Deutsche Liebesbriefe in Spatmittelalterlichen Handschriften: Untersuchungen zur Überlieferung einer anonymen Kleinform der Reimpaardichtung [Reprint 2012 ed.] 3484150726, 9783484150720

Revision of the author's thesis (doctoral)--Universiteat Marburg, 1990.

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Deutsche Liebesbriefe in Spatmittelalterlichen Handschriften: Untersuchungen zur Überlieferung einer anonymen Kleinform der Reimpaardichtung [Reprint 2012 ed.]
 3484150726, 9783484150720

Table of contents :
VORWORT
INHALTSVERZEICHNIS
Teil I: Darstellung
EINLEITUNG
1. Liebesbriefe als kultur- und literarhistorisches Phänomen
TYPEN DER ÜBERLIEFERUNG
2. Einzelblätter
3. Broschüren
4. Sammelhandschriften
5. Besondere Formen handschriftlicher Überlieferung: Nachgetragene Liebesbriefe
ERGEBNISSE UND PERSPEKTIVEN
6. Liebesbriefgedichte im spätmittelalterlichen Literaturbetrieb
Teil II: Dokumentation
7. Verzeichnis der Einzeltexte in den Quellen
8. Edition
9. Abkürzungs- und Literaturverzeichnis
REGISTER
ABBILDUNGSNACHWEISE

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HERMAEA GERMANISTISCHE FORSCHUNGEN NEUE FOLGE HERAUSGEGEBEN VON HANS FROMM UND HANS-JOACHIM MÄHL

BAND 72

JÜRGEN SCHULZ-GROBERT

Deutsche Liebesbriefe in spätmittelalterlichen Handschriften Untersuchungen zur Überlieferung einer anonymen Kleinform der Reimpaardichtung

MAX NIEMEYER VERLAG TÜBINGEN 1993

Gedruckt mit Hilfe der Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften in Ingelheim am Rhein

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Schulz-Grobert, Jürgen: Deutsche Liebesbriefe in spätmittelalterlichen Handschriften : Untersuchungen zur Überlieferung einer anonymen Kleinform der Reimpaardichtung / Jürgen Schulz-Grobert. - Tübingen : Niemeyer, 1993 (Hermaea ; N.F., Bd. 72) NE: GT ISBN 3-484-15072-6

ISSN 0440-7164

© Max Niemeyer Verlag GmbH & Co. KG, Tübingen 1993 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Satz: pagina GmbH, Tübingen Druck und Einband: Allgäuer Zeitungsverlag GmbH, Kempten

VORWORT

Das vorliegende Buch basiert auf einer Ende 1989 abgeschlossenen Untersuchung, die im Frühjahr 1990 vom Fachbereich >Allgemeine und Germanistische Linguistik und Philologie< der Philipps-Universität Marburg als Dissertation angenommen worden ist. Bei der Überarbeitung für den Druck konnte die seitdem erschienene Literatur nur noch punktuell berücksichtigt werden. Ich danke allen, die mit ihrer Hilfe das Zustandekommen dieses Buches ermöglicht haben. Mein besonderer Dank gilt Herrn Professor Dr. Joachim Heinzle. Er hat die Arbeit angeregt, in allen Phasen mit unermüdlicher Gesprächsbereitschaft begleitet und für mich über Jahre hin ideale Rahmenbedingungen geschaffen. Den Archiven, Bibliotheken und Privatsammlungen im In- und Ausland, deren Bestände ich als Besucher vor Ort oder in Form von Kopien benutzen durfte, danke ich für die unkomplizierte Bereitstellung der Quellen, für zahlreiche brieflich erteilte Auskünfte und einigen Institutionen auch für die Erlaubnis zur Reproduktion ihrer Handschriften. Besonders großzügig war das Entgegenkommen, mit dem mir Herr Dr. Hartmut Broszinski als Leiter der Kasseler Handschriftenabteilung begegnet ist. Wichtige Verbesserungsvorschläge verdanke ich Frau Gisela Kornrumpf und den Herren Professoren Dr. Helmut Lomnitzer und Dr. Heinz Schanze. Frau Lydia Tschakert und Frau Heike Burmeister waren eine große Hilfe beim Korrekturlesen. Für die Aufnahme meiner Arbeit in die Reihe >Hermaea< danke ich den Herausgebern, ganz besonders Herrn Professor Dr. Hans Fromm für seine umsichtige Betreuung. Dem Max Niemeyer Verlag bin ich für kompetentes Engagement während der Drucklegung zu Dank verpflichtet. Entscheidend gefördert wurde die Drucklegung durch die >Geschwister Boehringer Ingelheim Stiftung für Geisteswissenschaften< mit einem großzügigen Zuschuß. Dafür möchte ich an dieser Stelle nochmals meinen Dank aussprechen. Gewidmet ist dieses Buch dem Andenken Paul Groberts. Marburg, im Frühjahr 1993

Jürgen Schulz-Grobert

V

INHALTSVERZEICHNIS

Vorwort

V

Teil I: Darstellung

ι

Einleitung

3

ι.

Liebesbriefe als kultur- und literarhistorisches Phänomen ι. ι.

.

Das überlieferungsgeschichtliche Problem

3 13

Typen der Überlieferung

14

2.

Einzelblätter

14

2.1. 2.2. 2.3.

16 22 25

3.

4.

Ein Rotulus Fragmente Einlagen

Broschüren

30

3.1.

33

Die >Zürcher Liebesbriefe
Konstanzer Liebesbriefe< in der >Liedersaal-Handschrift< Die Liebesbriefe in der Dresdner Handschrift M 68 . . . Liebesbriefgedichte zwischen Reimpaarkleindichtung und Liedern Abschieds- und Neujahrsgrüße im sogenannten >Liederbuch der Klara Hätzlerin< und in verwandten Sammlungen . . Vierzeiler zwischen umfangreicheren Minnereden in der Berliner Handschrift Mgf 922 Das >Augsburger Liederbuch< >Fichards Liederbuch< Die Berliner Handschrift Mgq 495 Der >Liebesbriefsteller aus Köln< in der Brüsseler Handschrift Cod. II 144 Exkurs: Liedersammlungen des 16. Jahrhunderts . . . .

VII

39 48 57 58 66 71 77 83 92 97

4·4· 4.5. 4.5. ι. 4.6. 5.

Die >Losse-Sammlung< Sammlungen mit volkssprachlicher Fachprosa Liebesbriefe zwischen heilkundlichen, kunsthandwerklichen und allgemein lebenspraktischen Aufzeichnungen . . . . Deutsche Liebesbriefe im Kontext lateinischer Artesliteratur des Triviums

105 115 116 125

Besondere Formen handschriftlicher Überlieferung: Nachgetragene Liebesbriefe 5.1. 5.1.1. 5.2. 5.3.

Gelegenheitsaufzeichnungen in unterschiedlichen Handschriften Notizen auf einem Spiegelblatt Nachträge auf selbständigen Einzelblättern Handschriftliche Nachträge in frühen Drucken

136 137 148 149 150

Ergebnisse und Perspektiven

152

6.

Liebesbriefgedichte im spätmittelalterlichen Literaturbetrieb

152

6.1. 6.1.1. 6.1.2. 6.1.3. 6.2. 6.3. 6.5.1.

152 153 154 157 158 159

6.3.2.

Phasen und Zentren der Überlieferung Die Quellenlage im 14. Jahrhundert Die Verbreitung der Textzeugen im 15. Jahrhundert . . . Regionalbezüge auf der inhaltlichen Gestaltungsebene . . Produzenten Konservierungsinteressen und Gebrauchszusammenhänge . Schreiberaktivitäten zwischen Auftragsarbeit und Zeitvertreib Möglichkeiten der individuellen Aktualisierung eines konventionellen Texttyps

160 165

Teil II: Dokumentation

169

7.

Verzeichnis der Einzeltexte in den Quellen

171

7.1. 7.2. 7.3.

172 174 229

8.

Zur Anlage des Katalogs Katalog Initienregister

Edition

234

8.1. 8.1.1. 8.1.2. 8.1.3. 8.1.4.

234 235 239 241 242

VIII

Editionsprinzipien Kassel 8° Ms. med. 6 Leipzig Rep. II 8° 160 Rom Pal. Vat. IV, 228 Stuttgart Cod. poet, et philol. qu. 69



Abkürzungs- und Literaturverzeichnis

244

9.1. 9.2.

244 245

Abkürzungen Literatur

Register Handschriften Namen und Titel Abbildungsnachweise

259 259 262 264

IX

Teil I: Darstellung

EINLEITUNG

I.

Liebesbriefe als kultur- und literarhistorisches Phänomen

» A b e r w a s ist ein L i e b e s b r i e f ? Wer kann ihn verstehen außer d e m , an den er gerichtet w a r , w e n n überhaupt einer?« 1 D e r P h i l o l o g e versteht den L i e b e s b r i e f als historisches

Phänomen

und ist deshalb, w e n n er den Sinn seiner W i s s e n s c h a f t auch darin sieht, » v o m unmittelbar Menschlichen b e t r o f f e n zu sein«, auch f ü r den R e i z solcher Texte e m p f a n g l i c h , die nicht unmittelbar an ihn gerichtet sind. 2 Z u den w i c h t i g s t e n E r g e b n i s s e n seiner B e s c h ä f t i g u n g mit dem Liebesbrief g e h ö r t die Feststellung dessen, w a s er nicht ist: Der Liebesbrief ist keine Gattung, sondern eine inhaltliche Spielart des privaten Mitteilungsbriefs (wie Freundschaftsbrief, Schmähbrief, Aufforderungsbrief, Bittbrief, Ergebenheitsadresse usw.), die sich ebenso außerhalb wie innerhalb literarischer Gattungen manifestieren und literarischer Formmerkmale (Vers, Klauselrhythmus, Reim, >ornatusBrief< als fiktiver Inhaltsbestandteil in ganz anderen Gattungen (Lyrik, Epos, Roman) eine Rolle spielen. Generell kommt es also darauf an, die (durch Form- und Funktionsmerkmale verschiedenster Art bestimmten) Gattungen streng zu unterscheiden von Themen oder Inhalten, die mehreren Gattungen gemeinsam sein können.' ' Briefe der Weltliteratur. Liebesbriefe. Hrsg. v. K u r t Fassmann. München 1964 (Kindler Taschenbücher 3013), S. 12. In der übergeordneten Fragestellung »Was ist ein Brief?« vgl. auch den Beitrag von Irmtraut Schmid »Zur Begriffsbestimmung des Terminus >Brief< als Bezeichnung einer quellenkundlichen Gattung«, editio 2 (1988), S. 1 - 7 . Bes. S. 7: »Weil die Bedingungen, unter denen ein Brief entsteht, außerordentlich variantenreich sein können, genügt weder der gesunde Menschenverstand noch, bei Briefen mit literarischer Qualität, allein eine stilistische Interpretation, um wirklich zu verstehen, was ursprünglich mit einer brieflichen Mitteilung gemeint sein kann.« Vgl. allgemein auch Nickisch (1991), S. 9 - 1 2 . 2

Vgl. Schaller (1966), S. 25. Eis (1961), S. 332. ' Schaller (1977), S. 308. Vgl. auch Dieter Schalter, Erotische und sexuelle Thematik in Musterbriefsammlungen des 12. Jahrhunderts. In: Fälschungen im Mittelalter. Internationaler Kongreß der Monumenta Germaniae Histórica. München, 16—19. Sept. 1986. Teil V: Fingierte Briefe, Frömmigkeit und Fälschung, Realienfälschung. Hannover 1988 ( M G H . Schriften 33, V), S. 63-77. Ebd. S. 63: »Faßt man auch alle Arten von Texten zusammen, auf die sich die landläufige Bezeichnung >Liebesbrief< anwenden läßt, so kann doch damit eine >Gattungsgeschichte des mittelalterlichen Liebes-

3

In der mittelalterlichen volkssprachlichen Liebesbrieftradition dominiert in Deutschland ein Texttyp, der sich zunächst als fester Bestandteil im erzählerischen Kontext höfischer Epik etabliert.4 Ohne tiefgreifende Veränderungen weder auf der formalen (vierhebige Reimpaarverse) noch auf der inhaltlichen Gestaltungsebene entwickeln sich solche Liebesbriefgedichte im Spätmittelalter zu einer selbständigen literarischen (Massen-)Erscheinung,' die für eine ganz andere Gattung relevant wird: Die Verbindungen zwischen Brief und epischem Zusammenhang werden gelöst und der Briefinhalt auf die lyrische Thematisierung der Minne (>dienest< - >triuwetugentstaete< und >êreKorrespondenzOriginalliebesbriefe< handeln, auf die sie dann ihr Hauptaugenmerk gerichtet hat. Eine wichtige Rolle spielte dabei wohl auch die Tatsache, daß zum Teil recht abenteuerliche Liebesbriefzustellungsszenen in der (spät)höfischen Epik 1 0 und L y r i k " als literarisches Motiv präsent sind und die entsprechenden Texte oder Textpassagen aufwendig illustriert wurden, vor allem in zwei besonders prachtvoll ausgestatteten Handschriften: Berlin, S B P K . Mgf 282 mit dem Eneasroman Heinrichs von Veldeke (vgl. Abb. 1) und im Codex Manesse (vgl. Abb. 2). Das Bild, das sich die Forschung von den realen Existenzbedingungen mittelalterlicher Liebesbriefgedichte gemacht hat, ist stellenweise fast identisch mit den aus dem Mittelalter überlieferten Darstellungen. Am nachhaltigsten gewirkt hat in diesem Zusammenhang die Autorität Hoffmanns von Fallersleben, der 1855 im zweiten Band des Weimarischen Jahrbuchs den folgenden Beitrag zur Frage nach den Zustellungsmöglichkeiten eines Liebesbriefs geliefert hat: Gattungsbezeichnung >Minnerede< wurde eingeführt, da für die Vielfalt der spätmittelalterlichen, ζ. T. allegorischen Gedichte mit Minnethematik eine einheitliche Bezeichnung fehlte. Berechtigt uns dies jedoch, auch die Briefe, denen immerhin eine jahrhundertelange Tradition in allen möglichen Literaturen eignet, plötzlich einer neuen Gattung zu unterwerfen? Wenn dies nun durch Brandis tatsächlich geschah, so hätte es wohl einer eingehenden Rechtfertigung bedurft.« 9 Glier (1971), S. 402. 10 Vgl. ζ. B. Hans Fromm (Hg.): Heinrich von Veldeke, Eneasroman. Die Berliner Bilderhandschrift mit Übersetzung und Kommentar. Mit den Miniaturen der Handschrift und einem Aufsatz von Dorothea und Peter Diemer. Frankfurt a. M. 1992 (Bibliothek des Mittelalters 4), V . 286, 24ff. Weitere Beispiele findet man bei Panzer (1900), S. j 5 2f. " Z u dem prominentesten Beispiel aus diesem Bereich s. u.

5

Abb. ι.

6

Berlin, S B P K . Mgf 282, Bl. L X X I r : Heinrich von Veldeke, Rneasroman >Minnebrief der LaviniaZürcher LiebesbriefenKinderliederAuf Grund der Sprache läßt sich mit Eindeutigkeit sagen, daß das Kästchen nicht aus dem Mittelalter stammt. Ein Mittelhochdeutsch, wie es die Inschrift bietet, hat es nie gegeben, weder in der Schreibung noch in der Lautung . . . A m nächstliegenden scheint es mir, einen Versuch in mittelhochdeutschen Reimen aus der Feder eines romantischen Altertumsfreundes anzunehmen, v. d. Hagens knapper Fundbericht weist allerdings mit der Jahreszahl 1816 in eine sehr frühe Zeit.«< Fälschungen dieser Art scheinen eine längere Tradition zu haben, vgl. Horst Appuhn, Die schönsten Minnekästchen aus Basel: Fälschungen aus der Zeit der Romantik. Zeitschrift für Schweizerische Archäologie und Kunstgeschichte 41 (1984), S. 1 4 9 160. Eine zusammenfassende Diskussion dieser Problematik bietet der folgende Beitrag: Dorothea und Peter Diemer, Minnesangs Schnitzer. Zur Verbreitung der sogenannten Minnekästchen. In: Festschrift Walter Haug u. Burghart Wachinger. Tübingen 1992. Bd. II, S. 1021—1060. 11

Vgl. dazu Kap. 2. Die Möglichkeit einer musikalischen Rezitation mittelalterlicher Reimpaargedichte diskutiert Christoph Petzsch, Mittelhochdeutsch >spruch A m wenigsten erschlossen ist der Bereich der Prosatexte. Auf Analogien zur Reimpaartexttradition im Bereich der kontextgebundenen Liebesbriefe hingewiesen hat Brandstetter (1971), S. 97—134: »Briefe im höfischen Epos und im Prosaroman«. 24 Vgl. Rheinheimer (1975), S. 189—199. Die hier (S. 190—193) mitberücksichtigten stro22

IO

Ihre Flexibilität im Umgang mit den unterschiedlichen Erscheinungsformen des Phänomens Liebesbrief im Mittelalter konnte Melitta Rheinheimer auf dem Hintergrund der 1899 erschienenen und seitdem einzigen monographischen Arbeit über »Die gereimten Liebesbriefe des deutschen Mittelalters« von Ernst Meyer 2 ' entwickeln. 26 Dieser hatte sich ebenso wie kurz vor ihm Albert Ritter 27 um eine gattungsgeschichtlich ausgerichtete Aufarbeitung des mit positivistischem Sammelfleiß - allerdings ohne eindeutige Kriterien - zusammengetragenen Textmaterials bemüht. Zu den entscheidenden Punkten damaliger Kritik an der Studie Meyers, auf die noch ausführlicher einzugehen sein wird (vgl. besonders Kap. 4.1.), gehört neben dem Hinweis darauf, daß der Verfasser »besser die liebesbriefdichtung nicht als eine abgeschlossene und selbständig sich entwickelnde gattung behandelt«28 hätte, die folgende Feststellung: »Gar keine aufmerksamkeit hat Meyer auch der äusseren seite der von ihm behandelten erscheinung geschenkt, die doch hier wie überall mit dem inhalt in lebendiger Wechselwirkung steht. Es ist nicht einmal die frage erörtert, wie weit diese >briefe< denn wirklich als briefe in unserem sinne verwendet und wie weit sie bloss poetische Aktion gewesen . . ,«29 phischen Texte H u g o s v o n Montfort nehmen in der Gattung Minnerede eine Sonderstellung ein: » H u g o v o n Montfort ist weithin ein literarischer >Einzelgängen.« Glier (1971), S. 235. Vgl. auch Wachinger (1983). Z u den bei Rheinheimer (1975), S. I98f. aufgeführten Liebesliedern vgl. jetzt F . V . Spechtler, Mittelalterliche Liedforschung II. Beischriften zu den Liedern des Mönchs von Salzburg. In: Fs. f ü r I n g o Reiffenstein zum 60. Geburtstag. Hrsg. v. Peter K . Stein u. a. G ö p p i n g e n 1988 ( G A G 478), S. 5 1 1 - 5 2 5 . Revisionsbedürftig ist v o r allem der Prosatextbereich, aus dem bei Rheinheimer ( 1 9 7 ; ) , S. 189 u. i9Óf. drei Beispiele, bei Brandis (1968), S. 6; N r . 127—138, S. 67 N r . 146 u. S. 72 N r . 193 zusammen vierzehn vertreten sind. Z u berücksichtigen wären hier auch die Texte, auf die Seidel (1972), S. 6y{. u. S. 9; hingewiesen hat, vgl. in diesem Zusammenhang auch M e y e r (1989), S. 1 2 ; . Frau Dr. Betty Bushey ( M u L B Kassel) verdanke ich den Hinweis auf einen bisher unbekannten Trierer Textzeugen, vgl. G . Kentenich, Die juristischen Handschriften der Stadtbibliothek zu Trier. Trier 1919, S. 93, Hs. 1984. Darüber hinaus finden sich Prosaliebesbriefe auch in den folgenden Handschriften: München, U B . 4° Cod. ms. 775, Bl. 4 i v - 4 4 r u. ;2r—54V, vgl. K o m r u m p f / V ö l k e r , S. 187. Stuttgart, Württembergisches Hauptstaatsarchiv, K l . Söflingen, Büschel 54, Sign. D , vgl. M a x Miller, Die Söflinger Briefe und das Klarissenkloster Söflingen bei Ulm a. D . im Spätmittelalter. Würzburg-Aumühle 1940. Stuttgart, Württembergische Landesbibliothek, Cod. poet, et phil. 4 0 28, Bl. 7 i v b , vgl. Irtenkauf/Krekler, S. 93. D e r im K a t a l o g 636 der Firma Stargardt (Marburg 1986) unter N r . 1029 verzeichnete Originalliebesbrief in Prosa befindet sich inzwischen in einer Privatsammlung. 21 26 27 28

Meyer (1899). Vgl. die Literaturangaben bei Rheinheimer (197;), S. 1 8 9 - 1 9 9 . Ritter (1897). Henrich (1912), S. 555. Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Kritik

Schallers

( 1 9 7 7 ) an R u h e ( 1 9 7 5 ) , s. o. A n m . 3.

11

Als Problem im Bewußtsein der Forschung sind die damit angesprochenen Aspekte — Fragen nach den realen Existenzbedingungen der Texte — bis heute weitertradiert worden.' 0 Nachgegangen ist man ihnen auf einer breiter angelegten Materialbasis bisher allerdings noch nicht. »Daß eine erneute Aufarbeitung der spätmittelalterlichen Liebesbriefe und Liebesgrüße sehr erwünscht wäre«, 31 steht mittlerweile fest. Der Beitrag, den die folgende Untersuchung dabei zu leisten versucht, konzentriert sich auf die im Gesamtspektrum des Phänomens >Liebesbrief im Mittelalter< populärste Erscheinungsform der volkssprachlichen Tradition in Deutschland — Texte also, die als konstitutives Gestaltungsmerkmal Paarreime aufweisen. Im Mittelpunkt der Beschäftigung mit dem damit eingegrenzten Textkorpus, das im Anhang (Kap. 7) ausführlich dokumentiert wird, soll die >Schlüsselfrage< nach den realen Existenzbedingungen dieses Texttyps aus dem Bereich der spätmittelalterlichen Reimpaarkleindichtung stehen. Besondere Aufmerksamkeit beanspruchen in diesem Zusammenhang die folgenden Punkte: — Wieweit impliziert die Briefform ihre Funktion? — Welche >briefspezifischen< Funktionen sind bei diesen Texten überhaupt denkbar? — Lassen sich die Texte auf bestimmte Entstehungs- und Gebrauchszusammenhänge festlegen? — Kann man allein individuell-private Konservierungsinteressen für die massenhafte Überlieferung dieser Texte verantwortlich machen? Da entscheidende Anhaltspunkte, die in diesen Fragen weiterführen können, nur im handschriftlichen Kontext zu erwarten sind, ist die folgende Untersuchung dezidiert überlieferungsgeschichtlich ausgerichtet.

29

Panzer (1900), S. 552. ' " V g l . zuletzt Glier (1987), S. 122. >' Schmidtke (1981b), S. echte< Liebesbrief ist im Mittelalter nicht zu erwarten: Die originalen Liebesbriefe unterscheiden sich in dem Sinne, in dem Schaller sie differenzieren will, nicht von den fiktiven literarischen Gattungsformen. . ,6 lieferungsgeschichtlichen Relevanz praktischer Durchführung ist die Vernichtung von Liebesbriefen durch einen der beiden Briefpartner in den Texten selbst thematisiert worden, ζ. B. in einem Liebesbrief der >Losse-Sammlung< (Kassel 2° Ms. iurid. 25, 2.): Frowe maniger fügenden vol, daz wende mit der helfe din, so musze ich kleines brivelin von dir verbrennet werden. In der Ausgabe von Stengel/Schäfer, S. 99; Nr. 1809 V . 40-45. In diesem Zusammenhang ist auch noch ein »Volkslied des X V . Jahrhunderts« interessant, das W. Wackernagel in der Z f d A 5 (184;), S. 4 ΐ γ £ veröffentlicht hat. Die 2. Strophe beginnt: D u bist min art vnd bist min drost, vnd haist mineß hercen grosen gewalt Si sprach zurissen sint die brief, die liebe ist sich worden kalt, > Schaller (1977), S. 307. Ebd. S. 308. Vgl. in diesem Zusammenhang auch den jüngsten Diskussionsbeitrag von Martin Camargo, The Middle English Verse L o v e Epistle. Tübingen 1991 (Studien zur englischen Philologie 28), bes. Kap. 1. ' Ebd. S. 307. 6 Ruhe (1975), S. 62. Vgl. auch Wallmann (198;), S. 257 Anm. 47.

4

15

Es erübrigt sich, hier für eine der beiden Positionen Partei zu ergreifen, denn letztendlich ist es ein Scheingefecht: Die mittelalterlichen »Originalliebesbriefe«, die Schaller übrigens gar nicht vermißt, deren »Nichtvorhandensein« er vielmehr zu erklären versucht, lassen sich eben nicht in Relation setzen zu den Texten, die in der Uberlieferung erhalten geblieben sind: »Daß die Masse der Texte aber, die unter Millionen Menschen des europäischen Mittelalters in irgendeiner Brieffunktion Mitteilungen jedweder Art transportiert haben, um ein Vielfaches größer war als das Erhaltene und daß der Liebesbrief dabei >in einer Skala der Überlieferungschancen am ungünstigsten Ende< gestanden hat, dürfte sich bei Anstrengung eines kulturhistorischen Vorstellungsvermögens von selbst ergeben, auch wenn die Testimonien hierfür gar nicht vorhanden wären.«7 An der Originalität im Sinne Schallers hat man bei den bisher bekannt gewordenen deutschen Liebesbriefgedichten aus dem Spätmittelalter, die auf Einzelblättern überliefert sind, nie ernsthaft gezweifelt. 8 Bei der Identifizierung solcher Texte als »Original« glaubte man sich über die Einzelblattüberlieferung hinaus auch noch auf andere Uberlieferungsmerkmale stützen zu können, die für Entstehungs- und Gebrauchszusammenhänge im Kontext einer realen Liebesbeziehung zu sprechen schienen.

2.1.

Ein Rotulus

Als Kronzeuge des »anmutigen Verkehrs aus dem Leben«9 gilt der sogenannte >Regensburger Liebesbrief< (heute B S B München): »Cod. germ. 189 ist der älteste deutsche Liebesbrief, der uns in der Urschrift erhalten ist. Er ist in der zweiten Hälfte des X I V . Jahrhunderts, nach Docen etwa um 1360, geschrieben worden auf einem schmalen, über 40 cm langen Pergamentstreifen, der zusammengerollt der unbekannten Adressatin überbracht wurde. Gefunden wurde der Brief, dessen Mundart einen bayerischen Schreiber bezeugt, von Landgerichtsdirektor von Gemeiner in Regensburg, der seinen Fund an Docen überließ.«10 Mit diesem Kommentar zu Abbildung und Transkription des Denkmals in dem 1924 erschienenen IV. Band der »Deutschen Schrift7 ! 9 10

Schaller (1977), S. 308. Vgl. ζ. B. Brandis (1968), S. 17. Petzet/Glauning, K o m m e n t a r zu Tafel L I V . Ebd.

16

tafeln« stehen die Herausgeber Erich Petzet und Otto Glauning in einer originär romantischen Deutungstradition der besonderen Überlieferungsmerkmale des >Regensburger LiebesbriefsRegensburger LiebesbriefsWigamurSchreiberschlußgebetSprecherRegensburger Liebesbriefs< nicht nur um einen rein zufalligen Reflex dieser »Sprecherpraxis«, denn: »Diese >sprechaere< dürften in ihrem Repertoire sicher alle Arten von Reimpaarreden gehabt haben, also auch Minnereden.«' 4 — Und Liebesbriefgedichte? Die besonderen Überlieferungsmerkmale des >Regensburger Liebesbriefs< sprechen nicht dagegen: »Stellt man zusammen, Unterscheidung verzichten, denn auch die von den Autoren selbst verfaßten >Vortragsfloskeln< können für den Gebrauch des Sprechers bestimmt sein.« Vgl. Mihm (1967), S. 87. Über das »Reimregister« bei Brandis (1968), S. 309 lassen sich weitere Belege aus dem Bereich der Minnereden ermitteln. >' Mihm (1967), S. 8 7 f. Vgl. Mihm (1967), S. 88f. Eine Quellenanalyse liefert auch Ursula Peters, Herolde und Sprecher in mittelalterlichen Rechnungsbüchern. Z f d A 105 (1976), S. 233-250. " Mihm (1967), S. 89. Vgl. auch Mundschau (1972), S. 21: »Die Frage, wann innerhalb der Spielleute der Sprecher vom Sänger geschieden wurde, bzw. wann Sprecher erstmals als Gruppe neben anderen Spielleuten verstanden wurden, ist zugleich die Frage nach dem Aufkommen oder Wiedererstehen literarischer Kleinformen, die allein das Vorlesen, das Auswendig-Sprechen, nicht aber Gesang verlangten. Der Anfang einer entsprechenden Entwicklung liegt irgendwann im dreizehnten Jahrhundert. Vielleicht beim Stricker. Die neue Gattung muß sich plötzlich großer Popularität erfreut haben. Es zeigt sich aber, daß das massierte Auftreten der fahrenden Sprecher gegen Ende des vierzehnten Jahrhunderts mit der Blütezeit der kleinen Reimpaardichtungen, der >Vielzahl von historischen, didaktischen, persönlichen und komischen Sprechgedichtenverschiedenen Arten von Minne- und Streitreden und weltlichen und geistlichen Erzählungen< zusammenfallt.« >4 Schierling (1980), S. 180.

20

was sonst noch auf Rollen geschrieben wurde, so scheint es, daß Pilger und andere wenig seßhafte Leute sich gern dieser handlichen Form bedienten.«35 Im öffentlichen Vortrag eines Sprechers sind selbständige Liebesbriefgedichte als flexible Versatzstücke durchaus denkbar, und vor allem das Botenmotiv ist in der Gestalt, in der es bei diesem Texttyp zuerst im >Regensburger Liebesbrief auftaucht, für unterschiedliche Formen einer öffentlichen Inszenierung geradezu prädestiniert: vil lieber prief nu var mit hail du gewinnest aller saelden tail alz ich dich beschaiden chan dich siecht mein fraw selber an daz ist dir ein michel er dir widervert noch eren mer davon piz fro daz ich dich send si pewt nach dir ir weizze hend, V . i—8.

Prominentester Autor mit Gespür für den besonderen Unterhaltungswert einer solchen Passage ist Heinrich Wittenwiler. In seinem >Ring< begleiten die Worte: Var hin, brief, dar ich dich sende! Dich enphahend weisse hende.' 6

den Versuch einer Liebesbriefzustellung, von dem die Empfängerin Mätzli Rüerenzumpf, Geliebte des Absenders und Protagonisten Bertschi Triefnas, buchstäblich erschlagen wird. 57 Unmittelbare Abhängigkeiten gibt es unter den zahlreichen von Edmund Wiessner im Kommentar zu dieser Textstelle zusammengestellten Parallelen, von denen die im >Regensburger Liebesbrief< die einzig frühere ist, nicht.' 8 Ange" Bischoff (1986), S. 53. Eine in diesem Zusammenhang vielleicht näher liegende Darstellung als die »Bilder der Liederhandschriften«, auf die Bischoff hier verweist, hat Klapper unter den Motiven aus dem Spielmannsleben in den Drolerien des Randleistenschmucks einer Breslauer Handschrift gefunden: »Ein Sitzender weist mit der Rechten auf einen Pergamentstreifen, den er in der Linken hält. Ein Stehender macht mit der Linken eine lebhafte Vortragsgeste, in der Rechten hält er wohl ein Pergamentblatt.« Josef Klapper, Die soziale Stellung des Spielmanns im 13. und 14. Jahrhundert. Zeitschrift für Volkskunde 40 (1930), S. 1 1 1 — 1 1 9 . Ebd. S. 1 1 3 . Daß es reizvoll ist, »solche Exemplare unter den erhaltenen Textzeugen zu suchen«, bestätigt Joachim Heinzle, der aber - auf jeden Fall wohl im Bereich der Mittelhochdeutschen Dietrichepik< - grundsätzlich mit der Aussichtslosigkeit eines solchen Unterfangens rechnet, vgl. Heinzle (1978), S. 82—92, bes. S. 91 Anm. 109. ,6

Wiessner (1931), S. 78 V . i 9 2 i f . " Z u dieser Szene vgl.: Helmut Arntzen, Satire in der deutschen Literatur. Geschichte und Theorie. Bd. 1: Vom 12. bis zum 17. Jahrhundert. Darmstadt 1989, S. 88. j! Vgl. Wiessner (1936), S. 87. Unabhängig davon vgl. auch die Textbeispiele von Purkart (1970), S. 118—134.

