Deutsche und türkische Stereotype: Ein inter- und intrakultureller Vergleich [1. Aufl.] 978-3-658-26878-7;978-3-658-26879-4

Stefan Ossenberg erforscht in einer immer weiter zusammenwachsenden Welt mit multikulturellen Kulturen die vorherrschend

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German Pages XII, 208 [214] Year 2019

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Deutsche und türkische Stereotype: Ein inter- und intrakultureller Vergleich [1. Aufl.]
 978-3-658-26878-7;978-3-658-26879-4

Table of contents :
Front Matter ....Pages I-XII
Einleitung (Stefan Ossenberg)....Pages 1-3
Begriffe und Konzepte (Stefan Ossenberg)....Pages 5-19
Forschungsstand – Stereotype-Untersuchungen im deutschsprachigen Raum (Stefan Ossenberg)....Pages 21-114
Forschungsmethode und-design (Stefan Ossenberg)....Pages 115-140
Untersuchungsergebnisse (Stefan Ossenberg)....Pages 141-183
Fazit (Stefan Ossenberg)....Pages 185-192
Back Matter ....Pages 193-208

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Stefan Ossenberg

Deutsche und türkische Stereotype Ein inter- und intrakultureller Vergleich

Deutsche und türkische Stereotype

Stefan Ossenberg

Deutsche und türkische Stereotype Ein inter- und intrakultureller Vergleich

Stefan Ossenberg Institut für Kommunikationswissenschaft Universität Duisburg-Essen Essen, Deutschland Diese Arbeit wurde von Stefan Ossenberg (geboren in Duisburg) im August 2017 als Dissertation zur Erlangung des akademischen Grades Doktor der Philosophie (Dr. phil.) im Institut für Kommunikationswissenschaft der Fakultät für Geisteswissenschaften an der Universität Duisburg-Essen vorgelegt. Begutachtet wurde die Arbeit von Prof. Dr. Jens Loenhoff und Prof. Dr. Dr. h. c. Rupprecht S. Baur. Die Disputation fand am 08.11.2017 statt.

Ergänzendes Material zu diesem Buch finden Sie auf http://extras.springer.com. ISBN 978-3-658-26878-7 ISBN 978-3-658-26879-4  (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-26879-4 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National­ bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer VS © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von allgemein beschreibenden Bezeichnungen, Marken, Unternehmensnamen etc. in diesem Werk bedeutet nicht, dass diese frei durch jedermann benutzt werden dürfen. Die Berechtigung zur Benutzung unterliegt, auch ohne gesonderten Hinweis hierzu, den Regeln des Markenrechts. Die Rechte des jeweiligen Zeicheninhabers sind zu beachten. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informa­ tionen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag, noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Springer VS ist ein Imprint der eingetragenen Gesellschaft Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH und ist ein Teil von Springer Nature Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany

Dank Ohne die Unterstützung zahlreicher Personen und Institutionen hätte diese Arbeit in dieser Form nicht realisiert werden können. Für die vielfältig erfahrene Hilfe möchte ich mich an dieser Stelle sehr herzlich bedanken. Mein ganz besonderer Dank gilt zunächst meinem Doktorvater Prof. Dr. Jens Loenhoff, der meine Arbeit stets mit viel Verständnis, Wohlwollen und großer Unterstützung begleitet hat. Für konstruktive Anregungen, Diskussionen und Perspektiven danke ich ebenso Prof. Dr. Dr. h.c. Rupprecht S. Bauer, der meine Doktorarbeit als zweiter Gutachter betreute und dabei nicht nur meiner linguistischen Entwicklung wesentliche Impulse gab, sondern mir auch ermöglichte, wertvolle wissenschaftliche Erfahrungen sammeln zu dürfen, die zu meiner persönlichen und beruflichen Entwicklung entscheidend beigetragen haben. Danken möchte ich auch Dr. Yuliya Fadeeva, Dr. Karin Kolb, Dr. Robin Kurilla, Dr. Rafael Mollenhauer, Dr. Claudia Schirrmeister und Elke Sprünken, die das Entstehen der vorliegenden Arbeit auf ihre je ganz eigene Weise befördert haben – durch fachliche Anregungen, Zuspruch oder organisatorische Unterstützung. Bei Dr. Nadine Hagemus-Becker, Thomas Kania, Nadine Marth und Gereon Mayer möchte ich mich besonders herzlich dafür bedanken, dass sie nicht nur die Mühe des Korrekturlesens auf sich genommen haben, sondern auch durch ihre kritischen Nachfragen sowie mit ideenreichen Anregungen aus unterschiedlichsten wissenschaftlichen Traditionen dabei halfen, Gedanken zu präzisieren. Für das gemeinsame Musizieren und die zahlreichen produktiven Gespräche inklusive der darin beinhalteten Auseinandersetzungen mit so manchen (technischen) Tücken der statistischen Auswertungen danke ich ganz herzlich Thomas Wrobel. Mein besonderer Dank gilt schließlich meiner Schwester Christine und meinen Eltern Dieter und Ingrid, die nicht nur meine wissenschaftlichen Interessen unterstützt haben. Ohne diesen Rückhalt hätte ich mich bei weitem nicht so frei entfalten und diese Arbeit schreiben können. Laura Marie ist diese Arbeit gewidmet. Auf dass Vorstellungen, Erwartungen und Hoffnungen immer so zutreffen, wie wir es gemeinsam wünschen. Essen, im Dezember 2018

Stefan Ossenberg

Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung .......................................................................................................................... 1 2. Begriffe und Konzepte ...................................................................................................... 5 2.1. Öffentliche Meinung und die Bilder in unseren Köpfen ........................................................... 5 2.2 Kommunikation und Stereotype .................................................................................................. 14 3. Forschungsstand – Stereotype-Untersuchungen im deutschsprachigen Raum............ 21 3.1. Wissenschaftliche Studien im deutschsprachigen Raum .......................................................... 26 3.2 Studien von Meinungsforschungsinstituten in Deutschland .................................................... 80 3.3 Zwischenfazit................................................................................................................................. 107 4. Forschungsmethode und -design ..................................................................................115 4.1 Forschungskonzeption – Zu Fragen der Operationalisierung ............................................... 115 4.2 Fragebogen..................................................................................................................................... 124 4.3 Datenerhebung .............................................................................................................................. 136 4.4 Datenaufbereitung ........................................................................................................................ 138 4.5 Mögliche Fehlerquellen und Schwächen der Untersuchung .................................................. 138 5. Untersuchungsergebnisse..............................................................................................141 5.1 Soziobiographische Daten der Erhebung ................................................................................. 142 5.2. Stereotype ...................................................................................................................................... 162 6. Fazit............................................................................................................................... 185 Literaturverzeichnis .......................................................................................................... 193

Abbildungsverzeichnis Abbildung 1: Landesspezifische Merkmale der Iberischen Halbinsel ............................................. 70 Abbildung 2: Charaktereigenschaften der Iberischen Halbinsel ...................................................... 71 Abbildung 3: Persönliches Wohlbefinden, Verbundenheit und Wille zur Integration ............... 100 Abbildung 4: Assoziationen zum Islam ....................................................................................... 103 Abbildung 5: Assoziationen zum Christentum................................................................................. 104 Abbildung 6: Traditionslinien deutscher Merkmallistenerhebungen zu Stereotypen.................. 108 Abbildung 7: Erhebungsformen deutscher Merkmallistenerhebungen zu Stereotypen............. 110 Abbildung 8: Anzahl der Probanden deutscher Merkmallistenerhebungen zu Stereotypen ..... 112 Abbildung 9: Erhebungsorte deutscher Merkmallistenerhebungen zu Stereotypen................... 113 Abbildung 10: Altersverteilung nach Geschlecht in der Türkei ....................................................... 143 Abbildung 11: Regionale Verteilung der Probanden in der Türkei ................................................. 147 Abbildung 12: Bildungsabschlüsse der Probanden in der Türkei .................................................... 151 Abbildung 13: Abschlüsse der studierten Probanden in der Türkei ................................................ 152 Abbildung 14: Altersverteilung nach Geschlecht in Deutschland ................................................... 155 Abbildung 15: Bildungsabschlüsse der Probanden in Deutschland ................................................ 158 Abbildung 16: Abschlüsse der studierten Probanden in Deutschland ............................................ 160

Tabellenverzeichnis Tabelle 1: Übersicht der Key-Readings nach Oakes/Haslam/Turner ........................................... 21 Tabelle 2: Übersicht der Übersicht nach Duckitt ............................................................................. 24 Tabelle 3: Eigene Darstellung der Antworten zur Türken nach Katz/Braly ................................. 32 Tabelle 4: Eigene Darstellung der Ergebnisse der Studie von Katz/Braly zu Deutschen........... 33 Tabelle 5: Eigene Darstellung der „Gefühlswerte“ zu Nationen nach Sodhi/Bergius ................ 40 Tabelle 6: Eigene Darstellung der Nennungen bei Sodhi/Bergius zu „Deutschen“.................... 41 Tabelle 7: Eigene Darstellung der Nennungen bei Sodhi/Bergius zu „Türken“ .......................... 43 Tabelle 8: Bezugsformen von Stereotypen nach Sodhi/Bergius/Holzkamp ................................ 44 Tabelle 9: Offene Assoziationen Apeltauers ...................................................................................... 55 Tabelle 10: Antworten- Merkmalliste Apeltauers................................................................................. 56 Tabelle 11: Antworten von br. & deu. Schülern bei Koreik................................................................66 Tabelle 12: Übersicht behandelter wissenschaftlichen Studien .......................................................... 79 Tabelle 13: Übersicht über die meistgewählten Antworten im europäischen Vergleich ................ 88 Tabelle 14: Zusammenfassungen der Meinungsforschungsinstituts-Studien ................................ 107 Tabelle 15: Verteilung der abgefragten Items konnotativer Bewertungen in Deutschland ......... 134 Tabelle 16: Verteilung des Alters der Probanden in der Türkei ...................................................... 144 Tabelle 17: Verteilung der Herkunft Probanden in der Türkei........................................................ 145 Tabelle 18: Probanden in der Türkei ................................................................................................... 146 Tabelle 19: Verteilung der regionalen Herkunft Probanden in der Türkei .................................... 148 Tabelle 20: Angaben der türkischen Probanden zur Dauer ihres Deutschlandaufenthaltes ....... 149 Tabelle 21: Verteilung der Bildungsabschlüsse der Probanden in der Türkei ............................... 152 Tabelle 22: Verteilung der akademischen Abschlüsse der Probanden in der Türkei.................... 153 Tabelle 23: Fachchzugehörigkeit der studierenden/studierten Probanden in der Türkei ........... 153 Tabelle 24: Verteilung des Alters der Probanden in Deutschland................................................... 156 Tabelle 25: Verteilung der Herkunft Probanden in Deutschland (Nennung über 0,4%) ............ 157 Tabelle 26: Verteilung der Bildungsabschlüsse der Probanden in Deutschland ........................... 159 Tabelle 27: Fachrichtungen der studierenden/studierten Probanden in Deutschland................. 160 Tabelle 28: Verteilung des angestrebten oder erreichten Studienabschlusses................................ 161 Tabelle 29: Top 20 der Autostereotype der Erhebung in der Türkei nach Geschlecht ............... 163 Tabelle 30: Top 20 der Autostereotype der Erhebung in der Türkei nach Bildung ..................... 164

XII

Tabelle 31: Top 20 der Heterostereotype der Erhebung in der Türkei nach Geschlecht............ 166 Tabelle 32: Top 20 der Heterostereotype der Erhebung in der Türkei nach Bildung.................. 167 Tabelle 33: Top 20 der Autostereotype der Probanden ohne tr. Migrationshintergrund ............ 169 Tabelle 34: Top 20 der Autostereotype der Probanden mit tr. Migrationshintergrund ............... 170 Tabelle 35: Top 20 der Autostereotype nach akademischem Hintergrund.................................... 171 Tabelle 36: Top 20 der Heterostereotype nach Geschlecht ohne tr. Migrationshintergrund ..... 172 Tabelle 37: Top 20 der Heterostereotype nach Geschlecht mit tr. Migrationshintergrund ........ 174 Tabelle 38: Top 20 der Heterostereotype der Probanden nach Bildungshintergrund ................. 175 Tabelle 39: Top 20 der Inter-und Intrakulturellen Sterotypen zu ‚Türken‘ ................................... 177 Tabelle 40: Inter-und Intrakulturelle Stereotype zu ‚Deutschen‘..................................................... 179

1. Einleitung Es könnte einzelnen Mitgliedern einer Gruppe gleichgültig sein, was andere Gruppen über Sie denken, wenn Stereotype lediglich als kognitive Dimension sozialer Diskriminierung existieren würden. Jedoch berühren Stereotype unterschiedlichste Lebensbereiche und werden verhaltenswirksam, da Sie oft Verhalten und Interaktion zu und zwischen Gruppen beeinflussen. In der pädagogischen Forschung sind Belege zu finden, dass Stereotype zudem die kognitiven Fähigkeiten derjenigen negativ beeinflusst, denen diese zugeschrieben werden (vgl. Steele 1997). Die Forschung geht zudem davon aus, das interkulturelle Kommunikation gestört und/oder irritiert wird, wenn negative Stereotype in Gesprächen geäußert werden und sie Mitglieder einer Gruppe unvorbereitet treffen, wie dies bspw. auch bei ethnischen Witzen der Fall ist (vgl. Baur/Ossenberg 2016). Die Erforschung wechselseitiger Stereotype im ‚nationalen‘, ‚ethnischen‘ und ‚kulturellen’ Kontext bietet die Möglichkeit, auf Grundlage erhobener (Er-)Kenntnisse Personen verschiedener ethnischer Gruppen auf interkulturelle Kontakte gezielt vorzubereiten. Problemaufriss In einer immer weiter zusammenwachsenden Welt und in multikulturellen Kulturen verschwimmen immer mehr die Grenzen der ‚nationalen’ Selbst- und Fremdidentifikation. Trotz alledem existieren ‚Bilder in unseren Köpfen’, die als Typisierungen unser Handeln und unsere Kommunikation mit Vertretern anderer Gruppen beeinflussen. Diese starren Vorstellungen sind dabei oft existent, obwohl wir uns dessen nicht explizit bewusst sind. Die sogenannten ‚ethnischen‘ Stereotype werden dabei als Ausdruck von Einstellungen gegenüber anderen Migrations- und Landesgruppen angesehen, die genau diese wiederum beeinflussen, da sie im intrakulturellen Diskurs auf den verschiedensten Ebenen zu betrachten und festzustellen sind. Die Kenntnis von Auto- und Heterostereotypen ist dabei eine wichtige Basis für die interkulturelle Kommunikation u.a. in den Handlungsfeldern des Politischen, Schul- und Sozialpädagogischen (vgl. hier u.a. Gomolla & Radtke, 2002; Leiprecht & Kerber, 2005 sowie Fereidooni, 2011). Untersuchungsgegenstand und Untersuchungsobjekt In der hier vorgelegten Arbeit werden Daten in Deutschland und in der Türkei erhoben. Bei der Befragung in Deutschland werden nicht nur Antworten von monokulturellen und monolingual geprägten Deutschen verschiedener Generationen erhoben und analysiert, sondern auch die Daten

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 S. Ossenberg, Deutsche und türkische Stereotype, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26879-4_1

1. Einleitung

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von multikulturell und mehrsprachig aufgewachsenen Personen in den Blick genommen. Dabei stellt die Gruppe der Zuwanderer mit türkischem Hintergrund im Zuge der Frage nach deutschtürkischer Stereotype eine Probandengruppe dar, deren Antworten mit Antworten von in Deutschland aufgewachsenen Personen ohne Migrationshintergrund und der von Probanden in der Türkei getrennt betrachtet werden sollen1. Durch eine Differenzierung anhand bestimmter soziobiographischer Faktoren sind so prinzipiell Vergleiche mit Studien etwa der Mehrthemenbefragung des Zentrums für Türkeistudien und Integrationsforschung (2010), der Studie des Sachverständigenrats deutscher Stiftungen für Integration und Migration (SVR) (2013) sowie den Studien zur gruppenbezogenen Menschenfeindlichkeit in Deutschland (GMF) um Wilhelm Heitmeyer (exemplarisch bspw. Leibold & Kühnel, 2008) möglich. Die Konzeption der Erhebung und Testung einer interkulturellen Befragung zu ‚nationalen’ Stereotypen ist dabei eine Herausforderung. Sind doch nicht nur Übersetzungsarbeiten, Konnotationserfassungen und die Bestimmung semantischer Felder nötig, sondern auch die Überwindung von Landesgrenzen, eine Forschungskonzeption und ein entsprechendes Design der Erhebung zu leisten. In den vergangenen Jahrzehnten sind zahlreiche Erhebungen, die das Merkmallistenverfahren zur Erhebung ‚nationaler’ Stereotype nutzen, durchgeführt worden. Die Erhebungsverfahren und Konzeptionen sind jedoch häufig nicht miteinander abgeglichen worden. Es mangelt aus diesem Grund an einer Vergleichbarkeit der Ergebnisse, da unterschiedliche Items in unterschiedlicher Form mit unterschiedlichen Forschungszielen verfolgt wurden. Es ist zu eruieren, ob es möglich ist, eine Merkmalliste zu erstellen und diese in inter- und intrakulturellen Kontexten einsetzen zu können. Aufbau der Arbeit Das an diese Einleitung anschließende zweite Kapitel gibt einen Überblick über die Verwendung des schwer zu fassenden Begriffs des Stereotyps und sein ambivalentes Verhältnis zu Forschungen in den Medienwissenschaften und der interpersonalen Kommunikation. Aufbauend auf der Metaanalyse von Thiele (2015) werden dann in Kapitel 3 bisher durchgeführte Stereotypenerhebungen von Meinungsforschungsinstituten und Forschern, die das Merkmallistenverfahren im deutschsprachigen Raum verwendeten, im Detail betrachtet und in Bezug auf ihre Forschungstraditionen,

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Um lange Umschreibungen zu vermeiden, werden die miteinander zu vergleichenden ethnischen Gruppen im Folgenden als ‚Deutsche’, ‚Deutsch-Türken’ und ‚Türkei-Türken’ bezeichnet.

1. Einleitung

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Erhebungsformen, -umfang und -orte analysiert. Die gewonnenen Erkenntnisse dienen der Erstellung eines explorativen Forschungsdesigns einer interkulturellen Befragung zu Stereotypen nach dem Merkmallistenverfahren in Kapitel 4. Dabei wird u.a. auf Aspekte der Erhebungsmethode, der Untersuchungsebene und des Fragebogens eingegangen. Eine deskriptive Darstellung der Untersuchungsergebnisse der Studie wird in Kapitel 5 vorgestellt. Durch die Interpretation der Ergebnisse und eine Gegenüberstellung der erhobenen Auto- und Heterostereotype zu Deutschen und Türken werden dabei Schlussfolgerungen und ein Ausblick zur weiteren Analyse des erstellten Datenkorpus‘ gegeben. Das sechste Kapitel fasst die wichtigsten Ergebnisse und Schlussfolgerungen der Arbeit zusammen. Dies alles geschieht vor der zentralen Frage, ob das Merkmallistenverfahren zur Erhebung von ‚nationalen’ Stereotypen angewendet werden kann und welche Schlussfolgerungen für die interkulturelle (Kommunikations-)Forschung daraus abzuleiten sind.

2. Begriffe und Konzepte In diesem Kapitel soll zum einen der Begriff des Stereotyps für eine weitere Arbeitsdefinition erläutert werden, zum anderen wird seine Relevanz für kommunikationswissenschaftliche Forschung dargelegt. Der Begriff des Stereotyps ist in den vergangenen Jahrzehnten in zahlreichen Publikationen behandelt und bearbeitet worden. Dabei existieren divergente Definitionen zum Terminus an sich. Die Literatur zeigt jedoch, dass es einige Key-Readings gibt, die immer wieder behandelt werden. Ziel dieser Arbeit ist keine umfassende Metaanalyse des breit diskutierten Terminus und des gesamten ihn betreffenden wissenschaftlichen Diskurses. Vielmehr ist im folgenden Kapitel angestrebt, eine Arbeitsdefinition zum Begriff Stereotype festzulegen, die im Folgenden als Grundlage der exemplarischen Untersuchung dient. Wie Thiele (2015) analysiert, sind vor allem die Arbeiten von Lippmann (1990/1922), Adorno (1950), der UNESCO (1951), Allport (1971/1945), Tajfel (1969/1981), Quasthoff (1973/1987/1998), aber auch die Arbeiten von Schäfer/Six (1978) und Bausinger (1988) heranzuziehen. Die Salzburger Kommunikationswissenschaftlerin fasst dort die Strömungen der Stereotypenforschung der vergangenen Jahrzehnte zusammen und zeichnet die Forschungstraditionen innerhalb dieses weiten Forschungskomplexes auf. Ihre Arbeit liefert die theoretische Fundierung zur hier folgenden Auseinandersetzung mit den relevanten Begriffen und Termini. 2.1. Öffentliche Meinung und die Bilder in unseren Köpfen Der Begriff des Stereotyps wurde in seinem heutigen Sinne durch Walter Lippmann (1990/1922) in die Sozial- und Geisteswissenschaft eingeführt und wird seitdem im Wissenschaftskanon in unterschiedlichster Weise verwendet. Thiele fasst in ihrer Meta-Analyse (2015) treffend zusammen: „In kaum einer wissenschaftlichen Studie zu Vorurteilen und Stereotypen fehlt der Hinweis auf Walter Lippmanns Werk“ (ebd.: 101). Lippmann definiert dabei Stereotype als ‚Bilder in unseren Köpfen‘, die als schablonisierte und schematisierte Vorstellungsinhalte zur Interpretation der Außenwelt genutzt werden. Den historischen Ursprung der Stereotype sieht Lippmann in seinem Werk „Die öffentliche Meinung“ (1990/1922) unter anderem in der Kunst und dabei insbesondere in Malerei, Literatur und Bildhauerei. Zudem seien gesellschaftliche Sittengesetze, Gesellschaftslehre und die politischen Anschauungen des Einzelnen als weitere Ursachen in Betracht zu ziehen (vgl. ebd.: 64). Lippmann ist der Meinung, dass Stereotype „konsequent und autoritativ in jeder Generation von den Eltern an die Kinder weitergegeben werden“ (ebd.: 70), so dass davon auszugehen sei, dass Stereotypen

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 S. Ossenberg, Deutsche und türkische Stereotype, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26879-4_2

2. Begriffe und Konzepte

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anerzogen werden (können). So wie Lippmann in der Kunst die Macht der Stereotype-Bildung vermutete, sieht er eine vergleichbare Macht in Fotografien, die als ‚absolut wahr‘ erscheint. Dass sie „ohne menschliches Dazwischentreten geradewegs zu uns gelangen, und sie [...] die geistige Nahrung bieten würden, die uns am wenigsten anstrengt.“ (ebd.: 70). Lippmann sucht in seinem prägenden Werk für den Begriff des Stereotyps die Beantwortung der Fragen, aus welchem Grund Stereotype existieren und welchen Nutzen sie für den Menschen an sich haben. Stereotype haben seines Erachtens in solchen Situationen ökonomischen Wert, in denen z. B. versucht wird, eine neue Situation in ihrer Gesamtheit zu erfassen. Nach Lippmann würde sich dieses Vorhaben anstelle der Betrachtung „als Typen und Verallgemeinerungen“ erschöpfen, so dass es „bei eiligen Angelegenheiten praktisch überhaupt nicht in Frage“ käme (ebd.: 67). Der Mensch habe gemäß der ‚Öffentlichen Meinung‘ bereits ein vorgefertigtes Bild im Kopf, wie eine neue Situation oder eine neue Person sein wird, so dass der Wahrnehmungsvorgang des Neuen mit den vorliegenden Stereotypen aufgefüllt wird (ebd.: 68). Allerdings bewertet Lippmann diesen Vorgang als durchaus positiv und sieht ihn sogar als „unbedingt notwendig“ an. Ohne ihn wäre das „menschliche Leben ärmer [...], wenn wir die Stereotypen um einer völlig naiven Einstellung willen aufgäben“ (ebd.: 69). Neben ökonomischen Gründen sieht Lippmann in Stereotypen auch ein Mittel zur Verteidigung der eigenen gesellschaftlichen Stellung. Die Stereotypensysteme sind vielleicht Kern unserer persönlichen Überlieferung und die Verteidigungswaffen unserer gesellschaftlichen Stellung. Sie sind ein geordnetes, mehr oder minder beständiges Weltbild, dem sich unsere Gewohnheiten, unser Geschmack, unsere Fähigkeiten, unser Trost und unsere Hoffnungen angepasst haben. Sie bieten vielleicht kein vollständiges Weltbild, aber sie sind das Bild einer möglichen Welt, auf das wir uns eingestellt haben (ebd.: 71). Dieses Mittel komme dann zum Tragen, wenn der Mensch sein Weltbild, das er sich aufgebaut hat und das ihm Sicherheit und Geborgenheit bietet, durch andere Meinungen, Ansichten oder ein ihm fremdes Verhalten bedroht sieht. In einer solchen Situation stehen die Selbstachtung und das eigene Wertesystem auf dem Spiel, so dass eine Schranke zwischen dem eigenen Weltbild und den Tatsachen aufgebaut wird, um das Bekannte zu verteidigen (vgl. ebd.: 71-73). Als dritten Aspekt führt Lippmann die Bildung von Stereotypen aus Gründen des Selbstschutzes an. In Anlehnung an den zweiten Punkt sind Stereotype als Verteidigungsmittel zu betrachten.

2.1. Öffentliche Meinung und die Bilder in unseren Köpfen

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Auch hier entstehen nach Lippmann Stereotype dadurch, dass der Betrachter seine Umwelt nicht als die Welt sieht, wie sie ihm erscheint, sondern als die Welt, die mit seinen Erwartungen konform geht. Aus dieser Übereinstimmung resultiert einerseits ein Gefühl der Vertrautheit, andererseits findet dadurch, teils unbewusst, ein Selektionsprozess statt. So sollen beunruhigende Informationen ferngehalten werden, weil sie negatives Empfinden zur Folge haben könnten. Hier sollen Stereotype in erster Linie vor „bestürzenden Wirkungen bewahren, die entstehen, wenn wir die Welt als unveränderlich und ihrer Ganzheit sehen wollen“ (vgl. ebd.: 78ff.). Meistens schauen wir nicht zuerst und definieren dann, wir definieren erst und schauen dann. In dem großen blühenden, summenden Durcheinander der äußeren Welt wählen wir aus, was unsere Kultur bereits für uns definiert hat, und wir neigen dazu, nur wahrzunehmen, was wir in der Gestalt ausgewählt haben, die unsere Kultur für uns stereotypisiert hat (ebd.: 63). Widersprüchlichkeiten in Bezug auf die eigene Konstruktion und Vorstellung der Welt könne mit zwei mögliche Reaktionen begegnet werden: Entweder existiert auf Seiten des Bewertenden noch ausreichend Elastizität; er ist noch wissbegierig und aufgeschlossen, so dass er in der Lage sein wird, Stereotype neu einzuordnen, oder das Widersprüchliche werde zur Regel bestätigenden Ausnahme dekliniert. Man „diskreditiert die Zeugen, findet irgendwo einen Formfehler“, so dass es möglich sei „das Ganze zu vergessen“ (vgl. ebd. 75). „The Nature of Prejudice“ von Gordon Willard Allport von 1954 (übersetzt ins Deutsche 1971 durch Hanna Graumann) stellt neben Lippmann sicherlich eines der Grundlagenwerke der Sozialpsychologie zur Untersuchung von Vorurteilen dar. Allport geht dabei der Frage nach, wie Vorurteile und Stereotype entstehen und welche Charakteristika diesen beiden sozialen Konstrukten zu eigen sind, und definiert dabei ein Urteil als „eine nachprüfbare Einschätzung eines Sachverhalts“, die als verallgemeinerte Annahme auf einer gewissen Wahrscheinlichkeit beruhe, dass ein Gegenstand dieser Klasse ganz bestimmte Eigenschaften habe. Ein Vorurteil sei dementsprechend eine Kombination aus einer Einstellung und einer Überzeugung gegenüber einer Gruppe. Individuen werden aufgrund ihrer Gruppenzugehörigkeit bewertet (vgl. Allport 1971/1951: 19). Ein negatives Vorurteil wird dabei als von „anderen ohne ausreichende Begründung schlecht denken“ (ebd.: 20 f.) definiert. „Ein ethnisches Vorurteil ist eine Antipathie, die sich auf eine fehlerhafte und starre Verallgemeinerung gründet. Sie kann ausgedrückt oder auch nur gefühlt werden. Sie kann sich gegen eine Gruppe als ganze richten oder gegen ein Individuum, weil es Mitglied einer solchen Gruppe ist“ (ebd.: 21 f.).

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2. Begriffe und Konzepte

Stereotype sind nach Allport jedoch keine Erklärung für Ablehnung, sondern in erste Linie ‚Images‘ in einer Kategorie, die von einem Individuum gebildet werden. Stereotype dienen demzufolge der Kategorisierung und Verallgemeinerung, aber ohne negative oder positive Grundhaltung gegenüber einer Gruppe. Sie spielen eine wichtige Rolle bei der Entstehung eines Vorurteils, können dieses aber nicht gänzlich rechtfertigen (vgl. ebd.: 198). Dass Vorurteile vor allem auf verzerrten Erinnerungen, also auf falsch erinnerten Erfahrungen mit beispielsweise einer völkischen Gruppe basieren, macht Allport in seinen Ausführungen deutlich. Der Voreingenommene bediene sich einer Auswahl von wenigen eigenen Erinnerungen, mische sie mit dem, was er nur gehört hat, und verallgemeinere beides sehr stark (vgl. ebd.: 21). Einen weiteren Einfluss auf die Entstehung eines Vorurteils habe die Generalisierung, mit der einmal gemachte Erfahrungen oder beobachtete Eigenheiten einer Person, die einer Gruppe angehört, auf die ganze Gruppe übertragen werden. Um die Generalisierung durchführen zu können, bediene das Individuum sich zuerst der Überkategorisierung, mit der Gruppenzugehörigkeit festgestellt und die Komplexität von sozialer Zugehörigkeit minimiert werde (vgl. ebd.: 22). Auf ein weiteres zentrales Konzept weist Festingers (1978) hin. Nach der kognitiven DissonanzTheorie sei die Komplexität des alltäglichen Lebens und die Welt des Individuums zu komplex, als dass jede Begebenheit oder soziale Struktur bewertet und beleuchtet werden könnte. Die Forderung nach einem angepassten Handeln sei so groß, dass sich Individuen im täglichen Umgang nicht durch Unwissenheit stören lassen können und dürfen, und deswegen bestrebt sind, kognitive Dissonanz und Komplexität zu reduzieren. Kognitive Ressourcen ständen einem Individuum nur begrenzt zur Verfügung, wodurch die Komplexitätsreduktion zusätzlich durch die Verwendung von Urteilsheuristiken gestärkt würde. Auch Manz (1968) bedient sich einer ähnlichen Definition wie Allport. Er sieht „das Stereotyp in der Funktion eines Erwartungssystems, das die Wahrnehmung sensibilisiert, wodurch unter den möglichen Erfahrungen diejenigen besonders gewichtet werden, die dem Erwartungssystem entsprechen. Dadurch wird das Erwartungssystem bestätigt und verfestigt sich“ (ebd.: 92). Ähnlich argumentiert Bausinger (1988): die Alltagskultur werde so akzeptiert, wie sie wahrgenommen werde und das oft, ohne sie dabei zu hinterfragen. Bausinger tritt aus diesem Grund für „eine Verfremdung des Selbstverständlich-Alltäglichen“ ein, „und da liegt der Gedanke nicht fern, sich für diese Verfremdung der Fremden zu bedienen“ (ebd.: 157). Sachverhalte seien nicht nur zu benennen, sondern auch zu hinterfragen. Bausingers Thesen in Bezug auf Stereotype werden im deutschspra-

2.1. Öffentliche Meinung und die Bilder in unseren Köpfen

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chigen Raum häufig aufgegriffen. Besonders häufig zitiert wird in der Literatur die Definition „Stereotypen sind unkritische Verallgemeinerungen, die gegen Überprüfung abgeschottet, gegen Veränderungen relativ resistent sind“ (ebd.: 160). Jedoch spricht Bausinger Stereotypen nicht nur negative Aspekte, sondern im Vergleich zu anderen Definitionen, auch klar positive Merkmale zu: §

Stereotypen entstehen nicht immer, aber in der Regel aus der Überverallgemeinerung tatsächlicher Merkmale; es ist ihnen also ein relativer Wahrheitsgehalt zuzusprechen.

§

Stereotypen ordnen diffuses Material und reduzieren Komplexität; darin liegt eine wichtige Ordnungsfunktion.

§

Stereotypen bieten Identifikationsmöglichkeiten an, über die neue Realbezüge entstehen können; es ist also mit einer realitätsstiftenden Wirkung von Stereotypen zu rechnen.

(ebd.: 161). Die Bildung von Verallgemeinerungen sei demnach eine produktive Leistung des Geistes, welche es dem Menschen erlaubt, neue Erfahrungen im Hinblick auf diese Vorkenntnisse gezielt zu erleben. Betrachtet man die eigene subjektive Einordnung von fremden Personen im Hinblick auf Stereotype und gleicht diese mit den Bildern ab, welche uns täglich in den Massenmedien begegnen, so sind Parallelen in der Regel unverkennbar. Diese augenscheinliche Äquivalenz wirft die Frage auf, ob die Medien die Realität abbilden oder inwieweit Stereotype lediglich verzerrte respektive falsche Abbildungen der Wirklichkeit sind und welche Funktion ihnen zukommt. Thieles Habilitationsschrift „Medien und Stereotype: Konturen eines Forschungsfeldes“ (2015) ist als Metaanalyse der bisherigen Stereotypenforschung anzusehen und beschäftigt sich mit dem Zusammenhang von Medien und Stereotypen (vgl. S. 7). Die umfassende Arbeit der Kommunikationswissenschaftlerin aus Salzburg leistet dabei auch einen wichtigen Beitrag zur Zusammenfassung bisheriger Strömungen und Zweige der Forschungstradition und verknüpft (Massen-)Kommunikationsforschung mit Stereotypen. Dabei setzt Thiele Bezüge, zeichnet historische Linien der Stereotypenforschung nach und berücksichtigt dabei einen großen Teil der Fachliteratur. In ihrer Arbeit untersucht Thiele dabei sowohl theoretische Hintergründe und Funktionen von Medien und Stereotypen, als auch die historischen Hintergründe der Stereotypenforschung und deren Entwicklung bis heute. Sie gibt somit einen weitreichenden Überblick über den aktuellen Stand der Forschung im Bereich des Zusammenhanges von Medien und Stereotypen. Dabei plädiert Thiele dafür, Stereotypenforschung als ein transdisziplinäres Forschungsfeld zu betrachten und die Perspektiven verschiedener Fachbereiche zu vereinen. Gleichzeitig sieht Thiele

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2. Begriffe und Konzepte

aber vor allem eine Beziehung von (Massen-)Medien und Stereotypen und definiert dabei Kommunikationswissenschaft vielmehr als Medienwissenschaft, denn als eine Wissenschaft der interpersonalen Kommunikation. Die Aspekte der Soziologie, Philosophie und interpersonalen Kommunikationswissenschaft werden dabei jedoch von Thiele nicht ausgegrenzt, sondern in ihre Überlegungen miteinbezogen. Die Kommunikationswissenschaftlerin stellt dabei fest, dass Stereotype durch Sozialisation erlernt würden (vgl. ebd.: 50). Hierbei bezieht sie sich bei der Bedeutung des Begriffs „Sozialisation” auf die Definition von Fröhlich/Welleck (1972) und verortet die Entstehung von Stereotypen als Aneignung im Sozialisationsprozess so wie die Aneignung kultureller Standards und/oder die Übernahme sozialer Bedeutungsmuster (vgl.: Thiele 2015: 50). Diese Annahme leitet sie aus den Erkenntnissen von Mitulla (1997)/Bierhoff und Rohmann (2008) ab, dass „ab einem bestimmten Alter eine bemerkenswerte Übereinstimmung in der Stereotypisierung sozialer und nationaler Gruppen” (Thiele 2015: 50) nachweisbar sei. Daneben, so Thiele, würden vor allem Medien als sekundäre Sozialisationsinstanz zur Ausbildung von Stereotypen beitragen. Dabei bezieht sie sich vor allem auf Dröge (1967), Gerbner/Gross (1976), Maletzke (1998), Saxer (1998) sowie und Gerbner (2000). Die Tradierung von Stereotypen durch Sozialisation und Medien, so Thieles Konklusion, sei unbestreitbar: Wiederum übertragen auf die Stereotypenforschung bedeutet dieser integrative Ansatz einer Mediensozialisationstheorie, dass Formen der individuellen Nutzung stereotyper Medieninhalte ebenso zu untersuchen sind, wie diejenigen (Medien-)Institutionen und KommunikatorInnen, die für die Produktion und Distribution stereotyper Inhalte verantwortlich sind (Thiele 2015: 52). Die Gründe der Beständigkeit von Vorurteilen und Stereotypen erläutert Thiele mit Bezug auf u.a. Festinger (1957), Dröge (1967), Pawlow (1972) und Devine (1989a, 1989b) und definiert Stereotype als starr, schwer korrigierbar und langlebig (vgl. Thiele 2015: 52 ff.). Erfahrungen, welche nicht dem eigenen Stereotyp entsprechen, würden häufig unter „Ausnahmen [bestätigen] die Regel“ subsumiert werden (vgl. ebd.: 55). Thiele schließt sich dabei der Auffassung Dröges an, dass zwischen drei Arten der Stereotypenbildung unterschieden werden kann: den kulturdauernden Stereotypen, welche sich nicht vollständig verändern, da sie sich quasi als Bestandteil einer Kultur definieren; den kultur-epochalen Stereotypen, welche nur eine bestimmte Epoche innerhalb einer Kultur überdauern, und den zeitgeschichtlich determinierten Stereotypen, die aktuelle gesellschaftliche Bedürfnisse widerspiegeln und sich somit relativ kurzfristig wandeln (vgl. Dröge 1967: 151ff.). Eindeutige Antworten zur Frage, was den Wandel von Stereotypen befördere, könnten dabei nur selten gegeben werden

2.1. Öffentliche Meinung und die Bilder in unseren Köpfen

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(vgl. Thiele 2015: 55). Die Diskussion zu diesem Thema stütze sich jedoch häufig auf das Argument, dass Stereotype einen gewissen ‚Funken Wahrheit‘ enthielten, da sie sonst nicht so langlebig und weitgehend akzeptiert seien (vgl. Thiele 2015.). In dieser „kernel-of-truth-debate“ stehen nach Thiele zwei Theorien konträr zueinander: die konstruktivistische und die realistische Perspektive, die beide davon ausgehen, dass die Erfassung der Realität prinzipiell möglich sei (vgl. ebd.: 56). Die realistische Perspektive komme dabei durch eine Messung des Gehalts von Stereotypen an der Realität entweder zu dem Ergebnis, dass das jeweilige Stereotyp verzerrt dargestellt sei, oder aber, dass dieses ein Körnchen Wahrheit enthalte. Im Gegensatz dazu ziele die konstruktivistische Perspektive darauf ab, dass die Erzeugung, Verbreitung und Wirkungen von Stereotypen untersucht werden müssten. Thiele leitet ab, dass die Realität zu komplex sei und daher selektiert, transformiert und konstruiert werden müsse, allerdings könnten Teile der Realität intersubjektiv bestätigt werden (vgl. ebd.: 56f). Es sei jedoch abzusehen, dass solange Stereotypenforschung betrieben werde, die Frage nach dem ‚Wahrheitsgehalt’ von Stereotypen immer kontrovers diskutiert und debattiert werde (vgl. ebd.: 59, vgl. dazu ebenfalls Quasthoff: 1987 786 f.). Als zentralen Funktionen und Dysfunktionen der Stereotype, die in der von ihr analysierten Literatur zu finden sind, sieht Thiele dabei fünf Kategorien, wie (A) Wissen, Orientierung, Komplexitätsreduktion, (B) Abwehr, Verteidigung, Vermeidung von Dissonanzen, (C) Identitätsbildung, stabilisierung und Integration, (D) Desintegration und (E) eine ideologische Funktion (vgl. ebd.: 66). In der ersten Kategorie (A) dienen Stereotype größtenteils als Wissens-Ersatz und basieren auf Vereinfachung und Verallgemeinerung, derer man sich in der Regel jedoch nicht bewusst sei. Deswegen werden Einstellungen und Meinungen „als Ergebnis objektiver Beobachtung und rationaler Überlegung präsentiert“ (ebd.). Stereotype machen die Welt verstehbar, strukturieren die Wahrnehmung, führen zu Klassifizierungen, Definitionen und Differenzierungen und erleichtern damit die Orientierung in der komplexen und objektiv nicht gänzlich erfassbaren Realität (vgl. ebd.). Dabei geben Stereotype auf zwei Ebenen Orientierung: Zum einen sind sie sachbezogen, da sie helfen, „diffuses Material zu ordnen“ (ebd.) und dadurch die Komplexität zu reduzieren und zum anderen bieten sie soziale Orientierung, indem sie helfen, in Kommunikationssituationen – insbesondere in solchen, in denen viele, neue Informationen verarbeitet werden sollen – Gemeinsamkeiten und Unterschiede mit dem Kommunikationspartner festzustellen.

2. Begriffe und Konzepte

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Die zweite Kategorie (B) ‚Abwehr, Verteidigung und Vermeidung von Dissonanzen‘ (vgl. ebd.: 68) beschreibt die Aufrechterhaltung unseres einmal geschaffenen Weltbildes und ermöglicht das Festhalten an eigenen Überzeugungen. In Konfliktsituationen kann auf Stereotype als einen psychologischen Abwehrmechanismus zurückgegriffen werden, um das Bewusstsein des Menschen gegen jegliche für ihn unbequeme Information zu ‚immunisieren‘. Dabei sind drei Mechanismen möglich: Entweder können Informationen, die den eigenen Auffassungen widersprechen, abgewehrt werden, um Verunsicherungen zu vermeiden oder – falls es nicht möglich ist, den dissonanten Informationen zu entgehen – diskreditiert werden. Dabei werden eben solche dissonanten Informationen als „falsch, lächerlich, irrelevant“ (ebd.) abgetan. Als dritte Möglichkeit besteht die Integration der Informationen in das bestehende System aus Überzeugungen und Einstellungen. Dabei werden Teilinformationen, die den eigenen Überzeugungen diametral widersprechen, entweder weggelassen oder so eingepasst, dass kein Widerspruch bestehen bleibt, oder die dissonante Information als „Ausnahme, die die Regel bestätigt“ angesehen (vgl. ebd. ff.). Die dritte Kategorie (C) der Funktionen von Stereotypen beschreibt die ‚Identitätsbildung sowie stabilisierung und Integration‘. Die Persönlichkeitsentwicklung sei als ein „Lernprozess, der in täglicher sozialer Interaktion stattfindet und wobei Medien neben anderen Sozialisationsinstanzen eine nicht unerhebliche Rolle spielen“ anzusehen (ebd.: 69). Soziale Vorgaben, Werten und Normen sind dabei nach Thiele prägend; Meinungen werden übernommen und eigene Einstellungen herausgebildet. Für diese Entwicklung einer Ich-Identität sind Stereotype von großer Bedeutung, denn indem man andere definiert, besteht die Möglichkeit sich eben davon abzugrenzen oder einzuschließen. Damit sind Selbstwahrnehmung und -beurteilung Ergebnis eines Prozesses der Bildung von Auto, Hetero- und Metastereotypen. Autostereotype beschreiben Überzeugungen über sich selbst, Heterostereotype meinen Einstellungen über andere Individuen und Gruppen, und Metastereotype beinhalten vermutete Auto- und Heterostereotypen der anderen. Metastereotype basieren also auf Annahmen, die innerhalb einer Gruppe (= Ingroup) über eine Fremdgruppe (= Outgroup) und deren Annahmen über sie selbst und andere – hier Angehörige der Ingroup – bestehen (ebd.: 31). Gemeinsame Stereotype als Ergebnis von Gruppenprozessen erleichtern somit die Verständigung und Selbstbestätigung innerhalb der Gruppe und verstärken das Zugehörigkeitsgefühl zusätzlich durch die Abgrenzung von anderen Gruppen. Damit fungieren Stereotypen als Mittel „der Identitätsbildung und -stabilisierung sowohl bei Individuen als auch bei sozialen Gruppen“ (ebd.: 68).

2.1. Öffentliche Meinung und die Bilder in unseren Köpfen

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Des Weiteren besitzen Stereotype auch eine ‚integrierende Funktion‘: Stereotype sind als soziales Erbe anzusehen, das aus den Normen, kollektiven Einstellungen, kulturellen Institutionen, Kommunikationsgewohnheiten u.a. von Gruppen und Nationen besteht. Durch Sozialisierung der Einstellungen, Werte und Institutionen können Mitglieder in diese Gruppe integriert werden. Über Mitglieder der Fremdgruppe liegen zumeist nur wenige Informationen vor, so dass diese kaum differenziert wahrgenommen werden können. Heterostereotype weisen daher einen geringeren Grad an Komplexität auf und tendieren ins Negative. Autostereotype hingegen betonen stärker positive Eigenschaften (bzw. solche Eigenschaften, die von der eigenen Gruppe als positiv verstanden werden). Die gemeinhin positive Bewertung der Eigengruppe schließt aber eine selbstkritische, gar von Minderwertigkeitsgefühlen und Selbsthass gekennzeichnete Sicht auf die eigene Gruppe nicht aus (ebd.: 31). Stereotype fungieren nach Thiele zudem als ‚Mittel der Desintegration‘ (D). Mittels Stereotypisierung werden Eigen- und Fremdgruppe definiert. Dabei ist das Autostereotyp, also das Bild der eigenen Gruppe, differenzierter und positiver als das Heterostereotyp, das Bild der Fremdgruppe. Desintegration und Integration, das heißt die Unterscheidung zwischen Ingroup und Outgroup, sind die Folge von Prozessen der Stereotypisierungen. Wenn zu große Abweichungen vom Stereotypenkonsens der Eigengruppe entstehen, kommt es zu Befremdung und Ausgrenzung. Zudem enthielten Stereotype eine ‚Drohfunktion‘. Diese beschreibt, dass Menschen, die sich in Situationen befinden, in denen sie befürchten, dass sie aufgrund von negativen Gruppenstereotypen beurteilt werden, in ihrem Verhalten unbewusst von dieser Situation so beeinflusst werden, dass sie ein negatives Stereotyp eher bestätigen (ebd.: 71). Die letzte Kategorie (E), die Thiele aufgrund ihrer Metaanalyse definiert, beschreibt die Funktion von Stereotypen für bzw. innerhalb einer Ideologie. Dies ist „eng verbunden mit den Funktionen der Orientierung und Stabilisierung des Selbst“ (ebd.: 72). Stereotypen erleben, genauso wie Ideologien, grundsätzlich Hochkonjunktur in Krisen- und Umbruchszeiten. Allen Ideologien liegen Stereotype zugrunde, da jene ein Grundzug der Ideologiebildung sind. Einerseits unterstützt das Denken in Stereotypen die ‚Abwehrfunktion der Ideologie‘, andererseits fördert das ‚ideologische Denken‘ die Genese und Fixierung der Stereotype. Somit stärken sich Stereotype und Ideologie in einer Spirale immer wieder gegenseitig (vgl.: ebd.: 74). Thieles Arbeit ist nicht nur in Bezug auf ihre im weiteren ausgeführten Ergebnisse zur Verbindung von Medien und Stereotypen interessant, in der sie vor allem Untersuchungen zur medialen Dar-

2. Begriffe und Konzepte

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stellung von Stereotypen in Medien in den Fokus nimmt, sondern auch vor allem für ihre Einordnung der bisherigen Entwicklung der Stereotypeforschung. In Kapitel B skizziert sie auf 55 Seiten wichtige Key-Readings der Wissenschaft und die Geschichte der Forschung und greift dabei auf Einordnungen von Oakes/Haslam/Turner (1994) zurück (vgl. Kapitel 3). Im Folgenden soll Thieles Zusammenfassung und Einordnung des Stereotype-Begriffs erläutert werden, da die hier vorliegende Arbeit dieser metaanalytischen Zusammenfassung und Definition dieses Terminus folgt. Thiele (2015) differenziert zwischen Kategorisierung und Stereotyp: Kategorisierungen beruhen auf Vergleichen. Wahrgenommene Gemeinsamkeiten und Unterschiede führen zu Einteilungen in Kategorien. Kategorien fassen demnach Eigenschaften von Objekten, Personen, Ereignissen zu Klassen zusammen. Als besonders saliente Merkmale gelten Alter, Geschlecht und ethnische Zugehörigkeit, doch können auch politische Orientierung, Religionszugehörigkeit, Wohnort, Einkommen, Ausbildung und Beruf u.a. als soziale Kategorien herangezogen werden. Dieses Kategorien-Wissen lässt sich für neue Erfahrungen nutzen, es wird abgerufen, wenn wir wahrnehmen, kommunizieren, lernen, planen. Kategorien gelten so gesehen als hilfreiche Einteilungen, die Ordnung und Übersicht schaffen, Systematisierung erleichtern und neue Informationen in bereits vorhandene Wissensstrukturen einordnen. Sie sind Grundlage jeglichen Lernens und Verstehens (Thiele 2015: 24). Auch wenn eine Verwendung des Terminus Stereotyp in den unterschiedlichen Fachrichtungen, die sich mit diesem sozialen Phänomen beschäftigen, variiert, so sind sich aktuelle Definitionen zum Begriff in einem Punkt einig: „im Gegensatz zum Vorurteil, das meist emotionale Aspekte beinhaltet und oberflächliche Kenntnisse einer Kultur einseitig und extrem verallgemeinert, ist das Stereotyp ein kognitiver Wahrnehmungsprozess, der Unterscheidung und Verallgemeinerung zu anderen Gruppen zusammenfasst […]. Im bisherigen wissenschaftlichen und öffentlichen Diskurs gibt es jedoch keine deutlichen Trennlinien zwischen Klischee, Vorurteil und Stereotyp“ (Ossenberg/Baur 2016: 10), auch wenn Oakes/Haslam/Turner (1994) feststellen: „Stereotyping is the process of ascribing characteristics to people on the basis of their group member“ (1994: 2). 2.2 Kommunikation und Stereotype In Bezug auf die Kommunikationswissenschaft ist das Konzept der ‚Stereotype‘ eine elementare Frage. Bedingen unsere (Vor-)Urteile über andere Gruppen (vgl. Ungeheuer 1987) unser (Kommunikations-)verhalten? Die Erwartungen und Erwartungserwartungen haben dabei Einfluss auf (interkulturelle) Kommunikation. In Fragen der methodologischen Verortung sind daneben dabei

2.2 Kommunikation und Stereotype

15

die Überlegungen von Goffman (1971), Schütz (1972), Ungeheuer (1987) und Loenhoff (2003) einzubeziehen, um die Relevanz von Stereotypen für die Kommunikationsforschung zu eruieren. Zahlreiche Publikationen über interkulturelle Kommunikation sind anekdotisch, haben nur einen geringen Erklärungswert und produzieren nicht selten selbst jene irreführenden Stereotype, zu deren Dekonstruktion sie eigentlich beitragen wollen. Dies scheint […] vor allem daran zu liegen, dass Ergebnisse des Kulturvergleichs zu naiv auf die Analyse interkultureller Verständigung übertragen werden, um damit Probleme in interpersoneller Kommunikation einsichtig zu machen. Oft führt dieser Transfer zu Pseudoerkenntnissen, die hinsichtlich der Beschreibung der Kommunikation zwischen Angehörigen unterschiedlicher Sprach- und Kulturgemeinschaften nicht zielführend sind (Loenhoff 2003: 105). Goffmans (1971) und Schütz‘ (1971) Bezüge zur (sozialen Figur) des Fremden und ihre Überlegungen zum Verhalten mit Interaktionspartnern in neuen, bedrohlichen und riskanten Situationen des Unbekannt-Seins vereint die Vorstellung von Zivilisations- und Kulturmustern einer Gruppe, welcher sich der Fremde nähert. Er ist bestrebt, sich selbst vom unbeteiligten Zuschauer zu einem Mitglied der Gruppe zu wandeln. Die Kultur- und Zivilisationsmuster der Gruppe sind dann ein Segment seiner Welt. Somit ändert sich ihre Position innerhalb des Relevanzsystems des Fremden. Der bisherige Zuschauer wird ein Mitglied des (neuen) Ensembles, tritt als Partner in die sozialen Beziehungen seiner Mit-Spieler ein und nimmt am Spielgeschehen teil. Durch diese (Stereo-)Typisierung und die daraus resultierende Erleichterung und Handlungsorientierung fällt es den neuen Mitgliedern, die zu einer Gruppe hinzustoßen, leichter, sich in dieser zu bewegen. Doch, [d]ie Differenzierung von ›Versionen‹ des Allgemeinwissens kann unter bestimmten sozialhistorischen Voraussetzungen so weit fortschreiten, daß weite Bereiche des Allgemeinguts schließlich zum Sonderbesitz sozialer Gruppen, Schichten usw. werden, oft in der Form von ‚Ideologien‘. Wenn, im Grenzfall, der Bereich des gemeinsamen Wissens und der gemeinsamen Relevanzen unter einen kritischen Punkt zusammenschrumpft, ist Kommunikation innerhalb der Gesellschaft kaum noch möglich. Es bilden sich ‚Gesellschaften innerhalb der Gesellschaft‘ heraus (Schütz/Luckmann 2003: 427). „Soziologisch gesehen ist es […] sinnvoller, Stereotype als spezifische Form von Typen (bzw. der Typisierung) zu verstehen, die sich von Typen als solchen allein durch ihre Erfahrungsresistenz (oder die ihrer Bestimmung) unterscheiden“, plädiert Zifonun (2004).

2. Begriffe und Konzepte

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Das in einer Gesellschaft geteilte Wissen über ethnische Differenzen zeigt sich dabei in der Lebenswelt gerade in Fragen der divergenten Positionen und innerhalb der Aushandlungsprozesse im inter- und intrakulturellen Kontakt. Diese interkulturelle Verständigung ist dabei zu differenzieren von der sie einrahmenden Vorstellung einer Kultur: Weil kultureller Sinn und soziale Praxis miteinander verschränkt sind, wird ‚Kultur‘ erst in einer extrakommunikativen, objektivierenden Perspektive zu diesem oder jenem verdinglicht. Kulturelles Wissen und Können hat also einen doppelten Wirklichkeitscharakter, nämlich (a) als handlungssteuernde, handlungsleitende und praktisch-orientierende Dimension und (b) als Ergebnis einer Vergegenständlichungs- und Vergewisserungspraxis durch die Angehörigen von Sprach- und Kulturgemeinschaften. Folklore, Heimatkonzepte, kollektive Symbole und Rituale einschließlich des Glaubens an ihre ‚tiefe‘ Wahrheit bilden solche Formen der Vergegenständlichung, der Vergewisserung und der immer wieder notwendigen Aneignung der als ‚eigen‘ rezipierten Kultur. Diese hat in der Regel einen stereotypen Charakter (Loenhoff 2003: 107). Es kann davon ausgegangen werden, dass dieser autostereotype Charakter der kulturellen Wahrnehmung, der der extrakommunikativen Perspektive innewohnt und somit die Selbst- und Fremdidentifikation und -beschreibung, einen unmittelbaren Einfluss auf unser kommunikatives Handeln hat. Die kulturell eingebrachten Erwartungen und Erwartungserwartungen einer gemeinsamen Gemeinschaft (vgl. Luhmann 2008) erlauben, das Verhalten Anderer vorauszusagen und das eigene Verhalten darauf auszurichten, jedoch sind prinzipiell „Kulturvergleiche […] mit drei problematischen Vorannahmen belastet, zu denen (a) die Annahme der kulturellen Ortlosigkeit der Vergleichskriterien, (b) die Unterstellung der Homogenität und Einheitlichkeit einer Kultur und schließlich (c) die Idealisierung der Identität von Kultur und Territorium gehören“, so Loenhoff (2003: 108). Es ist zu betonen, dass in der hier vorgelegten Arbeit keine Kulturvergleiche in diesem Sinne vollzogen werden. Vielmehr werden die stereotypen Bilder der Probanden zu Kulturen miteinander verglichen. Welche Dimensionen der als ‚Kultur‘ vergegenständlichten Sinngehalte in der interkulturellen Kommunikation wirksam und zu einem realen Faktor im Mitteilungsgeschehen werden, zeigt sich erst in diesem Prozess selbst. […] Welchen prognostischen Wert haben schon jene auf ganze Sprach- und Kulturgemeinschaften bezogene, sich irgendwelchen Vergleichsoperationen verdankende Spezifika wie ‚individualistisch‘, ‚kollektivistisch‘,

2.2 Kommunikation und Stereotype

17

‚kontextnah‘ oder ‚kontextfern‘ etc. für den Erfolg konkreter Kommunikationsprozesse zwischen deren Angehörigen? Ohne es zu bemerken, neigt die interkulturelle Forschung selbst zur Produktion von Stereotypen, die in der Rede von den Russen, den Asiaten, den Amerikanern etc. zum Ausdruck kommt. Anstelle einer Erhellung kulturspezifischer Erkenntnisvoraussetzungen, d. h. der Frage, wie innerhalb von Sprach- und Kulturgemeinschaften etwas durch eine Vergleichsoperation überhaupt das Prädikat ,kulturspezifisch‘ zugesprochen bekommt, tritt eine Verdunkelungsspirale in Form sich wechselseitig stabilisierender Fehlurteile und kommunikativem Scheitern, in der Produktion von Auto- und Heterostereotypen und misslingender interkultureller Kommunikation ein sich selbst bestätigendes System ohne Umweltbezug bilden. Dabei ist zu beachten, dass man von ‚interkultureller Kommunikation‘ sinnvoller Weise nur dann sprechen sollte, wenn Teilnehmer und/oder Beobachter Eigenschaften und Probleme des interpersonellen Mitteilungsgeschehens auf kulturelle Differenzen zurechnen, und das heißt: ein bestimmtes Verhalten (auch das eigene) als kulturspezifisch behandeln (Loenhoff 2003: 111). Diesem Appell für eine gemeinsame Betrachtung von Auto- und Heterostereotypen wird in dieser Arbeit gefolgt. In Kapitel 5 erfolgt eine Betrachtung der erhobenen Einstellungen der Probanden in inter- und intrakultureller Sicht. Durch die Sichtbarmachung der Differenzen und Divergenzen der verschiedenen Befragtenkohorten können Schlüsse auf das extrakommunikative Wissen der Probanden gezogen werden (vgl. Loenhoff 2003: 111). Kulturellen Differenzen werden häufig durch stereotype Deutungsmuster zu erklären versucht. Kulturelle, nationale und ethnische Stereotype sind dabei als Kategoriensystem der Typisierung zu sehen, auf die gesellschaftlich zurückgegriffen werden kann. Diese, in der Sozialisation erworbenen Vorstellungen helfen dabei, die Welt zu ordnen und zu erklären und bieten auch einen kommunikativen Rahmen innerhalb der interpersonalen Kommunikation. Ein erkenntniskritischer, selbstreflexiver Kulturvergleich ist in erfolgreicher interkultureller Kommunikation fundiert. Es dürfte einleuchten, dass es Kulturvergleiche nur dort geben kann, wo sich bereits Kulturbegegnungen und interkulturelle Kommunikation vollzogen haben. Mehr noch: Aller Kulturvergleich ist eine Reaktion auf Situationen kulturellen Kontaktes. Er ist der Versuch, die daraus resultierenden spezifischen Probleme zu beschreiben und durch die Suche nach Erklärungen zu bewältigen. Als Reaktion auf Opazität, Fremdheit und Alterität dient der Kulturvergleich zunächst der Selbstvergewisserung angesichts der Bedrohung durch das aufkommende Bewusstsein, dass alles auch anders sein könnte, also das, was man in der

2. Begriffe und Konzepte

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Handlungstheorie „Kontingenz” nennt. Weil also Kulturkontakt und Kulturaustausch dem Kulturvergleich vorgängig sind, weil die Korrektur von Missverständnissen, die diesem anhaften, nur in interkultureller Kommunikation bearbeitet und beseitigt werden können, ist es gerechtfertigt, hier von einer Fundierung bzw. einem Fundierungsverhältnis zu sprechen (Loenhoff 2003: 112). Die gesellschaftlich zu verortenden Stereotype in Bezug auf andere Kulturen sind jedoch in den vergangenen Jahrzehnten sehr unterschiedlich erhoben und erforscht worden. Es existiert eine Übereinstimmung in der wissenschaftlichen Literatur, dass Stereotype existent sind. Auf welche Stereotype dabei jedoch genau im gesellschaftlichen Kanon zurückgegriffen wird, ist bisher in interkulturellen Kontexten vor allem uni- und bi-direktional erhoben worden und in Hinblick auf Deutsch als Fremdsprache vor allem im Bereich der Landeskunde (vgl. Helbig 2001). Konnotative und semantische Felder sind dabei zu erheben. Die Fallibilität (vgl. Ungeheuer 1987) einer jeden Kommunikation, gerade in interkulturellen Kontexten, kann dabei eventuell verringert und Missverständnisse können durch einen weiteren methodischen Zugang interpretiert werden. Neben den kommunikativen Betrachtungen der interkulturellen Kommunikation wird eine extrakommunikative Betrachtungsweise gewählt. Stereotype können somit als Vor-Urteile kultureller Wahrnehmungen im Sinne Ungeheuers (1987) interpretiert werden. Im Rahmen der Medienwissenschaften sind Stereotype immer wieder untersucht worden. Thiele (2015) stellt in der „empirisch-sozialwissenschaftlichen Wende“ den Katalysator für den Beginn einer „kommunikationswissenschaftlichen Stereotypen- und Vorurteilsforschung“ in Deutschland fest. Nach einer Abgrenzung der Zeitungswissenschaften von der Ideologie der Nationalsozialisten nach 1945, sei ein Forschungsgegenstand neu zu definieren gewesen. Die damals sogenannte Zeitungswissenschaft fungierte zuvor nach Thieles Analyse teilweise als Instrument im Nationalsozialismus, nach dem Krieg blieb der negative Kontext dieser Disziplin zugeschrieben und die Arbeit an den wissenschaftlichen Instituten war in Deutschland kaum möglich. „Nach der ,Identifizierung des Problems’ und der ,Definition’ desselben, folgte die Phase der ,ideologischen und organisatorisch-pragmatischen Überformung’“ (Thiele 2015: 140). Als einen wichtigen Schritt in diesem Zusammenhang stellt Thiele die Umbenennung des Forschungsbereichs in ‚Publizistik‘ im Jahr 1945 dar. Dennoch galt das Fach weiterhin als überflüssig, unwissenschaftlich und historisch kompromittiert. (vgl. ebd.). Thiele zeigt weiter auf, dass durch zu geringe Forschungs- und Ausbildungsleistungen der deutsche

2.2 Kommunikation und Stereotype

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Wissenschaftsrat 1960 empfahl, nicht weiter in den Fachbereich der Publizistik zu investieren. Daraufhin kam es in den 1960er Jahren zu einer institutionellen, personellen, theoretischen und methodischen Wende. Vermehrt wurden nun empirisch-analytische Verfahren statt deskriptiv-hermeneutischer angewandt sowie Wissen und sozialwissenschaftliche Fragestellungen aus den USA ‚reimportiert’ (vgl. ebd.). Diese „empirisch-sozialwissenschaftliche Wende“, die vom Beginn der 1950er Jahre bis zu den 1980er-Jahren in Deutschland stattfand, werde begleitet durch einen signifikanten Zusammenhang von sozialwissenschaftlich-empirischer Ausrichtung in der Kommunikationswissenschaft und der Zunahme an Studien zu Stereotypen und Medien. Nach Thiele folgten Forschungen zu interkultureller und interpersoneller Kommunikation unter dem Einfluss von Nachbardisziplinen wie etwa der Sozialpsychologie und Soziologie. Diese Interdisziplinarität, die Internationalisierung der ‚kommunikationswissenschaftlichen‘ Stereotypenforschung, sowie die stärkere Orientierung an sozialwissenschaftlichen Theoriebeständen und Methoden und der gesellschaftliche Wandel begünstigen also den Start der Stereotypenforschung in den 1960er Jahren.

