Die Auswanderungen und Ansiedelungen der Deutschen als Nazionalsache: Insonderheit Preussens Betheiligung an der Auswanderungsfrage 9783111543574, 9783111175447

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Die Auswanderungen und Ansiedelungen der Deutschen als Nazionalsache: Insonderheit Preussens Betheiligung an der Auswanderungsfrage
 9783111543574, 9783111175447

Table of contents :
Vorrebe
Inhalt
Erstes Kapitel. Die Auswanderungen und Ansiedelungen der Deutschen als Nazionalsache
Zweites Kapitel. Preußens Betheiligung an der Auswanderungsfrage nebst Vorschlägen für inländische Ansiedelungen

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Auswanderungen und Ansiedelungen der Deutsche« als Nazionalsache;

tnsonderhett

Preußens BetheMgung an der AuSwanderungsftage.

Son

Karl von Sparre, Königl. Preußischem kandrarhe des Kreises Weylar.

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Hiessen, 3. Slicker'fche Buchhandlung. 1847.

„So oft ich den gefährlichen Zustand der Dinge um uns her, und dabei unsere Trägheit, unsere verkehrten Rathschläge betrachte, so oft schäme ich mich unserer vor den Augen der Nachwelt. Offenbar geht es dahin aus, daß in Europa stch Alles drüber und drunter kehre, und doch beträgt man sich, als ob Alles in höchster Sicherheit sei, und als ob wir Gott selbst zum Gewährsmann unserer Ruhe hätten. Ueber Kleinigkeiten streitet man, um's Große bekümmert sich Niemand." Leibnitz.

So viele Schriften auch seit Jahren über Auswanderung erschienen sind, so faßt, meines Wissens, doch keine vorzugsweise den Gegenstand in der höher« Bedeutung auf, wie der Verfasser in diesen wenigen Bogen versucht hat. Die meisten Bücher behandeln nur die Auöwanderungsfrage und die Ansiedelung in außereuropäischen Ländern; über das Specielle der viel wichtigern Ansiedelung im Vaterland enthalten sie keine Mittheilung. Beide, Auswanderung und Ansiedelung, ineinandergreifend und auseinandergehend, sollten wohl eigenthümliche Bezüge haben auf das Land woraus und wohin. Sie sollten mehr, wie ge­ schehen, die alte Heimach in'S Auge fassen. Der Verf. ist Zeuge gewesen von dem herzzerreißenden Elend, daö in 1816 und 1817 süddeutsche Auswanderer begleitete auf chrer Heimkehr von der Seeküste, als sie aus Mangel an Fonds eine Ueberfahrt verfehlt, auf die sie chre letzte Hoffnung gchaut hatten. Er hat selbst gesehen, wie solche, vom Hunger ausgehöhlte Gestalten auf ihrem Heimwege die Kleeäcker über­ fallen, um mit gekochtem Klee und anderm Abfall für daö Vieh ein verwünschtes Dasein zu stiften — eine beißende Sachre, eine bittere Ironie auf den christlichen Staat. Der Verf. hat seitdem daö Auöwanderungswesen mit Interesse unablässig verfolgt und

VI Ermahnung nicht ausreichrn wollten.

Los und ledig aller Pflicht

war der Auswanderer oft froh, wenn er außer dem liebet« fahrtSgeld das nackte Leben an die Küste brachte.

Und dennoch hängen diese Deutschen, der höhern Abstam­

mung sich bewußt, noch immer an ihrem deutschen Vaterlandc; sie hier, wie diese dort, machen noch immer Ansprüche an die

Landsleute, an deutsche Gesinnung und Mitgefühl.

Denn Deutsch­

land ist nicht innerhalb der Reichsgrenzen, sondern in dem Be­

wußtsein deutschen Geistes, deutscher Gesinnung und Bildung; in dem Bande, das diese höchsten Potenzen umschließt; in der Ge­ meinschaft, welche Abstammung, Geschichte und Gesittung selbst

über das Meer unterhalten. Wir Deutsche, durch die Vielgetheiltheü geworden, was wir sind, und jede vollständig cvncentrircnde

Einheit

hassend —

sind ja auch

in der

alten Heimath nur

durch den Gedanken zusammengchalten worden.

Und so bleiben

diese Auswanderer auch Deutsche in der höhern Bedeutung, wenn

gleich AuswanderungS - EonsenS und Verzichtleistung auf Unter­

thanenrecht in bündigster Weise ausgefertigt sind. Der Verf. hat vor Jahren auf Erfordern einem Herrn, der mit Kolonisationovcrsuchen im Vaterlande betraut schien — seine Ansichten und Vorschläge mit Zeichnungen und Anschlägen mit-

gctbeilt.

Ob sie dem Monarchen vorgclegt worden, ist dem Vers,

unbekannt geblieben. Da aber jetzt Pauperiomuo und Proletariat stellende Artickel

im Leben, wie in unserer Literatur geworden und zu deren Be­ kämpfung wohl auch die Auswanderungen empfohlen worden sind: so erhebt auch der Verfasser seine schwache Stimme, nm aus

einem reichen Schatze von Erfahrungen darüber Andeutungen zu

geben,

worauf es bei Auswanderungen und Ansiedelungen im

Vaterlande wohl ankommen dürfte.

Denn er ist der Ansicht, daß

in einer so hochwichtigen Sache Keiner zurückblechen dürfe, der mit irgend einen gesunden Vorschlag zum Wohle seiner Mitbürger

machen kann.

Nur Winke und gut gemeinte Andemungcn, keine

— VII —

weitläufige Ausführungen sollen diese Bogen enthalten. Der Sers, ist weü entfernt, sie als untrüglich und masgebend für die höhere Weisheit der Gouvernements hinzustellen. Diese Erklärung wird darum eine billige Beurtheilung fin­ den lassen.

Wetzlar, im October 1846.

Der Verfasser.

Inhalt. Seite

Erstes Kapitel. Die Auswanderungen und Ansiedelungen der Deutschen als Nationalsache. 1. Nothwendigkeit der Auswanderung .... 2. Wichtigkeit der Auswanderungen : «) für den Staat.......................................... ß) für die Gemeinden................................. y) für die Familien.......................................... 3. Wer ist bisher ausgcwandert? AuS welchen Gründen? Wohin? Mit welchen Mitteln? Folgen und Resultate 4. Wie haben sich die deutschen Staatsregierungen bisher bei den Auswanderungen und Ansiedelungen verhalten? 5. Vorschläge für das künftige Verhalten der Staatsregie­ rungen, sowohl bei den Auswanderungen, als bei den Ansiedelungen.......................................................... Zweites Kapitel. Preußens Betheiligung an der Auswanderungsfrage nebst Vorschlägen für inländische Ansiedelungen

1 10 t2 12

13 17

25

36

Erste- Kapitel. Die

Auswanderungen

und

Ansiedelungen

der

Deutschen

als Nazionalsache.

1.

Nothwendigkeit der Auswanderung.

In rechtlicher

Beziehung verstehen wir unter Auswan­

derung : das Aufgeben des Vaterlands, um anderwärts Heimatbrecht zu erlangen; unter Ansiedelung: die Erlangung einer

selbstständigen Stellung im staatlich-bürgerlichen Verein.

Die göttliche Vorsehung

hat bei Erschaffung dieser Erde

unbezweifelt die weise Absicht gehabt, daß sie überall von Men­ schen bewohnt werden solle, soweit die Natur es zuläßt.

Dafür

sprechen die natürlichen und geistigen Anlagen iin Menschen selbst und die durch Boden und Klima bedingten menschlichen Bedürf­ nisse.

Die geistigen und moralischen Kräfte des Menschen, der

durch seine Vernunft gebotene Vervollkommnungs - und Gesellig-

keitstrieb — wie sein physisches Bedürfniß, die Nahrung zur Lebenseristen; — fordern daher Auebreuung über die bewohnbare

Erde — Auswanderung.

Der Gcselligkeitstrieb des

Menschen,

der Trieb nach Wohlsein sind so alt, als die bewohnte Erde selbst.

Wer diese Triebe zurückhalten wollte, würde sich an der Gottheft und an der menschlichen Vernunft versündigen.

Das deutsche Volk zeigt sich durch seine vorzüglichen Eigen­ schaften besonders tüchtig, 'Niederlassungen in allen Welttheilen zu begründen. Ihn diesen Satz zu beweisen und die Fragen, die v. Sparrs, bis Auswinterung. 4

2 Gegenstand dieser Abhandlung sind,

— scheint nöthig,

in das rechte Licht zu stellen

sich diese vorzüglichen Eigenschaften des Deut­

schen zu vergegenwärtigen und sich ihrer, die so leicht vergessen,

wenigstens nicht gehörig gewürdigt werden — bei dieser Gelegen­

heit

zu

erinnern.

Ich wähle dazu eine Stelle von Pfizer*),

der sehr wahr sagt : „Kein Volk ist geeigneter als der Deutsche,

vom Mittelpunete des Welttheils aus der Hüter und Vermittler eines Weltfriedens zu werden und die Gerechtigkeit unter den Völ­

kern zu vertreten.

Dem deutschen Rechtssinn eigenthümlich ist es

nemlich, daß in ihm der Pflichtbegriff so stark bervortritt,

indem

der Deutsche bicr wie überall, durch seinen geistigen Instinct zum

höchsten geistigen Bezug

der

Dinge hingetriebcn, den Urgrund

alles Rechts nur in des Menschen sittlicher Bestimmung ahnt und

findet. Antheil,

dies

Und

scheint

auch die beutige Bestimmung und der

der dem deutschen Volk an der seit 50—60 Jahren be­

gonnenen Umwandlung des innern Rechts - und Staatslebens der

Völker beschiedcn ist : die Freiheit auf das sittliche Maas zurück­ zuführen, das Recht von den Auswüchsen und Verfälschungen der

Rohheit und

Selbstsucht zu reinigen und eben dadurch zu ver­

hindern, daß nicht an die Stelle der Willkühr eines Einzigen oder Weniger, unter dem Namen des Vernunftrechts, die Willkühr der

Vielen trete. „Das eigenthümliche Wesen des deutschen Volkes läßt sich in

Einem Wort aussprechen : es ist Allseitigkeit,

des Geistes,

Allseitigkeit

Allseitigkeit der Empfindung, die aus dem

Innersten der Seele, dein Gemüthe entspringend, auch jeden äußern

Eindruck willig und gleichmäßig aufnimmt. sinnung,

Allseitigkeit der Ge­

die durch den immer regen Antheil am Geschick der

ganzen Menschheit den D'iuschen zum gebornen Weltbürger und

das deutsche Volk zum Welrvolk stempelt. Wie ferner die deutsche Sprache als die bildsamste unter den jetzt lebenden, den größten Reichthum fremder Formen sich aneignet, wie fast durch das ganze

Mittel al er

die

Geschichte

der Deutschen mit der Weltgeschichte

*) P A. Pfizer, Gedanken über Recht, Staat und Kirche. Stuttgart IM2. S. Ia3 ff.

2r Thell.

3

selbst zusammenfällt, so lassen auf den Grundzug der Allseitigkeit, als ihrer Wurzel, auch alle hervorstechenden Eigenschaften des deutschen Charakters sich zurückführen. „Uiimittelbar aus ihr folgt : 1) der deutsche Spiritualis­ mus oder das GeVaiikenleben. Als ächte wirkliche Allseitigkeit erweist sich aber sene Richtung auf das geistig Allgemeine dadurch, daß es nicht blos das Allgemeine ist, wozu der deutsche Geist sich hingezogen fühlt, sondern zugleich auch das Besondere und Individuelle. Denn die ihm eingeborne Allseitigkeit muß auch den Gegensatz des Allgemeinen, die Sonderthümlichkeit, in sich tragen, wodurch die leere, todte Allgemeinheit zur lebendigen und erfüllten, die Mannigfaltigkeit zur Einheit und zum Ganzen wird — nur daß hier ein, im Einzelnen und Kleinlichen sich verlierender Svndergeist den Deutschen durch ihre staatliche Auflösung und Zersplitterung manche bittere Frucht getragen hat. Doch in jener Eigenschaft hat der deutsche Rechts sinn seine Quelle. Der wahre Rechtesinn ist nichts anderes, als Achtung des Einzelwesens; und der Sinn für das Besondere, der auch jedes Einzelne in seinem Werth bestehen läßt und dessen Ansprüche und Geltung anerkennt, äußert iin sittlich prartischen Gebiete nemlich : „ 2) sich als Rechtsin n. Die Deutschen sind ein RcchtSvolk und der Ruhm, die Rechte des Individuums in einer, dem Alterthum ganz unbekannten Ausdehnung geltend gemacht zu haben, gebührt unläugbar, nächst dem Christenthum, dem Rechtsgeist der Germanen. Kein Volk hat größere Achtung vor dem Recht, ja vor dem blosen Namen des Rechts und dem das Recht sestsetzenden Vertrage, als das deutsche. Kein Volk hat schon so früh das Wesen des Staats auf das Rechtsgesetz gegründet; bei Keinem greift der Rechtobegriff so tief und so entscheidend ein in seine ganze Lebensentwickelung; bei Keinem treten die Rechtsfragen so sehr in den Vordergrund aller Verhandlungen. Sogar der Krieg ward auf Grundsätze deö Rechts und Vertrags zurückgeführt. Bezeichnend ferner ist in der Urzeit die stolze Eifersucht des Deut­ schen auf seine angeborne Freiheit und Unabhängigkeit, seine Alleinherrschaft in Haus und Hof und anderseits die Kraft der 1 *

4 Selbstverleugnung in Erfüllung des eingegangenen Vertrags, sogar

auf Kosten von Freiheit und Leben.

„3) Die dritte Eigenschaft, die aus der Allseitigkeit, die vorherrschend geistiger Natur ist, hervortritt, ist das unüber­ setzbare Wort Gemüth.

Was im sinnlichen Menschen die Em­

pfindung, das ist im geistigen Menschen das Gemüth oder das höhere Gefühtsvermögen, das den innersten Grund des Seelen­

lebens bildet. Die Empfindung ist es, von der im Menschen Alles

ansgeht mit) in die sich Alles wieder anflößt, die jeden Sinn und Trieb, mag er sich denkend äußern, oder bandelnd sich bethätigen, begleitet.

Doch nicht bei allen Menschen dringt die Wirkung von

Sinn und Trieb bis in die böchste, stillste Region der Seele. Ein­

seitige und stürmisch leidenschaftliche,

oder leichtblütige u::d ober­

flächliche Naturen, die einer ruhigen Auflösung ibrer Gefüble und

Gedanken in der innern ^Sdr nnfäbig,

oder nicht bedürftig sind,

erfahren wenig vom verborgenen Leben des Gcmütbs;

aber bei

mehr in sich gekehrten geistigen Organisazionen ist das Gemüth der tiefste Lebensgrund und Miltelpunet,

taucht ist und zurückkebn.

in welchen alles einge­

Wenn es daber bei andern Völkern

häufiger die Energie des Triebs nach Außen oder des Willens ist, was sie bewegt, so ist es bei dem Deutschen mehr die Innerlich­

keit des Gefühls, Alles,

was ibn beseelt;

und nicht blos Sinn für

auch ein Herz für Alles bat der Deutsche.

