solche Situationen, in denen der Kunde nicht mit dem Abschluß von Verträgen rechnet oder in anderer Weise aufgrund geschickter Verhandlungsführung zum Vertragsabschluß bestimmt wird. 53

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Schwierigkeit, einen neuen Arbeitsplatz zu finden, gemeint, denn daß jeder durchschnittlich verständige Arbeitnehmer sich darüber im Klaren ist, kann unterstellt werden 57 • Es geht vielmehr um die anderen, oben beschriebenen Nachteile, die mit der Aufgabe des Arbeitsplatzes verbunden sein können (Nachteile in der Sozialversicherung, Verluste beim betrieblichen Altersruhegeld, Sperrzeiten beim Arbeitslosengeld, etc.). Folgt man der hier vertretenen Ansicht, daß die Schutzpflichten der Artt. 12 Abs. 1 und 2 Abs. 1 GG es bereits fordern, den Arbeitnehmer über diese Nachteile aufzuklären, so kann an der Vertragsimparität zu zweifeln sein, da der Arbeitnehmer einen vergleichbaren Wissensstand wie der Arbeitgeber hat. Darüber hinaus ist kein Schutz erforderlich. Nach der geltenden Rechtslage, nach der eine allgemeine Aufklärungspflicht nicht besteht, kann aber dazu kommen, daß der Arbeitnehmer die Tragweite der Bedeutung seiner Entscheidung nicht ermessen kann. Eine gravierende geschäftliche Unterlegenheit ist somit nicht auszuschließen. Hinzu kommt, daß der Arbeitnehmer vom Arbeitgeber häufig unter Zeitdruck gesetzt wird. Ihm wird also die Gelegenheit genommen, sich selbst ausreichend über die Folgen zu informieren. Nutzt der Arbeitgeber diese Unterlegenheit zu seinem Vorteil zum raschen Abschluß des Vertrages, so hängt die Wirksamkeit des Autbebungsvertrages davon ab, ob das Interesse des Arbeitgebers, den Autbebungsvertrag zu schließen und das Interesse des Arbeitnehmers, keinen für ihn besonders nachteiligen Vertrag einzugehen, in einem angemessenen Ausgleich stehen. b) Herstellung von praktischer Konkordanz

Bei der Herstellung der praktischen Konkordanz sind alle verfassungsrechtlich beteiligten Rechtsgüter angemessen zu beachten. An erster Stelle steht hier die Privatautonomie, wie sie durch Art. 2 Abs. 1 GG garantiert wird. Sie ist zu achten58 . Die Güterahwägung darf nicht zu einem Reuerecht ausarten. Daneben ist das Interesse des Arbeitgebers aufgrund organisatorischer oder betrieblicher Gründe (Artt. 12 Abs. 1, 14 Abs. 1 GG), den Arbeitsvertrag aufzuheben und das Recht des Arbeitnehmers, den Bestand seines Arbeitsverhältnisses nur aufgrund freier Willensentschließung (Art. 12 Abs. 1 GG) aufzulösen, zu berücksichtigen. Die Interessenahwägung hat grundsätzlich auf den Einzelfall abzustellen. Angesichts der verbreiteten Praxis, Autbebungsverträge abzuschließen, fragt es sich aber, ob generalisierende Grundsätze aufzustellen sind. Eine unterschiedliche BewerA.A. Däubler, Arbeitsrecht 2, S. 657, Rdz 1234. So zu Recht Germelmann, NZA 1997, S. 236, S. 237, allerdings im Zusammenhang mit der "Billigkeitskontrolle" bei Authebungsverträgen, die er im Ergebnis ablehnt. 57 58

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tung liegt nahe, ob es sich um Aufhebungsverträge mit oder ohne einer Abfindungsvereinbarung handelt. aa) Aufhebungsvertrag mit Abfindungsvereinbarung Besteht eine Abfindungsvereinbarung, so ist es für die Konkordanzabwägung sachgerecht, den Aufhebungsvertrag nur auf die Ausgewogenheit der Bedingungen der Abfindung zu überprüfen. Einer weiteren Prüfung bedarf es nicht. Das führt zwar zu dem Schluß, daß sich ein Arbeitgeber unabhängig von den sonstigen Umständen aus einem Arbeitsverhältnis im Ergebnis doch "freikaufen" darf, doch entspricht dies auch dem Bild, das der Kündigungsschutzprozeß selbst bietet59 . Wenn aber bereits bei feststehender Unwirksamkeit der Kündigung das Arbeitsverhältnis in der Regel gegen die Zahlung einer Abfindung aufgelöst wird, so kann man dem nicht widersprechen, wenn die Unwirksamkeit einer möglichen Kündigung60 noch nicht feststeht und der Arbeitnehmer noch das Risiko trägt, einen eventuellen Kündigungsschutzprozeß zu verlieren 61 • Schwierig ist allerdings, wie die Ausgewogenheit zwischen der Höhe der Zahlung und dem Verlust des Arbeitsplatzes im Wege der praktischen Konkordanz festzustellen ist. Unproblematisch sind dabei die Fälle, in denen sich die Abfindung an die Bemessung der §§ 9, 10 KSchG anlehnt. Als grobe Faustregel veranschlagen die Gerichte hier ein halbes Monatsgehalt pro Beschäftigungsjahr62 • Bewegt sich das Abfindungsangebot des Arbeitgebers in diesem Bereich, so ist von einer angemessenen Entschädigung, also einem sachgerechten Interessenausgleich auszugehen. Schematisch lassen sich die für §§ 9, 10 KSchG entwickelten Grundsätze allerdings nicht übertragen. § 9 KSchG hat eine Präventiv- und Sanktionsfunktion, die den Arbeitgeber vor dem Ausspruch sozial ungerechtfertigter Kündigungen abhalten soll63 ; bei dem hier behandelten Sachverhalt kann man davon nicht von vomherein ausgehen64 . Bleibt die Abfindung unter diesem Standard, so ist eine einheitliche Anwort schwierig. Extrem niedrige Abfindungen sind wie das Fehlen der Abfindung (dazu sogleich) zu bewerten; durch ein "Biergeld" kann sich der Arbeitgeber von der weiteren Kontrolle nicht befreien. Für Beträge zwischen diesen beiden Polen Siehe oben D. I. Unterabschnitt I. I. Es wird hier unterstellt, daß der Arbeitgeber in Erwägung ziehen wird, bei Scheitern des Aufhebungsvertrages anstelle dessen eine Kündigung auszusprechen. 61 So auch Zwanziger, DB 1994, S. 982, S. 984. 62 Kittner/Däubler/Zwanziger, § 10 KSchG Rdz. 10; KR-Spilger, § 10 KSchG Rdz. 26; umfassende Zusammenstellung der Gerichtspraxis: Hümmerich, NZA 1999, s. 342, s. 348 ff. 63 v. Hoyningen-Huene, RdA 1986, S. 102, 106f. m.w.N. 64 Ernst, Aufhebungsverträge (1993) S. 162. 59 60

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sollte es jedoch dabei bleiben, daß die Gerichte nicht einzuschalten sind. Es ist schon schwierig, den "Wert" des Arbeitsplatzes überhaupt in einer gerichtlich verwertbaren Weise zu beziffern. Es ist zu bedenken, daß im Fall des § 9 Abs. 1 S. 2 KSchG die Unwirksamkeit der Kündigung bereits feststeht. Das Ergebnis entspricht so ebenfalls der Regelung, wenn die Parteien einen außergerichtlichen Vergleich (Auflösung gegen Abfindung) schließen. Hier besteht keine Möglichkeit, ihn im nachhinein überprüfen zu lassen, weil der Arbeitnehmer die Abfindung dann doch für zu niedrig hält. Sofern der Vergleich nicht unter Widenufsvorbehalt steht, ist eine rechtliche Angreifbarkeil gegen ihn nicht gegeben. Die praktische Konkordanz ist damit grundsätzlich als gewahrt anzusehen, wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer eine Abfindungszahlung anbietet. Das Gesagte gilt allerdings nicht, wenn der Arbeitnehmer nicht kündbar und ihm dieser Umstand nicht bewußt war. Hier sind die Schutzpflichten, die für die Arbeitnehmerseite bestehen, höher zu bewerten als in dem oben beschriebenen "Normalfall". Diese Annahme stützt der Vergleich mit dem Kündigungsschutzprozeß. Der Auflösungsantrag des Arbeitgebers ist nicht gestattet, wenn die Wirksamkeit der Kündigung aus anderen Gründen als der Sozialwidrigkeit scheitert, § 13 Abs. 3 KSchG. Die §§ 9, 10 KSchG sind auf verbotswidrige Kündigungen nicht anwendbar. Aufhebungsverträge, die also bezwecken, ein Kündigungsverbot zu umgehen, sind grundsätzlich einer strengeren Konkordanzprüfung zu unterziehen65 , wenn dem Arbeitnehmer seine besondere Situation nicht gegenwärtig war. Das Gericht hat hier für den Einzelfall zu beurteilen, ob die praktische Konkordanz der widerstreitenden Interessen durch den Abschluß des Aufhebungsvertrages und der geleisteten Abfindungszahlung gewahrt ist. Damit drängt sich die Frage auf, ob dies für die anderen Fälle, die § 13 Abs. 3 KSchG erfaßt, gleichermaßen gelten muß. Angesprochen sind damit Verträge, bei denen eine eventuelle Kündigung wegen Treuwidrigkeit o.ä. gescheitert wäre. Dies ist zu verneinen. § 9 MuSchG oder § 15 SchwbG stellen besondere Schutzrechte dar, die eine differenzierte Behandlung rechtfertigen. Hier besitzt der Arbeitnehmer eine Eigenschaft, die die Rechtsordnung als besonders schutzwürdig erachtet, die teilweise sogar verfassungsrechtlich geschützt wird und die dem Organisationsinteresse des Arbeitgebers deshalb vorgeht. Für die anderen Fälle der sonstigen Unwirksamkeit kann das nicht in gleicher Weise gelten. Hinzu kommt ein weiteres Argument: Das Vorliegen von Kündigungsverboten kann in aller Regel rasch festgestellt werden, so daß die Interessenahwägung nicht von einer unter Umständen langwierigen Beweisaufnahme abhängig ist. Damit wird auch der Prozeßökonomie gedient. 65

A.A. Wisskirchen/Worzalla, DB 1994, S. 577, S. 578.

I. Aufhebungsvertrag

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Zusammenfassend kann die Regel aufgestellt werden, daß bei Zahlung einer Abfindung von der Wirksamkeit des Autbebungsvertrages auszugehen ist. Die Annahme, daß die praktische Konkordanz zwischen den widerstreitenden Interessen aus Artt. 2 Abs. 1, 12 Abs. l und 14 Abs. 1 GG gewahrt wurde, ist berechtigt. Auf die Höhe der Abfindung wird es bis auf den angesprochenen Ausnahmefall nicht ankommen. Ausgenommen von dieser Regel sind die Aufhebungsverträge mit Arbeitnehmern, die aufgrund einer besonderen Eigenschaft nicht ordentlich kündbar sind. bb) Aufhebungsvertrag ohne Abfindungsvereinbarung Eine andere Sachlage ist gegeben, wenn an die Aufhebung des Arbeitsvertrags keine Abfindung geknüpft ist. Hier stellt sich erneut die Frage, ob die praktische Konkordanz der widerstreitenden Grundrechtsgüter aus Artt. 2 Abs. 1, I2 Abs. I und 14 Abs. 1 GG gewährleistet ist. Fraglich ist, welche typisierende Fallgruppen herausgearbeitet werden können. Von dem Vorliegen eines angemessenen Interessenausgleichs ist auszugehen, wenn der Aufhebungsvertrag innerhalb der ersten sechs Monate des Arbeitsverhältnisses abgeschlossen wird. Während dieser Zeit bestünde auch noch kein Kündigungsschutz für den Arbeitnehmer (§ 1 Abs. I KSchG). Der Gesetzgeber hat den Wertungsstreit für die Frage des Kündigungsrechts zugunsten des Arbeitgebers entschieden. Eine Überschreitung seiner Gestaltungsmacht kann darin nicht gesehen werden. Diese Zeit wird allgemein als Zeit der Erprobung des Arbeitnehmers angesehen, in der seine Bestandsschutzinteressen zurückzutreten haben. Es ist legitim, diese Wertungsentscheidung des Gesetzgebers beim Aufhebungsvertrag zu berücksichtigen, zumal dies auch unter dem Gesichtspunkt der Einheit der Rechtsordnung geboten ist. Keine Inhaltskontrolle besteht somit ebenfalls bei Aufhebungsverträgen in Kleinbetrieben (§ 23 Abs. 1 S. 2 KSchG). Die relative Kündigungsfreiheit strahlt auf diese Bereiche aus. Solange der Arbeitgeber auf die Kündigung relativ unbeschränkt zurückgreifen könnte, ohne daß von einer Verletzung der praktischen Konkordanz ausgegangen werden kann, kann eine solche Verletzung bei weniger einschneidenden Maßnahmen nicht unterstellt werden. Grundsätzlich ist eine andere Konkordanzabwägung indessen erforderlich, wenn der Arbeitnehmer an sich dem allgemeinen Kündigungsschutz unterliegt. Hier setzt die Einzelfallabwägung ein. Generell überwiegt das Interesse des Arbeitgebers (Artt. 12 Abs. 1, 14 Abs. 1, 2 Abs. 1 GG), wenn sachliche Gründe vorliegen, die den Aufhebungsvertrag bedingen. Zu nennen ist etwa der Aufhebungsvertrag, weil Drittmittel oder eine AHMFinanzierung weggefallen sind oder der Arbeitsplatz aus betriebsbedingten 15 Gamillschcg

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Teil G: Die Gewährleistungen der Grundrechte und ihre Umsetzung

Gründen weggefallen ist oder wegfallen wird, oder die Üblichkeil bei bestimmten branchenspezifischen Anforderungen im Unterhaltungssektor und in einigen Medien. Die Interessen des Arbeitnehmers werden bei Vorliegen solcher sachlichen Gründe zurücktreten müssen. Dies gilt auch dann, wenn dem Arbeitgeber beim Abschluß des Aufhebungsvertrages ebenso ein Kündigungsgrund zur Seite gestanden hätte. Die Abwägung kann sich wieder zu Gunsten des Arbeitnehmers verschieben, wenn besondere Gründe auf seiner Seite hinzutreten. Zu denken ist beispielsweise an den Aufhebungsvertrag mit besonders schutzbedürftigen Arbeitnehmern, für die ein Kündigungsverbot besteht. Es ist die Aufgabe der Richter, unter Würdigung der Umstände des Einzelfalles festzustellen, ob der Arbeitnehmer einen für ihn so ungewöhnlich belastenden Vertrag abgeschlossen hat, daß es einer Korrektur von außen bedarf. Lag eine Situation vor, aus der der Arbeitnehmer aus unterlegener Position seinen Arbeitsplatz ohne Gegenleistung aufgegeben hat, obwohl eine besonders verstärkte Schutzpflicht gemäß Art. 12 Abs. 1 GG bestand, an deren Seite unter Umständen noch andere verfassungsrechtliche Gewährleistungen hinzutraten (beispielsweise Art. 6 Abs. 4 GG), so muß das Arbeitgeberinteresse zurückgedrängt werden66. c) Prozessuale Geltendmachung Gebotene Klageart ist die Klage auf Feststellung nach § 256 ZPO, daß das Arbeitsverhältnis weiter besteht. Es bleibt die Frage, in welcher Zeit sie erhoben werden muß. Die Nähe zur Anfechtung gemäß § 123 BGB könnte an eine analoge Anwendung des § 124 BGB denken lassen. Die dort festgelegten Fristen sind jedoch für das Arbeitsrecht zu lang. Die Rechtspre66 Die Ergebnisse entsprechen damit denen, die bei der Befristungskontrolle des Arbeitsvertrags gefunden werden. Dies mag zwar auf den ersten Blick befremdlich wirken, da die Befristungskontrolle mit dem Gedanken der objektiven Gesetzesumgehung begrundet wird (dazu sogleich unter nachfolgend II.). In der Sache handelt es sich jedoch auch hier um Wertungen, die dogmatisch nur mit der praktischen Konkordanzprufung begrundet werden können, so daß sich gleiche Ergebnisse einstellen können. Selbst nach dem Verständnis der Literatur, die zwar nicht auf Konkordanzabwägungen zuruckgreift, sondern mit dem allgemeinen Instrument der Inhaltskontrolle arbeitet, handelt es sich bei der Befristungsrechtsprechung nicht mehr um eine Kontrolle wegen einer Gesetzesumgehung, sondern um eine "Inhaltskontrolle". Fastrich, Richterliche Inhaltskontrolle im Privatrecht (1992) S. 171, hat festgestellt, daß eine Orientierung an den gesetzlichen Wertungen, wie das ·Bundesarbeitsgericht sie vornimmt, ein typisches Merkmal der Inhaltskontrolle ist. "Sie (die Inhaltskontrolle) geht von einer generellen Einschränkung der Vertragsfreiheit aus, auf deren Grundlage vertragliche Vereinbarungen nicht mehr bis zur Grenze der Sittenwidrigkeit, sondern nur noch im Rahmen des wesentlich engeren Maßstabs des Verbots unangemessener Benachteiligung anerkannt werden."

