Der Völkerstrafprozess in Deutschland und vor dem Internationalen Strafgerichtshof: Ein Vergleich des ersten in Deutschland abgeschlossenen Verfahrens mit dem Prozess gegen den ehemaligen Vizepräsidenten der DR Kongo Bemba Gombo vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag [1 ed.] 9783428581610, 9783428181612

Bei Völkerstrafprozessen stehen dem internationalen Strafgerichtshof (IStGH) in Den Haag und nationalen Strafgerichten u

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Der Völkerstrafprozess in Deutschland und vor dem Internationalen Strafgerichtshof: Ein Vergleich des ersten in Deutschland abgeschlossenen Verfahrens mit dem Prozess gegen den ehemaligen Vizepräsidenten der DR Kongo Bemba Gombo vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag [1 ed.]
 9783428581610, 9783428181612

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Beiträge zum Internationalen und Europäischen Strafrecht Studies in International and European Criminal Law and Procedure Band / Volume 45

Der Völkerstrafprozess in Deutschland und vor dem Internationalen Strafgerichtshof Ein Vergleich des ersten in Deutschland abgeschlossenen Verfahrens mit dem Prozess gegen den ehemaligen Vizepräsidenten der DR Kongo Bemba Gombo vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag

Von

Simon Redel

Duncker & Humblot · Berlin

SIMON REDEL

Der Völkerstrafprozess in Deutschland und vor dem Internationalen Strafgerichtshof

Beiträge zum Internationalen und Europäischen Strafrecht Studies in International and European Criminal Law and Procedure Herausgegeben von / Edited by Prof. Dr. Dr. h.c. Kai Ambos, Richter am Kosovo Sondertribunal Berater (amicus curiae) Sondergerichtsbarkeit für den Frieden, Bogotá, Kolumbien

Band / Volume 45

Der Völkerstrafprozess in Deutschland und vor dem Internationalen Strafgerichtshof Ein Vergleich des ersten in Deutschland abgeschlossenen Verfahrens mit dem Prozess gegen den ehemaligen Vizepräsidenten der DR Kongo Bemba Gombo vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag

Von

Simon Redel

Duncker & Humblot · Berlin

Die Juristische Fakultät der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg hat diese Arbeit im Jahre 2020 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

D29 Alle Rechte vorbehalten

© 2021 Duncker & Humblot GmbH, Berlin Satz: 3w+p GmbH, Rimpar Druck: CPI buchbücher.de GmbH, Birkach Printed in Germany ISSN 1867-5271 ISBN 978-3-428-18161-2 (Print) ISBN 978-3-428-58161-0 (E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

(Wegen) Meiner Mama

Vorwort Die vorliegende Arbeit entstand während meiner Zeit als Rechtsanwalt in Nürnberg und externer Doktorand an der Friedrich-Alexander-Universität ErlangenNürnberg. Der gedankliche Ursprung dieser Arbeit geht allerdings zurück auf mein Studium und mein in Arhus (Dänemark) absolviertes Auslandssemester. Dort hatte ich den ersten Kontakt mit dem internationalen Völkerstrafrecht. Die engagierte und anschauliche Darstellung des „law of armed conflicts“ eines ehemaligen dänischen Offiziers und Jura-Professors weckte bei mir ein großes Interesse am internationalen Völkerstrafrecht. Mitentscheidend bei der Wahl des Themas dieser Dissertation war auch mein Referendariat und mein Wohnort in Nürnberg, in unmittelbarer Nähe des Justizpalastes und des Saales 600, in dem in den Jahren 1945/1946 der historische Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher und in den Folgejahren die zwölf Nachfolgeprozesse stattfanden. Meine Begeisterung für das internationale Völkerstrafrecht wurde durch den Abschluss der vorliegenden Arbeit mitnichten gemindert, vielmehr offenbarte sich mir erst, welche Frage- und Problemstellungen in diesem Bereich noch gelöst werden müssen. Die täglichen Berichte aus den Krisengebieten der Welt zeigen, wie wichtig eine unabhängige, rechtssichere und rechtstaatliche Strafverfolgung von Völkerstraftaten ist. Ich hoffe, dabei einen kleinen Beitrag leisten zu können. Die Erstellung der vorliegenden Arbeit war eine Herausforderung und eine persönlich bereichernde Erfahrung. Den vielen Personen, die mich in dieser Zeit unterstützt haben, möchte ich an dieser Stelle herzlich danken. Mein besonderer Dank gebührt meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Christoph Safferling, LL.M. (LSE), sowie der Rechtsanwaltskanzlei Grohmann, Schmidt & Partner in Nürnberg, bei der ich während der Dissertation meine ersten beruflichen Erfahrungen als Rechtsanwalt sammeln durfte. Mein größter Dank gebührt aber meiner Familie und meinen Freunden, deren liebevolle, fordernde und fördernde Begleitung die erfolgreiche Vollendung meiner juristischen Ausbildung überhaupt erst möglich machte. Nürnberg, 2020

Simon Redel

Inhaltsverzeichnis A. Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 B. Völkerstrafrecht in Deutschland und in Den Haag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 I. Begriff des Völkerstrafrechts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 II. Entwicklung der internationalen Völkerstrafrechtspraxis . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 III. Entwicklung der Völkerstrafrechtspraxis in Deutschland . . . . . . . . . . . . . . . . . . 21 C. Hintergründe der zu betrachtenden Verfahren gegen Dr. Murwanashyaka und Musoni vor dem OLG Stuttgart und gegen Bemba vor dem IStGH . . . . . . . . . . . 24 I. Aufbau und Struktur des Völkerstrafprozesses im Vergleich zum deutschen Strafprozess – Institutionelle Unterschiede . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 1. Das Gericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 25 2. Besonderheit des IStGH: Die Vorverfahrenskammer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 26 3. Rolle der Parteien – Kompetenzverteilung nach dem IStGHSt und der StPO 28 a) Die Anklagebehörde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 b) Der Angeklagte und die Verteidigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 II. Geschichtlicher Hintergrund und Gegenstand der Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . 33 1. Das Verfahren gegen Dr. M. und M. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 a) Allgemeine Entwicklungen, Entstehung und Struktur der FDLR . . . . . . . 34 b) Die Angeklagten Dr. M. und M. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 36 aa) Tätigkeiten vor Entstehung der FDLR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 bb) Rollen innerhalb der FDLR . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 c) Gegenstand des Verfahrens gegen Dr. M. und M. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 38 2. Das Verfahren gegen Bemba . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 40 a) Allgemeine Entwicklungen, Entstehung und Struktur der MLC . . . . . . . . 40 b) Der Angeklagte Bemba . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 c) Gegenstand des Verfahrens gegen Bemba . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 3. Bedeutung der Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 D. Die erstinstanzlichen Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 I. Strafverfolgungskompetenz (Komplementarität) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 48 1. Verfahren gegen Dr. M. und M. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 a) Vorliegen der deutschen Gerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 b) Exkurs: § 153f StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 c) Sachliche und örtliche Zuständigkeit des OLG Stuttgart und des GBA

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Inhaltsverzeichnis 2. Verfahren gegen Bemba . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 a) Vorliegen der Gerichtsbarkeit des IStGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 54 b) Gerichtsbarkeit im Verfahren gegen Bemba . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 aa) Materielle Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 56 bb) Zeitliche und persönliche Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 cc) Auslösemechanismus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 dd) Komplementarität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 58 (1) Rechtzeitigkeit der Rüge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 59 (2) Inhaltliche Einwände . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 (3) Prozessualer Ablauf: Status Conferences . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 60 (4) Entscheidung der Hauptverfahrenskammer . . . . . . . . . . . . . . . . . . 61 (5) Entscheidung der Berufungskammer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 63 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 II. Vor- bzw. Ermittlungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 1. Einleitung des Ermittlungsverfahrens: Vorermittlungs- und Ermittlungsverfahren nach der StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 2. Einleitung des Ermittlungsverfahrens: Vorermittlungs- und Ermittlungsverfahren nach dem IStGHSt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 68 3. Gang der Ermittlungsverfahren in concreto . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 a) Ermittlungsverfahren gegen Dr. M. und M. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 70 b) Ermittlungsverfahren gegen Bemba . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 73 4. Haftbefehle und Untersuchungshaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 74 a) Verfahren gegen Dr. M. und M. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 aa) Allgemeine Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 75 bb) Erlass und Vollzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 b) Verfahren gegen Bemba . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 aa) Allgemeine Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 bb) Erlass und Vollzug . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 78 5. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 III. Die Zwischenverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 80 1. Das Zwischenverfahren gegen Dr. M. und M. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 2. Das Zwischenverfahren gegen Bemba . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 82 a) Ablauf und wesentliche Zäsuren im Bemba-Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . 82 b) Confirmation Hearing und Decision . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 aa) Confirmation Hearing . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 84 bb) Zulassungsentscheidung – confirmation decision . . . . . . . . . . . . . . . . 87 (1) Materielle Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 87 (2) Zugrundeliegende Akte/Prozessuale Tat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 90 (3) Weitere Veränderung/Versionen der Anklage bis zur Hauptverhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 91

Inhaltsverzeichnis

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3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 IV. Gang der Hauptverhandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 93 1. Ausgangssituationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 2. Umfang und Ablauf der Beweisaufnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 a) Verfahren gegen Dr. M. und M. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 aa) Die Beweisaufnahme nach der StPO . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 94 bb) Sonderproblematik der Zeugenaussagen in Völkerstrafverfahren . . . 95 cc) Hauptverhandlung/Beweisaufnahme in concreto . . . . . . . . . . . . . . . . 96 (1) Zeugenbeweise . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 (a) FDLR-Zeugen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 (b) UN- bzw. NGO-Zeugen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 97 (c) Opferzeugen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 (2) Sachverständige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 (3) Urkunden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 (4) Augenschein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 dd) Zeugen- und Opferschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 ee) Problem der Zeugenbeeinflussung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 ff) Telekommunikationsüberwachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 104 gg) Einstellungsentscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 b) Verfahren gegen Bemba . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 aa) Die Beweisaufnahme nach dem Römischen Statut . . . . . . . . . . . . . . . 107 bb) Sonderproblematik Zeugenaussagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 108 cc) Umfang und Ablauf der Beweisaufnahme in concreto . . . . . . . . . . . . 110 dd) Zeugen und Sachverständige . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 ee) Sonstige Beweismittel: Urkunden und Augenschein . . . . . . . . . . . . . 113 ff) Zeugenschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 114 gg) Problem der Beeinflussung von Zeugen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118 3. Aktive Opferbeteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 a) Verfahren nach der StPO gegen Dr. M. und M. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 121 b) Verfahren nach dem Römischen Statut gegen Bemba . . . . . . . . . . . . . . . . 123 aa) Rechtliche Rahmenbedingungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 bb) Umfang und Gestaltung der aktiven Opferbeteiligung im Verfahren 126 4. Rechte der Verteidigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 a) Eigene Ermittlungsmöglichkeiten der Verteidigung . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 aa) Verfahren gegen Dr. M. und M. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 bb) Verfahren gegen Bemba . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 131 b) Offenlegungspflichten und Akteneinsichtsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 aa) Verfahren gegen Dr. M. und M. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 bb) Offenlegungspflichten vor dem IStGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 (1) Offenlegungspflicht der Anklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135

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Inhaltsverzeichnis (2) Offenlegungspflicht der Verteidigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 c) Beweismittelantragsrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 aa) § 244 Abs. 5 S. 2 StPO vor dem Hintergrund völkerstrafrechtlicher Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 bb) Beibringung von (Entlastungs-)Zeugen vor dem IStGH . . . . . . . . . . . 142 5. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 V. Materiellrechtliche Entscheidung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 1. OLG Stuttgart – Völkerstrafrechtliche Verurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 a) Völkerrechtliche Strafbarkeit des Dr. M. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 aa) Strafbarkeit des Dr. M. wegen Beihilfe zu Kriegsverbrechen . . . . . . . 145 bb) Kein Verbrechen gegen die Menschlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 147 cc) Keine Strafbarkeit als militärischer Befehlshaber . . . . . . . . . . . . . . . . 148 dd) Keine Verantwortlichkeit als mittelbarer Unterlassungstäter kraft organisatorischen Machtapparats . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 ee) Keine Strafbarkeit wegen irrtümlich angenommener militärischer Befehlshaberschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 b) Nationale Strafbarkeit nach dem StGB . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 c) Strafzumessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 2. IStGH – Erstinstanzliche Entscheidung: Verurteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 a) Individuelle Verantwortlichkeit gemäß Art. 28 IStGHSt . . . . . . . . . . . . . . 154 b) Grunddelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 c) Verbrechen gegen die Menschlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 3. Besonderheit: Strafzumessungsverfahren vor dem IStGH . . . . . . . . . . . . . . . 160 a) Prozessrechtliche Besonderheit: Strafzumessungsverfahren . . . . . . . . . . . 160 b) Ablauf und Ergebnis des Strafzumessungsverfahrens gegen Bemba . . . . 161 c) Berücksichtigung strafschärfender und strafmildernder Umstände . . . . . . 163 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166

E. Die zweitinstanzlichen Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 I. Revisionsentscheidung des BGH vom 20. Dezember 2018 . . . . . . . . . . . . . . . . 167 1. Verfahrenshindernis des Strafklageverbrauchs . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 2. Rügekomplex neuer Pflichtverteidiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 a) Bestellung des Rechtsanwalts E. als Pflichtverteidiger . . . . . . . . . . . . . . . 169 b) Unzulässigkeit der Rüge wegen unzutreffenden Sachvortrags . . . . . . . . . 170 c) Auswahl und Beiordnung gemäß § 142 Abs. 1 StPO . . . . . . . . . . . . . . . . 170 d) Keine Entpflichtung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 e) Exkurs: Kontinuität der Verteidigung im Verfahren gegen Bemba . . . . . . 172 3. Sachrügen der Verteidigung und des Generalbundesanwalts . . . . . . . . . . . . . 173 a) Teilnahmefähige Haupttat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 b) Objektive Förderung im Sinne von § 2 VStGB, § 27 StGB . . . . . . . . . . . 174 c) Gehilfenvorsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176

Inhaltsverzeichnis

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II. Berufungsentscheidung der Berufungskammer des IStGH vom 08. Juni 2018

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1. Entscheidungsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 a) Prüfungsmaßstab (Standard of Review) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 b) Überschreiten des angeklagten Prozessstoffes (Scope of the Charges) . . . 182 c) Ergreifen der notwendigen und angemessenen Gegenmaßnahmen gemäß Art. 28 Abs. 1 a) ii) IStGHSt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 2. Auswirkung auf nationale Verfolgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 F. Opferentschädigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 I. Deutsche Rechtslage und Verfahren gegen Dr. M. und M. . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 1. Rechtliche Möglichkeiten der Entschädigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 2. Entschädigung im Verfahren gegen Dr. M. und M. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 3. Entschädigung der Angeklagten im Falle eines Freispruchs oder reduzierten Strafmaßes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 II. Rechtslage nach dem Römischen Statut und Verfahren gegen Bemba . . . . . . . 194 1. Überblick über die Rechtslage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 2. Reparationsverfahren gegen Bemba . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 196 3. Entschädigung des Freigesprochenen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 198 G. Öffentlichkeitsbeteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 200 I. Verfahren vor dem OLG Stuttgart . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 II. Verfahren vor dem IStGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 H. Zusammenfassung und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 I. Völkerstrafrecht in Deutschland und in Den Haag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 II. Hintergründe der zu betrachtenden Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 III. Die erstinstanzlichen Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208 IV. Die zweitinstanzlichen Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 209 V. Opferentschädigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 VI. Öffentlichkeitsbeteiligung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 VII. Fazit und Ausblick . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 211 Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 222

A. Einleitung Am 25. September 2015 wurde in Deutschland das erste Urteil in einem Verfahren nach dem Völkerstrafrecht gesprochen. Rund 70 Jahre zuvor entwickelten die Strafrechtswissenschaftler Hersch Lauterpacht und Raphael Lemkin die Tatbestände „Verbrechen gegen die Menschlichkeit“ (Lauterpacht)1 und „Genozid“ (Lemkin).2 Zu diesem Zeitpunkt war noch nicht abzusehen, inwiefern diese von der deutschen Justiz auf Seiten der Ankläger gegen ausländische Staatsbürger angewendet werden würden. Die Entwicklung dieser beiden Vebrechenstatbestände stand nämlich im Besonderen unter dem Eindruck der deutschen Verbrechen, die während der NSHerrschaft nicht zuletzt durch Unterstützung der Justiz verübt werden konnten. Bereits bei der Eröffnungsrede der Nürnberger Prozesse machte der Chefankläger der USA Robert Jackson deutlich, dass das Völkerstrafrecht als ein universelles Recht vorgesehen war. Er formulierte dort, dass das Nürnberger Statut zwar zunächst auf die deutschen Angreifer angewandt werde, jedoch den Angriff jeder anderen Nation miteinschließen solle.3 Seit dem Jahre 2002 sind in den §§ 6 und 7 VStGB eben jene Delikte Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Völkermord unter Strafe gestellt. Die deutschen Behörden sind grundsätzlich verpflichtet, diese und andere Verbrechen überall auf der Welt zu verfolgen. Parallel zum deutschen Justizapparat besteht, ebenfalls seit 2002, in Den Haag der ständige internationale Strafgerichtshof, dessen Aufgabe es ebenfalls ist, jene schwersten Verbrechen, welche die internationale Gemeinschaft als Ganzes berühren, zu verfolgen.4 Beide Justizsysteme stellen sich der Aufgabe, Verbrechen, die sich regelmäßig viele tausend Kilometer entfernt zugetragen haben, zu ermitteln und nach rechtsstaatlichen Maßstäben zu verhandeln. Zur Bewältigung dieser theoretisch wie praktisch sehr schwierigen Aufgabe sind den Behörden unterschiedliche strafprozessuale und materielle Instrumente an die Hand gegeben. In vorliegender Arbeit soll dem eingangs bereits angesprochenen deutschen Verfahren vor dem OLG Stuttgart, 1 Vgl. Sands, 2018, 99 ff.; erstmalig erwähnt wurde der Begriff Verbrechen gegen die Menschlichkeit jedoch in der gemeinsamen Deklaration Frankreich, Englands und Russlands v. 24.05.1915 hinsichtlich der Verbrechen an der armenischen Minderheit im Osmanischen Reich, Kuschnik, 2009, 41. 2 Vgl. Sands, 2018, 199 ff. 3 Vgl. Internationler Militärgerichtshof, Amtl. Sammlung, 1947, Bd. 2, S. 181 f.; Protokoll auch abrufbar unter http://www.zeno.org/Geschichte/M/Der+Nürnberger+Prozeß/Hauptver handlungen/Zweiter+Tag.+Mittwoch,+21.+November+1945/Nachmittagssitzung/3.+Verbre chen+gegen+die+Juden%3A, zuletzt zugegriffen am 17.03.2019. 4 Vgl. Präambel des Römischen Statuts.

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A. Einleitung

das am 25. September 2015 erstinstanzlich vorerst endete, ein konkretes Verfahren vor dem Internationalen Strafgerichtshof gegenübergestellt werden, um die Varianz der rechtlichen Möglichkeiten aufzuzeigen, mit deren Hilfe eines der großen Ziele des Völkerrechts erreicht werden kann, nämlich die Ahndung der schwersten und komplexesten Verbrechenssachverhalte der Welt. Gegenstand soll jedoch nicht sein, ob das eine oder andere Verfahrensrecht sich als besser oder schlechter geeignet erwiesen hat bzw. Normen des internationalen Rechts in deutsches Recht übertragen werden sollten oder vice versa. Die vorliegende Dissertation geht vielmehr der Frage nach, mit welchen Antworten das deutsche Recht auf der einen und das internationale Recht auf der anderen Seite auf die tatsächlichen und recht(sstaat)lichen Herausforderungen reagieren und wie mit den bestehenden rechtlichen Instrumenten die Verfahren abgewickelt werden konnten. Die Vergleichbarkeit der Verfahren besteht nicht nur im abstrakten Zweck, durch repressive Verfolgung präventiv den Frieden, die Sicherheit und das Wohl der Welt zu bewahren,5 sondern findet sich auch in den zugrunde liegenden Lebenssachverhalten: Zeitlich nahezu parallel waren vor dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag und vor dem OLG Stuttgart Personen auf der Anklagebank, die sich als militärische und/oder politische Vorgesetzte für die Taten untergebener Milizionäre verantworten mussten. Auf der einen Seite steht das deutsche Verfahren gegen Dr. Ignace Murwanashyaka und Straton Musoni: zwei Anführer einer ruandischen militarisierten Bewegung, die in der Demokratischen Republik Kongo (DR Kongo) Völkerstraftaten verübte. Auf der anderen Seite steht das internationale Verfahren gegen Jean-Pierre Bemba, den Anführer einer kongolesischen Gruppierung, die auf dem Gebiet der Zentralafrikanischen Republik ihr Unwesen trieb. Die Anklage von Vorgesetzten, wie sie in den untersuchten Verfahren erfolgte, dient mindestens ebenso wie die Verfolgung der Fußsoldaten den genannten Zwecken des Völkerstrafrechts. Denn, wie die Anklägerin im Bemba-Verfahren ausführte, kann „ein Kommandeur 100 Mal gefährlicher sein, als ein einzelner Vergewaltiger.“ Bembas Waffe sei keine Waffe, sondern seine Armee gewesen.6 Es zeigt sich bei Betrachtung der bisherigen internationalen Verfahren, dass die Verfolgung Vorgesetzter dort die Regel darstellt, während die unmittelbaren Täter „Brot und Butter“ der nationalen Strafverfolgung sind.7 Nach der Gegenüberstellung von Hintergründen und Entwicklung des Völkerstrafrechts in Deutschland und auf internationaler Ebene soll anhand einer Reihe unterschiedlicher Fragestellungen, die sich entlang der jeweiligen Verfahrensverläufe ergeben, sowohl auf das Prozessrecht als auch auf dessen konkrete Anwendung durch die Anklagebehörden und Gerichte eingegangen werden. 5 6 7

Vgl. Präambel des Römischen Statuts. ICC-01/05 – 01/08-T-32-ENG ET WT 22 – 10 – 2010. Vgl. Schabas, 2. Aufl. 2016, Art. 25, 566.

B. Völkerstrafrecht in Deutschland und in Den Haag Bevor ein Überblick über die Historie der prozessualen Tradition des Völkerstrafrechts in Deutschland und auf internationaler Ebene, von den Anfängen bis zur Einrichtung des ständigen Strafgerichtshof in Den Haag und dem Beginn der hier zu betrachtenden Verfahren gegeben wird, bietet sich zunächst eine Klärung des Begriffs „Völkerstrafrecht“ an.

I. Begriff des Völkerstrafrechts Definiert wird das Völkerstrafrecht im Allgemeinen als „echtes internationales Strafrecht“1, welches „die Gesamtheit aller völkerrechtlichen Normen strafrechtlicher Natur darstellt, die an ein bestimmtes Verhalten – das internationale Verbrechen – bestimmte, typischerweise dem Strafrecht vorbehaltene Rechtsfolgen knüpfen, und die als solche unmittelbar anwendbar sind.“2 Es handelt sich hierbei also um eine Verbindung aus strafrechtlichen und völkerrechtlichen Grundsätzen,3 die in erster Linie darauf abzielt, Einzelpersonen wegen der Begehung von international anerkannt geächteten Straftaten zu belangen.

II. Entwicklung der internationalen Völkerstrafrechtspraxis Der Beginn der modernen Völkerstrafrechtspraxis wird verschiedenen Ereignissen zugeschrieben: Gelegentlich wird das Verfahren gegen Peter von Hagenbach in Breisach (Österreich) vom 09. Mai 1474 als erste bekannte internationale strafrechtliche Verfolgung wegen Kriegsverbrechen herangezogen.4 Der dort eingesetzte Gerichtshof bestand immerhin aus 28 Richtern aus verschiedenen Staaten des Heiligen Römischen Reiches. Die Anklage lautete auf Verletzungen des Rechts Gottes und der Menschen, insbesondere wegen der Verbrechen des Mordes, der

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Vgl. Ambos, 2018, § 5 Rn. 1. Vgl. Ambos, 2018, § 5 Rn. 1; Gless, 2015, Rn. 641.; Safferling, 2011, § 4 Rn. 3.; Triffterer, 1966, 34. 3 Vgl. Ambos, 2018, § 5 Rn. 1. 4 Vgl. Solis, 2010, 6; https://today.law.harvard.edu/exhibit-highlights-the-first-internationalwar-crimes-tribunal/, zuletzt zugegriffen am 29.11.2018. 2

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B. Völkerstrafrecht in Deutschland und in Den Haag

Vergewaltigung und des Meineids.5 Mithin würden die Wurzeln der Völkerstrafrechtspraxis zurückreichen bis in das 15. Jahrhundert. Die Vorreiterrolle dieses Verfahrens ist jedoch umstritten. Unklar ist bereits, ob es sich um einen internationalen Prozess handelte, da die Gebiete, aus denen die Richter stammten, mindestens bis zum Jahr 1499 unter dem Heiligen Römischen Reich konföderiert waren.6 Darüber hinaus war die Grundlage der Verurteilung Hagenbachs kein international kodifizierter Völkerstrafrechtstatbestand – wie etwa in den Nürnberger Prozessen – sondern es wurde wegen „gewöhnlicher“ Verbrechen, wie sie in nahezu jedem nationalen Strafrechtsregime vorzufinden sind, verhandelt.7 Die erste Kodifikation individueller strafrechtlicher Verantwortlichkeit im Völkerrecht findet sich erst über 400 Jahre später im Friedensvertrag von Versailles vom 28. Juni 1919.8 Die auf Mitte des 19. Jahrhunderts datierten Bemühungen zur Schaffung eines Kriegsrechts im Rahmen des sog. Haager Rechts9 und des sog. Genfer Rechts10 befassten sich in erster Linie mit der Humanisierung des Krieges als solchem und weniger mit der völkerstrafrechtlichen Verantwortlichkeit von Einzelpersonen.11 In Art. 227 Abs. 1 des Versailler Vertrages heißt es schließlich: „Die alliierten und assoziierten Mächte stellen Wilhelm II. von Hohenzollern, vormaligen Kaiser von Deutschland, wegen schwerer Verletzung des internationalen Sittengesetzes und der Heiligkeit der Verträge unter öffentliche Anklage.“

Die Kodifikation des Versailler Vertrags konnte die Praxis des internationalen Völkerstrafrechts jedoch nicht entscheidend beeinflussen. Der deutschen Justiz wurde nach dem ersten Weltkrieg eine Liste mit ca. 890 mutmaßlichen Kriegsverbrechern vorgelegt, von denen vor dem Reichsgericht im Rahmen der sog. Leipziger Prozesse jedoch nur zwölf Personen angeklagt und acht verurteilt wurden, wobei es zu keiner ernsthaften Strafvollstreckung kam.12 Die Alliierten konnten die Täter nicht selbst anklagen, da sich Deutschland beharrlich und erfolgreich einer Auslieferung entgegenstellte.13

5 Vgl. https://today.law.harvard.edu/exhibit-highlights-the-first-international-war-crimes-tri bunal/, zuletzt zugegriffen am 29.11.2018. 6 Vgl. Burkhardt, 2005, 17; Kuschnik, 2009, 36. 7 Vgl. Kuschnik, 2009, 36. 8 Vgl. Werle/Jeßberger, 2016, Rn. 6. 9 St. Petersburger Erklärung über das Verbot bestimmter Geschosse von 1868, Brüsseler Erklärung von 1874 über die Gesetze und Gebräuche des Krieges, Haager Landkriegsordnungen (HLKOs) vonn 1899 und 1907. 10 Im Wesentlichen: Genfer Konvention I von 1864/1906 über den Schutz der Verwundeten um Felde, Genfer Konvention I-IV von 1949 und die Zusatzprotokolle I und II von 1977; Ambos, 2018, § 6 Rn. 6. 11 Vgl. Ambos, 2018, § 6 Rn. 6. 12 Vgl. Hankel, 2003; Safferling, JZ 2015, 1061 (1062). 13 Vgl. Safferling, JZ 2015, 1061 (1062).

II. Entwicklung der internationalen Völkerstrafrechtspraxis

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Der entscheidende Durchbruch für die heutige Völkerstrafrechtspraxis wird den Nürnberger Prozessen von 1945/1946 sowie den im Anschluss von 1946 bis 1948 abgehaltenen Verfahren in Tokio zugeschrieben.14 Mit dem Satz „Der Vorzug, eine Gerichtsverhandlung über Verbrechen gegen den Frieden der Welt zu eröffnen, wie sie hier zum ersten Mal in der Geschichte abgehalten wird, legt eine ernste Verantwortung auf“15 begann Robert H. Jackson am 21. November 1945 in Nürnberg damit nicht nur sein Eröffnungsplädoyer, sondern legte damit auch den Grundstein für die moderne Völkerstrafrechtspraxis in Deutschland und auf internationaler Ebene. Das den Nürnberger Prozessen zu Grunde liegende, am 08. August 1945 mit dem Londoner Viermächte-Abkommen16 beschlossene, Statut des Internationalen Militärgerichtshof (IMG-Statut) wird demnach als „Geburtsurkunde“ des Völkerstrafrechts bezeichnet, dessen Grundsätze bereits in den Tokioer Kriegsverbrecherprozessen erneute Anwendung fanden.17 Das Statut des Internationalen Militärgerichtshofs für den Fernen Osten (IMGFO-Statut) entsprach inhaltlich den Bestimmungen des IMG-Statuts.18 Das Neue war, dass in den genannten Verfahren zum ersten Mal Individualpersonen wegen Verstößen gegen das Völkerrecht strafrechtlich belangt wurden.19 Gleichzeitig stellten die Urteile ein weiteres Novum dar: Erstmals wurden Personen verurteilt, die zum Zeitpunkt der Begehung der Taten Vertreter eines souveränen Staates waren.20 14 Vgl. MüKoStGB/Werle, 3. Aufl. 2018, VStGB, 3. Aufl. 2018, Einleitung Rn. 7.; JZ 2012, 373 (373); Kroker, 2016, 19. Zur historischen Entwicklung bis 1919: vgl. etwa Satzger, 2018, § 13 Rn. 1 f. 15 Vgl. Wortprotokoll des zweiten Verhandlungstages vom 21.11.1945, abrufbar unter http://www.zeno.org/Geschichte/M/Der+Nürnberger+Prozeß/Hauptverhandlungen/Zwei ter+Tag.+Mittwoch,+21.+November+1945/Vormittagssitzung, zuletzt zugegriffen am 01.06.2018. 16 Vgl. Londoner Viermächte-Abkommens, abrufbar unter http://www.icls.de/dokumente/ imt_londoner_abkommen.pdf, zuletzt zugegriffen am 25.08.2019. 17 Vgl. Werle/Jeßberger, 2016, Rn. 15. 18 Vgl. IMG-Statut abrufbar u. a. unter https://www.uni-marburg.de/icwc/dateien/imtc deutsch.pdf, zuletzt zugegriffen am 28.11.2018; IMGFO-Statut u. a. abrufbar unter http://www. un.org/en/genocideprevention/documents/atrocity-crimes/Doc.3_1946%20Tokyo%20Charter. pdfm, zuletzt zugegriffen am 28.11.2018. 19 Vgl. MüKoStGB/Werle, 3. Aufl. 2018, VStGB, 3. Aufl. 2018, Einleitung, Rn. 7. 20 Vgl. Shelliem, Nürnberger Prozesse-Verfahren mit Geburtsfehler“, Beitrag vom 07.08.2015, abrufbar unter http://www.deutschlandfunkkultur.de/nuernberger-prozesse-verfahren-mit-geburts fehler.1079.de.html?dram:article_id=327695, zuletzt zugegriffen am 02.06.2018. Dies begründet gelegentlich die beiden Kritikpunkte, dass es sich bei den Statuten und Verfahren zum einen um reine Siegerjustiz handelte und, weil die Verbrechen in dieser Form zuvor nicht kodifiziert waren, den Vorwurf des Verstoßes gegen das Rückwirkungsverbot. Mag an erstem Punkt etwas Nachvollziehbares haften, verfängt der zweite in keinem Falle. Zum einen wird dem Rückwirkungsverbot nicht die Funktion zugesprochen, völkerrechtswidrigen Machtmissbrauch vor Strafe zu bewahren und zum anderen ist die Strafbarkeit der jeweiligen

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B. Völkerstrafrecht in Deutschland und in Den Haag

Die Phase des Nürnberger und Tokioter Rechts wird daher auch als erste Entwicklungsstufe des Völkerstrafrechts bezeichnet.21 Die Nürnberger Nachfolgeprozesse, die sich jeweils auf eine bestimmte Berufsgruppe bezogen, werden hingegen nicht den internationalen Bemühungen, sondern der Strafverfolgung durch nationale Gerichte zugeschrieben, da sie aufgrund des Kontrollratsgesetzes Nr. 10 allein von den USA geführt wurden.22 Die nächsten großen internationalen Strafprozesse, die ein Format wie die Nürnberger Prozesse aufweisen konnten und daher auch als zweite Stufe des Völkerstrafrechts bezeichnet werden,23 finden sich in den Ad-hoc-Tribunalen der 1990er-Jahre: Zum einen wurde der Internationale Gerichtshof für das ehemalige Jugoslawien (englisch: International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia (ICTY)), eingerichtet, der von 199324 bis 201725 seiner Arbeit nachging. Zum anderen wurde 1994 der Internationale Strafgerichtshof für Ruanda (englisch: International Criminal Tribunal for Rwanda (ICTR)), eingesetzt,26 der die Verbrechen des Genozids in Ruanda im April 1994 zu untersuchen hatte und nach über 21 Jahren am 31. Dezember 2015 offiziell aufgelöst wurde.27 Als mögliche dritte Entwicklungs- bzw. Expansionsstufe des Völkerstrafrechts wird die Ahndung transnationaler Gewaltanwendung Privater im Sinne eines internationalen Terrorismus seit dem 11. September 2001 gesehen.28 Insoweit wird diskutiert, ob dessen schwerste Erscheinungsformen auch vom Völkerstrafrecht erfasst werden sollten.29 Parallel zu den laufen Verfahren der Ad-hoc-Tribunale wurde mit dem Römischen Statut vom 17. Juli 1998 mit dem Internationalen Strafgerichtshof (englisch: International Criminal Court (ICC)) erstmals ein ständiger Gerichtshof geschaffen,30

Einzelverbrechen wie Tötung, Freiheitsberaubung etc. seit jeher in nahezu jeder Rechtsordnung kodifiziert. Die Taten können also bei Anerkennung allgemeiner Rechtsgrundsätze und Völkergewohnheitsrecht mitnichten als zuvor völkerrechtlich straffrei angesehen werden. 21 Vgl. Ambos, 2018 § 6 Rn. 1. 22 Vgl. Safferling, JZ 2015, 1061 (1064); Wötzel, 1960, 219 ff. 23 Vgl. Ambos, 2018 § 6 Rn. 1.; Kreß, in: Hankel, Die Macht und das Recht, 2008, 323 (334 ff.). 24 Vgl. Resolution 827 des UN Sicherheitsrates vom 25.05.1993. 25 Vgl Am 21.12.2017 fand die offizielle Abschlusszeremonie des ICTY in Den Haag statt. 26 Vgl. Resolution 955 des UN Sicherheitsrates vom 08.11.1994. 27 Vgl. Pressemitteilung des International Residual Mechanism for Criminal Tribunals vom 07.12.2015. 28 Vgl. Ambos, 2018 § 6 Rn. 1. 29 Vgl. Kreß, in Hankel, Die Macht und das Recht, 2008, 323 (334 ff.). 30 Vgl. Gesetz zum Römischen Statut des Internationalen Strafgerichtshofs BGBl. 2000 II, 1393, 2003.

III. Entwicklung der Völkerstrafrechtspraxis in Deutschland

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der seine Tätigkeit am 01. Juli 2002 aufnahm.31 Der Internationale Strafgerichtshof ist jedoch kein übergeordnetes zwingendes Weltgericht, sondern ist aufgrund des geltenden Konsensprinzips auf die Mitgliedschaft der Staaten angewiesen.32 Seine Gerichtsbarkeit gewinnt der Gerichtshof vom Grundsatz her nur, wenn ein Mitgliedstaat einen Bezug zu den zu verfolgenden Verbrechen aufweist. Daneben können als die Entwicklung der Völkerstrafrechtspraxis beeinflussend und als Rechtsquelle des internationalen Völkerstrafrechts noch die Sondertribunale in Osttimor33, die Sondergerichtshöfe für Sierra Leone, Kambodscha, und den Libanon sowie der UN Mechanismus für Straftribunale genannt werden.34 Diese Sondertribunale unterscheidet von den Ad-hoc-Tribunalen für Jugoslawien und Ruanda sowie vom ständigen Internationalen Strafgerichtshof (ICC) ihre sogenannte „Hybridstruktur“ von nationalen und internationalen Elementen. Das heißt ihre gerichtliche Zuständigkeit hat nationale und internationale Quellen und auch ihre personelle Besetzung ist sowohl national als auch international.35 So ist etwa der Gerichtshof für Sierra Leone auf Anfragen des UN Sicherheitsrat aufgrund einer Vereinbarung zwischen dem UN Generalsekretär und der Regierung von Sierra Leone entstanden.36

III. Entwicklung der Völkerstrafrechtspraxis in Deutschland Anlass für vorliegende Arbeit bot das erste nach den Nürnberger Prozessen abgeschlossene Verfahren nach international kodifiziertem bzw. diesem entsprungenem Völkerstrafrecht in Deutschland. Nach den Nürnberger Prozessen herrschte in Deutschland gegenüber dem Völkerstrafrecht lange Zeit eine eher ablehnende Haltung,37 da der Vorwurf der Siegerjustiz in der öffentlichen Debatte nach wie vor eine große Rolle spielte, sodass selbst bei der Ahndung der nationalsozialistischen Gewaltverbrechen nicht auf die Nürnberger Grundsätze abgestellt wurde.38 Über viele Jahre war der § 220a StGB a. F., der 1954 zur Umsetzung der Vorgaben der Völkermordkonvention eingeführt wurde, in Deutschland dessen materiell-rechtlich einzig sichtbare Kodifizierung.39 Erst mit der Aufarbeitung des 31

Gemäß Amtl. Anmerkung zu Art. 126 Abs. 1 IStGHSt. Vgl. Safferling, 2011, § 7 Rn. 1. 33 Zum Konflikt insgesamt vgl. Meier, 2005. 34 Vgl. Auflistung der Internationalen und hybriden Strafgerichtshöfe und Tribunale, abrufbar unter https://www.un.org/ruleoflaw/thematic-areas/international-law-courts-tribu nals/international-hybrid-criminal-courts-tribunals/, zuletzt zugegriffen am 06.06.2018. 35 Vgl. zu den hybriden Gerichten insgesamt Katzenstein, 2003, 245. 36 Vgl. Resolution 1315 vom 14.08.2000 sowie Präambel der Vereinbarung vom 16.01.2002; zu sonstigen erwähnenswerten Verfahren vgl. Safferling, 2011, § 4 Rn. 58. 37 Vgl. Kroker, 2016, 19 f. 38 Vgl. Werle/Jeßberger, 2016, Rn. 427. 39 BGBl. II S. 210; vgl. MüKoStGB/Kreß, 3. Aufl. 2018, VStGB § 6 VStGB Rn. 26. 32

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B. Völkerstrafrecht in Deutschland und in Den Haag

DDR-Unrechts bekannte sich der BGH 1995 im sog. Mauerschützenprozess eindeutig zum Völkerstrafrecht und zog als materiell-rechtliche Grundlage die Nürnberger Prinzipien heran.40 Die nächsten Bemühungen im Rahmen der Aufklärung internationaler systematisch begangener Menschenrechtsverbrechen der deutschen Justiz, die über bloße Ermittlungen hinausgingen – genannt werden hier etwa Ermittlungen im Rahmen der Aufarbeitung des Jugoslawien-Konfliktes in Zuge dessen ca. 100 Ermittlungsverfahren eingeleitet wurden,41 oder die Ermittlungen gegen den ehemaligen chilenischen Militärdiktator Augusto Pinochet42 – werden erst 2003 festgestellt. In diesem Zusammenhang ergingen Haftbefehle des Amtsgerichts Nürnberg u. a. gegen die ehemaligen Staats- und Militärjunta-Chefs Jorge Rafael Videla und Emilio Eduardo Massera wegen der Morde an zwei Deutschen im Rahmen der Menschenrechtsverbrechen während der Militärdiktatur in Argentinien.43 Die nächste, noch fortwährende, Phase der Völkerstrafrechtspraxis läutete das Inkrafttreten des VStGB im Jahr 2002 ein. Bis zur Eröffnung der Hauptverhandlung des Verfahrens vor dem OLG Stuttgart am 01. März 2011, betrieb die deutsche Bundesanwaltschaft insgesamt 49 Ermittlungsverfahren wegen Verbrechen nach dem VStGB.44 Die erste je eröffnete Hauptverhandlung führte am 28. September 2015 auch zur ersten Verurteilung und ist damit das erste in Deutschland abgeschlossene Verfahren nach VStGB und verdient daher besonderer rechtswissenschaftlicher Würdigung. Nahezu parallel wurde ein weiteres internationales Verfahren vor dem OLG Frankfurt am Main unter dem Az.: 5-3 StE4/10-4-3/10 geführt und am 18. Februar 2014 abgeschlossen. Dort lag ein Sachverhalt zugrunde, der – ebenso wie im weiteren Sinne vor dem OLG Stuttgart – mit dem ruandischen Genozid in Verbindung steht. In Frankfurt kam jedoch nicht das VStGB, sondern das StGB zur Anwendung, da sich der angeklagte Sachverhalt im Jahr 1994 und damit vor dem Inkrafttreten des VStGB ereignete. Gemäß dem in § 2 Abs. 1 StGB konkretisierten Rückwirkungs-

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BGH, 20.03.1995 – 5 StR 111/94, insbesondere Rn. 30.; vgl. Kroker, 2016, 20. Vgl. Kaleck, MJIL 2009, 927 (949); Kroker, 2016, 20. 42 Vgl. Thun, in: Theissen/Nagler, Der Internationale Strafgerichtshof, Fünf Jahre nach Rom, 2004, 57 f. 43 Vgl. Kaleck, MJIL 2009, 927 (950); Kroker, 2016, 20; siehe auch: Peters, Folteropfer Elisabeth Käsemann: Argentiniens Richter urteilen über die Sadisten von ,El Vesubio‘, Beitrag vom 12.07.2011 abrufbar unter http://www.spiegel.de/politik/ausland/folteropfer-elisabethkaesemann-argentiniens-richter-urteilen-ueber-die-sadisten-von-el-vesubio-a-772209.html., zuletzt zugegriffen am 06.06.2018. 44 Vgl. Heinsch, in seiner Stellungnahme im Rahmen der öffentlichen Anhörung im Deutschen Bundestag „Keine Straflosigkeit bei Kriegsverbrechen – Völkerstrafprozesse in Deutschland voranbringen“ vom 16. April 2016 BT Drucksache 18/6341, 11, abrufbar unter http://www. bundestag.de/blob/434554/7652b42e0d025e830fa990be110fefda/wortprotokoll-data.pdf; nachfolgende Zitierung dieser Anhörung „Name des Stellungnehmenden“ in BT- Drucksache 18/6341. 41

III. Entwicklung der Völkerstrafrechtspraxis in Deutschland

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verbot45 bzw. dem dahinterstehenden Gesetzlichkeitsgebotes der § 1 StGB und Art. 103 Abs. 2 GG46 erfolgte demnach eine Anklage wegen Völkermordes nach § 220a StGB a. F.

45 Vgl. Lackner/Kühl, 29. Aufl. 2018, StBG § 2 Rn. 1; BeckOK StGB/von HeintschelHeinegg, 42. Aufl., Stand: 01.05.2019, StGB § 2 Rn. 1; MüKoStGB/Schmitz, 3. Aufl. 2017, StGB § 2 Rn. 3. 46 Vgl. BeckOK StGB/von Heintschel-Heinegg, 42. Aufl., Stand: 01.05.2019, StGB § 2 Rn. 1; MüKoStGB/Schmitz, 3. Aufl. 2017, StGB § 1 Rn. 32.

C. Hintergründe der zu betrachtenden Verfahren gegen Dr. Murwanashyaka und Musoni vor dem OLG Stuttgart und gegen Bemba vor dem IStGH Bevor auf die zwei benannten Verfahren näher eingegangen wird, bietet es sich an, zunächst einen abstrakten Blick auf die rechtlichen und tatsächlichen Hintergründe zu werfen. Es wird zu sehen sein, dass die rechtlich, strukturell und institutionell unterschiedlich angelegten Verfahrenskonstellationen sowohl den Verfahrenslauf als auch den Anklagesatz beeinflussten. Zu den tatsächlichen Hintergründen gehören die politischen Entwicklungen in Ruanda, der DR Kongo und der Zentralafrikanischen Republik, die in verschiedene bewaffnete Konflikte mündeten, welche wiederum notwendige Voraussetzung waren, um den Anwendungsbereich des Völkerstrafrechts zu eröffnen. Die unmittelbare Aufgabe der beiden Gerichtsverfahren war es festzustellen, ob sich während der bewaffneten Konflikte Sachverhalte ergaben, für welche die Angeklagten mit den zur Verfügung stehenden Mitteln strafrechtlich zur Verantwortung gezogen werden können.

I. Aufbau und Struktur des Völkerstrafprozesses im Vergleich zum deutschen Strafprozess – Institutionelle Unterschiede Das Völkerstrafprozessrecht spiegelt die grundsätzlich verschiedenen Herangehensweisen des angloamerikanischen und des kontinentaleuropäischen Prozessrechts wider und entstammt dem gesetzgeberischen Konflikt dieser beiden Rechtstraditionen.1 Daher wird es auch als ein „einzigartiges Kompromisspapier“ bezeichnet.2 Dies zeigt sich insbesondere in den prozessualen Rollen des Gerichtes, der Anklagebehörde und des Angeklagten mit seiner Verteidigung, die sich von der deutschen, mithin kontinentaleuropäischen, Rechtslage größtenteils unterscheiden.

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Vgl. Safferling, 2011, § 7 Rn. 32; Instruktiv zum Ganzen Orie, in: Cassese/Gaeta/Jones, 2002, 1439; zum modernen kontinentaleuropäischen/deutschen Recht Ambos, JURA, 2008, 586 (593 ff.). 2 Vgl. Safferling, 2011, § 7 Rn. 34.

I. Völkerstrafprozess im Vergleich zum deutschen Strafprozess

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1. Das Gericht3 Die Rolle des Gerichts nach dem Römischen Statut kommt der Rolle im kontinentaleuropäischen Recht relativ nahe. Ebenso wie ein deutsches Gericht sind die Kammern des IStGH auf der Suche nach der materiellen Wahrheit, vgl. Art. 69 Abs. 3 IStGHSt.4 Auch wenn sich hierzu im Statut keine ausdrückliche Regelung findet, hat die Wahrheitsermittlung zentrale Bedeutung.5 Die Kammer stellt überdies sicher, dass das Hauptverfahren fair und zügig verläuft, Art. 64 Abs. 2 IStGHSt, und hat hierfür die Verhandlungsleitung inne, Art. 64 Abs. 8b IStGHSt i. V. m. Regel 140 und Regel 42 GO-Gericht. Sie kann Fragen an Zeugen stellen, zusätzliche Beweise anfordern, Art. 64 Abs. 6, über die Zulassung von Beweismitteln entscheiden, Art. 4 Abs. 9a und 69 Abs. 7 IStGHSt, und erhält Zugriff auf Informationen des Ermittlungs- bzw. Vorverfahrens durch Übermittlung der Akten durch die Kanzlei, Regel 131 VBO. Ein Motiv, das Gericht verhältnismäßig aktiv auszugestalten, war der Schutz des Angeklagten, dessen Möglichkeit, selbst Beweise zu ermitteln, typischerweise eingeschränkt ist. Diese Erkenntnis ging auf Erfahrungen in den Ad-hoc-Tribunalen zurück, bei denen die große Distanz zwischen Tat- und Gerichtsort der Verteidigung erhebliche Probleme bereitete, entlastende Beweismittel zu erforschen und einzuführen.6 Beweismittel für oder gegen den Angeklagten zu ermitteln ist jedoch nicht die primäre Aufgabe des Gerichts, sondern vielmehr im Obligo der Parteien selbst. Diesem Grundsatz folgend benannte das Gericht im Verfahren gegen Bemba lediglich zwei Zeugen selbst, von denen aber nur einer, nämlich der Sachverständige CHM1, zu Fragen der Authentizität von Originaldokumenten militärischer und ziviler Korrespondenz aussagte.7 Der Zeuge widerlegte u. a. die Echtheit von sieben durch die Verteidigung vorgelegten Schreiben des Brigade Generals Antoine Gambi der Zentralafrikanischen Armee und trug so, veranlasst durch das Gericht, zur Erforschung der materiellen Wahrheit bei.8 Zwar wurde seitens der Verteidigung im Rahmen des Berufungsverfahrens die Interessenlage des Zeugen, der zeitweilig der zentralafrikanischen Regierung unter Bozizé angehörte, sowie die Art und Weise der

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Die folgenden Ausführungen beziehen sich auf die Rolle der Hauptverfahrenskammer. Vgl. Wilhelmi, IRP, 2004, 7 (39 f.). 5 ICC-01/05-01/08-55 31-07-2008 Decision on the Evidence Disclosure System and Setting a Timetable for Disclosure between the Parties, par. 11; Safferling, 2011, § 7 Rn. 73. Im Folgenden werden Originalentscheidungen und Dokumente aus dem Bemba-Verfahren zitiert mit dem Dokumentenzeichen, Datum und Titel der Entscheidung, bei Zitierungen aus anderen Verfahren wird „The Prosecutor vs. Name des Angeklagten“ vorangestellt. 6 Vgl. Orie, in: Cassese/Gaeta/Jones, 2002, 1439 (1476); Wilhelmi, IRP, 2004, 7 (40). 7 ICC-01/05-01/08-3343 21-03-2016 Judgment pursuant to Article 74 of the Statute, par. 273. 8 ICC-01/05-01/08-3343 21-03-2016 Judgment pursuant to Article 74 of the Statute, par. 278. 4

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C. Hintergründe der zu betrachtenden Verfahren

Befragung durch das Gericht gerügt9 und so der Aussageverwertung widersprochen. Dies fand aber in der Entscheidung der Berufungskammer selbst keinen und in der abweichenden Stellungnahme der Richter Hofmanski und Mmasenono nur einen ablehnenden Niederschlag.10 Eine weitere Besonderheit des Römischen Statuts hinsichtlich der Rolle des Gerichts bildet – wie im Common Law – die Trennung von eröffnendem und erkennendem Gericht.11 Gemäß Art. 61 Abs. 7 a) IStGHSt ist die sog. Vorverfahrenskammer zuständig dafür, bei dringendem Tatverdacht die Anklage zu bestätigen und den Angeschuldigten einer Hauptverfahrenskammer zuzuweisen, während die Hauptverfahrenskammer selbst lediglich für die Hauptverhandlung zuständig ist, Art. 64 IStGHSt. Die Trennung der beiden Kammern wird bekräftigt durch das in Art. 39 Abs. 4 S. 2 HS. 2 IStGHSt geregelte Verbot der Teilnahme eines Richters am Hauptverfahren, der in derselben Sache bereits im Vorverfahren mitgewirkt hat.12 2. Besonderheit des IStGH: Die Vorverfahrenskammer Der für die Hauptverhandlung zuständigen Hauptverfahrenskammer ist im Gegensatz zum nationalen Verfahren ein weiteres richterliches Gremium vorgeschaltet: die Vorverfahrenskammer. Deren Aufgaben und Befugnisse sind an verschiedenen Stellen des Statuts und der VBO normiert, vgl. beispielhaft Art. 57, 15, 18, 19, 54, 61 und 72 IStGHSt bzw. die Regeln 76 ff, 107 ff. VBO, und erstrecken sich vom Ermittlungsverfahren bis hin zur Bestätigung der Anklage und Eröffnung des Hauptverfahrens, Art. 61 Abs. 7 a) IStGHSt. Sobald die Anklagepunkte durch die Vorverfahrenskammer bestätigt sind, ist das Präsidium des Gerichtshofs verpflichtet, eine Hauptverfahrenskammer einzusetzen und die Bestätigungsentscheidung sowie die gesamten Aufzeichnungen des Vorverfahrens dieser zu übermitteln.13 Damit gehen die Funktionen der Vorverfahrenskammer grundsätzlich vollständig auf die Hauptverfahrenskammer über, Art. 61 Abs. 11 IStGHSt.14 Einzige Ausnahme bleibt die Ergänzung der Anklageschrift, welche bis zum Beginn der Hauptverhandlung in der Zuständigkeit der Vorverfahrenskammer bleibt, Art. 61 Abs. 9 IStGHSt.15 Worin 9 ICC-01/05-01/08-3434-Red 28-09-2016 Public Redacted Version of Appellant’s document in support of the appeal, par. 235, 237. 10 ICC-01/05-01/08-3636-Red 08-06-2018 Judgment on the appeal of Mr Bemba Gombo against Trial Chamber III’s „Judgment pursuant to Article 74 of the Statute“; ICC-01/05-01/083636-Anx1-Red 08-06-2018 Dissenting Opinion of Judge Sanji Mmasenono Monageng and Judge Piotr Hofman´ski, par. 193 ff, 196 200. 11 Vgl. Wilhelmi, IRP, 2004, 7 (43). 12 Vgl. Wilhelmi, IRP, 2004, 7 (43). 13 Vgl. Schabas, 2. Aufl. 2016, Art. 61, 947; Trifterer/Ambos/Schabas/Chaitidou/El Zeidy, 3. Aufl. 2016, Art. 61 Rn. 161 ff. 14 Trifterer/Ambos/Schabas/Chaitidou/El Zeidy, 3. Aufl. 2016, Art. 61 Rn. 164 15 Vgl. Schabas, 2. Aufl. 2016, Art. 61, 947; Trifterer/Ambos/Schabas/Chaitidou/El Zeidy, 3. Aufl. 2016, Art. 61 Rn. 161 ff.

I. Völkerstrafprozess im Vergleich zum deutschen Strafprozess

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der „Beginn der Hauptverhandlung“ zu sehen ist, ist unter den Kammern des IStGH umstritten und war auch Gegenstand des Verfahrens gegen Bemba.16 Aufgabe der Vorverfahrenskammer im Rahmen der Bestätigung der Anklagepunkte ist es, auf Grundlage der mündlichen Verhandlung („on the basis of the hearing“) festzustellen, ob und wenn ja für welche Anklagepunkte ein dringender Verdacht („substantial grounds to believe“) vorliegt, Art. 61 Abs. 7 IStGHSt, wobei unter mündlicher Verhandlung mehr verstanden wird als mündliche Vorträge, sondern auch schriftsätzliches Vorbringen vor und nach der mündlichen Verhandlung.17 Hinsichtlich des Verdachtsgrades folgte die für das Bemba Verfahren zuständige Vorverfahrenskammer II der Definition der Vorverfahrenskammer I18 und erklärte, dass es für den Ankläger erforderlich sei, konkrete und fassbare Beweise anzubieten, die eine klare Begründung für die einzelnen Tatvorwürfe darstellen.19 Den Grundsatz „in dubio pro reo“ wandte sie ausdrücklich an,20 was in diesem Stadium des Verfahrens nicht selbstverständlich ist.21 Das Abhalten des hearings selbst, das einen erheblichen Aufwand erfordert, wird als Zeugnis strikter richterlicher Kontrolle des Anklägers angesehen.22 Die vorsitzende Richterin der Vorverfahrenskammer II fasste im Rahmen des confirmation hearings im Bemba-Verfahren seinen Zweck wie folgt zusammen: „it’s purpose is to act as a filter, distinguishing cases that should go to trial from those that should not by simply determining whether there is sufficient evidence to establish substantial grounds to believe that the person committed each of the crimes charged.“23

Neben der Bestätigung der Anklage liegt eine weitere essentielle Aufgabe der Vorverfahrenskammer in der Festlegung des Prozessstoffes für das Hauptverfahren, wodurch sie die Parameter des gesamten Hauptverfahrens und damit die Entscheidungsautorität der übernehmenden Hauptverfahrenskammer definiert, vgl. Art. 74 Abs. 2 IStGHSt, Regel 52 b) GO-Gericht.24 An eben dieser Schnittstellte unterliefen 16

Vgl. Ausführungen unter D. I. 2. b) dd) (1). Vgl. hierzu Trifterer/Ambos/Schabas/Chaitidou/El Zeidy, 3. Aufl. 2016, Art. 61 Rn. 119. 18 The Prosecutor vs. Lubanga ICC-01/04-01/06-803-tEN 14-05-2007, Decision on the confirmation of charges, par. 37 bis 39. 19 ICC-01/05-01/08-424 15-06-2009 Decision Pursuant to Article 61(7)(a) and (b) of the Rome Statute on the Charges of the Prosecutor Against Bemba Gombo, par. 29. 20 ICC-01/05-01/08-424 15-06-2009 Decision Pursuant to Article 61(7)(a) and (b) of the Rome Statute on the Charges of the Prosecutor Against Bemba Gombo, par. 31. 21 The Prosecutor vs. Bahar Idriss Abu Garda ICC-02/05-02/09-243-Red. 08-02-2010, Decision on the confirmation on the Charge, par. 43: Vorverfahrenskammer I sah hier dogmatisch nicht den in dubio pro reo Grundsatz, sondern die Frage der ausreichenden Beweisbarkeit als anwendbar an; vgl. hierzu Trifterer/Ambos/Schabas/Chaitidou/El Zeidy, 3. Aufl. 2016, Art. 61 Rn. 122. 22 Vgl. Safferling, 2011, § 7 Rn. 69. 23 Vorsitzende Richterin am ersten Tag des confirmation hearings ICC-01/05-01/08-T-9ENG ET WT 12-01-2009, 6. 24 The Prosecutor vs. Thomas Lubanga Dyilo ICC-01/04-01/06-1432 11-07-2008 Judgment on the appeals of The Prosecutor and The Defence against Trial Chamber I’s Decision on 17

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C. Hintergründe der zu betrachtenden Verfahren

der Vor- und Hauptverfahrenskammer, ebenso wie der Anklage, aus Sicht der Rechtsmittelinstanz entscheidende Fehler, die zum Freispruch Bembas am 08. Juni 2018 beitrugen.25 Die Aufgabe der Bestätigung der Anklagepunkte im Vorverfahren entspricht in seiner Funktion dem deutschen Zwischenverfahren, welches ebenfalls als „Filter“ dafür dienen soll, nicht über jede von der Staatsanwaltschaft angeklagte Tat zwingend eine Hauptverhandlung zu führen.26 Die durch das Zwischenverfahren geschützte Person ist damit der Angeschuldigte, der vor überschießenden oder ungerechtfertigten Anklagen bewahrt werden soll.27 Die Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens trifft in Deutschland, im Gegensatz zum Verfahren vor dem IStGH, derselbe Spruchkörper, der später auch die Hauptverhandlung leitet und das erstinstanzliche Urteil spricht.28 Nur Laienrichter sind gemäß §§ 30 Abs. 2, 76 Abs. 1 S. 2 GVG nicht beteiligt, sie wirken nicht schon beim Eröffnungsbeschluss, sondern erst im Hauptverfahren mit.29 Ausnahmen sind aus Gründen der Prozessökonomie gemäß §§ 209 Abs. 1, § 209a StPO nur für ranghöhere gegenüber rangniedrigeren Gerichten und Spruchkörpern mit besonderer Zuständigkeit vorgesehen.30 Inwieweit sich die unterschiedliche Ausgestaltung der prozessrechtlichen bzw. institutionellen Filter in den konkreten Verfahren auswirkten, wird sich in der unterschiedlich ausgeprägten Veränderung der materiellen Anklagevorwürfe im Laufe der Verfahren zeigen. 3. Rolle der Parteien – Kompetenzverteilung nach dem IStGHSt und der StPO Dass der Völkerstrafprozess vor dem Internationalen Strafgerichtshof verfahrensrechtlich zumindest auch auf dem kontradiktorischen System des angloamerikanischen Rechts fußt,31 wirkt sich auf die Rolle der Parteien, der Anklagebehörde und des Angeklagten bzw. seiner Verteidigung aus. Obwohl dem Gericht eine aktive Rolle zugemessen wird und es mit dementsprechend umfangreichen verfahrensleitenden Befugnissen ausgestattet ist,32 ist festzuhalten, dass das Römische Statut – im Gegensatz zur StPO – dem Gericht nicht Victims’ Participation of 18 January 2008, par. 63; ICC-01/05-01/08-55 31-07-2008 Decision on the Evidence Disclosure System and Setting a Timetable for Disclosure between the Parties, par. 14; Trifterer/Ambos/Schabas/Chaitidou/El Zeidy, 3. Aufl. 2016, Art. 61 Rn. 127. 25 Vgl. hierzu Ausführungen unter E. II. 1. b). 26 Vgl. MüKoStPO/Wenske, 1. Aufl. 2016, StPO § 199 Rn. 3 f. 27 Vgl. MüKoStPO/Wenske, ebd. 28 Vgl. KK-StPO/Schneider, 8. Aufl. 2019, StPO § 199 Rn. 4. 29 Vgl. Krey, 1999, 591 (603). 30 Vgl. Krey, ebd. 31 Vgl. hierzu insgesamt Ambos/Bock, in: Reydams/Wouters/Ryngaert, International prosecutors, 2012, 488 ff.; Ambos, ICLR, 2003, 1 ff. 32 Vgl. Ausführungen zur Rolle des Gerichts unter C. I. 1.

I. Völkerstrafprozess im Vergleich zum deutschen Strafprozess

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die Pflicht auferlegt, sämtliche Beweismittel von sich aus zu ermitteln, die für die Entscheidung potentiell relevant sein können.33 Die Kammern des Internationalen Strafgerichtshofs, sowohl die Vorverfahrenskammer als auch die Hauptverfahrenskammer, obliegen also keiner der deutschen Rechtslage vergleichbaren umfassenden Amtsaufklärungspflicht im Sinne des § 244 Abs. 2 StPO, die gänzlich unabhängig von den Wünschen und Willen der Verfahrensbeteiligten besteht34 und spiegelbildlich dem Angeklagten bzw. seiner Verteidigung einen Rechtsanspruch einräumt, der grundsätzlich nicht in Abhängigkeit zu seinem eigenen Prozessverhalten steht.35 Vielmehr obliegt es den Parteien vor dem Internationalen Strafgerichtshof selbst, ihren Fall zu ermitteln, Beweismittel zu sammeln und diese in das Hauptverfahren einzuführen.36 Art. 69 Abs. 3 IStGHSt legt hierfür fest: „Die Parteien können in Übereinstimmung mit Art. 64 die Beweismittel beibringen, die für die Sache erheblich sind. Der Gerichtshof ist befugt, die Beibringung der Beweismittel zu verlangen, die er für die Wahrheitsfindung erforderlich hält.“

Zusammengefasst handelt es sich also um eine Art „eingeschränkten Parteiprozess“ mit starker adversatorischer Prägung.37 a) Die Anklagebehörde Auch im internationalen Strafprozess steht dem Angeklagten gemäß Art. 66 Abs. 1 IStGHSt die Unschuldsvermutung zur Seite, welche als allgemeiner Rechtsgrundsatz in der Rechtspraxis international anerkannt ist.38 Neben internationalen Übereinkommen. wie etwa in Art. 48 EU-GRCh, Art. 6 Abs. 2 EMRK, Art. 11 Allgemeine Erklärung der Menschenrechte, folgt dies für Deutschland auch aus dem Rechtsstaatsprinzip der Art. 20 Abs. 3, 28 Abs. 1 GG.39 Aus deutscher Sicht nicht selbstverständlich ist jedoch, dass die Beweisführungslast, die Unschuldsvermutung zu widerlegen, von Beginn der Ermittlungen bis zum Schuldspruch allein dem Ankläger obliegt, Art. 66 Abs. 2 IStGHSt.40 Die in den englischen Rechtsystemen41 wurzelnde einseitige Beweislastverteilung zu Lasten des Anklägers wird mit dem in Art. 67 Abs. 1 i) IStGHSt verankerten Verbot der Beweislastumkehr nochmals bestätigt.42 Das Gericht ist zur Widerlegung der Un33

Vgl. Kirsch, ICLR, 2006, 275 (278). Vgl. BeckOK StPO/Bachler, 34. Aufl., Stand: 01.07.2019, StPO § 244 Rn. 13. 35 Vgl. MüKoStPO/Trüg/Habetha, 1. Aufl. 2016, StPO § 244 Rn. 8. 36 Vgl. Kirsch, ICLR, 2006, 275 (278). 37 Vgl. Niendorf, 2017, 188. 38 Vgl. Triffterer/Ambos/Schabas/McDermott, 3. Aufl. 2016, Art. 66 Rn. 2. 39 Vgl. anstatt vieler BVerfG, Beschluß vom 26.03.1987 – 2 BvR 589/79 u. a. 40 Vgl. Ausführungen der Vorsitzenden Richterin der Vorverfahrenskammer ICC-01/05-01/ 08-T-9-ENG ET WT 12-01-2009 Zeile 18 f. 41 Vgl. Triffterer/Ambos/Schabas/McDermott, 3. Aufl. 2016, Art. 66 Rn. 1. 42 Vgl. Triffterer/Ambos/Schabas/McDermott, 3. Aufl. 2016, Art. 67 Rn. 49. 34

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C. Hintergründe der zu betrachtenden Verfahren

schuldsvermutung nur im Rahmen seiner eingeschränkten Pflicht zur Wahrheitserforschung eingebunden.43 Die Beweislastverteilung zu Ungunsten des Anklägers bezieht sich, wie die Hauptverfahrenskammer im Bemba-Verfahren im Schuldspruch ausführte, nicht auf jede einzelne Tatsache des gesamten Verfahrens, sondern nur auf die Fakten, welche die Tatbestandsvoraussetzungen „elements of crime“ sowie den angeklagten strafrechtlichen Verantwortlichkeitsmodus stützen sollen.44 Der Ankläger hat – ähnlich der deutschen Rechtstradition – nach Art. 54 Abs. 1 lit. a) IStGHSt gleichermaßen belastende wie entlastende Umstände zu ermitteln, ist also trotz seiner Parteirolle zur Objektivität verpflichtet.45 In diesem Punkt hat sich das Römische Statut gegen eine einseitige adversatorische oder inquisitorische Rollenverteilung entscheiden.46 Auch die deutsche Staatsanwaltschaft unterliegt grundsätzlich dem objektiven Untersuchungsgrundsatz: Be- und entlastendes Material muss ermittelt werden, 160 Abs. 2 StPO. Dieser Grundsatz kann aus Sicht von Heinsch im Völkerstrafprozess nicht genug betont werden, da die Verteidigung bei international gelagerten Fällen erheblich größeren Hindernissen als in rein nationalen Sachverhalten gegenübersteht.47 Ritscher führt ergänzend aus, dass am Ende der Ermittlungen (der Staatsanwaltschaft) ein umfassendes Bild stehen solle und eigene Ermittlungen der Verteidigung nicht vorgesehen seien.48 Ein Unterschied zwischen den Verfahrensordnungen findet sich zudem im von der StPO vorgegebenen Kompetenzwechsel und Zuständigkeitswechsel im Laufe des Verfahrens: Das Ermittlungsverfahren führt in Deutschland die Staatsanwaltschaft in eigener Verantwortung. Sie bestimmt dabei, gegebenenfalls unter Einbeziehung des Ermittlungsrichters, grundsätzlich selbst über Art und Ablauf der Ermittlungsmaßnahmen.49 Nach Eröffnung der Hauptverhandlung tritt die Erforschung des wahren Sachverhalts als zentrales Anliegen des Strafprozesses in die Verantwortung des Gerichts.50 Fortan gilt der bereits erwähnte das Gericht in die Pflicht nehmende Amtsermittlungsgrundsatz des § 244 Abs. 2 StPO.51 Der Ankläger am IStGH, der nach Art. 42 IStGHSt als gegenüber dem Spruchkörper unabhängige Behörde konzipiert ist,52 ist bereits im Vorfeld mit umfassenden Ermittlungs- und Verfahrenseinleitungskompetenzen, sog. „proprio motu powers“, 43

Vgl. Ausführungen unter C. I. 1. ICC-01/05-01/08-3343 21-03-2016 Judgment pursuant to Article 74 of the Statute, par. 215. 45 Vgl. Safferling, 2011, § 7 Rn. 36. 46 Vgl. Ambos/Bock, in: Reydams/Wouters/Ryngaert, International Prosecutors, 2012, 488 (540); Satzger, 2018, § 14 Rn. 30. 47 Vgl. Heinsch, Schriftliche Stellungnahme zu BT Drucksache 18/6341, 12. 48 Vgl. Ritscher, Schriftliche Stellungnahme zu BT Drucksache 18/6341, 10. 49 Vgl. KK-StPO/Griesbaum, 8. Aufl. 2019, StPO § 160 Rn. 4. 50 Vgl. MüKoStPO/Trüg/Habetha, 1. Aufl. 2016, StPO § 244 Rn. 8 ff. 51 Vgl. BeckOK StPO/Bachler, 34. Aufl., Stand: 01.07.2019, StPO § 244 Rn. 13. 52 Vgl. Satzger, 2018,§ 14 Rn. 27; Safferling, 2011, § 7 Rn. 36. 44

I. Völkerstrafprozess im Vergleich zum deutschen Strafprozess

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ausgestattet, vgl. Art. 15 Abs. 1, 2 IStGHSt. Diese Kodifikation wird, obwohl bereits Art. 18 ICTYSt und Art. 17 ICTRSt gewisse Initiativermittlungsrechte vorsahen,53 als Novum in der Völkerstrafrechtsgeschichte angesehen54 und war unter den Vertragsstaaten hoch umstritten.55 Die Verleihung unabhängiger Entscheidungskompetenzen gilt als wichtige Voraussetzung für die politische Unabhängigkeit des Anklägers und des effektiven Funktionierens des Gerichtshofs.56 Der Ermessensspielraum bei der Auswahl von Situationen, Fällen und Angeschuldigten ist grundsätzlich weit.57 Insbesondere unterliegt die Anklage keiner formalen Pflicht, Untersuchungen zu initiieren.58 Jedoch ist ihr Ermessensspielraum nicht unbegrenzt: Dem Ankläger sind vielmehr umfangreiche Prüfpflichten auferlegt, insbesondere hinsichtlich des Vorliegens der Gerichtsbarkeit und der Zulässigkeit.59 Darüber hinaus sind sowohl bei Einleitung, aber auch bei der Einstellung von bereits eingeleiteten Ermittlungen, gerichtliche Kontrollmechanismen vorgesehen, vgl. Art. 15 Abs. 3, Art. 53 Abs. 3 IStGHSt, was auf Bedenken einiger Vertragsstaaten im Hinblick auf die unzureichende juristische Haftbarkeit des Anklägers zurückzuführen ist.60 Im Verfahren gegen Bemba wirkte sich die Beweislastverteilung bereits im Vorverfahrensstadium aus. Dort kam es unter Hinweis auf die Beweislast zur Einstellung der Anklage wegen Folter als Kriegsverbrechen gemäß Art. 8 Abs. 2 c) i) IStGHSt, ohne dass die Vorverfahrenskammer diesbezüglich selbst ermittelnd tätig wurde.61 b) Der Angeklagte und die Verteidigung Der Angeklagte bzw. die Verteidigung gelten vor dem IStGH ebenso wie die Anklagebehörde als Partei des Verfahrens. Um ein faires Verfahren zu garantieren, ist es nötig, beide Parteien mit ausreichenden tatsächlichen und rechtlichen Möglichkeiten auszustatten.62 Die Grundlage hierfür wird auf Seiten des Angeklagten in Art. 67 IStGHSt gelegt. Dort ist unter anderem tituliert, dass die gegen ihn erhobene Anklage öffentlich nach Maßgabe dieses Statuts und in billiger Weise unparteiisch 53

Vgl. Kuczynska, 2014, 64. vgl. hierzu Ambos/Bock, in: Reydams/Wouters/Ryngaert, International Prosecutors, 2012, 488 (532). 55 Vgl. Kuczynska, 2014, 64. 56 Vgl. Ambos/Bock, in: Reydams/Wouters/Ryngaert, International Prosecutors, 2012, 488 (533); Triffterer/Ambos/Schabas/Pecorella, 3. Aufl. 2016, Art. 13 Rn. 20; Triffterer/Ambos/ Bergsmo/Pejic/Zhu, 3. Aufl. 2016, Art. 15 Rn. 11. 57 Vgl. Kloss, 2016, 80. 58 Vgl. Triffterer/Ambos/Bergsmo/Pejic/Zhu, 3. Aufl. 2016, Art. 15 Rn. 11. 59 Vgl. Kloss, 2016, 34 ff. 60 Vgl. Triffterer/Ambos/Bergsmo/Pejic/Zhu, 3. Aufl. 2016, Art. 15 Rn. 11. 61 Vgl. Ausführungen hierzu im unter D. III. 2. b) bb). 62 Vgl. Kirsch, International Criminal Law Review, Band 6, 2006, 275 (278). 54

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C. Hintergründe der zu betrachtenden Verfahren

verhandelt wird, Art. 67 Abs. 1 S. 1 IStGHSt. Die Unparteilichkeit bezieht sich sowohl auf das Gericht als auch auf den Ankläger und die Kanzlei, dem zentralen Verwaltungsorgan des Gerichtshofes.63 Neben diesen generellen Grundsätzen werden in Art. 67 IStGHSt umfassende Mindestgarantien niedergelegt, zu denen neben der erwähnten Unschuldsvermutung und der Beweislastverteilung auch das Recht auf sofortige und umfassende Information über die Tatvorwürfe, Art. 67 Abs. 1 a) IStGHSt, sowie ein Anspruch auf Gewährung von ausreichender Zeit zur Vorbereitung der Verteidigung, Art. 67 Abs. 1 b) IStGHSt, sowie das später noch näher zu betrachtende Recht auf Beibringung von Entlastungszeugen gemäß Art. 67 Abs. 1 e) IStGH gehören.64 Die Rechte der Verteidigung sind nicht wie die des Angeklagten eigens im Statut aufgelistet, finden jedoch an einigen Stellung Erwähnung und beziehen sich vorwiegend auf die Festnahme und Befragung des Beschuldigten.65 Im Vorverfahren etwa sind Art. 55 und Art. 56 IStGHSt zu nennen: Art. 55 hält den Fokus auf die Rechte des Befragten, insbesondere auf das Recht, schweigen zu dürfen, Abs. 2b).66 Abs. 2 c) und d) halten schließlich das Recht auf einen Verteidiger sowie das Anwesenheitsrecht eines Rechtsbeistands während der Vernehmung fest. Daneben wird im Hinblick auf Art. 56 IStGHSt, der zwar mit „Rolle der Vorverfahrenskammer bei einer einmaligen Gelegenheit zu Ermittlungsmaßnahmen“ überschrieben ist, unter Bezugnahme auf dessen Abs. 1 b) IStGHSt die Meinung vertreten, dass die Norm in erster Linie die Rechte der Verteidigung schützen solle,67 sodass neben dem Angeklagten auch die Verteidigung eigenständig normativ vertreten wäre. Eine ständige offizielle Vertretung der Verteidigung im Sinne eines eigenständigen Organs der Verteidigung, vergleichbar dem Ankläger, besteht allerdings nicht, obwohl dies in der Gesetzgebungsphase des Statuts gefordert wurde.68 Normiert ist in Regel 18 (b) und 20 VBO lediglich die Pflicht der Kanzlei, die auch die Opfer- und Zeugeneinheit bereithält, die Rechte der Verteidigung, durch im Einzelnen aufgeführte Maßnahmen zu fördern, Regel 20 Ziff. 1. VBO.69 Um eine gewisse „Waffengleichheit“ herzustellen, besteht jedoch gemäß Regel 77 GO-Gericht innerhalb der Kanzlei ein unabhängiges Büro („The Office of Public Counsel for the Defence, OPCD), welches aus administrativen Gründen in die Kanzlei eingegliedert ist und die Verteidigung bei ihrer Arbeit unterstützen soll.70 Da der Verteidigung in Bezug auf 63

Vgl. Triffterer/Ambos/Schabas/McDermott, 3. Aufl. 2016, Art. 67 Rn. 16. Vgl. Ambos, 2018, § 8 Rn. 52; Zappala, in: Cassese/Gaeta/Jones, 2002, 1319; Ausführungen unter D. IV. 4. c) bb). 65 Vgl. Safferling, JICJ 9, 2011, 651 (666). 66 Vgl. Safferling, JICJ 9, 2011, 651 (655). 67 Vgl. Triffterer/Ambos/Guariglia/Hochmayr, 3. Aufl. 2016, Art. 56 Rn. 4; Safferling, JICJ 9, 2011, 651 (660). 68 Vgl. Kay/Swart, in: Cassese/Gaeta/Jones, 2002, 1421 (1429). 69 Vgl. Kay/Swart, in: Cassese/Gaeta/Jones, 2002, 1421 (1428). 70 Vgl. https://www.icc-cpi.int/about/defence, zuletzt zugegriffen am 18.09.2018; Insgesamt zum OPCD: Müller, in: The Defence in International Criminal Trials, 2016, 245. 64

II. Geschichtlicher Hintergrund und Gegenstand der Verfahren

33

die Präsentation ihres Falles (two case approach71) die gleichen Standards abverlangt werden wie der Anklage, wird dies jedoch bisweilen als unzureichend empfunden.72 Auf einzelne besondere Rechte der Verteidigung im Strafverfahren vor dem IStGHSt, wie etwa die Offenlegungspflichten, die dem Akteneinsichtsrecht des § 147 StPO gegenüberzustellen und der Struktur des Verfahrens vor dem IStGH ebenso wie dem Gebot der Waffengleichheit geschuldet sind, wird im Späteren noch genauer eingegangen.73

II. Geschichtlicher Hintergrund und Gegenstand der Verfahren Ehe die beiden Prozessabläufe näher beleuchtet und gegenübergestellt werden, soll ein Überblick über die gegenständlichen Sachverhalte sowie die tatsächlichen und politischen Begebenheiten vor Ort geschaffen werden. Es werden hierfür der historische Kontext und die persönlichen Hintergründe der Angeklagten betrachtet. Gemeinsam ist beiden Verfahren, dass sich die zugrunde liegenden Sachverhalte in konfliktträchtigen Regionen im mittleren Teil Afrikas abspielten. Das Stuttgarter Verfahren betraf Verbrechenstatbestände, die sich in den Kivu-Gebieten im Osten der DR Kongo in der Grenzregion zu Ruanda abspielten. Das Verfahren gegen Bemba befasste sich mit der Situation auf der gegenüberliegenden Seite der DR Kongo, auf dem Territorium der Zentralafrikanischen Republik in der Grenzregion zur DR Kongo. 1. Das Verfahren gegen Dr. M. und M. Um sowohl die Ermittlungen als auch die Hauptverhandlungen in ihrer Komplexität nachvollziehen zu können, ist es hilfreich, sich den historischen und politischen Kontext zumindest in groben Zügen erinnerlich zu machen. Dies soll nicht dazu dienen, begangene Taten zu rechtfertigen, sondern lediglich aufzeigen, dass die Sachverhalte, die den Gegenstand des Stuttgarter Verfahrens bildeten, lediglich einen Ausschnitt eines jahrelang andauernden Konflikts verschiedener Ethnien auf dem Gebiet der heutigen DR Kongo zeigen. Die Wahrscheinlichkeit, dass es neben den abgeurteilten Taten weitere völkerrechtswidrige Geschehnisse gab, ist dementsprechend hoch.

71 72 73

Vgl. Safferling, 2011, § 7 Rn. 77. Vgl. Kay/Swart, in: Cassese/Gaeta/Jones, 2002, 1421 (1428). Vgl. Ausführungen unter D. IV. 4.

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C. Hintergründe der zu betrachtenden Verfahren

a) Allgemeine Entwicklungen, Entstehung und Struktur der FDLR74 Die vor dem OLG Stuttgart verhandelten Taten wurzeln in den gleichen ethnischen Konflikten zwischen den afrikanischen Volksgruppen der Bahutu und Batutsi,75 die auch dem ruandischen Genozid aus dem Jahr 1994 zu Grunde lagen. Anders als bei Bemba, spielten die persönlichen Umstände der Angeklagten bei der Entstehung der militärischen Konfliktsituation keine entscheidende Rolle. Die Ursprünge der zwischen den Hutu und Tutsi bestehenden Spannungen reichen dabei zurück bis in die deutsche Kolonialzeit Ende des 19. Jahrhunderts zurück als die Stämme – ebenso wie unter der auf die deutsche folgende belgische Kolonialverwaltung – zu unterschiedlichen Gesellschaftsschichten entwickelt wurden: Die Minderheit der Tutsi, die sich als Viehzüchter und Krieger ausgezeichnet hatten, durften die herrschenden Klasse bilden, während die überwiegend landwirtschaftlich tätige und ca. 90 % der Bevölkerung ausmachende Gruppe der Hutu zur beherrschten bzw. unterdrückten Klasse degradiert wurde.76 Diese Trennung führte in der Folge zu unüberbrückbaren sozialen Spannungen in der Bevölkerung.77 Im Folgenden soll nur der unmittelbare Vorlauf des ruandischen Völkermords und die sich hieraus ergebende Entstehung der FDLR betrachtet werden: Aufgrund von erneut aufgekommenen gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen den Hutu und Tutsi flohen Ende der 1980er-Jahre viele Angehörige der Tutsi in die benachbarte Republik Uganda. Dort gründete sich 1987 unter dem Namen „Ruandische Patriotische Front“ (RPF) eine vornehmlich aus Angehörigen der Tutsi bestehende Rebellenarmee. Diese marschierte im Jahre 1990 in die Republik Ruanda ein, um das dortige Regime, dessen maßgebende Funktionen mittlerweile von Angehörigen der Hutu ausgeübt wurden, zu beseitigen und den Flüchtlingen die Heimkehr zu ermöglichen.78 Nach einem über zwei Jahre andauernden Bürgerkrieg sollten im Friedensabkommen von Arusha aus dem Jahr 1993 eine Teilung der Macht und demokratische Prozesse in Gang gesetzt werden. Das Abkommen wurde jedoch insbesondere wegen der Ablehnung einflussreicher Hutu-Angehöriger nicht umgesetzt und es kam zu weiteren Spannungen.79 Knapp ein Jahr nach Unterzeichnung des Friedensabkommens wurde am 06. April 1994 das Flugzeug des damaligen ruandischen Staatspräsidenten Ha74

Forces Démocratiques de Libération du Rwanda; Zu den Konflikten und den Einflüssen auf die Entstehung der FDLR Johnson/Schlindwein/Schmolze, 2016, 80 ff. 75 Im Folgenden „Hutu“ bzw. „Tutsi“. 76 Vgl. zur Historie des Konflikts und insbesondere dem Einfluss Deutschlands und Belgiens: Ausarbeitung WD 2 – 029/07 des Wissenschaftlichen Dienstes des Bundestags vom 26.02.2007, Entstehung und Entwicklung des Genozids in Ruanda 1994 unter besonderer Beru¨ cksichtigung der Rolle der internationalen Gemeinschaft vor dem Hintergrund der NichtIntervention, 4 ff., im Folgenden zitiert als „WD 2 – 029/0“. 77 Vgl. WD 2 – 029/0, 4. 78 BGH, Beschluss vom 17. Juni 2010 – Az. AK 3/10, Rn. 9 ff. 79 Vgl. WD 2 – 029/0, 5; Barth, 2006, 119.

II. Geschichtlicher Hintergrund und Gegenstand der Verfahren

35

byarimana und seines burundischen Amtskollegen Cyprien Ntaryamira kurz vor der Landung in Kigali von einer Boden-Luft-Rakete abgeschossen und die Insassen getötet, wobei die Schützen bis heute nicht ermittelt werden konnten.80 Bereits eine halbe Stunde später folgten die ersten Ermordungen moderater Hutu-Politiker und Angehöriger der Tutsi-Bevölkerung.81 Dieses Ereignis, welches auch als Auftakt des Völkermordes von Ruanda gilt, war der Beginn einer Tötungswelle, in deren Verlauf schätzungsweise 500.000 bis 800.000 Angehörige der Tutsi sowie gemäßigte oppositionelle Hutu getötet wurden.82 Der durch den Genozid ausgelöste Regionalkrieg kostete schätzungsweise 3,5 Millionen Menschen das Leben.83 Nachdem sie von der tutsi-dominierten RPF unter der Führung des bis heute amtierenden Staatspräsidenten Paul Kagame besiegt wurden,84 und der Genozid beendet worden war, flohen wiederum viele hutustämmige Soldaten und Offiziere der staatlichen ruandischen Armee aus dem Land, aus Furcht vor Verfolgung und Vergeltungsschlägen durch die nunmehr wieder herrschenden tutsistämmigen Machthaber.85 Es kam zu einem „Massenexodus“ ruandischer Hutu in die angrenzenden Kivu-Gebiete der Republik Zaire (der heutigen DR Kongo).86 Dort konnten sich die hutustämmigen Exil-Ruander, die von den humanitären Hilfsorganisationen nicht entwaffnet wurden, neu organisieren. Aus Angehörigen der ehemaligen ruandischen Armee, den sog. „ExFAR“, sowie Mitgliedern der ehemaligen ruandischen Gendarmerie und Milizionären der sog. Interahamwe ging am 01. Mai 2000, während des Zweiten Kongo Krieges eine Gruppierung der Hutu-Milizen hervor, die sich seither als „Forces Démocratiques de Libération du Rwanda“ (FDLR) bezeichnete.87 Ihr ursprüngliches strategisches Ziel war es, zunächst Einfluss auf die von Tutsi geprägte Politik in Ruanda zu gewinnen, um schließlich wieder die Macht in Ruanda zu übernehmen.88 Die neu entstandene und bis heute existierende FDLR ist ein hierarchisch aufgebautes, staatsähnliches Gebilde mit eigenem Rechtssystem, eigenen Gerichten und einem eigenen bewaffneten Flügel, den sog. Forces Combattants Abacunguzi (FOCA).89 Die FDLR ist in strukturell dem Staatswesen Ruandas von 1994 nachgebildet, stellt sich organigraphisch wie abgebildet dar. Sie gliedert sich im We-

80

Vgl. WD 2 – 029/0, 6. Vgl. WD 2 – 029/0, 6. 82 BGH, Beschluss vom 17.06.2010 – Az. AK 3/10, Rn. 11. 83 Vgl. WD 2 – 029/0, 4. 84 Vgl. Kroker, 2016, 38. 85 OLG Stuttgart, Urteil vom 28.09.2015, 5 – 3 StE 6/10, Teil 2 A. I. 1. a). 86 Vgl. Karte; zur Geschichte Kongos insgesamt: van Reybrouck/Hüsmert, Kongo: eine Geschichte, 3. Auflage 2016. 87 Vgl. van Reybrouck/Hüsmert, 2016, 518; OLG Stuttgart, Urteil vom 28.09.2015, 5 – 3 StE 6/10, Teil 2 A. I. 2. 88 Vgl. Kroker, 2016, 38.; Romkena, 2007, 6. 89 OLG Stuttgart, Urteil vom 28.09.2015, 5 – 3 StE 6/10, Teil 2 A. II. 2. 81

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C. Hintergründe der zu betrachtenden Verfahren

sentlichen in zwei große Flügel, einen politischen (Exekutivkomitee) und einen militärischen (FOCA).90

Präsident der FDLR ersatzweise 1. Vizepräsident ersatzweise 2. Vizepräsident Nationalkongress ersatzweise Nationales Widerstandskomitee ersatzweise Comité Directeur (CD) Comité Directeur (CD) Kabinett Exekutivkomitee Exekutivsekretariat/Exekutivkommissare

FOCA Oberkommando

Regionalwiderstandskomitees

FOCA Kommando

Lokale Widerstandskomitees

Generalsekretariat

Résistance Civile

Ausbildungsstätten

Bataillon FOCA QG

Bataillon PM

SONOKI

SOSUKI

Reservebrigade

Widerstandskomitees der Zellen

Abb. 1 aus OLG Stuttgart, Urteil vom 28.09.2015, 5 – 3 StE 6/10, Teil 2 A. II. 2.

Auf dem Gebiet Ruandas war die FDLR zumindest militärisch vorerst weniger aktiv und beging seit 2001 kaum militärische Übergriffe mehr. Vielmehr wurde sie in der DR Kongo über die Jahre hinweg zu einer einflussreichen Konfliktpartei, vorwiegend in den Regionen Nord- und Süd-Kivu, in denen sie erhebliche Teile besetzt hielt und wo sie zur Zeit der dem Stuttgarter Verfahren zu Grunde liegenden Taten die stärkste Polizei- und Ordnungsmacht verkörperte.91 Die vor dem OLG Stuttgart verhandelten Taten ereigneten sich auch sämtlich auf dem Gebiet der DR Kongo. b) Die Angeklagten Dr. M. und M. Politisch wurde die FDLR lange Zeit von den in Stuttgart angeklagten Dr. Murwanashyaka (Dr. M.) und Straton Musoni (M.) geführt, die beide aus Ruanda stammen, jedoch bereits mehrere Jahre vor Gründung und ihrem Aufstieg ins Präsidium der FDLR in Deutschland lebten:

90 91

OLG Stuttgart, Urteil vom 28.09.2015, 5 – 3 StE 6/10, Teil 2 A. II. 2. Vgl. van Reybrouck/Hüsmert, 2016, 607; Kroker, 2016, 41.