3. Forschungsstand – Stereotype-Untersuchungen im deutschsprachigen Raum Bevor eine Betrachtung der bisherigen Stereotype-Untersuchungen im deutschsprachigen Raum erfolgt, soll zuvor kurz auf den Forschungsstand im anglophonen Raum eingegangen werden. Oakes/Haslam/Turner (1994) bezeichnen die Studien von Lippmann (1990/1922), Katz/Braly (1933), Adorno et al. (1950), Allport (1971/1954), Sherif (1967), Tajfel (1969), Hamilton (1981) und Tajfel (1981) als „major milestones“ (vgl. Oakes/Haslam/Turner 1994: 8) der Stereotypenforschung fassen die genannten Publikationen in folgende Abbildung zusammen:

Tabelle 1: Übersicht der Key-Readings nach Oakes/Haslam/Turner (1994: 9), Darstellung nach Thiele (2015: 135)

The Social Psychology of Stereotyping Historical developments in the study of social stereotyping

Year

Key publications

Conzeptualization of Stereoptypes

Focus of empirical work

1922

Lippmann

Rigid, over-simplified and selective, but necessary for simplification

1933

Katz & Braly

Unjustified and contradictory fictions

Description of the content of various stereotypes

1950

Adorno et al.

Erroneous products of pathological personality

Study of authoritarian and nonauthoritarian individiuals

1954

Allport

Based on rational process of categorization, bit rationality contingent on individuel’s nature

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 S. Ossenberg, Deutsche und türkische Stereotype, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26879-4_3

3. Forschungsstand – Stereotype-Untersuchungen im deutschsprachigen Raum

22

Fortsetzung der Tabelle

Year

Key publications

Conzeptualization of Stereoptypes

Focus of empirical work

1967

Sherif

Products of intergroup reations

Examining the effects of changing social relations

1969

Tajfel

Based on rational processes of categorization common to all

Analysis of processes of accentuation

1981

Hamilton

Products of generalized and necessary cognitive processes that inadvertently produce error

Identification of various cognitive biases

1981

Taifel

Shared products shaped by group membership and intergroup relations

Demonstrating the contribution of groups and values to the stereotyping process

Thiele sieht noch weitere „Trends“ (Thiele 2015: 136) seit Tajfels Publikation 1981 „in der sozialpsychologischen Vorurteils- und speziell Rassismusforschung“, die den aktuellen Forschungsstand und die Definition von Stereotyp und Vorurteil geprägt haben (vgl. ebd.). Zicks Zugang (1997) sei dabei hervorzuheben, da er „einen transdisziplinären Ansatz [verfolgt] und […] ganz unterschiedliche Zugänge zur Rassismusproblematik, die in Wissenschaft und Praxis entwickelt worden sind [, berücksichtig]. Sein Diskurs-Schema versammelt für jeden Ansatz und jeden Aspekt mehrere Literaturhinweise, mittels derer nachvollziehbar wird, wer wann zu diesen speziellen Gebieten publiziert hat“ (Thiele 2015: 136). Die übergeordneten Bereiche Zicks fasst Thiele wie folgt zusammen: §

A Vorurteile und Rassismus als individuelle Phänomene: Beiträge der psychologischen Vorurteilsforschung

§

B Vorurteile und Rassismus als gesellschaftliche Phänomene: Beiträge der sozialwissenschaftlichen Rassismus-Debatte

3. Forschungsstand – Stereotype-Untersuchungen im deutschsprachigen Raum

§

23

C Vorurteile und Rassismus als menschliche Grundkonstanten: Beiträge der philosophischen, anthropologischen und soziobiologischen Forschung

§

D Diskurs über ‚Vorurteilen ähnliche‘ Phänomene: Beiträge aus verwandten Forschungsbereichen

§

E Vorurteile und Rassismus im öffentlichen Diskurs: Erklärungsansätze zu den Ursachen von Vorurteilen und Rassismus in der Öffentlichkeit

§

F Vorurteile und Rassismus in Änderungsprogrammen: Beseitigungsdiskurs

§

G Vorurteile und Rassismus als geschichtliche Phänomene: historischer Diskurs (ebd., Hervorhebungen im Original).

Duckitt (2010) anführend, legt Thiele dabei auch dar, dass „Überblicksdarstellungen zumeist chronologisch aufgebaut“ und „auf eine Einteilung in Phasen“ ausgelegt seien (vgl. ebd.): Dieser ordne „in seinem Historical Overview die verschiedenen Vorurteils- und Stereotypkonzeptionen nach Jahrzehnten: ▪

‘Up to the 1920s: Race Psychology



The 1920s: Race Prejudice



The 1930s and 1940s: Psychodynamic Processes



The 1950s: The Prejudices Personality



Thee 1960s and the 1970s: Culture and Society



The 1980s and 1990s: Thee Cognitive Approach



Post 2000 – A New Paradigm? Affect, Motivation, and the Complexity of Prejudice’ ”(ebd.).

Auch die als hilfreich einzuschätzende Übersetzung der historischen Einteilung Duckitts von Bornewasser/Waage (2006: 769) wird von Thiele (2015: 138) dargestellt:

3. Forschungsstand – Stereotype-Untersuchungen im deutschsprachigen Raum

24

Tabelle 2: Übersicht der Übersicht nach Duckitt (1998: 245), übersetzt bei Borwasser/Waage (2006: 769), Darstellung nach Thiele (2015: 138)

Zeitliche Einordnung

Bis in die 1920er

1920er und 1930er

1940er und 1950er

1960er

1970er

Soziales und historisches Thema

Weiße Dominanz und Herrschaft über „rückständige Menschen“

Konzept des Vorurteils und dominanter theoretischer Ansatz

Vorurteile als natürliche Reaktion auf die Unzulänglichkeit „rückständiger Menschen“: Rassentheorie Legitimation der weiVorurteile als irratioßen Herrschaft und nale und ungerechtferverbreiteter Vorurteile tigte Reaktion auf anwird in Frage gestellt dersartige Menschen: Psychoanalytische und Frustrations-Ansätze Rassenideologie der Vorurteile gespeist Nazis und Holocaust durch antidemokratische Ideologie und pathologische Bedürfnisse autoritärer Persönlichkeiten Problem des instituti- Soziokulturelle Erkläonalisierten Rassismus rungen: Vorurteile beim Süden dingt durch die sozialen Normen diskriminierender sozialer Strukturen Problem von inforVorurteile als Ausmellem Rassismus und druck der Interessen Diskriminierung im dominanter Gruppen amerikanischen Norunter Beibehaltung der den intergruppalen Ungleichheit

Dominante Orientierung der Sozialpolitik hinsichtlich Vorurteil und Diskriminierung

Herrschaft, Diskriminierung und Segregation sind natürlich

Assimilation als gradueller Prozess, in welchem Minoritäten und die Menschen in den Kolonien angeglichen und „verwestlicht“ werden Demokratische antiautoritäre soziale Strukturen und Werte werden Intoleranz und Vorurteile ausmerzen

Desegregation und Antidiskriminierungsgesetze werden zu Intergruppenkontakt führen, welcher die Vorurteile beseitigt Reduktion von Ungleichheit über die Förderung von Minderheit

3. Forschungsstand – Stereotype-Untersuchungen im deutschsprachigen Raum

25

Fortsetzung der Tabelle

Zeitliche Einordnung

Soziales und historisches Thema

Konzept des Vorurteils und dominanter theoretischer Ansatz

Dominante Orientierung der Sozialpolitik hinsichtlich Vorurteil und Diskriminierung

1980er und 1990er

Die trotzige Persistenz von Stereotyp, Vorurteil und Diskriminierung

Vorurteile als ein Ausdruck universeller kognitiv-motivationaler Prozesse: soziale Kategorisierung und soziale Identität

Multikulturalismus, um Selbstbewusstsein der Minderheiten zu fördern und positive ungefährdete Identität und Toleranz zu schaffen

Thiele kommt in ihrer Aufarbeitung der bisherigen Strömungen innerhalb der Stereotype-Forschung zu folgendem Ergebnis: Für eine wieder stärkere Hinwendung zu sozialen Prozessen und eine Rückkehr des Sozialen in die Sozialpsychologie sprechen sich seit den 1990er Jahren verschiedene FachvertreterInnen aus – eine Forderung, die Henri Tajfel, der lange Zeit für die kognitive Wende in der Sozialpsychologie stand, oder Serge Moscovici mit seinem Konzept der Sozialen Repräsentationen schon in den 1970er Jahren erhoben haben (vgl. Leiprecht 1997). In den 1990er Jahren entstehen angeregt durch die Cultural Studies und poststrukturalistische Ansätze im deutschsprachigen Raum diskursanalytische Studien, die nach sozialen Repräsentationen von Macht und damit häufig auch nach medial vermittelten Stereotypen fragen. Von Interesse ist, inwieweit das die kommunikationswissenschaftliche Stereotypenforschung beeinflusst, ob auch hier wie in der sozialpsychologischen Forschung ‚waves’ (Dovidio 2001; Dovidio/Hewstone/Glick/Esses 2010) und ‚historical shifts‘ (Duckitt 2010) oder ‚Diskurse‘ (Zick 1997) identifiziert werden können (Thiele 2015: 139). Die Arbeit der Kommunikationswissenschaftlerin ist in Bezug auf eben diese Aufarbeitung und bereitung als äußerst ertragreich für die Stereotypenforschung anzusehen und gibt einen sehr guten Überblick über die bisher bearbeiteten Felder, ihre Defizite und Möglichkeiten. Im Gegensatz zu anderen Forschern geht Thiele einen Weg, der in den vergangenen Jahrzehnten zu großen Teilen nicht beschritten wurde: eine metatheoretische Untersuchung der Stereotype-Forschung im weltweiten Raum sowie eine Zusammenstellung, Einordnung und Bewertung von ‚Key-Readings’ deren Rezeption zwingend notwendig ist, um im Diskursraum der Begrifflichkeiten Klarheit zu schaffen. In ihrer Breite und wissenschaftlichen Qualität ist ein solches Werk im deutschsprachigen

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3. Forschungsstand – Stereotype-Untersuchungen im deutschsprachigen Raum

Raum bisher einzigartig. Thiele betrachtet jedoch nicht die deutschsprachigen Forschungen zu Stereotypen in den vergangenen Jahrzehnten. Dies soll im folgenden Kapitel ergänzend zu Thieles Metaanalyse erfolgen. 3.1. Wissenschaftliche Studien im deutschsprachigen Raum In den vergangenen achtzig Jahren sind zahlreiche wissenschaftliche Studien zu Stereotypen durchgeführt worden, die das Verfahren der Item-Checklisten zur Evaluation der Einstellungen gegenüber Völkern, Ethnien und Nationen genutzt haben. Dabei wurden verschiedenste Item-Batterien eingesetzt. Obwohl teilweise abgefragte Eigenschaften von vorangehenden Studien übernommen wurden, ist es bis heute ein Problem, dass im deutschen Sprach- und Kulturraum eine einheitliche Merkmalliste nicht existiert, die Vergleiche zwischen einzelnen Studien und ihren Ergebnissen zulässt. Es ist abzuwägen, welche Eigenschaften der bisher durchgeführten Studien für eine interkulturelle anwendbare Merkmalliste zur Erhebung in verschiedenen kulturellen Kontexten verwendet werden können und sollten. Aus diesem Grund ist nicht nur eine Metaanalyse nach epistemologischen Fragestellungen zu betreiben (vgl. Thiele 2015), sondern sind auch die Studien in ihrem Forschungsdesign und ihren verwendeten Frage- und Antwortoptionen im Detail zu betrachten. Es scheint eine „Geschichte der sozialpsychologischen Vorurteilsforschung […] hierzulande auszustehen“ (Thiele 2015: 153). Eine historische Metaanalyse zur Wissenschaft und Geschichte der Stereotypenforschung sei „aufgrund der zahlreichen englischsprachigen sozialpsychologischen Werke zum Thema leichter […] zu eruieren, [als zu klären,] welche deutschsprachigen sozialpsychologischen Werke vorliegen“ (ebd.). In Anlehnung an Thiele und aufbauend auf ihre Arbeit wird aus diesem Grund in der hier vorliegenden Studie eine Auswahl an stilprägenden empirischen Erhebungen, die vorwiegend mit dem Merkmallistenverfahren operierten und aus dem deutschsprachigen Raum stammen, vorgestellt und analysiert; diese hatten und haben Einfluss auf Erhebungen und Diskurse im Bereich der Stereotypenforschung. Diese Ergänzung zu der umfangreichen Forschungs- und Analysearbeit von Thiele ist zur Auf- und Weiterbereitung der Stereotypen-Forschung im deutschsprachigen Wissenschaftsdiskurs erforderlich. Aufbauend auf den Studien von Katz/Braly (1933) hat sich ein eigener Forschungsstrang in der Bundesrepublik Deutschland gebildet, der das Verfahren nach einer Adaption der Methodik durch Sodhi/Bergius (1953) weiter ausgebaut, verwendet und in Bezug auf – vor allem – Fragestellungen des Bereiches Deutsch als Zweit- und Fremdsprache weiter präzisiert hat. Dabei sind die Arbeiten von Keller (1969, 1970, 1986 und 1998), Hann (1985), Stapf/Stroebe/Jonas (1986), Apeltauer et al. (1998), Apeltauer (2002), der DAAD-Lektoren der iberischen Halbinsel (1999) sowie Grünewald (2005) stilbildend.

3.1. Wissenschaftliche Studien im deutschsprachigen Raum

27

Es existiert eine Vielfalt weiterer Erhebungen und Forschungen, die auf das Merkmallistenverfahren zurückgreifen.2 Jedoch ist festzustellen, dass diese Arbeiten sich, referenzierend auf die oben genannten Forschungen, dem Themenfeld der nationalen Stereotype nähern. Kellers und Hanns Arbeiten und die Publikation von Stapf, Stroebe und Jonas sind dabei aufgrund der von ihnen eingeführten Merkmale und deren Auswahl näher zu betrachten. Apeltauers Forschungen zum Deutschlandbild norwegischer Schüler und dem Selbstbild deutscher und türkischer Austauschstudierender sind zudem methodisch anregend. Hanns und Grünewalds Arbeiten und Forschungen in Süd-Korea und Japan offenbaren, welche interkulturellen Problematiken der Merkmalsauswahl und Übertragung von Item-Batterien in andere Sprachen existieren. Eine ausschließliche Betrachtung der wissenschaftlichen Forschung zum Thema stereotyper Vorstellungen zu Kulturen, Ethnien und Nationen würde in der Frage der Auswahl der Items für eine interkulturelle Merkmalliste zu kurz greifen, wie in Kapitel 3.2. weiter ausgeführt wird. 3.1.1 Katz/Braly – „Racial Stereotypes of One Hundred College Students“ Während Walter Lippman, der – wie gezeigt – den Begriff des Stereotyps geprägt und in den Wissenschaftsdiskurs eingeführt hat, sich vor allem theoretisch mit der Frage beschäftigte, aus welchem Grund Stereotype existieren, welchen Nutzen sie für den Menschen haben und dies an den drei wesentlichen Aspekten ökonomische Ursachen, Verteidigungsmittel und Selbstschutz festmacht, beschäftigen sich die forschungsorientierten Studien, die auf Lippmans Annahmen aufbauen, mit der Frage, welche Stereotype generell existieren. Lippmans Ausführungen differenzierten erstmalig explizit zwischen Vorurteil und dem von ihm definierten Stereotyp. Der Vorschlag einer Operationalisierung zur Erhebung der existierenden Stereotype fehlt jedoch in Lippmanns Arbeit. Die ersten, die die theoretischen Überlegungen Lippmans soziologisch überprüfen, sind Daniel Katz und Kenneth Braly (1933). Auf die Befragung der beiden amerikanischen Soziologen beziehen sich direkt oder indirekt alle Folgestudien zu nationalen Stereotypen, die ein sogenanntes Merkmallisten- bzw. Item-Checklistverfahren verwenden. „Racial Stereotypes of One Hundred College Students“ aus dem Jahr 1933 geht der Frage nach, ob Stereotype, die sozialen oder ethnischen Gruppen von einer anderen gesellschaftlichen Gruppe

2 Einen guten Überblick über Studien und Forschung zu Stereotypen bietet Hoffmann et. al. in der vierbändigen Bibliographie „Stereotypen - Vorurteile - Völkerbilder in Ost und West in Wissenschaft und Unterricht“ (1986, 2006, 2008, 2012).

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3. Forschungsstand – Stereotype-Untersuchungen im deutschsprachigen Raum

zugeschrieben werden, auf konkreten Erfahrungen mit einzelnen Mitgliedern dieser Gruppen basieren oder ob die zugeschriebenen Eigenschaften als Stereotype bzw. Vorurteile durch einen Gruppenkonsens entstehen. Die Methode, die Katz/Braly bei ihrer Studie an der Princeton-Universität in den Vereinigten Staaten dabei etablierten, wird als Eigenschaftslisten-, Itemchecklist- oder Merkmallisten-Verfahren bezeichnet und hat sich in den vergangenen acht Jahrzehnten als eine Methode zur Erhebung nationaler Stereotype bewährt und durchgesetzt. Basierend auf der SyracuseStudie, einer Voruntersuchung zum Themenfeld der Stereotype und Vorurteile von Katz/Allport (1931), entwickeln Katz/Braly ein Erhebungsverfahren zur Messung von Stereotypen. Katz/Allport zeigen anhand ihrer zusammenfassenden Meta-Studie und -analyse der bis dato durchgeführten Untersuchungen zum Themenfeld der Vorurteile und Stereotype, dass in den gesamten Vereinigten Staaten an unterschiedlichen Orten zu bestimmten ethnischen Gruppen ähnliche Einstellungen existierten. Aus den Ergebnissen, die Katz/Allport vorlegen, schließen Katz/Braly, dass: „Attitudes toward racial and national groups are in good part attitudes toward race names. They are stereo­types of our cultural pattern and are not based upon animosity toward a member of a proscribed group because of any genuine qualities that inhere in him“ (Katz/Braly 1933: 280). Um Selektionsmerkmale für eine erweiterte Untersuchung zu bestimmen, forderten Katz/Braly im Jahr 1932 zunächst 25 Studierende in einem Pretest auf, spezifische Merkmale oder Eigenschaften zu nennen, die nach Meinung der Probanden für die ethnischen Gruppen der Deutschen, Italiener, „Neger“ (Katz/Braly 1933) [sic!], Iren, Engländer, „Juden“ (ebd.) [sic!], Amerikaner, Chinesen, Japaner und Türken typisch seien. Diese Nennungen wurden zusammengeführt und bildeten die Grundlage für diese erste, zu Forschungszwecken erstellte Merkmalliste, die 84 Items mit überwiegend adjektivistischem Charakter umfasste. In einem weiteren Schritt sollten 100 Studenten der Princeton University aus der Pretest-Liste eine beliebige Anzahl von Merkmalen auswählen, die sie als signifikant für verschiedene ethnische Gruppen einschätzten. Die Arbeitsaufforderung dazu lautete im Original z.B. in Bezug auf Deutsche: „Read through the list of words on page one and select those which seem to you typical of the Germans. Write as many of these words in the following space as you think are necessary to characterize these people adequately […]“ (ebd.: 282). Bei der Einschätzung zu Deutschen wurden die Eigenschaften wissenschaftlich orientiert, fleißig und stur3 (im Original scientifically-minded, industrious und stolid) genannt. Ähnliche Übereinstimmung mit

3

Übertragungen der Eigenschaften, soweit zum ersten Mal in der englischsprachigen Forschung genutzt, nach Ossenberg/Baur: 2016.

3.1. Wissenschaftliche Studien im deutschsprachigen Raum

29

den in den zeitgenössischen amerikanischen Medien vermittelten Bildern ließen sich auch bei anderen Gruppen finden: Die Italiener wurden insgesamt als impulsiv und leidenschaftlich charakterisiert. Sie entsprachen einem Bild, das Katz und Braly als „the hot blooded Latin peoples“ (ebd.: 285) charakterisierten. Dieses Bedeutungscluster konstituierte sich nach Meinung der beiden amerikanischen Soziologen auch durch die häufige Nennung der weiteren Eigenschaften künstlerisch, impulsiv und leidenschaftlich – artistic, impulsive und passionate – zu Italienern (ebd.: 284). Bei den damals so benannten „negroes“ gab es insgesamt die höchste Übereinstimmung der Probandennennungen zu einem einzelnen Merkmal: 84 Prozent der 100 Befragten wählten das Merkmal superstitious – ins Deutsche entweder als abergläubisch oder aber auch als heidnisch zu übertragen. Bei den Iren dagegen lag die höchste Übereinstimmung lediglich bei 45 Prozent für das Merkmal pugnacious – zu Deutsch streitsüchtig. Bei den Zuschreibenden zu „jews“ wurde von 79 Prozent shrewd als charakterisierendes Merkmal genannt, hohe Zustimmung gab es auch bei den Charakteristika mercenary und industrious. Somit waren die drei meistgenannten Eigenschaften zu „Juden“ in der Studie von Katz und Braly die Eigenschaften schlau, geldgierig und fleißig (ebd.: 285). Neben der prozentualen Häufigkeit der Nennungen interessierten sich die beiden amerikanischen Sozialpsychologen in ihrer Studie auch für die Frage, von welchen nationalen Gruppen besonders konsistente stereotype Bilder bei ihren Befragten existierten. Aus diesem Grund sollten die 100 befragten Studierenden fünf Merkmale markieren, die ihnen besonders typisch erschienen. „Now go back over the ten lists of words which you have chosen and mark with an X the five words in each list which seem to you the most typical of the race in question“ (ebd.: 282). Durch die Markierung bzw. Auswahl einer nicht kategorisierten Top-5-Liste pro Ethnie ergaben sich insgesamt 500 mögliche Antwortoptionen (dabei jeweils fünf Auswahlmöglichkeiten für jede der zehn Nationen). Die Anzahl der gemeinsamen Merkmale („least numbers of traits“) gibt nach Katz/Braly eine Aussage über die Prägnanz des Stereotyps (vgl. ebd.: 287). Eine höhere Überschneidung bei den Antworten der Probanden ist gegeben, je weniger Items durch die Befragten gemeinsam zu einer Gruppe genannt werden. Werden wenige Eigenschaften mit hohen prozentualen Werten genannt, ist dies, wenn man Katz und Braly folgt, ein sehr starres Stereotyp. Die Ergebnisse zeigen, dass das konsistenteste Bild bei den befragten Princeton-Studenten zu dieser Zeit zur Gruppe der „negroes“ bestand. Weniger als fünf Eigenschaften wurden von 50 Prozent der Befragten genannt.

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3. Forschungsstand – Stereotype-Untersuchungen im deutschsprachigen Raum

Katz und Braly vertreten die These, dass der Grad der Übereinstimmung statistisch zu groß sei, um ausschließlich aus persönlichen Kontakten mit Mitgliedern der eingeschätzten Gruppen entstanden zu sein. Sie folgern, dass persönliche Kontakte zwar einen Einfluss auf die Entstehung von Stereotypen haben, jedoch das vorher entstandene Bild eher bestätigen als es grundlegend zu verändern. Dies habe zur Folge, dass ein einmal entstandenes Bild im Kopf (beeinflusst durch öffentliche Meinung sowie Medien wie bspw. in dieser Zeit vor allem durch Tageszeitungen) an der jeweiligen Gruppe förmlich haften bleibe. „In this manner almost any characteristic can become attached to any race and stick there with scarcely any factual basis“ (ebd.: 287). Bei Gruppen, mit denen vielleicht wenig bis gar keine direkten Erfahrungen zu verzeichnen seien, werde besonders auf Merkmale zurückgegriffen, die in der öffentlichen Meinung vertreten seien. Katz und Braly versuchen über ihre ursprüngliche Fragestellung hinaus einen Zusammenhang zwischen Stereotypen und Vorurteilen festzustellen. Ihrer Ansicht nach werden – trotz teilweise sehr unklar existierendem Stereotyp – Vorurteile gebildet. Der Grund dafür liege darin, dass Vorurteile scheinbar verstärkt auf Basis einer öffentlichen Haltung gebildet würden. Das Merkmallistenverfahren von Katz und Braly hat sich in der amerikanischen Forschung auch deswegen bewährt und durchgesetzt, weil es mehrmals an der Princeton-Universität reproduziert werden konnte und somit Daten aus verschiedenen Zeitabschnitten vorliegen. Die sogenannte Princeton-Trilogie mit Studien von Gilbert (1951), Karlins/Coffman/Walter (1969) zeigt einen, wenn auch langsamen Wandel der Einstellungen der jeweiligen Probanden zu „negroes“, auch wenn bestimmte Bilder sich über Jahrzehnte immer wieder reproduzierten.4 „Traits such as being stupid, physically dirty and unreliable were replaced by traits such as being sensitive, gregarious, and talkative. Being superstitious went way down, but being musical went up“ (Schneider 2004: 456). Durch diese Durchführung und der angenommenen Vergleichbarkeit der erhobenen Daten über Jahrzehnte hinweg konnte das Merkmallistenverfahren nach Katz/Braly zum einen mehrfach getestet werden und zum anderen seine stabile Konstruktion unter Beweis stellen.

4

Zu Stereotypen zu Afro-Amerikanern in den Vereinigten Staaten hat sich Gina Philogène 2001 intensiv mit dieser Deutung der vorliegenden Ergebnisse der Princeton-Triologie beschäftigt und kommt zu überraschenden, neuen Interpretationen des existierenden Datenmaterials, indem sie statistische Auswertungen in Bezug auf die Konnotationen der gewählten Eigenschaften durchführt. (Leider legt Philogène dabei nicht dar, welche Faktoren zur Konnotationszuschreibung der Items geführt haben.)

3.1. Wissenschaftliche Studien im deutschsprachigen Raum

31

In den Jahrzehnten seit 1933 hat sich die amerikanische Stereotype-Forschung – und somit auch das Merkmallistenverfahren – in Bezug auf den Forschungsgegenstand auf Minderheiten in den Vereinigten Staaten fokussiert (vgl. Schneider 2004: 452 ff.). Dabei hat sich ein Diskurs über die Begriffe von „race“ und „ethnicity“ und deren Nutzung in den Vereinigten Staaten ergeben, wie Schneider in seiner Kompilation zur Psychologie der Stereotype aus amerikanischer Sicht illustriert: Matters are even more complex when we think about ethnicity. Is a man named Michael Johnson, who grew up in his mother’s Mexican American home, Hispanic? What about Maria Gonzalez, who has blond hair, never heard Spanish spoken as a child, and only recently has begun to think about her fifth-generation Mexican heritage? Ethnicity may refer to cultural differences, ethnic identity, or distinctive experiences associated with treatment by others […] and many people are not clear about distinctions among race, ethnicity, and culture […] (ebd.: 453-454). Im Rahmen dieser Arbeit sind vor allem die zum Zeitpunkt der Studie von Katz/Braly (1933) in den Vereinigten Staaten genannten Vorstellungen zu ‚Deutschen‘ und ‚Türken‘ relevant, die in der folgenden Tabelle dargestellt werden.

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3. Forschungsstand – Stereotype-Untersuchungen im deutschsprachigen Raum

Tabelle 3: Eigene Darstellung der Antworten zur Türken nach Katz/Braly (1933)

Eigenschaften nach Katz/Braly

mögliche deutsche Übersetzung

Prozent

Cruel

grausam

54,0

Very religious

sehr religiös

29,9

Treacherous

verräterisch/tückisch

24,1

Sensual

sinnlich

23,0

Ignorant

unwissend, ungebildet

17,2

Physically Dirty

körperlich schmutzig

17,2

Deceitful

(be)trügerisch, hinterlistig

14,9

Sly

gerissen, geschlagen, verstohlen

13,8

Quarellsome

zänkisch, streitsüchtig,

13,8

Revengeful

rachsüchtig

13,8

Conservative

konservativ, zurückhaltend, vorsichtig

13,8

Superstitious

abergläubisch

12,6

Bei den zwölf Eigenschaften, die Katz/Braly in ihrer Studie zu Türken vorlegen, sind allein vier Eigenschaften nicht ausschließlich negativ konnotiert: Very religious, Sensual, Conservative und Superstitious. Das sich hier zeigende Bild der 100 Princeton-Studierenden muss in Hinsicht auf den Zeitpunkt der Studie interpretiert werden. Nach dem ersten Weltkrieg scheinen hier sowohl die Schlacht von Gallipoli als auch der Völkermord an den Armeniern eine Rolle zu spielen, wobei die Aufbereitung der Geschehnisse durch den Roman „Ravished Armenia“ (1918) sowie der darauf basierende Stummfilm „Auction of Souls“ (1919) dabei in der amerikanischen Öffentlichkeit einen tiefen Eindruck hinterlassen und dabei das Bild der „Osmanen“ in den Vereinigten Staaten nachhaltig beeinflusst zu haben scheinen. Im Gegensatz zu diesem offenbar negativ geprägten Bild zu Türken scheint die Wahrnehmung der Deutschen in der Studie von Katz/Braly äußerst positiv. Als negativ konnotierte Eigenschaften

3.1. Wissenschaftliche Studien im deutschsprachigen Raum

33

unter den zwölf am häufigsten genannten Zuschreibungen können Stolid und Extremly nationalistic angesehen werden5. Tabelle 4: Eigene Darstellung der Ergebnisse der Studie von Katz/Braly zu Deutschen

Eigenschaften nach Katz/Braly

mögliche deutsche Übersetzung

Prozent

Scientifically-minded

wissenschaftlich veranlagt

78,0

Industrious

fleißig, arbeitsam, eifrig, emsig

65,0

Stolid

stur, gelassen, phlegmatisch, beharrlich

44,0

Intelligent

intelligent

32,0

Methodical

methodisch, systematisch

31,0

Extremely nationalistic

äußerst nationalistisch

24,0

Progressive

fortschrittlich, progressiv

16,0

Efficient

leistungsstark, effizient

16,0

Jovial

freundlich, herzlich, heiter, lustig, nett

15,0

Musical

musikalisch

13,0

Persistent

hartnäckig, beharrlich

11,0

Practical

praktisch, praxisorientiert

11,0

Das damals erfasste Stimmungsbild durch Katz/Braly zeigt zum einen ein negatives Türkeibild wie auch ein positives Deutschlandbild aus Sicht der 100 Princeton-Studierenden. Hier zeigt sich die Problematik einer uni-direktionalen Stereotypen-Studie: Eine Gruppe (A) wird zu weiteren Gruppen (B und C etc.) befragt. Jedoch kann das Heterostereotyp von Gruppe A nicht mit dem Autostereotyp von Gruppe B und C verglichen werden. Da jedoch Fremd- und Selbstbilder immer erst kontrastiv mit genau diesen ihre Aussagekraft gewinnen, ist die Interpretation der so gewonnenen Daten äußerst schwierig. Diese Problematik findet sich nicht nur in der Studie von Katz/Braly, sondern auch bei der ersten deutschsprachigen Studie von Sodhi/Bergius, auf die im folgenden Kapitel eingegangen werden soll.

5

Generell gibt es viele unterschiedliche Übersetzungsmöglichkeiten der hier genannten Begrifflichkeiten. Entnommen wurden die hier angeführten möglichen Übertragungen aus dem Online-Wörterbuch PONS. Zudem ist hier keine direkte Übertragung der mit den Items verbundenen semantischen Feldern angestrebt, sondern vielmehr soll dem Leser eine Einordnungshilfe zur Findung einer Interpretation im konnotativen Sinne angeboten werden.

34

3. Forschungsstand – Stereotype-Untersuchungen im deutschsprachigen Raum

3.1.2 Sodhi & Bergius – „Nationale Vorurteile“ Während sich die amerikanische Stereotype-Forschung, aufbauend auf der Studie von Katz/Braly, vor allem (jedoch nicht nur) mit nationalen Stereotypen im eigenen Land (also den Bildern in den Köpfen zu Migrationsgruppen) beschäftigt (vgl. u.a. Gilbert 1951, Karlins/Coffman/Walter 1969), rückt die deutschsprachige Stereotype-Forschung der vergangenen Jahrzehnte vor allem nationale Stereotype in Bezug auf andere Nationen in den Mittelpunkt ihrer Untersuchungen. Dies ist maßgeblich auf die Arbeit der beiden Sozialpsychologen Kripal Singh Sodhi und Rolf Bergius im Jahre 1953 zurückzuführen. Die beiden Berliner Forscher greifen in ihrer Arbeit die Studie von Katz/Braly auf und adaptieren diese für eine Befragung im deutschen Kontext. Wie Thiele (2015) darstellt, gilt diese Studie als die erste „im deutschen Sprachraum, die an die US-amerikanische Stereotypen- und Vorurteilsforschung anschließt“ (ebd.: 131). Diese Einschätzung teilt sie mit Schäfer (1988: 16f.). In ihrer Metaanalyse zum Forschungstand der Stereotypen charakterisiert Thiele die Studie der beiden Sozialpsychologen weiterhin als sich in „noch einigen Punkten“ von der Untersuchung von Katz/Braly unterscheidende Versuchsanordnung (Thiele 2015: 130) – diese Einschätzung wird der Relevanz der Studie jedoch nicht gerecht. ‚Nationale Vorurteile‘ ist vielmehr die Grundlage der ab diesem Zeitpunkt stattfindenden Stereotypenforschung in Deutschland, die methodisch auf ein Erhebungsverfahren mit Merkmallisten setzt. Die Einordnung des Aufsatzes als eine Erweiterung des Ansatzes von Katz/Braly greift nicht nur aus diesem Grund zu kurz. Sodhi/Bergius beschäftigen sich in ihrer Studie mit der Frage, „welchen Kreis von Vorstellungen deutsche Menschen einer bestimmten sozialen Schicht von 14 europäischen und außereuropäischen Völkern haben: von den Amerikanern, amerikanischen Negern, Chinesen, Deutschen, Engländern, Franzosen, Indern, Italienern, Juden, Polen, Russen, Spaniern, Tschechen und Türken“ (Sodhi/Bergius 1953:14). Im Gegensatz zur Item-Liste von Katz und Brady mit 84 Begriffen mit 100 Amerikanern (ohne Erhebung soziodemographischer Faktoren) erweiterten Sodhi/Bergius die Eigenschaftsliste auf 206 Items, um die Problematik der „weitgehenden Modifizierbarkeit der Wortbedeutung durch die Beschaffenheit des Zusammenhanges“ (Sodhi/Bergius 1953: 25), der sogenannten „Polysemie“ (Ossenberg/Baur 2016: 13), einzugrenzen. Die Wahl der sogenannten „Völkergruppen“ wurde kurz nach dem zweiten Weltkrieg dabei bewusst in zwei Kategorien ausgearbeitet (vgl. ebd.:12). „Um die durch die jüngere Geschichte und Politik geprägten ethnischen Vorstellungen der Deutschen zu diesem Zeitpunkt […] [zu erheben], wurden zum einen nationale Gruppen ausgesucht,

3.1. Wissenschaftliche Studien im deutschsprachigen Raum

35

mit denen in der Zeit des Dritten Reichs und nach Kriegsende intensive Kontakte bestanden, zum anderen nationale Gruppen ohne einen solchen Kontakt“ (ebd.). Dabei folgen die beiden Sozialpsychologen der Stereotype-Definition von Kimball Young (1944) und definieren Stereotyp als einen falsch klassifizierenden „Begriff, mit dem im Allgemeinen irgendein starker Gefühlston des Mögens oder Nichtmögens, der Anerkennung oder Ablehnung verbunden ist. Die geringe Übereinstimmung der Stereotypen mit der Wirklichkeit ist also Folge einer Verallgemeinerung von ein oder zwei Einzelfällen“ (Sodhi/Bergius 1953: 19). Befragt wurden 442 männliche und 439 weibliche Deutsche mit Hilfe von Studierenden. Aussagen zu möglichen Migrationshintergründen wurden dabei nicht getroffen, auch wenn die Anzahl der Probanden mit einem solchen Hintergrund zum Zeitpunkt der Studie wahrscheinlich zu vernachlässigen ist. Obwohl in der Studie insgesamt 881 Personen befragt wurden, reduzierte sich die Anzahl der Befragten für die einzelnen ethnischen Gruppen dadurch erheblich. D.h., es wurden nur Teilgruppen der Gesamtstichprobe zu bestimmten ‚Nationen’ befragt. Diese Modifikation gegenüber der amerikanischen Versuchsanordnung war notwendig, weil eine Bearbeitung von 14 Eigenschaftslisten für die Versuchsperson viel zu ermüdend gewesen wäre […]. Wenn ein Mensch für alle 14 völkische Gruppen spezifische Charakteristika hätte angeben sollen, wäre er sicherlich davor zurückgeschreckt, sich hinsichtlich der Bezeichnungen zu oft zu wiederholen (Sodhi/Bergius 1953: 33). Diese auch aus heutiger Perspektive nachzuvollziehende befürchtete ‚Ermüdung‘ der Befragten ist der großen Anzahl von 207 Eigenschaften in der Merkmalliste von Sohdi und Bergius (davon stellte sich ein Item im Nachgang der Studie als doppelt gelistet heraus) geschuldet. Es scheint, als ob die beiden Forscher bei ihrer angestrebten Vergleichbarkeit mit der Studie von Katz/Braly während der Übertragung der amerikanischen Liste ins Deutsche auf eine Fülle von Übersetzungsproblematiken stießen. Diese Übertragungsfallibiltät lässt sich auch in heutiger Zeit noch exemplarisch zeigen: So gibt es beispielsweise für das Wort shrewd eine ganze Anzahl verschiedener Entsprechungen, die sowohl positiv als bspw. schlau oder aber negativ als hinterlistig ins Deutsche übertragen werden könnten. Weitere Entsprechungen, die in Wörterbüchern im deutsch-englischen Kontext aufge-

36

3. Forschungsstand – Stereotype-Untersuchungen im deutschsprachigen Raum

führt werden, sind im positiven Sinn schlau, gewitzt, scharfsinnig, gewandt, pfiffig; im negativ-konnotierten Sinn hinterlistig, gerissen, durchtrieben und arglistig. Als neutrale Übertragungen könnten die Übersetzungsäquivalente bauernschlau und geschäftstüchtig angesehen werden.6 Es scheint so, als ob sich Sodhi/Bergius deshalb dafür entschieden, mehrere Übersetzungsoptionen eines englischsprachigen Begriffes in ihre Liste aufzunehmen und zudem eine eigene Pre-Studie zu Merkmalen durchzuführen, um die Liste von Katz/Braly sowohl zu ergänzen, als auch auf ihre Anwendbarkeit auf den deutschen Kulturkontext zu überprüfen. Die angestrebte Vergleichbarkeit zu den Ergebnissen von Katz/Braly wird von den Autoren der Studie in ihren Ausführungen zum Forschungsdesign und der Begründung der zu charakterisierenden Gruppen ausdrücklich betont und die amerikanische Studie mehrfach als Referenzpunkt zur Einordnung der eigenen Arbeit genutzt (vgl. exemplarisch ebd.: 61, 67, 70). Dabei bezeichnen Sodhi/Bergius die Studie von Katz/Braly als „von unmittelbarere[r] Relevanz“ für die eigene Studie (ebd.: 20) sowie „vorbildlich für viele andere ähnliche Untersuchungen“ (ebd.). Leider können zu dem Punkt der Übernahme von Übersetzungen in der Erhebung von Sodhi/Bergius nur spekulative Annahmen getroffen werden, da transparente Dokumentationen weder zu den Versuchskonzeptionen von Katz/Braly noch von Sodhi/Bergius auffindbar sind. Hier zeigt sich eine Dokumentationsschwäche beider Erhebungen: Während die Ergebnisse der Studien noch heute nachlesbar sind, ist eine Nachvollziehbarkeit der Forschungsdesign-Entscheidungen und deren Umständen nur rudimentär möglich. Daher sind ein sinngemäßer Vergleich sowie eine Übertragung der genutzten Begrifflichkeiten der englischsprachigen sowie der deutschen Studie kritisch zu sehen. Bei der von Sodhi/Bergius vorgenommen Übertragung und Übersetzung sowie herangezogenen Vergleichbarkeit können jedoch trotzdem drei Begriffsgruppen differenziert werden: Zur ersten Gruppe der divergent semantischen Felder gehören englische Begriffe wie Extremely nationalistic und Very religious. Diese Bezeichnungen wurden in der Studie von Sodhi/Bergius mit den deutschen Begriffen heimatliebend und religiös gleichgestellt (vgl. ebd.: 48 f.). Dabei weisen jedoch die jeweiligen Prädikatoren (ebd.: 31) der beiden Sprachen unterschiedliche Konnotationen und semantische Felder auf; die Begriffsbedeutungen sind somit divergent. Durch Euphemismus (extrem

6

In heutiger Zeit ist die Übersetzung von Begrifflichkeiten von einer in die andere Sprache wesentlich erleichtert, da technische Hilfsmittel in Anspruch genommen werden können. Die hier angeführten Beispiele erheben keinen Anspruch auf eine exakte Übersetzung, sollen jedoch die Vielfalt verschiedener Übersetzungsprobleme und Übertragungsmöglichkeiten aufzeigen. Im Gegensatz dazu arbeiteten Sodhi/Bergius mit Druckwerken. Die damals eingebrachte Arbeitsleistung ist dabei nicht zu unterschätzen.

3.1. Wissenschaftliche Studien im deutschsprachigen Raum

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nationalistisch = heimatliebend) und Vermeidung eines Dysphemismus (sehr religiös = religiös) werden dabei unterschiedliche Intentionen gleichgestellt und unterschiedliche Definitionen der Begrifflichkeit verwendet. Zur zweiten Gruppe der divergenten Akzentuierung gehören verwendete Merkmale wie bspw. sportsmanlike und talkative. Diese Bezeichnungen wurden mit sportsmännisch und redegewandt übersetzt (vgl. Sodhi/Bergius 1953: 22, 40, 48.). An dieser Stelle kann nicht nur eine intendierte Akzentuierung, sondern eine unintendierte Gleichstellung der unterschiedlichen Bedeutungsfelder festgestellt werden. Sportsmanlike ist nicht mit „like a sportsman“ (also sportsmännisch) gleichzusetzen, sondern mit „fair“ zu übersetzen.7 Talkative kann zudem als geschwätzig und nicht als redegewandt ins Deutsche übertragen werden. Die Eigenschaft redegewandt impliziert, dass eine Person redebegabt ist und argumentativ schlagfertig ist.8 Geschwätzig dagegen ist eine Person, die sehr gesprächig ist – ein Terminus, der abwertend genutzt werden kann und nicht unbedingt ein Qualitativum unterstellt.9 Die dritte Gruppe der kontextabhängigen Deutung umfasst Begriffe, die abhängig von ihrer Verwendung zu verstehen sind. Dazu gehört pleasure-loving oder pugnacious, argumentative und quarrelsome (vgl. Katz/Braly 1933: 283). Der erste Begriff kann sowohl als genussfreudig, leichtlebig als auch als lebenslustig ins Deutsche überführt werden. Jedoch haben alle drei deutschen Termini dabei eine divergierende Bedeutung, basierend auf ihren jeweils zugrundeliegenden Konnotationen. Die übrigen drei englischen Begriffe könnten alle als streitsüchtig übersetzt werden. Dabei ist jedoch zu beachten, dass quarrelsome auch unverträglich bedeuten kann, pugnacious unter anderem auch als kampflustig, streitsüchtig oder rauflustig übersetzt wird und argumentative mit beweisend bzw. bestreitend oder auch streitlustig gleichgesetzt werden könnte. Somit besitzen alle drei o.g. englischen Bezeichnungen (quarrelsome, pugnacious und argumentative) eine synonyme Bedeutung (streitsüchtig), welche abhängig von dem Kontext mit unterschiedlicher Ausprägung interpretiert werden könnte. Wie oben illustriert, ist festzustellen, dass zu einer präzisen Übersetzung und Übertragung von Merkmalen aus einer Sprache in eine andere Wissensbestände vonnöten sind, die sich innerhalb einer gemeinsamen Entwicklung der Population ansammeln (vgl. Quasthoff 1986: 230 f.). Dem stimmt Heringer (2010) zu: „In einer Sprache ist Wissen formuliert und konserviert, das eben in einer anderen Sprache nicht festgehalten wurde. Das Wissen, das in einer Sprache formuliert wurde, ist vielleicht in einer anderen Sprache gar nicht formulierbar“ (ebd.: 210).

7 8 9

Vgl. dict (Abfrage vom 04.06.2015). Vgl. Duden (Abfrage vom 04.06.2015). Vgl. Duden (Abfrage vom 04.06.2015).

38

3. Forschungsstand – Stereotype-Untersuchungen im deutschsprachigen Raum

Ein Vergleich zwischen unterschiedlich sprachlichen Studien ist somit schwierig und kann unter Umständen zu verfälschten Ergebnissen führen, weil ein tieferes Verständnis der Begrifflichkeiten und ihrer Bedeutungen fehlt. Kommt zudem der Faktor der unterschiedlichen Anzahl von Eigenschaften und unterschiedlicher Referenzpunkte (Katz/Braly beziehen sich auf die Lebenswelten in den Vereinigten Staaten, Sodhi/Bergius auf die in West-Berlin), so verkompliziert dies eine Vergleichbarkeit enorm. So sind dann nicht nur Abgleiche der verwendeten Merkmale, sondern auch Übersetzungs- und Übertragungsproblematiken mit in die Überlegungen einer Merkmallistenerstellung einzubeziehen, indem Muttersprachler hinzugezogen werden. Abgesehen von dieser Frage gehen die beiden Berliner Sozialpsychologen Sodhi/Bergius aus damaliger Sicht methodisch strukturiert und reflektierend vor, indem sie ihrer Hauptstudie methodologische und methodische Fragen voranstellen und versuchen, ihr Fragebogen-Design an ihr Forschungsinteresse anzupassen. Bei den Voruntersuchungen erhoben zuerst „Studentische Mitarbeiter“ (Sodhi/Bergius 1953: 20) in Gesprächen mit „Bekannten, Freunden und Verwandten beiderlei Geschlechts in natürlichen Situationen“ (ebd.) geäußerte Merkmale zu den 14 „völkischen Gruppen“, die untersucht werden sollten (ebd.: 87). Dabei wurden 400 Eigenschaftsbezeichnungen und freie Assoziationen gesammelt, die anschließend in „einer Zusammenkunft der Arbeitsgemeinschaft zur Erforschung sozialpsychologischer Probleme“ (ebd.: 21) reduziert wurden. Weitere Aussagen zu diesem methodischen Vorgehen fehlen in der Studie. Dem Vorgehen von Katz/Braly folgend, wurde den Befragten von Sodhi/Bergius nach der Vorstudie eine Liste mit bezeichnenden Eigenschaften ausgehändigt – dies mit der Bitte, jene Eigenschaften zu unterstreichen, die ihrer Meinung nach die charakteristischen Eigenschaften einer „völkischen Gruppe“ beschrieben (vgl. ebd. 29 ff.). Insbesondere vor dem Hintergrund der Nähe des Erhebungszeitraumes zum Nationalsozialismus und der anschließenden Besatzung Deutschlands stellten sich dabei einige Problematiken: Der Hauptversuch erfolgte im Frühjahr 1951. Wegen starken Misstrauens, das sich eventuell aus der Ungewissheit über die Konsequenzen der Teilnahme ergab, blieben die Untersuchungen auf einen engen Personenkreis beschränkt. Befragt wurden Personen, die den Erhebenden das nötige Vertrauen entgegenbrachten. Es kann daher angenommen werden, dass die Befragten einen ähnlichen bildungsmäßigen, sozialen und ökonomischen Status hatten. Zudem handelte es sich um eine Auswahl von Personen, die regional auf den Raum West-Berlin beschränkt war. Ein methodischer Fortschritt gegenüber Vorgängerstudien lag in der Abfrage des Geschlechts der Teilnehmenden. Auch wenn die Autoren auf diese Neuerung in ihren theoretischen Ausführungen einen

3.1. Wissenschaftliche Studien im deutschsprachigen Raum

39

großen Wert legen, findet jedoch eben genau diese keine Bedeutung bei der Analyse der erhobenen Daten (vgl. Sodhi/Bergius 1953: 33). Neben der Listenabfrage beschäftigten sich die Autoren auch mit affektiven Einstellungen der Deutschen gegenüber den anderen 14 Völkern, d. h. die einzelnen Items der Eigenschaftenliste wurden auf ihren positiv bzw. negativ wertenden Charakter hin untersucht. Zu diesem Zweck wurden 30 Frauen und 32 Männer mit einem den Probanden des Hauptversuchs ähnlichen sozioökonomischen Status gebeten, die einzelnen Eigenschaften nach einer Skala zu bewerten. Aus den anschließend gemittelten Skalenwerten konnten sodann Ränge für die einzelnen Eigenschaftsmerkmale gebildet werden. Die Aussagekraft der statistischen Ausführungen von Sodhi/Bergius relativiert sich jedoch bei genauerer Betrachtung, da bei der Mittelung der Werte starke Wertstreuungen ignoriert wurden (vgl. Sodhi/Bergius 1953: 75). Dies ist dem Zeitpunkt der Studie und dem damaligen Stand der empirischen Vorgehensweise geschuldet, führte jedoch dazu, dass sich eine sehr rudimentäre Formel zur Berechnung einer „nationalen Konnotation“, damals als „Gefühlswert“ betitelt, verbreitete. Betrachtet man die von Sodhi/Bergius so definierten ‚Gefühlswerte‘, so ist auffällig, dass vor allem die Nationen, die zu den westlichen Siegermächten des zweiten Weltkrieges gehörten, die positivsten Zustimmungswerte erfuhren. Betrachtet man die genannten Eigenschaften, so zeigt sich, dass „Amerikaner“ eindeutig positiv und die „Russen“ eindeutig negativ von den Befragten bewertet wurden. Es wird ein klares West-Ost-Gefälle deutlich. Neben England, Frankreich und den USA, die zu den Alliierten der kriegerischen Auseinandersetzung von 1939 bis 1945 gehörten, steht Spanien als ehemals Verbündeter des Deutschen Reiches zum Zeitpunkt der Erhebung noch weiterhin in hoher Gunst bei den Befragten. Es folgt – als weiterer Alliierter des Deutschen Reiches im Zweiten Weltkrieg – die Türkei. Die positiven Zuschreibungen zu „Amerikanischen Negern“ lassen sich durch die Präsenz dieser Gruppe in den Streitkräften der Vereinigten Staaten erklären, die positive Grundstimmung zu Indern scheint ein Relikt der ‚arischen’ Rassenpropaganda des dritten Reiches zu sein. Auffallend ist bei Betrachtung der Ergebnisse (vgl. Tabelle 3), dass es einen positiven Gefühlswert zu „Juden“ gibt. Dies kann der Erhebungsmethode und dem Zeitpunkt der Studie geschuldet sein (soziale Erwünschtheit). Der negative Wert zu „Italienern“ lässt sich durch die frühe Kapitulation und den „Seitenwechsel“ Italiens im zweiten Weltkrieg und einer den Italienern von den Deutschen dadurch zugeschriebenen Rolle als „Verräter“ erklären.

3. Forschungsstand – Stereotype-Untersuchungen im deutschsprachigen Raum

40

Auffällig ist die negative Ausprägung des Gefühlswertes bei der Gruppe der Osteuropäer. Polen, Tschechen und Russen werden deutlich negativ beurteilt. Auch dies ist als Folge des Zweiten Weltkrieges zu betrachten. Tabelle 5: Eigene Darstellung der „Gefühlswerte“ zu Nationen nach Sodhi/Bergius

Gruppe

1

2

3

Platzierung

Nation/’ethnische Gruppen’

Gefühlswert

1

Deutsche

+1,67

2

Engländer

+0,99

3

Franzosen

+0,91

4

Amerikaner

+0,82

5

Spanier

+0,82

6

Türken

+0,66

7

Amerikanische Neger

+0,52

8

Inder

+0,27

9

Juden

+0,03

10

Chinesen

-0,02

11

Italiener

-0,06

12

Polen

-1,35

13

Tschechen

-1,53

14

Russen

-1,78

Die Merkmale stur, ungebildet, unkultiviert, urwüchsig und derb sind ausschließlich in der Bewertung zu Russen existent (vgl. Sodhi/Bergius 1953: 53.). „Russen“ werden zudem vermehrt negative Eigenschaften zugeschrieben; es zeigt sich ein deutlich negativeres Bild des Charakterologischen und Sozialethischen. Ähnlich negativ wirken auch die Zuschreibungen in den Kategorien des DumpfTriebhaften. Auffällig ist die Ähnlichkeit dieser Ergebnisse zu den Bildern der Deutschen über Polen und Tschechen (ebd.: 84.). Dem Erkenntnisinteresse dieser Arbeit folgend sind jedoch auch in dieser Studie vor allem die Antworten zu „Deutschen“ und „Türken“ relevant. Sodhi/Bergius führen dabei nur Antworten mit über 40 Prozent der Nennungen an.

3.1. Wissenschaftliche Studien im deutschsprachigen Raum

41

Im Vergleich mit/zu „Deutschen“ werden dabei die meisten Items über dieser prozentualen Hürde genannt – insgesamt 42 Eigenschaftszuschreibungen (vgl. ebd.: 37-38). Die ersten 20 Eigenschaften seien hier mit prozentualer Ausprägung genannt. Tabelle 6: Eigene Darstellung der Nennungen von über 40% bei Sodhi/Bergius zu „Deutschen“

Antwort

Prozent

1.

pflichtbewusst

85,8

2.

heimatliebend

82,3

3.

intelligent

81,9

4.

sauber

81,9

5.

fleißig

80,8

6.

handwerklich begabt

79,6

7.

gute Ärzte

78,5

8.

gute Wissenschaftler

77,9

9.

strebsam

76,8

10.

Arbeitstier

76,2

11.

gründlich

74,5

12.

kinderlieb

71,2

13.

zuverlässig

70,1

14.

tierliebend

70,1

15.

Dichter und Denker

70,1

16.

tapfer

70,1

17.

bürokratisch

69,8

18.

militaristisch

67,8

19.

musikalisch

67,8

20.

der beste Soldat

67,2

42

3. Forschungsstand – Stereotype-Untersuchungen im deutschsprachigen Raum

Im Vergleich zur amerikanischen Erhebung von Katz/Braly werden die Antworten der Deutschen zu Deutschen von Sodhi/Bergius wie folgt charakterisiert: Die von unseren Befragten den Deutschen zugeschriebenen Eigenschaften, die Ausdruck einer ernsten, schwer nehmenden Haltung sind, werden im entsprechenden Zusammenhang der amerikanischen Liste (‚fleißig‘, ‚methodisch‘ und ‚ausdauernd‘) durch das hinzutretende ‚schwerfällig‘ in ganz bestimmter Weise akzentuiert. Was in unserer Liste als ‚heimatliebend‘ bezeichnet wird, scheinen 24% der amerikanischen „Befragten ‚extrem nationalistisch‘ zu nennen (Sodhi/Bergius 1953: 48). Die beiden Sozialpsychologen differenzieren in ihrer Darstellung der Ergebnisse zwischen „spezifischen“ und „unspezifischen“ Eigenschaftsbezeichnungen (vgl. ebd.: 35). Spezifische Items waren dabei Antworten, „die nur im Urteil über ein einziges Volk einen Übereinstimmungsgrad von mehr als 40 % aufweisen“; unspezifische Items sind bei Sodhi/Bergius „Bezeichnungen, die eine Urteilsliste mit mehr als 5 weiteren Listen gemeinsam hat“ (ebd.: 35). Für Deutsche ergaben sich folgende Eigenschaften als spezifisch: pflichtbewußt (85,8%), gründlich (74,5%), zuverlässig (70,1%), tierliebend (70,1%), Dichter und Denker (70,1%), tapfer (70,1%), bürokratisch (68,9%), militaristisch (67,8%), der beste Soldat (67,2%), anständig (58,7%), ausdauernd (57,5%), kameradschaftlich (55,9%), Idealist (54,7%), Kulturträger (52,5%), gemütlich (52,5%), Überschätzung des Fremden (46,9%), sentimental (42,3%). Im Gegensatz zu den Antworten der Probanden zu Deutschen wurden bei den Antworten zu Türken keine spezifischen Eigenschaften festgestellt. Sodhi/Bergius folgern, dass ein Bild existieren würde, welches unspezifisch und durch Handelsvolk, handwerklich begabt und traditionsgebunden eine „nicht sehr eindeutige Strukturierung erfährt“ (ebd.: 47).

3.1. Wissenschaftliche Studien im deutschsprachigen Raum

43

Tabelle 7: Eigene Darstellung der Nennungen von über 40% bei Sodhi/Bergius zu „Türken“

Antwort

Prozent

1.

gastfreundlich

67,6

2.

religiös

65,7

3.

Nationalstolz

57,4

4.

freiheitsliebend

51,8

5.

heimatliebend

51,8

6.

Handelsvolk

49,9

7.

heißblütig

49,1

8.

hübsche Frauen

48,1

9.

traditionsgebunden

47,2

10.

handwerklich begabt

45,3

11.

bestechlich

41,6

12.

höflich

40,7

Im Vergleich zur amerikanischen Erhebung von Katz/Braly werden die Antworten zu Türken wie folgt charakterisiert: Religiös‘, ‚schlau‘ und ‚konservativ‘ bzw. ‚traditionsgebunden‘ sind die einzigen Bezeichnungen, die in beiden Listen gemeinsam vorkommen. Während die übrigen Züge in der deutschen Liste keinerlei Diskriminierung enthalten, decken sie sich in der amerikanischen Liste dem Wortlaut nach mit denen, die von unseren Befragten den Tschechen oder Polen zugeschrieben worden sind. Es sind diese Bezeichnungen für Eigenschaften und Verhaltensweisen, die eine Belastung und Erschwerung des friedlichen Zusammenlebend darstellen und daher sozialethisch minderwertig genannt werden können (Sodhi/Bergius 1953: 49). Hier ist eine Inkonsistenz in der Argumentation der beiden Berliner festzustellen. Das Adjektiv „schlau“ taucht in der Urteilsliste zu Türken in der Studie von Sodhi/Bergius nicht auf, wird jedoch im Vergleich zur amerikanischen Erhebung genannt. Zusammenfassend kommen Sodhi/Bergius zu folgendem Ergebnis: Obwohl auf der Individualebene immer wieder eine Interpretation allgemeiner Vorurteile vorgenommen werde, entstünden

44

3. Forschungsstand – Stereotype-Untersuchungen im deutschsprachigen Raum

Vorurteile in Wechselwirkung innerhalb einer spezifischen sozialen Gruppe und seien sowohl durch eine historische, als auch eine gesellschaftlich determinierte, diskursive Komponente maßgeblich (mit-)geprägt (vgl. ebd.: 84 ff.). Nachfolgende Publikationen der Autoren (vgl. u.a. Sodhi/Bergius/Holzkamp 1978) behandeln dabei das Verhältnis von Urteilenden und Beurteilten und der „wechselseitigen subjektiven Repräsentanz eines Partners bei dem jeweilig anderen, die verschieden ist von den tatsächlichen Eigenarten und Absichten der an der Beziehung Beteiligten“ (ebd.: 158). Ausgehend von der Annahme, Menschen würden abhängig von ihrem Umfeld Vorurteile über andere Personengruppen treffen, gehen die Autoren davon aus, dass aus der Verschiedenartigkeit der Personen unterschiedliche Bilder innerhalb der Personengruppen resultieren (vgl. ebd.: 159). Dabei hänge die subjektive Wahrnehmung einer Person von der gegenseitigen Wechselbeziehung zu anderen Personen ab. Darauf basierend könne zwischen vier Wechselbeziehungen unterschieden werden, welche sich zunächst grob in eine direkte und eine indirekte Wechselbeziehung unterteilen ließen und welche man beliebig oft untereinander verknüpfen könne. Die ersten beiden direkten Beziehungen beziehen sich dabei eher auf Eigenschaften oder Verhaltensweisen, im Gegensatz zu den beiden indirekten, bei denen es sich eher um Urteile handelt (vgl. ebd.: 160). Diese Bezugsformen von Sodhi, Bergius und Holzkamp können dabei wie folgt visualisiert werden, wie Thiele (2015) zeigt:

Tabelle 8: Bezugsformen v. Stereotypen nach Sodhi/Bergius/Holzkamp (1978), Darstellung nach Thiele (2015: 130)

Bezugsform

Stereotypform

Beispiel

S1 à S2 - Urteil

Ein Deutscher sagt: „Die Deutschen sind fleißig.“ Ein Deutscher sagt: „Die Franzosen sind nationalstolz.“ Ein Deutscher sagt: „Die Franzosen halten die Deutschen für brutal.“ Ein Deutscher sagt: „Die Engländer halten sich für das auserwählte Volk.“

Autostereotyp

S1 à S1 - Urteil S1 à (S2 à S1) - Urteil

S1 à (S2 à S2) - Urteil

Heterostereotyp Vermutetes Heterostereotyp

Vermutetes Autostereotyp

3.1. Wissenschaftliche Studien im deutschsprachigen Raum

45

Fokussiert „wird also stärker der Zusammenhang von Auto-, Hetero- und Metastereotypen [Kombination von vermuteten Auto- und Heterostereotypen, Anm. d. V.], […] dass es sich um Auffassungen über das eigene Volk oder fremde Völker handelt, die nicht unbedingt etwas mit der Realität zu tun haben, sich aber in der Realität auswirken“ (Thiele 2015: 131). Der Wert der Arbeit von Sodhi/Bergius für die hier vorgelegte Arbeit liegt aus den oben genannten Gründen somit nicht in den durch sie hervorgebrachten Erkenntnissen, sondern in ihrer Vorreiterstellung für die weitere Stereotypenforschung in Deutschland sowie der angewendeten Methode. Ein Blick auf die Ergebnisse lohnt sich nicht nur aus diesem Grunde trotz der identifizierten Schwächen der deutschen Pilotstudie. 3.1.3 Kellers Anpassungen Gottfried Keller befasst sich in seinen Publikationen vor allem mit Fragen, wie sich Stereotype in der Schule, bedingt durch den kultur- und landeskundlichen Unterricht (1969 und 1986) und durch Auslandsaufenthalte (1970), bei jungen Menschen entwickeln und ausprägen; welcher Stellenwert nationalen Stereotypen im Fremdsprachenunterricht zukommen soll (1997), wie auch dem Fremdverstehen und interkulturellen Lernen (1994, 1998). Seine Arbeiten zu diesen Themen werden vor allem in den 1970er und 1980er Jahren in der BRD im Kontext des Faches DaZ/DaF diskutiert und rezipiert. Für seine Untersuchungen passt er die Merkmalliste von Sodhi und Bergius an seine Forschungsfrage an, übersetzt sie ins Englische und Französische und zieht kulturkontrastive Vergleiche, indem er die Selbst- und Fremdbilder von Schülergruppen aus Deutschland, England und Frankreich gegenüberstellt. Diese Anpassung hat erhebliche Auswirkungen auf Erhebungen zu nationalen Stereotypen in der Landeskunde des Faches Deutsch als Zweit- und Fremdsprache, da sie in weiteren Forschungen übernommen wird, die hier verwendeten Items somit tradiert werden und sie sich später bei Apeltauer (1998/2002) wiederfinden. Für die hier vorgelegte Arbeit sind dabei besonders Kellers erste Arbeit zu Stereotypen (1969) als auch seine Ausführungen zum „Deutschlandbild amerikanischer, britischer und französischer Schüler im kulturkundlichen Unterricht“ (1986) aufschlussreich. In den Publikationen gibt Keller einen Einblick in die Entstehung der Merkmalliste (Modifikation der Liste von Sodhi und Bergius im Jahr 1969, Offenlegung der Items im Jahr 1986).

