Die Auseinandersetzung um den Körperschaftsbegriff in der Rechtslehre des 19. Jahrhunderts [1 ed.] 9783428442324, 9783428042326

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Die Auseinandersetzung um den Körperschaftsbegriff in der Rechtslehre des 19. Jahrhunderts [1 ed.]
 9783428442324, 9783428042326

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Schriften zur Rechtsgeschichte Band 17

Die Auseinandersetzung um den Körperschaftsbegriff in der Rechtslehre des 19. Jahrhunderts Von

Felix Schikorski

Duncker & Humblot · Berlin

FELIX SCHIKORSKI

Die Auseinandersetzung um den Körperschafisbegriff i n der Rechtslehre des 19. Jahrhunderts

Schriften zur

Rechtsgeschichte

Heft 17

Die Auseinandersetzung um den Körperschaftsbegriff i n der Rechtslehre des 19. Jahrhunderts

Von Dr. Felix Schikorski

D U N C K E R

&

H U M B L O T

/

B E R L I N

Gedruckt m i t Unterstützung der Ernst-Reuter-Gesellschaft der Förderer und Freunde der Freien Universität Berlin e. V.

Alle Rechte vorbehalten © 1978 Duncker & Humblot, Berlin 41 Gedruckt 1978 bei Buchdruckerei Bruno Luck, Berlin 65 Printed in GermanyISBN 3 428 04232 8

Für Irmtraut

Der Mensch w i r d am D u zum Ich. Person erscheint, indem sie zu anderen Personen i n Beziehung t r i t t . Die verlängerten L i n i e n der Beziehungen schneiden sich i m ewigen Du. Jedes geeinzelte D u ist ein Durchblick zu ihm. aus: Martin Buber, Ich und Du (1923).

Vorwort Die Arbeit lag i m Wintersemester 1976/77 dem Fachbereich Rechtswissenschaft der Freien Universität Berlin als Dissertation vor. Bei der Ausarbeitung des Themas erhielt ich wohlwollende Unterstützung sowohl vom Betreuer dieser Arbeit, Herrn Prof. Dr. Gerhard Dilcher, Frankfurt a. M., als auch vom Leiter des Instituts für Deutsche Rechtsgeschichte der Freien Universität Berlin, Herrn Prof. Dr. Dietmar Willoweit. Eine Voraussetzung für das Gelingen der Arbeit war auch die angenehme und großzügige Zusammenarbeit m i t Herrn Prof. Dr. Manfred Hinz, Berlin, der ebenso wie Herr Prof. Willoweit m i r den institutionellen „Freiraum" gewährte, ohne den ich die Arbeit nicht bewältigt hätte. Ihnen allen möchte ich an dieser Stelle meinen herzlichen Dank sagen. Dank schulde ich vor allem aber den Kollegen, Mitarbeitern und M i t arbeiterinnen des Instituts für Rechtsgeschichte der FU, deren geistige Anregungen und unkonventionell-temperamentvolle Herzlichkeit auf meine Schaffensfreude zumeist positiv eingewirkt haben. Ohne die entsagungsreiche Unterstützung meiner Frau bei der Herstellung des Manuskripts hätte aber wohl die Arbeit nur unter ungleich schwierigeren Bedingungen vollendet werden können. I h r habe ich somit am meisten zu danken. Herrn Prof. Dr. J. Broermann danke ich herzlichst dafür, daß er diese Arbeit i n sein Verlagsprogramm aufgenommen hat.

Inhaltsverzeichnis Einleitung

13

Erster Teil Die im Körperschaftsbegriff enthaltenen juristischen Grundprobleme I. Vorbemerkung

18

I I . Problemaufriß

25

Zweiter

Teil

Die romanistisch-individualistische Konzeption des Körperschaftsbegriffs A. Allgemeine

Charakterisierung

ß. Zum Problem

eines allgemeinen

Personenbegriffs

37 37

I I . Savignys zwiespältiger Personenbegriff I I I . Der rechtspositivistische Personenbegriff Puchtas der dogmatischen

32 32

I. Vorbemerkung

C. Zum Problem

18

Konstruktion

I. Z u r Korporation als Rechtssubjekt 1. Die kontroversen Fragestellungen

42 58 73 74 74

2. Z u m Problem einer Phänomenologie des Korporationswesens

75

3. Die Frage nach dem korporativen Substrat

78

a) Die N a t u r des korporativen Substrats b) Der Subjektscharakter des korporativen Substrats

79 83

4. Die Entstehungsvoraussetzungen der korporativen Rechtspersönlichkeit

85

5. A r t u n d Umfang der Rechtsfähigkeit

90

a) Die Handlungsfähigkeit der Korporationen

90

10

Inhaltsverzeichnis b) Die Haftung f ü r die korporativen Verbindlichkeiten c) Der subjektive Rechtskreis

91 91

I I . Z u m Problem der Korporation als Rechtsverhältnis

93

D. Zwischenergebnis E. Die Stellung

der publizistischen

96 Körperschaften

I. Die Bedeutung des publizistischen Korporationsbegriffs Fragestellung des Themas

99 für

die 99

I I . Allgemeines Erscheinungsbild der Stellungnahmen der romanistisch-individualistischen Jurisprudenz zum publ. Korporationsbegriff 100 I I I . Die publizistischen Korporationen bei Savigny

106

I V . Die publizistischen Korporationen bei Puchta

107

1. Volk/Staat u n d die „engeren Verbände" als Korporationen i m öff. Recht 108 2. Staat/Volk als Subjekt a) b) c) d)

108

Das V o l k als natürliches Subjekt Das K r i t e r i u m der Subjektivität Das Willensorgan: Die Obrigkeit Die Normativbedingung der Volkssubjektivität: Recht u n d Staat e) Der Identitätscharakter der Volkssubjektivität

109 109 110

f) Zusammenfassung

117

111 114

3. Staat/Volk als Rechtsverhältnis

120

4. Ergebnis

122

V. Die publizistischen Korporationen bei Gerber u n d Laband

124

1. Der romanistische Charakter der Staatsrechtstheorie Gerbers u n d Labands 124 2. Gerbers publizistischer Korporationsbegriff

130

a) Gerbers Staatsbegriff nach seiner Schrift: „Über öff. Rechte" (1852) 131 aa) Gerbers Staatsrechtstheorie 131 bb) Die Ablehnung der Rechtspersönlichkeit des Staates . . 134 cc) Gerbers j u r . K o n s t r u k t i o n des Staates — K r i t i k 138 b) Gerbers Staatsbegriff nach seiner Schrift „Grundzüge des Dt. Staatsrechts" (1865 - 1880) 140 aa) Die Persönlichkeit des Staates bb) Der Staat als rechtliches Verhältnis c) Zusammenfassung u n d Ergebnis

141 146 151

Inhaltsverzeichnis 3. Labands publizistischer Korporationsbegriff

153

a) Der Staat als Subjekt b) Der Staat als rechtliches Verhältnis

155 160

4. Zusammenfassung u n d Ergebnis a) Zusammenfassung b) Z u m pandektischen Charakter des Gerber-Labandschen Staatsbegriffs c) Beziehungen zur Spätantike d) Ergebnis: Verrechtlichung des Staatsrechts? V I . Abschließende Betrachtung

161 161 162 165 167 169

Dritter

Teil

Gierkes Kritik und eigene Konstruktion des Körperschaftsbegriffs A. Die theoretischen

Grundlagen:

Gierkes Personenbegriff

I. Der Personenbegriff als historisches Entwicklungsprodukt 1. Der Entwicklungsgang u n d sein Resultat 2. K r i t i k

173 174 177 177 184

I I . Die philosophische Argumentation

189

1. Der Normativcharakter des Personenbegriffs

189

2. Die Lehre von der Verbandspersönlichkeit

193

3. Die Stellung des Staates

198

4. Staat — Recht — Person

202

5. Recht — Sittlichkeit

208

B. Gierkes Konzeption

Rechtsidee

der Körperschaft

als Rechtssubjekt

I. Das Problem der phänomenologischen Bestimmung

214 214

I I . Die Entstehungsvoraussetzungen der korporativen Persönlichkeit 216 1. Die Frage der staatlichen M i t w i r k u n g

216

2. Der korporative Entstehungsakt

218

3. Das korporative Substrat

218

I I I . Die subjektive Rechtsmacht der Korporationen

219

1. Die Handlungsfähigkeit

219

2. Die Träger der korporativen Rechte u n d Pflichten

220

12

Inhaltsverzeichnis 3. Der subjektive Rechtskreis

221

4. Das Verhältnis der Korporation zu ihren Mitgliedern

224

C. Gierkes Auffassung

von der Korporation

D. Gierkes Lehre von den publizistischen E. Zusammenfassung

als Rechtsverhältnis Verbänden

und Ergebnis

225 229 233

Vierter Teil Scfalußbetrachtung

238

Literaturverzeichnis

252

Einleitung Die vorliegende Arbeit hatte ursprünglich das Ziel, die K r i t i k Gierkes am Körperschafts- und Verbandsbegriff seiner Zeit darzustellen und auf ihre historische Motivation h i n zu untersuchen. Es zeigte sich i m Laufe der Beschäftigung m i t diesem Thema jedoch, daß auf eine eingehendere Untersuchung der gerade von Gierke k r i t i sierten Lehre, also auf die Theorie der Pandektistik (der romanistischindividualistischen Jurisprudenz) über das Körperschafts- und Verbandswesen nicht verzichtet werden konnte, da sich hier ein juristischideologischer Entwicklungsgang hinsichtlich eines wesentlichen Teiles des juristischen Systems: des Personen- und Verbandsbegriffs abzeichnete, der sich sinnvoll nicht i n isolierte Einzelaspekte aufsplittern ließ. Problematisch genug erschien es mir, die Verbandstheorie der vor der historischen Rechtsschule liegenden Epoche ohne Berücksichtigung zu lassen. Der rechtspositivistische Personen- und Körperschaftsbegriff des 19. Jahrhunderts ist letztlich nur aus seiner Gegenüberstellung zur Personenlehre der Aufklärungsphilosophie einerseits und der christlich-religiösen Personentheorie andererseits richtig zu verstehen. Da aber die beiden letzteren Positionen bis ins 19. Jahrhundert hineinragen, konnten sie wenigstens am Rande noch bei der Darstellung der romanistischen Verbandslehre m i t berücksichtigt werden. Eine eingehendere Beschäftigung m i t den älteren Verbands- und Personentheorien war m i r für diese Arbeit aber nicht möglich. Die Arbeit beschränkt sich somit auf die Gegenüberstellung der pandektistischen Verbandstheorie einerseits m i t der Verbandstheorie Gierkes andererseits. Folgende weitere Abgrenzungen sind außerdem noch vorgenommen worden: Aus dem Gegenstandsbereich der juristischen Verbandslehre wurde nur der Begriff der Körperschaft, also des rechtsfähigen Personenverbandes, ausgewählt. Die juristische Verbandslehre läßt sich ja i n „aufsteigender Linie" von der einfachen bürgerlichen Gesellschaft (oder sogar von der Familie) über die Handelsgesellschaften bis zu den j u r i stischen Personen des Privatrechts und schließlich bis h i n zum Staat darstellen. Gierke selbst hat ein solches „organisches System" der menschlichen Verbände vertreten. Die vollständige Einbeziehung all dieser Verbandsformen i n die Untersuchung hätte jedoch den Rahmen meines Arbeitsplanes völlig gesprengt.

14

Einleitung

Ich habe mich auf den Bereich der „juristischen Personen" und dort auf den Begriff der Körperschaft allein konzentriert, i n ihn allerdings auch den Staatsbegriff miteinbezogen. Die Konstruktion des Körperschaftsbegriffs hat dem juristischen Denken die meisten Schwierigkeiten bereitet, er auch zeigt am klarsten die engen Beziehungen auf, die zwischen der Verbands- (Gesellschafts-) lehre und der allg. Personenlehre bestehen. Der Körperschaftsbegriff kann daher von allen übrigen Verbandsformen als das kritischste Moment einer allgemeinen juristischen Verbandslehre angesehen werden, seine Erörterung läßt infolgedessen auch die wesentlichsten Aufschlüsse über die verbandstheoretischen Probleme erwarten. Die Konzentrierung auf den Begriff der Körperschaft brachte es m i t sich, daß wichtige Teile gerade der Genossenschaftslehre Gierkes, so vor allem seine Anstaltstheorie, seine Lehre von den nichtpersonenfähigen Verbänden und Sozialformen etc. nicht i n die Darstellung m i t einbezogen wurden. Es mußte aber aus dem unerhört weiten Problembereich der Verbandstheorien i n jedem Fall eine Auswahl getroffen werden. Die Beschränkung auf den Körperschaftsbegriff rechtfertigt sich dabei — wie gezeigt — aus der zentralen Stellung dieses Begriffs i m verbandstheoretischen System. Ferner ist hervorzuheben, daß diese Arbeit nur eine theoriegeschichtliche Untersuchung darstellt. Die außerordentlich wichtige Frage, wie denn das Körperschaftswesen und Körperschaftsrecht i m 19. Jahrhundert wirklich aussah, w i r d nicht beantwortet 1 . Auch das hätte i m Rahmen des gestellten Arbeitsplanes nicht bewältigt werden können. Schließlich muß noch darauf hingewiesen werden, daß bei der Untersuchung der Körperschaftstheorie Gierkes die Positionen seiner germanistischen „Vorläufer", insbesondere also die Verbandslehre Beselers aber auch diejenige von Bluntschli u. a. nicht erörtert werden. Eine Darstellung der allgemeinen Entwicklung der germanistischen Genossenschaftstheorie bis h i n zu Gierke wäre wieder aus dem gestellten Arbeitsrahmen herausgefallen 2 . Sie erscheint aber auch vom Gegenstand der Arbeit her nicht unbedingt als nötig, da die Ansätze der „älteren" Genossenschaftslehre i n der Verbandslehre Gierkes eine systematische Zusammenfassung, Bereinigung und Konzentration erfuhren, die es ermöglicht, Gierkes Theorie als den Idealtypus der germanistischen 1 Hierzu die grundlegende A r b e i t von Vormbaum , Die Rechtsfähigkeit der Vereine etc. Vgl. auch: Laufs, Genossenschaftsdoktrin etc., JuS 1968, S. 311 ff., v . Sicherer , Genossenschaftsgesetzgebung. 2 Diese Entwicklungsgeschichte hat Gierke i n großen Zügen selbst gegeben: Gen. Th., S. 1 ff.

Einleitung Verbandsauffassung anzusehen, so daß ihre Erörterung die übrigen germanistischen Positionen generell mitumfaßt. Auch die zwischen den Fronten der Pandektistik u n d der Körperschaftslehre Gierkes vorzufindenden verbandstheoretischen Konzeptionen (Salkowski, Brinz, Holder, Ihering, Windscheid z. B.) werden i n der vorliegenden A r b e i t nicht erörtert. Sie stellen z . T . eigenständige juristische Konstruktionsversuche des Verbandswesens dar, die erst nach der germanistischen Reaktion gegen die Pandektistik aufkamen. Der germanistische A n g r i f f auf den romanistischen Körperschaftsbegriff ist der erste — u n d i n Gestalt der Gierkeschen Genossenschaftstheorie auch der relativ wirksamste — Versuch gewesen, das herrschende Verbandsrecht einer grundsätzlichen theoretischen Revision zu unterziehen. Die anderen verbandsrechtlichen Begriffsmodelle blieben vereinzelt, während Gierkes Lehre von der „realen Verbandsperson" i m m e r h i n „Schule" machen konnte. Auch hier erscheint es daher gerechtfertigt, bei der Untersuchung des Streits u m den Körperschaftsbegriff i m 19. Jahrhundert sich allein auf die Kontroverse: Romanistik — Gierke zu konzentrieren. Z u m „methodologischen", genauer gesagt geschichtstheoretischen O r t der Darstellung k a n n ich n u r etwas Negatives sagen: Während der dreijährigen Zeit der A r b e i t an diesem Thema b i n ich allmählich zu der Auffassung gelangt, daß die gängige Lehre nicht zu halten ist, eine wissenschaftliche Auseinandersetzung (wie sie hier Gegenstand der A r b e i t ist) könne i n irgendeiner Weise „logisch" (dialektisch) auf die ökonomischen oder sozialen Verhältnisse ihrer Zeit „reduziert" werden in dem Sinne , daß diese Reduktion eine objektiv gültige, historische Erkenntnis zu v e r m i t t e l n vermöchte 2 *. Das ergibt sich m. E. daraus, daß diese sogenannte materielle Basis selbst keinesfalls unverm i t t e l t gedacht werden kann, der Rückgriff aufs Materielle also letztlich dialektisch-logisch-notwendig durch die materielle Basis hindurch wieder beim Nicht-(oder: Vor-)Materiellen, bei einer Negation des Materiellen jedenfalls enden muß. D a m i t ist aber — w i e ich meine — ein positiver Erfolg derartiger Reduktionsversuche von vornherein stets ausgeschlossen. Materialistische wie idealistische Geschichtstheorien müssen, sofern sie positive Geschichtserklärungen anbieten wollen, gleichermaßen versagen, da ihre Grundlagen w a h r h a f t brüchig sind, d . h . als lediglich positive der realen Negativität der Geschichte nie gerecht werden können. Ich sehe daher qualitativ keinen Unterschied zwischen der „Methode", die historischen Ereignisse aus den klimatisch-geographischen 2 b , den 2a Zur herrschenden Geschichtsideologie: K . Löwith, Sinn der Geschichte, S. 47 ff. 2b So z.B. die „Klimatheoretiker" des 18. Jh. wie Montesquieu (F. Ratzel , Anthropogeographie I, S. 16 ff.).

16

Einleitung

sozio-ökonomischen oder d e n g e i s t i g - k u l t u r e l l e n B e d i n g u n g e n z u d e d u zieren. Es w i r d h i e r m . E. i m m e r derselbe ( t y p i s c h positivistische) F e h l e r gemacht, e i n e n b e s t i m m t e n , p o s i t i v e n h i s t o r i s c h e n H i n t e r g r u n d , d e r selbst Geschichte ist, z u hypostasieren, d e n T e i l f ü r s Ganze z u n e h m e n , d a m i t aber Geschichte immanent, d. h. eben w i e d e r aus Geschichte a b l e i t e n z u w o l l e n 3 , w o b e i n i c h t e r k a n n t w i r d , daß logisch — u n d das k a n n n u r dialektisch b e d e u t e n — Geschichte sich n u r aus e i n e r unhistorischen Voraussetzung, historische „ K a u s a l i t ä t " sich n u r aus e i n e r a-kausalen „ B e d i n g u n g " e r k l ä r e n , Geschichte insgesamt sich also a l l e i n transzendent fassen l ä ß t 4 , w i e l e t z t l i c h „ L o g i k " selbst „ t r a n s - l o g i s c h " f u n d i e r t ist5. I s t eine positive Geschichtstheorie f ü r m i c h d a h e r ausgeschlossen, k a n n i c h m e i n e n eigenen theoretischen S t a n d o r t n u r als d e n e i n e r „ N e g a t i v e n D i a l e k t i k " bezeichnen, w i e sie ansatzweise v o r n e h m l i c h v o n Adorno f o r m u l i e r t w u r d e . Diese m e i n e P o s i t i o n i n a l l i h r e n E i n z e l h e i t e n d a r z u s t e l l e n , i s t h i e r ausgeschlossen. Gesagt w e r d e n s o l l l e d i g l i c h , daß die h i e r v o r l i e g e n d e B e a r b e i t u n g eines T h e m a s aus d e r Geschichte d e r Rechtswissenschaft des 19. J a h r h u n d e r t s als V e r s u c h z u v e r s t e h e n ist, e i n geschichtliches P h ä n o m e n w o h l a u f seine H i n t e r g r ü n d e z u b e f r a g e n ( M o t i v a t i o n e n ) , d a b e i aber abschließende F e s t s t e l l u n g e n z u v e r 3 Die so beliebten hist. „Ableitungen" zeigen lediglich, w i e eigenmächtig man m i t der Geschichte umzuspringen sich gewöhnt hat. Die Geschichte soll j a auch angeblich nichts anderes sein als „die Erzeugung des Menschen durch die menschliche Arbeit, als Werden der N a t u r für den Menschen" (Marx, Nationalök. u. Philosophie, 1844, FrühS. S. 247/248). Das sei das „aufgelöste Rätsel der Geschichte" (Marx, a.a.O., S. 235). Diese Theorie ist i m Ansatz schon v o n Vico (1710/1720) i n erkenntnistheoretischer Hinsicht gelehrt w o r den: Wissen k a n n der Mensch nur, was er selbst hervorgebracht hat (Vorländer, Gesch. d. Ph. V., S. 103 u. S. 147 ff.), so daß nach Vico die Geschichte, als angeblich höchsteigenes Produkt des Menschen, der einzig würdige Gegenstand von Wissenschaft überhaupt sein kann. Vgl. hier auch wieder Marx, Dt. Ideologie, FrühS, S. 346: „ W i r kennen n u r eine einzige Wissenschaft, die Wissenschaft v o n der Geschichte" (1845/46). — Demgegenüber ist zu fragen, woraus sich derart glatte Behauptungen begründen? Wie k a n n der Mensch Schöpfer der eigenen Geschichte sein, w e n n er doch selbst samt seiner Geschichts-Produktionsfähigkeit gar nicht aus sich selbst sich „ableitet", sondern aus vormenschlicher Natur? Nicht der Mensch macht die Geschichte, vielmehr ist die menschliche Geschichte als solche selbst eine gewordene, eine „abgeleitete" historische Tatsache. Vgl. hierzu auch die stichhaltige K r i t i k K . Löwiths, Sinn der Geschichte, S. 44 f.! 4 Hierzu auch Sonnemann, Negat. Anthropologie, S. 9: „Die Geschichte, an der m i t unverminderter Ausdauer die Verdecktheit ihrer Anfänge auffällt, hat auch von je, ohne daß es aufgefallen wäre, Anfangendes i n sich selber verdeckt: w e n n dieses geendet, zu fixierter Gestalt sich geschlossen hat, riegelt es selbst auf die Freiheit, i n der es i n seiner Frühe spielte, den Blick ab." M e r k w ü r d i g ist i m übrigen, daß fast alle „ D i a l e k t i k e r " vor der dialektischen „Reduktion" der Geschichte als! solcher H a l t machen. 5 Insofern muß die Verachtung Piatons f ü r den „misologos" zurückgewiesen werden. Hierzu die treffenden Ausführungen von L. Schestow, D. gefesselte Parmenides, Logos 20 (1931), S. 17 ff. u. ders., Spekulation u. Offenbarung, S. 322 ff. (Kierkegaard als religiöser Philosoph).

Einleitung meiden, u m so i n der Tat lediglich „Denkanstöße" hinsichtlich m i r nicht unwesentlich erscheinender Fragen der Rechtsgeschichte zu vermitteln. Der Sinn geschichtlicher (und damit auch rechtsgeschichtlicher) Forschung scheint m i r i n dem zu liegen, was Adorno als Freiheit der Philosophie beschrieb: „Die Freiheit der Philosophie ist nichts anderes als das Vermögen, ihrer Unfreiheit zum Laut zu verhelfen 8 ."

« Adorno, 2 Schikorski

Negative D i a l e k t i k , S. 27.

Erster

Teil

Die im Körperschaftsbegriff enthaltenen juristischen Grundprobleme I . Vorbemerkung D e r K ö r p e r s c h a f t s b e g r i f f k a n n als e i n e r d e r i n d e r schaft u m s t r i t t e n s t e n Rechtsbegriffe angesehen w e r d e n .

Rechtswissen-

S e i t G i e r k e s L e h r e v o n d e r r e a l e n V e r b a n d s p e r s o n i s t es z u k e i n e m Konsens m e h r ü b e r B e g r i f f u n d W e s e n d e r K o r p o r a t i o n g e k o m m e n 1 , dies o b w o h l d u r c h das B G B v o m 1 . 1 . 1 9 0 0 die r e c h t l i c h e n V o r a u s s e t z u n g e n k o r p o r a t i v e r E x i s t e n z sowie d i e h i e r a u s sich ergebenden Rechtsf o l g e n a l l g e m e i n festgelegt w o r d e n sind. So m e i n t selbst d e r Verfasser eines d e r K o n z e p t i o n nach neuesten L e h r b ü c h e r z u m A l l g . T e i l des B G B , n i c h t d a r a u f v e r z i c h t e n z u k ö n nen, p r o n o n c i e r t z u m T h e o r i e n s t r e i t ü b e r das „ W e s e n d e r j u r i s t i s c h e n P e r s o n " u n d d a m i t auch d e r K o r p o r a t i o n S t e l l u n g n e h m e n z u m ü s s e n 2 .

1 V o n den neueren Arbeiten zu diesem Problem vgl.: Denninger, Rechtsperson (1967); W. Henkel , Fiktionstheorien (1973); Rittner , Werdende Jur. Person (1973); Tietze, Theorie (1974); Wieacker , Z u r Th. der Jur. P., FS. E. R. Huber (1973), S. 339 ff. Im übrigen : v.Thur, Allg. T. I, S. 369 ff.; Lehmann / Hübner , Allg. T., S. 436 ff.; Enneccerus / Nipperdey, A l l g . T. I , S. 607 ff.; Larenz, Allg. T., S. 103 ff.; Rhode , Jur. Person u n d Treuhand. 2 E. Wolf , A l l g . T. (2. A., 1976), S. 134 ff., 515 ff., bes. S. 517. Wolf lehnt nicht n u r eine mögliche Realität v o n „Verbandspersonen" ab, sondern verneint kategorisch die Denkmöglichkeit von j u r . Personen überhaupt. Grundlage seiner Argumentation ist eine „Reale Rechtslehre" (s. Einleitung zu seinem AT). 3 Seit Savigny, der als erster , das Problem des Korporationsbegriffs als Problem des Personenbegriffs i m Grundsatz erkannt hat: Binder , Problem, S. 8. Das Nach-Kantsche NaturR hatte allerdings schon vor Savigny (1840) eine nach festen Prinzipien ausgerichtete j u r . Personenlehre entwickelt, die Problematik einer Ausdehnung der j u r . Persönlk. auf Korporationen aber noch nicht weiter reflektiert. Vgl. Th. Schmalz , Rechtsphilosophie (1807), S. 63 ff.; v. Rotteck, Vernunftrecht (1840), I , S. 123 ff. Zur Geschichte der Körperschaftslehre im 19. Jh.: Vgl. wieder die Arbeiten von W. Henkel, Tietze u n d Rittner. Ferner v o r allem: Binder, Problem; Bieback, öff. K ö r p e r schaft; F. Müller, Korporation u n d Assoziation; Vormbaum, Rechtsfk. d. Vereine; H. J. Wolff, Organschaft u n d j u r . Person, Bd. 1.

I. Vorbemerkung

19

Doch auch vor Gierkes Auftreten — zumindest seit Emporkommen der sog. historischen Rechtsschule3 — war der Korporationsbegriff stark kontrovers 4 . Ein derartiger Kontroversenreichtum hinsichtlich eines jur. Begriffs läßt auf eine besondere Brisanz des i h m zugrundeliegenden Gegenstandes schließen, der i m folgenden nachgegangen werden soll. Worum ging, bzw. geht es bei diesem „Theorienstreit"? Seit Gierke steht vordringlich die Frage der Natur der korporativen Rechtspersönlichkeit zur Diskussion. Weist die Korporation eine reale Persönlichkeit auf oder ist sie rechtsfähig nur aufgrund einer — wie auch immer gearteten — begrifflichen Fiktion? Gierkes neue 5 und eigenartige Lehre von der Realität der Verbandspersönlichkeit gab hier den Anstoß zur folgenden und bis heute nicht entschiedenen Auseinandersetzung. Gierkes Lehre kann aber — trotz ihres neuen Konzepts — doch nur als die letzte theoretische Zusammenfassung und Konzentration einer bestimmten rechtswissenschaftlichen Lehrmeinung angesehen werden 6 , die selbst wieder bloß eine Position innerhalb eines schon älteren Theorienstreits darstellt. Als Ausgangspunkt dieser älteren Kontroverse erscheint immer wieder das Problem, den scharfen gemeinrechtlichen Kategorismus, der alle rechtlichen Sozialformen i n die beiden Idealtypen: jur. Person (universitas) und bürgerlich-rechtliche Gesellschaft (societas) aufteilt, auch auf „Zwischenformen" gesellschaftlicher Gebilde anzuwenden 7 . Insbesondere die „deutschrechtliche Genossenschaft" schien sich diesem Typenschematismus zu entziehen 8 , wodurch der Streit u m den „richtigen" Begriff der Korporation zu einem „Schulenstreit" zwischen „Romanisten" und „Germanisten" sich auszuwachsen begann, der dann 4 Die Differenzen zwischen römischem u n d deutschem Begriff der „Jur. Person" sind schon f r ü h erkannt worden (Maurenbrecher, Dt. Pr. R. I , 167 ff., 1832) u n d können als eine der Hauptursachen der späteren Auseinandersetzungen der beiden Rechtsschulen angesehen werden. Z u m offenen A u s bruch der Kontroverse k a m es 1843 durch Beselers A n g r i f f auf den romanist. Körperschaftsbegriff i n seiner Schrift: „Volksrecht u n d Juristenrecht." « I n der theoretischen Grundlegung, Durchdringung u n d phil. Reflektiertheit muß Gierkes Lehre i n der Tat als neu angesehen werden, Beselers „Vorarbeiten" haben nicht zu dieser theoretischen Geschlossenheit geführt, die Gierkes Lehre kennzeichnet. • So hat Gierke sich auch selbst verstanden. Siehe hierzu GenTh., l f f . , w o er die eigene L e h r t r a d i t i o n darstellt. 7 So auch schon Maurenbrecher, Dt.Pr.R. I , S. 167/168; typisch auch noch Gierke, GenTh., S. 3 Fußn. 2 u n d S. 907, w o Laband der zentrale V o r w u r f gemacht w i r d , i n diesem alten romanistischen Schematismus zu verharren. 8 Z u Beselers „Entdeckung" der deutschrechtlichen Genossenschaft: Wieacker, PRG/NZ, S. 409.