II. Geschichtlicher Hintergrund und Gegenstand der Verfahren

37

aa) Tätigkeiten vor Entstehung der FDLR Dr. M. kam Ende 1989 im Rahmen des Stipendienprogramms der RheinlandPfalz-Ruanda-Partnerschaft mit einer befristeten Aufenthaltserlaubnis zu Studienzwecken nach Bonn und studierte dort bis 1995 Volkswirtschaftslehre.92 Seine anschließende Promotion in Köln fand mit der Publikation im Jahr 2001 ihren Abschluss. Im Anschluss lebte er bis zu seiner Verhaftung im Jahr 2009 in Mannheim, ging dort aber keiner weiteren beruflichen Tätigkeit nach, sondern widmete nach eigenen Angaben seine ganze Zeit und Energie dem Gebet und der FDLR.93 M. lebte bereits seit 1986 in Deutschland als er mit einem Stipendium der CarlDuisberg-Gesellschaft zum Studium der Landespflege nach Deutschland kam. Während der Zeit des Genozids in Ruanda im Jahr 1994 als in Deutschland lebende Ruander den Verein AKAGERA Rhein e. V. gründeten,94 lernte er Dr. M. kennen und begann daraufhin sein politisches Engagement.95 Bevor auch er bei der Gründung der FDLR mitwirkte,96 war M. als Funktionär in der „Vereinigung für die Rückkehr der Flüchtlinge und Demokratie in Ruanda“ (RDR) tätig, die 1995 in den ruandischen Flüchtlingslagern im Ost-Kongo gegründet wurde.97 bb) Rollen innerhalb der FDLR Dr. M. wurde 2001 zum Präsidenten der FDLR gewählt und saß seither (Wiederwahl 200598) als solcher auch dem Steuerungskomitee, dem Comité Directeur, einem der zentralen Organe des politischen Flügels der FDLR vor.99 M. wurde 2004 zum Ersten Vizepräsidenten ernannt. Als solcher war er für die Überwachung der Aktivitäten, für politische Werbung, Diplomatie, Finanzen und Verwaltung zuständig.100 Grund für die Berufung von Dr. M. und später auch von M. war unter anderem das Bemühen der FDLR um internationale politische Etablierung und Anerkennung. Da die beiden bereits vor dem Genozid in Ruanda 1994 nach Deutschland ausgereist waren, konnten sie mit diesem nicht in Verbindung gebracht werden.101

92

Vgl. Johnson/Schlindwein/Schmolze, 2016, 26, dieser wiederum nach Verlesung von Asylantrag und anderen Dokumenten, Prozesstag 94, OLG Stuttgart 01.08.2012. 93 Vgl. Kroker, 2016, 27. 94 OLG Stuttgart, Urteil vom 28.09.2015, 5 – 3 StE 6/10, Teil 3 B. III. 2. aa). 95 Vgl. Kroker, 2016, 37 f. 96 OLG Stuttgart, Urteil vom 28.09.2015, 5 – 3 StE 6/10, Teil 2 C. I. 97 OLG Stuttgart, Urteil vom 28.09.2015, 5 – 3 StE 6/10, Teil 3 B. III. 2. bb). 98 Vgl. Kroker, 2016, 45. 99 Vgl. Strukturbild unter C. III. 2. a). 100 OLG Stuttgart, Urteil vom 28.09.2015, 5 – 3 StE 6/10, Teil 3 B. III. 101 OLG Stuttgart, Urteil vom 28.09.2015, 5 – 3 StE 6/10, Teil 2 A. I. 3.

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C. Hintergründe der zu betrachtenden Verfahren

Inwieweit die beiden Angeklagten Einfluss auf die Organisation, insbesondere auf den militärischen Flügel und die Geschehnisse in der DR Kongo, nehmen konnten und genommen haben war das zentral aufzuklärende und juristisch zu bewertende Sachverhaltselement des Stuttgarter Verfahrens. Dessen Ergebnisse werden im Rahmen der materiellrechtlichen Ausführungen noch genauer betrachtet. Exkurs: Die beiden hiesigen Angeklagten waren nicht die einzigen FDLR-Mitglieder, gegen die in Deutschland Strafverfahren geführt wurden. So verurteilte ebenfalls das OLG Stuttgart am 14. Juni 2017 einen 47-jährigen ruandischen Staatsangehörigen, der seit 27 Jahren in Deutschland lebte, wegen Unterstützung der FDLR als ausländische terroristische Vereinigung in drei Fällen, davon in zwei Fällen tateinheitlich mit einem Verstoß gegen das Außenwirtschaftsgesetz, zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und neun Monaten.102 Da aber von der Anklage bis zur Verurteilung materiellrechtlich ausschließlich das StGB zur Anwendung kam, verlässt dieses Verfahren den Bereich der folgenden Ausführungen. c) Gegenstand des Verfahrens gegen Dr. M. und M. Bei der Bestimmung des Verfahrensgegenstandes ist zu unterscheiden zwischen den tatsächlichen Grundlagen und Entwicklungen, zu denen im Urteil insgesamt Feststellungen getroffen wurden, und dem im hiesigen Verfahren strafrechtlich relevanten angeklagten bzw. abgeurteilten Sachverhalt. Das OLG Stuttgart ergründete in Teil 2 der Urteilsgründe, den „Feststellungen zur Sache“, nicht nur die im Folgenden angeführten fünf Überfälle der FDLR-Truppen auf Ortschaften in den KivuGebieten, sondern beleuchtete auch den geschichtlichen Hintergrund, die Entstehung und Entwicklung der FDLR sowie die Ereignisse zwischen deren Beginn und den abgeurteilten Einzeltaten.103 Der im hiesigen Verfahren völkerstrafrechtlich relevante Sachverhalt umfasste lediglich Verbrechen, die die FDLR in den Kivu-Gebieten in der ersten Hälfte des Jahres 2009 begangen hatten.104 Zu dieser Zeit hatte sich die Konfliktsituation zwischen der FDLR und der kongolesischen Regierung derart entwickelt, dass nunmehr die kongolesische Regierung gemeinsam mit der tutsistämmigen ruandischen Regierung gegen die FDLR, die mittlerweile weite Teile der Kivu-Gebiete kontrollierte, vorgehen wollte. Es wurden hierzu zwei größere Militäroperationen gegen die FDLR durchgeführt: Zum einen die gemeinsame Operation „Umoja Wetu“ (Beginn: 20. Januar 2009, Ende: 25. Februar 2009) der kongolesischen (FARDC) und ruandischen Armee (RDF)105 und zum anderen die Operation „Kimia II“ (Be-

102

OLG Stuttgart, Urteil vom 14.06.2017, 3 – 36 OJs 1/16. OLG Stuttgart, Urteil vom 28.09.2015, 5 – 3 StE 6/10, Teil 2. 104 Vgl. zum vom Generalbundesanwalt angeklagten Tatvorwurf die Ausführungen unter D. III. 1. 105 OLG Stuttgart, Urteil vom 28.09.2015, 5 – 3 StE 6/10, Teil 2 A. V. 1. b) aa). 103

II. Geschichtlicher Hintergrund und Gegenstand der Verfahren

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ginn: 2. März 2009, Ende: Dezember 2009).106 Letztere erfolgte nachdem der wesentliche Teil der ruandischen Streitkräfte wieder abgezogen war. Im Rahmen von „Kimia II“ erhielten die kongolesischen Truppen Unterstützung von der UN-Friedensmission MONUC.107 Die erstinstanzlich einbezogenen Straftaten ereigneten sich gegen Ende der Operation „Umoja Wetu“ und während der ersten Hälfte der Operation „Kimia II“ im Rahmen verschiedener Angriffe auf die zwischen die Fronten geratene Zivilbevölkerung. Nach Zahlen der Nichtregierungsorganisation Human Rights Watch (HRW) wurden in der einschlägigen Zeit der Militäroperationen zwischen Januar 2009 und September 2009 insgesamt über 1400 Zivilisten gezielt getötet.108 Das OLG Stuttgart stützte die Strafbarkeit letztlich auf folgende fünf Angriffe der FDLR auf kongolesische Dörfer: - Am 13. Februar 2009 griffen nachts FOCA- bzw. FDLR-Soldaten die Ortschaft Kipopo in Masisi an. Es kam hierbei zu mindestens 13 toten Zivilisten.109 Human Rights Watch berichtet sogar von 17 toten Zivilisten,110 wovon 15 lebendig verbrannt, eine Frau erschossen und eine Frau erstochen wurden.111 - Am 12. April 2009 kam es gegen 5:00 Uhr morgens zum Angriff auf Mianga. Es kamen mindestens 45 Zivilisten zu Tode, wobei unter anderem der Dorfvorsteher enthauptet und 50 Häuser niedergebrannt wurden.112 - Am 9./10. Mai 2009 kam es zum Angriff auf Busurungi, welcher der schwerste der angeklagten Überfälle war. Der Überfall sollte als Racheangriff gegen die FARDC gelten, welche zuvor am 25. April 2009 ein ruandisches Flüchtlingslager in Shario überfallen und dabei 129 Menschen getötet haben soll.113 Nach Angaben der Zeugin von Human Rights Watch sind bei dem Angriff auf Burungi 96 Zivilisten, davon 25 Kinder, 23 Frauen und sieben ältere Männer getötet,114 sowie 702 Häuser niedergebrannt worden.115 - Zwischen dem 25. und 27. Mai 2009 wurde das Dorf Chiriba überfallen, wobei mindestens vier Zivilisten getötet und mehr als 100 Häuser angezündet wurden.116

106 107 108 109 110 111 112 113 114 115 116

OLG Stuttgart, Urteil vom 28.09.2015, 5 – 3 StE 6/10, Teil 2 A. V. 1. b) bb). OLG Stuttgart, Urteil vom 28.09.2015, 5 – 3 StE 6/10, Teil 2 A. V. 1. b). Vgl. Human Rights Watch Bericht ,You will be punished‘, Dezember 2009, 45. OLG Stuttgart, Urteil vom 28.09.2015, 5 – 3 StE 6/10, Teil 2 A. V. 2. a). Vgl. Human Rights Watch Bericht ,You will be punished‘ Dezember 2009, 157. OLG Stuttgart, Urteil vom 28.09.2015, 5 – 3 StE 6/10, Teil 3 C. V. 3. a) cc). OLG Stuttgart, Urteil vom 28.09.2015, 5 – 3 StE 6/10, Teil 2 A. V. 2. b). OLG Stuttgart, Urteil vom 28.09.2015, 5 – 3 StE 6/10, Teil 3 C. V. 3. c) aa) (3) (a). OLG Stuttgart, Urteil vom 28.09.2015, 5 – 3 StE 6/10, Teil 3 C. V. 3. c) aa) (3) (b). OLG Stuttgart, Urteil vom 28.09.2015, 5 – 3 StE 6/10, Teil 3 C. V. 3. c) aa) (3) (b) (bb). OLG Stuttgart, Urteil vom 28.09.2015, 5 – 3 StE 6/10, Teil 2 A. V. 2. d).

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C. Hintergründe der zu betrachtenden Verfahren

- In der Nacht zwischen dem 20. und 21. Juli 2009 folgte ein Angriff auf Manje, wobei mindestens 16 Zivilisten getötet wurden.117

2. Das Verfahren gegen Bemba Auch im Hinblick auf das Verfahren gegen Bemba sollen zunächst die politischen Entwicklungen skizziert werden, die zur Gründung und dem Wirken seiner Partei bzw. Bewegung „Mouvement de libération du Congo“ (MLC) führten, deren Mitglieder die erstinstanzlich abgeurteilten Verbrechen verübten. Ungeachtet des zweitinstanzlichen Freispruchs Bembas als Vorgesetzter, wird die Begehung von völkerstrafrechtlich relevanten Taten der vor Ort stationierten Soldaten nicht in Zweifel gezogen.118 a) Allgemeine Entwicklungen, Entstehung und Struktur der MLC Ebenso wie im Verfahren vor dem OLG Stuttgart musste auch im Bemba-Verfahren ein länderübergreifender Sachverhalt ermittelt und der Entscheidung zu Grunde gelegt werden. Ging es im deutschen Verfahren um die Grenzregionen zwischen der DR Kongo und Ruanda, spielte sich der nun dargestellte Sachverhalt auf den Gebieten der DR Kongo und der Zentralafrikanischen Republik ab. Bemba selbst war und ist ebenso wie die Mitglieder der von ihm gegründeten MLC kongolesischer Staatsbürger. Die zu Grunde liegenden Taten ereigneten sich aber in der Zentralafrikanischen Republik, genauer: in der Region um die Hauptstadt Bangui. Die Nähe Bembas zur Zentralafrikanischen Republik geht dabei nicht nur auf geographische und militärische Begebenheiten zurück, sondern ist auch vor dem Hintergrund zu sehen, dass er zwar Kongolese ist, sein Volksstamm der Nbaka aber zentralafrikanischer Herkunft ist.119 Im Hintergrund der militärischen Geschehnisse steht im Bemba Verfahren jedoch weniger ein Konflikt verschiedener ethnischer Stämme, sondern vielmehr der Interessen- und Machterhalt einzelner Personen bzw. Familien. Die Ursprünge der Konflikte, die ursächlich für die verhandelten Verbrechen sind, sind enger als im Stuttgarter Verfahren mit dem Lebenslauf des Angeklagten selbst verwoben: Bembas Vater, Jeannot Bemba Saolona, war einer der mächtigsten Figuren in der DR Kongo zur Zeit des Regimes von Machthaber Mobutu Sese Seko (Mobutu), 117

OLG Stuttgart, Urteil vom 28.09.2015, 5 – 3 StE 6/10, Teil 2 A. V. 2. e). ICC-01/05-01/08-3636-Red 08-06-2018 Judgment on the appeal of Mr Jean-Pierre Bemba Gombo against Trial Chamber III’s „Judgment pursuant to Article 74 of the Statute“; Statement of ICC Prosecutor, Fatou Bensouda, on the Recent Judgment of the ICC Berufungskammer Acquitting Mr Bemba Gombo, https://www.icc-cpi.int/Pages/item.aspx?name=1 80613-OTP-stat, zuletzt zugegriffen am 15.06.2018. 119 Vgl. Verteidigung am ersten Tag der Hauptverhandlung ICC-01/05-01/08-T-32-ENG ET WT 22-10-2010, 59. 118

II. Geschichtlicher Hintergrund und Gegenstand der Verfahren

41

dessen Herrschaft von 1965 bis 1997 andauerte. Während des ersten Kongokrieges von Oktober 1996 bis Mai 1997120 wurde Mobutu von Laurent-Desire Kabila, seinerseits Anführer der erst im Oktober 1996 gegründeten und u. a. von Ruanda und Uganda unterstützten Alliance des Forces Démocratiques pour la Libération (AFDL)121 als Machthaber verdrängt,122 wodurch auch Bembas Vater und damit die ganze Familie an Einfluss verlor.123 In der zweiten Hälfte des Jahres 1998 gründete Bemba daher eine eigene Bewegung, die anfangs noch unter dem Namen Armée de Libération du Congo (ALC), später unter der Bezeichnung „Mouvement de libération du Congo“ (MLC) operierte.124 Nach den Ausführungen der Anklage war Bemba innerhalb der MLC der allein bestimmende starke Mann.125 Dies bestätigt auch formal Artikel 30 des MLCStatuts, wonach Bemba Präsident der MLC und Chef-Kommandeur der ALC, dem militärischen Flügel der MLC war.126 Am 13. Juli 2002 gab Bemba sich nach Angaben der Anklage selbst zusätzlich den Rang des Generals.127 Ziel seiner Organisation war es aus Sicht der Anklage gewesen, die politischen und wirtschaftlichen Vorteile, die durch den Sturz Mobutus verlorenen gegangen waren, zurückzugewinnen.128 Offiziell strebte die MLC danach, die Diktatur in der DR Kongo zu beenden und einen freiheitlichen Rechtsstaat aufzubauen, vgl. Art. 6 des MLC Statuts. Die MLC bzw. deren militärischer Flügel bestand laut Anklage zum gegenständlichen Zeitpunkt aus ca. 20.000 bewaffneten Soldaten.129 Die Truppen setzten sich aus unterschiedlichen ethnischen Gruppen aus der DR Kongo zusammen, insbesondere aus einer Gruppe namens „Banyamulengue“, einer Ethnie aus dem 120

2016. 121

Vgl. zu den Kongokriegen allgemein van Reybrouck/Hüsmert, Kongo: eine Geschichte,

Vgl. van Reybrouck/Hüsmert, Kongo: eine Geschichte, 2016, 495. Vgl. Bericht über die Regentschaft und den Sturz Mobutus Grill, Bartholomäus, „Die Vertreibung des Leoparden“, Die Zeit, 30. Juli 2008, Abschn. Politik, https://www.zeit.de/1997/ 22/Die_Vertreibung_des_Leoparden, zugegriffen am 10.06.2018. 123 Vgl. Eröffnungsplädoyer der Anklage im Confirmation Hearing ICC-01-05-01-08-T-9ENG ET WT 12-01-2009, 22 f. 124 Vgl. Anklage am ersten Tag des confirmation hearing ICC-01/05-01/08-T-32-ENG ET WT 22-10-2010, S. 24; ICC-01/05-01/08-950-Red-AnxA 13-10-2010 Corrected Revised Second Amended Document Containing the Charges, par. 1 – 8. 125 Vgl. Anklage am dritten Tag des confirmaton hearing ICC-01-05-01-08-T-11-ENG ET WT 14-01-2009, 86, 88. 126 Vgl. Art. 7 S. 3 MLC-Statut, Französische Version des Statuts abrufbar unter http://their words.org/media/transfer/doc/cd_mlc_1999_09-28d0edd1d32a444ad3205b5f82476140.pdf, zuletzt aufgerufen am 20.12.2018. 127 Vgl. Anklage im Eröffnungsplädoyer ICC-01/05-01/08-T-32-ENG ET WT 22-10-2010, 24. 128 Vgl. Anklage am ersten Tag des confirmation hearing ICC-01-05-01-08-T-9-ENG ET WT 12-01-2009, 23. 129 Vgl. Anklage am ersten Tag der Hauptverhandlung ICC-01/05-01/08-T-32-ENG ET WT 22-10-2010, 16. 122

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C. Hintergründe der zu betrachtenden Verfahren

Nordosten der DR Kongo. Dieser Begriff wird von den zentralafrikanischen Opfern heute noch als genereller Ausdruck für kongolesische Soldaten verwendet.130 Das Hauptquartier der MLC lag in Gbadolite in der DR Kongo und zeichnete sich zum einen durch eine verhältnismäßig moderne Infrastruktur aus und wies zum anderen großen Symbolcharakter auf, da es der Geburtsort des früheren Präsidenten Mobutu ist.131 Nachdem die MLC die Kontrolle über die Equateur Provinz nahe der Grenze zur Zentralafrikanischen Republik erlangte, galt es diese Position zu festigen. Um dies zu erreichen, die Sicherheit an der Grenze zur Zentralafrikanischen Republik zu gewährleisten und nicht aus dem Hinterhalt angegriffen werden zu können, suchte die MLC die Verbindung zur Zentralafrikanischen Republik. Für das Überleben der MLC war es erforderlich, den dortigen Machthaber Felix Patassé, einen Verbündeten Bembas, an der Macht in der Zentralafrikanischen Republik zu halten.132 Die Verbindung zur zentralafrikanischen Führung versprach Bemba außerdem Zugang zum nächstgelegenen internationalen Flughafen in Bangui.133 Patassé war von 1993 (wiedergewählt 1999134) bis zu den Ereignissen im gegenständlichen Verfahren Präsident der Zentralafrikanischen Republik. Nach Angaben der Verteidigung erlebte Patassé bis zum Oktober 2002 insgesamt fünf Putschversuche.135 Eine der versuchten Entmachtungen ereignete sich am 28. Mai 2001 angeführt von André Kolingba,136 der seinerseits von 1981137 bis 1993 Präsident der Zentralafrikanischen Republik war, bis er von Patassé in einer Präsidentschaftswahl besiegt wurde.138 Bereits um diesen abzuwehren, bat Patassé Bemba um Hilfe, der daraufhin die Truppen der MLC schwer ausgerüstet in die Zentralafrikanische Republik entsandte und die Aufständischen besiegen konnte. Laut Anklage sollen die Soldaten des MLC bereits bei diesem Einsatz Verbrechen wie Vergewaltigungen, Plünderungen und Morde gegenüber der unbeteiligten Zivilbevölkerung begangen haben. Ebenso wie im Rahmen der beiden betrachteten Verfahren wurde als Anlass und Rechtfertigung für die begangen Vorwürfe die vermeintliche Verbrüderung der Bevölkerung mit dem Feind angeführt, hier die Unterstützung 130 Vgl. Anklage am ersten Tag des confirmation hearings ICC-01-05-01-08-T-9-ENG ET WT 12-01-2009, 1 – 105 SZ PT, S. 22/23. 131 Vgl. Aussage Zeuge 45, ICC-01/05-01/08-T-201-Red-ENG WT 30-01-2012, 24. 132 Vgl. ICC-01-05-01-08-T-9-ENG ET WT 12-01-2009, 22 f. 133 Ebda. 134 Vgl. ICC-01/05-01/08-T-12-Red-ENG CT WT 15-01-2009, 51. 135 Vgl. Verteidigung am ersten Tag des confirmation hearing ICC-01-05-01-08-T-9-ENG ET WT 12-01-2009, 72. 136 Vgl. Anklage am ersten Tag des confirmation hearing ICC-01-05-01-08-T-9-ENG ET WT 12-01-009, 28. 137 Vgl. Central African Republic Country Reports on Human Rights Practices for 1982: Africa, Annual Human Rights Reports Submitted to Congress by the U.S. Department of State 7, 1982: 59. 138 Vgl. Central African Republic Country Reports on Human Rights Practices – Africa, Annual Human Rights Reports Submitted to Congress by the U.S. Department of State 20, 1995: 45.

II. Geschichtlicher Hintergrund und Gegenstand der Verfahren

43

Kolingbas.139 Vor diesem Hintergrund versteht sich die im Späteren noch genauer dargestellte Intervention der MLC im gegenständlichen Zeitraum zwischen Ende Oktober 2002 und Mitte März 2003, als die MLC von Patassé wegen eines erneuten Putsches um Hilfe gebeten wurde.140 b) Der Angeklagte Bemba Im Juni141 bzw. im Juli 2003142, also nur wenige Monate nach dem Rückzug der MLC aus der Zentralafrikanischen Republik, wurde Bemba im Anschluss an das Friedensabkommen, dem sog. Sun City Agreement vom 02. April 2003,143 welches zwischen den rivalisierenden Gruppierungen des Zweiten Kongokrieges geschlossen wurde, einer von vier Vizepräsidenten der Übergangsregierung der DR Kongo unter dem Präsidenten Joseph Kabila. Die MLC wirkte, vertreten durch Bemba persönlich, am Zustandekommen des genannten Abkommens als Vertragspartei mit.144 Bei den folgenden ersten Präsidentschaftswahlen seit 1965 am 30. Juli 2006 erreichte Bemba 20 Prozent und Joseph Kabila 45 Prozent der Stimmen,145 woraufhin es am 29. Oktober zu einer Stichwahl kam, in der Kabila jedoch mit 58 Prozent der Stimmen gegen Bemba gewinnen konnte. Am 22./23. März 2007 kam es zu schwereren gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen Bembas Leibwächtern und Regierungskräften, woraufhin sich Bemba in die Südafrikanische Botschaft in Kinshasa zurückzog.146 Zwanzig Tage später floh Bemba nach Portugal und lebte bis zu seiner Festnahme am 23. Mai 2008 in Belgien bzw. Portugal im Exil.147 Nach seinem Freispruch im Juni 2018 im Hauptverfahren widmete er sich wieder seiner politischen Karriere in der DR Kongo und begehrte erneut, bei den Präsidentschaftswahlen der DR Kongo im Dezember 2018 antreten zu dürfen. Aufgrund

139 Vgl. Anklage am ersten Tag des confirmation hearing ICC-01-05-01-08-T-9-ENG ET WT 12-01-2009, 23. 140 Vgl. zu den konkreten Geschehnissen die Ausführungen unter C. II. 2. c). 141 Vgl. ICC-01/05-01/08-950-Red-AnxA 13-10-2010 Corrected Revised Second Amended Document Containing the Charges, Abs. 6. 142 Vgl. Afrika Jahrbuch 2003 Politik, Wirtschaft und Gesellschaft in Afrika südlich der Sahara 2004, S. 187. 143 Abrufbar unter https://peacemaker.un.org/sites/peacemaker.un.org/files/CD_030402_ SunCityAgreement.pdf, zuletzt zugegriffen am 20.12.2018. 144 Vgl. Sun City Agreement, 8. 145 Vgl. Carayannis, USIP Special Report 200, Februar 2008, 2. 146 ICC-01/05-01/08-26-Red 15-12-2009 Public Redacted Version of ICC-01/05-01/08-26US-Exp Prosecutor’s Application for Warrant of Arrest under Article 58, 8. 147 Vgl. ICC-01/05-01/08 – 950-Red-AnxA 13-10-2010 Corrected Revised Second Amended Document Containing the Charges, par. 7 f.

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C. Hintergründe der zu betrachtenden Verfahren

der aufrechterhaltenen Verurteilung wegen Zeugenbeeinflussung vor dem IStGH148 war dies jedoch nach kongolesischem Wahlrecht nicht möglich.149 c) Gegenstand des Verfahrens gegen Bemba Auch wenn die Ermittlungen und Feststellungen, ebenso wie im Stuttgarter Verfahren, auch das Vorfeld der abgeurteilten Geschehnisse abdeckten,150 lagen dem Urteil vom 21. März 2016 erst die Ereignisse zwischen dem 25. (bzw. 26.) Oktober 2002 und dem 15. März 2003 in der Zentralafrikanischen Republik zu Grunde: Am 25. Oktober 2002 startete General Francois Bozizé, der ehemalige Chief of Staff der zentralafrikanischen Regierungstruppen Forces Armees Centrafricaines (FACA),151 mit den von ihm geführten Milizen in der Hauptstadt Bangui einen gewaltsamen Militärputsch, der schließlich am 15. März 2003 zur Machtübernahme und zum Sturz Patassés führte.152 Bozizés Truppen (etwa 500 – 600 Mann) bestanden dabei aus ehemaligen FACA-Soldaten sowie Kämpfern aus dem Tschad.153 Noch am selben Tag bat Patassé Bemba und seine MLC um Hilfe.154 „Ich fragte meinen Sohn Bemba zu meiner Unterstützung heranzufliegen“ wird er von der Anklage im Eröffnungsplädoyer des „confirmation hearings“ zitiert.155 Nach den Ausführungen der Anklage kamen die Truppen der MLC bereits am 26. Oktober 2002 um 06:30 Uhr in Bangui an und begannen mit einer Gegenoffensive.156 Etwa 1500 MLC Soldaten, unterteilt in insgesamt drei Bataillone, wurden in die Zentralafrikanische Republik entsandt. Zunächst nur das Bataillon „Proudrie B“ und das „28th Bataillon“. Das „5th Bataillon“ soll erst ab Mitte Dezember nach Einnahme der Stadt Bossembele in die Zentralafrikanische Republik nachgerückt sein.157 Dort vereinigte sich die MLC mit einem Konglomerat an Truppenverbänden, das sich bereits der Verteidigung Patassés 148 ICC-01/05-01/13-1989-Red 19-10-2016 Judgment pursuant to Article 74 of the Statute; Ausführungen unter D. IV. 2. b) gg). 149 Vgl. BBC News vom 25.08.2018, https://www.bbc.com/news/world-africa-45305644, zuletzt zugegriffen am 12.12.2018. 150 ICC-01/05-01/08-3343 21-03-2016 Judgment pursuant to Article 74 of the Statute. 151 ICC-01/05-01/08-424 15-06-2009 Decison on the Charges, par. 260. 152 CIA (Central Intelligence Agency), The world factbook, 2011, 132, abrufbar unter http:// heinonline.org/HOL/Page?collection=cow&handle=hein.cow/worlfact0031&id=180, zuletzt zugegriffen am 14.06.2018 153 ICC-01/05-01/08-3343 21-03-2016 Judgment pursuant to Article 74 of the Statute, par. 450 ff. 154 ICC-01/05-01/08-3343 21-03-2016 Judgment pursuant to Article 74 of the Statute, par. 453. 155 Vgl. Anklage am ersten Tag des confirmation hearing ICC-01-05-01-08-T-9-ENG ET WT 12-01-2009, 25. 156 Erfolglos angegriffen mit Behauptung Ankunft erst am 30.10.2002, vgl. ICC-01/05-01/ 08-424 15-06-2009 Decison on the Charges, par. 250. 157 Vgl. Anklage am ersten Tag des confirmaton hearing ICC-01-05-01-08-T-9-ENG ET WT 12-01-2009, 83.

II. Geschichtlicher Hintergrund und Gegenstand der Verfahren

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verschrieben hatte, darunter die Regierungstruppen FACA (s. o.), die PräsidentenLeibgarde Unite de Securite Presidentielle USP (USP),158 etwa 100 lybische Soldaten159 sowie ca. 500 Söldner aus dem Tschad.160 In der Folgezeit konnten die Truppen des MLC innerhalb weniger Tage die Rebellen unter General Bozizé aus Bangui vertreiben. Vor allem in den ersten Wochen nach den Kampfhandlungen begingen die Truppen des MLC die gegenständlichen Taten gegenüber der zentralafrikanischen Zivilbevölkerung.161 Der Schuldspruch vom 21. März 2016 stützte sich auf nachfolgend aufgeführte „Grunddelikte“,162 welche durch Soldaten der MLC begangen wurden. Die Bezeichnung „Grunddelikte“ wird hier in Abgrenzung zur individuellen Verantwortlichkeit Bembas als militärischer Befehlshaber gemäß Art. 28 IStGHSt gewählt, dessen materiellrechtliche Verantwortlichkeit noch gesondert dargestellt wird. Die folgende Dreiteilung orientiert sich, anders als bei obigen Ausführungen zum Stuttgarter Verfahren, der Übersichtlichkeit halber an den abgeurteilten völkerstrafrechtlichen Tatbeständen (Tötung, Vergewaltigung und Plünderung). - Drei zur Überzeugung des Gerichts nachgewiesene Tötungen, davon zwei im Oktober 2002 und eine am 05. März 2003,163 - 12 Tatkomplexe, während derer es zur Vergewaltigung von 26 Menschen beider Geschlechter nahezu jeden Alters kam164 und - 14 Tatkomplexe, in denen es zur Plünderung gegenüber einer Vielzahl mal mehr mal weniger konkret benannter Opfer kam.165 Die Untergliederung in die jeweiligen Tatkomplexe ähnelt dabei dem in der deutschen Rechtsprechung bekannten Verständnis der prozessualen Tat im Sinne von § 264 StPO.166

158

ICC-01/05-01/08-3343 21-03-2016 Judgment pursuant to Article 74 of the Statute, par. 407. 159 ICC-01/05-01/08-424 15-06-2009 Decison on the Charges, par. 212. 160 ICC-01/05-01/08-424 15-06-2009 Decison on the Charges, par. 259. 161 ICC-01/05-01/08-950-Red-AnxA 13-10-2010 Corrected Revised Second Amended Document Containing the Charges, par. 44 ff.; Für den genauen teritorrialen Verlauf des Einsatzes der MLC Truppen, s. etwa Ausführungen der Anklage am ersten Tag des confirmation hearing ICC-01-05-01-08-T-9-ENG ET WT 12-01-2009, 82 ff. 162 Vgl. Ausführungen unter D. V. 2. b). 163 Vgl. ICC-01/05-01/08-3343 21-03-2016 Judgment pursuant to Article 74 of the Statute, par. 624. 164 Vgl. ICC-01/05-01/08-3343 21-03-2016 Judgment pursuant to Article 74 of the Statute, par. 633. 165 Vgl. ICC-01/05-01/08-3343 21-03-2016 Judgment pursuant to Article 74 of the Statute, par. 640. 166 Vgl. zum faktischen Verständnis der Rechtsprechung MüKoStPO/Norouzi, 1. Aufl. 2016, StPO § 264 Rn. 10.

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C. Hintergründe der zu betrachtenden Verfahren

Wie noch aufgezeigt werden soll, knüpfte die Berufungskammer ihre prozessrechtlichen Überlegungen an eben jene zu Grunde gelegten Einzeltaten,167 da einige der Taten, auf die sich die Hauptverfahrenskammer bezog, nach Ansicht der Mehrheit der Berufungskammer nicht von der (zugelassenen) Anklage umfasst waren.168 Auch das Verhältnis von Grunddelikt und individueller Verantwortlichkeit soll im Rahmen der Darstellung der zweitinstanzlichen Entscheidung angesprochen werden. Am 15. März 2003 schließlich zogen die MLC-Truppen auf Anordnung Bembas aus der zentralafrikanischen Republik wieder ab. Als Motiv nannte die Anklage den aufgrund der offenbarten Verbrechen von der Weltgemeinschaft auf Bemba ausgeübten Druck.169 3. Bedeutung der Verfahren Die historische Bedeutung des Verfahrens vor dem OLG Stuttgart besteht in juristischer Hinsicht sicherlich in der Tatsache, dass es sich um das erste Verfahren handelte, das zu Verurteilungen nach dem VStGB führte und damit den bislang größten Beitrag der Bundesrepublik Deutschland zur Völkerstrafrechtspraxis darstellt. Eine im Vordergrund stehende Frage war, ob ein solches Verfahren mit umfangreichen internationalen Ermittlungen im nichteuropäischen Ausland in rechtsstaatlicher Weise nach den Regeln der nicht auf solche Verfahren zugeschnittenen StPO ablaufen kann, was entgegen der hinlänglich bekannten Äußerung des Vorsitzenden Richters am OLG Stuttgart „So geht es nicht“170 mit „doch“ beantwortet werden kann. Schließlich hat der BGH in seiner zweitinstanzlichen Entscheidung keine Verfahrensrüge der Verteidigung durchdringen lassen.171 Mit den Ermittlungen und der juristischen Aufklärung leistete das OLG Stuttgart zudem einen Beitrag zur historischen Aufarbeitung der Geschehnisse im Nachgang des Ruandischen Genozids. Der Effekt auf den gesellschaftlichen Aufarbeitungs- und Versöhnungsprozess hing und hängt von der Übermittlung der Ergebnisse in die betroffenen Tatortregionen ab. Auf diesen Aspekt wird im Rahmen der Darstellung der öffentlichen Beteiligung noch eingegangen.172

167 ICC-01/05-01/08-3636-Red 08-06-2018 Judgment on the Appeal of Mr Bemba Gombo against Trial Chamber III’s „Judgment Pursuant to Article 74 of the Statute“, par. 104 ff. 168 ICC-01/05-01/08-3636-Red 08-06-2018 Judgment on the Appeal of Mr Bemba Gombo against Trial Chamber III’s „Judgment Pursuant to Article 74 of the Statute“, par. 116; vgl. Ausführungen unter E. II. 1. b). 169 Vgl. Anklage am dritten Tag des confirmation hearings ICC-01-05-01-08-T-11-ENG ET WT 14-01-2009, 114. 170 Vgl. Hettich, Prozesstag 320 nach Johnson/Schlindwein/Schmolze, 2016, 394. 171 BGH, Urteil vom 20.12.2018 3 StR 236/17. 172 Vgl. Ausführungen unter G. I.

II. Geschichtlicher Hintergrund und Gegenstand der Verfahren

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Das Verfahren gegen Bemba überragt aus strafrechtspolitischer Sicht ebenfalls viele andere der zuvor geführten internationalen Strafverfahren. Bemba war bis zu seinem Freispruch am 08. Juni 2018 der erste verurteilte militärische Kommandeur in der Geschichte des ständigen Internationalen Strafgerichtshofs. Bembas erstinstanzliche Verurteilung war bereits das vierte Endurteil in der bis dahin 14-jährigen Geschichte des IStGH, es war jedoch das erste Mal, dass ein Urteil wegen zu Grunde liegender Sexualdelikte gesprochen wurde.173 Obwohl die Anklage solche Delikte auch im Stuttgarter Verfahren umfasste, kam es nicht zu einer entsprechenden Verurteilung. Da die Öffentlichkeit den gezielten Einsatz von sexueller Gewalt als Kriegswaffe immer stärker im Blick hat, was nicht zuletzt durch die Vergabe des Friedensnobelpreises 2018 an Nadia Murad und Denis Mukwege belegt wird, verdient auch dieses Verfahren unabhängig seiner sonstigen bemerkenswerten prozessualen Erkenntnisse, besondere Aufmerksamkeit. Das Bemba-Verfahren war darüber hinaus das erste, bei dem Teile des Verteidigungsteams während des Verfahrens verhaftet und wegen Verbrechen gegen die Rechtspflege verurteilt wurden. Bereits das erstinstanzliche Verfahren wurde also aus unterschiedlichen Gründen als wegweisend empfunden.174 Bemba und seiner Verteidigung gelang es, ebenfalls erstmalig, dass eine erstinstanzliche Verurteilung vollständig aufgehoben wurde.175

173 Vgl. Vianney-Liaud/Pineau, Eyes on the ICC 12, 2016, 51 (51); hierzu Clark, JICJ 2016, 667 – 687. 174 Vgl. McDermott, AJIL 2016, 526 (526, 530). 175 Vgl. Powderly, ILM 2018, 1031 (1031).

D. Die erstinstanzlichen Verfahren Im Folgenden sollen der Gang der Verfahren und die wesentlichen darin aufgeworfenen rechtlichen Probleme dargestellt werden. Betrachtet werden neben der Frage der Zuständigkeit, die als erste Weichenstellung vorangestellt werden soll, der konkrete Ablauf des Ermittlungsverfahrens, insbesondere welche tatsächlichen Probleme die deutschen Ermittlungsbehörden zu bewältigen hatten. Anschließend wird der Blick entlang der Chronologie auf die Abläufe der Vor- und Zwischenverfahren sowie der Hauptverhandlungen gerichtet. Es soll im Übrigen besonderes Augenmerk auf die aktive Opferbeteiligung in beiden Verfahren sowie auf die Rechte und Pflichten der Verteidigung gelegt werden, ehe materiellrechtliche Aspekte der erstinstanzlichen Entscheidungen dargestellt werden. Wie zu sehen sein wird, wirken sich die prozessualen Gegebenheiten etwa im Rahmen der Beweislastverteilung, der richterlichen Überzeugungsbildung und der Verwertbarkeit der Zeugenaussagen entscheidend auf die materiellen Aspekte und damit auf die (nicht nur) für den Angeklagten entscheidenden Fragen der Schuld und Rechtsfolgen aus. Beiden Verfahren gemein ist ein bemerkenswerter Wandel der materiellrechtlichen Vorwürfe auf dem Weg zur erstinstanzlichen Entscheidung, der sich in den zweitinstanzlichen Entscheidungen weiter fortsetzte.

I. Strafverfolgungskompetenz (Komplementarität) Unabhängig von anderen Voraussetzungen, welche die jeweilige Gerichtsbarkeit begründen, galt es die Frage zu klären, welche Strafverfolgungsbehörden für die Ermittlungen und die Durchführung der Verhandlungen zuständig waren. Zur Auswahl standen im deutschen Verfahren neben den deutschen Behörden die möglicherweise tatnäheren afrikanischen Behörden, der IStGH. Im Verfahren gegen Bemba kamen als zuständige Strafverfolgungsorgane ebenfalls die entsprechenden afrikanischen Behörden und der IStGH in Betracht. Entscheidend für die Klärung der Zuständigkeit war die Anwendung des in Art. 1, 17 IStGHSt (sowie in der Präambel) enthaltenen Grundsatzes der Komplementarität, der das Verhältnis des IStGH zu den nationalen Gerichten festlegt und auf alle Arten der Verfahrenseinleitung Anwendung findet.1 Es gilt demnach das Prinzip, dass primär Gerichte des Tatort- oder Täterstaates zuständig sind, erst komplementär, d. h. ergänzend hierzu, der Internationale 1

Vgl. Ambos, 2018, § 8 Rn. 10.

I. Strafverfolgungskompetenz (Komplementarität)

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Strafgerichtshof. Drittstaaten, die weder einen Bezug zum Täter noch zum Tatort aufweisen, stellen nur Auffanggerichtsstände dar.2 Um die Gerichtsbarkeit des IStGH zu begründen bzw. nicht auszuschließen darf der vorrangig zuständige Vertragsstaat3 nicht Willens oder in der Lage sein, ein völkerrechtliches Kernverbrechen selbst zu verfolgen. Dieser Grundsatz wird als sog. Komplementarität „stricto sensu“ bezeichnet und lässt sich nach Ambos wiederum in dreifacher Weise untergliedern. Die Strafverfolgung durch den IStGH kann grundsätzlich zulässig sein bei kompletter Untätigkeit des Staates („inaction Scenario“) oder aber grundsätzlich unzulässig sein, sofern von einem Vertragsstaat Maßnahmen im Sinne von Art. 17 Abs. 1 a) – c) IStGHSt ergriffen werden oder aber die Zulässigkeit ergibt sich aufgrund mangelnden Willens oder Unvermögens des Staates.4 Beim Verhältnis zwischen IStGH und nationaler Strafverfolgung wird von vertikaler und beim Verhältnis zwischen zwei Vertragsstaaten von horizontaler Komplementarität gesprochen.5 Das Prinzip der Komplementarität spiegelt zwei grundlegende Prinzipien des Statuts wieder, nämlich zum einen, dass es nicht das Ziel des Statuts ist, staatliche Souveränität zu negieren6 und zum anderen, dass es die „Pflicht eines jeden Staates ist, seine Strafgerichtsbarkeit über die für internationale Verbrechen Verantwortlichen auszuüben.“7 Anders ausgedrückt bedient sich die internationale Gemeinschaft der nationalen Gerichte, um die eigenen Grundwerte mit strafrechtlichen Mitteln zu schützen.8 Die Komplementarität unterscheidet im Übrigen den ständigen IStGH von den Ad-hoc-Tribunalen für das ehemalige Jugoslawien,9 Ruanda,10 Sierra Leone11 und den Libanon12 als dort jeweils das internationale Gericht vorrangig gegenüber den einzelstaatlichen Gerichten zuständig war bzw. dies im Falle des Sondertribunals für den Libanon noch ist.

2 Gesetzesbegru¨ ndung zum VStGB, Deutscher Bundestag, Drucksache 14/8524 vom 13.03.2002, 37; Ritscher, in: Safferling/Kirsch, Völkerstrafrechtspolitik: Praxis des Völkerstrafrechts, 2014, 223 (226). 3 Vgl. obige Ausführungen zur horizontalen und vertikalen Komplementarität und § 153f Abs. 2 StPO. 4 Vgl. Ambos, 2018, § 8 Rn. 11. 5 Vgl. Jessberger, Schriftliche Stellungnahme zu BT Drucksache 18/6341, 7. 6 Vgl. Triffterer/Ambos/Williams/Shabas, 3. Aufl. 2016, Art. 17, Rn. 4. 7 Vgl. Präambel des Römischen Statuts; Triffterer/Ambos/Williams/Shabas, 3. Aufl. 2016, Art. 17, Rn. 4. 8 Vgl. Safferling, 2011, § 8 Rn. 20. 9 Vgl. Art. 9 ICTY-Statut. 10 Vgl. Art. 8 ICTR-Statut. 11 Vgl. Art. 8 SCSL-Statut. 12 Vgl. Art. 4 STL-Statut, vgl. zu den Sonderregelen des Libanon-Tribunals, Oemichen, ZIS 2013, 385 ff.

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D. Die erstinstanzlichen Verfahren

1. Verfahren gegen Dr. M. und M. Im Folgenden soll nun der Frage nachgegangen werden, warum ausgerechnet das OLG Stuttgart die Verbrechen zu verhandeln hatte, die in der DR Kongo von ruandischen Mitgliedern der FDLR begangen wurden. a) Vorliegen der deutschen Gerichtsbarkeit „Dreh- und Angelpunkt der Zuständigkeit der deutschen Strafverfolgungsorgane ist die Integrierung des Weltrechtsprinzip gemäß § 1 VStGB“,13 wonach es im Grundsatz keines Inlandsbezuges bedarf, um ein Verfahren in Deutschland zu eröffnen. Im vorliegenden Verfahren hätte es jedoch nicht zwingend eines Rückgriffs auf das Weltrechtsprinzip benötigt, da sich beide Angeklagten während des gesamten relevanten Zeitraums in Deutschland aufhielten und ansässig waren,14 sodass gemäß § 9 Abs. 2 Var. 2 StGB auch Deutschland zum Tatortstaat wurde. Wie oben erläutert, ist aber vor dem Hintergrund der horizontalen Komplementarität anerkannt, dass tatnähere Staaten vorrangig zur Verfolgung verpflichtet sind.15 Im hiesigen Fall wären zum einen die DR Kongo als Tatortstaat, § 9 Abs. 2 Var. 1 StGB, und zum anderen Ruanda als Täterstaat in Betracht gekommen. Soweit ersichtlich, gab es von Seiten der DR Kongo keine nennenswerten Bemühungen, ein Strafverfahren einzuleiten. Ruanda hingegen stellte mit Nachricht vom 16. Juli 2008 ein offizielles Auslieferungsgesuch für Dr. M. an die Botschaft der Bundesrepublik Deutschland in Kigali.16 Dem Ersuchen des Außenministeriums der Republik Ruanda war eine Anklageschrift der nationalen Staatsanwaltschaft der Republik Ruanda vom 14. Juli 2008 sowie ein internationaler Haftbefehl der Generalstaatsanwaltschaft der Republik Ruanda vom 14. Juli 2008 beigefügt.17 Die Generalstaatsanwaltschaft Karlsruhe, deren örtliche Zuständigkeit sich aufgrund des Festnahmeortes aus § 14 IRG ergab, beantragte den Erlass eines Auslieferungsbefehls, den das OLG Karlsruhe aber mit Beschluss vom 08. Dezember 2008 abwies. Begründet wurde dies damit, dass die Auslieferung nicht zulässig im Sinne von § 15 Abs. 2 IRG sei, da der Verfolgte im Falle seiner Auslieferung nicht mit der Durchführung eines fairen Verfahrens rechnen könne, § 73 S. 1 IRG. Unter Bezugnahme auf ein Verfahren vor der Berufungskammer des Internationalen Strafgerichtshofs für Ruanda18 wurde es als unwahrscheinlich angesehen, dass möglicherweise zu benennende Entlastungszeugen zu einer Hauptverhandlung erscheinen würden, weil diese mit „Einschüchterungen, Bedrohungen, Belästigung, Folter, 13 14 15 16 17 18

Safferling, 2011, § 8 Rn. 20. Vgl. Ausführungen zu den Angeklagten unter C. III. 1. b). Vgl. Jessberger, Schriftliche Stellungnahme zu BT Drucksache 18/6341, 7. Für M. ist kein Gesuch ersichtlich. OLG Karlsruhe Beschluss vom 08.12.2008, 1 AK 68/08. ICTR-97-36-R11bis 08-10-2008.

I. Strafverfolgungskompetenz (Komplementarität)

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Festnahme und Tötung rechnen müssten.“19 Daneben sprach gegen eine Auslieferung, dass Dr. M. aufgrund des Bescheids vom 17. März 2000 als Asylberechtigter in Deutschland anerkannt war und besonderen Schutz genoss, § 6 Abs. 2 IRG i. V. m. Art. 16a Abs. 1 GG.20 Mittlerweile werden Auslieferungsgesuche nach Ruanda wieder bewilligt.21 Aus heutiger Sicht bestünde daher für den GBA die Möglichkeit, die Verfolgung eines gleichgelagerten Falles – gerichtlich nicht überprüfbar – einzustellen: Gemäß § 153f Abs. 2 S. 2 StPO kann die Staatsanwaltschaft von der Verfolgung absehen, wenn sich ein wegen einer im Ausland begangenen Tat beschuldigter Ausländer im Inland aufhält, aber die Tat nicht gegen einen Deutschen begangen wurde, § 153f Abs. 2 S. 1 Nr. 2 StPO und die Tat vor einem internationalen Gerichtshof oder durch einen Staat, auf dessen Gebiet die Tat begangen wurde, dessen Angehöriger der Tat verdächtig ist oder dessen Angehöriger durch die Tat verletzt wurde, verfolgt wird, § 153f Abs. 2 S. 2, S. 1 Nr. 4. Da die Tat im Falle der Täterschaft gemäß § 9 Abs. 1 Var. 3 StGB und im Falle der Beihilfe gemäß § 9 Abs. 2 Var. 1 StGB auch im Ausland begangen wurde und die Täter Ruander sind, wäre die Einstellung und die Abgabe an die ruandischen Strafverfolgungsorgane möglich und eine Auslieferung an den verfolgenden Heimatstaat wohl zulässig.22 b) Exkurs: § 153f StPO Die deutsche Staatsanwaltschaft kann nach § 153f StPO von der Verfolgung bei Straftaten nach den §§ 6 bis 15 VStGB, entgegen dem Weltrechtsprinzip, absehen. § 153f StPO ist – unabhängig von seiner praktischen Bedeutung – dogmatisch gesehen eine Einschränkung des Legalitätsprinzip des § 152 Abs. 2 StPO,23 welches durch das Weltrechtsprinzip des § 1 VStGB im Rahmen des Völkerstrafrechts auf die ganze Erde ausgedehnt wurde.24 § 153 f StPO ist gemäß § 153c Abs. 1 S. 2 StPO als Spezialgesetz für den Bereich des VStGB dem allgemeinen Opportunitätsprinzip bei Auslandstaten vorrangig.25 Mit ihm sollte eine eigene Ermessensstruktur geschaffen werden, um über den § 153c StPO hinaus die Einstellungsmöglichkeiten der Staatsanwaltschaften bei Taten mit Auslandsbezug zu erweitern, indem Straftaten nach dem VStGB aus dem Anwendungsbereich des § 153c Abs. 1 Nr. 1 und 2

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OLG Karlsruhe, Beschluss vom 08.12.2008, 1 AK 68/08. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 08.12.2008, 1 AK 68/08. 21 Anstatt vieler: ICTR-01-75-AR11bis 16-12-2011 Decision on Uwikundi’s Appeal against the Referral of his Case to Rwanda and Related Motions. 22 Vgl. auch Magasam, in: Safferling/Kirsch, Völkerstrafrechtspolitik: Praxis des Völkerstrafrechts, 2014, 181 (185); MüKoStPO/Teßmer, 1. Aufl. 2016, StPO § 153f Rn. 18. 23 Vgl. Geneuss, 2017, 225. 24 Vgl. Heinsch, in: BT- Drucksache 18/6341, 12. 25 Vgl. KK-StPO/Diemer, 8. Aufl. 2019, StPO § 153f Rn. 1; Safferling, 2011, § 8 Rn. 21. 20

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D. Die erstinstanzlichen Verfahren

herausgenommen werden.26 Die Einstellungsentscheidung ist gerichtlich nicht überprüfbar, da § 172 Abs. 2 S. 3 Hs. 2 StPO kein Klageerzwingungsverfahren (erst Recht kein Ermittlungserzwingungsverfahren27) vorsieht.28 Nicht unumstritten ist die Einstellungsentscheidung einer gerichtlichen Kontrolle nur im Hinblick auf die Fragen unterworfen, ob die Tatbestandsvoraussetzungen vorliegen sowie, ob ein Ermessensnichtgebrauch oder ein Überschreiten des Ermessens vorliegt, oder die Grenze zur Willkür überschritten ist.29 Es gibt somit gegen die Einstellungsentscheidungen keinen formellen Rechtsbehelf außerhalb der Dienstaufsichtsbeschwerde.30 Gegen § 153f StPO wird vorgebracht, dass mit ihm faktisch das Weltrechtsprinzip durch die Handhabung des gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren staatsanwaltlichen Ermessens wieder zurückgenommen werde.31 Erforderlich sei die Etablierung einer gerichtlichen Mitwirkungsmöglichkeit, entweder durch die Einführung eines Zustimmungserfordernisses im Rahmen von § 153f StPO selbst oder durch die Ermöglichung eines Klageerzwingungsverfahrens im Sinne von § 172 StPO analog.32 In der Folge sieht sich der Generalbundesanwalt (GBA) regelmäßig dem Vorwurf der politischen Beeinflussbarkeit ausgesetzt.33 Der GBA vertritt hingegen die Ansicht, § 153f StPO halte lediglich eine rechtliche Grenze vor, die Deutschland davor schützt, sich in die Rolle des Weltpolizisten zu begeben, der versuchen müsse, vermeintliche Defizite der internationalen oder ausländischen Verfolgung von Völkerstraftaten auszugleichen.34 Auch bei Völkerstraftaten soll nur dann eine Verfolgung eingeleitet werden, wenn ein Aufklärungserfolg erzielbar erscheine.35 Bei reinen Auslandstaten sei dies aber regelmäßig nicht der Fall, da Ermittlungen in 26 BR-Drs- 29/02, 85; vgl. zum Verhältnis von § 153f StPO und § 153c StPO Geneuss, 2017, 224. 27 Vgl. Kaleck, in: BT Drucksache 18/6341, 14. 28 OLG Stuttgart, Beschluss vom 13.09.2005 – 5 Ws 109/05 (Fall Rumsfeld), hierzu Geneuss, 2017, 224, 245 ff. 29 OLG Stuttgart, Beschluss vom 13.09.2005 – 5 Ws 109/05, NStZ 2006, 117; Jessberger, Schriftliche Stellungnahme zu BT Drucksache 18/6341, 8.; a. A. MüKoStPO/Teßmer, 1. Aufl. 2016, StPO § 153f Rn. 24. 30 MüKoStPO/Teßmer, 1. Aufl. 2016, StPO § 153f Rn. 24; Ambos sieht hierin wohl einen Systembruch, da sonstige Opportunitätsentscheidungen grundsätzlich gerichtlich überprüfbar sind, vgl. MüKoVStGB/Ambos, 3. Aufl. 2018, VStGB § 1 Rn. 34. 31 Vgl. Heinsch, Schriftliche Stellungnahme zu BT Drucksache 18/6341, 5. 32 Vgl. Ambos, NStZ 2006, 434, (438) – Zugleich Anmerkung zu GBA, JZ 2005, 311 und OLG Stuttgart, NStZ 2006, 117. 33 Vgl. Heinsch, Schriftliche Stellungnahme zu BT Drucksache 18/6341, 5. 34 Vgl. Ritscher, in: Safferling/Kirsch, Völkerstrafrechtspolitik: Praxis des Völkerstrafrechts, 2014, 223 (225). 35 Vgl. Ritscher, in: Safferling/Kirsch, Völkerstrafrechtspolitik: Praxis des Völkerstrafrechts, 2014, 223 (225 f).

I. Strafverfolgungskompetenz (Komplementarität)

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reinen Auslandskonstellationen nur über Rechtshilfe möglich sind und damit stets vom Wohlwollen der ausländischen Behörden abhingen.36 Da den oben genannten Forderungen aber, soweit ersichtlich, noch keine Folge geleistet wurde, verbleibt es vorerst bei § 153f StPO in seiner aktuellen Fassung (Stand: August 2019): Bei Taten mit Inlandsbezug und bei Taten mit deutschen Beschuldigten, gilt aufgrund des Legalitätsprinzips Verfolgungszwang.37 Der Verfolgungszwang deutscher Behörden entfällt demgegenüber gemäß § 153f Abs. 1 S. 1 i. V. m. § 153c Abs. 1 Nr. 1 und 2 StPO, wenn keinerlei Inlandsbezug vorliegt – wenn Deutsche also weder als Opfer noch als Täter beteiligt sind und sich der (ausländische) Beschuldigte nicht im Inland aufhält und ein Aufenthalt auch nicht zu erwarten ist. Wenn hingegen der Beschuldigte Deutscher ist, gilt dies nur, wenn die Tat vor einem internationalen Gericht oder dem Tatortstaat oder Opferstaat verfolgt wird, § 153f Abs. 1 S. 2 StPO.38 Im Gegensatz zur deutschen Lage sind die Einstellungsentscheidungen des Anklägers beim IStGH im Rahmen von Art. 53 Abs. 3 IStGHSt gerichtlich überprüfbar.39 c) Sachliche und örtliche Zuständigkeit des OLG Stuttgart und des GBA Nach der Frage der nationalen Zuständigkeit deutscher Verfolgungsbehörden stellt sich die Frage, weshalb ausgerechnet das OLG Stuttgart das Strafverfahren zu leiten hatte. Da dies im Verfahren nicht beanstandet wurde, sollen im Folgenden nur die gesetzlichen Grundlagen dargestellt werden. Gemäß Art. 96 Abs. 5 GG kann der Bund mit Zustimmung des Bundesrates vorsehen, dass Gerichte der Länder die Gerichtsbarkeit des Bundes für bestimmte Strafverfahren ausüben, unter anderem auf den Gebieten des Völkermordes, Nr. 1, der völkerstrafrechtlichen Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Nr. 2 und der Kriegsverbrechen, Nr. 3. Einfachgesetzlich bestimmt § 120 Abs. 1 Nr. 8 GVG, dass die Oberlandesgerichte für die Verhandlung und Entscheidung im ersten Rechtszug bei Straftaten nach dem Völkerstrafgesetzbuch zuständig sind, in deren Bezirk die Landesregierungen des zuständigen Bundeslandes ihren Sitz haben. Demnach war das OLG Stuttgart und nicht das OLG Karlsruhe zuständig, obwohl die Angeklagten in Mannheim, welches im Gerichtsbezirk des OLG Karlsruhe liegt,40 lebten und von dort aus tätig wurden.41 36

Vgl. Ritscher, Schriftliche Stellungnahme zu BT Drucksache 18/6341, 3. Vgl. KK-StPO/Diemer, 8. Aufl. 2019, StPO § 153 f Rn. 1 – 3a; Safferling, 2011, § 8 Rn. 21. 38 Vgl. Ambos, 2018, § 3 Rn. 100. 39 Vgl. Heinsch, Schriftliche Stellungnahme zu BT Drucksache 18/6341, 8. 40 Vgl. Ausführungen zu den Angeklagten unter C. III. 1. b). 41 Vgl. Schäfer, in: Safferling/Kirsch, Völkerstrafrechtspolitik: Praxis des Völkerstrafrechts, 2014, 237 (247); laut einer ARD-Dokumentation lebte M. nicht in Mannheim, sondern in Neuffen (OLG Bezirk Stuttgart), vgl. ARD, Dokumentation vom 04.05.2011 „Die Kriegstreiber von Nebenan. Deutschland und der Terror im Kongo“, abrufbar unter https://www.dasers 37

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D. Die erstinstanzlichen Verfahren

Der Generalbundesanwalt ist gemäß § 120 Abs. 1 Nr. 8 i. V. m. § 142a Abs. 1 GVG für die sensible politische Materie42 des Völkerstrafrechts zuständig. Für die Ermittlungszuständigkeit ist bereits ausreichend, wenn ein Anfangsverdacht für Strafbarkeit nach dem Völkerstrafgesetzbuch besteht, auch wenn nur ein prägendes Tatbestandsmerkmal des VStGB verwirklicht worden sein soll.43 „Der GBA ist zur Prüfung und abschließenden Entscheidung auch soweit befugt, als dem Anwendungsbereich des VStGB unterfallende militärische Handlungen („Kriegsverbrechen„) mangels Erfüllung einzelner Tatbestandsmerkmale nach dem VStGB nicht strafbar sind, jedoch eine Strafbarkeit nach dem StGB in Betracht kommt.“44 Somit war und blieb der GBA auch hinsichtlich des Angeklagten M. zuständig, auch wenn im Laufe des Verfahrens gegen ihn eine Strafbarkeit „nur“ nach dem StGB, namentlich § 129a StGB stehen blieb. 2. Verfahren gegen Bemba Die konkrete Auslegung des Komplementaritätsgrundsatzes und die tatsächlichen Voraussetzungen, welche die Zuständigkeit des IStGH begründeten, waren im Verfahren gegen Bemba Gegenstand intensiver juristischer Prüfung. Die Fragen der Zulässigkeit des Verfahrens bzw. der Zuständigkeit des Gerichts wurden hierbei überwiegend erst in der Phase des Vorverfahrens, also nicht schon im Rahmen der Ermittlungen, erörtert. Um Parallelität zum Stuttgarter Verfahren herzustellen, soll diese Thematik vorangestellt werden. a) Vorliegen der Gerichtsbarkeit des IStGH Da der Komplementaritätsgrundsatz im Allgemeinen bereits oben erörtert wurde,45 beschränken sich folgende allgemeine Ausführungen auf die übrigen Gerichtsbarkeits- und Zulässigkeitsvoraussetzungen. Der Komplementarität soll aufgrund der intensiven Diskussion im Verfahren ein eigener Abschnitt gewidmet werden.46 Die Frage, wann der IStGH zuständig ist, ist diffizil und wird gelegentlich als „überkomplex“ bezeichnet, da verschiedene Fragen der Gerichtsbarkeit, Auslösemechanismen und das bereits benannte Prinzip der Komplementarität berücksichtigt

te.de/information/reportage-dokumentation/dokus/videos/die-kriegstreiber-von-nebenandeutschland-und-der-terror-im-kongo-100.html, zuletzt augerufen am 29.08.2019. 42 Vgl. Heinsch, in: BT- Drucksache 18/6341. 43 Vgl. Ritscher, in: Safferling/Kirsch, Völkerstrafrechtspolitik: Praxis des Völkerstrafrechts, 2014, 223 (224). 44 Vgl. GBA, NStZ 2010, 581 f. 45 Vgl. Ausführungen unter D. I. 46 Vgl. Ausführungen unter D. I. 2. b) dd).

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werden müssen.47 In concreto wird für die Frage, wann die Strafverfolgung durch den IStGH rechtmäßigerweise zu erfolgen hat, zwischen Zuständigkeit bzw. Gerichtsbarkeit48 und Zulässigkeit49 bzw. Komplementarität unterschieden, wobei die Terminologie in der Literatur uneinheitlich verwendet wird. So wird selbst in der amtlichen deutschen Übersetzung „Jurisdiction“ sowohl mit Zuständigkeit als auch mit Gerichtsbarkeit übersetzt.50 Damit die Gerichtsbarkeitsvoraussetzungen erfüllt sind, müssen materielle bzw. sachliche („jurisdiction ratione marterie“), zeitliche („jurisdiction ratione temporis“), formelle51 und persönliche Elemente vorliegen.52 Materiell bzw. sachlich muss ein Verbrechen im Sinne von (Art. 12 Abs. 1 IStGHSt i. V. m. Art. 5 IStGHSt) vorliegen,53 also eines der völkerrechtlichen Kernverbrechen („core crimes“):54 Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen oder Verbrechen der Aggression. Zeitlich muss das zu verfolgende Verbrechen nach dem Inkrafttreten – auch im betroffenen Staat – des Statuts begangen worden sein, Art. 11 Abs. 1, 2 IStGHSt. In formeller Hinsicht muss alternativ entweder der Tatortstaat, Art. 12 Abs. 2 a) IStGHSt oder der Täterstaat, Art. 12 Abs. 2 b) IStGHSt Vertragspartei sein oder ein Nicht-Vertragsstaat eine sog. Ad-hoc-Unterwerfung unter das Statut im Sinne von Art. 12 Abs. 3 IStGHSt abgegeben haben.55 Aus dem Umkehrschluss von Art. 12 Abs. 2 i. V. m. Art. 13 b) IStGHSt wäre der Gerichtshof unabhängig vom Tatort oder der Staatsangehörigkeit des Täters auch zuständig, wenn der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen dem Gerichtshof eine Situation auf der Grundlage von Kapitel VII der VN-Charta überweisen würde.56 Daneben muss die Gerichtsbarkeit noch in persönlicher Hinsicht begründet sein, was der Fall ist, wenn die beschuldigte Person

47

Vgl. Safferling, 2011 § 7 Rn. 12 ff. Vgl. Ambos, 2018, § 8 Rn. 4 ff. und Esser, 2018, § 21 Rn. 7 ff. sprechen von Zuständigkeit; Safferling, 2011, § 7 Rn. 13 ff. von Gerichtsbarkeit. 49 Vgl. Ambos, 2018 § 8 Rn. 10 ff., der den Grundsatz der Komplementarität unter dem Begriff „Zulässigkeitsvoraussetzungen“ erörtert; Esser, 2018, § 21 Rn. 22 ff. und Safferling, 2011, § 7 Rn. 22 verzichten auf den Überbegriff der Zulässigkeit und sprechen nur von „Komplementarität“. 50 Vgl. Safferling, 2011, § 7 Rn. 12 Fn. 17. 51 Diese Voraussetzung fordern explizit Ambos, 2018, § 8 Rn. 5 ff.; Safferling, 2011, § 7 Rn. 15; Esser, 2018, § 21 Rn. 7 f. fasst diese Thematik unter „Örtliche/Persönliche Zuständigkeit“; Satzger, 2018, § 14 Rn. 9, unter „Örtliche Zuständigkeit bzw. Anknüpfungspunkt“. 52 Vgl. Schaubild 13 in Ambos, 2018, § 8 Rn. 6; Esser, 2018, § 21 Rn. 6; Safferling, 2011, § 7 Rn. 13. 53 Vgl. Schabas, 20. Aufl. 2016, Art. 12 351. 54 Vgl. Ambos, 2018 § 7 Rn. 117 ff.; Esser, 2018, § 21 Rn. 12; Safferling, § 7 Rn. 13. 55 Vgl. Schaubild 13 in Ambos, 2018, § 8 Rn. 6; Prüfungsschema in Safferling, 2011, § 7 Rn. 29. 56 Vgl. Ambos, 2018, § 8 Rn. 8; Werle/Jeßberger, 2016, Rn. 298. 48

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eine natürliche Personen, Art. 1, 25 Abs. 1 IStGHSt ist, die zum Zeitpunkt der angeblichen Begehung der Verbrechen mindestens 18 Jahre alt war, Art. 26 IStGHSt.57 Wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, muss das Verfahren noch über einen Auslösemechanismus aktiviert werden („trigger mechanism“).58 Hierfür bestehen die Möglichkeiten der Staatenbeschwerde im Sinne von Art. 13 a), 14 IStGHSt,59 des Beschlusses des VN-Sicherheitsrates, Art. 13 b) IStGHSt60 und der eigenständigen Ermittlungen des Chefanklägers, Art. 13 c), 15 Abs. 1 IStGHSt.61 Hinzu kommen noch weitere Fragen der Zulässigkeit, insbesondere die der ausreichenden Schwere der Tat im Sinne von Art. 17 Abs. 1 d) IStGHSt und der bereits angesprochenen Komplementarität im Sinne von Art. 17 IStGHSt. Wie sich die Frage der Gerichtsbarkeit und Zulässigkeit der Strafverfolgung entwickelte, soll im Folgenden dargestellt werden. b) Gerichtsbarkeit im Verfahren gegen Bemba Die während des Verfahrens vornehmlich von der Verteidigung vorgebrachten Einwände gegenüber der Gerichtsbarkeit des IStGH bezogen sich zum einen auf die ausreichende Schwere der Verbrechen, Art. 17 Abs. 1 d) IStGHSt und zum anderen auf die Voraussetzungen der Komplementarität, insbesondere, ob nicht die Zentralafrikanische Republik als Tatortstaat sachnäher ermitteln sollte bzw. ob dies nicht schon erfolgt sei und die Gerichtsbarkeit des IStGH entfallen sei. Zu den Voraussetzungen der Zuständigkeit im Einzelnen: aa) Materielle Zuständigkeit Auf materieller Ebene standen nur solche Verbrechen zur Disposition, die zu den Kernverbrechen des Art. 5 IStGHSt gehören. Hinsichtlich des Verdachtsgrades ist auf die Ausführungen zur Einleitung der Ermittlungen durch den Ankläger62 und die Bestätigung der Anklage zu verweisen.63

57 58 59 60 61 62 63

Vgl. Ambos, 2018, § 8 Rn. 4; Esser, 2018, § 21 Rn. 9; Safferling, 2011, § 7 Rn. 16. Vgl. anstatt vieler Ambos, 2018, § 8 Rn. 7; Satzger, 2018, § 14 Rn. 12 ff. Vgl. anstatt vieler Ambos, 2018, § 8 Rn. 7; Satzger, 2018, § 14 Rn. 13. Vgl. anstatt vieler Ambos, 2018, § 8 Rn. 7; Satzger, 2018, § 14 Rn. 16. Vgl. anstatt vieler Ambos, 2018, § 8 Rn. 7; Satzger, 2018, § 14 Rn. 15. Vgl. Ausführungen unter D. II. 2. Vgl. Ausführungen unter C. II. 2.

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bb) Zeitliche und persönliche Zuständigkeit Die in Rede stehenden bzw. angeklagten Verbrechen ereigneten sich zwischen 26. Oktober 2002 und 15. März 2003.64 Die Zentralafrikanische Republik unterzeichnete das Römische Statut am 07. Dezember 1999 und ratifizierte es am 03. Oktober 2001,65 sodass die zeitliche Zuständigkeit gegeben war. Das Vorliegen der persönlichen Voraussetzungen bedarf ebenfalls keiner näheren Betrachtung, da insbesondere nicht die MLC als juristische Person, sondern Bemba als natürliche Person angeklagt wurde, Art. 25 Abs. 1 IStGHSt. cc) Auslösemechanismus Am 21. Dezember 200466 trug die Regierung der Zentralafrikanischen Republik mit einem Brief vom 18. Dezember 200467 die Situation an den IStGH heran und bezog sich auf mögliche Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen, die auf ihrem Territorium seit dem 01. Juli 2002 (Tag des Inkrafttretens des Römischen Statuts im Sinne von Art. 11 Abs. 1 IStGHSt)68 begangen wurden. Somit lag der Auslösemechanismus der Staatenbeschwerde im Sinne von Art. 13 a) IStGHSt i. V. m. Art. 14 Abs. 1 IStGHSt vor und das Verfahren war eigentlich aktiviert. Die Rechtmäßigkeit der Staatenvorlage griff jedoch die Verteidigung unter dem Begriff der Komplementarität („complementarity“) mit der Begründung an, die Staatenvorlage gemäß Art. 14 IStGHSt sei durch den Ankläger provoziert worden, um das eigeninitative Verfahren gemäß Art. 15 Abs. 1 IStGHSt zu umgehen, welches eine gerichtliche Überprüfbarkeit bereits im Vorermittlungsstadium gezeitigt hätte, vgl. Art. 15 Abs. 3 IStGHSt.69 Der Ankläger und damit das gesamte Verfahren sei somit der Gefahr der politischen Manipulation durch die unrechtmäßige Übergangsregierung in der Zentralafrikanischen Republik ausgesetzt.70 Angeblich sei es 64

ICC-01/05-01/08-950-Red-AnxA 13-10-2010 Corrected Revised Second Amended Document Containing the Charges, par. 12 ff.; ICC-PIDS-CIS-CAR-01 – 020/18_Eng Case Information Sheet v. 08.06.2018, abrufbar unter https://www.icc-cpi.int/car/bemba/Documents/ BembaEng.pdf, zuletzt zugegriffen am 05.09.2018. 65 Vgl. https://asp.icc-cpi.int/en_menus/asp/states%20parties/african%20states/Pages/cen tral%20african%20republic.aspx, zuletzt zugegriffen am 04.09.2018. 66 ICC-PIDS-CIS-CAR-01-020/18_Eng Case Information Sheet v. 08.06.2018, abrufbar unter https://www.icc-cpi.int/car/bemba/Documents/BembaEng.pdf, zuletzt zugegriffen am 05.09.2018. 67 ICC-01/05 – 16-US-Exp-Anx1-A, zitiert nach ICC-01/05-01/08-14-tENG 08-06-10 Decision on the Prosecutor’s Application for a Warrant of Arrest against Jean-Pierre Bemba Gombo, par. 1; ICCOTP2005010786 Pressemitteilung des Anklägers vom 05.01.2005. 68 Gemäß Amtl. Anmerkung zu Art. 126 Abs. 1 IStGHSt. 69 ICC-01/05-01/08-802 24-06-2010 Decision on the Admissibility and Abuse of Process Challenge, par. 75. 70 ICC-01/05-01/08-802 24-06-2010 Decision on the Admissibility and Abuse of Process Challenge, par. 75.

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zu verschiedenen Treffen zwischen dem Ankläger und zentralafrikanischen Behörden gekommen, über die aber pflichtwidrig keine schriftlichen Berichte vorgelegt wurden.71 Da allerdings keinerlei Belege für die Beeinflussung der Staatenvorlage ersichtlich waren, wurde dieser Einwand von Hauptverfahrens- und Berufungskammer in den im Folgenden näher erörterten Zwischenentscheidungen abgewiesen.72 dd) Komplementarität Als am 10. Juni 2008 der endgültige Haftbefehl gegen Bemba erging73 und den vorläufigen vom 23. Mai 200874 ersetzte, ging man davon aus, dass die Zulässigkeit, ohne Weiteres gegeben wäre, da insbesondere auch die Komplementaritätsvoraussetzungen gegeben waren, zumal weder von Seiten der Zentralafrikanischen Republik noch der DR Kongo eigene Strafverfolgungsbemühungen ersichtlich waren, insbesondere die nationalen Behörden der Zentralafrikanischen Republik aus Immunitätsgründen von einer Strafverfolgung absahen.75 Dass eine Vorverfahrenskammer diese Frage von Amts wegen adressierte ist ein Ausnahmefall, da die sonstigen Vorverfahrenskammern erst auf die Anfechtung gemäß Art. 19 Abs. 2 IStGHSt tätig wurden.76 Am 25. Februar 2010, also bereits nach Abschluss des Zwischenverfahrens, Bestätigung der Anklage und Gründung der Hauptverfahrenskammer, griff die Verteidigung mit einer Rüge gemäß Art. 19 Abs. 2 IStGHSt die Zulässigkeit des Verfahrens an.77 Zuvor hatte bereits die Vorverfahrenskammer in ihrer Entscheidung vom 15. Juni 2009 zur Bestätigung der Anklage zur Zulässigkeit Stellung genommen, ebenfalls wieder ohne, dass ein entsprechender Antrag der gemäß Art. 19 Abs. 2 IStGHSt zur Anfechtung berechtigten Beteiligten vorlag. Da sich seit der Entscheidung vom 10. Juni 2008 keine weiteren Erkenntnisse ergeben hatten, hielt 71

ICC-01/05-01/08-802 24-06-2010 Decision on the Admissibility and Abuse of Process Challenge, par. 149. 72 ICC-01/05-01/08-802 24-06-2010 Decision on the Admissibility and Abuse of Process Challenge, par. 259. 73 ICC-01/05-01/08-15-tENG 25-07-2008 Warrant of Arrest for Jean-Pierre Bemba Gombo replacing the Warrant of Arrest Issued on 23 May 2008. 74 ICC-01/05-01/08-14-tENG 17-07-2008 Decision on the Prosecutor’s Application for a Warrant of Arrest against Jean-Pierre Bemba Gombo. 75 ICC-01/05-01/08-15-tENG 25-07-2008 Warrant of Arrest for Jean-Pierre Bemba Gombo replacing the Warrant of Arrest Issued on 23 May 2008. par. 11, 16 bezugnehmend auf ICC-01/ 05-01/08-14-tENG 17-07-2008 Decision on the Prosecutor’s Application for a Warrant of Arrest against Jean-Pierre Bemba Gombo, par. 21. 76 Vgl. Trifterer/Ambos/Hall/Nsereko/Ventura, 3. Aufl. 2016, Art. 19 Rn. 8. 77 Eine öffentliche Version des Anfechtungsschriftsatzes wurde nach mehrmaliger Überarbeitung erst am 09.04.2010 veröffentlicht unter ICC-01/05-0l/08-704-Red3-tENG, zitiert nach ICC-01/05-01/08-802 24-06-2010 Decision on the Admissibility and Abuse of Process Challenges, Fn. 2.

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sie die Gerichtsbarkeit – ohne wiederholende Ausführungen – für nach wie vor begründet.78 (1) Rechtzeitigkeit der Rüge Unklar war allerdings, ob die Anfechtung gemäß Art. 19 Abs. 2 a) IStGHSt überhaupt noch rechtzeitig gemäß Art. 19 Abs. 4 S. 2 IStGHSt erfolgen konnte. Hiernach erfolgt die Anfechtung vor oder bei der Eröffnung des Hauptverfahrens. Worin die Eröffnung des Hauptverfahrens liegt, wird unter den Hauptverfahrenskammern des IStGH unterschiedlich gesehen.79 Die Hauptverfahrenskammer I sieht für die Zwecke des Art. 61 Abs. 9 IStGHSt die wahre Eröffnung des Hauptverfahrens erst dann als erfolgt an, nachdem die Eröffnungsplädoyers („opening statements“) erfolgt sind und vor dem Übertritt in die Beweisaufnahme mit dem ersten Zeugenaufruf.80 Die Hauptverfahrenskammer II hingegen sieht den entscheidenden Zeitpunkt bereits in der Einreichung der Entscheidung der Vorverfahrenskammer, die die Anklagepunkte bestätigt und die Gründung der Hauptverfahrenskammer einleitet.81 Hintergrund letzterer Überlegungen ist es, dass keine Plattform für Verfahrensverzögerungen geboten werden und die Frage der Gerichtsbarkeit möglichst frühzeitig geklärt sein sollte.82 Da die Hauptverfahrenskammer bereits am 18. September 2009 eingesetzt wurde, musste diese Frage geklärt werden.83 Die im Bemba-Verfahren entscheidende Kammer III schloss sich der erstgenannten Meinung an. Zwischen Einsetzung der Hauptverfahrenskammer und den eröffnenden Reden, die sich auf den vorbereiteten Fall und die gesammelten Beweismittel beziehen, kann eine längere Zeitspanne liegen, in der noch wesentliche Beweismittel erhoben und gesichtet werden können. Die eigentliche Eröffnung des (Haupt-) Verfahrens, in dem es um die Erörterung der vorerst finalen Aktenlage gehe („merits of the case“), liege daher erst in den Eröffnungsplädoyers.84 Eine Rückverlegung auf den Zeitpunkt der Einsetzung der Hauptverfahrenskammer würde den Wortlaut des Art. 19 Abs. 4 IStGHSt unnötig einschränken.85 Auch angesichts des Komplemen78

ICC-01/05-01/08-424 15-06-2009 Decision Pursuant to Article 61(7)(a) and (b) of the Rome Statute on the Charges of the Prosecutor Against Jean-Pierre Bemba Gombo, par. 22 ff. 79 ICC-01/05-01/08-802 24-06 – 2010 Decision on the Admissibility and Abuse of Process Challenge, par. 205 ff. 80 ICC-0l/04-01/06 – 1084, par. 39, zitiert nach ICC-01/05-01/08-802 24-06-2010 Decision on the Admissibility and Abuse of Process Challenge, par. 205. 81 ICC-01/04-01/07-1213-tENG 15-07-2009 Reasons for the Oral Decision on the Motion Challenging the Admissibility of the Case (Article 19 of the Statute), par. 49 f. 82 ICC-01/05-01/08-802 24-06-2010 Decision on the Admissibility and Abuse of Process Challenge, par. 208. 83 ICC-01/05 – 01/08 – 534 18 – 09 – 2009 Decision constituting Trial Chamber III and referring to it the case of The Prosecutor v. Bemba Gombo. 84 ICC-01/05-01/08-802 24-06-2010 Decision on the Admissibility and Abuse of Process Challenges, par. 210 f. 85 ICC-01/05-01/08-802 24-06-2010 Decision on the Admissibility and Abuse of Process Challenges, par. 210; Schabas, 2. Aufl. 2016, Art. 19, 496.

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taritätsgrundsatzes, wonach der IStGH nach Möglichkeit nicht mit der Strafverfolgung befasst werden soll, erscheint eine möglichst lange Entscheidungsphase und späte Entscheidung über die Frage der finalen Zuständigkeit als konsequent.86 Unabhängig von der Frage der Rechtzeitigkeit des Anfechtungsschriftsatzes der Verteidigung hätte jedoch das Gericht selbst, ebenso wie die Vorfahrenskammer zuvor, die Frage der Zulässigkeit von Amts wegen gemäß Art. 19 Abs. 1 IStGHSt erneut prüfen können.87 (2) Inhaltliche Einwände Inhaltlich erhob Bemba, vertreten durch seine Verteidigung, im Wesentlichen drei Einwände gegen die Zulässigkeit ein: 1) Zum einen, dass in der Zentralafrikanischen Republik bereits effektive nationale Ermittlungen und ein Gerichtsverfahren erfolgt seien und daher das Verfahren vor dem IStGH unzulässig gemäß Art. 17 Abs. 1 b) bzw. c) IStGHSt wäre.88 2) Zum anderen läge keine ausreichende Schwere der Taten im Sinne von Art. 17 Abs. 1 d) IStGHSt vor.89 Daneben 3) wandte die Verteidigung ein, dass ein Missbrauch des Verfahrens im Allgemeinen vorläge.90 (3) Prozessualer Ablauf: Status Conferences Allein für diese Frage der Zulässigkeit des Verfahrens wurde ein eigenes „Zwischenverfahren“ abgehalten. So erfolgte bereits am 08. März 2010 eine status conference, um das Verfahren gemäß Regel 58 Ziff. 2 VBO für die Zulässigkeitsrüge festzulegen, Es wurden unter anderem die Zentralafrikanische Republik und die DR Kongo aufgefordert, Stellungnahmen abzugeben.91 Am 27. April 2010 folgte eine mündliche Verhandlung, bei der die Zentralafrikanische Republik, die Parteien und die Verfahrensvertreter der Opfer mündlich und im Nachgang auch schriftlich ihre Stellungnahmen abgeben konnten.92 Am 24. Juni 2010 konnte die Hauptverfahrenskammer die Zulässigkeit vorläufig feststellen.93 86 Vgl. zum Ganzen auch Schabas, 2. Aufl. 2016, Art. 19, 495 f.; Triffterer/Ambos/Hall/ Nsereko/Ventura, 3. Aufl. 2016, Art. 19 Rn. 40 ff. 87 The Prosecutor vs. Kony et al. ICC-02/04/-01/05-377 10-03-2009, Decision on Admissibility oft he Case under Article 19 (1) oft he Statute, par. 29; Trifterer/Ambos/Hall/ Nsereko/Ventura, Art. 19 Rn. 8 ff. 88 ICC-01/05-01/08-802 24-06-2010 Decision on the Admissibility and Abuse of Process Challenges, par. 74. 89 ICC-01/05-01/08-802 24-06-2010 Decision on the Admissibility and Abuse of Process Challenges, par. 74, 97 ff. 90 ICC-01/05-01/08-802 24-06-2010 Decision on the Admissibility and Abuse of Process Challenges, par. 145 ff. 91 ICC-01/05-01/08-T-20-Red-ENG WT2 08-03-2010 1/29 EA T, 2. 92 ICC-01/05-01/08-T-22-ENG CT WT 27-04-2010 1/71 EA T; 2010 Corrigendum to Judgment on the appeal of Mr Bemba Gombo against the decision of Trial Chamber III of 24 June 2010 entitled „Decision on the Admissibility and Abuse of Process Challenges“, par. 23 ff.

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(4) Entscheidung der Hauptverfahrenskammer Im Ergebnis drang die Verteidigung mit Ihren Argumenten nicht durch: Weder die Hauptverfahrenskammer in ihrer Entscheidung vom 24. Juni 2010 noch auf die Beschwerde hin die Berufungskammer in ihrer Entscheidung vom 19. Oktober 2010 halfen dem Antragsbegehren ab.94 Der Einwand, dass bereits in der Zentralafrikanischen Republik ein Strafverfahren im Sinne von Art. 17 Abs. 1 c) IStGHSt gelaufen wäre, erwies sich als unbegründet, da vor den nationalen Gerichten keine Sachentscheidung ergangen war, die sich auf die vor dem IStGH gegenständlichen Vorwürfe bezog, Art. 20 Abs. 3 IStGHSt.95 Erstinstanzlich lag dort nämlich nur eine Entscheidung des Ermittlungsrichters („Senior Investigating Judge“) vom 16. September 2004 vor,96 die als eine Art abschließende Regelung gesehen werden konnte. In der benannten Entscheidung lehnte der Ermittlungsrichter die Verfolgung Bembas wegen diplomatischer Immunität als Vizepräsident der DR Kongo ab.97 Dass dies kein Verfolgungshindernis für den IStGH darstellen kann, ergibt sich bereits aus Art. 27 Abs. 2 IStGHSt, wonach Immunitäten oder besondere Verfahrensregeln den Gerichtshof nicht an der Ausübung seiner Gerichtsbarkeit hindern können.98 Hiergegen legte der zuständige Staatsanwalt („Deputy Prosecuter“) bereits am 17. September 2004 Beschwerde ein.99 Das innerstaatliche Verfahren100 führte zu einer Entscheidung der Anklagekammer des Berufungsgerichts („Indictment Chamber of the Bangui Court of Appeal“) vom 16. Dezember 2004, wonach die Strafverfolgung dem IStGH vorgelegt werden sollte.101 Am 11. April 2006 bestätigte das oberste Gericht der Zentralafrikanischen Republik, der „Cour de Cassation“ die Entscheidung vom 16. Dezember 2004 und erklärte, dass die internationale Straf93 ICC-01/05-01/08-802 24-06-2010 Decision on the Admissibility and Abuse of Process Challenges. 94 ICC-01/05-01/08-962-Corr 19-10-2010 Corrigendum to Judgment on the Appeal of Mr Bemba Gombo against the Decision of Trial Chamber III of 24 June 2010 entitled „Decision on the Admissibility and Abuse of Process Challenges“. 95 ICC-01/05-01/08-802 24-06-2010 Decision on the Admissibility and Abuse of Process Challenges, par. 248. 96 Ebd. 97 ICC-01/05-01/08-962-Corr 19-10-2010 Corrigendum to Judgment on the Appeal of Mr Bemba Gombo against the Decision of Trial Chamber III of 24 June 2010 entitled „Decision on the Admissibility and Abuse of Process Challenges“, par. 38. 98 Vgl. Triffterer/Ambos/Triffter/Burchard, Art. 27 Rn. 23 ff.; weder in der Entscheidung der Hauptverfahrenskammer noch in der der Berufungskammer finden sich Ausführungen dazu. 99 ICC-01/05-01/08-770-Anx2, 3. 100 Für den gesamten nationalen Verfahrensverlauf vgl. ICC-01/05-01/08-802 24-06-2010 Decision on the Admissibility and Abuse of Process Challenges, par. 2 ff. 101 ICC-01/05-01/08-721-Conf-Exp-Anx 18, zitiert nach ICC-01/05-01/08-802 24-06-2010 Decision on the Admissibility and Abuse of Process Challenges, Fn. 19.

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verfolgung die einzige Möglichkeit sei, Straflosigkeit für die Verbrechen nach dem 01. Juli 2002 zu vermeiden. Außerdem sei die zentralafrikanische Justiz, alleine aus finanziellen Gründen nicht in der Lage, die Taten ausreichend zu ermitteln.102 Somit läge Unvermögen im Sinne des Statuts vor und die Verfolgung durch den IStGH ist zulässig und geboten.103 Angesichts dessen war die Hauptverfahrenskammer der Ansicht, dass zum einen Art. 17 Abs. 1 b) IStGHSt nicht eingreife, da außer der Entscheidung des Ermittlungsrichters, keine Entscheidung vorlag, die Taten nicht zu verfolgen, sondern es vielmehr das Begehren gerade der nationalen Behörden sei, die Situation dem Gerichtshof zu unterbreiten und Verfolgungsabsicht gegeben sei.104 Daher sei bereits das erste Element von Art. 17 Abs. 1 b), nämlich, dass der betreffende Vertragsstaat beschlossen habe, die Sache nicht strafrechtlich zu verfolgen, nicht erfüllt. Auf das zweite Element „Unfähigkeit bzw. Unwilligkeit“ käme es daher nicht mehr an.105 Diese Feststellung wurde von der Berufungskammer ausdrücklich bestätigt.106 Anderenfalls würde das absurde Ergebnis bestehen, dass die Beendigung der nationalen Verfolgung und Überstellung an den IStGH zur Unzulässigkeit des internationalen Verfahrens führen würde.107 Außerdem sei auch Art. 17 Abs. 1 c) IStGHSt nicht einschlägig, da die Entscheidung des Ermittlungsrichters die Unzulässigkeit nicht begründen könne. Dies könne nur eine Sachentscheidung („Decision on the merits“) eines Strafgerichts, in diesem Falle des „Cour Criminelle“.108 Zum Vorbringen, dass die Sache keine ernsthafte Schwere im Sinne von Art. 17 Abs. 1 d) IStGHSt aufweise, verwies die Hauptverfahrenskammer lediglich auf die diese Frage bejahende Entscheidung der Vorverfahrenskammer und darauf, dass diese Entscheidung zuvor nicht angefochten wurde.109 Dies scheint im ersten Mo102 ICC-01/05-01/08-802 24-06-2010 Decision on the Admissibility and Abuse of Process Challenges, par. 245. 103 ICC-01/05-01/08-802 24-06-2010 Decision on the Admissibility and Abuse of Process Challenges, par. 15. 104 ICC-01/05-01/08-802 24-06-2010 Decision on the Admissibility and Abuse of Process Challenges, par. 243. 105 ICC-01/05-01/08-802 24-06-2010 Decision on the Admissibility and Abuse of Process Challenges, par. 239 ff. 106 ICC-01/05-01/08-962 19-10-2010 Corrigendum to Judgment on the Appeal of Mr Bemba Gombo against the Decision of Trial Chamber III of 24 June 2010 entitled „Decision on the Admissibility and Abuse of Process Challenges“, par. 1. 107 ICC-01/05-01/08-962-Corr 19-10-2010 Corrigendum to Judgment on the Appeal of Mr Bemba Gombo against the Decision of Trial Chamber III of 24 June 2010 entitled „Decision on the Admissibility and Abuse of Process Challenges“, par. 74. 108 ICC-01/05-01/08-802 24-06-2010 Decision on the Admissibility and Abuse of Process Challenges, par. 248. 109 ICC-01/05-01/08-802 24-06-2010 Decision on the Admissibility and Abuse of Process Challenges, par. 249.