Dadurch

verbreitet er nach allen Richtungen sein inneres Leben, das Große wie das Kleine, das Ganze wie das Einzelne, die Heimath wie die Fremde zu umfassen, und wie die deutsche Nazion durch ihren

Geist im Reiche der Gedanken mebr in die Höhe dringt, so wur­ zelt sie durch ihr Gemüth in der Gefühlswelt tiefer, als die andern. „Dagegen ist das deutsche Leben langsam. sind,

Die Deutschen

weil abgeschlossener in ihrer Individualität, auch minder

leicht in Masse gleichförmig zu bewegen oder zu begeistern und jeder Moment eines allgemeinen Aufschwungs muß langeber in

den Gemüthern vorbereitet sein.

Demungeachtet ist der Deutsche

einer tiefen Begeisterung, zumal für höhere Interessen fähig und

5

in der geistige» Organisation des deulschen Volks wurzeln Geist, Gemüth und Rechtssinn. „Es ist vollkommen richtig, daß im Leben die Deutschen die Einheit verloren haben und bis jetzt nicht wieder finden konn­ ten. Aber das gilt nicht vom Bereich des Geistes. Das zeigt unsere Philosophie. Darum sann dem deutschen Volk die Kraft des Daseins und der Selbsterhaltniig nicht abgesprochen werden. Offenbar ist es bei uns der Mangel an staatlicher Einheit und ohne unseren Sondergeist wäre es nicht bis zum gegenwärtigen Grad von Zersplitterung gekommen. „Zu dem eigensten Wesen der Deutschen gehört die durch­ gehende Zweiheit oder Doppelrichtung, die unzertrennlich ist von chrer in jeder Art von Gegensätzen sich bewegenden Allseitigkeit. Und so ging auch der Deutschen Vielgestaltigkeit und Vielheit von jeher, bald stärker, bald schwächer hervortretrnd, ein Geist der Einheit und Gemeinsamkeit zrir Seite. Schon in der Zeit der Völkerwanderung prägte fich die Einheit des germanischen Geiste­ aus, wovon heute noch Spuren fich zeigen, llnb als endlich Ruhe und Festigkeit i» die bewegten Völkcrmaffen kamen, da war die deutsche Razionali'tät die erste, die Bestand gewann und sich über alle andere hervorthat. Die Deutschen waren es auch, welche den Gedanken eines Weltreichs »ach den Römern ausgenommen haben und durch die Verknüpfung mit dem Gedanken einer Welt­ kirche zu der Idee zur höchsten und umfassendsten Einheit erwei­ terten, die je ei» Volk erstrebt bat „Widerstrebend ist dem deutschen Wesen die einförmige Ein­ heit, welche alles selbstständige Sonderleben tödtet und im Begriffe der einen Kirche oder Nazion aufgeben läßt. Er liebt und sucht die Einheit bei der fteiesteii Mannigfaltigkeit. Von der Derschnommenheit eines leeren, charakterlosen Weltbürgerrhums ans der einen und der Engherzigkeit geisttödtender Kleinstädterei und Kleinstaaterei auf der andern Seite, ist wenigstens der Rückweg angetreten, wenn nicht zur Wirklichkeit, doch zum Gedanken deutscher Nazionalität. Ein Zug von Geistigkeit bezeichnet schon in seiner Urzeit daS deutsche Volk: die ältesten Urkunden schildern uns den Götter-

6 glauben der Germanen ahnungsvoller, geistiger, als bei andern Völkern auf derselben Stufe der Gesittung.

Nicht in Tempel­

wänden, sondern in Wäldern, auf Felsen, Gewässern, an Quellen verehrten sie den allgegenwärtigen Geist der Natur und jene-

Unerforschliche, das sie nur mit dem Auge der Ehrfurcht schaueten. Dabei schimmert in alle» öffentlichen und häuslichen Verhältnissen, in der Heiligkeit der obrigkeitlichen Wurden, im Gaufrieden,

in

der Verhängung der Todesstrafe, im GotteSurtheile, in Schließung der Ebe und in dem uralten Gastrecht eine religiöse Grundlage durch. „Dieselbe Macht, welche die deutsche Nazion staatlich zu keiner

Einheit volkStbüinlichen Lebens

und Bewußtseins koinmcn läßt,

hindert dadurch auch die fruchtbringende Vermählung ihres Geiste»

mit der wirklichen Welt, die Wechselwirkung und Durchdringung zwischen innerm und äußcrm Leben,

die zur Gesundheit und zur

Vollkraft geistiger Entwickelung unentbehrlich ist.

„Nicht minder unnatürlich und verderblich erscheint endlich die Gespaltenheit des deutschen Volks in ihrem Einfluß auf die

geinütblichcn Eigenschaften. Das Gemüth des Delitschen zeigt sich sowohl häuslich

und bürgerlich in dem innigen Familien - und

Gemeindcleben; als romantisch und kosmopolitisch in dem schwär­ merischen Zuge,

in der Verehrung der Frauen, in der tiefen

Frömmigkeit des Mittelalters lind dem Weltbürgersinn der Neu­

zeit, der auch die ewige Wanderlust erzeugt bat.

DaS Gemüth

ist es, was den Rechtssinn der Deutschen adelt, ihren Gedanken Schwung und Tiefe, ihrer Kunst Sinnigkeit und Seele leiht; e-

ist die Quelle ibrer Begeisterung und Glaubenskraft, ihrer Em­ pfänglichkeit und Liebefähigkeit für alles Menschliche, durch welche

das deutsche Volk hoch über allen Völkern stehen würde, wenn seinem Weltbürgersinn nicht das nothwendige Gegengewicht, ein

fester Kern der Nazionalität abgingc, der verhindert, daß in der Hingebung an Fremdes

und

Ausländisches alle Selbstheit und

Ursprünglichkeit verloren geht. Es ist in Wahrheit nichts Geringes um ein Volk, das Glück lind Unglück anderer Völker wie sein

eigenes mitempfindet, ihre Fortschritte *vhne Neid betrachtet, sogar für ibre Ehre besorgt sich zeigt, jede fremde Vortrefflichkeit kennen

tu lernen und sich anzueignen strebt und die zerstreutm Züge eines GesammtbildeS idealer Menschheit überall auf Erden sammel». „Die ächte Vaterlandsliebe fehlt den Deutschen, well sie keinen Staat besitzen, welcher Erscheinung, Ausdruck und Organ ihres GesammtlebenS wäre und ihren besten Staatsmännern fehlt ost der Begriff der Nazion. „Von jeher aber strebten, bei ungestörter Entwickelung ihres eigenthümlichen Wesens, die Deutschen, die Einheit mit der Frei­ heit zu verbinden und selbst im vielgeschmäheten Lehenwesen lebte dieser Trieb. Denn so wie das Naturgesetz der Anziehung des Gleichartigen immer gebieterischer auf die Bildung großer Nazionalstaaten hinwirkte, so schuf der germanische Geist jene zusammen­ gesetzte Gliederung, welche eine Menge von selbstständigen Häupt­ lingen in langer Stusenreihe unter einem Oberherrn vereinigte und freilich oft erdrückend auf die unterste Schicht der gesellschaft­ lichen Pyramide lastete — aber doch mehr Keime der Freiheit in sich bewahrte, als der nackte Despotismus eines Einzigen. „Das Volk der Deutschen aber durch seinen allseitigen Geist dem Weltgeist näher stehend, fühlt auch um so unwiderstehlicher dessen Anhauch und kann seiner Berührung sich am wenigsten entziehen. Trotz aller Hemmnisse und aller Feindscligkeiten bricht deshalb das Nazionalbewußtsein immer wieder, wenn nicht in Thaten, doch in Worten, Zeichen und Gedanken unwillkührlich durch. Der Zeitgeist aber führt zu Ende, was der Weltgeist an­ gelegt und wird als allgewaltiger Bundesgenosse dem Nazionalgedanken andere Bahnen brechen, die für Deutschlands Regierungen noch weit verhängnißvoller zu werden drohen, als für Deutschlands Völker. Denn diese Zuversicht dürfen wir schöpfen aus der Be­ trachtung unserer ganzen Gegenwart und Vergangenheit, daß die Lebensbewegung unsrer Nation setzt noch im Steigen, daß unsere weltgeschichtliche Aufgabe in ihrem ganzen Umfange noch nicht erfüllt ist. Noch immer trägt das deutsche Volk die Wahrzeichen seiner Bestimmung unvertilgbar an der Stirn, durch die Macht des Gedankens, durch sittlichen Ernst und Tiefe des Gemüths daö Herz der geistigen Welt zu sein, wie es im germanischen Mittel-

8 alter der Mittelpunct der christlichen Welt gewesen ist.

Die

Deutschen sollen wieder werden, und ;war mit Hellem wachenden

Bewußtsein wieder werden, was sie einst aus Instinct sein woll­ ten, jedoch aus

Mangel an klarem Bewußtsein und durch die

Ungunst äußerer Verhältnisse nur unvollständig waren, oder nur

auf kurze Zeit gewesen sind : eine freie aber unauflösliche Ber­ einigung freier Stämme zu einer freien Nazion."

Was hier von dem Wesen des Deutschen gerühmt worden,

das sollten wir von Zeit zu Zeit in unserer Erinnerung auffrischen — dann zumal, wann wir gegen Andere unsern Werth verläugncn

und uns wegwerfen wollten.

Diese vorzüglichen Eigenschaften machen den Deutschen nun recht eigentlich geschickt, in fremden Ländern mit Glück Ansiedelun­ gen zu begründen und befähigen ihn, seine Cultur inner den Völ­

kern der Erde zi« verbreiten. Seine geistige und moralische Kraft, seine Bildung sind das Ferment für die Wcltbildung und darum

scheint er von der Vorsehung berufen, der Träger und Förderer dieser allgemeinen Weltbildung zu werden.

llnd solche Menschen läßt man in fernen Wüsten zerstreut, verkümmern, verderben, so viele Werthe unter fernen Zonen zu Grunde gehen!

Nicht minder nothwendig als jenes allgemeine Culturbedürf­

niß erscheint die Auswanderung für den eigenen Staat,

um die

physische Eristenz und dadurch die politisch sociale zu erhalten. Die Lebensinittel eines Landes,

durch eigenen Boden und

Arbeit oder durch Tauschwerthe herbeigeschafft,

müssen nach der

Naturhaushaltung immer in gemessenem, zureichendem Verhältniß

zu der Menschenmasse stehen.

Wird dieses dadurch verrückt, daß

mehr Menschen auf diesem Erdfleck eristiren wollen, so müssen sie

anfangen den Genuß zu beschränken und werden damit endigen, daß sie auch die allernothwendigste Leibesnahrung nicht mehr finden. Man unterscheidet dünne, dichte Bevölkerung und Uebervölkerung. Alles dieses -sind relative Begriffe, die zu chrer Erklärung

eines Andern bedürfen.

Nimmt man dichte Bevölkerung als das

Normalmaas und eben Wünschenswerthe an, so.würde sie sein,

9 wo Jeder eben sein leibliches und geistiges Genüge hätte.

Wo

aber eins fehlt (imb das geistige Lebenselement, als weniger stür­ misch, wird zuerst entbehrt werden), da ist schon allzudichte oder Uebervölkerung vorhanden. Denn der Mensch hat zwei Naturen:

eine sinnliche und eine geistige, denen beiden genug zu thun ein

höheres Wesen vorgeschrieben hat.

Ja, die physische Natur ist

nur da, um dem höher» geistigen Vebcn zu dienen, durch das wir

in die unendliche Reihe böherer Bildungen eingefügt werden. Das Genüge der geistigen Menschennatur kann und darf daher nie

verkannt, hintangesetzt, das

Bervollkommnnngsstreben darf nie

verkümmert werden, und wo dieser Menschheitszweck zeitweilig mißachtet wird, nicht zur Geltung kommt — wie das bei Ueber­

völkerung so oft der

Fall ist — da kann solcher Zustand eine

Zeülang zwar aushalien, aber nie von Dauer sein. Uebervölkerung ist daher nicht erst dann vorhanden, wenn die Menschen sich gleichsam anfeffen,

sondern auch

schon dann,

wenn sie ihre Leiber mit der gemeinsten Nahrung füllen und, schlimmer wie dao Thier, ibre ganze Thätigkeit nur auf diese Le­

benserhaltung verwenden müssen und an eine wahre geistige Er­ hebung und Fortbildung nicht gedacht werden kann. In diesem Zustande der Uebervölkerung befinden sich nun

niedrere Provinzen und Orte in Deutschland und für sie eristirt

also das physische Bedürfniß der Auswanderung, abgesehen von

der moralischen Nothwendigkeit, daß feder Staatsbürger seinem böhern Menschheilszweck im Vaterlande muß genügen können.

Aber mit der physischen Cristenz ist auch zugleich die politische

und sociale Ordnung im

Staate bedroht.

Wenn TacituS den

alten Germanen nachrühmt, daß bei ihnen die Sitten ausrichten, was anderwärts die Gesetze, wenn er als einen großen Zug der Enthaltsainkeit rühmt, daß Keiner vor dem 25ten Jahre heirathe: so ist^ damit schon vor langer denn tausend Jahren unsren fetzigen

Zuständen das Urtheil gesprochen.

Freilich war damals auch der

Deutsche hofgcscssen und das ganze Volk war durch Grundbesitz

abgestuft — daher solcher Rubm erklärbar, während fetzt von der

Geldmacht und dem in Furchen zersplüterten und mit Schiefer-

10 steinen abgemarkten Grundbesitz, und endlich vom Proletariat die Sitten und die germanische Ehrenhaftigkeit erwartet werden sollen! Wer Wind säet, wird Sturm erndten! Wird diese, von der physischen und moralischen Menschen­

natur, von einem höher» Wesen gebotene Auswanderung nicht zugelaffen oder beschränkt,

so wird die Rache früh oder spät

Die Menschen werten sich einander verderben, auf­

kommen.

reiben, werden physisch und geistig verkrüppeln; ihre thierische Natur wird hervortrcten und über die höhere geistige siegen, da­

mit aber wird sein — das Ende der Staaten.