46

3. Forschungsstand – Stereotype-Untersuchungen im deutschsprachigen Raum

Keller (1969) beginnt seine Auseinandersetzung mit nationalen Stereotypen zur Thematik der Stereotype im Schulunterricht und zeigt dabei verschiedene sogenannte „Urteilsstrukturen“ britischer und deutscher Schüler und ihrer Fremdbilder. Dabei steht [...] zum Beginn seiner Forschung vor allem die Untersuchung der „Kritiklosen Übernahme von Gruppenstereotypen“ (Keller 1969: 176) im Vordergrund. Als Pädagoge legt er dabei einen besonderen Fokus auf die Erforschung des Umgangs mit Stereotypen in der gesellschaftlichen Institution Schule. Für den kulturkundlichen Unterricht, dessen Ziel in der Verständigung der Völker liegt, ist die Entscheidung zwischen sachbezogen-differenzierter Stoffdarbietung und kategorialer Vereinfachung des Auslandsbildes von eminenter Bedeutung, da diese zu einem Zerrbild des wirklichen Lebens und jene zu einer unüberschaubaren Fülle von Fakten führen würde, so daß im Unterricht keiner der beiden Wege als gangbar erscheint (ebd.: 175). Dabei differenziert er zwischen außerhalb der Schule und innerhalb der Schule erworbenen Urteilen. Das Augenmerk seiner Arbeit von 1969 liegt auf der Entstehung von Stereotypen bei Schülern zwischen 16 und 20 Jahren. Dazu wurden im Rahmen eines UNESCO-Modellversuchs an elf höheren Schulen in Großbritannien sowie Deutschland schriftliche Befragungen mit 1200 Teilnehmern beiderlei Geschlechts durchgeführt, mit dem Ziel, nationale Vorurteile zu Frankreich, Großbritannien, Russland, USA und Deutschland zu ermitteln. Den Schülerinnen und Schülern wurde die Eigenschaftsliste von Sodhi und Bergius vorgelegt (vgl. ebd.: 176). Im ersten Schritt unterstrichen sie diejenigen Eigenschaften, die sie einem Land zuordnen würden und erklärten anschließend ihre Wahl in schriftlicher Form. Diese zusätzlichen schriftlichen Erläuterungen sieht Keller als Vorteil zum Vorgehen von Sodhi und Bergius: Da solche Eigenschaftslisten u. E. besonders dann, wenn nur eine sehr begrenzte Anzahl von Eigenschaften den Versuchspersonen zur Wahl gestellt wird, Artefakte liefern, erhielten die Schüler die Aufgabe, zu beschreiben, was sie sich unter den von ihnen unterstrichenen Eigenschaften vorstellten. Um jegliche Beeinflussung durch die Eigenschaftslisten zu vermeiden, sollten andere Versuchsgruppen unabhängig davon, Unterschiede zwischen je zwei Ländern in Aufsatzform darstellen (ebd.). Keller geht davon aus, dass die von ihm untersuchten Schülerurteile und ihre „Strukturanalyse“ Rückschlüsse auf Denkvorgänge der Jugendlichen, die an seiner Befragung teilnahmen, zulassen. In den Aussagen der Schüler habe sich gezeigt, dass sich die Urteile auf die „Gesamtheit eines Volkes“ beziehen und demnach eine Verallgemeinerung stattfinde. Verdeutlichen lasse sich dies

3.1. Wissenschaftliche Studien im deutschsprachigen Raum

47

durch die Formulierungen, die die Schüler in Kellers Untersuchung benutzen. Sie sprechen von „den Engländern“ oder „dem Russen“ (vgl. ebd.). Kategorien, die einzelne Vorstellungen enthalten, würden sich zu einem immer größer werdenden und komplexeren Vorstellungsbündel zusammenschließen: „Sie [die Urteile, d. Verf.] werden apodiktisch mit einem sehr hohen Überzeugungsgrad geäußert und – bewusst oder unbewusst – mit einer affektiven Note versehen“ (ebd.: 177). In den von Keller so genannten Begründungskategorien, in denen die Probanden ihr Auslandsbild untermauern sollten, um den aus ihrer Sicht existenten „Wahrheitsgehalt“ ihrer Aussagen zu erhöhen (vgl. ebd.: 178), zogen die Schüler die wirtschaftlich-technischen Leistungen der Länder heran oder griffen auf kulturelle, sportliche oder politische Bereiche zur Legitimation ihrer Antworten zurück. Dabei wurden individuelle Erfahrungen dazu verwendet, diese wieder auf die Allgemeinheit zu projizieren. „Die partikulären Beobachtungen besitzen somit eine Stützfunktion für einen bestimmten Schatz sich bildender oder bereits vorgeformter stereotypisierter Vorstellungen“ (ebd.: 179). Laut Keller stellt nicht nur die Verallgemeinerung ein Problem dar, sondern auch der Zweck, zu dem die einzelnen Beobachtungen und Erfahrungen verwendet werden. Diese werde meist mit bereits vorab erworbenen Urteilen zu einem immer größer werdenden Völkerurteil zusammengestellt. Als weiteren Aspekt der Urteilsbildung macht Keller neben dem Einfluss des Tagesgeschehens auch die im Geschichtsunterricht vermittelten Bilder fest (vgl. ebd.: 180ff.). Die Schüler würden ihr im Geschichtsunterricht gewonnenes Wissen in ihre stereotypen Vorstellungen aufnehmen, sodass diese immer weiterwüchsen, an Kompaktheit gewännen und gestützt würden (vgl. ebd.). „Oft werden wichtige Vorkommnisse der Vergangenheit sogar als Beweis für Völkereigenschaften von heute angesehen“ (ebd.: 180). Trotz der Übernahme der Urteile komme es jedoch bei den befragten Schülern dazu, dass sie sich kritisch mit den Urteilen auseinandersetzen würden und deren Richtigkeit und den Wahrheitsgehalt in Frage stellten (vgl. ebd.: 182). Keller geht aufgrund seiner Strukturanalyse davon aus, dass sich diese Skepsis an allgemeinen Urteilen aus vier Begründungskategorien ableiten lasse, die nach seinen Testergebnissen in dieser Altersstufe ständig wiederkehren würden. Laut Keller gilt, dass: A) alle Menschen individuell sind und sich in ihren Eigenschaften und Wesenszügen unterscheiden, sodass über ein Volk keine allgemeinen Urteile gefällt werden kann. Wenn dies doch geschieht, hat dies eine „Verzerrung der Wirklichkeit“ zur Folge (vgl. ebd.: 183).

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3. Forschungsstand – Stereotype-Untersuchungen im deutschsprachigen Raum

B) die eigene Meinungsbildung dadurch erschwert ist, dass vorgefertigte Urteile von Anderen übernommen werden, ohne sie kritisch zu hinterfragen oder einer Überprüfung zu unterziehen (vgl. ebd.). C) der Anteil des Kontaktes zu anderen Ländern und Nationen so gering ist, dass es nicht gerechtfertigt sei, von dieser geringen Anzahl auf die Gesamtheit des Volkes zu schließen (vgl. ebd.). D) es mit gewissen Schwierigkeiten verbunden ist, einem Volk diverse Eigenschaften zuzuschreiben, da diese Eigenschaften auch in anderen Völkern beobachtbar und präsent sind. Daraus folgt, dass die verschiedenen Völker gleiche oder ähnliche Eigenschaften besitzen können (vgl. ebd.). Dennoch ließen sich in der Untersuchung bei vielen Schülern existierende Stereotype beobachten. Obwohl eine gewisse Skepsis gegenüber den Urteilen vorherrsche, sei deren Verbreitungsgrad sehr hoch (vgl. ebd.). Keller resümiert, dass anhand der Auswertung der Schülerurteile in seiner Studie zwei Gruppen von Urteilen gegenübergestellt werden können: Zum einen feststehenden Urteile, die sich kaum bis gar nicht verändern und mit Überzeugung an andere herangetragen würden, sodass kaum eine kritische Auseinandersetzung mit ihnen stattfinde; zum anderen Urteile, die aufgrund eigener Kontakte mit Vertretern einer Nation begründet würden (vgl. ebd.: 184). Keller sieht Stereotype als Orientierungshilfen und Bezugsrahmen, um neu erlangte Wahrnehmungen oder Beobachtungen in die vorhandenen Strukturgefüge mit einzubeziehen (vgl. ebd.). Im kulturkundlichen Unterricht gelte es, diese Urteile, die nicht der Wahrheit entsprächen, zum einen zu reduzieren und zu entzerren und zum anderen den Wahrheitsgehalt zu erhöhen (vgl. ebd.: 185). Lehrer sollen nach Kellers Auffassung den Versuch unternehmen, den Unterricht anders zu gestalten, sodass in den kulturkundlichen Fächern ein möglichst objektives Bild vom Ausland entstehe, welches dann auch vermittelt werden könne (vgl. ebd.). Keller beschäftigt sich in den folgenden Jahren weiter mit Stereotypen, gerade in Schulkontexten. In seinem Werk „Das Deutschlandbild amerikanischer, britischer und französischer Schüler im kulturkindlichen Unterricht“ geht Keller wesentlich später im Jahr 1986 der Frage nach, inwieweit die Kenntnis des „fremden Heterostereotyps die Kommunikationsfähigkeit mit Ausländern“ (vgl. Keller 1986: 209) und der damit verbundene Vergleich mit den eigenen Autostereotypen es Individuen erleichtere, diese Informationen „auf der Beziehungsebene besser zu interpretieren“ (vgl. ebd.).

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49

Aus dem Vergleich der verschiedenen Deutschlandbilder anderer Nationen läßt sich außerdem die Erkenntnis ableiten, daß Völkerurteile keine absolute Größe darstellen, sondern jeweils von der Perspektive der einzelnen Gruppen abhängen, die sich wiederum von der historischen Erfahrung, der geographischen und politischen Lage, den ökonomischen Verhältnissen und dem jeweiligen Selbstbild der fremden Nation erklären läßt (ebd.). Um dieser Frage weiter nachzugehen, wurden in Amerika, Frankreich und Großbritannien 823 Schüler im Alter von 16 bis 19 Jahren mithilfe der von Keller modifizierten Eigenschaftenliste von Sodhi und Bergius befragt10. Ziel war es, „dem Lehrer ein Meinungsraster als Interpretationshilfe für das Deutschlandbild anderer Nationen zur Verfügung zu stellen“ und ein „Grobraster für nationale Einstellungen [zu] ermitteln, das als nationale Meinungsfolie für den neusprachlichen Unterricht ausreicht“ (vgl. ebd.). Dabei verglich der Pädagoge nur Eigenschaften, die zu 40 % oder mehr durch die Befragten genannt wurden. Keller stellt fest, dass die „Schüler aller drei Nationen mit nur geringen Schwankungen etwa 20 Eigenschaften mit einem solchen Verbreitungsgrad als typisch deutsch angeben […], wobei überrascht, daß die stereotypen Leitvorstellungen der angelsächsischen Jugendlichen [gemeint sind hier britische und amerikanische Schüler] im Gegensatz zu denjenigen ihrer französischen Alterskameraden nahezu identisch sind“ (ebd.: 211). In seiner Analyse vergleicht er diese Eigenschaften, indem er diese in drei, sich überschneidenden Kreisen einträgt (vgl. ebd.). Dabei kommt er zu folgender Erkenntnis: Im Mittelpunkt des Deutschlandbildes der drei Nationen steht eindeutig das Leistungsstereotyp, das sich auf die Bereiche der Technik (good technicians), des Sports (sport loving) und der Musik (musical) bezieht. Eine semantische Ergänzung erfahren die Leistungsbegriffe durch affektiv ambivalente Charakter­eigenschaften und Fähigkeiten wie Pflichtbewußtsein, Willensstärke, Intelligenz sowie Stolz, Nationalstolz und Ruhmsucht. Aus diesem gemeinsamen Überzeugungskern verästeln sich die Meinungen über Deutschland zunächst in unterschiedlichen Zweierbündelungen bis hin zu den spezifischen Eigenschaften, die nur eine Nation als typisch deutsch ansieht. Auffallend ist, daß nur die beiden angelsächsischen Länder die Begriffe des Leistens und Könnens durch vier Stereotype noch weiter differenzieren (hard working, skilled craftsmen, good scientists und progressive). Franzosen und Engländer besitzen mit den beiden Eigenschaften well built und clean die schmalste gemeinsame Basis des Deutschlandbildes, die aller­dings bei Amerikanern und Franzosen auch nicht sehr viel breiter ist (home-loving, cultured people, organizers). Eine 10

Zwar gibt Keller hier Angaben zu den einzelnen Erhebungsorten, legt jedoch nicht offen, welche Kooperationspartner im Rahmen des UNESCO-Modellversuchs in den drei Ländern unterstützend tätig waren.

3. Forschungsstand – Stereotype-Untersuchungen im deutschsprachigen Raum

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weitere Überraschung weisen die spezifischen Eigenschaftsprofile sowohl in Bezug auf ihre Anzahl als auch auf ihre semantische Färbung hin. So beziehen sich die britischen Meinungen neben hardy auf Nationalismus, Militarismus und Antisemitismus; die Amerikaner halten die Deutschen als einzige Nation für freiheitsliebend, während sie sonst ein ambivalentes Charakterbild zeichnen (boastful, quick tempered, pleasure seeking, brave, Iove for children). Die Franzosen wiederum übertreffen mit elf spezi­fischen Eigenschaftsnennungen nicht nur numerisch die beiden anderen Nationen, sondern auch in der Anzahl der positiven Aussagen, die sich auf sprachliche Fähigkeiten, Sozialverhalten und Erwartungshal­tungen für die Zukunft beziehen. Welche Vorstellun­gen die französischen Schüler mit dem Begriff, Rassebewußtsein' verbinden, muß weiteren Untersuchungen vorbehalten bleiben (ebd.: 212). Diese Erkenntnis lässt Keller mehrere Empfehlungen für den Unterricht aussprechen: A) Das Deutschlandbild kann im „Rahmen eines kulturkundlich orientierten Themas“ auf dem Hintergrund der von Keller vorgelegten Erhebungen „besprochen und mit entsprechenden Texten vergleichend interpretiert werden“ (vgl. ebd. 215-216). B) Bei „stärker sozialkundlich ausgerichteten Unterrichtsreihen“, die sich mit Gruppenurteilen beschäftigen, lassen sich Erhebungen im Stile der Untersuchung von Keller als Projektarbeiten einbauen und C) Schüler können bei Kenntnis der Heterostereotypen in „entsprechenden Kommunikationssituationen adäquater reagieren“ (vgl. ebd. 215-216). Neben diesen Erkenntnissen lässt sich für die hier vorliegende Arbeit feststellen: Kellers Merkmalliste und seine Anpassungen des von Sodhi und Bergius entwickelten Fragebogens sind stark geprägt durch seine Tätigkeit als Lehrer sowie sein Forschungsinteresse, dass vor allem die Vorurteile und Stereotype von Schülern und somit jungen Menschen im interkulturellen Austausch in den Fokus rücken. Diese Fokussierung auf ein Themenfeld der Stereotypenforschung war bis dahin weitgehend unbehandelt. Grünewald (2005: 162) bezeichnet retrospektiv Kellers Liste als ein „besonders kurioses Beispiel der wilden Vermischung von Charaktereigenschaften, Vorlieben, Einstellungen, Haltungen, Verhaltensweisen und sozialen Attributen“. Diese simple Einschätzung könnte Kellers Arbeit jedoch nicht gerecht werden. Es ist nach der Entstehungs- und Entwicklungsgeschichte sowie dem Forschungskontext der Eigenschaftenliste von Keller zu fragen, so wie auch bei Thieles 2016 postulierter Kritik an der Liste von Sodhi und Bergius.

3.1. Wissenschaftliche Studien im deutschsprachigen Raum

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Keller streicht unkommentiert 45 Eigenschaften aus der Merkmalliste von Sodhi und Bergius und fügt die Eigenschaften Antikommunisten, Antisemiten, autoritätshörig, brutal, diszipliniert, fernsehbegeistert, freiheitl. Erziehung in Familien, freiheitl. Erziehung in Schulen, gute Erzieher, gute Hausfrauen, Heuchler, reserviert gegen Fremde, Revanchisten, schlechte Demokraten, Snob, sparsam, unbeholfen sowie zäh hinzu. Auffällig ist, dass von den 18 neu eingeführten Items alleine drei direkt im pädagogischen Kontext verortbar sind, während fünf Eigenschaften Zuschreibungen zu nationalen, kulturellen oder politischen Einstellungen darstellen. Die Eigenschaften autoritätshörig, brutal, diszipliniert, fernsehbegeistert, gute Hausfrauen, Heuchler, Snob, sparsam, unbeholfen und zäh lassen sich nicht in Kategorien zusammenfassen. Es spricht vieles dafür, dass sie durch offene Nennungen von Schülern, in Schulklassen geführten Diskursen sowie durch die langjährigen Forschungserkenntnisse Kellers eingeführt wurden. Zwischen der ersten Erhebung und der Publikation der Merkmalliste liegen 17 Jahre. In diesem Zeitraum scheinen diese 18 Items dem Lehrer so oft begegnet zu sein, dass sie von ihm als wichtig genug erachtet wurden, sie in seine Merkmalliste aufzunehmen. Der dazu betriebene (Forschungs-)Aufwand verdient Beachtung, wird hier doch eine elementare Modifikation der Liste von Sodhi und Bergius vollzogen. Während Grünewald (wie in Kapitel 3.1.9 gezeigt werden wird) sich vor allem auf Items, „die vorwiegend Charaktereigenschaften darstellen“, (Grünewald 2005: 163) konzentriert, um seine destillierte 20er-Liste zu erstellen, scheint es so, als ob Keller annimmt, dass zur Beschreibung von nationalen Stereotypen solche rein adjektivischen Beschreibungen zu kurz greifen könnten. Kellers Versuch, die Vielfältig- und -Schichtigkeit von Kulturen, Völkern oder Nationen erfassen zu können, bedingt somit auch eine Vielfältigkeit und Variation der dazu verwendeten Items. 3.1.4 Apeltauers Fortführung Ernst Apeltauer greift in seinen Untersuchungen zu Stereotypen die Merkmalliste von Keller (1986) auf, der, wie gezeigt, in seiner Forschung die Merkmalliste von Sodhi und Bergius modifiziert hat. Durch seinen Rückgriff auf eine existente Item-Batterie und deren Reproduktion ermöglicht Apeltauer somit Vergleiche zu den Arbeiten von Keller (und eingeschränkt zu den Arbeiten von Sodhi und Bergius). Eine longitudinale Betrachtung der Veränderbarkeit von Stereotypen im deutschen Kulturraum kann damit (zumindest in Teilen) vollzogen werden, wenn Forscher dabei soziale, politische und historische Entwicklungen zwischen den einzelnen Erhebungspunkten und Probandengruppen kritisch hinzuziehen und in ihre jeweiligen Interpretationen einfließen lassen. Apeltauer bringt in Bezug auf das Merkmallistenverfahren zwei Arbeiten in den Forschungsdiskurs

52

3. Forschungsstand – Stereotype-Untersuchungen im deutschsprachigen Raum

ein, die genauer betrachtet werden sollen, da hier weitere Verfeinerungen der Methodik vollzogen werden. Zum einen beschäftigt sich Apeltauer (1998) mit den Auto- und Heterostereotypen von deutschen und türkischen Studierenden, zum anderen zeigt er, dass sich im Schulunterricht von deutschlernenden norwegischen Schülern im Laufe ihrer Qualifikationsphase Veränderungen einstellen und dies durch den Fremdsprachunterricht Deutsch (und somit eventuell auch durch den Einfluss der deutschen Lehrwerke) bedingt ist (Apeltauer 2002). Gemeinsam mit Polat und Tapan diskutiert Apeltauer (1998) die Arbeiten von Keller im Rahmen von Seminaren in der BRD und der Türkei mit landeskundlichem Schwerpunkt. Die drei Forscher stellen fest, dass DaF-Studierende in Landeskundeveranstaltungen „nur ungern über […] Unterschiede“ berichten (Apeltauer/Polat/Tapan 1998: 163). Aus dieser Erkenntnis ergab sich der Wunsch des Forscherteams, Kellers Studien im deutsch-türkischen Kontext zu replizieren (vgl. ebd.). Ziel war es dabei, Sprachlehrer „mit einfachen Techniken zu Erhebung und Auswertung von Daten vertraut zu machen und sie dadurch zu befähigen, kleine Untersuchungen […] selbst durchzuführen“ (ebd.). Die durchgeführte Studie solle dabei vier Forschungsthemen bearbeiten: A) den Einfluss von Türkei- bzw. Deutschlanderfahrung auf Auto- und Hetereostereotype B) den Einfluss von interkulturellem Kontakt auf Kategorisierungstendenzen der Befragten C) Überschneidungen und Differenzen von Auto- und Heterostereotypen der Befragten D) Konsequenzen für die Ausbildung von DaF-Lehrkräften „Auf der Grundlage unserer Ergebnisse wollten wir Wahrnehmungspräferenzen und Kategorisierungstendenzen herausarbeiten und Veränderungen, die sich durch Kontakte ergeben, dokumentieren. Es ging uns letztlich also um die Klärung von Voraussetzungen interkultureller Kommunikation“ (Apeltauer/Polat/Tapan 1998: 163). Die Replikation bzw. Erweiterung der Untersuchung von Keller wurde dabei in der jeweiligen Landessprache durchgeführt. In Deutschland wurden 100 Probanden zu ihrem Heterostereotyp über Türken (davon 55 Probanden mit Türkeierfahrungen) sowie 79 Befragte zu ihrem deutschen Autostereotyp befragt (darunter 33 DaF-Studierenden mit Türkeierfahrungen). Auf türkischer Seite gab es 80 Probanden, zu Auto- und Heterostereotypen, davon 40 mit und 40 ohne Deutschlanderfahrung (vgl.: ebd.).

3.1. Wissenschaftliche Studien im deutschsprachigen Raum

53

Die Antworten der Probanden wurden zur Analyse geclustert. Dabei stand für die Fremdsprachenforscher vor allem die Überprüfung der Kontakthypothese im Vordergrund ihrer Forschung. Um die Hypothese, dass Stereotype durch Kontakt mit anderen Gruppen abgebaut werden, zu überprüfen, wurden die Antworten der Probanden miteinander verglichen. Dabei zeigte sich, dass die Autostereotype deutscher Studierender in drei Gruppen aufgeteilt werden konnten: Eine Gruppe mit Antworten, die alle Befragten teilen würden, sowie jeweils eine Gruppe, bei der die Antworten anscheinend durch eine existente oder fehlende Türkeierfahrung beeinflusst wurden. Bei der Analyse der Ergebnisse kommen Apeltauer/Polat/Tapan zu dem Schluss, dass Probanden mit Türkeierfahrung dabei „offenbar zurückhaltender in ihrer Selbsteinschätzung“ waren (vgl. ebd.: 166). Auch bei der Analyse der Heterostereotype deutscher Studierender ließen sich drei Antwortgruppen finden: eine Gruppe mit genannten Merkmalen, die von allen Probanden geteilt wurden, eine Gruppe von Eigenschaften, die von Probanden mit Türkeierfahrung häufiger genannt wurden, und Items, die von Probanden ohne Türkeierfahrung häufiger geteilt wurden. Dabei zeichneten sich die jeweils ersten Gruppen der Antworten als Merkmale mit einem „stabilen Kernbereich“ aus. Beim Heterostereotyp zu Türken waren dies in der Untersuchung familiengebunden, gastfreundlich sowie traditionsgebunden, bei den Autostereotypen fortschrittlich, gute Ärzte und reserviert gegen Fremde. Bei den stereotypen Einstellungen türkischer Studierender wurden durch die Forscher vier Gruppen der ähnlichen Merkmalsnennung festgestellt. Als „stabiler Kernbereich“ wurden hier bei den Autostereotypen die Eigenschaften heimatliebend, religiös, arm, gute Hausfrauen sowie schlechte Politiker evaluiert, bei den Heterostereotypen setzte sich den Angaben der Autoren zufolge der „stabile Kernbereich“ aus den Items diszipliniert, sportlich, reich und materiell eingestellt zusammen. Zusätzlich fanden Apeltauer/Polat/Tapan Antworten im Datenmaterial, das ausschließlich von türkischen Probanden angekreuzt worden war, die keine Deutschlanderfahrung mitbrachten. Diese nannten neun Eigenschaften, die „für die Mehrheit der Türken negativ konnotiert“ (ebd.: 167) waren. Dazu zählen die drei Fremdsprachenforscher reserviert gegen Fremde, konservativ, Überschätzung des Fremden, kameradschaftlich, der beste Soldat, schlau, gefühlsbestimmt und lebhaft. Das türkische Fremdbild werde durch Kontakt „im Kernbereich“ kaum verändert […]. Auswirkungen von Kontakten zeigten sich einerseits in einer Verstärkung vorhandener Sichtweisen […], andererseits aber auch in einer Abschwächung von stereotypen Wahrnehmungen […] sowie im Abbau überwiegend negativer Zuschreibungen […]“ (ebd.).

54

3. Forschungsstand – Stereotype-Untersuchungen im deutschsprachigen Raum

Die Autoren der Erhebung kommen zu folgendem Schluss: Die Vergleiche zwischen Selbst-und Fremdbildern deutscher und türkischer Studierender zeigen, daß es zwischen diesen Gruppen nur relativ wenige direkte Übereinstimmungen gibt. Das dürfte in Konfliktfällen die Bemühungen um eine gemeinsame Verständigungsbasis erschweren. Auffallend war […] auch, daß manche Merkmale, die von den türkischen Probanden -DE sehr häufig gewählt worden waren, von Probanden +DE fast gar nicht gebraucht wurden […] (ebd.: 169). 11 Bei der Untersuchung der Einstellung von norwegischen Schülern zu Deutschen verwendet Apeltauer (2002) zusätzlich zum Merkmallistenverfahren qualitative Methoden, um durch eine „Triangulation“ (vgl. ebd.) der Daten zu besser abgesicherten Aussagen zu kommen. Allerdings relativiert sich sein Anspruch durch die geringe Anzahl seiner Probanden […] Apeltauer geht davon aus, dass besonders die Fremd- und Selbstbilder einer Gruppe die Verständigung zwischen verschiedenen ethnischen Gruppen beeinflussen. Um dieser Frage nachzugehen, befragt der Fremdsprachenforscher insgesamt 163 Probanden an einer norwegischen Schule, davon 156 Gymnasialschüler […] (Ossenberg/Baur 2016: 14). Zusätzlich hinzugezogen wurden sechs Lehrende und ein nicht weiter definierter Proband im Erwachsenenalter. Alle Befragten gehörten weder einer großstädtischen noch einer ländlichen Bevölkerung an, sondern lebten in einer Kleinstadt in der Nähe von Oslo und verkörperten nach Apeltauers Auffassung den „Durchschnitts-Norweger“ (vgl. Apeltauer 2002: 97). Apeltauer geht [dabei] von drei Hypothesen aus: A. Gymnasialschüler stützen sich auf prototypische Formen von Stereotypen. B. Geringe Eigenerfahrung und kaum Kontakt mit Mitgliedern fremder Gruppen führen zu Beurteilungen, die auf kollektivem Wissen beruhen. C. Durch Erfahrungen und Erlebnisse differenziert sich das prototypische Bild mit zunehmendem Alter und führt zu individuellen Veränderungen bei der Einschätzung von Stereotypen (Ossenberg/Baur 2016: 14). Apeltauer kombinierte für seine Studie mehrere Verfahren, welche nicht auf alle Gruppen in gleicher Weise angewendet wurden. Gymnasialschüler wurden zwei Mal befragt. Zuerst explorierte

11

+DE, bzw. – DE stehen in dieser Studie für Studierende mit und ohne Deutschlandaufenthalt.

3.1. Wissenschaftliche Studien im deutschsprachigen Raum

55

Apeltauer mit einer schriftlichen Befragung mit offener Nennung „qualitativ“ das Feld. Daran anschließend wurde Kellers Merkmalliste den Schülern eine Woche später vorgelegt. Die erwachsenen Befragten wurden von einer ihnen vertrauten Person befragt, sodass die Interviews nach Apeltauer einen „informellen Charakter“ (vgl. ebd.: 97) hatten. Ein Gespräch dauerte rund 30 bis 50 Minuten. Für die Auswertung wurden die Antworten der offenen Fragen und die Antworten der Merkmalliste aus Gründen der Übersichtlichkeit in zwei Tabellen zusammengefasst. Beide Tabellen beinhalten die drei häufigsten genannten Merkmale. Tabelle 9: Eigene Darstellung der offene Assoziationen Apeltauers (2002)

Stufe

Klasse 8

Klasse 9

Klasse 10

Klasse 11-12

Eigenschaften

Deutsch-Unterricht o. Deutsch-Unterricht

Hitler/Krieg/Nazis

93 %

88%

nette Menschen

86%

37%

Gute Autos

69 %

k.A.

Hitler/Krieg/Nazis

82 %

k.A.

Bier

48%

k.A.

Berlin/Mauer

31 %

k.A.

Hitler/Krieg/Nazis

75 %

100%

Gute Autos

65%

k.A.

Berlin/Mauer

30 %

12,5%

Hitler/Krieg/Nazis

60 %

k.A.

nette Menschen

54%

k.A.

Bratwurst

38 %

k.A.

Die Erhebung per Merkmalliste wurde in der Studie anscheinend erst ab der Klasse 9 durchgeführt. Aus diesem Grund lassen sich in dieser Altersstufe keine Vergleiche anstellen.

56

3. Forschungsstand – Stereotype-Untersuchungen im deutschsprachigen Raum

Tabelle 10: Eigene Darstellung der Antworten- Merkmalliste Apeltauers (2002)

Stufe Klasse 9

Klasse 9

Klasse 11-12

Eigenschaften

Deutsch-Unterricht o. Deutsch-Unterricht

heimatliebend

76%

k.A.

nationalstolz

69%

k.A.

materiell

52%

k.A.

heimatliebend

70%

100%

nationalstolz

60%

100%

materiell

55%

50%

höflich

7%

k.A.

heimatliebend

71%

k.A.

gastfreundlich

52 %

k.A.

Beide Erhebungen der „Pilotuntersuchung“ (vgl. Apeltauer 2002: 96) zeigten, dass die befragten Schüler ohne Deutschunterricht ein einfaches Bild von Deutschen haben, während das Urteil von Schülern mit Deutschunterricht differenzierter ausfalle, so Apeltauer (vgl. ebd.: 103ff.). Während in den Klassen 8, 9 und 10 überwiegend in beiden Gruppen negative Einstellungen und Wertungen vorkommen, überwiegen in der Oberstufe (Klasse 11 und 12) bei den Schülern mit Deutsch-Unterricht insgesamt positive Merkmale (vgl. ebd.). Das hier durch Apeltauer trianguliert gewonnene Datenmaterial und der Methodenmix, der dabei vollzogen wird, stellt eine Weiterentwicklung des Ansatzes zur Studie von 1996 dar; Interviews werden hier geführt und weitere schriftliche Befragungen in den Forschungskanon einbezogen, um detailliertere Einblicke in die Entwicklung von Stereotypen zu bekommen. „Apeltauers Studie mit 178 Eigenschaften ist methodisch anregend, sie kann jedoch aufgrund der eingeschränkten Anzahl Befragter keine repräsentativen Aussagen liefern“ (Ossenberg/Baur 2016: 14). 3.1.5 Stapf/Stroeble/Jonas – Das Deutschenbild bei amerikanischen Studierenden Neben der tradierten Linie einer Stereotypenforschung in Deutschland, die sich auf die Merkmalliste von Sodhi/Bergius bezieht, gibt es, wie bereits angeführt, weitere Studien, die eine wichtige Rolle im Forschungskontext darstellen und (teilweise) eigene Merkmallisten erstellen und Items

3.1. Wissenschaftliche Studien im deutschsprachigen Raum

57

erheben. So beschäftigen sich Stapf/Stroebe/Jonas (1986) mit dem Deutschland- und Deutschenbild bei amerikanischen Studierenden. Dabei erheben die Autoren ausdrücklich keinen Anspruch auf Repräsentativität (Stapf/Stroebe/Jonas 1986: 58). Die Differenzierung zwischen stereotypen Darstellungen zu einem Land in Abgrenzung zu den Vorstellungen und Urteilen zu einer Nation oder Ethnie ist dabei stilprägend und lässt diese Studie im Wissenschaftsdiskurs der vergangenen 30 Jahre zu einem vielzitierten Keyreading der Stereotypenforschung im deutschsprachigen Raum werden, denn die Vorgehensweise, neben den Stereotypen über die verschiedenen Bevölkerungen gleichzeitig die Stereotype über die entsprechenden Länder zu erfassen“ [betrachtet], ob sich die politischen, geographischen u.a. Charakteristika der Länder auf die Wahrnehmung der soziologischen und psychologischen Merkmale der betreffenden Bevölkerungen auswirken und umgekehrt (Stapf/Stroebe/Jonas 1986: 13). Stapf, Stroebe und Jonas geben als Ziele ihrer Arbeit an: Zum einen sollen die Meinungen und Einstellungen der Befragten zu Deutschland und seiner Bevölkerung im Vergleich mit den Meinungen und Einstellungen zu anderen Nationen erfaßt werden. […] Zum anderen wird diese zunächst deskriptive Zielsetzung in einem theoretischen Rahmen erweitert, der die Resultate sozialpsychologischer Forschung über die Entstehung und Veränderung von Einstellungen berücksichtigt (ebd.). Durch einen „multimethodischen“ Zugang (einer Triangulation von standardisierter und mündlicher Befragung) „sollte sichergestellt werden, daß die Ergebnisse nicht als Resultat spezifischer Fragetechniken o.ä. anzusehen sind“ (ebd.). Die Autoren fassen im Folgenden die amerikanische Forschung zum Deutschlandbild wie folgt zusammen: Überblickt man die vorliegenden Untersuchungen, so erweist sich im amerikanischen Deutschenbild der letzten 50 Jahre ein bestimmter Aspekt als äußerst zeitstabil: man sieht die Deutschen als fleißig an. ‚Fleißig‘ ist in allen Arbeiten, die eine vorgegebene Eigenschaftenliste verwendeten, unter den häufigsten ausgesuchten Merkmalen. Dies trifft für die früheste zitierte Untersuchung (Katz&Braly 1933) genauso zu wie für die STERN-Umfrage von 1980. Selbst während des Zweiten Weltkrieges konnten die zum Stereotype hinzutretenden negativen Aspekte diese Einschätzung nicht verdrängen (ebd.: 50). Zusätzlich, so Stapf/Stroebe/Jonas weiter, sei festzustellen, dass auch weitere Attribute immer wieder in der amerikanischen Forschung zu Deutschen vorkommen würden: wissenschaftlich orientiert,

58

3. Forschungsstand – Stereotype-Untersuchungen im deutschsprachigen Raum

geschäftstüchtig sowie gründlich. Bei Befragungen während des Zweiten Weltkrieges seien „immer wieder Eigenschaften zugeschrieben [worden], die die Ereignisse der Hitlerzeit und des Krieges reflektieren“ (ebd.: 51). Items wie rachsüchtig, grausam, extrem nationalistisch sowie militaristisch hätten zwar dann nach Kriegsende an Bedeutung verloren, jedoch sei noch 1977 festzustellen gewesen, dass „knapp ein Drittel der Amerikaner der Bundesrepublik […] aufgrund der Nazizeit noch mit Misstrauen […] begegnen“ (ebd.). Die drei Sozialpsychologen machen aus, dass in Amerika vor allem Medien bei der Bildung von stereotypen Vorstellungen zu Deutschen einen großen Einfluss haben (ebd.). Der Nationalsozialismus in Deutschland scheint jedoch keinen prinzipiellen Einfluss auf das Deutschen- und Deutschlandbild in den Vereinigten Staaten zu diesem Zeitpunkt zu haben: „Alles in allem ist das Deutschenstereotyp jedoch keinesfalls besonders negativ“ (ebd.: 52), fassen Stapf/Stroebe/Jonas zusammen. Insgesamt wurden in ihrer Studie 1439 Studierende an Colleges in den US-amerikanischen Bundesstaaten Kalifornien, Indiana, North Carolina und Pennsylvania/Connecticut befragt. Das Durchschnittsalter betrug knapp 20 Jahre (vgl. ebd.: 64), 43% der Befragten waren männlich und 57% weiblich. Weitere abgefragte soziodemographische Faktoren waren unter anderem „Religion; Staatsangehörigkeit; Studienfächer; Studienjahr; Bildung der Eltern; Einkommen der Eltern; […] bisherige Fremdsprachenkenntnisse; Absicht, bestimmte Fremdsprachen zu lernen […]; Nützlichkeits- und Schwierigkeitseinschätzungen verschiedener Fremdsprachen; […] Reisen; Auslandskontakte; Interesse an einem Auslandsstudium; präferierte Länder“ sowie die politische Einschätzung, als auch die „Informationsquellen über Europa (Medien; Zeitungslektüre)“ (vgl. ebd.: 85). Zum Vorgehen von Katz/Braly grenzen sich Stapf/Stroebe/Jonas wie folgt ab: A) Eine eigene Voruntersuchung wird durchgeführt, um „zu gewährleisten, daß die Eigenschaftenlisten auch Adjektive enthalten, die die Befragten von sich aus zu Kennzeichnungen der Nationen verwenden“ (ebd.: 79). Diese „spontanen Assoziationen“ flossen in die Merkmalliste der drei Sozialpsychologen ein. B) In den resultierenden Listen sollten „möglichst für alle beurteilten Bevölkerungen jene Eigenschaften enthalten sein, die von den Befragten als für die betreffende Bevölkerung charakterlich angesehen werden“ (ebd.). Aus diesem Grund wurde die Studie von Karlins/Coffman/Walters (vgl. Kapitel zur Studie von Katz/Braly und der Princeton-Triologie dieser Arbeit) eingepflegt, indem „die wesentlichen Adjektive übernommen [wurden], die den Teilnehmern der Studie als typisch für die verschiedenen Bevölkerungen erschienen“ (ebd.).

3.1. Wissenschaftliche Studien im deutschsprachigen Raum

59

C) Es wurden Adjektive verwendet, „die zur Interpretation der kognitiven Vorstellungsräume der Länder und Bevölkerung geeignet sind“ – also die Unterscheidung von Stereotypen zu Land und Bevölkerung zulassen. D) Semantisch ähnliche Adjektive wurden vermieden. E) Es wurden Eigenschaften gewählt, die „als Indikatoren für die Gefühle gegenüber Ländern bzw. Bevölkerungen geeignet sind“ (ebd.). Zudem legten die Forscher Wert auf eine „höhere Quantifizierbarkeit […] gegenüber dem Verfahren von Katz & Braly“ (ebd.). Daß z. B. unter den häufigsten Nennungen bei zwei Bevölkerungen jeweils das Attribut ‚aggressiv‘ auftaucht, bedeutet noch nicht, daß die beiden Nationen als gleich aggressiv gesehen werden. Wenn sich unter den fünf am häufigsten genannten Eigenschaften von Bevölkerung A ‚intelligent‘ befindet und bei Bevölkerung B nicht, ist unklar, wie hoch der nach Ansicht der Befragten zwischen beiden Gruppen bestehende Intelligenzunterschied ist (ebd.). Aus diesem Grund folgen die Autoren der Empfehlung von Brigham (1971) und bitten die Probanden, „für die Bevölkerung prozentuale Einschätzungen abzugeben (Stapf/Stroebe/Jonas 1986: 79), inwieweit diese prozentual mit diesem Item charakterisiert werden könne (vgl. ebd.). Insgesamt wurde eine vorläufige Liste mit Bevölkerungseigenschaften (60 Items) und 38 Ländereigenschaften erstellt sowie in Pre-Tests in einem ersten Schritt erprobt. Eigenschaften, die durch offene Nennungen in den Pre-Tests erfolgten, wurden aufgenommen. In einem zweiten Schritt wurden aufgrund dieser Erfahrungen diese Listen reduziert. Mit Hilfe der „hierarchischen Clusteranalyse“ (ebd.: 81) wurden Items „gruppiert […] [und dies] sukzessiv nach abnehmender Höhe des Zusammenhangs“ (ebd.). Um die Länder- und Bevölkerungseigenschaften weiter zusammenzufassen, ist also ein Maß für den Zusammenhang zwischen den Eigenschaften erforderlich. Als Maß eignet sich die zwischen je zwei Adjektiven bestehende Korrelation der Einstufungen aller Befragten. Die Korrelation sollte sich dabei umso stärker in positiver (negativer) Richtung verändern, je ähnlicher (unähnlicher) zwei Eigenschaften erscheinen bzw. je häufiger (seltener) sie nach Ansicht der Befragten zusammen auftreten (ebd.).

60

3. Forschungsstand – Stereotype-Untersuchungen im deutschsprachigen Raum

57 Studierende (30 Personen für den Länder-Fragebogen, 27 Personen für den Bevölkerungsfragebogen) gaben eine Einschätzung zu Eigenschaften und ihrer prozentualen Einschätzung zu Bevölkerungen und Ländern an. Dabei wurden zusätzlich Cluster der Vorerhebung zu gleichen Teilen berücksichtigt und „semantisch ähnliche Adjektive“ (ebd.) dabei weiter reduziert. Die finalen Listen enthielten nach dieser Reduzierung „26 Ländereigenschaften und 25 Bevölkerungseigenschaften“ (ebd.). Die drei Autoren der Studie halbierten somit die Liste der Bevölkerungseigenschaften und reduzierten die Ländereigenschaften von 38 auf 26 aufgrund der Einschätzung von 27 bzw. 30 Studierenden der US-amerikanischen Hochschule Chapel Hill. Das methodisch sehr durchdachte Vorgehen von Stapf/Stroebe/Jonas ist im zeitlichen Kontext der Studie beachtenswert. Das Nadelöhr der geringen Anzahl der Einschätzungen, der sich daraus ergebenden resultierenden Verengung des Blickwinkels und die dadurch bedingte Destillation der jeweiligen Merkmallisten ist jedoch kritisch zu hinterfragen. Der methodischen Innovation (Cluster-Analyse) steht dieser operationale Mangel einer zu geringen Probandenanzahl für diese Reduktion der zu verwendenden Eigenschaften in der Pre-Studie gegenüber. Die vielbeachtete Arbeit der drei Autoren wird trotz dieses Defizits in mehreren Abhandlungen zu Stereotypen diskutiert, erwähnt und in forschungsmethodische Überlegungen einbezogen (vgl. exemplarisch: Mog: 1994, Iberische Halbinsel: 1999, Grünewald: 2005). Während die Aussagekraft der Studie hinterfragt werden kann, lassen sich aus dieser Arbeit einige methodische Konsequenzen zum Erhebungsvorgehen ableiten. Forschungspraktisch wird hier zum ersten Mal eine Clusteranalyse durchgeführt und diese methodisch begründet. Im Gegensatz zu reinen prozentualen Auszählungen werden verschiedenste Korrelationen und Gatter in Relation zueinander gesetzt und durch die Triangulation von Daten wird der Versuch unternommen, zu aussagekräftigeren Einschätzungen und Bewertungen der Probandenantworten zu kommen und die Muster hinter den Bildern in den Köpfen zu erkunden. Stapf/Stroebe/Jonas weisen erstmalig statistisch (wenn auch nur exemplarisch) nach, dass diese Muster der stereotypen Einschätzungen existieren. 3.1.6 Hann und die Erkundung semantischer Felder Ulrich Hann (1986) ist einer der Ersten der in Fragen der Erhebungen zu Stereotypen mit dem Merkmallistenverfahren in seiner Arbeit „Aspekte interkultureller Kommunikation. Eine Studie zum Deutschlandbild der Koreaner und zum Koreanerbild der Deutschen in Südkorea auf der

3.1. Wissenschaftliche Studien im deutschsprachigen Raum

61

Grundlage phänomenologischer Alltagsbeobachtungen und empirisch ermittelter nationaler Stereotypen“ die Frage der kulturbedingt unterschiedlichen Konnotationen in den wissenschaftlichen Diskurs einbringt. Nach einem Studium am Institut für Kommunikationsforschung und Phonetik in Bonn (IKP) und beeinflusst durch Gerold Ungeheuer (vgl. Hann 1986: 15) legt der zu diesem Zeitpunkt als DAAD-Lektor tätige Wissenschaftler eine Arbeit vor, die aufgrund des neuen Fokus auf die Konnotationen der verwendeten Items einer Merkmalliste einen enormen Fortschritt in der deutschsprachigen Stereotypenforschung darstellt. Er ist zudem neben Stapf/Stroebe/Jonas (1986) einer der ersten Stereotype-Forscher, die sich bei der Auswertung ihrer Befragung der elektronischen Datenverarbeitung bedienen und nicht händisch auszählen. In seiner Dissertation zum Deutschen- und Deutschlandbild in Südkorea verfolgt Hann dabei den Ansatz, eine kulturspezifische Merkmalliste im deutsch-südkoreanischen Kontext zu erstellen und diese gerade in Bezug auf ihre semantischen Felder zu erforschen. Dabei kommt er zu neuen Erkenntnissen bei der Frage nach sprachlichen und kulturellen Konnotationen sowie der Transferierund Vergleichbarkeit von Items im Rahmen einer standardisierten Befragung mit Hilfe eines Checklisten-Verfahrens. Seine Arbeit kann (nicht nur) aus diesem Grund als stilbildend und forschungsprägend angesehen werden. Während sich Katz/Braly, Sodhi/Bergius und Keller vor allem damit beschäftigen, welche unterschiedlichen Einstellungen und Stereotype (wechselseitig) bestehen, rückt bei Hann die Frage in den Mittelpunkt, ob Merkmallisten nicht implizit durch die verwendeten Items und ihre semantischen Felder (inter-)kulturell eventuell falsch interpretiert werden könnten. Die Entdeckung, daß eine Reihe von Eigenschaften von den Deutschen bzw. von den Koreanern offensichtlich interkulturell unterschiedlich bewertet werden, wurde anfangs […] nur durch Alltagserfahrungen bzw. Alltagsbeobachtungen gemacht. Es waren einfache Alltagssituationen, an denen sich dies anschaulich illustrieren läßt: Hunde werden in Korea z.B. vorzugsweise gegessen oder verbringen ihr Leben an einer Leine. […] Höflich, im Westen im Sinne von zuvorkommend, korrekt, auch formell verwendet, scheint bei Koreanern eine viel größere soziale Dimension zu beinhalten, z.B. Ehrerbietung, Verantwortung, Unterordnung, Anpassung und Bescheidenheit gegenüber älteren Personen. Die Eigenschaft ‚menschlich‘, d.h. human im Sinne von Nächstenliebe, scheint bei den Koreanern weitaus kompliziertere Implikationen zu haben als bei einem Deutschen. […] Das Problem ist äußerst komplex. Es handelt sich hier nicht ausschließlich um semantisch unterschiedliche Konnotationen, die mit Hilfe der Lexika zu ermitteln wären […]. Im situativen Kontext treten gleichzeitig Differenzen auf, die wahrscheinlich durch die unterschiedlich bewerteten normativen Regelsysteme und durch die verschieden wirksamen interpersonellen

62

3. Forschungsstand – Stereotype-Untersuchungen im deutschsprachigen Raum Bezugssysteme verursacht werden und zu den […] Verhaltensproblemen und -konflikten führen (Hann 1986: 45f.).

Dieses Problem der „interkulturellen Alterität“ (ebd.: 47) sei bereits von Edwards (1940), Sodhi/Bergius (1953), Raffler-Engel (1976) und Breitenbach (1980) erkannt worden, jedoch berücksichtige „[k]einer von ihnen […] diesen Sachverhalt bei der empirischen Auswertung.“ (ebd.). Aus diesem Grund wurden durch Hann qualitative Aussagen aus Gesprächen, so bezeichnete „Alltagsbeobachtungen aus wechselseitiger Sicht“ (ebd.: 65), zu Auto-, Hetero- und Metastereotypen von Koreanern und Deutschen zu beiden Gruppen gesammelt, die in die Bildung der Merkmalliste von Hann miteinflossen. „Phänomenologisch“ vorgehend und sich u.a. auf Blumer (1969), Schütz (2003 [1954]) und Watzlawick et al. (1974) beziehend (vgl. Hann 1986: 66), wurden dabei ‚Notate‘ und ‚Stenogramme’ durch Hann gesammelt und systematisiert (vgl. ebd.: 67). Sie „wurden von 1978-1980 vorwiegend im Fremdsprachenunterricht und im inneruniversitären Betrieb niedergeschrieben“ (ebd.). Ebenso hatte Hann ab 1981 „Zugang und Beobachtungsmöglichkeit bei professioneller Kommunikation, die ebenso hinsichtlich typischer Verhaltensweise und typischer Interaktionssituationen zwischen Deutschen und Koreanern beschrieben wurden“ (ebd.). „Es wurden […] Studenten und Schüler befragt, darüber hinaus wurden ebenso die Aussagen von deutschen und koreanischen Geschäftsleuten, Professoren und Lehrkräften notiert“ (ebd.). Hann entwickelt darauf aufbauend in seiner Arbeit ein System von „Bewertungskombinationen“ (vgl. ebd.: 49), indem er deutsche und (süd-)koreanische Konnotationen mit Hilfe einer „Übersetzerkommission“ für die Eigenschaften seiner Liste spezifiziert. Diese „Etikettierungen“ (ebd.) – im ersten Schritt eine vierstufige Likert-Skala mit den Kategorien ‚--‘, ‚-+‘, ‚+-‚ sowie ‚++‘ zur Erfassung der Bewertung einer der beiden Gruppen (vgl. exemplarisch ebd.: 42) und eine darauf aufbauende komplexere Zusammenführung der Einschätzungen beider Probandengruppen in ein Kategoriensystem (ebd.: 41, 44) – flossen in die Auswertung und „Verschränkung“ der erhobenen Daten ein. „Es gibt also einerseits eine bestimmte Menge äquivalenter Items bei beiden Kulturen und die lassen sich auch nach gemeinsamen Merkmalen wie affektiver, kognitiver und konativer [sic!] Wahrnehmung messen“ (ebd.:49). Im Anschluss daran wurden 11 koreanischen Lernergruppen unterschiedlichen Alters, unterschiedlichen Geschlechts, unterschiedlicher Bildungsvoraussetzungen, aber ähnlichen sozialen Milieus und unterschiedlicher regionaler Herkunft (Stadt/Land) im Oberschul- und Hochschulbereich zwei

3.1. Wissenschaftliche Studien im deutschsprachigen Raum

63

Eigenschaftenlisten mit jeweils 62 verschiedenen Items vorgelegt. […] Dieselben Erhebungen wurden 50 deutschen Staatsangehörigen in Seoul und 10 Deutschen in der Provinz postalisch zugestellt (ebd.: 138). In einer zweistufigen Erhebung wurden im ersten Schritt 366 Personen (darunter 18 Deutsche) und im zweiten 334 Personen (darunter 19 Deutsche) befragt (vgl. ebd.). Die Probanden sollten dabei jeweils mindestens zwölf Eigenschaften ankreuzen, von denen ‚sie glauben, dass sie für Deutsche und Koreaner ‚besonders’ zutreffen würden. Zudem sollten mindestens 12 Eigenschaften ausgewählt werden, von denen sich die Probanden wünschten, dass ihre ‚engsten Freunde’ diese besitzen sollten (vgl. ebd.). Nach der ersten Erhebung „wurden die Ergebnisse je Gruppe manuell ausgezählt, die Eigenschaften nach Häufigkeitswahl in Rangplätzen von 1-62 auf einer Liste geordnet, vervielfältigt und in die koreanischen Gruppen zur Diskussion zurückgeführt“ (ebd.: 140). Dort wurden „auf dem Weg der freien Beschreibung eine landesspezifische Liste von Eigenschaften“ (ebd.) erstellt, die u.a. keine „identischen Items enthalten durfte“ (ebd.) und rund genauso viele positive als auch negative Eigenschaften umfassen sollte (vgl. ebd.). „Diese freie Beschreibung wurde von einer deutschkoreanischen Übersetzungskommission […] geordnet (201 Items), ausgewählt und zu einem landesspezifischen Fragebogen analog der Erhebung 1 zusammengestellt. Die Versuchsdurchführung von Erhebung 2 erfolgte analog zu Erhebung 1“ (vgl. ebd.). Ab diesem Schritt geht Hann abseits des Merkmallistenverfahrens um das Erkenntnisinteresse seiner Arbeit weiterzuverfolgen, indem er in einem dritten Durchlauf die erhobenen ‚kollektiven Urteile‘ den Gruppen gemeinsam mit manipulierten Texten, in denen die „häufigsten negativen und positiven stereotypen Urteile eingearbeitet waren“ (ebd.: 142), als „Abschlußklausur eines Semesters“ im DaF-Unterricht stellt (vgl. ebd.). Hann kommt in seiner Arbeit zu folgendem Schluss: Die Koreaner bewerten sich selbst im Vergleich zu früheren Erhebungen […] deutlich besser. Diese positivere Selbsteinschätzung könnte mit dem dynamischen Wirtschaftsaufschwung der letzten Dekade zusammenhängen. Die Koreaner haben zu einer kritischeren und objektivierenderen Einstellung zu den Deutschen gefunden. Zwar ist die Tendenz positiver Voreingenommenheit gegenüber den Deutschen weiterhin anhaltend, aber es werden inzwischen sowohl in den Alltagsbeobachtungen wie im Eigenschaftenlistenverfahren auch negative Eigenschaften der Deutschen angesprochen, z.B. aggressiv, arrogant, überheblich u.a.

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3. Forschungsstand – Stereotype-Untersuchungen im deutschsprachigen Raum Die Deutschen schätzen sich der Tendenz nach im Selbstbild deutlich selbstkritischer ein als die Koreaner. Die Koreaner sehen die Deutschen sogar noch positiver als die in Südkorea tätigen Deutschen die Koreaner. Die Koreaner sehen die Deutschen sogar noch positiver als die Deutschen sich selbst sehen (vgl.: ebd.: 300f.).

Die Arbeit von Hann ist nicht nur aufgrund ihrer Ergebnisse im deutsch-koreanischen Kontext der damaligen Zeit zu beachten. Vielmehr „wurden in dieser Untersuchung zum ersten Mal Alltagsbeobachtungen und Urteile von Personen beider Nationalitäten und [Hervorhebung im Original] empirisch ermittelte stereotype Urteile gleichzeitig [Hervorhebung im Original] vorgestellt, miteinander verknüpft und […] aufgearbeitet“ (ebd.: 302). Die angewandte Methoden-Triangulation im Rahmen des DaF-Unterrichtes sowie die Konzeption der Durchführung bieten einen Einblick in die Problematik interkultureller Erhebung, die vor allem den Schwerpunkt auf kommunikative Problematiken legen. Eine zusätzliche Erhebung über die Grenzen Südkoreas und somit eine ergänzende Befragung in Deutschland wäre sicherlich lohnenswert, war jedoch nicht die Zielsetzung von Hanns Arbeit, ging es ihm doch um Problematiken interkultureller Kommunikation von Südkoreanern und Deutschen, die hauptsächlich auf Englisch miteinander kommunizierten und nicht um einen Vergleich von Deutschen, Deutschen die in Südkorea leben (dort also quasi eine Migrationsgruppe bilden) und Südkoreanern. Die Einbeziehung der kulturbedingten Konnotationen verwendeter Merkmale und ihre Berücksichtigung in die statistische Auswertung zeigt neue Wege von Vergleichsmöglichkeiten im Merkmallistenverfahren auf, die mindestens in Bezug auf parallele Erhebung zu den Konnotationen von Items in Eigenschaftenlisten mit bedacht werden sollten. Eine Operationalisierung und Hinzuziehung dieser Konnotationen (zumindest) in die Interpretation von prozentualen Ergebnissen von Merkmallistenerhebungen zu Stereotypen scheint lohnenswert. 3.1.7 Der historische Ansatz von Koreik Im Gegensatz zu Sodhi/Bergius (1953), Hann (1985), Stapf/Stroebe/Jonas (1986) sowie Apeltauer (1998 und 2002) liegt Koreiks Augenmerk (1993 und 1995) auf dem Einfluss der deutschen Geschichte im Rahmen des Landeskundeunterrichts für Deutsch als Fremdsprache (DaF) in Hinblick auf die damit verbundenen und vermittelten Stereotype.

3.1. Wissenschaftliche Studien im deutschsprachigen Raum

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In seiner Dissertation „Deutschlandstudien und deutsche Geschichte: die deutsche Geschichte im Rahmen des Landeskundeunterrichts für Deutsch als Fremdsprache“ publiziert der Linguist 1995 dazu Ergebnisse seiner Erhebungen, in denen mit verschiedenen Instrumenten Antwortmöglichkeiten zum Deutschen- und Deutschlandbild erhoben werden. Im Vordergrund der Fragestellung Koreiks steht dabei die Vermittlung von landeskundlichen Kenntnissen und ihrer Position im Fremdsprachenunterricht. Der Dissertation ging eine Pilotstudie voraus: In „Bismarck und Hitler, fleißig und arrogant. Eine vergleichende Untersuchung zu Stereotypen bei britischen Studierenden und deutschen Oberschülern vor dem Hintergrund des Fremdsprachenunterrichts“ gibt Koreik (1993) erste Einblicke in sein Datenmaterial. Er vergleicht hier deutsche Schüler- sowie britische Studierendenmeinungen mit den Ergebnissen zweier Emnid-Befragungen. Formulierungen der standardisierten Befragungen des Emnid-Instituts aus den Jahren 1988 und 1989 werden dabei leicht abgewandelt und den Studierenden und Schülern vorgelegt. In der im Frühjahr 1991 durchgeführten Pilotstudie zum Thema ‚Deutsche Geschichte‘ wurden insgesamt 129 Studentinnen und Studenten des Faches Deutsch an den Universitäten Bradford, Durham, Glasgow, Hull, London (King’s College) und Newcastle befragt. […] Zusätzlich wurden im gleichen Zeitraum als Kontrollgruppe vier Oberstufenklassen zufällig ausgewählter westdeutscher Gymnasien im Fach Deutsch mit dem gleichen Fragebogen konfrontiert. Hieran nahmen insgesamt 73 Schülerinnen und Schüler teil (Koreik 1993: 449). Ziel der Studie war ein „Vergleich beider Untersuchungsgruppen im Hinblick auf die historischen Kenntnisse zur deutschen Geschichte“ (ebd.). „Zwei Fragen zu Einstellungen waren an verschiedene Stellen zwischen die übrigen Fragen geschoben, welche historische Fakten und die Erklärung geschichtlicher Ereignisse und Prozesse verlangten“ (ebd.). Zum einen wurden die Probanden gebeten den „ihrer Meinung nach größten Deutschen aus der deutschen Geschichte“ (ebd.) zu nennen, zum zweiten stellte Koreik die Frage „Wenn Sie an die Deutschen denken, welche Eigenschaften fallen Ihnen da ein?“ (ebd.: 450). Dabei wurden bei offener Antwortmöglichkeit folgende Eigenschaften durch deutsche (im Folgenden mit D abgekürzt) und britische Schülerinnen und Schüler (im Folgenden mit B abgekürzt) genannt:

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3. Forschungsstand – Stereotype-Untersuchungen im deutschsprachigen Raum

Tabelle 11: Eigene Darstellung der Antworten von britischen und deutschen SchülerInnen bei Koreik (2013)

Briten

Prozent

Deutsche

Prozent

fleißig

47%

fleißig

32%

arrogant

15%

ordentlich

16%

ordentlich

14%

arbeitswütig

14%

ernst

13%

egoistisch

14%

pünktlich

13%

strebsam

12%

freundlich

12%

ehrgeizig

11%

stolz

12%

kapitalistisch

10%

organisiert

11%

bürokratisch

8%

humorlos

9%

sauber

8%

umweltbewußt

7%

arrogant

5%

selbstbewußt

5%

eingebildet

5%

intelligent

5%

korrekt

5%

direkt

4%

nationalbewußt

5%

gesetzestreu

4%

nationalistisch

4%

Während sich beide Probandengruppen der Voruntersuchung (wenn auch in unterschiedlich hoher prozentualer Nennung) darüber einig sind, dass ‚Deutschen‘ die Eigenschaften fleißig (B: 47%/D: 32%), arrogant (B: 15%/D: 5%) und ordentlich (B: 14%/D: 5%) zugeschrieben werden und zudem die Nennungen nationalistisch (B: 4%) sowie nationalbewußt (D: 5%) als negative bzw. positive Ausprägungen des gleichen semantischen Feldes angesehen werden können, fällt auf, dass die meisten Nennungen, die nur eine der beiden Gruppen äußert, divergieren. Während die britischen Schüler dabei vorwiegend positiv belegte Items benannten (pünktlich mit 13%, freundlich und stolz mit jeweils 12%, organisiert mit 11%, selbstbewusst mit 5%, intelligent mit 5% sowie gesetzestreu mit 4%), wählten die deutschen Befragten vorwiegend negativ belegte Eigenschaften (arbeitswütig und egoistisch mit jeweils 14%, kapitalistisch mit 10%, bürokratisch mit 8%, eingebildet mit 5%). Bei den Fragen „nach den Nationaleigenschaften fiel den Briten mehr ein als den Deutschen. 112 verschiedenen Etikettierungen durch die britischen Studentinnen und Studenten – die einen außerordentlich beachtlichen Vokabelschatz verdeutlichen – stehen 91 Begriffe der Deutschen zur

3.1. Wissenschaftliche Studien im deutschsprachigen Raum

67

Selbstcharakterisierung gegenüber“ (ebd.: 455). Diese Ergebnisse sind in Bezug auf den Fremdsprachenunterricht bemerkenswert, zeigen sie doch, dass der Landeskundeunterricht anscheinend teilweise einen breiter gefächerten Blick auf Deutschland und die Deutschen bietet, als dies autochthone Deutsche aufgrund ihrer Biographie tun. Hier wird eine Divergenz von expliziter Auseinandersetzung und dem Zugriff auf implizite Wissensbestände deutlich. In seiner nachfolgenden Dissertation rückt Koreik dieses Thema und die Bereiche Deutschlandstudien, kollektives Gedächtnis, deutsche Geschichte und das „für den Bereich Deutsch als Fremdsprache und die Auslandgermanistik verfasste Lehrerkompendien sowie spezifische Geschichtslehrwerke unter fachwissenschaftlichen sprachlichen und didaktischen Aspekten“ (Koreik 1995: Klappentext) in den Mittelpunkt seiner Forschung. Auch in dieser Untersuchung werden dabei Aussagen zu Deutschland und Deutschen erhoben (Koreik 1995). Dabei wurden „247 ausländische Probanden aus insgesamt 37 Ländern“ (ebd.: 92) in Hochschulsommerkursen befragt. Die Probandengruppe setzte sich aus 45 männlichen und 158 weiblichen Probanden im Alter von 19 bis 26 Jahren zusammen. Die Kontrollgruppe bestand aus Oberstufenschülern der Klassen 11 bis 13 „aus ausschließlich Deutschkursen“ an Gymnasien in BadenWürttemberg, Brandenburg und Nordrhein-Westfalen (vgl. ebd.: 91). 150 der in diesen Schulen verteilten Fragebögen wurden nach Koreiks Angaben ausgewertet. Dem Vorgehen der Pilotstudie folgend, konnten auch hier wiederum offene Nennungen zu Deutschen gegeben werden (vgl.: 109 ff.). Die ausländischen Sommerkursteilnehmer (mit Ausnahme von 32 Probanden, die diese Frage nicht beantworteten) nannten dabei zu Deutschen die Eigenschaften pünktlich (47,9%), fleißig (39,9%) ordentlich (34%), diszipliniert (10,7%), organ.[isatorisch] tal.[entiert]. (9,3%), sauber (8,4%), stolz (7,4%) geldorientiert (7%) sowie arrogant (6%). Anzumerken ist, dass Koreik hierbei jedoch die Nennungen fleißig, arbeitsam, tüchtig; arbeitswütig, arbeitstoll sowie arbeitsbesessen zur Metakategorie fleißig subsumierte (vgl. ebd.). „Hierbei mußten [sic!] in der ausländischen Gruppe in acht Fällen Doppelnennungen berücksichtigt werden, von denen dann nur eine gewertet wurde. Genau in diesem Zusammenhang ergibt der Vergleich zwischen den Osteuropäern und Westeuropäern den einzigen signifikanten Unterschied: wo Westeuropäer mit großer Mehrheit ‚fleißig‘ formulieren, heißt es bei den Osteuropäern mit einer gleichermaßen deutlichen Mehrheit ‚arbeitsam‘.“ (ebd.: 109 ff.). Für Koreik sind die überdurchschnittlichen Nennungen von „Sekundärtugenden“ (ebd.: 109) durch die Befragtengruppe ohne deutschen Hintergrund auffällig. Im Gegensatz zu diesen angeführten Heterostereotypen nannten die deutschen Oberstufenschüler die Autostereotype fleißig (27,3%), ehrgeizig (22%),

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3. Forschungsstand – Stereotype-Untersuchungen im deutschsprachigen Raum

arrogant (21,3%), ordentlich (19,3%), korrekt (12%), egoistisch (11,3%), geldorientiert (9,3%) und arbeitssüchtig (8,7%). „‚Pünktlichkeit‘ halten nur 4,7 Prozent der befragten Deutschen für eine herausragende deutsche Eigenschaft“ (ebd.: 110). Während egoistisch in der Befragung der Sommerkursteilnehmer nicht vorkommt, ist auffällig, dass auch in Koreiks Hauptstudie bei den ‚deutschen Nennungen‘ neben diesem mit arrogant, geldorientiert und arbeitssüchtig die Hälfte der Antworten negative Assoziationen beinhalten. Beide Befragtengruppen stimmen gemeinsam den Eigenschaften fleißig, ordentlich, arrogant und geldorientiert zu. „Inwiefern Autostereotyp und Heterostereotyp sich gegenseitig bedingen, kann hier auch nicht geklärt werden, möglicherweise aber ein Einfluß der angenommenen Stereotype auf die Beurteilung historischer Ereignisse“ (ebd.: 110), fasst Koreik zusammen und kommt zum Schluss: Die Untersuchung zeigt zumindest zum Teil auch deutlich, wie sehr ein im Ausland entwickeltes Geschichtsbild Deutschlands durch die Stereotypen geprägt wird und welche Defizite in der auf Personen bezogenen Geschichtsvermittlung – auch in Deutschland – vorhanden sein müssen, wenn die genannten ‚großen Deutschen‘ ein doch recht einseitiges Deutschlandbild repräsentieren. […] Es ist aufgrund der Untersuchung stark zu vermuten, daß dieses einseitige Geschichtsbild in vielen Fällen durch einen traditionellen, auf Diplomatie und Kriegsgeschichte ausgerichteten Geschichtsunterricht und einen gelegentlich in gleicher Weise gearteten Deutschunterricht perpetuiert wurde und wird (ebd.: 123). Koreiks Dissertation, ihre Konzeption und Durchführung verdient Beachtung. Die Promotionsschrift arbeitet den Bezug von geschichtstradierten Einstellungen und Stereotypen und ihren Bezug zu den seinerzeit eingesetzten Lehrwerken nachvollziehbar heraus. Die Arbeit gibt Anstöße für das Fach DaF – sowohl methodologisch als auch konzeptionell. Für die hier vorgelegte Arbeit ist vor allem das Kapitel 4.6.8. interessant. Ein Appendix mit den erhobenen Daten wäre jedoch wünschenswert gewesen. Dann wäre es möglich gewesen, die freien Antworten der Probanden in ein Datenkorpus für longitudinale Untersuchungen zu überführen. An der Dissertation Koreiks lässt sich exemplarisch das Problem einzelner deutschsprachiger Studien zu Stereotypen aufzeigen: Eine Vergleichbarkeit der jeweils erhobenen Daten ist nicht ohne weiteres möglich, da die jeweiligen Studien das Datenmaterial zu ihren Erhebungen nicht öffentlich zugänglich machen, obwohl das mit elektronischer Speicherung und Bereitstellung seit den 90er Jahren ohne Schwierigkeiten möglich ist.

