Das Opfer vor dem Internationalen Strafgerichtshof [1 ed.] 9783428532582, 9783428132584

Unter besonderer Berücksichtigung viktimologischer und psychologischer Erkenntnisse untersucht Stefanie Bock die Stellun

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German Pages 696 Year 2010

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Das Opfer vor dem Internationalen Strafgerichtshof [1 ed.]
 9783428532582, 9783428132584

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Beiträge zum Internationalen und Europäischen Strafrecht Band 7

Das Opfer vor dem Internationalen Strafgerichtshof

Von

Stefanie Bock

Duncker & Humblot · Berlin

STEFANIE BOCK

Das Opfer vor dem Internationalen Strafgerichtshof

Beiträge zum Internationalen und Europäischen Strafrecht Herausgegeben von RiLG Prof. Dr. Kai Ambos

Band 7

Das Opfer vor dem Internationalen Strafgerichtshof

Von

Stefanie Bock

Duncker & Humblot · Berlin

Gedruckt mit Unterstützung des Förderungsund Beihilfefonds Wissenschaft der VG WORT

Die Juristische Fakultät der Universität Hamburg hat diese Arbeit im Sommer 2009 als Dissertation angenommen.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

Alle Rechte vorbehalten

© 2010 Duncker & Humblot GmbH, Berlin

Fremddatenübernahme und Druck: Berliner Buchdruckerei Union GmbH, Berlin Printed in Germany ISSN 1867-5271 ISBN 978-3-428-13258-4 (Print) ISBN 978-3-428-53258-2 (E-Book) ISBN 978-3-428-83258-3 (Print & E-Book) Gedruckt auf alterungsbeständigem (säurefreiem) Papier entsprechend ISO 9706

Internet: http://www.duncker-humblot.de

Meiner Mutter in Liebe Meinem Vater im Gedenken

Vorwort Die vorliegende Arbeit wurde im Sommer 2009 von der Juristischen Fakultät der Universität Hamburg als Dissertation angenommen. Für die Veröffentlichung wurde das Manuskript ergänzt und aktualisiert. Rechtsprechung und Literatur wurden überwiegend bis März 2010 berücksichtigt, in Einzelfällen auch darüber hinaus. Ganz herzlich möchte ich meinem Doktorvater, Herrn Prof. Dr. Rainer Keller, für die geduldige und engagierte Betreuung meiner Arbeit danken. Seine gedankenreichen Anmerkungen, seine konstruktiven Anregungen und sein stetiger Zuspruch haben maßgeblich zu ihrem Gelingen beigetragen. Ich schätze mich sehr glücklich, einen akademischen Lehrer wie ihn gefunden zu haben, der mich bereits seit frühsten Studientagen unterstützt und gefördert hat. Ein besonderer Dank gilt Herrn Prof. Dr. Peter Wetzels für die überragend schnelle Erstellung des Zweitgutachtens. Herzlich danken möchte ich auch Herrn Prof. Dr. Peter Mankowski, der mir für drei Jahre an seinem IPR-Lehrstuhl eine (zweite) akademische Heimat gegeben hat. Ohne seine verständnisvolle Unterstützung wäre diese Arbeit wohl nie fertig geworden. Herrn RiLG Prof. Dr. Kai Ambos danke ich für die bereitwillige Aufnahme meiner Arbeit in diese Schriftenreihe. Mein Dank gilt auch dem Förderungsfonds Wissenschaft der VG Wort für die Übernahme der Druckkosten. Dank gebührt zudem den Mitarbeitern des Behandlungszentrums für Folteropfer in Berlin, die mir nicht nur Zugang zu ihrer Bibliothek gewährt, sondern auch meine zahlreichen Fragen geduldig beantwortet haben. Prägend und bereichernd waren für mich die Erfahrungen, die ich als Praktikantin beim OPCV unter Leitung von Paolina Massidda sammeln durfte. Der kurze, aber intensive Einblick in die Praxis und der anregende Gedankenaustausch mit den Mitarbeitern des Office haben meinen Horizont erweitert. Mein Dank gilt auch Herrn Volker Schmitz, der die Arbeit in unendlicher Geduld Korrektur gelesen hat. Nicht genug danken kann ich meiner Familie und meinen Freunden für ihren Beistand, für ihre Bereitschaft, sich immer wieder Kurzvorträge zum Thema Opferrechte anzuhören und (nicht zuletzt) für die notwendige Ablenkung von der wissenschaftlichen Arbeit. Von ganzem Herzen möchte ich mich bei Martin bedanken, der in liebevoller Geduld alle Höhen und Tiefen, die mit dem Verfassen einer Doktorarbeit verbunden sind, mit mir durchgestanden hat. Gewidmet ist diese Arbeit den beiden Menschen, denen ich am meisten zu verdanken habe: Meinen Eltern. Stefanie Bock

Inhaltsverzeichnis Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

37

Teil 1 Historischer Überblick

40

A. Vorstaatliche Gesellschaften . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

40

B. Ersatz der Fehde durch Sühneleistung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

42

C. Entwicklung hoheitlicher Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

43

D. Verdrängung der Fehde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

45

E. Dominanz staatlicher Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

46

F. Die Wiederentdeckung des Opfers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

49

G. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

50

Teil 2 Struktur und Folgen völkerrechtlicher Verbrechen

52

A. Viktimisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

52

I. Primäre Viktimisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

52

1. Materielle Einbußen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

53

2. Physische Verletzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

54

3. Psychische Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

54

a) Erschütterung der Grundannahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

54

b) Allgemeine Folgen einer Viktimisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

56

c) Traumatische Störungen im Besonderen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Traumatisches Ereignis und Trauma . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Traumatische Störungen und ihre Symptome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Akute Belastungsreaktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Posttraumatische Belastungsstörung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

59 59 60 60 61

(a) Intrusion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

62

10

Inhaltsverzeichnis (b) Avoidance . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

62

(c) Hyperarousal . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

64

(d) Psychosomatische Störungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

64

(e) Komorbide Störungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

64

(f) Psychosoziale Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

65

(g) Individuelle Ausprägung des Krankheitsbilds . . . . . . . . . . . . (3) Viktimisierungssyndrom als besondere Form der PTBS . . . . . (4) Komplexe PTBS . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastungen (6) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Bedeutung der individuellen Vorprägung und Situation . . . . . . . . . .

65 65 66 67 67 67

4. Emotionale Schäden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

69

5. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

69

II. Sekundäre Viktimisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

70

1. Informelle Reaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

70

2. Formelle Reaktionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

71

3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

73

III. Tertiäre Viktimisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

73

1. Symptome . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

74

2. Auswirkungen von Fremdzuschreibungsprozessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

74

3. Erlernte Hilflosigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

75

4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

77

IV. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

77

B. Die Straftatbestände des IStGH-Statuts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

77

I. Exkurs: Auslegung des IStGH-Statuts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

78

II. Völkermord, Artt. 5 Abs. 1 lit. a); 6 IStGH-Statut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

80

1. Tatbestandliche Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

81

a) Geschützte Gruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

81

b) Objektive Tathandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Tötung von Mitgliedern der Gruppe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Verursachung von schwerem körperlichem oder seelischem Schaden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

82 82 82

cc) Auferlegung von zerstörerischen Lebensbedingungen . . . . . . . . . . . . dd) Maßnahmen zur Geburtenverhinderung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ee) Überführung von Kindern in eine andere Gruppe . . . . . . . . . . . . . . . .

84 85 86

Inhaltsverzeichnis

11

c) Absicht, eine Gruppe als solche zu zerstören . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

86

d) Gesamttaterfordernis? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

88

2. Geschützte Rechtsgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

90

3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

93

III. Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Artt. 5 Abs. 1 lit. b); 7 IStGH-Statut . . .

93

1. Tatbestandliche Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

93

a) Einzelakte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

93

b) Ausgedehnter oder systematischer Angriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

94

2. Geschützte Rechtsgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

97

a) Ausrottung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

97

b) Verfolgung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

98

c) Apartheid . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

98

d) Vertreibung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

99

e) Erzwungene Schwangerschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

99

f) Folter und zwangsweises Verschwindenlassen von Personen . . . . . . . . . . 100 g) Ausgedehnter oder systematischer Angriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 100 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 101 IV. Kriegsverbrechen, Artt. 5 Abs. 1 lit. c); 8 IStGH-Statut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 1. Tatbestandliche Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 a) Bewaffneter Konflikt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 b) Internationaler und nicht-internationaler bewaffneter Konflikt . . . . . . . . 104 c) Kriegsverbrechen im internationalen bewaffneten Konflikt . . . . . . . . . . . 105 aa) Kriegsverbrechen gegen Individualrechtsgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (1) Geschützte Personen und Güter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (2) Taten gegen das Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Misshandlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Sexuelle Gewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Beeinträchtigung der Würde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (6) Freiheitsbeschränkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (7) Einsatz von Kindersoldaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (8) Verfahrensgarantien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (9) Eigentum und Vermögen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

105 105 106 107 108 109 109 110 110 111

bb) Verbotene Kampfmethoden und -mittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 111 cc) Angriffe gegen humanitäre und friedenserhaltende Missionen . . . . 113 d) Kriegsverbrechen im nicht-internationalen bewaffneten Konflikt . . . . . 114

12

Inhaltsverzeichnis 2. Geschützte Rechtsgüter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 V. Aggression, Art. 5 Abs. 1 lit. d) IStGH-Statut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 VI. Exkurs: Delikte gegen die Rechtspflege . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 117 VII. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 118

C. Strukturelle und viktimologische Spezifika völkerrechtlicher Verbrechen . . . . . . . . . . . 119 I. Überlebensschuld als Folge kollektiv erlebter Gewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 II. Bewaffnete Konflikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 1. Soldaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 2. Zivilbevölkerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 123 III. Systematische Verfolgung und Völkermord . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 124 IV. Folter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 1. Physische Folter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 2. Psychische Folter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 128 3. Machtgefälle und Anpassungsstrategien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 130 4. Ziel und Folgen von Folter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 V. Sexuelle Gewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 1. Sexualdelikte als Gewalttaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 133 2. Sekundäre Viktimisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 134 3. Tatfolgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 136 4. Sexuelle Gewalt gegen Männer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 5. Sexuelle Gewalt in bewaffneten Konflikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 138 6. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 139 VI. Haft in Lagern oder Gefängnissen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 1. Beispiele für Lager und deren Zwecksetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 140 2. Lager als totale Institutionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 141 3. Reaktionsmöglichkeiten der Insassen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 142 4. Mögliche Folgen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 143 5. Gefängnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 6. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144

Inhaltsverzeichnis

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VII. Vertreibung und Aufenthalt im Exil . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 1. Vortraumatisierung und Flucht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 145 2. Aufenthalt im Flüchtlingslager . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 146 3. Zwischen zwei Welten – Flüchtlinge im Gastland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 a) Integrationsdruck und Bindung an die Heimat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 148 b) Asylverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 c) Sprache und Alltag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 150 d) Arbeit und Identität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 151 e) Diskriminierung und soziale Isolation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 152 f) Alters- und geschlechtsspezifische Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 153 g) Psychische Belastungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 4. Rückkehr ins Heimatland . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 5. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 156 VIII. Auswirkungen von Extremtraumatisierungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 IX. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 D. Wirkungen über das Opfer hinaus . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 I. Burn-Out-Syndrom und stellvertretende Traumatisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 158 II. Mittelbare Traumatisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 159 III. Transgenerationelle Traumatisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 IV. Täter-Opfer-Gewaltkreislauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 164 V. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 E. Völkerrechtliche Verbrechen als Makrokriminalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 F. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 168 Teil 3 Grundlagen für ein opfergerechtes Strafverfahren

170

A. Bedürfnisse und Erwartungen des Opfers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 I. Beendigung der Gewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 II. Ersthilfe und Wiederaufbau . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 III. Anerkennung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171

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Inhaltsverzeichnis IV. Wahrheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 V. Gerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 174 VI. Wiedergutmachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 176 VII. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177

B. Internationale Kodifikationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 177 I. Basic Principles of Justice for Victims of Crime and Abuse of Power . . . . . . . . . . 178 II. Die van-Boven-Principles . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 178 C. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 180 Teil 4 Sinn und Zweck von Strafe und Strafverfahren

181

A. Zu den Strafzwecken . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 181 I. Schuldausgleich und Vergeltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 182 II. Spezialprävention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 1. Negative Spezialprävention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 2. Positive Spezialprävention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 3. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 III. Generalprävention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 189 1. Negative Generalprävention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 a) Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 190 b) Empirische Überprüfbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 c) Dogmatische Kritik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 193 d) Übertragbarkeit auf das Völkerstrafrecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 2. Positive Generalprävention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 IV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 B. Ziele des Strafverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 202 I. Wahrheitsermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 203 II. Klärung des Tatverdachts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 205 III. Schaffung von (Rechts-)Frieden . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 206 C. Fazit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 208

Inhaltsverzeichnis

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Teil 5 Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

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A. Der Opferbegriff . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 I. Natürliche Personen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 210 II. Organisationen und Institutionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 III. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 B. Die anderen Verfahrensbeteiligten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 I. Der Ankläger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 II. Der Beschuldigte und sein Verteidiger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 217 1. Exkurs: Amtliche Eigenschaften und Immunitäten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 218 2. Spezifische Schwierigkeiten für die Verteidigung im internationalen Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 221 3. Absicherung der Beschuldigtenstellung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 a) Objektivität des Anklägers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 b) Freie Wahl eines Verteidigers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 226 c) Offenlegung von Beweisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 229 d) Unterstützung der Verteidigung durch Vorverfahrenskammer und Kanzlei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 230 e) Schutz vor einer Politisierung des Prozesses . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 232 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 III. Das Gericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 IV. Die Kanzlei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 233 1. Die Victims and Witnesses Unit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 2. Die Victims Participation and Reparation Unit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 234 3. Das Office of Public Counsel for Victims . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 4. Exkurs: Staff-Welfare . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 235 V. Der UN-Sicherheitsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 236 VI. Die Nationalstaaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 237 VII. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 C. Das Verfahren vor dem IStGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 238 I. Voraussetzungen für die Ausübung der Gerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 1. Anerkennung der Gerichtsbarkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239

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Inhaltsverzeichnis 2. Grundprinzipien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 3. Ausnahme im Fall einer Sicherheitsratsresolution . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 4. Entstehungsgeschichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 240 5. Schutzlücke bei internen Konflikten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 242 6. Universalitätsprinzip als anzustrebendes Optimum? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 243 a) Derivative Strafgewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 245 aa) Zulässigkeit einer Übertragung nach deutschem Recht . . . . . . . . . . . 245 bb) Zulässigkeit einer Übertragung nach Völkerrecht . . . . . . . . . . . . . . . . 247 (1) Erforderlichkeit einer Erlaubsnisnorm? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 (2) Unzulässige Drittwirkung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 248 (a) Gerichtsbarkeit über Individuen, nicht über Staaten . . . . . . 249 (b) Überstellung von Drittstaatenangehörigen . . . . . . . . . . . . . . . 250 (c) Exkurs: Kooperationspflichten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 250 (d) Exkurs: Komplementaritätsprinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 251 (e) Indirekte Bewertung staatlichen Handelns . . . . . . . . . . . . . . . 252 (f) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (3) Unzulässige Schlechterstellung von Drittstaaten und ihren Angehörigen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (4) Unvergleichbarkeit von nationaler und internationaler Strafverfolgung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . (5) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

253 253 255 256

cc) Übertragung universeller Strafgewalt? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 (1) Erfasste Delikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 257 (2) Inhalt und Grenzen des Universalitätsprinzips . . . . . . . . . . . . . . . 260 dd) Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 b) Originäre Strafgewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 aa) Das Tadic´-Urteil des ICTY als Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 262 bb) Einklang von Völkerstrafrecht und Universalitätsprinzip . . . . . . . . . 263 cc) Sicherheitsratsresolution als Voraussetzung originärer Gerichtsbarkeit? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 dd) Vereinbarkeit originärer Gerichtsbarkeit mit dem IStGH-Statut? . . . 267 7. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 268 II. Trigger-mechanism . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 1. Unterbreitung durch einen Mitgliedstaat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 269 a) Voraussetzungen der Staatenbeschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 270 b) Praktische Relevanz und bisherige Anwendungsfälle . . . . . . . . . . . . . . . . . 271 2. Unterbreitung durch den Sicherheitsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 274

Inhaltsverzeichnis

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3. Ex-officio-Befugnisse des Anklägers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 a) Informationen i. S. d. Art. 15 Abs. 1 IStGH-Statut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 277 b) Vorprüfungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 278 c) Genehmigung der Ermittlungen durch die Vorverfahrenskammer . . . . . 279 d) Bewertung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 280 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 III. Zulässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 1. Ratio legis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 a) Schutz nationaler Souveränitätsinteressen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 283 b) Schutz des Beschuldigten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 c) Prozessökonomische Erwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 284 d) Schutz vor Missbrauch . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 2. Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 286 3. Die Grenzen der Zulässigkeit im Einzelnen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 a) Ermittlungs- und Verfolgungsvorrang nach Art. 17 Abs. 1 lit. a) IStGH-Statut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 aa) Unwilligkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 288 bb) Unvermögen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 289 cc) Berücksichtigung einer opferorientierten Verfahrensgestaltung? . . 290 b) Verzicht auf Strafverfolgung nach Art. 17 Abs. 1 lit. b) IStGH-Statut . . . 291 c) Ne bis in idem gemäß Artt. 17 Abs. 1 lit. c); 20 Abs. 3 IStGH-Statut . . 291 d) Hinreichende Schwere der Sache gemäß Art. 17 Abs. 1 lit. d) IStGHStatut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 292 e) Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 294 4. Verzicht auf nationale Strafverfolgung und einvernehmliche Arbeitsteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 295 5. Inkonsistenz nationaler und internationaler Strafverfolgung . . . . . . . . . . . . . . 297 6. Amnestien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 298 a) Völkerrechtliche Zulässigkeit von Amnestien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 299 b) Blankett- und Autoamnestien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 302 c) Amnestien und Wahrheitskommissionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 303 aa) Funktion und Wirkung von Wahrheitskommissionen . . . . . . . . . . . . . 304 bb) Zulässigkeitsvoraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 305 d) Amnestien und Wahrheitskommissionen im Komplementaritätsregime 306 aa) Art. 17 Abs. 1 lit. b) IStGH-Statut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 307

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Inhaltsverzeichnis bb) Art. 17 Abs. 1 lit. a) IStGH-Statut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 cc) Grenzen vorrangiger Zuständigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 dd) Doppelbestrafungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 310 e) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 311 7. Zuständigkeitskonflikte mit Ad-hoc-Tribunalen und Hybrid-Gerichten . . . 311 8. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 IV. Voruntersuchung und Einleitung von Ermittlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 313 1. Auswertung und Überprüfung der erhaltenen Informationen . . . . . . . . . . . . . 314 2. Hinreichende Grundlage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 a) Hinreichende Verdachtsgründe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 315 b) Zulässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 316 c) Interesse der Gerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Schwere der Verbrechen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Interesse der Opfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Interesse der Gerechtigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

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3. Einstellung des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 a) Rüge durch den Staat oder den Sicherheitsrat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 b) Proprio-motu-Überprüfung bei Einstellung aus Opportunitätserwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 320 c) Analoge Anwendung von Art. 53 Abs. 3 IStGH-Statut . . . . . . . . . . . . . . . . 322 d) Erhalt neuer Informationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 4. Aufnahme von Ermittlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 5. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 323 V. Verfahren nach Art. 18 IStGH-Statut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 1. Benachrichtigung betroffener Staaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 324 2. Zurückstellen von Ermittlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 325 3. Vorläufige Entscheidung über die Zulässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 4. Missbrauchspotential . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 326 5. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 VI. Anfechtung der Gerichtsbarkeit oder der Zulässigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 328 VII. Ermittlungs- und Verfolgungsaufschub . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 1. Ratio legis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 331 2. Zeitlicher Anwendungsbereich . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332 3. Voraussetzungen des Aufschubersuchens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 332

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4. Berechtigung zur Vornahme beweissichernder Maßnahmen? . . . . . . . . . . . . . 333 5. Unzulässiger Eingriff in die Unabhängigkeit des Gerichts? . . . . . . . . . . . . . . 335 6. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 336 VIII. Ermittlungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 1. Die Rolle der Vorverfahrenskammer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 337 2. Die Bedeutung der Rechtshilfe im Ermittlungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . 339 3. Abschluss der Ermittlungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 342 IX. Bestätigung der Anklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 343 X. Hauptverhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 345 1. Verfahrensleitung durch die Hauptverfahrenskammer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 346 2. Verfahren bei einer admission of guilt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 349 a) Das angloamerikanische guilty plea als Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . 350 b) Ratio legis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 350 c) Schutz des Angeklagten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 352 d) Schutz der Wahrheitsfindung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 353 e) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 3. Zulässigkeit eines plea bargaining . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 355 4. Beweisvereinbarungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 356 5. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 XI. Strafe, Strafzumessung und -vollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 358 1. Ausschluss der Todesstrafe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 359 2. Strafzumessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 360 3. Berücksichtigung nationaler Praxis? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 362 4. Strafvollstreckung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363 XII. Berufung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 363 XIII. Beschwerde gegen sonstige Entscheidungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 366 XIV. Wiederaufnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 367 XV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 370 D. Das Opfer als Beweismittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 371 I. Bedeutung und Begriff des Zeugenbeweises . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 II. Aussagepflicht gemäß Rule 65 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373

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Inhaltsverzeichnis III. Auskunfts- und Aussageverweigerungsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374 1. Rule 74 Abs. 3 lit. a) . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 374 2. Rule 75 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376 3. Rule 73 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 376 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 377 IV. Zeugenrechte gemäß Art. 55 Abs. 1 IStGH-Statut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378 V. Beweiswert des Zeugenbeweises und Fehlerquellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378 1. Fehlerhafte Wahrnehmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 2. Fehlerhafte Erinnerung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 379 3. Fehlerhafte Übermittlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 381 4. Bewusste Falschaussagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383 5. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383 VI. Maßnahmen zur Erhöhung des Beweiswertes . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 383 1. Der Einfluss der Fragetaktik . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 384 2. Verhinderung einer Abstimmung von Aussagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385 a) Getrennte Vernehmung der Zeugen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385 b) Verbot, sich mit anderen Zeugen zu besprechen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 387 c) Getrennte Anreise und Unterbringung von Zeugen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 388 d) Aufdeckung von Aussageanpassungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389 e) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 389 3. Witness-Proofing? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 390 4. Verhinderung einer Verfälschung durch den Dolmetscher . . . . . . . . . . . . . . . . 392 5. Verhinderung von Falschaussagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 a) Beschränkungen der Aussagepflicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 393 b) Risiko Wiedergutmachung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394 c) Eid und Strafandrohung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 394 6. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395 VII. Bewertung der Zeugenaussagen durch das Gericht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 395 1. Freie Beweiswürdigung als Aufgabe der Verfahrenskammer . . . . . . . . . . . . . 396 2. Glaubhaftigkeit von Zeugenaussagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 397 3. Berücksichtigung kultureller Besonderheiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400 4. Berücksichtigung traumatischer Störungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 400 5. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 402

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VIII. Schutz vor sekundärer Viktimisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 403 1. Art. 68 Abs. 1 IStGH-Statut als Ausgangspunkt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 404 2. Auswahl der Zeugen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 405 3. Unterstützung durch die Abteilung für Opfer und Zeugen . . . . . . . . . . . . . . . . 405 4. Witness-Familiarisation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 408 5. Vernehmung am Aufenthaltsort des Zeugen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 410 a) Verlegung des Verhandlungsorts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 410 b) Videovernehmung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 411 6. Verhinderung von mehrfachen Aussagen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 412 a) Beweiserhebung im Vorfeld der Hauptverhandlung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413 aa) Verfahren nach Art. 15 Abs. 3 S. 1 IStGH-Statut . . . . . . . . . . . . . . . . . 413 bb) Bestätigung der Anklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 413 b) Übernahme der Beweise aus der Bestätigung der Anklage? . . . . . . . . . . . 414 c) Beweisvereinbarungen gemäß Rule 69 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 414 d) Aussage traumatisierter Opferzeugen als einmalige Ermittlungsgelegenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 414 e) Einführung vorangegangener Aussagen in die Hauptverhandlung . . . . . 415 f) Koordination der Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 416 g) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417 7. Ablauf der Aussage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 417 8. Maßnahmen zur Aussageerleichterung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 419 9. Recht, die Aussage abzubrechen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 421 10. Schutz vor besonders belastender Befragung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 421 a) Genehmigung der Fragen durch die Kammer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 422 b) Sexualdelikte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 422 c) Cross-examinations . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 424 11. Freispruch und Unrechtsinterlokut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 428 12. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 429 IX. Zeugenschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 430 1. Art. 68 Abs. 1 IStGH-Statut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 430 2. Art. 46 Abs. 6 IStGH-Statut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 432 3. Einzelne Maßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 432 a) Schutzprogramm der VWU . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 432 b) Präventive Umsiedlungen durch den Ankläger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 433 c) Anonymität gegenüber der Öffentlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435

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Inhaltsverzeichnis d) Anonymität gegenüber der Verteidigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 435 e) Beweisverwertungsverbot . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 438 f) Aussageverweigerungsrecht bei Gefahr für Leib oder Leben . . . . . . . . . . 438 g) Langzeitmaßnahmen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 439 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 439 X. Zeugenentschädigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 439 XI. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 440

E. Das Opfer als Beteiligter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 440 I. Art. 68 Abs. 3 IStGH-Statut als Generalnorm . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 442 II. Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 444 1. Opfer im Sinne von Rule 85 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 444 a) Verteilung und Umfang der Beweislast . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 444 b) Opfer des Falls und Opfer der Situation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 446 c) Beteiligung mittelbarer Opfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 446 d) Täter als Opfer? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 447 2. Betroffenheit persönlicher Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 448 3. Geeignete Verfahrensabschnitte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 452 a) Bestimmung der Geeignetheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 452 b) Opferschutz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 453 c) Die Ermittlungen als geeigneter Verfahrensabschnitt? . . . . . . . . . . . . . . . . 453 aa) Der Wortlaut von Art. 68 Abs. 3 IStGH-Statut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 454 bb) Systematische Auslegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 455 cc) Betroffenheit persönlicher Interessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 456 dd) Beeinträchtigung der Objektivität der Ermittlungen und der Stellung des Anklägers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 457 ee) Schutz der Opfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 459 ff) Auswirkungen auf die Verfahrensökonomie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 460 gg) Auswirkungen auf die Rechte der Verteidigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . 461 hh) Die Konsequenzen der Rechtsprechung der Appeals Chamber . . . 462 d) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 463 4. Rechte des Angeklagten sowie Fairness und Unparteilichkeit des Verfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 464 a) Verstoß gegen die Unschuldsvermutung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 464 b) Verstoß gegen das Recht auf ein zügiges Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 465 5. Rechtswegerschöpfung als zusätzliche Voraussetzung? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 465

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III. Das Zulassungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 466 1. Ziel und Umfang des Zulassungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 466 a) Unabhängigkeit des Zulassungsverfahrens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 466 b) Verfahrenszulassung ohne Festlegung der Beteiligungsmodalitäten . . . 467 aa) Verstoß gegen Art. 68 Abs. 3 IStGH-Statut? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 468 bb) Verstoß gegen Rule 89 Abs. 1? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 469 cc) Verletzung der Verfahrensfairness? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 470 dd) Prozessökonomische Erwägungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 471 ee) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 471 2. Antrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 472 a) Antragsinhalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 472 b) Identitätsnachweis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 473 c) Stellvertretung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 475 d) Daueranträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 476 3. Frist . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 477 4. Unvollständige Anträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 477 5. Anonymität im Zulassungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 478 6. Stellungnahme von Anklage und Verteidigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 479 a) Weiterleitung redigierter Anträge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 480 b) Privilegierung des Anklägers . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 482 c) Privilegierung des OPCD . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 484 d) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 485 7. Stellungnahme des OPCV? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 485 8. Einsicht in die Stellungnahmen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 486 9. Erwiderung auf die Stellungnahmen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 488 10. Anspruch der Parteien auf zusätzliche Informationen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 489 11. Der Bericht der Kanzlei . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 491 12. Rechtliche Vertretung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 493 13. Opferschutzmaßnahmen im Zulassungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 494 14. Rechtsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 494 15. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 494 IV. Vertretung durch einen legal representative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 495 1. Freie Wahl eines legal representative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 495

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Inhaltsverzeichnis 2. Kollektiver Rechtsbeistand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 497 3. Anonymität des legal representative? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 498 4. Prozesskostenhilfe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 499 5. Die Zweiteilung der Beteiligungsrechte in Art. 68 Abs. 3 IStGH-Statut und Rule 91 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 500 6. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 500 V. Die Rolle des OPCV . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 501 1. Unterstützungsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 501 2. Tätigkeit als legal representative . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 502 3. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 503 VI. Allgemeine Beteiligungsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 504 1. Recht auf Gehör . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 504 2. Informationsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 505 3. Rule 93 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 505 VII. Gesondert geregelte Beteiligungsformen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 506 1. Beteiligung im Verfahren nach Art. 15 IStGH-Statut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 507 2. Beteiligung im Verfahren nach Art. 19 IStGH-Statut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 509 VIII. Beteiligungsrechte im Ermittlungsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 510 1. Recht auf Gehör . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 511 2. Akteneinsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 511 3. Beteiligung in ausgewählten Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 513 a) Verfahren nach Art. 18 Abs. 2 IStGH-Statut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 513 b) Verfahren nach Art. 53 IStGH-Statut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 514 c) Verfahren nach Art. 56 IStGH-Statut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 515 d) Verfahren nach Art. 57 Abs. 3 IStGH-Statut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 516 e) Verfahren nach Art. 58 IStGH-Statut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 516 f) Verfahren nach Art. 60 Abs. 2, 3 IStGH-Statut . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 517 4. Recht auf Anonymität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 519 5. Die fehlenden Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 520 a) Recht des Opfers, einer Strafverfolgung zu widersprechen . . . . . . . . . . . . 520 b) Individualbeschwerde . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 520 c) Klageerzwingung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 521 6. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 521

Inhaltsverzeichnis

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IX. Beteiligung an der Bestätigung der Anklage . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 522 1. Berücksichtigung der Zielsetzung des confirmation hearing . . . . . . . . . . . . . 522 2. Recht auf Information . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 523 3. Recht auf Anonymität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 523 4. Recht auf Akteneinsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 525 5. Recht auf Offenlegung von Beweisen? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 527 6. Recht auf Anwesenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 528 7. Verfahrensunmittelbare Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 529 a) Eröffnungs- und Schlussvortrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 529 b) Fragerecht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 530 c) Beibringung von Beweisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 532 d) Sonstige „observations“ und „submissions“ . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 532 e) Die Anpassung der Rechte an den Einzelfall . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 533 8. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 534 X. Beteiligung im Hauptverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 535 1. Recht auf Information . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 535 2. Recht auf Anonymität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 536 3. Recht auf Akteneinsicht . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 536 4. Zugang zu Beweisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 537 5. Recht auf Anwesenheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 538 6. Beauftragung und Anweisung von Sachverständigen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 538 7. Verfahrensunmittelbare Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 539 a) Eröffnungs- und Schlussvortrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 539 b) Weitere Rechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 539 c) Beibringung von Beweisen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 540 d) Beteiligung an der Strafzumessung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 541 e) Erforderlichkeit gesonderter Anträge? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 542 8. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 543 XI. Beteiligung im Verfahren vor der Berufungskammer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 543 1. Verfahrenseinleitung durch die Opfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 544 2. Erfordernis eines gesonderten Zulassungsantrags . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 545 3. Zulassung weiterer Opfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 548

26

Inhaltsverzeichnis 4. Umfang der Beteiligungsrechte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 549 5. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 550 XII. Beteiligung an der Wiederaufnahme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 550 XIII. Doppelstatus als Opfer und Zeuge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 551 XIV. Exkurs: Opferrechte und amici curiae . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 553 1. Opfer als amici curiae . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 553 2. Opferorganisationen als amici curiae . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 553 3. Amici curiae als Informationsquelle des Gerichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 554 XV. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 554

F. Wiedergutmachung – Das Opfer als Anspruchsteller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 555 I. Verfahrenseinleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 556 1. Antragsverfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 557 2. Proprio-motu-Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 558 3. Notwendigkeit von Selektionsprozessen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 559 II. Die Arten der Wiedergutmachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 559 1. Rückerstattung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 560 2. Entschädigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 560 3. Rehabilitierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 562 4. Genugtuung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 563 5. Garantie der Nichtwiederholung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 566 6. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 567 III. Adressat der Wiedergutmachung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 568 1. Wiedergutmachung auf individueller Basis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 568 2. Wiedergutmachung auf kollektiver Basis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 570 3. Individuelle Wiedergutmachung als Regelfall? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 571 a) Implementierungsschwierigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 571 b) Ungleichbehandlung der Opfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 572 c) Vorteile der Kollektiventschädigung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 572 d) Individualentschädigung in Ausnahmefällen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 574 4. Ergebnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 574 IV. Verpflichteter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 575 1. Wiedergutmachung durch den Täter . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 575

Inhaltsverzeichnis

27

2. Wiedergutmachung durch den Treuhandfonds . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 575 a) Verwaltungsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 575 b) Kompensationsfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 576 c) Humanitäre Funktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 578 aa) Begünstigte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 579 bb) Verfahrenskonnexität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 579 cc) Form der Unterstützung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 582 d) Mittelbeschaffung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 584 3. Wiedergutmachung durch den Staat? . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 587 4. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 588 V. Verfahren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 589 1. Die Gefahr der sekundären Viktimisierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 589 2. Das Verfahren vor dem IStGH . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 590 a) Antrag . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 590 b) Voraussetzungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 591 c) Haftungsumfang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 592 d) Beweislast und Beweiserleichterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . aa) Beweisschwierigkeiten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . bb) Erleichterungen der Beweisführung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . cc) Beweisgrad . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

593 593 594 595

dd) Unterstützung durch Kammer und Ankläger . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 595 e) Beteiligung der Opfer . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 597 f) Beteiligung des Treuhandfonds . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 598 g) Rechtsmittel . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 598 h) Durchsetzung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 598 i) Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 598 3. Das Verfahren vor dem Treuhandfonds . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 599 VI. Die Vorzugswürdigkeit einer Entschädigung durch den Treuhandfonds . . . . . . . . 599 VII. Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 600 Teil 6 Gesamtbetrachtung

603

Literaturverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 610 Personen- und Sachwortverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 688

Abkürzungsverzeichnis A.2d

Atlantic regional case law reporter (Second Series)

Abs.

Absatz

AC

Appeals Chamber

ACHPR

African Charter of Human and People’s Rights

ACHR

American Convention on Human Rights

A.E.R.

The American Economic Review

AFDI

Annuaire Français De Droit International

AfrMRK

Afrikanische Menschenrechtskonvention

A.-G.

Attorney-General

AI

Amnesty International

AJIL

American Journal of International Law

AK

Alternativ-Kommentar

a.k.a

also known as

AKJP

Analytische Kinder- und Jugendlichen Psychotherapie

Ala. Ct. App.

Alabama Court of Appeal

AllgEMR

Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte

AMRK

Amerikanische Menschenrechtskonvention

Am. U. Int’l L. Rev.

American University International Law Review

Ariz. Ct. App.

Arizona Court of Appeal

Ark. Ct. App.

Arkansas Court of Appeal

Art.

Artikel

Arz. J. Int’l & Comp.

Arizona Journal of International and Comparative Law

ASIL Proc.

American Society of International Law, Proceedings

ASP

Assembly of State Parties

AufenthG

Aufenthaltsgesetz

Aufl.

Auflage

AuslG

Ausländergesetz

AVR

Archiv des Völkerrechts

AYIL

American Yearbook of International Law

BayObLG

Bayrisches Oberstes Landesgericht

B.C. Third World L.J.

Boston College Third World Law Journal

Begr.

Begründer

Abkürzungsverzeichnis

29

Berkeley J. Int’l L.

Berkeley Journal of International Law

BewHi

Bewährungshilfe

BG

Schweizerisches Bundesgericht

BGBl.

Bundesgesetzblatt

BGE

Entscheidungen des Schweizerischen Bundesgerichts – Amtliche Sammlung

BGH

Bundesgerichtshof

BGHR

BGH-Rechtsprechung – Strafsachen

BGHSt

Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen

BOE

Boletin Oficial del Estado, spanische Gesetzblatt

Boston Col. Int’l & Comp. L. R. Boston College International & Comparative Law Review Brit. J. Criminol.

British Journal of Criminology

Brook. J. Int‘l L.

Brooklyn Journal of International Law

BStP

Schweizerisches Bundesgesetz über die Bundesstrafrechtspflege

BT Drs.

Bundestag Drucksachen

BVerfG

Bundesverfassungsgericht

BVerfGE

Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts

C.A.

Court of Appeal

CAHWCA

Canadian Crimes Against Humanity and War Crimes Act

CAR

Central African Republic

Cardozo L. Rev.

Cardozo Law Review

CAT

Convention against Torture and Other Inhuman or Degrading Treatment or Punishment

C.C.A.

Court of Criminal Appeal

Chicago-Kent L. R.

Chicago-Kentucky Law Review

CJIL

Chinese Journal of International law

CLF

Criminal Law Forum

Clunet

Journal du droit international, fondée par E. Clunet

Col.L.R.

Columbia Law Review

CPCC

Code of Professional Conduct for Counsel

Crim.L.R.

Criminal Law Review

Ct. App.

Court of Appeal

DC

District Court

dens.

Denselben

ders.

Derselbe

DESNOS

Disorders of extreme stress not otherwise specified

d. h.

das heißt

30

Abkürzungsverzeichnis

Dick.L.Rev.

Dickinson Law Review

dies.

dieselbe / dieselben

DRC

Democratic Republic of the Congo

DRiZ

Deutsche Richterzeitung

DtZ

Deutsch-Deutsche Rechts-Zeitschrift

Duke J. of Comp. & Int’l L.

Duke Journal of Comparative & International Law

DVJJ-J

Deutsche Vereinigung für Jugendrecht und Jugendhilfe – Journal

ECC 2001

Estonian Criminal Code 2001

ECCC

Extraordinary Chambers in the Courts of Cambodia

ECHR

European Court for Human Rights

EJIL

European Journal of International Law

Emory Int’l L. Rev.

Emory International Law Review

EMRK

Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten

EuGH

Europäischer Gerichtshof

EuGRZ

Europäische Grundrechtszeitschrift

Eur. J. Cr.

European Journal of Crime, Criminal Law and Criminal Justice

e.V.

eingetragener Verein

EWCA Crim

Court of Appeal, Criminal Division (England & Wales)

E+Z

Zeitschrift für Entwicklung und Zusammenarbeit

f.

folgende

ff.

fortfolgende

FG

Festgabe

Fn.

Fußnote

Fordham L. Rev.

Fordham Law Review

FS

Festschrift

GA

Goltdammer’s Archiv

GBl. RS

Gesetzblatt der Republik Slowenien

GCC

Greek Criminal Code

Geo. J. Int’l L.

Georgetown Journal of International Law

Geo. J. Legal Ethics

Georgetown Journal of Legal Ethics

GG

Grundgesetz

GK I

Erste Genfer Konvention zur Verbesserung des Loses der Verwundeten und Kranken der Streitkräfte im Felde

GK II

Zweite Genfer Konvention zur Verbesserung des Loses der Verwundeten, Kranken und Schiffbrüchigen der Streitkräfte zur See

Abkürzungsverzeichnis

31

GK III

Dritte Genfer Konvention über die Behandlung der Kriegsgefangenen

GK IV

Vierte Genfer Konvention zum Schutze von Zivilpersonen in Kriegszeiten

GS

Gedächtnisschrift

GYIL

German Yearbook of International Law

Harv. Int‘l L.J.

Harvard International Law Journal

Hastings Int’l & Comp. L. Rev.

Hastings International and Comparative Law Review

Hastings L.J.

Hastings Law Journal

HRC

Human Rights Committee

HRCBH

Human Rights Chamber for Bosnia and Herzegovina

HRQ

Human Rights Quarterly

HRRS

Höchstrichterliche Rechtsprechung Strafrecht

Hrsg.

Herausgeber

HRW

Human Rights Watch

Hum. Rts.

Human Rights

HuV-I

Humanitäres Völkerrecht Informationsschriften

IACHR

Inter-American Court of Human Rights

IAComHR

Inter-American Commission on Human Rights

ICC

International Criminal Court

ICCPR

International Covenant on Civil and Political Rights

ICERD

International Convention on the Elimination of All Forms of Racial Discrimination

ICJ

International Court of Justice

ICLR

International Criminal Law Review

ICTR

International Criminal Tribunal for Rwanda

ICTY

International Criminal Tribunal for the Former Yugoslawia

IGH

Internationaler Gerichtshof

IHT

Iraqi High Tribunal

IKRK

Internationales Komitee vom Roten Kreuz

ILC

International Law Commission

ILM

International Legal Materials

ILR

International Law Reports

Int’l J. Refugee L.

International Journal on Refugee Law

IPbpR

Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte

IPrax

Praxis des internationalen Privat- und Verfahrensrechts

I.R.

The Irish Reports

IRRC

International Review of the Red Cross

i. S. d.

im Sinne des

32

Abkürzungsverzeichnis

IStGH

Internationaler Strafgerichtshof

i. S. v.

im Sinne von

J.

Justice

JCP

Journal of Clinical Psychology

J. Crim. L. & Crim‘Y

The Journal of Criminal Law and Criminology

JICJ

Journal of International Criminal Justice

JILP

Journal of International Law and Politics

J. Int’l L. & Int’l Rel.

Journal of International Law and International Relations

J.O.

Journal Officiel (Frankreich)

JPE

Journal of Political Economy

JR

Juristische Rundschau

JTS

Journal of Traumatic Stress

JuS

Juristische Schulung

JZ

Juristenzeitung

KJ

Kritische Justiz

KK

Karlsruher Kommentar

KrimJ

Kriminologisches Journal

Law & Contemp. Probs.

Law and Contemporary Problems

LEC

Ley de Enjuiciamiento Civil (Spanien)

lit.

litera

LJIL

Leiden Journal of International Law

LPICT

Law and Practice of International Criminal Tribunals

LR

Löwe Rosenberg

Mich. J. Int’l L.

Michigan Journal of International Law

Mo. Ct. App.

Montana Court of Appeal

MSA

Migration und Sozial Arbeit

MschrKrim

Monatschrift für Kriminologie und Strafrechtsreform

MünchKomm

Münchener Kommentar

MWC

International Convention on the Protection of the Rights of All Migrant Workers and Members of Their Families

m. w. N.

mit weiteren Nachweisen

Naval L. Rev.

Naval Law Review

NCLR

New Criminal Law Review

N.E.2d

North Eastern regional case law reporter (Second Series)

Neb.

Case Law Collection of the highest court of Nebraska

NELR

New England Law Review

NGO

Non-Governmental-Organisation

NILR

Netherlands International Law Review

Abkürzungsverzeichnis

33

NJ

Neue Justiz

NJW

Neue Juristische Wochenschrift

NK

Nomos Kommentar

NN

Narodne novine (Amtsblatt der Republik Kroatien)

NorJIL

Nordic Journal of International Law

nrV

niederländisches nieu Wetboeck van Burgerlijke Rechtsvordering

NStZ

Neue Zeitschrift für Strafrecht

NStZ-RR

Neue Zeitschrift für Strafrecht, Rechtsprechungs-Report

N.W.2d

North Western regional case law reporter (Second Series)

N.Y.App.Div.

New York Appeal Division

N.Y.S. 2d

New York Supplement (Second Series)

N.Y.U.J. Int’l L. & Pol.

New York University Journal of International Law and Politics

N.Y.U.L. Rev.

New York University Law Review

o.

oben

Ohio Ct. App.

Ohio Court of Appeal

OLG

Oberlandesgericht

OPCD

Office of Public Counsel for the Defence

OPCV

Office of Public Counsel for Victims

Or. Rev. Int’l L.

Oregon Review of International Law

östRGBl.

Österreichisches Reichsgesetzblatt

östZPO

Österreichische Zivilprozessordnung

OTP

Office of the Prosecutor

P.3d

Pacific regional case law reporter (Third Series)

Pace L. Rev.

Pace Law Review

PCIJ

Permanent Court of International Justice

Penn St. Int‘l L. Rev

Penn State International Law Review

PTBS

Posttraumatische Belastungsstörung

PTC

Pre-Trial Chamber

PTSD

Posttraumatic Stress Disorder

Rec. des Cours

Recueil des Cours de l’Académie de Droit International de La Haye

RG

Reichsgericht

RGDIP

Revue Générale de Droit International Public

RGSt

Amtliche Sammlung der Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen

Rn.

Randnummer

RPE

Rules of Procedure and Evidence

34

Abkürzungsverzeichnis

Rs.

Rechtssache

RT

Riigi Teataja, Gesetzblatt von Estland

RUF

Revolutionary United Front of Sierra Leone

Rules

Rules of Procedure and Evidence

S.

Seite

SCSL

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Einleitung In den Krisengebieten dieser Welt fordern systematische Menschenrechtsverletzungen täglich Tausende von Opfern. Unzählige Menschen werden verstümmelt, gefoltert, vergewaltigt und getötet. Werden die Verbrechen von der staatlichen Gewalt begangen, unterstützt oder gebilligt, gehen die Täter zumeist straffrei aus. Die Opfer erfahren in keiner Form Gerechtigkeit, sondern werden vielmehr aus der öffentlichen Wahrnehmung verdrängt. Erst die Auseinandersetzungen im ehemaligen Jugoslawien und der Bürgerkrieg in Ruanda haben die Weltöffentlichkeit für staatliche und staatsverstärkte Kriminalität sensibilisiert. Der Ruf nach Gerechtigkeit wurde laut und der Sicherheitsrat der Vereinten Nationen antwortete mit der Gründung der Ad-hoc-Tribunale: dem International Criminal Tribunal for the former Yugoslavia1 und dem International Criminal Tribunal for Rwanda2. Sind diese in ihrer Zuständigkeit noch auf einen eng umschriebenen Konflikt begrenzt, ebneten sie doch den Weg für einen (weiteren) Meilenstein des Völkerstrafrechts: der Gründung des Internationalen Strafgerichtshofs.3 Zum ersten Mal in der Geschichte der Menschheit wurde ein potentiell universelles Gremium zur Verfolgung der „schwersten Verbrechen, welche die Menschheit als ganze berühren“,4 geschaffen. Das Vollzugsdefizit des Völkerstrafrechts soll beseitigt, der Straflosigkeit völkerrechtlicher Verbrechen ein Ende bereitet werden. Damit weckt der IStGH nahezu zwangsläufig Hoffnungen der Opfer auf Gerechtigkeit. Die Vertragsstaaten waren sich der Bedeutung der Völkerstrafgerichtsbarkeit auch und gerade für die Opfer bewusst. So gedenken sie bereits in der Präambel des IStGH-Statuts den „Millionen von Kindern, Frauen und Männern“, die im letzten Jahrhundert „Opfer unbeschreiblicher Gräueltaten geworden sind, die das Gewissen der Menschheit zutiefst erschüttern“. Den Opfern völkerrechtlicher Verbrechen wird eine herausragende Stellung eingeräumt. Damit reiht sich das IStGH-Statut in eine internationale Bewegung ein, die das Opfer nicht mehr ausschließlich als Mittel zur Informationsbeschaffung, als Zeugen, ansieht. Vielmehr wird dem Opfer zunehmend die Möglichkeit gewährt, aktiv auf das Prozessgeschehen Einfluss zu nehmen. Die Vertreter der Justiz sollen den Interessen des Opfers Rechnung tragen und dieses vor prozessimmanenten Belastungen schützen.5 Gegründet durch UN-Sicherheitsratsresolution 827 (1993) vom 25. 5. 1993. Gegründet durch UN-Sicherheitsratsresolution 955 (1994) vom 8. 11. 1994. 3 Gegründet durch völkerrechtlichen Vertrag vom 17. 7. 1998, A / Conf.183 / 9, deutsche Quelle BGBl. 2000 II 1394, der am 1. 7. 2002 in Kraft getreten ist. 4 4. Abs. der Präambel des IStGH-Statuts. 5 Siehe auch Baumgartner, S. 409 f.; Rauschenbach / Scalia, S. 443. 1 2

38

Einleitung

Im Rahmen dieser Arbeit soll untersucht werden, inwieweit das Verfahrensrecht des IStGH den spezifischen Bedürfnissen der Opfer völkerrechtlicher Verbrechen gerecht wird. Einleitend wird ein kurzer historischer Überblick über die sich verändernde Stellung des Verletzten im Strafprozess gegeben. In diesem Zusammenhang sollen die grundlegenden Interessenkonflikte aufgezeigt werden, die sich aus dem Zusammentreffen von Opfer, Täter und Allgemeinheit bei der Tatahndung ergeben. Um beurteilen zu können, ob das Verfahrensrecht des IStGH den Opferinteressen hinreichend Rechnung trägt, müssen diese zunächst ermittelt werden. Die Bedürfnisse der Opfer hängen maßgeblich von der erlittenen Straftat und den Tatfolgen ab. Die Entwicklung eines strafprozessualen Konzepts, das auf die Opferinteressen abgestimmt ist, setzt damit die Auseinandersetzung mit dem Viktimisierungsprozess und den Auswirkungen der Tat auf die Opfer voraus. Daher werden in Teil 2 im Anschluss an allgemeine, grundlegende viktimologische Ausführungen die vom IStGH-Statut erfassten Delikte analysiert. Im Zentrum steht die Frage, wie sich völkerrechtliche Verbrechen auf die Opfer, ihr soziales Umfeld und ihre Gesellschaft auswirken. Hierauf aufbauend sollen die konkreten Bedürfnisse der Opfer und die daraus folgenden Erwartungen an ein Strafverfahren herausgestellt werden.6 In einem nächsten Schritt gilt es zu ermitteln, inwieweit der Strafprozess auch an den Interessen der Opfer ausgerichtet werden kann oder sogar muss. Daher wird in Teil 4 ein Überblick über die Strafzwecke und die Ziele des Strafverfahrens gegeben. Der Schwerpunkt der Arbeit liegt auf einer Analyse des Strafverfahrensrechts des IStGH. Dieses speist sich aus dem IStGH-Statut, den Rules of Procedure and Evidence7, den Regulations of the Court8, den Regulations of the Office of the Prosecutor9 sowie den Regulations of the Registry10. Nachdem das Prozessrecht generell auf seine Vereinbarkeit mit den Interessen der Opfer hin untersucht wurde11, soll die Stellung des Opfers im Verfahren genauer betrachtet werden. Dabei wird nach den verschiedenen prozessualen Rollen, die das Opfer übernehmen kann – Zeuge12, Beteiligter13 und Antragsteller im Wiedergutmachungsverfahren14 –, Teil 3. Rules of Procedure and Evidence, verabschiedet von der Versammlung der Vertragsstaaten am 9. 9. 2002, in Kraft getreten am selben Tag, ICC-ASP / 1 / 3 (part II-A). 8 Regulations of the Court, verabschiedet von den Richtern des Gerichtshofs am 26. 5. 2004 in der Fassung vom 18. 12. 2007, ICC-BD /01-02-07. 9 Regulations of the Office of the Prosecutor, verabschiedet vom OTP am 23. 4. 2009, in Kraft getreten am selben Tag, ICC-BD /05-01-09. 10 Regulations of the Registry, vorgelegt von der Kanzlei und genehmigt vom Präsidenten am 6. 3. 2006 in der Fassung vom 25. 9. 2006, ICC-BD /03-01-06-Rev.1. 11 Teil 5 C. 12 Teil 5 D. 13 Teil 5 E. 14 Teil 5 F. 6 7

Einleitung

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unterschieden. Ein besonderes Augenmerk liegt auf der Ausgestaltung und Umsetzung, die das opferrelevante Verfahrensrecht bisher durch die Rechtsprechung des IStGH erfahren hat. In der abschließenden Gesamtbetrachtung wird Bilanz gezogen, inwieweit das Verfahrensrecht des IStGH und die bisherige Rechtsprechungspraxis den legitimen Interessen der Opfer Rechnung tragen. Zusammenfassend sollen Errungenschaften, aber auch bestehende Defizite dargestellt werden. Gleichzeitig soll aufgezeigt werden, wie das Völkerstrafprozessrecht unter Wahrung der Rechte des Beschuldigten opferorientiert fortentwickelt werden könnte.

Teil 1

Historischer Überblick Bevor das Strafverfahren staatlich formalisiert wurde, wurden Rechtsgutsverletzungen durch individuelle Rache- und Vergeltungsmaßnahmen gesühnt. Mit zunehmender Verstaatlichung des Sanktionierungsprozesses veränderte sich auch die Stellung und Bedeutung des Opfers bei der Tatahndung. Diese Entwicklung soll im folgenden Kapitel anhand der kontinentaleuropäischen Rechtstraditionen verdeutlicht werden. Ziel der Darstellung ist nicht die Auseinandersetzung mit historischen Details, sondern die Herausarbeitung einer grundsätzlichen Entwicklungslinie.

A. Vorstaatliche Gesellschaften Die Beeinträchtigung von Rechtsgütern wurde in vorstaatlichen Gesellschaften wie den nord- und westeuropäischen Stämmen der Germanen oder Franken1 als rein privater Konflikt zwischen dem Opfer und dem Täter bzw. deren Sippen verstanden. Nur diese waren von der Tat betroffen, nicht aber darüber hinaus auch die Gemeinschaft oder der Stamm des Opfers.2 Dementsprechend war die Sanktionierung von Übergriffen jeglicher Art allein dem Opfer und seiner Sippe überlassen.3 Strafrecht existierte nur in Form eines privaten Racherechts.4 Zentrale Reaktion auf die Verletzung von Ehre, Eigentum, Leib und Leben war die Fehde. Ihr Ziel war es, der Sippe des Täters zumindest eine äquivalente Einbuße zuzufügen.5 Kennzeichnendes Element jeder Form der Fehde ist die Eigenmächtigkeit des Opfers.6 Der Verletzte legte fest, was als Angriff zu werten und wie dieser zu sanktionieren war. Nach heutigem Verständnis agierte der Geschädigte als Gesetzgeber, Staatsanwalt und Richter in einem.7 Das Opfer bestimmte 1 Siehe für weitere Beispiele Harold Berman, S. 88 f.; zurückhaltend wegen der schlechten Quellenlage Patschovsky, S. 147 sowie Kroeschell (1986), S. 3. 2 Kiefl / Lamnek, S. 17; Weigend (1989), S. 29; Stehle, S. 52. 3 Mitteis / Lieberich, S. 38; Göppinger (1997), S. 163; Stehle, S. 52. 4 Rehfeldt, S. 98; Eisenhardt, Rn. 94; Köhler, S. 59; Schafer, S. 6; Stehle, S. 53. 5 Rüping / Jerouschek, Rn. 5. 6 Wadle (2002), S. 12. 7 Schafer, S. 6.

A. Vorstaatliche Gesellschaften

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entsprechend seinem Rache- und Vergeltungsbedürfnis ohne jedwede rechtliche Beschränkungen die Bestrafung des Täters bzw. dessen Sippe.8 Vergeltung durch Selbsthilfe war eine akzeptierte Form der Rechtsdurchsetzung.9 Im Rahmen der Fehde konnte – gleichsam als Entschädigung – auch auf die Vermögenswerte des Gegners zugegriffen werden.10 Neben der Tatvergeltung diente die Fehde auch der Abschreckung. Die harte Reaktion auf den Angriff sollte zukünftige Rechtsverletzungen verhindern.11 Sie diente damit auch dem Schutz sämtlicher Sippenangehöriger. Das Opfer und seine Sippe bestimmten in jeder Hinsicht die Sanktionierung der Tat. Daher wird diese Epoche auch als goldenes Zeitalter des Opfers bezeichnet.12 Das Fehdesystem ermöglichte es allerdings nicht allen Opfern gleichermaßen, ihre Interessen durchzusetzen. Unabdingbare Voraussetzung für die Ahndung der Rechtsverletzung und gleichzeitig für den Schutz vor zukünftigen Übergriffen war eine hinreichend starke Sippe.13 Verfügte diese nicht über die notwendigen Ressourcen, um eine Fehde zu führen, wurde die Tat nicht sanktioniert. Das Opfer blieb rechtlos. Zudem konnte in dem Angriff auf das Opfer eine Kränkung der Sippe gesehen werden.14 Kollektive Zielsetzungen wie die Wiederherstellung der Sippenehre konnten die Fehde derart dominieren, dass die individuellen Interessen des Opfers in den Hintergrund gedrängt wurden.15 Die Fehde führte zu einem endlosen Kreislauf aus Rache und Gegenrache, der in extremen Fällen erst durch die vollständige Auslöschung einer oder sogar beider Sippen beendet wurde.16 Allgemeiner und dauerhafter Frieden, der über die konkrete Streitschlichtung im Einzelfall hinausging, konnte nicht geschaffen werden.17 Um derart verheerende Auswirkungen und die damit verbundene Verschwendung von Ressourcen18 zu verhindern, wurde das Fehderecht nach und nach begrenzt. Ein Beispiel hierfür ist das alttestamentarische Talionsprinzip „Auge um Auge, Zahn um Zahn.“19 Verboten wurde die ausufernde, unbegrenzte Rache. Dem Täter durfte nur das gleiche, nicht aber ein stärkeres Übel zugefügt werden.20 Amelunxen (1970), S. 11; Jacob, S. 215; Weigend (1989), S. 31. Weigend (1989), S. 30; Eisenhardt, Rn. 95; Göppinger (1997), S. 163; Fuchs / Raab, S. 235. 10 Patschovsky, S. 149. 11 Schafer, S. 6. 12 Schafer, S. 5. Siehe auch Wemmers, S. 396. 13 Rehfeldt, S. 98; Amelunxen (1970), S. 11; Weigend (1989), S. 31; Hassemer / Reemtsma, S. 18. 14 Schafer, S. 7. Siehe auch Stehle, S. 53. 15 Rüping / Jerouschek, Rn. 5. 16 Rehfeldt, S. 98; Kiefl / Lamnek, S. 17; Rüping / Jerouschek, Rn. 5; Hassemer / Reemtsma, S. 18. 17 Weigend (1989), S. 31; Wadle (2002), S. 9. 18 Rüping / Jerouschek, Rn. 12; Günther, S. 212. 19 Das zweite Buch Moses (Exodus), Kapitel 21, 24. 8 9

42

Teil 1: Historischer Überblick

B. Ersatz der Fehde durch Sühneleistung Bedingt durch die laufende Fortentwicklung der Wirtschaft entstand die Möglichkeit, die Rache durch Zahlung einer Sühneleistung, z. B. in Form von Waffen, Pferden oder Vieh abzuwenden.21 Hierfür wurde ein Sühnevertrag zwischen den Fehdeparteien ausgehandelt.22 Der Umfang der geldwerten Bußleistung richtete sich nach dem Grad der zugefügten Verletzung.23 Entscheidend war aber nicht allein der wirtschaftliche Wert der übergebenen Güter. Diese mussten vielmehr mit Rücksicht auf die Gefühle des Verletzten und seiner Sippe ausgewählt werden und durften keine erneue Kränkung darstellen.24 Damit kam der Buße auch eine symbolische Bedeutung zu. Sie diente nicht nur der Schadenswiedergutmachung, sondern befriedigte auch Genugtuungsbedürfnisse.25 Ebenso wie die Fehde die ganze Sippe betraf, wurde auch die Sühneleistung von der gesamten Verwandtschaft und nicht nur vom Täter erbracht.26 Mit Annahme der Buße durch das Opfer und seine Sippe war eine weitere Rache ausgeschlossen. Der Verzicht auf Vergeltungsmaßnahmen wurde durch den Schwur der Urfehde besiegelt.27 Die Bereitschaft, auf Blutrache zu verzichten, nahm aber mit zunehmender Schwere der Tat ab. Begrenzt war die Akzeptanz von Sühneleistungen vor allem bei der Tötung von Sippenangehörigen.28 Solche Taten zu rächen war Ausdruck der eigenen Ehre und gleichzeitig Pflicht gegenüber dem Toten.29 Bei den Verhandlungen musste die Sippe zudem darauf achten, dass ihre Ehre und ihr Ansehen gewahrt blieben. Sie durfte nicht durch ein zu großes Entgegenkommen Schwäche signalisieren30 und so ihre Angehörigen der Gefahr weiterer Übergriffe aussetzen. Der Prozess der Sühneverhandlungen wurde nach und nach institutionalisiert. So entstanden Gerichte und Schlichtungsstellen, die bei der Aushandlung der Sühneleistung beteiligt werden konnten.31 Auch in diesen Fällen wurde die Sühneleistung an das Opfer und dessen Sippe gezahlt. Das Gericht bekam lediglich ein Amelunxen (1970), S. 11; Schafer, S. 9; Schreiber, S. 327. Sessar, S. 145; Kiefl / Lamnek, S. 17; Schafer, S. 8; Köhler, S. 59; Göppinger (1997), S. 163. 22 Eisenhardt, Rn. 94; Stehle, S. 53. 23 Rüping / Jerouschek, Rn. 6; Ambos (2008b), S. 588. 24 Rehfeldt, S. 108. 25 Rüping, S. 673; Weigend (1989), S. 40. 26 Von Liszt, S. 12; Rehfeldt, S. 102; Kroeschell (1986), S. 4. 27 Rehfeldt, S. 101. Siehe zum Ablauf einer Fehde am Beispiel Sichars Patschovsky, S. 148 ff. 28 Weigend (1989), S. 31; Rüping / Jerouschek, Rn. 6. 29 Rehfeldt, S. 100; Radbruch / Gwinner, S. 25. 30 Rehfeldt, S. 100. 31 Kiefl / Lamnek, S. 17. 20 21

C. Entwicklung hoheitlicher Verfahren

43

Entgelt für die erfolgreiche Vermittlung.32 Im Mittelpunkt standen weiterhin das Opfer, seine Sippe und ihre Genugtuungsinteressen. Die frühen Gerichte hatten allerdings keine eigene Rechtsmacht zur Durchsetzung von Urteilssprüchen. Sie konnten lediglich von außen auf eine gütliche Einigung der Sippen hinwirken. Einzig mögliche Form der Sanktionierung war die Ächtung der verhandlungsunwilligen oder zahlungsunfähigen Partei.33 Der Geächtete wurde bis zur Aussöhnung mit der anderen Partei aus der Gemeinschaft ausgeschlossen und verlor so ihren Schutz. Er durfte ohne Folgen getötet werden.34

C. Entwicklung hoheitlicher Verfahren Mit zunehmender Herausbildung einer staatlichen Zentralgewalt, die über den einzelnen Sippenverband hinaus reichte, änderten sich das Verständnis von Herrschaft und die Bewertung von Straftaten. Die Herrscher verstanden sich nicht mehr nur als Stammesfürsten, die ihre Untergebenen vor Angriffen von außen schützen mussten, sondern vielmehr als Garanten für Frieden und Sicherheit in ihrem Herrschaftsgebiet. Damit wurde die Straftat von einer bloßen Verletzung privater Interessen zu einem Bruch des Friedens und folglich zu einer Auflehnung gegen den Herrscher.35 Die Straftat wurde entprivatisiert. Ihre Sanktionierung erfolgte nun auch im Interesse des Herrschers. Zudem gefährdeten die zunehmenden Fehden die Rechtseinheit und -sicherheit und bewirkten so eine Schwächung der sich entwickelnden Zentralgewalt.36 Erforderlich zur Festigung der Herrschaft war daher die Zurückdrängung der Fehde bei gleichzeitiger Etablierung einer öffentlichen Rechtsdurchsetzung, die als Alternative zur privaten Selbsthilfe angeboten werden konnte.37 In Anknüpfung an die privatrechtlichen Sühneverträge entwickelten sich Bußkataloge.38 In diesen wurde festgelegt, mit welcher Leistung welche Tat gesühnt werden konnte. Beispiele hierfür finden sich bereits bei den Babyloniern, den Hebräern, den Römern und Griechen. Auch bei den Engländern sowie in den germanischen Stammesrechten aus dem 6. bis 9. Jahrhundert existierten ausdifferenzierte Sühnevorschriften.39 Die Höhe der zu entrichtenden Buße war vom Status und AnHans-Joachim Schneider (1975), S. 21; Weigend (1989), S. 41. Weigend (1989), S. 30. 34 Kroeschell (1986), S. 12; Schafer, S. 13; Jerouschek (1997), S. 498. Siehe auch von Liszt, S. 12. 35 Weigend (1989), S. 43; Schafer, S. 17; Kroeschell (2008a), S. 210 ff.; Stehle, S. 54. Siehe auch Wemmers, S. 396. 36 Vogel, S. 36; Hassemer / Reemtsma, S. 17 f. Siehe auch Wemmers, S. 396. 37 Göppinger (1997), S. 163 – 164. 38 Rehfeldt, S. 100; Amelunxen (1970), S. 12; Jacob, S. 215; Sessar, S. 145; Weigend (1989), S. 40. 39 Hans-Joachim Schneider (1975), S. 20; Schafer, S. 12; Rüping / Jerouschek, Rn. 8. 32 33

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Teil 1: Historischer Überblick

sehen des Opfers sowie der Schwere der Tat abhängig.40 Sie behielt zunächst ihren Charakter als Ablösung des Racherechts bei und kam unmittelbar dem Verletzten bzw. seiner Sippe zugute.41 Um den Anreiz zum Fehdeverzicht zu erhöhen, mussten die Tarifbußen hoch angesetzt werden.42 Diese erreichten teilweise solche Ausmaße, dass der einzelne Täter nicht vermögend genug war, um sie aufzubringen, sondern auf die Unterstützung seiner Sippe, die von der Haftung miterfasst war, angewiesen war.43 Bestimmte Opfer wurden allerdings völlig rechtlos gestellt. Angehörige von Gruppen, die als moralisch verwerflich oder als besonders gefährdet eingestuft wurden, durften folgenlos beleidigt, beraubt, vergewaltigt, verletzt oder sogar getötet werden.44 Neben den Bußgeldkatalogen entwickelte sich ein System peinlicher Lebensund Leibesstrafen. Unfreie und Knechte waren regelmäßig nicht in der Lage, Kompensationsleistungen für die begangenen Taten aufzubringen.45 Die von ihnen verursachten Verletzungen konnten aber ihren Herren zugerechnet werden und so zur Fehde gegen diesen berechtigen. Um dies zu verhindern, bestand alternativ die Möglichkeit, die Tat durch Leibes- oder Lebensstrafen zu sühnen.46 Diese konnten wiederum durch die Zahlung einer Geldbuße abgewendet werden.47 In den von der Hoheitsgewalt zur Verfügung gestellten Verfahren übernahm das Opfer zunächst eine zentrale Rolle. Als Privatkläger oblag ihm die Entscheidung über die Verfahrenseinleitung.48 Maßgebliches Beweismittel waren der Eid des Klägers und seiner Eideshelfer.49 Die grundsätzlich mögliche Entlastung des Beschuldigten durch einen Reinigungseid wurde immer weiter eingeschränkt, um einen effektiven Prozess zu gewährleisten, der sich zu einer echten Alternative zur Fehde entwickeln konnte.50 Maßgebliche Bedeutung kam dem Opfer auch im Falle einer Begnadigung des Täters zu.51

40 Rehfeldt, S. 101; Kroeschell (1986), S. 4; Kiefl / Lamnek, S. 18; Harold Berman , S. 94; Schafer, S. 12. 41 Brokamp, S. 3. 42 Rüping / Jerouschek, Rn. 8. 43 Harold Berman, S. 94; Schafer, S. 13; Jerouschek (1997), S. 502. 44 Amelunxen (1970), S. 14; Kiefl / Lamnek, S. 18; Radbruch / Gwinner, S. 105. 45 Weigend (1989), S. 52. 46 Rüping / Jerouschek, Rn. 12. Siehe auch Jerouschek (1997), S. 500 – 501. 47 Amelunxen (1970), S. 15; Weigend (1989), S. 68. 48 Ebel / Thielmann, Rn. 412. 49 Ebel / Thielmann, Rn. 137 ff.; Rüping / Jerouschek, Rn. 22. Siehe auch Stehle, S. 66. 50 Weigend (1989), S. 34. Siehe auch Jerouschek (1992), S. 335; Rüping / Jerouschek, Rn. 69 sowie Ambos (2008b), S. 588. 51 Amelunxen (1970), S. 16.

D. Verdrängung der Fehde

45

D. Verdrängung der Fehde Parallel zur Etablierung alternativer Reaktionsmechanismen wurde versucht, die Fehde selbst durch Vorschriften einzugrenzen und später vollständig zu verbieten. Den Ausgangspunkt bildete die kirchliche Friedensbewegung, die um das Jahr 1000 in Frankreich entstand. Ihr Ziel war der Schutz der Kirche, ihres Besitzes und ihrer Geistlichen im Besonderen sowie der Schwachen im Allgemeinen vor Gewalttaten und Verbrechen.52 In den deutschen Landfriedensordnungen des 11. und 12. Jahrhunderts wurden beispielsweise Fehden für gewisse Zeiträume untersagt53 und bestimmte Personen, wie Kleriker und Frauen, sowie Objekte, wie Kirchen und Mühlen, generell vom Fehdegang ausgenommen.54 Daneben wurden besonders gefährliche Handlungen, z. B. Brandstiftungen, verboten.55 Zudem wurde die Fehde subsidiär zum gerichtlichen Verfahren erklärt.56 Ihre Rechtmäßigkeit war von der vorherigen erfolglosen Durchführung eines Güteverfahrens abhängig. Auf diese Weise sollten Auswüchse und Missbrauch des Fehderechts begrenzt werden.57 Rechtstatsächlich erfuhren die entsprechenden Verbote und Einschränkungen aber nur bedingt Beachtung.58 Voraussetzung für die vollständige Verdrängung des Fehderechts war das Bestehen einer gefestigten Staatsgewalt, die die Bestrafung des Täters in ausreichendem Maße garantieren konnte.59 Bis dieser Zustand erreicht wurde, standen Fehde und alternative hoheitliche Verfahren nahezu gleichberechtigt nebeneinander.60 Zu Beginn war die öffentliche Autorität sogar auf die Unterstützung der Sippen bei der Durchsetzung des Urteils und der Vollstreckung der Sanktionen angewiesen.61 Im Heiligen Römischen Reich Deutscher Nation wurde 1495 im Ewigen Landfrieden das absolute Fehdeverbot ausgesprochen. Bis in die Neuzeit hinein konnten Fehdegänge allerdings nicht gänzlich verhindert werden.62

52 Weigend (1989), S. 62; Ebel / Thielmann, Rn. 418; Kroeschell (2008a), S. 196 ff.; Rüping / Jerouschek, Rn. 48; Wadle (2007), S. 1021. 53 Vogel, S. 38. 54 Radbruch / Gwinner, S. 68; Köhler, S. 60; Wadle (2002), S. 16. 55 Vogel, S. 39; Kroeschell (2008a), S. 196; Wadle (2002), S. 17. 56 Weigend (1989), S. 58; Vogel, S. 42; Fuchs / Raab, S. 235; Wadle (2007), S. 1025. 57 Wadle (2007), S. 1031. 58 Radbruch / Gwinner, S. 69; Vogel, S. 40. 59 Fuchs / Raab, S. 236; Schafer, S. 6; Weigend (1989), S. 44. 60 Amelunxen (1970), S. 15; Wadle (2002), S. 21. 61 Rehfeldt, S. 106. 62 Radbruch / Gwinner, S. 74; Fuchs / Raab, S. 236.

46

Teil 1: Historischer Überblick

E. Dominanz staatlicher Verfahren Im weiteren Verlauf setzte sich das staatliche Verfahren mehr und mehr durch. Die Bußgelder, die zunächst dem Geschädigten und seiner Sippe zugute kamen, wurden zu immer größeren Anteilen an den Souverän gezahlt. Die Wiedergutmachungsleistung entwickelte sich zur Geldstrafe.63 Ziel war nicht mehr die Entschädigung des Opfers, sondern die Sicherung des öffentlichen Friedens im Interesse der Gesellschaft.64 Bis zum ausgehenden Mittelalter wurden der Anwendungsbereich und die Härte peinlicher Strafen gesteigert. Die Grundlage hierfür bildete eine formelle Talionsvorstellung.65 Die vollzogenen Strafen sollten das begangene Verbrechen widerspiegeln, wie die Bestrafung eines Meineids durch das Ausreißen der Zunge.66 Die Ausdehnung der Leibes- und Lebensstrafen führte dazu, dass auch freie Bürger erfasst wurden und so nach und nach die ständische Unterscheidung im Strafrecht beseitigt wurde.67 Die Reaktion auf die Straftat hing damit nicht mehr von der Macht der Sippe des Opfers oder von dessen gesellschaftlichem Status ab.68 Die peinlichen Strafen verdrängten zunehmend die Bußleistungen.69 Im Mittelpunkt stand die Todesstrafe. Um der unterschiedlichen Deliktsschwere gerecht zu werden, gab es einfache und qualifizierte Formen der Todesstrafe, wie beispielsweise das Rädern.70 Die Verschärfung und Brutalisierung der Strafen lässt sich mit dem gesellschaftlichen Auflösungsprozess im Spätmittelalter und dem damit verbundenen Kriminalitätsanstieg erklären.71 Auch in verfahrensrechtlicher Hinsicht wurde die Position des Opfers beschränkt. Die Rolle des Anklägers wurde nicht mehr vom Verletzten, sondern zunehmend von dazu bestimmten Personen übernommen.72 Der Eid des Geschädigten wurde vom Geständnis des Täters als zentrales Beweismittel abgelöst.73 Dementsprechend entwickelte sich die Folter zum entscheidenden Instrument der Wahrheitsfindung.74 Dies zeigt sich beispielsweise in der Constitutio Criminalis 63 Rehfeldt, S. 106; Rüping, S. 675; Jacob, S. 216; Hans-Joachim Schneider (1975), S. 21; Schafer, S. 14; Wemmers, S. 397. 64 Kiefl / Lamnek, S. 21. 65 Jerouschek (1992), S. 337; Köhler, S. 60. 66 Mitteis / Lieberich, S. 99; Köbler, S. 120. 67 Rüping, S. 676; Radbruch / Gwinner, S. 31; Mitteis / Lieberich, S. 302; Kroeschell (2008a), S. 211. 68 Kiefl / Lamnek, S. 20. 69 Kiefl / Lamnek, S. 21; Köbler, S. 120; Jerouschek (1997), S. 508; Vogel, S. 38. 70 Eisenhardt, Rn. 102; Köbler, S. 120. 71 Kielf / Lamnek, S. 20; Köhler, S. 60. 72 Köbler, S. 118; Stehle, S. 55; Ambos (2008b), S. 589. 73 Jerouschek (1992), S. 345 – 346; Turner / Gorst-Unsworth, S. 703; Rüping / Jerouschek, Rn. 78; Ambos (2008b), S. 589.

E. Dominanz staatlicher Verfahren

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Carolina von 1532, die aber den Einsatz von Folter bereits insoweit einschränkt, als sie ihn an das Vorliegen bestimmter Indizien knüpft.75 War die Folter unzulässig und konnte daher kein Geständnis erwirkt werden, bestand häufig die Möglichkeit, eine Verdachtsstrafe zu verhängen.76 Aus dem zunehmenden Verzicht auf den Privatkläger entwickelte sich der Inquisitionsprozess. Die Verfolgung von Straftaten und die Ermittlung der Wahrheit erfolgten von Amts wegen.77 Der Richter übernahm gleichzeitig die Rolle des Anklägers.78 Eine Sonderform stellt der sich ab dem 15. Jahrhundert entwickelnde Hexenprozess dar.79 Der Schwerpunkt des Vorwurfs lag auf dem Pakt mit dem Teufel, der zur Vornahme diverser Schadenszauber befähigen sollte.80 Das Geständnis, das regelmäßig durch Folter erzwungen wurde, diente als Beweis und gleichzeitig als Läuterung zur Vermeidung ewiger Verdammnis.81 Die überführten Hexen wurden hingerichtet. Diese Prozesse dürften allein in Europa bis zu 100.000 Todesopfer gefordert haben.82 Ab dem 18. Jahrhundert wurden die Gedanken der Aufklärung auch auf das Strafrecht übertragen.83 Folge war die Säkularisierung, Rationalisierung und Humanisierung des Strafrechts.84 Die Trennung von Religion und Recht beinhaltet die Beendigung des religiösen Strafrechts und damit auch der Hexenprozesse.85 Ferner wurde die Abschaffung der Folter gefordert, die als naturwidrig und nicht notwendig angesehen wurde.86 Ausgehend von der französischen Revolution erfolgte eine weitere Liberalisierung des Strafverfahrens. Das Verfahren sollte öffentlich und mündlich sein, der unparteiische Richter durfte nicht mit dem Ankläger personenidentisch sein, dem Angeklagten wurde nach und nach die Rolle eines Prozesssubjekts eingeräumt.87 Gleichzeitig entwickelte sich – maßgebend beeinflusst von der Schrift „Dei delitti e delle pene“ des Italieners Cesare Beccaria aus dem Jahr 1764 – eine neue 74 Kiefl / Lamnek, S. 21; Schaffstein, S. 494; Turner / Gorst-Unsworth, S. 703; Ebel / Thielmann, Rn. 423; Fuchs / Raab, S. 247. Zur Entwicklung Jerouschek (1992), S. 349 – 352. 75 Köbler, S. 161. Vertiefend zur Carolina Rüping / Jerouschek, Rn. 94 ff. 76 Schaffstein, S. 493. 77 Jerouschek (1986), S. 445; ders. (1992), S. 333; Eisenhardt, Rn. 398. 78 Jerouschek (1986), S. 445; Radbruch / Gwinner, S. 195; Fuchs / Raab, S. 372. 79 Jerouschek (1986), S. 433; Köbler, S. 162; Fuchs / Raab, S. 372. 80 Radbruch / Gwinner, S. 191. 81 Ebel / Thielmann, Rn. 424. 82 Rüping / Jerouschek, Rn. 147. 83 Fuchs / Raab, S. 68; Michael Bock, Rn. 11 f. Siehe auch Schaffstein, S. 495. 84 Mitteis / Lieberich, S. 395; Ebel / Thielmann, Rn. 441 ff. 85 Siehe Köbler, S. 161; Köhler, S. 61. 86 Eisenhardt, Rn. 403; Fuchs / Raab, S. 68; Kroeschell (2008b), S. 92. Siehe auch Schaffstein, S. 494, 504. 87 Kiefl / Lamnek, S. 21; Mitteis / Lieberich, S. 464; Köbler, S. 211 – 212; Köhler, S. 61.

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Teil 1: Historischer Überblick

Straftheorie. Das Maß der Strafe sollte im richtigen Verhältnis zur Tat stehen.88 Diese Theorie führte sowohl zur Abschaffung von verschärften Todes- und Verstümmlungsstrafen als auch allgemein zur Humanisierung der Sanktionen.89 Zudem begründete Beccaria den Gedanken der zweckgerichteten Strafe, der später von Anselm von Feuerbach in generalpräventiver und von Franz von Liszt in spezialpräventiver Hinsicht weiterentwickelt wurde.90 Ausdruck der präventiven Zielsetzung des Strafrechts ist auch die Entstehung der Freiheitsstrafe, die die Besserung und Erziehung der Gefängnisinsassen zum Ziel hat.91 In Deutschland kam es im Rahmen der nationalsozialistischen Diktatur zu einem herben Rückschritt. Rechtsstaatliche Verfahrensgarantien wurden aufgegeben, um ideologisch erwünschte Ergebnisse zu erzielen.92 Es wurden zunehmend mehr Verhaltensweisen, auch unter Verwendung von Generalklauseln, pönalisiert sowie die Strafen verschärft.93 Nach Kriegsende wurden die strafrechtlichen und strafprozessualen Normen von nationalsozialistischem Gedankengut befreit. Ziel war die Wiederherstellung eines rechtsstaatlichen Verfahrens und die Etablierung eines Sanktionssystems, das der Resozialisierung des Täters dient.94 Deutschland knüpfte damit wieder an die allgemeine Entwicklung in Europa an, die die Etablierung eines fairen Verfahrens unter vollumfänglicher Achtung der Rechte und Interessen des Angeklagten zum Ziel hat. Im Zuge der Entstehung eines rein staatlichen Strafrechts, das die Gewaltausübung formalisiert und begrenzt, wurde das Opfer immer weiter verdrängt und neutralisiert.95 Ungeachtet einzelner Institute, die dem Verletzen Verfahrensrechte zubilligen,96 kommt diesem jedenfalls keine zentrale Rolle im Strafverfahren zu. Die Straftat selbst wird zwar als Sache des Staates und der Allgemeinheit, die Folgen des Verbrechens – die erlittenen Verletzungen und Schäden – aber als private Angelegenheit betrachtet. Die Frage der Entschädigung des Opfers wird demgemäß überwiegend in den Zivilprozess verlagert.97

Siehe auch Kroeschell (2008b), S. 92. Ebel / Thielmann, Rn. 447; Michael Bock, Rn. 11. 90 Siehe auch Schaffstein, S. 495; Mitteis / Lieberich, S. 463; Peter-Alexis Albrecht, S. 9. Siehe zu den Strafzwecken vertiefend unten Teil 4. 91 Göppinger (1997), S. 776; Rüping / Jerouschek, Rn. 208. 92 Rüping / Jerouschek, Rn. 286. 93 Mitteis / Lieberich, S. 474; Ebel / Thielmann, Rn. 731 ff.; Kroeschell (2008b), S. 266 – 267. 94 Eisenhardt, Rn. 796; Köbler, S. 213; Rüping / Jerouschek, Rn. 324 – 325. 95 Hestermann, S. 133; Günther, S. 212; Peter-Alexis Albrecht, S. 361; Hörnle, S. 953; Göppinger(-Michael Bock) (2008), § 11 Rn. 1; Bassiouni (2008 f.), S. 657; Sánchez, S. 879. 96 Siehe zur Entwicklung der Rechtslage in Deutschland Weigend (1989), S. 140 ff. 97 Schafer, S. 20; Weigend (1990), S. 12; Roxin (1993), S. 301; Hestermann, S. 116. 88 89

F. Die Wiederentdeckung des Opfers

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F. Die Wiederentdeckung des Opfers Die Täterorientierung des Straf- und Strafprozessrechts prägte zunächst auch die Kriminologie, die sich in ihren Anfängen hauptsächlich mit dem Täter und seiner Persönlichkeit befasste. Das Opfer wurde nur als notwendige Randbedingung angesehen.98 Klassisches Beispiel sind die im 19. Jahrhundert vorgenommenen Untersuchungen von Gefängnisinsassen durch Cesare Lombroso, die zum Ziel hatten, den geborenen Verbrecher zu finden.99 Der traditionelle Blick auf Tat und Täter erweitert sich allerdings nach dem zweiten Weltkrieg durch die zunehmende Berücksichtigung der Opferperspektive.100 Aus der Kriminologie entwickelte sich die Viktimologie, die Wissenschaft von dem Verbrechensopfer.101 Ihr Hauptinteressen lag zunächst auf den Fragen, ob und inwieweit das Opfer für die Straftat mitverantwortlich ist und welche Wechselbeziehungen zwischen Täter und Opfer bestehen.102 Im weiteren Verlauf traten auch Fürsorgeaspekte hinzu.103 Aktuelle Forschungsschwerpunkte sind der Viktimisierungsprozess, Opferbefragungen, Opferbehandlungs- und Entschädigungsprogramme sowie die Stellung des Opfers in der Strafrechtspflege.104 Die Viktimologie hat auch Einfluss auf die Gesetzgebung genommen. Opferschutz und die Verbesserung der Stellung des Opfers im Verfahren sind international bedeutende Themen geworden. So wurde in Deutschland 1998 durch das Zeugenschutzgesetz105 die Möglichkeit eines anwaltlichen Beistands für das Opfer sowie einer Videovernehmung für besonders schutzbedürftige Zeugen geschaffen. Das Opferrechtsreformgesetz106 von 2004 soll die Belastungen des Verletzten durch das Strafverfahren mindern und seine Rechte stärken. Außerdem besteht seit 1976 für Opfer vorsätzlicher Gewaltstraftaten die Möglichkeit, vom Staat eine Entschädigung nach dem Opferentschädigungsgesetz107 zu erhalten. Ferner wurden Alternativen zum förmlichen Strafverfahren entwickelt und ausgebaut, die sich Amelunxen (1970), S. 33; Hans-Joachim Schneider (1982a), S. 9; Kiefl / Lamnek, S. 21. Peter-Alexis Albrecht, S. 10; Göppinger(-Michael Bock) (2008), § 2 Rn. 16. 100 Amelunxen (1970), S. 35; Hans-Joachim Schneider (1982a), 9; Kiefl / Lamnek, S. 21; Kaiser, § 47 Rn. 3. 101 Hans-Joachim Schneider (1975), S. 10; ders. (1998), S. 636; Richter, S. 8; Rauschenbach / Scalia, S. 442; Abo Youssef, S. 11. 102 Hans-Joachim Schneider (1975), S. 21; Kiefl / Lamnek, S. 22; Weigend (1989), S. 16. 103 Kiefl / Lamnek, S. 23. 104 Hans-Joachim Schneider (1998), S. 637 – 639; Kaiser, § 47 Rn. 6 ff.; Jung, S. 584. 105 Gesetz zum Schutz von Zeugen bei Vernehmungen im Strafverfahren und zur Verbesserung des Opferschutzes vom 30. 4. 1998, BGBl. 1998 I 820. 106 Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Verletzten im Strafverfahren vom 24. 6. 2004, BGBl. 2004 I 1354. 107 Gesetz über die Entschädigung von Opfern von Gewalttaten vom 7. 1. 1985, BGBl. 1985 I 1. 98 99

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Teil 1: Historischer Überblick

mehr am Opfer und seinen Interessen orientieren. Dies sind namentlich die Wiedergutmachung und der Täter-Opfer-Ausgleich. Ähnliche Entwicklungen finden sich auch in anderen Ländern Europas108 und der ganzen Welt109 – sowohl auf nationaler als auch auf internationaler Ebene110.

G. Fazit Die Beeinträchtigung von Individualrechtsgütern wurde zunächst als Privatangelegenheit des Opfers angesehen. Es selbst und seine Sippe bestimmten das „ob“ und „wie“ der Tatahndung. Die Fehde entwickelte sich zum entscheidenden Sanktions- und Reaktionsinstrument. Auf diese Weise wurde die Selbstbestimmung des Opfers in vollem Umfang gewährleistet. Allerdings durfte das schwache Opfer auch nicht mit der Unterstützung und dem Schutz durch die Allgemeinheit rechnen. Im Zuge der Staatenbildung wurden ressourcenintensive Rachefeldzüge zunehmend als destabilisierend und entwicklungshemmend empfunden. Der Souverän sah es als seine Aufgabe an, einen dauerhaften inneren Frieden zu gewährleisten. Aus dem privaten Konflikt wurde ein Angriff auf die Zentralgewalt, die Bestrafung damit Aufgabe der Allgemeinheit. Im Zuge der Entprivatisierung von Straftaten wurde das Opfer mehr und mehr in die Bedeutungslosigkeit gedrängt, während der Täter ins Zentrum der Aufmerksamkeit gelangte. Mit der Aufklärung setzen Bemühungen um einen fairen Prozess ein. Im Mittelpunkt standen die Wahrung der Rechte des Beschuldigten durch rechtstaatliche Verfahrensgarantien sowie die Humanisierung der Straftatfolgen. Seit Mitte des letzten Jahrhunderts ist das Opfer wieder mehr in das Blickfeld gerückt. Seine Interessen werden in den

108 Siehe nur in Frankreich: Loi du renforçant la protection des victimes d’infraction vom 9. 7. 1983, Loi Nr. 83 – 608; Loi no renforçant la protection de la présomption d’innocence et les droits des victimes vom 15. 6. 2000, Loi Nr. 2000 – 516; in England and Wales: Code of Practice for Victims of Crimes, seit April 2006 in Kraft; in Irland: Charter for Victims of Crime 1999. Siehe zum Adhäsionsverfahren den Ländervergleich bei Neichart, S. 415. 109 Siehe in den USA den Federal Victim and Witness Protection Act of 1982. Siehe für Japan die Darstellung bei Miyazawa, S. 523 mit Hinweisen auf die Entwicklung in anderen, hauptsächlich asiatischen Ländern. 110 Siehe beispielsweise Declaration of Basic Principles of Justice for Victims of Crime and Abuse of Power der UN-Generalversammlung vom 29. 11. 198, A / Res / 40 / 34 (siehe hierzu unten Teil 3 B. I.); Basic Principles and Guidelines on the Right to a Remedy and Reparation for Victims of Gross Violations of International Human Rights Law and Serious Violations of International Humanitarian Law, Resolution der UN-Generalversammlung vom 21. 3. 2006, A / Res / 60 / 147 (siehe hierzu unten Teil 3 B. II.); European Convention on the compensation of victims of violent crime vom 24. 11. 1983, European Treaties Series No. 116; Rahmenbeschluss des Europäsichen Rates über die Stellung des Opfers im Strafverfahren vom 15. 3. 2001, Abl. EG L 2001 / 82, 1. Siehe auch Bassiouni (2008 f.), S. 639.

G. Fazit

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Verfahrensordnungen vieler Länder in Form von Beteiligungs- und Informationsrechten sowie durch Vorschriften über die Entschädigung berücksichtigt. Basis für eine Wiedererstarkung der Opferposition scheint aber die Sicherung eines fairen Verfahrens für den Angeklagten zu sein.111

111

Siehe auch Kiefl / Lamnek, S. 23.

Teil 2

Struktur und Folgen völkerrechtlicher Verbrechen Opfer einer Straftat zu werden, ist für viele Menschen ein einschneidendes Erlebnis. Um im Strafverfahren angemessen auf die Bedürfnisse der Geschädigten reagieren zu können, muss zunächst versucht werden, die Tat in ihrer Bedeutung für die Betroffenen zu verstehen.

A. Viktimisierung Viktimisierung bezeichnet den Prozess der Opferwerdung. Dieser beginnt mit der Straftat und ihren direkten Auswirkungen auf das Opfer (dazu unter I.). Zusätzliche Belastungen können durch Fehlreaktionen des sozialen Umfelds entstehen (dazu unten II.). Letztlich kann eine Straftat zu anhaltenden Veränderungen im Verhalten und in der Persönlichkeit des Opfers führen (dazu unten III.). Nicht jedes Opfer durchlebt zwangsläufig alle drei Stufen der Viktimisierung. Die individuelle Reaktion sowie die Intensität der Tatfolgen hängen von der Tat selbst, dem Opfer sowie äußeren Gegebenheiten ab.1 Im Folgenden sollen mögliche und typische Folgen von Kriminalität und die damit verbundenen Belastungsmomente dargestellt werden.

I. Primäre Viktimisierung Die primäre Viktimisierung ist die unmittelbare Opferwerdung durch die Straftat.2 Die hieraus resultierenden Opferschäden können den materiellen, physischen und psychischen Bereich betreffen.3

Siehe hierzu vertiefend unten Teil 2 A. I. 3. c) cc). Kiefl / Sieger, S. 261; Stefanie Bock (2007c), S. 664. 3 Siehe auch die Opferdefinition in Art. I a) Rahmenbeschluss 2001 / 220 / JI des Rates vom 15. 3. 2001 über die Stellung des Opfers im Strafverfahren, Abl. EG 2001 L 82 / 1. 1 2

A. Viktimisierung

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1. Materielle Einbußen Die materiellen Folgen können sich direkt aus der Straftat ergeben, wenn sich diese gegen das Eigentum oder das Vermögen des Opfers richtet. Die Intensität der Beeinträchtigung hängt dabei nicht in erster Linie vom tatsächlichen, objektiv ermittelbaren Schadensumfang, sondern vielmehr von den individuellen Einkommens- und Vermögensverhältnissen sowie der subjektiven Bewertung des Schadens durch das Opfer ab.4 Wenn und soweit die Schäden nicht durch Versicherungsleistungen kompensiert werden, können Vermögensdelikte zu einer langfristigen wirtschaftlichen Belastung führen.5 Wird ein Gegenstand beschädigt, weggenommen oder zerstört, der für das Opfer primär eine emotionale Bedeutung hat, kann neben den wirtschaftlichen ein ideeller Schaden treten.6 Dies gilt vor allem dann, wenn der betroffene Vermögenswert Teil der persönlichen Biographie ist oder mit einer nahestehenden Person verbunden wird. Der Besitz ist in diesen Fällen Ausdruck des Selbstbildes des Opfers. Die Tat kommt einer Identitätsverletzung gleich.7 Diese ist dann besonders gravierend, wenn der Betroffene durch die Tat einen Großteil seines Besitzes verliert. Die materielle Situation des Einzelnen prägt auch seine soziale Stellung in der Gesellschaft und das Ansehen, das er genießt. Ein umfangreicher Verlust von Vermögenswerten bedeutet damit neben der Bedrohung der wirtschaftlichen Existenz auch eine Beeinträchtigung des identitätsprägenden Sozialstatus.8 Zusätzlich können mittelbare finanzielle Belastungen entstehen, soweit das Opfer aufgrund von körperlichen oder psychischen Schäden, die direkt aus der Tat erwachsen, Hilfe benötigt, für die es finanzielle Mittel aufwenden muss.9 Zu denken ist vor allem an die Kosten für die erforderliche Heilbehandlung oder an die Einstellung einer Pflegekraft. Zudem können die psychischen und physischen Tatfolgen die Leistungsfähigkeit herabsetzen oder zur Erwerbsunfähigkeit führen.10 Die damit verbundenen dauerhaften materiellen Einbußen können wiederum die Identität des Betroffenen gefährden11 oder zu einem sozialen Abstieg führen12.

Waller, S. 57; Schädler, S. 119. Siehe nur die Beispiele bei Tampe, S. 39; Young, S. 31. 6 Waller, S. 56; Kiefl / Lamnek, S. 225; Young, S. 31. 7 Waller, S. 52; Bard / Sangrey, S. 12; Hagemann, S. 131. Siehe auch Herzog, S. 178. 8 Hagemann, S. 131. 9 Hans-Joachim Schneider (1982a), S. 27; Kiefl / Lamnek, S. 225. 10 Siehe die Beispiele bei Kiefl / Lamnek, S. 229; Tampe, S. 40; Hestermann, S. 108. 11 Hagemann, S. 131. 12 Tampe, S. 40. 4 5

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Teil 2: Struktur und Folgen völkerrechtlicher Verbrechen

2. Physische Verletzungen Bei physischen Verletzungen stehen zunächst die Schmerzerfahrung und gegebenenfalls ein – vor allem bei blutenden Wunden häufig auftretender13 – akuter Schockzustand im Vordergrund. Die Schäden können in Intensität und Dauer erheblich variieren. Verletzungen von vorübergehender Natur sind nach Abschluss des Heilungsprozesses zumindest physisch überwunden. Bei weitreichenderen Beeinträchtigungen oder Behinderungen, wie einer Querschnittslähmung, kann eine vollständige Umgestaltung und Neuorganisation des Lebens erforderlich werden. Wird der Körper dauerhaft sichtbar entstellt, wie z. B. durch Narben, den Verlust von Gliedmaßen oder eines Auges, wird das gewohnte Körperbild verändert. Dies stellt die körperliche Identität des Betroffenen in Frage.14 Entstellungen sind gleichzeitig eine permanente Erinnerung an die Tat und ihre Folgen und können so deren psychische Verarbeitung beeinträchtigen. 15 3. Psychische Folgen Neben die physischen und ökonomischen Auswirkungen der Straftat können psychische Folgen treten. Handelt es sich – auch und vor allem aus Sicht des Betroffenen16 – um eine Bagatelle, werden sich diese regelmäßig in einer gewissen Verärgerung, vor allem über den Zeitverlust, der durch Anzeigeerstattung oder Auseinandersetzung mit der Versicherung entsteht,17 erschöpfen. Die Straftat wird im Übrigen ohne weitere Auswirkungen bleiben.18 Liegt aber eine erhebliche Rechtsgutsverletzung vor, können intensive psychische Folgen eintreten, die von den Opfern häufig als die zentrale Beeinträchtigung empfunden werden.19 Psyische Schäden setzen keine physischen Verletzungen voraus und können auch bei reinen Vermögensdelikten auftreten.20 a) Erschütterung der Grundannahmen Basis für ein funktionierendes menschliches Zusammenleben sind die Überzeugung, dass die Mitmenschen wohlmeinend sind, und der Glaube an eine überHagemann, S. 122. Hagemann, S. 122; Salter, S. 221. 15 Salter, S. 222; Young, S. 32. Siehe auch Richter, S. 49. 16 Siehe zum subjektiven Opferbegriff Wetzels, S. 14. 17 Baurmann / Schädler, S. 108; Mankowski, S. 787. 18 Siehe auch Weigend (1989), S. 383; Haupt et al., S. 31 Fn. 1. 19 Young, S. 32; Tampe, S. 40; Kiefl / Sieger, S. 264; Schädler, S. 119; Hans-Joachim Schneider (2002), S. 234; Stefanie Bock (2007c), S. 664; Mankowski, S. 787. Siehe auch die Studie von Richter, S. 46. 20 Scrignar, S. 22; Waller, S. 62; Bard / Sangrey, S. 12 – 13; Tampe, S. 40. 13 14

A. Viktimisierung

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geordnete Gerechtigkeit.21 Zumindest unterbewusst22 gehen fast alle Menschen davon aus, dass sie in Sicherheit leben und dass sie ihre Zukunft selbst und eigenverantwortlich gestalten können.23 Verbrechen werden nicht negiert, sondern in dieses Konzept durch den Glauben an eine gerechte Welt integriert. In einer gerechten Welt bekommt jeder, was er verdient und jeder hat das verdient, was er bekommt.24 Ist jemand Opfer einer Straftat geworden, so muss er dies verschuldet oder verdient haben.25 Der Einzelne grenzt sich auf diese Weise so weit vom Geschädigten ab, dass er subjektiv zu der Überzeugung gelangt, dass er selbst vor vergleichbaren Übergriffen sicher ist.26 Auch wenn diese Kernannahmen über die Güte und Gerechtigkeit der Welt nicht der Realität entsprechen, sorgen sie für ein hohes psychisches Funktionsniveau und befähigen zu sozialen Interaktionen mit Mitmenschen.27 Durch die eigene Opfererfahrung wird diese subjektive Theorie der Wirklichkeit28 erschüttert. Die elementaren Auswirkungen, die eine Straftat auf das Leben des Opfers haben kann, können anhand der Bedürfnispyramide von Abraham Maslow verdeutlicht werden. Maslow unterscheidet fünf allgemeine Kategorien von Bedürfnissen, die entsprechend ihrer Dringlichkeit hierarchisch angeordnet sind und aufeinander aufbauen. Der Mensch strebt danach, seine Bedürfnisse zu befriedigen (Defizitprinzip). Vorrang haben dabei die unbefriedigten Bedürfnisse der jeweils niedrigeren Stufe. Erst wenn die Defizite der unteren Stufe ausgeglichen werden, erlangt die jeweils nächste Stufe Bedeutung (Progressionsprinzip). Die Basis der Pyramide bilden körperliche Grundbedürfnisse, die das elementare Verlangen nach Essen, Trinken, Kleidung und Wohnung umfassen. Auf der nächsten Stufe stehen Sicherheitsbedürfnisse. Diese finden Ausdruck in dem Verlangen, sich vor unvorhergesehenen Ereignissen, die die Befriedigung der physiologischen Bedürfnisse gefährden können, zu schützen. Die Bedürfnisse der dritten und vierten Klassen beziehen sich auf soziale Beziehungen und soziale Anerkennung. Die Spitze der Pyramide bildet das Streben nach Selbstverwirklichung.29 Ab einer 21 Lerner, S. 11; Weigend (1989), S. 384; Hagemann, S. 117 – 118; Hestermann, S. 36; Hansen, S. 7. 22 Hansen, S. 7. 23 Lerner, S. 14; Bard / Sangrey, S. 15; Hestermann, S. 36; Dalbert, S. 87; Herzog, S. 177. 24 Lerner, S. 11; Dalbert, S. 87; Hafner / Olson, S. 65; Maes, S. 9; Mohiyeddini / Montada, S. 41. Siehe auch O’Connell, S. 310. 25 Karmen, S. 97; Bard / Sangrey, S. 90; Frieze, S. 118; Weigend (1989), S. 384; Baurmann / Schädler, S. 114; Hagemann, S. 241; McFarlane / van der Kolk, S. 28; Maes, S. 10; Mohiyeddini / Montada, S. 41; Hansen, S. 7; Mischkowski (2004b), S. 399. Allgemein Lerner, S. 11. 26 Lerner, S. 20, 73, 105; Bard / Sangrey, S. 3, 89; Hafner / Olson, S. 65; Mohiyeddini / Montada, S. 42. 27 Lerner, S. 14 – 15; Bard / Sangrey, S. 4; Strobl, S. 18; Hansen, S. 8. 28 Hansen, S. 8. 29 Maslow, S. 10 ff.

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Teil 2: Struktur und Folgen völkerrechtlicher Verbrechen

gewissen Intensität wirft die Straftat das Opfer auf die elementare Stufe der Sicherheitsbedürfnisse, oder – wenn beispielsweise im Rahmen eines Krieges die gesamte Existenzgrundlage vernichtet wird – sogar auf die erste Stufe der körperlichen Grundbedürfnisse zurück. Dadurch werden aber auch die auf dieser Basis aufbauenden Stufen erschüttert, mit der Folge, dass das gesamte individuelle Wertund Motivationssystem beeinträchtigt, sogar zerstört, sein kann.30 Die Straftat bedeutet für das Opfer einen Kontrollverlust.31 Der Täter setzt sich über den Willen und die Autonomie des Opfers hinweg und macht es zum Objekt seiner Willkür.32 Dies gilt vor allem für Gewalttaten.33 Der Einzelne war hilflos, nicht in der Lage sich und seine Rechtsgüter zu schützen. Ein ähnlicher Verlust des Sicherheitsgefühls kann durch Naturkatastrophen verursacht werden. Bei Straftaten kommt aber erschwerend hinzu, dass die Verletzung von einer anderen Person ausgeht.34 Anders als bei Naturkatastrophen, die unterschiedslos alle sich in einem bestimmten Bereich befindlichen Menschen betreffen, richten sich Straftaten gezielt gegen ein bestimmtes Opfer. Es wird als individueller Mensch angegriffen. Diese persönliche Komponente der Verletzung intensiviert die möglichen negativen Auswirkungen auf die Psyche und das Selbstbild des Verletzten.35 Durch den direkten Angriff wird nicht nur die Illusion der eigenen Unverwundbarkeit zerstört,36 der Betroffene wird vielmehr gleichzeitig mit der Bösartigkeit der Menschen konfrontiert37. Der Glaube in die Sicherheit und Gerechtigkeit der Welt sowie das Vertrauen in die Mitmenschen können so erschüttert werden.38 b) Allgemeine Folgen einer Viktimisierung Wie der Einzelne auf seine Opferwerdung reagiert, hängt von seiner Persönlichkeit sowie von der Intensität der Erfahrung ab.39 Grundsätzlich ist es umso schwerer, die Viktimisierung zu überwinden, je stärker die Gefühle der Ohnmacht und Wehrlosigkeit waren.40 Taten, die wie Vergewaltigungen und Wohnungseinbrüche 30 Siehe Fischer / Riedesser (1999), S. 140, die davon sprechen, dass nach einer Straftat die maslowsche Pyramide „bildlich gesprochen, von der Basis her wieder aufgebaut werden“ muss. 31 Karmen, S. 36; Bard / Sangrey, S. 14; Hestermann, S. 36; Hansen, S. 5. 32 Bard / Sangrey, S. 16. 33 Hagemann, S. 126; Hansen, S. 6. 34 Roe-Berning / Straker, S. 325. 35 Frederick, S. 67; American Psychiatric Association, S. 424; Möhler, S. 14. 36 Karmen, S. 38; Elias, S. 116; Hagemann, S. 126; Lueger-Schuster (1996a), S. 25; RoeBerning / Straker, S. 325; Hansen, S. 53; Friedmann, S. 17. 37 Hansen, S. 6. 38 Karmen, S. 36; Elias, S. 116; Lueger-Schuster (1996a), S. 26; Roe-Berning / Straker, S. 325; Jerouschek (2002), S. 189; Carlson / Dutton, S. 134; Ünal, S. 57. 39 Siehe vertiefend unten Teil 2 A. I. 3. c) cc). 40 McFarlane / de Girolamo, S. 131; Hestermann, S. 26.

A. Viktimisierung

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einen Eingriff in die Intimsphäre darstellen, sind häufig mit erheblichen und lang anhaltenden psychischen Beeinträchtigungen verbunden.41 Die Erschütterung der Grundannahmen kann Bestürzung, Trauer, Frustration, Apathie, Wut, Hass oder Rachebedürfnisse auslösen.42 Das Opfer verlangt nach einer Erklärung, nach einem Grund für die Straftat.43 Zentral sind drei Fragen: „Warum hat der Täter das getan? Was habe ich dazu beigetragen, dass gerade ich zum Opfer wurde? Wie hätte ich es verhindern können?“44 Eine denkbare Antwort, die die Opfererfahrung auch mit den erschütterten Grundannahmen in Einklang bringen kann, ist Selbstbeschuldigung. Viele Opfer fühlen sich für die Tat verantwortlich45 und haben das Gefühl, die Tat und ihre Folgen verdient zu haben.46 Bezieht sich die Kritik auf das eigene Verhalten, so bietet dies eine Möglichkeit, in der Retroperspektive die Kontrolle über die Situation zurückzugewinnen. Der Betroffene erlangt so zumindest eine scheinbare Sicherheit vor einer erneuten Opferwerdung.47 Dies kann einen Weg darstellen, die Erfahrung mit der subjektiven Theorie der Wirklichkeit zu vereinbaren48 und sie so effektiver zu verarbeiten. Werden aber Defizite in der eigenen Persönlichkeit als ursächlich für die erlittene Tat angesehen, kann dieses negative Selbstbild die Entstehung psychischer Krankheiten begünstigen.49 Seiner Umgebung im Allgemeinen und dem Täter im Besonderen die Schuld zu geben, ist ebenfalls eine mögliche Antwort auf die Warum-ich-Frage. Dies kann zu einem erhöhten Misstrauen gegenüber der Umwelt führen.50 Zudem liegt die Tatursache außerhalb der Person des Opfers und damit außerhalb seines Einflussbereiches. Diese Coping-Strategie kann daher Gefühle der Hilflosigkeit verstärken.51 Der Tat kann aber auch ein höherer Sinn, wie ein Test für die eigene Stärke oder eine Botschaft von Gott, beigemessen werden.52 Weigend (1989), S. 382; Hagemann, S. 122; Sczesny / Krauel, S. 339. Fattah, S. 185; Hans-Joachim Schneider (1982a), S. 27; Elias, S. 116; Tampe, S. 36; Kiefl / Sieger, S. 262; Hestermann, S. 26; Kaiser, § 50 Rn. 1. Siehe auch Orth / Maercker, S. 161 ff. 43 Bard / Sangrey, S. 54 – 55; Young, S. 36; Hagemann, S. 207; Frieze, S. 124; Strobl, S. 299; Bierwirth / Ghaderi, S. 76; Schotsmans, S. 121. 44 Hestermann, S. 25. Siehe auch Dalbert, S. 94. 45 Hans-Joachim Schneider (1982a), S. 27; Bard / Sangrey, S. 7; Elias, S. 117; Weigend (1989), S. 382; Baurmann / Schädler, S. 115; Young, S. 35; Hagemann, S. 239; McFarlane / van der Kolk, S. 27; Frieze, S. 124; Richter, S. 11; Hansen, S. 23. Siehe auch Orth / Maercker, S. 160. 46 Hansen, S. 23. 47 Frieze, S. 124; Richter, S. 11; Jerouschek (2002), S. 188; Hansen, S. 52. Siehe auch Bard / Sangrey, S. 57 f. 48 Siehe Lerner, S. 106, 123; Dalbert, S. 94. 49 Frieze, S. 124 f.; Hansen, S. 52. Siehe auch Bard / Sangrey, S. 57 f. 50 Hagemann, S. 207. 51 Bard / Sangrey, S. 60. 41 42

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Teil 2: Struktur und Folgen völkerrechtlicher Verbrechen

Entscheidende Beeinträchtigung ist der mit der Erkenntnis der eigenen Verwundbarkeit verbundene Verlust des Sicherheitsgefühls und des Selbstbewusstseins53 sowie die erlittenen Ohnmachts- und Hilflosigkeitsgefühle54. Eine denkbare Schutzreaktion ist die Bagatellisierung, Verdrängung oder Verneinung der Opferwerdung.55 Das Opfer kann versucht sein, alle Empfindungen zu ersticken56 oder Situationen und Menschen zu meiden, die es an die Tat oder den Täter erinnern können.57 Die Widerlegung der Grundannahme, dass von anderen Menschen keine Gefahr droht, kann zu einem generellen Misstrauen führen,58 das auch die Beziehungen zu nahe stehenden Personen beeinträchtigen kann59. Zudem können eine erhöhte Schreckhaftigkeit sowie Angstzustände auftreten.60 Vor allem bei Vergewaltigungen und anderen Gewaltdelikten kann die Furcht vor einer erneuten Viktimisierung – evtl. durch den gleichen Täter – hinzukommen.61 Diese Ängste können sich in Alpträumen manifestieren62 oder Schlafstörungen hervorrufen63. Außerdem können sie dazu führen, dass das Opfer Situationen vermeidet, die es als gefährlich einstuft, oder dass es ein gesteigertes Schutzverhalten an den Tag legt. Die Schutzmaßnahmen können passiver (z. B. Anbringung von Einbruchssicherungen) oder aktiver (z. B. Beisichführen von Waffen) Natur sein.64 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass die Opfererfahrung zu einer längerfristigen, unter Umständen sogar lebenslangen Störung des seelischen und emotionalen Gleichgewichts führen kann,65 die sich durch den steten Wechsel von intensiven Gefühlen bezüglich der Straftat und dem Versuch, diese zu dämpfen, charakte52 Herman (1992), S. 382; Frieze, S. 124. Siehe auch Connor / Davidson / Li-Ching Lee, S. 487. Zum Zusammenhang zwischen Religösität und Traumabewältigung siehe auch Poulin / Cohen Silver / Gil-Rivas / Holman / McIntosh, S. 86 ff. 53 Fattah, S. 185; Hans-Joachim Schneider (1982a), S. 27; ders. (2001), S. 361; ders. (2002), S. 234; Weigend (1989), S. 381. 54 Hans-Joachim Schneider (1977), S. 627; ders. (2002), S. 235; Richter, S. 10; Haupt et al., S. 32; Günther, S. 210. 55 Hans-Joachim Schneider (1982a), S. 27; Kaiser, § 50 Rn. 1, Wetzels, S. 15; Frieze, S. 124; Hestermann, S. 26; Neubacher (2006a), S. 24. 56 Hestermann, S. 34. 57 Hagemann, S. 206; Hestermann, S. 34; Hans-Joachim Schneider (2002), S. 234. 58 Fattah, S. 185; Bard / Sangrey, S. 7. 59 Elias, S. 116; Fattah, S. 185; Bard / Sangrey, S. 7; Weigend (1989), S. 382; Haupt et al., S. 32. 60 Fattah, S. 185; Elias, S. 116; Weigend (1989), S. 381; Tampe, S. 37, Hans-Joachim Schneider (2002), S. 234. 61 Hans-Joachim Schneider (1982a), S. 27; Baurmann / Schädler, S. 107; Hermann / Streng, S. 16; Tampe, S. 40; Eisenberg (2005), § 56 Rn. 28. Allgemein Kiefl / Sieger, S. 264; Wolhuter / Olley / Denham, S. 46 f. 62 Hans-Joachim Schneider (1982a), S. 27; Elias, S. 116. 63 Hans-Joachim Schneider (1982a), S. 27; Waller, S. 59; Weigend (1989), S. 381. 64 Fattah, S. 185; Bard / Sangrey, S. 57. 65 Weigend (1989), S. 381.

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risieren lässt.66 Dies kann in einer allgemeinen inneren Unruhe, Nervosität und Konzentrationsproblemen67 sowie in körperlichen Leiden wie Magenschmerzen oder Migräneanfälle Ausdruck finden.68 Unter bestimmten Umständen kann die Straftat auch eine traumatische Störung hervorrufen. c) Traumatische Störungen im Besonderen aa) Traumatisches Ereignis und Trauma Die American Psychiatric Association definiert ein traumatisches Ereignis wie folgt: „Die Person erlebte, beobachtete oder war mit einem oder mehreren Ereignissen konfrontiert, die tatsächlichen oder drohenden Tod oder ernsthafte Verletzung oder eine Gefahr für die körperliche Unversehrtheit beinhalteten. Die Reaktion der Person umfasste intensive Furcht, Hilflosigkeit oder Entsetzen.“69 Traumatisierend kann auch die Beobachtung der Tötung, Verletzung oder Bedrohung von Dritten sein.70 Man unterscheidet zwischen traumatischen Ereignissen des Typ I, in denen die traumatische Situation nur einmalig und verhältnismäßig kurz auf den Betroffenen einwirkt und dem Typ II, bei dem ein kompletter Lebensabschnitt von Gewalt geprägt ist.71 Unter Trauma versteht man die Verletzung, die durch die traumatische Erfahrung hervorgerufen wird.72 Die Ursache des Traumas liegt darin, dass das traumatische Ereignis aufgrund seiner Plötzlichkeit oder Heftigkeit nicht verarbeitet werden kann.73 Die menschliche Stressphysiologie ist in einer (lebens-)bedrohlichen Situation auf Kampf oder Flucht ausgerichtet. In einer traumatischen Situation kann keine dieser beiden Möglichkeiten gewählt werden. Das Opfer erstarrt, verfällt in völlige Hilflosigkeit.74 Ein Trauma resultiert aus dem „Diskrepanzerlebnis zwischen der bedrohlichen Situation und den individuellen Bewältigungsmöglichkeiten, das mit Gefühlen von Hilflosigkeit und schutzloser Preisgabe einhergeht und so eine dauerhafte Erschütterung des Selbst- und Weltverständnisses bewirkt“.75 Hestermann, S. 26. Siehe auch Fischer / Riedesser (2009), S. 97 – 98. Tampe, S. 36. 68 Hans-Joachim Schneider (1982a), S. 27; Hestermann, S. 26. 69 American Psychiatric Association, S. 424. 70 Scrignar, S. 23; American Psychiatric Association, S. 424; Hestermann, S. 33; Carlson / Dutton, S. 143; Amesberger / Auer / Halbmayr, S. 35; Friedmann, S. 13; Stefanie Bock (2007c), S. 665. 71 Fischer / Riedesser (2009), S. 151; Birck (2002c), S. 28; Bierwirth / Ghaderi, S. 74; Schubbe, S. 13. 72 Schubbe, S. 13. 73 Lueger-Schuster (1996a), S. 17; Haas, S. 29; Fröhlich-Gildhoff, S. 77 – 78; Ostojic, S. 191; Amesberger / Auer / Halbmayr, S. 34. 74 Sachsse, S. 7; Fröhlich-Gildhoff, S. 79; Birck (2002c), S. 27 – 28; Michaela Huber, S. 43; Joachim (2004a), S. 78. 75 Fischer / Riedesser (2009), S. 84. Ähnlich auch Friedmann, S. 12. 66 67

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bb) Traumatische Störungen und ihre Symptome Die Weltgesundheitsorganisation hat in ihrem Klassifikationssystem ICD-1076 drei psychische Hauptstörungen aufgenommen, die durch traumatische Erfahrungen ausgelöst werden können: die akute Belastungsreaktion, die posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) und die andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastungen. Die American Psychiatric Association arbeitet nicht mit der Kategorie der andauernden Persönlichkeitsänderung. In den Anhang des Diagnostic and Statistical Manual of Mental Disorders (DSM-IV) wurde aber als ergänzende Beschreibung der PTBS die vergleichbare Kategorie Disorder of Extreme Stress Not Otherwise Specified aufgenommen.77 In der PTBS sind Vorgängermodelle, die sich nur auf bestimmte Arten von Traumata, wie das „post torture syndrom“, das „concentration camp syndrom“ und das „rape trauma syndrom“, aufgegangen.78 In der medizinischen Fachliteratur ist PTBS nicht unumstritten, da es nicht für alle Arten von Traumatisierung einsetzbar ist oder nur als unbefriedigende Lösung angesehen wird.79 An dieser Stelle sollen aber nur die möglichen Belastungen von Opfern und die grundlegenden Reaktionen auf ein traumatisches Ereignis beschrieben werden, nicht aber Einzelfälle medizinisch korrekt erfasst werden. Die PTBS ist in Praxis und Forschung zudem von zentraler Bedeutung.80 Daher kann jedenfalls zu Illustrationszwecken mit diesem Krankheitsbild gearbeitet werden.81 (1) Akute Belastungsreaktion Bei der akuten Belastungsreaktion handelt es sich um eine normale,82 vorübergehende massive Stressreaktion auf ein traumatisches Ereignis.83 Die Symptome beginnen regelmäßig noch in der traumatischen Situation oder unmittelbar danach. Typisch sind eine Art emotionaler Betäubung, eine gewisse Bewusstseinseinengung und eingeschränkte Aufmerksamkeit, die Unfähigkeit Reize zu verarbeiten sowie eine gewisse Desorientierung. Diesem Zustand können ein sich Zurückziehen oder eine Phase der Unruhe und Überaktivität folgen.84 Die weiteren Symptome ähneln denen einer PTBS.85 Der Unterschied liegt im Zeitfaktor. Die akute 76 77 78 79 80 81 82 83 84 85

Weltgesundheitsorganisation, ICD-10 Kapitel V (F). American Psychiatric Association, Anhang. Bracken / Giller / Summerfield, S. 1073. Siehe Hansen, S. 12; Sabiç, S. 57 – 58; Njengué, S. 28; Möhler, S. 13. Siehe Fischer / Riedesser (2009), S. 48 ff., Reichelt, S. 42; Lykes / Mersky, S. 594. Siehe auch Möhler, S. 13. McFarlane / Yehuda, S. 156. Fischer / Riedesser (2009), S. 49; Weltgesundheitsorganisation, S. 168. Weltgesundheitsorganisation, S. 168. Siehe American Psychiatric Association, S. 429; Schubbe, S. 16.

A. Viktimisierung

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Belastungsstörung muss nach der American Psychiatric Association innerhalb von vier Wochen nach dem traumatischen Ereignis auftreten und darf höchstens vier Wochen andauern.86 Kontakt zur Justiz wird das Opfer in diesem Zeitraum zumeist nur zu ermittelnden Polizeibeamten haben. Bis zu Beginn eines Strafprozesses wird eine akute Belastungsstörung, die sich nicht zu einer PTBS entwickelt, überwunden sein. Von größerer Relevanz für die Opfer, ihre Umgebung, aber auch für die Gerichte ist die länger anhaltende PTBS. (2) Posttraumatische Belastungsstörung PTBS ist eine mögliche längerfristige Reaktion auf eine traumatische Erfahrung, die sich auch erst Monate bis Jahre nach dem traumatischen Ereignis einstellen kann.87 Differenziert wird nach der Dauer der Symptome. Klingen sie innerhalb von drei Monaten wieder ab, spricht man von einem akuten, ansonsten von einem chronischen Syndrom.88 Während des traumatischen Ereignisses wird der Körper in ständige Alarmbereitschaft versetzt und auf Belastungen unbestimmter Dauer vorbereitet. Die Symptome einer PTBS können als Unfähigkeit verstanden werden, die Anpassung an die Gefahrensituation wieder rückgängig zu machen.89 Bei intensiven traumatischen Ereignissen kann die Störung Jahre oder sogar lebenslang anhalten.90 Klingen die Symptome ab, kann es zu einem späteren Zeitpunkt – ausgelöst durch Erinnerungen an das ursprüngliche traumatische Ereignis, durch lebenssituative Belastungen oder auch durch neue traumatische Erfahrungen – zu einer Reaktualisierung, zu einem Wiederaufleben der Symptome mit dem Vollbild einer PTBS, kommen.91 Nach der American Psychiatric Association können die PTBS-Symptome in drei Hauptgruppen eingeteilt werden: Intrusion, Avoidance und Hyperarousal.92 86 American Psychiatric Association, S. 432 – Kriterium H. Nach dem Klassifizierungssystem der Weltgesundheitsorganisation, S. 168 sollen die Symptome sofort nach dem traumatischen Ereignis auftreten und regelmäßig innerhalb von drei Tagen abklingen. 87 Scrignar, S. 51; Fischer / Riedesser (2009), S. 50; Möhler, S. 14; Schnurr / Lunney / Sengupta / Waelde, S. 545; Schubbe, S. 19. Treten die Symptome erstmals mehr als sechs Monate nach dem traumatischen Ereignis auf, spricht man von einer verzögerten PTBS, American Psychiatric Association, S. 425. 88 American Psychiatric Association, S. 425. 89 McFarlane / Yehuda, S. 156; Griese, S. 99; Schubbe, S. 19. 90 Siehe Hadi / Liabre, S. 46; Schnurr / Lunney / Sengupta / Waelde, S. 549, 551; Koso / Hansen, S. 167; Fischer / Struwe / Lemke, S. 61; Koenen / Stellmann / Sommer / Stellmann, S. 55. 91 American Psychiatric Association, S. 425; Gurris (1996), S. 57; Henningsen, S. 187. 92 Um PTBS diagnostizieren zu können, müssen nach der American Psychiatric Association bei dem Betroffenen ein Symptom aus der Intrusions-, drei aus Avoidance- und zwei aus der Arousalgruppe festgestellt werden. Voraussetzung ist ferner, dass das Störungsbild in klinisch bedeutsamer Weise Leiden oder Beeinträchtigungen in sozialen, beruflichen oder anderen wichtigen Funktionsbereichen verursacht.

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Darüber hinaus kann eine PTBS psychosomatische Schmerzen, komorbide und psychosoziale Störungen begünstigen. (a) Intrusion Intrusion ist das unfreiwillige Wiedererleben des traumatischen Ereignisses. Dies kann in Form von sich unwillkürlich aufdrängenden Erinnerungen, Alpträumen oder Flash Backs erfolgen.93 Anders als normale Erinnerungen sind Flash Backs mit einer Reaktivierung der traumatischen Situation verbunden. Der Betroffene durchlebt diese erneut mit den sie begleitenden Bildern, Worten und Gerüchen. Er hat Mühe, den Bezug zur gegenwärtigen Realität wieder herzustellen.94 Unter Umständen fühlt und handelt er so, als ob er dem traumatischen Ereignis wieder ausgesetzt wäre.95 Erklärt werden können Intrusionen durch Veränderungen im Lernvorgang während des traumatischen Ereignisses. Die aufgenommenen Informationen werden nicht verarbeitet und ins Langzeitgedächtnis integriert.96 Die Erinnerungen an das traumatische Ereignis können daher nicht kontrolliert abgerufen werden. Intrusionen werden vielmehr durch verschiedenartige, an sich neutrale Reize, wie bestimmte Gerüche, Geräusche, Stimmen und Gesten, die mit dem traumatischen Ereignis assoziiert werden, ausgelöst.97 Folge der Nichtverarbeitung der Informationen kann auch eine Hypermnesie sein – die nicht mehr loszuwerdende, überscharfe Erinnerung.98 (b) Avoidance Die Symptomkategorie Avoidance erfasst Vermeidestrategien, die aus der Angst vor dem mit den Intrusionen verbundenen Kontrollverlust resultieren. Diese können von der Vermeidung von Gedanken an das traumatische Ereignis über die Umgehung bestimmter Orte bis hin zum vollständigen sozialen Rückzug reichen.99 93 Breyer, S. 89; Hestermann, S. 31; Fröhlich-Gildhoff, S. 80; Hansen, S. 14; Schei, S. 115; Njengué, S. 28; Möhler, S. 7; Kilpatrick / Acierno, S. 126; Weltgesundheitsorganisation, S. 169; Stefanie Bock (2007c), S. 665. 94 Sachsse, S. 7; Fröhlich-Gildhoff, S. 80. 95 American Psychiatric Association, S. 428 – Kriterium B (3). Siehe auch Gurris (1996), S. 54; Hestermann, S. 31; Fröhlich-Gildhoff, S. 79; Birck (2002c), S. 118; Peichl, S. 156; Haenel (2004), S. 68; Ünal, S. 59; Stefanie Bock (2007c), S. 665. 96 Van der Kolk / McFarlane, S. 7; Sachsse, S. 5; Schubbe, S. 26. 97 Scrignar, S. 26; Fischer / Riedesser (2009), S. 122 ff.; Fröhlich-Gildhoff, S. 80; Njengué, S. 30; Birck (2002c), S. 31; Kilpatrick / Acierno, S. 126; Gottfried Fischer, S. 211. 98 Niederland, S. 230; Sachsse, S. 5; Fröhlich-Gildhoff, S. 79; Birck (2002c), S. 43; Reichelt, S. 45. 99 American Psychiatric Association, S. 425 – Kriterium C. Siehe auch van der Kolk / McFarlane, S. 12; Hestermann, S. 32; Fröhlich-Gildhoff, S. 80; Schei, S. 115; Hansen, S. 14; Njengué, S. 28; Birck (2002c), S. 31; Möhler, S. 8; Peichl, S. 159; Kilpatrick / Acierno, S. 126; Haenel (2004), S. 62; Stefanie Bock (2007c), S. 665.

A. Viktimisierung

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Daraus können eine allgemeine emotionale Taubheit, eine innere Teilnahmslosigkeit sowie ein schwindendes Interesse an der Umwelt folgen.100 Das Traumaopfer fühlt sich leer, isoliert und entfremdet von anderen.101 Hinzu kann das Gefühl treten, nur noch eine eingeschränkte Zukunft zu haben und angestrebte Ziele im Leben nicht erreichen zu können.102 Neben der übersteigerten Erinnerungsfähigkeit können bei der gleichen Person für andere Aspekte des traumatischen Ereignisses Teilamnesien vorliegen. Dieses ist dann nur lückenhaft, vage oder gar nicht erinnerbar.103 Die traumatische Erfahrung kann in voneinander getrennte Bewusstseins- und Erlebniszustände aufgespalten sein, die jeweils nur begrenzt und abwechselnd erinnerbar sind.104 Der Gedächtnisverlust kann Folge einer Dissoziation sein. Opfer von Gewalttaten beschreiben beispielsweise, dass sie das Gefühl hatten, aus ihrem Körper hinauszusteigen, sich selbst aus der Distanz zu beobachten.105 Dieser innere Rückzug kann eine Verminderung des aktuellen Schmerzempfindens bewirken106 und so helfen, selbst massive Gewalteinwirkungen zu überleben. Kann die hiermit verbundene Aufspaltung der Psyche nach dem traumatischen Ereignis nicht wieder rückgängig gemacht werden, droht eine partielle Amnesie. Der Erinnerungsverlust kann nicht nur einzelne Aspekte, sondern auch das gesamte traumatische Ereignis einschließlich vorausgehender oder nachfolgender Zeitspannen betreffen.107 Auch nicht-traumatische Erinnerungen, die sich auf die allgemeine eigene Biographie beziehen, können gestört sein.108 Traumatischer Stress kann außerdem eine Hemmung des Sprachzentrums bewirken. Selbst wenn sich der Betroffene an das traumatische Ereignis erinnert, kann er dieses nicht oder nur teilweise verbalisieren.109 Ferner kann die Fähigkeit, Abläufe in zeitlich logischer Reihenfolge wiederzugeben, beeinträchtigt sein.110 100 Breyer, S. 89; van der Kolk / McFarlane, S. 12; Hestermann, S. 32; Irving / Telfer / Blake, S. 465; Rothkegel (1998), S. 79; Sachsse, S. 6; Njengué, S. 27; Ünal, S. 60; Weltgesundheitsorganisation, S. 169. 101 Fröhlich-Gildhoff, S. 80. 102 American Psychiatric Association, S. 428 – Kriterium C (7). Siehe auch Irving / Telfer / Blake, S. 474; Fröhlich-Gildhoff, S. 80; Möhler, S. 9; Kilpatrick / Acierno, S. 126. 103 American Psychiatric Association, S. 428 – Kriterium C (3). Siehe auch van der Kolk, S. 285; van der Kolk / McFarlane, S. 10; Sczesny / Krauel, S. 341; Hansen, S. 48; Birck (2002c), S. 43; dies. (2002a), S. 256; dies. (2004a), S. 83; Möhler, S. 8; Henningsen, S. 185; Gottfried Fischer, S. 213. Siehe auch Abo Youssef, S. 25. 104 Birck (2002c), S. 46; dies. (2004a), S. 83. 105 Scrignar, S. 149; David Becker, S. 184; Fischer / Riedesser (2009), S. 86; Sachsse, S. 7; Fröhlich-Gildhoff, S. 80; Joachim (2004a), S. 82. 106 Herman (1992), S. 381; Birck (2004b), S. 161. Siehe auch Turner / Gorst-Unsworth, S. 705 sowie Fischer / Riedesser (2009), S. 86. 107 Birck (2002c), S. 49; dies. (2004a), S. 84; Peichl, S. 160. 108 Birck (2004a), S. 85. 109 Van der Kolk, S. 286; Sachsse, S. 8; Birck (2002c), S. 41; Peichl, S. 156; Schubbe, S. 28; Reichelt, S. 44.

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(c) Hyperarousal Die Kategorie Hyperarousal beschreibt eine anhaltende Übererregung. Typisch sind Ein- und Durchschlafstörungen, Konzentrationsschwierigkeiten, übermäßige Wachsamkeit und übertriebene Schreckreaktionen.111 Weitere Symptome sind eine erhöhte Reizbarkeit112 sowie aggressives Auftreten gegenüber Dritten113. Zudem kommt es vermehrt zu autoagressivem Verhalten in Form von Selbstverletzungen bis hin zu Suizidversuchen.114 (d) Psychosomatische Störungen Die psychische Störung kann sich psychosomatisch in chronischen Schmerzzuständen, die alle Körperregionen betreffen können, manifestieren.115 Außerdem können Magengeschwüre, Schwindel- und Ohnmachtsanfälle oder Taubheitsempfindungen in verschiedenen Körperbereichen auftreten.116 (e) Komorbide Störungen Menschen, die an einer PTBS leiden, haben ein gesteigertes Risiko, andere psychische Störungen – sogenannte komorbide Störungen – wie Depressionen und Phobien zu entwickeln.117 Die verschiedenen Krankheiten bedingen und verstärken einander.118 Zudem erhöht eine Traumatisierung die Wahrscheinlichkeit einer Medikamenten- oder Alkoholabhängigkeit.119 Birck (2002c), S. 47; Henningsen, S. 185; Gottfried Fischer, S. 211. American Psychiatric Association, S. 428 – Kriterium D; Weltgesundheitsorganisation, S. 169. Siehe auch Niederland, S. 230; van der Kolk / McFarlane, S. 13; Sczesny / Krauel, S. 341; Hestermann, S. 33; Fröhlich-Gildhoff, S. 80; Njengué, S. 28; Jahangir, S. 20; Möhler, S. 8; Carlson / Dutton, S. 143; Kilpatrick / Acierno, S. 126; Ralf Weber, S. 104; Stefanie Bock (2007c), S. 665. 112 Cardozo / Kaiser / Gotway / Agani, S. 358; Reichelt, S. 43; Neubacher (2006a), S. 24. 113 Breyer, S. 89; Hestermann, S. 33, Fröhlich-Gildhoff, S. 80; Möhler, S. 8; Carlson / Dutton, S. 133; Ünal, S. 60; Stefanie Bock (2007c), S. 666. 114 Weltgesundheitsorganisation, S. 169. Siehe auch Breyer, S. 89; van der Kolk / McFarlane, S. 11; Sachsse, S. 7; Fröhlich-Gildhoff, S. 81; Hansen, S. 14; Njengué, S. 27; Carlson / Dutton, S. 144; Reichelt, S. 46 – 47; Stefanie Bock (2007c), S. 666; Jakupcak / Cook / Imel / Fontana / Rosenheck / McFall, S. 305 f. 115 Gurris (1996), S. 53; Wenk-Ansohn (1996), S. 93; Fröhlich-Gildhoff, S. 81; Schei, S. 115; Carlson / Dutton, S. 134; Reichelt, S. 45; Joachim (2004a), S. 86. 116 Hansen, S. 14; Reichelt, S. 45. 117 American Psychiatric Association, S. 425. Siehe auch Khouzam / Kissmeyer, S. 691; Njengué, S. 27; Carlson / Dutton, S. 133; Kilpatrick / Acierno, S. 129; Ünal, S. 60; Joachim (2004a), S. 86; Gäbel / Ruf / Schauer / Odenwald / Neuner, S. 13; Lira, S. 67. 118 McFarlane / de Girolamo, S. 148; Maercker, S. 101. 119 Weltgesundheitsorganisation, S. 169. Siehe auch Khouzam / Kissmeyer, S. 691; Fröhlich-Gildhoff, S. 81; Njengué, S. 27; Carlson / Dutton, S. 134; Kilpatrick / Acierno, S. 130; 110 111

A. Viktimisierung

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(f) Psychosoziale Folgen Eine PTBS kann den gesamten sozialen Lebensbereich des Betroffenen beeinträchtigen. Hohe Kränkbarkeit, geringe Frustrationstoleranz, mangelnde Affektkontrolle, eingeschränkte Impulskontrolle, anhaltendes Misstrauen oder eine Beeinträchtigung der Sexualfunktionen können die sozialen Interaktionsfähigkeiten herabsetzen.120 Zudem sollen Menschen, die an PTBS erkrankt sind, eher zu Hassund Rachegefühlen neigen.121 Insgesamt wurden bei Extremtraumatisierten problematischere Berufsverläufe und erhöhte Scheidungsraten im Vergleich zur nicht belasteten Kontrollgruppe nachgewiesen.122 Ist der Betroffene nicht mehr in der Lage, seiner sozialen Aufgabe als Partner, Elternteil oder Arbeitnehmer im gewohnten Umfang nachzukommen, kann dies das Selbstbild weiter beeinträchtigen und Schuld- oder Schamgefühle hervorrufen.123 (g) Individuelle Ausprägung des Krankheitsbilds Die bisher aufgezählten Symptome sind nicht abschließend. Wie sich PTBS beim einzelnen Traumaopfer auswirkt, hängt von der Art der traumatischen Situation, der individuellen Disposition des Betroffenen124 sowie von dessen kulturellem Hintergrund ab125. Besonderheiten konnten auch bei traumatisierten Kindern festgestellt werden.126 Diese zeigten beispielsweise ein sehr anhängliches Verhalten sowie Trennungs- und Verlustängste.127 Außerdem fielen einige in ihrer Entwicklungsstufe zurück,128 während andere, vor allem Kinder, die während des traumatischen Ereignisses von ihren Eltern getrennt waren, Züge von Frühreife aufwiesen129. (3) Viktimisierungssyndrom als besondere Form der PTBS Speziell auf die traumatischen Auswirkungen von Gewalttaten zugeschnitten ist das Viktimisierungssyndrom von Frank Ochberg. Die traumatische Erfahrung liegt Ünal, S. 60; Reichelt, S. 49; Joachim (2004a), S. 84; Gäbel / Ruf / Schauer / Odenwald / Neuner, S. 13; Abo Youssef, S. 25. 120 Birck (2002c), S. 33; Ünal, S. 60; Reichelt, S. 44 – 46; O’Connell, S. 307. 121 Cardozo / Kaiser / Gotway / Agani, S. 357; Reichelt, S. 44. 122 Maercker, S. 182. Siehe auch Koenen / Stellmann / Sommer / Stellmann, S. 55. 123 Carlson / Dutton, S. 144. 124 McFarlane / Yehuda, S. 164; Fischer / Riedesser (2009), S. 49. 125 McFarlane / de Girolamo, S. 137; Rothkegel (1999), S. 150; Birck (2002c), S. 25; Carlson / Dutton, S. 139 – 140; Schubbe, S. 20; Friedmann, S. 30; Wenk-Ansohn / Gutteta, S. 35. 126 Siehe zu kinderspezifischen Besonderheiten American Psychiatric Association, S. 427 sowie Hordvik, S. 38 und die Übersicht bei Kocijan-Hercigonia, S. 184 – 185. 127 Almqvist, S. 11; Dyregrov / Gjestad / Raundalen, S. 59. 128 Almqvist, S. 11; Friedmann, S. 20; Hille Klein, S. 58; Lykes / Mersky, S. 596. 129 Kestenberg, S. 105; Reichelt, S. 47.

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Teil 2: Struktur und Folgen völkerrechtlicher Verbrechen

im Erleben oder Beobachten von einer oder mehreren Gewalt- oder Sexualtaten. Die Symptome des Viktimisierungssyndroms sind zum Großteil mit denen der PTBS identisch. Zusätzlich werden aber auch die Besonderheiten berücksichtigt, die aus der Erschütterung der Grundannahmen folgen.130 Dies sind im Wesentlichen das Gefühl, den alltäglichen Aufgaben nicht mehr gewachsen zu sein, die Überzeugung, durch die Tat dauerhaft geschädigt zu sein sowie die Unfähigkeit, anderen Menschen zu vertrauen. Hinzutreten können eine unangemessene Bagatellisierung der Tatfolgen, die Übernahme des Weltbildes des Täters in der Einschätzung von sozial angemessenem Verhalten131 sowie die Idealisierung des Täters. Zudem soll sich die Gefahr erhöhen, erneut Opfer einer Straftat zu werden. Als spezifische Besonderheiten einer Viktimisierung führt Ochberg zudem Gefühle der Scham, Demütigung, Beschmutzung, Wertlosigkeit und Ohnmacht, die Tendenz zur Selbstbeschuldigung und einen krankhaften Hass gegenüber dem Täter an. Die Gefühle gegenüber dem Schädiger können aber auch positiver Natur sein und sogar bis hin zu Liebe reichen (Stockholmsyndrom).132 (4) Komplexe PTBS Die komplexe PTBS erfasst die Auswirkungen von traumatischen Ereignissen, bei denen das Opfer über einen längeren Zeitraum einer totalitären Kontrolle unterworfen war. Typische Beispiele sind Geiselnahmen, Kriegsgefangenschaft oder das Überleben von Konzentrationslagern. Kennzeichnend sind die vollständige Abhängigkeit des Opfers vom Täter in allen Belangen sowie das Erleben vielfältiger und wiederholter traumatischer Ereignisse über einen längeren Zeitraum. Es liegt immer eine Traumatisierung des Typs II vor. Wie bei der PTBS können Intrusionen, dissoziative Episoden, Amnesie oder Hypermnesie auftreten. Charakteristisch ist zudem eine Veränderung der Affektregulierung, die sich in Suizidideen, Selbstverletzungen oder dem Wechsel von explosiver zu extrem unterdrückter Wut äußern kann. Kennzeichnend für die komplexe PTBS ist eine Veränderung des Selbstbildes, in Extremfällen sogar der Verlust des Selbst. Der Betroffene fühlt sich hilflos und unfähig zu initiativem Handeln. Er verfällt in Passivität. Hinzu treten können Gefühle der Scham, Schuld und die Überzeugung von der eigenen Wertlosigkeit. Das Opfer fühlt sich aufgrund der traumatischen Erfahrung von anderen Menschen verschieden, getrennt und unverstanden. Daneben kann sich – wie auch von Ochberg beschrieben – die Wahrnehmung des Täters verändern. Es kommt zu einer ständigen Beschäftigung mit dem Schädiger. Die Gefühle können von großer Angst über Rachegedanken bis hin zur Idealisierung des Täters reichen. Eine weitere Symptomgruppe beschreibt Veränderungen der sozialen Beziehungen durch Isolation, Rückzug und ständigem Misstrauen. Die komplexe PTBS kann sich auch in einer dauerhaften Veränderung von Stimmungslagen und Einstellungen wie dem 130 131 132

Fischer / Riedesser (2009), S. 51. Siehe zum Opfer-Täter-Gewaltkreislauf unten Teil 2 D. IV. Ochberg, S. 782 – 783.

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Verlust von Zuversicht, Gefühlen der Hoffnungslosigkeit und Verzweiflung äußern.133 (5) Andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastungen Die andauernde Persönlichkeitsänderung nach der Kategorie F 62.0 der Weltgesundheitsorganisation setzt voraus, dass die Belastung so extrem war, dass die Vulnerabilität der betreffenden Person als Erklärung für die tiefgreifende Auswirkung auf die Persönlichkeit nicht ausreicht. Als Beispiele werden Erlebnisse in einem Konzentrationslager, Folter sowie Geisel- oder Gefangenschaft mit der ständigen Drohung, getötet zu werden, angeführt. Erfolgt die Persönlichkeitsänderung im Anschluss an eine PTBS, wird sie als chronische, irreversible Folge des traumatischen Ereignisses angesehen. Charakteristische Merkmale sind eine feindliche oder misstrauische Haltung der Welt gegenüber, sozialer Rückzug, Gefühle der Leere oder Hoffnungslosigkeit, ein chronisches Gefühl von Nervosität und Entfremdung.134 (6) Ergebnis Die Darstellung der verschiedenen Belastungsstörungen zeigt, dass eine Viktimisierung langandauernde und intensive psychische Folgen haben kann. Bei massiven und dauerhaften Gewalterfahrungen besteht die Gefahr einer irreversiblen Schädigung mit einer Veränderung des Selbstbildes und der Persönlichkeit. Darüber hinaus kann die soziale Interaktionsfähigkeit erheblich beeinträchtigt sein, so dass auch das soziale Umfeld des Opfers mittelbar betroffen ist135. cc) Bedeutung der individuellen Vorprägung und Situation Nicht jedes traumatische Ereignis löst bei jedem Menschen eine Belastungsstörung aus. Ob eine Straftat eine PTBS hervorruft und wenn ja, in welcher Form, hängt von verschiedenen Faktoren ab. Entscheidend sind zunächst Art, Intensität und Dauer der Belastung.136 Von Bedeutung sind ferner die Ausgangspersönlichkeit des Opfers, Alter und Geschlecht,137 das Vorliegen vorangegangener TraumaHerman (1992), S. 379; Rosenberg, S. 530. Weltgesundheitsorganisation, S. 235. 135 Siehe zur mittelbaren Traumatisierung unten Teil 2 D. II. 136 American Psychiatric Association, S. 426; Hestermann, S. 33; Möhler, S. 22; Kilpatrick / Acierno, S. 129; Amesberger / Auer / Halbmayr, S. 39; Gottfried Fischer, S. 208; Stefanie Bock (2007c), S. 666. 137 Fröhlich-Gilhoff, S. 79; Andrews / Brewin / Rose, S. 424; Bierwirth / Ghaderi, S. 76; Connor / Davidson / Li-Ching Lee, S. 492; Kilpatrick / Acierno, S. 128; Eisenbruch / de Jong / van de Put, S. 123. Siehe auch Sachs / Rosenfeld / Lhewa / Rasmussen / Keller, S. 206. 133 134

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tisierungen138 oder psychischer Vorerkrankungen139 sowie die grundsätzliche Belastbarkeit und die Erfahrung, die das Opfer in der Konfliktbewältigung hat.140 Selbstsichere und starke Menschen, mit deren Selbstkonzept sich die Ohnmachtserfahrung nicht in Einklang bringen lässt, können aufgrund dieses Widerspruchs erhebliche Probleme bei der Verarbeitung der Tat haben.141 Zudem trifft die Viktimisierung grundsätzlich diejenigen stärker, die bereits sozial benachteiligt sind.142 Aufgrund der zentralen Bedeutung individueller Faktoren können auch Ereignisse, die nach außen kaum belastend wirken, PTBS-Symptome auslösen.143 Nach der Tat brauchen Opfer regelmäßig Hilfe bei der Tatbewältigung. Relevant für die weitere Entwicklung ist daher, ob der Betroffene Hilfe suchen, erhalten und annehmen kann.144 Die meisten Opfer reagieren sehr sensibel auf die Reaktionen ihrer Umwelt. Dies gilt insbesondere für die Bewertung des Opferverhaltens während der Straftat und Schuldzuweisungen.145 Ob das soziale Umfeld des Opfers Verständnis für die besonders belastende Situation aufbringt und es emotional unterstützt, sind wichtige Faktoren für die Tatverarbeitung. Vor allem negative Reaktionen wie Unverständnis, Schuldzuweisungen und Leugnung des traumatischen Ereignisses können psychische Langzeitfolgen begünstigen.146 Sind Kinder traumatischen Erfahrungen ausgesetzt, sind für die Verarbeitung die elterliche Unterstützung und der familiäre Zusammenhalt von zentraler Bedeutung.147

138 Njengué, S. 76; Bierwirth / Ghaderi, S. 76; Carlson / Dutton, S. 134; Friedmann, S. 20. Siehe auch Fischer / Riedesser (2009), S. 161 ff. 139 Frieze, S. 121; American Psychiatric Association, S. 427; Njengué, S. 27; Bierwirth / Ghaderi, S. 77; Herzog, S. 179; Joachim (2004a), S. 81. 140 Scrignar, S. 39; Weigend (1989), S. 383; Irving / Telfer / Blake, S. 475; Almqvist, S. 43; Hestermann, S. 37; Möhler, S. 21. 141 Hestermann, S. 36. Siehe auch Elias, S. 117; Friedmann, S. 18 – 19. 142 Weigend (1989), S. 383; Möhler, S. 22; Bierwirth / Ghaderi, S. 76; Friedmann, S. 20; Herzog, S. 179. Speziell für Vergewaltigungen Feldmann, S. 42. 143 Hestermann, S. 36; Turner, S. 75 – 79; Haupt et al., S. 31 Fn. 1. Siehe auch Richter, S. 12. Nach der American Psychiatric Association kann in diesen Fällen allerdings aufgrund des fehlenden A-Kriteriums – Vorliegen eines traumatischen Ereignisses – keine PTBS diagnositiziert werden. Es liegt vielmehr eine Anpassungsstörung vor; siehe American Psychiatric Association, S. 427. 144 Weigend (1989), S. 383; McFarlane / van der Kolk, S. 25, McFarlane / Yehuda, S. 158; Hestermann, S. 37; Hans-Joachim Schneider (2001), S. 362, Bierwirth / Ghaderi, S. 77; Michaela Huber, S. 75; Kaniastry / Norris, S. 278 ff.; Rauschenbach / Scalia, S. 447. Siehe auch Fischer / Riedesser (2009), S. 161 ff. Siehe zur sekundären Viktimisierung sogleich Teil 2 A. II. 145 Hansen, S. 209; Maercker / Müller, S. 345. 146 Maercker, S. 129; Hansen, S. 52; Möhler, S. 22; Maercker / Müller, S. 350; Joachim (2004a), S. 83. Siehe zur Abhängigkeit von sozialer Unterstützung und Geschlecht Andrews / Brewin / Rose, S. 421. 147 McFarlane / van der Kolk, S. 24; Almqvist / Brandell-Forsberg, S. 364; Hadi / Liabre, S. 54; Herzog, S. 179.

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4. Emotionale Schäden Neben den bisher behandelten Schadenskategorien wird zunehmend auch der Begriff des emotionalen oder moralischen Schadens gebraucht.148 Sofern er nicht generell als Synonym für psychische Schäden verwendet wird, werden hiermit die Auswirkungen der Tat auf Personen, die nicht direkt von ihr betroffen sind, beschrieben. Mittelbar geschädigt sind beispielsweise die nahen Angehörigen eines Mordopfers.149 Die Kategorisierung des Schadens als emotional darf allerdings nicht zu einer Bagatellisierung der Tatfolgen verleiten. Mittelbare Opfer können ebenfalls an tiefgreifenden psychischen Beeinträchtigungen leiden.150 5. Ergebnis Die Opferwerdung kann Beeinträchtigungen im materiellen, physischen und psychischen Bereich nach sich ziehen. Letztere werden von den Opfern häufig als die zentrale Beeinträchtigung empfunden. Dies erklärt sich daraus, dass die Viktimisierung die Grundannahmen bezüglich der Gerechtigkeit und Sicherheit der Welt in Frage stellt und das Opfer mit der eigenen Verwundbarkeit konfrontiert. Die Straftat und vor allem die erlebten Ohnmachtsgefühle müssen in das individuelle Weltbild integriert werden. Die Intensität der psychischen Folgen hängt neben der Schwere der Tat auch von der Persönlichkeit des Opfers und den Reaktionen seines sozialen Umfelds ab. Ist die Straftat ein traumatisches Ereignis, 148 Situation in Uganda – Judgment on the appeals of the Defence against the decisions entitled „Decision on victims’ applications for participation [ . . . ]“ of Pre-Trial Chamber II, AC, ICC-02 / 04-179, 23. 2. 2009, Rn. 34 = Prosecutor v. Kony et al. – Judgment on the appeals of the Defence against the decisions entitled „Decision on victims’ applications for participation [ . . . ]“ of Pre-Trial Chamber II, AC, ICC-02 / 04-01 / 05-371, 23. 2. 2009, Rn. 34; Situation in the DRC – Decision on the Application for Participation in the Proceedings of [ . . . ], PTC I, ICC-01 / 04-101-Corr, 17. 1. 2006, Rn. 116; Situation in Uganda – Decision on victims’ applications for participation [ . . . ], PTC II, ICC-02 / 04-101, 10. 8. 2007, Rn. 31 = Prosecutor v. Kony et al. – Decision on victims’ applications for participation [ . . . ], PTC II, ICC-02 / 04-01 / 05-252, 10. 8. 2007, Rn. 31; Case of Baldeón-García v. Perú (Merits, Reparations and Costs), IACHR 6. 4. 2006, Rn. 186; Case of Montero-Aranguren et al (Detention Center of Catia) v. Venezuela (Merits, Reparations and Costs), IACHR 5. 7. 2006, Rn. 60 (36); Case of Goiburú et al. v. Paraguay (Merits, Reparations and Costs), IACHR 22. 9. 2006, Rn. 61(50); Case of the Miguel Castro-Castro Prison v. Peru (Merits, Reparations and Costs), IACHR 25. 11. 2006, Rn. 293; Case of the Rochela Massacre v. Colombia (Merits, Reparations and Costs), IACHR 11. 5. 2007, Rn. 271; Case of Bueno- Alves v. Argentina (Merits, Reparations and Costs), IACHR 11. 5. 2007, Rn. 104; Case of Escué-Zapata v. Colombia (Merits, Reparations and Costs), IACHR 4. 7. 2007, Rn. 85. 149 Case of Montero-Aranguren et al (Detention Center of Catia) v. Venezuela (Merits, Reparations and Costs), IACHR 5. 7. 2006, Rn. 60 (36); Case of Bueno-Alves v. Argentina (Merits, Reparations and Costs), IACHR 11. 5. 2007, Rn. 104; Case of Escué-Zapata v. Colombia (Merits, Reparations and Costs), IACHR 4. 7. 2007, Rn. 85. 150 Siehe auch Uganda AC, ICC-02 / 04-179, o. Fn. 148, Rn. 34 = Kony et al. AC, ICC-02 / 04-01 / 05-371, o. Fn. 148, Rn. 34 sowie unten Teil 2 D. II.

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kann sie eine PTBS hervorrufen. Hauptsymptome sind Intrusionen, Amnesien, Vermeideverhalten, Störungen der Affektkontrolle sowie psychosomatische Beschwerden. Hinzutreten können weitere komorbide Störungen, wie z. B. Depressionen. Bei massiven dauerhaften Gewalterfahrungen besteht die Gefahr einer irreversiblen Schädigung einschließlich einer dauerhaften Veränderung der Persönlichkeit.

II. Sekundäre Viktimisierung Sekundäre Viktimisierung bezeichnet die erneute Opferwerdung durch Fehlreaktionen der sozialen Umwelt des Opfers auf die primäre Viktimisierung.151 Diese können zu einer Intensivierung oder Ausweitung der primären Schäden führen. Unterschieden werden kann zwischen informellen und formellen Reaktionen. Zur ersten Gruppe gehört das Verhalten des sozialen Nahfelds, der Angehörigen, Freunde und Bekannten des Opfers. Die formellen Reaktionen erfolgen im staatlichen Verfahren durch die Vertreter der Justiz – Polizisten, Staatsanwälte und Richter.152 Im Einzelfall kann auch die Berichterstattung in den Medien eine erhebliche Rolle spielen.153

1. Informelle Reaktionen Die Reaktionen des sozialen Nahfelds können von Unterstützung über Unverständnis bis hin zu Schuldvorwürfen oder Misstrauen bezüglich der Tatdarstellung reichen.154 Hintergrund für ablehnende Reaktionen kann das Erfordernis, die Straftat mit den Grundannahmen über die Sicherheit und Gerechtigkeit der Welt in Einklang zu bringen, sein.155 Sie sind Teil einer Abwehrstrategie, deren Ziel der Erhalt oder die Stärkung des eigenen Sicherheits- und Überlegenheitsgefühls ist. Abgewehrt wird die Vorstellung, man könne selbst zum Opfer werden. Mögliche Mittel sind Bagatellisierung oder Leugnung der Tat sowie die Beschuldigung des Opfers.156 Das Bedürfnis nach solchen Abwehrstrategien dürfte umso ausgeprägter 151 Hans-Joachim Schneider (1982a), S. 27; ders. (1977), S. 627; ders. (1988), S. 638; ders. (2002), S. 232; Baurmann / Schädler, S. 17; Feldmann, S. 28; Tampe, S. 36; Kiefl / Sieger, S. 261; Haupt et al., Rn. 17; Stefanie Bock (2007c), S. 666; Mankowski, S. 787. Siehe auch Hermann / Streng, S. 18; Miyazawa, S. 529. 152 Hans-Joachim Schneider (1982a), S. 27; ders. (1977), S. 628; Kiefl / Lamnek, S. 239; Stefanie Bock (2007c), S. 666. Siehe auch Däubler-Gmelin (2001), S. 360. 153 Kiefl / Lamnek, S. 239; McFarlane / van der Kolk, S. 42. Siehe auch Maercker / Müller, S. 345. 154 Hans-Joachim Schneider (1982a), S. 26; ders. (1977), S. 627. Siehe auch die Beispiele bei Kiefl / Lamnek, S. 244 – 245; Hagemann, S. 222 – 223. 155 Siehe die Nachweise in Fn. 26 und den begleitenden Text.

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sein, je größer das Abgrenzungsbedürfnis, also umso größer die Ähnlichkeit mit dem Opfer ist.157 Die Tendenz zur Opferbeschuldigung dürfte auch dann erhöht sein, wenn sich der mit der Straftat Konfrontierte in die Situation des Täters hineinversetzen kann und diesen versteht.158 Das Opfer erinnert sowohl an die eigene Verwundbarkeit als auch an die eigene Destruktivität.159 Festgestellt wurde auch, dass die Gefahr einer sekundären Viktimisierung dann geringer ist, wenn das Opfer schwerwiegende körperliche Verletzungen erlitten hat.160 Eine mögliche Erklärung hierfür ist, dass die äußeren Verletzungen die Glaubwürdigkeit des Opfers erhöhen.161 Psychische Tatfolgen sind hingegen nicht sichtbar und damit für Außenstehende nicht ohne weiteres erkennbar.162 Ihre Bagatellisierung oder Leugnung fällt leicht. Problematisch ist hierbei vor allem, dass Opfer gerade bezüglich der Tatfolgen, die sie als am gravierernsten empfinden, die geringste Unterstützung erwarten dürfen. Eine sekundäre Viktimisierung kann nicht nur durch ablehnende, misstrauische Reaktionen erfolgen. Primäre Schäden können auch durch Dramatisierung der Tatfolgen oder Warnungen vor neuen Taten oder Racheakten des Täters vertieft werden.163 Das Opfer wird hierdurch in seinem Gefühl der Verwundbarkeit sowie in gegebenenfalls bestehenden Rückzugs- oder Vermeidetendenzen bestärkt. 2. Formelle Reaktionen Ebenfalls zu einer sekundären Viktimisierung können die Belastungen führen, die mit der Verfolgung und Ahndung der Tat durch die Träger der offiziellen Sozialkontrolle verbunden sind.164 Auch dies muss nicht für jedes Opfer der Fall sein. Viele klagen lediglich über den Zeitverlust, über Transport- und Parkprobleme bei Gericht und über lange Wartezeiten.165 Ist das Opfer durch die Tat aber psychisch 156 Hans-Joachim Schneider (1977), S. 627; Frieze, S. 119 – 120; Feldmann, S. 23; McFarlane / van der Kolk, S. 27; Rothkegel (1998), S. 82; Young, S. 37; Jerouschek (2002), S. 188; Birck (2002c), S. 34; Haupt et al., Rn. 13, 15. 157 Lerner, S. 136; Frieze, S. 118. 158 Siehe auch Feldmann, S. 24. 159 Mitscherlich, S. 202. Siehe auch Kiefl / Sieger, S. 261. 160 Kiefl / Lamnek, S. 242; Hermann / Streng, S. 16. 161 Kiefl / Lamnek, S. 242; Hermann / Streng, S. 19. 162 Siehe das Beispiel bei Bard / Sangrey, S. 12. 163 Kiefl / Lamnek, S. 239. 164 Anerkannt wird die Gefahr einer sekundären Viktimisierung beispielsweise im Erwägungsgrund 5 zum Rahmenbeschluss 2001 / 230 / JI des Rates vom 15. 3. 2001 über die Stellung des Opfer im Strafverfahren, Abl. EG 2001 L 82 / 1. Siehe auch Prosecutor v. Lubanga – Decision Regarding the Practices Used to Prepare and Familiarise Witnesses for Giving Testimony at Trial, TC I, ICC-01 / 04-01 / 06-1049, 30. 11. 2007, Rn. 52; BG 12. 10. 2005, BGE 131 I 478, 484. 165 Weigend (1989), S. 387. Siehe auch Dunn / Shepherd, Rn. 20.28.