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ment der Pflicht des Art. 19 Abs. 1 S. 1 IStGHSt zu widersprechen, wonach der Gerichtshof sich zu vergewissern hat, dass die bei ihm anhängig gemachte Sache seiner Gerichtsbarkeit unterfällt.110 Der Hinweis versteht sich aber, wenn man die Formulierung „anhängig gemacht“ („brought before“) auch als zeitlichen Hinweis betrachtet, wonach die Prüfung der ausreichenden Schwere vornehmlich der Vorverfahrenskammer auferlegt ist, unabhängig davon, dass die Frage auch weiteren Verlauf noch aufgegriffen werden kann. Die unterlassene erneute Prüfung des Merkmals der ausreichenden Schwere durch die bereits befasste Hauptverfahrenskammer erscheint demzufolge als Ausübung des in Art. 19 Abs. 1 S. 2 IStGHSt eingeräumten Ermessens vor dem Hintergrund vertretbar, dass diesbezüglich ein substantiierter, neuer Vortrag der Verteidigung nicht ersichtlich war. Eine solch rudimentäre Prüfung im bereits fortgeschrittenen Stadium ist durchaus üblich.111 Den Vorwurf des Prozessmissbrauches und die inzwischen vorliegende Unmöglichkeit eines fairen Verfahrens begründete die Verteidigung unter anderem damit, dass der Ankläger 1) Beweismittel hinsichtlich des vorläufigen Haftbefehls unvollständig offengelegt habe,112 2) das Verfahren politisch missbraucht werde und 3) der Angeklagte mit rechtswidrigen Mitteln vor den IStGH gestellt wurde.113 Unter dem Hinweis, dass die Beweislast für den Einwand des Prozessmissbrauchs bei der Verteidigung läge114 und diese für keinen der Vorwürfe greifbare Indizien vorlegen konnte, wurde der Antrag der Verteidigung diesbezüglich abgelehnt.115 (5) Entscheidung der Berufungskammer Gegen die Entscheidung legte Bemba am 28. Juni 2010 Beschwerde gemäß Art. 82 Abs. 1 a) IStGHSt i. V. m. Regel 158 Abs. 1 VBO ein und stellte diese auf folgende Grundlagen. Zum einen (first ground of appeal) ging die Hauptverfahrenskammer ging rechtsfehlerhaft davon aus, dass die Entscheidung des Ermittlungsrichter keine finale Ablehnung der Verfolgung darstellte.116 Dem folgte die Berufungskammer jedoch im Ergebnis nicht, da die Verteidigung nichts vorlegen

110

Vgl. Triffterer/Ambos/Hal/Nsereko/Ventural, 3. Aufl. 2016, Art. 19 Rn. 2. Vgl. hierzu Triffterer/Ambos/Hal/Nsereko/Ventural, 3. Aufl. 2016, Art. 19 Rn. 12. 112 ICC-01/05-01/08-802 24-06-2010 Decision on the Admissibility and Abuse of Process Challenges, par. 249. 113 ICC-01/05-01/08-802 24-06-2010 Decision on the Admissibility and Abuse of Process Challenges, par. 148. 114 ICC-01/05-01/08-802 24-06-2010 Decision on the Admissibility and Abuse of Process Challenges, par. 67. 115 ICC-01/05-01/08-802 24-06-2010 Decision on the Admissibility and Abuse of Process Challenges, par. 262. 116 ICC-01/05-01/08-962-Corr 19-10-2010 Corrigendum to Judgment on the Appeal of Mr Bemba Gombo against the Decision of Trial Chamber III of 24 June 2010 entitled „Decision on the Admissibility and Abuse of Process Challenges“, par. 35 ff. 111

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konnte, was das Abstellen auf die obersten Gerichtsentscheidungen der Zentralafrikanischen Republik fehlerhaft erscheinen ließ. 117 Zum anderen („second ground of appeal“) rügte Bemba, dass auf seinen Antrag hin kein weiterer Sachverständiger für das zentralafrikanische Recht hinzugezogen wurde. In der status conference am 27. April 2010 wurde ein entsprechender Antrag abgelehnt, da für diese Rechtsfrage kein Sachverständiger nötig sei und das Problem ausreichend durch anwaltlichen Vortrag erörtert werden könne.118 Auch hier hielt die Berufungskammer die Entscheidung der Hauptverfahrenskammer mit der Begründung, dass Bemba es nicht gelang, die Mindestvoraussetzungen vorzutragen, die eine Entscheidung über diesbezügliche Fehler der Hauptverfahrenskammer bewirken könnten, da kein Vortrag erfolgte, der eine Beeinflussung der Entscheidung der Hauptverfahrenskammer indizieren konnte.119 Auch den dritten Beschwerdegrund („third ground of appeal“) lehnte die Berufungskammer ab. Bemba hatte gerügt, dass die Hauptverfahrensammer im Rahmen der Feststellungen zu Art. 17 Abs. 1 b) IStGHSt einen prozessrechtlichen Fehler beging, indem sie die Unfähigkeit der nationalen Strafverfolgungsbehörden, nach seiner Auffassung, ohne ausreichende Beweise annahm.120 Da es auch nach Auffassung der Berufungskammer auf die „Unfähigkeit“ nicht mehr ankam, weil bereits die zweite Voraussetzung, eine die Verfolgung ablehnende Entscheidung der nationalen Behörden, nicht auszumachen war, wurde auch dieser Punkt abgelehnt.121 Im vierten Beschwerdegrund („fourth ground of appeal“) wandte sich Bemba gegen die Annahme der Hauptverfahrenskammer, dass die jüngsten rechtlichen Bemühungen der Verteidigung vor dem „Court of Appeal of Bangui“, die am 06./08./ 16. April 2010 erfolgten, einen Prozessmissbrauch darstellten, da diese ohne erkennbaren Grund extrem spät, ca. vier Jahre nach der letzten gerichtlichen Entscheidung, erfolgten.122 Auch diesen Beschwerdegrund lehnte die Berufungskammer

117 ICC-01/05-01/08-962-Corr 19-10-2010 Corrigendum to Judgment on the Appeal of Mr Bemba Gombo against the Decision of Trial Chamber III of 24 June 2010 entitled „Decision on the Admissibility and Abuse of Process Challenges“, 74 f. 118 ICC-01/05-01/08-T-22-ENG CT WT, 2. 119 ICC-01/05-01/08-962-Corr 19-10-2010 Corrigendum to Judgment on the appeal of Mr Bemba Gombo against the decision of Trial Chamber III of 24 June 2010 entitled „Decision on the Admissibility and Abuse of Process Challenges“, par. 103 ff. 120 ICC-01/05-01/08-962-Corr 19-10-2010 Corrigendum to Judgment on the appeal of Mr Bemba Gombo against the decision of Trial Chamber III of 24 June 2010 entitled „Decision on the Admissibility and Abuse of Process Challenges“, par. 105. 121 ICC-01/05-01/08-962-Corr 19-10-2010 Corrigendum to Judgment on the appeal of Mr Bemba Gombo against the decision of Trial Chamber III of 24 June 2010 entitled „Decision on the Admissibility and Abuse of Process Challenges“, par. 109. 122 ICC-01/05-01/08-802 24-06-2010 Decision on the Admissibility and Abuse of Process Challenges, par. 231.

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mit der Begründung der fehlenden Kausalität eines Fehlers der Hauptverfahrenskammer ab.123 3. Zusammenfassung Die Komplexität der Frage, wann der IStGH zuständig ist, zeigte sich symptomatisch im Verfahren gegen Bemba: Die Frage der Zulässigkeit des Verfahrens war hier, anders als vor dem OLG Stuttgart, Gegenstand intensiver prozessualer Diskussion. Die Problematik führte sogar zu einem Aussetzen des Verfahrens und dem Abhalten mehrerer status conferences, die in Entscheidungen sowohl der Hauptverfahrenskammer als auch der Berufungskammer mündeten. Da Bemba keine durchschlagenden Argumente bzw. Beweise liefern konnte, wurde seinem Anliegen jedoch nicht abgeholfen. Angesichts der klaren Aussagen der nationalen Gerichte und der Vorlage durch die Zentralafrikanische Republik, war die Gerichtsbarkeit und die Zulässigkeit des Verfahrens gegeben. Im Verfahren vor dem OLG Stuttgart hat sich die Frage der konkurrierenden Zuständigkeit nicht im eigentlichen Straf-, sondern im Auslieferungsverfahren gestellt. Unabhängig davon wäre die Zuständigkeit grundsätzlich in jeder Lage des Verfahrens von Amts wegen zu prüfen gewesen, obgleich die Frage der Gerichtsbarkeit der deutschen Strafgerichte rechtstechnisch nicht von § 6 StPO umfasst ist, da dieser nur die sachliche Zuständigkeit adressiert. Vielmehr wäre eine Analogie zu §§ 7 ff. StPO zu ziehen und das sog. Gleichlaufprinzip von materieller Anwendbarkeit deutschen Strafrechts und internationaler Zuständigkeit anzuwenden gewesen.124 Bei Fehlen der Zuständigkeit, wäre das Verfahren einzustellen gewesen.125 Da jedoch im völkerstrafrechtlichen Bereich gemäß § 1 VStGB materiell das Weltrechtsprinzip gilt, erschöpft sich die Frage der internationalen Zuständigkeit und der Strafverfolgungskompetenz in den erläuterten Aspekten der Komplementarität und des § 153f StPO.

123 ICC-01/05-01/08-962-Corr 19-10-2010 Corrigendum to Judgment on the appeal of Mr Bemba Gombo against the decision of Trial Chamber III of 24 June 2010 entitled „Decision on the Admissibility and Abuse of Process Challenges“, par. 134 f. 124 Vgl. RGSt 43, 225 (226); SK-StPO/Weßlau/Weißer, 5. Aufl. 2016, § 6 Rn. 3; zum Ganzen Mankowski/Bock, JZ 2008, 555 (556). 125 Vgl. OLG Karlsruhe, JZ 1967, 419; Mankowski/Bock, JZ 2008, 555 (556).

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II. Vor- bzw. Ermittlungsverfahren Da nun die Fragen der Zuständigkeit der Strafverfolgungsorgane und Zulässigkeit der Strafverfolgung geklärt sind, kann auf die unterschiedlich austarierten Regularien und Phasen der jeweiligen Ermittlungsverfahren eingegangen werden. Ein Fokus der folgenden Gegenüberstellung soll auf den jeweiligen Übertrittsschwellen von einer Ermittlungs- bzw. Verfolgungsstufe in die nächste sein, deren Überschreiten umfassendere Eingriffsmöglichkeiten und Ermittlungsbefugnisse begründet.

1. Einleitung des Ermittlungsverfahrens: Vorermittlungs- und Ermittlungsverfahren nach der StPO Um die deutschen Strafverfolgungsbehörden, insbesondere die Staatsanwaltschaften zum Einleiten von Ermittlungen nach dem Legalitätsprinzip des § 152 Abs. 2 StPO zu berechtigen und zu verpflichten, bedarf es des sog. Anfangsverdachts,126 welcher vom Gesetz selbst als Begriff nicht genannt wird, jedoch anerkanntermaßen vorliegt, wenn zureichende tatsächliche Anhaltspunkte dafür vorliegen, dass eine Straftat begangen worden ist.127 Hierfür ist ausreichend, dass nach kriminalistischer Erfahrung die bloße Möglichkeit einer verfolgbaren Straftat gegeben ist.128 Dies gilt nach überwiegender Meinung unabhängig vom Gewicht der verfahrensgegenständlichen Straftat und ergibt sich auch daraus, dass das Gesetz die Bedeutung der Straftat erst als Voraussetzung bestimmter Ermittlungsmaßnahmen anlegt, etwa der im Jahr 2017 eingeführten Regelung der längerfristigen Observation gemäß § 163 f StPO.129 Ermittlungen im Vorfeld eines Anfangsverdachts, also Vorfeld- oder Initiativermittlungen, sind anders als sog. Vorermittlungen unzulässig.130 Die grundsätzlich erlaubten Vorermittlungen dienen der Erforschung, ob bereits bestehende Anhaltspunkte einen Anfangsverdacht begründen, sie müssen sich jedoch auf Maßnahmen ohne Grundrechtsrelevanz beschränken.131 Sobald der Anfangsverdacht vorliegt, stehen den Ermittlungsbehörden unterschiedliche Ermittlungsmaßnahmen zur Verfügung, die je nach Grundrechtsintensität unterschiedliche formelle und materielle Voraussetzungen erfüllen müssen, auf die im Einzelnen jedoch nicht einge126

Vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, 62. Aufl. 2019, § 152 Rn. 4. Vgl. KK-StPO/Diemer, 8. Aufl. 2019, StPO § 152 Rn. 7; SK-StPO/Weßlau/Weißer, 5. Aufl. 2016, § 152 Rn. 12. 128 Anstatt vieler: BGH, Urteil vom 21.04.1988 – III ZR 255/86. 129 Vgl. SK-StPO/Weßlau/Weißer, 5. Aufl. 2016, § 152, Rn. 12a; KK-StPO/Diemer, 8. Aufl. 2019, StPO § 152 Rn. 7, der die Anforderungen an die Tatsachenbasis nach der Bedeutung des Rechtsguts differenziert. 130 Vgl. SK-StPO/Weßlau/Weißer, 5. Aufl. 2016, Vor §§ 151 ff., Rn. 6 f.; BeckOK StPO/ Beukelmann, 34. Aufl., Stand: 01.07.2019, StPO § 152 Rn. 6.1. 131 Vgl. MüKoStPO/Peters, 1. Aufl. 2016, StPO § 152 Rn. 62 – 66. 127

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gangen werden soll, da eine breite Darstellung zu weit weg von der eigentlichen Thematik führen würde. Im Bereich der organisierten Kriminalität,132 insbesondere auch im völkerstrafrechtlichen Bereich, betreibt die Bundesanwaltschaft sog. Strukturermittlungsverfahren.133 Bei aktuellen Konfliktgeschehen, bei denen der begründete Verdacht besteht, dass Völkerstraftaten begangen wurden und damit § 152 Abs. 2 StPO im Raum steht, sollen Beweise dann gesichert werden, wenn sie zur Verfügung stehen; etwa wenn sich Personen zum Zwecke der Heilbehandlung in Deutschland aufhalten.134 Die dann mögliche Vernehmung von Tatzeugen, kann zur Einleitung von Strukturermittlungsverfahren gegen Unbekannt führen.135 Personenbezogene Ermittlungen werden an dieser Stelle noch nicht betrieben, sondern zunächst nur Strukturen und Tätergruppen untersucht.136 Wenn die Ermittlungen nicht auf die Durchführung eines Hauptverfahrens in Deutschland gerichtet sind, spricht man im Rahmen solcher Beweissicherungsverfahren von „antizipierter Rechtshilfe“ für nichtdeutsche Strafverfolgungsbehörden.137 Solche Strukturermittlungsverfahren wurden seitens des Generalbundesanwalts etwa auch in Bezug auf die Verbrechen des sog. Nationalsozialistischen Untergrundes (NSU) betrieben.138 Eine gesetzliche Regelung dieser Vorermittlungen gibt es in der StPO nicht. Solange nicht im Rahmen von belastendem Verwaltungshandeln in Grundrechte eingegriffen wird,139 ist die fehlende gesetzliche Normierung im deutschen Recht noch als unbedenklich zu betrachten. Bei der Ermittlung im Ausland sind die Ermittler der deutschen Behörden auf die Kooperationsbereitschaft der jeweiligen staatlichen Stellen angewiesen. Im deutschen Recht regelt zwar das Gesetz über die internationale Rechtshilfe in Strafsachen (IRG) den Rechtshilfeverkehr mit dem Ausland in strafrechtlichen Angelegenheiten, § 1 Abs. 1 IRG. Flankiert wird dies durch Richtlinien, die durch das Bundesjustizministerium herausgegeben werden, jedoch halten auch diese Richtlinien naturgemäß keine Sanktionsmöglichkeit gegenüber ausländischen, insbesondere nichteuropäischen Staaten bereit. Nach Ziff. III.1 der Richtlinien für den Verkehr mit der DR Kongo in strafrechtlichen Angelegenheiten erfolgt der Rechtshilfeverkehr ver132

Vgl. MüKoStPO/Böhm, 1. Aufl. 2014, StPO § 121 Rn. 74. Vgl. Jessberger, Schriftliche Stellungnahme zu BT Drucksache 18/6341, 5 f.; Ritscher, Schriftliche Stellungnahme zu BT Drucksache 18/6341, 4 f. 134 Vgl. Ritscher, Schriftliche Stellungnahme zu BT Drucksache 18/6341, 5. 135 Ebd. 136 Vgl. auch Defintion unter https://www.ecchr.eu/glossar/strukturermittlungsverfahren/, zuletzt zugegriffen am 03.01.2018. 137 Jessberger, Schriftliche Stellungnahme zu BT Drucksache 18/6341, 5; Böse, in: Jeßberger/Geneuss, Zehn Jahre Völkerstrafgesetzbuch, 2013, 167 (167). 138 Vgl. BT Drucksache Drucksache 18/5516, Antwort der Bundesregierung auf die kleine Anfrage von Abgeordeten der Fraktion Die Linke vom 08.07.2015, 2 f. 139 Vgl. zum Vorbehalt des Gesetzes etwa Sachs/Sachs, 8. Aufl. 2018, GG Art. 20 Rn. 113 ff. 133

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tragslos über diplomatische Beziehungen, Ziff. III.2.140 Gleiches gilt gemäß Ziff. I. und III. der Richtlinien für Ruanda. Beide Länder sind jedoch Mitglieder bei Interpol, dem jedoch ebenfalls keine effektive Sanktionsmöglichkeit bei mangelnder Kooperationsbereitschaft zukommt. 2. Einleitung des Ermittlungsverfahrens: Vorermittlungs- und Ermittlungsverfahren nach dem IStGHSt Anders als im deutschen Verfahrensrecht besteht auf internationaler Ebene ein gesetzlicher Rahmen für sog. Vorermittlungen141 („pre-investigation“) im völkerstrafrechtlichen Bereich bereit, nämlich Art. 53 Abs. 1 IStGHSt. Danach hat der Ankläger zu prüfen, ob die ihm zur Verfügung gestellten Informationen eine hinreichende Grundlage („reasonable basis to proceed“) für die Verfahrenseinleitung bilden, Art. 53 Abs. 1 S. 1 IStGHSt. Er prüft hierbei, ob hinreichende Verdachtsgründe („reasonable basis to believe“) bestehen, Art. 53 Abs. 1 a) IStGHSt, die für die Begehung eines völkerstrafrechtlichen Kernverbrechens im Sinne von Art. 5 IStGHSt sprechen. Darüber hinaus muss hier bereits geprüft werden, ob die Verfolgung nach Art. 17 IStGHSt zulässig wäre, Art. 53 Abs. 1 b) IStGHSt, also dem Komplementaritätsgrundsatz entspräche142 und, ob die Ermittlungen unter Berücksichtigung der Schwere des Verbrechens und der Interessen der Opfer im Interesse der Gerechtigkeit lägen, Art. 53 Abs. 1 c) IStGHSt. Die Informationen können hierbei sowohl durch eine Staatenüberweisung oder durch den Sicherheitsrat gemäß Art. 13 a) bzw. Art. 13 b) IStGHSt übermittelt werden oder solche sein, die der Ankläger gemäß Art. 15 Abs., 1, 2 IStGHSt selbst erlangt hat.143 Im Gegensatz zum deutschen Anfangsverdacht spielt die Schwere der Verbrechen bereits bei der Frage der Einleitung von Ermittlungen eine Rolle. Dem Ankläger stehen in dieser frühen Phase noch nicht die vollen Ermittlungsbefugnisse des Art. 54 Abs. 3 IStGHSt zur Verfügung, auf die er erst in der nächsten Phase, dem förmlichen Ermittlungsverfahren gemäß Art. 53 Abs. 2 IStGHSt zurückgreifen kann,144 sondern nur die Maßnahmen gemäß Art. 15 Abs. 2 IStGHSt i. V. m. Regel 104 VBO.145 Danach ist er insbesondere befugt Staaten, Organe der VN, zwischenstaatliche oder nichtstaatliche Organisationen um Auskünfte zu ersuchen, um die vorliegenden Informationen auf Stichhaltigkeit zu 140 Richtlinien abrufbar unter http://www.verwaltungsvorschriften-im-internet.de/bsvwv bund_01012017_IIB6935088.htm, zuletzt zugegriffen am 04.01.2019. 141 Die Terminologie ist teilweise unterschiedlich, vgl. Safferling, 2011, § 7 Rn. 60; derselbe und Ambos, 2018, § 8 Rn. 20 sprechen jedoch von Vorermittlungsverfahren. 142 Vgl. insoweit den erläuterten abweichenden Verfahrensablauf im Bemba Verfahren. 143 Vgl. Triffterer/Ambos/Bergsmo/Kruger/Bekou, 3. Aufl. 2018, Art. 53 Rn. 7 f.; Insgesamt zu den Entscheidungskriterien Shabas, 2. Aufl. 2016, Art. 53, 832 ff. 144 Vgl. Safferling, 2011, § 7 Rn. 62. 145 Außerdem Vorgehen gem. Art. 56 IStGHSt bzw. Regel 47 VBO bei drohendem Beweisverlust.

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überprüfen. Bei den Vorermittlungen handelt es sich noch nicht um tatsächliche Ermittlungen, sondern eher um vorläufige Prüfungen.146 Unmittelbar grundrechtsrelevante Maßnahmen kann er nicht ergreifen. Ist der Ankläger nach angemessener Anspannung seines Geistes überzeugt („satisfied“), dass die genannten drei Elemente des Art. 53 Abs. 1 IStGHSt vorliegen, leitet er ein förmliches Ermittlungsverfahren ein.147 Im eigentlichen, förmlichen Ermittlungsverfahren geht es um die Frage, ob ein begründeter Verdacht („reasonable grounds“) dafür besteht, dass eine bestimmte Person ein völkerrechtliches Kernverbrechen begangen hat, Art. 53 Abs. 2, 58 Abs. 1 a) IStGHSt.148 Von nun an stehen dem Ankläger alle „geeigneten Maßnahmen zur Verfügung, um die wirksame Ermittlung und Strafverfolgung von der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs unterliegenden Verbrechen zu gewährleisten“, Art. 54 Abs. 1 b). Welche Maßnahmen des Art. 54 Abs. 3 IStGHSt am geeignetsten sind, liegt im Ermessen des Anklägers.149 Die Rechte der von seinen Ermittlungen betroffenen Personen während der Ermittlungen schützt hierbei allgemein der Art. 55 IStGHSt, dessen Beachtung jedoch dem jeweils ersuchten Mitgliedsstaat obliegt, Art. 99 Abs. 1 IStGHSt. Die (Vor-)Ermittlungsverfahren der deutschen StPO und des IStGHSt unterscheiden sich also durchaus in der gesetzgeberischen Konzeption. Während die Strukturermittlungen der deutschen Behörden ohne gesetzliche Regeln auskommen müssen und erst bei Vorliegen eines Anfangsverdachts, sämtliche Ermittlungsmaßnahmen eröffnet sind, die im Einzelnen jedoch diffizil ausgestaltet und an unterschiedliche weitere Voraussetzungen geknüpft sind, basieren die Vorermittlungen des Anklägers am IStGH bereits auf einer gesetzlichen Grundlage. Die einzelnen Ermittlungsmaßnahmen sind jedoch gesetzlich nicht explizit geregelt. Die Voraussetzungen liefern hierbei jeweils die nationalen Rechtsordnungen, und der Ankläger ist grundsätzlich auf die Kooperation der Mitgliedstaaten angewiesen.150 Ein Unterschied besteht auch darin, dass der Ankläger des IStGH zwar auf Personal, aber nicht vergleichbar mit § 161 Abs. 1 StPO direkt auf eigene Vollzugsbeamten zugreifen kann, sondern im Grundsatz auf die nationalen Verwaltungsund Strafverfolgungsbehörden angewiesen ist.151 In der Praxis ist der Ankläger zwar regelmäßig nicht in den Niederlanden, oder gar innerhalb seiner eigenen Räumlichkeiten tätig, sondern auf fremden Hoheitsgebiet der Vertragsstaaten, ist hierfür aber befugt, die Zusammenarbeit der Regierungen/Behörden/Nichtregierungsorganisationen vor Ort zu ersuchen, vgl. Art. 54 Abs. 3 c).152 Mitarbeiter des Anklägers 146 147 148 149 150 151 152

Vgl. Trifterer/Ambos/Bergsmo/Pejic/Zhu, 3. Aufl. 2016, Art. 15 Rn. 10. Vgl. Trifterer/Ambos/Bergsmo/Kruger/Bekou, 3. Aufl. 2016, Art. 53 Rn. 12. Vgl. Safferling, 2011, § 7 Rn. 61. Vgl. Trifterer/Ambos/Bergsmo/Kruger/Bekou, 3. Aufl. 2016, Art. 54 Rn. 12. Vgl. Safferling, 2011, § 7 Rn. 62, 66. Vgl. Schabas, 2. Aufl. 2016, Art. 54, 852. Vgl. Schabas, 2. Aufl. 2016, Art. 54, 852 f.

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D. Die erstinstanzlichen Verfahren

sind zwar gemäß Art. 54 Abs. 2 IStGHSt selbst berechtigt auf dem Hoheitsgebiet eines Staates Ermittlungen durchzuführen und je nach nationalem Recht auch befugt bei den nationalen Ermittlungen anwesend zu sein, sie können aber freilich auch ausgeschlossen werden.153 Zumindest die Vertragsstaaten sind im Rahmen der Art. 86 ff. IStGHSt zur Zusammenarbeit verpflichtet.154 Die Sanktionsbewehrung gegenüber Vertragsstaaten erschöpft sich allerdings in der Feststellung und Übergabe der Angelegenheit an die Versammlung der Vertragsstaaten oder in der Anrufung des Sicherheitsrats der Vereinten Nationen, vgl. Art. 87 Abs. 7 bzw. Abs. 5 IStGHSt gegenüber Nicht-Vertragsstaaten. Ungeachtet dessen bestehen unmittelbare Möglichkeiten des Anklägers, Ermittlungen vor Ort durchzuführen. Zum einen gewährt Art. 99 Abs. 4 IStGHSt die Möglichkeit ein Ermittlungsersuchen, das er zuvor angefragt hatte und das ohne den Einsatz von Zwangsmaßnahmen erledigt werden kann, – insbesondere Zeugenbefragungen oder die Beweiserhebung auf freiwilliger Grundlage – selbst durchzuführen.155 Gemäß Art. 57 Abs. 3 d) IStGHSt kann der Ankläger darüber hinaus von der Vorverfahrenskammer dazu ermächtigt werden, bestimmte Ermittlungsmaßnahmen vorzunehmen, ohne sich der Zusammenarbeit dieses Staates versichert zu haben,156 Voraussetzung ist jedoch, dass die nationale Behörde eindeutig die Zusammenarbeit nicht leisten kann. An den Nachweis hierfür sind hohe Anforderungen geknüpft.157 3. Gang der Ermittlungsverfahren in concreto Im Folgenden soll überblicksartig der Gang der Ermittlungen in den jeweiligen Verfahren bis hin zum Erlass der Haftbefehle dargestellt werden. Die Haftbefehle bieten sich insoweit als Zäsur an, da sie zum einen im internationalen Bereich den Übergang von einer „situation“ zu einem „case“ bewirken, vgl. Regel 20 Abs. 2 GOKanzlei,158 daneben den vorerst tiefsten Grundrechtseingriff bei der betroffenen Person darstellen und sowohl auf materieller als auch auf formeller Ebene gegenüberstellbare Anforderungen bereithalten. a) Ermittlungsverfahren gegen Dr. M. und M. Dem Gerichtsverfahren gegen Dr. M. und M. in Deutschland gingen langjährige Ermittlungen der VN und der Generalbundesanwaltschaft voraus. Im Rahmen der 153

Vgl. Safferling, 2011, § 7 Rn. 66. Vgl. The Prosecutor vs. Omar Hassan Ahmad Al-Bashir ICC-02/05-01/09-397 06-052019 Judgement on the Jordan Referral re Al-Bashir Appeal, par. 7. Dort hatte der Vertragsstaat Jordanien die Überstellung des Verdächtigen unter BErufugn auf dessen Immunität als Staatsoberhaupt verweigert, vgl. par. 12 ff. 155 Vgl. Triffterer/Ambos/Kreß/Prost, 3. Aufl. 2016, Art. 99 Rn. 16. 156 Vgl. Turone, in: Cassese/Gaeta/Jones, 2002, 1137 (1167 f.). 157 Vgl. Triffterer/Ambos/Guariglia/Hochmayr, 3. Aufl. 2016, Art. 57 Rn. 38. 158 Vgl. Safferling, 2011, § 7 Rn. 59. 154

II. Vor- bzw. Ermittlungsverfahren

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Resolution 1596 des VN-Sicherheitsrates, welche die Situation in der DR Kongo betraf und vorgehende Resolutionen bestätigte,159 wurde bereits 2005 das Vermögen des Dr. M. eingefroren und ein Reiseverbot gegen ihn verhängt.160 Nachdem im Februar 2006 Dr. M. die Asylanerkennung aus dem Jahr 2000 widerrufen wurde mit der Begründung, er sei für die Verbrechen der FDLR in der DR Kongo verantwortlich,161 sah auch die Generalbundesanwaltschaft einen Anfangsverdacht als gegeben an und leitete im April 2006 ein Ermittlungsverfahren wegen möglicher Verbrechen nach dem Völkerstrafgesetzbuch ein. Ab Juni 2006 wurden die Vorwürfe um den der Mitgliedschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung erweitert.162 2007 zeigte sich jedoch bereits, dass angesichts der Vielzahl der im Kongo operierenden Milizen die dortige Situation selbst für Experten kaum zu überblicken war, sodass sich frühzeitig die Einstellung abzeichnete,163 die im weiteren Verlauf aufgrund von Beweisproblemen erfolgte.164 Anlass für die Wiederaufnahme und die Ausweitung der Ermittlungen auf den zweiten Angeklagten M., zunächst nur wegen Mitgliedschaft in einer ausländischen, terroristischen Vereinigung, später auch wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das Völkerstrafgesetzbuch,165 war ein Fernsehinterview des Dr. M., in dem dieser unter anderem äußerte, dass er auch über die Truppen im Feld die 100-prozentige Kontrolle habe.166 Daraufhin wurde die Telekommunikation der beiden überwacht, Finanzermittlungen durchgeführt und erste Zeugen im In- und Ausland vernommen.167 Bei den folgenden Ermittlungen, insbesondere während zweier Reisen des Generalbundesanwalts (GBA) und Ermittlungsbeamten des Bundeskriminalamtes in die DR Kongo und Ruanda im November/Dezember 2009 und im April/Mai 2010 vor beträchtliche tatsächliche Probleme gestellt: Eine Problematik lag in der Aktualität des Bürgerkriegsgeschehens, die zum einen die Ermittler selbst gefährdete und Tatortbegehungen unmöglich machte.168 Ritscher, der für das Verfahren zuständige Vertreter des GBA, berichtete über die sonstigen tatsächlichen Begebenheiten zu159

1592. 160

Insbesondere Resolutionen 1493, 1533 (enthält Liste mit Maßnahmen), 1552, 1565 und

Vgl. Resolution 1596; dass Dr. M. betroffen war nach Kroker, 2016, 52. BVerwG, Urteil v. 31.03.2011 – 10 C 2.10; BVerwGE 139, 272. 162 Vgl. Ritscher, in: Safferling/Kirsch, Völkerstrafrechtspolitik: Praxis des Völkerstrafrechts, 2014, 191 223 (232); Kroker, 2016, 52. 163 Vgl. Hannich, ZIS 2007, 507 (511); Kroker, 2016, 78. 164 Vgl. Ritscher, in: Safferling/Kirsch, Völkerstrafrechtspolitik: Praxis des Völkerstrafrechts, 2014, 191 223 (232). 165 Vgl. Ritscher, in: Safferling/Kirsch, Völkerstrafrechtspolitik: Praxis des Völkerstrafrechts, 2014, 191 223 (232). 166 Vgl. Kroker, 2016, 52; http://www.taz.de/!5086086/, zuletzt zugegriffen am 12.09.2018. 167 Vgl. Kroker, 2016, 52; Ritscher, in: Safferling/Kirsch, Völkerstrafrechtspolitik: Praxis des Völkerstrafrechts, 2014, 191 223 (232). 168 Vgl. Hannich, ZIS 2007, 507 (511). 161

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D. Die erstinstanzlichen Verfahren

sammengefasst wie folgt:169 Die im Osten der DR Kongo liegenden Provinzen Nordund Süd-Kivu waren wenig entwickelt, überwiegend von Urwald bedeckt, bergig und in einem infrastrukturell kaum erschlossenen Gebiet von der Größe Bulgariens gelegen. Die Siedlungsstruktur war überwiegend dörflich geprägt und die Zivilbevölkerung setzt sich aus verschiedenen Stämmen zusammen. Die Ermittlungen in der DR Kongo erwiesen sich daher als schwieriger als in der Republik Ruanda. Dort allerdings bereitet häufig eine der mittlerweile vier Landessprachen Ruandas,170 Kinyaruanda, Schwierigkeiten und zwar speziell hinsichtlich der Differenzierung zwischen Erlebtem und lediglich Gehörtem, was sowohl für die Beweiserhebung als auch für die später zu betrachtende Beweisaufnahme und Verwertung angesichts § 250 S. 1 StPO, der vom Unmittelbarkeits- bzw. Mündlichkeitsgrundsatz ausgeht, von erheblicher Bedeutung ist.171 Auch die Befragung von Opferzeugen in einem aktuellen Bürgerkriegsgeschehen bedurfte angesichts der Gefahren für die Aussagenden großer Sorgsamkeit.172 Im Vergleich zum Verfahren gegen Bemba mussten die deutschen Ermittlungsbehörden aufgrund der Aktualität nicht das bei völkerstrafrechtlichen Verfahren häufig vorliegende Problem173 bewältigen, dass Zeugenaussagen erst lange Zeit nach den Taten eingeholt werden können und so deren Zuverlässigkeit erheblich nachlässt. Die Einstellung des Verfahrens hinsichtlich einiger Taten, die lediglich mit Zeugenaussagen bestätigt werden konnten, eingestellt wurden, hat im Späteren noch näher betrachtete Gründe. Die Zusammenarbeit mit den ruandischen und kongolesischen Justizbehörden verlief nach Angaben Ritschers weitgehend reibungslos. Durch internationale Rechtshilfe konnte erreicht werden, dass den deutschen Ermittlungsbehörden offiziell „freie Hand“ gewährt wurde.174 In der DR Kongo konnten die deutschen Ermittler vor allem mit privaten Stellen wie Human Rights Watch und den Truppen der VN Friedensmission der MONUSCO kooperieren, während in Ruanda sogar die nationale Generalstaatsanwaltschaft bei der Ermittlung und Ausfindigmachung von Zeugen unterstützte.175 Das Fehlen einer unmittelbaren bilateralen Sanktionsmöglichkeit wirkte sich daher nicht verfahrensgefährdend aus.

169

Vgl. Ritscher, in: Safferling/Kirsch, Völkerstrafrechtspolitik: Praxis des Völkerstrafrechts, 2014, 191 223 (232). 170 Vgl. New Times, https://www.newtimes.co.rw/section/read/207840, zuletzt zugegriffen am 26.08.2019. 171 Vgl. Safferling, in: Jeßberger/Geneuss, Zehn Jahre Völkerstrafgesetzbuch, 2012, 185 (187). 172 Vgl. Ritscher, in: Safferling/Kirsch, Völkerstrafrechtspolitik: Praxis des Völkerstrafrechts, 2014, 191 223 (233). 173 Vgl. Heinsch, in: BT Drucksache 18/6341, 12. 174 Vgl. Ritscher, in: Safferling/Kirsch, Völkerstrafrechtspolitik: Praxis des Völkerstrafrechts, 2014, 191 223 (232). 175 Vgl. Kroker, 2016, 79.

II. Vor- bzw. Ermittlungsverfahren

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Neben der Zeugenvernehmung vor Ort richteten sich die Ermittlungen hinsichtlich der Aktivitäten der beiden in Deutschland ansässigen Angeklagten im Wesentlichen auf die Überwachung der Telekommunikation und auf die Sicherstellung von Dateien, insbesondere zahlreicher versendeter bzw. empfangener SMSNachrichten, die sich auf der Festplatte des Dr. M. befanden.176 Von den verschiedenen Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen, die aufgrund von Beschlüssen des Ermittlungsrichters am Bundesgerichtshof vom 22. Dezember 2008 bis zum 02. Dezember 2009 durchgeführt wurden,177 wies in der Hauptverhandlung – hierzu später – ein wesentlicher Teil Verfahrensrelevanz auf. b) Ermittlungsverfahren gegen Bemba Die Ermittlungen im Verfahren gegen Bemba wurden nicht von vor Ort tätigen Organen der VN oder einem unbedarften öffentlichen Auftritt Bembas selbst, sondern von der Regierung der Zentralafrikanischen Republik eingeleitet. Am 21. Dezember 2004 erhielt der Ankläger des IStGH einen nicht veröffentlichten Brief, mit dem die Regierung der Zentralafrikanischen Republik Verbrechen anzeigte, die nach dem 01. Juli 2002, also nach dem Inkrafttreten des Römischen Statuts auf ihrem Territorium begangen worden sein sollen. Gleichzeitig kündigte man an, weitere detaillierte Informationen sowohl zu den Taten als auch zu den relevanten nationalen Strafverfahren zu übermitteln, was sechs Monate später, im Juni 2005 auch erfolgte.178 Diese Informationen wurden im Anschluss durch den Ankläger gemäß Art. 53 IStGHSt i. V. m. Regel 104 VBO analysiert sowie weitere Informationen von unterschiedlichen Quellen, inklusive Nichtregierungsorganisationen, internationalen Organisationen und anderen kenntnisreichen Quellen eingeholt.179 Im Ergebnis waren nach Auffassung des Anklägers alle Voraussetzungen des Art. 53 Abs. 1 IStGHSt erfüllt und es kam zur Eröffnung des förmlichen Ermittlungsverfahrens.180 Die Entscheidung zugunsten der Ermittlungen wurde der Regierung der Zentralafrikanischen Republik, der Vorverfahrenskammer III sowie dem Präsidenten des Gerichtshofes am 10. Mai 2007 mitgeteilt. Mit Brief vom 22. Mai 2007 teilte der Ankläger überdies die Aufnahme des Ermittlungsverfahrens förmlich den Vertragsstaaten des Römischen Statuts gemäß Art. 18 Abs. 1 IStGHSt mit, woraufhin allerdings keine Reaktion im Sinne von Art. 18 Abs. 2 IStGHSt betreffend eigener (vorrangiger)181 Ermittlungen erfolgte.182 Ebenfalls am 22. Mai 2007 verkündete der 176

OLG Stuttgart, Urteil vom 28.09.2015, 5 – 3 StE 6/10 Teil 3 A. OLG Stuttgart, Urteil vom 28.09.2015, 5 – 3 StE 6/10 Teil 3 A. II. 178 ICC-01/05-01/08-26-Red 15-12-2009 Public Redacted Version of ICC-01/05-01/08-26US-Exp Prosecutor’s Application for Warrant of Arrest under Article 58, par. 1 f. 179 Vgl. Pressemitteilung des OTP vom 22.05.2007. 180 ICC-01/05-01/08-26-Red 15-12-2009 Public Redacted Version of ICC-01/05-01/08-26US-Exp Prosecutor’s Application for Warrant of Arrest under Article 58, par. 3. 181 Vgl. Ausführungen zur Zulässigkeit unter D. I. 177

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D. Die erstinstanzlichen Verfahren

Ankläger offiziell die Aufnahme von Ermittlungen in der Zentralafrikanischen Republik.183 Die Ermittlungen richteten sich zunächst noch nicht gegen Bemba persönlich, sondern auf die Untersuchung der Situation in der Zentralafrikanischen Republik als Ganzes,184 ähnelten also noch den in Deutschland bekannten Strukturermittlungen des GBA.185 Detaillierte Informationen, wie sich die Ermittlungen bis zum Erlass des Haftbefehls dargestellt haben, sind aus den öffentlich zugänglichen Quellen nicht ersichtlich. Den Antrag auf Erlass eines Haftbefehls vom 09. Mai 2008 stützte der Ankläger im Wesentlichen auf folgende Quellen: Aussagen von Opfer- und sonstige Zeugen, Dokumente und Reporte, insbesondere zur Verfügung gestellt von zentralafrikanischen Justizbehörden und offene, frei zugängliche Quellen.186 Die Zusammenarbeit mit den nationalen Behörden verlief also auch hier soweit ersichtlich ohne größere Probleme, insbesondere wurde es nicht notwendig, auf eine der genannten Sanktionsmöglichkeiten des Art. 87 IStGHSt zurückzugreifen. Zum Zeitpunkt des Haftbefehlsantrags, vermutete der Ankläger Bemba noch in seiner Villa an der portugiesischen Algarve, sodass das Überstellungsersuchen gemäß Art. 89 IStGHSt zu diesem Zeitpunkt noch an die portugiesischen Behörden gerichtet werden sollte.187 4. Haftbefehle und Untersuchungshaft Hinsichtlich des Erlasses eines Haftbefehles können auf formeller und materieller Ebene sowohl Unterschiede als auch Parallelen zwischen dem deutschen und internationalen Verfahrensrecht konstatiert werden. Da aber die Anordnung der Haft, außer bei M., dessen Reststrafe nach Anrechnung der knapp sechs Jahre dauernden Untersuchungshaft gemäß § 51 Abs. 1 S. 1 StGB bereits nach der erstinstanzlichen Entscheidung zur Bewährung ausgesetzt wurde,188 die erstinstanzlichen Verfahren bis zur Urteilsverkündung überstanden, die Voraussetzungen also stets als erfüllt angesehen wurden, sollen hier die Voraussetzungen und der Vollzug nur überblicksartig gegenübergestellt werden.

182

ICC-01/05-01/08-26-Red 15-12-2009 Public Redacted Version of ICC-01/05-01/08-26US-Exp Prosecutor’s Application for Warrant of Arrest under Article 58, par. 3. 183 Vgl. Pressemitteilung des OTP vom 22.05.2007. 184 Vgl. Pressemitteilung des OTP vom 22.05.2007. 185 Vgl. Ausführungen unter D. II. 1. 186 ICC-01/05-01/08-26-Red 15-12-2009 Public Redacted Version of ICC-01/05-01/08-26US-Exp Prosecutor’s Application for Warrant of Arrest under Article 58, par. 3. 187 ICC-01/05-01/08-26-Red 15-12-2009 Public Redacted Version of ICC-01/05-01/08-26US-Exp Prosecutor’s Application for Warrant of Arrest under Article 58, 8; ebd., par. 126. 188 Vgl. Johnson/Schlindwein, 2016, 425.

II. Vor- bzw. Ermittlungsverfahren

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a) Verfahren gegen Dr. M. und M. Bevor auf den Vollzug der jeweiligen Haftbefehle eingegangen wird, sollen die formellen und materiellen Voraussetzungen, insbesondere der nötige Verdachtsgrad, dargestellt werden. aa) Allgemeine Voraussetzungen Die Stellung eines Haftbefehlsantrags und entsprechend auch der Erlass sind im deutschen Verfahren in jedem Stadium, bis zur Rechtskraft des Urteils zulässig.189 Zuständig für den Erlass des Haftbefehls ist vor Eröffnung des Hauptverfahrens im völkerstrafrechtlichen Verfahren – anders als im „gewöhnlichen“ Strafverfahren, in dem gemäß § 125 StPO der örtliche Amtsrichter zuständig ist – stets der Ermittlungsrichter des BGH gemäß § 169 Abs. 1 S. 2 StPO, da auch die Strafverfolgung durch den GBA erfolgt. In materieller Hinsicht ist in Deutschland neben einem Haftgrund, §§ 112 Abs. 2, Abs. 3, 112a StPO, und der Verhältnismäßigkeit, 112 Abs. 1 S. 2, 113 StPO,190 der dringende Tatverdacht gemäß § 112 Abs. 1 StPO erforderlich. Hierin unterscheidet sich das deutsche Verfahrensrecht vom Römischen Statut. Der dringende Tatverdacht nach deutschem Recht ist nämlich erst zu bejahen, wenn nach dem bisherigen Ermittlungsstand eine hohe Wahrscheinlichkeit dafür besteht, dass der Beschuldigte als Täter oder Teilnehmer rechtswidrig und schuldhaft eine Straftat begangen hat.191 Ob eine Verurteilungswahrscheinlichkeit nötig ist wird unterschiedlich gesehen, von der herrschenden Meinung aber bejaht.192 Der Verdachtsgrad ist hierbei nach allgemeiner Meinung stärker als der hinreichende Tatverdacht, der für die Erhebung der Anklage notwendig ist.193 Als Haftgründe kommen Flucht oder Fluchtgefahr, § 112 Abs. 2 Nr. 1, 2 StPO, Verdunkelungsgefahr, § 112 Abs. 2 Nr. 3 StPO, Verdacht eines Kapitaldelikts, § 112 Abs. 3 StPO, wozu § 6 Abs. 1 Nr. 1 sowie § 13 VStGB zählen, und die Wiederholungsgefahr, § 112a StPO in Betracht, von den im Bereich des VStGB zumindest der Verdacht eines Kapitaldelikts regelmäßig gegeben sein dürften. 189 Vgl. anstatt vieler Beulke/Swoboda, 2017, § 11 Rn. 209; Meyer-Gossner/Schmitt, 62. Aufl. 2019, § 112 Rn. 2; BeckOK StPO/Krauß, 34. Aufl., Stand: 01.07.2019, StPO § 112 Rn. 6. 190 Vgl. anstatt vieler Beulke/Swoboda, 2017, § 11 Rn. 209; Kindhäuser/Schumann, 2019, § 9 Rn. 6. 191 Vgl. anstatt vieler Beulke/Swoboda, 2017, § 11 Rn. 209; BeckOK StPO/Krauß, 34. Aufl., Stand: 01.07.2019, StPO § 112, Rn. 9. 192 Vgl. etwa OLG Köln StV 1996, 389; SK-StPO/Paeffgen, 5. Aufl. 2016, § 112 Rn. 4; Meyer-Goßner/Schmitt, 62. Aufl. 2019, § 112 Rn. 5; BeckOK StPO/Krauß, 34. Aufl., Stand: 01.07.2019, StPO § 112 Rn. 9; dagegen Beulke/Swoboda, 2017, § 11 Rn. 210, Kindhäuser/ Schumann, 2019, § 9 Rn. 7. 193 Vgl. Kindhäuser/Schumann, 2019, 2016, § 9 Rn. 8; Meyer-Goßner/Schmitt, 62. Aufl. 2019, § 112 Rn. 6.

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D. Die erstinstanzlichen Verfahren

bb) Erlass und Vollzug Trotz aller tatsächlichen Probleme im Ermittlungsverfahren konnte sich der Ermittlungsrichter des BGH vom Vorliegen der oben genannten Voraussetzungen überzeugen und die vom GBA beantragten Haftbefehle am 16. November 2009 erlassen,194 die bereits am 17. November 2009 beide vollstreckt werden konnten.195 Es bestand damals, wie auch in der Haftfortdauerentscheidung vom 17. Juni 2010 noch der dringende Tatverdacht, „dass die in der DRC operierenden Angehörigen der FDLR Verbrechen gegen die Menschlichkeit nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 und 6 VStGB, Kriegsverbrechen gegen Personen nach § 8 Abs. 1 Nr. 1, 3, 4 und 5 VStGB sowie Kriegsverbrechen gegen Eigentum und sonstige Rechte nach § 9 Abs. 1 VStGB begangen haben, für die der Beschuldigte196 als Vorgesetzter nach § 4 VStGB strafrechtlich verantwortlich ist.“197 Zur Begründung des Haftgrundes kam es auf die Verbrechen nach dem VStGB nicht einmal zwingend an, da bereits der Vorwurf der Rädelsführerschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung als Schwerkriminalität i. S. d. § 112 Abs. 3 StPO herangezogen werden kann. Daneben wurden die Haftgründe der Flucht- sowie der Verdunkelungsgefahr bejaht, da aufgrund der politischen Macht und der nach wie vor aktiven FDLR die Absicht unterstellt wurde, sie könnten Zeugen ausfindig machen und beeinflussen.198 b) Verfahren gegen Bemba Der Erlass eines Haftbefehls durch die Vorverfahrenskammer des IStGH hat inhaltlich etwas andere Voraussetzungen als im deutschen Verfahrensrecht, insbesondere hinsichtlich des erforderlichen Verdachtsgrades. Die Bedingungen Tatverdacht und Haftgrund sind jedoch auch dem Römischen Statut zu eigen. Zentrale Vorschrift ist der Art. 58 IStGHSt. aa) Allgemeine Voraussetzungen In zeitlicher Hinsicht ist auch im Verfahren nach dem Römischen Statut der Erlass des Haftbefehls jederzeit nach Einleitung der Ermittlungen im Sinne des Art. 53 Abs. 1 IStGHSt – aber auch nicht vorher199 – zulässig, Art. 58 Abs. 1 IStGHSt. Formell erlässt den Haftbefehl ebenfalls das Gericht, die Vorverfahrenskammer, in 194

BGH, Ermittlungsrichter, 16.11.2009 – 4 BGs 31/09. Vgl. Pressemitteilung des OLG Stuttgart vom 04.03.2011; Ritscher, in: Safferling/ Kirsch, Völkerstrafrechtspolitik: Praxis des Völkerstrafrechts, 2014, 191 223 (232). 196 Der Haftfortdauerbeschluss bezog sich nur auf Dr. M. 197 BGH, Beschluss vom 17. Juni 2010 – Az. AK 3/10 (Haftfortdauerbeschluss). 198 BGH, Beschluss vom 17. Juni 2010 – Az. AK 3/10 (Haftfortdauerbeschluss). 199 Vgl. Triffterer/Ambos/Hall/Ryngaert, 3. Aufl. 2016, Art. 58 Rn. 4; Schabas, 2. Aufl. 2016, Art. 58, 889. 195

II. Vor- bzw. Ermittlungsverfahren

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voller Besetzung mit drei Richtern.200 Erforderlich ist, wie in Deutschland, ein Antrag des Anklägers, der bestimmte Formalia erfüllen muss, Art. 58 Abs. 2 IStGHSt. Auf einen solchen Antrag erlässt die Vorverfahrenskammer gemäß Art. 58 Abs. 1 IStGHSt den Haftbefehl. Das Entscheidungsgremium ist demnach, anders als in Deutschland, dasselbe wie das, das die Anklage bestätigt und das Hauptverfahren eröffnet, vgl. Art. 61 Abs. 7 IStGHSt. Ein weiterer Unterschied besteht darin, dass der Haftbefehl nicht von einem Einzelrichter erlassen wird, § 114 Abs. 1 StPO, sondern von der vollbesetzten Kammer mit drei Richtern. Der Eingang des Antrags auf Erlass eines Haftbefehls läutet auf internationaler Ebene die Phase der Beschäftigung mit einem „case“ anstatt mit nur einer „situation“ ein, vgl. Regel 20 Ziff. 2 GO-Kanzlei und erfordert gemäß Art. 58 Abs. 1 a) IStGHSt, dass ein begründeter Verdacht („reasonable grounds“) besteht, dass die Person ein der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs unterliegendes Verbrechen begangen hat. Daneben ist ein Haftgrund erforderlich: Die Festnahme muss nämlich „notwendig“ erscheinen, um entweder sicherzustellen, dass die Person zur Verhandlung erscheint, Abs. 1 b) i), oder um sicherzustellen, dass die Person die Ermittlungen oder das Gerichtsverfahren nicht behindert oder gefährdet, Abs. 1 b) ii), oder um sie gegebenenfalls an der weiteren Begehung dieses Verbrechens oder eines damit in Zusammenhang stehenden, der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs unterliegenden Verbrechens zu hindern, das sich aus den gleichen Umständen ergibt, Abs. 1 b) iii). Unterschiedlich ist daher der Gesetzestext bereits im Hinblick auf die Verdachtsschwelle: Ein begründeter Verdacht („reasonable grounds to believe“) liegt unter Heranziehung objektiver Kriterien vor, wenn die begründete oder vernünftige Schlussfolgerung („reasonable conclusion“) gezogen werden kann, dass die Person ein der Gerichtsbarkeit unterworfenes Verbrechen begangen hat. Nicht nötig ist, dass dies die einzig vernünftige Schlussfolgerung ist.201 Ebenfalls nicht nötig ist, dass eine Verurteilung wahrscheinlich ist.202 Die Schwelle liegt hier also niedriger als im Verfahren zur Bestätigung der Anklage und Eröffnung des Hauptverfahrens. Erst dort wird nämlich der dringende Tatverdacht („substantial grounds to believe“) gefordert, vgl. Art. 61 Abs. 7 IStGHSt.203 Im internationalen Verfahren ist damit der Verdachtsgrad, der zum Haftbefehl führt, der geringste der drei markanten Schwellen Haftbefehl, Bestätigung der Anklage und Verurteilung.204 200

ICC-01/05-01/08-15-tENG 25-07-2008 Warrant of Arrest for Jean-Pierre Bemba Gombo Replacing the Warrant of Arrest Issued on 23 May 2008. 201 Vgl. Triffterer/Ambos/Hall/Ryngaert, 3. Aufl. 2016, Art. 58 Rn. 11; Schabas, 2. Aufl. 2016, Art. 58, 889 ff. 202 The Prosecutor vs. Omar Hassan Ahmad Al Bashir Bashir ICC-02/05-01/09 03-02-2010, Judgment on the appeal oft he Proscutor against the Decision on the Prosvution’s Application for a Warrant of Arrest against Omar Hassan Ahmad Al Bashir, par. 30. 203 Vgl. Trifterer/Ambos/Hall/Ryngaert, 3. Aufl., Art. 58 Rn. 11 Fn. 31; Schabas, 2. Aufl. 2016, Art. 58, 892. 204 Vgl. Schabas, 2. Aufl. 2016, Art. 58, 892.

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D. Die erstinstanzlichen Verfahren

Auch die Haftgründe sind im Römischen Statut anders formuliert als in der StPO, verfolgen aber dieselben Zwecke: Die Sicherstellung des Erscheinens zur Verhandlung, wie es im internationalen Verfahren gefordert wird, ist nämlich nur notwendig, wenn Fluchtgefahr besteht. Die Ermittlungen sind erst gefährdet, wenn Verdunkelungsgefahr vorliegt, und die Befürchtung der nochmaligen Begehung von Verbrechen und damit der Entstehung von großem weiterem Schaden durch besonders gefährliche Täter, steht auch im deutschen Recht als Gedanke hinter der Anführung von Schwerstkriminalität als Haftgrund.205 Lediglich die Schwere der Straftat heranzuziehen, begegnet aus verfassungsrechtlichen Gründen jedoch Bedenken206 und wurde vom Bundesverfassungsgericht einer restriktiven Auslegung zugeführt.207 Auch der Haftgrund der Schwerkriminalität muss daher im Zusammenhang mit einer Flucht- oder Verdunkelungsgefahr gesehen werden, wobei an die Prognosesicherheit geringere Anforderungen gestellt werden.208 Wenn aber die ernstliche Befürchtung besteht, dass der Täter weitere Taten ähnlicher Art begehen werde, kann die Untersuchungshaft verfassungsgemäß sein, auch ohne dass Fluchtoder Verdunkelungsgefahr vorliegt.209 bb) Erlass und Vollzug Der Erlass und der Vollzug nahmen im Verfahren gegen Bemba einen anderen Verlauf als im deutschen Verfahren: Vorauszuschicken ist, dass gegen Bemba kein sog. Vorführhaftbefehl (summons to appear) gemäß Art. 58 Abs. 7 IStGHSt erlassen wurde, der nicht das Vorliegen von Haftgründen erfordert,210 sondern unmittelbar Haftbefehl beantragt und bewilligt wurde. Nach ebenfalls jahrelangen Ermittlungen, die im Juni 2005 begonnen haben, als erstmals detaillierte Informationen von der Zentralafrikanischen Republik übermittelt wurden,211 beantragte die Anklagebehörde am 09. Mai 2008 den Erlass des Haftbefehls gemäß Art. 58 IStGHSt212 sowie den Erlass des Ersuchens auf vorläufige Festnahme an alle Staaten.213 Am 21. Mai 2008 forderte die Vorverfahrenskammer 205

243.

BVerfG, Beschluss vom 15.12.1965 – 1 BvR 513/65, BVerfGE 19, 342 = NJW 1966,

206 Vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, 62. Aufl. 2019, § 112 Rn. 37; SK-StPO/Paeffgen, 5. Aufl. 2016, § 112 Rn. 43 ff. 207 BVerfG, Beschluss vom 15.12.1965 – 1 BvR 513/65, BVerfGE 19, 342 = NJW 1966, 243. 208 Vgl. MüKoStPO/Böhm/Werner, 1. Aufl. 2014, StPO § 112 Rn. 90 f. 209 BVerfG ebd; vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, 62. Aufl. 2019, § 112 Rn. 37. 210 Vgl. Trifterer/Ambos/Hall/Ryngaert, 3. Aufl., Art. 58 Rn. 37 ff. 211 Vgl. Ausführungen unter D. II. 3. b). 212 ICC-01/05-01/08-26-Red 15-12-2009 Public Redacted Version of ICC-01/05-01/08-26US-Exp Prosecutor’s Application for Warrant of Arrest under Article 58. 213 ICC-01/05-01/08-26-Red 15-12-2009 Public Redacted Version of ICC-01/05-01/08-26US-Exp Prosecutor’s Application for Warrant of Arrest under Article 58, par. 131 G. 3.

II. Vor- bzw. Ermittlungsverfahren

79

zunächst zusätzliches Material an, woraufhin die Anklage jedoch am 23. Mai 2008 abermals die vorläufige Festnahme gemäß Art. 92 IStGHSt beantragte und hierbei die erhebliche Fluchtgefahr betonte, nachdem Bemba zuvor von Portugal nach Belgien reiste und sich wohl die Anzeichen verdichteten, er könne weiter nach Afrika fliehen.214 Am gleichen Tag erließ die Vorverfahrenskammer III unter Aussetzung der weiteren Prüfung der Voraussetzung des Art. 58 IStGHSt einen Haftbefehl,215 der schließlich durch den Haftbefehl vom 10. Juni 2008 ersetzt wurde.216 Der vorläufige Haftbefehl vom 23. Mai 2008 wurde durch die belgischen Behörden bereits am 24. Mai 2008 vollzogen und Bemba bereits am 25. Mai 2008 einem belgischen Haftrichter vorgeführt.217 Nachdem der Haftbefehl vom 10. Juni 2008 für vollziehbar erklärt wurde, wurde Bemba dem Internationalen Strafgerichtshof am 03. Juli 2008 überstellt, wo er am 04. Juli 2008 erstmalig der Vorverfahrenskammer vorgeführt wurde.218 Der begründete Verdacht gemäß Art. 58 Abs. 1 IStGHSt bezog sich bei Erlass des Haftbefehls vom 10. Juni 2008 noch auf eine gemeinsame (mit Felix Patassé) direkte Strafbarkeit gemäß Art. 25 Abs. 3 a) IStGHSt für folgende Delikte: 1. Vergewaltigung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit gemäß Art. 7 Abs. 1 g) IStGHSt sowie 2. Vergewaltigung als Kriegsverbrechen gemäß Art. 8 Abs. 2 e) vi) IStGHSt 3. Folter als Verbrechen gegen die Menschlichkeit gemäß Art. 7 Abs. 1 f) sowie 4. Folter als Kriegsverbrechen gemäß Art. 8 Abs. 2 c) i) IStGHSt 5. Die Beeinträchtigung der persönlichen Würde, insbesondere entwürdigende und erniedrigende Behandlung als Kriegsverbrechen gemäß Art. 8 Abs. 2 c) ii) IStGHSt 6. Vorsätzliche Tötung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit gemäß Art. 7 Abs. 1 a) IStGHSt sowie 7. Vorsätzliche Tötung als Kriegsverbrechen gemäß Art. 8 Abs. 2 c) i) IStGHSt 8. Plünderung einer Stadt oder Ansiedlung gemäß Art. 8 Abs. 2 e) v) IStGHSt.219

214 ICC-01/05-01/08-28 24-06-2008 Prosecutor’s Application for Request for Provisional Arrest under Article 92, par. 6. 215 ICC-01/05-01/08-1-tENG-Corr 20-06-2008 Warrant of Arrest of Bemba, par. 7. 216 ICC-01/05-01/08-15-tENG 25-07-2008 Warrant of arrest for Bemba Gombo replacing the warrant of arrest issued on 23 May 2008. 217 ICC-01/05-01/08-73 22-09-2009 Decision on application for interim release, par. 20. 218 ICC-01/05-01/08-73 22-09-2009 Decision on application for interim release, par. 2 ff. 219 ICC-01/05-01/08-15-tENG 25-07-2008 Warrant of Arrest for Jean-Pierre Bemba Gombo Replacing the Warrant of Arrest Issued on 23 May 2008, par. 24.

80

D. Die erstinstanzlichen Verfahren

Der Vorwurf der vorsätzlichen Tötung war im ursprünglichen Haftbefehl vom 23. Mai 2008 noch nicht enthalten.220 Dies ergab erst die weitergehende Prüfung von zusätzlichem Material durch die Vorverfahrenskammer, tatsächliche Grundlage waren jedoch dieselben Ereignisse in der Zentralafrikanischen Republik zwischen Ende Oktober 2002 und März 2003.221 Als Haftgrund wurden im Ergebnis die gleichen Umstände angeführt wie im deutschen Verfahren: Zum einen sei die Verhaftung zur Sicherstellung des Erscheinens notwendig angeführt gemäß Art. 58 Abs. 1 b) i) IStGHSt, da angesichts Bembas diplomatischer Kontakte und finanziellen Möglichkeiten, ein Vorführhaftbefehl nicht ausreichend erschien.222 Ebenfalls nahm man die Gefährdung der Ermittlungen und des Verfahrens gemäß Art. 58 Abs. 1 b) ii) IStGHSt an, da befürchtet wurde, Bemba könne mögliche Zeugen ausfindig machen und beeinflussen.223 5. Zusammenfassung Die Strafverfolgungsorgane hatten bei den Ermittlungen unterschiedliche Herausforderungen zu bewältigen. Im deutschen Verfahren bestand die Schwierigkeit in einem noch aktiven Kriegsgeschehen, das nicht nur die Ermittler, sondern auch aussagebereite Zeugen behinderte. Im Bemba-Verfahren lag die Problematik darin, dass die zu untersuchenden Taten lange zurücklagen, sodass zum einen die Verlässlichkeit der Zeugenaussagen abnahm und zum anderen selbst mit Hilfe der örtlichen Behörden keine Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen mehr stattfinden konnten. Dennoch gelang es in beiden Fällen, Haftbefehle zu erwirken und die Beschuldigten zeitnah nach der Beantragung in Haft zu nehmen. Die Voraussetzungen des Haftbefehlserlasses sind auf nationaler Ebene anders formuliert als im Römischen Statut, jedoch verfolgen sie vergleichbare präventive Zwecke, nämlich den Erfolg des Verfahrens sicherzustellen und weitere gleichgelagerte Straftaten zu verhindern.

III. Die Zwischenverfahren An das Ermittlungsverfahren und die Ergreifung der Beschuldigten schloss sich in beiden Verfahren die Vorstufe der Hauptverhandlung, das jeweilige Zwischenverfahren an. Da sich hier weitere prozessuale Unterschiede und Verhandlungsabläufe 220 ICC-01/05-01/08-1-tENG-Corr 20-06-2008 Warrant of Arres for Jean-Pierre Bemba Gombo, par. 21. 221 ICC-01/05-01/08-15-tENG 25-07-2008 Warrant of Arrest for Jean-Pierre Bemba Gombo Replacing the Warrant of Arrest Issued on 23 May 2008, par. 10 222 ICC-01/05-01/08-14-tENG 17-07-2008 Decision on the Prosecutor’s Application for a Warrant of Arrest against Jean-Pierre Bemba Gombo, par. 87. 223 ICC-01/05-01/08-14-tENG 17-07-2008 Decision on the Prosecutor’s Application for a Warrant of Arrest against Jean-Pierre Bemba Gombo, par. 88.

III. Die Zwischenverfahren

81

erkennen lassen, die sich mitunter auch auf den Bestand der materiellen Anklagevorwürfe auswirkten, verdient auch diese Phase eine vergleichende Gegenüberstellung. 1. Das Zwischenverfahren gegen Dr. M. und M. Das deutsche Zwischenverfahren dient – wie bereits angesprochen – ebenso wie das Vorverfahren bzw. Zwischenverfahren vor dem IStGH der Kristallisierung derjenigen Anklagepunkte, derer der dann „Angeschuldigte“, vgl. § 157 StPO, hinreichend verdächtig ist, § 203 StPO, und wegen der das Hauptverfahren eröffnet werden soll. Die Prüfung des nunmehr entscheidenden Verdachtsgrades „hinreichender Tatverdacht“ ist Gegenstand und Zweck des Zwischenverfahrens.224 Formell beginnt das Zwischenverfahren mit dem Eingang der Anklage beim Gericht und endet mit der Entscheidung über die Eröffnung des Hauptverfahrens.225 Nach der Rechtsprechung des BGH liegt ein hinreichender Tatverdacht vor, wenn bei vorläufiger Tatbewertung auf Grundlage des Ermittlungsergebnisses die Verurteilung in einer Hauptverhandlung mit vollgültigen Beweismitteln wahrscheinlich ist,226 wobei der Verdachtsgrad als niedriger anzusehen ist als der dringende Tatverdacht im Rahmen des Haftbefehls.227 In concreto reichte der GBA die 189 Seiten lange Anklageschrift mit Verfügung vom 07. Dezember 2010 beim OLG Stuttgart ein und eröffnete damit das Zwischenverfahren.228 Da der fünfte Senat des OLG Stuttgart diese mit Beschluss vom 01. März 2011 unverändert zuließ, war zu diesem Zeitpunkt aus richterlicher Sicht wahrscheinlich, dass am Ende der Hauptverhandlung eine Verurteilung der Angeschuldigten wegen ihrer Eigenschaft als Führungspersönlichkeiten der FDLR gemäß § 4 VStGB i. V. m. Verbrechen gegen die Menschlichkeit in 26 Fällen und Kriegsverbrechen in 39 Fällen229 sowie eine Verurteilung wegen Mitgliedschaft in der ausländischen terroristischen Vereinigung „Forces Démocratiques de Libération du Rwanda“ (FDLR) erfolgen wird. Der Angeschuldigte Dr. M. war zudem hinreichend verdächtig, Rädelsführer in dieser Vereinigung gewesen zu sein.230 Die tatmehrheitlich begangenen Fälle der Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit gliederten sich dabei auf in 16 prozessuale Taten im Sinne von § 264

224

Vgl. Beulke/Swoboda, 2018, § 18 Rn. 352. Vgl. Kühne, 2015, § 36 Rn. 609; Beulke/Swoboda, 2018, § 18 Rn. 353, 356. 226 Vgl. BGH 15.10.2013 – StB 16/13, BeckRS 2014, 00528; 19.1.2010 – StB 27/09, BGHSt 54, 275 = NJW 2010, 2374; MüKoStPO/Wenske, 1. Aufl. 2016, StPO § 203 Rn. 10. 227 BeckOK StPO/Ritscher, 34. Aufl., Stand: 01.07.2019, StPO § 203 Rn. 4. 228 Vgl. Pressemitteilung des OLG Stuttgart vom 04.03.2011; Kroker, 2016, 53. 229 Vgl. Johnson/Schlindwein/Schmolze, 2016, 399. 230 Vgl. Pressemitteilung des OLG Stuttgart vom 04.03.2011; Pressemitteilung des Generalbundesanwalts Nr. 32/2010. 225

82

D. Die erstinstanzlichen Verfahren

StPO.231 Sieben der Tatkomplexe betrafen Überfälle auf Dörfer, fünf Tatkomplexe wurden im Hinblick auf Vergewaltigungen und sexuelle Versklavung gebildet und drei der Tatkomplexe beinhalteten einzelne Angriffe auf Zivilisten. Der letzte Tatkomplex betraf die Rekrutierung von Kindersoldaten.232 Das Zwischenverfahren vor dem OLG Stuttgart vermochte keine der angeklagten Taten „herauszufiltern“. Den größeren Effekt erzielten im Stuttgarter Verfahren das vorherige Ermittlungsverfahren sowie die folgende Hauptverhandlung, welche noch genauer betrachtet werden soll. Wie intensiv die Prüfung im Zwischenverfahren erfolgte, inwiefern insbesondere Beweiserhebungen und Beweiswürdigungen nach den §§ 202, 202a StPO ergangen sind, ist mangels Akteneinsicht aktuell nicht erkennbar. 2. Das Zwischenverfahren gegen Bemba Ebenso wie im deutschen Verfahren eröffnet die Anklageschrift des Anklägers das Zwischenverfahren vor dem IStGH. Zum Abschluss der Ermittlungen ist durch den Ankläger eine vorläufige Anklageschrift („document containing the charges“) zu erstellen, die bereits an essentielle formelle Vorgaben gebunden ist und neben der Beschreibung der Tatvorwürfe auch die Auflistung der Beweismittel enthalten muss, Regel 121 Ziff. 3 VBO, Regel 52 GO-Gericht.233 Aufgabe der Vorverfahrenskammer war es nun, diese Anklageschrift zu korrigieren oder zu bestätigen, was sich jedoch, vor allem wegen der bereits angesprochenen Zulässigkeitsrüge,234 als langwieriges Unterfangen herausstellte. Im Folgenden soll der Ablauf zwischen der Überstellung Bembas bis zur Eröffnung des Hauptverfahrens beschrieben werden. Da sich die materielle Anklage während dieser Phase bereits wesentlich veränderte, wird auf den Ablauf und das Ergebnis des confirmation hearings als Höhepunkt des Zwischenverfahrens besonderes Augenmerk gelegt. a) Ablauf und wesentliche Zäsuren im Bemba-Verfahren Nach der Überstellung an den IStGH am 03. Juli 2008 wurde Bemba am 04. Juli 2008 erstmals der Vorverfahrenskammer III235 vorgeführt und über seine Rechte, insbesondere die vorläufige Haftentlassung zu beantragen und die ihm zur Last gelegten Verbrechen, aufgeklärt, vgl. Art. 60 As. 1 IStGHSt, wobei Bemba auf 231 Vgl. zum Tatbegriff der Rechtsprechung MüKoStPO/Norouzi, 1. Aufl. 2016, § 264 Rn. 10. 232 Vgl. Kroker, 2016, 53 f. 233 Vgl. Safferling, 2011, § 7 Rn. 67. 234 Vgl. Ausführungen unter D. I. 2. b). 235 Am 19.03.2009 wurden die Vorverfahrenskammern II und III zusammengelegt und die Situation der Vorverfahrenskammer II zugewiesen, TCC-Pres-01 – 09 Decision on the constitution of Pre-Trial Chambers and on the assignment of the Central African Republic situation.

III. Die Zwischenverfahren

83

ein erneutes Verlesen der Vorwürfe verzichtete.236 Hierbei handelte es sich mangels Anklage aber noch nicht um das Zwischenverfahren. Der dort verkündete Starttermin der Anhörung des confirmation hearings am 04. November 2008 konnte wegen Unregelmäßigkeiten bei der Beweisoffenlegung nicht eingehalten werden237 und wurde erst am 12. Januar 2009 abgehalten.238 Die Erhebung der Anklage erfolgte am 01. Oktober 2008.239 Am 15. Juni 2009 erließ die Vorverfahrenskammer die confirmation decision und überwies das Verfahren an eine Hauptverfahrenskammer,240 welche durch das Präsidium des Gerichtshofs am 18. September 2009 als Hauptverfahrenskammer III eingesetzt wurde.241 Der von dieser vorgesehene Beginn der Hauptverhandlung am 27. April 2010242 musste aufgrund des Verfahrens rund um die Zulässigkeitsrüge243 zunächst auf den 05. Juli 2010244 und schließlich auf den 22. November 2010 verlegt werden.245 Insgesamt war Bemba damit bis zur Bestätigung der Anklage bereits über ein Jahr und bis zur Eröffnung der Hauptverhandlung bereits zweieinhalb Jahre inhaftiert. Die Verzögerung ist jedoch zu einem erheblichen Anteil auf das Infragestellen der Zulässigkeit zurückzuführen.246 Das reine Zwischenverfahren (Erste Anklageerhebung bis zur Bestätigung) dauerte achteinhalb Monate. Demgegenüber betrug im deutschen Verfahren die Zeit der Inhaftierung bis zum ersten Verhandlungstag am 04. Mai 2011 „nur“ knappe eineinhalb Jahre. Auch das Zwischenverfahren lief etwas schneller ab, es dauerte vom Eingang der Anklageschrift am 07. Dezember 2010 bis zum Eröffnungsbeschluss am 01. März 2011 knappe drei Monate.247

236

ICC-01/05-01/08-T-3-ENG ET WT 04-07.2008, 3. Hierzu s. unter D. IV. 4. „Rechte der Verteidigung“. 238 ICC-01/05-01/08-424 15-06-2009 Decision Pursuant to Article 61(7)(a) and (b) of the Rome Statute on the Charges of the Prosecutor Against Bemba Gombo, par. 12. 239 ICC-01/05-01/08-129-Conf-Exp-Anx2.A. nach ICC-01/05-01/08-3343 21-03-2016 Judgment pursuant to Article 74 of the Statute, par. 6; zu den weiteren Fassungen der Anklageschrift vgl. Ausführungen unter D. III. 2. b) bb) (3). 240 ICC-01/05-01/08-424 15-06-2009 Decision Pursuant to Article 61(7)(a) and (b) of the Rome Statute on the Charges of the Prosecutor Against Bemba Gombo. 241 ICC-01/05-01/08-534 18-09-2009 Decision constituting Trial Chamber III and referring to it the case of The Prosecutor v. Bemba Gombo. 242 ICC-01/05-01/08-598 05-11-2009 Decision on the Date of Trial. 243 Vgl. Ausführungen unter D. I. 2. 244 ICC-01/05-01/08-T-20-Red-ENG WT2 08-03-2010, 15. 245 ICC-01/05-01/08-T-30-ENG ET WT 21-10-2010, 5. 246 Vgl. hierzu Ausführungen unter D. I. 2. 247 Dieser wird hier am 07.12.2010 (Datum der Anklageschrit, vgl. Pressemitteilung des OLG Stuttgart vom 04.03.2011) unterstellt. 237

84

D. Die erstinstanzlichen Verfahren

b) Confirmation Hearing und Decision Den Kern des Vorverfahrens bzw. des Zwischenverfahrens im Strafprozess vor dem IStGH bildet das confirmation hearing, welches die Basis für die Bestätigungsentscheidung („confirmation decision“) der Vorverfahrenskammer darstellt. Die Bestätigungsentscheidung wiederum stellt entscheidende Weichen für das weitere Verfahren.248 Eine Besonderheit im Verfahren gegen Bemba bestand darin, dass sich die Besetzung und Bezeichnung der Vorverfahrenskammer im Laufe der Zeit geringfügig änderte: Erließ noch die Vorverfahrenskammer III249 den Haftbefehl vom 23. Mai bzw. 10. Juni 2008, bestätigte die Vorverfahrenskammer II250 die Anklage und eröffnete das Haupterfahren.251 Grund hierfür war das Ende der Amtszeit eines Richters, woraufhin am 19. März 2009 die Vorverfahrenskammer III aufgelöst wurde und das Verfahren der Vorverfahrenskammer II übertragen wurde.252 Die bereits zuvor beisitzende Richterin Ekaterina Trendafilova übernahm den Vorsitz.253 aa) Confirmation Hearing Das Abhalten einer verhandlungsähnlichen mündlichen Anhörung im Zwischenverfahren ist dem deutschen Verfahrensrecht fremd,254 im internationalen Prozess aber von großer Bedeutung, da die Anhörung die Haupterkenntnisquelle für die Entscheidung zur Bestätigung der Anklage bildet und somit wesentlich für die Definition des Verfahrensstoffes ist. Inhalte, die von Seiten der Anklage zu diesem Zeitpunkt nicht ausreichend dargestellt und demnach aussortiert werden, können nur unter relativ großem Aufwand wieder in das Verfahren eingebunden werden. Das confirmation hearing im Bemba-Verfahrens wurde abgehalten zwischen dem 12. und 15. Januar 2009 und fand als beweisrelevante Verhandlung vor der gesamten Kammer mit drei Richtern statt. Dort gipfelten die Anstrengungen der Vorverfahrensphase.255 Wie im deutschen Verfahrensrecht wird vor Bestätigung der Anklage und Eröffnung des Hauptverfahrens auch noch nicht vom „Angeklagten“ gespro248

Vgl. zur Aufgabe der Vorverfahrenskammer allgemein C. II. 2. Besetzt mit den Richtern Diarra (Vors.), Kaul und Trendafilova. 250 Besetzt mit den Richtern Trendafilova, Kaul und Tarfusser. 251 ICC-01/05-01/08-424 15-06-2009 Decision Pursuant to Article 61(7)(a) and (b) of the Rome Statute on the Charges of the Prosecutor Against Bemba Gombo. 252 ICC-01/05-01/08-390 19-03-2009 Decision on the constitution of Pre-Trial Chambers and on the assignment of the Central African Republic situation. 253 ICC-01/05-01/08-391 23-03-2009 Decision on the Election of Presiding Judge of PreTrial Chamber II, par. 5. 254 Das ausnahmsweise vorgesehene Erörterungsverfahren gemäß § 202a StPO dient in erster Linie der Förderung des Verfahrens im Hinblick auf Strukturierung und mögliche Absprachen, hat aber keinen Selbstzweck, etwa im Hinblick auf Sachverhaltsaufklärung und Bestätigung der Anklage, BeckOK StPO/Ritscher, 34. Aufl., Stand: 01.07.2019, StPO § 202a Rn. 4. 255 Vgl. Trifterer/Ambos/Schabas/Chaitidou/El Zeidy, 3. Aufl. 2016, Art. 61 Rn. 110. 249

III. Die Zwischenverfahren

85

chen, sondern im internationalen Bereich vom Verdächtigen („Suspect“) und in Deutschland vom Angeschuldigten, vgl. § 157 StPO. Die Vorsitzende Richterin der Vorverfahrenskammer rügte einen entsprechenden Versprecher der Anklage am ersten Tag des confirmation hearings ausdrücklich.256 Die Beweisführungslast lag, wie während des gesamten Verfahrens vor dem IStGH, bei der Anklage.257 Die Anklägerin sah ihre Aufgabe selbst in der Darlegung und der positiven Beantwortung der folgenden Fragen in einer Weise, die den dringenden Tatverdacht als erfüllt anzusehen ließ: Hat die zentralafrikanische Bevölkerung Verbrechen gegen die Menschlichkeit etc. erlitten? Wurden diese von der MLC verübt und ist Bemba hierfür verantwortlich?258 Grundlage des hearings waren die mittlerweile ergänzten Version der Anklage vom 17. Oktober 2008,259 die ergänzte Liste der Beweismittel („Amended list of evidence“) und die gründliche Analyse der Beweismittel („in-depth analysis chart“).260 Während der Anhörung beantragte keine der Parteien die persönliche Vernehmung von Zeugen, es blieb im Wesentlichen bei Zusammenfassungen der jeweiligen Beweisergebnisse, bzw. der hieraus gezogenen Schlussfolgerungen.261 Gänzlich auf eine Präsentation von Beweismitteln wurde allerdings nicht verzichtet, es beschränkte sich dabei auf die Inaugenscheinnahme einiger Beweismittel, die die eigene Sichtweise stützen sollten: So wurden etwa seitens der Anklage eine RadioSendung von Radio France Internationale,262 die von den Geschehnissen vor Ort berichtete und von Seiten der Verteidigung ein Video vorgespielt, das ein Interview mit dem Bürgermeister der Dorfschaft (Sibut) zeigt, auf dem dieser die Anwesenheit der MLC Soldaten guthieß.263 Teilnehmer der Verhandlung waren neben den Parteien und dem Gericht auch bereits die zwei rechtlichen Vertreter der Opfer („Legal Representatives“),264 die ebenfalls Stellungnahmen, am ersten und letzten Tag der mündlichen Verhandlung, 256

927. 257

ICC-01-05-01-08-T-9-ENG ET WT 12-01-2009 1, 35; Shabas, 2. Aufl. 2016, Art. 61,

Vgl. Vorsitzende Richterin am ersten Tag des confirmation hearings ICC-01/05-01/08-T9-ENG ET WT 12-01-2009, 6. 258 Vgl. Ausführungen der Anklage am letzten Tag des confirmation hearings ICC-01/0501/08-T-12-Red-ENG CT WT 15-01-2009, 62. 259 ICC-01/05-01/08-169-Conf-Anx2 A. See also ICC-01/05-01/08-264-Conf-AnxA, nach ICC-01/05-01/08-3343 21-03-2016 Judgment pursuant to Article 74 of the Statute, par. 6. 260 ICC-01/05-01/08-T-10-ENG ET WT 13-01-2009, 8. 261 Vgl. Transcripts: ICC-01-05-01-08-T-9-ENG ET WT 12-01-2009, ICC-01/05-01/08-T10-ENG ET WT 13-01-2009, ICC-01-05-01-08-T-11-ENG ET WT 14-01-2009, ICC-01/05-01/ 08-T-12-Red-ENG CT WT 15-01-2009. 262 ICC-01/05-01/08-T-10-ENG ET WT 13-01-2009. 10, 122. 263 ICC-01/05-01/08-T-10-ENG ET WT 13-01-2009, 82 ff. 264 Vgl. hierzu Ausführungen unter D. IV. 3. b).

86

D. Die erstinstanzlichen Verfahren

abgeben konnten.265 Insgesamt wurde ihnen jedoch weniger Redezeit als den Parteien eingeräumt.266 Letztlich verzichteten diese sogar auf ihren mündlichen Vortrag und zogen es vor, ihre Schlussplädoyers im Nachhinein schriftlich abzugeben.267 Das weitere Verfahren bis zur Bestätigungsentscheidung am 15. Juni 2019, gemäß Art. 67 Abs. 7 a) IStGHSt, erfolgte schriftlich.268 Einige Wochen nach der Anhörung, am 03. März 2009, erließ die Vorverfahrenskammer einen Beschluss gemäß Art. 61 Abs. 7 c) ii) IStGHSt, mit dem sie die (mündliche) Verhandlung weiter vertagte und dem Ankläger aufgab, eine materiellrechtlich geänderte Anklage einzureichen.269 Die vorgesehene Änderung betraf die strafrechtliche Verantwortlichkeit gemäß Art. 25 IStGHSt (unmittelbare Täterschaft),270 auf den die Anklage noch im confirmation hearing abgestellt hatte.271 Die Kammer sah in der vorgetragenen Konstellation lediglich Art. 28 IStGHSt (Vorgesetztenverantwortlichkeit) als voraussichtlich erfüllt an.272 Dem Abänderungsverlangen folgte der Ankläger mit seiner ergänzten Anklageschrift („Amended DCC“) vom 30. März 2009, ließ den Vorwurf der Täterschaft jedoch nicht fallen, sondern ergänzte ihn um Art. 28 IStGHSt und gab sowohl die geforderte Vorgesetztenverantwortlichkeit gemäß Art. 28 a) i) bzw. ii) IStGHSt als auch die täterschaftliche Verantwortlichkeit Art. 25 Abs. 3 a) IStGHSt als alternative Strafbarkeiten an.273 Die Sachverhaltsschilderung blieb aber dadurch unberührt, es handelte sich lediglich um eine rechtliche Ergänzung. Das Abänderungsverlangen der Vorverfahrenskammer kann als Ausdruck dafür gesehen werden, dass der auch im deutschen Rechtskreis bekannte Grundsatz „iura novit curia“ („Das Gericht kennt das Gesetz“), der für die Hauptverfahrenskammer in Regel 55 GO-Gericht normiert ist, auch vor der Vorverfahrenskammer gilt.274 Die 265 ICC-01-05-01-08-T-9-ENG ET WT 12-01-2009, 2; ICC-01/05-01/08-T-12-Red-ENG CT WT 15 – 01 – 2009 1/143 RM PT, 60. 266 ICC-01/05-01/08-T-12-Red-ENG CT WT 15-01-2009 1/143 RM PT, 60. 267 ICC-01/05-01/08-T-12-Red-ENG CT WT 15-01-2009 1/143 RM PT, 136; auch die Parteien reichten ihre Schlussvorträge schriftlich nach. 268 Der Begriff Vertagung („adjourning“) bedeutet nicht zwingend, dass die Anhörung später fortgesetzt wird, vgl. Trifterer/Ambos/Schabas/Chaitidou/El Zeidy, 3. Aufl. 2016, Art. 61 Rn. 139. 269 ICC-01/05-01/08-388 03-03-2009 Decision Adjourning the Hearing pursuant to Article 61(7)(c)(ii) of the Rome Statute. 270 Vgl. zu den einzelnen Varianten der individuellen Verantwortlichkeit etwa Shabas, 2. Aufl. 2016, Art. 25, 568; Ambos, 2018, § 7 Rn. 10 ff. 271 ICC-01/05-01/08-T-9-ENG ET WT 12-01-2009, 15; ICC-01-05-01-08-T-11-ENG ET WT 14-01-2009, 73. 272 ICC-01/05-01/08-388 03-03-2009 Decision Adjourning the Hearing pursuant to Article 61(7)(c)(ii) of the Rome Statute, par. 49. 273 ICC-01/05-01/08-395 30-03-2009 Prosecution’s Submission of Amended Document Containing the Charges, Amended List of Evidence and Amended In-Depth Analysis Chart of Incriminatory Evidence, par. 11. 274 Vgl. Ambos, LJIL, 2009, 715 (725).