21

sichts der Variabilität des Wortlauts im Detail könnten für die massenhafte Verbreitung des Brief-Boten-Motivs über die schriftlich nachweisbare Überlieferung hinaus vielleicht auch mündliche Tradierungsmechanismen verantwortlich gemacht werden. Bei den Liebesbriefeinlagen im weltlichen Spiel, greifbar allerdings erst in relativ später Überlieferung," muß man wohl fest mit dieser Möglichkeit rechnen. Im übrigen bleibt auch im Rahmen der Sprecherpraxis die Möglichkeit bestehen, einen Text wie den >Regensburger Liebesbrief als Schriftstück abzuliefern oder zuzustellen — die Frage ist nur: wem? In zwei von Heinz Mundschau ermittelten Belegen für die Beteiligung von Sprechern an der Überlieferung didaktischer Kleinliteratur »geht es beide Male darum, daß ein solches literarisches Erzeugnis in schriftlicher, vom Sprecher bestimmter Form, dem Liebhaber übergeben wurde, wobei das zweite Zitat den Sprecher als Autor des Geschriebenen ausweist: >want hi ene sproke gemaect hadde.< Inwieweit es sich dabei wirklich um ein Original handelt, läßt sich natürlich nicht sagen.«40 Als literarische Sammelobjekte, um die es hier geht, sind selbständige Liebesbriefgedichte spätestens seit Anfang des 14. Jahrhunderts durch die >Zürcher Liebesbriefe< (vgl. Zürich R P 3) belegt, und als solches dürfte auch der >Regensburger Liebesbrief< seinen »Liebhaber« gefunden haben.

2.2.

Fragmente

Potentielle Liebesbriefrollen, Pergament- oder Papierstreifen mit dem entsprechenden Textbestand, können auf eine ganz profane Weise zustande gekommen sein: indem man die beiden Kolumnen eines zweispaltig beschriebenen Blattes einfach auseinander geschnitten hat. Das beste Beispiel für diesen Vorgang ist ein Liebesbrieffragment, das sich unter der Signatur Letterk. 216 in der Leidener Universitätsbibliothek befindet. 41 Daß die »zwei Pergamentstreifen« 42 zusammengesetzt den oberen Teil eines Großfolioblattes ergeben, beweist die 59

40

41

Vgl. Bauer (1982), S. 7 3 - 8 8 u. 4 9 4 - 4 9 6 Nr. } >Aristotiles der haydc Brieff, nun far hin pehende vnd antburt dich in ir schneibeisse hende! V . io2f. Mundschau (1972), S. 89. Vgl. Brandis (1968), S. 245. Meyer (1899), S. 88.

22

bildliche Darstellung eines traditionellen Liebessymbols (pfeildurchbohrtes Herz), das vor dem Zerschneiden zwischen den beiden Kolumnen eingezeichnet worden ist (vgl. Abb. 3). Ob das Blatt mit dem mittelniederländischen, wohl um 1400 aufgezeichneten Textzeugen, »dessen evidente Kopierfehler . . . auf eine lit. Spielform schließen lassen«,4' ursprünglich zu einem Kodex gehört hat oder als selbständiges Einzelblatt angelegt worden ist, kann nicht mehr festgestellt werden. Als Indizien für eine geplante Zustellung in Rollenform wertet HansFriedrich Rosenfeld sogar noch bei einem Textzeugen aus dem 15. Jahrhundert die zu beobachtenden Überlieferungsmerkmale: »Bei arbeiten im Statthaltereiarchiv zu Innsbruck unterzog ich auch einer durchmusterung was sich dort im laufe der zeit an handschriftenfragmenten . . . angesammelt hatte, dabei stieß ich auf einen liebesbrief, der so wie er geschrieben ist, offenbar bestimmt war, zusammengerollt und verschickt zu werden: ein papier-folioblatt ist parallel zur längsseite gebrochen und nur das so entstandene schmale vorderblatt beschrieben.«44 Liebesbriefe aus dem 15. Jahrhundert, bei denen es sich nachweislich um Originale handelt,4' sind anders zustellungsfertig gemacht worden: Nachdem man das Blatt einseitig mit dem Brieftext beschrieben hatte, wurde es zu einem kleinen Rechteck zusammengefaltet, eventuell mit einem Fädchen oder winzigen Pergamentstreifen durchzogen und versiegelt.46 43 44

41

v. Oostrom (1983), Sp. 666. Rosenfeld (1930), S. 41. Bei dem von Rosenfeld »weiter unten beschriebenen stück« (ebd.) handelt es sich um eine nur fragmentarisch erhaltene Tierfabel, vgl. Dikke/Grubmüller, S. 626 Nr. 543. Vgl. demgegenüber aber auch Blank (1985b), Sp. 786f. Z u solchen »Tierbriefen« in der lateinischen Liebesbrieftradition vgl. auch: HansMartin Schaller, Scherz und Ernst in erfundenen Briefen des Mittelalters. In: Fälschungen im Mittelalter. Internationaler Kongreß der Monumenta Germaniae Histórica. München, 16—19. September 1986. Teil V : Fingierte Briefe, Frömmigkeit und Fälschung, Realienfälschung. Hannover 1988 ( M G H . Schriften 33, V), S. 79-94. Bei >Zingerles Handschrift aus dem 16. Jahrhundert, einem fliegenden Blatt mit einem Liebesbriefgedicht, ist der »Verbleib unbekannt«, vgl. Brandis (1968), S. 72 N r . 1 8 6 u. S.

46

27zf.

Den technischen Ablauf der Briefherstellung beschreibt übrigens schon Otte in seinem >Eraclius< ganz genauso: Die brief waren getihtet Geschriben unde gerichtet Si waren zesamne geleit D o man vielt unde besneit Man warmde wahs daz waz zetriben Si wurden gesigelt und uberschriben, V . 1873—1878 (B). Vgl. Otte, Eraclius. Hrsg. v. Winfried Frey. Göppingen 1983 ( G A G 348), S. 39.

23

Die äußerst dürftigen Angaben über einen solchen Originalliebesbrief, dessen »Verbleib unbekannt«47 ist, um 1822 befand er sich den Angaben des Herausgebers zufolge »im Archiv zu Königsberg«, 48 lassen sich anhand eines erst kürzlich aufgetauchten Denkmals verifizieren (vgl. Abb. 4).49 Abgesehen von einigen formelhaften Versatzstücken, die sich keineswegs nur aus dem Inventar spätmittelalterlicher Liebesbriefgedichte rekrutieren, iC sind diese Originale übrigens überwiegend in Prosa abgefaßt.' 1 In dieser Beziehung macht vielleicht das von Borchling in dem »Convolute alter Hss.-Reste I A 24«'2 der Universitätsbibliothek Amsterdam entdeckte Liebesbriefgedicht eine Ausnahme. Das Blatt Papier, auf dem der dreißig Verse umfassende Text steht, weist die typischen Falz-, allerdings keine Siegelspuren auf. Im übrigen stehen »auf der Rückseite hd. Tuchrechnungen von derselben Hand«. Daraus schließt Borchling, daß es wohl »aus einem Rechnungsbuche gerissen sein« wird, »in das der Schreiber seinen Herzenserguß eingetragen hatte«." Umgekehrt ist die Reihenfolge der Beschriftung wahrscheinlicher. Denn während der Liebesbrief praktisch die eine Seite des Blatts im Querformat vollständig ausfüllt, nimmt die Rechnungsnotiz auf der Rückseite nur deren linke Hälfte ein, die nach der Faltung innen gelegen hat und sich dadurch, daß sie weniger verschmutzt worden ist als die außen liegende rechte, für eine Beschriftung durchaus noch eignete (vgl. Abb. 5). Weitere Anhaltspunkte, mit denen sich eine endgültige Fixierung der ursprünglichen Entstehungs- und Gebrauchszusammenhänge dieses Blatts absichern ließe, gibt es darüber hinaus nicht.

47

Blank (1985b), Sp. 788. Für seine Hilfe bei der leider bislang erfolglosen Suche nach diesem Textzeugen danke ich Herrn Dr. Klaus Neitmann (Geheimes Staatsarchiv Preußischer Kulturbesitz Berlin/West). 48 Voigt (1822), S. 182. 49 Vgl. den Auktionskatalog Nr. 636 des Antiquariats J . A. Stargardt. Marburg 1986, S. 312 Nr. 1029: »>Liebesbrief „ ¡x^w - e -rfì;. .vtf fi^f. ¡pzúffiMskW«»*. />....,. » . -y««·· —v,.¡> -»L«. r—i iCfLM^ 0LJf fc'~* φ* fi·-*· Γ1— — »ώ.,ρ œ^j ^at-(vii.ntjfe, y Çy (VW- ET,».. (V—B^r? ' Ρ, R i ... a » . ftp« I g ? if. ,-Uxí' aXtfc. tfnψ— Gf«·· groschenheft- oder taschenbuchartiger Broschüren< gibt es im Bereich der spätmittelalterlichen Reimpaarkleindichtung noch weitere Beispiele, die im übrigen auch deutlich machen, daß nicht nur die Publikationsform der Einzelausgabe kleinepischer Texte betroffen ist. Z u nennen wäre hier neben der »Kleinsammlung mittelhochdeutscher Reimpaardichtungen«, die Reinhard Bleck in dem Fragment Hs 42 531 des Germanischen Nationalmuseums Nürnberg vermutet,' 6 vor allem eine Liebesbriefsammlung in der Handschrift R P 3 der Zentralbibliothek Zürich, die in überlieferungsgeschichtlich ausgerichteten Forschungsbeiträgen zur Reimpaarkleindichtung bisher unberücksichtigt geblieben ist. 17

" Schröder (1970), S. X V I I I . D i e Handschrift gelangte als G e s c h e n k E d w a r d Schröders in den Besitz der Österreichischen Nationalbibliothek Wien, w o sie unter der Signatur C o d . Ser. N o v . 259} a u f b e w a h r t wird. " Schröder (1970), S. I X u. X V I I I f . 14 M i h m (1967), S. i 4 f . A n m . 7. '> M i h m (1967), S. i2.{. ' ' V g l . Bleck (1987). ' 7 V g l . aber Brandis (1968), S. 72 N r . 1 8 7 - 1 9 2 .

32

j . i . Die >Zürcher Liebesbriefe< Daß diese Zürcher Handschrift in Zukunft nicht mehr zu übersehen sein wird trotz des ausgesprochen winzigen Formats (6,9 > Vgl. Meyer (1899), S. 59-66. Dazu Schiendorfer (1988), S. 85: »Wie leicht ersichtlich ist, reihen sich die Zürcher Briefe getreulich in die Traditionslinie der deutschen höfischen Romandichter ein.« M Schiendorfer (1988), S. 86.

33

eine Sammlung authentischer Liebesbriefe, die erst nachträglich von der Empfängerin zu einem Büchlein zusammengebunden worden sind, wie A. Ritter es sich ausmalte«?2' Vergleichbare Spekulationen darüber, ob »es womöglich die - nach Zürich zugewanderte - Empfängerin selbst gewesen sei, welche die ihr anverehrten Liebesbotschaften in ein intimes Cahier d'amour kopierte«, sind ebenso reizvoll wie müßig, denn für eine individuelle Bestimmung der Briefe im Sinne Ernst Meyers gibt es keine Beweise. 26 Genährt werden solche Spekulationen aber nicht zuletzt durch den ungewöhnlichen Fundort, an dem das Heftchen 1843 zufällig »bei einem Hausumbau am Zürcher Rennweg zwischen zwei Balken«27 entdeckt wurde. Wo sich diese beiden Balken in dem 1 9 1 1 komplett abgetragenen Gebäude befunden haben, wird sich wohl nicht mehr ermitteln lassen, denn schon mit Ettmüller hat eine Tendenz zur Legendenbildung um diesen Ort eingesetzt, die eine Lokalisierung vom »Estrich«28 über das »Wandgebälk«29 bis hinauf zu den »Dachbalken«50 möglich macht. Aber auch unabhängig davon, in welchem Geschoß 3 ' nun das Manuskript 1843 zwischen den — in den unterschiedlichen Fundberichten immerhin übereinstimmend genannten — beiden Balken zum Vorschein gekommen sein mag, Anhaltspunkte dafür, daß es vierhundert Jahre zuvor an diesem »obskuren Aufbewahrungsort«' 2 vorsätzlich versteckt worden ist, gibt es nicht. Das Heftchen mit den >Zürcher Liebesbriefen< könnte auch ganz profan und unabsichtlich an seinen späteren Fundort gelangt sein. Möglicherweise auf die gleiche Art, der einige spätmittelalterliche Andachtsbilder von nicht viel größerem Format in dem niedersächsischen Kloster Wienhausen ihre Konservierung verdanken: Die kleinen Andachtsbilder lagen im Nonnenchor des Klosters unter dem Chorgestühl, das an drei Seiten des Raumes die Wände bedeckt. Die vierte nimmt der Altar ein. Die hintere Reihe des Gestühls steht um eine Stufe 21

Ebd. S. 8i. Ebd. S. 84 u. S. 86. 27 Ebd. S. 78. >Zürcher Liebesbriefe aus der Zeit des Minnesangs° Ludwig Ettmüller, Herbstabende und Winternächte. Gespräche über Deutsche Dichtungen und Dichter. 2. Bd.: Erzählende Dichtungen des dreizehnten bis sechszehnten Jahrhunderts. Stuttgart 1866, S. ¡ 1 0 . '' Estrich könnte im Schweiz. Sprachgebrauch auch Dachboden bedeuten. Trotzdem bleiben diese Angaben unverbindlich. ,2 Schiendorfer (1988), S. 84. 16

34

höher als die vordere. Breite Eichenbohlen bilden den Fußboden. Weil diese im Lauf von sechseinhalb Jahrhunderten schrumpften, haben sich zwischen ihnen Spalten in der Breite eines Briefkastenschlitzes aufgetan. In all den Jahren muß eine Menge Abfall dort hineingefegt worden sein und mit ihm viele Kleinigkeiten, die im Nonnenchor benützt worden sind." Relevanter als die F r a g e nach dem rätselhaften F u n d o r t der Handschrift R P 3 ist f ü r die Überlieferungsgeschichte spätmittelalterlicher Liebesbriefgedichte die F r a g e , o b das Manuskript in der Gestalt, wie es gef u n d e n w o r d e n ist, auch tatsächlich noch die ursprüngliche

Anla-

geintention des A u f t r a g g e b e r s oder Herstellers repräsentiert. Mit anderen Worten: Was deutet bei der Handschrift R P 3 darauf hin, daß ihre P r o d u k t i o n mit dem Wunsch nach einer selbständigen B r i e f s a m m l u n g verbunden gewesen ist? Breiter angelegte Sammelinteressen, zumindest im Hinblick auf formale Gestaltungsmöglichkeiten v o n Minnetexten, verrät das Gedicht am E n d e der S a m m l u n g (Bl. ητ— 8r), auf das noch anderthalb unbeschriebene, gleichwohl sorgfältig linierte Seiten folgen. Uber jeden Z w e i f e l ebensowenig erhaben ist der >Schutzumschlag4 Schiendorfer (1988), S. 78. Vgl. auch J . S.-G., Rez. zu Schiendorfer (1988). A f d A 100 (1989), S. 1 3 8 - 1 4 2 . " Bergmann (1986), S. 4 1 3 Nr. M 32. In diesem Zusammenhang ist auch das Fragment eines mhd. Andachtsbuches im Format 10,5 χ 6,7 cm interessant, das sich in der Würzburger Universitätsbibliothek befindet (Signatur M.p.th.o. 28), vgl. Die Handschriften der Universitätsbibliothek Würzburg. Bd. 4: Die Handschriften der kleinen Provenienzen und Fragmente. Bearbeitet von Hans T h u m . Die mittelniederländischen

35

und Gebete, Texte also, mit denen zusammen Liebesbriefgedichte in umfangreichen Sammlungen überliefert sind (vgl. ζ. B. Berlin Mgq 1745)· In der Überlieferungsgeschichte spätmittelalterlicher Reimpaarkleindichtung wäre es übrigens kein Einzelfall, daß aus dem Buchblock einer Sammelhandschrift einzelne Faszikel zur selbständigen Weiterbenutzung herausgelöst worden wären. Die beiden Beispiele, auf die Kiepe im Zusammenhang mit der Priamel-Überlieferung verweist (Donaueschingen A III 19 und Donaueschingen A III 20),'6 waren ursprünglich allerdings auch als selbständige Heftchen angelegt und produziert worden — von dem auf diese Form der Publizierung spezialisierten Nürnberger Schreiber.

J0

Codices beschrieb Werner Williams-Krapp. Wiesbaden 1990, S. 226. Winzige Formate gibt es auch bei mittelalterlichen Handschriften mit lateinischem Textbestand: ζ. B. Salzburg, Bibliothek des Benediktinerstiftes St. Peter, Cod. a l o mit 3,7 χ 3,1 cm; Melk, Stiftsbibliothek, Cod. 1848 (1862, 1 8 2 ; ) mit 7 χ ; cm. Auf kleinformatige Drucke konzentriert sich die folgende Monographie: Louis Wolfgang Bondy, Miniaturbücher. Von den Anfangen bis heute. München 1988. Kiepe (1984), S. I i u. 177.

36



Sammelhandschriften

Die überlieferungsgeschichtliche Bedeutung spätmittelalterlicher Sammelhandschriften hat Konrad Burdach schon 1888 erkannt, angeregt durch den Handschriftenkatalog der Heidelberger Universitätsbibliothek von Karl Bartsch:' Auch die Handschriften sind litterarische Individuen, nicht blos die einzelnen poetischen Productionen. Besonders charakteristische Individuen nebenbei bemerkt die Sammelhandschriften. Auf sie hat man besonders zu achten: denn mehr als in der einfachen Niederschrift eines einzelnen Werkes zeigt sich in der Zusammenstellung einer Reihe von litterarischen Erzeugnissen verschiedener Art zu einem Corpus ein bestimmtes litterarisches Bedürfnis, ein bestimmtes Publikum, eine bestimmte ästhetische Neigung. Eine zusammenhängende, scharf charakterisierende Betrachtung der altdeutschen Miscellanhandschriften (ζ. B. Pal. germ. 313. 314. 341, Lassbergs Hss., Liederbuch der Hätzlerin) würde der Litteraturgeschichte einen grossen Dienst leisten.2

Auf die Aktualität dieser Äußerungen im heutigen Forschungsinteresse wurde in unterschiedlichen Beiträgen zur Überlieferungsgeschichte spätmittelalterlicher Literatur mehrfach hingewiesen.' Und auch die Literaturgeschichtsschreibung selbst ist inzwischen dazu bereit, spätmittelalterlichen Sammelhandschriften einen adäquaten Platz einzuräumen.4 Relevant geworden sind sie hier vor allem für die Überlieferung von Texten aus dem Bereich der Reimpaarkleindichtung: »Wie bei ihrer großen Zahl und Vielfalt kaum anders zu erwarten, wurden kleine Reimpaargedichte als Einzelstücke oder in Gruppen in die heterogensten Kontexte aufgenommen (u.a. Heldenepik, Minnesang, geistliche und juristische Sammlungen), ohne daß dahinter jeweils ein bewußtes Ordnungsprinzip zu erkennen wäre. Es ist jedoch kaum ein Zufall, daß diese Gedichte durch die Jahrhunderte hindurch ausschließlich oder zu großen Teilen Sammelhandschriften füllen.«' 1

Bartsch (1887). Konrad Burdach, Die pfälzischen Wittelsbacher und die altdeutschen Handschriften der Palatina. Centralblatt für Bibliothekswesen 5 (1888), S. 1 1 1 - 1 3 3 . Ebd. S. 132. ' V g l . Weck (1982), S. 257. 4 Vgl. Glier (1987), S. 1 9 - 3 3 . ' Ebd. S. i9f. Vgl. auch S. 23: »Man muß sich gewiß davor hüten, von mittelalterlichen 2

57

Z u den literarischen Sammelobjekten, die in dieser Überlieferungsform im Spätmittelalter mit am kontinuierlichsten präsent sind, gehören die Texte vom Typ Liebesbrief.

4.1.

Liebesbriefe in S a m m l u n g e n mit Reimpaarkleindichtung

In der Überlieferungsgeschichte spätmittelalterlicher Liebesbriefgedichte kommt zwei in Aufbau und Umfang ganz unterschiedlichen Handschriften aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts — Donaueschingen Cod. 104 (>Liedersaal-HandschriftHero und LeanderMinnelehre< Johanns von Konstanz 10 in der Dresdner Handschrift. Berührungspunkte der beiden Traditionslinien mittelSammelhandschriften poetologische Konsequenz im modernen Sinne zu erwarten. Neben den Interessen des Sammlers oder Auftraggebers bestimmte ihre Zusammenstellung sicher oft, was an Vorlagen zur Hand war. Doch wäre es ebenso bedenklich, ins andere Extrem zu verfallen und nichts als Zufall oder Willkür am Werke zu sehen.« 6 Ebd. S. 29. 7 Hefti (1980), S. 13. ' Nach Lassbergs (Bd. III) Zählung Nr. 222. 9 Vgl. Fechter (1981). ,0 Vgl. Glier (1985).

38

hochdeutscher Liebesbriefgedichte, eben der an einen erzählerischen Kontext gebundenen und der selbständigen, werden damit in der Überlieferung auch ganz unmittelbar greifbar. Daß in beiden Handschriften der Anlage und Anordnung des aufgezeichneten Textbestands eine besondere Kompositionsstruktur zugrunde liegt, haben Untersuchungen zum jeweiligen Aufbau mit mehr oder weniger überzeugenden Argumenten im Hinblick auf das Zustandekommen der ermittelten Kompositionsstrukturen zu zeigen versucht." Welche Konsequenzen sich daraus für die Bedeutung und den Stellenwert der Briefgruppen in einer solchen Anlageform der Handschriften ergeben, wird für den jeweiligen Einzelfall genauer zu analysieren sein.

4 . 1 . 1 . Die >Konstanzer Liebesbriefe< in der >Liedersaal-Handschrift< Aus der Beschäftigung mit den in der Donaueschinger Handschrift aufgezeichneten Liebesbriefen heraus hat das Verhältnis dieser gegenüber der Dresdner Handschrift in der Forschungsgeschichte noch eine ganz besondere Dimension gewonnen. Ernst Meyer glaubte sich in der Einleitung zu seiner 1899 veröffentlichten Dissertation in dem seinem »Vorgänger« Albert Ritter (der bereits 1897 eine Dissertation über die Liebesbriefe in der Donaueschinger Handschrift vorgelegt hatte) versagt gebliebenen »Glück«, in der Dresdner Handschrift »acht aus der (Donaueschinger, J.S.-G.) Sammlung verloren gegangene Liebesbriefe«'* wieder aufgefunden zu haben. »Den genauen Beweis dafür, dass die Briefe der Dresdener Hs. aus dem (Donaueschinger, J.S.-G.) Liebesbriefsteller stammen«, 1 ' meinte Meyer in einer eigenständigen Rezension zu der Dissertation von Ritter liefern zu können. 14 Daß bei Meyer tatsächlich wohl aber eher der Wunsch Vater des Gedankens und Glücksgefühls gewesen ist, ließen dann sehr bald die Rezensionen zu seinen eigenen Arbeiten und Ergebnissen vermuten, in denen der Auffassung von einem beweisbaren Zusammenhang der Donaueschinger und Dresdner Liebesbriefe begründet widersprochen worden ist. 1 '

" Vgl. Niewöhner (1942) zur Donaueschinger, Hefti (1980), S. 30—32 zur Dresdner Handschrift. 12 Meyer (1899), S. 5. " Ebd. S. 6. 14 Vgl. Meyer (1899a). '' Vgl. Zwierzina (1901). Panzer (1900). Henrich (1912).

39

Nur zu gut verständlich ist aber auch heute noch der Wunsch nach >Vervollständigung< der >Konstanzer Liebesbriefe^ wenn man die >Liedersaal-Handschrift< vor Augen hat und vor allem den Bereich betrachtet, in dem die Liebesbriefe notiert worden sind und die Texte, die wohl schon relativ früh verloren gingen,' 6 aufgezeichnet waren: »Die Handschrift enthält heute 258 Bll. Papier. Die alte, vom Schreiber selbst herrührende Blattzählung, die von 5 bis 269 läuft, weist aus, daß Bl. 1—4. 10—13. 2 4· 2 ^4· verloren sind. Die Lagen III bis XXII (Bl. 25-263 und das verlorene Blatt 264) sind Sexterne; auch die beiden ersten waren es. . . . Von Bl. 1—12 sind nur die beiden innersten Doppelblätter, Bl. 5/8 und 6/7 erhalten, von der II. Lage die vier inneren Doppelblätter, Bl. 15—22.«17 Der zu vermutende Textverlust ist am Anfang der Handschrift, also dort, wo die heute noch erhaltenen Liebesbriefe stehen (Bl. jr— i9r), am größten. Von der Voraussetzung ausgehend, daß alle die zu Beginn der Handschrift fehlenden Blätter beschrieben gewesen sind — und zwar mit deutschen Liebesbriefen — , hat Meyer den ursprünglichen Gesamtumfang der /Konstanzer Liebesbriefe< zu berechnen und rekonstruieren versucht: a u f den vier mitten a u s der einheitlichen S a m m l u n g h e r a u s g e r i s s e n e n blättern 10—13 haben sicherlich nur zum briefsteller gehörige stücke gestanden; da das blatt im durchschnitt 1 6 4 W . enthält, so fehlen zwischen den briefen L . χ u. xi ca. 656 verse, ein w e n i g schwieriger ist die frage, o b auf den vier verlorenen anfangsblättern der hs. (das erste bl. ist mit der zahl 5 numeriert) sich gleichfalls nur stücke der briefsammlung befunden haben, wir dürfen die frage mit einiger Wahrscheinlichkeit bejahen: es ist kaum anzunehmem, dass diesem kräftigen grundstock unseres sammelcodex noch kleinere sachen vorangegangen sind, demnach wären im anfang des briefstellers nochmals ca. 656 v v . verloren gegangen, die das in L . xxiii i f erwähnte v o r w o r t sowie mehrere briefe enthalten haben, in der Donaueschinger hs. fehlen demnach rund

1300

vv.,

der ganze liebesbriefsteiler umfasste ursprünglich

rund

3000. 1 8

Im Endeffekt erweckt dieses Verfahren doch eher den Eindruck einer Milchmädchenrechnung als den einer abgesicherten Methode, um über den anzunehmenden Textverlust zu brauchbaren und weiterführenden Erkenntnissen über den ursprünglichen Gesamtumfang des in der >Lie16

17 18

Dazu bemerkt Niewöhner (195 î), S. L X X X : »Die Handschrift weist eine alte Lagenbzw. Blattzählung auf, die wohl für den Buchbinder angebracht wurde, dem die Hs. schon am Anfang verstümmelt vorlag.« Ebd. S. L X X I X und Anm. 2. Meyer (1899a), S. 371.

40

dersaal-Handschrift< fragmentarisch überlieferten Liebesbriefstellers zu gelangen. Man mag mit Meyer »auf den vier mitten aus der einheitlichen Sammlung herausgerissenen blättern 10—13 · · • z u m briefsteiler gehörige stücke« vermuten, alles andere als zwingend ist jedoch die Annahme, es könne sich dabei nur um Liebesbriefe gehandelt haben. So lassen sich im übrigen auch keineswegs alle erhaltenen Stücke eindeutig als Liebesbriefe verbuchen. Daß es sich bei dem Stück Nr. 19 nicht um einen Liebesbrief handeln kann, geht allein schon aus der Inhaltsangabe Lassbergs zu diesem Text hervor: Der Minner spricht die Minne an, daß sie ihm die Geliebte geneigt mache: die Minne rathet ihm von dieser Liebe abzulassen. E r fordert von ihr, sie soll ihm das wieder schaffen, was er der Geliebten zu Pfand gegeben: dagegen die Minne behauptet, daß er nichts zu verlangen berechtiget sei; worauf er sieben Zeugen, darunter die Minne selbst, anführt, daß die Geliebte ihn bestohlen habe. Die Minne entgegnet ihm, daß sein Beweis nicht voll seie; weil sie nicht für ihn zeugen wolle, indem er keine Ursache zu klagen habe; nun bittet er sie, wenigstens sein Bote zu der Geliebten zu sein und sie von ihm liebevoll zu grüssen.' 9

In der Handschrift selbst ist die Überschrift Dialogus nachträglich eingetragen worden. Dem Schriftduktus dieser Eintragung nach zu urteilen, könnte die Überschrift schon angebracht worden sein, bevor sich Lassberg mit der >Liedersaal-Handschrift< beschäftigt hat. In seiner Edition gab er dem Gedicht den Titel: »Der Minner und die Minne«.20 Aber nicht nur Stück Nr. 19, auch der letzte Text (Nr. 23) des zu Beginn der >Liedersaal-Handschrift< nur noch fragmentarisch erhaltenen Liebesbriefstellers ist kein Liebesbrief im eigentlichen Sinn. Bei diesem Text handelt es sich um einen Epilog, der in mehrfacher Hinsicht von Bedeutung ist: Zum einen, und damit in erster Linie natürlich für den konkreten Zusammenhang mit den zweiundzwanzig vorausgehenden Texten bedeutungsvoll, liefert dieses Nachwort den Beweis dafür, daß der Anlage und Aufzeichnung des Textzyklus in der >Liedersaal-Handschrift< ein übergeordnetes Konzept von Anfang an zugrunde gelegen hat. Der Verfasser »erwähnt« hier nicht nur ein »Vorwort«, wie Meyer meint,21 er rekapituliert vielmehr das in seinem »prohemio« vorgestellte Programm seiner Arbeit und setzt sich kritisch mit der Realisierbarkeit der Intentionen auseinander: 19

Lassberg I, S. 94. Ebd. S. 93. " Meyer (1899a), S. 371.

41

Dez ersten in dem phemio do gehiez ich vnd sprach also daz ich ze dienst der werden minn arbaiten wolti mine sin vz dem ich ir mit liechtem glantz wolt wircken ainen rosen Crantz ab dem ain ieglich miner mächt erbrechen waz im wol gedächt ze siner matheri wie dü war vnd ist di glübt mir worden swär vnd ist mir ser erlaidet (Bl. içra). 22

Zum anderen, nun aber auf einer allgemeineren Ebene, bedeutungsvoll ist dieses Vorwort deshalb, weil es die einzige erhaltene Artikulation des Selbstverständnisses eines deutschen mittelalterlichen >Liebesbriefdichters< ist. Und hier nun schlägt sich ein ganz spezifisches Bewußtsein nieder, in dem nicht das >Gesamtwerk< als ein hermetisch abgeschlossenes Kunstgebilde im Mittelpunkt steht, sondern hauptsächlich pragmatische Gesichtspunkte eine Rolle spielen. Der Verfasser autorisiert den Leser und Benutzer, sich das zu nehmen, was er für seine eigenen, individuellen Absichten und Zwecke brauchen kann. Von Bedeutung ist aber auch noch eine weitere Bemerkung des Verfassers in dem Nachwort: da von so hat myn munt bericht vz minem hertzen dis gedieht vnd hat vermischt dar in latin allen trophein gar ze pin allen layen ich nit sprich wan ettlich sint houelich in der dienst ich mich och phlicht (Bl. içrb). 2 '

Im Hinblick auf die Publikumsvorstellungen des Verfassers sind diese Verse eindeutig, und die Funktion des Lateins in der Textgestaltung ist klar: Es handelt sich um partielle >PublikumsbeschimpfungDummköpfen< deutlich machen soll. Man könnte diese Bemerkungen denn auch ohne weiteres ad acta legen und sich mit dem Wissen um den Funktionszusammenhang dieser Textstellen begnügen. Dahinter könnte aber auch mehr stehen als reine Prolog- und Epilog-Topik. 24 Denn wenn man in den noch er21 2i

i4

Vgl. Lassberg I, S. i t 3 , V . 1—11. Vgl. ebd. S. 1 1 4 , V . 43—49. Die Abweichungen von den traditionellem Möglichkeiten der Selbstdarstellung eines

42

haltenen Texten die lateinischen Einsprengsel betrachtet, Ritter hat einige zusammengetragen, 2 ' so stellt man fest, daß die vom Verfasser vorgegebenene Intention, über die lateinische Sprache unliebsames Publikum abzuschrecken, fast immer ins Leere greifen muß: »In den meisten Fällen ist dem Citate die Übersetzung beigefügt, eingeleitet durch die Formeln: >daz spricht in tiutsch, daz tiutsch ich, daz merk in tiutsch, daz tiutsche ich ûz dem herzen< u.s.w. Nur die Stellen 3,31 (>quia amore langeoquia volneratus caritate sumamore fervidus< 8,7, >remedium< 16,68 u.s.w.) sind nicht übersetzt.«26 Nimmt man den Verfasser der >Konstanzer Liebesbriefe< also beim (Nach-)Wort, und es gibt keinen triftigen Grund, der dagegen spräche, dann könnte man vielleicht auch noch die Möglichkeit ins Auge fassen, daß auf den Blättern, die nachträglich am Anfang der >Liedersaal-Handschrift< entfernt worden sind, nicht nur deutsche, sondern auch lateinische (Prosa- ?)Texte gestanden haben. Beweisen läßt sich das freilich nicht, und so erübrigen sich auch hier weitergehende Spekulationen — etwa im Hinblick auf die Frage, ob der zu beklagende Textverlust gar auf den gezielten Eingriff eines frühen Benutzers zurückgeführt werden kann, der, von sprachpuristischen Ambitionen geleitet, der Liebesbriefgruppe und damit der ganzen Handschrift zu einem einheitlich volkssprachlichen Gepräge verhelfen wollte. Auffallend indes bleibt die Tatsache, daß die >Konstanzer Liebesbriefe< als solche sowohl zu dem Zeitpunkt ihrer Entstehung — »Für die Datierung um 1350 besteht Konsens.« 27 — als auch dem ihrer Aufzeichnung in der >Liedersaal-Handschrift< nicht nur einer volkssprachlichen,28 sondern auch der lateinisch-gelehrten Tradition mittelalterlicher Liebesbriefdichtung verpflichtet sind. Möglicherweise war die lateinisch-gelehrte Liebesbrieftradition zu dem damaligen Zeitpunkt in Konstanz sogar ganz unmittelbar präsent, und zwar in Gestalt der >Rota Veneris< des Boncompagno, der zu Beginn des 13. Jahrhunderts ein berühmter Rhetorik-Lehrer an der Universität zu Bologna gewesen ist.29 mittelhochdeutschen Dichters sind auf jeden Fall bemerkenswert, vgl.: Julius Schwietering, Die Demutsformel mittelhochdeutscher Dichter. Berlin 1921. Fritz Tschirch, Das Selbstverständnis des mittelalterlichen deutschen Dichters. In: F. T . , Spiegelungen. Berlin 1966, S. 1 2 3 - 1 6 6 . 21 Ritter (1897), S. 45-49 u. 5 8f. !6 Ebd. S. 46. 27 Blank (1985a), Sp. 308. " V g l . Schiendorfer (1988), S. 86. 2 ' V g l . Ruhe (1975), S. i 2 7 f .