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schwer geschädigt worden, kann das Strafverfahren ein erhebliches zusätzliches Belastungsmoment darstellen. Liegt eine PTBS vor, widerspricht eine Pflicht zur Aussage einem eventuell gegebenen Vermeideverhalten.166 Durch die mehrfache Befragung durch Polizei, Staatsanwaltschaft, Gericht und Verteidigung besteht die Gefahr, dass Erinnerungen an das traumatische Ereignis angetriggert werden, es also zur Flash Backs kommt.167 Zwar kann grundsätzlich das Sprechen über die Straftat zur Verarbeitung des Traumas beitragen.168 Dies gilt allerdings nur begrenzt bei Aussagen unter dem Druck und in der ungewohnten Situation des Strafverfahrens.169 Gerade die Schilderung der Tat, das damit verbundene Eingeständnis der eigenen Schwäche und Ohnmacht sowie – insbesondere bei Sexualdelikten – die Preisgabe intimer Details in der Öffentlichkeit kann als Belastung oder sogar als Demütigung empfunden werden.170 Generell besteht die Gefahr, dass das Strafverfahren, das oft erst Monate nach der Tat erfolgt, mit seinem Zwang zur erneuten Auseinandersetzung mit der Tat einen eventuell begonnenen Verarbeitungsprozess stört.171 Besonders belastend kann die direkte Konfrontation mit dem Täter sein.172 Dies gilt umso mehr, wenn das Opfer Angst vor Vergeltungsmaßnahmen hat.173 Im Strafverfahren gilt die Unschuldsvermutung. Im Zweifel ist der Angeklagten freizusprechen. Diese international anerkannten Justizgrundrechte174, die elementarer Bestandteil eines fairen Verfahrens sind, können zu einer erheblichen Belastung der Opfer führen. Sie können den Eindruck gewinnen, dass ihnen nicht geglaubt wird. Insbesondere ein Freispruch in dubio pro reo kann der Geschädigte als Misstrauen gegenüber seiner Tatschilderung und als Negierung des erlittenen Unrechts verstehen.175 Besondere Viktimisierungsgefahren bergen zudem Strate166 Siehe auch Birck (2002a), S. 256; Mischkowski (2004b), S. 399; Wenk-Ansohn / Gutteta, S. 35; Gäbel / Ruf / Schauer / Odenwald / Neuner, S. 13. 167 Siehe Prosecutor v. Ranko Cesic´, Sentencing Judgement, TC I, IT-95-10 / 1-S, 11. 3. 2004, Rn. 58; Prosecutor v. Akayesu, Trial Judgement, TC I, ICTR-96-4-T, 2. 9. 1998, Rn. 142; Prosecutor v. George Rutaganda, Trial Judgement, TC I, ICTR-96-3, 6. 12. 1999, Rn. 22; Birck (2002b), S. 6. 168 Siehe nur Shay, S. 35; Ochberg, S. 780; Hordvik, S. 41; Birck (2002c), S. 44; WenkAnsohn (2002), S. 72. 169 O’Connell, S. 331; WCRO (November 2007), S. 16. 170 Siehe Weigend (1989), S. 386; Mankowski, S. 787. 171 Hestermann, S. 133. Siehe auch Hartman / Burges, S. 510; Jerouschek (2002), S. 189; Däubler-Gmelin (2001), S. 360; Miyazawa, S. 529; Mankowski, S. 787; Rauschenbach / Scalia, S. 452 sowie die Beispiele bei Kiefl / Lamnek, S. 256 – 257. 172 Hans-Joachim Schneider (1982a), S. 28; Kiefl / Lamnek, S. 253; Weigend (1989), S. 386; Eisenberg (2005), § 53 Rn. 16; Mankowski, S. 787. 173 Weigend (1989), S. 387; Hestermann, S. 138; Herman (2003), S. 160. 174 Siehe Art. 11 der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte (AllgEMR) vom 10. 12. 1948, Resolution 217 (III) der UN Generalversammlung; Art. 6 der Europäische Konvention zum Schutze der Menschenrechte und Grundfreiheiten (EMRK) vom 4. 11. 1950, 213 UNTS 221, in Deutschland am 3. 9. 1953 in Kraft getreten, BGBl. 1952 II 685. 175 Siehe Eisenberg (2005), § 53 Rn. 16.

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gien der Verteidigung, die die Glaubwürdigkeit des Opfers erschüttern wollen oder dessen Mitschuld thematisieren. 176 Der Verletzte kann sich so in die Defensive gedrängt und als der eigentliche Angeklagte fühlen.177 Bereits die an sich neutrale Gerichtssprache kann bei Opfern Unsicherheit hervorrufen. Die Belehrung über die Wahrheitspflicht kann ebenso als Vorwurf der Lüge empfunden werden wie der Vorhalt eines Protokolls.178 Enttäuschend kann für den Verletzten auch die Ausgestaltung des Strafverfahrens selbst sein. Will er aktiv an der Entscheidung des Gerichts beteiligt werden, wird er es als unbefriedigend empfinden, wenn ihm die Verfahrensordnung lediglich die Nebenrolle des Zeugen zubilligt.179 Gleiches gilt, wenn die Erwartung, Tat und Tatfolgen ausführlich darstellen oder Fragen an den Angeklagten richten zu können, nicht erfüllt wird.180 Generell kann sich das Gefühl einstellen, das die Strafverfolgungsbehörden nur soweit am Verletzten interessiert sind, als dies für Tataufklärung und Verurteilung des Täters notwendig ist, sie ihm aber ansonsten gleichgültig gegenüberstehen.181 Das Opfer kann sich mit der Tat und ihren Folgen allein gelassen fühlen.

3. Ergebnis Misstrauen gegenüber dem Opfer, die Leugnung oder Bagatellisierung der Tat sowie der Vorwurf, die Tat provoziert zu haben, bergen im erheblichen Maße die Gefahr einer sekundären Viktimisierung. Im Strafverfahren kommt erschwerend der Zwang, sich in der Öffentlichkeit erneut mit der Straftat auseinandersetzen zu müssen, sowie die Konfrontation mit dem Täter hinzu.

III. Tertiäre Viktimisierung Als tertiäre Viktimisierung bezeichnet man die Integration des Opferstatus in das Selbstbild und die damit verbundene Veränderung der Persönlichkeit.182 Die Annahme einer Opferidentität kann verschiedene Ursachen haben und setzt nicht 176 Hans-Joachim Schneider (1982a), S. 28; Weigend (1989), S. 386; Feldmann, S. 28; Tampe, S. 44; Hestermann, S. 132; Hassemer / Reemtsma, S. 140; Dunn / Shepherd, Rn. 20.28. 177 Dahs (1984), S. 1923. 178 Hestermann, S. 131 – 132. 179 Weigend (1989), S. 387. 180 Hestermann, S. 130; Mischkowski (2004b), S. 397. 181 Hans-Joachim Schneider (1982a), S. 28. 182 Kiefl / Lamnek, S. 272; Tampe, S. 36; Stefanie Bock (2007c), 666; Göppinger(-Michael Bock) (2008), § 11 Rn. 6. Siehe auch Bard / Sangrey, S. 78; Kiefl / Sieger, S. 262; Hassemer / Reemtsma, S. 143.

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zwangsläufig eine vorangegangene primäre oder sekundäre Viktimisierung voraus.183 Im Folgenden soll aber nur die tertiäre Viktimisierung, die im Zusammenhang mit einer Straftat entsteht, behandelt werden. Diese kann als Unfähigkeit verstanden werden, die primäre und / oder sekundäre Viktimisierung zu verarbeiten.184

1. Symptome Die Selbstdefinition als Opfer kann dazu führen, dass die gesamte Umwelt als bedrohlich wahrgenommen wird. Dazu gehört die Angst vor einer erneuter Viktimisierung, die sich nicht nur auf die eigene, sondern auch auf nahestehende Personen beziehen kann. Gleichzeitig wird auch die Wahrscheinlichkeit, erneut Opfer einer Straftat zu werden, erhöht.185 Diese Persönlichkeitsänderung entspricht in weiten Teilen – ebenso wie die mit einer tertiären Viktimisierung assoziierten sozialen, psychischen und psychosomatischen Beeinträchtigungen 186 – den Krankheitsbildern des Viktimisierungssyndroms, der komplexen PTBS und der andauernden Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastungen.187

2. Auswirkungen von Fremdzuschreibungsprozessen Maßgeblich für die Identität einer Person ist nicht nur die Selbstwahrnehmung. Sie entsteht vielmehr aus dem Zusammenspiel von Selbst- und Fremdzuschreibungsprozessen.188 Zu einer tertiären Viktimisierung können daher auch die Reaktionen der sozialen Umwelt beitragen. Im Bereich der Kriminalitätstheorien befasst sich der Ansatz des labeling approach mit den Auswirkungen von Zuschreibungsprozessen. Delinquenz wird nach dieser Theorie als Ergebnis von Definitions-, Selektions- und Stigmatisierungsvorgängen angesehen. Erst die Reaktionen der sozialen Umwelt sollen dem Delinquenten seinen Status als Abweichler bewusst machen und so die unterstellten Verhaltensweisen provozieren. Der Betroffene soll nach einer gewissen Zeit die Beurteilung seiner Umwelt akzeptieren und sein Selbstkonzept anpassen.189 Unabhängig von der Kritik, die dieser Ansatz erfahren hat,190 kann man davon ausgehen, dass die Interaktion zwischen dem Einzelnen Kiefl / Lamnek, S. 273. Kiefl / Lamnek, S. 275. 185 Kiefl / Lamnek, S. 274; Stefanie Bock (2007c), S. 667. Nach Herman (1992), S. 387 zählt ein erhöhtes Reviktimisierungsrisiko zu den Folgen einer komplexen PTBS. Siehe auch van der Kolk / McFarlane, S. 11. 186 Kiefl / Lamnek, S. 275. 187 Siehe oben Teil 2 A. I. 3. c) bb) (3) – (5). 188 Hagemann, S. 253. 189 Tannenbaum; Sack (1971), S. 384; ders. (1972), S. 3. 190 Siehe Göppinger(-Michael Bock) (2008), § 10 Rn. 68 ff. m. w. N. 183 184

A. Viktimisierung

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und den Instanzen sozialer Kontrolle Auswirkungen auf dessen Selbstbild und damit auch auf dessen Verhalten haben kann.191 Überträgt man dies auf die Situation des Opfers nach der Straftat, so liegt der Schluss nahe, dass es sich negativ auf das Selbstbild des Opfers auswirken kann, wenn es von seiner Umgebung ausschließlich als verletzlich, hilflos und passiv wahrgenommen und entsprechend behandelt wird. 3. Erlernte Hilflosigkeit Das Modell der tertiären Viktimisierung kann durch das Konzept der erlernten Hilflosigkeit ergänzt werden. Ausgangspunkt ist eine Versuchsreihe von Iwan Pawlow. Er zeigte einigen Hunden einen Kreis und fütterte sie im Anschluss. Der Vorführung einer Ellipse folgte hingegen ein Stromschlag. Nachdem sich die Tiere verlässlich auf die unterschiedlichen Folgen eingestellt hatten, wurden Kreis und Ellipse nach und nach soweit einander angenähert, dass sie für die Hunde nicht mehr unterscheidbar waren. Die Reaktion der Tiere wechselte daraufhin zwischen Bellen, Rennen und Beißen einerseits und Rückzugsverhalten und Passivität andererseits.192 Das traumatische Moment des Experiments liegt nicht in der Zufügung eines elektrischen Schlags. Dieses Erlebnis hatten die Tiere zuvor ohne nennenswerte psychische Reaktionen hingenommen. Die Hunde haben zunächst gelernt, dass es zwar unvermeidliche negative Ereignisse gibt, diese aber vorhersehbar sind und damit die Möglichkeit besteht, sich darauf einzustellen. Diese Vorhersehbarkeit wird aber genommen und durch Willkür ersetzt. Folge ist eine vollständige Desorientierung. Insoweit dürften die Ergebnisse auch auf den Menschen übertragbar sein. Bleibende Folge unvorhersehbarer traumatischer Ereignisse kann die Erkenntnis sein, dass die Welt für sinnvolles und dauerhaftes Lernen nicht berechenbar genug, Lernen somit sinnlos ist.193 Weitergeführt wurden die Experimente von Martin Seligman. Dieser setzte mehrere Hunde in eine shuttle box, die durch eine Barriere in zwei Bereiche getrennt ist. In beiden Käfigteilen können den Tieren Elektroschocks verabreicht werden, so dass es keinen ständig sicheren Rückzugsort gibt. Die einzige Möglichkeit, dem Stromschlag zu entgehen, ist der Sprung über die Trennwand in die andere Abteilung des Käfigs. Jeder Stromschlag wird mit einem Warnreiz verbunden, der bis zum Ende des Durchgangs bestehen bleibt. Bringt sich der Hund innerhalb von zehn Sekunden nach Einsetzen des Warnsignals durch einen Sprung in Sicherheit, bleibt der Schock aus. Ansonsten dauert der Stromschlag so lange an, bis das Tier ausweicht, max. jedoch 60 Sekunden. Normalerweise lernen die Tiere innerhalb von wenigen Durchgängen, den Stromstößen auszuweichen. Zum experimentellen 191 Siehe Schwind, § 8 Rn. 14 mit weiteren Nachweisen. Zur Bedeutung der Reaktion des sozialen Umfelds zur Entwicklung einer PTBS oben Teil 2 A. I. 3. c) cc). 192 Pawlow (1953). 193 Fischer / Riedesser (2009), S. 156 ff.

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Teil 2: Struktur und Folgen völkerrechtlicher Verbrechen

Nachweis von erlernter Hilflosigkeit wurden die Hunde unvermeidbaren Elektroschocks ausgesetzt, denen sie nicht ausweichen konnten. Die Situation war für die Tiere vollständig unkontrollierbar. Beginn, Ende und Intensität der Stromschläge konnten von den Hunden nicht beeinflusst werden, sondern wurden vom Versuchsleiter bestimmt. 24 Stunden später wurden die Tiere in die shuttle box gesetzt. Zwei Drittel der Tiere reagierten hilflos. Sie blieben passiv und nahmen die Stromstöße hin. Auch in mehreren Durchgängen schafften die Hunde es nicht, die Ausweichreaktion zu erlernen. Vielmehr zeichnete sich ihr Verhalten im Anschluss an das Experiment durch eine allgemeine Passivität und Widerstandslosigkeit aus.194 Durch weitere Versuche konnte Seligman nachweisen, dass das ausschlaggebende Kriterium für die hilflose Reaktion nicht das traumatische Ereignis an sich, sondern seine Unkontrollierbarkeit ist.195 Als entscheidende, auch auf den Menschen übertragbare Folge196 sieht Seligman die verringerte Lernmotivation an. Wurden mehrmals unkontrollierbare Ereignisse erfahren, besteht die Gefahr, dass die hiermit verbundene Erkenntnis der eigenen Hilflosigkeit auf andere Situationen übertragen wird und der Betroffene diese passiv hinnimmt, selbst wenn diese tatsächlich beeinflussbar sind. Der Betroffene verlernt, dass er durch Handlungen Einfluss auf das Geschehen nehmen kann.197 In weiteren Versuchsreihen wurde festgestellt, dass wiederholtes Erleben von unkontrollierbaren Situationen die Reaktionsbereitschaft über einen längeren Zeitraum oder sogar dauerhaft beeinträchtigen kann.198 Ebenso wie Pawlow gelangt auch Seligmann zu dem Ergebnis, dass die Unvorhersehbarkeit eines Ereignisses ähnliche Auswirkungen hat, wie dessen Unkontrollierbarkeit.199 Die Straftat und ihr Verlauf werden maßgeblich vom Willen des Täters dominiert. Die Einflussmöglichkeiten des Opfers sind regelmäßig gering. Sie stellt daher ein unkontrollierbares Ereignis dar, das – gerade bei wiederholter oder langanhaltender Viktimisierung – zur erlernten Hilflosigkeit führen kann. Dabei kann Hilflosigkeit auch durch die Beobachtung erlernt werden.200 Dies gilt beispielsweise für Zeugen von Straftaten. Ebenso wurde festgestellt, dass auch eine Gruppe als solche Hilflosigkeit erlernen kann. Die Gruppenhilflosigkeit ist nicht bloßes Resultat der Hilflosigkeit ihrer Mitglieder, sondern eigenständig und in Entstehung und Entwicklung von der Hilflosigkeit der Individuen unabhängig.201 Vor diesem Hintergrund liegt die Vermutung nahe, dass unter bestimmten Umständen sogar ganze Gesellschaften Hilflosigkeit erlernen können.202 194 195 196 197 198 199 200 201 202

Seligman, S. 19 – 23. Peterson / Maier / Seligman, S. 26; Seligman, S. 24. Siehe auch Peterson / Maier / Seligman, S. 98 – 140. Seligman, S. 34. Seligman, S. 38. Seligman, S. 127. Siehe aus psychologischer Sicht Bierwirth / Ghaderi, S. 75. Peterson / Maier / Seligman, S. 112. Peterson / Maier / Seligman, S. 112 – 113. Siehe auch Hans-Joachim Schneider (2001), S. 361.

B. Die Straftatbestände des IStGH-Statuts

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4. Ergebnis Tertiäre Viktimisierung, erlernte Hilflosigkeit und das Krankheitsbild der PTBS beschreiben von verschiedenen Standpunkten aus andauernde oder permanente Folgen von Straftaten, die sich auch auf die sozialen Fähigkeiten des Opfers auswirken.203 Die Inkorporation der Opferwerdung in die Persönlichkeit kann eine Verhaltensänderung bedingen, die durch Angst, Misstrauen, Passivität und Resignation bestimmt ist. Zudem besteht nach allen Modellen ein Zusammenhang mit der Entstehung von Depressionen.204

IV. Ergebnis Das Opfer kann durch die Straftat im materiellen, physischen und psychischen Bereich geschädigt werden. Als intensivste Beeinträchtigung werden häufig die psychischen Folgen empfunden, die bis hin zu einer dauerhaften psychischen Störung reichen können. Der Opferwerdung ist zudem die Gefahr der sekundären Viktimisierung inhärent. Die primären Tatfolgen können durch Fehlreaktionen der sozialen Umwelt, auch und vor allem während eines Strafprozesses, intensiviert, die Gefahr einer PTBS oder einer ähnlichen Störung deutlich erhöht werden. Am gravierensten sind die Auswirkungen einer Straftat, wenn die Opfererfahrung i. S. d. tertiären Viktimisierung in das Selbstbild integriert wird. Der Betroffene definiert sich als Opfer, als macht- und wehrlos, und verhält sich zukünftig entsprechend. Nach dem Konzept der erlernten Hilflosigkeit kann dies zu einer Passivität in allen Lebensbereichen führen. Auch die Psychotraumatologie kennt vergleichbare Langzeitfolgen von Straftaten. Die Straftat selbst mag zeitlich begrenzt sein. Ihre Auswirkungen können das Opfer sein Leben lang zeichnen.

B. Die Straftatbestände des IStGH-Statuts Die Situation der Opfer nach der Straftat, ihre Bedürfnisse und ihre Erwartungen an die Strafrechtspflege hängen erheblich von der primären Viktimisierung ab. Daher soll ein Überblick über die Verbrechen gegeben werden, die gemäß Art. 5 IStGH-Statut in den sachlichen Zuständigkeitsbereich des IStGH fallen – Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Kriegsverbrechen sowie das Verbrechen der Aggression. Dabei soll nur die Grundstruktur der Tatbestände dargestellt werden, nicht aber auf Details und Grenzbereiche eingegangen werden. Gleichzei203 Siehe auch Herman (1992), S. 384, die einen Zusammenhang zwischen der komplexen PTBS und der erlernten Hilflosigkeit herstellt. 204 Siehe auch Kiefl / Lamnek, S. 275; Peterson / Maier / Seligman, S. 182 – 226; Seligman, S. 72 – 101.

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Teil 2: Struktur und Folgen völkerrechtlicher Verbrechen

tig soll untersucht werden, ob und inwieweit die Straftatbestände Individualrechtsgüter schützen. Beantwortet werden soll damit die Frage, ob der Gedanke des Opferschutzes im IStGH-Statut bereits materiellrechtlich angelegt ist.

I. Exkurs: Auslegung des IStGH-Statuts Das IStGH-Statut ist ein völkerrechtlicher Vertrag.205 Es ist damit nach Maßgabe der Artt. 31 – 33 WKV206 auszulegen. Für die Straftatbestände sind darüber hinaus die Verbrechenselemente 207, die auf Grundlage von Art. 9 Abs. 1 IStGHStatut erlassen wurden, zu berücksichtigen. Ihre Aufgabe ist die Präzisierung und Konkretisierung der Straftatbestände. Als niederrangiges Recht dürfen sie dem Statut nicht widersprechen.208 Auch wenn die Verbrechenselemente die Richter nicht strikt binden,209 stellen sie jedenfalls eine wichtige Auslegungshilfe dar.210 Als Vorlage für das IStGH-Statut dienten die Statuten von ICTY und ICTR.211 Ihre Erfahrungen haben die Verhandlungen von Rom entscheidend geprägt.212 Daher kann bei der Auslegung der Rechtsvorschriften des IStGH auch auf die Rechtsprechungspraxis der Ad-hoc-Tribunale zurückgegriffen werden.213 Bindend sind ihre Urteile für den IStGH allerdings nicht.214 Ebenso kann die Rechtsprechung der Hybrid-Tribunale215, wie des Sondergerichtshofs für Sierra Leone216 oder der Extraordinary Chambers in the Courts of Cambodia217, berücksichtigt werden. Siehe zum Gründungsakt auch unten Teil 5 B. V. Wiener Übereinkommen über das Recht der Verträge vom 23. 5. 1969, 1155 UNTS 331. In Deutschland am 20. 8. 1987 in Kraft getreten, BGBl. 1985 II 927. 207 Elements of Crimes (2000), 9. 9. 2002, ICC-ASP / 1 / 3 (part II-B). 208 Art. 9 Abs. 3 IStGH-Statut. 209 Triffterer(-Gadirov rev. by Clark), Art. 9 IStGH-Statut Rn. 30; Ambos (2001b), S. 346; Lagodny, S. 807; Triffterer (2001a), S. 1430; de Than / Shorts, Rn. 6 – 008; Hunt, S. 59. Siehe auch Dörmann (2001b), S. 139. 210 Rückert / Witschel, S. 61; Triffterer (2001a), S. 1416. 211 Siehe nur Roger S. Clark (1998) S. 78; Condorelli (2001), S. 111; Roggemann (1998b), S. 16. 212 Roggemann (1998b), S. 16; von Hebel / Robinson, S. 91; Augustin, S. 232; Stahn (2004), S. 170. 213 Safferling (2001), S. 736; Meseke, S. 108. 214 Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1049, o. Fn. 164, Rn. 44; Kalshoven, S. 7. 215 Siehe zum Begriff Teil 5 C. III. 7. 216 Gegründet durch völkerrechtlichen Vertrag zwischen Sierra Leone und der UN vom 16. 1. 2002. 217 Siehe UN-Sicherheitsratsresolution 1272 (1999) vom 25. 10. 1999, die die UN-Übergansverwaltung zum Neuaufbau der Justiz ermächtigt. Hierauf basierend wurden innerhalb des Distrikgerichts von Deli besondere Spruchkörper für bestimmte schwere Delikte eingerichtet. 205 206

B. Die Straftatbestände des IStGH-Statuts

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Diese sind ebenso wie die Ad-hoc-Tribunale zeitlich und örtlich begrenzt für die Verfolgung völkerrechtlicher Verbrechen zuständig. Auch ihnen kommt die Aufgabe zu, das humanitäre Völkerrecht zu festigen und weiterzuentwickeln. In geeigneten Fällen kann auch die Rechtsprechung der Menschenrechtsgerichtshöfe, insbesondere des European Court for Human Rights218 und des Inter-American Court for Human Rights219, als Referenz herangezogen werden.220 Darüber hinaus kann der IStGH bei der Auslegung des Statuts auch nationale Begriffsdefinitionen, Rechtsprechung und Literatur berücksichtigen. Dies ergibt sich aus Art. 21 IStGH-Statut. Hiernach wendet der IStGH in erster Linie das Statut, die Verbrechenselemente sowie die Verfahrens- und Beweisordnung an, an zweiter Stelle Verträge sowie Grundsätze und Regeln des Völkerrechts und an dritter Stelle allgemeine Rechtsgrundsätze, die der Gerichtshof aus einzelstaatlichen Rechtsvorschriften der Rechtssysteme der Welt abgeleitet hat. Diese allgemeinen Rechtsgrundsätze dienen nicht nur dazu, um Lücken der primären Rechtsquellen zu schließen. Vielmehr können sie auch zur Auslegung des Statuts und zur weiteren Absicherung des gefundenen Ergebnisses genutzt werden.221 Die Einheit von nationaler und internationaler Rechtsprechung ist umso bedeutender, als bereits die Präambel des IStGH-Statuts zum Ausdruck bringt, dass die Verfolgung der core crimes gemeinsame Aufgabe der internationalen Gemeinschaft und der Nationalstaaten ist. Dennoch verpflichtet das IStGH-Statut die Mitgliedstaaten nicht, die völkerrechtlichen Verbrechen unter Strafe zu stellen.222 Eine Ausnahme gilt gemäß Art. 70 Abs. 4 IStGH-Statut lediglich für die Delikte gegen die Rechtspflege des IStGH. Eine Implementierung der core crimes ins nationale Strafrecht entspricht allerdings nicht nur dem Grundgedanken des IStGH-Statuts,223 sondern liegt auch im Interesse der Nationalstaaten224. Aus dem Komplementaritätsgrundsatz des Art. 17 IStGH-Statut225 folgt, dass dem IStGH – anders als den Ad-hoc-TribunaErrichtet nach Art. 19 EMRK. Siehe Art. 52 der Amerikanische Menschenrechtskonvention vom 22. 11. 1969. 220 Siehe DRC PTC, ICC-01 / 04-101-Corr., o. Fn. 148, Rn. 51 ff. 221 Siehe hierzu vertiefend Raimondo, S. 193 ff. Siehe auch Prosecutor v. Jelisic´, Judgement, TC I, IT-95-10-T, 14. 12. 1999, Rn. 61; Prosecutor v. Krstic´, Judgement, TC, IT-98-33-T, 2. 8. 2001, Rn. 541; Ambos (1999a), S. 405; Meseke, S. 110. 222 Davon unberührt beiben allerdings bestehende völkerrechtliche Pflichten, wie aus Art. I der Konvention über die Verhütung und Bestrafung des Völkermords vom 9. 12. 1948, 78 UNTS 277. Beitritts Deutschland durch Gesetz vom 9. 8. 1954, Beitritt der Bundesrepublik Deutschlands zu der Genozid-Konvention vom 9. 12. 1948 über die Verhütung und Bestrafung des Völkermords, BGBl. 1954 II, 730. 223 Triffterer(-Triffterer), preamble Rn. 13; Satzger (2002), S. 126; Werle / Jeßberger, S. 727; Werle / Nerlich, S. 125; Eser / Kreicker, S. 2; Weigend (2004), S. 201; Werle (2008), S. 111. 224 Arsanjani (1999a), S. 68; Politi (1999), S. 843; Hermsdörfer (2002), S. 70; Broomhall (2001), S. 408; ders. (2003), S. 86; Lattanzi (2001), S. 181; Satzger (2002), S. 126; Stahn (2004), S. 172; Werle / Jeßberger, S. 727; Zimmermann (2002a), S. 98; ders. (2002b), S. 3069; Kleffner, S. 88; Tan, S. 1154; Weigend (2004), S. 201; Kreß / Wannek, S. 981. 218 219

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Teil 2: Struktur und Folgen völkerrechtlicher Verbrechen

len226 – gegenüber den nationalen Gerichten nur eine subsidiäre Zuständigkeit zukommt.227 Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass die nationalen Gerichte zu einer ernsthaften Strafverfolgung willens und in der Lage sind. Durch die Übernahme der Straftatbestände ins nationale Recht stellen die Staaten ihre Verfolgungsfähigkeit und damit die Vorrangzuständigkeit ihrer Gerichte sicher. Das Komplementaritätsprinzip begründet gleichsam eine Pönalisierungsobliegenheit.228 Dieser kam Deutschland durch den Erlass des Völkerstrafgesetzbuches229 nach.230 Im Sinne einer effektiven Strafverfolgung steht zu hoffen, dass die Nationalstaaten sich ihrer Verantwortung im Kampf gegen die Straflosigkeit für völkerrechtliche Verbrechen bewusst werden und es vermehrt zu nationalen Strafverfolgungsbemühungen kommt. Je umfangreicher die vorhandene nationale Rechtsprechungspraxis ist, desto mehr Gewicht wird ihr für die Auslegung des IStGH-Statuts zukommen. Dabei verpflichten die völkerrechtlichen Wurzeln der Tatbestände den nationalen Richter zu einer völkerrechtskonformen Auslegung der Straftatbestände.231 Nationale und internationale Rechtsanwendung können sich so wechselseitig befruchten und zu einer möglichst konsistenten Ahndung völkerrechtlicher Verbrechen beitragen.

II. Völkermord, Artt. 5 Abs. 1 lit. a); 6 IStGH-Statut Der Straftatbestand des Völkermordes wurde Art. II der Völkermordkonvention entnommen.

Siehe vertiefend unten Tei 5 C. III. Siehe Artt. 9 Abs. 2 ICTY-Statut; 8 Abs. 2 ICTR-Statut. 227 Dobelle, S. 362; Kaul (1998b), S. 128; ders. (2001a), S. 26; ders. (2003), S. 14; Pocar, S. 72; Tomuschat (1998), S. 341; Arsanjani (1999a), S. 68; Hafner / Boon / Rübesame / Huston, S. 115; La Haye (1999), S. 8; Triffterer(-Williams / Schabas), Art. 17 IStGH-Statut Rn. 34; Wedgwood (1999), S. 94; Zwanenburg, S. 132; Roger S. Clark (2000), S. 215; Kreß (2000), S. 625; Blanke / Molitor, S. 149; Broomhall (2001), S. 409; Hermsdörfer (2001), S. 9; Safferling (2001), S. 736; Satzger (2002), S. 125; Zakr, S. 471; Arbour, S. 587; Cameron, S. 82; Stahn (2004), S. 172; Weigend (2004), S. 201; Höpfel, S. 773; Kreß / Wannek, S. 236; Flores Acuòa, S. 40; van Heeck, S. 171; Lipscomb, S. 199. 228 Zimmermann (2002b), S. 3069; ders. (2002a), S. 98. Siehe auch Weigend (2006), S. 121. 229 Völkerstrafgesetzbuch (VStGB) vom 26. 6. 2002, BGBl. 2002 I 2254. 230 Entwurf eines Gesetzes zur Einführung des Völkerstrafgesetzbuches, BT Drs. 14 / 8892,1. Siehe auch Werle / Nerlich, S. 124. 231 BVerfG 12. 12. 2000, NJW 2001, 1848, 1851; Safferling (2001), S. 736; Werle / Jeßberger, S. 734; Zimmermann (2002b), S. 3069; ders. (2002a), S. 99; MünchKomm(-Kreß), § 220 a / § 6VStGB, Rn. 28. 225 226

B. Die Straftatbestände des IStGH-Statuts

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1. Tatbestandliche Voraussetzungen Der Tatbestand des Völkermords besteht aus der objektiven Tathandlung, die vorsätzlich und in der Absicht, eine geschützte Gruppe ganz oder teilweise zu zerstören, vorgenommen werden muss.

a) Geschützte Gruppe Die objektiven Tathandlungen sowie die Zerstörungsabsicht müssen sich gegen eine bestimmte Gruppe bzw. deren Mitglieder richten. Geschützt sind nur Personenmehrheiten, die durch nationale, ethnische, rassische oder religiöse Kriterien verbunden sind und sich dadurch von der übrigen Bevölkerung abheben.232 Die verschiedenen Merkmale lassen sich nicht klar von einander abgrenzen und überschneiden sich.233 Ihre Aufzählung ist allerdings enumerativ.234 Eine analoge Anwendung beispielsweise auf politische, wirtschaftliche oder sozialen Gruppe ist nicht möglich.235 232 Planzer, S. 96; Lüder (1998), S. 111; LK(-Jähnke), § 220a StGB Rn. 9; Mangold, S. 63; Meyer, S. 222; Werle (2007), Rn. 666; Ambos (2008a), § 7 Rn. 132. 233 Krstic´ Trial Judgement, o. Fn. 221, Rn. 555; Schabas (2009), S. 124 ff.; Cryer / Friman / Robinson / Wilmshurst, S. 210; Werle (2007), Rn. 667; Ambos (2008a), § 7 Rn. 132; Kolb, S. 75. 234 Jelisic´ Trial Judgement, o. Fn. 221, Rn. 61; Lehmler, S. 213; Ambos (2002a), S. 407; ders. (2005), S. 141; ders., (2008a), § 7 Rn. 132; MünchKomm(-Kreß), § 220 a StGB / § 6 VStGB Rn. 32; ders. (2006b), S. 473; SK(-Horn / Wolters), § 220 a Rn. 2; Hübner, S. 104; Akhavan (2005a), S. 999; Bassiouni (2005), S. 706; Cryer / Friman / Robinson / Wilmshurst, S. 209; Werle (2007), Rn. 666; Kolb, S. 78. 235 Nehemiah Robinson, S. 59; Ambos (1998b), S. 138; ders. (2004), S. 220; ders. (2005), S. 141; ders. (2008a), § 7 Rn. 132; Lüder (1998), S. 111; Schabas (2001a), S. 290; Cassese (2002a), S. 336; Mennecke / Markusen, S. 299; Byron, S. 156. Siehe auch Case Concerning the Application of the Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide (Bosnia and Herzegovina v. Serbia and Montenegro), ICJ Judgement, 26. 2. 2007, Rn. 194. Das ICTR hat allerdings angedacht, den Genozidtatbestand analog auf vergleichbar stabile Gruppen anzuwenden, siehe Akayesu Trial Judgement, o. Fn. 167, Rn. 516. Dies dürfte für wirtschaftliche oder politische Gruppen jedenfalls nicht gelten. Die Analgoieerwägungen kamen allerdings nicht zum Tragen. Das ICTR hat zumindest in späteren Urteilen die Tutsi ausdrücklich als ethnische Gruppe angesehen. Siehe nur Prosecutor v. Kayishema and Ruzindana, Judgement and Sentence, TC II, ICTR-95-1-T, 21. 5. 1999, Rn. 523; Prosecutor v. Musema, Judgement and Sentence, TC I, ICTR-96-13-A, 21. 1. 2000, Rn. 935; Prosecutor v. Muvunyi, Judgement and Sentence, TC II, ICTR-2000-55A-T, 12. 9. 2006, Rn. 476; Prosecutor v. Bagosora et al., Judgement and Sentence, TC I, ICTR-98-41-T, 18. 12. 2008, Rn. 2117; Prosecutor v. Kalimanzira, Judgement, TC III, ICTR-05-88-T, 22. 6. 2009, Rn. 159; Prosecutor v. Renzaho, Judgement and Setence, TC I, ICTR-97-31-T, 14. 7. 2009, Rn. 762; Prosecutor v. Nsengimana, Judgement, TC I, ICTR-01-69-T, 17. 11. 2009, Rn. 833. Siehe auch die Anmerkungen von Ntanda Nsereko (2001), S. 56 – 58; Buis, S. 130 – 142. In einigen nationalen Gesetzen wurde der Anwendungsbereich des Völkermords erweitert. Slowenien hat in Art. 373 Abs. 2 des slowenischen Strafgesetzbuches, GBl. RS, Nr. 63 / 94, 70 / 94 und 23 / 99, den Tatbesetand explizit auf soziale und politische Gruppen erweitert; in

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Teil 2: Struktur und Folgen völkerrechtlicher Verbrechen

b) Objektive Tathandlungen Objektive Tathandlungen sind die Tötung von Mitgliedern der Gruppe, die Verursachung von schwerem körperlichem oder seelischem Schaden an Mitgliedern der Gruppe, die vorsätzliche Auferlegung von Lebensbedingungen für die Gruppe, die geeignet sind, ihre körperliche Zerstörung ganz oder teilweise herbeizuführen, die Verhängung von Maßnahmen, die auf Geburtenverhinderung gerichtet sind, sowie die gewaltsame Überführung von Kindern der Gruppe in eine andere Gruppe. Diese abschließend aufgezählten236 Handlungen können sowohl während eines bewaffneten Konflikts als auch in Friedenszeiten begangen werden.237 aa) Tötung von Mitgliedern der Gruppe Der ersten Tatmodalität unterfällt neben Massenmorden und -hinrichtungen238 auch die Tötung eines einzelnen Gruppenmitglieds239. bb) Verursachung von schwerem körperlichem oder seelischem Schaden Die erlittenen Schäden der zweiten Begehungsvariante müssen nicht permanent oder unheilbar,240 aber von einer gewissen Dauer und Intensität sein.241 BeispielEstland kann Genozid nach Art. 90 ECC 2001 (RT I 2001, 61, 364) zu Lasten jeder sozialen Gruppen begangen werden. Diese Gesetze gehen allerdings über den aktuellen Stand des Völkergewohnheitsrechts hinaus. 236 BGH 30. 4. 1999, BGHSt 45, 64, 82 = NStZ 1999, 396 m. Anm. Ambos = JZ 1999, 1176 m. Anm. Werle = JR 2000, 202 m. Anm. Lagodny / Nill-Theobald; Nehemiah Robinson, S. 57; Ambos (2002a), S. 407; ders. (2008a), § 7 Rn. 135; Safferling (2001), S. 736; Schönke / Schröder(-Eser), § 220 a StGB Rn. 4; Mennecke / Markusen, S. 298; Byron, S. 163; Schabas (2007), S. 93. Siehe auch Muvunyi Trial Judgement, o. Fn. 235, Rn. 477; Lippman, S. 412. 237 Church, S. 1; Campell, S. 96; Kaul (1998b), S. 127; Zimmermann (1998), S. 49; Augustin, S. 231; Dinstein, S. 74; MünchKomm(-Kreß), § 220 a / § 6 VStGB, Rn. 92; Novoselec, S. 28; Škulic´, S. 221; LK(-Jähnke), § 220a StGB Rn. 10. Siehe auch Art. I der Genozidkonvention. 238 Siehe nur Stillschweig, S. 104; Planzer, S. 85; LK(-Jähnke), § 220 a StGB Rn. 11. 239 Elements of Crimes 6 (a) 1. Siehe auch Stillschweig, S. 104; Nehemiah Robinson, S. 62; BMJ, S. 39; Garraway, S. 50; Rückert / Witschel, S. 67; Triffterer (2001c), S. 399; MünchKomm(-Kreß), § 220 a StGB / § 6 VStGB Rn. 49; ders. (2006b), S. 480; Selbmann, S. 158; SK(-Horn / Wolters), § 220 a StGB Rn. 2a; Byron, S. 164; Novoselec, S. 28; LK(-Jähnke), § 220 a StGB Rn. 11; Mangold, S. 63; Werle (2007), Rn. 667; Kolb, S. 81. Siehe auch Muvunyi Trial Judgement, o. Fn. 235, Rn. 486; Kalimanzira Trial Judgement, o. Fn. 235, Rn. 159; Renzaho Trial Judgement, o. Fn. 235, Rn. 762; Nsengimana Trial Judgement, o. Fn. 235, Rn. 833. Anderer Ansicht Ambos (2008a), § 7 Rn. 135; Cassese (2008), S. 134. 240 Krstic´ Trial Judgement, o. Fn. 221, Rn. 510; Prosecutor v. Stakic´, Judgement, TC II, IT-97-24-T, 31. 7. 2003, Rn. 516; Prosecutor v. Brdjanin, Judgement, TC II, IT-99-36-T,

B. Die Straftatbestände des IStGH-Statuts

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haft für körperliche Schäden sind schwere gesundheitliche Beeinträchtigungen, Entstellungen, Verstümmelungen sowie schwere Verletzungen der äußeren oder inneren Organe.242 Die rein psychischen Schäden stehen gleichrangig neben den körperlichen.243 Sie können unter anderem durch unmenschliche und erniedrigende Behandlung,244 physische und psychische Folter,245 sexuelle Gewalt246, Deportation oder sonstige Verfolgungsmaßnahmen247 sowie die zwangsweise Verabreichung von Drogen248 ausgelöst werden. 1. 9. 2004, Rn. 690; Prosecutor v. Blagojevic´ and Jokic´, Judgement, TC I, IT-02-60-T, 17. 1. 2005, Rn. 645; Akayesu Trial Judgement, o. Fn. 167, Rn. 502; Rutaganda Trial Judgement, o. Fn. 167, Rn. 51; Musema Trial Judgement, o. Fn. 235, Rn. 156; Prosecutor v. Bagilishema, Judgement, TC I, ICTR-95-1A-T, 7. 6. 2001, Rn. 59; Prosecutor v. Semanza, Judgement and Sentence, TC III, ICTR-97-20-T, 15. 5. 2003, Rn. 322; Prosecutor v. Gacumbtsi, Judgement, TC III, ICTR-2001-64-T, 17. 6. 2004, Rn. 291; Prosecutor v. Muhimana, Judgement and Sentence, TC III, ICTR-95-1B-T, 28. 4. 2005, Rn. 502; Bagosora et al. Trial Judgement, o. Fn. 235, Rn. 2117; Muvunyi Trial Judgement, o. Fn. 235, Rn. 487; Kalimanzira Trial Judgement, o. Fn. 235, Rn. 159; Renzaho Trial Judgement, o. Fn. 235, Rn. 762; Fronza (1999), S. 122; dies. (2003), S. 74; Triffterer(-Schabas), Art. 6 IStGH-Statut Rn. 18; Bantekas / Nash / Mackarel, S. 104; Selbmann, S. 159; Ambos (2008a), § 7 Rn. 137. 241 Krstic´ Trial Judgement, o. Fn. 221, Rn. 513; Brdjanin Trial Judgement, o. Fn. 240, Rn. 690; Blagojevic´ & Jokic´ Trial Judgement, o. Fn. 240, Rn. 645; Bagilishema Trial Judgement, o. Fn. 240, Rn. 59; Semanza Trial Judgement, oben 240, Rn. 321; Bagosora et al. Trial Judgement, o. Fn. 235, Rn. 2117; Kalimanzira Trial Judgement, o. Fn. 235, Rn. 159, Renzaho Trial Judgement, o. Fn. 235, Rn. 762; Werle (2007), Rn. 689. 242 Kayishema & Ruzindana Trial Judgement, o. Fn. 235, Rn. 109; Blagojevic´ & Jokic´ Trial Judgement, o. Fn. 240, Rn. 645; Bagosora et al. Trial Judgement, o. Fn. 235, Rn. 2117. Siehe auch Muvunyi Trial Judgement, o. Fn. 235, Rn. 487; Werle (2007), Rn. 689; Ambos (2008a), § 7 Rn. 137; Kolb, S. 81. 243 Safferling (2001), S. 737; Werle (2007), Rn. 688. Siehe auch Gacumbtsi Trial Judgement, o. Fn. 240, Rn. 291; Muhimana Trial Judgement, o. Fn. 240, Rn. 502. 244 Elements of Crimes Fn. 3. Siehe auch Krstic´ Trial Judgement, o. Fn. 221, Rn. 513; Stakic´ Trial Judgement, o. Fn. 240, Rn. 516; Brdjanin Trial Judgement, o. Fn. 240, Rn. 690; Blagojevic´ & Jokic´ Trial Judgement, o. Fn. 240, Rn. 646; Akayesu Trial Judgement, o. Fn. 167, Rn. 504; Rutaganda Trial Judgement, o. Fn. 167, Rn. 51; Musema Trial Judgement, o. Fn. 235, Rn. 156; Safferling (2001), S. 737; Selbmann, S. 159. 245 Elements of Crimes Fn. 3. Siehe auch Stakic´ Trial Judgement, o. Fn. 240, Rn. 516; Brdjanin Trial Judgement, o. Fn. 240, Rn. 690; Blagojevic´ & Jokic´ Trial Judgement, o. Fn. 240, Rn. 646; Akayesu Trial Judgement, o. Fn. 167, Rn. 504; Rutaganda Trial Judgement, o. Fn. 167, Rn. 51; Musema Trial Judgement, o. Fn. 235, Rn. 156; Gacumbtsi Trial Judgement, o. Fn. 240, Rn. 291; Muhimana Trial Judgement, o. Fn. 240, Rn. 502; Triffterer(-Schabas), Art. 6 IStGH-Statut Rn. 18; Selbmann, S. 159; Ambos (2008a), § 7 Rn. 136. 246 Elements of Crimes Fn. 3. Siehe auch Krstic´ Trial Judgement, o. Fn. 221, Rn. 513; Stakic´ Trial Judgement, o. Fn. 240, Rn. 516; Brdjanin Trial Judgement, o. Fn. 240, Rn. 690; Blagojevic´ & Jokic´ Trial Judgement, o. Fn. 240, Rn. 646; Akayesu Trial Judgement, o. Fn. 167, Rn. 731; Musema Trial Judgement, o. Fn. 235, Rn. 156; Gacumbtsi Trial Judgement, o. Fn. 240, Rn. 291; Muhimana Trial Judgement, o. Fn. 240, Rn. 502; Bagosora et al. Trial Judgement, o. Fn. 235, Rn. 2117; Kalimanzira Trial Judgement, o. Fn. 235, Rn. 159; Renzaho Trial Judgement, o. Fn. 235, Rn. 762; Triffterer(-Schabas), Art. 6 IStGH-Statut Rn. 18; Garraway, S. 51; Safferling (2001), S. 737; Selbmann, S. 160; Werle (2007), Rn. 687.

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Teil 2: Struktur und Folgen völkerrechtlicher Verbrechen

cc) Auferlegung von zerstörerischen Lebensbedingungen Die dritte Variante von Art. 6 IStGH-Statut stellt die Vernichtung durch langsamen Tod unter Strafe.249 Die vom Täter vorgenommenen Handlungen führen nicht unmittelbar, sondern erst nach einer bestimmten Zeit zur physischen Auslöschung der Gruppe.250 Erforderlich ist aber nicht, dass die Gruppe tatsächlich körperlich zerstört wurde. Es handelt sich vielmehr um ein Gefährdungsdelikt.251 Typische Beispiele sind die Unterbringung von Gruppenmitgliedern in Gefangenen-, Vernichtungs- oder Konzentrationslagern252 sowie die Auferlegung extremer Zwangsarbeit.253 Erfasst ist auch das Aushungern der Bevölkerung durch Verweigerung oder Zerstörung von Nahrungsmitteln254 sowie das Vorenthalten der notwendigen medizinischen Versorgung255. Vertreibungen, Deportationen und ethnische Säuberungen256 erfüllen regelmäßig bereits den objektiven Tatbestand des 247 Krstic´ Trial Judgement, o. Fn. 221, Rn. 513; Blagojevic´ & Jokic´ Trial Judgement, o. Fn. 240 Rn. 646; Bagilishema Trial Judgement, o. Fn. 240, Rn. 59; Safferling (2001), S. 737. 248 Krstic´ Trial Judgement, o. Fn. 221, Rn. 510; Planzer, S. 87; Hübner, S. 127; Lippman, S. 412. 249 Brdjanin Trial Judgement, o. Fn. 240, Rn. 691; Stakic´ Trial Judgement, o. Fn. 240, Rn. 517; Kayishema & Ruzindana Trial Judgement, o. Fn. 235, Rn. 115; Drost, S. 87; Planzer, S. 88; Bantekas / Nash / Mackarel, S. 104; Fronza (2003), S. 76; Selbmann, S. 161; Ambos (2004), S. 224; ders. (2005), S. 146; ders. (2008a), § 7 Rn. 139; Werle (2007), Rn. 690; Kolb, S. 81. 250 Akayesu Trial Judgement, o. Fn. 167, Rn. 505; Rutaganda Trial Judgement, o. Fn. 167, Rn. 52; Kayishema & Ruzindana Trial Judgement, o. Fn. 235, Rn. 116; Werle (2007), Rn. 690. 251 Hübner, S. 128. Siehe auch Dahm / Delbrück / Wolfrum (2002), S. 1081 sowie Stakic´ Trial Judgement, o. Fn. 240, Rn. 517; Brdjanin Trial Judgement, o. Fn. 240, Rn. 691. 252 BGH 30. 4. 1999, BGHSt 45, 64, 82; Stillschweig, S. 104; Planzer, S. 88; Fronza (1999), S. 125; dies. (2003), S. 76; Stahn (1999), S. 347; LK(-Jähnke), § 220 a StGB Rn. 11; MünchKomm(-Kreß), § 220 a StGB / § 6 VStGB, Rn. 56; Werle (2007), Rn. 691, 692. 253 Stahn (1999), S. 347; MünchKomm(-Kreß), § 220 a StGB / § 6 VStGB, Rn. 56; Ambos (2005), S. 146; ders. (2008a), § 7 Rn. 139; Werle (2007), Rn. 691; Kolb, S. 81. 254 Elements of Crimes Fn. 4. Siehe auch Brdjanin Trial Judgement, o. Fn. 240, Rn. 690; Kayishema & Ruzindana Trial Judgement, o. Fn. 235, Rn. 116; Musema Trial Judgement, o. Fn. 235, Rn. 157; BGH 30. 4. 1999, BGHSt 45, 64, 82; Planzer, S. 88; Fronza (1999), S. 125; Heintze (2001), S. 228; Selbmann, S. 161; Ambos (2004), S. 224; ders. (2005), S. 146; Kolb, S. 81. 255 Elements of Crimes Fn. 4. Siehe auch Stakic´ Trial Judgement, o. Fn. 240, Rn. 517; Brdjanin Trial Judgement, o. Fn. 240, Rn. 690; Akayesu Trial Judgement, o. Fn. 167, Rn. 506; Rutaganda Trial Judgement, o. Fn. 167, Rn. 52; Kayishema & Ruzindana Trial Judgement, o. Fn. 235, Rn. 116; Musema Trial Judgement, o. Fn. 235, Rn. 157; BGH 30. 4. 1999, BGHSt 45, 64, 82; Planzer, S. 88; Nehemiah Robinson, S. 64; Triffterer(-Schabas) Art. 6 IStGH-Statut Rn. 20; Selbmann, S. 162; Schönke / Schröder(-Eser), § 220 a StGB Rn. 4; Ambos (2005), S. 146; ders. (2008a), § 7 Rn. 139; Werle (2007), Rn. 692; Kolb, S. 81. 256 Dieser Begriff wurde vor allem im Rahmen des Jugoslawienkonflikts verwendet. Im Final Report of the United Nations Commissions of Experts findet sich folgende Definition:

B. Die Straftatbestände des IStGH-Statuts

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Genozids nicht, da typischerweise keine physische Zerstörung der Gruppe droht.257 Sie können aber Verbrechen gegen die Menschlichkeit sein. Eine Bestrafung der Verantwortlichen wegen Völkermordes kommt allerdings dann in Betracht, wenn die Mittel, die zur Vertreibung eingesetzt werden, oder die sie begleitenden Maßnahmen zur physischen Auslöschung der Gruppe führen können.258 Gleiches gilt für systematische Vergewaltigungen und sonstige sexuelle Gewaltakte.259 dd) Maßnahmen zur Geburtenverhinderung Maßnahmen zur Geburtenverhinderung sind vor allem Sterilisationen, gewaltsame Geburtenkontrollen, Geschlechtertrennung und Eheverbote.260 Erfasst ist aber auch der Fall, dass die physischen, psychischen oder sozialen Auswirkungen von Vergewaltigungen eine Fortpflanzung ausschließen.261

Ethinic cleansing means rendering an area ethnically homogenous by using force or intimidation to remove from a given area persons from another ethnic or religious group. 257 Stakic´ Trial Judgement, o. Fn. 240, Rn. 519; Hollweg, S. 986; Heintze (2001), S. 228; Cassese (2002a), S. 338; Ambos (2005), S. 143; LK(-Jähnke), § 220 a StGB Rn. 11; Werle (2007), Rn. 692. Siehe auch den Überblick bei Triffterer(-Schabas), Art. 6 IStGH-Statut Rn. 14 ff. 258 Prosecutor v. Krstic´´, Appeals Judgement – Partial Dissenting Opinon of Judge Shahabuddeen, AC, IT-98-33-A, 19. 4. 2004, Rn. 35; Akayesu Trial Judgement, o. Fn. 167, Rn. 506; Rutaganda Trial Judgement, o. Fn. 167, Rn. 51; Heintze (2001), S. 228; Dahm / Delbrück / Wolfrum (2002), S. 1082; MünchKomm(-Kreß), § 220 a StGB / § 6 VStGB, Rn. 57; Hübner, S. 167; Werle (2007), Rn. 692. Siehe auch Elements of Crimes Fn. 4. Schwierigkeiten bereitet bei ethnischen Säuberungen regelmäßig auch der Nachweis des subjektiven Tatbestandes. Ziel der Maßnahmen ist typischerweise lediglich die Vertreibung, nicht aber die Zerstörung der Gruppe, ICJ Judgement Bosnia and Herzegovina v. Serbia and Montenegro, o. Fn. 235, Rn. 190; Schabas (2001a), S. 295; ders. (2009), S. 234; Buis, S. 149. 259 Salzman, S. 375; Spieker, S. 220; Heintze (2001), S. 233; Selbmann, S. 161; LK(-Jähnke), § 220 a StGB Rn. 11; Werle (2007), Rn. 692. Siehe auch Kayishema & Ruzindana Trial Judgement, o. Fn. 235, Rn. 116. 260 Akayesu Trial Judgement, o. Fn. 167, Rn. 507; Rutaganda Trial Judgement, o. Fn. 167, Rn. 53; Musema Trial Judgement, o. Fn. 235, Rn. 158; Stillschweig, S. 104; Planzer, S. 88 f.; Drost, S. 87; Nehemiah Robinson, S. 64; Triffterer(-Schabas), Art. 6 IStGH-Statut Rn. 21; Lehmler, S. 210; Bantekas / Nash / Mackarel, S. 104; Safferling (2001), S. 737; Schönke / Schröder(-Eser), § 220 a Rn. 4; Fronza (2003), S. 77; Selbmann, S. 163; Ambos (2004), S. 225; ders. (2005), S. 147; LK(-Jähnke), § 220 a StGB Rn. 11; Werle (2007), Rn. 694; Lippman, S. 412. 261 Akayesu Trial Judgement, o. Fn. 167, Rn. 508; Triffterer(-Schabas), Art 6 IStGH-Statut Rn. 22; Bantekas / Nash / Mackarel, S. 105; Safferling (2001), S. 737; Schabas (2009), S. 199 ff.; Selbmann, S. 164; Werle (2007), Rn. 690. Zu den Auswirkungen sexueller Gewalt auf die Fortpflanzungsfähigkeit Salzman, S. 375; Fröhlich-Gildhoff, S. 82; Askin (2001), S. 19; Corcoran, S. 213.

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Teil 2: Struktur und Folgen völkerrechtlicher Verbrechen

ee) Überführung von Kindern in eine andere Gruppe Die Überführung von Kindern unter 18 Jahren262 in eine andere Gruppe muss auf Dauer angelegt sein263 und zwangsweise erfolgen. Ausreichend ist der Einsatz psychischer Gewalt in Form von Drohungen oder Nötigungen.264 Auf den ersten Blick scheint diese Tatbestandsvariante eine Form des kulturellen Völkermordes zu pönalisieren.265 Dies würde allerdings im Widerspruch zur Entstehungsgeschichte stehen. Der kulturelle Genozid wurde bewusst nicht in die Völkermordkonvention aufgenommen.266 Handlungen, die nur darauf zielen, die soziale Identität der Gruppe zu zerstören, ohne gleichzeitig auch ihre körperliche Existenz zu bedrohen, sollten nicht als Genozid gelten. Art. 6 lit. e) IStGH-Statut stellt insoweit keine Ausnahme dar. Zwar soll auch eine kulturelle Entfremdung der Kinder verhindert werden, so dass die kulturelle Existenz der Gruppe mit geschützt ist.267 Entscheidend ist aber, dass die Überführung der Kinder den biologischen Fortbestand der Opfergruppe gefährdet. Ihre Nachkommen werden Teil der Tätergruppe. Eine Fortpflanzung in der eigenen Gruppe und damit das Nachwachsen einer neuen Generation wird verhindert. Die Opfergruppe droht auszusterben.268 c) Absicht, eine Gruppe als solche zu zerstören Völkermord ist ein Straftatbestand mit überschießender Innentendenz.269 Der Täter muss vorsätzlich und in der Absicht handeln, eine geschützte Gruppe als solche ganz oder teilweise zu zerstören. Entscheidend ist der Wille des Täters.270 Ein Elements of Crimes Art. 6 (e) Nr. 5. Selbmann, S. 164, Werle (2007), Rn. 697. 264 Elements of Crimes Fn. 5. Siehe auch Akayesu Trial Judgement, o. Fn. 167, Rn. 509; Musema Trial Judgement, o. Fn. 235, Rn. 159; Werle (2007), Rn. 699. 265 Siehe Fronza (1999), S. 127; dies. (2003), S. 79; Selbmann, S. 164; Werle (2007), Rn. 696. 266 Siehe Campell, S. 79 – 80, 87; Byron, S. 146; Dahm / Delbrück / Wolfrum (2002), S. 1082; Ambos (2008a), § 7 Rn. 142; Lippman, S. 413. 267 Siehe auch Planzer, S. 90; Lippman, S. 412; Hübner, S. 133; Ambos (2005), S. 148; Werle (2007), Rn. 697 sowie BGH 30. 4. 1999, BGHSt 45, 64, 81. 268 Drost, S. 124; Lehmler, S. 210; Lippman, S. 412; Dahm / Delbrück / Wolfrum (2002), S. 1081; Kreß (2006b), S. 484; Werle (2007), Rn. 697. Siehe auch Cryer / Friman / Robinson / Wilmshurst, S. 217 f.; Ambos (2008a), § 7 Rn. 142; Kolb, S. 81. 269 BVerfG 12. 12. 2000, NJW 2001, 1848, 1851; BGH 21. 2. 2001, NJW 2001, 2732, 2733; Vest, S. 483; Triffterer (2001a), S. 1422; ders. (2001c), S. 401; Cassese (2002a), S. 338; Dahm / Delbrück / Wolfrum (2002), S. 1082; MünchKomm(-Kreß), § 220 a StGB / § 6 VStGB Rn. 7; Selbmann, S. 168; Mangold, S. 64; Ambos (2008a), § 7 Rn. 151. 270 Umstritten ist allerdings, ob jeder Täter in eigener Person die Zerstörungsabsicht aufweisen muss, oder ob es zumindest bei ausführenden Tätern genügt, dass sie Kenntnis von der auf der kollektiven Ebene gegebenen Zerstörungsabsicht haben, siehe hierzu Prosecutor v. Al Bashir – Decision on the Prosecution’s Application for a Warrant of Arrest against Omar Hassan Al Bashir, PTC I, ICC-02 / 05-01 / 09-3, 4. 3. 2009, Rn. 139 mit Fn. 154. Vertiefend Ambos (2010), S. 833 ff. 262 263

B. Die Straftatbestände des IStGH-Statuts

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Vernichtungserfolg muss nicht eintreten. Auch wenn die genozidale Absicht aus objektiven Umständen, insbesondere aus Indizienbeweisen, hergeleitet werden kann,271 bereitet ihr Nachweis in der Praxis regelmäßig Schwierigkeiten.272 Durch diese Restriktion wird gewährleistet, dass der Völkermordtatbestand nicht inflationär gehandhabt und so bagatellisiert wird.273 Nur seltene Ausnahmesituationen verdienen dieses Label höchsten Unrechts. Der dolus specialis274 ist jedenfalls dann erfüllt, wenn es dem Täter darauf ankommt, die Gruppe biologisch oder physisch zu vernichten.275 Teilweise wird angenommen, dass es ausreiche, wenn die soziale Existenz der Gruppe, ihr kultureller Zusammenhalt, angegriffen wird.276 Fraglich ist aber, ob diese Auslegung mit der Entstehungsgeschichte der Genozidkonvention in Einklang zu bringen ist.277 Man könnte jedoch argumentieren, dass der Ausschluss des kulturellen Völkermordes lediglich verhindern sollte, dass auch Handlungen erfasst werden, bei denen kein Gruppenmitglied körperlich angegriffen wird. Die Restriktion be271 Prosecutor v. Jelisic´, Appeals Judgement, AC, IT-95-10-A, 5. 7. 2001, Rn. 47; Akayesu Trial Judgement, o. Fn. 167, Rn. 523; Kayishema & Ruzindana Trial Judgement, o. Fn. 235, Rn. 93; Gacumbtsi Trial Judgement, o. Fn. 240, Rn. 252; Muhimana Trial Judgement, o. Fn. 240, Rn. 496; Renzaho Trial Judgement, o. Fn. 235, Rn. 762; Prosecutor v. Rukundo, Judgement, TC II, ICTR-2001-70-T, 17. 2. 2009, Rn. 557; Nsengimana Trial Judgement, o. Fn. 235, Rn. 832; Bantekas / Nash / Mackarel, S. 102; Ambos (2008a), § 7 Rn. 153; Zahar / Sluiter, S. 173; Travis, S. 38. 272 Siehe Jelisic´ Appeals Judgement, o. Fn. 271, Rn. 53 – 55; Jelisic´ Trial Judgement, o. Fn. 221, Rn. 108; Akayesu Trial Judgement, o. Fn. 167, Rn. 523; Semanza Trial Judgement, oben 240, Rn. 313; Bagosora et al. Trial Judgement, o. Fn. 235, Rn. 2116; BGH 21. 2. 2001, NJW 2001, 2732, 2733; BayObLG 23. 5. 1997, NJW 1998, 392, 393; Hollweg, S. 986; Heintze (2001), S. 229; Ambos (2001b), S. 349; ders. (2008a), § 7 Rn. 153; Safferling (2001), S. 738; Selbmann, S. 185; Mennecke / Markusen, S. 299; Buis, S. 129; Škulic´, S. 224; Werle (2007), Rn. 718. Zur Bedeutung forensischer Beweise Klinkner, S. 449 ff. 273 Krstic´´ Appeals Judgement, o. Fn. 258, Rn. 37; Ratner / Abrams, S. 43 – 44; Safferling (2001), S. 739; Mennecke / Markusen, S. 296. 274 ICJ Judgement Bosnia and Herzegovina v. Serbia and Montenegro, o. Fn. 235, Rn. 187; Jelisic´ Appeals Judgement, o. Fn. 271, Rn. 45, 51; Al Bashir PTC, ICC-02 / 05-01 / 09-3, o. Fn. 270, Rn. 139; Jelisic´ Trial Judgement, o. Fn. 221, Rn. 108; Stakic´ Trial Judgement, o. Fn. 240, Rn. 526; Brdjanin Trial Judgement, o. Fn. 240, Rn. 695; Akayesu Trial Judgement, o. Fn. 167, Rn. 498; Prosecutor v. Kambanda, Trial Judgement, TC I, ICTR-97-23-S, 4. 9. 1998, Rn. 16; Prosecutor v. Serushago, Sentence, TC I, ICTR-98-39-S, 5. 2. 1999, Rn. 15; Gacumbtsi Trial Judgement, o. Fn. 240, Rn. 250; Muvunyi Trial Judgement, o. Fn. 235, Rn. 478; Planzer, S. 92; Ambos (2002a), S. 411; Ambos / Wirth (2001), S. 783; Bantekas / Nash / Mackarel, S. 102; Triffterer (2001c), S. 404; Schabas (2001b), S. 128; Cassese (2002a), S. 338; Fronza (2003), S. 81; Byron, S. 145; Buis, S. 129; Bummel / Selbmann, S. 64; Mangold, S. 64; Kolb, S. 85. 275 Krstic´ Trial Judgement, o. Fn. 221, Rn. 553; Ambos / Wirth (2001), S. 791; Ambos (2004), S. 236; Byron, S. 146. 276 BVerfG 12. 12. 2000, NJW 2001, 1848, 1850; BGH 30. 3. 1999, BGHSt 45, 64, 81; Ambos / Wirth (2001), S. 791; Werle (2007), Rn. 718; Ambos (2008a), § 7 Rn. 129 Rn. 157; Satzger (2010), § 16 Rn. 7. 277 Siehe die Fußnote 266 und dazugehörigen Text.

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Teil 2: Struktur und Folgen völkerrechtlicher Verbrechen

träfe lediglich den objektiven Tatbestand. Die Vernichtungsabsicht unterläge hingegen keinen Beschränkungen. Sie könnte auch dann bejaht werden, wenn der Täter lediglich die soziale Existenz der Gruppe zerstören will.278 Anerkannt ist diese Auslegung allerdings (noch) nicht.279 Vor allem die Ad-hoc-Tribunale vertreten einen restriktiveren Ansatz.280 Für die weitere Betrachtung ist allerdings die Feststellung ausreichend, dass es dem Täter darauf ankommen muss, die Gruppe – sei es biologisch-physisch oder sozial-kulturell – zu vernichten. Umstritten ist ferner, welche Anforderungen an die Zerstörung eines Gruppenteils zu stellen sind. Aus der Gleichstellung mit der Gruppe als ganze ist jedenfalls zu folgern, dass es sich nicht um einen unerheblichen Teil handeln darf.281 Dies ist jedenfalls quantitativ zu verstehen. Der Tatbestand ist erfüllt, wenn die Absicht auf die Zerstörung einer bedeutenden Anzahl von Gruppenmitgliedern gerichtet ist. Unter qualitativen Gesichtspunkten ist aber auch die Tötung der geistigen Führungsschicht einer Gruppe ausreichend.282

d) Gesamttaterfordernis? Die Verbrechenselemente stellen für alle Begehungsvarianten des Völkermordes ein zusätzliches Tatbestandserfordernis auf. Die Handlung muss entweder im Zusammenhang mit einem offensichtlichen Muster ähnlicher Verhaltensweisen, das gegen diese Gruppe gerichtet war, vorgenommen werden oder sie muss selbst ein Verhalten darstellen, dass die Vernichtung der Gruppe bewirken kann.283 Eine einAmbos / Wirth (2001), S. 792 – 793; Ambos (2008a), § 7 Rn. 157. Dagegen Barboza, S. 59; Ratner, 92 ASIL Proc. 1 (1998); Schabas (2009), S. 270 f.; Cryer / Friman / Robinson / Wilmshurst, S. 220. 280 Krstic´ Appeals Judgement, o. Fn. 258, Rn. 25; Krstic´ Trial Judgement, o. Fn. 221, Rn. 580; Kayishema & Ruzindana Trial Judgement, o. Fn. 235, Rn. 95; Semanza Trial Judgement, oben 240, Rn. 315; Gacumbtsi Trial Judgement, o. Fn. 240, Rn. 253; Muhimana Trial Judgement, o. Fn. 240, Rn. 497. Siehe auch ICJ Judgement Bosnia and Herzegovina v. Serbia and Montenegro, o. Fn. 235, Rn. 328. 281 ICJ Judgement Bosnia and Herzegovina v. Serbia and Montenegro, o. Fn. 235, Rn. 198; Prosecutor v. Krstic´ Appeals Judgement, o. Fn. 258, Rn. 8; Jelisic´ Trial Judgement, o. Fn. 221, Rn. 82; Kayishema & Ruzindana Trial Judgement, o. Fn. 235, Rn. 97; Bagilishema Trial Judgement, o. Fn. 240, Rn. 64; Semanza Trial Judgement, oben 240, Rn. 316; Bagosora et al. Trial Judgement, o. Fn. 235, Rn. 2115; Nehemiah Robinson, S. 62; Fronza (2003), S. 89; MünchKomm(-Kreß), § 220a / § 6 VStGB Rn. 74; ders. (2006b), S. 490; Hübner, S. 160; Ambos (2008a), § 7 Rn. 159; Kolb, S. 86. 282 Ausführlich Sikirica et al. – Judgement on Defence Motion to Acquit, TC III, IT-95-8-T, 3. 9. 2001, Rn. 63 – 86. Siehe auch ICJ Judgement Bosnia and Herzegovina v. Serbia and Montenegro, o. Fn. 235, Rn. 197 – 200; Jelisic´ Trial Judgement, o. Fn. 221, Rn. 82; Stakic´ Trial Judgement, o. Fn. 240, Rn. 526; Krstic´ Trial Judgement, o. Fn. 221, Rn. 582; Jescheck (1954), S. 213; Fronza (2003), S. 89; Lackner / Kühl, § 220 a StGB Rn. 3; Ratner / Abrams, S. 37; Schönke / Schröder(-Eser), § 220 a StGB Rn. 5; Tröndle / Fischer, § 220 StGB a Rn. 5; Werle (2007), Rn. 717. 278 279

B. Die Straftatbestände des IStGH-Statuts

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zelne Handlung kann hiernach also nur dann als Völkermord angesehen werden, wenn sie in einem übergeordneten Zusammenhang begangen wird. Die deutsche Rechtsprechung schränkt den Straftatbestand teilweise ähnlich ein, indem sie eine „strukturell organisierte Lenkung“ verlangt.284 Das Kontextelement wurde in die Verbrechenselemente integriert, um einer Trivialisierung des Straftatbestandes vorzubeugen. Isolierte Einzeltaten sollen nicht vom IStGH verfolgt werden.285 Dies ist allerdings eher eine Frage des Prozessrechts, nicht des materiellen Völkerstrafrechts. Der Ankläger des IStGH muss sich auf die Verfolgung der gravierendsten Verbrechen beschränken. Handlungen, die zwar den Tatbestand des Völkermordes erfüllen, aber nicht Teil einer Gesamtstrategie sind, werden in den seltensten Fällen schwerwiegend genug sein, um ein Tätigwerden des IStGH zu rechtfertigen. Ihre Ahndung soll den Nationalstaaten überlassen bleiben. Das Vorliegen eines Begehungszusammenhangs ist daher bei der Auswahl der zu verfolgenden Taten zu berücksichtigen.286 Art. 17 Abs. 1 lit. d) IStGH-Statut und Art. 53 Abs. 1 lit. c) IStGH-Statut räumen dem Ankläger insoweit einen hinreichenden Ermessensspielraum ein.287 Im Übrigen stellt sich die Frage, ob das Kontexterfordernis der Verbrechenselemente mit dem Statuttext im Einklang steht. Dem Wortlaut des Art. 6 kann eine solche Einschränkung nicht entnommen werden.288 Auch wenn faktisch häufig ein übergeordneter Begehungszusammenhang vorliegen wird,289 ist er rechtlich nicht erforderlich.290 Möglich ist daher auch die Tatbegehung durch einen Einzeltäter, der nicht in eine Gruppe integriert ist oder im Rahmen einer übergeordneten Strategie handelt.291 Die Verbrechenselemente schränken den Tatbestand gegenüber 283 Elements of Crimes Artt. 6 (a) Nr. 4; 6 (b) Nr. 4; 6 (c) Nr. 5; 6 (d) Nr. 5; 6 (e) Nr. 7. Zustimmend Kreß (2006b), S. 472; ders. (2009), S. 299. 284 BVerfG 12. 12. 2000, NJW 2001, 1848, 1850. 285 Siehe Oosterveld, S. 45. 286 Schabas (2001b), S. 138; Ambos / Wirth (2001), S. 790; Werle (2007), Rn. 705. 287 Siehe hierzu unten Teil 5 C. III. 3. d) und IV. 2. c). 288 Wexler, S. 662; Triffterer (2001c), S. 407; ders. (2001a), S. 1434; Ambos (2008a), § 7 Rn. 145. Siehe auch Schabas (2001b), S. 133. Kritisch insoweit schon zur Genozidkonvention Campell, S. 98. 289 Ambos / Wirth (2001), S. 789; Schabas (2001b), S. 133; Ambos (2005), S. 150; ders. (2008a), § 7 Rn. 145. Siehe auch Kayishema & Ruzindana Trial Judgement, o. Fn. 235, Rn. 94; Kreß (2009), S. 301. 290 Jelisic´ Trial Judgement, o. Fn. 221, Rn. 100 f.; Ambos / Wirth (2001), S. 790; Triffterer (2001c), S. 407; Ambos (2004), S. 228; ders. (2005), S. 150; ders. (2008a), § 7 Rn. 145; Satzger (2010), § 16 Rn. 14; Werle (2007), Rn. 703; Kolb, S. 84. Anderer Ansicht Schabas (2001b), S. 138. Differenzierend nach den verschiedenen Tatbestandsvarianten Cassese (2008), S. 140. 291 Jelisic´ Trial Judgement, o. Fn. 221, Rn. 100; Kayishema & Ruzindana Trial Judgement, o. Fn. 235, Rn. 94; Triffterer (2001a), S. 1434; Schönke / Schröder(-Eser), § 220 a StGB Rn. 6; SK(-Horn / Wolters), § 220 a StGB Rn. 3a; MünchKomm(-Kreß), § 220 a StGB / § 6 VStGB Rn. 78; Werle (2007), Rn. 702; Kolb, S. 84.

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dem IStGH-Statut unzulässig ein.292 Sie sind daher insoweit als nichtig zu betrachten.293 Trotz dieser Bedenken hat allerdings die Al Bashir Vorverfahrenskammer das Gesamttaterfordernis bestätigt und als notwenidge Voraussetzung eines Völkermordes angesehen.294

2. Geschützte Rechtsgüter Der dolus specialis ist das charakteristische Merkmal des Völkermordes und der entscheidende Unterschied zu anderen Delikten, wie Mord oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit.295 Das Wesentliche der Tat liegt weniger in den einzelnen Verletzungshandlungen, als vielmehr in der die völkerrechtliche Werteordnung missachtenden genozidalen Absicht des Täters.296 Das einzelne Opfer ist zwar das Angriffsobjekt. Es wird vom Täter aber nicht als individueller Mensch, sondern als Teil einer Gruppe, die vernichtet werden muss, wahrgenommen.297 Der Angriff auf den Einzelnen ist nur Mittel zur Erreichung dieses Ziels.298 Die Viktimisierung erfolgt nicht wegen individueller Merkmale oder Eigenschaften des Opfers, sondern vielmehr ausschließlich aufgrund seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe.299 In der Formulierung des Straftatbestandes wird dies durch den Passus Siehe Art. 9 Abs. 3 IStGH-Statut. Ambos / Wirth (2001), S. 790; Ambos (2004), S. 224; ders. (2005), S. 150; ders. (2008a), § 7 Rn. 145. Siehe auch Triffterer (2001c), S. 407; dens. (2001a), S. 1442; Hall (2003), S. 10; Werle (2007), Rn. 705. 294 Al Bashir PTC, ICC-02 / 05-01 / 09-3, o. Fn. 270, Rn. 125 ff. 295 ICJ Judgement Bosnia and Herzegovina v. Serbia and Montenegro, o. Fn. 235, Rn. 194; Jelisic´ Trial Judgement, o. Fn. 221, Rn. 66 – 67; Sikirica et al. Trial Judgement, o. Fn. 282 Rn. 89; Stakic´ Trial Judgement, o. Fn. 240, Rn. 520; Brdjanin Trial Judgement, o. Fn. 240, Rn. 695; Krstic´ Trial Judgement, o. Fn. 221, Rn. 561; Kambanda Trial Judgement, o. Fn. 274, Rn. 16; Kayishema & Ruzindana Trial Judgement, o. Fn. 235, Rn. 89, 91; Jescheck (1954), S. 195; Planzer, S. 92; Drost, S. 86 – 87; Nehemiah Robinson, S. 33; Ahlbrecht, S. 130; Ratner / Abrams, S. 36; Cassese (2002a), S. 339 – 340; Škulic´, S. 221. Siehe auch Church, S. 7; Fronza (1999), S. 127; Bungenberg, S. 172; Frulli, S. 332; Schabas (2001a), S. 295; ders. (2007), S. 94; Triffterer (2001c), S. 404; Retalis, S. 211; Bummel / Selbmann, S. 63; Meyer, S. 222; Zahar / Sluiter, S. 164. 296 Jelisic´ Trial Judgement, o. Fn. 221, Rn. 66; BGH 30. 4. 1999, BGHSt 45, 64, 80; Triffterer (1995), S. 189; Astrid Becker, S. 180; Robertson, S. 310; Werle (1999), S. 1184; Ambos (2002a), S. 410; Henzelin, S. 224; Dahm / Delbrück / Wolfrum (2002), S. 1073. 297 ICJ Judgement Bosnia and Herzegovina v. Serbia and Montenegro, o. Fn. 235, Rn. 193; BGH 30. 4. 1999, BGHSt 45, 64, 80; Drost, S. 81; Lackner / Kühl, § 220 a StGB Rn. 2; Ahlbrecht, S. 130; Lehmler, S. 212; Hübner, S. 104. Siehe auch Abo Youssef, S. 13. 298 Drost, S. 122; Schmidhäuser, 17 / 2; Gil Gil, S. 396; Ambos (2008a), § 7 Rn. 130. 299 Jelisic´ Trial Judgement, o. Fn. 221, Rn. 66; Krstic´ Trial Judgement, o. Fn. 221, Rn. 561; Blagojevic´ & Jokic´ Trial Judgement, o. Fn. 240, Rn. 669; Akayesu Trial Judgement, o. Fn. 167, Rn. 521; Musema Trial Judgement, o. Fn. 235, Rn. 165; Bagilishema Trial Judgement, o. Fn. 240, Rn. 61; Prosecutor v. Karera, Trial Judgement, TC I, ICTR-01-74-T, 7. 12. 2007, Rn. 534; Rukundo Trial Judgement, o. Fn. 271, Rn. 556; BGH 30. 4. 1999, BGHSt 45, 292 293

B. Die Straftatbestände des IStGH-Statuts

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„Zerstörung der Gruppe als solche“ zum Ausdruck gebracht.300 Die fehlende Individualisierung des Opfers stellt das besondere Unrechtsmerkmal des Genozids dar und begründet die völkerrechtliche Relevanz der Tat.301 Primäres Opfer des Völkermordes ist die Gruppe selbst.302 Geschützt wird ihr kollektives Existenzrecht.303 Ob der Völkermordtatbestand darüber hinaus auch den Schutz von Individualinteressen bezweckt, ist umstritten. Nach Auffassung des BGH dient §§ 220a StGB a.F.304 / 1 VStGB ausschließlich dem Schutz kollektiver Rechtsgüter. Eine darüber hinausgehende individualschützende Wirkung wurde verneint.305 Auch einige Stimmen in der Literatur führen als geschütztes Rechtsgut ausschließlich das Existenzrecht der Gruppe an,306 teilweise allerdings ohne die Frage nach dem Individualrechtsgüterschutz aufzuwerfen. Ebenso stellt das ICTR im Akayesu-Urteil den Schutz des Kollektivs heraus, ohne auf eine mögliche individualschützende Komponente des Völkermordtatbestands einzugehen.307 In diesem Absatz befasst sich das ICTR allerdings mit den unterschiedlichen Schutzrichtungen von Völkermord, 64, 80; Lemkin, S. 147; Jescheck (1954), S. 199; Lehmler, S. 212; Heintze (2001), S. 229; Aptel, S. 279; Triffterer (2001a), S. 1426; Ambos (2004), S. 241; ders. (2008a), § 7 Rn. 130; Mangold, S. 64; Werle (2007), Rn. 664; Kolb, S. 85. Siehe auch Al Bashir PTC, ICC-02 / 05-01 / 09-3, o. Fn. 270, Rn. 114. 300 Blagojevic´ & Jokic´ Trial Judgement, o. Fn. 240, Rn. 669; Barboza, S. 58; Vest, S. 356; Aptel, S. 280; Akhavan (2005a), S. 1003. 301 BGH 30. 4. 1999, BGHSt 45, 64, 80; Planzer, S. 78 – 79; Jesckeck (1954), S. 200; Selbmann, S. 156; SK(-Horn / Wolters), § 220 a StGB Rn. 1c. 302 ICJ Judgement Bosnia and Herzegovina v. Serbia and Montenegro, o. Fn. 235, Rn. 194; Krstic´ Trial Judgement, o. Fn. 221, Rn. 553; Sikirica et al. Trial Judgement, o. Fn. 282, Rn. 89; Brdjanin Trial Judgement, o. Fn. 240, Rn. 699; Muvunyi Trial Judgement, o. Fn. 235, Rn. 484; Barboza, S. 60; Byron, S. 153; Akhavan (2005a), S. 1003; Ambos (2006), S. 111. 303 Reservation to the Convention on the Prevention and Punishment of Genocide, Advisory Opinion, ICJ Reports 1951, 15, 23; Krstic´ Trial Judgement, o. Fn. 221, Rn. 553; Musema Trial Judgement, o. Fn. 235, Rn. 165; BVerfG 12. 12. 2000, NStZ 2001, 240, 241; BGH 30. 4. 1999, BGHSt 45, 64, 80; Tribunal Supremo 25. 2. 2004, sentencia sobre el caso Guatemala pro genocidio, voto particular, 42 ILM 703, 704 (2003); Lemkin, S. 147; Drost, S. 81; Nehemiah Robinson, S. 58; Planzer, S. 78; Schmidhäuser, 17 / 2; Triffterer (1998), S. 347; Lüder (1998), S. 111; Ambos (2002a), S. 408; ders. (2008a), § 7 Rn. 129; Stahn (1999), S. 346; Werle (1999), S. 1184; Gil Gil, S. 393; Heintze (2001), S. 229; Eser (2001), S. 16; Safferling (2001), S. 738; Vest, S. 476: MünchKomm(-Kreß), 218, 222; Schönke / Schröder(-Eser), § 220 a StGB Rn. 3; LK(-Jähnke),§ 220 a StGB Rn. 9; Werle (2007), Rn. 661. 304 § 220a StGB a.F. wurde durch Art. 2 des Gesetzes zur Einführung des Völkerstrafgesetzbuches VStGB vom 26. 6. 2002 aufgehoben, BGBl. 2002 I 2254, 2258. An seine Stelle trat § 6 VStGB. 305 BGH 30. 4. 1999, BGHSt 45, 64, 80. 306 Gil Gil, S. 393; Lackner / Kühl, § 220 a StGB Rn. 1; Lagodny, S. 803; Schönke / Schröder(-Eser), § 220 StGB a Rn. 3; Tröndle / Fischer, § 220 a StGB Rn. 2; LK(-Jähnke), § 220 a StGB Rn. 8; Hübner, S. 104. 307 Akayesu Trial Judgement, o. Fn. 167, Rn. 469.

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Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen. Die Beeinträchtigung von Individuen ist bei allen Tatbeständen vergleichbar, der Unterschied liegt im kollektiven Rechtsgüterschutz. Daher können diese Ausführungen nicht dahingehend verstanden werden, dass das ICTR eine auch individualrechtsgüterbezogene Schutzrichtung des Völkermordtatbestandes verneint hat. Der Tatbestand des Völkermordes kann nicht ohne massive Individualrechtsgutsverletzungen verwirklicht werden. Der objektive Tatbestand beinhaltet immer einen Angriff auf elementare Rechtsgüter des Einzelnen – namentlich auf die Würde, das Leben, die körperliche Integrität, die Freiheit oder das Recht auf Ehe und Familie.308 Der kulturelle Völkermord, dessen Verwirklichung ohne einen Angriff auf ein individuelles Opfer denkbar ist, wurde bewusst nicht in die Völkermordkonvention aufgenommen. Auch die Überführung von Kindern in eine andere Gruppe kann nicht ohne eine Verletzung von Individualrechtsgütern verwirklicht werden, da sie gewaltsam erfolgen muss. Die Betroffenen werden in ihrem Recht auf körperliche Unversehrtheit, Freiheit der Person oder der Willensbildung verletzt. Zudem verletzt die dem Verbrechen des Völkermordes innewohnende Entpersonalisierung die Opfer in ihrer Würde.309 Die Kollektivierung der Opfer durch den Täter darf nicht dazu führen, dass auch die Rechtsordnung die Verletzten nicht in ihrer Einzigartigkeit wahrnimmt.310 Zentrales Schutzgut von Art. 6 IStGH-Statut ist die Existenz der geschützten Gruppen. Mittelbar werden aber auch elementare Individualrechtsgüter der einzelnen Gruppenmitglieder geschützt.311 Hinzu tritt eine internationale Komponente. Völkermord ist das gravierendste Verbrechen im Völkerstrafrecht, the crime of crimes.312 Betroffen sind nicht nur Täter und Opfer. Vielmehr werden das Gewissen und das Sicherheitsgefühl der gesamten Staatengemeinschaft erschüttert.313 Diese können sich zum Eingreifen gezwungen sehen. Geschützt wird daher auch das kollektive Rechtsgut des internationalen Friedens.314

Siehe auch Triffterer (2001a), S. 1433. Siehe Dahm / Delbrück / Wolfrum (2002), S. 1086; Werle (2007), Rn. 665; Satzger (2010), § 16 Rn. 7. 310 So auch MünchKomm(-Kreß), § 220 a StGB / § 6 VStGB Rn. 2. 311 Individualschützende Wirkung bejahen auch Planzer, S. 78; Fronza (1999), S. 118; Stahn (1999), S. 347; Heintze (2001), S. 227; Eser (2001), S. 16; Triffterer (2001a), S. 1433; Tomuschat (2002b), S. 329; MünchKomm(-Kreß), § 220 a StGB / § 6 VStG Rn. 2; Ambos (2006), S. 112; ders. (2008a), § 7 Rn. 130; Werle (2007), Rn. 665; Satzger (2010), § 16 Rn. 7. Siehe auch SK(-Horn / Wolters), § 220 a StGB Rn. 1 c, denen zufolge das einzelne Gruppenmitglied nur „nicht vorrangig“ geschützt werden soll. 312 Kambanda Trial Judgement, o. Fn. 274, Rn. 16; Serushago Trial Judgement, o. Fn. 274, Rn. 15; Bantekas / Nash / Mackarel, S. 101; Roger S. Clark (1998) S. 93; Safferling (2001), S. 736; Vest, S. 475; Schabas (2001b), S. 139; Ambos (2005), S. 140; Kreß (2006b), S. 464. Siehe auch Bungenberg, S. 172; Kremnitzer / Cohen, S. 328; Meyer, S. 218. 313 Präambel der Völkermordkonvention. Siehe auch Krstic´ Appeals Judgement, o. Fn. 258, Rn. 36; Bungenberg, S. 172; Kürs¸at-Ahlers, S. 206. 308 309

B. Die Straftatbestände des IStGH-Statuts

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3. Ergebnis Der objektive Tatbestand des Völkermordes besteht aus einem erheblichen Angriff auf die physische oder psychische Identität und Integrität eines Menschen. Entscheidend für die völkerrechtliche Relevanz der Tat ist aber die subjektive Zielsetzung und damit der Angriff auf das Kollektiv. Geschützt wird primär das Existenzrecht der Gruppe als solche. Der Schutzbereich erstreckt sich aber auch – gleichsam als Reflex – auf elementare Rechtsgüter der einzelnen Gruppenmitglieder sowie den Weltfrieden als Rechtsgut der internationalen Gemeinschaft.

III. Verbrechen gegen die Menschlichkeit, Artt. 5 Abs. 1 lit. b); 7 IStGH-Statut Die Verbrechen gegen die Menschlichkeit haben sich aus den Kriegsverbrechen entwickelt.315 Auch wenn ihr Kernbestand zum Völkergewohnheitsrecht316 gehört, war ihre Ausgestaltung im Detail bei der Konferenz von Rom noch umstritten. Im Vergleich zu seinen direkten Vorgängernormen317 hat Art. 7 IStGH-Statut, vor allem mit Blick auf die umfangreichen Definitionen in Abs. 2, eine erhebliche Konkretisierung und Ergänzung erfahren.

1. Tatbestandliche Voraussetzungen Der Tatbestand der Verbrechen gegen die Menschlichkeit lässt sich in zwei Teile gliedern: in die gegen Individuen gerichteten Einzeltaten und den Gesamtakt, dem ausgedehnten oder systematischen Angriff gegen die Zivilbevölkerung.318

a) Einzelakte Die elf aufgezählten Humanitätsverbrechen lassen sich in unmenschliche Handlungen einerseits und Akte der Verfolgung andererseits einteilen.319 Zur ersten 314 Planzer, S. 82; Triffterer (2001a), S. 1419; Vest, S. 476; Tomuschat (2002b), S. 329; MünchKomm(-Kreß), § 220 a StGB / § 6 VStGB, Rn. 4; ders. (2006b), S. 465; Werle (2007), Rn. 86; Ambos (2008a), § 5 Rn. 3. 315 Prosecutor v. Tadic´, Trial Judgement, TC II, IT-94-1-T, 7. 5. 1997, Rn. 620; Bassiouni (1999), S. 60 – 61; Triffterer(-Hall), Art. 7 IStGH-Statut Rn. 1; Ambos / Wirth (2002), S. 4; Werle (2007), Rn. 745. 316 Siehe hierzu Bock / Preis, S. 149 ff. 317 Artt. 5 ICTY-Statut; 3 ICTR-Statut. 318 Politi (1999), S. 831; Vest, S. 462; Amobs / Wirth (2002), S. 2; Werle / Jeßberger, S. 728; Werle (2008), S. 113; ders. (2007), Rn. 753.

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Teil 2: Struktur und Folgen völkerrechtlicher Verbrechen

Gruppe gehören Tötung, Ausrottung, Versklavung, Folter, Freiheitsentziehung, verschiedene, nicht abschließend aufgezählte320 Formen sexueller Gewalt, zwangsweises Verschwindenlassen von Personen und andere unmenschliche Handlungen als Auffangtatbestand321. Dieser erfasst beispielsweise Experimente an Menschen322 oder die Nötigung, das eigene Fleisch zu essen323. Zudem unterfällt seinem Schutzbereich das psychische Leid, das einem Dritten dadurch zugefügt wird, dass er Gewalthandlungen gegen ihm nahestehende Personen beobachten muss.324 Der Verfolgungstyp umfasst Akte der Vertreibung und der Verfolgung sowie das Verbrechen der Apartheid. Beide Kategorien überschneiden sich, da Akte der Verfolgung typischerweise auch zur Verletzung oder Tötung der verfolgten Personen führen.325

b) Ausgedehnter oder systematischer Angriff Nicht jede unmenschliche Handlung ist ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit.326 Voraussetzung ist vielmehr, dass die Handlung Teil eines ausgedehnten oder – alternativ327 – systematischen Angriffs gegen die Zivilbevölkerung ist.328 319 Vest, S. 461 – 462; Werle (2007), Rn. 784. Siehe auch Witschel / Rückert (2001b), S. 107; Meseke, S. 176. 320 Askin (2000), S. 60; Werle (2007), Rn. 848; Kolb, S. 108; Satzger (2010), § 16 Rn. 47. 321 Prosecutor v. Milutinovic´ et al., Judgement, Part I, TC, 26. 2. 2009, IT-05-87-T, Rn. 142; Kayishema & Ruzindana Trial Judgement, o. Fn. 235, Rn. 150; Prosecutor v. Fofana & Kondewa, Trial Judgement, TC I, SCSL-04-14-T, 2. 8. 2007, Rn. 149; Bagosora et al. Trial Judgement, o. Fn. 235, Rn. 2218; Public Prosecutor v. Umbertus Ena & Carlos Ena, Trial Judgement, SPET 5 / 2002, 23. 3. 2004, Rn. 86; Drost, S. 185; Irmscher, S. 476; Ambos (1999c), S. 193; Askin (1999), S. 49; Politi (1999), S. 832; Darryl Robinson (1999), S. 56; Seidel / Stahn, S. 18; Triffterer(-Boot rev. by Hall), Art. 7 IStGH-Statut Rn. 80; Blanke / Molitor, S. 155; Witschel / Rückert (2001b), S. 107; McCormack, S. 200; Cryer / Friman / Robinson / Wilmshurst, S. 265; Werle (2007), Rn. 881; Ambos (2008a), § 7 Rn. 212; Satzger (2010), § 16 Rn. 51. 322 Drost, S. 185; Bassiouni (1999), S. 338; Triffterer (1998), S. 342; Darryl Robinson (1999), S. 56; Roger S. Clark (1998), S. 88; Ambos / Wirth (2002), S. 83; König, S. 239; Ambos (2008a), § 7 Rn. 219. 323 Ena Trial Judgement, o. Fn. 321, SPET 5 / 2002, 23. 3. 2004, Rn. 90. 324 Kayishema & Ruzindana Trial Judgement, o. Fn. 235, Rn. 153. 325 Roger S. Clark (1998) S. 76. 326 Brdjanin Trial Judgement, o. Fn. 240, Rn. 132, 995; Astrid Becker, S. 114; Sunga, S. 70; Lehmler, S. 191; Bantekas / Nash / Mackarel, S. 127. 327 Prosecutor v. Bemba Gombo – Decision Pursuant to Article 67(7)(a) and (b) of the Rome Statute on the Charges of the Prosecutor Against Jean-Pierre Bemba Gombo, PTC II, ICC-01 / 05-01 / 08-424, 15. 6. 2009, Rn. 82; Jelisic´ Trial Judgement, o. Fn. 221, Rn. 53; Brdjanin Trial Judgement, o. Fn. 240, Rn. 135; Semanza Trial Judgement, oben 240, Rn. 328; Milutinovic´ et al. Trial Judgement, o. Fn. 321, Rn. 150; Prosecutor v. Lukic´ & Lukic´, Judgement, TC, IT-98-32 / 1-T, Rn. 875; Prosecutor v. Brima et al., Trial Judgement, TC II, SCSL-04-16-T, 20. 6. 2007, Rn. 215; Renzaho Trial Judgement, o. Fn. 235, Rn. 783; Rukundo

B. Die Straftatbestände des IStGH-Statuts

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Angriff ist nach Art. 7 Abs. 2 lit. a) IStGH-Statut eine Verhaltensweise, die mit der mehrfachen Begehung der Einzelakte verbunden ist. Er muss zudem in Ausführung oder Unterstützung der Politik eines Staates oder einer Organisation erfolgen. Nicht erforderlich ist das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts. Der Tatbestand kann vielmehr auch in Friedenszeiten erfüllt werden.329 Vereinzelte, isolierte Gewaltakte sind allerdings nicht tatbestandsmäßig.330 Der Angriff ist gegen die Zivilbevölkerung gerichtet, wenn diese das primäre Angriffsziel ist.331 Der Täter kann auch gegen seine eigenen Staatsangehörigen vorgehen.332 Das Merkmal „ausTrial Judgement, o. Fn. 271, Rn. 578; Nsengimana Trial Judgement, o. Fn. 235, Rn. 843; Fofana & Kondewa Trial Judgement, o. Fn. 321, Rn. 112; Politi (1999), S. 831; ders. (2001), S. 10; Wexler, S. 664; Rückert / Witschel, S. 71; Arnò / Caligiuri, S. 112; Cryer / Friman / Robinson / Wilmshurst, S. 243; Mangold, 70; Kolb, S. 99. Siehe auch Al-Dujail Lawsuit, TC, IHT Case nr. 1 / 9 First / 2005, 5. 11. 2006, Teil 2 S. 9. 328 Siehe auch Bemba Gombo PTC, ICC-01 / 05-01 / 08-424, o. Fn. 327, Rn. 84; Prosecutor v. Kunarac et al., Trial Judgement, TC I, IT-96-23-T & IT-96-23 / 1-T, 22. 2. 2001, Rn. 418; Prosecutor v. Haradinaj et al., Trial Judgement, TC I, IT-04-84-T, 3. 4. 2008, Rn. 108; Lukic´ & Lukic´ Trial Judgement, o. Fn. 327, Rn. 876; Kayishema & Ruzindana Trial Judgement, o. Fn. 235, Rn. 135; Bagilishema Trial Judgement, o. Fn. 240, Rn. 82; Brima et al. Trial Judgement, o. Fn. 327, Rn. 220. 329 Siehe auch Fofana & Kondewa Trial Judgement, o. Fn. 321, Rn. 111; Sunga, S. 70; Tomuschat (1998), S. 338; Kaul (1998b), S. 127; Arsanjani (1999c), S. 31; Barboza, S. 60; Condorelli (1999), S. 10; Politi (1999), S. 831; Meron (1999), S. 49; von Hebel / Robinson, Darryl, S. 92; Darryl Robinson (1999), S. 46; Wexler, S. 664; Spieker, S. 221; Wedgwood (1999), S. 94; Safferling (2000), S. 166; Blanke / Molitor, S. 154; Frulli, S. 334; Darryl Robinson (2001b), S. 74; Rückert / Witschel, S. 71; Schabas (2001a), S. 299; Amobs / Wirth (2002), S. 20; Zimmermann (2002c), S. 39; Arnò / Caligiuri, S. 107; König, S. 258; Fenrick (2004), S. 3; McCormack, S. 184 – 185; Proulx, S. 1067; Kreß / Wannek, S. 233; Cryer / Friman / Robinson / Wilmshurst, S. 236; Mangold, S. 67; Werle (2007), Rn. 764; Ambos (2008a), § 7 Rn. 182. Siehe auch Milutinovic´ et al. Trial Judgement, o. Fn. 321, Rn. 146. 330 Prosecutor v. Harun & Kushayb – Decision on the Prosecution Application under Article 58(7) of the Statute, PTC I, ICC-02 / 05-01 / 07-1, 27. 4. 2007, Rn. 62; Prosecutor v. Katanga & Ngudjolo – Decision on the confirmation of charges, PTC I, ICC-01 / 04-01 / 07-717, 1. 10. 2008, Rn. 394; Bemba Gombo PTC, ICC-01 / 05-01 / 08-424, o. Fn. 327, Rn. 81; Prosecutor v. Blaškic´, Appeals Chamber, AC, IT-95-14-A, 29. 7. 2004, Rn. 101; Tadic´ Trial Judgement, o. Fn. 315, Rn. 644; Kunarac Trial Judgement, o. Fn. 328, Rn. 427; Prosecutor v. Vasiljevic´, Trial Judgement, TC I, IT-98-32-T, 29. 11. 2002, Rn. 33; Blagojevic´ & Jokic´ Trial Judgement, o. Fn. 240, Rn. 547; Prosecutor v. Mrkšiç et al., Trial Judgement, TC II, IT-95-13 / 1-T, 27. 9. 2007, Rn. 438; Lukic´ & Lukic´ Trial Judgement, o. Fn. 327, Rn. 892; Brima et al. Trial Judgement, o. Fn. 327, Rn. 215; Barboza, S. 60; Politi (1999), S. 831; ders. (2001), S. 10; Darryl Robinson (1999), S. 51; Triffterer(-Dixon rev. by Hall), Art. 7 IStGHStatut Rn. 13; Frulli, S. 334; Vest, S. 463; Amobs / Wirth (2002), S. 20; König, S. 261; Meseke, S. 148; Ambos (2005), S. 176; ders. (2008a), § 7 Rn. 182; Cassese (2008), S. 98. 331 Bemba Gombo PTC, ICC-01 / 05-01 / 08-424, o. Fn. 327, Rn. 76; Kunarac et al., Appeals Judgement, AC, IT-96-23&IT-96-23 / 1-A, 12. 6. 2002, Rn. 91; Prosecutor. Mrkšic´ & Šlijivanc´anin, Appeals Judgement, AC, IT-95-13 / 1-A, 5. 5. 2009, Rn. 30; Kunarac Trial Judgement, o. Fn. 328, Rn. 421; Vasiljevic´ Trial Judgement, o. Fn. 330, Rn. 33; Prosecutor v. Martic´, Trial Judgement, TC I, IT-95-11-T, 12. 6. 2007, Rn. 49; Haradinaj et al. Trial Judgement, o. Fn. 328, Rn. 106; Milutinovic´ et al. Trial Judgement, o. Fn. 321, Rn. 149; Lukic´ & Lukic´ Trial Judgement, o. Fn. 327, Rn. 874; Ambos (2008a), § 7 Rn. 189.

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Teil 2: Struktur und Folgen völkerrechtlicher Verbrechen

gedehnt“ ist quantitativ zu verstehen. Kennzeichnend ist eine große Anzahl an Opfern.333 Entscheidendes Merkmal des systematischen Angriffs ist hingegen seine Qualität und damit sein Organisationsgrad.334

332 Tadic´ Trial Judgement, o. Fn. 315, Rn. 635; Kunarac Trial Judgement, o. Fn. 328, Rn. 423; Vasiljevic´ Trial Judgement, o. Fn. 330, Rn. 33; Mrkšiç Trial Judgement, o. Fn. 330, Rn. 441; Brima et al. Trial Judgement, o. Fn. 327, Rn. 216; Fofana & Kondewa Trial Judgement, o. Fn. 321, Rn. 114; Dahm / Delbrück / Wolfrum (2002), S. 1089; Ambos (2004), S. 245; ders. (2005), S. 174; ders. (2008a), § 7 Rn. 193; Bassiouni (2005), S. 711; Cryer / Friman / Robinson / Wilmshurst, S. 241. Siehe auch Katanga & Ngudjolo PTC, ICC-01 / 04-01 / 07-717, o. Fn. 330, Rn. 399; Bemba Gombo PTC, ICC-01 / 05-01 / 08-424, o. Fn. 327, Rn. 76. 333 Harun & Kushayb PTC, ICC-02 / 05-01 / 07-1, o. Fn. 330, Rn. 62; Katanga & Ngudjolo PTC, ICC-01 / 04-01 / 07-717, o. Fn. 330, Rn. 394; Bemba Gombo PTC, ICC-01 / 05-01 / 08-424, o. Fn. 327, Rn. 83; Al Bashir PTC, ICC-02 / 05-01 / 09-3, o. Fn. 270, Rn. 81; Blaškic´ Appeals Judgement, o. Fn. 330, Rn. 101; Tadic´ Trial Judgement, o. Fn. 315, Rn. 648; Kunarac Trial Judgement, o. Fn. 328, Rn. 428; Vasiljevic´ Trial Judgement, o. Fn. 330, Rn. 35; Blagojevic´ & Jokic´ Trial Judgement, o. Fn. 240, Rn. 545; Martic´ Trial Judgement, o. Fn. 331, Rn. 49; Mrkšiç Trial Judgement, o. Fn. 330, Rn. 437; Haradinaj et al. Trial Judgement, o. Fn. 328, Rn. 105; Milutinovic´ et al. Trial Judgement, o. Fn. 321, Rn. 150; Lukic´ & Lukic´ Trial Judgement, o. Fn. 327, Rn. 875; Kayishema & Ruzindana Trial Judgement, o. Fn. 235, Rn. 123; Prosecutor v. Elizaphan & Gérard Ntakirutimana, TC I, ICTR-96-10 & ICTR-96-17-T, 21. 2. 2003, Rn. 804; Semanza Trial Judgement, oben 240, Rn. 329; Gacumbtsi Trial Judgement, o. Fn. 240, Rn. 299; Muhimana Trial Judgement, o. Fn. 240, Rn. 527; Karera Trial Judgement, o. Fn. 299, Rn. 551; Fofana & Kondewa Trial Judgement, o. Fn. 321, Rn. 112; Renzaho Trial Judgement, o. Fn. 235, Rn. 782; Rukundo Trial Judgement, o. Fn. 271, Rn. 578; Nsengimana Trial Judgement, o. Fn. 235, Rn. 843; Al-Dujail Lawsuit Trial Judgement, o. Fn. 327, Teil 2 S. 10; Sunga, S. 61; Politi (1999), S. 831; ders. (2001), S. 10; Darryl Robinson (1999), S. 48; Triffterer(-Dixon rev. by Hall), Art. 7 IStGH-Statut Rn. 11; Amobs / Wirth (2002), S. 17; de Than / Shorts, Rn. 5 – 005; BMJ, S. 41; Meseke, S. 134; Ambos (2004), S. 242; ders. (2005), S. 171; ders. (2008a), § 7 Rn. 184; Cryer / Friman / Robinson / Wilmshurst, S. 236; Mangold, S. 70; Werle (2007), Rn. 767; Kolb, S. 98. 334 Harun & Kushayb PTC, ICC-02 / 05-01 / 07-1, o. Fn. 330, Rn. 62; Katanga & Ngudjolo PTC, ICC-01 / 04-01 / 07-717, o. Fn. 330, Rn. 394, 397; Al Bashir PTC, ICC-02 / 05-01 / 09-3, o. Fn. 270, Rn. 81; Blaškic´ Appeals Judgement, o. Fn. 330, Rn. 101; Tadic´ Trial Judgement, o. Fn. 315, Rn. 648; Prosecutor v. Blaškic´, Trial Judgement, TC I, IT-95-14-T, 3. 3. 2000, Rn. 203; Vasiljevic´ Trial Judgement, o. Fn. 330, Rn. 35; Blagojevic´ & Jokic´ Trial Judgement, o. Fn. 240, Rn. 545; Stakic´ Trial Judgement, o. Fn. 240, Rn. 239; Kunarac Trial Judgement, o. Fn. 328, Rn. 429; Martic´ Trial Judgement, o. Fn. 331, Rn. 49; Mrkšiç Trial Judgement, o. Fn. 330, Rn. 437; Haradinaj et al. Trial Judgement, o. Fn. 328, Rn. 105; Milutinovic´ et al. Trial Judgement, o. Fn. 321, Rn. 150; Lukic´ & Lukic´ Trial Judgement, o. Fn. 327, Rn. 875; Kayishema & Ruzindana Trial Judgement, o. Fn. 235, Rn. 123; Elizaphan & Gérard Ntakirutimana Trial Judgement, o. Fn. 333, Rn. 804; Semanza Trial Judgement, oben 240, Rn. 329; Muhimana Trial Judgement, o. Fn. 240, Rn. 527; Karera Trial Judgement, o. Fn. 299, Rn. 551; Renzaho Trial Judgement, o. Fn. 235, Rn. 782; Rukundo Trial Judgement, o. Fn. 271, Rn. 578; Nsengimana Trial Judgement, o. Fn. 235, Rn. 849; Fofana & Kondewa Trial Judgement, o. Fn. 321, Rn. 112; Nsengimana Trial Judgement, o. Fn. 235, Rn. 843; Al-Dujail Lawsuit Trial Judgement, o. Fn. 327, Teil 2 S. 10; Sunga, S. 70; Politi (1999), S. 831; ders. (2001), S. 10; Darryl Robinson (1999), S. 50; Triffterer(-Dixon rev. by Hall), Art. 7 IStGH-Statut Rn. 11; Amobs / Wirth (2002), S. 20; de Than / Shorts, Rn. 5 – 005; BMJ, S. 41; Meseke, S. 134; Ambos (2004), S. 243; ders. (2008a), § 7 Rn. 184; Proulx, S. 1073;

B. Die Straftatbestände des IStGH-Statuts

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2. Geschützte Rechtsgüter Alle Einzelakte stellen eine schwere Verletzung von Menschenrechten dar. Geschützt werden die elementaren Individualrechtsgüter Leben, körperliche Integrität, Gesundheit, sexuelle Selbstbestimmung, Freiheit und Würde.335 Trotz dieser grundsätzlich individuellen Schutzrichtung der Einzelakte weisen bereits einige von ihnen kollektive Bezüge auf.

a) Ausrottung Zwischen Tötung und Ausrottung besteht ein quantitativer Unterschied. Die Tötung kann sich gegen ein einzelnes Opfer richten. Eine Ausrottung liegt hingegen grundsätzlich nur dann vor, wenn sich die Tat gegen eine Vielzahl von Zivilisten richtet.336 Die Tötung eines einzelnen Menschen durch einen bestimmten Täter ist nur dann als Ausrottung zu werten, wenn sie im Rahmen einer Massentötung erfolgt.337 Ein Angriff auf ein individuelles Opfer ist nicht ausreichend. Auch der Einzelakt muss sich bei dieser Tatvariante gegen ein Opferkollektiv richten.338 Im Gegensatz zum Völkermord muss die Gruppe allerdings nicht homogen und durch ein bestimmtes Merkmal verbunden sein.339 Nach der Legaldefinition Cryer / Friman / Robinson / Wilmshurst, S. 236; Mangold, S. 70; Werle (2007), Rn. 765; Kolb, S. 99. 335 Prosecutor v. Erdemovic´, Trial Judgement, TC I, IT-96-22-T, 29. 11. 1996, Rn. 27 – 28; Stahn (1999), S. 347; Gil Gil, S. 382; Safferling (2000), S. 165; Meseke, S. 126; Werle (2007), Rn. 754; Ambos (2008a), § 7 Rn. 173; Satzger (2010), § 16 Rn. 32. 336 Krstic´ Trial Judgement, o. Fn. 221, Rn. 498; Vasiljevic´ Trial Judgement, o. Fn. 330, Rn. 388; Brdjanin Trial Judgement, o. Fn. 240, Rn. 691; Blagojevic´ & Jokic´ Trial Judgement, o. Fn. 240, Rn. 571; Martic´ Trial Judgement, o. Fn. 331, Rn. 62; Lukic´ & Lukic´ Trial Judgement, o. Fn. 327, Rn. 937 – 938; Akayesu Trial Judgement, o. Fn. 167, Rn. 591; Kayishema & Ruzindana Trial Judgement, o. Fn. 235, Rn. 142; Elizaphan & Gérard Ntakirutimana Trial Judgement, o. Fn. 333 Rn. 814; Semanza Trial Judgement, oben 240, Rn. 340; Gacumbtsi Trial Judgement, o. Fn. 240, Rn. 309; Karera Trial Judgement, o. Fn. 299, Rn. 552; Bagosora et al. Trial Judgement, o. Fn. 235, Rn. 2191; Brima et al. Trial Judgement, o. Fn. 327, Rn. 683; Rukundo Trial Judgement, o. Fn. 271, Rn. 586; Barboza, S. 61; Bassiouni (1999), S. 302; Triffterer(-Hall), Art. 7 IStGH-Statut Rn. 25; Roger S. Clark (1998), S. 83; Darryl Robinson (2001a), S. 83; de Than / Shorts, Rn. 5 – 012; Meseke, S. 182; Retalis, S. 215; Cassese (2008), S. 109; Cryer / Friman / Robinson / Wilmshurst, S. 246; Kolb, S. 102. 337 Elements of Crimes Art 7 (1) (b) Nr. 2. Siehe auch Kayishema & Ruzindana Trial Judgement, o. Fn. 235, Rn. 147; Brima et al. Trial Judgement, o. Fn. 327, Rn. 684; Darryl Robinson (2001a), S. 83; Triffterer(-Hall), Art. 7 IStGH-Statut Rn. 25. Anderer Ansicht Vasiljevic´ Trial Judgement, o. Fn. 330, Rn. 227; Ambos (2008a), § 7 Rn. 202. 338 Siehe auch Brdjanin Trial Judgement, o. Fn. 240, Rn. 390. 339 Krstic´ Trial Judgement, o. Fn. 221, Rn. 500; ILC, S. 97; Barboza, S. 61; McCormack, S. 190; Meseke, S. 180; Ambos (2005), S. 181; ders. (2008a), § 7 Rn. 202; Cryer / Friman / Robinson / Wilmshurst, S. 247; Satzger (2010), § 16 Rn. 42. Siehe auch BMJ, S. 42: Im VStGB wurde duch die Einfügung des Merkmals „Absicht eine Bevölkerung ganz oder teil-

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Teil 2: Struktur und Folgen völkerrechtlicher Verbrechen

des Art. 7 Abs. 2 lit. b) IStGH-Statut erfasst diese Begehungsvariante auch das Auferlegen von Lebensbedingungen, mit denen beabsichtigt ist, die Vernichtung eines Bevölkerungsteils herbeizuführen. Insoweit steht die Ausrottung in inhaltlicher Nähe zur Tatvariante c) des Völkermordes.340

b) Verfolgung Bei der Verfolgung sucht sich der Täter sein Opfer aufgrund dessen Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe aus.341 Der Angriff auf den Einzelnen muss von einem besonderen diskriminierenden Beweggrund getragen sein.342 Angriffsziel ist die Gruppe als solche oder eine einzelne Person als Repräsentant dieser Gruppe.343 Aufgrund der fehlenden Individualisierung des Opfers steht die Verfolgung in struktureller Nähe zum Völkermord.344 Sie dient dem Diskriminierungs- und Minderheitenschutz und sichert damit auch Rechte der betroffenen Gruppe.345

c) Apartheid Inhaltlich eng mit der Verfolgung verbunden ist das Verbrechen der Apartheid. Gemäß der Legaldefinition in Art. 7 Abs. 2 lit. h) IStGH-Statut sind unmenschliche Handlungen pönalisiert, die von einer rassischen Gruppe im Zusammenhang mit einem institutionalisierten Regime der systematischen Unterdrückung und Beherrschung einer oder mehrerer anderer rassischer Gruppen begangen werden. Apartheid ist eine schwerwiegende Verletzung des Selbstbestimmungsrechts der Völker.346 Ähnlich wie beim Völkermord steht der Angriff auf die Gruppe im Vordergrund.

weise zu zerstören“ eine weitere Angleichung an den Straftatbestand des Völkermordes herbeigeführt. 340 Krstic´ Trial Judgement, o. Fn. 221, Rn. 68; Kremnitzer / Cohen, S. 330; Škulic´, S. 223; Ambos (2004), S. 253; ders. (2008a), § 7 Rn. 202. Allgemein zur Nähe zwischen Ausrottung und Völkermord Barboza, S. 60; Ambos (2005), S. 181; Cryer / Friman / Robinson / Wilmshurst, S. 247. 341 Elements of Crimes Art 7 (1) (h) Nr. 2. Siehe auch Witschel / Rückert (2001a), S. 97. 342 von Hebel / Robinson, Darryl, S. 101; Gil Gil, S. 390; Bantekas / Nash / Mackarel, S. 128; Roger S. Clark (1998) S. 90; Vest, S. 462; Cassese (2002b), S. 376; de Than / Shorts, Rn. 5 – 021; Ambos (2008a), § 7 Rn. 215 sowie Martic´ Trial Judgement, o. Fn. 331, Rn. 115. 343 Werle (2007), Rn. 852. Siehe auch Martic´ Trial Judgement, o. Fn. 331, Rn. 118; Witschel / Rückert (2001a), S. 97. 344 Jelisic´ Trial Judgement, o. Fn. 221, Rn. 68; Proscutor v. Kupreškic´ et al., Judgement, TC II, IT-95-16-T, 14. 1. 2000, Rn. 636; Ambos (2008a), § 7 Rn. 215. Siehe auch Drost, S. 185. 345 Stahn (1999), S. 348. Siehe auch Bassiouni (1999), S. 327 f. 346 Stahn (1998), S. 582; ders. (1999), S. 348. Siehe auch Triffterer (1995), S. 191.

B. Die Straftatbestände des IStGH-Statuts

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d) Vertreibung Der Tatbestand der Vertreibung kann den Verbrechenselementen zufolge bereits durch die Vertreibung eines einzelnen Menschen erfüllt sein.347 Geschützt wird so das Individualrecht auf Heimat348 und Freizügigkeit349. Dies beinhaltet das Recht, in seinen Heimatstaat einzureisen, sowie das Recht, innerhalb des Staates seinen Wohnort frei zu wählen.350 Rechtstatsächlich werden sich Vertreibungsakte allerdings typischerweise gegen eine bestimmte Gruppe richten. Auch im IStGH-Statut kommt dies durch die Bezugnahme auf die Bevölkerung als solche zum Ausdruck. Das Recht auf Heimat ist Teil und Grundlage des Selbstbestimmungsrechts der Völker.351 Hintergrund für Vertreibungen werden regelmäßig ähnliche Gründe wie für Verfolgungsmaßnahmen sein. Dementsprechend hat sich der Tatbestand aus dem Rassendiskriminierungsverbot entwickelt.352 Er dient daher auch dem Schutz kollektiver Interessen.

e) Erzwungene Schwangerschaft Gemäß Art. 7 Abs. 2 lit. f) IStGH-Statut erfüllt die erzwungene Schwangerschaft nur dann den Straftatbestand des Verbrechens gegen die Menschlichkeit, wenn der Täter in der Absicht handelt, die ethnische Zusammensetzung einer Bevölkerung zu beeinflussen oder andere schwere Verstöße gegen das Völkerrecht zu begehen.353 Die körperliche Integrität der Frau und ihr Recht auf sexuelle Selbstbestimmung werden nicht um ihrer selbst willen geschützt. Bei der ersten Variante steht vielmehr die Wahrung der ethnischen Zusammensetzung ihrer Gruppe und damit die Sicherung deren kollektiver Existenz im Vordergrund. Unter die zweite Variante fällt beispielsweise die Absicht, Völkermord zu begehen,354 so dass auch hier kollektive Rechtsgüter geschützt werden.

Elements of Crimes Art 7 (1) (d) Nr. 1. Stakic´ Trial Judgement, o. Fn. 240, Rn. 677; Prosecutor v. Simic´ et al., Judgement, TC I, IT-95-9-T, 17. 10. 2003, Rn. 130; Martic´ Trial Judgement, o. Fn. 331, Rn. 106; Meseke, S. 127. 349 Stahn (1999), S. 348; Heintze (2001), S. 93; Ambos / Wirth, S. 80. 350 Heintze (2001), S. 93. Siehe auch Ambos / Wirth (2002), S. 61. 351 Reschke, S. 88; Heintze (2001), S. 93. Siehe auch Triffterer (1995), S. 197. 352 Reschke, S. 87; Heintze (2001), S. 97. 353 Im Statut für den Special Court for Sierra Leone wird hingegen die erzwungen Schwangerschaft als solche [Art. 2 lit. g) des SCSL-Statuts] unter Strafe gestellt. Dadurch wird das Recht der Frau auf sexuelle Selbstbestimmung zum zentralen Schutzgut. 354 Triffterer(-Boot rev. by Hall), Art. 7 IStGH-Statut Rn. 113. 347 348

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Teil 2: Struktur und Folgen völkerrechtlicher Verbrechen

f) Folter und zwangsweises Verschwindenlassen von Personen Folter ist eine erhebliche Verletzung von Individualrechtsgütern. Ihr Einsatz erfolgt aber regelmäßig nicht nur mit dem Ziel, das individuelle Opfer zu brechen.355 Adressaten sind vielmehr auch die anderen Mitglieder seiner – politischen – Gruppe, die durch die Folterung des Einzelnen eingeschüchtert und so zur Aufgabe oppositionellen Handelns gebracht werden sollen. Folter ist damit nicht nur ein Angriff auf den Einzelnen, sondern gleichzeitig auf die gesamte Gesellschaft.356 Ähnliches gilt für das zwangsweise Verschwindenlassen von Personen.357 Durch die Ungewissheit über das Schicksal des Inhaftierten sollen seine Angehörigen und Freunde zermürbt werden. Dies wird auch in den Elements of Crimes zum Ausdruck gebracht. Den Tatbestand erfüllt auch derjenige, der sich weigert, die Inhaftierung zuzugeben oder Auskünfte über den Festgenommen zu erteilen.358 g) Ausgedehnter oder systematischer Angriff Jedenfalls durch die Einbettung der Einzeltaten in den Gesamtakt erhalten die Verbrechen gegen die Menschlichkeit einen kollektiven Charakter.359 Der Zusammenhang der Einzeltaten mit einem ausgedehnten oder systematischen Angriff auf die Zivilbevölkerung ist das besondere Unrechtsmerkmal des Straftatbestandes und damit der entscheidende Unterschied zu normalen Straftaten, die der nationalen Gerichtsbarkeit unterfallen. Erst dieser, nicht bereits die einzelne Individualrechtsverletzung, begründet die völkerrechtliche Relevanz der Tat.360 Entscheidend ist, dass das Opfer nicht einem einzelnen Täter, sondern einem Kollektiv gegenübersteht.361 Die Individualrechtsverletzung ist Teil einer umfasSiehe zu der Zielrichtung und den Auswirkungen von Folter unten Teil 2 C. IV. Schlapobersky / Bamber, S. 206, 208; Reemtsma, S, 29; Juhler, S. 47; Turner / GorstUnsworth, S. 707; Haas, S. 18; Ralf Weber, S. 74; Jahangir, S. 21; Birck (2002b), S. 3; dies. (2004c), S. 178; Rauchfuss, S. 26. 357 Case of Velásquez-Rodríguez v. Honduras (Merits), IACHR 29. 7. 1988, Rn. 149; Case of Godínez-Cruz v. Honduras (Merits), IACHR 20. 1. 1989, Rn. 157; Reemtsma, S. 29 – 30; Haas, S. 18; Brody / González, S. 366; Ralf Weber, S. 74; Rauchfuss, S. 28; Möller (2003), S. 251. Siehe auch Abs. 9 der Präambel der International Convention for the Protection of all Persons from Enforced Disapearance, GA Resolution A / RES / 61 / 177 vom 20. 12. 2006. Anerkannt wird das Recht der Opfer, die Wahrheit über das Schicksal der verschwundenen Person zu erfahren. Damit wird impliziert, dass nicht nur der Verschwundene, sondern auch seine Angehörigen Opfer der Tat sind. 358 Elements of Crimes Art. 7 (1) (i) Nr. 1 (b). 359 Vest, S. 464. Siehe auch Drost, S. 194. 360 Jelisic´ Trial Judgement, o. Fn. 221, Rn. 54; Kayishema & Ruzindana Trial Judgement, o. Fn. 235, Rn. 133 – 134; Stahn (1998), S. 580; von Hebel / Robinson, S. 94; Robertson, S. 311; Seidel / Stahn, S. 17; Gil Gil, S. 386; Safferling (2000), S. 166; Blanke / Molitor, S. 167; Roger S. Clark (1998) S. 88; Rückert / Witschel, S. 70; Ambos / Wirth (2002), S. 13; Zimmermann (2002a), S. 101; ders. (2002b), S. 3079; BMJ, S. 21; Zerbes, S. 103; Silverman, S. 431. 355 356

B. Die Straftatbestände des IStGH-Statuts

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senderen, über den Einzelfall hinausreichenden Politik der Tätergruppe. Dadurch erhalten die Verbrechen gegen die Menschlichkeit ihre besondere Gefährlichkeit.362 Ähnlich wie beim Völkermord richtet sich die Tat primär gegen eine Gruppe, die Zivilbevölkerung als ganzes;363 allerdings mit dem Unterschied, dass die Opfer nicht durch gemeinsame Merkmale verbunden sein müssen.364 Geschützt wird durch Art. 7 IStGH-Statut damit auch die Zivilbevölkerung als Kollektiv365 und ihre elementaren Menschenrechte366. Sie soll vor staatlicher, militärischer oder sonst organisierter Gewalt bewahrt werden.367 Die systematische oder ubiquitäre Verletzung von Menschenrechten stellt zudem das Konzept der Humanität als solches in Frage.368 Die Taten betreffen damit die gesamte Menschheit.369 Gleichzeitig droht die Destabilisierung der gesamten Region. Der ausgedehnte oder systematische Angriff kann sich zum bewaffneten Konflikt auswachsen. Zusätzlich zur Zivilbevölkerung als solche und dem individuellen Opfer schützt Art. 7 IStGHStatut damit auch den Weltfrieden.370 3. Ergebnis Verbrechen gegen die Menschlichkeit beinhalten gravierende Individualrechtsverletzungen, die im Zusammenhang mit einem ausgedehnten oder systematischen Angriff auf die Zivilbevölkerung begangen werden. Diese Einbettung der einzelnen Tat in einen Gesamtakt ist der entscheidende Unterschied zu einfachen, nichtvölkerrechtlichen Straftaten und damit prägendes Merkmal von Art. 7 IStGHStatut. Weisen bereits einige der aufgezählten Einzelakte Komponenten eines KolVest, S. 469. Robertson, S. 314; Ambos / Wirth (2002), S. 14. 363 Tadic´ Trial Judgement, o. Fn. 315, Rn. 644; Augustin, S. 18; Lehmler, S. 195; Spieker, S. 221; Hermsdörfer (2002), S. 72; Dahm / Delbrück / Wolfrum (2002), S. 1095; Dinstein, S. 85; Safferling (2003a), S. 355. 364 Vest, S. 463. 365 Akayesu Trial Judgement, o. Fn. 167, Rn. 469; Vest, S. 464. Anders wohl Gil Gil, S. 382. Im Weiteren schließt Gil Gil aber nur einen ausschließlich kollektiven Rechtsgüterschutz aus. 366 Meseke, S. 120 – 121; Werle (2007), Rn. 754. Siehe auch Kolb, S. 94. 367 Vest, S. 466. 368 Prosecutor v. Erdemovic´, Judgement – Joint Separate Opinion of Judge McDonald and Judge Vorah, AC, IT-96-22-A, 7. 10. 1997, Rn. 21; Erdemovic´ Trial Judgement, o. Fn. 335, Rn. 28; Werle (2007), Rn. 754; Ambos (2008a), § 7 Rn. 173. Siehe auch Al-Dujail Lawsuit Trial Judgement, o. Fn. 327, Teil 1 S. 40; Triffterer (1995), S. 188; Dinstein, S. 85; Proulx, S. 1041. 369 Erdemovic´ Appeals Judgement, Joint Separate Opinion of Judge McDonald and Judge Vorah, o. Fn. 368, Rn. 21; Erdemovic´ Trial Judgement, o. Fn. 335, Rn. 19; Satzger (2010), § 16 Rn. 33. 370 Triffterer (1995), S. 188; Stahn (1999), S. 352; Meseke, S. 119, Ambos (2008a), § 7 Rn. 173. 361 362

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Teil 2: Struktur und Folgen völkerrechtlicher Verbrechen

lektivschutzes auf, wird die auch überindividuelle Schutzrichtung des Tatbestandes jedenfalls durch das Gesamtaktserfordernis deutlich. Geschützt werden neben den Rechten des Individuums und der Zivilbevölkerung auch die supraindividuellen Rechtsgüter Humanität und Weltfrieden.

IV. Kriegsverbrechen, Artt. 5 Abs. 1 lit. c); 8 IStGH-Statut Art. 8 IStGH-Statut kodifiziert die Kriegsverbrechertatbestände. Grundlage bilden die vier Genfer Rotkreuzabkommen371 mit ihren Zusatzprotokollen372 sowie die Haager Landkriegsordnung373. Dementsprechend kann das humanitäre Völkerrecht als Auslegungshilfe herangezogen werden.374

1. Tatbestandliche Voraussetzungen Art. 8 IStGH-Statut pönalisiert bestimmte Einzelakte, die im Zusammenhang mit einem bewaffneten Konflikt begangen werden. Der IStGH hat insbesondere dann Gerichtsbarkeit über Kriegsverbrechen, wenn diese als Teil eines Planes oder einer Politik oder in großem Umfang verübt werden. Hierbei handelt es sich aber nicht um ein einschränkendes Tatbestandsmerkmal, sondern um eine Begrenzung der Gerichtsbarkeit ohne zwingenden Charakter. Dieses Kriterium soll lediglich bei der Frage berücksichtigt werden, ob gegen einen bestimmten Beschuldigten Anklage erhoben wird.375 Deutlich wird dadurch aber, dass die Verletzung des Ein371 Genfer Abkommen I: Abkommen zur Verbesserung des Loses der Verwundeten und Kranken der bewaffneten Kräfte im Felde vom 12. 6. 1949, 75 UNTS 31; für Deutschland am 3. 3. 1955 in Kraft getreten, BGBl. 1954 II 783. Genfer Abkommen II: Abkommen zur Verbesserung des Loses der Verwundeten, Kranken und Schiffbrüchigen der bewaffneten Kräfte zur See vom 12. 6. 1949, 75 UNTS 85; für Deutschland am 3. 3. 1955 in Kraft getreten, BGBl. 1954 II 813. Genfer Abkommen III: Genfer Abkommen über die Behandlung von Kriegsgefangenen vom 12. 6. 1949, 75 UNTS 135; für Deutschland am 3. 3. 1955 in Kraft getreten, BGBl. 1954 II 838. Genfer Abkommen IV: Genfer Abkommen über den Schutz von Zivilpersonen in Kriegszeiten vom 12. 6. 1949, 75 UNTS 287; für Deutschland am 3. 3. 1955 in Kraft getreten, BGBl. 1954 II 917. 372 Protokoll I: Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen vom 12. 6. 1949 über den Schutz der Opfer internationaler bewaffneter Konflikte vom 8. 6. 1977, 1125 UNTS 3; für Deutschland am 14. 8. 1991 in Kraft getreten, BGBl. II 1990, 1550, 1637. Protokoll II: Zusatzprotokoll zu den Genfer Abkommen vom 12. 6. 1949 über den Schutz der Opfer nicht internationaler bewaffneter Konflikte vom 8. 6. 1977, 1125 UNTS 609; für Deutschland am 14. 8. 1990 in Kraft getreten, BGBl. II 1990, 1550, 1637. 373 Abkommen betreffend die Gesetze und Gebräuche des Landkriegs vom 18. 10. 1907, RGBl. 1910, 107. 374 Elements of Crimes, Introduction to War Crimes Abs. 2. Siehe auch Prosecutor v. Lubanga – Decision on the Confirmation of Charges, PTC I, ICC-01 / 04-01 / 06-803, 29. 1. 2007, Rn. 231.

B. Die Straftatbestände des IStGH-Statuts

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zelnen im Krieg keine Singularität ist. Sie ist vielmehr eine Maßnahme von vielen, die von einem Täterkollektiv zur Lösung eines übergeordneten Konflikts vorgenommen wird.376 a) Bewaffneter Konflikt Grundvoraussetzung ist das Vorliegen eines bewaffneten Konflikts. Hierunter versteht man sowohl bewaffnete Auseinandersetzungen zwischen zwei Staaten unter Einsatz ihrer Streitkräfte als auch Auseinandersetzungen innerhalb eines Staates zwischen Regierungskräften und anderen bewaffneten Gruppen oder zwischen solchen Gruppen.377 Allerdings ist nicht jede Tat, die während eines bewaffneten Konflikts begangen wird, automatisch ein Kriegsverbrechen. Vielmehr muss ein enger Zusammenhang zwischen den einzelnen Übergriffen und dem bewaffneten Konflikt bestehen.378 Dieser muss entscheidend für die Fähigkeit des Täters sein, die Tat zu begehen oder seine Entscheidung für die Tat, die Art und Weise der Tatbegehung oder den Zweck der Tat maßgeblich beeinflussen.379 375 Siehe auch Triffterer(-Cottier), Art. 8 IStGH-Statut Rn. 9; Irmscher, S. 477 Fn. 28; Sunga, S. 76; Venturini, S. 95; Askin (1999), S. 50; Meron (1999), S. 52; Frulli, S. 335; Bothe (2002b), S. 380; Eser (2003), S. 72; Hall (2003), S. 13; Rowe (2004), S. 206. Siehe bereits zur Ahndung von Kriegsverbrechen durch das ICTY Fenrick (1997), S. 560. 376 Siehe auch Lubanga PTC, ICC-01 / 04-01 / 06-803, o. Fn. 374, Rn. 235. 377 Grundlegend Prosecutor v. Tadic´ – Decision on the Defence Motion for Interlocutory Appeal on Jurisdiction, AC, IT-94-1, 2. 10.1995, Rn. 70. Siehe auch Kupreškic´ et al. Trial Judgement, o. Fn. 344, Rn. 545; Blaškic´ Trial Judgement, o. Fn. 334, Rn. 63; Tadic´ Trial Judgement, o. Fn. 315, Rn. 561; Prosecutor v. Galic´, Judgement, TC I, IT-98-29-T, 5. 12. 2003, Rn. 9; Martic´ Trial Judgement, o. Fn. 331 Rn. 41; Mrkšiç Trial Judgement, o. Fn. 330, Rn. 407; Haradinaj et al. Trial Judgement, o. Fn. 328, Rn. 37; Prosecutor v. Boškoski & Tarculovski, Judgement, TC II, IT-04-82-T, 10. 7. 2008, Rn. 175; Prosecutor v. Delic´, Judgement, TC I, IT-04-83-T, 15. 9. 2008, Rn. 40; Milutinovic´ et al. Trial Judgement, o. Fn. 321, Rn. 125; Akayesu Trial Judgement, o. Fn. 167, Rn. 619. 378 In den Verbrechenselementen kommt dieser Nexus durch die allen Kriegsverbrechen gemeinsame Voraussetzung „The conduct took place in the context of and was associated with an international armed conflict / an armed conflict not of an international charakter“ zum Ausdruck. Siehe auch Lubanga PTC, ICC-01 / 04-01 / 06-803, o. Fn. 374. Rn. 286 – 293; Prosecutor v. Abu Garda – Decision on the Confirmation of Charges, PTC I, ICC-02 / 05-02 / 09-243, 8. 2. 2010, Rn. 10; Tadic´ Trial Judgement, o. Fn. 315, Rn. 573; Katanga & Ngudjolo PTC, ICC-01 / 04-01 / 07-717, o. Fn. 330, Rn. 380; Prosecutor v. Aleksovski, Judgement, TC I, IT-95-14 / 1-T, 25. 6. 1999, Rn. 45; Haradinaj et al. Trial Judgement, o. Fn. 328, Rn. 61; Blaškic Trial Judgement, o. Fn. 334, Rn. 69; Boškoski & Tarculovski Trial Judgement, o. Fn. 376, Rn. 293; Delic´ Trial Judgement, o. Fn. 376, Rn. 39; Milutinovic´ et al. Trial Judgement, o. Fn. 321, Rn. 127; Lukic´ & Lukic´ Trial Judgement, o. Fn. 327, Rn. 868; Kayishema & Ruzindana Trial Judgement, o. Fn. 235, Rn. 174; Musema Trial Judgement, o. Fn. 235, Rn. 260; Fofana & Kondewa Trial Judgement, o. Fn. 321, Rn. 124; Cryer / Friman / Robinson / Wilmshurst, S. 285; Werle (2007), Rn. 971; Cassese (2008), S. 82; Olásolo (2008), S. 53; Zahar / Sluiter, S. 119. 379 Lubanga PTC, ICC-01 / 04-01 / 06-803, o. Fn. 374, Rn. 287; Katanga & Ngudjolo PTC, ICC-01 / 04-01 / 07-717, o. Fn. 330, Rn. 380; Abu Garda PTC, ICC-02 / 05-02 / 09-243, o.

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Teil 2: Struktur und Folgen völkerrechtlicher Verbrechen

Handlungen, die lediglich bei Gelegenheit eines bewaffneten Konflikts begangen werden, sind nicht erfasst.380 Voraussetzung ist allerdings nicht, dass die Verbrechen im Zusammenhang mit aktuellen Kampfhandlungen stehen381 oder dass die Kampfhandlungen zum Zeitpunkt der Tatbegehung noch angedauert haben.382 Der Nexus zwischen Einzeltat und bewaffnetem Konflikt kann beispielsweise auch dadurch hergestellt werden, dass der Täter den Streitkräften einer der Konfliktparteien angehört.383 b) Internationaler und nicht-internationaler bewaffneter Konflikt Art. 8 IStGH-Statut differenziert zwischen internationalen und nicht-internationalen bewaffneten Konflikten. International sind jedenfalls Auseinandersetzungen, bei denen sich zwei souveräne Staaten gegenüberstehen.384 Ein innerstaatlicher Konflikt kann zudem internationalen Charakter erlangen, wenn ein anderer Staat in diesen mit seinen Streitkräften eingreift oder wenn die Handlungen einer der internen Kriegsparteien einem anderen Staat zugerechnet werden können.385 Unter

Fn. 378, Rn. 90; Kunarac et al. Appeals Judgement, o. Fn. 331, Rn. 58; Vasiljevic´ Trial Judgement, o. Fn. 330, Rn. 25; Martic´ Trial Judgement, o. Fn. 331, Rn. 43; Mrkšiç Trial Judgement, o. Fn. 330, Rn. 423; Haradinaj et al. Trial Judgement, o. Fn. 328, Rn. 61; Delic´ Trial Judgement, o. Fn. 376, Rn. 40; Milutinovic´ et al. Trial Judgement, o. Fn. 321, Rn. 138; Lukic´ & Lukic´ Trial Judgement, o. Fn. 327, Rn. 868; Bagosora et al. Trial Judgement, o. Fn. 235, Rn. 2231; Renzaho Trial Judgement, o. Fn. 235, Rn. 798. 380 Mrkšiç Trial Judgement, o. Fn. 330, Rn. 423; Dörmann / La Haye / von Hebel, S. 121; Dörmann (2001b), S. 103 – 106; ders. (2003), S. 20; Bothe (2002b), S. 388; Zimmermann (2002b), S. 3070; BMJ, S. 53; Satzger (2010), § 16 Rn. 63; MünchKomm(-Ambos), Vor §§ 8 – 12 VStGB Rn. 35. Siehe auch Prosecutor v. Rutaganda, Judgement, AC, ICTR-96-3-A, 26. 5. 2003, Rn. 570; Katanga & Ngudjolo PTC, ICC-01 / 04-01 / 07-717, o. Fn. 330, Rn. 383; Abu Garda PTC, ICC-02 / 05-02 / 09-243, o. Fn. 378, Rn. 92; Cryer / Friman / Robinson / Wilmshurst, S. 285. 381 Abu Garda PTC, ICC-02 / 05-02 / 09-243, o. Fn. 378, Rn. 92; Kunarac et al. Appeals Judgement, o. Fn. 331, Rn. 57; Tadic´ Trial Judgement, o. Fn. 315, Rn. 573; Aleksovski Trial Judgement, o. Fn. 376, Rn. 45; Boškoski & Tarculovski Trial Judgement, o. Fn. 376, Rn. 293; Milutinovic´ et al. Trial Judgement, o. Fn. 321, Rn. 127; Zander, S. 27; Ambos (2008a), § 7 Rn. 238; MünchKomm(-Ambos), Vor §§ 8 – 12 VStGB Rn. 35. 382 Vasiljevic´ Trial Judgement, o. Fn. 330, Rn. 25; Haradinaj et al. Trial Judgement, o. Fn. 328, Rn. 61; Boškoski & Tarculovski Trial Judgement, o. Fn. 376, Rn. 293; Zimmermann (2002b), S. 3070; BMJ, S. 53; MünchKomm(-Ambos), Vor §§ 8 – 12 VStGB Rn. 35. 383 Siehe Kunarac et al., Appeals Judgement, o. Fn. 331, Rn. 58; Rutaganda Appeals Judgement, o. Fn. 380, Rn. 570; Boškoski & Tarculovski Trial Judgement, o. Fn. 376, Rn. 293; Akayesu Trial Judgement, o. Fn. 167, Rn. 641; Kayishema & Ruzindana Trial Judgement, o. Fn. 235, Rn. 174. 384 Statt aller Lubanga PTC, ICC-01 / 04-01 / 06-803, o. Fn. 374, Rn. 209; Bemba Gombo PTC, ICC-01 / 05-01 / 08-424, o. Fn. 327, Rn. 223; Tadic´ Interlocutory Appeal, o. Fn. 376, Rn. 84; Triffterer(-Zimmermann), Art. 8 IStGH-Statut Rn. 246; Ambos (2005), S. 195; de Oliveira Pereira, S. 120; Werle (2007), Rn. 959; Cassese (2008), S. 88; Kolb, S. 130; Greenwood, Rn. 202; Satzger (2010), § 16 Rn. 61.

B. Die Straftatbestände des IStGH-Statuts

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nicht-internationalen bewaffneten Konflikten versteht man Auseinandersetzungen zwischen Regierungstruppen und Aufständischen sowie Kämpfe zwischen verschiedenen nichtstaatlichen Gruppen innerhalb eines Staats.386 Diese müssen allerdings eine gewisse Intensität erreichen. Rein interne Konflikte wie innere Unruhen und Spannungen387 unterfallen nicht dem Anwendungsbereich des humanitären Völkerrechts, da ihre geringere Intensität eine Gleichstellung mit internationalen bewaffneten Konflikten nicht rechtfertigt. In diesem Rahmen begangene Menschenrechtsverletzungen können allerdings als Verbrechen gegen die Menschlichkeit strafbar sein. c) Kriegsverbrechen im internationalen bewaffneten Konflikt Unter Strafe gestellt sind zunächst in Art. 8 Abs. 2 lit. a) IStGH-Statut die grave breaches der vier Genfer Rotkreuzabkommen. Auch wenn diese Eingrenzung nicht ausdrücklich im Statut erfolgt, können diese Taten nur im internationalen bewaffneten Konflikt begangen werden.388 Basierend auf der Haager Landkriegsordnung, den Genfer Konventionen und deren Zusatzprotokoll I pönalisiert Art. 8 Abs. 2 lit. b) IStGH-Statut andere schwere Verstöße gegen Kriegsgesetze und Kriegsgebräuche in international bewaffneten Konflikten. Die Begehungsvarianten können in drei Gruppen eingeteilt werden: Taten gegen Individualrechtsgüter, verbotene Kampfmethoden und -mittel sowie Angriffe auf humanitäre und friedenserhaltende Missionen. aa) Kriegsverbrechen gegen Individualrechtsgüter (1) Geschützte Personen und Güter Die Einzelakte müssen sich gegen geschützte Personen oder Güter richten. Die anderen schweren Verstöße des Art. 8 Abs. 2 lit. b) IStGH-Statut nennen ausdrücklich die tauglichen Angriffsobjekte. Der Schutzbereich dieser Tatbestände ist inso385 Tadic´ Interlocutory Appeal, o. Fn. 376, Rn. 84; Blaškic´ Trial Judgement, o. Fn. 334, Rn. 76; Triffterer(-Zimmermann), Art. 8 IStGH-Statut Rn. 253 ff.; Werle (2007), Rn. 956; Kolb, S. 130 – 131; Fleck, Rn. 1201; Olásolo (2008), S. 59 ff. 386 Bemba Gombo PTC, ICC-01 / 05-01 / 08-424, o. Fn. 327, Rn. 231; Kayishema & Ruzindana Trial Judgement, o. Fn. 235, Rn. 170; Satzger (2010), § 16 Rn. 61. 387 Siehe Art. 8 Abs. 2 litt. d); f) IStGH-Statut sowie Spieker, S. 222; Zimmermann (2002b), S. 3070; ders. (2002a), S. 102. Der Ausschluss innerer Unruhen geht auf Art. 1 Abs. 2 ZP II zurück. Siehe auch Haradinaj et al. Trial Judgement, o. Fn. 328, Rn. 38. 388 Elements of Crimes Art. 8 (2) (a) (i) Nr. 4, (ii)-1 Nr. 5, (ii)-2, Nr. 4, (ii)-3 Nr. 6, (iii) Nr. 4, (iv) Nr. 6, (v) Nr. 4, (vi) Nr. 4, (vii)-1 Nr. 4; (vii)-2 Nr. 4; (viii) Nr. 6. Siehe auch Venturini, S. 97; Sunga, S. 77; Askin (1999), S. 51; Condorelli (1999), S. 10; Dörmann / La Haye / von Hebel, S. 114; Bothe (2002b), S. 390; Dörmann (2001b), S. 101; Rowe (2004), S. 220; Schabas (2007), S. 120; Zahar / Sluiter, S. 152 sowie Tadic´ Interlocutory Appeal, o. Fn. 376, Rn. 84; Blaškic´ Trial Judgement, o. Fn. 334, Rn. 74.

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Teil 2: Struktur und Folgen völkerrechtlicher Verbrechen

weit begrenzt.389 Art. 8 Abs. 2 lit. a) IStGH-Statut verweist für die grave breaches hingegen nur allgemein auf Personen oder Güter, die unter dem Schutz des humanitären Völkerrechts stehen. Welche dies sind, ist anhand der Genfer Konventionen zu ermitteln. Die GK I, II und III beziehen sich auf Angehörige der Streitkräfte, die krank oder verwundet,390 schiffbrüchig391 oder in Gefangenschaft geraten sind392. Dem Schutzbereich unterfallen auch in diesem Zusammenhang stehende Güter, wie beispielsweise Sanitätsanstalten nach Art. 19 GK I.393 Die Zivilbevölkerung wird nach Maßgabe der vierten Genfer Konvention geschützt. Allerdings beinhalten nicht alle vier Konventionen sämtliche in Art. 8 Abs. 2 lit. a) IStGHStatut aufgeführten grave breaches. Der Anwendungsbereich der jeweiligen Tatbestandsvarianten ist daher anhand der Konventionen zu ermitteln.394 (2) Taten gegen das Leben Art. 8 Abs. 2 lit. a) i) IStGH-Statut stellt die Tötung geschützter Personen unter Strafe. Kämpfende Mitglieder der Streitkräfte395 sowie Zivilisten, die unmittelbar an den Kampfhandlungen teilnehmen und dadurch ihren Schutzanspruch verloren haben,396 sind nicht vom Schutzbereich erfasst. Typische Tathandlungen sind vielmehr die Tötung eines Kriegsgefangenen ohne vorangegangenen fairen Prozess, das Verhungernlassen oder die zum Tode führende Misshandlung von Kriegsgefangenen.397 Ebenfalls dem Lebensschutz dient Art. 8 Abs. 2 lit. b) vi) IStGH-Statut, der die Tötung oder Verwundung von die Waffen streckender Kombattanten, die sich auf Gnade oder Ungnade ergeben haben, unter Strafe stellt.

389 So stellt beispielsweise Art. 8 Abs. 2 lit. b) x) IStGH-Statut die körperliche Verstümmlung im Rahmen eines bewaffneten internationalen Konflikts nicht generell, sondern nur von Personen, die sich in der Gewalt der gegnerischen Partei befinden, unter Strafe. 390 Art. 13 GK I. 391 Art. 13 GK II. 392 Art. 4 GK III. 393 Siehe ferner Artt. 22, 24, 25, 27 GK II; Artt. 18, 19, 21, 22, 33, 53, 57 GK IV. 394 Triffterer(-Dörmann), Art. 8 IStGH-Statut Rn. 12; Bothe (2002b), S. 391; Werle (2007), Rn. 993; Satzger (2010), § 16 Rn. 69. Siehe auch Tadic´ Interlocutory Appeal, o. Fn. 376, Rn. 81. 395 Stahn (1999), S. 349; BMJ, S. 55; Bothe (2002b), S. 392; Cryer / Friman / Robinson / Wilmshurst, S. 290; Werle (2007), Rn. 1003. Siehe auch Schmitt / Garraway / Dinstein, S. 18. 396 MünchKomm(-Ambos), Vor §§ 8 – 12 VStGB Rn. 40. Siehe auch Pejic, S. 342, die klarstellt, dass Zivilisten, die unmittelbar an den Kampfhandlungen teilnehmen, zum legitimen militärischen Ziel werden. 397 Dörmann (2003), S. 40; Werle (2007), Rn. 1003.

B. Die Straftatbestände des IStGH-Statuts

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(3) Misshandlungen Eine Reihe anderer Straftatbestände verbietet die Misshandlung geschützter Personen. Dies sind zum einen Folter gemäß Art. 8 Abs. 2 lit. a) ii) IStGH-Statut als Spezialtatbestand 398 sowie die vorsätzliche Verursachung großer Leiden oder schwerer Beeinträchtigungen der körperlichen Unversehrtheit oder der Gesundheit gemäß Art. 8 Abs. 2 lit. a) iii) IStGH-Statut. Anders als bei den Verbrechen gegen die Menschlichkeit ist Folter als Kriegsverbrechen entsprechend Art. 1 der Folterkonvention399 nur dann strafbar, wenn sie bestimmten Zwecken, z. B. der Informationsgewinnung oder der Bestrafung des Opfers oder eines Dritten dient.400 Fehlt es an dieser Zielsetzung kann der Tatbestand der vorsätzlichen Leidzufügung erfüllt sein.401 Zu denken ist beispielsweise an die Verstümmelung von Verwundeten oder die Zufügung sinnlosen und überflüssigen Leids gegenüber Kriegsgefangenen.402 Tatbestandsmäßig ist auch die Zufügung rein psychischer Leiden,403 beispielsweise durch Isolationshaft.404 Die Verstümmelung von Personen, die sich in der Gewalt einer Konfliktpartei befinden, ist in Art. 8 Abs. 2 lit. b) x) IStGH-Statut noch einmal gesondert aufgeführt. Diesen Tatbestand erfüllen unter anderem Amputationen, Verletzungen von Gliedmaßen und Verstümmelung der Genitalien.405 Art. 8 Abs. 2 lit. a) ii) und Abs. 2 lit. b) x) IStGH-Statut verbieten biologische, medizinische oder wissenschaftliche Versuche, die nicht medizinisch indiziert sind und nicht im Interesse des Opfers vorgenommen werden.406 Nach den Verbrechenselementen muss die Tat in beiden Varianten den Tod des Opfers verursachen oder seine körperliche oder seelische Gesundheit ernsthaft gefährden.407 Art. 8 398 Prosecutor v. Delalic´ et al., Judgement, TC II, IT-96-21-T, 16. 11. 1998, Rn. 442; Werle (2007), Rn. 1013. 399 Convention against Torture and other Cruel, Inhuman or Degrading Treatment or Punishment vom 10. 12. 1984, Resolutition 39 / 197 der UN-Generalversammlung, in Deutschland am 31. 10. 1990 in Kraft getreten, BGBl. 1990 II 247. 400 Elements of Crimes Art. 8 (2) (a) (ii)-1 Nr. 2. Siehe auch Delalic´ Trial Judgement, o. Fn. 398, Rn. 442; Brdjanin Trial Judgement, o. Fn. 240, Rn. 486; Haradinaj et al. Trial Judgement, o. Fn. 328, Rn. 127 – 128; Akayesu Trial Judgement, o. Fn. 167, Rn. 594; Triffterer (-Dörmann), Art. 8 IStGH-Statut Rn. 19; Dörmann (2001a), S. 128; Werle (2007), Rn. 1015; Burchard, S. 169. 401 Delalic´ Trial Judgement, o. Fn. 398, Rn. 442; Blaškic´ Trial Judgement, o. Fn. 334, Rn. 156; Burchard, S. 171. Siehe auch Thieler, S. 54; Cryer / Friman / Robinson / Wilmshurst, S. 291; Werle (2007), Rn. 1018. 402 Triffterer(-Dörmann), Art. 8 IStGH-Statut Rn. 22; Werle (2007), Rn. 1018. 403 Delalic´ Trial Judgement, o. Fn. 398, Rn. 511; Prosecutor v. Kordic´ & Cerkez, Judgement, TC III, IT-95-14 / 2-T, 26. 2. 2001, Rn. 244. 404 Werle (2007), Rn. 1018. 405 Triffterer(-Zimmermann), Art. 8 IStGH-Statut Rn. 108; Bothe (2002b), S. 414. Siehe auch Brima et al. Trial Judgement, o. Fn. 327, Rn. 724; Werle (2007), Rn. 1021. 406 Elements of Crimes Art. 8 (2) (a) (ii)-3 Nr. 3; Art. 8 (2) (b) (x)-2 Nr. 3. Siehe auch Bothe (2002b), S. 393; Dörmann (2003), S. 71; Werle (2007), Rn. 1024. 407 Elements of Crimes Art. 8 (2) (a) (ii)-3 Nr. 2; Art. 8 (2) (b) (x)-2 Nr. 2.

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Teil 2: Struktur und Folgen völkerrechtlicher Verbrechen

Abs. 2 lit. a) ii) pönalisiert generell die unmenschliche Behandlung geschützter Personen und fungiert so als Auffangtatbestand für die Misshandlungstatbestände.408 Erfasst sind Handlungen, die erhebliche psychische oder physische Leiden oder Verletzungen zur Folge haben oder die einen erheblichen Angriff auf die Würde des Menschen darstellen.409 Unabhängig von der Ausgestaltung im Detail schützen alle Misshandlungstatbestände übereinstimmend das Recht des Einzelnen auf körperliche und psychische Unversehrtheit sowie dessen Würde.410 (4) Sexuelle Gewalt Art. 8 Abs. 2 lit. b) xxii) IStGH-Statut nennt als Kriegsverbrechen Vergewaltigung, sexuelle Sklaverei, Nötigung zur Prostitution, erzwungene Schwangerschaft, Zwangssterilisation und andere Formen sexueller Gewalt. Vor Schaffung des IStGH-Statuts war sexuelle Gewalt nicht als eigenständiges Kriegsverbrechen anerkannt. Sie wurde lediglich als Angriff gegen die Ehre oder die Würde des Opfers angesehen.411 Diese Einordnung trägt den physischen und psychischen Auswirkungen von sexueller Gewalt allerdings nicht hinreichend Rechnung.412 Sexualverbrechen wurden noch weiter bagatellisiert, indem sie als normale Begleiterscheinung einer durch den Krieg verursachten moralischen Verrohung angesehen wurden.413 Art. 8 Abs. 2 lit. b) xxii) IStGH-Statut erkennt hingegen Sexualdelikte als eigenständige Kategorie,414 die gleichwertig neben anderen Formen der Kriegsverbrechen steht,415 an. Primäres geschütztes Rechtsgut ist die sexuelle Selbstbestimmung. Daneben tritt bei der Tatvariante der erzwungenen Schwangerschaft das Existenzrecht der Gruppe, der die geschwängerte Frau angehört.416

Delalic´ Trial Judgement, o. Fn. 398, Rn. 442; Thieler, S. 53; Werle (2007), Rn. 1030. Delalic´ Trial Judgement, o. Fn. 398, Rn. 543; Jelisic´ Trial Judgement, o. Fn. 221, Rn. 41; Blaškic´ Trial Judgement, o. Fn. 334, Rn. 155; Kordic´ & Cerkez Trial Judgement, o. Fn. 403, Rn. 256; Prosecutor v. Naletilic´, Judgement, TC I, IT-98-34-T, 31. 3. 2003, Rn. 246; Martic´ Trial Judgement, o. Fn. 331, Rn. 79; Haradinaj et al. Trial Judgement, o. Fn. 328, Rn. 126; Triffterer(-Dörmann), Art. 8 IStGH-Statut Rn. 20. 410 Siehe Bothe (2002b), S. 393. 411 Siehe Stahn (1998), S. 584; Triffterer(-Cottier), Art. 8 IStGH-Statut Rn. 200; Bantekas / Nash / Mackarel, S. 105 – 106; La Haye (2001), S. 185; Mühlhäuser, S. 35, Flores Acuòa, S. 42; Werle (2007), Rn. 1035 sowie Delalic´ Trial Judgement, o. Fn. 398, Rn. 476. 412 Triffterer(-Cottier), Art. 8 IStGH-Statut Rn. 200; Askin (2000), S. 50; dies. (2001), S. 8; Cryer / Friman / Robinson / Wilmshurst, S. 292 f.; Werle (2007), Rn. 1035. Siehe zu den Auswirkungen sexueller Gewalt auch unten Teil 2 C. V. 413 Siehe Salzman, S. 373; Askin (2001), S. 11; Griese, S. 96; Mühlhäuser, S. 33; Zipfel (2004), S. 263. 414 Stahn (1998), S. 584; Bothe (2002b), S. 415; Mühlhäuser, S. 45. 415 Triffterer(-Cottier), Art. 8 IStGH-Statut Rn. 200; Werle (2007), Rn. 1037; Beltz, S. 184 f. 416 Siehe oben Teil 2 B. III. 2. e). 408 409

B. Die Straftatbestände des IStGH-Statuts

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(5) Beeinträchtigung der Würde Beeinträchtigungen der Würde, besonders die entwürdigende und erniedrigende Behandlung, sind in Art. 8 Abs. 2 lit. b) xxi) IStGH-Statut unter Strafe gestellt. Grundlage für diese Tatvariante ist Art. 27 Abs. 1 GK IV. Dieser verlangt die Achtung der Person, der Ehre, von Familienrechten, von religiösen Überzeugungen und Gepflogenheiten sowie von Sitten und Gebräuchen. Art. 8 Abs. 2 lit. b) xxi) IStGH-Statut ist beispielsweise erfüllt, wenn Vater und Sohn gezwungen werden, sich gegenseitig zu schlagen417 oder ein Gefangener um Gnade flehen muss, um eine Bestrafung zu verhindern418. Ziel der Taten ist regelmäßig die Zerrüttung des Selbstwertgefühls. Sie stehen damit in engem Zusammenhang zur Folter.419 Der Tatbestand ist sehr weit und wird sich häufig mit Art. 8 Abs. 2 lit. a) ii) und iii) überschneiden. Ein eigenständiger Anwendungsbereich verbleibt Art. 8 Abs. 2 lit. b) xxi) IStGH-Statut jedenfalls für die Diffamierung Verstorbener420. (6) Freiheitsbeschränkungen Die körperliche Freiheit des Einzelnen wird durch die Verbote der Geiselnahme421 und der rechtswidrigen Gefangenhaltung422 geschützt. Zudem zählen Vertreibungen oder Überführungen geschützter Personen zu den Kriegsverbrechen.423 Art. 8 Abs. 2 lit. b) viii) Var. 1 IStGH-Statut verbietet darüber hinaus die Überführung der eigenen Zivilbevölkerung in besetztes Gebiet durch die Besatzungsmacht. Verhindert werden soll, dass die demographischen und politischen Gegebenheiten so verändert werden, dass Ansprüche auf dieses Gebiet erhoben werden können. Verletzt würde durch ein solches Vorgehen der Grundsatz der beschränkten Dauer der Herrschaft der Besatzungsmacht.424 Ebenso wie das Verbot der Vertreibungen425 schützt auch diese Tatbestandsvariante neben dem Individualrecht auf Heimat das Selbstbestimmungsrecht des Volkes, das eng mit dessen Siedlungsgebiet verbunden ist. Dem Schutz der Willensfreiheit dienen Art. 8 Abs. 2 lit. a) v) sowie Art. 8 Abs. 2 lit. b) xv) IStGH-Statut. Verboten ist es, geschützte Personen zum Dienst in den Streitkräften des Gegners zu zwingen sowie Angehörige der Gegenpartei zur Teilnahme an Kriegshandlungen gegen ihr eigenes Land zu nötigen. Verhindert 417 418 419 420 421 422 423 424 425

Delalic´ Trial Judgement, o. Fn. 398, Rn. 1070. Delalic´ Trial Judgement, o. Fn. 398, Rn. 1054, 1059. Musema Trial Judgement, o. Fn. 235, Rn. 285. Elements of Crimes Fn. 49. Siehe auch Werle (2007), Rn. 1045. Art. 8 Abs. 2 lit. a) viii) IStGH-Statut. Art. 8 Abs. 2 lit. a) vii) Var. 3 IStGH-Statut. Artt. 8 Abs. 2 lit. a) vii) Var. 1 und 2; 8 Abs. 2 lit. b) viii) Var. 2 IStGH-Statut. Triffterer(-Cottier), Art. 8 IStGH-Statut Rn. 87; Werle (2007), Rn. 1098. Siehe hierzu oben Teil 2 B. III. 2. d).