III. Die Zwischenverfahren

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Kompetenz, Fakten rechtlich zu bewerten, liegt sowohl im Hinblick auf die Verbrechen gemäß Art. 7 bis 8bis IStGHSt als auch auf die Form der Verantwortlichkeit gemäß Art. 25 bzw. Art. 28 IStGHSt bei der Kammer. Vor diesem Hintergrund legte die Kammer das Merkmal „Verbrechen“ („crimes“) in Art. 61 Abs. 7 c) ii) IStGHSt weit aus und fasste darunter nicht nur die tatbestandsverwirklichenden Grunddelikte, sondern auch den Modus der Verantwortlichkeit.275 Es wurde von der Vorverfahrenskammer jedoch klargestellt, dass die Verantwortlichkeit für die Anklage grundsätzlich beim Ankläger verbleibt.276 Wäre die Anklage dem Verlangen nicht gefolgt, wäre es der Kammer oblegen, eine endgültige Entscheidung gemäß Art. 67 Abs. 7 a) oder b) IStGHSt zu fällen,277 sodass die Gefahr bestanden hätte, dass die Anklage insgesamt abgelehnt worden wäre. bb) Zulassungsentscheidung – confirmation decision Bedeutung für das weitere Verfahren gewann die im folgenden dargestellte Entscheidung nicht nur durch die Veränderung der materiellen Vorwürfe, sondern auch dadurch, dass im Rahmen der Festlegung des Verfahrensstoffes prozessuale Fehler begangen wurden, auf die die Rechtsmittelkammer die Aufhebung des Urteils stützte und Bemba freisprach.278 (1) Materielle Entscheidung Die Vorwürfe der Anklage wurden durch die Entscheidung vom 15. Juni 2009 sowohl im Rahmen des Verantwortlichkeitsmodus des allgemeinen Teils des Römischen Statuts als auch im Hinblick auf die in Bezug genommenen verwirklichten Tatbestände im besonderen Teil maßgeblich verändert. Neben dem in ihrer Entscheidung gemäß Art. 61 Abs. 7 c) ii) IStGHSt bereits angekündigten Wechsel von einer direkten Verantwortlichkeit gemäß Art. 25 Abs. 3 a) IStGHSt hin zu einer Vorgesetztenverantwortlichkeit gemäß Art. 28 a) IStGHSt, wurden drei angeklagte Tatbestände im Rahmen der Grunddelikte abgelehnt. Nicht bestätigt wurden der Tatbestand der Folter als Verbrechen gegen die Menschlichkeit gemäß Art. 7 Abs. 1 f) IStGHSt (Anklagepunkt 3) sowie als Kriegsverbrechen gemäß Art. 8 Abs. 2 c) i) IStGHSt (Anklagepunkt 4) sowie der Tatbestand Beeinträchtigung der persönlichen Würde, insbesondere entwürdigende und erniedrigende Behandlung als Kriegsverbrechen gemäß Art. 8 Abs. 2 c) ii) IStGHSt. Die Ablehnung der direkten Beteiligung in Form von Mittäterschaft oder mittelbarer Täterschaft gemäß Art. 25 Abs. 3 a) IStGHSt stützte die Kammer auf eine 275

ICC-01/05-01/08-388 04-03-2009 Decision Adjourning the Hearing pursuant to Article 61(7)(c)(ii) of the Rome Statute, par. 26; vgl. hierzu. Ambos, LJIL, 2009, 715 (724 f.). 276 ICC-01/05-01/08-388 04-03-2009 Decision Adjourning the Hearing pursuant to Article 61(7)(c)(ii) of the Rome Statute, par. 39. 277 Vgl. Trifterer/Ambos/Schabas/Chaitidou/El Zeidy, 3. Aufl. 2016, Art. 61 Rn. 142. 278 Vgl. hierzu Ausführungen unter E. II.

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D. Die erstinstanzlichen Verfahren

Anwendung der Tatherrschaftslehre („control over the crime“ theory)279 und lehnte hierbei die für Art. 25 IStGHSt nötige Tatherrschaft auf subjektiver Ebene ab. Es gebe keinen Nachweis dafür, dass Bemba bewusst gewesen sei, dass im gewöhnlichen Sachverhaltsverlauf Verbrechen begangen werden würden. Das Bewusstsein oder positive Kenntnis wären jedoch Voraussetzung für die Bejahung des Vorsatzes im Sinne eines dolus directus zweiten Grades gemäß Art. 30 Abs. 2 b) IStGHSt und damit für die Täterschaft gewesen.280 Schwächere Vorsatzformen wie die des dolus eventualis sind hiervon nicht umfasst, da nach der h. M. beim dolus eventualis das ernstliche Für-Möglich-Halten auf einer unsicheren Tatsachengrundlage basiert, während Art. 30 Abs. 2 b) IStGHSt einen relativ sicheren Erfolgseintritt erfasst, sodass der Eventualvorsatz die Voraussetzungen des Art. 30 IStGHSt nicht erfüllt.281 Dem folgte auch die Vorverfahrenskammer II.282 Da die Kammer Art. 30 IStGHSt nur auf Art. 25 IStGHSt anwandte, und demzufolge bei Art. 28 IStGHSt geringere Anforderungen an den subjektiven Tatbestand zu stellen waren, konnte sie diesen im Rahmen der Vorgesetztenverantwortlichkeit bejahen.283 Im deutschen Recht hätte die Abgrenzung zwischen unmittelbarer oder mittelbarer Täterschaft einerseits und Vorgesetztenverantwortlichkeit andererseits die Grenzen des VStGB verlassen, da es eine Normierung der Beteiligungsformen vergleichbar dem Art. 25 IStGHSt im VStGB nicht gibt und daher auf das allgemeine Strafrecht zurückzugreifen ist.284 Relevante Normen sind § 2 VStGB i. V. m. § 25 Abs. 1 StGB für die unmittelbare bzw. mittelbare Täterschaft und § 4 VStGB für die Vorgesetztenverantwortlichkeit. Die Zulassung der Folter als Verbrechen gegen die Menschlichkeit, die nach der Anklage durch Akte der Vergewaltigungen und anderer Formen sexueller Gewalt

279 ICC-01/05-01/08-424 15-06-2009 Icc-01/05-01/08-424 15-06-2009 Decision Pursuant to Article 61(7)(a) and (b) of the Rome Statute on the Charges of the Prosecutor Against Bemba Gombo, par. 348, wobei hier in der Sache der Lubanga confirmation decision gefolgt wurde, dort ICC-01/04-01/06-803-tEN 14-05-2007, Decision on the confirmation of charges, par. 330 ff.; Schabas, 2. Aufl. 2016, Art. 25, 569. 280 ICC-01/05-01/08-424 15-06-2009 Icc-01/05-01/08-424 15-06-2009 Decision Pursuant to Article 61(7)(a) and (b) of the Rome Statute on the Charges of the Prosecutor Against Bemba Gombo, par. 372, 400, 401. 281 Vgl. zum Streit und dolus eventualis ablehenend: Ambos, 2018, § 7 Rn. 64; Werle, 2016, Rn. 503 ff. für die Umfassung des dolus eventualis: Triffterer/Ambos/Piragoff/Robinson, 3. Aufl. 2016, Art. 30 Rn. 22. 282 ICC-01/05-01/08-424 15-06-2009 Icc-01/05-01/08-424 15-06-2009 Decision Pursuant to Article 61(7)(a) and (b) of the Rome Statute on the Charges of the Prosecutor Against Bemba Gombo, par. 362. 283 ICC-01/05-01/08-424 15-06-2009 Icc-01/05-01/08-424 15-06-2009 Decision Pursuant to Article 61(7)(a) and (b) of the Rome Statute on the Charges of the Prosecutor Against Bemba Gombo, par. 478, 479; kritisch Ambos, LJIL, Band 22, 2009, 715 (719 f.). 284 Vgl. Safferling/Hartweg-Asteroth/Scheffler, ZIS 2013, 447 (452).

III. Die Zwischenverfahren

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begangen worden sein sollten,285 wurde als Fall der Konsumtion bzw. im Kontext von kumulierten Anklagen („cumulative charging“) konkurrenzrechtlich abgelehnt.286 Die kumulierte Anklage der gleichen Ereignisse sowohl als Vergewaltigung als auch als Folter, würde die Rechte der Verteidigung verletzen, sodass, mangels anderer konkretisierter Foltervorwürfe, die Vergewaltigung alleine die angemessene Anklage wäre, da sie alle Elemente der Folter als Verbrechen gegen die Menschlichkeit enthalte, ergänzt um den Vorgang der Penetration.287 Die Ablehnung der Zulassung von Folter als Kriegsverbrechen, was mit dem gleichen Wortlaut angeklagt war,288 und sich auf die gleichen Akte stützte, begründete die Kammer hingegen mit der mangelnden Beweisführung, v. a. im Hinblick auf den Vorsatz Bembas, durch den Ankläger gemäß Art. 61 Abs. 3 IStGHSt i. V. m. Regel 52 b) GO-Gericht.289 Der Tatbestand des entwürdigenden Verhaltens wurde wiederum aus konkurrenzrechtlichen Gründen nicht bestätigt, da es im Rahmen des angeklagten Sachverhalts ebenfalls durch den Tatbestand der Vergewaltigung konsumiert werde.290 Zu konstatieren ist demnach eine erhebliche Reduktion der Anklage zugunsten Bembas, die vor allem mit den Fragen des Konkurrenzrechts und den Rechten der Verteidigung zusammenhing, sich nicht gegen zu viele kumulierte Anklagevorwürfe wehren zu müssen, denen derselbe Sachverhalt zu Grunde lag. Gegen die Entscheidung beantrage der Ankläger zwar am 22. Juni 2009 die Zulassung der Beschwerde gemäß Art. 82 Abs. 1 d) IStGHSt.291 Der Antrag wurde jedoch am 18. September 2009, also am gleichen Tag wie die Einsetzung der Hauptverfahrenskammer durch das Präsidium, von der Vorverfahrenskammer ab-

285 ICC-01/05-01/08-395-Anx3 30-03-2009 Public Redacted Version Of the Amended Document containing the charges filed on 30 March 2009, 35. 286 ICC-01/05-01/08-424 15-06-2009 Icc-01/05-01/08-424 15-06-2009 Decision Pursuant to Article 61(7)(a) and (b) of the Rome Statute on the Charges of the Prosecutor Against Bemba Gombo, 205. 287 ICC-01/05-01/08-424 15-06-2009 Icc-01/05-01/08-424 15-06-2009 Decision Pursuant to Article 61(7)(a) and (b) of the Rome Statute on the Charges of the Prosecutor Against Bemba Gombo, par. 202, 204, 206; Ambos, LJIL 22, 2009 715 (723). 288 ICC-01/05-01/08-395-Anx3 30 – 03 – 2009 Public Redacted Version Of the Amended Document containing the charges filed on 30 March 2009, 36. 289 ICC-01/05-01/08-424 15-06-2009 Icc-01/05-01/08-424 15-06-2009 Decision Pursuant to Article 61(7)(a) and (b) of the Rome Statute on the Charges of the Prosecutor Against Bemba Gombo, par. 299 f. 290 ICC-01/05-01/08-424 15-06-2009 Icc-01/05-01/08-424 15-06-2009 Decision Pursuant to Article 61(7)(a) and (b) of the Rome Statute on the Charges of the Prosecutor Against Bemba Gombo, par. 312. 291 ICC-01/05-01/08-427 22-06-2009 Prosecution’s Application for Leave to Appeal the Decision Pursuant to Article 61(7)(a) and (b) on the Charges against Bemba Gombo.

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D. Die erstinstanzlichen Verfahren

gelehnt.292 Es verblieb demnach der dringende Tatverdacht der strafrechtlichen Verantwortlichkeit für nur mehr fünf Tatbestände. (2) Zugrundeliegende Akte/Prozessuale Tat Von der Kammer als zulässig und ausreichend präzise angesehen wurde – entgegen der Einlassung der Verteidigung – die Angabe des angeklagten Tatzeitraums, ungefähr ab dem 26. Oktober 2002 („from on or about“) bis zum 15. Februar 2003, da der Verteidigung für jede konkrete Einzeltat konkrete Daten genannt wurden und man daher davon ausging, dass Regel 52 b) GO-Gericht eingehalten wurde.293 Hiernach ist es nötig, in der Anklageschrift Fakten, insbesondere Zeit und Ort der vorgeworfenen Verbrechen, anzugeben. Dies korrespondiert, wie noch näher zu beleuchten sein wird, mit der Aufgabe der Hauptverfahrenskammer nicht über die in der Anklage dargestellten Tatsachen und Umstände und etwaige Änderungen der Anklage hinauszugehen, Art. 74 Abs. 2 S. 2 IStGHSt.294 In der für die Entscheidung der Vorverfahrenskammer maßgeblichen Anklageschrift vom 30. März 2009 verwendete der Ankläger zur Konkretisierung der Einzeltaten und damit zur Festlegung der angeklagten prozessualen Taten folgende am Vorwurf der Vergewaltigung beispielhaft wiedergegebene Formulierung: „From on or about 26 October 2002 to 15 March 2003, Jean-Pierre BEMBA comitted jointly with another, Ange-Félix Patassé, crimes against humanity through acts of rape upon civilian men, woman and children in the Central African Republic, in violation of Articles 7(1)(g) and 25(3)(a) or 28(a) or 28(b) of the Rome Statute. Civilian men, women and children in the Central African Republic include, but are not limited to295 REDACTED, 26 or 27 October 2002, Fou; REDACTED, 26 or 27 October 2002, Fou; REDACTED, 26 October 2002, PK 12; REDACTED, 30 October 2002, BoyRabé; REDACTED, 8 November 2002, PK 12; REDACTED, 8 November 2002, PK 12; REDACTED, 8 November 2002, PK 12; REDACTED, 8 November 2002, PK 12; REDACTED, on or about 8 November 2002, PK 12; REDACTED, 8 November 2002, PK 12; REDACTED, on or about 5 March 2003, Mongoumba; Unidentified Victims 1 to 8, 26 October and 31 December 2002, Bangui; Unidentified Victims 9 to 30, October 2002 and 31 December 2002, Bangui; Unidentified Victims 31 to 35, October 2002 to 31 December 2002, Bangui.“296

292

ICC-01/05-01/08-532 18-09-2009 Decision on the Prosecutor’s Application for Leave to Appeal the Decision Pursuant to Article 61(7)(a) and (b) of the Rome Statute on the Charges of the Prosecutor Against Jean-Pierre Bemba Gombo. 293 ICC-01/05-01/08-424 15-06-2009 Icc-01/05-01/08-424 15-06-2009 Decision Pursuant to Article 61(7)(a) and (b) of the Rome Statute on the Charges of the Prosecutor Against Bemba Gombo, par. 67 f. 294 Vgl. Triffterer/Ambos/Triffterer/Kiss, 3. Aufl. 2016, Art. 74 Rn. 74. 295 Hervorhebung eingefügt. 296 ICC-01/05-01/08-395-Anx3 30-03-2009 Public Redacted Version Of the Amended Document containing the charges filed on 30 March 2009, 33 f.

III. Die Zwischenverfahren

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Das rechtliche Problemfeld der Eingrenzung und Konkretisierung des angeklagten Sachverhalts ähnelt der im deutschen Prozessrecht erforderlichen Bestimmung der prozessualen Tat im Sinne von §§ 264 und 155 StPO, welche auf vergleichbare Weise den Umfang der Kognitionspflicht und die Grenze der Entscheidungsbefugnis des Richters festlegt. Wird diese Grenze überschritten, fehlt auch nach deutschem Recht die Prozessvoraussetzung der Anklage und das Verfahren muss insoweit eingestellt werden.297 Soweit ersichtlich, spielte dies jedoch im Verfahren vor dem OLG Stuttgart keine bedeutende Rolle. (3) Weitere Veränderung/Versionen der Anklage bis zur Hauptverhandlung Nach der Eröffnungsentscheidung ergingen noch weitere Korrekturen an der Anklageschrift: Um die Entscheidung vom 15. Juni 2009 widerzugeben und den Prozessstoff entsprechend zu bestimmen, reichte der Ankläger auf Aufforderung der eingesetzten Hauptverfahrenskammer298 am 04. November 2009 seine zweite ergänzte Anklageschrift ein („Second Amended DCC“), wobei auch hier eine offene Formulierung („including but not limited to“) hinsichtlich der Vergewaltigungen und der Plünderungen gewählt wurde.299 Bei den Tötungen wurde auf die entgrenzende Formulierung „nicht begrenzt auf“ („not limited to“) verzichtet,300 sodass diesbezüglich eine textliche Konkretisierung erfolgte. Auf Antrag der Verteidigung, dass diese Version der Anklage hinsichtlich einiger Taten über den von der Vorverfahrenskammer bestätigten Bereich hinausging, ordnete die Hauptverfahrenskammer am 20. Juli 2010 an, eine weitere überarbeitete Version der Anklageschrift einzureichen,301 was der Ankläger am 18. August 2010 auch tat.302 Die zu veranlassenden Einschränkungen fielen jedoch geringer aus als von der Verteidigung beantragt: Hinsichtlich der Bezugnahme auf Vergewaltigungshandlungen seien die Formulierungen und Auswahl der konkreten Einzeltaten nicht zu beanstanden, auch wenn Ereignisse einbezogen worden seien, zu denen auch unbestätigte Zeugenaussagen vorlagen, da die Vorverfahrenskammer ihre Entscheidung nicht auf die unbestätigten Aussagen gestützt habe.303 Die diesbezüglichen 297

Vgl. KK-StPO/Kuckein, 8. Aufl. 2019, StPO § 264 Rn. 1. ICC-01/05-01/08-T-14-ENG ET WT 07-10-2009, 13. 299 ICC-01/05-01/08-593-Anx-Red 04-11-2009 Second Amended Document Containing the Charges, 35 f. 300 ICC-01/05-01/08-593-Anx-Red 04-11-2009 Second Amended Document Containing the Charges, 36 f. 301 ICC-01/05-01/08-836 21-07-2010 Decision on the defence application for corrections to the Document Containing the Charges and for the prosecution to file a Second Amended Document Containing the Charges. 302 ICC-01/05-01/08-856-AnxA-Red 18-08-2010 Revised Second Amended Document Containing the Charges. 303 ICC-01/05-01/08-836 20-07-2010 Decision on the defence application for corrections to the Document Containing the Charges and for the prosecution to file a Second Amended Document Containing the Charges, par. 259 f., 266. 298

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D. Die erstinstanzlichen Verfahren

Rügen der Verteidigung seien daher unnötig.304 Insbesondere sei die offenen Formulierung nicht zu beanstanden, da die Vorverfahrenskammer keine ausdrückliche Einschränkung auf bestimmte Ereignisse vorgenommen, sondern sich selbst auf die ausreichende Beweislage im Hinblick auf den gesamten Zeitraum zwischen dem 26. Oktober 2002 und 15. März 2003 bezogen hatte.305 Hinsichtlich der Inbezugnahme der einzelnen Tötungsdelikte waren lediglich die Klarnamen zu entfernen und durch „Cousin von Zeuge 22“ bzw. „Bruder von Zeuge 87“ zu ersetzen, da dies so auch in der confirmation decision gehandhabt worden sei. Ort und Datum durften jedoch enthalten und veröffentlicht bleiben. Ein Tötungsereignis musste jedoch mangels ausreichender Beweise aus der Anklage entfernt werden, nämlich das des „unidentifizierten Opfers 36“.306 Hinsichtlich der Plünderungen wandte sich die Verteidigung ausdrücklich gegen die Formulierung „include but not limited to“,307 was von der Kammer jedoch mit der gleichen Argumentation wie im Hinblick auf die Vergewaltigungen (Bestätigungsentscheidung enthält ebenfalls keine Begrenzungen)308 bestätigt wurde. Diese Version musste, ebenfalls auf Anordnung der Kammer,309 noch einmal hinsichtlich eines unstreitigen tatsächlichen Fehlers korrigiert werden, sodass die korrigierte, überarbeitete zweite ergänzte Anklageschrift vom 13. Oktober 2010 („Corrected Revised Second Amended DCC“)310 schließlich Grundlage des Verfahrens werden konnte.311 Bis zur Verurteilung am 21. März 2016 erfolgte keine weitere Anpassung der Anklageschrift. 304 ICC-01/05-01/08-836 20-07-2010 Decision on the defence application for corrections to the Document Containing the Charges and for the prosecution to file a Second Amended Document Containing the Charges, par. 258, 264. 305 ICC-01/05-01/08-836 20-07-2010 Decision on the defence application for corrections to the Document Containing the Charges and for the prosecution to file a Second Amended Document Containing the Charges, par. 257, 262. 306 ICC-01/05-01/08-836 20-07-2010 Decision on the defence application for corrections to the Document Containing the Charges and for the prosecution to file a Second Amended Document Containing the Charges, par. 270. 307 ICC-01/05-01/08-694-Conf-Exp-AnxA, page 40 nach ICC-01/05-01/08-836 21-072010 Decision on the defence application for corrections to the Document Containing the Charges and for the prosecution to file a Second Amended Document Containing the Charges, par. 276 Fn. 437. 308 ICC-01/05-01/08-836 21-07-2010 Decision on the defence application for corrections to the Document Containing the Charges and for the prosecution to file a Second Amended Document Containing the Charges, par. 279. 309 ICC-01/05-01/08-935 08-10-2010 Decision on the defence application to obtain a ruling to correct the revised Second Amended Document containing the Charges, par. 9 – 12, wobei die Richter die Vorrangigkeit der Bestätigungsentscheidung gegenüber der Anklageschrift im Hinblick auf etwaige Widersprüchlichkeiten betonte. 310 ICC-01/05-01/08-950-Red-AnxA 13-10-2010 Corrected Revised Second Amended Document Containing the Charges. 311 ICC-01/05-01/08-935 08-10-2010 Decision on the defence application to obtain a ruling to correct the revised Second Amended Document containing the Charges, par. 12.

IV. Gang der Hauptverhandlungen

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3. Zusammenfassung Es bleibt festzuhalten, dass die Anklageschrift im Verfahren gegen Bemba bereits bis zum Beginn der Hauptverhandlung mehrfach verändert wurde. Dies galt sowohl in Bezug auf die materiellen Anklagevorwürfe als auch – dies aber nur in geringerem Umfang – hinsichtlich der zugrundeliegenden Delikte der MLC Soldaten. Die Vorverfahrenskammer entfaltete ihre gesetzlich vorgesehene Filterwirkung. Dies mag damit zusammenhängen, dass sich sämtliche Verfahrensbeteiligte und Entscheidungsträger in der Anhörung zur Bestätigung der Anklage bereits in einer mündlichen Verhandlung gegenüberstanden. So konnten erste Beweismittel und Rechtsauffassungen kontradiktorischem Vortrag und Meinungsaustausch unterzogen werden. Die Anpassungen der Anklageschrift dienten dem Zweck, möglichst die Bestätigungsentscheidung widerzuspiegeln, was auch aus Sicht der Vorverfahrenskammer Ausdruck der Bedeutung des Zwischenverfahrens und der Autorität der Vorverfahrenskammer und seiner Entscheidung ist.312 Im deutschen Verfahren hingegen gab es, soweit ersichtlich, nur eine einzige Anklageschrift, die unverändert zugelassen wurde. Hier erfolgte allerdings, wie noch aufzuzeigen ist, eine nicht geringfügige Reduktion der Anklagevorwürfe im Laufe der Hauptverhandlung.

IV. Gang der Hauptverhandlungen Im Folgenden sollen die jeweiligen Hauptverhandlungen anhand verschiedener Kriterien gegenübergestellt sowie die zentralen Aussagen der materiellen Entscheidung dargelegt werden. Darüber hinaus werden die Beteiligung der Opfer und Zeugen sowie die Ausgestaltung ausgewählter Rechte der Verteidigung betrachtet. Sowohl im deutschen als auch im internationalen Strafprozess bildet die Hauptverhandlung die ausschließliche Grundlage der Urteilsfindung. Gemäß § 261 StPO hat das (deutsche) Gericht seine Überzeugung ausschließlich aus dem „Inbegriff der Hauptverhandlung“ zu schöpfen. Hierunter fassen sich Inhalte, die zwischen dem Aufruf zur Sache und dem letzten Wort des Angeklagten, eingebracht wurden und Gegenstand der mündlichen Erörterungen waren.313 Auch im internationalen Verfahren ist die Hauptverhandlung der Kern der Sachverhaltserforschung und Grundlage der Urteilsfindung. Gemäß Art. 74 Abs. 2 S. 1 IStGHSt gründet sich das Urteil auf die Beweiswürdigung der Kammer und das gesamte Verfahren. Nach dem korrelierenden Art. 74 Abs. 2 S. 3 IStGHSt darf der

312

ICC-01/05-01/08-935 08-10-2010 Decision on the defence application to obtain a ruling to correct the revised Second Amended Document containing the Charges, ebd. 313 Vgl. KK-StPO/Ott, 8. Aufl. 2019, StPO § 261 Rn. 6; MüKoStPO/Miebach, 1. Aufl. 2016, StPO § 261 Rn. 2 f.

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D. Die erstinstanzlichen Verfahren

Gerichtshof dem Urteil lediglich die Beweismittel zu Grunde legen, die während der Verhandlung beigebracht und vor ihm erörtert wurden.314 1. Ausgangssituationen In materieller Hinsicht beinhalteten die Verfahren sehr ähnliche Anklageschriften. Sowohl Bemba als auch Dr. M. und M. wurden nicht als unmittelbare oder mittelbare Täter, sondern als Vorgesetzte gemäß Art. 28 IStGHSt bzw. § 4 VStGB angeklagt.315 Aus strafrechtlicher Sicht bestanden Hauptaufgaben des Anklägers und des OLG Stuttgarts darin, in der Hauptverhandlung sowohl die vor Ort begangenen Grunddelikte als auch die diesbezüglich kausalen, strafbaren individuellen Handlungen der Angeklagten nachzuweisen und strafrechtlich zu bewerten. 2. Umfang und Ablauf der Beweisaufnahmen Um dies zu erreichen, waren umfangreiche Beweisaufnahmen erforderlich, deren Strukturen und Abläufe Gegenstand der folgenden Ausführungen sein sollen. Bevor auf den Gang der beiden Hauptverhandlungen in concreto eingegangen wird, sollen die prozessrechtlichen Rahmenbedingungen dargestellt werden. a) Verfahren gegen Dr. M. und M. Die folgenden Ausführungen zum Beweisrecht nach der StPO beschränken sich auf die wesentlichen Strukturen, die es benötigt, um einen Vergleich zum Römischen Statut zu ziehen. Eine detaillierte Darstellung der StPO würde den Gegenstand dieser Arbeit verlassen.316 aa) Die Beweisaufnahme nach der StPO Die förmliche Beweisaufnahme, im Sinne von § 244 Abs. 1 StPO, erfolgt im Wege des sog. Strengbeweisverfahrens nach den §§ 244 – 257 StPO. Es ist anzuwenden für die entscheidenden Fragen der Schuld und Rechtsfolgen, Entschädigung der Verletzten und ggf. des Angeklagten sowie der Entscheidung über die Kosten und Auslagen.317 Ebenso gilt es für Beweiserhebungen, die den Beweiswert von Beweismitteln betreffen, die ihrerseits Bedeutung für den Schuld- oder Rechtsfol-

314

Vgl. Triffterer/Ambos/Triffterer/Kiss, 3. Aufl. 2016, Art. 74 Rn. 26. Vgl. zur Abgrenzung Safferling/Hartwig-Asteroth/Scheffler, ZIS 2013, 447. 316 Vgl. für eine ausführlichere Betrachtung der deutschen Verfahrensprinzipien über die Beweisaufnahme etwa Krey/Heinrich, 2019, § 15 Rn. 683 ff. 317 Vgl. KK-StPO/Krehl, 8. Aufl. 2019, § 244 Rn. 8; MüKoStPO/Trüg/Habetha, 1. Aufl. 2016, § 244 Rn. 34. 315

IV. Gang der Hauptverhandlungen

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genausspruch besitzen.318 Als Strengbeweismittel kommen ausschließlich Zeugen, Sachverständige, Urkunden und Augenschein in Betracht.319 Den Grundsätzen der Mündlichkeit, Unmittelbarkeit und Öffentlichkeit ist es geschuldet, dass Zeugen und Sachverständige grundsätzlich mündlich gehört werden,320 Schriftstücke durch die Sitzungsniederschrift beweisbar verlesen werden müssen321 und Augenscheinsobjekte ebenfalls durch die Protokollierung beweisbar in Augenschein genommen werden müssen.322 Das Gericht muss dabei alles berücksichtigen, was ihm an „Eindrücken aus dem Gerichtssaal vermittelt wird“.323 Hinsichtlich des Ablaufes gibt es außer der Vorgaben des § 243 StPO, der die zwingende Abfolge der Verfahrensabschnitte regelt, keine feste Reihenfolge innerhalb der Beweisaufnahme, ob zunächst die belastenden oder entlastenden Beweismittel aufgenommen werden müssen.324 bb) Sonderproblematik der Zeugenaussagen in Völkerstrafverfahren Im Völkerstrafverfahren geht es für die Tatrichter oft um Taten, die sich auf fremdem Territorium abgespielt haben und bereits Jahre zurückliegen,325 sodass Zeugen, die über Geschehnisse berichten, die eine Qualität und Ausmaß aufweisen, die mit nichts in innerstaatlichem Rahmen zu vergleichen ist,326 meist das zunächst wichtigste Beweismittel darstellen.327 Neben der Frage der Zuverlässigkeit von Zeugenaussagen, die häufig per se gegenüber anderen Beweismitteln als gering angesehen wird,328 stellt sich überdies das Problem, die Zeugen im Ausland zu erreichen, sie zum Prozess zu laden und das persönliche Erscheinen zu bewirken. Wegen des Unmittelbarkeitsgrundsatzes des § 250 StPO, der dem Beweis durch Zeugen und Sachverständige Vorrang gegenüber dem Urkundsbeweis einräumt, ist 318 BGH, Urteil vom 20.01.1981, NStZ 1981, 309 (310); KK-StPO/Krehl, 8. Aufl. 2019, StPO § 244 Rn. 8; MüKoStPO/Trüg/Habetha, 1. Aufl. 2016, § 244 Rn. 34; Beulke/Swoboda, 2018, § 20 Rn. 403. 319 Vgl. KK-StPO/Krehl, 8. Aufl. 2019, § 244 Rn. 18; Beulke/Swoboda, 2018, § 10, Rn. 179. 320 Vgl. KK-StPO/Ott, 8. Aufl. 2019, § 261 Rn. 22; MüKoStPO/Miebach, 1. Aufl. 2016, StPO § 261 Rn. 35. 321 Vgl. KK-StPO/Ott, 8. Aufl. 2019, § 261 Rn. 25. 322 Vgl. KK-StPO/Ott, 8. Aufl. 2019, § 261 Rn. 26. 323 Vgl. MüKoStPO/Miebach, 1. Aufl. 2016, § 261 Rn. 10; hierzu auch KK-StPO/Ott, 8. Aufl. 2019, StPO § 261 Rn. 17 – 21. 324 Vgl. zur Verhandlungsreihenfolge etwa BeckOK StPO/Gorf, 34. Aufl., Stand: 01.07.2019, StPO § 243 Rn. 1 – 3. 325 Vgl. Heinsch, Schriftliche Stellungnahme zu BT Drucksache 18/6341, 12. 326 Vgl. Heinsch, Schriftliche Stellungnahme zu BT Drucksache 18/6341, 9. 327 Vgl. Heinsch, Schriftliche Stellungnahme zu BT Drucksache 18/6341, 10. 328 Vgl. von Wistinghausen, in: Safferling/Kirsch, Völkerstrafrechtspolitik: Praxis des Völkerstrafrechts, 2014, 199 (201); Heinsch, Schriftliche Stellungnahme zu BT Drucksache 18/ 6341, 10.

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D. Die erstinstanzlichen Verfahren

die persönliche Vernehmung, insbesondere von Zeugen von besonderer Bedeutung.329 Bei Völkerstrafverfahren bzw. generell bei Auslandssachverhalten stellt sich jedoch aufgrund des Territorialitätsprinzips das Problem, das Aussagen nicht erzwungen werden können etwa durch Anwendung des § 70 StPO.330 Selbst wenn ein Zeuge aussagebereit wäre, es eines Zwangsmittels gegenüber ihm also nicht notwendig wäre, stellen sich weitere Probleme in der Zusammenarbeit mit den nationalen Behörden. So teilte etwa im Stuttgarter Verfahren die ruandische Justizbehörde mit, dass einem Zeugen die Ausstellung von Reiseunterlagen und die Ausreise verweigert werden, da der Zeuge bereits in Ruanda verurteilt wurde und unter Bewährung stehe. Der Stuttgarter Senat hatte keine Möglichkeit, dies unabhängig und zweifelsfrei nachzuprüfen.331 cc) Hauptverhandlung/Beweisaufnahme in concreto Die Hauptverhandlung vor dem OLG Stuttgart dauerte vom 04. Mai 2011 bis zum 28. September 2015 und umfasste 320 Verhandlungstage. Während dieser Tage erfolgte eine umfassende Beweisaufnahme, in der jedes der möglichen Strengbeweismittel herangezogen wurde. (1) Zeugenbeweise Eine erhebliche Bedeutung nahm in Anwendung des vorgenannten Unmittelbarkeitsgrundsatzes die Vernehmung unterschiedlicher Zeugen ein. (a) FDLR-Zeugen Insgesamt wurden mehr als 50 Zeugen gehört, wobei die größte Gruppe ehemalige FDLR-Mitglieder darstellten, die zur Zeit der Verhandlung in Ruanda lebten. Diese Zeugen waren insbesondere bedeutsam für den Nachweis der Kommandostrukturen,332 also einer möglichen Befehlskette von den Angeklagten bis zur Militärführung bzw. den Milizen vor Ort. 22 ehemalige und repatriierte FDLR-Angehörige wurden vom Senat im Laufe der Verhandlung vernommen. Bis auf einen Zeugen (6N333), der audiovisuell vernommen wurde, konnten alle Zeugen in Stuttgart gehört werden. Darüber hinaus wurde die Bild/-Tonaufzeichnung eines weiteren im Ermittlungsverfahren vernommenen Zeugen, durch Abspielen und Inaugenscheinnahme sowie teilweise Verlesung der Niederschrift seiner Vernehmung, in die 329

Vgl. zum Unmittelbarkeitsgrundsatz etwa KK-StPO/Diemer, 8. Aufl. 2019, § 250 Rn. 1 – 1a. 330 OLG Stuttgart, Beschluss vom 01.06.2011 – 5 – 3 StE 6/10. 331 Vgl. von Wistinghausen, in: Safferling/Kirsch, Völkerstrafrechtspolitik: Praxis des Völkerstrafrechts, 2014, 199 (201). 332 Vgl. Kroker, 2016, 55. 333 Im Urteilstext erhielten die Zeugen und Beteiligten entsprechende Kürzel.

IV. Gang der Hauptverhandlungen

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Hauptverhandlung eingeführt.334 Innerhalb der FDLR bekleideten die vernommenen Zeugen teilweise sogar hochrangige Ämter. So konnte etwa der Leiter des Informationsbüros des FOCA-Kommandos (2S.)335, der ehemalige 2. Vizepräsident und Kommandeur der FOCA-Streitkräfte (2P.R), der bereits im November 2003 repatriiert worden war336 oder aber Generalstabsoffizier 1S.B337 vernommen werden. Da manche dieser Personen an den Angriffen auf die Zivilbevölkerung selbst teilgenommen hatten, wie etwa die Zeugen 1G.N oder 10N, die bei dem Angriff auf Busurungi am 09./10. Mai 2009338 mindestens zugegen waren, bestand der Verdacht, dass diese Personen sich teilweise selbst strafbar gemacht haben könnten, sodass die entsprechenden Aussagen nicht immer zuverlässig erschienen und sich mitunter von den Aussagen im Ermittlungsverfahren unterschieden. Das Gericht maß diesen Aussagen entsprechend geringere Beweiswerte bei.339 Da jedoch durch die Vernehmung in Stuttgart für die Verfahrensbeteiligten die Möglichkeit der persönlichen Wahrnehmung und konfrontativen Befragung bestand, konnte das Urteil in wesentlichen Teilen, etwa dem Entstehen und der Entwicklung der FDLR und zur Stellung und den Aktivitäten der Angeklagten, aber auch zum allgemeinen Vorgehen der Miliz in den Kivu-Gebieten, zumindest auch auf die umfangreichen Angaben dieser Zeugen gestützt werden.340 Bei den abgeurteilten Taten selbst (Angriffe auf die Zivilbevölkerung) blieben die Angaben jedoch vielfach vage.341 (b) UN- bzw. NGO-Zeugen Genauere Angaben konnten hier Mitarbeiter der VN bzw. von Nichtregierungsorganisationen machen. So wurden die Zeugen 1C.G. und 4D.M., die im Rahmen der VN-Sachverständigengruppe „Group of Experts on the DRC“ in der Kriegsregion Untersuchungen anstellten, angehört. Im Rahmen der Vernehmungen konnten diese selbst auf unterschiedliche Quellen zurückgreifen, insbesondere auf repatriierte und vor Ort interviewte FDLR-Kämpfer, die nicht zu einer Aussage vor dem OLG Stuttgart bereit waren.342 Darüber hinaus konnte ein politischer Mitarbeiter der VNFriedensmission MONUC (später MONUSCO)343 zu verschiedenen Themen von der 334

OLG Stuttgart, 28.09.2015 – 5 – 3 StE 6/10, Teil 3 A. I. 1. a). OLG Stuttgart, 28.09.2015 – 5 – 3 StE 6/10, Teil 3 A. I. 1. a). 336 OLG Stuttgart, 28.09.2015 – 5 – 3 StE 6/10, Teil 3 D. II. 337 OLG Stuttgart, 28.09.2015 – 5 – 3 StE 6/10, Teil 3 D. III. 2. b) aa). 338 OLG Stuttgart, 28.09.2015 – 5 – 3 StE 6/10, Teil 3 C. V. 3. c) aa) (1). 339 OLG Stuttgart, 28.09.2015 – 5 – 3 StE 6/10, Teil 3 C. V. 3. c) aa) (1); beispielhaft noch Teil 3 C. V. 3. a) aa) (6). 340 OLG Stuttgart, 28.09.2015 – 5 – 3 StE 6/10, Teil 3 A. I. 1. a); beispielhaft noch Teil 3 C. I. 2. a) aa). 341 OLG Stuttgart, 28.09.2015 – 5 – 3 StE 6/10, Teil 3 C. V. 3. 342 OLG Stuttgart, 28.09.2015 – 5 – 3 StE 6/10, Teil 3, C. IV. 3. b) cc). 343 Mandat aufgrund der Resolution 1291 des Sicherheitsrates vom 24.02.2000. Am 01.07.2010 wurde die MONUC mit der Resolution 1925 vom 28.05.2010 in MONUSCO umbenannt. 335

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D. Die erstinstanzlichen Verfahren

Entstehung der FDLR bis zu Einzelheiten der abgeurteilten Taten Angaben machen.344 Ergänzt wurden die Aussagen der VN-Zeugen durch Vorlage, Inaugenscheinnahme und teilweise Verlesung verschiedener VN-Berichte.345 Eine wichtige Zeugin war zudem die Human Rights Watch Mitarbeiterin VW., die über vor Ort angestellte Recherchen von Human Rights Watch berichten konnte und dabei insbesondere Auskünfte über die Entstehung des Berichts „You will be punished“ machen konnte,346 für den seitens HRW insgesamt 689 Interviews geführt wurden, davon 175 von der Zeugin selbst.347 (c) Opferzeugen Zudem waren in der Anklageschrift zehn Opferzeugen anonymisiert benannt, von denen allerdings nur sechs (drei männliche und drei weibliche sog. Z-Zeugen: Z 1, Z 2, Z 3, Z 5, Z 9 und Z 10) vom Senat vernommen werden konnten und Angaben machten.348 Die Aussagen erfolgten unter Ausschluss der Öffentlichkeit und wurden per Videoübertragung gemäß § 247a StPO von einem geheimen Ort in der Tatortregion im Osten der DR Kongo in den Gerichtssaal übertragen.349 Nicht zuletzt wegen der erforderlichen Schutzmaßnahmen, insbesondere der Anonymisierung der Opferzeugen, sank deren Beweiswert erheblich,350 da die Glaubwürdigkeit der Zeugen durch Beleuchtung des Umfeldes nicht mehr überprüfbar war.351 Darüber hinaus erschwerte die Videoübertragung und die erforderliche zeitgleiche Übersetzung die direkte Kommunikation zwischen den Zeugen und den Prozessbeteiligten.352 Weitere Schwierigkeiten, die sich ebenfalls auf den Beweiswert auswirkten, verursachten der teilweise geringe Bildungsgrad und die fehlende Möglichkeit des Gerichts, die sich im Ausland befindlichen Zeugen zu einer

344 OLG Stuttgart, 28.09.2015 – 5 – 3 StE 6/10, Teil 3 A. I. 3. b); zu den Tötungen beim Überfall auf Burungi OLG Stuttgart, 28.09.2015 – 5 – 3 StE 6/10, Teil 3 C. V. 3. (4) (b). 345 Im Urteil Erwähnung finden etwa: Schlussbericht der Expertengruppe für die DR Kongo vom 12.12.2008 bzw. 23.11.2009, ICG Rapport Afrique Nr. 151 vom 9. Juli 2009, OLG Stuttgart, 28.09.2015 – 5 – 3 StE 6/10, Teil 3 C. I. 2. sowie der Bericht des gemeinsamen Büros der Vereinten Nationen für Menschenrechte, OLG Stuttgart, 28.09.2015 – 5 – 3 StE 6/10, Teil 3 A. I. 3. b) und der OCHA Situationsbericht Nr. 2, OLG Stuttgart, 28.09.2015 – 5 – 3 StE 6/10, Teil 3 C. V. 2. d) bb) (2). 346 abrufbar unter https://www.hrw.org/sites/default/files/reports/drc1209webwcover2.pdf, zuletzt zugegriffen am 05.10.2018. 347 OLG Stuttgart, 28.09.2015 – 5 – 3 StE 6/10, Teil 3 A. I. 4. 348 OLG Stuttgart, 28.09.2015 – 5 – 3 StE 6/10, Teil 3 A. I. 2.; vgl. auch Kroker, 2016, 55, der allerdings von nur fünf aussagenden Opferzeugen sprach. Zum Zeugen- bzw. Opferschutz s. im Folgenden unter D. IV. 2. a) dd). 349 Vgl. Kroker, 2016, 55. 350 OLG Stuttgart, 28.09.2015 – 5 – 3 StE 6/10, Teil 3 A. I. 2. b). 351 Vgl. Ritscher, Schriftliche Stellungnahme zu BT Drucksache 18/6341, 6. 352 Vgl. Ritscher, Schriftliche Stellungnahme zu BT Drucksache 18/6341, 6.

IV. Gang der Hauptverhandlungen

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wahrheitsgemäßen Aussage zwingen zu können.353 Den Zeugen mit geringer Schulbildung fiel es insbesondere schwer Vorgänge zu datieren, die schon längere Zeit zurücklagen. Zudem unterschieden sie häufig nicht zwischen selbst unmittelbar wahrgenommenen und solchen und nur vom Hörensagen bekannten Geschehnissen.354 Im Ergebnis führten die fehlende Erzwingbarkeit von (wahrheitsgemäßen) Zeugenaussagen sowie die Reduktion des Beweiswertes dazu, dass die entsprechenden Aussagen in den Urteilsgründen bei der Beweiswürdigung nur bedingt Berücksichtigung fanden. Johnson/Schlindwein/Schmolze sprechen zwar von nur drei berücksichtigten Opferzeugen, wobei es sich um solche handeln solle, die den Überfall von Busurungi überlebt hätten.355 Dies kann jedoch anhand der Urteilsgründe nicht bestätigt werden. Beispielsweise für die Tatsache, dass der wirtschaftliche Unterhalt der FDLR teilweise durch Plünderungen aufrechterhalten wurde, stellte der Senat auf die „anschaulichen“ Schilderungen aller sechs Z-Zeugen ab.356 Aufgrund des geringen Beweiswertes wurden alle Tatvorwürfe, die ausschließlich auf Aussagen von Opfern beruhten, eingestellt.357 Dies betraf im Stuttgarter Verfahren, im Gegensatz zum erstinstanzlichen Urteil im Verfahren gegen Bemba, sämtliche Vergewaltigungsvorwürfe. Der bedauerliche Umstand, dass es erneut zu keiner Verurteilung von Sexualdelikten an Frauen kommen konnte, wurde in der Öffentlichkeit mit Enttäuschung aufgenommen. Medica Mondale e. V. spricht von einem „Schlag ins Gesicht der Frauen und Mädchen, die massenhaft von FDLRSoldaten vergewaltigt wurden“.358 Die Aussagen der Opferzeugen jedoch, die anderweitige Bestätigung fanden, wurden im Rahmen der Beweiswürdigung berücksichtigt, jedoch regelmäßig nur mit wenigen abrundenden Sätzen herangezogen.359 (2) Sachverständige Zu den geschichtlichen Hintergründen360 sowie zu einzelnen Fragen im Hinblick auf die Sprache Kinyarwanda361 vernahm das Gericht jeweils einen Sachverständi353

Vgl. Ritscher, Schriftliche Stellungnahme zu BT Drucksache 18/6341, 6. OLG Stuttgart, 28.09.2015 – 5 – 3 StE 6/10, Teil 3 A. I. 1. c). 355 Vgl. Johnson/Schlindwein/Schmolze, 2016, 419. 356 OLG Stuttgart, 28.09.2015 – 5 – 3 StE 6/10, Teil 3 C. IV. 1. 357 Urteilsverkündung, Prozesstag 320, nach Johnson/Schlindwein/Schmolze, 2016, 419; Johnson/Schlindwein/Schmolze, 2016, 389. 358 Vgl. Pressemitteilung von medica mondiale vom 29.09.2015, abrufbar unter http://www. medicamondiale.org/presse/pressemitteilungen/nachrichten-details/kriegsverbrecherprozess-kei ne-gerechtigkeit-fuer-vergewaltigte-frauen.html, zuletzt zugegriffen am 05.02.2018. 359 OLG Stuttgart, 28.09.2015 – 5 – 3 StE 6/10, Teil 3 A. I. 2. b); OLG Stuttgart, 28.09.2015 – 5 – 3 StE 6/10, Teil 3 II. 1. b) bb). 360 OLG Stuttgart, 28.09.2015 – 5 – 3 StE 6/10, Teil 3 C. I. 1. 361 OLG Stuttgart, 28.09.2015 – 5 – 3 StE 6/10, Teil 3 A. I. b. 1. c). 354

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D. Die erstinstanzlichen Verfahren

gen. Linguistische Fragen sorgten häufig für Auseinandersetzungen zwischen den Prozessbeteiligten, insbesondere seitens der Verteidigung wurde regelmäßig intensive Kritik an den Übersetzungen geübt.362 Das Gericht war jedoch von der Qualität der Übersetzungen und der Kompetenz der Sachverständigen überzeugt und maß ihnen, anders als den Opferzeugen, einen hohen Beweiswert bei.363 (3) Urkunden Auch Urkunden wie E-Mails oder Berichte der VN-Sachverständigen sowie von den Angeklagten unterzeichnete Vertragsdokumente364 konnten durch Verlesen in die Verhandlung eingeführt und verwertet werden. Dass es außer der Übersetzungsproblematik außergewöhnliche Schwierigkeiten hinsichtlich der Urkundsbeweise gab, ergibt sich aus den zugänglichen Quellen nicht. Einige der von der Verteidigung kurz vor Schluss der Hauptverhandlung vorgebrachten, jedoch im Urteil abgelehnten, Hilfsbeweisanträge betrafen zusätzliche Urkundsbeweise. So beantragte die Verteidigung noch am 10. und 14. August 2015 die Übersetzung und Verlesung einiger Wikileaks-Dokumente und sonstiger im Internet verfügbarer Depeschen, die ergeben sollten, dass das Verfahren unter politischem Einfluss, insbesondere durch die Republik Ruanda, gestanden habe. Die Anträge wurden jedoch mit der Begründung abgelehnt, dass zum einen die vom Vorsitzenden gesetzte Antragsfrist verstrichen gewesen sei,365 keine bestimmten Beweistatsachen genannt wurden366 und im Übrigen die Amtsaufklärungspflicht angesichts der bereits durchgeführten umfangreichen Beweisaufnahme die Erhebung dieser zusätzlichen Beweise nicht gebiete.367 (4) Augenschein Neben Zeugen, Sachverständigen und Urkunden, wurde auf die Inaugenscheinnahme bestimmter Objekte zurückgegriffen. So wurde die Videoaufzeichnung der Aussage eines ehemaligen FDLR Mitglieds, 1H, seines Zeichens Gruppenführer in der Reservebrigade, in die Hauptverhandlung eingeführt und verwertet, die dieser im Rahmen der Ermittlungen abgegeben hatte.368 Darüber hinaus wurden Dokumente, wie Strukturschemata oder Karten eines Mitarbeiters der MONUC, 3B,369 über

362 Einmal sei nach Aussage des Vorsitzenden Richters auch die Grenze der Beleidigung erreicht worden, vgl. Johnson/Schlindwein/Schmolze, 2016, 350. 363 OLG Stuttgart, 28.09.2015 – 5 – 3 StE 6/10, Teil 3 A. I. 1. c); OLG Stuttgart, 28.09.2015 – 5 – 3 StE 6/10, Teil 3 C. I. 1. 364 OLG Stuttgart, 28.09.2015 – 5 – 3 StE 6/10, Teil 3 C. I. 365 OLG Stuttgart, 28.09.2015 – 5 – 3 StE 6/10, Teil 3 F. IV. 1. 366 OLG Stuttgart, 28.09.2015 – 5 – 3 StE 6/10, Teil 3 F. IV. 2., 3. 367 OLG Stuttgart, 28.09.2015 – 5 – 3 StE 6/10, Teil 3 F. IV. 4. 368 OLG Stuttgart, 28.09.2015 – 5 – 3 StE 6/10, Teil 3 A. I. 1. a). 369 OLG Stuttgart, 28.09.2015 – 5 – 3 StE 6/10, Teil 3 A. I. 3. b).

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200 Abschriften der überwachten Telefonate370 sowie das Fernsehinterview mit Dr. M. aus der Fernsehsendung „Fakt“ vom 03. November 2008 in Augenschein genommen.371 Die Tatorte wurden vom Senat nicht persönlich in Augenschein genommen. Im Hinblick auf die Geschehnisse in Busurungi wurden jedoch Satellitenbilder vom Tatort in Augenschein genommen, die im Rahmen des benannten HRW-Berichtes „You will be punished“ entnommen wurden.372 Die Einführung weiterer Lichtbildaufnahmen der Tatorte ergibt sich aus der Urteilsbegründung nicht. dd) Zeugen- und Opferschutz In völkerstrafrechtlichen Prozessen spielt der Opfer- bzw. Zeugenschutz eine besondere Rolle, da die aussagefähigen Personen regelmäßig Zeugen der besonders schwerwiegenden völkerrechtlichen Kernverbrechen geworden sind. Sowohl das VStGB als auch das Römische Statut zielen gerade auf solche Verbrechen ab, die zunächst gegen einzelne Opfer gerichtet sind, aufgrund ihrer besonderen Schwere sowie weiterer zusätzlicher Tatbestandsvoraussetzungen gleichzeitig die Weltgemeinschaft als Ganzes berühren.373 Zwar dienen Völkerstrafverfahren bzw. Strafverfahren im Allgemeinen nicht vorrangig dem Opferschutz, sondern vielmehr dem Schutz des Friedens, der Sicherheit und des Wohles der Welt374 durch die Strafverfolgung der Täter, dennoch ist der Schutz der Opfer vor und während des Verfahrens von Bedeutung.375 Ohne, dass sich Opfer bereit erklären, vor Gericht auszusagen und die begangenen Verbrechen zu bezeugen, werden Völkerstraftaten schwer ermittelbar sein. Damit sich Opfer von Völkerstraftaten weiterhin trauen, vor Gericht auszusagen, bedarf es eines effektiven Schutzes dieser knappen aber wertvollen Ressource. Die Gefahren für die Opfer ergeben sich zum einen, im Rahmen der sog. sekundären Viktimisierung, durch das mit der eigenen Aussage hervorgerufene neuerliche Durchleben der Ereignisse,376 wobei deren empirische Beweisbarkeit bzw. reale Problematik nicht unumstritten ist.377 Zum anderen begründet die Aussage eine reale Bedrohungslage, die von den Angeklagten bzw. von deren Umfeld und den

370

OLG Stuttgart, 28.09.2015 – 5 – 3 StE 6/10, Teil 3 A. II. a). OLG Stuttgart, 28.09.2015 – 5 – 3 StE 6/10, Teil 3 A. II. 2. b) gg). 372 OLG Stuttgart, 28.09.2015 – 5 – 3 StE 6/10, Teil 3 A. IV. 3. c) aa) (3) (bb); vgl. Human Rights Watch Bericht ,You will be punished‘, Dezember 2009, 6 ff. 373 Vgl. Präambel des IStGHSt bzw. § 6 ff VStGB, die an das IStGHSt angepasst sind; Niendorf, 2017, 8. 374 Vgl. Präambel des IStGHSt. 375 Vgl. auch Magasam, in: Safferling/Kirsch, Völkerstrafrechtspolitik: Praxis des Völkerstrafrechts, 2014, 181 (184); krit. zur wissenschaftlichen Grundlage: Kölbe/Bork, 2012. 376 Vgl. Stock, in: Safferling/Kirsch, Völkerstrafrechtspolitik: Praxis des Völkerstrafrechts, 2014, 211 (218). 377 Vgl. etwa Kölbel/Bork, 2012, 73. 371

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noch immer vorhanden Sympathisanten und Untergebenen ausgeht.378 Beispiele für im Nachgang einer Aussage getötete Zeugen finden sich etwa in den beiden Ad-hocTribunalen für Ruanda379 und das ehemalige Jugoslawien.380 In beiden Verfahren sind Personen angeklagt, die jahrelang mehr oder weniger einflussreiche Mitglieder und Repräsentanten von vor Ort auch nach der Inhaftierung aktiver Organisationen, deren Möglichkeiten durch die Verhaftung mitnichten vollständig abgeschnitten wurden. Die Gefahren bestanden dabei sowohl im Ermittlungsverfahren als auch während der Hauptverhandlung. Nach den Erkenntnissen des GBA konnte allein das Bekanntwerden der Kontaktaufnahme mit deutschen Ermittlern, die gegen Führungspersonen einer Bürgerkriegspartei ermittelten, ein „nicht mehr kalkulierbares“ Risiko der betroffenen Personen und deren Umfeld bedeuten.381 Wie bereits ausgeführt, wurden die jeweiligen Haftbefehle auch darauf gestützt, dass zu befürchten sei, dass die Beschuldigten Opfer(zeugen) ausfindig machen und deren Aussage beeinflussen oder gar (mit welchen Mitteln auch immer) verhindern könnten.382 Zum Schutz der Opfer und der Gewährleistung der Aussagen, sagten diese sowohl im Ermittlungsverfahren als auch während der Hauptverhandlung an einem geheim gehaltenen Ort aus und wurden dabei von Spezialisten der Zeugenschutzeinheit des Bundeskriminalamtes unterstützt.383 Daneben wurden die aussagenden Opfer anonymisiert und die Identitäten sämtlicher Opfer während des gesamten Verfahrens gemäß § 68 Abs. 3 StPO geheim gehalten.384 Über die Verweisungen in § 161 Abs. 1 S. 2 und § 163 Abs. 3 S. 1 StPO besteht diese Möglichkeit grundsätzlich bei jeder Zeugenvernehmung. Die Entscheidung hierüber traf im Ermittlungsverfahren der GBA und in der Hauptverhandlung der Vorsitzende Richter.385 Die audiovisuelle Vernehmung während der Hauptverhandlung fand zusätzlich unter Ausschluss der Öffentlichkeit statt.386 Die Geheimhaltung der Identität hatte konsequenterweise auch zur Folge, dass die Zeugen bei jeder Frage, die die Anonymität gefährden konnten, die Antwort verweigern konnten,387 wobei das Gericht einer entsprechenden Hinweispflicht unterlag, § 68 Abs. 4 S. 1 StPO. 378

Vgl. Safferling, 2011, § 7 Rn. 45; Yousseff, 2008, 125. Vgl. Safferling, ZStW 115, 2003, 353 (365 f). 380 Vgl. Yousseff, 2008, 125. 381 Vgl. Ritscher, in: Safferling/Kirsch, Völkerstrafrechtspolitik: Praxis des Völkerstrafrechts, 2014, 223 (233), Stock, in: Safferling/Kirsch, Völkerstrafrechtspolitik: Praxis des Völkerstrafrechts, 2014, 211 (219). 382 Vgl. Ausführungen unter D. II. 4. 383 Vgl. Stock, in: Safferling/Kirsch, Völkerstrafrechtspolitik: Praxis des Völkerstrafrechts, 2014, 211 (219). 384 Vgl. Ritscher, Schriftliche Stellungnahme zu BT Drucksache 18/6341, 5. 385 Vgl. KK-StPO/Slawik, 8. Aufl. 2019, § 68 Rn. 9. 386 Vgl. Magasam, in: Safferling/Kirsch, Völkerstrafrechtspolitik: Praxis des Völkerstrafrechts, 2014, 181 (183). 387 Vgl. Ritscher, Schriftliche Stellungnahme zu BT Drucksache 18/6341, 5. 379

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Zusätzlich wurde den männlichen und weiblichen Tatopfern auf Antrag des GBA eine deutsche Rechtsanwältin als Zeugenbeistand gemäß § 68b Abs. 2 StPO bestellt.388 Der Zeugenbeistand hat neben der beratenden Funktion, die sich auf die Wahrnehmung der Zeugenrechte, etwa der §§ 52 ff, 55 StPO erstrecken soll,389 dem Grunde nach auch die Möglichkeit, die Zeugen zu stabilisieren und menschlichpsychisch zu unterstützen.390 Die psychosoziale Betreuung stellt ausdrücklich keine rechtliche Beratung dar und soll auch nicht die Aufklärung des Sachverhalts fördern, sondern, sofern deren rechtliche Voraussetzungen vorliegen, die rechtlich geprägte Nebenklagevertretung ergänzen.391 Kritisch wird gegenüber der Handhabung des Zeugenbeistandes selbst vom Generalbundesanwalt eingewandt, dass ein solcher nur während der Hauptverhandlung beigeordnet wurde, insbesondere aber nicht nach dem Verfahren, sodass die Zeugen nach Erfüllung ihrer prozessualen Pflicht sich selbst überlassen wurden.392 In diesem Zusammenhang wird die verpflichtende Beiordnung von Zeugenbeiständen für einzelne Opfer bzw. Opfergruppen gefordert.393 Die Stellung der Opfer und die Effektivierung ihres Schutzes im Strafverfahren wurde erst kurz nach Abschluss des Verfahrens vor dem OLG Stuttgart weiter gestärkt und konnte daher den Opfern des Verfahrens nicht mehr zu Gute kommen. Dies erfolgte im Rahmen des 3. Opferrechtsreformgesetzes vom 21. Dezember 2015, welches wiederum die Verpflichtungen der Bundesrepublik Deutschland aus der EURichtlinie 2012/29/EU vom 25. Oktober 2012 sowie zur Ersetzung des Rahmenbeschlusses 2001/220/JI in Form des Gesetzes über die psychosoziale Prozessbegleitung in Strafverfahren (PsychPbG) in Deutschland umsetzte.394 Neben der Einführung der psychosozialen Betreuung wurde unter anderem § 48 StPO geändert und eingeführt, dass Vernehmungen und Untersuchungshandlungen, die Zeugen betreffen, die zugleich Verletzte der gegenständlichen Tat sind, stets unter Berücksichtigung der besonderen Schutzbedürftigkeit durchzuführen sind, § 48 Abs. 3 S. 1 StPO. Geprüft werden soll nach S. 2 Nr. 3, inwieweit auf nicht unerlässliche Fragen zum persönlichen Lebensbereich des Zeugen nach § 68a Abs. 1 StPO verzichtet werden kann. Die psychosoziale Betreuung, die nunmehr in § 406g StPO geregelt ist, wurde erst mit Wirkung zum 01. Januar 2017 eigenständiger Bestandteil der StPO. Davor fand sich in § 406h S. 1 Nr. 5 StPO a. F. lediglich die Pflicht, auf die Mög-

388 Vgl. Magasam, in: Safferling/Kirsch, Völkerstrafrechtspolitik: Praxis des Völkerstrafrechts, 2014, 181 (183). 389 Vgl. MüKoStPO/Maier, 1. Aufl. 2014, § 68b Rn. 20 ff. 390 Vgl. MüKoStPO/Maier, 1. Aufl. 2014, § 68b Rn. 20 ff. 391 Zur Nebenklage im Völkerstrafverfahren im Folgenden unter D. IV. 3. b). 392 Vgl. Ritscher, in: BT Drucksache 18/6341, 17. 393 Pflichtbeiordnung fordert etwa Mischkowski, in: Safferling/Kirsch, Völkerstrafrechtspolitik: Praxis des Völkerstrafrechts, 2014, 113 (122). 394 Vgl. BGBl. I Nr. 55.

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lichkeit der psychosozialen Betreuung hinzuweisen.395 Darüber hinaus ist durch das am 15. November 2019 durch den Bundestag in zweiter und dritter Lesung beschlossene Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens beabsichtigt, weitere Maßnahmen zu ergreifen, die dem Schutz der Opfer, insbesondere von Sexualdelikten, dienen sollen.396 ee) Problem der Zeugenbeeinflussung Da völkerrechtlichen Verfahren regelmäßig anhaltende politische und ethnische Konflikte zu Grunde liegen,397 können die Aussagen der Opfer über die konkrete Tat hinaus politischen Wert in sich tragen. Es besteht daher die Gefahr, dass von unterschiedlicher Seite Versuche unternommen werden, die Aussage im Sinne der jeweiligen Agenda zu beeinflussen.398 Anhänger des Angeklagten möchten diesen naheliegenderweise entlastet sehen, während die Gegner des Angeklagten eher auf dessen Verurteilung hinwirken wollen.399 Anders als im Verfahren gegen Bemba, spielte das Problem der Beeinflussung von Opferzeugen ehemaliger FDLR Mitglieder oder sonstiger Zeugen nur am Rande eine Rolle.400 Zwar wandten die Verteidigung bzw. Dr. M. regelmäßig ein, das gesamte Verfahren sei politisch motiviert und werde auf Betreiben der aktuellen ruandischen Regierung geführt.401 Jedoch fanden sich für diese Behauptung, trotz entsprechender Nachforschungen, nach den Angaben des Senats keine tragfähigen Anhaltspunkte.402 ff) Telekommunikationsüberwachung Für die Verurteilung von Dr. M. und M. spielte die Auswertung der im Ermittlungsverfahren gesammelten Daten der Telekommunikationsüberwachung eine entscheidende Rolle. Insgesamt wurden über 200 Telefonate in der Regel vollständig 395

Vgl. Ritscher, Schriftliche Stellungnahme zu BT Drucksache 18/6341, 7. Vgl. Kabinettsentwurf BT-Drs. 19/14747 in der geänderten Fassung des Rechtsausschusses, BT-Drs. 19/15161; beispeilsweise soll durch eine Änderung des § 58a Abs. 1 S. 2 StPO die audiovisuelle Aufzeichnung von richterlichen Vernehmungen im Ermittlungsverfahren von zur Tatzeit erwachsenen Opfern von Sexualstraftaten verpflichtend vorgeschrieben werden, vgl. Art. 1 Nr. 5 BT-Drs. 19/14747, 2, 6. Ferner ist durch eine Anpassung des § 397a Abs. 1 StPO vorgesehen, den Anspruch des Nebenkla¨ gers auf privilegierte Bestellung eines Rechtsbeistandes insbesondere auf Fa¨ lle der Vergewaltigung zu erweitern, vgl. Art. 1 Nr. 18 BT-Drs. 19/14747, 2, 8. 397 Vgl. Ausführungen zu den historischen Zusammenhängen unter C. II. 1. a) sowie C. II. 2. a). 398 Vgl. Yousseff, 2008, 125. 399 Vgl. ebd. 400 Vgl. hierzu Ausführungen unter D. IV. 2. b) gg). 401 Vgl. Hilfsbeweisanträge OLG Stuttgart, 28.09.2015 – 5 – 3 StE 6/10, Teil 3 F. IV. 402 OLG Stuttgart, 28.09.2015 – 5 – 3 StE 6/10, Teil 3 A. I. 1. b). 396

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in Augenschein genommen und übersetzt.403 Die Zahl der ebenfalls übersetzten und im Rahmen des Urkundsbeweis verlesenen E-Mails und SMS ging weit darüber hinaus.404 Die Kommunikation der Angeklagten konnte gemäß § 100a Abs. 2 Nr. 10 b), c) StPO bzw. § 100 StPO überwacht, aufgezeichnet und im Wege des Strengbeweisverfahrens in die Hauptverhandlung eingeführt werden.405 Die versendeten und empfangenen SMS befanden sich auf beschlagnahmten Festplatten des Angeklagten.406 Da die Nutzung der E-Mailkonten der Angeklagten von Deutschland aus erfolgte, kam es nicht auf ein Rechtshilfeersuchen gemäß § 61a IRG an. Die Ermittler konnten im Rahmen der Telekommunikationsüberwachung davon profitieren, dass der zu untersuchende bewaffnete Konflikt – im Gegensatz zum BembaVerfahren – noch in vollem Gange war und sie daher die Aktivitäten der Angeklagten während des völkerstrafrechtlich relevanten Zeitraums mitverfolgen konnten. In der Urteilsbegründung des OLG Stuttgart findet sich zudem die Auswertung von SMS-Korrespondenzen der Angeklagten, die weit vor den Taten stattfanden, wegen der sich die Angeklagten verantworten mussten, sodass die Telekommunikationsüberwachung auch Belege und Hinweise über die militärischen Entwicklungen in der Provinz Nord-Kivu liefern konnte.407 Von zentraler Bedeutung für die erstinstanzliche Verurteilung war der hierdurch ermöglichte Tatnachweis im Hinblick auf die Kenntnis des Angeklagten Dr. M. von den in der DR Kongo begangenen Verbrechen. So wurde Dr. M. durch die Auswertung eines Telefongesprächs vom 25. Januar 2009, und damit unmittelbar nach Beginn der Militäroperation „Umoja Wetu“, nachgewiesen, Kenntnis über erste Berichte von Verbrechen der FDLRSoldaten gegenüber der kongolesischen Zivilbevölkerung erhalten zu haben.408 gg) Einstellungsentscheidungen Von den ursprünglich angeklagten 16 prozessualen Taten bzw. Tatkomplexen blieben im Urteil nur noch fünf übrig, welche sich ausschließlich auf die bereits benannten Überfälle auf fünf verschiedene Ortschaften bezogen.409 Die elf Einstellungen betrafen materiell die Vorwürfe der Sexualdelikte, der Rekrutierung von Kindersoldaten und vereinzelter Übergriffe auf Zivilisten.410 Die Einstellungen be-

403

OLG Stuttgart, 28.09.2015 – 5 – 3 StE 6/10, Teil 3 A. II. 2. a). OLG Stuttgart, 28.09.2015 – 5 – 3 StE 6/10, Teil 3 A. II. 2. a). 405 Vgl. MüKoStPO/Günther, 1. Aufl. 2014, § 100a Rn. 160. 406 OLG Stuttgart, 28.09.2015 – 5 – 3 StE 6/10, Teil 3 A. II. 407 So wurden etwa SMS des Dr. M. bereits aus den Jahren 2006 und 2007 verwertet, OLG Stuttgart, 28.09.2015 – 5 – 3 StE 6/10, Teil 3 C. I. 2. e). 408 OLG Stuttgart, 28.09.2015 – 5 – 3 StE 6/10, Teil 2 B. V. 4. a) nn); OLG Stuttgart, 28.09.2015 – 5 – 3 StE 6/10 Teil 3 E. III. 2. 409 Vgl. hierzu Ausführungen unter D. V. 1. 410 Vgl. hierzu Ausführungen unter D. III. 1. 404

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ruhten zum einen auf der nicht ausreichenden Beweisbarkeit,411 jedoch auch auf prozessökonomischen Erwägungen.412 Ein weiterer Grund für die Einstellungsentscheidungen sah man im Opferschutz, da zusätzliche Vernehmungen die Opfer „erheblich belasten und möglicherweise persönlich gefährden würden“.413 Erstmals im Oktober 2013 stellte das Gericht auf Antrag des GBA die Verfolgung von drei prozessualen Taten bzw. Tatkomplexen vorläufig ein.414 Betroffen waren zum einen der Vorwurf der Rekrutierung von Kindersoldaten und zum anderen zwei Tatkomplexe, die Schilderungen zweier Opfer von Verschleppung, Vergewaltigung und Versklavung enthielten.415 Da ganze prozessuale Taten bzw. Tatkomplexe eingestellt wurden und im weiteren Verlauf keinerlei Berücksichtigung mehr fanden,416 handelte es sich um Einstellungen gemäß § 154 Abs. 2 StPO und nicht um bloße Verfolgungsbeschränkungen gemäß § 154a Abs. 2 StPO.417 Bei einer Beschränkung gemäß § 154a Abs. 2 StPO wären diese weiter anhängig geblieben, hätten an der Rechtskraft der Resttat teilgenommen und wären Gegenstand der Urteilsfindung geworden.418 Weitere Einstellungsentscheidungen ergingen im März 2015 als weitere acht Tatkomplexe eingestellt wurden. Darunter befanden sich Vorwürfe der Einzel- bzw. Massenvergewaltigungen und der sexuellen Versklavung sowie erneut einzelne Übergriffe auf Zivilisten.419 Diese Taten waren Angriffen der FDLR Soldaten auf die Ortschaften Kibua, Butolonga, Karasi, Buhimba und Malemo zugeordnet.420 Durch die Einstellungsentscheidungen wurde die Anklage von 16 auf fünf Tatkomplexe und von zehn namentlich genannten Tatorten auf fünf (Kipopo, Mianga, Busurungi, Ciriba und Manie) reduziert. Insbesondere Verbrechen, denen kein konkreter Tatort zugeordnet werden konnte, wurden nicht weiterverfolgt.421 Materiell fielen den Einstellungen v. a. die Sexualdelikte zum Opfer. Da die zu erwartenden Strafen nach Ansicht des Gerichts in der Rechtsfolge neben der Strafe, die für 411 Vgl. Kroker, 2016, 77 f. insbesondere solche Taten wurden eingestellt, die nur von Opferzeugen bestätigt werden konnten, s. o. 412 Vgl. Kroker, 2016, 77 f.; Auskunft des Voritzenden Richters, E-Mail der Pressestelle des OLG Stuttgart vom 16.11.2015 nach Johnson/Schlindwein/Schmolze, 2016, 419 Fn. 244; da für den Verfasser leider keine Akteneinsicht möglich war, konnte nicht auf den Wortlaut der Einstellungsentscheidungen zurückgegriffen werden. 413 Aussage der GBA, nach Kroker, 2016, 78. 414 Vgl. Johnson/Schlindwein/Schmolze, 2016, 418, wobei dieser von einer Einstellung der Bundesanwaltschaft auf Anregung des Gerichts spricht. 415 Vgl. Johnson/Schlindwein/Schmolze, 2016, 418. 416 Vgl. Johnson/Schlindwein/Schmolze, 2016, 419. 417 Vgl. Kroker, 2016, 77 f. 418 Vgl. MüKoStPO/Teßmer, 1. Aufl. 2016, StPO § 154a Rn. 3. 419 Vgl. Kroker, 2016, 57 f. 420 Prozesstag 187, nach Johnson/Schlindwein/Schmolze, 2016, 419. 421 Vgl. Johnson/Schlindwein/Schmolze, 2016, 419.

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die übrigen Taten zu erwarten war,422 nicht beträchtlich ins Gewicht fallen würden, ergingen entsprechende Einstellungsentscheidungen gemäß § 154 Abs. 2 StPO. b) Verfahren gegen Bemba Auch das Hauptverfahren gegen Bemba enthielt, trotz des bereits eingesetzten „Filters“ der Vor- und Zwischenverfahrensstadien, extensive Beweisaufnahmen über viele Verhandlungstage. Denn auch im internationalen Verfahren ist die Hauptverhandlung die einzig entscheidungserhebliche Erkenntnisquelle, Art. 74 Abs. 2 S. 3 IStGHSt.423 aa) Die Beweisaufnahme nach dem Römischen Statut Die Struktur der Hauptverhandlung unterscheidet sich aufgrund der Ausgestaltung als (eingeschränkter) Parteiprozess424 vom deutschen Verfahren. Gemäß Regel 140 Ziff. 1 VBO sind die beiden Parteien Ankläger und Verteidigung grundsätzlich frei, den Ablauf der Verhandlung zu bestimmen, es sei denn der Vorsitzende Richter erlässt prozessleitende Verfügungen gemäß Art. 64 Abs. 8 IStGHSt. Art. 76 IStGHSt legt für den Ablauf der Hauptverhandlung lediglich eine Zweiteilung in Feststellung der Schuld und Verhandlung über die Strafhöhe nahe.425 Wie die Beweisaufnahmen abzulaufen haben, ist nicht explizit festgelegt. Im Verfahren gegen Bemba wurde der sog. two case approach gewählt, d. h. zunächst präsentierte der Ankläger seinen „Fall“ mit all den aufzuführenden Beweismitteln und erst danach folgte die Verteidigung mit dem Vorbringen ihres „Falles“. Eine Alternative wäre gewesen, dass durch das Gerichts ein Beweisthemenvorschlag unterbreitet wird, zu dem die Parteien jeweils ihren Fall präsentieren können.426 Der two case approach wurde von der Kammer am 21. Oktober 2010 im Rahmen einer status conference vor Beginn der Hauptverhandlung vorgegeben, während der ebenfalls der grobe Ablauf der ersten Wochen besprochen wurde. Nach den Eröffnungsplädoyers beider Seiten, begann der Ankläger mit der Beweispräsentation.427 Für die Präsentation der Beweise bzw. der Darstellung des eigenen Falles stehen den Parteien grundsätzlich alle denkbaren Beweismittel zur Verfügung. Voraussetzung, dass das Beweismittel bei der Urteilsfindung gemäß Art. 74 Abs. 2 IStGHSt herangezogen werden kann, ist zum einen, dass der Beweisgegenstand als solcher zugelassen wurde und mit einer Beweisnummer in die Prozessakte („trial record“) 422 423 424 425 426 427

Vgl. Ausführungen zur materiellen Entscheidung unter D. V. Vgl. Ambos, 2016, 461. Vgl. Niendorf, 2017, 188. Vgl. Safferling, 2011, § 7 Rn. 76. Vgl. Safferling, 2011, § 7 Rn. 77. ICC-01/05-01/08-T-30-ENG ET WT 21-10-2010, 7.

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aufgenommen wurde.428 Darüber hinaus muss das Beweismittel während der Verhandlung beigebracht und vor der Kammer „erörtert“ worden sein („discussed before it at the trial“). Die zuständige Hauptverfahrenskammer III verstand darunter, ebenso wie die Hauptverfahrenskammern I429 und II430, nicht nur mündliche Zeugenaussagen und Dokumente oder andere Beweismittel, wie etwa Videoaufzeichnungen, die während der mündlichen Verhandlungen zu „erörtern“ waren, sondern auch solche Beweismittel, die in Schriftsätzen der Parteien und der anwaltlichen Opfervertreter zu irgendeiner Phase des Verfahrens beigebracht wurden. Beispielsweise konnten Urkunden, die durch einen schriftlichen Antrag eingeführt wurden, ohne Verlesen verwertet werden.431 Die Parteien mussten lediglich Gelegenheit zur Stellungnahme („to make submissions“) erhalten haben.432 Die Erörterung der Beweismittel kann vor dem IStGH also auch schriftlich erfolgen, wohingegen im deutschen Verfahren die Beweismittel, abgesehen vom Strafbefehlsverfahren, „Inbegriff“ der Hauptverhandlung werden müssen, was den Grundsätzen der Mündlichkeit, Öffentlichkeit und Unmittelbarkeit geschuldet ist.433 bb) Sonderproblematik Zeugenaussagen Das Römische Statut enthält bewusst keine Beweiskategorien, da dies während der Verhandlungen als Einschränkung der „freien“ Beweiswürdigung durch das Gericht empfunden wurde.434 Zeugen allerdings, worunter auch Sachverständige („expert witnesses“) gefasst werden, sind in Art. 69 Abs. 1 und 2 IStGHSt eigenständig adressiert. Vor dem IStGH müssen sie, ebenso wie in Deutschland, grundsätzlich persönlich erscheinen und vorbehaltlich etwaiger Schutzmaßnahmen des Art. 68 IStGHSt mündlich vernommen werden, vgl. Art. 69 Abs. 2 S. 1 HS. 1 IStGHSt. Die Zeugen erscheinen vom Grundsatz her freiwillig,435 zumindest besteht keine Regelung, wie der Gerichtshof ein Erscheinen erzwingen oder ein Nichter428

ICC-01/05-01/08-3343 21-03-2016 Judgment pursuant to Article 74 of the Statute, par. 224. 429 The Prosecutor vs.Thomas Lubanga Dyilo ICC-01/04-01/06-2842 14-03-2012 par. 98. 430 The Prosecutor vs. Germain Katanga ICC-01/04-01/07-3436-tENG Judgement pursuant to article 74 of the Statute, par. 78; The Prosecutor vs. Mathieu Ngudjolo ICC-01/04-02/12-3tENG Judgment pursuant to Article 74 of the Statute, par 44. 431 ICC-01/05-01/08-3343 21-03-2016 Judgment pursuant to Article 74 of the Statute, par. 224. 432 ICC-01/05-01/08-3343 21-03-2016 Judgment pursuant to Article 74 of the Statute, par. 224. 433 Vgl. MüKoStPO/Miebach, 1. Aufl. 2016, § 261 Rn. 7; Ausführungen unter D. IV. 2. a) aa). 434 The Prosecutor vs. Thomas Lubanga Dyilo ICC-01/04-01/06-1399 13-06-2008, Decision on the admissibility of four documents, par. 24; Schabas, 2. Aufl. 2010, Art. 69, 1079. 435 Vgl. Ambos, LJIL 15, 2002, 155 (170), der dies Art. 93 Abs. 1 e) IStGHSt entnimmt; Niendorf, 2017, 74.

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scheinen sanktionieren könnte.436 Wenn sie allerdings erscheinen, unterliegen sie ebenso wie nach deutschem Prozessrecht, der Aussage- und Wahrheitspflicht gemäß Regel 65 VBO. Dem wird dadurch Nachdruck verliehen, dass jeder Zeuge, gleich ob Opfer oder Sachverständiger, vor Beginn der Aussage einen entsprechenden Eid ablegen muss.437 Hier unterscheidet sich das internationale Prozessrecht von der deutschen StPO: Nach der Abschaffung der Regelvereidigung durch das Erste Justizmodernisierungsgesetz vom 24. August 2004,438 stellt die Vereidigung eines Zeugen die Ausnahme dar.439 Wenn es zur Vereidigung kommt, erfolgt diese nicht vor der Aussage zur Sache, sondern als sog. Nacheid, § 59 Abs. 2 StPO.440 Daneben besteht die Möglichkeit, per Video- oder Audiotechnik aufgezeichnete Zeugnisse abzuspielen, sowie die Vorlage von Schriftstücken oder schriftlichen Wortprotokollen zu gestatten, vgl. Art. 69 Abs. 2 IStGHSt.441 Die Einreichung von schriftlichen Zeugenaussagen ist jedoch die Ausnahme.442 Der Vernehmung per Video- oder Audiotechnik stehen das Statut und die VBO jedoch offen gegenüber und geben dem Gericht einen weiten Ermessensspielraum.443 So wurde bereits am 06. November 2013 von der Hauptverfahrenskammer angeordnet, dass ihr einziger zu ladender Zeuge, per Videotechnik vernommen werden könnte, sollte es bei der Anreise zu Schwierigkeiten kommen.444 Daneben bestand beim Verfahren gegen Bemba, ebenso wie beim Stuttgarter Verfahren, das Problem der Belastbarkeit einiger Zeugenaussagen: Neben der Tatsache, dass der Beweiswert von Zeugenaussagen in völkerstrafrechtlichen Verfahren wegen der allgemeinen Gefahr der politischen Beeinflussung regelmäßig herabgesetzt erscheint,445 musste im Bemba-Verfahren ein weiterer Aspekt berücksichtigt werden, nämlich die bereits verstrichene Zeit seit vermeintlicher Tatbegehung. Die in Rede stehenden Taten wurden in der Zeit zwischen dem 26. Oktober 2002 und dem 15. März 2003 begangen, die Hauptverhandlung begann jedoch erst im November 2010, also acht Jahre, bei manchen Zeugen sogar über zehn Jahre nach dem „Er-

436

Schabas, 2. Aufl. 2016, Art. 93, 1319. Dies galt auch für den per Video-Link zugeschalteten Verfassungsrichter Flavien Bbata, ICC-01/05-01/08-T-132-Red2-ENG WT 27-06-2011. 438 Vgl. BGBl. I, Nr. 45, 2201. 439 MüKoStPO/Maier, 1. Aufl. 2014, StPO § 59 Rn. 2, 4. 440 Vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, 62. Aufl. 2019, § 59 Rn. 5. 441 ICC-01/05-01/08-802 24-06-2010 Decision on the Admissibility and Abuse of Process Challenges, par. 254. 442 Vgl. Shabas, 2016, Art. 69, 1083 ff. 443 ICC-01/05-01/08-2740 15-08-2013 Decision on the Submissions on the remaining Defence evidence and the appearance of Witnesses D04 – 23, D04 – 26, D04 – 25, D04 – 36, D04 – 29, and D04-30 via video-link. 444 ICC-01/05-01/08-2863-Red 06-11-2013 Decision on the presentation of additional testimony pursuant to Articles 64(6)(b) and (d) and 69(3) of the Rome Statute, par. 11, 14. 445 Vgl. hierzu Ausführungen unter D. IV. 2. a) ee). 437

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leben“ der oftmals einschneidenden Taten. Auch die Kammer war sich dieses Umstandes bewusst und berücksichtigte dies im Rahmen der Beweiswürdigung.446 Zusätzlich zu den dargestellten Schwierigkeiten und der Tatsache, dass Zeugen gemeinhin per se der niedrigste Beweiswert zugesprochen wird,447 ergaben sich im Bemba-Verfahren weitere Schwierigkeiten im Rahmen der Aussagen von 14 Zeugen, wegen deren Beeinflussung gegen Bemba und Mitgliedern seines Verteidigerteams parallel ein Verfahren eingeleitet werden musste.448 cc) Umfang und Ablauf der Beweisaufnahme in concreto Die Hauptverhandlung begann offiziell am 22. November 2010 mit den Eröffnungsplädoyers der Parteien und der rechtlichen Vertreter der Opfer449 und endete beinahe vier Jahre später am 12. und 13. November 2014 mit der abschließenden mündlichen Stellungnahme und dem letzten Wort des Angeklagten gemäß Regel 140 VBO.450 Nach den Eröffnungsplädoyers trat man am 23. November 2010 mit dem ersten Zeugen (Zeuge 38) des Anklägers in die Beweisaufnahme ein.451 Entsprechend dem Modell des two case approach folgte die komplette Präsentation des Anklägers. Der Vierzigste und letzte Zeuge der Anklage sagte am 20. März 2012, also knapp eineinhalb Jahre später aus.452. Am 14. August 2012 begann die Verteidigung ihren Fall mit einem von gleich drei in Folge aussagenden Sachverständigenzeugen („expert witness“).453 Offiziell geschlossen wurde die Beweisaufnahme zunächst am 07. April 2014,454 ein knappes halbes Jahr nachdem die Beweispräsentation der Verteidigung am 15. November 2013 endete.455 Vom 18. bis 22. No446

ICC-01/05-01/08-3343 21-03-2016 Judgment pursuant to Article 74 of the Statute, par. 228. 447 von Wistinghausen, in: Safferling/Kirsch, Völkerstrafrechtspolitik: Praxis des Völkerstrafrechts, 2014, 199 (201). 448 Vgl. Ausführungen unter G. IV. 2. b) ee). 449 ICC-01/05-01/08-T-32-ENG ET WT 22-10-2010, 35 ff. (Protokoll wohl fehlerhaft datiert). 450 ICC-01/05-01/08-T-364-Red-ENG WT 12-11-2014; ICC-01/05-01/08-T-365-Red2ENG WT 13-11-2014; eine weitere Sitzung vor der erstinstanzlichen Urteilsverkündung folgte am 20.05.2015, allerdings wurde hier nur ein Antrag auf vorzeitige Haftentlassung durch die Berufungskammer abgelehnt, ICC-01/05-01/08-T-366-ENG ET WT 20-05-2015. 451 ICC-01/05-01/08-T-33-Red2-ENG WT 23-11-2010. 452 Nichtöffentliche Verhandlung, ICC-01/05-01/08-T-218-Red-ENG CT WT 20-03-2012; vgl Beitrag durch Open Society Foundation.org auch https://www.opensocietyfoundations.org/ sites/default/files/briefing-bemba-closing-arguments-11112014.pdf, 7, zuletzt zugegriffen am 19.10.2018. 453 ICC-01/05-01/08-T-229-Red2-ENG CT WT 14-08-2012, 2. 454 ICC-01/05-01/08-3035 07-04-2014 Decision on closure of evidence and other procedural matters. 455 Ursprünglich sollte die Präsentation bereits am 25.10.2013 abgeschlossen sein: ICC-01/ 05-01/08-2731 16-07-2013, Decision on the timeline for the completion of the defence’s

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vember 2013 erfolgte die Vernehmung des einzigen Zeugen des Gerichts.456 Am 22. Oktober 2014 wurde auf Antrag der Verteidigung wieder in die Beweisaufnahme eingetreten, und Zeuge 169 erneut vernommen, da Zweifel an dessen Glaubwürdigkeit bestanden,457 was sich allerdings nicht bestätigte.458 Insgesamt wurden bis zur Urteilsfindung am 21. März 2016 allein durch die Hauptverfahrenskammer 1219 schriftliche Entscheidungen, Verfügungen, Hinweise und Mitwirkungsanfragen etc. sowie 277 mündliche Entscheidungen und Verfügungen getroffen.459 Insgesamt 733 Beweisgegenstände („items“) wurden als Beweismittel zugelassen und mit einer Beweisnummer versehen, was jeweils in einer Einzelfallprüfung mit der Möglichkeit für die Parteien zur Stellungnahme entschieden wurde.460 dd) Zeugen und Sachverständige Insgesamt wurden 77 Zeugen persönlich von der Kammer entweder direkt im Gerichtssaal oder per Videoübertragung vernommen.461 40 davon kamen von der Anklage, 34 brachte die Verteidigung vor, zwei Zeugen (a/0866/10 and a/1317/10) sagten auf Antrag der rechtlichen Vertreter der Opfer (Legal Representatives) aus462 und ein Zeuge, ein Sachverständiger, CHM01, wurde von der Kammer selbst berufen.463 Die Zeugenliste der Anklage deckte dabei sowohl die Täter als auch die Opferseite ab. Unter den Zeugen befanden sich – ebenso wie im Verfahren vor dem OLG presentation evidence and issues related to the closing of the case par. 38 b, aufgrund von Problemen die letzten Zeugen der Verteidigung zu erreichen und zu laden, wurde die Präsentation bis zum 15.11.2013 verlängert, ICC-01/05-01/08-2861 01-11-2013 Decision on the time limit for the conclusion of the defence’s presentation of oral evidence at trial, par. 11. 456 ICC-01/05 – 01/08-T-357-Red-ENG WT 22-11-2013. 457 ICC-01/05-01/08-3154-Red2 11-12-2014 second Redacted version of Decision on Prosecution’s Information to Trial Chamber III on issues involving witness CAR-OTP-PPPP0169 (ICC-01/05-01/08-3138-Conf-Red) and Defence Urgent Submissions on the 5 August Letter (ICC-01/05-01/08-3139-Conf) of 2 October 2014. 458 ICC-01/05-01/08-3343 21-03-2016 Judgment pursuant to Article 74 of the Statute, par. 323. 459 ICC-01/05-01/08-3343 21-03-2016 Judgment pursuant to Article 74 of the Statute, par. 17. 460 ICC-01/05-01/08-3035 07-04-2014 Decision on closure of evidence and other procedural matters par. 3. 461 ICC-01/05-01/08-3343 21-03-2016 Judgment pursuant to Article 74 of the Statute, par. 221. 462 ICC-01/05-01/08-2138 23-02-2012 Decision on the supplemented applications by the legal representatives of victims to present evidence and the views and concerns of victims, par. 55. 463 ICC-01/05-01/08-3343 21-03-2016 Judgment pursuant to Article 74 of the Statute, par. 17.