II. Befristete Arbeitsverhältnisse

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chung hat sich von ihnen zwar noch nicht ausdrücklich gelöst, doch erscheint es als irreal, würde ein Arbeitgeber oder Arbeitnehmer wirklich einmal die Jahresfrist voll ausschöpfen wollen. Näher liegt und empfiehlt sich die analoge Anwendung des § 4 KSchG, die nunmehr auch für die Bestreitung der Wirksamkeit einer Befristung (§ I Abs. 5 BeschFG; nunmehr § 17 Tz BfG), eingeführt worden ist. Der Arbeitnehmer hat mithin innerhalb von drei Wochen Klage auf Feststellung zu erheben, daß der Aufhebungsvertrag das Arbeitsverhältnis nicht aufgelöst hat. Haben sich durch die Umstände die Beziehungen zwischen den Parteien so verhärtet, daß eine weitere gedeihliche Zusammenarbeit nicht zu erwarten ist, ist zu überlegen, auf die Grundsätze der §§ 9, 10 KSchG entsprechend zurückzugreifen, sofern der Aufhebungsvertrag als unwirksam angesehen wird. Der Schutzpflicht aus Art. 12 Abs. 1 GG wäre mit einer solchen Handhabung Rechnung getragen.

II. Befristete Arbeitsverhältnisse66a Neben dem Aufhebungsvertrag ist insbesondere noch der befristete Arbeitsvertrag ein probates Mittel für die Arbeitgeberseite, Arbeitsverhältnisse zu unterhalten, die nicht unter dem Schutz des allgemeinen und besonderen Kündigungsschutzes stehen. Da das Arbeitsverhältnis mit dem Endzeitpunkt ausläuft, bedarf es hierzu keiner Kündigung. Rechtslehre und Praxis sahen und sehen deshalb keine Möglichkeit, Schutznormen anzuwenden, die auf die Kündigung abstellen; ebenso entfallt die Einhaltung der Kündigungsfrist67 • Auch hier gilt es zu prüfen, ob Kontrollmechanismen anzuwenden sind, die dem Schutzpflichtauftrag der Verfassung Rechnung tragen. 1. Allgemeines Die Rechtsprechung zur Befristung des Arbeitsvertrags ist das älteste und zahlenmäßig wohl wichtigste Beispiel dafür, daß die Konkretisierung des Bestandsschutzgedankens nicht auf den Bereich des Kündigungsschutzgesetzes beschränkt ist. Ausgangspunkt ist § 620 BGB. Die Vorschrift ist im wesentlichen seit 1900 unverändert geblieben. Sie erweckt den Anschein, als sei der befristete Arbeitsvertrag die Normalform des Arbeitsvertrags. Dabei ist zu bedenken, daß es 1900 einen Bestandsschutz noch nicht gegeben hatte, so daß die Befristung den Arbeitnehmer insofern gegenüber dem 66• Seit dem 01.01.2001 ist das Gesetz über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverhältnisse in Kraft, das an die Rechtsprechung des BAG anknüpft. 67 BAG v. 22.09.1961 AP Nr. 20 zu§ 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag; Staudinger/Preis, § 620 Rdz. 2; KR-Lipke, § 620 BGB Rdz. 14. 15*

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Teil G: Die Gewährleistungen der Grundrechte und ihre Umsetzung

unbefristeten Vertrag geschützt hat, als eine ordentliche Kündigung in dieser Zeit ausgeschlossen war. Eine gegenteilige Vereinbarung ist zwar zulässig, doch scheint das nicht die Regel zu sein. Regelmäßig ist die ordentliche Kündigung bei einer echten Befristung sogar ausgeschlossen68 . Mit den Beschränkungen der Kündigung, insbesondere mit dem Angestelltenkündigungsschutzgesetz vom 09.07.192669, tauchten sodann die Versuche auf, den Schutz durch Aneinanderreihung befristeter Verträge ("Kettenvertrag") zu umgehen. Schon das Reichsarbeitsgericht hat den "Kettenverträgen" einen Riegel vorgeschoben. Anfangs verlangte man noch den Nachweis einer Umgehungsabsicht70. Dieser Nachweis scheiterte jedoch sehr bald an der Schwierigkeit, eine innere Tatsache gerichtsverwertbar darzutun. Damit war der weitere Gang vorgezeichnet. Der Große Senat des Bundesarbeitsgerichts hat den Gedanken der Umgehung, nunmehr des Kündigungsschutzgesetzes, aufgegriffen und schon auf die erste Befristung ausgedehnt71. Es hat von Anfang an die objektive Umgehung genügen lassen, nach einer Absicht der Umgehung nicht gefragt. Die Praxis72 beruft sich in einer großen Zahl weiterer Entscheidungen und in immer wiederkehrender Formulierung darauf, die Umgehung des Gesetzes könne nicht erlaubt sein, ohne dies jedoch konsequent durchzuhalten73. So entscheidet letzten Endes nicht so sehr die Umgehung des Gesetzes selbst, als der im allgemeinen Raum der Gerechtigkeit angesiedelte Wunsch, dem Arbeitnehmer dort den Bestandsschutz zu sichern, wo nicht einzusehen ist, daß es daran fehlen soll. Heute ist dieser allgemeine Gerechtigkeitsgedanke mit der Schutzpflicht aus Art. 12 Abs. 1 GG zu begründen. Als der Große Senat seine Entscheidung gefällt hat, hatte sich die Erkenntnis von Art. 12 Abs.l GG als dem eigentlichen Arbeitnehmergrundrecht noch nicht durchgesetzt. Es bestand vielmehr die Tendenz, den Schutzpflichten bezüglich der Arbeitgeberinteressen aus Artt. 12 Abs. I und 14 Abs. 1 GG den Vorrang einzuräumen. Eine andere Ansicht sieht in der Rechtsprechung zur Befristung lediglich eine teleologische Reduktion des § 620 BGB, um Wertungswidersprüche zu § 1 KSchG zu vermeiden74. Der Unterschied der Meinungen ist unbedeu-

Staudinger/Preis, § 620 Rdz. 4; Säcker, RdA 1976, S. 91, S. 92. RGBI. I S. 399. 70 RAG v. 09.04.1930 ARS 9, S. 350; v. 02.03.1932 ARS 16, S. 66. 71 BAG GS v. 12.10.1960 AP Nr. 16 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag. 72 BAG GS a.a.O.; BAG v. 25.06.1987 AP Nr. 14 zu§ 620 BGB Bedingung; v. 25.01.1973 AP Nr. 37 zu§ 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag. 73 Staudinger/Preis, § 620 Rdz. 35ff. m.w.N. 74 Hueck/v. Hoyningen-Huene, § I KSchG Rdz. 560; Oetker, Anm. zu BAG v. 26.08.1988 EzA § 620 BGB Nr. 102 unter 1.3. 68

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II. Befristete Arbeitsverhältnisse

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tend. Maßstab der Reduktion, ihr "telos", ist wiederum die Konkretisierung, die Art. 12 Abs. 1 GG in § 1 KSchG gefunden hat. Von Hoyningen-Huene75 wendet sich gegen die Einbeziehung von Art. 12 Abs. 1 GG in diese Überlegungen. Er stützt sich dabei gerade auf die Warteschleifenentscheidung des Bundesverfassungsgerichts76, in der das Bundesverfassungsgericht ausspricht, die Berufsfreiheit des Arbeitnehmers sei durch das Kündigungsschutzgesetz "hinreichend gesichert". Damit wird jedoch in die Entscheidung etwas hineingelegt, was aus ihr nicht abgeleitet werden kann. Es ist vielmehr anzunehmen, daß das Gericht die Befristung und die anderen Ausstrahlungen des Art. 12 Abs. 1 GG nicht in seine Überlegungen einbezogen hat, es hatte dazu keine Veranlassung gehabt. Das Gericht wollte lediglich abwehren, die vom Kündigungsschutzgesetz bewußt offen gelassenen Lücken mit den Generalklauseln aufzufüllen. Wäre die Ansicht von v. Hoyningen-Huene zutreffend, wäre der Befristungsrechtsprechung insgesamt der Boden entzogen. Es ist daher festzustellen, daß sich auch die Frage nach der Wirksamkeit einer Befristung danach entscheidet, ob die praktische Konkordanz der widerstreitenden Verfassungsgüter aus Art. 12 Abs. 1 und Artt. 12 Abs. 1, 14 Abs. 1 GG gewahrt ist und die Rechtsordnung ihren entsprechenden Schutzpflichtaufträgen in angemessener Weise nachkommt.

2. Sachlicher Grund Auf der Grundlage der Konkordanzabwägung ist es deshalb mittlerweile zu Gewohnheitsrecht geworden77, daß der Arbeitsvertrag als Unterform des Dienstvertrags zwar grundsätzlich gemäß § 620 BGB befristet werden kann, daß die Befristung aber auf einem sachlichen Grund beruhen muß. In § 10 Abs. 1 S. 2 AÜG hat der Gesetzgeber die Rechtsprechung mittelbar anerkannt. Fehlt es an einem sachlichen Grund, so würde, wie das Gericht immer wieder betont, dem Arbeitnehmer der Schutz zwingender Kündigungsschutznormen entzogen; dies sei eine objektiv funktionswidrige und deshalb mißbräuchliche Vertragsgestaltung mit der Folge, daß sich der Arbeitgeber für den Ablauf des Arbeitsverhältnisses auf die Befristung nicht berufen könne78 • Praktische Konkordanz zwischen den Grundrechtsgütern muß zum maßgeblichen Zeitpunkt des Abschlusses des Arbeitsvertrages vorliegen. In nur schwer überschaubarer Kasuistik hat das BundesarHueck/v. Hoyningen-Huene, § I KSchG Rdz. 560b. V. 24.04.1991 E 84, 133, S. 146. 77 BAG v. 29.08. 1979 AP Nr. 50 zu § 620 Befristeter Arbeitsvertrag (1. LS); MüKo - Schwerdtner, § 620 Rdz. 12; MünchArbR/Wank, § 116 Rdz. 5; Kittner/ Däubler/Zwanziger, § 620 Rdz. 16; KR-Lipke, § 620 Rdz.IO; nun§ 14 Tz BfG. 75

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beitsgericht eine Reihe von typischen Befristungsgründen anerkannt79• Sie sind bei näherem Zusehen gewissermaßen und mit allen Vorbehalten vorweggenommene Kündigungsgründe. Ein sachlicher Grund ist zu bejahen, wenn der Arbeitgeber bereits bei Vertragsschluß "fiktiv" aus diesem Grund hätte kündigen können 80 . Ein sachlicher Grund ist die Erprobung des Arbeitnehmers 81 • Die Probezeit muß angemessen sein. Ist sie länger als für solche Arbeiten üblicherweise nötig, so verliert die Befristung ihre Wirksamkeit; sie gelten zu lassen, wäre ein Übermaß. In Anlehnung an das Kündigungsschutzgesetz ist die Kontrolle auf einen sachlichen Grund insgesamt entbehrlich, wenn der Vertrag nicht länger als ein halbes Jahr dauern soll, denn innerhalb dieser Frist kann der Arbeitgeber ohnehin ohne Angabe von Gründen kündigen 82 . Die Rechtsprechung übernimmt hier die Wertung des Gesetzgebers, dem beim Ausgleich der widerstreitenden Grundrechtsgüter ein weiter Gestaltungsspielraum zusteht. Bereits im Bereich des Aufhebungsvertrages ohne Abfindungsvereinbarung wurde für die Bestimmung der Wertungsmaßstäbe bei der Herstellung der praktischen Konkordanz hierauf zurückgegriffen83 . Auch für den Bereich der befristeten Arbeitsverträge ist dieser Rückgriff sachgerecht. Die Interessenlage ist vergleichbar, und das Bemühen um eine einheitliche Rechtsordnung fordert eine einheitliche Handhabung. Keine Anwendung soll die Befristungsrechtsprechung ebenfalls auf den Kleinbetrieb finden. Nach Ansicht der Literatur ist in diesem Fall keine Kontrolle erforderlich, da der Arbeitgeber wiederum, statt sich auf die Befristung zu berufen, ohne Angabe von Gründen kündigen könne, mithin läge kein Umgehungstatbestand vor84 • Auch hier entsprechen sich die Ergebnisse vom Umgehungsverbot und praktischer Konkordanz. Der Interessenausgleich, wie ihn der Gesetzgeber im Rahmen des § 23 Abs. I KSchG vorgenommen hat, strahlt auf vergleichbare Situationen aus. Die Einheit der Rechtsordnung gebietet es, daß die Entscheidungen insoweit zu respektieren sind. Ein anderer häufiger Grund für eine Befristung ist die Einstellung zu vorübergehender Aushilfe oder Vertretung85 oder für eine zeitlich begrenzte 78 BAG v. 12.10.1960 AP Nr. 16 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag; v. 24.04.1996 AP Nr. 180 a. a.O. ; ständige Rechtsprechung; Dieterich, NZA 2000, s. 857. 79 Zu diesem Vorwurf Frohner/Pieper, ArbuR 1992, S. 97, S. 101. so So Hueck/v. Hoyningen-Huene, § 1 KSchG Rdz. 561a. SI BAG v. 31.08.1994 AP Nr. 163 zu§ 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag unter II.2. 82 BAG v. 12.09.1996 AP Nr. 182 zu§ 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag. 83 Siehe oben G. 1.6.b)bb). 84 KR-Lipke, § 620 BGB Rdz. 95a; KR-Weigand, § 23 Rdz. 57.