3.1. Wissenschaftliche Studien im deutschsprachigen Raum

69

3.1.8 Studie der DAAD-Lektoren auf der Iberischen Halbinsel Die Erhebung der iberischen Arbeitsgruppe der DAAD-Lektorinnen und -Lektoren zum ‚Deutschlandbild von Germanistikstudentinnen und -Studenten‘ auf der Iberischen Halbinsel (Iberische Lektorenarbeitsgruppe 1999) hatte das Ziel, Unterrichtsmaterial zum Umgang mit Stereotypen im Fremdsprachenunterricht zu erstellen und zur Auseinandersetzung mit diesen anzuregen (vgl. ebd.: 355). Um im Vorfeld existierende Stereotypen zu erheben, entschlossen sich die Autoren, eine empirische Umfrage unter den Studenten an fünf portugiesischen und sechs spanischen Universitäten durchzuführen. Die Befragung umfasste 93 Multiple-Choice- und 14 offene Fragen (vgl.: ebd.: 356). Für die Formulierung der Antwort-Items der Multiple-Choice-Fragen wurden die Arbeiten von Frey (n.V.), Müller/Wielenga (1995) sowie der Lektorenarbeitsgruppe Besançon (n.V.) herangezogen. Diese Werke (wenn auch nur teilweise veröffentlicht) behandeln nicht nur das Deutschlandbild im Ausland, sondern auch die Folgerungen, die man daraus für den Unterricht Deutsch als Fremdsprache im Ausland ziehen kann und waren somit für die iberische Lektorenarbeitsgruppe geeignete Referenzwerke. Insgesamt nahmen 858 Studenten (davon 85,7% Frauen) an der Befragung teil, die den vorgelegten Fragebogen an den jeweiligen Universitäten unter Aufsicht in einem zeitlichen Rahmen von 45 Minuten ausfüllten. Während in Portugal Germanistik als eigenständiger Studiengang angeboten wird, dessen Zugangsvoraussetzung schulische Vorkenntnisse im Deutschen sind, besteht laut Aussagen der Autoren der Studie in Spanien (mit Ausnahme von Barcelona Central und Santiago de Compostela) nur die Möglichkeit, Deutsch als Nebenfach der Anglistik zu wählen, wobei keinerlei Vorkenntnisse verlangt werden. (vgl. ebd.: 357). Dementsprechend gebe es in Portugal viele Lehrbücher, die von Portugiesen verfasst wurden, während in Spanien hauptsächlich deutsche Lehrbücher verwendet würden. Fast ein Drittel der Befragten hatte bereits Aufenthalte in Deutschland, davon die meisten weniger als sechs Monate, 12,1% der Befragten gaben jedoch an, mehr als 10 Jahre in Deutschland verbracht zu haben. Die Probanden erklärten als Informationsquellen hauptsächlich den Deutschunterricht, allerdings auch Radio und Fernsehen zu nutzen und auch deutsche Freunde zu haben (vgl. ebd.: 358). Da alle Befragten Fremdsprachenlerner sind, kann man davon ausgehen, dass ein nahezu gleiches Bildungsniveau existent ist. Daher erhebt die Studie nicht, welche Stereotypen generell in Spa-

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3. Forschungsstand – Stereotype-Untersuchungen im deutschsprachigen Raum

nien/Portugal vertreten sind, sondern lediglich die Stereotype und Deutschland- und Deutschenbilder einer kleinen Teilgruppe der Bevölkerung beider Staaten. Für das Ziel der Lehrmaterialerstellung und dementsprechenden Voruntersuchungen ist die Probandengruppe wissenschaftlichen Gütekriterien folgend gut gewählt. Die Aussagen und Meinungen über Deutsche im Zuge der Befragung können jedoch nicht als repräsentativ für die gesamte Iberische Halbinsel angesehen werden. Die Teilnehmenden sollten in der Befragung zuerst vorgegebene Begriffe den Kategorien A (trifft eher auf Spanien/Portugal zu), B (trifft eher auf Deutschland zu), C (trifft gleichermaßen auf Spanien/Portugal und Deutschland zu) sowie D (trifft weder auf Spanien/Portugal noch auf Deutschland zu) zuordnen (vgl. ebd.: 359).

Abbildung 1: Landesspezifische Merkmale der Iberischen Halbinsel (Iberische Lektorenarbeitsgruppe 1999: 360)

Im Themenkomplex „landesspezifische Merkmale“ wurden Spanien/Portugal (im Folgenden abgekürzt als S/P) als gastfreundlich (72,4%) und friedliebend (62,4) bewertet, während Deutschland hauptsächlich mit einem guten Gesundheits- und Sozialsystem (76,2%) assoziiert, als sauber wahrgenommen (75%) sowie ein gutes Erziehungs- und Bildungssystem (67%) zugeschrieben wurde (vgl. ebd.). Zu den „Charaktereigenschaften der Bewohner“ (ebd.) gaben die Probanden an, Spanier und Portugiesen als leidenschaftlich (77,2%), humorvoll (77,0%), konformistisch (71,8%), hilfsbereit (63,9%), flexibel (62,5%), tolerant (56,4%) und sympathisch (73%) einzuschätzen, Deutsche als effizient (76,6%), arrogant (62,4%) und ehrgeizig (56,1%) (vgl. ebd.). „Die Eigenschaften kinderfreundlich (70,5%), ehrlich

3.1. Wissenschaftliche Studien im deutschsprachigen Raum

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(56,9%) und glücklich (52,8%) trafen nach Ansicht der Befragten gleichermaßen auf Spanier/Portugiesen und Deutsche zu“ (ebd.).

Abbildung 2: Charaktereigenschaften der Iberischen Halbinsel (Iberische Lektorenarbeitsgruppe 1999: 360)

Weitere Fragebogenabschnitte behandeln die Themenkomplexe der „Werte und Lebensorientierung“ (ebd.: 361), der „Landeskunde“ (ebd.: 362 ff.) und fragen zudem, neben den verwendeten Multiple-Choice-Fragen, auch „freie Assoziationen zur deutschen Sprache, Deutschland und den Deutschen“ (ebd.: 364) ab. Dabei werden die „Deutschen […] als leistungs- und erfolgsorientiert charakterisiert“ (ebd.: 361). Der Ausländeranteil wird überschätzt, während die landwirtschaftlich genutzte Fläche unterschätzt wird. Die Einwohnerzahl kann nach Angaben der Autoren nur knapp die Hälfte richtig einordnen (vgl. ebd.: 362 ff.). Auch beim Wissen über deutsche Regionen fehlen klare Vorstellungen. Es wird fälschlicherweise angenommen, dass „die Berufstätigkeit der Frauen in den neuen Bundesländern nach der Wiedervereinigung zugenommen habe“ (ebd.: 363), jedoch wurde durch die Befragten die zunehmende Arbeitslosigkeit korrekt eingeschätzt. Bei den ‚freien Assoziationen‘ wurde die deutsche Sprache vor allem als schwierig bezeichnet (27,6%), jedoch auch als interessant (12,4%), exakt (8%), schön (5,3%), reich (4,2%) und nützlich (3,5%) (ebd.: 364). Die Assoziationen zu Deutschland wurden durch die Autoren der Studie in 16 Kategorien zusammengefasst (ebd.: 365). Bei den Antworten aus Portugal und Spanien dominierte bei den Wortnennungen die Assoziation Bier (vgl. ebd. ff.). In Spanien folgt darauf die Nennung Kälte, in Portugal Hitler. Generell hat die

3. Forschungsstand – Stereotype-Untersuchungen im deutschsprachigen Raum

72

Thematik Rassismus/Extremismus/Nationalsozialismus in Portugal eine dominantere Position als in Spanien (vgl. ebd.). Am „besten“ (ebd.) an den Deutschen gefallen die Charaktereigenschaften Freundlichkeit, Organisation, Effizienz, Kultur, Fleiß, Pünktlichkeit, Umweltbewusstsein/-schutz und Ehrlichkeit. Häufig werden auch Eigenschaften genannt, die sich mit Deutschland als Industrieland in Verbindung bringen lassen. Dabei werden Unterschiede zwischen den Antworten aus Spanien und Portugal erkennbar. Die befragten Spanier gehen stärker auf das Bildungsniveau und die Erziehung ein (Intelligenz, gutes Benehmen, Erziehung, Bildung, Verantwortungs- und Pflichtbewusstsein), die befragten Portugiesen hingegen heben eher Eigenschaften wie Fröhlichkeit und Zwanglosigkeit sowie Organisation und Professionalität hervor (ebd.: 367). Abschließend kommen die Autoren der Studie zu folgendem Schluss: Antworten und Aussagen der Studenten reproduzieren erwartete stereotype Bilder und Vorstellungen, wie sie auch interessante Differenzierungen enthalten. Die Nennungen von stereotypen Bildern und Vorstellungen sind in bezug [sic!] auf ihre implizierte Wertung ambivalent, vor allem im Bereich der Charaktereigenschaften (z. B. Ehrgeiz) und der Arbeitswelt (z. B. Disziplin). Das stereotype Eigen- und Fremdbild von den »kühlen Germanen« und den »temperamentvollen Latinos« zeigt sich in verschiedenen Kontexten und kann möglicherweise als Versuch gedeutet werden, kulturelle Unterschiede in der Kontrastierung von Eigen- und Fremdbild zu erklären. Dies wird beim Thema Liebe und Sexualität besonders deutlich. Die deutschen Beziehungen wurden beispielsweise hauptsächlich mit dem Attribut Respekt belegt, wohingegen die iberischen Beziehungen am häufigsten mit Begriffen aus dem Wortfeld Leidenschaft beschrieben wurden. Aber auch in anderen Kontexten findet sich dieses Bild wieder: Während den iberischen Völkern ein besseres Sozialverhalten attestiert wurde, hoben die Studenten das gesellschaftliche Verantwortungsbewußtsein der Deutschen und das daraus resultierende gute Funktionieren der Institutionen positiv hervor. Weitere Bereiche, in denen erwartungsgemäß Stereotype reproduziert wurden, sind die Gastronomie (Bier/Würstchen), die nationalsozialistische Vergangenheit und die Ausländerfeindlichkeit (ebd.: 375 f., Hervorhebungen im Original). Diese Erkenntnis führt die Autoren der Studie zu folgenden Handlungsempfehlungen für den DaF-Unterricht und dem zu entwickelnden Unterrichtsmaterial für die Landeskunde zum damaligen Zeitpunkt:

3.1. Wissenschaftliche Studien im deutschsprachigen Raum

73

Die hier beschriebene Untersuchung und ihre Ergebnisse zeigen vor allem dies: Deutschlandaufenthalte differenzieren Bilder und Vorstellungen und können so Vorurteilen entgegenwirken und Stereotype als Teile der Wirklichkeit und Modus der Wahrnehmung verstehbar machen. Bei der Erstellung von Lehrmaterial kann es nicht darum gehen, Stereotype zu »korrigieren«. Vielmehr müssen sie aufgegriffen, bewußt gemacht und unter dem Aspekt der Möglichkeiten und Grenzen ihrer Wahrnehmungsfunktion diskutiert werden. Zu entwickelndes Landeskundematerial sollte ferner folgende Ergebnisse aus dieser Untersuchung berücksichtigen: Es muß dem Informationsdefizit zu aktuellen Entwicklungen in Deutschland (z. B. Vereinigungsprozeß) Rechnung tragen, dabei aber gleichzeitig auf die in der Untersuchung zutage getretenen Informationsbedürfnisse der Studenten eingehen. Weiterhin legen unsere Ergebnisse nahe, bei der Lehrmaterialerstellung besondere Aufmerksamkeit auf die Ebene des affektiv-sinnlich Erfahrbaren zu richten. Interessant scheint uns beispielsweise eine Didaktisierung, die von dem Begriff »Kälte« ausgeht und diesen in seiner Ambivalenz, sowohl als klimatische als auch emotionale Wahrnehmungskategorie, reflektiert. Auch die nachgewiesene sinnlich-ästhetische Wahrnehmung der Sprache sollte eine ausdrücklichere didaktische Umsetzung finden, als dies bisher der Fall ist (ebd.). Die Studie der Lektoren der Iberischen Halbinsel ist aufschlussreich in Bezug auf die Herausforderung des Landekundeunterrichts für DaF-Lernende außerhalb der BRD. Durch die Befragung an unterschiedlichen Standorten mit einer Itembatterie von geschlossenen und offenen Fragen zu unterschiedlichen Aspekten der Bevölkerungs- und Landesbilder, Wissensständen und Spracheinschätzungen ergibt sich ein vielschichtiges Bild der Probandenantworten, das Aufschlüsse über Optimierungspotentiale des DaF-Unterrichtes liefert. Wünschenswert wäre eine Aufschlüsselung nach den Faktoren Alter, Geschlecht und eine Differenzierung von Aussagen zu Spanien/Spaniern und Portugal/Portugiesen. Die Autoren der Studie gehen davon aus, dass diese beiden Gruppen zu einer Gesamtgruppe gefasst werden können. Auch eine Aufschlüsselung der einzelnen Probandenantworten nach Standort wäre interessant gewesen. Die Nichtdarstellung dieser möglichen Einflussfaktoren scheint der Publikationsform als Artikel geschuldet zu sein. Pro Standort der Erhebung wurden im Schnitt 78 Probanden befragt. Eine in ihrer Probandenanzahl größer angelegte Studie und eine longitudinale Konzeption der Studie wären begrüßenswert. 3.1.9 Grünewalds „Bilder im Kopf“ Eine der neueren wissenschaftlichen Studien in Bezug auf nationale Stereotype, die einen interessanten Ansatz bietet, wurde von Matthias Grünewald erarbeitet und beschäftigt sich mit dem

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3. Forschungsstand – Stereotype-Untersuchungen im deutschsprachigen Raum

Deutschlandbild von japanischen Deutschlernern. In seiner Untersuchung „Bilder im Kopf. Eine Longitudinalstudie über die Deutschland- und Deutschenbilder japanischer Deutschlerner“ (2005) wird keine ungeprüfte Übernahme der in früheren Untersuchungen verwendeten Eigenschaften vorgenommen. Grünewald analysiert hingegen bisher existierende Forschungen zu Stereotypen (insbesondere) im Bereich der Forschung im DaF-Kontext und führt bisherige Merkmallisten zu einer eigenen Item-Batterie für seine Voruntersuchung zusammen. Die Auswahl erfolgte mit dem Ziel der Relevanz für kulturkontrastive Betrachtungen. Auch bei Grünewald rückt dabei, ähnlich wie bei Hann (1986), die Übersetzungsproblematik gewisser Items in den Fokus. Grünewald nutzt hier den Diskurs mit Muttersprachlern und erarbeitet eine Liste von 147 Items, aus der er im Anschluss daran eine Merkmalliste von 20 Eigenschaftszuschreibungen herausfiltert. Grünewalds Arbeit ist mit Blick auf die kontrastive Landeskunde im Bereich DaF für den asiatischen Raum (und somit auch für eine Analyse in Fragen einer interkulturell verwendbaren Merkmalliste) als außerordentlich nützlich einzuordnen. Durch eine Kombination verschiedener Fragetypen gelingt es Grünewald, Daten zu gewinnen, die eine Grundlage für detaillierte Analysen und Interpretationen zum Deutschen- und Deutschlandbild japanischer Deutschlerner bieten. Die Antworten der 659 Befragten plus einer Kontrollgruppe von 59 Studierenden, die alle an der Universität Matsuyama in Südjapan studierten, zeigen ein sehr positives Deutschlandbild der Befragten. Die Studie wurde longitudinal mit einem Abstand von acht Monaten zwischen der ersten und der zweiten Erhebung durchgeführt. Der Fragebogen enthielt „zahlreiche offene Fragen sowie mehrere hybride, d.h. halboffene Fragen“ (ebd.: 159). Bei der ersten Untersuchung Grünewalds setzt sich die Stichprobe der Erhebung aus 659 deutschlernenden Studierenden zusammen, von denen 574 Teilnehmer aufgrund verschiedener Kriterien ausgewertet wurden. 44% der Teilnehmer waren weiblich (251) und 56% männlich (323); das Durchschnittsalter betrug 19 Jahre. Ein Großteil der Befragten stammt aus Kleinstädten (241 Teilnehmer). Die Teilnehmer sind Studierende der Fächer Wirtschaft, Volkswirtschaft, Jura und Soziologie. Nach acht Monaten Deutschunterricht wurde der Test wiederholt, um zu überprüfen, ob sich die Meinungen der Schüler verändert hatten. Die Auswertung der Daten ergab zwar, dass bei den Befragten generell eine positive Wahrnehmung gegenüber den Deutschen und Deutschland bestand, dass sich in Bezug auf die Entwicklung von Stereotypen aber wenig Erkenntnisse gewinnen ließen. Wormer (2005) resümiert:

3.1. Wissenschaftliche Studien im deutschsprachigen Raum

75

Grünewald räumt ein, daß seine Anlage der Untersuchung ‚Begrenzungen‘ unterlag, die ‚nur teilweise die Erfüllung der Gütekriterien‘ einer empirischen Untersuchung erlaubten (194). In der ersten Untersuchung ergaben sich als zentrale Charakteristika der Deutschlandbilder der Studierenden: ‚Bier, Hitler, Fußball, Würstchen, Berliner Mauer, Auto, Nazi, Musik, Judenverfolgung’ (201, 237). Grünewald, sehr am Thema 'Stereotype' interessiert, erfragte auch eine 'Stereotypie-Selbsteinschätzung', die ergab, ‚dass die Befragten in großer Mehrheit ihre Meinungen insgesamt für relativ wenig festgefügt‘ hielten (203). […] An den Deutschen wurden folgende Eigenschaften als positiv vermerkt: ‚Ernsthaftigkeit, der allgemein tolle Charakter, der Fleiß, die Freundlichkeit und der Humor, negativ dagegen ihre harte und dickköpfige Art‘ (214). […] Nach acht Monaten erfolgte die zweite Befragung, die folgende Hauptcharakteristika für Deutschland ergab: ‚Bier, Hitler, Berliner Mauer, Fußball, Würstchen, Auto, Nazi, Natur, Umweltschutz‘ (276). […] Für die veränderten Einschätzungen resümiert Grünewald, dass die Befragten subjektiv meinen, nur wenig neue Informationen über Deutschland erhalten zu haben, und wenn, dann vor allem in den Bereichen Kultur und Gesellschaft und in Bezug auf die Ost-West-Problematik zusätzlich über den Bereich Wirtschaft‘ (276f.). Ebenso wenig Neues glauben die Studierenden über Deutsche erfahren zu haben (ebd.: 1). Grünewald interpretiert das Ergebnis als Resultat eines politischen und wirtschaftlichen Interesses der Schüler und wertet es auch als Indiz dafür, dass die Lehrenden das Thema ‚Stereotype’ nicht ausreichend behandelt hätten. Ein anderes bemerkenswertes Ergebnis ist, dass die Studierenden den deutschen Frauen eine Eleganz in Bezug auf Aussehen, Verhalten und Lebensstil zuschreiben (vgl. ebd.: 277). Als hochschulund bildungspolitische Konsequenz schlägt Grünewald vor, dass Studienaufenthalte von Studierenden in stärkerem Maße gefördert werden sollten. Die Universität in Matsuyama sollte die Beziehungen zu den Partneruniversitäten in Deutschland intensivieren. Aus Sicht Wormers reiht sich [Grünewald] damit in die Gruppe derjenigen ein, die DaF und in DaF die Landeskunde wissenschaftlich begreifen und landeskundliche Forschungen mit Erkenntnisund Vermittlungsinteressen verbunden betreiben und die ganz generell eine Statuserhöhung von Landeskunde und DaF für erforderlich halten. Insoweit ist Grünewalds Unterfangen zu begrüßen. Gleichzeitig ist diese Arbeit jener immer weiter steigenden Zahl empirischer Qualifikationsarbeiten in DaF zuzurechnen, denen es an Breite des empirischen Materials wie an Tiefe der analytischen Durchdringung mangelt. Ein zweifacher Blick im

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3. Forschungsstand – Stereotype-Untersuchungen im deutschsprachigen Raum Jahr 2000 auf eine Gruppe 19jähriger Studienanfänger an einer kleinen privaten Hochschule auf einer südjapanischen Insel erbringt zweifelsohne aufschlußreiche Erkenntnisse. Die überwiegend deskriptiv verbleibende Auswertung der Befragungen bildet, wie im übrigen von Grünewald angestrebt, ein Mosaiksteinchen im großen Feld der Landeskunde. Dieses Mosaiksteinchen ist indessen nicht repräsentativ, und die gewonnenen Daten sind nicht analytisch durchdrungen, was Grünewald selbst konzediert, wenn er festhält, daß seiner Ansicht nach ein ‚empirisch abgesichertes Gesamtbild der japanischen Deutschlandund Deutschenbilder besteht‘, das ‚vertiefende Untersuchungen‘ sowie ‚intensivere und detailliertere Betrachtung‘ ermöglicht (315). Gänzlich realistisch verweist der Autor im Zusammenhang der Verschmelzung verschiedener europäischer Nationen zu einem GesamtEuropabild der Japaner nach Hielscher (1999) auf verwendete Schlüsselbegriffe, die ‚wahrscheinlich in verstärkt stereotypisierender Weise bestimmten Nationen zugeordnet werden‘ (315) (Wormer 2005: 2).

Im Rahmen der vorliegenden Arbeit zu den deutsch-türkischen Stereotypen ist jedoch nicht die kulturkontrastive Herausarbeitung der 20 Eigenschaften Grünewalds von Interesse, sondern vielmehr seine Vorarbeiten zur Erstellung der ersten Merkmalliste. Dabei trägt er aus früheren (und auch bereits hier beschriebenen) Studien 147 Items zusammen, die „vorwiegend Charaktereigenschaften darstellen“ (Grünewald 2005: 162). Als Grundlage für diese 147 Merkmale umfassende Liste stützt sich Grünewald v.a. auf „Hann 1985 ; Stapf/Stroebe/Jonas 1986; Keller 1986; Koreik 1993; Keller 1997; Iberische Lektorenarbeitsgruppe der DAAD-Lekorengruppe der DAAD-Lektorinnen und Lektoren 1999“ sowie auf „Attribute [der angeführten Studien], die vorwiegend Charaktereigenschaften darstellen,“ (ebd., Hervorhebungen im Original). In einem weiteren Schritt fasst er diese zu „11 semantischen Gruppen“ (ebd.) zusammen. Grünewald merkt in Fußnote 106 seiner Arbeit an, dass die Gruppenzuordnung „häufig nicht eindeutig“ (ebd.) war. Grünewald macht selbst darauf aufmerksam, „dass die semantische Zuordnung der oft mehrdeutigen Attribute rein subjektiv erfolgte“ (ebd.). Wormer resümiert: Grünewalds Arbeit ist, das darf betont werden, vom sozialwissenschaftlichen Untersuchungsansatz her zu begrüßen. Darüber hinaus sind jedoch vertiefende und die erhobenen Daten analytisch durchdringende hermeneutische Verfahren gerade in der Kulturenkommunikation erforderlich, um die mit der Datenerhebung begonnene Arbeit zu einem auch die Vermittlung einbeziehenden schlüssigen Ganzen zu machen. Vereinfacht ausgedrückt: mit den vorhandenen Daten fängt die verstehend-erklärende Arbeit erst an - die oben erwähnten Deutschlandcharakterisierungen rufen doch regelrecht nach Bearbeitung. Eine

3.1. Wissenschaftliche Studien im deutschsprachigen Raum

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solche bietet Grünewalds Dissertation jedoch nicht, obwohl, wie erwähnt, der empirische Teil nur die Hälfte des Buches ausmacht. Einen großen Teil der anderen Hälfte füllt der Autor mit einer in diesem Zusammenhang geradezu ausufernden Diskussion von bekannten Theoriehintergründen (DaF, Landeskunde, IkK), forschungsmethodologischen Selbstverständlichkeiten (sozialwissenschaftliche Methodendiskussion, Fragebogenkonstruktion etc.) und ausgedehnten postulativen Betrachtungen zu möglichen Konsequenzen aus seiner punktuellen Untersuchung (Wormer 2005: 2). Hervorzuheben ist, dass die aufbereiteten Daten der Erhebung als digitales Korpus abrufbar sind (vgl. Grünewald 2005: 8) und damit als Ausgangsbasis für weitere deutsch-japanische landeskundliche Studien genutzt werden können. 3.1.10 Zwischenfazit: Wissenschaftliche Studien Wie gezeigt bergen die behandelten wissenschaftlichen Studien im deutschsprachigen Raum sowohl Stärken und Schwächen in den Bereichen der Methodologie, der Methode und der Operationalisierung. Es gilt, die Stärken der behandelten Studien in einer Untersuchung im interkulturellen Kontext zu vereinen und dabei die besprochenen Schwächen der einzelnen Studien zu vermeiden. Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Studie von Katz und Braly durch die Einführung des Eigenschaftenlisten-Verfahrens für die weitere Forschung bedeutend ist, zeichnet sich die Berliner Studie von Sodhi und Bergius [doch] durch die Sensibilisierung für die Polysemie von Begriffen und die damit verbundene Diskussion der Übersetzungsproblematik aus, während Apeltauer die Triangulation zur qualitativen Interpretation genannter Eigenschaften in die nationale Stereotypenforschung einbringt. […]. Bei den drei Studien von Katz und Braly, Sodhi und Bergius sowie Apeltauer ist festzustellen, dass zum Teil historisch geprägte Begriffe unhinterfragt übernommen werden. Die an die Zeit gebundene Relativität gewisser Begrifflichkeiten wird in allen hier besprochenen Studien nicht thematisiert. So stammen die noch heute in den Studien verwendeten Begriffe abergläubisch, naiv, kindlich und faul aus der amerikanischen Studie von 1933, wo sie den ‚Negroes‘ zugeschrieben wurden; die Eigenschaft brutal stammt aus der Studie von Katz und Braly und wurde dort – vermutlich in Zusammenhang mit den Kämpfen um die Dardanellen im Ersten Weltkrieg - den Türken zugeschrieben; impulsiv stammt aus derselben Studien von 1933 und bezog sich auf die Italiener. Generell lässt sich feststellen, dass die zeitlich und kulturell bedingten Wertungen, die sich in den Eigenschaften widerspiegeln, bei der Übernahme in die Merkmallisten i.d.R. nicht berücksichtigt werden.

78

3. Forschungsstand – Stereotype-Untersuchungen im deutschsprachigen Raum Bei den neueren Studien zum Deutschlandbild von Apeltauer und Grünewald gibt es keine Wechselseitigkeit der Befragungen (Ossenberg/Baur 2016: 15 ff.).

Die Studien von Stapf/Stroebe/Jonas (1986), Hann (1986) und Koreik (1993/1995) verdienen Beachtung, da sie abweichend von der Traditionslinie einer Weiter- und Aufarbeitung der Studie von Katz/Braly eigenständige Voruntersuchungen durchführen und eigene Item-Batterien verwenden. Festzustellen ist jedoch, dass teilweise Destillate von Destillaten vorgenommen werden (vgl. exemplarisch Grünewald (2005). Wichtig für die Erstellung einer Merkmalliste in der wissenschaftlichen Forschung ist jedoch, auch Merkmale einzubeziehen, die von den einzelnen Forschern in ihren Untersuchungen nach jeweiligen Pre-Tests verworfen wurden. Wurden diese doch in den Voruntersuchungen der jeweiligen Studien genannt, fanden sie jedoch keine Berücksichtigung in den jeweiligen Hauptuntersuchungen. Diese Nichtberücksichtigungen sind jedoch nicht als Ausschlusskriterium zur Übernahme in weitere Studien anzusehen. Leider scheint dies jedoch in der Forschungstradition der vergangen Jahrzehnte Usus gewesen zu sein. Eine analytische und wissenschaftstheoretische Durchdringung der Vorgängerstudien erfolgte – wie bereits gezeigt – zum großen Teil nur rudimentär, ungenau und/oder auch zweifelhaft. Will man das Item-Checklist-Verfahren weiterentwickeln, so scheint eine reine Betrachtung, der in den Studien schlussendlich verwendeten Attribute, nicht zielführend zu sein. Ein solches Vorgehen blendet aus, dass zum Ersten Studien ein jeweils spezifisches Forschungsinteresse verfolgen12 und aus diesem Grund bestimmte Merkmale keine Relevanz für die jeweiligen Studien haben (jedoch in anderen Kontexten eventuell hilfreich sein würden); zum Zweiten rein uni- und/oder bidirektionale Studien sich immer auf das Verhältnis von einer oder zweier Kulturen zu- und aufeinander beziehen und zum Dritten, dass eine Reflexion und eine Erklärung zur Auswahl der verwendeten Items häufig nicht existieren und somit intransparent ist. Eine reine Übernahme von Item-Batterien (wie bei Apeltauer, Keller, Sodhi/Bergius) ist dabei genauso kritisch zu hinterfragen, wie die Methoden bei der (Neu-)Erstellung einer Merkmalliste (vgl. Stapf/Stroebe/Jonas und Hann 1986). Die Vermischung von Erkenntnissen der Sozialpsychologie und einer geschichtswissenschaftlich geprägten DaF-Forschung zu Lehrwerken (wie Grünewald dies mit Bezug auf Stapf/Stroebe/Jonas, Hann und Koreik vollzieht), um daraus eine Merkmalliste zu generieren, bleibt äußerst fraglich.

12

Das Forschungsinteresse liegt bspw. in der Literaturwissenschaft auf einem anderen Fokus, als in Deutsch als Zweitund Fremdsprache, oder der Kommunikationswissenschaft. Je nach Fokus werden unterschiedliche Befragtengruppen gebildet, bzw. unterschiedliche Daten zur Analyse genutzt.

3.1. Wissenschaftliche Studien im deutschsprachigen Raum

79

Fasst man die Innovationen und Neuerungen der hier behandelten Studien zusammen, so ergibt sich folgendes Bild:

Tabelle 12: Eigene Darstellung – Übersicht der behandelten wissenschaftlichen Studien nach dem Merkmallistenverfahren in deutschsprachigen Kontexten

Autor(en)

behandelte Forschungsthemen

verwendete Items

Befragte/ Auto- HeteroEthnien stereo- stereotyp typ

(methodische) Neuerungen

Katz/ Braly (1933)

Stereotype von 100 amerikanischen Studierenden

84

100/10

*

*

Erstmalige Erhebung zu Stereotypen mit dem ItemChecklist-Verfahren

Sodhi/ Bergius (1953)

Stereotype von Westberlinern nach dem 2. Weltkrieg

207

881/14

*

*

Erstmalige Anwendung des Merkmallistenverfahrens im deutschen Sprachraum

Keller (1969/86)

Stereotype bei Schülern in Deutschland, Amerika, Großbritannien und Frankreich

823/4

*

*

Zusätzliche Befragung zur Ergründen der Urteilsstrukturen

Apeltauer/ Polat/ Tapan (1998)

Stereotype bei 178 Studierenden in Deutschland und in der Türkei

100/2

*

*

bidirektionale Befragung

Apeltauer (2002)

Stereotype bei DaF-Lernern in Norwegen

163/1

*

Triangulation der Daten/ longitudinale Konzeption

178

3. Forschungsstand – Stereotype-Untersuchungen im deutschsprachigen Raum

80

Fortsetzung der Tabelle

Autor(en)

behandelte Forschungsthemen

verwendete Items

Hann (1985)

Stereotype bei DaF-Lernern in Südkorea

Stapf/ Stroebe/ Jonas (1986)

Stereotype von Amerikanern zu Deutschen und Deutschland

Koreik (1995)

Deutsche Geschichte im Rahmen des Landeskundeunterricht

Iberische Lektorenarbeitsgruppe (1999)

Stereotype bei DaF-Lernern auf der iberischen Halbinsel

28* (46)

858/3

Grünewald (2005)

Stereotype bei DeutschLernern in Japan

20* (147)

659/1

25* (60)

Befragte/ Auto- HeteroEthnien stereo- stereotyp typ

(methodische) Neuerungen

366 (334)/1

*

Erforschung der semantischen Felder und Konnotationen

1439

*

Einfluss von Medien/ Differenzierung von Landes-Stereotypen und nationalen Stereotypen/ Clusteranalyse/ Kognitiver Vorstellungsraum

*

Historische Fragen der Stereotypen -entstehung

257 (150)/ 1

(*)

Befragung zweier Probandengruppen zu einer ‚nationalen’ Gruppe und einem Land *

‚longitudinale’ Konzeption der Untersuchung

3.2 Studien von Meinungsforschungsinstituten in Deutschland Neben wissenschaftlichen Behandlungen des Themas der Völkerverständigung und den dabei existierenden und entstehenden Bildern im (inter-)kulturellen Kontext beschäftigen sich in den vergangenen 20 Jahren zudem vermehrt auch Erhebungen von Meinungsforschungsinstituten immer

3.2 Studien von Meinungsforschungsinstituten in Deutschland

81

wieder mit dem Thema der Selbst- und Fremdidentifikation und -definition. Auch wenn die Ergebnisse der Umfragen der genannten Meinungsforschungsinstitute z. T. konzeptionelle Mängel aufweisen, ein wissenschaftlicher Umgang mit den erhobenen Daten teilweise nicht existent ist und stereotype Zusammenfassungen zu Erhebung von (angeblich) stereotypen Einstellungen postuliert werden, sind doch aus diesen Studien Erkenntnisse für aktuelle Entwicklungen und Einstellungen in der deutschen Bevölkerung zu ziehen. So werden teilweise Eigenschaften erhoben, die im Kontext wissenschaftlich verorteter Studien nicht diskutiert wurden – oder im Laufe der Jahre aus wissenschaftlichen Listen verschwanden. Studien des Forsa-Instituts (2007 und 2015) behandeln dabei das Themenfeld der deutsch-russischen Stereotype und bieten Einblicke in das Vorgehen solcher privatfinanzierter Erhebungen, die Oettinger-Studie (2012) befasst sich mit dem deutschen Selbstbild im Zuge der Fußball-Weltmeisterschaft in Deutschland, die Deutschland-Liste des Goethe-Instituts (2011) erhebt europaweit Heterostereotype zu Deutschland und die Gallup-Studie (2013) betrachtet das „deutsche“ Bild zur Türkei. Eine Verquickung von Religion und ethnischer Zugehörigkeit ist der Münsteraner Studie (2016) zu attestieren, die durch ihren Forschungsgegenstand an sich bereits veranschaulicht, welche Problematiken bei der Frage nach den Bildern in unseren Köpfen existieren und wie dies zu stereotypisierten Erhebungen von Stereotypen führen kann. Prinzipiell lassen sich die hier exemplarisch ausgewählten Studien in zwei Gruppen einteilen, die im Folgenden behandelt werden sollen: A) Erhebungen zum Deutschen- und Deutschlandbild (Kap. 3.2.1) sowie B) Erhebungen zum Türken- und Türkeibild (Kap. 3.2.2)

3.2.1 Studien zum Deutschen- und Deutschlandbild Neben zahlreichen Publikationen zum Deutschen- und Deutschlandbild (u.a.: Asserate 2012 und 2013, Dorn/Wagner 2011, Drösser 2015, Fletcher 2014, Grauel,/Schwochow/Klanten 2013, Hecht 2009, Stolz/Block 2012, Uthmann 1995 sowie Zeidenitz/Barkow 1994), die sich mit ‚Eigenarten und Qualitäten der deutschen Kultur aus Sicht von Eingewanderten‘; ‚charmanten Charakterzügen der Deutschen‘; ‚typischen Deutschen mit bestimmten Merkmalen und damit verbundenen Lebensgefühlen‘; Vorurteilen über Deutsche; Gepflogenheiten der Deutschen, ‚Erkundungsreisen in und durch die BRD; Schaubildern, Grafiken und Illustrationen zu Deutschland; skurrilen Verhaltensweisen; Sachverhalten und Fakten über Deutschland und unterschiedlichsten

3. Forschungsstand – Stereotype-Untersuchungen im deutschsprachigen Raum

82

Lebensbereiche; dem Wiederaufkommen neuer Vorurteile über Völker und Religionen in Deutschland sowie ‚Klischees, Vorurteilen und Angewohnheiten der Deutschen‘ beschäftigen, sind zudem in den vergangen Jahren auch Studien von Meinungsforschungsinstituten zum Deutschen- und Deutschlandbild im deutschen Sprachraum durchgeführt worden. Die Studien des Forsa-Instituts (2007/2015), die Oettinger-Studie (2012) und die Deutschland-Liste (2011) stießen dabei auf ein reges Medieninteresse. In der Berichterstattung wurden dabei Aussagen der Studien (fast) ausnahmslos unkritisch übernommen und die jeweilige Erhebung und die Erhebungsmethode im Zuge der medialen Berichterstattung nicht hinterfragt. 3.2.1.1 Die Forsa-Studien Die mit großer medialer Aufmerksamkeit verbundenen Studien zum Deutschland- und Russlandbild des Forsa-Instituts aus den Jahren 2007 und 2015 wurden erstmals im Rahmen zur Sonderausstellung ‚Unsere Russen - Unsere Deutschen Bilder vom Anderen 1800-2000‘, die vom 08.12.2007 bis 02.03.2008 im Schloss Charlottenburg in Berlin stattfand, durchgeführt und 2016 wiederholt. In der Ausstellung wurden ausgewählte Objekte aus russischen und deutschen Sammlungen wie Gemälde, Skulpturen, Plakate, Buchillustrationen, Fotodokumente und Alltagsgegenstände gezeigt.13 Die Erhebungsmethode und Auswahl der Befragten ist unklar, sodass keine genauen Informationen darüber existieren, ob es sich bei den 1.003 deutschen Teilnehmern in Bezug auf Alter und Geschlecht um eine repräsentative Stichprobe handelte (Forsa: 2007) und wie sich die 1.001 Befragten der Studie 2015 zusammensetzten. Forsa macht auch keine Angaben darüber, ob nur die im Ergebnis benannten Eigenschaften abgefragt wurden, oder ob es sich bei den veröffentlichten Ergebnissen dieser Erhebung um eine Auswahl durch das Forschungsinstitut und/oder seiner Auftraggeber handelt. 45% der Befragten vertreten laut Befragung des Forschungsinstituts die Meinung, dass das Russlandbild der Deutschen allgemein negativ sei, 13% waren gegenteiliger Meinung (Baur/Ossenberg/Churbanova 2017: 59). Die Anzahl der Befragten ist bei der Forsa-Studie beachtlich und erzeugt auf den ersten Blick den Eindruck einer Repräsentativität. Über mögliche Gründe, die zu dem in der Studie vermuteten

13

Eine Begleitpublikation zu den gegenseitigen Wahrnehmungen von 1800–2000 erschien zur Ausstellung. Vgl. Springer/Jahn (2008).

3.2 Studien von Meinungsforschungsinstituten in Deutschland

83

negativen Russlandbild im deutschen kollektiven Bewusstsein geführt haben, kann man nur ‚spekulieren‘. (vgl. Baur et al.: 2013). Bei der Auswahl aus 30 Eigenschaften wurden folgende am häufigsten in Bezug auf Russen genannt: „trinkfest (90%), gastfreundlich (88%), tapfer (78 %), gefühlsbetont (65%), großzügig (62%), friedliebend (62%), staatsgläubig (60%) und gebildet (56%). Dieses Ergebnis unterstreiche die positive Bewertung des Russlandbilds der Deutschen, so die Studie. Ebenfalls will man herausgefunden haben, dass immer mehr freundschaftliche Kontakte zwischen Deutschen und Russen bestehen. Die eher negative Eigenschaft trinkfest störe das gute Verhältnis allerdings nicht und sei wahrscheinlich auf den vorurteilsbelasteten Alkoholkonsum (Wodka) der Russen zurückzuführen. Neben den Eigenschaften der Russen interessierte sich die Forsa-Studie auch für Assoziationen, die Deutsche mit Russland verbinden: „weites Land (96%), soziale Ungleichheit (90%), Machtbewusstsein (87%), große Städte (74%), Wachstum (70%), Willkür (65%), Planwirtschaft (42%), freie Marktwirtschaft (26%), Freiheit (19%) (Baur/Ossenberg/Churbanova 2017: 60). Kulturell assoziierten die Befragten in Bezug auf die Musik die Musiker Tschaikowski und Strawinsky, aber auch die Tanzrichtung Ballett und die Opernsängerin Anna Netrebko mit Russland. Im Bereich der Literatur waren ihnen Tolstoi, Dostojewski, Puschkin, Gorki, Pasternak und Gogol aus Russland bekannt (vgl. Baur et al.: 2013). Eine Analyse und ausführliche Diskussion der ForsaStudie und dort genutzten Merkmale wurde 2013 durchgeführt (Baur et al. 2013). Die Auftraggeber der Studie (ein Joint-Venture eines deutschen Chemie-Konzerns und des russischen Gasunternehmens Gazprom) interessierten sich auch für die Bewertung der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen Deutschland und Russland. 85 % der Befragten waren demnach der Meinung, dass die wirtschaftlichen Beziehungen sich positiv auf die Völkerverständigung zwischen beiden Staaten auswirken. 91% der Befragten waren immerhin der Ansicht, dass die Wirtschaftskooperation zwischen Deutschland und Russland wichtig sei. Diese wirtschaftlichen Fragen stehen bei der „Wiederauflage“ der Erhebung der Forsa [...] – im Auftrag des Erdöl- und Erdgasproduzenten Wintershall […] – weiter im Mittelpunkt. Diesmal stimmten 71% der Befragten der Aussage zu, dass sich gute Wirtschaftsbeziehungen positiv auf die politischen Beziehungen auswirken würden. Aussagen zu den zugeschriebenen Eigenschaften fehlen vollkommen, obwohl der Titel der Studie „Das Russlandbild der Deutschen“ dies eigentlich vermuten lassen würde. Deswegen ist ein Vergleich mit der Studie von 2007 auch nicht möglich. Die Studie kommt zu folgenden Ergebnissen: Das Vertrauen in Russland sei gewachsen, die Hälfte der Bundesbürger halte die Wirtschaftssanktionen gegen Russland für richtig. Allerdings würden nur 34 % glauben, dass

3. Forschungsstand – Stereotype-Untersuchungen im deutschsprachigen Raum

84

die Sanktionen dazu beitragen können, die politische Situation in der Ukraine zu lösen. Gute wirtschaftliche Beziehungen würden die politischen Verhältnisse positiv beeinflussen können (Baur/Ossenberg/Churbanova 2017: 60). Die Auftragsstudien der Forsa verfolgen zwar das Ziel, Völkerverständigung an guten Handelsbeziehungen (gerade in Bezug auf Erdöl und Gas) festzumachen. Trotz dieser Konzeption und der Vermischung von Personen- und Ländereigenschaften bringen sie jedoch Ansätze und Anregungen ein, die es im Rahmen einer Merkmallistenerstellung zu beachten gilt. So sind die Eigenschaften ‚trinkfest‘ und ‚friedliebend‘ näher im Hinblick auf eine Aufnahme in einer interkulturell anwendbaren Merkmalliste zu betrachten. 3.2.1.2 Die Oettinger-Studie In der Oettinger-Studie (2012), die unter dem Titel „Das Doppelleben der Deutschen“ im Auftrag der gleichnamigen Bier-Brauerei durch das Meinungsforschungsinstitut „rheingold salon“ durchgeführt wurde, äußerten sich 200 Menschen in zweistündigen Gesprächen in elf verschiedenen Städten im Rahmen von „tiefenpsychologischen Einzelinterviews und Fokusgruppen“ (ebd.: 8) zu ihrem Selbstbild und den Themenkomplexen Arbeit, Politik und wirtschaftliche Entwicklung; Soziales Engagement, Wertmaßstäbe/Moral, Migration, Beziehung, Familie, Männer- Frauen; Essen, Trinken und Wohnen; Medien, Musik und Kunst sowie Feiern, Urlaub und Sport. Die dort erhobenen Antworten und Erkenntnisse flossen in eine nach eigenen Aussagen „bevölkerungs-repräsentativen Befragung mit mehr als 1.060 Befragten in Zusammenarbeit mit der Universität Bremen und der lehrstuhlnahen Einrichtung Talking-Data“ (ebd.) ein und wurden „quantifiziert und validiert“ (ebd.). In der Analyse seitens des Meinungsforschungsinstituts werden die Antworten der Befragungen in drei Kategorien eingeteilt: (A) typisch deutsch im öffentlichen Bild (ebd.), (B) typisch für das „private Deutschland“ (ebd.: 4) sowie (C) typisch deutsche Sehnsüchte (ebd.: 6). Zum typisch öffentlichen Bild des Deutschen zählen für die Befragten Pünktlichkeit, Zuverlässigkeit, Fleiß, Ordnung und Sauberkeit (ebd.: 2). Diese „Sekundärtugenden“ (ebd.) würden „Deutschland bislang im internationalen Vergleich [schmücken]“ (ebd.), jedoch „haben viele Deutsche […] das irritierende Gefühl, in der Eurokrise vom Ausland gerade wegen dieser Eigenschaften kritisiert zu werden“ (ebd.). Diese negative Stimmung zum typisch öffentlichen deutschem Bild lässt sich laut Studie auch in Bezug auf die Wirtschaftslage feststellen: Rund drei Viertel glauben, dass sich Deutschland nicht weiterentwickelt, obwohl das Potenzial vorhanden sei (vgl. ebd.). Somit entstehe eine allgemeine

3.2 Studien von Meinungsforschungsinstituten in Deutschland

85

Sorge über die Zukunft des Landes. Die durch das Meinungsforschungsinstitut durchgeführte Analyse der Ergebnisse zeigt eine überdurchschnittlich pessimistische Einstellung der Befragten. Demnach haben 70% ein schlechtes Bild von Deutschland, mit der Begründung, dass 88 % die Bürokratie und den allgemeinen Stillstand bemängeln. 73% stimmten der Aussage „Die Deutschen sind gar nicht alle so ehrlich, pünktlich und gewissenhaft, wie man immer denkt – es gibt auch eine ganze Menge Schlawiner darunter“ (ebd.: 7) zu. Diese Sorge lässt sich laut den Autoren der Erhebung darauf zurückführen, dass 80% der Befragten kein Vertrauen in die politische Führung haben (ebd.: 2). Besonders die mangelnde „Entscheidungsfähigkeit und Tatkraft“ (ebd.) wird bemängelt. Des Weiteren habe auch die NS-Vergangenheit immer noch einen negativen Einfluss auf die Entwicklung (ebd.: 3). „Das Stereotyp der Sekundärtugenden wirkt dabei wie eine Fassade, die längst ganz andere Entwicklungen überdeckt“ (ebd.). Bei der Betrachtung Deutschlands im Privaten stellt sich heraus, dass sich ein Drittel der Deutschen als typisch deutsch fühlt, sich ein Drittel nicht als typisch deutsch einstuft und das letzte Drittel wiederum weder das eine noch das andere empfindet (vgl. ebd.: 4). Ein Hauptaugenmerk legen die Deutschen laut Studie auf privates Glück, wobei die Sehnsucht nach Gesundheit (98%), Fitness im Alter (90%) und finanzieller Unabhängigkeit (94%) exorbitant hoch genannt wird (ebd.). Unabdinglich für die Deutschen sei laut der Studie zudem das Recht, sich individuell entfalten und das Leben frei gestalten zu können. Dies wird dadurch gestützt, dass für 79% der Befragten ihre „‚individuelle Freiheit am wichtigsten‘ ist“ (ebd.). Zusätzlich sei das private Deutschland durch ein ausgeprägtes Sicherheitsdenken geprägt, denn es ist den Deutschen mit je über 90% wichtig „Menschen zu haben, auf die sie sich verlassen können“ (ebd.) und eine „gesicherte Rente“ (ebd.) zu beziehen. Eigenschaften wie Traditionspflege (54%), politisches Engagement (30%), Religionsausübung (43%) oder viele Kinder haben (28%) genießen hingegen eine geminderte Präferenz (ebd.). Psychologisch sei hier eine Spaltung der deutschen Gesellschaft festzustellen (vgl. ebd.: 5). „Das öffentliche Bild des Deutschen gibt Orientierung, hat aber mit der gelebten Wirklichkeit in Deutschland immer weniger zu tun“ (ebd.: 5). Nach Angaben der Studie offenbaren sich „typisch deutsche Sehnsüchte“ vor allem in den durchgeführten Tiefeninterviews der Studie (ebd.: 6). 89% der befragten Deutschen seien stolz auf die Natur und Landschaften Deutschlands und legten dementsprechend viel Wert auf Nachhaltigkeit, Natur- und Umweltschutz (vgl. ebd.). „Naturschutzorganisationen werden ebenso geschätzt wie Bestrebungen von Unternehmen in Richtung Nachhaltigkeit, die einer kritischen Prüfung standhalten. Auch die privaten Trends zum Wandern und der Boom der Schrebergärten auch bei jüngeren Altersgruppen lassen sich hier einordnen“ (ebd.).

86

3. Forschungsstand – Stereotype-Untersuchungen im deutschsprachigen Raum

Eine weitere Sehnsucht bestehe nach „klugen Köpfen“ (ebd.). „84% sind stolz auf die deutschen Dichter und Denker“ (ebd.). Sie würden sich wünschen, dass Deutschland auch heute wieder solche Persönlichkeiten hervorbringt, beispielsweise entscheidungsfähige Politiker (vgl. ebd.). Die Befragten sehen in Deutschland eine Entwicklung zur Zweiklassengesellschaft und sehnen sich nach Werten, die den allgemeinen Wohlstand und die Gleichbereitung innerhalb der Gesellschaft fördern. Insgesamt sind diese Aussagen eher als vermutete Autostereotypen einzustufen, weil diese auf eigenen Meinungen und Wahrnehmungen beruhen und die subjektiven Betrachtungsstandpunkte variieren. Generell werden durch die Probanden vor allem die Tugenden eines pünktlichen, ordentlichen und bürokratischen Deutschen hervorgehoben. Auch der Disziplin wird als einer typisch deutschen Eigenschaft ein hoher Stellenwert zugeordnet. Psychologisch ist das Doppelleben mit seiner Stereotypie eine tolle gesellschaftliche Konstruktion: Hinter einer scheinbar intakten normierten öffentlichen Fassade können die Deutschen überwiegend ein vielfältiges, unbeschwertes Leben im Privaten führen. Die jüngsten Entwicklungen führen nun aber dazu, dass das Doppelleben unter Druck gerät. Der deutsche „Apparat“ droht überlastet zu werden und nicht mehr zu funktionieren. Die Sekundärtugenden schützen nicht mehr, werden sogar vom Ausland angegriffen. Dies macht zwar generell Angst, diese wird aber bislang überwiegend nur im Privaten behandelt. Das Land steht jedoch unter sehr viel Druck, die aktuelle Form der Aufspaltung in das Doppelleben aufzugeben, zögert aber damit anzufangen. Es steigt jedoch die Wertschätzung von Personen und Organisationen, die den deutschen Apparat mit seinen Rahmenbedingungen erneuern wollen. Erneuerungs-Sehnsüchte betreffen dabei vor allem die Bereiche Natur (Umweltschutz, Nachhaltigkeit), ‚kluge Köpfe‘ (Bildung und Entwicklung) und die Werte des Zusammenlebens (ebd.: 7).

Neben Sprache und Stil der Darstellung der Studie und einer zudem fehlenden Offenlegung der (Roh-)Daten (über eine Kurzfassung und Pressemitteilung hinaus), ist die Studie in folgenden Punkten zu kritisieren: Zwar weißt das Meinungsforschungsinstitut darauf hin, dass die Befragungen zum Deutschlandbild „produktneutral […] [und] produktunabhängig“ (vgl. Rheingold- Salon 2012) durchgeführt wurden, jedoch bleibt die Frage offen, welches Interesse eine deutsche Brauerei an der Erforschung des Deutschlandbildes hat, wenn nicht zu Marketing-Zwecken. Es ist durchaus vorstellbar, dass

3.2 Studien von Meinungsforschungsinstituten in Deutschland

87

die Wünsche der Deutschen, die sich in den Befragungen offenbarten, für eine effektive Gestaltung der Oettinger-Werbung genutzt werden und auch bei der Erhebung an sich die Fragestellungen auf die Verwendbarkeit beim Marketing ausgelegt wurden. Stellt man diese Bedenken zurück, so sind die Ergebnisse der sogenannten ‚Studie‘ jedoch noch immer (nicht nur in Bezug auf das Vorgehen von Meinungsforschungsinstituten und ihren Umgang mit Daten) äußerst beachtenswert, werden hier doch stereotype Kategorien gebildet, die Stereotype aufzeigen sollen. Die Erhebung kommt zu dem Resultat, dass vor allem Sekundärtugenden14, Landschaften und Umwelt sowie Gesundheit und Alter im abgefragten „Selbstbild“ der Studie eine große Rolle spielen. Des Weiteren gibt es in der Studie keinerlei Informationen, wie die befragten Personen ausgewählt wurden und inwiefern sie möglicherweise auch einen Migrationshintergrund besitzen. Trotz der hier angeführten Intransparenz der Studie, stieß ihr Inhalt auf breites Medieninteresse: „Die Welt online“,15 die „Berliner Morgenpost“,16 die „Süddeutsche Zeitung“17 und „RTL aktuell“ berichteten über das „kleine grüne Glück“ (Welt Online) und die „Fleißige Fassade“ (SZ). 3.2.1.3 Die Deutschland-Liste Bei der „Deutschland-Liste“ (2011) handelt es sich nach Angaben der Autoren um eine nichtrepräsentative Umfrage zum Deutschlandbild in Europa, die über einen Zeitraum von zwei Monaten (November 2010 bis Januar 2011) im Auftrag des Goethe-Instituts in verschiedenen europäischen Ländern durchgeführt wurde (vgl. Goethe-Institut 2011). Das Institut unterhält zurzeit 159 Institute sowie vier „Sprachkurs- und Prüfungsinstitute“, darunter 12 Institute sowie eine Zentrale in Deutschland. Diese bieten Sprach-, Kultur- und Informationsangebote mit standortspezifischen Schwerpunkten an. Sie betreuen Kulturgesellschaften, Sprachlernzentren und Lesesäle (vgl. Goethe-Institut 2017a). Das Goethe-Institut setzt international anerkannte Standards im ‚Deutsch als Fremdsprache‘-Unterricht. Es führt Sprachkurse durch, erarbeitet Lehrmaterialien, bildet Lehrende fort und nimmt an wissenschaftlichen Forschungen und sprachenpolitischen Initiativen teil. Das Goethe-Institut nimmt Tendenzen in Deutschland auf und fördert die internationale kulturelle Zusammenarbeit unter anderem durch Kulturveranstaltungen und Festivalbeiträge in den Bereichen Film, Tanz, Musik, Theater, Ausstellungen, Literatur und Übersetzung (vgl.: Goethe-Institut 2017b). An der Studie zum Deutschlandbild nahmen Prinzipiell ist die Verwendung des Terminus Sekundärtugenden kritisch zu sehen, da Referenzen zu ‚preußischen Tugenden‘ bzw. der Studentenbewegung von 1968 gezogen werden. vgl. https://www.welt.de/print/die_welt/vermischtes/article109464537/Mein-kleines-gruenes-Glueck.html 16 vgl.https://www.morgenpost.de/english-news/article109463044/Den-Deutschen-ist-ihr-kleines-gruenes-Glueckwichtig.html 17 vgl.http://www.sueddeutsche.de/leben/studie-zu-nationalklischees-fleissige-fassade-1.1478517 14

15

88

3. Forschungsstand – Stereotype-Untersuchungen im deutschsprachigen Raum

13.000 Probanden aus 18 europäischen Ländern teil.18 Die Studie wurde auf den Internet-Seiten des Goethe-Instituts sowie in Kursen der europäischen Niederlassungen und Instituten beworben und mit einem Preisausschreiben verknüpft. In der Umfrage konnten zehn Fragen (jeweils auf Deutsch und den entsprechenden Landessprachen formuliert) frei beantwortet werden. Gefragt wurde nach dem bedeutendsten Deutschen, dem besten deutschen Buch, dem besten deutschen Film, nach dem schönsten deutschen Musikstück, dem bedeutendsten deutschen Bauwerk, der wichtigsten Erfindung aus Deutschland, dem bedeutendsten historischen Ereignis bezogen auf Deutschland, dem bedeutendsten deutschen Sportler und danach, was den Probanden überhaupt nicht oder am besten an Deutschland gefalle. Die Ergebnisse wurden sowohl regional als auch als kompletter Datensatz ausgewertet. Zudem wurden die „originellsten“ Antworten der einzelnen beteiligten Nationalstaaten zusammengestellt veröffentlicht (vgl. Goethe-Institut 2017c). Bei den Antworten zu den o.a. zehn Fragen zu Deutschland ergaben sich insgesamt folgende Nennungen mit höchster Übereinstimmung im Gesamtkorpus: Tabelle 13: Eigene Darstellung der Übersicht über die jeweils meistgewählten Antworten im europäischen Vergleich (Goethe-Institut 2011: Europa-Gesamtergebnis)

Frage

Antwort

Prozent

Bedeutendster Deutscher

Johann Wolfgang von Goethe

17

Bestes deutsches Buch

Faust (Goethe)

17

Bester deutscher Film

Das Leben der Anderen

17

Schönstes Musikstück

9. Sinfonie

13

Bedeutendstes Bauwerk

Brandenburger Tor

17

Wichtigste Erfindung

Buchdruck

18

Bedeutendstes historisches Ereignis

Fall der Berliner Mauer

19

Bedeutendster Sportler

Michael Schuhmacher

18

Was gefällt Ihnen überhaupt nicht?

Deutsche Küche

11

Was gefällt Ihnen am besten?