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Stuttgart – hochrangige MLC Funktionäre, 13 sog. Insider,464 die sowohl über die Truppenbewegungen der MLC465 als auch über die Aktivitäten Bembas und die Kommandostrukturen innerhalb der MLC aussagten, wie etwa der Zeuge P 213, ein ALC-Mitglied, das regelmäßig Kontakt zu Bemba hatte.466 Daneben konnten drei weitere Zeugen 65,467 44468 und 45,469 ebenfalls ehemalige MLC bzw. ALC Soldaten, über Interna berichten. Zudem waren unter den Zeugen des Anklägers 18 Zeugen, die als unmittelbare Zeugen speziell über Vergewaltigungen, Plünderungen und Morde berichten konnten. Es handelte sich dabei teilweise um Zeugen, die selbst Opfer einer Vergewaltigung geworden sind, wie etwa die Zeuginnen 22, 87, 68, 23, 81, 82 und 80. Diese Zeuginnen wurden bereits zu Beginn der Präsentation aufgerufen.470 Hinzu kamen ein militärischer Sachverständiger, drei Sachverständige, die über Vergewaltigung als Kriegswaffe im Allgemeinen und dessen Auswirkungen auf die Zivilbevölkerung sprachen sowie Sprachwissenschaftler.471 Weiterhin sagten für die Anklage noch fünf Personen hinsichtlich der Kontextelemente der angeklagten Verbrechen aus.472 Die meisten der Zeugen – auch, und das steht im Gegensatz zum Verfahren vor dem OLG Stuttgart, die Opferzeugen – sagten vor Ort im Gerichtssaal in Den Haag aus und zwar jeweils über mehrere Tage hinweg. Nur zwei Zeugen der Anklage, Zeuge 36 und Zeuge 108, wurden per Video-Verbindung in den Gerichtssaal zugeschaltet.473 Dieser Umstand mag daran liegen, dass der Tatort in der Zentralafrikanischen Republik, anders als der Nord-Kivu, zur Zeit des Verfahrens bereits von aktiven Kampfhandlungen befreit waren. Auch die Verteidigung benannte Zeugen, die über unterschiedliche Bereiche Angaben machten. Ursprünglich sollten für die Verteidigung auch zehn Opferzeugen aussagen, wie ein Verteidiger noch während des Verfahrens in einem Interview angab.474 Von diesen ließen sich aber während des Verfahrens nicht alle ausfindig 464

ICC-01/05-01/08-T-32-ENG ET WT 22-10-2010, 23. Anklage am Eröffnungstag des confirmation hearing ICC-01-05-01-08-T-9-ENG ET WT 12-01-2009, 81. 466 ICC-01/05-01/08-T-189-Red2-ENG WT 17-11-2011, 47. 467 ICC-01/05-01/08-T-168-Red2-ENG WT 03-10-2011. 468 ICC-01/05-01/08-T-205-Red-ENG WT 03-02-2012. 469 ICC-01/05-01/08-T-201-Red-ENG WT 30-01-2012. 470 ICC-01/05-01/08-T-40-Red2-ENG WT 30-11-2010; ICC-01/05-01/08-T-44-Red-ENG CT WT 11-01-2011; ICC-01/05-01/08-T-48-Red2-ENG WT 17-01-2011; ICC-01/05-01/08-T50-Red2-ENG CT WT 20-01-2011; ICC-01/05-01/08-T-54-Red2-ENG CT WT 26-01-2011; ICC-01/05-01/08-T-58-Red2-ENG CT WT 02-02-2011; ICC-01/05-01/08-T-61-Red2-ENG CT WT 08-02-2011. 471 ICC-01/05-01/08-T-32-ENG ET WT 22-10-2010, 23. 472 ICC-01/05-01/08-T-32-ENG ET WT 22-10-2010, 23. 473 Zeuge 108, ICC-01/05-01/08-T-132-Red2-ENG WT 27-06-2011; Zeuge 36, ICC-01/0501/08-T-213-Red-ENG WT 13-03-2012. 474 Zentralafrikanische Regierungstruppen, vgl. zu den einzelnen Zeugengruppen auch Q&AWith Bemba Defense Lawyer Aimé Kilolo-Musamba https://www.ijmonitor.org/2012/08/ qa-with-bemba-defense-lawyer-aime-kilolo-musamba/, zuletzt aufgerufen am 24.10.2018. 465

IV. Gang der Hauptverhandlungen

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machen und vorladen. Die überwiegende Mehrheit der Zeugen der Verteidigung waren ehemalige oder aktuelle Mitglieder der MLC, wie etwa die Zeugen 15, 54 und 13,475 oder der zentralafrikanischen Armee bzw. der Präsidentengarde von Patassé, wie etwa die Zeugen 04 und 06.476 Sogar Mitglieder der ehemaligen Rebellenarmee Bozizés sagten für die Verteidigung aus.477 Auch die Verteidigung benannte Sachverständige und zwar einen militärischen Sachverständigen,478 einen geopolitischen Experten479 und einen Sprachwissenschaftler,480 die jeweils zu einem vorab erstellten Gutachten befragt wurden. ee) Sonstige Beweismittel: Urkunden und Augenschein Auch die sonstigen Beweismittelarten Urkundsbeweis und Augenschein wurden, ebenso wie vor dem OLG Stuttgart, während der Verhandlung herangezogen. So wurden insgesamt 733 Urkunden („documents“) zugelassen, unter anderem schriftliche Zeugenaussagen, Zeichnungen von Zeugen, Landkarten, medizinische Zertifikate, Photographien, Videos, Briefe, Pressemitteilungen, Zeitungsberichte und Reporte von Nichtregierungsorganisationen sowie rechtliche Dokumente verlesen bzw. in Augenschein genommen.481 Kein Beweismittel, sondern lediglich eine Form der Opferbeteiligung war der Vortrag dreier Opfer, (a/0542/08, a/0394/08 and a/0511/08),482 die im Rahmen der Hauptverhandlung ihre Auffassungen und Anliegen („Views and concerns“) gemäß Art. 68 Abs. 3 IStGHSt und den Regeln 89 – 91 VBO,483 darlegen konnten. Hierauf wird im Späteren nochmals eingegangen.484

475 ICC-01/05-01/08-T-343-Red-ENG WT 11-09-2013; ICC-01/05-01/08-T-347-RedENG WT 30-10-2013 1/86 SZ T; ICC-01/05-01/08-T-350-Red-ENG WT 12-11-2013 1/83 RH T. 476 ICC-01/05-01/08-T-325-Red-ENG WT 18-06-2013; ICC-01/05-01/08-T-328bis-Red2ENG WT 21-06-2013. 477 ICC-01/05-01/08-T-332-Red-ENG WT 20-08-2013. 478 ICC-01/05-01/08-T-232-Red2-ENG WT 17-08-2012. 479 ICC-01/05-01/08-T-236-Red2-ENG WT 03-09-2012. 480 ICC-01/05-01/08-T-242-ENG ET WT 11-09-2012. 481 ICC-01/05-01/08-3343 21-03-2016 Judgment pursuant to Article 74 of the Statute, par. 221, zu den einzelnen Zulassungsentscheidungen vgl. dort Fn. 497. 482 ICC-01/05-01/08-2138 23-02-2012 Decision on the supplemented applications by the legal representatives of victims to present evidence and the views and concerns of victims, par. 55. 483 Die Kammer berücksichtigte daneben noch Art. 64 Abs. 2, Abs. 3 c), 64 Abs. 6 c), e), f), 67 Abs. 1 c) und 68 Abs. 1 IStGHSt, ICC-01/05-01/08-2138 23-02-2012 Decision on the supplemented applications by the legal representatives of victims to present evidence and the views and concerns of victims, par. 10. 484 Vgl. Ausführungen zur aktiven Opferbeteiligung unter D. IV. 3. b).

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D. Die erstinstanzlichen Verfahren

Ergebnisse von Telekommunikationsüberwachungsmaßnahmen konnten kaum in der Beweisaufnahme verwertet werden. Grund hierfür war, dass anders als im Verfahren vor dem OLG Stuttgart die Ermittlungen durch den Ankläger erst deutlich nach den gegenständlichen Verbrechen begannen und die zentralafrikanischen bzw. kongolesischen Behörden offenbar keine entsprechenden Ermittlungsmaßnahmen ergriffen hatten. Möglich war lediglich die Auswertung einiger Logbucheinträge, mit denen die operativen Nachrichten im Feld aufgezeichnet wurden.485 Zwei von Bembas persönlichen Logbüchern waren Teil der zugelassenen Beweismittel.486 Die Logbücher konnten während der Beweisaufnahme den Zeugen vorgehalten werden, etwa um die Kommandostruktur zu ermitteln und zur Frage, ob Bemba operative Befehle gegeben hatte.487 Daneben konnten Aufzeichnungen erfolgter Telefonate ausgewertet werden, die wie im Stuttgarter Verfahren über das Thuraya-Satellitentelefoniesystem getätigt wurden. Quelle war hier die Auswertung einer Simkarte, die bei der Verhaftung Bembas im Jahr 2008 sichergestellt werden konnte.488 Bei den erlangten Informationen über Telefongespräche handelte es sich jedoch nicht um Mitschnitte der Gesprächsinhalte, sondern lediglich um Verbindungsdaten, die Aussagen über Zeitpunkt, Dauer sowie die am Gespräch beteiligten Anschlüsse zuließen.489 Daneben wurde auch die Auswertung einiger E-Mails an einen nicht weiter benannten Belgier, der in Bembas Namen Verträge für Thuraya-Verbindungen abgeschlossen haben soll, Gegenstand der Beweiswürdigung. Im Urteil wurde dies jedoch nur in einer Fußnote aufgenommen.490 ff) Zeugenschutz Aus vergleichbaren Gründen wie in Stuttgart waren in Den Haag Zeugenschutzmaßnahmen erforderlich. Die Notwendigkeit wurde dadurch verstärkt, dass die Verfahren vor dem IStGH für die breite Öffentlichkeit zugänglicher als die deutschen Strafverfahren sind491 und damit regelmäßig ein größeres Publikum in die 485 ICC-01/05-01/08-3343 21-03-2016 Judgment pursuant to Article 74 of the Statute, par. 394, in die Hauotverhandlung durch Zeugenbefragung eingeführt etwa am 13.03.2012, ICC-01/05-01/08-T-213-Red2-ENG WT 13-03-2012, 43 ff., 214 und 207. 486 ICC-01/05-01/08-3343 21-03-2016 Judgment pursuant to Article 74 of the Statute, par. 395. 487 Vgl. Vernehmung von Zeuge 54 ICC-01/05-01/08-T-347-Red-ENG WT 30-10-2013, 20. 488 ICC-01/05-01/08-3343 21-03-2016 Judgment pursuant to Article 74 of the Statute, Fn. 1149; Dokument CAR-OTP-0047 – 1660. 489 ICC-01/05-01/08-3343 21-03-2016 Judgment pursuant to Article 74 of the Statute, par. 420, 541. 490 Vgl. Dokument CAR-OTP-0048-0383, ICC-01/05-01/08-3343 21-03-2016; Judgment pursuant to Article 74 of the Statute, Fn. 1149. 491 Hierzu unter „Öffentlichkeitsbeteiligung“ unter G. II.

IV. Gang der Hauptverhandlungen

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Lage versetzt wird, Rückschlüsse auf die Identitäten der aussagenden Personen zu schließen. Ob jedoch dem Öffentlichkeitsgrundsatz in der StPO generell eine geringere Rolle beigemessen wird, kann nicht abschließend beurteilt werden.492 Das Gefährdungspotential für Zeugen ist demnach vor dem IStGH als besonders hoch einzustufen. Bevor auf die konkrete Handhabung der Schutzmaßnahmen während der Hauptverhandlung eingegangen wird, sollen kurz die zentralen Rechtsgrundlagen vorgestellt werden. Die Rechtsgrundlage für Schutzmaßnahmen bilden Art. 64 Abs. 6 e) und 68 Abs. 1, 2, 4 und 5 IStGHSt, wonach der Gerichtshof geeignete Maßnahmen ergreifen kann zum Schutz der Sicherheit, des körperlichen und seelischen Wohles, der Würde und der Privatsphäre der Opfer und Zeugen, Art. 68 Abs. 1 S. 1 IStGHSt. Während der Ermittlungen trifft diese Pflicht den Ankläger, Art. 68 Abs. 1 S. 3 IStGHSt,493 und die Vorverfahrenskammer gemäß Art. 57 Abs. 3 c) IStGHSt, wodurch deren Bedeutung erneut bekräftigt wird.494 Ergänzend zu Art. 68 Abs. 1 und 2 IStGHSt finden die Regeln 87 und 88 VBO, für die Fälle sexueller Gewalt auch die Regeln 70, 71 VBO in allen Phasen des Verfahrens Anwendung, was sich aus deren Stellung im vierten Kapitel (Normen bezüglich verschiedener Verfahrensstadien) ergibt.495 An Schutzmaßnahmen stehen gemäß Regel 87 Ziff. 3 VBO Maßnahmen zur Verfügung, die in erster Linie die Identität des Opfers schützen sollen, um – anders als in den Ad-hoc-Tribunalen496 – auch nach der Erfüllung der prozessualen Aufgaben, Repressalien zu vermeiden. Der jeweils zuständigen Stelle stehen folgende Maßnahmen zum Identitätsschutz zur Verfügung: a) die Löschung des Namens des Opfers oder anderer Informationen, welche zu seiner Identifizierung führen könnten, aus den Protokollen, die der Öffentlichkeit zugänglich sind, b) das Verbot der Verfahrensbeteiligten solche Informationen an Dritte weiterzugeben, c) die entfremdende Verwertung von Beweismitteln durch sonstige technische Einrichtungen, darunter Bild- und/oder Stimmverzerrung, Video- oder Audiotechnik und der ausschließliche Gebrauch von auditiven Medien, d) die Verwendung eines Pseudonyms und e) die teilweise Führung des Verfahrens unter Ausschluss der Öffentlichkeit.497

492 Vgl. etwa die Rechtsprechung des BVerfG zur Verständigung gemäß § 257c StPO, Urteil vom 19.03.2013 – 2 BvR 2628/10 Rn. 8. 493 Vgl. Youssef, 2008, 125 f. 494 Vgl. Youssef, 2008, 126; Trifterer/Ambos/Guariglia/Hochmayr, 3. Aufl. 2016, Art. 57 Rn. 26. 495 Vgl. Youssef, 2008, 129. 496 Vgl. Safferling, ZStW 115, 2003, 353, (365 f.). 497 Vgl. Youssef, 2008, 130.

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D. Die erstinstanzlichen Verfahren

Im Vergleich zum deutschen Prozessrecht sticht hier die Möglichkeit der Verwendung von Pseudonymen hervor, welches in der StPO bislang nicht vorgesehen ist, sondern nur die Anonymisierung durch Unterdrückung der Identität.498 Regel 88 VBO gibt den Beteiligten zusätzlich ein weniger konkret formuliertes Instrument an die Hand. Hiernach soll unter Betonung der besonders verletzlichen Personen, zu denen traumatisierte Opfer und Zeugen, Kinder, ältere Personen oder Opfer sexueller Gewalt zählen, deren Aussagebereitschaft gefördert werden, Regel 88 Ziff. 1. Nach Regel 88 Ziff. 5 VBO wird die Kammer angehalten auf die Art und Weise der Befragung einzuwirken, die jedoch in erster Linie durch die Parteien erfolgt, und so einer bedrohenden oder einschüchternden Befragung entgegenzuwirken. Besondere Beachtung finden hier wie bereits in Art. 68 Abs. 1 IStGHSt die Opfer sexueller Gewalt.499 Diese Regelungen zur Einflussnahme auf die Befragung erinnern an den erwähnten § 48 Abs. 3 StPO n. F. Anders als in Stuttgart, fand jedoch Regel 88 VBO bereits zur Zeit des vorliegenden Verfahrens Anwendung. Im Verfahren gegen Bemba standen ebenfalls Maßnahmen zum Identitätsschutz im Mittelpunkt.500 Für jeden einzelnen Zeugen wurde das Gefährdungspotential eingestuft und entsprechend differenzierte Schutzmaßnahmen während der Hauptverhandlung ergriffen. Bis auf die offen auftretenden Sachverständigen der Anklage wurden sämtliche Zeugennamen pseudonymisiert. Selbst der einzige Zeuge des Gerichts wurde nur unter der Bezeichnung CHM01 geführt und mit „Herr Zeuge“ (Mr. Witness) oder „der Zeuge“ (the witness) adressiert.501 Da die Verhandlungen grundsätzlich per Video-Übertragung im Internet auch außerhalb des Gerichtssaals angesehen werden konnten, wurden hierfür weitere Maßnahmen ergriffen: So wurde bei nahezu allen Zeugen sowohl die Stimme als auch das Bildnis nur verzerrt übertragen.502 Bei Fragen und Antworten wurde stets darauf geachtet, nichts zu veröffentlichen, was Rückschlüsse auf die Identitäten ermöglichen könnte.503 So wurde jeder Zeuge vor Beginn der inhaltlichen Aussage darauf hingewiesen, solche Antworten zu vermeiden oder wenn sich solche Antworten nicht vermeiden ließen, anzukündigen, wenn eine Antwort möglicherweise Hinweise auf seine eigene Identität oder die anderer gefährdeter Zeugen enthielten, sodass die Kammer in der Lage war rechtzeitig die erforderlichen Maßnahmen zu ergreifen.504 Darüber hinaus wurden Zeugenaussagen gelegentlich in „privaten“ oder „geschlossenen“ Sitzungen („private sessions“) unter Ausschluss der Öffentlichkeit, aber in Anwesenheit des 498

Vgl. von Wistinghausen, in: Safferling/Kirsch, Völkerstrafrechtspolitik: Praxis des Völkerstrafrechts, 2014, 199 (206). 499 Vgl. Triffterer/Ambos/Donat-Cattin, 3. Aufl. 2016, Art. 68 Rn. 13. 500 ICC-01/05-01/08-3343 21-03-2016 Judgment pursuant to Article 74 of the Statute, par. 247 ff. 501 ICC-01/05-01/08-T-353-Red-ENG CT WT 18-11-2013, 2. 502 Vgl. beispielhaft ICC-01/05-01/08-T-353-Red-ENG CT WT 18-11-2013, 2. 503 ICC-01/05-01/08-3343 21-03-2016 Judgment pursuant to Article 74 of the Statute, par. 247. 504 Beispielhaft ICC-01/05-01/08-T-344-Red-ENG WT 12-09-2013.

IV. Gang der Hauptverhandlungen

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Angeklagten, aufgenommen.505 Manchen Zeugen wurde es sogar gestattet, die Aussage komplett in privaten Sitzungen abzugeben; dies galt sowohl für Zeugen der Anklage als auch der Verteidigung und unabhängig davon, ob der Zeuge als Opfer anerkannt wurde oder auf Seiten der vermeintlichen Täter stand.506 Neben den Schutzmaßnahmen, die während der Vernehmung ergriffen wurden, galt es auch die grundsätzlich zur Veröffentlichung bestimmten Protokolle zu kontrollieren. Die Protokolle der Sitzungen wurden auf Anordnung der Kammer gemäß Art. 64 Abs. 7 und 67 Abs. 1 IStGHSt von den Parteien und Opfervertretungen untersucht und bestimmte Teile, die kein Risiko bargen, im Rahmen von drei Sammel-Anordnungen507 veröffentlicht. Teilweise erkannten die Parteien während einer öffentlichen Sitzung, dass gerade Aussagen mit möglicherweise riskantem Inhalt getätigt worden waren, sodass zur weiteren Erörterung des vertraulichen Inhaltes die Mikrophone vorübergehend ausgestellt508 und Passagen in den Protokollen gelöscht werden konnten.509 Dies hat zur Folge, dass zwar nahezu alle Protokolle öffentlich einsehbar sind, diese jedoch in weiten Teilen, jeweils wenn der Inhalt der Aussage Indizien auf die Identität des Aussagenden, seiner Familie oder sonstiger gefährdeter Personen bergen kann, längere Lücken enthalten.510 Den (erforderlichen) Zeugenschutzmaßnahmen stehen und standen auch im Verfahren gegen Bemba naturgemäß die Rechte des Angeklagten gegenüber. Zu nennen ist insbesondere das Konfrontationsrecht gemäß Art. 67 Abs. 1 e) IStGHSt. Zudem bestand auch hier für die Verteidigung die Schwierigkeit die Glaubwürdigkeit der Zeugen zu überprüfen. In der Folge rügte die Verteidigung die Anklageschrift auch deswegen als zu unbestimmt, weil es ihr nicht möglich war, die tatsächliche Anzahl an Opfern klären zu können hinsichtlich derer Bemba angeklagt war.511 Außerdem beklagte die Verteidigung durch den extremen Opferschutz etwaig kollusives Zusammenwirken zwischen Opfern und Zeugen nicht aufdecken zu können.512 505

ICC-01/05-01/08-3343 21-03-2016 Judgment pursuant to Article 74 of the Statute, par. 248. 506 So etwa Zeuge 75 der Anklage, ICC-01/05-01/08-T-93-Red2-ENG CT WT 30-03-2011; Zeuge 19 der Verteidigung, ICC-01/05-01/08-T-284-Red2-ENG WT 25-02-2013, 4. 507 Vgl. ICC-01/05-01/08-2153 05-03-2012 Order on the reclassification of transcripts; ICC-01/05-01/08-2223 04-06-2012; Second Order on the reclassification of transcripts; ICC01/05-01/08-3038 10-04-2014 Third Order on the reclassification of transcripts. 508 So etwa während des confirmation hearings, ICC-01/05-01/08-T-10-ENG ET WT 1301-2009, 106. 509 Gelöscht wurden teilweise mehrere Seiten: gelöscht in ICC-01/05-01/08-T-10-ENG ET WT 13-01-2009 46 – 70. 510 Beispielhaft: ICC-01/05-01/08-T-347-Red-ENG WT 30-10-2013, 5 ff. 511 ICC-01-05-01-08-T-9-ENG ET WT 12-01-2009, 77; Die Unbestimmtheit der Anklage war auch Gegenstand der noch näher zu betrachtenden zweitinstanzlichen Entscheidung. 512 ICC-01/05-01/08-3121-Red 22-04-2016 Public Redacted Version of Closing Brief of Mr. Bemba Gombo, par. 228.

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D. Die erstinstanzlichen Verfahren

Diese Rügen der Verteidigung sind jedoch kein originäres Problem des internationalen Strafverfahrens, sondern regelmäßig in Strafverfahren anzutreffen, in denen Zeugenschutzmaßnahmen angeordnet werden. Da im hiesigen Verfahren nicht die Zeugen der Anklage, sondern auch der überwiegende Teil der Verteidigungszeugen, unter Schutzvorkehrungen aussagte , wird man dies auf dem Weg zur Erforschung der Wahrheit nicht als einseitige Belastung der Verteidigung, sondern als notwendiges Übel für das Verfahren als Ganzes in Kauf nehmen müssen, da viele (wichtige) Zeugen sich überhaupt erst bereit erklären, Angaben zu machen, wenn effektive Schutzmaßnahmen garantiert werden können. Wie im Folgenden zu sehen sein wird, birgt aber nicht nur die Pseudonymisierung, sondern vice versa auch die namentliche Bekanntheit von Zeugen Risiken für die Erkenntnis der materiellen Wahrheit. gg) Problem der Beeinflussung von Zeugen Im Laufe des Verfahrens wurde von der Verteidigung regelmäßig der Vorwurf erhoben, die Zeugen der Anklage stünden unter unsachgemäßem Einfluss. Dies traf vor allem die Zeugen, von der Nichtregierungsorganisation OCODEFAD,513 welche nach den Ereignissen von 2002 und 2003 zur Unterstützung der Opfer gegründet wurde,514 ausfindig gemacht und interviewt wurden. Wegen der vermeintlichen politischen Verbindungen zum aktuellen Präsidenten der Zentralafrikanischen Republik und damaligem Rebellenführer515 und der Interaktionen der OCODEFAD mit der Anklage wurden die entsprechenden Zeugen von der Verteidigung als unglaubwürdig dargestellt und behauptet, die Zeugen seien auf ihre Aussagen vorbereitet und insbesondere ermutigt worden, ihre erlittenen Schäden überhöht anzusetzen.516 Dieser Vortrag konnte jedoch nicht konkretisiert werden und erwies sich als unsubstantiiert. Darüber hinaus wurde von der Verteidigung die Glaubwürdigkeit von neun zentralen Zeugen der Anklage angezweifelt sowie von 19 weiteren besonders geschützten Zeugen,517 was von der Kammer für einen Großteil nicht bestätigt werden konnte. Sobald die Kammer tatsächlich Zweifel an der Glaubhaftigkeit der Aussagen hegte, wurde dies vermerkt und die Beweiswerte der Aussagen herabgesetzt.518 Eine monetäre Beeinflussung seitens der Anklage konnte nicht festgestellt werden. Am intensivsten verlief die Prüfung hinsichtlich P169, dem laut 513

L’Organisation pour la Compassion et le Développement des Familles en Détresse. ICC-01/05-01/08-3343 21-03-2016 Judgment pursuant to Article 74 of the Statute, par. 303 Fn. 727. 515 ICC-01/05-01/08-3121-Red 22-04-2016 Public Redacted Version of Closing Brief of Mr. Bemba Gombo, par. 7. 516 ICC-01/05-01/08-3121-Red 22-04-2016 Public Redacted Version of Closing Brief of Mr. Bemba Gombo, par. 221; ICC-01/05-01/08-3343 21-03-2016 Judgment pursuant to Article 74 of the Statute, par. 330. 517 ICC-01/05-01/08-3343 21-03-2016 Judgment pursuant to Article 74 of the Statute, par. 304 ff. 518 So etwa bei Zeuge P213, P169, P173 und P178, ICC-01/05-01/08-3343 21-03-2016 Judgment pursuant to Article 74 of the Statute, par. 329. 514

IV. Gang der Hauptverhandlungen

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Verteidigung monetäre Anreize in Aussicht gestellt wurden. P169 wurde hierfür nach bereits beendeter Beweisaufnahme erneut geladen und zur Klärung der Vorwürfe befragt. Es stellte sich heraus, dass kein aktives Handeln der Anklage vorlag, sondern P169 sich lediglich den Erhalt von Geldzahlungen erhofft hatte.519 Das Verteidigerteam konnte demnach keine unzulässige Beeinflussung nachweisen. Auf der anderen Seite erließ die Vorverfahrenskammer II am 20. November 2013, kurz nach Beendigung der Beweispräsentation der Verteidigung und parallel zur Vernehmung des einzigen Zeugen des Gerichts, Haftbefehle gegen Bemba, zwei seiner Verteidiger, ein kongolesisches Parlamentsmitglied und einen Zeugen.520 Am 23. und 24. November 2013 kam es zu Festnahmen des Lead counsel Aimé KiloloMusamba sowie des Case Managers Jean-Jacques Mangenda Kabongo in Belgien und in den Niederlanden.521 Mit Erlass des Haftbefehls wurde das Parallel-Verfahren gegen Bemba et al. wegen Zeugenbeeinflussung gemäß Art. 70 IStGHSt unter dem Aktenzeichen ICC-01/05 – 01/13 eröffnet. Bemba wurde zum einen vorgeworfen, gemäß Art. 70 Abs. 1 b) i. V. m. Art. 25 Abs. 3 b) IStGHSt willentlich falsche Beweismittel vorgebracht zu haben und zum anderen gemäß Art. 70 Abs. 1 c) IStGHSt i. V. m. Art. 25 Abs. 3 b) IStGHSt Zeugen korruptiv beeinflusst zu haben; gegen die übrigen Beschuldigten wurde der Haftbefehl wegen des Verdachts korrespondierender Tatbestände erlassen.522 Gegenstand der Anklage war, dass insgesamt 14 Zeugen (D2, D3, D4, D6, D13, D15, D23, D25, D26, D29, D54, D55, D57, D64) rekrutiert bzw. beeinflusst worden sein sollen, zugunsten Bembas auszusagen. In den meisten Fällen handelte es sich um die Gewährung von Geldzahlungen sowie nichtmonetäre materielle Leistungen, die jeweils kurz vor der jeweiligen Aussage geleistet wurden.523 Am 19. Oktober 2016, also ca. sieben Monate nach der Verurteilung wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, erging der Schuldspruch wegen Zeugenbeeinflussung.524 Der Strafspruch vom 22. März 2017 ergab für Bemba ein Jahr zusätzlicher Freiheitsstrafe und eine Geldstrafe in Höhe von 300.000 Euro. Die übrigen Angeklagten erhielten Freiheitsstrafen zwischen sechs Monaten und zweieinhalb Jahren sowie ergänzende Geldstrafen.525 Gegen Schuld519

ICC-01/05-01/08-3343 21-03-2016 Judgment pursuant to Article 74 of the Statute, par. 317 ff. 520 ICC-01/05-01/13-1-Red2-tENG 05-12-2013 Warrant of arrest for Bemba GOMBO, Aimé KILOLO MUSAMBA, Jean-Jacques MANGENDA KABONGO, Fidèle BABALA WANDU and Narcisse ARIDO. 521 ICC-01/05-01/13-1989-Red 19-10-2016 Judgment pursuant to Article 74 of the Statute, par. 2. 522 ICC-01/05-01/13 – 1-Red2-tENG 05-12-2013 Warrant of arrest for Bemba GOMBO, Aimé KILOLO MUSAMBA, Jean-Jacques MANGENDA KABONGO, Fidèle BABALA WANDU and Narcisse ARIDO, 3 ff. 523 ICC-01/05-01/13-1989-Red 19-10-2016 Judgment pursuant to Article 74 of the Statute, par. 104. 524 ICC-01/05-01/13-1989-Red 19-10-2016 Judgment pursuant to Article 74 of the Statute, 455. 525 ICC-01/05-01/13 Decision on Sentence Pursuant to Article 76 of the Statute.

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D. Die erstinstanzlichen Verfahren

und Strafspruch legte Bemba Rechtsmittel ein, jedoch blieben diese erfolglos und das Urteil wurde von der Berufungskammer am 08. März 2018 ausführlich begründet (699 Seiten) im Wesentlichen bestätigt.526 Aufgehoben wurde lediglich die Verurteilung gegen Bemba und weitere zwei Angeklagte gemäß Art. 70 Abs. 1 b) IStGHSt wegen der Vorlage von Beweismitteln, von denen die Partei weiß, dass sie falsch, geoder verfälscht sind. Die übrigen materiellen Vorwürfe gemäß Art. 70 Abs. 1 a) IStGHSt wegen Falschaussage und gemäß Art. 70 Abs. 1 c) IStGHSt wegen der Beeinflussung von Zeugen blieben bestehen.527 Im September 2018 erging auf Antrag des Anklägers, der eine höhere Strafe forderte, nämlich Freiheitsstrafe von fünf Jahren für Bemba und seine Verteidiger (Mangenda und Kilolo),528 ein neuer Strafspruch, der jedoch keine zusätzliche Freiheits- oder Geldstrafe vorsah, sondern die Entscheidung vom 22. März 2017 bestätigte.529 Dies hatte neben der Folge, dass Bemba ein neues Verteidigerteam benötigte, Auswirkungen auf die Glaubhaftigkeit und den Beweiswert der betroffenen Zeugenaussagen. Infolgedessen verzichtete die Verteidigung in ihrer abschließenden Stellungnahme auf die Aussagen der benannten 14 Zeugen, auch wenn es offiziell mit der Integrität des Verfahrens und Bembas Position im Rechtsmittelverfahren begründet wurde.530 Auf einige der 14 Zeugen wurde im Rahmen der Urteilsbegründung explizit eingegangen und deren verminderter Beweiswert festgestellt, wobei hier nicht direkt auf das parallele Verfahren, sondern auf das Aussageverhalten selbst abgestellt wurde.531 Die betroffenen Zeugenaussagen wurden nicht insgesamt ausgeschlossen, sondern blieben Teil des Beweismaterials, auf das die Kammer ihre Entscheidung gemäß Art. 74 Abs. 2 IStGHSt stützte. Dies war möglich, da die Kammer nicht verpflichtet ist, nur solche Zeugenaussagen zu verwenden, auf welche die Parteien besonderen Wert legen, sondern auf jedes Beweismittel zurückgreifen kann, das zugelassen wurde und im Register geführt wird.532 526 ICC-01/05-01/13-2275-Red 08-03-2018 Judgment on the appeals of Mr Bemba Gombo, Mr Aimé Kilolo Musamba, Mr Jean-Jacques Mangenda Kabongo, Mr Fidèle Babala Wandu and Mr Narcisse Aridoagainst the decision of Trial Chamber VII entitled Judgment pursuant to Article 74 of the Statute, par. 1631. 527 ICC-01/05-01/13-2275-Red 08-03-2018 Judgment on the appeals of Mr Bemba Gombo, Mr Aimé Kilolo Musamba, Mr Jean-Jacques Mangenda Kabongo, Mr Fidèle Babala Wandu and Mr Narcisse Aridoagainst the decision of Trial Chamber VII entitled Judgment pursuant to Article 74 of the Statute, 16. 528 ICC-01/05-01/13-2279 30-04-2018, Prosecution Sentencing Submissions, par. 51. 529 ICC-01/05-01/13-2312 17-09-2018, Decision Re-sentencing Mr Bemba Gombo, Mr Aimé Kilolo Musamba and Mr Jean-Jacques Mangenda Kabongo. 530 ICC-01/05-01/08-3121-Red 22-04-2016 Public Redacted Version of Closing Brief of Mr. Bemba Gombo, par. 16. 531 ICC-01/05-01/08-3343 21-03-2016 Judgment pursuant to Article 74 of the Statute, par. 348 ff. 532 ICC-01/05-01/08-3343 21-03-2016 Judgment pursuant to Article 74 of the Statute, par. 263; The Prosecutor vs. Germain Katanga and Mathieu Ngudjolo Chui, ICC-01/04-01/072731 24-02-2011 Decision on the Prosecution’s renunciation of the testimony of witness P-159, par. 13.

IV. Gang der Hauptverhandlungen

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Nachdem Bemba am 08. Juni 2018 im „Hauptverfahren“ freigesprochen wurde,533 entließ ihn am 12. Juni 2018 auch die Hauptverfahrenskammer VII im Parallelverfahren auf Antrag unter Auflagen aus der Haft.534 3. Aktive Opferbeteiligung Ein ebenfalls wichtiger Aspekt völkerstrafrechtlicher Verfahren sind die aktive Opferbeteiligung und die Frage der prozessrechtlichen Ausgestaltung. Bei den „schwersten Verbrechen, welche die internationale Gemeinschaft als Ganzes berühren“535 sind regelmäßig zahlreiche Menschen Verbrechen und Verbrechern zum Opfer gefallen. Diesen Personen rechtsstaatliche Aufarbeitungsmechanismen bereitzustellen und dadurch auf individueller Ebene die Kanalisierung möglicherweise bestehender Rachegefühle anzubieten, kann dazu beitragen, die betroffenen Gesellschaften zu befrieden. Jene positiven Effekte zählen zum erweiterten Kreis der Ziele eines jeden Völkerstrafverfahrens.536 Da sich das Prozessrecht mithin vorrangig mit dem Täter als Individuum beschäftigt und die Opfer diesem eher als Kollektiv gegenüberstehen,537 fragt es sich wie die internationalen Prozessvorschriften und die StPO das Thema der aktiven Opferbeteiligung ausgestalten und wie die Opfer auf das Verfahren Einfluss nehmen konnten. a) Verfahren nach der StPO gegen Dr. M. und M. Nach der StPO stehen den Geschädigten mehrere Möglichkeiten zur Verfügung, sich aktiv am Prozessgeschehen zu beteiligen. Genannt seien hier das Strafantragsrecht gemäß § 158 StPO, das Klageerzwingungsverfahren gemäß § 172 StPO und die Privatklage gemäß § 374 Abs. 1 StPO, mit denen ein Opfer das Verfahren einleiten kann. Hat das Verfahren einmal (auf wessen Veranlassung auch immer) begonnen, sind den Opfern weitere Verfahrensrechte wie etwa das Akteneinsichtsrecht gemäß § 406e StPO, das Auskunftsrecht gemäß § 406d StPO und gemäß der §§ 395 – 402 StPO die Möglichkeit der Nebenklage an die Hand gegeben. All diese Rechte führen dazu, dass das deutsche Strafprozessrecht heute als sehr opferfreundlich bezeichnet wird.538

533 ICC-01/05-01/08-3636-Red 08-06-2018 Judgment on the Appeal of Mr Bemba Gombo against Trial Chamber III’s Judgment Pursuant to Article 74 of the Statute. 534 ICC-01/05-01/13-2291 12-06-2018 Decision on Mr Bemba’s Application for Release, par. 26. 535 Vgl. Präambel des Römischen Statutes. 536 Vgl. Neubacher, NJW 2006, 966 (967); Möller, 2003, 417, zit. nach Kroker, P., Weltrecht in Deutschland, S. 16, Fn. 12. 537 Vgl. zur kollektiven Komponente des Opferbegriffs vor dem IStGH Safferling, ZStW 115, 2003, 352 (360 ff., 382 f.). 538 Vgl. Wilhelmi, IRP, 2004, 7 (52).

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D. Die erstinstanzlichen Verfahren

Besonders die letztgenannte Nebenklage gewährt umfassende Rechte, aktiv zur Verurteilung des Täters beizutragen. Ein zugelassener Nebenkläger ist zum einen zur Anwesenheit berechtigt, § 397 Abs. 1 S. 1 StPO, kann Richter und Sachverständige ablehnen gemäß §§ 24, 31 StPO, Fragen und Beweisanträge stellen gemäß § 240 Abs. 2 StPO bzw. 244 Abs. 3 – 6 StPO, sowie eigene Erklärungen abgeben (§§ 257, 258 StPO), § 397 Abs. 1 S. 2 StPO. Voraussetzung dafür, dass ein Opfer als nebenklageberechtigt gilt, ist jedoch die Verletzung durch eine der in § 395 Abs. 1 StPO genannten Katalogstraftaten. In diesen allerdings sind die Taten des VStGB nicht genannt, sodass in reinen Völkerstrafverfahren der Weg in die Nebenklage versperrt ist. Sie ist jedoch möglich, wenn tateinheitlich entsprechende Normen des StGB verletzt worden sind, bezüglich derer wiederum deutsches Strafrecht gemäß der §§ 3 – 7 StGB anwendbar sein muss.539 Daneben besteht die Möglichkeit gemäß § 395 Abs. 3 StPO als Nebenkläger mitzuwirken und zwar bei anderen rechtswidrigen Taten, wenn dies aus besonderen Gründen, insbesondere wegen der schweren Folgen der Tat, zur Wahrnehmung der Interessen des Verletzten geboten erscheint. In den Regelbeispielen sind allerdings Delikte aufgeführt, deren Unrechtsgehalt allgemein niedriger erscheint als bei den Katalogstraftaten des § 395 Abs. 1 StPO und daher nur im Einzelfall als besonders schwerwiegende Delikte einzustufen sind.540 Genannt sind gerade nicht solche des VStGB. Allein dies spricht schon dagegen, dass der Gesetzgeber VStGB-Opfer als solche als nebenklagebefugt ansehen möchte.541 Daraus ist abzuleiten, dass es eine bewusste Entscheidung des deutschen Gesetzgebers ist, die Opferbeteiligung nicht gleichermaßen zu gestalten wie dies im IStGHSt der Fall ist. Auch die nunmehr durch das am 15. November 2019 vom Bundestag beschlossene Gesetz zur Modernisierung des Strafverfahrens im neuen § 397b StPO vorgesehene Möglichkeit der gemeinschaftlichen Nebenklagevertretung mag zwar darauf abzielen, umfangreiche Verfahren mit hohen Opferzahlen zu vereinfachen, eine Öffung für Opfer von Völkerstrafverfahren kann dem aber nicht entnommen werden.542 Im Verfahren vor dem OLG Stuttgart wären theoretisch ausgehend von der erstinstanzlichen Verurteilung etwa Angehörige von rechtswidrig getöteten Dorfbewohnern gemäß § 395 Abs. 2 Nr. 1 StPO oder auch unmittelbar Verletzte gemäß § 395 Abs. 1 StPO nebenklageberechtigt gewesen, da auch die Beteiligtenstrafbarkeit zur Anschlussmöglichkeit führt.543 Voraussetzung wäre jedoch eine entsprechende Anschlusserklärung der Opfer, § 396 Abs. 1 StPO, sowie die positive Entscheidung des Gerichts gemäß § 396 Abs. 2 StPO gewesen. Hierzu hätte der 539

Vgl. Ritscher, Schriftliche Stellungnahme zu BT Drucksache 18/6341, 9. Vgl. BT-Drs. 16/12098, 49; BeckOK StPO/Weiner, 34. Aufl., Stand: 01.07.2019, StPO § 395 Rn. 23. 541 Auch die §§ 129a und b StGB sind dort nicht genannt, was aber wohl der Tatsache der fehlenden Opfer bei diesen Delikten geschuldet ist. 542 Vgl. BT-Drs. 1914747, Art. 1 Nr. 19. 543 Vgl. etwa BeckOK StPO/Weiner, 34. Aufl., Stand: 01.07.2019, § 395 Rn. 16. 540

IV. Gang der Hauptverhandlungen

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Nachweis und eine Verurteilung etwa wegen Beihilfe zu einem einzelnen Totschlag gemäß § 212, 27 StGB zumindest rechtlich möglich erscheinen müssen.544 Die Wahrscheinlichkeit einer Verurteilung kann dabei auch gering sein.545 Da jedoch die Anklage nur auf Verbrechen nach dem VStGB gerichtet war, erschien eine Verurteilung wegen einzelner Totschläge von vornherein unwahrscheinlich. In der Revisionsentscheidung sah mithin der BGH den Tatnachweis einer Beteiligtenstrafbarkeit hinsichtlich der als Kriegsverbrechen einzustufenden konkreten Taten als nicht geführt an, obwohl sich hier die Feststellungen zum objektiven und subjektiven Tatbestand „lediglich“ auf die groben Geschehensabläufe und materiell wesentlichen Zäsuren hätten beziehen müssen.546 Die Vermutung liegt nahe, dass auch für eine Verurteilung wegen Beihilfe zu einzelnen Tötungsdelikten das Beweismaterial nicht ausgereicht hätte, insbesondere um den doppelten Gehilfenvorsatz zur Überzeugung des Gerichts beweisen zu können. Hierfür hätte der Vorsatz, wenn auch nicht auf alle Einzelheiten, so doch zumindest auf die wesentlichen Merkmale und Grundzüge der konkreten Tat bewiesen werden müssen.547 Ob die erforderliche rechtliche Möglichkeit einer Verurteilung wegen eines in § 395 Abs. 1 StPO aufgeführten Deliktes hätte bejaht werden können, kann mangels gestellter Anschlusserklärungen dahinstehen. § 129a und b StGB hätten nicht herangezogen werden können, da diese nicht in § 395 Abs. 1 StPO genannt sind. Im Verfahren gegen Dr. M. und M. kam es daher, anders als etwa im Verfahren vor dem OLG Frankfurt, bei dem Prozessgegenstand eine Anklage wegen Völkermord gemäß § 220a StGB a. F. war, der zum Katalog des § 395 StPO gehörte, zu keiner Nebenklage.548 Ob eine Einführung der Nebenklage für Straftaten nach dem VStGB sinnvoll ist, soll nicht Gegenstand vorliegender Arbeit sein. Eine extensive Opferbeteiligung, vergleichbar dem internationalen Verfahren vor dem IStGH, wird jedoch bisweilen kritisch gesehen.549 b) Verfahren nach dem Römischen Statut gegen Bemba Da im Verfahren gegen Bemba die Opferbeteiligung ein bemerkenswertes Ausmaß erreichte und sich hier vom Stuttgarter Verfahren abhob, sollen zunächst die dies 544 Vgl. BGHSt 13, 143; RGSt 59, 100, 103; OLG Brandenburg 1 Ws 54/10; KK-StPO/ Walther, 8. Aufl. 2019, § 396 Rn. 5. 545 Vgl. MüKoStPO/Valerius, 1. Aufl. 2019, StPO § 395 Rn. 40. 546 BGH, Urteil vom 20.12.2018 StR 236/17; vgl. Ausführungen unter E. I. 3. 547 BGH NStZ 2017, 274. 548 OLG Frankfurt/Main Urteil vom 18.02.2014, Az. 5 – 3 StE4/10-4-3/10. 549 Vgl. zum Meinungsstand Opferbeteiligung etwa Werle, Schriftliche Stellungnahme zu BT Drucksache 18/6341, 10; krit. zu mehr individueller Opferbeteiligung: Safferling, ZStW 122, 2010, 87 (116) da der Strafprozess für Bewältigung individueller Traumata überfordert wäre; Niendorf, 2017.

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D. Die erstinstanzlichen Verfahren

möglich machenden Regelungen vorgestellt werden, ehe die Begebenheiten des Verfahrens selbst dargestellt werden. aa) Rechtliche Rahmenbedingungen Vor dem IStGH sind die Beteiligungsmöglichkeiten der Opfer weiter ausgestaltet als im deutschen Prozessrecht. Zwar kann der Verletzte nicht wie im deutschen Prozessrecht das Strafverfahren in Gang setzen, er verfügt jedoch im laufenden Verfahren über eine Reihe umfangreicher Verfahrensrechte550 Rechtlicher Ausgangspunkt für die Teilnahme von Opfern am Hauptverfahren ist Art. 68 Abs. 3 IStGHSt, der mitunter neben Art. 75 IStGHSt, der die Wiedergutmachung der Opfer regelt, als eine der größten Errungenschaften des Römischen Statuts angesehen wird.551 Er besagt, dass der Gerichtshof es den Opfern bei gegebener persönlicher Betroffenheit gestattet, unabhängig von einer möglichen Zeugenstellung, Auffassungen und Anliegen („views and concerns“) in von ihm für geeignet befundenen Verfahrensabschnitten vorzutragen, wobei dies sowohl durch die Opfer selbst oder durch die rechtlichen Vertreter der Opfer erfolgen kann. Art. 68 Abs. 3 IStGHSt gilt dabei, ungeachtet seiner Stellung im sechsten Kapitel, das an sich nur das Hauptverfahren regelt, nach allgemeiner Meinung auch im Vorverfahren sowie in möglichen Berufungs- und Wiederaufnahmeverfahren.552 Formelle Voraussetzung ist die Autorisierung als Opfer des Falles („victim of the case“) durch den Gerichtshof, was mittels schriftlichem Antrag bei der Kanzlei beantragt werden kann. Die Kanzlei wiederum leitet die Anträge an die Kammer zur Entscheidung weiter, Regel 89 Ziff. 1 VBO. Materielle Voraussetzung der Teilnahme ist lediglich die Betroffenheit der „persönlichen Interessen“, was zu bejahen ist, wenn eine Verbindung zwischen dem ermittelten oder anhängigen Sachverhalt und dem erlittenen Leid besteht.553 Sobald ein Opfer zugelassen wurde, stehen ihm verschiedene Partizipationsrechte zu, vgl. Regel 92 Abs. 4 VBO.554 Hervorzuheben sind dabei das Recht auf Benachrichtigung gemäß Regel 92 Ziff. 2 und 3 VBO und das Akteneinsichtsrecht gemäß Regel 131 Ziff. 2 VBO. Seit einer Entscheidung der Vorverfahrenskammer I ist geklärt, dass Opfer bereits in der Phase des Vorverfahrens aktiv die Strafverfolgung mitgestalten können. Dort wurde erkannt, dass der Begriff „Verfahren“ in 550

Vgl. Wilhelmi, IRP, 2004, 7 (53). Vgl. Heinsch, Schriftliche Stellungnahme zu BT Drucksache 18/6341, 11. 552 Vgl. Niendorf, 2017, 77; Youssef, 2008, 111; zu den Voraussetzungen der Teilnahme im Vorverfahren nach Erlass des Haftbefehls: ICC-02/04-01/05-252 13-08-2007 The Prosecutor vs. Joseph Kony, Vincent Otti, Okot Odhiambo and Domenic Ongwen. Decision on Victims’ applications for participation a/0010/06, a/0064/06 to a/0070/06, a/0081/06 to a/0104/06 and a/ 0111/06 to a/0127/06, par. 9. 553 Vgl. Triffterer/Ambos/Donat-Cattin, 2016, Art. 68 Rn. 22. 554 Vgl. Safferling, ZStW 115, 2003, 353 (376). 551

IV. Gang der Hauptverhandlungen

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Art. 68 Abs. 3 IStGHSt die Ermittlungsphase miteinschließt.555 Den Opfern steht es überdies frei, dem Ankläger Informationen zukommen zu lassen und Eingaben an die Vorverfahrenskammer zu machen, Regel 50, Ziff. 3 VBO. Zudem können sie im Verfahren über die Gerichtsbarkeit oder die Zulässigkeit Stellungnahmen abgeben, Art. 19 Abs. 3 IStGHSt, Regel 59 Ziff. 3 und an der Verhandlung über die Bestätigung der Anklage teilnehmen, was Art. 68 Abs. 3 i. V. m. Regel 92 Ziff. 3 entnommen wird und mit dem Interesse begründet wird, sich zur Anklage zu äußern. Darüber hinaus können sie Maßnahmen zum Zwecke der Einziehung gemäß Art. 57 Abs. 3 e) IStGHSt beantragen.556 Besondere Bedeutung gebührt aber dem Recht, gemäß Regel 90 Ziff. 1 VBO einen rechtlichen Vertreter zu bestimmen. Bei großen Verfahren, wie dem BembaVerfahren, kann die Kammer gemäß Regel 90 Ziff. 2 VBO aus prozessökonomischen Gründen und vor dem Hintergrund der notwendigen Zügigkeit des Verfahrens, die Zahl der rechtlichen Vertreter auf bis zu einen gemeinsamen Repräsentanten begrenzen.557 Bei mittellosen Opfern besteht die Möglichkeit der finanziellen Unterstützung durch die Kanzlei, vgl. Regel 90 Ziff. 5 VBO. Die Mitwirkung der rechtlichen Vertreter ist in jeder Phase des Verfahrens möglich, vgl. Regel 50 Ziff. 1 VBO, Art. 17 Abs. 3 IStGHSt und Art. 68 Abs. 3 IStGHSt, Regeln 89 – 91 VBO. Ist ein rechtlicher Vertreter bestellt, stehen diesem und damit den Opfern quasiparteiliche Rechte zu.558 Gemäß Regel 91 Ziff. 2 VBO hat er das Recht, an den Verhandlungen teilzunehmen und gemäß Ziff. 3 kann er beantragen, Zeugen, Sachverständige oder den Angeklagten zu befragen, wobei die Kammer eine Vorprüfung der Fragen anordnen kann, in deren Rahmen die beabsichtigten Fragen vorab schriftlich dem Ankläger und, wenn dies angemessen erscheint, auch der Verteidigung vorgelegt werden müssen. Die Parteien wiederum sind in diesem Falle befugt, Stellungnahmen abzugeben. Auch ein eigenes Beweisantragsrecht ist für die rechtlichen Vertreter anerkannt, obwohl dies nicht im Statut geregelt, und aus der Wahrheitserforschungspflicht des Gerichts gemäß Art. 69 Abs. 3 IStGHSt abgeleitet werden muss.559 Da die Opfer, vertreten durch die rechtlichen Vertreter, jedoch nicht Partei des Verfahrens im engeren Sinne sind, gelten besondere Voraussetzungen. So werden Beweismittel nur

555

The Prosecutor vs. Thomas Lubanga Dyilo ICC-01/04-101-tEN-Corr 22-03-2006 Decision on the applications for participation in the proceedings of VPRS 1, VPRS 2, VPRS 3, VPRS 4, VPRS 5 and VPRS 6, par. 29 – 38; Die Entscheidung erging bereits am 17.01.2006. 556 Vgl. Stahn/Olasolo/Gibson, JICJ, 4, 2006, 219 (235); Youssef, 2008, 106 ff. 557 Vgl. Safferling, ZStW 115, 2003, 353 (376). 558 Vgl. Guariglia, in: Cassese/Gaeta/Jones, 2002, 1111 (1127 f.). 559 Vgl. Vianney-Liaud/Pineau, 12 Eyes on the ICC 51 Vol 12, 2016 – 2017, 51 (57 f.).

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D. Die erstinstanzlichen Verfahren

zugelassen, wenn die Beweistatsachen nicht bereits von der Anklage unter Beweis gestellt wurden.560 Die umfassenden Teilnahmerechte und Verletztenfreundlichkeit sind demnach mit der Ausgestaltung der Nebenklage vergleichbar. Die Regularien des IStGH weisen hier eine starke kontinental-europäische Prägung auf.561 bb) Umfang und Gestaltung der aktiven Opferbeteiligung im Verfahren Im Verfahren gegen Bemba zeigte sich eine rege Opferbeteiligung: Bereits im Vorverfahren wurden im Rahmen von sechs Einzelentscheidungen562 der Vorverfahrenskammer insgesamt 54 Opfer als „victims of the case“ zugelassen.563 In den mündlichen Verhandlungen zur Bestätigung der Anklage wurden deren Rechte bereits von zwei rechtlichen Vertretern wahrgenommen, die beide Gelegenheit zur Abgabe mündlicher Stellungnahmen erhielten.564 Ms. Massida, eine Generalanwältin des OPCV (Office of Public Counsel for Victims)565 vertrat hierbei zwanzig Opfer, die übrigen 34 wurden von Ms. Douzima, einer beim IStGH registrierten Rechtsanwältin, vertreten.566 Bei Eröffnung des Hauptverfahrens am 22. November 2010 waren bereits 759 Opfer autorisiert und 653 Anträge waren noch ausstehend.567 Bis zum Ende der Verhandlung wuchs die Anzahl auf 5.299 Opfer,568 die in vier geographische 560 ICC-01/05-01/08-2138 22-02-2012, Decision on the Supplemented Applications by the Legal Representatives of Victims to Present Evidence and the Views and Concerns of victims, par. 23 f. 561 Vgl. Wilhelmi, IRP, 2004, 7 (54). 562 ICC-01/05-01/08-103-tENG 12-09-2008 Decision on Victim Participation; ICC-01/0501/08-184 23-10-2008 Second Decision on the question of Victims’ participation requesting observations from the parties; ICC-01/05-01/08-253 17-11-2008 Third Decision on the Question of Victims’ Participation Requesting Observations from the Parties; ICC-01/05-01/08-320 12-12-2008 Fourth Decision on Victims’ Participation; ICC-01/05-01/08-322 16-12-2008 Fifth Decision on Victims’ Issues Concerning Common Legal Representation of Victims; ICC-01/ 05-01/08-349 09-01-2009 Sixth Decision on Victims’ Participation Relating to Certain Questions Raised by the Office of Public Counsel for Victims. 563 ICC-01/05-01/08-424 15-06-2009 Decison on the Charges, par. 6. 564 Vgl. Ausführungen Massida und Douzima am ersten Tag des confirmation hearings ICC01/05-01/08-T-9-ENG ET WT 12-01-2009, 31 ff., 36 ff. 565 Dieses unterstützt und organisiert die Teilnahme von Opfern und den rechtlichen Vertretern. Gleichzeitig können Mitarbeiter des Büros als rechtliche Vertreter benannt werden gemäß Regel 73 2, 80 1, 2 GO-Gericht, vgl. Youssef, 2008, 123. 566 ICC-01-05-01-08-T-11-ENG ET WT 14-01-2009, 2. 567 ICC-01/05-01/08-T-32-ENG ET WT 22-10-2010, 3. Hier ist vermutlich die Bezeichnung des Protokolls unrichtig, da der erste Verhandlungstag am 22.11.2010 und nicht am 22.10.2010 stattfand. 568 ICC-01/05-01/08-3343 21-03-2016 Judgment pursuant to Article 74 of the Statute, par. 18; vgl. auch Vianney-Liaud/Pineau, 12 Eyes on the ICC 51 Vol 12, 2016 – 2017, 51 (52).

IV. Gang der Hauptverhandlungen

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Gruppen A – D eingeteilt werden mussten.569 Diese Anzahl war und ist die bislang umfassendste Opferbeteiligung am IStGH.570 Grund für die extensive Opferbeteiligung war nach Meinung von zwei der Mehrheitsrichter der Berufungskammer auch die sehr bzw. zu weit formulierte Anklage. Dadurch, dass hierdurch das gesamte Gebiet der Zentralafrikanischen Republik über den gesamten Zeitraum der Intervention der MLC zum Gegenstand des Verfahrens wurde, seien auch viele Opfer zugelassen worden, die mit den nachweisbaren Taten nicht in Verbindung standen. Das hätte unnötig Hoffnungen und Begehrlichkeiten geschürt, die im Rahmen der Berufungsentscheidung enttäuscht werden mussten.571 Die rechtliche Vertretung während des Hauptverfahrens übernahmen Ms. Zaramboud und die bereits benannte Ms. Douzima-Lawson, zwei zentralafrikanische Anwältinnen, die hierfür von der Kammer ernannt wurden.572 Im Januar 2014 starb jedoch erstgenannte und die Kammer übertrug die Vertretung auch der übrigen Opfer auf die verbleibende Ms. Douzima-Lawson.573 Für die zu Beginn noch ausstehenden Anträge gab es im Verfahren eine eigene rechtliche Vertretung durch Mitarbeiter des OPCV.574 18 (16 von der Anklage und zwei der rechtlichen Vertreter) der zugelassenen Opfer des Falles hatten einen Doppelstatus inne, da sie auch als Zeugen auftreten konnten.575 Bemerkenswert ist, dass gemäß Regel 85b VBO insgesamt 14 Organisationen und Institutionen als „Opfer“ zugelassen werden konnten.576 Die Möglichkeit der Anerkennung von Organisationen und Institutionen ist der deutschen StPO auch im Rahmen der Nebenklage fremd. Im Rahmen des Römischen Statuts erscheint sie jedoch konsequent, da dadurch die spezifischen Schutzrichtungen mancher Tatbestände widergespiegelt werden können. Einige der Kriegsverbrechen, z. B. 569 ICC-01/05-01/08-1005 10-11-2010 Decision on common legal representation of victims for the purpose of trial; ICC-01/05-01/08-1012-Corr Corrigendum to Notification of designation of common legal representatives, 18. November 2010, 6 f. 570 Vianney-Liaud/Pineau, 12 Eyes on the ICC 51 Vol 12, 2016 – 2017, 51 (52), Fn. 5. 571 ICC-01/05-01/08-3636-Anx2 08-06-2018 Separate opinion Judge Christine Van den Wyngaert and Judge Howard Morrison, par. 30; Vgl. Heinze, Beitrag vom 23.06.2018, Atlas wirft die Welt ab, https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/istgh-freispruch-jean-pierre-bembakongo-kriegsverbrechen-keine-befehlsgewalt/, zuletzt zugegriffen am 13.02.2019. 572 ICC-01/05-01/08-1005 10-11-2010 Decision on common legal representation of victims for the purpose of trial; ICC-01/05-01/08-1012-Corr 18-11-2010 Corrigendum to Notification of designation of common legal representatives, 6 f. 573 ICC-01/05-01/08-2964 07-02-2014 Order on the legal representation of victims previously represented by Ms Assingambi Zarambaud; Vianney-Liaud/Pineau, 12 Eyes on the ICC 51 Vol 12, 2016 – 2017, 51 (52), Fn. 5. 574 ICC-01/05-01/08-T-32-ENG ET WT 22-10-2010, S. 35. 575 ICC-01/05-01/08-3343 21-03-2016 Judgment pursuant to Article 74 of the Statute, par. 21. 576 ICC-01/05-01/08-3343 21-03-2016 Judgment pursuant to Article 74 of the Statute, par. 18.

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D. Die erstinstanzlichen Verfahren

Art. 8 b) ix) IStGHSt zielen nämlich auf den Schutz bestimmter Organisationen und Institutionen ab.577 Schutzobjekte sind das Eigentum an Gebäuden, die religiösen, erzieherischen, künstlerischen Zwecken gewidmet sind. Insbesondere geht es dabei um historische Monumente, Krankenhäuser und sonstige humanitäre Ziele.578 Im Prozess wurden die Institutionen ebenfalls von Ms. Douzima-Lawson vertreten.579 Die rechtlichen Vertreter nahmen intensiv von ihren Mitwirkungsrechten Gebrauch: So wurden an jeden der Zeugen der Anklage, der Verteidigung und des Gerichts eigene Fragen gerichtet.580 Hierfür musste jeweils eine Liste der Fragen sieben Tage vor der Befragung an die Parteien vorgelegt werden.581 Maßgeblich für die Zulassung durch die Kammer, was jeweils durch eine mündliche Entscheidung zu Beginn der Zeugenvernahme erfolgte,582 war in erster Linie, dass die Fragen Relevanz für Opferinteressen aufwiesen.583 Die rechtlichen Vertreter machten auch von ihrem Beweisantragsrecht Gebrauch. Beantragt wurde die Vernehmung von sieben zusätzlichen Opferzeugen, von denen jedoch nur zwei akzeptiert wurden, V1 und V2,584 und zwar konsequenterweise deswegen, weil sie Wesentliches zur Wahrheitsermittlung beitragen konnten und nicht, weil sie den größten Schaden erlitten hatten.585 Darüber hinaus konnten im Verfahren gegen Bemba erstmals Opfer im Rahmen der eigenständigen Partizipationsform gemäß Art. 68 Abs. 3 IStGHSt und den Regeln 89 – 91 VBO,586 ihre Auffassungen und Anliegen vortragen.587 Insgesamt drei Opfern (a/0542/08, a/0394/08 and a/0511/08)588 war es ab dem 25. Juni 2012, zwischen der Präsentation der Anklage und der der Verteidigung gestattet, mündlich

577

Vgl. Safferling, ZStW 115, 2003, 352 (368). ICC-01-05-01-08-T-9-ENG ET WT 12-01-2009, 37. 579 ICC-01-05-01-08-T-9-ENG ET WT 12-01-2009, 37. 580 Beispielhaft: ICC-01/05-01/08-T-347-Red-ENG WT 30-10-2013, 2. 581 ICC-0l/05-0l/08-807-Corr, 30-06-2010 Corrigendum to Decision on the Participation of Victims in the Trial and on 86 Applications by Victims to Participate in the Proceedings, 44. 582 Beispielhaft: ICC-01/05-01/08-T-347-Red-ENG WT 30-10-2013, 2. 583 Vianney-Liaud/Pineau, Eyes on the ICC 12, 2016, 51 (61 f.). 584 ICC-01/05-01/08-2138 22-02-2012, Decision on the Supplemented Applications by the Legal Representatives of Victims to Present Evidence and the Views and Concerns of victims, par. 26 ff. 585 Vgl. Vianney-Liaud/Pineau, 12 Eyes on the ICC 12, 2016 – 2017, 51 (58 f), Fn. 5. 586 Die Kammer berücksichtigte daneben noch Art. 64 Abs. 2, Abs. 3 c), 64 Abs. 6 c), e), f), 67 Abs. 1 c) und 68 Abs. 1 IStGHSt, ICC-01/05-01/08-2138 23-02-2012 Decision on the supplemented applications by the legal representatives of victims to present evidence and the views and concerns of victims, par. 10. 587 Vgl. Vianney-Liaud/Pineau, Eyes on the ICC 12, 2016, 51 (59 f.). 588 ICC-01/05-01/08-2138 23-02-2012 Decision on the supplemented applications by the legal representatives of victims to present evidence and the views and concerns of victims, par. 55. 578

IV. Gang der Hauptverhandlungen

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ihre Einlassung zu geben.589 Sie erschienen allerdings hierzu nicht persönlich im Gerichtsaal, sondern wurden per Video live von Bangui aus in den Gerichtsaal geschaltet. Da es sich um keine echten Zeugenaussagen handelte, standen sie bei ihren Vorträgen nicht unter Eid und konnten auch nicht von den Parteien, sondern nur von den rechtlichen Vertretern und auch nur in allgemeiner Form hinsichtlich des erlittenen Schadens und nicht hinsichtlich Tatspezifika befragt werden.590 Konsequenterweise wurden deren Einlassungen nicht im Schuldspruch, sondern nur im Rechtsfolgenausspruch berücksichtigt.591 4. Rechte der Verteidigung Neben den Partizipationsrechten der Opfer verdienen auch einige ausgewählte, der Verteidigung zustehenden Rechte eine vergleichende Darstellung. Da sich sowohl das deutsche als auch das internationale Strafverfahren um den Beweis der Schuld oder Unschuld des Angeklagten dreht, ist die Möglichkeit des Angeklagten und seiner Verteidigung die Unschuld zu beweisen, oder zumindest Zweifel an seiner Schuld zu säen, von zentraler Bedeutung. Dies kann dabei sowohl durch die Generierung eigener Beweismittel durch eigenständige Ermittlungsmöglichkeiten als auch durch Zugang zu fremden, „gegnerischen“ Beweismitteln gelingen, der durch Offenlegungspflichten bzw. das Akteneinsichtsrechte eröffnet wird. Darüber hinaus besteht die Möglichkeit auf Beweiserhebungen durch das Gericht im Wege des Beweismittelantragsrechts hinzuwirken. a) Eigene Ermittlungsmöglichkeiten der Verteidigung Die unterschiedlich aufgesetzte Verfahrensstruktur wirkte sich auch auf die praktische Verteidigungsarbeit aus. Der Kern einer jeden auf Freispruch ausgerichteten sachgemäßen Verteidigung liegt darin, an Informationen zu gelangen bzw. diese vorzutragen, die für die Unschuld des Mandanten sprechen. Eine Möglichkeit besteht dabei in der eigenständigen Ermittlung des Sachverhalts und im Ausfindigmachen von Zeugen und anderen Beweismitteln. aa) Verfahren gegen Dr. M. und M. In der deutschen StPO ist ein eigenes Ermittlungsrecht der Verteidigung zwar nicht ausdrücklich vorgesehen, jedoch setzen einige Normen eine Ermittlungstätigkeit des Verteidigers voraus, vgl. §§ 222 Abs. 2 bzw. 246 Abs. 2 StPO.592 Er589

ICC-01/05-01/08-T-227-Red-ENG CT WT 25-06-2012, 2. ICC-01/05-01/08-T-227-Red-ENG CT WT 25-06-2012, 2. 591 ICC-ol/o5-ol/o8-3384 04-05-2016 Decision on Requests to Present Additional Evidence and Submissions on Sentence and Scheduling the Sentence Hearing, par. 34. 592 Vgl. Bosbach, 2015, Teil 3 Rn. 150. 590

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D. Die erstinstanzlichen Verfahren

mittlungen der Verteidigung sind daher grundsätzlich zulässig, was auch dem im deutschen Recht verfassungsrechtlich gebotenem Prinzip der Waffengleichheit zwischen den Strafverfolgungsbehörden und dem Betroffenen bzw. seiner Verteidigung entspricht.593 Etwa das Beweisantragsrecht ist ohne entsprechende Recherchen kaum sachgerecht ausführbar.594 In einem Völkerstrafverfahren, so wird vorgebracht, gelte dies umso mehr, da dort eine angemessene Verteidigung ohne Tatortbesichtigungen, ohne die Möglichkeit, Dokumente zu recherchieren und Zeugen zu befragen nicht möglich erscheine.595 Im Stuttgarter Verfahren war eine eigenständige Ermittlung aus Verteidigersicht besonders wichtig, was dadurch zum Ausdruck kam, dass fortwährend der Verdacht gehegt und bekundet wurde, dass die deutschen Ermittlungsbehörden und Zeugen von der ruandischen Regierung beeinflusst seien.596 Eines der Hauptanliegen wurde dabei in der unzureichenden finanziellen Ausstattung gesehen.597 Anders als das Gericht oder die Staatsanwaltschaft, kann die Verteidigung keine formellen Rechtshilfeersuchen nach dem IRG stellen, sondern muss bei eigenen Ermittlungen im Ausland als Privatperson tätig werden.598 Ein Ersatz der hierfür aufgewendeten Kosten ist nur bei vorheriger Feststellung der Notwendigkeit durch das Gericht gemäß §§ 46 Abs. 2 S. 1, S. 3, 55 RVG gesichert.599 Da die Gerichte jedoch regelmäßig, wie auch im Stuttgarter Verfahren, davon ausgehen, dass die Rechte des Beschuldigten durch die objektiven Ermittlungen der Staatsanwaltschaft, § 160 Abs. 2 StPO, hinreichend gewahrt seien, werden entsprechende Anträge regelmäßig abgelehnt.600 Diese Ablehnungsentscheidungen sind dabei nicht anfechtbar, da § 46 Abs. 2 in § 56 Abs. 1 RVG nicht enthalten ist.601 Die mangelnde finanzielle Unterstützung durch das Gericht und damit die Frage, ob so überhaupt ein rechtsstaatliches Verfahren möglich war, war einer der Punkte, auf die sich die Revision mit der Verfahrensrüge (letztlich erfolglos)

593 BVerfG 2 BvR 1520/01, 2 BvR 1521/01; von Wistinghausen, in: Safferling/Kirsch, Völkerstrafrechtspolitik: Praxis des Völkerstrafrechts, 2014, 199 (203); Krit. zum Prinzip der Waffengleichheit im deutschen Verfahrensrecht, Safferling, NStZ 2004, 181 (188), nach dem der Begriff der Waffengleicheit im Hinblick auf das rechtliche Gehör nur eine „Worthülse“ ohne originären Bedeutungsinhalt sei. 594 Vgl. Bosbach, 2015, Teil 3 Rn. 150. 595 Vgl. von Wistinghausen, in: Safferling/Kirsch, Völkerstrafrechtspolitik: Praxis des Völkerstrafrechts, 2014, 199 (203). 596 Vgl. Kroker, 2016, 83. 597 Vgl. von Wistinghausen, in: Safferling/Kirsch, Völkerstrafrechtspolitik: Praxis des Völkerstrafrechts, 2014, 199 (208). 598 Vgl. von Wistinghausen, in: Safferling/Kirsch, Völkerstrafrechtspolitik: Praxis des Völkerstrafrechts, 2014, 199 (204). 599 Vgl. Meyer/Kroiß/Ebert, RVG, 7. Aufl. 2018, § 46 Rn. 175. 600 Vgl. Kroker, 2016, 84. 601 Vgl. BeckOK RVG//Sommerfeldt, 43. Aufl. 01.03.2019, RVG § 46 Rn. 72.

IV. Gang der Hauptverhandlungen

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stützte. Das Gericht hatte es wiederholt abgelehnt, Reisen in die DR Kongo ebenso wie Dolmetscher für telefonische Befragungen zu finanzieren.602 Nach anderer Ansicht ist auch im völkerstrafrechtlichen Verfahren keine unzumutbare Beschneidung der Rechte der Verteidigung zu konstatieren, da innerhalb der Gesamtkonzeption des Strafverfahrens die Ermittlungen dem GBA obliegen, der nicht nur einen Teil des Sachverhaltes aufklären, sondern am Ende ein Gesamtbild abliefern muss.603 Zudem sei es der Verteidigung gestattet (u. U. auf eigene Kosten) Recherchen anzustellen und sofern ein ausreichender Verfahrensbezug und eine Notwendigkeit der konkreten Ermittlungen zur Überzeugung des Gerichts dargelegt werden, versperre sich auch das deutsche Recht nicht, biete sogar einen Kostenvorschuss an.604 Zudem ist zu beachten, dass die Verteidigung nur die Voraussetzungen des § 244 Abs. 2 StPO erreichen muss, um dem Gericht im Rahmen seiner Amtsaufklärungspflicht weitere Ermittlungen aufzugeben. Drängen sich solche auf, ist das Gericht verpflichtet, diese vorzunehmen.605 Die Ermittlungsmöglichkeiten beschränkten sich daher auf Akteneinsicht und Recherchen innerhalb Deutschlands, wobei auch hier der Verteidigung keine hoheitlichen Befugnisse zustanden. Der mangelnden prozessrechtlichen Unterstützung steht jedoch der Vorteil gegenüber, dass die StPO bei der selbstständigen Beweiserhebung die Verteidigung auch nicht einschränken kann. bb) Verfahren gegen Bemba Im Verfahren gegen Bemba war die Verteidigung aufgrund der Struktur des internationalen Völkerstrafprozesses in erheblichem Maße auf eine angemessene finanzielle und materielle Ausstattung angewiesen, denn wie dargestellt, oblag es ihr als gleichgestellte Partei gleichsam der Anklage ihren Fall zu ermitteln und zu präsentieren.606 Institutionelle Unterstützung boten das angesprochene OPCD607 und die Kanzlei als zentrales Verwaltungsorgan des Internationalen Strafgerichtshofs. Das OPCD selbst bzw. die Kanzlei gewähren gemäß Regel 20 VBO rechtliche Hilfestellungen und Sachleistungen. So besteht nach Regel 137 GO-Kanzlei eine Liste mit professionellen Ermittlern, die bei Bedarf bei den Ermittlungen unterstützen dürfen, sofern zuvor die Gewährung von rechtlicher Unterstützung bewilligt wurde, vgl. Regel 139 Ziff. 1 GO-Kanzlei. Gemäß Regel 85 GO-Gericht besteht 602 Vgl. Rath, Beitrag vom 31.10.2018, Kriegsverbrechen im Kongo vor dem BGH, https:// www.lto.de/recht/hintergruende/h/bgh-ruanda-kongo-prozess-revision-voelkerstrafgesetzbuchdeutschland/, zuletzt zugegriffen am 01.11.2018. 603 Vgl. Ritscher, Schriftliche Stellungnahme zu BT Drucksache 18/6341, 10; Ausführungen zur Rolle der Parteien unter C. I. 3. 604 Vgl. Ritscher, Schriftliche Stellungnahme zu BT Drucksache 18/6341, 9 f. 605 BeckOK StPO/Bachler, 34. Aufl. 01.07.2019, StPO § 244 Rn. 11. 606 Vgl. Ausführungen zur Rolle der Parteien unter C. I. 3. 607 Vgl. Ausführungen unter C. I. 3. b).

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D. Die erstinstanzlichen Verfahren

überdies die Möglichkeit, dass die Kosten der Verteidigung durch die Kanzlei übernommen werden, wenn die Bedürftigkeit des Angeklagten dies erfordert, vgl. Regel 85 Ziff. 2 GO-Gericht. Hiervon musste im Bemba-Verfahren Gebrauch gemacht werden: Da Bembas Vermögenswerte durch unterschiedliche Anordnungen seit Mai 2008 eingefroren waren,608 gestaltete sich spätestens ab dann die Finanzierung der Verteidigung und deren Ermittlungen als schwierig. Die Verteidigung beantragte daher regelmäßig entweder die Aufhebung der Sicherungsmaßnahmen oder aber die Übernahme der Kosten durch die Kanzlei.609 Mit Entscheidung vom 26. November 2009 wurde der Verteidigung dann schließlich eine monatliche Summe von immerhin 30.150 Euro gewährt und fortan zur Verfügung gestellt, von der die weiteren Ermittlungen bestritten werden konnten.610 Damit war es der Verteidigung mithin möglich, insgesamt 34 Zeugen ausfindig zu machen und größere Mengen an Beweismaterial zu beschaffen, auch wenn einige der Beweismittel im Verdacht standen gefälscht gewesen zu sein.611 b) Offenlegungspflichten und Akteneinsichtsrecht Die Zugangsmöglichkeiten der Verteidigung zu den Ermittlungsakten des Gerichts bzw. der Anklage unterscheiden sich je nach Prozessordnung. Zu unterscheiden ist zwischen den antragsunabhängigen Offenlegungspflichten der Anklage im internationalen Verfahren und dem Akteneinsichtsrecht der Verteidigung bzw. des Angeklagten im deutschen Verfahren. Im Folgenden sollen die prozessrechtlichen Gegebenheiten und die in dieser Hinsicht während der Verfahren aufgeworfenen Fragen dargestellt werden. aa) Verfahren gegen Dr. M. und M. In der deutschen Prozessordnung steht der Verteidigung mit § 147 Abs. 1 StPO bereits vor Eröffnung des Hauptverfahrens ein umfassendes Einsichtsrecht in die gesamte, der Staatsanwaltschaft bzw. im Falle der Erhebung der Anklage dem Gericht vorliegende Verfahrensakte zu. Auch amtlich verwahrte Beweisstücke sind zur Besichtigung freizugeben. Nach der wohl h. M. handelt es sich beim Akteneinsichtsrecht um ein Recht des Beschuldigten, das in der Regel aus prozessökonomischen Gründen durch den Verteidiger ausgeübt wird, der hierfür von § 147

608 ICC-01/05-01/08-567-Red 26-11-2009, Redacted version of „Decision on legal assistance for the accused“, par. 10. 609 ICC-01/05-01/08-567-Red 26-11-2009, Redacted version of „Decision on legal assistance for the accused“, par. 12 ff. 610 ICC-01/05-01/08-567-Red 26-11-2009, Redacted version of „Decision on legal assistance for the accused“, par. 5. 611 ICC-01/05-01/08-3343 21-03-2016 Judgment pursuant to Article 74 of the Statute, par. 273 ff.

IV. Gang der Hauptverhandlungen

133

Abs. 1 StPO befugt wird.612 Eingesehen werden kann freilich be- und entlastendes Material.613 Ausgenommen sind vor Abschluss der Ermittlungen Akten oder Aktenteile, die bei Einsicht, den Untersuchungszweck gefährden könnten, § 147 Abs. 2 StPO, sowie andere innerdienstliche Vorgänge und die Handakten der Staatsanwaltschaft.614 Insofern besteht eine Parallele zum internationalen Verfahren, da auch dort gemäß Regel 81 Ziff. 1 VBO interne Dokumente der Anklage von der Offenlegungspflicht nicht umfasst sind. Sowohl Akteneinsichtsrecht als auch die Offenlegungspflicht gelten während des gesamten Verfahrens, also auch während der Hauptverhandlung.615 Probleme im Zusammenhang mit der Akteneinsicht kamen im gegenständlichen Verfahren wie folgt auf, führten jedoch zweitinstanzlich nicht zum Durchdringen der Verfahrensrüge und wurden vom BGH mit keinen weiteren Ausführungen gewürdigt:616 Aus Sicht der Verteidigung wurden dem Angeklagten der Zugang zu den Akten nur in unzureichendem Maße gewährt. Die Angeklagten durften – unter Aufsicht – lediglich bis zu sechs Stunden pro Werktag in separaten Räumen das Material der Anklage auf einem elektronischen Lesegerät einsehen. Dabei kam es unter anderem zu Diskussionen, welche Akteninhalte auf das Lesegerät gespielt werden sollen. Zudem soll das Studieren der elektronischen Akte nicht immer unter gleichzeitiger Anwesenheit der Verteidigung möglich gewesen sein sollen.617 Ein ausdrückliches Recht die Einsicht in Anwesenheit des Verteidigers wahrzunehmen ist in der StPO nicht kodifiziert, es besteht jedoch Einigkeit darüber, dass die Einsichtnahme, gemeinsam mit der Verteidigung zu gewähren ist wenn dies zur sachgerechten Verteidigung notwendig ist. Hiervon unberührt besteht das Recht auch in Abwesenheit der Verteidigung.618 Darüber hinaus wurden Anträge, den Angeklagten zusätzliche Ausdrucke zur Verfügung zu stellen, durch das Gericht unter Hinweis auf die Größe der Zellen und

612

So BVerfG 7.12.1982 – 2 BvR 900/82; MüKoStPO/Thomas/Kämpfer, 1. Aufl. 2014, StPO § 147 Rn. 5; SK-StPO/Wohlers, 9. Aufl. 2018, § 147 Rn. 5; nach a. A. handelt es sich sich um ein Recht des Verteidigers und der verteidigte Beschuldigte hat selbst keinen Anspruch auf Akteneinsicht, Meyer-Goßner/Schmitt, 62. Aufl. 2019, § 147 Rn. 3 f. 613 Vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, 62. Aufl. 2019, § 147 Rn. 15. 614 Vgl. anstatt vieler: Meyer-Goßner/Schmitt, 62. Aufl. 2019, § 147 Rn. 13; SK-StPO/ Wohlers, 2018, § 147 Rn. 32. 615 MüKoStPO/Thomas/Kämpfer, 1. Aufl. 2014, StPO § 147 Rn. 7; Vgl. SK-StPO/Wohlers, 9. Aufl. 2018, § 147 Rn. 21; einschränkend: OLG Stuttgart, Urteil vom 28.04.1978 – 3 Ss (3) 73/78; Meyer-Goßner/Schmitt, 62. Aufl. 2019, § 147 Rn. 10. 616 BGH 3 StR 236/17; aufgrund fehlender Akteneinsicht sind diesbezüglich nur sekundäre Quellen heranziehbar gewesen. 617 Vgl. Johnson/Schlindwein/Schmolze, 2016, 351 f. 618 MüKoStPO/Thomas/Kämpfer, 1. Aufl. 2014, StPO § 147 Rn. 52, 45; SK-StPO/Wohlers, 9. Aufl. 2018, § 147 Rn. 12.

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D. Die erstinstanzlichen Verfahren

den Aktenumfang von über 200 Stehordnern, zahlreichen anderen Beweismitteln und 50.000 bis 60.000 Telekommunikationsereignissen abgelehnt.619 Hauptgrund der geschilderten Problemfelder war damit der schiere Umfang des Beweismaterials und die technischen Möglichkeiten dieses aufzubereiten und zu sichten. Hierbei handelt es sich aber weder um ein originär völkerstrafrechtliches Problem noch um eines der StPO. Vielmehr müssen diese Herausforderungen in jedem umfangreichen Verfahren gelöst werden. Vor dem Hintergrund des Art. 6 EMRK dürfen jedoch technische Probleme und umfangreiches Beweismaterial das Recht des Beschuldigten bzw. des Angeklagten auf eine sachgerechte Verteidigung nicht mehr als die Staatsanwaltschaft und das Gericht beeinträchtigen. Besonders in völkerstrafrechtlichen Verfahren, bei denen regelmäßig umfassende Akteninhalte bearbeitet werden müssen und die Beschuldigten/Angeklagten sich hohen Strafandrohungen ausgesetzt sehen, ist eine effektive Verteidigung unerlässlich. Mangels Kenntnis des konkreten Sachverhaltes ist indes nicht zu beurteilen, ob es im Verfahren nur zu unvermeidlichen Schwierigkeiten kam oder zu potentiell revisible Rechtsverletzungen, die gemäß § 338 Nr. 8 StPO bzw. 337 StPO revisibel wären.620 Angesichts des Nichtdurchdringens der verfahrensrechtlichen Rüge ist hiervon allerdings nicht auszugehen. bb) Offenlegungspflichten vor dem IStGH Da es beim IStGH keine erst von der Anklagebehörde oder dem Gericht zu führenden Verfahrensakte gibt621 und das bereits dargelegte Prinzip des (eingeschränkten) Parteienprozess herrscht, gewinnt das Prinzip der Waffengleichheit an Bedeutung. Ein wichtige Rolle kommt dabei den Pflichten der Verteidigung und der Anklage zu, der jeweils anderen Partei ihre ermittelten Beweismittel offen zu legen, vgl. Art. 67 Abs. 2 IStGHSt bzw. Regeln 76 – 84 VBO.622 Die Nichteinhaltung wird dabei kontrolliert und durchgesetzt, im Lubanga Verfahren führte dies zur vorübergehenden Aussetzung des Verfahrens.623 619 Vgl. Johnson/Schlindwein/Schmolze, 2016, 352; einen Anspruch, kostenfrei Auszüge aus der Verfahrensakte zu erhalten, gibt es nicht, vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, 62. Aufl. 2019, § 147 Rn. 6; SK-StPO/Wohlers, 9. Aufl. 2018, § 147 Rn. 58. 620 Für die Revisibilität u. a. BGH 24.11.1987 – 4 StR 586/87; MüKoStPO/Thomas/ Kämpfer, 1. Aufl. 2014, StPO § 147 Rn. 62 f.; einschränkend Meyer-Goßner/Schmitt, 62. Aufl. 2019, § 147 Rn. 42, der nur § 338 Nr. 8 StPO zulassen will. 621 Vgl. Safferling, 2011, § 7 Rn. 47. 622 Vgl. Büngener, 2013, 20; Fedorova, in: Hieramente/Schneider, The Defence in International Criminal Trials, 2016, 115; Safferling, 2011, § 7 Rn. 43. 623 The Prosecuter vs. Lubanga, ICC-01/04-01/06-1401 13-06-2008 Decision on the consequences of non-disclosure of exculpatory materials covered by Article 54(3)(e) agreements and the application to stay the prosecution of the accused, together with certain other issues raised at the Status Conferenceon 10 June 2008; sowie ICC-01/04-01/06-2517-Red 08-07-2010

IV. Gang der Hauptverhandlungen

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(1) Offenlegungspflicht der Anklage Hauptadressat der Offenlegungspflicht ist die Anklage. Ihr obliegt es, grundsätzlich alle Beweismittel der Verteidigung offenzulegen, die sie ins Verfahren einführen möchte.624 Dies gilt ausdrücklich auch für potentiell entlastende Beweismittel, vgl. Art. 67 Abs. 2 IStGHSt i. V. m. den Regeln 76 – 84 VBO.625 Systematisch findet sich die Offenlegungspflicht in unmittelbaren Zusammenhang mit Mindestgarantien des Angeklagten in Art. 67 Abs. 1 IStGHSt, als Empfänger der Offenlegung sieht Art. 67 Abs. 2 IStGHSt jedoch die Verteidigung vor.626 Der Anspruch auf Offenlegung kann daher, ähnlich dem deutschen Verfahren, sowohl den Rechten der Verteidigung als auch denen des Angeklagten zugeordnet werden.627 Im Zusammenhang insbesondere mit Art. 67 Abs. 1 a) und b) IStGHSt wird die Offenlegungspflicht als Ausfluss und Konkretisierung des Fair Trial Grundsatzes gesehen.628 Zeitlich betreffen die Offenlegungspflichten das gesamte Verfahren, also sowohl das Vor- als auch das Hauptverfahren und alle Kammern des Gerichtshofs („for the purposes of the confirmation hearing or at trial“, vgl. Regel 77, 78 VBO).629 Sowohl vor der Anhörung zur Bestätigung der Anklage („pre-confirmation hearing disclosure“) als auch vor Eröffnung des Hauptverfahrens („pre-trial disclosure“) müssen die Beweise offengelegt werden.630 Unterschieden wird zudem zwischen Offenlegung im engeren Sinne („disclosure stricto sensu“) gemäß Regel 76 VBO und der Offenlegung im Wege der Einsichtnahme („by way of inspection“) gemäß Regel 77 bzw. 78 VBO.631 Die Anklage muss insbesondere Namen von Zeugen, offenlegen, die sie beabsichtigt aufzurufen, zusammen mit Kopien der bereits aufgenommenen Aussagen, Regel 76 VBO.632 Daneben muss Einsicht in Bücher, Dokumente und andere greifbare Objekte gewährt werden, die als Beweismittel vorgesehen sind. Redacted Decision on the Prosecution’s Urgent Request for Variation of the Time-Limit to Disclose the Identity of Intermediary 143 or Alternatively to Stay Proceedings Pending Further Consultations with the VWU. 624 Vgl. Büngener, 2013, 312; Überblick über den rechtlichen Rahmen: Büngener, 2013, 262 ff. 625 Vgl. Safferling, 2011, § 7 Rn. 43; Zappala, in: Cassese/Gaeta/Jones, 1319 (1349). 626 Der Fall der Selbstverteidigung, wie ihn etwa Art. 67 Abs. 1 d) noch enthält, ist demnach nicht ausdrücklich vorgesehen. Insoweit könnte es sich um ein Redaktionsversehen handeln. 627 Vgl. Triffterer/Ambos/Schabas/McDermott, 3. Aufl. 2016, Art. 67 Rn. 53, die die Lokalisierung bei den Rechten des Angeklagten als „vielleicht unglücklich“ bezeichnen. 628 Vgl. Büngener, 2013, 12 ff.; Zappala, in: Cassese/Gaeta/Jones, 2002, 1319 (1349). 629 Vgl. Triffterer/Ambos/Shabas/McDermott, Art. 67 Rn. 56, 3. Auflage 2016, Art. 67 Rn. 54. 630 Vgl. Fedorova, in: Hieramente/Schneider, The Defence in International Criminal Trials, 2016, 115 (127). 631 ICC-01/05-01/08-55 31-07-2008 Decision on the Evidence Disclosure System and Setting a Timetable for Disclosure between the Parties, par. 45. 632 Vgl Triffterer/Ambos/Schabas/McDermott, 3. Aufl. 2016, Art. 67 Rn. 53.