Schon beginnt hin und wieder auch in Deutschland die Fäulniß durch Pauperismus und Proletariat, und wird auch die ge­ sündesten Glieder angreifen,

wenn der Wink nicht verstanden

werden will, den die Vorsehung durch Wikterungö-Ealamitäten zu

Zeiten herniedcrsendet, um den Krebs aus dem Staatsorganismuö herauszuschneiden. feste Hand,

Dazu gehört aber eine geschickte und zugleich

und unsere Staatskünstler sind zaghaft und glauben

noch iininer durch Palliative

zu helfen, die Armen zu füttern,

Statt die, welche vor gänzlicher Hülsslosigkeit sich noch retten wollen, dahiit zu verweisen, wo sie fortwährend Arbeit, lohnenden

Verdienst und Brod finden. Unsere Eiscnbabnarbeiten

und Kanalgrabungen

sind

blose

Nothbebelfe : sie verdecken zeitweilig, sie verlängern das Uebel

und schieben eS nur hinaus, ohne ihm gründlich abzuhelfen. Man wird nach Jahren endlich in den überseeischen Auswanderungen die einzige Hülfe erblicken, die dann vielleicht nur eine halbe sein wird, weil sie zu spät kam. 2.

Wichtigkeit der Auswanderungen:

a) für den Staat. Gegenüber andern Völkern sowohl, als unS selbst, zeigt sich

der Auswanderung große Wichtigkeit durch die erwiesene Noth­ wendigkeit. Die Auswanderung stellt sich aber nicht minder als wichtig

dar, wenn wir sie, in Bezug auf uns selbst unter dem Gesichts-

11 Puncte der Werthe betrachten und zwar der materiellen, wie der geistig sittliche». Denn auch der Mensch als Sache und als geistig sittliches Wesen unterliegt der Werthbestimmung. Der Werth und die Geltung des Menschen im Staats­ haushalte kann nun ein Produkzionswerth und ei» reeller (Gebrauchswcrth) sein. Jener begreift die ganze Summe von reellen Werthen, die ans leine Hervorbringung verwandt worden sind; dieser diejenigen, welche seinen Gebrauch ausmachen. Die nazionalökouomlschen Correlarien Beider dürfen hier wohl als bekannt vorausgesetzt werden. Nun hat aber schon ein Kind bis dahin, daß es befähigt wird, für sich selbst und andere :ii sorgen, einen hohen Produkzionewerch, wenn wir alle die physischen und geistigen Kräfte der Privaten und der Nazionalgesamimheit in Anschlag bringen, die auf seine Ausbildung verwandt sind, die solchergestalt gleichsam als stehendes Capital sich ansehen läßt. Noch höheren reellen Werth haben die erwachsenen produk­ tiven Menschen durch das ihnen inwohnende physische und geistige Vermögen, dem, um eS zur Wertherscheinung zu bringen, zugleich die Willenskraft beiwohnt. Diese Werthe macken das Menschenrapital eines Staats aus, das beim einzelnen Menschen bis zu seinem vollen Lebens­ alter steigt, dann stillsteht und wieder abnimmt. Selbst der schwache Greis erscheint auf dieser Wertbsseala, wenn auch nicht durch physische, doch durch Geisteskraft, seine gereifte Erfahrung. Bei dieser numerischen Schätzung ergibt sich bei jeder Aus­ wanderung der Verlust einer gewissen Summe und Totalftät von Werthen, die je nach dem Umfang der Körper- und Geistes­ kräfte bemessen werden kann. Unter dem materiellen Gesichtspuncte ergeben sich weitere Verluste für den Staat durch die Münahme der Geldcapitalien, die eben erst auf die manigfachste Weise gebildet worden sind, und blieben sie im Lande — größtenteils sofort zur Anwendung gebracht und in die belebendsten Kanäle geleitet worden wären. So werden also erportirt: Arbeitskraft und Capital, mühin

12

die wichtigsten Bestandtheile des Nationalvermögens und nur Grund und Boden, der nicht mitgenommen werden kann — bleibt zurück.

Gegen diese positiven Werthverluste können negative Vor­ theile kein Aequivalent

bieten.

Der Verlust schlechter,

fauler

Menschen, liederlichen Gesindels vermag die Massen werthvoller Auswanderer nicht aufznwiegen und nur dadurch neigt sich die

Wagschale einigermaßen wieder zum Gleichgewicht, daß sene Un-

werthe,

welche das Vaterland gl«chsam auostößt,

stets als ein

böses Ferment für ruhige zufriedene Bürger gelten, dessen Weg­ schaffung nie zu tbencr erkauft wird.

Die Wichtigkeit der Auswanderungen durch jene Nothwen-

digkeit, diese Menschen- und Capitalwerthverluste für den Staat

erscheint demnach wohl nachgewiese».

Sehen wir fetzt welche Wichtigkeit sie haben für die Ge­ meinden und Familien. ß.

So manche werthvolle Eigenschaften der

verwenden

sich zunächst

Auswanderer

nur für die Gemeinden

durch diese mittelbar für den Staat;

und nur

sie müssen jenen daber

ganz zu gute gerechnet werden.

Gemeinsinn, der Werth, den er dem Gemeinwesen verleibet durch Arbeit, Beiträge und Beiratb; das Beispiel des Gehorsams

gegen die ihm vorgesetzt sind in Staat, Kirche und Gemeinde; das schöne Muster

verwandschafklicher und Nachbarnliebe;

das

mit dem ganzen Leben durch und durch verwachsene Gefühl der

Zusammengehörigkeit mit Menschen, die sich an kennen und alles

nennen

und mit

werthvolle Potenzen, die

von Kindesbeinen

einander aufwuchsen — sind

der Gemeinde zunächst, dem

Staate nur entfernt zu gute kommen. y.

Auch die Familie endlich, und im weitern Sinn die

Stammgenoffenschaft, nimmt ihren schmerzlichen Theil an dem Verlust; denn sie mußte immer stützen, wenn Staat und Gemeinde

nicht helfen konnten.

In dieses innerste Heiligthum bargen sich

Noth, Kummer und Sorge und fanden im regen Mitgefühl Trost in so vielen Lebensnöthen.

Noch mehr werden alle solche Verluste dunkel oder mit Be-

13

wußtsein gefühlt, wenn die Auswanderer Wohlthäter, wenn sie

Begabte waren und mit sich nehmen alle die herrlichen Eigen» schäften, die dem Menschen sind

eine Zierde und für Staat,

Gemeinde und Familie eine kräftige Hülfe.

Diese Andeutungen mögen über die Wichtigkeit der Aus­

wanderungen urtheilen lassen.

3. Wer ist bisher ausgewandert?

Wohin?

den?

Aus welchen Grün­

Folgen

Mit welchen Mitteln?

und Resultate. Die größte Mehrzahl der deutschen Auswanderer sind Rand­ mithin der gesundeste Kern, der kräftigste und

bauern gewesen,

unentbehrlichste Stand der Bevölkerung.

Grund und Boden hat seinen gemessenen Raum; er ist nur iuteusiv der Erweiterilng fähig, nicht ertensiv, wie die Industrie, selbst wenn er bis in's unendliche, wie theilweise schon geschehen,

zersplittert würde.

Seine Berbcsserungen gehen der Natur der

Sache nach langsam, geben immer nur beschränkten Arbeitskräften Raum und Nahrung.

Daher ist erklärbar, daß bei der Classe

der Landbauern zuerst das Bedürfniß der Auswanderung fühlbar wurde.

Da, wo die Bauerngüter bei Erbfällen getheilt und sonst

parcellirt werden kennen, finden sich schon ganze Dörfer, worin

bei dem Besitz

von wenigen Morgen,

keine

and

kein Pferd

Ochsen, nur Fahrkübc gehalten werden können und die so genann­ ten Bauern nach Frankreich, England,

arbeiten,

Rußland gehen, um zu

oder zu bandeln, oder Musik zu machen und einen

kargen Lohn für den Winter zurückbringen. selche

welchen Einfluß

Zustände

Es ist begreiflich,

auf Gesinnung

und

Sitten

äußern müssen*).

Sodann Fabrikarbeiter,

hat

die Auowandernngolust die Handwerker

und

zuletzt

die

gebildeten Stände

und

ergriffen.

• i 6. meine „Lebensfragen im Staate in Beziehung auf das Grundbesitzchuni" S. 211 ff.

14 Zwischen diesen und jenen hat die Noth, eine wirkliche oder ver-

meimliche, die Grenzlinie gezogen. Die Gründe bei Allen waren also Lebensnoth, zum gering­

sten Theil eingebildete, verbunden oft mit Leichtsinn, Unzufrieden­

heit und Ueberdruß an den heimischen Zuständen.

Bei den ge­

bildeteren Classen : Specnlationssucht; Zerwürfnis; mit staatlichen Einrichtungen; Freiheitsschwindel;

ohne

bestimmten Gegenstand

des Hasses kränkelnder steigender Uninuth und Mangel an In­

teresse an dem Bestehenden —woran selbst Biele der Daheimblei­

benden sich krank fühlen. Bei den Landbauern wähne man aber doch nicht, daß poli­ tische Zustände und Mangel der Theilnahme daran allein sie zur

Auswanderung bewogen.

Ihr zurückgezogenes, nur auf freies

Religionsbedürfniß, häusliche

Lebensberuf

Einrichtungen,

Fainilienwohl bedachtes Leben in Amerika und anderwärts

weisen zur Genüge das Gegentheil.

und be­

Kein ruhigerer, zuftiedener,

um Staats- und Welthändel weniger bekümmerter Auswanderer,

als der Deutsche selbst in der neuen Heimath, wie in der alten. Davon ruht der Grund in seiner geschilderten tiefen Innerlichkeit.

Aber außer der Lebensnoth mancher Druck bald durch Ge­ setzgebung, bald durch hohe und protegirte niedere Staatsbeamten,

bald durch Dorfdeöpoten; mancher Steuerdruck und Jammer*);

schleppende kostspielige Justiz und Verwaltung und Mangel eines schmerzlich vermißten Wohlwollens—gaben nur zu oft das Maas

voll, wenn Lebensnoth, der Anblick hungernder, frierender Kinder schon bis an dir Schwelle der Verzweiflung geführt hatten.

Unglaublich ist und kann nur derjenige wissen, der Jahre lang in die Volkszustände, in das Innere der Familien Blicke zu werfen Gelegenheit

hatte — wie

arm

und

innerlich

zerrüttet

manche Familie ist, die den Schein des Wohlbesindens trägt, uiid wie viele geheime Klagen die Auswanderer über politische und

*) S. meine Schrift: „Die Preußische Clafsensteuer und Mahl- und

Schlachtsteuer aus dem Gesichtspuncte eines Praktikers. 1844."

S. 22.

Gießen bei Ricker

15 sociale Zustände zu führen haben — viele ungcgründet und sich

nicht wenige aber doch begründet — und wie

selbst beizumeffen,

nur die Sicherheit auf fremdem Boden die Zunge löset.

Aber nicht immer gehen den Auswanderungen ein klares Be­ wußtsein und Selbstverständniß, eine mittheilbare Reflerion und um­ sichtige Berechnung voraus; viele bewegt nur die Sorge, ihren

Kindern ein befferes Loos zu bereiten. ein

dunkles

Die Meisten leitet aber

vages Gefühl der Unbehaglichkeit, das

immerhin

wahr ist, wenn es auch nicht sich auf sich selbst besinnen kann.

Andere stimmen nur in den Ton der Klagen ein und lassen sich dadurch leiten.

Alle aber drängt es nach

einem besseren Zu­

stand — eine Erscheinung, die so alt ist als die Welt, die in der angebornen menschlichen Unzufriedenheit, im Vervollkommnungs­

trieb,

ibren Grund findet : daß der Mensch das nahe Gute oft

nicht achtet, das

Ferne aber überschätzt; daß der Besitz

Beschwerden fühlen läßt, erträumt wird.

die Zukunft aber

die

ohne Beschwerden

Der Mensch ist nun einmal so,

und der unge­

bildete zumal und wir müssen ihn nehmen wie er tft. *)

Wohin haben sich bisher die Auswanderungen gewendet? Als Strom sind sie dem Nordamerikanischen Freistaate zu­

geflossen und haben sich da die Ansiedler nicht

(mit

wenigen

Ausnahmen) zusammengehalten und eine deutsche Lebensgemein-

*) Rur einige Fälle, die ich amtlich zu behandeln hatte, gaben das Re­

sultat umsichtiger Reflerion.

Ein Gemeindevorsteher z. B., Vater von sechs

Kindern und im Besitz einer großen Hoftaithe und 30 Morgen Land, wan­

derte nach Tennessee aus.

Er urtheilte : „ich bin jetzt noch rüstig, meine

Söhne find noch nicht 17 Jahre alt, sie trifft also nicht der Verdacht, sich

der Militairpflicht zu entziehen;

wenn ich aber sterbe, theilen sich 6 Kinder

in 30 Morgen Land; 5 Morgen sterilen Ackers sind aber zu wenig, um hier einen Hausstand zu gründen; die Hoftaithe ist für ein Kind zu groß; ich

verkaufe daher besser Alles jetzt gleich,, kaufe mich in Nordamerika wieder an

und sichere da allen meinen fleißigen Kindern einen zureichenden Grundbesitz

durch lohnende Arbeit und mit wenigem Geld." speculirt;

Bürger.

Der Mann hatte richtig

es geht ihm sehr gut; aber die Gemeinde verlor ihren bravsten

16 schäft fortgesetzt, sondern sie haben unter der Bevölkerung dieses

großen Staates sich vertheilt und verloren und sind dadurch ihrer Sprache, der Sitten, aller Bortheile ihrer deutschen Eigentbnm-

lichkeit für sich und das alte Vaterland verlustig gegangen. Andere Einzelne und Familien haben die verschiedenartigsten

und

Europäischen

Außereuropäischen

zum

Länder

Ziel

ihrer

Wanderungen gewählt —oft Gegenden mit dem von Deutschland

verschiedensten Clima und Boden und Lebensverhältniffen als : Rußland, Polen, Galizien, Siebenbürgen, Ungarn, Serbien, Anen, Afrika, Amerika, Westindien

und Australien.

Auch sie

haben nur selten hier, und nicht lange dort geschloffene Gesell­ schaften und Gemeinschaften

gebildet,

sondern

sich

nach

allen

Winden zerstreut. Die Mittel, welche die Auswanderer Mitnahmen, sind in

vielen Fällen unzureichend gewesen, um den erträumten Grund­

besitz

zu

erwerben,

oder

ein Etabliffeinent

zu gründen.

Die

Meisten blieben auf ihre physische Kraftäußerung beschrankt und

erlangten erst dadurch das Genüge einer selbstständigen Stellung. Der große Aufwand,

um sich erst hier frei zu machen, die kost­

spielige Reise, manche Mißgriffe

im

fremden Lande, Betrug,

Unbekanntschait mit allen dortige» Lebensvcrhaltniffen — lassen das erklären.