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Übrigens kann dies Werk auch ganz direkt v o n Bologna seinen Weg in die Schweiz, insbesondere nach Konstanz genommen haben. Wir können uns gerade für das 1 3 . Jahrhundert, in der Zeit der großen italienischen Reichspolitik der Staufer, die Verbindung zwischen Oberitalien und der Schweiz nicht rege genug vorstellen . . . Gerade zwischen Bologna und Konstanz bestanden damals außerdem noch ganz besonders enge Beziehungen. Wir wissen, daß Bologna über 2 Jahrhunderte »die Pflanzschule der Konstanzer Theologen war, denen eigene Mittel oder entsprechende Pfründeeinkommen das Studium ermöglichten.« Zeugnis dafür ist die Bologneser Matrikel, die zahlreiche Konstanzer Kleriker aufweist. 3 0

»Spuren solcher oberitalienischen Einflüsse«' 1 hat Käthe Mertens in der >Minnelehre< Johanns von Konstanz nachgewiesen, einem Werk, dessen Kenntnis man bei dem Verfasser der >Konstanzer Liebesbriefe< mit Sicherheit voraussetzen zu können glaubt.' 2 Während die Entstehung der >Konstanzer Liebesbriefe< eingebettet erscheint in die regional wirksam gewesenen Traditionszusammenhänge der spätmittelalterlichen Liebesbriefdichtung (vgl. auch Kap. 6.1.2.), stehen sie in ihrer überlieferten Gestalt im handschriftlichen Erscheinungsbild der >Liedersaal-Handschrift< relativ isoliert da: Man hat . . . diese Briefe sowie einige ihnen folgende Mären und Minnereden als nicht zum ursprünglichen Bestand der Sammlung gehörig betrachtet. Denn das Buchstabenprinzip, das sonst durchweg die Anordnung der Gedichte regelt und das in spätmittelalterlichen Handschriften ungewöhnlich ist, manifestiert sich zu A n f a n g noch nicht. In der Liedersaalhandschrift oder vielleicht schon in ihrer Vorlage werden die Texte nicht nach Inhalten, Themen oder gar Gattungen geordnet, sondern schlicht nach den Anfangsbuchstaben des ersten Wortes der ersten Zeile. O b w o h l die Sammlung mit einer sehr umfangreichen A - G r u p p e (41 Nummern) beginnt und mit einer schmalen Z - G r u p p e (drei Nummern) endet, ist die Reihenfolge nicht streng alphabetisch (A, E , G , D , I, U/V/W, S, L , H , M , D , I, Κ , Ν , Ο, A , Z ) . "

Auch wenn man sich die unmittelbare Vorlage für die >LiedersaalHandschrift< wahrscheinlich schon in Form eines Konglomerats aus diversen anderen Handschriften-Vorlagen vorzustellen hat, dessen Anordnungsprinzipien dem Schreiber der >Liedersaal-Handschrift< gar nicht mehr bewußt gewesen zu sein brauchen, so könnte dieser Schreiber doch immerhin an der Kombination der Liebesbriefe mit den Texten aus der Vorlage beteiligt gewesen sein, wenn er nicht gar der Hauptverantwortliche für das Zustandekommen dieser Uberlieferungsgemeinschaft gewesen ist. 30

Mertens (1935)· S. 44Í. " Ebd. S. 4;. ''Blank (1985a), Sp. 309. " Glier (1987), S. 29. Vgl. Niewöhner (1942).

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In der >Liedersaal-Handschrift< gibt es noch weitere Verdachtsmomente, die punktuell auf eine mögliche Beteiligung des Schreibers am Zustandekommen der überlieferten Textkonstellationen in einigen Bereichen der Handschrift hindeuten: Eine Besonderheit dieser Handschrift ist ein Typ von Gedicht, dem Laßberg in seiner Ausgabe offenbar etwas ratlos, aber doch zutreffend, den Titel >Spruchgedicht< gegeben hat. Eine ganze Reihe dieser Gedichte konnten später als Freidank- oder Teichner-Texte identifiziert werden. Ahnlich wie die Spruchketten aus der >Bescheidenheit< sind auch die verbliebenen anonymen Gedichte dieser Art aus kleineren spruchartigen Einheiten zusammengesetzt, oft notdürftig durch ein ähnliches Thema zusammengehalten, manchmal nicht einmal das. 34

Auf die besondere Stellung dieses Texttyps in seinem handschriftlichen Erscheinungsbild hat Heinrich Niewöhner schon 1942 in seiner Abhandlung über den »Inhalt von Laßbergs Liedersaal-Handschrift« hingewiesen." Diese Texte fielen ihm besonders deshalb auf, weil sie sich ebensowenig wie die >Konstanzer Liebesbriefe< in dem von ihm ermittelten Prinzip der Textanordnung unterbringen ließen, nach dem der Hauptbestand der Handschrift eine Gruppenbildung aufweist, die in der von Ingeborg Glier beschriebenen Form (s.o.) Gedichte mit gleichen Anfangsbuchstaben zusammenfaßt. Es gab und gibt bis heute für dieses Phänomen »keine andere Erklärung als die, daß der Sammler oder einer der ersten Besitzer das nach Abschluß der alphabetischen Aufarbeitung der Quellenhss. noch freie Papier mit einem Cento der oben erwähnten Art füllte.«' 6 Unter dem Sammelbegriff >Füllsel< hat Niewöhner alle diese kleineren Reimpaargedichte zusammengefaßt und ganz pauschal zu deuten versucht: »Das Gedicht 1 177 . . . 261 (= >FüllselLiedersaal-Handschrift< und im Konstanzer Ratsbuch 47 ist die Kanzlei einer spätmittelalterlichen Stadt genau der Ort, an dem so ideale Produktionsbedingungen gegeben waren, wie sie offensichtlich bei der Entstehung der >Liedersaal-Handschrift< gewaltet und ihr zu dem professionellen Erscheinungsbild verholfen haben. In diesen Rahmen passen auch die >Konstanzer Liebesbriefen Das belegt eine lange Tradition lateinischer und volkssprachlicher Handbücher der >ars dictaminisLiedersaalHandschrift< »1432—1435 Unterschreiber der Stadt Konstanz; als solcher hatte er die Steuerbücher zu führen und zusammen mit dem Stadtschreiber das Ratsprotokoll.« 49 Uber seine Person ist man deshalb relativ gut informiert, weil er später Karriere gemacht hat: als Stadtschreiber und Bürgermeister von St. Gallen.' 0 Dort befinden sich noch heute Reste seiner Bibliothek, unter anderem eine Pergamenthandschrift vom Anfang des 14. Jahrhunderts (Vadiana Cod. 299), in der »die »Summa dictaminis< des Kanzlers Petrus de Vineis, eine als Stilmuster dienende Briefsammlung, mit einigen Marginalien von Widenbachs Hand« überliefert ist. 5 ' Daß Johannes de Widembach die >Liedersaal-Handschrift< geschrieben hat, muß bei dem abweichenden Duktus seiner Hand wohl ausgeschlossen 47

Vgl. Gerhard Piccard, Die Ochsenkopf-Wasserzeichen. 2. Teil. Findbuch 11,2 der Wasserzeichenkartei Piccard im Hauptstaatsarchiv Stuttgart. Stuttgart 1966, S. 388 Nr. 218 u. 219. Vgl. H. M. Schaller, Ars dictaminis, Ars dictandi. In: Lexikon des Mittelalters. Bd. 1. München 1980, Sp. 1034—1039. 45 Peter-Johannes Schuler, Notare Südwestdeutschlands. Ein prosopographisches Verzeichnis für die Zeit von 1300 bis ca. 1520. Stuttgart 1987 (Veröffentlichungen der Kommission für geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg. Reihe B: Forschungen 90), Textband, S. 503. >° Ebd. ' ' Werner Fechter, Zur Biographie des St. Galler Stadtschreibers Johannes von Widenbach. Alemannica. Fs. für B. Boesch zum 65. Geburtstag. Alemannisches Jahrbuch 1973/75, S. 335-354· Ebd. S. 34;. Petrus de Vinea spielt auch als Verfasser von Liebesbriefen eine Rolle, vgl. Ruhe (1975), S. 1 5 7 - 1 6 0 .

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werden. Möglicherweise aber kannte er diesen Schreiber — als Mitarbeiter in der städtischen Kanzlei zu Konstanz?'2 4.1.2. Die Liebesbriefe in der Dresdner Handschrift M 68 Im Hinblick auf die Identität des Schreibers sehr viel weniger rätselhaft als die >Liedersaal-Handschrift< ist das Dresdner Manuskript: Laut Kolophon auf Bl. 79vb hat peter grieninger im Jahre 1447 seine Arbeit daran beendet. Ob er dabei nur als Schreiber tätig geworden ist oder ob man in ihm auch den Verfasser einiger kleiner Reimpaartexte aus dem Bestand dieser Handschrift sehen kann, wird im Zusammenhang mit der Frage nach den Entstehungsbedingungen der Dresdner Handschrift M 68 kontrovers diskutiert. Jedenfalls ist dieser peter grieninger in der Forschung kein ganz unbeschriebenes Blatt." Bedauerlicherweise ist das über ihn vorhandene Material aber gerade dort, wo man eine vollständige Aufarbeitung erwarten könnte — in der Einleitung zu der von Paula Hefti veranstalteten Gesamtausgabe dieses Dresdner Manuskripts54 —, nur sporadisch berücksichtigt und nicht ganz unvoreingenommen präsentiert worden. Daß die Aufarbeitung der für das Dresdner Manuskript relevanten Forschungsliteratur in dem darstellenden Einleitungsteil dieser Edition grundsätzlich etwas defizitäre Züge trägt, wurde von den Rezensenten dieser Arbeit allgemein beklagt." Daneben wurde aber auch solchen Argumenten jegliche Überzeugungskraft abgesprochen, mit denen Paula Hefti ihre Beobachtungen zum Aufbau der Handschrift über die bisherige, durch eine Analyse von Mihm'6 getragene Deutung hinaus zu einer Interpretation formiert hat, die in der handschriftlichen Anordnung der einzelnen Texte eine auf bewußt künstlerische Gestaltungsabsicht zurückzuführende Zen51

Ende der zwanziger Jahre des 15. Jahrhunderts gibt es im Konstanzer Ratsbuch (Konstanz, Stadtarchiv, Β I) einige Einträge, die im Schriftduktus mit dem der >Liedersaal-Handschrift< durchaus vergleichbar sind. Johannes de Widembach ist jedenfalls nicht der einzige am Konstanzer Ratsbuch beteiligte und in der damaligen städtischen Kanzlei beschäftigte Schreiber, und die Möglichkeit, daß einer seiner Kollegen Schreiber der >Liedersaal-Handschrift< ist, bleibt auf einer auch andere Archivalien berücksichtigenden Materialbasis zu prüfen. Für die freundliche Aufnahme bei einer ersten Durchsicht der Quellen im Stadtarchiv Konstanz möchte ich dem Leiter, Herrn Prof. Dr. Helmut Maurer, danken. " Vgl. Grubmüller (1981). 14 Hefti (1980). " Vgl. Fromm (1982). Glier (1983a). ' 6 Vgl. Mihm (1967), S. 92-96.

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tralkomposition erkennt. Als Mittelpunkt fixiert wird dabei die >Minnelehre< Johanns von Konstanz, das umfangreichste Gedicht dieser Handschrift (Nr. 18):' 7 Nehmen wir die heute tatsächlich vorhandene Anzahl Blätter als A u s g a n g s punkt, so ergibt sich folgendes Bild: 1 7 Erzählungen

1 7 Erzählungen

N r r . ι—17

N r . 18

Nrr. 1 9 - 3 5

64 Seiten

34 Seiten

64 Seiten.' 8

Ins Wanken gebracht wird das von Paula Hefti postulierte Ordnungsgefüge nicht zuletzt durch eine Textgruppe aus der näheren Umgebung der >MinnelehreDresdner Liebesbriefe< gehören: 18. Johann von Konstanz, >Minnelehre< 19. Der weiße Rosendorn I 20. Liebesbrief 20a. Mariengruß 21. Sieben Liebesbriefe 22. Gebet zu Johannes dem Täufer 23. Öl und Zugabe im Doppelglas.' 9 Daß mit diesen Texten für ihre Deutung des Handschriftenaufbaus ein ganz massiver Unsicherheitsfaktor verbunden ist, hat Paula Hefti durchaus erkannt: Die E i n f ü h r u n g einer Zusatznummer 20a erscheint sinnvoll, da der >Mariengruß< nicht in den Liebesbriefzyklus gehört und durch seine drei Zeilen hohe Stückinitiale auch genügend als Neubeginn gekennzeichnet ist. Infolge der Vermutung, es könnte sich bei N r . 21 um einen Nachtrag zu N r . 20, dem ersten Liebesbrief, handeln, besteht die Möglichkeit, den ganzen Briefzyklus als eine einzige N u m m e r zu betrachten, oder aber auch in acht Einzelnummern aufzulösen. Im ersten Fall würde die Anzahl von insgesamt 3 5 Erzählungen erhalten bleiben. 60

Allerdings blieb diese Erkenntnis für ihre eigene Arbeit ohne Auswirkungen auf das abschließende Gesamturteil: »Als bemerkenswertes Ergebnis der Untersuchung ergab sich uns die auffallige Mittelstellung des umfangreichsten Stücks der Sammlung, das einerseits von einer gleichen Anzahl von Erzählungen umgeben wird, andererseits die 17

Vgl. Hefti (1980), S. 21-40. " H e f t i (1980), S. 5 i f . " D i e Nummern beziehen sich auf das vollständige Inhaltsverzeichnis bei Hefti (1980), S. I4f. Vgl. auch Leiderer (1972), S. 29—34. 60 Hefti (1980), S. 32. Auf weitere Untergliederungsmöglichkeiten der >Dresdner Liebesbriefe< hat Purkart (1970), S. I23f. u. 159f. hingewiesen.

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Handschrift gleichmäßig im Verhältnis 2 : 1 : 2 unterteilt.«6' Dieser Gliederungsversuch ist nicht weniger problematisch als die »von Mihm erkannte Dreiteilung der Handschrift« 62 und seine Überzeugung, daß diese Dreiteilung auf drei unterschiedliche Vorlagen zurückzuführen sei. Für Mihm bilden die Texte Nr. 18—22 »eine kleine Gruppe redeartiger Dichtungen« 6 ' in dem mittleren Teil der Dresdner Handschrift. »Den ersten Teil der Sammlung nimmt eine Reihe von 14 Mären ein, die nur durch ein achtzeiliges, offenbar fragmentarisches Bispel (Nr. 3), das Lehrgedicht >Der Magezoge< (Nr. 8) und einen kurzen Freidankabschnitt (Nr. 15) unterbrochen wird. . . Der Schlußteil der Handschrift enthält eine Kollektion geistlicher und weltlicher Bispel, in der auch noch ein Märe (Nr. 26) und zwei Reden (Nr. 29, 35) nachgeholt worden sind.«64 Für das Zustandekommen dieser »gattungsspezifischen Dreiteilung« der Handschrift möchte Mihm nun drei potentielle Vorlagen der einzelnen Teile verantwortlich machen. Er stützt sich dabei auf das Erscheinungsbild der Gedichtüberschriften, die in der jeweiligen Gruppe eine gewisse Einheitlichkeit verraten: »Während nämlich die Stücke im Märenteil und die ersten Bispel fast immer einzeilige, mit >von< eingeleitete Überschriften haben, folgen die späteren Texte der Bispelsammlung alle ohne Überschrift unmittelbar aufeinander; die Reden hingegen führen fast immer lateinische Titel. Die Vermutung, daß diese Überschriftenarten jeweils aus verschiedenen Vorlagen übernommen worden sind, liegt nahe.«6' In der kritischen Auseinandersetzung mit den Überlegungen von Mihm ist Paula Hefti zu einer relativierenden Einschätzung des Sachverhalts gelangt: Die v o n Mihm festgestellte Dreiteilung der Handschrift kann nicht bedeuten, daß sie mit Sicherheit auf drei Vorlagen zurückzuführen sei. Die Art der Titelgebung läßt keine sicheren Schlüsse zu, da sie bei den Bispein als auch bei den Reden unterschiedlich gehandhabt wird. Durch den Wegfall der Titel bei den Gedichtstücken Nrr. 30—35 wird die Verwendung zweier verschiedener Vorlagen für die Bispel nahegelegt. Die Reden sind nur teilweise mit lateinischen Titeln versehen, so daß auch hier keine eindeutige Zuordnung zu einer Redenkollektion erfolgen kann. Andererseits läßt die Gruppe von Nrr. 20—23 auf eine Uberlieferungsgemeinschaft schließen, die Gedichtstücke mit lateinischen als auch deutschen Titeln umfaßt. 66 61

Vgl. Hefti (1980), S. 58. Ebd. s > Mihm (1967), S. 95. 64 Ebd. 6 > Ebd. S. 96. 66 Hefti (1980), S. 29. 61

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Ihre Vermutung, es könne sich bei der Textgruppe Nr. 20—23, z u der auch die >Dresdner Liebesbriefe< gehören, um eine Überlieferungsgemeinschaft handeln, präzisiert Paula Hefti mit dem Hinweis darauf, daß bei diesen Texten — im Gegensatz zu allen anderen Texten der Dresdner Handschrift — keine Parallelüberlieferungen nachzuweisen sind:67 »Die mangelnden Überlieferungen zu den Nrr. 20-23 weisen zwar auf eine gemeinsame Herkunft, die wir nicht näher zu bestimmen vermögen, hin, doch bleiben wir in einer Hypothese befangen, die durch ein negatives Kriterium gestützt wird. Sie gewinnt an Wahrscheinlichkeit durch die thematische und formale Ähnlichkeit der Gedichtstücke.« 68 In ihrem Kommentar zu dem letzten Text dieser Gruppe (Nr. 23) teilt Paula Hefti dann allerdings doch Beobachtungen mit, die für eine Herkunftsbestimmung der nur aus dem Dresdner Manuskript bekannten Gedichte relevant sein könnten: »Das Gedicht fallt durch zahlreiche dialektale Eigentümlichkeiten, auch im Reim, auf. Außer dem ostschwäbischen Dialekt fehlt allerdings jedes Indiz, daß der Verfasser der Kopist, Peter Grieninger, sein könnte. Er ist aber wohl als der Dichter eines religiösen Gedichtes bezeugt.« 6 ' Aber auch in diesem Fall haben die Erkenntnisse Paula Heftis keine Konsequenzen für die eigene Fragestellung und Darstellung. Die Person — Peter Grieninger — bleibt für sie auf den Schreiber der Dresdner Handschrift M 68 reduziert.70 Eben gerade die Frage, welche Rolle der Schreiber Peter Grieninger bei der Gestaltung der Dresdner Handschrift gespielt haben könnte und »ob er darüber hinaus auch als Autor kleiner Stücke gelten könne, muß deutlicher, als es die Bearbeiterin möchte (3of.), offengehalten werden«. 71 Dafür plädiert jedenfalls der Rezensent Hans Fromm, und er verweist darauf, daß Peter Grieninger »im Märenbereich nicht das einzige Beispiel für eine Doppeltätigkeit« wäre. 72 Auch im Hinblick auf die >Dresdner Liebesbriefe^ die zusammen mit den in unmittelbarer Nachbarschaft überlieferten geistlichen Gedichten zum ersten und einzigen Mal in einer Handschrift auftauchen, scheint trotz der Bedenken Paula Heftis eine unvoreingenommene Prüfung der Indizien- und Sachlage in der Frage der potentiellen Verfasserschaft des Schreibers notwendig zu sein. 67

Zur Parallelüberlieferung der in der Dresdner Handschrift M 68 aufgezeichneten Texte vgl. die Tabelle von Hefti (1980), S. 2 ; . " Hefti (1980), S. 29. 65 Ebd. S. 503 Nr. 23. 70 Vgl. ebd. S. 3of. u. 39. 7 ' Fromm (1982), S. 496. 71 Ebd.

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Eine solche Blickrichtung auf die Liebesbriefgedichte der Dresdner Handschrift hatte allerdings schon Meyer dadurch gründlich verbaut, daß er in seiner Entdeckerfreude diese Texte kurzerhand für den verlorengegangenen Anfang der >Konstanzer Liebesbriefe^ die der Ausgangspunkt seiner Arbeit gewesen waren, annektierte (s.o.). 7 ' Außer kritischen Bedenken hatte die Forschung dem bisher nichts entgegenzusetzen.74 Dabei läßt sich die Fehleinschätzung Meyers in dieser Frage auf einen ganz konkreten Punkt bringen: die >Minnelehre< Johanns von Konstanz. Denn während die Ursachen für den Einfluß dieses Gedichts auf die >Konstanzer Liebesbriefe< wohl am ehesten in einem regionalen Literaturbetrieb mit in erster Linie lokal wirksam gewesenen Traditionszusammenhängen zu suchen ist (vgl. Kap. 6.), liegen die Einflußmöglichkeiten der >Minnelehre< bei den >Dresdner Liebesbriefen< auf einer ganz anderen Ebene auf der Hand. Die Uberlieferungsgemeinschaft läßt diese Texte in der Dresdner Handschrift M 68 fast unmittelbar aufeinanderfolgen. Peter Grieninger hat die >Dresdner Liebesbriefe< also nachweislich - denn er ist mit Sicherheit der einzige Schreiber des Dresdner Manuskripts 7 ' — erst nach mindestens einmaligem Abschreiben der >Minnelehre< Johanns von Konstanz zu Papier gebracht. Diesen Umstand hatte Meyer völlig außer acht gelassen. 76 So gehen die von Meyer gebuchten Gemeinsamkeiten zwischen der >Minnelehre< und den >Dresdner Liebesbriefen< auch kaum über das hinaus, was man als gelegentlichen Anklang gelten lassen kann, bei dem der Bewußtseinsgrad und die Vorsätzlichkeit des Zitierens unbestimmbar bleiben. Anders als bei den >Konstanzer LiebesbriefenMinnelehre< durchaus überzeugend ist, da sich der Einfluß über weite Strecken der Textgestalt nachweisen läßt,77 werden in den >Dresdner Liebesbriefen< Reflexe aus der >Minnelehre< nur punktuell und ganz vereinzelt greifbar. 78 So taucht zum Beispiel am Anfang der >Dresdner Liebesbriefe< in einem Text der Reimpaarvers

" Vgl. Meyer (1899). 74 Vgl. die Rezensionen zu Meyer (1899) von: Panzer (1900). Helm (1901). Zwierzina (1901). Henrich (1912). " Vgl. Hefti (1980), S. 10 u. Anm. 10. 76 Vgl. Meyer (1899), S. 6. 77 E b d . S. 8 - 2 1 . 78 Vgl. ebd.

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Vnd das ich euch dag, Was ich kommers uon euch trag (Nr. 21, V. 71 f.)79 aus der >Minnelehre< Johanns von Konstanz auf: Herczen trut, daz ich ew clag, Was ich kommers uon euch trag. (Nr. 18, V. iigóf.), der sich dann aber im Laufe seiner weiteren Verwendung in den folgenden Briefen der Dresdner Sammlung zu einer völlig eigenen Formulierung verselbständigt: Das ich euch meinen kommer clag, Den ich uon ewern schulden trag. (Nr. 21, 145 f.), Wann ich euch nit clagen wol Den grossen kommer, den ich dol Von euch fraw, zu aller frist: (Nr. 21, 24 5 ff.), Bis ich ew meinen kummer clag, Den ich im herczen haimlich dulden Muß uon ewern schulden (Nr. 21, V. 286 ff.). Das penetrante Wiederauftauchen dieses Gedankens in der sich abnutzenden Formel der >Minnelehre< könnte man vielleicht auch noch im Zusammenhang mit einer Grundvorstellung sehen, die der Verfasser dieser Texte aus einer nicht näher bezeichneten Quelle bezieht: Doch hör ich an dem puch lesen, Das niemant sey so tummer, Leid er uon frawen kummer, Er sol ir clagen sein vngemach, (Nr. 21, V. 266-269). Zu dem Vers 266 merkt Paula Hefti an: »puch: offensichtlich eine Minnelehre. Sollte es sich um Nr. 18 (= >Minnelehre< Johanns von Konstanz, J.S.-G.) handeln?«80 Diese Frage bagatellisiert nun wiederum das eigentliche Problem. Denn bei den Gestaltungs- und Überlieferungsmerkmalen der >Dresdner Liebesbriefe^ die in jedem Fall eine — wie auch immer geartete — Bekanntschaft ihres Verfassers mit der >Minnelehre< Johanns von Konstanz andeuten, muß die Frage im Mittelpunkt stehen, unter welchen Umständen die überlieferte Gestalt der >Dresdner Liebesbriefe< überhaupt zustande gekommen sein könnte. Aufgrund der Textkonstellation in der Dresdner Handschrift M 68 — Aufzeichnung der >Minnelehre< vor den Liebesbriefen — ist es eine 75 s

Auch die folgenden Zitate aus der Dresdner Handschrift nach Hefti (1980). ° Ebd. S. 531. Vgl. S. 497 Nr. 21.

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naheliegende Möglichkeit, daß die Entstehung der >Dresdner Liebesbriefe< im Zusammenhang steht mit der Anlage und Entstehung der Handschrift selbst oder mit den redaktionellen Arbeiten im unmittelbaren Vorfeld dieser Sammlung. Wenn als Verantwortlicher in diesem Bereich als einziger auch >nur< der Schreiber peter grieninger greifbar ist, so gewinnt die Bedeutung seiner Rolle doch dadurch an Gewicht, »daß er wahrscheinlich in Augsburg als Berufsschreiber tätig war«81 und darüber hinaus identifiziert »wird als Verfasser des Stückes >Von St. Sebastian, U. L. Frauen und der Pest< (cgm 270 Bl. 57t- 5Peter Groningen verfaßten Texts mit einem der von >Peter Grieninger< geschriebenen Texte hat Wilhelm verzichtet.86 Daß man diesem Beispiel bis heute gefolgt ist, ist ein Vorwurf, den sich in erster Linie die Herausgeberin der Dresdner Handschrift M 68 machen lassen muß.87 Denn diese von Peter Grieninger geschriebene Handschrift enthält Texte, deren »thematische und formale Ähnlichkeit«88 mit dem von Peter Groninger verfaßten Text wirklich nicht zu übersehen ist. Seine Gemeinsamkeiten mit den Texten der Dresdner Handschrift verdichten sich in dem >Mariengruß< (Nr. 20a). Fast völlig identisch ist zum Beipiel hier das Reimpaar: Vnd daz wir, fraw, komen dar Zu dir an der engel schar (Nr. 20a, V. 2 3 7 ^

mit den Versen 115 f. in dem >Groninger-Gedicht< aus dem Münchner Cgm 270. Aber auch die sprachliche Gestaltung der gemeinsamen thematischen Schwerpunkte (zum Beispiel: >Bitte um den Beistand Marias^ aufrichtige BußgesinnungMariengruß< verwiesen: Nun hilff vns zu der himelfardt Vnd mach vns uon der helle frey Vnd bis vnsern seien bey, Wann si uon dem leib schaide. Leib vnd sei baide Erfraw an dem jamerlichen tag, So über den siinder gaut dui clag (Nr. 20a, V. 294ff.), die in der Aussageabsicht und dem Formelinventar weitgehend mit den Versen logff. des oben zitierten Gedichts von Peter Groninger übereinstimmt.®9 Die Tragfähigkeit dieses Materials wäre genauer zu prüfen, denn das Ergebnis könnte vielleicht weiterhelfen in der Diskussion um die Identität des Schreibers >Peter Grieninger< mit dem Dichter >Peter Groningen, eine Möglichkeit, die auch Klaus Grubmüller in Erwägung gezogen hat: »Wenn P. G . - nach der Vermutung F. Wilhelms — identisch ist mit Peter Grieninger, dem Schreiber der ebenfalls aus dem Ostschwäb. (Augsburg?) stammenden Dresdner Märenhs. M 68 (v. J . 1447), . . ., dann bildet er neben Rüdeger dem Hinkhofer und dem Schweizer Anonymus ein drittes Beispiel für den über die Schreibertätigkeit zu eigener literarischer Produktivität gekommenen Autor von Reimpaarsprüchen.« 90 Möglicherweise sind auch die >Dresdner Liebesbriefe< - neben den anderen Texten, die sonst nur in der Dresdner Handschrift M 68 nachweisbar sind, — das Ergebnis einer solchen literarischen Produktivität. In den beiden ausschließlich auf Reimpaarkleindichtung ausgerichteten Sammelhandschriften Donaueschingen Cod. 104 und Dresden M 68 sind die Texte vom Typ Liebesbrief gleichberechtigt in den übrigen Textbestand integriert. In beiden Fällen scheint diese ihr handschriftliches Erscheinungsbild prägende Verbindung aber erst im Entstehungsprozeß der jeweiligen Handschrift zustande gekommen zu sein, und mit guten Gründen kann man dafür die beiden Schreiber verantwortlich machen. Auch wenn die Aufnahme der beiden Liebesbriefgruppen im einzelnen von ganz unterschiedlichen Interessen geleitet gewesen sein dürfte, ihr Unterhaltungswert hat in diesem handschriftlichen Kontext sicher auch eine wichtige Rolle gepielt. 90

Vgl. den von Wilhelm (1912) edierten Text V . iogff. Grubmüller (1981), Sp. 262.