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D. Die erstinstanzlichen Verfahren

Gemäß Regel 77 VBO müssen auch solche Beweismittel offengelegt werden, die für die Verteidigung nützlich sein können.633 Nicht gesetzlich geregelt sind die Pflichten der Offenlegung im Rahmen des Haftbefehlsverfahrens sowie im Verfahren der vorläufigen Haftentlassung.634 Diesbezüglich wurde jedoch richterlich bestätigt, dass der Verteidigung auch hier ein Recht auf Zugang zu Dokumenten zusteht, die essentiell sein können für die Anfechtung des Haftbefehls bzw. die Stellung eines Antrags auf vorzeitige Haftentlassung.635 Die Einhaltung der Offenlegungspflichten überwachen das Gericht, vor Eröffnung des Hauptverfahrens die Vorverfahrenskammer und nach Eröffnung und Verweisung die Hauptverfahrenskammer im Rahmen der Verfahrensleitung gemäß Art. 57 bzw. 64 IStGHSt.636 Sie verpflichten die Parteien, wenn dies erforderlich erscheint, zur Offenlegung von Beweismaterial gegenüber der jeweils anderen Partei und zur Kommunikation gegenüber der Kammer, vgl. Art. 69 Abs. 3 S. 2 bzw. Art. 64 Abs. 3 c) IStGHSt.637 Je nach gerichtlichem Empfänger unterscheidet sich der Umfang der betroffenen Informationen. Die Kommunikation gegenüber der (Vorverfahrens-)Kammer im Sinne von Regel 121 Ziff. 2 c) VBO ist die umfassendste und beschränkt sich im Gegensatz zur Kommunikation gegenüber der Hauptverfahrenskammer nicht auf solche Beweismittel, die die Parteien einzuführen beabsichtigen, sondern bezieht sich auf sämtliche Beweismittel, die Gegenstand der Inspektion bzw. Offenlegung der jeweils anderen Partei sind gemäß Regel 77, 78 VBO.638 Die Vorverfahrenskammer hat daher gemäß Regel 121 Ziff. 2 c) VBO i. V. m. Art. 61 Abs. 3 IStGHSt auch das Recht, Zugang zu Beweisen zu erhalten, bezüglich derer sie selbst die Anordnung der Offenlegung beabsichtigt.639 Der

633

Vgl. zu Regel 77 VBO: Büngener, 2013, 320 ff. Vgl. Fedorova, in: Hieramente/Schneider, The Defence in International Criminal Trials, 2016, 115 (127), Fn. 78. 635 ICC-01/05-01/08-323 16-12-2008 Judgment on the appeal of Mr. Bemba Gombo against the decision of Pre-Trial Chamber III entitled „Decision on application for interim release“; Prosecuter vs. Mbarushimana ICC-01/04-01/10-31 05-01-2011, par. 1; Fedorova, in: Hieramente/Schneider, The Defence in International Criminal Trials, 2016, 115 (127), Fn. 78. 636 ICC-01/05-01/08-55 31-07-2008 Decision on the Evidence Disclosure System and Setting a Timetable for Disclosure between the Parties, par. 9; zu den Pflichten der Kammern insgesamt: Shabas, 2010, Art. 57, 698 ff.; ders., 2010, Art. 64, 764. 637 ICC-01/05-01/08-55 31-07-2008 Decision on the Evidence Disclosure System and Setting a Timetable for Disclosure between the Parties, par. 4 f. 638 ICC-01/05-01/08-55 31-07-2008 Decision on the Evidence Disclosure System and Setting a Timetable for Disclosure between the Parties, par. 43; vgl. Büngener, 2013, 370 f. 639 ICC-01/05-01/08-55 31-07-2008 Decision on the Evidence Disclosure System and Setting a Timetable for Disclosure between the Parties, par. 44. 634

IV. Gang der Hauptverhandlungen

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Kanzlei kommt im Offenlegungsprozess eine zentrale Rolle zu, da sie zuständig ist für die Organisation und Übermittlung der Informationen und Beweismittel.640 Im Vorverfahren gegen Bemba hatte die Vorverfahrenskammer bereits am 31. Juli 2008, also zeitnah nach der Überstellung Bembas an den IStGH, das Verfahren zur Offenlegung von Beweismaterial („evidence disclosure system“) festgelegt, welches in concreto die Art. 54 Abs. 1 a), 57 Abs. 3 c), 61, 67, 69 IStGHSt sowie die Regeln 15, 76 bis 83, 121, 122 und 131 Ziff. 2 VBO sowie die Regeln 24 bis 26 GO-Gericht und die Regeln 15 – 19, 21, 24 – 28 und 53 Ziff. 3 GO-Kanzlei für das Vorverfahren vorgeben.641 Das dort festgelegte System diente der Vorbereitung des confirmation hearings,642 bestimmte die Grundprinzipien und gab die Modalitäten der Offenlegung und Kommunikation sowie der notwendigen Analyse der einzelnen ausgetauschten Beweismittel durch die Parteien vor.643 So wurde festgelegt, dass Bemba im Gefängnis uneingeschränkt Zugang zu einem Computer-Terminal gewährt werden sollte.644 Für die Erfüllung ihrer Pflichten wurden den Beteiligten in Anbetracht des am 04. November 2008645 geplanten confirmation hearings jeweils Fristen gemäß Regel 121 Ziff. 3 VBO bis zum 03. Oktober (Anklage) bzw. 20. Oktober 2008 (Verteidigung) gesetzt.646 Die Entscheidung wurde auf Anregung der Verteidigung gefolgt u. a. von zwei vertraulichen status conferences am 08. Oktober 2008 zwischen der Vorverfahrenskammer, der Verteidigung647 und der Anklage648 zur Klärung der Frage, ob die Anklage ihre Pflichten gemäß Regel 121 Ziff. 2. b VBO einhalte. Die Verteidigung beklagte zudem technische Probleme.649 Zu diesem Zeitpunkt waren bereits 2.130 640 Vgl. zur Rolle der Kanzlei hier: ICC-01/05-01/08-55 31-07-2008 Decision on the Evidence Disclosure System and Setting a Timetable for Disclosure between the Parties, par. 33 ff. 641 ICC-01/05-01/08-55 31-07-2008 Decision on the Evidence Disclosure System and Setting a Timetable for Disclosure between the Parties, par. 3. 642 ICC-01/05-01/08-55 31-07-2008 Decision on the Evidence Disclosure System and Setting a Timetable for Disclosure between the Parties, par. 2. 643 ICC-01/05-01/08-55 31-07-2008 Decision on the Evidence Disclosure System and Setting a Timetable for Disclosure between the Parties, par. 4. 644 ICC-01/05-01/08-55 31-07-2008 Decision on the Evidence Disclosure System and Setting a Timetable for Disclosure between the Parties, par. 73 lit. j). 645 ICC-01/05-01/08-55 31-07-2008 Decision on the Evidence Disclosure System and Setting a Timetable for Disclosure between the Parties, par. 1. 646 ICC-01/05-01/08-55 31-07-2008 Decision on the Evidence Disclosure System and Setting a Timetable for Disclosure between the Parties, par. 73 lit. m) 1 – 5. 647 ICC-01/05-01/08-141-Conf; ICC-01/05-01/08-T-7-CONF-EXP-ENG ET nach ICC-01/ 05-01/08-148 10-10-2008 Decision on the Implementation of Disclosure to the Defence, par. 6. 648 ICC-01/05-01/08-T-6-CONF-EXP-FRA-ET nach ICC-01/05-01/08 – 170-tENG 03-122008 (Entscheidung datiert auf 17.10.2008) Decision on the Postponement of the Confirmation Hearing, par. 10. 649 ICC-01/05-01/08-141-Conf; ICC-01/05-01/08-T-7-CONF-EXP-ENG ET nach ICC-01/ 05-01/08-148 10-10-2008 Decision on the Implementation of Disclosure to the Defence, par. 7.

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D. Die erstinstanzlichen Verfahren

Beweisstücke allein von der Verteidigung offengelegt.650 Da es tatsächlich zu einigen Unregelmäßigkeiten kam, musste das für den 04. November 2008 anberaumte confirmation hearing mit Entscheidung vom 17. Oktober 2008 gemäß Regel 121 Ziff. 7 VBO verlegt werden, wobei die Richter ihr Erstaunen („astonishment“) über die Probleme ausdrückten.651 Die Unregelmäßigkeiten betrafen v. a. die Nichteinhaltung der Antragsfristen für Nachbearbeitungen durch die Anklage („redactions“) bzw. die mit dem Zeugenschutz begründete Nichtoffenlegung einiger Zeugenaussagen bzw. entsprechender Klarnamen.652 Weiter wurde die Einhaltung der Offenlegungspflichten im Rahmen der bereits dargestellten Zulässigkeitsrüge behandelt. Obwohl die Anklage nach eigener Aussage der Verteidigung bereits vor dem Vorverfahren über 10.000 Seiten Beweismaterial zur Verfügung gestellt hatte, stützte, wie oben erläutert,653 die Verteidigung ihre Beschwerde gegen die Ablehnung der Zulässigkeitsrüge (erfolglos) auch auf die fehlende Offenlegung von Beweismaterial. Streit gab es hier über die Reichweite und Grenzen der Offenlegungspflichten, welche auch bereits im Rahmen des Antrags auf vorläufige Haftentlassung bzw. der Anfechtung der ablehnenden Entscheidung thematisiert wurden.654 Die Offenlegungspflichten finden ihre Grenzen in den Regeln zum Schutz der Beweismittel, namentlich Art. 54 Abs. 3 e) IStGHSt (Vertraulichkeit), Art. 72 IStGHSt (nationale Sicherheit), Art. 93 Abs. 8 IStGHSt (Vertraulichkeit von staatlichen Informationen) sowie der Rückhaltemöglichkeiten gemäß Regel 81 VBO,655 wobei der Rückgriff auf die Regeln 81 Ziff. 2 und 4 VBO wegen der geringen Begründungserfordernisse die Ausnahme bleiben sollen.656 Inhaltlich ging es um die Offenlegung von Dokumenten von Treffen der Anklage mit Vertretern der Zentralafrikanischen Republik sowie der DR Kongo und die Frage, ob entsprechende Dokumente als interne Dokumente von Regel 81 Ziff. 2 VBO gedeckt waren.657 Auf diese einschränkende Regelung wurde seitens der Anklage auch abgestellt bezüglich Quellen, die zum Antrag auf einen vorläufigen Haftbefehl vom 23. Mai 2008 führten.658 Da allerdings die Hauptverfahrenskammer keine 650 ICC-01/05-01/08-41-Conf; ICC-01/05-01/08-T -7-CONF-EXP-ENG ET nach ICC-01/ 05-01/08-148 10-10-2008 Decision on the Implementation of Disclosure to the Defence, par. 8. 651 ICC-01/05-01/08-170-tENG 03-12-2008 (Entscheidung datiert auf 17.10.2008) Decision on the Postponement of the Confirmation Hearing, par. 22 – 23. 652 ICC-01/05-01/08-170-tENG 03-12-2008 (Entscheidung datiert auf 17.10.2008) Decision on the Postponement of the Confirmation Hearing, par. 13 ff. 653 Vgl. Ausführungen unter D. I. 2. dd). 654 ICC-01/05-01/08-73 22-09-2009 Decision on application for interim release. 655 Vgl. Büngener, 2013, 347 ff. 656 Keita, International Criminal Law Review, Band 16, 2016, 1018 (1025). 657 ICC-01/05-01/08-802 24-06-2010 Decision on the Admissibility and Abuse of Process Challenges, par. 157. 658 ICC-01/05-01/08-802 24-06-2010 Decision on the Admissibility and Abuse of Process Challenges, par. 159.

IV. Gang der Hauptverhandlungen

139

Anhaltspunkte für eine Pflichtverletzung der Anklage erkennen konnte, schritt sie nicht ein.659 Inwieweit dies berechtigt war, kann nicht abschließend beurteilt werden. Da jedoch die Berufungsentscheidung hierauf keinen Bezug nahm, ist nicht von einer gravierenden Verfahrensrechtsverletzung auszugehen. Das Thema der Offenlegung von Beweismitteln war in Vor-, Haupt- und Rechtsmittelverfahren Gegenstand weiterer Anträge und verfahrensleitender Entscheidungen.660 So wurde etwa am 13. November 2008 der Anklage aufgegeben, über weiteres potentiell entlastendes Beweismaterial aufzuklären,661 wobei zu diesem Zeitpunkt bereits 37 entlastende Materialien der Verteidigung zugänglich gemacht wurden.662 Da jedoch kein grober Verstoß der Anklage festgestellt werden konnte und die Entscheidungen für den weiteren Verlauf des Verfahrens keine maßgebliche Bedeutung erlangten, insbesondere auch nicht die Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils bedingten, soll zugunsten einer breiten prozessualen Darstellung der Verfahren auf eine vertiefendere Darstellung verzichtet werden. (2) Offenlegungspflicht der Verteidigung Wie in allen Rechtstraditionen, in denen ein System der Offenlegung etabliert ist, trifft die Offenlegungspflicht auch vor dem IStGH nicht nur die Anklage, sondern gemäß den Regeln 78, 79 VBO in gewissem Maße auch die Verteidigung.663 Hiernach hat die Verteidigung dem Ankläger Einsicht hinsichtlich greifbarer Objekte zu gewährleisten, die während des confirmation hearings oder der Hauptverhandlung eingeführt werden sollen, Regel 78 VBO.664 Darüber hinaus müssen ebenfalls Zeugen namentlich benannt und deren Aussagen der Anklage angezeigt werden. Dies gilt jedoch nur bezüglich der Verteidigungsgründe des Alibis und Vorliegen von Schuldausschließungsgründen gemäß Art. 31 IStGHSt, vergleichbar den deutschen § 20, 21 StGB, Regel 79 Ziff. 1 VBO.665 Es findet sich jedoch im Gegensatz zur 659

ICC-01/05-01/08-802 24-06-2010 Decision on the Admissibility and Abuse of Process Challenges, par. 215. 660 Vgl. Auflistung der Decisions der Hauptverfahrenskammer unter https://www.legaltools.org/en/browse/ltfolder/0_9824/#results; Antrag der Verteidigung auf Offenlegung weiterer Beweismittel im Berufungsverfahren: ICC-01/05-01/08-3541-Conf nach ICC-01/05-01/083557-Red 15-12-2017 Public redacted version of „Decision on Mr Bemba’s request for disclosure concerning [REDACTED]“ of 29 August 2017 (ICC-01/05-01/08-3557-Conf), welcher aber abgelehnt wurde. 661 ICC-01/05-01/08-241 13-11-2008 Decision regarding the Disclosure of Materials Pursuant to Article 67 (2) oft he Rome Statute and Rule 77 of Procedure and Evidence, par. 17. 662 ICC-01/05-01/08-241 13-11-2008 Decision regarding the Disclosure of Materials Pursuant to Article 67 (2) oft he Rome Statute and Rule 77 of Procedure and Evidence, par. 4. 663 Vgl. Büngener, 2013, 20. 664 Vgl. zum Ganzen, insbesondere zum Verhältnis zur fehlenden Pflicht sich selbst zu belasten gemäß Art. 67 Abs. 1 g) Keita, ICLR, Band 16, 2016, 1018 (1031 f.). 665 Vgl. Triffterer/Ambos/Shabas/McDermott, Art. 67 Rn. 56, 3. Auflage 2016, Art. 67 Rn. 53.

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D. Die erstinstanzlichen Verfahren

Anklage keine Regelung hinsichtlich solcher Beweismittel, die für die Tätigkeit der Anklage nützlich sein können. Die Pflichten der Verteidigung waren im Verfahren nur am Rande relevant: So seien beispielhaft eine Entscheidung der Vorverfahrenskammer, die die unvollständige Offenlegung der Beweismittel durch die Verteidigung monierte666 und die Diskussion um die Erfüllung der Pflichten aus Regel 78 VBO genannt, als es um die vermeintlich unvollständige Offenlegung zweier Logbücher ging.667 Auswirkungen auf das Verfahren hatte die Thematik nicht. Mangels gesetzlicher Regeln ist darüber hinaus unklar, ob auch Opfer, die Beweise vorbringen möchten, diese vorher offenlegen müssen, oder gar deswegen, weil keine Normierung besteht, ganz von der Beweisvorlage ausgeschlossen sind.668 In der einzigen ersichtlichen gerichtlichen Äußerung zu diesem Thema, im Verfahren gegen Thomas Lubanga, führte die Berufungskammer lediglich aus, dass, wenn die Hauptverfahrenskammer entschieden hat, dass Opfer Beweise vorbringen dürfen, sie auch die Modalitäten hierfür festlegen kann.669 c) Beweismittelantragsrecht Ein weiteres vor allem im Zusammenhang mit dem Verfahren vor dem OLG Stuttgart diskutiertes Problem der Verteidigung ist die Ausgestaltung des Beweismittelantragsrechts im Hinblick auf die der Ablehnungsmöglichkeit von Beweisanträgen, die auf die Vernehmung eines sich im Ausland befindlichen Zeugen gerichtet sind, § 244 Abs. 5 S. 2 StPO. Diese Sonderproblematik soll vor dem Hintergrund völkerstrafrechtlicher Verfahren kurz dargestellt werden ehe die Möglichkeit, Auslandszeugen im Verfahren vor dem IStGH beizubringen gegenübergestellt wird. aa) § 244 Abs. 5 S. 2 StPO vor dem Hintergrund völkerstrafrechtlicher Verfahren § 244 Abs. 5 S. 2 StPO, wonach die Vernehmung eines Zeugen, dessen Ladung im Ausland zu bewirken wäre, unter den gleichen Voraussetzungen wie die Einnahme eines Augenscheins abgelehnt werden kann, nämlich wenn dies nach dem pflichtgemäßen Ermessen des Gerichts zur Erforschung der Wahrheit nicht erforderlich ist, erscheint vor dem Hintergrund der Entlastung der Gerichte als ange-

666 ICC-01/05-01/08-311 08-12-2008 Decision on the Disclosure of Evidence by the Defence, par. 8, 10, dies betraf die noch fehlenden Metadaten und ID-Nummern sowie eine sog. „in-depth analysis“ der Beweismittel. 667 Vgl. ICC-01/05-01/08-T-12-Red-ENG CT WT 15-01-2009 1/143 RM PT, 105. 668 Vgl. hierzu Keita, ICLR, Band 16, 2016, 1018 (1043 f.). 669 The Prosecutor vs. Thomas Lubanga ICC-01/04-01/06-1432 11-07-2008 Judgement on Appeal, par. 100.

IV. Gang der Hauptverhandlungen

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messener Ausdruck des Grundsatzes der Prozessökonomie.670 Man mag sich vergegenwärtigen, dass die Aufgabe der die StPO anwendenden Gerichte überwiegend in der Verfolgung und Aufklärung von Inlandskriminalität liegt. Konsequenterweise ist auch die Ablehnung eines Beweisantrags, der auf die (zulässige) Vernehmung eines Zeugen im Inland gerichtet ist, nur nach den abschließend aufgezählten Gründen des § 244 Abs. 3 S. 2 StPO möglich. Im Rahmen des § 244 Abs. 5 S. 2 StPO führt die nötige Ausübung des pflichtgemäßen Ermessens dazu, dass ein Gericht einem Beweisantrag dann stattgeben muss, wenn es auch von Amts wegen im Rahmen von § 244 Abs. 2 StPO zu dessen Vernehmung verpflichtet wäre.671 Hintergrund ist, dass sich das Gericht außerhalb seiner Amtsaufklärungspflicht auf die Beweismittel beschränken soll, die es aus seinem eigenen Hoheitsbereich beschaffen kann.672 Im Gegensatz zu § 244 Abs. 3 StPO gilt das Beweisantizipationsverbot nicht,673 die vorweggenommene Beweiswürdigung ist vielmehr erlaubt und erforderlich,674 sodass es auf den Ablehnungsgrund der Prozessverschleppung nicht mehr ankommt.675 Diese Maßstäbe gelten gleichfalls für die in Völkerstrafverfahren häufig sachdienliche Vernehmung im Ausland im Rechtshilfeweg, selbst wenn die Vernehmung gemäß § 247a StPO per Videokonferenz erfolgen soll.676 Zur Prüfung, ob die Voraussetzungen vorliegen, steht dem Gericht das Freibeweisverfahren zur Verfügung.677 Demnach besteht kein der Inlandsladung vergleichbar effektives und revisionsrechtlich überprüfbares Beweismittelantragsrecht.678 Die revisionsrechtliche Überprüfung beschränkt sich darauf, ob die vom Tatrichter nach seinem pflichtgemäßen Ermessen zu treffende Entscheidung Rechtsfehler aufweist.679 Die Gefahren für die materielle Wahrheit und die Rechte der Verteidigung, welche die gesetzgeberische Konzeption hinter die Vorteile der Prozessökonomie hat zurücktreten lassen, bleiben also selbst vor dem Hintergrund der immer größer werdenden Bedeutung von Auslandszeugen vorerst bestehen. Dies gilt unabhängig von völkerstrafrechtlichen Verfahren. Entsprechende Bedenken wurden bereits von der 670 Vgl. SK-StPO/Frister, 5. Auflage 2015, § 244 Rn. 235; MüKoStPO/Trüg/Habetha, 1. Aufl. 2016, StPO § 244 Rn. 372. 671 NJW 2005, 2322 (2333); 26.10.2006 – 3 StR 374/06, NStZ 2007, 349 (350); SK-StPO/ Frister, 5. Auflage 2015, § 244 Rn. 238; MüKoStPO/Trüg/Habetha, 1. Aufl. 2016, StPO § 244 Rn. 375. 672 BR-Drucks 314/91, 103; Meyer-Goßner/Schmitt, 62. Aufl. 2019, § 244 Rn. 78a. 673 BGH NJW 1994, 1484; BGH NJW 2001, 695 (696); BGH NJW 2005, 2322 (2323); a. A. SK-StPO/Frister, 5. Auflage 2015, § 244 Rn. 240. 674 BGH, Urteil vom 21.06.1994 – 1 StR 180/94 = BGH NStZ 94, 448; BGH NStZ 94, 554. 675 BGH, Beschluss vom 22.03.1994 – 5 StR 8/94 = BeckRS 1994, 31089252. 676 Vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, 62. Aufl. 2019, § 244 Rn. 78a. 677 Vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, 62. Aufl. 2019, § 244 Rn. 7, 78b. 678 Vgl. MüKoStPO/Trüg/Habetha, 1. Aufl. 2016, StPO § 244 Rn. 372. 679 BGH NJW 98, 3363.

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D. Die erstinstanzlichen Verfahren

am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Bundesregierung vorgetragen,680 zu einer Erweiterung des Beweismittelantragsrechts kam es trotzdem nicht. Zu sehen ist dabei auch, dass dem Angeklagten bzw. der Verteidigung die unmittelbare Ladung von Auslandszeugen gemäß §§ 220, 38 StPO verwehrt ist, weil die StPO hierfür keine Regelung enthält.681 Im Rahmen der Ausübung des pflichtgemäßen Ermessens, welches eine umfassende Würdigung der Sach- und Prozesslage unter Beachtung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit erfordert,682 muss das Gericht insbesondere berücksichtigen, ob der Auslandszeuge Vorgänge bekunden soll, die für den Schuldvorwurf lediglich indiziell relevant oder von zentraler Bedeutung sind.683 Zudem gelten bei Taten, die im Ausland begangen wurden, strengere Maßstäbe, da der Angeklagte dann zu seiner Entlastung üblicherweise auf Auslandszeugen angewiesen ist, sodass die Amtsaufklärungspflicht in solchen Fällen regelmäßig zur Ladung führt.684 Demnach ist die Ablehnung nicht ohne weiteres möglich, selbst wenn es sich um einen Auslandszeugen handeln sollte, sofern eine Person als Zeuge für Umstände benannt wird, die wesentlich zur Klärung der Schuld- oder Rechtsfolgenfrage beitragen.685 Mangels Akteneinsicht ist nicht ersichtlich, inwieweit § 244 Abs. 5 S. 2 StPO im Verfahren vor dem OLG Stuttgart zur Anwendung kam. Unklar ist auch, ob die Verteidigung erfolgreich eigene Zeugen benannte, die schließlich vor dem Gericht aussagten, oder ob die Zeugen sämtlich vom Gericht bzw. der Staatsanwaltschaft ausfindig gemacht, benannt und geladen wurden. Da aber auch hier der BGH keine Verletzungen des Verfahrensrechts erkennen konnte,686 ist von einer rechtsfehlerfreien Ermesssensausübung durch das OLG Stuttgart auszugehen. bb) Beibringung von (Entlastungs-)Zeugen vor dem IStGH Im Verfahren vor dem IStGH ist gemäß Art. 67 Abs. 1 e) Alt. 2 IStGHSt dem Angeklagten pauschal das Recht eingeräumt, das Erscheinen von Entlastungszeugen unter den für die Belastungszeugen geltenden Bedingungen zu bewirken. Auch diese offenere Regelung ist der in Den Haag gegebenen Verfahrensstruktur des eingeschränkten Parteiprozesses geschuldet.687 Hiernach sind die Parteien selbst und nicht 680

Vgl. BT-Drs. 12/1217, 67. Vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, 62. Aufl. 2019, § 220 Rn. 4; MüKoStPO/Trüg/Habetha, 1. Aufl. 2016, StPO § 244 Rn. 372; Gleß, Eisenberg-FS, 2009, 499 (502). 682 Vgl. MüKoStPO/Trüg/Habetha, 1. Aufl. 2016, StPO § 244 Rn. 375. 683 BGH, Beschluss vom 26.10.2006 – 3 StR 374/06, NStZ 2007, 349, (351); SK-StPO/ Frister, 5. Auflage 2015, § 244 Rn. 239. 684 Vgl. beispielhaft: BGH, 9.6.2005 – 3 StR 269/04, NJW 2005, 2322 (2333); 26.10.2006 – 3 StR 374/06, NStZ 2007, 349 (350). 685 Vgl. Ritscher, Schriftliche Stellungnahme zu BT Drucksache 18/6341, 8. 686 BGH 3 StR 236/17. 687 Vgl. hierzu Ausführungen unter C. I. 3. 681

IV. Gang der Hauptverhandlungen

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das Gericht für die Beibringung von Zeugen verantwortlich. Entsprechend sind in den veröffentlichten Dokumenten keine schriftlichen Anträge auf Ladung von Entlastungszeugen durch das Gericht ersichtlich. Es bleibt die Problematik, dass die Verteidigung die Ladung von Zeugen nicht durch unmittelbaren Zwang erwirken kann.688 Dies kann die Möglichkeit des Gerichtshofs, die Kooperation durch Mitgliedsstaaten anzuordnen, nur zum Teil lösen, wenn etwa der ersuchte Staat kein Vertragsstaat ist und dem IStGH die Sanktionsmöglichkeiten fehlen.689 Es bleibt bei Auslandszeugen auch im Verfahren vor dem IStGH der Verteidigung im Wesentlichen selbst überlassen, die aussagewilligen Personen herbeizuschaffen. Sie hat jedoch im Vergleich zum deutschen Verfahren den Vorteil der finanziellen und institutionellen Unterstützung durch den Gerichtshof.690 Bemba und seiner Verteidigung gelang es schließlich, immerhin 34 eigene Zeugen zur Aussage zu bewegen, was auf eigene Ermittlungen unter Zuhilfenahme der Kanzlei bzw. der Victims and Witnesses Unit (VWU), die bei der organisatorischen Abwicklung und Betreuung der Zeugen die entscheidende Rolle einnimmt,691 zurückzuführen ist.692 5. Zusammenfassung Die erstinstanzlichen Verfahren erstreckten sich beide über mehrere Jahre. Das deutsche Verfahren begann am 04. Mai 2011 und endete am 28. September 2015, das Bemba-Verfahren startete am 22. November 2010 und endete am 21. Juni 2016 mit dem Rechtsfolgenausspruch, nachdem am 21. März 2016 der Schuldspruch erfolgt war. Das Bemba-Verfahren dauerte also gute fünfeinhalb, das deutsche knappe viereinhalb Jahre. Im Zentrum der umfangreichen Beweisaufnahmen standen die Zeugen, welche im deutschen Verfahren, soweit ersichtlich, überwiegend von der Anklage benannt, während sie im Bemba-Verfahren sowohl von der Anklage als auch von der Verteidigung herbeigeschafft wurden. Im deutschen Verfahren konnte das Gericht – anders als im Bemba-Verfahren – auf umfangreiche Ergebnisse der Telekommunikationsüberwachung zurückgreifen. Das Problem der Zeugenbeeinflussung stellte sich vornehmlich im Bemba-Verfahren. Die Opferbeteiligung fiel im Verfahren gegen Bemba in einer anderen Dimension als im deutschen Verfahren aus, betrat in diesem Ausmaß aber auch in internationalen Strafverfahren Neuland. Die Beteiligungsrechte des rechtlichen Vertreters sind mit der deutschen Nebenklage vergleichbar, jedoch mit zwei entscheidenden Unterschieden. Zum einen ist ein deutscher Nebenkläger rechtsmittelbefugt gemäß 688

Vgl. Schabas, 2. Aufl. 2016, Art. 67, 1041 f. Vgl. ebd. 690 Vgl. hierzu Ausführungen unter D. IV. 4. a). 691 ICC-01/05-01/08-1081-Anx 08-12-2010 Unified Protocol on the practices used to prepare and familiarise witnesses for giving testimony at trial. 692 Die VWU unterstützte auch Zeugen der Verteidigung im Hinblick auf ihre prozessualen Pflichten, ICC-01/05-01/08-3343 21-03-2016 Judgment pursuant to Article 74 of the Statute, par. 355. 689

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D. Die erstinstanzlichen Verfahren

§§ 400 f. StPO, was für die Opfer bzw. deren rechtliche Vertreter im internationalen Verfahren nicht der Fall ist, vgl. Art. 81 Abs. 1 IStGHSt. Zum anderen ist Teilnahme der Opfer als Nebenkläger im deutschen Völkerstrafverfahren nur in Ausnahmefällen denkbar, während die rechtliche Vertretung gemäß Art. 68 Abs. 3 IStGHSt i. V. m. Regel 91 VBO als Regelfall vorgesehen ist. Eigene Ermittlungen der Verteidigung sind in beiden Rechtssystemen grundsätzlich zulässig, sind jedoch nur im internationalen Bereich als tragender Parameter vorausgesetzt, während im deutschen Bereich die Ermittlungen grundsätzlich allein der Anklage bzw. dem Gericht vorbehalten sind. Das Recht des Angeklagten bzw. der Verteidigung Kenntnis über den Aktenstand zu erlangen, ist ebenfalls unterschiedlich ausgestaltet, Zweck ist es in beiden Fällen, dem Angeklagten ein faires Verfahren und eine effektive Verteidigung zu ermöglichen. Die in völkerstrafrechtlichen Verfahren regelmäßig anfallenden große Mengen an Beweismaterial stellt die Beteiligten bisweilen vor erhebliche technische Probleme. Dies hat weniger etwas mit dem rechtlichen Setting als mit den tatsächlichen Gegebenheiten zu tun. In beiden Verfahren wurde die Akteneinsicht Gegenstand verschiedener Rügen der Verteidigung, die aber weder zum Verfahrensstillstand führten, noch dazu beitragen konnten, dass die erstinstanzlichen Urteile aufgehoben wurden. Eine schwerwiegende Rechtsverletzung der Verteidigung war diesbezüglich weder hier noch dort zu konstatieren.

V. Materiellrechtliche Entscheidung Die Anwendung der jeweiligen Normen auf die Lebenssachverhalte führte bereits erstinstanzlich zu unterschiedlichen Verfahrensausgängen. Im Folgenden sollen überblicksartig die materiell-rechtlichen Entscheidungen und Überlegungen des OLG Stuttgart sowie der Hauptverfahrenskammer des IStGH dargestellt werden. Die zweitinstanzlichen Entscheidungen, die größtenteils zu deren Aufhebung führten, werden im Anschluss vorgestellt. 1. OLG Stuttgart – Völkerstrafrechtliche Verurteilung Das OLG Stuttgart verurteilte Dr. M. wegen Beihilfe zu vier Kriegsverbrechen. Zudem kam es zum Ergebnis, die FDLR sei eine terroristische Vereinigung, ihr Zweck und ihre Tätigkeit seien zumindest im Tatzeitraum auch darauf gerichtet gewesen, Kriegsverbrechen zum Nachteil der kongolesischen Zivilbevölkerung zu begehen und verurteilte Dr. M. tateinheitlich wegen Rädelsführerschaft in eben dieser ausländischen terroristischen Vereinigung zu einer Freiheitsstrafe von 13 Jahren.693 693

OLG Stuttgart, Urteil vom 28.09.2015, 5 – 3 StE 6/10.

V. Materiellrechtliche Entscheidung

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Dem Angeklagten M. blieb die völkerstrafrechtliche Verurteilung erspart, er wurde wegen Rädelsführerschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung zu einer Freiheitsstrafe von acht Jahren verurteilt.694 Rechtskräftig wurde hiervon lediglich die Verurteilung des M. Die Revisionen sowohl der Verteidigung als auch der Staatsanwaltschaft führten zur Aufhebung und Zurückverweisung des Verfahrens gegen Dr. M. Zu einer rechtskräftigen Verurteilung wird es aufgrund des Versterbens von Dr. M. nicht mehr kommen. Erstinstanzlich wurden gegenüber Dr. M. Normen sowohl des VStGB als auch des StGB, nämlich die §§ 129b Abs. 1, 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 StGB, 8 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 6 Nr. 2, 9 Abs. 1, 1. und 2. Var. VStGB, 27, 52 StGB, gegen M. jedoch nur solche des StGB, nämlich die §§ 129b Abs. 1, 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4 StGB angewandt. a) Völkerrechtliche Strafbarkeit des Dr. M. Im Folgenden soll zunächst die erstinstanzlich tenorierte Verurteilung des Dr. M. nach dem VStGB erläutert werden, bevor im Anschluss die in Erwägung gezogenen, aber nicht abgeurteilten, materiellen Vorwürfe dargestellt werden. aa) Strafbarkeit des Dr. M. wegen Beihilfe zu Kriegsverbrechen Das OLG Stuttgart kam zu dem Schluss, dass keine Strafbarkeit als militärischer oder anderer Vorgesetzter gemäß § 4 VStGB, als mittelbarer Unterlassungstäter gemäß § 13 Abs. 1 StGB in Verbindung mit § 25 Abs. 1 Alt. 2 StGB, § 2 VStGB oder wegen (untauglichen) Versuchs gemäß § 4 VStGB in Verbindung mit §§ 22, 23 StGB, § 2 VStGB, sondern lediglich eine strafbare Beihilfe zu vier Kriegsverbrechen gemäß §§ 8 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 6 Nr. 2, 9 Abs. 1, 1. und 2. Var. VStGB, 27 StGB vorläge.695 Anknüpfungspunkt sind die oben beschriebenen Überfälle als Haupttaten.696 Die Haupttäter, also die Milizionäre und militärischen Befehlshaber vor Ort, machten sich während der fünf Überfälle auf die Orte Kipopo, Mianga, Busurungi, Chiriba und Manje nach dem VStGB wegen Kriegsverbrechen strafbar.697 Die Richter hielten bei allen fünf Überfällen eine Strafbarkeit wegen Tötung von Zivilpersonen und Niederbrennens von Häusern für gegeben. In Kipopo kam man zu dem Schluss, dass die Täter im Zusammenhang mit einem nichtinternationalen bewaffneten Konflikt mindestens 13 nach dem humanitären Völkerrecht zu schützende Personen im Sinne des § 8 Abs. 6 Nr. 2 VStGB töteten sowie, ohne dass dies 694

OLG Stuttgart, Urteil vom 28.09.2015, 5 – 3 StE 6/10. OLG Stuttgart, Urteil vom 28.09.2015, 5 – 3 StE 6/10 Teil 4 A. I. 1. 696 Vgl. Ausführungen unter C. II. 1. c). 697 Hier befand der BGH sogar eine Strafbarkeit wegen Verbrechen gegen die Menschlickeit für möglich, vgl. LTO, Beitrag vom 20.12.2019, „BGH: Ruanda Prozess muss neu aufgerollt werden“, zuletzt zugegriffen am 07.02.2019. 695

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D. Die erstinstanzlichen Verfahren

durch die Erfordernisse des bewaffneten Konflikts geboten war, in erheblichem Umfang völkerrechtswidrig Sachen der gegnerischen Partei, die der Gewalt der eigenen Partei unterlagen, zerstörten.698 Das Töten der Zivilpersonen stellte ein Kriegsverbrechen gegen Personen gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 1 VStGB, das Niederbrennen der Häuser ein Kriegsverbrechen gegen Eigentum und sonstige Rechte gemäß § 9 Abs. 1 VStGB. Diese Straftatbestände sah der Senat auch bei den übrigen vier Angriffen als verwirklicht an, wobei in Mianga mindestens 45, in Busurungi mindestens 96, in Chiriba mindestens vier und in Manje mindestens 16 Tötungen geschützter Personen zu konstatieren waren. Dem Angeklagten Dr. M. wurde die willentliche Beihilfe zu den letzten vier Kriegsverbrechen im Sinne von § 27 StGB attestiert.699 Die hierbei maßgeblichen Beihilfehandlungen waren sowohl physischer als auch psychischer Natur: Physische Beihilfe leistete er, indem er Telefonkarten, Telefoneinheiten und Zubehör für Thuraya-Telefone, zur Sicherstellung der Kommunikation unter den FOCA-Führungsoffzieren zusagte und gewährte, auf welche diese angewiesen gewesen sein sollen.700 Psychische Beihilfe leistete Dr. M. dadurch, dass er sich „konkludent dazu bereit erklärte, in Interviews, Memoranden und Presseerklärungen die von der FOCA-Führung befohlenen bzw. nicht verhinderten Kriegsverbrechen zu dementieren oder zu bagatellisieren und dies auch während der Militäroperationen „Umoja Wetu“ und vor allem während „Kimia II“ tat. Durch diese Propaganda in der Öffentlichkeit half er der FOCA-Führung, die von ihr zu verantwortenden Kriegsverbrechen vor der Weltöffentlichkeit zu verbergen, um zu verhindern, dass diese ein stärkeres Einschreiten der Vereinten Nationen gegen die FDLR und die Bestrafung der Verantwortlichen für die Kriegsverbrechen verlangte.“701 Das OLG Stuttgart bejahte insbesondere auch den Gehilfenvorsatz. Spätestens nach dem Überfall auf Kipopo, der noch während der Operation „Umoja Wetu“ des Ruandischen Militärs erfolgte, habe Dr. M. die Möglichkeit der Begehung von Kriegsverbrechen gesehen und diese billigend in Kauf genommen.702 Es gestand ihm allerdings zu, möglicherweise nicht vom konkreten Ausmaß Kenntnis gehabt zu haben, sah dies aber nicht als gesetzlichen Umstand an, der vom Gehilfenvorsatz umfasst sein müsse, da anderenfalls ein Gehilfe, der die Begehung von mehreren Taten fördert nur deswegen nicht bestraft werden könnte, weil seine Vortäter das von ihm in Aussicht genommene Maß überschritten.703

698 699 700 701 702 703

OLG Stuttgart, Urteil vom 28.09.2015, 5 – 3 StE 6/10 Teil 4 A. I. 1. a) aa). OLG Stuttgart, Urteil vom 28.09.2015, 5 – 3 StE 6/10 Teil 4 A. I. 5. OLG Stuttgart, Urteil vom 28.09.2015, 5 – 3 StE 6/10 Teil 4 A. I. 5. b). OLG Stuttgart, Urteil vom 28.09.2015, 5 – 3 StE 6/10 Teil 4 A. I. 5. b). OLG Stuttgart, Urteil vom 28.09.2015, 5 – 3 StE 6/10 Teil 4 A. I. 5. c). OLG Stuttgart, Urteil vom 28.09.2015, 5 – 3 StE 6/10 Teil 4 A. I. 5. c).

V. Materiellrechtliche Entscheidung

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Der BGH widersprach dem, er sah den Vorsatz des Dr. M. nicht durch die getroffenen Feststellungen als erwiesen an.704 bb) Kein Verbrechen gegen die Menschlichkeit Das Vorliegen von Verbrechen gegen die Menschlichkeit bei den Haupt- bzw. Vortaten wurde verneint.705 Hierzu fehlte es nach Meinung des Gerichts bereits an einem tauglichen Tatobjekt. Im Rahmen von § 7 VStGB werde als Tatobjekt nämlich die Zivilbevölkerung als Ganzes gesehen. Eine Zivilbevölkerung wiederum sei jede Personenmehrheit, die durch gemeinsame Merkmale verbunden ist, welche sie zum Ziel eines Angriffs machen.706 Problematisch an den vorliegenden Sachverhalten war, dass sich militärische Einheiten der kongolesischen Armee (FARDC) unter der Zivilbevölkerung aufhielten und diese insbesondere in Busurungi und Mianga auch über schwere Waffen verfügten.707 Dies führte dazu, dass der Senat nicht feststellen konnte, dass der zivile Charakter der angegriffenen Personengruppen überwog, was jedoch für die Einordnung als „Zivilbevölkerung“ im Sinne von § 7 VStGB erforderlich gewesen wäre.708 Außerdem stellten die fünf Angriffe keinen ausgedehnten Angriff im Sinne des § 7 VStGB dar.709 Dieses Merkmal, welches quantitativer Natur ist710 und entweder durch die Vielzahl an Opfern oder durch die geographische Erstreckung begründet wird, sah der Senat bei 174 getöteten Zivilisten auf einem Territorium von circa 60 x 60 km2 nicht als gegeben an.711 Diese Beurteilung hielt allerdings der Sachrüge des GBA nicht stand, der BGH sah angesichts der getroffenen Feststellungen den Tatbestand Verbrechen gegen die Menschlichkeit ebenfalls als verwirklicht an.712

704 Vgl. LTO, Beitrag vom 20.12.2019, „BGH: Ruanda Prozess muss neu aufgerollt werden“, zuletzt zugegriffen am 07.02.2019; Ausführungen unter E. I. 3. c). 705 OLG Stuttgart, Urteil vom 28.09.2015, 5 – 3 StE 6/10 Teil 4 A. I. 1. c). 706 Vgl. MüKoStGB/Werle, 3. Aufl. 2018, VStGB § 7 Rn. 15; vgl. auch ICC-01/09-02/11382 Decision on the Confirmation of Charges Pursuant to Article 61(7)(a) and (b) of the Rome Statute, Abs. 110, wonach nach einer Entscheidung der Vorverfahrenskammer nicht nur Nationalität, Ethnie oder andere unterscheidende Merkmale auch die politische Zugehörigkeit fallen kann. 707 OLG Stuttgart, Urteil vom 28.09.2015, 5 – 3 StE 6/10 Teil 4 A. I. 1. c) bb). 708 OLG Stuttgart, Urteil vom 28.09.2015, 5 – 3 StE 6/10 Teil 4 A. I. 1. c) bb). 709 OLG Stuttgart, Urteil vom 28.09.2015, 5 – 3 StE 6/10 Teil 4 A. I. 1. c) bb). 710 Vgl. MüKoStGB/Werle, 3. Aufl. 2018, VStGB § 7 Rn. 26. 711 OLG Stuttgart, Urteil vom 28.09.2015, 5 – 3 StE 6/10 Teil 4 A. I. 1. c) bb). 712 Vgl. Ausführungen unter E. I. 3. a).

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D. Die erstinstanzlichen Verfahren

cc) Keine Strafbarkeit als militärischer Befehlshaber Die Strafbarkeit als militärischer oder anderer Befehlshaber wurde ebenfalls abgelehnt. Begründet wurde dies mit dem Fehlen der Vorgesetzteneigenschaft im Sinne des § 4 Abs. 1 StGB. Es konnte Dr. M. keine effektive Befehls- oder Führungsgewalt nachgewiesen werden, was vorrangig daran lag, dass er von Deutschland aus nur formal Präsident der FDLR war, jedoch mehr auf politischer Ebene wirkte, aber keine hinreichende Kontrolle über die Streitkräfte in einem Ausmaß gehabt habe, dass von Tatverhinderungsmacht hätte ausgegangen werden können.713 Die Kriterien hierfür legte der Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs selbst fest, in dem er in seinem die Haftfortdauer des Angeklagten Dr. M. anordnenden Beschluss vom 17. Juni 2010 den militärischen Befehlshaber im Sinne von § 4 VStGB wie folgt definierte:714 „Militärischer Befehlshaber im Sinne des § 4 VStGB ist, wer die faktisch ausübbare, gegebenenfalls auch rechtlich fundierte Möglichkeit hat, Untergebenen verbindliche Anweisungen zu erteilen und die Ausführung dieser Anweisungen durchzusetzen.“

Da der Vorgesetzte wie ein Täter zu bestrafen ist, und § 4 VStGB i. V. m. § 8 Nr. 1 StGB im Falle der Tötung geschützter Personen grundsätzlich eine lebenslange Freiheitsstrafe vorsieht, ging das OLG davon aus, dass die Voraussetzungen grundsätzlich restriktiv auszulegen sind.715 Der Vorgesetzte hafte primär für die mangelnde Aufsicht und nur sekundär für das Grundverbrechen. Obwohl § 4 VStGB strukturell als Unterlassungstat normiert ist, begeht der Vorgesetzte die Straftaten nicht durch Unterlassen, vielmehr bewirkt die Verletzung seiner Kontroll- und Schadensabwendungspflicht, dass die Verbrechen nicht verhindert werden.716 Um demnach eine Strafbarkeit zu begründen, brauche es neben der Befehls- oder Führungsgewalt, zusätzlich zwingend das Merkmal der Kontrolle, was bedeute, dass der Vorgesetzte in seiner Person die Möglichkeit haben muss, das Verhalten seiner Untergebenen zu bestimmen und auch wirksam zu unterbinden, eine formale Stellung genügt hierfür nicht.717 In der Person des Angeklagten Dr. M. fehlte es an dem Tatbestandsmerkmal der Befehlsgewalt, obwohl er nach Art. 24 des Reglements der inneren Ordnung der FDLR auch beauftragt war, den Oberbefehl über die Streitkräfte auszuüben. Es konnte während der Beweisaufnahme kein Anhaltspunkt für einen konkreten militärischen Befehl gefunden werden.718 Auch hatte er in Deutschland 713

OLG Stuttgart, Urteil vom 28.09.2015, 5 – 3 StE 6/10 Teil 4 A. I. 2. BGH, Beschl. vom 17. Juni 2010 – AK 3/10 – Ermittlungsrichter des Bundesgerichtshofs. 715 Vgl. MüKoStGB/Werle, 3. Aufl. 2018, VStGB § 4 Rn. 16; vgl. zum Haftungsregime der Vorgesetzten nach dem VStGB auch: BT-Drs. 14/8524, 18 f.; Safferling/Hartwig-Asteroth/ Scheffler, ZIS 2013, 447. 716 OLG Stuttgart, Urteil vom 28.09.2015, 5 – 3 StE 6/10 Teil 4 A. I. 2 a); Safferling/Hartwig-Asteroth/Scheffler, ZIS 2013, 447 (449). 717 OLG Stuttgart, Urteil vom 28.09.2015, 5 – 3 StE 6/10 Teil 4 A. I. 2. a). 718 OLG Stuttgart, Urteil vom 28.09.2015, 5 – 3 StE 6/10 Teil 4 A. I. 2. b). 714

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lebend keine Kontrollmöglichkeiten hinsichtlich der Aktivitäten vor Ort, da er weder über ausreichende Informationen noch über die tatsächlichen Möglichkeiten verfügte, die Kriegsverbrechen der FOCA Soldaten gegen den Willen der vor Ort befindlichen militärischen Führung zu verhindern.719 Die einflussreichen Personen in der FDLR waren die FOCA Kommandeure vor Ort. Darüber hinaus fehlte es an der hypothetischen Kausalität, welche in § 4 VStGB ebenso wie in allen anderen Fällen von unechten Unterlassungsdelikten nach deutschem Recht für die Begründung der Strafbarkeit erforderlich ist.720 Es hätte festgestellt werden müssen, dass Dr. M. durch den gebotenen und zumutbaren Einsatz seiner Befehls- oder Führungsgewalt in einer ihm zurechenbaren Weise die genannten Kriegsverbrechen nicht nur erschweren oder weniger wahrscheinlich machen, sondern tatsächlich hätte verhindern können.721 Diese Feststellung zu treffen ist, wie im Bemba-Verfahren zu sehen sein wird, im „Normalfall“ der völkerstrafrechtlichen Konstellationen kaum möglich bzw. wäre mit den Realitäten nur schwer zu vereinbaren, da die Befehlshaber regelmäßig selbst in eine hierarchische Struktur eingegliedert sind,722 sodass es bis hin zum ausführenden Soldaten stets mehrere Ebenen an Entscheidungsträgern gibt, die kausal auf Tun oder Lassen der jeweils nachgeordneten Ebene einwirken können. Der Generalbundesanwalt zog zwar den Schluss, dass die Telekommunikationsüberwachung bei zahlreichen Themen eine Abstimmung des Angeklagten Dr. M. mit dem FOCA Kommandeur S. M. zutage gefördert habe und, dass dies, verbunden mit der Annahme von grundsätzlich obrigkeitshörigen Ruandern, die Folgerung zuließe, es läge eine faktische Tatverhinderungsmacht vor, das OLG kam jedoch zu dem Ergebnis, dass diese Überlegungen nach der durchgeführten Beweisaufnahme fernliegend und für eine Verurteilung nicht ausreichend seien.723 dd) Keine Verantwortlichkeit als mittelbarer Unterlassungstäter kraft organisatorischen Machtapparats Das Oberlandesgericht Stuttgart stellte auch Überlegungen an, ob eine Strafbarkeit als mittelbarer Unterlassungstäter kraft organisatorischen Machtapparats vorlag, da Dr. M. als Präsident schließlich dem Comité Directeur, dem höchsten Entscheidungsgremium der FDLR, angehörte und somit formal eine führende Stellung innerhalb eines organisatorischen Machtapparats innehatte.724 Insbesondere stellte die Bundesanwaltschaft auf die Befugnis des Dr. M. ab, gemäß Art. 41 der 719

OLG Stuttgart, Urteil vom 28.09.2015, 5 – 3 StE 6/10 Teil 4 A. I. 2. c). Vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 28.09.2015, 5 – 3 StE 6/10 Teil 4 A. I. 2. d); MüKoStGB/ Weigend, 3. Aufl. 2018, VStGB § 4 Rn. 53. 721 Vgl. MüKoStGB/Weigend, 3. Aufl. 2018, VStGB § 4 Rn. 53. 722 Vgl. Burghardt, ZIS 2010, 695 (707). 723 Vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 28.09.2015, 5 – 3 StE 6/10 Teil 4 A. I. 2. d). 724 Vgl. zum Organigramm der FDLR unter C. III. 1. b). 720

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Satzung der FDLR, Initiativen zu Gunsten der Organisation zu ergreifen. Zudem hätte ihn die Pflicht getroffen, im Rahmen der Organisation und Geschäftsführung des Comité Directeur auf eine außerordentliche Sitzung hinzuwirken.725 Man sah parallele Strukturen zum Politbüro der ehemaligen DDR und befürwortete die Übertragung der Grundsätze, die der BGH 1999 im Prozess gegen Mitglieder des SED Politbüros entwickelt hatte.726 Das OLG Stuttgart lehnte diese Überlegungen allerdings ab. Zum einen habe das Comité Directeur während der maßgeblichen Taten nicht getagt, die letzte Tagung vor den Angriffen fand im Januar 2009 statt. Zum anderen seien während der genannten Militäroperationen außerordentliche Sitzungen faktisch nicht möglich gewesen, da sowohl das FOCA-Kommando als auch das Exekutivkomitee sich aufgeteilt hatten und auf der Flucht waren, sodass der Angeklagte Dr. M. keine Möglichkeit gehabt habe, eine außerordentliche Sitzung einzuberufen und eine verhindernde Entscheidung zu erwirken.727 Es wurde also auch hier die Ursächlichkeit des Unterlassens verneint. Daneben zweifelte das Gericht konsequent auch in diesem rechtlichen Umfeld das Bestehen von Befehls- bzw. Führungsgewalt und Kontrolle an, welche jeweils Voraussetzung für eine Überwachergarantenstellung gemäß § 13 StGB wäre.728 Garantenpflichten entstehen nur dort, wo Einwirkungsmöglichkeiten bestehen,729 sodass militärische Vorgesetzte als Verantwortliche für ihrerseits voll verantwortlich handelnde Soldaten grundsätzlich in Betracht kommen.730 Nachdem die Beweisaufnahme eine solche Annahme nicht zuließ, wurden die entsprechenden Überlegungen des Generalbundesanwalts als Spekulation abgetan.731 ee) Keine Strafbarkeit wegen irrtümlich angenommener militärischer Befehlshaberschaft Das Gericht lehnte es ebenfalls ab, den Angeklagten wegen untauglichen Versuchs von fünf Kriegsverbrechen gemäß §§ 8, 9 VStGB in Verbindung mit § 4 VStGB und §§ 22, 23 StGB, § 2 VStGB für strafbar zu befinden. Dies wäre nur möglich gewesen, wenn der Senat zur Überzeugung gelangt wäre, Dr. M. sei irrtümlich von einer bestehenden Befehlsgewalt und einer Tatverhinderungsmacht ausgegangen.732 Hierfür sprachen zwar mehrere Äußerungen des Dr. M., etwa in der 725

OLG Stuttgart, Urteil vom 28.09.2015, 5 – 3 StE 6/10 Teil 4 A. I. 3. a). BGH, Urteil vom 08.11.1999 – 5 StR 632/98, BGHSt 45, 270. 727 OLG Stuttgart, Urteil vom 28.09.2015, 5 – 3 StE 6/10 Teil 4 A. I. 3. b). 728 OLG Stuttgart, Urteil vom 28.09.2015, 5 – 3 StE 6/10 Teil 4 A. I. 3. b); zur Überwachergarantenstellung vgl. Schönke/Schröder/Bosch, 30. Aufl. 2019, StGB § 13 Rn. 11 – 13; Wessels/Beulke/Satzger, 2018, § 19 Rn. 1185 ff.; Rengier, 2018, Kap. 9 Rn. 42 ff. 729 Vgl. MüKoStGB/Schmitz, 3. Aufl. 2019, Vorbemerkung zu §§ 324 ff., Rn. 135. 730 OLG Stuttgart, Urteil vom 28.09.2015, 5 – 3 StE 6/10 Teil 4 A. I. 3. b); vgl. Rengier, 2018, 9. Kap. Rn. 66. 731 OLG Stuttgart, Urteil vom 28.09.2015, 5 – 3 StE 6/10 Teil 4 A. I. 3. b). 732 Vgl. MüKoStGB/Weigend, 3. Aufl. 2018, VStGB § 4 Rn. 62. 726

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bereits erwähnten Fernsehsendung „Fakt“ vom 3. November 2008, in welcher er erklärte, dass die FDLR straff organisiert sei, er ihr Präsident sei und ganz genau wisse, was passiere.733 Der Senat ging aber angesichts der deutlichen objektiven Umstände nicht davon aus, dass der „durchaus intelligente“ Angeklagte die objektive Lage vollkommen ignorierte und sich tatsächlich für einen Befehlshaber im Sinne des § 4 VStGB gehalten habe.734 Somit blieb es erstinstanzlich bei einer Beihilfestrafbarkeit. b) Nationale Strafbarkeit nach dem StGB Beide Angeklagten (der Angeklagte Dr. M. tateinheitlich und der Angeklagte M. ausschließlich) wurden wegen Rädelsführerschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung gemäß §§ 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4, 129b Abs. 1 StGB verurteilt. Die den Anwendungsbereich des § 129a StGB erweiternde Verfolgungsermächtigung des § 129b Abs. 1 S. 3 StGB735 wurde vom Bundesministerium der Justiz am 08. Dezember 2008 erteilt.736 Da das OLG Stuttgart davon überzeugt war, dass die Zwecke und die Tätigkeit der FDLR jedenfalls in den Jahren 2007 bis 2009 darauf gerichtet waren, Kriegsverbrechen zum Nachteil der kongolesischen Zivilbevölkerung zu begehen, vgl. § 129a Abs. 1 Nr. 1 StGB, bewertete es diese als terroristische Vereinigung.737 Darüber hinaus erfüllten beide Angeklagten den Qualifikationstatbestand zu § 129a Abs. 1 StGB bzw. den doppelten Qualifikationstatbestand zum Grunddelikt des § 129 StGB der Rädelsführerschaft i. S. d. § 129a Abs. 4 StGB.738 Rädelsführer in diesem Sinne ist nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs derjenige, der in einer Vereinigung dadurch eine führende Rolle spielt, dass er sich in besonders maßgebender Weise für sie betätigt.739 Dies sah der Senat des OLG Stuttgart bei dem Angeklagten Dr. M. durch seine umfangreichen Tätigkeiten als Präsident als erfüllt an.740 Ebenso wurde dem An733 Vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 28.09.2015, 5 – 3 StE 6/10 Teil 4 A. I. 4.; dies bestätigend „Chronologie Hutu-Milizenführer: Der Weg des Verbrechens“, taz, 19. August 2012, Abschn. Politik, https://www.taz.de/!5086086/, zuletzt zugegriffen am 16.08.2018. 734 OLG Stuttgart, Urteil vom 28.09.2015, 5 – 3 StE 6/10 Teil 4 A. I. 4. 735 Vgl. Kindhäuser/Neumann/Paeffgen/Ostendorf, Strafgesetzbuch, 5. Aufl. 2017 Vorbemerkung § 129b. 736 OLG Stuttgart, Urteil vom 28.09.2015, 5 – 3 StE 6/10 Teil 4 A. II. 1.; Vgl. hierzu Ambos, ZIS 2016, 505. 737 OLG Stuttgart, Urteil vom 28.09.2015, 5 – 3 StE 6/10 Teil 4 A. II. 3.; vgl. zu Zweck und Tätigkeit der Vereinigung i. R. v. § 129a StGB auch MüKoStGB/Schäfer, 3. Aufl. 2017, StGB § 129 Rn. 48 – 55. 738 Vgl. MüKoStGB/Schäfer, 3. Aufl. 2017, StGB § 129a Rn. 58. 739 BGH, Urteil vom 16.02.2012 3 StR 243/11; MüKoStGB/Schäfer, 3. Aufl. 2017, StGB § 129 Rn. 147. 740 OLG Stuttgart, Urteil vom 28.09.2015, 5 – 3 StE 6/10 Teil 4 A. II. 5.

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geklagten M. eine maßgebliche Führungsrolle zugeschrieben. Er habe als Erster Vizepräsident in Zusammenarbeit mit Dr. M. einen bestimmenden Einfluss auf die Organisation gehabt und sei somit ebenfalls Rädelsführer.741 c) Strafzumessung Die Ausführungen des OLG Stuttgart zur Strafzumessung benötigen nur etwas über eine Seite742 und sind allein deshalb in einer Gegenüberstellung zur Entscheidung der Hauptverfahrenskammer des IStGH gegen Bemba erwähnenswert, da deren schriftliche Begründung des Rechtsfolgenausspruchs 47 Seiten umfasste743 und damit Ausdruck der prozessrechtlich unterschiedlichen Handhabung der Strafzumessung sind.744 Inhaltlich war von einem Strafrahmen von drei bis zu 15 Jahren Freiheitsstrafe auszugehen. Dieser ergab sich bei Dr. M. im Hinblick auf § 52 Abs. 2 StGB gleichermaßen aus beiden Schuldsprüchen. Bei der verwirklichten Strafbarkeit wegen Rädelsführerschaft in einer terroristischen Vereinigung ergab er sich direkt aus § 129b Abs. 1 StGB in Verbindung mit § 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4, 1. HS StGB, im Hinblick auf die Verurteilung wegen Beihilfe zu vier Kriegsverbrechen bewirkte diesen Strafrahmen die obligatorische Strafrahmenverschiebung der Beihilfe gemäß § 27 Abs. 2, 49 Abs. 1 Nr. 1 StGB.745 § 8 Abs. 1 Nr. 1 VStGB hätte in direkter Anwendung eine lebenslange Freiheitsstrafe zwingend zur Folge gehabt, da ein Sonderstrafrahmen vergleichbar mit § 213 StGB nicht existiert.746 Für den Angeklagten wurde unter anderem berücksichtigt, dass seine Motive für die Tätigkeit in der FDLR durch negative persönliche Erfahrungen ausgelöst wurden, da im Rahmen des Genozids im Jahr 1994 in Ruanda viele seiner Angehörigen getötet wurden und dieser Konflikt letztlich der Nährboden für die Gründung der FDLR und deren operative Ziele war.747 Darüber hinaus wirkte sich sowohl die lange Verfahrensdauer als auch die lange Dauer der Untersuchungshaft strafmildernd aus. Letztere ist zwar in der Regel ohne strafmildernde Wirkung, im vorliegenden Verfahren litten jedoch die sozialen Kontakte des Dr. M. insbesondere zu seinen Kindern, sodass die eingetretene besondere Haftempfindlichkeit zu einer Strafmilderung führen konnte.748 Gegen Dr. M. sprach insbesondere die Gefährlichkeit der FDLR, seine besondere Bedeutung für die Organisation und, dass er sich von einer Vorverurteilung wegen 741

OLG Stuttgart, Urteil vom 28.09.2015, 5 – 3 StE 6/10 Teil 4 B. OLG Stuttgart, Urteil vom 28.09.2015, 5 – 3 StE 6/10 Teil 5. 743 ICC-01/05-01/08-3399 16-06-21 Decision on Sentence Pursuant to Article 76 of the Statute. 744 Vgl. zur Strafzumessung bei Bemba Ausführungen unter D. V. 3. 745 OLG Stuttgart, Urteil vom 28.09.2015, 5 – 3 StE 6/10 Teil 5 A. 746 Vgl. MüKoStGB/Geiß/Zimmermann, 3. Aufl. 2018, VStGB § 8 Rn. 264. 747 Vgl. Ausführungen unter C. II. 1. a). 748 OLG Stuttgart, Urteil vom 28.09.2015, 5 – 3 StE 6/10 Teil 5 A. 742

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Verstößen gegen Aufenthaltsbestimmungen nicht von einer weiteren Tätigkeit für die FDLR hat abhalten lassen.749 Beim Angeklagten M. war vom gleichen Strafrahmen (drei bis 15 Jahre Freiheitsstrafe) des § 129b Abs. 1 StGB in Verbindung mit § 129a Abs. 1 Nr. 1, Abs. 4, 1. HS StGB auszugehen. Für ihn sprachen insbesondere, dass er keine Eintragungen im Bundeszentralregister hatte, seine teilweise vorliegende Geständigkeit und sein während der Verhandlung erfolgter Austritt aus der FDLR. Zu seinen Lasten sprach wie bei Dr. M. die Gefährlichkeit der FDLR und seine aufgrund der Ausübung seiner Stellung stabilisierende Wirkung für diese.750 2. IStGH – Erstinstanzliche Entscheidung: Verurteilung Am 21. März 2016 erging gegen Bemba der Schuldspruch gemäß Art. 74 Abs. 2 IStGHSt, wonach er als eine tatsächlich als militärischer Befehlshaber handelnde Person im Sinne von Art. 28 lit. a) IStGHSt wegen a) Mord als Verbrechen gegen die Menschlichkeit gemäß Art. 7 Abs. 1 a) IStGHSt. b) Mord als Kriegsverbrechen gemäß Art. 8 Abs. 2 c) i) IStGHSt. c) Vergewaltigung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit gemäß Art. 7 Abs. 1 g) IStGHSt. d) Vergewaltigung als Kriegsverbrechen gemäß Art. 8 Abs. 2 e) vi) IStGHSt und e) Plünderung als Kriegsverbrechen gemäß Art. 8 Abs. 2 e) v) IStGHSt verurteilt wurde.751 Zwar wurde die Verurteilung in der zweiten Instanz von der Berufungskammer wieder aufgehoben und Bemba freigesprochen, erstinstanzlich erfolgte aber im Gegensatz zum Stuttgarter Verfahren eine Verurteilung als Vorgesetzter. Ähnlich wie bei der Verurteilung wegen Beihilfe, war es auch hier erforderlich, Grunddelikte festzustellen und diese rechtlich einzuordnen. Das Verhältnis von Grunddelikt und strafbarem Verhalten des Vorgesetzten ist nicht unumstritten und war eines der entscheidenden Kriterien zur Aufhebung der Verurteilung. En Detail wird dies Gegenstand der Ausführungen der zweitinstanzlichen Entscheidung sein.752 Im Folgenden sollen jedoch kurz die diesbezüglichen „Legal Findings“ der Hauptverfahrenskammer paraphrasiert werden.

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OLG Stuttgart, Urteil vom 28.09.2015, 5 – 3 StE 6/10 Teil 5 A. OLG Stuttgart, Urteil vom 28.09.2015, 5 – 3 StE 6/10 Teil 5 B. 751 ICC-01/05-01/08-3343 21-03-2016 Judgment pursuant to Article 74 of the Statute, par. 752. 752 Vgl. Ausführungen unter E. II. 750

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a) Individuelle Verantwortlichkeit gemäß Art. 28 IStGHSt Vor den zugrundeliegenden Delikten der MLC-Soldaten sollen zunächst die Feststellungen der Hauptverfahrenskammer zur individuellen Verantwortlichkeit gemäß Art. 28 IStGHSt – im Gegensatz zur Beihilfestrafbarkeit gemäß § 27 StGB – im Fokus stehen. Für die Verurteilung mussten nach Ansicht der Hauptverfahrenskammer fünf Tatbestandsvoraussetzungen vorliegen: a) die MLC beging Verbrechen, die innerhalb der Gerichtsbarkeit des Internationalen Strafgerichtshof lagen, Art. 28 a) IStGHSt,753 wobei auf die noch folgenden Ausführungen hinsichtlich der zugrundeliegenden Taten Bezug genommen wird. b) Bemba handelte als tatsächlicher militärischer Befehlshaber („effectivly acting as a military commander“) und hatte tatsächliche Führungsgewalt und Kontrolle („effective authority and control“), Art. 28 a) IStGHSt, über die MLC Soldaten.754 Eben dies war der Gesichtspunkt, den das OLG Stuttgart im Fall des Dr. M. ablehnte. Die Kammer stützte die Bejahung dieses Tatbestandsmerkmals auf die Feststellungen, dass Bemba als Präsident der MLC und Oberbefehlshaber der ALC und Divisionsgeneral weitgehende formelle Kompetenzen unmittelbar auch im militärischen Bereich besaß,755 und diese – anders als etwa Dr. M. – auch nutzen konnte und operative Anweisungen geben konnte. Bemba hatte zudem disziplinarische Kompetenzen, was an den von ihm militärischen Strafverfahren ersichtlich wurde, die jedoch aus Sicht der Kammer in Durchführung und Ergebnis unzureichend waren.756 Bemba hatte überdies erwiesenermaßen die Macht, Truppen in die Zentralafrikanische Republik zu senden und sie wieder abzuziehen.757 Die Hauptverfahrenskammer teilte explizit nicht die Ansicht der Verteidigung, dass die MLC den zentralafrikanischen Behörden derart untergeordnet waren, dass Bemba seine Befugnisse nicht gegenüber den in der Zentralafrikanischen Republik stationierten Einheiten ausüben konnte.758 Eine regelmäßige Korrespondenz zwischen der MLC und den nationalen Truppen wurde zwar bejaht, jedoch erfolgte nach Ansicht der Kammer keine hierarchische 753 ICC-01/05-01/08-3343 21-03-2016 Judgment pursuant to Article 74 of the Statute, par. 694 ff. 754 ICC-01/05-01/08-3343 21-03-2016 Judgment pursuant to Article 74 of the Statute, par. 696 ff.; zu den Voraussetzungen Vorgesetztenverantwortlichkeit, die als echtes Unterlassungsdelikt ausgestaltet sind vgl. Ambos, 2018, § 7 Rn. 55, 57 ff.; Werle/Jeßberger, 2016, Rn. 602 ff. 755 ICC-01/05-01/08-3343 21-03-2016 Judgment pursuant to Article 74 of the Statute, par. 384, 697. 756 ICC-01/05-01/08-3343 21-03-2016 Judgment pursuant to Article 74 of the Statute, par. 402 ff. 757 ICC-01/05-01/08-3343 21-03-2016 Judgment pursuant to Article 74 of the Statute, par. 697. 758 ICC-01/05-01/08-3121-Red 22-04-2016 Public Redacted Version of Closing Brief of Mr. Bemba Gombo, par. 413.

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Eingliederung in einem Ausmaß, das die tatsächliche Autorität Bembas aufheben und obsolet machen konnte.759 c) Bemba hatte zudem positiver Kenntnis im Sinne von Art. 28 a) i) Var. 1 IStGHSt davon, dass die MLC-Soldaten Verbrechen begingen oder im Begriff waren zu begehen.760 Zwar weilte Bemba während der maßgeblichen Operationen überwiegend in Gbadolite in der DR Kongo, unterhielt jedoch sowohl direkte als auch indirekte Kommunikationswege (über den MLC Generalstabschef) zu den Generälen vor Ort via Radio- bzw. der Thuraya-Satelliten Telefonie,761 die auch in der DR Kongo bei der FDLR zum Einsatz kam.762 Daneben wurde die Kenntnis auch auf die Existenz umfassender Medienreporte über Vorwürfe gegenüber den MLC-Soldaten gestützt, die Bemba nach Überzeugung der Kammer mit seinen Generälen diskutiert hat.763 d) Bemba ergriff zudem nicht alle in seiner Macht stehenden, jedoch erforderlichen und angemessenen Maßnahmen („necessary and reasonable measures“), um die Begehung der Verbrechen zu verhindern oder zu unterbinden oder sie den zuständigen Behörden zur Untersuchung und Strafverfolgung vorzulegen, Art. 28 a) ii) IStGHSt.764 Zwar wurde ihm zugestanden, einige Maßnahmen ergriffen zu haben, unter anderem die Einleitung von Untersuchungen, etwa die sog. Mondonga-Untersuchung, die zum Verfahren vor einem Militärgericht in Gbadolite gegen Leutnant Willy Bomengo und andere führte oder die Zongo Kommission. Zudem stattete er seinen Truppen in der Zentralafrikanischen Republik einen Besuch ab, in dessen Zuge er im November 2002 eine Rede hielt, in der er die aufgekommenen Vorwürfe angesprochen haben soll.765 Diese Maßnahmen seien aber insgesamt in Auftrag, Ausführung und Ergebnis begrenzt gewesen.766 Die Kammer warf Bemba vor, seine umfassenden Möglichkeiten zur Verhinderung von Verbrechen nicht ausgeschöpft zu haben. Er hätte unter anderem i) für eine angemessene Ausbildung und Überwachung der Einhaltung des 759 ICC-01/05-01/08-3343 21-03-2016 Judgment pursuant to Article 74 of the Statute, par. 699. 760 ICC-01/05-01/08-3343 21-03-2016 Judgment pursuant to Article 74 of the Statute, par. 700 ff.; Zu den Voraussetzungen der Kenntnis vgl. Ambos, 2018, § 7 Rn. 58; Werle/Jeßberger, 2016, Rn. 616 ff. 761 ICC-01/05-01/08-3343 21-03-2016 Judgment pursuant to Article 74 of the Statute, par. 707. 762 OLG Stuttgart, Urteil vom 28.09.2015, 5 – 3 StE 6/10, Teil 2 A. II. 2. b) dd). 763 ICC-01/05-01/08-3343 21-03-2016 Judgment pursuant to Article 74 of the Statute, par. 709. 764 Vgl. Ambos, 2018, § 7 Rn. 57; Werle/Jeßberger, 2016, Rn. 625 ff. 765 ICC-01/05-01/08-3343 21-03-2016 Judgment pursuant to Article 74 of the Statute, par. 719; weitere Maßnahme waren ein Treffen mit General Cissé, einem UN Repräsentanten und Patassé im November 2002, Korrespondenz mit General Cissé und Korrespondenz mit dem Präsidenten der FIDH und die Sibut Mission, ebenda. 766 ICC-01/05-01/08-3343 21-03-2016 Judgment pursuant to Article 74 of the Statute, par. 720.

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D. Die erstinstanzlichen Verfahren

humanitären Völkerrechts sorgen, ii) vollständige Aufklärung und Verfolgung der Verbrechen gewährleisten, iii) weitere Anweisungen an Kommandeure zur Vermeidung von Verbrechen geben, iv) seine Truppen anders stationieren, um Kontakt mit Zivilisten zu minimieren, v) Offiziere und Soldaten, die Verbrechen begingen, verlegen und vi) relevante Informationen mit den zentralafrikanischen Behörden teilen und diese bei der Ermittlung der Vorwürfe unterstützen müssen.767 Auch hier, was im Späteren zu zeigen sein wird, legte die Berufungskammer Hand an und übte Kritik an den Feststellungen und Ausführungen der Hauptverfahrenskammer. Ein maßgeblicher Vorwurf betraf auch vii) den nicht oder nicht rechtzeitig erfolgten Rückzug der Truppen insgesamt.768 e) Die Verbrechen wurden als Folge seines Versäumnisses begangen.769 Bezugnehmend auf Bembas Kompetenzen und Möglichkeiten770 und die nach humanitärem Völkerrecht bestehenden Pflichten eines Kommandeurs, insbesondere die Pflicht, gemäß Art. 87 Abs. 2 ZP I, unter den Untergebenen für die Kenntnis der Genfer Konvention zu sorgen, führte die Kammer aus,771 dass die oben beschriebenen Maßnahmen die Soldaten von den Taten abgehalten hätten. Darüber hinaus wäre bei Ergreifung der Maßnahmen das allgemeine Klima der Einwilligung vermindert, wenn nicht sogar unterbunden worden.772 Hätte Bemba insbesondere die Truppen bereits im November 2002 abgezogen, wären Verbrechen verhindert worden.773 Auch hier setzte die Berufungskammer an und kritisierte die Ausführungen zur hypothetischen Kausalität.774 Obwohl die Beteiligungsform der Beihilfe in Art. 25 Abs. 3 c) und d) IStGHSt normiert ist,775 wurde sie im Bemba-Verfahren weder erst- noch zweitinstanzlich diskutiert. Ob die Berufungskammer eine Verurteilung wegen Beihilfe ebenfalls aufgehoben hätte, ist schwer zu ergründen. Möglicherweise wäre, ebenso wie im deutschen Verfahren, die Feststellung des subjektiven Erfordernisses des Art. 25 Abs. 3 c) IStGHSt „zur Erleichterung (,for the purpose of facilitating‘) der Haupttat“ 767 ICC-01/05-01/08-3343 21-03-2016 Judgment pursuant to Article 74 of the Statute, par. 729. 768 ICC-01/05-01/08-3343 21-03-2016 Judgment pursuant to Article 74 of the Statute, par. 730. 769 ICC-01/05-01/08-3343 21-03-2016 Judgment pursuant to Article 74 of the Statute, par. 735 ff.; vgl. zur Kausalität Ambos, 2018, § 7 Rn. 57; Werle/Jeßberger, 2016, Rn. 634 ff. 770 ICC-01/05-01/08-3343 21-03-2016 Judgment pursuant to Article 74 of the Statute, par. 737. 771 ICC-01/05-01/08-3343 21-03-2016 Judgment pursuant to Article 74 of the Statute, par. 736. 772 ICC-01/05-01/08-3343 21-03-2016 Judgment pursuant to Article 74 of the Statute, par. 738. 773 ICC-01/05-01/08-3343 21-03-2016 Judgment pursuant to Article 74 of the Statute, par. 740. 774 Vgl. Ausführungen unter E. II. 1. c). 775 Vgl. etwa Werle/Jeßberger, 2016, 2. Teil D. Rn. 594 ff.

V. Materiellrechtliche Entscheidung

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problematisch gewesen, da Bemba Gegenmaßnahmen ergriff, die aus Sicht der Mehrheit der Berufungskammer nicht über jeden Zweifel hinweg unzureichend waren. b) Grunddelikte Im Gegensatz zum Stuttgarter Verfahren bezogen sich die Feststellungen nicht auf große Überfälle der beteiligten Miliz, bei denen die einzelne Tötung nicht näher Gegenstand der Urteilsbegründung wurde, sondern auf individuelle Vorfälle,776 welche im Folgenden aufgelistet werden. Die Hauptverfahrenskammer sah im Schuldspruch vom 21. März 2016 folgende drei Morde/Tötungen von a) P87’s „Bruder“ in Bangui Ende Oktober 2002; b) P69’s Schwester in PK12 am Tag nach Ankunft der MLC in PK12; und c) einem nicht identifizierten Moslem am 05. März 2003 in Mongoumba777 als erwiesen an. Über jeden vernünftigen Zweifel war die Kammer ebenfalls überzeugt, dass die genannten Opfer 1) Zivilisten waren, die zum Zeitpunkt ihrer Tötung nicht aktiv an Kampfhandlungen teilnahmen und 2) die Täter die tatsächlichen Umstände kannten, die den Schutzstatus dieser Opfer begründeten.778 Fünf weitere in Rede stehende Tötungen konnten jedoch nicht bewiesen werden, namentlich die Tötung einer unidentifizierten Frau in PK12, P42’s Cousin in PK22, P68’s Onkel in Damara und einer weiteren unidentifizierten Frau in Mongoumba sowie eines unidentifizierten Kindes in Bangui.779 Daneben konnten folgende zwölf Akte von Vergewaltigungen festgestellt werden:780 a) P68 and P68’s Schwägerin in Bangui Ende Oktober 2002; b) zwei unidentifizierte Mädchen, 12 und 13 Jahre alt, in Bangui um den 30. Oktober 2002; c) P87 in Bangui um den 30 October 2002; d) acht unidentifizierte Frauen an Port Beach Werft in Bangui Ende Oktober oder Anfang November 2002; 776

So auch die Berufungskammer, vgl. Ausführungen unter E. II. ICC-01/05-01/08-3343 21-03-2016 Judgment pursuant to Article 74 of the Statute, par. 624. 778 ICC-01/05-01/08-3343 21-03-2016 Judgment pursuant to Article 74 of the Statute, par. 625. 779 ICC-01/05-01/08-3343 21-03-2016 Judgment pursuant to Article 74 of the Statute, par. 623. 780 Eine Vergewaltigung ist hiernach das wissent- und willentlich gewaltsame Eindringen mit ihren Penissen in die Vaginen, Anusse oder andere Körperöffnungen der Opfer, ICC-01/0501/08-3343 21-03-2016 2016 Judgment pursuant to Article 74 of the Statute, par. 636 – 638. 777

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D. Die erstinstanzlichen Verfahren

e) P23, P80, P81, P82, und zwei von P23’s Töchtern in PK12 Anfang November 2002; f) P69 und seine Frau in PK12 Ende November 2002; g) P22 in PK12 um den 6./7. November 2002; h) P79 und ihre Tochter in PK12 einige Tage nachdem die MLC in PK12 landete; i) P42’s Tochter in PK12 Ende November 2002; j) eine Frau im Busch außerhalb von PK22 im November 2002; k) P29 in Mongoumba am 5. März 2003; l) V1 in Mongoumba am 5. März 2003.781 Der Kammer war es dagegen nicht möglich, Feststellungen zu zwei weiteren in Rede stehenden Vergewaltigungsvorfällen zu treffen, über die vor allem ein Zeuge, P47, aussagte.782 Außerdem wurden folgende 16 Akte der Plünderung von Soldaten der MLC783 zum Nachteil folgender Opfer festgestellt. a) P68 und ihre Schwägerin in Bangui Ende Oktober 2002; b) P119 in Bangui nach dem 30. Oktober 2002; c) P87 and ihre Familie in Bangui um den 30. Oktober 2002; d) P23, P80, P81, and P82 in Bangui Anfang November 2002; e) P69’s Schwester in PK12 am Tag nach dem die MLC dort landete; f)

P69 in PK12 im November 2002;

g) P108 in PK12 während MLC’s Anwesenheit; h) P110 in PK12 am Tag nachdem die MLC dort landete; i)

P112 in PK12 im November 2002;

j)

P22 und ihr Onkel in PK12 um den 6./7. November 2002;

k) P79 und ihr Bruder in PK12 einige Tage nachdem die MLC dort landete; l)

P73 in PK12 Ende November 2002;

m) P42 und seine Familie in PK12 Ende November 2002; n) eine Frau im Busch außerhalb PK22 in November 2002; o) V2 in Sibut in den Tagen nachdem die MLC’s dort landete;

781 ICC-01/05-01/08-3343 21-03-2016 Judgment pursuant to Article 74 of the Statute, par. 633. 782 ICC-01/05-01/08-3343 21-03-2016 Judgment pursuant to Article 74 of the Statute, par. 632. 783 ICC-01/05-01/08-3343 21-03-2016 Judgment pursuant to Article 74 of the Statute, par. 642.

V. Materiellrechtliche Entscheidung

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p) einer Kirche, Nonnen, Priester und ein unidentifizierter Mann am 5. März 2003.784 c) Verbrechen gegen die Menschlichkeit Anders als erstinstanzlich im deutschen Verfahren, wurde das Vorliegen von Verbrechen gegen die Menschlichkeit bejaht.785 Die Kammer ging nämlich davon aus, dass die vielfältigen Straftaten nicht bloß Einzeltaten gegen Zivilisten waren, sondern im Rahmen a) einer fortdauernden Verhaltensweise im Sinne von Art. 7 Abs. 1 IStGHSt stattfanden786 und, dass diese auch b) direkt gegen die Zivilbevölkerung als solche gerichtet waren. Im Gegensatz zu den Gegebenheiten bei den oben genannten Überfällen der FDLR waren die MLC-Soldaten die einzige bewaffnete Einheit in der Gegend, die gegnerischen Truppen waren zuvor vollständig vertrieben worden und es gab keine Anhaltspunkte, dass Nichtzivilisten anwesend waren.787 Einen unmittelbaren militärischen Nutzen konnte die MLC aus den konkreten Taten daher nicht ziehen. Die Opfer wurden darüber hinaus ohne Bezug auf Alter, Geschlecht oder Sozialstatus ausgewählt.788 Die Angriffe gegen die Zivilbevölkerung bzw. die Einzeltaten erfolgten auch c) in Ausführung oder zur Unterstützung der Politik einer Organisation, namentlich der MLC,789 im Sinne von Art. 7 Abs. 2 lit. a) IStGHSt. Die Angriffe, zu denen die Einzeltaten im Zusammenhang standen,790 waren ausgedehnt791 und die Täter verübten die Taten im Bewusstsein als Teil eines ausgedehnten Angriffs gegen die Zivilbevölkerung zu handeln.792 784 ICC-01/05-01/08-3343 21-03-2016 Judgment pursuant to Article 74 of the Statute, par. 640. 785 Vgl. zu den Gesamttat-Voraussetzungen Kontextelement, Begehungszusammenhang und Gesamttat i. S. v. Art. 7, Ambos, 2018, § 7 Rn. 182 ff.; Werle/Jeßberger, 2016, Rn. 922 ff.; zu den Einzeltatvoraussetzungen, Ambos, 2018, § 7 Rn. 199 ff.; Werle/Jeßberger, 2016, Rn. 957 ff. 786 ICC-01/05-01/08-3343 21-03-2016 Judgment pursuant to Article 74 of the Statute, par. 671 f. 787 ICC-01/05-01/08-3343 21-03-2016 Judgment pursuant to Article 74 of the Statute, par. 673. 788 ICC-01/05-01/08-3343 21-03-2016 Judgment pursuant to Article 74 of the Statute, par. 673. 789 ICC-01/05-01/08-3343 21-03-2016 Judgment pursuant to Article 74 of the Statute, par. 675. 790 ICC-01/05-01/08-3343 21-03-2016 Judgment pursuant to Article 74 of the Statute, par. 690. 791 ICC-01/05-01/08-3343 21-03-2016 Judgment pursuant to Article 74 of the Statute, par. 689. 792 ICC-01/05-01/08-3343 21-03-2016 Judgment pursuant to Article 74 of the Statute, par. 691.

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D. Die erstinstanzlichen Verfahren

3. Besonderheit: Strafzumessungsverfahren vor dem IStGH Eine im Vergleich zum deutschen Verfahren erwähnenswerte prozessuale Besonderheit stellt die Aufspaltung des Verfahrens in zwei Teile dar. Hinsichtlich der Frage der Strafzumessung ist vor dem IStGH ein eigener Verfahrensabschnitt vorgesehen. a) Prozessrechtliche Besonderheit: Strafzumessungsverfahren Die Zweiteilung von Schuldfrage und Strafzumessung, bzw. die Teilung des Hauptverfahrens in Erkenntnisverfahren und Bestrafungsverfahren wird als sog. „Schuldinterlokut“ bezeichnet und ist in Art. 76 IStGHSt, Regel 143 VBO angelegt.793 Art. 76 Abs. 2 IStGH legt fest, dass die Hauptverfahrenskammer, sofern nicht Art. 65 IStGHSt vorliegt,794 vor Abschluss der Verhandlung aus eigener Initiative eine weitere mündliche Verhandlung abhalten kann, um zusätzliche Beweismittel oder Anträge entgegenzunehmen, die für den Strafspruch von Bedeutung sind. Wenn der Ankläger oder der Angeklagte dies beantragen, ist sie hierzu verpflichtet, Art. 76 Abs. 2, IStGHSt. Der in Abs. 1 vermeintlich zum Vorschein kommende Grundsatz, dass Schuld- und Strafspruch in einer einheitlichen Entscheidung ergehen,795 wird von Abs. 2 entkräftet und umgekehrt, sodass in der Regel eine eigene RechtsfolgenVerhandlung angesetzt wird.796 Ein formelles Schuldinterlokut ist der StPO fremd. Im Stuttgarter Verfahren beschränkte sich die Strafzumessung auf oben dargestellte Ausführungen. Für Kapitalverbrechen, in denen es in der Regel um hohe Strafandrohungen geht, wird ein Schuldinterlokut jedoch in Teilen der Literatur gefordert.797 Anders als in vielen anderen Jurisdiktionen gibt es im Völkerstrafrecht keine Leitlinien für den Strafspruch. Das Strafmaß ist ausschließlich Gegenstand breiten richterlichen Ermessens.798 Der Strafrahmen wird Art. 77 IStGHSt entnommen, der die Freiheitsstrafe als die Haupt-Rechtsfolge des IStGH etabliert und für diese keine dem deutschen Recht bekannte Mindest- und Höchststrafe festlegt, sondern lediglich die Höchstdauer von 30 Jahren bzw. lebenslang festlegt.

793

Vgl. Safferling, 2011, § 7 Rn. 76. Art. 65 IStGHSt legt das Verfahren nach einem Geständnis fest. 795 Vgl. Wilhelmi, IRP, 2004, 7 (51). 796 Vgl. Triffterer/Ambos/Schabas/Ambos, 3. Aufl. 2016, Art. 76 Rn. 3; Schabas, 2. Aufl. 2016, Art. 76, 1149. 797 Vgl. Deckers/Fischer/König/Bernsmann, NStZ 2014, 9 (17); vgl. auch Kleinknecht, Heinitz-FS, 1972, 651 ff. 798 The Prosecutor vs. Thomas Lubanga Dyilo ICC-01/0401/06-3122 01-12-2014 Judgment on the appeals of the Prosecutor and Mr Thomas Lubanga Dyilo against the „Decision on Sentence Pursuant to Article 76 of the Statute“, par. 34; Longworth, in: Hiéramente/Schneider, The Defence in International Criminal Trials, 2016, 200 (201). 794

V. Materiellrechtliche Entscheidung

161

b) Ablauf und Ergebnis des Strafzumessungsverfahrens gegen Bemba Getrennt vom Schuldspruch erfolgte am 21. Juni 2016 nach nochmaligen Schriftsatzwechseln und einer mündlichen Verhandlung der Rechtsfolgenausspruch gemäß Art. 76 IStGHSt, wonach Bemba zu einer Freiheitsstrafe von 18 Jahren verurteilt wurde.799 Angewandte Normen waren dabei die Art. 23, 76, 77 und 78 IStGHSt, welche ergänzt wurden durch die Regeln 143 (i. V. m. Art. 76 Abs. 2, 3 IStGHSt: Terminierung der zusätzlichen Anhörung), 144 (Bekanntmachung der Entscheidung), 145 (i. V. m. Art. 78 IStGHSt: Bestimmung der konkreten Strafe), 146 (zur Möglichkeit der Geldstrafe), und 147 (zur Möglichkeit der Verfallanordnung) VBO.800 Bereits am 26. Mai 2014, also knapp zwei Jahre vor dem eigentlichen Schuldspruch, beschloss die Hauptverfahrenskammer, dass zum Strafausspruch ein getrenntes Verfahren abgehalten werden soll.801 Vorausgegangen war der Vortrag eines rechtlichen Vertreters der Opfer, unter anderem damit begründet, dass angesichts der Vielzahl an Opfern, die aufgrund der Komplexität der Frage der Reparationen berücksichtigt werden müsste, ein eigenes Verfahren angezeigt wäre.802 Daneben stellte die Anklage mit Schriftsatz vom 22. April 2018 den Antrag gemäß Art. 76 Abs. 2 IStGHSt, das Erkenntnisverfahren und das Bestrafungsverfahren voneinander zu trennen.803 Dies würde den Beteiligten aufgrund der dann bereits ergangenen Entscheidung der Kammer die Möglichkeit bieten, sich informierter und zielgerichteter einzulassen.804 Die Verteidigung hingegen lehnte die Durchführung eines eigenen Verfahrens zur Strafzumessung ab. Sie befürchtete, dass hierdurch die Zügigkeit des Verfahrens gefährdet werde.805 Außerdem führte sie an, dass entsprechender Vortrag in angemessener Weise bereits vorab im Rahmen der abschließenden Stellungnahmen ab-

799 ICC-01/05-01/08-3399 21-06-2016 Decision on Sentence Pursuant to Article 76 of the Statute. 800 ICC-01/05-01/08-3399 21-06-2016 Decision on Sentence Pursuant to Article 76 of the Statute, par. 8. 801 ICC-01/05-01/08-3071 26-05-2014 Decision on the timetable and on the sentencing procedure. 802 ICC-01/05-01/08-3050 17-04-2014 Observations on Decision 3035, verfügbar nur in Französisch, zitiert nach ICC-01/05-01/08-3071 26-05-2014 Decision on the timetable and on the sentencing procedure, par. 4. 803 ICC-01/05-01/08-3053 22-04-2014 Prosecution’s Submissions on issuing a single judgment or separate decisions on Articles 74 and 76 of the Rome Statute. 804 ICC-01/05-01/08-3053 22-04-2014 Prosecution’s Submissions on issuing a single judgment or separate decisions on Articles 74 and 76 of the Rome Statute, par. 2. 805 ICC-01/05-01/08-3054-Red 22-04-2014 Public Redacted Version of Defence Submissions pursuant to the „Decision on closure of evidence and other procedural matters, ICC-01/0501/08-3035“, par. 2.