Deutsche Kultur

14

18

Teilnehmer kamen aus den folgenden Ländern: Belarus, Belgien, Estland, Finnland, Frankreich, Griechenland, Großbritannien, Italien, Lettland, Litauen, Polen, Portugal, Slowakei, Slowenien, Spanien, Tschechien, Türkei und Ungarn. Das Fehlen vieler anderer europäischer Länder in der Umfrage, u.a. Bulgarien, Dänemark, Irland, Niederlande, Norwegen, Österreich, Schweden, Schweiz und Rumänien, ist laut Goethe-Institut durch Personalprobleme in den betreffenden Instituten zu erklären.

3.2 Studien von Meinungsforschungsinstituten in Deutschland

89

Es lässt sich feststellen, dass die Ergebnisse der einzelnen Kategorien mehr oder weniger weit gestreut sind. Keine der gegebenen Antworten übertrifft eine Häufigkeit von 20%, was sich auch durch die Durchführung mit der Erhebung offener Fragen und der sehr zugespitzten Formulierung mit und durch Superlative erklären lässt. Hinzu kommt, dass die Antworten durch das Meinungsforschungsinstitut geclustert wurden und somit nicht nachvollziehbar ist, welche Antworten seitens der Probanden explizit gegeben wurden. Eckhardt Fuhr kommt in seinem Artikel „Brüh' im Lichte dieses Glückes“ in der „Welt am Sonntag“ (die an der Studie beteiligt war), dennoch zu dem Schluss, dass die Studie ein fast ausnahmslos positives Bild von Deutschland offenbare, welches in Europa herrsche.19 Er bemerkt „freundlich[e]“ und „schmachtende Blicke“ (vgl. ebd.). Fraglich ist allerdings, inwieweit es im Rahmen der Studie überhaupt möglich war, Antworten zu geben, die nicht positiv ausgelegt werden können. In den Kategorien, in denen explizit nach dem „Besten“ und „Schönsten“ gefragt wurde, sind positive Antworten zu erwarten. Und da zu den Fragekategorien bedeutende Bücher, Gebäude, Erfindungen und Sportler nur schwer negative Nennungen gegeben werden können, ist ein positives Bild durch die Konzeption der Studie nicht erstaunlich. Dass die Befragten durch ihren Deutsch-Unterricht am Goethe-Institut eine eher positivere Grundeinstellung zu Deutschland hatten als ihre Landsleute, führt zu einer weiteren Einschränkung der Perspektive der Antworten. Die Studie ermittelt somit vielmehr die Inhalte des Landeskundeunterrichts im DaF-Unterricht an den einzelnen Standorten des Goethe-Institutes, als das unbeeinflusste Deutschlandbild der Probanden. Diese Evaluation zur Weiterentwicklung „international anerkannte[r] Standards im ‚Deutsch als Fremdsprache‘-Unterricht“ (vgl. Goethe-Institut 2017b) zeigt dabei auf, wie stark sich die dort vermittelten Bilder auf das Bild der Probanden zu Deutschland auswirken. Eine Vergleichsstudie mit Probanden, die keinen Deutschunterricht am Goethe-Institut zu diesem Zeitpunkt hatten, könnte neue Erkenntnisse in Bezug auf stereotype Deutschlandbilder und ihre Vermittlung durch den DaF-Unterricht und seine Lehrwerke erbringen. Es ist festzustellen, dass sich die meisten gestellten Fragen ohne tatsächliches landeskundliche Wissen kaum beantworten lassen (diese also durch den Bildungshorizont und den Unterricht im Goethe-Institut bedingt sind), während Fragen der zweiten Kategorie Klischees und Vorurteile über Deutsche abfragen.

19

vgl. Fuhr, Eckhardt (2011).

90

3. Forschungsstand – Stereotype-Untersuchungen im deutschsprachigen Raum

Ist das Wissen über deutsche Literatur, Erfindungen etc. nicht besonders ausgeprägt, werden zwangsläufig immer die gleichen Titel genannt werden. Die Frage nach dem, was an Deutschland nicht gefällt, kann jedoch viel freier und kreativer beantwortet werden, wie die große Spanne der Ergebnisse zeigt. Ein Beispiel dafür ist „Faust“, das als bestes Buch in deutscher Sprache bezeichnet wird. Diese Spitzenposition lässt sich kaum anders erklären als damit, dass es sich bei diesem Werk um einen „Stereotyp der deutschen Literatur“ handelt. Die verhältnismäßig niedrigen Ergebnisse der Studie von unter 20% lassen erahnen, dass das tatsächliche Deutschland-Bild der Probanden viel differenzierter ist, als es die Studie darlegt. Zieht man die Liste mit „originellen Antworten“ zu Rate, findet sich zu ‚besten Büchern’ eine sehr diverse Liste, von „Oh wie schön ist Panama“ über „Vollidiot“ und den „Struwwelpeter“ bis zum Langenscheidt-Lexikon und Reparaturbücher für BMWs (vgl. Goethe-Institut 2017c). Ähnliche Beispiele lassen sich z.B. für das schönste Musikstück, das bedeutendste Bauwerk und die wichtigste Erfindung finden: Hier ist die persönliche Sicht viel interessanter, als der stereotype Konsens von Beethoven, Brandenburger Tor und Buchdruck, der ebenso bei einer innerdeutschen Befragung hätte erzeugt werden können. Es sind eher Antworten wie „der Glockenklang der Kühe in den Alpen“, „Der Himmel über Berlin“ und „Mettbrötchen“ (jeweils als Musikstück, Bauwerk und Erfindung), die erahnen lassen, welche Zuschreibungen einzelne Individuen bezüglich Deutschlands vollziehen (vgl. ebd.). Trotz der methodischen Schwächen der Studie lohnt ein Blick auf die Antworten aus der Türkei, da hier Rückschlüsse auf den Deutschunterricht, als auch auf das vermittelte Deutschlandbild durch die Bildungseinrichtungen des Goethe-Instituts in der Türkei gezogen werden können. In der Türkei beteiligten sich 731 Personen an der Umfrage. Damit stellen die Teilnehmer der Sprachkurse am Goethe-Institut im Jahr 2010/2011 die sechstgrößte Teilgruppe der Erhebung dar, nach Spanien (3365 Teilnehmer), Frankreich (2091), Italien (1957), Polen (1075) und Griechenland (861). Betrachtet man die erste Frage der Befragung „Wer ist für Sie der/die bedeutendste Deutsche?“, so wurden in der Türkei Goethe (19,0%), Einstein (17,4%), Hitler (5,4%), Marx (5,2%) und Nietzsche (4,6%) genannt. In der zweiten Frage „Welches ist für Sie das beste Buch in deutscher Sprache“, waren die häufigsten Antworten aus der Türkei: Faust (20,6%), Die Leiden des jungen Werther (11%), Das Kapital (7,4%), Die Verwandlung (6,8%) und Also sprach Zarathustra (3%). Man kann feststellen, dass hier besonders deutsche Klassiker benannt werden, ohne eine besondere politische oder religiöse Färbung. Bei näherer Betrachtung der dritten Frage „Welcher ist für Sie

3.2 Studien von Meinungsforschungsinstituten in Deutschland

91

der beste deutsche Film?“ fällt innerhalb der türkischen Antworten, Das Leben der Anderen (14,0%), Good Bye, Lenin (9,4%), Der Untergang (7,6%), Gegen die Wand (6,4%) und Das Boot (3,0%) auf, dass sowohl die DDR und ‚Nazideutschland‘, aber auch die deutsch-türkische Migrations-Problematik durch die Probanden genannt werden. Mit der vierten Frage „Welches ist für Sie das schönste deutsche Musikstück (egal welche Musikrichtung)?“ und den Antworten aus der Türkei, Rammstein (18,0%), Beethoven (12,4%), Nena (5,2%), Lena (4,8%) und Marlene Dietrich (3,4%), wird deutlich, dass die genannten „Musikstücke“ eine Mischung aus aktuellem sowie aus dem klassischen Bereich bilden, auch wenn die Befragten der Studie vielmehr ‚Künstler’ als Songs angaben.20 Auf die fünfte Frage „Welches ist für Sie das bedeutendste deutsche Bauwerk?“ wurde von den türkischen Teilnehmern Kölner Dom (17,0%), Reichstag (10,8%), Brandenburger Tor (9,8%), Nord LB Hannover (4,6%) und Neuschwanstein (4,6%); bei den Antworten auf die sechste Frage „Welche ist für Sie die wichtigste Erfindung aus Deutschland?“ mit Röntgen (19,6%), Buchdruck (15,2%), Relativitätstheorie (13,0%), Dieselmotor (7,4%) und Autos (6,2%) geantwortet. Bei der siebten Frage „Welches ist das bedeutendste historische Ereignis, das Sie mit Deutschland verbinden?“ und den dazugehörigen Antworten der Türkei, Mauerfall (37%), 2. Weltkrieg (35,2%), 1. Weltkrieg (7,6%), Reformation (4,2%) und Deutsche Reichsgründung 1870/71 (0,6%) genannt. In der achten Frage „Wer ist für Sie der/die bedeutendste deutsche Sportler/in?“ waren die am meisten genannten Antworten aus der Türkei Michael Schumacher (31,2%), Franz Beckenbauer (8,6%), Steffi Graf (6,8%), Mesut Özil (5,8%) sowie Boris Becker (5,0%). „Was gefällt Ihnen überhaupt nicht an Deutschland?“, wurden die Teilnehmer an neunter Stelle gefragt. Das Klima (29,0%) und die Ausländer-und Integrationspolitik/Fremdenfeindlichkeit (17,4%) gefallen den befragten Türken am wenigsten. Wenig begeistert sind sie auch von der Distanziertheit der Deutschen (8,6 %), den Visabestimmungen (6,6%) und vom Essen und Trinken (4,4 %) (vgl. Goethe-Institut 2011). Hier fällt vor allem auf, dass ein großer Teil der türkischen Teilnehmer davon überzeugt ist, dass die deutsche Bevölkerung fremdenfeindliche Ansichten vertritt. Das völlige Gegenteil hierzu liefert hier bspw. das Bild aus Weißrussland. Hier antwortete ein großer Teil der Personen, dass ihnen alles gefalle (13,6 %). Weniger begeistert ist die weißrussische Bevölkerung von vielen Ausländern (6,8 %), von Visa (6,8 %), der Pedanterie (6,5 %) und von verschlossenen Menschen (5,8 %) in Deutschland (vgl. Goethe-Institut 2011 ebd.).

20

Die reine Clusterung durch Komponisten, bzw. Interpreten, ist auch in den griechischen und portugiesischen Antworten zu dieser Frage zu finden. Bei den Antworten in allen anderen teilnehmenden Ländern erfolgt eine Differenzierung von Werk und Interpret/Komponist).

92

3. Forschungsstand – Stereotype-Untersuchungen im deutschsprachigen Raum

Bei der Frage nach „Was gefällt Ihnen am besten in Deutschland?“ antworteten Probanden aus der Türkei, dass sie von der Disziplin, Ordnung und Pünktlichkeit (35 %), der Kultur (13,4 %) und den Menschenrechten (10,0 %) überzeugt seien. Gleich darauf folgten Natur und Umweltschutz (7,6 %) und Denkmalschutz und Architektur (7,2 %). Abweichungen zum Gesamtergebnis sind in den Fragen zur Musik mit Rammstein, der des bedeutendsten Bauwerkes mit dem Kölner Dom, nach der wichtigsten Erfindung mit Röntgen sowie den subjektiven Einschätzungen, was gefalle, mit Klima und Disziplin, Ordnung und Pünktlichkeit festzustellen. Gerade die Punkte zur Disziplin, Ordnung und Pünktlichkeit sowie dem Klima sind dabei auffällig, während die anderen Abweichungen zum Gesamtergebnis jeweils minimal prozentual sind und zudem die Top-Nennung der Gesamterhebung in der Türkei an zweiter Stelle der jeweiligen Fragekategorie genannt wird. Die Studie des Goethe-Instituts, die selbst keinen Anspruch auf Repräsentativität erhebt, zeigt ein Deutschlandbild, dass über Identifikationsfiguren der deutschen Geschichte determiniert ist. Sie trifft dabei Aussagen über die stereotypen Bilder der Deutschlerner an Goethe-Instituten in Europa. Dabei zeigt sie auf, dass eine Trennung von stereotypen Zuschreibungen zu Land und Einwohnern desselben erheblich komplex und die Formulierung der Fragestellungen und des Erhebungsinstrumentes elementar sind. Exemplarisch zeigt sich hier zudem, dass offene Fragestellung mit einer Clusterung der Antworten zur Erhebung von stereotypen Fragestellung erhebliche forschungsmethodische Probleme in der Auswertung aufwerfen, die im Vergleich zu einem Merkmallistenverfahren Entscheidungen seitens der Forschenden bedingen, die mit Bedacht getroffen werden sollten. 3.2.2 Studien zum Türken- und Türkeibild Studien zum Türken- und Türkeibild sind in den vergangenen Jahren in der deutschen Öffentlichkeit immer wieder rezipiert und medial aufgearbeitet worden. Sowohl die Gallup-Studie (2013), als auch die Münsteraner Erhebung zur „Integration und Religion aus der Sicht von Türkeistämmigen in Deutschland“ (2016) betonen dabei ihren repräsentativen Charakter. Dabei vermischen sich jedoch Fragekategorien und Bewertungen und es werden sowohl deutsche Hetero-, als auch türkeistämmige Autostereotype erhoben. Beide Studien eint die Problematik der Durchführung ihrer Erhebung in der deutschen multikulturellen Gesellschaft, in der eine Differenzierung verschiedener Generationen und ihrer Trennung voneinander schwerfällt.

3.2 Studien von Meinungsforschungsinstituten in Deutschland

93

3.2.2.1 Gallup-Studie Die nach eigenen Angaben des Gallup-Instituts repräsentative Gallup-Studie „Blick auf die Türkei“ aus dem Jahr 2013 beschäftigt sich mit dem Türkeibild in Deutschland. Im Auftrag der Stiftung Mercator wurden 1.020 Personen ab einem Alter von 15 Jahren befragt. Die Daten wurden telefonisch über Mobil- und Festnetz (jeweils etwa 50%) erhoben. Laut Studie wurde die Stichprobe anhand von Alter, Geschlecht, regionalem Hintergrund und „wirtschaftlicher“ Aktivität gesichtet, „um sie hinsichtlich der Tendenz zur Nichtbeantwortung (‚non-response-bias‘) zu korrigieren“ (Gallup 2013: 3). Eine genaue Beschreibung des Datenmaterials fehlt jedoch in der Publikation. In der Studie wird formuliert, dass die Befragten die Türkei vor allem als Urlaubsziel begreifen. Aus 2.868 verschiedenen offen geäußerten Assoziationen und daraus vorgenommen Kategorisierungen wurde ein Bild ermittelt, das durch die Wortkategorien „Bild eines Landes mit blauem Meer, angenehmem Klima, gutem Essen, freundlichen Menschen und beliebten Reisezielen“ geprägt war (vgl. ebd.: 4). 35% der Befragten assoziierten Tourismus und Urlaub, 17% die Landesküche (die in der Studie von der Kategorie Döner21 (10% der Befragten) [sic!] unterschieden wird) und 16% Strand/Meer/Wasser mit der Türkei. Stellvertretend für eine Stadt in der Türkei scheint Istanbul mit 13% aller Assoziationen und Nennungen zu stehen. Auch die lange Geschichte des geografischen Kulturraums (die Türkei, das Osmanische Reich und seine antiken Vorläufer) wird von den Probanden gewürdigt. 10% assoziieren mit der Türkei eine Alte Kultur und Traditionen. Die gleichen prozentualen Nennungen sind zu den Kategorien Freundliche Menschen und Schönes Land/schöne Landschaft getroffen worden.

21

Die Geschichte des Döner Kebab in Deutschland in Bezug auf die deutsch-türkischen Kontakte und Beziehungen arbeitet Möhring (2012) auf. Dabei kommt sie zu dem Schluss, dass im Fall der türkischen Küche es den Gastronomen nur vereinzelt gelang, das niedrigpreisige Imbisssegment zu verlassen – im Gegensatz bspw. zur italienischen Küche. Möhring zeigt in ihrem äußerst kurzweilig gehaltenen Werk, das auch die Inszenierung von Ethnizität durch Innenraumgestaltung und Namensgebung und die Repräsentation anderer, internationaler Küche in populären Filmen in Deutschland behandelt, dass die Wahrnehmung anderer Kulturen eng mit den regionalen Speisen verknüpft ist.

94

3. Forschungsstand – Stereotype-Untersuchungen im deutschsprachigen Raum

Wortkategorien

% der Antworten

% der Befragten

Tourismus/Urlaub

13%

35%

Türkische Küche

6%

17%

Strand/Meer/Wasser

6%

16%

Istanbul

5%

13%

Tolles Wetter

4%

11%

Schönes Land/schöne Landschaft

4%

10%

Freundliche Menschen

4%

10%

Döner

4%

10%

Alter Kultur und Traditionen

4%

10%

Sonne/Sommer

3%

9%

Tabelle 14: Eigene Darstellung der zehn häufigsten Assoziationen zur Türkei nach Stiftung Mercator (Gallup 2013)

Laut Interpretation der Autoren überwiegen durch „die Dominanz der touristischen Wahrnehmung“ (ebd.: 4) vor allem positive Assoziationen, allerdings wurden in 10% der Fälle auch negative Assoziationen genannt. Diese negativen Einstellungen seien vor allem in Bezug auf die türkeistämmige Bevölkerung in Deutschland und die politisch-gesellschaftlichen Problemlagen in der Türkei geäußert worden (ebd.). Vier Prozent der Befragten äußerten sich in der (durch das Gallup-Institut definierten) thematischen Kategorie (Zu) viele Türkeistämmige in Deutschland, drei Prozent nannten sowohl negative Eigenschaften von türkeistämmigen Menschen als auch den Themenkomplex Integration/Integrationsprobleme. Auffällig sind die Fallzahlen zur Kategorie Gastarbeiter mit einem Prozent – der gleichen Ausprägung wie Unterdrückung von Frauen/Minderheiten (vgl. ebd.: 5). Es scheint, als ob diese Zuschreibung seit den 1960er Jahren nachgelassen zu haben scheint und das Bild zur Türkei und Türkeistämmigen nicht mehr stark beeinflusst. Zusätzlich zu den offenen Assoziationen wurden laut Studie 17 „positiv formulierte Einzelstatements“ (ebd.) auf ihre Zustimmung bei den Befragten abgefragt. Die Skalierung der Antwortmöglichkeiten reichte von 1 („stimme gar nicht zu“) bis 5 („stimme voll und ganz zu“). Die „wachsende wirtschaftliche Bedeutung und die dynamische politisch-gesellschaftliche Entwicklung in der Türkei“ (ebd.) spiegeln sich nach den Ergebnissen der Studie nur sehr bedingt in der öffentlichen Meinung wider. In Bezug auf das Wirtschaftswachstum der Türkei in den letzten fünf Jahren vor 2013 im Vergleich zu Deutschland bewerteten 30 % der Probanden das türkische

3.2 Studien von Meinungsforschungsinstituten in Deutschland

95

Wachstum höher als das deutsche. 42 % schätzten es als niedriger als das deutsche ein und 16 % als gleich. Dem negativen Bild von der Türkei bezüglich der politischen und gesellschaftlichen Entwicklung des Landes stehen vor allem die Zustimmungs- und Ablehnungswerte der Umfrage entgegen. Die Aussage, die Türkei habe eine lange und abwechslungsreiche Kulturgeschichte, erfährt die breiteste Zustimmung seitens der Befragten. Dies ist nicht überraschend, kann diese Aussage doch zu vielen weiteren Nationen, Kulturen und Ethnien getroffen werden. Die meisten Befragten (63%) sind der Meinung, die Türkei habe ein vielseitiges kulturelles Leben. Jedoch halten 73% das türkische gesellschaftliche und kulturelle Leben für stark religiös geprägt. Lediglich 10% stimmen zu, dass Frauen in der Türkei die gleichen Möglichkeiten haben wie Männer, 67% der Befragten widersprechen dieser Aussage. Festzuhalten an dieser Stelle ist, dass die zwei Aspekte der Religiosität und der Gleichberechtigung der Frau in der Türkei bei den Befragten mit besonders hohen Zustimmungsund Ablehnungswerten bewertet wurden. Dieses Ergebnis der Umfrage lässt vermuten, dass die muslimische Religion mit einem negativen Bild verbunden wird. Des Weiteren lässt der hohe Ablehnungswert bezüglich der Gleichberechtigung der Frau in der Türkei vermuten, dass die Befragten die Unterdrückung der Frau mit einem kulturellen und gesellschaftlichen Rückstand des Landes in Verbindung setzten. Weiter auffällig sind die hohen Ablehnungswerte bezüglich persönlicher Freiheit (50%), persönlicher Sicherheit (36%), Ermöglichung eines hohen Lebensstandards (31%), sozialer Absicherung (43%) und der Schutz von Minderheiten (52%) (ebd.: 7). Die offizielle Haltung Deutschlands zur Frage einer Mitgliedschaft der Türkei in die EU ist laut Studie widersprüchlich, der vormalige Bundeskanzler Gerhard Schröder unterstützte in seiner Amtsperiode Beitrittsverhandlungen; die Bundesregierung zum Zeitpunkt der Studie im Jahr 2013 war jedoch reservierter und unterstützte eher eine „privilegierte Partnerschaft“ zwischen der EU und der Türkei als eine Alternative zur EU-Mitgliedschaft (ebd.: 8). Die deutsche Bevölkerung ist hinsichtlich dieser Frage eher gespalten, 49% sprechen sich gegen eine Mitgliedschaft aus und 46% dafür, wobei sich das Türkeibild der Gegner und Befürworter kaum unterscheidet. Von den EUBeitrittsgegnern ist nur ein Drittel der Meinung (34%), die Türkei habe eine starke Wirtschaft, bei den Befürwortern hingegen sind es mit 49% fast die Hälfte. Zur Frage, ob die Anzahl der gegenwärtig in Deutschland lebenden türkeistämmigen Menschen zu hoch sei, ist etwa ein Drittel (34%) der Befragten der Auffassung, dies sei der Fall und eine klare Mehrheit (59%) der Befragten lehnt diese Aussage ab. Rund 30% der Befragten haben in den letzten fünf Jahren die Türkei besucht, die meisten von ihnen sogar mehrere Male. Hierbei war Tourismus der hauptsächliche Reisegrund

3. Forschungsstand – Stereotype-Untersuchungen im deutschsprachigen Raum

96

der deutschen Besucher. Fast 60% der Befragten gaben an, alltägliche nachbarschaftliche oder berufliche Kontakte zu türkeistämmigen Personen zu haben, 15% erklärten, annähernd in täglichem Kontakt mit türkeistämmigen Personen (6-7 Tage in der Woche) zu stehen. Alltägliche Kontakte kommen in fast jeder Alterskohorte, außer bei der Kohorte der über 65-Jährigen, sehr häufig vor, wobei höher gebildete Menschen und Personen mit einem höheren Einkommen dazu neigen würden, höhere alltägliche Kontakte zu türkeistämmigen Menschen anzugeben (vgl. ebd.: 14). Auffallend ist außerdem, dass diese Kontakte zu türkeistämmigen Menschen in größeren Städten (mehr als 25.000 Einwohner; vgl. ebd.: 13) häufiger vorkommen als in kleineren Städten und Gemeinden. Ein Drittel der Befragten gab an, dass mindestens eine türkeistämmige Person zu ihren engen Freunden zähle. Die Verfasser der Gallup-Studie kommen zu dem Schluss, dass ein positives Bild zur Türkei vor allem bei den Probanden existiere, die persönliche Kontakte zu Türkeistämmigen und mit der Türkei gemacht haben. Exemplarisch zeigen die Autoren auf, dass die Befürworter des EU-Beitritts der Türkei angaben, vor allem türkischstämmige Freunde zu haben (37%) oder in den letzten Jahren die Türkei besucht zu haben (37%). Ein persönlicher Kontakt mit der Türkei und Türkeistämmigen, sei es durch Freundschaft oder bloßen Kontakt, führe zu einem Abbau von Vorurteilen und Barrieren und verändere das allgemeine Bild positiv (vgl. ebd.: 17). Damit folgen die Verfasser der Studie der Auffassung von Jonas (1998). Die Gallup-Studie (2013) kommt zudem zu der Annahme, dass Personen mit direktem Kontakt zu Türkeistämmigen, die türkische Wirtschaft und deren Wachstum positiver und realistischer einschätzen würden, als Befragte, die keine Kontakte zur Türkei oder zu türkeistämmigen Personen haben (ebd.: 16). Hierbei werde deutlich, dass Personen, die in den letzten Jahren die Türkei besucht haben oder türkeistämmige Freunde haben, ein positiveres Bild von der Türkei haben (ebd.: 15). Die Studie muss mit Blick auf ihre Auftraggeberin, die Stiftung Mercator, betrachtet werden. Die Stiftung möchte: •

umfassende Bildung und Chancengleichheit ermöglichen,



Selbstentfaltung von Kindern, Jugendlichen und jungen Erwachsenen stärken,



Wissenschaft und Forschung zu ihren Zielen und Themen im Interesse aller fördern,



die Verständigung und den Austausch zwischen Menschen unterschiedlicher Kulturen unterstützen,

3.2 Studien von Meinungsforschungsinstituten in Deutschland

97



für ein geeintes Europa eintreten,



die gesellschaftlichen Voraussetzungen für das friedliche Zusammenleben von Menschen unterschiedlicher Herkunft, unterschiedlicher Überzeugungen und unterschiedlicher sozialer Lage verbessern und



die natürlichen Lebensgrundlagen bewahren.

Das will die Stiftung Mercator erreichen, indem sie •

positive Beispiele für gesellschaftlichen Fortschritt möglich macht,



die Phantasie aller anregt, die in Politik und Gesellschaft besondere Verantwortung tragen und



allein oder gemeinsam mit Partnern Anstöße für die Gestaltung der Zukunft gibt (Stiftung Mercator 2017).

Durch die Zielsetzung und das Aufgabenspektrum der Auftraggeberin besteht die Gefahr des Interessenkonfliktes, besteht doch das Potential, dass das durchführende Meinungsforschungsinstitut Fragekategorien anhand der Ziele der Stiftung entwickelt und Ergebnisse generiert, die die Arbeit und Zielsetzung der Stiftung bestätigen. Um dem entgegenzuwirken und sämtliche Zweifel an einer ergebnisoffenen Befragung auszuräumen, wäre es wünschenswert, die erhobenen Antworten möglichst transparent darzustellen. Kritisch zu beurteilen sind die Ergebnisse der Studie aus folgenden Gründen: A) Es erfolgt teilweise eine Vermischung zwischen Türkei- und Türkenbild. Fragen werden sowohl zum Land als auch zur Bevölkerung gestellt, jedoch nicht in allen Punkten voneinander differenziert. Diese mangelnde Differenzierung und Transparenz trifft auch auf die nicht gegebene Offenlegung der soziobiographischen Merkmale der Probanden zu. Zwar führt die Studie an, repräsentativ zu sein, einen Nachweis dazu bleibt sie jedoch in der Publikation schuldig. Dies führt dazu, dass die Aussagekraft und Repräsentativität der Ergebnisse der Studie in Frage gestellt werden können, da eine Überprüfung nicht möglich ist. B) Die Clusterung der offenen Assoziationen ist zum einen nicht transparent dargelegt und zum anderen in sich logisch nicht stringent. Dies wird bspw. an den Kategorien Tourismus/Urlaub, Sonne/Sommer sowie Strand/Meer/Wasser deutlich. Es ist zu hinterfragen, welches semantische Feld

98

3. Forschungsstand – Stereotype-Untersuchungen im deutschsprachigen Raum

durch diese Clusterung prinzipiell beschrieben werden soll. Ein Codier-Handbuch und eine Offenlegung der verwendeten Software wäre zur intersubjektiven Überprüfbarkeit als grundlegendes Prinzip der Wissenschaftlichkeit wünschenswert. In der so publizierten Form können zwar die durch das Erhebungsinstitut festgelegten Kategorien miteinander verglichen, die ursprünglichen Antworten hinter den Kategorien jedoch nicht weiter interpretiert werden. C) Ziel der Studie ist eine Evaluation im „Kontext der deutsch-türkischen Beziehungen und der aktuellen politischen und wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland und der Türkei“ (vgl. Gallup 2013: 3). Durch die Fokussierung sowohl auf politische und wirtschaftliche Faktoren, als auch auf einen möglichen EU-Beitritt der Türkei, gerät eine Betrachtung der interkulturellen Beziehung zwischen Deutschen und Türken in den Hintergrund, obwohl der Titel der Studie eine solche nahelegt. Die Erhebung wirft keinen „Blick auf die Türkei“ im Ganzen, sondern erhebt vielmehr eine Perspektive zur politischen und wirtschaftlichen Situation im April 2013. Während wissenschaftliche Studien teilw. durch methodische und operationale Probleme der Erhebungen an ihre Grenzen gebracht werden, ist die große Herausforderung für Meinungsforschungsinstitute, wissenschaftliche Gütekriterien einzuhalten. An der Gallup-Studie wird diese Schere von Operationalisierung und der Klärung inhaltlicher Fragen exemplarisch deutlich. Vor dem Hintergrund der Entwicklungen 2014 sind die Ergebnisse nur bedingt zu analysieren. Es fehlt eine longitudinale Konzeption, um eine Veränderung der Einstellungen seit diesem Zeitpunkt und den Einfluss des Putschversuches (2016), der andauernden Flüchtlingskrise und dem Abkommen zwischen den Mitgliedern des Europäischen Rates und der Türkei sowie den Wahlkampfauftritten türkischer Politiker in Deutschland erheben zu können. 3.2.2.2 Die Münsteraner Untersuchung zur Integration und Religion aus Sicht von Türkeistämmigen in Deutschland Die Münsteraner Religionssoziologen Pollack/Müller/Rosta/Dieler veröffentlichten 2016 die deutschlandweit beachtete Studie „Integration und Religion aus der Sicht von Türkeistämmigen in Deutschland“, deren Grunddaten im Zeitraum von November 2015 bis Februar 2016 durch das Meinungsforschungsinstitut TNS Emnid22 im Auftrag des Exzellenzclusters „Religion und Politik“ der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster durchgeführt wurde (vgl. Pollack et al. 2016). In

22

Das Meinungsforschungsinstitut bezeichnet sich selber als „eines der renommiertesten Institute für Markt- und Meinungsforschung in Deutschland“ (vgl.: http://www.tns-emnid.com/ueber-uns/ [17.05.2016]).

3.2 Studien von Meinungsforschungsinstituten in Deutschland

99

der Studie wurden im Zeitraum von November 2015 bis Februar 2016 deutschlandweit 1.201 türkeistämmige Personen ab 16 Jahren befragt. Dabei wurden die Befragten in zwei Gruppen gegliedert: zum einen türkeistämmige Personen der ersten Generation und zum anderen Personen aus der zweiten oder dritten Generation, die in Deutschland geboren wurden oder vor dem achten Lebensjahr nach Deutschland eingewandert sind. 40% der Befragten gaben an, in Deutschland geboren zu sein. 28% gaben an, die deutsche Staatsbürgerschaft zu besitzen, 58% die türkische. Rund 8% aller Befragten gaben an, beide Pässe zu besitzen, weitere 5% verfügen nach eigener Aussage über die türkische und eine weitere Staatsbürgerschaft. Die Befragten der ersten Generation leben laut eigenen Angaben seit durchschnittlich 31 Jahren in Deutschland. Die Erhebung wurde per Computer Assisted Telephone Interview (CATI) (vgl.: Schnell/Hill/Esser 1999: 353), zum Teil in deutscher, zum Teil in türkischer Sprache, durchgeführt. Ausgehend vom Forschungsansatz der „Einwanderungsgenerationen“ (vgl. Pollack et al. 2016: 8) wurden durch die Autoren nach eigener Aussage Vergleichsdaten aus ALLBUS (2012) und WARV (2010) herangezogen. Neben den Daten der Studie beziehen sich Pollack et al. somit auf einen selbsterstellten Datensatz (WARV) sowie einen Referenzkorpus der Sozialwissenschaften (ALLBUS). In der Studie bewerten Türkeistämmige ihre Integration. Dabei äußern sie sich jedoch nicht nur zu diesem Thema, sondern auch zu auftretenden Schwierigkeiten. Neben der Unterscheidung von drei unterschiedlichen Generationen werden durch die Autoren der Studie zudem Generationsund teilweise auch Geschlechtervergleiche angestellt. Abgefragt werden das allgemeine Wohlbefinden, die Verbundenheit mit Deutschland sowie der Türkei und der Wille zur Integration der Befragten. Es zeigt sich, dass sich etwa gleich viele der in Deutschland lebenden Türkeistämmigen sowohl mit Deutschland als auch mit der Türkei eng verbunden fühlen. Laut Studie ist die Mehrheit der Türkeistämmigen mit dem Leben in Deutschland zufrieden. Das Bild von der persönlichen Lebenssituation der in Deutschland lebenden Türkeistämmigen, das sich aus den Ergebnissen […] ergibt, ist positiver, als man angesichts der vorherrschenden Diskussionslage erwarten würde: Die große Mehrheit der Türkeistämmigen ist mit ihrem Leben in Deutschland zufrieden oder sehr zufrieden (Pollack et al. 2016: 3).

100

3. Forschungsstand – Stereotype-Untersuchungen im deutschsprachigen Raum

Wie auch durch Abbildung 3 deutlich wird, zeichnet die Erhebung ein Bild der Befragten, das als äußerst positiv in Fragen der Integration gesehen werden kann. Die „Verbundenheit zu Deutschland“ liegt dabei 2% höher, als die Verbundenheit zur Türkei und der „Wille zur Integration“ ist laut Studie mit 70% stark ausgeprägt. Mehr als die Hälfte der Türkeistämmigen fühlt sich zudem laut Studie nicht benachteiligt. „Gefühle der relativen Deprivation sind nicht überdurchschnittlich verbreitet […]: Knapp die Hälfte der Befragten (44%) ist der Meinung, dass sie im Vergleich dazu, wie andere in Deutschland leben, ihren gerechten Anteil erhalten, 5% sind sogar der Ansicht, dass sie mehr als den gerechten Anteil erhalten“ (ebd.: 4).

Abbildung 3: Persönliches Wohlbefinden, Verbundenheit mit Deutschland/der Türkei und Wille zur Integration (Quelle: Pollack et al. 2016: 2)

Obwohl diese positiven Einschätzungen in der Umfrage – so die Autoren – nicht über bestehende Probleme der in Deutschland lebenden Türkeistämmigen hinwegtäuschen dürften (ebd.: 6), zeichne sich für die Integration eine positive Entwicklung ab: „Insgesamt ist die zweite/dritte Generation sozial und strukturell stärker in die ‚Mehrheitsgesellschaft‘ integriert als die erste Generation“ (ebd.: 8f.).

3.2 Studien von Meinungsforschungsinstituten in Deutschland

101

Auch bei einer Betrachtung nach Geschlechtern werde deutlich, dass die türkeistämmigen Frauen der zweiten und dritten Generation in der Hinsicht der Rollenverteilung näher an dem Verständnis der Frauen der deutschen Mehrheitsgesellschaft lägen als angenommen (vgl. ebd.: 10). „Angesichts dieser Befunde überrascht es nicht, dass sich die zweite/dritte Generation insgesamt auch in geringerem Maße von der Mehrheitsgesellschaft abgelehnt fühlt […]: Dem eingangs erwähnten Statement ‚Egal wie sehr ich mich anstrenge, ich werde nicht als Teil der deutschen Gesellschaft anerkannt‘ stimmen 65% der Befragten aus der ersten, aber nur noch 43% aus der zweiten/dritten Generation zu“ (ebd.: 11). Türkeistämmige der zweiten und dritten Generation würden sich jedoch dabei mehr auf die Unterschiede zur Mehrheitsgesellschaft beziehen und dadurch differenzieren (vgl. ebd.). Das primäre Forschungsinteresse der Studie liegt jedoch in Fragen der religiösen Selbsteinschätzung. Die Religionssoziologen ziehen dabei eine Verbindung zwischen türkeistämmigen Deutschen und dem Islam (vgl. Abbildung 9). In Bezug auf traditionelle Religionspraxis sei die erste Generation der Türkeistämmigen involvierter als die zweite bzw. dritte. Dies zeige sich zum einen dadurch, dass nur 23% der Befragten der zweiten/dritten Generation mindestens einmal pro Woche in die Moschee gehen, während die erste Generation dies zu 32% vollzieht. Auch das persönliche Gebet verrichten nach eigenen Angaben die erstgenannte Gruppe mit 35% deutlich seltener als die Türkeistämmigen aus erster Generation, von denen mit 55% mehr als die Hälfte das persönliche Gebet mehrmals täglich ausführt. Dass sich die zweite/dritte Generation dennoch religiöser einschätzt, als die Befragten der ersten Generation (72% versus 62%) ist dabei hervorzuheben. Pollack et al. kommen in ihrer Interpretation der Ergebnisse zu dem Schluss, dass möglicherweise „die Antworten auf diese Frage weniger die ‚tatsächlich gelebte‘ Religiosität wieder[geben], als vielmehr ein demonstratives Bekenntnis zur eigenen kulturellen Herkunft spiegeln würden“ (ebd.: 12); dabei seien auch fundamentalistische Einstellungen unter Türkeistämmigen verbreitet (vgl. ebd.). „Der Anteil derjenigen, die Haltungen bekunden, die schwerlich als kompatibel mit den Grundprinzipien moderner ‚westlicher‘ Gesellschaften wie der deutschen bezeichnet werden können, ist unter den Türkeistämmigen teilweise beträchtlich […]“ (ebd.: 14). Durchschnittlich 47% der Befragten (57% der ersten, 36% der zweiten und dritten Generation23) stimmen der Aussage zu, dass die Befolgung der Gebote ihrer Religion wichtiger sei als die Gesetze des Staates, in dem sie leben (vgl. ebd.: 14). Die Fragestellung der Studie ist allerdings ausgerechnet 23 Eine Differenzierung zwischen 2. und 3. Generation innerhalb der Studie wäre interessant gewesen, um „Tendenzen“ noch stärker herausarbeiten zu können.

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3. Forschungsstand – Stereotype-Untersuchungen im deutschsprachigen Raum

in dieser Frage ungenau und stellt ein fundamentales Problem für die Aussagekraft der Erhebung dar. Explizite Angaben zur Religionszugehörigkeit der Befragten, wenngleich diese auch an mehreren Stellen impliziert wird, fehlen in der Studie. Impliziert wird dies jedoch an mehreren Stellen, wo religiöse Praxis u. a. mit dem Gang zur Moschee oder dem persönlichen Gebet nachgewiesen werden soll (vgl. ebd.: 12). Nahegelegt wird, dass es sich bei der Religion der Probanden um den Islam handele (ebd.: 14), indem von einem „verfestigten islamisch-fundamentalistischen Weltbild“ (ebd.) unter 13% der Befragten gesprochen wird. Es ist zu vermuten, dass die Autoren davon ausgehen, dass alle Türkeistämmigen, die sie befragt haben, auch muslimischen Glaubens sind. So werden in der Abbildung 14 (ebd.: 16) in der Legende der publizierten Grafik alle türkischstämmigen Frauen mit muslimischen Frauen gleichgesetzt. In dieser Abbildung geht es um die traditionelle Glaubenspraxis und die Frage nach dem Tragen eines Kopftuches. Es wird konkret gefragt, ob „Sie“, also die befragten Frauen, ein Kopftuch tragen; somit wird also suggeriert, dass die Befragten islamischen Glaubens sind. Auch wenn der Islam nicht die einzige Religion ist, in der Frauen und Männer ihren Kopf bedecken, impliziert die Fragestellung, dass ein Bezug zwischen Kopftuch, Religion und Türkeistämmigkeit gezogen wird. An dieser Stelle gehen die Fragesteller davon aus, dass die Religion der Befragten muslimisch sei. Es wird jedoch nicht gefragt, ob bspw. „der Koran“, oder „die Worte des Propheten“ über die Gesetze des Staates gestellt würden. Eine Vergleichserhebung unter Christen mit genau dieser Frage fehlt als Referenz(-punkt). Abbildung 9 vermischt dabei zudem vier Frage-Kategorien, die unterschiedlichste Aspekte behandeln. Während die Frage zur „Befolgung der Gebote“ und die nach „einer wahren Religion“ prinzipiell durch alle Probanden in Deutschland beantwortet werden könnten und nicht an eine Religion gebunden sind, fokussieren sich die Fragen zur „Rückkehr zu einer Gesellschaftsordnung wie zu Zeiten des Propheten Mohammeds“ und zum Problemlösungspotential des Islams auf nur eine Religion – den Islam. Eine gemeinsame Darstellung dieser Kategorien als Schaubild ist in Bezug auf wissenschaftliche Gütekriterien und eine ergebnisoffene, nichtstigmatisierende Forschung zu kritisieren. Aus einer Zustimmung zu allen vier auf religiösen Fundamentalismus zu schließen und dies den so antwortenden Probanden zuzuschreiben, ist zudem eine gewagte Hypothese. Leider sind die Erhebungsdaten der Studie für Außenstehende nicht zugänglich. Die Autoren, die Zugriff auf die Erhebungsdaten hatten, kommen zu dem Schluss: Wie weiterführende multivariate Analysen gezeigt haben, könnte sich die Popularität derartiger Haltungen jedoch in Zukunft abschwächen – insofern die strukturelle und soziale

3.2 Studien von Meinungsforschungsinstituten in Deutschland

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Integration insbesondere bei der zweiten/dritten Generation weiter von Erfolg gekrönt ist: Als wichtigste Einflussfaktoren, die einer fundamentalistischen Grundhaltung entgegenwirken, haben sich häufige Kontakte zur Mehrheitsgesellschaft, gute Kenntnisse der deutschen Sprache und die Einbindung in den Arbeitsmarkt herauskristallisiert, während sich Gefühle mangelnder Anerkennung (‚Bürger 2. Klasse‘) und ethnische-kulturelle Segregation (Kontakte vorwiegend innerhalb der muslimischen Community) als eher hinderlich erweisen (ebd.: 15). Die Aussage, dass Gewalt aus religiösen Gründen angewendet werden darf, werde von einem „immer noch beachtlichen Anteil der Befragten“ geteilt (vgl. ebd.: 16). Auch wenn Aussagen von und zu türkeistämmigen Bürgern der BRD der Studie kritisch zu bewerten sind und einer weiteren Analyse des Datensatzes bedürfen, liefert die Erhebung in Fragen der stereotypen Vorstellungen zum Islam durch ihre Gegenüberstellung der von ihr 2016 erhobenen Daten zu den Ergebnissen von WARV (2010) Erkenntnisse, die es zu beachten gilt.

Abbildung 4: Assoziationen zum Islam (Quelle: Pollack et al. 2016: 17)

Während die Einschätzungen von Türkeistämmigen und der Gesamtbevölkerung in Bezug auf das Christentum ähnliche Tendenzen aufweisen, scheint es eine extrem divergente Einstellung (von bis zu 62%) zum Islam zwischen beiden Gruppen zu geben (vgl. Abbildung 4 und 5): Den vier positiv konnotierten Aussagen stimmt dabei die Gesamtbevölkerung sehr gering zu, während von ihr die vier negativ konnotierten Aussagen enorm hoch geteilt werden; dies kontrastiv zu den Einstellun-

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3. Forschungsstand – Stereotype-Untersuchungen im deutschsprachigen Raum

gen der Gruppe der Türkeistämmigen. Kritisch zu sehen ist bei diesem Vergleich der zeitliche Abstand von sieben Jahren zwischen beiden Erhebungen und z.B. auch die in diesem Zeitraum stattgefundenen gesellschaftlichen und politischen Ereignisse. Auffällig ist, dass die Beurteilung des Christentums durch die befragten Türkeistämmigen prinzipiell positiv ist. Die negativ konnotierten Kategorien Benachteiligung der Frau, Gewaltbereitschaft und Fanatismus werden zudem in geringerem Maße mit dem Christentum als mit dem Islam assoziiert.

Abbildung 5: Assoziationen zum Christentum (Quelle: Pollack et al. 2016: 18)

Die Erhebung weist folgende Kritikpunkte in Hinblick auf Vorgehen, Argumentation und Formulierungen auf: A) Divergenz zwischen hohem allgemeinen Wohlbefinden zu einem weit verbreiteten Gefühl mangelnder sozialer Anerkennung seitens der türkeistämmigen Bevölkerung. B) Eine unzureichende Definition des Terminus „Mehrheitsgesellschaft“. Pollack et al. definieren diesen als „Menschen mit deutscher Herkunft“ (vgl. ebd.: 5), bleiben jedoch eine genauere Definition dazu schuldig. Es bleibt unklar, ob damit eine ethnische, nationale oder kulturelle „Herkunft“ gemeint ist und welche Faktoren zu einer solchen Zuschreibung führen. C) Wissenschaftliche Erkenntnisse und Handlungsempfehlungen an die Gesellschaft werden vermischt, dies wird exemplarisch deutlich an: „Alle Migranten und ihre Nachkommen sind herausgefordert, eine Balance zwischen der Anpassung an die Mehrheitsgesellschaft einerseits und der kulturellen Selbstbehauptung andererseits zu finden“ (ebd.:11).

3.2 Studien von Meinungsforschungsinstituten in Deutschland

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D) Bereits der Titel „Integration und Religion aus der Sicht von Türkeistämmigen in Deutschland“ impliziert eine Korrelation zwischen beiden Faktoren. Eine Abhängigkeit beider Faktoren zueinander ist kritisch zu hinterfragen. Aufgrund der nicht existenten Verfügbarkeit des Datenmaterials ist hier davon auszugehen, dass diese Hypothese zwingend hinterfragt und überprüft werden sollte. E) Eine erhebliche Anzahl der Fragekategorien bezieht sich auf den Themenkomplex „Gewalt“, diese stereotypisierte und implizierende Fragestellungen erwecken den Eindruck, als ob ein gewaltbejahendes Licht auf den Islam geworfen werden soll und dass der Islam mit Türkeistämmigen verbunden wird. Eine negative Zuschreibung zu Türkeistämmigen ergibt sich dadurch nicht nur aus den Resultaten der Studie, sondern vielmehr auch schon aus ihren Vorannahmen. Es sieht so aus, als würde der Untersuchung die Hypothese zugrunde liegen, der Islam sei eine gewaltbejahende Religion. F) Da in der Studie betont wird, dass es erhebliche Unterschiede zwischen der ersten und den dann folgenden Generationen Türkeistämmiger gibt, wäre es aufschlussreich gewesen, in allen Fragen nicht die türkeistämmige Gesamtgruppe statistisch zu berechnen, sondern die zwei Gruppen getrennt zu berechnen und zu bewerten. Der Frage, inwieweit eine stereotype Verbindung von Islam und Türkei auf deutscher und türkischer Seite gezogen wird, wird in der Analyse der Erhebung dieser Arbeit weiter nachgegangen werden. 3.2.3 Zwischenfazit Studien von Meinungsforschungsinstituten Die hier exemplarisch analysierten Studien von Meinungsforschungsinstituten im deutschsprachigen Raum, die sich mit dem Themenkomplex der Türkei und der Türkeistämmigen beschäftigen, vermischen jeweils verschiedene Kategorien. Während der Gallup-Studie eine Trennschärfe von Türkei- und Türkenbild unterstellt werden könnte, ist der Münsteraner Studie eine implizite Unterstellung der Religionszugehörigkeit Türkeistämmiger zu attestieren. Es ist festzustellen, dass die Fragestellungen beider Studien anscheinend aus Blickwinkeln erarbeitet wurden, die neben dem konkreten Erhebungsinteresse durch stereotype Vorannahmen geprägt waren. Beide Studien zum Türkei- und Türkenbild eint eine Intransparenz der Erhebungsmethode sowie ein fehlender Zugang zu den Datenkorpora. Diese Kritik ist auch an den hier vorgestellten Studien zum Deutschen- und Deutschlandbild von Meinungsforschungsinstituten zu äußern, werden doch in allen behandelten Befragungen Ergeb-

3. Forschungsstand – Stereotype-Untersuchungen im deutschsprachigen Raum

106

nisse vorgestellt, ohne dass eine (genaue) Nachprüfbarkeit des Vorgehens und Datenmaterials gegeben ist. Einer generellen Aussagekraft der Ergebnisse der Forsa- und Oettinger-Studien, der Deutschlandliste sowie der Gallup-Studie und der Münsteraner Erhebung ist somit nicht ohne Bedenken zuzustimmen. Prinzipiell lässt sich feststellen, dass das Sammeln spontaner Assoziationen von Probanden zu einem Land und einer Ethnie […] eine gern genutzte Methode [ist]. Bei solchen Erhebungen beziehen sich sehr viele Assoziationen auf das Land selbst (z. B. landschaftliche und geografische Merkmale); deshalb ist die ‚Ausbeute‘ für Eigenschaften, welche die Einstellung zu den Menschen ausdrücken, i. d. R. gering (wie sich auch in der FORSA-Studie 2007 gezeigt hat). Die Aufnahme solcher ‚Merkmale‘ in Eigenschaftslisten, mit denen Einstellungen zu anderen Sprachen und Kulturräumen erhoben werden sollen, ist nicht möglich (Ossenberg/Baur 2016: 16). Jedoch liefern die Ansätze der Meinungsforschungsinstitute interessante Perspektiven zur Datenerhebung und zu verschiedenen Ansatzpunkten. „So wurde bei der FORSA-Studie auf Telefoninterviews zurückgegriffen, die Deutschlandliste nutzte Online-Fragebögen mit ausschließlich offenen Antwortmöglichkeiten [und] die OETTINGER-Studie nutzte eine Mischung aus Einzel- und Gruppeninterviews […]“ (Ossenberg/Baur 2016: 18). Auch die Kohortenbildung der einzelnen Studien bietet Ansätze, die zielführend sind. So differenzieren die Studien der Meinungsforschungsinstitute nicht nur zwischen Alter und Geschlecht, sondern auch, wie gezeigt, (teilweise) nach Migrationsgeneration. Die Schwächen rein offener Befragungen in Bezug auf Stereotype zeigen dabei exemplarisch die Deutschlandliste, die Gallup- sowie die Oettinger-Studie. Diese Probleme ließen sich auch in durchgeführten Reproduktions-Simulationen mit Studierenden der Universität Duisburg-Essen zeigen. Auf eine tiefergehende Analyse der einzelnen Studien soll an dieser Stelle verzichtet werden, jedoch nicht unerwähnt bleiben, dass alle Studien sowohl in Bezug auf ihre jeweilige Methodik, als auch auf die abgefragten Inhalte Schwächen haben und Mängel aufweisen, was sich bei von uns durchgeführten Reproduktions-Simulationen gezeigt hat. Diese haben wir in den vergangenen drei Jahren mit insgesamt über 200 Teilnehmern durchgeführt (Ossenberg/Baur 2016: 18). Fasst man die behandelten Meinungsforschungsinstituts-Studien zusammen, so ergibt sich folgendes Bild:

3.3 Zwischenfazit

107

Tabelle 15: Eigene Darstellung Zusammenfassungen der Meinungsforschungsinstituts-Studien

Forschungsthemen

Befragte/ Ethnien

Autostereotyp

Heterostereotyp

Deutschland-Liste (2011)

Assoziationen von Deutschlernenden am Goethe-Institut zu Deutschland

13.000/1

Oettinger-Studie (2012)

Assoziationen zu Deutschen

200/1

Forsa-Studie(n) (2010)

Assoziationen zu Russen

1.003/1

*

Gallup-Studie (2013)

Assoziationen zur Türkei und Türken

1.020/1

*

Münsteraner Studie Assoziationen von Türkeistämmigen (2016)

1.201/1

*

*

*

zum Islam

3.3 Zwischenfazit Die in dieser Arbeit behandelten Studien aus wissenschaftlichen Kontexten und von Meinungsforschungsinstituten sind gemeinsam zu betrachten, um Überlegungen zu einer Erstellung einer interkulturell anwendbaren Merkmalliste fortzuführen. Dabei sind vor allem vier Aspekte in den Fokus zu nehmen: 1) die Forschungstradition, in der die hier behandelten Erhebungen stehen, 2) die Erhebungsmethoden der hier behandelten Untersuchungen, 3) die Stichproben und der Umfang der Erhebungen und 4) die Erhebungsorte der Studien.

108

3. Forschungsstand – Stereotype-Untersuchungen im deutschsprachigen Raum 1) Forschungstraditionen

Abbildung 6: Eigene Darstellung der Traditionslinien deutscher Merkmallistenerhebungen zu Stereotypen

Generell lassen sich die in dieser Arbeit behandelten Erhebungen in drei Gruppen einteilen: Zum einen existiert ein Forschungsstrang (A), der sich direkt auf die Studie von Katz/Braly (1933) zurückführen lässt. Ähnlich wie in der Princeton-Trilogie im amerikanischen Raum können Ergebnisse der Studien von Sodhi/Bergius (1953), Keller (1969/1986) und Apeltauer (1998/2002) aufgrund der in diesen Forschungen verwendeten Merkmalslisten longitudinal verglichen werden, wenn die Ergebnisse im Kontext ihres Entstehungszeitpunktes interpretiert werden. Über die Jahrzehnte hinweg sind dabei einige Merkmale der jeweiligen Listen gestrichen und/oder ergänzt worden. Dies ist der Historizität mancher Items geschuldet, ändert jedoch nichts an der Möglichkeit eines prinzipiellen Vergleiches. Epistemologisch betrachtet übertragen Keller (1969/1986) und Apeltauer (1998/2002) diesen Forschungsstrang aus der deutschen Sozialpsychologie in den Kontext der DaF-Forschung und zeigen auf, dass dieses Operationalisieren zur Erhebung von Stereotypen Vergleiche innerhalb unterschiedlicher Befragtengruppe (Nationen- und Altersgruppen) zulässt. Eine Betrachtung im Detail ist aufgrund der Erhebungsmethode und der prozentualen Auszählung der Ergebnisse jedoch

3.3 Zwischenfazit

109

nicht (unbedingt) gegeben. Wie Apeltauer (2002) aufzeigt, ist eine Triangulation des quantitativen Vorgehens mit qualitativen Methoden ein Ziel weiterer Forschung. Zum Zweiten existiert ein Forschungsstrang (B), in dem Forscher eigene (von der Liste von Katz/Braly unabhängige) Voruntersuchungen zur Erstellung einer Merkmalliste durchführen. Die Arbeiten von Hann (1985), Stapf/Stroebe/Jonas (1986), Koreik (1993/1995) und der DAAD-Lektorengruppe der Iberischen Halbinsel (1999) werden dabei von Grünewald destilliert aufbereitet und an sein Forschungsdesign angepasst (vgl. Kapitel 3.1.9). Die benannten Studien zeigen dabei verschiedenste weitere Aspekte der Stereotypenforschung auf: Während Koreiks Fokus auf den historischen Wurzeln von Vorurteilen und Stereotypen sowie der Lehrwerksanalyse im DaF-Unterricht liegt, interessieren sich Grünewald und die DAAD-Lektorengruppe der Iberischen Halbinsel vor allem für die Differenzierung von Nationen- und Landesbildern. Stapf/Stroebe/Jonas suchen zudem nach stereotypen Mustern/Clustern in ihrer Stereotypen-Erhebung, während Hann Übersetzungsproblematiken und sprachliche sowie kulturelle Konnotationen in den Mittelpunkt seiner Untersuchung stellt. Alle Studien, die dem zweiten Forschungsstrang zuzuordnen sind, stehen dabei in der Forschungstradition von Deutsch als Fremdsprache, auch wenn mit Hann dabei ein Vertreter der Kommunikationswissenschaft (Bonner Prägung) vertreten ist, der sich jedoch durch seine Lektorentätigkeit dem Themenfeld der Fremdsprachenvermittlung zuwendet. Leider sind durch die divergenten Merkmallisten der jeweiligen Erhebungen keine longitudinalen Vergleiche der Studien möglich und somit nur eingeschränkt mit Erhebungen aus Forschungsstrang A vergleichbar. Es zeigt sich die Problematik der Heterogenität des Forschungsfeldes und der Erhebungsmethodik. Es ist zu betonen, dass eine einheitliche, interkulturelle anwendbare Merkmalliste für zukünftige Forschungen zu empfehlen ist, die eventuell bei Bedarf um kulturspezifische Anforderungen erweitert werden sollte. Als dritten Zweig der Erhebungen zu Stereotypen im deutschsprachigen Raum (C) lassen sich die Studien von Meinungsforschungsinstituten ausmachen. Ohne Anspruch auf die Einhaltung wissenschaftlicher Gütekriterien werden hier seit Jahren mit Hilfe moderner Erhebungsverfahren (CATI- und Online-Befragungen) und abseits von Merkmallistenverfahren Einstellungen, Meinungen und Aussagen zu Völkern, Nationen, Migrationsgruppen etc. erhoben, selektiv dargestellt und medial aufgegriffen. Eine Analyse der Ergebnisse dieser Studien ist dabei äußert schwierig, da das zu Grunde liegende Datenmaterial häufig nicht der Öffentlichkeit bereitgestellt wird. Hier besteht nicht nur die Gefahr verallgemeinerter Darstellung von auftragsbedingter verallgemeinernder Erhebung, sondern auch die Gefahr der verkürzten und interpretativen Darstellung der Einstellungen

110

3. Forschungsstand – Stereotype-Untersuchungen im deutschsprachigen Raum

der Befragten. Dennoch geben diese Studien Inspirationen und Hinweise auf aktuelle Trends des Meinungsbildes einer Gesellschaft, die bei Überlegungen im interkulturellen Forschungsfeld nicht ausgeblendet werden sollten. Alle drei Zweige und die verwendeten Merkmale der entsprechenden Liste finden in der Merkmalliste von Baur/Ossenberg (2016) Berücksichtigung. Im digitalen Anhang dieser Arbeit sind die Merkmale der wissenschaftlichen Studien zusammengeführt, um weitere epistemologische Forschungen zu den verwendeten Items der hier thematisierten Studien zu ermöglichen. Es ist festzustellen, dass keine bisherige Arbeit im deutschsprachigen Raum diese Zusammenstellung von Eigenschaften geleistet hat. Zur Auswahl der Eigenschaften für die Liste von Baur/Ossenberg (2016), die für die Erhebung der hier vorliegenden Arbeit verwendet wird24 sei auf Kapitel 4.1. verwiesen. Erhebungsmethoden

Abbildung 7: Eigene Darstellung der Erhebungsformen deutscher Merkmallistenerhebungen zu Stereotypen

Legt man ein Augenmerk auf die eingesetzten Erhebungsformen der hier behandelten Studien, so ist festzustellen, dass bis auf die Erhebungen von Baur et al. (2013), Baur/Ossenberg (2016), Ossenberg/Baur (2016), Baur/Ossenberg (2017) und Baur et al. (2017), alle wissenschaftlichen Erhe-

24

Dies mit Ausnahme des Items rassistisch, dessen Aufnahme in die Merkmalliste sich erst aus den offenen Nennungen im Rahmen der hier behandelten Erhebung im deutsch-türkischen Kontext ergab.

3.3 Zwischenfazit

111

bungen, die das Merkmallistenverfahren anwenden, schriftlich durchgeführt wurden. Die Erhebungen der Meinungsforschungsinstitute setzten hingegen auf telefonische Befragungen (CATI) oder auf Online-Befragungen, wie aus Abbildung 13 ersichtlich wird. Bei den schriftlich durchgeführten Befragungen ist zwischen uni-direktionalen und bi-direktionalen Erhebungen zu differenzieren. Die Tendenz zur schriftlichen Befragung bei den wissenschaftlichen Studien mag dem jeweiligen Zeitpunkt der Erhebungen geschuldet sein, ist jedoch heute nicht mehr unbedingt zielführend, können so doch zahlreiche Meta-Informationen nicht in die Interpretation der Daten miteinfließen. Der Faktor der „sozialen Erwünschtheit“ bei Paper-and-Pen-Befragungen muss zudem bei der Interpretation der in den Studien dargelegten Ergebnisse mitberücksichtigt werden (vgl. Kapitel 4). Die hier behandelten Studien, die das CATI- und Onlinebefragungsverfahren anwenden, greifen moderne Erhebungsverfahren auf. Dabei ist jedoch zu berücksichtigen, dass die Datenerhebung und die Operationalisierung der zugrundeliegenden Fragestellung häufig intransparent bleiben und von Interessierten (oft) nicht erschlossen werden können. Stichproben und Umfang Betrachtet man die Stichproben der Erhebungen, die in diesem Kapitel behandelt werden, so ist auffällig, dass die meisten Studien insgesamt eine Probandenanzahl von 100 bis 1.000 Personen umfassen (vgl. Abbildung 10). Mit Ausnahme der Arbeit von Stapf/Stroebe/Jonas (1986) ist dabei zudem auffällig, dass die behandelten wissenschaftlichen Studien generell keine größere Stichprobe als N=1000 umfassen.25 Lediglich die Studien der Meinungsforschungsinstitute überschreiten diese Grenze – teils knapp (vgl. Forsa 2015); teils exorbitant (vgl. Deutschland-Liste 2011). Es ist die Hypothese aufzustellen, dass dies durch die Erhebungsform der jeweiligen Studien bedingt ist. Während Telefon- und Onlinebefragungen zu größeren Teilnehmerzahlen führten, weisen die Erhebungen, die schriftlich durchgeführt wurden, einen geringeren Stichprobenumfang auf. Es lässt sich konstatieren, dass die Schwelle von 1.000 Probanden jedoch von nicht mehr als der Hälfte der hier behandelten Key-Readings überschritten wird. In der Erhebung, die in der hier vorliegenden Arbeit behandelt wird (vgl. Kapitel 4 ff.), wurden insgesamt 7.717 Probanden befragt.

25

Für die hier angeführte Darstellung wurden alle Probanden der Pre- und Hauptstudie der jeweiligen Erhebungen berücksichtigt. Dabei wurde zwischen einzelnen Erhebungen eines oder mehrerer Forscher differenziert. Eine Zusammenfassung unter dem Namen eines Forschers/einer Forschergruppe würde die Darstellung verzerren.