II. Befristete Arbeitsverhältnisse

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Arbeitsaufgabe86, so wie im öffentlichen Dienst in dem Fall, daß eine Haushaltsstelle nur befristet zur Verfügung steht87 . Die genannten Fälle sind alle Beispiele dafür, daß in der Abwägung das Unternehmerische und organisatorische Interesse des Arbeitgebers, wie es durch Artt. 12 Abs. 1 und 14 Abs. 1 GG geschützt wird, schwerer wiegt als das geschützte Interesse des Arbeitnehmers an Bestandsschutz (Art. 12 Abs. 1 GG). Sachlicher Grund ist auch der vorauszusehende Wegfall des Arbeitsplatzes; das Bestandsschutzinteresse des Arbeitnehmers kann indessen dann wieder das Unternehmerinteresse überwiegen, wenn die Versetzung des Arbeitnehmers innerhalb des Betriebs oder des Unternehmens möglich ist. Auch die Rechtsprechung erkennt einen Befristungsgrund nur an, wenn der Einzustellende voraussichtlich nicht auf eine andere Stelle im Betrieb oder Unternehmen versetzt werden könnte 88. Das Interesse des (in der Regel öffentlichen) Arbeitgebers daran, den Arbeitsplatz nach einer gewissen Zeit für den nächsten Bewerber freizumachen, ist in bestimmten Fällen ebenfalls anerkannt worden89 ; die Rotation insbesondere im wissenschaftlichen Bereich ist ein wichtiger Belang der Allgemeinheit, wie durch das Hochschulrahmengesetz für einen engeren Bereich dargetan wird (§ 57 a HRG). Im allgemeinen kann eine Befristung jedoch nicht damit gerechtfertigt werden, der Arbeitsplatz solle nach Ablauf einem anderen Bewerber zur Verfügung gestellt werden. Die gerechte Verteilung der Arbeitsplätze ist ein öffentliches Anliegen, keine Aufgabe des privaten Arbeitgebers90. Dieses Argument kann im Rahmen der Konkordanzabwägung also grundsätzlich nicht berücksichtigt werden. Umstritten sind die Fälle, in denen die Befristung damit begründet wird, daß nach einer gewissen Zeit die Fähigkeit zur Erfüllung der Arbeitsaufgabe nachläßt, sogenannter Verschleißtatbestand91 . Ein Beispiel ist etwa der Rundfunksprecher für Indien92 oder der Sporttrainer für Spitzensportler93 . 85 BAG v. 22.11.1995 AP Nr. 178 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag - In AP Nr. 192 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag (v. 24.09.1997) ließ das Gericht die Befristung mit dem Ausscheiden des vertretenen Arbeitnehmers enden. Kritisch dazu Hunold, DB 1998, S. 1963 ff. 86 BAG v. 11.12.1991 AP Nr. 145 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag; v. 03.11.1999 BB 2000, S. 1247f. 87 BAG v. 12.02.1997 AP Nr. 187 zu§ 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag. 88 BAG 3.12.1997 AP Nr. 196 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag (damit entfallt in einem Großunternehmen für eine austauschbare Funktion die Befristung praktisch überhaupt!). 89 BAG v. 31.10.1974 AP Nr. 39 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag, (Kemforschungszentrum). 90 BAG v. 08.09.1983 AP Nr. 77 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag. 91 KR-Lipke, § 620 BGB Rdz. 187ff. 92 BAG v. 25.01.1973 AP Nr. 37 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag.

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Teil G: Die Gewährleistungen der Grundrechte und ihre Umsetzung

Die Rechtsprechung schwankt, vielfach wird die Befristung aus diesem Grund nicht anerkannt94 • Untersucht man diese Fälle vor dem Hintergrund der praktischen Konkordanz, so hängt es davon ab, ob ein besonderes betriebliches und organisatorisches Interesse des Arbeitgebers, das im Schutzbereich der Artt. I 2 Abs. I, I4 Abs. I anzusiedeln ist, im konkreten Fall gegeben ist. Ist dies zu bejahen, so wiegen die Interessen des Arbeitgebers höher als die Interessen des Arbeitnehmers, wie sie Art. I 2 Abs. I GG schützen soll, so daß die Befristung gerechtfertigt ist. Dieterich verlangt, daß der Befristungsgrund deutlich hervortritt und die Beschäftigungsdauer darauf abgestimmt ist. Auf keinen Fall dürfte der gesetzliche Arbeitsplatzschutz gänzlich außer Kraft gesetzt werden95 . Einen Verschleißtatbestand allgemeiner Art bildet die Erreichung des 65. Lebensjahrs96• Von einem Verlust der körperlichen Leistungsfähigkeit ist hier auszugehen, so daß der Vorrang der arbeitgeberseiligen Interessen pauschal anzunehmen ist. Korrespondierend zu diesem Ergebnis der praktischen Konkordanz wird auch in der Befristungsrechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts das Erreichen der Altersgrenze des Arbeitnehmers als sachlicher Grund anerkannt97 . Die Rechtsprechung billigt Befristungen in Bereichen, wo dies "üblich" ist98 . Wichtigstes Beispiel ist das Arbeitsrecht der Bühne99. Die praktische Konkordanz kommt hier zu denselben Ergebnissen. Es ist Art. 5 Abs. 3 GG, Freiheit der Kunst und damit der Tendenzcharakter des Unternehmens, in die Gesamtabwägung einzubeziehen, so daß sich die Position des Arbeitgebers gegenüber der des Arbeitnehmers verbessert 100. Anerkannt sind ebenso die Fälle zum Schutze der Rundfunkfreiheit 101 • Hier ist es Art. 5 BAG v. 29.10.1998 NZA 1999, S. 646f.; Dieterich, NZA 2000, S. 857ff. Vgl. BAG v. 19.08.1981 AP Nr. 59 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag. (Universitätslektor) 95 NZA 2000, S. 857, 861. 96 Staudinger/Preis, § 620 Rdz. 137ff. 97 BAG v. 21.04.1977 AP Nr. I zu § 60 BAT. Andere Fälle sind: Einstellung zur Promotion, BAG v. 27.01.1988 AP Nr. 6 zu§ 620 BGB Hochschule; v. 30.09.1981 AP Nr. 62 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag; ABM-Mittel, v. 12.06.1987 AP Nr. 114 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag; soziale Auslauffrist, v. 03.10. 1984 AP Nr. 88 zu§ 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag; v. 22.02.1984 AP Nr. 80 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag. 98 Zum richtigen Verständnis von "Üblichkeit", s. Dieterich, NZA 2000, S. 857, S. 859. 99 BAG v. 23.1 0. 1993 AP Nr. 45 zu § 611 BGB Bühnenengagementsvertrag; v. 26.08.1998 NZA 1999, S. 442f.; umfassend Germelmann, ZfA 2000, S. 149ff.; KRLipke, § 620 BGB Rdz. 195 ff. 100 Germelmann, ZfA 2000, S. 149, S. 152f. mit Verweis auf die einschlägigen tariflichen Bestimmungen dieses Bereichs und deren Auflagen. 101 Statt aller BVerfG v. 18.02.2000 NZA 2000, S. 653 ff. m. w. N. für die Rechtsprechung des BAG. 93

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II. Befristete Arbeitsverhältnisse

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Abs. 1 S. 2 GG, der das Recht der Rundfunkanstalten bestimmt, frei von fremdem, insbesondere staatlichem Einfluß über die Auswahl, Einstellung und Beschäftigung der Mitarbeiter zu bestimmen 102• Der Arbeitnehmer ist aber in jedem Fall vor zu großer Unsicherheit zu bewahren. Das gebietet die Schutzpflicht aus Art. 12 Abs. 1 GG, insbesondere der persönlichkeitsbezogene Aspekt der Arbeit. Deshalb kann die Bestimmung des Endtermins des Arbeitsverhältnisses nach dem Kalender erfolgen oder auf ein zukünftiges Ereignis abstellen. Das Ende der Arbeitsaufgabe muß jedoch konkret faßbar sein 103. Das bedeutet, daß dieser Zeitpunkt irgendwie absehbar sein muß; ist das nicht der Fall, ist für eine Befristung kein Raum. Keine Befristungsgründe stellen nach Ansicht des Bundesarbeitsgerichts allgemeine wirtschafts-, arbeitsmarkt- und sozialpolitische Erwägungen dar. So hat es allgemeine haushaltsrechtliche Überlegungen 104, konjunkturelle Unsicherheiten 105, generelle Einsparungen 106, Dauervertretungen für eine Vielzahl von Personen 107, allgemeine beschäftigungspolitische Gründe 108 oder Drittinteressen 109 nicht als sachliche Rechtfertigungen für eine Befristung anerkannt. Damit würde nur das Wirtschaftsrisiko auf den Arbeitnehmer verlagert werden 110• Die Rechtsprechung entspricht insoweit den Ergebnissen der praktischen Konkordanz. Ein Vorrang der unternehmensehen Belange vor den Interessen der Arbeitnehmer ist nicht zu erkennen, da die Befristungsgründe zum Risiko der Aufgabe gehören, die dem Unternehmer gestellt ist, für die er die Verantwortung trägt, und die ihn umgekehrt dazu ermächtigt, den Gewinn für sich abzuschöpfen. Ist von der Wahrung der praktischen Konkordanz nicht auszugehen, so geht die Sinnerfüllung des Art. 12 Abs. 1 GG nicht weiter als der Schutzzweck dieser Vorschrift. Der Arbeitgeber kann sich auf den Fristablauf nicht berufen. Eine vollständige Verwandlung des Arbeitsvertrags in einen

BVerfG a. a. 0. S. 653 f. BAG v. 03.11.1999 NZA 2000, S. 726; sachlicher Grund deshalb abgelehnt: BAG v. 08.07.1998 NZA 1998, S. 1279f.; v. 24.09.1997 AP Nr.l92 zu§ 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag, bzw. nur im Ausnahmefall angenommen: BAG v. 12.01. 2000 NZA 2000, S. 722. 104 BAG v. 27.01.1988 AP Nr. 116 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag. 105 BAG v. 09.07.1981 AP Nr. 4 zu § 620 BGB Bedingung. 106 BAG v. 29.08.1979 AP Nr. 50 zu§ 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag. 107 BAG v. 03.10.1984 AP Nr. 87 zu§ 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag. 108 BAG v. 24.02.1988 AP Nr. 118 zu§ 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag; Bedarfsschwankungen: v. 16.10.1987 AP Nr. 5 zu § 620 BGB Hochschule. 109 BAG v. 03.07.1970 AP Nr. 33 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag. 110 Hueck/v. Hoyningen-Huene, § I KSchG Rdz. 564b. 1°2

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unbefristeten Vertrag findet allerdings nicht statt: Der Arbeitnehmer kann sich deshalb aus der Bindung an die Frist nicht vorzeitig lösen 111 . 3. Maßgeblicher Zeitpunkt für den sachlichen Grund Für die Frage, auf welchen Zeitpunkt es für die Bewertung des sachlichen Grundes ankommt, sind zwei Fälle zu unterscheiden: a) Es kann sein, daß bei Abschluß der Befristungsahrede ein sachlicher Grund gefehlt hatte. Der Arbeitgeber hat etwa eine vage Unsicherheit der künftigen Entwicklung zum Anlaß der Befristung genommen. Daß sich diese Befürchtung während der Dauer des Arbeitsverhältnisses dann verwirklicht, vermag die Befristung nachträglich nicht zu rechtfertigen. Ob der sachliche Grund gegeben ist, ist für den Zeitpunkt des Vertragsschlusses hin zu überprüfen. Dies gebietet die Rechtssicherheit und entspricht dem Ergebnis des widerstreitenden Interessenausgleichs. Die Unsicherheit des Befristungsgrundes ist den Unternehmerischen Risiken zuzuordnen und kann den Ausgleich nicht zu seinen Gunsten entscheiden. Der herrschenden Meinung112 ist für solche Fälle zuzustimmen. b) Möglich ist ebenfalls, daß der Befristungsgrund nachträglich weggefallen ist. Die Stelle im Haushalt wurde nachträglich verlängert 113, die ursprünglich gekündigten Drittmittel sind dann doch noch bewilligt worden. Dem Wert des Art. 12 Abs. 1 GG entspricht es, diese nachträgliche Entwicklung zugunsten des Arbeitnehmers zu berücksichtigen. Eine Kündigung wäre an dieser Stelle ebenfalls sozialwidrig. Die herrschende Meinung entscheidet jedoch anders 114• Sie stellt ebenfalls auf den Zeitpunkt des Vertragsschlusses ab. Von Hoyningen-Huene 115 begründet das wie folgt: "Andernfalls wäre dem Zufall Tür und Tor geöffnet, weil Rechtfertigungsgründe jederzeit eintreten oder wegfallen können". Die Begründung überzeugt nicht. Hinter ihr steht das Bedürfnis nach Rechtssicherheit, also im Kanon der Werte, an denen die praktische Konkordanz sich ausrichtet, das Planungs- und Organisationsrecht des Arbeitgebers. Es kann hier diesen Stellenwert nicht beanspruchen. Die Arbeit als solche wird fortgesetzt, und BAG v. 02.12.1965 AP Nr. 27 zu§ 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag. BAG v. 08.09.1983 u. v. 22.03.1985 AP Nr. 77, 89 zu§ 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag; LAG Düsseldorf v. 15.02.2000 NZA - RR 2000, S. 456; Staudinger/Preis, § 620 Rdz. 93. 113 So im Ausgangsfall BAG v. 12.10.1960 AP Nr. 16 zu§ 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag. 114 BAG v.08.09.1983 AP Nr. 77 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag; Staudinger/Preis,§ 620 Rdz. 93. 115 Hueck/v. Hoyningen-Huene, § I KSchG Rdz. 575 m. w.N. 111

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es spricht sogar eine Vermutung dafür, daß der Arbeitgeber im Normalfall den eingearbeiteten Mitarbeiter behalten wird. Tut er das nicht, sondern beruft er sich auf den Ablauf der Frist, so entsteht der Verdacht, daß er in Wahrheit andere Gründe hat. Haben diese die Qualität eines Kündigungsgrundes, so ist zu verlangen, daß er sie aufdeckt und entsprechend kündigt. Die herrschende Meinung ist ebenfalls mit der neueren Rechtsprechung schwer vereinbar, die dem Arbeitnehmer einen Anspruch auf Wiedereinstellung gibt, wenn der Kündigungsgrund während der Kündigungsfrist weggefallen ist 116 • 4. Erleichterte Befristungsmöglichkeiten a) Jüngere Gesetzgebung

Mit der skizzierten Rechtsprechung waren und sind viele Unsicherheiten für die Praxis verbunden. Sie haben die Forderung laut werden lassen, die Befristung wieder zu erleichtern; man meint, daß gerade der kleinere oder mittlere Arbeitgeber, der ein Unternehmen gründen will und sich über seine Zukunft nicht sicher sei, sich selbst vor einer nur befristeten Neueinstellung scheue, weil er nicht voraussehen könne, ob die Befristung anerkannt werde 117• Deshalb ist 1985 das Beschäftigungsförderungsgesetz ergangen, das in § 1 einmalig den Abschluß eines auf die Dauer von bis zu 18 Monaten befristeten Arbeitsvertrages von der Notwendigkeit eines sachlichen Grundes entbunden hat, wenn der Arbeitnehmer entweder neu eingestellt wurde oder er im unmittelbaren Anschluß an die Berufsausbildung nur vorübergehend weiterbeschäftigt wurde. Bei neu gegründeten Unternehmen oder bei Arbeitgebern mit weniger als 21 Arbeitnehmern (ohne Auszubildende) war die zulässige Höchstdauer auf 24 Monate erhöht (§ 1 Abs. 1 S. 1. Abs. 2 BeschFG). Ziel des Gesetzes war, die Schaffung zusätzlicher Beschäftigungsmöglichkeiten zu erleichtern. Der Arbeitgeber sollte zum Angebot befristeter Arbeitsverträge statt Überstunden oder sonstiger Maßnahmen ermutigt werden; ebenso erhoffte man sich einen Abbau der erwähnten Scheu vor Neueinstellungen, die durch die Vorstellungen von einem unüberwindbaren und auf jeden Fall teuren Kündigungsschutz hervorgerufen wurden 118• Das Beschäftigungsförderungsgesetz hat damals viel Widerspruch 11 9 und wenig Zustimmung 120gefunden. Die Kritik hat vor allem hervorgehoben, daß der Preis dieser erweiterten Zulassung von BefriSiehe oben D. I. Unterabschnitt V. KR-Lipke, § I BeschFG 1985 Rdz. I. 118 Begr. zum RegE. BT-Drs 10/2102, S. 15. 11 9 Kempen, ArbuR 1985, S. 374ff.; Hersehe!, ArbuR 1985, S. 265ff.; Frohner/ Pieper, ArbuR 1992, S. 97ff.; Mückenberger, NZA 1985, S. 518ff. 120 Adomeit, NJW 1989, S. 1715 ff; Löwisch, NZA 1985, S. 478ff. 116 117