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4-2. Liebesbriefgedichte zwischen Reimpaarkleindichtung und Liedern Spätmittelalterliche Literaturliebhaber waren in ihren Konservierungsinteressen ausgesprochen flexibel. Die Buntheit des Textbestands vieler Handschriften zeigt, daß gerade im Spätmittelalter Sammelbedürfnisse bestanden haben, aus denen heraus ganz unterschiedliches Material handschriftlich zusammengetragen worden ist. Daß diese spezifisch spätmittelalterliche Ausprägung literarischer Sammeltätigkeit in Deutschland Beziehungen zum traditionellen Literaturbetrieb aufweist und daß ein praktischer Gebrauchswert der aufgezeichneten Texte bei aller >Konzeptlosigkeit< in der Anlage von literarischen Sammlungen dieser Art außer Frage steht, hat Burghart Wachinger deutlich gemacht: Mit der Bevorzugung von kleineren Reimpaargedichten und Liedern . . . wurde nun durchaus eine bestimmte laikale Kulturtradition rezipiert: Form und »kürzerer Atem« mögen noch von der alten Inszenierungsweise des Vortrags geprägt sein, auch wenn für die Sammler zweifellos bereits schriftliche Rezeption dominierte. Aber so sehr der Formtypus den Denkstil prägte, so sehr in der traditionellen Form auch traditionelle Inhalte transportiert wurden, als ganze scheinen die meisten Sammlungen dieses Typs keine spezifische Thematik zu besitzen: Schwänke stehen neben Minnereden und moralischen oder geistlichen Reimpaarsprüchen, Derbes neben Höfischem, Spielerisches neben Politischem und Medizinischem, Frauenpreis neben Weiberschelte. Gewiß akzentuiert jede Sammlung etwas anderes, aber ein thematisches Sammelprogramm ist kaum zu entdecken. Das stellt die Gebrauchsfunktion, die Nützlichkeit all dieser Texte keineswegs in Frage; gerade in ihrer Verschiedenartigkeit boten sie einen Vorrat von Denkmodellen, Beispielen, Formulierungsangeboten und entlastender Komik für die verschiedensten Lebenslagen.' 1 Dieser Sammlungstyp, der also eine für das Spätmittelalter ganz bestimmte Form und Tradition des literarischen Lebens in Deutschland dokumentiert, steht in seinen Existenzbedingungen in einem Bereich, den man schlagwortartig >zwischen Poesie und Pragmatik< eingrenzen könnte. Als literarisches Sammelobjekt waren hier auch die Texte vom Typ Liebesbrief interessant.

»' Wachinger (1982), S. 389.

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4-2.1. Abschieds- und Neujahrsgrüße im sogenannten >Liederbuch der Klara Hätzlerin< und in verwandten Sammlungen In der Überlieferungsgeschichte spätmittelalterlicher Literatur zeigt sich die Popularität bestimmter Gattungen und Texttypen nicht nur dort, wo sie in großer Zahl erhalten geblieben sind, sondern auch dort, wo die Überlieferungskritik plausibel machen kann, daß die Texte in noch viel größerem Umfang gesammelt und aufgezeichnet wurden. Aus dem Spätmittelalter sind zwei Handschriften erhalten, die Texte vom Typ Liebesbrief im Kontext einer umfangreicheren Sammlung auch als Serienprodukte greifbar werden lassen. Die ältere der beiden Handschriften wurde 1471 in Augsburg von der Berufsschreiberin Klara Hätzlerin im Auftrag des Augsburger Bürgers J ö r g Roggenburg fertiggestellt. Mit dem Titel >Liederbuch der Klara HätzlerinBechsteins Handschrift< — von Carl Haltaus (1840, S. X X X V I I I LVII) nach ihrem damaligen Besitzer, Ludwig Bechstein . . ., benannt und unter dieser Bezeichnung erstmals in die Forschung eingeführt.« 96 Man kann also mit Sicherheit davon ausgehen, daß die Sammlung, die der gemeinsame Textbestand der Hätzlerin- und Ebenreutter-Handschrift repräsentiert, in den sechzig Jahren zwischen der Fertigstellung dieser beiden erhaltenen Handschriften im spätmittelalterlichen Literaturbetrieb noch an mindestens einer weiteren Stelle präsent gewesen ist. Darüber hinaus deutet allerdings einiges darauf hin, daß es im schriftlichen Tradierungsprozeß dieses Überlieferungsverbands noch 92 93 94 91 96

Haltaus/Fischer. Vgl. die Anmerkung zur Signatur im Quellenverzeichnis. Brandis (1968), S. 213. Glier (1981), Sp. 5 48f. Miick (1980), S. 74.

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andere Produktionen vergleichbarer Art gegeben hat. Denn seit den »Studien zum Liederbuch der Klara Hätzlerin« von Karl Geuther aus dem Jahre 1 8 9 9 9 7 hat sich in der Forschung die begründete Überzeugung durchgesetzt, daß eine direkte verwandtschaftliche Abhängigkeit zwischen den drei Handschriften nicht besteht: »Weder die Bechsteinsche noch die Ebenreuttersche hs. . . . ist eine direkte abschrift aus H (= >Hätzlerin-HandschriftNeujahrsgrüße auf 1441— 48Liederbuch der Klara Hätzlerin< interessant, in denen Liebesbriefe als Motiv präsent sind, z. B.: Nr. II, 10 >Der Liebesbriefe, vgl. Brandis (1968), S. 79 Nr. 2 1 3 ; Nr. II,54 >Gespräch mit einem alten LiebhaberHätzlerin-Handschrift< bemüht. Ganz unabhängig von Michels kommt er dabei zu einem Ergebnis, das die Neujahrsgrüße mit den gleichen Texten in Verbindung bringt, in denen Michels ein kleines Autorkorpus gesehen hat (Nr. 27—41): In dieser über 60 Minnereden umfassenden Sammlung wechseln mehrfach Minneredenreihen mit Gruppen andersartiger Gedichte ab, so daß im ganzen vier Abschnitte, die jeweils mit Minnereden beginnen und mit Reimpaardichtungen anderer Gattungen schließen, zu erkennen sind (StückNr. 1 - 2 6 , 27—43, 44-52, 53 bis 85). Mit einiger Wahrscheinlichkeit darf man annehmen, daß diesen Abschnitten ursprünglich kleine selbständige Minneredenkollektionen zugrunde gelegen haben, an deren Ende auch einige andere Stücke aufgenommen worden sind. 12 '

122

Ebd. S. 347. Ebd. S. 348. 124 Ebd. S. 353. ,2 ' Mihm (1967), S. 110. 123

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Daß »größere Gruppen sich mehr oder minder kleinteilig aus weniger umfangreichen zusammensetzen oder auch langsam aus ihnen zusammenwachsen«, 126 ist eine Vermutung, die auch Ingeborg Glier geäußert hat bei dem Versuch, das >Liederbuch der Klara Hätzlerin< unter den »Typen der Überlieferung im 14. und 15. Jahrhundert« im Minneredenbereich einzuordnen. Sie verweist in diesem Zusammenhang auf den »Münchner Cgm 5919 (Anfang 16. Jahrhundert . . . Regensburg)«, der »zwei Dreiergruppen von Minnereden, die sich ähnlich auch im Liederbuch der Hätzlerin finden, hintereinander« ordnet. 127 Es gibt noch andere spätmittelalterliche Handschriften, die auf eine vergleichbare Art in Beziehung zu dem >Liederbuch der Klara Hätzlerin< stehen: Auch der Stuttgarter Codex poet, et philol. Q 69, der um 1470 in Nordbayern hergestellt wurde, ist zu einem beträchtlichen Teil mit der Prager Sammelhandschrift verwandt. E r überliefert in seinem zweiten Faszikel (Bl. 202—298) eine Sammlung von 15 Minnereden, zwischen denen sich auch >Die Bauernhochzeit< befindet. Da dieses Märe und neun der Minnereden ebenfalls in der Prager Handschrift stehen, und zwar ziemlich genau in umgekehrter Reihenfolge, darf man annehmen, daß dafür eine Vorlage jener Handschrift von hinten nach vorn exzerpiert worden ist. 128

In dem gemeinsamen Bestand dieser beiden Handschriften befindet sich ein weiterer Text vom Typ Liebesbrief: der >AbschiedsgrußDas Scheidens Blatt 244r-244V und >Das MeidenDas Meidern. In: V L . Bd. 6 (1987), Sp. 308. Hans-Joachim Ziegeler, >Das Scheidens In: V L . Bd. 8, (1992), Sp. 6zü{. ''' Mihm (1967), S. i n . 127

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»verfährt der Schreiber der Stuttgarter Handschrift nicht so konsequent«, 1 ' 2 daß die laufenden Nummern im gemeinsamen Bestand der beiden Handschriften in einem reziprok-rückläufigen Verhältnis zueinander stünden, zum anderen ist ein Denkmal verschollen, das mit einiger Sicherheit zur Klärung der Zusammenhänge hätte beitragen können — »Ein tirolisches Lesebuch aus dem 15. und 16. Jahrhundert (Brandiser Codex 1553)«:'" Die Hs. besteht aus 84 Bll. stark geripsten Papiers. Vorne und hinten ist sie in ein leeres Vorsetzblatt eingeschlagen, das, wie die Deckel und die ersten beschriebenen Bll., mehrfachen Wurmfraß aufweist. Diese 84 Bll. verteilen sich auf vier verschiedene Hefte, die schon in alter Z e i t . . . zusammengenäht wurden. Diese Hefte stammen von verschiedenen Schreibern und weisen auch verschiedene Inhalte auf. Die Schriften der ersten drei Hefte fallen in die zweite Hälfte des 15. Jhs., die letzte in die ersten Jahrzehnte des 16. Jhs. Diese vier Teile können erst nach langjährigem Sondergebrauche zusammengebunden worden sein; denn die Schlußseiten der Lagen sind sehr abgerissen und die Ränder arg beschnitten, so daß Randbemerkungen und selbst Buchstaben des ursprünglichen Textes an mehreren Stellen der Schere zum Opfer gefallen sind. Beim vierten Hefte fehlen die Randbemerkungen, insbesondere der Hinweis »ich habs« eines Abschreibers der ersten drei Hefte für einen neuen Codex. 1 ' 4

Der Inhalt dieser Handschrift Lana X X I I I D 3 3 1,5 läßt sich dank der ausführlichen Beschreibung Dörrers heute immerhin noch so weit rekonstruieren, daß die Zusammenhänge mit der Handschriftenfamilie *des >Liederbuchs der Klara HätzlerinDas Scheiden< (V. 1: »Schaiden tut mir mutess quit«), >Abschiedsgruß< (V. 1.: »Wohin mines herzen Kayserin«) und >Das Meiden< (V. 1.: »O myden myden myden«) auf den Blättern 3 8r—43Γ1'7 und bildet zusammen mit einem weiteren Text, einer Minnerede mit der Überschrift: »Von ainer lieb an lieb« (Bl. 43r—46p),1'8 einen in sich geschlossenen Überlieferungsverband, der wohl ursprünglich selbständig existiert hat. Denn den Angaben Dörrers zufolge han1,2

Glier (1971), S. 373 Anm. 229. ' " Dörrer (1932), S. 369. ·>" Ebd. S. 371. 1,5 Vgl. Brandis (1968), S. 244. " ' V g l . Dörrer (1932), S. 373. Dörrer (1932), S. 372. Z u den Identifizierungsmöglichkeiten dieser Minnerede vgl. Brandis (1968), S. 206 Nr. 521.

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delt es sich bei den Blättern 38—45 dieser Handschrift um ein Heftchen, dessen Anfangs- und Schlußblätter Gebrauchsspuren aufweisen, die auf eine ursprüngliche Sonderbenutzung schließen lassen. Kleinformatige Handschriftengebilde 1 ' 9 dieser Art spielen in der Überlieferungsgeschichte spätmittelalterlicher Reimpaarkleindichtung ganz allgemein eine wichtige Rolle. Ihre Bedeutung für die Liebesbriefüberlieferung im besonderen wurde deutlich im Zusammenhang mit der winzigen Zürcher Liebesbriefhandschrift R P 3 (vgl. Kap. 3); sie zeigt sich hier nun auch im anzusetzenden Vorstufenbereich einer umfangreichen Sammlung, dem >Liederbuch der Klara HätzlerinAbschiedsgruß< und auch die >Neujahrsgrüße< — schon relativ früh präsent gewesen sein dürften. Ihre im Vergleich mit den >Konstanzer< und >Dresdner Liebesbriefen< (vgl. Kap. 4.1.) bemerkenswerte Popularität könnte sich in Ansätzen durchaus schon entfaltet haben, bevor sie in den Kontext des >Liederbuchs< aufgenommen wurden — vielleicht war ein gewisser Bekanntheitsgrad sogar die Voraussetzung für eine Berücksichtigung in dieser Sammlung: »Bei der Hätzlerin dominieren eindeutig die weniger umfangreichen und weniger anspruchsvollen Formen . . . So gesehen bietet das Liederbuch eher eine >populäre< Sammlung, die viele >Überlieferungsschlager< enthält. . .«'4° 4.2.2. Vierzeiler zwischen umfangreicheren Minnereden der Berliner Handschrift Mgf 922 Ein im Hinblick auf die Textauswahl und -anordnung der >HätzlerinHandschrift< vergleichbares Konzept — konsequente Ausrichtung des Bestands auf minnethematische Texte und deutliche Differenzierung zwischen Reimpaarkleindichtung und Liedern — könnte auch die Zusammenstellung einer Sammelhandschrift mitbestimmt haben, die unter der Signatur Mgf 922 in der Berliner Staatsbibliothek Preußischer Kulturbesitz aufbewahrt wird. Im Gegensatz zu den Überlieferungsmerkmalen, die hinter dem L i e derbuch der Klara Hätzlerin< und verwandten Handschriften das relativ ausgereifte Endprodukt eines planvollen Sammlungs- und Tradierungsprozesses vermuten lassen, steht das Berliner Manuskript, das »nach Gliederung in Faszikel und Verteilung auf verschiedene SchreiDie von Dörrer beschriebene Handschrift hat ein Format in »Kleinoktav«, vgl. Dörrer 140

(1932). S. 370. Glier (1971), S. 3 7 1 .

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ber besonders anschaulich demonstriert, wie kleinere Gruppen zu größeren zusammenwachsen können«, 141 offensichtlich in einem früheren Stadium des Entstehungsprozesses einer Sammlung. Wasserzeichen und paläographischer Befund' 42 sprechen dafür, daß alle Blätter der Berliner Handschrift »im i. Viertel des 15. Jh.s«' 4 ' beschrieben worden sind, und zwar in einer deutsch-niederländischen Mischsprache, die in eine Region »am nördlichen Niederrhein« verweist, 144 wo der Band in diesem Zeitraum wohl auch schon zusammengebunden wurde.' 4 ' Ausgehend von einer Analyse der spätmittelalterlichen Liedüberlieferung im deutsch-niederländischen Grenzbereich, in deren Mittelpunkt die beiden gattungsreinen Liedfaszikel der Berliner Handschrift standen (Faszikel 7, Bl. 50Γ-γον und Faszikel 10, Bl. I 3 i r - i 3 4 v ) , sah man diese Texte eingebettet in einer »Kultureinheit des damaligen westniederdeutschen Raumes«.' 46 Für die Beurteilung der Minnereden, die neben thematisch verwandten kleinen Reimpaartexten den Hauptbestand der Berliner Handschrift ausmachen, hat Ingeborg Glier diese Auffassung auf die Vermutung zurückgeschraubt, »daß sich hier über die Grenzen hinweg lokal gebundene Typen und Traditionen verfolgen lassen«.'47 Z u den weniger anspruchsvollen Texten dieser Minneredenkollektion — die im übrigen durch ein höheres Niveau gekennzeichnet ist, wie es in den von Melitta Rheinheimer ermittelten »Kompositions«-Strukturen zum Ausdruck kommt' 48 — gehört ein Vierzeiler, der am Ende des zweiten Faszikels auf Blatt u r b steht.'49 In dem detaillierten Inhaltsverzeichnis zu dieser Handschrift, das sich in Band II der »Mittelhochdeutschen Minnereden« findet,''0 ist dieser Text als Nr. 5 im Gesamtbestand mit der Bezeichnung »Gedenkspruch« aufgeführt. 1 ' 1 Die Zählung und Bezeichnung dieser Aufstellung übernehmend, sieht Melitta Rheinheimer in diesem Text einen der wenigen vom Grundaufbau der Kollektion abweichenden Bestandteile: »Der In,4

' Ebd. S. 377. Vgl. MR II. S. X X I I I . "" Lomnitzer (1978), Sp. 726. ,44 Ebd. Rheinheimer (197;), S. 17. 146 Lang (1941), S. 87. Vgl. Glier (1971), S. 280 Anm. 220. 147 Glier (1971), S. 279^ Vgl. Lomnitzer (1978). ' 4! Rheinheimer (197;), S. 16-21. 145 Ein Faksimile dieser Seite findet sich in MR II. Tafel III. 110 Ebd. S. X X V - X X V I I . Ebd. S. X X V I . 141

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halt des Codex ist fast durchgehend >minnethematisch< gestimmt und relativ gattungsrein. Ein größerer Block von 21 Minnereden wird hier nur zu Beginn — Verserzählung, Märe, Spruch (Nr. 1, 3, 5) - und am Schluß - Minneliedersammlung (Nr. 22, 28), Ritterroman (Nr. 24) durch gattungsfremde Einschübe aufgebrochen.« 1 ' 2 Daß eine harmonischere Einordnung dieses als »Spruch« bezeichneten Texts Nr. 5 im handschriftlichen Kontext bei Melitta Rheinheimer nur an einem terminologischen Problem scheitert, zeigt die Dissertation von Sarah Westphal-Wihl, die in diesem Fall mit dem thematisch erweiterten Begriff »Minnespruch« operiert.'" In der Diskussion um die unterschiedlichen Erscheinungsformen spätmittelalterlicher Minnereden ist das ein feststehender Begriff, mit dem kleinere Texte bezeichnet werden, die »allgemein formulierte . . . Spruchweisheiten zum Thema Minne« 1 ' 4 mit direkt an den geliebten Partner gerichteten Wendungen kombinieren, in denen eine enge Verwandtschaft — um nicht zu sagen Identität — mit den Texten vom Typ Liebesbrief und Liebesgruß zum Ausdruck kommt. Die gattungsspezifische Bruchstelle, für die Melitta Rheinheimer auf Blatt 11 r der Berliner Handschrift den Vierzeiler verantwortlich macht, läßt sich also ohne weiteres beheben. Denn charakteristische Gestaltungsmerkmale (formelhafte Wendungen in direkter Anrede an die Geliebte) weisen ihn eindeutig als kleineren Texttyp der Gattung Minnerede aus. Trotz dieser punktuellen Korrektur ändert sich im Prinzip nichts an dem von Melitta Rheinheimer beschriebenen Grundmuster der TextTypen-Varianz am Anfang des Berliner Manuskripts. Denn das von ihr im Zusammenhang mit dem Text Nr. 5, dem >Minnespruch an die GeliebteBruchstelle< hat Melitta Rheinheimer ignoriert. Sie entsteht dadurch, daß der Schreiber des zweiten Faszikels unmittelbar im Anschluß an den Text Nr. 2 > Schule der Minneaus dem Rahmen fallenDie rechte Art der MinneLob der Frauen Schule der MinneAugsburger LiederbuchsAugsburger Liederbuch< dürfte die Tatsache gewesen sein, daß es schon während der Rubrizierung der Handschrift mit der Überschrift Salutaci0 versehen worden ist. Man hat sie als Indiz dafür gewertet, daß der Prosaliebesbrief am Ende des lyrischen Teils mit einem Text korrespondiert, der ganz am Anfang der Liedgruppe auf Blatt 99Γ—99V steht, die gleiche Überschrift aufweist und bei dem es sich im übrigen auch um einen Liebesbrief handelt, der allerdings nicht in Prosa abgefaßt ist, sondern ein unregelmäßiges Reimschema aufweist. " 6 Bolte (1890), S. 99. 177 Vgl. Sittig (1987), S. 20. 178 Vgl. Hayer (1982), S. 212. Demgegenüber Leiderer (1972), S. 24: »Dialekt: bairisch.« ' " L e i d e r e r (1972), S. 24. 180 Glier (1971), S. 584. Ingeborg Glier weist an dieser Stelle darauf hin, daß neben den Liedern auch die Stücke aus ihrem Umkreis, »vor allem auch alles Lateinisch-Deutsche«, fehlen. " ' I n der Ausgabe von Bolte (1890) ist der Text unter dem Titel >Liebesbrief eines Mädchens< im Anhang auf S. 229^ abgedruckt.

73

Besonders reizvoll erschien in diesem Zusammenhang wohl auch die Möglichkeit einer geschlechtsspezifischen Rollenverteilung aufgrund der jeweiligen Anrede in den beiden Texten zu Beginn und am Ende der Sammlung: »Sie beginnt mit dem gereimten Liebesbrief eines Jünglings und endet mit dem Prosaliebesbrief eines Mädchens . . .«,82 »Diese Rahmenvorstellung des direkten Privatverkehrs« ist für Curschmann im >Augsburger Liederbuch< »auch sonst öfter gegenwärtig, wozu nicht zuletzt der relativ hohe Anteil an Mädchenliedern (7 Nrr.) beiträgt (direkte Scheltreplik Nr. 30 : 35; das Pflänzchen Wohlgemut als >BriefAugsburger Liederbuchs< offensichtlich die Dokumentation eines so breit wie möglich angelegten Typenspektrums zeitgenössischer Liebeslieder. So betrachtet ergibt sich dann auch ein beeindruckend buntes Bild der Sammlung, vor allem in der Nachzeichnung der Vielfältigkeit des Bestands von Friedrich Ranke: Sehnsuchtsklage, Versicherung der Treue, Bitte um Gunstgewährung, Klage über die Hartherzigkeit der Geliebten, Warnung vor den K l a f f e m , Spott auf die Eifersüchtigen, Abschiedsschmerz, Neujahrsglückwunsch, Hoffnung auf ein Wiedersehen; daneben auch einmal spöttische Absage, dazu ein paar Tagelieder: die bekannten Themen und bekannte Motive: Farbensymbolik, ζ. B. Preis der schwarzen Farbe der Verschwiegenheit; allerlei Liebesallegorie: der Liebende als Jäger, die Geliebte als Arzt, die Treulose als entflogener Falke; einmal erscheint der Liebende als ein getreuer Amtmann, der der Geliebten die Rechnung vorlegen möchte, >das sy dar auf quitieret michAugsburger Liederbuch< auftaucht. Als Prosatext' 87 steht der R a n k e ( 1 9 7 1 ) , S. 3 4 ; . C u r s c h m a n n (1978), Sp. 522.

" 4 Ebd. Ebd. Vgl. Haas

(1991),

S. l o j f .

R a n k e ( 1 9 7 1 ) , S. 3 4 5 . 1,7

Vgl. auch die >Parodie eines Liebesbriefs< im Cgm

74

379

auf Bl.

9; V-96V.

bereits erwähnte >Liebesbrief eines Mädchens< in jeder Beziehung am Rande der Liedersammlung, wobei Bolte ihn andererseits aber auch gerade »als Beweis für den Einfluß des Liebesliedes«188 auf solche Texte anführt. Auf die >SalutacioLosse-Sammlung< '>8 Vgl. Sittig (1987), S. 162. Als Nachtrag findet man die Überschrift Aliud auch noch auf Bl. 139t des Cgm 379. Sie steht dort auf dem linken Rand außerhalb des eigentlichen Schriftspiegels vor einem Lied, vgl. Bolte (1890), S. 226 Nr. 89. 200 Bolte (1890), S. 209 Nr. 57 V. if. "" Seidel (1972), S. 548f. 202 Ebd. S. 549—551. Weitere Beispiele für das Morgenstern-Motiv in der spätmittelalterlichen Liebesbrieftradition findet man bei Zingerle (1858), Bech (187;), Priebsch (1906) u. Rosenfeld (1930).

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(vgl. Kassel z° Ms. iurid. 25) überlieferte >Minneklage (aus Thüringen) Stengel/Schäfer S. 992 Nr. 1808 V . 2 i f . ""· Wiessner (1951), S. 76 V . 1 8 6 ^ 1 8 6 3 .

77

Frankfurt und erhielt dort später die Signatur: Familienarchiv Fichard Nr. 165 Ms. 69.205 Aufgrund einer »Mitteilung des Frankfurter Stadtbibliothekars Ebrard« wird 1890 gemeldet, daß der Verbleib der Handschrift unbekannt ist — sie gilt als verschollen.2"6 Eigentlich kann sie sich aber auch weiterhin nur im Frankfurter Stadtarchiv befunden haben. Auf jeden Fall taucht die Handschrift dort 1912 wieder auf - in einem »Verzeichniss des Freiherrlich von Fichard'schen Familienfideikommiss-Archives«, das Helmut Lomnitzer bei seiner Arbeit an dem Verfasserlexikon-Artikel >Fichards Liederbuch< entdeckt hat.207 Damit hat sich die auch heute noch in der Forschung diskutierte Möglichkeit, daß die Handschrift über den Weg einer Versteigerung das Frankfurter Stadtarchiv schon 1831 verlassen haben könnte,208 erledigt. Sie »ist dort 1944 verbrannt«.209 Durch die Vernichtung von >Fichards Liederbuch< hat die Uberlieferungsgeschichte das Original einer der »Hauptquellen für das weltliche >Gesellschaftslied«< des späten Mittelalters verloren. 210 Neben den Liedern, die, in erster Linie auf Liebesthematik ausgerichtet, im Bestand der Handschrift die umfangreichste Textgruppe gestellt haben, läßt sich in der Gesamtausgabe 211 von >Fichards Liederbuch< aber auch noch »gattungsfremdes Rankwerk« 212 ermitteln. So handelt es sich bei dem wohl umfangreichsten Einzeltext dieser Sammlung, den Fichard im Gegensatz zu den meisten anderen Texten ohne Überschrift als Nummer L X I I I abgedruckt hat, um eine Minnerede >Schule der MinneLiebesbriefspaltprodukt< handeln könnte, ist keine zwingende Voraussetzung, um die selbständige Überlieferung dieses kleineren Einzeltexts zu erklären. In der Überlieferungsgeschichte spätmittelalterlicher Liebesbriefe und -grüße gibt es mehrere Beispiele dafür, daß auch kleinere Gedichte noch als selbständige Textgebilde erkennbar sind und in dieser Form auch den Sammelinteressen des Publikums entsprachen. 2 ' 0 »Der unmittelbar folgende Text Fich. X X X V I I setzt sich ebenfalls aus (vier) Reimpaaren zusammen — die allerdings im fünften Vers durch eine Waise getrennt werden —, spricht die Dame als Adressat auch " 7 Ebd. S. 196. " 8 Ebd. S. 2 5 7 f . Sittig (1987), S. 160. In dem >Liebesbriefsteller aus Köln< (Brüssel Cod. II 144) sind die kleineren Einzeltexte 2. B. durch Paragraphenzeichen voneinander abgegrenzt.

80

direkt an und bezieht ebenso gute Wünsche mit ein, was genau wie bei Fich. X X X V I auf einen Liebesbrief hindeuten könnte.« 25 ' Über die von Doris Sittig angeführten briefspezifischen Gestaltungsmerkmale hinaus wird der Zusammenhang mit der spätmittelalterlichen Liebesbrieftradition bei diesem zweiten Liebesgruß aus >Fichards Liederbuch< durch eine Parallele mit teilweise sogar wörtlichen Übereinstimmungen noch deutlicher als bei dem vorangehenden Textzeugen (Nr. X X X V I ) . 2 5 2 Der Anfang des zweiten Texts - er beginnt: Ich send dir liebes lieb einen grusz Uff einer nachtigallen f u s z 2 " —

rekrutiert sich offensichtlich aus dem populären Formelinventar spätmittelalterlicher Liebesgrüße. Fast genauso beginnt ein Text, der zusammen mit zwei weiteren dieses Typs »in einer Inkunabel zu Karlsruhe«234 aufgetaucht ist und von Mone, leider ohne eine genauere Quellenangabe, 1854 veröffentlicht wurde. 2 " Eindeutige Überlieferungsmerkmale fehlen auch hier, man kann aber vermuten, daß diese Texte »handschriftlich« nachgetragen worden sind (vgl. Kap. 5).236 Dagegen liefert in >Fichards Liederbuch< der Kontext, in dem die Liebesgrüße stehen, einen Anknüpfungspunkt, der über das Generalthema Liebe hinaus die Zusammenstellung und Aufzeichnung einer solchen Textkonstellation mitmotiviert haben könnte. In diesem Zusammenhang wird eine Passage aus dem zweiten Liebesgruß wichtig. Sie lautet: Als manich gut iar gee dich an Als ein geleytterter wagen Gefülter rosen mag getragen. 237

Auf die Verwendungsmöglichkeiten solcher Verse im spätmittelalterlichen Brauchtum (vgl. auch Kap. 4.5.1.) hat Arne Holtorf hingewiesen: »Gut-Jahr-Wünsche diesen Typs können sehr wohl zum Jahresanfang ausgesprochen worden sein, das wird durch die Klopfans gestützt wie auch dadurch, daß das Neujahrsgeschenk als >Gutjahr< bezeichnet oder »zum guten Jahr< zugeeignet werden konnte, . . . Gut-Jahr-Wünsche 2

" Sittig (1987), S. 160. ' ' ' Fichard (1815), S. 257. Ebd. Nr. X X X V I I . Vgl. auch das Verzeichnis der Gedichtanfange in Kap. 7. 1>4 Mone (1834), Sp. 290. Die Inkunabel konnte bis heute noch nicht ermittelt werden, vgl. im Quellenverzeichnis die Bemerk, zu Karlsruhe, Inkunabel o. A. 1.6 Holtorf (1973), S. 3 5 5 Anm. 3. 1.7 Fichard (1815), S. 258. 81

sind aber eben keine Neujahrswünsche im strengen Sinne, die fest und ausschließlich an den Jahresanfang . . . geknüpft waren.« 2 ' 8 Ihre Erscheinungsformen sind nicht an eine bestimmte Gattung oder einen Texttyp gebunden - aber »recht häufig ist der Gut-Jahr-Wunsch im Liede und gerade im Liebeslied des Spätmittelalters anzutreffen«. 2 ' 9 So auch in der letzten Strophe des Lieds »Eyn suberlich lytlin von dem meyen«, das in der Ausgabe von >Fichards Liederbuch< die Nummer X X X V hat240 und demnach wohl auch im Original den beiden Liebesgrüßen unmittelbar vorausgegangen sein dürfte: Viel gutter iar und ein gut selige nacht Wünsch ich der liebsten . . . 2 4 '

Es wäre interessant, der Frage nachzugehen, in welcher Phase des Entstehungsprozesses von >Fichards Liederbuch< diese Textkonstellation zustande gekommen sein könnte, die in der Uberlieferungsgemeinschaft von Liebeslied und Liebesgruß über das gemeinsame Thema hinaus auch eine brauchtumsorientierte Verbindung erkennbar werden läßt. Dafür fehlen allerdings die Voraussetzungen. Man kann nur vermuten, daß das »noch nicht zusammenhängend untersuchte Liederbuch«242 auf verschiedenen Vorlagen und Vorstufen basiert. Da einige der historisch-politischen Texte datierbar sind (zwischen 1415 und 145 3),245 kommt für die Niederschrift der Liedersammlung in der endgültigen Version das »3. Viertel des 15. Jh.s« in Frage. 244 Den »Ort der Entstehung« glaubt Mück am »Pfalzgrafenhof (Kanzlei) in Heidelberg in Umgebung der (Auftraggeber) Ludwig III., Ludwig IV. und Friedrich I.« gefunden zu haben.245 Sein Optimismus in dieser Frage wird in der Forschung aber aus guten Gründen nicht geteilt.246 Mit den verwandten Kollektionen aus dem gleichen Entstehungszeitraum teilt >Fichards Liederbuch< »in wechselndem Maße typische Charakteristika, so ζ. B. den mäßigen Textzustand, die hohe Zahl an Unika, die Dominanz der Liebesthematik, das Überwiegen anonymen Liedgutes obd. Herkunft« 247 und mit einigen eben auch das Interesse an kleineren Texten vom Typ Liebesbrief. " " Holtorf (1973), S. 141. "» Ebd. S. 138. 240 Fichard (1815), S. 255. 241 Ebd. S. 257. Lomnitzer (1980), Sp. 734. 241 Vgl. Mück (1980), S. 184-186. 244 Lomnitzer (1980), Sp. 734. 24 ' Mück (1985), S. 5. 246 Vgl. Delbono (1988), S. 88. 247 Lomnitzer (1980), Sp. 734. 82

4-2.5 · Die Berliner Handschrift Mgq 495 Zu den Vorbesitzern der Berliner Handschrift Mgq 495 gehörte in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts der Wiener Antiquar Matthäus Kuppitsch (1797—1849). Er machte sie in den dreißiger Jahren für die erste wissenschaftliche Benutzung durch Ludwig Uhland und Franz Joseph Mone zugänglich.248 Diese Gelegenheit nutzte Mone, um einige Lieder und Reimpaargedichte, darunter auch zwei »Liebesbriefe«, 249 aus dem Textbestand vollständig zu veröffentlichen, andere in Auszügen oder — wie drei weitere Liebesbriefe - nur mit Incipit-Angaben als Bestandteil der Handschrift nachzuweisen. 2 ' 0 Mones Abdruck einzelner Texte und Textauszüge aus dieser Handschrift erschien allerdings nicht als ein geschlossener Block, sondern unzusammenhängend über die Bände 7 (1838) und 8 (1839) seines »Anzeigers für Kunde der teutschen Vorzeit« verstreut. 2 ' 1 Uber Mones sich stereotyp wiederholende Quellenangabe zu den von ihm veröffentlichten Texten: »Aus einer Pap. Hs. des 16. Jahrh. im Besitze des Hrn. M. Kuppitsch in Wien« 2 ' 2 - ließ sich das Original der Handschrift schon kurz nach dem Erscheinen der >Ausgabe< Mones nicht mehr ermitteln. Die Handschrift »wurde am 27.10.1845 von der Berliner Bibliothek aus dem Antiquariat Asher erworben«, 2 " muß demnach also, bevor sie an den heutigen Aufbewahrungsort in Berlin gelangte, nach der Benutzung durch Mone noch mindestens einmal den Besitzer gewechselt haben. Erst Hermann Degerings »Kurzes Verzeichnis der germanischen Handschriften der Preußischen Staatsbibliothek« lieferte in dem 1926 erschienenen 2. Band 2 ' 4 eine vollständige, »wenn auch nicht fehlerfreie« 2 " Inhaltsangabe der als »Liedersammlung« 2 ' 6 bezeichneten Handschrift Mgq 495 und machte über die entsprechenden Hinweise auf Mones Teiledition die Identifizierung der seinerzeit von Mone benutzten Quelle möglich. i4