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D. Die erstinstanzlichen Verfahren

gegeben werden könne und ausreichend Beweise vorhanden waren.806 Zudem sei die Möglichkeit der Verteidigung, zusätzliche Zeugen zu beantragen, aufgrund des Budgets für Ermittlungen und der aktuellen Sicherheitslage in der DR Kongo nicht möglich.807 Das Strafzumessungsverfahren selbst schloss sich unmittelbar an das Erkenntnisverfahren an. Nachdem am 21. März 2016 der Schuldspruch erging,808 folgte die Anklage, mit zunächst nicht öffentlichem Schriftsatz vom 11. April 2016,809 zu dem am 15. April 2016 eine öffentliche Version erschien.810 Am 18. April 2016 erging die schriftliche Stellungnahme der rechtlichen Vertretung der Opfer mit vertraulichem Schriftsatz.811 Die Anklage stellte bereits hier ihren Antrag und forderte nach Abwägung aller für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände eine Freiheitsstrafe von mindestens 25 Jahren.812 Die Legal Representatives stellten öffentlich erst in der Anhörung einen Antrag zum Strafmaß, und zwar dass der Rechtsfolgenausspruch über die maximale Strafandrohung hinausgehen solle („The appropriate sentence for Mr Bemba, given the extreme seriousness of his crime of which he has been convicted and in view of his level of responsibility should be beyond the maximum sentence set out in Article 78(1) or that in 117(2)“).813 Nachdem daraufhin am 19. April 2016 die Verteidigung zunächst zu Bembas familiärer und persönlicher Geschichte vortrug,814 hiernach die Kanzlei einen Bericht zu Bembas Vermögensverhältnissen und seinem Verhalten während der Haft vorlegte,815 worauf wieder die Verteidigung und die Anklage erwidern konnten,816 trug

806

ICC-01/05-01/08-3054-Red 22-04-2014 Public Redacted Version of Defence Submissions pursuant to the „Decision on closure of evidence and other procedural matters, ICC-01/0501/08-3035“, par. 4. 807 ICC-01/05-01/08-3054-Red 22-04-2014 Public Redacted Version of Defence Submissions pursuant to the „Decision on closure of evidence and other procedural matters, ICC-01/0501/08-3035“, par. 7. 808 ICC-01/05-01/08-3343 21-03-2016 Judgment pursuant to Article 74 of the Statute. 809 ICC-01/05-01/08-3363-Conf 11-04-2016, zitiert nach ICC-01/05-01/08-3399 21-062016 Decision on Sentence Pursuant to Article 76 of the Statute, par. 3 Fn. 4. 810 ICC-01/05-01/08-3363-Red 15-04-2016 Public redacted version of Prosecution’s Sentencing Submissions, 11 April 2016, ICC-01/05-01/08-3363-Conf. 811 ICC-01/05-01/08-3371-Conf. 812 ICC-01/05-01/08-3363-Red 15-04-2016 Public redacted version of Prosecution’s Sentencing Submissions, 11 April 2016, ICC-01/05-01/08-3363-Conf, par. 127. 813 ICC-01/05-01/08-T-370-ENG ET WT 18-05-2016, 36 Zeile 24 – 37 Zeile 1, wobei unklar bleibt, was damit gemeint sein sollte, zumal die maximale Strafandrohung des Art. 77 par. 1 b) die lebenslange Freiheitsstrafe ist. 814 ICC-01/05-01/08-3373 19-04-2016 Defence’s Submissions on Agreed Facts. 815 ICC-01/05-01/08-3375-Conf 22-04-2016 Registry’s Report on Mr Bemba Gombo’s Solvency and Conduct while in Detention, welcher zunächst vertraulich und durch Entscheidung der Hauptverfahrenskammer vom 20.06.2016 als öffentlich eingestuft wurde.

V. Materiellrechtliche Entscheidung

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die Verteidigung am 25. April 2016 zum angemessenen Strafmaß vor, wobei noch kein konkretes Strafmaß genannt wurde.817 Die Anhörungen gemäß Art. 76 Abs. 2 IStGHSt folgten vom 16. bis 18. Mai 2016. Auf Antrag der Verteidigung wurde mit D63 ein kongolesischer Geistlicher818 und auf Antrag der Anklage mit P925 der Director des „Programme of Human Rights in Trauma Mental Health“ vernommen.819 Daneben wurde ein weiteres Mal zwei Opfern die Möglichkeit gegeben, ihre Auffassungen und Anliegen im Sinne von Art. 68 Abs. 3 IStGHSt vorzutragen.820 In den Schlussvorträgen wiederholte die Anklage die Forderung nach einer Mindeststrafe von 25 Jahren Freiheitsstrafe.821 Die Verteidigung auf der anderen Seite verwies auf angeblich vergleichbare Fälle, in denen Kommandeure zu keinen höheren Freiheitsstrafen als zwölf bis 14 Jahren verurteilt wurden822 und beantragte, dass auch hier dieser Strafrahmen nicht überschritten werde.823 Die Hauptverfahrenskammer sah letztlich eine Freiheitsstrafe von 18 Jahren als tat- und schuldangemessen an. c) Berücksichtigung strafschärfender und strafmildernder Umstände Auch im internationalen Verfahren sind gemäß Art. 78 IStGHSt und Regel 145 strafmildernde und strafschärfende Umstände zu berücksichtigen, die sowohl bei Bemba als Vorgesetztem persönlich als auch in den Umständen und Folgen der Haupttaten lagen.824 Berücksichtigt werden sowohl die Schwere des Verbrechens als auch die persönlichen Verhältnisse des Verurteilten, Art. 78 Abs. 1 IStGHSt, und alle strafschärfenden und mildernden Umstände im Sinne von Regel 145 Ziff. 2 VBO. Um Doppelverwertungen zu vermeiden, besteht auch hier die gängige Rechtspre816 ICC-01/05-01/08-3381-Conf bzw. ICC-01/05-01/08-3383-Conf, zitiert nach ICC-01/ 05-01/08-3399 21-06-2016 Decision on Sentence Pursuant to Article 76 of the Statute, par. 7 Fn. 9, 10. 817 ICC-01/05-01/08-3376-Red 26-04-2016 Public Redacted Version of Submissions on Sentence, ICC-01/05-01/08-3376-Conf. 818 ICC-01/05-01/08-T-368-ENG ET WT 16-05-2016, 4 ff. 819 ICC-01/05-01/08-T-368-ENG ET WT 16-05-2016, 70 ff. 820 ICC-01/05-01/08-T-369-Red-ENG WT 17-05-2016, 41 ff. 821 ICC-01/05-01/08-T-370-ENG ET WT 18-05-2016, 30. 822 So wurde auf den Celibici Fall abgestellt, in denen Mucic erstinstanzlich zu sieben Jahren, ICTY IT-96-21-T 16-11-1998 Judgement, und zweitinstanzlich zu neun Jahren Freiheitsstrafe für 11 Fälle von Verbrechen seiner Untergebenen, inklusive vorsätzlicher Tötung und Folter verurteilt wurde ICTY IT-96-21-A 20-02-2001; vgl. im Übrigen zur Historie der Vorgesetztenverantwortlichkeit: Alsharidi, The Consistency of Implementing Command Responsibility in International Criminal Law, 73; Eyes on the ICC 12, 2016, 73; insbesondere zum Jugoslawien Tribunal, 86 f. 823 ICC-01/05-01/08-T-370-ENG ET WT 18-05-2016, 27 f. 824 ICC-01/05-01/08-3399 21-06-2016 Decision on Sentence Pursuant to Article 76 of the Statute, par. 18 ff.

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D. Die erstinstanzlichen Verfahren

chung, Kriterien, die bei der Bewertung der Schwere des Verbrechens herangezogen wurden, nicht zusätzlich als strafschärfenden Umstände im Sinne von Regel 145 Ziff. 2 b) VBO und umgekehrt, in Rechnung zu stellen.825 In diesem Zusammenhang muss bedacht werden, dass die vor dem IStGH verhandelten Verbrechen nach der Präambel allgemein zu den schwersten denkbaren Verbrechen gehören,826 welche im Rahmen der Zulässigkeit bereits eine normierte Erheblichkeitsschwelle überstiegen haben müssen, Art. 17 Abs. 1 d) IStGHSt, bevor sie im Rahmen der Strafzumessung ein weiteres adressiert werden. Inwieweit diese Handhabung im deutschen Recht dem Doppelverwertungsverbot des § 46 Abs. 3 StGB widersprechen könnte, wonach Umstände, die bereits den Tatbestand begründen, nicht auch im Rahmen der Strafzumessung verwertbar sind,827 soll nicht Gegenstand dieser Arbeit sein. Da die ersten beiden Aspekte vornehmlich prozessuale Fragen betreffen, spricht allerdings Einiges gegen eine strafzumessungsrechtliche Doppelverwertung. Nach Art. 78 Abs. 3 IStGHSt ist bei mehreren Straftaten, vergleichbar der Gesamtstrafenbildung im Sinne von § 54 StGB, die Verhängung von Einzelstrafen und einer Gesamtstrafe vorgesehen.828 Die Kammer kam nach Bewertung der nachfolgend kurz umrissenen Kriterien zu folgenden Einzelstrafen: Hinsichtlich der vorsätzlichen Tötungen kam die Kammer zu dem Ergebnis, dass zwar die Tötungen eine ernsthafte Schwere aufwiesen,829 jedoch darüber hinaus keine straferhöhenden Faktoren vorlagen.830 Begründet wurde dies insbesondere damit, dass die Anklage nur drei vorsätzliche Tötungen hinreichend belegen konnte.831 Die Kammer sah hier eine Einzelstrafe von 16 Jahren sowohl für die Verurteilung als Kriegsverbrechen als auch als Verbrechen gegen die Menschlichkeit als angemessen an.832

825 The Prosecutor vs. Thomas Lubanga Dyilo ICC-01/04-01/06-290110-07-2012 Decision on Sentence Pursuant to Article 76 of the Statute, par. 35; The Prosecutor vs. Germain Katanga ICC-01/04-01/07-3484-tENG 23-05-2014 Decision on Sentence Pursuant to Article 76 of the Statute, par. 34 f.; Longworth, in: Hiéramente/Schneider, The Defence in International Criminal Trials, 2016, 200 (213). 826 Vgl. Präambel des Römischen Statuts. 827 Vgl. hierzu etwa MüKoStGB/Miebach/Maier, 3. Aufl. 2016, StGB § 46 Rn. 447 ff.; Kindhäuser/Neumann/Paeffgen/Franz/Streng, 5. Aufl. 2017, StGB § 46 Rn. 125 ff. 828 Vgl. Schabas, 2. Aufl. 2016, Art. 78, 1180 f. 829 ICC-01/05-01/08-3399 21-06-2016 Decision on Sentence Pursuant to Article 76 of the Statute, par. 32. 830 ICC-01/05-01/08-3399 21-06-2016 Decision on Sentence Pursuant to Article 76 of the Statute, par. 33. 831 ICC-01/05-01/08-3399 21-06-2016 Decision on Sentence Pursuant to Article 76 of the Statute, par. 33. 832 ICC-01/05-01/08-3399 21-06-2016 Decision on Sentence Pursuant to Article 76 of the Statute, par. 94.

V. Materiellrechtliche Entscheidung

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Hinsichtlich der Vergewaltigungen kam die Kammer zu dem Schluss, dass äußerste und ernsthafte Schwere vorlag833 und die strafschärfenden Gründe der besonderen Wehrlosigkeit im Sinne von Regel 145 Ziff. 2. (b) (iii) VBO834 und der besonderen Grausamkeit im Sinne von Regel 145 Ziff. 2. (iv) VBO gegeben sind.835 Die besondere Grausamkeit begründete die Kammer unter anderem damit, dass einige der zugrundeliegenden Akte besonders sadistisch ausgeführt wurden, da oftmals ganze Familien – inklusive ältere Menschen, Männer, Frauen und Kinder während derselben Angriffe und von den selben Soldaten viktimisiert wurden, die andere Familienmitglieder vergewaltigt, getötet und deren Besitztümer geplündert haben.836 Hier gelangte die Kammer zu einer Einzelfreiheitsstrafen von 18 Jahren.837 Auch die Plünderungen waren von einer besonderen Schwere und wurden in einer Art und Weise ausgeführt, dass strafschärfende Umstände angenommen wurden. Bemerkenswert war hier, dass die Kammer zu keiner einheitlichen Überzeugung kam. Während die Mehrheit der Kammer der Meinung war, dass die Plünderungen den strafschärfenden Tatbestand der besonderen Grausamkeit im Sinne von Regel 145 Ziff. 2 (b) (iv) VBO erreicht hatten, ging die Vorsitzende Richterin Steiner vom Vorliegen des den Tatbestand der Regel 145 Ziff. 2 (b) (iii) VBO – besondere Wehrlosigkeit der Opfer – aus, konnte sich aber nicht durchsetzen.838 Hinsichtlich der Plünderungen wurde eine Einzelstrafe von 16 Jahren als tat- und schuldangemessen angesehen.839 Bemba persönlich wurde in erster Linie die über viereinhalb Monate andauernde Kenntnis und die sich damit wiederholende Säumnis, effektive Gegenmaßnahmen zu ergreifen, angelastet.840 Da die Kammer der Auffassung war, dass in der höchsten Einzelstrafe von 18 Jahren für die Verbrechen der Vergewaltigungen die gesamte Verantwortlichkeit Bembas wiedergegeben sei, entschied sie, dass die Rechtsfolgen für alle fünf verwirklichten materiellen Tatbestände insgesamt dieser Schuld zu entsprechen haben.841 833 ICC-01/05-01/08-3399 21-06-2016 Decision on Sentence Pursuant to Article 76 of the Statute, par. 40. 834 ICC-01/05-01/08-3399 21-06-2016 Decision on Sentence Pursuant to Article 76 of the Statute, par. 41 ff. 835 ICC-01/05-01/08-3399 21-06-2016 Decision on Sentence Pursuant to Article 76 of the Statute, par. 44 ff. 836 ICC-01/05-01/08-3399 21-06-2016 Decision on Sentence Pursuant to Article 76 of the Statute, par. 45. 837 ICC-01/05-01/08-3399 21-06-2016 Decision on Sentence Pursuant to Article 76 of the Statute, par. 94. 838 ICC-01/05-01/08-3399 21-06-2016 Decision on Sentence Pursuant to Article 76 of the Statute, par. 57 f. 839 ICC-01/05-01/08-3399 21-06-2016 Decision on Sentence Pursuant to Article 76 of the Statute, par. 94. 840 ICC-01/05-01/08-3399 21-06-2016 Decision on Sentence Pursuant to Article 76 of the Statute, par. 57. 841 ICC-01/05-01/08-3399 21-06-2016 Decision on Sentence Pursuant to Article 76 of the Statute, par. 95.

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D. Die erstinstanzlichen Verfahren

4. Zusammenfassung Obwohl die formalen Positionen der Angeklagten innerhalb ihrer Organisation – zumindest bezogen auf Dr. M. und Bemba – vergleichbar erscheinen und keiner direkt an Kampfhandlungen beteiligt war, ergingen, den Feststellungen zu den Einflussmöglichkeiten auf die Soldaten geschuldet, erstinstanzlich unterschiedliche Schuldsprüche. Dr. M. wurde „nur“ als Gehilfe, Bemba hingegen als verantwortlicher Befehlshaber verurteilt. Von besonderem Interesse sind daher die Überlegungen der zweiten Instanz, die in beiden Verfahren zur Aufhebung der Verurteilung führten. Auch im deutschen Verfahren führte die Revision der Verteidigung dazu, dass die Beihilfestrafbarkeit des Dr. M. aufgehoben wurde und es zu einer erneuten Verhandlung vor dem OLG Stuttgart kommen sollte. Ob der beauftragte andere Senat des OLG Stuttgart erneut zu einer Beihilfestrafbarkeit gelangt wäre ist aufgrund des Todes Dr. Ms nicht mehr zu klären. Im Bemba-Verfahren wurden die Rechtsfolgen im Rahmen eines Schuldinterlokutes aufgrund eines eigenen Verfahrens getrennt vom Schuldspruch ermittelt. Ein Prozedere, das der StPO fremd ist.

E. Die zweitinstanzlichen Entscheidungen In beiden Verfahren wurden die Verurteilungen in den völkerstrafrechtlich relevanten Punkten aufgehoben. Während in Karlsruhe die Sache zur weiteren Verhandlung an das OLG Stuttgart zurückverwiesen wurde, erging in Den Haag ein Freispruch. Die Schwerpunkte der beiden zweitinstanzlichen Entscheidungen sollen im Folgenden dargestellt werden.

I. Revisionsentscheidung des BGH vom 20. Dezember 2018 Die Revisionsentscheidung des BGH vom 20. Dezember 2018 hob das erstinstanzliche Urteil, soweit es auf den Angeklagten Dr. M. bezogen war, in Teilen auf.1 Nicht aufgehoben wurden weitestgehend die Feststellungen zur Entwicklung der FDLR und den Geschehnissen in der DR Kongo. Das Urteil gegen den Angeklagten M. wurde aufrechterhalten und die Revisionen des Angeklagten und des Generalbundesanwalts verworfen.2 Der folgende Abschnitt befasst sich zunächst mit den verfahrensrechtlichen Aspekten, denen der BGH zwar besondere Bedeutung beimaß,3 auf die sich die Aufhebung aber nicht stützte. Dies betraf zum einen das Prozesshindernis des Strafklageverbrauchs gemäß Art. 103 Abs. 3 GG und den Rügekomplex „neuer Pflichtverteidiger“. Daraufhin werden die materiellrechtlichen Einwände dargestellt, die Anlass für die Aufhebung des Urteils des OLG Stuttgarts wurden. Betroffen waren insbesondere die Feststellungen des OLGs zur Kausalität der Beihilfehandlungen des Dr. M. sowie die Feststellung und Begründung des Gehilfenvorsatzes. 1. Verfahrenshindernis des Strafklageverbrauchs Der Angeklagte Dr. M. rügte, dass durch seine Verurteilung der ne-bis-in-idemGrundsatz, das Doppelbestrafungsverbot des Art. 103 Abs. 3 GG verletzt worden sei. Hintergrund des Revisionsvortrags war die Verurteilung des Amtsgerichts Mann1 Vgl. BGH, Urteil vom 20.12.2018, 3 StR 236/17; Deppe, Beitrag vom 20.12.2018, https:// www.tagesschau.de/ausland/kongo-kriegsverbrecherprozess-101.html, zuletzt zugegriffen am 20.12.2018. 2 Vgl. BGH, Urteil vom 20.12.2018, 3 StR 236/17, Tenor Ziff. 2. 3 Im Hinblick auf die Verfahrensbeanstandungen verwies der BGH weitgehend auf die Antragsschrift des Generalbundesanwalts, vgl. BGH Urteil vom 20.12.2018, 3 StR 236/17, Rn. 37, auf die im Folgenden jedoch nicht näher eingegangen wird.

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E. Die zweitinstanzlichen Entscheidungen

heim vom 03. März 2009 i. V. m. einem Urteil des Landgerichts Mannheim vom 18. Juni 2009, wonach Dr. M. wegen Zuwiderhandlung gegen eine ausländerrechtliche vollziehbare Anordnung in 13 Fällen rechtskräftig zu einer Freiheitsstrafe von sechs Monaten unter Strafaussetzung zur Bewährung verurteilt wurde.4 Jene Verurteilung sanktionierte gemäß § 95 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG die Missachtung des auf § 47 AufenthG gestützte Verbot der Stadt Mannheim vom 02. Mai 2006, sich politisch für die FDLR zu betätigen und Ämter in ihr auszuüben.5 „Wäre der Angeklagte damals – auf der Grundlage der nunmehr getroffenen Feststellungen der materiellen Rechtslage entsprechend – auch wegen Rädelsführerschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung verurteilt worden, wäre bei allen 13 abgeurteilten Straftaten nach § 95 Abs. 1 Nr. 4 AufenthG jeweils von Tateinheit mit dem Organisationsdelikt der § 129a Abs.1 Nr. 1, Abs. 4, § 129b Abs. 1 Satz 1 StGB auszugehen.“6

Einheitliche Handlungen im Sinne von § 52 StGB stellen stets auch eine einheitliche prozessuale Tat dar.7 Vom OLG Stuttgart wurden jedoch auch solche Straftaten betrachtet, die möglicherweise gegen andere Gesetze, wie etwa der Beihilfe zu Kriegsverbrechen, verstießen. Zu solchen Taten stehen die nach dem AufenthG verurteilten Taten in Tatmehrheit.8 Die 13 Handlungen (z. B. Presseerklärungen für die FDLR), die Dr. M. von September 2007 bis November 2008 begangen hatte und der Vorverurteilung zugrunde lagen, seien sachlich-rechtlich i. S. v. § 53 StGB und somit auch prozessual selbstständig i. S. v. § 264 StPO.9 Ein Strafklageverbrauch kam daher bereits aus konkurrenzrechtlicher Sicht nicht in Betracht und zwar unabhängig von den etwaig noch erfüllten Tatbeständen und deren Schwere,10 also der Frage, ob auch die der Vorverurteilung zugrunde liegenden Handlungen den Tatbestand der Rädelsführerschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung im Sinne des § 129a As. 1 StGB, Abs. 4, § 129b Abs. 1 S. 1 StGB erfüllt hätten. Dass es sich materiellrechtlich um getrennte Vorgänge gehandelt haben muss, ergibt sich bereits aus dem betrachteten Tatzeitraum, behandelte das Amtsgericht Mannheim in seinem Urteil vom 03. März 2009 politische Betätigungen und die Ausübung von Ämtern in der FDLR zwischen September 2007 und November 2008, bezogen sich die vom OLG Stuttgart betrachteten Handlungen – u. a. Ausstattung mit Satellitentelefonen, Öffentlichkeits- und Propagandatätigkeit – auf solche Handlungen, die im unmittelbaren Vorlauf bzw. parallel zu den Überfällen im Frühling und Sommer 2009 erfolgten.

4

BGH Urteil vom 20.12.2018, 3 StR 236/17, Rn. 33. BGH Urteil vom 20.12.2018, 3 StR 236/17, Rn. 33. 6 BGH Urteil vom 20.12.2018, 3 StR 236/17, Rn. 42. 7 Vgl. Meyer-Goßner/Schmitt, 62. Aufl. 2019, § 264 Rn. 2, 6. 8 BGH Urteil vom 20.12.2018, 3 StR 236/17, Rn. 42. 9 Vgl. BGH, Beschluss vom 09.07.2015, 3 StR 537/14, Rn. 47; Meyer-Goßner/Schmitt, 62. Aufl. 2019, § 264 Rn. 2, 6; MüKoStPO/Norouzi, 1. Aufl. 2016, StPO § 264 Rn. 3. 10 BGH Urteil vom 20.12.2018, 3 StR 236/17, Rn. 36. 5

I. Revisionsentscheidung des BGH vom 20. Dezember 2018

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2. Rügekomplex neuer Pflichtverteidiger Im Verfahren gegen Dr. M. wurde die Thematik rund um die Bestellung eines weiteren Pflichtverteidigers in den öffentlich zugänglichen Primärquellen erst im Rahmen der Revisionsentscheidung des BGH detailliert behandelt.11 Dort bildete er den zweiten verfahrensrechtlichen Komplex, auf den der BGH einging. Der nachfolgend dargestellte Sachverhalt wurde im Rahmen der Verfahrensrüge der Verteidigung sowohl als ursächlicher Verfahrensfehler im Sinnes eines absoluten Revisionsgrundes gemäß § 338 Nr. 5 und Nr. 8, 141, 142 Abs. 1, 265 Abs. 4 StPO als auch als Verletzung der Grundsätze des fairen Verfahrens aus Art. 6 Abs. 3 lit c EMRK, Art. 20 Abs. 3 GG i. V. m. Art. 2 Abs. 1 GG geltend gemacht.12 a) Bestellung des Rechtsanwalts E. als Pflichtverteidiger Aufgrund des Umfangs und der Schwierigkeit des Verfahrens war dem Angeklagten neben Rechtsanwältin L. ein zweiter Pflichtverteidiger, Rechtsanwalt S., beigeordnet worden.13 Aus gesundheitlichen Gründen konnte dieser jedoch ab dem 230. (von 320) Verhandlungstagen nicht mehr an der Hauptverhandlung teilnehmen. Den beiden von Dr. M. als Ersatz für Rechtsanwalt S. vorgeschlagenen Rechtsanwälten, Rechtsanwälte R. und N., gab der Vorsitzende Richter mit Schreiben vom 25. und 30. Juli 2014 zu verstehen, dass eine Bestellung als Pflichtverteidiger nur in Betracht käme, wenn sie künftig an sämtlichen Hauptverhandlungsterminen teilnehmen und bereit sind, sich in der bevorstehenden einmonatigen Sommerunterbrechung bis zum 14. September 2014 in das Verfahren einzuarbeiten, und „daher keinen Aussetzungsoder Unterbrechungsantrag zur Einarbeitung (…) stellen würden.“14 Da beide Rechtsanwälte sich nicht imstande sahen, im Voraus auf Unterbrechungs- und Aussetzungsanträge zu verzichten,15 bestellte der Vorsitzende am 07. August 2014 Rechtsanwalt E. zum dritten Pflichtverteidiger (neben L. und S.) des Angeklagten, da dieser zugesagte hatte, auf entsprechende Anträge zu verzichten.16 Den seitens der Rechtsanwältin L. und auch von Rechtsanwalt E. selbst mehrfach gestellten Entpflichtungsanträgen, die auf ein fehlendes Vertrauensverhältnis und die nicht stattfindende Kommunikation zwischen dem Angeklagten und Rechtsanwalt E. gestützt wurden, gab der Senat, zuletzt mit Beschlüssen vom 25. März 2015, nicht statt.17 11

Vgl. jedoch beispielhafte Schilderung des angespannten Verhältnisses zwischen Rechtsanwältin L. bzw. Dr. M. und Rechtsanwalt E. in Johnson/Schlindwein/Schmolze, 2016, 389. 12 BGH Urteil vom 20.12.2018, 3 StR 236/17, Rn. 38. 13 BGH Urteil vom 20.12.2018, 3 StR 236/17, Rn. 40; Rechtsgrundlage weder im Urteil des OLG noch im BGH Urteil benannt, sie dürfte aber § 140 Abs. 2 S. 2 StPO gewesen sein. 14 Vgl. BGH Urteil vom 20.12.2018, 3 StR 236/17, Rn. 41. 15 Vgl. BGH Urteil vom 20.12.2018, 3 StR 236/17, Rn. 42. 16 Vgl. BGH Urteil vom 20.12.2018, 3 StR 236/17, Rn. 43. 17 Vgl. BGH Urteil vom 20.12.2018, 3 StR 236/17, Rn. 46.

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E. Die zweitinstanzlichen Entscheidungen

b) Unzulässigkeit der Rüge wegen unzutreffenden Sachvortrags Die Rüge des Dr. M. war bereits unzulässig, da sie sich auf einen unzutreffenden Sachvortrag stützte und es dem Senat folglich nicht möglich war, die Beiordnungsentscheidung allein auf Grundlage des Revisionsvorbringens zu prüfen.18 Der Sachvortrag des Angeklagten Dr. M. beinhaltete die Behauptung, das Gericht habe nach Bekanntwerden der Erkrankung des Rechtsanwalts S. zu lange zugewartet und so die vermeintliche Zeitnot erst herbeigeführt, die eine unmittelbare Einarbeitung und den Verzicht auf Aussetzungsanträge aus Sicht des OLG Stuttgart erforderlich gemacht hatte.19 Insbesondere wurde ausgeführt, dass nach Bekanntwerden der Erkrankung des Rechtsanwalts S. am 23. Mai 2014 zwei Monate lang im Hinblick auf das Defizit der Verteidigung „nichts“ geschehen sei.20 Dem konnte jedoch entgegengehalten werden, dass im unmittelbaren Anschluss eine beachtliche schriftliche Korrespondenz zwischen dem Vorsitzenden und Rechtsanwalt S. erfolgt sei, die auf die Sicherstellung der Verteidigung abzielte. Der Sachvortrag war demnach unrichtig und verletzte das Schlüssigkeitsgebot des § 344 Abs. 2 StPO.21 c) Auswahl und Beiordnung gemäß § 142 Abs. 1 StPO Darüber hinaus wies der BGH, unter anderem mit Verweis auf die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts,22 darauf hin, dass § 142 Abs. 1 StPO dem Beschuldigten kein Rechtsanspruch auf die Bestellung eines bestimmten Verteidigers gewähre. Jedoch seien bei der Entscheidung die Interessen des Beschuldigten zu berücksichtigen.23 Dem Grundsatz des fairen Verfahrens sei zudem zu entnehmen, dass einem zeitgerecht vorgetragenen Wunsch grundsätzlich zu entsprechen sei, es sei denn, wichtige Gründe stehen dem entgegen.24 Im vorliegenden Fall erachtete der Vorsitzende das Beschleunigungsgebot in Haftsachen als einen wichtigen Grund für die Beiordnung des Rechtsanwalts E. Im Hinblick darauf, dass Rechtsanwalt S. bereits seit drei Monate krankheitsbedingt nicht erschienen war, ebenfalls wegen einer Erkrankung von Rechtsanwältin L. bereits ein Hauptverhandlungstermin ausgefallen war und eine fast einmonatige Sommerunterbrechung bevorstand, drohte eine weitere Aussetzung des Verfahrens wegen Überschreitung der Höchstunterbrechungsfrist des § 229 StPO.25 In Anbetracht dieser Umstände begründete es nach 18

Vgl. BGH Urteil vom 20.12.2018, 3 StR 236/17, Rn. 51. Vgl. BGH Urteil vom 20.12.2018, 3 StR 236/17, Rn. 50 f. 20 Vgl. BGH Urteil vom 20.12.2018, 3 StR 236/17, Rn. 52. 21 Vgl. auch BGH, Beschluss vom 30.09.2015 – 5 StR 388/15; MüKoStPO/Knauer/Kudlich, 1. Aufl. 2019, StPO § 344 Rn. 105; Meyer-Goßner/Schmitt, 62. Auflage 2019, § 344 Rn. 22. 22 Vgl. BVerfG, Beschluss vom 24. Juli 2008 – 2 BvR 1146/08. 23 Vgl. BGH, Urteil vom 20.12.2018, 3 StR 236/17, Rn. 54. 24 Vgl. BGH Urteil vom 20.12.2018, 3 StR 236/17, Rn. 54; BVerfG, Beschluss vom 02. März 2006 – 2 BvQ 10/06, NStZ 2006, 460, 461. 25 Vgl. BGH, Urteil vom 20.12.2018, 3 StR 236/17, Rn. 56. 19

I. Revisionsentscheidung des BGH vom 20. Dezember 2018

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Ansicht des BGH keinen Ermessensfehler, dem Beschleunigungsgebot den Vorrang gegenüber der Auswahl des Wunschverteidigers des Angeklagten zu gewähren.26 Bezieht man daneben zulässigerweise in die Abwägung mit ein, dass Dr. M. durch mehrere Rechtsanwälte verteidigt wurde,27 und bei der Hauptverteidigerin, zu der Dr. M. ein ausreichend großes Vertrauensverhältnis hegte – soweit ersichtlich – keine Anzeichen bestanden, dass diese in absehbarer Zeit ebenfalls auszufallen drohte, war die Aufrechterhaltung der Verteidigung insgesamt nie ernsthaft gefährdet. Zudem ergibt sich aus der Rechtsprechung des BGH, dass es nicht erforderlich ist, dass in jedem Verhandlungstermin alle vorhandenen Verteidiger anwesend sind,28 und somit, dass die Verteidigung durch einen Rechtsanwalt grundsätzlich ausreichend ist. d) Keine Entpflichtung Auch die fortwährende Weigerung, die Beiordnung von Rechtsanwalt E. wieder aufzuheben, war nach Ansicht des BGH nicht rechtsfehlerhaft. Die Entpflichtung des Verteidigers ist unabhängig von § 143 StPO29 gesetzlich nicht vorgesehen und nach der Rechtsprechung nur dann zulässig, wenn die Sicherung und der ordnungsgemäße Verlauf des Verfahrens anderenfalls ernsthaft gefährdet wäre.30 Maßstab hierfür ist die Sicht eines verständigen Angeklagten.31 Ein gestörtes Vertrauensverhältnis kommt zwar als Aufhebungsgrund in Betracht, scheidet aber dann aus, wenn die Störung ausschließlich auf ein Verschulden des Angeklagten zurückzuführen ist.32 Diese klare Verschuldenszuordnung zu Lasten des Angeklagten wurde jedoch nach Ansicht des BGH in den ablehnenden Entscheidungen des OLG Stuttgarts vom 15. September 2014 , 03. November 2014, 11. Dezember 2014 sowie vom 25. März 2015 ausreichend dargelegt.33 Insbesondere hatte der Angeklagte ohne ersichtlichen Anlass jegliche Kommunikation mit Rechtsanwalt E. verweigert34 und auch die von diesem gestellte Strafanzeige – der Angeklagte hatte ihn einen „Verbrecher“ genannt35 – schuldhaft provoziert.36 Wie der BGH ausdrücklich bestätigte, sind die Anforderungen, die an das Revisionsvorbringen gestellt werden, um Einwände gegen das Unterlassen der Entpflichtung durchdringen zu lassen, höher als im 26

Vgl. BGH, Urteil vom 20.12.2018, 3 StR 236/17, Rn. 56. Vgl. BGH, Urteil vom 24.02.2016 @ 2 StR 319/15 Rn. 25. 28 Vgl. BGH NStZ 2017, 59, (62). 29 Konstellation, in der ein Wahlverteidiger den bestellten Verteidiger ersetzt. 30 Vgl. BVerfG, Beschluss vom 25.09.2001 – 2 BvR 1152/01, NJW 2001, 3695. 31 Vgl. BGH, Beschluss vom 18.11.2003 – 1 StR 481/03, NStZ 2004, 632, 633. 32 Vgl. BGH, Urteil vom 20.12.2018, 3 StR 236/17, Rn. 65; BGH, Urteil vom 26.08.1993 – 4 StR 481/03, BGHSt 39, 310, 314 f.; BGH, Beschluss vom 12.02.2008 – 1 StR 649/07, StV 2009, 5 (7). 33 Vgl. BGH, Urteil vom 20.12.2018, 3 StR 236/17, Rn. 66. 34 Vgl. BGH, Urteil vom 20.12.2018, 3 StR 236/17, Rn. 45, 65. 35 Vgl. BGH, Urteil vom 20.12.2018, 3 StR 236/17, Rn. 45. 36 Vgl. BGH, Urteil vom 20.12.2018, 3 StR 236/17, Rn. 66. 27

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E. Die zweitinstanzlichen Entscheidungen

Rahmen der Bestellung. Dies ist angesichts der unterschiedlichen Gesetzeslage konsequent. Anders als im Rahmen der Bestellung in § 142 Abs. 1 StPO ist ein Regelverhältnis zugunsten des Angeklagten in § 143 StPO nicht vorgesehen. e) Exkurs: Kontinuität der Verteidigung im Verfahren gegen Bemba Auch Bemba konnte nicht während des gesamten Verfahrens auf dieselbe Verteidigungsmannschaft zurückgreifen.37 Auf den Antrag des Anklägers vom 19. November 2013 entband das Präsidium des IStGHSt am 20. November 2013, also wenige Tage vor Ende der Beweisaufnahme, die beiden zu verfolgenden Verteidiger Lead Defence Counsels Aimé Kilolo-Musamba und Case Manager JeanJacques Mangende Kabongo von ihrer strafrechtlichen Immunität gemäß Art. 48 IStGHSt i. V. m. Art. 18 und 26 des „Agreement on Privileges and Immunities“ (API),38 sodass deren Festnahme in Belgien und den Niederlanden möglich war.39 In der Folge musste Bemba sein Verteidigerteam umstrukturieren. Bereits am 28. November 2013 fand hierzu eine status conference statt.40 Zwar war zu diesem Zeitpunkt die Entscheidung der künftigen personellen Aufstellung des Verteidigerteams noch nicht endgültig gefallen, es zeichnete sich aber bereits ab, wie die personelle Aufstellung für den Rest des Verfahrens aussehen sollte.41 Um die Kontinuität zu wahren, übernahmen die Rollen der beiden ausgeschiedenen Verteidiger die auch bisher schon am Verfahren beteiligten Peter Haynes als Lead Counsel (zuvor Co-Counsel), an den bereits ab März 2012 die Zustellungen der gerichtlichen Entscheidungen erfolgten,42 und Kate Gibson als Co-Counsel (zuvor Legal Advisor).43 Als Case Manager trat nunmehr Natacha Lebaindra auf, die soweit

37

Anders als nach deutschem Prozessrecht wäre es Bemba auch möglich gewesen sich selbst zu verteidigen. Diese Möglichkeit sehen Art. 67 Abs. 1 d) IStGHSt und Regel 21 Nr. 4 VBO ausdrücklich vor, vgl. Ambos, 2016, 142. 38 ICC-01/05-01/08-3001 03-04-2014, Decison on the urgent application of the Single Judge of Pre-Trial Chamber II of 19 November 2013 for the waiver of the immunity of lead defence counsel and the case manager for the defence in the case of The Prosecutor v. JeanPierre Bemba Gombo, ursprünglich ICC-01/05-68-US-Exp 20-11-2013; vgl. zu den Vorwürfen: Ausführungen unter D. IV. 2. b. ee). 39 ICC-01/05-01/13-1989-Red 19-10-2016 Judgment pursuant to Article 74 of the Statute, par. 2. 40 ICC-01/05-01/08-T-359-ENG ET WT 28-11-2013. 41 ICC-01/05-01/08-T-359-ENG ET WT 28-11-2013, 3. 42 Nkwebe Liriss war bis Februar 2012 principal counsel, wurde jedoch zumindest als Zustellungsempfänger der Entscheidungen ab März 2013 von Peter Haynes abgelöst wurde, vgl. etwa ICC-01/05-01/08-2141 24-02-2012 Decision on defence disclosure and related issues und ICC-01/05-01/08-2173 23-03-2012 Decision on the „Prosecution’s request for leave to reply to Defence Response to the Prosecution’s Application for Admission of Evidence from the Bar Table“. 43 ICC-01/05-01/08-T-361-Red-ENG WT 22-10-2014 2/72 SZ T (erneute Vernehmung von P169 = erster Verhandlungstag nach den Ereignissen im November 2013).

I. Revisionsentscheidung des BGH vom 20. Dezember 2018

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ersichtlich nicht von Beginn des Verfahrens zu Bembas Verteidigerteam gehörte.44 Lediglich Peter Haynes und Kate Gibson waren vom ersten Verfahrenstag an Mitglied der Verteidigung und traten für Bemba nach außen auf. Anders als im deutschen Verfahren war der Wechsel innerhalb der Verteidigung nicht Gegenstand der zweitinstanzlichen Entscheidung. 3. Sachrügen der Verteidigung und des Generalbundesanwalts Die oben dargestellten verfahrensrechtlichen Einwände drangen nicht durch. Die materiellrechtlichen Rügen sowohl der Verteidigung als auch des GBA führten hingegen zur Aufhebung des Urteils. Zwar handelte es sich aus Sicht des BGH bei den einzelnen Überfällen um teilnahmefähige Kriegsverbrechen, rechtlich fehlerhaft war aber die Bewertung, dass die festgestellten Handlungen des Dr. M. eine Verurteilung wegen Beihilfe tragen konnten. a) Teilnahmefähige Haupttat Der BGH bestätigte die insoweit rechtsfehlerfrei getroffenen Urteilsfeststellungen, dass die FDLR-Milizionäre bei den Angriffen auf die Siedlungen Mianga, Busurungi im Chiriba und Manje Kriegsverbrechen gegen Personen gemäß § 8 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 6 Nr. 2 VStGB sowie Kriegsverbrechen gegen Eigentum und sonstige Rechte gemäß 9 Abs. 1 Var. 1 und 2 VStGB begangen hatten45 und somit grundsätzlich teilnahmefähige Haupttaten vorlagen.46 Kritisch, aber im Ergebnis nicht entscheidend, sah der BGH die fehlende Unterscheidung zwischen diesen beiden Tatbeständen im Urteilstenor.47 Auf die Revision des GBAs hin ging der BGH über die rechtliche Bewertung des OLG hinaus, wonach die zugrunde liegenden Taten keine Verbrechen gegen die Menschlichkeit im Sinne von § 7 Abs. 1 Nr. 1 VStGB darstellten.48 Letzteres hatte sich nicht die Überzeugung bilden können, dass in den fünf Ortschaften der zivile Charakter der angegriffenen Ortschaften überwogen hatte und daher das Vorliegen einer reinen Zivilbevölkerung, mithin ein tauglichen Tatobjekts verneint.49

44 ICC-01/05-01/08-T-359-ENG ET WT 28-11-2013, 3; ICC-01/05-01/08-T-32-ENG CT WT 22-11-2010, 4. 45 BGH, Urteil vom 20.12.2018, 3 StR 236/17, Rn. 71. 46 BGH, Urteil vom 20.12.2018, 3 StR 236/17, Rn. 93; vgl. Ausführungen unter C. II. 1. c). 47 Insoweit ein Verstoß gegen § 260 Abs. 4 S. 1, 2 StPO, vgl. BGH, Urteil vom 20.12.2018, 3 StR 236/17, Rn. 70; Meyer-Goßner/Schmitt, 62. Auflage 2019, § 260 Rn. 22 f. 48 Vgl. Ausführungen unter D. V. 1. a) ee); BGH, Urteil vom 20.12.2018, 3 StR 236/17, Rn. 160 ff. 49 OLG Stuttgart, Urteil vom 28.09.2015, 5 – 3 StE 6/10 Teil 4 A. I. 1 c) bb).

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E. Die zweitinstanzlichen Entscheidungen

Die Angriffe wurden dabei jeweils als einheitliche Lebensvorgänge betrachtet, die sich gegen Ortschaften richteten, aus denen heraus die FDLR zuvor von den dort stationierten kongolesischen Soldaten attackiert wurde.50 Der BGH sah jedoch während der Überfälle jeweils eine Zäsur sobald die kongolesischen Soldaten überwältigt waren. Hiernach lag die Kontrolle über die Ortschaften und die sich darin befindliche Zivilbevölkerung in der Hand der FDLR. Spätestens ab diesem Zeitpunkt richteten sich die Tötungshandlungen ausschließlich gegen die ortsansässige Zivilbevölkerung als Ganzes, sodass ein taugliches Tatobjekt gegeben war.51 Die vom BGH vollzogene scharfe Trennung und Betonung des Kontrollwechsels findet seine Rechtfertigung unter anderem in der Behandlung sog. Distanzangriffe im deutschen Recht. Während nach dem Römischen Statut gemäß Art. 8 Abs. 2 c) IStGHSt i. V. m. Art. 3 GK I Distanzangriffe als Kriegsverbrechen gegen Personen einzuordnen sind,52 sind sie nach deutschem Strafrecht nur als Einsatz verbotener Methoden der Kriegsführung strafbar, § 11 VStGB.53 Um zu einer Strafbarkeit als Kriegsverbrechen gegen Personen zu gelangen, verlangt das deutsche Strafrecht besondere Feststellungen hinsichtlich der militärischen Verhältnisse und des Merkmals, ob sich die getötete Person „in der Gewalt der gegnerischen Partei“ befindet, § 8 Abs. 6 Nr. 2 VStGB. Diese bei der Abgrenzung zwischen Kriegsverbrechen gegen Personen und verbotene Kriegsführung erforderlichen Feststellungen zum Tatbestandsmerkmal „in der Gewalt der gegnerischen Partei befindlich“ können selbstverständlich auch bei der Subsumtion des Tatobjekts „Zivilbevölkerung“ im Rahmen von § 7 VStGB herangezogen werden. b) Objektive Förderung im Sinne von § 2 VStGB, § 27 StGB Entscheidend für die Aufhebung der Verurteilung war aber, dass der BGH die Feststellungen und rechtliche Schlussfolgerung des OLG zur objektiven Förderung oder Erleichterung der Haupttat nicht mittragen konnte. Das OLG hatte die strafbaren Beihilfehandlungen des Dr. M. zum einen durch das Beschaffen von Satellitentelefonen im Sinne physischer Beihilfe und zum anderen durch die fortwährende Propagandaarbeit im Sinne psychischer Beihilfe gesehen.54 Insgesamt auf 18 einzelne Versorgungsakte zwischen Dezember 2007 bis Au50

OLG Stuttgart, Urteil vom 28.09.2015, 5 – 3 StE 6/10 Teil 4 A. I. 1 c) aa). BGH, Urteil vom 20.12.2018, 3 StR 236/17, Rn. 82, 165; a. A. Gierhake, NJW 2019, 1779 (1781). 52 Vgl. The Prosecutor vs. Abdallah Banda ICC-02/05-03/09, 07-03-2011, Corrigendum of the „Decision on the Confirmation of Charges“, par. 88 f.; MüKoStGB/Geiß/Zimmermann, 3. Aufl. 2018, VStGB § 8 Rn. 92. 53 BGH, Urteil vom 20.12.2018, 3 StR 236/17, Rn. 88. 54 Vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 28.09.2015, 5 – 3 StE 6/10 Teil 4 A. IV. b); BGH, Urteil vom 20.12.2018, 3 StR 236/17, Rn. 101. 51

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gust 2009 stellte es hierbei ab.55 Die Urteilsausführungen litten jedoch nach Ansicht des BGH daran, „dass kein konkreter Bezug der einzelnen Tätigkeiten des Angeklagten Mu. zu den Haupttaten und zu dessen hierauf bezogenen Vorsatz hergestellt wird.“56 Konkret seien die ersten zehn Zuwendungen vor Beginn der Offensive „Kimia II“ am 02. März 2009 erfolgt, als Dr. M. nicht ausschließbar noch keinen Vorsatz in Bezug auf die Kriegsverbrechen hatte. Die letzten vier Zuwendungen fielen in die Monate Juli bis August 2009 als die Haupttaten bereits beendet waren.57 Bei den übrigen vier Zuwendungen fehlten nach Ansicht des BGH Ausführungen dazu, wie sich diese konkret förderlich auf die begangenen Kriegsverbrechen auswirkten. Erforderlich wären Feststellungen gewesen, dass die beschafften Mittel für die Satellitentelefonie während der Operationen zumindest konkret zur Verfügung gestanden hätten.58 Ähnliches galt für die angenommene psychische Beihilfe, für die das OLG Stuttgart auf die fortwährende Propagandatätigkeit und schriftlichen Botschaften an die FDLR-Milizionäre abstellte. Auch hier ging nach Meinung des BGH die objektive Förderung oder Erleichterung nicht aus den Urteilsgründen des OLG hervor. Bei den unterstützten Haupttätern sei, nach Ansicht des BGH, zwischen den „einfachen“ Soldaten und der militärischen Führung zu unterscheiden. Das OLG habe jedoch für keine der Gruppen eine objektive Förderung durch die Handlungen des Dr. M. rechtsfehlerfrei festgestellt: Die Urteilsgründe tragen insbesondere nicht die Annahme, die Soldaten seien durch die Beiträge des Dr. M. in ihrem Willen bestärkt worden, in den vier benannten Ortschaften die konkreten Kriegsverbrechen zu begehen, indem sie unabhängig von Gefechten mit der kongolesischen Armee Zivilisten töten, Häuser niederbrennen und plündern.59 Vielmehr stehe zu besorgen, dass das OLG im Hinblick auf die Milizionäre lediglich eine „pauschale Betrachtung“ vorgenommen habe, was dadurch bestätigt werde, dass die Förderungswirkung nicht konkret dargelegt, sondern mit einer „allgemeinen Wahrscheinlichkeitsbetrachtung“ begründet wurde.60 Hinsichtlich der FOCA-Führungskräfte bestätigte der BGH zwar seinen Beschluss vom 20. September 2016,61 wonach psychische Beihilfe auch leisten kann, wer bewusst daran mitwirkt, für Straftaten Bedingungen zu schaffen, die für den Tatentschluss der anordnenden Führungspersonen wesentlich sind.62 Demnach wäre 55 Vgl. OLG Stuttgart, Urteil vom 28.09.2015, 5 – 3 StE 6/10 Teil 4 D. IV. 5. b) aa); BGH, Urteil vom 20.12.2018, 3 StR 236/17, Rn. 99. 56 BGH, Urteil vom 20.12.2018, 3 StR 236/17, Rn. 98. 57 Vgl. BGH, Urteil vom 20.12.2018, 3 StR 236/17, Rn. 99; Ausführungen unter C. II. 2. c). 58 Vgl. BGH, Urteil vom 20.12.2018, 3 StR 236/17, Rn. 98; BGH, Urteil vom 16. November 2006 – 3 StR 139/06, NJW 2007, 384 (388). 59 Vgl. BGH, Urteil vom 20.12.2018, 3 StR 236/17, Rn. 103. 60 Vgl. BGH, Urteil vom 20.12.2018, 3 StR 236/17, Rn. 104. 61 Vgl. BGH, Beschluss vom 20.09.2016 – 3 StR 49/16, BGHSt 61, 252, 260 f. 62 Vgl. BGH, Urteil vom 20.12.2018, 3 StR 236/17, Rn. 107.

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E. Die zweitinstanzlichen Entscheidungen

ein „Wissen der FOCA-Führungskräfte darum, dass der Angeklagte absprachegemäß (…) einvernehmlich damit befasst gewesen wäre“, die hervorgerufenen Schäden für die politische Reputation der FDLR zu begrenzen „sowie die hierdurch hervorgerufene Festigung des Willens, weitere sogenannte Bestrafungsaktionen durchführen zu lassen“, ausreichend gewesen.63 Derartige Feststellungen ließen sich aber dem Urteil im tatrelevanten Zeitpunkt nicht entnehmen. Vergleichbar mit den später dargestellten Ausführungen der Berufungskammer des IStGH64 stellt der BGH im Hinblick auf die Kausalität der Tatbeiträge der Angeklagten hohe Anforderungen an die Urteilsbegründungen. Pauschale bzw. exemplarische Aufzählungen vermeintlicher Beihilfehandlungen auf Seiten des Gehilfen und Darstellungen der strafbaren Haupttaten auf der anderen Seite genügen nicht. Dies gilt selbst dann, wenn zweifelsfrei Tathandlungen festgestellt sind, die objektiv geeignet wären, die Haupttaten bzw. Grunddelikte zu fördern. Es ändert auch nichts, dass die Haupttaten bzw. Grunddelikte begangen wurden und diese die Qualität eines Verbrechens gegen die Menschlichkeit erreicht haben. Der Überprüfung durch das Revisionsgericht halten Urteile insbesondere nicht schon dann stand, wenn das Gericht vom Tatbeitrag und dessen Förderungswirkung nachvollziehbarerweise überzeugt war – sonst hätte es nicht verurteilen dürfen – vielmehr muss sich aus den Urteilsgründen ergeben, welche konkreten Feststellungen den Schluss erlauben, die Beihilfehandlung hatte während des relevanten Zeitpunkt der Tat einen zumindest geringfügigen Effekt, sei es bei den unterstützten Milizionären oder den Führungskräften. c) Gehilfenvorsatz Der BGH hob nicht nur die Feststellungen des OLG Stuttgarts zum objektiven Tatbestand der Beihilfestrafbarkeit auf, auch die Urteilsausführungen zum Gehilfenvorsatz ließen nach Ansicht des dritten Strafsenats des BGH Rechtsfehler erkennen.65 Insbesondere könne man aus dem Urteil nicht entnehmen, welche Vorstellung der Angeklagte Dr. M. von den Taten hatte. Der BGH legte auch hier besonderes Augenmerk auf den militärischen Kontrollwechsel im Hinblick auf die ansässige Zivilbevölkerung und das zentrale Merkmal des „Sich-in-der-GewaltBefindens“, § 8 Abs. 6 Nr. 2 VStGB.66 Es sei nicht klar geworden, von welcher Tatvorstellung des Dr. M. das OLG überzeugt war. Die Frage war, ob das OLG angenommen habe, der Angeklagte habe lediglich damit gerechnet, dass „die Milizionäre die Siedlungen in der Dunkelheit erstürmten und dabei mit automatischen Schusswaffen auf Menschen und Gebäude schießen, ohne (…) zwischen (…) Sol-

63 64 65 66

Vgl. BGH, Urteil vom 20.12.2018, 3 StR 236/17, Rn. 107. Vgl. Ausführungen unter E. II. 1. c). Vgl. BGH, Urteil vom 20.12.2018, 3 StR 236/17, Rn. 108. Vgl. BGH, Urteil vom 20.12.2018, 3 StR 236/17, Rn. 111; 77 ff.

II. Berufungsentscheidung der Berufungskammer des IStGH vom 08.06.2018

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daten und (…) Zivilisten zu unterscheiden.“67 Bei einem Vorsatz hinsichtlich eines solch eher chaotischen Vorgehens gegen die Zivilbevölkerung ohne vorherige Vertreibung der gegnerischen Soldaten, wäre das Merkmal des „Sich-in-der-GewaltBefindens“ nicht umfasst und eine Strafbarkeit wegen Kriegsverbrechen gegen Personen hätte ausbleiben müssen.68 Da der BGH für die Annahme dieser straflosen Variante Anhaltspunkte fand, konnte er die rechtliche Würdigung im Sinne einer Vorstellung, die sich auch auf das Merkmal des „Sich-in-der-Gewalt-Befindens“ bezog, nicht aufrechterhalten.69 Auch im Hinblick auf die Kriegsverbrechen gegen Eigentum und sonstige Rechte durch Plünderungen und Brandschatzungen konnte der BGH die Ausführungen des OLG nicht ohne weiteres nachvollziehen70 und hob daher die Verurteilung des Angeklagten Dr. M. gemäß § 353 Abs. 1 StPO auf und verwies die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an einen anderen Senat des OLG Stuttgart, § 354 Abs. 2 S. 1 StPO. Zu einer endgültigen Entscheidung wird es allerdings nicht mehr kommen, da der Angeklagte Dr. M. im April 2019 im Alter von 55 Jahren nach achteinhalb jähriger Haftdauer verstarb.71

II. Berufungsentscheidung der Berufungskammer des IStGH vom 08. Juni 2018 Je nach anzugreifender Entscheidung stehen den Parteien im Verfahren vor dem IStGH unterschiedliche Rechtsmittel zur Verfügung, Art. 81 ff. IStGHSt, namentlich Berufung, Beschwerde und Wiederaufnahme des Verfahrens.72 Gegen ein Endurteil gemäß Art. 74 IStGHSt oder gegen einen Strafspruch im Sinne von Art. 76 IStGHSt können sowohl der Ankläger als auch der Verurteilte Berufung einlegen, Art. 81 Abs. 1 a), b) IStGHSt. Der Begriff „Berufung“ ist jedoch nicht im Sinne der deutschen StPO zu verstehen.73 Das hier als „Berufung“ bezeichnete Rechtsmittel stellt aus deutscher Sicht eine Kombination aus Berufung und Revision dar.74 Revisionsähnlich ist, dass keine weitere vollständige Beweisaufnahme stattfindet. Gemäß Art. 83 Abs. 2 S. 2 IStGHSt kann die Berufungskammer – 67

Vgl. BGH, Urteil vom 20.12.2018, 3 StR 236/17, Rn. 111. Vgl. BGH, Urteil vom 20.12.2018, 3 StR 236/17, a. a. O. 69 Vgl. BGH, Urteil vom 20.12.2018, 3 StR 236/17, Rn. 113 ff. 70 Vgl. BGH, Urteil vom 20.12.2018, 3 StR 236/17, Rn. 117. 71 Vgl. DW, Beitrag vom 17.04.2019, „Rebellenführer aus Ruanda in Deutschland gestorben“, https://www.dw.com/de/rebellenf%C3%BChrer-aus-ruanda-in-deutschland-gestor ben/a-48379133, zuletzt zugegriffen am 22.08.2019. 72 Vgl. zu den sonstigen Rechtsmitteln: etwa Schabas, 2. Aufl. 2016, Art. 82, 1221 ff.; Art. 84. 73 Vgl. Safferling, 2011, § 7 Rn. 80. 74 Vgl. Ambos, 2018, § 8 Rn. 58. 68

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E. Die zweitinstanzlichen Entscheidungen

sofern die Klärung einer Tatsachenfrage in Rede steht – diese an die Hauptverfahrenskammer zurückverweisen und entsprechende Berichterstattung verlangen, oder sie erhebt in dieser Frage selbst Beweis, was als Ausnahmeregelung verstanden wird.75 Prozessrechtliche Konkretisierungen enthalten die Regeln 150 ff. VBO. Wie im Stuttgarter Verfahren legten beide Parteien Rechtsmittel ein, die Verteidigung bereits am 04. April 2016 gegen den Schuldspruch sowie am 22. Juli 2016 gegen den Strafspruch,76 die Anklage legte ihre Berufung ebenfalls am 22. Juli 2016 nur gegen den Strafspruch ein.77 Zwischen dem 09. und 11. Januar 2018 kam es zu einer mündlichen Verhandlung, in welcher die Parteien Beobachtungen und Stellungnahmen abgeben konnten. Eine neue Beweisaufnahme fand nicht statt.78 1. Entscheidungsgründe Die im Folgenden dargestellte Entscheidung ist auf mehreren Ebenen bemerkenswert. Zum einen verhalf sie Bemba nach einem sehr aufwendigen Verfahren und mithin zehn Jahren in Untersuchungshaft zum Freispruch. Zum anderen setzte sie neue Maßstäbe, was die Befugnisse der Berufungskammer und die Maßstäbe der erstinstanzlichen Prüfung im Bereich der Vorgesetztenverantwortlichkeit angeht.79 Dies alles erfolgte lediglich mit einer Mehrheit von drei zu zwei Richtern, welche sich in folgenden prozessualen und materielle Problemkreisen durchsetzte: a) Vor die Klammer gezogen wurde der Prüfungsmaßstab der Berufungskammer, welcher Grundlage der Beurteilung der erstinstanzlichen Entscheidung ist. Ausgehend davon gelangte die Kammer zu dem Schluss, dass zwei der sechs von der Verteidigung vorgetragenen Berufungsgründe durchgriffen: b) Das (erstinstanzliche) Urteil überschritt den Bereich des angeklagten Sachverhalts und c) Bemba ergriff die notwendigen und angemessenen Gegenmaßnahen im Sinne von Art. 28 a ii) IStGHSt. Die gegenteiligen Feststellungen und Schlussfolgerungen der Hauptverfahrenskammer können demnach keine Strafbarkeit begründen. Da die beiden überstimmten Richter in den genannten Punkten der Mehrheitsmeinung teilweise diametral gegenüberstanden, werden deren Auffassungen an gegebener Stelle ebenfalls vorgestellt. Ein erstes Indiz für die Uneinigkeit der 75

Vgl. Triffterer/Ambos/Staker/Eckelmanns, 3. Aufl. 2016, Art. 83. Rn. 9. ICC-01/05-01/08-3348 04-04-2016 Defence Notice of Appeal against the Judgment pursuant to Article 74 of the Statute, ICC-01/05-01/08-3343; ICC-01/05-01/08-3412 22-072016 Defence Notice of Appeal against Decision on Sentence pursuant to Article 76 of the Statute. 77 ICC-01/05-01/08-3411 22-07-2016 Prosecution’s Notice of Appeal against Trial Chamber III’s „Decision on Sentence pursuant to Article 76 of the Statute“. 78 Vgl. Wortprotokolle: ICC-01/05-01/08-T-372-Red2-ENG CT WT 09-01-2018; ICC-01/ 05-01/08-T-373-ENG ET WT 10-01-2018; ICC-01/05-01/08-T-374-ENG ET WT 11-01-2018. 79 Vgl. Heinze, Beitrag vom 23.06.2018, Atlas wirft die Welt ab, https://www.lto.de/recht/ hintergruende/h/istgh-freispruch-jean-pierre-bemba-kongo-kriegsverbrechen-keine-befehlsge walt/, zuletzt zugegriffen am 13.02.2019; Powderly, ILM 2018, 1031 (1031). 76

II. Berufungsentscheidung der Berufungskammer des IStGH vom 08.06.2018

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Kammer lässt sich bereits daran erkennen, dass die Begründung der abweichenden Richter mehr als die dreifache Anzahl an Seiten umfasste als die offizielle Entscheidung. Die der Mehrheit angehörenden Richter Van den Wyngaert und Morrison bewerten die unterschiedlichen Ansichten wie folgt: „the divison is not just a matter of difference of opinion, but appears to be a fundamental difference in the way we look at our mandates as international judges“.80 Sie vertraten die Auffassung, dass sie mehr als die beiden abweichenden Richter Wert auf die Beweislast und die prozessrechtlichen Normen legten, welche die Rechte des Angeklagten in einem kontradiktorischen System schützen sollen.81 a) Prüfungsmaßstab (Standard of Review) Den Prüfungsmaßstab („standard of review“), der die Grundlage für die gesamte Berufungsentscheidung bildet, liefert im Ausgangspunkt das Römische Statut selbst. Maßgeblich sind Art. 81 Abs. 1 b) und 83 Abs. 2 IStGHSt. In der konkreten Ausgestaltung und Anwendung des Prüfungsmaßstabes gingen die Meinungen bereits auseinander. Die Berufungskammer legte in Anwendung des Art. 81 Abs. 1 b) IStGHSt vier mögliche Berufungsgründe fest: Rechtsanwendungsfehler („errors of law“), fehlerhafte Tatsachenfeststellungen („factual errors“), Verfahrensfehler („procedural errors“) und sonstige Gründe, die zur Ungerechtigkeit führen können („other grounds alleging unfairness“).82 Damit die Interventionsschwelle der Berufungskammer erreicht ist, müssen diese Fehler gemäß Art. 83 Abs. 2 IStGHSt zu einem Mangel an Fairness geführt haben, der die Verlässlichkeit des Urteils oder des Strafspruches beeinträchtigt.83 Bemerkenswert – und sowohl in der Theorie als auch in der konkreten Anwendung kritisiert durch die überstimmten Richter – war der angelegte Prüfungsmaßstab im Hinblick auf das Merkmal der „fehlerhaften Tatsachenfeststellungen“, also der Frage inwieweit die zweite Instanz befugt ist, in die Beweiswürdigung der ersten Instanz einzugreifen bzw. diese durch ihre eigene zu ersetzen. Die Kammer erkannte für Recht, dass ein Einschreiten bereits dann geboten ist, sobald ein Nichteinschreiten zu einem Justizirrtum bzw. einem Fehlurteil („miscarriage of justice“) führen würde.84 Damit erweiterte sie, methodisch von Art. 21 Abs. 2 IStGHSt hierzu 80

ICC-01/05-01/08-3636-Anx2 08-06-2018 Separate opinion Judge Cristine Can den Wyngaert and Judge Howard Morrison, par. 4; Powderly, ILM 2018, 1031 (1032). 81 ICC-01/05-01/08-3636-Anx2 08-06-2018 Separate opinion Judge Cristine Can den Wyngaert and Judge Howard Morrison, par. 4. 82 ICC-01/05-01/08-3636-Red 08-06-2018 Judgment on the appeal of Mr Bemba Gombo against Trial Chamber III’s „Judgment pursuant to Article 74 of the Statute“, par. 35. 83 ICC-01/05-01/08-3636-Red 08-06-2018 Judgment on the appeal of Mr Bemba Gombo against Trial Chamber III’s „Judgment pursuant to Article 74 of the Statute“, par. 35. 84 ICC-01/05-01/08-3636-Red 08-06-2018 Judgment on the appeal of Mr Bemba Gombo against Trial Chamber III’s „Judgment pursuant to Article 74 of the Statute“, par. 40.

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E. Die zweitinstanzlichen Entscheidungen

ermächtigt, ausdrücklich die bisherige Rechtsprechung, wonach ein Einschreiten nur bei einem klaren Fehler, namentlich einer fehlerhaften Einschätzung der Tatsachen („misappreciation of facts“) geboten ist und dies auch nur dann eine Urteilsaufhebung rechtfertigt, wenn die von der Hauptverfahrenskammer getroffenen Schlussfolgerungen gänzlich unnachvollziehbar sind. Im Lubanga Verfahren formulierte die Berufungskammer diesen Grundsatz folgendermaßen: „it will interfere only in the case where it cannot discern how the [Trial] Chamber’s conclusion could have reasonably been reached from the evidence before it.“85 Hiernach besteht keine Befugnis einzuschreiten, wenn auf tatsächlicher Ebene der erstinstanzlich gezogene Schluss möglich erscheint. Darüber hinaus betonte die Mehrheit, nun wieder auf Linie der bisherigen Rechtsprechung, dass die Berufungskammer grundsätzlich keine eigene Beweiswürdigung vorzunehmen und zu prüfen hat, ob sie zu demselben Beweisergebnis gelangt wäre. („The appeals chamber will not assess the evidence de novo with a view to determining wether it would have reached the same factual finding“),86 sie beurteilt lediglich, ob eine vernünftige Hauptverfahrenskammer zu den von der konkreten Kammer festgestellten Tatsachen gelangen konnte.87 Für die besondere Gattung der tatsächlichen Feststellungen, die sich nicht positiv beweisen ließen, sondern sich nur aus den Umständen ergeben, beließ es die Berufungskammer ebenfalls bei der bisherigen Praxis, die auch schon von der Hauptverfahrenskammer angewandt wurde,88 bezog sich aber insbesondere auch auf die Berufungskammer des Parallelverfahrens gegen Bemba wegen Zeugenbeeinflussung.89 Solche Schlussfolgerungen müssen die einzig denkbare bzw. vernünftige („reasonable“) Erklärung darstellen, die sich aus den gegebenen Beweisen ergeben kann.90 Wenn hieran Zweifel bestehen und alternative Geschehensabläufe und 85 The Prosecutor vs. Thomas Lubanga Dyilo ICC-01/04-01/06-3121-Red 01-12-2014 Judgement on the appeal of Mr. Thomas Lubanga Dyilo aginst his conviction, par. 21; The Prosecutor vs. Mathieu Ngudjolo Chui ICC-01/04-02/12-271-Corr 07-04-2015, par. 22. 86 ICC-01/05-01/08-3636-Red 08-06-2018 Judgment on the appeal of Mr Bemba Gombo against Trial Chamber III’s „Judgment pursuant to Article 74 of the Statute“, par. 42; s. auch: The Prosecutor vs. Thomas Lubanga Dyilo ICC-01/04-01/06-3121-Red 01-12-2014 Judgement on the appeal of Mr. Thomas Lubanga Dyilo aginst his conviction, par. 27. 87 ICC-01/05-01/08-3636-Red 08-06-2018 Judgment on the appeal of Mr Bemba Gombo against Trial Chamber III’s „Judgment pursuant to Article 74 of the Statute“, par. 42. 88 ICC-01/05-01/08-3343 21-03-2016 Judgment pursuant to Article 74 of the Statute, par. 239. 89 ICC-01/05-01/08-3636-Red 08-06-2018 Judgment on the appeal of Mr Bemba Gombo against Trial Chamber III’s „Judgment pursuant to Article 74 of the Statute“, par. 42; ICC-01/ 05-01/13-2275-Red 08-03-2018 Judgment on the appeals of Mr Jean-Pierre Bemba Gombo, Mr Aimé Kilolo Musamba, Mr Jean-Jacques Mangenda Kabongo, Mr Fidèle Babala and Mr Narcisse Arido against the Decision of Trial Chamber VII entitled „Judgment pursuant to Article 74 of the Statute“, par. 868. 90 ICC-01/05-01/08-3636-Red 08-06-2018 Judgment on the appeal of Mr Bemba Gombo against Trial Chamber III’s „Judgment pursuant to Article 74 of the Statute“, par. 42; ICC-01/

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Schlussfolgerungen vernünftigerweise denkbar sind, müssen die entsprechenden Feststellungen aufgehoben werden.91 Gegen diese weite Definition des Prüfungsmaßstabs regte sich innerhalb der Kammer Widerstand. So waren die beiden abweichenden Richter der Meinung, dass mehr Zurückhaltung geboten sei bei der Bewertung von Beweiswürdigungen, die von der Berufungskammer nicht selbst vorgenommen wurden.92 Insbesondere dürften bloße Zweifel, auch wenn diese ernsthaft seien, nicht ausreichen, um tatsächliche Feststellungen aufzuheben.93 Zudem würde die Argumentationsschwelle für eine erfolgreiche Berufung zu sehr herabgesetzt, wenn es ausreiche, bloße Zweifel zu säen.94 Der von der Mehrheit angewandte Maßstab der „ernsthaften Zweifel“ konterkariere die erforderliche Kausalität zwischen fehlerhaften Feststellungen („error of fact“) und fehlerhaftem, aufhebenswürdigen Urteil. Die Minderheit hielt die Entscheidung der Mehrheit für eine Fehlinterpretation des berufungsrechtlichen Prüfungsmaßstabs und eine Fehlanwendung des Art. 83 Abs. 2 IStGHSt.95 Die Chefanklägerin Bensouda kritisierte darüber hinaus, dass hierdurch der etablierte Schlüssigkeitstest („reasonableness test“) der zweiten Instanz mit der erstinstanzlichen Beweislast („standard of proof“) vermischt werde.96 Richter Eboe-Osuji, der (auch) eine Zurückverweisung in Betracht zog, in diesem Fall jedoch den Freispruch als angemessene Rechtsfolge ansah,97 begründete die Ausweitung der Befugnisse der Berufungskammer damit, dass die Funktion derselben obsolet sei, wenn sie bei eklatanten Fehlern der Beweiswürdigung zu Lasten des Angeklagten nicht gehalten wäre, die erstinstanzlichen Feststellungen aufrecht

05-01/13-2275-Red 08-03-2018 Judgment on the appeals of Mr Jean-Pierre Bemba Gombo, Mr Aimé Kilolo Musamba, Mr Jean-Jacques Mangenda Kabongo, Mr Fidèle Babala and Mr Narcisse Arido against the Decision of Trial Chamber VII entitled „Judgment pursuant to Article 74 of the Statute“, par. 868. 91 ICC-01/05-01/08-3636-Red 08-06-2018 Judgment on the appeal of Mr Bemba Gombo against Trial Chamber III’s „Judgment pursuant to Article 74 of the Statute“, par. 46. 92 ICC-01/05-01/08-3636-Anx1-Red 08-06-2018 Dissenting Opinion of Judge Sanji Mmasenono Monageng and Judge Piotr Hofman´ski, par. 8. 93 ICC-01/05-01/08-3636-Anx1-Red 08-06-2018 Dissenting Opinion of Judge Sanji Mmasenono Monageng and Judge Piotr Hofman´ski, par. 11, 12, 15. 94 ICC-01/05-01/08-3636-Anx1-Red 08-06-2018 Dissenting Opinion of Judge Sanji Mmasenono Monageng and Judge Piotr Hofman´ski, par. 16. 95 ICC-01/05-01/08-3636-Anx1-Red 08-06-2018 Dissenting Opinion of Judge Sanji Mmasenono Monageng and Judge Piotr Hofman´ski, par. 18. 96 Bensouda, Statement of ICC Prosecutor, Fatou Besouda, on the Recent Judgment of the ICC Appeals Chamber Acquitting Mr Jean-Pierre Bemba Gombo, Jun. 13, 2018, https://www. icc-cpi.int/Pages/item.aspx?name=180613-OTP-stat, zuletzt zugegriffen am 26.03.2019. 97 ICC-01/05-01/08-3636-Anx3 14-06-2018 Concurring Separate Opinion of Judge EboeOsuji, 263.

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zu erhalten anstatt mit zwingenden Argumenten („compelling case“) entsprechende Feststellungen aufheben zu dürfen.98 Demgegenüber beschränkt sich der revisionsrechtliche Prüfungsmaßstab des Bundesgerichtshofes im Grundsatz auf die Gesetzmäßigkeit des angefochtenen Urteils, § 337 Abs. 1 StPO. Dies entspricht der im deutschen Recht vorgesehenen Verantwortungsteilung zwischen Tatrichter und Revisionsgericht.99 Das Revisionsgericht ist an die tatrichterlichen Feststellungen gebunden, und zwar auch dann, wenn diese auf Schlussfolgerungen beruhen, die nicht zwingend, sondern nur denkgesetzlich möglich sind.100 Nur wenn der festgestellte Sachverhalt erkennbar lückenhaft, widersprüchlich, unklar ist oder gegen gesicherte Denk- und Erfahrungssätze verstößt entfällt die Bindung des Revisionsgerichts.101 In der Revisionsverhandlung können daher – entgegen etwa der bereits erwähnten Regelung des Art. 83 Abs. 2 IStGHSt – auch keine Beweise zur Schuldfrage mehr erhoben werden.102 Demnach ist die Revision der StPO nicht mit der Berufung vor dem IStGH vergleichbar. Im Hinblick auf die oben dargelegten Ansichten entspricht sie am ehesten der bisher ergangenen Rechtsprechung des IStGH bzw. den abweichenden Ausführungen der überstimmten Richter, wonach tatsächliche Feststellungen im Zweifel hinzunehmen sind. b) Überschreiten des angeklagten Prozessstoffes (Scope of the Charges) Der erste durchgreifende Berufungsgrund der Verteidigung lag darin, dass nach Meinung der Berufungskammer das gesprochene Urteil den Bereich der Anklage verließ und damit Art. 74 Abs. 2 IStGHSt verletzte.103 Dieser verlangt in S. 2, dass das Urteil nicht über die in der Anklage dargestellten Tatsachen und Umstände und etwaige Änderungen der Anklage hinausgehen darf. Es ging hierbei nicht darum, dass Informationsrechte der Verteidigung verletzt wurden, sondern um die für den Prozess grundsätzlich bedeutende Frage, ob dem Urteil eine denselben Prozessstoff

98 ICC-01/05-01/08-3636-Anx3 14-06-2018 Concurring Separate Opinion of Judge EboeOsuji, par. 38, 48, 52; vgl. auch Heinze, „Atlas wirft die Welt ab“, Beitrag vom 23.06.2018, https://www.lto.de/recht/hintergruende/h/istgh-freispruch-jean-pierre-bemba-kongo-kriegsver brechen-keine-befehlsgewalt/, zuletzt zugegriffen am 13.02.2019. 99 Vgl. KK-StPO/Gericke, 8. Aufl. 2019, § 337 Rn. 3. 100 Vgl. beispielhaft: BGH, Urt. v. 20.09.2012, 3 StR 140/12; BGH, Urteil vom 03.07.1962 – 1 StR 157/62. 101 KK-StPO/Gericke, 8. Aufl. 2019, § 337 Rn. 4. Hier vllt. Noch Lehrbuch/Urteile, in KK passen Urteile m. E. nicht. 102 KK-StPO/Gericke, 8. Aufl. 2019, § 337 Rn. 3. 103 ICC-01/05-01/08-3636-Red 08-06-2018 Judgment on the appeal of Mr Bemba Gombo against Trial Chamber III’s „Judgment pursuant to Article 74 of the Statute“, par. 116.

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umfassende Anklage gegenüberstand, die ihrer Umgrenzungsfunktion gerecht wurde.104 Ausgangspunkt der Überlegungen – und entsprechend Anlass der Kritik der abweichenden Richter bzw. des Anklägers – war das unterschiedliche Verständnis darüber, welche Bedeutung den Grunddelikten bei der Definition der angeklagten Tat und in der Folge der Verurteilung eines Vorgesetzten im Rahmen von Art. 28 IStGHSt zukommt. Die Mehrheit der Kammer befand, dass der Schuldspruch vom 21. März 2016 nur so ausgelegt werden könne, dass Bemba de facto wegen der konkreten Verbrechen von Mord, Vergewaltigung und Plünderung verurteilt wurde, die die Hauptverfahrenskammer als über jeden vernünftigen Zweifel erwiesen ansah und die im Abschnitt der Schlussfolgerungen („concluding sections“) des Urteils aufgelistet sind.105 Dies gehe aus dem Schuldspruch aber nicht hervor, da die dortigen Auflistungen der Einzelakte als bloße Zusammenfassungen der über jeden vernünftigen Zweifel getroffenen Feststellungen dargestellt seien.106 Demgegenüber gingen die beiden abweichenden Richter, ebenso wie die Anklage, davon aus, dass es sich bei den zugrundeliegenden Einzelakten nur um ergänzende Tatsachen und Umstände handelte und die Verurteilung und Anklage sich rechtmäßigerweise in allgemeiner Weise auf die Tötungen, Vergewaltigungen und Plünderungen der MLC-Soldaten auf dem Gebiet der Zentralafrikanischen Republik im Zeitraum zwischen 26. Oktober 2002 und 15. März 2003 beziehen durfte.107 Insbesondere bei der Vorgesetztenverantwortlichkeit läge das Hauptaugenmerk der Anklage nicht auf den zugrunde liegenden Einzelakten, sondern auf den Handlungen des Vorgesetzten.108 Ausgehend davon, dass es auf die zugrunde liegenden Einzelakte ankomme, stellte die Berufungskammer fest, dass die Formulierung der Anklage, die auf Einzelakte nur als Regelbeispiele abstelle mit der Wendung „insbesondere, aber nicht begrenzt auf“ („including but not limited to“) gänzlich ungeeignet gewesen sei, um den Sachverhalt im Sinne von Art. 74 Abs. 2 IStGHSt, Regel 52 b) GO-Gericht zu umgrenzen.109 Zum angeklagten Sachverhalt gehörten nämlich lediglich die konkreten Einzelakte, die sich sowohl in der Anklage als auch in der Bestätigungsent104 ICC-01/05-01/08-3636-Red 08-06-2018 Judgment on the appeal of Mr Bemba Gombo against Trial Chamber III’s „Judgment pursuant to Article 74 of the Statute“, par. 98. 105 ICC-01/05-01/08-3636-Red 08-06-2018 Judgment on the appeal of Mr Bemba Gombo against Trial Chamber III’s „Judgment pursuant to Article 74 of the Statute“, par. 104; so auch McDermott, AJIL 2016, 526 (530). 106 ICC-01/05-01/08-3636-Red 08-06-2018 Judgment on the appeal of Mr Bemba Gombo against Trial Chamber III’s „Judgment pursuant to Article 74 of the Statute“, par. 104. 107 Vgl. Ausführungen der Anklage im Appeals hearing ICC-01/05-01/08-T-372-Red2ENG CT WT 09-01-2018, 52 f. 108 ICC-01/05-01/08-3636-Anx1-Red 08-06-2018 Dissenting Opinion of Judge Sanji Mmasenono Monageng and Judge Piotr Hofman´ski, par. 27. 109 ICC-01/05-01/08-3636-Red 08-06-2018 Judgment on the appeal of Mr Bemba Gombo against Trial Chamber III’s „Judgment pursuant to Article 74 of the Statute“, par. 110.

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scheidung der Vorverfahrenskammer befinden. Dies gelte auch dann, wenn dort zum Ausdruck gebracht werde, dass es sich gerade um keine Eingrenzung handeln solle.110 Da die Formulierung der angeklagten Taten hinreichend genau nur auf Ebene der Grunddelikte erfolgte und diese daher den Prozessstoff festlegten, können weitere Einzeldelikte, die nach der Bestätigungsentscheidung vom 15. Juni 2009 in den Fall und das Urteil miteinbezogen wurden, nicht mehr als in der Anklage dargestellte Tatsachen und Umstände angesehen werden und hätten daher einer Ergänzung („amendement“) der Anklage bedurft, was nicht erfolgt sei.111 Die bloße Eingabe über Hilfsdokumente („auxiliary documents“) oder Offenlegung weiterer Beweismittel genüge nicht.112 Daher ging das Urteil hinsichtlich 18 bestimmter Grunddelikte über die Anklage hinaus.113 Es verblieben ein Tötungsdelikt, 20 Vergewaltigungen und fünf Akte der Plünderung.114 Die Möglichkeit, die Anklage zu erweitern ist in Art. 61 Abs. 9 S. 2 IStGHSt normiert. Dieser verlangt, dass zur Bestätigung der ergänzten Delikte eine erneute mündliche Verhandlung unter Anwendung der Art. 61 Abs. 3, 5 – 7 IStGHSt erfolgen muss.115 Mit dieser zu Lasten der Anklage strengen Auslegung des Art. 74 Abs. 2 IStGHSt, wird erneut die Bedeutung des Zwischenverfahrens und die definierende Funktion der Bestätigungsentscheidung bestätigt.116 Die übrigen Richter gingen hingegen davon aus, dass die Anklage ihre Umgrenzungsfunktion trotz der offenen Formulierungen hinreichend erfüllt habe. Abgestellt wurde insbesondere darauf, dass die Ereignisorte durch detaillierte Darstellung der von der MLC begangenen Routen zeitlich und örtlich ausreichend eingegrenzt wurden. Dies reiche aus, um den Prozessstoff im Hinblick auf Art. 74 Abs. 2 IStGHSt abzustecken und somit sämtliche Taten, die in diesem Zeitraum in benannten Örtlichkeiten durch MLC Soldaten begangen wurden, als Tatsachen und Umstände des Verfahrens zu behandeln und damit einer Verurteilung zugänglich zu 110

ICC-01/05-01/08-3636-Red 08-06-2018 Judgment on the appeal of Mr Bemba Gombo against Trial Chamber III’s „Judgment pursuant to Article 74 of the Statute“, par. 115. 111 ICC-01/05-01/08-3636-Red 08-06-2018 Judgment on the appeal of Mr Bemba Gombo against Trial Chamber III’s „Judgment pursuant to Article 74 of the Statute“, par. 115. 112 ICC-01/05-01/08-3636-Anx2 08-06-2018 Separate opinion Judge Christine Van den Wyngaert and Judge Howard Morrison, par. 21. 113 Taten außerhalb der Anklage ICC-01/05-01/08-3636-Red 08-06-2018 Judgment on the appeal of Mr Bemba Gombo against Trial Chamber III’s „Judgment pursuant to Article 74 of the Statute“, par. 116. 114 Taten innerhalb der Anklage ICC-01/05-01/08-3636-Red 08-06-2018 Judgment on the appeal of Mr Bemba Gombo against Trial Chamber III’s „Judgment pursuant to Article 74 of the Statute“, par. 118; Powderly, ILM 2018, 1031 (1033). 115 Vgl. Triffterer/Ambos/Shabas/Chaitidou/El Zeidy, 3. Aufl 2016, Art. 61 Rn. 153, a. A. offenbar Powderly, ILM 2018 1031 (1033). 116 Krit. hierzu Powderly, ILM 2018 1031 (1033).

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sein.117 Außerdem – dies betrifft allerdings die Frage der Beweiswürdigung – erfordere der herabgesetzte Beweisgrad im Vorverfahren („substantial grounds to believe“) keine darüber hinausgehende Prüfung, sondern könne sich in einer kursorischen Prüfung der Einzeltaten und einer entsprechenden Anklage erschöpfen.118 Übertragen auf deutsches revisionsrechtliches Verständnis gingen die abweichenden Richter davon aus, dass es sich bei den später hinzugekommen Grunddelikten um bereits von der Anklage umfasste Sachverhaltsteile handeln würde, die ohne weitere Anklage der Kognitionspflicht des Gerichts unterliegen und nur eines rechtlichen Hinweises gemäß § 265 StPO bedurft hätten.119 Das Fehlen einer Anklage bzw. Nachtragsanklage gemäß § 266 StPO hingegen wäre auch nach deutschem Verständnis ein dauerndes Verfahrenshindernis, das einer Verurteilung grundsätzlich entgegensteht.120 Wenn also, wie im Bemba-Verfahren, konkrete Taten, die einen eigenständigen Lebenssachverhalt bilden, erst nachträglich dem Urteil zugrunde gelegt werden sollen, wäre auch nach der StPO eine Nachtragsanklage erforderlich gewesen. Konsequenz des Fehlens einer Nachtragsanklage ist die Einstellung des Verfahrens, § 260 Abs. 3 StPO.121 Wenn, wie im Stuttgarter Verfahren, die Sache insgesamt wegen anderer Fehler an das Ausgangsgericht zurückverwiesen wird, wäre dort eine Nachtragsanklage noch möglich.122 c) Ergreifen der notwendigen und angemessenen Gegenmaßnahmen gemäß Art. 28 Abs. 1 a) ii) IStGHSt Eher den materiellen Erwägungen zuzuordnen ist auf den ersten Blick die Frage, ob Bemba den Tatbestand des Art. 28 a) IStGHSt erfüllte. Für die Beantwortung war entscheidend, ob Bemba die erforderlichen und angemessenen Gegenmaßnahmen ergriffen hatte. Da diese Frage auf Ebene der Berufung eng mit dem oben ausgeführten Prüfungsmaßstab zusammenhängt, besteht auch hier ein prozessrechtlicher Bezug. Die Wechselwirkung zwischen Prüfungsmaßstab und den damit einhergehenden Eingriffsbefugnissen der Berufungskammer entfaltete ihre Kraft bei der Beurteilung der getroffenen tatsächlichen Feststellungen.123 Denn sofern die tatsächlichen Feststellungen von der Berufungskammer nicht dem Grunde nach übernommen werden müssen, hat dies Auswirkungen auf die Beurteilung des Tatbestandes. Die Meinungen, ob die Hauptverfahrenskammer tragfähige Feststellun117

ICC-01/05-01/08-3636-Anx1-Red 08-06-2018 Dissenting Opinion of Judge Sanji Mmasenono Monageng and Judge Piotr Hofman´ski, par. 32. 118 ICC-01/05-01/08-3636-Anx1-Red 08-06-2018 Dissenting Opinion of Judge Sanji Mmasenono Monageng and Judge Piotr Hofman´ski, par. 21. 119 Vgl. BeckOK StPO/Eschelbach, 34. Aufl., Stand: 01.07.2019, § 266 Rn. 2. 120 Anstatt vieler: BGH Beschl. v. 27.05.2008 – 4 StR 200/08, BeckRS 2008, 11776; LG Cottbus Urt. v. 15.07.2013 – 23 Ns 17/12, BeckRS 2013, 14624. 121 Vgl. MüKoStPO/Norouzi, 1. Aufl. 2016, StPO § 266 Rn. 24. 122 BGH 25.06.1993 – 3 StR 304/93, NJW 1993, 3338 (3339). 123 Vgl. Powderly, ILM 2018 1031 (1033).

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gen für die Bewertung der ergriffenen Gegenmaßnahmen getroffen haben, gingen erneut auseinander: Nach mehrheitlicher Meinung trugen die Feststellungen im Schuldspruch nicht die Verurteilung gemäß Art. 28 IStGHSt. Nach Ansicht der Berufungskammer beging die Hauptverfahrenskammer sieben „ernsthafte“ Fehler, die letztlich den Schuldspruch unzulässigerweise beeinflussten:124 1) Die Hauptverfahrenskammer berücksichtigte nicht ausreichend die Grenzen der Strafverfolgungsmacht, die Bemba als abwesendem Befehlshaber in einem anderen Staat hinsichtlich der Verfolgung der Verbrechen gezogen waren.125 Die Tatsache, dass die MLC sich mit zentralafrikanischen Kräften vermischte beeinflusste auch seine Ahndungsmöglichkeit.126 2) Die Hauptverfahrenskammer beachtete unzureichend den Vortrag Bembas, einen Brief an die zuständigen zentralafrikanischen Behörden gesandt zu haben.127 3) Die Hautverfahrenskammer überbewertete demgegenüber die Beweggründe, die Bemba zur Implementierung seiner getroffenen Maßnahmen veranlassten und sahen hierin eine Indikation für die fehlende Ernsthaftigkeit der Maßnahmen. Das Bemühen, den Ruf seiner Armee zu verbessern, lasse die ergriffenen Maßnahmen nicht per se unzureichend werden.128 4) Die Hauptverfahrenskammer hätte die Unzulänglichkeiten in der Ausführung der ergriffenen Maßnahmen nicht ohne weiteres Bemba zuschreiben dürfen.129 5) Die Hauptverfahrenskammer hat fehlerhaft festgestellt, dass Bemba es unterlassen habe, andere MLC-Funktionäre mit der Verfolgung der Verbrechensvorwürfe zu betrauen. Dies wurde nicht durch Beweise belegt und widersprach anderweitigen Feststellungen, wonach verschiedene Generäle disziplinarische Autorität im Feld innehatten.130 6) Die Hauptverfahrenskammer traf keine wenigstens ungefähre Quantizierung der insgesamt begangenen Verbrechen und stellte keine Beziehung her zwischen der Anzahl nachgewiesener begangener Verbrechen und den erforderlichen Gegenmaßnahmen.131 7) Die Hauptverfahrenskammer berücksichtigte überdies fehlerhaft den Vorwurf, dass ein früherer Abzug der Truppen als alternative erforderliche Maßnahme 124

ICC-01/05-01/08-3636-Red 08-06-2018 Judgment on the appeal of Mr Bemba Gombo against Trial Chamber III’s „Judgment pursuant to Article 74 of the Statute“, par. 189, 191. 125 Vgl. zum Themenkreis der Abwesenheit („Remoteness“) Jackson, „Geographical Remoteness in Bemba“, EJIL: TALK!, Beitrag vom 30.07.2018, https://www.ejiltalk.org/geogra phical-remoteness-in-bemba/#more-16367, zuletzt zugegriffen am 26.03.2019. 126 ICC-01/05-01/08-3636-Red 08-06-2018, par 171 ff. 127 ICC-01/05-01/08-3636-Red 08-06-2018, par 174 f. 128 ICC-01/05-01/08-3636-Red 08-06-2018, par 176 ff. 129 ICC-01/05-01/08-3636-Red 08-06-2018, par 180 f. 130 ICC-01/05-01/08-3636-Red 08-06-2018, par 182. 131 ICC-01/05-01/08-3636-Red 08-06-2018, par 183 f.