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werden soll, dass die geschützten Personen in einen unerträglichen Loyalitätskonflikt geraten.426 Neben dem Individualschutz dienen diese Vorschriften aber auch den militärischen Interessen des Landes, dem die geschützten Personen angehören.427 (7) Einsatz von Kindersoldaten Art. 8 Abs. 2 lit. b) xxvi) IStGH-Statut verbietet die Zwangsverpflichtung oder Eingliederung von Kindern unter fünfzehn Jahren in die nationalen Streitkräfte oder ihre Verwendung zur aktiven Teilnahme an Feindseligkeiten. Hintergrund sind die besonders massiven Auswirkungen, die kriegerische Gewalthandlungen auf Kinder und ihre Entwicklung haben. Traumatische Erfahrungen können bei Personen, deren Persönlichkeitsentwicklung noch nicht abgeschlossen ist, besonders tiefgreifende Veränderungen der Psyche bewirken. Zusätzlich wird die normale Entwicklung dadurch beeinträchtigt, dass die Kinder ihr gewohntes Umfeld verlassen müssen und ihre schulische Ausbildung unterbrochen wird.428 Kindersoldaten sind zudem in hohem Maße unkontrollierbar. Von ihnen gehen daher besondere Gefahren für Zivilisten und außer Gefecht befindlichen Soldaten aus.429 Art. 8 Abs. 2 lit. c) xxi) IStGH-Statut weist dementsprechend eine doppelte Schutzrichtung auf. Zum einen werden Kinder vor den Auswirkungen bewaffneter Auseinandersetzungen und rücksichtslosen Rekrutierungsmaßnahmen geschützt. Zum anderen soll einer Eskalation und Brutalisierung des Konflikts durch den Einsatz unberechenbarer Kämpfer vorgebeugt werden. (8) Verfahrensgarantien In Art. 8 Abs. 2 lit. a) vi) IStGH-Statut wird geschützten Personen das Recht auf ein unparteiisches und ordentliches Gerichtsverfahren zugestanden. Eine Liste einzuhaltender Verfahrensgarantien und Informationsrechte enthält Art. 75 Abs. 2 und 3 ZP I. Diese befähigen den Beschuldigten, sich gegen die Anklage effektiv zu wehren und sollen Verurteilungen Unschuldiger im Rahmen eines Schauprozesses beispielsweise aufgrund falscher Beweise verhindern. Geschützt werden damit mittelbar auch die Individualrechte auf Freiheit, Leben und körperliche Unversehrtheit, die durch ein zu Unrecht ergangenes Urteil verletzt würden. Bothe (2002b), S. 394; Werle (2007), Rn. 1051. Thieler, S. 57. 428 Situation in Uganda – OPCV’s Observations on the Victims’ Applications [ . . . ] to Participate in the Uganda Situation and in the Case [ . . . ], ICC-02 / 04-89, 26. 3. 2007, Rn. 56 = Prosecutor v. Kony et al. – OPCV’s Observations on the Victims’ Applications [ . . . ] to Participate in the Uganda Situation and in the Case [ . . . ], ICC-02 / 04-01 / 05-232, 26. 3. 2007, Rn. 56; Triffterer(-Cottier), Art. 8 IStGH-Statut Rn. 227; Werle (2007), Rn. 1105. Siehe auch Cryer / Friman / Robinson / Wilmshurst, S. 309 f. 429 Triffterer(-Cottier), Art. 8 IStGH-Statut Rn. 227; Werle (2007), Rn. 1105. 426 427

B. Die Straftatbestände des IStGH-Statuts

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(9) Eigentum und Vermögen Art. 8 Abs. 2 lit. a) iv) IStGH-Statut pönalisiert die militärisch nicht gerechtfertigte Zerstörung oder Aneignung von Gütern. Hinzu kommt Art. 8 Abs. 2 lit. b) xiii) IStGH-Statut, der die Zerstörung oder Beschlagnahme feindlichen Eigentums, sofern diese nicht durch die Erfordernisse des Krieges geboten sind, unter Strafe stellt. Schlussendlich untersagt Art. 8 Abs. 2 lit. b) xvi) IStGH-Statut die Plünderung von Städten und Ansiedlungen. All diese Tatbestände schützen das Eigentum. Es soll insbesondere verhindert werden, dass der Zivilbevölkerung die Lebensgrundlage und die notwendigen Voraussetzungen für ein menschenwürdiges Leben entzogen werden.430 Welches Eigentum taugliches Tatobjekt ist, ergibt sich aus dem humanitären Völkerrecht.431 Art. 8 Abs. 2 lit. b) xiv) IStGH-Statut verbietet die Erklärung, dass Rechte und Forderungen von Angehörigen der Gegenpartei aufgehoben oder nicht einklagbar seien und dient so dem Schutz des Vermögens. Neben dem Individualschutz hat diese Vorschrift aber auch zum Ziel, einen Zusammenbruch des Justizsystems in den besetzten Gebieten zu verhindern.432 bb) Verbotene Kampfmethoden und -mittel Das IStGH-Statut stellt in verschiedenen Tatbeständen den Einsatz bestimmter Kampfmittel unter Strafe. Unzulässig sind nach Art. 8 Abs. 2 lit. b) i), ii), v) und ix) IStGH-Statut zielgerichtete Angriffe gegen Zivilisten, zivile Objekte sowie auf sonstige unverteidigte, nichtmilitärische Ziele. Art. 8 Abs. 2 lit. b) iv) IStGH-Statut pönalisiert Angriffe, die durchgeführt werden, obwohl Begleitschäden zu erwarten sind, die in keinem Verhältnis zum konkreten militärischen Vorteil stehen. Diese Straftatbestände basieren auf den Grundprinzipien der Trennung, der militärischen Notwendigkeit und der Verhältnismäßigkeit. Die Kriegsparteien sollen gezwungen werden, zwischen militärischen und zivilen Zielen433 zu differenzieren.434 Die Zivilbevölkerung darf nicht über die militärische Notwendigkeit hinaus beeinträchThieler, S. 76. Dörmann (2001a), S. 132; Werle (2007), Rn. 1115. Siehe auch Naletilic´ Trial Judgement, o. Fn. 409, Rn. 575; Brdjanin Trial Judgement, o. Fn. 240, Rn. 586. 432 Werle (2007), Rn. 1131. Siehe auch Triffterer(-Cottier), Art. 8 IStGH-Statut Rn. 160. 433 Gemäß Art. 52 Abs. 2 S. 1 ZP I sind militärische Ziele nur solche Objekte, die auf Grund ihrer Beschaffenheit, ihres Standorts, ihrer Zweckbestimmung oder ihrer Verwendung wirksam zu militärischen Handlungen beitragen und deren gänzliche oder teilweise Zerstörung, deren Inbesitznahme oder Neutralisierung unter den in dem betreffenden Zeitpunkt gegebenen Umständen einen eindeutigen militärischen Vorteil darstellt. Alle anderen Ziele sind zivile Ziele, Art. 52 Abs. 1 S. 2 ZP I. 434 Blaškic´ Trial Judgement, o. Fn. 334, Rn. 180; Gasser (1995), S. 73; ders. (2008), Rn. 501; Fenrick (1997), S. 541; Askin (1999), S. 53; Oeter (2001), S. 80; ders. (2008), Rn. 441; Bothe (2002a), S. 31; Arnold, S. 162; Rowe (2004), S. 223; Škulic´, S. 226; Henckaerts / Doswald430 431

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tigt werden.435 Mit der geplanten Aktion muss ein militärischer, nicht lediglich ein politischer, Vorteil sicher verbunden sein.436 Nach dem Grundsatz der Proportionalität dürfen die zu erwartenden Verluste bei der Zivilbevölkerung zudem nicht außer Verhältnis zu dem erwarteten Vorteil stehen.437 Diese Pflichten zur Rücksichtnahme auf die Zivilbevölkerung schützen auch Leben, Körper und Eigentum des Einzelnen. Art. 8 Abs. 2 lit. b) ix) IStGH-Statut untersagt unter anderem Angriffe auf Gebäude, die dem Gottesdienst, der Erziehung, der Kunst, der Wissenschaft oder der Wohltätigkeit gewidmet sind, sowie auf geschichtliche Denkmäler. Im Zentrum steht die Wahrung kollektiven kulturellen Eigentums. Dieses wird aber nicht nur um seiner selbst willen geschützt. Die Einrichtungen sind Voraussetzung für die Ausübung individueller Rechte, wie der Religions- und Kunstfreiheit. Die Vorschrift entfaltet daher mittelbaren Individualschutz. Ähnliches gilt für die Strafbarkeit von Angriffen, die weitreichende, langfristige und schwere Schäden an der natürlichen Umwelt verursachen, die eindeutig in keinem Verhältnis zu dem insgesamt erwarteten konkreten und unmittelbaren militärischen Vorteil stehen. Geschützt wird die Umwelt als Lebensgrundlage der Menschen.438 Ebenfalls auf dem Unterscheidungsgrundsatz basieren Art. 8 Abs. 2 lit. b) xxiii) und xxv) IStGH-Statut. Verboten werden militärische Aktionen, die Zivilisten in das Kampfgeschehen hineinziehen, um die Rücksichtnahme des Gegners auf Zivilisten als Kriegsmittel auszunutzen.439 Im IStGH-Statut finden sich zudem Vorschriften über die Art und Weise der Kampfführung im engeren Sinne. Gemeint sind das Verbot der meuchlerischen Tötung440 und des Missbrauchs von Parlamentärsflagge und anderen Erkennungszeichen441. In diesen Fällen besteht aufgrund eines Vertrauensbruchs442 eine gesteigerte, über die normale Belastung durch einen bewaffneten Konflikt hinausgehende, Rechtsgutsgefährdung.443 Der Missbrauch bestimmter Zeichen beinhaltet zudem die Gefahr, dass das Zeichen in Zukunft nicht mehr respektiert wird. Beck, S. 25; Schmitt / Garraway / Dinstein, S. 8; Cryer / Friman / Robinson / Wilmshurst, S. 303; Werle (2007), Rn. 1133; Olásolo (2008), S. 81. 435 Blaškic´ Trial Judgement, o. Fn. 334, Rn. 180; Fenrick (1997), S. 545 – 549. 436 Bothe (2002a), S. 32; Arnold, S. 162. 437 Picet, S. 31; Bothe (2002a), S. 31; Arnold, S. 162; Henckaerts / Doswald-Beck, S. 46 – 47; Gasser (2008), Rn. 509. 438 Siehe auch Oeter (2008), Rn. 403 439 Siehe auch Gasser (2008), Rn. 506. 440 Art. 8 Abs. 2 lit. b) xi) IStGH-Statut. 441 Art. 8 Abs. 2 lit. b) vii) IStGH-Statut. 442 Gasser (1995), S. 42; Triffterer(-Cottier), Art. 8 IStGH-Statut Rn. 117; BMJ, S. 79; Werle / Nerlich, S. 132; Oeter (2008), Rn. 472, 1; Werle (2007), Rn. 1137, 1181; Dehn, S. 632. 443 Gasser (1995), S. 68. Siehe auch Dehn, S. 632 ff.

B. Die Straftatbestände des IStGH-Statuts

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Geschützt wird damit auch das Vertrauen in das Zeichen selbst444 und in die hinter diesem stehende Institution. Ähnlich verhält es sich mit der Erklärung, dass es kein Pardon geben wird445. Sie kann zu einer Brutalisierung der Kriegsgeschehnisse führen446 und damit die Gefährdung von Zivilisten und Kombattanten über das militärisch Unvermeidbare hinaus steigern. Art. 8 Abs. 2 lit. b) xvii), xviii) und xix) IStGH-Statut verbieten den Einsatz bestimmter Kampfmittel, wie Gifte und Dum-Dum Geschosse. Diese zeichnen sich dadurch aus, dass sie überflüssige Leiden verursachen oder in ihren Auswirkungen nicht beherrschbar sind und damit unterschiedslos sowohl gegen Angehörige der Streitkräfte also auch gegen Unbeteiligte wirken.447 Das Recht, feindliche Kombattanten zu töten, wird durch das Prinzip der militärischen Notwendigkeit beschränkt.448 Geschützt wird die körperliche Unversehrtheit nicht per se, sondern (nur) vor einer besonders intensiven, nicht zu rechtfertigenden Beeinträchtigung. Dem Verbot, Kampfmittel zu benutzen, die in ihren Auswirkungen nicht beherrschbar sind, liegt der Grundsatz der Trennung zwischen militärischen und zivilen Zielen zugrunde.449 cc) Angriffe gegen humanitäre und friedenserhaltende Missionen Pönalisiert sind gemäß Art. 8 Abs. 2 lit. b) iii) und xxiv) IStGH-Statut Angriffe auf humanitäre Hilfsmissionen und friedenserhaltende Missionen. Damit werden zum einen die Mitglieder der Missionen geschützt.450 Zum anderen soll gewährleistet werden, dass diese ihr Ziel – die Sicherung eines Gebietes oder die Versorgung der Bevölkerung – erreichen können. Damit dienen die Vorschriften auch der Linderung des Leids der Kriegsopfer.451 Gleiches gilt für Art. 8 Abs. 2 lit. a) iv) IStGH-Statut, soweit dieser Angriffe auf Hospitäler, Lazarettschiffe und ähnliche Güter verbietet, die zur Linderung des Leids von Kombattanten und Zivilisten eingesetzt werden.452

444 Gasser (1995), S. 68. In diese Richtung auch Cryer / Friman / Robinson / Wilmshurst, S. 307. 445 Art. 8 Abs. 2 lit. b) xii) IStGH-Statut. 446 Triffterer(-Cottier), Art. 8 IStGH-Statut Rn. 130; Werle / Nerlich, S. 132; Dörmann (2003), S. 247; Werle (2007), Rn. 1138. 447 Siehe auch Art. 8 Abs. 2 lit. b) xx) IStGH-Statut. 448 Askin (1999), S. 54. Siehe auch Oeter (2001), S. 80; ders. (2008), Rn. 402; Henckaerts / Doswald-Beck, S. 240. 449 Siehe Art. 51 Abs. 4 litt. b) und c) ZP I sowie Oeter (2001), S. 86 – 95. 450 Askin (1999), S. 55; von Hebel / Darrly Robinson, S. 110; Bothe (2002b), S. 410; Fleck, Rn. 1203. 451 Werle (2007), Rn. 1264. 452 Siehe auch Retalis, S. 232; Škulic´, S. 229.

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Teil 2: Struktur und Folgen völkerrechtlicher Verbrechen

d) Kriegsverbrechen im nicht-internationalen bewaffneten Konflikt Nach Maßgabe von Art. 8 Abs. 2 litt. d) und e) IStGH-Statut können Kriegsverbrechen auch in nicht-internationalen Konflikten begangen werden. Diese galten lange Zeit als rein innerstaatliche Angelegenheiten, die nach dem Einmischungsverbot nicht durch die internationale Gemeinschaft reglementiert werden konnten.453 Zwar stellt der gemeinsame Art. 3 der GKen sowie das ZP II grundlegende Mindestgarantien für nicht-internationale bewaffnete Konflikte auf. Eine strafrechtliche oder sonstige Ahndung von Verstößen ist allerdings nicht vorgesehen.454 Seit Ende des Kalten Krieges haben nicht-internationale Konflikte zunehmend an Bedeutung gewonnen. Insbesondere der Bürgerkrieg zwischen den Hutu und Tutsi in Ruanda hat gezeigt, dass es auch bei Feindseligkeiten, die auf ein Staatsgebiet beschränkt sind, zu erheblichen Menschrechtsverletzungen kommen kann.455 Die Gefährdung des Einzelnen durch die Kampfhandlungen ist im Bürgerkrieg nicht geringer als bei internationalen Auseinandersetzungen. Vielmehr ist dem internen Konflikt ein besonderes Gefährdungspotential inhärent. Es stehen sich nicht zwei Armeen mit hohem Organisationsgrad, sondern eine Armee und eine oder mehrere paramilitärische Einheiten gegenüber. Typischerweise besteht zwischen den Kriegsparteien ein strukturelles Ungleichgewicht, das aus unterschiedlichen militärischen Möglichkeiten und Ressourcen resultiert. Mögliche Folge ist die sogenannte asymmetrische Kriegsführung, bei der die eine Seite ihre nummerische und waffentechnische Unterlegenheit durch den Einsatz von Guerilla-Taktiken – auch unter systematischer Verletzung von humanitärem Völkerrecht – auszugleichen sucht.456 Diese können sich insbesondere auch gezielt gegen Zivilisten und kampfunfähige Soldaten richten. Durch die Anwendbarkeit von Art. 8 IStGH-Statut im nicht-internationalen Konflikt wird die staatliche Souveränität zugunsten eines effektiven Opferschutzes begrenzt.457 Inhaltlich wird der nicht-internationale Konflikt im IStGH-Statut dem internationalen weitgehend gleichgestellt. 458 Defizite bestehen allerdings in den Bereichen der verbotenen Kampfmittel und -methoden.459 Ihr Einsatz gegenüber der 453 Tadic´ Interlocutory Appeal, o. Fn. 376, Rn. 80; Gasser (1995), S. 28; Meron (1995b), S. 554; Condorelli (2001), S. 108; Ambos (2001b), S. 327; Bothe (2002b), S. 417. 454 Gasser (1995), S. 89 – 90; Ahlbrecht, S. 207; Bothe (2002b), S. 417. Siehe auch Condorelli (1999), S. 11; Lehmler, S. 269 ff. 455 Kaul (1998b), S. 127; Askin (1999), S. 57; von Hebel / Robinson, Darryl, S. 105. Siehe auch Gasser (1995), S. 28; Meron (1995b), S. 561; Rowe (2004), S. 208. 456 Waldmann, S. 149; Hankel, S. 418 ff. Umfassend Bassiouni (2008a), S. 711. 457 Siehe Tadic´ Interlocutory Appeal, o. Fn. 376, Rn. 119. 458 Tomuschat (1998), S. 339; Augustin, S. 232. Siehe auch Triffterer(-Zimmermann), Art. 8 IStGH-Statut Rn. 237. 459 Kritisch hierzu Condorelli (2001), S. 112; Oeter (2001), S. 109; Werle / Nerlich, S. 127; Kolb, S. 162 ff. Siehe auch den Überblick bei Ambos (2005), S. 199 – 200.

B. Die Straftatbestände des IStGH-Statuts

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Zivilbevölkerung kann aber ein Verbrechen gegen die Menschlichkeit darstellen.460 Im Übrigen wird auf die Ausführungen zum internationalen Konflikt verwiesen. 2. Geschützte Rechtsgüter Das ius in bello stellt Regeln für die Art der Kriegsführung auf.461 Die kriegerische Gewalt wird durch die Grundsätze der Trennung, der militärischen Notwendigkeit und der Verhältnismäßigkeit begrenzt. Verhindert werden soll eine Gewalteskalation, die mit unnötigem Leid462 und mit unnötig vielen Opfern463 verbunden ist. Das humanitäre Völkerrecht will auf diese Weise einen Ausgleich zwischen humanitären Erwägungen und militärischen Erfordernissen schaffen.464 Militärische Aktionen dürfen sich nicht gegen Personen richten, die nicht oder nicht mehr an Kampfhandlungen teilnehmen. Kranke, verwundete oder schiffbrüchige Soldaten sind sowohl in ihrer Verteidigungs- als auch in ihrer Angriffsfähigkeit geschwächt. Sie können also selbst nur noch begrenzt für ihren Schutz sorgen, stellen aber gleichzeitig kaum eine Gefahr für die Gegenseite dar.465 Angriffe auf sie sind nicht von einer militärischen Notwendigkeit getragen. Gleiches gilt für Kriegsgefangene. Diese befinden sich zudem in der Gewalt des Kriegsgegners. Bei ihnen besteht eine gesteigerte Gefahr des Machtmissbrauchs. Darüber hinaus ist auf die Zivilbevölkerung Rücksicht zu nehmen. Diese darf nicht in das Kriegsgeschehen hineingezogen werden.466 Dem persönlichen Schutzbereich des humanitären Völkerrechts unterfallen damit Personen, die wehrlos und damit besonders schutzbedürftig sind.467 Zudem darf gegen Kombattanten nicht unbegrenzt vorgegangen werden. Auch hier ist unnötiges Leiden zu vermeiden. Hauptanliegen der Genfer Abkommen ist die Verhütung von Massenelend und -sterben.468 Ziel ist es, auch und gerade in der Extremsituation von bewaffneten Konflikten einen Mindeststandard an Menschenrechten zu gewährleisten.469 EleMeron (1999), S. 54. Zander, S. 78; Thieler, S. 5; Rigaux, S. 143; Triffterer (1995), S. 179; Safferling (2001), S. 166. 462 Thieler, S. 4; Safferling (2001), S. 166; Schmahl, S. 56; Schmitt / Garraway / Dinstein, S. 12; Werle (2007), Rn. 994. 463 Kalshoven, S. 7. 464 Gasser (1995), S. 22 – 23; Schmahl, S. 57. 465 Siehe auch Triffterer (1995), S. 179; Škulic´, S. 231. 466 Gasser (1995), S. 48; Fenrick (2004), S. 5; Schmitt / Garraway / Dinstein, S. 10; Fleck, Rn. 1203. 467 Strebel, S. 69; Gasser (1995), S. 33; Triffterer (1995), S. 179. 468 Strebel, S. 69. Siehe auch Bassiouni (2008a), S. 725 – 726. 469 Pocar, S. 70; Triffterer (1995), S. 179. Siehe auch Gasser (1995), S. 22; Joyner, S. 153; Schmahl, S. 62; Zegveld (2003), S. 497. 460 461

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Teil 2: Struktur und Folgen völkerrechtlicher Verbrechen

mentare Individualrechtsgüter wie Würde, Leben, körperliche Unversehrtheit und Freiheit sollen auch im Krieg gewahrt bleiben.470 Ein weiteres zentrales Schutzobjekt sind dementsprechend Organisationen, Personen und Güter, die der Sicherung, Bergung, Versorgung und Betreuung von Zivilisten sowie verletzten Kombattanten und damit der Leidlinderung dienen.471 Ähnlich wie bei den Verbrechen gegen die Menschlichkeit liegt das besondere Unrecht der Tat aber nicht in der Individualrechtsgutsverletzung als solcher, sondern im Nexus zwischen Einzeltat und Gesamtakt, dem bewaffnetem Konflikt.472 Ausschlaggebend für die völkerstrafrechtliche Relevanz der Tat ist die kollektive Bedrohungssituation. Viktimisiert wird nicht nur das einzelne Individuum, sondern auch die Zivilbevölkerung und andere geschützte Gruppen als solche.473 Diese werden als Kollektiv geschützt.474 Daneben soll durch das ius in bello auch die Störung des Friedens begrenzt werden. Verhindert werden soll, dass massive Gewaltakte ein friedliches Zusammenleben nach Beendigung des Konflikts unmöglich machen. Erleichtert werden soll die Wiederherstellung des Friedens, so dass auch dieser Tatbestand den Weltfrieden schützt.475

3. Ergebnis Art. 8 IStGH-Statut stellt massive Individualrechtsverletzungen unter Strafe. Ebenso wie bei den Verbrechen gegen die Menschlichkeit stehen diese aber nicht für sich. Die völkerrechtliche Relevanz der Tat wird erst durch den Zusammenhang zwischen Einzeltat und bewaffneten Konflikt hergestellt. Ziel ist ein kollektiver Opferschutz durch die Gewährleistung grundlegender Menschenrechte in der Extremsituation des Krieges. Daneben will das ius in bello die Wiederherstellung des Friedens erleichtern.

470 Zander, S. 106; Seidel / Stahn, S. 18; Safferling (2000), S. 166; Stahn (1999), S. 349 – 350; Werle (2007), Rn. 994; Ambos (2008a), § 7 Rn. 226; MünchKomm(-Ambos), Vor §§ 8 – 12 VStGB Rn. 3; Satzger (2010), § 16 Rn. 57. 471 Strebel, S. 69. 472 Mrkšiç Trial Judgement, o. Fn. 330, Rn. 423; Fofana & Kondewa Trial Judgement, o. Fn. 321, Rn. 129; BMJ, S. 21; Satzger (2002), S. 126; Dörmann (2003), S. 19; Retalis, S. 232. 473 Safferling (2003a), S. 355. Siehe auch Ambos (2008a), § 7 Rn. 241. 474 Akayesu Trial Judgement, o. Fn. 167, Rn. 469. 475 Satzger (2010), § 16 Rn. 57; Werle (2007), Rn. 995; Ambos (2008a), § 7 Rn. 226; MünchKomm(-Ambos), Vor §§ 8 – 12 VStGB Rn. 3. Siehe auch Joyner, S. 153.

B. Die Straftatbestände des IStGH-Statuts

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V. Aggression, Art. 5 Abs. 1 lit. d) IStGH-Statut Im Gegensatz zu den Kriegsverbrechen betrifft das Verbot der Aggression nicht das „Wie“, sondern das „Ob“ der Kriegsführung. Die Beschränkung des Kriegsführungsrechts durch das ius ad bellum stellt einen erheblichen Eingriff in die staatliche Souveränität dar.476 Die Definition der Aggression und die Abhängigkeit einer Strafverfolgung durch den IStGH von einer Entscheidung des Sicherheitsrats waren demgemäß während der Rom Konferenz stark umstritten.477 Das Statut stellt daher zwar die Aggression unter Strafe, suspendiert aber gleichzeitig die Gerichtsbarkeit des IStGH über diesen Tatbestand.478 Nach der auf der review conference erzielten Kompromisslösung wird der IStGH frühstens 2017 Gerichtsbarkeit über das Verbrechen der Aggression ausüben können.479 Ziel der Beschränkung des Kriegsführungsrechts ist – unabhängig von Detailregelungen – in erster Linie die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit.480 Gleichzeitig wird der Staat als solcher in seiner Souveränität geschützt, indem die Unverletzlichkeit seines Territoriums garantiert wird.481 Im Krieg sind zudem elementare Rechtsgüter wie Würde, Leben, körperliche Unversehrtheit, Gesundheit, Freiheit und Eigentum gefährdet. Auch wenn das Verbot der Aggression nicht in erster Linie dem Individualschutz dient, schützt es mittelbar dennoch auch jeden Einzelnen vor den Auswirkungen bewaffneter Konflikte.

VI. Exkurs: Delikte gegen die Rechtspflege Der Vollständigkeit halber sei noch erwähnt, dass der IStGH nach Maßgabe von Art. 70 IStGH-Statut auch für Straftaten gegen seine Rechtspflege zuständig ist. Diese Delikte dienen dem Schutz der Funktionsfähigkeit des IStGH und damit der Wahrheitsfindung.482 Ein individuelles Opfer fehlt. Mittelbaren Individualschutz Siehe auch Schuster, S. 3 m. w. N. Siehe nur von Hebel / Robinson, Darryl, S. 81 ff.; Zimmermann (1998), S. 73 ff.; Schuster, S. 1. 478 Siehe Art. 5 Abs. 2 IStGH-Statut. 479 Siehe Resolution RC / Res. 6 vom 11. 6. 2010. 480 Schmidhäuser, 17 / 2; Stahn (1999), S. 350; Parmas / Ploom, S. 123; Retalis, S. 235; Ambos (2008a), § 7 Rn. 253. 481 Siehe auch Retalis, S. 235. 482 Triffterer(-Piragoff), Art. 70 IStGH-Statut Rn. 1; Triffterer(-Triffterer), Art. 71 IStGHStatut Rn. 6; Terrier (2002b), S. 1309. Siehe auch Prosecutor v. Tadic´ – Judgement on Allegations of Contempt against Prior Counsel, Milan Vujin, AC, IT-94-1-A-R77, 31. 1. 2000, Rn. 16; Prosecutor v. Tadic´ – Judgement on Allegations of Contempt against Prior Counsel, Milan Vujin, AC, IT-94-1-A-AR77, 27. 2. 2001, 4; Prosecutor v. Simic´ et al. – Judgement in the Matter of Contempt Allegations Against an Accused and his Counsel, TC I, IT-95-9-R77, 30. 6. 2000, Rn. 91; Prosecutor v. Beqai – Judgement on Contempt Allegations, TC I, 476 477

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Teil 2: Struktur und Folgen völkerrechtlicher Verbrechen

entfaltet allerdings Art. 70 Abs. 1 lit. c) IStGH-Statut, der die Beeinflussung und Bedrohung von Zeugen sowie die Ausübung von Vergeltungsmaßnahmen unter Strafe stellt. Geschützte Rechtsgüter sind neben der Rechtspflege auch Leben und körperliche Unversehrtheit der Zeugen sowie ihre Willensfreiheit. Ähnlichen mittelbaren Individualschutz entfalten Art. 70 Abs. 1 litt. d) und e) IStGH-Statut für Bedienstete des Gerichtshofs.

VII. Fazit Die Gerichtsbarkeit des IStGH erstreckt sich auf die schwersten Verbrechen, die die internationale Gemeinschaft als Ganzes berühren. Alle Taten haben erhebliche und massive Individualrechtsverletzungen zur Voraussetzung. Der Angriff auf den Einzelnen ist aber nicht ausreichend, um die Zuständigkeit des IStGH zu begründen. Der reine Individualschutz bleibt vielmehr den nationalen Gerichten überlassen. Die Straftatbestände des Völkerrechts dienen immer auch dem Schutz kollektiver Rechtsgüter. Das IStGH-Statut pönalisiert nur Angriffe auf einzelne Individuen, die in einem übergeordneten Kontext erfolgen. Erst dieser begründet die völkerstrafrechtliche Relevanz der Tat. Das einzelne Opfer wird nicht um seiner selbst willen, losgelöst von seinem Bezug zum Kollektiv, geschützt. Vor allem beim Völkermord ist der Individualschutz bloßer Reflex. Wird das Existenzrecht einer bestimmten Gruppe geschützt, unterfällt auch jedes einzelne Gruppenmitglied dem Schutzbereich des Tatbestandes. Massive Individualrechtsverletzungen in großem Ausmaß gefährden den Weltfrieden. Bewaffnete Konflikte, Angriffe auf die Zivilbevölkerung oder systematische Verfolgungsakte können sich unkontrollierbar ausweiten und eine gesamte Region destabilisieren. Jedem Straftatbestand ist daher eine weitere überindividuelle Schutzrichtung inhärent. Ziel des Völkerstrafrechts ist die Wahrung oder Wiederherstellung des Weltfriedens. Allerdings sind die verschiedenen Schutzgüter miteinander verflochten und lassen sich nicht klar voneinander trennen. So führt die Verletzung von Individualrechtsgütern in großem Ausmaß zur Bedrohung der supra-individuellen Rechtsgüter. Die Einbettung der einzelnen Viktimisierung in einen Gesamtakt483 führt zu einer besonderen Hilflosigkeit des einzelnen Opfers. Es steht einer hohen Anzahl an IT-03-66-T-R77, 27. 5. 2005, Rn. 9; Prosecutor v. Marijac´ic´ & Rebic´ – Judgement, TC III, IT-95-14-R77.2, 10. 3. 2006, Rn. 13; Prosecutor v. Jovic´ – Judgement, TC III, IT-95-14 & IT-95-14 / 2-R77, 30. 8. 2006, Rn. 11; Prosecutor v. Margetic´ – Judgement on Allegations of Contempt, TC I, IT-95-14-R77, 7. 2. 2007, Rn. 34; Prosecutor v. Haxhiu – Judgement on Allegations of Contempt, TC I, IT-04-84-R77.5, 24. 7. 2008, Rn. 9; Prosecutor v. Hartmann – Judgement on Allegations of Contempt, TC, IT-02-54-R77.5, 14. 9. 2009, Rn. 18; Prosecutor v. Samura – Judgement in Contempt Proceedings, TCI, SCSL-2005-01, 26. 10. 2005, Rn. 14.

C. Strukturelle und viktimologische Spezifika völkerrechtlicher Verbrechen

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Tätern meist wehrlos gegenüber und kann typischerweise keinerlei Einfluss auf das Tatgeschehen nehmen. Auch wenn der Individualrechtsgüterschutz nicht einziges und zentrales Ziel der Straftatbestände ist, sorgt die Verbindung von Kollektiv- und Individualrechtsgüterschutz dafür, dass der Einzelne in den Situationen unter dem Schutz der Staatengemeinschaft steht, in denen er besonders hilflos und schutzbedürftig ist.

C. Strukturelle und viktimologische Spezifika völkerrechtlicher Verbrechen Die Opfer völkerrechtlicher Verbrechen sind Überlebende extremer Gewalt- und Bedrohungssituationen. Die Taten können gravierende psychische Langzeitschäden verursachen. Ein strafprozessuales Konzept, das die Belange der Opfer berücksichtigen will, muss den Besonderheiten ihrer Viktimisierungserfahrung Rechnung tragen. Dies setzt eine Auseinandersetzung mit den strukturellen und viktimologischen Spezifika der Delikte voraus.

I. Überlebensschuld als Folge kollektiv erlebter Gewalt Kennzeichnendes Merkmal völkerrechtlicher Verbrechen ist das Vorgehen der Täter gegen eine Vielzahl von Individuen. Fast alle Überlebenden haben zumindest eine nahestehende Person verloren. Charakteristische Folge ist die Überlebensschuld.484 Der Betroffene fragt sich, warum er selbst verschont wurde, während andere – aus seiner Sicht wertvollere – Menschen sterben mussten.485 Schuldgefühle können auch aus Taten resultieren, die er begangen hat, um zu überleben.486 Ebenso kann er sich vorwerfen, nicht genug zur Rettung von Angehörigen, Freunden oder Leidensgefährten unternommen und sie daher im Stich gelassen zu haben.487 In diesen Fällen basieren die Schuldgefühle auf der Vorstellung, 483 An dieser Stelle sei nochmals darauf hingewiesen, dass beim Völkermord das Vorliegen eines Gesamtakts rechtlich zwar nicht erforderlich ist, faktisch aber regelmäßig vorliegen wird. Siehe oben Teil 2 B. II. 1. d) und unten Teil 2 C. III. 484 Eissler, S. 266; Pross (1998), S. 161; Ba Thien / Malapert, S. 249; Breyer, S. 89; Grinberg / Grinberg, S. 171; American Psychiatric Association, S. 425; Khouzam / Kissmeyer, S. 691; Kubany / Abueg / Kilauano / Manke / Kaplan, S. 236; Monika Hauser, S. 73; UngarKlein, S. 38; Schmeling, S. 47; Kürss¸at-Ahlers, S. 181; O’Connell, S. 314; Danieli, S. 1640. 485 Niederland, S. 232; Teicher / Brainin / Ligeti, S. 55; Ünal, S. 57; Rosenberg, S. 536. 486 Ba Thien / Malapert, S. 249; American Psychiatric Association, S. 425; Khouzam / Kissmeyer, S. 691; Kubany / Abueg / Kilauano / Manke / Kaplan, S. 236; Schmeling, S. 43; Herzog, S. 177. 487 Teicher / Brainin / Ligeti, S. 55; Daniela Weber, S. 47; Khouzam / Kissmeyer, S. 694; Kubany / Abueg / Kilauano / Manke / Kaplan, S. 245; Hille Klein, S. 246; Rosenberg, S. 537.

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Teil 2: Struktur und Folgen völkerrechtlicher Verbrechen

die eigenen moralischen Wertmaßstäbe egoistisch dem Überlebensdrang untergeordnet488 und damit das eigene Überleben auf Kosten anderer ermöglicht zu haben. Dieses Überlebensschuldsyndrom tritt verstärkt bei Menschen auf, die unter einer PTBS leiden.489

II. Bewaffnete Konflikte Bewaffnete Konflikte betreffen Kämpfende und Zivilisten gleichermaßen.

1. Soldaten Während der Kampfhandlungen sind Soldaten fortwährend mit Gewalt und Tod konfrontiert. Ihr Leben ist permanent bedroht. Elementar für das Überleben sind neben der Befolgung von Befehlen490 die Beachtung von Details und vor allem eine ausgeprägte Sensibilität für Gefahren491. Weitere Überlebensstrategien sind eine emotionale Distanzierung vom äußeren Geschehen, die sich auch in einer unpersönlichen, beschönigenden oder metaphorischen Sprache bezüglich der traumatischen Ereignisse ausdrücken kann,492 sowie aggressives Auftreten.493 Diese Schutzmechanismen können zu einem Teil der Persönlichkeit werden und im Nachkriegsleben fortwirken. So kann es zu paranoiden Verhaltensweisen kommen, die von einem tiefen Misstrauen gegen andere und einer Hypersensibilität für Gefahren gekennzeichnet sind.494 Möglich ist auch die Herausbildung von Zwangsneurosen in Form von unbeirrbarem Festhalten an Regeln und extremer Beachtung von Details. Hinzu können ein ausgeprägtes Vermeideverhalten bezüglich gefährlicher Situationen und ein extremes Sicherheitsbedürfnis treten.495 Ferner kann auch die emotionale Taubheit anhalten und die Beziehung zu nahestehenden Personen sowie die Fähigkeit zur sozialen Interaktion beeinträchtigen.496 Teicher / Brainin / Ligeti, S. 55. Khouzam / Kissmeyer, S. 694; Beckham / Feldman / Kirby, S. 778. 490 Dunn / Yanasak / Schillaci / Simotas / Rehm / Souchek / Menke / Ashton / Hamilton, S. 80. 491 Dunn / Yanasak / Schillaci / Simotas / Rehm / Souchek / Menke / Ashton / Hamilton, S. 80; Scurfield, S. 290. 492 Siehe hierzu Latzel, S. 322 ff. 493 Shay, S. 76 und 119 ff.; Scurfield, S. 290. 494 Dunn / Yanasak / Schillaci / Simotas / Rehm / Souchek / Menke / Ashton / Hamilton, S. 80 f.; Shay, S. 71, 235; Solomon / Laor / McFarlane, S. 104. 495 Dunn / Yanasak / Schillaci / Simotas / Rehm / Souchek / Menke / Ashton / Hamilton, S. 80 f. 496 Scurfield, S. 290; Rusico / Weathers / Lynda King / Daniel King, S. 352. Siehe auch Shay, S. 77, 243; Solomon / Laor / McFarlane, S. 108. 488 489

C. Strukturelle und viktimologische Spezifika völkerrechtlicher Verbrechen

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Soldaten sind typischerweise Opfer und Täter.497 Sie stehen vor der Wahl zu töten oder getötet zu werden. Der Krieg verlangt dem Kämpfenden Taten ab, die er unter normalen Umständen nicht begehen würde,498 und die seinem Selbstbild und -konzept widersprechen. Eine Möglichkeit, wie der Einzelne diese Handlungen vor sich selbst und anderen rechtfertigen kann, sind Neutralisationstechniken.499 Ein maßgeblicher Faktor für die Entscheidung zu töten, ist das Verantwortungsbewusstsein gegenüber den Kriegskameraden.500 Der Vorrang der Verpflichtung gegenüber nahestehenden Menschen ist eine typische Neutralisationstechnik, die es dem Täter erlaubt, die Gültigkeit einer bestimmten Norm – hier des Tötungsverbots – nicht generell, sondern nur in einer bestimmten Situation bestreiten zu müssen.501 Soldaten sehen sich häufig als Schicksalsgemeinschaft und können untereinander eine intensive emotionale Beziehung aufbauen, so dass sie eher sterben, als ihre Kameraden im Stich lassen würden.502 Das Gefühl, ihnen nicht ausreichend beigestanden oder sie verraten zu haben, führt bei Veteranen häufig zur Überlebensschuld.503 Gleiches gilt für die Überzeugung, der übertragenen Verantwortung nicht gerecht geworden zu sein.504 Die Vorstellung, als Teil einer Gruppe zu agieren, ermöglicht es auch, die individuelle Verantwortlichkeit an das Kollektiv zu delegieren und so zu negieren.505 Die Anonymität, die die Gruppenzugehörigkeit dem Einzelnen bietet, befähigt diesen zu Taten, zu denen er allein, getrennt von der Gruppe, nicht fähig gewesen wäre.506 Darüber hinaus kann eine militärische Einheit ein eigenes Wertesystem entwicklen und besonders mutig, aber auch besonders grausamen Vorgehensweisen Anerkennung zollen. Auf diese Weise können gruppendymanische Effekte die Tatbegehung, eventuell sogar eine Gewalteskalation, fördern.507 Eine weitere Möglichkeit, die eigene Verantwortlichkeit für Taten abzuschwächen, ist der Verweis auf die Befehlshierarchie.508 Zudem kann sich der Einzelne vor sich und anderen selbst erhebliche Menschenrechtsverletzun497 Shay, S. 190; Beckham / Feldman / Kirby, S. 777; Irving / Telfer / Blake, S. 475; Schubbe, S. 20. Siehe auch Scurfield, S. 290. 498 Grossmann, S. 65. Siehe auch Rowe (2008), S. 171. 499 Lamnek, S. 213; Schwind, § 19 Rn. 27. 500 Grossmann, S. 62. Siehe auch Zipfel (2001), S. 17. 501 Lamnek, S. 214. 502 Grossmann, S. 63. 503 Shay, S. 110; Khouzam / Kissmeyer, S. 694; Kubany / Abueg / Kilauano / Manke / Kaplan, S. 246; Solomon / Laor / McFarlane, S. 106. 504 Khouzam / Kissmeyer, S. 694; Beckham / Feldman / Kirby, S. 784. 505 Zum Leugnen der eigenen Verantwortlichkeit als Neutralisationstechnik Lamnek, S. 213; Schwind, § 19 Rn. 27. 506 Grossmann, S. 65; Golash, S. 215; für Taten in Konzentrationslagern Sofsky, S. 264; allgemein Schwind, § 13 Rn. 24. 507 Siehe auch Rowe (2008), S. 182. 508 Jäger (1988), S. 176; Grossmann, S. 58; Rowe (2008), S. 172. Siehe auch Golash, S. 214.

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Teil 2: Struktur und Folgen völkerrechtlicher Verbrechen

gen damit rechtfertigen, dass er zur Erreichung des Kriegsziels und damit im Dienst einer höheren Sache gehandelt hat.509 Diese Mechanismen ermöglichen es, in der Extremsituation des Kampfes ein hohes Funktionsniveau aufrechtzuerhalten. Eine andere Frage ist aber, ob es dem Soldaten gelingt, nach Kriegsende sowohl die Opfer- als auch die Tätererfahrung dauerhaft mit dem eigenen Selbstkonzept zu vereinbaren und sie so zu verarbeiten. Eine weitere Neutralisationstechnik ist die Ablehnung des Opfers.510 Durch die Distanzierung vom Opfer wird es dem Täter möglich, die Tötungshemmung zu überwinden.511 Dies kann durch die Schaffung von kultureller Distanz erfolgen. Die Opfergruppe wird als ethnisch minderwertig betrachtet und entmenschlicht. 512 Der Soldat tötet nach seiner Vorstellung nicht einen anderen Menschen, sondern eine unter ihm stehende, ihm unterlegene Kreatur. Hinzu treten Definitionsprozesse. Der Gegner wird als feindlicher Aggressor, die eigenen Taten als legitime und gerechte Verteidigungshandlungen angesehen.513 Basis für die Überwindung der Tötungshemmnis ist zumeist eine effektive Propaganda.514 Elementarer Bestandteil der Kriegstaktik ist damit regelmäßig die systematische Abwertung und Diffamierung der Gegenseite. Die damit verbundenen Zuschreibungsprozesse, die das Opfer als schuldbeladen und minderwertig hinstellen, können nicht nur die Vorstellungen der Soldaten, sondern auch das Selbstbild der Betroffenen beeinflussen.515 Zudem werden die Opfer nicht als Individuen, sondern lediglich als Teil einer Gruppe, beispielsweise des gegnerischen Kampfverbands, wahrgenommen. Dies erleichtert die Negierung der Tat und des durch sie verursachten Leidens.516 Begünstigt wird die Anonymisierung der Opfer durch moderne Kriegswaffen, die es ermöglichen, aus großer Entfernung zu töten.517 Auch die Militärsprache unterstützt die Distanzierung von den Taten: die Tötung von Zivilisten wird zur Neutralisierung des Gegners.518 Die Negierung der Opfer und ihrer Leiden kann zu einer dauerhaften emotionalen Taubheit führen.519

Rowe (2008), S. 171. Lamnek, S. 214; Schwind, § 19 Rn. 27. 511 Cormier, S. 88; Grossmann, S. 70. 512 Jäger (1989), S. 170, 194; Lamnek, S. 214; Scurfield, S. 290; Sofsky, S. 270; Grossmann, S. 72; Zipfel (2004), S. 259; dies. (2001), S. 16; Schwind, § 19 Rn. 27. Siehe auch Karmen, S. 98; Shay, S. 154. 513 Grossmann, S. 75; Latzel, S. 326; Möller (2003), S. 265; Golash, S. 214. Allgemein Karmen, S. 98; Schwind, § 19 Rn. 27. 514 Grossmann, S. 72, 73. 515 Siehe zu den Auswirkungen von Zuschreibungsprozessen oben Teil 2 A. III. 2. 516 Siehe auch Grossmann, S. 72, 73; Sofsky, S. 270. 517 Jäger (1988), S. 167; Grossmann, S. 75. Siehe auch Triffterer (2001b), S. 163; allgemein Karmen, S. 98; Schwind, § 19 Rn. 27. 518 Eifler, S. 88. 519 Scurfield, S. 290 f. 509 510

C. Strukturelle und viktimologische Spezifika völkerrechtlicher Verbrechen

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Die Neutralisierungsprozesse werden deutlich erschwert, wenn ein Soldat eine Person tötet, von der keine Bedrohung ausgeht.520 So leiden Kriegsveteranen häufig unter Schuldgefühlen, nicht genug zum Schutz unschuldiger Zivilisten getan zu haben.521

2. Zivilbevölkerung Ein Krieg zieht auch die Zivilbevölkerung in erheblichem Umfang in Mitleidenschaft. Zivilisten erfahren und beobachten regelmäßig Gewalt und Tod in massiven Ausmaßen.522 Krieg ist eine intensive physische, psychische und soziale Bedrohung.523 Die traumatischen Ereignisse sind fast immer vielfältig und finden entweder gleichzeitig oder kurz hintereinander statt.524 Die Gewalthandlungen sind für die Opfer unkontrollierbar und unvorhersehbar. Prägend ist die permanente Angst um das eigene Leben und um das nahestehender Person. Krieg führt zu einem nachhaltigen Verlust des Sicherheitsgefühls.525 Hinzu treten – ausgelöst durch den Tod von Angehörigen und Freunden526 sowie die Zerstörung von Häusern und sonstigem Eigentum527 – elementare Verlusterfahrungen. Bei Familien kommt erschwerend hinzu, dass die Eltern ihrer Rolle als Beschützer ihrer Kinder nicht mehr gerecht werden können. Diese Erkenntnis kann zu einer Erschütterung des Selbstbildes führen.528

3. Ergebnis Im Krieg werden sowohl Soldaten als auch Zivilisten mit massiven, sich wiederholenden traumatischen Ereignissen konfrontiert. Kennzeichnend sind für beide Gruppen Verlusterfahrungen sowie die permanente Angst um das eigene Leben und das nahestehender Menschen. Bei den Soldaten kann die Erfahrung, selbst Täter geworden zu sein, zusätzlich traumatisierend wirken.

520 521 522 523 524

Grossmann, S. 84. Kubany / Abueg / Kilauano / Manke / Kaplan, S. 246. Jahangir, S. 12; Dyregrov / Gjestad / Raundalen, S. 59. Ostojic, S. 190. Heinl, S. 68; Dahl / Mutapcic / Schei, S. 143; Ostojic, S. 190; Rosner / Powell / Butollo,

S. 50. Ostojic, S. 190. Njengué, S. 7; Ostojic, S. 190. 527 Siehe nur Ostojic, S. 190. Siehe zu der Bedeutung materieller Schäden oben Teil 2 A. I. 1. 528 Almqvist, S. 13. 525 526

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Teil 2: Struktur und Folgen völkerrechtlicher Verbrechen

III. Systematische Verfolgung und Völkermord Ein effizienter und über längere Zeit anhaltender Genozid setzt strukturell ein Machtgefälle zwischen der organisierten Gruppe der Verfolger und den Verfolgten voraus.529 Regelmäßig werden die Gewalttaten vom staatlichen Machtapparat organisiert und durchgeführt, unterstützt oder zumindest toleriert.530 Wenn der Staat unfähig ist, sein Gewalt- und Tötungsmonopol durchzusetzen, kann auch eine mächtige gesellschaftliche Gruppe den Völkermord ausüben.531 Auch wenn der Völkermord theoretisch nach Art. 6 IStGH-Statut von einem Einzeltäter ohne Einbindung in eine Gruppe begangen werden kann,532 wird dies faktisch nicht der Fall sein. Typisch ist vielmehr eine kollektive Tatausführung.533 Voraussetzung ist – ebenso wie bei den Soldaten im Krieg – die Überwindung der Tötungshemmnis. Die eingesetzten Neutralisationstechniken ähneln denen, die während bewaffneter Konflikte angewandt werden. Die Gruppe, die als treibende Kraft hinter der Verfolgung oder dem Völkermord steht, kann ihr Ziel aber regelmäßig nicht gegen den aktiven Widerstand eines Großteils der Bevölkerung erreichen.534 Im Deutschland der NS-Zeit wurden die Vernichtungslager in das okkupierte Ausland verlegt, damit diese nicht im Zentrum der Aufmerksamkeit standen.535 Die Beteiligung der Bevölkerung erschöpfte sich überwiegend in der Duldung und Unterstützung der antisemitischen Regierungsmaßnahmen. Anders lag der Fall in Ruanda. Hier wurde die Bevölkerung zur aktiven Teilnahme an den Tötungshandlungen aufgefordert. Diese fanden sichtbar direkt vor Ort statt.536 Jedenfalls ist ein Völkermord ohne eine gewisse Tolerierung durch breite Bevölkerungsschichten kaum vorstellbar. Vorstufe eines Genozids ist daher regelmäßig die systematische Ausgrenzung der Opfergruppe aus der übrigen Gesellschaft und deren Verfolgung, auch in Form von Apartheid. Erster Schritt ist die Auswahl der Opfergruppe: Diese muss definiert und vom Rest der Bevölkerung abgegrenzt werden.537 Genozide und ethnische Säuberungen basieren meistens auf einer Ideologie, die auf den religiösen, 529

Dadrian (1971), S. 123; Hans-Joachim Schneider (1982b), S. 305. Siehe auch Travis,

S. 1. 530 Amelunxen (1970), S. 41; Campell, S. 104 – 116; Horowitz, S. 14; Lemarchand, S. 143; Kürs¸at-Ahlers, S. 181. Siehe auch Fronza (1999), S. 117; Morris (2001a), S. 13; Schabas (2003a), S. 59. 531 Hans-Joachim Schneider (1982b), S. 305; Kurss ¸at-Ahlers, S. 188. 532 Siehe oben Teil 2 B. II. 1. d). 533 Cormier, S. 72; Hans-Joachim Schneider (1982b), S. 310, MünchKomm(-Kreß), § 220a StGB / § 6 VStGB Rn. 78; Fletcher / Ohlin, S. 545. 534 Valentino, S. 31. Siehe auch Kwiet, S. 61. 535 Siehe nur Matthäus, S. 848. 536 Siehe auch Valentino, S. 37. 537 Mukimbiri, S. 824. Siehe auch Reese, S. 76.

C. Strukturelle und viktimologische Spezifika völkerrechtlicher Verbrechen

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ethnischen oder kulturellen Unterschieden zwischen der Täter- und der Opfergruppe aufbaut und diese betont.538 Sie bildet meist gleichzeitig die Grundlage für eine Stigmatisierung und Abwertung der Opfer. Diesen wird das Menschsein abgesprochen; sie werden als wertlos oder zumindest minderwertig dargestellt.539 Zudem werden die Opfer nicht als Individuen, sondern als Teil eines Kollektivs angesehen. Bereits die Gruppenzugehörigkeit begründet ihre Schuld.540 Zudem wird typischerweise behauptet, die Opfergruppe stelle eine ernsthafte Gefahr für die Bevölkerung dar, wolle diese sogar vernichten und sei jedenfalls für bestehende gesellschaftliche Missstände verantwortlich.541 Das Vorgehen gegen die Gruppe wird so aus Sicht der Mehrheit zu einem patriotischer Akt der Selbstverteidigung im Dienste höherer Ideale.542 Bevor es zu Massentötungen kommt, werden die Opfer schrittweise weiter ausgegrenzt und diskriminiert. Die Mitglieder der Opfergruppe werden registriert und – beispielsweise durch offen zu tragende Symbole – gekennzeichnet. Dadurch sind sie vom Rest der Bevölkerung unterscheidbar und als Angehörige der Feindgruppe erkennbar.543 Typische Folgemaßnahmen sind Ghettobildung, die Aberkennung der Bürgerrechte sowie die soziale Isolation.544 Durch die schrittweise vorangetriebene Eskalation wird die Bevölkerung abgestumpft und an den Völkermord gewöhnt.545 Die Opfergruppe wird allmählich aus dem Geltungsbereich allgemeiner moralischer Grundsätze sowie des Gewalt- und Tötungsverbots herausgelöst.546 Der Staat garantiert Straflosigkeit für Gewaltakte gegen die Opfergruppe – und sei es nur durch die faktische Nichtverfolgung der Taten.547 Diese stellen zunehmend aus Sicht der Allgemeinheit kein Unrecht mehr dar. Völkermord geht daher regelmäßig mit einer ideologischen Massenindoktrination und einer Veränderung des Rechts- und Moralbewusstseins der Gesellschaft einher.548

538 Dadrian (1975), S. 106 f.; Amelunxen (1970), S. 41; Hans-Joachim Schneider (1982b), S. 306; Horowitz, S. 35; Kürs¸at-Ahlers, S. 181. Siehe für den Nationalsozialismus Kwiet, S. 50; Fletcher / Ohlin, S. 546. 539 Amelunxen (1970), S. 41; Hans-Joachim Schneider (1982b), S. 311; Mitscherlich, S. 208; Kürs¸at-Ahlers, S. 184; Valentino, S. 17; Akhavan (1997), S. 348; Neubacher (2008), S. 40. Allgemein zur Depersonalisierung bei Makrodelinquenz Delmas-Marty (2009), S. 8. 540 Horowitz, S. 29 f.; Kürs ¸at-Ahlers, S. 186. 541 Dadrian (1975), S. 102; Hans-Joachim Schneider (1982b), S. 313; Akhavan (1997), S. 348. Siehe auch die Propaganda der Serben im Jugoslawienkonflikt dargestellt in Tadic´ Trial Judgement, o. Fn. 315, Rn. 91 ff. 542 Mitscherlich, S. 208; Kürs ¸at-Ahlers, S. 189; Neubacher (2008), S. 42. 543 Mukimbiri, S. 828. 544 Kürs ¸at-Ahlers, S. 181; Mukimbiri, S. 834. 545 Kürs ¸at-Ahlers, S. 184. 546 Kürs ¸at-Ahlers, S. 185. Siehe auch Neubacher (2008), S. 37, 40. 547 Amelunxen (1970), S. 41; Jäger (1989), S. 202; ders. (1998), S. 176; Hans-Joachim Schneider (1982b), S. 310; Möller (2003), S. 268. Siehe auch Neubacher (2008), S. 41. 548 Hans-Joachim Schneider (1982b), S. 310. Für den Nationalsozialismus Kwiet, S. 56 ff.

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Teil 2: Struktur und Folgen völkerrechtlicher Verbrechen

Durch die vorangegangenen, sich langsam steigernden Diskriminierungs- und Verfolgungsmaßnahmen wird aber auch die Opfergruppe selbst schrittweise an die Eskalation der Gewalt gewöhnt.549 Ihre Rechte und Freiheiten werden nach und nach beschnitten und damit ihre Handlungsmöglichkeiten begrenzt.550 Hinzu kommt, dass sich Völkermord häufig gegen eine sozial schwache Opfergruppe richtet, sie sich durch eine besondere Macht- und Wehrlosigkeit auszeichnet.551 Das Machtgefälle zu der staatlichen oder zumindest staatlich unterstützten Tätergruppe führt dazu, dass der Einzelne sich in besonderem Maße hilflos fühlt. Mögliche Reaktion auf die Maßnahmen des Täterkollektivs ist daher neben Widerstand oder Flucht ins Ausland auch die Akzeptanz und Übernahme der Opferrolle.552 Die Überzeugung von der eigenen Hilf- und Wehrlosigkeit kann zu einer Lähmung sowohl des Einzelnen als auch der gesamten Gruppe und damit zu einem Verzicht auf Widerstand führen.553 Die systematische Abwertung der Opfergruppe können als Labelingprozesse ebenfalls Auswirkungen auf das Selbstbild der Verfolgten haben. Verfolgungsmaßnahmen und Völkermord beinhalten damit die Gefahr einer tertiären Viktimisierung sowohl der individuellen Opfer als auch der Gruppe als solcher.554 Zusätzlich müssen die individuell erlebten Diskriminierungs-, Verfolgungs- und Gewalterfahrungen verarbeitet werden. Flucht555 oder das Leben im Versteck kann die einzige Möglichkeit sein, einer Verhaftung zu entgehen und zu überleben.556 Letzteres ist durch die permanente Angst, entdeckt oder verraten zu werden, Versorgungsprobleme sowie die räumliche Enge gekennzeichnet.557 Mögliche Langzeitfolgen, die weit über die Verfolgungssituation hinaus, unter Umständen sogar lebenslang anhalten können, sind vor allem Misstrauen, Unsicherheit und Ängste.558 Prägend für die Situation der Verfolgten sind die permanente Todesangst559 und die Verlusterfahrungen.560 Insoweit besteht eine strukturelle Ähnlichkeit zur Amelunxen (1970), S. 46; Hans-Joachim Schneider (1982b), S. 306. Siehe auch Hille Klein, S. 43; Suedfeld / Fell / Krell, S. 332. 551 Dadrian (1975), S. 100; ders. (1971), S. 126; Hans-Joachim Schneider (1982b), S. 305; Mitscherlich, S. 208. 552 Siehe auch Dadrian (1975), S. 103. Zu den Auswirkungen einer tertiären Viktimisierung oben Teil 2 A. III. 553 Amelunxen (1970), S. 46; Hans-Joachim Schneider (1982b), S. 313. Siehe auch Dadrian (1975), S. 110 f. sowie Herman (1992), S. 388, die die Passivität der Opfer als Folge einer komplexen PTBS ansieht. 554 Siehe auch Kiefl / Lamnek, S. 273. 555 Siehe zur Vertreibung und Flucht unten Teil 2 C. VII. 556 Siehe nur Ungar-Klein, S. 31; Dyregrov / Gupta / Gjestad / Mukanoheli, S. 4, 9. 557 Ungar-Klein, S. 36; Pross (1998), S. 162. Siehe auch die Darstellungen bei Hille Klein, S. 86. 558 Siehe auch Ungar-Klein, S. 40. 559 Niederland, S. 10; Dyregrov / Gupta / Gjestad / Mukanoheli, S. 15. 560 Dyregrov / Gupta / Gjestad / Mukanoheli, S. 4, 9. 549 550

C. Strukturelle und viktimologische Spezifika völkerrechtlicher Verbrechen

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Kriegssituation. Der entscheidende Unterschied liegt in der Täter-Opfer-Beziehung. Im Krieg geht die Gefahr von Fremden aus.561 Völkermord richtet sich hingegen gegen eine abgrenzbare Gruppe innerhalb der Gesellschaft. Das heißt, dass die Opfer die Menschen, die sie diskriminieren, demütigen, verfolgen, vertreiben, verletzen und töten wollen, kennen, ihnen vielleicht sogar nahe stehen.562 Dadurch kann das Vertrauen in die eigene Fähigkeit, Menschen als freundlich oder feindlich gesinnt einzustufen, erschüttert werden.563 Diese Verunsicherung kann sich dauerhaft auf alle zwischenmenschlichen Beziehungen auswirken.564

IV. Folter Folter bedeutet gemäß Art. 7 Abs. 2 lit. e) IStGH-Statut, dass einer im Gewahrsam oder unter der Kontrolle des Beschuldigten befindlichen Person vorsätzlich große körperliche oder seelische Schmerzen oder Leiden zugefügt werden. Die gleichberechtigte Aufzählung von körperlichen und seelischen Schmerzen ist ein Hinweis auf doppelte Wirkungsrichtung von Folter: Sie richtet sich regelmäßig gleichzeitig gegen Psyche und Physis.565 Einzelne Techniken haben zwar eine Hauptangriffsrichtung – sie wirken in erster Linie entweder physisch oder psychisch. Die verschiedenen Methoden werden aber regelmäßig kombiniert, um die Entwicklung psychischer Verteidigungsmechanismen oder eine körperliche Gewöhnung an den Schmerz zu verhindern.566

1. Physische Folter Praktiken, die in erster Linie darauf abzielen, körperlichen Schmerz zuzufügen, sind beispielsweise systematische Schläge mit verschiedenen Gegenständen, Verbrennungen, Verstümmelungen, Aufhängen des Opfers an den Armen oder Beinen – auch über Kopf –, Hervorrufung von Erstickungsgefühlen durch das Eintauchen des Kopfes in mit Blut, Urin oder Exkrementen verschmutztes Wasser oder der 561 Salzman, S. 360; Horowitz, S. 37 f. Dies gilt nicht für den Bürgerkrieg. Dieser ähnelt in struktureller Hinsicht mehr dem Völkermord als dem internationalen bewaffneten Konflikt. 562 Suedfeld / Fell / Krell, S. 332; Dyregrov / Gupta / Gjestad / Mukanoheli, S. 4; Kressel, S. 12. Siehe auch Report of the Sierra Leone Truth and Reconciliation Commission, Volume II (2004), Chapter 4 Rn. 43. 563 Siehe Fischer / Riedesser (2009), S. 152 sowie Gottfried Fischer, S. 208. 564 Niederland, S. 10. 565 Schlapobersky / Bamber, S. 207; Jahangir, S. 20; Karcher, S. 101. Siehe auch Al-Dujail Lawsuit Trial Judgement, o. Fn. 327, Teil 3 S. 35. Anders hingegen die Legaldefinition des Art. 122 ECC, die Folter auf physische Schmerzzufügung beschränkt. Estland bleibt damit deutlich hinter dem internationalen Standard zurück. 566 Haas, S. 22. Siehe zur Abstumpfung gegen Schmerz auch Frankl, S. 45.

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Teil 2: Struktur und Folgen völkerrechtlicher Verbrechen

Einsatz von Elektroschocks.567 Schmerzfolter kann Störungen in der Körperwahrnehmung hervorrufen. Dies kann – vor allem bei Narben oder Verstümmelungen – zur Ablehnung des Körpers führen.568 Körperteile können gefühlslos oder emotional nicht mehr als Teil des eigenen Körpers wahrgenommen werden.569 Insbesondere Elektroschockfolter kann erhebliche Störungen von Körperempfindungen hervorrufen.570 Auch noch Jahre nach der Folter, und zwar auch dann, wenn die körperlichen Verletzungen verheilt sind, haben viele Opfer das Gefühl, einen beschädigten Körper zu haben. Dies kann in psychosomatischen Beschwerden und Schmerzzuständen, für die es keinen aktuellen physischen Auslöser gibt, seinen Ausdruck finden.571

2. Psychische Folter Formen der psychischen Folter sind der Entzug von Schlaf, Licht, medizinischer Versorgung und Nahrung, der Einsatz von Drogen oder die Durchführung von Scheinexekutionen. Hierzu gehören auch die Drohung, Familienmitglieder oder Freunde zu foltern sowie der Zwang, der Folterung von Mitgefangenen beiwohnen zu müssen. Begleitet werden diese Handlungen häufig durch die Demütigung des Opfers, z. B. durch Verspotten oder den Zwang, Exkremente essen zu müssen.572 Rein psychische Folter als sog. „saubere“ oder „weiße“ Folter hinterlässt keine Spuren am Körper des Opfers und ist daher nur schwer nachweisbar.573 Einziges Beweismittel ist häufig die Aussage des Opfers. Dies erhöht die Gefahr, dass den Erzählungen der Betroffenen nicht oder nur begrenzt Glauben geschenkt wird und damit die Wahrscheinlichkeit einer sekundären Viktimisierung.574 Verstärkt wird die schwierige Beweislage dadurch, dass ein Staat offiziell nicht zugeben wird, dass er Folter einsetzt oder den Einsatz von Folter durch Dritte toleriert.575 Eine häufige Vertuschungsmethode ist es beispielsweise, den Häftling nur unter der 567 Siehe Al-Dujail Lawsuit Trial Judgement, o. Fn. 327, Teil 3 S. 36; Reemtsma, S. 28; Haas, S. 23; Birck (2004b), S. 159. 568 Zum Körperbild oben Teil 2 A. I. 2. 569 Karcher, S. 102 f. 570 Drees, S. 22. 571 Ralf Weber, S. 87. 572 Siehe Al-Dujail Lawsuit Trial Judgement, o. Fn. 327,Teil 3 S. 36; Drees, S. 23 f.; Haas, S. 24 – 27; Jahangir, S. 11. 573 Agger / Jensen (1993), S. 686; Michael Simpson, S. 668; Drees, S. 24; Ralf Weber, S. 106; Birck (2002c), S. 60; Rauchfuss, S. 30; Wenk-Ansohn / Gutteta, S. 36. 574 Zum Zusammenhang zwischen geringen körperlichen Verletzungen und sekundären Viktimisierung oben Teil 2 A. II. 1. 575 Movschenson, S. 47; Haas, S. 20; Ralf Weber, S. 106; Birck (2002c), S. 60. Siehe zum eng mit der Folter verbundenen Tatbestand des zwangsweisen Verschwindenlassen Brody / González, S. 366, 384.

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Bedingung zu entlassen, dass dieser unterschreibt, dass er während seiner Haft gut behandelt und nicht gefoltert wurde.576 Ebenfalls psychisch wirken der gezielte Einsatz von Verwirrungstaktiken, den so genannten double-blind Techniken. Eine Variante ist der Wechsel zwischen einem brutalen Folterer und einem fürsorglich, verständnisvoll auftretenden Folterer. Kann das Opfer gegen das gewalttätige Vorgehen des ersten noch einen inneren Widerstand aufbauen, so bricht dieser regelmäßig unter dem gütigen Verhalten des zweiten zusammen. Das Opfer baut Vertrauen zu der vorgeblichen Schutzperson auf und kooperiert mit ihr.577 Die Preisgabe von Informationen unter diesen Umständen führt häufig zu einer Erschütterung im Selbstbild und -verständnis des Opfers.578 Die Unfähigkeit, auch dem zweiten Folterer zu widerstehen, kann erhebliche Schuldgefühle verursachen.579 Ebenfalls in diese Kategorie fällt die Foltermethode der „impossible choice“. Der Gefolterte wird vor eine Wahl gestellt, die egal wie er sich entscheidet, für ihn immer unerträglich ist:580 zu Tode gefoltert zu werden oder seine Freunde zu verraten, Informationen preiszugeben oder zuzusehen, wie die eigene Tochter vergewaltigt wird. Das Opfer verrät in jedem Fall einen Teil von sich: entweder seine physische Integrität oder seine moralischen Wertvorstellungen. Dies kann zum Verlust des Selbstwertgefühls581 oder von ethischen Überzeugungen und Prinzipien führen.582 Bei einer anderen double-blind Technik wird das Opfer mehrdeutigen und widersprüchlichen Aussagen ausgesetzt, so dass es die Situation nicht mehr richtig einschätzen kann.583 Ebenfalls auf den Realitätssinn zielen Foltermethoden die auf der Angst des Opfers, den Verstand zu verlieren, basieren. Beispiele sind die Vornahme von unerwarteten, unnormalen Handlungen oder die Inszenierung irreal wirkender Umstände.584 Dadurch wird dem Opfer das Vertrauen in seine eigenen Wahrnehmungsfähigkeiten genommen.585 Ein Realitätsverlust kann auch durch die ständige Konfrontation mit einer simulierten Gefahr bewirkt werden, wobei das Opfer jederzeit befürchten muss, dass sie diesmal real ist. Neben der Durchführung von Scheinexekutionen fällt in diese Gruppe auch die Warnung vor einem imaginäPreitler, S. 108; Agger / Jensen (1993), S. 686. Preitler, S. 108; Gurris (1995), S. 2; Drees, S. 24; Haas, S. 26; Fischer / Riedesser (2009), S. 278; Birck (2002c), S. 92. 578 Fischer / Riedesser (2009), S. 278. 579 Preitler, S. 108. 580 Preilter, S. 108; David Becker, S. 70; Birck (2004b), S. 160; dies. (2002c), S. 88; Haas, S. 33; Ünal, S. 49; Schotsmans, S. 124; O’Connell, S. 315. 581 Preilter, S. 108. 582 Haas, S. 33. 583 Haas, S. 26. 584 Haas, S. 32. 585 Siehe zum Verlust des Vertrauens in die eigene Wahrnehmung als allgemeine Folge von Folter Gurris (1996), S. 59; Birck (2002c), S. 88. 576 577

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Teil 2: Struktur und Folgen völkerrechtlicher Verbrechen

ren Abgrund, während das Opfer gezwungen wird, mit verbundenen Augen in einem Raum umherzulaufen.586 Wird der Gefangene isoliert und in dauerhafter Dunkelheit untergebracht, kann die Fähigkeit, sich in Zeit und Raum orientieren zu können, nachhaltig beeinträchtigt werden.587 Die hiermit verbundene Orientierungslosigkeit verstärkt zudem das Gefühl des Realitätsverlustes und der Irrealität.

3. Machtgefälle und Anpassungsstrategien Charakteristisches Merkmal der Folter ist das gravierende Machtgefälle zwischen der totalen Hilflosigkeit des Opfers auf der einen und der uneingeschränkten Macht des Folterers auf der anderen Seite.588 Das Gefühl der Hilflosigkeit und Unterlegenheit kann durch die Anwendung bestimmter Foltermethoden noch weiter verstärkt werden. Gefangenen wird häufig jedwede Kleidung vorenthalten. Die erzwungene Nacktheit unterstreicht die Verletzlichkeit des Opfers.589 Einen ähnlichen Effekt hat das Verbinden der Augen.590 Kennzeichnend ist zudem die Unvorhersehbarkeit. Das Opfer weiß nicht, wann es mit welchen Mittel wieder gefoltert wird und befindet sich daher in einem permanenten Zustand chronischer Angst. Es gibt keinen Moment, in dem es sich sicher fühlen kann – die Folter kann jeden Augenblick wieder beginnen.591 Die Unsicherheit und Ängste, die mit diesem vollständigen Verlust jeglicher Kontrolle über das eigene Schicksal und Wohlergehen verbunden sind, sind für den Einzelnen noch schwerer zu ertragen, wenn er isoliert wird, also keine emotionale Unterstützung durch soziale Kontakte zu Leidensgefährten erfahren kann.592 Der Folterer ist nicht nur für die Qual, sondern auch für das Wohlergehen der Opfer verantwortlich. Nur er kann eine Leidminderung herbeiführen. Der Gefolterte ist von seinem Folterer in jeder Beziehung abhängig.593 Die beständige Angst vor erneuten Qualen in Verbindung mit dem Glauben an die Allmacht des Folterers kann das Opfer zu unterwürfigem Verhalten veranlassen, das darauf abzielt, den Täter milde zu stimmen. Ein extremer Ausdruck dieser Abhängigkeit ist die Identifizierung mit dem Aggressor. Das Opfer entwickelt in diesen Fällen gegenüber Barudy (1993), S. 27; Haas, S. 31. Barudy (1993), S. 27. Siehe auch Birck (2004b), S. 161; Ralf Weber, S. 78. 588 Bamber, S. 46; Preitler, S. 108; Amati, S. 101; Michael Simpson, S. 671; Karcher, S. 100; Haenel (1996), S. 14; Haas, S. 34; Ralf Weber, S. 78; Burchard, S. 176; Sveaass / Lavik, S. 42. 589 Haas, S. 23. 590 Bamber, S. 46; Haas, S. 31. 591 Michael Simpson, S. 669; Preitler, S. 109; Wenk-Ansohn (1996), S. 91; Haas, S. 30. 592 Michael Simpson, S. 671; Drees, S. 22. 593 Barudy (1993), S. 27; Karcher, S. 100; Haas, S. 37; Schotsmans, S. 124. 586 587

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dem Folterer Gefühle der Dankbarkeit, weil er es am Leben lässt. Zudem kann das Opfer die Weltanschauung oder Ideologie des Täters übernehmen und dessen Verhalten als Notwendigkeit im Dienst eines höheren Ziels rechtfertigen.594 Diese Formen der Anpassung können Schamgefühle bezüglich der eigenen Schwäche hervorrufen.595 Die Identifikation mit dem Folterer begünstigt zudem autoagressives Verhalten.596 Eine andere mögliche Reaktion auf das Machtgefälle ist Regression. Fühlt sich der Mensch gänzlich ohnmächtig und hilflos, kann er dazu tendieren, zu kindlichen Formen des Denkens und Fühlens zurückzukehren.597 Während der Kindheit war der Mensch zwar auch hilflos, hat aber Unterstützung durch seine Eltern erfahren. Die Anknüpfung an eine Situation, die strukturell ähnlich, aber mit positiven Konnotationen besetzt ist, kann als Schutzmechanismus gegen die Daseinsangst wirken.598 Regression tritt verstärkt auf, wenn Foltermethoden angewandt werden, die z. B. wie Ohrfeigen an die Bestrafung durch ein Elternteil erinnern können. Der Rückgriff auf kindliche Verhaltensmuster kann sowohl die kognitiven als auch die emotionalen Fähigkeiten und Verhaltensweisen betreffen.599 Der hiermit verbundene Reifeverlust kann permanenter Natur sein,600 also auch über die traumatische Situation hinaus anhalten. Das asymmetrische Machtgefälle zwingt das Opfer jedenfalls in die Passivität. Charakteristisch sind Hilflosigkeit und Abhängigkeit vom Folterer. Diese Konstellation birgt im besonderen Maße die Gefahr einer erlernten Hilflosigkeit und der dauerhaften Übernahme der Opferrolle.601 Das Opfer wird außerdem vom Folterer als Feind, als Unmensch angesehen, der im Dienste eines höheren Ziels, z. B. der Verteidigung des Staats, vernichtet werden muss.602 Die Abwertung, Entmenschlichung und Degradierung des Opfers zum bloßen Objekt ist zum einen eine Neutralisationstechnik, die den Folterer befähigt, die Taten auszuführen. Zum anderen vergrößert die dauerhafte Stigmatisierung die Wahrscheinlichkeit einer tertiären Viktimisierung.603

594 Birck (2004b), S. 162; dies. (2002c), S. 106; Haas, S. 51. Siehe auch Ochberg, S. 783, der dies als generelles Merkmal des Viktimisierungssyndroms aufführt. 595 Amati, S. 104; Amesberger / Auer / Halbmayr, S. 43. 596 Gurris (1996), S. 49. Siehe auch Brand / Geisler-Scholl, S. 56. 597 Haenel (1996), S. 28; Ralf Weber, S. 77. 598 Haenel (1996), S. 28. Siehe auch Karcher, S. 100. 599 Haas, S. 50. 600 Amati, S. 101, 106. 601 Siehe Amati, S. 101; Gurris (1995), S. 4; Haenel (1996), S. 29; Ralf Weber, S. 83. 602 Preitler, S. 107; Michael Simpson, S. 672; Haas, S. 35 f. Siehe allgemein zur Ausbildung des Folterers und den erlernten Neutralisationstechniken Haritos-Fatouros, S. 73. 603 Zum Zusammenhang von labeling und tertiärerer Viktimisierung oben unter Teil 2 A. III. 2.

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Teil 2: Struktur und Folgen völkerrechtlicher Verbrechen

4. Ziel und Folgen von Folter Ziel aller Formen von Folter ist regelmäßig die Zerstörung der Identität eines Menschen.604 Die Erlangung von Informationen oder eines Geständnisses ist regelmäßig nur ein Vorwand für die Gewaltanwendung.605 Ist die Persönlichkeit gebrochen, kann das Opfer keinen Widerstand mehr leisten und ist – auch unter Verrat seiner Werte und Überzeugungen – zur Kooperation bereit.606 Gleichzeitig wird damit auch die Fähigkeit, politisch zu agieren, angegriffen.607 Gibt das Opfer der Folter nach und beugt sich den Wünschen des Folterers, widerspricht dieses Verhalten regelmäßig dem Selbstideal. Dieses verlangt, der Folter Stand zu halten. Die Diskrepanz zwischen Ideal und tatsächlichem Verhalten wird als Verrat an Freunden, Werten oder politischen Idealen und als Versagen verstanden. Mögliche Folge ist der Verlust der Selbstachtung und des Selbstwertgefühls, die integraler Bestandteil der Identität sind.608 Folter führt typischerweise zu einem Bedeutungswechsel für alltägliche Gegenstände: Wasser wird mit der Gefahr des Ertrinkens verbunden, ein Bett mit Elektrofolter und Vergewaltigung, ein anderer Mensch mit tödlicher Gefahr.609 Auch die Bedeutung von emotionalen Beziehungen wird relativiert, wenn diese ausgenutzt werden, um Informationen zu erlangen.610 Sie sind dann nicht mehr Ausdruck von Sicherheit und Geborgenheit, sondern von Erpressbarkeit und Schwäche. Das Verhalten des Folterers steht zudem in extremem Widerspruch zu den Grundannahmen über die Gerechtigkeit und Sicherheit der Welt611 und den allgemein geltenden Normen über den sozialen Umgang mit Mitmenschen. Das Opfer selbst hat gegebenfalls entgegen seinen eigenen Anforderungen unter der Folter nachgegeben oder war Verwirrungstaktiken ausgesetzt. Es hat nicht nur das Grundvertrauen in die Menschheit, sondern auch das Vertrauen in sich und seine Fähigkeiten verloren.612 Reaktionen und Handlungen von Mitmenschen erscheinen nicht mehr vorhersehbar.613 Mögliche Folgen sind tiefes Misstrauen, Wahnvorstellungen und paranoide Psychosen.614 Andere Menschen werden grundsätzlich als Bedrohung 604 Movschenson, S. 47; Schlapobersky / Bamber, S. 207; Barudy (1993), S. 25; David Becker, S. 69; Agger / Jensen (1993), S. 686; Juhler, S. 46; Jenkins, S. 187; Nirumand, S. 7; Drees, S. 22; Birck (2002b), S. 3; Griese, S. 97; Rauchfuss, S. 27; O’Connell, S. 311. 605 Ralf Weber, S. 73. 606 Nirumand, S. 7. 607 Jahangir, S. 2; Ralf Weber, S. 74. 608 Michael Simpson, S. 673; Gurris (1996), S. 49; Haas, S. 45; Ralf Weber, S. 73. Siehe auch die Überlebendenberichte bei Barudy (1993), S. 28, Gurris (1995), S. 4. 609 Preitler, S. 108. 610 Haas, S. 31. 611 Siehe oben Teil 2 A. I. 3. a). 612 Gurris (1996), S. 59; Jenkins, S. 187; Ralf Weber, S. 77; Birck (2004c), S. 182; O’Connell, S. 309. 613 Juhler, S. 47.

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wahrgenommen, auch wenn diese sich freundlich oder unterstützend verhalten.615 Dies kann sich in Reizbarkeit und Aggressionen äußern, die sich auch gegen Freunde oder Familienmitglieder richten kann.616 Möglich ist auch eine generelle Beeinträchtigung der Beziehungsfähigkeit,617 die sich in Verschlossenheit und Kontaktängsten manifestieren kann618.

V. Sexuelle Gewalt Im Rahmen kollektiver Gewaltsituationen besteht für den Einzelnen ein erhöhtes Risiko, Opfer sexueller Gewalttaten zu werden.619 Diese können Teil einer Gesamtstrategie sein oder sich im Einzelfall aus der besonderen Situation – Machtgefälle zwischen Täter und Opfer oder der Abwesenheit von Kontrolle620 – ergeben. Massive Ausmaße hat die sexuelle Gewalt beispielsweise im Jugoslawienkonflikt angenommen: Familienmitglieder wurden gezwungen sich gegenseitig zu vergewaltigen. Orale, vaginale oder anale Vergewaltigungen erfolgten vor den Augen anderer Familienmitglieder, in der Öffentlichkeit oder durch eine große Anzahl von Tätern. Dabei war es teilweise erklärtes Ziel, die betroffenen Frauen zu schwängern, um Kinder mit der ethnischen Identität der Täter zu zeugen. Sexuelle Gewalt wurde auch mittels Einführung von Gegenständen wie zerbrochenen Glasflaschen, Gewehren und Knüppeln in den Vaginal- oder Analbereich ausgeübt. Des Weiteren wurden Kastrationen durchgeführt. Beispielsweise wurden Opfer gezwungen, Mitgefangenen die Genitalien abzubeißen. Die sexuelle Gewalt richtete sich nicht nur gegen Frauen, sondern auch gegen Männer und Kinder.621

1. Sexualdelikte als Gewalttaten Sexuelle Gewalt hat regelmäßig keinen erotischen oder sexuellen Hintergrund, sondern ist vielmehr Ausdruck von Macht und Überlegenheit des Täters, der durch die Tat seine Verachtung dem Opfer gegenüber demonstriert. Sie ähneln damit Drees, S. 22; siehe auch Wenk-Ansohn (1996), S. 91; Juhler, S. 47; Birck (2002b), S. 3. Gurris (1995), S. 4; ders. (1996), S. 59; Drees, S. 25. 616 Horvath-Lindberg, S. 51; Gurris (1995), S. 4; ders. (1996), S. 60; Birck (2004b), S. 162; Drees, S. 22; Fischer / Riedesser (2009), S. 280; Ralf Weber, S. 93. 617 Birck (2004c), S. 177. 618 Drees, S. 25, Ralf Weber, S. 93. 619 Askin (2001), S. 9; Seibert-Fohr, S. 160. Siehe auch die Darstellung der sexuellen Gewalt in den unterschiedlichsten Kriesenregionen bei Clarke (2004b), S. 54 ff. 620 Siehe auch die Darstellung bei Peel, S. 66. 621 Siehe hierzu Annex IX – Rape and sexual assault in Bassiouni / Cleiren / Fenrick / Greve / M’Baye. Siehe auch die Dokumentierung des Foca-Prozesses durch medica mondiale e.V. sowie Salzman, S. 348. 614 615

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gewöhnlichen Gewaltdelikten622 – lediglich die eingesetzten Mittel sind sexueller Natur.623 Die dargestellten Praktiken zeigen, dass der Täter neben der Durchführung der sexuellen Handlung an sich auch eine besondere Erniedrigung und Demütigung des Opfers anstreben kann.624 Er greift nicht nur den Körper, sondern auch die Psyche des Opfers an. Sexuelle Gewalt weist damit eine strukturelle Ähnlichkeit zur Folter auf und wird auch als Foltermethode eingesetzt.625 Im Vordergrund stehen das Gefühl des totalen Kontrollverlusts im intimsten und persönlichsten Lebensbereich, die Degradierung zum bloßen Objekt und die damit verbundene Erniedrigung sowie die Verletzung des Schamgefühls und der Würde.626 Die Opfer fühlen sich benutzt, missbraucht und beschmutzt. Das Selbstwertgefühl wird durch die Tat erheblich beeinträchtigt. 627 Angegriffen wird die geschlechtliche und persönliche Identität des Opfers.628 Das ICTY hat Vergewaltigungen daher auch als „one of the worst sufferings a human being can inflict upon another“ bezeichnet.629

2. Sekundäre Viktimisierung Vergewaltigungsopfer neigen im besonderen Maße dazu, sich zu schämen und sich für die Tat verantwortlich zu machen, indem sie sich vorwerfen, die Tat provoziert oder sich nicht ausreichend gewehrt zu haben.630 Die Opfer wollen daher überwiegend nicht über ihre Erfahrungen reden.631 Die Tendenz zum Schweigen 622 Turner, S. 80; Allison / Wrightsman, S. 3; Peel, S. 62. Siehe auch Fischer / Riedesser (2009), S. 334. 623 Giovannoni, S. 186; Hartman / Burges, S. 507; Seifert, S. 86; Mischkowski (2004a), S. 18; Patel / Mahtani, S. 28. Kritisch Pohl, S. 70. 624 Siehe hierzu allgemein Fischer / Riedesser (2009), S. 333; Wenk-Ansohn (2004), S. 63. 625 Monika Hauser, S. 71; Wenk-Ansohn (2004), S. 161; Seifert, S. 87; Agger / Jensen (1993), S. 686; Peel, S. 64; Seltzer, S. 97; Avigad / Rahimi, S. 119; Turner, S. 80. Siehe auch Kunarac et al. Appeals Judgement, o. Fn. 331, Rn. 150; Delalic´ Trial Judgement, o. Fn. 398, Rn. 476 ff.; Brdjanin Trial Judgement, o. Fn. 240, Rn. 485; Martic´ Trial Judgement, o. Fn. 331, Rn. 76; Akayesu Trial Judgement, o. Fn. 167, Rn. 687. 626 Bassiouni / Cleiren / Fenrick / Greve / M’Baye; Astrid Becker, S. 187; Weis, S. 102; Monika Hauser, S. 71; Feldmann, S. 92; Patel / Mahtani, S. 26; Wenk-Ansohn (2002), S. 59; Duggan / Abusharaf, S. 634; Burkhardt, S. 89. 627 Folnegovic´-Šmalc, S. 228; Joachim (2004a), S. 59; Gurris (1995), S. 5. 628 Wenk-Ansohn (2004), S. 165; Weis, S. 103; Seifert, S. 87. Insbesondere für Vergewaltigung im Krieg Folnegovic´-Šmalc, S. 224. 629 Kunarac Trial Judgement, o. Fn. 328, Rn. 636. 630 Kubany / Abueg / Kilauano / Manke / Kaplan, S. 249; Ostojic, S. 192; Weis, S. 81; Daniela Hansen, S. 11; Turner, S. 81. 631 Schei, S. 114; Kressel, S. 3; Daniela Hansen, S. 12; Weis, S. 120; Bracken / Giller / Summerfield, S. 1079; Wenk-Ansohn (2002), S. 60; Salzman, S. 370; Duggan / Abusharaf, S. 633; Lakatos, S. 919; Askin (2001), S. 8; Corcoran, S. 216. Siehe auch Khuong (1988b), S. 26.

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wird dadurch verstärkt, dass sexuelle Gewalt in fast allen Gesellschaften tabuisiert wird.632 Das Verheimlichen der Tat ist mit dem Zwang, sich trotz des traumatischen Ereignisses normal und unverändert zu verhalten, verbunden. Die Opfer stehen allein und können keine Unterstützung oder Rücksichtnahme erfahren. Dies erschwert den Verarbeitungsprozess.633 Kann die Tat nicht verschwiegen werden oder vertraut sich das Opfer einem Dritten an, besteht gerade bei Sexualdelikten die Gefahr einer sekundären Viktimisierung. Das soziale Umfeld reagiert häufiger als bei nichtsexualisierten Gewaltdelikten mit Unverständnis, Misstrauen bezüglich der Schilderung des Tathergangs durch das Opfer oder Schuldzuweisungen zu Lasten des Betroffenen.634 Gerade im Bereich der Sexualstraftaten bestehen tiefverwurzelte Vorurteile, die auf dem Bild des unmoralischen Opfers, das die Tat herausgefordert und genossen hat, aufbauen.635 Besonders belastend für die Betroffenen ist eine abweisende Reaktion des (Ehe-)Partners.636 Hinzu kommt, dass die körperlichen Folgen sexueller Gewalt, sofern diese nicht mit der Verstümmelung von Geschlechtsteilen verbunden ist,637 in vielen Fällen eher geringfügig sind und meist schnell abheilen.638 Dies erhöht die Gefahr einer sekundären Viktimisierung zusätzlich.639 Verstärkt treten negative Reaktionen der Umwelt in patriarchisch, z. B. muslimisch, geprägten Kulturen auf, in denen sich die Ehre des Mannes auch über das korrekte Verhalten, die Unberührtheit und Reinheit der seinem Haushalt angehörigen Frauen definiert.640 Die Tat betrifft dann nicht nur das Opfer selbst, sondern stellt gleichzeitig einen Angriff auf den Ehemann, der unfähig ist, seine Frau zu schützen,641 dar. Unter Umständen kann die Vergewaltigung einer Frau die gesamte Familie beschädigen oder beschämen. Das Opfer hat Schande über die Familie gebracht.642 Mögliche Maßnahmen zur Wiederherstellung der Familienehre 632 Undeutsch, S. 92; Monika Hauser, S. 70; Ostojic, S. 192; Rosenthal (1999b), S. 25; dies. (1999a), S. 72; Kressel, S. 3; Weis, S. 119; Heynen, S. 35; Mitscherlich, S. 199; Kubany / Abueg / Kilauano / Manke / Kaplan, S. 249; Ostojic, S. 192; Mischkowski (2004b), S. 403; Seltzer, S. 97; Ralf Weber, S. 76; Duggan / Abusharaf, S. 633; Byrne, S. 626. 633 Folnegovic´-Šmalc, S. 228; Salzman, S. 367; Askin (2001), S. 26. 634 Mitscherlich, S. 199; Fischer / Riedesser (2009), S. 334; Gottstein, S. 276; Wöller, S. 123. Siehe auch die Beispiele bei Weis, S. 129 ff.; Zipfel (2001), S. 11; Turner, S. 82; Sczesny / Krauel, S. 345. 635 Siehe Frieze, S. 109, 127; Feldmann, S. 18 ff.; Heynen, S. 39 f.; Wöller, S. 123; Salzman, S. 367 sowie Burdenski, S. 15; Askin (2001), S. 8. 636 Weis, S. 123; Frieze, S. 109, 130; Lakatos, S. 919. 637 Siehe hierzu Clarke (2004a), S. 136 f.; Joshua Joseph, S. 107. 638 Weis, S. 99; Wenk-Ansohn (2004), S. 164; Agger / Jensen (1992), S. 48; Carlson, S. 21; Clarke (2004b), S. 53; dies. (2004a), S. 133. 639 Siehe oben Teil 2 A. II. 640 Wenk-Ansohn (2004), S. 169; dies. (2002), S. 57; Gottstein, S. 276. 641 Khuong (1988b), S. 19; Birck (2002c), S. 110; Avigad / Rahimi, S. 129; Wenk-Ansohn (2002), S. 58; Ralf Weber, S. 75; Salzman, S. 371; Duggan / Abusharaf, S. 633.

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Teil 2: Struktur und Folgen völkerrechtlicher Verbrechen

sind Verstoßung oder Tötung des Opfers bzw. die Aufforderung zum Selbstmord.643 Auch im Zuge eines Strafverfahrens besteht für Opfer sexueller Gewalt in besonderem Maße die Gefahr einer sekundären Viktimisierung. Die Strategien der Verteidigung können auf den genannten Vorurteilen aufbauen und daher darauf abzielen, das Opfer selbst als den wahren Schuldigen und Verführer hinzustellen.644 Erschwerend kommt hinzu, dass am Tatgeschehen häufig nur Täter und Opfer beteiligt sind. Erfolgt nicht zeitnah eine forensische Untersuchung, durch die Tatspuren am Körper des Opfers gesichert werden, ist das Opfer als Zeuge das einzige Beweismittel.645 Eine effektive Verteidigungsstrategie kann damit die Leugnung von Tat oder Täterschaft sowie die Behauptung eines einverständlichen Sexualkontakts sein.646 Eine Verurteilung des Täters setzt damit häufig eine intensive und kritische Auseinandersetzung mit der Glaubwürdigkeit der Zeugenaussage voraus. Das Opfer kann dies als Misstrauen und Bezweiflung der Opferwerdung werten und so zusätzlich stigmatisiert werden.647

3. Tatfolgen Neben den körperlichen Schäden, die aus der direkten Gewalteinwirkung während der Tat resultieren, besteht bei Vergewaltigungen das Risiko einer Infizierung mit Geschlechtskrankheiten oder HIV.648 Gewichtiger sind aber regelmäßig die psychischen Folgen. Die Opfer sexueller Gewalt leiden häufig an einer PTBS.649 Die aufgedrängte Intimität kann eine Ekelreaktion auslösen, die sich nicht nur auf den oder die Täter, sondern auch auf den eigenen Körper beziehen kann. Mögliche Manifestationsformen sind ein ständiges Waschbedürfnis, Übelkeit, Erbrechen oder – vor allem bei oraler Vergewaltigung650 – Ekel vor Essen.651 Die Folgen 642 Mitscherlich, S. 205; Khuong (1988b), S. 27; Folnegovic´-Šmalc, S. 227, Brand / Geisler-Scholl, S. 57; Clarke (2004b), S. 54; Ünal, S. 51; Bruchhaus, S. 253; Corcoran, S. 216. 643 Wenk-Ansohn (2004), S. 170; dies. (2002), S. 57; Gottstein, S. 276; Birck (2002c), S. 120; Patel / Mahtani, S. 26; Avigad / Rahimi, S. 129; Ünal, S. 50; Griese, S. 101; Rothkegel (1998), S. 78; Ralf Weber, S. 76; Bruchhaus, S. 253. Siehe auch Salzman, S. 371; Beltz, S. 189. 644 Mischkowski (2004b), S. 402; Sczesny / Krauel, S. 338. Siehe auch Beltz, S. 200 f. 645 Sander, S. 46; Clarke (2004a), S. 133; Tondorf, S. 502. Eine Situation, die obwohl insgesamt die Anzahl an Opfer sehr hoch ist, auch vor internationalen Gerichtshöfen eintreten kann. Siehe Kunarac Trial Judgement, o. Fn. 328, Rn. 566. 646 Siehe hierzu unten Teil 5 D. VIII. 10. b). 647 Siehe oben Teil 2 A. II. 648 Vertiefend Adlington / Burnett, S. 147. 649 Wenk-Ansohn (2004), S. 165; dies. (2002), S. 57; Joachim (2004a), S. 83; Feldmann, S. 39 f.; Hartman / Burges, S. 510 f.; Peel, S. 67; Seltzer, S. 99; Michaela Huber, S. 79; Rosner / Powell / Butollo, S. 44; Burkhardt, S. 91; Corcoran, S. 216. 650 Fröhlich-Gildhoff, S. 82.

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können dauerhafte Essstörungen, wie etwa Bulimie, sein.652 Die Ekelgefühle können sich auch auf die Sexualität im Allgemeinen beziehen und bis hin zur vollständigen Einstellung sexueller Aktivitäten führen.653 Ferner können psychosomatische Störungen, wie Unterleibsbeschwerden und -erkrankungen, Zyklusstörungen oder sogar eine völlige Anästhesie des Unterleibs auftreten.654 Möglich sind auch Komplikationen bei einer Schwangerschaft bis hin zu Fehlgeburten einerseits oder einer dauerhaften Unfruchtbarkeit andererseits.655 Eine zusätzliche psychische Belastung entsteht, wenn die Frau vom Vergewaltiger schwanger wird. Dies gilt sowohl für den Fall der Abtreibung als auch der Austragung des Kindes.656 Entscheidet sich das Opfer für das Kind, bedeutet es auch für dieses eine erhebliche seelische Belastung, wenn es erfährt, unter welchen Umständen es gezeugt wurde.657 In diesen Fällen kann es außerdem zu einer besonders intensiven Stigmatisierung des Opfers bis hin zur gesellschaftlichen Ächtung kommen.658 4. Sexuelle Gewalt gegen Männer Sexuelle Gewalt gegen Männer beinhaltet neben der Demonstration von Macht und Überlegenheit659 meistens eine zusätzliche symbolische Demütigung. Die Tat bricht mit gesellschaftlichen Rollenvorstellungen, die nur die Frau als sexuell verletzlich definiert. Der Mann wird vom Täter als Frau behandelt und so durch die Tat entmännlicht.660 Sexuelle Folter von Männern kann in zwei Gruppen eingeteilt werden: Die eine Vorgehensweise zielt z. B. durch Genitalverstümmelungen auf die Angst vor Kastration,661 die andere auf Homophobie662. Foltermethoden der letzten Gruppe sind unter anderem die manuelle Stimulierung der Genitalien, der Zwang zur eigenhändigen oder fremden Masturbation, die Einführung eines künstlichen Penis in den Anus und der homosexuelle Koitus. Das Opfer kann sich als Teil einer homosexuellen Beziehung fühlen. Dies kann als besonders intensive 651 Ostojic, S. 193; Fischer / Riedesser (2009), S. 334; Weis, S. 102 f.; Seltzer, S. 99; Burkhardt, S. 91. 652 Daniela Hansen, S. 11; Fröhlich-Gildhoff, S. 82. 653 Daniela Hansen, S. 12; Folnegovic´-Šmalc, S. 228; Joachim (2004a), S. 68; HorvathLindberg, S. 52; Feldmann, S. 35; Patel / Mahtani, S. 30; Seltzer, S. 99; Avigad / Rahimi, S. 122; Griese, S. 101; Sczesny / Krauel, S. 341. 654 Fröhlich-Gildhoff, S. 82. Siehe auch die Übersicht bei Joachim (2004a), S. 66. 655 Joachim (2004a), S. 65. Siehe auch Burkhardt, S. 90. 656 Weis, S. 100 f.; Folnegovic´-Šmalc, S. 228; Joachim (2004a), S. 67; Clarke (2004a), S. 139. Siehe auch den Zeugenbericht bei Stiglmayer, S. 169 – 179. 657 Weis, S. 101. 658 Wenk-Ansohn (2004), S. 170. 659 Patel / Mahtani, S. 32. 660 Birckenbach, S. 242; Mischkowski (2004a), S. 32. 661 Agger / Jensen (1992), S. 53; Patel / Mahtani, S. 31; Turner, S. 82. 662 Agger / Jensen (1992), S. 53; Turner, S. 82.

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Teil 2: Struktur und Folgen völkerrechtlicher Verbrechen

Demütigung empfunden werden, die die sexuelle Identität des Betroffenen beeinträchtigen kann.663 Mögliche Langzeitfolgen können ein eingeschränktes sexuelles Lustempfinden, Impotenz, verfrühte oder verspätete Ejakulationen sein.664

5. Sexuelle Gewalt in bewaffneten Konflikten Eine besondere Bedeutung kommt dem Einsatz sexueller Gewalt in bewaffneten Konflikten zu. Die Soldaten befinden sich in einer permanenten Bedrohungssituation und sind abhängiges Glied in einer Befehlshierarchie. Die Machtausübung in Form von sexueller Gewalt kann den Glauben in die eigene Überlegenheit und Fähigkeit, die Situation zu kontrollieren und damit in die eigene Sicherheit wiederherstellen. Sie kann auch als Beweis der eigenen Männlichkeit dienen.665 Ähnlichen Zwecken dient der Einsatz gefangengenommener Frauen der Gegenseite als soldier’s comfort. In comfort stations, Militärbordellen oder Lagern werden die Frauen zur sexuellen Verfügung für Soldaten bereitgehalten.666 Zum Teil werden auch Frauen dem persönlichen Eigentum eines bestimmten Soldaten zugeordnet.667 Durch diese Systeme der sexuellen Sklaverei wird den Soldaten Machtausübung gestattet, um ihre Kampfmoral und ihre Bereitschaft, Todesängste zu ertragen und zu töten, aufrechtzuerhalten. 668 Ähnliche Beweggründe dürfte der Anordnung von Vergewaltigungen mit der Begründung, dass die Soldaten dann besser kämpfen würden,669 zugrunde liegen. Zudem kann die Zuteilung von Frauen – individuell oder in Bordellen – als Belohnung und damit als Motivationsanreiz dienen.670 Sexuelle Gewalt kann aber auch Teil einer militärischen Strategie der Demütigung, Demoralisierung, Vertreibung oder Zerstörung des Gegners sein.671 Systematische Angriffe auf Frauen können beispielsweise auf die Zerstörung der Gemeinschaft und Kultur des Gegners abzielen.672 Sie können gleichzeitig als sym663 Agger / Jensen (1992), S. 53; Patel / Mahtani, S. 32; Peel, S. 67; Ralf Weber, S. 77; Turner, S. 81; Gurris (1995), S. 7. Siehe auch die Darstellung bei Carlson, S. 18. 664 Agger / Jensen (1992), S. 62; siehe auch Turner, S. 83; Gurris (1995), S. 8. 665 Birckenbach, S. 241; Stiglmayer, S. 109; Seifert, S. 94; Pohl, S. 55. 666 Zipfel (2004), S. 249; dies. (2001), S. 3; Siglmayer, S. 150 ff.; Seifert, S. 99. Mischkowski (2004a), S. 24 f.; Gutman, S. 125; Flores Acuòa, S. 49; Burkhardt, S. 68; Askin (2001), S. 14. Siehe auch Kunarac Trial Judgement, o. Fn. 328, Rn. 739. 667 Kunarac Trial Judgement, o. Fn. 328, Rn. 738; Clarke (2004b), S. 47. 668 Zipfel (2004), S. 262; dies. (2001), S. 19. Siehe auch Askin (2001), S. 13. 669 Kressel, S. 3; Stiglmayer, S. 196. Siehe auch Gutman, S. 119; Joshua Joseph, S. 108. 670 Mischkowski (2004a), S. 25; Mühlhäuser, S. 39; Seibert-Fohr, S. 160. Siehe auch Askin (2001), S. 13; Beltz, S. 171. 671 Birckenbach, S. 239; Stiglmayer, S. 110; Amesberger / Auer / Halbmayr, S. 46; Pohl, S. 66; Bruchhaus, S. 252; Salzman, S. 352 – 366; Joshua Joseph, S. 107; Seibert-Fohr, S. 160; Corcoran, S. 212 – 213. Siehe auch Schrag, S. 4.

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bolische Kommunikation zwischen den Kriegsparteien angesehen werden. Die Täter bringen durch die Vergewaltigung die Überlegenheit ihrer Gruppe zum Ausdruck.673 Der gegnerischen Kriegspartei wird signalisiert, dass sie unfähig ist, ihre Frauen zu beschützen und diese daher dem Zugriff ihrer Feinde wehrlos ausgeliefert sind.674 Der Körper der Frau wird zum Symbol für den Volkskörper, seine sexuelle Besetzung zum Gleichnis für die Niederlage sowohl des gegnerischen Kollektives und der Kultur als auch für die eines jeden einzelnen Mannes.675 Diese Erkenntnis der Hilflosigkeit kann bei den betroffenen Männern zu Schuldgefühlen und psychische Beeinträchtigungen, beispielsweise durch Depressionen, führen.676 Die im Krieg vergewaltigte Frau wird – auch nach Abschluss der Kampfhandlungen – zur bleibenden Erinnerung an die Niederlage ihrer Gruppe. Dadurch können die negativen Auswirkungen der Taten auf das Selbstbild und Selbstbewusstsein der Opfer zusätzlich intensiviert werden. Anders als bei verwundeten oder getöteten Kriegsveteranen, die nach dem Krieg geehrt werden, wird das Leiden von vergewaltigten Frauen häufig verschwiegen und in der Kriegsgeschichtsschreibung teilweise vollständig ausgeblendet.677 Gesellschaftliche Anerkennung und Unterstützung bleibt diesen Opfern versagt. 6. Ergebnis Sexuelle Gewalt stellt einen massiven Angriff auf die Identität des Opfers dar und kann erhebliche psychische Folgen haben. Zudem besteht in besonderem Maß die Gefahr einer Stigmatisierung des Opfers durch das soziale Umfeld und damit einer sekundären Viktimisierung. Der Einsatz sexueller Gewalt im Krieg hat häufig eine eigene, symbolische Bedeutung. Die eigentlichen Gründe für die Tat liegen außerhalb der Person des Opfers. Es wird für die Zwecke des Täters instrumentalisiert, zum bloßen Objekt herabgesetzt und damit im erheblichen Maße zusätzlich gedemütigt. 672 Siehe Akayesu Trial Judgement, o. Fn. 167, Rn. 732; Seifert, S. 97; Eifler, S. 90; Pohl, S. 66; Zipfel (2001), S. 10; Salzman, S. 367; Joshua Joseph, S. 111. Siehe auch Duggan / Abusharaf, S. 626; Beltz, S. 172. 673 Folnegovic´-Šmalc, S. 224; Mischkowski (2004a), S. 33. 674 Joachim (2004a), S. 58; Mischkowski (2004a), S. 32; Eifler, S. 91; Wenk-Ansohn (2004), S. 169; Gottstein, S. 275; Seifert, S. 92; Folnegovic´-Šmalc, S. 226; Pohl, S. 58. In diesem Zusammenhang weist Birckenbach, S. 239 f. darauf hin, dass systematische Vergewaltigung auch von der betroffenen Kriegspartei instrumentalisiert werden können, um an den Verteidigungswillen der Männer zu appelieren und so ihre Kampfbereitschaft zu erhöhen. Gleichzeitig können diese Taten auch von der intenationalen Gemeinschaft bei Legitimationsschwierigkeiten als Interventionsgrund genutzt werden. 675 Eifler, S. 91; Seifert, S. 98; Mischkowski (2004a), S. 33; Amesberger / Auer / Halbmayr, S. 31. 676 Khuong (1988b), S. 24. 677 Eifler, S. 91; Birckenbach, S. 240; Seifert, S. 103 ff.; Wöller, S. 130; Zipfel (2001), S. 6; Askin (2001), S. 22 ff.

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Teil 2: Struktur und Folgen völkerrechtlicher Verbrechen

VI. Haft in Lagern oder Gefängnissen Im IStGH-Statut sind an verschiedenen Stellen unterschiedliche Formen des Freiheitsentzuges unter Strafe gestellt. Tatsächlicher Hintergrund ist regelmäßig die Festnahme und die anschließende Unterbringung in einem Gefängnis oder Lager. Diese unterscheiden sich zum einen durch ihr Verhältnis zum Justizsystem. Einer Unterbringung im Gefängnis liegt regelmäßig ein rechtskräftiges Urteil zugrunde. Lager bilden hingegen zumeist ein eigenständiges Parallelsystem zur offiziellen Justiz. Zum anderen sind Gefängnisse von ihrer Struktur her eher auf Individuen, Lager auf Gruppen ausgerichtet.678

1. Beispiele für Lager und deren Zwecksetzung Extremes Beispiel für Lager sind die Konzentrations- und Vernichtungslager der NS-Zeit.679 Allerdings spielen Lagereinrichtungen in vielen Genoziden, Bürgerkriegen und totalitären Regimen eine Rolle. Zu denken ist beispielsweise an die Todeslager während des Völkermordes an den Armeniern, die Gulags in den UdSSR oder die Speziallager in der Sowjetischen Besatzungszone. Ähnliche Einrichtungen finden sich in asiatischen oder lateinamerikanischen Krisengebieten. Aus der jüngsten Geschichte sind vor allem die Konzentrationslager im ehemaligen Jugoslawien zu nennen.680 Lagereinrichtungen dienen unterschiedlichen Zwecken. Ein Typus zielt auf die präventive Isolierung von Menschen, die von der herrschenden Ideologie oder wegen ihres politischen Engagements als gefährlich eingestuft werden. In anderen Lagern sollen politisch Andersdenkende bestraft oder umerzogen werden. Wird die Existenz solcher Einrichtungen nicht verschwiegen, zielen sie auch meist zusätzlich auf die Einschüchterung der gesamten Bevölkerung durch die Verbreitung von Angst vor unberechenbaren Maßnahmen. In Arbeitslagern wird die Arbeitskraft der Gefangenen ausgenutzt. Todeslager zielen nur noch auf die physische Vernichtung der Insassen.681

Kotek / Rigoulot, S. 12 – 14. Siehe statt aller A.-G. of Israel v. Adolf Eichmann, 12. 12. 1961, (1968) 36 ILR 18, 154 – 164 Rn. 122 – 129 (DC Jerusalem). 680 Siehe hierzu die vergleichende Darstellung bei Kotek / Rigoulot. Siehe zu den Konzentrationslagern im ehemaligen Jugoslawien die Überlebendenberichte bei Gutman, S. 85, 93, 103, 111. 681 Allgemein: Kotek / Rigoulot, S. 19 – 22; speziell für die Lager der NS-Zeit Bettelheim, S. 47 – 49; Distel, S. 605; Sofsky, S. 22. 678 679

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2. Lager als totale Institutionen Unabhängig von ihrer Zwecksetzung sind alle Typen von Lagern totale Institutionen. Ihr zentrales Merkmal ist die Aufhebung der Trennung der verschiedenen Lebensbereiche Arbeit, Wohnen und Freizeit. Das gesamte Leben findet an einem Ort unter einer Autorität statt. Der Tagesablauf ist umfassend und streng reglementiert. Das Aufsichtspersonal ist hierarchisch von den Insassen getrennt.682 Die totale Institution verhindert durch ihre starren Regeln jegliche Eigeninitiative und Selbstbestimmung.683 Dadurch kann das Selbstwertgefühl der Insassen sowie ihre Fähigkeit zum eigenverantwortlichen Denken und Handeln langfristig beeinträchtigt werden.684 Schon durch ihre grundsätzliche Konzeption ist der totalen Institution damit die Gefahr der erlernten Hilflosigkeit inhärent. Verstärkt wird dies bei den hier zu betrachtenden Lagern durch die permanente Bedrohungssituation. Die Insassen sind gewalttätigen Übergriffen des Aufsichtspersonals hilflos ausgeliefert.685 Folter und sexuelle Gewalt prägen häufig den Lageralltag. Vor allem – aber nicht nur – in Vernichtungslagern ist das Leben permanent bedroht. Es existiert kein sicherer Rückzugsort.686 Brüche der Lagerordnung, die den Häftlingen unter Umständen nicht oder nicht vollständig bekannt ist, werden schwer sanktioniert. Dabei können die Regeln widersprüchlich ausgestaltet sein, so dass ein normkonformes Verhalten, dem keine Bestrafung folgt, nicht möglich ist.687 Verstärkt wird die physische Bedrohung häufig durch Zwangsarbeit, Unterernährung, schlechte hygienische Verhältnisse, Krankheiten und fehlende medizinische Versorgung.688 Die Sicherung des eigenen Überlebens kann zum zentralen Motiv jeglichen Handelns werden.689 Gerade in den Konzentrationslagern der NS-Zeit wurden positive Emotionen bei den Häftlingen systematisch unterdrückt, während antisoziale und unmoralische Handlungen gefördert wurden.690 Die Lager waren teilweise so konzipiert, dass das Überleben des einen nur auf Kosten von anderen möglich war.691 Viele ehemalige Häftlinge leiden daher unter erheblichen Schuldgefühlen.692 Goffman, S. 17. Grubrich-Simitis, S. 997; Hans-Joachim Schneider (1982b), S. 315, Bettelheim, S. 123; Hille Klein, S. 91; Sofsky, S. 108. 684 Goffman, S. 48; Schulz-Malin, S. 25. 685 Vertiefend zur absoluten Macht Sofsky, S. 27 ff. 686 Siehe Monika Hauser, S. 68; Grubrich-Simitis, S. 997; Ryn, S. 102; Amesberger / Auer / Halbmayr, S. 38; Drobisch / Wieland, S. 210; Gutman, S. 104, 107; Schmeling, S. 19. 687 Sofsky, S. 248. 688 Case of Montero-Aranguren, o. Fn. 148, Rn. 59 lit. j); Eitinger, S. 123; Goffman, S. 36; Hille Klein, S. 95; de Wind, S. 33; Drobisch / Wieland, S. 207; Gutman, S. 83; Sofsky, S. 237. 689 Hille Klein, S. 90; Frankl, S. 52; Sofsky, S. 189. 690 Ryn, S. 104; Sofsky, S. 189. 691 Frankl, S. 17; Sofsky, S. 181. Siehe auch die Darstellung bei Bettelheim, S. 89. 682 683

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Weiteres kennzeichnendes Merkmal totaler Institutionen ist das vollständige Fehlen von Privatsphäre.693 Intimitäts- und Schamgrenzen werden durch die Unterbringung vieler Gefangener in einem Raum und die permanente Zugriffsmöglichkeit durch das Aufsichtspersonal verletzt.694 Zudem wird das Opfer durch die Verbringung ins Lager aus seinem gewohnten Lebenskontext herausgerissen sowie von nahen Angehörigen und Freunden getrennt.695 Die bisherige soziale Rolle kann nicht mehr ausgefüllt werden. Der damit verbundene Persönlichkeitsverlust kann durch bestimmte Vorgehensweisen im Lager, wie die Reduzierung der Insassen auf eine bloße Nummer, intensiviert werden.696 Dem Gefangenen wird keine neue soziale Rolle angeboten. Er ist kein handlungsfähiges, eigenständiges Individuum, sondern Teil einer amorphen Masse.697 Durch systematische Erniedrigungen und Demütigungen698 wird dem Insassen das Menschsein abgesprochen. Totale Institutionen beinhalten grundsätzlich elementare und direkte Angriffe auf das Selbst, die zu drastischen Störungen des Selbstbewusstseins führen können.699 Dies gilt umso mehr für die Extremsituationen in Arbeits-, Konzentrationsund Vernichtungslagern.

3. Reaktionsmöglichkeiten der Insassen Den Insassen totaler Institutionen stehen drei grundsätzliche Reaktionsmöglichkeiten offen: Kampf gegen die Institution – auch durch den solidarischen Einsatz für Mitgefangene,700 Rückzug aus der aktuellen Situation und Anpassung. Psychologisch sind vor allem die letzten beiden Varianten interessant. Da eine physische Flucht ausgeschlossen ist, bleibt dem Gefangenen nur der mentale Rückzug. Dieser besteht aus der Unterdrückung von Gefühlen701 und kann zur vollständigen Apathie führen.702 Der Gefangene zeigt für nichts weiter Interesse, als für die Dinge, die ihn unmittelbar umgeben. Vollständige Apathie kommt aber in der ExtremSiehe zur Überlebensschuld oben Teil 2 C. I. Goffman, S. 3; Schulz-Malin, S. 24. Siehe auch Bettelheim, S. 88; Frankl, S. 85. 694 Grubrich-Simitis, S. 997; Hille Klein, S. 91. 695 Monika Hauser, S. 68; Grubrich-Simitis, S. 997; Eitinger, S. 123; allgemein Goffman, S. 25; Schulz-Malin, S. 24; Sofsky, S. 99. 696 Grubrich-Simitis, S. 997; Drobisch / Wieland, S. 207; Sofsky, S. 101; Schmeling, S. 19; allgemein Goffman, S. 31. 697 Hans-Joachim Schneider (1982b), S. 315. Siehe auch Schmeling, S. 19. 698 Grubrich-Simitis, S. 997; Goffman, S. 52. 699 Goffman, S. 42. 700 Siehe hierzu Drobisch / Wieland, S. 319; Schmeling, S. 21 – 22. 701 Durst, S. 47. 702 Grubrich-Simitis, S. 997; Hille Klein, S. 92; Vyssoki / Tauber / Strusievici / SchürmannEmanuely, S. 204; Frankl, S. 41; Pross (1998), S. 163. Allgemein Goffman, S. 65; de Wind, S. 43. 692 693

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situation der Konzentrationslager einer Selbstaufgabe gleich und minimiert die Überlebenschancen.703 Die Unmöglichkeit zu eigenverantwortlichem Handeln in Verbindung mit dem massiven Machtgefälle kann – ebenso wie bei der Folter – zu einem Rückfall in kindliche Verhaltensmuster, also zu Regression, führen.704 Anpassung an die totale Institution kann auch bedeuten, die Internierung im Lager als Realität anzunehmen und sich so weit wie möglich mit dieser zu arrangieren.705 Möglich ist die Übernahme der Rolle des perfekten Insassen.706 Dies kann bis hin zur Identifikation mit dem Aggressor reichen.707 Dabei können Wertund Zielvorstellung der Wärter einschließlich des abwertenden Feindbildes übernommen werden. Dies kann zu einer Beeinträchtigung des Selbstbildes führen.708 Möglich ist auch eine Nachahmung des Verhaltens der Aufseher von der Nachbildung ihrer Uniformen bis hin zu aggressivem und gewalttätigem Auftreten gegenüber Mitgefangenen.709

4. Mögliche Folgen Vor allem bei vielen Überlebenden der NS-Konzentrationslager wurde beobachtet, dass diese nach der Befreiung zwar äußerlich ein angepasstes Leben führen, dies aber nicht zwangsläufig ein Beweis psychischer Gesundheit ist.710 Viele leiden an einer PTBS, wobei die Symptome teilweise erst Jahre nach der Befreiung erstmals deutlich und unleugbar auftreten.711 Besonders ausgeprägt ist dabei das Gefühl der Entfremdung. Die Überlebenden haben das Gefühl, anders zu sein als diejenigen, die keine entsprechenden Erfahrungen gemacht haben.712 Dieses kann sich in inneren Spannungen, Verstimmungen, Misstrauen, Unlust oder Störungen im Sozialverhalten manifestieren.713 Häufig sind auch Angstzustände und Depressionen.714 Hinzu treten kann eine geringe emotionale Beteiligung an der Umwelt 703 Grubrich-Simitis, S. 997; Vyssoki / Tauber / Strusievici / Schürmann-Emanuely, S. 204; Bettelheim, S. 121; Sofsky, S. 233; Schmeling, S. 21. 704 Bettelheim, S. 86; Hille Klein, S. 92; Sofsky, S. 108; Schmeling, S. 20. Siehe auch oben Teil 2 D. IV. 3. 705 Bettelheim, S. 78; de Wind, S. 39. Allgemein Goffman, S. 66. 706 Goffman, S. 67; Wöller, S. 133. 707 Schmeling, S. 23 sowie oben Teil 2 D. IV. 3. 708 Grubrich-Simitis, S. 999; Bettelheim, S. 90; Wöller, S. 133 f.; Schmeling, S. 23. 709 Bettelheim, S. 89. Siehe auch Drobisch / Wieland, S. 293; Schmeling, S. 23. 710 De Wind, S. 49; Durst, S. 48. Siehe auch van Ijzendoorn / Bakermans-Kranenburg / Sagi-Schwartz, S. 460. 711 Eissler, S. 257. Siehe auch Case of Montero-Aranguren, o. Fn. 148, Rn. 59 lit. j). 712 Niederland, S. 231; Amesberger / Auer / Halbmayr, S. 37; Frankl, S. 21. 713 Niederland, S. 232; Hans-Joachim Schneider (1982b), S. 316. 714 Case of Montero-Aranguren, o. Fn. 148, Rn. 59 lit. j); de Wind, S. 49; Amesberger / Auer / Halbmayr, S. 37.

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sowie antriebsloses, unsicheres Verhalten.715 Bei KZ-Überlebenden wurde beispielsweise auch 30 Jahre nach ihrer Befreiung ein geringerer Sozialstatus festgestellt als bei einer Kontrollgruppe.716 Beobachtet wurde zudem eine erhöhte Anfälligkeit für Krankheiten und körperliche Leiden im Allgemeinen.717

5. Gefängnisse Auch bei Gefängnissen handelt es sich um totale Institutionen. Die Gefangenen können dort ähnlichen Bedrohungen und Abhängigkeiten ausgesetzt sein wie in Lagern.718 Der Unterschied liegt darin, dass die Unterbringung in Gefängnissen regelmäßig nicht in großen Gruppen erfolgt. Kennzeichnendes Merkmal ist die Isolierung des Einzelnen. Der Gefangene kann dann keine Unterstützung durch die Gruppe erfahren, wird aber auch nicht mit Leid anderer Insassen, das er nicht verhindern kann, konfrontiert.719

6. Ergebnis Unabhängig von zusätzlichen Gewalterfahrungen und Demütigungen stellt die Unterbringung in einer totalen Institution als solche bereits eine Bedrohung für die Identität und Individualität der Insassen dar. Aufgrund der strukturellen Gegebenheiten besteht im besonderen Maße die Gefahr der erlernten Hilflosigkeit. Bei Konzentrations-, Arbeits- und Vernichtungslagern tritt regelmäßig die massive und permanente physische Bedrohung hinzu. Zwischen den Wärtern und den Insassen besteht ein massives Machtgefälle. Erstere sind Herr über Leben und Tod der Gefangenen. Mögliche Reaktionen auf diese Extremsituation sind totale Apathie, Regression oder Identifikation mit dem Aggressor.

VII. Vertreibung und Aufenthalt im Exil Krieg, Verfolgung oder Vertreibung zwingen Menschen dazu, ihre Heimat zu verlassen und Zuflucht in einem anderen Land zu suchen. Hat sich die politische Lage wieder stabilisiert, stellt sich die Frage nach der Rückkehr ins Herkunftsland.

Hans-Joachim Schneider (1982b), S. 316. Eitinger, S. 126 f. 717 Hans-Joachim Schneider (1982b), S. 316; Eitinger, S. 126 f. 718 Siehe die Haftbeschreibung in Case of Raxacó-Reyes v. Guatemala, Merits, Reparations and Costs, IACHR 15. 9. 2005, Rn. 43(19) – 43(23). 719 Zu den Auswirkungen von Einzelhaft Graessner, S. 253; Volkart / Dittrich / Rothenfluh / Paul, S. 25. 715 716

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1. Vortraumatisierung und Flucht Sowohl bei der Flucht als auch bei der Vertreibung erfolgt der Ortswechsel nicht freiwillig, sondern aufgrund massiven externen Drucks.720 Die meisten Flüchtlinge sind bereits durch die Ereignisse, die der Vertreibung oder der Entscheidung zur Flucht vorausgegangen sind – wie dem Tod von Angehörigen, Kriegserlebnissen, Foltererfahrungen, Gefangenschaft und materiellen Verlusten – (mehrfach) vortraumatisiert.721 Hinzu kommen die belastenden Umstände der Flucht selbst. Diese ist häufig mit Angriffen, Verfolgungen sowie der Angst um das eigene Leben722 und vor einer ungewissen Zukunft723 verbunden. Gleichzeitig entfallen stabilisierende Elemente. Der Flüchtende wird aus seinem gewohnten sozialen Umfeld gerissen und so entwurzelt.724 Verbindungen zu Familienangehörigen und anderen nahestehenden Personen reißen ab. Die Sorge um deren Wohlergehen stellt eine zusätzliche Belastung dar.725 Die gewohnte Umgebung, die damit verbundenen Erinnerungen und Alltagsroutinen, geben ein Gefühl der Sicherheit und Stärke,726 das mit der Flucht entfällt. Gleiches gilt für den Verlust des gewohnten sozialen Status.727 Der Flüchtende muss seinen Lebensmittelpunkt, seine Heimat, seine Gruppenzugehörigkeit und damit einen bedeutenden Teil seiner sozialen Identität aufgeben.728 Kinder definieren Heimat regelmäßig noch nicht über einen bestimmten Ort, sondern über ihre Hauptbezugspersonen. Für sie ist die Flucht dann besonders belastend, wenn sie von diesen getrennt werden729 oder von ihren Eltern allein, wohlmöglich in Unkenntnis über die nicht geplante Rückkehr, losgeschickt werden730. Für Kinder ist zudem die peer-group, die Gruppe der Gleichaltrigen, von Siehe nur Ollech, S. 20. Breyer, S. 90; Njengué, S. 7; Almqvist, S. 17; Daniela Weber, S. 42; Eisenbruch / de Jong / van de Put, S. 123; Spasojevic´/ Heffer / Snyder, S. 206; Wenk-Ansohn / Gutteta, S. 37; Miller / Weine / Ramic / Brkic / Bjedic / Smajkic / Boskailo / Worthington, S. 378, 384; Sachs / Rosenfeld / Lhewa / Rasmussen / Keller, S. 206. 722 Jockenhövel-Schiecke, S. 182; Njengué, S. 7; Karlegger, S. 72; Cardozo / Kaiser / Gotawas / Agani, S. 356; Gutman, S. 169. 723 Jockenhövel-Schiecke, S. 182; Lueger-Schuster (1996a), S. 19; Merkord, S. 227. 724 Barudy (1988), S. 137 f.; Wicker / Schoch, S. 153; Njengué, S. 7; Schei, S. 113; Daniela Weber, S. 43; Almqvist, S. 17; Lueger-Schuster (1996a), S. 11; Niederland, S. 16; Merkord, S. 219; Heinl, S. 68. 725 Jockenhövel-Schiecke, S. 182; Jahangir, S. 14; Dahl / Mutapcic / Schei, S. 144; Almqvist, S. 15; Karlegger, S. 71; Dahl / Mutapcic / Schei, S. 144; Ünal, S. 51 – 52. 726 Almqvist, S. 17; Lueger-Schuster (1996a), S. 10; Khuong (1988a), S. 14. 727 Ünal, S. 52. 728 Wicker / Schoch, S. 156; Njengué, S. 8; Almqvist, S. 17; Lueger-Schuster (1996a), S. 19; Grinberg / Grinberg, S. 152; Kocijan-Hercigonia, S. 181. Siehe auch Agger / Jensen (1993), S. 687; Ralf Weber, S. 97; Abo Youssef, S. 25. 729 Barudy (1988), S. 143; Almqvist, S. 14. 730 Khuong (1988a), S. 16. 720 721

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erheblicher Bedeutung. Ihr Verlust kann sich negativ auf die weitere Entwicklung der Flüchtlingskinder auswirken.731 Die mit der Flucht verbundenen Verlusterfahrungen können das Selbstwertgefühl beeinträchtigen.732 Psychische Erkrankungen können die Folge sein.733 Typisch sind neben paranoiden Wahnvorstellungen Ängste vor dem Wechsel, dem Neuen und Unbekannten.734 2. Aufenthalt im Flüchtlingslager Erste Anlaufstation sind regelmäßig Flüchtlingslager in der Nähe der Krisenregion. Diese haben teilweise – bedingt durch begrenzte finanzielle Mittel, mangelnde Infrastruktur und Überbelegung735 – erhebliche Versorgungsprobleme. Es fehlt an Essen und Wasser sowie an medizinischer Versorgung.736 Schlechte hygienische Bedingungen führen zu epidemieartigen Ausbrüchen von Krankheiten.737 Die Kindersterblichkeit ist hoch.738 Psychologische Betreuung ist die Ausnahme.739 Zudem besteht die Gefahr, dass die Flüchtlingslager Ziele von Angriffen werden.740 Die Weiterreise in ein entfernteres Gastland bedeutet zumindest physische Sicherheit. Die medizinische Versorgung körperlicher Verletzungen ist dort regelmäßig gewährleistet. Eine umfassende psychologische Betreuung, die sich nicht auf eine Krisenintervention beschränkt, muss hingegen häufig aus Mangel an Ressourcen zurückstehen.741 Auch im Gastland erfolgt typischerweise zunächst eine Unterbringung in Flüchtlingslagern und -pensionen.742 Ebenso wie Zwangslager und Gefängnisse sind Flüchtlingscamps totale Institutionen.743 Charakteristisch sind die räumliche Dichte und die daher fehlende Intimsphäre.744 Der Mangel an Rückzugsmöglichkeiten erhöht das Konfliktpotential, Almqvist, S. 14. Siehe auch Dyregrov / Gjestad / Raundalen, S. 66. Karlegger, S. 78. Siehe auch Lueger-Schuster (1996a), S. 34. 733 Grinberg / Grinberg, S. 66; Njengué, S. 8. 734 Njengué, S. 9; Grinberg / Grinberg, S. 100. 735 Siehe Ismail, S. 145, 154; Daniela Weber, S. 25, 32. 736 Ismail, S. 146; Daniela Weber, S. 24 ff., 35 ff.; Schei, S. 112; Dahl / Mutapcic / Schei, S. 138. 737 Daniela Weber, S. 28, 32; Rangaraj, S. 39 f. 738 Schei, S. 113; Eisenbruch / de Jong / van de Put, S. 123. 739 Daniela Weber, S. 44. 740 Daniela Weber, S. 73 ff.; Dahl / Mutapcic / Schei, S. 138. 741 Siehe für Deutschlang als Aufnahmeland Njengué, S. 79; Birck (2002b), S. 2; für Frankreich Traviani, S. 77 f.; für Dänemark Jepsen, S. 81. 742 Siehe Karlegger, S. 73 für die Aufnahme von 9500 bosnischen Flüchtlingen in Österreich; Birck (2002b), S. 3. 743 Schuckar, S. 296; Eisenbruch / de Jong / van de Put, S. 123; Merkord, S. 222; Ralf Weber, S. 95. Zu Begriff und Auswirkungen oben Teil 2 D. VI. 2. 731 732

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erschwert aber gleichzeitig das Austragen von Streitigkeiten.745 Zudem besteht insbesondere für weibliche Gefangene ein erhöhtes Risiko, Opfer sexueller Übergriffe zu werden.746 Der Alltag im Flüchtlingslager ist durch Vorschriften und institutionelle Zwänge bestimmt.747 Die Gastländer oder Hilfsorganisationen begrenzen aus organisatorischen Gründen häufig die Möglichkeiten der Selbstverwaltung.748 Der Handlungsund Entscheidungsspielraum der Flüchtlinge ist teilweise derart begrenzt, dass eine eigenständige Planung und Gestaltung des Lebens nicht mehr möglich ist.749 Sofern es den Flüchtlingen aus rechtlichen oder tatsächlichen Gründen nicht gelingt, Arbeit aufzunehmen,750 sind sie zudem dem Mangel an sinnvoller Beschäftigung im Lager ausgeliefert. Die Lagerbewohner können insgesamt ihrer gewohnten sozialen Rolle, sei es als berufstätiger Ernährer, sei es als Erziehungsberechtigter, nicht oder nicht mehr vollumfänglich nachkommen.751 Dies kann den mit der Flucht verbundenen Identitätsverlust zusätzlich verstärken.752 Die totale Institution der Flüchtlingslager zwingt ihre Insassen in die Passivität. Die Beschränkungen können Wut oder Aggressivität auslösen. Diese destruktiven Gefühle gehen aber regelmäßig in ein Gefühl der Sinnlosigkeit und inneren Leere über und können in Angst, sozialem Rückzug, Apathie und Depressionen münden.753 Die Unmöglichkeit, etwas Sinnvolles tun zu können, kann zudem Gefühle der Monotonie, Leere, Sinnlosigkeit und Langeweile hervorrufen.754 Viele Flüchtlinge haben den Eindruck, Hoffnung und Zukunft verloren zu haben.755 Die Suizidrate ist hoch.756 Gleichzeitig birgt die strenge Reglementierung auch sämtlicher Alltagsroutinen die Gefahr der Abhängigkeit von diesen Strukturen, also der erlernten Hilflosigkeit.757 744 Ismail, S. 155; Schuckar, S. 297; Jockenhövel-Schiecke, S. 182; Lueger-Schuster (1996a), S. 35; dies. (1996b), S. 163; Karlegger, S. 75; Rosenegger, S. 58; Birck (2002b), S. 3; Dahl / Mutapcic / Schei, S. 138; Merkord, S. 224; Ünal, S. 52. 745 Karlegger, S. 75; Lueger-Schuster (1996a), S. 35. 746 Merkord, S. 227; Griese, S. 98; Ralf Weber, S. 96. 747 Rosenegger, S. 56; Klocker, S. 93. 748 Porter / Haslam, S. 818. 749 Knospe, S. 172; Karlegger, S. 72; Birck (2002b), S. 4; Merkord, S. 222; Ünal, S. 53. 750 Siehe zu den rechtlichen und tatsächlichen Schwierigkeiten sowie den psychischen Auswirkungen sogleich Teil 2 VII. 3. d). 751 Ismail, S. 156; Schuckar, S. 300; Karlegger, S. 74; Lueger-Schuster (1996a), S. 39; Daniela Weber, S. 46. 752 Njengué, S. 8. 753 Karlegger, S. 74; Schuckar, S. 301; Lueger-Schuster (1996a), S. 39; Daniela Weber, S. 46; siehe auch Rosenegger, S. 56. 754 Rosenegger, S. 61; Merkord, S. 224; Ollech, S. 21. 755 Karlegger, S. 74; Ollech, S. 21. 756 Schuckar, S. 296; Lueger-Schuster (1996a), S. 40; Rangaraj, S. 41; siehe auch die Darstellungen bei Khuong (1988a), S. 16.

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Die Unterbringung von Flüchtlingen in Großlagern erhöht die Wahrscheinlichkeit von psychosomatischen Störungen wie Magenbeschwerden, Appetitlosigkeit, Kopfschmerzen und Schlaflosigkeit sowie von aggressivem oder zwanghaftem Verhalten.758 Dies gilt insbesondere dann, wenn die Unterbringung im Camp keine zeitlich begrenzte Zwischenlösung ist, sondern sich über mehrere Jahre hinzieht. Die Lagerinsassen sterben innerlich.759 Kommen Flüchtlinge hingegen in privaten Unterkünften unter, ist die Gefahr solcher Beeinträchtigungen deutlich geringer.760

3. Zwischen zwei Welten – Flüchtlinge im Gastland Gelangen die Flüchtlinge in ein Land, das grundsätzlich bereit ist, sie aufzunehmen, müssen sie sich auf eine völlig neue Situation einstellen. Dies kann eine weitere psychische Belastung bedeuten. a) Integrationsdruck und Bindung an die Heimat Im Aufnahmeland werden die Flüchtlinge mit einer fremden Sprache, fremden Gebräuchen und Normen sowie einer anderen Lebensart und Kultur konfrontiert.761 Die Gesellschaft des Gastlandes verlangt regelmäßig, dass sich die Flüchtlinge den dort herrschenden Regeln, Sitten und Gebräuche unterwerfen. Diesen Prozess der Ein- und Anpassung bezeichnet man als Integration.762 Sie hängt sowohl von dem Willen des Aufzunehmenden als auch von der Einstellung der Aufnahmegesellschaft ab763 und fällt umso schwerer, je größer der kulturelle und soziale Abstand zwischen Heimat- und Gastland ist.764 Je nach Toleranzbereitschaft übt die aufnehmende Gesellschaft in unterschiedlicher Intensität Druck auf die Flüchtlinge aus, sich der herrschenden Kultur anzupassen. Hat diese ein großes Bedürfnis nach Homogenität, ist das Ziel die größtmögliche Ähnlichkeit zwischen den Mitgliedern. Andersartige sollen unter Aufgabe ihrer Identität und Eigenständigkeit assimiliert werden.765 Die Flüchtlinge haben aber regelmäßig ein großes 757 Knospe, S. 172; Rosenegger, S. 56; Karlegger, S. 74; Porter / Haslam, S. 818; Daniela Weber, S. 45. 758 Schuckar, S. 296; Lueger-Schuster (1996a), S. 39; Rangaraj, S. 41. 759 Rangaraj, S. 41. 760 Porter / Haslam, S. 830. 761 Schuckar, S. 297; Breyer, S. 90; Emminghaus, S. 123 ff.; Spasojevic´/ Heffer / Snyder, S. 206; Njengué, S. 7; Niederland, S. 16; Barudy (1988), S. 141; Wenk-Ansohn / Gutteta, S. 35. 762 Schmidthaler, S. 15; Lueger-Schuster (1996a), S. 19; Merkord, S. 219. 763 Njengué, S. 8; Grinberg / Grinberg, S. 91 ff. 764 Lueger-Schuster (1996a), S. 19; Grinberg / Grinberg, S. 102. Siehe auch Karlegger, S. 67. 765 Lueger-Schuster (1996a), S. 19; Zlatkovic, S. 128. Siehe auch Schmidthaler, S. 16.

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Bedürfnis, die Verbindung zu ihren Wurzeln und ihrer Heimat nicht zu verlieren. Dies gilt vor allem dann, wenn sie in ihr Ursprungsland zurückehren wollen, sobald es die politische Situation erlaubt. Dieser Rückkehrwunsch verringert die Motivation, sich in die Gesellschaft des Aufnahmelands zu integrieren.766 Flüchtlinge stehen daher zwischen dem Wunsch, ihre eigene Kultur zu praktizieren und dem Druck, sich dem Aufnahmeland anzupassen.767 Diese Konfliktsituation stellt eine erhebliche psychische Stress- und Belastungssituation dar, die PTBS und ähnliche Krankheitsbilder verstärken kann.768 Dies gilt vor allem dann, wenn die Integration trotz entsprechender Versuche nicht gelingt.769 Die Flüchtlinge haben ihre ursprüngliche Gruppenzugehörigkeit verloren, sind aber auch nicht Teil der Gesellschaft des Gastlandes. Sie fühlen sich heimatlos und entwurzelt.770

b) Asylverfahren Die Flüchtlinge müssen im Aufenthaltsland Asyl beantragen. Bereits der Kontakt mit den Behörden und die damit verbundene Notwendigkeit, über die traumatischen Ereignisse zu berichten, kann eine erhebliche Belastung darstellen. Die Vertriebenen haben oftmals in ihrem Heimatland schlechte Erfahrungen mit offiziellen Stellen gemacht. Insbesondere können Befragungen durch Behördenmitarbeiter Erinnerungen an foltergestützte Verhöre auslösen.771 Die dieser Situation inhärenten Gefahr einer sekundären Viktimisierung wird weiter erhöht, wenn die Bediensteten nicht über das notwendige Wissen, die erforderlichen Qualifikationen oder Mittel verfügen, um angemessen auf die Flüchtlinge und ihre Bedürfnisse zu reagieren.772 Die eigentliche Integration kann erst mit Klärung der juristischen Lage beginnen,773 da erst in diesem Moment die erforderliche Sicherheit entsteht. Asylverfahren sind aber den meisten Ländern häufig mit jahrelangem Warten und vielen Unwägbarkeiten verbunden. Die vorgeschriebenen Verfahrensschritte und Reglementierungen können für die Flüchtlinge verwirrend und unverständlich sein.774 766

Fronek (1996b), S. 133; Lueger-Schuster (1996a), S. 16; Zlatkovic, S. 125; Hämmig,

S. 34. 767 Emminghaus, S. 116; Wicker / Schoch, S. 154; Jockenhövel-Schiecke, S. 182; Almqvist, S. 19; Zlatkovic, S. 127; Daniela Weber, S. 46. 768 Porter / Haslam, S. 830. 769 Spasojevic´/ Heffer / Snyder, S. 214; Miller / Weine / Ramic / Brkic / Bjedic / Smajkic / Boskailo / Worthington, S. 384. 770 Lueger-Schuster (1996a), S. 18; Ollech, S. 23. 771 Emminghaus, S. 116; Monika Hauser, S. 69; Merkord, S. 222; Ollech, S. 22, Rothkegel (1998), S. 79; Haenel (2003), S. 20. Siehe zur sekundären Viktimisierung auch oben Teil 2 A. II. 772 Traviani, S. 72; siehe auch die Auswertung bei Ralf Weber, S. 153 ff. und 171. 773 Schmidthaler, S. 17.

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Teil 2: Struktur und Folgen völkerrechtlicher Verbrechen

Die Ungewissheit über den eigenen Status führt zu innerer Unruhe und betont den Übergangscharakter des Exilaufenthalts.775 Dies gilt vor allem bei einer Duldung oder einer zeitlich begrenzten Aufenthaltserlaubnis, die in regelmäßigen Abständen von wenigen Monaten verlängert werden muss.776 Eine langfristige Zukunftsplanung ist ausgeschlossen. Ist die Rückführung der Flüchtlinge in ihr Heimatland gesetzlich vorgeschrieben, können Integrationsbereitschaft und -fähigkeit noch zusätzlich weiter herabgesetzt werden.777

c) Sprache und Alltag Elementare Voraussetzung für eigenverantwortliches Handeln und die Teilhabe am sozialen Leben ist die Fähigkeit, sich mit der Umwelt verständigen zu können. Um nicht in jeder Situation auf Unterstützung durch andere angewiesen zu sein, muss der Flüchtling die Sprache des Gastlandes erlernen.778 Die Muttersprache ist aber Teil der ethnischen Identität eines Menschen.779 Das Erlernen einer neuen Sprache für ein Leben im Exil stellt eine weitere Entfremdung von der eigenen Kultur dar.780 Dieser Integrationsprozess kann daher (unterbewusst) als Verrat an der Heimat verstanden und daher abgelehnt werden.781 Tritt dazu der Wunsch und die Überzeugung, bald ins Ursprungsland zurückkehren zu können, fehlt es auch an der Motivation, die neue Sprache zu lernen.782 Der Lernprozess kann zudem durch traumabedingte Konzentrationsschwierigkeiten erschwert werden.783 Werden die Sprachbarrieren aber nicht überwunden, können sie zur Abhängigkeit von Dritten und zur sozialen Isolation führen.784 Integrationsleistungen müssen auch in allen anderen Lebensbereichen erbracht werden. Die gewohnten Routinen in alltäglichen Fragen wie zwischenmenschlicher Kommunikation, Einkaufen, Wohnen, Essen und Hygiene entfallen und müssen 774 Emminghaus, S. 116 f.; Jockenhövel-Schiecke, S. 182; Almqvist, S. 18; Lueger-Schuster (1996a), S. 33; Birck (2002b), S. 3; dies. (2004c), S. 178; Ralf Weber, S. 170. 775 Monika Hauser, S. 70, 72; Khuong (1988a), S. 15; Jepsen, S. 85; Ollech, S. 22: Rothkegel (1998), S. 81; Ralf Weber, S. 99. 776 Siehe für Deutschland die zeitlich begrenzte Aufenthalserlaubnis nach § 26 I AufenthG sowie die Duldung gemäß §§ 55, 56 AuslG sowie Ünal, S. 53. 777 Njengué, S. 8. 778 Almqvist, S. 18; Fronek (1996b), S. 136; Traviani, S. 75; Ollech, S. 24. 779 Hämmig, S. 53; Rosenegger, S. 62; Lueger-Schuster (1996a), S. 10; Grinberg / Grinberg, S. 102; Birck (2002c), S. 21. 780 Rosenegger, S. 62. 781 Fronek (1996b), S. 137; Lueger-Schuster (1996a), S. 16. 782 Lueger-Schuster (1996a), S. 16. 783 Lueger-Schuster (1996a), S. 25; Reichelt, S. 46. 784 Breyer, S. 91; Karlegger, S. 68 f.; Miller / Weine / Ramic / Brkic / Bjedic / Smajkic / Boskailo / Worthington, S. 385.

C. Strukturelle und viktimologische Spezifika völkerrechtlicher Verbrechen

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neu erlernt werden.785 Vor allem in den ersten Wochen und Monaten besteht die Gefahr, dass sich die Flüchtlinge ständig überfordert fühlen.786

d) Arbeit und Identität Haben die Flüchtlinge die akuten Auswirkungen der Flucht überwunden,787 entsteht meist das Bedürfnis, wieder einer regelmäßigen Beschäftigung nachzugehen. Arbeit versorgt den Menschen mit einer sinnvollen Aufgabe und Sozialkontakten. Sie gibt dem Tagesablauf Struktur.788 Zudem ist die berufliche Tätigkeit bedeutsam für die soziale Stellung des Einzelnen in der Gesellschaft. Sie hat damit statusund identitätsprägende Wirkung.789 Die Arbeitsaufnahme im Gastland ist daher ein wesentlicher Integrationsschritt.790 Flüchtlinge, die intensive Rückkehrwünsche hegen, tendieren daher dazu, sich mit niedrigqualifizierter Arbeit abzufinden, um so eine Integration zu vermeiden.791 Die Ausübung eines Berufes bedeutet zudem die Sicherung eines regelmäßigen Einkommens.792 Dieses bildet die Basis für die Erfüllung materieller Bedürfnisse und ermöglicht die Aufrechterhaltung des gewünschten Lebensstandards. Besondere Bedeutung hat für Flüchtlinge regelmäßig der Kontakt zu Angehörigen, die sich noch im Heimatland befinden, und deren materielle Unterstützung.793 Arbeit stellt außerdem eine Möglichkeit dar, der Gleichförmigkeit des Flüchtlingslagers zu entkommen.794 Sie kann dem Flüchtling das Gefühl vermitteln, selbstständig und eigenverantwortlich die Zukunft gestalten zu können.795 Vollbeschäftigung kann daher bestehende psychische Probleme mildern.796 De-Facto-Flüchtlinge haben regelmäßig keinen Zugang zum Arbeitsmarkt. Eine Arbeitsaufnahme ist typischwerweise erst nach erfolgreichem Abschluss des Asylverfahrens möglich.797 Selbst wenn die Arbeitsaufnahme rechtlich möglich ist, finden viele Flüchtlinge dennoch keine Arbeit, die ihren Qualifikationen entBreyer, S. 90; Jockenhövel-Schiecke, S. 181; Lueger-Schuster (1996a), S. 19. Jockenhövel-Schiecke, S. 181; Lueger-Schuster (1996a), S. 19; David Becker, S. 120. 787 Rosenegger, S. 56. 788 Lueger-Schuster (1996a), S. 31; Rosenegger, S. 56. Miller / Weine / Ramic / Brkic / Bjedic / Smajkic / Boskailo / Worthington, S. 384. 789 Spiess, S. 71 f.; Rosenegger, S. 57; Hämmig, S. 379. 790 Schuckar, S. 306; Rosenegger, S. 56. 791 Fronek (1996b), S. 136; Lueger-Schuster (1996a), S. 32. 792 Spiess, S. 72; Lueger-Schuster (1996a), S. 31; Rosenegger, S. 56. 793 Lueger-Schuster (1996a), S. 28. 794 Rosenegger, S. 56. 795 Rosenegger, S. 60. 796 Miller / Weine / Ramic / Brkic / Bjedic / Smajkic / Boskailo / Worthington, S. 384. 797 Für Österreich Lueger-Schuster (1996a), S. 31. 785 786

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Teil 2: Struktur und Folgen völkerrechtlicher Verbrechen

spricht.798 Dies gilt insbesondere, wenn vorhandene Abschlüsse im Aufnahmeland nicht anerkannt werden.799 Selbst Flüchtlinge mit Facharbeiterausbildung oder akademischem Abschluss werden häufig nur Stellen im niedrigqualifizierten Bereich angeboten. Dies bedeutet einen weiteren Status- und Identitätsverlust, der sich negativ auf das Selbstwertgefühl auswirken kann.800 Arbeitslosigkeit nimmt den Flüchtlingen die Fähigkeit, ihre gewohnte soziale Rolle wahrzunehmen. Vor allem Männer, die ihrer traditionellen Aufgabe als Ernährer der Familie nicht mehr gerecht werden können, fühlen sich häufig nutz- und wertlos.801 Findet die Frau als Haushaltshilfe oder Babysitter eher Arbeit, kann die Umkehr der traditionellen Rollenverteilung zwischen Mann und Frau vor allem bei Flüchtlingen aus patriarchalisch geprägten Gesellschaften zu innerfamiliären Spannungen führen.802 Ohne eine geregelte Tätigkeit ist der Flüchtling von staatlichen Hilfen abhängig. Die Unfähigkeit, für sich selbst zu sorgen, kann insbesondere für vorher sehr aktive und engagierte Menschen eine Kränkung darstellen und zu Selbstzweifeln und Depressionen führen.803 Das Gefühl, keine Kontrolle über das eigene Leben zu haben, wird verstärkt. Es besteht die Gefahr der erlernten Hilflosigkeit.804 Langfristig kann Arbeitslosigkeit physische Krankheiten hervorrufen oder verstärken.805

e) Diskriminierung und soziale Isolation Die Integration wird zusätzlich erschwert, wenn die Aufnahmegesellschaft die Flüchtlinge ablehnt. Diskriminierung Fremder kann viele Formen annehmen und von verbalen Attacken806 über offen gezeigtes Misstrauen bis hin zu körperlichen Übergriffen und Brandanschlägen auf Asylantenunterkünfte reichen. Die Flüchtlinge sind verunsichert und ängstlich.807 Sie fühlen sich unerwünscht, überflüssig, hilflos und minderwertig.808 Gleichzeitig verändert sich die Wahrnehmung des Aufnahmelands. Es wird von einem Hort der (physischen) Sicherheit zu einem ungastlichen, gefährlichen Aufenthaltsort. Der Wunsch nach Integration nimmt zunehmend ab.809 Um weiteren Diskriminierungen vorzubeugen, können die 798 799 800 801 802 803 804 805 806 807 808

Rosenegger, S. 57. Schuckar, S. 305. Schuckar, S. 306; Karlegger, S. 77; Lueger-Schuster (1996a), S. 39. Lueger-Schuster (1996a), S. 35. Klocker, S. 95. Schuckar, S. 305; Njengué, S. 8; Ollech, S. 23. Rosenegger, S. 63; Wenk-Ansohn / Gutteta, S. 37. Breyer, S. 92; Lueger-Schuster (1996a), S. 39; Rosenegger, S. 64. Fronek (1996a), S. 46 f.; Traviani, S. 78. Lueger-Schuster (1996a), S. 29; Fronek (1996a), S. 44. Lueger-Schuster (1996a), S. 29; Rosenegger, S. 64; Merkord, S. 231.

C. Strukturelle und viktimologische Spezifika völkerrechtlicher Verbrechen

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Flüchtlinge versucht sein, jeden Kontakt mit der Gesellschaft des Aufnahmelands zu vermeiden.810 Die hieraus resultierende soziale Isolation wird zusätzlich verstärkt, wenn die Flüchtlinge auch die Beziehung zu ebenfalls geflohenen Landsleuten abrechen, um nicht an die traumatischen Erfahrungen der Vergangenheit erinnert zu werden.811 Die Nichteinbindung in eine Gesellschaft oder Gruppe kann ein erheblich belastendes Moment darstellen.812 Diskriminierungserfahrungen und misslungene Integrationsbemühungen können dazu führen, dass die Vergangenheit in der Heimat glorifiziert, die Gegenwart und das Aufnahmeland abgewertet und die Zukunft als bedrohlich und hoffnungslos angesehen wird.813

f) Alters- und geschlechtsspezifische Besonderheiten Grundsätzlich haben jüngere Menschen weniger Integrationsprobleme als ältere.814 Diesen fällt es schwerer, sich auf ungewohnte Situationen einzustellen und neue Kontakte zu knüpfen. Es besteht die Gefahr, dass sie sich in Erinnerungen an ihre Heimat fliehen, rückwärtsgewandt leben und sich sozial isolieren.815 Dies führt zu intensiven Rückkehrwünschen, die aber oft aufgrund des hohen Alters nicht realisierbar sind.816 Bei jungen Menschen mit noch nicht vollständig gefestigter Persönlichkeit bestehen zwar geringere Anpassungsschwierigkeiten. Allerdings kann ihre Identitätsfindung aufgrund des Auseinanderklaffens der Wertvorstellungen in der Heimat und im Exil erschwert sein.817 Das Gefühl, zwischen zwei Kulturen zu stehen und nirgendwo wirklich dazuzugehören, kann zu Orientierungslosigkeit führen. Kinder schließen leichter Freundschaften und passen sich generell schneller an die neue Umgebung an als ihre Eltern.818 Verharren die Eltern in emotionaler Bindung an die Heimat, während sich die Kinder mehr und mehr am Gastland orientieren, können die unterschiedlichen Lebensvorstellungen, die aus den rivalisierenden Normen- und Wertesystemen entstehen, zu Konflikten in der Familie führen.819 Die Kinder können über ihren Anpassungserfolg, der eine Rückkehr ins HeimatLueger-Schuster (1996a), S. 29. Fronek (1996a), S. 49. 811 Lueger-Schuster (1996a), S. 34. 812 Fronek (1996a), S. 51. 813 Almqvist, S. 19; Lueger-Schuster (1996a), S. 20. 814 Karlegger, S. 67. 815 Jockenhövel-Schiecke, S. 182; Karlegger, S. 67. 816 Karlegger, S. 67. 817 Jockenhövel-Schiecke, S. 183; Karlegger, S. 68. 818 Jockenhövel-Schiecke, S. 183; Almqvist, S. 18 f.; Klocker, S. 94 f.; Hämmig, S. 51; Merkord, S. 228; Ünal, S. 54. 819 Breyer, S. 92; Jockenhövel-Schiecke, S. 183; Almqvist, S. 21; Kaiser, § 57 Rn. 38; Klocker, S. 99; Hämmig, S. 50; David Becker, S. 120; Strobl, S. 75. 809 810

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Teil 2: Struktur und Folgen völkerrechtlicher Verbrechen

land unwahrscheinlicher und schwieriger werden lässt,820 Schuldgefühle entwickeln.821 Um die Verbindung zur Heimat zu wahren und die eigene Kultur an die Kinder weiterzugeben, können die Eltern in einen strengen Erziehungsstil verfallen.822 Die Kinder stehen im Spannungsfeld zwischen der Kultur ihrer Eltern und der des Gastlandes – der Generationenkonflikt wird durch einen Kulturkonflikt verschärft. Werden Kinder und junge Menschen aber in der Familie einerseits und in Schule und Beruf andererseits mit widersprüchlichen Normen und Verhaltensanforderungen konfrontiert, kann dies zu einem permanenten Loyalitäts- und Identitätskonflikt führen823, der die Entwicklung einer stabilen Persönlichkeit behindert824. Die bessere Integration der Kinder kann dazu führen, dass die Eltern auf sie als Dolmetscher angewiesen sind.825 Die Kinder erfahren dadurch die Unsicherheit, Ängstlichkeit und Unmündigkeit ihrer Eltern. Sie übernehmen in vielen Bereichen deren Rollen und fühlen sich für ihre Familie verantwortlich.826 Diesem Aufgabenund Verantwortungszuwachs entspricht auf Seiten der Eltern ein Gefühl der Unterlegenheit und Verunsicherung. Dies kann zu einem inkonsequenten Erziehungsstil und Konflikten führen.827 Die Rollenumkehr innerhalb der Familie, das Gefühl permanenter Überforderung und widersprüchliche Anforderungen der konkurrierenden Kulturen können sich negativ auf den Sozialisationsprozess der Kinder und damit auf die gesamte Persönlichkeitsentwicklung auswirken.828 g) Psychische Belastungen Die notwendige, aber möglicherweise unerwünschte Integration in die Aufnahmegesellschaft ist eine erhebliche psychische Stresssituation. Belastend wirken insbesondere soziale Isolation, Heimweh, geistige und körperliche Untätigkeit, Rollenkonflikte, Zukunftsängste und finanzielle Engpässe.829 Die Flüchtlinge befinden sich in einem Übergangsstadium. Ihre Zukunft ist ungewiss, ihre aktiven Gestaltungsmöglichkeiten begrenzt. Sie können den Eindruck gewinnen, ihr Leben nicht eigenverantwortlich gestalten zu können, sondern vollständig von äußeren Faktoren abhängig zu sein. Der Integrationsstress kann sich über Jahre halten.830 820 821 822 823 824 825 826 827 828 829 830

Almqvist, S. 19; Fronek (1996b), S. 135. Almqvist, S. 19. Jockenhövel-Schiecke, S. 183. Hämmig, S. 36. Hämmig, S. 51. Jockenhövel-Schiecke, S. 183; Klocker, S. 97; Merkord, S. 228; Ünal, S. 55. Klocker, S. 98. Klocker, S. 100; Merkord, S. 229; Kocijan-Hercigonia, S. 181. Klocker, S. 101. Njengué, S. 75. Siehe auch Sachs / Rosenfeld / Lhewa / Rasmussen / Keller, S. 206. Porter / Haslam, S. 830.