' Vgl. Schmidtke (1981a), S. 16. Mone (1838), Sp. 5 5 if. 150 Mone (1839), Sp. 246. 2 " Mone (1838) u. Mone (1839). 1,1 Mone (1838), Sp. 553. Rheinheimer (197;)» S. 244. 1,4 Degering II. Schmidtke (1981a), S. 16. "'Degering II, S. 88. 145

83

Diese Zusammenhänge registrierte in der Forschung zum ersten Mal — wiederum erst fünfzig Jahre später — Melitta Rheinheimer in ihrem »Nachtrag« 2 ' 7 zu dem Minneredenrepertorium von Tilo Brandis, in dem die entsprechende »Hs. Kuppitsch O«, 2 ' 8 die mit der Berliner Handschrift Mgq 495 identisch ist, noch »als verschollen geführt« wurde. 2 " Nach der Wiederentdeckung des Originals hat sich bisher als einziger Dietrich Schmidtke ausführlicher mit ihm beschäftigt und »Die Lieder der Berliner Handschrift germ, quart 49 5«,260 die von Mone und Uhland fast hundertfünfzig Jahre früher nur sehr selektiv unter dem äußerst problematischen Gesichtspunkt der Volksliedhaftigkeit ausgewertet worden waren, 26 ' fast vollständig neu ediert. Sein umfangreicher Kommentar zu den einzelnen Texten liefert vor allem die notwendigen, in Degerings Handschriftenbeschreibung fehlenden Angaben zur Parallelüberlieferung und diskutiert die Qualität der unterschiedlichen Versionen. Darüber hinaus ist Schmidtke aber auch der grundsätzlichen Frage nach den spezifischen Entstehungszusammenhängen der Berliner Handschrift nachgegangen und auf »relativ präzise Anhaltspunkte zur Datierung« und Lokalisierung gestoßen.202 Neben den Wasserzeichen des für die Handschrift verwandten Papiers macht vor allem auch ein historisches Lied, 26 ' bei dem es »sich um ein ausgesprochenes Schmähgedicht« handelt,264 dessen Entstehung sich mit einem realen Ereignis der Nürnberger Stadtgeschichte in Verbindung bringen läßt,26' Schmidtkes Datierungsversuch wahrscheinlich: »um 1500, das meint: ganz kurz vor 1500 bis einige Jahre nach 15 00 (die zweite Angabe gilt vor allem für die späteren Partien der Handschrift . . ,)«266 und damit unter anderem auch für eine umfangreichere Textgruppe mit Liebesbriefgedichten, die ganz am Ende der Berliner Handschrift Mgq 495 steht. 1,7

Rheinheimer (1975), S. 1 7 8 - 2 7 3 ; bes. S. 186—188 u. S. 244. Brandis (1968), S. 243. 1,5 Rheinheimer (1975), S. 244. Schmidtke (1981a). 261 Vgl. ebd. S. 2 7 8f. 261 Schmidtke (1981a), S. 17. ' 6 ' In der Ausgabe von Schmidtke (1981a) ist es als Nr. 3: »Schmählied auf den Raubritter Cunz Schott« auf S. 27 aufgeführt. 164 Schmidtke (1981a), S. 17. Vgl. dazu die Ausführungen von Schmidtke (1981a), S. 17 über die Fehde des Cunz Schott mit Nürnberg und seine Folgerungen aus den spezifischen Überlieferungsmerkmalen, die er bei diesem Text beobachtet: »Die handschriftlichen Gegebenheiten legen die Annahme nahe, daß das Lied auf Cunz Schott aus aktuellem Anlaß eingetragen wurde«. 266 Schmidtke (1981a), S. 18.

i!S

84

Neben dem bereits im Zusammenhang mit der Datierung erwähnten Lied weisen auch in anderen Texten dieser Handschrift »vom Inhaltlichen her viele Spuren nach Nürnberg«. 267 Obwohl »die Sachlage vom Sprachlichen her nicht ganz so eindeutig«268 ist - auf dieser Ebene beobachtet Schmidtke neben nordbairischen auch alemannisch-schwäbische Schreibgewohnheiten - , tendiert er »doch dazu, Nürnberg als Schreibort anzunehmen«: 26 ' »Die gelegentlichen Abweichungen vom Nürnberger Schreibgebrauch erklären sich vielleicht daraus, daß der Schreiber von auswärts (aus ostschwäbischem Gebiet?) nach Nürnberg kam oder auswärts sich gewisse Schreibgewohnheiten aneignete.«270 In Anlage, Ausstattung und Umfang — es sind nur 54 Blätter 27 ' — bietet die Handschrift ein Erscheinungsbild, das auf eine Entstehung im »nichtrepräsentativ-privaten«272 Gebrauchszusammenhang hindeutet: »Dafür sprechen die Wahl einer relativ kursiven Schrift, die in dieser Art am Ende des 15. Jahrhunderts nur selten als Buchschrift benutzt wurde, und die Tatsache, daß Texteintragungen ziemlich willkürlich abgebrochen und dann neu begonnen werden . . ,«27' Strengere Ordnungsgrundsätze verfolgte der Hauptschreiber, in dem Schmidtke zugleich auch den »Erstbesitzer«274 sieht, offensichtlich nicht. 27 ' Einen von dessen Tätigkeit unabhängigen Entstehungszusammenhang signalisieren Aufzeichnungen, die von einem zweiten Schreiber auf den Blättern iç>r-2ir eingetragen worden sind. Diese Blätter gehören zu der dritten Lage, 276 bei der besonders das letzte Blatt (d. i. Bl. 22) auffallige Gebrauchsspuren aufweist, die Schmidtke mit dem Liebesbrief in Verbindung bringt, der auf den Blättern icjr— 2 i r steht: »die Lage 3 war ursprünglich als Streifenbrief gefaltet«,277 ». . . wie noch aus Schmutzrändern ersichtlich« ist.278 267

Ebd. S. 20.

268 2S

Ebd. ' Ebd. S. 22.

270

Ebd. Das sind deutlich weniger als in dem vielleicht noch am ehesten vergleichbaren L i e derbuch des Jakob Kebicz< (72 Bll.), vgl. Curschmann (1983), Sp. ιοβγί. 272 Schmidtke (1981a), S. 22. 27 > Ebd. 274 Ebd. 27 ' Die Gruppenbildung bei den >KlopfanWeingrüßen< und >Biersegen< am Anfang der Berliner Handschrift kann man schon in früheren Handschriften beobachten, vgl. Holtorf (198}), Sp. 1222.

271

276 277 278

Eine detaillierte Lagenformel liefert Schmidtke (1981a), S. 16. Schmidtke (1981a), S. 17. Schmidtke (1981b), S. 97. Anm. 14.

»5

Im Anschluß an den Liebesbrief stehen allerdings auf Blatt 21 r — die übrigen Seiten der zur Lage 3 gehörenden Blätter279 sind leer — noch weitere Aufzeichnungen des gleichen Schreibers, die eindeutig als selbständige Einzeltexte markiert sind (vgl. Abb. 6). Schon Degering hatte in seiner Inhaltsangabe zu dieser Handschrift innerhalb der Lage 3, also den Blättern 19t— 22V, zwischen zwei Texten differenziert: »Bl. i

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Abb. 6.

Berlin, S B P K . Mgq 49;, Bl. 2ir.

87

nach dem gleichen Verfahren in zwei sechszeilige Abschnitte graphisch unterteilt ist. Daß es sich bei diesem Textgebilde um zwei Strophen eines Liebeslieds handelt — wie es die Inhaltsangabe Degerings nahelegt —, ist unwahrscheinlich, da die Merkmale kleiner Reimpaarspruchdichtung nicht nur deutlich zutage treten, sondern die Merkmale, die eine eindeutige Identifizierung des Texts als Lied erlauben würden — Notation, Strophenstruktur —, gar nicht vorhanden sind. In dem von Arne Holtorf ausgebreiteten und aufgearbeiteten Material brauchtumspezifischer Kleinstdichtung läßt sich der erste dieser beiden Texte sogar definitiv festlegen auf den Typ >Gut-JahrWunschLiebes- bzw. Sehnsuchtsklagevon den gliedern des körpers, die sonst eingezogen oder schlaff sindc recken oder strecken, >tendere, extendere vel porrigeretentigo i. libido, quia est erectio membri virilism«287 286

Schmidtke (1981a), S. 281. Vgl. ebd. S. i6f. " 7 D W b 8, Sp. 445. 89

Analoge Bildungen von Personennamen findet man im Nürnberger Fastnachtspiel des 15. Jahrhunderts, dessen »sexuellen und skatologischen Wortschatz« Johannes Müller auch im Hinblick auf »kompromittierende Eigennamen« 288 untersucht hat: »Auch der Name >Reckenkolben< kann verschieden interpretiert werden, entweder als >Kolbe des Reckens< oder als >den Kolben erheben^«2"9 Während auf diesem allgemeineren Deutungshintergrund der karikierende Aspekt der Namensbildung deutlich wird, liefert der handschriftliche Kontext selbst ganz konkrete Anhaltspunkte für die Motivation dieser im Traditionszusammenhang spätmittelalterlicher Liebesbriefgestaltung recht ungewöhnlichen Namensnennung. 290 In diesem Bereich gibt es eine ganz unmittelbare Analogie in dem vorletzten Vers einer bisher unpublizierten Werbungslehre, die in der Berliner Handschrift Mgq 495 auf Blatt 46t/v überliefert ist: 2 ' 1 Solich jst von Jorge Ν mit dem %erß gesribenn wordenn (Bl. 46V). In einer dem jeweiligen Texttyp angepaßten Variation wird die Namensnennung zu einem wichtigen Detail in der parodistischen Gestaltungsabsicht des Verfassers. Bei den Liebesbriefen zieht dieser im übrigen alle möglichen Register traditioneller Briefgestaltung 292 ins Lächerliche. Dabei stehen die beiden von Mone publizierten und von Maschek295 nachgedruckten Texte aus der Briefgruppe, die der erste Herausgeber wahrscheinlich für die harmloseren Vertreter dieses Typs in der Berliner Handschrift gehalten hat,294 den beiden in der Ausgabe unterschlagenen Texten in nichts nach. So wird schon am Anfang des in der Ausgabe Mones ersten Briefes in den Versen: ich hab mir eine aus erkorn, die ist mir hinten lieber dann dw forn. 2 " 2,8

Müller (1988). Ebd. S. 2 1 1 . 290 Vgl. auch Wittstruck (1987), S. 26off., w o allerdings das einschlägige Textmaterial nur teilweise berücksichtigt worden ist. 2,1 Vgl. Degering II, S. 89 und Schmidtke (1981a), S. 23. 292 Ein Beispiel für die Traditionalität der verarbeiteten Formeln ist die »mehrfach als Spruch auftretende von dem >Reben tragenden MühlsteinKlopfanLiederbuchs der Klara Hätzlerin< (Prag Ms. Χ A 12) — wirkt. 505 Die Entstehung einzelner Texte und Textgruppen aus dem gemeinsamen Bestand der beiden Handschriften 3 " 4 kann man noch weiter zurückverfolgen,' 0 ' bis in die erste Hälfte des 15. Jahrhunderts bei den >Neujahrsgrüßen auf 1441—i448Bechsteins Handschrift^ um deren Rekonstruktion sich Mück (1980), S. 78-99 bemüht hat. 3 °' Vgl. die »Schematische Darstellung der Entstehung« bei Mück (1980), S. 108. Für Wachinger (1982), S. 390 Anm. 12 haben die »sehr präzisen Datierungen Mücks« allerdings keine Beweiskraft. 306 Vgl. Blank (1987), Sp. 914. 307 Karel van Hulthem war in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts der Besitzer dieser Handschrift, vgl. Deschamps (1972), S. 1 3 1 . 308 Vgl. van Anrooij (1986), S. 226 u. Anm. 8. 3 °' Deschamps (1972), S. 1 3 1 . 301

92

ländische Literatur, denn sie nimmt einmal Weltliches und Geistliches auf, und zudem bietet sie unter den weltlichen Gedichten die verschiedensten Gattungen und Typen, unter anderem neben Liedern, Verserzählungen, Fabeln, Bispel, Reden auch die ältesten weltlichen Spiele. Die Minnereden finden sich in dieser Handschrift überwiegend verstreut, nur einmal sind sie zu einer kleineren Gruppe zusammengeschlossen (Nr. 77—81 nach der Zählung von Serrure).« 3 ' 0 Eingeleitet wird diese kleine Minneredengruppe durch zwei Texte v o m Typ Liebesbrief. Für den zweiten Text — er steht mit einem Umfang von 3 2 Versen auf Bl. Ó9rb—6(jva der >Hulthemschen Handschrift< — gibt es eine Parallele in der Brüsseler Handschrift Cod. II 144 auf Bl. 63V—Ó4r. Diese Handschrift, die in ihrem »Grundbestand erst in der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts aufgezeichnet worden ist«, stammt aus dem »niederländischen Grenzgebiet (Gelderland?)«.' 11 Veränderte Schreibgewohnheiten, Umstellung einiger Verspaare und Erweiterung durch einen formelhaften, auch als eigenständiges Textgebilde denkbaren Liebesgruß 512 am Schluß des >Brüsseler Liebesbriefs< fallen in der jüngeren Fassung gegenüber den Gemeinsamkeiten mit der älteren, von der nur die beiden Schlußverse fehlen, nicht ins Gewicht. Außer den >Neujahrsgrüßen auf 1441 bis i448< und dem wohl v o m gleichen Verfasser stammenden >AbschiedsgrußMinnesprüche an die Geliebte*, die vor allem in den Lieder-/Stammbüchern auftauchen. Bei der Zählung dieser Texte sind Brandis (1968), S. 6 j f . Nr. 82-95 und 9;a~95n und J

93

ren Texten, die durch Paragraphenzeichen am Anfang als eigenständige Gebilde vom Schreiber kenntlich gemacht worden sind, befinden sich mehrere Dubletten: Bis auf wenige Ausnahmen tauchen die Texte aus der ersten, kleineren Gruppe (Bl. i o r - i o v ) in der zweiten (Bl. 43v-471-) verstreut wieder auf (vgl. Brüssel Cod. II 144, Nr. 1 - 7). Als >Liebesbriefsteller aus KölnDer Minne Lebenc »Ein Kompendium (546 vv.) der höfischen Liebe, das in einem systematischen Lehrgespräch zwischen dem Ich-Dichter und einer Jungfrau dargeboten wird. . . Das Gespräch endet mit einer vergeblichen Liebeserklärung der Dame an den Dichter, der seiner Geliebten nicht untreu werden will (456—546).«'2I Am Ende dieses Gesprächs verabschiedet sich die Dame mit der Segensformel: Rheinheimer (1975)1 S. 185£. zu unterschiedlichen Ergebnissen gekommen. Rheinheimer scheint auch die grußähnlichen Priameln mitberücksichtigt zu haben, die in der umfangreicheren Textgruppe aufgezeichnet worden sind. 3,6 Stöllinger-Löser (198;). >,v Priebsch (1906), S. 3 1 3 . 1,8 Brüssel Cod. II 144, Bl. i o v . s 9 ' Rheinheimer (1975), S. 49. J1 ° Vgl. auch Brandis (1968), S. 63 Nr. 82. D e r G r u ß leitet die zweite, umfangreichere Sammlung ein (vgl. Brüssel Cod. II 144, Nr. 8). >" Rheinheimer (1987), Sp. 556.

94

>ich bevete uch got van hemelryche ende Marien, synre moeter. Sinte Janpes sy ur behoeter, daz ir nemmer moeßen sterben ir enmoeßen gotes hulte werben.Omnipräsenz< eines kleineren Textgebildes in unterschiedlichen Gebrauchszusammenhängen Priorität zuzusprechen ist, kann mit letzter Sicherheit wohl kaum entschieden werden. Außer- und subliterarische Erscheinungsformen im Vorstellungsbereich spätmittelalterlicher Sitten und Gebräuche können als Bezugspunkt und -quelle auch für den ältesten bisher bekannt gewordenen Beleg dieses Texts im Kontext der Minnerede' 24 nicht grundsätzlich ausgeschlossen werden. Die überlieferten Brauchtumsformen um Johannes den Evangelisten, vor allem bekannt durch das Trinken des Johannesweins, das im ausgehenden Mittelalter in Deutschland »fast zu einer Mode geworden war«,' 2 ' markieren in ihrer Vielschichtigkeit' 26 einen möglichen Rahmen für die jeweiligen Existenzbedingungen und Entstehungszusammenhänge solcher Texte. Da der Tag des Evangelisten Johannes am 27.12. genau zwischen Weihnachten und Neujahr in der kalendarischen Hochkonjunkturphase des spätmittelalterlichen Jahreswechselbrauchtums liegt, für das literarische Erscheinungsformen wie Glückwünsche und Grüße massenhaft belegt sind,' 27 erklärt sich vielleicht auch die Existenz des Johannessegens in dem selbständigen Neujahrsgruß.

' " M R II, Nr. 27, S. 150. V. 52^524. Uppsala C 454, zwischen Bl. 87 und 88. J 4 ' Als Abschiedsmotiv taucht der >Johannessegen< auch in anderen Texten auf, vgl. Mihm (1967), S. i n . 3 " Beiti (1974), S. 408. " 6 Vgl. ebd. S. 408f. Vgl. Holtorf (1973). Ebd. S. 1 ; auch Belege aus der Brüsseler Handschrift Cod. II 144. 95

Für die Popularität der Texte aus dem Bestand des >Liebesbriefstellers aus Köln< gibt es noch weitere Belege,' 28 einige sogar in einem Lübecker Druck, der um die Mitte des 16. Jahrhunderts, also fast gleichzeitig mit der Entstehung der Brüsseler Handschrift Cod. II 144, bei Ballhorn verlegt worden ist.'29 Dabei erscheint als liebesbriefspezifische Grußformel am häufigsten das Verspaar: G o t groet dich lieff myn aire liefste lieff myn hert sent dich desen b r i e f f . " 0

Neben dieser Anspielung auf eine schriftliche Übermittlung" 1 präsentiert der >Liebesbriefsteller aus Köln< noch zahlreiche andere Texte, in denen einleitend die Variationsmöglichkeiten der Phrase" 2 Got groet dich . . . für den Liebesgruß durchgespielt werden. Vergleichbare Gestaltungsmerkmale — in der Ausführung allerdings sehr viel anspruchsvoller — findet man in der Tradition des geistlichen Lieds unter den >Mariengrüßenfrater< (Nr. 77 j), zweimal an eine geistliche Freundin Frau Margaret (Nr. 737 und, als geistliches Fastnachtsküchlein, Nr. 738).« " ' Zu >Leben und Werk< vgl. ebd. " 6 Appelhans (1970), S. 32 Nr. 13. " 7 Ein für die von Wachinger berücksichtigten >Mariengrüße< konstitutives Gestaltungsmerkmal, vgl. Wachinger (1987), Sp. if. "* Ausgabe und Literatur zum Text nennt Appelhans (1970), S. 32 Nr. 13. 96

merkmal der Grußformel." 9 Als übergeordneter und ganz gezielt eingesetzter Anknüpfungspunkt wurde in der Brüsseler Handschrift den beiden Grußsammlungen ein Motto vorangestellt, das ihre Zusammengehörigkeit auch auf dieser Ebene noch einmal unterstreicht: Wye eyn soet lieff wilt kyesen dy kyese Maria dye reyne maget want sy is van herten ciaer alsoe sy maeckt bedroefde herten vro. î 4 °

4.3. Exkurs: Liedersammlungen des 16. Jahrhunderts Die Affinität zwischen Liebesliedern und kleineren Reimpaartexten vom Typ Liebesbrief und Liebesgruß erscheint neben der inhaltlichthematischen Verwandtschaft solcher Texte 34 ' vor allem im 16. Jahrhundert auch in der Uberlieferung deutlich ausgeprägt. In den handschriftlichen Liedersammlungen des 16. Jahrhunderts, deren Ausbreitung in Deutschland sich zahlreich dokumentieren läßt,342 findet man neben dem Hauptbestand geistlicher und weltlicher >Gesellschaftslieder< auch Reimpaarsprüche, die quantitativ gegenüber dem Liedbestand zwar nicht ins Gewicht fallen, in der Regelmäßigkeit ihrer Erscheinungsformen aber einen festen Stellenwert im Uberlieferungsverband behaupten: »Fast alle größeren Liederbücher des 16. Jahrhunderts und wohl auch noch späterer Zeit pflegen ihren Inhalt reizvoller und abwechselungsreicher zu gestalten, indem sie zwischen die einzelnen Lieder Reimsprüche . . . einsprengen.«343 Bei der Beschäftigung mit den handschriftlichen Liedersammlungen des 16. Jahrhunderts, von denen viele in Ausgaben vorliegen, die zum großen Teil zwar veraltet sind, andererseits aber auch heute noch einen Eindruck vom Gesamtbestand der einzelnen Handschrift vermitteln können, wurde das gattungsfremde Rankwerk der Reimpaarkleinstdichtung in der Forschung neben den Liedern von Anfang an mitberücksichtigt' 44 und darüber hinaus auch zum Gegenstand selbständiger Publikationen und Untersuchungen gemacht. 34 ' 1,9

Zur Problematik >MariengrußLiebesgruß< und >Weingruß< vgl. Haas (1991), S. 2 1 1 . Brüssel Cod. II 144, Bl. ior (4jr). i4 ' Vgl. Kiepe (1972), S. 5 - 1 2 . 341 Vgl. z . B . die Zusammenstellungen der erhaltenen Denkmäler bei K o p p (1908), S. 2 j 7 f f . Rupprich 1, S. i93ff. u. Rupprich 2, S. 2 4 i f f . 543 Hippe ( 1 9 1 1 / 1 2 ) , S. 687. Vgl. auch Holtorf (1973), S. 248. 344 Vgl. schon Büsching (1821), S. 87 u. 344. Mone (1838a), Sp. 73 bemerkt dazu: »Bei zweifelhaften Liedern ist auch die schwankende Schreibung stehen geblieben, so wie 340

97

Die Zusammenhänge mit der spätmittelalterlichen Liebesbrieftradition wurden dabei für den Einzelfall anhand der Identität des Formelinventars zwar registriert,'" 6 allerdings nicht weiter aufgearbeitet. Die »Reimsprüche, die schon an sich minderen Wert haben als die Lieder,«'47 konnten das Interesse der Forschung eben doch nur in beschränktem Umfang mobilisieren. Stereotype, in Handschriften aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts gleichbleibende Überlieferungsmerkmale scheinen die Abhängigkeit dieser Texte von der Lieddichtung nicht nur im handschriftlichen Erscheinungsbild, sondern auch im Hinblick auf die Entstehungszusammenhänge zu bestätigen: »Die meisten der Sprüche . . . sind einzeln, manchmal zu zweien, den einzelnen Liedern angehängt, stehen auch nicht selten stofflich zu dem Inhalt des jedesmal vorangehenden Liedes in einer gewissen Beziehung, so daß es den Anschein gewinnt, als habe der Sammler die Sprüche gewissermaßen als Schlußmoral den einzelnen Liedern beigegeben.«' 48 Solche Beobachtungen zum Abhängigkeitsverhältnis von Lied und Reimpaarspruch werden allerdings relativiert, wenn man den jeweiligen Einzeltext in seiner individuellen Uberlieferungsgeschichte auf dem Hintergrund des Überlieferungsspektrums der handschriftlichen Liedersammlungen des 16. Jahrhunderts betrachtet. Feste Verbindungen im Sinne übergeordneter Texteinheiten zwischen Liedern und Sprüchen sind, sofern sie sich in den Konkordanzen überhaupt nachweisen lassen,'49 in diesem Bereich der Überlieferung A u s n a h m e e r s c h e i n u n g e n . D i e Textkonstellationen zwischen Lied auch überall die Schlußverse der Abschreiber, die es damals Sitte war, den Abschriften beizufügen.« >41 Vgl. Kopp (1902) und Hippe (1911/12). ,4 ' Vgl. besonders Kopp (1902), S. 49. >47 Kopp (1901/02), S. joi. ,4β Hippe (1911/12), S. 687. >4' Vgl. Brednich (1976), S. 49. In der gleichzeitigen gedruckten Liedpublizistik gibt es Textkonstellationen, die sich von denen in der handschriftlichen Überlieferung praktisch nicht unterscheiden. Unter den »Sechs Volksliedern aus dem 16. und 17. Jahrhundert«, die von O. Stückrath und J . Bolte in der Zeitschrift des Vereins für Volkskunde 2; (1915), S. 280-291 veröffentlicht worden sind, findet man unter Nr. j neben dem Lied eines Straßburger Drucks folgenden Spruch: Mein Allerliebste vngenendt, / Nimb jet^t vor gut, was ich dir sendt, / Ob schon die Gaab ist ring vnd klein, / Gott weiß, daß ich in trewen mein. Das Spiel mit der Anonymität nach einem traditionellen Gestaltungsmuster aus der Liebesbriefdichtung wird hier in dem an sich von jeglicher Individualität und Intimität weit entfernten Massenartikel erst durch den Bezug zum >übergeordneteri< Lied reizvoll: »Die Anfangsbuchstaben der einzelnen Strophen ergeben den Namen Anna.« (S. 284). 98

und Spruch sind vielmehr vollkommen variabel. Ein mehrfach überliefertes Lied ist in den verschiedenen Handschriften mit unterschiedlichen Sprüchen kombiniert," 1 und ein und derselbe Spruch erscheint mitunter sogar in einer einzigen Handschrift in Verbindung mit mehreren Liedern." 2 Die Variabilität dieser Textverbindungen im handschriftlichen Erscheinungsbild deutet darauf hin, daß solche Überlieferungsgemeinschaften spontan zustande gekommen sind. Als Gruppe der dafür Verantwortlichen kommen eigentlich nur die Schreiber in Frage, die meistens wohl auch gleichzeitig als Sammler tätig gewesen sind, hinter denen man zum großen Teil Studenten vermutet:"' »Die Annahme allerdings, in dem Spruchgut äußere sich der jeweilige Schreiber in seiner Individualität, erweist sich in der Mehrzahl der Fälle als unzutreffend. Ähnlich, ja vielleicht noch stärker als das Liedgut scheint die Spruchdichtung von der Vermittlung durch gedruckte Quellen abhängig zu sein, so daß sich viele der Schreiberverse als abgeleitet identifizieren ließen. Dabei spielt das sog. >Niederdeutsche Reimbüchlein< des 16. Jahrhunderts eine besondere Rolle . . .«." 4 Diese in Lübeck bei Ballhorn gedruckte Spruchsammlung ist nicht nur ein weiterer Beweis für die Popularität derartiger, teilweise sehr traditioneller"' Reimpaarkleinstdichtung im 16. Jahrhundert. Sie zeigt darüber hinaus, daß die Texte nicht nur verstreut, sondern auch in Form kompakter, allgemein verfügbarer Sammlungen existiert haben. In der Gruppe der Liedersammlungen des 16. Jahrhunderts, von denen einige aufgrund der skizzierten Erscheinungsformen kleinerer Reimpaartexte für die Überlieferungsgeschichte der spätmittelalterlichen Liebesbrieftradition gleichsam als Ausläufer interessant sind und unter diesem Aspekt im folgenden noch detaillierter beschrieben werden sollen, nimmt die Berliner Handschrift Mgf 488 eine Sonderstellung ein. Das Interesse der Forschung an dieser um 1530 von Martin Ebenreutter in Würzburg geschriebenen Sammelhandschrift konzentrierte sich vor allem auf den ersten Teil, in dem enge Parallelen mit dem >Liederbuch der Klara Hätzlerin< zu beobachten sind." 6 Unabhängig " ' V g l . z . B . Hoffmann v. F. (1854), S. ιογί. Lied Nr. 1 u. K o p p (1903), S. 518 Lied Nr. 51. » ! Vgl. 2. B. K o p p (1902), S. 4 i f f . Nr. 3 u. S. 4 5 f f . Nr. 6. " ' V g l . K o p p (1901/02), S. ; o j f . Hippe ( 1 9 1 1 / 1 2 ) , S. 687. " 4 Brednich (1976), S. 49. " ' Vgl. Brandis (1968), S. 276. Rheinheimer ( 1 9 7 ; ) , S. 272. " 6 Vgl. im Anhang die Angaben zu Prag Ms. Χ A 12 und Kap. 4.2.1.

99

davon bietet die Handschrift in einem zweiten Teil, der das letzte Drittel des Gesamtumfangs ausmacht, ein individuell geprägtes Erscheinungsbild, auf dessen stammbuchartigen Charakter erst Hans-Dieter Mück aufmerksam gemacht hat.357 Neben den für diesen Handschriftentyp charakteristischen Monogrammen und Devisen hat Mück auch kleinere Reimpaartexte aus diesem Denkmal unter dem Sammelbegriff »Schreibersprüche« zusammengestellt." 8 Darunter befinden sich einige, die in ihrem handschriftlichen Erscheinungsbild die gleichen Uberlieferungsmerkmale aufweisen wie die kleineren Reimpaartexte in einigen anderen Liedersammlungen des 16. Jahrhunderts. Sie konzentrieren sich innerhalb des zweiten Teils der Berliner Handschrift auf die Liebesliedgruppe der Blätter 323V-332V.

Auffallend ist, daß in diesem Bereich die sonst in der Handschrift üblichen Überschriften fehlen. Die kleinen Textgebilde fungierten hier also wohl auch als ein Gliederungsmittel, denn sie wurden in einer analog zu den Uberschriften gestalteten Auszeichnungsschrift eingetragen." 9 Über die Entstehungszusammenhänge der Texte ist damit allerdings noch nichts ausgesagt, denn der Schreiber könnte seine >Sprüche< aus der Vorlage mitübernommen haben, um sie dann in der Kopie den eigenen Vorstellungen oder denen des Auftraggebers' 60 entsprechend optisch umzusetzen. Auf den zunächst mißglückten Versuch des Schreibers, einen spontanen Einfall umgehend zu realisieren, könnte die Korrektur des ersten Verses bei dem Zweizeiler auf Blatt 3 2 7 V hindeuten.' 61 Sofern beim Verfassen solcher Texte aber überhaupt von Spontaneität die Rede sein kann, dann sicher nur in dem begrenzten Rahmen der Montagemöglichkeiten traditioneller Versatzstücke, die auch aus dem Formelinventar spätmittelalterlicher Liebesbriefdichtung bezogen werden konnten, das in der Berliner Handschrift durch die >Neujahrsgrüße< im ersten Teil auf den Blättern 1 3 4 V — 1 4 2 t präsent ist.' 6z Vielleicht ist es " 7 Mück (1980), S. 1 2 7 u.a.m. Vgl. ebd. S. 1 1 9 - 1 2 2 . 3 " Von den Texten, die in einer typischen Kurrentschrift des 16. Jahrhunderts aufgezeichnet worden sind, hebt sich der Duktus der Überschriften in gebrochenen Kanzleischriftzügen deutlich ab. Einen Eindruck v o n dem handschriftlichen Erscheinungsbild können die Abbildungen bei M ü c k (1985), S. 2Óff. vermitteln. iSo »Sowohl über diesen anonymen A u f t r a g g e b e r (und Besitzer?) als auch über die dem J a h r der Fertigstellung der Handschrift folgenden J a h r e konnte nichts Erhellendes gefunden werden.« Mück (1980), S. 125. ' 6 ' Vgl. Berlin M g f 488, N r . 10. > u Vgl. K a p . 4 . 2 . 1 .