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stungen eine Beschränkung des Bestandsschutzes sei. Es wurde eingewandt, selbst solche Verträge würden in Zukunft befristet werden, die sonst als unbefristete abgeschlossen würden, und man hat auf die fatalen Wirkungen hingewiesen, die die Unsicherheit des Arbeitsplatzes psychisch mit sich bringt 121 • Der Gesetzgeber aus der Koalition von CDU/CSU und FDP hat sich davon nicht beirren lassen, und es scheint, daß sich diese Gefahren nicht in dem befürchteten Maß verwirklicht haben 122 • Zusätzlich wurde eingeführt, daß für Klagen auf Feststellung der Unwirksamkeit der Befristung eine dreiwöchige Klagefrist entsprechend § 4 KSchG gilt (§ 1 Abs. 5 BeschFG) 123 • Die Frist gilt sogar unabhängig davon, ob die Befristung auf § 620 BGB in der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes oder auf § I BeschFG beruht 124• Die Geltungsdauer des Beschäftigungsförderungsgesetzes war zunächst bis zum 1.1 .1990 beschränkt worden, sie wurde indessen zweimal kurz vor ihrem Ablauf zunächst bis zum 31.12.1995 und nunmehr bis zum 31.12.2000 verlängert 125 • Durch das Arbeitsrechtliche Beschäftigungsförderungsgesetz vom 25.09.1996 126 wurde der Anwendungsbereich des Gesetzes inhaltlich sogar noch erweitert. Es war zulässig, einen Arbeitsvertrag ohne sachlichen Grund bis zu einer Dauer von zwei Jahren zu befristen. Innerhalb dieser zwei Jahre ist dreimalige befristete Verlängerung zulässig (§ 1 Abs. 1 BeschFG). Man befand, daß bei längerer Befristungsdauer sich das Verhältnis zwischen Einarbeitungszeit und produktivem Einsatz verbessere. Außerdem wurde die Chance älterer Arbeitnehmer auf eine Beschäftigung erhöht, da mit Vollendung des 60. Lebensjahrs die Begrenzung auf drei Verlängerungen und zwei Jahre entfällt (§ 1 Abs. 2 BeschFG). Gestützt werden diese Annahmen auf wissenschaftliche Untersuchungen, die bestätigen, daß sich die Befristung schon in den vergangeneo Jahren als wirksames Instrument zur Förderung von Neueinsteilungen erwiesen habe 127 . Der Frohner/Pieper, ArbuR 1992, S. 97, S. 108. Vgl. Büchtemann, RdA 1990, S. ll7ff.; Wisskirchen, DB 1998, S. 722ff. 123 BAG v. 22.03.2000 NZA 2000, S. 884. 124 BAG v. 20.01.1999 NZA 1999, S. 671; ErfK-Preis, § l BeschFG 1985 Rdz. 69. 125 Das Beschäftigungsförderungsgesetz ist in dem Gesetz über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverhältnisse aufgegangen. Die wesentlichen Grundsätze des Beschäftigungsförderungsgesetzes werden fortgeführt. Gleichzeitig soll die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zu befristeten Arbeitsverträgen gesetzlich verankert werden. Das neue Gesetz ist seit dem 0.1.0 1.2001 in Kraft. 126 BGBI. I S. 1476. 127 BT/Drs Il/4952, S. 5f.; BT/Drs 12/6719 S. 11 mit Verweisen auf Untersuchungen von 1987/88 v. Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung und Infratest Sozialforschung München und Untersuchung 1992 vom Infratest Sozialforschung München. 121

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Gesetzgeber hat damit für einen Teilbereich des Befristungsproblems den Interessenausgleich der widerstreitenden Schutzpflichten aus Art. 12 Abs. 1 und Artt. 12 Abs. 1, 14 Abs. I GG konkretisiert. Daß er dabei seinen Gestaltungsspielraum überschritten hat, ist nicht festzustellen. Es verblieb aber darüber hinaus ein relevanter weiterer Bereich, der nach wie vor dem Richterrecht zugewiesen war und der sich nach der hier vertretenen Auffassung jeweils der konkreten Konkordanzabwägung zu stellen hatte. Rechtsquellentheoretisch war dieses Nebeneinander von Gesetzes- und Richterrecht im Zivilrecht wohl einmalig. b) Verhältnis zum unbefristeten Vertrag Trotz dieser Erweiterungen der Möglichkeit zum Abschluß befristeter Verträge soll der unbefristete Vertrag der sozialpolitisch erwünschte Normalfall bleiben. Dem entspricht es, daß ein befristeter Arbeitsvertrag nach dem Beschäftigungsförderungsgesetz einen unbefristeten nicht ersetzen kann (vormals § I Abs. 3 BeschFG). Eine andere Rechtslage besteht, wenn ein unbefristeter Vertrag von einem zeitlich begrenzten Arbeitsvertrag im Sinne des § 620 Abs. I BGB abgelöst werden soll. Dies ist im Wege einer Änderungskündigung gemäß § 2 KSchG durchsetzbar. Nach einer älteren Auffassung des Bundesarbeitsgerichtes hatte eine Befristung zwar nicht Gegenstand des Änderungsschutzverfahrens sein können, da die Befristung nur auf ihren sachlichen Grund, nicht aber auf die soziale Rechtfertigung nach § I Abs. 2 geprüft werden könne 128 . Diese Begründung wurde aber als kurzsichtig kritisiert. Es gehe nicht darum, die Befristungsvereinbarung am Maßstab des § I Abs. 2 KSchG zu messen, sondern um die Frage, ob die Kündigung mit dem Angebot befristeter Weiterbeschäftigung eine Änderungskündigung sei. Davon unabhängig und zu trennen sei die Frage, ob ein sachlicher Grund gegeben sei 129 . Das Bundesarbeitsgericht hat sich dieser Kritik angeschlossen. Mit der Ablehnung der angebotenen Vertragsänderung oder deren Annahme unter Vorbehalt wird die Überprüfungsmöglichkeit der Kündigung bzw. Änderungskündigung auf ihre soziale Rechtfertigung gemäß § I KSchG eröffnet, in deren Rahmen dann gleichsam als Vorfrage der "sachliche Grund" für die Befristung zu überprüfen ist 130• Der Mindestschutz aus Art. 12 Abs. I GG bleibt so ebenfalls gewahrt. 128 BAG v. 17.5.1984 AP Nr. 21 zu§ I KSchG Betriebsbedingte Kündigung (mit ab!. Anm. v. Hoyningen-Huene). 129 Hueck/v. Hoyningen-Huene, § 2 KSchG Rdz. 9. 130 BAG v. 25.04.1996 AP Nr. 78 zu § I KSchG 1969 Betriebsbedingte Kündigung unter II. I. b); v. 08.07.1998 NZA 1999, S. 81: Befristungskontrolle auch dann erforderlich, wenn der Arbeitnehmer bereits unter allgemeinen Kündigungsschutz fällt.

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Teil G: Die Gewährleistungen der Grundrechte und ihre Umsetzung

c) Haltung der Rechtsprechung gegenüber der gesetzlichen Konkretisierung Die Haltung der Gerichte gegenüber dem Beschäftigungsförderungsgesetz war zwiespältig. Zum einen legte das Bundesarbeitsgericht bei der Auslegung des Gesetzes einen befristungsfreundlichen Maßstab an. § I Abs. I Nr. 1 BeschFG a. F. erlaubte an sich eine Befristung nur, wenn der Arbeitnehmer neu eingestellt wurde. Zur "Neueinstellung" entschied das Bundesarbeitsgericht131, daß nicht der Arbeitsplatz, sondern nur der Arbeitnehmer "neu" sein müsse. Weit wurde ebenfalls die "einmalige" Befristungsmöglichkeit des § I BeschFG ausgelegt. In der Entscheidung vom 6.12.1989 132 stellte es klar, daß ein Arbeitnehmer von demselben Arbeitgeber mehrfach eingestellt werden könne. Es müsse sich nur jeweils um eine "Neueinstellung" handeln. Eine solche liege vor, wenn zwischen den einzelnen Fristverträgen ein mindestens viermonatiger Zeitraum liege und sie im übrigen nicht in einem engen sachlichen Zusammenhang zueinander stünden. 132 a Zum anderen setzten die Gerichte dem Gesetz einen schwer greifbaren Widerstand entgegen. Ein Beispiel dieses Widerstrebens war ihre Haltung zu Tarifverträgen, die den durch die Rechtsprechung hergestellten Standard aufgenommen hatten; hier hat die Protokollnotiz Nr. 1 zu § 2 BAT SR 2y die Rechtsprechung mehrfach beschäftigt 133 . Diese Tarifnorm hatte für die Befristung ganz allgemein und in Anlehnung an die Rechtsprechung (vor Inkrafttreten des Beschäftigungsförderungsgesetzes 1985) einen sachlichen Grund gefordert. Sie waren sogenannte neutrale Regeln gewesen, die nur wiedergaben, was ohnehin geltendes Richterrecht war 134. Mit dem Beschäftigungsförderungsgesetz war ihre Geschäftsgrundlage weggefallen. Dennoch wurden sie nachher als wirksam angesehen und Befristungen aufgrund des Beschäftigungsförderungsgesetzes als solche nicht anerkannt 135• Der konkretisierenden Konkordanzabwägung des Gesetzes zu Art. 12 Abs. 1 und Artt. 12 Abs. 1, 14 Abs. I GG ist diese Rechtsprechung nicht gerecht geworden. Das Beschäftigungsförderungsgesetz war, extreme Fälle vorbehalten, nicht gegen den allgemeinen Bestandsschutz abzuwägen 136. Der Wille des Gesetzgebers war eindeutig und mußte respektiert werden. Der V. 10.6.1988 AP Nr. 5 zu§ I BeschFG 1985. AP Nr. 13 zu§ I BeschFG 1985. m a Diese Möglichkeit besteht nach dem Gesetz über Teilzeitarbeit und befristete Arbeitsverhältnisse nicht mehr. m V. 25.09.1987; v. 27.04.1988; v. 14.02.1990 AP Nr. I, 4, 12 zu§ I BeschFG 1985. 134 Gamillscheg, Anm. zu BAG v. 27.04.1988 AP Nr. 4 a.a.O. 135 BAG v. 25.09.1987; v. 27.04.1988 AP Nr. I, 4 zu § I Beschäftigungsförderungsgesetz 1985; als aktuelles Bsp. v. 03.11.1999 DB 2000, S. I468. 136 Frohner/Pieper, ArbuR I992, S. 97 S. 108f. 13 1 132

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bereits mehrfach angesprochene Gestaltungsspielraum des Gesetzgebers wurde nicht überschritten 137. Wenn ein Gericht dennoch der Ansicht ist, daß Art. 12 Abs. 1 GG verletzt ist, muß es dem Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 GG vorlegen 138 • Eine Aushöhlung des Gesetzes durch die Gerichte wie in dem oben besprochenen Beispiel war schlechterdings unvertretbar.

d) Beschäftigungsförderungsgesetz und spätere Tarifverträge Tarifliche Erschwerungen der Befristung, die nach lokrafttreten des Gesetzes vereinbart wurden, wurden nicht ausgeschlossen; diesen Schritt hat der Gesetzgeber nicht getan 139. Den Sozialpartnern stand es mithin frei, vom Gesetz abweichende eigene Anforderungen an einen befristeten Arbeitsvertrag zu stellen. Ausnahmen bestanden nur dort, wo die Vorschriften einen zweiseitig-zwingenden Charakter haben. Ein Beispiel hierfür sind die §§ 57aff. des Hochschulrahmengesetzes. Sie erleichtern im Hochschulbereich die Befristung und setzen dort für den Arbeitsvertrag gewisse Höchstfristen. Ihr Zweck ist es, den heranwachsenden Altersgruppen den Zugang zu Forschung und Ausbildung offenzuhalten. Hier steht mithin. das Interesse der dort schon Beschäftigten und die Bedeutung der Tarifautonomie gegen das öffentliche Interesse an der Rotation auf Arbeitsplätzen, von denen die wissenschaftliche Bedeutung Deutschlands abhängt, sowie das Interesse der Arbeitnehmer, die auf diese Plätze nachrücken wollen. Dieser Zielkonflikt zwischen dem Bestandsschutzinteresse einerseits und der Leistungsfähigkeit von Hochschule und Forschungseinrichtung andererseits ist nicht nur ein Ausschnitt des allgemeinen Problems der Konkurrenz von Arbeitsplatzinhabern und Arbeitslosen, sondern wird zusätzlich um ein Vielfaches durch die besondere Bedeutung von Forschung und Wissenschaft für das Allgemeinwohl (geschützt durch Art. 5 Abs. 3 GG) verschärft140. Die Bestimmung bedeutet deshalb keine Verletzung von Art. 9 Abs. 3 GG und ist auch in der Konkordanz von Art. 12 Abs. I und Artt. 12 Abs. 1, 14 Abs. I GG zulässig.

Friauf, NZA 1985, S. 513, S. 515. Gennelmann/Matthes/Prütting, ArbGG, Einleitung, Rdz. 63; Badura sieht in Art. 100 GG eine eindeutig gesetzte Grenze richterlicher Rechtsfindung, RdA 1999, s. 8, s. 9. 139 Kittner/Däubler/Zwanziger, § l BeschFG Rdz. 45. 140 BVerfG v. 24.06.1996 AP Nr. 2 zu § 57a HRG unter II. 2.; KR-Lipke, § 57a HRG Rdz. 8 ff. ; Staudinger/Preis, § 620 BGB Rdz. 209 ff. 137

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Teil G: Die Gewährleistungen der Grundrechte und ihre Umsetzung

111. Auflösend bedingter Arbeitsvertrag 141 Nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts unterscheiden sich befristungsrechtlich die Vereinbarungen als Zweckbefristung oder als auflösende Bedingung nur um den Grad der Ungewißheit, ob das als Beendigungstatbestand vereinbarte Ereignis während des Bestehens des Arbeitsverhältnisses eintreten wird 142 . Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes ging zunächst dahin, die Grundsätze der befristeten Arbeitsverträge entsprechend anzuwenden, 143 doch hat das Gericht diese Gleichstellung in seinem Urteil vom 9.7.1981 ausdrücklich aufgegeben. In diesem Urteil wurde erwogen, auflösende Bedingungen grundsätzlich für unzulässig zu erachten, sofern sie nicht vornehmlich im Interesse des Arbeitnehmers lägen oder der Eintritt der Bedingung allein von seinem Willen abhänge 144• Allerdings blieb die Frage dahingestellt, die angekündigte Rechtsprechungsänderung wurde nicht weiter verfolgt. Am 20.12.1984 145 folgte dann die Aussage, daß für Arbeitsverhältnisse unter einer auflösenden Bedingung die Grundsätze zur Zulässigkeil befristeter Arbeitsverhältnisse gelten sollen 146• Dabei ist es geblieben 147 • In den Urteilen neueren Datums 148 wird ein sachlicher Grund für die Auflösung des Arbeitsvertrages kraft auflösender Bedingung verlangt. An den sachlichen Grund werden hohe Anforderungen gestellt. Auch ist eine Auslauffrist zu beachten. Unzulässig ist eine Bedingung, wenn eine Kündigung nach §§ 134, 138 BGB unzulässig wäre 149• Der Arbeitgeber darf das Unternehmerrisiko nicht mittels einer Bedingung auf den Arbeitnehmer verlagern 150 • Anerkannt sind dagegen Bedingungen im Zusammenhang mit Einstellungshindernissen, etwa, wenn die gesundheitli141 Hueck/v. Hoyningen-Huene, § I KSchG Rdz. 597; MünchArbR/Wank, § 116 Rdz. 158ff.; MüKo-Schwerdtner, § 620 BGB Rdz. 151 ff.; Kittner/Däubler/Zwanziger, § 9 MuSchG Rdz. 9; Staudinger/Preis, § 620 BGB Rdz. 20ff; Enderlein, RdA 1998, S. 90ff.; Ernst, Aufhebungsverträge (1993) S. 143ff. 142 BAG v. 24.09.1997 AP Nr. 192 zu § 620 BGB Befristeter Arbeitsvertrag unter li. I. 143 BAG v. 17.05.1962 AP Nr. 2 zu§ 620 BGB Bedingung. 144 BAG v. 09.07.1981 AP Nr. 4 zu§ 620 Bedingung (mit ab!. Anm. Hersehe!). 145 AP Nr. 9 zu § 620 BGB Bedingung. 146 AaO unter B. I. 4. a). 147 Mit der Konsequenz, daß eine auflösende Bedingung dann nicht der weitergehenden Befristungskontrolle unterliegt, wenn ein anerkannter sachlicher Grund gegeben ("Wartezeit") ist: BAG v. 20.10.1999 NZA 2000, S. 717. 148 BAG v. 11.10.1995 AP Nr. 20 zu§ 620 BGB Bedingung unter I. a); v. 26.6. 1996 AP Nr. 23 zu 620 BGB Bedingung unter II.; v. 12.01.2000 NZA 2000, S. 718f.; 25.08.2000 NZA 2000, S. 656f. 149 BAG v. 28.11.1958 AP Nr. 3 zu Art. 6 Abs. I GG Ehe und Familie; Enderlein, RdA 1998, S. 90, S. 96. 150 BAG v. 09.07.1981 a.a.O.