2*

20

1. Teil: Juristische Grundprobleme

schließlich auch nicht frei von nationalistischen oder patriotischen Affekten bleiben sollte 9 . Bemerkenswert ist, daß es sich bei der älteren wie der — nach Gierke — neueren Auseinandersetzung u m den Korporationsbegriff u m Fragestellungen handelt, die von recht geringer praktisch-juristischer Relevanz sind. Die theoretischen Fragen der „wahren" Rechtsnatur der verschiedenen menschlichen Verbände spielten für die Rechtspraxis keine erhebliche Rolle, da i n Deutschland für weite Bereiche des Rechts der j u ristischen Personen schon lange vor Inkrafttreten des BGB gesetzliche Regelungen bestanden 10 . Die Streitpunkte sind aber selbst auch schon von geringem praktischen Interesse. Die Frage der Behandlung der gesellschaftlichen „Zwischenformen" ist ein Problem der Bildung realadäquater Rechtsbegriffe und w i r d von der Praxis, wenn die gesetzliche Regelung fehlt, meist unter dem Gesichtspunkt der angemessenen Rechtsfolgen gelöst, weniger unter dem Aspekt theoretischer Systemreinheit 11 . Von rechtspraktischer Relevanz wäre allenfalls das Problem der staatlichen Mitwirkungspflicht bei der Entstehung jur. Personen, die auf romanistischer Seite allgemein bejaht wurde 1 2 , während die Bildung bloßer Gesellschaften des bürgerlichen Rechts der „Privatautonomie" überlassen blieb. Die juristische Konstruktion sozialrechtlicher „ Z w i schenformen" könnte hier obrigkeitliche Aufsichtsinteressen und Vorrechte tangieren 13 . I n der Tat verläuft ganz analog zum Streit u m die Zwischenformen unter denselben Kontrahenten eine Auseinandersetzung u m die Genehmigungspflicht jur. Personen überhaupt 1 4 . Doch auch hier gab es 9 Z u r „Ideologisierung" i n der Romanistik-Germanistik Fehde allgemein, speziell zur Frage der Rezeptionsbewertung; Wieacker, PrRG/NZ, S. 407. 10 z.B. P r . A L R v. 1794, 2. Teil, 6. Titel, §§25 ff.; Pr.Eisenb.G. v. 1838, insbes. §§8 ff.; Pr.Akt.G. v. 1843, insbes. §§8 ff. 11 Wie sich trotz unterschiedlicher Systemansätze doch inhaltlich gleiche Vorstellungen über den Körperschaftsbegriff bilden können, zeigt Gierke, GenTh., S. 6. Auch dies scheint f ü r die relative Unwichtigkeit umfassender Theoriekonzeptionen zu sprechen. 12 Von der romanistischen Tradition her auch zu Recht. 13 Diese polizeilichen Interessen als G r u n d der Genehmigungspflicht der Körperschaftsbildung hebt i n aller Deutlichkeit hervor: Savigny, System I I , S. 276. 14 Gierke sieht i n dieser Frage den eigentlichen Ausgangspunkt der germanistischen K r i t i k , vor allem des Angriffs Beselers, GenTh., S. 15 ff. Dies t r i f f t aber allem Anschein nach nicht zu. Beseler hebt als die erste Differenz zwischen romanistischer u n d germanistischer Körperschaftsauffassung das Problem der Zwischenformen hervor, Volksrecht, S. 163. Als politische M o t i -

I. Vorbemerkung

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i m weiten Umfange i m 19. Jahrhundert schon eindeutige gesetzliche Bestimmungen, die der Rechtspraxis jedenfalls kaum einen Raum zur freien Spekulation gewährten. Auch die später von Gierke ausgelöste Kontroverse u m die „Natur" der korporativen Persönlichkeit blieb für die Rechtspraxis bis heute nur von geringer Bedeutung 15 . Hier sind ebenfalls i n den einschlägigen Gesetzen die maßgeblichen Entscheidungen getroffen worden, die von Rechtsprechung und Verwaltung vordringlich zu berücksichtigen waren 16» 1 7 . Insgesamt scheint damit der Streit u m den Begriff der Korporation eine jener juristischen Theorienstreitigkeiten zu sein, die weniger einem rechtspraktischen Nutzen dienen, als vielmehr symptomatisch eine — oft beklagte — fortdauernde Verhaftung der Rechtswissenschaft i n der philosophischen Spekulation aufzeigen. Ob damit jedoch die theoretische Problematik des Korporationsbegriffs i n ihrer Bedeutung genügend gewürdigt wird, bleibt zweifelhaft. Zunächst ist die Tatsache einer dergestalt offenbar gewordenen A f f i nität der juristischen Theorie zur freien, d. h. ohne Rücksicht auf das positive Gesetz stattfindenden Spekulation — und damit zur Philosophie — außerordentlich bemerkenswert. Es könnte damit ein Hinweis vorliegen, daß zumindest i n der Rechtswissenschaft das spekulative Element kaum ausgeschaltet werden kann. Darüber hinaus ergäbe sich die Frage, ob nicht immer die Beschäftigung m i t dem Recht — und damit auch gerade die Rechtspraxis — philosophisch-spekulative Inhalte benötigt oder doch voraussetzt 18 . Die Beantwortung muß hier dahingestellt bleiben. vation könnte allerdings das Problem der staatlichen Genehmigungspflicht doch von entscheidender Bedeutung gewesen sein. „Der Theorienstreit über den Begriff der j u r . Person gibt f ü r die Rechtsanwendung nichts her." Palandt / Danckelmann, BGB, Einf. 1 v o r § 21 u n d Überbl. v o r § 1. iß Siehe wieder die positiven gesetzlichen Regelungen: P r . A L R I I 6, §§ 25 ff.; Pr. EisenbG. v o n 1838, §§ 8 ff.; Pr.AktG. v o n 1843, §§ 8 ff., später das A D H G B , B G B u n d die korporationsrechtlichen Einzelgesetze (vom A D H G B über H G B zum A k t G u n d G m b H G etc.). Die Auswirkungen der theoret. Problematik auf diese Rechtspr. zeigt Gierke, i n : Die Genossenschaftstheorie etc. (1887), S. 56 ff. 17 Die rechtsdogmatische, rechtspolitische u n d gesetzgeberische E n t w i c k l u n g des Vereinsrechts i m 19. Jh. stellt die A r b e i t v o n Vormbaum, Die Rechtfähigkeit der Vereine etc., dar. 18 Gierke z.B. hat dies schon deutlich gesehen: L a b a n d - K r i t i k , S. 23. Z u den philosophisch-ideologischen I m p l i k a t i o n e n von Rspr. ferner: Weischedel, Recht u n d Ethik, 1956, insbes. S. 4 f.; „Das Recht verweist auf die E t h i k als dem G r u n d seiner Rechtmäßigkeit" (S. 3); Peter Schneider, naturrechtliche

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. T e i l : Juristische Grundprobleme

F ü r das V e r s t ä n d n i s d e r m e r k w ü r d i g „ u n p r a k t i s c h e n " , r e i n t h e o r e tischen, m e t a p h y s i k v e r d ä c h t i g e n A u s e i n a n d e r s e t z u n g u m d e n K ö r p e r schaftsbegriff i s t jedoch sehr aufschlußreich, daß z u r Z e i t i h r e r E n t s t e h u n g , also i m 1. D r i t t e l des 19. Jh., zugleich eine w e i t e r e K o n t r o v e r s e i n d e r Rechtswissenschaft s t a t t f a n d , d i e h e u t e großenteils vergessen z u sein scheint. Es g i n g u m die F u n k t i o n d e r P h i l o s o p h i e i n d e r Rechtswissenschaft 19. Die Unentbehrlichkeit der Philosophie u n d der Spekulation i n der Rechtswissenschaft v e r t r a t die sog. philosophische Rechtsschule, d i e sich a u s d r ü c k l i c h gegen die historische Rechtsschule k o n s t i t u i e r t e 2 0 , i n E. Gans w o h l i h r e n H a u p t i n i t i a t o r b e s a ß 2 1 u n d die H e g e l i a n e r M i c h e l e t , Köstlin, Abegg zu ihren A n h ä n g e r n zählte22. Dieser R i c h t u n g als v e r w a n d t zuzurechnen s i n d auch noch die k r a u sianischen H e g e l i a n e r : A h r e n s u n d R o e d e r sowie K r a u s e n a t ü r l i c h Strömungen i n der dt. Rspr. i n : Arch. f. Rechts- u n d Sozialphilosophie 42 (1956), 98. 19 Wieacker geht auf dieses Problem ein: PrRG/NZ, S. 414. Wieacker konstatiert, daß die Philosophie, die — i n Gestalt des Hegeischen Systems — die beiden scheinbar unversöhnlichen Standpunkte: Geschichte u n d Vernunft auf einen Begriff gebracht habe, die zivilistische Rechtswissenschaft leider nicht zu bestimmen vermochte — i m Gegensatz zur einstmals sehr v i e l einflußreicheren Wirksamkeit der Aufklärungsphilosophie —, daß vielmehr die Rechtswissenschaft des 19. Jh. einem immanentist. Positivismus v e r fiel; ähnlich schon Michelet, N a t u r R I , S. 72/73 m i t Bezug auf E. Gans. Demgegenüber ist jedoch zu bedenken, ob nicht die f ü r die historische Rechtsschule typische „Philosophie des positiven Rechts" gerade eine Transformation der idealistischen Identitätsphilosophie ins Recht darstellt u n d der j u r . Positivismus nicht doch n u r die logische Konsequenz der bloß positiven Dialektik dieser Identitätsphilosophie fürs Recht ist. Z u r „ P h i l o sophie des positiven Rechts": Wieacker i n der Festschrift K a r l Michaelis, 1972, S. 354 ff. 20 Sie beginnt m i t dem heftigen A n g r i f f von Gans auf die historische Rechtsschule, insbes. auf Savigny u n d Puchta i n seinem „Erbrecht" von 1823 (Vorrede, S S . V - X L I ) . 21 E. Gans (1798-1839), über i h n : Stintzing / Landsberg, Abt. 3, Hbbd. 2, S. 354 ff.; ff. G. Reissner, E. Gans. E i n Leben i m Vormärz, Tübingen 1965. Eine kurze Darstellung u n d Würdigung der Gans'schen Richtung gibt Michelet, Naturrecht I, S. 72 ff. Z u m Streit der philosophischen m i t der historischen Rechtsschule: K. D. A. Röder, Grundgedanken u n d Bedeutung des römischen u n d germanischen Rechts (1855) (Vermittlung der historischen u n d philosophischen Rechtsansicht); J. J. Bachofen, Das Naturrecht u n d das geschichtliche Recht i n ihren Gegensätzen (1841), Werke, Bd. 1 S. 7 ff. Immanuel Bekker, Über den Streit der historischen u n d der philosophischen Rechtsschule, 1886; E. Holder, Philosoph, u n d geschichtliche Rechtswissenschaft, Z. f. Rechtsgeschichte X X I V (1890), Rom.Abt., S. 52 ff. LiteraturÜberblick: Gierke, Die historische Rechtsschule u n d die Germanisten, S. 60, A n m . 122 ff. 22 Die Wirksamkeit dieser „philosophischen Juristen" lag m i t Ausnahme von Michelet insbes. auf strafrechtlichem Gebiet. Stintzing / Landab er g, A b t . 3, Hlbbd. 2, S. 668 ff. Abegg (1796 - 1868), Michelet (1801 - 1893), Köstlin (1813-1856). V o n Bedeutung ist auch noch F. Lasalle (1825- 1864), Das System der erworbenen Rechte, 1861.

I . Vorbemerkung

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s e l b s t 2 3 , w o h l auch W a r n k ö n i g 2 4 , f e r n e r auch d e r späte N a t u r r e c h t l e r T r e n d e l e n b u r g 2 5 . D i e v o n diesen „ n e u e r e n " (oder späten) N a t u r r e c h t l e r n u n d Rechtsphilosophen ausgehende S t o ß r i c h t u n g gegen die historische Rechtsschule u n d d e n j u r . P o s i t i v i s m u s b l i e b z w a r i m E r f o l g b e g r e n z t , w i r k t e aber g e i s t i g w o h l noch f o r t bis h i n z u L e o n h a r d N e l s o n u n d R u d o l f S t a m m l e r 2 6 u n d sollte d a h e r als eine w i c h t i g e E r s c h e i n u n g d e r n e u e r e n Rechtsgeschichte n i c h t v ö l l i g n e b e n d e n G r o ß t a t e n d e r h i s t o rischen Rechtsschule u n d des P o s i t i v i s m u s vergessen w e r d e n 2 7 . Es h a t d e n A n s c h e i n , daß gerade auch die G e r m a n i s t e n u n d Genossenschaftsrechtler Beseler u n d G i e r k e dieser Schule g e i s t i g sehr n a h e s t a n den28'29. G i e r k e selbst b e m ü h t sich auch o f t g e n u g u n d a u s d r ü c k l i c h d e r philosophischen A r g u m e n t a t i o n u n d zeigt m i t seiner A n s i c h t , daß das 23 Krause (1781 -1832); Ahrens (1808- 1874); K . D. A. Röder (1806-1879); Stintzing / Landsberg, Abt. 3 Hbbd. 2, S. 654 ff.; speziell: W. V ester, Sozialphilosophie u n d Sozialpolitik, Diss. 1935; Fr. Darmstaedter, Die Rechtsphilosophie Krauses, i n : Z.f.öff.R., Bd. 15 (1935), S. 163 ff. 24 Z u Warnkönig (1794-1866): Gisela Wild, Leop. Warnkönig etc. E i n Rechtslehrer zwischen Naturrecht u n d historischer Schule, Karlsruhe 1961. 2« Z u Trendelenburg (1802-1872): A. Ruth Weiß, Fr. A . Trendelenburg u n d das Naturrecht i m 19. Jh., Mainz 1960. 2® Siehe Nelsons Forderung nach einer neuen Metaphysik des Rechts (Rechtswissenschaft o.R. S. 206) u n d Stammlers K r i t i k an der angeblichen Erledigung des Naturrechts durch den Rechtspositivismus (Über die Methode der geschichtlichen Rechtstheorie, 1889, Abhandlungen I, S. 3 ff., 18 ff.). N a t ü r lich gehen Stammler u n d Nelson nicht unmittelbar auf Gans oder Hegel zurück. Übereinstimmend zeichnen sich alle diese „philosophischen" Juristen jedoch dadurch aus, daß sie einen autonomen juristischen Wissenschaftsbegriff entschieden ablehnen u n d von durchaus ähnlichen Standpunkten aus eine Revision des Prozesses zu unternehmen versuchen, i n dessen Folge seit Savigny die Rechtswissenschaft sich aus einer ars boni et aequi zur reinen Rechtslehre „entwickelte". Die Verbindung zwischen dem Naturrecht des 19. Jhdts. u n d den neueren Versuchen, das Recht metapositiv zu begründen, hebt auch die sehr informative Studie von A. R. Weiss, F. A . Trendelenburg etc., SS. 7 ff., 8 hervor. 27 Z u r Situation u n d Bedeutung des Naturrechts i m 19. Jh. allgemein: gute Darstellung von A. R. Weiss, F. A. Trendelenburg etc., S. 14 ff.; 19 ff. Umfassenden Überblick über die Naturrechtswerke v o n K a n t bis zur historischen Rechtsschule (ca. 1840) gibt L. Warnkönig, Rechtsphilosophie, S. 137 ff. 28 Z u Beselers Hegelianismus: Wieacker, PRG/NZ, 408. Z u m Verhältnis Beseler-Trendelenburg: Trendelenburg, Naturrecht (2), S. X I . Homey er, Beselers Lehrer, hatte gegenüber dem „Erbrecht" von Gans, der i m Gegensatz zu den „Historisten" stand, eine positive Einstellung u n d nahm fördernd auf den germanistischen T e i l der A r b e i t Einfluß (Stintzing / Landsberg, Abt. 3, 2. Hbbd. S. 362). I n der idealistisch-organizistischen Auffassung des Rechts nähern sich Beseler u n d Gierke auch den j u r . Hegelianern: Krause — Ahrens — Röder, aber eben auch Lasson u n d Trendelenburg (Dies f ü r den K ö r p e r schafttsbegriff: Gierke, GenTh., S. 6). 2» I m Fortgang dieses Schulenstreits t r u g die historische, d . h . bald schon bloß positive Rechtsschule den Sieg davon. Bleibendes Ergebnis dieses Streites und dieses Sieges bis heute u. a.: Die Wandlung des dogmat. Faches N a t u r recht zum Grenzgebiet Rechtsphilosophie!

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1. Teil: Juristische Grundprobleme

Recht auf den beiden Säulen: Geschichte, Philosophie beruhe 3 0 , eine deutliche Affinitiät zu der Tradition der philosophischen Rechtsschule 31 . Die Metaphysikträchtigkeit der Korporationskontroverse scheint som i t auch i n dem i m 19. Jh. noch nicht endgültig entschiedenen Streit um die Philosophie i m Recht sich zu begründen. Die germanistische Reaktion gegen romanistische Begriffsstarrheit hat dann auch gelegentlich naturrechtliche Positionen eingenommen 32 . so Gierke, L a b a n d - K r i t i k , S. 22 ff. Gierkes Nähe zur Rechtsphilosophie Trendelenburgs zeigt A. Janssen, Gierke, SS. 174/175, 179. 32 Gemeinsamkeiten zwischen Germanistik u n d philosophischer Rechtslehre bestehen von vornherein hinsichtlich ihrer Stellung zur Frage nach der A u t o r i t ä t der positiven Rechtsquelle. Die Naturrechtler nehmen von Hause aus eine durchaus skeptische H a l t u n g zur positiven Rechtsquelle ein, ihnen geht es u m das „richtige", „bessere" Recht, mehr u m ein „Soll-Recht" also als u m ein „Ist-Recht", ihre Rechtsquelle ist durchaus nicht identisch m i t dem bloß positiv-gesetzten oder zufällig historisch herrschenden Recht, Ebenso skeptisch muß sich auch die Germanistik gegenüber einem absoluten Geltungsanspruch des positiven Rechts verhalten. Z w a r geht die Germanistik — scheinbar positivistisch — v o m geschichtlichen Recht als der primären Rechtsquelle aus, doch k a n n sie gerade f ü r ihren Bereich, also fürs dt. Recht, k a u m angeben, was v o m dt. Recht als gültiges Recht i m Laufe der Geschichte übriggeblieben ist. Gemeines, also positives Recht ist das rezipierte römische Recht. N u r konsequent erscheint es daher, wenn die Germanistik sich selbst den Charakter einer Wissenschaft v o m positiven Recht grundsätzlich abspricht (Gerber, Prinzip, § 12, S. 272 ff.). W i l l n u n die Germanistik sich angesichts dieser Situation nicht bloß zur germanist. Methodenlehre reduzieren lassen (so Gerber, Prinzip, S. 284 ff.), sondern doch das Recht materiell irgendwie mitbestimmen, so muß sie ebenso w i e die Naturrechtslehre v o m gerade gültigen positiven ( = romanist.) Rechtszustand abstrahieren, muß auf ein Soll-Recht rekurrieren, dieses als ein besseres dem gegebenen ( = romanist.) Recht entgegenhalten u n d somit i n der Tat ganz analog zur Naturrechtslehre sich tendenziell zu einer Gesetzgebungswissenschaft entwickeln, w i e das i n der Forderung Beselers nach einem dt. Nationalgesetzbuch u n d i n dem vehementen rechtspolitischen Engagement Gierkes schließlich auch k l a r zum Ausdruck kommt. (Schon Gerber deutete diese Entwicklung an, Prinzip, S. 287 ff.; siehe v o r allem auch Reyschers Programm, i n Zeitschr. f.dt.R., Bd. 1, 1839, SS. 34, 37, 41. — Vgl. ferner G. Dilcher, Gesetzgebungswiss., J Z 1969, 1 ff., 6 u n d ders., Positivismus, ARSPh. 1975, S. 514, w o Gierke u n d das von i h m geforderte „Schwert der Gesetzgebung" zitiert werden. — Insgesamt zum Verhältnis: Germanistik — K o d i f i k a t i o n : Wieacker, PrPG/NZ, S. 410 ff. Eigenartig allerdings erscheint, daß Gierke i n seiner Polemik gegen den B G B - E n t w u r f fast auf die antilegislatorischen Positionen Savignys wieder zurückgeht.) Gegenüber der Situation der Germanistik aber bildet die G r u n d lage der Romanistik nicht ein spekulatives Recht der Zukunft, sondern ein abgeschlossener Quellenkodex von einmaliger historischer u n d intellektueller Autorität, der i n rezipierter F o r m auch positiv gilt. Die Romanistik muß ihre Aufgabe daher i n der wissenschaftl. Vertiefung des geltenden ( = röm.) Rechts erblicken, Germanistik u n d Naturrecht/Rechtsphilosophie gerade in dessen Kritik. Die Frage, ob nicht auch schon die ältere „Germanistik" der Aufklärungszeit eine „Schwester" der Naturrechtslehre war, kann hier nur gestellt, nicht beantwortet werden. Z u diesem Problemkomplex insgesamt: Gierke, Naturrecht u n d Deutsches Recht, insbes. S. 16 ff., 25 ff. Gierke erblickt i n der Treue zur überpositiven „Rechtsidee" ein typisch germanistisches Prinzip (der „idealistische Grundcharakter" des germ. Rechts), das m i t dem 31

II. Problemaufriß

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Die Praxisferne, vor allem aber die Intensität und teilweise persönliche Heftigkeit der Auseinandersetzung u m den Begriff der Körperschaft weist aber noch auf etwas anderes hin. Ist aus der immanent-juristischen Brisanz des „Streitgegenstandes" A r t und Ausmaß der Kontroverse nicht zu erklären, liegt die Vermutung nahe, daß i m Begriff der Korporation selbst Momente enthalten sind, die wesentlich tiefere Schichten der Rechtswissenschaft berühren als nur die Frage der Anwendbarkeit pandektistischer Begriffskategorien auf gesellschaftliche „Zwischenformen" oder das Problem der Natur der korporativen Rechtssubjektivität, — daß also der Korporationsbegriff selbst über seinen Rechtscharakter hinaus i n eine metarechtliche Sphäre weist, die eben metaphysische Überlegungen herausfordert. Nicht auszuschließen ist dabei, daß diese eigentlich kritischen Elemente des Korporationsbegriffs den Kontrahenten selbst gar nicht vollständig bewußt waren, sie vielmehr sich der jeweiligen, auf die gerade aktuellen Streitpunkte gerichteten Polemik widmeten, ohne das Motiv ihres eigenen Engagements ganz bei sich zu durchschauen. U m nun dem historischen Phänomen der hier zu betrachtenden jur. Auseinandersetzung i m 19. Jh. gerecht werden zu können, ohne selbst dem Eigenverständnis der beteiligten Parteien bloß zu verfallen, erscheint es notwendig, den zentralen Begriff der Korporation „aufzuschlüsseln", ihn i n die Elemente analytisch zu zerlegen, die i h m i m rechtswissenschaftlichen System seine spezifische Eigenart und seinen u. U. zugleich metarechtlichen Aspekt verleihen. I I . Problemaufriß

Die i m Körperschaftsbegriff enthaltene Problematik läßt sich i n dreifacher Hinsicht aufgliedern: 1. Als erstes nimmt der Körperschaftsbegriff an dem allgemeinen Problem des juristischen Personenbegriffs teil. Die Körperschaft w i r d ja zur jur. Person erklärt. Dies aber berührt die grundsätzliche Frage, wer und was überhaupt als „Person", d. h. als Teilnehmer am Rechtsverkehr zuzulassen ist, wer Inhaber der subjektiven Rechte sein soll. Diese Frage stellt sich bei den Korporationen notwendig, da es der besonderen Begründung bedarf, warum nicht allein der Mensch, sonNaturrechtsprinzip verschwistert sei. Z u m Germanistik-Naturrechts-Verhältnis vgl. insbes. auch Schönfeld, Reich u n d Recht, S. 180 ff. (Das dt. Recht und das Naturrecht).

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1. T e i l : Juristische Grundprobleme d e r n d a r ü b e r h i n a u s auch menschliche V e r e i n i g u n g e n Rechtssubj e k t e sein k ö n n e n . D i e R e c h t s s u b j e k t i v i t ä t des Menschen i s t scheinb a r e v i d e n t 3 3 , die d e r V e r e i n i g u n g ist dies schon w e g e n i h r e r u n t e r s c h i e d l i c h e n Erscheinungsweise keinesfalls. Z u r B e g r ü n d u n g d e r M ö g l i c h k e i t e i n e r k o l l e k t i v e n Rechtspersönlichkeit m u ß d a h e r a u f das grundsätzliche P r o b l e m d e r S t e l l u n g d e r P e r s o n i m Recht zurückgegriffen werden 34. D i e P r o b l e m a t i k eines a l l g e m e i n e n Personenbegriffs i m Recht ist f ü r die Rechtslehre aber v o n s c h l e c h t h i n z e n t r a l e r B e d e u t u n g 3 5 . Dies zeigt sich e x e m p l a r i s c h a n d e r f ü r unser g e g e n w ä r t i g e s Rechtssystem bestimmend gewordenen historischen Auseinandersetzung u m d i e Menschenrechte. H i e r b e i g i n g es v o r d r i n g l i c h u m d i e F o r d e r u n g , j e d e m Menschen ausnahmslos u n d a b s t r a k t v o n seinem k o n k r e t e n i n d i v i d u e l l e n , sozialen S t a t u s eine p r i n z i p i e l l e F ä h i g k e i t z u m 83

Sie ist dies i n der heutigen abstrakten F o r m erst seit der frz. Revolution oder genauer: seit der Theorie der Menschenrechte. Zuvor w a r der abstrakte Begriff eines abstrakten Rechtssubjekts nicht bekannt. Der Mensch wurde nur konkret i n seinen bestimmten, ständischen Eingliederungen als „rechtsfähig" angesehen. Rechtsfähig w a r großenteils identisch m i t standesfähig. 34 Die Tatbestandlichkeit juristischer (aber auch „natürlicher") Persönlichkeit bedarf i m übrigen w i e jede andere jurist. N o r m a t i v i t ä t grundsätzlich der Rechtfertigung der Richtigkeit des i n i h r enthaltenen Werturteils. Eine Norm, die Unrecht statt Recht enthält, k a n n nicht gültig sein. BGH St. 2, 237 f., 241. Z u allem: W. G. Becker, Sprachzeichen, S. 52. Becker nennt diese Geltungsvoraussetzung die „Evidenzprätention" der Norm. 35 v g l . Larenz, A T (2), S. 28 ff. (auch Methodenlehre, 2. Aufl., S. 483), der v o m „ethischen Personalismus" als der ideologischen Basis des modernen dt. Privatrechts spricht, wodurch der Personenbegriff notwendig selbst von entscheidender Bedeutung f ü r die gesamte Rechtsdogmatik werden muß.

Bemerkenswert ist allerdings, daß i n vielen Lehrbüchern zum A T des B G B das Rechtssubjekt/die Persönlichkeit systematisch erst nach dem subjektiven Recht u n d den „Rechtsverhältnissen" behandelt w i r d . So z.B. Enneccerus'/ Nipperdey A T I, § § 7 1 - 7 5 ; Lehmann I Hübner, A T §§10, 11; v. Thür, A T I, §§ 1, 2. Es deutet sich hier die typisch idealistische Vorstellung an v o n der selbständigen Existenz der Redite (oder auch des Rechts), die erst dem Rechtssubjekt, der Person „zugeordnet" werden müssen. Typisch f ü r die Methode, Person-Rechtssubjekt erst logisch aus dem prior gesetzten subjektiven Recht zu gewinnen: Coing, Privatrechtssystem, S. 57: Das Rechtssubjekt ist eine I m p l i k a t i o n (!) des subjektiven Rechts. Das hat auch schon Rittner, Die werd. j u r . Person, S. 156/157 gesehen: „Die Rechtsperson w i r d zum A t t r i b u t des subjektiven Rechts." Er selbst ist dieser Tendenz aber scheinbar ebenso erlegen (S. 216 f.); „ V e r l e i h t " die Rechtsordnung dem Menschen die Rechtspersönlichkeit u n d ist die Rechtsfähigkeit ein „Akzidenz" der I n d i v i d u a l person, so w i r d leicht die „Person" zum Akzidenz des Rechts. Vgl. J. G. Fichte: Das Sein des Ich ist Tätigsein, aktuelle Selbstanschauung. — Sich selbst setzen u n d Sein sind v o m Ich gebraucht, v ö l l i g gleich (Hierzu: Weischedel, Fichte, S. 23). Die Vorrangigkeit des Rechts vor der Person, j a die A b l e i t u n g schließlich der Person v o m Recht ist ein rechtshistorisches Entwicklungsprodukt, das weiter unten noch erörtert w i r d .