C. Strukturelle und viktimologische Spezifika völkerrechtlicher Verbrechen

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Dies in Verbindung mit den vorangegangenen traumatischen Erfahrungen bedingt eine erhöhte Anfälligkeit für psychische Probleme,831 die sich auch körperlich auswirken können, beispielsweise in Form von Atem- und Kreislaufstörungen.832 Viele Flüchtlinge leiden zudem unter einer stark ausgeprägten Überlebensschuld. Sie haben das Gefühl, ihre Heimat und nahestehende Menschen aus egoistischen Motiven im Stich gelassen zu haben, während Freunde und Verwandte im Kampf ihr Leben riskiert haben und weiterhin riskieren.833

4. Rückkehr ins Heimatland Die Rückkehr ins Heimatland bedeutet häufig einen neuen Stressfaktor. Eine Abschiebung kann als Diskriminierung empfunden werden. Den Flüchtlingen wird bedeutet, sie hielten sich zu Unrecht im Gastland auf und seien nur eine Belastung für die hiesige Gesellschaft. Der Wunsch nach Verlängerung des Aufenthalts wird vielfach kriminalisiert.834 Wird die Rückkehr vom Aufnahmeland erzwungen, sind die Flüchtlinge häufig emotional nicht ausreichend auf die bevorstehenden Probleme vorbereitet. Sie haben keine konkreten Zukunftspläne. Es besteht die Gefahr, dass sie in Passivität oder Resignation verfallen.835 Auch eine freiwillige Rückkehr kann belastend sein. Ein formeller Friedensschluss oder Waffenstillstand im Heimatland garantiert keine vollständige Sicherheit. Vielmehr ist neben politisch motivierten Racheakten auch die Fortsetzung der ursprünglichen Gewalt möglich.836 Zudem werden die Flüchtlinge mit der Zerstörung ihrer Heimat und ihres Eigentums konfrontiert.837 Sie stehen existenziell vor dem Nichts,838 haben keine gesicherte Lebensgrundlage839. Der Wiederaufbau ist eine erhebliche Herausforderung, die gerade vor dem Hintergrund der erlittenen seelischen Verletzungen entmutigend wirken kann und zu Perspektivlosigkeit oder Zukunftsangst führen kann.840 Die Rückkehr an die vertrauten Orte weckt auch Erinnerungen an die traumatischen Erfahrungen und an verstorbene oder vermisste 831 Wicker / Schoch, S. 155; Spasojevic´/ Heffer / Snyder, S. 205; Hämmig, S. 47; Niederland, S. 16; Ralf Weber, S. 99. 832 Grinberg / Grinberg, S. 107. 833 Daniela Weber, S. 47; Rosenegger, S. 62; Zlatkovic, S. 125 f., Ralf Weber, S. 100; Sachs / Rosenfeld / Lhewa / Rasmussen / Keller, S. 206. 834 Monika Hauser, S. 72. Vgl. § 92 AuslG. 835 Lueger-Schuster (1996b), S. 160. 836 Lueger-Schuster (1996b), S. 155; Sabiç, S. 66; Heintze (2001), S. 91; Cardozo / Kaiser / Gotway / Agani, S. 351. Siehe auch Eisenbruch / de Jong / van de Put, S. 123. 837 Cardozo / Kaiser / Gotway / Agani, S. 351. 838 Lueger-Schuster (1996b), S. 155; Sabiç, S. 66. Siehe speziell zu den gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Strukturveränderungen durch Bürgerkriege Waldmann, S. 159 ff. 839 Fronek (1996b), S. 141. 840 Rangaraj, S. 44; Sabiç, S. 66. Siehe auch Eisenbruch / de Jong / van de Put, S. 123.

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Teil 2: Struktur und Folgen völkerrechtlicher Verbrechen

Familienangehörige und Freunde.841 Besonders belastend ist das Auffinden neuer Massengräber mit der anschließenden Identifizierung der Opfer.842 Diese Erfahrungen können einen – manchmal sogar den ersten – Trauerprozess auslösen, der die Betroffenen die gesamten Ereignisse noch einmal durchleben lässt.843 Dies kann mit erheblichen Schuldgefühlen, überlebt zu haben, einhergehen.844 Auch die Konfrontation mit denen, die in der Heimat geblieben sind, kann belastend sein. Die Überzeugung, die Heimat im Stich gelassen und egoistisch das eigene Leben gerettet zu haben, kann dazu führen, dass sich die Zurückkehrten nicht mehr wert fühlen, Teil der Gesellschaft zu sein.845 Zudem führte der Aufenthalt im Exil – auch ungewollt – zu einer Entfremdung vom Herkunftsland. So kann das Gefühl des Fremdseins und des Nichtdazugehörens auch nach der Rückkehr weiterbestehen.846 Selbst ein Wiederfinden von Familienangehörigen kann problematisch sein. Häufig flieht die Mutter mit den Kindern, während der Vater zurückbleibt, um Haus, Hof und Heimat zu verteidigen, als Angehöriger der Streitkräfte in den Krieg zieht oder in politische Gefangenschaft gerät.847 Die Kinder müssen im Exil häufig früher als üblich Verantwortung übernehmen. Dabei wird der Vater vor allem in seiner Rolle als beschützender Fürsorger vermisst. Nach der Wiedervereinigung der Familie wird er mit hohen Erwartungen konfrontiert. Gleichzeitig haben aber Mutter und Kinder eine neue familiäre Struktur aufgebaut, die den Vater ausschließt.848 Die Zusammenführung der Familie verlangt daher von allen Angehörigen, ihren Platz in der Familie (wieder-)zufinden bzw. neu zu definieren – ein schwieriger, konfliktreicher Prozess. 5. Ergebnis Flüchtlinge haben regelmäßig erhebliche traumatische Erfahrungen gemacht. Durch Flucht und Vertreibung verlieren sie zudem nahestehende Menschen, ihren Besitz, ihren Beruf, ihre Kultur, ihre Heimat und damit auch einen Teil ihrer Identität. Sie werden entwurzelt und müssen sich in einem neuen, unbekannten sozialen und kulturellen Umfeld zurechtfinden. Gleichzeitig entfallen psychisch stabilisierende Faktoren wie die gewohnte Umgebung und vertraute Sozialkontakte. Diese extreme Belastungssituation, die über Jahre anhalten kann und auch mit der RückMonika Hauser, S. 73; Sabiç, S. 66; Kocijan-Hercigonia, S. 181. Monika Hauser, S. 73; Sabiç, S. 66. 843 Sabiç, S. 66. 844 Monika Hauser, S. 73. 845 Siehe auch die Schilderung bei Lueger-Schuster (1996b), S. 158 f. 846 Hämmig, S. 123. Siehe die Beispiele bei Grinberg / Grinberg, S. 215; Fronek (1996b), S. 139 ff. und Lueger-Schuster (1996b), S. 157. 847 Almqvist, S. 15. 848 Barudy (1988), S. 142; Almqvist, S. 15. 841 842

C. Strukturelle und viktimologische Spezifika völkerrechtlicher Verbrechen

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kehr ins Heimatland nicht beendet ist, kann die Verarbeitung und Bewältigung der traumatischen Erfahrung verhindern und psychische Krankheiten hervorrufen oder intensivieren.

VIII. Auswirkungen von Extremtraumatisierungen Die individuellen Folgen traumatischer Ereignisse hängen von vielen Faktoren ab.849 Unabhängig von der persönlichen Prägung besteht aber jedenfalls ein direkter Zusammenhang zwischen der Schwere des traumatischen Ereignisses und dem Ausmaß der psychischen Folgen.850 Es gibt Extremtraumatisierungen, die fast bei jedem Menschen erhebliche psychische Schädigungen hervorrufen.851 Dies gilt vor allem dann, wenn es sich nicht um ein einzelnes, episodenhaftes Ereignis, sondern um eine Serie schwerer traumatischer Erfahrungen handelt.852 Als Beispiele sind Kriegserlebnisse, Flucht und Vertreibung, Folter, mehrfache Vergewaltigung, Geiselnahme sowie Haft in Konzentrationslagern zu nennen.853 Die Opfer völkerrechtlicher Verbrechen haben typischerweise solche oder ähnliche Extremerfahrungen, die sich vor allem durch die Hilflosigkeit gegenüber struktureller, kollektiv ausgeübter Gewalt auszeichnet, gemacht. Zudem ist regelmäßig das gesamte soziale Nahfeld des Opfers, beispielsweise seine ganze Familie, traumatischen Erlebnissen ausgesetzt. Die damit verbundene Belastung erhöht die Wahrscheinlichkeit, dass alle Familienmitglieder unter psychischen Langzeitfolgen leiden.854 Es muss daher davon ausgegangen werden, dass jedenfalls ein nicht unwesentlicher Teil der überlebenden Opfer eine chronische PTBS oder ein vergleichbares Krankheitsbild entwickelt.855

Hierzu oben Teil 2 A. I. 3. c) cc). Möhler, S. 23; Hestermann, S. 36; Fischer / Riedesser (2009), S. 151; Seltzer, S. 101. Siehe auch Jahangir, S. 18 f.; Wenk-Ansohn / Gutteta, S. 37; Rauschenbach / Scalia, S. 450. 851 Sachsse, S. 4; Heinl, S. 73; Turner, S. 78; Eissler, S. 263; Rosenberg, S. 529; Jerouschek (2002), S. 188; Schmeling, S. 39; Stefanie Bock (2007c), S. 666. Siehe auch Almqvist, S. 44 f.; Almqvist / Brandell-Forsberg, S. 365; Herzog, S. 183; Neubacher (2006a), S. 24. 852 Irving / Telfer / Blake, S. 475; Schubbe, S. 13; siehe auch Daniela Hansen, S. 196 ff. 853 Fröhlich-Gildhoff, S. 77; Schubbe, S. 13. Siehe auch Möhler, S. 5; O’Connell, S. 307. 854 Almqvist / Brandell-Forsberg, S. 364. 855 Siehe auch Situation in the DRC – Demande de réexamen de la „Décision du Greffier sur la demande d’aide judiciaire aux frais de la Cour déposé par Maître Keta au nom des victimes [ . . . ] datée du 28 mars 2008 selon la norme 85.3 du Règlement de la Cour, ICC-01 / 04-494, 14. 4. 2008, Rn. 30 f.; Akayesu Trial Judgement, o. Fn. 167, Rn. 142; Morris (1997), S. 353; Abo Youssef, S. 22. 849 850

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Teil 2: Struktur und Folgen völkerrechtlicher Verbrechen

IX. Ergebnis Die Opfer, mit denen der IStGH konfrontiert wird, sind Überlebende massiver Gewalt. Krieg, Völkermord, Folter, sexuelle Gewalt, der Aufenthalt in Konzentrationslagern, Vertreibung und Flucht sind Extremsituationen, die für jeden Betroffenen die Gefahr langandauernder psychischer Folgen beinhalten. Erfüllt sind regelmäßig die Voraussetzungen für die Entwicklung einer komplexen PTBS856 oder einer andauernden Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastungen857. Alle Delikte bergen zudem aufgrund ihrer Struktur die Gefahr der Übernehme der Opferrolle sowie der erlernten Hilflosigkeit. Es handelt sich daher um eine außerordentlich belastete Opfergruppe, die in erheblichem Umfang auf Rücksichtnahme – auch und gerade im Gerichtsverfahren – angewiesen ist.

D. Wirkungen über das Opfer hinaus Extreme Gewalttaten betreffen nicht nur das direkte Opfer, sondern können sich auch nachteilig auf sein soziales Umfeld auswirken.

I. Burn-Out-Syndrom und stellvertretende Traumatisierung Der regelmäßige ehrenamtliche oder berufliche Kontakt mit Menschen, die traumatische Ereignisse erlebt haben, kann eine erhebliche psychische Belastung darstellen. Mögliche Folgen sind das Burn-Out-Syndrom sowie die stellvertretende Traumatisierung. Auch die Mitarbeiter des IStGH werden beständig mit Überlebenden traumatischer Ereignisse konfrontiert, so dass auch sie der Risikogruppe angehören.858 Bei dem Burn-Out-Syndrom handelt es sich um eine allgemeine Folge massiven beruflichen Stresses,859 die theoretisch bei jeder Berufsgruppe auftreten kann. Besonders gefährdet sind aber Angehörige von Sozialberufen, die sich mit schwer leidenden Patienten auseinandersetzen. 860 Beim burn-out nimmt die psychische Belastbarkeit in Folge ständiger Überforderung immer weiter ab.861 Mögliche Symptome sind Apathie, schnelle Ermüdung, Desillusionierung, Schwermütigkeit, Siehe oben Teil 2 A. I. 3. c) bb) (4). Siehe oben Teil 2 A. I. 3. c) bb) (4). 858 Hall (2003), S. 37. 859 Sabiç, S. 59; Salston / Figley, S. 168; Lansen (2003b), S. 273. 860 Joachim (2004b), S. 190; Lansen (1996), S. 256. 861 Joachim (2004b), S. 185; Salston / Figley, S. 168. Siehe zu anderen Erklärungsansätzen als Überforderung Pross (2004), S. 211. 856 857

D. Wirkungen über das Opfer hinaus

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Reizbarkeit und Aggressivität. Hinzu treten können Depressionen, verbunden mit Schuldgefühlen, reduzierter Selbstachtung, dem Gefühl, gescheitert zu sein und Selbstmordabsichten.862 Das Verhalten gegenüber Klienten kann sich verändern und von einer entfremdeten, unpersönlichen, nicht fürsorglichen und zynischen Haltung geprägt sein.863 Ein burn-out kann zur Unfähigkeit, mit anderen Menschen zu agieren, sozialem Rückzug und Isolation und damit zu einer Verflachung des gesamten emotionalen und sozialen Lebens führen.864 Bei Personen, die zwar nicht direkt dem traumatischen Ereignis ausgesetzt sind, die aber während ihrer beruflichen Tätigkeit regelmäßig mit Traumaopfern und deren Erfahrungen in Kontakt kommen, besteht die Gefahr einer stellvertretenden Traumatisierung.865 Besonders gefährdet sind Katastrophenhelfer, die direkt vor Ort tätig werden, Therapeuten und Polizeibeamte. 866 Die beständige Konfrontation mit traumatischen Ereignissen Dritter sowie der damit verbundenen Gewalt kann zu einem PTBS-ähnlichem Krankheitsbild führen.867 Typisch sind vor allem Schlafstörungen und Alpträume, Ängste, Entfremdungsgefühle verbunden mit Rückzug und Selbstisolation, Verlust von Zuversicht und Sicherheitsgefühlen sowie eine allgemeine Desillusionierung.868 Nicht erklärbare Grausamkeiten gegen Dritte können ebenso zu einer Erschütterung der Grundannahmen von der Sicherheit und Gerechtigkeit der Welt869 führen, wie das eigene Erleben von Gewalttaten. Möglich ist, dass das Schlechte als grundsätzlicher Bestandteil des Menschen angesehen wird und sich das Selbst-, Menschen- und Weltbild dementsprechend ändert.870 Misstrauen und emotionale Verarmung können sich negativ auf bestehende zwischenmenschliche Beziehungen auswirken.871

II. Mittelbare Traumatisierung Während das Konzept der stellvertretenden Traumatisierung sich speziell auf die Belastung beruflicher oder ehrenamtlicher Helfer bezieht, erfasst die mittelbare Traumatisierung alle Personen, die nicht direkt Opfer des traumatischen Ereignis862 Pross (2004), S. 209; Joachim (2004b), S. 186 – 187; Lansen (1996), S. 256; Sabiç, S. 61; Salston / Figley, S. 168. 863 Pross (2004), S. 209. 864 Sabiç, S. 61; Joachim (2004b), S. 186 – 187. 865 Sabiç, S. 58; Fischer / Riedesser (2009), S. 152; Joachim (2004b), S. 194; Salston / Figley, S. 167. Siehe auch Suvak / Maguen / Litz / Cohen Silver / Holman, S. 30. 866 Fischer / Riedesser (2009), S. 152. 867 Sabiç, S. 59; Pross (2004), S. 210; Lansen (1996), S. 258; ders. (2003b), S. 273. 868 Pross (2004), S. 209; Lansen (2003b), 274. 869 Siehe oben Teil 2 A. I. 3. a). 870 Joachim (2004b), S. 196; Lansen (1996), S. 261; Salston / Figley, S. 169. 871 Joachim (2004b), S. 196; Lansen (2003b), S. 274.

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Teil 2: Struktur und Folgen völkerrechtlicher Verbrechen

ses geworden sind, aber dennoch psychischen Belastungen ausgesetzt sind. Dies betrifft zum einen die Tatzeugen, die die Tat lediglich beobachtet haben. Die psychischen Folgen können denen beim primären Opfer entsprechen oder sogar größer sein.872 Zum anderen fallen in die Kategorie der mittelbaren Opfer die Angehörigen der direkt vom traumatischen Ereignis betroffenen Personen.873 Anders als die stellvertretende Traumatisierung hat die mittelbare Traumatisierung ihre Ursache regelmäßig nicht darin, dass die Angehörigen durch Erzählungen mit den Erfahrungen des Überlebenden konfrontiert werden. Vielmehr entsteht eine Atmosphäre der Stille. Die traumatischen Ereignisse werden selten geteilt oder diskutiert.874 Möglicher Hintergrund hierfür können mit PTBS im Zusammenhang stehende Kommunikationsstörungen sein. Das Verhindern von Gesprächen über das traumatische Ereignis ist Ausdruck der Vermeidesymptome.875 Ziel kann es aber auch sein, den Partner oder die Kinder vor den überlebten Gewalterfahrungen876 oder – vor allem bei Soldaten – vor den selbst begangenen Taten877 zu schützen. Ein ähnliches Schutzverhalten ist auch bei traumatisierten Kindern gegenüber ihren Eltern beobachtet worden.878 Dieses Phänomen wird als Pakt der Stille bezeichnet.879 Die nichttraumatisierten Familienmitglieder ahnen zwar, dass der Überlebende Furchtbares durchlitten hat, erfahren aber nichts Genaueres. Die damit verbundene Ungewissheit kann eine erhebliche Belastung darstellen. Gleichzeitig führt das Schweigen dazu, dass die Familienmitglieder voneinander isoliert werden880 und ein innerfamiliärer Verarbeitungsprozess behindert oder sogar unmöglich wird. Die Spaltung der Familie in einen traumatisierten und einen nichttraumatisierten Teil kann sich negativ auf das gesamte Beziehungsgeflecht auswirken. Eine PTBSbedingte emotionale Teilnahmslosigkeit kann sich hemmend auf die Fähigkeit, positive Gefühle, wie etwa Zuneigung, ausdrücken zu können, auswirken.881 Das 872 Folnegovic´-Šmalc, S. 224. Siehe auch die Ergebnisse bei Hadi / Liable, S. 54 sowie Suvak / Maguen / Litz / Silver / Holman, S. 37 ff. Dementsprechend wird für die PTBS-Diagnose auch nicht zwischen Erleben und Beobachten eines traumatischen Ereignisses unterschieden. Siehe oben Teil 2 A. I. 3. c) aa). 873 Fischer / Riedesser (2009), S. 151; Hagemann, S. 145; Wenk-Ansohn / Gutteta, S. 37. 874 Spasojevic´/ Heffer / Snyder, S. 213; Sabiç, S. 61; Report of the Truth and Reconciliation Commission of South Africa (2003), Section II Chapter IV Rn. 71; Danieli, S. 1634 sieht dies sogar als gesamtgesellschaftliches Phänomen an. 875 Spasojevic´/ Heffer / Snyder, S. 213; Dasberg, S. 50. Siehe auch Almqvist, S. 12. 876 Siehe Brand / Geisler-Scholl, S. 55; Almqvist, S. 12. 877 Latzel, S. 330. 878 Almqvist / Brandell-Forsberg, S. 352; Dyregrov / Gjestad / Raundalen, S. 67; Hordvik, S. 38. 879 Dasberg, S. 50; Almqvist, S. 12. 880 Almqvist, S. 12. Siehe auch Rosenthal (1999b), S. 30. 881 Calhoun / Beckham / Bosworth, S. 205; Riggs / Bryne / Weathers / Litz, S. 98; Samper / Taft / Daniel W. King / Lynda A. King, S. 311; Rosenberg, S. 535. Zu den PTBS-Symptomen oben Teil 2 A. I. 3. c) bb) (2).

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Desinteresse, die Distanziertheit und die emotionale Unerreichbarkeit des traumatisierten Elternteils kann auch dessen Fähigkeit und Willen, sich intensiv mit seinen Kindern zu beschäftigen, herabsetzen.882 Insgesamt wird durch PTBS das Eingehen und Aufrechterhalten von emotionalen Bindungen erschwert. Auch eine erhöhte Reizbarkeit und Aggressivität des traumatisierten Familienmitglieds kann sich belastend auf die gesamte Familie auswirken.883 Gleichzeitig wird aber vor allem der Partner des Traumaopfers das Bedürfnis haben, sich um diesen zu kümmern. Hauptbelastungsfaktoren sind dabei das erforderliche Krisenmanagement und der Umgang mit den PTBS-Symptomen.884 Mögliche Folge der Erkrankung eines Familienmitglieds an PTBS sind Eheprobleme,885 aber auch eine schwere Störung des gesamten familiären Umfelds886. Die Auswirkungen auf die Familienmitglieder sind regelmäßig umso intensiver, je ausgeprägter die PTBS-Symptome beim primären Traumaopfer sind.887 Mögliche Folge bei den mittelbaren Opfern ist neben einer geringeren Lebenszufriedenheit auch das vermehrte Auftreten von psychischen, auch PTBS-ähnlichen, Symptomen.888 Festgestellt wurden Schuldgefühle gegenüber dem traumatisierten Familienmitglied, die bis hin zu Depressionen mit Suizidtendenzen führen können.889 Ferner können psychosomatische Schmerzen im ganzen Körper sowie Schlafstörungen auftreten.890 Gleichzeitig behindert die angespannte familiäre Situation die Traumaverarbeitung beim primären Opfer.891

III. Transgenerationelle Traumatisierung Transgenerationelle Traumatisierung bezeichnet die Übertragung der Traumatisierung auf die nächste oder sogar übernächste Generation. Bei den Kindern und 882 Ruscio / Weathers / King / King, S. 355. Siehe auch Kogan, S. 534; Harkness, S. 636; Heinl, S. 72. 883 Sabiç, S. 61; Calhoun / Beckham / Bosworth, S. 205; Calhoun / Beckham / Feldman / Barefoot / Haney / Boworth, S. 133; Samper / Taft / King / King, S. 314. Vgl. auch oben die Beschreibung der PTBS-Symptome Teil 2 A. I. 3. c) bb) (2). Zum Opfer-Täter-Gewaltkreislauf sogleich unten Teil 2 E. IV. 884 Calhoun / Beckham / Bosworth, S. 205. 885 Spasojevic´/ Heffer / Snyder, S. 214; Riggs / Byrne / Weathers / Litz, S. 96; Birck (2002b), S. 7. 886 David Becker, S. 70. Siehe auch Jenkins, S. 197; Bamber, S. 47; Calhoun / Beckham / Bosworth, S. 205. Siehe auch das Beispiel bei Schlapobersky / Bamber, S. 220 f.; Harkness, S. 635. 887 Calhoun / Beckham / Bosworth, S. 210. Siehe auch Samper / Taft / King / King, S. 314. 888 Riggs / Bryne / Weathers / Litz, S. 88; Turner / Gorst-Unsworth, S. 708. Siehe auch Calhoun / Beckham / Bosworth, S. 210. 889 Sabiç, S. 61. 890 Sabiç, S. 62. 891 Siehe auch Riggs / Bryne / Weathers / Litz, S. 97.

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Teil 2: Struktur und Folgen völkerrechtlicher Verbrechen

Enkeln der Überlebenden wurden teilweise intensive psychische Belastungen festgestellt, die mit den traumatischen Erfahrungen ihrer Eltern oder Großeltern in Zusammenhang gebracht werden können. Nachgewiesen wurden neben einer allgemein geringeren Lebensfreude892 vor allem Phobien, Verfolgungs- und Vernichtungsängste, Alpträume sowie Essstörungen.893 Dabei müssen die psychischen Folgen nicht über die Generationen hinweg schwächer werden. In einigen Fällen wurden in der Generation der Enkel sogar deutlichere Symptome festgestellt als bei ihren Eltern und Großeltern.894 Zudem wurde bei den nachfolgenden Generationen eine erhöhte Wahrscheinlichkeit für sozialpathologische Symptome wie schlechtere Schulleistungen, niedrigerer Sozialstatus, erhöhte Scheidungsraten, Alkoholismus und abweichendes Verhalten, auch in Form von Kriminalität, festgestellt.895 Möglicher Hintergrund für die Weitergabe der Traumatisierung ist der Pakt des Schweigens. Gerade in den Familien, in denen wenig über die traumatischen Erfahrungen gesprochen wird, ist die Wahrscheinlichkeit für eine transgenerationelle Traumatisierung höher.896 Die Nachkommen versuchen häufig, die Lücken in den Erzählungen durch ihre Vorstellungskraft selbst auszufüllen.897 Als Anhaltspunkte können dabei Andeutungen der Überlebenden, ihre Ängste und ihre Reaktionen auf bestimmte Ereignisse dienen.898 Die Kinder und Enkel beschäftigen nicht nur die Gewalttaten, deren Opfer die (Groß-)Eltern gewesen sein mögen. Vielmehr fragen sie sich auch, wie deren Überleben möglich war, ob sie vielleicht mit dem Gegner kollaboriert haben.899 Das Schweigen nimmt die Möglichkeit, diese Phantasien in Gesprächen zu verarbeiten.900 Gleichzeitig können sich die Kinder aus zentralen Erlebnissen im Leben ihrer Eltern ausgeschlossen fühlen und Gefühle der Eifersucht entwickeln.901 Die Traumatisierung der Eltern kann sich zudem auf ihren Erziehungsstil auswirken. Es besteht die Gefahr, dass sie so sehr auf sich selbst und ihre Probleme konzentriert sind, dass sie das Kind nicht als eigenständige Persönlichkeit wahrnehmen.902 Dies kann darin zum Ausdruck kommen, dass sie unterbewusst von Neumann, S. 102; Grubrich-Simitis, S. 1008; Lansen (2003a), S. 257. Rosenthal (1999a), S. 75 f.; Ahlheim, S. 350. Siehe auch Steinberger, S. 3. 894 Rosenthal (1999a), S. 71. Siehe auch Rauschenbach / Scalia, S. 451. 895 Ryn, S. 108 f. Siehe auch Harkness, S. 635; Engdahl / de Silva / Solomon / Somasundaram, S. 275. 896 Rosenthal (1999a), S. 71; dies. (1999b), S. 30; Fischer / Riedesser (2009), S. 151; de Levita (1999), S. 94; Almqvist, S. 12; Vyssoki / Tauber / Strusievici / Schürmann-Emanuely, S. 205; Grubrich-Simitis, S. 1006. Siehe auch Steinberger, S. 3. 897 Rosenthal (1999a), S. 74; dies. (1999b), S. 33; Rehberger, S. 164; Kogan, S. 535; Rosenberg, S. 540. 898 Rosenthal (1999a), S. 74; Rehberger, S. 164. 899 De Levita (1999), S. 90; Kestenberg, S. 121. Siehe auch Rosenthal (1999b), S. 42. 900 De Levita (1999), S. 94. 901 De Levita (2003), S. 64; ders. (1999), S. 98 f. 892 893

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ihren Kindern erwarten, ihrem Leben wieder einen Sinn zu geben und tote Angehörige oder Freunde zu ersetzen.903 Zudem kann die Aufgabe, Erfolg im Leben zu haben, an die nächste Generation weitergegeben werden.904 Gerade bei der zweiten Generation findet sich häufig das Bedürfnis, in ihrem Lebensweg den Vorstellungen ihrer Eltern auch unter Zurückstellung der eigenen Wünsche gerecht zu werden und so deren Leiden wiedergutzumachen.905 Das Kind kann sich zudem für das Wohlergehen und den Schutz seiner Eltern verantwortlich fühlen. Mögliche Folge ist eine Umkehr der Eltern-Kind-Rollenverteilung.906 Das Verlangen, sowohl die Eltern zu trösten und zu beschützten, als auch von ihnen Schutz und Fürsorge zu erhalten, kann dazu führen, dass das Kind sich an die Eltern klammert und emotional vollständig von ihnen abhängig wird.907 Diese enge Verbindung kann die Entwicklung einer eigenständigen Persönlichkeit behindern. So kann der Wunsch, sich als Erwachsener von den Eltern zu lösen, Schuldgefühle auslösen.908 Zudem können die Eltern dazu neigen, bei ihren Kindern auch entwicklungsbedingt angemessene aggressive Reaktionen, die sie aufgrund ihrer traumatischen Erfahrungen als bedrohlich empfinden, zu unterdrücken. Austragung und Übung von Konflikten werden dadurch erschwert.909 Möglich ist auch, dass die Eltern ihre Kinder übermäßig beschützen, so dass sich diese zu unsicheren, initiativlosen Menschen entwickeln können.910 Hiermit kann eine Übernahme der elterlichen Angstgefühle verbunden sein, so dass die Kinder die Welt ebenfalls als gefährlich und bedrohlich erleben.911 Die entscheidende Problematik der nachfolgenden Generation liegt in der Entwicklung einer eigenen, von den Verfolgungs- und Gewalterfahrungen ihrer Eltern und Großeltern unabhängigen Identität. Erforscht wurde der Prozess der transgenerationellen Traumatisierung in erster Linie bei den Familien von Holocaustüberlebenden. Psychische Belastungen wur902 De Levita (2003), S. 62; Hans-Joachim Schneider (1982b), S. 317. Siehe auch Neumann, S. 106. 903 Hans-Joachim Schneider (1982b), S. 317; Rehberger, S. 159; Vyssoki / Tauber / Strusievici / Schürmann-Emanuely, S. 205; Grubrich-Simitis, S. 1008; Rosenberg, S. 544. Siehe auch das Beispiel bei Kestenberg, S. 117. 904 Almqvist, S. 45; Elzas, S. 130; Ahlheim, S. 351. 905 Rosenthal (1999a), S. 77; de Levita (1999), S. 93; Neumann, S. 108; Vyssoki / Tauber / Strusievici / Schürmann-Emanuely, S. 205. 906 Rosenthal (1999a), S. 85; dies. (1999b), S. 50; Vyssoki / Tauber / Strusievici / Schürmann-Emanuely, S. 205; Elzas, S. 131; Lansen (2003a), S. 257. Siehe auch Dasberg, S. 57; Harkness, S. 637; Rosenberg, S. 544. 907 Kogan, S. 534. 908 Vyssoki / Tauber / Strusievici / Schürmann-Emanuely, S. 205; Grubrich-Simitis, S. 1010; Elzas, S. 131; Harkness, S. 641, Rosenberg, S. 543. 909 Vyssoki / Tauber / Strusievici / Schürmann-Emanuely, S. 205; Grubrich-Simitis, S. 1010; Elzas, S. 130; Lansen (2003a), S. 256. 910 De Levita (2003), S. 62; Hans-Joachim Schneider (1982b), S. 317. Siehe auch Neumann, S. 103; Lansen (2003a), S. 256; Rosenberg, S. 542. 911 Niederland, S. 17; Kestenberg, S. 110 ff.; Elzas, S. 130.

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den aber auch bei Kindern von Vietnam-Veteranen festgestellt.912 Es steht daher zu vermuten, dass ganz grundsätzlich massive Gewalt nicht nur die Generation der direkten Opfer, sondern auch deren Nachkommen in Mitleidenschaft zieht.913 Durch diese zeitliche Komponente potentiert sich die gesamtgesellschaftliche Relevanz von Extremtraumatisierungen.

IV. Täter-Opfer-Gewaltkreislauf PTBS kann beim Traumaopfer zu erhöhter Reizbarkeit und Aggressivität führen. Vor allem bei Kriegsveteranen wurde in der Nachkriegszeit beobachtet, dass sie vermehrt zu gewalttätigem Verhalten gegenüber ihren Angehörigen neigen.914 Möglicherweise wird die in der Kampfsituation lebensnotwendige Aggressivität ein Bestandteil der Persönlichkeit, der auch nach Beendigung der traumatischen Situation fortwirkt. Generell stellt sich vor diesem Hintergrund die Frage, ob erlittene Gewalt Auswirkungen auf das weitere Legalverhalten des Opfers haben kann, also ob es zu einem Täter-Opfer-Gewaltkreislauf kommen kann. Einen Erklärungsansatz hierfür bieten die Lerntheorien. Bei der Vermittlung und Aneignung von Wertvorstellungen, Normen und Verhaltensmustern soll das Beobachtungs- oder Modelllernen eine entscheidende Rolle spielen.915 Lernen erfolgt nach diesem Ansatz durch bewusste oder unbewusste Beobachtung und Nachahmung von Verhaltensweisen.916 Aggressives Verhalten Dritter bietet Lernvorbilder, indem aufgezeigt wird, wie Gewalt in einer bestimmten Situation eingesetzt werden kann. Gleichzeitig können durch die Beobachtung von Gewalt Hemmungen reduziert werden, selbst solche Verhaltensweisen anzuwenden.917 Eine Nachahmung erfolgt aber nicht mechanisch. Vielmehr kann der Betroffene die Beobachtung in die Planung seines Verhaltens und die Bewertung der zu erwartenden Konsequenzen einfließen lassen.918 Einen ähnlichen Prozess beschreibt Ochberg im Rahmen des Viktimisierungssyndroms919. Eine mögliche Folge der Opferwer912 Rosenheck / Fontana, S. 731; Harkness, S. 635; Engdahl / de Silva / Solomon / Somasundaram, S. 275. 913 Für eine mögliche Verallgemeinerung der Holocaustforschung Joachim (2004b), S. 192; van Ijzendoorn / Bakermans-Kranenburg / Sagi-Schwartz, S. 459; Wenk-Ansohn / Gutteta, S. 37. 914 Zipfel (2004), S. 245; Calhoun / Beckham / Bosworth, S. 210; Calhoun / Beckham / Feldman / Barefoot / Haney / Boworth, S. 133; Harkness, S. 636; Engdahl / de Silva / Solomon / Somasundaram, S. 275; Elbogen / Beckham / Butterfield / Swartz / Swanson, S. 115. Siehe auch Report of the Truth and Reconciliation Commission of South Africa (2003), Section II Chapter IV Rn. 68 – 69. 915 Bandura, S. 85. 916 Schwind, § 6 Rn. 45. Siehe auch Hagemann, S. 125. 917 Bandura, S. 91. 918 Göppinger(-Michael Bock) (2008), § 9 Rn. 48.

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dung ist hiernach die zukünftige Orientierung des eigenen Verhaltens an dem des Täters.920 Mehrere Studien weisen auf einen Zusammenhang zwischen Opferwerdung und späterer Begehung von Straftaten hin. Gerade wenn – vor allem männliche – Kinder Gewalt erfahren oder beobachten, erhöht sich die Wahrscheinlichkeit, dass sie später selbst zu gewalttätigem Verhalten neigen. Die Gewaltbereitschaft wächst mit Intensität und Dauer der erlittenen Gewalt.921 Die Opfer völkerrechtlicher Verbrechen haben massive Gewalt erfahren und auch beobachtet. Betroffenen sind von Krieg, Angriffen auf die Zivilbevölkerung und Völkermord auch immer Kinder, die noch keine gefestigten Verhaltensmuster entwickelt haben und daher durch die gemachten Erfahrungen besonders beeinflussbar sind. Spätere Gewaltanwendungen durch die ehemaligen Opfer können beispielsweise dem Wunsch entspringen, sich nie wieder wehr- und hilflos fühlen zu müssen922. Zudem besteht die Gefahr, dass die Überlebenden Rache für getötete Angehörige und Freunde nehmen wollen.923 Jedenfalls spricht nach dem bisherigen Kenntnisstand eine gewisse Vermutung dafür, dass erlebte und beobachtete Gewalt die Wahrscheinlichkeit für die Entwicklung aggressiver Verhaltensmuster erhöht, diese also zu einem TäterOpfer-Gewaltkreislauf führen kann,

V. Ergebnis Die Viktimisierung betrifft nicht nur die unmittelbaren Opfer. Psychisch belastend kann vielmehr auch der berufliche Kontakt mit Überlebenden extremer Gewalt sein. Mögliche Folgen sind das burn-out Syndrom sowie die stellvertretende Traumatisierung mit PTBS-ähnlichen Symptomen. Die Traumatisierung eines Familienmitglieds kann sich zudem negativ auf das gesamte innerfamiliäre Beziehungsgeflecht auswirken und eine erhebliche Belastung für die übrigen Familienmitglieder darstellen. Dies kann bis hin zur Weitergabe der Traumatisierung an nachfolgende Generationen führen. Zudem besteht vor allem bei Gewaltdelikten die Gefahr, dass das Opfer vermehrt zu aggressiven Verhaltensweisen neigt und selbst andere Menschen viktimisiert. Diese möglichen mittelbaren Tatfolgen erhöhen die gesamtgesellschaftliche Relevanz der Taten.

Siehe oben Teil 2 A. I. 3. c) bb) (3). Ochberg, S. 782. Siehe auch van der Kolk / McFarlane, S. 11. 921 Pfeiffer / Wetzels, S. 110; Schindler, S. 239; Giovannoni, S. 186. Siehe auch Eisenberg (2005), § 55 Rn. 36; Schwind, § 6 Rn. 45. 922 Siehe zum gesteigerten Schutzbedürfnis als Folge der Viktimisierung oben Teil 2 A. I. 3. b). 923 Schotsmans, S. 105. 919 920

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Teil 2: Struktur und Folgen völkerrechtlicher Verbrechen

E. Völkerrechtliche Verbrechen als Makrokriminalität Anders als bei den meisten alltäglichen Straftaten stehen sich bei völkerrechtlichen Verbrechen nicht ein Täter und ein Opfer gegenüber. Die einzelne Tat ist kein isoliertes Ereignis, sondern Teil eines kollektiven Aktionszusammenhangs. Sie ist in einen Konflikt, der die gesamte Gesellschaft betrifft, eingegliedert.924 Dies sei anhand der Situation in der Demokratischen Republik Kongo verdeutlicht. Die Geschichte des Landes ist seit Jahrzehnten von Gewalt geprägt. 1998 griff der ruandanische Bürgerkrieg925 auf den Kongo über. Immer mehr afrikanische Staaten wurden in den Konflikt hineingezogen. Was als innerstaatliche ethnische Auseinandersetzung926 begann, wuchs sich zum „ersten afrikanischen Weltkrieg“ aus.927 Ende 2002 konnten die während des gesamten Jahres zwischen allen involvierten Gruppen und Staaten geführten Friedensverhandlungen zum Abschluss gebracht werden. Die 2003 eingesetzte Übergangsregierung konnte allerdings nicht die Auseinandersetzungen im Osten des Kongo, insbesondere in der Provinz Ituri, beenden.928 Diese Region ist besonders reich an natürlichen Rohstoffen wie Gold, Öl, Holz, Koltan und Diamanten. Rebellengruppen, die teilweise durch andere afrikanische Länder, insbesondere Ruanda929 und Uganda930, unterstützt werden, kämpfen weiterhin untereinander und gegen Regierungstruppen um die Vorherschaft in diesem Gebiet.931 Die einzelnen Taten – beispielsweise die Verwendung eines bestimmten Kindes im Kampf – ist untrennbar mit dem übergeordneten Konflikt verbunden und kann nicht losgelöst von den gesellschaftlichen Strukturen und Spannungen betrachtet werden.932 Die Wurzeln des Konflikts können bisweilen 924 Jäger (1989), S. 12; ders. (1988), S. 172; ders. (1995), S. 327; ders. (1998), S. 134; ders. (2006), S. 47; Möller (2003), S. 240; Stefanie Bock (2007c), S. 667. 925 Siehe hierzu Final Report of the United Nations Commissions of Experts established pursuant to security council resolution 935 (1994) sowie die Überblicksdarstellungen in Akayesu Trial Judgement, o. Fn. 167, Rn. 78 ff. 926 Siehe Sichersheitsratsresolution 1234(1999) vom 9. 4. 1999. 927 Obembo, S. 11. 928 Siehe Sicherheitsratsresolutionen 1565(2004) vom 1. 4. 2004; 1807(2008) vom 31. 3. 2008. 929 Siehe Sicherheitsratsresolution 1807(2008) vom 31. 3. 2008. 930 Siehe Case Concerning Armed Activities on the Territory of the Congo (Democratic Republic of the Congo v. Uganda), ICJ-Judgement, 19. 12. 2005 sowie Katanga & Ngudjolo PTC, ICC-01 / 04-01 / 07-717, o. Fn. 330, Rn. 240. 931 Siehe den Bericht der International Crises Group (abrufbar unter http: //www.crisis group.org/home/index.cfm?action=conflict_search&l=1&t=1&c_country=37) sowie den Report of the Panel of Experts on the Illegal Exploitation of Natural Resources and Other Forms of Wealth of the Democratic Republic of the Congo, 12. 1. 2001, UN-Doc S / 2001 / 357, Rn. 213; Lubanga PTC, ICC-01 / 04-01 / 06-803, o. Fn. 374, Rn. 4. 932 Stefanie Bock (2007c), S. 667. Siehe auch Tadic´ Trial Judgement, o. Fn. 315, Rn. 53; Akayesu Trial Judgement, o. Fn. 167, Rn. 78; Kayishema & Ruzindana Trial Judgement, o. Fn. 235, Rn. 31; Vest, S. 498. Siehe zur Bedeutung des gesellschaftlichen Kontexts für

E. Völkerrechtliche Verbrechen als Makrokriminalität

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mehrere Jahrzehnte, in einigen Fällen sogar Jahrhunderte,933 in die Vergangenheit zurückreichen. Das Aufbrechen solcher Konflikte kann eine Eigendynamik entwickeln, die eine besondere Hilflosigkeit des individuellen Opfers bedingt. Dieses ist regelmäßig nicht oder kaum in der Lage, die Geschehnisse zu beeinflussen oder gar zu kontrollieren. Werden Verbrechen in Zusammenhang mit Kriegen, Völker- und Massenmorden, Kultur- und Religionskonflikten, Staats- und Gruppenterrorismus begangen, spricht man von Makrodelinquenz.934 Hierzu zählen alle völkerstrafrechtlichen Delikte.935 Kennzeichnend ist die Beteiligung des Staats. Dieser initiiert, verstärkt oder duldet die Verbrechen.936 In einem weiteren Sinne erfasst der Begriff der Makrokriminalität auch die internationalen Verbrechen nicht-staatlicher Akteure.937 Dies ist insbesondere dann denkbar, wenn die Staatsgewalt sich zurückgezogen oder den Einfluss über ein bestimmtes Gebiet verloren hat. Kennzeichnend ist jedenfalls die herausragende, institutionell gesicherte Machtposition der Tätergruppe, die typischerweise die Befehlsgewalt über das Militär oder andere bewaffnete Gruppen inne hat.938 Die Gewalt wird kollektiv ausgeübt und erfahren. Die Tätergruppe geht methodisch gegen die ihr strukturell unterlegene Opfergruppe vor.939 Die Opfer sind in hohem Maße hilflos; können sich regelmäßig nicht effektiv vor Übergriffen schützen.940 Gewalttaten werden Bestandteil der gesellschaftlichen Normalität.941 Kennzeichnend für Makrodelinquenz ist daher die große Anzahl von Tätern und Opfern.942 So wurden im Kongo-Konflikt Millionen Menschen getötet.943 In Darfur wurden mehr als 2,5 Millionen Menschen vertrieben.944 Über Symptome und Behandlung von PTBS Birck (2002b), S. 42, S. 2; Bracken / Giller / Summerfield, S. 1077; Griese, S. 100. 933 Siehe beispielsweise die Konfliktdarstellung in Tadic´ Trial Judgement, o. Fn. 315, Rn. 56. 934 Jäger (1989), S. 11; ders. (2006), S. 47. 935 Jäger (1988), S. 172; ders. (2006), S. 47; Möller (2003), S. 288. Siehe auch Neubacher (2006b), S. 967. 936 Jäger (1995), S. 121; Ambos (2002a), S. 50; Möller (2003), S. 243. 937 Ambos (2002a), S. 51. 938 Neubacher (2005), S. 24. Siehe auch Neubacher (2006b), S. 967; Stefanie Bock (2007c), S. 667. 939 Reese, S. 76. Siehe auch Delmas-Marty (2009), S. 13. 940 Triffterer (2001b), S. 161. Siehe auch O’Connell, S. 303. 941 Siehe Jäger (1988), S. 175; ders. (1989), 132 – 133; ders. (1995), S. 124 – 125; Neubacher (2006b), S. 967. 942 Möller (2003), S. 350. Siehe auch Neubacher (2006b), S. 967; Utmelidze, S. 133; Guhr (2008a), S. 367; Rauschenbach / Scalia, S. 450. 943 Obembo, S. 11. Zu den Opferzahlen allein in der Provinz Ituri siehe Arsanjani / Reisman, S. 337. 944 Seventh Report of the Prosecutor of the International Criminal Court to the UN Security Council Pursuant to UNSCR 1593(2005), Rn. 12. Siehe auch die Zahlen bei Travis, S. 19.

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Teil 2: Struktur und Folgen völkerrechtlicher Verbrechen

eine Million Menschen wurden in Zentralafrika Opfer von Gewalttaten, hunderttausende flohen vor den Auseinandersetzungen.945 Die Kollektivität der Opferwerdung erschwert die individuelle Tatverarbeitung. Während der Krisenzeit werden zudem typischerweise im großen Ausmaß gesellschaftliche Ressourcen zerstört, die für die Traumaverarbeitung notwendig gewesen wären.946 Vorrang hat die Behandlung der körperlichen Verletzungen. Eine intensive psychologische Betreuung der Überlebenden ist häufig aufgrund der mangelhaften Ausstattung, der geringen Anzahl an Therapeuten und der großen Anzahl an Opfern nicht möglich.947 Eine Unterstützung durch ausländische Fachkräfte ist zwar denkbar, allerdings nicht unproblematisch, wenn die Helfer einen anderen kulturellen Hintergrund haben. So kann beispielsweise eine nach westlichen Maßstäben richtige psychologische Behandlung, wenn sie die andersartige kulturelle Prägung des Patienten nicht ausreichend berücksichtigt, nicht helfen oder das bestehende Krankheitsbild sogar verstärken.948

F. Fazit Die Straftat kann das Opfer in materieller, physischer oder psychischer Hinsicht schädigen. Am intensivsten werden regelmäßig selbst bei Alltagsdelinquenz die psychischen Tatfolgen empfunden. Die Straftat erschüttert die Grundannahmen, die die Basis für die soziale Interaktionsfähigkeit bilden. Das Opfer wird gleichzeitig mit der eigenen Verletzlichkeit, der Bösartigkeit von Mitmenschen sowie der Ungerechtigkeit der Welt konfrontiert. Inwieweit dies zu psychischen Langzeitfolgen führt, hängt entscheidend von der persönlichen Disposition des Opfers und seinen Ressourcen, die traumatische Erfahrung zu verarbeiten, ab. Mit zunehmender Intensität der Tat erhöht sich jedoch hiervon unabhängig die Wahrscheinlichkeit für eine PTBS oder ein vergleichbares Krankheitsbild. Die Delikte, die in die Zuständigkeit des IStGH fallen, stellen alle einen massiven Angriff sowohl auf die körperliche als auch die psychische Integrität und Identität des Opfers dar. Sie bergen in erheblichem Maße die Gefahr von psychischen Langzeitfolgen und zwar auch in Form einer komplexen PTBS oder einer andauernden Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastungen. Zentrale Folgen sind sich ständig aufdrängende Erinnerungen, eine emotionale Entfremdung von der Umwelt sowie eine erhöhte Reizbarkeit und Aggressivität. Psychologische Langzeitfolgen von Straftaten lassen sich auch durch das Konzept der tertiären Viktimisierung und das der erlernten Hilflosigkeit erklären. HierSiehe http: //hdptcar.net/blog/central-african-republic-profile. Herzog, S. 175. 947 Eisenbruch / de Jong / van de Put, S. 124; Heinl, S. 75. 948 Vertiefend Eisenbruch / de Jong / van de Put, S. 123; Rothkegel (1999), S. 149; Bracken / Giller / Summerfield, S. 1079 f.; Birck (2004c), S. 181. 945 946

F. Fazit

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nach integriert der Geschädigte unter Umständen die Opferrolle in seine Persönlichkeit und definiert sich selbst als machtlos und handlungsunfähig. Folge ist neben einer verringerten Lernmotivation die passive Hinnahme von Situationen, selbst wenn diese tatsächlich beeinflussbar wären. Zentrale Momente, die das Erlernen von Hilflosigkeit begünstigen, sind die Unvorhersehbarkeit und die Unkontrollierbarkeit traumatischer Ereignisse. Von ihrer grundlegenden Struktur her sind völkerrechtlichen Verbrechen beide Elemente inhärent. Sie sind zudem regelmäßig mit einer systematischen Herabsetzung, Entwürdigung und Stigmatisierung des Opfers verbunden. Diese labeling-Prozesse können das Selbstbild des Opfers beeinträchtigen und so die Wahrscheinlichkeit von psychischen Langzeitschäden noch weiter erhöhen. Verstärkt werden können die individuellen Auswirkungen der Straftat im Zuge einer sekundären Viktimisierung durch Fehlreaktionen des sozialen Umfelds. Zu den maßgeblichen Belastungsfaktoren gehört in diesem Zusammenhang auch und gerade das Strafverfahren, das eine erneute Konfrontation mit dem traumatischen Ereignis und dem mutmaßlichen Täter bedeutet. Vor allem vor dem Hintergrund der möglichen massiven psychischen Primärfolgen muss es im Verfahren vor dem IStGH noch mehr als in nationalen Strafverfahren entscheidend darauf ankommen, diese zumindest nicht noch weiter zu intensivieren. Kennzeichnend für die vom IStGH zu behandelnde Makrodelinquenz ist die Einbettung der einzelnen Viktimisierung in eine gesamtgesellschaftliche Krise. Die Verletzung des Individuums steht nie für sich, sondern erfolgt immer in einem übergeordneten Kontext, in dem Gewalttaten zur Normalität gehören. Die Anzahl von Tätern und Opfern ist dementsprechend groß. Zudem richtet sich die Gewalt nicht nur gegen die individuellen Opfer, sondern – meist sogar vorrangig – gegen das Kollektiv, dem sie angehören. Die hieraus resultierende gesamtgesellschaftliche Relevanz völkerrechtlicher Verbrechen erhöht sich zusätzlich dadurch, dass die Auswirkungen der Tat nicht auf die unmittelbaren Opfer begrenzt sind. Vielmehr werden auch die Familienmitglieder des direkten Traumaopfers erheblich in Mitleidenschaft gezogen. Zudem kann eine Traumatisierung an die nächste Generation weitergegeben werden kann. Zum Ausdruck kommt die Betroffenheit der gesamten Gesellschaft auch in der Schutzrichtung der Straftatbestände. Diese dienen neben dem Individualrechtsgüterschutz auch immer dem Schutz kollektiver Rechtsgüter einer bestimmten Gruppe oder der Zivilbevölkerung an sich. Gleichzeitig wird auch der Weltfrieden und damit die internationale Gemeinschaft selbst geschützt. Die Entwicklung eines opferzentrierten strafprozessualen Konzepts für den IStGH muss daher neben den Individualopfern auch den durch die Taten betroffenen Kollektivinteressen gerecht werden.

Teil 3

Grundlagen für ein opfergerechtes Strafverfahren Die Opfer völkerrechtlicher Verbrechen sind Überlebende unvorstellbarer Gräueltaten. Die massive Primärviktimisierung hinterlässt sie in besonderem Maß verletzbar und schutzbedürftig. Daraus resultieren spezifische Bedürfnisse und Erwartungen sowohl an die Gesellschaft im Allgemeinen als auch an die Strafjustiz im Besonderen.

A. Bedürfnisse und Erwartungen des Opfers Die Bedürfnisse von Opfern völkerrechtlicher Verbrechen und ihre hieraus resultierenden Erwartungen an die Strafrechtspflege variieren je nach Tat, Tatfolgen und Persönlichkeit des Opfers1 und seinem kulturellem Hintergrund.2 Sie sind zudem nicht statisch, sondern entwickeln sich mit Zeitablauf. Erst wenn die dringendsten Grundbedürfnisse gestillt sind, entstehen hierauf aufbauende Wünsche. Dies entspricht dem Pyramidenmodell Maslows,3 demzufolge zunächst die Bedürfnisse der unteren Stufen – insbesondere die körperlichen Grundbedürfnisse und Sicherheitsbedürfnisse – befriedigt sein müssen, bevor die nächsten Entwicklungsstufen Bedeutung erlangen können. Diese Progressivität erschwert die Entwicklung eines opfergerechten Strafverfahrenskonzepts. Allerdings lassen sich wiederkehrende Grundinteressen identifizieren.4

I. Beendigung der Gewalt Völkerrechtliche Verbrechen treffen die Opfer in ihren elementarsten Sicherheitsbedürfnissen. Physische Sicherheit existiert nicht, Gewalt ist alltäglich. Das primäre Streben der Opfer zielt darauf, das eigene Überleben und das nahestehender Personen zu ermöglichen. Vorrangiges und dringendstes Bedürfnis ist daher die Beendigung der Gewalt. Ausschlaggebend ist dabei nicht der förmliche Ab1 2 3 4

Schotsmans, S. 105. Ingadottir / Ngendahayo / Sellers, S. 7; Kuhner, S. 133; Abo Youssef, S. 33. Siehe oben Teil 2 A. I. 3. So auch Schotsmans, S. 105.

A. Bedürfnisse und Erwartungen des Opfers

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schluss eines Friedensvertrags oder eines Waffenstillstands, sondern die faktische Einstellung der Feindseligkeiten.5 Erst wenn Leben und körperliche Unversehrtheit nicht mehr permanent bedroht sind, sondern ein hinreichend stabiler Zustand physischer Sicherheit erreicht ist, können weitere Bedürfnisse Bedeutung erlangen. Im Sinne der maslowschen Theorie muss zunächst die Pyramidenbasis wiederaufgebaut werden.

II. Ersthilfe und Wiederaufbau Ebenfalls zu den elementaren Grundbedürfnissen gehört der Ausgleich der akuten Tatfolgen. Dies gilt bereits bei einfachen, der nationalen Justiz vorbehaltenen Delikten,6 ist aber bei völkerrechtlichen Verbrechen umso dringlicher. Nicht nur die körperlichen Verletzungen müssen medizinisch behandelt werden. Die Opfer haben ihre Lebensgrundlage verloren. Sie brauchen Unterkünfte, Kleidung und Lebensmittel. Zudem ist zumeist auch die gesamte soziale Infrastruktur der Gesellschaft zerstört. Im Anschluss an völkerrechtliche Verbrechen müssen daher zunächst die Grundbedingungen für eine menschenwürdige Existenz wiederhergestellt werden. Dies zählt auch zu den primären Opferbedürfnissen. Nach einer Umfrage der Sierra Leone Truth Commission begehrten die Opfer vorrangig eine Unterkunft und die Möglichkeit, ihre Häuser wiederaufzubauen. An zweiter Stelle kam der Wunsch nach Wiederaufbau des Bildungssystems und nach medizinischen Einrichtungen. Das Bedürfnis nach Gerechtigkeit und einem Strafprozess rangierte hingegen auf dem vorletzten Platz.7

III. Anerkennung Auf die Befriedigung der elementaren Grundbedürfnisse folgt regelmäßig der Wunsch nach Anerkennung.8 Die Geschädigten wollen als Opfer mit ihren Verletzungen wahr- und ernst genommen werden. Dies gilt ebenso für Opfer von Naturkatastrophen. Bei Verbrechen tritt allerdings eine weitere Komponente hinzu. Dem Opfer ist kein schicksalhaftes Unglück, sondern von Menschen zu verantwortendes Unrecht wiederverfahren. Dies spiegelt sich auch in den Bedürfnissen der Opfer Schotsmans, S. 107. Siehe hierzu Weigend (1989), S. 404. 7 Report of the Sierra Leone Truth and Reconciliation Commission, Volume II (2004), Chapter 4 Rn. 30. 8 Siehe Bassiouni (1996b), S. 26; ders. (2008 f.), S. 657; Birck (2002c), S. 34; Rauchfuss, S. 33; Hamber (2005), S. 139; Rombouts / Sardaro / Vandeginste, S. 345 Rn. 161; Schotsmans, S. 109; Rauschenbach / Scalia, S. 446 sowie den Report of the Sierra Leone Truth and Reconciliation Commission, Volume II (2004), Chapter 4 Rn. 39 und Donat-Cattin (1999), S. 258; Will, S. 86; Abo Youssef, S. 35. 5 6

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Teil 3: Grundlagen für ein opfergerechtes Strafverfahren

wieder. Die Geschädigten haben zumeist den Wunsch, dass die Taten als Unrecht anerkannt und gebrandmarkt werden.9 Neben die Anerkennung als Opfer muss die Anerkennung als Mensch treten.10 Im Zuge völkerrechtlicher Verbrechen werden die Opfer typischerweise entmenschlicht und zum bloßen Objekt degradiert. Dieser Prozess muss rückgängig gemacht werden, indem die Opfer wieder in die Gesellschaft integriert und von dieser als eigenverantwortliche, selbstbestimmt handelnde menschliche Individuen akzeptiert werden. Grundvoraussetzung für jede Form der Anerkennung ist Gehör. Den Opfern muss die Möglichkeit gegeben werden, das Erlittene zu artikulieren, das durch die Taten verursachte Leid zu schildern.11 Den Geschädigten ernsthaft und respektvoll zuzuhören, wenn sie ihre Geschichte erzählen, ist bereits eine Form der Anerkennung.12 Gerade in diesem Punkt divergieren die Bedürfnisse der individuellen Opfer allerdings stark. Während einige unbedingt ihre Erlebnisse darstellen wollen, ziehen es andere aus Angst vor schmerzlichen Erinnerungen vor zu schweigen.13 Diesen unterschiedlichen individuellen Präferenzen müssen Gesellschaft und Justiz nach Möglichkeit Rechnung tragen. Denn Anerkennung bedeutet auch Anerkennung der aus der Viktimisierung folgenden individuellen Bedürfnisse.14 Die größte Bedeutung für die Opfer hat die ernstgemeinte Anerkennung ihres Leids und des begangenen Unrechts durch die Täter.15 Selbst wenn die Täter bekannt sind, sind sie allerdings oftmals nicht bereit, sich mit der Opferperspektive und ihrer eigenen Verantwortlichkeit auseinanderzusetzen. Dies ist eine direkte Konsequenz der eingesetzten Neutralisationstechniken. Die Täter haben die Taten vor sich selbst und anderen gerechtfertigt, indem sie den eigenen Verantwortungsbeitrag und die Existenz leidensfähiger Opfer negiert haben.16 Anerkennung des begangenen Unrechts bedeutet, mit diesem psychologischen Schutzmechanismus, der integraler Bestandteil der Persönlichkeit geworden sein kann, zu brechen. Viele Täter werden hierzu weder willens noch in der Lage sein. Alternativ kann die Anerkennung durch Personen erfolgen, die sich zwar nicht unmittelbar an den Taten beteiligt haben, aber als Planer und Befehlshaber dennoch zu den hauptverantwortlichen Tätern gehören.17 Ist auch dies nicht möglich, kann das Bedürfnis der Opfer nach Anerkennung auch durch den Staat oder ein anderes offizielles Siehe auch Bassiouni (1996b), S. 26; Birck (2002c), S. 34; Schotsmans, S. 114. Schotsmans, S. 111. 11 Rauchfuss, S. 33. 12 Schotsmans, S. 109. Siehe auch Kalshoven, S. 8; Hamber (2005), S. 139. 13 Niederland, S. 231; Schotsmans, S. 109; Walleyn, S. 8. 14 Schotsmans, S. 111. 15 Schotsmans, S. 115; Abo Youssef, S. 36. Siehe auch Diggelmann, S. 393. Zur Bedeutung des Geständnisses aus Opfersicht unten Teil 5 C. X. 2. 16 Siehe oben Teil 2 C. II. 1. und III. 17 Schotsmans, S. 117; Abo Youssef, S. 37. 9

10

A. Bedürfnisse und Erwartungen des Opfers

173

Organ wie ein internationales Gericht oder eine Wahrheitskommission befriedigt werden.18

IV. Wahrheit Die Opfer und ihre Familien haben ein großes Interesse daran, die Wahrheit über die Tat zu erfahren. Dies ist nicht nur ein elementarer Bestandteil der Gerechtigkeit.19 Die Tataufklärung begünstigt vielmehr eine Verarbeitung der Viktimisierungserfahrung, da sie das elementare Bedürfnis der Opfer, die Gründe für die Tat und die Verantwortlichen zu kennen, befriedigt.20 Angehörige erlangen Klarheit über den Tathergang, erfahren, ob das direkte Opfer überlebt hat. Der unerträgliche Zustand der Ungewissheit wird beendet, die Tatverarbeitung ermöglicht.21 Dementsprechend wird den Opfern völkerrechtlicher Verbrechen ein Recht auf Wahrheit und damit auf Sachverhaltsaufklärung und Identifizierung der Verantwortlichen zuerkannt.22 18 Schotsmans, S. 118; Abo Youssef, S. 37. Siehe zur staatlichen Entschuldigung Case of Ticona Estrada et al. v. Bolivia (Merits, Reparations and Costs), IACHR 21. 11. 2008, Rn. 161 ff. 19 Van Boven, E / CN.4 / Sub.2 / 1993 / 8, Rn. 341. Siehe auch Case of Bámaca Velásquez v. Guatemala (Reparations and Costs), IACHR 22. 2. 2002, Rn. 74; Case of Molina-Theissen v. Guatemala (Reparations and Costs), IACHR 3. 7. 2004, Rn. 80; Buckley-Zistel, S. 122. 20 Siehe auch oben Teil 2 A. I. 3. b) sowie Schotsmans, S. 121; Aldana-Pindell, S. 1439; Abo Youssef, S. 38. 21 Schotsmans, S. 120. Siehe auch Sveaass / Lavik, S. 48; Abo Youssef, S. 37. 22 Prosecutor v. Katanga & Ngudjolo – Decision on the Set of Procedural Rights Attached to Procedural Status of Victims at the Pre-Trial Stage of the Case, PTC I, ICC-01 / 04-01 / 07-474, 13. 5. 2008, Rn. 32; Situation in Darfur, Sudan – Consolidated Statement of Views and Concerns of the Legal Representatives of the Participating Victims [ . . . ] With Respect to the Appeals Chamber’s 18 June 2008 Decision on Victim Participation in the Interlocutory Appeals of the Office of Public Counsel for the Defence and the Office of the Prosecutor, ICC-02 / 05-144, 24. 6. 2008, Rn. 44 – 45; Case of Carpio-Nicolle et al. v. Guatemala (Merits Reparations and Costs), IACHR 22. 11. 2004, Rn. 128; Case of Baldeón-García v. Perú (Merits, Reparations and Costs), IACHR 6. 4. 2006, Rn. 166; Case of Servellón-García et al. v. Honduras (Merits, Reparations and Costs), IACHR 21. 9. 2006, Rn. 151; Case of Goiburú et al. v. Paraguay (Merits, Reparations and Costs), IACHR 22. 9. 2006, Rn. 164; Case of Almonacid-Arellano et al v. Chile (Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs), IACHR 26. 9. 2006, Rn. 148; Case of Vargas-Areco v. Paraguay (Merits, Reparations and Costs), IACHR 26. 9. 2006, Rn. 101; Case of the Miguel Castro-Castro Prison v. Peru (Merits, Reparations and Costs), IACHR 25. 11. 2006, Rn. 347; Case of La Cantuta v. Peru (Merits, Reparations and Costs), IACHR 29. 11. 2006, Rn. 149; Case of the Rochela Massacre v. Colombia (Merits, Reparations and Costs), IACHR 11. 5. 2007, Rn. 146; Case of Bueno-Alves v. Argentina (Merits, Reparations and Costs), IACHR 11. 5. 2007, Rn. 90; Case of Escué-Zapata v. Colombia (Merits, Reparations and Costs), IACHR 4. 7. 2007, Rn. 75; Case of Zambrano Vélez et al. v. Ecuador (Merits, Reparations and Costs), IACHR 4. 7. 2007, Rn. 115; Case of Cantoral-Huamaní and García-Santa Cruz v. Peru (Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs), IACHR 10. 7. 2007, Rn. 132; Case of Garcia

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Teil 3: Grundlagen für ein opfergerechtes Strafverfahren

Die Ermittlung der Tatumstände ist nicht nur für die individuellen Opfer von zentraler Bedeutung. Sie ermöglicht auch eine gesellschaftliche Auseinandersetzung mit den Taten und bildet damit die Basis für eine kollektive Vergangenheitsbewältigung unter Berücksichtigung der Bedürfnisse der Individualopfer.23

V. Gerechtigkeit Die Ermittlung der Wahrheit allein ist nicht ausreichend. Die Opfer wollen, dass ihnen darüber hinaus Gerechtigkeit zuteil wird. Dies setzt eine offizielle Reaktion auf und eine Auseinandersetzung mit den Verbrechen voraus. Dem Wunsch nach Gerechtigkeit tragen unter anderem alle Maßnahmen, die eine Straflosigkeit der Taten verhindern wollen, Rechnung.24 Systematische Menschenrechtsverletzungen müssen aufgeklärt, die Verantwortlichen ermittelt und zur Rechenschaft gezogen werden.25 Die Opferbedürfnisse können auch außerhalb eines förmlichen StrafverPrieto et al. v. El Salvador (Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs), IACHR 20. 11. 2007, Rn. 102; Case of Heliodoro Portugal v. Panama (Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs), IACHR 12. 8. 2008, Rn. 244; Case of Tiu Tojín v. Guatemala (Merits, Reparations, and Costs), IACHR 26. 11. 2008, Rn. 68 ff.; Case of Ticona Estrada et al. v. Bolivia (Merits, Reparations and Costs), IACHR 21. 11. 2008, Rn. 146 f.; Case of Valle Jaramillo et al. v. Colombia (Merits, Reparations and Costs), IACHR 27. 11. 2008, Rn. 233; Case of Anzualdo Castro v. Peru (Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs), IACHR 22. 9. 2009, Rn. 179; Case of Garibaldi v. Brazil (Preliminary Objections, Merits, Reparations, and Costs), IACHR 23. 9. 2009, Rn. 167; Case of González et al. („Cotton Field“) v. Mexico (Preliminary Objections, Merits, Reparations, and Costs), IACHR 16. 11. 2009, Rn. 455 ff.; Case of the „Las Dos Erres“ Massacre v. Guatemala (Preliminary Objections, Merits, Reparations, and Costs), IACHR 24. 11. 2009, Rn. 233 ff.; Joinet-Report, Rn. 17; Donat-Cattin (1999), S. 254; Hamber (2005), S. 139; Rombouts / Sardaro / Vandeginste, Rn. 73; Tomuschat (2005a), S. 581; Lira, S. 94; Ambos (2009b), Rn. 11; Aldana-Pindell, S. 1439 ff. Siehe auch Guerrero, S. 2; Guembe, S. 45. 23 Siehe auch Case of Baldeón-García v. Perú (Merits, Reparations and Costs), IACHR 6. 4. 2006, Rn. 196; Case of Montero-Aranguren et al (Detention Center of Catia) v. Venezuela (Merits, Reparations and Costs), IACHR 5. 7. 2006, Rn. 139; Case of Servellón-García et al. v. Honduras (Merits, Reparations and Costs), IACHR 21. 9. 2006, Rn. 193; Case of Goiburú et al. v. Paraguay (Merits, Reparations and Costs), IACHR 22. 9. 2006, Rn. 165; Case of Almonacid-Arellano et al v. Chile (Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs), IACHR 26. 9. 2006, Rn. 157; Case of the Miguel Castro-Castro Prison v. Peru (Merits, Reparations and Costs), IACHR 25. 11. 2006, Rn. 347; Case of Nogueira de Carvalho et al. v. Brazil (Preliminary Objections and Merits), IACHR 28. 11. 2006, Rn. 76; Case of Bueno-Alves v. Argentina (Merits, Reparations and Costs), IACHR 11. 5. 2007, Rn. 90; Case of EscuéZapata v. Colombia (Merits, Reparations and Costs), IACHR 4. 7. 2007, Rn. 75; JoinetReport, Rn. 17; Report of the Sierra Leone Truth and Reconciliation Commission, Volume II (2004), Chapter 4 Rn. 40; Kalshoven, S. 8; Schotsmans, S. 123; Lira, S. 94 sowie Bader, S. 140; Golash, S. 218. Zur kollektiven Komponente des Rechts auf Wahrheit siehe auch Ambos (2009b), Rn. 11. 24 Siehe auch Joinet-Report, Rn. 30; Aldana-Pindell, S. 1439 f. 25 Katanga & Ngudjolo PTC, ICC-01-04-01-07-474, o. Fn. 22, Rn. 38; Case of BaldeónGarcía v. Perú (Merits, Reparations and Costs), IACHR 6. 4. 2006, Rn. 94; Case of Ximenes-

A. Bedürfnisse und Erwartungen des Opfers

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fahrens befriedigt werden.26 So kann Gerechtigkeit beispielsweise in alternativen öffentlichen Foren, in denen das Opfer den Täter anklagen und ihn mit den begangenen Verbrechen und dem hieraus resultierenden Leid konfrontieren kann, erlebt werden.27 Dem Wunsch nach Gerechtigkeit ist allerdings nicht durch die bloße Sanktionierung der Taten genüge getan. Gerechtigkeit ist weniger ein Ergebnis als vielmehr ein Prozess.28 An diesem wollen die Opfer beteiligt werden. Eine Verurteilung oder ein Freispruch eines Beschuldigten wird nur dann von den Opfern akzeptiert werden können, wenn sie das Gefühl haben, dass ihren Interessen hinreichend Beachtung und Raum geschenkt wurde.29 Beteiligungsrechte geben den Opfern zudem die Möglichkeit, ihr Recht auf Wahrheit prozessual durchzusetzen.30 Die Opfer werden als selbstbestimmte, eigenverantwortliche Individuen mit eigenen Interessen und Bedürfnisse anerkannt und entsprechend behandelt.31 Die Übernahme einer aktiven Rolle bei der Tatahndung kann zudem die Verarbeitung der Tat begünstigen. Sie steht im Gegensatz zu der Viktimisierungserfahrung, die sich durch die Passivität des Opfers und starke Ohnmachtsgefühle auszeichnet. Die Wahrnehmung prozessualer Rechte kann das Opfer auf dem Weg, seine Eigenständigkeit und seine Selbstachtung wiederzugewinnen, unterstützen.32

Lopes v. Brazil (Merits, Reparations and Costs), IACHR 4. 7. 2006, Rn. 148; Case of Servellón-García et al. v. Honduras (Merits, Reparations and Costs), IACHR 21. 9. 2006, Rn. 119; Case of Goiburú et al. v. Paraguay (Merits, Reparations and Costs), IACHR 22. 9. 2006, Rn. 165; Case of Almonacid-Arellano et al v. Chile (Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs), IACHR 26. 9. 2006, Rn. 111; Case of the Miguel Castro-Castro Prison v. Peru (Merits, Reparations and Costs), IACHR 25. 11. 2006, Rn. 256; Case of La Cantuta v. Peru (Merits, Reparations and Costs), IACHR 29. 11. 2006, Rn. 149; Case of the Rochela Massacre v. Colombia (Merits, Reparations and Costs), IACHR 11. 5. 2007, Rn. 147; Case of Bueno-Alves v. Argentina (Merits, Reparations and Costs), IACHR 11. 5. 2007, Rn. 90; Case of Escué-Zapata v. Colombia (Merits, Reparations and Costs), IACHR 4. 7. 2007, Rn. 75; Case of Cantoral-Huamaní and García-Santa Cruz v. Peru (Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs), IACHR 10. 7. 2007, Rn. 130; Case of Garcia Prieto et al. v. El Salvador (Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs), IACHR 20. 11. 2007, Rn. 100; Aksoy v. Turkey, ECHR Judgement, 21987 / 93, 18. 12. 1996, Rn. 98; Joinet-Report, Rn. 27; Ambos (2009b), Rn. 11 m. w. N. Siehe auch auch Bassiouni (1996b), S. 26; Hamber (2005), S. 138; Sveaass / Lavik, S. 49. 26 Siehe zu den geringen Rache- und Vergeltungsbedürfnisse vieler Opfer Neubacher (2006a), S. 25. 27 Ambos (2009b), Rn. 11. Zu Verfahren vor Wahrheitskommissionen unten Teil 5 C. III. 6. c) aa). 28 Walleyn, S. 2; Wemmers, S. 401. Siehe auch Méndez, S. 277; Donat-Cattin (2003), S. 360; Rauschenbach / Scalia, S. 444; Safferling (2010), S. 102. 29 Walleyn, S. 2. Siehe auch Weigend (1989), S. 411. 30 Siehe auch Case of the Rochela Massacre v. Colombia (Merits, Reparations and Costs), IACHR 11. 5. 2007, Rn. 146; Ambos (1997), S. 288. 31 Siehe auch Stehle, S. 247; de Hemptinne, S. 167; Zappalà (2010), S. 153; Wemmers, S. 401.

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Teil 3: Grundlagen für ein opfergerechtes Strafverfahren

VI. Wiedergutmachung Von herausragender Bedeutung ist zudem der Wunsch der Opfer nach Wiedergutmachung des ihnen zugefügten Schadens.33 Dass dies auch für völkerrechtliche Verbrechen gilt, zeigt sich anschaulich daran, dass selbst über 60 Jahre nach Beendigung des 2. Weltkrieges immer noch über die Entschädigung ehemaliger KZHäftlinge34 und comfort women35 diskutiert wird. Unabhängig von Details36 zielen Wiedergutmachungsmaßnahmen allgemein darauf, durch materielle oder immaterielle Leistungen die durch die Tat entstandenen Schäden auszugleichen und so nach Möglichkeit den Zustand, der vor der Tat bestand, wiederherzustellen. Über die bloße Schadenskompensation hinaus befriedigt Wiedergutmachung weitere Opferbedürfnisse. Im Zuge des Wiedergutmachungsprozesses ist der Täter gezwungen, sich mit den Folgen seiner Tat auseinanderzusetzen und das Leiden der Opfer wahrzunehmen.37 Die Leistung von Wiedergutmachung beinhaltet zudem die Anerkennung des begangen Unrechts.38 Gleichzeitig übernimmt der Täter Verantwortung für seine Taten.39 Insoweit dient Wiedergutmachung der Herstellung von Gerechtigkeit für die Opfer und ihrer Familien.40 Sie kann den Opfern helfen, die primäre und sekundäre Viktimisierung zu überwinden.41 Solange die 32 Rothkegel (1998), S. 81; Herman (2003), S. 159; Stefanie Bock (2007c), S. 672; Mankowski, S. 788; Wemmers, S. 402. Siehe auch Donat-Cattin (1999), S. 271; ders. (2003), S. 360; Sveaass / Lavik, S. 40; Hoven, S. 183; Sánchez, S. 880. Kritisch Rauschenbach / Scalia, S. 443. 33 Kühler, S. 627; Weigend (1989), S. 404; Roxin (1993), S. 304; Dallmeyer, S. 328. Siehe auch Amelunxen (1974), S. 458; Ambos (2009b), Rn. 11; Arsanjani / Reisman, S. 343; Rauschenbach / Scalia, S. 444; Abo Youssef, S. 39. Siehe auch Safferling (2010), S. 102. 34 Van der Auweraert, S. 557; Schwager, S. 430; Reig, S. 1. 35 Zegveld (2003), S. 522; van der Auweraert, S. 582. 36 Siehe hierzu unten Teil 5 F. 37 Roxin (1993), S. 303. Zustimmend Schöch (2001), S. 1045. Siehe auch Hamber (2005), S. 141. 38 Weigend (1990), S. 20; Ferstmann, S. 668; Ingadottir / Ferstmann / Kristjansdottir, S. 21; Report of the Sierra Leone Truth and Reconciliation Commission, Volume II (2004), Chapter 4 Rn. 26; Roht-Arriaza (2004), S. 158; de Greiff / Wierda, S. 235; Rombouts / Sardaro / Vandeginste, Rn. 176; di Giovanni, S. 42; Guembe, S. 47; Hamber (2006), S. 566; ICTJ, S. 2. Siehe auch Hamber (2005), S. 141; Torpey, S. 40; Tomuschat (2005a), S. 581; Sveaass / Lavik, S. 50; Baldo / Magarrell, S. 9, Wemmers, S. 401, Ambos (2009b), Rn. 11. 39 Wierda / de Greiff, S. 2; di Giovanni, S. 41. Siehe auch Hamber (2005), S. 141; ders. (2006), S. 566; Mani, S. 81; Colonomos / Armstrong, S. 412; Colvin, S. 207; Walleyn, S. 5; Corcoran, S. 231. 40 Triffterer(-Donat-Cattin), Art. 75 IStGH-Statut Rn. 5; Tomuschat (2002a), S. 157; Peter G. Fischer, S. 201; Lasco, S. 18; Safferling (2003a), S. 378; Report of the Sierra Leone Truth and Reconciliation Commission, Volume II (2004), Chapter 4 Rn. 9; Wierda / de Greiff, S. 1; Hamber (2005), S. 139; VRWG (July 2005), S. 2; Alam, S. 185; Colvin, S. 207; di Giovanni, S. 36; de Greiff, S. 455; Stefanie Bock (2007c), S. 678; Walleyn, S. 10; Corcoran, S. 230. 41 Ingadottir / Ferstmann / Kristjansdottir, S. 21; Hamber (2006), S. 566.

B. Internationale Kodifikationen

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bei den Opfern eingetretenen Schäden hingegen nicht ausgeglichen sind, ist auch der der Tat zugrunde liegende Konflikt nicht beendet. Wiedergutmachung bildet daher die Basis für eine Versöhnung zwischen Täter und Opfer42 und kann so zur Schaffung von Rechtsfrieden beitragen43. Ebenso wie der den völkerrechtlichen Verbrechen zugrunde liegende Konflikt nicht nur Täter und Opfer, sondern die gesamte Gesellschaft betrifft, ist auch die Wirkung der Wiedergutmachung nicht auf die unmittelbar Beteiligten beschränkt. Da ein Ausgleich der Tatfolgen die Auseinandersetzung mit dem begangenen Unrecht voraussetzt,44 kann er einen Beitrag zur kollektiven Vergangenheitsbewältigung leisten und sich so positiv auf die gesamte Gesellschaft auswirken.45 Wiedergutmachung als Maßnahme zur Konfliktbeendigung betrifft auch das Verhältnis zwischen Opfer und Gesellschaft.46 Sie ist damit Voraussetzung für einen gesellschaftlichen Neuanfang nach der Krisensituation unter Anerkennung und Berücksichtigung der Opferbedürfnisse.47

VII. Zusammenfassung Opfer völkerrechtlicher Verbrechen haben vielfältige Bedürfnisse und Interessen. Von der (internationalen) Justiz erwarten sie vor allem Anerkennung, Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung.

B. Internationale Kodifikationen Die Frage, wie die Justiz den Bedürfnissen von Verbrechensopfern gerecht werden kann, hat auch die Vereinten Nationen bereits mehrfach beschäftigt.

42 Kühler, S. 625; Sessar, S. 146; Granderath, S. 401; Roxin (1993), S. 304. Zustimmend Schöch (2001), S. 1045. 43 Roxin (1993), S. 304; zustimmend Schöch (2001), S. 1045; Mani, S. 72. Siehe auch de Seife, S. 71. 44 Siehe auch Report of the Sierra Leone Truth and Reconciliation Commission, Volume II (2004), Chapter 4 Rn. 40. 45 Wierda / de Greiff, S. 5; Mani, S. 72; Tomuschat (2005a), S. 582; Colvin, S. 207; Guembe, S. 47. Siehe auch Hamber (2006), S. 566. 46 Report of the Truth and Reconciliation Commission of South Africa (2003), Section II Chapter II Rn. 40; Report of the Sierra Leone Truth and Reconciliation Commission, Volume II (2004), Chapter 4 Rn. 35; Tomuschat (2005a), S. 582; di Giovanni, S. 42. 47 Roht-Arriaza (2004), S. 158; Cammack, S. 215.

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Teil 3: Grundlagen für ein opfergerechtes Strafverfahren

I. Basic Principles of Justice for Victims of Crime and Abuse of Power In dem Bestreben, einen einheitlichen Standard für die Behandlung von Verbrechensopfern zu etablieren, verabschiedete die UN-Generalversammlung am 29. 11. 1985 die Declaration of Basic Principles of Justice for Victims of Crime and Abuse of Power.48 Neben einer Definition des Opferbegriffs49 stellt die Erklärung grundlegende Rechte von Verbrechensopfern auf. Diese sollen fair und mit Respekt behandelt werden.50 Zudem ist ihnen die Möglichkeit zu geben, ihre Interessen gerichtlich durchzusetzen. Die Opfer sind über ihre Rechte zu informieren und bei deren Wahrnehmung zu unterstützen.51 Darüber hinaus wird den Opfern das Recht auf Wiedergutmachung, insbesondere auf Entschädigung,52 eingeräumt. Gleichzeitig soll sichergestellt werden, dass die Opfer die für die Überwindung der Tatfolgen notwendige Unterstützung erhalten – sei es durch staatliche, gemeindliche oder ehrenamtliche Organisationen.53 Die Fürsorge für Verbrechensopfer wird damit als gesellschaftliche Aufgabe anerkannt.

II. Die van-Boven-Principles Speziell auf die Bedürfnisse von Opfern völkerrechtlicher Verbrechen zugeschnitten sind die van-Boven-Principles. 1989 beauftragte die Sub-Commission on Prevention of Discrimination and Protection of Minorities – die Vorgängerin der Sub-Commission on the Promotion and Protection of Human Rights – Theo van Boven eine Studie über das Recht der Opfer von Menschenrechtsverletzungen auf Rückerstattung, Entschädigung und Rehabilitierung anzufertigen. 1993 legte van Boven seinen Abschlussbericht vor.54 Basierend auf einer Analyse der einschlägigen völkerrechtlichen Vorschriften und Urteile entwickelte er Richtlinien zur Wiedergutmachung von Humanitätsverbrechen – die so genannten van-BovenPrinciples. Diese wurden nach mehrfacher Überarbeitung durch van Boven55 und Cherif Bassiouni56 schlussendlich vom Menschenrechtsausschuss57, vom Wirtschafts- und Sozialrat58 sowie von der Generalversammlung59 angenommen. 48 49 50 51 52 53 54 55 56 57

A / RES / 40 / 34. Siehe hierzu auch unten Teil 5 B. Principle 4 S. 1. Principles 5; 6. Principles 12; 13. Principles 14 – 17. Van Boven, E / CN.4 / Sub.2 / 1993 / 8. Van Boven, E / CN.4 / Sub.2 / 1996 / 17, ders., E / CN.4 / 1997 / 104. Bassiouni-Report. Resolution 2005 / 35 des Menschenrechtsausschuss vom 19. 4. 2005.

B. Internationale Kodifikationen

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Die van-Boven-Principles befassen sich nicht nur mit dem Ausgleich der Tatfolgen im engeren Sinn. Wiedergutmachung wird vielmehr in einem umfassenden Sinne verstanden. Erfasst sind alle Maßnahmen, die in Reaktion auf begangene oder drohende völkerrechtliche Verbrechen ergriffen werden können.60 Sachlich ist der Anwendungsbereich der Principles auf „Gross Violations of International Human Rights Law and Serious Violations of International Humanitarian Law“ beschränkt. Auch wenn dieser Begriff nicht definiert wird,61 sind jedenfalls die core crimes des Völkerstrafrechts erfasst.62 Im Unterschied zum IStGH-Statut befasst sich van-Boven allerdings nicht primär mit der Verantwortlichkeit des einzelnen Täters, sondern mit der des Staates.63 In Nr. 15 S. 1 der Principles werden allerdings die Staaten aufgefordert, den Opfern auch die Durchsetzung von Ansprüchen gegen die individuellen Täter zu ermöglichen.64 Nach Principle 3 sind die Staaten verpflichtet, geeignete Maßnahmen zur Verhinderung schwerer Menschenrechtsverletzungen zu ergreifen, begangene Taten effektiv, schnell, gründlich und unparteiisch zu ermitteln und gegebenenfalls die Täter zur Verantwortung zu ziehen sowie die Rechte der Opfer zu wahren. Principle 6 verweist insoweit explizit auf bestehende völkerrechtliche Strafverfolgungspflichten. Principle 5 regt sogar die Implementierung des Weltrechtsprinzips65 ins nationale Recht an. Bezüglich der Stellung der Opfer im Strafverfahren legt Principle 10 als allgemeinen Grundsatz fest, dass Opfer mit Menschlichkeit und Respekt zu behandeln sind und dass ihre Würde zu achten ist. Zudem sind durch geeignete Maßnahmen ihr Schutz sowie ihr physisches und psychisches Wohlergehen sicherzustellen. Satz 2 stellt klar, dass dies auch die Verpflichtung erfasst, prozessimmanenten Belastungen vorzubeugen und eine sekundäre Viktimisierung nach Möglichkeit zu verhindern. Principle 11 teilt die Rechte der Opfer in drei Kategorien ein: das Recht auf gleichen und effektiven Zugang zu Rechtsbehelfen, das Recht auf angemessene, wirksame und schnelle Wiedergutmachung des erlittenen Schadens sowie das Recht auf Informationen über die zur Verfügung stehenden Wiedergutmachungsmechanismen. Als Formen der Wiedergutmachung sind Rückerstattung, Entschädigung, Rehabilitierung, Genugtuung sowie die Garantie der Nicht-Wiederholung aufgeführt. Zudem sollen die Opfer nach Principle 24 S. 2 Informationen über die Gründe und Umstände ihre Opferwerdung erhalten. Ihr Recht auf Wahrheit wird damit ausdrücklich anerkannt. Resolution 2005 / 30 des Wirtschafts- und Sozialrats vom 25. 7. 2005. Resolution 69 / 147 der Generalversammlung vom 21. 3. 2006. 60 Redress (March 2006), S. 8. 61 Siehe auch Redress (March 2006), S. 10. 62 Siehe Nr. 4 der GA-Resolution 60 / 147 vom 21. 3. 2006 sowie van Boven, E / CN.4 / Sub.2 / 1993 / 8, Rn. 13; Redress (March 2006), S. 13. 63 Siehe van Boven, E / CN.4 / Sub.2 / 1993 / 8, Rn. 40 sowie unten Teil 5 C. I. 6. a) bb) (2). 64 Siehe auch Shelton (2005), S. 22. 65 Zum Begriff unten Teil 5 C. I. 5. 58 59

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Teil 3: Grundlagen für ein opfergerechtes Strafverfahren

Die van-Boven-Principles lassen sich wie folgt zusammenfassen: Völkerrechtliche Verbrechen sind zu verhindern. Kommt es dennoch zu schweren Menschenrechtsverletzungen, sind diese umfassend aufzuklären. Die Täter sind zu bestrafen. Die Opfer sind an diesem Prozess zu beteiligen und vor weiteren Beeinträchtigungen zu schützen. Erlittene Schäden sind auszugleichen und wiedergutzumachen.

C. Fazit Erste und wichtigste Aufgabe eines opfergerechten Strafverfahrens ist es, die Opfer vor weiteren Beeinträchtigungen zu schützen, also eine sekundäre Viktimisierung nach Kräften zu verhindern. Dazu gehört es, bei den Opfern keine unrealistischen Vorstellungen über die Möglichkeiten der (internationalen) Strafjustiz zu wecken. Ansonsten bestünde die Gefahr, dass enttäuschte Hoffnungen zu Frustration und zur Ablehnung des IStGH führen.66 Einen Beitrag zur individuellen und kollektiven Tatverarbeitung können Strafverfahren darüber hinaus leisten, wenn sie die Geschädigten sowohl als Verbrechensopfer als auch als selbstbestimmte Individuen anerkennen. Darüber hinaus ist den Bedürfnissen der Opfer nach Wahrheit, Gerechtigkeit und Wiedergutmachung Rechnung zu tragen. Für die Integration von Opferbelangen in das Strafverfahren enthalten die Declaration of Basic Principles of Justice for Victims of Crime und die van-Boven-Principles wertvolle Leitlinien. Resolutionen der Generalversammlung sind zwar weder für Staaten67 noch für den IStGH strikt bindend, bringen aber grundlegende Wertüberzeugungen der internationalen Gemeinschaft zum Ausdruck. Sie sind daher über Art. 21 Abs. 1 lit. b) IStGH-Statut vom IStGH bei der Auslegung und Anwendung prozessualer Normen zu berücksichtigen.68 66 Siehe auch Baumgartner, S. 416; Hodzic´, S. 120 ff. Zu den (negativen) Erfahrungen der ECCC Mohan, S. 738 ff. 67 Ipsen(-Epping), § 32 Rn. 47. Zur fehlenden Bindungswirkung der van-Boven-Principles Prosecutor v. Lubanga – Note pour les victimes a / 0001 / 06 à a / 0003 / 06, ICC-01 / 04-01 / 06-1060, 7. 12. 2007, Rn. 4; Lasco, S. 20; Rombouts / Sardaro / Vandeginste, S. 345 Rn. 26; Baumgartner, S. 417. 68 So auch Prosecutor v. Lubanga – Judgement on the Appeals of The Prosecutor and The Defence against Trial Chamber I’s Decision on Victims’ Participation of 18 January 2008, AC, ICC-01 / 04-01 / 06-1432, 11. 7. 2008, Rn. 33; Prosecutor v. Lubanga – Decision on Victims’ Participation, TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1119, 18. 1. 2008, Rn. 35; Situation in the DRC – Decision on the application for participation in the proceedings of [ . . . ], PTC I, ICC-01 / 04-101-Corr, 17. 1. 2006, Rn. 115; Lubanga Note pour les victims, ICC-01 / 04-01 / 06-1060, o. Fn. 67, Rn. 4; Situation in Uganda – OPCV’s Observations on the Victims’ Applications [ . . . ] to Participate in the Uganda Situation and in the Case [ . . . ], ICC-02 / 04-89, 26. 3. 2007, Rn. 54 = Prosecutor v. Kony et al. – OPCV’s Observations on the Victims’ Applications [ . . . ] to Participate in the Uganda Situation and in the Case [ . . . ], ICC-02 / 04-01 / 05-232, 26. 3. 2007, Rn. 54; Prosecutor v. Bemba Gombo – Forth Decision on Victim’s Participation, PTC III, ICC-01 / 05-01 / 08-320, 15. 12. 2008, Rn. 16; Narantsetseg / Sevgili, S. 126; Baumgartner, S. 417.

Teil 4

Sinn und Zweck von Strafe und Strafverfahren Im historischen Abschnitt wurde dargestellt, dass die Reaktion auf Regelverstöße zunächst dem Geschädigten überlassen blieb. Erst im Laufe der Zeit entwickelte sich ein von den Durchsetzungskräften und dem Verfolgungswillen des Opfers unabhängiges staatliches Strafrecht. Was aber will die Gemeinschaft mit dem Strafverfahren und der Bestrafung des Täters erreichen? Inwieweit dürfen, können oder müssen in diesem Prozess der Tatverfolgung und -ahndung auch die Interessen der Geschädigten berücksichtigt werden? Die Antwort auf die zweite Frage folgt aus der ersten. Sinn und Zweck einerseits und praktische Ausgestaltung von Strafe und Strafverfahren andererseits müssen aufeinander abgestimmt sein. Welche Rolle den Interessen des Opfers legitimerweise zukommt und wie stark seine prozessuale Position sein kann, ergibt sich aus den verfolgten Zielen.1 Da der Schwerpunkt der Arbeit auf einer Analyse des Strafverfahrensrechts des IStGH liegen soll, kann hier nur ein kurzer Überblick über die Materie gegeben werden. Dabei soll allerdings versucht werden, den Besonderheiten des internationalen Strafverfahrens Rechnung zu tragen. Das Strafverfahren ist Voraussetzung für die Verhängung der Strafe. Wegen dieser Verflechtung sind auch die Zwecke von Strafe und Strafverfahren nicht immer eindeutig abgrenzbar. Der Begriff der Strafzwecke soll hier in einem engen Sinne verstanden werden. Es geht allein um die Frage, was mit dem konkreten Strafausspruch erreicht werden soll bzw. kann. Insoweit beschränke ich mich auf die klassischen Straftheorien. Weitergehende Aspekte, die sich aus dem Gesamtzusammenhang von Verfahren und Urteilsausspruch ergeben, werden den Strafverfahrenszwecken zugeordnet.

A. Zu den Strafzwecken Die Strafzwecke werden in zwei Gruppen eingeteilt. Nach den absoluten Straftheorien soll Strafe ein gerechter Ausgleich für das Unrecht der Tat sein. Strafe ist nach dieser Auffassung Selbstzweck. Sie wird allein wegen der begangenen Tat verhängt.2 Die relativen Theorien sind hingegen zukunftsorientiert. Sie wollen 1 Siehe auch Weigend (1989), S. 18; Stehle, S. 38 sowie von Liszt, S. 2, der die Strafzwecke als „Triebfedern aller Entwicklung des Strafrechts“ bezeichnet.

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Teil 4: Sinn und Zweck von Strafe und Strafverfahren

künftige Straftaten verhindern.3 Die Vereinigungstheorie lässt alle Strafzwecke kumulativ zum Einsatz kommen.4 Diesem Ansatz folgen – unausgesprochen – die Ad-hoc-Tribunale.

I. Schuldausgleich und Vergeltung Die Ad-hoc-Tribunale sehen in der Vergeltung einen zentralen Strafzweck.5 Dem Täter soll eine gerechte und angemessene Strafe auferlegt werden.6 Ent2 Jescheck / Weigend, S. 70; Freund, § 1 Rn. 3; Roxin (2001), S. 702; ders. (2006), § 3 Rn. 2; Hassemer (2002), S. 225; Streng, Rn. 11; Tallgren, S. 579; Baumann / Weber / Mitsch, § 3 Rn. 50; Hörnle, S. 951; Neubacher (2006b), S. 968; Meier, S. 19. 3 von Liszt, S. 1; Jescheck / Weigend, S. 71; Freund, § 1 Rn. 7; Ambos / Steiner, S. 11; Roxin (2001), S. 702; Tallgren, S. 569; Hörnle, S. 951; Neubacher (2006b), S. 968; Meier, S. 21. 4 Siehe nur Jescheck / Weigend, S. 75; Köhler, S. 44; Streng, Rn. 31: Baumann / Weber / Mitsch, § 3 Rn. 63. Kritisch Simester / Sullivan, S. 17. 5 Prosecutor v. Aleksovski, Appeals Judgement, AC, IT-95-14 / 1-A, 24. 3. 2000, Rn. 185; Prosecutor v. Delalic´ et al., Appeals Judgement, AC, IT-96-21-A, 20. 1. 2001, Rn. 806; Prosecutor v. Kordic´ & Cerkez, Appeals Judgement, IT-95-14 / 2-A, 17. 12. 2004, Rn. 1073; Prosecutor v. Erdemovic´, Trial Judgement, TC I, IT-96-22-T, 29. 11. 1996, Rn. 64; Prosecutor v. Delalic´ et al., Trial Judgement, TC II, IT-96-21-T, 16. 11. 1998, Rn. 1231; Prosecutor v. Furundzija, Trial Judgement, TC II, IT-95-17 / 1-T, 10. 12. 1998, Rn. 288; Prosecutor v. Tadic´, Trial Judgement, TC II, IT-94-1-Tbis-R117, 11. 11. 1999, Rn. 9; Proscutor v. Kupreškic´ et al., Trial Judgement, TC II, IT-95-16-T, 14. 1. 2000, Rn. 848; Prosecutor v. Blaškic´, Trial Judgement, TC I, IT-95-14-T, 3. 3. 2000, Rn. 761; Prosecutor v. Kunarac et al., Trial Judgement, TC I, IT-96-23-T& IT-96-23 / 1-T, 22. 2. 2001, Rn. 838; Prosecutor v. Kordic´ & Cerkez, Trial Judgement, TC III, IT-95-14 / 2-T, 26. 2. 2001, Rn. 847; Prosecutor v. Todorovic, Trial Judgement, TC I, IT-95-9 / 1-S, 31. 7. 2001, Rn. 28; Prosecutor v. Krnojelac, Trial Judgement, TC II, IT-97-25-T, 15. 3. 2002, Rn. 508; Prosecutor v. Milan Simic´, Trial Judgement, TC II, IT-95-9 / 2-S, 17. 10. 2002, Rn. 33; Prosecutor v. Vasiljevic´, Trial Judgement, TC II, T-98-32-T, 29. 11. 2002, Rn. 273; Prosecutor v. Plavšic´, Trial Judgement, TC III, IT-00-39&40 / 1-S, 27. 2. 2003, Rn. 22; Prosecutor v. Naletilic & Martinovic, Trial Judgement, TC I, IT-98-34-T, 31. 3. 2003, Rn. 739; Prosecutor v. Simic´ et al., Trial Judgement, TC I, IT-95-9-T, 17. 10. 2003, Rn. 1059; Prosecutor v. Nikolic, Trial Judgement, TC I, IT-02-60 / 1-S, 2. 12. 2003, Rn. 85; Prosecutor v. Obrenovic´, Trial Judgement, TC I, IT-02-60 / 2-S, 10. 12. 2003, Rn. 50; Prosecutor v. Deronjic´, Trial Judgement, TC II, IT-02-61-S, 30. 3. 2004, Rn. 142; Prosecutor v. Babic´, Trial Judgement, TC I, IT-03-72-S, 29. 6. 2004, Rn. 44; Prosecutor v. Brdjanin, Trial Judgement, TC II, IT-99-36-T, 1. 9. 2004, Rn. 1090; Prosecutor v. Blagojevic´ & Jokic´, Trial Judgement, TC I, IT-02-60-T, 17. 1. 2005, Rn. 817; Prosecutor v. Strugar, Trial Judgement, TC II, IT-01-42-T, 31. 1. 2005, 458; Prosecutor v. Limaj et al., Trial Judgement, TC II, IT-03-66-T, 30. 11. 2005, Rn. 723; Prosecutor v. Hadzihasanoviç & Kubura, Trial Judgement, TC II, IT-01-47-T, 15. 3. 2006, Rn. 2071; Prosecutor v. Oric´, Trial Judgement, TC II, IT-03-68-T, 30. 6. 2006, Rn. 718; Prosecutor v. Krajišnik, Trial Judgement, TC I, IT-00-39-T, 27. 9. 2006, Rn. 1134; Prosecutor v. Zelenovic´, Trial Judgement, TC I, IT-96-23 / 2-S, 4. 4. 2007, Rn. 31; Prosecutor v. Martic´, Trial Judgement, TC I, IT-95-11-T, 12. 6. 2007, Rn. 484; Prosecutor v. Mrkšiç et al., Trial Judgement, TC II, IT-95-13 / 1-T, 27. 9. 2007, Rn. 683; Prosecutor v. Haradinaj et al., Trial Judgement, TC I, IT-04-84-T, 3. 4. 2008, Rn. 484; Prosecutor v. Boškoski & Tarculovski, Trial Judgement,

A. Zu den Strafzwecken

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scheidendes Strafzumessungskriterium soll neben der Schwere der Tat die persönliche Schuld des Täters sein.7 Dabei soll Strafe aber nicht der Befriedigung von individuellen Rachebedürfnissen dienen. Vielmehr soll die internationale Gemeinschaft durch die Bestrafung des Täters ihre Empörung zum Ausdruck bringen.8 Vergeltende Strafe beinhaltet damit die moralische Verurteilung der Tat und des Täters.9 Dieser Ansatz kann auch den Opferinteressen Rechnung tragen. Die Auferlegung einer gerechten Strafe leistet einen Beitrag zur Befriedigung der Opfer10 TC II, IT-04-82-T, 10. 7. 2008, Rn. 587; Prosecutor v. Delic´, Trial Judgement, TC I, IT-04-83-T, 15. 9. 2008, Rn. 559; Prosecutor v. Milutinovic´ et al., Judgement, Part III, TC, IT-05-87-T, 26. 2. 2009, Rn. 1144; Prosecutor v. Kayishema & Ruzindana, Judgement and Sentence, TC II, ICTR-95-1-T, 21. 5. 1999, sentence Rn. 2; Prosecutor v. Rutaganda, Trial Judgement, TC I, ICTR-96-3, 6. 12. 1999, Rn. 456; Prosecutor v. Musema, Trial Judgement, TC I, ICTR-96-13-A, 27. 1. 2000, Rn. 985; Prosecutor v. Elizaphan & Gérard Ntakirutimana, Trial Judgement, TC I, ICTR-96-10 & ICTR-96-17-T, 21. 2. 2003, Rn. 882; Prosecutor v. Niyitegeka, Trial Judgement, TC I, ICTR-96-14-T, 16. 5. 2003, Rn. 484; Prosecutor v. Ndindabahizi, Trial Judgement, TC I, ICTR-2001-71-I, 15. 7. 2004, Rn. 498; Prosecutor v. Rutaganira, Trial Judgement, TC III, ICTR-95-1-C, 14. 3. 2005, Rn. 107; Prosecutor v. Simba, Trial Judgement, TC I, ICTR-01-76-T, 13. 12. 2005, Rn. 429; Prosecutor v. Seromba, Trial Judgement, TC III, ICTR-2001-66-I, 13. 12. 2006, Rn. 376; Prosecutor v. Muvunyi, Trial Judgement, TC II, ICTR-2000-55A-T, 12. 9. 2006, Rn. 532; Prosecutor v. Karera, Trial Judgement, TC I, ICTR-01-74-T, 7. 12. 2007, Rn. 571; Prosecutor v. Nchamihigo, Trial Judgement, TC III, ICTR-01-63-T, 12. 11. 2008, Rn. 383; Prosecutor v. Bikindi, Trial Judgement, TC III, ICTR-01-72-T, 2. 12. 2008, Rn. 443; Prosecutor v. Bagosora et al., Trial Judgement, TC I, ICTR-98-41-T, 18. 12. 2008, Rn. 2260; Prosecutor v. Zigiranyirazo, Trial Judgement, TC III, ICTR-01-73-T, 18. 12. 2008, Rn. 449; Prosecutor v. Rukundo, Judgement, TC II, ICTR-2001- 70-T, 17. 2. 2009, Rn. 593; Prosecutor v. Kalimanzira, Judgement, TC III, ICTR-05-88-T, 22. 6. 2009, Rn. 741; Prosecutor v. Renzaho, Judgement and Setence, TC I, ICTR-97-31-T, 14. 7. 2009, Rn. 814. Siehe aber auch unten Teil 4 A. III. 2. 6 Brdjanin Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 1090; Strugar Trial Judgement, oben 5, Rn. 458; Limaj et al. Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 723. Siehe auch Kordic´ & Cerkez Appeals Judgement, o. Fn. 5, Rn. 1075; Erdemovic´ Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 65; Todorovic Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 29; Blagojevic´ & Jokic´ Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 818. 7 Kordic´ & Cerkez Appeals Judgement, o. Fn. 5, Rn. 1075; Deronjic´ Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 150; Krajišnik Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 1135; Zelenovic´ Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 32; Haradinaj et al. Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 485. Siehe auch Erdemovic´ Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 65. 8 Aleksovski Appeals Judgement, o. Fn. 5, Rn. 185; Kordic´ & Cerkez Appeals Judgement, o. Fn. 5, Rn. 1075; Kordic´ & Cerkez Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 847; Simic´ Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 1059; Deronjic´ Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 143; Babiç Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 44; Brdjanin Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 1090; Hadzihasanoviç & Kubura Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 2071; Oric´ Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 719; Krajišnik Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 1135; Delic´ Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 559; Rutaganira Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 108. 9 Nikolic Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 86; Blagojevic´ & Jokic´ Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 818; Zelenovic´ Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 32; Haradinaj et al. Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 485.

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Teil 4: Sinn und Zweck von Strafe und Strafverfahren

sowie der gesamten Gesellschaft11. Zudem beinhaltet die Stigmatisierung von Tat und Täter die Anerkennung des den Opfern zugefügten Leids.12 Auf diese Weise kann vergeltende Strafe eines der primären Opferbedürfnisse erfüllen.13 Dennoch begegnet die Anwendung der absoluten Straftheorie im Völkerstrafrecht durchgreifenden Bedenken. Zunächst ist der Vergeltungsgedanke untrennbar mit dem Gerechtigkeitsbegriff verbunden.14 Was aber als gerechte Strafe empfunden wird, hängt von sozialen, kulturellen und gesellschaftlichen Faktoren ab.15 Völkerstrafrecht beansprucht universelle Geltung.16 Sanktioniert der IStGH als zentraler Durchsetzungsmechanismus des Völkerstrafrechts die core crimes, würde die Berufung auf den Vergeltungsgedanken bedeuten, dass eine Strafe gefunden werden muss, die weltweit, zumindest aber in den Vertragsstaaten des IStGH-Statuts, als gerecht empfunden wird. Dies scheint allerdings ein nahezu aussichtsloses Unterfangen zu sein.17 Zur Illustration sei nur auf die Diskussion um die Todesstrafe verwiesen. Während die Befürworter in ihr in Fällen schwerster Kriminalität den einzig gerechten Tatausgleich sehen, weisen ihre Gegner sie als unmenschlich zurück18. Darüber hinaus stellt sich grundsätzlich die Frage, ob es bei völkerrechtlichen Verbrechen überhaupt möglich ist, eine angemessene, der Schwere der Tat entsprechende Sanktion zu finden. Das begangene Unrecht ist bei Massenverbrechen so groß, dass ein proportionaler Tat- und Schuldausgleich nicht möglich erscheint.19 Dies gilt umso mehr, da der IStGH die Todesstrafe nicht verhängen kann.20 Zudem lässt sich bezweifeln, ob die besondere Struktur völkerrechtlicher Verbrechen es erlaubt, dem einzelnen Täter einen Schuldvorwurf zu machen. Makrodelinquenz zeichnet sich durch die Kollektivität der Tatbegehung aus.21 Der Täter 10 Delalic´ et al. Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 1231; Rutaganira Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 108. Siehe auch Baumgartner, S. 436; Aldana-Pindell, S. 1445. Kritisch Hassemer / Reemtsma, S. 116. 11 Rutaganira Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 108. 12 Nikolic Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 86; Blagojevic´ & Jokic´ Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 818. 13 Kritisch Möller (2003), S. 454, die allerdings nicht auf eine mögliche Stigmatisierungswirkung der vergeltenden Strafe eingeht. 14 Ambos / Steiner, S. 11. Siehe auch von Liszt, S. 28; Roxin (2001), S. 701; Meier, S. 20. 15 Ambos / Steiner, S. 11. 16 Siehe zu Begriff und Geltung des Völkerstrafrechts unten Teil 5 C. I. 6. b) bb). 17 Siehe auch Tallgren, S. 583. 18 Anschaulich zur Diskussion Kaiser, § 94 Rn 22 ff. 19 A.-G. of Israel v. Adolf Eichmann, 29. 5. 1962, (1968) 36 ILR 277, 341 Rn. 18 (Supreme Court of Israel); Jäger (1995), S. 339; Ambos / Steiner, S. 11; Tolmein, S. 509; Möller (2003), S. 449; Neubacher (2005), S. 423; ders. (2006b), S. 968; Reese, S. 83; Drumbl, S. 12; Koller, S. 1026. Siehe auch Aldana-Pindell, S. 1450. 20 Neubacher (2005), S. 423. Zur Todesstrafe auch unten Teil 5 C. XI. 1. 21 Jäger (1988), S. 175; ders. (1989), S. 132 – 133; ders. (1998), S. 124 – 125. Siehe auch Neubacher (2006b), S. 968.

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agiert nicht als einzelnes, eigenständiges Individuum, sondern als Teil einer Gruppe. Seinen Verschuldensbeitrag losgelöst vom Kollektiv zu bestimmen, ist schwierig. Berücksichtigt man ferner gruppendynamische Effekte, die die Tatbegehung erleichtern, wenn nicht sogar erst ermöglichen,22 entstehen Zweifel an der individuellen Schuld des einzelnen Täters.23 Selbst wenn man diese nicht per se in Frage stellen will, darf im Völkerstrafrecht verwirklichtes Unrecht jedenfalls nicht automatisch mit individueller Verantwortlichkeit oder Schuld gleichgesetzt werden.24 Darüber hinaus ist bei Makrokriminalität die Begehung bestimmter Taten Normalität. Sie werden nicht sanktioniert, sondern vielmehr vom Staat toleriert, unterstützt oder gefördert.25 Die Tatbegehung ist damit kein abweichendes, sondern konformes Verhalten.26 Sie wird von der Gesellschaft akzeptiert und nicht als Unrecht wahrgenommen. Auch dieses Phänomen lässt die Frage aufkommen, ob die Tat dem Täter als schuldhaft begangenes Unrecht vorgeworfen werden kann.27 Insgesamt sollte dem Vergeltungsgedanken im Völkerstrafrecht daher keine zentrale Bedeutung zukommen.

II. Spezialprävention Nach der maßgeblich auf Franz von Liszt zurückgehenden28 Theorie der Spezialprävention ist es Ziel der Strafe, weitere Straftaten des Täters zu verhindern.

1. Negative Spezialprävention In ihrer negativen Ausprägung zielt Spezialprävention auf die Abschreckung des Täters, der durch die Bestrafung von der Begehung weiterer Straftaten abgehalten werden soll.29 Zudem soll die Allgemeinheit vor dem Täter geschützt werden, in-

Siehe oben Teil 2 C. II. 1. Jäger (1988), S. 175; ders. (1989), S. 132 – 133; ders. (1998), S. 124 – 125. Vertiefend unter besonderer Berücksichtigung des Milgram-Experiments Neubacher (2005), S. 430 ff. 24 Neubacher (2006b), S. 968. Siehe auch Tolmein, S. 509; Diggelmann, S. 384; Baumgartner, S. 436. 25 Siehe oben Teil 2 C. und E. 26 Jäger (1989), S. 12, 132; ders. (1998), S. 124 – 125. 27 Siehe hierzu auch Jäger (1995), S. 331. Diese Problematik wird anschaulich bei Pannenbecker, S. 357 dargestellt. 28 von Liszt, S. 1. 29 Grundlegend von Liszt, S. 34. Siehe auch Prosecutor v. Blaškic´, Appeals Judgement, AC, IT-95-14-A, 29. 7. 2004, Rn. 678; Kordic´ & Cerkez Appeals Judgement, o. Fn. 5, Rn. 1076; Delalic´ et al. Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 1234; Kupreškic´ et al. Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 848; Kunarac et al. Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 839; Deronjic´ Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 144; Strugar Trial Judgement, oben 5, Rn. 458; Krajišnik Trial Judgement, 22 23

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dem ihm für die Dauer des Gefängnisaufenthalts die Begehung weiterer Straftaten unmöglich gemacht wird.30 Dieser Strafzweck ist in der Rechtsprechung der Adhoc-Tribunale anerkannt.31 Ihm wird aber nur untergeordnete Bedeutung zugemessen.32 Dies ist hinsichtlich der individuellen Abschreckungswirkung der Strafe überzeugend. Wenn die Strafe vollzogen ist, wird der gesamtgesellschaftliche Konflikt, der den Rahmen für die Verbrechen bildete, nicht mehr existieren bzw. sich verändert haben. Die dem Täter bekannten Machtstrukturen, die die Tatbegehung ermöglicht oder zumindest begünstigt haben, sind nicht mehr intakt. Typischerweise werden die Täter nicht wieder in die Lage kommen, die Taten noch einmal zu begehen,33 so dass eine Abschreckung nicht notwendig ist. Aus dem gleichen Grund kann man zunächst auch bezweifeln, ob das Völkerstrafrecht der Sicherung der Gesellschaft dienen kann. Nach Beendigung des Konfliktes wird vom Täter typischerweise keine Gefahr mehr ausgehen.34 Etwas anderes gilt aber immer dann, wenn die internationale Justiz bereits tätig wird, während der Konflikt noch anhält. Inhaftierung und Verurteilung kommen einer politischen Entmachtung des Täters gleich.35 Die Möglichkeiten zur Begehung weiterer Verbrechen werden erheblich begrenzt.36 Die hiermit verbundene Sicherung der Gesellschaft kommt o. Fn. 5, Rn. 1136; Rutaganira Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 110; Delic´ Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 559; Kalimanzira Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 741. 30 Grundlegend von Liszt, S. 34. Siehe auch Delalic´ et al. Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 1232; Blaškic´ Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 761; Brdjanin Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 1092; Hadzihasanoviç & Kubura Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 2073; Kayishema & Ruzindana Trial Judgement, o. Fn. 5, sentence Rn. 2; Elizaphan & Gérard Ntakirutimana Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 882; Ndindabahizi Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 498; Simba Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 429; Muvunyi Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 532; Niyitegeka Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 484; Seromba Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 376; Karera Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 571. 31 Blaškic´ Appeals Judgement, o. Fn. 29, Rn. 678; Kordic´ & Cerkez Appeals Judgement, o. Fn. 5, Rn. 1076; Delalic´ et al. Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 1234; Prosecutor v. Jelisic´, Trial Judgement, TC I, IT-95-10-T, 14. 12. 1999, Rn. 116; Kupreškic´ et al. Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 848; Kunarac et al. Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 839 ff.; Prosecutor v. Galic´, Trial Judgement, TC I, IT-98-29-T, 5. 12. 2003, Rn. 757; Deronjic´ Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 144; Brdjanin Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 1092; Strugar Trial Judgement, oben 5, Rn. 458; Krajišnik Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 1136; Zelenovic´ Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 33; Rutaganira Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 111; Karera Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 571; Milutinovic´ et al. Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 1146; Renzaho Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 814; Prosecutor v. Muvunyi, Judgement, TC III, ICTR-00-55A-T, 11. 2. 2010, Rn. 135. 32 Kunarac et al. Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 840; Deronjic´ Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 145; Hadzihasanoviç & Kubura Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 2072. Siehe auch Babiç Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 45; Krajišnik Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 1136; Haradinaj et al. Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 486. 33 Siehe auch Kunarac et al. Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 840; Babiç Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 45; Krajišnik Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 1136; Zelenovic´ Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 33; Haradinaj et al. Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 486; Möller (2003), S. 465. 34 Kunarac et al. Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 843; Neubacher (2005), S. 423. 35 Triffterer (2001b), S. 69; Neubacher (2006b), S. 968.

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theoretisch auch den Opfern zugute. Sie müssen zumindest nicht mehr fürchten, erneut durch diesen Täter viktimisiert zu werden.37 Da bei völkerrechtlichen Verbrechen die Bedrohung aber von einer Vielzahl von Tätern ausgeht, erscheint es sehr fraglich, ob die Inhaftierung eines oder weniger Täter das Sicherheitsgefühl der Opfer nennenswert zu steigern vermag.

2. Positive Spezialprävention Positiv gewendet zielt Spezialprävention auf die Resozialisierung des Täters, der in die Gesellschaft reintegriert werden soll.38 Diese Theorie hat insbesondere für die Ausgestaltung des Freiheitsentzuges Bedeutung. Die Theorie der positiven Spezialprävention sieht sich allerdings grundsätzlicher Kritik ausgesetzt. Sie verlangt, dass der Täter einsieht, Unrecht begangen zu haben und sich des Leids, das er anderen zugefügt hat, bewusst wird.39 Letztlich beinhaltet Resozialisierung damit eine Form der Erziehung. Der Täter soll sich zukünftig an die Normen halten, weil er sie innerlich akzeptiert.40 Insoweit drängt sich die Frage auf, ob die zwangsweise Erziehung eines Menschen mit dessen Grund- und Menschenrechten, insbesondere seinem Recht auf Würde und freie Persönlichkeitsentfaltung, vereinbar ist.41 Darüber hinaus wird bezweifelt, dass Resozialisierung faktisch möglich ist. Die bisherigen Erfahrungen der Praxis seien eher enttäuschend, Rückfälle könnten nicht effektiv verhindert werden.42 Neuere Forschungen belegen allerdings, dass, in begrenztem Umfang und eine angemessene Mittelausstattung des Strafvollzuges vorausgesetzt, durchaus Erfolge erzielt werden können. Allerdings dürfen keine überzogenen Erwartungen an die resozialisierende Wirkung von Strafe gestellt werden.43 36 Siehe auch die Argumente gegen eine Haftentlassung im Lubanga-Fall Prosecutor v. Lubanga – Observations of victims a / 0001 / 06, a / 0002 / 06 and a / 0003 / 06 in respect of the application for release filed by the Defence, ICC-01 / 04-01 / 06-530, 9. 10. 2006, Rn. 11; Prosecutor v. Lubanga – Prosecution’s Response to the Defence Request of Interim Release, ICC-01 / 04-01 / 06-531, 9. 10. 2006, Rn. 13 sowie Triffterer (2001b), S. 169; Neubacher (2006b), S. 968. 37 Diesen Aspekt betont O’Connell, S. 320. Siehe auch Baumgartner, S. 437. 38 Grundlegend von Liszt, S. 34. Siehe auch Kordic´ & Cerkez Appeals Judgement, o. Fn. 5, Rn. 1079; Delalic´ et al. Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 1233; Babiç Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 46; Rutaganira Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 113; Hadzihasanoviç & Kubura Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 2073. 39 Babiç Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 46. 40 Siehe Schellhoss, S. 430; Hassemer / Reemtsma, S. 120. 41 Siehe Hassemer / Reemtsma, S. 120; Möller (2003), S. 472; Meier, S. 27; Roxin (2006), § 3 Rn. 17 sowie BVerfG 18. 7. 1967, BVerfGE 22, 180, 219. 42 Siehe auch Schöch (1985), S. 1082; Roxin (2001), S. 705; Möller (2003), S. 472 f.; Hassemer (2002), S. 234 ff.; ders. (2004), S. 93; Meier, S. 30 f.; sowie den Überblick über den Forschungsstand bei Kaiser, § 31 Rn. 51 ff.

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Diesen Kritikpunkten zum Trotz verlangt Art. 10 Abs. 3 S. 1 IPbpR, dass der Strafvollzug eine Behandlung der Gefangenen einschließt, die vornehmlich auf Besserung und gesellschaftliche Wiedereingliederung hinzielt. Resozialisierung wird damit zum international anerkannten Menschenrecht.44 Auch die Ad-hoc-Tribunale berücksichtigen bei der Strafzumessung grundsätzlich Aspekte der positiven Spezialprävention,45 messen ihr aber nur eine untergeordnete Bedeutung zu46. Dies hängt mit den täterspezifischen Besonderheiten völkerrechtlicher Verbrechen zusammen. Resozialisierung kommt nur bei besserungsfähigen und -bedürftigen Tätern in Betracht.47 Da bei Makrokriminalität die Begehung bestimmter Verbrechen zur gesellschaftlichen Normalität gehört, weisen die Täter typischerweise keine Sozialisierungsdefizite auf.48 Gerade bei den hauptverantwortlichen Tätern handelt es sich vielmehr in der Regel um sozial anerkannte Führungspersönlichkeiten, die in hohem Maße gesellschaftlich integriert und damit nicht besserungsbedürftig sind. Würde man spezialpräventiven Aspekten eine zu große Bedeutung zumessen, bestünde die Gefahr, dass eine unverhältnismäßig niedrige Strafe ausgesprochen würde,49 die der Schwere der Delikte nicht angemessen wäre50. Bedeu43 Vorsichtig optimistisch auch Hassemer (2002), S. 229; ders. (2004), S. 93; Neubacher (2006b), S. 968; Meier, S. 33. 44 Neubacher (2006b), S. 968. Den Zusammenhang zwischen Resozialisierung und Menschenwürde stellt auch das BVerfG im Lebach-Urteil heraus, BVerfG 5. 6. 1973, BVerfGE 35, 202, 236. 45 Delalic´ et al. Appeals Judgement, o. Fn. 5, Rn. 806; Blaškic´ Appeals Judgement, o. Fn. 29, Rn. 678; Erdemovic´ Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 66; Kupreškic´ et al. Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 849; Galic´ Trial Judgement, o. Fn. 31, Rn. 757; Deronjic´ Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 143; Kordic´ & Cerkez Appeals Judgement, o. Fn. 5, Rn. 1079; Delalic´ et al. Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 1233; Furundzija Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 291; Blaškic´ Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 761; Krnojelac Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 508; Nikolic Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 93; Obrenovic´ Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 53; Brdjanin Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 1092; Oric´ Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 721; Krajišnik Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 1138; Zelenovic´ Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 35; Haradinaj et al. Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 488; Delic´ Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 559; Milutinovic´ et al. Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 1146; Kayishema & Ruzindana, Trial Judgement, o. Fn. 5, sentence Rn. 2; Elizaphan & Gérard Ntakirutimana Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 887; Niyitegeka Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 484; Rutaganira Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 113; Simba Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 429; Muvunyi Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 532; Karera Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 571; Rukundo Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 593; Kalimanzira Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 741; Renzaho Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 814; Muvunyi Trial Judgement, o. Fn. 31, Rn. 135. 46 Delalic´ et al. Appeals Judgement, o. Fn. 5, Rn. 806; Kordic´ & Cerkez Appeals Judgement, o. Fn. 5, Rn. 1079; Erdemovic´ Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 66; Kunarac et al. Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 844; Deronjic´ Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 143; Krnojelac Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 508; Krajišnik Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 1138; Zelenovic´ Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 35; Haradinaj et al. Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 488; Delic´ Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 559; Milutinovic´ et al. Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 1146; Rukundo Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 593. 47 von Liszt, S. 36. 48 Neubacher (2005), S. 423; ders. (2006b), S. 968; Reese, S. 82.

A. Zu den Strafzwecken

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tung wird dieser Theorie allerdings auch im Völkerstrafrecht bei besonders jungen Tätern51 oder bei rassistisch motivierten Taten52 zugebilligt. Zudem soll sich im Einzelfall aus den eingesetzten Neutralisationstechniken ein Resozialisierungsbedarf ergeben können.53 Selbst in den Fällen, in denen ein Resozialisierungsbedarf besteht, wird die Bedeutung der positiven Spezialprävention durch die Besonderheiten bei der Strafvollstreckung weiter relativiert. Die vom IStGH verhängten Strafen werden dezentral in Mitgliedstaaten, die sich hierzu bereit erklärt haben, vollstreckt.54 Ob und welche Resozialisierungsmaßnahmen dem Verurteilten angeboten werden, hängt damit von der Ausgestaltung des Strafvollzugsrechts in den jeweiligen Mitgliedstaaten ab und kann von Fall zu Fall erheblich variieren. Insgesamt kann die positive Spezialprävention daher im Völkerstrafrecht nur eine untergeordnete Rolle spielen.

3. Ergebnis Die täterorientierten Straftheorien sind bei völkerstrafrechtlichen Verbrechen nur von geringer Bedeutung. Eine Ausnahme gilt allein für die negative Spezialprävention in der Variante der Sicherung der Allgemeinheit vor dem Täter, 55 wenn und soweit die Strafe verhängt und vollzogen wird, solange der den Taten zugrunde liegende gesellschaftliche Konflikt noch andauert.

III. Generalprävention Nach der Generalprävention zielt Strafe nicht auf den Täter, sondern auf die Allgemeinheit.

Kordic´ & Cerkez Appeals Judgement, o. Fn. 5, Rn. 1079. Siehe Delalic´ et al. Appeals Judgement, o. Fn. 5, Rn. 806 sowie Erdemovic´ Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 66; Jescheck / Weigend, S. 75; Köhler (Fn. 4), 41; Frister, Kapitel 2 Rn. 15; Roxin (2006), § 3 Rn. 19. 51 Delalic´ et al. Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 1233. Siehe auch Erdemovic´ Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 66; Furundzija Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 291. 52 Nikolic Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 93; Obrenovic´ Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 53; Blagojevic´ & Jokic´ Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 824. 53 Neubacher (2006b), S. 968. 54 Siehe unten Teil 5 C. XI. 4. 55 So auch Neubacher (2006b), S. 968. 49 50

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1. Negative Generalprävention Ausgangspunkt der negativen Generalprävention ist die Theorie des psychologischen Zwangs von Anselm von Feuerbach. Durch die gesetzliche Strafandrohung soll das Begehren rechtswidriger Handlungen psychologisch unmöglich gemacht werden.56 Das Strafrecht zielt damit nicht auf den Täter, sondern richtet sich vielmehr an potentielle Normbrecher, die durch die Strafandrohung von der Tat abgeschreckt werden sollen.57 Die tatsächliche Verhängung der Strafe dient der Wirksamkeit der Drohung. Diese könne nur dann abschreckend wirken, wenn dem potentiellen Normbrecher bewusst ist, dass sie im Fall der Tatbegehung tatsächlich realisiert wird.58 Der negativen Generalprävention liegt die Vorstellung zugrunde, dass eine Erhöhung von Strafwahrscheinlichkeit und -höhe zu einem Anstieg der Furcht vor Strafe und damit zu einem Rückgang von Kriminalität führt.59 Nach diesem Verständnis befriedigt Strafe die Interessen potentieller Opfer. Verhindert werden soll, das durch neue Straftaten weiteres Leid entsteht. Den spezifischen Belangen bereits Geschädigter wird hingegen nicht gesondert Rechnung getragen.60

a) Voraussetzungen Die Theorie der negativen Generalprävention beruht auf drei Grundannahmen. Die Strafandrohung muss erstens den Personen, auf die sie abschreckend wirken soll, bekannt werden. Diese müssen zweitens durch die Strafandrohung tatsächlich motivierbar sein. Drittens muss bei der Schaffung der Strafandrohung sowie ihrer Bestätigung im Strafurteil das erforderliche Wissen über die Empirie von Kriminalität, Vermittlung und Motivierbarkeit zur Verfügung stehen.61 von Feuerbach, S. 95. Siehe auch Smidt, S. 167. Siehe Blaškic´ Appeals Judgement, o. Fn. 29, Rn. 678; Kordic´ & Cerkez Appeals Judgement, o. Fn. 5, Rn. 1078; Delalic´ et al. Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 1234; Kupreškic´ et al. Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 848; Kunarac et al. Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 839; Krnojelac Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 508; Milan Simic´ Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 33; Plavšic´ Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 24; Naletilic & Martinovic Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 739; Simic´ Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 1059; Deronjic´ Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 146; Babiç Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 45; Blagojevic´ & Jokic´ Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 822; Brdjanin Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 1091; Strugar Trial Judgement, oben 5, Rn. 458; Limaj et al. Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 723; Hadzihasanoviç & Kubura Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 2072; Krajišnik Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 1136; Zelenovic´ Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 34; Martic´ Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 484; Haradinaj et al. Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 487; Delic´ Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 559; Rutaganira Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 110; Möller (2003), S. 487; Drumbl, S. 11, 14. 58 von Feuerbach, S. 96. 59 Archer / Garner / Beitel, S. 991; Hans-Jörg Albrecht, S. 157; Tallgren, S. 575; Hassemer (2004), S. 93. 60 Kuhner, S. 121 f. 56 57

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Die negative Generalprävention setzt daher zwingend den rationalen, abwägenden Menschen, den homo oeconomicus, voraus.62 Nur dieser ist durch die Strafandrohung motivierbar. Der potentielle Täter muss vor der Tat seine verschiedenen – legalen und illegalen – Handlungsmöglichkeiten sowie die mit ihnen verbundenen Nutzen und Kosten analysieren und gegeneinander abwägen. Zehren Strafwahrscheinlichkeit und erwartetes Strafübel den erhofften Nutzen der Tat auf, so wird der rational handelnde Mensch auf die Tatbegehung verzichten und sich für eine legale Handlungsalternative entscheiden, die zwar einen geringeren Nutzen bringt, dafür aber mit geringeren Kosten verbunden ist.63 Für diesen Abwägungsprozess ist es von zentraler Bedeutung, wie der potentielle Täter subjektiv die Entdeckungswahrscheinlichkeit, die Strafwahrscheinlichkeit sowie die Strafhärte einschätzt.64 Die abschreckende Wirkung dürfte bei Affekttaten und Taten, die mit starken Gefühlen verbunden sind, geringer sein.65 Allerdings ist nicht ausgeschlossen, dass auch ein emotional handelnder Täter durch die Strafdrohung motivierbar ist.66

b) Empirische Überprüfbarkeit Die generalpräventive Wirkung von Strafe nachzuweisen, ist nur schwer möglich. Jede begangene Straftat zeigt, dass die Abschreckung in diesem Einzelfall nicht funktioniert hat. Wann sich aber ein potentieller Täter aus Angst vor Strafe gegen die Tatbegehung entschieden hat, ist weniger offensichtlich.67 Das ultimative Experiment – die Abschaffung einer Strafandrohung mit anschließender Kontrolle der Veränderung der Deliktshäufigkeit – ist nicht möglich.68 Die bisherigen Forschungen befassen sich schwerpunktmäßig mit der abschreckenden Wirkung der Todesstrafe. Geht man davon aus, dass sich die abschreckende Wirkung mit zunehmender Strafhärte erhöht, so muss die Todesstrafe aus generalpräventiver 61 Hassemer (1979), S. 41. Die ersten beiden Voraussetzungen nennt auch Martis, S. 152. Bedau, S. 127 sieht die erste Voraussetzung, also die hinlängliche Informiertheit des potentiellen Täters, als zentral an. Siehe auch Tallgren, S. 570. 62 Siehe Hans-Jörg Albrecht, S. 159 sowie Möller (2003), S. 495; Baumann / Weber / Mitsch, § 3 Rn. 27; Greenawalt, S. 606; Frister, Kapitel 2 Rn. 9, 12; Damaška (2008), S. 344 sowie Golash, S. 211. Zum Abwägungsprozess auch Smidt, S. 168. 63 Siehe Ehrlich (1975), S. 399 f.; ders. (1977), S. 743 sowie Archer / Garner / Beittel, S. 991; Bailey (1974), S. 417; Bedau, S. 127. 64 Bedau, S. 127. Siehe auch Ku / Nzelibe, S. 792. 65 Dieter Keller, S. 84; Bedau, S. 127; Evjen, S. 219. Siehe auch Gregg v. Georgia, 428 U. S. 153, 186 (1976); Alt, S. 24; Köberer, S. 202; Möller (2003), S. 495; Baumann / Weber / Mitsch, § 3 Rn. 27. 66 Ehrlich (1975), S. 401; ders. (1977) S. 742. 67 Royal Commission on Capital Punishment, Rn. 20; Hans-Jörg Albrecht, S. 161; Hassemer / Reemtsma, S. 118. 68 Hassemer / Reemtsma, S. 119; Hans-Jörg Albrecht, S. 161.

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Sicht die effektivste aller Strafe sein,69 da sie die höchst möglichen Kosten verursacht70. Die Todesstrafe müsste daher mehr Verbrechen verhindern als eine (lebenslange) Freiheitsstrafe. Grundlegend sind in diesem Bereich die Forschungsarbeiten von Thorsten Sellin. Sellin verglich die Anzahl der Tötungsdelikte in amerikanischen Staaten, die die Todesstrafe verhängen, mit den Staaten, die die Todesstrafe abgeschafft haben. Um Verzerrungsfaktoren, die sich beispielsweise aus unterschiedlichen politischen, sozialen und wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ergeben können,71 soweit wie möglich auszuschalten, stellt Sellin nur Staaten gegenüber, die unter ökonomischen, demographischen und kulturellen Aspekten vergleichbar sind. Sellin stellt fest, dass die Rate der Tötungsdelikte in den abolitionistischen Staaten nicht höher ist, als in den Staaten, die die Todesstrafe verhängen und schließt daraus, dass die Todesstrafe die tatsächliche Deliktsbegehung nicht beeinflusst.72 Dieses Ergebnis konnte durch weitere Studien bestätigt werden.73 Isaac Ehrlich bejaht hingegen die abschreckende Wirkung der Todesstrafe. Seine Forschungsarbeit beruht auf einem ökonomischen Ansatz. Den empirischen Zusammenhang zwischen Deliktsbegehung auf der einen und Strafandrohung und -vollstreckung auf der anderen Seite will Ehrlich auf Grundlage einer Regressionsanalyse belegen. Dabei wird die tatsächliche Mordrate als Produktergebnis verschiedener Variablen74 dargestellt. Diese sind unter anderem die Wahrscheinlichkeit, verhaftet zu werden, die Wahrscheinlichkeit, verurteilt zu werden und die Wahrscheinlichkeit, hingerichtet zu werden.75 Ehrlich kommt zu dem Ergebnis, dass sieben oder acht Morde hätten verhindert werden können, wenn im überprüften Zeitraum jährlich ein Täter zusätzlich hingerichtet worden wäre.76 In einer Folgestudie stellt Ehrlich zudem fest, dass die Todesstrafe mehr Taten abschreckt als die lebenslange Freiheitsstrafe.77 Allerdings sehen sich die Arbeiten Ehrlichs erheblicher methodischer Kritik ausgesetzt.78 Diese bezieht sich auf seine Grundannahmen und -daten, auf denen seine Berechnungen basieren,79 auf die Berechnun69 Siehe nur die Ausführungen von Sir James Fitzjames Stephen, in Royal Commmission on Capital Punishment, Rn. 57 sowie Ehrlich (1975), S. 398; Schreiber, S. 328. 70 Ehrlich (1977), S. 744. 71 Siehe hierzu Dieter Keller, S. 77; Bailey (1974), S. 416; ders. (1983), S. 832; Royal Commission on Capital Punishment, Rn. 64; Martis, S. 157. 72 Sellin (1967), S. 138; Zu einem ähnlichen Ergebnis kommt auch Martis, S. 159. 73 Bailey (1974), S. 416; Sellin (1980), S. 171; Martis, S. 159. 74 Siehe zu den mathematischen Hintergründen Köberer, S. 203 ff. 75 Ehrlich (1975), S. 400 f. 76 Ehrlich (1975), S. 414. 77 Ehrlich (1977), S. 778. 78 Siehe nur Baldus / Cole, S. 170; Bowers / Pierce, S. 187; Martis, S. 178 – 181; Kaiser, § 94 Rn. 28. Siehe auch Klein / Forst / Filatov, S. 336. 79 Baldus / Cole, S. 175; Bowers / Pierce, S. 187 – 191.

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gen selbst sowie auf die mathematische Darstellung der Hinrichtungswahrscheinlichkeit.80 Zudem ist es nicht gelungen, die Ergebnisse von Ehrlich – selbst bei Verwendung des gleichen Datensatzes – zu reproduzieren.81 Insgesamt ist es Ehrlich daher nicht gelungen, einen überzeugenden Nachweis für die abschreckende Wirkung der Todesstrafe zu bringen.82 Diese wird bis heute überwiegend verneint.83 Selbst wenn aber der eindeutige empirische Nachweis gelänge, dass die Todesstrafe nicht abschreckend wirkt, ermöglicht dies noch keine Aussage über die generalpräventive Wirkung von Strafe im Allgemeinen. Bewiesen wäre lediglich, dass die Strafhöhe zumindest ab einer gewissen Intensität keinen Einfluss auf die Tatbegehung hat.84 Dies ist auch einleuchtend, da viele Täter davon ausgehen dürften, nicht entdeckt und daher nicht bestraft zu werden85. Die Schwere der zu erwartenden Strafe wird daher nicht in die Kosten-Nutzen-Analyse eingestellt. Auch wenn es nach wie vor an empirisch gesichertem Wissen fehlt, wird der Strafe dennoch überwiegend abschreckende Wirkung unterstellt.86 Dabei soll es nach vorherrschender Ansicht weniger auf die Schwere der Sanktion, sondern mehr auf die Verfolgungs- und Bestrafungswahrscheinlichkeit ankommen.87 c) Dogmatische Kritik Neben der begrenzten empirischen Überprüfbarkeit sieht sich die negative Generalprävention dogmatischer Kritik ausgesetzt. Der Einzelne würde instrumentalisiert, um einen Effekt auf die Masse zu haben88 und so zum Objekt herabgewürdigt89. Hiergegen ist allerdings anzuführen, dass in erster Linie wegen der 80 Baldus / Cole, S. 181; Bowers / Pierce, S. 192 – 197, 199 – 200; Bowers, S. 322 ff.; Forst, S. 932. 81 Baldus / Cole, S. 170; Archer / Garner / Beittel, S. 1000; Kaiser, § 94 Rn. 28; Bailey / Peterson, S. 143. Siehe auch Köberer, S. 208. 82 Siehe auch Bowers / Pierce, S. 206; Klein / Forst / Filatov, S. 258; McFarland, S. 1015; Köberer, S. 217. 83 Schreiber, S. 329; Schabas (1997), S. 508. 84 Siehe auch Dieter Keller, S. 76; Bedau, S. 129; Meier, S. 28 f. 85 Ramsey Clark, S. 177; Dieter Keller, S. 83; Alt, S. 20 – 21; Roxin (2001), S. 708; Frister, Kapitel 2 Rn. 11. 86 Plakativ Hassemer / Reemtsma, S. 119. Siehe auch Köberer, S. 200; Hassemer (1979), S. 43; Royal Commission on Capital Punishment, Rn. 55 sowie die Entscheidung Gregg v. Georgia, 428 U. S. 153, 185 (1976) in der der Supreme Court zwar zunächst feststellt, dass die abschreckende Wirkung der Todesstrafe nicht empirisch belegt ist, diese im Folgenden aber dennoch unterstellt. Siehe auch die theoretische Begründung der abschreckenden Wirkung der Todesstrafe bei van den Haag, S. 105 – 107. 87 Alt, S. 20 – 21; Dieter Keller, S. 83; Ramsey Clark, S. 177; Hans-Jörg Albrecht, S. 162; Möller (2003), S. 496; Hassemer (2004), S. 93. Siehe auch Gallón, S. 97; Meier, S. 29; Drumbl, S. 14; Koller, S. 1027. 88 Siehe auch Obrenovic´ Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 52.

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begangenen Tat gestraft wird. Mit der Strafe werden lediglich auch Zwecke verfolgt, die nicht in der Person des Täters begründet sind und von ihm u.U. nicht geteilt werden. Dies degradiert ihn noch nicht zum bloßen Mittel. Es wäre allerdings ungerecht und unfair, dem Einzelnen eine Strafe aufzuerlegen, die außer Verhältnis zur Tat steht, um einen gesteigerten Effekt auf die Gesellschaft zu erzielen.90 Strafschärfungen aus generalpräventiver Sicht sind daher bedenklich.91

d) Übertragbarkeit auf das Völkerstrafrecht Die Ad-hoc-Tribunale haben die negative Generalprävention in ständiger Rechtsprechung als zentralen Strafzweck anerkannt.92 Dennoch stellt sich die Frage, ob 89 Siehe Tolmein, S. 507; Hassemer / Reemtsma, S. 119; Hassemer (2004), S. 93; Cherkassy, S. 311. 90 Kunarac et al. Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 840; Krajišnik Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 1137. 91 Siehe auch Prosecutor v. Tadic´, Judgement in Sentencing Appeal, AC, IT-94-1-A and IT-94-1-Abis, 26. 1. 2000, Rn. 48; Aleksovski Appeals Judgement, o. Fn. 5, Rn. 185; Delalic´ et al. Appeals Judgement, o. Fn. 5, Rn. 803; Kordic´ & Cerkez Appeals Judgement, o. Fn. 5, Rn. 1078; Kunarac et al. Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 840; Kordic´ & Cerkez Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 847; Deronjic´ Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 146; Babiç Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 45; Hadzihasanoviç & Kubura Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 2072; Martic´ Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 484; Delic´ Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 559; Milutinovic´ et al. Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 1146. 92 Tadic´ Appeals Judgement, o. Fn. 91, Rn. 48; Aleksovski Appeals Judgement, o. Fn. 5, Rn. 185; Delalic´ et al. Appeals Judgement, o. Fn. 5, Rn. 800; Blaškic´ Appeals Judgement, o. Fn. 29, Rn. 678; Kordic´ & Cerkez Appeals Judgement, o. Fn. 5, Rn. 1076; Delalic´ et al. Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 1234; Furundzija Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 288; Tadic´ Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 9; Jelisic´ Trial Judgement, o. Fn. 31, Rn. 116; Kupreškic´ et al. Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 848; Blaškic´ Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 761; Kordic´ & Cerkez Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 847; Todorovic Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 30; Vasiljevic´ Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 273; Plavšic´ Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 22; Naletilic & Martinovic Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 739; Simic´ Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 1059; Galic´ Trial Judgement, o. Fn. 31, Rn. 757; Brdjanin Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 1090; Strugar Trial Judgement, oben 5, Rn. 458; Limaj et al. Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 723; Hadzihasanoviç & Kubura Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 2072; Zelenovic´ Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 33; Martic´ Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 484; Mrkšiç et al. Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 683; Haradinaj et al. Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 484; Boškoski & Tarculovski Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 587; Milutinovic´ et al. Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 1144; Prosecutor v. Lukic´ & Lukic´, Judgement, TC, IT-98-32 / 1-T, 20. 7. 2009, Rn. 1049; Kayishema & Ruzindana, Trial Judgement, o. Fn. 5, sentence Rn. 2; Rutaganda Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 456; Musema Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 986; Prosecutor v. Kajelijeli, Judgement and Sentence, TC II, ICTR-98-44A-T, 1. 12. 2003, Rn. 945; Elizaphan & Gérard Ntakirutimana Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 882; Niyitegeka Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 484; Prosecutor v. Kamuhanda, Judgement, TC II, ICTR-95-54A-T, 22. 1. 2004, Rn. 754; Ndindabahizi Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 498; Rutaganira Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 110; Prosecutor v. Muhimana, Judgement and Sentence, TC III, ICTR-95-1B-T, 28. 4. 2005, Rn. 588; Simba Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 429; Muvunyi Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 532; Seromba Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 376; Karera Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 571; Nchamihigo

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dieser Strafzweck ohne weiteres auf das Völkerstrafrecht übertragen werden kann. So wird teilweise dem ICTY jedwede abschreckende Wirkung abgesprochen. Das Morden und Vergewaltigen im Jugoslawienkonflikt sei weitergegangen, auch nachdem das Tribunal seine Arbeit aufgenommen und die ersten Strafen ausgesprochen habe.93 Andere wollen hingegen beobachtet haben, dass nach Errichtung des ICTY die Angriffe – zumindest von NATO-Seite – zielgerichteter durchgeführt wurden und daher weniger Opfer unter der Zivilbevölkerung zu beklagen waren.94 Jedenfalls wird man kaum verlangen können, dass die Strafaussprüche der internationalen Tribunale sofort Wirkung entfalten. Die Durchsetzung von Völkerstrafrecht durch ein zentrales Organ ist ein neues Phänomen, das sich erst entwickeln und ins Bewusstsein der Weltbevölkerung vordringen muss, bevor messbare Erfolge erwartet werden können.95 Allerdings stellt sich die Frage, inwieweit potentielle Täter von völkerrechtlichen Verbrechen durch die Strafandrohung motivierbar sind. Selbst wenn sie Kenntnis vom IStGH haben, müssten sie eine internationale Strafverfolgung als ernst zu nehmende Konsequenz ihrer Handlungen ansehen. Hiergegen könnte man zunächst anführen, dass völkerrechtliche Verbrechen regelmäßig Hassverbrechen sind. Die Tätergruppe geht gegen die Opfergruppe vor, weil sie diese als minderwertig oder gefährlich erachtet. Bei Taten, die mit starken Emotionen verbunden sind, ist die verhaltenssteuerende Wirkung von Strafnomen grundsätzlich geringer.96 Hinzu kommen gruppendynamische Effekte, die verhindern, dass der Einzelne das „Für und Wider“ der Tatbegehung rational abwägt.97 Zudem werden die Taten vom Staat unterstützt, gefördert oder zumindest toleriert. Dem einzelnen Täter wird auf nationaler Ebene Straffreiheit zumindest in Form von faktischer Nichtverfolgung der Taten garantiert.98 Die vom IStGH verhängten Strafen können nur abschreckende Wirkung entfalten, wenn den potentiellen Tätern bewusst wird, dass dieser nationale Schutz gegenüber der internationalen Strafverfolgung versagt.99 Dies setzt zunächst voraus, dass der Täter die einschlägigen völkerstrafrechtlichen Verbotsnormen kennt100 und von der Existenz des IStGH weiß. Hinzu Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 383; Bikindi Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 443; Bagosora Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 2260; Zigiranyirazo Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 449; Rukundo Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 593; Kalimanzira Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 741; Renzaho Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 814; Muvunyi Trial Judgement, o. Fn. 31, Rn. 135. 93 Penrose, S. 325; Tolmein, S. 507; Möller (2003), S. 501; Mullins, S. 420 f. Siehe auch Smidt, S. 188; Hazan, S. 34. 94 Goldstone (2007), S. 768. Ebenfalls optimistisch vor dem Hintergrund der Erfolge der Ad-hoc-Tribunale Scheffer (1999b), S. 6. 95 Jäger (2006), S. 57. Zur Spätwirkung der Nürnberger Prozesse Tieger / Shin, S. 672; Hazan, S. 27. 96 Damaška (2008), S. 344; Drumbl, S. 14 – 15. Siehe hierzu auch Smidt, S. 188; Travis, S. 53. 97 Drumbl, S. 14 – 15. Siehe auch Travis, S. 53; Golash, S. 211. 98 Siehe auch Triffterer (2001b), S. 161; Möller (2003), S. 497. 99 Siehe auch Smidt, S. 192.

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kommt, dass die Strafverfolgung bei völkerrechtlichen Verbrechen zwangsläufig selektiv erfolgt101. Die Anzahl der Täter ist nahezu unüberschaubar,102 die Ermittlungen sind ausgesprochen aufwendig, die einzelnen Verfahren sehr zeitintensiv.103 Die Praxis der Ad-hoc-Tribunale zeigt, dass die Erwartungen an den IStGH nicht zu hoch geschraubt werden dürfen. Das ICTY hat bis Juli 2010 – nach über 15-jähriger Tätigkeit – 161 Personen angeklagt; 87 Verfahren mit 123 Angeklagten sind beendet.104 Das ICTR kann nur in 42 Fällen rechtskräftige Urteile vorweisen.105 Ähnlich sieht die Bilanz der Hybrid-Tribunale106 aus.107 Auch der IStGH wird nur in der Lage sein, wenige Fälle selbst zu verhandeln.108 Damit können potentielle Täter mit einiger Berechtigung hoffen, einem internationalen Verfahren zu entgehen.109 Dennoch sollte die Hoffnung auf eine abschreckende Wirkung des Völkerstrafrechts nicht vorschnell aufgegeben werden. Mit dem IStGH wurde zum ersten Mal in der Geschichte ein (potentiell) universelles Gremium zur Ahndung völkerrechtlicher Verbrechen geschaffen. Zuvor wurden diese nur in Einzelfällen geahndet, die Täter gingen regelmäßig straffrei aus.110 Der prinzipielle Verzicht auf Strafe kann zu erheblichen Einbußen der generalpräventiven Effektivität des Strafrechts führen,111 so dass davon ausgegangen werden muss, dass Straflosigkeit zur Wiederholung schwerer Menschenrechtsverletzungen ermutigt112. Mit Schaffung des IStGH hat sich erstmalig das Strafverfolgungsrisiko nennenswert erhöht.113 Selbst wenn die Strafverfolgungswahrscheinlichkeit objektiv weiterhin gering ist, kann 100 Kritisch insoweit mit Blick auf die Verbote des humanitären Völkerrechts, die Art. 8 IStGH-Statut zugrunde liegen, Bassiouni (2008a), S. 794. 101 Jäger (1998), S. 134; ders. (1995), 336; Cote, S. 175. 102 Siehe oben Teil 2 E. 103 Informal expert paper, ICC-OTP 2003b, Rn. 11; Boas, S. 277; Danner, S. 519; Hamilton, S. 1. 104 http: //www.icty.org/sections/TheCases/KeyFigures. 105 http: //69. 94. 11.53/default.htm. 106 Siehe hierzu unten Teil 5 C. III. 7. 107 Siehe Koumjian, S. 4. 108 Triffterer (1999), S. 517; Morris (2000), S. 184; Schlunck (2000), S. 260; Broomhall (2003), S. 102; Danner, S. 519; McDonald / Haveman, S. 2; Hamilton, S. 1; Mani, S. 57; Kaul (2006), S. 101; Greenawalt, S. 610 – 611; Burke-White (2008), S. 54. 109 Siehe auch Tallgren, S. 575; Möller (2003), S. 499; Ku / Nzelibe, S. 808; Gallón, S. 98; Bassiouni (2008a), S. 794; Damaška (2008), S. 345; Drumbl, S. 14; Koller, S. 1028 sowie Meron (1995a), S. 110; Smidt, S. 188. 110 Tallgren, S. 587; Möller (2003), S. 498; Jäger (2006), S. 51. 111 Schöch (1985), S. 1103. 112 Case of Carpio-Nicolle et al. v. Guatemala (Merits Reparations and Costs), IACHR 22. 11. 2004, Rn. 126; Rauchfuss, S. 44; Neubacher (2006a), S. 26. In diese Richtung auch Rowe (2008), S. 184. 113 Neubacher (2005), S. 424; ders. (2006b), S. 968; ders. (2006a), S. 30. Siehe auch Nikolic Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 88. In diese Richtung auch bereits Meron (1995a), S. 111.

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der IStGH doch potentiellen Tätern den Glauben nehmen, sie stünden außerhalb des Geltungsbereichs des Völkerstrafrechts und sie so zu normkonformem Verhalten veranlassen.114 Dies gilt insbesondere für Führungspersönlichkeiten,115 die die maßgeblichen politischen und militärischen Grundentscheidungen treffen. Diese basieren eher auf rationalen Erwägungen, denn auf Emotionen oder situativen Gegebenheiten. Selbst wenn man davon ausgeht, dass die Führungstäter in erster Linie den Zusammenbruch des sie schützenden Systems und damit den Wegfall ihrer Machtgrundlagen fürchten,116 besteht dennoch eine gewisse Wahrscheinlichkeit, dass sie zumindest subsidiär auch eine Strafverfolgung durch den IStGH in ihre Kosten-Nutzen-Analyse einstellen.117 Berücksichtigt man die begrenzten Ressourcen des IStGH, ist es daher sinnvoll und gerechtfertigt, dass sich der Ankläger auf die Verfolgung der hauptverantwortlichen Täter konzentriert118. Auch wenn es bisher an empirischen Daten mangelt,119 kann auf diese Weise die abschreckende Wirkung einer internationalen Strafverfolgung zumindest plausibel begründet werden. 2. Positive Generalprävention Während die negative Generalprävention auf Angst vor Strafe setzt, zielt die positive Generalprävention auf die Internalisierung der Normen, auf die Akzeptanz der hinter der Strafnorm stehenden Wertentscheidung. Durch die Strafe soll die Geltung der verletzten Norm betont,120 das Rechtsbewusstsein der Bevölkerung 114 Kordic´ & Cerkez Appeals Judgement, o. Fn. 5, Rn. 1078; Krajišnik Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 1137; Zelenovic´ Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 34. 115 Blaškic´ Appeals Judgement, o. Fn. 29, Rn. 678; Delalic´ et al. Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 1234. Anders Ku / Nzelibe, S. 807, die darauf hinweisen, dass beispielsweise politische Führer in Afrika generell risikobereit sind, da unter anderem eine hohe Wahrscheinlichkeit besteht, dass sie Opfer von Attentaten werden. Da diese Personen es gewohnt seien, bewusst hohe Risiken einzugehen, wären sie auch für eine Erhöhung der Strafverfolungswahrscheinlichkeit nicht empfänglich. Ähnlich Golash, S. 216. Kritisch auch Rittler, S. 151, der im Gegenteil sogar befürchtet, dass eine internationale Strafandrohung eher geeignet ist, weitere Kriegsverbrechen zu begünstigen, da die Führungstäter versuchen würde, einem Verfahren mit allen Mitteln zu entgehen. 116 Jäger (1995), S. 340; ders. (2006), S. 57; Möller (2003), S. 505. Siehe auch Rittler, S. 151. 117 Smidt, S. 170; Sievert, S. 99; Neubacher (2006b), S. 968 – 969. Siehe auch Nikolic Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 88. Im Ergebnis ähnlich, aber zurückhaltender Möller (2003), S. 496; Damaška (2008), S. 344; Aldana-Pindell, S. 1446. 118 OTP (2006a), S. 5. Siehe auch Jäger (1995), S. 337; Jallow, S. 6. 119 Ku / Nzelibe, S. 790; Koller, S. 1024. 120 Blaškic´ Appeals Judgement, o. Fn. 29, Rn. 678; Kordic´ & Cerkez Appeals Judgement, o. Fn. 5, Rn. 1080. Kupreškic´ et al. Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 848; Babiç Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 45; Brdjanin Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 1091. Siehe auch Milan Simic´ Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 33; Rutaganira Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 112.

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Teil 4: Sinn und Zweck von Strafe und Strafverfahren

gestärkt121 und das Vertrauen in die Bestands- und Durchsetzungskraft der Rechtsordnung wiederhergestellt werden.122 Die positive Generalprävention sieht sich grundsätzlich denselben Bedenken ausgesetzt wie die Abschreckung. Dies gilt vor allem für die Selektivität der Strafverfolgung im Völkerstrafrecht. Man kann daran zweifeln, ob das Rechtsbewusstsein der Bevölkerung gestärkt wird, wenn nur wenige ausgewählte Taten geahndet werden.123 Der vollständige Verzicht auf jedwede Reaktion käme allerdings einer Kapitulation vor den gravierendsten Verbrechen und damit der Preisgabe elementarer völkerrechtlicher Menschenrechtsstandards gleich. Daher ist selbst eine punktuelle Strafverfolgung, die zumindest symbolisch die Ächtung sämtlicher völkerrechtlicher Verbrechen beinhaltet, vorzugswürdig. Dementsprechend haben sich die Ad-hoc-Tribunale verschiedentlich zur positiven Generalprävention bekannt,124 obgleich diese keine zentrale Stellung im System der Strafzwecke einzunehmen scheint. Dabei ist allerdings zu beachten, dass Aspekte der positiven Generalprävention in den Vergeltungsgedanken inkorporiert wurden. Wenn die Ad-hoc-Tribunale davon sprechen, dass die internationale Gemeinschaft durch eine tatvergeltende Strafe ihre Empörung zum Ausdruck bringt,125 so ist dies auch eine typische Komponente der positiven Generalprävention. Unabhängig von der Frage, ob im Völkerstrafrecht bereits ein hinreichendes Normbewusstsein existiert, das durch den Strafausspruch gestärkt werden kann,126 kann die Bestrafung völkerrechtlicher Verbrechen jedenfalls einen Beitrag dazu leisten, dass die völkerrechtlichen Normen (zunehmend) als universell verbindlich empfunden werden.127 Die Theorie der positiven Generalprävention bietet Raum für die Berücksichtigung der Opferinteressen.128 Im Sinne der Normbekräftigung bringt der IStGH durch den Strafausspruch zum Ausdruck, dass die internationale Gemeinschaft die Begehung schwerster Menschenrechtsverletzungen nicht toleriert,129 dass das 121 Blaškic´ Appeals Judgement, o. Fn. 29, Rn. 678; Kordic´ & Cerkez Appeals Judgement, o. Fn. 5, Rn. 1080; Roxin (2001), S. 709. Siehe auch Obrenovic´ Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 51; Brdjanin Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 1091; Deronjic´ Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 149; Oric´ Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 720. 122 BVerfG 21. 6. 1977, BVerfGE 45, 187, 256; Schöch (1985), S. 1084; Roxin (2001), S. 709. 123 Siehe auch Golash, S. 219. 124 Blaškic´ Appeals Judgement, o. Fn. 29, Rn. 678; Kupreškic´ et al. Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 848; Nikolic Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 89. Siehe auch Milan Simic´ Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 33; Oric´ Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 720. 125 Siehe o. Fn. 8. 126 Hierzu ausführlich Möller (2003), S. 517 ff. Siehe auch Jäger (1995), S. 342. 127 So auch Neubacher (2006a), S. 30. Siehe auch Damaška (2008), S. 345, 363. 128 Streng, Rn. 25; Meier (Fn. 2), 37; Neubacher (2006b), S. 969. 129 Kordic´ & Cerkez Appeals Judgement, o. Fn. 5, Rn. 1081; Babiç Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 44; Aleksovski Appeals Judgement, o. Fn. 5, Rn. 185; Kayishema & Ruzindana, Trial Judgement, o. Fn. 5, sentence Rn. 2; Rutaganda Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 456; Musema Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 985; Elizaphan & Gérard Ntakirutimana Trial Judge-

A. Zu den Strafzwecken

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Völkerstrafrecht unbedingte Beachtung verlangt.130 Dem Opfer, dem Täter und der Gesellschaft wird bescheinigt, dass der Täter kein Recht zu dem Übergriff hatte und dass das Opfer keine Schuld hieran trägt.131 Durch die Brandmarkung der Tat wird klargestellt, dass dem Opfer kein unglückliches Schicksal, sondern von Menschen zu verantwortendes Unrecht widerverfahren ist.132 Dies kann dem Opfer helfen, die Tat zu verarbeiten, insbesondere mit den quälenden Selbstvorwürfen abzuschließen.133 Das Opfer erfährt die gewünschte Anerkennung als durch ein Verbrechen Geschädigter.134 Gleichzeitig wird ihm signalisiert, dass die (internationale) Gemeinschaft ihn – den erlittenen Taten zum Trotz – als individuellen Menschen mit unverbrüchlichen Rechten wahrnimmt. Die gerichtliche Feststellung des begangenen Unrechts und die damit verbundene Verurteilung von Tat und Täter sind eine Form der Wiedergutmachung.135 Die Erkenntnis, dass sich letztlich das ment, o. Fn. 5, Rn. 882; Niyitegeka Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 484; Ndindabahizi Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 498; Karera Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 571; Kaul (2003), S. 25. Siehe auch Kupreškic´ et al. Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 848; Nikolic Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 82; Blagojevic´ & Jokic´ Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 825; Golash, S. 218. 130 Kordic´ & Cerkez Appeals Judgement, o. Fn. 5, Rn. 1080. Siehe auch Delalic´ et al. Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 1234; Deronjic´ Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 149. 131 Sczesny / Krauel, S. 343; Hassemer / Reemtsma, S. 130. 132 Hassemer / Reemtsma, S. 130; Neubacher (2005), S. 427; ders. (2006b), S. 969; ders. (2006a), S. 31; Günther, S. 218; Hörnle, S. 955. Siehe auch Aldana-Pindell, S. 1471 ff. 133 Hassemer / Reemtsma, S. 131; Hörnle, S. 955. 134 Neubacher (2006b), S. 969. Siehe auch Milan Simic´ Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 33; O’Connell, S. 320. 135 Case of El Amparo v. Venezuela (Reparations and Costs), IACHR 14. 9. 1996, Rn. 35; Caso Neira Alegría y otros v. Perú (Reparaciones y Costas), IACHR 19. 9. 1996, Rn. 96; Case of Castillo-Páez v. Peru (Reparations and Costs), IACHR 27. 11. 1998, Rn. 84; Case of Suárez-Rosero v. Ecuador (Reparations and Costs), IACHR 20. 1. 1999, Rn. 72; Case of Blake v. Guatemala, IACHR 22. 1. 1999, Rn. 55; Caso „La Última Tentación de Cristo“ (Olmedo Bustos y otros) v. Chile (Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR 5. 2. 2001, Rn. 99; Caso Ivcher Bronstein v. Perú (Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR 6. 2. 2001, Rn. 183; Case of the „White Van“ (Paniagua-Morales et al.) v. Guatemala (Reparations and Cost), IACHR 25. 5. 2001, Rn. 115; Caso Cesti Hurtado v. Perú (Reparaciones y Costas), IACHR 31. 5. 2001, Rn. 51; Caso Juan Humberto Sánchez v. Hondura, Excepción Preliminar (Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR 7. 6. 2003, Rn. 172; Case of Bulacio v. Argentina, (Merits, Reparations and Costs), IACHR 18. 9. 2003, Rn. 96; Caso de los Hermanos Gómez Paquiyauri v. Perú (Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR 8. 7. 2004, Rn. 215; Case of Ricardo Canese v. Paraguay (Merits, Reparations and Costs), IACHR 31. 8. 2004, Rn. 205; Case of the „Juvenile Reeducation Institute“ v. Paraguay. (Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs), IACHR 2. 9. 2004, Rn. 299; Caso De la Cruz Flores v. Perú (Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR 18. 11. 2004, Rn. 159; Case of the Plan de Sánches Massacre v. Guatemala (Reparations), IACHR 19. 11. 2004, Rn. 81; Caso Huilca Tecse v. Perú, Fondo (Reparaciones y Costas), IACHR 3. 3. 2005, Rn. 97; Caso Caesar v. Trinidad y Tobago (Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR 11. 3. 2005, Rn. 126; Caso de la Comunidad Moiwana v. Suriname (Excepciones Preliminares, Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR 15. 6. 2005, Rn. 192; Case of the Yakye Axa Indigenous Community v. Paraguay (Merits, Reparations and Costs), IACHR 17. 6. 2005, Rn. 200; Case of Fermin Ramirez v. Guatemala (Merits, Reparations and Costs), IACHR 20. 6. 2005, Rn. 130; Case of Acosta-Calderón v.