IV. Bedingter Aufuebungsvertrag

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ehe Eignung noch nicht feststeht 151 oder die Zustimmung des Betriebsbzw. Personalrats noch aussteht 152. Den Konkordanzerwägungen aus Art. 12 Abs. 1 und Artt. 12 Abs. 1, 14 Abs. 1 GG ist damit hinreichend Rechnung getragen. Bei einem Streit über die Zulässigkeit der auflösenden Bedingung fand

§ 1 Abs. 5 BeschFG keine Anwendung, so daß sich der Arbeitnehmer nicht

innerhalb von drei Wochen gegen die Beendigung des Arbeitsverhältnisses durch den Eintritt der Bedingung zur Wehr setzen mußte 153.

IV. Bedingter Aufhebungsvertrag Ein Sonderproblem stellen die Aufhebungsverträge unter einer aufschiebenden Bedingung dar. Sie sind in der Wirkung den Arbeitsverträgen unter einer auflösenden Bedingung gleichzustellen. Als Beispiele seien genannt: Ein Arbeitsvertrag, der sich bei Eintritt der Schwangerschaft 154, bei Eheschließung155, beim Entzug der Lizenz des Arbeitgebers 156 oder bei einer nicht termingerechten Rückkehr des Arbeitnehmers aus dem Urlaub auflöst157. Dieselben Tatsachen können als aufschiebende Bedingung einer Aufhebung dienen. Andere Beispiele sind, daß ein alkoholgefährdeter Arbeitnehmer rückfällig wird 158 oder geringe krankheitsbedingte Fehlzeiten überschritten werden 159. Die rechtliche Wirksamkeit des aufschiebend bedingten Aufhebungsvertrags wird wie der auflösend bedingte Arbeitsvertrag beurteilt, es ist dies lediglich ein Unterschied der rechtlichen Konstruktion 160. Die obigen Ausführungen gelten an dieser Stelle entsprechend.

151 LAG Niedersachsen v. 26.02.1980 DB 1980 S. 1799; LAG Berlin v. 16.07.1990 DB 1990 S. 2223; LAG Frankfurt v. 8.12.1994 DB 1995, S. 1617. 152 BAG v. 17.2.1983 AP Nr. 74 zu§ 620 Befristeter Arbeitsvertrag. 153 BAG v. 23.02.2000 BB 2000, S. 1473f.; LAG Hessen v. 09.07.1999 NZARR 2000, S. 380, S. 382. 154 LAG Düsseldorfv. 16.06.1976 DB 1977, S. 1196. 155 BAG v. 28.11.1958 AP Nr. 3 zu Art. 6 Abs. I GG Ehe und Familie. l56 BAG v. 09.07.1981 AP Nr. 4 zu§ 610 BGB Bedingung. 157 BAG v. 19.12.1974 AP Nr. 3 zu§ 620 Bedingung; v. 13. 12.1984 AP Nr. 8 zu § 620 BGB Bedingung; v. 25.6.1987 AP Nr. 14 zu§ 620 BGB Bedingung. 158 LAG München v. 20.10.1987 NZA 1988 S. 586. 159 LAG Baden-Württemberg v. 15.10.1990 BB 1991 S. 209. 160 MünchArbR/Wank, § 115 Rdz. 10. 16 Gamillschcg

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Teil G: Die Gewährleistungen der Grundrechte und ihre Umsetzung

V. Abgenötigte Eigenkündigung Einen weiteren Auflösungstatbestand des Arbeitsverhältnisses gegen den Willen des Arbeitnehmers stellt die abgenötigte Eigenkündigung dar, da es an der Freiwilligkeit auf Seiten des Arbeitnehmers fehlt. Auch sie ist am Maßstab der praktischen Konkordanz zu messen. Der Arbeitgeber vermeidet seine Kündigung dadurch, daß er den Arbeitnehmer zur Eigenkündigung drängt. Ein typischer Fall liegt vor, wenn der Arbeitnehmer in den Verdacht einer Straftat oder einer sonstigen schweren Vertragsverletzung gerät und ihm nur die Wahl gelassen wird, die fristlose Kündigung entgegenzunehmen oder selbst zu kündigen. Vielfach kommt hinzu, daß er bedrängt wird, sich sofort zu entscheiden. Andere Umstände (Rechtfertigung vor dem Personalchef in Anwesenheit anderer Angestellter der Führungsebene, Überrumpelung, intellektuelle Unterlegenheit) sind ebenfalls denkbar 161 • Auch hier fordern die Schutzpflichten der beteiligten Grundrechte eine angemessene Abwägung. Die Fälle, in denen der Arbeitnehmer der Straftat oder der schweren Vertragsverletzung überführt ist, sind freilich nicht angesprochen. In diesen Fällen hat der Arbeitnehmer den Schutz aus Art. 12 Abs. I GG verwirkt, so daß auch Konkordanzerwägungen nicht zu seinen Gunsten getroffen werden können. Es ist aber anzunehmen, daß diese Fälle nicht allzu oft vor Gericht kommen, da der Arbeitnehmer selbst weiß, daß die Eigenkündigung die bessere Lösung für ihn war. Die Ankündigung der Entlassung mit den damit verbundenen Folgen ist eine Drohung mit einem empfindlichen Übel. Sie begründet die Anfechtung gemäß § 123 BGB, wenn sie widerrechtlich war. Ob dies der Fall ist, beurteilt die herrschende Meinung danach, ob ein verständiger Arbeitgeber die Kündigung "ernsthaft in Erwägung gezogen hätte", mithin an sein Recht zur fristlosen Entlassung glauben durfte 162• War das zu bejahen, fehlt die Widerrechtlichkeit; der Arbeitnehmer kann mithin nicht anfechten, selbst wenn sich später herausstellt, daß der Verdacht unbegründet war 163 • Die herrschende Meinung ist an dieser Stelle nicht zu billigen. Die praktische Konkordanz ist nicht gewahrt. Daß das Interesse des Arbeitnehmers aus Art. 12 Abs. 1 GG vor dem Gefühl des Arbeitgebers, verständig zu handeln, zurücktreten muß, hat keinen Sachbezug. Sein Organisationsinteresse ist nicht berührt. Der Vergleich mit der oben besprochenen Verdachtskündi161 Vgl. den Fall BAG v. 16.11.1979 AP Nr. 21 zu § 123 BGB; v. 21.03.1996 Nr. 42 ebenda; LAG Hamm LAGE§ 123 BGB Nr. 19. 162 BAG v. 30.09.1993 AP Nr. 37 zu§ 123 BGB unter I. 3. a). 163 Löwisch, vor § I KSchG Rdz. 24, 26; MünchArbR/Richardi, § 46 Rdz. 46; MünchArbR/Wank, § 115 Rdz. 31. Widersprüchlich Stahlhacke/Preis/Vossen, Kündigung und Kündigungsschutz Rdz. 153, die ebenfalls auf den verständigen Arbeitgeber abstellen, die Verständigkeit aber nur bei Vorliegen eines Kündigungsgrundes annehmen.

VI. Auflösung auf Antrag des Arbeitgebers (§ 9 Abs.l S. 2 KSchG)

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gung liegt nahe. Der Arbeitgeber kann nicht besser stehen als in dem Fall, daß er selbst kündigt und der Verdacht sich später als unbegründet herausstellt164. Die Schutzpflicht aus Art. 12 Abs. I GG für den Arbeitnehmer wirkt noch über die Beendigung des Arbeitsverhältnisses hinaus, so daß nach der Abwägung der betroffenen, einander widerstreitenden Interessen den Arbeitgeber eine Wiedereinstellungspflicht trifft, wenn sich die Unschuld des Arbeitnehmers später herausgestellt hat. Die Abwägung kann erst dann wieder ein anderes Bild ergeben, wenn dringende betriebliche Gründe der Wiedereinstellung entgegenstehen und die Einzelfallprüfung ein Überwiegen der Unternehmerischen Rechte aus Artt. 12 Abs. 1 und 14 Abs. 1 GG ergeben. Die Rehabilitation muß wie bei der Verdachtskündigung unanfechtbar sein.

VI. Auflösung auf Antrag des Arbeitgebers (§ 9 Abs. 1 S. 2 KSchG) Ein weiterer Anwendungsfall des unfreiwilligen Arbeitsplatzverlustes stellt es dar, wenn der Arbeitgeber im Prozeß einen Auflösungsantrag gemäß § 9 Abs.l S. 2 KSchG stellt und die Voraussetzungen hierfür von dem Gericht festgestellt werden. Obwohl die Antragstellung im Prozeß noch heute zur Auflösung des Arbeitsverhältnisses führen kann, ist sie dennoch beispielhaft für die Entwicklung der Bestandsschutzidee aus Art. 12 Abs. 1 GG.

1. Rechtslage vor 1951 Sowohl das Betriebsrätegesetz vom 04.02.1920 (BRG) als auch das Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit vom 20.01.1934 (AOG) ließen dem Arbeitgeber noch ein Wahlrecht zwischen der Weiterbeschäftigung oder der Zahlung einer Abfindung, wenn die Unwirksamkeit der Kündigung feststand 165 . Das Gericht hatte von Amts wegen eine Entschädigung für den Fall festzusetzen, daß der Arbeitgeber eine Weiterbeschäftigung ablehnte. Nach § 87 Abs. 2 BRG 1920 hatte der Arbeitgeber innerhalb von drei Tagen nach der Zustellung des Urteils gegenüber dem Arbeitnehmer zu erklären, ob er die Weiterbeschäftigung oder die Entschädigung wählte. Erklärte er sich nicht rechtzeitig, so galt die Weiterbeschäftigung sogar als abgelehnt. Diese Regelung wurde inhaltlich vom AOG übernommen.

164 165 16*

Oben D. I. Unterabschnitt III. 3. c). Dietz, RdA 1951, S. 941, S. 944.

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Teil G: Die Gewährleistungen der Grundrechte und ihre Umsetzung

2. Rechtslage von 1951 Eine grundlegende Änderung des Kündigungsschutzgesetzes von 1951 bestand demgegenüber darin, daß nur auf einen Antrag des Arbeitgebers das Arbeitsverhältnis durch das Gericht aufgelöst werden konnte (§ 7 KSchG a. F.). Besonders konsequent wurde diese Idee allerdings nicht umgesetzt. Über die Auflösung des Arbeitsverhältnisses auf Antrag des Arbeitgebers wurde 1951 besonders eingehend beraten 166• Man einigte sich zwar darauf, daß der bloße Auflösungsantrag nicht genügen sollte. Dem Antrag des Arbeitgebers war nur zu entsprechen, wenn er Gründe anführte, die eine den Betriebszwecken dienliche weitere Zusammenarbeit mit dem Arbeitnehmer nicht erwarten ließen. Eine Beweislast bezüglich der dieser Behauptung zugrundeliegenden Tatsachen traf den Arbeitgeber allerdings nicht. Damit sollte der Schwierigkeit, die Zerrüttung persönlicher Beziehungen zu beweisen, Rechnung getragen werden. Das Gericht war an das Vorbringen des Arbeitgebers gebunden. Dem Arbeitnehmer wurde aber die Möglichkeit eröffnet, seinerseits die Unrichtigkeit des arbeitgeberseiligen Vorbringens nachzuweisen 167, ein Gegenbeweis, der selten gelungen sein dürfte; die fehlende Zerrüttung des Verhältnisses zu beweisen, war genauso schwer nachzuweisen wie deren Vorliegen. 3. Geltendes Recht Erst das erste Arbeitsrechtsbereinigungsgesetz vom 14.08.1969 änderte diese unbillige Beweislastverteilung. Nach heutiger Rechtslage trägt der Arbeitgeber die volle Beweislast für die Gründe, die die Auflösung des Arbeitsverhältnisses begründen können (§ 9 Abs. 1 S. 2 KSchG) 168 • Der Antrag kann zusammen mit dem Antrag auf Abweisung der Kündigungsschutzklage oder bis zum Ende der letzten Tatsacheninstanz gestellt werden. Es handelt sich um einen echten Eventualantrag, der hilfsweise für den Fall des Prozeßverlustes gestellt wird. Er setzt die Feststellung der Sozialwidrigkeit voraus. Die Regelung ist also ein durch den Gesetzgeber konkretisierter lnteressenausgleich, der in der Gesamtabwägung das Arbeitnehmerinteresse an einem effektiveren Bestandsschutz (Art. 12 Abs. 1 GG)

Informationen RdA 1951, S. 58, S. 64. Informationen RdA 1951, S. 58, S. 64. 168 BAG v. 30.09.1976 AP Nr. 3 zu § 9 KSchG 1969; Hueck/v. HoyningenHuene, § 9 Rdz. 9, 44; ErfK-Ascheid, § 9 Rdz. 27; Kittner/Däubler/Zwanziger, § 9 Rdz. 26. 166 167

VI. Auflösung auf Antrag des Arbeitgebers(§ 9 Abs.l S. 2 KSchG)

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zulasten der betrieblichen Rechte aus Artt. 12 Abs. l, 14 Abs. l GG stärken wollte. a) Voraussetzungen für den Antrag

Voraussetzung für den Antrag ist, daß Umstände vorliegen, die einer den Betriebszwecken dienlichen Zusammenarbeit entgegenstehen. Die "den Betriebszwecken dienliche Zusammenarbeit" ist ein unbestimmter Rechtsbegriff, dessen Ausfüllung der Tatsacheninstanz obliegt 169 ; bei deren Vorliegen ist dem Antrag stattzugeben 170. Wie der Begriff auszulegen ist, bestimmt sich nach dem Schutzauftrag des Art. 12 Abs. 1 GG. Insoweit sind strenge Anforderungen zu stellen 171 • Nicht erforderlich ist allerdings, daß eine Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung im Sinne des § 626 Abs. 1 BGB vorliegt. Dies liegt auf der Hand, da der Arbeitgeber ohnehin berechtigt wäre, fristlos zu kündigen, ohne eine Abfindung zu leisten 172 • Es sind also greifbare Tatsachen vorzutragen; allgemeine Wendungen, das Verhältnis sei zerrüttet usw., genügen nicht 173 • Auf Vorbringen, mit dem der Arbeitgeber bereits bei der Kündigung gescheitert ist, kann er nicht zurückgreifen 174• Allerdings ist kein Verschulden des Arbeitnehmers Voraussetzung175. b) Auflösungszeitpunkt