II. Problemaufriß

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Recht-Haben zuzuerkennen 36 . — Reaktion auf die grundsätzliche Rechtlosigkeit des einzelnen gegenüber der plenipotenten Rechtsgewalt des absoluten Monarchen einerseits und auf die kollektivstatus-bedingte, „irrationale" Beschränkung der individuellen Rechtssphäre andererseits 37 . Die Forderung aber nach Menschen- und „Bürger"-Rechten erstrebte nichts anderes als den Kreis der möglichen Rechtsinhaber, der „Personen" zu verändern, zu erweitern, jedenfalls zu modifizieren, auf die Frage nach den Trägern von Rechten also eine grundsätzlich neue A n t w o r t zu geben 38 . Der allgemeine juristische Personenbegriff greift hier deutlich über den rein immanenten jur. Bereich hinaus und berührt die Sphäre der politischen, ja auch sozial-ethischen Grundentscheidungen, geht somit auf Grundlagen zurück, die — selbst metarechtlicher A r t — doch die Eigenart und Natur von Rechtsordnungen entscheidend bestimmen. Doch nicht nur die allgemeine Frage nach dem Kreis der Rechtspersonen ist i n diesem Sinne fürs Recht „fundamental", die Entscheidung über die Personenqualität menschlicher Verbände i m besonderen ist von größter politischer und sozialer Relevanz. Dabei sind von dieser Entscheidung nicht nur die politischen, wirtschaftlichen und kirchlichen Verbände, um deren Persönlichkeit es geht, betroffen, sondern vor allem die einzelnen menschlichen Individuen selbst. Die politische Stellung des Bürgers ist jeweils eine andere, ob sein Staat, seine Gemeinde, seine Kirche 3 9 i h m gegenüber als eigenstän3« Vgl. Coing, Privatrechtssystem, S. 64 ff. 37 Vgl. Henke, s. öff. R., SS. 9 ff., 11 ff. auch Gierke, Althusius, S. 297 ff. Diese Charakterisierung der absolutistischen Rechtslage ist hier idealisiert u n d ohne Rücksicht auf die tatsächlichen Machtverhältnisse i m Absolutismus vorgenommen. Es k o m m t i m vorliegenden Zusammenhang aber auf die rechtlichen Ideologien an, deren Grundlagen i m m e r Idealisierungen darstellen. 38 Coing (Privatrechtssystem, S. 70), ist der Auffassung, daß erst i n der „klassischen" Philosophie der Begriff der Rechtsperson u n d die Lehre von den Menschenrechten miteinander verbunden werden. Da aber die sog. klass. Philosophie n u r k u l m i n a t i v das enthält, was seit Descartes i m Ansatz schon i m m e r gemeint worden ist, k a n n vermutet werden, daß die Zusammenhänge zwischen Rechtsperson u n d Menschenrechten doch w o h l älteren U r sprungs sind. Dagegen Coing, PrivatR-System, S. 66 f. Z u r Stellung von „Freiheit" u n d „Person" i m Absolutismus siehe auch: K . v. Raumer, Absoluter Staat, K o r porative Libertät, persönliche Freiheit, i n : H Z 183 (1957), S. 55 ff. 3» Sohm, A l t k a t h . Kirchenrecht, SS. 536 ff., 576 ff., 585 ff., der den U n t e r schied zwischen einer koporativen oder „ n u r " sakramentalen Kirchenverfassung als historische Alternativen (altkath./neukath.) aufzuzeigen versucht,

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1. Teil: Juristische Grundprobleme dige Person aufzutreten vermag oder nicht. Die Anerkennung j u ristischer Personen — i m Prinzip, wie i m Ausmaß und der Form — verändert wesentlich die personale Situation des Einzelmenschen 40 . W i r d der Staat, die Kirche, der Wirtschaftsverband zur selbständigen Person erhoben, so werden diese Verbände ihren Mitgliedern gegenüber prinzipiell fremd. Der Staat ist für den Bürger dann ein von i h m selbst abgelöstes Individuum, dem er letztlich ebenso gleichgültig aber auch ebenso mißtrauisch entgegentreten kann wie jedem anderen „Fremden". Nicht er, der Bürger, ..ist" Staat oder wenigstens dessen integrales Teil, sondern der Staat hat für sich selbst gesorgt, ist selbst Person. Das „Wir-Gefühl" 4 1 , Grundlage kollektiven Verantwortungsbewußtseins, richtet sich nicht auf den Staat, sondern eher auf die Gesellschaft, die nicht personifizierte Gruppe, der man zugehört 42 . Überhaupt führt die Personifizierung von Kollektiven zur Entlastung von persönlicher Verantwortung, andererseits aber zur Verstärkung von Mißtrauen und personalen Spannungsverhältnissen: Der personifizierte Verband hat seinen Mitgliedern gegenüber eine weitaus stärkere Position inne, als die bloß „gesellschaftliche" Gruppe. Es ist daher die Anerkennung rechtsfähiger Körperschaften nicht nur ein allgemeines personenrechtliches Problem i n dem Sinne, daß hier überhaupt bestimmte Antworten auf die Frage nach den Trägern subjektiver Rechte gegeben werden, vielmehr w i r d hierdurch konkret das Personensein der menschlichen Individuen betroffen, so daß die Zuerkennung körperschaftlicher Rechtssubjektivtät zugleich Regelung individualmenschlicher Personalität bedeutet.

2. Neben der allgemeinen personenrechtlichen Problematik: wer überhaupt Träger von Rechten und Pflichten sein soll, entsteht beim Körperschaftsbegriff noch das besondere Problem der eigentümlichen rechtlichen Struktur dieses möglichen Rechtssubjektes. Denn die Korporation ist nicht bloß Rechtssubjekt, sondern zugleich auch Rechtsverhältnis. Sie weist damit eine charakteristische Ambivalenz auf. Die Korporation, ein Verband von verschiedenen Personen, welche wieder i n ebenso verschiedenen Rechtsverhältnissen zueindemonstriert, w i e die Einführung der „Jur. Person" grundsätzliche Ausw i r k u n g e n gerade auf die verbandliche Stellung des einzelnen i n der Kirche haben muß. 40 So auch Rittner, werdende JP, S. 214, der von der „Gefährlichkeit" der Verbandsperson f ü r die Individualperson spricht. 41 Vgl. Fritz Künkel, Das W i r . Die Grundbegriffe der Wir-Psychologie. 1939; René König, „Gruppe" i n L e x i k o n — Soziologie, F r a n k f u r t / M . 1967, S. 113. 42 Siehe Sohms K r i t i k des altkath. Kirchenbegriffs, A l t k a t h . Kirchenrecht, SS. 536 ff. u n d 576 ff.

II. Problemaufriß

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ander stehen, soll doch ein einheitliches Ganzes bilden, dem subjektive Rechte zugerechnet werden. Es ist hier das alte Problem der Einheit i n — oder trotz — der Vielheit angeschnitten, das juristisch die Frage hervorruft, wie die Korporation sowohl als jur. Person, als auch als Rechtsverhältnis gedacht werden kann, wenn sie beides gleichzeitig sein soll. Die Korporation muß daher sowohl als Rechtssubjekt wie als Rechtsverhältnis juristisch so konstruiert werden, daß ihre beiden Qualitäten als gleichzeitig vorhandene dogmatisch miteinander vereinbart werden können. Dabei w i r k t sich nicht unwesentlich aus, daß i m Bereich der Rechtsverhältnisse das 19. Jahrhundert die Privatautonomie statuiert, für die Frage der Rechtspersönlichkeit aber nur die staatsautoritäre, letztlich politische Entscheidung vorsieht 4 3 . 3. Das i m Korporationsbegriff enthaltene dritte Problem besteht i n der rechts-systematischen Anwendbarkeit. Gilt dieser Begriff nur fürs Privatrecht oder t r i f f t er auch für die öffentlich-rechtlichen Verbände zu, läßt sich also ein einheitlicher jur. Körperschaftsbegriff finden? Die radikale Trennung von öffentlichem Recht und Privatrecht w i r k t sich grundsätzlich als Privilegierung der öffentlichen Gewalt aus 44 . Der Versuch, einen einheitlichen Körperschaftsbegriff aufzustellen, muß also entweder die öffentliche Gewalt insoweit entprivilegisieren (zivilisieren) oder aber die privaten Korporationen den öffentlich-rechtlichen irgendwie angleichen (politisieren). Die hier auftretende Problematik, ob und unter welchen Voraussetzungen der Staat selbst als eine Korporation aufgefaßt werden kann, ist für die Gestalt einer Rechtsordnung aber von außerordentlicher Bedeutung. Denn der Staat als Korporation i m oben bezeichneten Sinne (jur. Person) aufgefaßt, prägt ganz entschieden die Strukt u r einer Rechtsordnung, da hierdurch — wie schon gezeigt — ge43 Bis heute ist das Personenstandsrecht Gegenstand unmittelbarer staatlicher Aufsicht. Das g i l t sowohl f ü r den individuellen Personenstand w i e für den „Stand" der j u r . Personen. I n allen Fällen ist staatlicher Registerzwang m i t einem gleichzeitigen besonderen strafrechtlichen Sanktionssystem v o r gesehen. Die B i l d u n g gesellschaftlicher Rechtsverhältnisse ist grundsätzlich (BGB) v ö l l i g der Privatautonomie überlassen. Vgl. hierzu auch: Rittner, Werdende JP, S. 214 f. Z u den polit. Implikationen des Korporations- u n d Assoziationswesens i m 19. Jh. v o r allem auch: F. Müller, Korporation u n d Assoziation (1965). 44 Siehe Henke, s. öff. R., S. 9 ff. (9, 11, 17). Henke zeigt, w i e die Lehre von der Souveränität als Basis dieser kategorischen Trennung die öff. Gewalt subjektiv-rechtlicher Zugriffsmöglichkeiten entzieht u n d sie so zugleich privilegiert. I m übrigen siehe aber auch das überall vorfindliche, alte „Privilegium fisci", Puchta, Pand, §26 Fußn. e) m i t w . Beleg.; Windscheid, Pand, §§ 58, Fußn. 1 a.

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1. Teil: Juristische Grundprobleme rade die Individualrechtssphäre mitreguliert wird, damit aber letztlich alle Rechtsverhältnisse einer bestimmten, eigenartigen Lebensbedingung unterworfen sind. Zusammenfassend läßt sich über die i m Korporationsbegriff enthaltene Problematik daher folgendes sagen: I m Korporationsbegriff ist i n gleich starker Weise sowohl das allgemeine Problem von Person enthalten wie das von „Gesellschaft" und Staat, wobei diese drei „Unterbegriffe" transrechtliche Bezüge aufweisen, die unmittelbar auf die Lebensgrundlagen einer Rechtsordnung sich beziehen. — Die Vehemenz i n der Auseinandersetzung u m diesen Begriff, aber auch ihr philosophisch-metaphysischer Zug w i r d so verständlich. Hinzu kommt jedoch noch ein weiteres. Die drei hier berührten juristischen (zugl. metarechtlichen) Elementarbegriffe sind i m Korporationsbegriff nicht isoliert enthalten, etwa i m Sinne einer bloß praktisch-begrifflichen Zusammenfassung verschiedener Einzelbegriffe, vielmehr geht vom Korporationsbegriff und seines i h m impliciten Bedeutungskomplexes die Prätention aus, daß zwischen seinen Begriffsbestandteilen ein bestimmter, möglicherweise funktionaler Zusammenhang besteht, daß also irgendwie „Person" von Gesellschaft oder Staat abhängt und umgekehrt. Denn die Korporation behauptet ja beides gleichzeitig sein zu können: intersubjektive Gesellschaft und selbständiges Subjekt. Aus der vorgeblichen Möglichkeit, besser: der A r t der Möglichkeit der Existenz eines derartigen ambivalenten Subjekts kann daher Aufschluß gewonnen werden über die Auffassung von Sein und Funktion von Person überhaupt 4 5 und ebenso über Sein und Funktion von Sozialität 46 . Aus dieser Aufschlüsselung des i m Korporationsbegriff enthaltenen Problemkomplexes ergibt sich die Struktur der Darstellung. Die zu behandelnden Theorien über Begriff und „Wesen" der Korporation müssen nacheinander auf folgende Fragen h i n untersucht werden:

H i n t e r dem Korporationsbegriff steht daher letztlich die Frage nach dem „Was ist der Mensch?" Gierke, der eine grundlegende Revision des gesamten Verbandsrechts unternimmt, beginnt dann auch bezeichnenderweise sein Unternehmen m i t dem Versuch einer Beantwortung dieser Frage nach dem Menschen: „Was der Mensch ist, verdankt er der Vereinigung v o n Mensch u n d Mensch." Gen.R. I , S. 1. 4 6 Die angebliche Möglichkeit einer Subjektivität menschlicher Vereinigungen hätte größte politische u n d rechtliche, vor allem auch völkerrechtliche Auswirkungen. M a n denke n u r an die Situation ethnischer Minderheiten. Gibt es analog zu den individualrechtlichen Menschenrechten auch k o r porative (z.B. ethnische) Grundrechte? Recht auf Heimat, Selbstbestimmung, Lebensraum etc.?

II. Problemaufriß

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1. Welcher allgemeine Personenbegriff w i r d vorausgesetzt? 2. Wie w i r d das i m Korporationsbegriff enthaltene Subjekt/ObjektVerhältnis (Korporation als Rechtssubjekt/Korporation als Rechtsverhältnis) gelöst? 3. Wie gilt der Korporationsbegriff i m publizistischen Bereich?

Zweiter Teil

Die romanistisch-individualistische Konzeption des Körperschaftsbegriffs A. Allgemeine Charakterisierung Die K r i t i k Gierkes am Körperschaftsbegriff wendet sich gegen die Korporationsauffassung der romanistisch-individualistischen Doktrin 1 . Dies fordert die Frage heraus, ob es überhaupt eine derartige Doktrin gegeben hat, die sich unter dem Sammelbegriff: romanistisch-individualistisch fassen läßt. Der Angriff der von Beseler begründeten und von Gierke ausformulierten Genossenschaftstheorie auf den romanistischen Körperschaftsbegriff richtet sich i n erster Linie gegen die Korporationstheorie Savignys und Puchtas 2 . Savigny wie Puchta haben i n der Tat eine Dogmatik des Rechts der jur. Personen entwickelt, die trotz erheblicher Divergenzen doch durch bestimmte einheitliche Merkmale gekennzeichnet ist und während des 19. Jh. die gewichtigste Autorität besaß3. Sie geht i n Anlehnung an die römischen Quellen von der grundsätzlichen Trennung von universitas und societas, von Gesellschaft und rechtsfähiger Korporation aus 4 . Beide Rechtsfiguren werden rein individualistisch konstruiert: die Gesellschaft ist ein individualrechtliches Schuldverhältnis, die Korporation ist ein künstlich geschaffenes Individuum 5 . Die Tatsache, daß es bei der Gesellschaft i m Gegensatz zu den sonstigen Obligationen sich 1 Gierke, Gen.Th., S . 4 f f . 2 Gierke, Dt.Pr.R. I , S. 464. 3 Gierke, Dt.Pr.R. I , S. 464. * Z u r Rechtslage i m historischen Rom. Recht: gute Quellenzusammenstell u n g bei Dernburg, Pand. I, §61 Fußnoten 2 ff. Die Aussagen der neueren Romanistik über den historischen römischen Rechtszustand sind sehr uneinheitlich: Mitteis / Wenger, Institutionen, §37 (S. 201) ; Rabel, Grundzüge, S. 42 ff.; Käser, Röm.Pr.R. (Klb), §17, letzterer bestreitet i m Gegensatz zu den Vorgenannten die Geschichtlichkeit der Polarität von universitas u n d societas fürs Rom. Recht. Vgl. auch v.Lübtow, Jur. Person u n d Schnorr v. Carolsfeld, Gesch. d. Jur. P. Bd. 1. s Exemplarisch Dernburg, Pand. I , § 61.

A. Allgemeine Charakterisierung

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nicht um ein zwei-, sondern u m ein mehrseitiges Rechtsverhältnis handelt, das keinen dualistischen, sondern einen kollektiven Interessenausgleich regelt, w i r k t sich auf die rein individualrechtliche Konzeption des Gesellschaftsvertrages ebensowenig aus, wie das kollektive „Substrat" der Korporation irgendeinen Einfluß auf die künstliche I n d i v i dualität der rechtsfähigen Körperschaft ausübt. Das unteilbare, unzusammengesetzte, atomistische Individuum (ob naturaliter oder idealiter) ist die unverrückbare Grundlage des Rechtssubjektsbegriffs dieser Lehre. Sie läßt sich auch als Fiktionstheorie bezeichnen, da eines ihrer Charakteristika darin besteht, die Persönlichkeit der Korporation fiktv oder rein ideell zu begründen. I n diesem Sinne läßt sich somit von einer romanistisch-individualistischen Körperschaftstheorie sprechen. Die vorliegende Arbeit beschränkt sich bei der näheren Erörterung des romanistisch-individualistischen Körperschaftsbegriffs daher i m wesentlichen auf die Lehren Puchtas und Savignys, weil sie bestimmend bleiben sollten für die gesamte spätere, vom selben dogmatischen Ansatz ausgehende Körperschaftstheorie und das entscheidende Angriffsziel der genossenschaftlichen K r i t i k abgaben. Die — wie oben gezeigt — i m Körperschaftsbegriff enthaltene publizistische Problematik ist romanistischerseits jedoch weniger von Savigny und Puchta erörtert worden. Hier richtet die Genossenschaftstheorie ihre Angriffe auch vordringlich auf die Systeme der Staatsrechtler Gerber und Laband. Inwiefern aber Gerber und Laband ebenfalls unter dem Begriff: romanistisch-individualistisch zu subsumieren sind, ist an der Stelle zu zeigen, wo das Problem des öffentlich-rechtlichen Verbandsbegriffs selbst dargestellt wird. Welchen Stellenwert nimmt nun die romanistisch-individualistische Körperschaftslehre innerhalb der rechtswissenschaftlichen Auseinandersetzung zur Zeit Gierkes ein? Sie kann als die zur Zeit Gierkes herrschende Lehre angesehen werden. Dies besagt nicht, daß sie — abgesehen von der germanistischen Genossenschaftstheorie — die einzige juristische Konstruktion des Korporationsproblems i n der damaligen Zeit lieferte. Die Brinzsche Zweckvermögenstheorie 6 oder die Jheringsche Genießertheorie 7 stellen gewichtige ß Brinz, Pandekten I (1873), §§ 59 ff. auch Demelius, Rechtsfiktion, S. 85. Nach Brinz handelt es sich bei den j u r . Personen u m Zweckpersonifikationen. Das „Vermögen" der j u r . Person ist nicht einem realen Subjekt, sondern einem bestimmten Zweck zugeordnet. D a m i t entsteht das Problem subjektloser Rechte. Z u allem siehe: Tietze, S.77ff.; Henkel, S. 148ff.; Lehmann! Hübner, S. 437; Enneccerus / Nipperdey, 11, S. 610, Fußn. 5. 7 Jhering: Geist des Röm.Rechts I U I , S.216ff., 366ff.; Zweck i m Recht I , S. 469; ähnlich Meurer, die j u r . Person etc., 1901. 3 Schikorski

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2. Teil: Die romanistisch-individualistische Konzeption

dogmatische Alternativen dar. Auch läßt sich die romanistisch-individualistische Lehre nicht ohne weiteres an eine der damals unterschiedlich dominierenden historischen Rechtsschulen der Germanisten oder Romanisten festmachen. So vertreten auf germanistischer Seite durchaus anerkannte Juristen wie Gerber, Laband, Roth und Thöl die „Fiktionstheorie", andererseits nähern sich manche Lehrer des Pandektenrechts der germanistischen Theorie von der realen Verbandsperson, z. B. Dernburg, Regelsberger 8 . Dennoch aber ist es gerechtfertigt, die Fiktionstheorie insgesamt als romanistisch zu bezeichnen, da sie unmittelbar auf den römisch-rechtlichen Begriffskategorien aufbaut, insbesondere die zumindest i n der romanistischen Doktrin seit alters her gelehrte Polarität von universitas und societas zum dogmatischen Ausgangspunkt nimmt 9 . Die deutschrechtlichen Autoren, die sich der Fiktionstheorie anschlossen, wie Laband und Gerber, haben dann auch zugleich die begriffstechnische Vorrangigkeit des Rom. Rechts anerkannt und bedienen sich insoweit gar nicht einer „germanistischen" Lehrweise, sondern wenden bewußt die Denkformen — wenn nicht des Römischen Rechts, so doch zumindest der römisch-rechtlichen Rechtswissenschaft an 1 0 . Diese „Fiktionstheorie" aber hat gegenüber allen anderen abweichenden oder modifizierenden Körperschaftstheorien durchaus das Ubergewicht, so daß sie — wie oben getan — als herrschende Lehre bezeichnet werden kann. Die Gegenmeinungen von Brinz und später von Jhering konnten sich nicht durchsetzen 11 . Aber auch die von Beseler begründete und von Jhering leugnet eine w i r k l i c h e Subjektivität der j u r . Personen. Nach i h m steht das Vermögen dieser „Personen" i n Wahrheit den Korporationsmitgliedern selbst oder den Destinatären der Stiftung etc. zu als den eigentlichen „Genießern" dieser rein technisch j u r . Begriffskonstruktion der j u r . Person. Siehe hierzu ebenfalls: Tietze, S. 19 ff.; Henkel, S. 166 ff.; Lehmann / Hübner, S. 436 f. Enneccerus / Nipperdey, I I , S. 609 Fußn. 3. Einen guten Überblick über alle übrigen Konstruktionsversuche gibt Tietze i n seiner A r b e i t und Enneccerus / Nipperdey, 11, S. 607 ff. sowie auch die A r b e i t Henkels. Ferner: A. v. Thür A T I, S. 369 ff. 8 Z u allem: Gierke, Dt.Pr.R. I , S. 466. 9 I n w i e w e i t diese Polarität überhaupt dem wirklichen, historischen Rom. Recht entspricht, k a n n daher hier gänzlich dahinstehen, da sie jedenfalls zum Kernbestand der „romanistischen" Doktrin gehörte, worauf es f ü r die Kennzeichnung eines Theorems als „romanistisch" allein ankommt. 10 Vgl. Gerber, Dt.Pr.R., § 10; insgesamt dazu: Wilhelm, Methodenlehre, S. 91 ff.; v. Oertzen, S. 217. 11 Diese Gegenmeinungen sind auch überhaupt n u r infolge der von der Genossenschaftstheorie (Beseler) vorgenommenen K r i t i k an der SavignyPuchtasdien Dogmatik aufgekommen. „ M i t t e l b a r verdanken der Genossen-

A. Allgemeine Charakterisierung

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Gierke vertiefte und fortgeführte Genossenschaftstheorie hat es nicht vermocht, die Fiktionstheorie von ihrem dominierenden Stand zu verdrängen. Gierke selbst spricht von der Fiktionstheorie als der „herrschenden Lehre" 1 2 und gibt zu, daß sie dem Ansturm der germanistischen Genossenschaftslehre nicht erlegen ist 1 3 . Zwar beschwört er oft genug „den Untergang" der Fiktionstheorie, doch muß er bei der Kodifikation des BGB die Enttäuschung erleben, daß die erste Gesetzgebungskommission fast ganz der romanistischen Richtung folgt und die „vernichtenden Schläge" der Germanisten völlig außer acht läßt 1 4 . Aber auch die endgültige Fassung des BGB brachte nicht die Verwirklichung der germanistischen Verbandslehre 15 . Das Übergewicht der Fiktionslehre i n der Lehre ist auch quantitativ durch die Zahl ihrer Anhänger begründet. Die größere Anzahl der bedeutenderen Rechtslehrer zur Zeit Gierkes folgten dieser Theorie. Neben den oben genannten Germanisten Laband und Gerber waren es vor allem die Autoritäten Savigny und Puchta, die gewissermaßen als Urheber natürlich auf der Seite der Fiktionstheorie standen 16 . Ihnen folgten oder waren i m Ansatz schon vorangegangen so bekannte Juristen wie Kierulff, v. Vangerow und Roth 1 7 . Der Gruppe u m Beseler und Gierke war an bekannteren Autoren nur noch Bluntschli und Heusler zuzurechnen, während die übrigen Rechtslehrer, die sich m i t korporationsrechtlichen Fragen befaßten, Sondermeinungen bildeten, die vereinzelt blieben und letztlich sich noch weniger durchzusetzen vermochten als die germanistische Genossenschaftstheorie selbst. So kann i n der Tat der romanistisch-individualistische Körperschaftsbegriff als der sowohl doktrinell wie letztlich gesetzespolitisch herrschende angesehen werden. Diese durchaus dominierende Stellung der romanistisch-individualistischen Körperschaftslehre rechtfertigt es auch, bei der Behandlung der Auseinandersetzung u m den Korporationsbegriff i m 19. Jh. die Kontroverse: Gierke — Savigny/Puchta, bzw. — Gerber/Laband in den Mittelpunkt der Erörterung zu stellen. Hinzu schaftstheorie alle modernen Theorien das Dasein, welche die F i k t i o n überhaupt streichen, mögen sie n u n die bloße formelle Zusammenfassung einer Mehrheit von Subjekten an die Stelle setzen oder das subjektlose Zweckvermögen einführen." Gierke, Gen.Th., S. 6. 12 Holtzendorff, Korporation, S. 560. 13 Gen.Th., S. 8. 14 Pers.G.E., S. 5 f. 15 Gierke, E n t w u r f - B G B , 1889, S. 144 ff. i® Die starke u n d autoritative Stellung der Savigny-Puchtaschen Dogmatik betont Gierke selbst: Dt.Pr.R. I, S. 464. Gierke, Gen.Th., S. 8; Holtzendorf, Korp., S. 560.

3*

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2. Teil: Die romanistisch-individualistische Konzeption

kommt die schon erwähnte Tatsache, daß die K r i t i k der Genossenschaftstheorie an der romanistischen Doktrin die erste war, die — wenn auch letztlich vergeblich — sich bemühte, die Romanistik i n diesem Punkte zu revidieren, wenn nicht sogar zu „vernichten". Alle übrigen Theorien über die jur. Personen bauten auf diesem von der Germanistik überhaupt erst herbeigeführten Problemstand auf 1 8 . Der Streit zwischen der Romanistik Savignys und Puchtas (sowie Gerbers und Labands) und der Genossenschaftstheorie kann daher als der Kern einer i m übrigen weitverzweigten Begriffsauseinandersetzung i m 19. Jh. angesehen werden. M i t der Analyse gerade dieses Streites darf daher am ehesten Aufschluß über Sinn und historische Bedeutung jener bald allgemeiner gewordenen Unsicherheit über „Wesen" und Rechtsnatur der menschlichen Verbände erwartet werden.

Gierke,

Gen.Th., S. 6.

B. Zum Problem eines allgemeinen Personenbegriffs I. Vorbemerkung Wie oben gezeigt, ist der Körperschaftsbegriff als erstes abhängig vom allgemeinen Personenbegriff, von der Beantwortung der Frage also, unter welchen Voraussetzungen was und inwiefern als Person i m Rechtsverkehr angesehen werden kann. Die romanistisch-individualistische Lehre hat durchaus versucht, einen solchen allgemeinen Personenbegriff aufzustellen, der dann die Basis für den eigenen Begriff vom „Wesen" und von der Rechtsnatur der Korporation abgeben sollte. Savigny und Puchta haben hier die entscheidenden theoretischen Grundlagen erarbeitet, die auch für die spätere Körperschaftsdoktrin romanistisch-individualistischer Provenienz maßgeblich blieben. Sie gingen dabei davon aus, daß die korporative, aber auch die individuelle Persönlichkeit i m Recht theoretisch begründet werden muß, und sie fanden dann die Begründung i n einem metaphysischen, philosophisch-enzyklopädischen Bereich, dessen Darstellung sie der eigentlichen personenrechtlichen Dogmatik voranstellten. Sinn und Funktion und damit die Notwendigkeit dieses philosophischen „Vorspanns" — gerade hinsichtlich des Personenbegriffs — werden jedoch nicht immer ganz deutlich. U m daher die „vorjuristische" Argumentation Savignys und Puchtas verstehen zu können, muß die i m allgemeinen Personenbegriff enthaltene Grundproblematik zuvor kurz skizziert werden, wonach die Erörterung der Lösungsmodelle Savignys und Puchtas dann folgen soll. Der allgemeine Personenbegriff erfordert notwendig die Unterscheidung zwischen der Person i m juristischen und nichtjuristischen Sinne. Der Begriff der Person ist m i t derartig vielen Bedeutungsinhalten vorbelastet, daß die Abklärung und nähere Bestimmung des Verhältnisses (jur.) Person — Person/allgemein unbedingt erforderlich ist. So spielt der Personenbegriff insbesondere i n der Theologie, Philosophie und Psychologie eine Rolle, überhaupt i n all den Wissenschaften, die als Geistes- oder Humanwissenschaften bezeichnet werden 1 . 1

Trendelenburg, Z u r Geschichte des Wortes Person, 1908, Kantstudien Bd. X I I I ; Schlossmann, Persona u n d prosopon i m Recht u n d i m christlichen Dogma. K i e l 1906; R. Guardini, Welt u n d Person, 1939; L. Berg, Der Mensch,

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2. Teil: Die romanistisch-individualistische Konzeption

Der juristische Personenbegriff läßt sich scheinbar ohne weiteres definieren und damit leicht von anderen möglichen Personenbegriffen abgrenzen. Persönlichkeit heißt i m Recht die Fähigkeit, Rechte und Pflichten zu haben, Person ist der Träger von Rechten und Pflichten 2 . Doch taucht hier sogleich eine gewisse Schwierigkeit des Begriffsverständnisses auf. Was heißt eigentlich: „Träger" von Rechten etc.? Träger bedeutet i n der jur. Definition ein „Etwas", dem die Fähigkeit, Rechte und Pflichten zu haben, zugeschrieben wird. Was aber w i r d — juristischerseits! — unter diesem „Etwas" begriffen? Die A n t w o r t der Rechtswissenschaft ist hier weder konkret noch eindeutig. Keinesfalls w i r d nur der konkrete, individuelle Mensch unter diesem Träger verstanden, denn es gibt ja auch jur. Personen. Der Begriff der jur. Person ist aber selbst wieder so unklar und mehrdeutig, daß m i t ihm durchaus nicht festgelegt ist, was oder wer eigentlich bei den jur. Personen nun der wirkliche Träger der Rechtsfähigkeit ist und was nicht noch alles, außer den bekannten Korporationen, Stiftungen und Anstalten, fähig sein könnte, Rechte und Pflichten zu haben. Abstrakt läßt sich m i t dieser jur. Definition das „Etwas", dem die Rechtsfähigkeit zukommen soll, gar nicht bestimmen. Besagtes Etwas w i r d i n Wahrheit auch gar nicht definiert, vielmehr — und das ist das Charakteristische am jur. Personenbegriff — w i r d nur die Rechtsfolge (Träger von Rechten und Pflichten) bestimmt für den Tatbestand: Person, — der selbst Undefiniert bleibt und als schon feststehend vorausgesetzt wird. Der jur. Personenbegriff sagt also gar nicht aus, was eine Person ist, sondern nur, was sich rechtlich daraus ergibt, daß etwas vom Recht als Person angesehen wird 3 . H e r r seiner Rechte, 1940 (betr. „Person" beim hlg. Thomas); Müller / Vossenkühl, „Person" i n Handbuch der philos. Grundbegriffe, Bd. I I , S. 1059 ff.; Hofstätter, L e x i k o n — Psychologie, „Persönlichkeit". Vor allem: E. Denninger, Rechtsperson u n d Solidarität (1967). 2 Hierzu Coing, Privatrechtssystem, S. 57. Z u m rechtstheoretischen Problem des Personen- u n d Subjektsbegriffs entscheidend: G. Husserl, Rechtssubjekt u n d Rechtsperson i n AcP (1927) Bd. 127, S. 129 ff., bes. 197, 199, 207. Ferner: W. G. Becker, Grundformeln, i n : G. Husserl FS, S. 93 ff., bes. S. 110 ff. Rechtsphilosophisch: Schönfeld, Rechtsperson u n d Rechtsgut, Festg.Jur.Fak. Leipzig/RG (1929) I I , S. 191 ff. Erik Wolf, Personalität u n d Solidarität i m Recht. I n : Rechtstheologische Studien, 1972, S. 138 ff.; ferner: Nass, Person, Persönlichkeit u n d juristische Person, 1964; Westermann, Person u n d Persönlichkeit als Wert i m Ziv.R. K ö l n 1957; Schwarz, G. i n : Arch. f. Bürg.R. Bd. 32, 12- 139, Bd. 35, 10-90. Larenz, K., Rechtsperson u n d subj. Recht, B e r l i n 1935; Krückmann, AcP Bd. 114, S. 143 ff.; ferner: Rittner, Die werdende j u r . Person (1973) u. Fäbricius, Relativität der Rechtsfähigkeit (1963). 3 Dies hat u.a. deutlich Gierke erkannt: „Grundbegriffe", S. 79ff.