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Teil 4: Sinn und Zweck von Strafe und Strafverfahren

Recht durchsetzt, kann die Opfergruppe sowie das individuelle Opfer befriedigen.136 Zudem kann sie einen Beitrag zur Wiederherstellung des SicherheitsEcuador (Merits, Reparations and Costs), IACHR 24. 6. 2005, Rn. 159; Caso Gutiérrez Soler v. Colombia (Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR 12. 9. 2005, Rn. 83; Case of RaxacóReyes v. Guatemala (Merits, Reparations and Costs), IACHR 15. 9. 2005, Rn. 115; Case of Blanco-Romero et al v. Venezuela (Merits, Reparations and Costs), IACHR 28. 11. 2005, Rn. 87; Caso Palamara Iribarne v. Chile (Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR 22. 11. 2005, Rn. 245; Caso Gómez Palomino v. Perú (Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR 22. 11. 2005, Rn. 131; Caso García Asto y Ramírez Rojas v. Perú (Excepción Preliminar, Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR 25. 11. 2005, Rn. 268; Caso López Álvarez v. Honduras (Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR 1. 2. 2006, Rn. 200; Caso Acevedo Jaramillo y otros v. Perú (Excepciones Preliminares, Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR 2. 2. 2006, Rn. 309; Case of Montero-Aranguren et al. (Detention Center of Catia) v. Venezuela, IACHR 5. 7. 2006, Rn. 131; Caso Servellón García y otros v. Honduras (Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR 21. 9. 2006, Rn. 180; Caso Claude Reyes y otros v. Chile (Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR 19. 9. 2006, Rn. 156; Caso Vargas Areco v. Paraguay (Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR 26. 9. 2006, Rn. 150; Caso Trabajadores Cesados del Congreso (Aguado Alfaro y otros) v. Perú (Excepciones Preliminares, Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR 22. 11. 2006, Rn. 147; Caso del Penal Miguel Castro Castro v. Perú (Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR 29. 11. 2006, Rn. 431; Caso La Cantuta v. Perú (Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR 25. 11. 2006, Rn. 219; Caso Cantoral Huamaní y García Santa Cruz v. Perú (Excepción Preliminar, Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR 10. 7. 2007, Rn. 180; Case of Chaparro Álvarzez and Lapo Íòiguez v. Ecuador (Preliminary Objections, Merits, Reparations, and Costs), IACHR, 21. 11. 2007, Rn. 250; Case of Kimel v. Argentina (Merits, Reparations and Costs), IACHR 2. 5. 2008, Rn. 117; Case of Yvon Neptune v. Haiti (Merits, Reparations and Costs), IACHR 6. 5. 2008, Rn. 166; Case of Apitz Barbera et al. („First Court of Administrative Disputes“) v. Venezuela, IACHR 5. 8. 2008, Rn. 242; Case of Castaòeda Gutman v. México (Preliminary objections, merits, reparations and costs), IACHR 6. 8. 2008, Rn. 235; Case of Heliodoro Portugal v. Panama (Preliminary objections, Merits, Reparations and Costs), IACHR 12. 8. 2008, Rn. 239; Case of Bayarri v. Argentina (Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs), IACHR 30. 10. 2008, Rn. 179; Case of Tiu Tojín v. Guatemala (Merits, Reparations, and Costs), IACHR 26. 11. 2008, Rn. 65; Case of Ticona Estrada et al. v. Bolivia (Merits, Reparations and Costs), IACHR 21. 11. 2008, Rn. 130; Case of Valle Jaramillo et al. v. Colombia (Merits, Reparations and Costs), IACHR 27. 11. 2008, Rn. 224; Case of Tristán Donoso v. Panamá (Preliminary Objection, Merits, Reparations, and Costs), IACHR 27. 1. 2009, Rn. 189. Case of Ríos et al. v. Venezuela (Preliminary Objections, Merits, Reparations, and Costs), IACHR 28. 1. 2009, Rn. 403; Case of Perozo et al. v. Venezuela (Preliminary Objections, Merits, Reparations, and Costs), IACHR 28. 1. 2009, Rn. 413; Case of Kawas-Fernández v. Honduras (Merits, Reparations and Costs), IACHR 3. 4. 2009, Rn. 184; Case of Reverón Trujillo v. Venezuela (Preliminary Objection, Merits, Reparations, and Costs), IACHR 30. 6. 2009, Rn. 176; Case of Acevedo Buendía et al. („Discharged and Retired Employees of the Comptroller“) v. Perú (Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs), IACHR 1. 7. 2009, Rn. 133; Case of Escher et al. v. Brazil (Preliminary Objections, Merits, Reparations, and Costs), IACHR 6. 7. 2009, Rn. 233; Case of Anzualdo Castro v. Peru (Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs), IACHR 22. 9. 2009, Rn. 219; Case of Garibaldi v. Brazil (Preliminary objections, Merits, Reparations, and Costs), IACHR 23. 9. 2009, Rn. 161; Case of Dacosta Cadogan v. Barbados (Preliminary Objections, Merits, Reparations, and Costs), IACHR 24. 9. 2009, Rn. 100; Case of González et al. („Cotton Field“) v. Mexico (Preliminary Objection, Merits, Reparations, and Costs), IACHR 16. 11. 2009, Rn. 582; Case of Usón Ramírez v. Venezuela (Preliminary Objections, Merits, Reparations, and Costs), IACHR 20. 11. 2009, Rn. 210. Siehe auch Schabas (1997), S. 502.

A. Zu den Strafzwecken

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gefühls leisten.137 Die Verurteilung des Täters beinhaltet die Aussage, dass dieser die schädigende Handlung hätte unterlassen müssen.138 Dem Opfer wird signalisiert, dass es zu Recht darauf vertraut hat, nicht von anderen Menschen verletzt zu werden. Erfolgt diese Normbekräftigung nicht, besteht die Gefahr, dass das Grundvertrauen der Geschädigten noch weiter beeinträchtigt wird.139 Im Widerspruch zu den Opferinteressen steht allerdings die Selektivität der Strafverfolgung. Die Geschädigten werden regelmäßig wollen, dass möglichst alle Täter zur Verantwortung gezogen werden.140 Jedenfalls bergen die Auswahlprozesse die Gefahr, dass die damit verbundene Ungleichbehandlung der Opfer zu einer sekundären Viktimisierung führt. Die internationale Gemeinschaft und auch die betroffene Gesellschaft können typischerweise akzeptieren, dass sich die Strafverfolgung auf die hauptverantwortlichen Täter beschränkt. Es erscheint allerdings auf den ersten Blick zweifelhaft, ob dies im gleichen Maße für die Individualopfer gilt. Diese wurden regelmäßig nicht direkt durch hochrangige Militärs und Politiker geschädigt. Unmittelbar ausgeführt haben die Taten untergeordnete Befehlsempfänger. Diese haben die Opfer gefoltert, vergewaltigt, ihre Angehörigen getötet. Für die Geschädigten ist es unbefriedigend, wenn ihre unmittelbaren Peiniger nicht zur Rechenschaft gezogen werden, sie ihnen möglicherweise sogar regelmäßig in ihrem Heimatdorf begegnen müssen. Dies ändert allerdings nichts daran, dass es auch im Interesse der Opfer ist, jedenfalls die hauptverantwortlichen Führungstäter vor Gericht zu stellen. Die Geschädigten nehmen Systemunrecht als solches wahr und können Verantwortung von den konkreten Taten abstrahieren. Zudem besteht die Möglichkeit, dass die Verurteilung hochrangiger Militärs und Politiker als symbolische Verurteilung des gesamten Systemunrechts verstanden wird. Jedenfalls wird dadurch anschaulich demonstriert, dass Völkerstrafrecht unbedingt – unabhängig von der Person und der Funktion des Täters – gilt.141 Dies dürfte auch – zumindest in einem gewissen Umfang – die Bedürfnisse der Opfer befriedigen.142 Allerdings stellt sich die Frage, wie der Strafausspruch die Opfer erreichen soll. Der Prozess findet regelmäßig in Den Haag143, also weit entfernt von der betroffenen Gesellschaft, statt. Die Opfer werden bei der Urteilsverkündung nicht anwesend sein, also nicht direkt von der Brandmarkung des Unrechts erfahren.144 Ein ähnliches Problem stellt sich bei opferfreundlichem Prozessverhalten der Beschul136 137 138 139 140 141 142 143 144

Neubacher (2006b), S. 969. Siehe auch Hodzic´, S. 119. Siehe auch Roxin (2001), S. 709; O’Connell, S. 320 sowie Hodzic´, S. 119. Hassemer / Reemtsma, S. 131. Hassemer / Reemtsma, S. 134. Siehe auch Sveaass / Lavik, S. 43 f. Morris (2000), S. 186. Siehe auch Akhavan (1997), S. 339; Tolmein, S. 508. Siehe auch Bassiouni (1996b), S. 26; Safferling (2010), S. 101. Zu Ausnahmen unten Teil 5 D. VIII. 5. b). Siehe auch Akhavan (1997), S. 342.

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Teil 4: Sinn und Zweck von Strafe und Strafverfahren

digten. Wie soll ein Schuldeingeständnis, eine Entschuldigung strafmildernd berücksichtigt werden, wenn die Opfer hiervon nichts erfahren?145 Hierbei handelt es sich um Kommunikationsprobleme, die die an sich gegebene generalpräventive Wirkung der völkerrechtlichen Strafe nicht in Frage stellen (sollten). Zentrale Bedeutung kommt insoweit dem Out-reach-Programm des IStGH zu.146 In den betroffenen Regionen werden Informationen über den IStGH im Allgemeinen und den Stand der jeweiligen Verfahren im Besonderen zugänglich gemacht. Auf diese Weise kann auch die mit einem Strafausspruch verbundene Unrechtsfeststellung transportiert werden.

IV. Zusammenfassung Im Völkerstrafrecht sind die Strafzwecke der Vergeltung und der Spezialprävention nur von untergeordneter Bedeutung. Eine zentrale Rolle kommt hingegen der Generalprävention – der Abschreckung und der Normbekräftigung – zu. Letztere lässt sich problemlos mit einem opferorientieren Verständnis von Strafrecht kombinieren. Die Tat wird als Unrecht verurteilt, die Tatfolgen dem Verantwortungsbereich des Täters zugeschrieben und die Geschädigten als Verbrechensopfer anerkannt. Auf diese Weise kann die Strafe zentrale Opferbedürfnisse befriedigen. Sie wird damit auch im Interesse der Geschädigten verhängt.147

B. Ziele des Strafverfahrens Im Strafverfahren soll das materielle Strafrecht148 und damit der staatliche Strafanspruch149 durchgesetzt werden. Die Geltung der gebrochenen Norm wird öffentlich und in einem förmlichen Verfahren bekräftigt. Dies dient der Stärkung des Rechtsbewusstseins der Bevölkerung. Das Strafverfahren unterstützt damit die generalpräventive Wirkung der Strafe.150 Es ist allerdings nicht auf diese dienende, dem materiellen Recht untergeordnete Funktion beschränkt. Übergeordnetes Ziel des Strafverfahrens ist es vielmehr, den durch die Tat gestörten Rechtsfrieden wiederherzustellen,151 den in der Tat zum Ausdruck gekommenen Konflikt zu lösen. 145 Kamatali, S. 117. Siehe auch Studzinsky, S. 46, die allgemein darauf hinweist, wie schwierig es ist, die Opfer tatsächlich ins Verfahren einzubeziehen. 146 Siehe hierzu auch Redress (2009), S. 3 f.; Hodzic´, S. 126 ff. 147 Siehe auch Nikolic Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 82 sowie Bassiouni (2008b), S. 30. 148 Ausführlich Weigend (1989), S. 191 ff. 149 Beulke, Rn. 3. 150 Weigend (1989), S. 194 f.; Stehle, S. 40 f. 151 Däubler-Gmelin (2001), S. 360; Stehle, S. 40. Siehe auch Weigend (1989), S. 195; LR(-Kühne), Einl Abschn B Rn. 13. In der Tendenz ähnlich Murmann, S. 75: „Zweck des

B. Ziele des Strafverfahrens

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Rechtsfrieden kann allerdings nur geschaffen werden, wenn zuvor der wahre Sachverhalt ermittelt152 und der Tatverdacht geklärt wurde.153

I. Wahrheitsermittlung Die Aufklärung des Sachverhalts ist notwendige Voraussetzung für ein richtiges und gerechtes Urteil. Der Richter muss daher in gewissem Umfang nach der Erforschung der tatsächlichen Tatumstände streben.154 Das Strafverfahren geht insoweit mit den Interessen der Opfer einher, da es ihrem Bedürfnis nach Wahrheit gerecht wird. Die gerichtliche Aufklärung der Tat und Tathintergründe hilft den Opfern, das Geschehen zu verstehen und zu verarbeiten.155 Gleichzeitig müssen die Opfer nahezu zwangsläufig an diesem Prozess beteiligt werden. Sie sind als Zeugen eines der wichtigsten Instrumente zur Wahrheitsfindung.156 Dies bedeutet, dass ihnen Gelegenheit gegeben werden muss, ihre Geschichte zu erzählen157. Sie können das Gericht sowie die gesamte Weltöffentlichkeit auf die Verbrechen und das erlittene Leid hinweisen. Im Urteil wird das Unrecht dokumentiert und damit anerkannt. Der gerichtlichen Wahrheitsfindung kommt auf diese Weise wiedergutmachende Wirkung zu.158 Verfahrens ist danach die Wiederherstellung des Rechts unter den Bedingungen der Unsicherheit.“ Roxin / Schünemann, § 1 Rn. 3 nennen die Schaffung von Rechtsfrieden als eine der drei Funktionen des Strafverfahrens. Ebenso Beulke, Rn. 6. 152 Zur Wahrheitsermittlung als Zwischenziel Weigend (1989), S. 178. Siehe auch LR(-Kühne), Einl Abschn B Rn. 13. In Prosecutor v. Bemba Gombo – Forth Decision on Victim’s Participation, PTC III, ICC-01 / 05-01 / 08-320, 15. 12. 2008, Rn. 83 wird dies sogar als principal goal des Strafverfahrens angesehen. 153 Siehe auch Stehle, S. 40. 154 Weigend (1989), S. 179; Stehle, S. 40. Siehe auch BVerfG 27. 1. 1987, NStZ 1987, 419; LR(-Kühne), Einl Abschn B Rn. 32. 155 Siehe auch Neubacher (2006b), S. 969; Kaul (2003), S. 26; O’Connell, S. 321. 156 Zu Begriff und Bedeutung des Zeugenbeweises unten Teil 5 D. I. 157 Neubacher (2006b), S. 969. Siehe auch Kaul (2003), S. 26; Stehle, S. 43; Damaška (2008), S. 334; Hoven, S. 183. 158 Rombouts / Sardaro / Vandeginste, Rn. 72; Report of the Sierra Leone Truth and Reconciliation Commission, Volume II (2004), Chapter II Rn. 22. Siehe auch Hassemer / Reemtsma, S. 162 sowie Case of Kruslin v. France, ECHR 11801 / 85, 24. 4. 2990, Rn. 39; Caso Juan Humberto Sánchez v. Hondura (Excepción Preliminar, Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR 7. 6. 2003,Rn. 186; Case of Bulacio v. Argentina (Merits, Reparations and Costs), IACHR 18. 9. 2003, Rn. 111; Case of Tibi v. Ecuador (Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs), IACHR 7. 9. 2004, Rn. 254; Case of Carpio-Nicolle et al. v. Guatemala (Merits Reparations and Costs), IACHR 22. 11. 2004, Rn. 129; Caso de las Hermanas Serrano Cruz v. El Salvador (Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR 1. 3. 2005, Rn. 166; Caso de la Comunidad Moiwana v. Suriname (Excepciones Preliminares, Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR 15. 6. 2005, Rn. 202; Caso de la „Masacre de Mapiripán“ v. Colombia. (Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR 15. 9. 2005, Rn. 295; Caso Gómez Palomino v. Perú (Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR 22. 11. 2005, Rn. 137; Case of Blanco-Romero et al

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Teil 4: Sinn und Zweck von Strafe und Strafverfahren

Die Dokumentationsfunktion ist im internationalen Strafverfahren von gesteigerter Bedeutung.159 Die Ermittlung der Tathintergründe verlangt eine Auseinandersetzung mit der gesellschaftlichen Krisensituation, in der die einzelne Tat eingebettet war. Zudem ist diese zum Nachweis des Kontextelements – des ausgedehnten oder systematischen Angriffs oder des bewaffneten Konflikts – erforderlich. Daher enthalten die Urteile der Nürnberger Militär Tribunale160 sowie der Ad-hocTribunale161 umfangreiche Ausführungen zu Entwicklung und Ursachen des gesellschaftlichen Konflikts. Dies beeinflusst auch im Sinne der Opfer die zukünftige gesellschaftliche Auseinandersetzung mit den Taten, indem einer Leugnung oder Neutralsierung des Unrechts entgegengewirkt wird.162 Allerdings sind der Wahrheitsermittlung im Strafverfahren Grenzen gesetzt. Die Sachverhaltserfoschung ist nicht Selbstzweck, sondern lediglich Mittel, um ein richtiges und gerechtes Urteil fällen zu können. Die Wahrheit muss grundsätzlich nur insoweit ermittelt werden, wie dies zur Anwendung der materiellrechtlichen Normen erforderlich ist.163 Entscheidungsgrundlage können zudem nur diejenigen Tatsachen werden, die am Ende der Beweisaufnahme zur Überzeugung des Gerichts feststehen. Dabei wird der Sachverhaltsaufklärung durch die Verfahrensv. Venezuela (Merits, Reparations and Costs), IACHR 28. 11. 2005, Rn. 94; Caso Baldeón García v. Perú (Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR 6. 4. 2006, Rn. 195; Case of the Ituango Massacres v. Colombia (Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs), IACHR 1. 7. 2006, Rn. 399; Caso Ximenes Lopes v. Brasil, Fondo (Reparaciones y Costas), IACHR 4. 7. 2006, Rn. 245; Case of Montero-Aranguren et al. (Detention Center of Catia) v. Venezuela, IACHR 5. 7. 2006, Rn. 137; Caso Servellón García y otros v. Honduras (Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR 21. 9. 2006, Rn. 192; Caso Goiburú y otros v. Paraguay (Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR 22. 9. 2006, Rn. 142; Caso Vargas Areco v. Paraguay (Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR 26. 9. 2006, Rn. 153; Caso del Penal Miguel Castro Castro v. Perú (Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR 25. 11. 2006, Rn. 436; Caso La Cantuta v. Perú (Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR 29. 11. 2006, Rn. 222; Case of Bueno-Alves v. Argentina (Merits, Reparations, and Costs), IACHR 11. 5. 2007, Rn. 211; Case of the Rochela Massacre v. Colombia (Merits, Reparations and Costs), IACHR 11. 5. 2007, Rn. 287; Case of Zambrano-Vélez et al. v. Ecuador (Merits, Reparations and Costs), IACHR 4. 7. 2007, Rn. 148; Josip, Bozaüna, Tornislav Matanovic´ v. Republika Srpska, HRCBH CH / 96 / 1, 11. 7. 1997, Rn. 64; Avdo and Esma Palic´ v. Republika Srpska, HRCHB CH / 99 / 3196, 11. 1. 2001, Rn. 91. Siehe auch O’Connell, S. 319. 159 Siehe Schabas (1997), S. 499; Mühlhäuser, S. 46; Neubacher (2006b), S. 969; Steinbach, S. 145; Jackson, S. 21; van den Wyngaert, S. 64. 160 Hierzu Neubacher (2006b), S. 969; Steinbach, S. 144 ff. 161 Siehe beispielsweise Delalic´ et al. Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 88 – 157. Auch PTC I hat bei der Bestätigung der Anklage im Lubanga-Verfahren zumindest im begrenzten Umfang Ausführungen zum Konflikt in Ituri gemacht, Prosecutor v. Lubanga – Decision on the Confirmation of Charges, PTC I, ICC-01 / 04-01 / 06-803, 29. 1. 2007, Rn. 1 ff., 167 ff. 162 Schabas (1997), S. 500; Neubacher (2006b), S. 969; Steinbach, S. 152 ff.; van den Wyngaert, S. 64 Siehe auch Günther, S. 218 – 219; Klinkner, S. 464. Kritisch Janine Natalya Clark, S. 479. 163 Weigend (1989), S. 183; Diggelmann, S. 394. Insbesondere zur Selektivität der Wahrheitsermittlung in internationalen Strafprozessen Hazan, S. 30 – 31. Zu den Auswirkungen auf die Vernehmung von Zeugen unten Teil 5 D. VIII. 7.

B. Ziele des Strafverfahrens

205

garantien für den Angeklagten, insbesondere durch sein Schweigerecht, weitere Grenzen gezogen.164 Ermittelt wird im Verfahren letztlich nur eine prozessuale, nicht eine materielle Wahrheit.165 Für die Opfer relevant ist aber typsicherweise die historische Wahrheit, also die umfassende Darstellung, Einordnung und Bewertung von Ereignissen.166 Das kann das Strafverfahren nicht leisten.167 Es kann aber innerhalb seiner Möglichkeiten zur Aufklärung und Dokumentierung der Geschehnisse beitragen. Dabei ist es gerade bei völkerrechtlichen Verbrechen – wie die Urteile der Ad-hoc-Tribunale gezeigt haben – möglich und sinnvoll, sich nicht strikt auf die einzelnen Taten zu beschränken. Da diese untrennbar mit der gesellschaftlichen Krisensituation verbunden sind,168 muss sich die gerichtliche Sachverhaltsaufklärung zumindest in begrenztem Umfang auch auf das übergeordnete Tatumfeld beziehen. Im kollektiven Unrecht muss das individuelle Unrecht sichtbar gemacht werden.169 Dies bietet eine Möglichkeit, den Opfern in ihrem Bedürfnis nach materieller Wahrheit entgegenzukommen.170

II. Klärung des Tatverdachts Eng mit der Wahrheitsermittlung verbunden ist die Klärung des Tatverdachts. Die Bestrafung der Täter ist eine Möglichkeit, Verantwortlichkeit zuzuweisen und den Wunsch der Opfer nach Gerechtigkeit zu befriedigen. Ziel muss es aber sein, Schuldige zu bestrafen, Unschuldige hingegen freizusprechen.171 Dies liegt auch im Interesse der Opfer. Ihnen ist mit der Verurteilung eines Unschuldigen ebenso wenig gedient wie der Gesellschaft,172 da sie den Rechtsfrieden erneut stört, anstatt ihn wiederherzustellen. Allerdings ist die Klärung der Verantwortlichkeit typischerweise mit erheblichen Belastungen für die Opfer verbunden. Es besteht die Gefahr einer sekundären Viktimisierung.173 Insoweit muss ein menschwürdiges Tolmein, S. 510; Roxin / Schünemann, § 1 Rn. 5. Gallandi, S. 420; Tolmein, S. 510. Siehe auch Neubacher (2005), S. 428; Diggelmann, S. 394. Siehe auch Janine Natalya Clark, S. 474. 166 Diggelmann, S. 394. 167 Siehe auch Damaška (2008), S. 336. 168 Siehe oben Teil 2 E. 169 Neubacher (2005), S. 429. 170 Siehe auch Neubacher (2005), S. 423 sowie bereits zu den Nürnberger Prozessen Bader, S. 140; Biddle, S. 203; Dodd, S. 191. 171 Roxin / Schünemann, § 1 Rn. 6. 172 Siehe auch Prosecutor v. Abu Garda – Decision on the 34 Applications for Participation at the Pre-Trial Stage of the Case, PTC I, ICC-02 / 05-02 / 09-121, 25. 9. 2009, Rn. 4; Prosecutor v. Abu Garda – Decision on victim’s modalities of participation at the Pre-Trial Stage of the Case, PTC I, ICC-02 / 05-02 / 09-136, 6. 10. 2009, Rn. 5. Anders wohl Wald (2002), S. 236, derzufolge es vielen Opfer nur darauf ankommt, dass irgendjemand für die Taten bestraft wird. 173 Zur sekundären Viktimisierung oben Teil 2 A. II. 164 165

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Teil 4: Sinn und Zweck von Strafe und Strafverfahren

Strafverfahren darauf ausgerichtet sein, die prozessimmanenten Belastungen für die Opfer so gering wie möglich zu halten.174 Dies gilt wegen der schwerwiegenden Primärschäden, die durch völkerrechtliche Verbrechen verursacht werden, im Verfahren vor dem IStGH noch mehr als in nationalen Prozessen.

III. Schaffung von (Rechts-)Frieden Das Strafverfahren schafft grundsätzlich bereits dadurch Rechtsfrieden, dass eine abschließende, rechtskräftige Entscheidung ergeht, die den Konflikt zumindest formal beendet.175 Dies gilt aber für richtige und gerechte wie für Fehlurteile gleichermaßen. Dauerhafter, stabiler Rechtsfrieden kann nur erreicht werden, wenn der Konflikt inhaltlich gelöst wird. Dies setzt zunächst voraus, dass die Aufklärung des Sachverhalts sorgfältig erfolgt, da sie die Basis für eine gerechte Entscheidung bildet. Zudem muss das Verfahren Raum für die Interessen aller am Konflikt Beteiligten lassen. Aufgrund der Entprivatisierung der Straftat176 besteht der Konflikt nicht mehr (in erster Linie) zwischen Täter und Opfer. Vielmehr wird dem Beschuldigten zur Last gelegt, durch die Missachtung einer Norm den sozialen Frieden gebrochen zu haben.177 In den Verfahren vor dem IStGH wird demnach also der Konflikt zwischen dem Beschuldigten und der internationalen Gemeinschaft, vertreten durch den Ankläger, ausgetragen. Allerdings beanspruchen die Staaten ein Gewaltmonopol. Sie ziehen den Konflikt an sich und untersagen dem Opfer, die Tat selbst zu ahnden.178 Das Opfer wird aber nur dann zu einem Gewaltverzicht bereit sein, wenn die öffentliche Hand ihren Strafanspruch durchsetzt179 und es das Verfahren sowie den Urteilsausspruch akzeptieren kann.180 Auch wenn der Konflikt formell von der öffentlichen Hand übernommen wurde, so ändert dies nichts daran, dass das Opfer von diesem faktisch betroffen ist. Auch seine Rechtssphäre muss befriedet werden. Das Strafverfahren kann nur dann dauerhaften Rechtsfrieden schaffen, wenn die Opfer einbezogen, zumindest aber ihre Interessen berücksichtigt werden.181 Dies bedeutet aber nicht, dass die öffentliche Hand als Stellvertreter der Opfer agieren dürfte. Dies würde bedeuten, dass im Strafverfahren auch eventuell bestehende Rache- und Vergeltungsbedürfnisse durchgesetzt 174 Siehe hierzu auch unten Teil 5 D. VIII. sowie Hassemer / Reemtsma, S. 139. Neubacher (2005), S. 426 sieht in der Verhinderung sekundärer Schäden sogar einen eigenständigen Strafzweck. 175 Siehe zur Bedeutung der Rechtskraft des Urteils auch unten Teil 5 C. XIV. 176 Siehe hierzu oben Teil 1 G. 177 Weigend (1989), S. 318. 178 Hassemer / Reemtsma, S. 22; Streng, Rn. 25; Beulke, Rn. 3. Siehe auch Meier, S. 35. 179 Siehe Streng, Rn. 25; Beulke, Rn. 3. 180 Lakatos, S. 920; Stehle, S. 42. Siehe auch Kühler, S. 625; Günther, S. 213. 181 Däubler-Gmelin (2001), S. 360; Stehle, S. 42. Siehe auch Utmelidze, S. 133; Hoven, S. 183; Will, S. 109.

B. Ziele des Strafverfahrens

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würden. Auch wenn diese Gefühle gerade bei schwersten Gewalttaten ihre Berechtigung haben, dürfen sie nicht das Strafverfahren bestimmen.182 Der Prozess würde emotionalisiert und könnte seine rechtsfriedenschaffende Funktion nicht mehr erfüllen, da er nun vom Täter nicht mehr akzeptiert werden könnte. Ziel muss es sein, die Bedürfnisse der Opfer zu befriedigen, ohne dadurch neue Ressentiments zu schaffen.183 Bei völkerrechtlichen Verbrechen kommt eine weitere Komponente hinzu. Die Taten richten sich gegen Kollektive und stören das friedliche Miteinander ganzer gesellschaftlicher Gruppen oder Völker. Auch die Schaffung von Rechtsfrieden hat daher eine supraindividuelle Komponente. Ziel müsste es sein, auch den gesamtgesellschaftlichen Konflikt zu beenden.184 Es geht um die Frage, ob die internationale Strafgerichtsbarkeit einen Beitrag zur Wiederherstellung des Friedens leisten kann. Hiervon ist der Sicherheitsrat bei der Errichtung der Ad-hoc-Tribunale ausgegangen.185 Hintergrund ist die Erwägung, dass dauerhafter Frieden ohne ein Mindestmaß an Gerechtigkeit nicht möglich ist.186 Am Ende einer gesellschaftlichen Krisensituation gilt es, den Gewaltkreislauf zu durchbrechen und Lynchjustiz zu verhindern.187 Hierzu kann die Bestrafung der hauptverantwortlichen Täter einen Beitrag leisten. Zunächst werden diese durch das Verfahren und die gegebenenfalls folgende Strafvollstreckung aus der Gesellschaft ausgesondert. Dadurch wird der Dialog zwischen den verfeindeten Kollektiven und damit der Aufbau einer friedlichen Gesellschaftsordnung erleichtert.188 Gleichzeitig können auf diese Weise Rache- und Vergeltungsbedürfnisse gemildert werden. Dies dient der kollektiven Aussöhnung.189 Zudem zwingt das internationale Strafverfahren zumindest im gewissen Umfang zur Auseinandersetzung mit den Verbrechen.190 Die gerichtliche Dokumentation des Unrechts begünstigt so eine gesamtgesellschaftliche Vergangenheitsaufarbeitung.191 Die Wahrheitsermittlung kann darüber hinaus zur gesellschaftlichen Rehabilitation der Opfer beitragen. Neutralisationstechniken und entwürdigende Propaganda werden aufgedeckt und als Unrecht bewertet. Der Hassemer / Reemtsma, S. 125 – 127; Hörnle, S. 954. Siehe auch Utmelidze, S. 133. 184 Siehe auch Rauschenbach / Scalia, S. 451. 185 Siehe Stehle, S. 42. 186 Siehe Bassiouni (1996b), S. 24; Ntanda Nsereko (2001), S. 62 sowie Donat-Cattin (1999), S. 252; Ambos (2009b), Rn. 4. 187 Jäger (1995), S. 345; Akhavan (1997), S. 338. Siehe auch Donat-Cattin (1999), S. 252; Rodman, S. 107. 188 Akhavan (1997), S. 336; Donat-Cattin (1999), S. 252; Rodman, S. 107. Siehe aber zu den Friedensprozess störenden Ermittlungen unten Teil 5 C. VII. 189 Siehe Delalic´ et al. Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 1234; Furundzija Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 288. Siehe auch Jäger (1995), S. 345; Akhavan (1997), S. 338; Janine Natalya Clark, S. 469 ff. 190 Diggelmann, S. 396. 191 Steinbach, S. 145. 182 183

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Teil 4: Sinn und Zweck von Strafe und Strafverfahren

Opfergruppe wird das Stigma der gesellschaftlichen Bedrohung und der Minderwertigkeit genommen. Sie werden als Menschen, denen Unrecht widerfahren ist, anerkannt.192 Dies kann die Grundlage für einen gesellschaftlichen Neuanfang, der auf der Gleichwertigkeit der Beteiligten aufbaut, sein. Die Bestrafung der hauptverantwortlichen Täter und die Dokumentierung der Wahrheit können so einen Beitrag zu Wiederherstellung und Erhalt des Friedens leisten.193 Ob eine befriedigende und stabile kollektive Konfliktlösung gelingt, hängt allerdings in erster Linie davon ab, wie die betroffene Gesellschaft mit dem begangenen Unrecht umgeht. Insbesondere bei staatsinternen Auseinandersetzungen ist die Konfliktbewältigung schwierig, da es gilt, die Spaltung der Gesellschaft in zwei verfeindete Gruppen, in „Wir“ und „Die“, rückgängig zu machen.194 Generell ist die Schaffung eines dauerhaften Friedens ein komplexer Prozess, von dem die internationale Gerichtsbarkeit nur einen kleinen Ausschnitt darstellt.195 Daher dürfen die Erwartungen an die friedensstiftende Wirkung des IStGH nicht übersteigert werden. Innerhalb seiner Möglichkeiten kann er aber einen Beitrag leisten, Frieden durch Gerechtigkeit zu schaffen.196

C. Fazit Sollen die Verfahren vor dem IStGH dazu beitragen, dauerhaften und stabilen (Rechts-)Frieden zu schaffen, so müssen sie zwangsläufig den Bedürfnissen und Interessen der Opfer gerecht werden. Nur auf diese Weise kann der Gewaltkreislauf durchbrochen, die Opfer zu einem Verzicht auf Rache und Vergeltung gebracht werden. Zentrale Bedeutung für die individuelle und kollektive Unrechtsaufarbeitung kommt dabei der Wahrheitsermittlung zu. Sie ist Grundlage für eine Aussöhnung zwischen Opfern und Tätern und damit einen gesellschaftlichen Neuanfang. Auch die Strafzwecke enthalten eine deutliche Opferorientierung. Nach der positiven Generalprävention, der im Völkerstrafrecht großes Gewicht zukommt, dient Strafe auch der Anerkennung und Dokumentierung des von den Opfern erlittenen Unrechts. Völkerstraf- und Völkerstrafprozessrecht sind damit auch dazu bestimmt, den Interessen der Individualopfer zu dienen und ihnen ein Forum zu geben. Rauchfuss, S. 42; Akhavan (1997), S. 340. Siehe auch Delmas-Marty (2009), S. 14. Delalic´ et al. Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 1234 ; Rutaganda Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 455; Muhimana Trial Judgement, o. Fn. 92, Rn. 588; Seromba Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 376; Bassiouni (1996b), S. 24; ders. (2008b), S. 29; Akhavan (1997), S. 341. Siehe auch Jackson, S. 21. Kritisch Janine Natalya Clark, S. 485. 194 Siehe auch Janine Natalya Clark, S. 476. 195 Siehe auch Guhr (2008a), S. 367. 196 Siehe auch Nikolic Trial Judgement, o. Fn. 5, Rn. 82 – 83; Diggelmann, S. 396, 399; Rodman, S. 107. 192 193

Teil 5

Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH Das IStGH-Statut nimmt bereits in der Präambel die Opfer völkerrechtlicher Verbrechen explizit in Bezug und räumt ihnen so eine herausragende Stellung ein. Damit wird auch eine Kehrtwende gegenüber der Praxis der Ad-hoc-Tribunale eingeleitet, in deren Statuten und Verfahrensregeln sich nur wenige opferspezifische Vorschriften finden.1 Im Gegenteil wurden die Opferinteressen teilweise derart in den Hintergrund gedrängt, dass sich einige Opfer auch als „Tribunalüberlebende“ fühlten.2 Als Folge stellten einige Opferverbände die Kooperation mit dem ICTR zeitweilig ein.3 Das Verfahrensrecht des IStGH soll hingegen die Belange und Interessen der Opfer umfassend berücksichtigen. Diese Zielsetzung ist nicht nur unter Fürsorgegesichtspunkten zu begrüßen. Sie ist vielmehr die logische Konsequenz aus dem Schutzgut der völkerrechtlichen Tatbestände sowie den Strafzwecken. Dient das Völkerstrafrecht auch dem Schutz des Individuums, ist es Ziel der internationalen Strafgerichtsbarkeit, den Opfern Gerechtigkeit zu bringen, so muss sich dies im Verfahrensrecht widerspiegeln. In diesem Kapitel soll daher untersucht werden, inwieweit die prozessualen Vorschriften und die bisherige Rechtsprechungspraxis das Versprechen der Präambel einlösen und den Opferbelangen hinreichend Rechnung tragen. Zu diesem Zweck ist in einem ersten Schritt zu ermitteln, welcher Opferbegriff dem Verfahrensrecht des IStGH zugrunde liegt. Zudem steht das Opfer nicht für sich. Vielmehr muss es mit anderen Verfahrensbeteiligten interagieren. Diese sollen unter Berücksichtigung ihrer jeweiligen Aufgaben, Interessen und Befugnissen kurz vorgestellt werden (unter B.). Im Anschluss wird das Verfahren vor dem IStGH näher betrachtet (unter C.). Die Erläuterung des komplexen Verfahrensablaufs dient zum einen als Grundlage für die weiteren Ausführungen. Zum anderen wird den Fragen nachgegangen, ob bereits die grundsätzliche Verfahrensaus1 Siehe van Boven (1999), S. 81; Tochilovsky (1999), S. 349; Harhoff (2001), S. 649; Donat-Cattin (2003), S. 356; Mekjian / Varughese, S. 11; Kavran, S. 136; Rombouts / Vandeginste, S. 315; de Hemptinne / Rindi, S. 346; Stahn / Olásolo / Gibson, S. 220; Will, S. 90 ff.; WCRO (November 2007), S. 8, 11 ff.; Abo Youssef, S. 67 ff., Mohan, S. 741 ff. sowie Prosecutor v. Lubanga – Decision Regarding the Practices Used to Prepare and Familiarise Witnesses for Giving Testimony at Trial, TC I, ICC-01 / 04-01 / 06-1049, 30. 11. 2007, Rn. 45; Situation in the DRC – Prosecutions Reply on the Applications for Participation 01 / 04-1dp to 01 / 04-6 / dp, ICC-01 / 04-84, 15. 8. 2005, Rn. 4. 2 Siehe auch Mischkowski (2004b), S. 398; Mohan, S. 743. 3 Siehe Mischkowski (2004b), S. 398; Hoven, S. 183.

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Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

gestaltung auf die Opferinteressen abgestimmt ist und inwieweit die anderen Prozessbeteiligten bei ihren Entscheidungen und Vorgehensweisen die Belange der Opfer berücksichtigen können oder müssen. Danach wird näher auf die Position des Opfers im Verfahren eingegangen. Die Darstellung beginnt mit seiner passiven Rolle als Beweismittel, als Zeuge (hierzu unter D.). Im Anschluss richtet sich der Blick auf die Informations- und Beteiligungsrechte. Untersucht wird, ob und inwieweit das Opfer die Möglichkeit hat, sich aktiv in das Verfahren einzubringen (hierzu unter E.). Zu diesem Komplex zählt auch die Frage, in welchem Umfang das Opfer Wiedergutmachungsansprüche geltend machen kann (hierzu unter F.).

A. Der Opferbegriff Der Begriff des Opfers ist in Rule 85 legal definiert.

I. Natürliche Personen Opfer sind gemäß Rule 85 lit. a) alle natürlichen Personen, die in Folge eines unter die Gerichtsbarkeit des IStGH fallenden Verbrechens einen Schaden erlitten haben. Damit besteht der Opferbegriff aus vier Komponenten. Der Betroffene muss zunächst eine natürliche Person, also ein Mensch,4 sein. Er muss zweitens einen Schaden erlitten haben. Hinsichtlich der Art der Schäden erhält Rule 85 lit. a) keinerlei Einschränkung. Unter Berücksichtigung der van-Boven-Principles5 und der Basic Principles of Justice for Victims6 ist der Begriff weit auszulegen. Physische, materielle, psychische und emotionale Schäden stehen gleichberechtigt nebeneinander.7 Rule 85 lit. a) erfasst damit im Gegensatz zum Verfahrensrecht 4 Situation in the DRC – Decision on the Application for Participation in the Proceedings of [ . . . ], PTC I, ICC-01 / 04-101-Corr, 17. 1. 2006, Rn. 80. 5 Nr. 8 der van-Boven-Principles. Siehe auch Redress (March 2006), S. 18. 6 Principle 2 der Declaration of Basic Principle of Justice for Victims of Crime and Abuse of Power. 7 Prosecutor v. Lubanga – Judgement on the Appeals of The Prosecutor and The Defence against Trial Chamber I’s Decision on Victims’ Participation of 18 January 2008, AC, ICC-01 / 04-01 / 06-1432, 11. 7. 2008, Rn. 1, 32; Prosecutor v. Lubanga – Decision on victims’ participation, TC I, ICC-01 / 04-01 / 06-1119, 18. 1. 2008, Rn. 92; DRC PTC, ICC-01 / 04-101-Corr, o. Fn. 4, Rn. 116; Situation in Uganda – OPCV’s Observations on the Victims’ Applications [ . . . ] to Participate in the Uganda Situation and in the Case [ . . . ], ICC-02 / 04-89, 26. 3. 2007, Rn. 52 – 55 = Prosecutor v. Kony et al. – OPCV’s Observations on the Victims’ Applications [ . . . ] to Participate in the Uganda Situation and in the Case [ . . . ], ICC-02 / 04-01 / 05-232, 26. 3. 2007, Rn. 52 – 55; Siehe auch Situation in Uganda – Decision on victim’s applications for Participation [ . . . ], PTC II, ICC-02 / 04-101, 10. 8. 2007, Rn. 26 ff. = Prosecutor v. Kony et al. – Decision on victim’s applications for Participation [ . . . ], PTC II, ICC-02 / 04-01 / 05-252, 10. 8. 2007, Rn. 26 ff. Zurückhaltend hingegen

A. Der Opferbegriff

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der Ad-hoc-Tribunale8 mittelbare Opfer.9 Dazu zählen neben den Tatzeugen, die durch die Beobachtung des Verbrechens traumatisiert wurden,10 auch Angehörige des direkten Opfers,11 die durch die Tat in Mitleidenschaft gezogen wurden.12

Situation in the DRC – Observations du Bureau du Conseil Public pour la Défense sur les 28 demandes de participation en qualité de victimes du 12 Mai 2008, conformément à la décision de la Chambre Préliminaire I du 17 août 2007 intitulée: „Decision on the requests of the Legal Representative of Applicants on application process for victims’ participation and legal representation“, ICC-01 / 04-502, 12. 6. 2008, Rn. 32. Offengelassen in Situation in the DRC – Judgement on victim participation in the investigation stage of the proceedings in the appeals of the OPCD and the Prosecutor against the decision of Pre-Trial Chamber I of 24 December 2007, AC, ICC-01 / 04-556, 19. 12. 2008, Rn. 58. Kritisch de Hemptinne, S. 170. 8 Rule 2 (A) der RPE des ICTY und ICTR. Siehe auch Donat-Cattin (1999), S. 261; Bassiouni (2008f), S. 665; Zappalà (2010), S. 156; Tsereteli, S. 635; Bassiouni (2010), S. 617. 9 Lubanga AC, ICC-01 / 04-01 / 06-1432, o. Fn. 7, Rn. 1, 32; Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1119, o. Fn. 7, Rn. 91; Prosecutor v. Lubanga – Redacted version of „Decision on ,indirect victims‘“, TC I, ICC-01 / 04-01 / 06-1813, 8. 4. 2009, Rn. 44; Prosecutor v. Lubanga – Prosecution’s Response to „Acte d’appel de la Défense relativement à la Décision du 18 janvier 2008 de la Chambre de première instance I concernant la participation des victimes“, ICC-01 / 04-01 / 06-1233, 19. 3. 2008, Rn. 10; Heikkilä, S. 17; Greco, S. 536; Stehle, S. 236; Bassiouni (2008f), S. 665; de Hemptinne, S. 169; Tsereteli, S. 636; Bassiouni (2010), S. 617. Offen gelassen in Situation in Uganda – Judgement on the appeals of the Defence against the decisions entitled „Decision on victims’ applications for participation [ . . . ]“ of Pre-Trial Chamber II, AC, ICC-02 / 04-179, 23. 2. 2009, Rn. 32 = Prosecutor v. Kony et al. – Judgement on the appeals of the Defence against the decisions entitled „Decision on victims’ applications for participation [ . . . ]“ of Pre-Trial Chamber II, AC, ICC-02 / 04-01 / 05-371, 23. 2. 2009, Rn. 32; Abo Youssef, S. 53. Anderer Ansicht Prosecutor v. Lubanga – Acte d’appel de la Défense relativement à la Décision du 18 janvier 2008 de la Chambre de première instance I concernant la participation des victimes, ICC-01 / 04-01 / 06-1220, 10. 3. 2008, Rn. 30. 10 Siehe Situation in Uganda – Response of the Legal Representative of Victims to the Defence Application for Leave to Appeal the Decision of 14 March 2008 and Observations on the Response of the Prosecutor to that Application, ICC-02 / 04-133, 11. 4. 2008, Rn. 35 = Prosecutor v. Kony et al. – Response of the Legal Representative of Victims to the Defence Application for Leave to Appeal the Decision of 14 March 2008 and Observations on the Response of the Prosecutor to that Application, ICC-02 / 04-01 / 05-291, 11. 4. 2008, Rn. 28. 11 Siehe Lubanga AC, ICC-01 / 04-01 / 06-1432, o. Fn. 7, Rn. 32; Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1813, o. Fn. 9, Rn. 50; DRC PTC, ICC-01 / 04-101-Corr, o. Fn. 4, Rn. 117, 132, 162, 183; Prosecutor v. Lubanga – Decision on the Applications for Participation in the Proceedings of [ . . . ] the Case of the Prosecutor v. Thomas Lubanga Dyilo and of the investigation in the Democratic Republic of the Congo, PTC I, ICC-01 / 04-01 / 06-228, 28. 7. 2006, S. 15; Prosecutor v. Lubanga – Decision on applications for participation in proceedings [ . . . ] in the case of The Prosecutor v. Thomas Lubanga Dyilo, PTC I, ICC-01 / 04-01 / 06-601, 20. 10. 2006, S. 9; Situation in the DRC – Corrigendum à la „Décision sur les demandes de participation à la procédure déposées dans le cadre de l’enquête en République démocratique du Congo par a / 0004 / 06 [ . . . ]“, PTC I, ICC-01 / 04-423-Corr, 24. 12. 2007, Rn. 24; Prosecutor v. Katanga & Ngudjolo – Decision on the Applications for Participation in the Proceedings of Applicants a / 0327 / 07 to a / 0337 / 07 and a / 0001 / 08,

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Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

Nicht erfasst sind allerdings Personen, die erst durch eine spätere Handlung des direkten Opfers einen Schaden erlitten haben.13 So sind diejenigen, die von Kindersoldaten14 verletzt oder getötet wurden, nicht Opfer der Zwangsverpflichtung oder Eingliederung der Kinder in eine (nationale) bewaffnete Gruppe.15 Drittens müssen die in Frage stehenden Verbrechen in materieller, zeitlicher, persönlicher und sachlicher Hinsicht der Gerichtsbarkeit des IStGH unterfallen. Erforderlich ist eine Prüfung nach den Artt. 5 – 8; 11 und 12 IStGH-Statut.16 Viertens und letztens muss ein Kausalzusammenhang zwischen dem eingetretenen Schaden und dem Verbrechen bestehen.17 Hierfür ist es nicht erforderlich, dass sich die Handlung direkt gegen das Opfer gerichtet hat. Erfasst sind vielmehr auch Fälle, in denen der Betroffene dadurch einen Schaden erlitten hat, dass er einem direkten Opfer beistehen bzw. dessen Viktimisierung verhindern wollte.18 Weitere Voraussetzungen müssen nicht erfüllt seien. Insbesondere ist der Opferstatus im Einklang mit den van-Boven-Principles und den Basic Principles of JusPTC I, ICC-01 / 04-01 / 07-357, 2. 4. 2008, 8; Uganda OPCV’s Observations, ICC-02 / 04-89, o. Fn. 7., Rn. 52 = Kony et al. OPCV’s Observations, ICC-02 / 04-01 / 05-232, Rn. 52; Prosecutor v. Abu Garda – Prosecution’s Observations on 34 Applications for Victim Participation in the Proceedings, ICC-02 / 05-02 / 09-100, 14. 9. 2009, Rn. 13; Prosecutor v. Bemba Gombo – Forth Decision on Victim’s Participation, PTC III, ICC-01 / 05-01 / 08-320, 15. 12. 2008, Rn. 51; Stehle, S. 237. 12 Siehe zum Bedürfnis, die Beteiligungsrechte mittelbarer Opfer zu beschränken, unten Teil 5 E. II. 1. c). 13 Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1813, o. Fn. 9, Rn. 52. 14 Zur Stellung von Kindersoldaten siehe unten Teil 5 E. II. 1. d). 15 Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1813, o. Fn. 9, Rn. 52. Siehe auch Schabas (2010), S. 830. Anders OTP (2009), S. 4. 16 Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1119, o. Fn. 7, Rn. 93; DRC PTC, ICC-01 / 04-101Corr, o. Fn. 4, Rn. 85; Lubanga PTC, ICC-01 / 04-01 / 06-228, o. Fn. 11, S. 14; Situation in the DRC – Decision on the Requests of the Legal Representative of Applicants on application process for victims’ participation and legal representation, PTC I, ICC-01 / 04-374, 17. 8. 2007, Rn. 5; DRC PTC, ICC-01 / 04-423-Corr, o. Fn. 11, Rn. 37. Siehe auch Uganda PTC, ICC-02 / 04-101, o. Fn. 7, Rn. 29 = Kony et al. PTC, ICC-02 / 04-01 / 05-252, o. Fn. 7, Rn. 29; Bemba Gombo PTC, ICC-01 / 05-01 / 08-320, o. Fn. 11, Rn. 59; Greco, S. 536; Narantsetseg / Sevgili, S. 123; Baumgartner, S. 422. 17 DRC PTC, ICC-01 / 04-101-Corr, o. Fn. 4, Rn. 79; Situation in the DRC – Decision on the Applications for Participation in the Proceedings of [ . . . ] in the Case of the Prosecutor v. Thomas Lubanga Dyilo and of the Investigation in the Democratic Republic of the Congo, PTC I, ICC-01 / 04-177, 31. 7. 2006, 7; Uganda PTC, ICC-02 / 04-101, o. Fn. 7, Rn. 11 = Kony et al. PTC, ICC-02 / 04-01 / 05-252, o. Fn. 7, Rn. 11; DRC PTC, ICC-01 / 04-374, o. Fn. 16, Rn. 4; DRC PTC, ICC-01 / 04-423-Corr, o. Fn. 11, Rn. 36; Situation in the DRC – Decision on the applications for participation filed in connection with the investigation in the Democratic Republic of Congo by Applicants [ . . . ], PTC I, ICC-01 / 04-505, 3. 7. 2008, Rn. 24; Katanga & Ngudjolo PTC I, ICC-01 / 04-01 / 07-357, o. Fn. 11, S. 8; di Giovanni, S. 45; Greco, S. 537. 18 Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1813, o. Fn. 9, Rn. 51; Prosecutor v. Abu Garda – Decision on the 34 Applications for Participation at the Pre-Trial Stage of the Case, PTC I, ICC-02 / 05-02 / 09-121, 25. 9. 2009, Rn. 13.

A. Der Opferbegriff

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tice for Victims nicht dadurch ausgeschlossen, dass zwischen Täter und Geschädigtem verwandtschaftliche Beziehungen bestehen.19 Zudem dürfen Rasse, Geschlecht, Hautfarbe, Alter, Religionszugehörigkeit, Nationalität, Vermögen, Sozialstatus und ähnliche Kriterien keine Berücksichtigung finden.20

II. Organisationen und Institutionen Rule 85 lit. b) erweitert den Opferbegriff auf Organisationen und Institutionen und damit auf juristische Personen allgemein.21 Diese können naturgemäß nur in materieller Hinsicht geschädigt sein.22 Ausreichend für die Begründung der Opfereigenschaft ist allerdings nicht jede Vermögensschädigung. Voraussetzung ist vielmehr, dass durch die Tat Eigentum, das der Religionsausübung, der Ausbildung, der Kunst, der Wissenschaft oder wohltätigen Zwecken gewidmet ist, beeinträchtigt wurde. Gleichgestellt ist die Beschädigung oder Zerstörung historischer Denkmäler, Krankenhäuser und sämtlicher Einrichtungen, die humanitären Zwecken dienen. Juristische Personen können damit nur insoweit Opfer sein, als das durch die Tat beeinträchtigte Eigentum für die Gemeinschaft von besonderer Bedeutung ist. Selbst wenn diese Voraussetzungen erfüllt sind, liegt es allerdings im freien Ermessen des Gerichts, ob es einer bestimmten Institution oder Organisation den Opferstatus verleiht.23 Wurde eine juristische Person aber als Opfer anerkannt, stehen ihr grundsätzlich dieselben Rechte wie natürlichen Personen zu.24

III. Zusammenfassung Der Opferbegriff in Rule 85 lit. a) ist erfreulich weit gefasst. Er liefert ausreichend Raum, um Erkenntnisse der Viktimologie und der Psychotraumatologie zu berücksichtigen. Dies gilt insbesondere für die Einbeziehung mittelbarer Opfer, die durch die Tat ebenfalls erheblich geschädigt seien können. Entscheidende Frage ist, welche Anforderungen an den Nachweis der Opfereigenschaft gestellt werden. Dieser wird im Zusammenhang mit den Beteiligungsrechten nachgegangen.25 Ebenfalls zu begrüßen ist die (potentielle) Erweiterung des Opferbegriffs auf juristische Personen, denen eine gesteigerte Bedeutung für das Gemeinwohl zukommt. 19 Siehe Nr. 9 der van-Boven-Principles sowie Principle 2 der Declaration of Basic Principle of Justice for Victims. 20 Siehe auch Art. 3 der Declaration of Basic Principle of Justice for Victims. 21 Uganda OPCV’s Observations, ICC-02 / 04-89, o. Fn. 7., Rn. 42 = Kony et al. OPCV’s Observations, ICC-02 / 04-01 / 05-232, o. Fn. 7, Rn. 42; Greco, S. 536. Siehe zur Wortwahl auch Fernández de Gurmendi (2001a), S. 433. 22 Greco, S. 536. 23 Stehle, S. 238; Fernández de Gurmendi (2001a), S. 433. 24 Siehe DRC PTC, ICC-01 / 04-101-Corr, o. Fn. 4, Rn. 104. 25 Siehe unten Teil 5 E. II. 1. a).

214

Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

Ihre Einbeziehung ist vor allem hinsichtlich der Möglichkeit, Wiedergutmachung verlangen zu können, sinnvoll26.

B. Die anderen Verfahrensbeteiligten Das Opfer steht im Verfahren nicht für sich. Vielmehr trifft es auf andere Prozessbeteiligte, mit denen es interagieren muss. In einem internationalen Strafverfahren sind nicht nur der Ankläger, der Beschuldigte und sein Verteidiger sowie das Gericht von Bedeutung. Beachtung verdient auch die Rolle, die die Kanzlei des IStGH und ihre Unterabteilungen in verfahrensrechtlicher Hinsicht einnehmen können. Zudem müssen auch die Interessen der Nationalstaaten sowie die der internationalen Gemeinschaft, die durch den UN-Sicherheitsrat repräsentiert wird, berücksichtigt werden.

I. Der Ankläger Die Anklagebehörde gehört gemäß Art. 34 lit. c) IStGH-Statut zu den Organen des Gerichtshofs. Geleitet wird die Behörde vom Chefankläger.27 Er wird durch ein oder mehrere stellvertretende Ankläger unterstützt.28 Die Anklagebehörde als solche genießt nach Art. 42 Abs. 1 S. 1 IStGH-Statut Unabhängigkeit.29 Der Ankläger operiert aus eigenem Recht. Andere Organe des Gerichtshofs – das Präsidium, die einzelnen Kammern sowie die Kanzlei – sind ihm nicht weisungsberechtigt.30 Die Aufgaben von Gericht und Ankläger sind strikt getrennt. Dies ist elementare Bedingung für eine unparteiische Gerechtigkeit und entspricht dem in den Guidelines on the Role of Prosecutors festgelegtem internationalen Standard31. Verfahren vor dem IStGH haben immer auch eine politische Dimension. Die Ermittlungen des Anklägers können den Interessen des Tatort- oder Täterstaates zuwiderlaufen. Verschiedene politische Gremien – von nationalen Regierungen bis hin zum UN-Sicherheitsrat – können versucht sein, den Ausgang der Ermittlungen in ihrem Sinne zu beeinflussen.32 Art. 42 Abs. 1 S. 3 IStGH-Statut verpflichtet33 Siehe auch unten Teil 5 F. I. 1. Art. 42 Abs. 2 S. 1 IStGH-Statut. 28 Art. 42 Abs. 2 S. 3 IStGH-Statut. 29 Siehe auch Regulation 13 Regulations of the Prosecutor. 30 Triffterer(-Bergsmo / Harhoff), Art. 42 IStGH-Statut Rn. 7; Ntanda Nsereko (2004), S. 13. 31 Nr. 10 der Guidelines on the Role of Prosecutors adopted by the Eighth United Nationas Congress on the Prevention of Crime and the Treatment of Offenders, Havana, Cuba, 27 August to 7 September 1990. 26 27

B. Die anderen Verfahrensbeteiligten

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sämtliche Mitglieder der Anklagebehörde, weder Weisungen von einer externen Stelle einzuholen, noch diese zu befolgen. Die Unabhängigkeit des Anklägers erstreckt sich grundsätzlich also auch auf sämtliche externen Stellen.34 Verstärkt wird die Unabhängigkeit durch Art. 42 Abs. 5 IStGH-Statut, der dem Ankläger verbietet, einer anderen beruflichen Beschäftigung nachzugehen oder eine sonstige Tätigkeit auszuüben, die sich auf seine Unparteilichkeit auswirken könnte. Dies soll Interessenkonflikten vorbeugen und verhindern helfen, dass der Ankläger instrumentalisiert wird oder die Ermittlungen von politischen Erwägungen determiniert werden. Allerdings galt es bei den Verhandlungen von Rom einen Ausgleich zwischen Unabhängigkeit des Anklägers einerseits und legitimen politischen Interessen andererseits zu finden. Der grundsätzlichen Unabhängigkeit des Anklägers zum Trotz räumt das IStGH-Statut daher an verschiedenen Stellen politischen Gremien die Möglichkeit ein, auf das Verfahren Einfluss zu nehmen. Auf diese wird im jeweiligen Zusammenhang genauer eingegangen.35 Die Aufgaben der Anklagebehörde sind in Art. 42 Abs. 1 S. 2 IStGH-Statut aufgeführt. Sie muss Informationen über mutmaßliche Verbrechen entgegennehmen und überprüfen, Ermittlungen durchführen sowie die Anklage vertreten. Gemäß Art. 54 Abs. 1 lit. a) IStGH-Statut müssen die Ermittlungen auf die Wahrheitsfindung zielen. Der Ankläger des IStGH ist zur objektiven Ermittlung verpflichtet und muss gleichermaßen be- wie entlastende Umstände ermitteln. Er ist nicht Partei, sondern objektives Organ der Rechtspflege.36 Pate für diese Regelung stand das civil law.37 Dem common law ist ein objektiver Ankläger hingegen fremd.38 Buisman, S. 199 – 205; Hall (2003), S. 12. Turone, S. 1140. 34 Triffterer(-Bergsmo / Harhoff), Art. 42 IStGH-Statut Rn. 9; Turone, S. 1140; Zakr, S. 458. Siehe auch DRC Prosecutions’ Reply, ICC-01 / 04-84, o. Fn. 1, Rn. 32; Danner, S. 523. 35 Siehe aber auch den Überblick bei Turone, S. 1141 – 1143; Eser (2006), S. 117 – 120. 36 DRC Prosecutions’ Reply, ICC-01 / 04-84, o. Fn. 1, Rn. 32; Situation in Uganda – Prosecution’s Reply under Rule 89 (1) to the Applications for Participation of Applicants [ . . . ] in the Uganda Situation, ICC-02 / 04-85, 28. 2. 2007, Rn. 32; Prosecutor v. Lubanga – Defence Response to the Appeals Chamber Order of 24 November 2006, ICC-01 / 04-01 / 06-734, 29. 11. 2006, Rn. 27; Situation in the DRC – Request for leave to appeal the „Decision on the request of the OPCD on the Production of Relevant Supporting Documentation Pursuant to Regulation 86 (2) (e) of the Regulations of the Court and on the Disclosure of Exculpatory Materials by the Prosecutor“, ICC-01 / 04-419, 13. 12. 2007, Rn. 32; Situation in Darfur, Sudan – OPCD Appeal Brief on the „Decision on the Request of the OPCD on the Production of Relevant Supporting Documentation Pursuant to Regulation 86 (2) (e) of the Regulations of the court and on the Disclosure of Exculpatory Materials by the Prosecutor“, ICC-02 / 05-119, 4. 2. 2008, Rn. 42; Behrens, S. 146; Cassese (1999), S. 168; Blanke / Molitor, S. 159; Kreß (2003b), S. 608. In der Tendenz ähnlich Triffterer (1999), S. 536; Boas, S. 282; Ntanda Nsereko (2004), S. 13; Hall (2004), S. 128; Kreß / Wannek, S. 248. 37 Triffterer(-Bergsmo / Kruger), Art. 54 IStGH-Statut Rn. 3; Tochilovsky (2001), S. 630; Danner, S. 519; Stehle, S. 226. Siehe für Deutschland § 160 Abs. 2 StPO. 32 33

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Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

Hier muss die Verteidigung vielmehr typischerweise selbst investigativ tätig werden.39 Die Verpflichtung des Anklägers auf die Wahrheit markiert einen Systemwechsel zwischen den Ad-hoc-Tribunalen und dem IStGH. Nach Artt. 16 ICTYStatut; 15 ICTR-Statut ist es Aufgabe des Anklägers ,gegen Personen zu ermitteln und sie strafrechtlich zu verfolgen. Wie im common law ist er nicht verpflichtet, aktiv entlastenden Umständen nachzugehen.40 Die veränderte Stellung des Anklägers deutete sich aber bereits in der Rechtsprechung der Ad-hoc-Tribunale an. So sieht das ICTY im Ankläger nicht nur eine Partei, sondern auch ein Organ der Rechtspflege. Daher sei er verpflichtet, im Verfahren sowohl be- als auch entlastende Beweise vorzulegen.41 Art. 54 Abs. 1 lit. a) IStGH-Statut geht aber noch einen Schritt weiter. Der Ankläger muss dem Gericht nicht nur entlastendes Beweismaterial, in dessen Besitz er – mehr oder weniger zufällig – gelangt ist, vorlegen. Er ist vielmehr verpflichtet, aktiv den Beschuldigten entlastende Umstände zu ermitteln. Art. 42 Abs. 6, 7 IStGH-Statut i. V. m. den Rules 34, 35 sichert die Unabhängigkeit und Objektivität des Anklägers prozessual ab.42 Bestehen berechtigte Zweifel an der Unparteilichkeit des Anklägers, so darf er nicht am Verfahren teilnehmen. Der Ankläger ist gegebenenfalls verpflichtet, den Präsidenten um eine Entbindung von seinen Pflichten zu ersuchen.43 Zudem kann der Beschuldigte jederzeit die Befangenheit des Anklägers rügen und seinen Ausschluss vom Verfahren bei der Berufungskammer beantragen.44 Für die Opfer kann die Objektivitätsverpflichtung des Anklägers verstörend wirken. Sie können dazu neigen, im Ankläger ihren Interessenvertreter zu sehen.45 Dieser kann aber nicht die Rolle eines Opferanwaltes übernehmen, ohne sich in Widerspruch zu seiner Neutralitätsverpflichtung zu setzen.46 Zwar gehört zur Er38 Thaman, S. 524; Barbara Huber, S. 18; Tochilovsky (1999), S. 350; ders. (2001), S. 637; Boas, S. 283; Hermsdörfer (2001), S. 11. Siehe auch Rubin, S. 157; Heghmanns, S. 447 sowie die Gegenüberstellung bei Orie, S. 1444 – 1445. 39 Dielmann, S. 562; Thaman, S. 536; Friman (2001b), S. 213; Tochilovsky (2001), S. 637; Orie, S. 1449. 40 Siehe auch Prosecutor v. Barayagwiza – Decision on Prosecutors Request for Review or Reconsideration, Separte Opinion of Judge Shahabuddeen, AC, ICTR-97-19-AR72, 31. 3. 2000, Rn. 68; Tochilovsky (2001), S. 630; Ntanda Nsereko (2004), S. 14; Möller (2005), S. 41. 41 Proscutor v. Kupreškic´ et al. – Decision on communication between the parties and their witnesses, TC II, IT-95-16, 21. 9. 1998, (ii). 42 van Heeck, S. 24. So auch zum deutschen Verfahrensrecht SK(-Wohlers), § 160 StPO Rn. 14. 43 Rules 35; 33. 44 Art. 42 Abs. 8 lit. a) IStGH-Statut. 45 Weigend (1989), S. 406. Siehe auch Heikkilä, S. 13. 46 Siehe auch Situation in Darfur, Sudan – Prosecution’s Document in Support of Appeal against 6 December 2007 Decision on Victims’ Application for Participation in the Proceedings, ICC-02 / 05-125, 18. 2. 2008, Rn. 24; Situation in the DRC – Observations of the Legal

B. Die anderen Verfahrensbeteiligten

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mittlung der Wahrheit zwangsläufig auch die Auseinandersetzung mit den Opfern, ihren Erlebnissen, Verletzungen, Verlusten und Bedürfnissen. Art. 54 Abs. 1 IStGH-Statut verpflichtet den Ankläger aber, dabei die Interessen des Beschuldigten nicht außer acht zu lassen. Der Ankläger muss Zeugenaussagen kritisch in Frage stellen und auch entlastende Momente ermitteln. Enttäuscht er die von den Opfern in ihn gesetzten Erwartungen, so kann dies eine sekundäre Viktimisierung begünstigen. Die neutrale Stellung des Anklägers birgt die Gefahr, dass die Opfer sich im Prozess allein gelassen fühlen, ihre Interessen und Bedürfnisse nicht hinreichend Berücksichtigung finden.

II. Der Beschuldigte und sein Verteidiger Die Interessen von Opfer und Beschuldigtem stehen typischerweise in einem Spannungsverhältnis. Dies gilt vor allem dann, wenn das Opfer davon überzeugt ist, dass der Beschuldigte der Täter ist und die Verantwortung für das erlittene Unrecht trägt. Die Bemühungen der Verteidigung, Zweifel an der Schuld des Beschuldigten hervorzurufen, stehen im Widerspruch zum Bedürfnis des Opfers, von seiner Viktimisierungserfahrung ungestört zu berichten und die Tat gesühnt zu sehen. Vor allem Verteidigungsstrategien, die die Glaubwürdigkeit des Opfers in Frage stellen, können sehr belastend sein und zu einer sekundären Viktimisierung beitragen.47 Eine starke Stellung der Verteidigung und die Gewährleistung eines fairen Prozesses sind aber elementar für die Glaubwürdigkeit der internationalen Strafgerichtsbarkeit.48 Dies gilt umso mehr, als dem Beschuldigten die Verwirklichung schwersten Unrechts vorgeworfen wird. Gewährleistet werden muss, dass nur derjenige verurteilt wird, der für die ihm zur Last gelegten Verbrechen tatsächlich verantwortlich ist. Wie der kurze Überblick über die Entwicklung des Strafprozesses gezeigt hat,49 zielten die Bemühungen der Aufklärung wesentlich darauf, dem Beschuldigten ein faires Verfahren zu sichern. Inzwischen gehört die verfahrensrechtliche Absicherung seiner Position zum menschenrechtlichen Standard. In verschiedenen AbkomRepresentative of VPRS 1 to VPRS 6 following the Prosecution’s Application for Leave to Appeal Pre-Trial Chambers I’s Decision on the Applications for Participation in Proceedings of VPRS 1 VPRS 6, ICC-01 / 04-105, 27. 1. 2006, Rn. 18; Situation in the DRC – Request submitted pursuant to rule 103 (1) of the Rules of Procedure and Evidence for leave to paricipate as amicus curiae with confidential annex 2, ICC-01 / 04-313, 10. 11. 2006, Rn. 6. 47 Siehe zur sekundären Viktimisierung oben Teil 2 A. II. und zur Glaubwürdigkeit von Zeugenaussagen unten Teil 5 D. VII. 48 Siehe auch Prosecutor v. Milošewic – Dissenting Opinion of Judge David Hunt on Admissibility of Evidence in Chief in the Form of Written Statements, AC, IT-02-54-AR73.4, 21. 10. 2003, Rn. 22; Prosecutor v. Barayagwiza – Decision, AC, ICTR-97-19, 3. 11. 1999, Rn. 122; Ellis, S. 520; Triffterer(-Schabas), Art. 67 IStGH-Statut Rn. 1; Wäspi, S. 2454; Lagodny, S. 823; Kay / Swart, S. 1423; Kavran, S. 163; Bock / Preis, S. 155. 49 Siehe oben Teil 1 E.

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men, wie z. B. in Art. 10 AllgEMR, den Artt. 6 und 7 EMRK sowie in den Artt. 14; 15 IPbpR50, werden elementare Rechte des Beschuldigten aufgeführt. Das IStGHStatut entspricht diesem internationalen anerkannten Kanon in jeder Hinsicht, übertrifft ihn in Teilen sogar.51 Zentrale Vorschriften sind für das Ermittlungsverfahren Art. 55 IStGH-Statut und für das Hauptverfahren Art. 67 IStGH-Statut sowie Art. 66 IStGH-Statut, der die Unschuldsvermutung enthält. Zudem ist ein Verfahren in absentia nicht zulässig.52 Darüber hinaus verpflichtet Art. 64 Abs. 2 IStGH-Statut die Kammer zu gewährleisten, dass während des gesamten Verfahrens die Rechte des Angeklagten umfassend Beachtung finden. Auch in materiellrechtlicher Hinsicht sichert das IStGH-Statut die Position der Verteidigung ab. So enthält Art. 31 IStGH-Statut verschiedene Strafausschließungsgründe, unter anderem Notwehr und Notstand. Unter bestimmten Voraussetzungen schließt auch das Handeln auf Befehl eine Bestrafung des Täters aus.53 Rechtlich ist die Position der Verteidigung umfassend abgesichert. Entscheidend ist aber, ob sie faktisch in der Lage ist, die ihr zustehenden Rechte wahrzunehmen.

1. Exkurs: Amtliche Eigenschaften und Immunitäten In Art. 27 IStGH-Statut findet sich eine bedeutsame Beschränkung der Verteidigungsmöglichkeiten. Der Gerichtshof übt seine Gerichtsbarkeit gleichermaßen über alle Personen aus. Amtliche Eigenschaften sind unbeachtlich. Gleiches gilt für Immunitäten, die mit einem bestimmten Amt verbunden sind. Dabei ist es irrelevant, ob die Immunität auf nationalem oder auf Völkerrecht beruht. Die Staatenimmununität ist Ausdruck des in Art 2 Abs. 1 UN-Charta niedergelegten Prinzips der souveränen Gleichheit aller Staaten.54 Der Gleiche hat über den Gleichen keine Hoheitsgewalt – par in parem non habet imperium.55 Daher hat jeder Staat ein Recht darauf, nicht der Gerichtsbarkeit eines fremden Staats unterworfen zu werden.56 Die Staatenimmunität würde aber leer laufen, könnten 50 Internationaler Pakt über bürgerliche und politische Rechte vom 19. 12. 1966, 999 UNTS 171; für Deutschland am 23. 3. 1976 in Kraft getreten, BGBl. 1976 II 1068. 51 Siehe auch Behrens, S. 146; Friman (1999), S. 262; Ahlbrecht, S. 387; Lagodny, S. 822 – 823; Terrier (2002a), S. 1265; Orie, S. 1477; Kay / Swart, S. 1422; Buisman, S. 234; de Hert, S. 126; Lee, S. 11; Heller, S. 256; Philippe Kirsch (2007), S. 544; Mangold, S. 226; Ambos (2008a), § 8 Rn. 43. Kritisch Fletcher, S. 582; Rabkin, S. 840. 52 Art. 63 Abs. 1 IStGH-Statut. 53 Art. 33 IStGH-Statut. 54 Folz / Soppe, S. 577; Bröhmer, S. 11; Hokema, S. 24; Zehnder, S. 19; Karl, S. 27; Dörr, S. 202; Knut Ipsen(-Epping), § 26 Rn. 17; Stein / von Buttlar, Rn. 714. 55 Watts, S. 52; Folz / Soppe S. 577; Rensmann, S. 268; Wirth (2001), S. 430; Zehnder, S. 23; Thomas / Small, S. 20; Karl, S. 25; Ambos (2008a), § 7 Rn. 106; Schweisfurth, 3. Kapitel Rn. 39. 56 Triffterer(-Triffterer), Art. 27 Rn. 9; Wirth (2000), S. 71; ders. (2002), S. 882; Gornig, S. 457; Zehnder S. 1; Bosch S. 64.

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Amtsträger für hoheitliches Handeln zur Verantwortung gezogen werden. Daher steht auch ihnen funktionelle bzw. personelle Immunität zu. Der IStGH ist eine von einer Vielzahl von Staaten durch Vertrag geschaffene unabhängige internationale Organisation.57 Es sitzt nicht ein Staat über einen anderen Staat zu Gericht. Zudem bedeutet Immunität De-facto-Straflosigkeit.58 Ihre Berücksichtigung durch den IStGH würde dem Ziel „to end impunity“ für alle Täter zuwiderlaufen.59 Art. 27 IStGH-Statut erklärt dementsprechend beide Formen der Immunität für unbeachtlich.60 Auch wenn dies faktisch die Verteidigungsmöglichkeiten des Beschuldigten beschränkt, greift Art. 27 IStGH-Statut nicht in seine Rechte ein. Die Immunität wird ihm gerade nicht zu seinem persönlichen Vorteil, sondern ausschließlich im Interesse des von ihm repräsentierten Staates gewährt.61 Unproblematisch ist jedenfalls die Irrelevanz der funktionellen Immunität. Diese ist nichts anderes als die auch dem staatlich Bediensteten zugestandene originäre Staatenimmunität. 62 Sie deckt sich mit dieser dem Umfang nach, schützt aber als Reflex der Staatenimmunität 63 den Amtswalter und damit ein anderes Rechtssubjekt.64 Der staatlich Bedienstete kann nicht für hoheitliche, sehr wohl aber für private Akte zur Verantwortung gezogen werden.65 Es ist völkergewohnheitsrechtlich anerkannt, dass die funktionelle Immunität bereits vor nationalen Gerichten keine Anwendung findet, wenn die Begehung der core crimes in Frage steht.66 Dies muss erst recht vor einem internationalen Gericht gelten.67 Die Immunität ratione personae schützt eine bestimmte Person absolut und unabhängig von ihrer Handlungsweise.68 Sie steht jedenfalls dem amtierenden Siehe hierzu auch unten Teil 5 B. V. Arrest Warrant of 11 April 2000 (Democratic Republic of the Kongo v. Belgium), Judgement – Dissenting Opinion of Judge van den Wyngaert, 14. 2. 2002, I.C.J. Reports 2002, 137, 159 Rn. 34 und Dissenting Opinion Of Judge Al-Khasawneh, I.C.J. Reports 2002, 96, 97 Rn. 5; Gaeta (2009), S. 320 f. 59 Kritisch zu diesem teleologischen Argument Gaeta (2009), S. 323. 60 Triffterer(-Triffterer), Art. 27 IStGH-Statut Rn. 26; Gaeta (2002), S. 991; Wirth (2001), S. 452; Uerpmann-Wittzack, S. 39. 61 ICJ Judgement Kongo v. Belgium, o. Fn. 58, Rn. 53; Tangermann, S. 55; Karl, S. 50; Bosch, S. 114; Gaeta (2009), S. 320. 62 Karl, S. 32; Abass (2005), S. 277. 63 Zehnder, S. 33; Bosch, S. 76. 64 Lüke, S. 352; Wirth (2000), S. 72. 65 Bothe, S. 248 ff.; Lüke, S. 176; Wirth (2002), S. 882; Bosch, S. 76; Akande (2004), S. 409. 66 Siehe nur Bothe, S. 248; Herdegen, S. 224; Watts, S. 113; Mohr, S. 411; Folz / Soppe, S. 577; Lüke, S. 273; Kreß (2000), S. 622; ders. (2003a), S. 35; Bungenberg, S. 196; Zappalà (2001), S. 604; Gaeta (2002), S. 990; Hokema, S. 235; Wirth (2002), S. 888; Akande (2003), S. 638; ders. (2004), S. 413; Bosch, S. 131; Dörr, S. 217. 67 Kreß (2003a), S. 39; Uerpmann-Wittzack, S. 35. 68 Wirth (2002), S. 883; Karl, S. 33, Abass (2005), S. 277. 57 58

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Staatsoberhaupt69, wohl auch dem Regierungschef70, nach der Rechtssprechung des IGH sogar dem Außenminister71 zu. Die privilegierten Personen genießen absoluten Schutz vor nationalen Gerichten72 und zwar auch in Bezug auf die völkerrechtlichen Kernverbrechen73. Müsste allerdings auch der IStGH die personelle Immunität anerkennen, so stünde dies im Widerspruch zu den tragenden Grundgedanken des IStGH-Statuts. Könnten Staatsoberhäupter und Regierungschefs – die möglicherweise als Planer, Strategen und oberste Befehlshaber die Hauptverantwortung für die begangenen Verbrechen tragen – nicht zur Rechenschaft gezogen werden, würde die internationale Gerichtsbarkeit erheblich an Glaubwürdigkeit einbüßen.74 Rechtlich begründbar ist die Unbeachtlichkeit auch der Immunität ratione personae jedenfalls für die Amtsträger der Vertragsstaaten. Mit Ratifikation des IStGH-Statuts haben die Staaten auf Immunität für ihre Amtsträger verzichtet.75 Schwieriger ist hingegen die Frage zu beantworten, ob der IStGH sich auch über die personelle Immunität von Drittstaatenangehörigen hinwegsetzen darf.76 Die grundsätzliche Unbeachtlichkeit von Immunitäten ist jedenfalls unabdingbar, soll der IStGH seiner Aufgabe, Straflosigkeit zu beenden, effektiv nachkommen können.

69 ICJ Judgement Kongo v. Belgium, o. Fn. 58, Rn. 51; Bothe, S. 246; Dahm / Delbrück / Wolfrum (2002), S. 253; Watts, S. 54; Folz / Soppe, S. 577; Bank, S. 688; Cassese (2002c), S. 864; Fox, S. 441; Tangermann, S. 207; Weiß, S. 701; Klingenberg, S. 544; Karl, S. 36; Ipsen(-Epping), § 26 Rn. 35; Bosch, S. 73; Stein / von Buttlar, Rn. 723; Bankas, S. 255; Uerpmann-Wittzack, S. 34. 70 ICJ Judgement Kongo v. Belgium, o. Fn. 58, Rn. 51; Fox, S. 423; Cassese (2002c), S. 864; Karl, S. 38; Bankas, S. 255; Uerpmann-Wittzack S. 34; Werle (2007), Rn. 456. Anderer Ansicht Bothe, S. 264; Folz / Soppe S. 577; Lüke, S. 105; Bosch, S. 75. 71 ICJ Judgement Kongo v. Belgium, o. Fn. 58, Rn. 54 – 55. 72 Watts, S. 84; Ambos (1999b), S. 23; Ruffert, S. 185; Zappalà (2001), S. 600; Cassese (2002c), S. 888; Gaeta (2002), S. 989; Tangermann, S. 218; Weiß, S. 702; Wirth (2002), S. 888; Zehnder, S. 158; Kreß (2003a), S. 33; Karl, S. 172; Bosch, S. 132; Stein / von Buttlar, Rn. 727; Werle (2007), Rn. 461. Kritisch ICJ Judgement Kongo v. Belgium, Dissenting Opinion of Judge Al-Khasawneh, o. Fn. 58, Rn. 7. 73 Siehe ICJ Judgement Kongo v. Belgium, o. Fn. 58, Rn. 58; Sands, Rn. 56. Offen gelassen von Gaeta (2002), S. 1001. 74 Siehe auch Prosecutor v. Al Bashir – Decision on the Prosecution’s Application for a Warrant of Arrest against Omar Hassan Al Bashir, PTC I, ICC-02 / 05-01 / 09-3, 4. 3. 2009, Rn. 42 f. 75 Wirth (2001), S. 452; Zimmermann (2002c), S. 47; Kreß (2003a), S. 38; Klingenberg, S. 549. Siehe auch Gaeta (2009), S. 323. 76 Kritisch Wirth (2001), S. 453; König, S. 400; Klingenberg, S. 550; Akande (2004), S. 417. Bejahend Gaeta (2009), S. 325. Die Vorverfahrenskammer I hat dies jedenfalls für Fälle, in denen die Situation vom Sicherheitsrat überwiesen wurde, bejaht, siehe Al Bashir PTC I, ICC-02 / 05-01 / 09-3, o. Fn. 74, Rn. 45.

B. Die anderen Verfahrensbeteiligten

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2. Spezifische Schwierigkeiten für die Verteidigung im internationalen Verfahren Besteht schon im nationalen Verfahren ein Machtgefälle zwischen dem Beschuldigten und dem Ankläger, der auf die ihm vom Staat zur Verfügung gestellten Ressourcen zurückgreifen kann,77 so potenziert sich dies im Verfahren vor dem IStGH. Die Fälle sind ausgesprochen komplex und vielschichtig, da die einzelnen Verbrechen immer vor dem Hintergrund einer gesellschaftlichen Ausnahme- und Krisensituation stattfinden. Zur Tataufklärung sind vielfältige und aufwändige Ermittlungsmaßnahmen erforderlich: von der Exhumierung zahlreicher Massengräber und den anschließenden forensischen Untersuchungen über die Befragung von Tatzeugen, die sich nach einer Flucht in den verschiedensten Ländern befinden können, bis hin zur Einholung und Auswertung von unzähligen offiziellen Berichten der UN oder der involvierten Regierungen.78 Allein im Fall Thomas Lubanga Dyilo verfügte die Anklage bereits vor Beginn der Hauptverhandlungen über ca. 75.000 Seiten Beweismaterial, die sich aus Berichten, Mitschriften von Zeugenaussagen und ähnlichen Dokumenten zusammensetzen.79 Zusätzliche Ermittlungsschwierigkeiten entstehen, wenn die Anklage bereits während eines laufenden Konflikts tätig wird.80 Der Ankläger kann bei seinen Ermittlungen nicht nur auf seinen Stab zurückgreifen. Vielmehr haben sich die Vertragsstaaten81 sowie die EU82 zur Zusammen77 Siehe auch Prosecutor v. Tadic´ – Prosecution Motion for Production of Defence Witness Statements, Seperate Opinion of Judge Vohrah, TC II, IT-94-1, 27. 11. 1996. 78 Triffterer(-Bergsmo / Kruger), Art. 54 IStGH-Statut Rn. 2. Siehe auch Kay / Swart, S. 1423; Informal expert paper, ICC-OTP 2003b, Rn. 8 – 9; Piacente, S. 2; Harmon / Gaynor, S. 406 – 407; Jallow, S. 6 sowie den Ermittlungsbericht im Fourth Annual Report of the International Criminal Tribunal for the Prosecution of Persons Responsible for Serious Violations of International Humanitarian Law Committed in Territory of the Former Yugoslavia vom 7. 8. 1997, UN-Doc A / 52 / 375, S / 1997 / 729, Rn. 62 – 68. 79 Siehe Prosecutor v. Lubanga – Decision Regarding the Timing and Manner of Disclosure and the Date of the Trial, TC I, ICC-01 / 04-01 / 06-1019, 9. 11. 2007, Rn. 2. 80 OTP (2006b), Rn. 3; Philippe Kirsch (2007), S. 545. 81 Art. 86 IStGH-Statut. Die meisten Mitgliedstaaten haben die Zusammenarbeit mit dem IStGH näher ausgestaltet. Siehe beispielsweise: – Australien, act to facilitate compliance by Australia with obligations under the Rome Statute of the International Criminal Court, and for related purpose vom 28. 6. 2002, Nr. 41 / 2002; – Belgien, loi concernant la coopération avec la Cour pénale internationale et les tribunaux pénaux internationaux vom 29. 3. 2004; – Bosnien-Herzegowina, Artt. 414 – 427 Criminal Procedure Code of Bosnia and Herzegovina vom 1. 3. 2003, Official Gazette of Bosnia and Herzegovina, 3 / 03; – Deutschland, Gesetz über die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof vom 21. 6. 2002, BGBl. 2002 I 2144; – Estland, §§ 489, 433 – 488 Code of Criminal Procedure vom 1. 7. 2004, RT I 2003, 27, 166;

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Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

arbeit mit dem IStGH verpflichtet. Der Ankläger kann sie daher um Rechtshilfe ersuchen. Zumindest wenn der Sicherheitsrat nach Art. 13 lit. b) IStGH-Statut die Ermittlungen ausgelöst hat,83 dürfte auch die UN den Ankläger unterstützen. Der – Finnland, Laki Kansainvälisen rikostuomioistuimen Rooman perussäännön lainsäädännön alaan kuuluvien määräysten voimaansaattamisesta ja perussäännön soveltamisesta vom 28. 12. 2000, Nr. 1284 / 2000; – Frankreich, loi relative à la coopération avec la Cour pénale internationale vom 26. 2. 2002, Nr. 2002 – 268, J.O Nr. 49 vom 27. 2. 2002, 3684; – Georgien, Law of Georgia on Cooperation between the International Criminal Court and Georgia vom 14. 8. 2003, Sakartvelos Sakanonmdeblo Macne Nr. 26 Teil I vom 5. 9. 2003; – Kroatien, November 2003 Law on the Application of the Statute of the International Criminal Court, Nr. 01 – 081 – 03 – 3537 / 2; – Niederlande, Rijkswet tot uitvoering van het Statuut van het Internationaal Strafhof met betrekking tot de samenwerking met en bijstand aan het International Strahof en de tenuitvoerlegging van zijn vonnissen (Uitvoeringswet International Strafhof) vom 20. 6. 2002, Staatsblad 2002 Nr. 315; – Norwegen, Lov Om gjennomfrring i norsk rett av Den internasjonale straffedomstols vedtekter 17. juli 1998 (Roma-vedtektene) vom 18. 10. 2001, Avd I 2001 Heft 7; – Peru, Abschnitt 7 Código Procesal Penal, Diario Oficial 2004 Nr. 8804; – Schweden, Severiges sambarbete med Internationella brottmålsdomstolen vom 7. 2. 2002, SFS 2002 / 329; – Schweiz, Loi fédérale sur la coopération avec la Cour pénale internationale vom 22. 6. 2002, feuille fédérale 2001 2748; – Slowakei, Kapitle 7 Prvá Cast’ Všeobecné Ustanovenia vom 24. 5. 2005, Zbierka zákonov 301 / 2005, 2098; – Slowenien, Law on cooperation with the International Criminal Court vom 25. 20. 2002, veröffentlich im slowenisches Gesetzblatt 96 / 02; – Spanien, Ley Orgánica 18 / 2003 de Cooperación con la Corte Penal Internacional vom 10. 12. 2003, BOE 2003 Nr. 296, 44062; – Südafrika, Kapitel 7 Act to provide for a framework to ensure the effective implementation of the Rome Statute of the International Criminal Court in South Africa; to ensure that South Africa conforms with its obligations set out in the Statute; to provide for the crime of genocide, crimes against humanity and war crimes; to provide for the prosecution in South African courts of persons accused of having committed the said crimes in South Africa and beyond the borders of South Africa in certain circumstances; to provide for the arrest of persons accused of having committed the said crimes and their surrender to the said Court in certain circumstances; to provide for cooperation by South Africa with the said Court; and to provide for matters connected therewith vom 12. 7. 2002, Government Gazette 2002 Nr. 23642, 1; – Österreich, Bundesgesetz über die Zusammenarbeit mit dem Internationalen Strafgerichtshof vom 13. 8. 2002, öRGBl. I Nr. 135 / 2002; – Trinidad und Tobago, Kapitel 3 und 4 International Criminal Court Act 2006; – Uruguay, cooperación con la Corte penal Internacional en materia de lucha contra el genocidio, los crimenes de guerra y de lesa humanidad, 4 Oktober / 006 Nr. 27091; – Vereinigte Königreiche, An Act to give effect to the Statute of the International Criminal Court; to provide for offences under the law of England and Wales and Northern Ireland corresponding to offences within the jurisdiction of that Court; and for connected purposes vom 11. 5. 2001, Chapter 17. Schottland hat am 24. 9. 2001 ebenfalls einen International Criminal Court Act, 2001 asp 13 erlassen.

B. Die anderen Verfahrensbeteiligten

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Beschuldigte hingegen verfügt nicht über vergleichbare Möglichkeiten. Er ist dem Ankläger in struktureller Hinsicht deutlich unterlegen.84 Der IStGH ist mit den schlimmsten Verbrechen, die die Menschheit als ganzes betreffen, befasst. Richter und Ankläger werden mit unvorstellbaren Gräueltaten konfrontiert. Dies kann – unterbewusst – das Bedürfnis auslösen, die Taten zu sühnen.85 Das Gericht darf sich davon bei der Bewertung des Verhalten des Angeklagten nicht beeinflussen lassen, darf an diesem kein Exempel statuieren.86 Zudem kann die politische Bedeutung der zu behandelnden Fälle eine Verurteilungstendenz begünstigen. Die Staatengemeinschaft und die internationale Öffentlichkeit erwarten zumindest unterschwellig die Bestrafung bestimmter Täter. Wie glaubhaft wäre das ICTY, wäre die internationale Justiz insgesamt gewesen, wäre Slobodan Milosevic frei gesprochen worden – und sei es nur vom Vorwurf des Völkermordes?87 Die Prozesse werden – vor allem wenn ein ehemaliges Staatsoberhaupt vor Gericht steht – auch in den Medien auf großes Interesse stoßen. Es ist nicht auszuschließen, dass die Richter durch einseitige und vorverurteilende Berichterstattung beeinflusst werden und auf diese Weise die Unschuldsvermutung unterlaufen wird.88 Insgesamt besteht die Gefahr, dass politische und andere sachfremde Erwägungen in das Verfahren vor dem IStGH von Eingang finden. Dies kann die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit des Verfahrens in Frage stellen.89 Auch in rechtlicher Hinsicht stellt ein Verfahren vor dem IStGH die Verteidigung vor besondere Herausforderungen. Ein Prozessrecht, das weltweite Akzeptanz finden soll, kann nicht einseitig ein bestimmtes nationales Konzept adaptie82 Art. 11 des Agreement between the International Criminal Court and the European Union on Cooperatioon and Assistance vom 1. 5. 2006, ICC-ASP / 3 / Res.1. Siehe auch European Parliament resolution of 22 May 2008 on Sudan and the International Criminal Court (ICC). 83 Siehe hierzu unten Teil 5 C. II. 2. 84 Siehe auch Prosecutor v. Lubanga – Request for Access to the Unredacted Versions of the Applications of Applicants [ . . . ] and for an Extension of Time, ICC-01 / 04-01 / 06-328, 14. 8. 2006, Rn. 29 ff.; Triffterer(-Guariglia / Harris / Hochmayr), Art. 57 IStGH-Statut Rn. 17; Harhoff (2001), S. 655; Terrier (2002a), S. 1268; McIntyre, S. 278 – 279; Buisman, S. 218; Stefan Kirsch, S. 640; Kreß / Wannek, S. 250 Fn. 106; Jackson, S. 26. 85 Damaška (2008), S. 334. 86 Siehe Prosecutor v. Lubanga – Defence Response to Request of the Women’s Institute for Gender Justice to Participate as an Amicus Curiae, ICC-01 / 04-01 / 06-442, 19. 9. 2006, Rn. 17; Cryer (2003), S. 420. Siehe auch Prosecutor v. Krstic´, Judgement, TC I, IT-98-33-T, 2. 8. 2001, Rn. 2. „The Trial Chamber cannot permit itself the indulgence of expressing how it feels about what happened in Srebrenica, or even how individuals as well as national and international groups not subject of this case contributed to the tragedy. This defendant, like all others, deserves individualised consideration.“ 87 Siehe auch Gerry Simpson (2006). 88 Kay / Swart, S. 1422; Buisman, S. 235. 89 Siehe auch Lubanga Defence Response, ICC-01 / 04-01 / 06-442, o. Fn. 86, Rn. 10; Kay / Swart, S. 1423; Stefanie Bock (2007a), S. 60 sowie oben Teil 5 B. II. 2.

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Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

ren.90 Bei den Verhandlungen von Rom galt es daher auch, einen Kompromiss zwischen den verschiedenen Rechtssystemen – vor allem dem civil und dem common law – zu finden.91 Ziel war es, ein völkerrechtstaugliches, für alle Beteiligten faires und gleichzeitig effektives Verfahren zu etablieren.92 Auch wenn das Prozessrecht des IStGH im Vergleich zu seinen Vorgängern93 verstärkt Elemente aus dem civil law enthält, so kann es dennoch nicht eindeutig einem Rechtskreis zugeordnet werden. Vielmehr wurden Komponenten aus den unterschiedlichen Systemen zu einem neuartigen Verfahrensrecht sui generis verbunden.94 Dies kann Nachteile für die Verteidigung mit sich bringen. Die Regelungen sind noch unerprobt, ein reibungsloses Zusammenspiel der verschiedenen Rechte und Rechtsbehelfe ist nicht gewährleistet.95 Jedenfalls wird der Beschuldigte mit einem Verfahrensrecht konfrontiert, das ihm – ausgehend von seinem jeweiligen nationalen Recht – fremd und unbekannt ist.96 Weiß der Beschuldigte aber nicht, welche Verteidigungsmöglichkeiten ihm zustehen und wie diese im Prozess am effektivsten eingesetzt werden können, nützen ihm die zugestandenen Rechte nichts. 90 The High Commissioner’s Position Paper on the Establishment of a Permanent International Criminal Court, Geneva 15 June 1998, Rn. 58; Lagodny, S. 801; Orie, S. 1442. Siehe auch Fernández de Gurmendi (2001b), S. 251; dies. (1999a), S. 220; Nice, S. 384 sowie Rwelamira, S. 165 bezüglich der Besetzung der Richterposten. 91 Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1119, o. Fn. 7, Rn. 85; Situation in the DRC – Prosecutor’s Position on Pre-Trial Chamber I’s 17 February 2005 Decision to Convene a Status Conference, ICC-01 / 04-12-Anx, 8. 5. 2005, Rn. 3; Ellis, S. 524; Fernández de Gurmendi (1999a), S. 220 – 224; Brady (2001c), S. 261; Bitti, S. 273; Harhoff (2001), S. 650; Friman (2001b), S. 192; Lewis (2001a), S. 219; Lagodny, S. 801; Tochilovsky (2001), S. 629; Buisman, S. 169; Damaška (2004), S. 1033; Hunt, S. 68; Stahn (2004), S. 171. 92 Ambos (2008a), § 8 Rn. 49. 93 Das Verfahrensrecht der Ad-hoc-Tribunale war zumindest in seiner Urspungsfassung stark common law orientiert. Siehe Fernández de Gurmendi (1999a), S. 221; Ambos (1998e), S. 1447; Lagodny, S. 809; Nice, S. 384; Tochilovsky (2001), S. 642 Buisman, S. 233; Orie, S. 1492; Terrier (2002a), S. 1265; Friman (2003), S. 380; Stefan Kirsch, S. 638; Meron (2004), S. 522; Stahn (2004), S. 171; Damaška (2005), S. 5; Kreß / Wannek, S. 236; Nemitz, S. 53; Schomburg, S. 14; Sluiter (2005), S. 10; Eser (2007), S. 168; McMorrow, S. 140; Nerlich, S. 55. 94 Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1119, o. Fn. 7, Rn. 85; Prosecutor v. Katanga & Ngudjolo – Corrigendum to the Decision on Evidentiary Scope of the Confirmation Hearing, Preventive Relocation and Disclosure under Article 67(2) of the Statute and Rule 77 of the Rules, PTC I, ICC-01 / 04-01 / 07-428-Corr, 15. 4. 2008, Rn. 29; Dobelle, S. 362; Tochilovsky (1999), S. 344; ders. (2001), S. 629; de Hert, S. 126; Kreß (2003b), S. 605; Stahn (2004), S. 171; Damaška (2004), S. 1033; Harhoff (2001), S. 650; Pizzi, S. 2; Ambos (2008a), § 8 Rn. 49; Bassiouni (2008d), S. 582. Siehe auch Friman (2001b), S. 192; Orie, S. 1493; Terrier (2002a), S. 1271. Schon für das Verfahrensrecht des ICTY Prosecutor v. Delalic´ et al. – Desicion on the Motion on Presentation of Evidence by the Accused, Esad Lanzo, TC II, IT-96-21, 1. 5. 1997, Rn. 15; Roggemann (1998b), S. 19; Brady (1999), S. 283; Scharf (1999), S. 644; Mundis, S. 368; Kavran, S. 162; Bassin, S. 1772; Wald (2006), S. 5; McMorrow, S. 140; Stehle, S. 231; Guhr (2008b), S. 112. 95 Buisman, S. 234; Hunt, S. 68; Harhoff (2001), S. 650. Siehe auch Bitti, S. 277; Stefan Kirsch, S. 638; Schomburg, S. 14. 96 Tochilovsky (2001), S. 641.

B. Die anderen Verfahrensbeteiligten

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Zur rechtlichen Unsicherheit können Sprach- und Verständigungsprobleme treten. Die Amtssprachen des Gerichtshofs sind gemäß Art. 50 Abs. 1 S. 1 IStGHStatut Arabisch, Chinesisch, Englisch, Französisch, Russisch und Spanisch. In diese Sprachen werden alle Urteile und sonstigen wesentlichen Entscheidungen übersetzt. Arbeitssprachen und damit die Sprachen, die während der Verhandlungen gesprochen werden und in denen Mitschriften verfügbar sind,97 sind hingegen nur Englisch und Französisch.98 Beherrscht der Beschuldigte diese nicht verhandlungssicher, so ist er auf einen Dolmetscher angewiesen und von diesem abhängig. Übersetzungen bergen aber die Gefahr, dass das Gesprochene falsch, unvollständig, verzerrt oder auf sonstige Weise verändert wiedergegeben wird.99 3. Absicherung der Beschuldigtenstellung Das Verfahrensrecht des IStGH sucht an vielen Stellen, die Stellung der Verteidigung zu stärken und einen Ausgleich für die einem internationalen Strafverfahren inhärenten Belastungen zu schaffen. Dies wird zum Teil unter dem Stichwort der Waffengleichheit, der equality of arms, diskutiert.100 Der Anklage und der Verteidigung müssen hiernach gleiche oder zumindest in der Effektivität gleichwertige Befugnisse bei der Verfolgung und Durchsetzung ihrer Interessen zukommen.101 Der Grundsatz der Waffengleichheit entstammt dem common law mit seinem adversatorischen Verfahren.102 Dieses wird von den Parteien – dem Ankläger sowie dem Beschuldigten und seinem Anwalt – dominiert,103 die vor dem Gericht einen Kampf, einen contest, austragen104. Der Ankläger des IStGH ist aber nicht Partei, 97 Siehe Prosecutor v. Lubanga – Decision on defence’s request to obtain simultaneous French transcripts, TC I, ICC-01 / 04-01 / 06-1091, 14. 12. 2007. 98 Art. 50 Abs. 2 IStGH-Statut. Die Kammer kann allerdings im Einzelfall eine andere Amtssprache als Gerichtssprache zulassen, Art. 50 Abs. 3 IStGH-Statut. 99 Siehe zur Aussageverfälschung durch den Dolmetscher vertiefend unten Teil 5 D. V. 3. 100 Siehe Prosecutor v. Lubanga – Decision of the Appeals Chamber on the Joint Application of Victims [ . . . ] concerning the „Directions and Decision of the Appeals Chamber“ of 2 February 2007, Separate Opinion of Judge Georghious M. Pikis, AC, ICC-01 / 04-01 / 06-925, 13. 6. 2007, Rn. 19; Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1091, o. Fn. 97, Rn. 18; Prosecutor v. Lubanga – Requête de la Défense sollicitant l’autorisation d’interjeter appel de la „Decision on Victims’ Participation“ rendue le 18 janvier 2008, ICC-01 / 04-01 / 06-1135, 28. 1. 2008, Rn. 34; Triffterer(-Guariglia / Harris / Hochmayr), Art. 57 IStGH-Statut Rn. 18; Harhoff (2001), S. 655; Fourmy, S. 1225; Terrier (2002a), S. 1268; ders. (2002b), S. 1291; Buisman, S. 217; Kavran, S. 130; Stefan Kirsch, S. 640. 101 Tadic´ TC Decision, Seperate Opinion of Judge Vohrah, o. Fn. 77; Jasper v. the United Kingdom, no. 27052 / 95, § 52 ECHR 2000; Buisman, S. 217; Kavran, S. 130; McIntyre, S. 271; LR(-Grollwitzer), Art. 6 MRK / Art. 14 IPBRP Rn. 59. Siehe auch Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1091, o. Fn. 97, Rn. 18. 102 Orie, S. 1443; Buisman, S. 169; Stefan Kirsch, S. 640. Siehe auch Terrier (2002b), S. 1291; LR(-Grollwitzer), Art. 6 MRK / Art. 14 IPBRP Rn. 59. 103 Mundis, S. 369; Combs (2002), S. 17; Orie, S. 1445; Buisman, S. 169; Kreß / Wannek, S. 247; Eser (2007), S. 167.

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Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

sondern ein der Wahrheit verpflichtetes objektives Organ der Rechtspflege. Er muss auch zu Gunsten des Beschuldigten tätig werden. Die dem common law eigene Kampfsituation besteht nicht. Daher ist auch der Begriff der Waffengleichheit nicht ganz treffend.105 Passender erscheint der Oberbegriff106 des fair trial. Diesen verwenden beispielsweise die Artt. 67 Abs. 1 IStGH-Statut; 14 Abs. 1 S. 2 IPbpR. Der fair trial-Grundsatz verlangt eine die Interessen des Beschuldigten wahrende Verfahrensgestaltung.107

a) Objektivität des Anklägers Die Verpflichtung des Anklägers auf die Wahrheit dient dem Schutz des Beschuldigten. Es darf sich nicht zu seinen Lasten auswirken, dass der Ankläger mehr Möglichkeiten hat, an Beweismaterial zu gelangen.108 Dieser darf sich nicht nur auf die belastenden Momente konzentrieren und die Ermittlung entlastender Beweise der ihm strukturell unterlegenen Verteidigung überlassen. b) Freie Wahl eines Verteidigers Elementar für ein faires Verfahren ist das Recht des Angeklagten, sich durch einen Verteidiger seiner Wahl vertreten zu lassen.109 Dieses ist in Art. 67 Abs. 1 lit. d) IStGH-Statut festgeschrieben. Zudem wird das Gericht ermächtigt, dem Beschuldigten einen Verteidiger beizuordnen, sofern dies im Interesse der Rechtspflege erforderlich ist. Etabliert wird damit ein Institut, das mit der deutschen notwendigen Verteidigung vergleichbar ist.110 Wegen der hohen rechtlichen und tat104 Barbara Huber, S. 18; Tochilovsky (1999), S. 346; ders. (2001), S. 629; Combs (2002), S. 17. Siehe auch Damaška (2005), S. 5. 105 Siehe auch Prosecutor v. Tadic´, Judgement, AC, IT-94-1-A, 15. 7. 1999, Rn. 52 sowie Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1091, o. Fn. 97, Rn. 19 „. . . it will be impossible to create a situation of absolute equality of arms.“ 106 Tadic´ TC Decision, Seperate Opinion of Judge Vohrah, o. Fn. 77; Triffterer(-Schabas), Art. 67 IStGH-Statut Rn. 15; Buisman, S. 179; LR(-Grollwitzer), Art. 6 MRK / Art. 14 IPBRP Rn. 64b. 107 Prosecutor v. Lubanga – Prosecution’s Response to Thomas Lubanga Dyilo’s „Request for Leave to Appeal the Décision sur les demandes de participation à la procedure a / 001 / 06, a / 0002 / 06, et a / 0003 / 06 dans le cadre de l’affaire Le Procureur v. Thomas Lubanga et de l’enqêute en République Démocratique du Congo, ICC-01 / 04-01 / 06-331, 14. 8. 2006, Rn. 13; LR(-Grollwitzer), Art. 6 MRK / Art. 14 IPBRP Rn. 64. Siehe auch DRC Observations of Legal Representative, ICC-01 / 04-105, o. Fn. 46, Rn. 18. 108 Triffterer(-Bergsmo / Kruger), Art. 54 IStGH-Statut Rn. 2; Jackson, S. 27. 109 Das Recht auf einen Anwalt ist beispielsweise in den Verfassungstraditionen sämtlicher Mitgliedstaaten der EU fest verwurzelt, siehe EuGH 28. 3. 2000 – Rs. C-7 / 98, Slg. 2000, I-1935, I-1969 Rn. 40 – Dieter Krombach v. André Bamberski. 110 §§ 140; 141 StPO. Siehe auch Gallant / Stefan Kirsch, S. 469, die darauf hinweisen, dass nach der Praxis der Ad-hoc-Tribunale die Beiordnung eines Verteidigers auch

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sächlichen Komplexität der Fälle, die vor dem IStGH verhandelt werden, wird eine professionelle Verteidigung nahezu immer erforderlich sein.111 Befindet sich das Verfahren noch im Ermittlungsstadium, richtet sich der Verdacht des Anklägers also noch nicht gegen konkrete Personen, kann die Vorverfahrenskammer einen Ad-hoc-Counsel for the Defence benennen.112 Dieser wird im Interesse aller Personen tätig, die im weiteren Verlauf als Beschuldigte identifiziert werden.113 Mittelweile erfüllt das Office for Public Counsel for the Defence, eine Unterabteilung der Kanzlei,114 überwiegend diese Funktion.115 Die Erfahrung der Ad-hoc-Tribunale hat allerdings gezeigt, dass in Ausnahmefällen die Angeklagten auf ihr Recht, sich selbst zu verteidigen, bestehen. So haben sich Jean-Paul Akayesu116, Slobodan Milosevic117 und Charles Taylor118 geweigert, mit einem Rechtsbeistand zusammenzuarbeiten. Verzichtet das Gericht in solchen Fällen auf die Beiordnung eines Verteidigers – beispielsweise weil es das Recht des Beschuldigten, sich selbst zu verteidigen, wahren will119 – muss es auf

möglich ist, wenn der Angeklagte sich selbst verteigen will und auf einen Rechtsbeistand verzichtet. 111 Triffterer(-Schabas), Art. 67 IStGH-Statut Rn. 33. Siehe auch Pizzi, S. 3. Zurückhaltender Gallant / Stefan Kirsch, S. 449. 112 Art. 56 Abs. 2 lit. d) IStGH-Statut. Siehe beispielsweise Situation in the DRC – Decision on the Prosecutor’s Request for Measures under Article 56, PTC I, ICC-01 / 04-21, 26. 4. 2005, 4; Situation in Darfur, Sudan – Decision inviting observations in application of Rule 103 of the Rules of Procedure and Evidence, PTC I, ICC-02 / 05-9, 24. 7. 2006, S. 6; Prosecutor v. Kony et al. – Decision on legal representation, appointment of counsel for the defence, protective measures and time-limit for submission of observations on applications of participation [ . . . ], PTC II, ICC-01 / 04-01 / 05-134, 1. 2. 2007, Rn. 15; Situation in the DRC – Appointment of Mr. Tjarda Van der Spoel as ad hoc counsel for the defence pursuant to the decision of the Pre-Trial Chamber I dated 26 April 2005, ICC-01 / 04-76, 1. 8. 2005; Situation in Darfur, Sudan – Decision of the Registrar Appointing Mr. Hadi Shalluf as ad hoc Counsel for the Defence, ICC-02 / 05-12, 25. 8. 2006. 113 Kreß (2003b), S. 608. Siehe auch Kony et al. PTC, ICC-01 / 04-01 / 05-134, o. Fn. 112 Rn. 15. 114 Siehe zur Kanzlei auch unten Teil 5 A. IV. 115 DRC PTC, ICC-01 / 04-374, o. Fn. 16, Rn. 21. 116 Siehe Prosecutor v. Akayesu – Decision Concerning a Replacement of an Assigned Defence Counsel and Postponement of the Trial, TC I, ICTR-96-4-T, 31. 10. 1996; Prosecutor v. Akayesu – Decision on the Request of the Accused for the Replacement of an Assigned Counsel, TC I, ICTR-96-4-T, 20. 11. 1996. 117 Siehe Prosecutor v. Milosevic, IT-02-54, Transkript vom 3. 7. 2001, S. 2. 118 Prosecutor v. Taylor, SCSL-2003-01-T, Transkript vom 4. 6. 2007, S. 10. 119 So Prosecutor v. Milosevic, IT-02-54, Transkript vom 30. 8. 2001, S. 18. Später wurde Milosevic allerdings doch ein Verteidiger beigeordnet. Der Gesundheitszustand des Angeklagten hatte sich soweit verschlechtert, dass er zu einer effektiven Selbstverteidigung nicht mehr in der Lage war. Ein faires Verfahren konnte daher nur noch bei Hinzuziehung eines Verteidigers gewährleistet werden. Die Kammer entschied, dass das Recht auf Selbstverteidigung in diesem Fall zurückstehen müsse, Prosecutor v. Milosevic – Reasons for Decision on

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andere Weise sicherstellen, dass das Fairnessgebot gewahrt bleibt. Zum Schutz des Beschuldigten kann das Gericht einen amicus curiae benennen.120 Seine Aufgabe ist es aber nicht, den Angeklagten im Prozess zu vertreten. Er wird vielmehr unterstützend für das Gericht tätig, indem er darauf achtet, dass die Rechte des Beschuldigten gewahrt werden, sich zur Beweisaufnahme äußert und insbesondere auf entlastende Momente hinweist.121 Eine der wichtigsten Aufgaben des Verteidigers ist es, die rechtliche Unerfahrenheit und Unkenntnis des Beschuldigten auszugleichen und diesen in die Lage zu versetzen, seine Rechte umfassend und prozesstaktisch sinnvoll wahrzunehmen. Allerdings müssen auch Juristen, die durch ihr jeweiliges nationales Recht geprägt sind, sich erst in das eigenständige Verfahrensrecht des IStGH einarbeiten.122 Vor dem IStGH zugelassen sind daher nur Verteidiger, die die in Rule 22 aufgestellten Kriterien erfüllen. Der Verteidiger muss nicht nur über fundierte Rechtskenntnisse verfügen, sondern auch zumindest eine der beiden Arbeitssprachen fließend beherrschen. Dadurch wird zwar das Recht auf freie Wahl des Verteidigers beschränkt. Dies ist allerdings notwendig, um eine kompetente und damit effiziente Verteidigung zu gewährleisten. Die Kanzlei führt eine Liste über die am IStGH zugelassenen Verteidiger.123 Aus diesen kann sich der Beschuldigte dann einen Rechtsbeistand auswählen, der seinen Wünschen und Bedürfnissen entspricht. Der Verteidiger ist einseitiger Interessenvertreter des Angeklagten. Seine Aufgabe ist es primär, seinen Mandanten bestmöglich zu verteidigen, nicht aber, Gericht und Ankläger bei der Wahrheitsfindung zu unterstützen. Der CPCC124 legt dem Verteidiger aber auch Pflichten gegenüber dem Gerichtshof auf. Nicht jede dem Mandanten nützliche Handlung ist dem Anwalt gestattet. Art. 25 Abs. 1 CPCC verpflichtet den Verteidiger, das Ansehen und die Unvoreingenommenheit des Gerichtshofs zu achten und diesen nicht in Misskredit zu bringen. Eine genauere Ausgestaltung folgt in den weiteren Absätzen. So darf der Verteidiger beispielsweise den Gerichtshof nicht wissentlich fehlleiten.125 Er darf insbesondere keine Beweise präsentieren, von denen er weiß, dass sie falsch sind.126 Art. 24 Assignment of Defence Counsel, TC II, IT-02-54, 22. 9. 2004, Rn. 34 mit Anmerkung Damaška (2005), S. 3; Sluiter (2005), S. 9; Joanne Williams, S. 553. 120 Rule 103 Abs. 1. Von dieser Möglichkeit hat das ICTY im Verfahren gegen Slobodan Milosevic Gebrauch gemacht, Prosecutor v. Milosevic – Order Inviting Designation of Amicus Curiae, TC II, IT-02-54, 22. 9. 2004. 121 Milosevic TC Order, o. Fn. 120. Siehe auch Schabas (2007), S. 290. 122 Hunt, S. 68; Tochilovsky (2001), S. 642. Siehe schon für die Ad-hoc-Tribunale Wäspi, S. 2450; Nice, S. 390; McMorrow, S. 148. 123 Rule 21 i. V. m. Regulation 122 der Regulations of the Registry. Die Liste kann unter http: //www.icc-cpi.int/Menus/ICC/Structure+of+the+Court/Defence/Counsel/abgerufen werden. 124 Code of Professional Conduct for Counsel vom 2. 12. 2005, ICC-ASP / 4 / Res. 1. 125 Art. 24 Abs. 3 S. 1 CPCC. 126 Art. 25 Abs. 1 S. 2 CPCC.

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Abs. 4 legt der Verteidigung Rücksichtnahmepflichten auf. Anträge, die nur zum Ziel haben, einen Verfahrensbeteiligten zu schädigen, dürfen nicht gesellt werden. Der Verteidiger soll ferner unnötige Verfahrensverzögerungen vermeiden.127 Verhindert werden sollen Anträge, die offensichtlich unbegründet sind und nur darauf zielen, das Verfahren in die Länge zu ziehen. Hält sich der Verteidiger nicht an diese Vorgaben, so kann er sich unter Umstände einer Straftat gegen die Rechtspflege nach Art. 70 IStGH-Statut schuldig machen.128 Präzedenzfälle lassen sich in der Praxis der Ad-hoc-Tribunale finden. So hat das ICTY Milan Vujin, den ehemaligen Verteidiger von Dusko Tadic´, wegen Missachtung des Gerichts zu einer Geldstrafe von 15.000 Gulden verurteilt, weil er einen falschen Sachverhalt vorgetragen, Zeugen beeinflusst und zur Falschaussage angehalten hat.129 Der Verteidiger wird durch die ihm im CPCC auferlegten Pflichten zwar nicht zum objektiven Organ der Rechtspflege. Das zulässige Verteidigerhandeln wird aber insoweit begrenzt, als der Verteidiger das Gericht nicht wissentlich irreführen darf, die Wahrheitsfindung also nicht aktiv verhindern darf. Innerhalb dieser Grenzen hat der Verteidiger aber ausschließlich die Interessen seines Mandanten wahrzunehmen.

c) Offenlegung von Beweisen Die Zurverfügungstellung eines rechtlichen Beistandes ändert nichts daran, dass die Verteidigung der Anklage in der Beschaffung von Beweismaterial unterlegen ist. Informationen über Tatumstände, be- und entlastendes Beweismaterial sind für die Vorbereitung einer angemessenen Verteidigung elementar und unabdingbar.130 Das civil law billigt der Verteidigung daher regelmäßig das Recht zu, die Akten der Staatsanwaltschaft einzusehen.131 Den meisten common law geprägten Länder ist ein solches Akteneinsichtsrecht hingegen fremd. Diese gewährleisten die Verfahrensfairness, zu deren elementaren Grundbedingungen es gehört, dass die Anklage die Verteidigung über das ihr vorliegende Beweismaterial informiert, durch ein komplexes System wechselseitiger Offenlegungspflichten,132 das sogenannte Art. 24 Abs. 5 CPCC. Triffterer(-Triffterer), Art. 71 IStGH-Statut Rn. 14. 129 Prosecutor v. Tadic´ – Judgement on Allegations of Contempt against Prior Counsel, Milan Vujin, AC, IT-94-1-A-R77, 31. 1. 2000. 130 Siehe auch Prosecutor v. Lubanga – Decision on the Final System of Disclosure and the Establishment of a Timetable, PTC I, ICC-01 / 04-01 / 06-102, 15. 5. 2006, 4 – 5. Zu den Erfahrungen vor dem ICTY Stefan Kirsch, S. 639. 131 Orie, S. 1449; Möller (2005), S. 35; Ambos (2008a), § 8 Rn. 26. Siehe auch Prosecutor v. Lubanga – Observations of the Defence relating to the system of disclosure in view of the Confirmation Hearing, PTC I, ICC-01 / 04-01 / 06-92, 2. 5. 2006, Punkt 3 a). Siehe beispielsweise für Deutschland § 147 StPO. 132 Siehe nur Lubanga Observations of the Defence, ICC-01 / 04-01 / 06-92, o. Fn. 131, Punkt 1.1; Jasper v. the United Kingdom, ECHR Judgement, 27052 / 95, 16. 1. 2000, Rn. 51; 127 128

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disclosure. Diesem Ansatz folgt das Verfahrensrecht des IStGH. Das IStGH-Statut selbst verlangt in Art. 67 Abs. 2 vom Ankläger, die Verteidigung so bald wie möglich von entlastendem Beweismaterial in Kenntnis zu setzen. Diese Offenlegungspflicht wird durch die Rules erheblich ausgedehnt. So muss der Ankläger die Verteidigung grundsätzlich über alle Zeugen informieren, auf deren Aussage er die Anklage stützen will.133 Ähnliches gilt für die übrigen Beweismittel, auf die der Ankläger Zugriff hat.134 Im Gegenzug etablieren die Rules 78; 79 auch – allerdings im Umfang sehr begrenzte – Offenlegungspflichten für die Verteidigung. Durch die Rules ist jedenfalls grundsätzlich gewährleistet, dass die Verteidigung über die Beweise informiert wird, über die der Ankläger verfügt und so in die Lage versetzt wird, eine effiziente Verteidigungsstrategie zu entwickeln. Eine umfassende Offenlegungspflicht des Anklägers kollidiert allerdings mit dem Interesse der (Opfer-) Zeugen an der Geheimhaltung ihrer Identität. Auf diese Problematik wird im Rahmen des Opfer- und Zeugenschutzes näher eingegangen.135

d) Unterstützung der Verteidigung durch Vorverfahrenskammer und Kanzlei Auch wenn der Ankläger die ihm vorliegenden Beweise der Verteidigung in großem Umfange offen legen muss, bleibt die Verteidigung hinsichtlich der Beweisbeschaffung von ihm abhängig.136 Die Ermittlungen des Anklägers entziehen sich aber der Kontrolle durch den Beschuldigten. Er kann nicht überprüfen, ob der Ankläger seiner Objektivitätsverpflichtung nachkommt, ob entlastenden Momenten hinreichend Aufmerksamkeit geschenkt wird. Dies gilt umso mehr, wenn der Beschuldigte bereits an den Gerichtshof überstellt wurde, sich also in Den Haag und damit weit entfernt vom Tatort befindet.137 Zudem dürfte die Idealvorstellung des Art. 54 Abs. 1 IStGH-Statut in der Praxis kaum erreichbar sein. Die Interessen von Verteidigung und Strafverfolgung sind zu unterschiedlich. Im Zuge seiner Ermittlungen wird sich der Ankläger nahezu zwangsläufig mehr auf belastendes Beweismaterial konzentrieren.138 Elementar für eine effektive und vom Ankläger unabhängige Verteidigung ist es daher, dass der Beschuldigte selbst Ermittlungen vor Ort durchführen lässt.139 Edwards and Lewis v. the United Kingdom, ECHR Judgement, 39647 / 98 und 40461 / 98, 22. 7. 2003, Rn. 52. 133 Rule 76. 134 Rule 77. 135 Siehe unten Teil 5 E. IX. 3. d). 136 McIntyre, S. 281. 137 Siehe auch Stefanie Bock (2007a), S. 60. 138 Kay / Swart, S. 1425; Ambos (2008a), § 8 Rn. 26. Siehe auch Rieß, S. 195; Dahs (1983), Rn. 4; Marczak, S. 88; SK(-Wohlers), § 160 StPO Rn. 14; Heghmanns, S. 442 – 443.

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Zu diesem Zweck stellt Art. 57 Abs. 3 lit. b) IStGH-Statut die Rechtshilfevorschriften auch in den Dienst der Verteidigung. Die Vorverfahrenskammer hat die Kompetenz, auf einen entsprechenden Antrag hin die Mitgliedstaaten zur Vornahme einer von der Verteidigung gewünschten Rechtshilfemaßnahme zu verpflichten. Dies ist eine wichtige Maßnahme, die Ermittlungsmöglichkeiten von Ankläger und Verteidigung anzugleichen.140 Bevor die Vorverfahrenskammer allerdings über einen Rechtshilfeantrag der Verteidigung entscheidet, kann sie nach Rule 116 Abs. 2 den Ankläger anhören. Legt dieser aber dar, dass er entlastenden Hinweisen hinreichend Aufmerksamkeit schenkt, könnte die Vorverfahrenskammer geneigt sein, den Antrag abschlägig zu entscheiden – schon um die Mitgliedstaaten nicht durch ein weiteres Rechtshilfeersuchen zu belasten.141 Diese Gefahr dürfte umso größer sein, wenn die Richter durch das civil law geprägt und ihnen daher eigenständige Ermittlungen der Verteidigung eher fremd sind. Es bleibt abzuwarten, welche praktische Relevanz Art. 57 Abs. 3 lit. b) IStGH-Statut für die Verteidigung zukommen wird. Ermittlungen vor Ort sind mit einem erheblichen logistischen und organisatorischen Aufwand verbunden. Sie sind zudem äußerst kostenintensiv.142 An dieser Stelle erfährt die Verteidigung Unterstützung durch die Kanzlei. So führt diese beispielsweise eine Liste von professionellen Ermittlern und Assistenten, die sich auf verschiedene Rechtsgebiete spezialisiert haben.143 Aus dieser kann sich der Verteidiger ein Team zusammenstellen.144 Die Kanzlei unterstützt den Verteidiger und sein Team zudem bei Reisen, die zur Vorbereitung des Prozesses notwendig sind.145 Die Verteidigung kann also bei der Organisation von eigenen Ermittlungen auf die Ressourcen, die Logistik und die Erfahrung der Kanzlei zurückgreifen. Verfügt ein Angeklagter nicht über die für eine effektive Verteidigung notwendigen finanziellen Mittel, übernimmt der Gerichtshof nach Maßgabe der Regulations 130 – 135 der Regulations of the Registry die Kosten. Um das strukturelle Ungleichgewicht zwischen Anklage und Verteidigung weiter zu kompensieren, hat die Kanzlei eine Unterabteilung – die Defence Support Section – ins Leben gerufen. Ihre Aufgabe ist es, ein Unterstützungssystem zu entwickeln, dass den Beschuldigten in die Lage versetzt, seine Rechte effektiv wahr139 Siehe auch Kay / Swart, S. 1423; Harhoff (2001), S. 655. Für die Verfahren vor dem ICTY Ellis, S. 533; Stefan Kirsch, S. 639; Peter Robinson, S. 121 – 123. 140 Triffterer(-Guariglia / Harris / Hochmayr), Art. 57 IStGH-Statut Rn. 18; Kreß / Wannek, S. 250. Siehe auch Friman (2001a), S. 510. 141 Siehe auch Kreß (2003b), S. 609; Kreß / Wannek, S. 250. 142 Siehe Stefan Kirsch, S. 639. 143 Regulations 125; 137 der Regulations of the Registry. Die Liste kann unter http: // www.icc-cpi.int/library/organs/registry/ICC-Experts-List_English.pdf abgerufen werden. 144 Regulation 127 der Regulations of the Registry. Siehe als Beispiel das Verteidigungsteam im Fall Prosecutor v. Charles Ghankay Taylor, SCSL-2003-01-T, Transkript vom 4. 6. 2007, S. 17. 145 Regulation 119 Abs. 1 lit. a) der Regulations of the Registry.

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zunehmen.146 Weitere Pflichten der Kanzlei gegenüber der Verteidigung sind in den Rules 20 – 22 festgelegt. Sie steht beispielsweise gemäß Rule 20 Abs. 1 lit. b) dem Verteidiger unterstützend zur Seite und stellt diesem die notwendigen Informationen zur Verfügung. Zu diesem Zweck wurde, basierend auf Regulation 77 Regulations of the Court, das Office of Public Counsel for the Defence147 eingerichtet. Dieses sorgt vor allem während der einleitenden Verfahrensschritte dafür, dass die Rechte des Beschuldigten gewahrt werden.148 Im gesamten Verfahren steht das Büro zudem dem Beschuldigten und seinem Anwalt beratend und unterstützende zur Seite.149 Das Büro ist vollständig unabhängig,150 seine Mitglieder sind – soweit sie für die Verteidigung tätig sind – nicht den Weisungen des Kanzlers unterworfen.151 Bei Bedarf können sie als Pflichtverteidiger tätig werden. Die Unterstützung des Beschuldigten ist eine wesentliche Aufgabe der Kanzlei. Die Ressourcen des IStGH werden auch in den Dienst der Verteidigung gestellt. Dies ist ein wesentlicher Schritt zum Ausgleich des strukturellen Ungleichgewichts zwischen Verteidigung und Anklage. Die Verteidigung wird allerdings bei Ermittlungen vor Ort regelmäßig eine deutlich geringere Unterstützung durch die lokalen Behörden finden als der Ankläger.152 Daher behält die Neutralitätsverpflichtung ihre Berechtigung. Nur ein Zusammenspiel der objektiven Nachforschungen des Anklägers mit den einseitigen der Verteidigung kann gewährleisten, dass entlastendes Beweismaterial umfassend ermittelt wird.

e) Schutz vor einer Politisierung des Prozesses Elementar für die Verhinderung einer Politisierung des Prozesses ist die Unabhängigkeit von Ankläger153 und Richter154. Im Übrigen sieht das Verfahrensrecht des IStGH an verschiedenen Stellen ein komplexes System der checks and balances zwischen juristischen und politischen Gremien vor. Auf ihre Bedeutung auch für die Verteidigung wird im jeweiligen Zusammenhang eingegangen.

Siehe ICC Newsletter Nr. 1, August 2004, 4. Kritisch wegen des Fehlens einer unabhängigen Defence Unit Buisman, S. 234. Ursprünglich bestehende Lücken dürften aber durch die in den Regulations of the Registry 2006 erweiterten Aufgaben der Kanzlei inzwischen geschlossen sein. 148 Regulation 77 Abs. 4 der Regulations of the Court. 149 Regulation 77 Abs. 5 der Regulations of the Court. 150 Regulation 77 Abs. 2 der Regulations of the Court. 151 Regulation 144 der Regulations of the Registry. 152 Ellis, S. 533 – 534; Triffterer(-Bergsmo / Kruger), Art. 54 IStGH-Statut Rn. 2; Triffterer(-Guariglia / Harris / Hochmayr), Art. 57 IStGH-Statut Rn. 17; Harhoff (2001), S. 655; Stefan Kirsch, S. 639. 153 Siehe oben Teil 5 B. I. 154 Art. 40 Abs. 1 IStGH-Statut. 146 147

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4. Zusammenfassung Die Opfer werden im Verfahren vor dem IStGH mit einer starken Verteidigung konfrontiert. Die Stellung des Beschuldigten ist verfahrens- und materiellrechtlich umfassend abgesichert. Bestehenden faktischen Beschränkungen und Behinderungen wird durch verschiedene Ausgleichsmechanismen entgegengewirkt. Von besonderer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang die Unterstützung der Verteidigung durch die Kanzlei.

III. Das Gericht Das zweite Organ des Gerichtshofs setzt sich zusammen aus der Vorverfahrensabteilung, der Hauptverfahrensabteilung und der Berufungsabteilung.155 Diese sind wiederum in verschiedenen Kammern gegliedert,156 die aus fünf oder drei Richtern bestehen.157 Sowohl in fachlicher als auch in persönlicher Hinsicht stellt Art. 36 Abs. 3 IStGH-Statut hohe Anforderungen an die Richter. Art. 40 Abs. 1 IStGH-Statut garantiert ihnen vollständige Unabhängigkeit in der Ausübung ihrer Aufgaben. Dementsprechend ist es ihnen untersagt, anderen beruflichen Tätigkeiten nachzugehen.158 Zudem haben die Richter ihr Amt unparteiisch auszuüben. Bestehen berechtigte Zweifel an der Unparteilichkeit eines Richters, so darf dieser gemäß Art. 41 Abs. 2 lit. a) S. 1 IStGH-Statut nicht an dem Verfahren teilnehmen. Befangenheitsanträge, die auf den Ausschluss eines Richters zielen, können nach Maßgabe des Art. 41 Abs. 2 lit. b) IStGH-Statut vom Ankläger oder vom Beschuldigten gestellt werden.159

IV. Die Kanzlei Die Kanzlei ist als viertes Organ des Gerichtshofs für die nichtjuristischen Aspekte der Verwaltung und Betreuung des Gerichtshofs zuständig.160 Zusätzlich fungiert sie als Kommunikationskanal für das Gericht und ist ferner für die Aufrechterhaltung der Sicherheit zuständig.161 Ihr obliegen zudem besondere Pflichten Art. 34 lit. b) IStGH-Statut. Art. 39 Abs. 2 lit. a) IStGH-Statut. 157 Art. 39 Abs. 2 lit. b) IStGH-Statut. Die Aufgaben der Vorverfahrenskammer können unter bestimmten Voraussetzungen allerdings auch von einem Einzelrichter wahrgenommen werden. 158 Art. 40 Abs. 3 IStGH-Statut. 159 Siehe zum Recht der Opfer, Befangenheitsanträge zu stellen, unten Teil 5 E. VI. 1. 160 Artt. 34 lit. d); 43 Abs. 1 IStGH-Statut. 161 Rule 13. 155 156

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Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

gegenüber den Opfern und Zeugen162. Auf diese wird im jeweiligen Zusammenhang genauer eingegangen. Bereits an dieser Stelle sollen aber die verschiedenen Abteilungen der Kanzlei, die mit Opferbelangen befasst sind, in Grundzügen vorgestellt werden. 1. Die Victims and Witnesses Unit Art. 43 Abs. 6 IStGH-Statut sieht die Errichtung einer Opfer und Zeugen Einheit vor. Ihr Tätigkeitsgebiet ist in den Rules 16 bis 18 sowie in den Regulations of the Registry163 näher umschrieben. Zu ihren Aufgaben gehört es unter anderem, den Opfern und Zeugen die Aussage vor Gericht und die Beteiligung im Verfahren zu ermöglichen, die hierdurch bestehenden Belastungen möglichst gering zu halten und sie hinsichtlich des weiteren Vorgehens zu beraten. Zudem trifft die VWU in Rücksprache mit dem Ankläger die notwendigen Schutz- und Sicherheitsmaßnahmen und vermittelt sonstige erforderliche Hilfen. Zur Erfüllung dieser Aufgaben sind vielfältige Fachkenntnisse erforderlich.164 Rule 19 regt daher an, nicht nur Personen mit Fachkenntnissen über Traumata165, sondern auch Experten für die Bereiche Zeugenschutz, Recht, Verwaltung, Gender, Kultur, Kinder, ältere und behinderte Menschen, Psychologie usw. zu beschäftigen. Da die Bedürfnisse der Opfer und Zeugen je nach Situation variieren werden, wäre es sinnvoll, wenn die VWU über einen Kernbestand von Personal verfügt, der je nach Bedarf durch die zeitweilige Heranziehung zusätzlicher Fachkräfte ergänzt und verstärkt wird.166 2. Die Victims Participation and Reparation Unit Aufgabe der Victims Participation and Reparation Unit ist es, die Opfer über ihre Rechte zu informieren und sie bei deren Wahrnehmung zu unterstützen. Dazu gehört auch die Vermittlung weiterer Hilfen, beispielsweise durch das Office of Public Counsel for Victims.167 Siehe zum Begriff des Zeugen unten Teil 5 D. I. Die Aufgabenkatalog des Art. 43 Abs. 6 IStGH-Statut i. V. m. Rule 17 ist nicht abschließend. Siehe auch Prosecutor v. Lubanga – Note pour les victimes a / 0001 / 06 à a / 0003 / 06, ICC-01 / 04-01 / 06-1060, 7. 12. 2007, Rn. 5 sowie Prosecutor v. Lubanga – Decision on the Practices of Witness Familiarisation and Witness Proofing, PTC I, ICC-01 / 04-01 / 06-679, 8. 11. 2006, Rn. 22. In den Rules und den Regulations of the Registry sind dementsprechende weitere Tätigkeitsbereiche des VWU aufgeführt. 164 Siehe auch schon Annual Report of the International Criminal Tribunal for the Prosecution of Persons Responsible for Serious Violations of International Humanitarian Law Committed in Territory of the Former Yugoslawia vom 28. 7. 1994, UN-Doc A / 49 / 342, S / 1994 / 1007, Rn. 120. 165 Art. 43 Abs. 6 S. 3 IStGH-Statut. 166 Ingadottir / Ngendahayo / Sellers, S. 10. 162 163

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3. Das Office of Public Counsel for Victims Das OPCV wurde auf Grundlage von Regulation 81 Regulations of the Court gegründet. Es ist zwar in die Kanzlei eingegliedert, aber dennoch in der Wahrnehmung seiner Aufgaben vollständig unabhängig. Da die Kanzlei auch für die Unterstützung des Beschuldigten zuständig ist, ist die sachliche Unabhängigkeit des OPCV unabdingbar, um Interessenkonflikte zu vermeiden.168 Aufgabe des Office ist die Unterstützung von Opfern oder ihres Rechtsbeistands169 unter anderem170 durch wissenschaftliche Forschung, rechtliche Beratung und gerichtliche Wahrnehmung ihrer Interessen. Dazu gehört auch – aber nicht nur171 – die Vertretung von Opfern oder Opfergruppen als legal representative.172

4. Exkurs: Staff-Welfare Eine weitere Abteilung der Kanzlei ist für die Gesundheit und das Wohlergehen der Mitarbeiter des IStGH zuständig. Zu ihren Aufgaben gehört unter anderem die Beratung und Betreuung des Personals in den Bereichen Stress, Trauma, familiäre Probleme und HIV / AIDS. Dies schließt die Zurverfügungstellung und Vermittlung psychologischer Hilfen ein. Besondere Unterstützung ist für Mitarbeiter vorgesehen, die vor Ort in den Krisenregionen arbeiten. Damit trägt die Kanzlei der Tatsache Rechnung, dass die Tätigkeit für den IStGH die Gefahr einer stellvertretenden Traumatisierung173 in sich birgt. Sie sucht dieser durch die Bereitstellung von Hilfsangeboten zu begegnen und so Langzeitschäden zu verhindern.

167

Siehe

http: //www.icc-cpi.int/victimsissues/victimscounsel/OPCV/OPCV_faqs.html#

Q_8. 168 Siehe auch Prosecutor v. Lubanga – Submissions of the OPCV on its role in the proceedings, ICC-01 / 04-01 / 06-1108, 7. 1. 2008, Rn. 9 – 10; Triffterer(-Donat Cattin), Art. 68 IStGH-Statut Rn. 41; Massidda / Pellet, S. 694, Abo Youssef, S. 122. 169 Siehe zur direkten und indirekten Unterstützung von Opfern Lubanga Submissions of the OPCV, ICC-01 / 04-01 / 06-1108, o. Fn. 168 Rn. 15 ff. 170 Die Aufzählung in Regulation 81 Regulations of the Court ist nicht abschließend, Lubanga Submissions of the OPCV, ICC-01 / 04-01 / 06-1108, o. Fn. 168, Rn. 14. Siehe auch Prosecutor v. Kony et al. – Decision on legal representation, appointment of counsel for the defence, protective measures and time-limit for submission of observations on applications of participation [ . . . ], PTC II, ICC-02 / 04-01 / 05-134, 1. 2. 2007, Rn. 13. 171 Siehe Kony PTC, ICC-02 / 04-01 / 05-134, o. Fn. 170, Rn. 13. 172 Regulation 80 Abs. 2 Regulations of the Court; Regulation 115 Nr. 4 Regulations of the Registry. Siehe zu potentiellen Interessenkonflikten, die sich aus den unterschiedlichen Aufgaben ergeben können, unten Teil 5 E. V. 2. 173 Siehe oben Teil 2 D. I.

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Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

V. Der UN-Sicherheitsrat Die Situationen, mit denen der IStGH befasst ist, werden häufig eine Friedensbedrohung im Sinne von Kapitel VII der UN-Charta darstellen.174 Nach Art. 24 Abs. 1 UN-Charta trägt der Sicherheitsrat als Zentralorgan der Vereinten Nationen die Hauptverantwortung für die Wahrung des Weltfriedens. Auch dem IStGH kommt eine friedenssichernde Funktion zu.175 Die Aufgabenbereiche des Gerichtshofes überschneiden sich somit mit denen des UN-Sicherheitsrats. Daher stellte sich die Frage, ob Letzterem eine dominante, regulierende oder kontrollierende Funktion im Verfahren zukommen soll.176 Die Ad-hoc-Tribunale basieren auf Sicherheitsratsresolutionen. Sie sind als Organe des Sicherheitsrats177 Teil des UNSystems178. Der IStGH hingegen wurde durch völkerrechtlichen Vertrag gegründet. Voraussetzung für das Inkrafttreten des IStGH-Statuts war nach Art. 126 Abs. 1 IStGH-Statut seine Ratifizierung durch mindestens 60 Staaten. Inzwischen sind dem Statut 111 Staaten beigetreten. Der IStGH beruht somit auf einem breiten Konsens der internationalen Staatengemeinschaft. Dieser Gründungsakt wurde bewusst gewählt, um die Legitimität und das Ansehen des IStGH zu erhöhen.179 Der Gerichtshof ist nicht in das System der UN eingegliedert.180 Vielmehr ist er als selbständige internationale Organisation181 mit Völkerrechtspersönlichkeit182 de jure von dieser im Allgemeinen und vom Sicherheitsrat im Besonderen unabhängig183. Der IStGH ist Letzterem in keiner Weise untergeordnet, ihm stehen grundsätzlich keine Weisungsrechte zu.184 Seiner rechtlichen Unabhängigkeit zum Trotz wird der IStGH faktisch häufig auf Unterstützung durch die UN angewiesen 174 Dies ist jedenfalls immer dann der Fall, wenn der Sicherheitsrat den Ankläger um Ermittlungen ersucht. Siehe unten Teil 5 C. II. 2. 175 Siehe oben Teil 4 B. III. 176 Siehe Report of the International Law Commission on its work of its forty-fith session (3 May-23 July 1993), A / 48 / 10, Rn. 60; Wedgwood (1999), S. 97; Zimmermann (2002c), S. 42. 177 Triffterer(-Rückert), Art. 4 IStGH-Statut Rn. 3; Lüder (2001), S. 51; Kurth, S. 43. 178 Fixson, S. 213. 179 Report of the International Law Commission on its work of its forty-fith session (3 May-23 July 1993), A / 48 / 10, Rn. 59. Siehe auch Roggemann (1996), S. 390; ders. (1998a), S. 507; Wedgwood (1999), S. 100; Harhoff (2001), S. 646; Uerpmann-Wittzack, S. 41. 180 Roggemann (1998b), S. 15; Lee, S. 14 Fn. 13; Heilmann, S. 58. Siehe auch Jescheck (1998), S. 440. 181 Triffterer(-Rückert), Art. 4 IStGH-Statut Rn. 3; Lüder (2001b), S. 137; ders. (2001a), S. 51; Gallant (2003a), S. 785; Fixson, S. 215; Heilmann, S. 53; Kurth, S. 59; Olásolo (2005), S. 27; Mangold, S. 209. 182 Art. 4 Abs. 1 S. 1 IStGH-Statut. 183 Roggemann (1998a), S. 508; Sur, S. 44; Condorelli / Villalpando (2002c), S. 221; DeenRacsmány, S. 362; Gallant (2003b), S. 569; Lee, S. 14; Däubler-Gmelin (2005), S. 725; Abass (2005), S. 269; Fixson, S. 214; Heilmann, S. 59; Kurth, S. 59; Olásolo (2005), S. 27; Mangold, S. 205. Siehe auch Jescheck (1998), S. 440. 184 Kritisch daher Wedgwood (1999), S. 97.

B. Die anderen Verfahrensbeteiligten

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sein. Dies betrifft vor allem die Ermittlungen und die Vollstreckung von Entscheidung.185 Wegen der sich überschneidenden Aufgaben im Bereich der Friedenssicherung wird es zudem immer wieder zu Berührungspunkten zwischen diesen beiden internationalen Organisationen kommen. Das IStGH-Statut erkennt an verschieden Stellen die Bedeutung des Sicherheitsrats an und räumt ihm Möglichkeiten ein, auf das Verfahren Einfluss zu nehmen.186 Genauer ausgestaltet ist das Verhältnis zwischen IStGH und den Vereinten Nationen im Relationship Agreement.187 In Art. 2 Abs. 1 erkennen die Vereinten Nationen die Unabhängigkeit des IStGH ausdrücklich an. Zudem sind die Zusammenarbeit und der Informationsaustausch zwischen den beiden internationalen Organisationen genauer ausgestaltet. In der Hauptverhandlung selbst sind UN und Sicherheitsrat nur von untergeordneter Bedeutung. Keinesfalls nehmen sie die Rolle einer Prozesspartei ein.

VI. Die Nationalstaaten Die Verhandlungen von Rom waren geprägt vom Gegensatz zwischen den likeminded states, die einen starken Gerichtshof befürworteten,188 und den eher restriktiv eingestellten Staaten, die auf die Wahrung ihrer staatlichen Hoheitsrechte bedacht waren. Um eine möglichst hohe Akzeptanz des IStGH-Statuts zu erreichen, musste in der Verfahrensausgestaltung auch den Souveränitätsinteressen der Nationalstaaten Rechnung getragen werden.189 Dies hat gerade vor dem Hintergrund des gewählten Gründungsakts seine Berechtigung. Handelt der Sicherheitsrat – wie er dies bei Schaffung der Ad-hoc-Tribunale getan hat – unter Kapitel VII der UN-Charta, kann er sich über die Souveränitätsrechte der UN-Mitglieder hinwegsetzen und sich auch mit den inneren Angelegenheiten eines Staates befassen.190 Dies steht dem IStGH als durch völkerrechtlichen Vertrag geschaffener Institution nicht zu. Gegenüber Staaten, die das IStGH-Statut nicht ratifiziert haben, die also die Jurisdiktion des IStGH nicht anerkannt haben, ist Art. 34 WVK zu beachten.191 Für sie darf das IStGH-Statut weder Rechte noch Pflichten begründen. Die Gerichtsbarkeit des IStGH und das Verfahren müssen daher so ausgestaltet werden, dass den Souveränitätsrechten der Nationalstaaten hinreichend Rechnung getragen wird.

Siehe auch unten Teil 5 C. VIII. 2. Siehe unten Teil 5 C. II. 2. und C. VII. 187 Negotiated Relationship Agreement between the International Criminal Court and the United Nations, ICC-ASP / 3 / Res.1. 188 Siehe die Auflistung bei Bassiouni (2008c), S. 131. 189 Schon für die Ad-hoc-Tribunale Wäspi, S. 2449. 190 Stuby, S. 442, König, S. 168; Kurth, S. 63; Uerpmann-Wittzack, S. 38. 191 Siehe dazu unten Teil 5 C. I. 6. a) bb). 185 186

238

Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

VII. Zusammenfassung Das Opfer wird im Verfahren vor dem IStGH mit einer starken Verteidigung konfrontiert, deren Stellung rechtlich und tatsächlich umfassend abgesichert ist. Das Gericht selbst ist unparteiisch, aber auch der Ankläger ist der Wahrheit und damit zur Neutralität verpflichtet. Beide können daher nicht als Opfervertreter agieren. Die Wahrung der Opferinteressen ist für sie – bestenfalls – nur eine Aufgabe unter vielen. Dies gilt auch für die Kanzlei, zu deren Aufgaben sowohl die Unterstützung der Opfer als auch die des Beschuldigten zählt. Die Komplexität des Verfahrens wird dadurch erhöht, dass ebenso wie die begangenen Taten der Prozess in seiner Wirkung nicht auf den Täter und die Opfer beschränkt ist. Auch die internationale Gemeinschaft – repräsentiert durch den UN-Sicherheitsrat – sowie die Nationalstaaten sind involviert. Das Opfer findet sich im Spannungsfeld zwischen den Interessen des Beschuldigten, des Anklägers, der internationalen Gemeinschaft und der Nationalstaaten wieder. Noch mehr als im nationalen Verfahren besteht die Gefahr, dass den Bedürfnissen der Opfer nicht hinreichend Rechnung getragen wird.

C. Das Verfahren vor dem IStGH Das Verfahrensrecht des IStGH ist das kompromisshafte Ergebnis von Rom. Die Delegierten standen nicht nur vor der Aufgabe, die unterschiedlichen Rechtstraditionen zu vereinen. Um eine möglichst hohe Ratifikationsrate zu erzielen, mussten vielmehr auch die divergierenden Interessen der Nationalstaaten bestmöglich zum Ausgleich gebracht werden. Dementsprechend vielgestaltig sind die Anforderungen, die an das Verfahren gestellt werden. Es soll eine unabhängige, weltweite und lückenlose Verfolgung völkerrechtlicher Verbrechen gewährleisten, dabei aber den politischen Interessen der Nationalstaaten und der Vereinten Nationen Rechnung tragen. Die Prozesse sollen zügig und effizient, aber unter voller Wahrung der Rechte des Beschuldigten geführt werden. Die Opfer sollen ins Verfahren eingebunden werden; alle Prozessbeteiligte sollen bei ihren Entscheidungen auch deren Belange berücksichtigen. Dies soll aber weder die Hauptverhandlung unnötig in die Länge ziehen, noch die Position des Angeklagten beeinträchtigen. All diese Vorstellungen muss das Verfahrensrecht des IStGH ausgleichen. Es kann und darf nicht allein an den Belangen der Opfer ausgerichtet sein. Seine Funktionen kann der IStGH aber nur erfüllen, wenn bereits die grundsätzliche Ausgestaltung des Verfahrens eine effektive Strafverfolgung sowie eine hinreichende Berücksichtigung der Opferinteressen ermöglicht.

C. Das Verfahren vor dem IStGH

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I. Voraussetzungen für die Ausübung der Gerichtsbarkeit Der IStGH hat nicht die Befugnis, sämtliche core crimes weltweit zu verfolgen. Seine Gerichtsbarkeit ist vielmehr grundsätzlich an die Vorbedingungen des Art. 12 IStGH-Statut gebunden.

1. Anerkennung der Gerichtsbarkeit Mit Ratifizierung des IStGH-Statuts erkennen die Staaten die Gerichtsbarkeit des IStGH automatisch an.192 Eine Ausnahme enthält Art. 124 S. 1 IStGH-Statut. Hiernach können Staaten, wenn sie dem Statut beitreten, für einen Zeitraum von sieben Jahren die Gerichtsbarkeit des IStGH für Kriegsverbrechen ausschließen, die mutmaßlich auf ihrem Hoheitsgebiet oder von ihren Staatsangehörigen begangen wurden.193 Neben der generellen Anerkennung durch Ratifizierung sieht Art. 12 Abs. 3 IStGH-Statut i. V. m. Rule 44 die Möglichkeit einer Ad-hoc-Unterwerfung vor. Ein Nichtvertragsstaat kann für eine bestimmte Situation194 die Gerichtsbarkeit des IStGH anerkennen und so erweitern195.

2. Grundprinzipien Der IStGH ist gemäß Art. 12 Abs. 2 IStGH-Statut zur Verfolgung von Verbrechen befugt, die auf dem Hoheitsgebiet oder von Staatsangehörigen einer Vertragspartei begangen wurden. Seine Jurisdiktion ist in Anlehnung an das Territorialitätsprinzip und das aktive Personalitätsprinzip ausgestaltet.196 Art. 12 Abs. 2 IStGHStatut will die Souveränitätsinteressen der Nationalstaaten schützen.197 Eine StrafArt. 12 Abs. 1 IStGH-Statut. Siehe hierzu auch unten Teil 5 C. I. 6. a) bb) (3). 194 Nach Art. 12 Abs. 3 IStGH-Statut kann der Drittstaat die Gerichtsbarkeit des IStGH in Bezug auf „das fragliche Verbrechen“ anerkennen. Dem Wortlaut nach erlaubt diese Vorschrift dem Staat, die Gerichtsbarkeit selektiv nur für eine bestimmte Tat oder die Verbrechen fremder, nicht aber eigener Staatsangehöriger anzuerkennen. Dieser Auslegung steht aber Rule 44 entgegen. Eine Ad-hoc-Unterwerfung kann nur für eine Situation erfolgen, Stahn (2000), S. 645; Holmes (2001), S. 326 – 327; Lindenmann, S. 181 – 182; König, S. 159; Freeland, S. 233; Junck, Rn. 156 – 164. Zum Begriff der Situation unten Teil 5 C. II. 1. a). 195 Stahn / el Zeidy / Olásolo, S. 423; Stahn (2006), S. 244. 196 Siehe auch Cassese (1999), S. 160; van der Vyer, S. 60; Henzelin, S. 231; Kamminga, S. 950; Kaul (2001a), S. 24; Cottereau, S. 142; Danilenko (2002), S. 1877; Coulée, S. 46; König, S. 158; Kreß / Wannek, S. 239; Satzger (2010), § 14 Rn. 9; Weigend (2005), S. 963; van Heeck, S. 170; Junck, Rn. 73; Uerpmann-Wittzack, S. 40; Philippe Kirsch (2007), S. 540; Wilhelmi, S. 228. 192 193

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Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

verfolgung soll grundsätzlich nur im Konsens mit dem Tatort- oder dem Täterstaat erfolgen.

3. Ausnahme im Fall einer Sicherheitsratsresolution Die Voraussetzungen des Art. 12 Abs. 2 IStGH-Statut müssen nur vorliegen, wenn das Verfahren nach Art. 13 litt. a) oder c) IStGH-Statut ausgelöst wird198, nicht aber, wenn der Sicherheitsrat dem Ankläger eine Situation überweist. Die Gerichtsbarkeit des IStGH ist in diesen Fällen unabhängig vom Tatort oder der Nationalität des Täters gegeben.199 Er ist weltweit für die Verfolgung der core crimes zuständig. So hat der UN-Sicherheitsrat am 31. 3. 2005 den Ankläger des IStGH mit der Situation Darfur, Sudan, betraut.200 Der Sudan ist weder Vertragsstaat des IStGH-Statuts, noch hat er die Gerichtsbarkeit des IStGH ad hoc anerkannt.

4. Entstehungsgeschichte Art. 12 IStGH-Statut zählte zu den Kernstreitfragen bei den Verhandlungen von Rom. Umstritten war vor allem, ob sich die Gerichtsbarkeit des IStGH auch auf Drittstaatenangehörige erstrecken solle. Was für die einen elementare Voraussetzung für einen effektiven Gerichtshof war201, war für die anderen eine nicht zu rechtfertigende, unerträgliche Kompetenzüberschreitung 202. Erst kurz vor VerBourgon (2002), S. 562; Däubler-Gmelin (2005), S. 725. Siehe zu den trigger-mechanism Teil 5 C. II. 199 Ambos (1998d), S. 3744; ders. (1998c), S. 224; Bergsmo, S. 37; Kaul (1998a), S. 139; ders. (1998c), S. 49; ders. (2001a), S. 24; ders. (2001b), S. 60; ders. (2002), S. 606; Stahn (1998), S. 588; Tomuschat (1998), S. 342; Ahlbrecht, S. 384; Arbour / Bergsmo, S. 134; Augustin, S. 220; Benvenuti, S. 41; Cassese (1999), S. 161; Gargiulo, S. 81; Hafner / Boon / Rübesame / Huston, S. 117; La Haye (1999), S. 8; Lattanzi (1999a), S. 442; Oosthuizen, S. 316; Palmisano, S. 392; Philips, S. 68; Sok Kim, S. 55; Triffterer(-Williams / Schabas), Art. 13 Rn. 16; Wedgwood (1999), S. 101; Danilenko (2000), S. 452; Blanke / Molitor, S. 158; Brown (2001), S. 386; Henzelin, S. 233; Kamminga, S. 950; Lattanzi (2001), S. 181; Morris (2001a), S. 13; Wilmshurst (2001), S. 40; de Bertodano, S. 422; Bourgon (2002), S. 560; Condorelli / Villalpando (2002b), S. 634; Turone, S. 1141; Zakr, S. 462, 470; Zimmermann (2002c), S. 39; Coulée, S. 46; Danner, S. 516; Franck / Yuhan, S. 548; Gallant (2003b), S. 581; ders. (2003a), S. 790; Kleffner, S. 112; Olásolo (2003), S. 17; ders. (2004), S. 3; Maikowski, S. 353; Darryl Robinson (2003), S. 485; Brubacher, S. 88; Cameron, S. 66; Sarooshi (2004), S. 98; Fixson, S. 217; Wang, S. 104; van Heeck, S. 168; Mangold, S. 216; Heyder, S. 653; Junck, Rn. 578; Lipscomb, S. 200 Fn. 117; Milaninia, S. 2; Kurth, S. 124. 200 UN-Resolution 1593 (2005) vom 2. 3. 2005. 201 Siehe Wexler, S. 674 Fn. 154; Junck, Rn. 21. 202 Scheffer (1998), S. 2; Bolton, S. 169; Morris (2001a), S. 27; Roberts, S. 60. 197 198

C. Das Verfahren vor dem IStGH

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handlungsschluss konnten sich die Delegierten auf den Kompromiss des Art. 12 IStGH-Statut einigen.203 Am weitreichendsten war der Vorschlag Deutschlands, den Gerichtshof mit universeller Zuständigkeit auszustatten, auf zusätzliche legitimierende Gesichtspunkte also vollständig zu verzichten.204 Den Gegenpol bildeten die gerichtshofkritischen Staaten, denen eine weltweite Zuständigkeit des IStGH – vor allem in Kombination mit Proprio-motu-Befugnissen des Anklägers205 – zu weit reichend erschien.206 Sie forderten, dass die Gerichtsbarkeit des IStGH immer vom Einverständnis des Täterstaats abhängig sein sollte.207 Vor allem die USA wollten verhindern, dass sich auch Angehörige von Drittstaaten vor dem IStGH verantworten müssen.208 Hintergrund ist das weltweite militärische Engagement der USA – auch im Rahmen von UN-Friedensmissionen.209 Sie befürchteten, dass der IStGH als Instrument im politischen Streit über einen militärischen Einsatz missbraucht werden könne, Angehörige des US-Militärs häufig und ungerechtfertigt angeklagt würden.210 Ebenfalls zu einer starken Begrenzung der Gerichtsbarkeit hätte die Übernahme des Opt-in / Opt-out-Regimes geführt. Die Ratifikation sollte hiernach nicht gleichzeitig die Anerkennung der Gerichtsbarkeit bedeuten. Diese sollte vielmehr zu einem beliebigen späteren Zeitpunkt, gegebenenfalls auch auf einer case-bycase-Basis erfolgen können. Die Anerkennung hätte also selektiv auf bestimmte Verbrechen und bestimmte Zeitpunkte beschränkt werden können.211 203 Siehe nur Blanke / Molitor, S. 151; Arsanjani (2001), S. 50; Wedgwood (2001), S. 201; König, S. 157. Siehe auch den Überblick bei Inazumi, S. 169. 204 The Jurisdiction of the International criminal Court: An Informal Discussion Paper Submitted by Germany vom 23. 3. 1998, UN Doc. A / AC 249 / 1998 / DP. 2. 205 Siehe dazu sogleich Teil 5 C. II. 3. 206 Siehe Dobelle, S. 361; Lattanzi (1999a), S. 432; Junck, Rn. 14 – 15; Kaul (2002), S. 599. 207 Proposal Submitted by the United States of America to the United Nations Conference on Plenipotentiaries on the Establishment of an International Criminal Court, UN Doc. A / CONF. 183 / C. 1 / L.90 vom 16. 7. 1998. Siehe auch Report of the Preparatory Committee on the Establishment of an International Criminal Court – Volume II, Compilation of proposals, UN.Doc. A / 51 / 22 (New York 1996), 72. Hiernach sollte die Zuständigkeit des IStGH sogar auf Fälle beschränkt werden, in denen der Tatortstaat und der Täterstaat und der Opferstaat zustimmen. 208 Die Befugnis des IStGH im beschriebenen Umfang auch über Drittstaatenangehörige urteilen zu können, wird von den USA als einer der Hauptgründe gegen eine Ratifikation des IStGH-Statuts angeführt. Zum Schutz ihrer Staatsangehörigen versuchten die USA durch bilaterale Abkommen die Überstellung us-amerikanischer Bürger an den IStGH zu verhindern. Siehe zu diesen non-surrender-agreements und der Frage nach ihrer Rechtmäßigkeit Coulée, S. 58 – 69; Tan, S. 1115; Sendel, S. 118. Kritisch auch Kaul (2003), S. 22. Seit Beginn der Regierungszeit von Barack Obama hat sich das Verhältnis zwischen den USA und dem IStGH allerdings deutlich entspannt. 209 Siehe den Überblick bei Franck / Yuhan, S. 532 – 536. 210 Scheffer (1998), S. 2; ders., (2000), S. 206; Wedgwood (1999), S. 101 – 102; Scharf (1999), S. 650 – 651; Harris, S. 281; Bolton, S. 173; Lietzau, S. 125; McNerney, S. 187. Kritisch Zwanenburg, S. 124.