Hierbei muß eines Umstandeö erwähnt werden, der die Aus­

wanderungen sowohl, als die Ansiedelungen sehr erschwert — es ist die Versilberung des Vermögens, besonders der Immobilien,

die oft nur gegen Zahlterniine verkauft werden und nicht selten

verschleudert werden müssen, während der viel geplünderte Aus­ wanderer doch

jeden Groschen

zu Rathe halten >nuß.

Schon

weil feder weiß, daß er verkaufen muß, daß der Einschiffung^,

tcrmin drängt, benachtheiligt ibn.

Wenn nun, wie oft der Fall,

mehrere Familien aus einem Ort abziehen, so kommen plötzlich so viele Grundstücke zum Verkauf, daß die Concurren; die Preiße

niederdrückt.

Da nun der Auswanderer die Zahliermiiie nicht

abwarten kann, sondern Haares Geld mitnehmen will, so muß er sich entweder einen starken Rabatt gefallen lassen, oder er muß

17

sich an chn'stliche oder jüdische Wucherer wenden, welche Vor­ schüsse leisten. Dadurch wird nicht selten dem Auswanderer un­ möglich gemacht, sich anderwärts anzukaufen. Weder die Staatsregierungen, noch die Gemeinden, noch Vereine haben dagegen bisher geholfen. Das Loos dieser Auswanderer ist jederzeit gewesen, daß sie dann ihr Glück gefunden haben, wenn überhaupt das richtige Ansiedelungsland und der angemessene Ort gewählt wurden; wenn das Unternehmen schon hier mit Umsicht und möglichster Voraussicht beschlossen, mit angemessenen Geldmitteln und einem festen, starken Charakter begleitet wurde, der auch alle Leiden, Entbehrungen, Gefahren und Mühen zu ertragen zum vorauentschlossen war; und wenst dann mit Kraft, Fleiß, Sparsamkeit, deutscher Beharrlichkeit und mit Gottvertrauen das Ansiedelungs­ werk vollführt wurde. Nur besondere, außer Berechnung liegende Unglücksfälle, haben Ausnahmen gemacht. Man sieht, wie viel hier beisammen sein mußte, um den Zweck zu erreichen und es läßt sich darum erklären, warum dieser ganz oder theilweise verfehlt wurde, wenn nur Einiges fehlte. Miß­ griffe konnten keine Erfolge sichern und dieses natürlich zu er­ klärende Fehlschlägen hat dann schuldbewußten Ansiedlern, oder zurückgekehrten schlechten Subjekten, die weder in der alten, noch in der neuen Welt gut gethan—oder Feinden der Auswanderung Borwände mancherlei Art leihen müssen, um die Ausnxmderungen und Ansiedelungen zu verdächtigen. Bald sollen Clima, bald Boden, bald Lebenoverhältniffe die Schuld tragen; aber waWahres in ihnen liegt, hatten 'zu' allermeist die Auswanderer durch ihre llnklugheit und daß sie, was oben gefordert worden nicht beobachtet — selbst verschuldet. Solche Verdächtigungen ver­ dienen daher keinen Glauben und sind nur zu verachten. 4.

Wie haben sich die deutschen Staatsregierungen bisher bei den Auswanderungen und Ansiede­ lungen verhalten? Bei den alten Völkern, den Phöniziern, den Griechen und Sparrs, bis Auswanderung. 2

18 Römern u. a. waren es

nicht

allein

allzudichte Bevölkerung,

sondern vielmehr Handelsverbindungen, welche zu neuen Nieder­ lassungen Anlaß

der Population

gaben.

und

trieben selbst dazu an.

Da war keine

der Siaatskräfte.

ängstliche Berechnung Die Siaatoregierungen

Der Anstoß, den die Böllerwanderung

gab, kann hier in keinen Anschlag kommen : sie war ein Aus­

treiben und Wegstoßen oder Unterjochen ganzer Stämme und Völkerschaften. Erst als diese Züge zur endlichen Ruhe gekommen

waren und festen Boden gefaßt hatten, hätte von einer Auswan­ derung in Masse die Rede sein können, aber sie fand von den

Deutschen hauptsächlich nur bei den Angelsachsen statt; ein Jeder

fand im Boden das Genüge seines irdischen Daseins

und die

ganze Nazion war durch Grundbesitz und feudalistische Jnstiru-

zionen so durch und durch verwachsen, daß an Auswanderung

nicht gedacht wurde, die übrigens auch kein bekanntes Ziel gefunden hätte.

Erst spät,

nachdem englische Coloniste» nordamerikanische

Niederlassungen gegründet hatten, führte Pistoriuo von Frankfurt

1682 die ersten Deutschen nach Nordamerira. Die Auswanderun­ gen haben dann mit Unterbrechungen nach Amerika und andern Ländern Statt gefunden und waren jedesmal am stärksten, wann Witterung»-Calamüäten wie 1816,

1817 und 1842 voransge-

gangen waren und Hunger und Elend erzeugt harten*), zum

offenbaren Beweise, daß nur Lcbensnoth auStricb, oder den längst still gereiften Entschluß zur Entscheidung brachte. Und wie verhielten sich hierbei die deutschen Regierungen?

*) Die Hungcriahre 1816, 1817 und 1842, 1846 sind schon um des­ willen merkwürdig, weil icne durch allziigroßc Nässe; diese durch allzugroße

Dürre den Mißwuchs hcrvvrbrachtcn — Vcwciß, daß beide Ertrcmc gleich

verderblich sind.

Ist aber die ^ragc : was schädlicher wirke, all;unasst(1816,

1817), oder allzutrockenc (1842, 1846), Jahre : so möchte ich die dürren nennen. In 1816 und 1817 war, Brodfrucht genug gewachsen, nur der ewige Regen verdarb so vieles.

DaS ArbeitS- und Nutzvieh Hane vollauf, nur

war das Futter uukrästig und schlecht eingcbracht. In 1842 aber litten Men­ schen und Bich durch die Dürre, so daß große Massen von Vieh abgcschafft

werden mußten;

gerettet.

und in

1846 hat nur das nasse Frühjahr den Bicbstand

19 AIs in Folge der französischen Revoluzion auch die deutschen Zustande sich allgemach umgeftalteten, nach dem allgemeinen Frieden eine unbeschränkte Concurrenz der

Arbeit aufkam, die Fabrik-

und Geldherrschaft, allgewalng, die Bevölkerung aber ungemeffen

wurde und das Maas

der Nahrungs-

und Eristenzmittel zu

überflügeln drohte und in Folge dieser und anderer Ursachen Er­ scheinungen hcrvortraten, die man früher nicht gekannt : der Pau­

perismus und sein Gefährte, das Proletariat — Begriffe, die, ganz neu, als Mächte in deutsche Socialzustände cingereihet wer«

den mußten;

als ferner die Auswanderungslust mit jedem Jahr

stärker wurde und selbst wohlhabende Familien ergriff — da

fingen deutsche Regierungen doch bedenklich zu werden und die Auswanderungen zu beachten an, die ihnen so viele StaatSkräftr Sie haben dann die Auswanderungen nach fremden

entzogen.

Welttheilen nieinals begünstigt, sie vielmehr als ein nothwendiges

Uebel betrachtet und behandelt, ohne daraus bedacht zu sein, aus diescin Uebel so viel Nutzen als möglich zu ziehen. Ihr Verhalten

war entweder ganz passiv, oder nur durch Belehrung und Ab­

mahnung thätig und nur selten erschwerend. *)

Snchen wir uns näher aufzuklären über dieses Verhalten, so findet es seine Erklärung und Bedeutung nur in dem soge­

nannten europäischen Gleichgewicht, das auf Bevölkerung basirt ist, nach welcher Macht und Geltung allein bemessen wird. Daher

wurde dann die Bevölkerung ängstlich bewacht und es erregte stets eine sichtbare Freude, wenn die statistischen Tabellen alle

Jahre einen Bevölkerungszuwachs nachwiesen. Dieser

Bevölkerungswerth

erlangte

in

der neueren Zeit,

als Maasstab der Zollrevenueu-Vertheilung, eine noch viel höhere

Wichtigkeit.

Die

deutschen

Regierungen

haben

sich

wohl nie zu der

höhere» Ansicht erhoben, die Answanderungen als nothwendig, die Ansiedelungen als Criltur-Behikel, als Anknüpfungsmittel für

*) K. Preuß. Gesetz vom 31. Dec. 1842 über die Erwerbung und den Verlust eer Eigenschaft als Preuß. Unterthan re. §. 17. 9 *

20 ein neues Vaterland,

in

fernen Landen

als Eroberung von Einfluß und Handel

zu betrachten.

Die Erfahrungen der alten

Welt, durch die neuere Zeit gereift und als richtig erprobt, waren

spurlos vorübergegangen.

Engherzig ward nur an die Heimath

gedacht, an die Schwächung des eignen Staatskörpers durch solche

Aderlässe, an den Verlust so vieler Militairkräfte, so vieler baarer Geldcapitale, die das unglückliche Merkantilsystem in so hohen Anschlag bringt

Der nachtheilige Umstand, daß die hohen Reise­

kosten erschweren, deutsches Gesindel loü zu werden — trug bei,

den Auswanderungen der wohlhabenderen Classen keine Freunde im Staatsregiment zu erwerben. Inzwischen können sich die deutschen Staatsregierungen über

den Menschenverlust durch Auswanderungen leicht beruhigen. Denn

die Menschen tut Staatskörper sind wie das Blut im menschlichen

Leibe : dieses ersetzt sich nach Abzapfung leicht wieder und regt dann alle Lebensfunctionen für dessen Ersatz zu größerer Thätig­

keit an.

Oder : Menschen, sagt schon der vortreffliche Möser*)

mit Recht — kann man mit einer Waare vergleichen, die, tvenn sie stark abgeht, auch stark verarbeitet wird. In keiner Theorie haben wohl größere Irrthümer geherrscht, als in der Lehre von der Bevölkerung;

die Erfahrung allein

aber kann uns nurftcher leiten. Erfahrungsmäßig ist, daß die Armen

am schnellsten sich vermehren, wie denn Möser **) bemerkt : „daß die Fortpflanzung unter den Henerleuten um ein Drittel schneller geht, als unter den Landbesitzern"; eine kräftige Bevölkerung

hervorgebracht wird.

nur

ferner daß aber

durch wohlstehende

Einwohner

„Kein Mittel in der Welt ist im Stande,

in irgend einem Lande auf eine dauernde und für die Razion unschädliche Art eine starke Bevölkerung hervorzubringen, als Er­ höhung und Beförderung des Wohlstands der Razion. Wohlstand

ist der Magnet, der alles an sich ziebt.

Da, wo dem Streben

nach ihm keine Hindernisse entgegen stehen, und sei es eine Wüste,

*) Patriot. Phantast lt Bd. S. 246. **) a. a. O. S. 96.

21 wird sich der Mensch hindrängen.

Der Trieb nach Wohlstand

ist so allmächtig, daß endlich jede andere,

der Menschheit auch

noch so theure Neigung ihm nachstehen muß, also selbst die tief

in der Natur der menschlichen Seele liegende Anhänglichkeit an Heimath.

So ist einst TyrnS und Karthago entstanden; so ist

Amerika in wenig Jahren mit einer großen Menschenmenge bedeckt

und der Aufenthalt nomadischer Jäger zu einem mächtigen, blü­ henden,

noch immer im Wachsthum

fortschreitenden Freistaat

Lösung der Fesseln dieses Strebens nach

umgeschaffen worden.

Wohlstand ist der einzige Talisman, mit dem man, wie einst

Deukalion, Menschen hervorbringt.

Allenthalben, wo diese Fesseln

gelößt sind, ist auch Volksmenge." *)

Nun ist aber eben so erfabrungSinäßig, daß nichts inehr

das Fortschreiten zum Wohlstand zurückhält, daß nichts mehr die Volks- und StaatSkraft schwächt, als eine überzahlreiche, dürftige,

kraftlose Bevölkerung, die am Marke der Nazion zehrt, von jeder Calamität chre Cristen; bedroht sieht, vom Staate gefüttert sein

will und diesen unaufhörlich in seinen Grundfesten

gefährdet.

Was kann auch für die Staats- und VolkSwohlsahrt von Men­ schen erwartet werden,

deS Lebens n'ngen?

die stets um die schreiendsten Bedürfnisse

Die Zeiten sind nicht mehr,

datenrock wchrbaft machte;

wo der Sol-

;ur BaterlandSvertheidigung gehört

jetzt eben sowohl Gcsiniiungstüchtigkeit, wie für den hofgefeffenen Bürger.

Eine überstarke kraftlose Bevölkerung gereicht in alle

Wege der Staatsregierung mehr zur Last, als zur Hülse. Mochten dies die Regierungen De»itschlandS recht und dann stets beherzigm, wenn sie die Auswanderungen erschweren woll­

ten, wenn sie den Auswanderern argwöhmsch Nachsehen, die ja doch nur ihrem Naturtriebe folgen unfr nicht auch Proletarier werden

wollen, wie die, so auS Mangel an Fonds daheim bleiben müssen. Seit dem Mißjahr 1842 ist der Strom der Auswanderung nach den Nordamericanischen Freistaaten

abgefloffen.

*) Die Razional-Oekoaomie von I. Gr. v. Soden.

1r Bd. §. 141-142.

Seitdem

Leipz. bei Barth.

22 haben sich auch in Deutschland Bereüie zum Schutz tiefer Aus­ wanderer gebildet, die schon viel Gutes gestiftet, noch mehr erstrebt haben.

Ihr Bestreben gebt dahin, die deutschen Auswanderer in

dem Ansiedelungslande zusammenzuhalten, deutsche Colonien zu

gründen, einen deutschen Kern zu bilden,

um den sich dann in

der Folge eine große Bevölkerung ansammeln kann.

Denn eben

das Unglück und der Verlust für Deutschland war bisher, daß die einzeln und auf gut- Glück sich in den

deutschen Auswanderer

weiten Gebieten unter allerlei Volk zerstreuten, daß der angloamericanische Stamm überall dominirtc, daß in ihrer Vereinzelung

und Vereinsamung alles,

was der Deutsche Werthvolles

mit«

brachte : Sprache, Sitte, Cultur und Gesinnung bald unterging und schon in den nächsten Generationen verloren gehen mußte.

Dem Deutschen wurde dann daö amerikanische to make money

ebenwohl zur einzigen Lebensregel. Möchten doch die deutschen Vereine, die setzt in den ersten Stadien chrer Ausbildung stehen, sich fern halten von Spekulation

und Eigennutz und nur der großen Idee huldigen,

deutsche Co­

lonien um ihrer selbst willen in fernen Landen zu gründen, wo cd auch sey, aber

unvermischt und alles Fremdartige aus-

stoßend und zurückweisend, damit sie nicht bald durch fremde An» maaßungen dominirt werden.