B. Zum Problem eines allgemeinen Personenbegriffs

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Der Rechtsbegriff der „Person" ist daher nur von juristisch-technischer A r t , der festlegt, was juristisch m i t der Person geschieht, wenn sie vorliegt. Auch die gesetzlichen Bestimmungen, die die Persönlichkeit des Menschen (§ 1 BGB), der A G oder der GmbH „fixieren", besagen nichts über die Person des Menschen, der A G oder der GmbH, also nichts darüber, wodurch diese „Personen" geeignet erscheinen, Träger von Rechten und Pflichten zu sein, — sondern nur, daß sie rechtlich als Personen, also als rechtsfähig anerkannt werden, regeln damit ebenfalls nur einen Rechtsfolgemechanismus. Die Persönlichkeit des Menschen selbst oder die einer jur. Person bleibt i m Recht Undefiniert, sie w i r d vom Recht vorausgesetzt. Ihre Bestimmung findet außerhalb des Rechts statt. Daher ist der Personenbegriff, der beantwortet, was eine Person ausmacht, daß ihr Rechte und Pflichten überhaupt zugeschrieben werden können, vorrechtlicher und damit metarechtlicher A r t 4 . Trotz seiner metarechtlichen Natur ist er aber i m höchsten Maße juristisch relevant, denn von i h m leitet sich der jur. Personenbegriff erst ab. I n ihm allein ist das notwendige Vor-Urteil enthalten, was gerade i m Recht als Person gelten soll und kann 6 . Das Defizit des jur. Personenbegriffs, den Grund und die Seinsweise der rechtlichen Persönlichkeit gar nicht angeben zu können, w i r k t sich nun i m Falle der Person des Menschen — oberflächlich gesehen — kaum aus. Die Persönlichkeit des Menschen scheint offenbar zu sein 6 . Für die Korporationen gilt dies jedoch nicht. Die phänomenale Eindeutigkeit, die beim Menschen vorliegt, fehlt den menschlichen Verbänden, gleich welcher Gattung, durchaus. Die Wichtigkeit phänomeno4

Coing, Priv.R. System, S. 7 4 - 7 6 ; Schönfeld, Rechtsperson u n d Rechtsgut. Festgabe der jur.Fak. fürs R G (1929) I I , 191 ff.; Gerhart Husserl, AcP 127, S. 129; das hebt auch Wieacker hervor: Theorie d. JP., FS. E. R. Huber, S. 339 f., 342 f., 360 ff. 5 Vgl. Schönfeld, Festg. R G I I , S. 213: „ N u r etwas, was seiner N a t u r nach nicht zum Recht i m formellen Sinn gehört, k a n n die Fähigkeit zum Recht haben u n d erhalten. Fähig zum Recht sein heißt i n diesem Sinne, von i h m vorausgesetzt werden u n d i h m nicht unmittelbar innewohnen. — Die Fähigkeit zum Recht ist die Voraussetzung zum Recht, die das Recht verordnet u n d anerkennt, nicht aber selbst schafft, es sei denn, daß es sie fingiert." 6 So Savigny, System I I , S. 277: „Der einzelne Mensch trägt seinen A n spruch auf Rechtsfähigkeit schon i n seiner leiblichen Erscheinung m i t sich." Diese Anschauung w i r d auch i n der späteren Körperschaftslehre noch häufig wiedergegeben, ohne daß dabei berücksichtigt würde, daß diese natürlichevidente Rechtsfähigkeit des Menschen auch erst Ergebnis einer bestimmten weltanschaulichen Entwicklung ist. Savigny hat allerdings — w i e gezeigt — die eigne theoretische Basis f ü r diesen Satz wenigstens i m Ansatz mitgeteilt u n d auch begründet. Vgl. i m übrigen auch Wieacker, a.a.O., S. 361.

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2. Teil: Die romanistisch-individualistische Konzeption

logischer Bestimmung korporativer Rechtssubjektivität w i r d später noch zu erörtern sein. Aus diesem Mangel an personaler Evidenz aber folgt die Notwendigkeit einer besonderen Begründung der korporativen Rechtssubjektivität 7 . Eine solche Begründung läßt sich aber allgemeingültig nur aus einem allgemeinen Personenbegriff herleiten, der den Grund des personalen Seins prinzipiell angibt, ohne spezielle Rücksicht auf die korporative oder individuelle Erscheinungsform. Vor allem aber wegen der oben schon beschriebenen außerordentlichen Bedeutung, die die Personifikation von Verbänden gerade für die Persönlichkeit des individuellen Menschen hat, muß eine Korporationstheorie dem metajuristischen Grund von Person und Persönlichkeit nachgehen, u m das durchaus nicht selbstverständliche Phänomen einer metaindividuellen Rechtssubjektivität erklären, gegebenenfalls anerkennen oder leugnen zu können. Das Problem des allgemeinen Personenbegriffs besteht daher darin, einen metarechtlichen Personenbegriff zu finden, von welchem der juristische ableitbar ist. Der metajuristische Personenbegriff ist daher auch notwendig ein normativer Begriff, weil aus i h m folgt, was i m Recht Person sein soll, weil er also für den Bereich des Rechts normative Geltung beansprucht. Diese Normativität des allg. Personenbegriffs w i r d sich i n der weiteren Darstellung als ein zentrales Moment der hier zu untersuchenden rechtswissenschaftlichen Auseinandersetzung erweisen 8 . Sie führt zur Notwendigkeit, „Person" dialektisch zu fassen, und damit das Problem des Personenbegriffs aus dem Spannungsverhältnis von Person und „Gegen-Person" (aus einer A r t „Ur-Kontakt" 9 ) heraus zu entwickeln 1 0 . Die korporative Persönlichkeit, die Frage ihrer „Realität" und ihrer publizistischen Seinsweise, gewinnen hier ihre zentrale Bedeutung, ihren „Sinn" i m rechts wissenschaftlichen System. 7 Die positiv-rechtlichen Normtatbestände verlangen grundsätzlich eine Begründung, u n d zwar die ihrer Richtigkeit. Siehe die Normvoraussetzung der „Evidenzprätention" v o n W. G. Becker, Festschr. Schnorr v. Carolsfeld (1972) S. 35 ff., S. 52. s Vgl. unten Fußnote 40. 9 Vgl. hierzu unten: T e i l 4, Fußnote 16. Z u r Kontraktsgeschichte vgl. W. G. Becker, Gegenopfer, S. 131 ff. Ob die der Kontraktgeschichte voranstehende „ U r n o r m " die Restitutionsnorm aus einem Ur-Deliktstatbestand ist (so Becker, a.a.O., S. 134 ff.) ist letztlich eine w i l l k ü r l i c h e Annahme. I h r entspricht die alte Theorie, daß das Recht (der Staat) der nach dem Sündenfall dem Menschen verbleibende Heilsersatz sei (vgl. Puchta, Inst. I, S. 3 ff.), wodurch dann die scharfe Trennung zwischen Recht u n d Religion aufbricht (Sohm). 10 Die Normativität ist ein spezifisches Element des metarechtlich/rechtlichen Personenbegriffs. Hierdurch unterscheidet sich dieser Begriff z. B. v o m psychologischen u n d soziologischen Personenbegriff. N o r m a t i v i t ä t aber setzt

B. Z u m Problem eines allgemeinen Personenbegriffs

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D a m i t w i r d h i e r b e r e i t s sichtbar, w i e z w a n g s l ä u f i g die D i s k u s sion ü b e r eine T h e o r i e d e r K o r p o r a t i o n i n eine m e t a r e c h t l i c h e Sphäre h i n r e i c h e n m u ß , da d e r n o t w e n d i g z u k l ä r e n d e G r u n d k o r p o r a t i v e r R e c h t s f ä h i g k e i t jenseits des j u r i s t i s c h e n E r k e n n t n i s s y s t e m s angesiedelt ist. W i e i m e i n z e l n e n n u n das P r o b l e m des a l l g e m e i n e n Personenbegriffs v o n d e r r o m a n i s t i s c h - i n d i v i d u a l i s t i s c h e n L e h r e gelöst w i r d , h a t die folgende D a r s t e l l u n g zu zeigen. Methodisch w i r d es e r f o r d e r l i c h sein, die h i e r n u r skizzierte P r o b l e m a t i k gegebenenfalls, d. h. i n A u s e i n a n d e r setzung m i t d e r j e w e i l s b e h a n d e l t e n k o n k r e t e n L e h r m e i n u n g , w e i t e r zu v e r t i e f e n , u m so e i n m ö g l i c h s t genaues B i l d v o n d e m v o r h a n d e n e n P r o b l e m s t a n d sowie d e n e n t w o r f e n e n L ö s u n g s m o d e l l e n z u g e w i n n e n .

einen personalen Normurheber voraus. — Das ist ein wesentlicher Punkt, den die k a u m noch zu übersehende Diskussion u m das Problem der Geltung des Rechts wenig berücksichtigt (vgl. hierzu: Henkel, Rechtsphilosophie, S. 543 ff.) vor allem auch: E. Denninger, Rechtsperson, S. 229. Darauf kann nicht näher eingegangen werden. N u r soviel ist anzumerken: Normative Geltung betrifft Personen u n d fordert ein persönliches „ j a " oder „nein" heraus, f ü h r t damit zu personaler Verantwortung als dem essentiale von Persönlichkeit wieder selbst (vgl. E. Wolf, Personalität u n d Solidarität, Rechtstheolog. St., S. 138 ff., 140 f.). E i n derartiger Geltungsanspruch kann dann selbst aber n u r ein personaler, d. h. ein von einer Person („Autorität") ausgehender sein. Verantwortlichkeit gegenüber Sachen oder „Ideen" gibt es nicht, da diese Erscheinungen einem „ j a " oder „nein" gegenüber keine A n t w o r t geben können. Sachen u n d Ideen haben daher auch keine reale „ A u t o r i t ä t " . D a m i t aber w i r d „Person" zum dialektischen Beziehungsgefüge: Person als Normadressat u n d Person als Normurheber. Person als n o r m bedingte Erscheinung benötigt konstitutiv das normierende, personale Gegenüber. V o n dieser personalen N o r m a t i v i t ä t u n d ihrer Geltung ist die „dingliche" Geltung zu unterscheiden. Die Dingwelt „ g i l t " auch gewissermaßen, der Mensch hat sich i h r zu fügen, anzupassen, zu „unterwerfen". H i e r hat das „ j a " oder „nein" aber — w i e gezeigt — keinen Sinn, hier gibt es auch keine Verantwortlichkeit, sondern n u r „Einsicht i n die Notwendigkeit". Personale N o r m a t i v i t ä t muß hingegen auf ein personales Gegenüber rekurrieren, das zur „ A n t w o r t " fähig ist (vgl. E. Wolf, Person, u n d Sol., Rechtsth.St., S. 141 ff.). Sehr scharf hat das noch Kelsen gesehen: Kelsen! Schmölz NaturR, S. 5 f., 119 f. ebd.: „ K e i n Imperativ ohne einen Imperator, kein Befehl ohne einen Befehlenden! . . . Meine ganze Lehre v o n der G r u n d n o r m habe ich dargestellt als eine Norm, die nicht der Sinn eines Willensaktes ist, sondern die i m Denken vorausgesetzt w i r d . N u n muß ich Ihnen leider gestehen, meine Herren, daß ich diese Lehre aufgeben mußte. Sie kJnnen m i r glauben, daß es m i r durchaus nicht leicht war, eine Lehre aufzugeben, die ich durch Jahrzehnte vertreten habe. Ich habe sie aufgegeben, i n der Erkenntnis, daß ein Sollen das Korrelat eines Wollens sein muß." — Die Ausschaltung des personalen Moments aus dem Geltungsgrund rechtl. N o r m a t i v i t ä t muß zwangsläufig entweder zur bloß dinglichen Geltung von „Person" führen (soziolog. o. psycholog. Personenbegriff) oder zum j u r i s t i schen Idealismus (Rechtsidee, Grundnorm, Volksgeist etc.), der dann m i t dem Problem konfrontiert ist, die Realität von „Person" u n d deren Geltungsansprüchen zu begründen (Lehre von der „realen Gesamtperson" u.än). Vgl. zu allem auch: unten Abschnitt D u. Teil 4 am Ende!

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2. Teil: Die romanistisch-individualistische Konzeption II. Savignys zwiespältiger Personenbegriff

Savignys 11 Auffassungen zum Begriff der Person sind systematisch fast ausschließlich i n seinem Spätwerk „System des heutigen Römischen Rechts" niedergelegt. Nach der Darstellung der allgemeinen Lehren über das Recht und die Rechtsverhältnisse, beginnt Savigny die Ausführung des „Systems" m i t dem Personenrecht und dort m i t der Erörterung des Begriffs der Person. Savigny versteht unter Person zunächst nur das Rechtssubjekt. Die Antithetik: Person/Rechtssubjekt — Person i m allg. Sinn, w i r d von i h m gar nicht abstrakt herausgearbeitet, vielmehr w i r d dem Rechtssubjekt ganz konkret der Mensch als das Subjekt gegenübergestellt, dem die Rechtssubjektivtät ohne weiteres zukommt 1 2 . Der Mensch ist, eben weil er Mensch ist, auch Rechtssubjekt — und damit Person! Diese von vornherein bestehende Rechtspersönlichkeit des Menschen w i r d jedoch nicht nur aus seinem naturalen Dasein hergeleitet, sondern aus einer dem Menschen innewohnenden besonderen Qualität. Savigny führt dies gleich auf den ersten beiden Seiten aus, m i t denen die Behandlung des Personenrechts beginnt. Dort 2 sagt er: „Alles Recht ist vorhanden u m der sittlichen, jedem einzelnen Menschen innewohnenden Freiheit willen. Darum muß der ursprüngliche Begriff der Person oder des Rechtssubjekts zusammenfallen m i t dem Begriff des Menschen, und diese ursprüngliche Identität beider Begriffe läßt sich i n folgender Formel ausdrücken: Jeder einzelne Mensch, und nur der einzelne Mensch, ist rechtsfähig. Indessen kann dieser ursprüngliche Begriff der Person durch das positive Recht zweierlei, i n der aufgestellten Formel bereits angedeutete, Modifikationen empfangen, einschränkende und ausdehnende. Es kann nämlich erstens manchen einzelnen Menschen die Rechtsfähigkeit ganz oder teilweise versagt werden. Es kann zweitens die Rechtsfähigkeit auf irgend etwas außer dem einzelnen Menschen übertragen, also eine juristische Person künstlich gebildet werden." Savigny t r i f f t m i t diesen Worten zwei entscheidende Aussagen über den Begriff der Person. Zum einen identifiziert er — wie oben einleitend schon angemerkt Rechtssubjekt m i t Person und beides dann m i t dem naturalen Menschen. 11 Über Savigny (1779- 1861): Erik Wolf, Große Rechtsdenker, Savigny, S. 467 ff.; Stintzing / Landsberg I I I 2, S. 186 ff.; Wieacker, Pr.RG/NZ, S. 381 ff.; Strauch, Recht, Gesetz u n d Staat bei S. (i960). 12 System I I , S. 2.

B. Zum Problem eines allgemeinen Personenbegriffs

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Zum anderen aber begründet er das Subjektsmonopol des Menschen i m Recht m i t einer metarechtlichen Qualität des Menschen, seiner sittlichen Freiheit: „Alles Recht ist vorhanden ... um ... willen etc. Darum 18 muß etc. zusammenfallen . . . " Savigny w i r d damit der i m allg. Personenbegriff enthaltenen Grundproblematik gerecht. Nach i h m folgt aus der metarechtlichen Persönlichkeit des Menschen, die i n seiner sittlichen Freiheit bestehen soll, seine Rechtssubjektivität. Hierdurch nun w i r d die Auffassung von der „sittlichen Freiheit" des Menschen zum Kernstück des Personenbegriffs Savignys. Was es m i t dieser sittlichen Freiheit auf sich hat, muß geklärt werden, u m jenen Personenbegriff vollständig zu begreifen. M i t dem Begriff der sittlichen Freiheit scheint Savigny an zeitgenössische und traditionelle philosophische Gedankengänge anzuknüpfen. Inwieweit der Einfluß philosophischer Theoreme auf Savignys Freiheits- und Personenbegriff bestimmend ist, kann jedoch erst festgestellt werden, wenn Savignys eigene Vorstellungen hiervon näher geklärt sind. Wichtig i m hier interessierenden Zusammenhang ist zum einen die Frage nach der inhaltlichen Bedeutung der sittlichen Freiheit für den Begriff der Person, zum anderen die Frage nach dem Zusammenhang zwischen sittlicher Freiheit/Person und Recht. Den i n seinem Werk verstreuten übrigen Stellen, an denen Savigny zu „Freiheit" und „Sittlichkeit" sich noch äußert 14 , ist dies zu entnehmen: 18 Die Tatsache einer derartigen Begründung ist selbst bemerkenswert. Savigny hält es i m m e r h i n f ü r nötig, einen juristischen Lehrsatz metarechtlich (phüosophisch) zu begründen. Daß das von der Sache her (Personenbegriff) objektiv notwendig w a r u n d ist, w u r d e oben schon gesagt. Dennoch hätte man auch erwarten können, daß Savigny — seinem eigenen Programm zufolge — einfach n u r den geltenden, „positiven" Rechtszustand darstellen würde. Savigny offenbart hier alles andere als ein historisches, vielmehr ein stark normatives Denken (Rothacker, Einleitung S. 60; vgl. auch G. Dilcher, Positivismus, ARS Ph. 1975, S. 503 ff.). Die H e r k u n f t dieses normativen Denkens und seine F u n k t i o n k a n n hier nicht erklärt werden. Festzuhalten ist nur, daß Savigny als erster den Begriff der j u r . Person samt dem der Person überhaupt als Problem u n d zwar als ein einheitliches Problem erkannt hat, nämlich das der grundsätzlichen Stellung der „Person" i m / z u m Recht (Binder, Problem, S. 9). 14 System I, 331 f., 347: „ I n dem Menschen steht über dem Naturtrieb das höhere sittliche Gesetz, welches alle Teile seines Wesens, also auch diesen Trieb, durchdringen u n d beherrschen soll, wodurch das Natürliche i n dem Menschen nicht vernichtet oder geschwächt, sondern zur Teilnahme an dem höheren Element des menschlichen Wesens emporgehoben w i r d . " Daß Savigny allerdings die unmittelbare Geltung des Sittengesetzes n u r i m Familienrecht, nicht auch i m Vermögensrecht v e r t r i t t , dort vielmehr die rigorose Anwendung des formellen Rechtsgesetzes fordert, hindert nicht die

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2. Teil: Die romanistisch-individualistische Konzeption

Die sittliche Freiheit des Menschen besteht i n der freien Annahme und Erfüllung der sittlichen Pflichten, — nicht i m blinden Folgen der eigenen Triebe oder dem bloß äußerlichen Unterwerfen unter das Gesetz der Sittlichkeit als einer fremdbestimmten, auferlegten Notwendigkeit 1 5 . Daß die sittliche Freiheit somit eine normativ gebundene Freiheit ist, nicht also etwa private W i l l k ü r bedeutet, ergibt sich i m übrigen aus der Verwendung des Wortes „sittlich" i m Zusammenhang m i t „Freiheit" auch schon von selbst, da die Sittlichkeit ein eigenes Normativsystem darstellt, m i t „sittlicher" Freiheit somit nur eine normierte, pflichtgebundene Freiheit gemeint sein kann. Die Frage ist nun, warum und inwiefern die Fähigkeit zur freien Erfüllung der sittlichen Pflichten den Menschen zur Person, d. h. für Savigny: zum Rechtssubjekt erhebt. Savignys A n t w o r t kann wieder seinem eingangs vorangestellten Zitat entnommen werden. Gleichzeitig w i r d damit auch das Verhältnis des Rechts zur sittlichen Freiheit geklärt. Nach Savignys Worten dient das Recht der sittlichen Freiheit. A n anderer Stelle heißt es: „Das Recht dient der Sittlichkeit, — aber nicht indem es ihr Gebot vollzieht, sondern indem es die freie Entfaltung ihrer, jedem einzelnen Willen innewohnenden K r a f t sichert 1 5 3 ." Aus dieser dienenden Funktion des Rechts ergibt sich für die Anschauung Savignys positiv, daß nach i h m der Mensch, gerade u m seine sittlichen Pflichten frei erfüllen zu können, die Fähigkeit besitzen muß, Rechte innezuhaben, insbesondere andere Personen, m i t denen er sich bei der Verfolgung der sittlichen Zwecke auseinanderzusetzen hat, rechtlich binden, sich auch selbst rechtlich verpflichten zu können 16 , insgesamt also Rechtssubjekt sein muß. Der Mensch ist so eine Rechtsperson, weil er sittliche Pflichten zu erfüllen hat, die anders als im Rahmen eines rechtlich gesicherten Individualbereichs nicht erfüllt werden können, — weil er also sittliches Subjekt ist! M i t dieser Begründung der menschlichen Rechtspersönlichkeit befindet sich Savigny i n der Tat i n einer geistigen Linie m i t der Philosophie seiner Zeit. Insbesondere weist die Auffassung von der dienenden Funktion des Rechts i m Verhältnis zur Sittlichkeit und damit die Begründung unbedingte u n d vorrangige Herrschaft des Sittengesetzes über den Menschen, da das Recht j a n u r als Bedingung zur Erfüllung des unbedingten Sittengebotes dienen soll (so ausdrücklich System I, S. 371). Kiefner, Der Einfluß Kants, S. 7 ff., der alle einschlägigen Stellen bei Savigny zusammengefaßt hat. isa System I, S. 331 f. 16 Demgemäß definiert Savigny auch das Rechtsverhältnis als eine Beziehung zwischen mindestens zwei Personen (System I I , S. 1), w e i l nach i h m Recht immer ein personaler Prozeß ist.

B. Zum Problem eines allgemeinen Personenbegriffs

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der Rechtssubjektivität aus der sittlichen Subjektivität des Menschen auf die personalistische Ethik Kants hin 1 7 . Den philosophischen Wurzeln seines Personenbegriffs kann hier jedoch nicht i m einzelnen nachgegangen werden, zumal gerade die Beziehungen Savignys zur Philosophie Kants außerordentlich umstritten sind 1 8 . Die zentrale Stellung, die Savigny den Begriffen: Person — Freiheit — Wille i n seinem rechtswissenschaftlichen System einräumt 1 9 , entspricht allerdings ganz der Sittenlehre Kants 2 0 , was aber auch auf die gemeinsame naturrechtliche Wurzel beider Wissenschaftler deuten könnte, daher nicht unbedingt eine Abhängigkeit Savignys von Kant beweist. So ist vor allem der Grundsatz, daß das Recht und die Rechte nicht — wie es der spätere Rechtspositivismus lehrt — per se existieren, sondern funktional aus einer ursprünglichen, vorgeordneten Pflichtigkeit des Menschen ihren Sinn herleiten, daß insbesondere die Pflicht des Menschen, die sittlichen Gebote zu erfüllen, sein „Recht-Haben-können" erst bedingt, von alter, naturrechtlicher, ja scholastischer Tradition 2 1 . Bei der so von Savigny versuchten Begründung der rechtlichen Persödlichkeit des Menschen stellen sich nun Fragen ein, die typisch für das Problem eines allgemeinen Personenbegriffs, gerade aber auch des Korporationsbegriffs sind und auch bleiben sollen, so daß hier eine weitere Vertiefung der einleitend schon ansatzweise aufgerissenen Problematik des allgemeinen Personenbegriffs an Hand der Savignyschen Personenlehre notwendig wird. Nach Savigny liegt der Grund der menschlichen Rechtspersönlichkeit i n seiner sittlichen Subjektivität. Die sittliche Subjektivität besteht wiederum darin, das Sittengebot frei zu erfüllen, sich also zum Sitten1 7 Den Einfluß Kants auf Savigny heben hervor: Kiefner, Der Einfluß Kants, S. 7 ff.; Binder, Problem, S. 10; Coing, Gesch.d.Pr.R.Syst., 67; Coing, K a n t u n d die Rechtswissenschaft (Frankfurter Universitätsreden 12, 1955), S. 38 f.; Wieacker, Pr.RG/NZ S. 352 u n d S. 397; Dahm, DR, S. 117. 18 Gegen einen Einfluß Kants — i m allgemeinen haben sich ausgesprochen: Strohal, D J Z 1909, S. 273 (gerichtet gegen Sokolowski, Philosophie i m PrR I I , S. 224); Stoll, Der junge Savigny, S. 51; Zwilgmeyer, Die Rechtslehre Savignys, S. 53 u n d S. 39 f. 19 Kiefner, Der Einfluß Kants, S. 7 f.; Binder, Problem, S. 11. so Vorländer, Geschichte der Philosophie (5. A.) I I , S. 233; Vorländer faßt die „moralische Persönlichkeit" als den Gipfelpunkt der Kantschen E t h i k auf. Vgl. auch Coing, K a n t u. die Rechtswiss., S. 38 f. 2i Sauter, Phil. Grundlagen, S. 180 — f ü r Chr. Wolff u n d die scholastische Tradition. — Präzis ist die Kurzformel, die Th. v. Schmalz dieser Lehre gibt: „ W e i l das Notwendige immer möglich ist, so habe ich immer dazu ein Recht, wozu ich eine Pflicht habe." (Recht d. Natur, T e i l 1, S. 38.) Kelsen erkennt i n einer späten P u b l i k a t i o n sogar eine theolog. Fundierung der Kantschen prakt. V e r n u n f t : Schmölz, NaturR, S. 121.

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2. Teil: Die romanistisch-individualistische Konzeption

gebot wie das Subjekt zu einem Objekt verhalten zu können 2 2 . Hier entstehen nun die zwei für Savignys allgemeinen Personenbegriff schlechthin entscheidenden Fragen: Worin besteht überhaupt das Sittengebot? — Von wem leitet es seine Autorität her? Ist der Mensch Subjekt (Person) kraft seiner subjektiven (freien) Stellung zum Objekt: Sittengesetz, so hängt doch A r t und Ausmaß gerade seiner Subjektivität vom Inhalt des Sittengesetzes und damit von dessen Urheber ab. So subjektiv (frei) sich also der Mensch auch gebärden mag, i n all seiner „Freiheit" ist er doch gerade von der Objektivität, also von I n halt und Urheberschaft des Sittengesetzes abhängig. Savigny n i m m t nun zu diesen Fragen eine Stellung ein, die i h n doch aus dem geistig-philosophischen Zusammenhang m i t der Philosophie Kants herausfallen läßt. Was er inhaltlich m i t dem sittlichen Gebot verbindet, erklärt Savigny dort, wo er wieder von der „allgemeinen Aufgabe" des Rechts spricht: „Jene allgemeine Aufgabe allen Rechts nun läßt sich einfach auf die sittliche Bestimmung der menschlichen Natur zurückführen, so wie sich dieselbe i n der christlichen Lebensansicht d a r s t e l l t . . . M i t der Annahme jenes einen Zieles aber genügt es völlig, und es ist keineswegs nötig, demselben ein ganz verschiedenes zweites unter dem Namen des öffentlichen Wohles, an die Seite zu setzen: außer dem sittlichen Prinzip ein davon unabhängiges staatswirtschaftliches anzunehmen. Denn indem dieses auf Erweiterung unserer Herrschaft über die Natur hinstrebt, kann es nur die M i t t e l vermehren und veredeln wollen, wodurch die sittlichen Zwecke der menschlichen Natur zu erreichen sind. Ein neues Ziel aber ist darin nicht enthalten 2 3 ." Die „christliche Lebensansicht" gibt für Savigny somit die materiale Bestimmung des Sittengesetzes ab. Diese religiöse Grundlegung seines wissenschaftlichen Systems ist auch seinem übrigen Denken zu ent22

Diese Objektivierung des Sittengesetzes ist außerordentlich bemerkenswert. Daß der Mensch dem Sittengesetz w i e ein Subjekt dem Objekt gegenübersteht, muß tendenziell zur Verfügbarkeit des Menschen über das Sittengesetz führen. Es findet dann auch — allerdings eben nicht bei Savigny — ein endgültiges Zerreißen religiöser Eingebundenheit des Menschen u n d die Geburt der Ideologie von der vollen menschlichen Autonomie statt: Nach Kant bedarf die M o r a l keiner Religion (Kaulbach, K a n t , S. 257). Gott ist ein bloßes Postulat aus der V e r n u n f t des autonomen Moral-Subjekts: Mensch ( = Person); (Kaulbach, K a n t , S. 252 ff.). Z u r K r i t i k der Lehre Kants v o n der autonomen M o r a l : Josef Santeler, Menschenwürde, S. 227 ff., insbes. S. 233 f. Z u Kants Reduzierung der Gottesidee auf die menschliche Subjektivität vor allem auch K . Löwith, Gott-Mensch-Welt, S. 86 ff. Vgl. zu Savigny auch die Bemerkung E. Denningers, Rechtsperson, S. 231, von der bei Savigny zu findenden (wohl dialektisch gemeinten) Einheit von ethischer u n d juristischer Persönlichkeit. 23 System I , S. 53/54.