Der Verlust des Arbeitsplatzes wird durch § 9 Abs. 2 KSchG unnötig verschärft. Nach dieser Vorschrift wirkt das Auflösungsurteil auf den Tag zurück, an dem das Arbeitsverhältnis bei ordentlicher Kündigung geendet hätte. Damit fällt der inzwischen angesammelte Anspruch auf das Entgelt gemäß § 615 BGB in sich zusammen. Gegen die Bestimmung sind deshalb Bedenken erhoben worden: Zum einen wurde eine Verletzung von Art. 14 Abs. 1 GG gerügt, die gegeben sein könnte, wenn man dem Anspruch die KR-Spilger, § 9 KSchG Rdz. 50. KR-Spilger, § 9 KSchG Rdz. 51. 171 BAG v. 15.02.1973 AP Nr. 2 zu § 9 KSchG 1969 unter II. 4. a); BAG v. 03.11.1982 - 2 AZR 204/82 - nicht amtlich veröffentlicht. 172 Hueck/v. Hoyningen-Huene, § 9 Rdz. 37. 173 BAG v. 14.05.1987 AP Nr. 18 zu§ 9 KSchG 1969 unter Ill. I. a); 14.1.1993 NZA 1994, S. 309, S. 311; MüKo-Schwerdtner, § 622 BGB Anhang Rdz. 471. 174 BAG 14.1.1993 a.a. O.; MüKo-Schwerdtner, § 622 BGB Anhang Rdz. 468, 471. 175 BAG v. 14.05.1987 AP Nr. 18 zu § 9 KSchG 1969; Hueck/v. HoyningenHuene, § 9 KSchG Rdz. 40; ErfK-Ascheid, § 9 KSchG Rdz. 21; Kittner/Däubler/ Zwanziger,§ 9 KSchG Rdz. 19; Löwisch, § 9 KSchG Rdz. 54; MüKo-Schwerdtner, § 622 BGB Anhang Rdz. 471. 169

11o

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Teil G: Die Gewährleistungen der Grundrechte und ihre Umsetzung

Eigenschaft als "Eigentum" im Sinn der Verfassung beilegt. Zum anderen wurde Art. 3 GG als verletzt angesehen, da Arbeitnehmer bei vergleichbarer Ausgangslage unterschiedlich davon betroffen sind 176. Bundesarbeitsgericht und Bundesverfassungsgericht sind dem nicht gefolgt 177 . Art. 14 Abs. 1 sei nicht verletzt, da der Anspruch aus § 615 BGB kraft Gesetzes mit der Möglichkeit des Wegfalls, der "Ersetzung durch die Abfindung" belastet sei; ebenso liege die unterschiedliche Höhe der Abfindung je nach der Länge des Verfahrens noch im Gestaltungsermessen des Gesetzgebers. Mit der festgestellten Verfassungsmäßigkeit der Regelung ist die Konkretisierung des Interessenausgleichs, wie sie der Gesetzgeber für angemessen erachtet hat, zu respektieren. Das Interesse des Arbeitnehmers hat hinter den betrieblichen und organisatorischen Rechten des Arbeitgebers zurückzutreten, ohne daß die Schutzpflichten aus Art. 12 Abs. 1 verletzt sind.

VII. Lösende Aussperrung Der letzte anzusprechende Fall des unfreiwilligen Verlustes des Arbeitsplatzes betrifft die lösende Aussperrung 178 im Arbeitskampf. Die praktische Bedeutung ist, das wird nicht verkannt, eher gering. Die lösende Aussperrung war in der Rechtslehre von Anfang an starkem Widerspruch ausgesetzt 179• Die Rechtsprechung hat sich von ihr schrittweise befreit, sie ist aber, anders als § 25 KSchG, von der Rechtsprechung noch nicht endgültig widerrufen worden. Der Große Senat 180 hatte gemeint, dem Arbeitgeber die Drohung mit dem Verlust des Arbeitsplatzes im Arbeitskampf nicht völlig nehmen zu können. Zwar hat er mit dem Begriff der Aussperrung die Pflicht verbunden, nach Ende des Arbeitskampfs das Arbeitsverhältnis wieder fortzusetzen. Bei besonderer Verhärtung des Kampfes sollte der Arbeitgeber jedoch die lösende Aussperrung erklären können mit der Folge, daß er über eine Wiedereinstellung verhandeln müsse, die jedoch in seinem Unternehmerischen Ermessen verbleiben sollte. In seiner Entscheidung von 1971 181 hat der Große Senat den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit auf die Aussperrung angewandt und aus ihm gefolBleclcmann/Coen, DB 1981, S. 640, S. 641; Belling, DB 1985, S. 1890ff. BAG v. 16.05.1984 AP Nr. 12 zu§ 9 KSchG; BVerfG 29.l.l990 NZA 1990, S. 535; Kittner/Däubler/Zwanziger, § 9 Rdz. 3; MüKo-Schwerdtner, § 622 BGB Anhang Rdz. 457. 178 Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. l040ff.; KR-Weigand, § 25 KSchG Rdz. 14ff. 179 Fabricius, RdA 1962, S. 94, S. lOOf.; Hersche1, ArbuR 1964, S. 65, S. 66f.; Rüthers, ArbuR 1967, S. 129, S. 134. 180 V. 28.01.l955 BAG AP Nr. 1 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. 176 177

VIII. Zwischenergebnis

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gert, daß die Aussperrung grundsätzlich nur suspendierend wirkt. Für die lösende Aussperrung wurde, neben dem Fall der besonderen Verhärtung, der Fall noch vorbehalten, daß der Arbeitgeber die im Arbeitskampf verlassenen Arbeitsplätze abbauen oder anders besetzen will. Aber selbst in diesem Fall sollte er dem besonderen Kündigungsschutz wie § 9 MuSchG unterworfen bleiben. Das Gericht hat also schon 1971 umfassende Konkordanzerwägungen vorgenommen und die beteiligten, einander widersprechenden Interessen (Art. 12 Abs. 1, evt. Artt. 6 Abs. 4; 12 Abs. I, 14 Abs. 1 GG) zu einem Ausgleich geführt. Angesichts dieser Angleichung der Rechtsfolgen ist für die lösende Aussperrung insgesamt kein Bedürfnis mehr. Es genügt, wenn der Arbeitgeber aus dringenden betrieblichen Erfordernissen kündigen kann. Darüber hinauszugehen, besteht kein Grund. Es wäre ein Übermaß, dem Arbeitnehmer bei unberechtigter Aussperrung die Rechte zu verweigern, die er gegenüber einer sozialwidrigen Kündigung gemäß § I KSchG besitzt. Mit der Schutzpflicht aus Art. 12 Abs. I GG ist dies nicht vereinbar 182, da das unternehmensehe Interesse aus Artt. 12 Abs. I, 14 Abs. I GG in der Abwägung nicht überwiegen kann. Wie erwähnt, ist die praktische Bedeutung der auflösenden Aussperrung allerdings gering. Schon 1969 hat Wiedernano festgestellt, die lösende Aussperrung habe "sich selbst aufgelöst" 183

VIII. Zwischenergebnis Die unter G. dargestellten zusätzlichen Möglichkeiten der Auflösung des Arbeitsverhältnisses finden bei der allgemeinen Diskussion um die erforderliche Auflockerung des Kündigungsschutzrechts zuwenig Beachtung. Hier bieten sich Alternativen zur Kündigung, dem Arbeitnehmer seinen Arbeitsplatz auf andere Art zu entziehen, ohne daß die allgemeinen und besonderen Kündigungsbeschränkungen zu beachten wären. Die Schutzpflicht aus Art. 12 Abs. 1 GG erstreckt sich indessen auch auf sie. Ein verantwortungsvoller Umgang ist erforderlich. Der Aufhebungsvertrag und der befristete Vertrag stellen hier den wichtigsten Bereich dar. Tatsächlich wird der Aufhebungsvertrag wesentlich häufiger als Auflösungsmöglichkeit gebraucht als die Kündigung. Es ist damit selbstverständlich, daß seine Zulässigkeil besonders überprüft wird. Die neuere Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes läßt hieran keine Zweifel zu. Die Feststellung der praktischen Konkordanz kann sich daran orientieren, ob der Arbeitnehmer beim BAG v. 21.04.1971 AP Nr. 43 zu Art. 9 GG Arbeitskampf. Seiter, RdA 1981 , S. 65, S. 83; MünchArbR/Otto, § 285 Rdz. 132; Gamillscheg, Kollektives Arbeitsrecht I, S. I 043. 183 RdA 1969, S. 321, S. 332. 181

182

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Teil G: Die Gewährleistungen der Grundrechte und ihre Umsetzung

Abschluß des Aufhebungsvertrages über die möglicherweise drohenden erheblichen Nachteile aufgeklärt worden ist. Nach hiesiger Auffassung gebietet bereits die Auslegung der Fürsorgepflicht des Arbeitgebers anhand der Schutzpflichten aus Artt. 12 Abs. I, 2 Abs.l GG, daß eine allgemeine Aufklärungspflicht darüber besteht. Folgt man dieser Ansicht nicht, wie die herrschende Auffassung, so stellt sich die Konkordanzprüfung zu einem späteren Zeitpunkt, nämlich bei der Frage, ob der Aufhebungsvertrag ausgewogen zustandegekommen ist. Hierfür kann unterschieden werden zwischen Aufhebungsverträgen, die mit einer Abfindungsvereinbarung getroffen wurden und jenen ohne entsprechende Vereinbarung. Löst der Arbeitnehmer das Arbeitsverhältnis auf und erhält hierfür eine Abfindung, so entspricht dies dem Bild, wie es sich bereits im Kündigungsschutzprozeß bietet, so daß generell von einer abgewogenen Interessenlage ausgegangen werden kann. Muß er ohne Abfindungszahlung gehen, so bedarf die Feststellung der praktischen Konkordanz einer eingehenden Untersuchung. Der Interessenkonflikt beim befristeten Vertrag ist teilweise vom Gesetzgeber durch das Beschäftigungsförderungsgesetz gelöst worden. Soweit sich die Befristung noch nach § 620 BGB richtet, hat die ständige Rechtsprechung Kriterien für die Rechtmäßigkeit der Befristung aufgestellt. Auch wenn diese Beschränkungen in der Zulässigkeil mit dem Verbot der objektiven Gesetzesumgehung begründet werden, so kann im Ergebnis nicht verkannt werden, daß diese Lösungswege im Ergebnis Beispiele für die Herstellung des Interessenausgleichs verfassungsrechtlich geschützter Interessen darstellen. Selbst wenn die praktische Bedeutung der anderen Auflösungsmöglichkeiten (auflösend bedingter Arbeitsvertrag, bedingter Aufhebungsvertrag, abgenötigte Eigenkündigung, Auflösung auf Antrag gemäß § 9 KSchG und die lösende Aussperrung) nicht mit denen des Aufhebungsvertrages und der Befristung vergleichbar ist, so rechtfertigt dies nicht, sie zu vernachlässigen. Der von ihnen betroffene Arbeitnehmer ist nicht weniger schutzwürdig als der, der unter einem unverhältnismäßigen Druck einen Aufhebungsvertrag geschlossen hat. Deshalb waren sie ebenso einer kritischen Prüfung zu unterziehen. Das Bestandsinteresse des Arbeitnehmers als das Recht des Schwächeren nimmt hier eine besondere Stellung ein. Seine Belange sind aber ausgewogen gegen die des Arbeitgebers abzuwägen.

Teil H

Gesamtergebnis I. Die vorherrschende Arbeitslosigkeit zwingt dazu, über einschneidende Neuerungen auch im Kündigungsschutzrecht nachzudenken. Die Schutzpflichten aus den Grundrechten müssen aber in die Überlegungen stets miteinbezogen werden. Jeder Sachverhalt, der eine Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum Gegenstand hat, ist in der Prüfung seiner Wirksamkeit unmittelbar an den verfassungsrechtlichen Vorgaben zu messen. Das Ergebnis bestimmt sich durch die Abwägung des Bestandsschutz- oder Mobilitätsinteresses des Arbeitnehmers in Abwägung zum Organisationsinteresse des Arbeitgebers. Die Positionen können auf beiden Seiten durch weitere Grundrechtswerte verstärkt werden. Unter besonderen Voraussetzungen sind auch die Interessen von Mit-Arbeitnehmern des Ausscheidenden in die Abwägung miteinzubeziehen. II. Das Bundesverfassungsgericht hat im W arteschleifenurtei1 1 endgültig und autoritativ den Schutzbereich und die daraus resultierenden Schutzpflichten des Art. 12 Abs. 1 GG für den Fall des freiwilligen oder unfreiwilligen Arbeitsplatzverlustes definiert: Art. 12 Abs. 1 GG garantiert dem Arbeitnehmer die Freiheit, ohne jegliche staatliche Einschränkung zu wählen, ob und bei wem er Beschäftigung findet. Angesprochen ist damit das Mobilitätsinteresse, das so unmittelbar dem Schutz der Verfassung unterstellt ist. Weniger stark ausgeprägt ist der Bestandsschutz. Art. 12 Abs. 1 GG kann keinen absoluten Schutz gegen den Verlust des Arbeitsplatzes aufgrund von Dispositionen des Arbeitgebers verleihen; er stellt sich aber schützend vor den Arbeitnehmer, um einen Arbeitsplatzverlust zu verhindern, der keinen sachlichen Bezug aufweist. Diese Entscheidung hat zentrale Fragen zu der Wirkung der Grundrechte im Arbeitsvertragsverhältnis aufgeworfen.

1. Zunächst sind die Schutzpflichten zugunsten des Arbeitnehmers aus Art. 12 Abs. 1 GG in das System der Schutzpflichtlehre insgesamt einzuordnen2. Eine Schutzpflicht trifft die staatliche Ordnung ebenso für die lnteres1 2

BVerfG v. 24.02.1991 E 84, S. 133, S. 146. Oben unter B.