Möchte sich selbst ein deutscher

Centralverein bilden und Zweigvereine für deutsche Colonisirungen in andern Theilen Nord- und Südamerika's und in Australien,

wo noch große, fruchtbare, herrenlose Landgebiete von Deutschen einzunehmen sind und wo die Gründung urdeutscher Colonien

von keiner fremden Macht behindert werden kann, damit ein neues

Deutschland jenseits des

Oceans entstehe zum Schutz und zur

Kräftigung des alte»», durch geregelte Aufnahme der überfchießen-

den Bevölkerung und zur Erlangung von Handels- und Schiffahrts­ verbindung!

Möchten deutsche Regierungen dazu werkthätig mit­

helfen und die Vereine in ihren Bestrebungen unterstützen! Möch­

ten

sie endlich durch die strengsten Strafen dem Treiben

der

Seelenverkäufer Einhalt thun, welche durch trügerische Vorspiege­

lungen zu Auswanderungen anreizen.

23 Bei den Auswanderungen ist noch eines nachcheitigen Um­ standes zu erwähnen, der in seinen Folgen die Auswanderer, gleichwie die Regierungen und Gemeinden benachtheiligt. Nach Art. 18 D?r. 2 lit. a der deutschen Bundesacte kann den Unterthanen, welche in einen deutschen Bundesstaat auswandern, die Entlassung verweigert werden, wenn sie nicht nachweisen, das; sener Staat sie aufzunehmen bereit ist.*) Bei andern Staaten ist dieser vorgängige Receptionsschein nicht vorgeschrieben und wird auch nicht erfordert. Dort hat die Einrichtung das Gute, daß Keiner heimathlos wird und daß er bei der Entlassimg weiß, daß und wo er ausgenommen werden muß. Kehrt er dann zurück, so wird er dem ausgewäblten Staate mit Recht wieder zugeschoben. — Gan; anders verhalt es sich mit den nach andern Staaten Auswandernden. Da wird kein Receptionsschein hier verlangt, der Auswanderer verliert mit der Entlassung sein Unter­ thanenrecht **) und muß in einigen Staaten noch einen besondern BerzichtleistungS Revers unterschreiben. Er wird also heimathlos gemacht und darf nicht zunickkebren. Gleichwohl sind in 1846 viele Familien verarmt zurückgekehrt und baden jure postliminii Aufnahme in die Gemeinden verlangt, wodurch diese und die Siaatsregierungeu in große Berlcgeicheü gesetzt wurden.***)

♦) L. Preuß. Gesetz vom 31. Dec. 1842 ciu über die Erwerbung und

den Verlust der Eigenschaft als Preuß. Unterthan §. 18. **) ibid. §. 20.

♦**) Bezeichnend ist ein Dialog zwischen einem Doetor und drei Bauern,

die eben seelenvcrgnügt den AuSwanderungSconsenS mit der abschriftlichen

Bcrzichtleistungsurkunde abgeholt hatten und unterwegs vorzeigten : Bauern : „Da, Herr, seht, jetzt find wir loS und ledig und können unserm Glücke nachgehen."

Doctor : „Wie so, Ihr habt ja aus ewige Zeiten auf Euer Vaterland verzichtet." B. : „Je nun, wir werden auch nicht wieder zurückkommeu." D. : „Aber wenn Euch nun ein Unglück paffirt und Ihr

zurückkommeu

müßt?"

B. : „Dafür behüte uns Gott!"

D. : „Sehet, jetzt seid Ihr vogelfrei.

Ihr habt auf Euer Vaterland ver-

24

Wenn dieses das bisherige Verhalten der Staatsregierungen gewesen, so war dasjenige der Gemeinden nicht selten ein ganz anderes. Bei den vielen durch Verwandt- und Nachbarschaft ver­ wachsenen engen Lebensverhältniffen hat das Scheiden aus einer Dorfgemeinde immer Theilnahme erweckt; nur in größeren Ge­ meinden und in Städten, oder wenn arme oder anrüchige Per­ sonen auswanderten, ivar Gleichgültigkeit sichtbar. Gemeinden als solche sowohl, als die einzelnen Bürger derselben haben nicht selten Summen angewiesen, oder auö eigenen Mitteln aufgebracht, um solche der Gemeinde gefährliche oder lästige Personen zu entfernen : sie haben für sie die Ueberfahrtskosten nach America bestritten oder wohl gar noch eine kleine Summe zum Anfang eines Geschäftes angewiesen. *) Solche Handlungen, wenn keine Nöthigung des Willens obwaltet, zeugen von einem regen Ge­ meinsinn, von einer in der Gemeinde herrschenden moralischen Kraft. Sie machen offenbar, daß hier eine Lücke ist, daß es irgend wo fehlt und sind daher von tieferer Bedeutung für die Staatöreg'erungen, denen dies Winke sind.

zichtet, bevor Ihr ein neue- habt, das Euch aufnehmen und schützen müßte.

Ihr

schwebt jetzt zwischen Himmel und Erde und kein

Mensch braucht sich jetzt um Euch zu bekümmern und Euch einen

Bissen Brod zu reichen und wenn Ihr vor Hunger umkommt." B. : „O Herr, daS wäre zu arg, so haben wir eS nicht gemeint bei unserer Berzichtleiftung.

Für den Unglücksfall glauben wir immer,

daß uns die Gemeinde nicht zurückstoßen kann."

D. : „Ich wünsche Euch alles Wohlergehn und daß Ihr nie in den Fall

kommen möget zu erfahren,

besteht.

ob Euer Rechenerempel die Probe

Gott befohlen!"

♦) Ich selbst habe zwei solcher Fälle erlebt : Ein Dorfbewohner war

verdächtig,

schon dreimal den Ort angezündet -zu haben, konnte aber nicht

überführt werden. Die Gemeinde sicherte sich vor einer vierten Brandstiftung

durch den toftenfteien Transport nach Amercka und durch ein Stück Geld.—

Eine liederliche diebische Familie hatte zwei Töchter, welche die Gemeinde schon mtt vier unehelichen Kindern bevölkert hatten, die jene crhatten mußte. AuS Furcht vor mehrern Kindern brachte die Gemeindeverwaltung das Opfer,

für die ganze Familie die Transport- und AnsiedelungSkofteu zu bestreiten.

25

5. Vorschläge für das künftige Verhalten der Staatsregierungen, sowohl bei den Auswanderungen, als bei den Ansiedelungen.

Sollen die immer häufiger, folgenreicher und wichtiger wer« denden deutschen Auswanderungen und Ansiedelungen nach allen Seiten hin Erfolge verspreche», so ist unerläßlich, daß sowohl das Auswanderungs-, als auch das Ansiedelungs­ wesen förmlich organisirt werde, d. h. daß man mit klarem Bcwußtscv» deö höheren Zwecks die ihm etttsprcchenden Mittel in Deutschland ordne, das ganze Auswanderungs-Geschäft auf Grundsätze, Regeln und in Gesetze bringe, daß man in ana­ loger Weise bei den Ansiedelungen eine weise und wohlwollende Fürsorge und Theilnahme eintreten lasse. Diese Organisation kann nur ausgehen von den Staats­ regierungen, und die Ausführung kann entweder von ihnen selbst besorgt werden, oder von Privaten. In diesem Falle wieder entweder von staatlich bestätigten Corporativncn; oder von Ver­ einen (Associationen); oder von Individuen; und kann erfolgen entweder vermöge eigenen Auftretens und in sich selbst gefundener Berechtigung; oder vermöge staatlicher Delegation, Autorisation, Bestätigung, Genehmigung. Der Umfang der Rechte und Pflichten bei der Ausführung muß verschieden sei», je nachdem sie öffentlicher, oder privatrrchtlicher Ratur ist. Sie wird in Betreff der Auswanderung dem staatlichen Einfluß mehr Raum gestatten; dagegen bei den Ansie­ delungen der Privatthätigkeit den größer» Spielraum nicht ver­ sagen können. Deinnach sollte es scheinen, daß es am zweck­ mäßigsten wäre, wenn man das Auswanderungswesen ganz allein den Staatsregierungen, das Ansiedelungswesen aber allein den Privaten überließe. Aber beides greift so sehr ineinander, die Functionen sind so sehr durchflochten, das Staatsiutereffe soll auch bei den Ansiedelungen so betheiligt sein, daß beide Haupt­ gattungen der Organiß>zlonö-Ausführung nicht haarscharf getrennt werden können. Ueberdies Legi es auch tief in der Natur deö

26 Menschen — und das kann und darf auch keine Staatsregiernng vrrläugnen — daß er gern absieht, wohin seine Bemühungen führen werden, oder : feder Vater erfreuet sich seiner Kinder.

Bon dem ErfahrnngS- Grundsätze ausgehend, daß alle Ge­

schäfte, die in den Kreis der Staatsfürsorge gezogen worden —

mithin der

öffentlichen staatlichen Beglaubigung genießen, also

Theil nehmen an der höbern Bedeutung, der Heiligkeit des Staats

— besser gefördert werden und schon dadurch eine böhere Weihe

erlangen — wird die

Ausführung der Organisation des AuS-

wanderungöwefens am besten vom Staate, entweder selbstständig,

oder in Verbindung mit genehmigten Vereinen unter bestätigten Statuten — geschehen, dergestalt,

daß die Staatsbehörden das

AuSwanderungSwesen, die Vereine aber das AnsiedelungSwescn unter Aufsicht deS Staa»S zu besorgen haben.

Der erste Fall wäre vorhanden,

wenn Deutschland oder

einzelne deutsche Staaten überseeische weite Gebiete, die noch von keiner Macht in förmlichen Besitz genominen worden sind, wie in

Nord- nnd Südamerika und in Australien fNeubolland) in Besitz

nehmen lind daselbst deutsche unvcrinischte Kolonien, Deutschland gründeteil.

ein neues

Der Vorschlag ist schon von mehreren

verständigen, der Verhältnisse kundigen patriotischen Männern ge­ macht worden nnd sollte nicht von der Hand gewiesen, oder mit sondern sorgfältig geprüft werden.

Stillschweigen übergangen,

Denn wahrlich daS deutsche Reich, vbne Kolonien, ohne Schiffahrt

und Seehandel, sollte nickt hinter andern, selbst kleinen europäischen Nazionen znrückstehen. sondern der Welt das Beispiel geben, was

deutsche Kraft und Vebarrlichkest vermögen. Gegenwärtig wollen wir nur bei dem nicht so. weit ansschreitcndem Projekt stebcn bleiben, daß deutsche Vereine sich bil­

den und zum Zweck setzen,

in bereits orenvirten Ländern, wie

etwa Nordamerica (Teraö),

deutsche Colonien zu bilden und

dafür von deutschen Staatsregierungen Vorschriften einpfangen.

Dabei kommt es nun specieller auf das Auswanderungswesen,

so wie auf die Ansiedelungen an. Jenes fängt an mit der

Anineldung

zur Auswanderung,

27

deren Prüfung *) und Besorgung der vorbereitenden Schritte bis zum Verlassen des deutschen BvdenS. Die Ansiedelung fängt an da, wo jene aufhört und endigt mit der Firirung auf fremdem Boden. Für Beide lassen sich nun im Allgemeinen folgende Grundsäse andeutcn : daß den Auswanderungen nicht angereizt oder angeworben werden darf; daß es jedem Auswanderer freistehen muß, auf eigne Hand auszuwandern, oder an jeden Verein sich zu wenden; daß er aber der Prüfung der AuswanderungSzulässigkeit sich nicht entziehen darf; daß das Auswanderungsrecht, welches ein, jedem deutschen Staatsbürger znstehendeö Menschenrecht ist, nicht verküm­ mert und beschränkt werden darf, sofern positive Rechts­ normen nicht entgegenstehen; daß das Ansiedelungsgeschäst von den Vereinen überhaupt nur int Sinn der. Regierung des Landes besorgt werden darf, die für der Ausgewanderten Wohlfahrt auch im fernen Lande noch zu sorgen sich verpflichtet erachtet, wett sie fortan der Ansicht folgt, daß zwar der Unterthanen-Ver­ band, aber nicht das Band, das an Deutschland knüpft, gelkset wird; ohne jedoch im mindesten eine Vormundschaft auszuüben, von deren Schein selbst sich jederzeit frei zu halten ist; endlich daß die deutschen Auswanderer zusammen zu halten und zu deutschen unvermischten Kolonien zu vereinigen sind, worin deutsches Wesen und deutscher Sinn in der edelsten Be­ deutung zu pflegen und jeder fremde Geist fern zu hal­ ten ist. *) Diele Prüfung, weit entfernt von Bevormundung — s?ft eine blose Erforschung der Zulänigkeit und der Auswanderungsgrüiide fein, «Heils zur eigenen Belehrung der Staatsregierung über etwaige, ihr unbekannt geblie­ bene Mißstände, theils well es ihr vielleicht noch möglich ist, Anstände zu heben und dadurch Auswanderungen zu hintertreiben.

28 Die Staatsregierungen werden sich verpflichtet halten, über

alleo, was zum Gedeihen der Kolonien beiträgt,

ihren CvnsulS

die gemessensten Znstrukzionen zu ertheilen und mit den fremden

Staatsregierungen in Communieation zu treten, denen selbst an soliden Niederlassungen gelegen sein muß.

Zn welches Verhältniß nun die Vereine zu den Staatsregie­ rungen treten sollen, welche Theilnahme den einen und andern

eingeräumt werden soll — hängt von der besondern Vereinba­

rung ab. Hierbei wird dann auch die Frage sestzustellcn sein, wenn

Auswanderer zurückkehren sollten, welche Verpflichtung dann der

Staatsregierung aufliegen und ob und welche Garantie der Verein zu übernehmen haben soll? Wir halten dafür, daß alle Garantie cessiren >nuß, wenn die Bereins-Direction eine beglaubigte Abschrift des Natnralisationsschcinö in die Hände der Staatsregierung liefert,

die dann den Rückkehrcndcn als fremden samericanischen) Bürger behandeln und unfreiwillig znrückschicken sanft, daß aber bis dahin dem Verein die Gewähr gegen Rückkehr zu leisten aufzulegcn sei.

Werden

solchergestalt

die

Rechte

beiderseitigen

und

Ver­

pflichtungen festgcstellt : so wird man mit Ruhe den Auswande­ rungen

zusehen

können.

Die Regierungen werden sich bewußt

sein, alles, waö in ihren Kräften stand, gethan zu haben; die

Vereine werden ein größeres Vertratten bei den Auowanderrrn

genießen,

weil sie unter Staatsautorität und Schutz stehe»; die

Auswanderer

werden von vornherein Vertrauen fassen zu den

Regierungen wie zu den Vereine«, weil Beide übernommen haben, für ihre Wohlfahrt zu sorgen und tretl sie fortan nicht mehr mit

neidischen feindseligen Angen betrachtet werden.