B. Zum Problem eines allgemeinen Personenbegriffs

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nehmen und zeichnet Savigny wissenschaftsgeschichtlich aus 24 . Das Christliche seiner eigenen Lebensansicht besteht dabei nicht bloß i n einer allgemein theistisch-moralischen Grundauffassung, sondern durchaus i n der Vorstellung eines persönlich gedachten Gottes 24 . Savigny scheint überdies durchaus bemüht, diese seine religiöse Grundeinsicht i n das wissenschaftliche System einzuführen 2 5 ! I n dieser Hinsicht folgt Savigny — wie unten des weiteren noch zu erwähnen sein w i r d — einer weltanschaulichen Tendenz seiner Zeit, die sich i n bewußtem Gegensatz zur philosophischen Aufklärung und dem absoluten Idealismus herausgebildet hat, beruhend auf einer schon viel älteren Tradition der Skepsis, ja Ablehnung gegenüber aufklärerisch-rationalistischem Denken 2 6 , dessen Ursprung wohl i n einem Grundwiderspruch nachantiker, westeuropäischer Philosophie zu sehen ist. Für dieses Denken ist charakteristisch das Bemühen, Theologie i m ursprünglichen Sinne des Wortes m i t Wissenschaft, Glaube m i t Vernunft, Personalität m i t Rationalität zu verbinden. Savigny t r i f f t sich hier durchaus m i t der Rechtsphilosophie Stahls, was auch schon i m 19. Jahrhundert klar gesehen wurde 2 7 , insofern man ja auch Stahl als den „Philosophen" der schließlich von Savigny „begründeten" Historischen Rechtsschule bezeichnet hat 2 8 . Diesen Aspekt des Savigny sehen Denkens m i t dem Schlagwort „romantisch" zu belegen, w i r d der schlechthin unauslotbaren Tiefe des hier angesprochenen, jahrhundertealten Problems des Verhältnisses 24 Strauch, Savigny, S. 64 f. u n d 79 f., S. 115 ff., insbes. S. 119 ff. 25 Strauch, Savigny, S. 115/116 ff. weist nach, w i e Savigny eine deutliche Wandlung von einem bloß humanistischen „Christianismus" zur Auffassung von einem personalen Gott durchmacht u n d daß dies i n seine wiss. A r b e i t einfließt. Hierzu auch W. Real, K . F. v. Savigny, i n : HistJb. 85 (1965), S. 87 ff., der ebenfalls die tiefe, zugleich i n die wiss. A r b e i t mithineingenommene Religiosität Savignys nachweist. — Die starke relig. Ausrichtung von Savignys Wesen w i r d auch von E. Wolf betont, Rechtsdenker, S. 487 u. 526 f. (für die Spätphase). Z u den theokratischen Tendenzen i n Savignys Denken auch Wieacker, PrRG/NZ, S. 383, Fußn. 21. K l a r hat schon I . H. v.Fichte, E t h i k I , S. 179, erkannt, daß Savigny m i t Stahl zusammen eine „theologisierende" Rechtslehre v e r t r i t t . Oft zitiert werden die Worte des frühen Savigny: „Die Religion ist ohne Zweifel das Höchste i m Menschen, u n d wer i n diesem Höchsten weiterkommt, ist gewiß als Mensch überhaupt weitergekommen." (Stoll, Der junge Savigny, S. 316.) Die im Alter noch stärker ausgeprägte Religiosität w i r d von Real belegt, a.a.O., S. 88. 2® Vgl. z. B. die Philosophie Pascals, i n der Staatslehre aber vor allem auch die „theokratischen" Richtungen des 17. Jh. (Gierke, Althusius, S. 56 ff.). — M i t voller Deutlichkeit brach die „Reaktion" gegen die sog. Aufklärungsphilosophie i m Atheismusstreit: Jacobi / Schelling auf. Hierzu: Weischedel, Jacobi u. Schelling, 1969, S. 3 ff. u. S. 13 ff. 27 I . H. v. Fichte, System der E t h i k , Bd. I , S. 179. 28 Stintzing / Landsberg, Gesch. d. RW. I I I 2 (1), S. 370 ff.

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von „Vernunft und Offenbarung" 2 9 nicht gerecht und zeigt nur, wie schnell innerhalb von gerade einhundert Jahren ein seit der Antike heiß diskutiertes Thema uns fremd werden kann. Durch diese seine „christliche Lebensansicht" entfernt sich nun aber Savigny weit von der philosophischen Nachbarschaft zu Kant. Hat Kant die Begründung einer autonomen Sittenlehre versucht, so bringt Savigny m i t der „christlichen Lebensansicht" ein absolut heteronomes Moment 3 0 i n das „Sittengesetz" hinein. Denn — und das beantwortet die zweite der beiden oben gestellten Fragen — die christlich begründete Sittenpflicht setzt Christus und dam i t Gott als Sittengesetzgeber voraus, negiert damit aber die Möglichkeit einer autonomen Moral. Savigny beantwortet so eine bei Kant i n den Hintergrund getretene Frage 3 1 : Wer ist eigentlich das hinter dem Sittengesetz, dem sittlichen Imperativ stehende Subjekt 3 2 ? Woher kommt die verbindende K r a f t des Sittengesetzes? Ein Imperativ setzt einen Imperator 3 3 voraus, ein Gesetz einen Gesetzgeber 34 , und zwar einen geistbegabten, da das Gesetz ja den geistigen Teil des menschlichen Seins anspricht. Kant folgert zwar auch aus dem moralischen Gesetz das Dasein Gottes, doch ist diese transzendente Instanz nicht Bedingung des Sittengebotes, das ja kategorisch gilt, sondern eben nur eine Forderung der autonomen Vernunft 3 6 . Vernach29 I n den Bereich der Rechtswissenschaft transponiert lautet es: „Ob u n d inwieweit der W i l l e (voluntas) (Gottes) oder Vernunftseinsicht (intellectus) die eigentliche Substanz . . . allen Rechts ist." — Eine „tiefste Frage der Rechtsphilosophie" (Gierke, Althusius, S. 73, A n m . 14). — Dem philosophischen Fundamentalproblem des Verhältnisses von Vernunft u n d Offenbarung ist das i n sachlicher w i e persönlicher Hinsicht eindrucksvolle Lebenswerk Leo Schestows gewidmet. Vgl. besonders seine Essays i n „Spekulation u n d Offenbarung" u n d dort v o r allem die Aufsätze: „ V o m Überzeugungswandel Dostojewskijs" (1937) u n d „Kierkegaard als religiöser Philosoph" (1938). so Kant, Grundleg. zu M.d.S., Werke Bd. 6, S. 74 ff. u n d K r . d.p. V., Werke Bd. 6, S. 144 ff. 31 Z u r letztlich doch theolog. Verwurzelung von Kants prakt. Vernunft, siehe Kelsen / Schmölz, NaturR., S. 121. 32 Die Frage nach dem Geltungsgrund des kategorischen Imperativs mündet letztlich i n eine Tautologie: D u sollst, w e i l d u eben sollst! Kaulbach, K a n t , S. 222. 33 So wörtlich auch Kelsen / Schmölz, NaturR., SS. 119, 122. 34 Z u r Unfähigkeit eines bloß philosophischen Urteils, schon Befehle geben zu können, Santeler, Menschenwürde, S. 233. Vgl. bes.: Kelsen / Schmölz, S. 119 ff. u. hier: T e i l 4 am Ende. 35 Kant, die Religion i n den Grenzen etc., Vorrede, Werke, Bd. 7, S. 649 ff.: „Die Moral, sofern sie auf dem Begriff des Menschen als eines freien, eben darum aber auch sich selbst durch seine Vernunft an unbedingte Gesetze bindenden Wesens gegründet ist, bedarf weder der Idee eines anderen Wesens über ihm, u m seine Pflicht zu erkennen, noch eine andere Triebfeder als des Gesetzes selbst, u m sie zu beobachten." (S. 649) Über das höchste Gut als einen aus dem Sittengesetz notwendig entspringenden Zweck gelangt dann K a n t zur Idee Gottes. „ M o r a l also f ü h r t unumgänglich zur Religion, wodurch

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lässigt w i r d n a c h dieser T h e o r i e die Tatsache, daß d i e s u b j e k t i v e U r heberschaft eine schlechthin ausschlaggebende W i r k u n g gerade a u f I n h a l t , G e s t a l t u n d b i n d e n d e K r a f t des Sittengesetzes selbst h a b e n m u ß , daß m . a. W . G o t t als t r a g e n d e r G r u n d des Sittengesetzes n i c h t a k z e p t i e r t w e r d e n k a n n , ohne z u g l e i c h d e m Sittengesetz eine ganz entschiedene u n d b e s t i m m t e i n h a l t l i c h e , p o s i t i v - r e l i g i ö s e E i n f ä r b i m g z u geben. K a n t dagegen setzt e i n rein o b j e k t i v existierendes N o r m e n s y s t e m voraus, d e m sich d e r Mensch als S u b j e k t f r e i e i n f ü g e n k a n n 3 6 u n d (dam i t j a e i g e n t l i c h w i e d e r u n f r e i ) auch e i n f ü g e n m u ß ( k a t e g o r i s c h ) 3 7 » 3 8 ! D i e m i t d e r Ü b e r n a h m e d e r c h r i s t l i c h e n Lebensansicht vollzogene A b w e i c h u n g S a v i g n y s v o n K a n t i s t infolgedessen so s t a r k , daß sie n i c h t bloß als e i n t h e o l o g i s i e r e n d e r L a p s u s eines sonst k o n f o r m e n K a n t i a n e r s angesehen w e r d e n k a n n 3 9 , daß v i e l m e h r gerade d u r c h d i e H e t e r o n o m i sie sich zur Idee eines machthabenden moralischen Gesetzgebers außer dem Menschen erweitert, i n dessen W i l l e dasjenige Endzweck der Weltschöpfung sein k a n n u n d soll." (S. 652) — Z u allem: Weischedel, Gott d. Phil., S. 203 ff.; ders., Jacobi, S. 15. 36 Welzel, Naturrecht, S. 169. 37 Santeler, Menschenwürde, S. 229 u n d S. 231, der die Einengung des Begriffs des Sittlichen durch, bzw. auf den Kategorischen I m p e r a t i v angreift. 38 Es scheint hier bei Kant i m wesentlichen die ältere scholastische Streitfrage wiederzukehren, ob das ethische Gesetz auf Einsicht der Vernunft oder unmittelbar auf dem W i l l e n Gottes beruht (vgl. hierzu auch: Gierke, Althusius, S. 73, Fußn. 44; Sauter, Grundlagen, S. 183 ff.). Die Hypostasierung der Vernunft zu einem autonomen, zwingenden Gesetz bei Ausschaltung des schöpferischen Urhebers kritisiert L . Schestow, Logos X X , S. 17 ff. (26 ff.). 3» Daß Kiefner (Der Einfluß Kants, S. 8) die hier v o n Savigny b e w i r k t e „Verfälschung" des Kantischen Prinzips bei der Erörterung der Abhängigkeit Savignys von K a n t n u r beiläufig erwähnt, nicht aber i n seine Argumentation m i t einbezieht, erscheint daher äußerst problematisch, w e i l gerade m i t der „christlichen Lebensansicht" Savigny eine eigenständige Position gegenüber K a n t gewinnt, die seine Abhängigkeit von K a n t insgesamt und grundsätzlich i n Frage stellen muß. Uberhaupt erscheint es fragwürdig, bei der Verfolgung geistiger Traditionen zunächst immer auf K a n t oder den absoluten Idealismus i n der Nachfolge Kants, also auf die Systeme Hemels, Schellings, Fichtes zurückzugreifen. Ganz vergessen ist, daß K a n t , aber auch schon die rationalistische Aufklärungsphilosophie vor i h m w i e die Identitätsphilosophie nach ihm, bedeutende Gegner hatte, u n d zwar gerade Gegner aus einem religiös-theologischen Lager w i e Pascal, Swedenborg, Lavater, Hamann u n d Jacobi. Es spricht alles dafür, daß die religiöse Grundstimmung sowohl bei Savigny als auch — möglicherweise — bei Puchta diese Juristen insgesamt eher i n die anti-idealistische Tradition eines Hamann u n d Jacobi einreiht als i n die Kantsche Richtung, zumal von Savigny beispielsweise ein enger persönlicher K o n t a k t zu J. M. Sailer, Bischof von Regensburg bekannt ist, u n d dieser i n seiner Lehre eng m i t Jacobi sich berührt (Vorländer, Geschichte der Philosophie, Bd. V, S. 122). Savigny selbst spricht von Jacobi als dem — neben Goethe — einzig wahren Vertreter der praktischen Philosophie (Strauch, Savigny, S. 17). Z u Savignys religiöser Einstellung wieder W. Real, K . F. v. Savigny, Hist. Jb. 85 (1965), S. 87 ff. Z u den theologischen Tendenzen i n der Rechtswissenschaft dieser Zeit: guter Überblick bei Warnkönig, Rechtsphilosophie, S. 161 ff., auch J. H. v. Fichte, System der Ethik, I , S. 179 u. S. 476; Thilo, Theologische Rechtslehre etc. S. 259 ff. 4 Schikorski

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2. Teil: Die romanistisch-individualistische Konzeption

s i e r u n g des Sittengesetzes S a v i g n y eine eigenständige, v o n d e r K a n tischen P h i l o s o p h i e r e l a t i v u n a b h ä n g i g e B e g r ü n d u n g des Personenbeg r i f f s ereicht. D e n n b e d e u t e t die menschliche S u b j e k t i v i t ä t d i e f r e i e E r f ü l l u n g des christlichen Sittengebotes, so b e g r ü n d e t sich diese S u b j e k t i v t ä t n i c h t aus e i n e r s u b j e k t i v e n (freien) S t e l l u n g z u e i n e r „ r e i n e n " (autonomen) O b j e k t i v i t ä t : S i t t e n g e b o t , s o n d e r n aus e i n e r s u b j e k t i v e n (freien) S t e l l u n g z u e i n e r ganz anderen S u b j e k t i v i t ä t , d e r j e n i g e n Gottes als des U r h e b e r s eben des Sittengesetzes. S a v i g n y k o n s t r u i e r t d a h e r d i e menschliche P e r s o n n i c h t autonom, s o n d e r n l e i t e t sie aus d e m G e g e n ü b e r z u e i n e r anderen, t r a n s z e n d e n t e n Person, d e r j e n i g e n Gottes ab. S a v i g n y h a t so m i t s e i n e m P e r s o n e n b e g r i f f d i e L ö s u n g eines P r o b l e m s versucht, das f ü r die gesamte spätere E n t w i c k l u n g b e s t i m m e n d b l e i b e n s o l l t e : des P r o b l e m s d e r H e t e r o n o m i e des menschlichen S u b jekts. B e d e u t e n P e r s ö n l i c h k e i t / S u b j e k t i v i t ä t d i e f r e i e S t e l l u n g des M e n schen gegenüber seiner normativen G e b u n d e n h e i t ( P f l i c h t i g k e i t ) , so t a u c h t u n w e i g e r l i c h d i e F r a g e nach d e m U r s p r u n g dieser n o r m a t i v e n B i n d u n g des Menschen auf. N o r m a t i v i t ä t setzt e i n e n N o r m a u t o r voraus40.

40 Vgl. oben: Fußnote 10. I m übrigen auch schon die K r i t i k Stahls an K a n t , RPh. I I 1, S. 102: „ E i n Sollen, ein ethisches Gesetz, setzt einen höheren W i l l e n notwendig voraus, dem der unsrige gebunden ist, u n d soll es ein wahrhaft sittliches, also innerlich u n d absolut bindendes Gesetz sein, so muß es der W i l l e sein, den w i r zugleich als unsere eigene (physische u n d sittliche) Substanz, d. i. als immanente Ursache unseres Daseins u n d unserer Willensbeschaffenheit erkennen. D a m i t erledigt sich auch der Einwand Kants, daß die Ableitung des Guten nach I n h a l t u n d Sanktion aus dem göttlichen W i l l e n f ü r letztere eine „Heteronomie" begründe. I m Gegenteil — das bloße Denkgesetz (Vernunft) könnte n u r dann eine sittlich verbindende Macht f ü r uns haben u n d diese als Autonomie unseres Willens gelten, w e n n unsere Substanz w i r k l i c h (wie gelehrt w i r d ) bloße Denkbestimmung wäre. W i r sind aber reale Wesen, u n d eine reale persönliche Macht ist daher unsere Substanz u n d die Quelle des Ethos." Stahls hervorstechend personalistische Rechtsphilosophie weist überhaupt starke Ähnlichkeiten m i t Savignys eth. Personalismus auf, w i e j a auch Stahl als Philosoph der hist. Rechtsschule bezeichnet w i r d . Savigny w i e Stahl knüpfen auch gemeinsam u n d ganz im Gegensatz zu Kant ihren Personalismus an die Idee eines persönlichen Gottes an. Dies ist i h r charakteristisches, antiaufklärerisches Moment. Vgl. ferner auch C. E. Jarcke, Naturrecht u n d Geschichte (1834), Schriften I I I , S. 5, 15 - 17. Auch Schopenhauer erkennt, daß f ü r die generelle Verbindlichkeit eines ethischen Imperativs letztlich n u r eine personale, transzendente A u t o r i t ä t zur E r k l ä r u n g dienen kann. (Kant-Materialien, K r i t i k der praktischen V e r nunft, S. 355 ff.). F ü r die noch zu behandelnde analoge Frage bezüglich der rechtlichen N o r m a t i v i t ä t : Bohnert, Puchta, S. 53, auch schon G. Jellinek, Allgemeine Staatslehre, S. 166, 168 f.; dazu L. Nelson, Rechtswissenschaft, S. 38 ff.

B. Z u m Problem eines allgemeinen Personenbegriffs

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Eine Reduzierung der N o r m a u t o r i t ä t wieder auf den Menschen41, dessen v o l l s t ä n d i g e , also auch m a t e r i a l e ethische A u t o n o m i e , w ü r d e eine A n a r c h i e d e r N o r m s y s t e m e u n d d a m i t eine A n a r c h i e des Person e n b e g r i f f s z u r F o l g e haben, d e r d e n P e r s o n e n b e g r i f f „ d e s " M e n s c h e n i n seiner A l l g e m e i n g ü l t i g k e i t selbst v ö l l i g zerstören m ü ß t e 4 2 . F o r d e r t s o m i t die n o t w e n d i g e H e t e r o n o m i e d e r N o r m a t i v i t ä t 4 8 d e r menschlichen S u b j e k t i v i t ä t 4 4 d i e n o t w e n d i g e E x i s t e n z eines N o r m a u t o r s u n d d a m i t eine andere S u b j e k t i v i t ä t heraus, so b e d e u t e t das, daß P e r s o n sich i m m e r n u r v o n P e r s o n a b l e i t e n k a n n 4 5 , i m P e r s o n e n b e g r i f f a u f diese Weise aber eine doppelte P e r s o n a l i t ä t e n t h a l t e n i s t : d i e des Menschen, s o w i e die, v o n w e l c h e r d i e n o r m a t i v e B e s t i m m i m g des Menschen als P e r s o n ausgeht. Das so b e i m a l l g e m e i n e n P e r s o n e n b e g r i f f entstehende P r o b l e m e i n e r doppelten Subjektivität (oder auch: S u b j e k t s d i a l e k t i k ) w i r d — w i e noch z u zeigen ist — i n d e r a u f S a v i g n y f o l g e n d e n D i s k u s s i o n u m d e n Personen- u n d K o r p o r a t i o n s b e g r i f f i m m e r w i e d e r als d e r K e r n d e r A u s e i n a n d e r s e t z u n g sich erweisen. W e l c h e F u n k t i o n i n n e r h a l b dieses p o l a r e n S p a n n u n g s v e r h ä l t n i s s e s : P e r s o n — Gegenperson d e r s u b j e k t i v i e r t e menschliche V e r b a n d (die K o r p o r a t i o n ) e i n n i m m t , w i r d ebenfalls d i e folgende D a r s t e l l u n g z u k l ä r e n haben. Die K a n t übrigens nicht v o r n i m m t , da das allgemeine Sittengesetz nicht der individuelle Mensch erläßt, dieses vielmehr objektiv u n d „autonom" gilt. Welzel, Naturrecht, S. 169. 42 Vgl. hierzu: Kelsen / Schmölz, NaturR., S. 3 f. (Problem der „objektiven Normativität") u n d hier: T e ü 3 , A l l 2 , F u ß n o t e n 9 4 - 9 7 u n d T e x t hierzu! 43 N o r m a t i v i t ä t ist, w i e oben schon (S. 40 ff.) gezeigt, stets ein personales Phänomen. Das zentrale Problem der Normentheorie: die Frage der Geltung, k a n n n u r zwischen Personen relevant werden. Weder k a n n v o n der schlichten Natur, noch von Ideen oder der Vernunft die Geltungskraft v o n Normen sich ableiten. Dies ist n u r v o n einer realen personalen A u t o r i t ä t möglich. Da der Mensch unter den Normen steht, ihrer Geltung unterworfen ist, muß der maßgebliche Normurheber aber eine Personalität haben, die jenseits der menschl. Individualität besteht, i h r „übergeordnet" ist. Kelsen hat dies i n einem seiner späten Aufsätze a m deutlichsten herausgearbeitet (Schmölz, NaturR, S. 1 ff., 4 f., S. 119 ff. [119]: „ K e i n Imperativ ohne einen Imperator, k e i n Befehl ohne einen Befehlenden. Wie m a n das leugnen kann, ist m i r unverständlich!"). Z u den verschiedenen Weisen der Rechtsgeltung: Henkel, Rechtsphilosophie, S. 543 ff. 44 Diesen Mangel i n der Autonomielehre Kants: die notwendige Heteronomie des Sittengesetzes gerade als eines Gesetzes, Gebotes nicht berücksichtigt zu haben, hebt Santeler nachdrücklich hervor: Menschwürde, S. 233 f. u n d S. 243 f. Die Tendenz Kants, die Heteronomie des Menschen i n einer Über-Autonomie aufzuheben, die Lösung also, daß der Mensch sich selbst zur Person erheben k a n n u n d — als Aufgabe — soll, findet bei Löwith, Gott — Mensch — Welt, S. 87 eine kritische Darstellung. Diese philosophische Lehre von der Selbstreproduktion des Subjekts sollte v o n maßgeblicher Bedeutung f ü r den späteren, rein positivrechtlichen Personenbegriff i n der Rechtswissenschaft sein. 45 Eben diese Erkenntnis hat F. J. Stahl am deutlichsten zum Ausdruck gebracht (Rechtsphüosophie I I , 1, SS. 102, 312 ff., 22 ff., 83 ff.). Hierzu C. Schmitt, Politische Theologie, S. 53. Ferner: Glum, Konservativismus, S. 212 ff., über Stahl persönlich: S. 205 ff. 4*

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2. Teil: Die romanistisch-individualistische Konzeption

Zusammenfassend läßt sich somit zu Savignys Personenbegriff zunächst folgendes sagen: Savigny kennt nur und ausschließlich eine Persönlichkeit des Menschen, weil nur der Mensch eine sittliche Subjektivität — die Voraussetzung rechtlicher Subjektivität — aufweist. Diese Subjektivität des Menschen existiert jedoch nicht autonom, auch nicht relativ zu einem rein objektiven, selbst autonomen Sittengesetz, sondern ist bedingt von der transzendenten Subjektivität Gottes, dem Urheber und Inhaltsgeber des sittlichen Gebots. Von diesem individualethischen, jedoch gleichzeitig religiösen subjekts-dialektischen Personenbegriff Savignys aus läßt sich dann die korporatve Persönlichkeit zwangsläufig nur noch als begriffliche Fiktion, d. h. als eine wissenschaftliche Zweckpersonifikation begreifen. Es handelt sich bei diesen Personen demgemäß um „künstliche, durch bloße Fiktion angenommene Subjekte. Ein solches Subjekt nennen w i r eine jur. Person, d. h. eine Person welche bloß zu juristischen Zwecken angenommen w i r d 4 6 . " Letztlich stellen diese fiktiven Rechtssubjekte also nur begriffstechnische Hilfsmittel dar, u m die in Wirklichkeit rein individualmenschlichen Rechtsverhältnisse für bestimmte Lebensbereiche durch den „Trick" der Fiktion rechtssystematisch besser in den Griff zu bekommen. Die so bei Savigny festzustellende Reduzierung allen Rechts auf den Begriff der menschlichen Person 47 (seine sittliche Pflichtigkeit/,,Freiheit" also) könnte seine Rechtslehre auch i n die Nähe der allgemeinen aufklärerischen Tendenz der „anthropologischen Wendung" bringen 4 8 - 4 9 , wonach der Kosmos vom Ich des Menschen (zumeist dem idealen Ich) aus aufzubauen ist 5 0 . 46 System I I , S. 236. 47 System I I , S. 2. 48 Savigny w o l l t e sich j a als der Kant einer zu erneuernden Rechtswissenschaft verstehen (Wolf, Rechtsdenker, S. 476), K a n t selbst sich als eine A r t metaphys. Kopernikus (K.d.r.V., Werke, Bd. 3, S. 24 ff.). 4® Z u r „anthropologischen Wendung": W. G. Becker, Grundformeln, Husserl FS, S. 94 ff., auch „protagoräische Wendung" genannt nach dem Wort des Protagoras (ca.450 v. Chr.): „ A l l e r Dinge Maß ist der Mensch, der Seienden, daß sie sind, der nicht Seienden, daß sie nicht sind." Fr. 1. (Diels, Fragmente der Vorsokratiker, S. 121 f.). Z u Protagoras als Begründer des j u r . Positivismus: Ad. Menzel, Beiträge zur Geschichte der Staatslehre, S. 197 ff. Z u m Problem der kopernikanischen Wende: Blumenberg, Die kopernikanische Wende (1965); ders., Säkularisierung u n d Selbstbehauptung (1966/ 1974), ferner auch C. Schmitt, Polit. Theologie I (1934), S. 49 ff. 50 Kants „kopernikanische Wendung" b r i n g t die anthropologische Red u k t i o n i n die Metaphysik u n d Erkenntnistheorie. Kant, Kr.d.r.V., Vorr, 2. Aufl., Werke Bd. 3, S. 25; Kant, Was ist Aufklärung? „Die Menschen w ü n schen aufgeklärt zu sein, aber rechter Ernst damit w i r d es n u r dann, wenn

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Doch oben wurde schon gezeigt, wie schwer es ist, Savigny angesichts seiner ausgeprägt religiös-christlichen Weltsicht 5 1 m i t der aufklärerischen Philosophie seiner Zeit i n Verbindung zu bringen 5 2 . I n jedem Fall aber scheint es, daß Savigny den individuellen Menschen i n seiner sittlichen Normativität und gleichzeitigen Freiheit auf der Grundlage des göttlichen „Wortes" 5 3 i n das Zentrum des Rechts stellen, ja das Recht hier funktional diesem Menschen als Person unterordnen w i l l 5 4 . Um so irritierender muß es erscheinen, wenn Savigny sich auf diese religiös-individualethische Basis gar nicht festlegen läßt. I n dem Kapitel seines „Systems" (Bd. I) über die Rechtsquellen taucht eine völlig entgegengesetzte, transindividuelle organologische Personenauffassung auf, die sich zunächst allerdings nur auf die Rechtspersönlichkeit des Volkes zu beziehen scheint. Nach Savigny ist das Volk als Verkörperung des Volksgeistes i n der leiblichen Gestalt des Staates ein wirkliches, reales Subjekt und als solches Träger der Rechtserzeugung 55 . Es besitzt eine tätige, naturalorganische Persönlichkeit, es hat eine eigene Individualität 5 6 , nicht also fiktive, künstliche Existenz. So sagt er: „Die Rechtserzeugung ist hier . . . i n das Volk, als das tätige, persönliche Subjekt gesetzt worden 5 7 . I n diesem Naturganzen ist der Sitz der Rechtserzeugung 58 . Wenn w i r aber das Volk als eine natürliche Einheit, und insofern als den Träger des positiven Rechts betrachten, so dürfen w i r dabei nicht bloß an die darin gleichzeitig enthaltenen Einzelnen denken; vielmehr geht jene Einheit durch die einander ablösenden Geschlechter hindurch, verbindet also die Gegenwart m i t der Vergangenheit und Zukunft 5 9 ." sie sich bewußt werden, daß w i r nur in unsi selbst dies finden können, was uns aufklärt." Werke, Bd. 9, S. 53 ff. Z u allem: W. B. Becker, Grundformeln, S. 97; Löwith Gott — Mensch — Welt, S. 81 f. ei Strauch, Savigny, S. 115 - 121. 52 Allerdings schließt das christl.-theistische Rechts- u n d Personenverständnis nicht den Tatbestand der anthropolog. Wendung aus. I m Gegenteil: Die Reduktion der Religion auf die intim-zweiseitige Relation: Gott-Mensch ist selbst eine anthropolog. Wendung. Vgl. W. G. Becker, Grundformeln, S. 94/95. 53 Als dem Ausgangspunkt der menschlichen „Sittlichkeit", Joh.Ev. 1,1. Vgl. auch Guardini, Welt u. Person, S. 138 ff., 140 ff. 54 Etwas anderes k a n n den klaren u n d eindeutigen Worten Savignys i n System I I , 2 u. I, 331 f. nicht entnommen werden. ss System I, S. 18, 19, 21, 22. 56 System I, S. 18/19. 57 S. 18 System I. 58 S. 19 System I. 5» S. 20 System I.