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hätte ergriffen werden müssen. Dieser Vorwurf hätte Bemba zur hinreichenden Vorbereitung bereits vor Beginn des Prozesses mitgeteilt und in die Anklage aufgenommen werden müssen.132 Hinsichtlich der Feststellungen der durch Bemba ergriffenen Maßnahmen kritisierte die Mehrheit, dass die Feststellungen der Hauptverfahrenskammer nicht hilfreich, sondern problematisch seien und zu sehr auf hypothetischen Überlegungen beruhten.133 Da demnach eine der Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 28 a) IStGHSt nicht ausreichend festgestellt wurde, sei keine Strafbarkeit gegeben.134 Die von der mehrheitlichen Meinung abweichenden Richter folgten dem in keinem der genannten Punkte.135 Ihrer Meinung nach, seien die Feststellungen hinsichtlich der ergriffenen Maßnahmen tragfähig und es sei kein Fehler in der Entscheidung der Hauptverfahrenskammer erkennbar.136 Die Ursache für die Schlussfolgerungen der Kammer sahen sie in einer Fehlanwendung des Prüfungsmaßstabs,137 insbesondere darin, dass nach Meinung der Mehrheit Zweifel an der Richtigkeit der getroffenen Feststellungen zu deren Aufhebung führen können, obwohl die Beweisaufnahme selbst nicht vor der Berufungskammer erfolgte.138 Die Mehrheit der Kammer kam zu dem abschließenden Ergebnis, dass angesichts der verhältnismäßig wenigen verbleibenden strafbaren (Grund-)Delikte, auf denen die Verurteilung überhaupt noch beruhen könne139 und vor dem Hintergrund der gravierenden Fehler der ersten Instanz ein Freispruch der einzig rechtmäßige Ausgang des Verfahrens sei.140 2. Auswirkung auf nationale Verfolgung Die Frage, ob der Freispruch durch den IStGH auf nationaler Ebene zu einem Verfahrenshindernis für die nicht weiter verfolgten („discontinued“) Verbrechen führt, hält die Chefanklägerin des IStGH für ein bislang ungelöstes Rechtspro132

ICC-01/05-01/08-3636-Red 08-06-2018, par 185 ff. ICC-01/05-01/08-3636-Red 08-06-2018, par. 170. 134 ICC-01/05-01/08-3636-Red 08-06-2018, par. 194. 135 ICC-01/05-01/08-3636-Anx1-Red 08-06-2018 Dissenting Opinion of Judge Sanji Mmasenono Monageng and Judge Piotr Hofman´ski, par. 45 ff. 136 ICC-01/05-01/08-3636-Anx1-Red 08-06-2018 Dissenting Opinion of Judge Sanji Mmasenono Monageng and Judge Piotr Hofman´ski, par. 43. 137 ICC-01/05-01/08-3636-Anx1-Red 08-06-2018 Dissenting Opinion of Judge Sanji Mmasenono Monageng and Judge Piotr Hofman´ski, par. 109. 138 ICC-01/05-01/08-3636-Anx1-Red 08-06-2018 Dissenting Opinion of Judge Sanji Mmasenono Monageng and Judge Piotr Hofman´ski, par. 92. 139 ICC-01/05-01/08-3636-Anx1-Red 08-06-2018 Judgment on the appeal of Mr Bemba Gombo against Trial Chamber III’s „Judgment pursuant to Article 74 of the Statute“, par. 118. 140 ICC-01/05-01/08-3636-Red 08-06-2018 Judgment on the appeal of Mr Bemba Gombo against Trial Chamber III’s „Judgment pursuant to Article 74 of the Statute“, par. 198. 133

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E. Die zweitinstanzlichen Entscheidungen

blem.141 Unter nicht weiter verfolgt („discontinued“) sieht sie einen bislang undefinierten Begriff, sodass dieser nicht mit dem deutschen Rechtsbegriff der Einstellung gleichgestellt werden darf. Vor dem Hintergrund, dass Art. 20 Abs. 2 IStGHSt weitere Verfahren lediglich im Hinblick auf die völkerrechtlichen Kernverbrechen verbietet, geht sie davon aus, dass eine nationale Strafverfolgung wegen derselben Taten nach wie vor möglich sei.142 Dies bestätigt auch die systematische Auslegung der Norm. Anders als Art. 20 Abs. 2, der das Verbot des Strafverfolgung durch ein anderes Gericht beinhaltet, stellen Art. 20 Abs. 1 und Abs. 3 IStGHSt, die das Verbot der Strafverfolgung durch den Gerichtshof adressieren, in allgemeinerer Form auf das „Verhalten“ und nicht auf die Verbrechen nach Art. 5 IStGHSt ab, sodass eine Unterscheidung zwischen dem tatsächlich konnotiertem Begriff des Verhaltens und dem rechtlichen Begriff Verbrechen nahe liegt. Dies zu klären ist jedoch vornehmlich eine Frage des nationalen Rechts. Bei einem weiten Verständnis des nahezu universell geltenden „ne-bis-in-idem“-Grundsatzes, vgl. Art. 54 Schengener Durchführungsabkommen, Art. 50 EU Grundrechtecharta,143 ist eine Verfolgung Bembas wegen derselben Taten allerdings unwahrscheinlich.

III. Zusammenfassung Sowohl der BGH als auch die Berufungskammer des IStGH hoben die erstinstanzlichen Urteile auf. Der BGH jedoch nur im Hinblick auf einen der beiden Angeklagten. Es erging auch anders als beim IStGH, kein zweitinstanzlicher Freispruch, sondern das Urteil wurde aufgehoben und die Sache an einen anderen Senat des erstinstanzlichen Gerichts zurückverwiesen. Ein Freispruch, wie in Den Haag, wäre auch nicht in Betracht gekommen, da die Feststellungen des erkennenden Gerichts nicht vollständig und fehlerfrei waren.144 Um in der Revision unmittelbar zu einem Freispruch zu gelangen müsste es auszuschließen sein, dass eine erneute Verhandlung in der Tatsacheninstanz zu neuen Erkenntnisse führt,145 was nach den Ausführungen des BGH nicht der Fall war. Die Berufungskammer des IStGH nutzte die Gelegenheit, um sowohl auf verfahrensrechtlicher Ebene als auch materieller Ebene neue Maßstäbe anzulegen. Sie erweiterte auf der einen Seite den Prüfungsmaßstab der Rechtsmittelinstanz und 141

ICC-01/05-01/08-3646 06-07-2018 Prosecution’s submissions on the reparations proceedings before Trial Chamber III, par. 16. 142 ICC-01/05-01/08-3646 06-07-2018 Prosecution’s submissions on the reparations proceedings before Trial Chamber III, par. 17. 143 In die andere Richtung weist jedoch Art. 7 Abs. 8 Nato-Truppenstatut, der eine Bestrafung durch den Entsendestaat nicht ausschließt, wenn das Truppenmitglied von einer Behörde einer anderen Vertragspartei bestraft wurde. 144 BGH, Urteil vom 13.10.1959 – 1 StR 57/59, NJW 1960, 52; BeckOK StPO/Wiedner, 34. Aufl., Stand: 01.07.2019, StPO § 354 Rn. 8. 145 BGH, Urteil vom 22.04.2004, 5 StR 534/02, NStZ-RR 04, 270.

III. Zusammenfassung

189

begrenzte auf der anderen Seite die vom Ausgangsgericht strafrechtlich zu bewertenden Umständen, auch im Hinblick auf die Vorgesetztenstrafbarkeit auf die in der Anklageschrift beschriebenen Grunddelikte. Die hierbei gesetzten Maßstäbe werden sich auf künftige vergleichbare Verfahren auswirken. Ob sich die von der Kammer aufgestellten Richtlinien durchsetzen, ist nach derzeitigem Stand nicht abzusehen, da auf absehbare Zeit keine vergleichbare Rechtsmittelentscheidung ansteht. Die erste Möglichkeit könnte erst das Ntaganda-Verfahren liefern.146 Die am 08. Juli 2019 getroffene erstinstanzlich Verurteilung betraf auf materieller Ebene der individuellen Verantwortlichkeit jedoch nicht die Vorgesetztenverantwortlichkeit i. S. d. Art. 28 IStGHSt, sondern eine Tatbegehung als direkter bzw. indirekter (Mit-) Täter i. S. d. Art. 25 Abs. 3 a) IStGHSt.147 Neue und übertragbare Erkenntnisse sind daher vornehmlich auf prozessualer Ebene erwartbar. Wenn sie sich durchsetzen sollten, werden die Strafverfolgungsbehörden in vergleichbaren Fällen in Anbetracht der Beweisproblemtik hinsichtlich der zu ergreifenden Gegenmaßnahmen, vor große Hürden gestellt. Im Ergebnis wird die Herausforderung, einen Vorgesetzten, der sich zum Zeitpunkt der Taten nicht unmittelbar vor Ort befand, völkerstrafrechtlich zu belangen, noch etwas größer. Der Prüfungsmaßstab des BGH als Revisionsinstanz ist im Vergleich zur hiesigen Mehrheitsentscheidung des IStGH in Bezug auf tatsächliche Feststellungen limitiert. Hätte der BGH festgestellt, dass für Teile der abgeurteilten Taten keine entsprechende Anklage oder Nachtragsanklage vorliegt, hätte auch dies zu einem Verfahrenshindernis geführt und das Verfahren wäre hinsichtlich der nicht angeklagten Taten einzustellen gewesen, da eine Nachtragsanklage nur in der ersten Instanz und daher im Revisionsverfahren selbst grundsätzlich nicht möglich ist.148 Eine Nachholung der Nachtragsanklage ist nur im Falle der Zurückverweisung möglich.149 Hinsichtlich der tatsächlichen Anforderungen scheint der BGH ebenfalls den Weg zu beschreiten, an die Strafbarkeit für fernab befindliche Vorgesetzte strenge Maßstäbe anlegen zu wollen. Damit befindet sich der BGH sicherlich mehr auf Linie der drei Mehrheitsrichter der Berufungskammer des IStGH. Bedeutung für das Völkerstrafrecht in Deutschland hat vor allem die Tatsache, dass der BGH keine Verfahrensfehler feststellen konnte, die eine Aufhebung des Urteils rechtfertigen. Bedenken gegenüber der Geeignetheit der StPO sind demnach keine weitere Nahrung gegeben. Die Aufhebung beruhte vielmehr auf den Sachrügen und zwar sowohl der Verteidigung als auch des Generalbundesanwaltes. Dies mag an der verhältnismäßig neuen Rechtsmaterie des VStGB liegen, zu der es bislang wenig praktische Erfahrungen gibt. Die Bedeutung des Merkmals des „Sich-in-der-GewaltBefindens“ gemäß § 8 Abs. 6 Nr. 2 VStGB, das nach hiesiger Auffassung eine der 146

The Prosecutor v. Bosco Ntaganda ICC-01/04-02/06. The Prosecutor v. Bosco Ntaganda ICC-01/04-02/06-2359 08-07-2019, 535 ff. 148 Vgl. MüKoStPO/Norouzi, 1. Aufl. 2016, StPO § 266 Rn. 6; MüKoStPO/Wenske, 1. Aufl. 2016, StPO § 200 Rn. 105. 149 Vgl. MüKoStPO/Norouzi, 1. Aufl. 2016, StPO § 266 Rn. 24. 147

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E. Die zweitinstanzlichen Entscheidungen

Fehlerquellen war, die zur Aufhebung des Urteils führten, war dem entscheidenden Senat des OLG Stuttgart möglicherweise gar nicht bewusst. Sowohl der BGH als auch die Berufungskammer des IStGH stellen hohe Anforderungen an den Nachweis der kausalen Tatbeiträge von Führungspersönlichkeiten, die sich nicht unmittelbar im Kriegsgebiet aufhalten. Im Sinne der Bewahrung der Unschuldsvermutung und der Wahrung der Rechte des Angeklagten und der Verteidigung ist die Maßgabe auch auf spektakuläre, internationale Verbrechen strenge juristische Prüfungen anzulegen, zu begrüßen. Dies wird aber bei ähnlich gelagerten Fällen gegebenenfalls noch aufwändigere Ermittlungen und Beweisaufnahmen erforderlich machen.

F. Opferentschädigung Eine weitere Problematik, die sich in modernen völkerstrafrechtlichen Verfahren stellt, ist die Frage der Entschädigung der Opfer, die in nicht wenigen Fällen neben den physischen und psychischen Schäden auch erhebliche wirtschaftliche Schäden zu verkraften hatten – man denke an die Plünderungen im Verfahren gegen Bemba oder die niedergebrannten Häuser in den angegriffenen Ortschaften in der DR Kongo. Angesichts der Vielzahl an potentiellen Opfern ist ein effektiver und fairer Mechanismus notwendig, um Entschädigungszahlungen zu ermöglichen. Denn auch in der Wiedergutmachung durch Geldzahlungen können Opfer Gerechtigkeit erfahren, was neben einem fairen Verfahren für den Angeklagten eine weitere Funktion des Strafprozesses ist.1

I. Deutsche Rechtslage und Verfahren gegen Dr. M. und M. Im Mittelpunkt sollen nunmehr die prozessualen Wege stehen, auf denen die Opfer im Rahmen des Strafverfahrens Entschädigungsleistungen erhalten können, ohne die ordentlichen Gerichte, mit Ausnahme der Strafgerichte, in Anspruch nehmen zu müssen. 1. Rechtliche Möglichkeiten der Entschädigung In erster Linie besteht die Möglichkeit des Adhäsionsverfahrens gemäß § 403 StPO. Dieses bietet grundsätzlich auch in Völkerstrafverfahren die Gelegenheit, vermögensrechtliche Ansprüche, die aus der Straftat erwachsen sind und normalerweise in die Zuständigkeit der ordentlichen bzw. Zivilgerichte fielen, im Strafverfahren nach den Regeln der StPO geltend zu machen. Ein damit verbundener Vorteil ist, dass der Amtsermittlungs- und nicht der Beibringungsgrundsatz gilt.2 Das Risiko, erforderliche Beweismittel nicht vorzulegen und im späteren Verlauf mit diesen präkludiert zu sein, ist daher minimiert. Zu den einklagbaren vermögensrechtlichen Ansprüchen zählen insbesondere Schadensersatzansprüche und Ansprüche auf Schmerzensgeld gemäß § 253 Abs. 2 BGB.3 Voraussetzung ist, dass der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für Zivi im Sinne von § 13 GVG gegeben 1 Vgl. Ambos/Triffterer/Donat-Cattin, 3. Aufl. 2016, Art. 75 Rn. 5; Safferling, ZStW 115, 2003, 352 (378). 2 Vgl. KK-StPO/Zabeck, 8. Aufl. 2019, § 404 Rn. 11. 3 Vgl. KK-StPO/Zabeck, 8. Aufl. 2019, § 403 Rn. 1.

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F. Opferentschädigung

wäre, § 403 StPO. Die Begründetheit der Ansprüche, wird jedoch an zivilrechtlichen Maßstäben gemessen. Einen Opferentschädigungsfonds, der dem des Internationalen Strafgerichtshofs vergleichbar wäre, und auf den noch näher eingegangenen wird, gibt es in Deutschland für den Bereich des VStGB nicht.4 Auch der „Aktionsplan zur Umsetzung der UN Resolution 1325“,5 der die Rechte von Frauen, die Opfer sexualisierter Gewalt geworden sind, beinhaltet, enthält nicht die Absicht einen solchen einzuführen. Daneben existiert in Deutschland die Möglichkeit, Versorgungsleistungen in entsprechender Anwendung des Bundesversorgungsgesetzes zu erhalten, § 1 Opferentschädigungsgesetz (OEG). Diese Leistungen, die zurückgehen auf den Schutzauftrag des Sozialstaatsprinzips gemäß Art. 20 Abs. 1 GG,6 setzen in örtlicher Hinsicht voraus, dass der Antragsteller eine gesundheitliche Schädigung im Geltungsbereich des OEG und damit in Deutschland oder auf einem deutschen Schiff oder Luftfahrzeug erlitten hat, § 1 Abs. 1 OEG. Ausländern steht ein Versorgungsanspruch nur zu, wenn sie europäische Staatsangehörige sind, Rechtsvorschriften der Europäischen Gemeinschaften eine Deutschengleichbehandlung erfordern oder Gegenseitigkeit gewährleistet ist, § 1 Abs. 4 OEG, oder aber der sonstige Ausländer sich für mindestens sechs Monate rechtmäßig in Deutschland aufhält, § 1 Abs. 5 OEG. Der Hintergrund des streng anmutenden Territorialitätsprinzips ist, dass der Staat es auf seinem Territorium nicht vermocht hat, mit seinen Sicherheitskräften den Betroffenen vor einer Gewalttat zu bewahren.7 Da die Verletzungen im Rahmen völkerstrafrechtlicher Verbrechen in der Regel nicht im Bundesgebiet eintreten, wird das OEG für Opfer auf absehbare Zeit kein erfolgversprechendes Instrumentarium sein. Auch § 3a OEG, wonach für Gewalttaten, die sich im Ausland zugetragen haben, Leistungen gewährt werden können, wird regelmäßig ausscheiden, da die Geschädigten entweder deutsche oder Ausländer im Sinne des § 1 Abs. 4 oder 5 Nr. 1 OEG sein müssten. Ein Anspruch käme danach nur in Betracht, wenn das Opfer deutsch, EU-Ausländer oder sich seit mindestens drei Jahren ununterbrochen rechtmäßig im Bundesgebiet aufgehalten und den Tatort nur für einen vorübergehenden Zeitraum aufgesucht hatte. Im hiesigen Fall sind die Gewalttaten an kongolesischen Opfern in der DR Kongo verübt worden, sodass ein Anspruch nach dem OEG nicht zur Disposition stand.

4

Vgl. Mischkowski, in: Safferling/Kirsch, Völkerstrafrechtspolitik: Praxis des Völkerstrafrechts, 2014, 113 (119). 5 Resolution 1325 zu Frauen, Frieden, Sicherheit des Sicherheitsrates der Vereinen Nationen für den Zeitraum 2017 bis 2020. 6 Vgl. BT-Drs. 7/2506, 1, 12. 7 Vgl. Kunz/Zellner/Gelhausen/Weiner, 5. Aufl. 2010, § 1 Rn. 6.

I. Deutsche Rechtslage und Verfahren gegen Dr. M. und M.

193

2. Entschädigung im Verfahren gegen Dr. M. und M. Tatsächlich wurden vor dem OLG Stuttgart nicht einmal Entschädigungsverhandlungen geführt und in der Folge auch kein Geldansprüche, weder gegenüber dem Angeklagten noch gegenüber staatlichen Einrichtungen, zugesprochen. Theoretisch möglich wäre es gewesen, im Rahmen des Adhäsionsverfahrens einen Schmerzensgeldanspruch nach § 823 Abs. 1 i. V. m. § 253 Abs. 2 BGB wegen Körperverletzungen und daraus resultierender dauerhafter Schäden und Eigentumsverletzungen einzufordern. Der Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten im Sinne von § 13 GVG wäre bei deliktischen Ansprüchen zweifellos gegeben, da es sich um eine bürgerliche Streitigkeit handelt. Fragliche wäre jedoch die örtliche Zuständigkeit der deutschen Gerichte. Sie wäre aber zum einen über den allgemeinen Gerichtsstand des Wohnsitzes §§ 12,13 ZPO gegeben gewesen und zum anderen auch über den besonderen Gerichtsstand der unerlaubten Handlung gemäß § 32 ZPO. Wenn dessen Voraussetzungen nämlich erfüllt sind, begründet dieser neben der deutschen örtlichen Zuständigkeit auch die internationale Zuständigkeit.8 Die Voraussetzungen wären deshalb zu bejahen, weil der Tatort im Sinne des § 32 ZPO überall dort zu sehen ist, wo ein Teilakt der unerlaubten Handlung begangen wird.9 Bei unerlaubten Handlungen mehrerer Beteiligter muss sich jeder Beteiligte die Handlungen der weiteren Beteiligten auch im Hinblick auf den Gerichtsstand zurechnen lassen.10 Im vorliegenden Fall hat zumindest der Angeklagte Dr. M., dessen Handlungen über bloße Vorbereitungshandlungen hinaus gingen,11 einen Teilakt erfüllt. Allerdings stellt sich auf materieller Ebene das Problem der erforderlichen haftungsbegründenden Kausalität, die verlangt, dass ein Schädiger nur für die Schäden einzustehen hat, die bei pflichtgemäßem, sorgfältigem Handeln nicht eingetreten wären, erforderlich ist demnach der Nachweis der Ursächlichkeit seiner Pflichtwidrigkeit.12 Angesichts der zweifelhaften Kontroll- und Verbrechensverhinderungsmöglichkeiten des Angeklagten ist jedoch eher unwahrscheinlich, dass hier eine solche Kausalität bewiesen werden könnte.13 Die Handlungen des Dr. M. haben zwar – zumindest nach Meinung des erstinstanzlich entscheidenden Senats des OLG Stuttgarts – die Taten gefördert. Ob die Schäden bei pflichtgemäßen Verhinderungsbemühungen oder sogar bloßer Untätigkeit nicht eingetreten wären, erscheint

8

Vgl. MüKoZPO/Patzina, 5. Aufl. 2016, § 32 Rn. 41. BGHZ 40, 391 (395) = NJW 1964, 969; MüKoZPO/Patzina, 5. Aufl. 2016, § 32 Rn. 20. 10 BGHZ 184, 365 (371) = BGH NJW-RR 2011, 1188 Rn. 20; BeckOK ZPO/Toussaint, 33. Aufl., Stand: 01.07.2019, ZPO § 32 Rn. 10 – 11. 11 Vgl. MüKoZPO/Patzina, 5. Aufl. 2016, § 32 Rn. 20. 12 Vgl. MüKoBGB/Wagner, 7. Aufl. 2017, BGB § 823 Rn. 68. 13 OLG Stuttgart OLG Stuttgart, Urteil vom 28.09.2015, 5 – 3 StE 6/10, Teil 2 B. III. 2. a) und b). 9

194

F. Opferentschädigung

jedoch zweifelhaft. Es könnte somit zwar die deutsche Gerichtsbarkeit begründet werden, ob der Anspruch begründet ist, darf aber bezweifelt werden. 3. Entschädigung der Angeklagten im Falle eines Freispruchs oder reduzierten Strafmaßes Im Falle eines Freispruchs oder einer Verfahrenseinstellung räumt in Deutschland § 1 des Strafrechtsentschädigungsgesetzes (StrEG) den Betroffenen einen Entschädigungsanspruch für die Folgen einer unrechtmäßigen, aber rechtskräftigen Verurteilung ein. § 2 gewährt dies für sonstige Strafverfolgungsmaßnahmen, insbesondere für zu Unrecht erlittene Untersuchungshaft. Erfasst ist hiervon nur rechtmäßiges staatliches Handeln.14 Für rechtswidrige Verfolgungsmaßnahmen steht der Amtshaftungsanspruch gemäß § 839 BGB i. V. m. Art. 34 GG bereit, der jedoch ein Verschulden voraussetzt. Für Schäden, die nicht Vermögensschäden sind, sieht § 7 Abs. 3 StrEG einen pauschalen Betrag in Höhe von 25,00 E für jeden angefangenen Tag der Freiheitsentziehung. Für Vermögensschäden kann ein darüberhinausgehender Schaden, der kausal auf die Freiheitsentziehung zurückzuführen ist geltend gemacht werden, § 7 Abs. 1 und 2 StrEG.15 Weitere Voraussetzungen, wie eine grob falsche oder offensichtlich rechtswidrige Entscheidung, bestehen im Rahmen des StrEG nicht. Da M. unmittelbar nach der Urteilsverkündung 2015 aus der Haft entlassen wurde, seine Verurteilung rechtskräftig wurde und keine Rechtskraftdurchbrechung absehbar ist, kommt für ihn kein Entschädigungsanspruch in Betracht. Da das Verfahren gegen Dr. M. nicht abgeschlossen werden konnte, wird ungeklärt bleiben, ob er möglicherweise einen Teil seiner Haftzeit zu Unrecht ableisten musste.

II. Rechtslage nach dem Römischen Statut und Verfahren gegen Bemba Auch hier soll zunächst ein kurzer Überblick über das rechtliche Regime der Wiedergutmachung gegeben werden, bevor auf die konkrete Handhabung im Verfahren eingegangen wird. 1. Überblick über die Rechtslage Die Opferentschädigung wird neben den Opferschutzvorschriften der Art. 68 Abs. 1 und 2 IStGHSt und der Verfahrensbeteiligung der Opfer im engeren Sinne gemäß Art. 68 Abs. 3 IStGHSt als dritter Teil der Opferbeteiligung nach dem Rö-

14 15

Vgl. BeckOK OWiG/Grommes, 21. Aufl., Stand: 01.01.2019, StrEG § 2 Rn. 2. Vgl. MüKoStPO/Kunz, 1. Aufl. 2018, StrEG § 7 Rn. 10.

II. Rechtslage nach dem Römischen Statut und Verfahren gegen Bemba

195

mischen Statut angesehen.16 Dass die Entschädigung überhaupt im Römischen Statut und seiner Verfahrens- und Beweisordnung kodifiziert wurde, stellt ein Novum im Völkerrecht dar.17 Rechtlicher Ausgangspunkt ist Art. 75 IStGHSt, der durch die Regeln 94 – 99 VBO ergänzt wird. In der Literatur wird diesen Normen eine gewisse Vagheit attestiert, da nicht klar sei, ob es sich um einen zivilrechtlichen Schadensersatz – Schabas spricht von eine zivilrechtlichen Anspruch (civil claim) vor dem IStGH18 – oder um einen Teil einer strafrechtlichen Sanktion handelt und wie das Verhältnis zu möglichen nationalen Rückerstattungs- und Entschädigungsklagen geregelt sein soll.19 Etwas Klarheit schafft hier nur Art. 75 Abs. 6 IStGHSt, wonach dieser Artikel nicht so auszulegen ist, als beeinträchtige er die Rechte der Opfer nach einzelstaatlichem Recht oder nach dem Völkerrecht. Das deutet darauf hin, dass selbst nach einer Anordnung des IStGH weitere bislang nicht berücksichtigte Formen der Wiedergutmachung erlangt werden könnten und die Differenz zwischen der vom Gerichtshof zugesprochenen Entschädigung und dem tatsächlichen Schaden einklagbar bleiben.20 Art. 75 Abs. 1 IStGHSt räumt dem Gerichtshof die Befugnis ein, Grundsätze zur Wiedergutmachung aufzustellen, die an oder in Bezug auf die Opfer zu leisten sind. Genauer definiert werden diese Grundsätze aber auch in der VBO nicht, sodass dem Gerichtshof hier ein erheblicher Ermessensspielraum zusteht.21 Adressat einer entsprechenden Wiedergutmachungsanordnung kann nur der Verurteilte in persona sein, vgl. Regel 98 Ziff. 1 VBO, und nicht etwa ein Staat. Grund hierfür ist, dass die Gerichtsbarkeit des IStGH sich nur auf natürliche Personen erstreckt, Art 25 Abs. 1 IStGHSt.22 Die Zahlungen des Verurteilten können dem Opfer entweder direkt oder mittelbar über den Treuhandfonds, den sog „Trust Fund“ zufließen, dessen Rechtsgrundlage sich in Art. 79 IStGHSt findet und auf eine Resolution der Vertragsstaaten zurückgeht.23 Hierbei kann der Gerichtshof sowohl Zahlungen an das individuelle Opfer, als auch auf kollektiver Basis zusprechen, Regel 97 Ziff. 1 VBO, wobei angesichts der Vielzahl an Opfern von häufig verhandelten Massenverbrechen, letzteres die Regel sein wird.24 Antragsberechtigt sind zum einen die Opfer selbst, wie sie in Regel 85 VBO definiert werden aber auch deren Familienange16

Vgl. Safferling, ZStW 115, 2003, 352 (371). Vgl. Youssef, 2008, 159; Shabas, 2. Aufl. 2016, 1137 ff. 18 Vgl. Schabas, 2. Aufl. 2016, 1137. 19 Vgl. Safferling ZStW 122, 2010, 87 (110); Youssef, 2008, 161. 20 Vgl. Youssef, 2008, 159. 21 Vgl. Ambos/Triffterer/Donat-Cattin, 3. Aufl. 2016, Art. 75 Rn. 9. 22 Vgl. Youssef, 2008, 159. 23 Resolution ICC-ASP/1/Res.6; vgl. zu den Zielen und Aufgaben des Trust Fund, die über die bloße Zahlungsabwicklung hinausgehen: Ambos/Triffterer/Khan, 3. Aufl. 2016, Art. 79 Rn. 1. 24 Vgl. Youssef, 2008, 177; zu weiteren Fragen des Wiedergutmachungsregimes vgl. Safferling, ZStW 115, 2003, 352 (379 ff.); Youssef, 2008 159 ff. 17

196

F. Opferentschädigung

hörige, was sich aus der Formulierung „in Bezug auf die Opfer“ ergibt.25 Die vorherige Verfahrensbeteiligung ist keine Voraussetzung für die Hilfe durch den Treuhandfonds, dieser soll vielmehr allen Opfern und deren Angehörigen von Verbrechen, die der Gerichtsbarkeit des IStGH unterliegen, Wiedergutmachung zukommen lassen, Art. 79 Abs. 1 IStGHSt. Gespeist wird der Treuhandfonds durch vier verschiedene Quellen: Freiwillige Beiträge von Staaten, internationalen Organisationen, Einzelpersonen etc.; Geldstrafen oder eingezogenes Vermögen; durch Wiedergutmachungsanordnungen und durch die Versammlung der Vertragsstaaten zur Verfügung gestellte Mittel.26 2. Reparationsverfahren gegen Bemba Im Folgenden soll überblicksartig der Verlauf des Reparationsverfahrens gegen Bemba dargelegt werden. Da sich die Entscheidung an der Entscheidung in der Hauptsache zu orientieren hat, wurden die Ansprüche im Ergebnis abgelehnt. Die für das Reparationsverfahren zuständige Hauptverfahrenskammer gab am 13. Juni 2018, also bereits kurz nach der Verkündung des Freispruchs, den Beteiligten (inklusive den Vertretern des Treuhandfonds, den rechtlichen Vertretern der Opfer sowie dem Büro für Opfer (OPCV)) eine abschließende Stellungnahmefrist.27 In ihrer Entscheidung vom 03. August 2018 begründete sie jedoch erwartungsgemäß ihre Entscheidung, keine Entschädigung zuzusprechen, damit, dass dies nur möglich sei, wenn die Person, über dessen Kompensationspflicht gemäß Art. 75 IStGHSt zu entscheiden ist, schuldig gesprochen wurde.28 Angesichts des Wortlauts von Art. 75 IStGHSt, der in Abs. 2 einen „Verurteilten“ voraussetzt und der zuvor ergangenen Rechtsprechung in den Verfahren gegen Ruto und Sang,29 war die Entscheidung absehbar. Die Anerkennung des Opferstatus und des Umstandes, dass ihnen tatsächlich ein Schaden entstanden ist,30 bleibt daher für die Betroffenen von deklaratorischer Natur. Nachdem am 21. Juni 2016 der erstinstanzliche Strafspruch erging, ordnete die neu zusammengesetzte Hauptverfahrenskammer bereits am 22. Juli 2016 den Beginn des Reparationsverfahrens an und forderte die Beteiligten zu Stellungnahmen auf.31 Das parallel zur Berufung in der Hauptsache laufende Verfahren dauerte über 25

Vgl. Youssef, 2008, 164. Vgl. 21 RTFV. 27 ICC-01/05-01/08-3639 13-06-2018 Order inviting submissions following the Appeals Decision. 28 ICC-01/05-01/08-3653 03-08-2018 Final decision on the reparations proceedings, par. 3. 29 The Prosecutor vs. William Samoei Ruto und Joshua Arap Sang, ICC-01/09-01/11-2038 01-07-2016 Decisin on the Requests regaring Reparations, par. 7. 30 ICC-01/05-01/08-3653 03-08-2018 Final decision on the reparations proceedings, par. 6 f. 31 ICC-01/05-01/08-3410 22-07-2016 Order requesting submissions relevant to reparations. 26

II. Rechtslage nach dem Römischen Statut und Verfahren gegen Bemba

197

zwei Jahre und wurde schriftlich geführt. Ein Antrag Bembas, das Reparationsverfahren während des Berufungsverfahrens auszusetzen, wurde abgelehnt, da es gängige Praxis des Gerichtshof sei, zumindest vorbereitende Maßnahmen wie die Benennung von Sachverständigen parallel zum Hautsachverfahren zu ergreifen.32 Berücksichtigt wurden zahlreiche Stellungnahmen sowohl der oben genannten Parteien als auch weiterer Organisationen gemäß Art. 75 Abs. 3 IStGHSt und Regel 103 VBO. Danach ist es zu jeder Zeit des Verfahrens möglich, dass die Kammer in Ausübung ihres Ermessens Staaten, Organisationen oder Personen auffordert oder einen entsprechenden Antrag zulässt, Beobachtungen einzureichen. Im hiesigen Verfahren gingen Stellungnahmen u. a. von der Queens Universität Belfast33 sowie seitens der Vereinten Nationen ein,34 und von wie vier Sachverständige35 ein.36 Da die Kammer keine Reparationen zusprechen konnte, verblieb es letztlich bei der formalen Anerkennung durch die Hauptverfahrenskammer,37 dem Hinweis der Anklage, dass sich die Opfer Entschädigungen über andere Wege erstreiten müssten, etwa durch nationale Zivilverfahren oder Strafverfahren gegen andere MLC Mitglieder, vornehmlich die Täter der Grunddelikte.38 Darüber hinaus kündigte der Treuhandfonds an, ein Hilfsprogramm aufzulegen, welches physische, psychologische und materielle Hilfe für die Opfer und deren Familien anbieten wird.39 Die Geldstrafen im Parallelverfahren wegen Zeugenbeeinflussung blieben aufrechterhalten. Die Zahlungen waren gemäß Regel 166 Ziff. 4 VBO innerhalb von drei Monaten an den Gerichtshof zu leisten, der diese dann an den Treuhandfonds im Sinne des Art. 79 Abs. 2 IStGHSt weiterleitet.40 Ein Reparationsverfahren wurde hier nicht durchgeführt, da Geschädigter der Zeugenbeeinflussung die Strafrechtspflege und kein Opfer als natürliche Person ist.

32 ICC-01/05-01/08-3522 05-05-2017 Decision on the Defence’s request to suspend the reparations proceedings, par. 15 ff. 33 ICC-01/05-01/08-3444 17-10-2016 Submission by QUB Human Rights Centre on reparations issues pursuant to Article 75 of the Statute. 34 ICC-01/05-01/08-3449 17-10-2016 Joint submission by the United Nations containing observations on Reparations pursuant to Rule 103 of the Rules of Procedure and Evidence. 35 ICC-01/05-01/08-3575-Conf-Exp-Anx-Corr2 Expert Report. 36 ICC-01/05-01/08-3653 03-08-2018 Final decision on the reparations proceedings, par. 8. 37 ICC-01/05-01/08-3653 03-08-2018 Final decision on the reparations proceedings, par. 6 f. 38 ICC-01/05-01/08-3646 06-07-2018 06-07-2018 Prosecution’s submissions on the reparations proceedings before Trial Chamber III, par. 15 ff. 39 Vgl. Pressemitteilung des Treuhandfondss vom 13.06.2018. 40 ICC-01/05-01/13-2123-Corr 22-03-2017 Decision on Sentence pursuant to Article 76 of the Statute, par. 199.

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F. Opferentschädigung

3. Entschädigung des Freigesprochenen Da Bemba freigesprochen wurde, stellte sich für Bemba die Frage seiner Entschädigung. Grundsätzlich besteht gemäß Art. 85 Abs. 3 IStGHSt die Möglichkeit solcher Zahlungen. Hierfür müssen jedoch außergewöhnliche Umstände („grave and manifest misscarriage of justice“) vorliegen, aus denen hervorgeht, dass es sich bei der Verurteilung um ein schwerwiegendes und offenkundiges Fehlurteil handelt. Eine Definition, was unter „außergewöhnlichen Umständen“ verstanden wird, ist jedoch nicht ersichtlich. Die Formulierung „grave and manifest“ im englischen Text impliziert jedoch, dass es sich um einen engeren Maßstab handelt als das bloße Vorliegen eines Justizirrtums oder Fehlurteils wie dies für die Aufhebung des Urteils erforderlich war.41 Es liegt mithin im Ermessen des Gerichtshofs, ob eine Entschädigung zugesprochen wird oder nicht. Ein Rechtsanspruch, der durch die bloße Aufhebung des erstinstanzlichen Urteils ausgelöst wird, besteht nicht.42 Es spricht einiges dafür, dass es sich um eine restriktiv zu behandelnde Ausnahmevorschrift handelt, die in der Regel nicht zu einer Entschädigung führt. Die beiden bislang entschiedenen Anträge wurden abgelehnt.43 Einen festen Betrag für immaterielle Schäden wie in § 7 Abs. 3 StrEG gibt es im Römischen Statut und seinen ergänzenden Vorschriften nicht. Einzige Richtlinie ist Regel 175 VBO, wonach die Konsequenzen von schweren und manifesten Justizfehlern auf die persönliche, familiäre, soziale und professionelle Situation des Antragstellers zu berücksichtigen sind. Bemba reichte jedoch am 08. März 2019, nachdem ihm zuvor die sechsmonatige Frist der Regel 173 Ziff. 2 verlängert wurde, einen Antrag44 bei der hierfür gemäß Regel 173 Ziff. 1 für zuständig erklärten Vorverfahrenskammer II ein.45 Er lautete auf einen bisher beispiellosen Betrag in Höhe von 68,8 Mio. E (77,7 Mio. US$).46 Dieser Betrag ergibt sich aus den infolge der Inhaftierung und Beschlagnahme vermeintlich erlittenen Vermögensschäden, einer Entschädigungssumme für zehn Jahre un41

Vgl. Ambos/Triffterer/Staker/Nerlich, 3. Aufl. 2016, Art. 85 Rn. 6. Vgl. Ambos/Triffterer/Staker/Nerlich, 3. Aufl. 2016, Art. 85 Rn. 6. 43 Vgl. Entscheidung auf den Antrag des ehemaligen Case Managers Bembas Mangenda Kabongo ICC-01/05-01/13-1663 26-02-2016 Decision on request for compensation for unlawful detention; The Prosecutor vs. Mathieu Ngudjolo ICC-01/04-02/12-301-tENG 10-032016 Decision on the „Requeˆ te en indemnisation en application des dispositions de l’article 85(1) et (3) du Statut de Rome“. 44 ICC-01/05-01/08-3673-Red, nach ICC-01/05-01/08-3675 14-03-2019, Order on the conduct of the proceedings related to Mr Bemba’s claim for compensation and damages, Fn. 6, wobei das Originaldokument des Antrags noch nicht abrufbar ist. 45 ICC-01/05-01/08-3662-Conf-Exp 30-10-2018, Presidency, Decision referring a request arising under article 85 to Pre-Trial Chamber II. 46 Vgl. Wakabi, Beitrag vom 12.03.2019, Bemba Seeks US$ 77.7 Million awards from ICC, with US$ 24 Million to go to victims, Beitrag auf ijmonitor.org, abrufbar unter https://www.ijmo nitor.org/2019/03/bemba-seeks-us-77-7-million-award-from-icc-with-us-24-million-to-go-tovictims/, zuletzt zugegriffen am 17.03.2019. 42

II. Rechtslage nach dem Römischen Statut und Verfahren gegen Bemba

199

rechtmäßiger Haftzeit sowie Schäden, die aufgrund pflichtwidriger Handhabung der beschlagnahmten Gegenstände entstanden sein sollen.47 Die mündliche Verhandlung begann jedoch erst am 09. Mai 2019,48 sodass der Ausgang des Entschädigungsverfahrens bereits zeitlich den Bereich der gegenständlichen Arbeit verlässt. Angesichts der nicht unumstrittenen zweitinstanzlichen Entscheidung, insbesondere vor dem Hintergrund, dass selbst zwei der fünf entscheidenden Richter der Berufungskammer dem Freispruch ausführlich begründet und durchaus vertretbar entgegentraten, ist zweifelhaft, ob Bembas Antrag im Rahmen von Art. 85 IStGHSt begründet sein wird. Inwieweit Amtshaftungsansprüche gegen das Königreich Belgien, das Königreich Niederlande oder die DR Kongo bestehen können, welche die Beschlagnahmeanordnungen des Gerichts vollzogen haben und, ob hierfür der IStGH entscheidungskompetent ist, bleibt abzuwarten.

47

Vgl. Wakabi, Beitrag vom 12.03.2019, Bemba Seeks US$ 77.7 Million awards from ICC, with US$ 24 Million to go to victims, Beitrag auf ijmonitor.org, abrufbar unter https://www.ijmo nitor.org/2019/03/bemba-seeks-us-77-7-million-award-from-icc-with-us-24-million-to-go-tovictims/, zuletzt zugegriffen am 17.03.2019. 48 ICC-01/05-01/08-3673-Red, nach ICC-01/05-01/08-3675 14-03-2019, Order on the conduct of the proceedings related to „Mr Bemba’s claim for compensation and damages“, 6.

G. Öffentlichkeitsbeteiligung Damit die Ziele, die ein völkerstrafrechtliches Verfahren verfolgt, erreicht werden können, ist die Einbindung der betroffenen Bevölkerung erforderlich, um dem Verfahren auch dort ein gewisses Maß an Akzeptanz und Legitimation angedeihen zu lassen.1 Die Bedeutung der öffentlichen Wahrnehmung zeigt sich aber nicht nur am Einfluss des Verfahrens auf die Bevölkerung, sondern auch umgekehrt in der Tatsache, dass eine breite Beteiligung die Durchführbarkeit und den Erfolg des Verfahrens beeinflussen kann, da beispielsweise Zeugenaussagen effektiver generiert werden können, wenn die betroffenen Personen von den Ermittlungen und dem Prozess erfahren. Der Wert des Völkerstrafverfahrens wird mithin auch am Einfluss auf die betroffene Bevölkerung gemessen.2 Die öffentliche Wahrnehmbarkeit und Transparenz der Verfahren ist in diesem Zusammenhang Voraussetzung der Anerkennung von Rechtstaatlichkeit, Abschreckung zukünftiger Verbrechen und die Förderung von Frieden und Versöhnung in ehemaligen und aktuellen Konfliktgebieten.3 Damit eine Aussöhnung möglich ist, sollten die Opfer in den Tatortregionen von der Existenz sowie dem Verlauf und dem Ergebnis des Verfahrens Kenntnis erhalten. Ist es möglich, die Bevölkerung vor Ort kontinuierlich über das Verfahren zu informieren, kann das im Idealfall zu einer Inklusion des Verfahrens in die Gesellschaft führen, was als „ownership“ bezeichnet wird.4 Gelingt dies, kann auch der drohenden Kritik an solchen Verfahren entgegengewirkt werden, mächtige westliche Staaten würden in die Jurisdiktion anderer Länder eingreifen und ihnen das Gefühl der „Enteignung des Konflikts“ vermitteln.5 Um den sog. „outreach“, also das Erreichen der betroffenen Bevölkerung zu gewährleisten, stehen diverse Mittel zur Verfügung:6 Zu nennen sind hier beispielsweise die Dokumentation der Hauptverhandlung mittels Wortprotokollen, das Verfassen von Pressemitteilungen bis hin zur Live-Videoübertragung im Internet. In den beiden zu betrachtenden Verfahren erfolgte die Öffentlichkeitsbeteiligung in unterschiedlichem Maße.

1 2

102. 3 4 5 6

Vgl. Kroker, 2016, 128. Vgl. Vinck/Pham, IJTJ 4, 2010, 421 (422); Peskin, JICJ 3, 2005, 950 (951); Kroker, 2016, Vgl. Peskin, JICJ 3, 2005, 950 (951). Vgl. Pentelovitch, JIL 39, 445 (458); Kroker, 2016, 104. Vgl. Kroker, 2016, 104. Vgl. Vinck/Pham, IJTJ 4, 2010, 421 (422).

I. Verfahren vor dem OLG Stuttgart

201

I. Verfahren vor dem OLG Stuttgart Das deutsche Recht bietet mit § 169 GVG der Öffentlichkeit grundsätzlich die Gelegenheit, die Verhandlungen in Echtzeit mitzuverfolgen. Nach § 169 Abs. 1 S. 1 GVG ist die Verhandlung vor dem erkennenden Gericht einschließlich der Verkündung der Urteile und Beschlüsse öffentlich, § 169 Abs. 1 S. 1 GVG, sodass es auch im Stuttgarter Verfahren Medienvertretern grundsätzlich gestattet war, jeder öffentlichen Verhandlung beizuwohnen. Nicht zugelassen wurde die Öffentlichkeit gemäß § 172 Nr. 1a GVG und § 171b GVG, wenn die Sicherheit und Intimsphäre der Opfer in Gefahr standen.7 Außer der „die tageszeitung“ (taz) machte jedoch kein nationales oder internationales Medium hiervon Gebrauch.8 Trotz dieser Möglichkeit stand die Öffentlichkeitsarbeit des OLG Stuttgart in der Kritik. So wurde vorgebracht, dass seitens des OLG Stuttgart keine aktive Öffentlichkeitsarbeit im Sinne eines „outreach“-Programmes betrieben wurde, das sich speziell an die betroffene Region der DR Kongo wandte.9 Die eigenen Pressemitteilungen des OLG Stuttgart waren ausschließlich in deutscher Sprache gefasst und betrafen vornehmlich organisatorische Aspekte, jedoch keine Verfahrensinhalte. Im Ergebnis fand das Verfahren in der Ereignisregion kaum Wahrnehmung.10 Besonders die nicht erfolgte Übersetzung der Pressemitteilungen in eine der Landessprachen, beispielsweise ins Französische, oder ins Englische,11 erschwerte die Übermittlung der Verfahrensinformationen durch vor Ort tätige Hilfsorganisationen.12 Lediglich über europäische Organisationen wie das ECCHR gelangten Informationen in französischer Sprache an die Organisationen vor Ort.13 Gegen diese Kritik wird eingewandt, dass die aktive Berichterstattung im Sinne von laufenden Wasserstandsmeldungen der deutschen Gerichtskommunikation wesensfremd sei. Es sei grundsätzlich den Medien in deren ureigener Verantwortung überlassen, über bedeutende Strafverfahren zu berichten.14 Vor dem Hintergrund der Handhabung des Internationalen Strafgerichtshofs, insbesondere im hier betrachteten Verfahren gegen Bemba, verdienen die Aspekte der Dokumentation und Veröffentlichung der Verhandlungsinhalte folgende Ausführungen: 7

Vgl. Van Gall, in: Lembke, Menschenrechte und Geschlecht, 2014, 245 (258). Vgl. Medizinischen Flüchtlingshilfe Bochum, Stellungnahme, 3, abrufbar unter http:// www.bo-alternativ.de/aktuell/wp-content/uploads/2015/10/Stellungnahme-Urteilsverk%C3% BCndung-Murwanashyaka.pdf; Online-Schwerpunkt der taz abrufbar unter http://www.taz.de/ !t5009879/. 9 Vgl. Kroker, 2016, 104. 10 Vgl. Mischkowski, in Safferling/Kirsch Völkerstrafrechtspolitik: Praxis des Völkerstrafrechts, 2014, 113 (120). 11 Für die Veröffentlichung zumindest in englischer Sprache: Safferling, BT Drucksache, 18/6341. 12 Vgl. Van Gall, in: Lembke, Menschenrechte und Geschlecht, 2014, 245 (258). 13 Vgl. Kroker, 2016, 105. 14 Vgl. Ritscher, Schriftliche Stellungnahme zu BT Drucksache 18/6341, 12 f. 8

202

G. Öffentlichkeitsbeteiligung

Im Sinne einer besseren Dokumentation wird die Einführung von Wortprotokollen und die audiovisuelle Aufzeichnung der mündlichen Verhandlung gefordert.15 Für die Erstellung von Wortlautprotokollen ist im deutschen Recht § 273 Abs. 3 S. 1 StPO die zentrale Norm. Diese regelt, dass der Vorsitzende von Amts wegen oder auf Antrag einer der an der Verhandlung Beteiligten die vollständige Niederschrift und Verlesung anzuordnen hat, wenn es auf die Feststellung eines Vorgangs in der Hauptverhandlung oder des Wortlauts einer Aussage oder einer Äußerung ankommt. Die Vorschrift hat als solche bereits Ausnahmecharakter16 und ist auch in der bisherigen Praxis, unabhängig vom Stuttgarter Verfahren, eine seltene Ausnahme geblieben.17 Inwieweit hiervon im Stuttgarter Verfahren Gebrauch gemacht wurde, ist mangels Akteneinsicht nicht zu beurteilen. Dass zumindest in Teilen Wortprotokolle angefertigt wurden, ist jedoch wahrscheinlich, zumal häufig Streit über die Übersetzungen einiger Originaldokumente und SMS durch den Dolmetscher entstand und es daher den Parteien mutmaßlich auf den Wortlaut einiger Aussagen ankam.18 Eine audiovisuelle Aufzeichnung und Speicherung von Zeugenaussagen, zu unterscheiden von der bloßen Übertragung der Zeugenaussage gemäß § 247a StPO, machen die §§ 58a Abs. 1 S. 1, 163a Abs. 1 S. 2 StPO grundsätzlich möglich, wobei auch hiervon bislang zurückhaltend Gebrauch gemacht wird.19 Inwieweit das OLG Stuttgart diese Möglichkeit nutzte, ist ebenfalls aktuell nicht ersichtlich. Zu bedenken ist, dass, selbst wenn es in künftigen Völkerstrafverfahren zur Dokumentation im Rahmen der Anfertigung von Wortprotokollen oder der Verwendung von audiovisuell aufgezeichneten Vernehmungen kommen sollte, die Frage der Öffentlichkeitsbeteiligung noch nicht abschließend geklärt ist. Die wortlautgetreue Dokumentation dient im bisherigen Verfahrensrecht den entscheidenden Richtern als verlässlichere Gedächtnisstütze gegenüber der bloß die wesentlichen Inhalte wiedergebenden Protokollierung.20 Auch die audiovisuelle Aufzeichnung verfolgt in erster Linie den Zweck der verbesserten Verfahrensführung und des Zeugenschutzes und ist daher auf die Verwendung für Verfahrenszwecke beschränkt.21 Die audiovisuelle Aufzeichung ebenso wie das Anfertigen von Wortprotokollen zum Zwecke der Veröffentlichung ist weder im GVG noch in der StPO vorgesehen.

15

Vgl. Kroker, 2016, 104. Vgl. BeckOK StPO/Peglau, 34. Aufl., Stand: 01.07.2019, StPO § 273 Rn. 38. 17 Vgl. BMJV Expertenbericht, 129. 18 Vgl. Johnson/Schlindwein/Schmolze, 2016, 350. 19 Vgl. Werle, Schriftliche Stellungnahme zu BT Drucksache 18/6341, 14. 20 Für eine weitere audiovisuelle Dokumentation etwa: BMJV Bericht der Expertenkommission zur effektiveren und praxistauglicheren Ausgestaltung des allgemeinen Strafverfahrens und des jugendgerichtlichen Verfahrens, 2015, 129, im Folgenden: „BMJV Expertenbericht“. 21 Vgl. BeckOK StPO/Huber, 34. Aufl. Stand 01.07.2019, StPO § 58a Rn. 15. 16

I. Verfahren vor dem OLG Stuttgart

203

Der während des Stuttgarter Verfahrens noch nicht um S. 3 f. erweiterte § 169 Abs. 1 S. 2 GVG regelt hierzu: „Ton- und Fernseh-Rundfunkaufnahmen sowie Ton- und Filmaufnahmen zum Zwecke der öffentlichen Vorführung oder Veröffentlichung ihres Inhalts sind unzulässig.“

Seit 18. April 2018, also lange nach dem Ende des erstinstanzlichen Verfahrens ist jedoch folgender S. 3 eingefügt worden.22 „Die Tonübertragung in einen Arbeitsraum für Personen, die für Presse, Hörfunk, Fernsehen oder für andere Medien berichten, kann von dem Gericht zugelassen werden.“

Die unmittelbare Veröffentlichung etwa via Livestream im Internet ist und bleibt demnach unzulässig. Im Einzelfall kann lediglich die Tonübertragung in einen Nebenraum für Pressevertreter, in einen sog. Medienarbeitsraum, zugelassen werden.23 Ebenfalls mit genannter Reform ist § 169 GVG um Abs. 2 erweitert worden, wonach Tonaufnahmen der Verhandlung einschließlich der Verkündung der Urteile und Beschlüsse zu wissenschaftlichen und historischen Zwecken von dem Gericht zugelassen werden können, wenn es sich um ein Verfahren von herausragender zeitgeschichtlicher Bedeutung für die Bundesrepublik Deutschland handelt. Die Aufnahmen sind jedoch nicht zu den Akten zu nehmen und dürfen weder herausgegeben noch für Verfahrenszwecke genutzt werden und sind nach Abschluss des Verfahrens dem jeweils zuständigen Bundes- oder Landesarchiv zur Übernahme anzubieten. Sofern die Aufnahmen nicht angenommen werden, sind sie zu löschen.24 Es bleibt abzuwarten, ob Völkerstrafverfahren zu solchen Verfahren von herausragender zeitgeschichtlicher Bedeutung zählen werden, insbesondere wenn die verhandelten Taten – wie im Stuttgarter Verfahren – ihre größten Auswirkungen nicht auf dem Gebiet der BRD entfalteten. Bezweckt ist mit genannter Regelung nicht die Information der gegenwärtigen Öffentlichkeit, sondern die Forschung viele Jahre nach Abschluss der Verfahren, nämlich dann, wenn die Persönlichkeitsrechte der Betroffenen ihre Wirkung gegenüber wissenschaftlichen Publikationen verloren haben.25 Darüber hinaus hatte der Gesetzgeber für genannte Regelung nicht etwa internationale Völkerstrafverfahren im Blick, sondern das Verfahren um die NSUVerbrechen vor dem OLG München sowie das Ausschwitzverfahren vor dem LG Frankfurt a. M. aus dem Jahr 1963.26 Für vorliegende Ausführungen bleibt es daher bei der Feststellung, dass nur eine passive Öffentlichkeitsarbeit im Rahmen der damals geltenden Fassung des 22

Gesetz zur Erweiterung der Medienöffentlichkeit in Gerichtsverfahren und zur Verbesserung der Kommunikationshilfen für Menschen mit Sprach- und Hörbehinderungen (EMöGG) vom 8.10.2017 (BT-Drs. 18/10144). 23 Vgl. BeckOK GVG/Walther, 03. Aufl., Stand: 01.05.2019ck, GVG § 169 Rn. 19. 24 Vgl. § 169 Abs. 2 GVG. 25 Vgl. BeckOK GVG/Walther, 3. Aufl., Stand: 01.05.2019, GVG § 169 Rn. 25. 26 Vgl. BT-Drs. 18/10144, 19.

204

G. Öffentlichkeitsbeteiligung

§ 169 GVG stattfand, die aktive Öffentlichkeitsarbeit im Sinne eines „outreach“Programmes außerhalb von gelegentlichen Pressemitteilungen27 und der Veröffentlichung des Volltextes des Urteils sowie einiger Zwischenbeschlüsse28 ist nicht erfolgt und rechtlich auch kaum möglich. Es bleibt also nun den Blick zu richten auf die Handhabung der Öffentlichkeitsbeteiligung vor dem IStGH und im Verfahren gegen Bemba.

II. Verfahren vor dem IStGH Das Verfahren vor dem IStGH war und ist insbesondere für die internationale Öffentlichkeit zugänglicher als das deutsche Verfahren. Gemäß Art. 50 Abs. 1 S. 2 IStGHSt müssen die Urteile und auch die sonstigen Entscheidungen zur Regelung grundlegender Fragen in den Amtssprachen des IStGH veröffentlicht werden. Die Arbeitssprachen des Gerichtshofes sind Englisch und Französisch, Art. 50 Abs. 2 IStGHSt. Die Urteile müssen zudem in öffentlichen Sitzungen verkündet werden, Art. 74 Abs. 5 IStGHSt. Gemäß Art. 64 Abs. 7 sind, vergleichbar mit § 169 GVG, die Verhandlungen grundsätzlich öffentlich. Darüber hinaus, und hierin liegt neben der Sprache der wesentliche Unterschied zur deutschen Rechtslage, legen Art. 64 Abs. 10 IStGHSt und Regel 137 Ziff. 1 VBO fest, dass von der Hauptverhandlung ein vollständiges und genaues Verhandlungsprotokoll sowie Audio- und Videoaufzeichungen angefertigt werden müssen. Gemäß Regel 137 Ziff. 2 VBO kann das Gericht die vollständige Veröffentlichung der Verfahrensaufzeichnungen oder auch nur Teilen davon anordnen. Im Zuge dessen werden regelmäßig auf der Webseite des Gerichtshofs Videoübertragungen aus den drei Gerichtssälen bereitgestellt, die im Falle der Veröffentlichung mit 30-minütiger Verzögerung freigeschaltet werden.29 Auch hier kann zwischen französischer und englischer Sprache gewählt werden, die Verhandlungen werden also simultan für ein sehr breites Publikum in eine verständliche Sprache übersetzt. Daneben werden nicht nur die Primärquellen des Verfahrens einem breiteren Publikum zur Verfügung gestellt, es werden zudem im Sinne einer aktiven Öffentlichkeitsbeteiligung weitere Informationen aufbereitet und angeboten. So werden umfangreiche Pressemitteilungen und allgemeine Prozessinformationen auf der Internetseite des IStGH sowohl in englischer als auch in französischer Sprache veröffentlicht.30 Daneben wurde das sog. „Ask the court“-Programm installiert, in 27

Vgl. Pressemitteilung vom 04.03.2011. Vgl. Haftfortdauerbeschlüsse des BGH: Beschl. vom 17. Juni 2010 – AK 3/10, Beschl. vom 8. Oktober 2012 – BGH StB 9/12, Beschl. vom 18. Dezember 2014, BGH StB 15/14; Ablehnung der Verhängung eines Ordnungsgeldes für ausländische Zeugen, Beschl. v. 29. Juni 2012 – OLG Stuttgart 3 StE 6/10. 29 http://player.cdn.tv1.eu/statics/66005/icc.html, zuletzt aufgerufen am 15.11.2018. 30 Vgl. etwa das Informationsblatt „Case Information Sheet“ abrufbar unter https://www. icc-cpi.int/CaseInformationSheets/bembaEng.pdf, zuletzt aufgerufen am 15.11.2018. 28

II. Verfahren vor dem IStGH

205

dessen Rahmen die bedeutendsten Entscheidungen des Verfahrens auf Englisch erklärt und über die Videoplattform „Youtube“ veröffentlicht werden.31 Neben diesen allgemeinen Informationen werden die Wortprotokolle, die sog. „transcripts“ der mündlichen Verhandlungen, sowohl in englischer als auch französischer Sprache über eine vom Gerichtshof bereitgestellte Plattform der Öffentlichkeit zugänglich gemacht.32 Je nach Inhalt werden einzelne Teile etwa von Zeugenaussagen aus Sicherheitsgründen unterdrückt. Das erste Wortprotokoll im Bemba-Verfahren in englischer Sprache vom 23. Mai 2008, dem Tag des ersten Haftbefehlerlasses, beinhaltet die Verhandlung vor der Kammer über den Haftbefehlserlass unter Beteiligung des Anklägers und der Kanzlei.33 Das letzte Wortprotokoll dokumentiert die Verkündung des zweitinstanzlichen Urteils vom 08. Juni 2018.34 Insgesamt sind Wortprotokolle von 375 Verfahrenstagen einsehbar. Die Dokumentation und Veröffentlichung des Verfahrens gingen aber weit über die Wortprotokolle hinaus. So sind in Anwendung des Art. 50 Abs. 1 IStGHSt etliche Einzelentscheidungen nebst Anträgen und Stellungnahmen der Parteien und übrigen Beteiligten ebenfalls im Internet in englischer und französischer Sprache einsehbar.35 Der Internationale Strafgerichtshof hat überdies im Rahmen seines „outreach“Programmes ständige Mitarbeiter in den vielen Krisenregionen, die unter anderem für Nichtregierungsorganisationen vor Ort Informationen bereitstellen können. Daneben ist für diese Organisationen ein eigener Reiter mit spezifischen Informationen auf der Webseite des IStGH eingerichtet.36 Es lässt sich also in puncto aktive Öffentlichkeitsbeteiligung feststellen, dass das Verfahren gegen Bemba sowohl für Medien, Nichtregierungsorganisationen und in der Folge die betroffene Bevölkerung leichter zugänglich war, als das Verfahren vor dem OLG Stuttgart und dadurch ein größeres Publikum erreichen konnte.

31

Vgl. Besprechung des Freispruchs vom 08.06.2018: https://www.youtube.com/watch?v= DoqXAcsi_c8&feature=youtu.be, zum Strafausspruch am 21.06.2016: https://www.youtube. com/watch?v=oWmjjgsG1Is und zur erstinstanzlichen Verurteilung vom 21.03.2016: https:// www.youtube.com/watch?v=sqHt2Yr555A, jeweils zuletzt aufgerufen am 15.11.2018. 32 Abrufbar unter https://www.legal-tools.org/en/browse/ltfolder/0_4493/#results, zuletzt aufgerufen am 15.11.2018. 33 ICC-01/05-T-1-ENG ET WT 23-05-2008. 34 ICC-01/05-01/08-T-375-ENG ET WT 08-06-2018. 35 https://www.legal-tools.org/en/browse/ltfolder/0_3981/#results, zuletzt aufgerufen am 15.11.2018. 36 https://www.icc-cpi.int/get-involved/Pages/ngos.aspx, zuletzt aufgerufen am 15.11.2018.

H. Zusammenfassung und Ausblick Sowohl das Verfahren vor dem OLG Stuttgart als auch das vor dem IStGH lieferten zahlreiche Problemstellungen rechtlicher und tatsächlicher Art. Die Strafverfolgung führte erstinstanzlich zwar zu mehrjährigen Haftstrafen, zweitinstanzlich aber zu deren weitgehender Aufhebung und Zurückverweisung und sogar zu einem Freispruch. Die sich im Zuge der juristischen Aufarbeitung herausgestellten Parallelen und Unterschiede sollen im Folgenden zusammengefasst werden.

I. Völkerstrafrecht in Deutschland und in Den Haag Die Völkerstrafrechtspraxis nahm auf internationaler Ebene andere Wege als auf nationaler. In Deutschland wurden mit den Nürnberger Prozessen und dem für diesen Anlass entworfenen Statut des Internationalen Militärgerichtshof (IMG) die Grundlagen für die moderne Völkerstrafrechtspraxis gelegt. Die weiteren Meilensteine des Völkerstrafrechts wurden bislang durch internationale Ad-hoc-Tribunale ohne direkte deutsche Beteiligung an der Hauptverhandlung gesetzt, insbesondere durch die Tribunale für das ehemalige Jugoslawien und Ruanda, die Mitte der 90er Jahre ihre Arbeit aufnahmen. In Deutschland dauerte es bis zum Jahr 2011 bzw. bis zum Jahr 2015, ehe ein Hauptverfahren abgeschlossen werden konnte. Ermittelt und verurteilt im völkerrechtlichen Sinn wurde jedoch schon zuvor, vor allem im Zusammenhang mit dem Bosnienkonflikt1 Materiell stand hier jedoch der alte Völkermordparagraf § 220a StGB a. F. im Mittelpunkt. So wurde Dusko Tadic, bevor er nach Den Haag überstellt wurde und dort gegen ihn erstmals nach den Kriegsverbrecherprozessen von Tokio und Nürnberg ein internationales Verfahren eröffnet wurde,2 in Deutschland festgenommen, aber nicht verfolgt.3 Nach einem Urteil des BGH aus dem Jahr 2001,4 dauerte es bis ins Jahr 2010 bis der BGH im hier betrachteten Verfahren wieder eine Haftprüfungsentscheidung vorliegen hatte, nun aber wegen einer Anklage nach dem VStGB.5 Die erste Verurteilung nach dem 1 BGH, Beschluss vom 11.07.1996 AK 23/96, 2 BJs 49/94 – 5 – AK 23/96 (Fall Jorgic); BGH, Beschluss vom 29.08.1996 AK 30/96, 2 BJs 85/95 – 5 – AK 30/96; Schäfer, in: Safferling/ Kirsch, Völkerstrafrechtspolitik: Praxis des Völkerstrafrechts, 2014, 237 (238). 2 ICTY IT-95 – 3-I. 3 Vgl. taz, Beitrag vom 27.04.1995, „Dusan Tadic erklärt sich für unschuldig“, abrufbar unter https://taz.de/!1511024/, zuletzt zugegriffen am 23.08.2019. 4 BGH, Urteil vom 21.02.2001, 3 StR 372/00. 5 Vgl. Schäfer in Safferling/Kirsch Völkerstrafrechtspolitik: Praxis des Völkerstrafrechts, 2014, 237 (242).

II. Hintergründe der zu betrachtenden Verfahren

207

VStGB ließ bis zum Jahr 2015 auf sich warten. Dem ständigen IStGH in Den Haag, der zeitgleich mit dem VStGB ins Leben gerufen wurde, gelang die erste Verurteilung bereits im Jahre 2012.6

II. Hintergründe der zu betrachtenden Verfahren Zu den gegenüberzustellenden Hintergründen zählen die unterschiedliche Verfahrensstruktur und die konkreten Sachverhalte. Die deutsche Justiz wandte auf prozessualer Ebene die in den Grundstrukturen seit dem 19. Jahrhundert bestehende StPO an, die alleine dem Staat die aktive Rolle zuschreibt und einen aus angloamerikanischer Sicht „inquisitorischen“ Ansatz verfolgt,7 was jedoch seit der Schaffung des Anklageprozesses heutiger Prägung nicht mehr in Reinform der Fall ist.8 Das Prozessrecht des IStGH stammt demgegenüber aus mehr als einem Gesetzestext, zu nennen sind hier primär das IStGHSt, sekundär die Regeln der VBO und auf dritter Ebene die GO-Gericht. Die Struktur dieser Verfahren kann man als eingeschränkten Parteienprozess bezeichnen. Gleich dem deutschen Gericht, ist auch der IStGH auf der Suche nach der materiellen Wahrheit, überlässt hierbei das Feld aber im Wesentlichen der Anklage und der Verteidigung, die vom Gesetz selbst als „Parteien“ des Verfahrens bezeichnet werden, vgl. Art. 69 Abs. 3 IStGHSt. Aufgabe des Gerichts ist es, das Verfahren fair und zügig unter Beachtung der Angeklagtenund Opferschutzrechte zu gewährleisten, vgl. Art. 64 Abs. 2 IStGHSt. Die Besonderheit des deutschen Verfahrens lag auf materieller Ebene, da erstmals das VStGB zur Anwendung kam. Die Tatbestände sind jedoch dem Römischen Statut nachgebildet, sodass hier, anders als auf prozessualer Ebene, die Urteile der Ad-hocTribunale und des IStGH zur Auslegung herangezogen werden können. Angeklagt waren in beiden Verfahren Anführer bewaffneter Gruppierungen, die sich jenseits der staatlichen Armeen gebildet hatten. Beide Organisationen wiesen ein hohes Maß an hierarchischer Struktur auf. Die von den Soldaten im Feld begangenen Verbrechen, spielten sich jeweils auf fremdem Territorium ab, sodass Opfer in erster Linie Nicht-Landsleute wurden. Weder Dr. M. bzw. M. noch Bemba befanden sich bei Begehung der Taten vor Ort, sondern erfüllten ihre vornehmlich politischen Aufgaben in und aus anderen Staaten heraus. Handelte es sich bei den angeklagten Taten im Stuttgarter Verfahren vornehmlich um Geschehnisse im Zuge einiger, nur kurz andauernder Überfälle auf Dorfschaften, war im Bemba Verfahren ein längerer Zeitraum gegenständlich, innerhalb dessen mehrere Einzeltaten mit verhältnismäßig wenigen Opfern verhandelt wurden.

6 The Prosecutor vs. Lubanga ICC-01/04-01/06-2842 14-03-2012 Judgement pursuant to Article 74 of the Statute. 7 Vgl. Wilhelmi, IRP, 2004, 7 (20). 8 Vgl. Krey/Heinrich, 2019, § 12 Rn. 582.

208

H. Zusammenfassung und Ausblick

III. Die erstinstanzlichen Verfahren Dass die deutschen Behörden überhaupt ermittelten und ein Verfahren eröffnet wurde, entsprach dem neu eingeführten Weltrechtsprinzip des § 1 VStGB. Eine Einstellung nach § 153f StPO kam nicht in Betracht, da sich die Angeklagten dauerhaft im Inland aufhielten und von Deutschland aus tätig wurden. Ein Auslieferungsgesuch Ruandas wurde aufgrund der damals noch fraglichen Rechtsstaatlichkeit des dortigen Rechtssystems abgelehnt. Im Bemba-Verfahren ergab sich die Gerichtsbarkeit des IStGH und die Zulässigkeit des Verfahrens aus der Vorlage durch die Zentralafrikanische Republik und der selbst erklärten Unfähigkeit, ein solch umfangreiches Verfahren durchführen zu können. Diese Frage kam jedoch vertieft erst auf, als die Hauptverfahrenskammer schon eingesetzt war, was zu einer Verzögerung des eigentlich schon laufenden Prozesses führte. Ein wesentlicher Unterschied zwischen den Verfahren zeigte sich im Zwischenverfahren. Dieses erschöpfte sich auf deutscher Seite in der unveränderten Zulassung der ersten Anklageschrift des Generalbundesanwalts. Den Eröffnungsbeschluss erließ auch das später erkennende Gericht. Im Bemba-Verfahren hingegen wurde, wie dies im Römischen Statut vorgesehen ist, ein eigenes „Mini-Verfahren“ abgehalten. Als im Zwischenverfahren erkennendes Gericht und das Hauptverfahren eröffnende Gericht war die Vorverfahrenskammer tätig, die sich von der Hauptverfahrenskammer funktionell und personell unterscheidet. Anders als im Stuttgarter Verfahren führte dies bereits vor dem ersten Verhandlungstag zu einer erheblichen Reduzierung der materiellen Anklagevorwürfe. Der prozessual angeklagte Sachverhalt blieb jedoch aus Sicht der damals beteiligten Kammer und Anklage rechtmäßigerweise bewusst weit formuliert. Die Hauptverhandlungen begannen materiell mit vergleichbaren Ausgangssituationen: Sowohl Dr. M. und M. als auch Bemba waren aufgrund ihrer Eigenschaft als Führungspersönlichkeit gemäß § 4 VStGB auf der einen bzw. Art. 28 IStGHSt auf der anderen Seite angeklagt. Im Laufe der mehrere Jahre dauernden Verhandlung reduzierte sich im deutschen Verfahren der Vorwurf sowohl hinsichtlich der in Betracht kommenden Grunddelikte von 16 prozessualen Taten auf fünf als auch der individuelle materielle Vorwurf. Die Einstellungen erfolgten aufgrund unzureichender Beweislage und aus prozessökonomischen Gründen gemäß § 154 Abs. 2 StPO. Der individuelle Vorwurf milderte sich von Täterschaft als Vorgesetzter zur bloßen Beihilfe zu Kriegsverbrechen ab. Im Fall des M. blieb sogar nur noch die Strafbarkeit wegen Rädelsführerschaft in einer ausländischen terroristischen Vereinigung stehen. Das Ergebnis der Hauptverhandlung ergab sich aus diversen Zeugenaussagen, sowohl ehemaliger FDLR Mitglieder als auch einiger Opfer. Die Opfer wurden hierbei zu ihrer eigenen Sicherheit per Videoübertragung aus der DR Kongo zugeschaltet. Die FDLR Mitglieder hingegen sagten vor Ort in Stuttgart aus. Daneben standen als Quelle der Erkenntnis die Ergebnisse einer umfangreichen Telekommunikationsüberwachung im Vordergrund. Im Bemba Verfahren waren, da die Ermittlungen erst Jahre nach den Taten begannen, Zeugen die wichtigste In-

IV. Die zweitinstanzlichen Entscheidungen

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formationsquelle. Anders als in Stuttgart trauten sich hier einige Opfer vor Ort in Den Haag auszusagen. Eine aktive Opferbeteiligung fand im deutschen Verfahren nahezu überhaupt nicht statt, da die Nebenklage von der StPO für Völkerstrafverfahren nicht vorgesehen ist. Ob sich hier Fallkonstellationen ergeben, in denen etwa ein in § 4 oder den §§ 7, 8 VStGB steckendes Grunddelikt zu einer Nebenklage führen könnte, bleibt abzuwarten. Im internationalen Verfahren spielte die aktive Beteiligung eine große Rolle. In einem noch nie vorgekommenen Ausmaß wurden hier Opfer als Opfer des Falles („victims of the case“) zugelassen. Diese konnten über ihre rechtlichen Vertreter („legal representatives“) aktiv am Prozessverlauf teilhaben und diesen u. a. durch Benennung von Zeugen beeinflussen. Die Rechte der Verteidigung sind aufgrund der unterschiedlichen Prozessstruktur in den Prozessordnungen anders ausgestaltet. Da im deutschen Verfahren kein Beibringungsgrundsatz gilt, ist die Verteidigung zwar nicht an eigenen Ermittlungen gehindert, erfährt hierbei aber keine Unterstützung von institutioneller Seite. Eine wesentliche Erkenntnisquelle bleibt für sie daher das Akteneinsichtsrecht. Auch das Beweisantragsrecht hinsichtlich im Ausland befindlicher Zeugen ist gemäß § 244 Abs. 5 S. 2 StPO eingeschränkt. Im internationalen Bereich steht bei Bedarf sowohl institutionelle als auch finanzielle Hilfe zur Verfügung. Darüber hinaus ist die Anklage während des gesamten Verfahrens verpflichtet, sowohl be- als auch entlastendes Beweismaterial von sich aus der Verteidigung zur Verfügung zu stellen. Ein eingeschränktes Beweisantragsrecht, weil es sich um Auslandssachverhalte handelt, kennt das IStGHSt nicht. Dies ist konsequent, weil sich die meisten Kriegsverbrechen anders als die meisten „nationalen Delikte“ außerhalb der Niederlande abspielen und die Zeugen sich überwiegend im Ausland aufhalten. Eine weitere Besonderheit des Völkerstrafprozessrechts nach dem IStGHSt ist das sog. Schuldinterlokut, wonach zwischen Erkenntnisverfahren zur Frage der Schuld und zur Frage der Strafzumessung unterschieden wird. Hier verläuft aber nur eine zeitliche und organisatorische Trennung, personell entscheidet das gleiche Gremium der Hauptverfahrenskammer.

IV. Die zweitinstanzlichen Entscheidungen In beiden Verfahren brachten die zweitinstanzlichen Entscheidungen keine Zurückweisung der Rechtsmittel, sondern ließen vielmehr rechtliche Einwendungen der Verteidigung durchgreifen. Im deutschen Verfahren beschränkte sich der BGH auf das Durchgreifen der Sachrügen sowohl der Verteidigung als auch des GBA, indem er die materiellen Voraussetzungen als nicht vom festgestellten Sachverhalt gedeckt ansah, gab den verfahrensrechtlichen Rügen jedoch nicht statt. Er bestätigte damit, dass mit der StPO ein rechtsstaatliches Völkerstrafverfahren durchführbar ist und keine Verfahrensfehler des OLG Stuttgart etwa bei der Zurückweisung von

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H. Zusammenfassung und Ausblick

Beweisanträgen ersichtlich waren. Eine endgültige Entscheidung wird jedoch aufgrund des Versterbens des Angeklagten Dr. M. nicht mehr ergehen. Im Bemba-Verfahren hingegen stellte die Berufungskammer neue Grundsätze hinsichtlich des eigenen Prüfungsmaßstab auf und erkannte sowohl materielle als auch prozessuale Fehler der Hauptverfahrenskammer an. So ging der abgeurteilte Sachverhalt über den angeklagten Sachverhalt hinaus, was daran lag, dass das Hauptaugenmerk der Verurteilung auf den zugrundeliegenden Grunddelikten lag und, ohne dass eine Nachtragsanklage erfolgte, eine Abweichung zur Anklageschrift festgestellt werden musste. Zwar ist die Berufung zur Berufungskammer des IStGH nicht unmittelbar mit der Revision am BGH vergleichbar, würde letzterer jedoch feststellen, dass eine andere prozessuale Tat im Sinne des § 264 StPO angeklagt als abgeurteilt wurde, würde auch der BGH das Urteil diesbezüglich aufheben und das Verfahren einstellen. Im Bemba-Verfahren griff darüber hinaus die Sachrüge, da nicht über jeden Zweifel hinweg die strafbare Säumnis Bembas, Verbrechen seiner Untergebenen zu verhindern, bewiesen war. Anders als der BGH verwies die Berufungskammer das Verfahren jedoch nicht zur erneuten Sachverhaltsaufklärung zurück, sondern sah in Anbetracht der schweren Fehler der ersten Instanz den Freispruch als rechtmäßige Entscheidung an.9

V. Opferentschädigung Sowohl im deutschen Recht als auch im Römischen Statut sind Entschädigungsmöglichkeiten der Opfer vorgesehen, die unmittelbar im Rahmen des Strafverfahrens geltend gemacht werden können. In Deutschland steht hier zum einen das Adhäsionsverfahren und zum anderen das Opferentschädigungsgesetz zur Verfügung. Für das Adhäsionsverfahren wäre das OLG Stuttgart zuständig gewesen, materiell ist der Anspruch jedoch möglicherweise wegen der fehlenden Kausalität unbegründet. Nach dem OEG ist jedoch neben der vorsätzlichen, rechtswidrigen (nicht zwingend abgeurteilten) Tat Voraussetzung,10 dass die Gewalttat im Hoheitsgebiet der Bundesrepublik Deutschland oder an einem Deutschen bzw. an einem diesem gleichgestellten Ausländer begangen wurde. Dies greift in Völkerstrafverfahren regelmäßig nicht ein. Nach dem IStGHSt und entsprechend im Bemba-Verfahren wäre eine Opferentschädigung ausgehend vom erstinstanzlichen Urteil möglich gewesen, da Art. 75 IStGH und Art. 79 IStGHSt ein Reparationsregime mit einem weiten Bereich potentiell Anspruchsberechtigter bereitstellen. Da unumgehbare Bedingung jedoch eine Verurteilung ist, konnten im hiesigen Verfahren keine Reparationszahlungen 9

ICC-01/05-01/08-3636-Red 08-06-2018 Judgment on the appeal of Mr Bemba Gombo against Trial Chamber III’s „Judgment pursuant to Article 74 of the Statute“, par. 198. 10 Schuldhaft muss der Täter nicht gehandelt haben, vgl. Kunz/Zellner/Gelhausen/Weiner, 5. Aufl. 2010, § 1 Rn. 28.

VII. Fazit und Ausblick

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zugesprochen werden. Dennoch besteht die Möglichkeit, durch den Treuhandfonds im Rahmen sonstiger, nicht monetärer, Programme Hilfe zu erhalten.

VI. Öffentlichkeitsbeteiligung Am unterschiedlichsten gestaltete sich die Öffentlichkeitsbeteiligung. Um die Ziele des Römischen Statuts zu erreichen, ist die Beteiligung der Öffentlichkeit und der sog. „outreach“ in die betroffene Bevölkerung von großer Bedeutung. Die Hauptverhandlungen waren und sind in beiden Rechtssystem grundsätzlich öffentlich und können von Medienvertretern unmittelbar verfolgt werden. Hier endete im Stuttgarter Verfahren jedoch im Wesentlichen die Öffentlichkeitsarbeit des Gerichts, Informationen über den Inhalt und Verlauf des Verfahrens wurden nur rudimentär und nur auf deutsch veröffentlicht. Die Folge war, dass das Verfahren in der betroffenen Region kaum wahrgenommen wurde. Anders hingegen das Bemba-Verfahren: Dort wurden entsprechend den internationalen Regularien die Verfahrensinhalte nicht nur im Wortlaut protokolliert und per Video aufgezeichnet, sondern auch auf französisch und englisch im Internet veröffentlicht. Die Folge war, dass über das Verfahren international berichtet wurde und dieses in der betroffenen Region wahrgenommen werden konnte.

VII. Fazit und Ausblick In der vorliegenden Dissertation wurden zwei umfangreiche Völkerstrafverfahren betrachtet, die jeweils in Umfang und Marterie Neuland betraten und nach unterschiedlichen Regeln abliefen. Ziel der Bearbeitung bestand nicht in einer wertenden Gegenüberstellung, sondern in der Darstellung der unterschiedlichen Lösungen, die ein Strafverfahren unter Berücksichtigung rechtsstaatlicher Anforderungen gewährleisten sollten. Obwohl beim Vorsitzenden Richter am OLG Stuttgart ein erhebliches Maß an Skepsis spürbar war, ob nach der deutschen StPO ein solch großes internationales Verfahren nach rechtsstaatlichen Maßstäben abgehalten werden könne,11 zeigte das Verfahren, dass dies möglich ist. Vor allem in den zweitinstanzlichen Entscheidungen offenbarte sich, dass eine Verurteilung Vorgesetzter schwer möglich ist, die nicht nur militärische Anführer sind, sondern ihre Rolle auch auf politischer Ebene ausfüllen und sich daher nicht direkt an Kampfhandlungen beteiligen. Diese Erkenntnis wird durch weitere Entscheidungen des IStGH bestätigt. So wurde sowohl Laurent Gbagdo, der ehemalige Präsident der Elfenbeinküste, im Januar 2019 von den Vorwürfen der Verbrechen gegen die Menschlichkeit freigesprochen, weil die Beweismittel zum Nachweis einer strafbaren Beteiligung nicht ausreichten. Die zugrunde liegenden Taten gelten 11

Vgl. Johnson/Schlindwein/Schmolze, 2016, 394.

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H. Zusammenfassung und Ausblick

jedoch als unbestritten.12 Auch gegen den Präsidenten Kenias, Uhuru Muigai Kenyatta, erging keine Verurteilung. Dieser wurde wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit angeklagt. Das Verfahren endete ebenso wenig in einer Verurteilung, da die Anklage während des Hauptverfahrens wegen unzureichender Beweislage zurückgezogen wurde.13 Unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten ist es sicherlich zu begrüßen, dass aktuelle und ehemalige politische Führer von den Gerichten nicht vorhersehbar freigesprochen oder verurteilt werden, sondern auch auf politisch bedeutsame Verfahren das Millimeterpapier des Rechtsstaats angelegt wird und sich Gerichte über mehrere Instanzen mit dem Einzelfall auseinandersetzen und ihre Überzeugung erst aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung gewinnen und entsprechend entscheiden. Das Verfahrensrecht bietet hierzu sowohl auf internationaler als auch auf nationaler Ebene unterschiedliche, aber gangbare Wege. Um faire völkerstrafrechtliche Verfahren zu führen, gibt es nicht nur einen prozessrechtlichen Weg, sondern verschiedene Möglichkeiten, die alle zum Ziel führen können. Entscheidend kommt es hierbei ausschließlich auf die sachgemäße Anwendung durch die Gerichte an.

12

ICC-02/11-01/15-T-232-ENG ET WT 15-01-2019, 4. The Prosecutor vs. Uhuru Muigai Kenyatta ICC-01/09-02/11-983 05-12-2014, Notice of withdrawl of the charges against Uhuru Muigai Kenyatta. 13

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Sachwortverzeichnis Ad-hoc-Tribunal 20, 206 f. Adhäsionsverfahren 193 Adversatorisch 30 Akteneinsichtsrecht 132 Amtsaufklärungspflicht 29, 100, 131, 141 f. Auffassungen und Anliegen 128 Augenschein 95, 100 f., 105, 113 Bemba 43 Berufungsentscheidung 177 Beweisaufnahme 94, 110 Beweisführungslast 29 Beweismittelantragsrecht 140 Bozizé 25, 44 f. Busurungi 39, 97, 99, 101, 106, 145 – 147, 173 Chiriba 39 confirmation decision 87 confirmation hearing 84 cumulative charging 89 DR Kongo

33, 35, 38, 50, 98

Einstellungsentscheidung 106 Entpflichtung 171 Ermittlungsverfahren 26, 30, 66, 70 f., 73, 76, 80, 82, 96, 102, 104 Eröffnungsplädoyers 59, 107, 110 FDLR 34 Filter 28 Genozid 35 Gericht 25 Haftbefehl 50, 58, 74 – 80, 84, 119, 139 Haftfortdauerentscheidung 76 Hauptverhandlung 93, 96 Human Rights Watch 39, 72, 98, 101 Hutu 34 f., 151

in dubio pro reo

27

Kimia II 38, 146, 175 Kinyaruanda 72 Kipopo 39, 106, 145 f. Kivu 33, 35 f., 38, 72, 97, 105, 112 Klageerzwingungsverfahren 52, 121 Komplementarität 48 – 50, 54 – 58, 65 kontradiktorisch 28 Kriegsverbrechen 17, 22, 31, 53 – 55, 57, 76, 79, 81, 87, 89, 119, 123, 127, 131, 144 – 146, 149 – 153, 164, 168, 173 – 175, 177, 208 f. Legal Representatives 162

86, 111, 126, 128,

Manje 40, 145 f., 173 Medica Mondale 99 Mianga 39, 106, 146 – 147, 173 Militärischer Befehlshaber 148 MLC 40 f. Mobutu 41 MONUC 39 MONUSCO 72, 97 Murwanashyaka 16, 24, 36, 201 Musoni 16, 24, 36 Nacheid 109 Nachtragsanklage 185 Nebenklage 103, 121 – 123, 126 f., 143, 209 necessary and reasonable measures 155 Nichterscheinen 108 NSU-Verbrechen 203 Nürnberger Prinzipien 22 Nürnberger Prozesse 15, 19 f. OCODEFAD 118 Offenlegungspflicht 135, 138 Öffentlichkeitsbeteiligung 200 Office of Public Counsel for the Defence 32

Sachwortverzeichnis Office of Public Counsel for Victims 126 OLG Frankfurt am Main 22 Opferbeteiligung 121 Opferentschädigung 191 Opferzeugen 72, 98 – 100, 104, 106, 112, 128 organisatorischer Machtapparat 149 outreach 200 f., 204 f., 211 Partei 31 Parteiprozess 29, 107 Patassé 42, 44 Pflichtverteidiger 169 Präsidium 26, 36, 83, 89, 172 proprio motu 30 Prozessmissbrauch 64 Prozessrecht 16, 91, 109, 116, 121, 124, 172, 207 Prozessstoff 182 Prozessuale Tat 90 Prüfungsmaßstab 179, 189 psychische Beihilfe 175 psychosoziale Betreuung 103 rechtlicher Vertreter 125 Rechtshilfeersuchen 130 Rechtsmittel 177 Revision 130, 166, 173, 177, 182, 188, 210 Sachrüge 173 Sachverständige 25, 95, 100, 108, 111 – 113, 122, 125, 197 Schuldinterlokut 160 sexueller Gewalt 47, 88, 115 f. Sich-in-der-Gewalt-Befinden 176 Sondertribunal 21 Status Conferences 60

223

Strafklageverbrauch 167 Strafzumessung 152 Strafzumessungsverfahren 162 Strengbeweisverfahrens 95 Strukturermittlungsverfahren 67 Telekommunikationsüberwachung 114, 143, 149, 208 Treuhandfonds 195 – 197, 211 Tutsi 34 f. two case approach 33, 107, 110

104 f.,

Umoja Wetu 38, 105, 146 unmittelbare Täterschaft 86 Urkunde 100 Verbrechen gegen die Menschlichkeit 15, 53, 55, 57, 76, 79, 81, 85, 87 f., 119, 147 f., 153, 159, 164, 173, 211 Versailler Vertrag 18 Verteidigung 32, 129 Viermächte-Abkommen 19 views and concerns 111, 113, 124, 128 Völkerstrafrecht 15, 17, 20 f., 160, 189, 206 Vorgesetztenverantwortlichkeit 86 – 88, 154, 163, 178, 183, 189 Vorverfahrenskammer 26 f., 29, 58, 76, 78, 82, 84, 208 Waffengleichheit 32, 130, 134 Weltrechtsprinzip 50 – 52, 65, 208 Wortprotokoll 202 Zeugen 95 f. Zeugenbeistand 103 Zeugenschutz 101, 114, 138 Zwischenverfahren 28, 48, 60, 80 – 84, 208