Da muß nun zum voraus mehreren Einwürfen begegnet werden.

Zuvörderst läßt sich sagen : es ist ein Eingriff in die fremde

Territorialhoheit, wenn unsere Staatsregierungen sich noch ferner

um die angesiedelten Bürger bekümmern wollten, die längst auf­

gehört haben, ihre

Unterthanen zu sein.

Allein die deutschen

Regierungen wollen nicht der Ansiedler Thun und Treiben leiten,

29 controliren, bevormunden; sich nicht einmischen in fremde Hoheits­ rechte; sie haben es nur mit den von ihnen bestätigten Vereinen zu thun, denen sie die möglichste Förderung des Wohls ihrer ehe­

maligen Unterthanen zur Pflicht gemacht haben, von denen sie

Nachricht und Nachweis über den Fortgang deutscher Colonien

und

die Erhaltung des deutschen Geistes verlangen.

Vereine sich gegen

Da die

die deutschen Staatsregierungen verbindlich

gemacht haben, so geht dieses specielle Contracts-Verhältniß, da­ nur ein ausländisches Object hat, die fremde Regierung nichts an. Für's Zweite könnte man einwenden : wenn so für die deut­

schen Auswanderer Seitens des Staats und der Vereine gesorgt

wird, so werden sich so viele Auswanderer finden, daß die deut­ sche Bevölkerung leidet und die deutschen Staatskräfte empfindlich geschwächt werden, da bisher nur die feindselige Behandlung, die

Erschwerung feder Art, die unsichere Aussicht auf Gelingen der

Auswanderung, so Viele von den Auswanderungoschritten zurück­ gehalten haben.

Ferner wird man sagen : der bessere, vermögendere Theil wird auewandern, die Hefe des Volks, die Proletarier, welche die Reisekosten nicht einmal bestreiten können, werden zurückbkeiben.

Aber jedes Hinderniß reizt zum Widerstand.

Diese Befürch­

tungen sind eitel, denn immer freilich werden die Auswanderungs­ mittel zuletzt über den Entschluß entscheiden.

Aber Grund und

Boden kann nicht mitgenommen werden, Geld und Vermögen

wird noch genug zurückbleiben; durch die Lichtung der Bevölkerung wird der Mangel an Subsistenzmitteln gemindert und mancher Proletarier erhält Gelegenheit, sich aufzuschwingen und in den

Platz des Auswanderers einzurücken.

Der Beispiele liegen viele

schon vor. Endlich werden manche Staatsbehörden vor der großen Ar­

beit zurückschrecken, wenn sic feder auswandernden Familie solche

Aufmerksamkeit schenken und mit deck Vereinen solche Verhand­ lungen pflegen sollen; allein nur der kleine Geist wird vor einer

Arbeit zurückschrecken, die der Menschheit gilt und böhern An­ forderungen entspricht.

30 Soll mm beijer.tße Theil der Auswanderungs-Organisation,

der dein Staate zufällt, also von der hohen Bundes-Vcr-

A. Bo» ganz Deutschland, sammlung;

B. oder, in Ermangelung, vom deutschen Zollverein; C. oder von fedem Partikular - Staate besorgt werden ?

Für die Besorgung vom Bundestage spricht, daß es sa Deutsche sind, die auswanvern, daß dadurch das deutsche Razionalgefühl

mächtig angeregt wird, daß deutscher Werth, deutsche Bortreffiich-

keit, mithin deutsche Razionalangelegenbeit in Frage steht, dir nur vom hohen Bundeötage würdig vertreten werden kann und daß

ganz Deutschland und allen deutschen Regierungen daran gelegen

sein muß, daß im fremden Lande, wenn auch nicht ein neues

Deutschland, doch eine Provinz, deutsche Kolonien mit deutscher Kraft und Gesinnung bevölkert und so der göttlichen Vorsehung Wink, daö Edelste und Beste auf der Erde zu verbreiten,

nach

Möglichkeit entsprochen werden.

Sehen wir ab von dieser höhern Geltung und fassen wir

nur den materiellen Gesichtspunkt auf : ein neues Bindungsmittel für das isolirt stehende Deutschland ohne Kolonien und Scehandlung,

ohne Vertretitng und Geltung im fernen Auslande; ein

Anknüpfungspunkt mit Menschen, die uns ganz angeboren, die

denken, fühlen, sprechen, bandeln wie wir, die gleiche Geschichte,

Erinnerungen und Schicksale mit uns gehabt, Gesittung und Be­

dürfnisse mit uns gemein haben; Handelsverbindungen, ein gegen­ seitiger

Austausch

der Erzeugnisse und

Manufacten und damit

ein reger Austausch der Ideen und Sympachieen unterhalten —. Wenn die höchste deutsche Macht, der durchlauchtigste Bund ein­

mal diese hehre Idee faßte — wie hoch würde er stehen im Ur­ theil aller Welt, wie würden ihm die deutschen Völker zusanchzcn!

Aber vermöchten

auch

alle delltsche Regierungen jetzt noch

nicht gleich diese unermeßlichen Vortheile einzusehen und die wich­ tige Sache zur

Bundesangelegenheit zu machen und würde sie

auch erst in einen berechnenden Calcül gezogen, so ist vielleicht bis dahin der deutsche Zollverein, der vielleicht noch einmal mit

31

Deutschland sich identifiziren wird — von schnellerer Entschlie­ ßung. Auch er hat bei dem Vorschläge ein nahe liegendes Interesse. Nur fabricirende und consinnirende Unterthanen bedürfen des Schuhes und mehren die Zolleinnahme. Je mehr aber der Pro­ letarier , desto mebr der Noth und des Elends, desto größer der Ausfall desto weniger der Wertste, die des Schuhes bedürfen oder consumirt werden. Nicht also die Menschenmaffc, soiidern die Menge der viele Werthe Vermehrenden können hier entscheiden. Deutschland wird durch die Auswanderung nicht ärmer, viel­ mehr— dies läßt sich behaupten — dadurch wohlstehender werden, eö wird mehr in sich erstarken durch eine vermögendere, zufriedene, gesiunungstüchtige Bevölkerung, aus die eö in allen Wechselfällen zählen kann. Nach der Bevölkerung der einzelnen Staaten wird die Gesammteinnahme getheilt, daher ist jeder Zollvereinöstaat betheiligt, wenn die höhere Rücksicht vorerst anerkannt und festgestellt ist. Würde daher von allen Zollvereinsstaaten den Auswanderern gleicher Schuh und dieselbe Hülfe gewährt, so würde auch alle Rivalität wegfallen; der eine Staat würde nicht suchen, seine starke Bevölkerung auf Kosten der andern zu erhalten und sich dadurch nicht einen größeren Antheil an den Zoürevenüen ver­ schaffen können. Und wäre es endlich nicht möglich, daß unanyme Zustimmung erfolgte, so affiliircn sich vielleicht einige deutsche Staaten, die gleiches Interesse Haden nnd verabreden geineinsame Maasregrln; oder endlich jeder einzelne Staat handle in alleiniger Weise und nach seinem unbebinderlen Belieben — er kann sich des allge­ meinen Beifalls, der Anerkennung, des lebhaftesten Dankes von allen Deutschen, mögen sie nabe oder fern der Sache stehen — versichert balteii. Denn das ist dem Deutschen jetzt, wo die Le­ bensnoth einmal wieder eingebrochen ist — eine wahre Herzens­ angelegenheit. Ein hinter Schrei ruft um Hülfe nach der Seite hin, ivohcr sie allein kommen kann — nach werktätiger Einschreitung der Regierungen. Deutsches Mitleid mit deutschem

32 Elend, Syüwatbie für den leidenden deutschen Bruder, der erbar-

mungsloo hinausgestoßen wird in

eine weite Welt, darin er

keine Heimath findet, der noch nicht einmal zurückkehren darf auf die Scholle, die ihn geboren werden sah, zu den Iugendgespi'elen, mit denen er Freud und Leid getragen! Und deutsche Regierungen,

die das Höchste für den Menschen bewahren — die Ideen, die

Muster für jedwede beglückende Mcnschenbestrebung — sie sollten sich übertreffen lassen im Mitgefühl für Menschlichkeit von dem

Geringsten der Unterchanen, dem ein fühlend Herz im Busen schlägt! Mag nun die Auswanderungs - Organisazion ansgehen, von

wem sie will, so bleibt doch für deutsche Auswanderer das Land festziistclle», w'ohin sie nach Möglichkeit gerichtet werten soll. Un­

bedingte Freiheit muß hierbei walten. Der so oft geknechtete, bedrückte und bevormundete Deutsche will doch endlich frei athmen und in Selbstständigkeit sich seines

Lebenorestes freuen und das hat nicht selten allein schon zu seinem innersten geheimsten wohl

Bewußtsein gesprochen.

Darum kann er

belehrt und ermahnt werden, wenn er daran ist, einen

dummen Streich zu machen und ein Land zu wählen, das für

ihn gar nicht paßt, aber gezwungen, überredet soll er nie werden.

Das eben ist eine Klippe für manche Staatsbehörden, die sich des Bevormundungstriebes nicht erwehren können und im Sinne

ihrer Staatsregierung zu handeln wähnen, wenn sie ihre kurz­ sichtige individuelle Ansicht einer Familie aufdringen, die ihr Lebe­ lang nicht frei handeln konnte, als in diesem ersten, über ihr Lebensglück entscheidenden Falle.

Wenn nun nach der reiflichsten Prüfung der Entschluß zur

Auswanderung gefaßt und der Auswanderer ganz mit sich einig ist, dann ist das erste, was in Frage kommt, das Land, wohin

die Auswanderung gehen soll.

Dieses Land ist für den Auswanderer so wichtig, daß eS oftmals mir ganz allein seinen Auswanderungswunsch bestimmt

und daß er laut erklärt oder mir dunkel sich bewußt ist : entweder

33 dahin, oder gar nicht ausgewandert.

Es beweißt dies,

wie

uninotivirl oft das Auswanderungsgelüste ist. Das Land, wohin es gehen soll,

nicht minder die Provinz

und sogar oft der Ort sind die folgenreichsten und darum wich­ tigsten Ansiedelungsfragen.

Land und Provinz können schon in

Deutschland ausgewählt werden, nicht so zumeist der Ort.

diesen wichtigsten aller Fragen

Bon

hängt nun daS ganze Gelingen

überhaupt ab, denn was Hülse es auch,

wenn alle andere Be­

dingungen erfüllt würden und cs wäre in der Wahl des Landes

ein Mißgriff gemacht?

Dieser kann durch jene selten oder nie

ausgeglichen werden.

Den Deutschen ist, so lange die Sachen sieben wie jetzt

— nicht zu rathen auszuwandern : nach Afrika, Asien,

Westindien, nicht nach Rußland, Polen, Galizien, Siebenbürgen, llngarn, Serbien und Griechenland — aus den Gründen, welche

B r v m m c *_) ausführlich und überzeugend dargestellt hat — son­

dern es ist ihm für jetzt nur zu rathen, nach den östlichen Preu­ ßischen Provinzen : Preußen, Posen, Pommern, oder nach den

Nordamericanischen Staaten und zwar nach solchen,

die

mit

Deutschland ähnliches Clima haben, also etwa nach Teras und

den Missisippi-Sraaten, auszuwandern. Eine Regierung, welche das Auswanderungswesen organisiren will, wird sich angelegen sein lassen, ein populär gefaßtes Auö-

wanderungSbüchlein, das nur Wesentliches uud Begreifliches ent­ halten darf — den ungebildeten Classen, die auswandern wollen,

in die Hände zu geben.

Dasselbe muß sich von aller und jeder

Uebertreibung fern halten und alles umfassen, waö der Auswan­

derer hier und dort zu beobachten bat. Das 3'vftte für den Auswanderungslustigen ist : daß er sich die ausführlichste Kenntniß von de>n Lande vorher erwerbe, dem er künftig sein und der Seiaigen Schicksal anvertrauen will

und daß er mißtrauisch sei sowohl gegen übertriebene Anpreißung,

*) T. Bromme, Rathgeber für AnswanderungSlustige. Mit 17Charten

und Plänen.

Stuttg. bei Hoffmann 1846.

v. 2 P ii r r c, Me Wuehviuii-crunfl.

34 als Verachtung.

Er wird wohlthun, wenn er sein Vorhaben

dem Seelsorger, oder einer unterrichteten Obrigkeit mittheilt und um Rath und Belehrung bittet.

Diese eigene Kenntnißnahme, oder Belehrung durch Andere umfaßt zwei Hauptgegenstände : die Auswanderung und die An­ siedelung.

Jene fängt an mit den vorbereüenden Schritten, nem-

lich der Lösung aller der Verbindlichkeiten, die den Auswanderer

im Baterlande knüpfen an Staat,

Gemeinde, Korporationen,

Waö materiell und formell nöthig ist,

Kirche, Familie u. s. w.

um sich vordersamst gan; loszusagcn von allen und jeden Ver-

hälinissen — richtet sich nach feder besondern deutschen Landes-,

ja sogar Provinzial- und Communal-Verfassung.

So wird

B.

in dem einen Staate der Auswanderer seine oder seiner Söhne

Militairpflicht abzuwarten,

haben, in andern

nicht.

in

andern

sich deshalb abzufinden

In diesem wird er vielleicht Caution

wegen Alimentation zurücklassender Verwandten,

oder Bürgschaft

für gewisse Verbände stellen müssen, im andern nicht u. s. w. Oft sind diese vorbereüenden Schritte mit vielen Kosten und Zeit­ verlust verbunden, weshalb eS klug ist, vorher genaue Erkundi­

gung einzuziehen und wenn dieses und alles Sonstige bekannt ist

— dann rasch alles gleichzeitig zu betreiben, damit nicht Eins auf das Andere zu warten braucht. Das Dritte endlich, waö der Auswanderer hier zu beobachten

hat, damit Prorcsse am Ende die Abreise nicht verzögern, sind : die Abrechnungen mit Personen, die mit ihm in Verhältnissen ge­ standen, die Einziehung etwa ausstehender Forderungen und —

sobald

er über

seine Losgebung Gewißheit erlangt hat — die

Veräußerung der Mobilien und Immobilien, damit er eine mög­ lichst große Baarsunnne nut sich nehmen kann.

Wie sich dabei

vor den, oben angedeuteten Schaden zu bewahren, wird ihm am besten die Obrigkeit rathen, deren Hülfe er bei diesem Schrüt

mehr denn fe nöthig hat. Nachdem nun auch alles dieses überwunden ist, muß sich zur

Abreise gerüstet werden.

Dazu ist aber nicht immer gute Gele­

genheit, daher inuß die Bestellung zeitig voraus gemacht werden,

35 wobei eine abschlägige Einzahlting und ein Reisetermin bestimmt Da trifft es sich nun nicht selten,

zu werben pflegen.

daß Eino

oder das Andere versäumt wird und nicht Mes zusammen klappt: öffentliche Bekanntmachung, Legitimation, Berkaus, Abrechnung,

Eincassirung und.Abreisetcrmi», wodurch dann neue Verlegenheit

entsteht.