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2. Teil: Die romanistisch-individualistische Konzeption

Diese organisch-naturalistische Auffassung der Volkspersönlichkeit schließt sich augenscheinlich der Tradition der romantischen Volkslehre an, die i n Herder einen ihrer theoretischen Begründer besitzt 60 . I m einzelnen kann auf letztere hier nicht näher eingegangen werden 6 1 . Es ist jedoch deutlich zu machen, daß die Vorstellung von der eigenständigen, ursprünglichen und vorgegebenen Volkspersönlichkeit i n klarem Gegensatz zur individualethischen Persönlichkeitsauffassung steht. Hier w i r d Volk und Recht nicht vom unendlich — weil transzendent begründeten — eigenwertigen Individuum abgeleitet und diesem als dem Mittelpunkt zugeordnet, sondern umgekehrt: Das Volk, dessen Geist und Naturganzes die einzelnen durchdringt, selbstwertig gesetzt, und das individuelle Sein vom Volkssein abgeleitet. Allerdings handelt es sich bei der Persönlichkeit des Volkes/Staates u m ein publizistisches Problem, und Savigny scheint i n der Tat fürs öffentliche Recht und fürs Zivilrecht zwei verschiedene Personenbegriffe aufstellen zu wollen. So lehnt er es ausdrücklich ab, den Staat i n dem Sinne als Korporation zu begreifen, i n welchem Korporation und jur. Person gleichgesetzt werden. Seine auf dem individual-ethischen Personenbegriff aufbauende Lehre von der juristischen Person als persona ficta soll ausdrücklich nur fürs Privatrecht gelten 62 . Hier allerdings setzt bei Savigny ein doppelter theoretischer Bruch ein. Der individualethische Personenbegriff verträgt seiner philosophischreligiösen Provenienz nach keine Beschränkung auf ein bestimmtes Rechtsgebiet, also z. B. aufs Privatrecht. Ebensowenig läßt sich die organolog. Personenauffassung, wenn man sie sich einmal zu eigen macht, i n ihrer Anwendung aufs öffentliche Recht begrenzen. W i r d der Mensch als ethisches absolutum gedacht und als solches i n den Mittelpunkt des Rechts gestellt, so kann das nicht nur fürs Privat60 Z u r Beziehung der histor. Schule, insbesondere Savignys zu Herder: Dahm, Dt. Recht, S. 117 ff.; Zwilgmeyer, Savigny, S. 47 ff.; Schönfeld, Reich u n d Recht, S. 314 ff.; E. Loening, philosophische Ausgangspunkte, Intern. Woch. S. f. W.K.T. Nr. 4 (1910) Sp.72; Erik Wolf, Rechtsdenker (Savigny), S. 475; ferner Th. Würtenberger, J. G. Herder u. d. Rechtsgeschichte, i n : J Z 1957, S. 137 ff. Z u Herders Volks- u n d Geschichtsbegriff: H. Gadamer, V o l k u n d Geschichte i m Denken Herders. 1942. Z u den Beziehungen der historischen Rechtsschule zur Romantik: Wieacker, PRG/NZ, SS. 357, 359 ff. 61 Über die Organologie i n der Rechtswissenschaft: E. Kaufmann, Über den Begriff des Organismus i n der Staatslehre des 19. Jh. 1908. v.Busse, Die Lehre v o m Staat als Organismus (1928). Z u r Geschichte des Volksgeistbegriffs Wieacker, Pr.PG d. NZ, S. 357 f.; H. U. Kantorowicz, Volksgeist u. hist. Rechtsschule, i n : Hist.Z. 108 (1912). 62 System I I , S. 236.

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recht gelten, sondern muß fürs gesamte Recht, also auch fürs öffentliche Recht anerkannt werden. Der religiös bestimmte, individualethische Personenbegriff ist ja gerade metarechtlicher Natur i n dem Sinne, daß er als ein überrechtlicher Fixpunkt konzipiert ist, dem sich das gesamte Recht zu- und unterzuordnen hat. Der religiös-ethische Anspruch, der i n i h m enthalten ist, gilt schon seinem Begriff nach absolut und überall und kann daher nicht wechselweise berücksichtigt oder nicht berücksichtigt werden. Der Staat, die staatlichen Verbände und staatsrechtlichen Verhältnisse müssen dann also ebenso wie die privatrechtlichen Phänomene vom Individuum her als dem theoretischen Ausgangspunkt aufgebaut werden. Es kann dabei keinen Raum geben für ein Überindividuelles, rein publizistisches Personensein. Savignys Reserve gegenüber dem öffentlichen Recht mag aber daher begründet sein, daß er das „öffentliche Recht", die respublicae noch nicht als wirkliches Recht, als ein System wirklicher Rechtsverhältnisse angesehen hat, sondern hier vordringlich ein außerrechtliches, politisches, herrschaftliches Moment erkennt, das eine einfache Übertragung rechtlicher Grundsätze auf diesen publizistischen Bereich nicht gestattet 63 » 64 . Hier gilt jedoch das schon oben Gesagte. Wer überhaupt die individualethische Maxime zitiert, kann sich auch nur ganz ihrem Anspruch unterwerfen und darf nicht ihre Geltung gebietskategorisch eingrenzen. Es läßt sich nicht einsehen, warum i m politischen Bereich nicht vom Einzelmenschen auszugehen ist, sondern vom kollektiven Volk, während i m Recht eben dieser Einzelmensch die zentrale Stellung einnimmt. Der individualethische Personenbegriff — einmal anerkannt — fordert i m ganzen Leben konsequente Berücksichtigung, i n der Rechtswelt, wie i m Bereich des politischen oder sozialen Seins. Der transindividuelle Personenbegriff des Volks- und Staatsseins widerspricht also entschieden dem individualethischen Personenbegriff, denn letzterer überschreitet jeden ihm gesetzten künstlichen Rahmen und verlangt überall Geltung, wenn nicht wissenschaftliche und moralische Doppelbödigkeit angestrebt wird. Ist es somit Savigny nicht möglich, den individualethischen Personenbegriff einzugrenzen und sich dadurch eine zweispurige Argumentationsweise vorzubehalten, die einen publizistischen und einen zivilistischen Personenbegriff unterscheiden w i l l , so läßt sich umgekehrt der es System I, S. 25. 64 Vgl. D. Grimm, i n Festschrift Coing, S. 224 ff., insbes. S. 226, 237 f., der die historisch-polit. F u n k t i o n der Trennung zwischen öff. u. privatem Recht herausarbeitet. Vgl. auch G. Dilcher, Positivismus, ARS Ph. 1975, S. 501 f. u. 517 f.

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2. Teil: Die romanistisch-individualistische Konzeption

transindividuelle Personenbegriff ebensowenig begrenzen — etwa aufs öffentliche Recht —, sondern expandiert notwendig über jede künstliche Schranke hinaus und damit auch ins Privatrecht. W i l l Savigny überhaupt von der organischen, realen Persönlichkeit des Volkes bei der Rechtserzeugung ausgehen, so kann er einerseits m i t diesem Persönlichkeitsbegriff nicht vor den privaten, rechtsautonomen Verbänden Halt machen, andererseits aber den Begriff auch nicht nur auf die Tätigkeit der Rechtserzeugung beschränken, sondern muß ihn dann auch für den gesamten Rechtsverkehr bejahen. Savigny stellt auch selbst i n seiner Rechtsquellenlehre die engeren Verbände, insbesondere die Korporationen hinsichtlich ihrer Subjektivität zur Rechtserzeugung, die zur Bildung von Partikularrecht führt, dem Volke gleich 65 , so daß der Schluß gerechtfertigt ist, daß i n demselben Maße wie dem Volke auch den Korporationen bei der Rechtserzeugung eine reale Personenexistenz zukommen soll. Für die Personenrolle i m Rechtsverkehr zieht Savigny hieraus aber keine Konsequenzen. Vielmehr steht in starrer Gegensätzlichkeit dazu für diesen Bereich die Fiktionstheorie i m Raum. Als reale Personenexistenzen lassen sich die Korporationen aber hinsichtlich ihres Personenseins gar nicht auf bestimmte Rechtsgebiete beschränken. Sie sind ja nach Savigny — ebenso wie das Volk — metarechtliche Personen, da sie als Subjekte vor dem Recht existieren müssen, u m dieses überhaupt erst hervorbringen zu können. Wenn daher die Korporationen i n diesem Sinne wirkliche Personen sind, so können sie auch i m Recht nicht anders als reale Personen erscheinen. Es ist nicht logisch, die Korporationen einmal — bei der Rechtserzeugung — als reale Personen auftreten zu lassen, ein anderes Mal — i m Privatverkehr — sie als bloße Fiktionen zu behandeln. Was einmal Realität ist, kann nicht ein anderes M a l Fiktion sein. Dieser gedankliche Bruch läßt sich auch nicht durch eine Relativierung des Personenbegriffs etwa dergestalt beheben, daß das rechtserzeugende Subjekt zum rechtsteilnehmenden Subjekt in Gegensatz gebracht wird. Nach dieser Theorie wäre ersteres wegen seiner rechtlichen „Souveränität" als unfähig zu denken, zugleich als wirkliches, teilnehmendes Subjekt hinsichtlich des gerade selbst erzeugten Rechts aufzutreten. Diese Vorstellung geht davon aus, daß das i m Rechtsverkehr tätige Rechtssubjekt seine Rechtsmacht — und damit seine Rechtssubjektivität — vom objektiven Recht verliehen bekommt, von diesem also gebunden und i n seiner Rechtssubjektivität definiert wird. Das Rechtserzeugungssubjekt könnte i n diesem Sinne dann nicht wirkliches es System I, S. 19.

B. Zum Problem eines allgemeinen Personenbegriffs

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Rechtssubjekt sein, da es i n seiner autonomischen Rechtsherrlichkeit seine eigene Rechtsmacht durch Hervorbringung neuen objektiven Rechts zu erweitern oder zu verändern jederzeit i n der Lage wäre. Begibt es sich aber dennoch auf die Ebene der vom objektiven Recht abhängigen Rechtssubjekte — was aus praktischen Gründen möglicherweise erforderlich ist —, so kann es nur so tun, als ob es ein gewöhnliches Rechtssubjekt wäre, es simuliert den Rechtspersönlichkeitscharakter u n d t r i t t daher als Vizeperson, als persona ficta auf. Ohne auf die fragwürdigen Voraussetzungen einer solchen Theorie einzugehen, insbes. die Lehre von dem prius des objektiven Rechts gegenüber dem subjektiven Recht 6 6 , kann i n keinem F a l l hierauf die relativ-fiktive Persönlichkeit aller Korporationen gestützt werden. Denn der Z w a n g zur „Verkleidung", zur Stellvertretung der eigenen Person, könnte die Korporationen als Rechtserzeugungssubjekte n u r hinsichtlich des von ihnen selbst geschaffenen Rechts treffen, nicht hinsichtlich des von außen ihnen gewährten Rechts. Die Korporationen als engere Verbände innerhalb des Staatsverbandes „empfangen" aber das staatliche, gemeine Recht von einem äußeren Verband, dem Staate, dem sie selbst als „Subjekte" eingegliedert u n d unterworfen sind. I n der W a h r nehmung dieser ihnen von außen „verliehenen" Rechtsmacht brauchten sie sich daher gar nicht zu „verstellen", sie könnten ihre wirkliche Persönlichkeit vollständig zur Geltung bringen. Dennoch sollen sie nach Savigny i m Rechtsverkehr immer n u r als fiktive Personen anzusehen sein, während sie andererseits als Schöpfer des Partikularrechts als reale Personen aufgefaßt werden. Der i n dem Personenbegriff Savignys steckende theoretische Bruch läßt sich somit auch nicht m i t einer Relativierung des Personenbegriffs vermeiden, wobei Savigny selbst sich eines derartigen „Heilmittels" ausdrücklich auch gar nicht bedient hat, dieses vielmehr n u r als eine theoretische Möglichkeit seinem eigenen Konzept entnommen wurde. Die Gründe für diesen Widerspruch sind an dieser Stelle nicht zu behandeln, es sollte zunächst n u r auf i h n hingewiesen werden 6 7 . Bei Savigny ist nicht klar zu erkennen, ob er den individualethischen oder den organologischen Personenbegriff als letztgültigen vertreten will.

66 Zur historischen Wurzel dieser Lehre i n der Theorie von der Souveränität: W. Henke, Das subj. öffentliche Recht, S. 9 ff. 67 A u f die Distanz der Romanistik zum Staatsrecht w i r d weiter unten, bei der Erörterung des publ. Korporationsbegriffs genauer einzugehen sein.

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2. Teil: Die romanistisch-individualistische Konzeption I I I . Der rechtspositivistische Personenbegriff Puchtas

Puchtas 68 Auffassungen vom Begriff der Person und auch der K o r poration sind i m wesentlichen enthalten i n seinem „Cursus der Institutionen" (1. Aufl. 1841) und dort i n der vorangestellten „Encyclopädie" 6 9 , sowie i n seinem A r t i k e l in Weiskes Hechtslexikon: „Corporationen" von 1841. Wichtige Elemente seiner Personenlehre finden sich auch i n dem Pandektenlehrbuch (1. Aufl. 1838) und i n der Monographie über das Gewohnheitsrecht (1828/1837). Für die Frage nach einem allgemeinen Personenbegriff bringt Puchta ein neues Moment m i t ins Spiel. Hatte Savigny hierauf eine klare und anschauliche A n t w o r t gegeben, indem er den Menschen als die fürs Recht einzige, nur transzendent relative Person vorstellte, so nimmt Puchta eine bemerkenswerte Abstraktion vor: Das, was der Person i m jur. Sinne zugrunde liegt, ist das Subjekt. Der allgemeine Personenbegriff, der bei Savigny zusammenfiel m i t dem Begriff des Menschen, wobei dessen Subjektivität, d.h. seine freie Stellung zum objektiven Sittengesetz eines subjektiven göttlichen Urhebers zum Grund seiner Persönlichkeit wurde, ist bei Puchta nun identisch m i t einem abstrakten Subjektsbegriff, wobei allerdings der Mensch, da er von Natur aus Subjekt ist, immer auch als Person i n Erscheinung t r i t t . „Der natürlichen Betrachtung nach ist nur der Mensch Person, rechtsfähig, Subjekt von Rechten. Die Persönlichkeit ist hier an ein Subjekt geknüpft, welches ein natürliches Dasein, ein Dasein auch außer dem Recht hat, an das menschliche Individuum, m i t dessen Entstehung die Person entsteht, m i t dessen Aufhebung sie aufhört. Person ist der Mensch nur durch das Recht, aber das Subjekt der Persönlichkeit ist nichts Juristisches, sondern etwas Natürliches, und darum heißt der Mensch natürliche (physische) Person. Das Recht ist aber dabei nicht stehen geblieben. Umstände verschiedener A r t haben gefordert, noch anderen Subjekten, außer dem Menschen, Rechte zuzuschreiben, und sie damit als Personen anzuerkennen. Solche Persönlichkeiten sind als Ausnahme von der Regel zu betrachten, ihr Kreis darf nicht willkürlich erweitert werden. A n sich \assen sich Subjekte der verschiedensten A r t für diese Ausdehnung der Persönlichkeit denken..." 68 Georg Friedrich Puchta, 1798-1846. Über i h n : Stintzing / Landsberg, Geschichte der dt. Rechtswissenschaft, Abt. 3, Hbbd. 2, Text, S. 438 ff.; Wieacker, Pr. RG/NZ, S. 399 ff. u n d J. Bohnert, Über die Rechtslehre Georg Friedrich Puchtas, 1975. 69 Nicht zu verwechseln m i t der kleinen, früheren Schrift gleichen Namens: „Encyclopädie als Einleitung zu Institutionen-Vorlesungen". Berlin—Leipzig 1825.

B. Zum Problem eines allgemeinen Personenbegriffs

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„Bei diesen (jur.!) Personen ist also nicht bloß die Persönlichkeit selbst, sondern auch das Subjekt derselben durch das Recht gegeben, auch das Subjekt selbst hat kein natürliches Dasein, und darum werden diese Personen, i m Gegensatz gegen die natürlichen, juristische Personen genannt 70 ." „ Z u r Entstehung" einer Person . . . gehört zweierlei: einmal die Existenz eines Subjekts, welches die Unterlage der Persönlichkeit ist, sodann eine rechtliche Vorschrift, welche dem Subjekt die Persönlichkeit beilegt. Jene Unterlage ist bei der natürlichen Persönlichkeit das menschliche Individuum, die Voraussetzung der Person ist also m i t der vollkommenen Existenz desselben, m i t der Geburt vorhanden, bei juristischen Personen ist es der Rechtsbegriff, m i t dem sich die Persönlichkeit verknüpft 7 1 ." Der Subjektsbegriff Puchtas fällt so nicht mehr wie bei Savigny m i t dem Begriff des Menschen zusammen, bildet nicht mehr dessen spezifisches Persönlichkeitskriterium, sondern greift darüber hinaus. Puchta hebt die enge Verknüpfung Mensch — Subjekt auf und läßt nun schon die Subjektivität, nicht erst die Persönlichkeit grundsätzlich als mögliche Schöpfung des positiven Rechts zu. Savigny hatte zwar die künstliche Ausdehnung der Rechtssubjektivität gelehrt, dabei aber aufgrund seiner individualethischen Sichtweise den Subjektsbegriff weiter allein dem Menschen vorbehalten, so daß die künstliche Ausdehnung des Personenbegriffs nur als eine rechtsmethodische Hilfskonstruktion erschien. Puchta braucht die Persönlichkeit „juristischer Personen" nicht mehr zu fingieren, nachdem die zugrunde liegenden Subjekte schon künstlich herstellbar geworden sind. Hat bei Puchta der Subjektsbegriff eine derart ausgedehnte, „transindividuelle" Bedeutung, so läßt das darauf schließen, daß sein Inhalt auch ein gänzlich anderer ist als bei Savigny. Hierauf ist i m folgenden näher einzugehen. Puchta bestimmt den Subjektsbegriff zunächst durchaus ähnlich wie Savigny. Er stellt die Freiheit i n den Mittelpunkt des Rechts und sagt: „Vermöge der Freiheit ist der Mensch Subjekt des Rechts. Seine Freiheit ist das Fundament des Rechts, alle Rechtsverhältnisse sind ein Ausfluß desselben 72 ." Grund dieser Freiheit ist auch für Puchta das Verhältnis des Menschen zu Gott. 70 Weiske / Puchta, Corp., S. 66/67. 71 Weiske / Puchta, Corp. S. 67. 72 Inst. I, S. 6. Hierzu v. Schröter, i n K r i t . Jb. f. dt. R W Bd. 4, 1840, S. 293, auch Schönfeld, Binder FS, S. 27.

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2. Teil: Die romanistisch-individualistische Konzeption

Wegen der Eigenart und Wichtigkeit dieses theologischen Freiheitsverständnisses sollen die wichtigsten Stellen aus Puchtas Enzyklopädie hier i m Wortlaut wiedergegeben werden. „ I n dem Geist (des Menschen) und der i n i h m gegebenen Freiheit liegt die Ähnlichkeit m i t Gott 7 3 ." „Die Freiheit ist dem Menschen nicht dazu gegeben, daß sein Wille in sich selbst sein Ziel und seine Richtschnur habe, — i n diesem Falle wäre seine Freiheit innerlich unbeschränkt, der Mensch wäre gleich wie Gott, nur m i t dem Unterschied der äußeren Beschränkung durch die Natur, ein Gott, wie die, von denen Jesaias sagt: Sie sind W i n d und eitel, und Elias: Er dichtet, oder hat zu schaffen, oder ist über Feld, oder schläft vielleicht. Dies ist die Freiheit von der die Atheisten träumen, eine unendliche K r a f t i n einem irdenen Gefäß, ein eherner Coloß auf tönernem Gestell. Der Mensch hat die Freiheit, auf daß er durch seine freie Bestimmung den Willen Gottes ausführe. Der Wille Gottes soll geschehen; die übrigen Geschöpfe werden durch eine Naturnotwendigkeit dazu getrieben, der Mensch soll durch seinen Willen dem Willen seines Schöpfers Untertan und gehorsam sein. I n dem Gehorsam gegen Gott liegt die wirkliche Freiheit. Die Freiheit des Menschen besteht nicht darin, daß er keinen Herren über sich habe, sondern darin, daß er diesem Herrn sich selbst und freiwillig zu unterwerfen die Macht hat, daß seine Unterwerfung unter den höheren Willen nicht äußere Notwendigkeit, sondern sein Gehorsam ist. So ist also der Inhalt der menschlichen Freiheit die Wahl, sich entweder der Herrschaft Gottes zu unterwerfen, sich zu einem Knecht Gottes zu machen, oder zu einer ungöttlichen Lust, „des Herzens Gelüsten" zu folgen, Knecht der Sünde zu sein; m i t anderen Worten: entweder i n dem Licht des Geistes Gottes, der wirklichen Freiheit zu wandeln, oder in der Finsterniß der Natur, der falschen Freiheit 7 4 ." Auffallend an dieser Bestimmung des Grundes der menschlichen Subjektivität ist zunächst die starke Ausprägung der religiösen Bezugnahme, die m i t den obigen Zitaten deutlich zu machen versucht wurde. Auch an anderen Stellen seines Werkes kommt diese „theologisierende" Tendenz zum Ausdruck 7 5 . Ihre vollständige Formulierung ist jedoch hauptsächlich i n der Enzyklopädie zu den Institutionen enthalten. Hier allein hat Puchtas Rechtsphilosophie und -theologie ihre letztgültige systematische Ausgestaltung erfahren. Was bei Savigny nur verhalten anklingt — Freiheit bezieht sich zunächst (und scheinbar kantianisch) nur auf das „Sittengesetz", jenes 73 Inst. I, S. 3. 74 Inst. I, S. 6. 75 Siehe hierzu Bohnert,

Puchta S. 53.

B. Z u m Problem eines allgemeinen Personenbegriffs

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w i r d d a n n e r s t 7 6 a u f die christliche Lebensansicht g e g r ü n d e t — s p r i c h t P u c h t a o f f e n u n d m i t e i n e m theologischen Pathos aus, das auch z u seiner Z e i t w o h l n i c h t ganz h ä u f i g w a r . Ganz f r e m d scheint der Z e i t Puchtas der V e r s u c h einer r e l i g i ö s ausgerichteten Rechtslehre aber w i e d e r n i c h t gewesen z u sein, w i e das B e i s p i e l der Staats- u n d Rechtsl e h r e eines F. J. S t a h l z e i g t 7 7 » 7 8 . P u c h t a i s t d a n n auch schon v o n Zeitgenossen e i n e r t h e o l o g i s i e r e n den, rechtswissenschaftlichen R i c h t u n g z u g e o r d n e t w o r d e n 7 9 , i n d i e außer S t a h l sogar S a v i g n y m i t h i n e i n g e n o m m e n w u r d e 8 0 » 8 1 . 76 System I, S. 53 f. 77 F. J. Stahl (1802 - 1861). Über i h n : Stintzing / Landsberg, Gesch. d. dt. R W Abt. 3, Hbbd. 2, Text, S. 370 ff., Noten, S. 172 ff. u n d Glum, Konservativismus, S. 205 ff. Nicht n u r über die Philosophie i m Recht (Gans / Savigny), sondern auch über die Theologie i m Recht wurde also noch diskutiert. 78 Über die „theologisierenden" Hechtslehrer dieser Zeit gibt einen u m fassenden Überblick: L . Warnkönig, Rechtsphilosophie, S. 161 ff. Ergebnis der dort vorgenommenen Bestandsaufnahme ist die doch relativ starke Anzahl von „theologisierenden" Rechts- u n d Staatswissenschaftlern, unter denen sich bedeutende Namen w i e F. v.Baader, A. Müller, Fr. Schlegel u n d andere befinden, die aber allerdings fast alle i m Geruch bösester „Reaktion" standen. Z u r theologisierenden Staats- u n d Rechtslehre vgl. die Darstellungen: Ch. A. Thilo, Die theologisierende Rechts- u n d Staatslehre (1861); J. H. v. Fichte, System der E t h i k I , S. 178 ff. s. a. Ahrens, NaturR I, S. 156 ff. u. Bluntschli, Gesch. d. Staatswiss., S. 538 ff., 689 ff. Vor allem auch: Krabbe, Krit.StL., S. 248 ff.; Dock, Restauration, S. 76 ff. I n dieser A r b e i t auch unten: T e i l 2, E, V, Fußn. 43. 70 J. H. v. Fichte, System der Ethik, Bd. 1 (1850), S. 476: „Die Beziehung auf Philosophie u n d philosophische Begründung hat die hist. Schule zunächst n u r i n G. F. Puchta erhalten. I n d e m derselbe bemüht war, jener Ansicht eine allgemein wissenschaftliche Unterlage zu geben, ist er jedoch dadurch so entschieden i n die theologische Richtung zurückgeschlagen, daß w i r i n dem Betreff i h n zu dieser rechnen müßten." Die H e r k u n f t dieses Teils der Puchtaschen D o k t r i n aus der theologisierenden Spätphase Schellings hebt hervor: Stintzing / Landsberg, A b t . 3, 2. Hbbd., S. 454 u n d A. Hollerbach, Schelling, S. 233 ff. so j . H. v.Fichte, Systeme der Ethik, Bd. 1, S. 179: „ I h r e (d.i. Savignys, Puchtas, Stahls) übereinstimmende Grundansicht läßt sich i n den Satz zusammenfassen, m i t welchem besonders der Rousseauschen Lehre entgegengetreten werden sollte: der Staat, das Recht, die Sitte ist nicht das Werk bloß menschlicher Vernunft oder absichtlicher Übereinkunft, sondern Recht u n d Sitte entspringen aus einer unwillkürlichen, über jedes menschliche Belieben hinausliegenden Quelle: sie sind göttlichen Ursprungs." 8i Angesichts dieser somit nicht vereinzelt auftretenden theologisierenden Tendenz innerhalb der hist. Schule (zumindest bei Puchta u n d Savigny) muß es u m so weniger gerechtfertigt erscheinen, h i e r i n n u r eine untypische, periphere Erscheinung zu erblicken (so aber f ü r Savigny: Kiefner, K a n t S. 8; f ü r Puchta: A. Hollerbach, Schelling S. 335; f ü r die hist. Schule allg.: Loening, Phil.Ausgp., Sp. 80). H i e r w i r d w o h l doch ein typisch modernes, ganz theologiefremdes Denken an eine Zeit herangetragen, die i n ihrer geistigen K u l t u r von Lessing über Schiller u n d Brentano bis zu Schelling u n d Stahl stets sehr stark i n religiös-theologischen Begriffen beheimatet war, überdies auch i n dem durchaus noch nicht überwundenen Gegensatz von rationalistischer Geistmetaphysik u n d „Glaubensphilosophie" (Hamann, Jacobi) sehr w o h l die Möglichkeit religiöser u n d zugleich rationaler Weltbetrachtung kannte.