112

3. Forschungsstand – Stereotype-Untersuchungen im deutschsprachigen Raum

Abbildung 8: Eigene Darstellung der Anzahl der Probanden deutscher Merkmallistenerhebungen zu Stereotypen

Erhebungsorte Zum Zeitpunkt der Erhebung der hier vorliegenden Arbeit wurden durch die hier behandelten wissenschaftlichen Studien in folgenden Ländern Befragungen nach dem Merkmallistenverfahren durchgeführt: Deutschland, England, Frankreich, Norwegen, Südkorea, Türkei, den Vereinigten Staaten von Amerika und Japan (vgl. Abbildung 15). Die Erhebungen der Studien der Meinungsforschungsinstitute, die hier besprochen wurden, waren ausschließlich auf den deutsch-türkischen Kontext und deutsch-russischen Raum begrenzt und befragten uni-direktional aus deutscher Perspektive zu Russland und der Türkei. Aus diesem Grund werden diese Studien hier nicht weiter behandelt.

behandelten Key3.3 Zwischenfazit

113

Erhebungsorte Abbildung 15: gen zu Stereotypen

Abbildung 9: Eigene Darstellung der Erhebungsorte deutscher Merkmallistenerhebungen zu Stereotypen

Zum Zeitpunkt der Erhebung d

114

3. Forschungsstand – Stereotype-Untersuchungen im deutschsprachigen Raum

Erhebungen in der Vereinigten Staaten von Amerika wurden von Katz/Braly (1933), Stapf/Stroebe/Jonas (1986) und Keller (1986) durchgeführt. Apeltauer befragt bi-direktional deutsche und türkische Studierende (1996) sowie uni-direktional norwegische Schüler (2002) zu ihren stereotypen Einstellungen, während Hann 1985 in Südkorea Auto- und Heterostereotypen der dort lebende Deutschen und Südkoreanern mit dem Forschungsinteresse der Fallibilität interkultureller Kommunikation untersucht; Grünewald erhebt in Japan (2005) das Deutschen- und Deutschlandbild Fremdsprachenlernender an einer Hochschule vor Ort. Die DAAD-Lektorengruppe der Iberischen Halbinsel vergleicht 1999 die Bilder von Portugiesen und Spaniern zu Deutschen und Deutschland, bezieht dabei aber die deutsche Perspektive nicht mit ein, da sie keine Befragung in der BRD durchführt. Keller und Apeltauer erheben in ihren Studien in mehreren Ländern und dies (z.T.) bi-direktional. Der Forschungsaufwand ist als erheblich einzuschätzen. Dabei greifen beide Forscher auf die von Keller modifizierte Merkmalliste (in Tradition von Sodhi/Bergius) zurück. Zum Zeitpunkt der Erhebung dieser Arbeit hat die an der Universität Duisburg-Essen zu verortende Forschungsgruppe SI.DE bereits Erhebungen in China und Russland mittels der Merkmalliste Baur/Ossenberg (2016) durchgeführt (Baur et al.: 2017, Ossenberg: i.V.). Es lässt sich feststellen, dass alle hier behandelten Erhebungen und Studien ausschließlich in der nördlichen Hemisphäre durchgeführt wurden. Es ist zu vermuten, dass sich Stereotype-Erhebungen mit Deutschen- und Deutschlandbezug auf die dort verorteten Regionen der Erdkugel fokussieren. Vor den Arbeiten der Arbeitsgruppe SI.DE (vgl. ebd.: 2017) wurden zudem keine bi-direktionalen Erhebungen zu Stereotypen im deutsch-russischen, bzw. deutsch-chinesischem Kontext online durchgeführt. Die ‚Terra-Incognita‘ der Stereotypenforschung mit Mitteln des Merkmallistenverfahrens erstreckt sich somit auf die Kontinente Afrika, Australien und Südamerika. Zusammenfassend ist festzustellen, dass in die Merkmalliste Baur/Ossenberg (2016) Studien und (Vor-)Erhebungen sowie deren Dekonstruktion eingeflossen sind, die auf drei Kontinenten durchgeführt wurden. Die Komplexität der Forschungsprozesse der hier vorgestellten Studien kann an dieser Stelle lediglich kursorisch dargestellt werden, bildet jedoch einen Ausgangspunkt für die im Folgenden vorgestellte Erhebung zu deutsch-türkischen Stereotypen.

4. Forschungsmethode und -design Nach der Explikation der dieser Untersuchung zugrundeliegenden Begriffe und Theorien sollen im Folgenden die prinzipiellen Überlegungen zur Konzeption der exemplarischen Trendstudie und der Fragebogenkonstruktion dargelegt werden. Verzichtet wird an dieser Stelle auf forschungsmethodologische Diskussionen und/oder Bewertungen aus folgendem Grund: in der nationalen Stereotypenforschung im deutschsprachigen Raum sind vor allem Studien zu finden, die quantitativ zu verorten sind und sich des Merkmallistenverfahrens bedienen (vgl. Kapitel 3). Auch wenn in den vergangenen 25 Jahren bspw. von Seiten Mog (1994) dafür eingetreten wird, ‚weiche‘ und ‚qualitative’ Erhebungsmethoden in der Stereotypenforschung einzusetzen, so ist die Frage nach einer Vergleichbarkeit der erhobenen Ergebnisse zu berücksichtigen. Es steht außer Frage, dass qualitative und quantitative Erhebungsformen gleichermaßen in der Erhebung von ‚nationalen’ Stereotypen eingesetzt werden sollen. Diese methodologische Diskussion greift jedoch einer anderen Frage vor: Bevor der wissenschaftliche Zugang zum Forschungsfeld geklärt werden kann, sollte in beiden Forschungsparadigmen Konsens über jeweils vergleichende methodische Zugänge bestehen. Thieles Plädoyer für eine Auseinandersetzung mit Stereotypen über Fachbereiche und Paradigmen hinweg (vgl. Thiele 2015: 396) bietet hier einen Ansatz, der lohnenswert scheint. Durch die Tradierung des Merkmallistenverfahrens im deutschen Forschungsfeld, wird die beschriebene Erhebungsmethode in dieser Arbeit aufgegriffen und weitergeführt. Bieten sich hier doch Möglichkeiten des Vergleichs zu bisherigen Studien. 4.1 Forschungskonzeption – Zu Fragen der Operationalisierung Seit 1933 wird das Merkmallistenverfahren (im Englischen als adjective checklist bezeichnet)26 als ein geeignetes Mittel für Erhebungen von Stereotypen angesehen und angewendet. Das Merkmallistenverfahren zur Erhebung von Stereotypen ist nicht unumstritten, wie bereits bei Manz (1968), Schäfer (1988), Ganter (1997), Eckes (2008) und Thiele (2015) diskutiert. Jedoch werden abseits der Empfehlung für qualitative Erhebungsmethoden durch bisherige Arbeiten, die sich mit der methodischen Problematik beschäftigen, keine substanziellen und praktisch anwendbaren Formen einer alternativen Erhebungsmöglichkeit bei ähnlich effektiver Operationalisierung und

26

Aufgrund der sehr divergenten Forschungslinien und ihrer Interessen und der dabei jeweils eigenständigen Weiterentwicklung der amerikanischen und deutschen Stereotype-Forschung, wie bereits gezeigt, ist eine zukünftige Unterscheidung von „adjective checklist“ und „Merkmallisten-Verfahren“ sinnvoll, um eine erkennbare Differenzierung zwischen den Forschungszweigen in Deutschland und den Vereinigten Staaten zu zeigen.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 S. Ossenberg, Deutsche und türkische Stereotype, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26879-4_4

116

4. Forschungsmethode und -design

Forschungstiefe aufgezeigt. Das gilt insbesondere in Bezug auf die Untersuchung ‚nationaler’ Stereotype. Kritisiert wird unter anderem der Mangel „einer einseitigen methodisch-technischen Operationalisierung“, die „Annahme einer binären Zuordnung“, die „Unbestimmtheit des Prägnanzkriteriums“ und die „unzureichende Differenzierung zwischen der Erfassung der Kenntnis und der persönlichen Akzeptanz eines Stereotyps“ (vgl.: Ganter 1997: 7 ff.). Diese und ähnliche Kritikpunkte an quantitativ orientierten Stereotype-Untersuchungen (je nachdem welcher Forschungsmeinung gefolgt wird, divergiert diese Kritik) werden häufig an den grundlegenden ersten Erhebungen festgemacht, die den heutigen methodischen Standards nur noch teilweise entsprechen. Mängel der Konzeption und daraus resultierende Ergebnisse wurden der Methode an sich zugeschrieben. Die Würdigung der jeweiligen Studien wird jedoch durch diese Metaanalysen, die Forschungsentwicklungen auf epistemologischer Ebene analysieren, verstellt (vgl. Ossenberg/Baur 2016). Die Methode von Katz/Braly wird jedoch bis heute zur Erhebung der ‚Bilder in unseren Köpfen’ angewendet, wie Ganter mit der exemplarischen Nennung beispielhafter Erhebungen außerhalb der Princeton-Triologie festellt, wenn er Brigham (1971), Stroebe (1985) und Ashmore/Del Boca (1981) anführt. Als Grund für die häufige Nutzung des Verfahrens zitiert Ganter auch Gardner "The obvious advantage of this technique is its simplicity. It is easy to administer and easy to interpret, at least at the group level“ (Gardner 1994: 7). Ein weiterer Vorteil des Verfahrens liegt neben seiner effektiven Operationalisierbarkeit in der Vergleichbarkeit von gewonnen Ergebnissen. Aus diesem Grund ist das Merkmallistenverfahren unter anderem auch von Clark/Pearson (1982), Fontana/Hartsough (1970), Madon et al. (2001) verwendet worden. Dies hat eine große Akzeptanz der Methode innerhalb der Forschung hervorgebracht. Dem Vorgehen des etablierten Merkmallisten-Verfahrens innerhalb der Stereotypen-Forschung folgend, wurde sich für die hier vorliegende Untersuchung für die Erstellung einer Querschnittsuntersuchung; genauer einer Trendstudie entschieden; da Angaben von Probanden verschiedener Altersstufen, welche zu mehrmaligen Zeitpunkten erhoben wurden, miteinander verglichen werden sollen. Dem Vorgehen der sozialwissenschaftlichen Messverfahren folgend werden anhand der dargestellten Theorien und Konzepte (und der exemplarisch erstellten und im Anschluss daran durchgeführten Erhebung) erste Indikatoren generiert werden, die der Bildung von Hypothesen und der Beschreibung der empirischen Wirklichkeit dienen. Diese sollen und müssen weiter überprüft und untersucht werden.

4.1 Forschungskonzeption – Zu Fragen der Operationalisierung

117

Trendstudien erheben zu verschiedenen Zeitpunkten Daten – dies mit unterschiedlichen Stichproben einer gleichen Grundgesamtheit zu einer identischen Fragestellung. Aus den daraus gewonnenen Individualdaten können (bei einer korrekten Auswahl der Zufallsstichproben und Konzeptionierung des Designs) Schlussfolgerungen über die Grundgesamtheit (Aggregatdaten) innerhalb des Zeitraums der Befragung getroffen werden. Zwar können z.B. durch Altersunterschiede von unterschiedlichen Populationen wegen möglich auftretender Kohorteneffekte nicht vorbehaltlos Rückschlüsse über potentielle Entwicklungsprozesse gezogen werden und eine Übertragung der Ergebnisse für einen späteren Zeitpunkt ist lediglich bedingt möglich, jedoch bietet sich die Untersuchungsform wegen der im Vergleich zu Paneldesigns leichteren Akquise von Probanden, der kürzeren Zeitspanne, die von der Erhebung bis zu dem Vorliegen der Ergebnisse vergeht, und dem daraus resultierenden geringeren Personalaufwand an. Um Daten quantitativ zu erheben, ist eine Operationalisierung notwendig. Diese ist die „Angabe einer Anweisung, wie Objekte mit Eigenschaften (Merkmalen), die der theoretische Begriff bezeichnet, beobachtbare Sachverhalte zugeordnet werden können“ (Schnell/Hill/Esser 1999: 123 ff.). Da innerhalb der Geistes- und Sozialwissenschaften die Zuordnung der beobachtbaren Sachverhalte stets mit Individuen oder Personengruppen assoziiert ist, ist zur Erstellung einer Trendstudie die Auswahl und Definition einer Stichprobe nötig, anhand derer die Ausgangshypothese überprüft, bzw. das Merkmallistenverfahren erprobt werden soll. Eine Stichprobe (Sample) „ist eine Auswahl von Elementen der Grundgesamtheit“ (Diekmann 2012: 376). Die Grundgesamtheit des Designs besteht aus sämtlichen Personen, die in Deutschland und der Türkei leben. Die Anzahl der ausgewählten Elemente (der Stichprobenumfang) beträgt bei dieser Untersuchung 5.576 Personen, davon 3.042 Probanden in der Türkei und 2.534 Probanden in Deutschland. Innerhalb der Stichprobe ist nach Kohorten zu unterscheiden. Diekmann definiert Kohorten als Gruppen, die „gemeinsamen kulturellen und sozialökonomischen Effekten ausgesetzt sind, die sich auch in einem mehr oder weniger starken Grad auf den Lebensverlauf auswirken“ (Diekmann 2012: 319). Innerhalb der Auswertung liegt der Fokus des Vergleichs in Deutschland zwischen der Kohorte der Probanden mit türkischem Migrationshintergrund (da angenommen werden kann, dass eine Beziehung zur Türkei besteht) und der Kohorte, also der Gruppe der Befragten, die über keinen türkischen Migrationshintergrund verfügt.

118

4. Forschungsmethode und -design

Der Umfang der Kohorte von Menschen mit türkischem Migrationshintergrund beträgt 674, wobei die Kohorte derer ohne Migrationshintergrund 1.860 Personen umfasst. Zwar fallen durch das Schneeballverfahren alle in Deutschland und in der Türkei lebenden Personen in die Grundgesamtheit und können einen Teil der Stichprobe darstellen, jedoch erfolgte eine Ausrichtung des Designs für Probanden, die über einen akademischen Bildungshintergrund verfügen, da die Daten hauptsächlich im universitären Kontext erhoben wurden. Hinter dieser Konzeption steht die Annahme, dass Studierende im Rahmen eines Seminars (als mögliche Probanden) die Beantwortung der Fragen vornehmen und als Multiplikatoren für die Verbreitung der Untersuchung tätig sind. Diese Grundüberlegung spiegelt sich u.a. auch in der Fragebogenkonzeption in Bezug auf die Erhebung von soziobiographischen Daten wider. Das Vorgehen zur Erhebung der Daten und weitere Grundüberlegungen hierzu werden in Kapitel 4.3 ausführlicher dargestellt. Wegen des (indirekten) Zielgruppen-Zuschnitts des Designs, welcher eine Selektion der Beobachtungen zufolge hat, ist das Stichprobenverfahren somit trotz des Schneeball-Verfahrens als ‚nichtprobabilistisch’ zu charakterisieren.27 Dies zeigt sich in der Auswertung der Datensätze: so handelt es sich bei den Probanden der Studie innerhalb der Türkei um überwiegend Studierende bzw. Akademiker. Das Verhältnis der Probanden mit akademischem Kontext beträgt 2.625 zu 417 Probanden (ohne akademischen Bildungshintergrund). Gleiche Effekte konnten auch für die Befragung innerhalb Deutschlands erwartet werden, ließen sich bei der Auswertung jedoch nicht feststellen. So betrug der Anteil der Menschen mit ‚akademischem Hintergrund’ 1.182 Personen und ohne denselbigen 1.352 Personen. Die Verteilung der Probanden innerhalb der Türkei zeigt deutlich, dass aufgrund der nicht-probabilistischen Konzeptionierung des Designs keine Rückschlüsse auf die Grundgesamtheit getroffen werden können, da die Auswahlwahrscheinlichkeit zum einen unbekannt ist und sich zum anderen nicht berechnen lässt. Da der Fokus dieser Arbeit auf der Überprüfung der Anwendbarkeit des Merkmallistenverfahrens liegt und u.a. die in Kapitel 2 bis 4 dargestellten Zusammenhangshypothesen getestet werden sollen, wurden die Datensätze so aufbereitet, dass Indikatoren zur Beantwortung der Forschungsfragen erstellt werden konnten.

27

Es ist darauf hinzuweisen, dass somit nicht das komplette Meinungsspektrum der jeweiligen Bevölkerung abgebildet wird.

4.1 Forschungskonzeption – Zu Fragen der Operationalisierung

119

Dies sei laut Diekmann im Falle eines heuristischen Ansatzes ein legitimes Vorgehen: Die Schätzung von Parametern der Population, aus der die Stichprobe entnommen wurde, muss allerdings nicht immer der einzige Zweck der Ziehung von Stichproben sein. Denken wir einmal an den Test von Zusammenhangshypothesen, sei es anhand von Umfragedaten oder in sozialpsychologischen Experimenten. Wir benötigen hierzu nicht unbedingt repräsentative Stichproben und sind häufig auch gar nicht daran interessiert, Parameter der Grundgesamtheit zu schätzen. Im Sinne der Popper´schen Wissenschaftsphilosophie geht es nur darum, möglichst strenge Tests zur potentiellen Falsifikation von Hypothesen zu arrangieren. Dafür können Zufallsstichproben oder Quotenstichproben herangezogen werden; sie sind aber zu diesem Zweck nicht unbedingt erforderlich (Diekmann 2012: 379). Die Ergebnisse dieser Arbeit können zwar keinen Anspruch auf Repräsentativität erheben, jedoch wurde ein höchstmögliches Maß an Objektivität innerhalb der Untersuchung angestrebt. Um dies zu gewährleisten und um potentielle Antwortverzerrungen (Response Sets) zu vermeiden, wurde ein computerbasierter Zufallsmechanismus genutzt, der eine zufällige Anordnung der Fragen bei jedem Probanden vornimmt. 4.1.1 Messung und Skalen Generell bestehen Variablen aus Merkmalen und Merkmalsdimensionen. Durch die Zuordnung von Variablen zu den zu messenden Einstellungen der Probanden, welche zur Annäherung an den abstrakten Begriff der Stereotypen als „dichotome Indikatorvariablen“ (Diekman 2012: 590) aufgeschlüsselt worden sind, sollen Indikatoren gewonnen werden, die der Beantwortung der Forschungsfrage dienen. Bei der hier vorliegenden Untersuchung wurden diskrete Individual-Merkmale, die dichotome oder polytome Ausprägungen aufweisen (also z.B. Fragen nach dem Geschlecht oder dem Bildungsgrad) in Verbindung mit relationalen Individualmerkmalen (Person A denkt so über Person B) erhoben, um strukturelle Erkenntnisse auf der Kollektivebene, z.B. über den Zusammenhang zwischen Bildung und dem Vorhandensein von Stereotypen (Aggregatdaten) gewinnen zu können (vgl. Diekmann 2012: 123). Als Individualdaten dienen die soziodemographischen Angaben der Probanden, im Besonderen (den in Kapitel 3 vorgestellten Studien folgend) die Angaben zu Geschlecht, Alter, nationaler Selbstidentifikation und Bildungsabschluss.

120

4. Forschungsmethode und -design

Die Auswertung der exemplarischen Studie erfolgte anhand des Prinzips des ‚Measurement per fiat‘ (vereinfachtes Messen), da unterschiedliche Skalenniveaus zur Erhebung der Daten zum Einsatz kamen. 4.1.2 Erhebungsmethode Das methodische Instrument des Online-Fragebogens wurde gewählt, um einerseits eine, wenn auch teilweise nur in Ansätzen mögliche, Vergleichbarkeit zu früheren Studien im deutschen Forschungskontext und andererseits eine interkulturelle Vergleichbarkeit zu ermöglichen (vgl.: Ossenberg/Baur 2016).28 Die Wahl des Erhebungsinstrumentes des Online-Fragebogens erfolgte im Hinblick darauf, ein Forschungsdesign zu konzipieren, welches zum einen international durchführbar ist, zum anderen eine möglichst hohe Rücklaufquote (Response) garantiert und zuletzt eine kulturkontrastive Vergleichbarkeit der Ergebnisse der Erhebungen in Deutschland und in der Türkei ermöglicht. Gerade in Fragen des sensiblen Forschungsthemas der Ein- und Vorstellungen zu anderen Kulturen, Ethnien und Nationen war es ein Anliegen, den Probanden u.a. durch die Abwesenheit möglicher Interviewer eine gewisse Anonymität zu garantieren und somit den Faktor der ‚sozialen Erwünschtheit‘ des Antwortverhaltens zu minimieren. Zusätzlich zu den geschlossenen Fragen wurde dabei den Probanden jedoch auch die Möglichkeit gegeben, offene Antworten abzugeben. Diese stellen jedoch keinen Teil der Auswertung dar. Im Gegensatz zum Instrumentarium der schriftlichen Befragung sind weitere Aspekte in die Überlegungen zur Gestaltung der Befragung miteinzubeziehen, da hier eine Online-Befragung als Sonderform der schriftlichen Befragung angesehen werden kann (vgl. Brosius/Haas/Koschel 2016: 140 und Diekmann 2012: 521).

28

Die Entscheidung zu diesem quantitativen Vorgehen basiert dabei auf mehreren Vorüberlegungen und -erfahrungen im Feld sowie der intensiven Beschäftigung mit dem Thema der Stereotypen in unterschiedlichen und divergenten kulturellen Kontexten unter Verwendung verschiedener Methoden. Es wurden u.a. zu deutsch-chinesischen, deutsch-russischen und deutsch-türkischen Stereotypen qualitative Experteninterviews sowie Gruppeninterviews geleitet, aufgezeichnet und ausgewertet, bisher existierende Item-Batterien analysiert, teilnehmende Beobachtung (vgl.: Girtler 2001 und 2009) in Deutschland, der Türkei sowie China betrieben und dabei explorativ triangulierende Vergleiche gezogen, die zu der Erstellung und Verdichtung der in dieser Arbeit verwendeten Merkmalliste im Rahmen des an der Universität Duisburg-Essen durchgeführten Forschungsprojektes SI.DE führten. Fragestellungen waren dabei u.a. die Auswirkungen stereotyper Zuschreibungen auf den Fremdsprachenerwerb chinesischer Austauschstudierender, offene Assoziationen zu Deutschland, Russland, China und der Türkei von Personen, die in Deutschland, China und der Türkei leben, sowie eine qualitative Exploration der divergenten kulturellen Hintergründe und Länder (vgl. Baur et. al.: 2013, Baur/Ossenberg: 2016, Ossenberg/Baur: 2016, Baur/Ossenberg: 2017). Im Rahmen eines durch den DAAD geförderten Forschungsaufenthaltes an der Marmara-Universität in Istanbul konnten zudem durch teilnehmende Beobachtung Erkenntnisse zur interkulturellen Beziehung im deutsch-türkischen Verhältnis gewonnen werden. Die Auswertung der zu der hier vorliegenden Studie flankierend erhobenen qualitativen Daten sind in Vorbereitung.

4.1 Forschungskonzeption – Zu Fragen der Operationalisierung

121

Prinzipiell unterscheidet sich das Instrument nicht elementar vom Instrument der schriftlichen Befragung, besticht jedoch vor allem durch zeitliche, sprachliche und monetäre Aspekte: A) Zeitliche Aspekte, da Analysen direkt im Anschluss an die Datenerhebung durchgeführt werden können und exakt erfasst werden kann, wann Antworten durch Probanden gegeben wurden. Eine Übertragung vom Analogen ins Digitale und die digitale Codierung der schriftlichen Antworten entfällt. B) Sprachtechnologische Aspekte, da je nach Ort der Befragung die Fragebögen in der Herkunftssprache angeboten und ausgefüllt werden können und eine Analyse über Sprachgrenzen hinweg anhand der Variablen durchgeführt werden kann. Somit entfallen zu einigen Teilen Übersetzungsarbeiten der Antworten im Anschluss einer Befragung (da sie bereits während der Konzeption der Durchführung vollzogen wurde) und eine Vergleichbarkeit der gewählten Items ist existent. C) Monetäre Aspekte, da die Kosten zur Bereitstellung von Fragebögen entfallen und zudem die Anzahl der bereitgestellten Fragebögen nicht der Zahl einer geplanten Vervielfältigung unterliegen. Sollten somit an einem Standort mehr Probanden als Fragebögen vorliegen, kann eine Bereitstellung zur Teilnahme an der Umfrage schnellstmöglich zur Verfügung gestellt werden und ist nicht abhängig vom Postweg und der Vervielfältigung vor Ort sowie der damit verbundenen Kosten. Neben den genannten Vorteilen besticht die Nutzung des Instruments eines Online-Fragebogens nämlich in interkulturellen Kontexten durch weitere Vorteile: Im Vergleich zu anderen Befragungs-Modi spielt die Gefahr, dass Befragte sozial erwünscht antworten eine geringere Rolle. Neben der bereits skizzierten Problematik der zum Teil sehr geringen Rücklaufquoten und der willkürlichen Auswahl der Befragungsteilnehmer besteht bei Online-Befragungen das Problem der fehlenden Verbindlichkeit und sozialen Kontrolle. Dies kann sich positiv auswirken, da Befragte mit geringerer Wahrscheinlichkeit sozial erwünschte Antworten geben. Auf der anderen Seite ist allerdings auch völlig unklar, wer tatsächlich an den Befragungen teilnimmt bzw. ob die gemachten Angaben (z. B. hinsichtlich der soziodemographischen Merkmale) der Wahrheit entsprechen. Mittels Online-Befragung lassen sich innerhalb kurzer Zeit große Fallzahlen erreichen. Dabei spielt es keine Rolle, ob die zu untersuchende Grundgesamtheit räumlich verstreut vorliegt. Wenn beispielsweise Studierende im Auslandssemester oder Mitarbeiter eines deutschen Unternehmens in unterschiedlichen Ländern untersucht werden sollen, bietet sich die Online-Befragung an (Brosius/Haas/Koschel 2016: 121).

4. Forschungsmethode und -design

122

Zudem könnten auch Fragebögen, die nicht vollständig ausgefüllt wurden, ausgewertet werden, da die bis zum Abbruch der Umfrage ausgefüllten Antworten nicht verloren gingen. Dies sei bei schriftlichen Fragebögen häufig nicht der Fall. Verzerrungen durch ‚Primacy-/Recency-Effekte’ – also der Einfluss von vorhergehenden auf nachfolgende Fragen – könnten zudem minimiert, wenn nicht sogar verhindert werden (vgl. ebd.: 118). Repräsentative Ergebnisse sind im strengen Sinne nur über eine aktive Rekrutierung zu erzielen. Für die Online-Befragung stellt sich jedoch die Schwierigkeit, dass die Grundgesamtheit häufig unbekannt ist. Dies gilt zumindest, wenn die Ergebnisse auf die Gesamtbevölkerung oder mindestens auf die Internetnutzer verallgemeinerbar sein sollen (Möhring/Schlütz 2010: 204). Maßgeblich, so Möhring/Schlütz (ebd.: 204 ff.), sei in dieser Frage die Rekrutierung der Probanden. Diekmann schlägt dazu zwei elementare mögliche Vorgehensweisen bei Online-Befragungen vor, das Verfahren ohne Zufallsauswahl und das Verfahren mit Zufallsauswahl (vgl. ebd.). Während man aber beim Vorliegen einer E-Mail-Liste der Grundgesamtheit oder beim Aufstellen eines Online-Panels eine systematische Zufallsauswahl oder auch eine quotierte Auswahl treffen kann, stellt das Schneeballprinzip eine willkürliche Auswahl dar. Die Ergebnisse der Untersuchung können somit nicht verallgemeinert werden (Brosius/Haas/Koschel 2016: 120). Diekmann skizziert 2012 weitere folgende Vorteile des Instrumentes der Online-Befragung (ebd.: 522-523): Durch die Aufzeichnung von Befragtenverhalten könne festgestellt werden, in welchem Zeitraum bestimmte Fragegruppen beantwortet wurden. Somit könnten auch durch einen ermittelten Durchschnittswert der Zeit Rückschlüsse auf die Ernsthaftigkeit der Probanden (wenn auch nur in höchstem Maße interpretativ) gezogen werden. Die Durchführung der Befragung online bietet zudem weitere Vorteile, da durch eine entsprechende Programmierung die Antwortoptionen nicht durchgehend zur Verfügung stehen und durch ‚Zurückblättern‘ keine Veränderungen nach affektivem Ankreuzverhalten vorgenommen werden können.29

29

In Regionen oder bei Personen, die keinen Zugang zum Internet haben oder haben wollen, kann jedoch prinzipiell die Möglichkeit der Paper-and-Pencil-Methode angeboten werden, um die vorgenommenen Befragungen anschließend zur Auswertung in ein digitales System zu übertragen, da die Fragen bereits digital vorliegen und dementsprechend nur in das Paper-and-Pencil-Format übertragen werden müssen.

4.1 Forschungskonzeption – Zu Fragen der Operationalisierung

123

Im Gegensatz zu bisherigen Stereotype-Erhebungen sind die Antworten dieser Arbeit aus den o.g. Gründen vorwiegend mit einem Online-Fragebogen erfasst worden. Zum Einsatz kam dabei das Online-Erhebungstool LimeSurvey (2017). Das 2003 erschienene und plattformunabhängige Befragungstool steht unter GPL-Lizenz (vgl. ifrOSS 2005) und ist in den Programmiersprachen PHP und JavaScript realisiert. Im Gegensatz zu kommerziellen Anbietern bietet LimeSurvey umfangreiche Möglichkeiten der Erweiterbarkeit, die eigene Änderungen und Anpassungen ermöglichen. Dies ist vor allem im Zuge einer hohen ‚Usability’ und ‚Benutzerfreundlichkeit’‘ (vgl. Dix 2004) relevant, um den Erfolg einer Online-Erhebung gewährleisten zu können. Neben den wissenschaftstheoretischen Überlegungen zur Konstruktion eines Online-Fragebogens (vgl. ADM: 2001), sind auch drei praktische Aspekte einzubeziehen: A) Die Verfügbarkeit des Dienstes sollte im Erhebungszeitraum zu jedem Zeitpunkt sichergestellt werden. Die technische Betreuung und Bereitstellung sollten dabei im besten Falle durch den Forscher selbst geleistet werden können. B) Zur Anpassung des Forschungsdesigns und Benutzeroberfläche für die Probanden an die Bedürfnisse der Erhebung(en) sollten technische Grundkenntnisse der Programmiersprachen und Serverstruktur vorliegen. C) Technische Hürden, wie beispielsweise die von den Probanden genutzten Browser, technische Voraussetzungen auf den genutzten Geräten der Befragten etc. sollten so gering wie möglich gehalten werden. Auch wenn einzelne o.a. Aspekte, Empfehlungen und Kriterien eventuell nicht in allen Fällen der Erhebung dieser Arbeit stringent eingehalten werden können, so orientieren sich die im Folgenden dargestellten Erhebungen an eben diesen. Bisher sind innerhalb des deutschsprachigen kommunikationswissenschaftlichen Forschungskontextes keine online-gestützten Befragungen zu Stereotypen nach dem Merkmallistenverfahren mit einer solch großen Stichprobe durchgeführt worden. Zudem existieren bisher keine Studien zu Stereotypen, die sich multi-direktional und interkulturell dem Thema nähern. Dieser Sachverhalt führt dazu, dass es sich bei der vorliegenden Untersuchung um eine deskriptiv-explorative Studie handelt, die sich das Ziel gesetzt hat, eine Annäherung an ein Instrumentarium zur interkulturellen Vergleichbarkeit eines Merkmallistenverfahrens mit dem Referenzpunkt Deutschland zu vollziehen. Die Ergebnisse der Studie sollen aus diesem Grund als erster Ansatzpunkt dienen, um das

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4. Forschungsmethode und -design

Thema interkulturell vergleichbarer Stereotype über die Grenze von mehr als zwei Kulturen hinweg weiter verfolgen zu können – dies zukünftig explizit und in qualitativer als auch quantitativer Ausprägung. Die Untersuchung ist demzufolge nicht als eine hypothesenprüfende Studie anzusehen, sondern vielmehr als Vorarbeit zur Erschließung von Deutungsmustern von (Stereo-)Typisierungen. Während die Studien von Katz/Braly (1933), Sodhi/Bergius (1953), Apeltauer (1998) und Grünewald (2005) uni-direktionale Ansätze der Befragung wählen (also eine ‚nationale‘ Gruppe zu einer anderen befragen), die Studie von Apeltauer (1998) einen bi-direktionalen Ansatz der Befragung verfolgt (indem zwei Gruppen zueinander befragt werden), ist es das Ziel, hier eine erste Grundlegung für einen multi-direktionalen Ansatz mit dem Referenzpunkt der Stereotype zu Deutschen zu legen. Durch die bisher durchgeführten Erhebungen in Russland (vgl. Baur et al. 2013), Bosnien (Baur et al.: i.V.) und China (Ossenberg: i.V.) und die Abfrage von Auto- und Heterostereotypen der jeweiligen Befragtengruppen können die Erhebungsergebnisse zukünftig Ansätze zur weiteren Exploration nationaler Stereotypenforschung geben. 4.2 Fragebogen Da die Entscheidung für ein quantitatives Vorgehen getroffen wurde, ist das Vorgehen der Fragebogenkonstruktion im Detail zu erläutern. Diekmann fasst (2012: 479 ff.) „einige einfache Grundregeln“ (ebd.) der Frageformulierung und Fragebogengestaltung für die schriftliche Befragung zusammen. Zur Frageformulierung stellt der Sozialwissenschaftler dabei zwei Leitlinien auf (vgl. ebd.: 479-483). In Fragen des Aufbaus der Fragebögen in Deutschland (F.DE) und in der Türkei (F.TUR) orientiert sich diese Studie an den Empfehlungen. Auch der dritte Fragebogen der Begleitstudie zur Übersetzungsproblematik in Deutschland (vgl. Kapitel 4.2.1) folgt diesen Empfehlungen. Alle drei Online-Fragebögen eröffnen mit einer Begrüßung, kurzen Einführung in den Themenkomplex der Fragestellung interkultureller Kommunikation sowie der Versicherung der Datensicherheit und Anonymität der Befragung in der jeweiligen Landessprache. Zudem wurde der Zweck der Untersuchung nicht genannt, um Priming-Effekte zu vermeiden. Die Fragekomplexe und ihre Fragen sind thematisch auf mehreren Seiten der Online-Befragung zusammengefasst und Überleitungsseiten zwischen den Themenkomplexen eingepflegt. Aufbauend auf den in Kapitel 3 vorgenommen Überlegungen zu den einzelnen Erhebungen, die das Merk-

4.2 Fragebogen

125

mallistenverfahren einsetzen, wurden die jeweiligen Stärken der behandelten Befragungen berücksichtigt. Einzelne Fragen wurden bewusst neutral und einfach gehalten. Eingesetzt wurden offene, geschlossene und halboffenen Fragetypen. Neben Einfach-Antwort-Optionen und MultipleChoice-Frage-Komplexen wurden dabei Ranglisten- sowie offene Fragen eingesetzt. Teilweise wurden Fragefilter gesetzt, die Befragten mit spezifischem Antwortverhalten zusätzliche Antwortoptionen ermöglichten. Die Messung der Eigenschaften erfolgt anhand von verschiedenen Skalen. Bevor diese angewendet werden konnten, mussten die Eigenschaften eines Merkmals codiert, das heißt in ein Skalenniveau übertragen werden. Bei der Fragebogenkonzeption kommen u.a. Nominal- und Ordinalskalenniveaus, z.B. das der Likert-Skala zum Einsatz (vgl. Diekmann 2012: 241). Die Programmierung innerhalb des Lime-Survey-Systems ermöglicht dabei zahlreiche Anpassungen in Fragen der Darstellung und Randomisierung von Fragen- und Itembatterien. Die Befragungen F.DE und F.TUR enthielten dabei die Fragekomplexe Soziobiographische Angaben, Merkmallisten, Rangliste Merkmallisten, Wissensbestände, Beispiele für Eigenschaften und Spracheinstellungen. Auf die einzelnen Komplexe wird nun im Einzelnen eingegangen. Die Befragungen sind somit zweigeteilt: Ein personenbezogener Teil mit der Abfrage der soziobiographischen Angaben und ein sachbezogener Teil, der sich mit dem Thema der Internalisierung von Stereotypen befasst. Soziobiographische Angaben Um bei Abbrüchen der Online-Befragung durch die Probanden Daten trotz fehlender Werte in Bezug auf Einzelfragen trotzdem auswerten zu können, sind die Fragen zu den soziobiografischen Faktoren an den Anfang der Online-Erhebung gestellt worden. Die Kriterien, die in dieser Kategorie abgefragt werden, sind (in ihrer Reihenfolge gelistet) in den in Deutschland und der Türkei durchgeführten Befragungen: (A) Geschlecht, (B) Alter, (C) Abstammung und (D) höchster Bildungsabschluss. Die Antworten werden in Nominalskalenniveau gemessen, d.h. es wurde nur festgestellt, ob eine gleiche oder ungleiche Ausprägungen der jeweiligen Eigenschaft vorliegt. Bei der Konzeptualisierung des Forschungsdesigns wurde bewusst aufgrund der ‚Kurdenfrage‘ (vgl. Gürbey 2014) auf die Frage nach der Herkunft verzichtet. Deswegen fand keine Erhebung des Items der ‚Nationalität‘ statt. Bei der Konzeption dieser Frage wurde eine ‚offenere‘ Frageka-

126

4. Forschungsmethode und -design

tegorie gewählt, die sowohl in Deutschland als auch in der Türkei als ein Indikator für die Nationalität der befragten Personen, als auch für ihre Selbstidentifikation mit einer Nation, einer Ethnie oder Kultur interpretiert werden kann. Filterfragen wurden für die abgefragten Merkmale der Gruppen C und D gesetzt. Gaben die Probanden bei Kriterium C an, ‚nicht aus Deutschland‘ zu stammen, indem sie ein anderes Land wählten, oder gaben sie an, dass ihre Eltern ‚nicht aus Deutschland‘ stammen, so wurden sie gebeten, anzugeben, welcher Elternteil nicht aus Deutschland stamme. Dabei konnten wahlweise Aussagen zur Herkunft des Vaters, der Mutter oder beider Elternteile getroffen werden. Bei Antworten zu Kriterium D wurden die Probanden bei Angabe eines Bildungsabschlusses an einer Universität oder bei Angabe, sich im ‚Studium‘ zu befinden, die Möglichkeit gegeben, Aussagen zu ihrem ‚angestrebten oder erreichten Bildungsabschluss‘ sowie zu dem Fachbereich, in dem sie studier(t)en, zu treffen. In der Befragung in der Türkei werden folgende Fragekategorien zusätzlich angeboten: (E) Sprechen Sie Deutsch?, (F) Waren Sie schon einmal in Deutschland?, (G) Studieren Sie Deutsch oder haben Sie Deutsch studiert?. Zielsetzung dieser zusätzlichen Antwortmöglichkeiten war ein Erkenntnisgewinn in Bezug auf das Fach DaF in der Türkei und Auswirkungen des Kontaktes mit Deutschland und Deutschen in diesem Kontext. Diese Ergebnisse flankieren die deskriptive Analyse der Daten. Bei Kategorie F wurde eine Filterfrage gesetzt: Gaben die Probanden in der Türkei an, schon einmal in Deutschland gewesen zu sein, wurden sie nach ihrer Aufenthaltsdauer dort befragt. Merkmalliste Zentral ist bei dieser Studie die Erhebung zu Stereotypen und damit auch die zugrundeliegende Merkmalliste, die in dieser Arbeit eingesetzt wird. Wie in Kapitel 3 gezeigt, existieren unterschiedliche Merkmallisten und unterschiedliche Forschungstraditionen in der deutschsprachigen Stereotypenforschung. Die in Kapitel 3.3 behandelten Studien divergieren in der Anzahl und Formulierung der abgefragten Eigenschaften. Zur Erstellung einer Eigenschaftenliste zur Verwendung nach dem Merkmallistenverfahren ist es aus diesem Grund angezeigt, eine Itembatterie zusammenzustellen, die einen Großteil der Eigenschaften der bisher behandelten Studien umfasst. Nicht nur aus diesem Grund erscheint „ein Abgleich mit den bisher genutzten stilprägenden Merkmallisten und ihren Eigenschaften notwendig“ (Ossenberg/Baur 2016: 16). Es

4.2 Fragebogen

127

ist ersichtlich, dass die Untersuchungsmethoden und Ergebnisse der einzelnen Studien genau untersucht und kritisch bewertet werden müssen, bevor neu gefundene Eigenschaften in eine interkulturell anwendbare Merkmalliste aufgenommen werden können. Es hat sich deshalb als zielführend erwiesen, als Ausgangspunkt für die Erstellung einer Merkmalliste bisherige Stereotypenstudien und die dort verwendeten Eigenschaften, die in unterschiedlichen Kulturräumen entstanden sind, miteinander zu vergleichen (ebd.: 16). Bei einer solchen Erstellung sind dabei zahlreiche Faktoren zu berücksichtigen, wie bereits 2016 gezeigt: In unserer Metaanalyse haben wir diesen Vergleich vorgenommen. Dabei stellte sich heraus, dass sich die in den verschiedenen Merkmallisten enthaltenen Eigenschaften im Kern nur wenig voneinander unterscheiden. Bei unserer Analyse haben wir uns deshalb dazu entschieden, im ersten Schritt der Erstellung einer interkulturell anwendbaren Erhebung die Begrifflichkeiten der einzelnen Listen zu ‚clustern’ und dabei Entscheidungen getroffen, die wir im Folgenden exemplarisch darstellen. Diese Auswahl ist maßgeblich durch folgende drei Kriterien bestimmt worden: 1. Das Vorkommen des entsprechenden Items in den prägenden Studien. 2. Die Übertragbarkeit der einzelnen Eigenschaften in die Sprachen Englisch, Russisch, Türkisch und Chinesisch. 3. Die Überprüfung der Konnotationen der ausgewählten Begriffe in den involvierten Sprachen im Vergleich zum Deutschen. Auch wenn eine zeitliche Relativität gewisser Begrifflichkeiten nicht von der Hand zu weisen ist, so gibt es eine große Menge an Eigenschaften, die sich in den vergangenen Jahrzehnten bei Befragungen bewährt hat. Allerdings finden sich vor allem bei Sodhi und Bergius (1953) noch viele Begriffe, die aus verschiedenen Gründen heute nicht mehr passen und die in unseren Voruntersuchungen von Probanden auch nicht mehr genannt wurden. Hier wären folgende Beispiele zu nennen: die ‚Eigenschaft‘ vom rostigen Nagel zur Million […], starker Körpergeruch oder krumme Nase30 […] (Ossenberg/Baur: 2016: 17). Neben der Auswahl bisher existierender Items war zudem teilweise die Anpassung bestimmter Begrifflichkeit aufgrund ihrer historischen Tradierung nötig.

30

Dieser und ähnliche Begriffe sollten und können immer nur im Kontext der damaligen Zeit interpretiert und analysiert werden. Jedoch zeigt sich hier exemplarisch die Problematik der historischen Tradierung bei gewählten Merkmalen.

4. Forschungsmethode und -design

128

Während es sich bei Antikommunisten um einen aus dem Kalten Krieg stammenden Begriff handelt, den Apeltauer ohne Diskussion von Keller übernimmt, und der mittlerweile aufgrund der politischen Weltlage als überholt angesehen werden kann, ist antisemitisch ein Terminus, der in der asiatischen Welt nicht verstanden wird. Obwohl die Unterschiede im westlichen Diskurs klar sind, haben wir uns für fremdenfeindlich und rassistisch als in gewisser Weise übergeordnete Begriffe entschieden. Auf welche ethnischen Gruppen sich diese Qualifikative in den verschiedenen Befragungen beziehen, kann durch qualitative Befragungen erhoben werden. Die Begrifflichkeit der beste Soldat ist sprachlich antiquiert, und wurde von uns durch das Item gute Soldaten ausgetauscht (ebd.). Bei der Analyse der bisherigen ‚stilprägenden‘ Studien fiel zudem auf, dass teilweise Gegensatzpaare nicht oder nur teilweise in die Überlegungen bisheriger Forschung eingeflossen waren: Auch der Begriff hübsche Frauen […] sollte ergänzt werden, denn es fehlt in bisherigen Befragungen ein männliches Pendant. Wir haben uns dafür entschieden, nicht den Terminus ‚hübsche Männer’ zu wählen (da hier kulturspezifisch bedingte Missverständnisse aufkommen könnten) sondern das Item attraktive Männer eingeführt, da hier zweideutige Konnotationen bei der Übertragung in andere Sprache weitgehend ausgeschlossen zu sein scheinen. Nachdem wir die einzelnen Studien und ihre Eigenschaften miteinander verglichen und dabei bereits eine große Zahl an Eigenschaften aufgrund der beispielhaft erläuterten Faktoren ausgeschlossen hatten, überprüften wir in einem weiteren Schritt aktuelle Studien von Meinungsforschungsinstituten, um eventuell weitere einzuarbeitende Eigenschaften aufzufinden (Ossenberg/Baur 2016: 17 ff.). Die Kritikpunkte und Schlussfolgerungen zu Studien von Meinungsforschungsinstituten flossen 2016 in die Erstellung der Merkmalliste ein. Neben der skizzierten Problematik – der historischen Tradierung und dem Fehlen von Pendants zu gewissen Items – stellte sich zudem die Frage nach der Übersetzung in andere Sprachen, um ausschließen zu können, dass sich in unserer Merkmalliste Begriffe befinden, die nur schwer in anderen Sprachen und Kulturen verstanden werden können. Hier stellt sich das Problem, ein Äquivalent in der anderen Sprache zu finden, das dem deutschen Begriff auch konnotativ nahekommt. Nach einem Vergleich mit dem Englischen, der sich als wenig problematisch erwies, überprüften wir das Russische, das Türkische und das Chinesische (ebd.: 18).

4.2 Fragebogen

129

Dabei konnten verschiedene Übertragungsschwierigkeiten und Äquivalenzproblematiken im Diskurs mit Muttersprachlern und Auslandsgermanisten ausgeräumt werden. Diese Schwierigkeiten lassen sich wie folgt exemplarisch am Beispiel der Eigenschaft sparsam darstellen: Während es im Deutschen eine Differenzierung zwischen den Termini sparsam und geizig gibt, wobei die eine Eigenschaft positiv, die andere dagegen negativ konnotiert wird, ist diese Differenzierung sowohl im Russischen, als auch im Türkischen sowie auch im Chinesischen nicht so eindeutig. In allen drei Sprachen kann sparsam vielmehr als Synonym für geizig, also negativ konnotiert sein. Während die autostereotype Zuschreibung der Deutschen als sparsam eindeutig positiv ist, sind bei Befragungen in anderen Ländern die Nennungen sparsam und geizig gemeinsam in einem spezifischen Zusammenhang zu interpretieren und zu analysieren. Um solche und ähnliche Konnotationsübertragungen festzustellen, [wurden] alle Items [der] Eigenschaftenliste mit bilingualen Sprachwissenschaftlern aus den jeweiligen Kultur- und Sprachräumen in Gruppengesprächen diskutiert und die Ergebnisse als Grundlage für spätere Interpretationen und vertiefende qualitative Untersuchungen festgehalten. Wie [...] exemplarisch am obigen Beispiel gezeigt [...], können die Konnotationen für Eigenschaften in den involvierten Sprachen und Kulturen divergieren. Die Konnotationen für alle Eigenschaften wurden deshalb in unserem Projekt jeweils im Deutschen, Russischen, Türkischen und Chinesischen mit der Bewertung ‚positiv‘, ‚negativ‘ oder ‚neutral‘ versehen, um feststellen zu können, wo Divergenzen bestehen, die bei späteren Auswertungen und Interpretationen berücksichtigt werden müssen (ebd. 19). Die in diesem beschriebenen Prozess erarbeitete Merkmalliste (vgl. Baur/Ossenberg 2016) wird in dieser Arbeit verwendet. Mit dieser Itembatterie, welche anhand der Bildung von dichotomen Indikatorvariablen (vgl. Diekmann 2012: 590) erzeugt worden ist, werden sowohl Probanden in Deutschland als auch Befragte in der Türkei zu den deutsch-türkischen Auto- und Heterostereotypen befragt. Die Probanden werden gebeten, auf die Frage ‚Was trifft ihrer Meinung nach zu? Deutsche (bzw. Türken) sind/haben…‘ zu antworten. Um Antwortverzerrungseffekten vorzubeugen, werden die Merkmale als Multiple-Choice-Frage den Teilnehmern der Studien jeweils digital vorgelegt und es erfolgt eine computergestützte und randomisierte Auflistung der einzelnen Eigenschaften, sodass die Anordnung der Eigenschaften bei jedem Aufruf der Befragung neu erfolgt. Es sollen mindestens fünf Eigenschaften ausgewählt werden, maximal 139. Anhand eines Ordinalskalenniveaus (in diesem Falle einer Likert-Skala), welches Auskunft über die Ausprägung eines Merkmals gibt, sollen Erkenntnisse über das Ausmaß der jeweils präferierten Eigenschaft(en) gewonnen werden.

130

4. Forschungsmethode und -design

Die Möglichkeit zur offenen Nennung einer Eigenschaft ist gegeben, die inhaltliche Auswertung dieser Fragen stellt jedoch keinen Teil dieser Untersuchung dar.

Weitere erhobene Kategorien Neben den genannten Kategorien wurden auch weitere Daten erhoben, die jedoch in dieser Arbeit nicht weiter ausgewertet werden. Dazu gehören die Rangliste der Merkmalliste, Beispiele für Eigenschaften, Wissensbestände und Spracheinstellungen, die im Folgenden kurz charakterisiert werden sollen. Nach dem Fragekomplex der Merkmalslisten zu deutschen und türkischen Auto- und Heterostereotypen werden die Probanden gebeten, aus ihrer Auswahl die Eigenschaften auszuwählen, die aus ihrer Sicht ‚am meisten zutreffen‘ und diese anschließend auf einer Rangliste zu hierarchisieren. Die dabei entstehende individuelle TOP-5-Rangliste dient dem später folgenden Fragekomplex für die Erhebung von offenen Beispielen der jeweiligen Probanden. Auch hier findet die Messung anhand einer Likert- Skala statt. Im Anschluss daran werden die Probanden gefragt, ob sie zu ihrer individuellen Top-5-Rangliste ein Beispiel haben und geben möchten. Wird dies bestätigt, so wird die Möglichkeit einer offenen Antwort gegeben. Diese Kategorie wird in dieser Arbeit nicht weiter behandelt und auf eine Analyse wird verzichtet, ist hier doch ein Datenkorpus entstanden, der qualitativ und eigenständig zukünftig weiter behandelt und bearbeitet werden soll. Die Nennungen in deutscher Sprache sind dabei zu kategorisieren und mit QDA-Software zu analysieren, bei den Antworten aus dem Raum der Türkei ist zudem weitere Übersetzungsarbeit der Antworten zu leisten. Im darauf folgenden Fragekomplex der Wissensbestände wird nach den persönlichen Erfahrungen der Probanden zum jeweiligen Land gefragt. Probanden aus der Türkei werden dabei nach ihrer Kenntnis zu Deutschland und Deutschen, deutsche Befragte zu ihrer Kenntnis nach Türken und der Türkei gefragt. Die Antworten werden hierbei anhand eines Nominalskalenniveaus gemessen. Antwortkategorien sind dabei (A) abstrakt, (B) gehört, (C) gelesen, (D) persönliche Kontakte, (E) Fernsehen und Rundfunk sowie (F) eigene Erfahrungen. Die Möglichkeit, zusätzlich eine offene Antwort zu geben, bestand. Bei Zustimmung zu den Kategorien B, C, D, E und F werden die Probanden um weitere Antwortangaben gebeten, mit denen diese ‚groben‘ Kategorien noch weiter spezifiziert werden können.

4.2 Fragebogen

131

Dies sind bei B die Antwortmöglichkeiten (B1) Bekannte, (B2) Kollegen, (B3) Freunde sowie (B4) Mitglieder der Familie. In Kategorie C bestehen die Antwortoptionen (C1) Tageszeitung, (C2) Wochenzeitung, (C3) Monatszeitung, (C4) Magazin, (C5) Illustrierte, (C6) Roman, (C7) Sachbuch, (C8) Fachbuch sowie (C9) Internet. Wählen Probanden Antwortkategorie D, so können sie aus den Kategorien (D1) Freunde mit der jeweils anderen Nationalität, (D2) Kommilitonen mit der jeweils anderen Nationalität, (D3) Bekannte der jeweils anderen Nationalität, (D4) Arbeitskollegen der jeweils anderen Nationalität, (D5) Zusammenleben mit einer Person der jeweils anderen Nationalität sowie (D6) die Angabe, mit einer Person der jeweils anderen Nationalität in einer Lebenspartnerschaft zu leben. In Kategorie E stehen folgende Spezifika zur Auswahl: (E1) Rundfunk, (E2) Fernsehen, (E3) Internet und (E4) Film. In Kategorie F kann die Differenzierung der eigenen Erfahrung anhand der Antwortoptionen (F1) war selber in der Türkei und (F2) berufliche Kontakte differenziert werden. Im letzten Fragekomplex der Befragung werden die Befragten gebeten, Zuschreibungen zur jeweils anderen Sprache zu treffen (Befragte in der Türkei äußern sich zur deutschen Sprache, Probanden in Deutschland zur türkischen Sprache). Sympathien und Antipathien gegenüber anderen Völkern verbinden sich häufig auch in Stereotypen und Einstellungen gegenüber der fremden Sprache. Deshalb ist auch von Interesse, von den Teilnehmern an unseren Befragungen ihre Einschätzungen zur deutschen Sprache zu erfahren. Dabei lehnen wir unsere Fragen an das Antonymen-Modell des Musikpädagogen Reinecke (1982) an (Ossenberg/Baur 2016: 20). Mittels einer Likert-Skala von -5 bis +5 können die Befragten dabei mit Hilfe von 22 Adjektivpaaren, die randomisiert als jeweiliges Pärchen in der Darstellung angeordnet sind, ihre Spracheinstellung äußern. Die Adjektivpaare sind dabei (Pol1) hässlich|schön, (Pol2) unangenehm|angenehm, (Pol3) aggressiv|friedlich, (Pol4) fremd|vertraut, (Pol5) rauh|glatt, (Pol6) hart|weich, (Pol7) unregelmäßig|regelmäßig, (Pol8) klagend|munter, (Pol9) kühl|gefühlvoll, (Pol10) verschwommen|klar, (Pol11) blass|farbig, (Pol12) passiv|aktiv, (POl13) aufdringlich|zurückhaltend, (Pol14) dumpf|klingend, (Pol15) kalt|warm, (Pol16) traurig|froh, (Pol17) müde|lebhaft, (Pol18) langsam|schnell, (Pol19) dunkel|hell, (Pol20) robust|zart, (Pol21) unmelodisch|melodisch sowie (Pol22) träge|dynamisch. Diese Kategorie wird in dieser Arbeit nicht weiter behandelt und auf eine Analyse verzichtet, hat sie doch explorativen Charakter für weitere Stereotype-Erhebungen mit dieser SpracheinstellungsItembatterie, die noch in weiteren interkulturellen Kontexten weiter erforscht, analysiert und angepasst werden soll. Es soll zukünftig untersucht werden, „ob bei Personengruppen, die eine eher

132

4. Forschungsmethode und -design

negative Einstellung zu Deutschland und den Deutschen haben, sich diese negative Einstellung auch in der metaphorischen Bewertung der deutschen Sprache widerspiegelt“ (vgl. ebd.). 4.2.1 Übersetzungsproblematik Wie bei Hann (1985) und Grünewald (2005) stellt sich auch in dieser Arbeit die Frage der „Übersetzung bzw. des semantischen Gehalts des Untersuchungsmaterials“ (Grünewald 2005.: 164). Die Übertragung eines semantischen Potentials und der damit verbundenen Konnotationen von Items ist dabei eine Herausforderung interkulturell anwendbarer Merkmallisten. Dieses „Handikap“ (vgl. Noelle-Neumann 1987: 72) gilt es in die Überlegungen einer Befragung, die in zwei oder mehr Sprachen durchgeführt wird, miteinzubeziehen. Noelle-Neumann gibt hier zwei Beispiele: die Übersetzung des Begriffs ‚Stolz‘ und das bereits von Hofstätter (1971) angeführte Beispiel der deutschen Konnotation von ‚Einsamkeit‘. Noelle-Neumann schlägt aus diesem Grund unter anderem vor, dass „die Übersetzungen […] durch das Zwei-Schritte-Verfahren von Übersetzung und Rückübersetzung durch verschiedene Personen überprüft werden; verschiedene Übersetzer, die in beiden Sprachen zu Hause sind und von denen der eine möglichst die eine, der andere die andere Sprache als Muttersprache spricht.“ Dieser Empfehlung folgen in der deutschsprachigen Stereotypenforschung sowohl Hann als auch Grünewald. Während Hann dabei von einer „Übersetzerkommission“ (vgl. Hann: 1985, 146 ff.) unterstützt wurde, die sich „aus 3 Dolmetschern, 2 deutschen Priestern (8 und 17 Jahre in Korea), 2 in der BRD promovierten koreanischen Germanisten und dem Verfasser [der Arbeit]“ zusammensetzte (vgl. ebd.), war es Grünewald möglich, die Übersetzungskompetenzen und „Beschreibungen von drei japanischen Germanisten“ (vgl. Grünewald 2005: 174) in Fragen der „Semantik, Wertung und Kontextverwendung“ (vgl. ebd.: 189) heranzuziehen. Grünewald konnte zudem „zwei japanische[n] Deutschprofessoren“ bei der Übersetzung seiner Fragebögen einbeziehen (vgl. ebd.). In der hier vorgelegten Studie wurde der Fragebogen von einer Übersetzerkommission aus acht habilitierten (Auslands-)Germanisten aus der Türkei sowie einem bilingualen habilitierten Psychologen, der im wissenschaftlichen Feld der Türkeistudien und Integrationsforschung arbeitet, zuerst ins Türkische übersetzt und dann in einem zweiten Schritt wieder zurück ins Deutsche übertragen.31 Dabei wurde vor allem Wert auf die Rücküberführung der mit den Begrifflichkeiten verbun-

31

Ich bedanke mich bei Yasemin Balcı, Hasan Bolat, Mustafa Çakır, Leyla Coşan, Sevinç Sakarya Maden, Ahmet Uğur Nalcıoğlu, Mustafa Özdemir, Ali Osman Öztürk, Haci-Halil Usluçan und Cemal Yıldız, die am Prozess der Übersetzung und Konnotationsermittlung ins Türkische beteiligt waren.

4.2 Fragebogen

133

den Konnotationen gelegt. Die Übersetzung erfolgte in drei Kleingruppen, die unabhängig voneinander mit Unterstützung durch drei deutschen Muttersprachler diskursiv die Übersetzungen ins Türkische vornahmen. Im Anschluss daran wurden die Übersetzungsvorschläge zusammengetragen und gemeinsam kontrastierend erneut diskutiert und danach eine Wahl für die Übersetzung getroffen, die am meisten Zustimmung fand. Zudem wurde gemeinsam eine zusätzliche konnotative Bewertung der Items in die Kategorien sehr positiv, positiv, neutral, negativ und sehr negativ vorgenommen. Dabei orientierten sich die Beteiligten an dem Modell von Hann (vgl. ebd.: 1986). In Deutschland wurden die Konnotationen aller 140 Eigenschaften der Liste Baur/Ossenberg (2016), die die 139 Items der hier vorgelegten Studie enthalten, mit Hilfe des Erhebungsinstrumentes Online-Befragung in einer Begleitstudie mit zusätzlich weiteren 2159 Befragten erhoben. Noelle-Neumann (1987: 72) spricht sich in ihrer vierten Empfehlung zur „Frage der Vergleichbarkeit von Ergebnissen bei internationalen Umfragen“ für ein Polaritätsprofil aus, da es „Unterschiede in der Aura, den Bedeutungen der Worte“ aufdecke (ebd.: 73). Mit Hilfe einer Slider-Skala wurde den 2159 Befragten ermöglicht, die verwendeten Items der Hauptstudie auf einer diskreten, kontinuierlichen Skala mit den Ausprägungen von 0 bis 100 einzuschätzen. Dabei konnten sie online auf einer Linie mit Hilfe von Schiebereglern Aussagen treffen, ob sie die genannten Eigenschaften eher positiv oder eher negativ einschätzen würden. Die hinterlegte Skala war dabei für die Probanden nicht sichtbar. Um Ermüdungseffekte zu vermeiden, wurde den Probanden nicht die komplette Itembatterie vorgelegt. Per Zufallsauswahl des Befragungssystems wurde jedem Befragten eine von sechs Itembatterien mit 20 bis 25 Eigenschaften der im Fragebogen F.DE erhobenen Items zur Bewertung vorgelegt. In der folgenden Tabelle sind die Anzahl der Antworten sowie die Anzahl der Items zu den Itembatterien A, B, C, D, E und F aufgeführt. Um den Konnotationen der Items nationalstolz und konservativ im deutsch-türkischen Vergleich nachgehen zu können, wurden diese Items in den Itembatterien B und C gedoppelt, um eine höhere Probandenanzahl (auch derjenigen mit türkischem Migrationshintergrund zu gewinnen).

4. Forschungsmethode und -design

134

Tabelle 16: Verteilung der abgefragten Items zur Erhebung der konnotativen Bewertungen in Deutschland

Itembatterie

Anzahl der Items

Befragte

Prozent

A

25

364

16,9

B

25

357

16,5

C

23

399

18,5

D

23

373

17,3

E

23

332

15,4

F

23

334

15,5 N= 2.159

787 Probanden gaben an, nicht aus Deutschland zu stammen, die größte Gruppe der Befragten mit Migrationshintergrund bildete dabei die Gruppe der Türken mit 330 Befragten. Es ist festzustellen, dass die 139 verwendeten Eigenschaften im deutschen Fragebogen nur minimal in ihrer Konnotation durch die drei Gruppen der Befragten in Deutschland (A) ohne Migrationshintergrund, (B) mit türkischem Migrationshintergrund und (C) mit einem anderen Migrationshintergrund als dem Türkischen, bewertet werden, wie aus dem im digitalen Anhang dieser Arbeit zu findenden Polaritätsprofil ersichtlich wird.32 Es ist der Frage weiter nachzugehen, ob diese geringen Abweichungen sprach- oder kulturbedingt beeinflusst sind. Eine Vergleichsstudie in der Türkei zur Überprüfung der Konnotationen der türkischen Items (und somit der Übersetzungen der deutschen Merkmalliste Baur/Ossenberg 2016) war aufgrund der politischen Ereignisse ab dem 16. Juli 2016 nicht mehr möglich. Dadurch, dass die quantitativ erhobenen Daten in Deutschland nicht mit den qualitativ erhobenen Einschätzungen der Übersetzerkommission verglichen werden können, wird in dieser Arbeit im Weiteren auf eine Analyse der Ergebnisse dieser Begleitstudie verzichtet. Im digitalen Anhang dieser Arbeit finden sich jedoch

32

Eine genaue Betrachtung der Untersuchungen dieser Begleituntersuchung wird in einem anderen Rahmen erfolgen und ist nicht Bestandteil dieser Arbeit

4.2 Fragebogen

135

die konnotativen Bewertungen der türkischen Übersetzerkommission. Die Erhebung der Konnotationen mit Hilfe des Erhebungsinstrumentes Online-Befragung war in der Konzeption der Studie angedacht, kann jedoch erst nach weiteren Erhebungen in der Türkei fortgeführt werden. Trotz dieses Rückschlages in der Datenerhebung geben sowohl die ersten Ergebnisse der Online-Befragung in Deutschland zu Konnotationen, als auch die konnotativen Zuschreibungen der türkischen Übersetzerkommission erste Hinweise auf die unterschiedlichen semantischen Potentiale und kulturellen Wertungskategorien, die bei der Interpretation und Darstellung der Ergebnisse der hier durchgeführten Erhebung äußerst hilfreich waren. Für weitere Studien, die zur Erhebung von Stereotypen das Merkmallistenverfahren anwenden, sind solche Begleitstudien zu den Konnotationen mit einer Teilnehmerzahl im Umfang der jeweiligen Befragung zu Stereotypen aus Sicht des Verfassers dieser Arbeit zu empfehlen, geben sie doch Hilfestellungen und Hinweise bei der Interpretation und Durchdringung der Daten. 4.2.2 Berücksichtigung einer Kontrollgruppe und Pretest Der hier vorliegenden Studie gingen Befragungen in ähnlicher Größenordnung in China, Russland und Deutschland voraus. Erfahrungen aus den Voruntersuchungen dieser Studien flossen in die Konzeption der Untersuchung ein. Die vorliegenden Ergebnisse der o. g. Studien liegen vor und sind zum Teil bereits veröffentlicht (vgl.: Baur et. al.: 2013, Baur/Ossenberg: 2016). Zusätzlich dazu wurden vor der Gesamtbefragung Pre-Tests an der Universität Duisburg-Essen in Deutschland und an der Marmara-Universität in der Türkei durchgeführt. Dabei erstellten Studierende eigenständig und ohne Beeinflussung durch anwesende Mitglieder der Forschungsteams in Gruppendiskussionen Merkmallisten von 20 Eigenschaften, die sie ‚Deutschen‘, und ‚Türken‘ zuschreiben würden. In den Pre-Studien in Deutschland zeigte sich, dass keine Eigenschaften genannt wurden, die nicht in der Liste Baur/Ossenberg (2016) enthalten war. Auch die Pre-Studien in Russland und der Türkei ergaben keine Ergänzungen (vgl. Ossenberg/Baur: 2016). Die Studie weist den Charakter eines nichtexperimentellen Designs (vgl. Dieckmann 2012: 194) auf, in dem eine randomisierte Stichprobe gezogen wurde. Da die Zusammensetzung der Probandengruppe sowohl in Deutschland als auch in der Türkei aufgrund der Entscheidung für eine Online-Befragung mit dem ‚Schneeballsystem‘ nicht beeinflusst werden konnte, ist der Vergleich mit einer Kontrollgruppe nicht möglich.