Dao letzte Geschäft ist die zweckmäßig gewählte Reise­

gelegenheit. Man sieht, wie viele Schwierigkeiten zu überwinden sind, bis eine deutsche Familie sich vom Baterlande lossagcn kann und

diese gewähren die erste Probe voil der Festigkeit des Entschlusses. Die Beispiele liegen vor, daß Reue schon hier eintritt, wenn es

zu spät ist, zurückzutreten. Wohlwollende Regierungen werden für den Fall, daß sich Auswanderer

durch

die

Bcrinittcluug

der

Vereine

deutschen

Kolonien anzuschließcn verbindlich machen — jene» allen Vor­ schub leisten.

Denn solche Auswanderer werden unserm Deutsch­

lande auch i>» Ansiedelungslande erhalten und verdicuen darum

schon hier besondere Begünstigung, nicht aber diesenigen,. welche ohne Anschluß sich im fremden Lande zerstreuen und dadurch ihrer

Razionalirät verlustig gehen wollen.

Mit dem Eintritt in daS neue Land ist der Auswanderungs­ act geschloffen und eS beginnt nun der zweite noch gefahrvollere:

der An siedelu ngsact, die Auswahl und das glückliche Treffen

derjenigen Stelle, worauf der Auswanderer sein Glück aufbauen

will.

Wohl ihm, wenn er dann in gute Hände kommt und nicht

an Betrüger und

Schwindler geräth,

nicht selten voll zu sei»

pflegt.

davon das fremde Land

Der einzelne Auswanderer ist

dieser Gefahr mehr unterworfen, als der in ganzer Gesellschaft

Reisende unter Leitung einer Bercins-Direction. Die Vorsichtömaasrcgeln, welche hier zu treffen wären, sind

in so vielen guten Schriften geschildert, davon man sich nur auf die zuletzt erschienenen bezieht *), daß man darauf lediglich ver­ weisen kann.

*) T. Bromme a. a. O. 2te Aufl. Leipzig 1846.

M. Beyer, das AuSwanderungSbuch re.

36 Zweite- Kapitel. Preußens Betheiligung an der Auswanderungsfrage

nebst

Vorschlägen für inländische Ansiedelungen.

Bon allen deutschen Staaten muß Preußen am meisten bei der Auswanderungöfrage betheiligt erscheinen, denn es hat bei

seinen 15 Millionen Einwohnern doch eine sehr ungleiche, in sei­

nen östlichen Provinzen eine dünne Bevölkerung, in andern Theilen dagegen Uebervölkerung.

Diese Provinzen auszuglcichen muß im

Interesse der Staatoregicrung liegen und es ist durch die viele» Eisenbahnen dazu bereits ein vorbereitender Schritt geschcbcn. Preußen, in die Reihe der fünf Großmächte gestellt, kann

diesen Rang nur behaupten

durch seine moralische Macht und

durch ein Miliiairsvstem, dem eine kräftige starke Bevölkerung,

sowohl wegen der Bertheidiguiig, als wegen der Stenerkrafre, znr Unterlage dient.

Preußen hat darum nöthig, seine Bevölkerung

zu Rathe zu halten, sic möglichst zu kräftigen und gleich zu vertheilen,

um dadurch Bodenkräfte zur Entfaltung, Capital und

Arbeitskräfte aber zur nutzbaren Anwendung zu bringen.

Zeder

Verlust gesinnungstüchtiger, vermögender und fleißiger Auswanderer muß daher um so fühlbarer erscheinen, als dieser Staat nach seiner Anlage und künftigen hohen Bestimmung eben solcher Men­ schen nicht entbehren kann, und es läßt sich nur durch die welt­

bekannte große Liberalität und Humanität des Preußischen Gou­

vernements erklären, daß den selbst unbesonnenen Auswanderungen

zu keiner Zeit Hindernisse in den Weg gelegt, ob sie gleich nie gern gesehen wurden.

Waö von den glorreichen Regenten, namentlich unter Friedrich

dem Großen, für die Ansiedelung fremder Kolonisten geschehen, welche gute oder minder gute Erfolge sie gehabt — kann als

bekannt hier vorausgesetzt werden. An eine Translocation der Bevölkerung, an Znland-

Kolonien, scheint man weniger gedacht zu haben, obgleich sie eben

37

durch ihre sehr großen Vorzüge vor jeder Herbeischaffung aus­ Denn Landeseingeborne sind

ländischer Kolonisten sich empfehlen.

mit uns derselben Stammverwandtschaft, derselben Sprache und Gesittung, derselben geistigen und gemüthlichen Eigenschaften und

wo eins oder das andere fehlt, da haben sie doch gleiches Rechtsu»d Gesetzesbewußtscin, gleiche staatliche, kirchliche und Schulein­

richtung, gleiche Bedürfnisse, die Handel und Thätigkeit hervor­ rufen — mindestens sind solche Einwanderer affimilirter und darum

schon empfänglicher für die neue Einbürgerung.

Darum sollten,

wo Kolonie» gegründet werden, diese zunächst mit Eingebornen,

und nur in Ermangelung

wo möglich der nächsten Umgebung,

mit Auoländern besetzt werden,

wobei,

zur nähern Bestimmung

des noch nicht feststehenden Begriffs, jeder Deutsche, Nichtpreuße,

nicht als Ausländer zu betrachten ist.

Als leitender Grundsatz

bei den Inland-Kolonien ist nun

festzuhalten : die dünne Bevölkerung durch den Abfluß der Uebcrvölkerung zll verdichten, oder aus übervölkerten Theilen der Mo­

narchie in die dünn bevölkerten Auswanderer überzusiedeln, jedoch nur solche,

welche durch Moralität, Kraft und Fleiß Gedeihen

und Gewinn versprechen.

So weiten zwei Zwecke durch Ein Mittel erreicht werden. ' Unser erster Vorschlag geht „luv dahin : daß schickliche große

Landgüter,

seien

es königliche

Domainen, oder Rittergüter in

Preußen, Posen, Pommern, vielleicht auch Schlesien, in Kolonien

zerschlagen,

oder daß auf Lehden,

Haiden, Trieschcn, Moosen,

oder in entbehrlichen Waldungen Kolonien angelegt und diese be­ setzt werden mit den besten inländischen Auswanderern, die doch nach Ameriea oder anderwärts auswandern wollen; — daß oicse

Kolonien Dörfer von 20-30 Familien bilden mögen, angewiesen auf Ackerbau, Viehzucht und ländliches Gewerbe, mit Ueberweisung

eines

zum reichlichen Lebenöbedarf einer Familie hinreichenden

Grundbesitzes als Eigenthum oder Erbpacht — alles in ganz mäßigen Sätzen gegen Zinsen, Amortisation und Terminzahlnngen;

— daß da, wo Domaine, Ritter - oder Vorwerksgut das Areal

bilden, die Kolonien rings um die Gutsgebäude (Centralhof) in

38 gewisser Ordnung angelegt und diese Hofgebäude zu Kirche, Schu­

len, Magazine», Wohnungen für Pfarrer, Lehrer, Aufseher u.s.w. eingerichtet werden.

Zum nähern Verständniß sind folgende Grundsätze fcstzuhalten: 1. Im Allgemeinen

muß

dahin

gestrebt

werden,

daß die

Kolonisten es in der neuen Hrimath besser bekoinme», als

sie es in der alten hatten, daher muß alles geleistet werden, was möglicherweise gewährt werden kann, sonst ist nur gleich von vornherein zu abstrahiren : die Kolonien würden nicht

zu Stande koinmen, oder doch von keiner Dauer sein. 2. Das ganze Areal des Gutes an Gärten, Aeckern, Wiesen,

Haiden wird zu den Kolonien eingeräuint; nur der etwaige Wald wird der Herrschaft reservirt mit dem Erbieten, daraus das Brand-

und Geschirrholz gegen veränderliche Tare

abzugeben. *) 3. Nach der Größe und ebenen oder bergigen Lage des Areals wird es sich richten, wie viele Kolonien um den Centralhof

angelegt, welche Einrichtung und Ordnung gegeben werden sollen.

Bei 30 Ansiedlern wird jede Kolonie etwa 1100

Morgen Land bedürfen ohne Wald, ncmlich bis zu 30 Mor­

gen Ackerland für seden Kolonisten, sodann 100 Morgen

Wiesen, 60 Morgen Viehweide und 40 Morgen Hofbering (Gärten, Aecker, Wiesen re.) für die Bewohner des Cen­

tral Hofes.

Diese Sätze sind nur Beispiele, um sie masgebend

zu machen, müßte man das Areal und dessen Bonität kennen. 4. Die ganze Kolonie, welche eine bürgerliche Gemeinde bilden

muß — wird auf Ackerbau und Viehzucht basirt.

Wenn

daher auch Fabrikarbeiter und Handwerker Theil nehmen, •) Die Kolonien, welche mit chrer ersten Einrichtung vollauf zu thun haben und alle Kräfte anstrengen müssen — vermögen nicht auch noch dm Wald zu kaufen. Wald paßt zwar überhaupt nur für große Hand, also auch vorzüglich für Gemeinden, er kann aber wohl besser angezogen, al« von einer armen Kolonie gleich Anfangs gekauft werden. S. meine Schriften: „Entwurf der Grundzüge einer Gemeindeordnung. Hamm b. Schulz 1823. $. Hl" und „Deutschland und die Städteordnung und die Landgemeinde­ ordnung. Girßm bei Heyer, 1843."

39 so müssen sie sich, wenigstens nebenbei, diesen ländlichen Ge­

schäften widmen.

5. Das Ackerland jeder Kolonie wird in drei oder mehre gleich große Sektionen und jede Sektion in so viele gleich große Aktien getheilt, als Familien untergebracht werden sollen. Die erste Sectio» bildet die S tamm actien; die zweite und

dritte Sektion bilden die Nebenactien. Die zweite Sektion ist hinter, oder neben der ersten Sectio»

und die dritte

Sectio» ist hinter, oder neben der zweiten gelegen.

6.

Jede Stammaktie umfaßt nach Lage und Bonität des Bodeno einen

solchen zusammenhängenden Ackerlandcompler,

daß davon bei ortsüblicher Cultur eine zahlreiche Familie ihr reichliches Auskommen sindet, z. B.

10 Morgen als

Minimum. 7. Die zweiten und dritten Sectionsactien sollen dazu dienen,

entweder bei erweiterter Cultur auch noch mit in Angriff genommen werden zu können, oder sie an nachgeborne Kin­

der zu vererben, oder auch sie an neue Ansiedler zu ver­ äußern, die sie dann mit Wohnung zu versehen verpflichtet sind.

8.

Jede Aktie ist veräußerlich, aber für immer nntheilbar.

9. Der Ansiedler erwirbt sie durch Kauf oder auf Erbpacht in den mäßigsten Sätzen.

Wird der Kaufpreiß verzinst, so

muß bei inöglichst langen Terminen wenigstens 1 Procent Atnortisation entrichtet »verden.

Etwaige Grundabgaben

können mir in sackfallendem Getraide bestehe». 10. Jeder Kolonist erhält 1 Stamm- und 2 Nebenactien, die

in obigem Beispiel 30 Morgen (10 in jeder Secn'on) be­ tragen.

Will er aber nur 1 oder 2 Aktien, so steht ihm

das frei. 11.

Der Kolonist muß bei Verlust seines Rechts binnen Jahres­

frist auf seiner Stammaktie eine Wohnung erbauen.*) Das*) Hierbei muß keine Bevormundung eintreten, sondern völlig freie Hand gelassen werden

Zu wünschen bleibt aber, daß nach Art der alten Germanen

gebaut werde, die TacituS beschreibt: »Vicos locani, non in nostrum

40

selbe

gilt

von

den

Nebenactien,

wenn

Andere

sie

er­

werben. 12. Die drei Aktien dienen zum Ackerbau und zur Viehzucht.

Außerdem wird da, wo eine schickliche, nicht zu bewässernde Fläche zu Wiesenanlagen vorhanden ist, jeder Aktie ein ver-

hältnißmäßigcr Theil an dieser Wicsenfiäche zugcchcilt, der eine Pertinenz der Aktie bildet, ebenwohl untheilbar, aber mit der betreffenden Aktie veräußerlich ist.— Da aber, wo

die Wiesenfläche durch einen Bach der Bewässerung fähig

ist, bilden die Actienwiesentheile nur intellektuelle Porzioneu.

Die ganze Wiescnfläche

bildet ein Gesammteigenthutn und

wird pro indiviso besessen.

in Gemeinschaft

und

Die ganze Kolonie tritt dafür

feder Aktieninhaber empfängt nach

Masgabe seiner Berechtigung den Genuß an Gras, oder Heu, Grummet, Weide.**')

Die Pflege und Bewässerung

der Wiescnfläche, die Heuwerbung u. s. w. werden auf ge­ meinschaftliche Kosten besorgt.

Die Erndte geschieht nach

Gras- oder Heukegeln durch Derloosung. 13. Außerdem wird ein hinreichender Bezirk, vor der Hand zu Viehweide mit anzupflanzenden Obstbäume» oder Kopfholz,

später wenigstens zum Sprungplatz, von der ganzen Kolonie

als Almendengnt erworben. 14. In der Mute der Stammaktien werden einige Morgen ab­

gemessen , woraus angelegt werden : Brunnen, Viehtränke,

niorem, connexis et cohaerentibus aedificiis, suam quisque domum spatio

circumdat, sive adversus casus ignis remedium, sive inscitia aedificandi.« — Ferner ist den Ansiedlern zu rathen, daß sie den so sehr zu empfehlenden feuersicher«, warmen

und wohlfeilen Pisebau wählen mit Lchmschindeldach

(nicht Schaar-, und Fackeldach).

Ich

habe

eine

große Zahl solcher

Pise-

baucrnhäuser erbauen lassen, die kleinen und wohlfeilsten für 68 Thlr. und mit Stallung für 88 Thlr. mit allem Einbau.

*) Diese Einrichtung ist unerläßlich, wenn kein Zank und Streit und

Uebermähen

Statt finden

soll

und weil Erfahrungsmäßig keine geregelte

Wiesenwäfferung gehandhabt werden kann, wenn die einzelnen Wcsenlappen im Gemenge liegen

Schon jetzt findet ähnliche Einrichtung selbst auf man­

chen dürren Gemeindewiesen Statt und hat sich stets als nützlich erprobt.