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2. Teil: Die romanistisch-individualistische Konzeption

Bei einer so stark theologisch durchsetzten Rechtslehre wäre für Puchta zu erwarten, daß auch er Rechtssubjektivität ebenso wie Savigny von der göttlichen Subjektivität ableitet i n dem Sinne, daß der Mensch, u m sich subjektiv (frei) zum göttlichen (sittlichen) Gebot verhalten zu können, unbedingt (oder auch mindestens) Rechtssubjekt sein muß. Diese Erwartung w i r d jedoch aufs schärfste enttäuscht. Bei Puchta ist der Mensch nicht Rechtssubjekt, w e i l er Subjekt sittlicher Pflichten (gegenüber dem transzendenten Kontrahenten: Gott) ist, sondern w e i l er überhaupt einen natural-freien Willen hat. Das Recht ist gar nicht um einer sittlich-transzendenten Freiheit willen da, es dient etwas ganz anderem, nämlich der bloß formalen, psychologischen Entscheidungsfreiheit des Menschen, überhaupt und i n beliebiger Weise sich selbst bestimmen zu können. „Nicht erst durch den Gott gefälligen Gebrauch der Freiheit w i r d der Mensch zum berechtigten Wesen, nicht dadurch erst, daß er sich zum Guten entschließt, zum Gehorsam gegen Gott. Hierin liegt der Unterschied des Rechts von der Moral. Diese bleibt nicht bei jener Möglichkeit stehen, ihr ist der Mensch nicht bloß darum etwas, w e i l er jene Wahl hat. Sie geht sofort und unaufhaltsam über zur Entscheidung selbst, erst durch diese w i r d der Mensch zum wirklichen Subjekt der Moral . . . Die moralische Freiheit ist die Freiheit von der Knechtschaft der Sünde, die rechtliche Freiheit ist die Möglichkeit eines Willens überhaupt 8 2 ." Auch Savigny hatte allerdings einen Unterschied zwischen dem rechtlichen und sittlichen Bereich i n bezug auf die Freiheit gemacht. „Das Recht dient der Sittlichkeit, aber nicht indem es ihr Gebot vollzieht, sondern indem es die freie Entfaltung ihrer, jedem einzelnen innewohnenden Kraft sichert 83 ." Die Freiheit des Menschen selbst aber, funktionaler Grund des Rechts (das Recht hat dieser Freiheit zu dienen!) ist bei Savigny immer nur eine: Die Freiheit zur sittlichen Pflicht. Und nur von dieser Freiheit leitet sich die Rechtssubjektivität des Menschen, aber auch der gesamte Rechtsbereich ab. Das Recht hat also seinen materialen Inhalt nach dieser seiner Funktion auszurichten. Puchta hingegen lehrt nun einen doppelten Freiheitsbegriff: den moralischen und den rechtlichen. Moralische Freiheit ist die i m Hinblick auf Gott, rechtliche Freiheit ist die psychologisch-naturale Willensfreiheit 8 4 . 82 Inst. I, S. 6/7. 83 System I, S. 332. 84 Ziller, Puchta, S. 56/60: „Puchta sucht das Recht psychologisch zu begründen." Schönfeld, FS Binder, S. 28: „Ihm (Puchta) ist in der Tat nur der einzelne Mensch Person, weil er allein einen Willen hat, worunter er mit nicht

B. Zum Problem eines allgemeinen Personenbegriffs

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Grund der menschlichen Rechtssubjektivität ist nach Puchta nicht die sittliche Pflichtigkeit des Menschen, sondern ausschließlich der empirisch-psychologische Tatbestand einer formalen Entscheidungsfreiheit. „Der Mensch ist Subjekt des Rechts darum, daß ihm jene Möglichkeit, sich zu bestimmen, zukommt, daß er einen Willen hat 8 5 ." Wozu der Mensch sich bestimmen soll, ist für das Recht nicht mehr relevant, i m Gegensatz zu Savigny, aber auch zu Kant, bei denen gerade die normative Objektbezogenheit außerhalb des Rechts die rechtliche Subjektivität des Menschen zur Folge haben sollte. Der Wille allein also — abstrakt 8 6 — bedingt die Rechtssubjektivität des Menschen. I m Gegensatz zu Savigny ist somit der rechtliche Bereich autonom zum sittlichen und empfängt vom letzteren keine Bestimmung mehr. Die Frage der Rechtssubjektivität kann — wie noch zu zeigen sein w i r d — daher auch nur i m und vom Recht entschieden werden, nicht außerhalb des Rechts. Dieser Mangel: die transzendente Pflichtigkeit des Menschen seiner Freiheit als notwendiges objektives Korrelat nicht beizufügen, macht aufs deutlichste sichtbar, wie wenig ernst es Puchta — trotz seiner so massiv vorgeschalteten Theologie — m i t einer religiösen Grundlegung von Person und Recht in Wirklichkeit ist. Zur Erklärung dieser Spaltung von Recht und Religion dient i h m der Hinweis auf die Schöpfungsgeschichte. Seit dem Sündenfall sei eben Recht und faktische Macht voneinander getrennt 8 7 . Das Recht wäre nun auf den bloß potentiellen Teil der menschlichen Freiheit beschränkt, nicht auf deren aktuellen 8 8 . Die Möglichkeit, die potentielle Freiheit der aktuellen funktional zuzuordnen (so Savigny), also das seit dem Sündenfall zwar gegebene Auseinanderfallen von Recht und Wirklichkeit zum Anlaß zu nehmen, dem Recht doch gerade die Aufgabe zuzuweisen, diesen Zwiespalt zu heilen, diese Möglichkeit ist Puchta durchaus fremd. mißzuverstehender Deutlichkeit den psychologischen u n d nicht w i e Hegel den geistigen oder sittlichen W i l l e n versteht." 85 inst. I , S. 6. 8® d. h. nicht auf einen konkreten Gegenstand gerichtet, n u r als generelles psychologisches Phänomen. Das ergibt sich eindeutig aus Inst. I , S. 5/6, w o der „abstrakte" Begriff der Freiheit — formale Entscheidungsfreiheit — dem konkreten Freiheitsbegriff: W a h l zwischen Gut u n d Böse gegenübergestellt w i r d , w o aber auch n u r der abstrakte Freiheitsbegriff als rechtliche Freiheit angesehen werden soll, aus dem allein dann die Rechtssubjektivität folge. Inst. I, S. 6. 87 Puchta, Inst. I , S. 7. 88 Inst. I, S. 7: „Das Recht faßt den W i l l e n nicht i n seiner Entscheidung f ü r das Gute oder Böse auf, sondern den bloßen W i l l e n selbst, als Potenz, als Macht."

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2. Teil: Die romanistisch-individualistische Konzeption

Als Zwischenergebnis läßt sich somit festhalten, daß Puchta i m Gegensatz zu Savigny nicht die metarechtliche, sittlich-transzendente Subjektivität des Menschen für dessen Rechtssubjektivität wirksam werden läßt, sondern nur eine naturale, psychische Voraussetzung, die voluntative Entscheidungsfreiheit des Menschen. Hierdurch n i m m t nun Puchtas Rechts- und Personenlehre einen i n sich widerspruchsvollen Charakter an, dem i m folgenden weiter nachgegangen werden soll. Puchta gibt einerseits vor, seine Rechtslehre auf dem Begriff der transzendenten Freiheit aufzubauen. „Der Grundbegriff des Rechts ist die Freiheit 8 9 ." Die wirkliche Freiheit liegt i n dem Gehorsam gegen Gott 9 0 . Sogar vermöge dieser Freiheit ist der Mensch Subjekt des Rechts 91 . Andererseits knüpft das Recht nicht an diese oben genannte wirkliehe Freiheit an, sondern nur an die formale Entscheidungsfreiheit, an die Willens- und Wahlpotenz des Menschen 92 . Der Mensch ist dann plötzlich Subjekt des Rechts nur darum, „daß i h m jene Möglichkeit, sich zu bestimmen, zukommt, daß er einen Willen h a t " 9 3 . Diese formale „Freiheit" wäre m i t der obigen „wirklichen Freiheit" u . U . noch zu vereinbaren, wenn — wie bei Savigny — die formale, rechtliche „Freiheit" der Realisierung der wirklichen zu dienen bestimmt wäre, also eine A r t Unter-Freiheit (ethisches Minimum) der wirklichen Freiheit darstellte. Das aber ist — wie oben schon gezeigt — nicht der Fall. Das Recht geht von einem eigenen, autonomen Freiheitsbegriff aus, dem psychologischen. Dann aber kann die ursprünglich zur Grundlage genommene „Freiheit" nie mehr Grundbegriff des Rechts sein, da diese von Puchta selbst so genannte „wirkliche Freiheit" (Gehorsam gegen Gott) dem Recht nichts mehr zu sagen hat. Puchta vermag demzufolge — i m Gegensatz zu Savigny — nicht mehr anzugeben, welches materiale Prinzip das Recht m i t seiner sog. Freiheit eigentlich verwirklicht 9 4 . Er kann auch nicht einmal angeben, warum gerade der psychologische 8» Inst. I, S. 4. 90 So ausdrücklich Inst. I, S. 6. 91 Inst. I, S. 6: die Fähigkeit des Rechts w i r d an die Fähigkeit zur G o t t ähnlichkeit geknüpft. — Letztere kann aber n u r i n der Fähigkeit zur freien Bejahung Gottes liegen. 02 Inst. I, S. 6/7. 9 3 Inst. I, S. 6 unten. 94 Ziller, Puchta, S. 61: „Puchta hätte . . . die Einsicht gewinnen können, daß eine Theorie über die N a t u r des Willens u n d über seinen Zusammenhang m i t anderen psychologischen Phänomenen keinen Aufschluß darüber gebe, worauf die Wertschätzung des Rechts, sein Vorzug vor dem Unrecht, seine Unterscheidung von anderen absoluten Werthschätzungen beruhe."

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Tatbestand des freien Willens des Menschen, da es auf dessen Zielrichtung ja gar nicht ankommen darf, Grundlage seiner rechtlichen Persönlichkeit sein soll und nicht irgendein anderes anthropologisches Phänomen (aufrechter Gang?) etc. Die nach Puchtas eigenem Verständnis wirkliche Freiheit vermag daher — seiner eigenen theologischen Ausgangsstellung zuwider — nie Grundlage seiner eigenen positiven Rechts- und Personenlehre zu sein. Die Wurzel dieser Insuffizienz der Puchtaschen Freiheitslehre liegt schon i n seinem Verständnis von der „wirklichen Freiheit" selbst. Zunächst definiert er die wirkliche Freiheit als Gehorsam gegen Gott und führt diesen Freiheitsbegriff i n seltener theologischer Ausführlichkeit aus 95 . Das Résumé dieser Ausführungen aber besagt plötzlich etwas ganz anderes. „Der concrete Begriff der menschlichen Freiheit (d.i. die „wirkliche Freiheit", Verf.) ist daher (!): Sie ist die Wahl zwischen Gutem und Bösem 95 ." Schon i m transzendenten Bereich der „wirklichen" Freiheit kennt Puchta i m Endergebnis also nur Wahlfreiheit, obwohl seinen eigenen theologischen Ausführungen zufolge Freiheit nur heißen könnte: Gehorsam gegen Gott, denn angeblich nur dieses Verhalten ist ja (und macht auch) konkret frei 9 5 . Wie eine Entscheidung gegen Gott nach Puchtas eigenen theologischen Voraussetzungen selbst frei genannt werden kann, vermag Puchta nicht zu erklären. Er ist stets nur imstande, sich unter Freiheit bloß psychologische Willens- und Entscheidungsfreiheit vorzustellen. Dies aber hat nun bedeutsame Konsequenzen für seinen Personenbegriff. Eine Reduzierung der „Freiheit" auf ein rein psychologisches Phänomen müßte Puchtas Subjektsbegriff vernichten. Denn eine Freiheit ohne Objekt, ohne normative, wertende Ausgerichtetheit ist nicht i n der Lage, Subjektivität zu begründen, ebensowenig wie sonstige, rein biologisch-psychologische Fakten. Nach Puchta aber soll doch gerade diese Freiheit die Subjektivität des Menschen i m Recht konstituieren können. I n Wahrheit nun ist der scheinbar ganz wertindifferente Freiheitsbegriff Puchtas i m höchsten Maße doch wieder normativ. Denn so gleichgültig die moralische Freiheit dem rechtlichen Freiheitsbegriff sein mag, vom Recht her empfängt Puchtas Freiheitsbegriff dafür die um so entschiedenste normative Bestimmung. Der blanke W i l l e i n seiner inhaltlichen Beliebigkeit muß als Grundlage für Recht u n d Persönlichkeit untauglich sein, w e i l er die dem Recht zukommende u n d i m Recht selbst vorgenommene Wertschätzung nicht erklären kann. »5 Inst. I , S. 6. 5 Schikorski

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2. Teil: Die romanistisch-individualistische Konzeption

Wenn Puchta daher sagt, das Reich des Willens sei das Reich des Rechts 96 , so ist damit zugleich klargestellt, daß i m Willensbereich das Recht, also das objektive Recht herrscht und von i h m aus die notwendige objektiv-normative Definition des abstrakten Freiheitsbegriffes ausgeht 96 . Puchta ist daher auch konsequent der Auffassung, daß die subjektive Rechtsmacht, also gerade die rechtliche Freiheit, eine Gewährung des objektiven Rechts darstellt 9 7 . Der Mangel des voluntativen Subjektbegriffs Puchtas, der i n seiner völligen Wertindifferenz gesehen wurde, muß durch eine absolute Wertungshoheit des objektiven Rechts kompensiert werden. Und so sagt Puchta dann auch recht lakonisch und begründet damit einen rein rechtspositivistischen Personenbegriff: „Das Recht macht den Menschen zur Person und bestimmt seine Tätigkeit als solcher 98 ." Der ursprüngliche voluntative Personenbegriff wandelt sich so zum rein positiv-rechtlichen, rechtspositivistischen Personenbegriff. „Person" ist grundsätzlich nur noch eine Funktion des positiven objektiven Rechts. Damit aber w i r d die oben vorangestellte, von Puchta vorgenommene Unterscheidung zwischen der natürlichen Subjektivität des Menschen und der künstlichen Subjektivität der jur. Person als vorrechtliche, metarechtliche Subjektstatbestände 99 illusorisch. Die vorrechtliche (natürliche) Subjektivität des Menschen, die auf seiner bloß psychologischen Willensfreiheit beruht, w i r d erst durchs Recht als Subjektivität wirksam, w e i l erst das Recht dieser ansonsten und ausdrücklich so gemeinten 1 0 0 gegenstands- (also objekts-)losen Subjektivität eben einen Gegenstand, den Rechtsbereich, verschafft, demgegenüber sie sich als Subjekt konstituieren kann. Der Mensch ist daher nach Puchta — i n genauer Verkehrung der Savignyschen Lehre — Rechtssubjekt, nicht weil er Subjekt ist, sondern Subjekt, w e i l er Rechtssubjekt ist. Damit aber ist er überhaupt nur als Rechtssubjekt Person. Die vor-rechtssubjektive Subjektivität der jur. Personen aber 1 0 1 ist ohnehin ein Begriffsgespenst, denn bei ihnen kommt es doch nur und ausschließlich auf ihren rechtssubjektiven Charakter an. 90

Pand. §22: „ I n d e m w i r den Menschen i n seinen rechtlichen Beziehungen betrachten, heben w i r dies an i h m hervor, daß i h m die Möglichkeit eines Willens zukommt." 97 Inst. I, S. 8/9. 9 « Inst. I, S. 45. 99 Weiske / Puchta, Corporationen, S. 66/67. 100 Inst. I, 6, 7, w o ausdrücklich n u r die amorphe Willensmöglichkeit Subjektivität begründen soll. Weiske / Puchta, Corp. S. 67.

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Es gibt i n der Konsequenz des Puchtaschen rein positiv-rechtlichen Personenbegriffs nur noch juristische Personen, da alle Persönlichkeit i m Recht ausschließlich Produkt eben dieses Rechts i s t Indem das Recht nun die Person „machen" kann, ist allerdings ein allgemeiner Personenbegriff vorhanden, der sowohl die individualmenschliche als auch die „juristische" Persönlichkeit zu erklären vermag, da beide Personen gemeinsam allein auf den „ W i l l e n " des Rechts zurückgeführt werden. „ A u f der anderen Seite ist das Recht, u m gewissen Verhältnissen eine ihrer Natur angemessene rechtliche Form zu geben, über das natürliche Subjekt der Persönlichkeit, den Menschen, hinausgegangen, es hat andere Personen, außer dem Menschen geschaffen (!): juristische Personen 102 ." Hier nun taucht aber das oben schon bei Savigny angesprochene Problem einer i m allgemeinen Personenbegriff enthaltenen zweifachen Subjektivität auf. Denn ist auch die psychologische Freiheit nach Puchta nur als normative wirksam und w i r d das Recht selbst als das Normativsystem bezeichnet, von welchem die menschliche Freiheit allein ihren Rechtsanspruch herleitet 1 0 3 , so stellt sich doch die Frage nach dem Subjekt dieses Rechts. Ohne das Subjekt des objektiven Rechts, von welchem aus das subjektive Recht, das Rechtssubjekt sich ableitet, ist gerade letzteres, also das Rechtssubjekt nicht zu begreifen 104 . Der juristische Personenbegriff Puchtas transzendiert somit ebenfalls notwendig zum Begriff des Normautors, des Norm-Subjekts 1 0 6 . i°2 Inst. I, S. 45. Bei Savigny w a r es genau umgekehrt: Der Rechtsanspruch der menschlichen Freiheit (die Rechtssubjektivität) leitet sich nicht wieder aus dem Recht, sondern aus dem sittlichen Normensystem her. Subjekt des sittlichen Normensystems aber ist die transzendente, göttliche Person. Hiergegen ganz deutlich Puchtas Substituierung Gottes durch den „allgemeinen W i l l e n " : „ Z u r Existenz der rechtlichen Freiheit gehört, daß dem W i l l e n des Menschen ein anderer W i l l e gegenübersteht, welchen er teils als einen anderen, i h m äußerlichen, als den W i l l e n eines anderen, eines eigenen Willens fähigen, freien Subjekts, teils aber auch als den seinigen nämlich insofern erkennt, als dieser W i l l e auf eine i h m ebenfalls angehörige Überzeugung sich gründet. Denn dadurch w i r d der Mensch i n das Recht gestellt u n d Person, daß sein W i l l e zugleich einzelner u n d allgemeiner W i l l e ist, . . . " Dieser, dem menschlichen W i l l e n entgegentretende W ü l e ist also allein der allgemeine Wille. Gew. R I , S. 139/140. 104 Bohnert, Puchta, S. 53, erkennt ganz richtig, daß die Bestimmung dessen, was Recht (und damit Person) sei, wesentlich davon abhängt, woher es stammt. Der Normautor ist entscheidend f ü r das, was normativ sein soll u n d damit f ü r die n u r normativ denkbare Subjektivität. Z u r Verdrängung der Frage nach dem Normautor der Objekt. Rechtsordnung vgl. auch Denninger, Rechtsperson, S. 229 ff. los Bohnert, Puchta, S. 42: Es stellt sich heraus, „daß der Einzelne, Endliche, Begrenzte als Subjekt des Rechtsbewußtseins nicht zureicht. A l s dieses Sub103

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2. Teil: Die romanistisch-individualistische Konzeption

Das objektive Recht w i r d von Puchta entsprechend seinem psychologisch-voluntativen Rechtsverständnis ebenso wie das subjektive Recht als Wille, und zwar als allgemeiner Wille angesehen 106 . Träger (Subjekt also) dieses allgemeinen Willens ist das Volk, in welchem der Volksgeist die Produktion des Rechts besorgt 107 . Dieses Volk sieht Puchta als ein personales Wesen an: „Die Völker selbst sind verschiedene Individualitäten, von ungleicher A r t und Richtung 1 0 8 ." „Es war der bedeutendste Schritt zur wahren Theorie der Rechtsentstehung, daß man aufhörte, das Volk i n dem politischen Sinne der Regierten als die Quelle des ungeschriebenen Rechts zu betrachten, wie es lange i n den verschiedenen Gestalten geschehen war, daß man das natürliche Ganze, die Nation, als Subjekt des Rechtsbewußtseins erkannte 1 0 9 ." Von dem Willen (obj. Recht) des so personal aufgefaßten Volkes leiten nach Puchta i n letzter Instanz alle Rechtspersonen den Grund ihrer Persönlichkeit ab 1 1 0 . Hier soll noch einmal auf Savigny kurz verwiesen werden. Ist nach Savigny die Rechtssubjektivität des Menschen letztlich eine Folge göttlichen Gebots, stammt somit die Personalität des Menschen von der Personalität Gottes ab, ersetzt Puchta hier das transzendente KontraSubjekt: Gott durch ein anderes Subjekt, das personale Volk. Der evident mangelnden Faßlichkeit des Volksbegriffs versucht Puchta dadurch zu begegnen, daß er sofort ein konkretes und kompetentes Organ des Volkes einführt: die Obrigkeit. „Dieses Organ nun, worin sich der gemeinsame Wille verkörpert, und wodurch er seine Ausführung erhält, ist die Obrigkeit, durch deren Existenz das Volk ein bürgerliches Gemeinwesen, ein Staat w i r d 1 1 1 . " Die nähere theoretische Ausgestaltung des Volks- und Staatsbegriffs Puchtas soll hier nicht erörtert werden. Deren Darstellung gehört zum Problembereich des öffentlich-rechtlichen Korporationsbegriffs, der j e k t k a n n n u r ein Überindividuelles auftreten, dessen Übergreifendheit selbst I n d i v i d u a l i t ä t habe u n d gegen das Einzelne sich neubestimmt u n d seine Begrenzung, damit seine Leere verliert. U n d diese I n d i v i d u a l i t ä t muß die Eigenschaft besitzen, Geistiges i n dieser Geistigkeit als Vorgeordnetes zu sein." 106 inst. I , S. 8/9. 107 Inst. I, S. 15: „Der Volksgeist ist die Quelle des . . . Rechts", hierzu vor allem Bohnert, Puchta, S. 42 ff. los inst. I, S. 13. loo Puchta, K r i t i k von Georg Beselers Volksrecht u n d Juristenrecht, B e r l i n 1844, S. 23. no Dies k o m m t i n der A b l e i t u n g des subjektiven Rechts aus dem objektiven Recht zum Ausdruck: Inst. I, S. 8/9. i n Inst. I, S. 16.

B. Zum Problem eines allgemeinen Personenbegriffs

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gesondert behandelt wird. Es zeigt sich an dieser Stelle aber, wie der Begriff der juristischen Person, insbesondere der des Volkes/Staates als rechtserzeugender Person, für den rein positivistischen Personenbegriff Puchtas plötzlich eine fundamentale Bedeutung gewinnt. Denn die juristische Person, d. h. der Staat, das Volk als derartige Person soll schließlich jetzt das leisten, was bei Savigny noch der Autorität der göttlichen Person vorbehalten blieb: die Begründung der individuellen, menschlichen Subjektivität (Freiheit) durch deren Objektivierung mittels eines subjektiv-normativen Akts. Subjekt ist der Mensch — nach Puchta wie nach Savigny — durch eine freie Stellung gegenüber seiner normativen Einbindung, d. h. durch sein „Gegenüber" zu einer anderen Subjektivität i m Sinne einer normativen Beziehung. Savigny nimmt als das personale Gegenüber Gott an, Puchta ersetzt Gott durch die juristische Person Volk/Staat. Merkwürdig ist dabei, wie gerade der Begriff der jur. Person, der i n Puchtas rechtspositivist. Personenbegriff ebenso glatt aufzugehen scheint wie der Begriff der individualmenschlichen Person, diesen Begriffsrahmen sprengt und (in Gestalt der Volksperson) selbst zum tragenden Fundament eben dieser positivistischen Gleichschaltung wird. A n dieser Stelle erst w i r d deutlich, wie wesentlich der Begriff der jur. Person, der Korporation für eine positivistische Rechtswissenschaft werden kann. M i t Hilfe dieses Personengebildes (in Gestalt des Volkes, der Obrigkeit/Staates) sollen methodisch alle übrigen, außerrechtlichen Normative (kategorischer Imperativ, göttliches Gebot) ausgeschaltet und durch eine rein immanent-juristische Begriffsfigur das bewirkt werden, worum es i m Recht vordringlich geht: die Begründung der Rechtsperson, d.h.: die Begründung und Legitimation einer bestimmten Verteilung von subjektiven Rechtszuständigkeiten. Die jur. Person erweist sich hier i n der Tat als ein säkularistisches Instrument zur Begründung individueller Persönlichkeit i m Rahmen einer nur profan noch vorstellbar gewordenen normativen Ordnung i m Staat. Puchtas dergestalt unternommener Versuch, den jur. Personenbegriff rechts-immanent zu begründen, damit also auf einen metarechtlichen Personenbegriff, eine metarechtliche Begründung der Rechtssubjektivität zu verzichten, enthält nun jedoch i n sich verschiedene Mängel, die Puchta zu einem neuen Ableitungsversuch seines Personenbegriffs zu veranlassen scheinen. Da diese Mängel sich unmittelbar aus der oben schon skizzierten grundsätzlichen Problematik des allgemeinen Personenbegriffs herleiten, ferner für die Ausgestaltung und weitere Begründung des Puchtaschen Personenbegriffs von bestimmender Bedeutung sein können, erscheint es notwendig, sie an dieser Stelle zu behandeln.

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2. Teil: Die romanistisch-individualistische Konzeption

Puchtas Begründungsversuch des Rechts- und Personenbegriffs aus dem objektiven Willen eines subjektivierten Volkes ist nicht imstande, die Frage nach dem „Warum" dieses Rechts, dieser personenrechtlichen Bestimmungen etc. zu erklären. Wenn Puchta sagt, daß die jur. Personen als künstliche Subjekte als Ausnahmen von der Regel zu betrachten seien und daß ihr Kreis nicht w i l l k ü r l i c h erweitert werden darf 1 1 2 , so ist sein Personenbegriff, der sich allein auf den Willen der Volkspersönlichkeit stützt, jedenfalls nicht i n der Lage, diese Meinungsäußerung zu begründen. Den Grund von Rechtssubjektivität kann Puchtas rechtspositivistischer Personenbegriff nicht angeben. Als allgemeiner Personenbegriff i m eingangs angegebenen Sinne muß letzterer versagen, w e i l „ W i l l e " — auch der des Volkes — überhaupt keine Wertelemente enthält. Zillers zeitgenössische K r i t i k an Puchtas Rechtsphilosophie, insbesondere an dessen Lehre vom Grund des Rechts und der Rechtspersönlichkeit allein i m Bewußtsein des Volkes und i n dessen „allgemeinem" Willen t r i f f t den Kern des Problems und soll daher hier auszugsweise wiedergegeben werden 1 1 3 : Das bloße Bewußtsein eines Volkes, der bloße Wille desselben sagt nichts über die dem Recht (und damit der Rechtssubjektivität) wesentlich zukommende Wertschätzung aus. „(Es) liegt i n der Stärke des gebietenden Willens, (daß) der schwächere sich (ihm) beugen muß. A l l e i n wenn man die Verbindlichkeit des objektiven Rechts i m Sinn hat, so denkt man zunächst nicht an den unvermeidlichen Zwang . . . , den die Macht dem Ungehorsamen auferlegt, sondern man meint, dem Recht komme ein unmittelbarer Vorzug vor dem Unrecht zu und diesen werde selbst der zum Gehorsam Verpflichtete — wenn er unparteiisch urteile — anerkennen. Eine Erklärung des Rechts muß vom ethisch Notwendigen ausgehen . . . Sie muß Gründe kennen, die über beiden Willen, über dem gebietenden und gehorchenden liegen, die ohne Rücksicht auf die Stärke verdienen 112 Weiske / Puchta, Corporationen, S. 66. Z u r Schrift Zillers äußert sich — soweit ersichtlich — n u r A. Hollerbach, Schelling, S. 324, Fußn. 199. Hollerbach w i r f t dem W e r k vor, n u r „wenig förderlich" zu sein u n d auf den Versuch einer geistesgeschichtlichen Einordnung Puchtas v ö l l i g zu verzichten. F ü r Z i l l e r w a r Puchtas Lehre jedoch durchaus nicht „Geschichte" i n unserem historischen Sinne, sondern aktueller Anlaß zur unmittelbaren, persönlichen, wissenschaftlichen Auseinandersetzung. Als philosophische K r i t i k an Puchtas Rechtsphilosophie ist Zillers Argumentation durchaus t r i f t i g u n d hat sogar herrschenden romanistischen Gemeinplätzen einiges entgegenzuhalten (Begriff der aequitas, Ziller, Puchta, S. 27, 31, 35, insbes. S. 63). D o r t f ü h r t Z i l l e r gegenüber Puchtas Eliminierung der M o r a l u n d Wertlehre aus der Rechtswissenschaft zu Recht die enge Verknüpfung v o n Recht u n d M o r a l gerade i m historischen Rom. Recht an. Das Rom. Recht w o l l t e eine ars aequi et boni sein, nicht eine Lehre v o m allgemeinen Wülen. Puchta habe hier das Rom. Recht zum schlechten modifiziert. 113

B. Zum Problem eines allgemeinen Personenbegriffs

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gehört zu werden und auch da Respekt fordern, wo die Macht fehlt, die ihnen Nachdruck verleihen kann 1 1 4 ." Puchta scheint diesen Mangel seines Rechts- und damit Personenbegriffs gespürt zu haben. Er w i l l nämlich den blanken Volks-, StaatsObrigkeitswillen doch nicht für sich bestehen lassen. Wie schon zitiert, sagt Puchta: „Wie das Recht, so ist auch der Staat in seinem ersten Ursprung etwas von Gott gegebenes; Obrigkeit und Gehorsam gegen dieselbe sind von Gott, des Menschen Sinn hat das nicht erfunden 1 1 5 ." Letztlich soll es also doch wieder das göttliche Gebot sein, von welchem sich Recht und damit auch Person ableiten, indem nun der Staat theologisch begründet wird. Dieser Schein trügt jedoch. Denn: „Die Bildung und Entwicklung der Staaten und ihrer Verfassung ist vom Schöpfer dem menschlichen Weg, der Freiheit (!), dem Willen des Menschen überlassen worden 1 1 6 ." Staat und Recht bleiben damit doch ein für sich abgeschlossenes, immanent perfektes System. Der Wille Gottes ist nicht als aktueller interessant, sondern nur als legitimierende Ursache, womit die herausragende Bedeutung und Stärke des allgemeinen Willens, der Obrigkeit etc. nur um so eindrucksvoller i n Erscheinung treten muß, denn sie geht ja auf göttliche Einsetzung zurück 1 1 7 . Puchta verharrt damit i n seinem Bemühen, Person und Recht rein immanent-juristisch zu begründen. Die Rolle des kontrasubjektiven Normautors, von welchem die notwendige normative Objektivität (Bedingtheit) der Persönlichkeit ausgeht, übernimmt ein personal gedachtes „ V o l k " . I m Ergebnis kann daher für Puchta festgehalten werden, daß er einen metarechtlichen Personenbegriff, von welchem der juristische u * Ziller, Puchta, S. 62/63. Iis Inst. I , S. 17. ii« Inst. I , S. 17. 117 Die deistische Vorstellung, daß i n dieser Welt die Rechtsbildung allein innerweltlich, durch einen „Volksgeist" geschieht, b r i n g t Puchta auch deutlich da zum Ausdruck, w o er die These v o m Göttlichen Ursprung des Rechts m i t seiner Volksgeistlehre zu vereinbaren sucht. „Die Frage ist nur, wie Gott das Recht hervorbringt. W i r behaupten: dadurch, daß er die rechtserzeugende K r a f t i n die Natur der Völker gelegt hat." Vorlesungen I, S. 21. Der göttliche Ursprung des Rechts ist so i n der Tat n u r noch als historische causa, nicht als aktueller Normengrund von Bedeutung. Die Ausschaltung des konkreten Anfangs aus der A k t u a l i t ä t der Gegenwart, die hingegen zwangshafte F i x i e rung dieser Gegenwart zu einem System notwendiger Gesetzmäßigkeit (Natur), aus deren Immanenz dann alles seine zwangsläufige E r k l ä r u n g findet, ist ein allgemeines wissenschafts- u. ideologie-geschichtliches Phänomen, das von Leo Schestow treffend u n d kritisch untersucht w i r d : „Über die Quelle der metaphysischen Wahrheiten", Logos X X , S. 17 ff. (Der gefesselte Parmenides).