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Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

Ein Kompromissvorschlag wurde von Südkorea vorgelegt. Hiernach sollte der IStGH seine Gerichtsbarkeit ausüben können, wenn entweder der Tatortstaat oder der Täterstaat oder der Opferstaat oder der Staat, der den Täter in Gewahrsam hat, die Gerichtsbarkeit des IStGH anerkannt hat.212 Dieser Vorschlag konnten sich zwar der Unterstützung durch eine große Anzahl von Staaten auf der Rom Konferenz213 erfreuen, war aber im Ergebnis ebenso wenig kompromissfähig wie der deutsche.214

5. Schutzlücke bei internen Konflikten Das Kompromissergebnis des Art. 12 IStGH-Statut ist insoweit zu begrüßen, als eine Gerichtsbarkeit „à la carte“215 abgewendet werden konnte. Die automatische Anerkennung der Gerichtsbarkeit verhindert eine vollständige Abhängigkeit des Gerichtshofs von Opportunitätserwägungen und den politischen Interessen der jeweils betroffenen Nationalstaaten. Entscheidend für die Effektivität des IStGH ist aber, wie viele Staaten dem IStGH-Statut beitreten.216 Unter dem Gesichtspunkt des Opferschutzes besteht eine erhebliche Lücke. Bei rein internen Konflikten werden Täter- und Tatortstaat meist zusammenfallen.217 Beschränkt sich ein Bürgerkrieg oder auch ein Völkermord auf das Gebiet eines Drittstaats, ist die Verfolgung selbst schwerster Menschenrechtsverbrechen durch den IStGH grundsätzlich ausgeschlossen.218 Auch darf man in diesen Fällen nicht zu große Hoffnung auf eine Ad-hoc-Anerkennung der Gerichtsbarkeit gemäß Art. 12 Abs. 3 IStGH-Statut legen. Die Verbrechen des Art. 5 IStGH-Statut zeichnen sich in ihrer tatsächlichen Struktur dadurch aus, dass sie regelmäßig unter Beteiligung oder mindestens mit Siehe Art. 7 Option I und II PrepCom-Entwurf (1998). Proposal submitted by the Republic of Korea, UN doc. A / CONF.183 / C.1 / L.53 vom 18. 6. 1998. 213 Siehe die Übersicht der Staaten, die den koreanischen Vorschlag unterstützten, bei La Haye (1999), S. 7. Siehe auch Kaul (1998a), S. 142; dens. (2001a), S. 24; Philips, S. 69. 214 Siehe zum „Verschwinden“ des an sich mehrheitsfähigen koreanischen Vorschlags Kaul (1998a), S. 143; dens. (1998c), S. 55; dens. (2001b), S. 61 – 62; Ambos (1998c), S. 224. 215 Irmscher, S. 482; Kaul (1998a), S. 140; Stahn (1998), S. 586; Wexler, S. 674; Junck, Rn. 29. 216 Kaul (1998a), S. 144; ders. (1998c), S. 57; La Haye (1999), S. 22; Kreß / Wannek, S. 239. 217 McCormack / Sue Robertson, S. 643; Kaul (1998c), S. 57; ders. (2001b), S. 60; Henzelin, S. 231; Lietzau, S. 129. Generell und nicht nur auf interne Konflikte beschränkt Junck, Rn. 56. 218 Kaul (1998a), S. 144; ders. (1998c), S. 57; ders. (2001b), S. 25; Scheffer (1998), S. 2; Ntanda Nsereko, S. 87; Wedgwood (1999), S. 101; 107; Henzelin, S. 231; Lietzau, S. 129; Summers, S. 74; Mangold, S. 215. Siehe auch Ambos (1998c), S. 244; Kaul (1998b), S. 128; Pascal Arnold, S. 173; Condorelli (1999), S. 16; Politi (1999), S. 840; Morris (2001a), S. 14 Fn. 3; Sadat (2001), S. 252; Danilenko (2002), S. 1876; Satzger (2010), § 14 Rn. 9. 211 212

C. Das Verfahren vor dem IStGH

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Billigung der Regierung stattfinden.219 Die Bereitschaft, einen internen Konflikt durch eine internationale Instanz klären und bewerten zu lassen, dabei gegebenenfalls auch die eigene Bestrafung sowie die von anderen Regierungsspitzen und ranghohen Militärs zu riskieren, dürfte regelmäßig gering sein.220 Ob die core crimes geahndet, die Täter zur Verantwortung gezogen werden, hängt derzeit davon ab, wo sie begangen werden oder ob der Sicherheitsrat einschreitet. Unter Art. 12 Abs. 2 IStGH-Statut droht daher eine selektive Strafverfolgung und ein Zwei-Klassen-Menschenrechtsschutz221.

6. Universalitätsprinzip als anzustrebendes Optimum? Nach dem südkoreanischen Vorschlag sollte der IStGH auch dann seine Gerichtsbarkeit ausüben können, wenn der Staat, dessen Staatsangehörigkeit das Opfer besitzt, das IStGH-Statut ratifiziert hat. Art. 12 Abs. 2 IStGH-Statut würde um den Gedanken des passiven Personalitätsprinzips ergänzt. Eine fakultative Anknüpfung an den Opferstaat vermag allerdings die bestehende Schutzlücke nicht zu schließen. Bei internen Konflikten werden regelmäßig der Täter- und Tatortstaat auch mit dem Opferstaat zusammenfallen.222 Würde es aber ausreichen, dass der Gewahrsamsstaat den IStGH anerkennt, so würde dies zu einer effektiven Erweiterung der Gerichtsbarkeit führen.223 Strafverfolgungslücken wären jedenfalls dann ausgeschlossen, wenn der IStGH universelle Zuständigkeit beanspruchen könnte. Seine Gerichtsbarkeit wäre unabhängig vom Tatort, von der Nationalität von Täter und Opfer oder der Tatortstrafbarkeit gegeben.224 Durch eine weltweite Zuständigkeit würde auch dem in der Präambel des IStGH-Statut zum Ausdruck gebrachten Ziel „to end impunity“ Siehe oben Teil 2 E. Siehe auch Wedgwood (1999), S. 101; Morris (2001a), S. 16; dies. (2001b), S. 337. Siehe zur Staatenselbstüberweisung unten Teil 5 C. II. 2. b). 221 Siehe auch Kreß / Wannek, S. 239; Mullins, S. 419. 222 Lattanzi (1999a), S. 433. 223 Ambos (1998c), S. 224; Kaul (1998a), S. 144; ders. (1998b), S. 128; ders. (2001b), S. 61; ders. (2001a), S. 25; Sok Kim, S. 78; Mangold, S. 215. 224 Siehe zum Begriff des Universaltiätsprinzips nur Principle 1 der Princton Principle on Universal Jurisdiction; ICJ Judgement Kongo v. Belgium, Joint Separate Opinion of Judges Higgins, Kooijmans and Buergentha o. Fn. 58, Rn. 19; Prosecutor v. Kallon & Kamara – Decision on Challenge to Jurisdiction: Lomé Accord Amnesty, AC, SCSL-04-15-PT-060, 13. 3. 2004, Rn. 67 Fn. 51; Oehler, Rn. 844; Jescheck / Weigend, S. 173; SK(-Hoyer), § 6 StGB Rn. 1; Merkel, S. 240; Ntanda Nsereko (1999), S. 98; Sears, S. 131; Bungenberg, S. 172; Kamminga, S. 941; MünchKomm(-Ambos), Vor §§ 3 – 7 StGB Rn. 47; Ascensio, S. 699; Broomhall (2003), S. 106; Cassese (2008), S. 284; Baumann / Weber / Mitsch, § 7 Rn. 58; Bottini, S. 510; Weigend (2004), S. 206; ders. (2005), S. 956; Phillippe, S. 377; Wolfrum, S. 978; Bothe / Fischer-Lescano, S. 2; Maierhöfer (2006), S. 40; Satzger (2010), § 5 Rn. 74; Orentlicher, S. 127 – 128; Bassiouni (2008f), S. 658. 219 220

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Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

bestmöglich Genüge getan.225 Im Ergebnis besteht aber kaum ein Unterschied zur Anknüpfung an den Gewahrsamsstaat. Da der IStGH kein Verfahren in absentia kennt,226 kommt auch eine weltweite Zuständigkeit de facto nur zur Geltung, wenn der Gewahrsamsstaat den IStGH anerkennt und den Beschuldigten überstellt.227 Eine universelle Zuständigkeit des IStGH würde aber seine symbolische Bedeutung verstärken.228 Die weltweite Ächtung der völkerrechtlichen Kernverbrechen würde unterstrichen. Der – zumindest moralische – Druck auf die Mitgliedstaaten zu gewährleisten, dass diese auch nach nationalem Recht effektiv verfolgt werden, würde erhöht. In einigen staatlichen Rechtsordnungen ist zudem bereits für die core crimes die Weltrechtspflege vorgesehen. Die nationalen Gerichte sind universell für die Ahndung völkerrechtlicher Verbrechen zuständig. Exemplarisch seien § 1 VStGB für Deutschland, Art. 14 Abs. 1 Nr. 1 StG RK229 für Kroatien und Art. 8 ECC für Estland genannt. Es erscheint wertungswidrig, dass die Zuständigkeit des IStGH als internationaler Institution begrenzter sein soll, als die der nationalen Gerichte.230 Den IStGH mit universeller Gerichtsbarkeit auszustatten, erscheint daher sowohl im Interesse der Rechtsgleichheit wünschenswert als auch systemimmanent logisch.231 Das Statut selbst sieht diese immerhin bei einer Sicherheitsratsüberweisung vor. Vor diesem Hintergrund drängt sich die Frage auf, ob die Anknüpfungspunkte des Art. 12 Abs. 2 IStGH-Statut rechtlich erforderlich sind oder ob es zulässig wäre, den IStGH generell, unabhängig vom jeweiligen trigger-mechanism, mit weltweiter Zuständigkeit auszustatten. Reichweite und Grenzen der Strafgewalt hängen davon ab, wie sich diese legitimiert. Denkbar ist zum einen, dass die Vertragsstaaten ihre Strafgewalt auf den IStGH übertragen haben, und zum anderen, dass der IStGH über eine eigene, originäre Strafgewalt verfügt. Vertreten wird auch, dass der IStGH in Abhängigkeit vom jeweiligen trigger-mechanism auf beiden Legitimationsbasen fußt. Wird ein Verfahren durch eine Überweisung durch einen Mitgliedstaat oder durch den Ankläger ex officio ausgelöst, kommt es also auf die Voraussetzungen des Art. 12 Abs. 2 IStGH-Statut an, soll der IStGH die Strafgewalt der Mitgliedstaaten ausüben. Wird der Sicherheitsrat tätig, soll die Gerichtsbarkeit des IStGH hingegen unmittelbar durch Völkerrecht legitimiert sein.232

So auch La Haye (1999), S. 23; Philips, S. 70; Sur, S. 38; Broomhall (2001), S. 408. Art. 63 IStGH-Statut. 227 Triffterer(-Williams / Schabas), Art. 12 IStGH-Statut Rn. 8; Junck, Rn. 18. Siehe auch Broomhall (2001), S. 409. 228 Siehe auch Sur, S. 38. 229 Strafgesetz der Republik Kroatien, NN Nr. 110 / 1997 vom 21. 10. 1997. 230 Philips, S. 71. Siehe auch AI, IOR 40 / 01 / 97, S. 16. 231 Siehe auch van der Vyer, S. 60; Eser (2003), S. 78. 232 Siehe König, S. 163. 225 226

C. Das Verfahren vor dem IStGH

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a) Derivative Strafgewalt Der erste Erklärungsansatz knüpft an die Entstehung des IStGH durch völkerrechtlichen Vertrag an. Mit Ratifizierung des IStGH-Statuts sollen die Staaten ihre nationale Strafkompetenz auf den IStGH übertragen.233 Dem IStGH steht hiernach keine eigene Strafgewalt zu. Er greift vielmehr auf die der Mitgliedstaaten zurück, sollten diese nicht willens oder fähig sein, selbst von ihr Gebrauch zu machen.234 Die Legitimation des IStGH folgt mittelbar über die Mitgliedstaaten. Jedem souveränen Staat kommt grundsätzlich das Recht zu, Taten zu ahnden, die von seinen Staatsangehörigen oder auf seinem Hoheitsgebiet begangen wurden.235 Im letzteren Fall ist es unerheblich, ob der Täter Staatsangehöriger eines anderen Staates ist und ob dieser mit einer Strafverfolgung einverstanden ist.236 Die Ausübung der Strafgewalt ist Ausdruck der staatlichen Souveränität.237 Eine andere Frage ist aber, ob auch die Übertragung solcher Rechte an eine internationale Institution wie den IStGH rechtlich zulässig ist. aa) Zulässigkeit einer Übertragung nach deutschem Recht Zunächst müsste das nationale Recht des ratifizierenden Staates eine Übertragung von Hoheitsrechten im Bereich der Strafrechtspflege erlauben. Für Deutschland ist insoweit in Art. 24 Abs. 1 GG238 einschlägig. Hoheitsrechte meint jede Ausübung öffentlicher Gewalt im innerstaatlichen Bereich, gleichgültig ob durch Exekutive, Legislative oder Judikative.239 Entschei233 Hafner / Boon / Rübesame / Huston, S. 117; Danilenko (2000), S. 452; ders. (2002), S. 1874; Mégret, S. 252; Scharf (2001b), S. 103; Rabkin, S. 847; Zimmermann (2002c), S. 39; Zimmermann / Scheel, S. 137; Akande (2003), S. 621; Coulée, S. 46; Franck / Yuhan, S. 549; Bottini, S. 513; van Heeck, S. 170. Siehe auch Kaul (1998a), S. 141; Cryer (2002), S. 985; Fixson, S. 224; Weigend (2005), S. 962. Kritisch zum Begriff und Inhalt einer solcher Übertragung Empell, S. 22 – 33. 234 Mégret, S. 252; Inazumi, S. 165. Diese Beschränkung folgt aus dem Komplemtaritätsgrundsatz des Art. 17 IStGH-Statut. Siehe vertiefend unten Teil 5 C. III. 235 Prosecutor v. Tadic´ – Decision on the Defence Motion for Interlocutroy Appeal on Jurisdiction, Separate opinion of Judge Sidhwa, AC, IT-94-1, 2. 10. 1995, Rn. 84; Hafner / Boon / Rübesame / Huston, S. 117; Brown (1999), S. 874; ders. (2001), S. 390; Harris, S. 282; Morris (2001a), S. 48; Bourgon (2002), S. 562; Danilenko (2002), S. 1877; König, S. 158; Bassiouni (2004), S. 40; Kerr, S. 62; Ambos (2008a), § 3 Rn. 4, 41; Orentlicher, S. 128. Siehe auch The Case of the S.S. „Lotus“, PCIJ Judgement, 7. 9. 1927, PCIJ Series A Nr. 10, S. 20. 236 Hafner / Boon / Rübesame / Huston, S. 117; Philips, S. 69; Triffterer(-Williams / Schabas), Art. 12 IStGH-Statut Rn. 15; Stahn (2000), S. 644; Scharf (2001b), S. 103; Danilenko (2002), S. 1877; Akande (2003), S. 621; Milaninia, S. 10. 237 Triffterer(-Williams / Schabas), Art. 12 IStGH-Statut Rn. 15; Wolfrum, S. 977; Milaninia, S. 15; Ambos (2008a), § 3 Rn. 4. Siehe auch PCIJ Lotus Judgement, o. Fn. 235, S. 20. 238 Grundgesetz für die Bundesrepublik Deutschland vom 23. 5. 1949, BGBl. 1949 I S. 1.

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dend ist, dass der zwischenstaatlichen Einrichtung unmittelbare Durchgriffsrechte eingeräumt werden, deren Rechtsakte also ohne gesonderten staatlichen Umsetzungsakt Rechtswirkung entfalten. Dabei dürfen sich diese Rechtsakte nicht gegen Deutschland als Völkerrechtssubjekt richten. Vielmehr müssen die Bürger als Adressaten der Rechtsakte direkt und unmittelbar betroffen sein.240 Durch Ratifizierung des IStGH-Statuts wird der IStGH ermächtigt, rechtsprechende Gewalt auch über deutsche Staatsangehörige auszuüben. Übertragung ist der Verzicht auf die ausschließliche Ausübung hoheitlicher Gewalt durch deutsche Organe.241 Dies bedeutet keine Entäußerung von Hoheitsgewalt im Sine eines dinglichen Verlusts und damit keinen Untergang souveräner Rechte.242 Daher ist eine Übertragung auch mit dem Komplementaritätsgrundsatz des Art. 17 IStGH-Statut in Einklang zu bringen.243 Deutschland hat weiterhin das Recht, selbst völkerrechtliche Verbrechen zu verfolgen und zu bestrafen, verzichtet aber auf die Ausschließlichkeit dieses Rechts, wenn und soweit es nicht willens oder in der Lage ist, es effektiv auszuüben. Hoheitsrechte dürfen nur an zwischenstaatliche Einrichtungen übertragen werden. Dies sind alle durch Vertrag zwischen Völkerrechtssubjekten geschaffene Organisationen oder völkerrechtliche Organe.244 Der IStGH wurde durch völkerrechtlichen Vertrag gegründet. Nach Art. 4 Abs. 1 S. 1 IStGH-Statut besitzt er Völkerrechtspersönlichkeit. Er ist sowohl von den Vereinten Nationen als auch von den Nationalstaaten unabhängig245 und ist damit eine zwischenstaatliche Einrichtung i. S. d. Art. 24 Abs. 1 GG.246 Hoheitsgewalt kann nur durch ein Gesetz übertragen werden. Bei der Schaffung einer neuen zwischenstaatlichen Einrichtung ist aber nicht der Erlass zweier ver239 BK(-Tomuschat), Art. 24 GG Rn. 24; Maunz / Dürig(-Randelzhofer), Art. 24 GG Rn. 33; von Mangoldt / Klein(-Classen), Art. 24 GG Rn. 4; Sachs(-Streitz), Art. 24 GG Rn. 12; Jarras / Pieroth, Art. 24 GG Rn. 4. 240 BVerfG 29. 5. 1974, BVerfG 37, 271, 280; Schmidt-Bleibtreu / Klein(-Hillgruber), Art. 24 GG Rn. 5; von Münch / Kunig(-Rojahn), Art. 24 GG Rn. 20; von Mangoldt / Friedrich Klein(-Classen), Art. 24 GG Rn. 5 – 6; Maunz / Dürig(-Randelzhofer), Art. 24 GG Rn. 30; Sachs(-Streitz), Art. 24 GG Rn. 13; Dreier(-Pernice), Art. 24 GG Rn. 20. 241 BVerfG 29. 5. 1974, BVerfGE 37, 271, 280; 10. 11. 1981, BVerfGE 59, 63, 90; 18. 12. 1984, BVerfGE 68, 1, 90; 22. 10. 1986, BVerfGE 73, 339, 374; Schmidt-Bleibtreu / Klein(-Hillgruber), Art. 24 GG Rn. 4; AK(-Zuleg), Art. 24 GG Rn. 4; Jarras / Pieroth, Art. 24 GG Rn. 5. 242 BK(-Tomuschat), Art. 24 GG Rn. 18; Maunz / Dürig(-Randelzhofer), Art. 24 GG Rn. 58. 243 Siehe hierzu unten Teil 5 C. III. 244 BVerfG 30. 6. 1953, BVerfGE 2, 347, 377; von Münch / Kunig(-Rojahn), Art. 24 GG Rn. 16; Maunz / Dürig(-Randelzhofer), Art. 24 GG Rn. 44; Sachs(-Streitz), Art. 24 GG Rn. 19; von Mangoldt / Friedrich Klein(-Classen), Art. 24 GG Rn. 20; Jarras / Pieroth, Art. 24 GG Rn. 7. 245 Siehe hierzu oben Teil 5 B. V. und VI. 246 Empell, S. 27; Dreier(-Pernice), Art. 24 GG Rn. 27; Sachs(-Streitz), Art. 24 GG Rn. 30. Siehe auch Kurth, S. 59.

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schiedener Gesetze erforderlich. Vielmehr kommt dem Vertragsgesetz eine Doppelfunktion zu. Es ist gleichzeitig Übertragungsgesetz im Sinne von Art. 24 Abs. 1 GG.247 Das deutsche Recht lässt demnach eine Übertragung judikativer Hoheitsgewalt an den IStGH zeitgleich mit Ratifizierung des IStGH-Statuts zu. bb) Zulässigkeit einer Übertragung nach Völkerrecht Bestritten wird allerdings weniger die nationale, als vielmehr die völkerrechtliche Zulässigkeit der Übertragung von Strafgewalt, soweit diese den IStGH mit Gerichtsbarkeit über Drittstaatenangehörige ausstattet. Dadurch sollen die Rechte der Drittstaaten, die den IStGH nicht anerkennen, verletzt werden. Betroffen von dieser Kritik ist die Übertragung der auf dem Territorialitätsprinzip beruhenden Strafgewalt. Begehen Angehörige eines Drittstaats auf dem Gebiet eines Vertragsstaats völkerrechtliche Verbrechen, kann der IStGH seine Gerichtsbarkeit nach Art. 12 Abs. 2 lit. a) IStGH-Statut ausüben. Könnte der IStGH auch (derivative) universelle Zuständigkeit beanspruchen, würde die Jurisdiktionsbefugnis über Drittstaatenangehörige erheblich ausgeweitet. (1) Erforderlichkeit einer Erlaubsnisnorm? Die Übertragung nationaler Strafbefugnisse an eine internationale Institution soll bereits deswegen unzulässig sein, weil es an einer expliziten Rechtsgrundlage fehle, die dies gestatte.248 Sie könne sich auch nicht auf Völkergewohnheitsrecht stützen.249 Eine derartige Übertragung von Hoheitsrechten sei in der gesamten Geschichte internationaler Strafgerichtsbarkeit beispiellos.250 Selbst wenn völkerrechtliche Verträge universelle Strafverfolgung vorsähen, würde diese Kompetenz immer von nationalen Gerichten wahrgenommen.251 Es fehle daher jedenfalls an der für die Bildung von Völkergewohnheitsrecht notwendigen Staatenpraxis, der consuetudo252. 247 BVerfG 23.6. 1981, BVerfGE 58, 1, 37; Sachs(-Streitz), Art. 24 GG Rn. 24; von Münch / Kunig(-Rojahn), Art. 24 GG Rn. 32; Maunz / Dürig(-Randelzhofer), Art. 24 GG Rn. 59. 248 Scheffer (1999a), S. 71; Morris (2001a), S. 35, 45. 249 Anders Kaul (2001a), S. 25. 250 Morris (2001a), S. 45; Mégret, S. 251. Siehe auch Scheffer (1999a), S. 71; Empell, S. 49 – 57. 251 Scheffer (1999a), S. 70; Wedgwood (1999), S. 100. 252 Gewohnheitsrecht entsteht durch von einer Rechtsüberzeugung (opinio iuris) getragenen Staatenpraxis (consuetudo). Siehe nur Case Concerning the Continental Shelf (Lybian Arab Jamahiriya v. Malta), Judgement, 3. 6. 1985, ICJ-Reports 1985, 13, 29 Rn. 27; Case Concerning Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragua (Nicaragua v. Untied States of America), Judgement, 27. 6. 1986, ICJ-Reports 1986, 14, 97 Rn. 183; Verdross, S. 635; Doehring, Rn. 287; Knut Ipsen(-von Heinegg), § 16 Rn. 7; Stein / von Buttlar, Rn. 124; Milaninia, S. 6; Bock / Preis, S. 149.

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Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

Unabhängig von der Frage, ob nicht doch die Nürnberger Tribunale als legitimierendes Beispiel herangezogen werden können,253 erscheint die Suche nach einer Erlaubnisnorm bereits in ihrer Grundprämisse fraglich. Souveränität bedeutet Autonomie des Staates nach innen und außen,254 und damit Handlungsfreiheit auch bei der Ausübung der Strafgewalt255. Der Souverän ist damit im „Ob“ und „Wie“ der Wahrnehmung seiner Rechte frei. Er kann grundsätzlich auch einem internationalen Gerichtshof erlauben, seine Hoheitsrechte in der gleichen Art und Weise auszuüben, wie er es selbst tun würde.256 Die Übertragung nationaler Strafgewalt an den IStGH wäre nur rechtswidrig, wenn sie gegen ein völkerrechtliches Verbot verstieße.257 Ein solches existiert aber nicht.258 Es ist auch dem Territorialitätsgrundsatz nicht inhärent259. (2) Unzulässige Drittwirkung? In der Erstreckung der Gerichtsbarkeit auf Angehörige von Drittstaaten wird ein Verstoß gegen den pacta tertiis nec nocent nec prosunt Grundsatz gesehen.260 Nach Art. 34 WVK können durch einen völkerrechtlichen Vertrag weder Rechte noch Pflichten für einen Drittstaat begründet werden. Die USA – obgleich Hauptvertreter der Ansicht, dass das IStGH-Statut gegen die WVK verstoße – haben diese allerdings nicht ratifiziert. Der Inhalt von Art. 34 WVK gehört aber zum Völkergewohnheitsrecht.261 Das IStGH-Statut ist in jedem Fall an ihm zu messen. 253 Dafür Stahn (2000), S. 644; Scharf (2001b), S. 115 – 116; Danilenko (2002), S. 1881; Forsythe, S. 983; Meißner, S. 57 Fn. 387; Abass (2006), S. 375; Kurth, S. 126. Dagegen Morris (2001a), S. 26. Zweifelnd Empell, S. 51. 254 Knut Ipsen(-Knut Ipsen), § 7 Rn. 17. 255 PCIJ Lotus Judgement, o. Fn. 235, S. 29. Siehe auch A.-G. of Israel v. Adolf Eichmann, 12. 12. 1961, (1968) 36 ILR 18, 57 Rn. 39 (DC Jerusalem); Milaninia, S. 7. 256 Hafner / Boon / Rübesame / Huston, S. 117; Kaul (2001a), S. 24; Mégret, S. 252; Kurth, S. 126. 257 Triffterer(-Williams / Schabas), Art. 12 IStGH-Statut Rn. 15; Mégret, S. 252. In die gleiche Richtung Junck, Rn. 113. Siehe auch PCIJ Lotus Judgement, o. Fn. 235, S. 20. Anderer Ansicht Morris (2001a), S. 47. 258 Triffterer(-Williams / Schabas), Art. 12 IStGH-Statut Rn. 15; Hafner / Boon / Rübesame / Huston, S. 117; Stahn (2000), S. 642; Cryer (2002), S. 985; Zimmermann / Scheel, S. 137; König, S. 159; Junck, Rn. 113; Abass (2006), S. 375; Mangold, S. 276; Milaninia, S. 21. 259 Scharf (2001b), S. 110 – 113. Anderer Ansicht Scheffer (1999a), S. 71; Morris (2001a), S. 45. 260 Lietzau, S. 130; Yang (2003), S. 603; Stephens, S. 166; Empell, S. 65; Milaninia, S. 5. Siehe auch Scheffer (1998), S. 2 „We have concerns of principle about the relationship between Article 12 and international law.“; dens. (199a), S. 70; dens. (2000), S. 204. In die gleiche Richtung Wedgwood (1999), S. 100; Morris (2001a), S. 26. Ausführlich Bantekas, S. 486 ff. 261 ILC, YILC 1966-II, 226; Danilenko (2002), S. 1871; Zimmermann / Scheel, S. 137. Siehe auch Akande (2003), S. 619.

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(a) Gerichtsbarkeit über Individuen, nicht über Staaten Art. 34 WVK verbietet nur die Begründung von Pflichten für einen Drittstaat, nicht aber die Inpflichtnahme von Individuen, selbst wenn diese einem Drittstaat angehören. Der IStGH richtet über Individuen, nicht über Staaten.262 Diese Differenzierung tritt im IStGH-Statut deutlich hervor. So erstreckt sich nach Artt. 1 S. 2; 25 Abs. 1 IStGH-Statut die Gerichtsbarkeit des IStGH auf natürliche Personen. Art. 25 Abs. 4 IStGH-Statut stellt ergänzend klar, dass die Verantwortlichkeit der Staaten nach dem Völkerrecht nicht berührt wird.263 Daher geht auch ein Vergleich mit dem Verfahrensrecht des IGH264 fehl.265 Dieser entscheidet anders als der IStGH bei Streitigkeiten zwischen Staaten266 und muss daher seine Gerichtsbarkeit nach Art. 35 Abs. 1 IGH-Statut auf die Vertragsstaaten begrenzen.267 Die Verurteilung von Staatsangehörigen mag zwar die Personalhoheit eines Staates tangieren,268 verpflichtet diesen aber in keiner Weise.269 Ein Verstoß gegen Art. 34 WVK wird allerdings darin gesehen, dass der Drittstaat die Strafverfolgung und Verurteilung seines Staatsangehörigen hinnehmen müsse, ihm also Duldungspflichten auferlegt würden.270 Diese sind aber im Bereich der Strafverfolgung Usus. Schließlich darf auch der Tatortstaat die auf seinem Gebiet von ausländischen Staatsangehörigen begangenen Verbrechen verfolgen, ohne dass dies als Verletzung der Souveränitätsrechte des Heimatstaates angesehen würde.271 Letzterem kommt keine exklusive Strafgewalt über seine Staatsangehörigen zu.272 Das Recht, Straftaten seiner Staatsangehörigen selbst zu ahnden, nimmt der IStGH nicht. Vielmehr sind die Nationalstaaten, unabhängig davon, ob sie das IStGH-Statut ratifi262 Triffterer(-Williams / Schabas), Art. 12 IStGH-Statut Rn. 15; Harris, S. 304; Mégret, S. 254; Summers, S. 70; Junck, Rn. 115. Siehe auch Stahn (1998), S. 588; Brown (1999), S. 869; Scharf (2001a), S. 377. Allgemein Stuby, S. 448 ff.; Conetti, S. 131. 263 Siehe auch Seidel / Stahn, S. 15. 264 Statut des Internationalen Gerichtshofs vom 26. 6. 1945, 15 UNCIO 355, BGBl. 1973 II 505. 265 Dennoch vorgenommen von Bolton, S. 177; Morris (2001a), S. 16 – 21. 266 Art. 34 Abs. 1 IGH-Statut. 267 Siehe auch Case Concerning Military and Paramilitary Activities in and against Nicaragura, (Nicaragura v. United States of America) – Jurisdiction of the Court and Admissibilty of the Application, 26. 11. 1984, ICJ-Reports 1984, 392, 431 Rn. 88; Case concerning East Timor (Portugal v. Australia), Judgement, 30. 6. 1995, ICJ-Reports 1995, 90, 105. 268 Empell, S. 40. Siehe auch Knut Ipsen(-Gloria), § 24 Rn. 1. 269 Brown (1999), S. 870. 270 Stephens, S. 167; Empell, S. 40. 271 Philips, S. 69; Stahn (2000), S. 642; Inazumi, S. 192; Zimmermann / Scheel, S. 137; Meißner, S. 57; Kurth, S. 125. 272 PCIJ Lotus Judgement, o. Fn. 235, S. 24; Milaninia, S. 14; Brown (1999), S. 870; La Haye (1999), S. 19; Danilenko (2000), S. 463; Stahn (2000), S. 642; Scharf (2001a), S. 377; Inazumi, S. 192; König, S. 158. Siehe auch Tadic´ AC, IT-94-1, o. Fn. 235, Rn. 61 – 62.

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Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

ziert haben oder nicht, nach dem Komplementaritätsgrundsatz vorrangig zur Verfolgung völkerrechtlicher Verbrechen berufen.273 Zudem verpflichten beispielsweise die Genozidkonvention in Art. III und die Genfer Konventionen für die grave breaches274 die Vertragsstaaten, bestimmte Handlungen nach der Weltrechtspflege, also gegebenenfalls auch ohne jeglichen nationalen Bezug, zu verfolgen. Dabei ist es unerheblich, ob der Staat, dem der mutmaßliche Täter angehört, die entsprechenden Verträge ratifiziert oder der Strafverfolgung zugestimmt hat. Diese Strafverfolgungspflichten berühren in vergleichbarer Weise wie das IStGH-Statut die Souveränitätsinteressen von Drittstaaten. Dass die genannten völkerrechtlichen Verträge gegen Art. 34 WVK verstießen, ist auch von den Kritikern des IStGH-Statuts bisher nicht behauptet worden.275 (b) Überstellung von Drittstaatenangehörigen Nach einem entsprechenden Ersuchen müssen die Mitgliedstaaten gesuchte Personen, die sich auf ihrem Hoheitsgebiet befinden, an den IStGH überstellen.276 Auf das Einverständnis des Täterstaates, auch wenn dieser das IStGH-Statut nicht ratifiziert hat, kommt es nicht an. Es gibt allerdings keinen völkerrechtlichen Grundsatz, der den Gewahrsamsstaat zu einer vorrangigen Auslieferung an den Täterstaat verpflichtet.277 Er darf vielmehr entweder die Tat selbst verfolgen oder an jeden betroffenen Staat ausliefern, der die fundamentalen Rechte des Angeklagten wahrt. Überträgt man dies auf die Überstellung von Drittstaatsangehörigen an den IStGH, so kann auch diese keinen unzulässigen Eingriff in die Souveränitätsrechte von Drittstaaten darstellen.278 (c) Exkurs: Kooperationspflichten Die allgemeine Kooperationspflicht des Art. 86 IStGH-Statut trifft nur Vertrags-, nicht aber Drittstaaten.279 Eine Pflicht für Drittstaaten, mit dem IStGH zusammen273 Stahn (1998), S. 588; Arbour / Bergsmo, S. 137; Brown (1999), S. 870; La Haye (1999), S. 19. Siehe auch Meißner, S. 59 und unten Teil 5 C. III. 1. a). 274 Artt. 49; 50 GK I, Artt. 50; 51 GK II, Artt. 129; 130 GK III, Artt. 146, 147 GK IV. 275 Franck / Yuhan, S. 546 und Scharf (2001b), S. 99 f.; ders. (2001a), S. 374 mit Hinweis auf verschiedene us-amerikanische Urteile. Siehe auch Harris, S. 302; Forsythe, S. 983; Akande (2003), S. 624; Bottini, S. 521. 276 Art. 89 IStGH-Statut. 277 Stahn (2000), S. 645; Scharf (2001b), S. 111; Danilenko (2002), S. 1881. 278 Stahn (2000), S. 645; Danilenko (2002), S. 1881; ders. (2000), S. 464; Mangold, S. 278. In diese Richtung auch bereits Tadic´ AC, IT-94-1, o. Fn. 235, Rn. 62. 279 Siehe auch Stahn (1998), S. 588; Triffterer(-Kreß / Prost), Art. 86 IStGH-Statut Rn. 2 – 3; Brown (1999), S. 870; Nesi, S. 222; Scharf (2001b), S. 98; Zimmermann (2002c), S. 46; Zimmermann / Scheel, S. 137; Condorelli / Ciampi, S. 593; Kurth, S. 125; van Heeck, S. 229; Wenqi, S. 88.

C. Das Verfahren vor dem IStGH

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zuarbeiten, kann sich allerdings aus anderen völkerrechtlichen Verträgen ergeben. Überweist beispielsweise der UN-Sicherheitsrat nach Art. 13 lit. b) IStGH-Statut eine Situation an den Ankläger, kann er alle Mitgliedstaaten der UN verbindlich zur Unterstützung des IStGH auffordern. Dies gilt auch für Staaten, die das IStGHStatut nicht ratifiziert haben.280 Teilweise wird sogar angenommen, dass im Fall einer Sicherheitsratsüberweisung eine automatische Kooperationspflicht für sämtliche Mitgliedstaaten der UN entstünde.281 Zudem kann der Sicherheitsrat die Weigerung eines (Dritt-)Staates, mit dem IStGH zusammenzuarbeiten, als Friedensbedrohung ansehen und diesen nach Kapitel VII UN-Charta zur Kooperation anhalten.282 Darüber hinaus verlangt der gemeinsame Art. 1 der Genfer Konventionen von den Vertragsstaaten, die Einhaltung der Abkommen unter allen Umständen durchzusetzen. Verfolgt der IStGH Kriegsverbrechen, könnten sich hieraus Kooperationspflichten für alle Vertragsstaaten der Genfer Abkommen ableiten lassen.283 Selbst wenn auf diese Weise für Drittstaaten Pflichten gegenüber dem IStGH entstehen, so werden diese durch die Mitgliedschaft in der UN bzw. dem Beitritt zu den Genfer Konventionen begründet nicht aber durch das IStGH-Statut.284 (d) Exkurs: Komplementaritätsprinzip Der Komplementaritätsgrundsatz zwingt weder Mitglieds- noch Drittstaaten. Zwar können Staaten die Zulässigkeit eines internationalen Strafverfahrens gegen ihre Staatsangehörigen nach Art. 17 Abs. 1 litt. a) und b) IStGH-Statut nur dann verhindern, wenn sie selbst die in Art. 5 IStGH-Statut genannten Verbrechen ernsthaft verfolgen. Der hiermit verbundene Druck, die core crimes ins nationale Recht zu integrieren, begründet aber keine Rechtspflicht, sondern lediglich eine Pönalisierungsobliegenheit.285 Jedem Nichtvertragsstaat steht es frei, seine Gesetzeslage und seine Verfolgungspraxis beizubehalten. Dass dann seinen Staatsangehörigen eine Strafverfolgung durch den IStGH droht, vermag keinen Verstoß gegen Art. 34 WVK zu begründen.286

280 Nesi, S. 222; Maikowski, S. 253; Wilmshurst (2002), S. 152; Condorelli / Ciampi, S. 593; van Heeck, S. 229; Heyder, S. 655. Siehe auch Gallant (2003a), S. 801. 281 Gargiulo, S. 101; Palmisano, S. 417. Kritisch Heilmann, S. 179 – 181. 282 Ntanda Nsereko (1999), S. 111; Informal expert paper, ICC-OTP 2003a, Rn. 92; Heilmann, S. 181; Kurth, S. 54 mit zustimmender Besprechung Stefanie Bock (2007b), S. 228. Siehe auch Sarooshi (2004), S. 103 – 104. 283 Palmisano, S. 419; Nesi, S. 222; Wenqi, S. 92. 284 Siehe auch Philippe Kirsch (1999), S. 5; Gallant (2003b), S. 566, 589; Wenqi, S. 92; Stefanie Bock (2007b), S. 228. 285 Siehe oben Teil 2 B. I. 286 Hafner / Boon / Rübesame / Huston, S. 118; Stahn (2000), S. 642; Mégret S. 249. Siehe auch Kleffner, S. 111. Anderer Ansicht Wedgwood (2001), S. 199; Yang (2003), S. 606.

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Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

(e) Indirekte Bewertung staatlichen Handelns Die bisher vorgebrachten Argumente werden teilweise auch von den Kritikern des Art. 12 Abs. 2 lit. a) IStGH-Statut anerkannt.287 Der Vorwurf, das IStGH-Statut verstieße gegen den pacta tertiis nec nocent nec prosunt Grundsatz, wird aber dennoch aufrecht erhalten, da der IStGH zumindest faktisch auch über die Rechtmäßigkeit staatlichen Verhaltens befinden müsse. Kennzeichnend für die core crimes ist die Tatbegehung oder -unterstützung durch offizielle (Regierungs-)Stellen. Wenn sich der Angeklagte aber beispielsweise darauf beruft, im Einklang mit offiziellen Weisungen oder anderen Staatsakten gehandelt zu haben und so die Rechtswidrigkeit seines Handelns bestreitet, müssten die fraglichen Staatsakte durch den IStGH überprüft werden.288 Zudem kann ein Staat nur durch seine Organe handeln. Die Verurteilung ranghoher Politiker und Militärs für Taten, die sie im Zusammenhang mit ihrem öffentlichen Amt begangen haben, sei damit zwangsläufig immer auch ein Urteil über den Staat.289 Sicherlich wird der Gerichtshof auch mit politisch brisanten Fragen befasst sein.290 Dies ändert aber nichts daran, dass über die Strafbarkeit von Individuen, nicht über die Verantwortlichkeit von Staaten entschieden wird.291 Dennoch einen Verstoß gegen Art. 34 WVK anzunehmen, bedeutet eine unzulässige Gleichsetzung von Verpflichtung mit Interessen.292 Dies steht auch im Einklang mit der Rechtsprechung des IGH.293 Dieser sieht sich nicht bereits deswegen in der Ausübung seiner Gerichtsbarkeit gehindert, weil seine Entscheidung die Interessen eines Drittstaats berührt. Die Grenzen sieht der IGH erst als erreicht an, wenn er explizit das Verhalten eines Drittstaats als rechtmäßig oder rechtswidrig bewerten müsste.294 Es ist aber unwahrscheinlich, dass die Ermittlung der individuellen strafrechtlichen Verantwortlichkeit eine Entscheidung über die Verantwortlichkeit eines Staates voraussetzt.295 Sollte dies aber doch ausnahmsweise der Fall sein, könnte der IStGH den Angeklagten in dem fraglichen Punkt 287 Siehe z. B. Wedgwood (2001), S. 199 und Morris (2001a), S. 26 „The ICC Treaty does not, per se, impose obligations (in the sense of duties or responsibilities) on non-parties . . .“ In diesem Sinne auch Lietzau, S. 130 Fn. 40; Stephens, S. 167. 288 Morris (2001a), S. 15. 289 Siehe Abass (2006), S. 377. 290 Insoweit ist Morris (2001a), S. 25 zuzustimmen. Siehe auch Scharf (2001a), S. 377; Akande (2003), S. 634. 291 Akande (2003), S. 634; Junck, Rn. 115. 292 Mégret, S. 249; Scharf (2001b), S. 98; Junck, Rn. 110. Siehe auch Danilenko (2002), S. 1872; Coulée, S. 48; Kurth, S. 125. 293 So auch Akande (2003), S. 635; Meißner, S. 58 Fn. 390. Anderer Ansicht Morris (2001a), S. 20 – 21. 294 Certain Phosphate Lands in Nauru (Nauru v. Australia), Preliminary Objections, 26. 6. 1992, ICJ-Reports 1992, 240, 261; Case concerning ICJ East Timor Case, o. Fn. 267, S. 103. 295 Siehe auch Mégret, S. 254; Scharf (2001a), S. 378; Akande (2003), S. 635 – 636; Mangold, S. 278.

C. Das Verfahren vor dem IStGH

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in-dubio-pro-reo freisprechen und so wie der IGH auf eine explizite Bewertung staatlichen Handels verzichten. (f) Zusammenfassung Die obiter Bewertung staatlichen Handelns sowie die Verurteilung von Staatsangehörigen mögen zwar die Interessen des betroffenen Staates tangieren, verpflichten ihn aber nicht. Das IStGH-Statut verstößt daher weder wegen der Möglichkeit, Drittstaatenangehörige zu verurteilen, noch aus anderen Gründen gegen Art. 34 WVK.296 (3) Unzulässige Schlechterstellung von Drittstaaten und ihren Angehörigen? Kritisiert wird ferner, dass das IStGH-Statut in seinen Artt. 121 Abs. 5; 124 S. 1297 Angehörige von Mitgliedstaaten unzulässig privilegiere.298 Die Vertragsparteien hätten die Jurisdiktionsbefugnis des IStGH völkerrechtswidrig zum Nachteil von Drittstaaten ausgestaltet. Wird die sachliche Zuständigkeit des IStGH geändert, steht es den Mitgliedstaaten frei zu entscheiden, ob sie diese Änderungen mit Wirkung für ihr Territorium und ihre Staatsangehörigen annehmen. Art. 121 Abs. 5 IStGH-Statut gibt ihnen damit die Möglichkeit, ihre Staatsangehörigen vor Erweiterungen der Straftatbestände zu schützen. Art. 124 S. 1 IStGH-Statut erlaubt den Vertragsstaaten für sieben Jahre ab Beitritt die Gerichtsbarkeit des IStGH über Kriegsverbrechen zu suspendieren. Ziel dieser Vorschriften ist es, Beitrittsanreize zu setzen.299 Für Drittstaatenangehörige sind keine vergleichbaren Schutzinstrumente vorgesehen. Fraglich erscheint allerdings bereits, ob die kritisierten Artikel Staatsangehörige der Vertragsparteien tatsächlich besser stellen. Dann müsste ein Staat durch eine Erklärung nach Art. 124 IStGH-Statut die Jurisdiktionsbefugnis des IStGH auch für Kriegsverbrechen ausschließen können, die seine Staatsangehörigen auf dem Hoheitsgebiet eines anderen Vertragsstaats begehen.300 Art. 12 Abs. 2 IStGH-Statut verlangt aber nur die Anerkennung der Gerichtsbarkeit durch den Täter- oder 296 So auch Triffterer(-Williams / Schabas), Art. 12 IStGH-Statut Rn. 15; Stahn (1998), S. 588; Brown (1999), S. 860; Mégret, S. 249; Scharf (2001b), S. 98; ders. (2001a), S. 379; Zimmermann (2002c), S. 46; Akande (2003), S. 620; Coulée, S. 48; Franck / Yuhan, S. 555; König, S. 158; Meißner, S. 59; Schabas (2004b), S. 710; Junck, Rn. 110; van Heeck, S. 170. 297 In eine ähnliche Richtung zielte auch die Kritik an Art. 12 Abs. 3 IStGH-Statut. Nachdem Rule 44 aber inzwischen nur die Anerkennung der Gerichtsbarkeit für eine Situation, nicht aber für einzelne Taten erlaubt, besteht die Gefahr eine Privilegierung nicht mehr, Stahn (2000), S. 645; König, S. 159. Siehe auch Fn. 194. 298 Siehe Wedgwood (2001), S. 208. 299 Bergsmo, S. 31; Arsanjani (2001), S. 53; Zimmermann / Scheel, S. 140; Kurth, S. 100. Siehe auch Politi (1999), S. 837. 300 Siehe Wilmshurst (1999), S. 139 – 141.

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Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

den Tatortstaat. Letztere ist durch den Vorbehalt301 des Täterstaats nach Art. 124 IStGH-Statut nicht betroffen. Sie ist weiterhin hinreichende Basis für die Gerichtsbarkeit des IStGH.302 Eine Opt-out-Erklärung greift daher nur dann, wenn ein Angehöriger des betroffenen Staats auf dessen Gebiet oder auf dem Gebiet eines Drittstaats Kriegsverbrechen begeht. Sie entfaltet auch dann keine Wirkung, wenn der Sicherheitsrat dem Ankläger eine Situation überträgt. Dies folgt aus dem Zusammenhang mit Art. 12 IStGH-Statut. Art. 124 IStGH-Statut stellt eine Ausnahme vom Grundsatz der automatischen Anerkennung dar. Der beitretende Staat setzt sein Einverständnis mit einer Tatahndung durch den IStGH für sieben Jahre aus. Im Fall einer Sicherheitsratsresolution kommt es auf einen Konsens mit dem Täter- oder dem Tatortstaat nicht an. Die Voraussetzungen des Art. 12 Abs. 2 IStGH-Statuts müssen nicht vorliegen. Daher ist es auch unerheblich, ob ein Staat sein Einverständnis befristet hat.303 Durch diese Auslegung wird dem Sicherheitsrat auch nicht die Kompetenz eingeräumt, die Jurisdiktionsbefugnis des IStGH über das IStGH-Statut hinaus zu erweitern. Das Recht des Sicherheitsrats, unabhängig vom Willen des Täter- und Tatortstaats Ermittlungen auszulösen, ergibt sich unmittelbar aus Artt. 12 Abs. 2; 13 lit. b) IStGH-Statut. So verstanden wird der beitretende Staat durch Art. 124 IStGH-Statut nicht besser, sondern vielmehr gleich einem Drittstaat gestellt.304 Vergleichbare Erwägungen lassen sich für Art. 121 Abs. 5 IStGH-Statut anstellen. Selbst wenn aber die Artt. 121 Abs. 5; 124 IStGH-Statut Angehörige von Mitgliedstaaten privilegierten, wäre dies rechtlich unbedenklich.305 Nach Art. 34 WKV können durch einen Vertrag weder Pflichten noch Rechte für einen Drittstaat geschaffen werden. Die Privilegierung von Vertragsstaaten ist ausdrücklich vorgesehen und daher völkerrechtlich zulässig.306 Zudem steht es auch jedem Staat frei beispielsweise durch die Vereinbarung von Amnestien in einem Friedensvertrag auf die Ausübung seiner Strafgewalt gegenüber Angehörigen eines bestimmten anderen Staates zu verzichten und diese so zu begünstigen.307 Differenzierungen bei der Strafverfolgung nach der Nationalität der Täter sind also völkerrechtlich akzeptiert. Rechtspoltisch sind diese Vorschriften allerdings äußerst fragwürdig.308 Ziel des IStGH ist es, Strafverfolgungslücken zu schließen. Durch die Hintertür der 301 Gemäß Art. 120 IStGH-Statut sind Vorbehalte unzulässig. Die Erklärungen nach den Übergangsbestimmungen wirken aber im Ergebnis wie Vorbehalte. 302 Siehe auch Triffterer(-Zimmermann), Art. 124 IStGH-Statut Rn. 6. 303 Triffterer(-Zimmermann), Art. 124 IStGH-Statut Rn. 8; Reisinger Coracini, S. 710. Anderer Ansicht Bourgon (2002), S. 565; Kurth, S. 100. 304 Brown (1999), S. 876. 305 Hafner / Boon / Rübesame / Huston, S. 118; Zimmermann / Scheel, S. 140; König, S. 159. Siehe auch Reisinger Coracini, S. 711. 306 Inazumi, S. 192; Hafner / Boon / Rübesame / Huston, S. 118; Zimmermann / Scheel, S. 137. 307 König, S. 159.

C. Das Verfahren vor dem IStGH

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Schluss- und Übergangsbestimmungen dennoch eine Differenzierung nach der Staatsangehörigkeit der mutmaßlichen Täter zu ermöglichen, stellt die Grundidee des gleichen Rechts für alle Beschuldigten in Frage.309 Aus Opfersicht sind derartige Differenzierungen nur schwer verständlich. Das IStGH-Statut selbst weist diese Bestimmungen als Fremdkörper aus. So setzt Art. 124 S. 3 IStGH-Statut die Opt-out-Klausel für Kriegsverbrechen zwingend auf die Agenda der Überprüfungskonferenz. Sie ist also von vornherein nur als Übergangslösung konzipiert. (4) Unvergleichbarkeit von nationaler und internationaler Strafverfolgung? Das Delegationsverbot wird auch damit begründet, dass die Übertragung der Strafgewalt an den IStGH deren Bedeutung und Wirkung grundlegend verändere. Die Bestrafung völkerrechtlicher Verbrechen durch nationale Gerichte sei nicht mit der durch einen internationalen Gerichtshof vergleichbar. Die territoriale Gerichtsbarkeit eines Nationalstaats auch über Angehörige fremder Staaten werde von anderen Staaten akzeptiert. Anders sei es hingegen bei der Strafverfolgung durch eine internationale Institution, wenn sich ein Staat – als Ausdruck seiner Souveränität – entschlossen habe, sich nicht an dieser zu beteiligen.310 Das dieser Argumentation zugrunde liegende Verständnis von nationaler Strafgewalt erscheint wenig überzeugend. Das Recht eines Staats, Straftaten zu ahnden, die auf seinem Hoheitsgebiet begangen werden, ist Ausdruck seiner Souveränität. Es besteht unabhängig davon, ob andere Staaten es anerkennen oder mit seiner Ausübung im konkreten Einzelfall einverstanden sind.311 Damit steht aber auch jedem Staat das Recht zu, seine Strafgewalt auf eine internationale Einrichtung zu übertragen, um auf diese Weise sicherzustellen, dass völkerrechtliche Verbrechen, die auf seinem Hoheitsgebiet begangen werden, umfassend geahndet werden.312 Basiert die Strafgewalt des IStGH auf einem Übertragungsakt, so ist sie nichts anderes als die Strafgewalt der Nationalstaaten bzw. deren Summe. Sie ist nichts Neuartiges, das einer eigenständigen Legitimation bedarf.313 Es gibt keinen Grund, warum Staaten nicht gemeinsam durch den IStGH Rechte ausüben dürfen, die auch jedem Einzelnen von ihnen zustehen.314 308 Kritisch auch Ambos (1998c), S. 224; Hafner / Boon / Rübesame / Huston, S. 118; Lattanzi (1999b), S. 55; Politi (2001), S. 12; König, S. 159. 309 König, S. 159. Siehe auch Reisinger Coracini, S. 712. 310 Wedgwood (1999), S. 99. 311 Mégret, S. 252 – 253. 312 Mégret, S. 253. 313 Mégret, S. 252; Junck, Rn. 114. Siehe auch Hafner / Boon / Rübesame / Huston, S. 117; Franck / Yuhan, S. 548. Anderer Ansicht Morris (2001a), S. 52. 314 Danilenko (2000), S. 465; Cryer (2002), S. 985; Akande (2003), S. 626; Milaninia, S. 21.

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Als Beispiel für den Bedeutungswechsel wird auf die Entwertung diplomatischen Schutzes verwiesen. Dieser könne vor nationalen Gerichten, nicht aber vor dem IStGH ausgeübt werden.315 Zwar mag es dem Täterstaat bei innerstaatlichen Verfahren gelingen, auf eine Verfahrenseinstellung oder Auslieferung hinzuwirken, ein Anspruch hierauf besteht allerdings nicht.316 Bei einer Strafverfolgung durch einen Staat, zu dem der Täterstaat keine diplomatischen Beziehungen unterhält, greift zudem auch in nationalen Verfahren der diplomatische Schutz ins Leere.317 Im Verhältnis zum IStGH hat der Täterstaat das Recht zur vorrangigen Strafverfolgung. Der Komplementaritätsgrundsatz ist in seiner Wirkung mit der Ausübung diplomatischen Schutzes vergleichbar.318 Zudem ist den Statutverbrechen eine Anwendungsschwelle immanent. Sie findet beim Völkermord ihren Ausdruck in der genozidalen Absicht, bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit in dem ausgedehnten oder systematischen Angriff gegen die Zivilbevölkerung sowie bei Kriegsverbrechen im bewaffneten Konflikt. Hinzu treten die Artt. 17 Abs. 1 lit. d); 53 Abs. 1 S. 2 lit. c) IStGH-Statut, die den Ankläger verpflichten, bei der Auswahl der zu verfolgenden Taten deren Schwere zu berücksichtigen. Der IStGH wird sich nicht mit singulären Vorfällen befassen. Eine willkürliche Verfolgung einzelner Drittstaatenangehöriger ist nahezu ausgeschlossen.319 Außerdem erkennt das IStGH-Statut in Art. 33 Handeln auf Befehl unter bestimmten Voraussetzungen als Straffreistellungsgrund an. Hinzu treten die Schuldausschließungs- und Entschuldigungsgründe des Art. 31 IStGH-Statut. Die Strafgewalt des IStGH ufert nicht aus. Die Position von Drittstaaten und ihren Angehörigen wird im Vergleich zum nationalen Verfahren nicht tief greifend verändert oder verschlechtert. Im Gegenteil bietet das IStGH-Statut eine hohe Gewähr für eine objektive und neutrale Rechtsanwendung. Die hieraus folgende materielle Legitimität des IStGH kann sogar die nationaler Gerichte übertreffen.320 Ein tief greifender Bedeutungswechsel, der ein Delegationsverbot tragen könnte, ist mit der Übertragung der Strafgewalt an den IStGH jedenfalls nicht verbunden. (5) Ergebnis Die Übertragung territorial und personal begründeter Strafgewalt an den IStGH ist völkerrechtlich zulässig. Nicht erklärt werden kann hiermit aber die universelle Gerichtsbarkeit des IStGH im Falle einer Sicherheitsratsüberweisung.

Morris (2001a), S. 45; Empell, S. 60. La Haye (1999), S. 17; Scharf (2001b), S. 75; Junck, Rn. 116. 317 Zimmermann / Scheel, S. 137; Junck, Rn. 116. Kritisch Empell, S. 59. 318 Zimmermann / Scheel, S. 137. Siehe zum Schutz durch den Komplementaritätsgrundsatz auch Hafner / Boon / Rübesame / Huston, S. 118; Stahn (2000), S. 646 – 647; Kurth, S. 126. Anderer Ansicht Empell, S. 59. 319 Siehe hierzu Stahn (2000), S. 648 – 651; Mégret, S. 249; Zimmermann / Scheel, S. 138. 320 Czaplinski, S. 71; Uerpmann-Wittzack, S. 43. 315 316

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cc) Übertragung universeller Strafgewalt? Mehrere Vertragsstaaten verfolgen die core crimes nach dem Universalitätsprinzip.321 Zum Teil wird angenommen, dass die Nationalstaaten ihre universelle Strafgewalt ebenfalls übertragen322 und auf diese Weise eine weltweite Zuständigkeit des IStGH begründen könnten. (1) Erfasste Delikte Straftatbestände, die dem Universalitätsprinzip unterstellt sind, fordern weltweit Beachtung. Das nationale Strafrecht findet auch auf Taten Anwendung, die keinerlei Bezüge zum jeweiligen Staat aufweisen. Nach dem Gleichlaufprinzip folgt aus der Geltung nationalen Strafrechts die Zuständigkeit nationaler Strafgerichte. Nationale Gerichte sind typischerweise immer dann zuständig, wenn ihr jeweiliges Strafrecht anwendbar ist.323 Basiert die Gerichtsbarkeit auf dem Universalitätsprinzip, besteht allerdings die Gefahr, dass der tatahndende Staat gegen das völkerrechtliche Prinzip der Nichteinmischung in innere Angelegenheiten verstößt und so die Souveränität des Tatort- oder Täterstaats verletzt.324 Entscheidende Frage ist, welche Delikte von der Weltrechtspflege erfasst sind, in welchen Fällen also universelle Strafverfolgung gerechtfertigt ist und nationale Souveränitätsinteressen zurücktreten müssen. Ziel der Weltrechtspflege ist der Schutz internationaler, kollektiver Rechtsgüter.325 Allerdings ließe sich für nahezu jedes Delikt begründen, warum dies nicht nur die nationalen Interessen eines Einzelstaats betrifft, sondern grenzübergreifend wirkt.326 Ein solches Vorgehen sieht sich schnell den Vorwürfen der Realpolitik und des Wertrelativismus ausgesetzt.327 Sachimmanente Erwägungen allein können eine derartige Ausdehnung nationaler Strafgewalt daher nicht tragen. Zu der materiellen Komponente muss ein formales Element treten. Universelle Strafverfolgung ist nur legitim, wenn sie auf einem Konsens der internationalen Staatengemeinschaft basiert,328 wenn diese also ihr gemeinsames Verfolgungsinteresse Siehe oben Teil 5 C. I. 6. sowie den Überblick bei Weigend (2005), S. 958 – 960. Siehe Kaul (1998a), S. 141; Stahn (1998), S. 587; Franck / Yuhan, S. 549. Dieser Gedanke lag auch dem deutschen Vorschlag zugrunde, The Jurisdiction of the International criminal Court: An Informal Discussion Paper Submitted by Germany vom 23. 3. 1998, UN Doc. A / AC 249 / 1998 / DP.2. 323 Siehe vertiefend und mit weiteren Nachweisen Mankowski / Stefanie Bock, S. 555. 324 Siehe zum Spannungsverhältnis von Universalitätsprinzip und Nichteinmischung ICJ Judgement Kongo v. Belgium, Separate Opinon of Judge Rezek o. Fn. 58, Rn. 6; Merkel, S. 242; Cryer (2002), S. 987; Bottini, S. 510; Hoyer, S. 323; Weigend (2004), S. 206; ders. (2005), S. 963; ders. (2006), S. 128; Gärditz, S. 134 – 152; Maierhöfer (2006), S. 36. 325 Siehe dazu unten Teil 5 C. I. 6. b) bb). 326 Weigend (2005), S. 966 – 967; Gärditz, S. 140. 327 Siehe MünchKomm(-Ambos), Vor §§ 3 – 7 StGB Rn. 49. 328 Weigend (2005), S. 976. 321 322

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Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

dokumentiert hat.329 Die Legitimität der Weltrechtspflege muss sich daher aus dem Völkerrecht selbst ergeben – sei es aus völkerrechtlichem Vertrag oder aus Völkergewohnheitsrecht.330 Die völkerrechtlichen core crimes unterfallen grundsätzlich der Weltrechtspflege.331 Strittig ist allerdings, ob dies für alle im IStGH-Statut aufgenommenen Tatbestandsvarianten gilt.332 Beispielhaft sei auf Art. 8 Abs. 2 lit. b) xxvi) IStGH-Statut verwiesen. Der Tatbestand der Zwangsverpflichtung oder Eingliederung von Kindern unter fünfzehn Jahren in die Streitkräfte entstammt Art. 77 Abs. 2 ZP I, der wortgleich auch in die UN-Konvention zum Schutz des Kindes333 in Art. 38 Abs. 2, 3 übernommen wurde. Letztere wurde inzwischen von 193 Staaten ratifiziert. Die Rechtswidrigkeit entsprechender Handlungen ist damit gewohnheitsrechtlich anerkannt,334 mit ihrer Pönalisierung betritt das IStGH-Statut hingegen Neuland. Schon mit der Begründung individueller Strafbarkeit geht das IStGH-Statut damit über bestehendes Völkergewohnheitsrecht hinaus.335 Ein gemeinsamer 329 MünchKomm(-Ambos), Vor §§ 3 – 7 StGB Rn. 50; Satzger (2010), § 5 Rn. 75. Siehe auch Baumann / Weber / Mitsch, § 7 Rn. 58. 330 Oehler, Rn. 844; Scharf (2001a), S. 363; Kreß (2002), S. 833; MünchKomm(-Ambos), Vor §§ 3 – 7 StGB Rn. 49; Cassese (2003), S. 591; Bottini, S. 520; Cameron, S. 77; Ipsen(-Knut Ipsen), § 38 Rn. 7; Maierhöfer (2006), S. 41. Siehe auch ICJ Judgement Kongo v. Belgium, Separate Opinion of President Guillaume, o. Fn. 58, Rn. 10 und Joint Separate Opinion of Judges Higgins, Kooijmans and Buergenthal, Rn. 19; Merkel, S. 258; Phillippe, S. 385. Anders BGH 20. 10. 1976, BGHSt 27, 30, 32, der in dem Nichteinmischungsgebot keine Grenze der weltweiten Ersreckung von Strafgewalt sieht und es letztlich in das Belieben der Staaten stellt, welche Delikte diese dem Universalitätsprinzip unterstellen. Kritisch MünchKomm(-Ambos), Vor §§ 3 – 7 StGB Rn. 51. 331 ICJ Judgement Kongo v. Belgium, Separate Opinion of Judge Koroma o. Fn. 58, Rn. 9 und Joint Separate Opinion of Judges Higgins, Kooijmans and Buergenthal, Rn. 61; Kallon & Kamara, AC, SCSL-04-15-PT-060, o. Fn. 224, Rn. 69; Meron (1995b), S. 569 – 576; van der Vyer, S. 37; Broomhall (2001), S. 409; Kamminga, S. 945 – 948; Sadat (2001), S. 244; MünchKomm(-Ambos), Vor §§ 3 – 7 StGB Rn. 54; Bassiouni (2004), S. 50 – 54; Bottini, S. 529 – 539; Weigend (2005), S. 971; Wolfrum, S. 979; Satzger (2010), § 4 Rn. 13; Werle (2007), Rn. 176; Wilhelmi, S. 231; Bassiouni (2008f), S. 658. Siehe auch Joyner, S. 166; Zimmermann (1998), S. 85 – 92; Blanke / Molitor, S. 152 – 156; Danilenko (2002), S. 1879; Franck / Yuhan, S. 548; Kreß / Wannek, S. 231; Ambos (2006), S. 112; ders., (2008a), § 3 Rn. 96; Bothe / Fischer-Lescano, S. 3. So auch bereits das Eichmann DC Judgement, o. Fn. 255, S. 26 Rn. 11. Bestätigt in A.-G. of Israel v. Adolf Eichmann, 29. 5. 1962, (1968) 36 ILR 277, 287 Rn. 10 (Supreme Court of Israel). 332 Zweifelnd auch Danilenko (2000), S. 461; Stahn (2000), S. 643. 333 Übereinkommen über die Rechte des Kindes vom 20. 11. 1989, 1577 UNTS 43, für Deutschland am 5. 4. 1992 in Kraft getreten, BGBl. 1992 II 121. 334 Siehe auch Henckaerts / Doswald-Beck, S. 482; Bock / Preis, S. 151. 335 Morris (2000), S. 236; Roberts, S. 65; Bock / Preis, S. 151. Allein die Aufnahme des Straftatbestandes in das IStGH-Statut – unabhängig von Art. 10 IStGH-Statut – rechtfertigt nicht die Annahme, er sei völkergewohnheitsrechtlich anerkannt. Ein von vielen Staaten vorbehaltlos ratifizierter Vertrag ist zwar ein Hinweis auf entsprechendes Gewohnheitsrecht, jedoch kein Beweis. Dass bevölkerungs- und einflussreiche Staaten wie die USA, China und Indien dem IStGH-Statut bisher nicht beigetreten sind, spricht eher gegen die Annahme, dass

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Wille der Staatengemeinschaft, dieses Delikt ungeachtet nationaler Grenzen zu verfolgen, dürfte kaum nachweisbar sein. Sind die Vertragsstaaten aber nicht berechtigt, alle vom IStGH-Statut erfassten Handlungen nach dem Universalitätsprinzip zu verfolgen, können sie eine solche Befugnis auch nicht auf den IStGH übertragen.336 Das IStGH-Statut selbst vermag das Universalitätsprinzip für die gelisteten Straftatbestände nicht zu legitimieren.337 Voraussetzung hierfür wäre zunächst, dass völkervertraglich begründete Weltrechtspflege nicht nur zwischen den Vertragsparteien gilt, sondern auch das Recht gewährt, auf dem Gebiet von Drittstaaten begangene Taten zu verfolgen. Ob dies der Fall ist, ist umstritten.338 Hierauf kommt es aber nicht an. Die Vertragsstaaten haben im IStGH-Statut nicht ihren Willen zur gemeinsamen universellen Strafverfolgung zum Ausdruck gebracht. Im Regelfall ist die Strafverfolgung vom – konkreten oder generellen – Einverständnis des Täter- oder Tatortstaates abhängig. Die Weltrechtspflege ist nur für den Ausnahmefall339 einer Sicherheitsratsresolution vorgesehen. Die Vertragsstaaten wollen zwar gemeinsam die im Statut genannten Verbrechen verfolgen, erheben aber grundsätzlich keinen universellen Strafanspruch. Selbst wenn der IStGH universelle Zuständigkeit beanspruchen würde, wäre damit noch nicht über die Gerichtsbarkeit der Nationalstaaten entschieden.340 Zwar soll nach der Präambel des IStGH-Statuts die Straflosigkeit bei völkerrechtlichen Verbrechen beendet und die Täter zur Verantwortung gezogen werden. Dies soll durch das Zusammenwirken nationaler und internationaler Gerichte erfolgen. Eine Ermächtigung der Mitgliedstaaten, ihr Strafrecht entsprechend auszudehnen, ist mit dieser bloßen Zielformulierung allerdings nicht verbunden.341 Nicht alle im IStGH-Statut enthaltenen Straftatbestände unterfallen der Weltrechtspflege. Insoweit scheidet eine Übertragung universeller Strafgewalt aus. Mit Blick auf die Genozid-Konvention, das Genfer Recht, die Rechtsprechungspraxis der Ad-hoc-Tribunale342 sowie die zunehmende Implementierung der core crimes sein gesamter Inhalt bereits Teil des Völkergewohnheitsrechts ist, Morris (2001a), S. 57 – 60; Gallant (2003a), S. 792; Kurth, S. 68; Bock / Preis, S. 149. 336 Morris (2001a), S. 58; Scheffer (1999a), S. 70. 337 ICJ Judgement Kongo v. Belgium, Dissenting Opinion of Judge van den Wyngaert, o. Fn. 58, Rn. 66. 338 Dagegen Abass (2006), S. 360; König, S. 153; Gärditz, S. 153. Dafür Scharf (2001a), S. 374; Bottini, S. 521. Zweifelnd Akande (2003), S. 623; Gallant (2003a), S. 789. Siehe auch ICJ Judgement Kongo v. Belgium, Joint Separate Opinion of Judges Higgins, Kooijmans and Buergenthal, o. Fn. 58, Rn. 42. 339 Siehe hierzu unten Teil 5 C. II. 2. 340 ICJ Judgement Kongo v. Belgium, Separate Opinion of President Guillaume o. Fn. 58, Rn. 11. 341 Weigend (2005), S. 961. 342 Das ICTY hat beispielsweise angenommen, dass die Strafbarkeit von Verstößen gegen den gemeinsamen Art. 3 der Genfer Konventionen sowie gegen die Kernvorschriften

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in nationale Rechtsordnungen kann man aber erstens davon ausgehen, dass nur für sehr wenige Tatbestandsvarianten das Universalitätsprinzip nicht hinreichend legitimiert ist. Zweitens handelt es sich nur um ein Übergangsstadium. Basierend auf dem IStGH-Statut wird sich sehr wahrscheinlich bald entsprechendes Völkergewohnheitsrecht entwickeln.343 Als Beispiel für eine beginnende Staatenpraxis sei auf § 1 VStGB, Art. 8 ECC und Art. 14 Abs. 1 Nr. 1 StG RK verwiesen. (2) Inhalt und Grenzen des Universalitätsprinzips Schwierigkeiten bereitet nicht nur die Ermittlung der vom Universalitätsprinzip erfassten Delikte. Umstritten ist vielmehr auch, ob die rechtsprechende Gewalt nur in Fällen ausgeübt werden darf, in denen ein Inlandsbezug besteht. Im Mittelpunkt der Diskussion steht die Frage, ob der aburteilende Staat die Weltrechtspflege nur dann ausüben darf, wenn er den mutmaßlichen Täter zumindest in Gewahrsam hat oder ob auch die Weltrechtspflege in absentia zulässig ist. Die Idee, die nationale Strafgewalt zu begrenzen, entspringt dem Bedürfnis, die Souveränitätsinteressen anderer Staaten zu achten und eine Einmischung in interne Angelegenheiten zu vermeiden. Gleichzeitig soll ungerechtfertigten Selektionsprozessen vorgebeugt werden. Staaten können dazu neigen, auf eine Tatahndung zu verzichten, wenn negative politische oder wirtschaftliche Konsequenzen zu erwarten sind. Es besteht die Gefahr, dass universelle Strafgewalt hauptsächlich von starken Staaten über Angehörige schwacher Staaten ausgeübt wird.344 Im Fall Belgien v. Kongo345 hätte der IGH Gelegenheit gehabt, sich zu dieser Frage zu äußern. Ein belgischer Ermittlungsrichter hatte einen Haftbefehl gegen den kongolesischen Außenminister Yerodia wegen Kriegsverbrechen und Verbrechen gegen die Menschlichkeit erlassen. Yerodia hielt sich zu der Zeit nicht in Belgien auf.346 Der Gerichtshof befasste sich allerdings nicht mit der Reichweite des Universalitätsprinzips, sondern konzentrierte sich auf die Frage, ob Außenminister Yerodia Immunität genießt. In den abweichenden Sondervoten nahmen die Richter aber doch zur Zuständigkeit Belgiens Stellung. Vier Richter sprachen sich gegen die Zulässigkeit einer Weltrechtspflege in absentia aus,347 fünf dafür,348 drei von des ZP II völkergewohnheitsrechtlich anerkannt ist, Tadic´ AC, IT-94-1, o. Fn. 235, Rn. 129, 134. 343 In diese Richtung auch Arbour, S. 587 sowie Meron (1995b), S. 577. 344 BGH 30. 4. 1999, BGHSt 42, 65, 67; Broomhall (2001), S. 416 – 418; Morris (2001b), S. 354 – 359; Bottini, S. 555 – 557; Weigend (2005), S. 963; Keller, S. 30. Siehe auch ICJ Judgement Kongo v. Belgium, Joint Separate Opinion of Judges Higgins, Kooijmans and Buergenthal o. Fn. 58, Rn. 59. 345 ICJ Judgement Kongo v. Belgium, o. Fn. 58 mit Besprechungen bei Cassese, (2002) 13 EJIL 853; Guilherme de Aragao, S. 77; Kreß (2002), S. 818; ders. (2003a), S. 25; Spinedi, S. 895; Wirth (2002), S. 877; Czaplinski, S. 63; Maierhöfer (2003), S. 545; Sands, Rn. 35 – 52; Wouters, S. 253; Zeichen / Hebenstreit, S. 182; O’Keefe, S. 735; Keller, S. 25. 346 Siehe zum Verfahren gegen Yerodia in Belgien Ongena / van Daele, S. 687.

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ihnen aber nur unter der Bedingung, dass der Staatsanwaltschaft vollständige Unabhängigkeit zukommt349. Ebenso uneinheitlich ist die Rechtslage und -sprechung in den Nationalstaaten. Für Deutschland verlangte der BGH einen legitimierenden Anknüpfungspunkt, der einen unmittelbaren Bezug zur Verfolgung des Völkermordes im Inland herstellt.350 Diese Rechtsprechung ist inzwischen allerdings mit § 1 VStGB, der ausdrücklich auf jeden Anknüpfungspunkt verzichtet, nicht mehr vereinbar.351 Nach § 153 f StPO kann die Strafverfolgung völkerrechtlicher Verbrechen durch deutsche Behörden aber unterbleiben, wenn es an einen hinreichenden Inlandsbezug fehlt. § 153 f StPO etabliert insoweit eine Ausnahme vom Legalitätsprinzip. Der spanische tribunal supremo verlangte einen Inlandsbezug für die Verfolgung von in Guatemala begangenem Völkermord.352 Diese Entscheidung fiel aber nicht einstimmig. Sieben Richter hielten in ihrer abweichenden Meinung legitimierende Anknüpfungspunkte für verzichtbar.353 Der tribunal constitucional schloss sich dieser Ansicht an.354 Kanada übt keine Weltrechtspflege in absentia aus. Eine Strafverfolgung ist nur möglich, wenn sich der Beschuldigte zumindest in kanadischem Gewahrsam befindet.355 Die Strafverfolgungsbehörden Österreichs sind zur universellen Strafverfolgung nur subsidiär berufen. Vorrang wird allen anderen staatlichen sowie internationalen Gerichten zugesprochen.356 Dieser kurze Überblick357 zeigt, dass von einer gemeinsamen Staatenüberzeugung oder einer einheitlichen Staatenpraxis bei der Ausübung der Weltrechtspflege nicht die Rede sein kann. Die vorgesehenen Beschränkungen betreffen allerdings nicht die jurisdiction 347 ICJ Judgement Kongo v. Belgium, Separate Opinion of President Guillaume, o. Fn. 58, Rn. 16 – 17; Declaration of Judge Ranjeva, Rn. 11; Separate Opinon of Judge Rezek, Rn. 10; Separate Opinion of Judge Bula-Bula, Rn. 81. 348 ICJ Judgement Kongo v. Belgium, Separate Opinion of Judge Koroma, o. Fn. 58, Rn. 9; Joint Separate Opinion of Judges Higgins, Kooijmans and Buergenthal, Rn. 59; Dissenting Opinion of Judge van den Wyngaert, Rn. 67. 349 ICJ Judgement Kongo v. Belgium, Joint Separate Opinion of Judges Higgins, Kooijmans and Buergenthal o. Fn. 58, Rn. 19. 350 BGH 30. 4. 1999, BGHSt 45, 64, 68 – 69. Kritisch zur Einschränkung der Weltrechtspflege Kreß (2000), S. 624; Lüder (2000), S. 270; Ambos / Wirth (2001), S. 778 – 783; Satzger (2010), § 17 Rn. 38; Schönke / Schröder(-Eser), Vorbem §§ 3 – 7 Rn. 8. 351 Kreß (2002), S. 845; Satzger (2010), § 17 Rn. 38. 352 Tribunal Supremo 25. 2. 2004, 42 ILM 686 (2003). Kritisch Ascensio, S. 699. 353 Tribunal Supremo 25. 2. 2004, voto particular, 42 ILM 703 (2003). 354 Tribunal Constitucional, 26. 9. 2005, Az. STC 237 / 2005, fundamentos juridicos noveno, abrufbar unter http: //www.tribunalconstitucional.es/jurisprudencia/Stc2005/STC2005 – 237.html. 355 Section 8 des Act respecting genocide, crimes against humanity and war crimes and to implement the Rome Statute of the International Criminal Court, and to make consequential amendments to other Acts vom 29. 6. 2000, Statutes of Canada 2000, Chapter 24. 356 Siehe Zerbes, S. 129. 357 Siehe ergänzend Cassese (2008), S. 286 – 289.

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to prescribe, sondern die jurisdiction to enforce.358 Dennoch stellt sich die Frage, ob und wie sich diese Jurisdiktionsbeschränkungen auf den Übertragungsakt und eine etwaige derivative Strafgewalt auswirken würden.

dd) Ergebnis Art. 12 Abs. 2 IStGH-Statut kann dahingehend verstanden werden, dass der Gerichtshof die territorial und personal begründete Strafgewalt der Vertragsstaaten ausübt. Soweit die Nationalstaaten die core crimes nach dem Universalitätsprinzip verfolgen, könnten sie auch diese Kompetenz an den IStGH abtreten. Probleme ergeben sich allerdings zum einen daraus, dass die Weltrechtspflege noch nicht für alle im IStGH-Statut enthaltenen Tatbestandsvarianten völkerrechtlich anerkannt ist, und zum anderen aus den unterschiedlichen Beschränkungen, denen die Weltrechtspflege in den verschiedenen Nationalstaaten unterworfen ist.

b) Originäre Strafgewalt Auf die Übertragung nationaler Strafgewalt ist der IStGH aber nur angewiesen, wenn ihm nicht aus eigenem Recht die Befugnis zur Verfolgung der core crimes zukommt. aa) Das Tadic´-Urteil des ICTY als Ausgangspunkt Dusko Tadic´ verteidigte sich, indem er die Rechtmäßigkeit und Legitimität des ICTY in Frage stellte. Seine Kritik bezog sich auf die Errichtung des Tribunals durch Sicherheitsratsresolution359, dessen Vorrang gegenüber nationalen Gerichten360 sowie dessen materielle Zuständigkeit361. In seiner Grundlagenentscheidung setzte sich das ICTY inzident mit dem Ursprung seiner Strafgewalt auseinander. Da das ICTY nicht durch völkerrechtlichen Vertrag, sondern durch Sicherheitsratsresolution errichtet wurde, war eine Legitimation durch abgeleitete Strafgewalt nicht möglich.362 Das ICTY sah seine Zuständigkeit durch die Natur völkerrechtlicher Verbrechen begründet. Diese beträfen nicht nur die Interessen einzelner

MünchKomm(-Ambos),§ 1 VStGB Rn. 14; Grant, S. 463. Tadic´ AC, IT-94-1, o. Fn. 235, Rn. 13 – 48 mit abweichender Meinung Judge Li, Rn. 2 – 4 und Judge Sidhwa Prosecutor v. Tadic´ – Decision on the Defence Motion on Jurisdiction, TC I, IT-94-1, 10. 8. 1995, Rn. 1 – 40. 360 Tadic´ AC, IT-94-1, o. Fn. 235, Rn. 49 – 64 mit abweichende Meinung Judge Li, Rn. 5 – 13; Tadic´ TC, IT-94-1 o. Fn. 359, Rn. 41 – 44. 361 Tadic´ AC, IT-94-1, o. Fn. 235, Rn. 4 – 145; Tadic´ TC, IT-94-1 o. Fn. 359, Rn. 45 – 83. 362 Morris (2001a), S. 35 – 36; König, S. 163. 358 359

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Staaten, sondern vielmehr die Menschheit als solche.363 Wegen ihres universellen Charakters stünden keinem Staat ausschließliche Strafverfolgungskompetenzen zu.364 Die internationale Gemeinschaft sei daher berechtigt, die core crimes ohne Rücksicht auf staatliche Souveränitätsinteressen zu verfolgen.365 Letztere dürften dem Schutz elementarer Menschenrechte und einer universellen Gerechtigkeit nicht entgegenstehen.366 bb) Einklang von Völkerstrafrecht und Universalitätsprinzip Die Ausführungen des ICTY harmonieren mit den Grundgedanken des Völkerstrafrechts und des Universalitätsprinzips. Das Völkerstrafrecht begründet unmittelbare individuelle strafrechtliche Verantwortlichkeit für internationale Verbrechen.367 Es ist supranationales Strafrecht,368 das ohne Rücksicht auf nationale Grenzen weltweite Geltung beansprucht.369 Die core crimes beinhalten eine systematische Verletzung von Menschenrechten in großem Ausmaß. Ihre Wirkung ist nicht auf den Tatortstaat begrenzt. Betroffen sind vielmehr alle Staaten sowie die internationale Staatengemeinschaft als ganze. Dementsprechend schützt das Völkerstrafrecht zwar auch die Individualinteressen einzelner Opfer. Der Schwerpunkt liegt aber auf der Sicherung supraindividueller, kollektiver Rechtsgüter.370 Völkerstrafrecht ist ein Mittel der internationalen Staatengemeinschaft, ihre Rechtsgüter und die Menschenrechte als solche zu schützen.371 Mit dem Völkerstrafrecht korrespondiert die Weltrechtspflege.372 Werden kollektive Rechtsgüter und damit die gemeinsamen Sicherheitsinteressen aller Staaten verletzt, sind grundsätzlich alle Staaten zur Strafverfolgung berechtigt.373 Anders Tadic´ AC, IT-94-1, o. Fn. 235, Rn. 57; Tadic´ TC, IT-94-1 o. Fn. 359, Rn. 42. Tadic´ AC, IT-94-1, o. Fn. 235, Rn. 58; Tadic´ TC, IT-94-1 o. Fn. 359, Rn. 44. 365 Tadic´ TC, IT-94-1 o. Fn. 359, Rn. 42. Ausdrücklich zustimmend Tadic´ AC, IT-94-1, o. Fn. 235, Rn. 59. Siehe auch Kerr, S. 67. 366 Tadic´ AC, IT-94-1, o. Fn. 235, Rn. 58. 367 Triffterer (1998), S. 323; ders. (1999), S. 501; ders. (2002), S. 338; Kreß (2002), S. 829; Ipsen(-Knut Ipsen), § 38 Rn. 1; Baumann / Weber / Mitsch, § 7 Rn. 91; Kreß / Wannek, S. 231; Schomburg, S. 9; Wang, S. 100; van Heeck, S. 31; Ambos (2008a), § 5 Rn. 1. 368 Ambos (2008a), § 5 Rn. 1. 369 Wang, S. 96. Siehe auch Sadat (2001), S. 256. 370 Siehe oben Teil 2 B. II. 2., III. 2. und IV. 2. 371 Triffterer (1995), S. 172; ders. (1999), S. 503; ders. (2002), S. 342; Broomhall (2001), S. 402; Lagodny, S. 803; Kreß / Wannek, S. 236; Kurth, S. 23. 372 Eichmann DC Judgement, o. Fn. 255, S. 26 Rn. 12; Kreß (2000), S. 625; Guilherme de Aragao, S. 80; Broomhall (2003), S. 107; König, S. 153; Junck, Rn. 68. 373 BVerfG 12. 12. 2000, NJW 2001, 1848, 1852; Eichmann DC Judgement, o. Fn. 255, S. 26 Rn. 12; Tribunal Supremo 25. 2. 2004, voto particular, 42 ILM 703, 710 (2003); Joyner, S. 165; Brown (1999), S. 873; ders. (2001), S. 392; Staudinger, S. 3099; Lüder (2000), S. 270; Bungenberg, S. 184; Kamminga, S. 943; Morris (2001b), S. 337; Cassese (2002c), S. 859; 363 364

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als territorial oder personal begründete Strafgewalt basiert die Weltrechtspflege nicht auf der staatlichen Souveränität, sondern auf der Solidarität der Staatengemeinschaft.374 Ziel ist die Verhinderung von Straflosigkeit infolge eines Zuständigkeitsvakuums. Da völkerrechtliche Verbrechen typischerweise unter Beteiligung oder zumindest mit Billigung der Regierung erfolgen, ist eine Tatahndung durch den Täter- oder Tatortstaat kaum zu erwarten.375 Sind aber alle Staaten zur Strafverfolgung berechtigt, gibt es für den Täter keinen save haven, kann er sich – zumindest in der Theorie – seiner Bestrafung nicht entziehen.376 Soweit das Universalitätsprinzip hinreichend völkerrechtlich legitimiert ist,377 ist die Ausdehnung der nationalen Gerichtsbarkeit keine unzulässige Einmischung in die inneren Angelegenheiten des verfolgungsunwilligen Tatortstaats. Da die der Weltrechtspflege unterfallenden Delikte alle Staaten betreffen, sind sie keine rein nationalen Angelegenheiten, für die der Tatortstaat exklusive Strafgewalt beanspruchen könnte.378 Artt. 49; 50 GK I, Artt. 50; 51 GK II, Artt. 129; 130 GK III, Artt. 146, 147 GK IV gehen noch einen Schritt weiter. Sie etablieren für die grave breaches der Genfer Konventionen den Aut-dedere-aut-judicare-Grundsatz. Die Mitgliedstaaten sind verpflichtet, Beschuldigte entweder an einen anderen Vertragsstaat zu übergeben, oder sie unabhängig von ihrer Staatsangehörigkeit selbst vor Gericht zu stellen. Gleiches gilt für das Verbrechen der Folter.379 Darüber hinaus wird angenommen, dass alle Staaten Verbrechen verfolgen müssen, die gegen jus cogens, also zwingendes und unabdingbares Recht,380 verstoßen.381 Zum jus cogens gehören grundKönig, S. 152; MünchKomm(-Ambos), Vor §§ 3 – 7 StGB Rn. 47; Bassiouni (2004), S. 42; Bottini, S. 511; Wolfrum, S. 978; Bothe / Fischer-Lescano, S. 2; Phillippe, S. 378; Milaninia, S. 13; Philippe Kirsch (2007), S. 540; Schönke / Schröder(-Eser), Vorbem §§ 3 – 7 Rn. 8; Wilhelmi, S. 226; Ambos (2008a), § 3 Rn. 96. 374 SK(-Hoyer), § 6 StGB Rn. 2; Kreß (2000), S. 625; Bungenberg, S. 184; König, S. 152; Bassiouni (2004), S. 42; Schönke / Schröder(-Eser), Vorbem §§ 3 – 7 Rn. 8. 375 Campell, S. 172; Lagodny, S. 803; Cameron, S. 79; Weigend (2004), S. 206; ders. (2005), S. 965; Wolfrum, S. 979. Siehe auch Merkel, S. 261; Schabas (2003a), S. 59. 376 ICJ Judgement Kongo v. Belgium, Dissenting Opinon of Judge van den Wyngaert, o. Fn. 58, Rn. 46; Joyner, S. 166; Lagodny, S. 803; Weigend (2004), S. 206; ders. (2005), S. 965. 377 Siehe hierzu oben Teil 5 C. I. 6. a) cc). 378 Kreß (2000), S. 624. Siehe auch Triffterer (1995), S. 201; Bungenberg, S. 186 – 190; Brown (2001), S. 390; Weigend (2004), S. 208; ders. (2005), S. 973. Kritisch Gärditz, S. 135, der dem Tatortstaat jedenfalls das Recht vorraniger Strafverfolgung zugesteht. 379 Art. 5 des Übereinkommens gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrige Behandlung oder Strafe vom 10. 12. 1984, 1465 UNTS 85, in Deutschland am 31. 10. 1990 in Kraft getreten, BGBl. 1990 II 247. 380 Prosecutor v. Furundzija, Judgement, TC II, IT-95-17 / 1-T, 10. 12. 1998, Rn. 153; Bassiouni (1996a), S. 67; Joyner, S. 169; Byers, S. 215. 381 Bassiouni (1996a), S. 72 – 74; Sok Kim, S. 77; Lagodny, S. 803; Yang (2005), S. 122; el Zeidy, S. 1534. Siehe auch Case Concerning the Application of the Convention on the Prevention and Punishment of the Crime of Genocide (Bosnia and Herzegovina v. Yugoslavia),

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sätzlich die Straftatbestände, die völkergewohnheitsrechtlich der Weltrechtspflege unterfallen: Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit und Kriegsverbrechen.382 So betrachtet sind Universalitätsprinzip, Jus-cogens- und Erga-omnesStrafverfolgungspflichten Teil eines einheitlichen Konzepts zum Schutz kollektiver, internationaler Rechtsgüter.383 Art. 12 Abs. 2 IStGH-Statut führt zu einer für Strafgerichte ungewöhnlichen Trennung von materiellem Recht und gerichtlicher Zuständigkeit, der jurisdiction to prescribe und der jurisdiction to adjudicate.384 Während der Anwendungsbereich der in Art. 6 – 8 IStGH-Statut genannten Verbrechen (größtenteils) universell ist, ist die Zuständigkeit des IStGH in Anlehnung an das Territorialitätsprinzip und das aktive Personalitätsprinzip begrenzt. Er ist damit nicht in Lage, dem Völkerstrafrecht Geltung zu verschaffen, wann immer es solche Geltung verlangt. Dies steht im Widerspruch zu einer effektiven Gerichtsbarkeit und den Grundgedanken des Universalitätsprinzips. Ebenso wie die Erga-omnes-Pflichten nicht einem Staat, sondern der internationalen Gemeinschaft als ganze gegenüber bestehen,385 dient die Weltrechtspflege dem überstaatlichen Interesse der gesamten Menschheit.386 Verfolgt ein Nationalstaat Völkerrechtsverbrechen nach der Weltrechtspflege, so handelt er stellvertretend im Interesse der gesamten Staatengemeinschaft, als humanity agent.387 Seine Strafgewalt ist derivativ;388 abgeleitet von dem Recht der Staatengemeinschaft, Verbrechen zu verfolgen, die ihre kollektiven Rechtsgüter verletzen389. Die Annahme derivativer Strafgewalt degradiert den IStGH im Ergebnis zu einem Organ der Mitgliedstaaten, das in ihrem Auftrag und Interesse tätig wird. Dies steht aber im Widerspruch zu der in der Präambel zum Ausdruck gebrachten Preliminary Objections, Judgement, 11. 7. 1996, I. C. J.-Reports 1996, 595, 616 Rn. 31; Harris, S. 290; Brown (2001), S. 392; Ongena / van Daela, S. 690; O’Shea, S. 265. 382 Bassiouni (1996a), S. 68. 383 Siehe auch Joyner, S. 168 – 169; Byers, S. 239; Brown (2001), S. 393; el Zeidy, S. 1534; Milaninia, S. 14. 384 Siehe vertiefend und m. w. N. Mankowski / Stefanie Bock, S. 559. 385 Brown (2001), S. 393; Abass (2006), S. 355. Siehe auch Byers, S. 229. 386 Lüder (2000), S. 270; Ascensio, S. 700; Keller, S. 27. Siehe auch Morris (2001b), S. 337. 387 ICJ Judgement Kongo v. Belgium, Joint Separate Opinion of Judges Higgins, Kooijmans and Buergenthal, o. Fn. 58, Rn. 51; Eichmann Supreme Court Judgement, o. Fn. 331, 29. 5. 1962, S. 304; Tribunal Supremo 25. 2. 2004, 42 ILM 703, 704; Joyner, S. 165; Zimmermann (1998), S. 85; Ntanda Nsereko (1999), S. 100; Sears, S. 132; Roger S. Clark (2000), S. 213; Kreß (2000), S. 624; Lüder (2000), S. 270; Kamminga, S. 943; Lagodny, S. 803; Sadat (2001), S. 244; Guilherme de Aragao, S. 80; Akande (2003), S. 626; Kleffner, S. 108; Bottini, S. 511; Weigend (2005), S. 959; Keller, S. 27; Mangold, S. 276; Ambos (2008a), § 3 Rn. 93. 388 Lagodny, S. 804. 389 Ntanda Nsereko (1999), S. 101; Triffterer (1999), S. 516; Werle (2007), Rn. 173. Siehe auch Lagodny, S. 805; Weigend (2005), S. 965.

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Grundidee, dass das IStGH-Statut der internationalen Rechtspflege dient.390 Der IStGH kann nicht darauf angewiesen sein, dass die Nationalstaaten ihre abgeleitete Strafgewalt an ihn (zurück-)übertragen.391 Rechte, die dem agent zustehen, kann der principal auch selbst ausüben. Die internationale Gemeinschaft hat das Recht, die in Art. 5 IStGH-Statut genannten Verbrechen zu verfolgen. Zu diesem Zweck hat sie den IStGH als Internationale Organisation geschaffen.392 Er übt originär und zentral die Strafkompetenz der internationalen Staatengemeinschaft aus. Seine Gerichtsbarkeit ist unmittelbar durch Völkerrecht legitimiert.393 Anders als bei der Ausübung universeller Gerichtsbarkeit durch Nationalstaaten besteht kein Bedürfnis nach einem zusätzlichen Anknüpfungspunkt. Das legitime Interesse der internationalen Gemeinschaft als solcher an der Ahndung systematischer Menschenrechtsverletzungen bezieht sich auf die gesamte Welt. Die Gefahr von politisch motivierten Selektionsprozessen besteht zwar auch vor dem IStGH. Letztlich kann aber ein internationales Gericht mit einer international repräsentativen Besetzung, das von einer großen Mehrheit der Staatengemeinschaft unterstützt wird, eher die Gewähr für eine unabhängige Strafverfolgung bieten als nationale Gerichte.394 Außerdem sieht das IStGH-Statut ein komplexes System von checkand-balances vor, um sachlich ungerechtfertigte Selektionen zu vermeiden. Hinreichend begrenzt wird die Strafgewalt zudem durch den Ausschluss von Verfahren in absentia. Zusätzliche Bezüge zum Täter- oder Tatortstaat nach dem Vorbild des Art. 12 Abs. 2 IStGH-Statut sind rechtlich nicht erforderlich.395 Deren Souveränitätsinteressen wird hinreichend durch das Komplementaritätsprinzip Rechnung getragen, das auch ihnen das Recht zur vorrangigen Strafverfolgung gewährt.396 cc) Sicherheitsratsresolution als Voraussetzung originärer Gerichtsbarkeit? Originäre universelle Strafgewalt internationaler Gerichte wurde bisher nur angenommen, wenn diese aufgrund eines Beschlusses des Sicherheitsrats tätig wurden. Dies gilt sowohl für die beiden Ad-hoc-Tribunale als auch für den IStGH, sofern ein Verfahren nach Art. 13 lit. b) IStGH-Statut ausgelöst wird. Dem Sicherheitsrat kommt aber keine Legislativkompetenz im Völkerstrafrecht zu.397 Er kann Uerpmann-Wittzack, S. 40. Siehe auch Ntanda Nsereko (1999), S. 101 – 102; Lagodny, S. 804 – 805. 392 Siehe auch Triffterer (1998), S. 282 – 283; Gallant (2003a), S. 788; Wolfrum, S. 979. 393 Siehe auch Triffterer (1998), S. 359; Lagodny, S. 804; König, S. 163. 394 Siehe auch Kleffner, S. 108. 395 Siehe auch Lattanzi (1999a), S. 432; Danilenko (2002), S. 1878; König, S. 160; Junck, Rn. 63; Werle (2007), Rn. 172. 396 Fletcher, S. 583. Siehe zum Souveränitätsschutz als primäre Aufgabe des Komplementaritätsgrundsatz unten Teil 5 C. III. 1. a). 397 Kurth, S. 70; König, S. 172. 390 391

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nur bestehendes Recht durchsetzen, nicht aber neues schaffen. Damit kann er auch keine Kompetenzen internationaler Strafgerichte originär begründen. Ihre universelle Strafgewalt folgt aus der Natur des Völkerrechts. Zusätzliche Voraussetzung ist lediglich, dass die Gerichte rechtmäßig errichtet werden.398 Ob die Jurisdiktion nun durch einen Sicherheitsratsbeschluss oder – wie im Fall des IStGH – durch einen völkerrechtlichen Vertrag formell legitimiert ist, ist gleichgültig. Die materielle Legitimation folgt jedenfalls unmittelbar aus dem Völkerrecht.399 Im Gegensatz zu den Ad-hoc-Tribunalen trägt das IStGH-Statut nationalen Souveränitätsinteressen verstärkt Rechnung. ICTY und ICTR beanspruchen vorrangige Zuständigkeit, können laufende nationale Verfahren an sich ziehen. Man könnte dies als Eingriff in interne Angelegenheiten werten, der nur zu rechtfertigen ist, wenn der Sicherheitsrat seine Kompetenzen nach Kap. VII UN-Charta wahrnimmt.400 Beim IStGH stellt sich diese Frage aber nicht. Er ist nur subsidiär zuständig und gewährt nationalen Verfahren grundsätzlich Vorrang. Daher ist eine Sicherheitsratsresolution auch unter dem Gesichtspunkt staatlicher Souveränität keine notwendige Bedingung zur Ausübung der Gerichtsbarkeit. dd) Vereinbarkeit originärer Gerichtsbarkeit mit dem IStGH-Statut? Es stellt sich aber die Frage, ob Art. 12 Abs. 2 und 3 IStGH-Statut eine Entscheidung zugunsten der Übertragungstheorie beinhalten. Wären die Vertragsstaaten von einer universellen originären Strafgewalt des IStGH ausgegangen, so hätten sie die Ausübung der Gerichtsbarkeit nicht an zusätzliche Voraussetzungen knüpfen müssen; Art. 12 Abs. 2, 3 IStGH-Statut wären überflüssig.401 Allerdings lassen sich diese Bestimmungen auch anders erklären. Zum einen ist der IStGH auf die Unterstützung der Nationalstaaten angewiesen.402 Die Ermittlungen werden deutlich effektiver durchgeführt werden können, wenn entweder der Tatort- oder der Täterstaat die Gerichtsbarkeit des IStGH anerkannt hat.403 Insofern trifft Art. 12 Abs. 2 IStGH-Statut eine verfahrensökonomisch begründete Vorauswahl der Situationen, denen sich der IStGH annehmen sollte.404 Zum anderen beruht er auf politischen, nicht auf rechtlichen Erwägungen.405 Die Aufnahme zusätzlicher Anknüpfungspunkte für die Ausübung der Strafgewalt stellt ein Entgegenkommen an die gerichtshofkritischen Staaten dar. Ziel war es, eine höhere König, S. 161. König, S. 161. 400 Siehe Schomburg, S. 11. 401 In diese Richung Danilenko (2000), S. 456. 402 Siehe unten Teil 5 C. VIII. 2. 403 Siehe auch La Haye (1999), S. 19; Lattanzi (1999a), S. 433. 404 Inazumi, S. 185. Siehe auch Lattanzi (1999b), S. 57. 405 BVerfG 12. 12. 2000, NJW 2001, 1848, 1853; Inazumi, S. 185; Junck, Rn. 64; Uerpmann-Wittzack, S. 40; Werle (2007), Rn. 172. 398 399

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Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

Akzeptanz des Gerichtshofs und damit eine höhere Ratifikationsrate zu erreichen.406 Das heißt aber nicht zwangsläufig, dass Art. 12 Abs. 2 IStGH-Statut die Basis für die Strafgewalt des IStGH darstellt. Er kann vielmehr auch so verstanden werden, dass der Ausübung einer bestehenden originären Strafgewalt aus politischen Gründen Grenzen gesetzt,407 die Legitimität der internationalen Strafverfolgung verstärkt werden soll.408 Eine Pflicht, gegebene Strafgewalt unbegrenzt wahrzunehmen, besteht nicht.409 Dies zeigt bereits Art. 53 Abs. 1 S. 2 lit. c) IStGHStatut, der dem Ankläger bei der Verfahrenseinleitung einen Ermessensspielraum einräumt.410 Die Idee einer grundsätzlich bestehenden originären universellen Zuständigkeit, die lediglich in bestimmten Fällen nicht wahrgenommen wird, vermeidet zudem Wertungswidersprüche. Warum sollte der IStGH universelle Strafgewalt ausüben können, wenn der Sicherheitsrat ihn um Ermittlungen ersucht, sich in allen anderen Fällen aber auf das Territorium und die Angehörigen von Mitgliedstaaten beschränken müssen?411 Geht man hingegen davon aus, dass Art. 12 Abs. 2 IStGHStatut nur dazu dient, die Legitimationsbasis zu erweitern, ergibt diese Differenzierung Sinn. Überträgt der Sicherheitsrat dem Ankläger eine Situation, so erhöht bereits dies die Legitimität der Ermittlungen. Der Staatenkonsens ist entbehrlich.412 Dieses Verständnis von Art. 12 IStGH-Statut stimmt auch mit dessen Wortlaut überein, der lediglich Vorbedingungen für die Ausübung der Gerichtsbarkeit festlegt. Die Gerichtsbarkeit wird nicht begründet, sondern vielmehr als bestehend vorausgesetzt.413 Das IStGH-Statut steht der Annahme originärer universeller Strafgewalt daher nicht entgegen.

7. Zusammenfassung Der IStGH kann derzeit seine Gerichtsbarkeit grundsätzlich nur im Konsens mit dem Tatort- oder dem Täterstaat ausüben. Art. 12 Abs. 2 IStGH-Statut führt zu einer erheblichen Schutzlücke bei internen Konflikten. Es droht eine selektive internationale Strafverfolgung und damit ein Zwei-Klassen-Menschenrechtsschutz. Die Voraussetzungen des Art. 12 Abs. 2 IStGH-Statut müssen allerdings nicht vorliegen, wenn das Verfahren durch eine Sicherheitsratsresolution ausgelöst wird. Broomhall (2003), S. 80, Uerpmann-Wittzack, S. 40; Wang, S. 105. Siehe auch Tomuschat (1998), S. 342; Abass (2006), S. 370; Junck, Rn. 70; Milaninia, S. 12; Wilhelmi, S. 227. 408 Inazumi, S. 191; Junck, Rn. 65. 409 Orentlicher, S. 143. 410 Siehe unten Teil 5 C. IV. 2. c). 411 Inazumi, S. 187. Siehe auch König, S. 160, der das IStGH-Statut insoweit als „inkonsequent“ bezeichnet. 412 Siehe auch Junck, Rn. 71. 413 Inazumi, S. 185. 406 407

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Zumindest in dieser Konstellation ist eine Strafverfolgung unabhängig vom Willen des Täter- oder Tatortstaats möglich. Auch wenn Art. 12 Abs. 2 IStGH-Statut als politischer Kompromiss daher akzeptabel ist,414 sollte trotzdem auf eine weltweite Zuständigkeit des IStGH hingewirkt werden. Dieses Ziel kann durch eine umfassende Ratifizierung des IStGH-Statuts oder durch einen Verzicht auf die Vorbedingungen des Art. 12 Abs. 2 IStGH-Statut erreicht werden. Letztere sind rechtlich nicht erforderlich. Die Strafgewalt des IStGH ist nicht derivativ und beruht nicht auf einem Übertragungsakt der Mitgliedstaaten. Dem Gerichtshof kommt vielmehr aus eigenem Recht die Befugnis zu, die core crimes auf Basis des Universalitätsprinzips weltweit zu verfolgen.415 Eine Ausnahme muss für einen Übergangszeitraum lediglich für die wenigen Tatbestandsvarianten angenommen werden, für die das Universalitätsprinzip noch nicht völkergewohnheitsrechtlich anerkannt ist. Ebenfalls überprüfungsbedürftig sind die Artt. 121 Abs. 5; 124 S. 1 IStGH-Statut. Auch sie sind mit dem Ziel, die Straflosigkeit für völkerrechtliche Verbrechen weltweit, ungeachtet nationaler Grenzen, zu beenden, unvereinbar.

II. Trigger-mechanism Ein Verfahren kann durch die drei trigger-mechanism des Art. 13 IStGH-Statut ausgelöst werden. Ein Mitgliedstaat oder der Sicherheitsrat kann dem Ankläger eine Situation, in der Verbrechen nach Artt. 5 ff. IStGH-Statut begangen worden sein sollen, zur Ermittlung übertragen. Außerdem hat der Ankläger nach den Artt. 13 lit. c); 15 IStGH-Statut die Befugnis, ein Verfahren ex officio einzuleiten. Aus diesem abschließenden Katalog folgt, dass den Opfern de lege lata kein förmliches Beschwerderecht zusteht.416 Sie sind also immer darauf angewiesen, dass einer der Berechtigten – Mitgliedstaat, Sicherheitsrat oder Ankläger – bei der Verfahrensauslösung ihre Interessen (mit-)berücksichtigt, als ihr Fürsprecher agiert.

1. Unterbreitung durch einen Mitgliedstaat Nach Artt. 13 lit. a); 14 IStGH-Statut i. V. m. Rule 45 kann ein Mitglied-, nicht aber ein Drittstaat,417 dem Ankläger eine Situation unterbreiten. Berechtigt ist jede Vertragspartei, unabhängig davon, ob sie in einer besonderen Beziehung zu den Taten steht. Eine Begrenzung auf „interested states“, wie den Täter-, Tatort- oder Gewahrsamsstaat, konnte verhindert werden. Der Anwendungsbereich der StaatenSo auch Kaul (1998a), S. 144. Siehe auch Lagodny, S. 804; Wilhelmi, S. 229. 416 AI, IOR 40 / 10 / 99, S. 8; Sarkin (2005), S. 179; Schwager, S. 434; Junck, Rn. 449. Siehe zum Bedürfnis nach einer Individualbeschwerde Teil 5 E. VIII. 5. b). 417 Triffterer(-Williams / Schabas), Art. 13 IStGH-Statut Rn. 15; Arsanjani (2002), S. 149; Stahn / el Zeidy / Olásolo, S. 425; Stahn (2006), S. 245; Junck, Rn. 459. 414 415

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beschwerde418 wäre hierdurch erheblich minimiert worden. Zudem würde eine derartige Begrenzung der Tatsache nicht gerecht, dass die core crimes die internationale Gemeinschaft als solche betreffen, ihre Ahndung damit im Interesse aller Staaten liegt.419 Den Vertragsparteien wird durch Artt. 13 lit. a); 14 IStGH-Statut eine Art Wächterfunktion hinsichtlich der Einhaltung des strafbewehrten Völkerrechts zugesprochen.420

a) Voraussetzungen der Staatenbeschwerde Der Staat kann dem Ankläger nur eine Situation, nicht aber einen bestimmten Einzelfall, einen case, unterbreiten. Situationen sind allgemein in zeitlicher und örtlicher Hinsicht umschrieben. Der IStGH ist derzeit mit den fünf Situationen Kongo, Uganda, Zentralafrika, Darfur und Kenia befasst. Sie bilden den Rahmen für die konkreten Ermittlungen, die sich auf bestimmte Verbrechen und einzelne Tatverdächtige beziehen – die Fälle. Gegenwärtig sind innerhalb der Situation Kongo drei Fälle – Thomas Lubanga Dyilo, Germain Katanga und Mathieu Ngudjolo Chui sowie Bosco Ntaganda – vor dem IStGH anhängig.421 Der Erlass eines Haftbefehls markiert den Wechsel von Situation zu Fall.422 Die Begrenzung des Übertragungsrechts auf Situationen entbindet den Staat von der Durchführung gegebenenfalls kosten- und zeitintensiver Untersuchungen. Er muss nur die Situation benennen. Die Ermittlung konkreter Taten und Tatverdächtiger ist Aufgabe des Anklägers.423 Zudem kann der überweisende Staat die Ermittlungen nicht auf eine bestimmte Person, einen politischen Kontrahenten oder die Taten des Kriegsgegners beschränken.424 Auf diese Weise wird politisch moti418 Der Wechsel im Wortlaut von der – bisher üblichen – Staatenbeschwerde zur Unterbreitung dient lediglich der sprachlichen Angleichung von litt. a) und b). Inhaltliche Änderungen sind damit nicht verbunden. Siehe auch Junck, Rn. 457. 419 Triffterer(-Marchesi), Art. 14 IStGH-Statut Rn. 8; Philippe Kirsch / Darrly Robinson (2002b), S. 623; Junck, Rn. 226. 420 Siehe zur vergleichbaren Lage bei der EMRK Grabenwarter, § 10 Rn. 2. 421 Siehe zu den Begriffen DRC PTC, ICC-01 / 04-101-Corr, o. Fn. 4, Rn. 65; Uganda Prosecution’s Reply, ICC-02 / 04-85, o. Fn. 36, Rn. 6; Situation in the DRC – Prosecution’s Reply under Rule 89 (1) to the Applications for Participation of Applicants [ . . . ], ICC-01 / 04-346, 25. 6. 2007, Rn. 5; Uganda OPCV’s Observations, ICC-02 / 04-89, o. Fn. 7., Rn. 39 = Kony et al. OPCV’s Observations, ICC-02 / 04-01 / 05-232, Rn. 39. 422 DRC PTC, ICC-01 / 04-101-Corr, o. Fn. 4, Rn. 68; Uganda PTC, ICC-02 / 04-101, o. Fn. 7, Rn. 9 = Kony et al. PTC, ICC-02 / 04-01 / 05-252, o. Fn. 7, Rn. 9. 423 Arsanjani (2002), S. 147; Philippe Kirsch / Darrly Robinson (2002b), S. 623. Siehe auch Yee, S. 147; Zimmermann (1998), S. 93; Hoffmeister / Knoke, S. 788; Friman (2001b), S. 193. 424 Fernández de Gurmendi (1999b), S. 180; Augustin, S. 220; Arsanjani (1999a), S. 65; ders. (1999c), S. 27; ders. (2002), S. 149; Tomuschat (1998), S. 343; Hoffmeister / Knoke, S. 788; Philips, S. 72; Triffterer(-Marchesi), Art. 14 IStGH-Statut Rn. 11; Philippe Kirsch / Darrly Robinson (2002b), S. 623; Wolfrum, S. 983; van Heeck, S. 147; Junck, Rn. 482; Kreß (2006a), S. 104; Mangold, S. 216; Ambos (2008a), § 8 Rn. 7.

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vierten Selektionsprozessen vorgebeugt.425 Allerdings muss die Situation zwangsläufig in zeitlicher und örtlicher Hinsicht umschrieben und damit eingegrenzt werden.426 Dies eröffnet die Möglichkeit, bestimmte Verbrechen bewusst von den Ermittlungen auszuklammern.427 Der Ankläger ist an die vom Staat festgesetzten Grenzen zunächst gebunden.428 Das Ermittlungsersuchen ist aber statutkonform auszulegen. Bei mehreren möglichen Interpretationen kann der Ankläger diejenige wählen, die dem Ziel einer möglichst lückenlosen Strafverfolgung am ehesten gerecht wird.429 Ist die Überweisung so eindeutig, dass kein Spielraum für eine Auslegung bleibt, kann der Ankläger den überweisenden Staat bitten, sein Ermittlungsersuchen auszudehnen. Lehnt dieser ab, bleibt dem Ankläger die Möglichkeit, für nicht von der Staatenbeschwerde erfasste Taten Ermittlungen proprio motu nach Artt. 13 lit. c); 15 IStGH-Statut einzuleiten. 430 Ungerechtfertigtes selektives Vorgehen kann so verhindert werden. Die Situation muss – anders als bei der Verfahrensauslösung durch eine Sicherheitsratsresolution431 – nicht die Voraussetzungen des Kapitel VII UN-Charta erfüllen, muss also keine Bedrohung für den Frieden darstellen.432 Insoweit ist der Anwendungsbereich der Staatenbeschwerde weiter als der von Art. 13 lit. b) IStGH-Statut.

b) Praktische Relevanz und bisherige Anwendungsfälle Die praktische Bedeutung der Staatenbeschwerde wurde als eher gering eingeschätzt.433 Das IStGH-Statut etabliert keine Pflicht für Mitgliedstaaten, völkerrechtliche Verbrechen entweder selbst zu verfolgen oder den IStGH um Ermittlun425 Hoffmeister / Knoke, S. 788; Philippe Kirsch / Darrly Robinson (2002b), S. 623; Olásolo (2004), S. 6; Junck, Rn. 480. Siehe auch Fernández de Gurmendi (1999b), S. 180; Olásolo (2005), S. 43. 426 Junck, Rn. 448; Philippe Kirsch / Darryl Robinson (2002b), S. 625. 427 Siehe auch AI, IOR 40 / 01 / 97, S. 111; Arsanjani (1999a), S. 65; Augustin, S. 220; Triffterer(-Marchesi), Art. 14 IStGH-Statut Rn. 12; Olásolo (2004), S. 6; di Giovanni, S. 35. 428 Junck, Rn. 474. 429 So hat Uganda dem IStGH die Situation betreffend die Lord’s Resistance Army unterbreitet. Der Ankläger hat dies so ausgelegt, dass sämtliche in Norduganda begangenen völkerrechtlichen Verbrechen erfasst sind – unabhängig davon, wer die Täter sind, siehe Brief von Chefankläger Moreno-Ocampo an den Präsidenten des IStGH Philippe Kirsch vom 17. 6. 2004, veröffentlich im Anhang an Decision Assigning the Situation in Uganda to PreTrial Chamber II, ICC-02 / 04-1, 5. 7. 2004. Siehe auch Hall (2003), S. 23; Stahn / el Zeidy / Olásolo, S. 428; OTP (2006b), Rn. 25. 430 Siehe auch Hall (2003), S. 23. 431 Dazu sogleich unten Teil 5 C. II. 2. 432 Triffterer(-Marchesi), Art. 14 IStGH-Statut Rn. 11; Junck, Rn. 468. 433 Siehe nur Zimmermann (1998), S. 93; Hoffmeister / Knoke, S. 788; Ntanda Nsereko (1999), S. 109; Olásolo (2005), S. 58; Junck, Rn. 447 – 448; Satzger (2010), § 14 Rn. 13.

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gen zu ersuchen.434 Dies gilt selbst dann, wenn völkerrechtliche Strafverfolgungspflichten bestehen.435 Die bisherigen Erfahrungen mit Staatenbeschwerden, die im freien Belieben der Staaten stehen, sind eher ernüchternd. Viele Menschenrechtsverträge sehen diese Möglichkeit vor.436 Die Staaten machen aus politischen Gründen allerdings so gut wie keinen Gebrauch davon.437 Man will die Beziehungen zum betroffenen Staat nicht gefährden,438 niemanden denunzieren und sich nicht in interne Angelegenheiten einmischen439. Vor dem IStGH müssen sich zwar keine Staaten, sondern Individuen verantworten. Ziel ist es aber, die Straflosigkeit der hauptverantwortlichen Täter zu beenden. Die Ermittlungen werden sich typischerweise auch gegen ranghohe Politiker oder Militärs richten. Eine Staatenbeschwerde birgt daher die Gefahr, dass sich die diplomatischen Beziehungen zum Täterstaat oder zu anderen involvierten Staaten erheblich verschlechtern. Erschwerend kommt hinzu, dass sich der Vorwurf nicht auf einzelne Menschenrechtsverletzungen beschränkt. Behauptet wird vielmehr, dass in einem Staat systematisch unvorstellbare Gräueltaten begangen wurden. Für eine derart schwerwiegende Beschuldigung dürfte die Hemmschwelle noch höher sein, als bei den Vertragsverletzungsverfahren der verschiedenen Menschenrechtskonventionen.440 Holmes (2001), S. 329. Siehe auch Schabas (2003a), S. 60 – 61. 436 Art. 41 IPbpR; Art. 21 der Antifolterkonvention (Übereinkommen gegen Folter und andere grausame, unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Strafe vom 10. 12. 1984, 1465 UNTS 85; für Deutschland am 31. 10. 1990 in Kraft getreten, BGBl. 1990 II 247); Art. 47 der Wanderarbeiterkonvention (Internationale Konvention zum Schutz der Rechte aller Wanderarbeitnehmer und ihrer Familien vom 1. 7. 2003, UN-Doc. A / RES / 45 / 158); Art. 11 der Antidiskriminierungskonvention (Internationales Übereinkommen zur Beseitigung jeder Form von Rassendiskriminierung vom 7. 3. 1966, 660 UNTS 195; für Deutschland am 15. 6. 1969 in Kraft getreten, BGBl. 1969 II 962); Art. 33 EMRK; Art. 61 Abs. 1 der Amerikanischen Menschenrechtskonvention (Amerikanische Menschenrechtskonvention vom 22. 11. 1969); Art. 47 der Afrikanischen Menschenrechtskonvention (Banjul Charta der Menschenrechte und Rechte der Völker vom 26. 6. 1981). 437 Pettiti / Decaux / Imbert(-Labayle), Art. 24 EMRK S. 573; Harris / O’Boyle / Warbrick, S. 822; Frowein / Peukert, Art. 33 EMRK Rn. 3; AI, IOR 40 / 01 / 97, S. 110; McCormack / Sue Robertson, S. 642; van Dijk / van Hoof / van Rijn / Zwaak, S. 50; Stahn (1998), S. 586; Zimmermann (1998), S. 93; Hoffmeister / Knoke, S. 788; Ntanda Nsereko (1999), S. 109; Triffterer(-Marchesi), Art. 14 IStGH-Statut Rn. 6; Philippe Kirsch / Darrly Robinson (2002a), S. 663; Bayefsky S. 3; O’Shea, S. 124; Joseph / Schultz / Castan, Rn. 1.43; Gaeta (2004), S. 950; Grabenwarter, § 10 Rn. 2; Nowak (2005b), Art. 41 ICCPR Rn. 2; Meyer-Ladewig, Art. 34 EMRK Rn. 2; Guradze, Art. 24 EMRK Rn. 7; Satzger (2010), § 14 Rn. 13; Junck, Rn. 447 – 448. Siehe auch Gerry Simpson (2004), S. 59. 438 Harris / O’Boyle / Warbrick, S. 823; AI, IOR 40 / 01 / 97, S. 110; Robertson, S. 323; Philippe Kirsch / Darrly Robinson (2002a), S. 663; O’Shea, S. 124; Joseph / Schultz / Castan, Rn. 1.43; Nowak (2005b), Art. 41 ICCPR Rn. 2; Satzger (2010), § 14 Rn. 13. Siehe auch Philips, S. 72. 439 AI, IOR 40 / 01 / 97, S. 110; Guradze, Art. 24 EMRK Rn. 7. 440 Zimmermann (1998), S. 93; Hoffmeister / Knoke, S. 793. 434 435

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Die bisherige Praxis scheint allerdings diese Bedenken zu entkräften.441 Drei der fünf Situationen, mit denen der IStGH derzeit befasst ist – Kongo,442 Uganda443 und Zentralafrika444 –, wurden von Mitgliedstaaten überwiesen. Allerdings haben in allen drei Fällen die Tatortstaaten selbst den IStGH angerufen. Die Motive für einem „self referral“ sind vielfältig. So kann der betroffene Staat erkannt haben, dass die Bewältigung des Konflikts außerhalb seiner Möglichkeiten liegt und um internationale Unterstützung bitten.445 Die Einschaltung des IStGH kann auch politisches Kalkül zum Machterhalt sein. Sie bietet der Regierung eine Möglichkeit, sich von den Taten zu distanzieren und damit Glaubwürdigkeit zurückzugewinnen446 oder Rebellenguppen zu bekämpfen.447 Dem IStGH kommt hier vor allem eine unterstützende Rolle bei der Aufarbeitung der vergangenen Verbrechen auch im Interesse des jeweiligen Staates zu. Dass der Staatenbeschwerde außerhalb eines „self referral“ signifikante praktische Bedeutung zukommen wird, darf weiterhin bezweifelt werden.448 Sie wird immer regelmäßig nur dann zur Anwendung gelangen, wenn sie im Interesse des um Ermittlungen ersuchenden Staates liegt.449 Ein zuverlässiges Instrument zur Berücksichtigung von Opferbelangen ist sie daher nicht. Allein auf die Bereitschaft der ehemaligen Konfliktstaaten, die internationale Strafjustiz bei der Verbrechensahndung zu beteiligen, darf man sich im Interesse einer unabhängigen und gleichmäßigen Strafverfolgung nicht verlassen. Beispielsweise hat der Ankläger die kongolesische Regierung um die Übertragung der Situation und die damit verbundene politische Unterstützung ersucht. Der Kongo stand letztlich vor der Wahl, die Situation selbst vorzulegen oder die Aufnahme von Ex-officio-Ermittlungen zu riskieren.450 Dies zeigt, dass die Wahrscheinlichkeit eines „self referral“ auch von der Befugnis des Anklägers abhängt, ein Verfahren gegebenenfalls auch proprio motu einzuleiten. In diese Richtung Stahn / el Zeidy / Olásolo, S. 422. The Office of the Prosecutor of the International Criminal Court opens its first investigation, The Hague, 23 June 2004, ICC-OTP-20040623-59-En, abrufbar unter http: //www.icccpi.int/menus/icc/press and media/press releases/2004/the office of the prosecutor of the international criminal court opens its first investigation?lan=en-GB. 443 Prosecutor of the International Criminal Court opens an investigation into Northern Uganda, The Hague, 29 July 2004, ICC-OTP-20040729-65-En. 444 Prosecutor receives referral concerning Central African Republic, The Hague, 7 January 2005, ICC-OTP-20050107-86-En. 445 Siehe Akhavan (2005b), S. 404. 446 Siehe di Giovanni, S. 35. 447 Cassese (2006), S. 436. 448 Siehe Gaeta (2004), S. 951; Satzger (2010), § 14 Rn. 13. 449 Siehe Harris / O’Boyle / Warbrick, S. 822; Frowein / Peukert, Art. 33 EMRK Rn. 3; van Dijk / van Hoof / van Rijn / Zwaak, S. 50; Cassese (2006), S. 436 sowie Burke-White (2000), S. 563 – 568. 450 Siehe OTP (2006b), Rn. 12. Zweifelnd, ob ein solches Vorgehen mit dem Mandat des Anklägers in Einklang zu bringen ist, Kreß (2006a), S. 107. 441 442

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2. Unterbreitung durch den Sicherheitsrat Gemäß Art. 13 lit. b) IStGH-Statut kann der Sicherheitsrat den Ankläger um die Aufnahme von Ermittlungen ersuchen. Voraussetzung ist, dass der Sicherheitsrat nach Kapitel VII UN-Charta tätig wird. Er muss also gemäß Art. 39 HS. 1 UNCharta eine Bedrohung oder einen Bruch des Friedens oder eine Angriffshandlung festgestellt haben. In diesem Verweis auf die UN-Charta liegt zumindest bei rein internen Konflikten die erste Hürde. Es erscheint zweifelhaft, ob Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit, wenn sie außerhalb eines bewaffneten Konflikts begangen werden, ohne weiteres eine Friedensbedrohung darstellen.451 Zwar hat die Analyse der Straftatbestände ergeben, dass diese auch immer den Weltfrieden schützen; die Begehung der core crimes nie eine rein nationale Angelegenheit ist. Ob diese Erwägung bereits ausreicht, um in jedem innerstaatlich begangenen Völkermord auch gleichzeitig eine Friedensbedrohung i. S. d. UN-Charta zu sehen, erscheint aber fraglich.452 Ausgeschlossen ist eine Vorlage interner Konflikte allerdings nicht. Möglich bleibt die vom Sicherheitsrat bereits häufiger angewandte Hilfsargumentation, dass in Folge eines internen Konflikts die Destabilisierung der gesamten Region drohe oder die Gefahr bestünde, dass andere Staaten militärisch intervenieren.453 Die Feststellung, dass eine Situation nach Art. 39 HS. 1 UN-Charta vorliegt, und der Entschluss, hierauf mit einer Vorlage an den IStGH zu reagieren,454 ist in erster Linie eine politische Entscheidung. So sah sich der Sicherheitsrat bereits bei der Errichtung der Ad-hoc-Tribunale dem Vorwurf des selektiven Vorgehens ausgesetzt. In Situationen, die mit denen im ehemaligen Jugoslawien und Ruanda vergleichbar seien, habe er aus politischen Gründen auf eine internationale Strafverfolgung verzichtet.455 Auch von seinem Überweisungsrecht nach Art. 13 lit. b) IStGH-Statut wird der Sicherheitsrat nur dann Gebrauch machen, wenn eine internationale Strafverfolgung seinen politischen Interessen entspricht. Hemmend werden sich vor allem die Vetorechte der ständigen Sicherheitsratsmitglieder auswirken. Jedes von ihnen kann aufgrund nationaler Erwägungen einen Vorlagebeschluss verhindern.456 Nahezu ausgeschlossen dürfte ein Ermittlungsersuchen Lattanzi (1999b), S. 59; dies. (1999a), S. 437; Henzelin, S. 233. In diese Richtung Junck, Rn. 541 – 544. 453 Henzelin, S. 233; Gavron, S. 108 – 109; Wilmshurst (2002), S. 152. Siehe z. B. UN-Resolution 918 (1994) des Sicherheitsrats vom 17. 5. 1994 über die Situation in Ruanda. Hier stellt der Sicherheitsrat ausdrücklich darauf ab, dass die Flüchtlingswellen, die von Ruanda ausgehen, die Nachbarstaaten gefährden. 454 Condorelli / Villalpando (2002b), S. 630. 455 Siehe nur Philips, S. 65; Coté, S. 175; Kreß / Wannek, S. 238 – 239; Junck , Rn. 528; Philippe Kirsch (2007), S. 540. 456 AI, IOR 40 / 01 / 97, S. 109; Stahn (1998), S. 588; Zimmermann (1998), S. 92; ders. (2002c), S. 43; Hoffmeister / Knoke, S. 793; Ntanda Nsereko (1999), S. 109; Robertson, S. 322; Schlunck (1999), S. 159; Seidel / Stahn, S. 16; Elaraby, S. 45; de Bertodano, S. 423; 451 452

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sein, wenn Taten von Staatsangehörigen eines der ständigen Mitglieder in Frage stehen.457 Sämtlichen Hindernissen zum Trotz hat der Sicherheitsrat den Ankläger mit Ermittlungen in Darfur, Sudan betraut.458 Dies ist zwar ein großer Erfolg459 und ein Zeichen, dass sich das Verhältnis zwischen IStGH und Sicherheitsrat entspannt.460 Dennoch muss für die Zukunft weiterhin davon ausgegangen werden, dass wegen der lähmenden Wirkung des Vetorechts die praktische Bedeutung von Art. 13 lit. b) IStGH-Statut eher gering sein wird. Selbst wenn der Sicherheitsrat dem Ankläger eine Situation überträgt, so ist dies kein Garant dafür, dass es zu einer umfassenden Ermittlung sämtlicher Menschenrechtsverbrechen kommt. Zwar bleibt auch bei einer Sicherheitsratsvorlage die juristische Würdigung Ankläger und Gericht überlassen. Der Sicherheitsrat kann nicht für den Gerichtshof verbindlich feststellen, dass Völkermord, Verbrechen gegen die Menschlichkeit oder Kriegsverbrechen begangen wurden.461 Die Unabhängigkeit von Ankläger und Gericht bleibt so gewahrt. Zudem begrenzt Art. 13 lit. b) IStGH-Statut das Vorlagerecht des Sicherheitsrats ebenfalls auf Situationen. Allerdings wird teilweise vertreten, dass dem Sicherheitsrat dennoch das Recht zukomme, die Ermittlungen auf bestimmte Einzelpersonen zu beschränken. Voraussetzung hierfür sei lediglich, dass die strafrechtliche Verfolgung dieser Personen durch den IStGH eine geeignete Maßnahme zur Wiederherstellung oder Erhaltung des Weltfriedens darstelle. Dieses Recht folge aus der UN-Charta, die durch das IStGH-Statut nicht beschränkt werden könne.462 Hiergegen spricht aber – neben dem Wortlaut des Art. 13 lit. b) IStGH-Statut – die Entstehungsgeschichte. Die Staaten wollten gerade bei Sicherheitsratsvorlagen eine selektive Strafverfolgung verhindern, die Unparteilichkeit von Gericht und Ankläger trotz der Beteiligung eines politischen Gremiums sicherstellen.463 Zudem muss der Sicherheitsrat die Unabhängigkeit des IStGH achten. Er kann sich seiner nur insoweit bedienen, wie Philippe Kirsch / Darrly Robinson (2002a), S. 663; Gaeta (2004), S. 950; Satzger (2010), § 14 Rn. 16. 457 So auch Zimmermann (1998), S. 93; Gallant (2003b), S. 572. 458 UN-Resolution 1593 (2005) vom 32. 3. 2005. 459 Siehe auch OTP (2006b), Rn. 38; Heyder, S. 653. 460 Seinen Höhepunkt erreichte dieser Konflikt mit den Sicherheitsratsresolutionen 1422 (2002) vom 12. 7. 2002 und 1487 (2003) vom 12. 6. 2003. Der Sicherheitsrat ersuchte den IStGH, alle Verfahren nach Art. 16 IStGH-Statut für ein Jahr auszusetzen, wenn Straftaten von Drittstaatenangehörigen in Frage stehen, die im Zusammenhang mit einer UN-Friedensmission begangen worden sein soll. Siehe hierzu unten Teil 5 C. VII. 3. 461 Lattanzi (1999b), S. 62; Wilmshurst (2002), S. 152; Zakr, S. 471. Siehe auch Report of the International Law Commission on the work of its forty-sixth session, 2 May – 22 July 1004, UN A / 49 / 10, Rn. 301. 462 Condorelli / Villalpando (2002b), S. 632 – 633; Heilmann, S. 152. 463 Siehe Lattanzi (1999b), S. 61; Junck, Rn. 536 – 539. Siehe auch Triffterer(-Williams / Schabas), Art. 13 Rn. 16; Turone, S. 1144; Fixson, S. 217; Kurth, S. 65.

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Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

das IStGH-Statut dies zulässt464. Daher darf auch der Sicherheitsrat den IStGH nicht mit der Ermittlung einzelner Taten betrauen.465 Allerdings muss die Situation wieder in zeitlicher und örtlicher Hinsicht begrenzt werden. Wie bei der Staatenbeschwerde besteht die Gefahr, dass bestimmte Verbrechen bewusst von der Strafverfolgung ausgenommen werden. Grundsätzlich kann der Ankläger auch hier ungerechtfertigte Selektionsprozesse durch Proprio-motu-Ermittlungen ausgleichen. Dies gilt aber nur soweit die Voraussetzungen von Art. 12 Abs. 2 IStGH-Statut vorliegen. Berechtigt die Sicherheitsratsvorlage wie im Fall Darfur, Sudan zu Ermittlungen in einem Drittstaat, stehen dem Ankläger keine Ex-officio-Befugnisse zu. Die in der Resolution vorgesehenen Grenzen sind für ihn zwingend. So kann der Ankläger beispielsweise im Darfur-Konflikt nur Taten nachgehen, die nach dem 1. 7. 2002 begangen wurden. Für vorher verübte466 oder außerhalb von Darfur begangene Verbrechen fehlt ihm die Strafverfolgungskompetenz. All diesen Erwägungen zum Trotz kommt Art. 13 lit. b) IStGH-Statut dennoch mit Blick auf eine effektive und möglichst lückenlose Verfolgung der core crimes eine wichtige Rolle zu.467 Nur im Fall einer Sicherheitsratsvorlage müssen die Voraussetzungen des Art. 12 Abs. 2 IStGH-Statut nicht vorliegen, ist der IStGH weltweit zuständig.468 Er kann insoweit als Ersatz für neue Ad-hoc-Tribunale fungieren, deren Errichtung zwar weiterhin rechtlich möglich,469 aber grundsätzlich nicht mehr notwendig ist.470 Art. 13 lit. b) IStGH-Statut liefert damit die Basis dafür, dass schwerste Menschrechtsverletzungen auch im Interesse der Opfer welt464 Gallant (2003b), S. 569; Sarooshi (2004), S. 97; Maikowski, S. 254. Siehe auch Benvenuti, S. 41; van Heeck, S. 179; Olásolo (2004), S. 6. 465 Lattanzi (1999b), S. 61; Olásolo (2004), S. 6; Sarooshi (2004), S. 97; Fixson, S. 217; Junck, Rn. 539; Kurth, S. 65. Siehe auch AI, IOR 40 / 01 / 97, S. 111; Zimmermann (1998), S. 94; Arsanjani (1999a), S. 65. Siehe auch Triffterer(-Williams / Schabas), Art. 13 Rn. 13. 466 In diesem Fall stellt die zeitliche Vorgabe allerdings keine über das IStGH-Statut hinausgehende Begrenzung dar. Nach Art. 24 Abs. 1 IStGH-Statut kann niemand vom IStGH für Taten belangt werden, die vor In-Kraft-Treten des Statuts, also vor dem 1. 7. 2002, begangen wurden. 467 Condorelli (1999), S. 17; Maikowski, S. 253; Sarooshi (2004), S. 98; van Heeck, S. 148. Siehe auch Ahlbrecht, S. 386; Gargiulo, S. 81; Politi (1999), S. 840; Wilmshurst (2001), S. 40; Bourgon (2002), S. 565. 468 Siehe die Nachweise in Fn. 199. 469 Pascal Arnold, S. 193; Sur, S. 45; Bohlander (2002), S. 690; Junck, Rn. 632; Kurth, S. 71; Mangold, S. 255. 470 The High Commissioner’s Position Paper on the Establishment of a Permanent International Criminal Court, Geneva 15 June 1998, Rn. 65; Irmscher, S. 480; Arsanjani (1999a), S. 65; Cassese, (1999), S. 161; Ntanda Nsereko (1999), S. 111; Politi (1999), S. 839; Robertson, S. 321; Kaul (2001b), S. 60; Cottereau, S. 142; Deen-Racsmány, S. 363; Gerry Simpson (2004), S. 56; van Heeck, S. 149; Mangold, S. 255 – 256. Siehe auch International Law Commission, Comments of Governments on the Report of the Working Group on a Draft Statute for an International Criminal Court, 13 May 1994, A / CN.4 / 458 / Add. 5, Rn. 22; Ad hoc committee on the establishment of an International Criminal Court, Comments received pursuant to paragraph 4 of General Assembly Resolution 49 / 53 on the Establishment of an International Criminal Court, 20 March 1995, Rn. 16; AI, IOR 40 / 01 / 97, S. 111; Stahn

C. Das Verfahren vor dem IStGH

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weit, unabhängig davon, ob sich Tatortstaat oder Täterstaat der Gerichtsbarkeit des IStGH unterworfen haben, verfolgt werden können. Auch wenn eine Vorlage durch den Sicherheitsrat aufgrund des Vetorechts der ständigen Mitglieder mit Schwierigkeiten behaftet ist, ist sie – wie die Errichtung der Ad-hoc-Tribunale sowie die Überweisung der Situation Darfur, Sudan bewiesen haben – möglich.

3. Ex-officio-Befugnisse des Anklägers Der Ankläger hat nach Maßgabe der Artt. 13 lit. c); 15 IStGH-Statut das Recht, proprio motu zu ermitteln. a) Informationen i. S. d. Art. 15 Abs. 1 IStGH-Statut Die Basis für Ex-officio-Ermittlungen bilden die vom Ankläger gesammelten Informationen. Aus welcher Quelle diese stammen, ist gleichgültig.471 Damit können Ermittlungen auch auf der Grundlage von Opfer- und Augenzeugenberichten eingeleitet werden.472 Die Opfer können zwar keine Verfahrenseinleitung erzwingen, haben aber immerhin die Möglichkeit, dem Ankläger Informationen über begangene Verbrechen zukommen zu lassen und ihn so zur Aufnahme von Ermittlungen zu veranlassen. Dies setzt allerdings erstens die Kenntnis vom IStGH und zweitens die faktische Möglichkeit zur Kontaktaufnahme voraus. Aufgrund von Beschränkungen der Pressefreiheit und der geringen Alphabetisierungsrate beispielsweise in afrikanischen Ländern,473 mag man zunächst daran zweifeln, ob dies tatsächlich eine realistische Option für die Opfer ist. Allerdings ist gerade die intellektuelle Elite eines Landes häufig in der Lage, rechtzeitig vor der Eskalation des Konflikts ins Ausland zu fliehen. Diese kann die Rolle des Sprachrohrs für alle Opfer über(1998), S. 588; Hoffmeister / Knoke, S. 790; Bohlander (2002), S. 690; Turone, S. 1141; Broomhall (2003), S. 79; Satzger (2010), § 14 Rn. 16; Uerpmann-Wittzack, S. 41. 471 Ambos (1998c), S. 225; Hoffmeister / Knoke, S. 791; Lattanzi (1999a), S. 437; Politi (1999), S. 838; Triffterer(-Bersmo / Pejic´), Art. 15 IStGH-Statut Rn. 12; Rubin, S. 158; Turone, S. 1145; Broomhall (2003), S. 79; Danner, S. 516; Brubacher, S. 77; HRW, S. 13; O’Shea, S. 124; Olásolo (2005), S. 54; Junck, Rn. 664. 472 Uganda PTC, ICC-02 / 04-101, o. Fn. 7, Rn. 92 = Kony et al. PTC, ICC-02 / 04-01 / 05-252, o. Fn. 7, Rn. 92; Darfur, Sudan OPCD Appeal Brief, ICC-02 / 05-119, o. Fn. 36, Rn. 37; Bergsmo, S. 38; Hoffmeister / Knoke, S. 791; Ntanda Nsereko (1999), S. 113; Politi (1999), S. 838; Mekhemar, S. 125; Blewitt, S. 156; Holmes (2002), S. 680; Danner, S. 516; Olásolo (2003), S. 18; ders. (2004), S. 6; Broomhall (2003), S. 80; HRW, S. 13; Stahn / Olásolo / Gibson, S. 227; WCRO (November 2007), S. 20; Stehle, S. 275; Baumgartner, S. 413; SáCouto / Cleary, S. 91; ASP, ICC-ASP / 8 / 45, Objective 1. 473 Die Alphabetisierungsrate beträgt beispielsweise in Uganda 66,8%, im Congo 65,5%, im Sudan 61,1% und in Zentralafrika 51 %. Siehe https: //www.cia.gov/library/publications/ the-world-factbook/geos. Siehe auch Situation in Darfur, Sudan – Observations on Issues Concerning the Protection of Victims and the Preservation of Evidence in the Proceedings on Darfur Pending before the ICC, ICC-02 / 05-14, 25. 8. 2006, S. 9.

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Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

nehmen. Unterstützend können zudem NGOs wie Human Rights Watch oder Amnesty International tätig werden. Sie können Informationen über systematische Menschenrechtsverletzungen sammeln, an den Ankläger übermitteln und so zur Wahrung der Opferinteressen beitragen.474 Die ersten praktischen Erfahrungen zeigen, dass der Ankläger als potentieller Ansprechpartner wahrgenommen wird. Bis Juli 2010 sind immerhin 8733 Hinweise auf begangene Verbrechen von Einzelpersonen und Gruppen eingegangen.475

b) Vorprüfungen Nach Art. 15 Abs. 1 IStGH-Statut kann der Ankläger ex-officio ermitteln. Dies legt den Schluss nahe, dass die Einleitung von Ermittlungen in seinem Ermessen steht.476 In den nächsten Absätzen folgt allerdings eine Kehrtwendung in Richtung Legalitätsprinzip. Gemäß Art. 15 Abs. 2 S. 1 IStGH-Statut ist der Ankläger verpflichtet, erhaltene Informationen auf ihre Stichhaltigkeit hin zu prüfen.477 Sobald er zu dem Schluss gelangt, dass eine hinreichende Grundlage für die Aufnahme von Ermittlungen besteht, muss er die Verfahrenskammer einschalten.478 Allerdings ist es dem Ankläger faktisch unmöglich, sämtlichen Hinweisen nachzugehen. Letztlich kann er täglich aus der Presse von Situationen erfahren, in denen möglicherweise völkerrechtliche Verbrechen begangen wurden. Der Ankläger muss entscheiden können, auf welche Verdachtsmomente er wann reagiert, wie er seine begrenzten Ressourcen einsetzt.479 Der notwendige Ermessenspielraum ergibt sich aus Art. 53 IStGH-Statut. Bei der Entscheidung, ob die erhaltenen Informationen die Annahme einer hinreichenden Ermittlungsgrundlage rechtfertigen, sind gemäß Rule 48 die in Art. 53 Abs. 1 S. 2 litt. a) – c) IStGH-Statut genannten Faktoren heranzuziehen. Insbesondere hat der Ankläger zu prüfen, ob unter Berücksichtigung der Schwere des Verbrechens und der Interessen der Opfer dennoch wesentliche Gründe für die Annahme vorliegen, dass die Durchführung von Ermittlungen nicht im Interesse der Gerechtigkeit liegt.480 Allerdings beziehen sich 80 % der vom Ankläger erhaltenen Hinweise auf Verbrechen, die offenkundig außerhalb der Zuständigkeit des IStGH liegen.481 Es fehlt gemäß Art. 53 Abs. 1 474

AI, IOR 40 / 10 / 99, S. 8; Zakr, S. 459; HRW, S. 13. Siehe auch Goldstone (2003),

Rn. 6. 475 Siehe http: //www.icc-cpi.int / Menus/ICC/Structure+of+the+Court/Office+of+the+Pro secutor/Comm+and+Ref/Communications+and+Referrals.htm. 476 Siehe Triffterer(-Bersmo / Pejic´), Art. 15 IStGH-Statut Rn. 9; Blewitt, S. 159 sowie Junck, Rn. 645. 477 Triffterer(-Bergsmo / Pejic), Art. 15 IStGH-Statut Rn. 13; Ciampi, S. 147; Olásolo (2005), S. 58; van Heeck, S. 154. 478 Art. 15 Abs. 3 IStGH-Statut. Siehe zur Bedeutung der Vorverfahrenskammer sogleich Teil 5 C. II. 2. c). 479 Blewitt, S. 159. 480 Siehe hierzu vertiefend unten Teil 5 C. IV. 2. c).

C. Das Verfahren vor dem IStGH

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S. 2 lit. a) IStGH-Statut an einer hinreichenden Ermittlungsgrundlage. In diesen Fällen erübrigen sich weitere Vorermittlungen.

c) Genehmigung der Ermittlungen durch die Vorverfahrenskammer Will der Ankläger nach erfolgreichem Abschluss der Vorprüfung ein Ermittlungsverfahren einleiten, so bedarf er der Genehmigung durch die Vorverfahrenskammer. Auf einen entsprechenden Antrag482 hin entscheidet diese nach Art. 15 Abs. 4 IStGH-Statut, ob eine hinreichende Grundlage für die Aufnahme von Ermittlungen vorliegt und ob die Sache unter die Gerichtsbarkeit des IStGH zu fallen scheint. Die Verfahrenskammer ist nicht auf die Überprüfung des vom Ankläger präsentierten Materials beschränkt, sondern kann vom Ankläger und von Opfern zusätzliche Informationen einholen, sowie bei Bedarf eine Anhörung ansetzen.483 Verweigert sie nach Art. 15 Abs. 5 IStGH-Statut die Genehmigung, stehen dem Ankläger keine Rechtsmittel zu.484 Allerdings kann er auf eine erneute Entscheidung der Kammer hinwirken, wenn er seinen Antrag mit neuen Tatsachen oder ergänzendem Beweismaterial untermauern kann. Der Ankläger wird damit deutlich früher als in den Verfahren vor nationalen Gerichten485 oder den Ad-hoc-Tribunalen486 einer gerichtlichen Kontrolle unterworfen. Dies ist ein Spezifikum der Proprio-motu-Ermittlungen. Wird eine Situation durch einen Mitgliedstaat oder den Sicherheitsrat überwiesen, muss die Aufnahme von Ermittlungen nicht zusätzlich von der Vorverfahrenskammer genehmigt werden. Der zusätzliche Verfahrensschritt ist der Preis, den die like-mindedstates für die Ex-officio-Befugnisse des Anklägers zahlen mussten.487 Die Staaten, die sich auf der Rom Konferenz gegen Proprio-motu-Ermittlungen ausgesprochen haben, befürchteten, dass ein unabhängiger Ankläger diese zur Erreichung seiner politischen Ziele missbrauchen könne.488 Die Einschaltung einer gerichtlichen Kontrollinstanz soll dies verhindern.489 Gleichzeitig wird der Ankläger aber auch OTP (2006b), Rn. 7. Art. 15 Abs. 3 S. 1 IStGH-Statut i. V. m. Rule 50. Siehe auch Situation in Kenya – Request for authorisation of an investigation pursuant to Article 15, ICC-01 / 09-3, 26. 11. 2009. 483 Rule 50 Abs. 4. 484 Blewitt, S. 159. 485 Ambos (1999c), S. 182; Politi (1999), S. 839; Eser (2006), S. 119. Siehe auch Philips, S. 74; van Heeck, S. 150. 486 Turone, S. 1141; de Bertodano, S. 427. 487 Die Ex-officio-Befugnisse des Ankläger waren ein zentraler Streitpunkt bei den Verhandlungen von Rom. Siehe nur Fernández de Gurmendi (1999b), S. 176 – 180; Triffterer (-Bersmo / Pejic´), Art. 15 IStGH-Statut Rn. 1 – 7; Ntanda Nsereko (1999), S. 108 – 109; Robertson, S. 321. 488 Bolton, S. 174; McNerney, S. 186. 481 482

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Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

gestärkt. Die Vorverfahrenskammer bestätigt, dass die bisher erhaltenen Informationen die Aufnahme von Ermittlungen rechtfertigen. Der Ankläger erhält damit bei der Verfahrenseinleitung immer Rückendeckung: entweder politische durch den Sicherheitsrat bzw. einen Mitgliedstaat oder juristische durch die Vorverfahrenskammer.490 Sein Vorgehen ist nicht eigenmächtig, sondern von einer zusätzlichen Autorität getragen und gebilligt. Dies ist für die Unabhängigkeit des Anklägers von zentraler Bedeutung. Verschiedene Stellen – wie Nationalstaaten, die UN oder NGOs – werden versuchen, den Ankläger in ihrem Sinne zu beeinflussen. Die Entscheidung, ob Ermittlungen aufgenommen werden, wird immer Gegenstand der öffentlichen Diskussion sein und von verschiedenen Seiten kritisch auf ihre Recht- und Zweckmäßigkeit hin überprüft werden.491 Die Einschaltung einer zusätzlichen Instanz trägt dazu bei, den Ankläger von der alleinigen Verantwortung für die Aufnahme von Ermittlungen zu entlasten und seiner Instrumentalisierung vorzubeugen.492 d) Bewertung Obwohl der Ankläger „under guardianship“493 der Vorverfahrenskammer handelt, kann er dennoch seine Kompetenzen – auch im Interesse der Opfer – effektiv wahrnehmen. Die Einschaltung der Verfahrenskammer bedeutet zwar eine zusätzliche Hürde, erschwert die Aufnahme von Ermittlungen aber nicht übermäßig.494 Die Ex-officio-Befugnisse des Anklägers sind wegen der Verbindung der anderen Auslösermechanismen mit politischen Erwägungen nicht nur von zentraler Bedeutung für die Effektivität des IStGH.495 Vielmehr sorgen sie dafür, dass der Ankläger zumindest de jure politisch unabhängig agieren kann.496 Art. 13 lit. c) IStGH489 Ambos (1998c), S. 225; Fernández de Gurmendi (1999b), S. 184; Irmscher, S. 481; Stahn (1998), S. 589; Arsanjani (1999a), S. 66; Brown (1999), S. 880; Cassese (1999), S. 161; Ntanda Nsereko (1999), S. 114; Schlunck (1999), S. 160; Forsythe, S. 984; Philippe Kirsch / Darrly Robinson (2002a), S. 663; Zakr, S. 462; Broomhall (2003), S. 79; Schabas (2004b), S. 716; Olásolo (2004), S. 6; Junck, Rn. 657; Rubin, S. 158 hält diesen „limited judicial review“ allerdings nicht für ausreichend, um effektiv politisch intendierte Ermittlungen ausschließen zu können. 490 Stahn (1998), S. 589; Fernández de Gurmendi (1999b), S. 184; dies. (2001c), S. 56; Brubacher, S. 77; Junck, Rn. 659. Siehe auch Adjovi, S. 372. 491 Siehe Rubin, S. 154 und oben Teil 5 B. II. 2. 492 Fernández de Gurmendi (1999b), S. 184; Hoffmeister / Knoke, S. 793. 493 So treffend Turone, S. 1147. 494 So auch Ntanda Nsereko (2004), S. 13. Kritisch Eser (2006), S. 119, der Art. 13 lit. c) IStGH-Statut wegen der Kontrolle durch die Vorverfahrenskammer als nicht gleichwertig mit den anderen trigger-mechanism betrachtet. 495 So auch Rwelamira, S. 168; Stahn (1998), S. 588; Ntanda Nsereko (1999), S. 110; Seidel / Stahn, S. 15; Henzelin, S. 232; Broomhall (2003), S. 79; Sarooshi, (2004) 2 JICL 940. 496 AI, IOR 40 / 10 / 99, S. 107; McCormack / Sue Robertson, S. 643; Rwelamira, S. 168; Zimmermann (1998), S. 92; Seidel / Stahn, S. 15; Hoffmeister / Knoke, S. 793; Henzelin, S. 232.

C. Das Verfahren vor dem IStGH

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Statut leistet daher einen wesentlichen Beitrag zur Verhinderung einer selektiven internationalen Strafverfolgung.497 Daher sind die Ex-officio-Befugnisse des Anklägers auch für die Opfer von zentraler Bedeutung.498 Zu Beginn seiner Tätigkeit war der Ankläger in der Ausübung seiner Propriomotu-Befugnisse sehr zurückhaltend. Er bevorzugte es, sich auf Situationen zu konzentrieren, in denen er mit Rückendeckung des Sicherheitsrats oder des betroffenen Staates tätig werden konnte.499 Ende 2009 hat der Ankläger allerdings die Vorverfahrenskammer um die Genehmigung von Ermittlungen in Kenia gebeten.500 Ob dies der Beginn einer neuen, selbstbewussteren Vorgehensweise des Anklägers ist, bleibt abzuwarten. Schließlich hatte der Ankläger, bevor er offiziell die Vorverfahrenskammer eingeschaltet hat, bereits die Zusage Kenias, uneingeschränkt mit dem IStGH kooperieren zu wollen.501 Letztlich wäre wohl auch in dieser Situation ein „self referral“ denkbar gewesen. Art. 13 lit. c) IStGH-Statut gewährt dem Ankläger erstmals in der Geschichte der Völkerstrafgerichtsbarkeit das Recht, auch die Situation, in der ermittelt werden soll, auszuwählen. Die hiermit verbundenen Selektionsprozesse haben erhebliche politische Implikationen und stellen daher für den Ankläger eine nicht zu unterschätzende Herausforderung dar. Oberstes Gebot muss es sein, diesen Verfahrensschritt möglichst transparent und nachvollziehbar zu gestalten.502 Die der Öffentlichkeit zugänglichen Informationen sind bisher allerdings begrenzt. So lässt sich nicht eindeutig nachvollziehen, was mit den Hinweisen, die nicht Geschehnisse betreffen, die eindeutig außerhalb der Zuständigkeit des Gerichtshofs liegen, passiert. Der IStGH homepage lässt sich lediglich entnehmen, dass der Ankläger unter anderem die Situationen in Afghanistan, Georgien, Kolumbien und Palestina beobachtet. Offen bleibt aber, welche Erkenntnisse bisher gewonnen wurden und aus welchen Gründen der Ankläger die Einleitung von ex officio Ermittlungen in Kenia – aber (noch) nicht in den anderen Ländern – für angezeigt hielt.503

AI, IOR 40 / 10 / 99, S. 107; Seidel / Stahn, S. 16; Hoffmeister / Knoke, S. 793. So auch Fernández de Gurmendi (2001c), S. 56. 499 Siehe auch Akhavan (2005b), S. 405; Freeland, S. 221. 500 Kenya Request, ICC-01 / 09-3, o. Fn. 482. Situation in Kenya – Decision pursuant to Article 15 of the Rome Statute on the Authorization of an Investigation in the Republic of Kenya, PTC II, ICC-01 / 09-19, 31. 3. 2010. 501 Siehe http: //www.icc-cpi.int/NR/rdonlyres/BD438555-33E7-4A03-8322-A298A90F24 E4/281179/UpdatedsheetKenya_3_2.pdf. 502 Siehe zur Bedeutung der Transparenz von Selektionsprozessen auch Fife (2009), S. 23; Utmelidze, S. 134 f. Vertiefend Dicker, 187 ff. 503 Siehe auch die kritische Bewertung bei Ambos (2007), S. 435 ff. 497 498

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Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

4. Zusammenfassung Die Entscheidung des Sicherheitsrats oder eines Mitgliedstaats, eine Situation an den Ankläger des IStGH zu überweisen, ist immer das Ergebnis eines durch politische Erwägungen determinierten Abwägungsprozesses. Einer selektiven Strafverfolgung wird zwar insoweit entgegengewirkt, als die politischen Gremien nur zur Vorlage von Situationen, nicht aber von einzelnen Fällen berechtigt sind. Gesteuert werden kann aber nur der Inhalt der Übertragung. Ob der IStGH überhaupt eingeschaltet wird, liegt allein im Ermessen des Sicherheitsrats und der Nationalstaaten. Elementar für einen effektiven und unabhängigen Strafgerichtshof sind daher die Ex-officio-Befugnisse des Anklägers. Er handelt aber nicht völlig eigenständig, sondern unter Aufsicht der Vorverfahrenskammer. Das Genehmigungserfordernis des Art. 15 Abs. 3 IStGH-Statut stellt zwar eine zusätzliche Hürde dar, beraubt die Proprio-motu-Kompetenzen aber nicht ihrer Effektivität. Zumindest in der Theorie ist gewährleistet, dass die internationale Strafverfolgung nicht auf Situationen beschränkt bleibt, in denen sie politisch erwünscht ist.

III. Zulässigkeit Bereits die Absätze 4 und 10 der Präambel des IStGH-Statuts bringen zum Ausdruck, dass die Verfolgung der core crimes gemeinsame Aufgabe der Nationalstaaten und der internationalen Gemeinschaft ist. Weiter präzisiert wird dieser Grundgedanke in Art. 17 IStGH-Statut, aus dem die subsidiäre Zuständigkeit des IStGH gegenüber den nationalen Gerichten folgt.504 Aufgabe des Gerichtshofs ist es nicht, die nationale Gerichtsbarkeit zu ersetzen, sondern sie – wenn und soweit notwendig – zu ergänzen.505 Er ist das last resort.506 Die Komplementarität von nationaler und internationaler Gerichtsbarkeit gehört zu den tragenden Prinzipien des IStGHStatuts.507

Siehe Teil 2 B. I. Bergsmo, S. 43; Jescheck (1998), S. 441; Ambos (1999c), S. 183; Arsanjani (1999a), S. 68; Cassese (1999), S. 158; Seidel / Stahn, S. 16; Zwanenburg, S. 130; Danilenko (2000), S. 475; Hermsdörfer (2001), S. 12; Wolfrum, S. 981, Phillippe, S. 380; Nerlich, S. 74; Rodman, S. 102. Siehe auch Brown (1999), S. 878 sowie § 1 Abs. 1 S. 1 IStGH-Gesetz. 506 Scharf (1999), S. 651; Goldstone (2007), S. 769; Philippe Kirsch (2007), S. 543. 507 Siehe nur Kaul (1998a), S. 138; dens. (1998b), S. 128; Arsanjani (1999a), S. 67; Benvenuti, S. 21; Seidel / Stahn, S. 16; Zwanenburg, S. 130; Triffterer(-Williams / Schabas), Art. 17 IStGH-Statut Rn. 1; Informal expert paper, ICC-OTP 2003a, Rn. 35; Kleffner, S. 86; Momtaz, S. 53; van der Voort / Zwanenburg, S. 322; Bartelt, S. 203; Wolfrum, S. 977; van Heeck, S. 179. 504 505

C. Das Verfahren vor dem IStGH

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1. Ratio legis Das IStGH-Statut wahrt die Integrität der nationalen Strafrechtspflege und akzeptiert die Entscheidungen nationaler Gerichte. Nur wenn die Staaten untätig bleiben oder völkerrechtliche Verbrechen nur unzureichend ahnden, kann der IStGH sich einer Sache annehmen. Damit haben es die Nationalstaaten in der Hand, ob sich ein Beschuldigter vor dem IStGH verantworten muss.508 Dies gilt unabhängig davon, ob sie das IStGH-Statut ratifiziert haben.509 Auch Drittstaaten können vorrangige Zuständigkeit beanspruchen.

a) Schutz nationaler Souveränitätsinteressen Das Komplementaritätsprinzip dient dem Schutz nationaler Souveränitätsinteressen.510 Ob diese Rücksichtnahme völkerrechtlich erforderlich ist, kann vor dem Hintergrund des Tadic-Urteils bezweifelt werden. Das ICTY rechtfertigte seine Vorrangzuständigkeit zumindest nicht primär511 mit seiner Gründung durch eine Sicherheitsratsresolution. Es sah sie vielmehr durch den Charakter völkerrechtlicher Verbrechen legitimiert. Hinter dem Strafverfolgungsinteresse der internationalen Gemeinschaft müssten staatliche Souveränitätserwägungen zurückstehen.512 Die subsidiäre Zuständigkeit des IStGH hat aber seine Akzeptanz und damit die Ratifikationsrate des IStGH-Statuts entscheidend erhöht.513 Da von dem Vorrang nationaler Gerichte – wie gleich darzulegen ist – noch weitere positive Effekte ausgehen, ist sie unabhängig von der Frage, ob sie völkerrechtlich geboten ist, sinnvoll und beizubehalten. 514

508 Ambos (1999c), S. 183; Brown (1999), S. 879; Fastenrath, S. 634; Kreß (2000), S. 618; Harhoff (2001), S. 647; Kaul (2001a), S. 26; Burke-White (2000), S. 569. 509 Bergsmo, S. 35; Palmisano, S. 395; Roger S. Clark (2000), S. 216; Wedgwood (2001), S. 209; Akande (2003), S. 647; Klip, S. 181; Freeland, S. 229; Razesberger, S. 33; van Heeck, S. 172. 510 Roggemann (1996), S. 391; Stahn (1998), S. 589; Arsanjani (1999a), S. 68; Benvenuti, S. 39; Cassese (1999), S. 158; La Haye (1999), S. 23; Ntanda Nsereko (1999), S. 114; Seidel / Stahn, S. 16; Triffterer(-Williams / Schabas), Art. 17 IStGH-Statut Rn. 1; Cryer (2002), S. 986; Informal expert paper, ICC-OTP 2003c, Rn. 1; Hoyer, S. 324; Yang (2005), S. 122; Bothe / Fischer-Lescano, S. 9; Phillippe, S. 388. Siehe auch Stuby, S. 457; Ambos (1999c), S. 183; Roger S. Clark (2000), S. 215; Fletcher, S. 582; Kreß / Wannek, S. 236; Lee, S. 14; Razesberger, S. 28. 511 Das ICTY betont allerdings in diesem Zusammenhang, dass es ein Organ des Sicherheitsrats ist, Tadic´ AC, IT-94-1, o. Fn. 235, Rn. 58. 512 Tadic´ AC, IT-94-1, o. Fn. 235, Rn. 58 – 59; Tadic´ TC, IT-94-1 o. Fn. 359, Rn. 42. 513 Siehe Holmes (1999), S. 41; dens. (2002), S. 672; Ambos (1999c), S. 183; Triffterer (-Williams / Schabas), Art. 17 IStGH-Statut Rn. 2; Triffterer (2002), S. 360; Arbour, S. 588; Cameron, S. 83; Bartelt, S. 204. 514 Kritisch hingegen Wolfrum, S. 981.