250

Teil H: Gesamtergebnis

sendes Arbeitgebers, wie sie insbesondere durch Artt. 12 Abs. 1, 14 Abs. 1 GG verkörpert werden3 . Schutz aus Art. 12 Abs. 1 GG können ebenso die anderen Arbeitnehmer in Anspruch nehmen, die als Mit-Arbeitnehmer des Gekündigten ein berechtigtes Interesse an der Bewertung seiner Kündigung haben. Mit der Unterstellung insbesondere des Bestandsschutzes unter die Schutzpflicht des Art. 12 Abs. 1 GG sind die verschiedenen einander widerstreitenden Interessenbereiche zu einem wertorientierten angemessenen Ausgleich zu bringen, der als "praktische Konkordanz" zu bezeichnen ist4 • Die Bewältigung dieser Aufgabe obliegt natürlich an erster Stelle dem Gesetzgeber, dem hierbei ein weiter Gestaltungs- und Ermessensspielraum zusteht5 • Vollständigkeit kann indessen von ihm nicht erwartet werden; zu vielen Fragen schweigt er (unbewußt) oder gibt nur Rahmenbedingungen vor. Hier setzt die Verantwortung der Rechtsprechung ein, im Einzelfall den gesetzesleeren oder ausfüllungsbedürftigen Raum nach den Vorgaben der Verfassung zu konkretisieren6 . Die Schwierigkeit in dem sensiblen Bereich der freiwilligen oder unfreiwilligen Arbeitsplatzaufgabe besteht mithin darin, die gefundenen Lösungen direkt an den verfassungsrechtlichen Vorgaben zu messen, weil sie von diesen ihre inhaltliche und dogmatische Legitimation erhalten. Es handelt sich hierbei nicht um einen "naiven Verfassungsrausch"7 , sondern um einen zwLgenden Auftrag des Grundgesetzes, dem die Schutzpflichtlehre des Bundesverfassungsgerichts insoweit entsprochen hat. Daß dem Arbeitsplatzverlust diese herausragende Bedeutung zuzumessen ist, kann bei näherer Betrachtung nicht verwundern. Die Persönlichkeit des Menschen ist nach dem Grundgesetz der höchste Wert und zum Kern der Persönlichkeit ist die Arbeit geworden8 , unabhängig davon, ob sie als solche besondere Befriedigung verschafft, oder "nur" dazu dient, die materielle Existenz des Einzelnen und seiner Familie zu sichern. Deshalb müssen alle Entscheidungen, unabhängig davon, ob sie vom Gesetzgeber oder der Rechtsprechung getroffen werden, Ergebnisse einer Interessenahwägung sein, deren Maßstab und dogmatische Begründung verfassungsrechtliche Vorgaben sind. Bedenken, daß die Konsequenz hieraus BVerfG v. 01.03.1979 E 50, S. 290, S. 362f. Hesse, Grundzüge des Verfassungsrechts, § 2 III 2. c) bb), Rdz. 72. 5 Z.B. BVerfG v. 29.10.1987 E 77, S. 170, S. 214. 6 So schon Gamillscheg, AcP 164 (1964) S. 385, S. 444. 7 So aber Papier, RdA 1989, 137, S. 139. 8 Das Bundesverfassungsgericht spricht von "gesellschaftlicher Stellung und Selbstwertgefühl", E v. 27.01.1998 AP Nr. 17 zu § 23 KSchG 1969 unter BI. 3. b) aa). 3

4

Teil H: Gesamtergebnis

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eine unüberschaubare Einzelfalljustiz wäre, die zu noch mehr Rechtsunsicherheit führe, ist zu entgegnen, daß das Gegenteil der Fall ist: Die verfassungsrechtlichen Vorgaben lassen sich typisieren und ermöglichen damit eine Ordnung der Fälle. "Praktische Konkordanz" führt zu einer abgestimmten und zugleich transparenten Rechtsanwendung. Es ist zwar festzustellen, daß die Inhalte der Konkordanzerwägungen vielfach in den Entscheidungen des Bundesarbeitsgerichts oder in Begründungen des Gesetzgebers Eingang gefunden haben. In der Regel unterbleibt aber die konkrete Benennung der dogmatischen Grundlage, was einen Mangel darstellt. Erst die Bestimmung der unterschiedlichen, konkret benennbaren verfassungsrechtlichen Interessen von Arbeitgeber und Arbeitnehmer im Bereich der Arbeitsplatzaufgabe ermöglicht die Handhabung mit zuverlässigen und berechenbaren Elementen. Mit der Warteschleifenentscheidung ist deshalb die Aufgabe gestellt, diese verschiedenen Interessen herauszuarbeiten und anband der unterschiedlichsten betroffenen Regelungsbereiche und typisierenden Fallkonstellationen aufzuzeigen, aus welchen Bestandteilen sich die Interessenahwägungen jeweils zusammensetzen. Gleichzeitig dient dies der Kontrolle, ob die Rechtslage, so wie sie heute besteht, die Werte der beteiligten Interessen entsprechend ihrer jeweiligen Bedeutung auch ausreichend berücksichtigt. 2. Zum Mobilitätsinteresse des Arbeitnehmers ist festzustellen, daß die Rechtsordnung der uneingeschränkten Garantie der Verfassung im wesentlichen nachkommt. Anband unterschiedlicher Einzelbeispiele9 wurde nachgewiesen, daß der Arbeitnehmer autonom darüber entscheiden kann, ob er den Arbeitsplatz wieder verläßt. Die Interessen des Arbeitgebers treten grundsätzlich zurück. Soweit der Arbeitnehmer trotzdem Einschränkungen hinzunehmen hat (z. B. Einhaltung von Kündigungsfristen), befinden sich diese in einem Bereich, der keine Verletzung der Mobilität bedeutet. Nur die Auslegung der herrschenden Meinung des § 9 Abs. I S. 1 KSchG bedarf einer Korrektur, da die Anforderungen an die Unzumutbarkeit der Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses das Mobilitätsinteresse verletzen 10. 3. Zu den bestandsschützenden Regelungen hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, daß der Gesetzgeber seiner Schutzpflicht gegenüber dem Arbeitnehmer durch die Schaffung des Kündigungsschutzgesetzes im Grundsatz nachgekommen ist. Die hierzu vorgenommene Analyse bestätigte diesen Befund. Das Kündigungsschutzgesetz erfüllt zwar seinen Zweck nicht als "Bestandsschutzgesetz" im engeren Sinne, da in der Realität die 9 10

Oben C. II. I. - 9. Oben C. II. 2. a).

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Teil H: Gesamtergebnis

Kündigung - unabhängig von ihrer evtl. Sozialwidrigkeit - weit überwiegend den tatsächlichen Verlust des Arbeitsplatzes mit Abfindungsfolge bewirkt. Seinen besonderen Schutz entfaltet das Kündigungsschutzgesetz indessen auf andere Weise, indem es nämlich präventiv den Arbeitgeber davon abhält, vorschnell Kündigungen auszusprechen. Diese Wirkung erreicht es über die "Sperrwirkung" einer Vielzahl von notwendigen Einzelfallabwägungen, an denen die soziale Rechtfertigung jeder Kündigung zu messen ist, die den Arbeitgeber vor jeder Kündigung zu eigener sorgfältigster Überlegung zwingen, ob er .mit der Kündigung sich wird durchsetzen können. Im Streitfall ist jede dieser Abwägungen nach dem Muster der praktischen Konkordanz vorzunehmen 11 , so daß zu jedem Zeitpunkt der Prüfung der angemessene Einbezug aller beteiligten Interessen in die Entscheidungsfindung sichergestellt ist. Die dabei erforderlichen Abwägungen lassen sich in verschiedene Kategorien einteilen. In der Regel hat der Gesetzgeber oder die ihn konkretisierende Rechtsprechung gemäß dem Grundanliegen des Kündigungsschutzgesetzes dem Interesse des gekündigten Arbeitnehmers den Vorrang eingeräumt, so daß die Position des Arbeitgebers zunächst prinzipiell zurücktritt. Es gibt aber eine Reihe von Konkretisierungen der Artt. 12, 14 GG, bei denen umgekehrt das Arbeitgeberinteresse oder sogar das der anderen Arbeitnehmer des Betriebs bereits vom Gesetzgeber als Abwägungsfaktoren in das Kündigungsschutzgesetz eingewoben und damit grundsätzlich vorrangig zu behandeln sind 12• 4. Von großer Bedeutung ist auch der Kündigungsschutz außerhalb des Kündigungsschutzgesetzes 13 • Als Beispiele sind hier die allgemeinen Formeln (§§ 242, 138 BGB) zu nennen, die ihrerseits einer wirksamen Kündigung entgegenstehen können. Soweit die Anforderungen einer Auslegung bedürfen, hat auch diese verfassungskonform zu erfolgen. Allerdings gilt hier die gewichtige Einschränkung, daß der Wille des Gesetzgebers vom Kündigungsschutz mit seinen Grenzziehungen zu respektieren ist. Arbeitnehmer, die durch die gesetzliche Konkretisierung nicht unter den Schutzbereich des Kündigungsschutzgesetzes fallen (z. B. Beschäftigungsdauer und Arbeitnehmerzahl nach §§ I Abs. 1, 23 Abs. 1 S. 2 KSchG), dürfen nicht über den Umweg der Generalklauseln wieder in dessen Schutzbereich einbezogen werden. Die Frage der "reinen" Sozialwidrigkeit einer Kündigung darf mithin nicht allein zur Begründung der Treuwidrigkeit einer Kündigung nach § 242 BGB dienen. 5. Die Konkordanzabwägung darf es freilich nicht bei einer Betrachtung der Art. 12 Abs. I für die Arbeitnehmerseite und Artt. 12 Abs. 1, 14 Abs. 1 11

Oben D. I. Abschnitt III. D. I. - 3. Abschnitt. Oben D. I. Abschnitt II.

12 ·Oben 13

Teil H: Gesamtergebnis

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GG für die Arbeitgeberseite belassen. Auch andere Grundrechte finden Eingang in die Abwägungen, soweit ihre Schutzbereiche von der Kündigung betroffen sind 14• Besonderes Beispiel hierfür ist der Auftrag des Art. 6 Abs. 4 GG, der zu einem besonderen Kündigungsschutz der werdenden Mutter führt. § 9 Abs. l MuSchG schließt jedwede Kündigung, auch die aus wichtigem Grund, aus; hier setzt sich der Bestandsschutz (auch im Interesse des Kindes) selbst gegen die Unzumutbarkeit der Weiterbeschäftigung durch. Ein Notventil für die Berücksichtigung der Interessen des Arbeitgebers ist nach § 9 Abs. 3 MuSchG die behördliche Genehmigung der Kündigung, die aber wegen der Dauer des Verfahrens keine wirkliche Abhilfe schafft. Deshalb hat sich die Praxis für extreme Fälle eine Möglichkeit fairen Interessenausgleichs geschaffen, indem sie unter besonderen Umständen die Pflicht zur Weiterzahlung des Entgelts gern. § 615 BGB als unzumutbar betrachtet 15 • Das Zusammenspiel von Abs. l und Abs. 3 sowie die unterstützend eingreifende Rechtsprechung sind ein Musterbeispiel für das Prinzip der praktischen Konkordanz und weiterer Beleg dafür, daß die Frage des Arbeitsplatzverlustes nach der verfassungsrechtlichen Interessenlage zu regeln ist. In anderen Fällen, in denen der Grundrechtswert nicht durch eine einfachgesetzliche Vorschrift verkörpert wird, wie etwa Artt. 4 oder 5 GG, setzt er sich auf andere Weise durch. Dies geschieht innerhalb der notwendigen Einzelfallabwägungen, an denen die soziale Rechtfertigung jeder Kündigung zu messen ist z. B. innerhalb der Prüfung des Kündigungsgrundes. Die Position des Arbeitnehmers verstärkt sich dann bei der Bewertung der Interessenlage durch den Schutz des zusätzlich betroffenen Grundrechts. Eine herausragende Stellung nimmt zudem Art. 9 Abs. 3 GG ein, der als Garant für die Tarifautonomie das Kündigungsrecht des Arbeitgebers auf vielfliltige Weise beschränken kann. Trotz der unterschiedlichen Bedeutungen und inhaltlichen Gewichte der Grundrechtsartikel ließen sich, wie bei den allgemeinen Verfassungswerten, Typisierungen herausarbeiten, die eine abgestimmte und vereinfachte Rechtsanwertdung ermöglichen. 6. Einen eigenen Stellenwert ist der Betriebsverfassung im Kündigungsgeschehen zuzuweisen, was sich nur aus der historischen Entwicklung des Kündigungsschutzes und seiner Herkunft aus der Betriebsverfassung erklären läßt 16• Noch heute ist die Beteiligung des Betriebsrats entscheidend für die Wirksamkeit der Kündigung. Die Betriebsverfassung ist allerdings nicht verfassungsrechtlich geschützt, so daß in diesem Bereich einzelne Regelun14

15 16

Oben E. BAG v. 26.04.1956 E 3, S. 66. Oben F. I.

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Teil H: Gesamtergebnis

gen als kritisch zu bewerten sind, wo sie die Interessen des Arbeitgebers, wie zum Beispiel bei den §§ I 02 Abs. 3, 95 BetrVG, unverhältnismäßig zurückdrängen 17• 7. Nach der "Warteschleifenentscheidung" des Bundesverfassungsgerichts mußte der Blick noch auf die Auflösungstatbestände neben der Kündigung - vor allem auf den Aufhebungs- und den befristeten Vertrag 18 gerichtet werden. Das Gericht hatte festgestellt, daß der Schutzpflicht des Art. 12 Abs. I GG durch das Kündigungsschutzgesetz ausreichend Rechnung getragen werde. Dieser knappe Hinweis kann indessen nicht so aufgefaßt werden, daß damit andere Auflösungstatbestände, auf die die kündigungsschutzrechtlichen Normen keine Anwendung finden, nicht unter den Schutz des Art. 12 Abs. 1 GG zu fassen sind. Die Schutzpflichten der Art. 12 Abs. 1 GG und Artt. 12 Abs. 1, 14 Abs. 1 GG bestehen auch hier. Sie stehen über den Normen und werden durch sie konkretisiert, aber nicht zur Disposition gestellt. Sie geben der Rechtsordnung einen zwingenden Auftrag, jeden unfreiwilligen Arbeitsplatzverlust nur mit einem sachlichen Bezug zu ermöglichen, so daß im Ergebnis ein angemessener Ausgleich zwischen dem Bestandsschutzinteresse des Arbeitnehmers und dem Organisationsinteresse des Arbeitgebers hergestellt ist. Zwar entsprechen diese Abwägungsergebnisse oftmals den Lösungen, die die Rechtsprechung auf der Grundlage von Billigkeitserwägungen oder eines verbotenen Umgehungstatbestandes gefunden hat. Der Vorteil der Konkordanzlehre liegt indessen erneut darin, daß ihre Voraussetzungen dogmatisch bestimmbar und typisierbar sind, so daß sie im Gegensatz zu den allgemeinen Billigkeitsüberlegungen Rechtssicherheit und -klarheit vermitteln.

17

18

Oben F. II. 2. Oben G. I. I 11.