136

4. Forschungsmethode und -design

4.2.3 Zeitliche Aspekte der Datenerhebung Die Erhebung der Studie war zum Zeitpunkt ihrer Konzeption auf einen längerfristigen Zeitraum geplant. Ziel war es, im Rahmen des Abstandes eines Jahres Daten sowohl in Deutschland, als auch in der Türkei zu erheben und den Einfluss politischer Geschehnisse als auch medialer Berichterstattung und ihren möglichen Einfluss mit in die Interpretation der Daten einfließen lassen zu können. Aufgrund der aktuellen Entwicklungen innerhalb der Türkei (vgl. Kapitel 4.3) musste diese Konzeption jedoch verworfen werden, da in der Türkei keine Datenerhebung mehr möglich war. Ein Vergleich der erhobenen Daten in Deutschland und in der Türkei kann somit in der Zukunft nicht mehr vollzogen werden, da die türkischen Antworten ab dem genannten Zeitpunkt fehlen. 4.3 Datenerhebung Die Datenerhebung in der Türkei erfolgte im Zeitraum Dezember 2014 bis Juli 2016 und wurde im Rahmen des Projektes „Deutsche und Türkische Stereotype im Vergleich“ unter den Projektleitern Prof. Dr. Dr. h. c. R. S. Baur und Prof. Dr. H. Uslucan im „Deutsch-türkischen Wissenschaftsjahr“ 2015 durchgeführt. In Kooperation mit dem Türkischen Germanistenverband GERDER (vgl. http://www.gerder.org.tr) sowie 15 türkischen Universitäten wurden dabei an 13 Standorten insgesamt 3.042 Personen befragt. Erhebungsstandorte waren dabei Adana, Ankara, Batman, Edirne, Erzincan, Erzurum, Eskişehir, Istanbul, İzmir, Kars, Konya, Mersin und Samsun sowie weitere Erhebungsorte in der Türkei. Seit dem 16. Juli 2016 hat eine Datenerhebung von ethnischen Stereotypen aufgrund der in der Türkei stattgefunden politischen Ereignisse (vgl. u.a. Baumgarten 2016, Hermann 2016, Ley 2017, Schlötzer 2017, Tagesschau 2016) Brisanz. Diese Thematik ist in den Fokus des wissenschaftlichen Diskurses mit den Kooperationspartnern in der Türkei gerückt, was weitere Forschung und Erhebung in diesem Kontext erheblich erschwerte (vgl. Martens 2017). Aus diesem Grund liegen im türkischen Datensatz leider keine Antworten nach diesem Ereignis vor, die einen Vergleich der türkischen Einstellungen vor und nach diesen Ereignissen in der Türkei ermöglicht hätten. Die Datenerhebung in Deutschland erfolgte im Zeitraum Juni 2014 bis September 2016. In diesem Zeitraum wurden dabei von Studierenden und Mitarbeitern der Universität Duisburg-Essen sowie der Hochschule Bonn-Rhein-Sieg 2.534 Personen befragt. Die Daten wurden in beiden Ländern

4.3 Datenerhebung

137

im Rahmen von Seminaren an Universitäten in den Themenfeldern der ‚interkulturellen Kompetenz‘ und der ‚Landeskunde‘ erhoben. In den Lehrveranstaltungen wurde dabei der Ansatz des ‚forschenden Lernens‘ verfolgt. Forschendes Lernen hat zum Ziel, Studierende neben den Lehrinhalten auch methodologisch an Forschungsarbeit heranzuführen. Studierende sollten im Zuge einer eigenständigen empirisch-wissenschaftlichen Forschung zu Stereotypen reflexiv am Ende der Veranstaltungen die erhobenen Ergebnisse diskutieren und einordnen. Studierende und Mitarbeiter der beteiligten Universitäten und Seminare erhielten durch Kooperationspartner und Seminarleiter vor Ort einen personifizierten Zugangsschlüssel, der bis zu 20-mal verwendet werden konnte. Dieser Zugangsschlüssel wurde dann genutzt, um Personen im persönlichen Umfeld der Studierenden und Mitarbeiter zu befragen. Alle an der Umfrage Beteiligten erhielten zudem eine Handlungsempfehlung auf Türkisch bzw. Deutsch; in der sie gebeten wurden, A) Familie, Verwandte, Freunde, Bekannte, Nachbarn, Kollegen und deren Kontakte zu befragen, B) ein möglichst ausgewogenes Gleichgewicht bei ihren Befragten hinsichtlich verschiedener Gesichtspunkte und soziobiographischer Faktoren zu bewahren (explizit wurde auf eine Gewichtung von Geschlecht, Alter und Migrationshintergrund hingewiesen), C) Thema und Inhalte des Fragebogens bei der Übergabe des Zugangsschlüssels an Teilnehmende kurz zu skizzieren, um die Probanden allgemein auf den Fragebogen vorzubereiten. Zudem wurden Empfehlungen zur Erhebung bei technisch unaffinen Probanden gegeben und die Bereitstellung eines Papierfragebogens angeboten. Dieses Angebot wurde in keinem Fall genutzt. Dieses Vorgehen vereint mehrere Vorteile: 1. Eine Pseudoanonymisierung findet statt. Durch die Weitergabe eines Schlüssels, der mehrfach nutzbar ist, ist die Identität der Probanden nicht nachvollziehbar, da weder Seminarleiter, Kooperationspartner noch Erhebungsleiter Rückschlüsse auf die Person ziehen können. 2. Durch das angewandte ‚Schneeballsystem‘ wird eine heterogene Gruppe von Probanden unterschiedlichster soziodemographischer Faktoren akquiriert. 3. Studierende und weitere Beteiligte erhalten einen Einblick in das Forschungsfeld der Stereotype und können eigene Stereotype und Vorurteile reflektieren. Die durch das Datenmaterial angestoßenen (Gruppen-)Diskussionen können aufgezeichnet und weiter qualitativ untersucht werden. Es

138

4. Forschungsmethode und -design

erfolgt somit eine Methodentriangulation, die neue Aufschlüsse zu nationalen Stereotypen geben kann. 4. Vergleiche zwischen Auto- und Heterosterotypen der Probanden können nicht nur in Bezug auf die Beziehung von zwei Nationen/Ländern gezogen werden, sondern es können zudem Differenzierungen und Einordnungen zwischen und von Aussagen von Probanden mit Migrationshintergrund in Deutschland zu den Aussagen der Befragten ihrer Herkunftskultur getroffen werden. 4.4 Datenaufbereitung Die Durchführung der Befragung mit Hilfe des Erhebungsinstrumentes des Online-Fragebogens wirft die Frage auf, wie und in welcher Weise die digital erhobenen Daten aufbereitet werden können und sollten. Das Erkenntnisinteresse dieser Arbeit liegt vor allem auf möglichen Divergenzen von Aussagen von Probanden in Deutschland, Probanden in Deutschland mit türkischem Migrationshintergrund und Probanden in der Türkei. Aus diesem Grund wurden alle Antworten der Online-Befragung zur Auswertung der Daten herangezogen, die mindestens die Fragekategorie der Merkmallisten zu beiden Nationen/Ethnien und Kulturen getroffen hatten. 4.5 Mögliche Fehlerquellen und Schwächen der Untersuchung Der bisherigen Darstellung der forschungsmethodischen Entscheidungen folgend, sollen an dieser Stelle Punkte angeführt werden, die Fehlerquellen und Schwächen der Untersuchung darstellen können. Die Durchführung der Erhebung in der Türkei gestaltete sich schwierig: Wie bereits angeführt, konnten Datenerhebungen aufgrund der stattgefundenen politischen Ereignisse in der Türkei nur teilweise durchgeführt werden (vgl. Kapitel 4.3). Da es sich bei der hier vorgelegten Arbeit um eine Pilotstudie handelt, konnten postulierte Ziele der Erhebung zum Teil nicht erreicht werden. Nichtsdestotrotz lassen sich, abseits der externen und nicht zu steuernden Faktoren, Optimierungspotentiale im Forschungsdesign sowohl auf inhaltlicher als auch auf operationaler Ebene feststellen: Inhaltliche Fehlerquellen und Schwächen A) Es ist zu konstatieren, dass eine Selektion der Teilnehmer der Befragung durch den gesetzten Fragefilter nach dem ‚höchsten Bildungsabschluss‘ stattfindet. Nur die Befragtengruppe, die angibt

4.5 Mögliche Fehlerquellen und Schwächen der Untersuchung

139

‚im Studium’ zu sein, oder ‚ein Studium absolviert zu haben‘, kann Aussagen über einen Hochschulabschluss treffen. Für zukünftige Befragungen ist zu empfehlen, die Probanden ohne ‚akademischen Hintergrund‘ nach Qualifikation und Berufsfeld zu befragen. Dies wurde in der Konzeption der hier vorgelegten Befragung nicht in prinzipielle Überlegungen der Untersuchung einbezogen. Es fehlen somit Aussagen der Probanden ohne ‚akademischen Hintergrund‘ zu ihrem weiteren Bildungsweg. Diese Hintergründe zu erheben, ist jedoch in interkulturellen Kontexten und Fragen als sehr komplex anzusehen. Auch wenn die Sozialwissenschaft in Deutschland bspw. durch ALLBUS (2016) ein bestimmtes Vorgehen zur Erhebung der Ausbildungswege und Berufe gefunden hat, ist dies bei interkulturellen Erhebungen nicht unbedingt gegeben und oft auch nicht vergleichbar. In der Konzeption dieses Fragebogens war bereits der Ab- und Vergleich der Antworten zu den Bildungsabschlüssen in der Türkei und Deutschland herausfordernd. B) Es ist festzustellen, dass eine Selektion der Teilnehmer der Befragung durch das Schneeballsystem nicht von der Hand zu weisen ist. Durch den Zugang über Studierende an den Hochschulen in der Türkei und in Deutschland wird hier nicht unbedingt die Gesamtbevölkerung beider Staaten befragt, sondern vielmehr eine Erhebung im Umfeld von Studierenden beider Nationen durchgeführt. Diese durch die Erhebungsform bedingte Selektion kann Einfluss auf die Ergebnisse der Studie haben. Anders als in dieser Arbeit behandelte Erhebungen der Meinungsforschungsinstitute (vgl. Kapitel 3) kann also keine Repräsentativität der Ergebnisse beansprucht werden. C) Bei der Übersetzung der Befragung ins Türkische war die Unterstützung der in Kapitel 4.2.2 beschriebenen Übersetzerkommission erforderlich. Auch wenn Übersetzungen und Rückübersetzungen durchgeführt wurden, ist nicht auszuschließen, dass die Übertragungen vom Deutschen in das Türkische fehlerbehaftet sind. Von Verzerrungseffekten ist jedoch aufgrund des Vorgehens nicht auszugehen. Vergleicht man die Übersetzerkommissionsgröße und (Übersetzungs-)Kompetenzen der an dieser Studie Beteiligten mit den Kommissionen bei Hann (1986) und Grünewald (2005), so ist (wie auch in den beiden angeführten Arbeiten) von minimalen Streueffekten durch Übersetzungsproblematiken auszugehen. Operationale Fehlerquellen und Schwächen A) Die Durchführung der Erhebung mit Hilfe eines Online-Fragebogens stellt ein weiteres Selektivum der hier vorgelegten Studie dar. Die Auswahl der Studie war zufällig, jedoch der Erhebungsmethode geschuldet. Die Probandenrekrutierung in Deutschland erfolgte im Rahmen von Semi-

140

4. Forschungsmethode und -design

naren an der Universität Duisburg-Essen und war somit (zum Teil) regional begrenzt. Die Erhebung in der Türkei war hingegen regional breit verteilt, umfasste aber überwiegend eine ‚akademische Kohorte‘, was in Deutschland nicht der Fall war (vgl. Kapitel 5). Es ist für zukünftige Erhebungen für eine genauere Spezifikation der Probandengruppe und -auswahl zu plädieren. B) In der Erhebung gibt es in Bezug auf die Frageformulierungen und -kategorien gerade in den Aspekten der soziobiographischen Faktoren Abweichung zu Standards der deutschsprachigen sozialwissenschaftlichen Forschung (vgl. Diekmann 2012). Diese Abweichungen sind z.T. bewusst gewählt (wie bereits dargelegt), sollten jedoch in zukünftigen Erhebungen weiter geprüft und diskutiert werden.

5. Untersuchungsergebnisse Die Datenanalyse bezieht sich auf die Gesamtuntersuchung und somit auf die Erhebungen F.DE und F.TUR. Neben der Betrachtung der Ergebnisse werden dabei je nach Untersuchungsland folgende Variablen betrachtet und analysiert. Geschlecht Im Zuge der Gesamterhebungen ist es von besonderem Interesse, ob sich die Antworten von weiblichen und männlichen Probanden (aufgeschlüsselt nach den Erhebungsstandorten Deutschland und Türkei) in Bezug auf Auto- und Heterostereotype unterscheiden. Schon Sodhi und Bergius konnten […] in ihrer Studie aufzeigen, dass es Unterschiede in den stereotypen Vorstellungen bei weiblichen und männlichen Probanden gab. Nach Voruntersuchungen mit deutschen und russischen Probanden mit jeweils über 500 Befragten haben wir festgestellt, dass die Faktoren „Alter“ und „Geschlecht“ – wie nicht anders zu erwarten war – auch hier zu Differenzierungen führen (Ossenberg/Baur 2016: 20). Im Zuge der Datenanalyse wird dieser 2016 aufgeworfenen Frage in dieser Arbeit weiter nachgegangen werden. Alter Auch der Frage nach einer differenzierten Betrachtung der Auto- und Heterostereotype soll altersspezifisch in dieser Arbeit nachgegangen werden. Bildung Ob es einen Unterschied der Stereotype von Probanden mit und ohne ‚akademischen Hintergrund‘ gibt, soll zudem geklärt werden. Herkunft Schlussendlich soll analysiert werden, ob sich die Antworten von Befragten in Deutschland ohne Migrationshintergrund, Befragten in Deutschland mit türkischem Hintergrund und Türken in der Türkei in Bezug auf ihre Auto- und Heterostereotype unterscheiden.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 S. Ossenberg, Deutsche und türkische Stereotype, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26879-4_5

142

5. Untersuchungsergebnisse

5.1 Soziobiographische Daten der Erhebung Bevor die Antworten der Erhebung in beiden Ländern besprochen werden, soll zuerst (aufgeschlüsselt nach jeweiligem Land) ein Blick auf die soziobiographischen Daten der Teilnehmer gelegt werden. In einer Welt, die als globales Dorf (vgl. McLuhan: 1968) immer weiter zusammenwächst; in der sich der Nationenbegriff auflöst; sich multikulturelle Gesellschaften bilden und somit auch die Trennung von Nation, Ethnie und Kultur immer schwieriger wird, ist eine Differenzierung nach Migrationshintergründen nicht mehr (ausschließlich) den festgeschriebenen nationalen Zugehörigkeit von Personen und Gruppen auszumachen. Die Differenzierung von internationaler, interkultureller und transkultureller (Massen-)Kommunikation (vgl. Hepp 2002 und Hepp 2006: 20) bzw. Identifikation ist somit äußert problematisch. Es empfiehlt sich gerade in Fragen der Stereotypenforschung somit nicht mehr nach Nationalität, sondern nach der eigenen Identifikation zu differenzieren. Aus diesem Grund wird in dieser Arbeit nicht zwischen nationalen Stereotypen unterschieden. Vielmehr werden hier die in einem Land erhobenen Stereotype miteinander verglichen. Es wird davon ausgegangen, dass der Aufenthalt in einem Land – der mit dem Medienkonsum vor Ort und den in der jeweiligen Gesellschaft stattfindenden Diskursen verbunden ist – zur (bedingten) Sozialisation in diese und der damit (bedingten) Übernahme der in der jeweiligen Gesellschaft vorherrschenden Stereotype beiträgt. Relevant sind somit nicht die Stereotype, die von einer Nationalität einer anderen, sondern vielmehr die Stereotype, die aus einem Kulturraum einem anderem zugeschrieben werden. 5.1.1 Türkei Die Befragtengruppe in der Türkei soll im Folgenden beschrieben werden. Bevor eine Gegenüberstellung der soziodemographischen Faktoren der beiden Befragtengruppen in Deutschland und der Türkei erfolgt, scheint es angezeigt, jede der beiden Gruppen für sich zu betrachten. 5.1.1.1 Geschlecht Von den 3.042 Probanden in der Türkei waren 60,09% weiblich (1.828 Personen) und 39,91% männlich (1.214 Personen).

5.1 Soziobiographische Daten der Erhebung

143

5.1.1.2 Alter Betrachtet man die Altersverteilung der Befragten in der Türkei, so sind zwei Ausprägungen auffallend: Zum einen eine stetige Überrepräsentation der weiblichen Teilnehmer durch alle Alterskohorten hinweg, zum anderen eine erhöhte Ausprägung der Alterskohorte der 16-25-jährigen Probanden.

Abbildung 10: Eigene Darstellung der Altersverteilung nach Geschlecht in der Türkei (N=3.042)

5. Untersuchungsergebnisse

144

Der jüngste Teilnehmer war 16, der älteste Proband 82 Jahre alt, die Spannweite liegt somit bei 66 Jahren. Im Mittelwert beträgt das Alter der Probanden in der Türkei 28,93 Jahre, der Median des Alters liegt bei 25,0 Jahren. Tabelle 17: Verteilung des Alters der Probanden in der Türkei

Min

1st Quartil

Median

Mean

3rd Quartil

Max

16,00

21,00

25,00

28,93

33,00

82,00 (N=3.042)

Die Verteilung innerhalb der Probandengruppe scheint der digitalen Erhebungsdurchführung geschuldet zu sein. Während jüngere Menschen über Zugang zum Internet verfügen, scheint dies bei möglichen Befragten der älteren Alterskohorten nicht unbedingt der Fall zu sein. Es zeigt sich eine Verteilung, die von jüngeren, weiblichen Probanden dominiert ist. Die Durchführung und die Rekrutierung der Probanden oblag den Kooperationspartnern in der Türkei und konnte nur in Teilen beeinflusst werden. Es ist zu konstatieren, dass auch bei einer genauen Instruktion für die Kooperationspartner Einflussfaktoren der Auswahl nur bedingt zu steuern sind. Hier waren der Einsatz und das persönliche Engagement der durchführenden Personen entscheidend. Auch wenn diese Arbeit nicht zum Ziel hat, eine repräsentative Befragung in der gesamten Türkei durchzuführen, ist festzustellen, dass hier insbesondere Einstellungen und Aussagen vor allem jüngerer und weiblicher Personen in der Türkei erhoben wurden, die über einen Zugang zur digitalen Infrastruktur verfügen. Eine Reproduktion der Studie zu einem späteren Zeitpunkt mit einer spezifischeren Auswahl der Befragtengruppe und einer ausgeglichenen Verteilung von männlichen und weiblichen Probanden scheint angezeigt. 5.1.1.3 Herkunft in der Türkei 95,1% der Befragten gaben an, aus der Türkei zu stammen. Aus Deutschland stammten nach eigenen Angaben 3,0%. Aserbaidschan und Österreich sind als Antworten mit jeweils 0,3% vertreten; Turkmenistan mit 0,2%. Andere Länder, aus denen jeweils bis zu 2 Probanden des Datensatzes stammen, waren Algerien, Bulgarien, Dänemark, Frankreich, Griechenland, Großbritannien/Vereinigtes Königreich, Liechtenstein, Iran, Irland, der Republik Moldau, Niederlande, Portugal,

5.1 Soziobiographische Daten der Erhebung

145

Schweiz, Slowakei, Südafrika, Swasiland, Syrien und die Ukraine, wie aus der folgenden Tabelle ersichtlich wird:

Tabelle 18: Verteilung der Herkunft Probanden in der Türkei

„Aus welchem Land stammen Sie?“

Häufigkeit

Prozent

Türkei

2893

95,1

Algerien

2

0,1

Aserbaidschan

9

0,3

Bulgarien

2

0,1

Dänemark

1

0,0

Deutschland

91

3,0

Frankreich

2

0,1

Griechenland

2

0,1

Großbritannien/Vereinigtes Königreich

1

0,0

Iran

1

0,0

Irland

1

0,0

Liechtenstein

1

0,0

Republik Moldau

3

0,1

Niederlande

2

0,1

Österreich

8

0,3

Portugal

1

0,0

Schweiz

9

0,3

Slowakei

1

0,0

Südafrika

1

0,0

Swasiland

1

0,0

5. Untersuchungsergebnisse

146 Fortsetzung der Tabelle: Verteilung der Herkunft Probanden in der Türkei

„Aus welchem Land stammen Sie?“

Häufigkeit

Prozent

Syrien

2

0,1

Turkmenistan

6

0,2

Ukraine

2

0,1 (N=3.042)

149 der Probanden gaben somit an, nicht aus der Türkei zu stammen. Da die Erhebung in türkischer Sprache und türkischen Bildungskontexten durchgeführt wurde, ist davon auszugehen, dass die Probanden, die angaben, nicht aus der Türkei zu stammen, der türkischen Sprache mächtig waren, und damit dem türkischen Sprach- und Kulturraum zuzuordnen und auch dort ansässig sind. 101 Befragte (67,8%) gaben zudem an, dass ihre Eltern aus der Türkei stammen (vgl. Tabelle 14), nannten jedoch selbst eine andere Herkunft. Von den restlichen 48 Probanden gaben 30 an, dass ihre Eltern aus Deutschland stammen, während sie sich selbst als aus der Türkei oder aus Deutschland stammend beschrieben. Beide letztgenannten Gruppen können als Re-Migranten angesehen werden, da die Erhebung in der Türkei durchgeführt wurde, die Kenntnis der türkischen Sprache erforderlich war und die Online-Befragung von den betreffenden Probanden an türkischen Universitäten durchgeführt wurde. Tabelle 19: Probanden in der Türkei, die angaben, dass ihre Eltern aus der Türkei stammen

„Stammen ihre Eltern aus der Türkei?“

Häufigkeit

Prozent

Ja

101

67,8

Nein

48

32,2 (N=149)

Die Antworten der übrigen 18 Personen, die an der Befragung teilnahmen, werden im Zuge dieser Arbeit nicht weiter von der Grundgesamtheit der Erhebung in der Türkei separiert, ist ihre Anzahl doch zu gering, um statistische Ergebnisse beeinflussen zu können. Zudem ist davon auszugehen, dass auch diese Personengruppe durch ihren langjährigen Aufenthalt in der Türkei in ihrem Meinungsbild beeinflusst wurden.

5.1 Soziobiographische Daten der Erhebung

147

Regionale Verteilung Die Probanden in der Türkei gaben an, aus folgenden geographischen Gebieten der Türkei zu stammen: Während 6,08% keine Antworten gaben (NA), gab die größte Gruppe an, aus der Marmararegion zu kommen (33,24%), die zweitgrößte Gruppe stammt nach eigener Angabe aus Zentralanatolien (20,51%). Es folgen Probanden der Schwarzmeerregion (15,42%), der Mittelmeerregion (11,11%), der Ägäisregion (7,33%) sowie Ostanatolien (3,55%) und Südostanatolien (2,76%). 4,9% der Probanden, die keine Antwort auf diese Frage gaben (NA), stammten nach eigenen Angaben nicht aus der Türkei und konnten somit auch keine Aussagen zu ihrer Herkunftsregion treffen. Die restlichen 1,18% der Probanden gaben keine Antwort auf die gestellte Frage nach ihrer Herkunftsregion, da diese Angabe freiwillig war. Auffällig ist, dass mit 51,68% knapp mehr als die Hälfte der Probanden angeben, aus der Ägäis-, Marmara- oder Mittelmeerregion, also aus Regionen am Mittelmeer, zu stammen. Probanden, die angaben, aus Zentralanatolien oder der Schwarzmeerregion zu stammen, machen 26,53% der Befragten aus. 6,31% der Probanden gaben an, aus dem Osten der Türkei zu stammen.

Abbildung 11: Eigene Darstellung der regionalen Verteilung der Probanden in der Türkei (N=3.042)

Hier ist ein Gefälle erkennbar: Während Probanden aus den am Meer liegenden Gebieten der Türkei überrepräsentiert sind (nimmt man die Schwarzmeerregion hier noch mit hinzu, so sind dies

5. Untersuchungsergebnisse

148

57,10% aller Befragten), die Mitte des Landes mit rund 20% vertreten ist, so gibt es kaum Antworten aus den östlichen Grenzgebieten der Türkei (vgl. Tabelle 16). Dies mag sicherlich durch die technische Infrastruktur und der Verteilung der beteiligten Universitäten bedingt sein, soll jedoch in weitere Überlegungen der Interpretation der Ergebnisse der hier vorlegten Studie miteinbezogen werden, ist die Wahrscheinlichkeit des direkten Kontaktes zu Deutschen aufgrund der Urlaubsgebiete in den Meer-Regionen der Türkei doch wesentlich höher als in den Gebieten an der Grenze zu momentanen Krisengebieten. Gerade in Bezug auf die in der Türkei in den vergangenen Jahren herrschenden Konflikte mit der kurdischen Minderheit (vgl. Kazim 2016 und Milhatsch 2016) und den direkt angrenzenden Kriegsgebieten Syrien (vgl. Wieland 2015) und Irak (vgl. Rohde 2015) sind solche und ähnliche Einflussfaktoren nicht von der Hand zu weisen.

Tabelle 20: Verteilung der regionalen Herkunft Probanden in der Türkei

Region

Gesamt (%)

Männer (%)

Frauen (%)

Keine Nennung (NA)

6,08

4,12

7,39

Ägäisregion

7,33

7,83

7,0

Mittelmeerregion

11,11

11,37

10,94

Marmararegion

33,23

29,90

35,45

Ostanatolien

3,55

4,78

2,74

Schwarzmeerregion

15,42

16,06

14,99

Südostanatolien

2,76

4,20

1,81

Zentralanatolien

20,51

21,75

19,69 (N=3.042)

5.1.1.4 Deutschkentnisse und Kontakt 1456 (47,86%) der Probanden gaben an, Deutsch zu sprechen, während 52,14% (1586) der Probanden dies verneinten. 1084 der Befragten (35,63%) gaben zudem an, schon einmal in Deutschland gewesen zu sein. In der folgenden Tabelle 17 sind die Angaben der Probanden zur Länge ihres Deutschlandaufenthaltes aufgeführt.

5.1 Soziobiographische Daten der Erhebung

149

Tabelle 21: Angaben der türkischen Probanden zur Dauer ihres Deutschlandaufenthaltes

Aufenthaltsdauer

Anzahl

Prozent

keine Angabe

39

3,60

eine Woche

105

9,69

zwei Wochen

56

5,17

drei Wochen

25

2,31

weniger als einen Monat

37

3,41

ein Monat

70

6,46

zwei Monate

43

3,97

drei Monate

41

3,78

vier Monate

13

1,20

fünf Monate

10

0,92

sechs Monate

24

2,21

sechs Monate bis zu einem Jahr

22

2,03

ein Jahr

32

2,95

ein bis anderthalb Jahre

22

2,03

zwei Jahre

22

2,03

zwei bis zweieinhalb Jahre

7

0,65

drei Jahre

16

1,48

drei bis dreieinhalb Jahre

13

1,20

vier Jahre

17

1,57

vier bis viereinhalb Jahre

16

1,48

fünf Jahre

28

2,58

fünf bis zehn Jahre

89

8,21

zehn bis zwanzig Jahre

214

19,74

zwanzig bis dreißig Jahre

89

8,21

über dreißig Jahre

34

3,14 (N=3.042)

Folgende Gruppen lassen sich bilden: 38,12% der Probanden mit Deutschlandaufenthalt gaben an, weniger als sechs Monate in Deutschland gewesen zu sein (A), 26,21 % gaben an, minimal sechs Monaten und weniger als 10 Jahren in Deutschland gewesen zu sein (B). Zehn oder mehr Jahre verbrachten nach eigenen Angaben 31,09% der Befragten in Deutschland (C).

150

5. Untersuchungsergebnisse

Es ist festzustellen, dass von den 1084 Befragten in der Türkei, die bereits durch Aufenthalt in Deutschland direkten Kontakt mit Deutschen und Deutschland gemacht haben, rund ein Drittel einen langen Deutschlandaufenthalt angaben. Diese Befragtengruppe kann als Remigrationsgruppe in der Türkei angesehen werden. Kurze Aufenthalte in Deutschland (bis zu sechs Monaten) werden durch mehr als ein Drittel der Befragten dieser Kohorte genannt. Bei dem Viertel der Probanden, die angaben, sich zwischen sechs Monaten und zehn Jahren in Deutschland aufgehalten zu haben, sticht die Gruppe derjenigen, die die Antwortoption fünf bis zehn Jahre wählten, heraus. Fast ein Zehntel der Kohorte wählte diese Zeitspanne. Die weitere Analyse des Datenmaterials zeigt, dass 1371 Probanden angaben, Deutsch zu studieren oder Deutsch studiert zu haben. Von diesen waren 623 bereits schon einmal in Deutschland. Obwohl 1371 Personen angaben, Deutsch zu studieren, ergab die Analyse des Datensatzes, dass 800 weibliche Probanden und 345 männliche Probanden angaben, ‚Deutsch zu sprechen‘. Dies ergibt eine Differenz von 326 zwischen den Kategorien ‚Deutsch sprechen‘ und ‚Deutsch studieren‘. Gründe hierfür lassen sich im Datensatz nicht finden. 590 Befragte gaben an, sowohl bereits in Deutschland gewesen zu sein, Deutsch zu sprechen sowie Deutsch zu studieren. Rund einem Fünftel der Probanden in der Türkei (19,39%) kann somit eine enge Verbindung mit Deutschland zugeschrieben werden, da Kontakt, Sprache und Beschäftigung mit Deutschland durch das Studium vorliegen. Fast die Hälfte der Befragten in der Türkei (45,07%) gab an, Deutsch zu studieren. Der Frage nach den Gründen für ein Deutschstudium und einer damit eventuell möglicher persönlichen Beziehung zu Deutschland und zu Deutschen in der Türkei ist in weiteren (qualitativen) Forschungen zukünftig nachzugehen.

5.1 Soziobiographische Daten der Erhebung 5.1.1.5

151

Bildungsstand, Abschlüsse und Fachbereiche

In folgendem Kapitel werden die Bildungsstände, Abschlüsse und Fachbereiche der türkischen Probanden, soweit diese Informationen vorliegen, analysiert.

Abbildung 12: Eigene Darstellung der Bildungsabschlüsse der Probanden in der Türkei (N=3.042)

86,28% der Befragten in der Türkei gaben an, eine akademische Ausbildung zu absolvieren oder absolviert zu haben. Dabei macht die Gruppe der Studierenden mit 41,10% die größte Subgruppe diese Kohorte aus, gefolgt von Graduierten (2 oder 4 Jahre Hochschulstudium) mit 31,06%, 4,21% gaben an, promoviert zu haben. Die genaue Verteilung der Abschlüsse kann der untenstehenden Tabelle (21) entnommen werden.

5. Untersuchungsergebnisse

152 Tabelle 22: Verteilung der Bildungsabschlüsse der Probanden in der Türkei

türk. Antwortmöglichkeit

deut. Übersetzung

Anzahl

Prozent

Okuryazar

kein Abschluss

11

0,36

lkokul mezunu

Grundschule

47

1,55

Ortaokul mezunu

Mittelschule

47

1,55

Lise ya da dengi mezunu

Allg. Hochschulreife

286

9,40

Üniversitesi öğrencisi

Hochschulstudent

1.372

45,10

Önlisans (2 yıllık) mezunu

Associate (2 Jahre)

104

3,41

Lisans (4 yıllık) mezunu

Bachelor (4 Jahre)

841

27,65

Yükseklisans mezunu

Hochschulabsolvent

180

5,91

Doktora ve üzeri

Promotion

128

4,21

Sonstiges

26

0,85 (N=3.042)

Die Abschlüsse der studierten und studierenden Probanden in der Türkei verteilen sich, wie in folgender Abbildung (17) zu sehen ist, bei Frauen und Männern ähnlich.

Abbildung 13: Eigene Darstellung der Abschlüsse der studierten Probanden in der Türkei (N=2.393)

Ein Großteil der Befragten mit ‚akademischen Werdegang‘ studiert(e) dabei auf Bachelor oder Diplom, als zweitgrößte Gruppe sind Lehramtsstudierende auszumachen, die drittgrößte Gruppe

5.1 Soziobiographische Daten der Erhebung

153

machen Masterstudierende aus. 649 Probanden wurde diese Filterfrage nicht gezeigt. Die genaue Verteilung der erreichten oder angestrebten Bildungsabschlüsse ist der folgenden Tabelle zu entnehmen. Tabelle 23: Verteilung der akademischen Abschlüsse der Probanden in der Türkei

türk. Antwortmöglichkeit

deut. Übersetzung

nicht gezeigt

Anzahl

Prozent

649

21,33

Ön Lisans

Vordiplom

47

1,54

Lisans

Bachelor oder Diplom

1.149

37,77

Öğretmenlik

Lehramt

501

16,46

Yüksek Lisans

Master

438

14,39

Doktora

Promotionsstudiengang

258

8,48 (N=3.042)

Betrachtet man die Antworten der Probanden aus der Türkei, die Angaben zu dem Fachbereich ihres akademischen Werdegangs machten, so fällt auf, dass die größte Gruppe dieser Stichprobe aus den Bildungswissenschaften kommt. 816 Befragte (26,82% der Gesamtstichprobe) wählten diese Antwortoption. An Position 2 folgt die Gruppe derjenigen, die Gesellschaftswissenschaften ankreuzten (358 Personen). Es folgen die Nennungen Ingenieurwissenschaften (204 Personen), Betriebswirtschaftslehre (160 Personen) sowie Wirtschaftswissenschaften (115). Es ist zu vermuten, dass in der Gruppe, die angab in den Bildungswissenschaften zu studieren, auch die Antworten der Lehramtsstudierenden in der Türkei enthalten sind. Tabelle 24: Verteilung der Fachzugehörigkeit der studierenden/studierten Probanden in der Türkei

Fachzugehörigkeit

Anzahl

Prozent

nicht gezeigt

417

13.71

Geisteswissenschaften

61

2.01

Gesellschaftswissenschaften

358

11.77

Bildungswissenschaften

816

26.82

Betriebswirtschaftslehre

160

5.26

Mathematik

29

0.95

5. Untersuchungsergebnisse

154

Fortsetzung der Tabelle: Verteilung der Fachzugehörigkeit der studierenden/studierten Probanden in der Türkei

Fachzugehörigkeit

Anzahl

Prozent

Physik

15

0.49

Chemie

10

0.33

Biologie

17

0.56

Ingenieurwissenschaften

204

6.71

Medizin

35

1.15

Anderer Fachbereich

805

26.46 (N=3.042)

5.1.2 Deutschland Nachdem die soziobiographischen Merkmale der Probanden in der Türkei vorgestellt wurden, soll nun ein Blick auf die Befragten in Deutschland geworfen werden. Im Gegensatz zur Kohorte in der Türkei ist hierbei in manchen Punkten zwischen Probanden mit türkischem Migrationshintergrund und Befragten ohne diesen zu unterscheiden. 5.1.2.1 Geschlecht Von den 2534 Probanden in Deutschland waren 60,62% weiblich (1536 Personen) und 39,38% männlich (998 Personen). Auch hier fällt eine Überrepräsentation der weiblichen Probanden ins Auge. Jedoch ist festzustellen, dass sowohl in der deutschen als auch in der türkischen Erhebung dieser Studien das Geschlechterverhältnis bis auf wenige Nachkommastellen prozentual gleich ist. 5.1.2.2 Alter Betrachtet man die Altersverteilung der Befragten in Deutschland, so sind, ähnlich wie bei der Befragung in der Türkei, die stetige Überrepräsentation der weiblichen Teilnehmer durch alle Alterskohorten und eine stärkere Ausprägung bei der Verteilung der 17-27-Jährigen festzustellen.

5.1 Soziobiographische Daten der Erhebung

155

Abbildung 14: Eigene Darstellung der Altersverteilung nach Geschlecht in Deutschland (N=2.534)

Auch hier scheint die Verteilung innerhalb der Probandengruppe durch die digitale Erhebungsdurchführung bedingt zu sein. Im Gegensatz zu der Verteilung der Alterskohorten in der Türkei zeigt sich jedoch bei den Befragungen in Deutschland ein noch ausgeprägteres Bild dieser Verschiebung zu einer jüngeren Teilnehmergruppe der Erhebung.

5. Untersuchungsergebnisse

156

Die Verteilung der Variable Alter zeigt, dass der jüngste Teilnehmer angab, 16 Jahre alt zu sein, der älteste Proband teilte ein Alter von 87 Jahre mit. Im Mittelwert betrug das Alter 27,05 Jahre. Der Median der Alters-Variable liegt bei 23,0 Jahren. Tabelle 25: Verteilung des Alters der Probanden in Deutschland

Min

1st Quartil

Median

Mean

3rd Quartil

Max

16,00

21,00

23,00

27,05

28,00

87,00 (N=2.534)

Während in der Türkei die Erhebungen im Schneeballsystem an den beteiligten Universitäten durchgeführt wurden und anscheinend das Lehrenden-Studierenden-Verhältnis zu hohen Teilnahmezahlen geführt hat, wurden die Teilbefragungen in Deutschland in Seminaren durchgeführt, die ein ‚forschendes Lernen’ zum Ziel hatten. In den Ergebnissen dieser Arbeit zeigt sich, dass dies dazu geführt hat, dass die Schlüsselverteilenden in der BRD dabei vor allem Gleichaltrige befragten. Ein Vergleich der Erhebungen in der Türkei und in Deutschland wird im folgenden Kapitel (5.1.3) im Detail durchgeführt. 5.1.2.3 Herkunft 81,6% der Befragten gaben an, aus Deutschland zu stammen. Neben dieser Gruppe mit 2068 Probanden stellt die Gruppe, die angibt aus der Türkei zu stammen, mit 11,2% die zweitgrößte Kohorte in Bezug auf diese Variable dar. Es folgen nun in der angeführten Tabelle Probanden, die angaben, aus Polen (0,6%), dem Iran, Tunesien, Bosnien und Herzegowina, Albanien sowie der Russischen Föderation (jeweils 0,4%) zu stammen. Probanden aus Deutschland und der Türkei stellen somit mit 92,8% den Großteil der Befragtengruppe dar.

5.1 Soziobiographische Daten der Erhebung

157

Tabelle 26: Verteilung der Herkunft Probanden in Deutschland (Nennung über 0,4%)

„Aus welchem Land stammen Sie?“ Land

Häufigkeit

Prozent

Deutschland

2068

81,6

Albanien

9

0,4

Bosnien und Herzegowina

10

0,4

Iran

11

0,4

Polen

16

0,6

Russische Föderation

9

0,4

Tunesien

11

0,4

Türkei

283

11,2 (N=2.534)

466 der Befragten gaben somit an, nicht aus Deutschland zu stammen; 183 Probanden (7,2%) stammten nach eigener Angabe weder aus Deutschland, noch aus der Türkei. Die Analyse des Datensatzes zeigt zudem, dass 389 Befragte angaben, dass sie selbst aus Deutschland ‘stammen‘, ihre Eltern jedoch aus der Türkei kommen würden. Gemeinsam mit den 283 Probanden aus Tabelle 22 ergibt sich also eine Kohorte mit 672 Personen innerhalb der Befragung in Deutschland, die einen türkischen Migrationshintergrund besitzt, deren Antworten zu ‚Deutschen‘ und ‚Türken‘ in der Datenanalyse separiert von den Antworten der anderen Teilnehmer der Studie in Deutschland betrachtet werden.

158

5. Untersuchungsergebnisse

5.1.2.4 Bildungsstand, Abschlüsse und Fachbereiche In folgendem Kapitel werden die Bildungsstände, Abschlüsse und Fachbereiche der deutschen Probanden, soweit diese Informationen angegeben wurden, analysiert.

Abbildung 15: Eigene Darstellung der Bildungsabschlüsse der Probanden in Deutschland (N=2.534)

Die größte Kohorte dieser Variable bilden in Deutschland 46,64% der Probanden, die angaben, entweder bereits einen Hochschulabschluss erlangt zu haben oder sich im Studium zu befinden. 21,43% der Befragten stimmten der Aussage zu, die Allgemeine Hochschulreife oder das Abitur erworben oder die Erweiterte Oberschule der ehemaligen DDR besucht zu haben. Während ‚Schüler’ mit 4,06% genannt wurde, haben 12,87% der Probanden angegeben, keinen höheren Abschluss als die Mittlere Reife bzw. die Polytechnische Oberschule der damaligen DDR abgeschlossen zu haben. Die genaue Verteilung der Abschlüsse kann der untenstehenden Tabelle (26) entnommen werden.

5.1 Soziobiographische Daten der Erhebung

159

Tabelle 27: Verteilung der Bildungsabschlüsse der Probanden in Deutschland

Bildungsabschluss

Anzahl

Prozent

kein Abschluss

20

0,79

Sonstiges

28

1,10

noch Schüler

103

4,06

Volksschule/Hauptschule

83

3,28

Mittlere Reife/POS

243

9,59

Fachschulabschluss

79

3,12

Fachabitur/Fachhochschulreife

253

9,98

Allgemeine Hochschulreife/Abitur/EOS

543

21,43

im Studium

821

32,40

Hochschulabschluss

346

13,65

Promotion

15

0,59 (N=2.534)

Die größte Kohorte der Probanden in Deutschland, die angab ein Studium zu absolvieren oder abgeschlossen zu haben, ist in der Domäne der Ingenieurwissenschaften festzustellen. Es folgen Probanden, die Angaben aus den Wirtschaftswissenschaften (150 Personen), Bildungswissenschaften (149 Personen) und Geisteswissenschaften (142 Personen) und Betriebswirtschaftslehre (114 Personen) zu stammen.

160

5. Untersuchungsergebnisse

Tabelle 28: Verteilung der Fachrichtungen der studierenden/studierten Probanden in Deutschland

Fachrichtung

Anzahl

Prozent

nicht gezeigt

1.352

53.35

Geisteswissenschaften

142

5.60

Gesellschaftswissenschaften

136

5.37

Bildungswissenschaften

149

5,88

Wirtschaftswissenschaften

150

5,92

Betriebswirtschaftslehre

114

4,50

Mathematik

32

1,26

Physik

8

0,32

Chemie

20

0,79

Biologie

22

0,87

Ingenieurwissenschaften

224

8,84

Medizin

30

1,18

Anderer Fachbereich

155

6,12 (N=2.534)

In Fragen der Angaben zu Abschlüssen dieser Probanden ergab sich folgende Verteilung:

Abbildung 16: Eigene Darstellung der Abschlüsse der studierten Probanden in Deutschland (N=1.182)

5.1 Soziobiographische Daten der Erhebung

161

Von den 1.182 Probanden, die angaben, ein Studium zu absolvieren oder absolviert zu haben, gab die größte Gruppe an, einen Bachelorstudiengang (729 Nennungen) aufgenommen zu haben. Es folgt die Kohorte, die angab einen Diplomstudiengang zu verfolgen; danach Lehramts-, Magisterund Promotionsstudiengänge. In der Befragung in Deutschland ist festzustellen, dass rund die Hälfte der Probanden nicht studiert. Die Zusammensetzung der Befragten unterscheidet sich in diesem Punkt elementar zu der Erhebung in der Türkei. Tabelle 29: Verteilung des angestrebten oder erreichten Studienabschlusses

Art des Studiengangs

Anzahl

Prozent

nicht gezeigt

1.352

53,35

Bachelor

729

28,77

Diplom

211

8,33

Lehramt

91

3,59

Magister

85

3,35

Master

6

0,24

Promotionsstudiengang

60

2,37 (N=2.534)

5.1.3 Vergleich der soziodemographischen Faktoren der Erhebungen in beiden Ländern Vergleicht man die soziodemographischen Faktoren der Erhebungen in beiden Ländern, sind sowohl Ähnlichkeiten in der Verteilung als auch Unterschiede auffällig. An dieser Stelle sei kurz zusammengefasst, welche Punkte dabei besonders ins Auge fallen. Beide Befragtengruppen weisen ein ähnliches Alter auf. Ähnlich verhält es sich mit der Verteilung der Geschlechter. In beiden Ländern sind Frauen in allen Altersgruppen überrepräsentiert (vgl. Abbildungen 12 und 16). Es ist zudem zu konstatieren, dass an beiden Befragungen vor allem Probanden teilnahmen, die angaben, einen ‚akademischen Hintergrund‘ zu besitzen. Dies war in der Türkei häufiger der Fall als in Deutschland. Doch auch in der BRD gaben fast 50% an, entweder zu studieren oder studiert zu haben. Akademiker sind in Bezug auf die jeweilige Gesamtbevölkerung überrepräsentiert. Wie bereits in Kapitel 4.5 dieser Arbeit diskutiert, sind die Gründe hierfür im Untersuchungsdesign an

162

5. Untersuchungsergebnisse

sich zu suchen, wurde doch mit Hilfe von Studierenden das direkte Umfeld eben jener befragt. Da diese sich (vor allem in der Türkei) in einem ähnlichen sozialen Milieu bewegen, ist die Überrepräsentation einer bildungsnahen Gruppe nicht verwunderlich. Es ist festzustellen, dass die hier vorgelegte Arbeit in beiden Ländern nicht in ausreichendem Maße die Gruppe der bildungsfernen Schichten erreichen und befragen konnte. Die Befragten in der Türkei verteilen sich nach ihrer Herkunftsregion fast zur Hälfte auf die Ostund Westtürkei. Angaben zu den Herkunftsregionen in Deutschland wurden nicht erfasst. Erhebungsort war das Bundesland Nordrhein-Westfalen. Während in der Türkei bei den Probanden mit ‚akademischem Hintergrund‘ vorwiegend Sozialwissenschaftler (Bildungs-, Gesellschafts-, Betriebs- und Wirtschaftswissenschafter) teilnahmen, setzte sich die Befragtengruppe in Deutschland bei den ‚Akademikern‘ aus Sozial- und Naturwissenschaftlern zusammen. Es fällt auf, dass dabei vor allem die Gruppe der Wirtschafts- und Betriebswirtschaftslehre gemeinsam eine große Kohorte bildet. 5.2. Stereotype Nachdem die Probandengruppen in Deutschland und der Türkei beschrieben wurden, werden die Ergebnisse der Befragung betrachtet. Dabei soll zuerst ein Blick auf die Antworten der Erhebung in den jeweiligen Ländern gelegt werden und die dort geäußerten Stereotype zunächst im regionalen Kontext beschrieben werden. Dabei werden unterschiedliche Kohorten gebildet und die von diesen 20 meistgenannten Eigenschaften jeweils analysiert. 5.2.1 ‚Türkische‘ Stereotype Die Ergebnisse aus der Türkei sollen im folgenden Kapitel zuerst beschrieben werden. Sowohl bei den Auto- als auch bei den Heterostereotypen gibt es dabei unterschiedliche Antworten, je nachdem, welche Befragtenkohorte betrachtet wird. 5.2.1.1 ‚Türkische‘ Autostereotype Zuerst sollen die mit der Eigenschaftenliste Baur/Ossenberg (2016) erhobenen Autostereotype der Befragten in der Türkei dargestellt werden. In folgender Tabelle sind die 20 meistgenannten Antworten der Probanden in der Türkei zu Türken differenziert nach Geschlecht mit ihren prozentualen Werten angeführt.

5.2. Stereotype

163

Tabelle 30: Top 20 der Autostereotype der Erhebung in der Türkei insgesamt nach Geschlecht

Gesamt gastfreundlich familienorientiert heimatliebend traditionsgebunden

54,08% 48,13% 46,45% 45,46%

Männer gastfreundlich heimatliebend familienorientiert nationalstolz

48,93% 45,55% 44,15% 44,15%

Frauen gastfreundlich familienorientiert traditionsgebunden heimatliebend

57,49% 50,77% 48,36% 47,05%

nationalstolz konventionell fernsehbegeistert konservativ bequem kameradschaftlich religiös fanatisch gute Soldaten gute Hausfrauen

44,87% 42,87% 37,61% 35,34% 33,23% 32,51% 31,72% 31,00% 30,41% 30,11%

traditionsgebunden konventionell konservativ fernsehbegeistert bequem religiös gute Soldaten fanatisch militaristisch tapfer

41,10% 36,82% 34,93% 34,68% 32,62% 32,04% 31,71% 31,55% 31,47% 30,56%

konventionell nationalstolz fernsehbegeistert konservativ gute Hausfrauen kameradschaftlich bequem religiös fanatisch stolz

46,88% 45,35% 39,55% 35,61% 34,08% 33,97% 33,64% 31,51% 30,63% 30,42%

Handelsvolk stolz tapfer militaristisch sentimental humorvoll

29,65% 29,59% 28,14% 28,14% 27,32% 26,62%

kameradschaftlich Handelsvolk stolz sentimental emotional neidisch

30,31% 28,75% 28,34% 27,35% 27,02% 26,77%

Handelsvolk gute Soldaten humorvoll abergläubisch sentimental tapfer

30,25% 29,54% 27,52% 27,35% 27,30% 26,53%

N= 3.024 N= 1.214 N= 1.828 Weiße Markierungen kennzeichnen Items, die nur innerhalb einer Gruppe in der jeweiligen Top 20 angegeben wurden.

In der Top 20 aller Antworten der Befragung in der Türkei dominieren mit gastfreundlich, familienorientiert, heimatliebend, traditionsgebunden, nationalstolz, konservativ, kameradschaftlich, gute Soldaten, gute Hausfrauen, Handelsvolk, stolz, tapfer, militaristisch und humorvoll im Türkischen positiv konnotierte Werte. Sowohl in den Nennungen der männlichen, als auch bei den Antworten der weiblichen Probanden gibt es Antworten, die beim jeweils anderen Geschlecht nicht zu den 20 meistgenannten Items gehören. Das sind zum einen militaristisch, emotional und neidisch bei den Männern und zum anderen gute Hausfrauen, humorvoll und abergläubisch bei den Frauen. Auffällig ist zum einen, dass bei einer Differenzierung der Top-20-Listen nach Geschlecht Männer und Frauen, die an der Befragung in der Türkei teilnahmen, 17 Eigenschaften teilen. Dies kann als Indikator für eine feste Vorstellung der Auto-Stereotype der Probanden angesehen werden. Zudem ist auffällig, dass eine weibliche Attribuierung mit gute Hausfrauen bei den weiblichen Probanden erfolgt, während militaristisch in

5. Untersuchungsergebnisse

164

der männlichen Befragtengruppe mit 31,47% genannt wird. Beide Items, die mit geschlechtlichen Rollenbildern verbunden werden, sind in der Top 20 der Befragung in der Türkei zu finden. Es ist in weiteren Arbeiten der Hypothese nachzugehen, dass sich in den geäußerten ‚nationalen‘ Stereotypen dieser Befragung ‚Geschlechterstereotype‘ verbergen. Tabelle 31: Top 20 der Autostereotype der Erhebung in der Türkei insgesamt nach Bildung

Gesamt

ohne Studium

mit Studium

gastfreundlich familienorientiert heimatliebend traditionsgebunden

54,08% 48,13% 46,45%

gastfreundlich heimatliebend familienorientiert

41,01% 39,81% 37,65%

gastfreundlich familienorientiert heimatliebend

56,15% 49,79% 47,50%

45,46%

traditionsgebunden

35,25%

traditionsgebunden

47,09%

nationalstolz konventionell fernsehbegeistert konservativ bequem kameradschaftlich religiös fanatisch gute Soldaten

44,87% 42,87% 37,61% 35,34% 33,23% 32,51% 31,72% 31,00% 30,41%

nationalstolz konventionell gute Soldaten fernsehbegeistert religiös gute Hausfrauen stolz kameradschaftlich fanatisch

34,05% 31,89% 30,94% 28,30% 28,06% 26,14% 23,98% 23,74% 23,02%

nationalstolz konventionell fernsehbegeistert konservativ bequem kameradschaftlich religiös fanatisch Handelsvolk

46,59% 44,61% 39,09% 37,52% 35,12% 33,90% 32,30% 32,27% 31,05%

gute Hausfrauen Handelsvolk stolz tapfer militaristisch sentimental humorvoll

30,11% 29,65% 29,59% 28,14% 28,14% 27,32% 26,62%

tapfer handwerklich begabt militaristisch freundlich fleißig konservativ intelligent

22,78% 22,54% 22,06% 22,06% 21,82% 21,58% 21,34%

gute Hausfrauen stolz gute Soldaten militaristisch tapfer sentimental humorvoll

30,74% 30,48% 30,32% 29,10% 28,99% 28,50% 27,77%

N= 3.042 N= 417 N= 2.625 Weiße Markierungen kennzeichnen Items, die nur innerhalb einer Gruppe in der jeweiligen Top 20 angegeben wurden. Gelbe Markierungen kennzeichnen Items, die in der Grundgesamtheit und in der Gruppe der Probanden mit akademischem Hintergrund genannt wurden.

Vergleicht man die Antworten der Probanden in Hinblick auf einen akademischen Hintergrund und differenziert die Befragtengruppe nach Probanden mit und ohne Studium, so sind andere Rankings in den jeweiligen Top 20 festzustellen. Während die Probanden ohne akademischen Hintergrund in ihrer Top 20 die Items handwerklich begabt, freundlich, fleißig sowie intelligent nennen und dabei

5.2. Stereotype

165

Antworten in dieser Kategorisierung in Ausprägung von 21,34 bis 41,01% vorliegen, nennen Probanden im und mit Studium die Eigenschaften bequem, Handelsvolk, sentimental sowie humorvoll. Es fällt auf, dass die Selbstzuschreibung gute Soldaten, trotz ähnlich prozentualer Nennung bei Probanden mit und ohne akademischem Hintergrund, im Ranking wesentlich höher bei Befragten ohne Studium zu verorten ist. Die Autostereotype der Probandengruppe mit Studium scheinen durch höhere prozentuale Nennungen (Maximum 56,16% und Minimum 27,77% der Top 20) ausgeprägter zu sein. Auch hier ist beim Item der gute[n] Hausfrauen auffällig, dass eine der beiden Gruppen dieses Autostereotyp im Vergleich höher bewertet als die andere. Im Gegensatz dazu wählen Probanden mit akademischem Hintergrund im Vergleich häufiger die Antwortmöglichkeit konservativ. Einer Analyse der Gründe für diese Auffälligkeiten kann statistisch nicht nachgegangen werden, da es sich hier um Kohorten- und/oder Verzerrungseffekte aufgrund der Probandenzusammensetzung und/oder ihres Antwortverhaltes handeln kann. Auch bei den Alterskohorten sind im Datensatz Unterschiede der prozentualen Nennungen zu sehen (vgl. digitaler Anhang). Es sind Unterschiede zwischen den Gruppen bis 20 Jahre, 20 bis 30 Jahre, 30 bis 40 Jahre, 40 bis 50 Jahre, 50 bis 60 Jahre sowie ab 60 Jahre festzustellen. Die Ergebnisse der einzelnen Altersgruppen lassen sich jedoch aufgrund möglicher Kohorteneffekte nicht miteinander vergleichen. Auffällig ist jedoch, dass bei den Nennungen der Probanden ab 50 Jahre geringere prozentuale Ausprägungen der Nennungen festzustellen sind. 5.2.1.2 ‚Türkische‘ Heterostereotype Im Gegensatz zu Autostereotypen, die als Selbstzuschreibung häufig positiv formuliert sind und aufgrund eigener Erfahrungen im eigenen Land determiniert wurden, sind Heterostereotype häufig nicht an konkreten Erlebnissen und Eindrücken festmachbar. Die Heterostereotype, die in dieser Erhebung in der Türkei festgestellt werden konnten, sollen im Folgenden dargestellt werden. Auch hier werden die ersten 20 Nennungen der türkischen Gesamtgruppe, die der Männer und die der Frauen betrachtet.

5. Untersuchungsergebnisse

166

Tabelle 32: Top 20 der Heterostereotype der Erhebung in der Türkei insgesamt nach Geschlecht

Gesamtgruppe

Männer

Frauen

diszipliniert trinkfreudig

45,20% 38,53%

diszipliniert trinkfreudig

44,98% 38,96%

diszipliniert pünktlich

45,35% 40,32%

pünktlich fleißig arbeitsfreudig pflichtbewusst ordentlich umweltbewusst rassebewusst distanziert kultiviert reserviert gute Wissenschaftler

37,05% 36,65% 34,98% 30,93% 27,09% 27,02% 25,41% 23,80% 23,21% 22,85% 22,68%

fleißig arbeitsfreudig pünktlich pflichtbewusst ordentlich rassebewusst gute Wissenschaftler umweltbewusst kultiviert sportlich gut gewachsen

38,47% 33,53% 32,13% 29,82% 26,61% 25,95% 24,88% 24,30% 23,15% 21,33% 20,43%

trinkfreudig arbeitsfreudig fleißig pflichtbewusst umweltbewusst ordentlich distanziert tierliebend rassebewusst reserviert kultiviert

38,24% 35,94% 35,45% 31,67% 28,83% 27,41% 27,08% 25,33% 25,05% 24,56% 23,25%

tierliebend sportlich gut gewachsen selbstbewusst fremdenfeindlich freiheitsliebend diplomatisch

22,65% 21,01% 20,58% 19,49% 19,13% 18,51% 18,11%

reserviert gute Techniker fremdenfeindlich nationalstolz reich distanziert tierliebend

20,26% 19,77% 19,77% 19,69% 19,03% 18,86% 18,62%

gute Wissenschaftler freiheitsliebend sportlich gut gewachsen selbstbewusst diplomatisch fremdenfeindlich

21,23% 20,90% 20,79% 20,68% 20,40% 18,76% 18,71%

N= 3.024

N= 1.214

N= 1.828

Gelbe Markierungen kennzeichnen Items, die nur innerhalb der Top 20 der männlichen Probanden vorkommen. Orangene Markierungen kennzeichnen ‚weibliche Antworten‘.

Auch hier ist auffällig, dass eine hohe Übereinstimmung in den Top-20-Listen der weiblichen und männlichen Probanden besteht. Lediglich jeweils drei Items werden in nur einer der beiden Gruppen genannt. Das sind bei den Frauen die Items freiheitsliebend, selbstbewusst und diplomatisch und bei den Männern die Attribute gute Techniker, nationalstolz sowie reich. Auffällig ist das hohe Ranking der Eigenschaften gute Wissenschaftler und rassebewusst bei den männlichen Antworten im Vergleich zu dem der weiblichen Antworten. Im Gegensatz dazu wählten die weiblichen Probanden im Verhältnis häufiger tierliebend und umweltbewusst. Beide Geschlechter sind sich jedoch in ihrem Ankreuzverhalten einig: diszipliniert wird als Item in beiden Gruppen am häufigsten gewählt.

5.2. Stereotype

167

Tabelle 33: Top 20 der Heterostereotype der Erhebung der Türkei nach Bildungshintergrund

Gesamt diszipliniert trinkfreudig pünktlich fleißig

54,08% 48,13% 46,45% 45,46%

ohne Studium trinkfreudig diszipliniert fleißig pünktlich

36,21% 32,61% 29,74% 29,02%

mit Studium diszipliniert trinkfreudig pünktlich fleißig

47,20% 38,90% 38,32% 37,75%

arbeitsfreudig pflichtbewusst ordentlich umweltbewusst rassebewusst distanziert kultiviert reserviert gute Wissenschaftler tierliebend

44,87% 42,87% 37,61% 35,34% 33,23% 32,51% 31,72% 31,00% 30,41% 30,11%

tierliebend arbeitsfreudig umweltbewusst fremdenfeindlich distanziert pflichtbewusst sportlich rassebewusst Klassenunterschiede reserviert

27,10% 27,10% 23,98% 23,74% 22,06% 21,58% 20,86% 20,62% 19,42% 18,47%

arbeitsfreudig pflichtbewusst ordentlich umweltbewusst rassebewusst kultiviert distanziert gute Wissenschaftler reserviert tierliebend

36,23% 32,42% 28,57% 27,50% 26,17% 24,11% 24,08% 23,77% 23,54% 21,94%

sportlich gut gewachsen selbstbewusst fremdenfeindlich freiheitsliebend diplomatisch

29,65% 29,59% 28,14% 28,14% 27,32% 26,62%

gut gewachsen freiheitsliebend reich ordentlich kultiviert bequem

18,23% 18,23% 17,99% 17,75% 17,51% 17,27%

sportlich gut gewachsen selbstbewusst diplomatisch rational freiheitsliebend

21,03% 20,95% 20,38% 18,67% 18,67% 18,55%

N= 3.042 N= 417 N= 2.708 Weiße Markierungen kennzeichnen Items, die nur innerhalb einer Gruppe in der jeweiligen Top 20 angegeben wurden. Graue Markierungen kennzeichnen Items, die in der Grundgesamtheit und in der Gruppe der Probanden mit akademischem Hintergrund genannt wurden.