100

kein reiner Zufall, daß die stereotype Formel Halt fest, mit der in den >Neujahrsgrüßen< jeweils immer der letzte Vers beginnt, 565 im zweiten Teil der Handschrift dann noch einmal als Anfang von einem der »Schreibersprüche« zwischen zwei Liebesliedern auftaucht (B1 329V). Auch in der Weimarer Handschrift O 146, die 1537 in Zutphen (Gelderland, Niederlande) angelegt wurde, treten kleine Reimpaartexte noch nicht so zahlreich und >regelmäßig< in Erscheinung wie in den späteren Liedersammlungen aus der zweiten Hälfte des 16. Jahrhunderts. In der Anlage der Weimarer Handschrift zeichnet sich dennoch ein ausgeprägtes Interesse für die kleinen Reimpaargedichte ab. Sie wurden von dem Sammler/Schreiber auf den letzten Blättern (49ff.) der Handschrift in einem >Reimpaartext-AnhangBlumm und Außbund< mit der gleichen Regelmäßigkeit zwischen den Liedern erscheinen.572 Ihren Kulminationspunkt erreichen diese kleineren Ausläufer der spätmittelalterlichen Liebesbrieftradition recht eigentlich aber erst in einem Text aus der >Ars amandi< — und zwar nicht in der atomisierten Kleinstform, die ihr handschriftliches Erscheinungsbild in den Liedersammlungen des 16. Jahrhunderts bestimmt, sondern zu einem wieKopp (1908). Ebd. S. 254. Vgl. Hoffmann v. F. (1855a), S. 553.

103

derum geschlossenen Textgebilde zusammenmontiert. >Lustig< an diesem Konglomerat traditioneller Versatzstücke mit dem Titel >Lustiger Buhlenbrieffrühbarocken Liebesbriefkultur< dürfte mit diesen letzten Quellen allerdings schon überschritten sein.

4.4.

D i e >Losse-Sammlung
littere et notulelittere ordinatelittere ordinate< zu größeren Sammlungen. . . . O f t tragen sie Überschriften wie >iura et statutalittere theuthonice< usw. Die Teilsammlungen wuchsen zu den uns heute vorliegenden oder verlorenen Handschriften zusammen.« 400 Innerhalb der Kasseler Losse-Handschrift z° Ms. iurid. 25 zeigt auch die L a g e 35 (Bl. 263—270), in der ursprünglich nur die deutschen und lateinischen Gedichte aufgezeichnet worden waren, Merkmale einer »Teilsammlung«: die Blätter sind mit einer »Buchstabenzählung des 14. Jh.s« 401 unabhängig v o n den laufenden Nummern der übergeordneten Foliierung individuell paginiert. D a diese kleinen Sammlungen »ursprünglich selbständig« waren, 402 besteht durchaus die Möglichkeit, daß Losse diese heutige L a g e 3 5 nur für poetische Texte vorgesehen hatte. Ihr Eigenleben war allerdings v o n kurzer Dauer, denn über nachträglich aufgezeichnete Urkunden " 8 Langer (1971), S. 376. »» Holtorf (1985), Sp. 919. 400 Stengel/Schäfer, S. X l l l f . 401 Ebd. S. X X I . 4 " Ebd. S. X X I I .

108

läßt sich ziemlich genau ermitteln, wann die einzelnen Teile der Handschrift in der heute noch existierenden Form zusammengesetzt worden sein dürften: Auf fol. ib steht, von Losse selbst geschrieben, . . . eine Liste damals noch ganz oder teilweise unbeschriebener Blätter. Diese Liste zählt Blätter aus allen Teilen der Handschrift auf; diese bestand also damals im heutigen Umfang und mit durchlaufender Blattzählung. Sie ist nach 1342 November (Nr. 720) entstanden. Dieses Stück war schon in der Handschrift eingetragen; sonst hätte das Blatt, auf dem es steht, unter den leeren Blättern aufgeführt sein müssen. Als leer werden alle Blätter aufgezählt, die von den Händen 12 K , 20 K , 21 K , 22 K , 23 K , 28 K , 29 K , 30 Κ und 34 Κ (von diesem Schreiber stammen auch die Nachträge in der Lage 35, J . S.-G) ganz oder teilweise beschrieben wurden. Diese Schreiber begannen ihre Arbeit also erst nach Anlage der Vacuumliste. 40 '

Solche »Vacuumlisten« hat Losse auch für einige andere seiner Handschriften aufgestellt: »Wahrscheinlich, ihrer einheitlichen Anlage wegen, sind die Vacuumlisten gleichzeitig entstanden, und zwar, als Losse im Sommer 1344 sein Amt als Offizial übernahm. Damals führte er wohl eine Bestandsaufnahme seiner Sammlungen durch, legte die Vacuumlisten an und ließ nicht selten auf den so festgestellten leeren Blättern gerade solche Angelegenheiten nachtragen, die seine Tätigkeit als Offizial betrafen.«404 So >sentimental< es auch klingen mag: dieses hohe Amt ließ offensichtlich keinen Raum mehr für die Liebe Losses weder zu der Färberstochter Lisa Reynkin noch zur Poesie. Der Verdacht, daß diese Liebe - jedenfalls die zur deutschen Dichtung — gar nicht besonders ausgeprägt und intensiv gewesen sein muß, wurde in der Forschung immerhin auch schon geäußert: »L. ist sicher kein Förderer der Dichtkunst gewesen, dafür weist seine Sammlung zu wenig Substanz und Systematik auf.«40' Und so könnte sich das Interesse des Klerikers »und Juristen an deutschen >GelegenheitsgedichtenMinneklage (aus Thüringen)Alke< »aus alveke = Elbchen« 4 ' 4 entwickelt, die für Friedrich Ranke im übrigen die plausibelste Lösung dieses Problems darstellt, 41 ' stammt zwar aus erst relativ spät aufgezeichneten Sagenstoffen, die zentralen Begriffe basieren aber auch auf Ortsnamen, die sich in einigen Urkunden schon sehr viel früher nachweisen lassen.4'6 Für die Deutung des Begriffs »alkelin« in der >Minneklage (aus Thüringen)< eröffnet sich damit über den bisher einzigen Erklärungsversuch von Vogt hinaus eine Perspektive, die nicht zuletzt deshalb interessant ist, weil sie konform läuft mit der literarischen Tradition des Minnesangs - besonders in seiner thüringischen Ausprägung. Hermann Schneider hat gezeigt, wie in »Morungens Elbenlied . . . die Vorstellung von jenen geheimen unirdischen Wesen . . . zum Sinnbild und Abbild der Geliebten und der Minne geworden ist«.4'7 Daß dieser Vorstellungsbereich auch im 14. Jahrhundert noch präsent war, wird man wohl kaum von vornherein ausschließen können, ebenso4

' ' Laistner (1881), S. 1 9 1 . Ranke (1927), Sp. 263. 411 Ebd. Vgl. Handwörterbuch der Sage. Namens des Verbandes der Vereine für Volkskunde herausgegeben von Will-Erich Peuckert. 2. Lieferung. Göttingen 1962. Sp. 342: »Man wird annehmen dürfen, daß Alken eine Lokalgruppe elbischer Wesen aus der Gruppe der Zwerge sind.« 4,6 So z. B.: »alkenbuele« für das Jahr 1277, vgl. Joseph Kehrein, Sammlung alt- und mitteldeutscher Wörter aus lateinischen Urkunden, zugleich eine Ergänzung der lexikalischen Werke von G r a f f , Müller-Zarncke, Förstemann. Nordhausen 1863. Nachdruck: Hildesheim 1966. S. 35 u. 40. 417 Schneider (1962), S. 222.

4,4

III

wenig wie die Möglichkeit, daß der Verfasser der >Minneklage (aus Thüringen)< mit seiner Formulierung auf diesen Vorstellungsbereich abgezielt haben könnte, 4 ' 8 wobei der Abstand zu Morungen, der wohl am deutlichsten in der Trivialisierungstendenz der >Minneklage< zum Ausdruck kommt, auch gar nicht wegdiskutiert zu werden braucht: Lip, laz mich gnade an dir erwerben und laz mich nicht vorterben, vil herzeliebe iuncfrowe min, ich meine dich, libis Alkelin. Ich gedenke an dich dicke. Din suzen losen blicke kunnen mich irwrowen wol, wan du bist aller togende vol. Ich wil mich in dine gnade geben, vriste, iuncfrowe, mir min leben. 4 ' 9

Eine »Mittelpunktsrolle des >BlicksMinneklageDaz brechen leit< einen zwielichtigen Personennamen: Di swar^e Grite (V. 12), den man wohl mit einem Wesen in Verbindung bringen muß, das von der Volkskunde als gemeinhin bekannter Wassergeist identifiziert wird.452 Aber auch unabhängig von solchen Erscheinungen kann man wohl davon ausgehen, daß diese thüringischen Texte auf einem gemeinsamen Traditionshintergrund entstanden sind. In beiden Fällen fehlen allerdings überzeugende Indizien für ihre Existenz in einem konkreten, briefspezifischen Gebrauchszusammenhang. Gegenüber der >Minneklage< bleibt die Provenienz des zweiten Texts vom Typ Liebesbrief in Losses Gedichtsammlung unbestimmt: »Die 424

Mertens (1978), Sp. i o n . > Vgl. Heinzle (1978), S. 299. 426 Bartsch (i860), S. X X . 417 Ebd. S. X X f . Zur Streifenform vgl. Kap. 2. 4!S Meyer (1899), S. 51. Ebd. 4J0 Stengel/Vogt, S. 192. 431 Glier (1971), S. 83 Anm 76. 4,! Vgl. DWb 4,1.6. Sp. 200. Beiti (1974), S. 725 u. 939.

4!

113

Reime sind alle neutral ohne mundartliche Eigenheiten«. 433 Umso prägnanter tritt hier ein inhaltliches Gestaltungsmerkmal in Erscheinung, dessen Funktion Ingeborg Glier im Traditionszusammenhang erläutert hat: In N r . I V wählt der Verfasser die (fiktive ?) F o r m eines v o n ihm und für ihn zur Geliebten sprechenden Briefes, um seine Klagen und Bitten vorzubringen. D a s ist nicht so sehr v o n der Tradition der lateinischen Liebesbriefsteller — etwa in der A r t v o n Boncompagnos >Rota Veneris< — her zu verstehen, vielmehr erinnert die Briefform in der Funktion eher an die Rolle des Boten im Minnesang, und sie wird »realistisch« durchgespielt bis zur Bitte, den Brief zu verbrennen ( I V , 42f.). Brief ist hier also weder nur informierender Nachrichtenträger oder fiktive Einkleidungsform, sondern auch funktionales literarisches Zitat, und dies gilt es zu beachten, wenn man den Traditionshintergrund des Gedichtes annähernd beschreiben will. 4 3 4

Auf »die rhetorische Herkunft der Einkleidung« 43 ' des Texts in die Brief-Boten-Rolle hat demgegenüber Purkart hingewiesen. Dabei bucht er den >Liebesbrief< aus der Losse-Sammlung als ein Beispiel dafür, »daß es manche Dichter für nötig hielten, . . . die Personifikation durch eine Überschrift anzudeuten (>Littera amantis loquiturStockholmer Arzneibuchs< wirken die beiden Liebesgrüße als Gedichte recht isoliert. Anknüpfungspunkte auf der inhaltlich-thematischen Ebene (Liebe, Zuneigung) und in der formalen Gestaltung (Reimpaare) bietet nur der Liebeszauber. Vergleichbare »Anweisungen, wie man Liebe erwecken kann«, 4 " sind auf den vorausgehenden Blättern noch mehrfach vertreten, 4 ' 6 so daß die Aufnahme dieses Texts durch die handschrifteninternen Vorläufer, die unabhängig voneinander wohl auch von unterschiedlichen Schreibern eingetragen worden sind, 4 ' 7 sehr viel eher motiviert erscheint. Über diese zauberhafte Liebesthematik 4 ' 8 hinaus ist in dem >Stockholmer Arzneibuch< neben »dem rein medizinischen Inhalt ein reiches volkskundliches Material« vorhanden, das für Gustav Korlén »den besonderen kulturgeschichtlichen Reiz«459 dieses Denkmals ausmacht: »Für diese starke Berücksichtigung der volkskundlichen Überlieferung gibt es m. W. keine Parallelen in vergleichbaren Arzneibüchern.«460 Aus den Kasseler Handschriftenbeständen hat Hartmut Broszinski nun aber gleich mehrere spätmittelalterliche medizinische Sammelhandschriften ans Licht gebracht, die dem >Stockholmer Arzneibuch< in nichts nachstehen — auch nicht in der besonderen Dichte vor allem volkskundlich interessanten Textmaterials.461 Besondere Aufmerksamkeit widmeten Medizinhistoriker allen anderen von Broszinski katalogisierten Handschriften voran dem >Kasseler Arzneibuch Assion (1987), S. 373.

490

I 2

3

alterlichen Bildungsbetrieb von (Latein-)Schule und Universität hervorgegangen sein dürften, machen neben der Dominanz unterrichtsspezifischer Artesliteratur aus dem Bereich des Triviums auch einige Vermerke der Schreiber deutlich, in denen sich diese ausdrücklich als scolaris494 oder student zu erkennen geben. Die Präsenz spätmittelalterlicher Texte vom Typ Liebesbrief im schulischen und universitären Bereich der damaligen Zeit hat sich in den einzelnen Handschriften ganz unterschiedlich niedergeschlagen, und gegenüber den Gemeinsamkeiten vor dem Hintergrund übergeordneter Rahmenbedingungen bleiben individuelle Sammelinteressen in dem handschriftlichen Erscheinungsbild der einzelnen Texte und Textgruppen durchaus erkennbar. Ein besonders eigentümliches Überlieferungsgeflecht präsentiert die Münchener Vokabular-Handschrift Cgm 674. Auf dem letzten Blatt (i68v) vermerkt der einzig nachweisbare Schreiber: Explicit vocabularius scriptus per dominum Petrum Smidhawser canonicum in Ündensdorff in vigilia undecim milium virginum in Ror sub anno domini 141p. Pi^grü^t Mac^l.496 Zu der Grußformel am Ende dieser Schreibernotiz, die »Herr Peter Schmidhauser, Canonicus in Indersdorf,497 am 20. Oktober498 in Rohr im Jahre 1419« eingetragen hat, gibt es in der Handschrift ein längeres Vorspiel. Von Blatt çjr an hat der gleiche Schreiber neben den Aufzeichnungen des Haupttextes (Bl. ir—ijir >Vocabularius Ex quoHebräisch-lat. Alphabets Bl. i5 2r-i68v >Naturkundliches Sachglossar, lat.-dt.Privatnotizen< des Schreibers niedergeschlagen, wie man es bei einigen Marginalien, die in verschiedenen spätmittelalterlichen Handschriften erst nachträglich auf diversen aufeinanderfolgenden Blättern eingetragen worden sind, erkennen zu können glaubt.' 02 Daß die privaten Aufzeichnungen von Peter Schmidhauser während seiner Arbeit an der Kopie der Vokabulare sukzessive in die Handschrift eingeflossen sind, scheint schon Schmeller vermutet zu haben. Jedenfalls unterstellt er dem Schreiber, daß er »sich oft seine Arbeit durch eine in den Text eingeschaltete Apostrophe an seine >lieben Mätz«< versüßt. 50 ' Die Ausführungen Schmellers zu dem »weiblichen Taufnamen Mätz«'° 4 sind auch noch in anderer Hinsicht aufschlußreich. Denn die zumindest im Kontext spätmittelalterlicher Liebesbriefdichtung ungewöhnliche Nennung' 0 ' eines — zudem in der Literatur der damaligen Zeit nicht ganz wertfreien' 06 — Namens ließe sich hier mit dem Hinweis München Cgm 674, Bl. j 3 r u. 341:. In der Hs. ist das »Herz« gezeichnet. Vgl. auch Schneider I V , S. 587. ' " Z . B . : Prag Ms. Χ A 12, Bl. 6r-65r. »Ironischer Frauenpreis >Meins hertzen fraw< (jeweils zwei Zeilen am unteren Rand jeder Seite;. . .)«. Haltaus/Fischer, S. j8of. Oder auch: Salzburg, U B , M I 19, Bl. 59t—65r: >LiebesgedichtRing< Heinrich Wittenwilers, weitere Nachweise: D W b 12, Sp. 2 i 4 9 f f .

125

auf eine »als Appellativ« geläufige, allgemeinere Bedeutung im Sinne von »Geliebte, Buhle«' 07 erklären. Darüber hinaus wird in diesem Zusammenhang bei Schmeller auch deutlich, daß die Schreiberverse des Peter Schmidhauser kein Einzelfall sind: Hórent lieb frali Mec% die% geplec^ es ist sus geschmec^0* Dieses »süßliche Geschmiere«' 09 notierte der Schreiber einer anderen Münchener Handschrift, des Cgm 4 1 1 , im Anschluß an ein Gebet.' 10 Eine Antwort auf die Frage, ob solche Aufzeichnungen durch reale Liebesbeziehungen motiviert sein könnten, findet man wohl nur im Bereich der Spekulation.'" In dieser Hinsicht weniger rätselhaft sind zwei Liebesbriefgedichte, die ebenfalls im Kontext einer >Vocabularius E x quo°7 Schmeller I, Sp. 1 7 0 1 . Vgl. auch D W b 1 2 , Sp. 2150. ,oS München C g m 4 1 1 , Bl. 48V. Vgl. Schmeller I, Sp. 1701. D W b 5, Sp. 3936. Schneider I I I , S. 1 9 4 . ! 9 ° Z u r Ubersetzung vongeschmec^ vgl. D W b 5, Sp. 3936; Schmeller I I , Sp. 560. s '° Genauere Beschreibung des Inhalts bei Schneider III. ' " Vgl. in diesem Zusammenhang auch die Namensnennung in der nachträglich in die Münchener Parzival-Handschrift C g m 61 eingetragenen Federprobe: Mein dinst vor tiebew frau Affra ich la% euch lfis^n (Bl. 64r), die in der Forschung ganz unterschiedlich gedeutet wird. Einen Zusammenhang »mit dem K l o s t e r St. Ulrich und A f r a in Augsburg«, den Becker (1977), S. 86 vermutet hat, bestreitet K a r i n Schneider (1987), S. 1 2 9 A n m . 3 7 . D i e folgenden Angaben über A u f b a u und Zusammensetzung der Handschrift Berlin M g q 1745 entnehme ich der ausführlichen Beschreibung v o n Grubmüller (1967), S. 2 8 9 f f . 5,i

G r u b m ü l l e r (1967), S. 289.

! 4

' Ζ . B. ein Fragment der >Meßauslegung< Bertholds v o n Regensburg. Vgl. Grubmüller (1967), S. 290 N r .

126

12.

literatur des Triviums angesiedelt ist. Abgesehen von dem >Vocabularius Ex quo< nimmt im Gesamtbestand der Handschrift die Rhetorik mit einem >Briefsteller< (Bl. 97r-i i4r) und einer >Ars Epistolandi< (Bl. i38r-i43v) den breitesten Raum ein.' 1 ' In briefspezifischen Traditions- und Gebrauchszusammenhängen stehen noch mehrere andere selbständige Einzeltexte aus dem Bestand des Berliner Manuskripts'"5 — nicht zuletzt auch die beiden Liebesbriefgedichte, die durch eine Überschrift eindeutig als Muster gekennzeichnet sind: f f orma Amoris virginis uel mulieris''1 und die diesem Anspruch auch auf der inhaltlichen Gestaltungsebene dadurch gerecht werden, daß ausschließlich Versatzstücke aus dem traditionellen Formelinventar dieses Texttyps zusammenmontiert wurden. Das Repertoire des Verfassers dieser beiden Texte war entweder total beschränkt, oder es ging ihm tatsächlich nur um die Vorführung der Variationsmöglichkeiten traditioneller Gestaltungsmittel. In diesem Sinn könnte man vielleicht den wiederholten Einsatz des Motivs »Auftrag an den Brief«:' 18 Nu ffor hin du deines brifelein und: Mein liber briff nu vare do hyn am Anfang der beiden Texte deuten."9 Ganz ähnlich — ach brieff nun far hin'"' — beginnt ein Liebesbriefgedicht auf Blatt 3 4 2 V der Stuttgarter Handschrift HB X 1 0 , die sonst ausschließlich lateinische Texte enthält und zum größten Teil » 1 4 8 0 - 1 4 8 1 in Erfurt von Johannes Schwitzer geschrieben« worden ist.'21 Auch dieser Liebesbrief steht nicht völlig isoliert im handschriftlichen Kontext. Als ein möglicher briefspezifischer Bezugspunkt erscheint im lateinischen Textbestand eine theoretische Abhandlung zur >Ars Dictandic Nicolaus Perottus, >De Componendis Epistolis< (Bl. 300r—310V). Sie ist >Bestandteil< einer handschriftlichen Version der >Rudimenta Grammatices< (sie!) (Bl. 268^315 r) des gleichen Verfassers.'22 ' 1 ' Vgl. Grubmüller (1967), S. zçjof. Nr. 2 u. 19. 1,6 Z . B. Grubmüller ( 1 9 6 7 ) , S. iars dictandi< »im Zeitalter des Humanismus« hat Worstbrock (1981), S. 194 u. Anm. 62 hingewiesen.

127

Die Verse des in der Handschrift fortlaufend notierten Liebesbriefs hat Löffler in seinem Textabdruck abgesetzt.' 2 ' Reimpaare sind auf der formalen Gestaltungsebene zwar ein dominantes, aber nicht konsequent durchgeführtes Bauprinzip. Absätze und Einrückungen heben die von der Reimpaarstruktur abweichenden Passagen noch besonders hervor. Dieses Verfahren erweckt den Eindruck, als handle es sich hier um eine Gruppe von mehreren selbständigen Einzeltexten. Ohne Rücksicht auf das handschriftliche Erscheinungsbild hat sich in der Liebesbriefforschung allein auf der Grundlage der Löfflerschen Edition die von ihm selbst wohl kaum beabsichtigte Auffassung durchgesetzt, daß es sich bei den deutschen Aufzeichnungen in der Stuttgarter Handschrift HB X 10 um drei Liebesbriefe und ein Liebeslied handelt.'24 Dem widersprechen die in der Handschrift zu beobachtenden Überlieferungsmerkmale ganz eindeutig. Der Text erscheint hier als ein in sich geschlossener Block, in dem es keine äußeren Anhaltspunkte wie Absätze oder Initialen gibt, die eine Unterteilung in mehrere Einzeltexte rechtfertigen würden. Vielmehr sind Anfang und Schluß dieses Textgebildes durch die für den jeweiligen Briefteil typischen Versatzstücke aus dem Formelinventar spätmittelalterlicher Liebesbriefgestaltung eindeutig markiert. Ebenso charakteristisch wie das Motiv >Auftrag an den Brief< für den Anfang ist die >Anonymitätsphrase3 Liebesbriefen »Innerhalb der kleinen Briefsammlung steht noch ein einstrophiges Minnelied von 18 Versen.« Vgl. auch Blank (1985c), Sp. 790: »Die aus dem Konstanzer Domkapitel stammende Hs. (15. Jh.) enthält am Schluß drei kurze gereimte Liebesbriefe . . . «. Aufgrund inhaltlicher Gestaltungsmerkmale geht E v a Kiepe-Willms allerdings davon aus, daß es sich hier nur um einen Text handelt, vgl. Kiepe-Willms (1976), S. 66 Anm. 4 ; . Stuttgart H B X 10, Bl. }4}r. Die Schlußformel fehlt in der Ausgabe von Löffler (1912), S. 552, wird aber in dem Katalog von Buhl (1972), S. 72 abgedruckt. ,,r ' Vgl. dazu allgemein die Nachweise und weiterführenden Angaben bei Wallmann (198;), S. 264f. Vgl. auch den Beleg bei Kasten (1985), Sp. 793. '' 7 Darunter eine bisher unberücksichtigt gebliebene Version des Vierzeilers: >Liebe und Leide. Zur Uberlieferung dieses Texts vgl. Petzsch/Salmen, S. ;f. (ohne Stuttgart H B X 10 div. nachgew. Textzeugen).

5M

128

Aufzeichnungen der unmittelbar vorhergehenden und folgenden Seiten stammen, die untere Hälfte dieser Stuttgarter Handschrift teilweise gefüllt hat. Mit einem >Auftrag an den Briefe Lieber brieff nun var hin528 - beginnt auch der erste der vier >Mattseer Liebesbriefe^'29 die in »einem Codex vom Ende des 15./Anfang des 16. Jh.s aus Mattsee . . . umgeben von lauter lat. Texten,«"0 erhalten sind: Alle vier Stücke sind Abschriften, wie die zahlreichen Verderbnisse zeigen. Als Hypothese ist hier davon auszugehen, daß der Sammler dieser Briefe beabsichtigte, verschiedene Gestaltungsmodelle vorzustellen, also einen kleinen Musterbriefsteller nach Art der umfangreicheren >Konstanzer Liebesbriefe< zu schaffen. Dies würde die deutlich unterschiedlichen Konzepte der vier Briefe erklären. Stützen könnte diese Ansicht auch, daß die Handschrift diese deutschen Gedichte an den Schluß einer lateinisch abgefaßten rhetorischen Abhandlung setzt. . ., Traktat wie Briefe somit als rhetorisch und als formal zusammengehörig empfunden w e r d e n . " 1

Von den trotz unterschiedlicher Detailkonzeptionen durchgehend nach traditionellen Gestaltungsmustern verfaßten Texten" 2 hat der dritte Brief (Bl. -/Gt) dieser Gruppe ganz besonders die Aufmerksamkeit der Forschung erfahren. Vor allem seine Schlußverse haben nachhaltigen Diskussionsstoff geliefert. In der Ausgabe von Pomezny und Tille lauten sie: G o t gruzz ewren namen zart, Der Anna tawfft wart. Ewers namen ich nicht vergessen chan Dy weil vnd ich daz leben han. Ain chlain hats hab ich micht verfangen: Daz ist der erst S puchstaben vnd der lest J ewres namen Vnd ein hertz mit eine sag. G o t geb, daz mich chain falsche zung v o r tugent(?) j a g . " 3

Der jüngste Kommentar zu dieser Textpassage lautet: Die Herausgeber dieses Briefes erwähnen dazu, daß am Ende des Gedichts die Buchstaben S und J und zwischen ihnen ein Herz gemalt seien; durch das Ganze sei eine Säge gelegt. Die Namensverschweigung gilt hier offensicht-

" 8 Mattsee Cod. 24, Bl. 75V. Mattsee Cod. 2 4 , Bl. 7 5 V - 7 6 V . Vgl. Blank ( 1 9 8 7 ) , Sp. 1 9 8 - 2 0 0 . ""Blank ( 1 9 8 7 ) , Sp. 1 9 8 . »• Ebd. Vgl. die differenzierte Beschreibung der Einzeltexte bei Blank ( 1 9 8 7 ) , Sp. I98f. Pomezny/Tille, S. 3 6 2 Nr. III, V. 5 8 - 6 5 . Vgl. ebd. die Anm. der Herausgeber zu V. 62: »>1.< Ains chlainats?« 129

lieh der wirklichen Geliebten des Schreibers, dient aber, da der Vorname und der erste und letzte Buchstabe des Nachnamens (?) genannt werden, kaum wirklicher Geheimhaltung, sondern ist spielerisches Umschmeicheln des geliebten Namens." 4

Z u einer eher nüchternen Betrachtungsweise fordert demgegenüber das handschriftliche Erscheinungsbild des Texts auf: Den Namen »Anna« hat der Schreiber selbst gestrichen, und eine Identifizierung der beiden Initialen »S« und »J« in der durch die Edition von Pomezny und Tille suggerierten Eindeutigkeit ist nicht möglich. Sie erscheinen erst in der mit dem vorletzten Vers korrespondierenden symbolischen Darstellung von Herz und Säge, einer von dem Brief abgesetzten Zeichnung des Schreibers (vgl. Abb. 7).'" Der Einsatz von Initialen gehört in der spätmittelalterlichen Liebeslyrik zu den besonderen »Techniken der Namenverschlüsselung«." 6 Die »Wirklichkeitsqualität« solcher Abbreviaturen ist allerdings umstritten," 7 und ihre Funktion selbst in Texten von so prominenten Autoren wie Hugo von Montfort oder Oswald von Wolkenstein, bei denen potentielle Adressatinnen auch tatsächlich als historisch nachweisbare Personen greifbar werden, nicht eindeutig geklärt." 8 Dabei wird — ganz abgesehen von der sehr viel größeren Qualität der Überlieferungsbedingungen dieser Texte" 9 — gerade im Gegensatz zu den Gestaltungsprinzipien, mit denen Hugo und Oswald die jeweilige (verschlüsselte) Namensnennung in ihren Gedichten verankert haben, zum Beispiel durch Reimbindung, 540 die Unverbindlichkeit und Austauschbarkeit von Namensnennungen in anonym überlieferten Liebesbriefgedichten und ähnlichen Minnereden 541 deutlich, in denen weder formale noch inhaltliche Gestaltungsmerkmale diese eindeutig im Briefkontext fixieren. » 4 Wallmann (198;), S. 26;. Pomezny u. Tille haben in ihrem Abdruck des Texts offensichtlich die beiden Zeichen j- und die der Schreiber von den vorangehenden Wörtern erst und lest gar nicht abgesetzt hat, kurzerhand durch die Initialen S und J substituiert. Dieser Eingriff ist weder zwingend noch überzeugend. Die Lesung ersts und lest\ dürfte dem handschriftlichen Erscheinungsbild sehr viel eher entsprechen. » 6 Vgl. Wittstruck (1987), S. 286-294. 137 Ebd. bes. S. 287. 538 Vgl. ebd. S. 28 9 f. " ' D i e Gedichte Hugos von Montfort sind in einer Handschrift (Heidelberg Cpg 329) überliefert, die »offenbar von H u g o selbst in Auftrag« gegeben wurde. Vgl. Wachinger (1983), Sp. 24;. 140 Vgl. Wittstruck (1987), S. 2 9 of. ,4

' Vgl. auch >Der erste Buchstabe der GeliebtenDarfelder LiederhandschriftMattseer Liebesbriefs< scheint nun allerdings eine feste Verbindung mit dem Text dadurch zustande zu kommen, daß die beiden Buchstaben, angeblich der erste und der letzte des Namens der Geliebten, im Zusammenhang mit einer Illustration des vorletzten Verses auftauchen. Isoliert betrachtet, macht das handschriftliche Erscheinungsbild einen authentischen Eindruck, da der Schreiber hier offensichtlich um eine besonders originelle und subtile Präsentation bemüht gewesen ist. In der Überlieferungsgeschichte spätmittelalterlicher Liebesbriefgedichte steht diese Form öffentlicher Inszenierung einer individuellen briefspezifischen Intimsphäre einzig da. Möglicherweise hat sich unter den vom Schreiber kopierten Vorlagen' 42 tatsächlich ein >Original< befunden. Bei genauerer Betrachtung reduzieren sich die Indizien, die für eine solche Möglichkeit sprechen, aber auf ein absolutes Minimum — nämlich die Initialen selbst. Im Kontext erweisen sich auch diese als austauschbar. Das Motiv der Zeichnung - Herz und Säge - ist jedenfalls keine eigene Erfindung, weder des Schreibers noch des Verfassers dieses Liebesbriefs. Ähnliche bildliche Darstellungen zwischen stammbuchartigen Eintragungen einer Liederhandschrift aus dem 16. Jahrhundert deuten darauf hin, daß es sich um ein stereotypes Liebessymbol handelt, das sowohl als ornamentaler Hintergrund für die Initialen eines Namens, aber auch selbständig eingesetzt werden konnte (vgl. Abb. 7)·545 Auch die Zeichnung des Schreibers erweist sich damit als ein unverbindliches, allgemein verfügbares Raster, in dem die Initialen als individuelle Bestandteile ebenso austauschbar sind wie die Namensnennung im Text selbst. Gleiches gilt für die folgende Liebesbriefadresse: Der erwirdigen erbern beschaidett tugenklichen wolkunddenden hupschen frowen barbelen^^Sie gehört zu dem zweiten Text im >Liebesbriefsteller aus SchwabenVocabularius E x quo< »war das klassische Schulbuch für den lateinischen Elementarunterricht geschaffen«, Assion (1987), S. 37;. " 4 Grubmüller (1983), S. 373. »' Ebd. S. 379. " ' F r a n z Josef Worstbrock, Rez. zu: Hans Szklenar, Magister Nicolaus de Dybin. Vorstudien zu einer Edition seiner Schriften. Ein Beitrag zur Geschichte der literarischen Rhetorik im späten Mittelalter. München 1981 ( M T U 65). Beiträge 106 (1984), S. 453—461, ebd. S. 454. In diesem Zusammenhang ist auch der folgende Hinweis interessant: »Nach damals verbreiteter Einschätzung dieser >ars< . . . hatte sie sich als Lehre vom Briefschreiben durchaus auch als Hilfsmittel beim Abfassen von Liebesbriefen zu bewähren. Gewiß hätte sich Cicero höchlich verwundert über das, was der Verfasser eines deutschen Gedichtes >Von den syben kunsten . . .< im 15. Jahrhundert als Essenz seiner Lehre erachtete: >Rethorica die leret gedichte, Wort blumen, ryme krüme die slichte Hoffliche materien, liebe süß, K l u g sach für geben, früntlich grußHildebrandsliednachgetragener Liebesgruß* aus dem romanischen Bereich sei hier nur erwähnt: »Der >Salut< von N'Azalais d'Altier«, vgl. Angelica Rieger, Trobairitz. Der Beitrag der Frau in der altokzitanischen höfischen Lyrik. Edition des Gesamtkorpus. Tübingen 1991 (Beihefte zur Zeitschrift für Romanische Philologie 235), S. 673—689, bes. S. 684f. 4 Vgl. ζ. B.: Schmidtke (1981b). Hermann Hauke, Nichtliterarische deutsche Texte in lateinischen Handschriften. In: Reiffenstein (1983), S. 1 3 9 - 1 4 8 , bes. S. 1 4 4 - 1 4 7 : »Der Sitz im Leben«. Alan R. Deighton, Die Randbemerkungen in den Handschriften des >Tristan< Gottfrieds von Straßburg. Euphorion 78 (1984), S. 266-274. Ulrich Seelbach, 136

gerungen im Hinblick auf das >Private, Persönliche< haben sich dabei volkssprachliche Minnetexte erwiesen, die Christoph Petzsch in mittellateinischen Handschriften ermittelt hat: »Haben wir, was uns fremd berührt, noch konkreter zu sehen als unreflektierte, spontane Äußerungen der Verbundenheit, wie und wo auch immer, zu verstehen im Horizonte des Dienens (>hofierensauch jetzt, selbst hier denke ich an dich!«Gelegenheitseintragung< entsprechen. Allerdings kann man gerade bei diesen Texten auch solche Überlieferungsmerkmale beobachten, die weniger private Entstehungs- und Gebrauchszusammenhänge signalisieren. Auf dem Hintergrund der bisher bekannt gewordenen Texte aus diesem Bereich der Überlieferung sollen sie im folgenden in ihren spezifischen Erscheinungsformen beschrieben werden.