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Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

b) Schutz des Beschuldigten Im Komplementaritätsprinzip wird auch ein Schutzinstitut zugunsten des Beschuldigten gesehen. Befürchtet ein Staat, dass dem Angeklagten ein politischer Prozess droht, kann er durch eigene Strafverfolgungsmaßnahmen ein Verfahren vor dem IStGH verhindern.515 Daher wird den Bedenken der USA, der IStGH könne willkürlich aus politischen Gründen gezielt amerikanische Soldaten verfolgen, zu Recht ihre Vorrangzuständigkeit entgegengehalten.516 Allerdings räumt das IStGH-Statut grundsätzlich jedem nationalen Verfahren Vorrang ein. Entscheidend ist lediglich, dass der Staat die Verbrechen ernsthaft verfolgt; nicht, ob ein faires Verfahren für den Angeklagten gewährleistet wird.517 Sieht das nationale Recht weniger rechtstaatliche Sicherungselemente zu Gunsten des Beschuldigten vor als das IStGH-Statut, könnte dieser geneigt sein, einem Verfahren vor dem IStGH den Vorzug zu geben. Von seinem Willen hängt aber die Vorrangzuständigkeit der nationalen Gerichte nicht ab. Sollte in Einzelfällen ein Beschuldigter durch das Komplementaritätsprinzip vor einer Politisierung des Prozesses geschützt werden, so ist dies lediglich mittelbare Folge der Achtung staatlicher Souveränität. Eine hiervon unabhängige Schutzrichtung zugunsten des Beschuldigten weist Art. 17 IStGH-Statut nicht auf.

c) Prozessökonomische Erwägungen Das Komplementaritätsprinzip ist prozessökonomisch sinnvoll. Die tatnahen Staaten sind am besten zur Strafverfolgung geeignet. Können diese ein unparteiisches und effizientes Verfahren gewährleisten, profitieren auch die Opfer davon in mehreren Hinsichten. Die tatnahen Staaten sind auch gleichzeitig nah an den Beweisen. In vielen Fällen wird die Beweisaufnahme vor Ort deutlich einfacher, klarer und damit auch weniger belastend für die Opfer sein als im Verfahren vor dem IStGH.518 Sprachprobleme bestehen nicht; das Verfahrensrecht ist erprobt und akzeptiert.519 Das Justizpersonal ist sowohl mit den Tathintergründen In diese Richtung Razesberger, S. 28. Brown (1999), S. 878; Zwanenburg, S. 132; Kreß (2000), S. 618; Forsythe, S. 984; Roger S. Clark (2000), S. 216; Kaul (2001a), S. 26; Freeland, S. 221. Siehe auch Philippe Kirsch / Darrly Robinson (2002a), S. 663. Dies wird aber von us-amerikanischer Seite teilweise nicht als ausreichende Sicherung angesehen, Rabkin, S. 841. 517 Vertiefend Heller, S. 225 mit umfassender Auseinandersetzung mit der Gegenposition. Diese ist aber nur schwer mit dem Wortlaut und dem Zweck von Art. 17 IStGH-Statut vereinbar. 518 Informal expert paper, ICC-OTP 2003c, Rn. 1. Siehe auch ICJ Judgement Kongo v. Belgium, Separate Opinon of Judge Rezek o. Fn. 58, Rn. 4; Al-Dujail Lawsuit, TC, IHT Case nr. 1 / 9 First / 2005, 5. 11. 2006, Teil 1 S. 33 (englische Übersetzung abrufbar unter http.: // law.case.edu/saddamtrial/dujail/opinion.asp); OTP (2003), S. 2; Cassese (1999), S. 158; dens. (2003), S. 591; Ntanda Nsereko (1999), S. 114; Cryer (2002), S. 986. 515 516

C. Das Verfahren vor dem IStGH

285

als auch mit den kulturellen Gepflogenheiten vertraut. Das Opfer muss nicht in einem ihm unter Umständen nicht vertrauten westlichen Kulturkreis aussagen und eine Vernehmung hinnehmen, die möglicherweise gegen ein kulturelles Tabu verstößt.520 Zudem sind Prozesse vor Ort sichtbarer.521 Die Gesellschaft erfährt vom Leid der Opfer, vom erlittenen Unrecht und muss sich mit den Geschehnissen auseinandersetzen. Dies kann eine gesellschaftliche Aufarbeitung des Unrechts begünstigen522 und den Opfern helfen, die für einen psychischen Heilungsprozess wichtige soziale Anerkennung zu erlangen.523 Wird Gerechtigkeit vor Ort ausgeübt, ist die Wahrscheinlichkeit, dass sie wahrgenommen wird und damit symbolische Wirkung entfalten kann, ungleich größer als bei einem Prozess im fernen Den Haag.524 Das Komplementaritätsprinzip gewährleistet den ökonomischen Einsatz der Ressourcen des IStGH.525 Der IStGH wird nur in der Lage sein, wenige Fälle selbst zu verhandeln.526 Die Straflosigkeit von völkerrechtlichen Verbrechen kann nur beendet werden, wenn die Nationalstaaten den größten Teil der Strafverfolgung übernehmen. Der IStGH soll seine begrenzten Ressourcen nur einsetzen müssen, wenn es notwendig ist, also wenn keine hinreichend ernsthafte nationale Tatahndung erfolgt. Dass Art. 17 IStGH-Statut nicht nur den Souveränitätsinteressen betroffener Staaten dient, zeigt sich daran, dass der Strafverfolgung in jedem zuständigen Staat Vorrang eingeräumt wird. Es ist gleichgültig, worauf die Zuständigkeit basiert. Ginge es ausschließlich um den Schutz nationaler Souveränitätsinteressen, so müsste man zusätzliche legitimierende Anknüpfungspunkte verlangen. Vorrangige Zuständigkeit könnte dann beispielsweise nur der Staat beanspruchen, der nach dem Territorialitätsprinzip, dem aktiven oder passiven Personalitätsprinzip zur Strafverfolgung berufen ist. Der IStGH ist aber vielmehr auch dann subsidiär zuständig, wenn ein Staat völkerrechtliche Verbrechen nach der Weltrechtspflege verfolgt.527 Das Komplementaritätsprinzip schützt damit auch den IStGH vor einer 519 Al-Dujail Lawsuit, o. Fn. 518, Teil 1 S. 33; Ntanda Nsereko (1999), S. 115; Razesberger, S. 25. 520 Mischkowski (2004b), S. 397. Siehe auch ICJ Judgement Kongo v. Belgium, Separate Opinon of Judge Rezek o. Fn. 58, Rn. 4 „that forum has greater knowledge of [ . . . ] and the victims“; Lipscomb, S. 202. 521 Siehe Al-Dujail Lawsuit, o. Fn. 518, Teil 1 S. 33; Roht-Arriaza (1996), S. 98; Fletcher, S. 583; Lipscomb, S. 202. 522 Tomuschat (1998), S. 342. 523 Siehe auch Cassese (2008), S. 279. 524 Siehe auch Ad hoc Committee on the Establishment of an International Criminal Court, Comments received pursuant to paragraph 4 of General Assembly Resolution 49 / 53 on the establishment of an International Criminal Court, 31 March 1995, A / AC.224 / 1 / Add.2, 8. 525 Informal expert paper, ICC-OTP 2003c, Rn. 1; OTP (2003), S. 4; Broomhall (2003), S. 91. Kritisch zur prozessökonomischen Bedeutung des Komplementaritätsprinzips Kreß / Wannek, S. 236. 526 Siehe zur Selektivität der Strafverfolgung durch den IStGH oben Teil 4 A. III. 1. d).

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Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

Überlastung, die letztlich zum Kollaps, zur Lähmung und so zur Ineffektivität der internationalen Strafrechtspflege führen könnte.528

d) Schutz vor Missbrauch Sichergestellt werden muss, dass der IStGH immer dann zur Strafverfolgung berechtigt ist, wenn – aus welchen Gründen auch immer – keine angemessene nationale Tatahndung erfolgt. Insbesondere muss sichergestellt werden, dass die Staaten ihre vorrangige Zuständigkeit nicht missbrauchen, um bestimmte Personen vor einer Strafverfolgung zu schützen. Dies zu verhindern, ist Ziel der in Art. 17 Abs. 1 litt. a) bis c) IStGH-Statut benannten Ausnahmen von der nationalen Vorrangzuständigkeit. Die Gerichtsbarkeit des IStGH soll immer dann, aber auch nur dann, zurückstehen, wenn die Nationalstaaten selbst willens und in der Lage sind, die core crimes angemessen zu ahnden. Die praktische Bedeutung des IStGH, seine Fähigkeit, Straflosigkeit für völkerrechtliche Verbrechen zu beenden, hängt daher davon ab, ob sich das Komplementaritätsprinzip hinreichend vor Missbrauch zu schützen vermag.

2. Anwendungsbereich Umstritten ist, ob das Komplementaritätsprinzip auch dann Geltung beansprucht, wenn das Verfahren durch den Sicherheitsrat nach Art. 13 lit. b) IStGHStatut ausgelöst wird. Hiergegen könnte man anführen, dass ein Zurückstehen des IStGH hinter die nationale Gerichtsbarkeit jedenfalls bei Vorliegen einer Sicherheitsratsresolution völkerrechtlich nicht erforderlich ist. Der Sicherheitsrat ist, wenn er unter Kap. VII UN-Charta handelt, berechtigt, ein internationales Gericht mit vorrangiger Zuständigkeit auszustatten. Von dieser Kompetenz hat er bei Errichtung der Ad-hoc-Tribunale Gebrauch gemacht. Der IStGH – so könnte man argumentieren – kann nur dann eine ernst zu nehmende Alternative zu neuen Ad-hoc-Tribunalen darstellen, wenn er im Fall der Sicherheitsratsvorlage Vorrang vor nationalen Gerichten beanspruchen könne. Aus dem IStGH-Statut lässt sich allerdings eine Ausnahme vom Komplementaritätsprinzip nicht herleiten. Anders als beispielsweise Art. 18 IStGH-Statut529 differenziert Art. 17 IStGH-Statut nicht nach dem jeweils zugrunde liegenden trigger527 Informal expert paper, ICC-OTP 2003c, Rn. 75; Razesberger, S. 37; Stahn (1998), S. 589; Kamminga, S. 951; McDonald / Haveman, S. 7; Cárdenas Aravena (2005), S. 72; dies. (2006), S. 116; dies. (2008), S. 135. Siehe auch ICJ Judgement Kongo v. Belgium, Dissenting Opinion of Judge van den Wyngaert o. Fn. 58, Rn. 64; Palmisano, S. 399; Phillippe, S. 388. Anderer Ansicht Höpfel, S. 773; van Heeck, S. 172. 528 Cassese (1999), S. 158. Siehe auch Razesberger, S. 26. 529 Siehe hierzu unten Teil 5 C. V.

C. Das Verfahren vor dem IStGH

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mechanism. Der Wortlaut spricht daher für die unbeschränkte Geltung des Komplementaritätsprinzips. 530 Teilweise wird angenommen, dass der Sicherheitsrat, wenn er nach Kap. VII UN-Charta handelt, die Jurisdiktionsbefugnis des IStGH erweitern und ihn daher mit vorrangiger Zuständigkeit ausstatten könne.531 Der Sicherheitsrat muss aber die Eigenständigkeit des IStGH achten, kann sich seiner nur insoweit bedienen, wie das IStGH-Statut ihm dies gestattet.532 Dadurch wird auch nicht in seine Befugnisse nach Kap. VII UN-Charta eingegriffen. Dem Sicherheitsrat steht es frei, neue Ad-hoc-Tribunale mit vorrangiger Zuständigkeit zu gründen. Der IStGH ist hingegen immer – selbst wenn ihn der Sicherheitsrat um Ermittlungen ersucht – an die ihm im IStGH-Statut auferlegten Grenzen gebunden.533 Das Komplementaritätsprinzip greift daher auch bei einer Sicherheitsratsvorlage.534 3. Die Grenzen der Zulässigkeit im Einzelnen Art. 17 Abs. 1 IStGH-Statut benennt vier Konstellationen, in denen der Gerichtshof eine Sache für unzulässig erklären muss. Die Zulässigkeit ist von Amts wegen zu prüfen.535 Von seinem Wortlaut her verlangt Art. 17 IStGH-Statut nur für Fälle Geltung. Dies bedeutet aber nicht, dass der Ankläger das Komplementaritätsprinzip im Situationsstadium unbeachtet lassen darf. Vielmehr wird er in jeder Verfahrensphase Ermittlungen unterlassen, wenn und soweit die Taten von einem Nationalstaat hinreichend ernsthaft verfolgt werden. a) Ermittlungs- und Verfolgungsvorrang nach Art. 17 Abs. 1 lit. a) IStGH-Statut Art. 17 Abs. 1 lit. a) IStGH-Statut erfasst den Fall paralleler Ermittlungen. Führt ein Staat in einer Sache Ermittlungen oder eine Strafverfolgung durch, entfalten diese Sperrwirkung für den IStGH. Die Sache ist unzulässig. Voraussetzung ist aber, dass der Staat willens und in der Lage ist, die völkerrechtlichen Verbrechen Siehe nur Junck, Rn. 609 – 618; Lipscomb, S. 201. Zimmermann (1998), S. 94. In diese Richtung auch Lipscomb, S. 201 – 202. 532 Siehe bereits oben Teil 5 C. II. 2. 533 Informal expert paper, ICC-OTP 2003c, Rn. 58; Condorelli / Villalpando (2002a), S. 577 – 580; Heilmann, S. 156 – 157; Benvenuti, S. 41; Junck, Rn. 619 – 625. 534 Siehe nur Informal expert paper, ICC-OTP 2003c, Rn. 68; Arsanjani (1999a), S. 70; Benvenuti, S. 41; Cassese (1999), S. 159; Gargiulo, S. 84; Lattanzi (1999a), S. 428; dies. (1999b), S. 63; Oosthuizen, S. 326; Politi (1999), S. 839; Wexler, S. 676; Condorelli / Villalpando (2002a), S. 581; Holmes (2002), S. 683; Meißner, S. 106; Kurth, S. 65; van Heeck, S. 180; Ambos (2008a), § 8 Rn. 10. Anderer Ansicht Zimmermann (1998), S. 94; Triffterer(-Triffterer), Art. 1 IStGH-Statut Rn. 20; Schlunck (2000), S. 259. 535 Stahn (1998), S. 589; Holmes (2001), S. 323; Roht-Arriaza (2000), S. 79. 530 531

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Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

ernsthaft zu verfolgen. Fehlt es hieran, wird der Grundsatz der nationalen Vorrangzuständigkeit durchbrochen. Dadurch werden den Staaten Anreize gesetzt, ein effektives Justizsystem, dass auch eine angemessene Verfolgung der core crimes gewährleisten kann, vorzuhalten.536 Achtung der Souveränität bedeutet, dass den tatahndenen Staaten ein Ermessensspielraum verbleiben muss, wie sie die Strafverfolgung ausgestalten. Nationale Besonderheiten bleiben gewahrt. Das Verfahren muss nicht der westlich geprägten Vorgehensweise des IStGH entsprechen. Auch ist nicht entscheidend, ob die nationalen Ermittlungen zu einem ähnlichen Ergebnis führen würden. Entscheidender Vergleichsmaßstab ist vielmehr das im jeweiligen Staat übliche Vorgehen bei schwerster Kriminalität. aa) Unwilligkeit Art. 17 Abs. 2 IStGH-Statut stellt Kriterien auf, anhand derer der mangelnde Wille eines Staates zu einer ernsthaften Strafverfolgung festzustellen ist. Ziel sämtlicher Varianten ist zu verhindern, dass ein Staat rechtsmissbräuchlich vorrangige Zuständigkeit beansprucht.537 Die genannten Fallgruppen sind nicht eindeutig voneinander abgrenzbar, sondern überschneiden sich.538 Unklar ist, ob weitere, in Art. 17 Abs. 2 IStGH-Statut nicht genannte Faktoren berücksichtigt werden dürfen. Der Wortlaut legt allerdings nahe, dass die Auflistung abschließend ist.539 Da die Kriterien aber sehr weit gefasst sind,540 dürften jedenfalls die meisten und schwerwiegendsten Missbrauchsfälle erfasst sein. Entscheidend für die Handlungsfähigkeit des Gerichtshofs ist weniger die Frage nach der Berücksichtigung zusätzlicher Faktoren als vielmehr die nach der Beweislast.541 Ein Verfahren vor dem IStGH wird dann nicht durch nationale Ermittlungen gesperrt, wenn diese verhindern sollen, dass der Beschuldigte wegen der begangenen Verbrechen strafrechtlich zur Verantwortung gezogen wird.542 Scheinprozesse sollen eine Strafverfolgung durch den IStGH nicht verhindern können.543 Ein manBurke-White (2000), S. 557; Yang (2005), S. 122. Seidel / Stahn, S. 16. 538 Informal expert paper, ICC-OTP 2003c, Annex 4 Nr. 2; Holmes (1999), S. 51; ders. (2002), S. 676. 539 Triffterer(-Williams / Schabas), Art. 17 IStGH-Statut Rn. 29; Holmes (2002), S. 675; Cárdenas Aravena (2005), S. 132 – 133. Anderer Ansicht Zimmermann (1998), S. 98; Hall (2003), S. 16; Bothe / Fischer-Lescano, S. 9; Razesberger, S. 42 – 43. 540 Siehe auch Holmes (2002), S. 675. 541 Siehe hierzu sogleich Teil 5 C. III. 3. e). 542 Art. 17 Abs. 2 lit. a) IStGH-Statut. 543 Triffterer(-Williams / Schabas), Art. 17 IStGH-Statut Rn. 27; Holmes (1999), S. 50; Stahn (2005), S. 714; Razesberger, S. 43; Cárdenas Aravena (2005), S. 114; dies. (2006), S. 121. Siehe auch van den Wyngaert / Ongena, S. 724. 536 537

C. Das Verfahren vor dem IStGH

289

gelnder Wille zur ernsthaften Strafverfolgung ist gemäß Art. 17 Abs. 2 lit. b) IStGH-Statut ferner dann anzunehmen, wenn das Verfahren derart verzögert wird, dass dies mit der Absicht, den Beschuldigten vor Gericht zu stellen, unvereinbar ist. Ausschlaggebend sind dabei nicht menschenrechtliche Garantien.544 Entscheidender Vergleichsmaßstab ist vielmehr die in dem jeweiligen Staat übliche Verfahrenslänge.545 Dabei muss aber in Rechnung gestellt werden, dass die Ermittlungen bei völkerrechtlichen Straftaten ausgesprochen komplex und daher langwierig sind.546 Art. 17 Abs. 2 lit. c) IStGH-Statut erfasst Verfahren, die nicht unabhängig oder unparteiisch geführt werden. Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn politischen Gremien Einfluss auf die Strafverfolgungsorgane oder das Verfahren selbst nehmen können oder Verbindungen zwischen dem Beschuldigten und den Richtern bestehen.547 In subjektiver Hinsicht verlangen alle Varianten, dass das Verfahren in einer Weise geführt wird, die mit der Absicht, die betreffende Person vor Gericht zu stellen, unvereinbar ist. bb) Unvermögen Ist ein Staat nicht in der Lage, die Ermittlungen ernsthaft durchzuführen, ist ein Verfahren vor dem IStGH ebenfalls zulässig. Ein solches Unvermögen liegt vor, wenn der Staat wegen des völligen oder weitgehenden Zusammenbruchs oder der mangelnden Verfügbarkeit eines innerstaatlichen Justizsystems nicht in der Lage ist, des Beschuldigten habhaft zu werden oder die erforderlichen Beweismittel und Zeugenaussagen zu erlangen, oder aus anderen Gründen nicht in der Lage ist, ein Verfahren durchzuführen. Art. 17 Abs. 3 IStGH-Statut trägt der Tatsache Rechnung, dass es in den Tatortstaaten häufig in Folge der gesellschaftlichen Krisensituation an einem funktionsfähigen Justizsystem fehlt. Selbst wenn der Staat willens ist, die Taten zu verfolgen, fehlt es ihm an den faktischen Voraussetzungen. Damit dies nicht zur Straflosigkeit völkerrechtlicher Verbrechen führt, kann der IStGH seine Gerichtsbarkeit ausüben. In diesen Fällen wäre es aber auch denkbar, die nationalen Behörden zu unterstützen und sie in die Lage zu versetzen, die core crimes selbst zu verfolgen.548 Neben den positiven Effekten, die mit vor Ort sichtbaren Strafprozessen verbunden sind, würde diese Lösung auch zu einer Stärkung des nationalen Justizsystems führen. Die gesellschaftliche Aufarbeitung des Konflikts würde begünstigt. Auch Zimmermann (1998), S. 98. Informal expert paper, ICC-OTP 2003c, Annex 4 Nr. 2; Zimmermann (1998), S. 99; Holmes (2002), S. 676; Cárdenas Aravena (2008), S. 141. Kritisch Razesberger, S. 45 – 46. 546 Zimmermann (1998), S. 98. 547 Informal expert paper, ICC-OTP 2003c, Annex 4 Nr. 2. 548 Siehe Delmas-Marty (2006), S. 7; Burke-White (2008), S. 92 ff.; Cárdenas Aravena (2008), S. 142. 544 545

290

Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

wenn in einem gewissen Umfang eine Arbeitsteilung zwischen dem Ankläger und nationalen Strafverfolgungsbehörden vorstellbar ist,549 ist es nicht die primäre Aufgabe des IStGH, die nationale Justiz zu stärken. Um diese Lücken zu schließen, ist angedacht, eine Justice Rapid Response ins Leben zu rufen. Diese soll für die völkerrechtlichen Kernverbrechen zuständig sein und auf Anfrage der betroffenen Staaten Ermittlungen vor Ort aufnehmen.550 Diese Unterstützung der nationalen Strafverfolgungsbehörden ist auch aus Sicht des IStGH sinnvoll. Je mehr Staaten in die Lage versetzt werden, selbst die völkerrechtlichen Verbrechen zu ahnden, desto seltener muss sich der IStGH einschalten. Die Justice Rapid Response kann so zu einer Entlastung des IStGH beitragen. cc) Berücksichtigung einer opferorientierten Verfahrensgestaltung? Das IStGH-Statut ermöglicht es den Opfern völkerrechtlicher Verbrechen, sich im Verfahren vor dem IStGH zu beteiligen551 und Wiedergutmachungsansprüche geltend zu machen552. Vor diesem Hintergrund stellt sich die Frage, ob das Komplementaritätsprinzip von den Nationalstaaten eine opferorientierte Ausgestaltung ihres Verfahrensrechts verlangt, mit anderen Worten, ob ein Staat zur Verfolgung völkerrechtlicher Verbrechen nicht willens oder in der Lage ist, wenn er den Opfern keine vergleichbaren Aktivrechte zugesteht. Dies würde aber den Grundgedanken des Komplementaritätsprinzips nicht gerecht. Art. 17 IStGH-Statut fragt lediglich, ob die völkerrechtlichen Verbrechen ernsthaft verfolgt werden. Auch wenn die Einbeziehung der Opfer ins Verfahren straftheoretisch begründbar ist, ist sie keine notwendige Bedingung für eine effektive Strafverfolgung. So sind beispielsweise dem common law Partizipationsrechte des Verletzten eher fremd.553 Solchen Ländern per se die Vorrangzuständigkeit zu versagen, wäre mit Sinn und Zweck von Art. 17 IStGH-Statut unvereinbar. Allerdings kann der willkürliche und atypische Ausschluss von Opfern in Verfahren bei völkerrechtlichen Verbrechen ein Hinweis auf den fehlenden Strafverfolgungswillen sein. Auch hier ist ein Vergleich mit der üblichen Verfahrenspraxis im betroffenen Staat entscheidend. Diese Erwägungen greifen entsprechend für die Integration von Wiedergutmachungsansprüchen ins Strafverfahren.554

549 550 551 552 553 554

Siehe unten Teil 5 C. III. 4. Justice Rapid Response Feasibility Study (October 2005), S. 7. Siehe unten Teil 5 E. Siehe unten Teil 5 F. Siehe Tochilovsky (1999), S. 349; Boas, S. 283; Pizzi, S. 3. Siehe auch Hall (2003), S. 18.

C. Das Verfahren vor dem IStGH

291

b) Verzicht auf Strafverfolgung nach Art. 17 Abs. 1 lit. b) IStGH-Statut Entschließen sich die nationalen Behörden nach der Durchführung von Ermittlungen, eine bestimmte Person strafrechtlich nicht zu verfolgen, so ist ein Verfahren vor dem IStGH grundsätzlich gemäß Art. 17 Abs. 1 lit. b) IStGH-Statut ausgeschlossen. Basiert diese Entscheidung aber auf der Unwilligkeit oder Unfähigkeit des ermittelnden Staates, eine Strafverfolgung durchzuführen, ist ein Verfahren vor dem IStGH dennoch zulässig. Maßgebend sind die in Art. 17 Abs. 2, 3 IStGH-Statut genannten Kriterien. c) Ne bis in idem gemäß Artt. 17 Abs. 1 lit. c); 20 Abs. 3 IStGH-Statut Ebenfalls unzulässig ist ein Verfahren vor dem IStGH, wenn wegen der fraglichen Handlung bereits ein Gerichtsverfahren vor einem anderen Gericht durchgeführt wurde, eine erneute Strafverfolgung also gegen den Ne-bis-in-idem-Grundsatz verstoßen würde. Gemäß Art. 20 Abs. 3 IStGH-Statut gilt das Doppelbestrafungsverbot auch im Verhältnis zwischen dem IStGH und nationalen Gerichten. Ein Beschuldigter, der wegen eines nach dem IStGH-Statut strafbaren Verhaltens bereits vor Gericht stand, darf vom IStGH nicht erneut belangt werden. Von diesem Grundsatz etabliert Art. 20 Abs. 3 IStGH-Statut allerdings zwei Ausnahmen. Der IStGH ist dann zur Strafverfolgung berechtigt, wenn das Verfahren vor dem nationalen Gericht dem Zweck diente, den Beschuldigten vor strafrechtlicher Verantwortlichkeit zu schützen, oder das Verfahren nicht unabhängig oder unparteiisch war und in einer Weise geführt wurde, die mit der Absicht, den Beschuldigten vor Gericht zu stellen, unvereinbar war. Damit führt Art. 20 Abs. 3 IStGH-Statut den Gedanken der Art. 17 Abs. 1, Abs. 2 litt. a) und b) IStGH-Statut fort. Selbst wenn es gelingt, einen Scheinprozess zu Ende zu führen, soll dies die Gerichtsbarkeit des IStGH nicht hindern.555 Dies gilt nicht nur für einen Freispruch. Der Täter soll sich auch durch eine pro-forma-Verurteilung nicht seiner strafrechtlichen Verantwortlichkeit entziehen können.556 Nicht explizit geregelt sind Fälle, in denen die Tatbestände des IStGH-Statuts nicht in das nationale Recht implementiert wurden, also nur eine Verurteilung wegen gewöhnlicher Straftaten erfolgen kann. Die Statuten der Ad-hoc-Tribunale sehen insoweit eine Ausnahme vom Ne-bis-in-idem-Grundsatz vor. Werden schwere Verstöße gegen das humanitäre Völkerrecht von nationalen Gerichten lediglich als gewöhnliche Verbrechen bewertet, steht einem erneuten Prozess vor dem ICTY und dem ICTR das Doppelbestrafungsverbot nicht entgegen.557 Im 555 556 557

van den Wyngaert / Ongena, S. 724. Cárdenas Aravena (2005), 139; dies. (2008), S. 145. Art. 10 Abs. 2 lit. a) ICTY-Statut; Art. 9 Abs. 2 lit. a) ICTR-Statut.

292

Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

IStGH-Statut wurde diese Fallgruppe nicht aufgenommen. Dieser Entscheidung lagen weniger inhaltliche Erwägungen zu Grunde. Vielmehr erschien den Delegierten der Ausdruck „gewöhnliche Verbrechen“ zu vage.558 Ein Showprozess i. S. d. Art. 20 Abs. 3 lit. a) IStGH-Statut liegt aber bereits dann vor, wenn der Beschuldigte vor strafrechtlicher Verantwortlichkeit für die der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs unterliegenden Verbrechen geschützt werden soll. Es reicht nicht aus, dass der Täter wegen irgendeines Delikts belangt wird. Die Verurteilung muss vielmehr das begangene Unrecht widerspiegeln. Dies wäre beispielsweise dann nicht der Fall, wenn die nationalen Behörden statt wegen Verbrechen gegen die Menschlichkeit begangen durch Folter und Vergewaltigung wegen Beleidigung ermitteln. Dies würde nicht nur den Interessen der internationalen Gemeinschaft an einer effektiven Tatahndung nicht gerecht, sondern wäre gleichzeitig eine unerträgliche Bagatellisierung der Tat und damit eine Verhöhnung der Opfer. Grenzwertig dürfte es bereits sein, wenn eine Verurteilung wegen gewöhnlicher Straftaten, wie beispielsweise wegen Mord oder Vergewaltigung, erfolgt. Die Verurteilung würde das spezifische völkerrechtliche Unrecht der Tat nicht erfassen.559 Aus prozessökonomischen Gründen wird man dies allerdings zumindest bei völkerrechtlichen Verbrechen geringer bis mittlerer Intensität als ausreichend betrachten müssen.560 Anders sieht es bei den hauptverantwortlichen Tätern aus. Hier muss die völkerrechtliche Dimension der Tat im Urteilsausspruch zum Ausdruck kommt. Die Entscheidungen nationaler Gerichte zu achten, bedeutet, dass diesen ein Ermessensspielraum bleiben muss, wie sie völkerrechtliche Verbrechen ahnden. Eine Ausnahme vom Doppelbestrafungsverbot ist nicht bereits anzunehmen, weil der IStGH wahrscheinlich eine längere Freiheitsstrafe verhängt hätte oder den Beschuldigten nicht freigesprochen hätte. Dies gilt selbst dann, wenn dieser offensichtlich schuldig ist. Maßgebend ist nicht das Ergebnis des Prozesses, sondern die Art, wie er geführt wird.561 Erst wenn das Verfahren von vornherein, ungeachtet der zutage tretenden Beweise, auf einen Freispruch oder eine minimale Strafe zielt, büßt der Staat seine Vorrangzuständigkeit ein.

d) Hinreichende Schwere der Sache gemäß Art. 17 Abs. 1 lit. d) IStGH-Statut Als letztes bestimmt Art. 17 Abs. 1 lit. d) IStGH-Statut, dass die Sache schwerwiegend genug sein muss, um weitere Maßnahmen des Gerichtshofs zu rechtfertigen. Der Komplementaritätsgrundsatz wird mit einem weiteren fundamentalen Siehe van den Wyngaert / Ongena, S. 725 – 726. Siehe van den Wyngaert / Ongena, S. 726; Broomhall (2003), S. 91; Kleffner, S. 97 – 98; Burke-White (2000), S. 582; Hall (2003), S. 16; Yang (2005), S. 125; Weigend (2006), S. 122. 560 Zimmermann (1998), S. 98 Fn. 252; Klip, S. 181 halten dies generell für ausreichend. 561 Informal expert paper, ICC-OTP 2003c, Rn. 46. 558 559

C. Das Verfahren vor dem IStGH

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Prinzip kombiniert. Der IStGH soll sich nur mit den schwersten Verbrechen, die die internationale Gemeinschaft als solche berühren, befassen.562 Dies gilt zwar grundsätzlich für alle Statutverbrechen. Das IStGH-Statut geht allerdings an verschiedenen Stellen davon aus, dass auch die core crimes in ihrer Intensität abstufbar sind.563 Nach Ansicht von PTC I hat die Tatschwere eine quantitatve und eine qualitative Komponente.564 Berücksichtigt werden sollen neben der Anzahl der Opfer565 die Art und gesellschaftlichen Auswirkungen der Tat, die Art ihre Begehung sowie der Rang und die Rolle des Verdächtigen.566 Die schwersten Taten und die hauptverantwortlichen Täter müssen strafrechtlich verfolgt werden.567 Insoweit verbieten sich Selektionsprozesse. Hintergrund für Art. 17 Abs. 1 lit. d) IStGH-Statut sind die begrenzten Kapazitäten des Gerichtshofs. Dieser soll nicht durch die Verfolgung von Taten geringerer Bedeutung oder durch Prozesse gegen bloße Befehlsempfänger gelähmt werden. Dadurch soll gewährleistet werden, dass der IStGH seine Ressourcen gezielt zur Verfolgung der schwerwiegendsten Taten und der hauptverantwortlichen Täter einsetzt – also für die Fälle eine Strafverfolgung sichergestellt ist, in denen Straflosigkeit besonders unerträglich wäre. Hier zeigt sich deutlich die prozessökonomische Zielsetzung des Komplementaritätsprinzips. Die erforderlichen Selektionsprozesse können für die Opfer nur schwer nachvollziehbar sein. Art. 17 Abs. 1 lit. d) IStGHStatut bedeutet aber nicht, dass Verbrechen, die diese Schwelle nicht erreichen, nicht geahndet werden (sollen). Hier sind vielmehr die Nationalstaaten berufen. Ist eine Sache nicht schwerwiegend genug, um ein Tätigwerden des IStGH zu rechtfertigen, ist es ihre Aufgabe sicherzustellen, dass die Täter nicht straffrei ausgehen.568 Nur wenn der IStGH und nationale Gerichte zusammenarbeiten, kann eine effektive und umfassende strafrechtliche Verfolgung der core crimes sichergestellt werden. So lange und so weit Selektionsprozesse wegen begrenzter Ressourcen unumgänglich sind, ist es auch im Interesse der Opfer, wenn zumindest die Bestrafung der hauptverantwortlichen Täter gewährleistet wird.569 562 Siehe auch Henzelin, S. 235; Cárdenas Aravena (2005), S. 89; Razesberger, S. 40. Kritisch Morris (2000), S. 185. 563 Siehe auch Prosecutor v. Abu Garda – Decision on the Confirmation of Charges, PTC I, ICC-02 / 05-02 / 09-243, 8. 2. 2010, Rn. 30 sowie Ambos (2009b), Rn. 38. 564 Abu Garda PTC, ICC-02 / 05-02 / 09-243, o. Fn. 563, Rn. 31. 565 Abu Garda PTC, ICC-02 / 05-02 / 09-243, o. Fn. 563, Rn. 31. 566 Situation in the DRC – Decision on the Prosecutor’s application for an arrest warrant, Article 58, PTC I, ICC-01 / 04-01 / 06-8), Rn. 42 ff., 63; OTP (2006a), S. 5; OTP (2007), S. 5; Ambos (2009b), Rn. 38 Vertiefend und kritisch Schabas (2008), S. 736 ff. 567 Siehe auch OTP (2007), S. 7; Report of the Preparatory Committee on the Establishment of an International Criminal court – Vol. I (1996), UN Doc. A / 51 / 33, Rn. 229; Hall (2003), S. 27; Ntanda Nsereko (2004), S. 14; Sarooshi (2004), S. 99 sowie Schrag, S. 4. Auf diese will der Ankläger seine Ermittlungen konzentrieren, OTP (2006b), Rn. 59; OTP (2006a), S. 5. Siehe auch Regulation 33 Regulations of the Prosecutor. 568 Siehe auch Benvenuti, S. 43; Brubacher, S. 78 – 79, Klip, S. 187. 569 Siehe hierzu bereits oben Teil 4 A. III. 1. d).

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Auch wenn die Art. 17 Abs. 1 lit. d) IStGH-Statut zugrunde liegenden Erwägungen sinnvoll sind, birgt diese Vorschrift ein gewisses Missbrauchspotential. Ob eine Sache hinreichend schwer ist, ist eine reine Wertungsfrage. Diese Variante ist damit ein Einfallstor für politische Erwägungen und birgt die Gefahr ungerechtfertigter Selektionsprozesse.570 e) Beweislast Art. 17 IStGH-Statut stellt eine Vermutung zugunsten der Zulässigkeit einer Sache auf.571 Ein Verfahren ist nur dann unzulässig, wenn eine der in Art. 17 Abs. 1 IStGH-Statut genannten Fallgruppen eingreift. Sobald aber ein Staat Ermittlungen aufgenommen hat, wird zu seinen Gunsten vermutet, dass er willens und in der Lage ist, diese ernsthaft zu betreiben.572 Beansprucht der IStGH nationalen Ermittlungen zum Trotz Gerichtsbarkeit über eine Sache, so trägt er die Beweislast. Der Ankläger muss darlegen, dass die Voraussetzungen von Art. 17 Abs. 2 oder 3 IStGH-Statut vorliegen.573 Der Gerichtshof muss von der Verfolgungsunfähigkeit oder -unwilligkeit des ermittelnden Staates überzeugt sein. Bloße Zweifel genügen nicht.574 Kennzeichnend für die Verfolgungsunwilligkeit ist eine subjektive Komponente: die Absicht, einen Beschuldigten vor einem Verfahren zu schützen bzw. die fehlende Absicht, den Beschuldigten vor Gericht zu stellen. Der Nachweis subjektiver Voraussetzungen gestaltet sich generell schwierig. Erschwerend tritt hinzu, dass der Staat Ermittlungen aufgenommen hat. Bewiesen werden muss, dass die eigentliche Intention im Gegensatz zu den vorgenommenen Handlungen steht.575 Der Nachweis des Unvermögens dürfte, da hier objektive Gesichtspunkte entscheidend sind, grundsätzlich leichter fallen.576 Allerdings handelt es um einen neuen Rechtsbegriff. Einschlägige Rechtsprechung, auf die der Gerichtshof zurückgreifen könnte, fehlt. Bis der IStGH Fallgruppen entwickelt oder maßgebende Kriterien aufgestellt hat, bleibt Raum für unterschiedliche Auffassungen, die umfänglich im Verfahren vorgetragen und diskutiert werden können.577 Siehe hierzu unten Teil 5 C. IV. 3. b) und c). Cárdenas Aravena (2006), S. 116; dies. (2008), S. 132; Darryl Robinson (2006), S. 141. 572 Cassese (1999), S. 158; Seidel / Stahn, S. 16; Holmes (2002), S. 675; Gerry Simpson (2004), S. 55; Sarooshi (2004a), S. 940. 573 Bergsmo, S. 43; Arbour / Bergsmo, S. 130; Ntanda Nsereko (1999), S. 116; Zwanenburg, S. 132; Broomhall (2003), S. 90; Razesberger, S. 54. Siehe auch Informal expert paper, ICC-OTP 2003c, Rn. 55. 574 Hoffmeister / Knoke, S. 798. 575 Arbour / Bergsmo, S. 131. Siehe auch Informal expert paper, ICC-OTP 2003c, Rn. 44; Zwanenburg, S. 131; Holmes (2002), S. 672, 675; dens. (1999), S. 50; Gavron, S. 109 – 110. 576 Informal expert paper, ICC-OTP 2003c, Rn. 48. Siehe auch Kleffner, S. 87; Phillippe, S. 383. 570 571

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Darüber hinaus stellt sich die Frage, wie der Ankläger an das erforderliche Beweismaterial gelangen soll. Die entscheidenden Informationen über die Funktionsfähigkeit des nationalen Justizsystems und den Stand eines bestimmten Strafverfahrens befinden sich typischerweise im Besitz des jeweiligen Staates.578 Falls möglich kann der Ankläger zwar aus anderen Quellen, wie Berichten von NGOs und Journalisten, Erkundigungen einziehen.579 Dies hilft aber dann nicht weiter, wenn bestimmte Informationen nur dem ermittelnden Staat zur Verfügung stehen. Denkbar wäre es allerdings, in diesen Fällen eine Beweislastumkehr anzunehmen, den Staat also zu verpflichten, die Ernsthaftigkeit seiner Bemühungen darzulegen.580 Zudem kann die Weigerung des Staates, mit dem Ankläger zusammenzuarbeiten und ihm Zugriff auf die entscheidenden Dokumente und Akten zu gewähren, ein Indiz für seine Unwilligkeit oder Unfähigkeit zur ernsthaften Strafverfolgung sein.581 Durch die Beweislastverteilung wird der Komplementaritätsgrundsatz zu einer hohen Schwelle für die Gerichtsbarkeit des IStGH. Die nationale Vorrangzuständigkeit ist so umfassend geschützt, dass die Gefahr besteht, dass Strafverfolgungslücken entstehen, der IStGH durch Streitigkeiten über die Absichten eines Staates paralysiert wird. Relativiert wird dies aber immerhin insoweit, als dem Gerichtshof die Entscheidung über die Zulässigkeit einer Sache obliegt. Er, nicht der betroffene Staat, entscheidet, ob die Voraussetzungen des Art. 17 IStGH-Statut vorliegen.582 Der Gerichtshof hat damit die Möglichkeit, in seiner Rechtsprechung einen sinnvollen Ausgleich zwischen nationalen Souveränitätsinteressen und effektiver – notfalls internationaler – Strafverfolgung zu finden. 4. Verzicht auf nationale Strafverfolgung und einvernehmliche Arbeitsteilung Entgegen allen Erwartungen sind die ersten Fälle, mit denen der IStGH befasst ist, nicht durch Zuständigkeitsstreitigkeiten mit Nationalstaaten, vor allem mit Arbour / Bergsmo, S. 131. Zwanenburg, S. 132; Cárdenas Aravena (2005), S. 145. Siehe auch McDonald / Haveman, S. 5. 579 Informal expert paper, ICC-OTP 2003c, Rn. 39. 580 Informal expert paper, ICC-OTP 2003c, Rn. 56. In einer ähnlichen Situation hat auch der IACHR eine Beweislastumkehr angenommen, sofern der Staat eine Zusammenarbeit verweigert, Case of Velásquez-Rodríguez v. Honduras (Merits), IACHR 29. 7. 1988, Rn. 135 – 136. 581 Informal expert paper, ICC-OTP 2003c, Rn. 57. 582 Kaul (1998b), S. 128; Benvenuti, S. 42; Robertson, S. 325; Seidel / Stahn, S. 16; Henzelin, S. 235; Lagodny, S. 804; Morris (2000), S. 195; Holmes (2002), S. 672; van den Wyngaert / Ongena, S. 724 – 725; Olásolo (2003), S. 30; Sarooshi (2004a), S. 942; DäublerGmelin (2005), S. 736; Kreß / Wannek, S. 237; Stahn (2005), S. 700; Gerry Simpson (2004), S. 55; Mangold, S. 223; Heller, S. 256; Ambos (2008a), § 8 Rn. 10; Arsanjani / Reisman, S. 328. 577 578

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dem Tatortstaat, belastet. Hintergrund ist, dass die Tatortstaaten überwiegend selbst die Verfahren nach Art. 13 lit. a) IStGH-Statut ausgelöst haben („self-referrals“), sich also mit einer Strafverfolgung durch den IStGH einverstanden erklärt haben.583 Nimmt man an, dass das Komplementaritätsprinzip nicht nur die Souveränitätsinteressen der Nationalstaaten, sondern auch den IStGH vor Überlastung schützt,584 kann es allerdings nicht zur alleinigen Disposition der Staaten stehen.585 Im eigentlichen Sinne „verzichten“ kann ein Staat demnach auf seine Vorrangzuständigkeit nicht.586 Allerdings hängt es von ihm ab, ob die Voraussetzungen des Art. 17 IStGH-Statut erfüllt sind. Leitet der Staat keine Strafverfolgungsmaßnahmen ein, kann sich die Unzulässigkeit nur aus Art. 17 Abs. 1 lit. d) IStGH-Statut ergeben.587 Ebenso ist eine einvernehmliche Zusammenarbeit und Arbeitsteilung zwischen Tatortstaat und IStGH möglich.588 So hat sich beispielsweise die Demokratische Republik Kongo verpflichtet, den Ankläger über alle Ermittlungen, die die core crimes zum Gegenstand haben, zu informieren. Der Ankläger will im Gegenzug die nationalen Behörden bei der Strafverfolgung unterstützen.589 Zudem können sich Ankläger und Tatortstaat darüber einigen, in welchen Fällen die nationalen Strafverfolgungsbehörden tätig werden und welche dem IStGH überlassen werden. Verhindert wird so, dass durch unklare Zuständigkeiten Strafverfolgungslücken entstehen.590 Zudem können die Ermittlungen koordiniert, das gesammelte Beweismaterial von beiden Seiten genutzt werden.591 Eine solche Zusammenarbeit kann einen erheblichen Beitrag dazu leisten, dass sich die Strafverfolgung effektiv, ressourcenschonend und lückenlos gestaltet.592 Erfolgt die Tatahndung im Einvernehmen mit dem Tatortstaat, wird zumindest dieser später nicht die Gerichtsbarkeit des IStGH oder die Zulässigkeit der Sache anfechten.593 Auf Siehe oben Teil 5 C. II. 1. b). Siehe oben Teil 5 C. III. 1. c). 585 Siehe auch Informal expert paper, ICC-OTP 2003c, Rn. 60. Im Ergebnis ebenso Cárdenas Aravena (2005), 133. 586 Siehe auch Arsanjani (2002), S. 148. 587 Informal expert paper, ICC-OTP 2003c, Rn. 18 – 19. Siehe auch Kreß (2004), S. 946; Ambos (2009b), Rn. 37 sowie Abu Garda PTC, ICC-02 / 05-02 / 09-243, o. Fn. 563, Rn. 29. 588 Siehe Akhavan (2005b), S. 414 sowie Burke-White (2008), S. 101. 589 Siehe Chapitre 7 des Accord de coopération judiciaire entre la République Démocratique du Congo et le Bureau du Procureur de la Cour Pénale Internationale vom 18. 3. 2006. Siehe auch OTP (2010), Rn. 17; Delmas-Marty (2005), S. 5. 590 Auf diese Gefahr der parallelen Zuständigkeit weist auch Harhoff (1997), S. 573 hin. 591 Harhoff (1997), S. 573. 592 Informal expert paper, ICC-OTP 2003c, Rn. 61 – 62; Annex to the „Paper on some policy issues before the Office of the Prosecutor“: Referrals and Communications, S. 5; Kreß (2004), S. 948. Siehe auch Gaeta (2004), S. 950. Schon für die Ad-hoc-Tribunale Harhoff (1997), S. 573. 593 Di Giovanni, S. 29. Zur Rechtsverwirkung wegen widersprüchlichen Handelns Ambos (2008a), § 8 Rn. 7. Siehe auch unten Teil 5 C. V. und VI. 583 584

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diese Weise kann das Verfahren insgesamt gestrafft werden. Bisher hat der Ankläger daher versucht, die (ehemaligen) Konfliktstaaten zu einer Staatenbeschwerde zu bewegen, um im Anschluss daran das weitere Vorgehen abstimmen und koordinieren zu können.594 Dieser „positive approach of complementarity“ darf aber nicht dazu führen, dass der Ankläger sich in Abhängigkeit zu den nationalen Strafverfolgungsbehörden begibt. Er muss vielmehr durch geeignete Kontrollmaßnahmen sicherstellen, dass der Staat keine Verbrechen verschleiert, sondern diese ernsthaft verfolgt und keine ungerechtfertigten Selektionen vornimmt.595 Zudem darf die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der Ermittlungen nicht gefährdet werden.596 Jedenfalls darf die Kooperationsbereitschaft des Tatortstaates keine Voraussetzung für die Aufnahme von Ermittlungen sein. Diese erleichtert dem Ankläger zwar seine Arbeit erheblich. Aber auch und gerade in den Fällen, in denen der Tatortstaat an einer Strafverfolgung nicht interessiert ist, muss der Ankläger tätig werden, wenn die Beweislage dies verlangt. Kooperationsangebote sind auch gegenüber Drittstaaten denkbar. Erfolgt eine Einigung über die Modalitäten und den Umfang der internationalen Strafverfolgung, wird der Drittstaat diese als sinnvolle Ergänzung seiner eigenen Bemühungen ansehen können. Dies schafft Anreize für eine Ad-hoc-Unterwerfung.597 Die aus Art. 12 Abs. 2 IStGH-Statut resultierenden Strafverfolgungslücken können so zumindest in Einzelfällen geschlossen werden.

5. Inkonsistenz nationaler und internationaler Strafverfolgung Das Komplementaritätsprinzip wird typischerweise zu einem Nebeneinander von nationaler und internationaler Strafverfolgung führen.598 Dies birgt aber die Gefahr, dass inkonsistente Vorgehensweisen und Urteile zu einer Ungleichbehandlung der Opfer führen. So kann das IStGH-Statut umfassendere Verfahrensgarantien für den Beschuldigten vorsehen als das nationale Strafverfahrensrecht.599 Die Verurteilung eines Täters durch den IStGH kann daher schwieriger, ein Freispruch – und sei es nur für einzelne Tatvorwürfe – wahrscheinlicher sein. Dass gerade die hauptverantwortlichen Täter im Vergleich zu ihren Untergebenen, die sich vor nationalen Gerichten verantworten müssen, in den Genuss eines umfassenderen prozessualen Schutzes kommen, kann für die Opfer nur schwer nachvollziehbar 594 Siehe Annex to the „Paper on some policy issues before the Office of the Prosecutor“: Referrals and Communications, S. 4 – 5. 595 Siehe auch Gaeta (2004), S. 952. 596 Burke-White (2008), S. 103 – 104. 597 Schabas (2003b), S. 3. 598 Vertiefend Morris (2000), S. 189. Schon für die Ad-hoc-Tribunale Harhoff (1997), S. 571 – 572. 599 Morris (1997), S. 353; dies. (2000), S. 196; Heller, S. 256; Phillippe, S. 391.

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sein. Nachteilig können sich auch Unterschiede in den Beteiligungsrechten auswirken. Dürfen sich Opfer vor dem IStGH stärker als vor nationalen Gerichten einbringen, kann die Akzeptanz nationaler Verfahren verringert werden. Dies kann durch Unterschiede im Strafmaß noch weiter verstärkt werden.600 Mit diesem Problem sieht sich auch das ICTR konfrontiert. Die ruandische Justiz versucht durch den verstärkten Einsatz von plea agreements601 in alternativen Gacaca-Verfahren602 der Flut von Verfahren Herr zu werden.603 Legt der Beschuldigte ein umfassendes Geständnis ab, kann er mit einer erheblichen Strafmilderung rechnen.604 Arbeitet nun das internationale Tribunal nicht mit vergleichbaren Anreizen, fallen die Strafen also deutlich höher aus, kann dies den Eindruck erwecken, die nationale Justiz wolle die Täter schützen und verfolge die Verbrechen nicht ernsthaft. Es besteht die Gefahr, dass die Überlebenden das Vertrauen und den Glauben in die nationale Gerichtsbarkeit verlieren.605 Dies dürfte sich wiederum nachteilig für eine gesellschaftliche Aufarbeitung des Konflikts auswirken und einen Neuanfang behindern. Diskrepanzen zwischen dem IStGH und nationalen Gerichten werden sich nicht vollständig vermeiden lassen. Ziel sollte es aber sein, durch Informationsaustausch und Absprachen auf ein möglichst schlüssiges Gesamtkonzept hinzuwirken.606 Dies dürfte jedenfalls in den Fällen der einvernehmlichen Arbeitsteilung möglich sein. Gelingt dies, werden die Opfer beide Formen der Strafverfolgung akzeptieren können. 6. Amnestien Nicht explizit geregelt ist die Frage, wie sich nationale Amnestien auf die Gerichtsbarkeit des IStGH auswirken. Sie wurde bei den Verhandlungen von Rom bewusst offengelassen.607 Aufgrund des von der ugandischen Regierung 2001 verkündeten Amnesty Act kann diesem Aspekt allerdings bereits im Verfahren gegen Joseph Kony entscheidende Bedeutung zukommen.

Siehe speziell zur Todesstrafe unten Teil 5 C. XI. 1. Siehe zu guilty pleas und plea agreements im Verfahren vor dem IStGH unten Teil 5 C. X. 2. und 3. 602 Siehe hierzu Buckley-Zistel, S. 113; Schabas (2005a), S. 891; Sadat (2009), S. 543 ff. 603 Kritisch zum Erfolg der Gacaca-Gerichte Buckley-Zistel, S. 118 – 125. 604 Morris (1997), S. 359; Buckley-Zistel, S. 117; Schabas (2005a), S. 893; Sadat (2009), S. 555. 605 Morris (1997), S. 364; dies. (2000), S. 197. 606 Siehe auch Harhoff (1997), S. 573; Morris (2000), S. 198. 607 Arsanjani (1999a), S. 75; La Haye (1999), S. 10; Dugard, S. 700; Gavron, S. 107; Darryl Robinson (2003), S. 483; Ambos (2008a), § 7 Rn. 114; ders. (2009b), Rn. 35. Art. 10 des Statuts des SCSL bestimmt hingegen expliziert, dass sich Amnestien nicht auf die Gerichtsbarkeit des SCSL auswirken. 600 601

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Im Zuge einer Amnestie verzichtet der Staat auf die Durchsetzung seines Strafanspruchs; sie ist ein Akt des Vergessens.608 Amnestien können in jedem Verfahrensstadium greifen. Verzichtet werden kann auf die weitere Vollstreckung einer Strafe, die Beendigung eines anhängigen Verfahrens oder bereits auf die Aufnahme von Ermittlungen.609 Anders als die Begnadigung oder die Gewährung von Pardon ist die Amnestie keine personenbezogene Einzelfallentscheidung. Vielmehr wird allgemein für bestimmte Arten von Taten, die in einem bestimmen Zeitraum begangen wurden, Schutz vor Strafverfolgung gewährt.610 Auch wenn einige Amnestiegesetze Strafen vorsehen611, bedeuten sie in der Regel Straffreiheit für die Täter.612

a) Völkerrechtliche Zulässigkeit von Amnestien Als erstes stellt sich die Frage, ob ein Nationalstaat überhaupt eine Amnestie für die core crimes aussprechen darf. Sind Amnestien völkerrechtlich unzulässig und daher unbeachtlich, können sie auch den IStGH nicht an der Ausübung seiner Gerichtsbarkeit hindern. Amnestien sind im Völkerrecht nur punktuell geregelt. So regt Art. 6 Abs. 5 ZP II an, denjenigen Personen eine möglichst weitgehende Amnestie zu gewähren, die am bewaffneten Konflikt teilgenommen haben oder denen aus Gründen im Zusammenhang mit dem Konflikt die Freiheit entzogen wurde. Diese Bestimmung erlaubt aber keine Amnestien für Verstöße gegen humanitäres Völkerrecht. Während es für den international bewaffneten Konflikt anerkannt ist, dass ein Kombattant nicht für legale Kampfhandlungen, also solche, die im Einklang mit den 608 BGH 11. 6. 1952, BGHSt 3, 134, 136; Sandoz / Swinarski / Zimmermann(-Junod), Rn. 4617; Hammel, S. 6; Wassermann, S. 2668; Scharf (1996), S. 41 Fn. 1; Arsanjani (1999b), S. 65; Broomhall (2003), S. 93. 609 Marxen, S. 8; Wassermann, S. 2668. Siehe auch BVerfG 22. 4. 1953, BVerfGE 2, 213, 221. 610 BVerfG 22. 4. 1953, BVerfGE 2, 213, 222; Marxen, S. 8; Hammel, S. 8. Siehe auch Sandoz / Swinarski / Bruno Zimmermann(-Junod), Rn. 4617; Dahm / Delbrück / Wolfrum (2002), S. 1014. 611 Siehe den Überblick bei Dahm / Delbrück / Wolfrum (2002), S. 1014 – 1015. 612 Case of Castillo-Páez v. Peru (Reparations and Costs), Concurring Opinion of Judge Sergio Grac´ia Ramirez, IACHR 27. 11. 1998, Rn. 7; Hammel, S. 8; Wassermann, S. 2668; Gavron, S. 91. In diese Richtung auch Héctor Marcial Garay Hermosilla et al. (Chile), IAComHR, case 10.843, 15. 10. 1996, Rn. 49 veröffentlicht im Annual Report of the InterAmerican Commission on Human Rights 1996 Chapter III. Am selben Tat erging eine weitere, im Wortlaut nahezu identische Entscheidung zu den chilenischen Amnestiegesetzen Irma Meneses Reyes et al. (Chile) IAComHR, cases 11.228, 11.229, 11.231 and 11.182, 15. 10. 1996, veröffentlicht im Annual Report of the Inter-American Commission on Human Rights 1996 Chapter III. Im Folgenden wird nur die Héctor Marcial Garay Hermosilla-Entscheidung zitiert. Siehe auch BVerfG 22. 4. 1953, BVerfGE 2, 213, 222; O’Shea, S. 72; Cárdenas Aravena (2005), 153; dies. (2008), S. 148; Razesberger, S. 159.

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Genfer Konventionen und ihren Zusatzprotokollen stehen, strafrechtlich verfolgt werden kann,613 fehlt ein entsprechender Grundsatz für den nicht-internationalen Konflikt. Diese Lücke will Art. 6 Abs. 5 ZP II schließen. Amnestien sollen denjenigen zugute kommen, die sich – ohne humanitäres Völkerrecht zu brechen – an den Kampfhandlungen beteiligt haben.614 Diese Auslegung ist auch mit dem Ziel des ZP II – der Verbesserung des Schutzes von Opfern in nicht-internationalen Konflikten – vereinbar. Würde man hingegen weitreichende Amnestien erlauben oder sogar fördern, stünden die Opfer möglicherweise sogar schlechter als unter den Genfer Konventionen.615 Keinesfalls kann Art. 6 Abs. 5 ZP II zur Rechtfertigung von Amnestien für Völkermord oder Verbrechen gegen die Menschlichkeit herangezogen werden.616 Art. 6 Abs. 4 S. 1 IPbpR sowie Art. 4 Abs. 6 AMRK sehen die Möglichkeit von Begnadigungen und Amnestien im Zusammenhang mit der Todesstrafe vor. Indirekt vorausgesetzt wird die Zulässigkeit von Amnestien ferner in Art. 9 des Europäischen Auslieferungsübereinkommens617. Wegen einer strafbaren Handlung, die im ersuchten Mitgliedstaat unter eine Amnestie fällt und für deren Verfolgung dieser Mitgliedstaat nach seinem eigenen Strafrecht zuständig war, wird keine Auslieferung bewilligt. An einer allgemeinen Regelung fehlt es aber. Insbesondere stellt das Völkerrecht keine Voraussetzung für die Zulässigkeit von Amnestien auf. Allerdings bestehen für fast alle Tatbestände des IStGH-Statuts – begründet durch völkerrechtlichen Vertrag oder Gewohnheitsrecht – Strafverfolgungspflichten.618 Ist ein Staat aber gegenüber der internationalen Gemeinschaft völkerrechtlich verpflichtet, bestimmte Verbrechen zu bestrafen, so darf er nicht auf die Durchsetzung seines Strafanspruches verzichten. Dies folgt aus Art. 27 WVK. Innerstaatliches Recht – in diesem Fall ein nationales Amnestiegesetz – vermag die Verletzung einer völkervertraglichen Pflicht nicht zu rechtfertigen.619 Soweit nicht derogierbare völkerrechtliche Strafverfolgungspflichten bestehen, sind Amnestien unzulässig.620 Da dies auf nahezu alle Delikte des IStGH-Statuts zu613 Sogenannte Kombattantentenimmunität. Siehe nur Doehring, Rn. 589; Stein / von Buttlar, Rn. 1249, 1255; Bothe (2007), S. 637 Rn. 80; Pejic, S. 336. 614 Ambos (1997), S. 211; Cassel, S. 218; Roht-Arriaza (1996), S. 97; AI, IOR 40 / 13 / 97, S. 52 Fn. 186; Hafner / Boon / Rübesame / Huston, S. 111; Kamminga, S. 958; Broomhall (2003), S. 97; Bartelt, S. 198 Fn. 64. Siehe auch Méndez, S. 273; Gavron, S. 101 – 103. 615 Roht-Arriaza / Gibson, S. 866. 616 Siehe hierzu van der Voort / Zwanenburg, S. 310. 617 Übereinkommen vom 27. 9. 1996 über die Auslieferung zwischen den Mitgliedstaaten der Europäischen Union, ABl. EG 1996 C 313 / 12. 618 Siehe auch bereits oben Teil 5 C. I. 6. b) bb). 619 Siehe auch Masacre Las Hojas (El Salvador), IAComHR, case 10.287, 24. 9. 1992, Analysis Rn. 12 veröffentlicht im Annual Report of the Inter-American Commission on Human Rights 1992 – 1993 Chapter III; Scharf (1996), S. 43; ders., (1997), S. 397; Arsanjani (1999b), S. 66; Razesberger, S. 161.

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trifft, könnte man Amnestien schon deswegen als grundsätzlich unbeachtlich für die Gerichtsbarkeit des IStGH ansehen.621 Auch wenn ein Amnestieverbot für die core crimes juristisch begründbar ist, entspricht es jedoch nicht der im Völkerrecht maßgeblichen Staatenpraxis. Vielmehr wurden verschiedentlich – teilweise unter Billigung durch die Vereinten Nationen – Amnestien auch für Folter und Verbrechen gegen die Menschlichkeit gewährt.622 Eine allzu pauschale Betrachtung griffe aber auch inhaltlich zu kurz und würde den positiven Effekten, die von einer Amnestie ausgehen können, nicht gerecht. Die nationale Strafrechtspflege wird in der Regel nicht über die erforderlichen Kapazitäten verfügen, sämtliche völkerrechtlichen Verbrechen, die während eines Bürgerkriegs oder einer vergleichbaren Krisensituation begangen wurden, zu verfolgen. So wird beispielsweise angenommen, dass Gerichtsprozesse gegen die bisher inhaftierten Täter in Ruanda 113 Jahre in Anspruch nehmen würden.623 Durch Amnestien können die Justizbehörden entlastet werden. Sie müssten ihre Ressourcen nicht mehr zur Vergangenheitsaufarbeitung nutzen, sondern könnten sich vielmehr auf die Kriminalitätsprobleme der Gegenwart konzentrieren.624 Während Strafprozesse Jahre oder Jahrzehnte andauern können, zieht die Amnestie einen Schlussstrich unter eine Krisenzeit und schafft Rechtsfrieden. Dies kann die 620 Principle 7 of the Princeton Principles on Universal Jurisdiction; Kallon & Kamara, AC, SCSL-04-15-PT-060, o. Fn. 224, Rn. 73; Case of Velásquez-Rodríguez, o. Fn. 580, Rn. 176; Case of Godínez-Cruz v. Honduras (Merits), IACHR, 20. 1. 1989, Rn. 187; Case of Fairén-Garbi and Solís-Corrales v. Honduras (Merits), IACHR, 15. 3. 1989, Rn. 152; Case of Barrios Altos v. Peru (Merits), IACHR, 14. 3. 2001, Rn. 41 und Concurring Opinion of Judge Sergio Grac´ia Ramirez, Rn. 13; Case of Carpio-Nicolle et al. v. Guatemala (Merits, Reparations and Costs), IACHR, 22. 11. 2004, Rn. 130; Case of Tiu Tojín v. Guatemala (Merits, Reparations, and Costs), IACHR 26. 11. 2008, Rn. 91; Scharf (1996), S. 60; ders. (1997), S. 396; AI, IOR 40 / 13 / 97, S. 50; Roht-Arriaza (2000), S. 77 – 78; Momtaz, S. 54; Šimonovic´, S. 702; Stahn (2005), S. 701. In diese Richtung auch Furundzija Trial Judgement, o. Fn. 380, Rn. 155; Garay Hermosilla Case, o. Fn. 612, Rn. 73 – 78; Hugo Leonardo de los Santos Mendoza et al. (Uruguay), IAComHR, cases 10.029, 10.036, 10.145, 10.305, 10.372, 10.373, 10.374 and 10.375, 2. 10. 1992, Rn. 51 veröffentlicht im Annual Report of the InterAmerican Commission on Human Rights 1992 – 1993 Chapter III; Alicia Consuelo Herrera et al. (Argentinien), IAComHR, cases 10.147, 10.181, 10.240, 10.262, 10.309 and 10.311, 2. 10. 1992, Rn. 33 veröffentlicht im Annual Report of the Inter-American Commission on Human Rights 1992 – 1993 Chapter III; Cámara Federal de Buenos Aires, 9. 11. 2001; Landsman, S. 90; Ambos (1997), S. 209; Hafner / Boon / Rübesame / Huston, S. 110; van der Voort / Zwanenburg, S. 307 – 315; Darryl Robinson (2003), S. 490 – 493; Hall (2003), S. 16; Bartelt, S. 201; Ambos (2009b), Rn. 9. Siehe auch Marxen, S. 54, der Amnestien für Völkermord wegen der Unverjährbarkeit der Tat ausschließen will. 621 AI, IOR 40 / 13 / 97, S. 50 – 54. Siehe auch Roht-Arriaza (2000), S. 78. Zurückhaltender Stahn (2005), S. 703, der die Berücksichtigung von Amnestien jedenfalls bei Völkermord und den grave breaches der Genfer Konventionen ausschließt. 622 Scharf (1996), S. 58; Meintjes, S. 87; Dugard, S. 696; Gavron S. 93. 623 van der Voort / Zwanenburg, S. 321 Fn. 70. 624 Limbach, S. 69. Siehe auch Asmal, S. 468; Hayner, S. 177; van der Voort / Zwanenburg, S. 317 – 328. Siehe auch Jäger (1995), S. 337.

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Basis für eine Versöhnung zwischen Tätern und Opfern, für einen gesellschaftlichen Neuanfang sein. Amnestien können so gezielt als Mittel zur Wiederherstellung von Frieden und Ordnung in einem Staat eingesetzt werden oder auch den Übergang von einer Diktatur zur Demokratie erleichtern.625 Die Wiederherstellung des Friedens sowie die damit verbundene Stabilisierung der Region liegen auch im Interesse der internationalen Staatengemeinschaft. 626 Insoweit ist eine Amnestie auch bei völkerrechtlichen Verbrechen sinnvoll. Ziel muss es sein, einen befriedigenden Ausgleich zwischen Strafverfolgungspflichten und Konfliktbewältigung zu finden. b) Blankett- und Autoamnestien Soweit völkerrechtliche Strafverfolgungspflichten bestehen, sind jedenfalls Blankettamnestien unzulässig.627 Diese gewähren die Straffreiheit bedingungslos, ohne sie an zusätzliche Voraussetzungen, wie Wiedergutmachungsleistungen oder Unterstützung bei der Sachverhaltsaufklärung, zu knüpfen.628 Die Taten werden nicht vergolten, die Opfer erfahren keinerlei Gerechtigkeit629 – auch nicht in Form von Entschädigungen630. Ihnen wird die Möglichkeit, die Taten vor Gericht zu bringen und das Erlebte zu schildern, verwehrt.631 Zudem werden die Tathintergründe nicht aufgedeckt. Die Opfer erfahren nicht die Wahrheit über die Verbrechen oder das Schicksal ihrer Angehörigen.632 625 Barrios Altos Case, Concurring Opinion of Judge Sergio Grac´ia Ramirez, o. Fn. 620, Rn. 10; Case of Castillo-Páez, Concurring Opinion of Judge Sergio Grac´ia Ramirez, o. Fn. 612, Rn. 6; Sandoz / Swinarski / Bruno Zimmermann(-Junod), Rn. 4618; Limbach, S. 70; Hammel, S. 19; Reisman, S. 78 – 79; Sendler, S. 3148; Arsanjani (1999b), S. 65; ders. (1999a), S. 76; Dugard, S. 695; Rabkin, S. 847; Momtaz, S. 62; Dahm / Delbrück / Wolfrum (2002), S. 1014 – 1015; Šimonovic´, S. 702; Bartelt, S. 189 – 191; Broomhall (2003), S. 93; Razesberger, S. 159. Siehe auch Garay Hermosilla Case, o. Fn. 612, Rn. 49; Marxen, S. 8; Wassermann, S. 2667; Asmal, S. 468; Landsman, S. 86 – 87; Scharf (1996), S. 41; Hafner / Boon / Rübesame / Huston, S. 109; Wedgewood (1999), S. 95; Roht-Arriaza (2000), S. 79; O’Shea, S. 82; van der Voort / Zwanenburg, S. 317. Diesen Zweck verfolgt gemäß Art. IX Abs. 1 auch das Peace Agreement between the Government of Sierra Leone and Revolutionary United Front of Sierra Lenone vom 7. 7. 1999. Die Regierung von Sierra Leona gewährte den Mitgliedern der RUF für sämtliche Taten Straffreiheit, die zur Verfolgung der Ziele der RUF begangen wurden. Art. IX des Agreements ist abgedruckt in Kallon & Kamara, AC, SCSL-04-15-PT-060, o. Fn. 224, Rn. 7. 626 Siehe auch Arsanjani (1999b), S. 66; Meintjes, S. 88 – 89. 627 Brody / González, S. 386; Méndez, S. 273; Scharf (1997), S. 397; Roht-Arriaza / Gibson, S. 868; van der Voort / Zwanenburg, S. 315; Broomhall (2003), S. 98; Ambos (2009b), Rn. 25. 628 Roht-Arriaza (1996), S. 94; Dugard, S. 703; van der Voort / Zwanenburg, S. 315 – 316. 629 Siehe auch Arsanjani (1999a), S. 65; Broomhall (2003), S. 79. 630 Garay Hermosilla Case, o. Fn. 612, Rn. 65 – 67. 631 Barrios Altos Case, o. Fn. 620, Rn. 42; Santos Mendoza Case, o. Fn. 620, Rn. 40; Garay Hermosilla Case, o. Fn. 612, Rn. 68 – 72; Consuelo Herrera Case, o. Fn. 620, Rn. 33. Zustimmend Cassel, S. 228.

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Der vollständige und bedingungslose Verzicht auf jedwede Strafverfolgung und Sachverhaltsaufklärung kann als Bagatellisierung der Taten verstanden werden.633 Copingprozesse werden unterbunden bzw. gestört. Die Ermittlung der Wahrheit ist aber nicht nur für die Opfer, sondern für die gesamte Gesellschaft von zentraler Bedeutung.634 Sie ist Voraussetzung für einen übergreifenden Verarbeitungsprozess und damit einen gesellschaftlichen Neuanfang.635 Blankettamnestien werden daher nur schwerlich zur Überwindung einer gesellschaftlichen Krisensituation beitragen können. Friedensstiftende und stabilisierende Wirkung wird eine Amnestie nur dann entfalten können, wenn sie von einem breiten gesellschaftlichen Konsens getragen ist.636 Werden die Interessen der Opfer aber systematisch missachtet, kann sich im Gegenteil der Konflikt weiter verschärfen.637 Ähnlicher Kritik sehen sich Autoamnestien, verkündet von und für die Machthaber,638 ausgesetzt. Sie sind regelmäßig ein Machtmissbrauch und zielen darauf, bestimmte Personen vor strafrechtlicher und zivilrechtlicher Verantwortlichkeit zu schützen. Sie sind mit völkerrechtlichen Bestrafungspflichten unvereinbar und daher unzulässig.639 Sie können ebenso wenig wie Blankettamnestien die Gerichtsbarkeit des IStGH hindern.

c) Amnestien und Wahrheitskommissionen Die Amnestiegewährung kann mit der Errichtung einer Wahrheitskommission verbunden werden. In den Genuss der Straffreiheit kommen nur Täter, die bereit sind, ein umfassendes Geständnis abzulegen und ihr Wissen über die Verbrechen offenzulegen.640 Typischerweise werden die Täter keiner Strafverfolgung zuge-

632 Barrios Altos Case, o. Fn. 620, Rn. 47; IAComHR, Annual Report of the Interamerican-Commission on Human Rights 1985 – 1986, Chapter 5 Rn. 12. Zustimmend Cassel, S. 228. Siehe auch Ambos (2009b), Rn. 25. 633 Siehe Wassermann, S. 2668. In diese Richtung auch Limbach, S. 70. 634 IAComHR, Annual Report of the Interamerican-Commission on Human Rights 1985 – 1986, Chapter 5 Rn. 12; Dugard, S. 702. 635 Siehe oben Teil 3 A. IV. 636 Sendler, S. 3148; Limbach, S. 70. 637 Siehe auch Wassermann, S. 2668. 638 Case of Castillo-Páez, Concurring Opinion of Judge Sergio Grac´ia Ramirez, o. Fn. 612, Rn. 6; Barrios Altos Case, Concurring Opinion of Judge Sergio Grac´ia Ramirez o. Fn. 620, Rn. 10. Siehe auch Garay Hermosilla Case, o. Fn. 612, Rn. 29; Bartelt, S. 199, Razesberger, S. 171; Ambos (1997), S. 213. 639 Barrios Altos Case, o. Fn. 620, Rn. 42 mit Concurring Opinion of Judge Cançado Trindade, Rn. 5; Case of Castillo-Páez, Concurring Opinion of Judge Ramirez, o. Fn. 612, Rn. 6; IAComHR, Annual Report of the Interamerican-Commission on Human Rights 1985 – 1986, Chapter 5 Rn. 11; Garay Hermosilla Case, o. Fn. 612, Rn. 29 und Concurring vote of Commissioner Fappiano, Rn. 27; Bartelt, S. 199; Ambos (1997), S. 214. Siehe auch Marxen, S. 38 – 42; Asmal, S. 469; Meintjes, S. 87; Dugard, S. 696; Stahn (2005), S. 707.

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führt.641 Den Wahrheitskommissionen liegt vielmehr der Grundgedanke „Vergebung gegen Wahrheit“ zugrunde. Dennoch sind Wahrheitskommissionen in der Lage, auf ihre Weise einige der Ziele der internationalen Strafgerichtsbarkeit zu verwirklichen. aa) Funktion und Wirkung von Wahrheitskommissionen Primäre Aufgabe von Wahrheitskommissionen ist es, umfassende Studien über die Ursachen, die Umstände und den Verlauf eines Konflikts anzufertigen.642 Ebenso wie die internationale Strafgerichtsbarkeit leisten sie einen Beitrag zur Wahrheitsermittlung und haben eine Dokumentationsfunktion.643 Hierfür können sie sogar besser geeignet sein als Strafgerichte. Die Aussicht auf Straffreiheit und Vergebung kann den Täter zu einer umfassenden Tatschilderung bewegen, während er im Strafverfahren hingegen von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch gemacht hätte.644 Jedenfalls verfolgt die Wahrheitskommission eine breiteren Ansatz. Ziel ist die Aufklärung der Ereignisse in ihrer Gesamtheit. Das Strafverfahren hat hingegen einen viel beschränkteren Blickwinkel, nämlich die Klärung einzelner, spezifischer Tatvorwürfe. Wahrheitskommissionen können daher dazu beitragen, ein vollständiges Bild von den Geschehnissen zu erhalten, Art und Ausmaß der Gewalt umfassender, mit verstärktem Blick auf Gesamtzusammenhänge aufzunehmen und darzustellen.645 Die Wahrheitsermittlung kann helfen, die Krisensituation gesellschaftlich zu verarbeiten und so die Basis für einen Neuanfang zu bilden.646 Dies gilt insbesondere dann, wenn der Aussage der Täter eine Vergebung der Verbrechen durch die Opfer folgt. Voraussetzung ist allerdings, dass der Austausch „Vergebung gegen Wahrheit“ von den Betroffenen und der Gesellschaft akzeptiert und getragen wird. Ansonsten droht die Wahrheitskommission zu einem inhaltsleeren Ritual zu verkommen.647 Im Verfahren vor einer Wahrheitskommission können zudem die Opfer Gerechtigkeit erfahren.648 Sie bekommen ein Forum zur Schilderung ihrer Erlebnisse.649 640 Roht-Arriaza (1996), S. 94; Goldstone / Fritz, S. 664; Meintjes, S. 88; Dugard, S. 700; van der Voort / Zwanenburg, S. 316; Bartelt, S. 202; Razesberger, S. 172; Colvin, S. 181. 641 Scharf (1997), S. 375. 642 Asmal, S. 468; Hayner, S. 175; Landsman, S. 88; Scharf (1997), S. 379; Cárdenas Aravena (2005), S. 167; Bartelt, S. 194; Mani, S. 60. Siehe auch Wiebelhaus-Brahm, S. 560 f. 643 Garay Hermosilla Case, o. Fn. 612, Rn. 74; Asmal, S. 468; Méndez, S. 278; Scharf (1997), S. 375; Broomhall (2003), S. 98; Šimonovic´, S. 703; Schlunck (2000), S. 65. 644 Siehe auch Šimonovic´, S. 703; Reese, S. 79. 645 Landsman, S. 88; Scharf (1997), S. 375; Sarkin (1999), S. 800; van van der Voort / Zwanenburg, S. 317; Cárdenas Aravena (2005), S. 174; Schabas (2004a), S. 513. Siehe auch Ambos (2009b), Rn. 13. 646 Scharf (1997), S. 379; Schlunck (2000), S. 65; Cárdenas Aravena (2005), S. 166. 647 Buckley-Zistel, S. 125. 648 Scharf (1997), S. 379. Kritisch Mullins, S. 564, 573.

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Das Aussageprozedere kann verstärkt auf ihre Interessen abgestimmt werden. Ihre Position muss nicht im gleichen Maße wie im Strafverfahren zur Wahrung der Rechte des Beschuldigten beschränkt werden.650 Eine umfassende Dokumentation der Geschehnisse kann für die Opfer zudem die Anerkennung ihres Leidens bedeuten. Dies gilt umso mehr, wenn sich die Täter zu den Verbrechen bekennen und um Vergebung bitten. Zudem sehen viele Wahrheitskommissionen eine materielle Entschädigung der Opfer vor.651 Ihrem Restitutionsinteresse wird genüge getan. Auch einem Bestrafungsbedürfnis kann die Wahrheitskommission zumindest in begrenztem Rahmen nachkommen. Die öffentliche Bekanntmachung der Täter und ihrer Taten kann zu einer Bestrafung in Form von gesellschaftlicher Ächtung und Stigmatisierung führen.652 Auf diese Weise wird gleichzeitig den Risiken, die der Straflosigkeit immanent sind, vorgebeugt. Amnestien bergen die Gefahr, dass das Vertrauen in die Unverbrüchlichkeit des Rechts erschüttert wird.653 Sie können potentiellen Tätern signalisieren, dass eine Tatahndung nicht unausweichlich ist, sie selbst bei schwersten Verbrechen damit rechnen können, verschont zu bleiben.654 Die umfassende Tataufklärung, die öffentliche Benennung der Täter und ihrer Tatbeiträge allein kann abschreckende Wirkung entfalten.655 Gleichzeitig kann die Dokumentierung und Verurteilung der Taten durch die Wahrheitskommission die unbedingte Geltung des Völkerstrafrechts unterstreichen und so im Sinne der positiven Generalprävention normbekräftigend wirken. bb) Zulässigkeitsvoraussetzungen Aufgrund der hiermit verbundenen positiven Effekte sollten unter bestimmten Voraussetzungen Amnestien, die mit der Errichtung einer Wahrheitskommission verbunden sind, als zulässig erachtet werden.656 In formeller Hinsicht ist zu verlangen, dass Amnestiegewährung und Einsetzung der Kommission durch ein demokratisch legitimiertes Gremium erfolgen.657 Die Opfer sollten umfassend am Verfahren beteiligt werden.658 Sie müssen die uneingeschränkte Möglichkeit zur Aus649 Garay Hermosilla Case, o. Fn. 612, Rn. 74; Scharf (1997), S. 379; Broomhall (2003), S. 98; Magarrell, S. 2. Siehe auch Guerrero, S. 3. 650 Landsman, S. 88; Méndez, S. 278; Mani, S. 66. Siehe auch Sarkin (1999), S. 800; Schabas (2003c), S. 1039; Šimonovic´, S. 703. 651 Siehe Scharf (1997), S. 392. 652 Landsman, S. 89; Scharf (1997), S. 394; Sarkin (1999), S. 800; Schabas (2004a), S. 515. 653 Limbach, S. 70; Scharf (1997), S. 398. 654 Darryl Robinson (2003), S. 489; Cárdenas Aravena (2005), S. 155. 655 Landsman, S. 89; Scharf (1997), S. 379. 656 Siehe auch die Kriterien bei Ambos (2009b), Rn. 16. 657 Garay Hermosilla Case, o. Fn. 612, Rn. 26 – 39. Zustimmend Cassel, S. 226; Goldstone / Fritz, S. 664. Siehe auch Dugard, S. 700. 658 Siehe Broomhall (2003), S. 102.

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sage bekommen. Berücksichtigt werden muss ferner die Natur und Schwere der Verbrechen.659 Das Amnestiegesetz muss die schwersten Verbrechen660 sowie die hauptverantwortlichen Täter661 aussparen. Insoweit sind eine reine Sachverhaltsaufklärung und die (moralische) Verurteilung der Tat durch die Wahrheitskommission nicht ausreichend. Das bloße Eingeständnis schwerster Verbrechen – gegebenenfalls sogar ohne Anzeichen von Reue – ist nicht geeignet, den Konflikt zu beenden. Vielmehr können beim Opfer Sanktions- und Rachbedürfnisse geweckt oder verstärkt werden.662 Daher muss in diesen Fällen eine Strafverfolgung möglich bleiben. Für die völkerrechtliche Zulässigkeit einer Amnestie spricht es ferner, wenn der Täterstaat anerkennt, dass völkerrechtliche Verbrechen begangen wurden und hierfür die Verantwortung übernimmt.663 Dies kann neben einer öffentlichen Anerkennung oder Entschuldigung auch durch Entschädigung der Opfer erfolgen.664 Zudem dürfen die Täter nicht anonym bleiben.665 Ihre namentliche Nennung ist nicht nur wesentlicher Teil der Wahrheitsfindung.666 Vielmehr ermöglicht sie auch den Opfern die Durchsetzung zivilrechtlicher Wiedergutmachungsansprüche.667 Zudem muss die Wahrheitskommission mit ausreichenden Mitteln ausgestattet sein, um ihre Aufgaben effektiv wahrnehmen zu können.668 Sind diese Voraussetzungen erfüllt, ist den völkerrechtlichen Strafverfolgungspflichten Genüge getan.

d) Amnestien und Wahrheitskommissionen im Komplementaritätsregime Gewährt ein Staat Straffreiheit, so ist dies Ausdruck seiner Souveränität. Andere Staaten, die ebenfalls Gerichtsbarkeit über die Sache haben, kann er nicht binden. Spricht beispielsweise der Tatortstaat eine Amnestie aus, so können andere Staaten 659 IAComHR, Report of 11 February 1994 on the Situation on Human Rights in El Salvador Chapter II.4; Garay Hermosilla Case, o. Fn. 612, Rn. 29; Santos Mendoza Case, o. Fn. 620, Rn. 38. 660 Case of Castillo-Páez, Concurring Opinion of Judge Sergio Grac´ia Ramirez, o. Fn. 612, Rn. 7; Barrios Altos Case, Concurring Opinion of Judge Sergio Grac´ia Ramirez, o. Fn. 620, Rn. 11; Šimonovic´, S. 703. Siehe auch Arsanjani (1999b), S. 66. 661 Consuelo Herrera Case, o. Fn. 620, Rn. 43. Zustimmend Cassel, S. 229. Siehe auch van der Voort / Zwanenburg, S. 321. 662 Mani, S. 61. 663 Cassel, S. 228. Siehe auch Bartelt, S. 194. 664 Consuelo Herrera Case, o. Fn. 620, Rn. 45, 48. Zustimmend Cassel, S. 228. Siehe auch Garay Hermosilla Case, o. Fn. 612, Rn. 74; Hayner, S. 175; Broomhall (2003), S. 98; Bartelt, S. 194. 665 Garay Hermosilla Case, o. Fn. 612, Rn. 73. Zustimmend Cassel, S. 228. 666 Siehe auch Bartelt, S. 194. 667 Garay Hermosilla Case, o. Fn. 612, Rn. 66. Siehe auch Magarrell, S. 1. 668 Mani, S. 61.

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die begangenen Taten nach der Weltrechtspflege verfolgen.669 Es ist ihnen überlassen, ob sie die Amnestie anerkennen.670 Dies gilt erst recht für ein internationales Gericht.671 Der SCSL hat die Frage aufgeworfen, ob der Durchführung eines Verfahrens vor einem internationalisierten Gericht entgegen einer nationalen Amnestievereinbarung der Einwand des Prozessmissbrauchs entgegensteht.672 Dies hat das Gericht überzeugend verneint. Wenn alle Staaten nach dem Universalitätsprinzip zur Strafverfolgung berechtigt oder sogar verpflichtet sind, so kann die Durchführung eines Verfahrens nicht rechtsmissbräuchlich sein. Dies muss unabhängig davon gelten, ob ein bestimmter Staat auf eine Tatahndung verzichtet hat. Diese Erwägungen gelten entsprechend für Verfahren vor dem IStGH. Es stellt sich aber die Frage, ob das Komplementaritätsprinzip die Berücksichtigung und Achtung nationaler Amnestien gebietet. Soweit Straffreiheit für Taten gewährt wird, denen es an einer hinreichenden Schwere im Sinne von Art. 17 Abs. 1 lit. d) IStGH-Statut fehlt, ist die Antwort eindeutig. Die Sache ist unzulässig.673 Schwieriger ist die Einschlägigkeit der übrigen Fallgruppen zu beurteilen. aa) Art. 17 Abs. 1 lit. b) IStGH-Statut Art. 17 Abs. 1 lit. b) IStGH-Statut greift ein, wenn der Staat im Anschluss an Ermittlungs- und Strafverfolgungsmaßnahmen entscheidet, gegen den Beschuldigten nicht weiter vorzugehen. Hält man Blankettamnestien nicht bereits wegen ihrer völkerrechtlichen Unzulässigkeit für unbeachtlich, so fehlt es jedenfalls an dieser Voraussetzung. Der Staat hat keinerlei Ermittlungen aufgenommen. Art. 17 Abs. 1 IStGH-Statut greift nicht ein.674 Gleiches gilt für De-facto-Amnestien, in denen der Staat auf jedwede Tatahndung verzichtet.675 Bei einer Wahrheitskommission ist zunächst zu differenzieren, welche Aufgabe ihr nach nationalem Recht zukommt. Soll sie lediglich die Strafverfolgung ergänzen, wird sie also parallel zu den nationalen Ermittlungsbehörden tätig,676 ist sie nicht als Alternative zur Strafverfolgung konzipiert. Verdrängt aber die Wahrheitskommission nicht die nationale Strafverfolgung, besteht also auf nationaler Ebene keine Konkurrenzsituation, so gilt dies auch für das Verhältnis zum IStGH. 669 Dugard, S. 699; Cassese (2008), S. 315. Siehe auch Kallon & Kamara, AC, SCSL04-15-PT-060, o. Fn. 224, Rn. 67 und 72. 670 Dugard, S. 699. 671 Siehe auch Meintjes, S. 86. 672 Kallon & Kamara, AC, SCSL-04-15-PT-060, o. Fn. 224, Rn. 75 – 85. 673 Cárdenas Aravena (2006), S. 128. 674 Siehe auch Burke-White (2000), S. 582; Momtaz, S. 62; Darryl Robinson (2003), S. 501; Cárdenas Aravena (2006), S. 129; dies. (2008), S. 149; Stahn (2005), S. 709; Ambos (2009b), Rn. 44. 675 Cárdenas Aravena (2006), S. 128; dies. (2008), S. 148. 676 Siehe hierzu Scharf (1997), S. 380 (1997); Bartelt, S. 194 – 196; Cárdenas Aravena (2005), S. 172.

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Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

Der betroffene Staat will die strafrechtliche Ahndung der core crimes. Ob ein Verfahren vor dem IStGH zulässig ist, richtet sich daher allein nach der Qualität der nationalen Strafverfolgungsmaßnahmen, nicht aber nach der Arbeit der Wahrheitskommission. Letztere kann die Zuständigkeit des IStGH nicht ausschließen.677 Etwas anderes kann lediglich dann gelten, wenn die Wahrheitskommission die nationale Strafverfolgung verdrängt, sie also mit einer Amnestiegewährung gekoppelt ist.678 Das Komplementaritätsprinzip regelt nur das Verhältnis des IStGH zu staatlichen Ermittlungen. Ist eine nichtstaatliche Organisation Trägerin der Wahrheitskommission, greift Art. 17 Abs. 1 IStGH-Statut nicht ein. Die Sache ist ohne weiteres zulässig.679 In allen anderen Fällen kommt es darauf an, ob man ein Verfahren vor einer Wahrheitskommission als Ermittlung im Sinne des Art. 17 IStGHStatut ansieht. Art. 17 Abs. 1 IStGH-Statut verweist auf den 10. Absatz der Präambel. Dieser bestimmt, dass der IStGH die nationale Strafgerichtsbarkeit ergänzen soll. Auch der enge Zusammenhang zwischen „Ermittlungen“ und „Strafverfolgung“ sowie die Formulierung in Art. 17 Abs. 2 IStGH-Statut lassen darauf schließen, dass nur Ermittlungen gemeint sind, die darauf abzielen, eine Person strafrechtlich zur Verantwortung zu ziehen. So verstanden reicht ein Bericht, selbst ein Schuldeingeständnis vor einer Wahrheitskommission nicht aus, um die Zulässigkeit eines Verfahrens vor dem IStGH auszuschließen.680 Dies bedeutet aber nicht, dass die Arbeit der Wahrheitskommission vollkommen unberücksichtigt bliebe. Es stellt sich dann die Frage, ob ein Verfahren im Interesse der Gerechtigkeit liegt oder ob der Ankläger nach Art. 53 Abs. 1 S. 2 lit. c) IStGH-Statut von der Einleitung eines Ermittlungsverfahrens absehen kann.681 Denkbar ist allerdings auch, den Begriff der Ermittlungen sehr weit auszulegen und ein Verfahren vor einer Wahrheitskommission nicht grundsätzlich auszuschließen.682 Die verschiedenen Wahrheitskommissionen unterscheiden sich allerdings teilweise erheblich in ihrer verfahrensrechtlichen Ausgestaltung.683 Ermittlungen im Sinne von Art. 17 Abs. 1 IStGH-Statut sollten jedenfalls nur dann angenommen werden, wenn die Kommission mit gewissen Zwangsbefugnissen zur Beweiserhebung ausgestattet ist. Sie muss zumindest Zeugen vorladen, Verdächtige vernehmen und relevantes Beweismaterial sichern können.684 Siehe auch Bartelt, S. 197. Kritisch hierzu Scharf (1997), S. 400 – 401. 679 Cárdenas Aravena (2006), S. 134; dies. (2008), S. 151; Ambos (2009b), Rn. 40. 680 Holmes (2002), S. 77; Meißner, S. 76; Schlunck (2000), S. 259. In diese Richtung auch Roht-Arriaza (2000), S. 79. 681 Siehe unten Teil 5 C. IV. 2. c) cc). 682 In diese Richtung Gavron, S. 111; Broomhall (2003), S. 101; Cárdenas Aravena (2005), S. 58 – 59; dies. (2006), S. 129; Razesberger, S. 181; Darryl Robinson (2006), S. 144; Stahn (2005), S. 710 f.; Rodman, S. 103; Ambos (2009b), Rn. 46. 683 Siehe Hayner, S. 175; Ambos (2009b), Rn. 14 sowie die Anaylse der verschiedenen Wahrheitskommissionen bei Wiebelhaus-Brahm, S. 480 ff. 677 678

C. Das Verfahren vor dem IStGH

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Art. 17 Abs. 1 lit. b) IStGH-Statut verlangt eine Entscheidung, den Beschuldigten nicht strafrechtlich zu verfolgen. Dies bedeutet im Umkehrschluss, dass auch eine strafrechtliche Verfolgung möglich sein muss. Der Wahrheitskommission muss die Option offen stehen, für die Einleitung eines Strafverfahrens Sorge zu tragen.685 Ansonsten kommt ihr keinerlei Bedeutung für die Zulässigkeit eines Verfahrens vor dem IStGH zu. bb) Art. 17 Abs. 1 lit. a) IStGH-Statut Ist das Verfahren vor der Wahrheitskommission noch nicht abgeschlossen, richtet sich die Zulässigkeit nach Art. 17 Abs. 1 lit. a) IStGH-Statut. Hinsichtlich des Begriffs der „Ermittlungs- und Strafverfolgungsmaßnahmen“ kann auf die eben gemachten Ausführungen verwiesen werden. Um Wertungsunterschiede zwischen laufenden und abgeschlossenen Verfahren vor Wahrheitskommission zu vermeiden, wird man allerdings auch bereits im Anwendungsbereich von Art. 17 Abs. 1 lit. a) IStGH-Statut verlangen müssen, dass die Wahrheitskommission auf eine strafrechtliche Verurteilung des Beschuldigten hinwirken kann.686 Ansonsten besteht die Gefahr, dass ein Verfahren, solange es anhängig ist, nach Art. 17 Abs. 1 lit. a) IStGH-Statut der Zulässigkeit einer Sache vor dem IStGH entgegensteht, nach seinem Abschluss aber Art. 17 Abs. 1 lit. b) IStGH-Statut aber nicht eingreift. cc) Grenzen vorrangiger Zuständigkeit Geht man davon aus, dass Art. 17 IStGH-Statut auch das Verhältnis des IStGH zu Wahrheitskommissionen regelt, so kommt Letzteren grundsätzlich Vorrang zu. Ein Verfahren vor dem IStGH wäre unzulässig. Eine Ausnahme bestünde nur dann, wenn die ausgesprochene Amnestie Ausdruck der Unfähigkeit oder Unwilligkeit des Staates zur ernsthaften Strafverfolgung ist. Eingreifen könnte Art. 17 Abs. 2 lit. a) IStGH-Statut. Bereits per definitionem schließen Amnestien bestimmte Personen von der Strafverfolgung aus.687 Möglich bleibt aber der Einwand, dass dies nur ein Nebeneffekt und eigentliches Ziel der Amnestie die Wiederherstellung der öffentlichen Ordnung und des Friedens sei.688 Jedenfalls bei Selbstamnestien – verneint man nicht bereits ihre völkerrechtliche Zulässigkeit – dürfte diese Fall684 Schlunck (2000), S. 259; Bartelt, S. 207; Razesberger, S. 181. Siehe auch Darryl Robinson (2003), S. 500. 685 Darryl Robinson (2003), S. 500; Bartelt, S. 208; Stahn (2005), S. 712; Ambos (2009b), Rn. 79. Siehe auch Cárdenas Aravena (2005), S. 73; dies. (2006), S. 136. 686 Darryl Robinson (2006), S. 144. 687 Gavron, S. 111; Darryl Robinson (2003), S. 501; Sarooshi (2004a), S. 943; Cárdenas Aravena (2005), S. 139; dies. (2006), S. 128. 688 Siehe Roht-Arriaza (2000), S. 79; Darryl Robinson (2003), S. 501.

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Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

gruppe immer eingreifen.689 Zudem sucht die Verbindung von Amnestie und Wahrheitskommission zu verhindern, dass sich die betroffenen Personen vor Gericht verantworten müssen. Daher erscheint zumindest Art. 17 Abs. 2 lit. a) IStGHStatut nahezu immer erfüllt zu sein. Dies deutet einmal mehr darauf hin, dass nationale Amnestiegesetze nicht so sehr die Zulässigkeit einer Sache berühren, sondern vielmehr im Rahmen der Entscheidung über die Verfahrenseinleitung Bedeutung erlangen sollten.690 Will man Amnestien allerdings bereits im Zuge des Komplementaritätsprinzips berücksichtigen, so dürfte ein entscheidender Punkt sein, ob den Strafzwecken Genüge getan wird. Dabei sind ähnliche Kriterien maßgebend, wie bei der Frage nach der völkerrechtlichen Zulässigkeit von Amnestien. Die Bestrafung der hauptverantwortlichen Täter und der schwersten Verbrechen muss gewährleistet sein. Die Taten müssen umfassend aufgeklärt werden. Zudem muss den Interessen der Opfer durch Verfahrensbeteiligung und Entschädigungsprogramme hinreichend Rechnung getragen werden.691 dd) Doppelbestrafungsverbot Eine Wahrheitskommission ist wegen ihrer beschränkten Zwangsbefugnisse kein Gericht im Sinne von Artt. 17 Abs. 1 lit. c), 20 Abs. 3 IStGH-Statut.692 Hat sich ein Täter bereits vor einer Wahrheitskommission verantwortet, steht daher das Doppelbestrafungsverbot einem Verfahren vor dem IStGH nicht entgegen. Etwas anders gilt dann, wenn ein ordentliches Strafverfahren eingeleitet wird, seine Beendigung oder die (vollständige) Strafvollstreckung aber durch eine Amnestie gehindert wird.693 Art. 20 IStGH-Statut ist einschlägig. Ein erneutes Verfahren vor dem IStGH ist nur dann möglich, wenn das nationale Verfahren ein Scheinprozess ist. In diesen Konstellationen ist der Prozess aber zunächst ordnungsgemäß durchgeführt worden. Nur die anschließende Amnestiegewährung könnte darauf abzielen, den Beschuldigten vor strafrechtlicher Verantwortlichkeit zu schützen. Das Verfahren kann nur dann als Scheinprozess bewertet werden, wenn es in Erwartung der Amnestie durchgeführt wurde. Dies nachzuweisen dürfte, wenngleich nicht ausgeschlossen,694 so doch sehr schwierig sein. Artt. 17 Abs. 1 lit. c); 20 Abs. 3 IStGH-Statut eröffnen daher die Möglichkeit, Amnestien zu missbrauchen, um ein Verfahren vor dem IStGH zu verhindern.

Siehe auch Informal expert paper, ICC-OTP 2003c, Rn. 73; Stahn (2005), S. 714. So auch Informal expert paper, ICC-OTP 2003c, Rn. 71; Darryl Robinson (2003), S. 502; Stahn (2005), S. 700. 691 Informal expert paper, ICC-OTP 2003c, Rn. 73; Darryl Robinson (2003), S. 483; Broomhall (2003), S. 102; van Heeck, S. 191. 692 Kamminga, S. 958; Dugard, S. 701; Gavron, S. 109; van den Wyngaert / Ongena, S. 726; Darryl Robinson (2003), S. 499; Bartelt, S. 207; Razesberger, S. 182 – 183. 693 Holmes (1999), S. 76; Roht-Arriaza (2000), S. 80; van den Wyngaert / Ongena, S. 726. 694 Siehe das Beispiel bei Holmes (1999), S. 77. 689 690

C. Das Verfahren vor dem IStGH

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e) Zusammenfassung Die Gewährung von Amnestien für die core crimes steht grundsätzlich im Widerspruch zu völkerrechtlichen Strafverfolgungspflichten. Jedenfalls Blankett- und Autoamnestien sind unzulässig. Sie können die Gerichtsbarkeit des IStGH nicht hindern. Wird hingegen die Amnestiegewährung mit der Errichtung einer Wahrheitskommission verbunden, kann sie ein sinnvolles Instrument zur Krisenbewältigung auch im Interesse der Opfer sein. Ist die Kommission mit den notwendigen Befugnissen und Ressourcen ausgestattet, um ihre Aufgabe effektiv wahrnehmen zu können, kann sie die Gerichtsbarkeit des IStGH sinnvoll ergänzen. Es ist aber sehr fraglich, ob dies eine Frage des Komplementaritätsprinzips ist. Art. 17 IStGHStatut ist darauf ausgerichtet, das Verhältnis zwischen dem IStGH und der nationalen Strafgerichtsbarkeit zu regeln. Auf alternative Reaktionsmodelle ist er nicht zugeschnitten. Sinnvoller erscheint es, die Entscheidung über eine Strafverfolgung in diesen Fällen dem Ermessen des Anklägers zu überlassen. Dies ermöglicht flexible, auf den jeweiligen Einzelfall angepasste Lösungen. Wünschenswert wäre eine entsprechende Klarstellung in Art. 17 IStGH-Statut. Dies würde auch das bestehende Missbrauchspotential reduzieren.

7. Zuständigkeitskonflikte mit Ad-hoc-Tribunalen und Hybrid-Gerichten Weder im IStGH-Statut noch in den Rules ist das Verhältnis des IStGH zu den Ad-hoc-Tribunalen geregelt. Ausgeschlossen sind Zuständigkeitskonflikte mit dem ICTR.695 Dessen Jurisdiktionsbefugnis ist auf Taten begrenzt, die in Ruanda im Jahr 1994 begangen wurden.696 Der IStGH hat hingegen nur Gerichtsbarkeit über Verbrechen, die nach dem Inkrafttreten des IStGH-Statuts, also nach dem 1. 7. 2002, verübt wurden.697 Anders sieht das Verhältnis zum ICTY aus. Dessen Zuständigkeit ratione temporis beginnt am 1. 1. 1991 und ist zeitlich unbegrenzt.698 Völkerrechtliche Verbrechen, die nach dem 1. 7. 2002 auf dem Gebiet des ehemaligen Jugoslawien begangen wurden, unterfallen daher sowohl der Gerichtsbarkeit des ICTY als auch der des IStGH. Sollte der UN-Sicherheitsrat neue Ad-hoc-Tribunale errichten, können sich ähnliche Doppelzuständigkeiten ergeben. Verhindert werden muss zum einen, dass unklare Zuständigkeiten zu Strafverfolgungslücken führen, und zum anderen, dass die begrenzten Ressourcen durch unnötige Doppelermittlungen belastet werden. Die Ad-hoc-Tribunale sind für eine bestimmte Situation eingesetzt und sollten schon aus Gründen der Spezialität Vor695 696 697 698

Bohlander (2002), S. 688; Ambos (2006), S. 113; Kurth, S. 212. Art. 1 ICTR-Statut. Art. 11 Abs. 1 IStGH-Statut. Art. 1 ICTY-Statut.

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Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

rang vor dem IStGH genießen.699 Dies entspricht zudem dem Komplementaritätsgrundsatz. Die Idee der Auffangzuständigkeit wird auf das Verhältnis des IStGH zu den Ad-hoc-Tribunalen übertragen.700 Zuständigkeitskonflikte sind daher zugunsten der Letzteren zu lösen.701 Erreicht werden kann dies entweder durch eine analoge Anwendung von Art. 17 IStGH-Statut oder durch eine Einstellungsentscheidung nach Art. 53 Abs. 1 S. 2 lit. c) IStGH-Statut. Diese Überlegungen gelten sinngemäß für das Verhältnis des IStGH zu HybridGerichten. Diese haben eine gemischt national-internationale Rechtsgrundlage und beschäftigen nationales und internationales Justizpersonal.702 Sie werden entweder durch ein bilaterales Abkommen mit der UN703, als Teil einer UN-Übergangsverwaltung704 oder durch Besatzungsrecht705 geschaffen. Wegen des auch internationalen Charakters der Hybrid-Gerichte greift das Komplementaritätsprinzip dem Wortlaut nach nicht ein. Die Strafverfolgung erfolgt – wie bei den Ad-hoc-Tribunalen – nicht durch einen Staat, sondern (auch) durch die internationale Gemeinschaft.706 Hybrid-Tribunale haben den Vorteil, dass sie die Verbrechen im Territo-

In diese Richtung auch Bohlander (2002), S. 689. Stefanie Bock (2007b), S. 231, Heilmann, S. 259 – 260. Entsprechend für das Verhältnis zu Hybrid-Gerichten Lipscomb, S. 208. 701 Bohlander (2002), S. 687; Kurth, S. 212 – 215 mit zustimmender Besprechung Stefanie Bock (2007b), S. 231. 702 Wilson, S. 151; Dickinson, S. 295; Koumjian, S. 2; Šimonovic´, S. 708; Lipscomb, S. 205; Crane, S. 808; Kamhi, S. 581; Ambos (2008a), § 6 Rn. 58. 703 Dies sind der SCSL geschaffen durch das Agreement between the United Nations and the Government of Sierra Leone on the Establishment of the Special Court for Sierra Leone, Annex zu Report of the Secretary General on the Establishment of a Special Court for Sierra Leone vom 4. 10. 2000, UN Doc. S / 2000 / 915, die ECCC, geschaffen durch das Agreement between the United Nations and the Royal Government of Cambodia concerning the Prosecution under Cambodian Law of Crimes Committed during the Period of Democratic Kampuchea vom 6. 6. 2003, Annex zu UN Doc. A / RES / 57 / 228 B sowie der Special Court for Lebanon, geschaffen durch Sicherheitsratsresolution 1757 / 2007 vom 30. 5. 2007 mit im Anhang befindlichen Abkommen zwischen dem Lebanon und der UN. 704 Die United Nations Transitional Administration in East Timor wurde vom Sicherheitsrat durch Resolution 1272 / 1999 vom 25. 10. 1999 ermächtigt, alle legislativen und exekutiven Aufgaben einschließlich der Verwaltung des Rechtswesens wahrzunehmen. Auf diese Grundlage wurde das SCET errichtet. Die United Nations Interim Administration Mission in Kosovo ist durch die Sicherheitsratsresolution 1244 / 1999 vom 10. 6. 1999 legitimiert und für die Aufrechterhaltung von Recht und Gesetz im Kosovo zuständig. Zwar wurde kein Sondergericht für den Kosovo errichtet. Vielmehr wurde den zweitinstanzlichen Distriktgerichten internationales Justizpersonal zugewiesen, siehe Ambos (2008a), § 6 Rn. 59. 705 Das Sondertribunal für den Irak wurde ursprünglich aufgrund Besatzungsrecht gegründet. Da das Statut mittlerweile durch das erste demokratische Palament im Wesentlichen bestätigt wurde, handelt es sich inzwischen um ein rein nationales Gericht. 706 Siehe auch Prosecutor v. Taylor – Decision on Immunity from Jurisdiction, AC, SCSL-03-01-I-059, 31. 5. 2004, Rn. 37 – 40; Prosecutor v. Kallon et al. – Decision on Constitutionallity and Lack of Jurisdiction, AC, SCSL-04-15-PT-059, 13. 3. 2004, Rn. 42 – 43 sowie Sands, Rn. 76. 699 700

C. Das Verfahren vor dem IStGH

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rialstaat ahnden, die Prozesse also eine größere Sichtbarkeit vor Ort haben707. Sie sind zudem am nationalen Straf- und Strafprozessrecht orientiert. Hybride-Gerichte können daher auf größere Akzeptanz in der betroffenen Gesellschaft hoffen.708 Daher sollte auch ihnen – nicht nur aus Gründen der Spezialität – grundsätzlich Vorrang vor dem IStGH zukommen.709

8. Ergebnis Das Komplementaritätsprinzip trägt der staatlichen Souveränität sowie den begrenzten Kapazitäten des IStGH Rechnung. Die vorrangige Zuständigkeit nationaler Gerichte ist auch aus Sicht der Opfer sinnvoll. Soweit der Tatortstaat eine effektive Strafverfolgung gewährleisten kann, haben diese Prozesse den Vorteil, dass sie sichtbar vor Ort stattfinden. Dies kann ihre Wirkung verstärken sowie die individuelle und kollektive Aufarbeitung der Verbrechen begünstigen. Seinem Wortlaut nach regelt Art. 17 IStGH-Statut nur das Verhältnis des IStGH zur nationalen Strafjustiz. Der dem Komplementaritätsprinzip zugrunde liegende Gedanke sollte allerdings entsprechend auf das Verhältnis des IStGH zu den Adhoc-Tribunalen und den Hybrid-Gerichten angewandt werden. Auch diese sind grundsätzlich vorrangig zuständig. Von seiner ratio her ist Art. 17 IStGH-Statut nicht auf alternative Reaktionen wie Verfahren vor Wahrheitskommissionen zugeschnitten. Diese sollten daher erst bei der Entscheidung über eine Verfahrenseinleitung gemäß Art. 53 Abs. 1 S. 2 lit. c) IStGH-Statut berücksichtigt werden. Fraglich ist aber, ob das Komplementaritätsprinzip ausreichend gegen Missbrauch geschützt ist. Da es Aufgabe des Anklägers ist, die Unfähigkeit oder Unwilligkeit des Staates zur ernsthaften Strafverfolgung nachzuweisen, stellt es eine nicht unerhebliche Hürde dar. Werden zu hohe Anforderungen an den Nachweis gestellt, kann der IStGH seine Aufgaben nicht effizient wahrnehmen. Ob das Komplementaritätsprinzip die Effektivität des Gerichtshofs gefährdet, hängt entscheidend von den Rechtsbehelfen ab, mit denen die Unzulässigkeit einer Sache gerügt werden kann. Auf diese wird unter V und VI eingegangen.

IV. Voruntersuchung und Einleitung von Ermittlungen Überweist ein Staat oder der Sicherheitsrat eine Situation an den Ankläger, so führt dies nicht zwangsläufig zu einem Ermittlungsverfahren. Die trigger-mecha707 708 709

Siehe hierzu schon oben Teil 5 C. III. 1. c). Koumjian, S. 2; Lipscomb, S. 205; Crane, S. 809. Siehe auch Šimonovic´, S. 709. Heilmann, S. 266 – 268.

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Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

nism sind lediglich die Quellen, aus denen der Ankläger Informationen über völkerrechtliche Verbrechen bezieht. Nach Erhalt der notitia criminis obliegt es dem Ankläger, im Zuge von Vorermittlungen nach Art. 53 IStGH-Statut über die Aufnahme von Ermittlungen zu entscheiden. Diese Vorschrift greift auch bei Proprio-motu-Ermittlungen, wird dann aber noch zusätzlich durch Art. 15 IStGH-Statut ergänzt.

1. Auswertung und Überprüfung der erhaltenen Informationen Zunächst verpflichtet Art. 53 Abs. 1 IStGH-Statut den Ankläger, die ihm zur Verfügung gestellten Informationen auszuwerten und sie auf ihre Stichhaltigkeit hin zu überprüfen. In Art. 15 Abs. 2 S. 2 IStGH-Statut finden sich Hinweise auf die Art und Weise, wie die erhaltenen Informationen zu verifizieren sind. Dem Wortlaut nach greift Art. 15 IStGH-Statut allerdings nur, wenn der Ankläger Ermittlungen ex officio einleiten will. Dennoch sind die Kriterien allgemeiner Natur. Sie sind auch zu berücksichtigen, wenn der Ankläger auf Anregung des Sicherheitsrats oder eines Vertragsstaats tätig wird.710 Bestätigt wird dies durch Rule 104 Abs. 2, die in wortgetreuer Anlehnung an Art. 15 Abs. 2 S. 2 IStGHStatut dieselben Prüfungsmaßstäbe auch für Art. 53 Abs. 1 IStGH-Statut vorschreibt. Die Überprüfung der Informationen kann durch die Einholung von Auskünften bei allen geeignet erscheinenden Quellen erfolgen.711 Explizit aufgeführt sind neben verschiedenen öffentlichen Stellen auch NGOs sowie (Opfer-)Zeugen. Auf welche Informationsquellen der Ankläger im Einzelfall zurückgreift, bleibt ihm überlassen.712 Zeugenaussagen können allerdings nur am Sitz des Gerichtshofs entgegengenommen werden. Schriftliche Aussagen können an den Ankläger geschickt werden, mündliche Aussagen müssen hingegen grundsätzlich in Den Haag aufgenommen werden.713 Hintergrund für diese Beschränkung ist, dass zu diesem Zeitpunkt noch kein Ermittlungsverfahren eingeleitet ist, dem Ankläger daher die Befugnisse nach Art. 54 IStGH-Statut noch nicht zustehen.714 Allerdings werden die (Opfer-)Zeugen nur selten den Willen und die Möglichkeit haben, nach Den Haag zu kommen.715 Daher sprechen sich Teile der Literatur für eine weite Interpretation von „Sitz des Gerichtshofs“ aus. So soll es auch möglich sein, die Aus710 Triffterer(-Bergsmo / Kurger), Art. 53 IStGH-Statut Rn. 9; Turone, S. 1147; van Heeck, S. 153. 711 Siehe auch Informal expert paper, ICC-OTP 2003a, Rn. 21. 712 Junck, Rn. 646. 713 Turone, S. 1149. 714 Turone, S. 1150; van Heeck, S. 153. Siehe auch Junck, Rn. 649. 715 Junck, Rn. 647.

C. Das Verfahren vor dem IStGH

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sagen an Feldbüros, die in den Krisengebieten errichtet wurden, entgegenzunehmen.716 Dies erscheint aber in diesem frühen Verfahrensstadium nur möglich, wenn sich der Staat, in dem die Zeugenaussagen entgegengenommen werden sollen, hiermit einverstanden erklärt. Darüber hinaus können NGOs Opfer bei der Reise nach Den Haag unterstützen und so zur Erhöhung der vor Ort verfügbaren Zeugen beitragen. Der Ankläger ist nicht auf die bloße Kontrolle erhaltener Informationen beschränkt. Er kann immer, auch bei einer Staatenbeschwerde oder einer Sicherheitsratsresolution, zusätzliche Informationen einholen und die Vorermittlungen damit auf eine breitere Grundlage stellen. Wie intensiv und umfangreich die Vorermittlungen im Einzelfall ausfallen, liegt im Ermessen des Anklägers. Gerade wenn sich der Sicherheitsrat bereits im Vorfeld einer Übertragung ausführlich mit der Situation befasst und dem Ankläger umfangreiches Informations- und Beweismaterial übermittelt hat, kann die Überprüfung auch eher kursorisch, die Einleitung des Ermittlungsverfahrens dementsprechend schnell erfolgen.717

2. Hinreichende Grundlage Die Vorermittlungen – also die Auswertung und Überprüfung der erhaltenen Informationen – sind darauf gerichtet, festzustellen, ob eine hinreichende Grundlage für eine Verfahrenseinleitung besteht. Die zu berücksichtigenden Kriterien finden sich in Art. 53 Abs. 1 S. 2 IStGH-Statut. Die Entscheidung über die Aufnahme von Ermittlungen obliegt allein dem Ankläger. Dies gilt auch, wenn der Sicherheitsrat eine Situation überweisen hat.718 Der Ankläger agiert grundsätzlich unabhängig vom politischen Organ Sicherheitsrat und ist nicht an dessen Einschätzung gebunden.719

a) Hinreichende Verdachtsgründe Der Ankläger muss prüfen, ob hinreichende Verdachtsgründe dafür bestehen, dass ein der Gerichtsbarkeit des IStGH unterfallendes Verbrechen begangen wurde. Dies bezieht sich zunächst auf die Gerichtsbarkeit ratione materiae. Der Ankläger muss also in einem ersten Schritt der Frage nachgehen, ob ein hinreichender Verdacht besteht, dass ein Statutverbrechen begangen wurde. Bejaht er dies, so ist in einem zweiten Schritt zu überlegen, ob diese Taten der Zuständigkeit des IStGH unterfallen würden. Dies beinhaltet die Prüfung der Gerichtsbarkeit ratione tempo716 Triffterer(-Bersmo / Pejic´), Art. 15 IStGH-Statut Rn. 16; Turone, S. 1150; Junck, Rn. 647. 717 Turone, S. 1148. Siehe auch Cameron, S. 82. 718 Oosthuizen, S. 324; Sarooshi (2004), S. 98; el Zeidy, S. 1516. 719 Oosthuizen, S. 325.

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Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

ris nach Art. 11 IStGH-Statut. Zur Gerichtsbarkeit gehört aber auch Art. 12 IStGHStatut. Der Ankläger muss insbesondere auch prüfen, ob die Vorbedingungen des Art. 12 Abs. 2 IStGH-Statut erfüllt sind.720

b) Zulässigkeit An einer hinreichenden Grundlage für weitere Ermittlungen fehlt es nach Art. 53 Abs. 1 S. 2 lit. b) IStGH-Statut, wenn ein Verfahren vor dem IStGH nach Art. 17 IStGH-Statut unzulässig wäre. Dies zeigt deutlich, dass der Komplementaritätsgrundsatz nicht nur im Hauptverfahren, sondern auch bereits in der Phase der Voruntersuchungen und Ermittlungen Geltung beansprucht.721 Die Entscheidung, ob sich die Unzulässigkeit aus Art. 17 Abs. 1 lit. d) IStGH-Statut ergibt – die Sache also nicht schwerwiegend genug ist, um ein Verfahren vor dem IStGH zu rechtfertigen – ist eine reine Wertungsfrage. Insoweit steht dem Ankläger ein Ermessensspielraum zu.722 Hat der Ankläger Zweifel, ob die Sache zulässig ist, so kann er auch in diesem Verfahrensstadium nach Art. 19 Abs. 3 die Frage der Vorverfahrenskammer zur Entscheidung vorlegen.723

c) Interesse der Gerechtigkeit Der Ankläger leitet auch dann keine Ermittlungen ein, wenn unter Berücksichtigung der Schwere des Verbrechens und der Interessen der Opfer dennoch wesentliche Gründe für die Annahme vorliegen, dass die Durchführung von Ermittlungen nicht im Interesse der Gerechtigkeit liegt. Art. 53 Abs. 1 S. 2 lit. c) IStGH-Statut gewährt dem Ankläger724 das Recht, eine Auswahl zu treffen. Er muss – selbst bei hinreichenden Verdachtsgründen – nicht jedes völkerrechtliche Verbrechen verfolgen. Der Legalitätsgrundsatz des Art. 53 Abs. 1 S. 1 IStGH-Statut wird durchbrochen.725 In die Entscheidung über die Aufnahme von Ermittlungen dürfen auch Opportunitätserwägungen einfließen. Dies dient dem Schutz des Anklägers vor Überlastung.726 Alle völkerrechtlichen Verbrechen ahnden zu müssen, würde die Möglichkeiten des IStGH bei weitem übersteigen. Müsste der Ankläger jedem hin720 Hoffmeister / Knoke, S. 794; Turone, S. 1152. Für Art. 15 Abs. 3 IStGH-Statut Junck, Rn. 661. Siehe auch DRC PTC, ICC-01 / 04-101-Corr, o. Fn. 4, Rn. 85. 721 Stahn (1998), S. 589. 722 Turone, S. 1152. 723 Hoffmeister / Knoke, S. 800. 724 Zu den Grenzen der gerichtlichen Überprüfbarkeit dieser Ermessensentscheidung Situation in Darfur, Sudan – Decision on Application under Rule 103, ICC-02 / 05-185, 5. 2. 2009, Rn. 22 f. 725 Delmas-Marty (2005), S. 7. Siehe auch Ambos (2003), S. 9. 726 Hoffmeister / Knoke, S. 801.

C. Das Verfahren vor dem IStGH

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reichenden Tatverdacht nachgehen, würde das System kollabieren. Will man eine effektive und handlungsfähige internationale Strafjustiz, muss man Selektionsprozesse zulassen.727 Dies bedeutet aber nicht Straffreiheit, sondern lediglich Abgabe der Strafverfolgung an die nationalen Behörden.728 Kommen die Nationalstaaten dieser Aufgabe aber nicht nach, drohen Strafverfolgungslücken. Zudem bergen Ausnahmen vom Legalitätsprinzip Missbrauchsgefahren. In die Entscheidung über die Aufnahmen von Ermittlungen könnten sachfremde Erwägungen einfließen. Um dies zu verhindern, lenkt Art. 53 Abs. 1 S. 2 lit. c) IStGH-Statut die Ermessensausübung, indem er die zu berücksichtigenden Faktoren nennt. Der Ankläger hat die Schwere der Verbrechen und die Interessen der Opfer in die Abwägung einzustellen. aa) Schwere der Verbrechen Zunächst ist die Schwere der Verbrechen zu berücksichtigen. Insoweit steht Art. 53 Abs. 1 S. 2 lit. c) in inhaltlicher Nähe zu Art. 17 Abs. 1 lit. d) IStGH-Statut, der die Zulässigkeit der Sache an deren hinreichende Schwere knüpft.729 Die oben gemachten Ausführungen gelten entsprechend.730 bb) Interesse der Opfer Als nächstes hat der Ankläger die Interessen der Opfer in seinen Abwägungsprozess einzubeziehen. Dabei legt Art. 53 Abs. 1 S. 2 lit. c) IStGH-Statut nahe, dass die Opfer typischerweise eine strafrechtliche Ahndung der Taten wünschen. Dies muss aber nicht immer der Fall sein. Die Opfergruppe kann vielmehr auch den Wunsch haben, nicht mehr mit den Verbrechen konfrontiert zu werden und diese zu verdrängen oder den Konflikt eigenständig, mit alternativen Reaktionen, wie rituellen Versöhnungszeremonien, zu lösen. Wenn der Ankläger während eines laufenden Konflikts ermittelt, kann er zudem außer Stande sein, die Sicherheit der Opfer zu gewährleisten. Auch dann ist die Durchführung eines Verfahrens nicht im (objektiven) Interesse der Opfer.731 In jedem Fall müssen immer, wenn der Ankläger, die Anwendung von Art. 53 Abs. 1 S. 2 lit. c) IStGH-Statut in Betracht zieht, die konkreten Interessen der Opfer ermittelt werden. Zu diesem Zweck muss der Ankläger den Dialog mit den Opfern vor Ort suchen.732 727 Siehe auch Prosecutor v. Lubanga – Request submitted pursuant to rule 103 (1) of the Rules of Procedure and Evidence for leave to paricipate as amicus curiae in the Article 61 confirmation proceedings (with confidential annex 2), ICC-01 / 04-01 / 06-403, 7. 9. 2006, Rn. 8; DRC Request, ICC-01 / 04-313, o. Fn. 46, Rn. 12; Hamilton, S. 1; Othman, S. 3; Brubacher, S. 75 – 76; Coté, S. 164. 728 Hoffmeister / Knoke, S. 801. 729 Turone, S. 1153; Hall (2003), S. 18; Brubacher, S. 81. 730 Siehe Teil 5 C. III. 3. d). 731 OTP (2007), S. 5 – 6.

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Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

cc) Interesse der Gerechtigkeit Eine Einstellung kommt nur in Betracht, wenn der Schwere der Verbrechen und den Interessen der Opfer zum Trotz die Aufnahme von Ermittlungen nicht im Interesse der Gerechtigkeit liegt. Zu beachten ist dabei das Ziel des IStGH-Statuts, Straflosigkeit für die schwersten Verbrechen, die die internationale Gemeinschaft als ganze berühren, zu beenden. Die Bestrafung der core crimes ist grundsätzlich elementares Gebot der Gerechtigkeit. Demensprechend ist auch Art. 53 Abs. 1 S. 2 lit. c) IStGH-Statut als Ausnahmevorschrift konzipiert und eng auszulegen.733 In seltenen Fällen kann aber selbst bei den völkerrechtlichen Kernverbrechen das Verfolgungsinteresse der internationalen Gemeinschaft gemindert sein.734 Dies ist beispielsweise dann der Fall, wenn die betroffene Gesellschaft die Verbrechen mit alternativen Reaktionen selbstständig aufarbeitet.735 Zu denken ist vor allem an Verfahren vor Wahrheitskommissionen. Ein Absehen von der Strafverfolgung ist aber nur gerechtfertigt, wenn das Verfahren bestimmte Mindeststandards erfüllt. Entscheidend sind ähnliche Kriterien, die auch für die völkerrechtliche Zulässigkeit von Amnestien ausschlaggebend sind.736 Vor allem muss der Konflikt unter Ermittlung der Täter aufbereitet und dokumentiert werden. Zudem müssen die Opfer am Verfahren beteiligt und für die erlittenen Verbrechen entschädigt werden. Unter diesen Voraussetzungen sind Wahrheitskommissionen eine sinnvolle Ergänzung und Alternative zur Strafverfolgung.737 Dies gilt umso mehr, wenn die mit der Wahrheitskommission verbundene Amnestiegewährung einen gesellschaftlichen Wandel ermöglichen soll. Es ist auch ein Gebot der Gerechtigkeit, einen beginnenden Demokratisierungsprozess nicht durch Strafverfolgungsmaßnahmen zu behindern.738 Generell ist bei der Berücksichtigung alternativer Reaktionen – wie beispielsweise ritueller Versöhnungs- und Ausgleichszeremonien – zu überlegen, inwieweit diese den Strafzwecken gerecht werden. Von entscheidender Bedeutung sind dabei die positive Generalprävention sowie die Berücksichtigung der Opferbelange. Die Tat muss als Unrecht gebrandmarkt, die Geltung der verletzten Norm bekräftigt werden. Ausreichend sind hierfür sämtliche gesellschaftlichen Prozesse, die die Aussage „Nie wieder!“ beinhalten. Zudem muss die gewählte Form der Streitbeilegung aus Sicht der Opfer ausreichend und gerecht sein. Maßgeblich sind dabei 732 OTP (2007), S. 6. Bestätigt in OTP (2010), Rn. 22. Siehe auch Regulation 16 der Regulations of the Prosecutor. 733 Siehe auch OTP (2007), S. 1 und 4 sowie Hall (2003), S. 28. 734 Siehe Brubacher, S. 81. 735 Siehe auch Danner, S. 544; McDonald / Haveman, S. 9 sowie Rodman, S. 104. 736 Siehe auch Dugard, S. 703; Goldstone / Fritz, S. 663; Razesberger, S. 179, 174 – 175 und oben Teil 5 C. III. 6. a). 737 Siehe auch Sarkin (1999), S. 820; Schlunck (2000), S. 260. 738 Goldstone / Fritz, S. 662; Brubacher, S. 82.

C. Das Verfahren vor dem IStGH

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nicht westliche Wertvorstellungen. Entscheidend ist vielmehr, ob unter besonderer Berücksichtigung des jeweiligen kulturellen Umfelds den Opferinteressen hinreichend Rechnung getragen wird. Alternative Tatahndungskonzepte, die von der betroffenen Gesellschaft anerkannt und akzeptiert werden, können im Einzelfall den Belangen und Vorstellungen der Opfer sogar besser gerecht werden, als ein Strafverfahren in Den Haag. In diesen Fällen gebietet die Gerechtigkeit nicht zwangsläufig die strafrechtliche Verfolgung völkerrechtlicher Verbrechen. Fraglich ist, ob der Ankläger auch dann auf Ermittlungen verzichten kann, wenn diese sich nachteilig auf einen beginnenden Friedensprozess auswirken könnten.739 Nimmt der Ankläger beispielsweise bereits während eines noch andauernden Konflikts Ermittlungen auf, können sich diese auch gegen Personen richten, die maßgeblich an den Friedensverhandlungen beteiligt sind und so den Friedensprozess behindern.740 Der Ankläger selbst sieht einen Unterschied zwischen den „interests of justice“ und den „interests of peace“. Letztere zu beachten sei nicht seine Aufgabe, sondern falle in den Zuständigkeitsbereich anderer Insitutionen, wie dem UN-Sicherheitsrat.741 Berücksichtigt man, dass es auch zu den Aufgaben und Zielen der Internationalen Strafgerichtsbarkeit gehört, einen Beitrag zur Wiederherstellung des Friedens zu leisten,742 so vermag diese Ansicht nicht zu überzeugen. Vielmehr muss der Ankläger auch die politischen Konsequenzen etwaiger Ermittlungen in seine Erwägungen einbeziehen.743 Etwas anderes zu verlangen, hieße die politischen Implikationen der core crimes zu verkennen. Jeder Verzicht auf die Aufnahme von Ermittlungen ist zwangsläufig auch eine politische Entscheidung. Politische Erwägungen dürfen eine Rolle spielen, die Einstellungsentscheidung darf aber nicht aufgrund politischen Drucks getroffen werden.744 Darüber hinaus ist zu berücksichtigen, dass ein dauerhafter und stabiler Frieden ohne ein Mindestmaß an Gerichtigkeit nicht möglich ist.745

3. Einstellung des Verfahrens Die Entscheidung des Anklägers, nach Art. 53 Abs. 1 IStGH-Statut keine Ermittlungen einzuleiten, kann unter bestimmten Voraussetzungen überprüft und revidiert werden.

Umfassend hierzu Rodman, S. 121 ff. Siehe auch Schabas (2009), S. 749. Siehe auch Mani, S. 55; di Giovanni, S. 42; Ku / Nzelibe, S. 819; Mangold, S. 257. 741 OTP (2007), S. 8 – 9. 742 Siehe Teil 4 B. III. 743 Brubacher, S. 82. Siehe auch Cote, S. 177. 744 Siehe auch Cote, S. 170 – 171. 745 Dies scheint auch der Ausgangspunkt der Erwägungen des Anklägers zu sein, siehe OTP (2007), S. 8. Siehe auch Ambos (2009b), Rn. 53 sowie oben Teil 4 B. II. 739 740

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Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

a) Rüge durch den Staat oder den Sicherheitsrat Hat ein Staat oder der Sicherheitsrat den Ankläger um die Aufnahme von Ermittlungen ersucht, so informiert der Ankläger diesen unverzüglich gemäß Rule 105 Abs. 1 über seinen Entschluss, keine Ermittlungen aufzunehmen.746 Dabei gibt er auch die Gründe für seine Entscheidung an.747 Dies ist insbesondere bei der Verfahrenseinstellung nach Art. 53 Abs. 1 S. 2 lit. c) IStGH-Statut von zentraler Bedeutung. Entscheidungstransparenz verhindert eine missbräuchliche Ermessensausübung.748 Zudem kann der Staat, der dem Ankläger die Situation unterbreitet hat, oder – wenn das Verfahren nach Art. 13 lit. b) IStGH-Statut ausgelöst wurde – der Sicherheitsrat auf eine Überprüfung der Entscheidung durch die Vorverfahrenskammer hinwirken.749 Diese bestätigt den Einstellungsbeschluss des Anklägers oder verpflichtet ihn zu einer erneuten Prüfung. Ihr kommt aber nicht das Recht zu, selbst ein Verfahren einzuleiten.750 Die endgültige Entscheidung über die Aufnahme von Ermittlungen obliegt dem Ankläger. Durch die Möglichkeit, den Einstellungsbeschluss einer gerichtlichen Kontrolle zu unterziehen, wird aber das Risiko minimiert, dass Ermittlungen aus sachfremden Erwägungen unterbleiben.751 Sie hilft damit, einen möglichst transparenten, willkürfreien Entscheidungsprozess zu gewährleisten. Allerdings folgt aus Art. 53 Abs. 3 IStGHStatut e contrario, dass den Informanten im Fall der Proprio-motu-Ermittlungen kein Beschwerderecht zusteht. In diesem Fall ist die Entscheidung des Anklägers, nicht weiter zu ermitteln, grundsätzlich nicht überprüfbar.752

b) Proprio-motu-Überprüfung bei Einstellung aus Opportunitätserwägungen Basiert die Entscheidung des Anklägers, keine Ermittlungen aufzunehmen, ausschließlich auf den Opportunitätserwägungen des Art. 53 Abs. 1 S. 2 lit. c) IStGHStatut, so muss er die Vorverfahrenskammer über seinen Einstellungsbeschluss informieren.753 Innerhalb der folgenden 180 Tage kann sich die Vorverfahrenskam746 Die Pflicht, den Vertragsstaat oder den Sicherheitsrat zu informieren, folgt in diesem Verfahrensstadium nicht aus Art. 53 Abs. 2 IStGH-Statut. Diese Vorschrift ist nach ihrem ausdrücklichen Wortlaut nur nach Abschluss der Ermittlungen, nicht der Vorermittlungen anwendbar, siehe auch Turone, S. 1155. Ungenau daher Hoffmeister / Knoke, S. 801. 747 Rule 105 Abs. 3. 748 DRC Request, ICC-01 / 04-313, o. Fn. 46, Rn. 12; Cote, S. 171. 749 Art. 53 Abs. 3 lit. a) IStGH-Statut i. V. m. Rule 107. 750 Behrens, S. 146; Triffterer(-Bergsmo / Kruger), Art. 53 IStGH-Statut Rn. 35; Friman (2001a), S. 500; Stahn (2005), S. 697; Kurth, S. 66; Razesberger, S. 108. Siehe auch Darryl Robinson (2003), S. 487. 751 Turone, S. 1156. Siehe auch Tomuschat (1998), S. 344. 752 Behrens, S. 146; Hoffmeister / Knoke, S. 801; Turone, S. 1158. 753 Art. 53 Abs. 1 S. 3 IStGH-Statut i. V. m. Rule 105 Abs. 4, 5.

C. Das Verfahren vor dem IStGH

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mer entschließen, diesen aus eigener Initiative zu überprüfen.754 Verpflichtet ist sie hierzu allerdings nicht.755 Art. 53 Abs. 3 lit. b) S. 1 IStGH-Statut stellt die Vornahme einer Kontrolle explizit ins Ermessen der Vorverfahrenskammer. Bei ihrer Ermessensausübung muss sich diese von den Zielen und Grundideen des IStGHStatuts leiten lassen. Dies gilt vor allem für die in Art. 1 S. 2 IStGH-Statut zum Ausdruck gebrachte Aufgabe des IStGH, seine Gerichtsbarkeit über die schwersten Verbrechen auszuüben. Je schwerer die Verbrechen und ihre Folgen, je höher die Zahl der Opfer, desto eher ist eine Überprüfung des Einstellungsbeschlusses angezeigt. Entschließt sich die Kammer, ihre Kontrollfunktion auszuüben, wird nach Art. 53 Abs. 3 lit. b) S. 2 IStGH-Statut die Entscheidung des Anklägers, keine Ermittlungen einzuleiten, nur wirksam, wenn die Vorverfahrenskammer diese bestätigt. Anderenfalls ist der Ankläger verpflichtet, Ermittlungen aufzunehmen. Dies stellt Rule 110 Abs. 2 ausdrücklich klar. Die Vorverfahrenskammer kann den Ankläger durch die Nichtbestätigung des Einstellungsbeschlusses zwingen, tätig zu werden.756 Anders als bei Art. 53 Abs. 3 lit. a) IStGH-Statut liegt die Letztentscheidungskompetenz daher bei ihr und nicht beim Ankläger. Diese Möglichkeit der gerichtlichen Kontrolle aus eigener Initiative besteht unabhängig vom jeweiligen trigger-mechanism. Sie kann auch erfolgen, wenn der Ankläger proprio motu tätig ist.757 Die Verfahrenseinstellung aus Opportunitätsgründen gibt dem Ankläger einen sehr weiten Ermessens- und Entscheidungsspielraum und ist daher besonders missbrauchsanfällig. Die Einschaltung einer zusätzlichen Kontrollinstanz758 ist daher sinnvoll, um zu gewährleisten, dass sich der Ankläger nicht von sachfremden Erwägungen leiten lässt und die Interessen der Opfer hinreichend berücksichtigt. Gleichzeitig dient dieses Kontrollinstrument auch der Stärkung des Anklägers. Eine Verfahrenseinstellung aus Gründen der Gerechtigkeit ist gerade bei völkerrechtlichen Verbrechen eine politisch äußerst brisante Entscheidung, die häufig erhebliche Kritik zum Beispiel durch NGOs erfahren dürfte. Der Ankläger aber trägt die Verantwortung für das Ausbleiben von Ermittlungen nicht allein. Er hat die – unter Umständen stillschweigende – Rückendeckung durch die Vorverfahrenskammer.759 Wäre diese jedoch gezwungen, jede auf Art. 53 Abs. 1 S. 2 lit. c) IStGH-Statut beruhende Entscheidung zu überprüfen, könnte diese Vorschrift ihre Art. 53 Abs. 3 lit. b) IStGH-Statut i. V. m. Rule 109. Turone, S. 1158. Anderer Ansicht Triffterer(-Bergsmo / Kruger), Art. 53 Rn. 38. Wohl auch Behrens, S. 146; Darryl Robinson (2003), S. 488. 756 Friman (2001a), S. 500; Fourmy, S. 1217; Turone, S. 1157; Darryl Robinson (2003), S. 488; Brubacher, S. 87; Sarooshi (2004), S. 99; Stahn (2005), S. 698; Kurth, S. 66; Razesberger, S. 109. Dem Ankläger bleibt allerdings die Möglichkeit, den Fall erneut zu prüfen und dann seine Einstellungsentscheidung auf eine andere Grundlage zu stellen, siehe hierzu Sarooshi (2004), S. 100. 757 Friman (2001a), S. 500; Turone, S. 1156; Razesberger, S. 110; van Heeck, S. 189. 758 Siehe auch Friman (2001b), S. 201; Ntanda Nsereko (2004), S. 15. 759 Tomuschat (1998), S. 344; Ntanda Nsereko (2004), S. 15. 754 755

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Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

entlastende Wirkung nicht mehr entfalten. Ein obligatorisches Überprüfungsverfahren würde wertvolle Ressourcen binden, die an anderer Stelle sinnvoller eingesetzt werden können. Art. 53 Abs. 3 lit. b) IStGH-Statut erweist sich somit als befriedigender Kompromiss zwischen notwendiger Kontrolle und prozessökonomischer Sinnhaftigkeit. c) Analoge Anwendung von Art. 53 Abs. 3 IStGH-Statut Basiert die Entscheidung des Anklägers, keine Ermittlungen aufzunehmen auf Artt. 53 Abs. 1 S. 2 lit. b); 17 Abs. 1 lit. d) IStGH-Statut, so ist keine Kontrolle durch die Vorverfahrenskammer vorgesehen. Auch die Annahme, dass die Sache nicht schwerwiegend genug ist, um weitere Maßnahmen des Gerichts zu rechtfertigen, ist aber eine reine Wertungsfrage. Die Einstellung erfolgt auch in diesem Fall aus Gründen der Opportunität. Art. 53 Abs. 1 S. 2 lit. b) IStGH-Statut ist insoweit ebenso missbrauchsanfällig wie Art. 53 Abs. 1 S. 2 lit. c) IStGH-Statut. Aufgrund der inhaltlichen Überschneidung beider Vorschriften steht es zudem letztlich im Belieben des Anklägers, auf welche Variante er seinen Einstellungsbeschluss stützt. Damit kann er auch darüber entscheiden, ob eine gerichtliche Kontrolle nach Art. 53 Abs. 3 IStGH-Statut möglich ist. Dies ist insbesondere im Fall der Ex-officio-Befugnisse bedenklich, da der Ankläger seine Einstellungsentscheidung jeglicher gerichtlicher Kontrolle entziehen könnte. Daher sollte dieser auch bei einer Einstellung nach Artt. 53 Abs. 1 S. 2 lit. b); 17 Abs. 1 lit. d) IStGH-Statut verpflichtet sein, die Vorverfahrenskammer zu informieren. Zudem sollte die gerichtliche Kontrollmöglichkeit nach Art. 53 Abs. 3 lit. b) IStGH-Statut auf diese Fälle ausgeweitet werden. Auch wenn bereits jetzt eine analoge Anwendung der Vorschriften möglich erscheint,760 sollte der Gesetzestext aus Gründen der Klarstellung entsprechend ergänzt werden. Gleiches gilt, wenn der Ankläger bei Ex-officio-Ermittlungen sich gemäß Art. 15 Abs. 3 IStGH-Statut dagegen entscheidet, die Vorverfahrenskammer einzuschalten. Da die Prüfungsmaßstäbe identisch sind, sollte auch in diesem Fall Art. 53 Abs. 3 lit. b) IStGH-Statut zur Anwendung gelangen.761 Im Lubanga Fall hat der Ankläger beschlossen, sich zunächst auf die strafbare Rekrutierung von Kindersoldaten zu konzentrieren und die Ermittlungen im Übrigen auszusetzen.762 Pre-Trial Chamber I bewertete dies nicht als Einstellungsentscheidung im Sinne von Art. 53 Abs. 1 S. 2 lit. c) IStGH-Statut und sah sich dementsprechend daran gehindert, ihre Kontrollbefugnisse auszuüben.763 Auch So Turone, S. 1156. Stahn (2006), S. 246; Stahn / Olásolo / Gibson, S. 229. 762 Prosecutor v. Thomas Lubanga Dyilo – Prosecutor’s Information on Further Investigations, ICC-01 / 04-01 / 06-170, 28. 6. 2006, Rn. 7. 763 Situation in the DRC – Decision on the Requests of the Legal Representatives for Victims VPRS 1 to VPRS 6 regarding the „Prosecutor’s Information on Further Investigations“, PTC I, ICC-01 / 04-399, 26. 9. 2007, S. 5. 760 761

C. Das Verfahren vor dem IStGH

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wenn diese Entscheidung im konkreten Fall nachvollziehbar ist, birgt sie ein nicht unerhebliches Missbrauchspotential. Letztlich ermöglicht sie dem Ankläger, Ermittlungen durch eine Nichtentscheidung unbegrenzt zu verschleppen. Daher sollte vom Ankläger verlangt werden, innerhalb eines angemessenen Zeitraums über die Aufnahme von Ermittlungen zu befinden. Kommt er dieser Pflicht nicht nach, sollten die Rechtsbehelfe des Art. 53 Abs. 3 IStGH-Statut entsprechend Anwendung finden.

d) Erhalt neuer Informationen Der Entschluss, keine Ermittlungen aufzunehmen, ist nicht endgültig. Erlangt der Ankläger neue Informationen, so kann er nach einer erneuten Prüfung der in Art. 53 Abs. 1 S. 2 IStGH-Statut genannten Kriterien seine Einstellungsentscheidung jederzeit revidieren.764 4. Aufnahme von Ermittlungen Stellt der Ankläger fest, dass eine hinreichende Grundlage für die Aufnahme von Ermittlungen besteht, so ist er verpflichtet, ein Ermittlungsverfahren einzuleiten. Es gilt grundsätzlich das Legalitätsprinzip.765 Opportunitätserwägungen dürfen ausschließlich im Rahmen von Art. 53 Abs. 1 S. 2 lit. c) IStGH-Statut Berücksichtigung finden. 5. Ergebnis Hat der Ankläger Informationen über mutmaßliche völkerrechtliche Verbrechen erhalten, muss er sie nach Maßgabe der Artt. 15 Abs. 2; 53 Abs. 1 IStGH-Statut verifizieren. Diese Voruntersuchungen sind darauf gerichtet, festzustellen, ob eine hinreichende Grundlage für die Aufnahme von Ermittlungen besteht. Art. 53 Abs. 1 S. 2 lit. c) IStGH-Statut schwächt das Legalitätsprinzip ab und gewährt dem Ankläger die Möglichkeit, in bestimmten Fällen aus Opportunitätserwägungen auf weitere Ermittlungen zu verzichten. Solche Selektionsprozesse sind notwendig, um die Funktionsfähigkeit des IStGH sicherzustellen und bieten eine sinnvolle Gelegenheit, alternative Reaktionen auf Straftaten gebührend zu berücksichtigen. Um Missbrauch entgegenzuwirken, kann die Vorverfahrenskammer die Entscheidung des Anklägers, aus Gründen der Gerechtigkeit keine Ermittlungen aufzunehmen, überprüfen. Dies gilt allerdings nicht, wenn der Ankläger seinen Einstellungsbeschluss auf Artt. 53 Abs. 1 S. 2 lit. b); 17 Abs. 1 lit. d) oder Art. 15 Abs. 3 Art. 53 Abs. 4 IStGH-Statut. Siehe auch Triffterer(-Bergsmo / Kruger), Art. 53 IStGH-Statut Rn. 7; Hoffmeister / Knoke, S. 800; van Heeck, S. 188. 764 765

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Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

IStGH-Statut stützt. Auch in diesen Fällen kommen Opportunitätserwägungen zur Geltung. Um sicherzustellen, dass keine sachfremden Erwägungen die Entscheidung des Anklägers determinieren, sollten die Kontrollbefugnisse der Vorverfahrenskammer auf diese Konstellationen ausgeweitet werden.

V. Verfahren nach Art. 18 IStGH-Statut Hat sich der Ankläger entschlossen, Ermittlungen einzuleiten – und im Fall des Art. 13 lit. c) IStGH-Statut die Genehmigung der Vorverfahrenskammer erhalten766 – so richtet sich das weitere Verfahren nach Art. 18 IStGH-Statut. Dessen Anwendungsbereich ist aber auf Proprio-motu-Ermittlungen und Staatenbeschwerden beschränkt. Hat der Sicherheitsrat das Verfahren ausgelöst, greift Art. 18 IStGH-Statut insgesamt nicht ein.767

1. Benachrichtigung betroffener Staaten Nimmt der Ankläger Ermittlungen auf, so muss er dies nach Art. 18 Abs. 1 S. 1 IStGH-Statut allen Mitgliedstaaten sowie denjenigen Drittstaaten, unter deren Gerichtsbarkeit im Regelfall die fraglichen Verbrechen fallen würden, mitteilen. Unklar ist, wie der Kreis der zu informierenden Drittstaaten zu bestimmen ist. Die Benachrichtigung über die Einleitung von Ermittlungen soll die Staaten in die Lage versetzen, bereits in einem frühen Verfahrensstadium vorrangige Zuständigkeit beanspruchen und das Verfahren an sich ziehen zu können. Parallele nationale und internationale Ermittlungen sollen aus Gründen des ökonomischen Einsatzes von Ressourcen verhindert werden.768 Das IStGH-Statut räumt zwar auch einer auf dem Universalitätsprinzip begründeten nationalen Gerichtsbarkeit Vorrang ein.769 Dies heißt aber nicht, dass alle Staaten der Welt über die Aufnahme von Ermittlungen zu informieren sind.770 Der Anwendungsbereich von Art. 18 IStGH-Statut würde ansonsten ausufern. Bereits der Wortlaut legt eine Begrenzung nahe. Zu benachrichtigen sind nur die Drittstaaten, die im Regelfall Gerichtsbarkeit ausüben würden. Dies kann als Bezugnahme auf die klassischen Strafanwendungsprinzipien verstanden werden. Im Regelfall üben jedenfalls der Tatort- und der Täterstaat Turone, S. 1162. Wexler, S. 678; Benvenuti, S. 47; Gargiulo, S. 84; Triffterer(-Ntanda Nsereko), Art. 18 IStGH-Statut Rn. 4; Cassese (1999), S. 159; Zwanenburg, S. 132; Holmes (2002), S. 681 Fn. 39; Turone, S. 1164; Lindenmann, S. 185; Lipscomb, S. 201; Junck, Rn. 611; Schabas (2007), S. 278. Siehe auch Olásolo (2004), S. 8. 768 Holmes (2002), S. 681; Razesberger, S. 72. 769 Siehe Nachweise in Fn. 527 sowie den dazugehörigen Text. 770 Eine solche Auslegung wird von Olásolo (2005), S. 75 befürwortet. Schabas (2007), S. 278 hält sie immerhin für möglich. 766 767

C. Das Verfahren vor dem IStGH

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die Gerichtsbarkeit aus.771 Bei völkerrechtlichen Verbrechen ist aber typischerweise auch mit einer Strafverfolgung durch den Opferstaat sowie den Gewahrsamsstaat zu rechnen.772 Der Ankläger muss daher außer den Mitgliedstaaten auch den Tatort-, Täter-, Opfer- und Gewahrsamsstaat über die Einleitung von Ermittlungen informieren, selbst wenn diese das IStGH-Statut nicht ratifiziert haben.

2. Zurückstellen von Ermittlungen Innerhalb eines Monats nach Erhalt der förmlichen Benachrichtigung kann ein Staat nach Art. 18 Abs. 2 IStGH-Statut i. V. m. Rule 53 unter Hinweis auf eigene Ermittlungen vorrangige Zuständigkeit beanspruchen. Voraussetzung ist allerdings, dass der Staat entweder gegen eigene Staatsangehörige oder gegen Personen, die sich in seiner Hoheitsgewalt befinden, ermittelt. Der bloße Hinweis, ein Verfahren gegen im Ausland befindliche fremde Staatsangehörige eingeleitet zu haben, genügt nicht. Auf ein entsprechendes Ersuchen des betroffenen Staates ist der Ankläger verpflichtet, seine Ermittlungen zurückzustellen.773 Bis zu diesem Zeitpunkt stehen ihm aber in vollem Umfang die Befugnisse des Art. 54 IStGH-Statut zu. Sobald er die betroffenen Staaten benachrichtigt hat, kann er Ermittlungen aufnehmen. Er ist nicht verpflichtet, den Ablauf der Monatsfrist abzuwarten.774 Hat der Sicherheitsrat eine Situation an den Ankläger überwiesen, greift Art. 18 Abs. 2 IStGH-Statut nicht ein. Der Ankläger ist nicht automatisch zur Zurückstellung seiner Ermittlungen verpflichtet. Eine Sicherheitsratsresolution ermöglicht damit einen zügigen Verfahrensbeginn, einen fast track775. Hintergrund ist die erhöhte Legitimität, die aus einer auf Kapitel VII UN-Charta gestützten Resolution folgt.776 Allerdings findet das Komplementaritätsprinzip auch dann Anwendung, wenn das Verfahren durch den Sicherheitsrat ausgelöst wird.777 Es steht damit jedem Staat frei, den Ankläger auch in diesen Fällen über eigene Ermittlungen zu informieren.778 Da der Komplementaritätsgrundsatz von Amts wegen zu beachten ist, muss der Ankläger entscheiden, ob seine Ermittlungen zulässig sind und das Verfahren gegebenenfalls einstellen. Gelangt der Ankläger zu dem Ergebnis, dass die Bemühungen des Staates nicht den Anforderungen von Art. 17 Abs. 1 IStGHStatut genügen, kann der Staat nur die Zulässigkeit der Sache gemäß Art. 19 771 772 773 774 775 776 777 778

Roger S. Clark (2000), S. 215; Schabas (2007), S. 278; van Heeck, S. 336. Razesberger, S. 85; van Heeck, S. 336. Art. 18 Abs. 2 S. 2 IStGH-Statut. Turone, S. 1163. Siehe auch Wexler, S. 676; Turone, S. 1144; Kurth, S. 62. Triffterer(-Ntanda Nsereko), Art. 18 IStGH-Statut Rn. 4. Siehe auch Junck, Rn. 613. Siehe oben Teil 5 C. III. 2. Cassese (1999), S. 159; Benvenuti, S. 47.

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Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

IStGH-Statut anfechten.779 Der Weg über Art. 18 Abs. 2 IStGH-Statut ist ihm im Fall der Sicherheitsratsüberweisung verwehrt.

3. Vorläufige Entscheidung über die Zulässigkeit Ist der Ankläger davon überzeugt, dass der Staat zu Unrecht vorrangige Zuständigkeit beansprucht, kann er nicht aus eigenem Recht Ermittlungen aufnehmen. Vielmehr muss er eine Genehmigung durch die Vorverfahrenskammer einholen.780 Selbst wenn Proprio-motu-Ermittlungen bereits von der Vorverfahrenskammer autorisiert wurden, wird der Ankläger hiervon nicht befreit. Das Gericht muss erneut entscheiden.781 Maßgeblicher Prüfungsmaßstab ist Art. 17 IStGH-Statut.782 Die Entscheidung der Vorverfahrenskammer ist vorläufig. Ihr kommt keinerlei präjudizierende Wirkung für das weitere Verfahren zu.783 Sie kann vom betroffenen Staat und vom Ankläger gemäß Art. 18 Abs. 4 IStGH-Statut mit der Beschwerde angegriffen werden. Stellt der Ankläger zunächst seine Ermittlungen zurück, gelangt aber später zu dem Schluss, dass die Strafverfolgungsbemühungen des betroffenen Staates nicht hinreichend ernsthaft sind, muss er ebenfalls die Vorverfahrenskammer anrufen. Grundsätzlich soll der Ankläger seine Entscheidung, dem nationalen Verfahren Vorrang zu gewähren, erst nach Ablauf von sechs Monaten überprüfen.784 An diese Frist ist er allerdings nicht gebunden, wenn sich die Sachlage aufgrund des mangelnden Willens oder des Unvermögens des Staates zu ernsthaften Ermittlungen wesentlich geändert hat. In diesen Fällen ist er jederzeit zur Überprüfung der staatlichen Vorrangzuständigkeit und gegebenenfalls zur Einschaltung der Vorverfahrenskammer berechtigt.

4. Missbrauchspotential Art. 18 IStGH-Statut birgt ein nicht unerhebliches Missbrauchspotential. Selbst wenn der Ankläger überzeugt ist, dass die Voraussetzungen des Art. 17 Abs. 2, 3 IStGH-Statut vorliegen, fällt die Sache nicht automatisch in die Zuständigkeit des Gerichtshofs zurück. Er muss immer – selbst in Fällen evidenten Missbrauchs – die Vorverfahrenskammer um die Genehmigung von Ermittlungen ersuchen. Die Siehe hierzu sogleich Teil 5 C. VI. Art. 18 Abs. 2 S. 2 HS 2 IStGH-Statut. 781 Holmes (2001), S. 324. 782 Rule 55 Abs. 2. Siehe auch Triffterer(-Ntanda Nsereko), Art. 18 IStGH-Statut Rn. 15 – 17; Turone, S. 1163. 783 Fourmy, S. 1227; Olásolo (2004), S. 8. 784 Art. 18 Abs. 3 IStGH-Statut. 779 780

C. Das Verfahren vor dem IStGH

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automatische Suspendierung, die eventuell nur durch eine entsprechende Entscheidung sowohl der Vorverfahrens- als auch der Berufungskammer beendet werden kann, birgt in erheblichem Maß die Gefahr der Verfahrensverzögerung und -verschleppung.785 Dies gilt umso mehr, als der Kreis der nach Art. 18 Abs. 1 IStGHStatut zu benachrichtigenden Drittstaaten nur dadurch begrenzt wird, dass diese im Regelfall Gerichtsbarkeit ausüben müssen. Informiert werden muss auch der Täterstaat, der den IStGH nicht anerkannt und direkt mit den mutmaßlichen Verbrechen in Verbindung steht, also ein offensichtliches Interesse daran hat, ein Verfahren zu verhindern.786 An verschiedenen Stellen wird versucht, einem Missbrauch von Art. 18 IStGHStatut vorzubeugen. So kann der Ankläger gemäß Art. 18 Abs. 5 IStGH-Statut den Staat, der vorrangige Zuständigkeit beansprucht, ersuchen, ihn regelmäßig über den Fortgang seiner Ermittlungen und Strafverfolgungsmaßnahmen zu informieren. Dadurch soll es dem Ankläger ermöglicht werden zu kontrollieren, ob das Vorgehen des Staates den Maßstäben des Art. 17 Abs. 1 IStGH-Statut entspricht.787 Wenn dieser aber die Ermittlungen nur eingeleitet hat, um eine bestimmte Person vor einer strafrechtlichen Verfolgung zu bewahren, werden auch die Berichte bestenfalls äußerst vage gehalten sein. Dies gilt umso mehr, wenn ein Drittstaat von Art. 18 Abs. 2 IStGH-Statut Gebrauch gemacht hat. Für diesen besteht keine Pflicht, den Ankläger über den Stand des Verfahrens zu informieren. Kommt aber ein Staat einem Berichtsersuchen nicht zeitnah und in angemessenem Umfang nach, so kann dies als Indiz gewertet werden, dass er keine ernsthaften Ermittlungen durchführen kann oder will. Der Ankläger hat einen hinreichenden Anlass, die Zurückstellung der Ermittlungen nach Art. 18 Abs. 3 IStGH-Statut zu überprüfen und gegebenenfalls bei der Vorverfahrenskammer die erforderliche Genehmigung für die Aufnahme eigener Ermittlungen einzuholen.788 Das Verfahren nach Art. 18 IStGH-Statut kann sich – vor allem wenn gegen die Entscheidung der Vorverfahrenskammer noch Beschwerde eingelegt wird – sehr lange hinziehen. Um zumindest das Rechtsmittelverfahren abzukürzen, eröffnet Art. 18 Abs. 4 S. 2 IStGH-Statut die Möglichkeit, die Beschwerde im beschleunigten Verfahren zu behandeln. Dennoch besteht die Gefahr, dass während der vorläufigen Entscheidung über die Zulässigkeit Beweise untergehen, Zeugen verschwinden, sterben oder getötet werden. Können die mutmaßlichen Verbrechen nicht 785 Ambos (1998c), S. 225; Roggemann (1998a), S. 509; Broomhall (2003), S. 87. Siehe auch Wexler, S. 674; Kaul (1998b), S. 128; ders. (2001b), S. 60; Sarkin (1999), S. 799; Triffterer (1999), S. 537; Roger S. Clark (2000), S. 215; Danner, S. 517; Hall (2004), S. 127. Dies gilt in besonderem Maße im Zusammenhang mit Art. 19 Abs. 2 lit. b) IStGH-Statut, der den Staat, der Gerichtsbarkeit über eine Sache hat, berechtigt, die Zulässigkeit einer Sache anzufechten. Siehe dazu sogleich Teil 5 C. VI. 786 Turone, S. 1162. 787 Siehe auch Holmes (2002), S. 682. 788 Triffterer(-Ntanda Nsereko), Art. 18 IStGH-Statut Rn. 24; Holmes (2002), S. 682.