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-

Sind im Interesse einer gerechten Verteilung der Arbeitsplätze Begründung und Beendigung des Arbeitsverhältnisses neu zu regeln?; Verhandlungen des 52. Deutschen Juristentages, Ständige Deputation des Deutschen Juristentages Band I, Arbeitsrechtliche Abteilung: D 1-D 181

Zöllner, Wolfgang/Loritz, Karl-Georg: Arbeitsrecht, 5. Auf!., 1998 Zwanziger, Bertram: Aufhebungsverträge und Vertragsfreiheit; BB 1996, S. 903-904

-Arbeitsrechtliche Aufhebungsverträge und Vertragsfreiheit; DB 1994, S. 982-984

Sachwortverzeichnis § § § § § -

§

-

140 Abs. 3 SGB Ill a.F. 75 15 Abs. I KSchG außerordentliche Kündigung 206 15 KSchG teleologische Reduktion 205 25 KSchG 199 Verstoß gegen praktische Konkordanz 200 9 Abs. 3 MuSchG Ausnahmen, praktische Konkordanz 178 behördliche Genehmigung 177 9 MuSchG 150 Mitteilung an Arbeitgeber 174

Abfindungsgesetz 124, 141 Abfindungsvergleich 76 abgenötigte Eigenkündigung 241, 242 abhängige Arbeit 33, 40, 43 Ahmahnung 89, 90, 104, 105, 106, 192, 197 Abschlußfreiheit 28, 44, 56 -Art. 2 Abs. I GG 41 absolute Sozialwidrigkeitsgründe 120, 121 - Auswahlrichtlinie, Kritik 121 - Kritik 121 absolutes Recht 29 abstraktes Rechtsgeschäft 82 Abtreibung l 03 allgemeine Feststellungsklage 157 allgemeine Interessenahwägung 90, 91, 92, 94 - Lebensalter 94 - Unterhaltsverpflichtung 95 - praktische Konkordanz 93 Alter 168

Altersgrenzen in Tarifverträgen I00 Änderungskündigung 150 - Entgeltänderungskündigung 150 Anfechtung der Eigenkündigung 182 Anfechtung des Arbeitsvertrags 33 - arglistige Täuschung 181 - Wahrung der praktischen Konkordanz 181 Anfechtung des Aufhebungsvertrags 182 angemessener Interessenausgleich 33 Anhörung des Betriebsrats - Umfang der Mitteilung 203 - Verstoß gegen praktische Konkordanz 203 Anhörungsrecht des Betriebsrats 202 Apothekenurteil 26, 39 Arbei tsförderungs-Refonngesetz, Sozialgesetzbuch, Reform 75 Arbeitsgerichte, Statistik 71 Arbeitsgesetzbuchkommission 1978 28 Arbeitsplatzverordnung 54 arbeitsrechtliches Schutzprinzip 33 Arbeitsrechtsbereinigungsgesetz 86, 244 Arbeitsunfall 99 Art. 12 Abs. I GG 39 - Muttergrundrecht 40 - personale Bezug 40 - Persönlichkeitswert der Arbeit 40 Art. 14 Abs. I GG 41 Art. 2 Abs. I GG - wirtschaftliche Betätigungsfreiheit 42 Art. 3 Abs. I GG 189 Art. 3 Abs. 2 GG 188 Art. 5 Abs. I GG 191 Art. 6 Abs. I GG 193 Art. 6 Abs. 4 GG 173 - Anfechtung des Arbeitsvertrags 179

268

Sachwortverzeichnis

- Anfechtung, Fragerecht 180 - Ausschaltung von § 123 BGB 181 - Vorrang vor Arbeitskampfordnung 179 Art. 9 Abs. 3 GG 35, 58, 100 Art. 9 Abs. 3 S. 2 GG 194 - Betriebsumstrukturierung 198 - lösende Aussperrung 199 - Motivbündel? 196 - rechtswidriger Streik 197 - Streikexzess 197 - Streikteilnahme 196 - verhaltensbedingte Kündigung 195 Artt. l Abs. l und 2 Abs. l GG 187 Aufhebungsvertrag 54, 208 - Abfindungsvereinbarung 223 - abgenötigte Einwilligung 209 - Anfechtung, widerrechtliche Drohung 213 - Aufklärung über Kündigungsverbot 211 - Aufklärungspflicht 209 - Billigkeitskontrolle 216 - Inhaltsirrtum 212 - Kleinbetriebe 225 - ohne Abfindungsvereinbarung 225 - praktische Konkordanz 219 - Prozessuales 226 - sachliche Gründe 225 - Umfang der Aufklärung 210 - Widerrufsrecht 215 - Zeitdruck 214 Aufhebungsvertrag anstatt Kündigung 226 Aufhebungsvertrag, praktische Konkordanz Vertragsimparität 220 auflösend bedingter Arbeitsvertrag 239 Auflösungsantrag 160, 243 Auflösungszeitpunkt 245 Aufopferungsanspruch 118 Ausländerschwarzarbeit l 0 I Ausnahmen vom Kündigungsverbot - § 9 MuSchG 177

Ausschlußfrist - § 4 KSchG 156

außerordentliche Kündigung -Verstoß gegen praktische Konkordanz 159 Aussperrung 29 Auswahlrichtlinie 204 -Verstoß gegen praktische Konkordanz 204 bedingter Aufhebungsvertrag 241 befristeter Arbeitsvertrag 227 - § 620 BGB 227 - Arbeitsrecht der Bühne 232 - Endtermin 233 - Erprobung 230 - Hochschule 231 - Kettenvertrag 228 - sachlicher Grund 229 - sachlicher Grund, Zeitpunkt 234 - Schwangerschaft 184 - Umgehungstatbestand 228 - Verschleißtatbestand 23 I - vorübergehende Einstellung 230 - Wegfall des sachlichen Grundes 234 berechtigtes geschäftliches Interesse 60 Berufsfreiheit des Arbeitgebers 41 Berufskrankheit 99 Beschäftigungsförderungsgesetz 235, 237, 238, 239 Beschränkung des Fragerechts 28 Bestandsschutz 24, 25, 29, 30, 33, 38, 40, 41 , 42, 76, 77, 80, 82, 85, 106, 109, 123, 140, 143, 150, 160, 163, 167, 173, 174, 185, 193, 201, 204, 227,228,231,238,244,249,253 - allgemeine Formeln 77 - allgemeine Formeln, Kündigung zur Unzeit 81 - allgemeine Formeln, Mobbing 82 - allgemeine Formeln, Sittenwidrigkeit 82

Sachwortverzeichnis - allgemeine Formeln, Treu und Glauben 77, 80 -Analyse 76 - gesetzlicher Mindestandard 41 - KSchG, Abfindungsgesetz 65 - Kündigungsschutz und Wirklichkeit 65 Bestandsschutz, KSchG 85 - allgemeine Interessenahwägung 90 - Interessenabwägung, Ansicht BAG 92 - Prognoseentscheidung 87 - Sozialwidrigkeit 86 - ultima ratio 88 - Vorläufer 85 betriebliche Altersversorgung 61 betriebsbedingte Kündigung 109, 117 - Druckkündigung 117 - ultima ratio II! - ultima ratio, Kurzarbeit 115 - ultima ratio, Leiharbeitnehmer 116 - ultima ratio, Versetzung III - Unternehmerische Entscheidung I 10 - Wegfall des Arbeitsplatzes 110 Betriebsbegiff Betrieb - Betriebsteil 145 Betriebsbegriff - Kleinbetriebsklauselentscheidung 145 - praktische Konkordanz 146 Betriebsrätegesetz 22, 85, 141 , 142, 201, 243 - Entwicklung des Kündigungsschutzes 201 - unbillige Härte 91 Betriebsrisikolehre 99 Betriebsübergang 132 Betriebszugehörigkeit 47, 62, 94, 98, 137, 138, 168, 169, 170, 171, 172 Biergeld 223 Druckkündigung 117 - ultima ratio 119 Einigungsvertrag 70 Einstellungsanspruch 27

269

Entfaltung der Persönlichkeit 23 Entgeltänderungskündigung 150 - Verstoß gegen praktische Konkordanz 151 Ermessens- und Gestaltungsspielraum 24, 37, 78, 100, 206 Erwin Jacobi - Betriebsbegriff 143 faktisches Arbeitsverhältnis 127 Fastrieb - Inhaltskontrolle im Arbeitsrecht 216 Form, Aufhebungsvertrag 54 Fragerecht - Schwangerschaft 182 Funktionsfähigkeit des Unternehmens 134 Gefährdung von Betriebsgeheimnissen 109 Gemeinwohlinteresse 46 Generalklausel 36, 77, 78, 216 geschäftliche Unterlegenheit 222 Gesetz zur Ordnung der nationalen Arbeit 6, 243 Gesetz, Gestaltungsspielraum 32, 33 Gesetzesvorbehalt 26 Gewerbe- und Kaufmannsgericht 201 Gewissensfreiheit - Abtreibung 190 - berechtige Arbeitsverweigerung 191 - islamischer Glaube 190 Gleichbehandlungsgrundsatz 153 Grundrechte als Abwehrrechte 35 Grundrechte als Leistungsrechte 35 Grundrechte im Arbeitsrecht 32 Grundrechte, Gleichbehandlungsgebot 35 Handelsvertreterentscheidung 217 Hattenheimer Entwurf 86, 137, 199 herausgreifende Kündigung 189 hyperemesis gravid 176

270

Sachwortverzeichnis

Imparität 33 Insolvenzordnung 133 intellektuelle Unterlegenheit 242 - Interessenabwägung, normativ strukturiert 94 Kaution 56 Kernbereich der Unternehmerischen Freiheit 99 Kleinbetriebsklausel - Betriebsbegriff 42 - gleichheitswidrig? 139 -Rechtslage von 1996 147 - Rechtsweggarantie? 146 - Verfasssungskonformität 138 Kleinbetriebsklauselentscheidung 78, 145 Kündigungsfreiheit, Einschränkung des § 624 110 Kündigungsfrist 161 - Vorrang der Tarifautonomie 161 Kündigungsfrist, gleiche Länge 57 Kündigungsrecht als Verfassungsrecht 25 Kündigungsschutz - Beschäftigungshemmnis 21, 204 - Betriebsratsmitglieder 205 - Verletzung von Grundrechten 186 Kündigungsschutz, Betriebsratsmitglied - Verstoß gegen praktische Konkordanz 205 Kurzarbeit - Beteiligung des Betriebsrats 115 Kurzarbeit statt Kündigung 115 Leiharbeitnehmer 116 leitende Angestellte 162 - Auflösungsantrag, gerichtlicher 163 - Mitwirkungsrechte des Betriebsrats 164 - Sozialschutz 163 lösende Aussperrung 246

Machtgefälle 33 Maßregelungsverbot - koalitionsgemäße Betätigung 194 Max-Planck-Institut 211 - Berufungsinstanz 68 - Berufungsinstanz, Vergleiche 69 - empirische Untersuchung 66 - erste Instanz 67 - erste Instanz, Vergleiche 68 - Rückschluß auf heutige Lage 70 - Weiterbeschäftigung 69 Meinungsfreiheit 191 - Betriebsfrieden 192 - öffentlicher Dienst 192 - politische Ansicht 192 - Tendenzbetrieb 192 mittelbare Benachteiligung 188 mittelbare Drittwirkung 36, 38, 77 Mobbing 83 Mobilitätsinteresse 30, 33, 41, 44, 46, 47, 51, 54, 55, 56, 59, 61, 62, 63, 249, 251 - Auflösungsantrag nach § 9 I, KSchG 49 - außerordentliche Kündigung 49 - befristeter Vertrag 55 - Berufsausbildungsvertrag 56 - Betriebsübergang 56 - Kündigungsfreiheit 46 - Kündigungsfrist 47 - Rückzahlungsklausel 58 - Ruhegeld, goldene Fessel 62 - Ruhegeld, Rechtsfortbildung 61 - Ruhegelder 61 - tarifliche Rückzahlungsklauseln 58 - Übernahme von Ausbildungskosten 58 - Wettbewerbsbeschränkung 59 Mutterschutz 173, 174, 179 - geeignete Arbeit 177 Nichtigkeit der Kündigung, Klagefrist !58 Nötigung, Arbeitskampf 197

Sachwortverzeichnis objektive Wertordnung 36 öffentlicher Dienst 192 - Einstellungsanspruch 28 Organisationsinteresse 42, 55, 87, 90, 97, 118, 119, 126, 130, 133, 134, 151, 159, 160, 161, 176, 224, 242, 249, 254 - unverzügliche Mitteilung 175 personenbedingte Kündigung -Alter 99 - Alter, Verschleißtatbestand I00 - Arbeitserlaubnis 101 - Krankheit 96 - Krankheit, Interessenahwägung 98 - Krankheit, Kurzerkrankungen 97 - Krankheit, langanhaltende 97 - Krankheit, Versetzung 98 Persönlichkeit 28 Persönlichkeit, Arbeitgeber 42 Persönlichkeitsrecht 126, 187 - Homosexualität 187 Praktische Konkordanz 2, 3, 30, 38, 57, 59, 81, 100, 102, ll6, 134, 161, 166, 173, 178, 182, 186, 200, 211, 212, 215, 219, 220, 222, 224, 225, 229, 232, 234, 242, 250 - § 74 Abs. 2 HGB 60 - Ahmahnung I 05 - befristeter Arbeitsvertrag 229 Präventionswirkung des KSchG 76 punktueller Streitgegenstand - praktische Konkordanz 157 punktueller Streitgegenstand 155 - allgemeine Feststellungsklage 158 Rädelsführer 189 Recht auf Arbeit - Entwicklung 25 Rechtsfolgenirrtum 183 Rechtssicherheit 59, 60, 94, 100, 128, 130, 175, 183,217, 218, 234, 254 Reformgesetz von 1996 l 70 Reuerecht 222

271

Sanktion, Kündigung als S 87 Schutz der Betriebsverfassung 204 Schutzpflichtauftrag 64, 76, 77, 143, 227 Schutzpflichtlehre 24, 37, 38, 40 SGB III, § 121 45 Sittenwidrigkeit 82 soziale Auswahl 167 - Abwägungskriterien 168 -Alter 170 - besonderer Kündigungsschutz 170 - Betriebsbezogenheil 167 - Betriebszugehörigkeit 169 - Fehlerhaftigkeit 171 - Konzernbezogenheil 167 - Unterhaltsptlichten 169 Sozialhilfe 46 Sozialstaatsprinzip 26, 27, 38, 78, 95 - Auslegung der Grundrechte 39 Streik 196 Streikbrecher 198 Streikposten 197 strukturelle Unterlegenheit 218 Stufentheorie 39 Tabelle, Prozeßstatistik 72 -Analyse 73 tarifdispositiven Gesetze 34 Tarifvertrag, angemessener Ausgleich 34 teleologische Reduktion 122, 123, 228 Tendenzbetriebe 164 - Kirchliche Arbeitnehmer 165 - Loyalitätspflicht 165 Treu und Glauben 36, 60, 77, 78, 80, 81, 59, 215 treuwidrige Kündigung 80 typisierbare Fallgestaltung 218 Übermaß an Rechtsschutz - Betriebsratsmitglieder 207 Überrumpelung 242 ultima ratio 88, 89, 90, 94, 98, 104, II I, 116, 119, 130, 131, 152, 191

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Sachwortverzeichnis

- Ahmahnung 89 - Versetzung 89 unbestimmter Rechtsbegriff 90, 244 unbillige Erschwerung 60 Unterhaltspflichten 168 Unternehmensschutz 42, 134 - Arbeitnehmerbegriff 135 - außerordentliche Kündigungsfrist 159 - Einschränkung der Sozialauswahl 154 - Fiktion, § 4 KSchG 155 - Kleinbetrieb 138 - Kündigungsschutzgesetz 134 - Wartezeit 137 Unternehmerische Entscheidung 88 - Änderungskündigung 150 - außerbetrieblicher Grund 148 - außerhalb des Kündigungsrechts 154 - innerbetrieblicher Grund 149 - praktische Konkordanz 149 - Unüberprüfbarkeit 110, 148 - Vorrang vor Tarifautonomie 150 Unzumutbarkeit - Auflösungsantrag des Arbeitnehmers 50 - Nichtigkeit der Kündigung 51 - praktische Konkordanz 52 v. Hoyningen-Huene - Billigkeit im Arbeitsrecht 216 Verbot von Zwangsarbeit 44 Verdachtskündigung l 06 - ultima ratio 107 - Unschuldsvermutung l 07 - Wiedereinstellungsanspruch l 08 Verfall der Anwartschaft 61 verfassungsrechtlich gebotener Mindestschutz 82 Verfassungstreue 28 Verfrühungsschaden 83 Vergleich, Arbeitsgerichtsprozeß 74

verhaltensbedingte Kündigung 102 - Abmahnung, Entbehrlichkeit 105 - Betriebsbezogenheil l 03 - Betriebsratsamt 103 - Interessenahwägung l 06 - ultima ratio, Versetzung l 04 - ultrima ratio, Ahmahnung 104 - Vertragspflichtverletzung 102 Verhältnismäßigkeitsprinzip 89 verständiger Arbeitgeber 213 Verteidigungsfall 54 Vertragsimparität 214, 218, 220, 222 Vertragsstrafe 56 Vertrauenstatbestand 168 Verwirkung 159 Warteschleifenentscheidung 40, 208, 229, 251, 254 Wechselwirkung der Grundrechte 23, 37 wehrhafte Demokratie 193 Weihnachtsgratifikation 57 Weimarer Reichsverfassung 26, 103 Weiterbeschäftigungsanspruch 123 - § 102 V BetrVG 124 - Rechtsfortbildung 125 - Rechtsfortbildung, Rechtsfolgen 127 Wiedereinstellung - tariflicher Anspruch 132 Wiedereinstellungsanspruch 88, 97, 128 - Dogmatik 129 - praktische Konkordanz 130 - selbständiger Anspruch 131 Widerlegung der Prognose 128 Wiedervereinigung 70 Zölibatsklausel 193 Zukunftsbezogenheil der Kündigung 87