5.1.

Gelegenheitsaufzeichnungen in unterschiedlichen Handschriften

Auf dem sonst leeren Bl. 12 der Wolfenbütteler Handschrift Cod. 29.6 Aug. 40, die wahrscheinlich zwischen 1470 und 1480 in einer professionell arbeitenden Nürnberger Schreibstube hergestellt worden ist,7 Späthöfische Literatur und ihre Rezeption im späten Mittelalter. Studien zum Publikum des >Helmbrecht< von Wernher dem Gartenaere. Berlin 1987 (Philologische Studien und Quellen 1 1 5 ) , S. 45-57. Heather Stuart u. F. Walla, Die Uberlieferung der mittelalterlichen Segen. Z f d A 1 1 6 (1987), S. 5 3-79, bes. S. 62 mit dem Hinweis darauf, »daß die Wahrscheinlichkeit, daß bestimmte Segen und Sprüche überhaupt praktisch verwendet wurden, bei den Marginalsegen am größten ist«. Vgl. auch: »de captu lectoris«. Wirkungen des Buches im 15. und 16. Jahrhundert. Dargestellt an ausgewählten Handschriften und Drucken. Hrsg. v. Wolfgang Milde u. Werner Schuder. Berlin, New York 1988 (versch. Beiträge zum Thema »Beiwerk«), ' Petzsch (1979), S. 33. 6 Vgl. zum Problem der Namensnennung in spätmittelalterlicher >Liebesdichtung< auch Kap. 4.6. 7 Vgl. Kiepe (1984), S. 359^

137

f i t e m w w r t ^ W ^ ^ « ^ ! " » Sri r (vgl. Abb. 9) sorgfaltig mit roter Tinte eingetragen hat ebenso wie die Überschriften zu zahlreichen anderen Texten dieser Handschrift. 11 Vollständig mit roter Tinte und im gleichen Duktus wie die rot rubrizierten Überschriften wurde die Liebesbriefparodie aufgezeichnet (vgl. Abb. 9). Dieser Textnachtrag fallt also offensichtlich noch in die Entstehungs- oder Fertigstellungsphase der Wolfenbütteler Handschrift. Mit roter Tinte nachgetragen wurden auch die >Minnesprüche an die Geliebte< in der astronomisch-medizinischen Sammelhandschrift M I 19 aus den Beständen der Universitätsbibliothek Salzburg. 12 Ganz anders als der Rubrikator in der Wolfenbütteler Handschrift ist dabei der Schreiber dieses Nachtrags vorgegangen: »Nicht voll beschriebene Zeilen der Texte« auf den Blättern 59t—63t »sind mit einem oder mehreren Wörtern ausgefüllt«. 1 ' Eine Zusammenstellung der einzelnen Füllsel läßt punktuell übergeordnete Textstrukturen erkennen — Reimpaarverse in einer für das 8

Vgl. Keinz (1894), S. 155, der den Text in einer anderen Version aus dem Münchener Cgm 5 249 Nr. 46c abgedruckt hat. 9 Vgl. die Inhaltsübersicht bei Kiepe (1984), S. 360-362, in der die Liebesbriefparodie selbst allerdings nicht aufgeführt ist, im Gegensatz zu Kiepe (1972), S. 3 7 1 , w o sie in der Version der Wolfenbütteler Handschrift in einer normalisierten Fassung abgedruckt wurde. Kommentierte Ausgabe unter dem Titel: >Die sieben freien Künste und die Liebe< bei Dieter Wuttke, Fastnachtspiele des 15. und 16. Jahrhunderts. Stuttgart, 2. Aufl. 1978 (Reclams Universal-Bibliothek 9415), S. 34-40. " Z u den Schreibern dieser Handschrift vgl. Kiepe (1984), S. 359f. " Vgl. die ausführliche Beschreibung von Jungreithmayr (1988), S. 3-5. '> Ebd. S. 4. Rote Zeilenfüllsel »Anrufungen, Sinnsprüche, Bibel-Zitate u. a.« gibt es auch in einer lateinischen Handschrift aus dem Kölner Stadtarchiv ( G B Ρ 193), vgl. Die theologischen Handschriften des Stadtarchivs Köln. T . 1: Die Folio-Handschriften der Gymnasialbibliothek. Beschrieben von Joachim Vennebusch. K ö l n , Wien 1976 (Mitt. a. d. Stadtarchiv von Köln, I/i), S. 172.

J

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Formelinventar spätmittelalterlicher Liebesbriefgestaltung typischen Art: alz ich die zarten ane plichk vor frewden ich erschrik lieb nu wend mein chummer vnd mein eilend lieb in deinem herczen gedench meiner smerczen . . ,' 4

En bloc betrachtet, zeichnet sich hinter diesem Nachtrag allerdings kein geschlossenes Textgebilde ab. 1 ' Besonderen Wert scheint der Schreiber eher auf das optische Erscheinungsbild seiner Eintragungen gelegt zu haben. Sie sind nicht weniger sorgfaltig ausgeführt als eine rubrizierte Überschrift aus diesem Bereich der Handschrift. 16 Neben der roten Tinte gibt es auch Gemeinsamkeiten im Duktus der Überschrift und Nachträge. Wahrscheinlich stammen sie also ähnlich wie die in der Wolfenbütteler Handschrift von einem an der Buchproduktion beteiligten Schreiber.' 7 In der Regel ist das handschriftliche Erscheinungsbild der nachgetragenen Texte vom Typ Liebesbrief und -grüß sehr viel schlichter und unscheinbarer als das der beiden eben beschriebenen Beispiele.18 Trotzdem sind sie in vielen Fällen einfach deshalb nicht zu übersehen, weil sie in den unterschiedlichen Handschriften an besonders exponierten Stellen eingetragen worden sind. "4 Salzburg U B , M I 19, Bl. 6 i v . '' Vgl. dagegen Jungreithmayr (1988), S. 4 Nr. 1 1 . ' 6 Salzburg U B , M I 19, Bl. 6ov. Vgl. Jungreithmayr (1988), S. 4 Nr. 10,3: >Laßstellen, dt.Wigalois< selbst — an einen epischen Kontext gebunden sind,24 wertet Meyer den selbständigen Textzeugen in der Vatikanischen Handschrift als einen Beleg dafür, daß »der im Wigalois enthaltene Liebesbrief . . . nicht nur für Briefe in Romanen benutzt und ausgeschrieben wurde, sondern auch im wirklichen Leben als Muster diente«.2' Grundsätzlich ist die Möglichkeit der »Aktualisierung eines literarischen Textes«26 sicher nicht auszuschließen, für den konkreten Fall des "» Paul/Wachinger, S. V I I . Vgl. Heinze (1974), S. 29. " Vollst, abgedruck bei Piper (1974), S. 305. " In der >WigaloisPumpbrief< und einen >LiebesgrußLiederregister im cgm 5919« führt die beiden ersten Verse dieses Lieds auf, vgl. Zimmermann (1982), S. 295 Nr. 43. Vgl. Meyer (1899), S. 78-80. Blank (1985b), Sp. 78 9 f. Vgl. Bech (1875), S. 4 4 ; .

48

49 10

148

sagen, ob der Text in einer solchen praxisbezogenen Absicht aufgezeichnet worden ist und seine Funktion in dieser Hinsicht tatsächlich erfüllen konnte.

5.2. Nachträge auf selbständigen Einzelblättern Aus dem Einband der lateinischen Sammelhandschrift Ms. Praed. 65 der Stadt- und Universitätsbibliothek Frankfurt am Main wurden Falzstreifen gelöst, die zusammengesetzt das Bruchstück einer deutschen Urkunde ergeben. Über dem Text eines >Schuldbriefsdrisig gulden gutir aldir Rynischer gulden< zurückzuzahlen«.' 1 Zu der Fragmentensammlung der Universitätsbibliothek Uppsala gehört das Bruchstück (Frgm. Germ. 10) von »einem deutschen Perg.Briefe vom Jahre 1422, ausgestellt von mehreren Klosterbrüdern im Kloster >czu der heyligen dryualdycheit< in Danzig«. Bei dieser Urkunde wurde der untere Rand »von einer Hand des 15./16.« Jahrhunderts sorgfältig mit zwei Vierzeilern beschrieben,' 2 die unter dem Text der Urkunde in zwei Spalten angeordnet sind: einem priamelartigen Spruch zum Thema >Verkehrte Welt< und einem >LiebesgrußLiebesgruß< noch zwei Textzeilen in Prosa folgen, denkbar als Schlußformel für ein Gebet oder eine Predigt, dürfte es sich bei dieser ohne einen erkennbaren inhaltlichen Zusammenhang notierten Textgruppe um Feder- und Schriftproben handeln.

" Powitz (1968), S. 160. " Rooth (1921), S. 96.

149

5·3·

Handschriftliche Nachträge in frühen Drucken

Eine »Inkunabel zu Karlsruhe« war die Quelle für drei von Mone veröffentlichte Liebesgrüße »aus dem Ende des 15.« Jahrhunderts." Arne Holtorf hat diese lapidare Angabe Mones dahingehend konkretisiert, daß die Texte »handschriftlich am Ende einer Karlsruher Inkunabel eingetragen« sind,' 4 ohne allerdings selbst einen genaueren bibliographischen Nachweis dieses Drucks liefern zu können, denn das »von F. J . Mone in Karlsruhe vermeldete Exemplar ist heute nicht mehr auffindbar«." Unabhängig davon hat Holtorfs Vermutung einiges für sich: Die von Mone veröffentlichten Liebesgrüße haben in ihrer einerseits formelhaften, andererseits instabilen Textgestalt den Charakter von Gelegenheitsaufzeichnungen, wie sie in spätmittelalterlichen Handschriften als nachträgliche Notizen in Erscheinung treten. Der ungereimte Anfang des ersten Texts enthält sogar die Abbreviatur einer Namensnennung: Min fruntlichen grüß und willigen dienst zìi vor, min aller liebster L.' 6

Anhand des tatsächlichen Erscheinungsbilds der Texte lassen sich solchen Überlegungen vorläufig allerdings nicht verifizieren. Den Beweis dafür, daß zu den realen Existenzbedingungen spätmittelalterlicher Texte vom Typ Liebesbrief auch ihre handschriftliche Eintragung in frühen Drucken gehört, liefert ein Textzeuge, der zu Beginn des 16. Jahrhunderts »auf der Rückseite des Titelblattes des Druckes >Eynn buchelein dor innen die tietel ader vberschrift aller stendeGroßen Titelbüchlein< war, ist man ausschließlich auf Rückschlüsse aus diesem Druck angewiesen. E r wird eröffnet durch ein Gedicht >De officio scribe< des italienischen Humanisten Philippus Beroaldus . . ., dem eine deutsche gereimte Übersetzung folgt " Mone (1834), Sp. 290. ' 4 Holtorf (1973), S. 3Í5 Anm. 3. " Rheinheimer ( 1 9 7 ; ) , S. 273. Diese Angabe hat mir Herr Bibliotheksdirektor Dr. Gerhard Stamm (Badische Landesbibliothek Karlsruhe) am 17.5.1988 bestätigt. Vgl. auch schon Maschek (1939), S. 307: »aus einer Karlsruher Inkunabel, die, wie mir die Landesbibliothek in Karlsruhe mitteilt, heute nicht mehr festzustellen ist.« 16 Mone (1834), Sp. 290 Nr. 1 V . 1 - 3 . 150

(Inc.: »Wer ein guter Schreiber wil sein . . .«). Unter >Schreiber< wird man hier all diejenigen verstehen müssen, die sich haupt- oder nebenberuflich mit der Anfertigung von Schriftstücken befaßten, vom Kanzleibeamten und Notar bis herab zu den gelegentlich ebenfalls Schreiber genannten Studenten und älteren Schülern. Schreiber legten sich im Spätmittelalter vielfach Musterbriefsammlungen an, auch Liebesbriefsteller scheint es gegeben zu haben. Vielleicht hat sich, analog dazu der Aufzeichner des Liebesgrußes diesen in Hinblick auf spätere private oder wohl eher berufliche Verwertung notiert.' 7 Dem Textnachtrag lagen in diesem Fall wahrscheinlich ganz ähnliche Sammelinteressen zugrunde, wie den im handschriftlichen Kontext trivialwissenschaftlicher Artesliteratur überlieferten Liebesbriefgedichten (vgl. Kap. 4.6.).

" Schmidtke (1981b), S. 94f.

E R G E B N I S S E UND P E R S P E K T I V E N

6.

Liebesbriefgedichte im spätmittelalterlichen Literaturbetrieb

Hinter den Überlieferungsmerkmalen, die im Detail das Erscheinungsbild spätmittelalterlicher Texte vom Typ Liebesbrief und Liebesgruß in den einzelnen Handschriften prägen, zeichnen sich im Hinblick auf die Entstehungs- und Gebrauchszusammenhänge auch übergeordnete Traditionslinien ab. Diese sollen unter Berücksichtigung spezifischer Mechanismen des Literaturbetriebs der damaligen Zeit, die für diesen Texttyp relevant sind, im folgenden noch etwas deutlicher herausgearbeitet werden. Trotz der Masse des Textmaterials, das bisher in den überlieferten Quellen ermittelt werden konnte und auf das auch in diesem Untersuchungsabschnitt zurückgegriffen werden kann (vgl. das Quellenverzeichnis im Anhang), bleibt die Verbindlichkeit möglicher Ergebnisse begrenzt auf einen im Idealfall vielleicht repräsentativen Ausschnitt der damaligen Realität. Das tatsächliche Ausmaß spätmittelalterlicher Liebesbrief-(Re-)Produktion im Bereich der Reimpaarkleindichtung ist heute nicht mehr feststellbar."

6.1. Phasen und Zentren der Überlieferung Ort und Zeitpunkt der Entstehung sind bei den anonym überlieferten selbständigen Liebesbriefen und -grüßen, von wenigen Ausnahmen abgesehen (vgl. ζ. B. den >Neujahrsgruß< auf Bl. ηι,τ der Marburger Hs. 363), nur ansatzweise zu bestimmen. Ebensowenig läßt sich die Frage genau beantworten, wann und wo diese Texte aufgezeichnet und kopiert worden sind, denn bei den meisten der für die Überlieferungsgeschichte dieses Texttyps relevanten Handschriften fehlen Anhaltspunkte, die eine präzise Datierung und Lokalisierung ermöglichen. 2 ' Das ist ein grundsätzliches Problem in der Überlieferungsgeschichte der Reimpaarkleindichtung. Vgl. die Ausführungen von Mihm (1967), S. 127. Fischer (1983), S. 63 u. 246. Glier ( 1 9 7 1 ) , S. 359 und Glier (1987), S. 7. 2 Daß der Verfasser eines Texts mit dem Schreiber der überlieferten Version identisch sein könnte, ist eine Möglichkeit, mit der man in einigen Fällen auch zu rechnen hat. Vgl. K a p . 4.1.2.

152

Unter chronologischen und geographischen Gesichtspunkten kann man das überlieferte Textmaterial in groben Zügen allerdings so weit ordnen, daß Überlieferungsphasen und -Zentren erkennbar werden. 3

6.I.I. Die Quellenlage im 14. Jahrhundert Eine ganz markante Zäsur, die für die Überlieferungsgeschichte des Spätmittelalters symptomatisch zu sein scheint,4 ergibt sich, wenn man die Wende vom 14. zum 15. Jahrhundert als Ansatzpunkt für einen chronologischen Gliederungsversuch einsetzt.' Von den nahezu sechzig berücksichtigten handschriftlichen Quellen stammen höchstens sechs aus dem 14. Jahrhundert. 6 An den Anfang des 14. Jahrhunderts gehören die >Zürcher Liebesbriefe< (Zürich R P 3). Manifestiert haben sich in diesen Gedichten nicht die spätmittelalterlichen Sprachkonventionen des Fundortes, nach dem sie benannt worden sind, sondern eher solche, die für das nordwestliche Grenzgebiet des oberdeutschen Sprachraums charakteristisch sind.7 Vielleicht wurde diese Briefsammlung in der dazwischen liegenden Region ambulant benutzt. Zu dieser Vermutung passen auch Beobachtungen von Ernst Meyer, die den Einfluß der Texte auf die spätere Tradition, vor allem die >Konstanzer Liebesbriefe< (in Donaueschingen Cod. 104), wahrscheinlich machen.8

' Statistische Auswertungsversuche in Gestalt tabellarischer Auflistung erscheinen mir in diesem Zusammenhang zu schematisch. Wie so etwas für Texte aus dem Bereich der Reimpaarkleindichtung aussehen kann, hat Mihm (1967), S. 128 gezeigt. Vgl. in diesem Zusammenhang auch: Werner Williams-Krapp, Literaturlandschaften im späten Mittelalter. Niederdeutsches Wort 26 (1986), S. 1 - 7 . 4 Vgl. K u h n (1980), S. 78: »Im Kontext der gesamten Schrift-Uberlieferung deutscher Texte bedeutet das 1 ; . Jahrhundert geradezu eine Literatur-Explosion.« Um eine Differenzierung des Kuhnschen Entwurfs hat sich Ingeborg Glier (1987), S. 9 bemüht: »Bezieht man >Literaturexplosion< nicht auf neue Gattungen und Typen, sondern auf die handschriftliche Überlieferung, so ist unbestreitbar, daß aus dem 15. Jahrhundert bedeutend mehr volkssprachige Handschriften erhalten sind als aus jedem anderen zuvor. Diese >Uberlieferungsexplosion< aber bereitet sich durchaus schon im 14. Jahrhundert vor.« 1 Konsequenzen für die literaturgeschichtliche Periodisierung im Spätmittelalter diskutiert Johannes Janota, Das vierzehnte Jahrhundert - ein eigener literarhistorischer Zeitabschnitt? In: Haug u. a. (Hgg.), S. 9-24. 6 Zur Datierung vgl. Schiendorfer (1988), S. 79. 7 »Alle sprachlichen Indizien zusammengenommen, läßt sich die Herkunftsregion unseres Schreibers vorsichtig umreißen mit >Nordschwaben-Nordelsaß-SüdrheinfrankenRegensburger Liebesbrief< (München Cgm 189) gehören, und erst gegen Ende dieses Jahrhunderts tauchen in der Überlieferung auch niederländische Liebesbriefgedichte auf (Leiden Ltk. 216, Karlsruhe B G A 66/10264). 12 Niederdeutsche Texte aus diesem Zeitraum wurden bisher noch nicht ermittelt. 6.1.2. Die Verbreitung der Textzeugen im 15. Jahrhundert Fast schlagartig ändert sich die Quellenlage nach der Jahrhundertwende. Hauptsächlich die im 14. Jahrhundert durch die >Losse-Sammlung< vorgeprägte Uberlieferungsform 1 ' — Einzeltexte oder Textgruppen als Bestandteil umfangreicherer Kollektionen - garantiert der Liebesbrieftradition im 15. Jahrhundert eine fast >flächenbrandartige< Verbreitung im gesamten deutschsprachigen Raum. Einige besonders produktive Zentren schieben sich bei dieser Entwicklung in den Vordergrund. Auf die günstigen Entfaltungsmöglichkeiten der Gattung Minnerede in einem engmaschigen Netz deutsch-niederländischer Literaturbeziehungen am Mittel- und Niederrhein hatte schon Ingeborg Glier in ihrer Gattungsgeschichte grundsätzlich hingewiesen. 14 Aufgegriffen und präzisiert wurde diese Vorgabe von Melitta Rheinheimer, die den literarischen Traditionszusammenhängen der verschiedenen nachweisbaren Texttypen im einzelnen nachgegangen ist und dabei auch Liebesbriefe und -grüße berücksichtigt hat.'' Bevorzugtes Sammelobjekt sind in diesem Raum kleinste Grußgedichte, deren Popularität allerdings nicht » Vgl. Kap. 4.4. Zur Biographie Losses vgl. Holtorf (1985), Sp. 91 jf. " Vgl. Blank (1987a) mit weiterführenden Literaturangaben. " Vgl. die Angaben zu den einzelnen Textzeugen im Anhang. '' Vgl. Kuhn (1980), S. 60 u. Anm. 6. 14 Vgl. Glier (1971), S. 275. 15 Vgl. Rheinheimer (197;)» S. 47—49. IO

154

regional beschränkt bleibt, sondern sich zu Beginn des 16. Jahrhunderts im norddeutschen Bereich ausdehnt16 und von denen einige sogar in Lübeck bei Ballhorn in den Druck gegangen sind.' 7 Als einen städtischen Kumulationspunkt handschriftlicher Tradierung spätmittelalterlicher Texte vom Typ Liebesbrief kann man im Süden Deutschlands Augsburg ausmachen. Fest etablierter Bestandteil sind die Texte hier vor allem in Handschriften aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts, von denen das sogenannte >Liederbuch der Klara Hätzlerin< (Prag Ms. Χ A 12), das »ein wichtiges Dokument stadtbürgerlicher literarischer Kultur« im späten Mittelalter darstellt,18 sicher die prominenteste ist.' 9 Wenn es in Deutschland im Spätmittelalter eine Metropole für Liebesbriefdichtung in Reimpaarversen gegeben haben sollte, dann kommt als solche eigentlich nur Konstanz in Betracht, nicht zuletzt deshalb, weil nirgendwo sonst die Voraussetzungen zur Entwicklung einer literarischen Tradition so günstig gewesen sind wie dort. Z u Beginn des 15. Jahrhunderts war Konstanz »für einige Jahre Mittelpunkt der abendländischen Welt«,20 aber auch unabhängig von der kulturellen Anziehungskraft des Konzils (1414—1418) und seinen möglichen Nachwirkungen sind im >kulturellen Normalzustand< dieser Stadt im Spätmittelalter weitreichende literarische Aktivitäten und Interessen nachweisbar, bei denen Liebesbriefgedichte sowohl im Kontext umfangreicherer Erzählungen als auch selbständig in einer überdurchschnittlichen Dichte vertreten sind. Am Anfang einer lokalen Liebesbrieftradition steht hier die >Minnelehre< Johanns von Konstanz, 21 die »als >Anhang«Konstanzer Liebesbriefe< ist der Bodensee eingeflossen tropfenweise: v n d sag ir v z g e t r u w e m m u t fruntschaft lieb v n d alles g u t v o n w ü n s c h ir dar zu liebes me dan trophen hab der b o d e m se.' 7

Von diesem Gewässer hat sich auch der anonyme Verfasser des >Liebesbriefstellers aus Schwaben< (Rom Vat. Pal. Lat. 179})' 8 beim Formulieren einer rhetorisch noch aufwendiger gestalteten Hyperbel beeinflussen lassen: " Konkret nachweisbar z. B. in der Biographie von Rudolf Losse, vgl. Holtorf (1985), Sp. 9 i j f . 54 Vgl. Stöllinger-Löser (198;). 31 Brüssel Cod. II 144, Bl. ιόν. Im Quellenverzeichnis vollständig abgedruckt. 36 Zur Kulturlandschaft im Einflußbereich der Hanse vgl. z. B. Klaus Wriedt, Stadtrat — Bürgertum - Universität am Beispiel norddeutscher Hansestädte. In: Studien zum städtischen Bildungswesen des späten Mittelalters und der frühen Neuzeit. Hrsg. v. Bernd Moeller, Hans Patze u. Karl Stackmann. Göttingen 1983 (Abhandlungen der Akademie der Wissenschaften in Göttingen, Phil.-Hist. Kl. 3. Folge Nr. 137), S. 4 9 9 523. Ebd. S. 499f.: »Ferner kann >hansisch< verstanden werden im Sinne einer relativ einheitlichen Kultur- und Bildungslandschaft, die von den Niederlanden über Norddeutschland und Skandinavien bis zu den baltischen Ländern reicht.« 37 38

Donaueschingen Cod. 104, Bl. i7vb. Vgl. auch Ritter (1897), S. 54f. Vgl. Kasten (198;).

IH

w z sol ich da v o n sagen me wer der witte boden see vol tinten wissend daz vnd wer alles lob vnd graß bappier vnd fader fur w a r vnd lebt ich hundert tusend iar So mocht ich nit volle schriben noch v o l sagen die liebin die ich zu vch trage . . , 39

Auf eine, wenn auch nicht unbedingt direkte Verbindung, so doch in jedem Fall gewisse Nähe des Verfassers zu der lokalen Liebesbrieftradition in Konstanz deuten neben diesem Regionalbezug noch andere inhaltliche Gestaltungsmerkmale hin, die in den Texten des >Liebesbriefstellers aus Schwaben< erscheinen. 40

6.2.

Produzenten

Für die Überlieferungsgeschichte spätmittelalterlicher Reimpaarkleindichtung sind Passagen wie die oben aus dem >Liebesbriefsteller aus Schwaben< zitierte auch im Hinblick auf den sich darin möglicherweise selbst stilisierenden Produzentenkreis interessant. Hanns Fischer wertet »eine ausgesprochen >schreiberliche< Metaphorik« und das Eingehen »auf Lebenswelt und Tätigkeit der Schreiber« sogar als einen indirekten Hinweis darauf, daß ein professioneller Schreiber zugleich dilettierender Dichter gewesen sein könnte: 41 »Schulbeispiel ist das >Rädlein< des Johannes von Freiberg (in dem ja ein >schriba;re< der Protagonist ist), wo etwa das Mädchen von der Süße des eben genossenen Minnespiels mit folgenden Worten schwärmt: 438

daz kan nieman v o l lesen, noch nieman vol schrîben, diser minne trîben. unt waer daz mer tinte unt der himel perminte unt alle sterne dar ane, beidiu sunne unde mâne, grüenez graz, griez unde loup

" R o m Vat. Pal. Lat. 1795, Bl. 82Γ. Z. B. das gleiche Formelinventar wie in einem Liebesbrief im >Ring< Heinrich Wittenwilers, vgl. die Angaben zu Rom Vat. Pal. Lat. 1793, Nr. 4 im Anhang. 4" Fischer (1983), S. i i ^ i . 40

158

dar zuo der kleine sunnen stoup, d a z d a z w œ r e n schriba:re: in waerez allen ze swacre, daz si v o l s c h r î b e n u n t v o l lesen künden wie sanft mirst gewesen.«42

Wenn es sich bei solchen und ähnlichen Formeln 4 ' tatsächlich um die Selbstinszenierung oder die Signatur eines dichtenden Schreibers handeln sollte, dann ist ihre Präsenz in der Liebesbriefdichtung nicht überraschend. In diesem Bereich der Reimpaarkleindichtung korrespondieren inhaltliche Gestaltungsmerkmale dieser Art sogar mit Uberlieferungsmerkmalen, die in einigen Fällen auf Verantwortlichkeit der jeweiligen Schreiber nicht nur für die Aufzeichnung, sondern auch für die Abfassung der entsprechenden Texte hindeuten. 44

6.3. Konservierungsinteressen und Gebrauchszusammenhänge Spätmittelalterliche Liebesbriefgedichte sind ein literarisches Massenprodukt, für dessen Popularität die an der Tradierung beteiligten und in der Uberlieferung noch greifbaren >Liebesbrief-Schreiber< sicher nicht allein verantwortlich gemacht werden können. Die schriftliche Fixierung von Texten dieses Typs steht in Verbindung mit ganz unterschiedlichen Konservierungsinteressen und Gebrauchszusammenhängen. Diese sollen im folgenden anhand von besonders aussagefähigen Zeugnissen exemplarisch erläutert werden. Dabei zeichnet sich im übrigen auch deutlicher als bisher ab, in welcher Form spätmittelalterliche Liebesbriefgedichte bei der Entfaltung volkssprachlicher Schriftlichkeit zwischen Mittelalter und Neuzeit eine Rolle gespielt haben könnten.

4I

E b d . S. 214. Auf Hinweise, die einen übergeordneten Traditionszusammenhang dieses Beispiels erkennbar werden lassen, hat Hanns Fischer auch in den Fußnoten verzichtet. Vgl. deshalb die Abhandlung »Und wenn der Himmel war Papier« von Reinhold Köhler (1900), dessen Belegliste die Internationalität und Zeitlosigkeit dieser Formel deutlich macht. 44 Liebesbriefáhnliche »Beispiele von Schreiberpoesie« finden sich »auch in den >FüllselLosse-Sammlung< (Kassel

M s . iurid. 25) und dem

>Liederbuch der K l a r a Hätzlerin< (Prag M s . Χ A 12), mit allen Beteiligten eindeutig nachweisbar. Ü b e r einen ganzen Mitarbeiterstab professioneller Schreiber v e r f ü g t e R u d o l f L o s s e während seiner Tätigkeit als Verwaltungsbeamter und D i p l o m a t im Dienst des E r z b i s c h o f s B a l d e w i n v o n Trier. 4 ' D i e " w e n i gen in der Kasseler Handschrift 1° M s . iurid. 25 (im folgenden Zitat w i r d diese Hs. mit der Sigle » K « bezeichnet) überlieferten Proben deutscher und lateinischer D i c h t u n g , die L o s s e als Literaturliebhaber ausweisen, dürften v o n einem seiner engeren Mitarbeiter aufgezeichnet w o r d e n sein: Der Dritte im Bunde der Männer, die den Grundbestand der Lossehandschriften angefertigt haben, ist ein nicht immer sehr eigenförmiger Schreiber, dessen die vertikalen Linien betonende Hand in den Handschriften K , Κ II (wo er nur Randglossen schrieb) und D . . . begegnet. Seine besondere Spezialität scheint die Kopierung deutschsprachiger Stücke gewesen zu sein. So schrieb er in Κ die >Littere Theuthonice< . . . ebenso wie die deutschen . . ., aber auch die lateinischen Gedichte . . . Dieser Mann ist aber auch, ebenso wie Losse selbst in der Trierer Kanzlei tätig gewesen, während eine solche Tätigkeit für seine soeben besprochenen Schreiberkollegen nicht nachweisbar ist.46 Namentlich identifizieren läßt sich diese Schreiberpersönlichkeit nicht. 47 D a g e g e n ist die Prager Handschrift M s . Χ Α 1 2 mit dem N a m e n der in diesem Fall f ü r die Schreibarbeit verantwortlichen Person — K l a r a Hätzlerin 48 — bekannt g e w o r d e n , während hier der A u f t r a g g e b e r eine eher unscheinbare F i g u r im Hintergrund geblieben ist. 49 Seine sich in der v o n ihm in A u f t r a g gegebenen Handschrift dokumentierenden literarischen

Interessen

sind trotz des beachtlichen

Umfangs

dieser

S a m m l u n g ' 0 f ü r die Zeit ihrer Entstehung in der zweiten H ä l f t e des 1 5 . Jahrhunderts im übrigen auch nicht besonders originell:

4! 46 47 48

49

Vgl. Holtorf (1985), Sp. 9 1 3 f . Stengel/Schäfer, S. L X X V I I . Vgl. dazu Stengel/Schäfer, S. L X X V I I I . Sie »ist in ihrer Zeit die einzige mit Namen bekannte Frau, die dt. Hss. im Auftrag kopierte.«, Glier (1981), Sp. 547. Vgl. Glier (1981), Sp. 549.