41 Backöfen

und hiernächst Anpflanzungen und Anlagen zur

Versammlung der Kolonisten. 15. Die paffenden Hofgebäude des in der Mitte der Kolonie liegenden Domainen-, Ritter- oder Bvrwerköguts werden

zu Kirche, Schulen und Magazinen für die Kolonien, so wie zu Wohnungen für Pfarrer, Küster, Schullehrer und Magazinaufseher eingerichtet und der tarirte Kaufpreiß vor­

läufig verzinset mit Amortisation. 16. Die nächsten Umgebungen im Umkreise dieser Gebäude wer­

den zu Garten-, Acker- nnd Wiesenland für die auf dem Centralhofe wohnenden Personen verwendet und nach gewisser Ordnung eingethcilt. Wohnung und diese Grundstücke bilden

einen Theil der Naiuralbcsoldung

Ueberdieß muß bestimmt

werden, was diese Personen an Geld und Frucht alo Be­

soldung per Kopf, Familie oder Actie in der Folge erhal­ ten sollen. 17. Das ganze Besitzthum eines Ansiedlers, also sein Besitzrecht

an den drei Land - und Wiesenactien, am Almendengut, an

den Rechtsamen und Verpflichtungen des Centralbofes und allen gemeinnützigen Anstalten der Kolonie — machen das

Kolonat auS.

In Beziehung darauf heißt der Ansiedler

Kolon (Kolonist) nnd die ganze Ansiedelung Kolonie. 18. In der Kolonie dürfen keine neue Einwohner ohne eine

Actt'e, ferner nur em Wirth, keine Krämer und Handels-

(Schacher-) Juden geduldet werden. 19. Dagegen wird in den Hofgebänden für sämmtliche Kolonien

eines Centralhofes ein Magazin für alle diejenigen Lebens­ mittel und Bedürfnisse, die auswärts gekauft zu werden

pflegen, gehalten und von einem Magazinaufseher verwaltet. Die Borräthe an Salz, Oel, Thran, Branntwein, Bier,

Wein, Kaffee, Zucker und Gewürzen werden im Großen

und Ganzen für Rechnung der Kolonien angeschafft und im Einzelnen an die Kolonisten gegen Baarzahlung abgegeben. Der Aufseher

Vergütung.

führt darüber Buch und erhält eine kleine

Unter Assistenz einer gewählten

Commiffion

42 von Kolonisten, welche anch Aufsicht führt und die Rechnung

abnimmt — besorgt er den Einkauf.

Dadurch wird

dein

exorbitanten Krämergewinn, dem Verlust durch Kauf aus

zweiter und dritter Hand und dem zeitraubenden Laufen nach der Stadt vorgebeugt.

20. Für bequeme Vicinalwege mit Obstbäumen bepflanzt, für die Anlage einer Gemeindebaumschule

und deren Pflege

durch den Schullehrer mit der Verpflichtung, die Schul­ knaben in der Baumpflege und Veredlung zu unterrichten, für Anstellung eines Feldschützen, der zugleich Wege-, Baum­

und Wiesenwärter ist — muß nach und nach gesorgt werden-

wenn die Kolonisten ihre eigene Einrichtung vollendet haben

und mehr zu Kräften gekommen sind. 21. Es bleibt den Verhältniflen und der freien Vereinbarung vorbehalten : ob eine oder mehrere Kolonien wegen Kirche, Schule und Magazin jetzt oder künftig in einen Verband

treten wollen.

22. Für die sämmtlichen zu einem Centralhof gehörigen Kolonien wird in der Folge eine Spar- und Hülfskafse*), so wie eine Vieh-Affecuranzanstalt gegründet.

23. Für den ersten Sommer, bis die Kolonisten sich angebaut

haben, muß für deren Unterbringung und Unterhaltung, nemlich für Brod, Fleisch, Gemüse u. s. w. nach billigen Sätzen gesorgt werden.

Wenn sie bis dahin nicht auf dem

Centralhose untergebracht werden können, so muß für Ba­ racken (Loghäuser, Bretterhütten), oder wenigstens sür die

Herbeischaffung des Materials dazu gesorgt werden. 24. Da, wo aus den vorräthigen Gebäuden des zu zerschlagen­ den Domanial-, Ritter - oder Vorwerksgutes kein Centralhof

eingerichtet werden könnte, oder da, wo die Kolonien auf

leeren Haiden, Lehden gegründet würden — ist eine andere *) Hierbei kann die für den Kreis Wetzlar bestehende Spar- und Hülfskasse, die in wenigen Jahren einen Capitalfond von 32,000 Thlrn. erworben

hat und die ich mit leerer Hand geschaffen habe — zum Anhalt und Muster dienen.

43 Einrichtung nöthig.

Daselbst müssen in der Mitte der Ko­

lonien die oben geforderten Gebäude nach und nach errichtet und dafür gleich Anfangs der nöthige Raum ausersehen und frei gelassen werden.

Jede einzelne Kolonie muß dann

aber mehr als 30 Staminaetien begreifen, weil der zu be­ streitende Aufwand die Kräfte so weniger Familien über­

steigen würde.

Immer aber muß Grundsatz bleiben, die

Kolonie Anfangs so klein, als möglich zn wählen, weil es im

Anfang viel auszusehen und

zu

sorgen gibt und die

Kolonie durch die Nebenactien zweiter und dritter Section

sich doch bald erweitert.

Nun bleibt noch übrig zu sorgen :

a) für die richtige Auswahl der Kolonisten; ß) für deren Lossagung von den heimathlichen Verhältnissen;

endlich für deren Transport an Ort und Stelle. Das Kolonisationsgeschäft ist kein leichtes Werk.

eine glückliche Hand

Es gehört

oder ein eigenes Organisazionstalent dazu,

besonders eine Persönlichkeit, die vor keinen Schwierigkeiten zurück­ schreckt und eine Elasticität des Characters besitzt, den widrigen

Zufällen mit Gleichmuth geschickt zu begegnen,

sich auf Mißstim­

mung gefaßt zu machen, selbst Undank und Vorwürfe willig hin­ zunehmen weiß und nur des unablässigen Strebens sich bewußt

ist, das Wohl der Ansiedler zu begründen. als richtiger Takt, muß sich schon

Kolonisten.

Diese Persönlichkeit,

zeigen bei der Auswahl der

Denn wird schon dabei ein Fehler gemacht, nicht das

Vertrauen gewonnen in der Sprache, die bei solchen Leuten allein zum Herzen und zur Ueberzeugung führt,

wird allerlei Volk zu­

sammengewürfelt und angenommen — dann gebe man nur von

vornherein der Kolonie schon den Abschied. Die Jnlandkolonien haben voraussichtlich eine harte Probe zu bestehen: die Concurrenz mit den Ansiedelungen in Nordamerica, besonders in Teras,

wo jetzt mehrere 100 Acres Land umsonst

versprochen werden und dazu kommt noch die größere Freiheit

und Selbstständigkeit,

als bei dem hiesigen,

wenn auch noch so

44 Liren Bevortnundungssystem. Darum muß in den Jnlandkolonien mehr geboten werden, als kn der alten Heimath und anderwärts gefunden wird, sonst dürfte es schwer halten, taugliche Kolonisten zu erlangen. Zuerst kommt also die Auswahl in Frage. Sollen die Kolonien prosperiren, so ist unerläßlich: a. daß nur Einzelne und Familien mit den besten Moralitäts­ zeugnissen angenommen werden: gesinnungstüchtige, gesunde, lebenskräftige, fleißige und haushälterische Landbauern, oder doch solche, welche Muth und Kraft in sich fühlen, es wer­ den zu wollen; b. daß möglichst nur Solche angenommen werden, die entweder ein Dorfhandwerk, oder doch eine solche Handthierung ver­ stehen, die sie auch im Winter — der in jenen Gegenden lang ist —ernährt, als : Wagner, Schneider, Schuhmacher, Leinweber, Strumpfweber, Korbmacher *), Strohflechter, desgleichen Frauen, die tut Winter wenigstens mit Flachs­ oder Wollespinnen und Stricken sich und ihre Töchter be­ schäftigen sönnen.**) Denn es beruhet auf Erfahrung, daß ♦) DaS Korbmachen ist für Landleute eine so wohlthätige und. lohnende

Winterbeschäftigung, daß sie nicht genug empfohlen werden kann,

besonders

für solche feuchte Sandgegenden, wie in Preußen, worin die Korbweide ganz vorzüglich gedeihet.

Nach meinen Beobachtungen ruhet auf jedem Bauern­

hause Wohlstand, worin die Korbflechterei im Winter betrieben wird. greife davon zwei Beispiele aus dem Leben.

Ich

In den beiden kleinen Dörfern

Odenhausen und Salzböden, an der Lahn gelegen in meinem Kreise, beschäf­

tigen sich während des Winters 60 bis 70 Personen ntü dem Fertigen von

Wannen,

Back- und Mehlkörben,

die nach den Rhein- und Maingegenden

verführt werden, wo ein solcher Korb für 18 bis 20 Silbergroschen verkauft wird, der in der Heimath nur die Hälfte kostet. Jeder Mann verdient damit

täglich 10—12 Silbergr. KorbmachenS

erlernen.

Innerhalb 4 Wochen kann

Die

Körbe find

eine so

Waare, daß fie auch über Meer gehen könnten.

einer die Kunst des

leichte,

überall

gesuchte

Es ist selbst die Frage, ob

darin nicht Getraide in den Schiffen und in Magazinen trocken verwahrt und

leicht gewendet werden könnte. **) DaS Stricken von wollenen Strümpfen und Gamaschen ist in man­

chen armen Gegenden, z. B. in dem Hessischen s. g. Hinterlande, eine lohnende

45

unsere kleinen Bauern schon um deswillen nicht. vorwärts kommen, weil .sie während des Winters ihren ganzen Erndteertrag aufzehren und im Frühjahr mit leerer Hand wieder anfangen. Zwar sind unsere Bauern den ganzen Winter beschäftigt und wenn man sie beobachtet, sollte man meinen, sie hätten vollauf zu thun. Omnia agendo nihil agens ! Diese Wimerbeschästigung sichert den Wohlstand der Familien, wenlf sie auch nur ihren täglichen Lebensunterhalt zu % verdienen. Von dein Familienvater fordere ich solche Win. rerhandthicrung, wenn dann auch die Söhne auf Winter­ taglohn, Dreschen, Holzhauen u. s. w. ausgehen. c. Was den bisherigen Lebensberuf betrifft, so können nur Landbauerll angenommen werden, weil nur für sie der ganze Zuschnitt der Kolonie gemacht ist. Städtische Hand­ werker und Fabrikarbeiter sind in der Regel ganz unbrauch­ bar. Sie würden diese Art Kolonien bald in Verruf bringen. d. Zu Auswanderern, wie ich sie im Sinne habe — eignen sich nicht wohlhabende Familien, die in der Heimath an ein bequemes Leben sich gewöhnt haben; desgleichen keine Fa­ milien mit vielen kleinen Kindern, die nur Sorge und Pflege fordern, es müßte denn der Familienvater ein gut lohnendes Wintergewerbe verstehen. Am besten eignen sich der Mittel­ bauer **J und Familien mit erwachsenen Söhnen; oder milüairfreie oder ausgediente, nicht ganz arme junge Bursche, die gern heirathen möchten und dieses" in der Heimath Winter - wie Sommerbefchäftigung. Alle Manns - wie Frauenspersonen stricken da im Winter, wie im Sommer, sogar an der Feldarbeit. *) Der s. g. Mittelmann ist Erfahrungsmäßig in den meisten sowohl Stadt- als Landgemeinden das bedrückteste und beklagenswerthefte Geschöpf, daher auch unter dieser Classe die meisten Auswanderer waren. Als dem Bauernstände angehörig zu stolz und doch noch zu wohlstehend, um Unter­ stützung zu begehren, aber doch zu ann, um wie die reichen Bauern gemeine Lasten zu tragen, schwankt er unaufhörlich in einem unseligen Zwitterzustand, den die geringste Calamität erschüttert. Ihm sollte stets die meiste Berückfichttgung zugcwandt werden, well er wie die andern schwere Lasten trägt und immer dreht, in die Classe der Armen hinabzusinken.

46

wegen Mangel an Wohnung und Land nicht können. Solche muffen sich in der Heimath erst copuliren lassen und wer­ den dann die besten Ansiedler, weil sie junq, arbenokrastig und lebensmuthig sind, vor keinem Ungemach leicht zurück­ schrecken und durch Kinder noch nicht behindert sind. *) Ihnen hängt der Himmel voll Baßgeigen — wie der Bauer zu sagen pffegt. Sie können auf einmal heirathen und werden Grundbesitzer — ihr höchstes erstrebbareo Ziel — ein Glück, das sie sich in der Heimath nicht erträumen konnten. e. Es muß Grundsatz sein, die neue Heimath so viel immer möglich, der alten ähnlich darzustellen und alles zu ver­ meiden, was den bisherigen Lebensweisen ungewohnt ist. Daher soll man, wo irgend möglich, nur Einwohner ans einer Gegend in einer Kolonie vereinigen, die Sitten, Ge­ bräuche, Lebens- und Arbeitsweise, Trachten n. s. w. mit einander gemein haben. Dieses erleichtert sehr das Heimisch­ werden, den Frauen zumal, die, selten weit gekommen, daS Heimweh nur zu leicht beschleicht. Wenn die Kolonisten dann die Reise gemeinschaftlich machen, so gewöhnen sie sich leicht aneinander und fühlen sich bald wie in der Heimath, weil sie, nur unter ihres Gleichen, allen Lebensge­ wohnheiten huldigen können. Aus den einmüthigen Geist in einer Gemeinde kommt aber sehr viel au. f. Richt minder soll man darauf achten, daß die Auswanderer gleiches konfessionelles Bekenntniß haben, denn darauf legt der Landbauer großes Gewicht und ein Catholik z. B. unter vielen Evangelischen würde sich in der Kolonie sehr verlassen fühlen. g. Um auch unvermögende Einzelne und Familien zu translociren — mag bei ihnen die Dermögcnsanforderung weniger *) Dergleichen heirathSluftige hinge Bursche und Mädchen gibt eS in vielen Dörfern in großer Menge.

sich 50—70 solcher Paare befinden,

Mir sind einzelne Orte bekannt,

die

gern

heirathen

worin

und nach America

übersiedeln möchten, wenn sie nur daS Vermögen dazu besäßen.

47 streng sein, wenn sie nur sonst guten Leumund haben und arbeitsfähig und — was die Hauptsache ist — arbeitslustig

Doch wird mindestens gefordert, daß sie sich frei an

sind.

schaffen

Ort und

Stelle

daS

Ansiedelungsfahr stellen.

erste

und den Lebenömittelbedarf für

Die Gemeinden

der

alten Heimatb werden nicht abgeneigt sein, mit Geld oder Garantie nachzuhclfen, wenn sie dadurch einer unvermögen­

den Familie sich entledigen können.

Sicherheit gewährt daS

im ersten Jahr