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2. Teil: Die romanistisch-individualistische Konzeption

sich herleitet, nicht kennt, daß Person als Rechtssubjekt sich bei i h m vielmehr wie jedes andere rechtliche Phänomen allein auf den Willen des rechtserzeugenden Subjekts: Volk zurückführt, daß infolgedessen Person i m Recht immer nur juristische Person bedeuten kann. Der Wandel von Savignys zu Puchtas Personenbegriff ist darin zu sehen, daß die transzendente Subjektsbestimmung aus dem Begriff genommen und durch eine volksobrigkeitliche ersetzt wird, die selbst eine den nun gegebenen Personenbegriff transzendierende Personalität zugeschrieben erhält.

C. Zum Problem der dogmatischen Konstruktion Dieses Problem bestand — wie oben gezeigt — i n der Schwierigkeit, die Korporation mittels eines Begriffs als Hechtssubjekt wie als Rechtsverhältnis juristisch faßbar zu machen. Dabei sind sich zunächst fast durchweg alle Körperschaftstheorien darüber einig, daß bestimmten Personenverbänden als „Korporationen" überhaupt Rechtsfähigkeit zukommen, es also korporative Rechtssubjekte geben solle 1 . Die Kontroverse um den Körperschaftsbegriff richtet sich somit nicht darauf, das juristische Phänomen rechtsfähiger Verbände grundsätzlich i n Frage zu stellen. Selbst die Autoren, die — wie Jhering — als „wirkliche" Rechtssubjekte nur die innerhalb der Korporation vereinigten natürlichen Personen anerkennen, bestreiten nicht, daß das Recht bestimmten menschlichen Vereinigungen eindeutig und positiv die Rechtsfähigkeit zuschreibt, sie versuchen vielmehr diese rechtspositive Situation nur rational von ihrer juristischen Sichtweise aus zu erklären 2 . Der i m Korporationsbegriff enthaltene doppelte Inhalt läßt sich nun auf zweifache Weise dogmatisch bewältigen. Zum einen w i r d der rechtsgeschäftliche vom rechtssubjektiven Aspekt völlig getrennt, so daß beide Aspekte ganz isoliert nebeneinander existieren. Der diese zwei Aspekte umfassende Korporationsbegriff ist dann dualistisch konzipiert. Die Korporation besteht nach i h m aus zwei getrennten Rechtssphären, die jeweils gesonderter Betrachtung bedürfen. Andererseits läßt sich zwischen der rechtsgeschäftlichen und rechtssubjektiven Seite der Korporation ein funktionaler Zusammenhang denken: Rechtssubjekt durch Rechtsgeschäft und Rechtsgeschäft als causa von Rechtssubjekt. Dieser Begriff könnte als dialektischer K o r porationsbegriff bezeichnet werden. Zunächst ist zu betrachten, wie die romanistisch-individualistische Lehre die Rechtssubjektivität der Korporationen begreift. 1

Hierzu Übersicht bei Gierke, Dt. Pr. R. I, S. 463 ff. Jhering z.B. verwendet die „ j u r . Person" als eine „Rechtsmaschinerie", u m so doch einen wenigstens künstlichen „Träger" zu erhalten, der nach außen als Subjekt bloß „figuriert". Hierzu: Tietze, j u r . Person, S. 25, der dann auch zu Recht Jhering schließlich der Fiktionstheorie unterstellt. Hierzu auch Henkel, Theorie, S. 168. 2

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2. Teil: Die romanistisch-individualistische Konzeption I. Zur Korporation als Rechtssubjekt 1. Die kontroversen Fragestellungen

Die Rechtspersönlichkeit der Korporation w i r f t für die jur. Dogmatik verschiedene Fragen auf, die i m Rahmen des hier zu behandelnden Theorienstreits auch jeweils Gegenstand der Auseinandersetzungen waren, wobei allerdings die Gewichtigkeit der einzelnen Streitpunkte innerhalb der Kontroverse sich unterschiedlich darstellte. Die wichtigsten Fragestellungen sollen hier kurz skizziert werden. Schon oben wurde das Problem der verbandsrechtlichen „Zwischenformen" erwähnt, das als allg. Ausgangspunkt für den Streit um den Körperschaftsbegriff, ja als Anlaß des Schulenstreits: Germanistik — Romanistik überhaupt angesehen wurde. Es handelt sich hierbei letztlich um die Frage einer Phänomenologie von verbandsrechtlicher Rechtssubjektivität, darum also, wie eine Personenvereinigung ihrem Erscheinungsbild nach beschaffen sein muß — oder kann —, u m als Rechtssubjekt generell gelten zu dürfen. Eng m i t diesem Problem verwandt ist die Frage nach dem korporativen Substrat, die seit Gierkes Lehre von der Verbandsperson eine der wichtigsten Streitpunkte bildet. Hat die Korporation als Subjekt ein ebenso natürlich-reales Substrat wie der Mensch oder ein begrifflich-fiktives? Die Anschauungen über das Substrat der Korporationen hängen grundsätzlich stark von der Phänomenologie ab, da letztere allein generelle Aussagen über die reale Zusammensetzung von Korporationen macht. Wichtiger Streitpunkt war ferner die Frage der staatlichen M i t w i r k u n g bei der Entstehung jur. Personen — und damit der Korporationen —, eine Kontroverse, die allerdings selbst schon älter ist als die germanistische Körperschaftslehre und auch unabhängig von ihr stattfand 3 . Ebenso älteren Ursprungs ist eine weitere Streitfrage: Welcher Rechte sind die Korporationen fähig und i n welcher Gestalt kommen sie ihnen zu, inwieweit kann ihre Rechtsfähigkeit der individualmenschlichen gleichgestellt werden? Hier entstehen insbesondere die Probleme des Umfangs der Handlungs-, Haftungs- und Deliktfähigkeit 4 der K o r porationen, ihrer Rechtsfähigkeit i m öffentlichen Recht. Insgesamt lassen sich die auf die korporative Rechtssubjektivität bezüglichen Fragen somit i n vier Gruppen einteilen: 3 4

Gierke, Gen. Th., S. 15. Henkel, Fiktionstheorien, S. 93.

C. Zum Problem der dogmatischen Konstruktion

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a) Die Phänomenologie des Korporationswesens b) Das Problem des korporativen Substrats c) Die Entstehungsvoraussetzungen der korporativen Rechtspersönlichkeit d) Die Frage nach A r t und Umfang der korporativen Rechtsfähigkeit. Bei der Behandlung der hierauf bezüglichen romanistisch-individualistischen Lehrmeinungen braucht sich nun die Arbeit nicht mehr nur auf die Systeme Savignys und Puchtas zu beschränken, sondern kann auch andere Juristen derselben Lehrtradition, insbesondere Gerber 5 , von Roth 5 und Stobbe 6 einbeziehen, da es sich hier u m mehr positivrechtliche Probleme handelt, die von diesen Juristen teilweise eingehender als von Savigny und Puchta behandelt wurden, ohne daß sie doch das von den letzteren gelegte theoretisch-philosophische Fundament verlassen würden. 2. Zum Problem einer Phänomenologie des Korporationswesens

Es ist eigentümlich, daß die romanistisch-individualistische Körperschaftstheorie über das phänomenale Erscheinungsbild der Körperschaft fast nichts zu sagen hat 7 . I m Vordergrund der über die Korporation angestellten Erörterungen stehen durchaus juristische Probleme, nicht die Frage, wie denn überhaupt eine Korporation auszusehen hat, wie sie nach außen h i n i n Erscheinung tritt. Savigny unterscheidet verschiedene Arten von Korporationen: diejenigen, die ein notwendiges Dasein haben, von denjenigen, die durch private W i l l k ü r entstehen. Zu den ersten rechnet er die Gemeinden, Städte und Dörfer, die anderen sollen die Gesellschaften sein, die auf willkürliche Privatinitiative hin gegründet werden 8 . Wie die notwendig existierenden Korporationen: Gemeinden, Städte und Dörfer beschaffen sind, läßt sich nicht generell sagen, da diese historische Formen aufweisen, die nicht unter einen allgemeinen Begriff zu bringen sind. Doch auch die anderen Korporationen können nicht auf eine allgemeine, phänotypische Seinsstruktur zurückgeführt werden. Nicht einmal die Tatsache, daß die Korporationen aus Mitgliedern besteht, w i r d vorausgesetzt, sogar die Existenz einer völlig „ausgestorbenen" Korporation hält Savigny für möglich 9 . Von diesem Extremfall abgesehen, scheint « Vgl. Gierke, Gen. Th., S. 8. • Vgl. Gierke, Gen. Th., S. 5. 7 Dieses Defizit zeichnet auch die heute herrschenden Körperschaftstheorien aus, die letztlich i n der Mehrheit auf der Fiktionstheorie beruhen: Vgl. Rittner, werdende JP, S. 189 ff. 8 System I I , S.242. • System I I , S. 280.

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2. Teil: Die romanistisch-individualistische Konzeption

i m übrigen unumgänglich nur eine für die Korporation agierende Vertretung zu sein. Diese sei nötig, um überhaupt „den Begriff der juristischen Person i n das wirkliche Leben einzuführen 10 ." Hieraus leitet sich her das weitere Erfordernis einer Verfassung 10 . Daß die Notwendigkeit einer Vertretung zwangsläufig eine Verfassung voraussetzt, w i r d allerdings nicht begründet, erscheint auch nicht notwendig, da die Möglichkeit und Wirksamkeit von Vertretungshandlungen nicht unbedingt von deren Verfassungsmäßigkeit abhängen muß, überhaupt die Fragen der inneren Organisation nicht m i t denen der äußeren Handlungsfähigkeit vermischt werden dürfen. Auch Puchta beschäftigt sich nicht m i t der rechtstatsächlichen Phänomenologie der rechtsfähigen Korporation. Er sagt zwar, daß die Korporation au$* natürlichen Personen bestehe, betont aber sofort, daß von diesen natürlichen Personen bei der Betrachtung der Korporationen gänzlich abgesehen werden muß 1 1 . Die Korporation ist von ihren naturalen Mitgliedern völlig zu trennen 1 2 . So bleibt die Korporation auch als solche erhalten, selbst wenn sich die Anzahl ihrer Mitglieder auf nur eines reduziert hat. Immerhin aber gesteht Puchta zu, daß beim völligen Aussterben der Mitglieder die Korporation erlischt 13 . I m übrigen enthält sich Puchta jeder näheren Behandlung der phänomenologischen Existenzbedingungen einer rechtsfähigen Korporation. Gerber bringt auch keine neuen Hinweise darauf, welches tatsächliche Erscheinungsbild eine Korporation aufweisen muß, um als solche anerkannt werden zu können. I n seiner Darstellung des dt. Privatrechts geht er nur auf den Meinungsstreit über die „Fiktionstheorie" ein, um dann sofort zur Behandlung der einzelnen Korporationen zu kommen, ohne erst eine allgemeine Phänomenologie der Körperschaften versucht zu haben 14 . Bemerkenswert ist i n diesem Zusammenhang allerdings seine Ansicht, daß man sich hüten solle, durch eine Vermengung der romanistischen Begriffsgruppen universitas und communio zu einer leichtfertigen Bejahung der Rechtssubjektivität einer Korporation zu gelangen, w e i l Rechtsfähigkeit nur „gewissen" Gemeinschaftsverhältnissen zukommen soll, bei denen das „Bedürfnis" nach einer einheitlichen Prozeßvertretung auch wirklich besteht 15 . Gerber deutet hiermit immerhin an, daß eine Korporation doch auch bestimmte phänotypische 10 System I I , S. 324. 11 Weiske / Puchta, Corporationen, S. 77. 12 Puchta, a.a.O. 15 Weiske / Puchta, Corporationen, S. 77: „ M i t dem Wegfallen freilich auch des letzten Gliedes würde die Gemeinheit ein gegenwärtiges Dasein zu haben, also zu existieren aufhören." Aber: Puchta, Pandekt, §28, letzter Abs.! 14 Dt. PrivatR. §§ 49, 50. 15 Dt. Priv. R., § 49.

C. Zum Problem der dogmatischen Konstruktion

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Voraussetzungen erfüllen muß, um als rechtsfähiges Subjekt anerkannt zu werden. Er setzt sich i n diesem Zusammenhang auch ausdrücklich m i t der Ansicht auseinander, die besagt, daß eine Korporation m i t Rechtspersönlichkeit immer schon dann entstehe, wenn eine bestimmte innere Struktur dieser Korporation vorhanden sei, die dem Begriff der juristischen Person entspreche 16 . Gerber verwirft allerdings diese Lehre, da sich angeblich nie genau bestimmen lasse, „ob i m einzelnen Falle der specifische Korporationsorganismus vorliege oder nicht" 1 7 . Die übrigen Vertreter der romanistisch-individualistischen Körperschaftslehre können ebenfalls keine eigentümlichen, charakteristischen Erscheinungsmerkmale für die Korporationen angeben. Immer wieder und typisch w i r d von ihnen die gänzliche Trennung der Körperschaft als Rechtssubjekt von den i n der Körperschaft vereinigten Personen betont 1 8 . Als Rechtssubjekt aber ist die Korporation alles per fictionem und obrigkeitlicher Anerkennung 1 9 , nichts durch ihre naturalen Mitglieder. I h r phänomenales Erscheinungsbild muß daher gänzlich unbestimmt bleiben, weil Gegenstand einer Fiktion schlechthin alles sein kann und die staatliche Anerkennung grundsätzlich allen politisch zulässigen Erscheinungen des Rechtslebens gebührt. Die einzigen phänomenologischen Aussagen der romanistisch-individualistischen Jurisprudenz über die Korporationen beschränken sich dann auch darauf, die rechtsgeschäftlich gewillkürten Korporationen von den historisch vorgegebenen zu unterscheiden, und für beide Kategorien eine Summe von Beispielen anzuführen 20 , ohne aber zu erörtern, inwiefern alle diese rechtsfähigen Korporationen gemeinsame phänomenale Merkmale aufweisen, die es begründet erscheinen lassen, ihnen i m Gegensatz zu anderen rechtlichen Personenvereinigungen Rechtssubjektivität zuzuschreiben. Der Mangel phänomenaler Eindeutigkeit der Korporation w i r d selbst dann auch als Grund genannt, um die völlig freie Assoziationsbildung, sofern sie auf die Errichtung von rechtsfähigen Korporationen i« Dt. Priv. R., § 49 A n m . 6. " Dt. Priv. R., § 49 A n m . 6. 18 Savigny, System I I , S. 243; Weiske / Puchta, Corp., S. 78; v.Roth, Bay. CivR. I, S. 207; Stobbe, Dt. Pr. R. I, S. 454, 474: Auch die Generalversammlung der Mitglieder stellt nicht die j u r . Person dar, letztere ist vielmehr abstrakt aufzufassen, i» Savigny, System I I , S. 278. 20 Savigny, System I I , S. 242 ff.; Puchta, Pand. §25; s.a. Stobbe, Dt. Pr.R., S. 452.

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2. Teil: Die romanistisch-individualistische Konzeption

gerichtet ist, zu verwerfen 2 1 . „Das Fehlen von allgemeinen Grundsätzen über die Erkennbarkeit einer jur. Person (läßt) . . . eine unheilvolle Unsicherheit darüber eintreten, in welchen Fällen ein Verein nach den Grundsätzen der societas und i n welchen nach denen der universitas zu beurteilen sei 2 2 ." So führt das Auslassen phänomenologischer Erkenntnisarbeit zum Zirkelschluß i n der Argumentation über die Existenzvoraussetzung der Korporation: Die Fiktionstheorie läßt eine phänomenologische Behandlung der Korporationen überflüssig erscheinen. Der Mangel aber an einer wissenschaftlichen Phänomenologie führt zum Ruf nach besonderen publizitären staatlichen Anerkennungsakten. Deren so begründete Notwendigkeit bestätigt wieder die Fiktionstheorie, denn sie besagt, daß die Rechtssubjektivität der Korporation allein auf einem staatlichen Schöpfungsakt, und damit auf einer normativen, rein ideellen Produktion, also auf einer Fiktion beruhe. Anzumerken ist, daß das Fehlen einer wirklichen Phänomenologie i m deutlichen Gegensatz zum ursprünglichen Programm der historischen Schule steht 23 . Das Problem der gesellschaftlichen „Zwischenformen" läßt sich dann für die romanistisch-individualistische Lehre angesichts des absoluten Phänomenologie-Defizits auch nur wieder normativ lösen, nicht auf Grund einer empirischen Betrachtung der rechtlich-sozialen Wirklichkeit. Die pandektistisch überlieferte Polarität von universitas und societas muß so unangefochten i n Geltung bleiben 2 4 . 3. Die Frage nach dem korporativen Substrat

Die Frage nach dem Substrat der m i t Rechtspersönlichkeit begabten Korporation bildet einen wesentlichen Gegenstand der Kontroverse u m den Körperschaftsbegriff. 21 Stobbe, Dt. Pr.R.I, S.465f.; Gierice, Pers. G., S.13f. 22 Stobbe, Dt. Pr.R.I, S.466. 23 Savigny, Beruf (Hattenhauer), S. 114/115, System I , S.204. „Das Recht nämlich hat k e i n Dasein f ü r sich, sein Wesen vielmehr ist das Leben der Menschen selbst, von einer besonderen Seite angesehen." (Beruf, a.a.O., S. 114/115.) Dieser Satz hätte für die ältere Romanistik zumindest für Savigny, gerade die verstärkte Untersuchung der den „Rechtsinstituten" zugrundeliegenden phänomenalen Formen erwarten lassen. Der gleichzeitige strenge Normativismus Savignys, der eigentlich dann Schule machen sollte, stand dieser wirklichkeitsbezogenen Rechtsbetrachtung aber schon von Anfang an entgegen. Vgl. G. Dilcher, Positivismus, ARSPh., 1975, S. 504 f. 24 Dieses Ergebnis erinnert an die vierbeinigen Fliegen des Aristoteles. W e i l i m Aristoteles steht, daß Fliegen vier Beine haben, k a n n es auch i n der W i r k l i c h k e i t nicht anders sein. — W e i l die Tradition des C. J. besagt, daß es entweder n u r societas oder n u r universitas geben kann, vermag auch die empirische W i r k l i c h k e i t nichts hieran zu ändern.

C. Zum Problem der dogmatischen Konstruktion

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Alle Arten von „Fiktionstheorien", vor allem aber auch Gierkes Lehre von der realen Verbandsperson, nehmen primär Bezug auf die Substratsfrage. Zunächst ist der Begriff des Substrats für diese Arbeit näher festzulegen. Unter Substrat soll i m folgenden verstanden werden, der einer rechtsfähigen Korporation zugrunde liegende Tatbestand, an den Sich das Prädikat der rechtlichen Subjektivität anknüpft. Diese Begriffsdefinition entspricht zum einen der historischen Wortbedeutung und allgemeinen wissenschaftlichen Übereinkunft 2 5 , zum anderen dem Sinn, i n welchem der Begriff von den hier zu behandelnden jur. Autoren durchweg gebraucht w i r d 2 6 . Das Substrat ist deutlich zu unterscheiden vom oben erörterten phänomenalen Sein der Korporationen. Das „äußere" Erscheinungsbild von Korporationen kann durchaus wechseln und als einheitliches nur m i t Hilfe statistischer und typologischer Arbeitsmethoden festgestellt werden. Das Substrat ist zwar ebenfalls eine reale „Erscheinung", aber zugleich ein abstraktes Konstitutivum der Korporation und als solches „unabhängig" vom wechselnden Erscheinungsbild der Verbandswesen. Dies hindert natürlich nicht, daß von einer Phänomenologie aus sich auch und gerade das Substrat feststellen ließe, d. h., daß z. B. vom typischen Erscheinungsbild auf den Aufbau, die Konstitution und reale Verfassung der Korporationen als deren tatsächliche Rechtssubjektsgrundlage geschlossen werden kann. Dennoch bleibt die begriffliche Trennung zwischen Erscheinung und den Konstitutiva notwendig, wenn auch das Substrat als der allgemeine, reale Tatbestand der Korporation zugleich Bestandteil des realen Erscheinungsbildes ist. Die Frage nach dem Substrat enthält nun eine doppelte Problematik: a) Das Problem der Natur des Substrats b) Das Problem des Subjektcharakters dieses Substrats, d.h. die Frage, wie dieses Substrat i n die Lage kommt, Subjektqualität anzunehmen a) Die Natur des korporativen

Substrats.

Die allgemein i n der romanistisch-individualistischen Lehre festzustellende Tendenz, die bei den Korporationen vorhandenen tatsächlichen Verhältnisse zu vernachlässigen und nur das Problem der juristischen 25 Hoffmeister, Philos. Wört.B., „Substrat" S.587: Substrat, von lat. substratum, das „Untergelegte", die Unterlage, der Träger, die eigenschaftslose Substanz eines Dinges als Träger seiner Eigenschaften. 26 Es w i r d das Substrat stets v o m Subjekt unterschieden, u n d zwar grundsätzlich i n der Weise, daß Substrat dasjenige „ D i n g " sein soll, das bei Abstrahierung von seiner subjektiven Qualität übrigbleibt.

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2. Teil: Die romanistisch-individualistische Konzeption

Konstruktion zu erörtern, ist auch hier zunächst wieder zu verzeichnen 27 . So meint zwar Savigny, die Korporationen hätten ein „sichtbares Substrat" — i m Gegensatz zu den Stiftungen und Anstalten —, doch Subjektivität komme nicht diesem Substrat, sondern dem idealen Ganzen zu 2 8 . Unter dem „sichtbaren Substrat" versteht wohl Savigny die sichtbaren Korporationsmitglieder, da er i m selben Zusammenhang ausdrücklich betont, daß eben diesen einzelnen Mitgliedern die rechtliche Persönlichkeit nicht zukommen soll, sondern nur dem idealen Ganzen, hier also für die Korporationsmitglieder i m besonderen die gleiche Aussage trifft, die er vorher allgemein hinsichtlich des „Substrats" gemacht hat. Das, was Savigny m i t realem „Substrat" meint, ist dann eher die konkrete Erscheinungsform und nicht ein einheitlicher realer Tatbestand, auf welchem sich die Rechtsfähigkeit einer Korporation aufbaut. Dem entspricht, daß hier das „reale" Substrat ebenso wie die reale Phänomenalität der Korporation für die Tatsache ihrer Rechtspersönlichkeit keine große Rolle spielt: auch die „irreale" = mitgliedslose, z. B. ausgestorbene Korporation soll als Rechtssubjekt ja noch fortexistieren können. Savigny löst die Korporation überhaupt aufs schärfste von ihren realen Mitgliedern. I h r Substrat ist daher gar kein „realer" Tatbestand, sondern besteht nur i n einem idealen Gedankending, dem Begriff ihrer idealen Einheit 2 9 . Savigny führt diese Fragen jedoch nicht i n aller Differenziertheit aus. Er spricht vom „realen Substrat" der Korporationen, ohne zu klären, welche Funktion diesem Substrat denn zukommen soll, wenn es gänzlich fehlen kann, ohne daß hierdurch die Existenz der Korporation i n Frage gestellt wäre. Genauer i n der Darlegung hingegen verfährt Puchta. Puchta nimmt als Voraussetzung für die Rechtspersönlichkeit zunächst die Subjektivität. Der reale Tatbestand, der dieser Subjektivität 27 Gierke, Gen.R. I I , S. 906: „Offenbar ist, w e n n m a n den absoluten Personenbegriff des Rom. Rechts zugrundelegt, f ü r das Wesen der juristischen Person, sobald sie einmal als Person gesetzt ist, die Beschaffenheit ihres Substrats irrelevant." 2 » System I I , S. 243. 2 » System I I , S. 243 f.: „Das Wesen aller Korporationen besteht aber darin, daß das Subjekt der Rechte nicht i n den einzelnen Mitgliedern (selbst nicht i n allen Mitgliedern zusammengenommen) besteht, sondern i n dem idealen \ Ganzen: eine einzelne, aber besonders wichtige Folge davon ist, daß durch x den Wechsel einzelner, j a selbst aller individuellen Mitglieder, das Wesen u n d die Einheit der Korporation nicht affiziert w i r d . "

C. Zum Problem der dogmatischen Konstruktion

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zugrunde liegt, ist bei der natürlichen Persönlichkeit das menschliche Individuum, bei juristischen Personen ist es der Rechtsbegriff, m i t welchem sich die Persönlichkeit verknüpft 3 0 . Puchta betont ebenso wie Savigny, daß bei den Korporationen nicht die realen Mitglieder das korporative Subjekt bilden, „sondern der Staat, die Gemeinde selbst, die Idee der Gesamtheit (universitas), die somit als eine Person behandelt w i r d " 3 1 . Die bei den Korporationen vorhandene tatsächliche Unterlage (die realen Mitgliedspersonen 32 ) hat für die Verbandspersönlichkeit keine konstitutive, nur eine genetische Bedeutung: Das „Begriffssubjekt" bedarf dieser Unterlage nur zur Entstehung, i n der Fortexistenz ist es gänzlich von den Personen und der Anzahl der Korporationsmitglieder unabhängig 83 . Ebenso wie Savigny also, doch noch deutlicher als dieser, setzt Puchta das korporative Substrat i n die Idee der korporativen Einheit, i n einen bloßen Begriff. Savignys etwas unscharfer Substratsbegriff r ü h r t letztlich von seinem allgemeinen Personenbegriff her. Die exklusive Subjektivität und Persönlichkeit des Menschen macht es grundsätzlich schwierig, den juristischen Personen ein reales Substrat zuzuordnen, denn diese Personen sind ja selbst gar nicht real, sondern nur rechtstechnische Konstruktionen zur besseren Erfassung bestimmter, eigentümlicher, aber dennoch immer bloß individual-menschlicher Rechtsbeziehungen. Savigny würde sich daher sicherlich den Satz Puchtas zu eigen machen, daß bei den juristischen Personen gewissermaßen der Zweck personifiziert w i r d 3 4 . Neben einer bloßen realen Phänomenalität können daher die Korporationen schon nach dem allgemeinen Personenbegriff Savignys kein wirkliches Substrat aufweisen. Savigny läßt sich daher auch nicht auf die diffizile Konstruktion eines „Begriffsubstrats" ein, seiner Lehre nach kann es überhaupt nur ein Personensubstrat geben, nämlich das der einzig wirklichen Person: den Menschen. Sind Savignys Ausführungen zum korporativen Substrat nur aus der Verlegenheit zu erklären, die Hilfskonstruktion: „jur. Person" dogma80 Weiske / Puchta, Corp., S. 67: „ Z u r Entstehung einer Person, u n d somit auch einer juristischen, gehört zweierlei: einmal die Existenz des Subjekts, welches die Unterlage der Persönlichkeit ist, sodann eine rechtliche V o r schrift, welche dem Subjekt die Persönlichkeit beilegt. Jene Unterlage ist bei der natürlichen Persönlichkeit das menschliche I n d i v i d u u m , die V o r aussetzung der Person ist also m i t der vollkommenen Existenz desselben, m i t der Geburt vorhanden, bei j u r . Personen ist es der Rechtsbegriff, m i t dem sich die Persönlichkeit verknüpft." 31 Inst. I I , S. 6. 32 „ E i n Personenverein v o n der Beschaffenheit, w i e das Gesetz i h n fordert" (Puchta, Pand. § 28). 33 Puchta, Pand., § 26. 34 So Puchta, Inst. I I , S. 6.

6 Schikorski

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2. Teil: Die romanistisch-individualistische Konzeption

tisch irgendwie genauer zu bestimmen, so ist Puchtas Begriffssubstrat durchaus die positive Ableitung seines Personenbegriffs. Puchta kennt ja i m Gegensatz zu Savigny einen (wenn auch künstlichen) transindividuellen Subjektsbegriff, den juristischen 35 , ihm braucht daher auch die Vorstellung eines korporativen Substrats nicht fremd zu sein. Ist daher die transindividuelle Subjektivität nach Puchta eine Funktion des Rechts 36 , so muß das Substrat dieser Subjektivität auch i n dem Rechtsbegriff bestehen, m i t welchem das Recht das Subjekt konstituiert. Puchtas „Begriffsjurisprudenz" ist systematisch hier völlig konsequent, bei Savigny, der das Recht von einem nichtjuristischen, naturalen und zugleich transzendenten Fixpunkt, dem Menschen i n seiner Relation zu Gott aus aufbaut, wirken die Begriffskonstruktionen hergeholt und auch nicht notwendig. I n letzter Konsequenz muß sich aber das Begriffssubstrat Puchtas als völlig überflüssig erweisen (damit aber auch überhaupt jede Substratskonstruktion bei Puchta), da alle Rechtssubjektivität ohnehin sich vom übermächtigen objektiven Recht herleitet, denn: „Person ist (auch) der Mensch nur durch das Recht* 7 ." Das Substrat kann nach diesem Personenbegriff daher gar nicht mehr relevant sein für die Frage nach der Rechtssubjektivität. Es kann vom Substrat nicht mehr aufs Rechtssubjekt geschlossen werden, weil das Belieben des Rechts bei der Neuschöpfung von Rechtssubjekten prinzipiell unbegrenzt ist 3 8 , das Substrat entfaltet keine Indizwirkung mehr^ 9 . 35 Weiske / Puchta, Corp., S. 67 oben! Dessen fragwürdige oben schon beschrieben worden.

Existenz

ist

sc Wie eigentlich jede Subjektivität. Denn Subjekt k a n n auch nach Puchta der Mensch nicht durch die Eigenart seiner Psyche (Wille) sein, sondern erst durch die normative u n d zugleich freie ( = subjektive) Eingebundenheit. Da — w i e oben gezeigt — die normative Voraussetzung der Subjektivität nach Puchta wieder v o m „Recht" ausgeht, müßte „Substrat" der menschlichen Subjektivität ebenso w i e das der korporativen Subjektivität ein Rechtsbegriff sein. Daß Puchta dennoch das Substrat der menschlichen Persönlichkeit i m naturalen Menschen erblickt, erscheint so als systematische Inkonsequenz, da die Rechtssubjektivität nicht a m Menschen per se, sondern a m „freien" Menschen, d . h . am dem Rechte fähigen Menschen anknüpft. Diese Fähigkeit des Menschen ist selbst aber wieder F u n k t i o n des Rechts (Wille