' " G l i e r (1981), Sp. 548 zählt zusammen 83 Reimpaargedichte und 1 3 ; Lieder.

160

Die Sammlung der Hätzlerin unterscheidet sich von den übrigen Augsburger Sammelhandschriften nur noch durch einen höheren Anteil von Texten mit Liebesthematik. Man ist versucht zu sagen: Das patrizisch-adlige Programm ist eingegangen in das Hausbuch eines literarisch interessierten Bürgers der Mittelschicht. Doch eine solche soziologische Deutung ist nicht unproblematisch. Jörg Roggenburg war zwar gewiß kein Patrizier und gehörte nicht wie die Augsburger Imhoffs zu den Mehrern der Gesellschaft. Seine Namensgenossen waren Schmiede und Büchsenmeister, er selbst aber dürfte der obersten Gruppe der Mittelschicht oder der untersten der Oberschicht zuzurechnen sein: Er führte ein Wappen und zahlte die ansehnliche Vermögenssteuer von 8 Gulden jährlich. Und er stand sogar mit Lukas Fugger in Geschäftsverbindung, vielleicht als Gesellschafter für ein bestimmtes Unternehmen.'1 Über den Stellenwert, den die mitaufgezeichneten Liebesbriefgedichte im literarischen Interesse der beiden Sammler Losse und Roggenburg gehabt haben, kann man nur spekulieren. Bei einem der Texte aus der >Losse-SammlungMinneklage (aus Thüringen) » w f -

Basel, U B . M s . Ν 16 N r . 39: S c h r i f t m u s t e r b l a t t d e s W i l h e l n R e i d e r .

162

Gerade in dieser Mittelmäßigkeit liegt aber die kulturgeschichtliche Bedeutung unseres Blattes begründet: E s ist offenbar von einem Laien geschrieben und für Laien bestimmt. Hätte Wilheln Reider die lateinische Sprache beherrscht, sicher hätte er eine Probe davon gegeben. Wäre er ein Geistlicher gewesen oder hätte er sich an Geistliche gewandt, hätte er bestimmt nicht auf eine Probe liturgischen Textes in der feierlichen großen Buchschrift verzichtet, die man sonst unter den Bezeichnungen Quadrata und Fractura findet. Für die Liebesbriefe freilich, in denen die kalligraphischen Bedürfnisse seines Publikums gipfelten, wäre diese Schrift vielleicht doch als unangemessen empfunden worden, ganz abgesehen davon, daß der Umgang mit einer sehr breiten Feder hohe Anforderungen stellt.' 8 J e m a n d w i e d i e s e r W i l h e l n R e i d e r k ö n n t e M o d e l l g e s t a n d e n h a b e n bei d e r G e s t a l t u n g eines der > R i n g < - P r o t a g o n i s t e n : H e n r i t z e

Nabelreiber,

seines Z e i c h e n s D o r f s c h r e i b e r zu L a p p e n h a u s e n : >Ist sei nu so wol behuot, Daz ich mit fr nicht greden gtar, So send ich doch ein briefel dar.< Des ward do Triefnas so ze rat. Also schier und auch gedrat Sant er nach des torfes Schreiber: Der hiess Henritze Nabelreiber. Mein tächenschreiber ieso zhant Cham in Bertschins haus gérant. V . 1 6 3 9 - 1 6 4 7 . Nabelreiber der ward jehen: >Waz du wilt, daz sei geschehend Sein feder er do fürher nam Und sprach: >Nu sag auf, guoter man, Wie du den brief wilt habenU, V . 1 8 5 2 - 1 8 5 6 . " A u f z e i c h n u n g und Überlieferung der Texte v o m T y p Liebesbrief w u r d e a l l e r d i n g s n u r z u m Teil d u r c h A u f t r a g g e b e r m o t i v i e r t .

Unabhängig

v o n d e m skizzierten D i e n s t l e i s t u n g s b e t r i e b h a b e n die spätmittelalterlic h e n S c h r e i b e r a u c h i m e i g e n e n I n t e r e s s e gearbeitet 6 0 u n d sich dabei L i e b e s b r i e f e einzeln o d e r g r u p p e n w e i s e b e r ü c k s i c h t i g e n d e

Sammlun-

gen v o n mitunter ganz beachtlichem U m f a n g zusammengestellt: Daß der Schreiber des Cgm 5919 zugleich auch dessen erster Besitzer war, ist kaum zu bezweifeln. Der Codex ist in einem Zeitraum von gut zehn Jahren mit all dem vollgeschrieben worden, was Mosti im Lauf der Jahre festzuhalten wünschte, wobei die . . . skizzierte Buntheit des Inhalts zustande kam. " E b d . S. 457. " Wiessner (1931). 60 Vgl. Kiepe (1984), S. 80. 163

Für einen etwaigen Auftraggeber wäre ein Gutteil der Eintragungen ohne Nutzen und Interesse . . . gewesen, g e w i ß aber hätte er A n s t o ß genommen an den vielen unzusammenhängenden Fragmenten und ineinandergeschriebenen Textfetzen literarischer Stücke ebenso wie an der manchmal fast unleserlichen, oft individuell gekürzten Privatschrift Mostls. 6 '

Die hier von Franziska Heinzle beschriebenen Überlieferungsmerkmale des Münchener C g m 5919 - auf Blatt 316r—3 i6v enthält er einen parodistischen Prosaliebesbrief 62 - sind mit den damit verbundenen Schlußfolgerungen im Prinzip auch auf andere Handschriften übertragbar, in denen Liebesbriefgedichte zum Textbestand gehören: »um für nichtrepräsentativ-private Zwecke bestimmte Aufzeichnungen des Erstbesitzers« 6 ' dürfte es sich auch bei den Texten der Berliner Handschrift M g q 495 handeln. 64 Auffallend ist bei dieser Handschrift ein ausgeprägtes Interesse »für sexuell und/oder fäkalisch Anstößiges«, 6 ' das sich der Sammler/Schreiber offensichtlich auch mit einigen entsprechend gestalteten Liebesbriefgedichten selbst befriedigen konnte. In diese Kategorie, sieht man einmal von den Obszönitäten ab, gehört auch »die äußerst unprätentiöse Wiener Handschrift« 2933 mit Boners >EdelsteinEdelstein< notierte der gleiche Schreiber auf einigen freigebliebenen Blättern am Ende der Handschrift neben unterschiedlichen hausbuchartigen Aufzeichnungen auch ein Liebesbriefgedicht, das möglicherweise Anlaß gewesen ist für den Eintrag von weiteren Konzepten dieses Texttyps, die, wenn man den etwas abweichenden Duktus nicht auf Diskontinuität beim Schreiben zurückführen will, von einem etwa gleichzeitigen Zweitbenutzer nachgetragen worden sind.67 61

6j

Franziska Heinzle, D e r Württemberger. Untersuchung, Texte, K o m m e n t a r . G ö p p i n gen 1974 ( G A G 137), S. 4. Vgl. auch Meyer (1989), S. 494: »So entsteht, nicht zuletzt auch durch häufige Verschreibungen und durch Mostls u n a u s g e g l i c h e n e und wechselhafte Schrift< . . . der Eindruck einer eher >amateurhaften< Sammelanlage, w i e sie weniger ein feinsinniger Literaturliebhaber als vielmehr ein auf Nützlichkeit der Einträge ebenso w i e auf Befriedigung seines Unterhaltungsbedürfnisses eingestellter Praktiker angelegt haben mag, der für den Eigenbedarf, nicht für einen A u f t r a g g e b e r , gesammelt hat.« Vgl. Meyer (1989), S.i24f. N r . 99. Schmidtke (1981a), S. 22.

' " V g l . K a p . 4.2.5. 61 Schmidtke (1981a), S. 23. Vgl. in diesem Z u s a m m e n h a n g auch die Schlußfolgerungen Schmidtkes ebd. S. 24 u. A n m . 26 im Hinblick »auf die Alterszugehörigkeit« des Schreibers. 66 Bodemann/Dicke, S. 442^ 67 S o w o h l Menhardt 1, S. 638, als auch Bodemann/Dicke, S. 434 zählen zwei Schreiber.

164

Erschöpft haben dürfte sich das Konservierungsinteresse bei einigen kleineren Liebesbriefgedichten im Akt des Schreibens selbst — als Zeitvertreib: »Der Schreiber des Vocabulars von 1419« im Münchener Cgm 674 »>Petrus Smidhawser, Canonicus in UndensdorffParzivalKonstanzer Liebesbriefen< (Donaueschingen Cod. 104) im Kontext von primär auf Kleinepik ausgerichteten Sammelhandschriften unterstellen kann,74 der aber auch ganz direkt in einigen Liebesbriefparodien zum Ausdruck kommt, 7 ' gehört zu den realen Existenzbedingungen dieses Texttyps sicher auch seine Präsenz im mehr oder weniger institutionalisierten Bildungsbetrieb der damaligen Zeit. Obwohl Liebesbriefgedichte nicht zu dem kanonisierten Bestand mittelalterlicher und spätmittelalterlicher Schulliteratur gehören, 76 weisen einige Uberlieferungsmerkmale, nicht zuletzt ihre Überlieferungsgemeinschaft mit lateinischer Artesliteratur, sie dem Einzugsbereich von (Latein-)Schule und sogar Universität zu.77 Daß selbst dort auch der Unterhaltungswert dieser Texte zum Tragen kommen konnte und ihr Einsatz nicht auf eine didaktisch instrumentalisierte Form als Schreib- oder Stilübung beschränkt geblieben sein muß, beweist eine >Scherzhafte LiebeserklärungSieben Freien Künste< ein inhaltliches Gestaltungsmuster abgegeben haben.78 In einer präziser definierten Gebrauchssituation findet man gereimte Liebesbriefe und -grüße im spätmittelalterlichen Jahreswechselbrauchtum.79 Individuelle Aktualität konnten die Texte, von denen viele sogar inhaltlich auf diesen kalendarischen Geltungsbereich festgeschrieben sind,80 als Neujahrsgeschenk oder -glückwunsch entfalten." Dabei wird der Rahmen eines ritualisierten Freundschaftskults allerdings nirgends in Richtung auf den intim-privaten Lebensbereich der Akteure durchbrochen, wie man es bei einigen Prosaliebesbriefen beobachten kann.82 Bei den Liebesbriefgedichten, die in Reimpaarversen abgefaßt sind, bleiben selbst solche Textzeugen, deren Überlieferungsform in ihrer 74

Vgl. auch Dresden M 68. Ζ . B. in Berlin M g q 495. 76 Vgl. Henkel (1988). 77 Vgl. dazu K a p . 4.6. 7 * Uberliefert in München C g m 5 249 N r . 46c und Wolfenbüttel Cod. 29.6 A u g . 4 0 , Bl. i2r. 79 Z u den Erscheinungsformen und der Bedeutung literarischer Kleinkunst vgl. Holtorf 7i

Ο973)Uber die v o n Holtorf (1973), S. 10 u.a.m. aufgeführten Belege hinaus sei hier noch auf zwei wichtige Textzeugen verwiesen: Kassel 8° Ms. med. 6, Bl. χ27t— i j o r u. M a r b u r g Hs. 363, Bl. 7 j r . Z u m analogen Einsatz v o n Liebesliedern und im geistlichen Bereich v o n >Kleinen Andachtsbildern< vgl. Holtorf (1973). " Vgl. K a p . 2. 80

166

ursprünglichen Anlage als Einzelblatt wohl das authentische Erscheinungsbild ihrer Existenz im realen, lebenspraktischen Gebrauchszusammenhang vermittelt, 8 ' anonym und in formelhaften Konventionen verhaftet.

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Neujahrsgruß (Privatbesitz).

Aber gerade in diesem Funktionszusammenhang könnte man die eigentliche kulturgeschichtliche Bedeutung spätmittelalterlicher Liebesbriefgedichte sehen:84 als Vorläufer einer mit unterschiedlicher Intensität bis in die Neuzeit wirksam gebliebenen Tradition konfektionalisierter Glückwunsch- und Grußpoesie (vgl. Abb. 13), die im Laufe ihrer weiteren >EntwicklungLiebesbriefLiebesbriefEbenreutters HandschriftLiederbuch der Klara Hätzlerin< (vgl. Prag Ms. Χ A 12) auf und dementsprechend eine Tendenz zur Gruppenbildung, die zwischen Reimpaargedichten und Liedern differenziert; im zweiten Teil sind die gleichen Texttypen bunt gemischt. Ein Schreiber, der auf Bl. 257t mit Mertin ebenreutter vorn wurt^purg signiert hat. Papier, 398 Bll. 30 χ zo cm. Würzburg (?), um 1 5 3 0 . Lit. !(ur Hs.\ Brandis (1968), S. 213—215. Glier (1971), s. Reg. Rheinheimer (1975), S. 243. Miick (1980), S. 113—140 u.a.m. Schierling (1980), S. 171 f. Glier (1981), Sp. 548. Wachinger (1982), S. 389 Anm. 7 u.a.m. Brandis (1983), S. 22. Mück (1985), S. 2. Petzsch (1985), S. 276. ι. Bl. 130V— i3ir: >AbschiedsgrußNeujahrsgruß auf

1 4 4 K , 44

V.

Ü: Eines Neues Jar Meins hertzenn trost Nun wiß furwar Als ich erwacht Im Newenn Jar Mich selbs mit hertz vnnd mutt Laß dich benugenn frewlein gutt 3.

Bl.

135V-136V:

>Neujahrsgruß auf i442Neujahrsgruß auf i443Neujahrsgruß auf 1444X, 50 V . Ü: E i n newes J a r J m xliiij F r a w meines wesenn auffenthalt Hab hin als her mein gantz gewalt Darauff ich stettiglichenn paw Halt fest mein aller liebste f r a w 6. B l . 1 3 8 V - 1 3 9 V : > N e u j a h r s g r u ß a u f i 4 4 5 < , 4 0 V . Ü: E i n newes J a r J m xlv Trostlicher hortt mein höchste freud Inn hertzen ich gar billich geud G e k n n ü p f f e t ward der lieb latz Halt vest mein aller höchster schätz 7. B l . 1 3 9 V — 1 4 0 V : > N e u j a h r s g r u ß a u f i44Ó N e u j a h r s g r u ß a u f i 4 4 7 < , 56 V . Ü: E i n N e w e s J a r J m xlvj Meins hertzenn schloes meiner frewden schreynn Ich mein dich lieblich frewelein Dann dein biß an meines endes zill Haltt fest als ich dir getrawenn will N r . 2—8. m i t g e r i n g e n A b w e i c h u n g e n i n g l e i c h e r R e i h e n f o l g e a u c h in: B e c h steins H s . , 1 2 8 V — 1 3 4 V ; P r a g M s . Χ A 1 2 , Abdr.

ιιον—ii6v.

N r . 2 - 8 : Haltaus/Fischer, S. 1 9 6 - 2 0 1 N r . II, 3 4 - 4 0 (nach P r a g M s . Χ

A

12).

Lit.

^u Nr.

2-8.·.

Prag Ms. Χ A

M i i c k ( 1 9 8 0 ) , S. 1 3 1 . B l a n k ( 1 9 8 7 b ) . V g l . auch die A n g a b e n zu 12.

9. B l . 32Ór: > S c h r e i b e r s p r u c h < , 1 Z . Nach dir nichts Libers 10. Bl. 327V: >Schreiberspruch S c h r e i b e r s p r u c h < , 1 Z . Halt fest bedennck das best

176

Lit.

Nr. 9-11 (mit Abdr.): Miick

(1980),

S. 121.

Berlin Mgf 752 Liedersammlung, enthält neben >Gesellschaftsliedern< auch zahlreiche Reimpaarsprüche. Ein Schreiber. Papier, 78 Bll. 27,5 χ i8 cm. Dt.-ndl. Grenzgebiet (?),

1568.

Lit. %ur Hs.: Kopp

(1903).

Holtorf

(1973),

S.

366.

ι. Bl. zc/f. >Minnespruch an die GeliebteMinnespruch a. d. G.Minnespruch a. d. G.Minnespruch a. d. G.Minnespruch a. d. G.Minnespruch a. d. G.Minnespruch a. d. G.LiebesbriefLiebeserklärungAn die gefangene GeliebteDer getäuschte MinnerLiebesklageAn die Entfernte^ 92 V . Nit mochti das erwenden kund ich dir lieb gesenden hie mit pfleg vnser die vil zart die josep gemahelt wart 13. Bl. i4vb-i5ra: >Gruß und Entschuldigung^ 30 V . Könd ich von solichen sachen Ain wilkomen machen Mug das hail das dir werd kunt Gerender grüß von mynem munt 14. Bl. ijra— ijrb: >LiebesgrußAn die kranke GeliebteBitte um Zusammenkommen*, 144 V . Mocht ich lieb gelaisten das das got iemer ist vnd was waz wünschet vnser baider gir daz ist notdurftig mir von dir 17. Bl. i6va-i7ra: >An die zweifelnde GeliebteAbschiedsbriefDer Minner und die MinneWerben um LiebeDer beglückte Minnen, 76 V. K ö n d ich mit rösenlechten Sprüchen wol geflechten Mit stätter trii vntz v f f min end hie mit vns got sin segen send

22. Bl. i8vb-ic)ra: >Gruß beglückter LiebeDer arme DichterBuch der NaturLiebesgrüßeLiebesgrußLiebesgrußLiebesgrußLiebesgrußLiebesgrußLiebesgrußLosse-SammlungMinneklage (aus Thüringen)LiebesbriefLiebesbriefLiederbuch des Petrus FabriciusGesellschaftsliedern< auch einige Reimpaarsprüche. Ein Hauptschreiber, bei dem es sich um den mehrfach in stammbuchartigen Einträgen genannten Petrus Fabricius handeln dürfte. Papier, 15 2 BU. 4°. Rostock, um 1605. Lit. ?ur Hs.: Bolte (1885). ι. Bl. 3r-3v: >LiebesbriefMinnespruch a. d. G.Minnespruch a. d. G.Minnespruch a. d. G.AbschiedsgrußLiebesbriefLiebesgrußLiebesgrußur Hs.: Brandis ( 1 9 6 8 ) , S. 2 4 5 . Kiepe ( 1 9 8 4 ) , S. 366—369. ι. Bl. i6r-i6v: >LiebesbriefNeujahrsgrußNeujahrsgrußLiebesbriefLiebesbriefLiebesbriefLiebesbriefParzival< (Gm). Ein Schreiber. Pergament, 130 Bll. 22 χ 16 cm. Bayern, 2. oder 3. Viertel 13. Jh. Randnotizen (u. a. Minnespruch) aus dem 15. Jh. Beschr. ». Lit. %ur Hs.\ Becker (1977), S. 86f. Schneider (1987), S. 127-129. ι. Bl. 113V: >Obszöner Minnespruch an die GeliebteRegensburger LiebesbriefLiebesbriefAugsburger LiederbuchParodie eines Liebesbriefes L i e b e s b r i e f ei-

nes Augsburger FräuleinsLiebesversicherungLiebesbriefLiebesgrußverseScherzhafte LiebeserklärungLiebesbrief< vom Anf. des 16. Jh.s befindet sich auf der Rückseite des zweiten Druckes: >TitularbüchleinTitularbüchlein< Τ — 363 aus dem Inkunabelkatalog zur Verfügung). ι. Bl. ι (Ai)b: >LiebesbriefDaz brechen leitLiederbuch der Klara HätzlerinAbschiedsgrußNeujahrsgruß auf 1 4 4 K , 44 V . Ü: Ain newes jar ymm ains vnd viertzigisten MEins hertzen trost nun wiß fürwar Als ich erwacht ymm newen jar Mich selbs mit hertz vnd müt Lass dich benügen frawlin gut 3. Bl. m r — m v : >Neujahrsgruß auf i442Neujahrsgruß auf i443Neujahrsgruß auf i444Neujahrsgruß auf i445Neujahrsgruß auf i446Neujahrsgruß auf i447 N e u j a h r s g r u ß a u f I448Karl der Große< und Hartmann von Aue, >GregoriusLiebesbriefWigaloisGranum rhetorice< auch deutsche Briefmuster, darunter in zwei Gruppen Liebesbriefe, die bis auf einen reinen Prosatext (Bl. 8iv: Ach gnaden riches bilde ich tun dir kunt . . .) überwiegend in Reimpaarversen abgefaßt sind. Mehrere Schreiber. Papier, 163 Bl. 21,2 χ ι5 cm. Schwaben (?), 15. Jh. Beschr. u. Lit. Hs.\ Brandis (1968), S. 259. Worstbrock (1991), Sp. 5Gc¡{. 1. Bl. 8ov: >LiebesbriefLiebesbriefLiebesbriefLiebesbrief, 38 V . Ffar hin brieff vnd ende Dich enphahend zwo sehne wisse hende alles wes hertzen sin zu mir dz gere ich och vor ir 216

V . i f . v g l . Heinrich Wittenwiler, >RingLiebesbriefLiebesbriefLiebesbriefLiebesbrief L i e b e s b r i e f ^ 19 V . Ach schönes lieb gedenck dar an dz ich kainen lieberen nie gewan G o t grus dich du edele wunne noch schoners denn die Hecht ciar sunne 10. Bl. 94v: >LiebesbriefLiebesbriefHausbuch< Simprecht Krölls mit dem unterschiedlichsten Textbestand (Briefe, Gebete, Lieder, Reimpaarsprüche, Rezepte u. Urkunden). Papier, 59 Bll. 20,5 χ 15 cm. Augsburg (?), 1518 bis 1522. Beschr.·. Meyer (1989), S. 406-428. RSM 1. ι. Bl. }2r—}jr: >LiebesbriefMinnesprüche an die GeliebteEdelstein< und die Sammlung des Schweizer Anonymus) und chronikalische Aufzeichnungen 218

(>Zürcher ChronikMinnespruch an die GeliebteStockholmer ArzneibuchLiebesgrußNeujahrsgrußLiebesklage an die GeliebteAbschiedsgrußLiebesbriefNeujahrsgrußLiebesgrußTreueversicherungLiebesgrußEdelstein< (Bl. ir—io2v). Am Ende ein hausbuchartiger Anhang (Bl. io3r— io6r). Ein Hauptschreiber, von einem zweiten, etwa gleichzeitigen Schreiber wurden mit einer Ausnahme (Text Nr. 2) die Liebesbriefe nachgetragen. Papier, 106 Bll. 21,5 χ 13,5 cm. Rheinfranken, um 1470—1480. Beschr. u. Lit. %ur Hs.\ Brandis (1968), S. 269. Bodemann/Dicke, S. 434. ι. Bl. i04r: >LiebesbriefLiebesbriefLiebesbriefLiebesbriefLiebesbriefMinnespruch (an die Geliebte)Scherzhafter Liebesbrief, 2 Z. u. 7 V. Minen fruntüchen gruz zu allen vor wizze lieber bule az von liebe ein bule den andern gruzzen sol got sparr dich gesunt biz ein hunt einen lamen mach gesunt vnd ein vinck daz mer vz drinck vnd ein gans schut zweinczig maker habern zu mol in iren grancz

Abdr.: Menhardt 2, S. 1083. Lit.·. Rheinheimer (1975), S. 199.

WOLFENBÜTTEL, HERZOG AUGUST

BIBLIOTHEK

Wolfenbüttel Cod. 2.4 Aug. 20 Sammelhandschrift, enthält geistliche und weltliche Reimpaarkleindichtung. Mehrere Schreiber. Papier, 255 Bll. 36 χ ζη cm. Nürnberg, um 1490. Bemerk.·. Während der Drucklegung weist mich Herr Prof. Dr. B. Wachinger freundlicherweise auf diesen Textzeugen hin. Beschr. u. Lit. ^ur Hs.: Euling (1908), S. V-XVIII. Kiepe (1984), s. Reg.

22

3

i. Bl. 79va: >LiebesbriefDie sieben freien Künste und die LiebeScherzhafte Liebeserklärung< nachgetragen. Beschr. ». Lit. %ur Hs;. Keller ( 1 8 5 3 ) , S. 1 4 3 3 - 1 4 4 0 . Heinemann ( 1 9 6 6 ) , S. 346. Simon ( 1 9 7 0 ) , S. 1 8 . Kiepe ( 1 9 8 4 ) , S. 359—362. Reichel ( 1 9 8 5 ) , S. 247^ ι. Bl. i2r: >Scherzhafte LiebeserklärungLiebesbriefLiebesgruß< ist ein Nachtrag des Zerbster Stadtschreibers Nikolaus Barbi, der ca. von 1406-1417 amtierte. Lit.: Jahn (191}), S. VII u. 54 Anm. 247. ι. Rückseite (?): >Obszöner LiebesgrußLiebesbriefLiebesbriefLiebesbriefLiebesbriefLiebesbriefLochamer LiederbuchHulthemsche Handschrift): 92f., 187, 192 - Cod. II 144: 18 Anm. 23, 29, 80 Anm. 230, 92—97, 1 5 ; Anm. 17, 157, 1 8 1 , 187—192, 193, 201, 206, 209, 221 Darfeld, Schloß, Gräflich Droste zu Vischeringsches Archiv - Archiv der D o m h e r r e n Droste, C.

Handschriften, 1. (»Darfelder LiederhandschriftLiedersaal-HandschriftLiederbuch der Ottilia FenchlerinFichards Lieder buchHaager LiederhandschriftKleine Heidelberger LiederhandschriftCodex ManesseLosse-SammlungKasseler ArzneibuchLiederbuch des Petrus FabriciusRegensburger LiebesbriefLiederbuch des Jakob KebiczLiederbuch der Klara HätzlerinStockholmer ArzneibuchWeingartner LiederhandschriftAbschiedsgruß< 64-66, 91, 93, 175, 207, 2 1 3 , 220, 226 Aelst, Paul von der io3f., 183 >Aristoteles der Heide< 22 Anm. 39 >Augsburger Liederbuch< vgl. München Cgm 379 Baldewin von Trier 105, 107, 160 Barbi, Nikolaus 1 6 ; , 225 >Die Bauernhochzeit 64 Bechstein, Ludwig ;8 Berthold von Regensburg 126 Anm. 514 Bollstatter, Konrad 71 Anm. 166, 122 Boncompagno: >Rota Veneris< 43, 1 1 4 Boner, Ulrich: >Edelstein< 164, 218, 222 >Daz brechen leit< 1 1 3 Brentano, Clemens: >Des Knaben Wunderhorm 9 Cicero 134 Anm. 556 >Dresdner Liebesbriefe< 66, vgl. Dresden M 68 Ebenreutter, Martin 58, 62, 1 7 ; , vgl. Berlin M g f 488 >Der erste Buchstabe der Geliebten< 130 Anm. 541 Fabricius, Petrus 1 0 ; , 206, vgl. Kopenhagen Mscr. Thott Quart 841 Fenchlerin, Ottilia vgl. Donaueschingen Cod. 121 >Fichards Liederbuch< vgl. Frankfurt, Stadtarch., Familienarch. Fichard Nr. 165 Ms. 69 Freidank 4 ; , 50, 86, 178 >Gespräch mit einem alten Liebhaber< 62 Anm. 1 1 6

262

>Göttinger Betrugsbriefe< vgl. Konemund, Hermann Gossembrot, Sigismund 134 Anm. 556 Gotzkircher Sigismund 1 3 ; Gozold: >Der Liebesbrief< 62 Anm. 1 1 6 Grieninger, Peter (vgl. Groninger, Peter) 48, ; i f . , 54—56, 198 Groninger, Peter: >Von St. Sebastian, U. L. Frauen und der Pest< 54 Hadlaub, Johannes 7Í., 33 Hartmann von Aue: >Gregorius< 1 4 1 , 215 Hätzlerin, Klara 58, 62, 72, 160, 2 1 3 , vgl. Prag Ms. Χ A 12 >Der heimliche Bote< 2; Heinrich von Morungen m f . Heinrich der Teichner 45 Heinrich von Veldeke: >Eneasroman< 5 f., 8 Anm. 13 Hermann von Sachsenheim: >Der Spiegel» 1 1 5 Anm. 442 >Hero und Leander< 38, 46, 156, 197 >Herzog Ernst D< 141 Anm. 24 >Hildebrandslied< 136 Höpp, Ulrich: >Klage der Treue» 1 1 5 Anm. 442 Hugo von Montfort 1 1 Anm. 24, 130 Johannes von Freiberg: >Rädlein< 158 Johann von Konstanz: >Minnelehre< 38, 44, 49, ;2f., 141 Anm. 24, i ; ¡ , 156 Anm. 24 Johannes de Widembach 47f. »Kasseler Arzneibuch» vgl. Kassel 40 Ms. med. 10 Kebicz, J a k o b 8j >Klopfan< 8; Anm. 275, 90 Anm. 294, 178 Konemund, Hermann: >Göttinger Betrugsbriefe» 24 Anm. 51, 122

K o n r a d v o n Megenberg 146, 203 K o n r a d v o n Würzburg 3 i f . , 143, 201 >Konstanzer Liebesbriefe< 52, 66, 129, 157, v g l . Donaueschingen Cod. 104 K r ö l l , Simprecht 218 L a u f e n b e r g , Heinrich 96 >Liebesbriefe (aus Konstanz)< vgl. Stuttgart H B X 10 >Liebesbriefsteller aus Köln< vgl. Brüssel Cod. II 144 >Liebesbriefsteller aus Schwaben< vgl. R o m Cod. Pal. Lat. 1793 >Lob der Frauen< (Berlin M g f 922) 69 >Lochamer-Liederbuch< vgl. Berlin Mus. Ms. 40613 Losse, R u d o l f 105—115, 1 ; 4 , 1 5 7 , i6of., 205, vgl. Kassel 2° Ms. iurid. 2; M a d , R u d o l f 219 >Der Magezoge< ; o >Mariengrüße< 49, 5 ; f . , 96, 97 A n m . 339 >Mattseer Liebesbriefe< vgl. Mattsee Cod. 2

4 >Das Meiden< 64f. >Der Minne Leben< 29, 94 >Minneklage (aus Thüringen)< 77, 106, 109—113, 1 6 1 , 205 M ö n c h v o n Salzburg 1 1 A n m . 24, 1 4 3 , 201 Mosti, Ulrich 1 6 j f . Muskatblut 220 >Neujahrsgrüße auf i 4 4 i - 4 8 < 59-63, 66, 92f., ioof., 161, 175 f., 2I4Í., 22Óf. >Niederdeutsches ReimbüchleinEraclius< 23 A n m . 46 O v i d 46, 104 A n m . 37;, 156 Perottus, Nicolaus 1 2 7 , 1 3 3 Petrus de Vinea 47 Der Pleier: >Meleranz< 141 A n m . 24

Piccolomini, Enea Silvio 142 A n m . 26 >Die rechte A r t der Minne< 69 >Regensburger Liebesbrief v g l . München C g m 189 Reider, Wilheln 161-163 (Abb. 12) Reinmar v o n Z w e t e r 1 7 A n m . 14 R o g g e n b u r g , J ö r g 58, 161 Rüdeger der Hinkhofer 56 Salzmesser, Nikolaus 1 3 3 , 216 >Das Scheiden< 64f. Schmid (von Kusel), Hans 227 Schmidhauser, Peter 124—126, 16;, 212 Schott, Cunz 84 A n m . 263 Schröpfer, Caspar 197 >Schule der Minne< 68, 70, 78 Schweizer A n o n y m u s ; 6 , 218 Schwitzer, Johannes 127, 156 »Die sieben freien Künste und die Liebe< 138f., 224 »Stockholmer Arzneibuch< vgl. Stockholm Hs. X 113 Stos, Didrich 208 Der Stricker 20 A n m . 33, 141, 215 Tschudi, Ägidius 219 >Titularbüchlein< 15of., 212 >Traugemundslied< 31 >Vocabularius E x quo< 124, Anm. 5 ; 3

i26f.,

134

>Wein- und Biergrüße< 85 A n m . 27;, 97 A n m . 339, 178 >Wigamur< 19 Wirnt v o n Grafenberg: >Wigalois< 141, 215 Wittenwiler, Heinrich: >Der Ring< 21, 77, 123 A n m . 490, 125 A n m . 506, 155 A n m . 20, 156, 158 A n m . 40, 163, 217 Wolfram v o n Eschenbach: >Parzival< vgl. München C g m 61 »Das Zauberkraut< 1 1 5 A n m . 442 »Zürcher Liebesbriefec vgl. Zürich R P 3

263

ABBILDUNGSNACHWEISE

S. 6

Berlin, SBPK. Mgf 282, Bl. LXXIr: Heinrich von Veldeke, E n e a s r o m a n >Minnebrief der LaviniaDarfelder Liederhandschrift