Differenziert man die Aussagen zu den Heterostereotypen der Probanden in der Türkei nach Bildung, so fällt auf, dass hier in jeder der beiden Gruppen vier Items genannt werden, die in der anderen Gruppe nicht in die Top 20 miteinfließen. In unterschiedlicher Reihenfolge teilen jedoch beide Listen die fünf meistgenannten Eigenschaften. Probanden ohne akademischen Hintergrund geben mit 23,74% an, dass ‚Deutsche‘ fremdenfeindlich sind. Diese Zuschreibung fehlt in den zwanzig meistgenannten Eigenschaften der Befragten, die sich in einem Studium befinden oder ein solches abgeschlossen haben. Im Gegensatz dazu wählen Akademiker die Items rassebewusst, ordentlich und kultiviert häufiger als Nichtakademiker. Diese wiederrum wählten im Vergleich häufiger das Item tierliebend. Als positive Zuschreibungen sind gute Wissenschaftler, selbstbewusst, diplomatisch

168

5. Untersuchungsergebnisse

sowie rational anzusehen – Eigenschaften, die ausschließlich in der Top 20 der Akademiker vorkommen. Neben fremdenfeindlich wählten Probanden ohne einen akademischen Hintergrund noch Klassenunterschiede, reich und bequem. Alle drei Eigenschaften sind nicht unbedingt nur positiv zu sehen, wobei die beiden erstgenannten Items darauf hindeuten, dass hier eine Bewertung der deutschen Gesellschaft aufgrund eines Vergleiches mit dem eigenen Autostereotyp erfolgt. Auch bei den türkischen Heterostereotypen sind im Datensatz Unterschiede der prozentualen Nennungen zu sehen (vgl. digitaler Anhang). Auffällig ist dabei, dass bei den Nennungen der Probanden ab 50 Jahre, geringere prozentuale Ausprägungen der Nennungen festzustellen sind. Es ist zudem zu konstatieren, dass im Alter von 20 bis 30 Jahren bei einzelnen Items höhere prozentuale Nennungen erfolgen. Sowohl Anzahl der genannten Eigenschaften als auch prozentuale Höhe nehmen in den älteren Alterskohorten immer mehr ab. Die Items, die durch alle Altersgruppen jedoch mit hoher prozentualer Nennung vertreten sind, sind arbeitsfreudig, distanziert, fleißig, ordentlich, pünktlich, trinkfreudig und umweltbewusst. 5.2.2 ‚Deutsche‘ Stereotype Im Folgenden sollen die in Deutschland erhobenen Stereotype beschrieben werden. Dabei wird zwischen den Gruppen mit und ohne türkischen Migrationshintergrund sowie mit und ohne akademischen Hintergrund differenziert. 5.2.2.1 ‚Deutsche‘ Autostereotype Betrachtet man die Autostereotype der Probanden in Deutschland, die keinen türkischen Migrationshintergrund haben, differenziert nach Geschlechtern, so ergibt sich das in Tabelle 33 dargestellte Bild.

5.2. Stereotype

169

Tabelle 34: Top 20 der Autostereotype der Probanden ohne türkischen Migrationshintergrund der Erhebung in Deutschland insgesamt nach Geschlecht

Gesamt

Männer

Frauen

pünktlich bürokratisch pflichtbewusst ordentlich trinkfreudig fleißig gründlich diszipliniert zuverlässig

52,38% 42,12% 38,50% 37,56% 35,81% 35,14% 33,87% 32,13% 31,86%

pünktlich bürokratisch trinkfreudig ordentlich pflichtbewusst fleißig gute Techniker diszipliniert gründlich

47,38% 42,02% 36,52% 35,60% 34,29% 32,98% 32,07% 31,94% 31,28%

pünktlich bürokratisch pflichtbewusst ordentlich fleißig trinkfreudig gründlich diszipliniert zuverlässig

56,57% 42,79% 38,32% 37,59% 35,49% 34,76% 34,76% 32,48% 32,21%

gute Organisatoren zielstrebig gute Techniker

30,25% 28,44% 26,56%

gute Organisatoren zuverlässig zielstrebig

30,50% 29,58% 27,23%

gute Organisatoren zielstrebig gute Ärzte

31,57% 30,47% 29,11%

korrekt gute Ärzte gute Wissenschaftler arbeitsfreudig fortschrittlich fernsehbegeistert sparsam materiell eingestellt

26,49% gute Wissenschaftler 27,23% sauber 26,46% 26,02% sparsam 25,79% sparsam 25,82% 25,75% korrekt 25,79% arbeitsfreudig 25,64% 25,55% arbeitsfreudig 25,65% korrekt 25,55% 24,95% fortschrittlich 25,39% fortschrittlich 24,91% 24,82% materiell eingestellt 23,17% gute Wissenschaftler 23,91% 24,68% umweltbewusst 22,12% fernsehbegeistert 23,91% 23,07% fernsehbegeistert 21,99% umweltbewusst 23,18% N= 1.860 N= 764 N= 1.096 Weiße Markierungen kennzeichnen Items, die nur innerhalb einer Gruppe in der jeweiligen Top 20 angegeben wurden.

Sowohl Männer als auch Frauen teilen die Auffassung, dass die Eigenschaften pünktlich und bürokratisch die zwei zutreffendsten Eigenschaften in Bezug auf ‚Deutsche‘ darstellen. Während die männlichen Probanden an dritter Stelle trinkfreudig nennen, nennen die weiblichen Probanden in ihrem Ranking zuvor die Eigenschaften pflichtbewusst, ordentlich und fleißig. In der Gruppe der Männer sind gute Techniker und materiell eingestellt alleine vertreten, in der der Frauen gute Ärzte und sauber. Die hohe Übereinstimmung der genannten Items (beide Geschlechter teilen in ihren Listen 18 gemeinsame Merkmale) ist auffallend. Interessant ist die Nennung des Items fernsehbegeistert. Welche semantischen Felder für die Probanden in Deutschland hinter dieser Eigenschaft liegen, sollte in weiteren Auswertungen des Datenkorpus mit Hinzuziehung der offenen Antworten weiter nachgegangen werden.

5. Untersuchungsergebnisse

170

Im Gegensatz zu den Stereotypen der Probanden in Deutschland ohne türkischen Migrationshintergrund ergibt sich bei den Befragten mit diesem ein anderes stereotypes Bild. Tabelle 35: Top 20 der Autostereotype der Probanden mit türkischem Migrationshintergrund der Erhebung in Deutschland insgesamt nach Geschlecht

Gesamt pünktlich diszipliniert trinkfreudig tierliebend

54,30% 41,54% 37,69% 30,86%

Männer pünktlich diszipliniert trinkfreudig tierliebend

57,30% 40,15% 36,13% 31,02%

Frauen pünktlich diszipliniert trinkfreudig geizig

52,25% 42,50% 38,75% 31,25%

geizig bürokratisch distanziert pflichtbewusst sparsam gute Organisatoren fleißig fremdenfeindlich ordentlich arbeitsfreudig zielstrebig umweltbewusst zuverlässig arrogant misstrauisch sportlich

30,42% 29,23% 29,23% 28,19% 27,15% 26,11% 25,82% 25,64% 24,18% 22,11% 21,51% 19,14% 18,40% 18,10% 16,77% 16,47%

pflichtbewusst bürokratisch geizig distanziert fleißig sparsam fremdenfeindlich gute Organisatoren ordentlich arbeitsfreudig zielstrebig zuverlässig hinterlistig umweltbewusst arrogant gute Ärzte

30,66% 29,20% 29,20% 29,20% 28,47% 27,37% 26,98% 26,28% 24,82% 22,26% 21,90% 20,44% 17,88% 17,88% 17,15% 16,42%

tierliebend bürokratisch distanziert sparsam pflichtbewusst gute Organisatoren fremdenfeindlich fleißig ordentlich arbeitsfreudig zielstrebig umweltbewusst arrogant misstrauisch sportlich zuverlässig

30,75% 29,25% 29,25% 27,00% 26,50% 26,00% 24,66% 24,00% 23,75% 22,00% 21,25% 20,00% 18,75% 18,50% 18,00% 17,00%

N= 674 N= 274 Weiße Markierungen kennzeichnen Items, die nur innerhalb einer Gruppe in der jeweiligen Top 20 angegeben wurden.

N= 400

Auch hier gibt es, je nach Geschlecht, jeweils zwei Eigenschaften der Merkmalliste, die in den jeweiligen Listen nur bei Männern oder bei Frauen auftauchen. Dies sind bei den männlichen Probanden hinterlistig und gute Ärzte sowie bei den weiblichen Befragten misstrauisch und sportlich. Es fällt auf, dass dies bei beiden Gruppen jeweils ein negativ und ein neutral bis positiv konnotiertes Merkmal ist. Zudem fällt auf, dass hier zwei Items genannt werden, die den Umgang mit Geld behandeln. Die beiden Antonyme sparsam und geizig ergeben in dieser Befragtengruppe zusammengenommen einen Wert von 57,57%. Ähnlich wie bei den Heterostereotypen in der Türkei taucht auch in dieser Zusammenstellung das Item fremdenfeindlich mit 25,64% in der Gesamtgruppe der

5.2. Stereotype

171

Probanden mit türkischem Migrationshintergrund auf. Weitere negative Attribuierungen sind distanziert, arrogant sowie misstrauisch. Betrachtet man die Gesamtgruppe der Probanden in Deutschland unter dem Blickwinkel der akademischen Bildung, stehen andere Perspektiven der Probanden im Vordergrund, wie in Tabelle 35 deutlich wird: Tabelle 36: Top 20 der Autostereotype der Erhebung in Deutschland insgesamt nach akademischem Hintergrund

Gesamt pünktlich bürokratisch pflichtbewusst ordentlich

52,38% 42,12% 38,50% 37,56%

ohne Studium pünktlich trinkfreudig bürokratisch ordentlich

41,01% 39,81% 37,65% 35,25%

mit Studium pünktlich bürokratisch trinkfreudig diszipliniert

55,41% 45,85% 39,17% 38,07%

trinkfreudig fleißig gründlich

35,81% 35,14% 33,87%

pflichtbewusst diszipliniert fleißig

34,05% 31,89% 30,94%

pflichtbewusst ordentlich fleißig

37,39% 34,86% 34,26%

diszipliniert zuverlässig gute Organisatoren zielstrebig gute Techniker korrekt gute Ärzte gute Wissenschaftler arbeitsfreudig fortschrittlich fernsehbegeistert sparsam materiell eingestellt

32,13% 31,86% 30,25% 28,44% 26,56% 26,49% 26,02% 25,75% 25,55% 24,95% 24,82% 24,68% 23,07% N= 2.534

gute Organisatoren gründlich zielstrebig sparsam zuverlässig gute Ärzte geizig arbeitsfreudig tierliebend gute Wissenschaftler gute Techniker fortschrittlich fernsehbegeistert

28,30% 28,06% 26,14% 23,98% 23,74% 23,02% 22,78% 22,54% 22,06% 22,06% 21,82% 21,58% 21,34% N= 1.352

gute Organisatoren zuverlässig gründlich zielstrebig arbeitsfreudig sparsam gute Wissenschaftler umweltbewusst distanziert gute Techniker fortschrittlich gute Ärzte korrekt

33,25% 30,71% 30,71% 28,85% 27,75% 27,16% 25,97% 25,38% 25,21% 25,04% 24,62% 23,86% 23,52% N= 1.182

Weiße Markierungen kennzeichnen Items, die nur innerhalb einer Gruppe in der jeweiligen Top 20 angegeben wurden

Akademiker der Befragung in Deutschland betonen die Eigenschaften umweltbewusst, distanziert sowie korrekt. Probanden aus dem nichtakademischen Bereich wählten im Gegensatz dazu bei den 20 meistgenannten Eigenschaften geizig, tierliebend und fernsehbegeistert. An erster Position führen beide Subgruppen die Eigenschaft pünktlich an. Betrachtet man die Alterskohorten, so ist zu sehen, dass es Items gibt, die durch alle Gruppen hinweg konstant wirken. Das sind die Eigenschaften bürokratisch, diszipliniert, fleißig, gründlich, gute Organisatoren, ordentlich, pflichtbewusst, pünktlich, trinkfreudig, zielstrebig und zuverlässig (vgl. digitaler Anhang).

5. Untersuchungsergebnisse

172 5.2.2.2 ‚Deutsche‘ Heterostereotype

Auch die Heterostereotype der Erhebung in Deutschland sollen dreigeteilt betrachtet werden: zum ersten die Antworten der Probanden ohne türkischen Migrationshintergrund, zum zweiten die Aussagen der Probanden mit eben diesem und zum dritten aufgeschlüsselt nach akademischem Hintergrund. Tabelle 37: Top 20 der Heterostereotype der Probanden ohne türkischen Migrationshintergrund der Erhebung in Deutschland insgesamt nach Geschlecht

Gesamt religiös familienorientiert traditionsgebunden heimatliebend gastfreundlich nationalstolz

54,62% 53,06% 49,62% 47,04% 46,40% 45,97%

Männer religiös familienorientiert nationalstolz traditionsgebunden heimatliebend gastfreundlich

50,65% 48,17% 47,12% 43,46% 43,32% 41,23%

stolz Zusammengehörigkeitsgefühl gesellig

40,22%

stolz

39,53%

31,61% 31,24%

impulsiv kinderlieb emotional

25,91% 23,33% 23,17%

gesellig impulsiv Zusammengehörigkeitsgefühl konservativ emotional

freundlich konservativ

23,06% 22,74%

selbstbewusst religiös intolerant gute Hausfrauen kameradschaftlich großherzig großzügig

Frauen religiös familienorientiert traditionsgebunden gastfreundlich heimatliebend nationalstolz

57,39% 56,48% 53,92% 50,00% 49,64% 45,16% 40,69%

29,19% 27,88%

stolz Zusammengehörigkeitsgefühl gesellig

26,05% 23,95% 22,25%

kinderlieb freundlich gute Hausfrauen

26,64% 25,64% 25,09%

selbstbewusst religiös intolerant

21,86% 21,34%

impulsiv emotional

24,54% 23,81%

22,47%

freundlich

19,37%

selbstbewusst

22,90%

19,84% 19,35% 17,80% 16,88% 16,51%

kinderlieb schlechte Politiker kameradschaftlich schlechte Demokraten streitsüchtig

18,59% 16,75% 15,97% 15,31% 15,18%

konservativ großzügig kameradschaftlich religiös intolerant großherzig

21,90% 19,43% 19,07% 18,80% 18,61%

35,49% 32,66%

N= 1.860 N= 764 N= 1.096 Weiße Markierungen kennzeichnen Items, die nur innerhalb einer Gruppe in der jeweiligen Top 20 angegeben wurden

Wie aus Tabelle 37 zu ersehen ist, schreiben weibliche Probanden in Deutschland, die keinen türkischen Migrationshintergrund haben, in ihrer Top-20-Liste ‚Türken‘ die Eigenschaften gute Hausfrauen, großzügig sowie großherzig zu. Im Kontrast dazu nennen die männlichen Probanden in ihrem

5.2. Stereotype

173

Ranking die negativ konnotierten Eigenschaften schlechte Politiker, schlechte Demokraten und streitsüchtig. Einig ist sich die ‚deutsche‘ Gruppe darüber, dass religiös (an erster Stelle sowohl bei den weiblichen, wie auch bei den männlichen Befragten) und familienorientiert (an zweiter Stelle) die beiden Eigenschaften sind, die ihrer Meinung nach am meisten zutreffen. Es fallen folgende Punkte auf: mit religiös und religiös intolerant werden von den Befragten ohne türkischen Migrationshintergrund zwei Zuschreibungen getroffen, die sich auf Glaubensaspekte beziehen. Gemeinsam teilen diese Assoziation 74,46% aller Probanden dieser Befragtenkohorte. Der Frage, ob dieses Antwortverhalten durch Verzerrungseffekte oder weitere nicht erhobene Faktoren bedingt ist, kann anhand des Datenkorpus nicht nachgegangen werden. Der Frage nach den Ursachen der Antworten kann weiter nachgegangen werden. Die Items kinderlieb und gute Hausfrauen werden von den weiblichen Probanden häufiger genannt und im Ranking höher eingeschätzt als von Männern. Insgesamt überwiegen positive Zuschreibungen. Betrachtet man im Gegensatz dazu die Antworten der ‚Deutsch-Türken‘ (also der Probanden mit türkischem Migrationshintergrund), so zeigt sich jedoch ein als wesentlich positiver einzuschätzendes Bild zu ‚Türken‘, wie Tabelle 37 zeigt.

5. Untersuchungsergebnisse

174

Tabelle 38: Top 20 der Heterostereotype der Probanden mit türkischem Migrationshintergrund der Erhebung in Deutschland insgesamt nach Geschlecht

Gesamt

Männer

Frauen

gastfreundlich familienorientiert heimatliebend religiös stolz nationalstolz traditionsgebunden freundlich gute Hausfrauen

58,75% 56,38% 55,64% 54,30% 50,59% 49,41% 45,10% 41,54% 38,72%

gastfreundlich religiös familienorientiert heimatliebend stolz nationalstolz traditionsgebunden gute Hausfrauen freundlich

59,49% 54,38% 54,01% 51,82% 50,36% 48,91% 43,07% 41,24% 39,78%

gastfreundlich heimatliebend familienorientiert religiös stolz nationalstolz traditionsgebunden freundlich gute Hausfrauen

58,25% 58,25% 58,00% 54,25% 50,75% 49,75% 46,50% 42,75% 37,00%

Zusammengehörigkeitsgefühl

36,05%

Zusammengehörigkeitsgefühl

37,59%

35,75%

großherzig großzügig sauber kinderlieb emotional humorvoll dankbar höflich gute Soldaten selbstbewusst

35,01% 33,23% 32,34% 32,20% 32,20% 30,71% 28,19% 27,89% 26,85% 26,85%

großzügig großherzig humorvoll dankbar emotional kinderlieb sauber höflich hübsche Frauen selbstbewusst

34,67% 33,94% 31,39% 31,39% 30,66% 30,29% 28,83% 28,10% 26,64% 26,28%

großherzig Zusammengehörigkeitsgefühl sauber kinderlieb emotional großzügig humorvoll höflich gute Soldaten selbstbewusst dankbar

N= 674

N= 274

35,00% 34,75% 33,50% 33,25% 32,25% 30,25% 27,75% 27,75% 27,25% 26,00% N= 400

Auch hier wählen weibliche Befragte häufiger die Eigenschaft kinderlieb als dies Männer tun. In der Top 20 der männlichen Befragten rangiert dabei das Item dankbar höher als bei den Frauen. Neben den ‚nationalen‘ Stereotypen scheint es auch bei dieser Auswertung der Daten verborgene Geschlechterstereotype zu geben. Während Frauen in ihrer Liste betonen, dass Türken gute Soldaten hätten und/oder wären, taucht die Zuschreibung hübsche Frauen nur in der Top 20 der Männer auf – dies mit einer ähnlich hohen prozentualen Anzahl des arithmetischen Mittels. Wie das Item sauber zu interpretieren ist, lässt sich an dieser Stelle nicht klären. In Tabelle 38 soll auf die Heterostereotype differenziert nach akademischem Hintergrund eingegangen werden.

5.2. Stereotype

175

Tabelle 39: Top 20 der Heterostereotype der Probanden in Deutschland nach Bildungshintergrund

Gesamt

ohne Studium

mit Studium

religiös familienorientiert traditionsgebunden heimatliebend gastfreundlich

54,62% 53,06% 49,62% 47,04% 46,40%

religiös familienorientiert heimatliebend gastfreundlich nationalstolz

52,88% 50,74% 47,26% 47,04% 44,45%

familienorientiert religiös traditionsgebunden gastfreundlich heimatliebend

57,61% 56,43% 53,47% 52,71% 51,69%

nationalstolz stolz Zusammengehörigkeitsgefühl gesellig impulsiv kinderlieb

45,97% 40,22%

traditionsgebunden stolz Zusammengehörigkeitsgefühl freundlich gesellig gute Hausfrauen

44,01% 41,57%

nationalstolz stolz Zusammengehörigkeitsgefühl gesellig freundlich emotional

49,66% 44,59%

31,61% 31,24% 25,91% 23,33%

29,22% 26,92% 25,74% 25,52%

36,89% 32,57% 29,19% 28,17%

emotional freundlich konservativ selbstbewusst religiös intolerant gute Hausfrauen kameradschaftlich großherzig großzügig

23,17% kinderlieb 24,85% kinderlieb 26,65% 23,06% selbstbewusst 23,37% impulsiv 24,87% 22,74% emotional 23,30% selbstbewusst 23,94% 22,47% impulsiv 20,64% konservativ 23,77% 19,84% großherzig 20,27% gute Hausfrauen 23,35% 19,35% großzügig 19,75% großherzig 23,35% 17,80% höflich 18,49% großzügig 22,34% 16,88% konservativ 17,38% kameradschaftlich 20,81% 16,51% religiös intolerant 16,57% humorvoll 18,27% N= 2.054 N= 1.352 N= 1.182 Weiße Markierungen kennzeichnen Items, die nur innerhalb einer Gruppe in der jeweiligen Top 20 angegeben wurden. Gelbe Markierungen kennzeichnen Items, die in der Grundgesamtheit und in der Gruppe der Probanden mit akademischem Hintergrund genannt wurden. Orangene Markierungen kennzeichnen Items, die in der Grundgesamtheit und in der Gruppe der Probanden ohne akademischen Hintergrund genannt wurden.

Betrachtet man nicht die prozentualen Nennungen, sondern die unterschiedliche Reihenfolge der Items aufgrund ihrer prozentualen Nennung in beiden Gruppen, so ist zu sehen, dass Akademiker ‚Türken‘ häufiger zuschreiben familienorientiert zu sein als religiös. Dies ist bei den Befragten ohne akademischen Bildungshintergrund diametral festzustellen. Diese nennen zudem in ihrer Top 20 höflich und religiös intolerant, während die Akademiker mit kameradschaftlich und humorvoll zwei positive Zuschreibungen treffen.

176

5. Untersuchungsergebnisse

5.2.3 Inter- und intrakultureller Vergleich Bei der Betrachtung der Auto- und Heterostereotype der Befragungen in Deutschland und in der Türkei fällt auf, dass es interkulturelle Unterschiede in den jeweiligen stereotypen Zuschreibungen sowohl in den Nennungen zur jeweils anderen Kultur/Ethnie/Nation als auch zu der eigenen gibt. Dabei divergieren die 20 meistgenannten Nennungen nicht nur nach abgefragter Gruppe, sondern auch danach, welche Teilgruppe und welche derer Antworten betrachtet werden. Der Vergleich der prozentualen Werte allein ist dabei – wie gezeigt – nicht zielführend. Vielmehr helfen die Kategorisierungen und Ranglisten der einzelnen Befragten-Teilgruppen, Divergenzen zu erkennen und Unterschiede festzumachen. Solche und ähnliche Vergleiche des Datenmaterials hat es bereits in mehreren Studien der Vergangenheit gegeben (vgl. Kapitel 3). Ein Vergleich der Antworten, unter Hinzuziehung der Antworten einer Migrationsgruppe zu den Ergebnissen, wird im folgenden Kapitel vollzogen, indem die Antworten zu ‚Deutschen‘ und ‚Türken‘ aus der Perspektive der Türken in der Türkei und der Deutschen ohne sowie mit türkischem Migrationshintergrund verglichen werden.

5.2. Stereotype

177

5.2.3.1 Stereotype zu ‚Türken‘ Vergleicht man die Ergebnisse unter Berücksichtigung der kulturellen Hintergründe, so lassen sich verschiedene Aspekte beleuchten. Tabelle 39 zeigt Antworten der drei oben angeführten Gruppen. Tabelle 40: Top 20 der Inter-und Intrakulturellen Stereotype zu ‚Türken‘

1.

Deutsche zu Türken religiös

% 54,62

Türken zu Türken gastfreundlich

% 54,08

„Deutsch-Türken“ zu Türken gastfreundlich

% 58,75

2.

familienorientiert

53,06

familienorientiert

48,13

familienorientiert

56,38

3.

traditionsgebunden

49,62

heimatliebend

46,45

heimatliebend

55,64

4.

heimatliebend

47,04

traditionsgebunden

45,46

religiös

54,30

5.

gastfreundlich

46,40

nationalstolz

44,87

stolz

50,59

6.

nationalstolz

45,97

konventionell

42,87

nationalstolz

49,41

7.

stolz

40,22

fernsehbegeistert

37,61

traditionsgebunden

45,10

8.

Zusammengehörigkeitsgefühl

31,61

konservativ

35,34

freundlich

41,54

9.

gesellig

31,24

bequem

33,23

gute Hausfrauen

38,72

10.

impulsiv

25,91

kameradschaftlich

32,51

36,05

11.

kinderlieb

23,33

religiös

31,72

Zusammengehörigkeitsgefühl großherzig

12.

emotional

23,17

fanatisch

31,00

großzügig

33,23

13.

freundlich

23,06

gute Soldaten

30,41

sauber

32,34

14.

konservativ

22,74

gute Hausfrauen

30,11

kinderlieb

32,20

15.

selbstbewusst

22,47

Handelsvolk

29,65

emotional

32,20

16.

religiös intolerant

19,84

stolz

29,59

humorvoll

30,71

17.

gute Hausfrauen

19,35

tapfer

28,14

dankbar

28,19

18.

kameradschaftlich

17,80

militaristisch

28,14

höflich

27,89

19.

großherzig

16,88

sentimental

27,32

gute Soldaten

26,85

20.

großzügig

16,51

humorvoll

26,62

selbstbewusst

26,85

N= 1.860

Legende gemeinsam geteilte Aussagen DE und TUR DE und DE-TUR TUR und TUR-TUR

N= 3.024

N= 674

35,01

178

5. Untersuchungsergebnisse

Es fällt auf, dass in den von allen drei Gruppen fünf meistgenannten Eigenschaften die Items gastfreundlich, familienorientiert und heimatliebend genannt werden. Diese hohe Übereinstimmung der Deutschen ohne Migrationshintergrund, der ‚Deutsch-Türken‘ als auch der ‚Türkei-Türken‘ – auch in ihren prozentualen Ausprägungen von teilweise über 50% – ist auffällig. Während bei den Probanden mit ‚türkischem Hintergrund’ gastfreundlich an erster Stelle steht und drei erstgenannte Eigenschaften in der jeweiligen Rangliste an gleicher Stelle erscheinen, überwiegt bei den Deutschen die Attribuierung religiös. Auffällig ist zudem, dass die Probanden aus der Türkei die Eigenschaft religiös mit 31,72% wesentlich seltener nennen, als Deutsch-Türken (54,30%) und Deutsche (54,62%). Hier scheint eine kulturelle Divergenz der Zuschreibungen vorzuliegen. Selbiges gilt für das Item gute Hausfrauen. Diese Zuschreibung wird durch alle drei Gruppen hinweg genannt. Ob es sich hier jedoch um dieselbe Vorstellung von einer ‚guten‘ Hausfrau handelt, kann aufgrund der prozentualen Nennungen nicht weiter eruiert werden. Die Eigenschaft nationalstolz rangiert bei allen drei Gruppen mindestens auf Platz 6. Auffällig ist dabei die zusätzliche Nennung von stolz bei Deutschen und Deutsch-Türken in direkter Nähe zu diesem Item. Während dabei in der Rangliste der Deutsch-Türken stolz vor nationalstolz steht, ist die Reihenfolge bei den Deutschen genau umgekehrt. Fasst man beide Items zusammen, würde dabei eine Kategorie entstehen, der von Deutsch-Türken zu 50,50% und von Deutschen zu 40,22% zugestimmt werden würde. Es lassen sich drei Cluster feststellen: Cluster A) Eigenschaften, die von allen Gruppen geteilt werden. Dies sind die Eigenschaften familienorientiert, gastfreundlich, gute Hausfrauen, heimatliebend, nationalstolz, religiös, stolz sowie traditionsgebunden. Cluster B) Eigenschaften, die von zwei Gruppen in ihren Ranglisten geteilt werden, jedoch nicht durch die dritte Kohorte. Deutsche und Türken teilen dabei die Auffassung, Türken seien konservativ und kameradschaftlich, Türken und Deutsch-Türken haben die Eigenschaften gute Soldaten und humorvoll gemeinsam. Deutsch-Türken und Deutsche haben dabei mehr Eigenschaften gemeinsam als Deutsch-Türken und Türken: emotional, freundlich, großherzig, großzügig, kinderlieb, selbstbewusst und Zusammengehörigkeitsgefühl. Cluster C) Eigenschaften, die nur in der Top 20 der jeweiligen Gruppe genannt werden. Items, die von Deutschen genannt werden, sind gesellig, impulsiv sowie religiös intolerant. Türkische Aussagen führen bequem, fanatisch, fernsehbegeistert, Handelsvolk, konventionell, militaristisch, sentimental

5.2. Stereotype

179

und tapfer an. Nur bei den Probanden mit türkischem Migrationshintergrund finden sich die Eigenschaften sauber, dankbar und höflich. 5.2.3.2 Stereotype zu ‚Deutschen‘ Tabelle 41: Inter- und Intrakulturelle Stereotype zu ‚Deutschen‘

1. 2.

Deutsche zu Deutschen pünktlich

% 52,38

Türken zu Deutschen diszipliniert

% 45,20

„Deutsch-Türken“ zu Deutschen pünktlich

% 54,30

bürokratisch

42,12

trinkfreudig

38,53

diszipliniert

41,54

3. 4. 5. 6. 7. 8. 9. 10. 11. 12. 13. 14. 15. 16. 17. 18. 19.

pflichtbewusst ordentlich trinkfreudig fleißig gründlich diszipliniert zuverlässig gute Organisatoren zielstrebig gute Techniker korrekt gute Ärzte gute Wissenschaftler arbeitsfreudig fortschrittlich fernsehbegeistert sparsam

38,50 37,56 35,81 35,14 33,87 32,13 31,86 30,25 28,44 26,56 26,49 26,02 25,75 25,55 24,95 24,82 24,68

pünktlich fleißig arbeitsfreudig pflichtbewusst ordentlich umweltbewusst rassebewusst distanziert kultiviert reserviert gute Wissenschaftler tierliebend sportlich gut gewachsen selbstbewusst fremdenfeindlich freiheitsliebend

37,05 36,65 34,98 30,93 27,09 27,02 25,41 23,80 23,21 22,85 22,68 22,65 21,01 20,58 19,49 19,13 18,51

trinkfreudig tierliebend geizig bürokratisch distanziert pflichtbewusst sparsam gute Organisatoren fleißig fremdenfeindlich ordentlich arbeitsfreudig zielstrebig umweltbewusst zuverlässig arrogant misstrauisch

37,69 30,86 30,42 29,23 29,23 28,19 27,15 26,11 25,82 25,64 24,18 22,11 21,51 19,14 18,40 18,10 16,77

20.

materiell eingestellt N= 1.860

23,07

diplomatisch N= 3.024

18,11

sportlich N= 674

16,47

Legende gemeinsam geteilte Aussagen DE und TUR DE und DE-TUR TUR und TUR-TUR

Bei den fünf meistgenannten Eigenschaften zu Deutschen werden von allen drei Gruppen die drei Eigenschaften pünktlich, diszipliniert und trinkfreudig genannt, dies jedoch mit unterschiedlicher Gewichtung.

180

5. Untersuchungsergebnisse

Türken schreiben dabei Deutschen am häufigsten das Item diszipliniert zu, das bei Deutsch-Türken erst auf Platz 2 nach pünktlich steht und von den Deutschen erst an achter Stelle genannt wird. Auffällig ist, dass bürokratisch nur von Deutschen und Deutsch-Türken genannt wird und als Eigenschaft in der Top 20 der Türken nicht vorkommt. Selbiges gilt für das Item gute Organisatoren. Hier scheint ein Indikator für die mögliche Bestätigung der Kontakthypothese zu bestehen. Beide Eigenschaften sind im Feld der persönlichen Erfahrung und des Kontaktes zu verorten. Ob dieses Argument auch zur Erklärung der höheren Rangfolge von arbeitsfreudig bei den Aussagen der Türken zu Deutschen geführt hat, ist nicht zu ermitteln. Während bei den Deutschen das Item umweltbewusst keine Rolle spielt, nennen Türken und Deutsch-Türken dieses vermehrt. Türken nennen diese Eigenschaft in einem Umfang von 7,88% häufiger als Deutsch-Türken. Ähnliches ist bei dem Item tierliebend festzustellen. Sowohl Türken als auch Deutsch-Türken nennen die Eigenschaft, jedoch sprechen sich hier die Deutsch-Türken für eine Tierverbundenheit der Deutschen in einem Umfang von 8,22% häufiger als Türken aus. Die Zuschreibung fremdenfeindlich wird sowohl von Türken als auch von Deutsch-Türken genannt. Es ist zu konstatieren, dass dabei rund ein Viertel der Befragten in Deutschland in der hier vorgelegten Befragung mit 25,64% dieses Item zu Deutschen angekreuzt hat. In der Türkei nannten 19,13% diese Eigenschaft. Über die Gründe dieser Ausprägung kann nur spekuliert werden. Die Hypothese, ob dabei aktuelle Entwicklungen im deutsch-türkischen Verhältnis eine Rolle gespielt haben, kann aufgrund der Erhebungsproblematik (vgl. Kapitel 4.3) nicht weiter nachgegangen werden, fehlen doch vergleichende Daten aus der Türkei seit dem 16. Juli 2016. Wie zuvor gezeigt, sind jedoch in den Heterostereotypen der männlichen Probanden in Deutschland ohne Migrationshintergrund (vgl. Kapitel 5.3.2.2) Indikatoren für diese Annahme zu finden, werden doch die Items schlechte Demokraten (15,31%) sowie schlechte Politiker (16,75%) genannt. Eine Divergenz von Fremd- und Selbstwahrnehmung ist beim Item sportlich zu konstatieren: Während Türken und Deutsch-Türken dies den Deutschen zuschreiben, fehlt dieser Wert in der Top20-Liste der deutschen Autostereotype. Bei diesen fällt ein weiterer Punkt auf. Deutsche nennen unter den 20 häufigsten Eigenschaften u.a. gute Ärzte, gute Organisatoren, gute Techniker und gute Wissenschaftler. Es stellt sich die Frage, ob diese Qualifikativa nicht als ein ‚verdeckter‘ Nationalstolz gesehen werden können und das Item nationalstolz aufgrund der sozialen (Nicht-)Erwünschtheit im deutschen Kulturraum häufig nicht angekreuzt wurde (10,59% der Nennungen durch Probanden ohne türkischen Migrationshintergrund in Deutschland, vgl. digitaler Anhang). Bei den ‚deutschen‘ Antworten ist zudem auffällig, dass das Item sparsam zwar in der Top-20-Liste

5.2. Stereotype

181

genannt wird, geizig jedoch fehlt. Dies ist jedoch in den Antworten der Deutsch-Türken zu finden (vgl. Kapitel 5.3.2.2). Genauso wie bei den türkischen Autostereotypen finden sich bei den Antworten der Probanden in Deutschland die Selbstzuschreibung fernsehbegeistert. In den Top 20 der Heterostereotype ist das Item jedoch nicht zu finden. Auch bei den Stereotypen zu ‚Deutschen‘ lassen sich die drei Cluster aus Kapitel 5.3.3.1 finden. Cluster A umfasst arbeitsfreudig, diszipliniert, fleißig, ordentlich, pflichtbewusst, pünktlich und trinkfreudig. Cluster B setzt sich in Bezug auf Deutsch-Türken und Türken aus den Items distanziert, fremdenfeindlich, sportlich, tierliebend sowie umweltbewusst und in Bezug auf deutsche und türkische Stereotype zu Deutschen aus der Eigenschaft gute Wissenschaftler zusammen. In Cluster C, also bei Eigenschaften, die nur in der Top 20 der jeweiligen Gruppe genannt werden, werden von Deutschen die Items fernsehbegeistert, fortschrittlich, materiell eingestellt, gründlich, gute Ärzte, gute Techniker, korrekt sowie zuverlässig, von Türken die Eigenschaften diplomatisch, freiheitsliebend, gut gewachsen, kultiviert, rassebewusst, reserviert und selbstbewusst und von Deutsch-Türken die Zuschreibungen arrogant, geizig, misstrauisch und zuverlässig genannt. Prinzipiell ist festzustellen, dass bei den Stereotypen zu Deutschen insgesamt 18 Items in allen drei Gruppen jeweils nur durch eine der Kohorten in den jeweiligen Top-Listen gewählt werden. Bei den Aussagen zu Türken sind dies 14 Items. Deutsch-Türken teilen sowohl bei den Zuschreibungen zu Türken als auch bei den Zuschreibungen zu Deutschen mehr Items ihrer 20 meistgenannten Eigenschaften mit den Probanden aus Deutschland ohne türkischen Migrationshintergrund als mit den Türken aus der Türkei.

5. Untersuchungsergebnisse

182

5.2.3.3 Stereotype zu ‚Deutschen‘ und ‚Türken‘ auf der diachronen Ebene Tabelle 42: Eigene Darstellung eines diachronen Vergleiches der Zuschreibungen zu Türken bei Sodhi/Bergius (1953), Apeltauer (1994) und Ossenberg (2019)33

Sodhi/Bergius

Apeltauer

Ossenberg

gastfreundlich

heimatliebend

religiös

religiös

religiös

familienorientiert

Nationalstolz freiheitsliebend

familiengebunden Zusammengehörigkeitsgefühl

traditionsgebunden heimatliebend

heimatliebend

Nationalstolz

gastfreundlich

Handelsvolk heißblütig

gastfreundlich stolz

nationalstolz stolz

hübsche Frauen

kinderlieb

Zusammengehörigkeitsgefühl

traditionsgebunden handwerklich begabt

traditionsgebunden materiell eingestellt

gesellig impulsiv

bestechlich höflich

religiös intolerant großzügig

kinderlieb emotional freundlich konservativ selbstbewusst religiös intolerant gute Hausfrauen kameradschaftlich großherzig großzügig

N=108

N=19

Legende Nennungen in allen drei Erhebungen semantisch ähnliche Nennungen in allen drei Erhebungen Nennungen bei Apeltauer und in dieser Erhebung semantisch ähnliche Nennungen bei Apeltauer und in dieser Erhebung

33

Ossenberg (2019) verweist auf die hier vorgelegte Publikation.

N=1.860

5.2. Stereotype

183

Vergleicht man die Erhebungsergebnisse der hier vorgelegten Studie mit den Ergebnissen von Sodhi/Bergius (1953) sowie den Ergebnissen der exemplarischen Befragung Apeltauers (1994) unter 19 Studierenden vor einem ersten Türkeiaufenthalt, so zeigen sich bestimmte Eigenschaften mit dem Charakter eines temporis immutati. Betrachtet werden hier Aussagen von Personen, die keinen Migrationshintergrund haben. Bei den Nennungen dieser Kohorten der drei Studien zu Türken kommen vier Eigenschaftszuschreibungen in allen drei Studien vor. Dies sind die Eigenschaften heimatliebend, religiös, nationalstolz/Nationalstolz und traditionsgebunden. Zudem gibt es eine weitere Eigenschaft, die sowohl bei Sodhi/Bergius in der Top-Liste erscheint, als auch von den Probanden dieser Erhebung in den Top 20 genannt wurde: gastfreundlich. Als semantisch nahe beieinander liegende Zuschreibungen dieser beiden Studien können zudem emotional und heißblütig sowie freundlich und höflich angesehen werden. Sechs Eigenschaften der Pilotstudie von Apeltauer finden sich zudem bei den Ergebnissen: familiengebunden/familienorientiert (semantisch als sehr ähnlich anzusehende Items), Zusammengehörigkeitsgefühl, stolz, kinderlieb, religiös intolerant sowie großzügig. Da bei Sodhi/Bergius (1953) nur zwölf Eigenschaften zu Türken in die damals erstellte Top-Liste aufgenommen wurden und Apeltauer (1994) nur 19 Studierende befragte, ist eine genauere Aussage über die Konstanz von deutsch-türkischen Stereotypen nicht möglich. Es erscheint jedoch lohnend, dieser Frage weiter nachzugehen. Unübersehbar ist, dass Permutationen der gleichen Termini in den Erhebungen vorzufinden sind: Auch wenn sich unterschiedliche prozentuale Nennungen zeigen, so verbleiben die genannten Zuschreibungen in den jeweiligen Top-Listen. Hier zeigen sich Vorteile des Merkmallistenverfahrens, da durch die Verwendung von gleichen/ähnlichen Merkmalen eine diachrone Vergleichbarkeit der Ergebnisse ermöglicht wird.

6. Fazit Der exemplarische Vergleich der unterschiedlichen stereotypen Einstellungen und ihrer prozentualen Ausprägung in Deutschland und in der Türkei zeigt unterschiedliche und ähnliche Perspektiven bei inter- und intrakulturellen Zugängen. Es lassen sich (wie gezeigt) drei Cluster feststellen: Eigenschaften, die von allen Gruppen geteilt werden; Eigenschaften, die von zwei Gruppen in ihren Ranglisten geteilt werden (jedoch nicht durch die dritte Kohorte) und Eigenschaften, die jeweils nur in den Top-20-Eigenschaften in einer der Gruppen genannt werden. Es sind Divergenzen der Zuschreibungen von und zwischen Auto- und Heterostereotypen zu erkennen. Während bspw. nur die deutschen Probanden zu Türken die Eigenschaften gesellig, impulsiv sowie religiös intolerant in ihren Top 20 nennen und die nur von den Türken genannten Selbstdeterminanten bequem, fanatisch, fernsehbegeistert, Handelsvolk, konventionell, militaristisch, sentimental und tapfer lauten, finden sich ausschließlich bei den Probanden mit türkischem Migrationshintergrund die den Türken zugeschriebenen Eigenschaften sauber, dankbar und höflich in den Top 20 (vgl. für dieses und die weiteren Cluster Kapitel 5.2.3.1. sowie 5.2.3.2.). Sowohl in den Nennungen zu Auto- als auch zu Heterostereotypen gibt es Gemeinsamkeiten zwischen den Gruppen der ‚Deutschen’, der ‚Türken’ und der ‚Deutsch-Türken’, die teilweise stark ausgeprägt sind. Neben den offensichtlichen Unterschieden zwischen den Ergebnissen aus Deutschland und der Türkei finden sich auch Unterschiede, die sich aus weiteren Merkmalen der Befragten, wie z. B. den Faktoren Bildung und Geschlecht, ableiten. Es ist auch auffällig, dass einzelne Gruppen bestimmte autostereotype Merkmale nur in ihren jeweiligen Top 20 nennen und diese jedoch für andere Gruppen keine ähnlich ausgeprägte Relevanz haben. Die Ergebnisse der Erhebung zeigen, dass es bei den Probanden dieser Erhebung bezüglich der Frage nach ‚nationalen’ Stereotypen im deutsch-türkischen Kontext auch Bilder gibt, die fest in den Vorstellungen der Probanden vorhanden zu sein scheinen und auf der diachronen Ebene konstant bleiben. Gezeigt wird zudem, dass das Merkmallistenverfahren und dessen hier dargelegte Operationalisierung sowie die in diesem Zusammenhang entwickelte Forschungskonzeption prinzipiell dafür geeignet sind, Stereotype in inter- und intrakulturellen Kontexten zu erheben. Im Gegensatz zu Ansätzen der qualitativen Forschung ergeben sich hier Möglichkeiten der standardisierten Vergleichbarkeit, da quantifizierbare Items verwendet und operationalisiert werden.

© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 S. Ossenberg, Deutsche und türkische Stereotype, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26879-4_6

186

6. Fazit

Die Metaanalyse zu Stereotypenuntersuchungen im deutschsprachigen Raum erwies sich im Rahmen dieser Arbeit als hilfreich, um weiter in das Forschungsfeld der Stereotypenforschung vorzudringen. Durch die eingehende Betrachtung der verwendeten Items und Analyse des Vorgehens der jeweiligen Forschenden sowie auch der Studien der Meinungsforschungsinstitute zum Themenbereich der deutsch-türkischen Beziehungen konnten bisher wenig beachtete Aspekte für die Entwicklung des hier verwendeten Fragebogens berücksichtigt werden. Der Einsatz eines Schneeballsystems zur Akquirierung von Probanden war erfolgreich bei der Generierung einer hohen Teilnehmerzahl. Bei der Befragung großer Probandengruppen wäre es ggf. auch von Interesse, neben biographischen Fragen zum akademischen Werdegang auch Fragen zur beruflichen Laufbahn der Probanden zu stellen, um diese Faktoren berücksichtigen zu können. Prinzipiell lassen sich das Forschungsdesign und -vorgehen auch auf andere interkulturelle Kontexte übertragen und anwenden. Erhebende, die dieses Fragebogendesign nutzen wollen, sind allerdings auf die Hilfe von Kooperationspartnern vor Ort angewiesen. Neben dem Forschungsdesign ist das Datenkorpus der hier durchgeführten Erhebung von besonderem Interesse und bietet die Möglichkeit, Fragen in diesem interkulturellen Forschungsfeld nachzugehen: Inwieweit verstehen sich bspw. Personen, die in der Bundesrepublik leben, als ‚Deutsche‘, ‚Türken‘ und/oder als Teilnehmer einer polychromen Gesellschaft und in einer Abgrenzung zur (Ko-)Konstruktion der individualisierten Vorstellung des Selbst? Welche Rolle spielen Selbst- und Fremdzuschreibungen in modernen Gesellschaften bei der Selbst- und Fremdidentifikation? Und inwieweit sind stati immutabili festzustellen? Diese Polyvalenz in polychromen Konstellationen heutiger multiethnischer Gesellschaften stellt dabei eine generelle Herausforderung im und an das Forschungsfeld dar: Konstruktion(en) von Fremdheit und kollektiver Identität – zugeschriebene und internalisierte Werte der kulturellen Gruppen – werden gesellschaftlich ständig diskutiert, begründet und anhand auftauchender Differenzen neu definiert und determiniert. Dabei lassen sich sowohl auf der synchronen wie auch auf der diachronen Ebene Cluster feststellen, die diesen Diskurs aus einem neuen Blickwinkel fokussieren lassen und darüber Aufschluss geben, welcher Gruppe – und welcher derer gesellschaftlichen Konstruktion von Wirklichkeit (vgl. Berger/Luckmann 2009) – sich Personen zugehörig fühlen. Hierbei ist zwischen dem Postulat der Gruppenzugehörigkeit, der situativen Kontextualisierung der Selbst- und Fremdzuschreibung sowie impliziter Wissensbestände zu kulturellem Habitus zu differenzieren: Während ‚Deutsch-Türken‘ mehr Eigenschaften in ihren Top 20 mit ‚Deutschen‘ als mit ‚Türken‘ teilen, stimmen die

6. Fazit

187

Fremdzuschreibungen der ‚autochtonen Deutschen‘ zu ‚Deutsch-Türken‘ mit den Zuschreibungen zu ‚den Türken‘ überein. Ein ‚Othering‘ (vgl. u.a. Spivak 1985 und Shimada 2007) wird durch diese Divergenz vorangetrieben und ein rekursiver Prozess des Zusammenspiels von Auto- und Heterostereotypen angestoßen, der sich selbstlegitimierend tradiert. Ob in der Türkei zum gleichen Personenkreis die ‚membership categorization devices‘ (vgl. Sacks 1992) ‚des Deutschen‘ existieren, sollte auf Basis der Erkenntnisse dieser Arbeit weiter exploriert werden. Die Ergebnisse der hier vorgelegten Studie werfen aktuelle Fragen in Bezug auf eine sozialtheoretisch orientierte Kommunikationswissenschaft auf und geben zudem Anregungen für aktuelle Fragen der Sozialwissenschaften. Dies speziell in fünf Punkten in Bezug auf (A) forschungspragmatische Fragen, (B) sozialtheoretische Überlegungen, (C) kommunikationstheoretische Überlegungen, (D) zeitdiagnostische Fragen sowie (E) kommunikationspraktische Fragen. Forschungspragmatisch (A) stellt sich die Frage, wie mit Hilfe weiterer Formen multivariater Auswertungsmethoden die ermittelten Cluster nach einer weiteren Prüfung und Anpassung des Forschungsdesigns zukünftig konzeptionell exploriert werden können. Prinzipiell kann angedacht werden, das Forschungsdesign so weiterzuentwickeln und zu transformieren, dass auch Panel-Studien durchgeführt werden können. Zur Überprüfung der Hypothesen bezüglich der genannten Theorien und Annahmen zu Stereotypen, bspw. zur Überprüfung eines gemeinsamen Bezugsrahmens als Grundlage für interkulturelle Kommunikation oder zur Überprüfung des Ansatzes der Kontakthypothese, ist zudem die Weiterentwicklung des Erhebungsinstrumentes notwendig. So hat bspw. eine Weiterentwicklung der Designkonstruktion dahingehend zu erfolgen, dass die gleichen Probanden mehrmals befragt werden, um eine mögliche Änderung ihrer Stereotypen und der Auswirkungen verschiedener Faktoren (wie bspw. dem der Zeit) zu ermitteln. Eine longitudinale Konzeption zeigt zudem Indikatoren für Veränderungen von Stereotypen und mit ihnen verbundenen Einstellungen innerhalb von Gesellschaften auf. Dies ist u. a. aufgrund der verwendeten, multikulturell anwendbaren Merkmalliste möglich. Durch die Verwendung einer ein-

188

6. Fazit

heitlichen Liste entfällt auch die Problematik der nur bedingt miteinander vergleichbaren Merkmallisten bisheriger Forschungen und ermöglicht eine Kompatibilität der erhobenen Antworten mit dem Referenzpunkt Deutschland. Es bietet sich zukünftig außerdem an, das Datenmaterial für weitere Forschungen innerhalb interpersonaler Kommunikationsforschung zu nutzen. Dabei ist zu empfehlen, die Erhebungsergebnisse u. a. als Impuls für qualitative Interviews zu verwenden, um in diesen dann kulturelle Divergenzen und Differenzen im qualitativen Sinne zu ermitteln. Von den 5.576 Probanden in Deutschland und in der Türkei wurden (wie beschrieben) qualitative Beispiele zu den gewählten Items geäußert. Insgesamt wurden dabei in Deutschland 3.191 Beispiele zu Eigenschaften, die Türken zugeschrieben wurden, gegeben. 2.429 Beispiele gab es zu ‚deutschen‘ Eigenschaften. Insgesamt wurden somit 5.620 Beispiele aus ‚deutscher‘ Perspektive gegeben. In der Türkei gaben 3.042 Personen 4.992 offene Nennungen zu ‚türkischen Eigenschaften‘ und 6.231 Beispiele zu ‚deutschen Eigenschaften‘. Diese insgesamt 16.843 Beispiele können kategorisiert und mit der Methode der qualitativen Inhaltsanalyse analysiert werden. Die daraus gewonnenen Cluster und Beispiele können dabei zukünftig als Gesprächsimpuls zur Überwindung der durch die Thematik des Forschungsfeldes bedingten Verzerrungseffekte genutzt werden. Gerade in der Kommunikations- und generell in der interpersonalen Vorurteilsforschung ist eine Annäherung an die Meinungen der Gesprächsaktanten zu Fremdheit und Identifikation in nationalen Kontexten schwierig. Die Tendenz zu Antworten, die als sozial erwünscht antizipiert werden (vgl. exemplarisch Diekmann 2012: 447 ff. sowie Behnke/Meuser 1999: 38), kann durch diese beim Gespräch präsentierten Impulse eventuell überwunden werden. In polychromen Gesprächsgruppen eröffnen sich dabei neue Möglichkeiten für interkulturelle Gruppeninterviews: Im Kontext des ‚forschenden Lernens’ in Seminaren an Universitäten und in pädagogischen Kontexten kann das Forschungsdesign kommunikationspraktisch genutzt werden. Seminare mit begleitenden interkulturellen Übungen und Inhalten können so zu Internationalisierung, internationaler Zusammenarbeit und Verständigung auf interpersonaler und interkultureller Ebene beitragen. Solche Veranstaltungen können zukünftig eine handlungsorientierte und kooperative Lernpraxis in besonders effektiver Weise mit wissenschaftlicher Reflexion und mit der Einführung in wissenschaftliche Forschungsmethoden verbinden. Prinzipiell stellt sich in sozialtheoretischen Überlegungen (B) die Frage, weshalb bestimmte Personen andere inkludieren bzw. exkludieren. Sowohl in Fragen der kollektiven Identitäten (vgl. exemplarisch Shibutani 1961) und der Multikollektivität (vgl. Rathje 2014) als auch im Umgang mit der Divergenz von Fremd- und Selbstbild (vgl. Goffman 1967: 22) können kulturelle Inklusion und

6. Fazit

189

Exklusion im Hinblick auf die hier vorgelegten Ergebnisse in modernen Gesellschaften nun nicht mehr nur als Tendenz zur Individualisierung, sondern auch als parallele Entwicklungen von kollektivistischen Selbst-Zuschreibungen und individualistischen und situativen Entscheidungen für die eine oder andere Gruppenzugehörigkeit (vgl. Reckwitz 2017) aufgefasst werden. Empirische Belege auf der Mikroebene (vgl. Stichweh 2007) und in der Konversationsanalyse (Sacks/Schegloff/Jefferson 1974) sind dabei mit zeitdiagnostischen Befunden (Hahn 2002 und Renn et al. 2002) zu verknüpfen, um die Ergebnisse dieser Arbeit einzuordnen. Eine Annäherung an das dabei implizit existierende kulturelle Wissen (vgl. Polanyi 2009 und Loenhoff 2003) und die dahinterliegenden Übersetzungsproblematiken (vgl. Renn 2006) ist dabei prinzipiell möglich. Insbesondere ist dabei zu diskutieren, ob kollektivistische Identitäten (vgl. Giesen 2016) in der heutigen westdeutschen Gesellschaft von individualgeprägten Singularitäten des Selbstverständnisses abgelöst worden sind (vgl. Renn 2006 und Reckwitz 2017). Um dieses Spannungsfeld von kollektivistischen und individualistischen Selbstverständnissen weiter zu betrachten, kann das empirisch gewonnene Material dieser Arbeit hinzugezogen werden. In der Arbeit zeigte sich u.a., dass nationale und ethnische Zuschreibungen durch unterschiedliche kollektive Wahrnehmungsprozesse beeinflusst werden. Aufgrund der Komplexität neu entstandener multikultureller und postmigrantischer Gesellschaften müssen daher Fragen zum Verständnis und zur Kategorisierung von solchen Zuschreibungen betrachtet werden. Dabei sind für weitere Untersuchungen in Fragen der kommunikationstheoretischen Überlegungen (C) erneut die bereits o. a. offenen Antworten der Probanden von Interesse, können hier doch Hinweise darauf gefunden werden, welche semantischen Felder hinter den gewählten Items der einzelnen Probanden stehen. Bereits die vorgenommene explorative Analyse der Daten anhand der Fragekategorien Bildung, Alter und Geschlecht zeigt auf, dass Cluster innerhalb der Daten zu finden sind. Es eröffnet sich ein Untersuchungsfeld, das zu neuen Erkenntnissen in Bezug auf Fragen der impliziten (Vor-)Einstellungen und (Vor-)Urteile verhelfen mag (vgl. Ungeheuer 1987). Dabei sind die existenten, in vis-a-vis-Situationen jedoch nicht explizierten, emergenten Vorstellungswelten und Bilder der agierenden Akteure weiter zu erforschen. Als Forschungsfragen ergeben sich daraus: Inwieweit sind Koordinierungen und Formen der Komplexitätsreduktion durch Typisierung innerhalb multikultureller, trans- sowie interkultureller Kommunikation als starre Schematisierungen einerseits für ein universales Handlungsmuster und andererseits für den Erfolg oder Misserfolg interkultureller Kommunikationshandlungen verantwortlich?

190

6. Fazit

Sind dabei für den Erfolg einer interpersonalen Kommunikation im interkulturellen Kontext die Kenntnisse über Selbst- und Fremdzuschreibungen (also über Auto- und Heterostereotype) sowie über die vermuteten Auto- und Heterostereotype (also die Metastereotype) eine Prämisse, und sind diese Kenntnisse auch bei intrakulturellen Kontextualisierungen eine Notwendigkeit zur Herbeiführung einer Anschlussoperation (vgl. Luhmann 2008)? Abseits der sozial- und kommunikationstheoretischen Fragen kann das Forschungsdesign auf der Grundlage von zeitdiagnostischen Fragen (D) Impulse geben. Gesellschaftlich verhandelte Meinungsbilder und deren Grundlage können durch die qualitative Nachbereitung des erstellten Datenkorpus‘ für den Erhebungszeitraum erschlossen werden. Durch die Möglichkeit der temporalen Verortung der einzelnen Datensätze lassen sich auf der diachronen Ebene Relationen zwischen Ereignissen und Meinungen, die Gesellschaft und Politik beeinflussen, aufzeigen. Eine longitudinale Konzeption und weitere Erhebungen mit dem Stereotypen-Messinstrument ermöglichen es, Veränderungen des Bildes der jeweilig anderen und der eigenen Gruppe zu erfassen, wie exemplarisch gezeigt wurde. Soeffners (2012) Überlegungen zu einer transnationalen Gesellschaft, dass die Globalisierung zu interkulturellen Kontakten und zudem zu Kontaktzwang zwischen Aktanten dieser Kulturen und dies zu Irritationen bei der Identitätsstiftung und dem Abbau von Fremdbildern führt, ist die Frage hinzuzufügen, inwieweit sich diese Transnationalität in multikulturellen Gesellschaften (wie die der BRD) materialisiert und reproduziert. In der Massenkommunikationsforschung können mit Hilfe der Items und der Merkmalliste zukünftig Stimmungsbilder durch die Analyse des konnotativen Raumes der Begrifflichkeiten gewonnen werden. Dabei stellen sich Fragen nach den in die Diskurse eingebrachten Stereotypen, nach dem Umgang mit den stereotypen Bildern in den Lebenswelten sowie nach den Auswirkungen der implizit vorliegenden Wissensvorräte, die teilweise nur innerhalb der jeweils eigenen kulturellen Gruppe expliziert werden. Bis zum Jahr 2019 hat es keine Untersuchung in dem hier vorliegenden Umfang zu Stereotypen im deutsch-türkischen Kontext gegeben. Das Korpus eignet sich somit als Ausgangspunkt für vergleichende, ggf. auch longitudinal angelegte Studien. Aufgrund der in dieser Arbeit aufgezeigten Problematik der Divergenzen innerhalb der Befragungsbatterien der bisher durchgeführten Untersuchungen zum Bild der Deutschen und Türken in den jeweiligen Ländern ist bislang ein Vergleichsinstrument zur Messung von Stimmungsbildern in diesem Kontext nicht existent. Der Fragebogen und das Untersuchungsdesign kann jedoch zu diesem Zweck auch in anderen interkulturellen Untersuchungen genutzt werden, so bspw. in bereits erprobten deutsch-chinesischen,

6. Fazit

191

deutsch-russischen sowie deutsch-kroatischen Erhebungen der Auto- und Heterostereotype. Die Operationalisierung eines für weitere interkulturelle und transnationale Untersuchungen geeigneten Erhebungsverfahrens ist mit dieser Arbeit somit erfolgt und anschlussfähig für weitere Erkenntnisgewinne. Bei Fragen der kommunikationspraktischen Nutzung der Ergebnisse (E) sind Empfehlungen für das Ethnomarketing (a), Bereiche der politischen Bildung (b) sowie der Migrationspädagogik (c) auszusprechen: Während im Ethnomarketing (E.a) vorwiegend von homogenen ethnischen Gruppen ausgegangen wird, zeigen die Ergebnisse der hier vorgelegten Studie, dass ein divergentes Bild auf Seiten der ‚Deutsch-Türken‘ vorliegt. Diese symbolische Aneignung von Ethnizität der Individuen erfolgt jedoch im implizit vorausgesetzten Rahmen kollektiver Wissensbestände. Es zeigt sich in den Ergebnissen kein „Konflikt-“ und/oder „Verständigungspotential zwischen den Ethnien“ (vgl. Mai 2005: 10). Anders als vielfach postuliert, ist aufgrund der Ergebnisse davon auszugehen, dass es nicht eine Zielgruppe mit einem ethnischen Hintergrund gibt, sondern vielmehr eine ständig anhaltende Heterogenität in Bezug auf unterschiedliche kulturelle Normen, Werte und Setzungen zu konstatieren ist. Im Bereich der politischen Bildung (E.b) und in Fragen des deutsch-türkischen, des türkisch-deutschtürkischen und des deutschtürkisch-deutschen Verhältnisses ist festzustellen, dass nicht nur zwischen Vorurteilen und Stereotypen zu differenzieren, sondern vielmehr auch zu betrachten ist, dass es größere Konvergenzen zwischen den Deutsch-Türken und den Deutschen als zwischen den Türken und den Deutsch-Türken gibt. In der politischen Kommunikation und im Bildungsdiskurs wird die Gruppe der Deutsch-Türken häufig als Migrationsgruppe gesehen, die zu einem großen Teil als nicht ‚integriert‘ bezeichnet wird. Die Ergebnisse dieser Arbeit widersprechen dieser Behauptung. Vielmehr ist zu konstatieren, dass durch die Erhebung der erhobenen Einstellungen für den größten Teil der befragten ‚Deutsch-Türken‘ nachzuweisen ist, dass die Einstellungen der Befragten erhebliche Ähnlichkeiten mit den ‚Bildern in den Köpfen‘ (vgl. Lippman (1990/1922) der ‚Deutschen‘ aufzeigen. Es ist offensichtlich, dass sich damit implizite Wissensbestände und Einstellungen zwischen ‚Deutschen‘ und ‚Deutsch-Türken‘ annähern. Der Frage, inwiefern solche Korrelationen auch als ein Indikator für eine fortschreitende oder gar ‚gelungene Integration‘ zu interpretieren sind, sollte in weiteren Erhebungen und Studien nachgegangen werden.

192

6. Fazit

Die Migrationspädagogik (E.c) beschäftigt sich seit mehreren Jahrzehnten mit dem Themenfeld der Stereotypisierungen und der Stereotypen (dies teilweise unter der Nutzung unterschiedlicher Termini). Hier werden aufbauend auf Vorannahmen des Forschungsbereiches Prämissen und Implikationen diskutiert und die Zielrichtung des Forschungsfeldes festgelegt. Mecherils (2011) Betrachtung von Migrationsverhältnissen stellt die Frage der Zugehörigkeit und Nicht-Zugehörigkeit in den Fokus aktueller Diskussionen. Dabei gewinnt das Konzept der „natioethno-kulturellen Zugehörigkeit“ (vgl. Mecheril 2003) vermehrt an Bedeutung. Dabei seien die „diskursiven und kulturellen Konsequenzen der vornehmlich auf Abwehr und Kontrolle abzielenden Politik des 20. Jahrhunderts [...] Bestandteil auch heute noch bedeutsamer kultureller Praxen, in denen »Ausländer/innen«, »Migrant/innen«, »Menschen mit Migrationshintergrund« als Fremde und »eigentlich nicht Zugehörige« konstruiert und behandelt werden“ (Mecheril 2010: 7). Ergebnisse dieser Arbeit zeigen hieran anschließend, dass eine Kontextualisierung von heterogenen Gruppen in einem ethnischen Kontext nicht überzeugend vollzogen werden kann und somit auch die Termini von ‚Migration‘ und ‚Migranten‘ in manchen Kontexten wissenschaftlich unbrauchbar sind, da sie Gegebenheiten miteinander vermischen und notwendige Differenzierungen versperren. Untersuchungen zu Stereotypen sollten nicht mehr nach ‚Migranten‘ und ‚Migration‘, also nicht nach ‚nationalen‘ Gruppen unterscheiden und fokussieren, sondern es sollte eine ethnospektiv divergierende polychrome, multikulturelle und transnationale Gesellschaft und ihr Zusammenleben untersucht werden. Das legen die Ergebnisse dieser Arbeit nahe. Der Frage, inwieweit dies Einfluss in der interpersonalen Kommunikation hat, ist weiter nachzugehen. Das Datenmaterial dieser Arbeit bietet dazu, wie oben gezeigt, einen Ausgangspunkt. Ohne die ‚Bilder in unseren Köpfen‘ zu kennen, können wir auch nicht die Auswirkungen dieser Vorstellungen in der interpersonalen, inter- und transkulturellen Kommunikation erkunden. Durch die Exploration des Impliziten entsteht die Möglichkeit der Explikation der Differenz bei Betrachtung von Divergenz.

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© Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH, ein Teil von Springer Nature 2019 S. Ossenberg, Deutsche und türkische Stereotype, https://doi.org/10.1007/978-3-658-26879-4

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