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Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

mehr bewiesen werden, kann ein Staat, der ein Verfahren verhindern will, durch die Verschleppung letztlich doch das gewünschte Ergebnis erreichen. Dies will Art. 18 Abs. 6 IStGH-Statut verhindern.789 Besteht eine einmalige Gelegenheit zur Beschaffung von Beweisen oder eine erhebliche Gefahr, dass Beweise später nicht mehr verfügbar sind, kann der Ankläger – obwohl seine Ermittlungen suspendiert sind – die Vorverfahrenskammer ersuchen, beweissichernde Maßnahmen zu treffen. Die Beweislast liegt allerdings beim Ankläger.790 Es erscheint daher sehr fraglich, ob Art. 18 Abs. 5, 6 IStGH-Statut in der Praxis ausreichen werden, einer Verfahrensverschleppung oder -verhinderung durch einen male fide handelnden Staat effektiv vorzubeugen.

5. Zusammenfassung Art. 18 IStGH-Statut sichert das Komplementaritätsprinzip verfahrensrechtlich ab und trägt so zur Wahrung der staatlichen Vorrangzuständigkeit bei.791 Diese Stärkung der Nationalstaaten bedroht aber die Handlungsfähigkeit des IStGH. Der böswillig handelnde Staat bekommt die Möglichkeit, dass Verfahren zu verschleppen und dadurch eventuell sogar eine Verurteilung der Täter zu verhindern. Art. 18 IStGH-Statut selbst sieht einige Sicherungsmechanismen vor, die die Missbrauchsgefahr verringern sollen. Ob diese in der Praxis ausreichen werden, erscheint allerdings fraglich. Sinnvoll wäre es jedenfalls, die Antragsberechtigung auf die Mitgliedstaaten zu beschränken. Gerade der Täterstaat, der das IStGHStatut nicht ratifiziert hat, wird häufig ein Interesse an einer Verfahrensverschleppung haben. Völkerrechtlich bedenklich ist der Ausschluss von Drittstaaten nicht. Art. 34 WVK gestattet die Privilegierung von Vertragsparteien.792 Zudem wird den Interessen der Drittstaaten hinreichend durch Art. 19 IStGH-Statut Rechnung793 getragen.

VI. Anfechtung der Gerichtsbarkeit oder der Zulässigkeit Der Gerichtshof hat gemäß Art. 19 Abs. 1 S. 1 IStGH-Statut von Amts wegen zu prüfen, ob eine Sache seiner Zuständigkeit unterfällt. Zudem kann er aus eigeTriffterer(-Ntanda Nsereko), Art. 18 IStGH-Statut Rn. 25. Benvenuti, S. 48; Triffterer(-Ntanda Nsereko), Art. 18 IStGH-Statut Rn. 25. 791 So auch Triffterer(-Ntanda Nsereko), Art. 18 IStGH-Statut Rn. 3; Arsanjani (1999a), S. 70; Benvenuti, S. 46; Lindenmann, S. 185; Olásolo (2003), S. 19; Junck, Rn. 612. Siehe auch Zwanenburg, S. 132; Scharf (1999), S. 651. 792 Siehe hierzu oben Teil 5 C. I. 6. a) bb) (3). 793 Dazu sogleich Teil 5 C. VI. 789 790

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ner Initiative über die Zulässigkeit einer Sache entscheiden.794 Darüber hinaus haben gemäß Art. 19 Abs. 2 IStGH-Statut der Beschuldigte und jeder Staat, der in der Sache selbst ermittelt, sowie der Täter- und der Tatortstaat das Recht, die Gerichtsbarkeit des IStGH oder die Zulässigkeit der Sache anzufechten. Anfechtungsberechtigt sind auch Drittstaaten.795 Im Gegensatz zu Art. 18 IStGHStatut besteht das Anfechtungsrecht nicht nur bei Proprio-motu-Ermittlungen und Staatenbeschwerden, sondern auch bei einer Überweisung durch den Sicherheitsrat.796 Sobald ein Staat nach Art. 19 Abs. 2 IStGH-Statut die Zulässigkeit angefochten hat, muss der Ankläger seine Ermittlungen bis zur Entscheidung der Vorverfahrenskammer aussetzen.797 Gegen diese kann Beschwerde bei der Berufungskammer eingelegt werden.798 Kommt die Kammer zu dem Ergebnis, dass ein Verfahren unzulässig ist, so kann der Ankläger nach Maßgabe von Art. 19 Abs. 10 IStGHStatut auf eine erneute Überprüfung der Entscheidung hinwirken. Voraussetzung ist, dass er aufgrund neuer Tatsachen überzeugt ist, dass das vordem gegebene Zulässigkeitshindernis nicht mehr besteht oder weggefallen ist. Außer im Fall der Sicherheitsratsresolution überschneiden sich die Anwendungsbereiche von Artt. 18 Abs. 2, 4 und 19 Abs. 2 lit. b) IStGH-Statut. Der Staat, der vorrangige Zuständigkeit beansprucht, hat die Möglichkeit, eine zweifache Zulässigkeitsprüfung herbeizuführen. Die Gefahr der Verfahrensverzögerung und -verschleppung, die bereits Art. 18 IStGH-Statut innewohnt, wird damit durch Art. 19 IStGH-Statut noch vergrößert.799 Dieser sucht Art. 18 Abs. 7 IStGH-Statut entgegenzuwirken.800 Ein Staat, der gegen die Entscheidung der Vorverfahrenskammer nach Art. 18 Abs. 4 IStGH-Statut Beschwerde eingelegt hat, kann die Zulässigkeit nur aufgrund zusätzlicher wesentlicher Tatsachen oder einer wesentlichen Änderung der Sachlage anfechten. Zu denken ist beispielsweise an den Fall, dass im Täterstaat ein Machtwechsel stattgefunden hat und die neue Regierung – anders als ihre Vorgängerin – willens und in der Lage ist, eine ernsthafte Verfolgung der völkerrechtlichen Verbrechen zu gewährleisten.801 794 Art. 19 Abs. 1 S. 2 IStGH-Statut. Siehe auch Prosecutor v. Kony et al. – Decision on the admissibility of the case under article 19(1), PTC II, ICC-02 / 04-01 / 05-377, 10. 3. 2009, Rn. 13 ff. 795 Akande (2003), S. 648. 796 Benvenuti, S. 47, Gargiulo, S. 84; Holmes (2002), S. 683; Junck, Rn. 616. 797 Art. 19 Abs. 7 IStGH-Statut. 798 Art. 19 Abs. 6 S. 3 IStGH-Statut. 799 Siehe auch Ambos (1998c), S. 225; ders. (1999c), S. 183; ders. (2008a), § 8 Rn. 12; Kaul (1998b), S. 128; ders. (2001b), S. 60; Broomhall (2003), S. 87; Hall (2003), S. 29; ders. (2004), S. 127; Mangold, S. 222. In diese Richtung auch Sarkin (1999), S. 799; Holmes (2002), S. 684. 800 Ambos (1999c), S. 183; ders. (2008a), § 8 Rn. 12. 801 Triffterer(-Ntanda Nsereko), Art. 18 IStGH-Statut Rn. 28.

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Art. 19 IStGH-Statut enthält zudem verschiedene Bestimmungen, die für eine prozessökonomische Ausgestaltung des Anfechtungsverfahrens sorgen sollen. So darf nach Art. 19 Abs. 4 IStGH-Statut jeder der in Absatz 2 genannten Berechtigten nur einmal die Anfechtung erklären. Die Anfechtung soll so früh wie möglich erfolgen und zwar grundsätzlich vor Eröffnung des Hauptverfahrens. Wird die Zulässigkeit später angefochten, so kann nur eine Verletzung des Ne-bis-in-idemGrundsatzes nach Art. 17 Abs. 1 lit. c) IStGH-Statut gerügt werden.802 Art. 19 Abs. 5 IStGH-Statut enthält zudem eine Präklusionsfrist. Bringt ein Staat die Anfechtung nicht zum frühestmöglichen Zeitpunkt vor, hat der Gerichtshof das Recht, die Anfechtung zurückzuweisen.803 Um zu verhindern, dass sich während des Anfechtungsverfahrens die Beweislage verschlechtert, kann der Ankläger nach Art. 19 Abs. 8 IStGH-Statut beweissichernde Maßnahmen beantragen. Auch wenn die Artt. 18; 19 IStGH-Statut versuchen, die ihnen innewohnende Gefahr der Verfahrensverzögerung und -verschleppung zu minimieren, bleibt diese doch in erheblichem Maße bestehen. In der Gesamtbetrachtung erscheinen die vorgesehenen Sicherungen nicht effizient genug, um einem Rechtsmissbrauch durch male fide handelnde Staaten wirksam entgegentreten zu können. Die Handlungsfähigkeit des Gerichtshofs wird durch die Überbetonung des Komplementaritätsgrundsatzes in Frage gestellt. Dies gilt vor allem mit Blick auf das Zusammenspiel der Artt. 18 und 19 IStGH-Statut. Da das Komplementaritätsprinzip primär dem Schutz staatlicher Souveränitätsinteressen dient, muss den Staaten die Möglichkeit gewährt werden, auf seine Einhaltung hinzuwirken. Die doppelte Zulässigkeitsprüfung sowohl nach Art. 18 wie auch nach Art. 19 IStGH-Statut ist aber nicht erforderlich. Der Unterschied zwischen beiden Vorschriften besteht darin, dass Art. 19 IStGH-Statut auf Fälle, Art. 18 IStGH-Statut hingegen auf Situationen anwendbar ist.804 Damit greift Art. 18 IStGH-Statut in einem früheren Verfahrensstadium, nämlich bereits vor einer Konkretisierung des Tatverdachts auf bestimmte Taten und Tatverdächtige, ein. Allerdings verpflichtet Art. 53 Abs. 1 S. 2 lit. b) IStGH-Statut den Ankläger von Beginn an, das Komplementaritätsprinzip zu beachten. Die staatlichen Souveränitätsinteressen finden hinreichend Berücksichtigung. Die automatische Verfahrensaussetzung und das anschließende Überprüfungssystem nach Art. 18 IStGH-Statut sind neben der Anfechtungsmöglichkeit des Art. 19 IStGH-Statut verzichtbar.805

Art. 19 Abs. 4 S. 3 IStGH-Statut. Triffterer(-Hall), Art. 19 IStGH-Statut Rn. 24. Siehe auch van Heeck, S. 338. Anders wohl Holmes (2002), S. 684: „There are no sanctions in the Statute or Rules to punish those States which do not challenge at the earliest moment.“ 804 Holmes (2001), S. 338; ders. (2002), S. 681; Olásolo (2005), S. 44. 805 Siehe auch Ambos (1999c), S. 183. 802 803

C. Das Verfahren vor dem IStGH

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VII. Ermittlungs- und Verfolgungsaufschub Der Sicherheitsrat kann, wenn er nach Kap. VII UN-Charta handelt, den Gerichtshof gemäß Art. 16 IStGH-Statut ersuchen, für einen Zeitraum von bis zu806 12 Monaten Ermittlungen und Strafverfolgungsmaßnahmen auszusetzen. Ein solches Ersuchen ist für Gericht und Ankläger bindend, ihnen kommt kein Ermessenspielraum zu.807 Zudem kann der Ermittlungs- und Verfolgungsaufschub unter den gleichen Voraussetzungen beliebig oft erneuert werden, so dass der Sicherheitsrat theoretisch ein Verfahren dauerhaft sperren kann.808

1. Ratio legis Gemäß Art. 24 Abs. 1 UN-Charta trägt der Sicherheitsrat die Hauptverantwortung für die Wahrung des Weltfriedens und der internationalen Sicherheit. Die Wiederherstellung des Friedens gehört auch zu den Aufgaben des IStGH. Allerdings suchen die beiden internationalen Organisationen ihr Ziel auf unterschiedliche Weise zu erreichen. Der Sicherheitsrat verfolgt den Ansatz „Frieden durch Politik“, der IStGH versucht hingegen „Frieden durch Recht“ herzustellen.809 Im Einzelfall können diese beiden Konzepte in Widerstreit geraten und dadurch das Ziel, die Schaffung von Frieden, gefährden. Art. 16 IStGH-Statut gibt dem Sicherheitsrat die Möglichkeit, Konflikte zwischen Friedenssicherung und Gerechtigkeit zu Gunsten der Ersteren zu lösen. Verhindert werden soll, dass die Ermittlungen des IStGH mit Maßnahmen des Sicherheitsrates zur Bewältigung einer Krisensituation kollidieren, diese eventuell sogar konterkarieren.810 In solchen Konstella806 Der Wortlaut legt zwar nahe, dass der Sicherheitsrat immer um einen 12monatigen Aufschub ersuchen muss. Es ist aber anerkannt, dass er die Zeitspanne nur nicht verlängern, aber beliebig verkürzen kann: Triffterer(-Bersmo / Pejic´), Art. 16 IStGH-Statut Rn. 21; Cassese (1999), S. 163; Condorelli / Villalpando (2002b), S. 648; Heilmann, S. 168. 807 Däubler-Gmelin (2005), S. 725; Heilmann, S. 164; van Heeck, S. 330. 808 Triffterer(-Bersmo / Pejic´), Art. 16 IStGH-Statut Rn. 25; Zwanenburg S. 138; Conetti, S. 133; Gargiulo, S. 91; Zakr, S. 472; Stahn (2003), S. 91; Kurth, S. 176; Mangold, S. 259. Siehe auch Irmscher, S. 480; Stahn (1998), S. 590; Hafner / Boone / Rübesame / Huston, S. 113; La Haye (1999), S. 13; Turone, S. 1141; Eser (2006), S. 119; Heilmann, S. 169; Wedgwood (1999), S. 97 hält es hingegen für möglich, Art. 16 IStGH-Statut so auszulegen, dass nur eine einmalige Verlängerung in Betracht kommt, die Suspensierung also auf maximal 24 Monate beschränkt ist. Der Wortlaut trägt allerdings eine derartige zeitliche Begrenzung nicht. Kritisch zu dieser Interpretation auch Heilmann, S. 169. 809 Kurth, S. 101. 810 Stahn (1998), S. 590; ders. (2003), S. 90; Triffterer(-Bersmo / Pejic´), Art. 16 IStGHStatut Rn. 10; Sur, S. 44; Wilmshurst (2001), S. 40; Harhoff (2001), S. 647; Condorelli / Villalpando (2002b), S. 646; Zimmermann (2002c), S. 44; Kurth, S. 84; Broomhall (2003), S. 82; Mangold, S. 257. Siehe auch Bergsmo, S. 42; Oosthuizen, S. 331; Gavron, S. 109; Akande (2003), S. 646; Gallant (2003a), S. 807; Eser (2003), S. 98; Däubler-Gmelin (2005), S. 725; Fixson, S. 218. Siehe auch Rodman, S. 120.

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Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

tionen ist es zwar möglich, dass der Ankläger gemäß Art. 53 Abs. 1 S. 2 lit. c), Abs. 2 lit. c) IStGH-Statut von Ermittlungen absieht.811 Allerdings muss er dabei auch die Schwere der Tat und die Interessen der Opfer beachten. Konflikte können nicht mit hinreichender Sicherheit ausgeschlossen werden. Zudem soll eine Abhängigkeit des Sicherheitsrats vom Ankläger vermieden werden. Jener sollte nicht darauf angewiesen sein, dass der Ankläger die politischen Implikationen seiner Handlungen richtig einschätzt, sondern nötigenfalls selbst Ermittlungen unterbinden können. 2. Zeitlicher Anwendungsbereich Der Sicherheitsrat kann nur einen Aufschub der Ermittlungen oder der Strafverfolgung bewirken. Das Ermittlungsverfahren beginnt aber erst, wenn der Ankläger nach Art. 53 IStGH-Statut feststellt, dass hierfür eine hinreichende Grundlage besteht. Die bis zu diesem Zeitpunkt erfolgenden Vorermittlungen können vom Sicherheitsrat nicht unterbunden werden.812 Im Übrigen kann ein Aufschubersuchen in jedem Verfahrensstadium, theoretisch auch erst während der Berufung,813 erfolgen. 3. Voraussetzungen des Aufschubersuchens Ein Aufschubersuchen nach Art. 16 IStGH-Statut setzt voraus, dass die Schwelle von Kapitel VII UN-Charta überschritten ist. Erforderlich ist die ausdrückliche Feststellung, dass die Ausübung der Gerichtsbarkeit durch den IStGH eine Bedrohung für den Frieden darstellt.814 Es genügt nicht, dass der UN-Sicherheitsrat lediglich auf die Konfliktsituation Bezug nimmt, die den faktischen Hintergrund des jeweiligen Verfahrens bildet.815 Eine solche Auslegung würde der ratio legis von Art. 16 IStGH-Statut nicht gerecht. Ein Konflikt zwischen Frieden und Gerechtigkeit kann nur vorliegen, wenn die Strafverfolgung selbst den Friedensprozess gefährdet. Diese Auslegung mag auf den ersten Blick zynisch wirken, setzt ein Aufschubersuchen hiernach die Behauptung voraus, der IStGH würde sich durch seine Ermittlungen in Widerspruch zu den in der UN-Charta niedergelegten Zielen der Friedenswahrung und -sicherung setzen.816 Sie bietet aber die Möglichkeit, die Siehe oben Teil 5 C. IV. 2. c) cc). Triffterer(-Bergsmo / Pejic´), Art. 16 IStGH-Statut Rn. 15; Stahn (2003), S. 90; el Zeidy, S. 1513; Kurth, S. 172; Heilmann, S. 166 – 167. 813 Kurth, S. 86; Triffterer(-Bergsmo / Pejic´), Art. 16 IStGH-Statut Rn. 14. 814 Cassese (1999), S. 163. Siehe auch Trifftererer(-Bergsmo), Art. 16 IStGH-Statut Rn. 24; Zappalà (2003), S. 119; Condorelli / Ciampi, S. 596; van Heeck, S. 332. 815 So aber Condorelli / Villalpando (2002b), S. 647; Kurth, S. 84; Heilmann, S. 172. Siehe auch Oosthuizen, S. 333. 816 So Safferling (2003b), S. 83. 811 812

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Einflussnahme des Sicherheitsrates auf Fälle zu begrenzen, in denen diese absolut notwendig ist. Außerdem ist es durchaus denkbar, dass an Friedensverhandlungen Personen beteiligt sind, die für völkerrechtliche Verbrechen verantwortlich sind. Haben diese immer noch erheblichen politischen Einfluss, können parallel zu den Verhandlungen durchgeführte Ermittlungen den Friedensprozess beeinträchtigen.817 4. Berechtigung zur Vornahme beweissichernder Maßnahmen? Es besteht die Gefahr, dass während der Dauer des Aufschubs Beweise vernichtet werden oder verloren gehen, einmalige Gelegenheiten zur Beweisaufnahme ungenutzt verstreichen.818 Daher wird zum Teil angenommen, dass dem Ankläger auch während des Aufschubs die Befugnisse nach Art. 54 Abs. 3 lit. f) IStGH-Statut zustehen, er also u. a. die notwendigen Maßnahmen zur Beweissicherung treffen kann.819 Hiergegen spricht aber der Wortlaut von Art. 16 IStGH-Statut. Es dürfen keine Ermittlungen eingeleitet oder fortgeführt werden. Art. 54 IStGH-Statut listet aber gerade typische Ermittlungsmaßnahmen auf. Diese zu verhindern ist Ziel des Aufschubersuchens.820 Unterstützt wird diese Ansicht durch die Entstehungsgeschichte. Ein Vorschlag Belgiens, Maßnahmen zur Beweissicherung und zum Zeugenschutz zuzulassen, wurde nicht übernommen.821 Ist der Ankläger aber nicht zur Vornahme beweissichernder Maßnahmen berechtigt, stellt sich die Frage, wie eine Verschlechterung der Beweislage verhindert werden kann. Art. 16 IStGH-Statut verlangt nur, dass die Gerechtigkeit für einen bestimmten Zeitraum zurücktreten muss. Verschlechtert sich die Beweislage während des Aufschubs derart, dass die Taten nicht mehr nachgewiesen werden können, ist eine Strafverfolgung nicht nur temporär, sondern endgültig ausgeschlossen. Ohne Gerechtigkeit ist ein dauerhafter und stabiler Frieden aber nur schwer vorstellbar. Dieser Erkenntnis trägt auch die zeitliche Begrenzung des Aufschubersuchens Rechnung. Verhindert werden muss, dass es nach Ablauf der 12 Monate aus faktischen Gründen nicht mehr möglich ist, die Täter zur Verantwortung zu ziehen. Der Sicherheitsrat könnte den Ankläger im Aufschubersuchen zur Beweissicherung berechtigen. Seine Befugnisse könnten der konkreten Situation entsprechend angepasst werden, um einen Konflikt mit friedenssichernden Maßnahmen zu verhindern.822 Bei dieser Lösung bestünde aber eine erhebliche Siehe oben Teil 5 C. IV. 2. c) cc). Gargiulo, S. 91; Ntanda Nsereko (1999), S. 112; Safferling (2003b), S. 83; el Zeidy, S. 1514; Kurth, S. 86; Heilmann, S. 168. 819 Triffterer(-Bergsmo / Pejic´), Art. 16 IStGH-Statut Rn. 20. 820 Condorelli / Villalpando (2002b), S. 652. 821 Siehe Ntanda Nsereko (1999), S. 112 Fn. 87. 822 In diese Richtung Triffterer(-Bergsmo / Pejic), Art. 16 IStGH-Statut Rn. 20; Heilmann, S. 168. 817 818

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Abhängigkeit des Anklägers von politischen Erwägungen und den Machtverhältnissen im Sicherheitsrat. Daher spricht im Ergebnis mehr dafür, dem Ankläger generell – vielleicht nach dem Vorbild des Art. 18 Abs. 6 IStGH-Statut – das Recht einzuräumen, notwendige Maßnahmen zur Beweissicherung durchzuführen. Dem Sicherheitsrat sollte dann aber das Recht zustehen, diese entsprechend der Bedürfnisse im Einzelfall zu modifizieren, nicht aber vollständig auszusetzen. Dadurch würde die Balance zwischen der Durchführung notwendiger Sicherungsmaßnahmen einerseits und dem ungestörten Ablauf des Friedensprozesses andererseits gewahrt bleiben. Auch ohne zur Vornahme von beweissicherenden Maßnahmen berechtigt zu sein, hat der Ankläger aber bereits jetzt die Möglichkeit, beeinträchtigende Wirkungen des Aufschubersuchens zu begrenzen. Letztendlich liegt es in seinem Ermessen, wann er die Vorermittlungen beendet. Droht ein Aufschubersuchen, kann es sinnvoll sein, diese Verfahrensphase so lange wie möglich auszudehnen. Die bereits sichergestellten Beweise können während der Dauer des Aufschubs aufbewahrt und im späteren Prozess eingesetzt werden.823 Eng mit dieser Problematik verbunden ist die Frage, ob sich der Ermittlungsaufschub auch auf Opfer- und Zeugenschutzmaßnahmen auswirkt. Art. 16 IStGHStatut verlangt nicht, dass bereits eingeleitete Ermittlungsschrittte wieder rückgängig gemacht werden. Maßnahmen, die vor dem Aufschubersuchen eingeleitet wurden, können daher unverändert fortlaufen. Schwieriger ist die Frage zu beantworten, ob neue Schutzmaßnahmen eingeleitet, beispielsweise weitere Zeugen in Schutzprogramme aufgenommen werden können. Werden während des Aufschubersuchens Belastungszeugen getötet, gefährdet dies nicht nur die Effektivität der internationalen Strafrechtspflege. Vielmehr wird man aus humanitären Erwägungen heraus verlangen müssen, dass der IStGH sich nach Kräften bemühen muss, Opfer und Zeugen vor Gefahren, die sich aus der Zusammenarbeit mit dem Gerichtshof ergeben, zu schützen. Dies muss auch dann gelten, wenn aus politischen Gründen das Verfahren zeitweilig ausgesetzt wird. Daher sollte die Schutzpflicht des Art. 68 Abs. 1 IStGH-Statut824 vom Sicherheitsrat nicht suspendiert werden können. Dies lässt sich auch mit dem Wortlaut des Art. 16 IStGH-Statut begründen. Der IStGH darf während des Aufschubersuchens keine Ermittlungen und keine Strafverfolgung einleiten oder fortführen. Opfer- und Zeugenschutzmaßnahmen dienen aber nicht primär der Tataufklärung, sondern dem Schutz elementarer Rechte der Betroffenen. Von ihnen dürften zudem kaum Gefahren für den Friedensprozess ausgehen, so dass Art. 16 IStGH-Statut auch seiner ratio nach nicht einschlägig ist.

823 824

Siehe auch Hall (2003), S. 53. Siehe hierzu unten Teil 5 D. IX. 1.

C. Das Verfahren vor dem IStGH

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5. Unzulässiger Eingriff in die Unabhängigkeit des Gerichts? Art. 16 IStGH-Statut wird als schwerer politischer Eingriff in die Unabhängigkeit von Ankläger und Gericht angesehen.825 Verstärkt wird dies dadurch, dass das IStGH-Statut keine gerichtliche Kontrolle des Aufschubersuchens vorsieht, diese daher zum Teil nicht für möglich gehalten wird.826 Allerdings hat das ICTY im Tadic-Urteil seine eigene Rechtmäßigkeit und dabei auch inzident die Rechtmäßigkeit der Sicherheitsratsresolutionen 827 (1993) überprüft.827 Das ICTY billigte dem UN-Sicherheitsrat bei Maßnahmen nach Kapitel VII UN-Charta zwar einen erheblichen Ermessenspielraum zu,828 ohne allerdings der Ansicht zu sein, dass sich diese als rein politische Entscheidungen der gerichtlichen Kontrolle vollständig entzögen829. Da es sich bei Art. 16 IStGH-Statut um eine Vorschrift handelt, die die Gerichtsbarkeit des IStGH betrifft,830 dürfte die Argumentation des ICTY übertragbar sein. Zumindest eine inzidente Kontrolle erscheint daher – wenn auch nur in begrenztem Umfang – möglich.831 Dies ändert aber nichts daran, dass Art. 16 IStGH-Statut dem politischen Gremium Sicherheitsrat eine erhebliche Einflussnahme auf den Gerichtshof gestattet. Art. 23 Abs. 3 des Entwurfes der ILC war allerdings noch weit reichender. Dieser sah vor, dass Ermittlungen automatisch einzustellen sind, wenn eine Situation betroffen ist, die vom Sicherheitsrat als Bedrohung des Friedens behandelt wird – es sei denn, der Sicherheitsrat ermächtigt den IStGH ausdrücklich, Ermittlungen aufzunehmen. Im Vergleich zu diesem Vorschlag ist Art. 16 IStGH-Statut als großer Fortschritt zu begrüßen, da eine automatische Verfahrensaussetzung verhindert werden konnte. Unter Art. 16 IStGH-Statut muss der Sicherheitsrat aktiv tätig werden, um einen Aufschub zu erreichen. Wäre der Vorschlag der ILC übernommen worden, hätte der Gerichtshof stark an Unabhängigkeit und Effektivität eingebüßt.832 Zudem darf die praktische Relevanz von Art. 16 IStGH-Statut nicht überschätzt werden. Die Vetorechte der ständigen Mitglieder des Sicherheitsrates wirken sich zugunsten der Ermittlungen aus.833 Simmt nur eins gegen ein Ersuchen nach 825 Conetti, S. 133; de Bertodano, S. 423; Eser (2006), S. 119. Kritisch auch AI, IOR 40 / 01 / 97, S. 111; Roggemann (1998a), S. 509; Stahn (1998), S. 590; Elaraby, S. 47; el Zeidy, S. 1509; Safferling (2003b), S. 82; Mokhtar, S. 302; Kurth, S. 177. Siehe auch Oosthuizen, S. 330; Däubler-Gmelin (2005), S. 725. 826 Siehe Condorelli / Villalpando (2002b), S. 651; Oosthuizen, S. 332. 827 Tadic´ AC, IT-94-1, o. Fn. 235, Rn. 28 – 48. 828 Tadic´ AC, IT-94-1, o. Fn. 235, Rn. 28. 829 Tadic´ AC, IT-94-1, o. Fn. 235, Rn. 23 – 25. 830 Kurth, S. 194. 831 Siehe auch Zappalà (2003), S. 119; Brubacher, S. 87; Sarooshi (2004), S. 113 – 114; Kurth, S. 196 – 199. 832 So auch Lattanzi (1999b), S. 65; Mokhtar, S. 303.

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Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

Art. 16 IStGH-Statut, kann der Ankläger weiter ermitteln. Selbst wenn sich alle fünf ständigen Mitglieder für einen Verfahrensaufschub aussprechen, haben immer noch die übrigen Mitglieder die Möglichkeit, sie zu überstimmen.834 Daher ist es äußerst unwahrscheinlich, dass das Ersuchen wiederholt wird. Ein willkürlicher, langandauernder oder sogar permanenter Verfahrensaufschub ist nahezu ausgeschlossen.835 Dies bestätigt auch die bisherige Praxis. Auf massiven Druck der USA836 ersuchte der Sicherheitsrat den IStGH, alle Verfahren für ein Jahr auszusetzen, wenn Straftaten von Drittstaatenangehörigen in Frage stehen, die im Zusammenhang mit einer UN-Friedensmission begangen worden sein sollen.837 Obwohl die Rechtmäßigkeit eines solchen Blankettersuchens ausgesprochen zweifelhaft ist,838 gelang es den USA, eine Verlängerung zu erwirken.839 Vor dem Hintergrund schwerer Menschenrechtsverletzungen durch Angehörige der amerikanischen Streitkräfte in Abu Ghraib war die Mehrheit der Mitglieder des Sicherheitsrats aber 2004 nicht mehr bereit, erneut eine Verlängerung mitzutragen. 840 Die Sonderreglung für Friedensmissionen lief am 30. 6. 2004 aus. Selbst den USA ist es nicht gelungen, Art. 16 IStGH-Statut dauerhaft zur Durchsetzung nationaler Interessen zu benutzen. Dies lässt hoffen, dass sich die Einflussnahme des Sicherheitsrates in akzeptablen Grenzen halten wird. 6. Zusammenfassung Art. 16 IStGH-Statut gewährt dem Sicherheitsrat eine erhebliche Einflussmöglichkeit auf das Verfahren vor dem IStGH. Legt man ihn aber in der hier vorgeschlagenen Weise aus – verlangt man vor allem, dass von den Ermittlungen bzw. der Strafverfolgung die Friedensbedrohung ausgehen muss –, so erfasst er nur Fälle, in denen die Einflussnahme des politischen Gremiums Sicherheitsrat auf den 833 Bergsmo, S. 42; McCormack / Sue Robertson, S. 642; Irmscher, S. 480; Roggemann (1998a), S. 509; Stahn (1998), S. 590; La Haye (1999), S. 14; Hoffmeister / Knoke, S. 804; Lattanzi (1999a), S. 443; Oosthuizen, S. 333; Scharf (1999), S. 651; Roger S. Clark (2000), S. 215; Bolton, S. 177; Henzelin, S. 234; McNerney, S. 185; Wilmshurst (2001), S. 40; Zakr, S. 473; Yang (2003), S. 605; Broomhall (2003), S. 82; O’Shea, S. 125; Heilmann, S. 177. 834 Art. 27 Abs. 3 UN-Charta. Siehe auch Yee, S. 150. 835 Siehe Gavron, S. 109; Cassese (1999), S. 163; Schabas (2004b), S. 716. Kritisch Eser (2006), S. 119 m. w. N. 836 Siehe hierzu Kurth, S. 167 – 170. 837 Sicherheitsratsresolution 1422 (2002) vom 12. 7. 2002. 838 Dies betrifft zum einen die Frage, ob die Voraussetzung nach Kapitel VII UN-Charta erfüllt sind, also ob eine Friedensbedrohung vorliegt. Zum anderen setzt Art. 16 IStGH-Statut einen Bezug zu einem konkreten Verfahren voraus. Siehe Deen-Racsmány, S. 353; el Zeidy, S. 1503; Coulée, S. 51 – 58; Mokhtar, S. 295; Stahn (2003), S. 85; Quénivet, S. 29; Jain, S. 239; Abass (2005), S. 263; Fixson, S. 219 – 220; Kurth, S. 146 – 177; Heilmann, S. 225 – 237. 839 Sicherheitsratsresolution 1487 (2003) vom 12. 6. 2003. 840 Siehe zu den Hintergünden Kurth, S. 142 – 143.

C. Das Verfahren vor dem IStGH

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IStGH akzeptabel ist.841 Dies gilt umso mehr, als die Straftatbestände des IStGHStatuts auch den Weltfrieden schützen. Es wäre systemwidrig, wenn die internationale Gemeinschaft Ermittlungen hinnehmen müsste, die dieses Rechtsgut weiter gefährden. In diesen Fällen ist den Individualopfern das zeitlich begrenzte Zurückstehen der Gerechtigkeit zuzumuten. Es muss allerdings gewährleistet sein, dass sich die Beweislage während des Aufschubs nicht derart verschlechtert, dass eine Strafverfolgung dauerhaft ausgeschlossen ist. Daher sollte es dem Ankläger ermöglicht werden, unter Berücksichtigung der situativen Besonderheiten Maßnahmen zur Beweissicherung zu treffen.

VIII. Ermittlungsverfahren Das Ermittlungsverfahren wird vom Ankläger geleitet. Ihm stehen zum Zwecke der Wahrheitsfindung842 die in Art. 54 Abs. 2 und 3 IStGH-Statut genannten Befugnisse zu. Während der gesamten Ermittlungen sind die Interessen und persönlichen Lebensumstände der Opfer und Zeugen zu berücksichtigen.843 Dies betrifft vor allem die Auswahl der Zeugen, die Art der Vernehmung844 sowie Maßnahmen zum Zeugenschutz845.

1. Die Rolle der Vorverfahrenskammer Die Ermittlungen des Anklägers werden durch die Vorverfahrenskammer begleitet. Der Ankläger kann nur über bloße Ermittlungsmaßnahmen, die nicht in Grundund Menschenrechte eingreifen, aus eigenem Recht entscheiden.846 Bei Zwangsmaßnahmen muss er zuvor nach Maßgabe von Artt. 57; 58 IStGH-Statut die Zustimmung der Vorverfahrenskammer einholen. So erlässt diese beispielsweise auf Antrag des Anklägers die für die Zwecke der Ermittlungen erforderlichen Anordnungen847, Ladungen848 oder Haftbefehle849. Darüber hinaus kann die VorverfahSo auch Schabas (2004b), S. 716. Siehe Art. 54 Abs. 1 lit. a) IStGH-Statut. 843 Art. 54 Abs. 1 lit. b) IStGH-Statut. 844 Zur Vermeidung einer sekundären Viktimisierung Teil 5 D. VIII. 845 Hierzu unten Teil 5 D. IX. 846 Ambos (2008a), § 8 Rn. 20e. Siehe auch Mangold, S. 224. 847 Art. 57 Abs. 3 lit. a) IStGH-Statut. 848 Art. 58 Abs. 7 IStGH-Statut. Siehe Prosecutor v. Abu Garda – Summons to Appear for Bahr Idriss Abu Garda, PTC I, ICC-02 / 05-02 / 09-2, 7. 5. 2009. 849 Art. 58 Abs. 1 IStGH-Statut. Siehe Prosecutor v. Kony et. al. – Warrant of Arrest for Joseph Kony issued on 8 July 2005 as amended on 27 September 2005, PTC II, ICC-02 / 04-01 / 05-53, 8. 7. 2005; Prosecutor v. Kony et. al. – Warrant of Arrest for Vincent Otti, PTC II, ICC-02 / 04-01 / 05-54, 8. 7. 2005; Prosecutor v. Kony et al. – Warrant of Arrest for 841 842

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Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

renskammer auch aus eigenem Recht bestimmte Maßnahmen treffen. So ermächtigt sie Art. 57 Abs. 3 lit. c) IStGH-Statut für den Schutz von Opfern und Zeugen und der Wahrung ihrer Privatsphäre, die Sicherung von Beweismitteln, den Schutz der festgenommenen oder aufgrund einer Ladung erschienenen Personen sowie den Schutz von Informationen, welche die nationale Sicherheit betreffen, Sorge zu tragen. Besteht eine einmalige Ermittlungsgelegenheit, muss der Ankläger gemäß Art. 56 IStGH-Statut ebenfalls die Vorverfahrenskammer einschalten und diese gegebenenfalls ersuchen, die notwendigen Maßnahmen zu ergreifen, um die Wirksamkeit und ordnungsgemäße Durchführung des Verfahrens zu gewährleisten. Gewinnt die Kammer den Eindruck, dass der Ankläger Beweismitteln, die später für die Verteidigung wesentlich sein könnten, nicht hinreichend Beachtung schenkt, kann sie auch selbst tätig werden und die notwendigen Schritte zur Beweissicherung einleiten.850 Befindet sich eine Person im Gewahrsam des Gerichts, hat die Vorverfahrenskammer gemäß Art. 60 IStGH-Statut dafür Sorge zu tragen, dass diese über ihre Rechte informiert wird. Zudem entscheidet sie auf Antrag des Inhaftierten851 oder aus eigenem Antrieb852 über die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft. Gelangt sie zu dem Schluss, dass die in Art. 58 Abs. 1 IStGH-Statut genannten Voraussetzungen noch vorliegen, erhält sie den Haftbefehl aufrecht. Okot Odhiambo, PTC II, ICC-02 / 04-01 / 05-56, 8. 7. 2005; Prosecutor v. Kony et al. – Warrant of Arrest for Dominic Ongwen, PTC II, ICC-02 / 04-01 / 05-57, 8. 7. 2005; Prosecutor v. Lubanga – Warrant of Arrest, PTC I, ICC-01 / 04-01 / 06-2, 10. 2. 2006; Prosecutor v. Ntaganda – Warrant of arrest against Bosco Ntaganda, PTC I, ICC-01 / 04-02 / 06-2, 22. 8. 2006; Prosecutor v. Harun & Kushayb – Warrant of Arrest for Ahmad Harun, PTC I, ICC-02 / 05-01 / 07-2-Corr, 27. 4. 2007; Prosecutor v. Harun & Kushayb – Warrant of Arrest for Ali Kushayb, ICC-02 / 05-01 / 07-3-Corr, 27. 4. 2007; Prosecutor v. Katanga & Ngudjolo – Warrant of Arrest of Germain Katanga, PTC I, ICC-01 / 04-01 / 07-1, 2. 7. 2007; Prosecutor v. Katanga & Ngudjolo – Warrant of Arrest for Mathieu Ngudjolo Chui, PTC I, ICC-01 / 04-01 / 07-260, 6. 7. 2007; Prosecutor v. Bemba Gombo – Mandat d’arrêt à l’encontre de Jean-Pierre Bemba Gombo, PTC III ICC-01 / 05-01 / 08, 23. 5. 2008; Prosecutor v. Al Bashir – Warrant of Arrest for Omar Hassan Ahmad Al Bashir, PTC I, ICC-02 / 05-01 / 09-1, 4. 3. 2009. Gegen Raska Lubwiya wurde ebenfalls ein Haftbefehl erlassen, Prosecutor v. Kony et al. – Warrant of Arrest for Raska Lukwiya, PTC II, ICC-02 / 04-01 / 05-55, 8. 7. 2005. Allerdings verstarb Raska Lubwiya bereits während des Ermittlungsverfahrens. Das Verfahren gegen ihn wurde daraufhin eingestellt, der Haftbefehl aufgehoben, Prosecutor v. Kony et al. – Decision to Terminate the Proceedings Against Raska Lubwiya, PTC II, ICC-02 / 04-01 / 05-248, 11. 7. 2007. 850 Art. 56 Abs. 3 IStGH-Statut. 851 Siehe Prosecutor v. Lubanga – Request for furher information regarding the confirmation hearing and for appropriate relief to safeguard the Rights of the Defence and Thomas Lubanga Dyilo, ICC-01 / 04-01 / 06-452, 20. 9. 2006; Prosecutor v. Bemba Gombo – Application for interim release, ICC-01 / 05-01 / 08-49, 23. 7. 2008. 852 Prosecutor v. Katanga & Ngudjolo – Decision Concerning Pre-Trial Detention of Germain Katanga, PTC I, ICC-01 / 04-01 / 07-222, 21. 2. 2008, S. 6; Prosecutor v. Katanga & Ngudjolo – Decision on the powers of the Pre-Trial Chamber to review proprio motu the pretrial detention of Germain Katanga, PTC I, ICC-01 / 04-01 / 07-330, 18. 3. 2008, S. 8.

C. Das Verfahren vor dem IStGH

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Im Anschluss ist die Kammer gemäß Art. 60 Abs. 3 IStGH-Statut verpflichtet, in regelmäßigen Abständen, wenigstens aber alle 120 Tage,853 erneut über die Rechtmäßigkeit der Inhaftierung zu entscheiden.854 Darüber hinaus haben Ankläger und Inhaftierter jederzeit das Recht, eine Haftprüfung zu beantragen. Die umfassende gerichtliche Kontrolle des Anklägers bereits während der Ermittlungen markiert einen wesentlichen Unterschied zum Prozessrecht der Ad-hocTribunale855 und bringt eine typische civil-law-Komponente ins Verfahren ein856.

2. Die Bedeutung der Rechtshilfe im Ermittlungsverfahren Der IStGH verfügt über keine eigenen Vollzugsorgane. Ermittlungen vor Ort sind dem Ankläger zudem nur in Zusammenarbeit mit dem betroffenen Staat oder aufgrund einer Ermächtigung der Vorverfahrenskammer gestattet.857 Er ist daher in erheblichem Maße auf die Kooperation der Nationalstaaten und des Sicherheitsrates angewiesen.858 Von hoher praktischer Relevanz sind Ersuchen um die Festnahme und Überstellung von Beschuldigten;859 aber auch die Lokalisierung und Rule 118 Abs. 2. Siehe Prosecutor v. Lubanga – Decision reviewing the „Decision on the Application for the Interim Release of Thomas Lubanga Dyilo“, TC I, ICC-01 / 04-01 / 06-976, 9. 10. 2007; Prosecutor v. Lubanga – Decision on the Application for the interim release of Thomas Lubanga Dyilo, PTC I, ICC-01 / 04-01 / 06-586, 18. 10. 2006; Prosecutor v. Lubanga – Review of the „Decision on the Application for the interim release of Thomas Lubanga Dyilo“, PTC I, ICC-01 / 04-01 / 06-826, 14. 2. 2007; Prosecutor v. Lubanga – Second Review of the „Decision on the Application for Interim Release of Thomas Lubanga Dyilo“, PTC I, ICC-01 / 04-01 / 06-924, 11. 6. 2007; Katanga & Ngudjolo, PTC I, ICC-01 / 04-01 / 07-222, o. Fn. 852; Prosecutor v. Katanga & Ngudjolo – Decision on the Application for Interim Release of Mathieu Ngudjolo Chui, PTC I, ICC-01 / 04-01 / 07-345-Corr, 27. 3. 2008. 855 Bitti, S. 275. Siehe auch die Analyse bei Mangold, S. 193 – 212 sowie Ntanda Nsereko (2004), S. 7. 856 Bitti, S. 275; Orie, S. 1475. 857 Art. 54 Abs. 2 i. V. m. Art. 57 Abs. 3 lit. d) IStGH-Statut. 858 Bergsmo, S. 41; Lattanzi (1999b), S. 57; Cassese (1999), S. 164; Penrose, S. 364; Wäspi, S. 2451; Harhoff (2001), S. 649; ders. (2000), S. 58; Danner, S. 518; Goldstone (2003), Rn. 2; Informal expert paper, ICC-OTP 2003a, Rn. 4; Ceremony for the solemn undertaking of the Chief Prosecutor oft the International Criminal Court, Statement made by Mr. Luis Moreno-Ocampo, 16 June 2003, 2; Othman, S. 4; Piacente, S. 6; Walpen, S. 9; Sarooshi (2004a), S. 941; Ambos (2006), S. 115; Kaul (2006), S. 101; Kurth, S. 54; OTP (2006b), Rn. 78; Stefanie Bock (2007b), S. 227; van Heeck, S. 213; Philippe Kirsch (2007), S. 546; Arsanjani / Reisman, S. 340 – 341; Burke-White (2008), S. 64; Blattmann / Bowman, S. 722. Siehe auch Jallow, S. 8; OTP (2006a), S. 8 und 9. 859 Siehe Prosecutor v. Kony et al. – Request for Arrest and Surrender of Vincent Otti, PTC II, ICC-02 / 04-01 / 05-13, 8. 7. 2005; Prosecutor v. Kony et al. – Request for Arrest and Surrender of Raska Lukwiya, PTC II, ICC-02 / 04-01 / 05-14, 8. 7. 2005; Prosecutor v. Kony et al. – Request for Arrest and Surrender of Okot Odhiambo, PTC II, ICC-02 / 04-01 / 05-15, 8. 7. 2005; Prosecutor v. Kony et al. – Request for Arrest and Surrender of Dominic Ongwen, 853 854

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Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

Einziehung von Vermögenswerten ist ohne die Mitwirkung der Nationalstaaten kaum zu bewerkstelligen.860 Die Mitgliedstaaten sind grundsätzlich nach Maßgabe der Artt. 86 – 102 IStGHStatut zur Rechtshilfe verpflichtet. Um die Zusammenarbeit zu erleichtern und von Formalitäten zu befreien, können auch Kooperationsübereinkommen mit dem PTC II, ICC-02 / 04-01 / 05-16, 8. 7. 2005; Prosecutor v. Kony et al. – Request for Arrest and Surrender of Joseph Kony issued on 8 July 2005 as amended on 27 September 2005, PTC I, ICC-02 / 04-01 / 05-29, 27. 9. 2005; Prosecutor v. Kony et al. – Request to the Democratic Republic of Congo for Arrest and Surrender of Joseph Kony, PTC II, ICC-02 / 04-01 / 05-30, 27. 9. 2005; Prosecutor v. Kony et al. – Request to the Democratic Republic of Congo for Arrest and Surrender of Vincent Otti, PTC II, ICC-02 / 04-01 / 05-31, 27. 9. 2005; Prosecutor v. Kony et al. – Request to the Democratic Republic of Congo for Arrest and Surrender of Okot Odhiambo, PTC II, ICC-02 / 04-01 / 05-32, 27. 9. 2005; Prosecutor v. Kony et al. – Request to the Democratic Republic of Congo for Arrest and Surrender of Dominic Ongwen, PTC II, ICC-02 / 04-01 / 05-33, 27. 9. 2005; Prosecutor v. Kony et al. – Request to the Democratic Republic of Congo for Arrest and Surrender of Raska Lukwiya, PTC II, ICC-02 / 04-01 / 05-34, 27. 9. 2005; Prosecutor v. Kony et al. – Request to the Republic of Sudan for Arrest and Surrender of Joseph Kony, PTC II, ICC-02 / 04-01 / 05-35, 27. 9. 2005; Prosecutor v. Kony et al. – Request to the Republic of Sudan for Arrest and Surrender of Vincent Otti, PTC II, ICC-02 / 04-01 / 05-36, 27. 9. 2005; Prosecutor v. Kony et al. – Request to the Republic of Sudan for Arrest and Surrender of Okot Odhiambo, PTC II, ICC-02 / 04-01 / 05-37, 27. 9. 2005; Prosecutor v. Kony et al. – Request to the Republic of Sudan for Arrest and Surrender of Dominic Ongwen, PTC II, ICC-02 / 04-01 / 05-38, 27. 9. 2005; Prosecutor v. Kony et al. – Request to the Republic of Sudan for Arrest and Surrender of Raska Lukwiya, PTC II, ICC-02 / 04-01 / 05-39, 27. 9. 2005; Prosecutor v. Lubanga – Demande d’arrestation et de remise de m. Thomas Lubanga Dyilo adressée à la République démocratique du Congo, PTC I, ICC-01 / 04-01 / 06-8-US-Corr, 24. 2. 2006; Prosecutor v. Harun & Kushayb – Request to the Republic of the Sudan for Arrest and Surrender of Ahmad Harun, PTC I, ICC-02 / 05-01 / 07-13, 4. 6. 2007; Prosecutor v. Harun & Kushayb – Request to the Republic of the Sudan for Arrest and Surrender of Ali Kushayb, PTC I, ICC-02 / 05-01 / 07-14, 4. 6. 2007; Prosecutor v. Harun & Kushayb – Request to the Arab Republic of Egypt, Eritrea, the Federal Democratic Republic of Ethiopia and the Libyan Arab Jamahiriya for Arrest and Surrender of Ahmad Harun, PTC I, ICC-02 / 05-01 / 07-15-Corr, 4. 6. 2007; Prosecutor v. Harun & Kushayb – Request to the Arab Republic of Egypt, Eritrea, the Federal Democratic Republic of Ethiopia and the Libyan Arab Jamahiriya for Arrest and Surrender of Ali Kushayb, PTC I, ICC-02 / 05-01 / 07-16-Corr, 4. 6. 2007; Prosecutor v. Harun & Kushayb – Request to State Parties of the Rome Statute for Arrest and Surrender of Ahmad Harun, PTC I, ICC-02 / 05-01 / 07-17, 4. 6. 2007; Prosecutor v. Harun & Kushayb – Request to State Parties of the Rome Statute for Arrest and Surrender of Ali Kushayb, PTC I, ICC-02 / 05-01 / 07-18, 4. 6. 2007; Prosecutor v. Harun & Kushayb – Request to United Nations Security Council members that are not states parties to the Statute for the arrest and surrender of Ahmad Harun, PTC I, ICC-02 / 05-01 / 07-19, 4. 6. 2008; Prosecutor v. Harun & Kushayb – Request to United Nations Security Council members that are not states parties to the Statute for the arrest and surrender of Ali Kushayb, PTC I, ICC-02 / 05-01 / 07-20, 4. 6. 2008; Prosecutor v. Al Bashir – Request to the Republic of the Sudan for the Arrest and Surrender of Omar Al Bashir, PTC I, ICC-02 / 05-01 / 09-5, 5. 3. 2009; Prosecutor v. Al Bashir – Request to all States Parties to the Rome Statute for the Arrest and Surrender of Omar Al Bashir, PTC I, ICC-02 / 05-01 / 09-7, 6. 3. 2009; Prosecutor v. Al Bashir – Request to all United Nations Security Council Members that are not States Parties to the Rome Statute for the Arrest and Surrender of Omar Al Bashir, PTC I, ICC-02 / 05-01 / 09-8, 6. 3. 2009.

C. Das Verfahren vor dem IStGH

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Täter- oder Tatortstaat geschlossen werden. Von dieser Möglichkeit hat der Ankläger in der Situation Kongo Gebrauch gemacht. Neben dem Informationsaustausch sind vor allem die Befugnisse des Anklägers auf dem Hoheitsgebiet des Kongo geregelt.861 Darüber hinaus kann der Ankläger gemäß Art. 54 Abs. 3 lit. c) IStGHStatut auch internationale Organisationen um Unterstützung bitten. Drittstaaten können vom UN-Sicherheitsrat zur Kooperation verpflichtet werden862 oder auf freiwilliger Basis mit dem IStGH zusammenarbeiten. Zudem kann sich ein Drittstaat gegenüber dem IStGH in einem Ad-hoc-Übereinkommen nach Art. 87 Abs. 5 IStGH-Statut zur Rechtshilfe verpflichten. Denkbar ist auch eine Zusammenarbeit des IStGH mit einer – noch zu gründenden – Justice Rapid Response.863 Die Mitgliedstaaten haben allerdings unter bestimmten Voraussetzungen das Recht, ein Rechtshilfeersuchen abschlägig zu bescheiden. Insbesondere dürfen sie Beweismaterial aus Gründen der nationalen Sicherheit zurückhalten.864 Von größerer Bedeutung dürfte allerdings die faktische Kooperationsverweigerung sein.865 Dies gilt umso mehr, als der IStGH in Folge des Komplementaritätsgrundsatzes nur dann zuständig ist, wenn der Staat unfähig oder unwillig ist, die Straftaten zu verfolgen.866 Ist ein Staat aber wegen des völligen oder weitgehenden Zusammenbruchs seines Justizsystems nicht in der Lage, Ermittlungen selbst durchzuführen, wird er auch den Ankläger kaum unterstützen können.867 In diesen Fällen kann der Ankläger aber immerhin nach Maßgabe des Art. 99 Abs. 4 IStGH-Statut selbst vor Ort tätig werden. Zudem dürfte der Staat, der Ermittlungen zwar will, sie aber nicht durchführen kann, dem Ankläger auch weiter reichende Befugnisse zugestehen. Ist ein Staat hingegen nicht willens, die völkerrechtlichen Verbrechen selbst zu verfolgen, wird er – ungeachtet bestehender Kooperationspflichten – typischerweise auch nicht zur Zusammenarbeit mit dem IStGH bereit sein. Es ist vielmehr wahrscheinlich, dass der Staat versucht, die Ergreifung beschuldigter Personen zu verhindern und dem Ankläger den Zugriff auf relevantes Beweismaterial zu erschweren.868 860 Siehe Prosecutor v. Lubanga – Demande adressée à la République démocratique du Congo en vue d’obtenir l’identification, la localisation, le gel et la saisie des biens et avoirs de m. Thomas Lubanga Dyilo, PTC I, ICC-01 / 04-01 / 06-22, 9. 3. 2006; Prosecutor v. Lubanga – Request to State Parties of the Rome Statute for the Identification, Tracing and Freezing or Seizure of the Property and Assets of Mr. Thomas Lubanga Dyilo, PTC I, ICC-01 / 04-01 / 06-62, 31. 3. 2006. 861 Chapitre 4 et 5 des Accord de coopération judiciaire entre la République Démocratique du Congo et le Bureau du Procureur de la Cour Pénale Internationale vom 18. 3. 2006. 862 Siehe hierzu oben Teil 5 C. I. 6. a) bb) (2) (c). 863 Justice Rapid Response Feasibility Study (October 2005), S. 80. Siehe hierzu oben Teil 5 C. III. 3. a) bb). 864 Artt. 93 Abs. 4, 72 IStGH-Statut. 865 Siehe schon für das ICTY Harmon / Gaynor, S. 409. 866 Bergsmo, S. 44. 867 van Heeck, S. 253.

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Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

Wenn ein Staat seiner Kooperationspflicht nicht nachkommt, kann der Gerichtshof nach Maßgabe des Art. 87 Abs. 7 IStGH-Statut die Sache der Versammlung der Vertragsstaaten oder – sofern das Verfahren nach Art. 13 lit. b) IStGH-Statut ausgelöst wurde – dem Sicherheitsrat übergeben. Eine bloße Verurteilung des säumigen Staates durch die Versammlung der Vertragsstaaten ist zwar möglich,869 dürfte aber regelmäßig wirkungslos bleiben.870 Es ist vielmehr Aufgabe der Vertragsstaaten und der Vereinten Nationen, durch diplomatischen Druck oder ökonomische Sanktionen wenigstens ein Mindestmaß an Kooperationsbereitschaft zu erwirken.871 Als Beispiel kann auf das Verhältnis des ICTY zu Serbien und Kroatien verwiesen werden. Diese Länder können nur damit rechnen, in die EU aufgenommen zu werden, wenn sie uneingeschränkt mit dem Tribunal kooperieren.872 Festzuhalten bleibt, dass der Ankläger nur dann zu effektiven Ermittlungen in der Lage ist, wenn er durch die Staatengemeinschaft und internationale Organisationen unterstützt wird.

3. Abschluss der Ermittlungen Stellt der Ankläger nach Maßgabe des Art. 53 Abs. 2 IStGH-Statut fest, dass es für eine Strafverfolgung keine hinreichende Grundlage gibt, stellt er die Ermittlungen ein. Dies ist der Fall, wenn der Ankläger bei der Vorverfahrenskammer keinen Haftbefehl oder eine Ladung beantragen kann oder wenn die Sache nach Art. 17 IStGH-Statut unzulässig ist.873 Ebenso beendet der Ankläger das Ermittlungsverfahren, wenn eine Strafverfolgung nicht im Interesse der Gerechtigkeit liegt. Diese Voraussetzung stimmt mit Art. 53 Abs. 1 S. 2 lit. c) IStGH-Statut überein. Die Einstellungsentscheidung kann nach Maßgabe von Art. 53 Abs. 3 IStGH-Statut von der Vorverfahrenskammer überprüft werden. Die oben unter IV 2 gemachten Ausführungen gelten entsprechend. Erhärten die Ermittlungen den Tatverdacht, kann der Ankläger nach Art. 58 IStGH-Statut den Erlass eines Haftbefehls beantragen. Voraussetzung ist, dass ein begründeter Verdacht besteht, dass die Person ein der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs unterliegendes Verbrechen begangen hat und ein Haftgrund vorliegt. Ist der 868 Tochilovsky (1999), S. 357. Siehe auch Informal expert paper, ICC-OTP 2003a, Rn. 7; Schabas (2003b), S. 2; Klip, S. 187. 869 Triffterer(-Kreß / Prost), Art. 87 Rom Statut Rn. 27; van Heeck, S. 236. 870 Fastenrath, S. 634; van Heeck, S. 236. Siehe auch Brubacher, S. 92. 871 van Heeck, S. 237. 872 Commission Decision C (2007) 2566 vom 20. 6. 2007 on a Mulit-annual Indicative Planning Document 2007 – 2009 for Croatia, 6; Commission Decision C (2007) 2497 vom 18. 6. 2007 on a Mulit-annual Indicative Planning Document (MIPD) 2007 – 2009 for Serbia, 4. 873 Art. 53 Abs. 2 litt. a) und b) IStGH-Statut. Die Voraussetzungen des Haftbefehls und der Ladung finden sich in Art. 58 Abs. 1 IStGH-Statut.

C. Das Verfahren vor dem IStGH

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Ankläger der Überzeugung, dass der Beschuldigte sich freiwillig stellt, kann er alternativ auf dessen Ladung hinwirken. Die Entscheidung über den Erlass eines Haftbefehls oder einer Ladung trifft die Vorverfahrenskammer auf Antrag des Anklägers. Welche Tatvorwürfe der Ankläger in den Haftbefehl aufnimmt, ist eine Ermessensentscheidung. Sie wird unter anderem durch den Fokus der Ermittlungen und das erlangte Beweismaterial bedingt. Als Beispiel sei nochmals auf die Entscheidung des Anklägers, sich im Lubanga Fall auf den Einsatz von Kindersoldaten zu konzentrieren, andere Delikte hingegen – vorläufig – unberücksichtigt zu lassen, verwiesen.874 Wie bei jedem Selektionsprozess besteht auch hier die Gefahr, dass sachfremde Erwägungen in die Abwägung einfließen. Das IStGH-Statut sieht insoweit keine mit Art. 53 Abs. 3 vergleichbaren Kontrollmechanismen vor. Allerdings wird teilweise angenommen, dass Art. 58 Abs. 1 IStGH-Statut die Kammer ermächtigt, in den Entscheidungsbildungsprozess einzugreifen. Sie soll zwar nicht die Aufnahme weiterer Verbrechen in den Haftbefehl erzwingen,875 sondern nur den Ankläger auffordern können, seine Auswahlentscheidung und die Gründe hierfür offenzulegen. Zudem soll sie weitere Ermittlungen anregen können.876 Auf diese Weise soll dafür Sorge getragen werden, dass der Selektionsprozess transparent und ermessensfehlerfrei erfolgt. Auch wenn das Bedürfnis nach einer Kontrollinstanz nachvollziehbar ist, vermag das IStGH-Statut eine solche Auslegung, die keine Stütze im Wortlaut von Art. 58 Abs. 1 IStGH-Statut findet, nicht zu tragen. Das Zusammenspiel zwischen Ankläger und Kammer ist vielmehr dadurch gekennzeichnet, dass der Erstere den tatsächlichen Rahmen vorgibt, also den zu behandelnden Tatkomplex auswählt. Die Kammer ist nur unter den Voraussetzungen des Art. 53 Abs. 3 IStGH-Statut berechtigt, die Ermessensausübung des Anklägers zu kontrollieren.877

IX. Bestätigung der Anklage Bevor die Hauptverhandlung durchgeführt werden kann, muss die Vorverfahrenskammer nach Art. 61 Abs. 7 IStGH-Statut die Anklage bestätigen. Überprüft wird, ob ausreichende Beweise für den dringenden Verdacht vorliegen, dass der Beschuldigte die ihm zu Last gelegten Verbrechen begangen hat. Die Beweislast liegt beim Ankläger.878 Vergleichbare Verfahrensschritte finden sich in verschieSiehe oben Teil 5 C. IV. 3. b). DRC Request, ICC-01 / 04-313, o. Fn. 46, Rn. 13. 876 DRC Request, ICC-01 / 04-313, o. Fn. 46, Rn. 16. 877 Siehe auch Situation in the DRC – Prosecution’s Response to Request Submitted pursuant to Rule 103(1) of the Rules of Procedure and Evidence for Leave to Participate as Amicus Curiae in the Situation in the Democratic Republic of Congo, ICC-01 / 04-316, 5. 12. 2006, Rn. 19 ff. Zum Bedürfnis nach einem Klageerzwingungsverfahren unten Teil 5 E. VIII. 5. c). 878 Prosecutor v. Lubanga – Decision on the confirmation of charges, PTC I, ICC-01 / 04-01 / 06-803, 29. 1. 2007, Rn. 39. 874 875

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Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

denen nationalen Rechtsordnungen. Die Bestätigung der Anklage ähnelt beispielsweise dem deutschen Zwischenverfahren,879 sowie den preliminary hearings des common law880. Auch in den Verfahren vor den Ad-hoc-Tribunalen existiert eine ähnliche Zwischenstufe, die die Ermittlungsphase vom Hauptverfahren trennt.881 Die Bestätigung der Anklage vor dem IStGH erfolgt im Zuge einer mündlichen Verhandlung, während der der Ankläger882 und die Verteidigung883 Beweise vorlegen können. Die Vorverfahrenskammer muss sich allerdings nicht auf das präsentierte Beweismaterial beschränken. Sie kann vielmehr auch den Ankläger ersuchen, zusätzliche Beweise vorzulegen oder ergänzende Ermittlungen durchzuführen.884 Theoretisch kann die Bestätigung der Anklage daher sehr umfangreich werden. Es besteht die Gefahr, dass dem eigentlichen Prozess vorgegriffen wird.885 Den Schuldvorwurf zu klären, ist aber Ziel der Hauptverhandlung. Eine wesentliche Aufgabe der Vorverfahrenskammer wird sein, einen Mittelweg zwischen Überprüfung der Anklage und Vorwegnahme des Schuldspruchs zu finden. Hält die Vorverfahrenskammer die vorgelegten Beweise für ausreichend, so bestätigt sie die Anklage und weist den Beschuldigten einer Hauptverhandlungskammer zu.886 Diese Entscheidung beendet die Vorverfahrensphase887. Lehnt die Vorverfahrenskammer die Bestätigung der Anklage – gesamt oder nur hinsichtlich einzelner Anklagepunkte – ab,888 steht es dem Ankläger nach Art. 61 Abs. 8 IStGH-Statut frei, weiter zu ermitteln. Auf Grundlage zusätzlichen Beweismaterials kann er jederzeit erneut eine Entscheidung nach Art. 61 Abs. 7 IStGH-Statut herbeiführen. Die Bestätigung der Anklage dient dem Schutz des Beschuldigten. Ihm soll nur dann die belastende und stigmatisierende Hauptverhandlung zugemutet werden, wenn er der ihm zur Last gelegten Taten dringend verdächtig ist.889 Der Ankläger 879 Ambos (1998a), S. 991, Ambos / Miller, S. 356. Das Gericht prüft gemäß § 203 StPO, ob der Beschuldigte der Tat hinreichend verdächtigt ist. 880 Schabas (2007), S. 274. Siehe auch den rechtsvergleichenden Überblick bei Ambos / Miller, S. 356. 881 Artt. 19 Abs. 1 ICTY-Statut; 18 Abs. 1 ICTR-Statut. 882 Art. 61 Abs. 5 S. 1 IStGH-Statut. 883 Art. 61 Abs. 6 lit. c) IStGH-Statut. 884 Art. 61 Abs. 7 lit. c) i) IStGH-Statut. 885 Siehe Brady (2001c), S. 265; Friman (2001b), S. 215, Amobs / Miller, S. 348. Siehe auch Abu Garda PTC, ICC-02 / 05-02 / 09-243, o. Fn. 563, Rn. 40. 886 Art. 61 Abs. 7 lit. a) IStGH-Statut. 887 Friman (2001b), S. 192. 888 Art. 61 Abs. 7 lit. b) IStGH-Statut. 889 Lubanga PTC I, ICC-01 / 04-01 / 06-803, o. Fn. 878, Rn. 37; Abu Garda PTC, ICC-02 / 05-02 / 09-243, o. Fn. 563, Rn. 39; Ambos / Miller, S. 348. Siehe auch Katanga & Ngudjolo PTC I, ICC-01 / 04-01 / 07-428-Corr, o. Fn. 94, Rn. 5 – 6; Prosecutor v. Bemba Gombo – Decision Pursuant to Article 67(7)(a) and (b) of the Rome Statute on the Charges of the Pro-

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mag durch die von ihm geleiteten Ermittlungen in seiner Objektivität beeinträchtigt sein. Die gerichtliche Kontrolle seiner Entscheidung soll verhindern, dass er seine Position – beispielsweise aus politischen Gründen – missbraucht und eine Hauptverhandlung einleitet, obwohl die Beweislage dies nicht zu rechtfertigen vermag.890 Zudem wird dem Beschuldigten die Möglichkeit gegeben, bereits vor der Hauptverhandlung die Beweise der Anklage anzugreifen und entlastende Tatsachen vorzubringen. Er erhält eine zusätzliche Verteidigungsebene.891 Dadurch wird er auch in die Lage versetzt, das Beweismaterial der Anklage zu sichten und seine Verteidigung dementsprechend gezielt vorbereiten zu können.892 Neben dem Schutz des Beschuldigten liegen dem Zwischenverfahren auch prozessökonomische Erwägungen zugrunde. Die deutlich aufwendigere und ressourcenintensivere Hauptverhandlung soll nur dann durchgeführt werden, wenn eine gewisse Verurteilungswahrscheinlichkeit besteht. Zudem belasten Streitigkeiten, die bereits von der Vorverfahrenskammer entschieden wurden, nicht mehr das Hauptverfahren. Dieses kann zügiger durchgeführt werden.893 Für die Opfer birgt jeder zusätzliche Verfahrensschritt, jede weitere Aussage die Gefahr einer sekundären Viktimisierung. Dies gilt auch für die Bestätigung der Anklage. Auch wenn das Zwischenverfahren aus Gründen der Verfahrensfairness und der Prozessökonomie sinnvoll ist, müssen die zusätzlichen Belastungen für die Opfer so gering wie möglich gehalten werden.894

X. Hauptverhandlung Ziel der öffentlichen895 Hauptverhandlung ist die Klärung des Schuldvorwurfs. Es gilt die Unschuldsvermutung.896 Der Ankläger muss beweisen,897 dass sich der secutor Against Jean-Pierre Bemba Gombo, PTC II, ICC-01 / 05-01 / 08-424, 15. 6. 2009, Rn. 28; Prosecutor v. Lubanga – Prosecution’s Response to „Observations concernant les modalities de la participation des Victimes“, ICC-01 / 04-01 / 06-353, 25. 8. 2006, Rn. 10; de Beco, S. 476. 890 Ambos (1998a), S. 991; Schabas (2007), S. 274. Siehe auch Katanga & Ngudjolo PTC I, ICC-01 / 04-01 / 07-428-Corr, o. Fn. 94, Rn. 6; Prosecutor v. Abu Garda – Decision on victim’s modalities of participation at the Pre-Trial Stage of the Case, PTC I, ICC-02 / 05-02 / 09-136, 6. 10. 2009, Rn. 4; Abu Garda PTC, ICC-02 / 05-02 / 09-243, o. Fn. 563, Rn. 39; Lubanga Prosecution’s Response, ICC-01 / 04-01 / 06-353, o. Fn. 889, Rn. 10. 891 Siehe Lubanga PTC I, ICC-01 / 04-01 / 06-803, o. Fn. 878, Rn. 37; Lubanga Prosecution’s Response, ICC-01 / 04-01 / 06-353, o. Fn. 889, Rn. 10. 892 Schabas (2007), S. 275; de Beco, S. 477. Im Vorfeld des Zwischenverfahrens muss der Ankläger alle Beweise offenlegen, auf die er sich zum Nachweis des dringenden Tatverdachts stützen will, siehe Lubanga PTC, ICC-01 / 04-01 / 06-102, o. Fn. 130, Annex I Rn. 39 – 58. 893 Siehe auch Bitti, S. 276; Ambos / Miller, S. 348. 894 Hierzu unten Teil 5 D. VIII. 6. a) bb). 895 Art. 64 Abs. 7 S. 1 IStGH-Statut. 896 Art. 66 Abs. 1 IStGH-Statut.

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Angeklagte der ihm zur Last gelegten Taten schuldig gemacht hat. Kernelement der Hauptverhandlung ist die Beweisaufnahme. Es gilt der Unmittelbarkeitsgrundsatz. Die Kammer kann ihr Urteil nur auf Beweise stützen, die in der Hauptverhandlung vorgelegt und diskutiert wurden.898 Während der gesamten Verhandlungsdauer obliegt es der Hauptverfahrenskammer, ein faires und zügiges Verfahren unter voller Beachtung der Rechte des Angeklagten zu gewährleisten.899 Zudem ist sie verpflichtet, die Belange von Opfern und Zeugen zu beachten und geeignete Maßnahmen zu ihrem Schutz zu treffen.900 Das Hauptverfahren endet mit einem Urteil. Dieses ergeht schriftlich und enthält – wie im civil law üblich901 – eine vollständige und begründete Darstellung der Ergebnisse der Beweiswürdigung und der Schlussfolgerungen der Hauptverfahrenskammer.902 Eine Verurteilung ist nur möglich, wenn der Gerichtshof von der Schuld des Angeklagten überzeugt ist, hieran also keine vernünftigen Zweifel hegt.903 Das Urteil soll einstimmig fallen. Ist dies nicht möglich, entscheidet die Kammer per Mehrheitsentschluss.904 In jedem Fall ergeht aber ein einheitliches Urteil.905 Das Urteil enthält aber gegebenenfalls sowohl die Auffassung der Mehrheit als auch die der Minderheit.906

1. Verfahrensleitung durch die Hauptverfahrenskammer Der Konflikt zwischen den verschiedenen Rechtssystemen – vor allem zwischen dem common und dem civil law – wird besonders deutlich bei der Frage nach der Verfahrensherrschaft. Im adversatorischen Verfahren des common law dominieren die Parteien das Verfahren. Nach der Dispositionsmaxime können sie über den Prozessstoff verfügen. Sie entscheiden, welche Tatsachen sie dem Gericht zur Entscheidung unterbreiten wollen, welche sie als beweisbedürftig ansehen.907 Das Risiko, dass die präsentierten Beweise als nicht ausreichend bewertet werden, tragen allein die Parteien.908 Der Richter greift regelmäßig nicht in die BeweisaufArt. 66 Abs. 2 IStGH-Statut. Art. 74 Abs. 2 IStGH-Statut. Siehe auch Terrier (2002b), S. 1314; Ambos (2008a), § 8 Rn. 41. 899 Art. 64 Abs. 2 IStGH-Statut. 900 Artt. 64 Abs. 2; 68 IStGH-Statut. 901 Kreß (2003b), S. 612; Kavran, S. 137; Lagodny, S. 812. 902 Art. 74 Abs. 5 S. 1 IStGH-Statut. 903 Art. 66 Abs. 3 IStGH-Statut. 904 Art. 74 Abs. 3 IStGH-Statut. 905 Art. 74 Abs. 5 S. 2 IStGH-Statut. 906 Art. 74 Abs. 5 S. 3 IStGH-Statut. 907 Harhoff (2001), S. 653; Kavran, S. 135; Meron (2004), S. 522; McMorrow, S. 140. Siehe auch Barbara Huber, S. 18, 48; Lagodny, S. 809; Tochilovsky (2001), S. 633; Terrier (2002b), S. 1296; Friman (2003), S. 382. 897 898

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nahme ein. Er wird nicht selbst investigativ tätig,909 sondern übernimmt die eher passive Rolle des neutralen Beobachters, der die Verfahrensgestaltung weitgehend den Parteien überlässt,910 über die Einhaltung der Verfahrensregeln wacht911 und über die Zulässigkeit der vorgelegten Beweismittel entscheidet912. Bei Bedarf unterstützt er die Parteien in ihrer Prozessführung und ordnet die erforderlichen Zwangsmaßnahmen an.913 Über die Schuldfrage wird regelmäßig von einer Jury entschieden.914 Dem Richter obliegt dann lediglich die Festlegung des Strafmaßes.915 Im Gegensatz dazu ist im civil law der Richter Herr des Verfahrens.916 Die Hauptverhandlung wird von ihm geleitet und kontrolliert.917 Es gilt der Ermittlungsgrundsatz. Der Richter ist von Amts wegen zur Sachverhaltsaufklärung berufen.918 Er entscheidet über die vorzulegenden Beweise, ruft die Zeugen auf und vernimmt sie.919 Die Parteien können zwar zusätzliche Beweismittel beibringen und weitergehende Ermittlungen anregen.920 Ihre Hauptaufgabe ist es allerdings, dem Gericht ihre Schlussfolgerungen aus der Beweisaufnahme mitzuteilen.921 Das Verfahrensrecht des IStGH stellt auch in dieser Frage wieder einen Kompromiss zwischen den beiden Rechtstraditionen dar. Art. 69 Abs. 3 S. 1 IStGH-Statut ermächtigt die Parteien, sämtliche Beweise beizubringen, die für die Sache erheblich sind. Damit wird ihnen eine zentrale und aktive Rolle bei der Beweisaufnahme zuerkannt. Allerdings wurde im Vergleich zum common law die Rolle der Verfahrenskammer gestärkt. Sie entscheidet nicht nur über die Zulässigkeit oder Erheb908 Wydick, S. 13; Ellis, S. 524; Terrier (2002b), S. 1296; Meron (2004), S. 522. Siehe auch Barbara Huber, S. 37. 909 Barbara Huber, S. 37; Thaman, S. 503; Terrier (2002b), S. 1296; ders. (2002a), S. 1267. Siehe auch Kavran, S. 134. 910 Barbara Huber, S. 18; Perron, S. 565; Lewis (2001b), S. 548; Kreß (2003b), S. 604; Bourgon (2004), S. 530; Nemitz, S. 53; Eser (2007), S. 176; Ambos (2008a), § 8 Rn. 31. 911 Lagodny, S. 810. 912 Thaman, S. 503. 913 Thaman, S. 537; Orie, S. 1476. 914 Barbara Huber, S. 34 – 35; Thaman, S. 503; Orie, S. 1454. 915 Thaman, S. 505. 916 Harhoff (2001), S. 653; Tochilovsky (2001), S. 633; Combs (2002), S. 30; Orie, S. 1444; Kreß (2003b), S. 604; Pizzi, S. 3; Ambos (2008a), § 8 Rn. 31. Siehe auch Kavran, S. 150. 917 Mundis, S. 369; Tochilovsky (2001), S. 633; Bourgon (2004), S. 530; Damaška (2005), S. 5; Ambos (2008a), § 8 Rn. 31. Siehe auch Fernández de Gurmendi (2001b), S. 252. 918 Siehe beispielsweise §§ 155 Abs. 2; 160 Abs. 2; 244 Abs. 2 StPO. 919 Lewis (2001b), S. 547; Mundis, S. 369; Tochilovsky (2001), S. 633; Friman (2003), S. 382. Siehe auch Perron, S. 562. 920 Orie, S. 1444. 921 Orie, S. 1445.

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lichkeit von Beweismitteln.922 Vielmehr ermächtigen Art. 69 Abs. 3 S. 2 IStGHStatut sowie Regulation 43 die Verfahrenskammer, die Wahrheit zu ermitteln. Zwar kann sie nicht selbstständig Beweis erheben,923 aber die Beibringung sämtlicher Beweise verlangen, sofern dies für die Wahrheitsfindung erforderlich ist.924 Außerdem hat die Kammer das Recht, Zeugen und Sachverständige zu befragen.925 Die Sachverhaltsaufklärung liegt damit nicht allein in der Verantwortung der Parteien. Sie ist auch Aufgabe des Gerichts.926 Die Kammer kann beispielsweise die unzulängliche und unvollständige Befragung eines Zeugen durch den Ankläger kompensieren und auf diese Weise dazu beitragen, dass die vorliegenden Beweise bestmöglich genutzt werden. Ganz im Sinne der Opfer wird dadurch die Ermittlung der materiellen Wahrheit gefördert.927 Darüber hinaus kann der vorsitzende Richter durch prozessleitende Verfügungen das Vorlagerecht der Parteien beschränken bzw. modifizieren. Art. 64 Abs. 8 lit. b) IStGH-Statut gibt ihm insbesondere die Möglichkeit, die Art und Weise der Zeugenbefragung zu kontrollieren.928 Dies wird noch einmal gesondert durch Regulation 43 Regulations of the Court klargestellt. Trifft der vorsitzende Richter aber keine Anweisungen, so obliegt es den Parteien, sich über Art und Weise der Beweisaufnahme zu einigen.929 Dies ändert aber nichts daran, dass das IStGHStatut grundsätzlich von der Verfahrensleitung durch den Vorsitzenden ausgeht.930 Insgesamt hat die Kammer die Möglichkeit, eine starke, das Verfahren beherrschende Stellung einzunehmen.931 Inwieweit die Richter diese Kompetenzen wahrnehmen werden, wird allerdings auch davon abhängen, aus welchem Rechtskreis sie stammen. Ein Jurist kontinentaleuropäischer Prägung wird eher geneigt sein, die Verfahrensleitung zu übernehmen, als sein Kollege aus dem common law.932 Die Grundentscheidung des IStGH-Statuts ist aber eindeutig. Die Richter sollen Art. 64 Abs. 9 lit. a) IStGH-Statut. Triffterer(-Piragoff), Art. 69 IStGH-Statut Rn. 34. 924 Art. 69 Abs. 3 S. 2 IStGH-Statut. 925 Rule 140 Abs. 2 lit. c). 926 Siehe auch Terrier (2002a), S. 1272; dens. (2002b), S. 1294 sowie Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1119, o. Fn. 7, Rn. 108. 927 Den Zusammenhang zwischen Ermittlungsgrundsatz und materieller Wahrheitsfindung stellt auch Beulke, Rn. 21 heraus. 928 Triffterer(-Bitti), Art. 64 IStGH-Statut Rn. 30. 929 Rule 140 Abs. 1. 930 In der Praxis tendieren die Verfahrenskammern dazu, die Hauptverhandlung in Anlehnung an das anglo-amerikanische Model auszugestalten, siehe Prosecutor v. Katanga & Ngudjolo – Directions for the conduct of the proceedings and testimony in accordance with rule 140, TC II, ICC-01 / 04-01 / 07-1665, 1. 12. 2009, Rn. 3 ff. 931 Siehe Welberts, S. 67; Augustin, S. 226; Lagodny, S. 811; Stahn (2004), S. 171. 932 Siehe auch Harhoff (2000), S. 58; ders. (2000), S. 652; Kreß (2003b), S. 613; Bourgon (2004), S. 530. 922 923

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eine aktive und kontrollierende Rolle im Verfahren einnehmen.933 Dafür sprechen auch prozessökonomische Gründe. Die Erfahrungen der Ad-hoc-Tribunale haben gezeigt, dass eine Verfahrensherrschaft der Parteien den Prozess zusätzlich in die Länge zieht. Als Gegenstrategie wurde das Verfahrensrecht der Tribunale zunehmend um Elemente aus dem civil law ergänzt. Vor allem die Rolle der Richter wurde gestärkt. Diese sollen das Verfahren stärker kontrollieren und damit straffen können.934

2. Verfahren bei einer admission of guilt Nach Verlesung der Anklage gewährt die Hauptverfahrenskammer dem Angeklagten die Möglichkeit, ein Geständnis abzulegen.935 Bekennt er sich – ganz oder in Teilen936 – der ihm in der Anklageschrift vorgeworfenen Verbrechen für schuldig, richtet sich das weitere Verfahren nach Art. 65 IStGH-Statut. Die Verfahrenskammer kann unter bestimmten Voraussetzungen die Verbrechen als bewiesen ansehen und den Angeklagten verurteilen. Auch wenn ein Geständnis im internationalen Strafverfahren voraussetzt, dass der Angeklagte eingesteht, schwerste Verbrechen begangen zu haben, zeigt die Erfahrung der Ad-hoc-Tribunale937, dass diesem Rechtsinstitut dennoch eine erhebliche praktische Bedeutung zukommt.938 933 Lagodny, S. 810; Orie, S. 1475; Terrier (2002a), S. 1272; Ambos (2003), S. 19; ders. (2008a), § 8 Rn. 31. Siehe auch Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1049, o. Fn. 1, Rn. 52; Stehle, S. 228; Nerlich, S. 57. 934 Siehe Kavran, S. 135, 150 – 153; Mundis, S. 367; Nice, S. 395 – 396; Tochilovsky (2001), S. 627, 633; Terrier (2002a), S. 1265, 1267; ders. (2002b), S. 1294, 1296; Bourgon (2004), S. 530; Meron (2004), S. 523; Kreß / Wannek, S. 247; Pizzi, S. 3; Bonomy, S. 351; Eser (2007), S. 180. 935 Art. 64 Abs. 8 lit. a) IStGH-Statut. 936 Die Möglichkeit, ein Teilgeständnis abzulegen, ergibt sich aus Art. 65 Abs. 2 IStGHStatut. 937 Das Verfahrensrecht der Ad-hoc-Tribunale sieht in den Artt. 20 Abs. 3 ICTY-Statut; 19 Abs. 3 ICTR-Statut die Möglichkeit eines guilty plea vor. 938 Siehe nur die guilty pleas in Prosecutor v. Erdemovic´, Trial Judgement, TC I, IT-96-22-T, 29. 11. 1996, Rn. 3; Prosecutor v. Jelisic´, Trial Judgement, TC I, IT-95-10-T, 14. 12. 1999, Rn. 11; Prosecutor v. Sikirica et al., Sentencing Judgement, TC III, IT-95-8, 13. 11. 2001, Rn. 14; Prosecutor v. Milan Simic´, Sentencing Judgement, TC II, IT-95-9 / 2, 17. 10. 2002, Rn. 8; Prosecutor v. Plavšic´, Sentencing Judgement, TC III, IT-00-39&40 / 1, 27. 2. 2003, Rn. 5; Prosecutor v. Momir Nikolic´, Judgement, TC I, IT-02-60 / 1, 2. 12. 2003, Rn. 16; Prosecutor v. Predrag Banovic´, Sentencing Judgement, TC III, IT-02-65 / 1, 28. 10. 2003, Rn. 12; Prosecutor v. Obrenovic´, Trial Judgement, TC I, IT-02-60 / 2, 10. 12. 2003, Rn. 13; Prosecutor v. Dragan Nikolic´, Sentencing Judgement, TC II, IT-94-2, 18. 12. 2003, Rn. 36; Prosecutor v. Cesic´, Sentencing Judgement, TC I, IT-95-10 / 1, 11. 3. 2004, Rn. 4; Prosecutor v. Jokic´, Trial Judgement, TC I, IT-01-42 / 1, 18. 3. 2004, Rn. 8; Prosecutor v. Deronjic´, Sentencing Judgement, TC II, IT-02-61, 30. 3. 2004, Rn. 25; Prosecutor v. Mrdja, Judgement, TC I, IT-02-59, 31. 3. 2004, Rn. 4; Prosecutor v. Babic´, Trial Judgement, TC I,

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Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

a) Das angloamerikanische guilty plea als Ausgangspunkt Art. 65 IStGH-Statut basiert auf dem aus dem angloamerikanischen Recht stammenden939 guilty plea. Dieses eröffnet dem Gericht die Möglichkeit, den Angeklagten auf Grundlage seines Geständnisses unter Verzicht auf eine zusätzliche Beweiserhebung zu verurteilen.940 Ein gulity plea geht insoweit über ein einfaches Geständnis hinaus, als mit ihm auch eine rechtliche Bewertung verbunden ist. Der Angeklagte erklärt, mit seinem Verhalten einen bestimmten Tatbestand erfüllt zu haben. Sein guilty plea kann daher auch nur die Verurteilung wegen dieses Tatbestandes tragen. Dies gilt selbst dann, wenn das eingestandene Verhalten auch andere Tatbestände erfüllt.941

b) Ratio legis Der einem guilty plea nachfolgenden Verfahrensverkürzung liegen prozessökonomische Erwägungen zugrunde. Die Durchführung einer Hauptverhandlung, insbesondere der gegebenenfalls sehr umfassenden Beweisaufnahme, ist äußerst aufwendig, zeit- und kostenintensiv. Dies gilt für die hochkomplexen internationalen Verfahren noch mehr als für nationale Prozesse. Ein guilty plea kann so ganz erIT-03-72, 29. 6. 2004, Rn. 10; Prosecutor v. Bralo, Sentencing Judgement, TC III, IT-95-17, 7. 12. 2005, Rn. 3; Prosecutor v. Radjic´, Trial Judgement, TC I, IT-95-12, 8. 5. 2006, Rn. 11; Prosecutor v. Zelenovic´, Trial Judgement, TC I, IT-96-23 / 2, 4. 4. 2007, Rn. 10; Prosecutor v. Todorovic´, Sentencing Judgement, TC I, IT-95-9 / 1, 31. 7. 2007, Rn. 16; Prosecutor v. Kambanda, Trial Judgement,TC I, ICTR 97-23-S, 4. 9. 1998, Rn. 5; Prosecutor v. Serushago, Trial Judgement, TC I, ICTR-98-39-S, 5. 2. 1999, Rn. 6; Prosecutor v. Ruggio, Trial Judgement, TC I, ICTR-97-32-I, 1. 6. 2000, Rn. 10; Prosecutor v. Rutaganira, Trial Judgement, TC III, ICTR-95-1C-T, 14. 3. 2005, Rn. 14; Prosecutor v. Bisenginama, Trial Judgement, TC II, ICTR-00-60-T, 13. 4. 2006, Rn. 12; Prosecutor v. Serugendo, Trial Judgement, TC I, ICTR-2005-84-I, 12. 6. 2006, Rn. 4; Prosecutor v. Nzabirinda, Trial Judgement, TC II, ICTR-2001-77-T, 23. 2. 2007, Rn. 7; Prosecutor v. Rugambarara, Trial Judgement, TC II, ICTR-00-59-T, 16. 11. 2007, Rn. 4. Kunarac hatte sich zwar ursprünglich zunächst bezüglich eines Anklagepunktes – Vergewaltung als Verbrechen gegen die Menschlichkeit – schuldig bekannt. Später widerrief er aber sein guilty plea. Siehe Prosecutor v. Kunarac et al., Trial Judgement, TC I, IT-96-23-T& IT-96-23 / 1-T, 22. 2. 2001, Rn. 892. Siehe auch den Überblick bei Combs (2008), S. 562 ff. 939 Prosecutor v. Erdemovic´, Appeals Judgement, Joint Separate Opinion of Judge McDonald and Judge Vorah, AC, IT-96-22-A, 7. 10. 1997, Rn. 2 und Separate and Dissenting Opinion of Judge Cassese, Rn. 7; Bohlander (1992), S. 578; Meyer-Goßner (1992a), S. 169; Ambos (1998e), S. 1445; ders. (2001a), S. 235; ders. (2003), S. 9; ders. (2008a), § 8 Rn. 31a; Triffterer(-Guariglia / Hochmayr), Art. 65 IStGH-Statut Rn. 6; Weigend (1999), S. 63; Tochilovsky (2001), S. 638; Kavran, S. 136; Orie, S. 1481; Terrier (2002b), S. 1286; Bosly, S. 1041. Siehe auch den Überblick in ICTY-Trial Chamber Dragan Nikolic´ Sentencing Judgement, o. Fn. 937, Rn. 227. 940 Daniel McMann et. al. v. Willi Richardson et al., 397 U. S. 759, 766 Rn. 1, 2 (1970); Dielmann, S. 559. 941 Ambos (2001a), S. 235.

C. Das Verfahren vor dem IStGH

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heblich zur Schonung der begrenzten Ressourcen des Gerichts beitragen.942 Gleichzeitig kann aber auch der Angeklagte hiervon profitieren. Ihm bleiben die Hauptverhandlung und damit die Erörterung der Tatvorwürfe in der Öffentlichkeit erspart.943 Zudem kann er mit einer Strafmilderung rechnen.944 Ein reflektierendes Schuldeingeständnis wird regelmäßig eine Übernahme der Verantwortung für die Taten beinhalten. Der Täter erkennt an, dass er den Opfern Unrecht getan hat945 oder erklärt seine Taten946. Gleichzeitig bleibt den Geschädigten die möglicher942 Erdemovic´ Appeals Judgement, Joint Separate Opinion of Judge McDonald and Judge Vorah, o. Fn. 939, Rn. 2 und Separate and Dissenting Opinion of Judge Cassese, Rn. 8; Sikirica et al. Sentencing Judgement, o. Fn. 938, Rn. 149; Plavšic´ Sentencing Judgement, o. Fn. 938, Rn. 66; Predrag Banovic´ Sentencing Judgement, o. Fn. 938, Rn. 68; Dragan Nikolic´ Sentencing Judgement, o. Fn. 937, Rn. 231; Miodrag Jokic´ Trial Judgement, o. Fn. 938, Rn. 74; Deronjic´, Sentencing Judgement, o. Fn. 937, Rn. 234; Mrdja Trial Judgement, o. Fn. 938, Rn. 78; Radjic´ Trial Judgement, o. Fn. 938, Rn. 145; Ruggio Trial Judgement, o. Fn. 937, Rn. 53; Bisenginama Trial Judgement, o. Fn. 938, Rn. 126; Nzabirinda Trial Judgement, o. Fn. 938, Rn. 65. Siehe auch Robert M. Brady v. United States, 397 U. S. 742, 752 Rn. 13 (1970); Dielmann, S. 559; Meyer-Goßner (1992a), S. 168; dens. (1992b), S. 579; Barbara Huber, S. 17; Perron, S. 563; Penrose, S. 384; Combs (2002), S. 22; dies. (2008), S. 578; Terrier (2002b), S. 1286; Damaška (2004), S. 1028; Nemitz, S. 71; Peter Robinson, S. 123; Tieger / Shin, S. 668. 943 Erdemovic´ Appeals Judgement, Separate and Dissenting Opinion of Judge Cassese, o. Fn. 939, Rn. 8; Robert M. Brady v. United States, 397 U. S. 742, 752 Rn. 13 (1970). Siehe auch Nemitz, S. 71. 944 Dixon / Demirdjian, S. 683; Damaška (2004), S. 1028. Siehe auch die Rechtsprechungspraxis der Ad-hoc-Tribunale Jelisic´ Trial Judgement, o. Fn. 938, Rn. 127; Sikirica et al. Sentencing Judgement, o. Fn. 938, Rn. 227; Milan Simic´ Sentencing Judgement, o. Fn. 938, Rn. 83; Plavšic´ Sentencing Judgement, o. Fn. 938, Rn. 81; Momir Nikolic´ Trial Judgement, o. Fn. 938, Rn. 151; Predrag Banovic´ Sentencing Judgement, o. Fn. 938, Rn. 69; Obrenovic´ Trial Judgement, o. Fn. 938, Rn. 117 – 118; Dragan Nikolic´ Sentencing Judgement, o. Fn. 937, Rn. 232; Cesic´ Sentencing Judgement, o. Fn. 938, Rn. 60; Jokic´ Trial Judgement, o. Fn. 938, Rn. 78; Deronjic´, Sentencing Judgement, o. Fn. 937, Rn. 235 ff.; Mrdja Trial Judgement, o. Fn. 938, Rn. 79; Babic´ Trial Judgement, o. Fn. 938, Rn. 71; Bralo Sentencing Judgement, o. Fn. 938, Rn. 70; Radjic´ Trial Judgement, o. Fn. 938, Rn. 152; Zelenovic´ Trial Judgement, o. Fn. 938, Rn. 46; Todorovic´ Sentencing Judgement, TC I, o. Fn. 938, Rn. 82; Serushago Trial Judgement, o. Fn. 938, Rn. 35; Ruggio Trial Judgement, o. Fn. 937, Rn. 55; Rutaganira Trial Judgement, o. Fn. 938, Rn. 152; Bisenginama Trial Judgement, o. Fn. 938, Rn. 140; Serugendo Trial Judgement, o. Fn. 938, Rn. 93; Nzabirinda Trial Judgement, o. Fn. 938, Rn. 71; Rugambarara Trial Judgement, o. Fn. 938, Rn. 35. 945 Plavšic´ Sentencing Judgement, o. Fn. 938, Rn. 67; Predrag Banovic´ Sentencing Judgement, o. Fn. 938, Rn. 68; Dragan Nikolic´ Sentencing Judgement, o. Fn. 937, Rn. 228; Cesic´ Sentencing Judgement, o. Fn. 58; Miodrag Jokic´ Trial Judgement, o. Fn. 938, Rn. 74; Deronjic´, Sentencing Judgement, o. Fn. 937, Rn. 234; Mrdja Trial Judgement, o. Fn. 938, Rn. 78; Radjic´ Trial Judgement, o. Fn. 938, Rn. 145; Zelenovic´ Trial Judgement, o. Fn. 938, Rn. 47 Ruggio Trial Judgement, o. Fn. 937, Rn. 54; Bisenginama Trial Judgement, o. Fn. 938, Rn. 126; Nzabirinda Trial Judgement, o. Fn. 938, Rn. 65; Dixon / Demirdjian, S. 685; Nemitz, S. 72. Dies muss aber nicht immer der Fall sein, siehe Prosecutor v. Kambanda Trial Judgement, o. Fn. 938, Rn. 51. 946 Combs (2002), S. 151; Tieger / Shin, S. 671 – 672.

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Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

weise sehr belastende Aussage als Zeuge erspart. Die Gefahr einer sekundären Viktimisierung wird verringert.947 So kann ein guilty plea auch für die Opfer positive Effekte entfalten.

c) Schutz des Angeklagten Die einem guilty plea folgende Verfahrensverkürzung sieht sich allerdings auch Bedenken ausgesetzt. Der Angeklagte verzichtet auf einen öffentlichen Prozess sowie auf die Ausübung seiner prozessualen Verteidigungsmöglichkeiten. Der Ankläger wird seiner Beweislast enthoben; die Unschuldsvermutung wird ausgehebelt.948 Auch wenn der Angeklagte am besten weiß, ob die gegen ihn erhobenen Vorwürfe der Wahrheit entsprechen,949 muss sowohl gewährleistet sein, dass er sich den Folgen seiner Erklärung bewusst ist,950 als auch, dass er sich nicht aus sachfremden Erwägungen heraus schuldig bekennt951. Denkbar wäre es, dass der Angeklagte nur deswegen ein guilty plea ablegt, weil er zu der Überzeugung gelangt ist, dass er aus politischen Gründen keinen fairen Prozess bekommt, seine Verurteilung bereits feststeht. Bekennt er sich schuldig, kann er zumindest darauf hoffen, in den Genuss einer Strafmilderung zu kommen.952 Um dies zu vermeiden, legt Art. 65 Abs. 1 IStGH-Statut der Verfahrenskammer nach einem Geständnis umfassende Prüfungspflichten auf. Die dort etablierten Kriterien entsprechen den vom ICTY im Erdemovic´-Prozess entwickelten Grundsätzen.953 Das Gericht muss 947 Penrose, S. 384; Tieger / Shin, S. 674. Siehe auch Erdemovic´ Appeals Judgement, Joint Separate Opinion of Judge McDonald and Judge Vorah, AC o. Fn. 939, Rn. 2; Plavšic´ Sentencing Judgement, o. Fn. 938, Rn. 66; Predrag Banovic´ Sentencing Judgement, o. Fn. 938, Rn. 68; Dragan Nikolic´ Sentencing Judgement, o. Fn. 937, Rn. 228, 231; Cesic´ Sentencing Judgement, o. Fn. 58; Jokic´ Trial Judgement, o. Fn. 938, Rn. 74; Deronjic´ Sentencing Judgement, o. Fn. 937, Rn. 234; Prosecutor Mrdja Trial Judgement, o. Fn. 938, Rn. 78; Radjic´ Trial Judgement, o. Fn. 938, Rn. 145; Zelenovic´ Trial Judgement, o. Fn. 938, Rn. 49; Bisenginama Trial Judgement, o. Fn. 938, Rn. 126; Serugendo Trial Judgement, o. Fn. 938, Rn. 52; Prosecutor v. Nzabirinda, TC II, ICTR-2001-77-T, 23. 2. 2007, Rn. 65. 948 Momir Nikolic´ Trial Judgement, o. Fn. 938, Rn. 16; Robert M. Brady v. United States, 397 U. S. 742, 748 Rn. 4 – 7 (1970); Director, 25 U. S. L Ed 2d 1025, 1048 – 1059 (1970); Dielmann, S. 559; Nemitz, S. 72; Ashworth, S. 20. Siehe auch Erdemovic´ Appeals Judgement, Separate and Dissenting Opinion of Judge Cassese o. Fn. 939, Rn. 9; Bosly, S. 1048. 949 Meyer-Goßner (1992a), S. 167; Nemitz, S. 72. 950 Robert M. Brady v. United States, 397 U. S. 742, 748 Rn. 4 – 7 (1970); Director, 25 U. S. L Ed 2d 1025, 1048 – 1049 (1970); Terrier (2002b), S. 1286. 951 Damaška (2004), S. 1028; Ashworth, S. 28. Zum nationalem Verfahren Daniel McMann et. al. v. Willi Richardson et al., 397 U. S. 759, 767 Rn. 3, 4 (1970); Bohlander (1992), S. 578 mit kritischer Erwiderung Meyer-Goßner (1992b), S. 579. Siehe auch Weigend (1999), S. 63 „Ob ein Verfahrensmodell, das [ . . . ] allein auf die (in der Realität meist fiktive) vernünftige Selbstbestimmung des Angeklagten als regulativen Faktor setzt, noch den den Minmalansprüchen der Fairneß genügt – das ist die entscheidene Frage.“ 952 Peter Robinson, S. 123.

C. Das Verfahren vor dem IStGH

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prüfen, ob der Angeklagte die Art und Folgen des Geständnisses versteht, er das Geständnis nach hinreichender Beratung mit seinem Verteidiger freiwillig abgelegt hat und ob das Geständnis durch weitere Tatsachen untermauert wird. Sind diese Voraussetzungen nicht erfüllt, so gilt das Geständnis als nicht abgelegt. Die Verfahrenskammer ordnet die Fortsetzung der Hauptverhandlung an.954

d) Schutz der Wahrheitsfindung Die einer admission of guilt folgende Verfahrensverkürzung kann sich zudem zu Lasten der Wahrheitsermittlung auswirken.955 Soweit das Geständnis reicht, ist der Sachverhalt aufgeklärt. Es kann sogar über die Anklage hinausgehen. Der Täter kann Hintergrundinformationen liefern, zu denen der Ankläger keinen Zugriff hat; Taten gestehen, die sich (bisher) dem Beweis entzogen haben.956 Insoweit unterstützt der Angeklagte, der sich schuldig bekennt, die Verfahrenskammer bei der Wahrheitsfindung.957 Es besteht aber die Gefahr, dass die internationale Öffentlichkeit von Fakten, die nur im Zuge einer vollumfänglichen Beweisaufnahme vom Gericht ermittelt worden wären, keine Kenntnis erlangt; der genaue Umfang der Taten und ihre Hintergründe nicht vollständig aufgedeckt werden.958 Zwar stimmt es, dass die Verbrechen häufig im gleichen Kontext begangen werden, zumindest die Aufklärung des Tatumfelds daher mit ziemlicher Sicherheit in einem anderen Verfahren Gegenstand der Beweisaufnahme sein wird.959 Das Risiko, dass spezifische Aspekte einer Tat nicht geklärt werden, bleibt aber bestehen.960 Der IStGH kann zwar nicht die Rolle einer Wahrheitskommission übernehmen. Im durch die Anklage determinierten Umfang sollte aber regelmäßig eine

953 Erdemovic´ Appeals Judgement, Joint Separate Opinion of Judge McDonald and Judge Vorah, o. Fn. 939, Rn. 6. 954 Art. 65 Abs. 3 IStGH-Statut. 955 Weigend (1999), S. 63; Orie, S. 1481; Terrier (2002b), S. 1286. Siehe auch Tieger / Shin, S. 670; Combs (2008), S. 576; Jackson, S. 22. 956 Siehe beispielsweise Babic´ Trial Judgement, o. Fn. 938, Rn. 69 – 70; Zelenovic´ Trial Judgement, o. Fn. 938, Rn. 48. Siehe auch Damaška (2004), S. 1032; Scharf (2004), S. 1078. 957 Sikirica et al. Sentencing Judgement, o. Fn. 938, Rn. 149; Prosecutor v. Predrag Banovic´ Sentencing Judgement, o. Fn. 938, Rn. 68; Jokic´ Trial Judgement, o. Fn. 938, Rn. 74; Deronjic´ Sentencing Judgement, o. Fn. 937, Rn. 234; Mrdja Trial Judgement, o. Fn. 938, Rn. 78 – 79; Babic´ Trial Judgement, o. Fn. 938, Rn. 68; Radjic´ Trial Judgement, o. Fn. 938, Rn. 145; Zelenovic´ Trial Judgement, o. Fn. 938, Rn. 48; Rutaganira Trial Judgement, o. Fn. 938, Rn. 150; Bisenginama Trial Judgement, o. Fn. 938, Rn. 126; Nzabirinda Trial Judgement, o. Fn. 938, Rn. 65. Siehe auch Combs (2002), S. 150; dies. (2008), S. 576. 958 Orie, S. 1481; Terrier (2002b), S. 1286; Damaška (2004), S. 1028. Siehe auch Kavran, S. 156; Scharf (2004), S. 1080. 959 So Kavran, S. 156 – 157. 960 Siehe auch Momir Nikolic´ Trial Judgement, o. Fn. 938, Rn. 61.

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Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

möglichst umfassende Sachverhaltsaufklärung erfolgen. Nur so kann das Interesse der Opfer und der Gesellschaft an der Wahrheitsfindung befriedigt werden. Aus diesen Gründen bestimmt Art. 65 Abs. 4 IStGH-Statut, dass die Kammer nicht durch das Geständnis gebunden ist. Wenn die Voraussetzungen von Art. 65 Abs. 1 IStGH-Statut erfüllt sind, muss die Kammer weiter prüfen, ob eine vollständigere Tatsachendarstellung im Interesse der Gerechtigkeit, insbesondere im Interesse der Opfer, erforderlich ist.961 Bejaht die Kammer dies, so ersucht sie entweder den Ankläger, zusätzliches Beweismaterial beizubringen962 oder sie erachtet das Geständnis als nicht abgegeben und ordnet die Fortsetzung der Hauptverhandlung an.963 Art. 65 IStGH-Statut betont die starke Stellung der Verfahrenskammer im Sinne der civil-law-Tradition. Sie allein entscheidet über das einem Geständnis folgende Verfahren und ist nicht durch den Parteivortrag gebunden. Art. 65 Abs. 4 IStGH-Statut stellt sicher, dass sich verfahrensökonomische Erwägungen nicht zu Lasten der begründeten Opferinteressen auswirken.964 Der Verzicht auf eine öffentliche Hauptverhandlung kann bei den Opfern den Eindruck erwecken, dass das von ihnen erlittene Unrecht nur von untergeordneter Bedeutung ist, der Gerichtshof hiervon nur begrenzt Kenntnis nimmt. Der IStGH muss prozessökonomischen Erwägungen zum Trotz seiner Aufgabe, den Opfern ein Forum zu bieten, nachkommen. Berücksichtigt werden muss ferner das Interesse der Opfer, möglichst umfassend von den Tathintergründen und -umständen zu erfahren. Der Verweis auf die Beweisaufnahme in anderen, parallelen Verfahren greift hier nicht. Den Opfern geht es nicht nur um den Kontext der Tat, sondern um Details. Die Fragen, ob der Angeklagte die Verantwortung für das erlittene Unrecht trägt und warum er die Taten begangen hat, können nur im Verfahren gegen diesen geklärt werden. Die Beweisaufnahme ist daher einem Geständnis zum Trotz dann durchzuführen, wenn die Sachverhaltsaufklärung ansonsten nur ungenügend erfolgt, das Informationsbedürfnis der Opfer nicht befriedigt würde.965

e) Zusammenfassung Art. 65 IStGH-Statut kombiniert das guilty plea des anglo-amerikanischen Rechts mit dem Amtsermittlungsgrundsatz des civil law. Der Angeklagte hat zwar die Möglichkeit, durch ein Geständnis eine Verfahrensverkürzung herbeizuführen. Art. 65 Abs. 4 IStGH-Statut. Art. 65 Abs. 4 lit. a) IStGH-Statut. 963 Art. 65 Abs. 4 lit. b) IStGH-Statut. 964 O’Connell, S. 343. Siehe auch Olásolo (2009), S. 329. Kritisch wegen der Beschränkung der verfahrensverkürzenden Wirkung des guilty pleas Ambos (2003), S. 17; ders. (2008a), § 8 Rn. 31b. Siehe zum Spannungsfeld zwischen Opferinteressen und guilty plea auch Hodzic´, S. 128 ff. 965 Siehe auch Terrier (2002b), S. 1286; Tieger / Shin, S. 674; Ambos (2008a), § 8 Rn. 31b sowie Momir Nikolic´ Trial Judgement, o. Fn. 938, Rn. 62. 961 962

C. Das Verfahren vor dem IStGH

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Aufgabe der Verfahrenskammer ist es aber sicherzustellen, dass dies nicht zu Lasten der Wahrheitsermittlung geht. Art. 65 IStGH-Statut ist damit ein sinnvoller Kompromiss zwischen prozessökonomischen Erwägungen, den Interessen des Angeklagten und der Opfer.

3. Zulässigkeit eines plea bargaining Eng mit dem Geständnis ist die Frage nach der Zulässigkeit von plea bargainings oder plea agreements verbunden. Gemeint sind Absprachen zwischen dem Ankläger und der Verteidigung dahingehend, dass der Angeklagte im Gegenzug für die Abgabe eines Geständnisses in den Genuss einer Strafmilderung kommt.966 Solche Vereinbarungen sollen Anreize für die Abgabe einer admission of guilt setzen und so helfen, aufwendige Verfahren zu vermeiden. Verhandlungen zwischen Anklage und Verteidigung über Schuld und Strafe können aber nicht nur in der Öffentlichkeit, sondern auch und vor allem bei den Opfern den Eindruck erwecken, dass ein Handel mit der Gerechtigkeit stattfindet, die letztlich verhängte Strafe nicht schuldangemessen ist.967 Es fehlt an der notwendigen Entscheidungstransparenz.968 Zudem besteht die Gefahr, dass Beschuldigte unterschiedlich behandelt werden, die Gleichheit vor dem Recht nicht gewahrt ist. Der Ankläger kann geneigt sein, einem Täter, der in schwerwiegendste Verbrechen verwickelt ist, großzügige Strafnachlässe anzubieten, um beispielsweise die Namen von Hintermännern zu erfahren. Einem Angeklagten, der sich einer ähnlichen Tat schuldig gemacht hat, aber nicht über vergleichbare Informationen verfügt, wird eine solche Vereinbarung hingegen nicht angeboten.969 Plea agreements aus diesen Gründen zu verbieten wäre allerdings eine Verkennung der Realität und würde den Bedürfnissen der Praxis nicht gerecht.970 Dies hat sich deutlich in den Verfahren vor den Ad-hoc-Tribunalen gezeigt. In ihren Verfahrensordnungen war zunächst die Möglichkeit eines plea agreement nicht vorgesehen; sie gehörten dennoch zur Verfahrensrealität.971 Mittlerweile liegen fast allen guilty pleas Vereinbarungen mit dem Ankläger zugrunde.972

Dielmann, S. 560; Combs (2002), S. 10; Scharf (2004), S. 1070. Nemitz, S. 72. Siehe auch Momir Nikolic´ Trial Judgement, o. Fn. 938, Rn. 63. Siehe zur Praxis in Ruanda und der Kritik hieran Sadat (2009), S. 555. 968 Damaška (2004), S. 1028. Siehe auch Bosly, S. 1048. 969 Momir Nikolic´ Trial Judgement, o. Fn. 938, Rn. 67. Siehe auch Combs (2002), S. 22; Tieger / Shin, S. 677. 970 Siehe auch Combs (2002), S. 91 ff.; dies. (2008), S. 574 – 575. 971 Prosecutor v. Erdemovic´, Trial Judgement, TC II, IT-96-22, 5. 3. 1998, Rn. 19; Triffterer(-Guarigilia / Hochmayr), Art. 65 IStGH-Statut Rn. 11. ICTY-Rule 62bis wurde erst 1998 als Reaktion auf das plea agreement im Erdemovic´ Prozess eingeführt, siehe Kavran, S. 142 – 145; Combs (2002), S. 138 ff. 966 967

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Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

Nach Art. 65 Abs. 5 IStGH-Statut sind Absprachen zwischen Anklage und Verteidigung zwar zulässig,973 entfalten aber keinerlei bindende Wirkung für das Gericht. Die Hoheit der Verfahrenskammer über die Beweisaufnahme wird hierdurch bekräftigt.974 Der Ankläger kann dem Beschuldigen daher kein Strafmaß verbindlich zusichern. Er kann ihm lediglich anbieten, höchstens ein bestimmtes Strafmaß zu beantragen.975 Ob die Kammer sich an diesen Vorschlag hält, ist ihr überlassen. Dies dient auch dem Schutz der Opfer.976 Die Verfahrenskammer kann dafür Sorge tragen, dass die Strafe schuldangemessen ist, das Leid der Opfer nicht durch eine zu niedrige Strafe bagatellisiert wird. Allerdings wird die faktische Wirksamkeit dieser Vorschrift teilweise bestritten. Das Gericht würde in den meisten Fällen dem Antrag der Anklage folgen, den Absprachen käme daher zumindest faktische Bindungswirkung zu.977 Hiergegen lässt sich anführen, dass das ICTY immerhin in zwei Fällen Strafen verhängt hat, die deutlich über den Empfehlungen des Anklägers lagen.978

4. Beweisvereinbarungen In inhaltlicher Nähe zum Geständnis steht Rule 69. Diese lässt Beweisvereinbarungen zwischen dem Ankläger und der Verteidigung zu. Die Parteien können sich darauf einigen, dass eine in der Anklage enthaltene Tatsache, der Inhalt eines Dokuments, die zu erwartende Aussage eines Zeugen oder ein anderes Beweismittel nicht bestritten wird. Das Gericht kann daraufhin die fragliche Tatsache als 972 Siehe Erdemovic´ Trial Judgement, o. Fn. 971, Rn. 18; Sikirica et al. Sentencing Judgement, o. Fn. 938, Rn. 17 – 37; Milan Simic´ Sentencing Judgement, o. Fn. 938, Rn. 9 – 16; Plavšic´ Sentencing Judgement, o. Fn. 938, Rn. 5; Momir Nikolic´ Trial Judgement, o. Fn. 938, Rn. 16 – 19; Predrag Banovic´ Sentencing Judgement, o. Fn. 938, Rn. 9 – 12; Obrenovic´ Trial Judgement, o. Fn. 938, Rn. 13 – 14; Dragan Nikolic´ Sentencing Judgement, o. Fn. 937, Rn. 10; Cesic´ Sentencing Judgement, o. Fn. 4; Jokic´ Trial Judgement, o. Fn. 938, Rn. 5; Deronjic´, Sentencing Judgement, o. Fn. 937, Rn. 6; Mrdja Trial Judgement, o. Fn. 938, Rn. 4; Babic´ Trial Judgement, o. Fn. 938, Rn. 6; Radjic´ Trial Judgement, o. Fn. 938, Rn. 16; Zelenovic´ Trial Judgement, o. Fn. 938, Rn. 10; Kambanda Trial Judgement, o. Fn. 938, Rn. 4; Ruggio Trial Judgement, o. Fn. 937, Rn. 7; Bisenginama Trial Judgement, o. Fn. 938, Rn. 9; Serugendo Trial Judgement, o. Fn. 938 3; Nzabirinda Trial Judgement, o. Fn. 938, Rn. 7; Rugambarara Trial Judgement, o. Fn. 938, Rn. 7. 973 Triffterer(-Guarigilia / Hochmayr), Art. 65 IStGH-Statut Rn. 40; Orie, S. 1481. 974 Lagodny, S. 811. 975 Triffterer(-Guariglia / Hochmayr), Art. 65 IStGH-Statut Rn. 40. 976 Kavran, S. 142. 977 Arzt, S. 701. 978 In Dragan Nikolic´ Sentencing Judgement, o. Fn. 937, Rn. 275 hat der Ankläger hat auf 15 Jahre plädiert; die Kammer hat Dragan Nikolic´ zu 23 Jahren Haft verurteilt. In Momir Nikolic´ Trial Judgement, o. Fn. 938 hat sich der Ankläger im plea agreement verpflichtet, ein Strafmaß zwischen 15 – 20 Jahren vorzuschlagen (Rn. 16). Die Kammer hat Momir Nikolic´ aber zu 27 Jahren Haft verurteilt.

C. Das Verfahren vor dem IStGH

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bewiesen ansehen. Rule 69 stärkt zunächst die Parteien. Sie stellt den Prozessstoff zu ihrer Disposition. Allerdings ist das Gericht nicht an eine derartige Vereinbarung gebunden.979 Ob es die Tatsache als bewiesen ansieht, liegt in seinem Ermessen. Dadurch wird die verfahrensbeherrschende Rolle des Gerichts bestätigt. Rule 69 fördert Absprachen zwischen Verteidigung und Ankläger. Der Beschuldigte kann bestimmte Tatsachen anerkennen, ohne sich schuldig bekennen zu müssen.980 Ebenso wie Art. 65 IStGH-Statut liegen auch der Zulässigkeit von Beweisvereinbarungen prozessökonomische Erwägungen zugrunde. Sie liefern die Möglichkeit, die Beweisaufnahme und damit das gesamte Verfahren abzukürzen.981 Für die Opfer kann dies die bereits beim Geständnis beschriebenen positiven Effekte haben. Sie werden zum einen nicht durch die Aussage belastet. Zum anderen kann auch die Beweisvereinbarung eine Anerkennung ihres Leidens beinhalten. Allerdings birgt Rule 69 die gleichen Gefahren wie die Verfahrensverkürzung nach einer admission of guilt. Auch Beweisvereinbarungen können sich zu Lasten der materiellen Wahrheitsfindung auswirken. Durch eine umfassende Beweiserhebung könnte das Gericht von Tatsachen Kenntnis erlangen, die nicht Gegenstand der Vereinbarung sind. Rule 69 zieht daher der Ermessensausübung durch das Gericht Grenzen. Eine vollständige Beweisaufnahme ist dann durchzuführen, wenn dies nach Auffassung der Kammer im Interesse der Gerechtigkeit, insbesondere im Interesse der Opfer, erforderlich ist. Dies entspricht den in Art. 65 Abs. 4 IStGH-Statut aufgestellten Kriterien. Geständnis und Beweisvereinbarung unterscheiden sich aber in einem wesentlichen Punkt. Ersteres ermöglicht es, auf die vollständige Beweisaufnahme zu verzichten. Rule 69 greift hingegen kürzer. Nur eine einzelne Tatsache, der Inhalt einer bestimmten Zeugenaussage gilt als bewiesen. Es kommt also zu einem Selektionsprozess: der Gerichtshof kann auf die Aussage bestimmter Zeugen verzichten. Die Opfer können – den damit verbundenen Belastungen zum Trotz – aber das Bedürfnis haben, vor dem Gerichtshof auszusagen, ihr Leid zu schildern und die Öffentlichkeit auf die begangenen Verbrechen aufmerksam zu machen. Wird einem aussagebereiten Opferzeugen diese Möglichkeit genommen, so kann er den Eindruck gewinnen, dass das von ihnen erlittene Unrecht nur von untergeordneter Bedeutung ist. Wird die Hoffnung des Opfers, Tat und Tatfolgen vor Gericht schildern zu können, enttäuscht, besteht die Gefahr einer sekundären Viktimisierung. Die Kammer befasst sich länger und intensiver mit den streitigen Punkten. Andere 979 Siehe auch Prosecutor v. Lubanga – Decision on Disclosure Issues, Responsibilities for Protective Measures and other Procedural Matters, TC I, ICC-01 / 04-01 / 06-1311-Anx2, 24. 4. 2008, Rn. 90; Prosecutor v. Lubanga – Conclusions de la Défense relatives à l’ „ordre setting out the schedule for submission and hearings on further subjects which require determination prior to trial“, ICC-01 / 04-01 / 06-1110, 7. 1. 2008, Rn. 52. 980 Siehe auch Terrier (2002b), S. 1294 „an intermediate category between the guilty and the not guilty plea“ sowie Ambos (2003), S. 31. 981 Terrier (2002b), S. 1294.

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Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

Opfer erhalten die Möglichkeit auszusagen. Die damit verbundene Ungleichbehandlung kann als Relativierung des erlittenen Unrechts empfunden werden. Das Gericht hat dafür Sorge zu tragen, dass den einzelnen Tatvorwürfen hinreichend Zeit eingeräumt wird, um ihrer Bedeutung für die Opfer gerecht zu werden. Rule 69 sollte daher nicht angewandt werden, um die Aussage aussagewilliger Opferzeugen obsolet zu machen.

5. Zusammenfassung In der Hauptverhandlung sollte das Gericht eine aktive, verfahrensleitende Position einnehmen. Dies entspricht nicht nur der eindeutigen Tendenz des Prozessrechts, sondern ermöglicht auch ein strukturiertes und damit zügiges Verfahren. Die dominierende Rolle der Verfahrenskammer zeigt sich besonders im Verfahren nach Art. 65 IStGH-Statut, bei plea-agreements sowie bei den hiermit verwandten Beweisvereinbarungen. Soweit sich Ankläger und Verteidigung über bestimmte tatsächliche Fragen einig sind, eröffnen diese Instrumente die Möglichkeit, auf eine Beweisaufnahme zu verzichten und die Hauptverhandlung zu verkürzen. Die endgültige Entscheidung hierüber obliegt aber nicht den Parteien, sondern dem Gericht. Den Opfern kann auf diese Weise die belastende Zeugenaussage erspart werden. Allerdings muss auch ihr Interesse an einer umfassenden Sachverhaltsaufklärung sowie ihr Wille, in einem öffentlichen Forum von den Straftaten berichten zu dürfen, beachtet werden. Dies gilt umso mehr, wenn nur auf die Aussagen bestimmter Zeugen verzichtet werden kann, die Opfer also ungleich behandelt werden. Einen Ausgleich zwischen den Rechten des Anklagten, prozessökonomischen Erwägungen und den Opferbelangen zu finden, ist Aufgabe der Verfahrenskammer.

XI. Strafe, Strafzumessung und -vollstreckung Der Gerichtshof kann nach Art. 77 Abs. 1 IStGH-Statut entweder eine zeitlich begrenzte Freiheitsstrafe mit einer Höchstdauer von 30 Jahren oder eine lebenslange Freiheitsstrafe verhängen. Daneben kann der Gerichtshof noch eine Geldstrafe oder die Einziehung von Vermögenswerten anordnen. Ziel von Art. 77 Abs. 2 IStGH-Statut ist es, Bereicherungen durch die Straftaten abzuschöpfen.982 Die auf diese Weise eingenommenen Gelder und sonstigen Vermögenswerte können dem Ausgleich der von den Opfern erlittenen Schäden und Verletzungen dienen. Zu diesem Zweck kann der Gerichtshof anordnen, dass die Gelder an den Treuhandfond überwiesen werden.983 Siehe Rule 146 Abs. 2. Siehe Rule 146 Abs. 2, Art. 79 Abs. 2 IStGH-Statut. Vertiefend zum Treuhandfonds unten Teil 5 F. V. 2. 982 983

C. Das Verfahren vor dem IStGH

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1. Ausschluss der Todesstrafe Die in Art. 77 IStGH-Statut aufgezählten Strafen sind abschließend.984 Der Gerichtshof kann dementsprechend nicht die Todesstrafe verhängen.985 Das IStGHStatut folgt insoweit dem Vorbild der Ad-hoc-Tribunale, die in ihren Statuten ebenfalls die Todesstrafe ausschließen.986 Dies entspricht auch der Politik der Vereinten Nationen, die der Todesstrafe generell ablehnend gegenüberstehen.987 Der Ausschluss der Todessstrafe ist wegen der nicht nachweisbaren abschreckenden Wirkung988 und der ihr entgegenstehenden humanitären Bedenken uneingeschränkt begrüßenswert. Hingewiesen sei aber auf einen Umstand, der die Glaubwürdigkeit und Akzeptanz des Gerichtshofs beeinträchtigen kann. Nach Art. 80 IStGH-Statut bleiben die Rechtsvorschriften der Nationalstaaten über zu verhängende Strafen unberührt. Das heißt, dass das IStGH-Statut nationalen Gerichten die Verhängung und Vollstreckung der Todesstrafe nicht verbietet989 – und zwar weder allgemein noch spezifisch für die core crimes. Daher kann es vorkommen, dass die Täter im Tatortstaat hingerichtet werden können, ihnen vor dem IStGH aber maximal eine lebenslange Freiheitsstrafe droht. Dies ist auch im Verhältnis des ICTR zu den nationalen Gerichten in Ruanda der Fall.990 Der hieraus folgende Wertungswiderspruch wird dadurch erhöht, dass es Aufgabe der internationalen Gerichtsbarkeit ist, die Taten der hauptverantwortlichen Täter zu ahnden. Dies kann zu dem unbefriedigenden Ergebnis führen, dass diese milder bestraft werden, als Täter, die sich geringerer Taten schuldig gemacht und von nationalen Gerichten zum Tode verurteilt werden.991 Eine derartige „Privilegierung“ der Hauptverantwortlichen darf Triffterer(-Fife), Art. 77 IStGH-Statut Rn. 1. Jescheck (1998), S. 449; Triffterer(-Fife), Art. 77 IStGH-Statut Rn. 3; Triffterer (-Fife), Art. 80 IStGH-Statut Rn. 4; Fastenrath, S. 635; Seidel / Stahn, S. 20; Schabas (2000), S. 116; ders. (2002), S. 1505; Fernández de Gurmendi (2001b), S. 253; Hermsdörfer (2001), S. 11; Robertson, S. 335; Mangold, S. 227; Neubacher (2006b), S. 968; Bassiouni (2008e), S. 610. 986 Artt. 24 Abs. 1 S. 1 ICTY-Statut; 23 Abs. 1 S. 1 ICTR-Statut. Siehe auch Triffterer (-Fife), Art. 80 IStGH-Statut Rn. 4; Penrose, S. 338; Robertson, S. 335; Schabas (2000), S. 116. 987 Siehe Second Optional Protocol to the International Convenant on Civil and Political Rights aiming at the abolition of the death penalty vom 11. 7. 1991, 1642 UNTS 414 sowie The High Commissioner’s Position Paper on the Establishment of a Permanent International Criminal Court, Geneva 15 June 1998, Rn. 75. 988 Siehe dazu oben Teil 4 A. III. 1. b). 989 Ambos (1998d), S. 3746; Fastenrath, S. 635 Fn. 33; Seidel / Stahn, S. 20; Fernández de Gurmendi (2001b), S. 254; Robertson, S. 335; Eser (2003), S. 112; Schabas (2007), S. 165; Bassiouni (2008e), S. 610. 990 Harhoff (1997), S. 584; Morris (1997), S. 356 – 357; Robertson, S. 336. Siehe zu den von ruandischen Gerichten verhängbaren Strafen Ruggio Trial Judgement, o. Fn. 937, Rn. 28 – 29. Diesen Umstand nahm die ruandanische Regierung u. a. zum Anlass gegen die Errichtung des ICTR zu stimmen, siehe Schabas (1997), S. 507; Penrose, S. 344; Kamatali, S. 128 – 129. 984 985

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Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

aber nicht dadurch entgegengewirkt werden, dass Art. 77 IStGH-Statut um die Todesstrafe ergänzt wird. Vielmehr sollte es Ziel sein, auf eine weltweite Abschaffung der Todesstrafe hinzuwirken.992 Der Verzicht der Staatengemeinschaft, die Todesstrafe im IStGH-Statut aufzunehmen, kann insoweit Signalwirkung entfalten.993 Es darf aber nicht unterschätzt werden, dass die Bestrafungsunterschiede für die Opfer teilweise nur schwer nachvollziehbar sind. Die Verhängung einer Freiheitsstrafe durch den IStGH – sei sie auch lebenslang – kann als zu milde und damit dem erlittenen Unrecht nicht angemessen empfunden werden. Es besteht die Gefahr, dass die Opfer das Gefühl haben, dass der IStGH durch den Verzicht auf die Verhängung der Todesstrafe das vom Täter verübte Unrecht nicht in vollem Umfang zur Kenntnis nimmt, vielleicht sogar bagatellisiert.994 Um einer sekundären Viktimisierung vorzubeugen, sollten die Opfer umfassend über den generellen Ausschluss der Todesstrafe und die hier hinterstehenden Erwägungen informiert werden.

2. Strafzumessung Das IStGH-Statut selbst enthält keine detailierten Vorschriften zur Strafzumessung. Art. 78 IStGH-Statut stellt lediglich fest, dass der Gerichtshof die Schwere des Verbrechens und die persönlichen Verhältnisse des Verurteilten berücksichtigen soll. Konkreter wird Rule 145. Diese legt zunächst fest, dass die Strafe schuldangemessen sein muss.995 Dies bedeutet aber nicht, dass die Strafe ausschließlich dem Schuldausgleich dient. Auch die anderen Strafzwecke dürfen Berücksichtigung finden.996 Bedingung ist lediglich, dass die festgesetze Strafe im Ergebnis das Unrecht der Tat widerspiegelt ist. Rule 145 Abs. 1 lit. c) IStGH-Statut enthält einen nicht abschließenden Katalog997 zu berücksichtigender Umstände. Maßgebend sind unter anderem die verursachten Schäden, vor allem das den Opfern und ihren Familien zugefügte Leid. Der opferzentrierte Ansatz bei der Strafzumessung wird durch den nächsten Absatz, der beispielhaft strafmildernde und strafschärfende Faktoren aufzählt, verstärkt. Mildernd kann sich beispielsweise das Nachtatverhalten des Verurteilten auswirken. Dies gilt insbesondere, wenn er sich um Wiedergutmachung für die Opfer bemüht.998 Damit wird für den Täter ein Anreiz 991 Harhoff (1997), S. 584; Morris (1997), S. 356 – 357; Smidt, S. 193; Robertson, S. 336; Drumbl, S. 11. 992 So schon für Ruanda Schabas (1997), S. 508. 993 Siehe auch Schabas (2002), S. 1506. 994 Siehe auch Morris (2000), S. 196. 995 Rule 145 Abs. 1 lit. a). 996 Siehe auch Kunarac et al. Trial Judgement, o. Fn. 938, Rn. 836; Prosecutor v. Brdjanin, Trial Judgement, TC II, IT-99-36-T, 1. 9. 2004, Rn. 1090; Prosecutor v. Hadzihasanoviç & Kubura, Trial Judgement TC II, IT-01-47-T, 15. 3. 2006, Rn. 2070. 997 Fife (2001), S. 564.

C. Das Verfahren vor dem IStGH

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geschaffen, sich zu seiner Verantwortung gegenüber den Opfern zu bekennen und zum Ausgleich des verursachten Schadens beizutragen.999 Strafschärfend wirkt es sich hingegen aus, wenn das Opfer besonders wehrlos ist,1000 die Tat besonders grausam war oder sich gegen eine hohe Anzahl von Opfern richtete1001. Als zusätzliche Richtlinie kann auch hier die Rechtsprechung der Ad-hoc-Tribunale dienen.1002 Diese haben Sadismus,1003 Grausamkeiten und Demütigungen,1004 die Verursachungen besonders großer Leiden1005 sowie fehlendes Mitgefühl mit den Opfern1006 strafschärfend berücksichtigt. Zugunsten des Täters wirken sich hingegen Akte der Gnade und der Unterstützung gegenüber den Opfern1007 sowie der Ausdruck von Reue1008 aus. Überwiegend wurde auch das Ablegen eines Geständnisses in Form des guilty plea strafmildernd berücksichtigt.1009 Rule 145 Abs. 2 lit a) (ii). Siehe zur Bedeutung der Wiedergutmachung für die Opfer unten Teil 5 F. 1000 Rule 145 Abs. 2 lit. b) (iii). 1001 Rule 145 Abs. 2 lit. b) (iii). 1002 Diese war auch bereits bei den Verhandlungen über die Rules maßgebender Bezugspunkt, Fife (2001), S. 559. 1003 Prosecutor v. Tadic´, Sentencing Judgement, TC II, IT-94-1-T, 14. 7. 1997, Rn. 16; Prosecutor v. Delalic´ et al., Trial Judgement, TC II, IT-96-21-T, 16. 11. 1998, Rn. 1264; Prosecutor v. Blaškic´, Trial Judgement, TC I, IT-95-14-T, 3. 3. 2000, Rn. 783; Kunarac et al. Trial Judgement, o. Fn. 938, Rn. 874 – 875. 1004 Tadic´ Sentencing Judgement, o. Fn. 1003, Rn. 22; Delalic´ et al. Trial Judgement, o. Fn. 1003, Rn. 1274; Todorovic´ Sentencing Judgement, TC I, o. Fn. 938, Rn. 63 – 65; Prosecutor v. Martic´, Trial Judgement, TC I, IT-95-11-T, 12. 6. 2007, Rn. 495. 1005 Tadic´ Sentencing Judgement, o. Fn. 1003, Rn. 70; Erdemovic´ Trial Judgement, o. Fn. 971, Rn. 20; Blaškic´ Trial Judgement, o. Fn. 1003, Rn. 786; Furundzija Trial Judgement, o. Fn. 380, Rn. 288; Martic´ Trial Judgement, o. Fn. 1004, Rn. 495; Kayishema & Ruzindana, Trial Judgement, o. Fn. 1122, Rn. 16. Siehe auch Prosecutor v. Haradinaj et al., Trial Judgement, TC I, IT-04-84-T, 3. 4. 2008, Rn. 492. 1006 Prosecutor v. Rutaganda, Trial Judgement, TC I, ICTR-96-3, 6. 12. 1999, Rn. 473; Prosecutor v. Kambanda Trial Judgement, o. Fn. 938, Rn. 51. 1007 Erdemovic´ Trial Judgement, o. Fn. 938, Rn. 96 – 98, 106, 110; Delalic´ et al. Trial Judgement, o. Fn. 1003, Rn. 1239, 1270; Proscutor v. Kupreškic´ et al., Trial Judgement, TC II, IT-95-16-T, 14. 1. 2000, Rn. 850; Blaškic´ Trial Judgement, o. Fn. 1003, Rn. 781; Sikirica et al. Sentencing Judgement, o. Fn. 938, Rn. 229; Martic´ Trial Judgement, o. Fn. 1004, Rn. 501; Rutaganda Trial Judgement, o. Fn. 1006, Rn. 471; Ruggio Trial Judgement, o. Fn. 937, Rn. 73 – 74; Prosecutor v. Galic´, Trial Judgement, TC I, IT-98-29-T, 5. 12.2003, Rn. 759; Prosecutor v. Limaj et al., Trial Judgement, TC II, IT-03-66-T, 30. 11. 2005, Rn. 732. 1008 Erdemovic´ Trial Judgement, o. Fn. 971, Rn. 16; Blaškic´ Trial Judgement, o. Fn. 1003, Rn. 775; Kunarac et al. Trial Judgement, o. Fn. 938, Rn. 868; Todorovic´ Sentencing Judgement, o. Fn. 938, Rn. 89 – 92; Sikirica et al. Sentencing Judgement, o. Fn. 938, Rn. 152, 192, 194; Martic´ Trial Judgement, o. Fn. 1004, Rn. 501; Prosecutor v. Kambanda Trial Judgement, o. Fn. 938, Rn. 34, 36, 50 – 52; 2. 10. 1998, Kayishema & Ruzindana, Sentence, o. Fn. 1005, Rn. 20; Ruggio Trial Judgement, o. Fn. 937, Rn. 69 – 72; Babic´ Trial Judgement, o. Fn. 938, Rn. 48. 1009 Siehe die Nachweise in Fn. 987. 998 999

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Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

Bezüglich der lebenslangen Freiheitsstrafe bestimmt Art. 77 Abs. 1 lit. b) IStGH-Statut, dass diese nur dann verhängt werden darf, wenn dies kumulativ1010 durch die außergewöhnliche Schwere des Verbrechens und die persönlichen Verhältnisse des Verurteilten gerechtfertigt ist. Zwar sind die core crimes immer außergewöhnlich schwere Verbrechen. Dennoch ist Art. 77 Abs. 1 lit. b) IStGHStatut als Ausnahmevorschrift konzipiert.1011 Eine lebenslange Freiheitsstrafe kommt daher nur in Betracht, wenn die begangenen Straftaten selbst für core crimes außergewöhnlich schwer sind.1012 Näher konkretisiert wird dies durch Rule 145 Abs. 3. Eine lebenslange Freiheitsstrafe kann nur verhängt werden, wenn zumindest ein strafschärfender Faktor vorliegt. Damit erlangen auch bei der Festlegung der lebenslangen Freiheitsstrafe wieder die in Rule 145 Abs. 2 genannten opferspezifischen Gesichtspunkte Bedeutung. Bereits in der Rechtsprechung der Ad-hoc-Tribunale bestimmten opferspezfische Erwägungen in weitem Umfang die Strafzumessung. Bestätigt wird dies für den IStGH durch Rule 145. Die oben theoretisch fundierte1013 Integration des Opfergedankens in die Strafzwecklehre ist im Bereich der Strafzumessung umfassend umgesetzt.

3. Berücksichtigung nationaler Praxis? In den Statuten der Ad-hoc-Tribunale ist explizit vorgesehen, dass die Kammer bei der Strafzumessung die Praxis der nationalen Gerichte berücksichtigen soll.1014 Damit soll erreicht werden, dass die Arbeit der Tribunale mit der der nationalen Justiz kompatibel ist, die internationalen Urteile dem Rechts- und Strafempfinden der betroffenen Gesellschaft Rechnung tragen.1015 Dies erhöht die Akzeptanz der Urteile. Für den IStGH fehlt es an einer entsprechenden Vorschrift. Dies liegt daran, dass der IStGH anders als die Ad-hoc-Tribunale mit mehreren Situationen befasst ist. Die Berücksichtigung der nationalen Praxis würde bedeuten, dass in den unterschiedlichen Situationen andere Strafzumessungsgrundsätze gelten würden. Der IStGH müsste mit zweierlei Maß messen. Dies würde gegen den Grundsatz der Rechtsgleichheit für alle Angeklagten verstoßen. Werden ähnliche Taten unterschiedlich sanktioniert, kann zudem der Eindruck entstehen, dass bestimmte Opfergruppen weniger wert und schützenswert sind, als andere.1016 Der 1010 1011 1012

Triffterer(-Fife), Art. 77 IStGH-Statut Rn. 24. Siehe auch Schabas (2002), S. 1512. Triffterer(-Fife), Art. 77 IStGH-Statut Rn. 24; Schabas (2000), S. 115; ders. (2002),

S. 511. Siehe oben Teil 4. Artt. 24 Abs. 1 S. 2 ICTY-Statut; 23 Abs. 1 S. 2 ICTR-Statut. 1015 Harhoff (1997), S. 581. Zudem sollen diese Vorschriften auch dem Rückwirkungsverbot Rechnung tragen, siehe Schabas (1997), S. 468 – 482. Diese Problematik stellt sich vor dem IStGH, der nur für Taten nach Inkrafttreten des IStGH-Statuts zuständig ist, nicht. 1013 1014

C. Das Verfahren vor dem IStGH

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IStGH kann daher nicht in gleichem Maße Rücksicht auf die nationale Strafzumessungspraxis wie die Ad-hoc-Tribunale nehmen.1017 Dies bedeutet aber möglicherweise, dass seine Urteile nicht mit denen nationaler Gerichte harmonieren und als Fremdkörper geringere Akzeptanz genießen. Dies kann beispielsweise der Fall sein, wenn der IStGH deutlich seltener als nationale Gerichte lebenslange Freiheitsstrafen verhängt.

4. Strafvollstreckung Die Vollstreckung der Freiheitsstrafe erfolgt in Nationalstaaten, die sich hierzu bereiterklärt und in eine von der Kanzlei geführten Liste haben aufnehmen lassen. Aus dieser wählt der Gerichtshof im Einzelfall den Vollstreckungsstaat aus.1018 Gemäß Art. 106 IStGH-Statut hat der Gerichtshof die Aufsicht über die Vollstreckung. Er entscheidet auch über eine Herabsetzung des Strafmaßes. Diese ist möglich, wenn der Verurteilte zwei Drittel seiner Strafe oder bei lebenslanger Freiheitsstrafe 25 Jahre verbüßt hat.1019 Zu den zu berücksichtigenden Faktoren gehört auch, ob der Verurteilte geholfen hat, Wiedergutmachungsanordnungen des Gerichtshofs zugunsten der Opfer umzusetzen.1020 Auch hier setzt das IStGH-Statut wieder Anreize für ein opferfreundliches Verhalten. Problematisch kann aus Opfersicht allerdings der hohe menschenrechtliche Standard insbesondere westlicher Gefängnisse sein. Die Gefangenen werden umfassend medizinisch versorgt, angemessen untergebracht und können zumindest im begrenzten Umfang die gefängnisinternen Freizeiteinrichtungen nutzen. Damit haben viele Täter nach Verurteilung einen höheren und gesichterten Lebensstandard als ein Großteil ihrer Opfer, die sich noch in einem wirtschaflichen schwachen (ehemaligen) Krisengebiet befinden. Dies kann dazu führen, dass die Opfer die Strafvollstreckung nicht als Übelszufügung ansehen.1021

XII. Berufung Statthaftes Rechtsmittel gegen ein Urteil i. S. d. Art. 74 IStGH-Statut ist die Berufung durch den Ankläger und den Verurteilten. Gemäß Art. 81 Abs. 1 lit. a) IStGH-Statut kann der Ankläger wegen eines Verfahrensfehlers, fehlerhafter Tatsachenfeststellung oder fehlerhafter Rechtsanwendung Berufung einlegen. Wie im 1016 1017 1018 1019 1020 1021

Siehe auch Drumbl, S. 12 – 13. Penrose, S. 375. Art. 103 Abs. 1 lit. a) IStGH-Statut. Art. 110 Abs. 3 S. 1 IStGH-Statut. Art. 110 Abs. 4 lit. b) IStGH-Statut. Siehe Drumbl, S. 12.

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Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

civil law üblich,1022 kann der Ankläger auch einen Freispruch mit der Berufung angreifen.1023 Der Verurteilte kann zusätzlich jeden anderen Grund, der die Fairness oder Verlässlichkeit des Verfahrens oder des Urteils beeinträchtigt, geltend machen.1024 Ganz im Sinne der Objektivitätsverpflichtung des Anklägers kann dieser auch zugunsten des Verurteilten Berufung einlegen. Art. 81 Abs. 2 lit. a) IStGH-Statut ermöglicht zudem ein isoliertes Vorgehen gegen die Strafzumessung. Kommt die Rechtsmittelkammer zu dem Schluss, dass die Berufung begründet ist, so kann sie entweder das Urteil oder den Strafausspruch aufheben oder abändern oder eine neue Verhandlung vor einer anderen Hauptverfahrenskammer anordnen.1025 Anderenfalls wird die Berufung verworfen. Das Urteil muss nicht einstimmig erfolgen, eine einfache Stimmenmehrheit der Richter ist gemäß Art. 83 Abs. 4 S. 1 HS 1 IStGH-Statut ausreichend. Die Berufungskammer muss die Gründe für ihre Entscheidung unter Berücksichtigung der Minderheitenaufassung1026 im Urteil darlegen.1027 Die Richter haben das Recht, persönliche oder abweichende Meinungen zu einzelnen Rechtsfragen abzugeben.1028 Die Berufungsgründe sind sehr weit gefasst und ermöglichen eine umfassende Kontrolle der erstinstanzlichen Entscheidung sowohl in rechtlicher als auch in tatsächlicher Hinsicht. Dies gilt vor allem mit Blick auf die catch-all-Vorschrift des Art. 81 Abs. 1 lit. b) iv) IStGH-Statut.1029 Es stellt sich aber die Frage nach der Natur der Berufungsverhandlung. Ist sie eine vollständig neue Tatsacheninstanz oder dient sie lediglich der Kontrolle der erstinstanzlichen Entscheidung? Diese Frage ist für die Opfer von entscheidender Bedeutung, hängt von der Antwort doch ab, ob sie auch im Zuge des Berufungsverfahrens als Zeugen gehört werden müssen. Die Berufungskammer der Ad-hoc-Tribunale entscheidet überwiegend im schriftlichen Verfahren.1030 Die Einführung neuer Beweise ist zwar grundsätzlich möglich, allerdings nur unter den in den Rules festgelegten einschränkenden Voraussetzungen.1031 Die Berufung ist dem angloamerikanischen appeal nachgebildet1032 und kann als „erweiterte Revision“ bezeichnet werden.1033 Sie ist kein 1022 Scharf (1999), S. 644; Brady / Jennings, S. 297; Triffterer(-Staker), Art. 81 IStGHStatut Rn. 1; Lagodny, S. 812; Roth / Henzelin, S. 1542; Hall (2004), S. 130; Stehle, S. 229; Manning, S. 814. 1023 Kritisch Robertson, S. 337; Hall (2003), S. 31. 1024 Art. 81 Abs. 1 lit. b) (iv) IStGH-Statut. 1025 Art. 83 Abs. 2 S. 1 litt. a) und b) IStGH-Statut. 1026 Art. 83 Abs. 4 S. 3 HS. 1 IStGH-Statut. 1027 Art. 83 Abs. 4 S. 1 IStGH-Statut. 1028 Art. 83 Abs. 4 S. 3 HS. 2 IStGH-Statut. 1029 Tiffterer(-Staker), Art. 81 IStGH-Statut Rn. 12; Roth / Henzelin, S. 1545. 1030 ICTY / ICTR-Rules 111 – 113. 1031 ICTY-Rules 115, 177 (A), ICTR-Rules 115, 118 (A). Siehe auch Lundqvist, S. 655 – 661; Wirth (2005), S. 83 – 85. 1032 Ambos (2008a), § 8 Rn. 45.

C. Das Verfahren vor dem IStGH

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Verfahren de novo1034, sondern vielmehr ein Instrument zur Fehlerkorrektur, das dem Angeklagten einen fairen Prozess sichern soll.1035 Das IStGH-Statut billigt in Art. 83 Abs. 1 der Berufungskammer die Befugnisse der Hauptverfahrenskammer zu. Bezuggenommen wird damit in erster Linie auf Art. 64 IStGH-Statut. Erfasst sind aber auch sämtliche Befugnisse, die der Hauptverfahrenskammer durch andere Vorschriften des IStGH-Statuts oder in den Rules zugesprochen werden. Daher hat die Berufungskammer auch das Recht, gemäß Art. 64 Abs. 6 litt. b) und d) IStGH-Statut in die Beweisaufnahme einzutreten, insbesondere Zeugen zu hören. Dies stellt Art. 83 Abs. 2 S. 2 HS 2 IStGH-Statut ausdrücklich klar. Der Verweis auf die für das Hauptverfahren geltenden Vorschriften legt zudem nahe, dass die Berufung vor dem IStGH im Gegensatz zu den Ad-hoc-Tribunalen nicht im schriftlichen Verfahren erfolgen soll, sondern dass grundsätzlich eine mündliche Verhandlung vorgesehen ist. Dies bedeutet aber nicht, dass in der Berufung der Fall vollständig neu aufgerollt würde.1036 Dies wäre mit Blick auf die lange Verfahrensdauer äußerst unökonomisch. Zudem ist es nicht erforderlich, um dem Fairnessgebot Genüge zu tun. Es ist ausreichend, wenn die Möglichkeit gegeben wird, Fehler des erstinstanzlichen Verfahrens oder Urteils zu revidieren. Betrifft der Fehler eine Tatsachenfrage, muss die Beweisaufnahme nur insoweit wiederholt und ergänzt werden, wie dies zur Fehlerkorrektur notwendig ist. Dabei kann die Berufungskammer entscheiden, ob sie selbst Beweis erhebt oder dies an die Verfahrenskammer delegiert.1037 Ist der Fehler allerdings so schwerwiegend, dass ein neues Verfahren erforderlich ist,1038 so wird dieses von einer anderen Hauptverfahrenskammer durchgeführt.1039 Dies legt nahe, dass grundsätzlich die Hauptverfahrenskammer zur Beweisaufnahme berufen ist.1040 Die Berufung ist daher nicht als vollständig Stefan Kirsch, S. 637; Ambos (2008a), § 8 Rn. 45. Erdemovic´ Appeals Judgement, o. Fn. 939, Rn. 15; Prosecutor v. Tadic´ – Decision on Appellant’s Motion for the Extension of the Time-Limit and Admission of Additional Evidence, AC, IT-94-1, 15. 10. 1998, Rn. 41 – 42; Prosecutor v. Delalic´ et al., Appeals Judgement, AC, IT-96-21-A, 20. 2. 2001, Rn. 724; Prosecutor v. Limaj et al., Appeals Judgement, AC, IT-03-66-A, 27. 9. 2007, Rn. 127; Prosecutor v. Hadzihasanovic´ & Kubura, Appeals Judgement, AC, IT-01-47-A, 22. 4. 2008, Rn. 9; Prosecutor v. Martic´, Appeals Judgement, AC, IT-95-11-A, 8. 10. 2008, Rn. 13; Prosecutor v. Krajišnik, Appeals Judgement, AC, IT-00-39-A, 17-3-2009, Rn. 13; Prosecutor v. Mrkšic´ & Šlijivanc´anin, Appeals Judgement, AC, IT-95-13 / 1-A, Rn. 229; Prosecutor v. Dragomir Miloševc´, Appeals Judgement, AC, IT-98-29- / 1-A, 12. 11. 2009, Rn. 14; May / Wierda, Rn. 9.07; Lundqvist, S. 642. 1035 Siehe nur Art. 14 para. 5 IPbpR sowie Prosecutor v. Aleksovski, Appeals Judgement, AC, IT-95-14 / 1-A, 24. 3. 2000, Rn. 113; Erdemovic´ Appeals Judgement, o. Fn. 939, Rn. 15; Delalic´ et al., Appeals Judgement, o. Fn. 1034, Rn. 724; May / Wierda, Rn. 9.04. 1036 Roth / Henzelin, S. 1553. Siehe auch Milan Martic´ Appeals Judgement, o. Fn. 1034, Rn. 10 ff. 1037 Art. 83 Abs. 2 S. 2 IStGH-Statut. 1038 Triffterer(-Staker), Art. 83 IStGH-Statut Rn. 6. Siehe zur Praxis des ICTY Lundqvist, S. 661 – 634. 1039 Art. 83 Abs. 2 S. 1 lit. b) IStGH-Statut. 1033 1034

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Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

neue, von der ersten Instanz unbeeinflusste Verhandlung konzipiert,1041 sondern nur Mittel zur Fehlerkorrektur. Soweit eine Beweisaufnahme durch die Berufungskammer erfolgt, entspricht die Situation auch für die Opfer die der Hauptverhandlung. Die angestellten Erwägungen gelten entsprechend. Dies gilt vor allem für die Vernehmung des Opfers als Zeuge.

XIII. Beschwerde gegen sonstige Entscheidungen Die Berufung ist das taugliche Rechtsmittel gegen das die Hauptverhandlung beendende Urteil. Sonstige Verfahrensentscheidungen können die Parteien – also jedenfalls der Beschuldigte und der Ankläger1042 – nach Art. 82 IStGH-Statut mit der Beschwerde angreifen. Dies gilt für die Entscheidung betreffend die Gerichtsbarkeit oder Zulässigkeit, die Entscheidung über die Haftentlassung des Beschuldigten sowie die Entscheidung der Vorverfahrenskammer nach Art. 56 Abs. 3 IStGH-Statut Proprio-motu-Ermittlungsmaßnahmen anzuordnen. Art. 82 Abs. 1 lit. d) IStGH-Statut erlaubt zudem einen interlocutory appeal hinsichtlich jeder Entscheidung über eine Frage, die die faire und zügige Durchführung des Verfahrens oder alternativ1043 das Ergebnis des Hauptverfahrens maßgeblich beeinflussen würde und1044 deren sofortige Regelung durch die Berufungskammer das Verfahren wesentlich voranbringen kann. Ermöglicht wird, eine bestimmte Entscheidung isoliert vom übrigen Verfahrensstoff durch die Berufungskammer auf ihre Rechtmäßigkeit hin untersuchen zu lassen. Die unbegrenzte Zulässigkeit von interlocutory appeals birgt die Gefahr, dass der Beschuldigte von diesen rechtsmissbräuchlich mit dem Ziel der Verfahrensverschleppung Gebrauch macht.1045 Art. 82 Abs. 1 lit. d) IStGH-Statut lässt daher zwar umfassend interlocutory appeals zu, knüpft ihre Zulässigkeit aber an die Bedingung, dass sie im konkreten Fall nach Auffassung der zuständigen Kammer das Verfahren voranTriffterer(-Staker), Art. 83 IStGH-Statut Rn. 7. Siehe auch Brady (2001a), S. 585; Kreß (2003b), S. 614. 1042 Siehe zur Frage, ob auch die Opfer als Partei i. S. d. Art. 82 Abs. 1 IStGH-Statut verstanden werden können, unten Teil 5 E. XI. 1. 1043 Situation in the DRC – Judgement on the Prosecutor’s Application for Extraordinary Review of Pre-Trial Chamber I’s 31 March 2006 Decision Denying Leave to Appeal, AC, ICC-01 / 04-168, 13. 7. 2006, Rn. 10. 1044 Beide Kriterien müssen kumulativ erfüllt sein, siehe DRC AC, ICC-01 / 04-168, o. Fn. 1043, Rn. 14; Prosecutor v. Kony et al. – Decision on Prosecutor’s Application for Leave to Appeal in Part Pre-Trail Chambers II’s Decision on the Prosecutor’s Warrants of Arrest under Article 58, PTC II, ICC-02 / 04-01 / 05-20, 19. 8. 2005, Rn. 20; Prosecutor v. Lubanga – Decision on the Prosecution and Defence applications for leave to appeal the decission on the confirmation of charges, PTC I, ICC-01 / 04-01 / 06-915, 24. 5. 2007, Rn. 27; DRC Observations of Legal Representative, ICC-01 / 04-105, o. Fn. 46, Rn. 3. 1045 Siehe Triffterer(-Staker), Art. 82 IStGH-Statut Rn. 11; Brady / Jennings, S. 300 sowie DRC AC, ICC-01 / 04-168, o. Fn. 1043, Rn. 35. 1040 1041

C. Das Verfahren vor dem IStGH

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bringt. Die Richter haben so die Möglichkeit, einer rechtsmissbräuchlichen Beschwerde entgegenzutreten.1046 Ebenfalls mit der Beschwerde angegriffen werden kann nach Art. 82 Abs. 2 IStGH-Statut die Entscheidung der Vorverfahrenskammer, den Ankläger zu bestimmten Ermittlungsmaßnahmen in einem Vertragsstaat zu berechtigen1047. Beschwerdebefugt ist neben dem Ankläger auch der betroffene Staat. Den sechsten und letzten Beschwerdegrund nennt Art. 82 Abs. 4 IStGH-Statut. Ordnet der Gerichtshof nach Art. 75 IStGH-Statut an, dass der Beschuldigte Wiedergutmachung leisten muss, so können der Vertreter der Opfer, der Verurteilte oder ein gutgläubiger Eigentümer hiergegen Beschwerde einlegen. Die Berufungskammer kann die angegriffene Entscheidung bestätigen, aufheben oder ergänzen.1048 Nach Rule 158 Abs. 2 i. V. m. Art. 83 Abs. 4 S. 2 IStGH-Statut muss das Urteil begründet werden. Das Verfahren erfolgt grundsätzlich schriftlich.1049 Die Berufungskammer kann aber eine mündliche Verhandlung anordnen.1050 Die Parteien haben nach Rule 152 jederzeit vor dem Urteil das Recht, die Beschwerde zurückzuziehen.1051 Insgesamt ist das Beschwerdeverfahren prozessökonomisch ausgestaltet. Ziel ist es, eine möglichst schnelle Entscheidung herbeizuführen.1052

XIV. Wiederaufnahme Das Wiederaufnahmeverfahren nach Art. 84 IStGH-Statut gewährt die Möglichkeit, die Rechtskraft des ansonsten endgültigen Strafurteils1053 zugunsten des Angeklagten zu durchbrechen. Die Aufzählung der Wiederaufnahmegründe in 1046 Siehe Brady / Jennings, S. 300. Dementsprechend legt der IStGH Art. 82 Abs. 1 lit. d) IStGH-Statut restriktiv aus und will sie nur in Ausnahmefällen zulassen. Siehe Lubanga PTC I, ICC-01 / 04-01 / 06-915, o. Fn. 1044, Rn. 28 sowie DRC Observations of Legal Representative, ICC-01 / 04-105, o. Fn. 46, Rn. 3. 1047 Art. 57 Abs. 3 lit. d) IStGH-Statut. 1048 Rule 158 Abs. 1. 1049 Brady (2001d), S. 253. 1050 Rule 156 Abs. 3. 1051 Hat aber der Ankläger zugunsten des Beschuldigten Beschwerde eingelegt, so kann er diese nur unter den zusätzlichen Voraussetzungen der Rule 152 Abs. 2 zurücknehmen. 1052 Siehe auch Rule 156 Abs. 4 sowie Prosecutor v. Luganga – Prosecution’s Response to Request of Victims to Participate in the Appeal, pursuant to ,Order of the Appeals Chamber‘ of 4 December 2006, ICC-01 / 04-01 / 06-757, 6. 12. 2006, Rn. 16. 1053 Triffterer(-Staker), Art. 84 IStGH-Statut Rn. 7; La Rosa, S. 1564; Carcano, S. 105. Siehe auch Prosecutor v. Tadic´ – Decision on Motion for Review, AC, IT-94-1-R, 30. 7. 2002, Rn. 24; Prosecutor v. Blaškic´ – Decision on Prosecutor’s Request for Review or Reconsideration, AC, IT-95-14-R, 23. 11. 2006, Rn. 22; Prosecutor v. Rutaganda – Desicion on Requests for Reconsideration, Review, Assignment of Counsel, Disclosure, and Clarification, AC, ICTR-96-03-R, 8. 12. 2006, Rn. 8.

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Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

Art. 84 Abs. 1 IStGH-Statut ist enumerativ. Eine Wiederaufnahme ist möglich, wenn neue Beweismittel bekannt werden, die so bedeutend sind, dass sie wahrscheinlich zu einem anderen Urteil geführt hätten, hätten sie bereits im Hauptverfahren vorgelegen. Gleiches gilt, wenn die entscheidenden Beweismittel, auf denen das Urteil beruht, falsch oder gefälscht waren. Das Verfahren kann auch dann wiederaufgenommen werden, wenn ein am Verfahren beteiligter Richter eine derart schwere Verfehlung begangen hat, dass er nach Art. 46 IStGH-Statut des Amtes enthoben werden könnte. Das Recht, Wiederaufnahme zu beantragen, ist unbefristet1054 und kann jederzeit geltend gemacht werden. Antragsberechtigt sind der Verurteilte, seine engsten Familienangehörigen, eine von ihm hierzu ausdrücklich beauftragte Person sowie der Ankläger, der aber nur zugunsten des Angeklagten eine Wiederaufnahme bewirken kann. Ausgeschlossen ist damit ein Wiederaufnahmeverfahren, wenn der Angeklagte freigesprochen wurde.1055 Über den Antrag entscheidet die Berufungskammer. Hält sie ihn für unbegründet, so verwirft sie ihn.1056 Anderenfalls kann sie nach Art. 84 Abs. 2 S. 2 IStGH-Statut entweder die ursprüngliche Hauptverfahrenskammer wieder einberufen, eine neue Hauptverfahrenskammer bilden oder selbst die Zuständigkeit behalten. Im anschließenden Verfahren wird entschieden, ob das Urteil revidiert werden soll. Kommt das Gericht zu dem Ergebnis, dass ein Fehlurteil vorlag, der Verurteilte zu Unrecht in Haft saß, steht ihm nach Maßgabe des Art. 85 IStGH-Statut i. V. m. den Rules 173 – 175 ein Anspruch auf Haftentschädigung zu. Dies entspricht dem in Art. 14 Abs. 6 IPbpR festgelegtem internationalen Standard. Wird ein Urteil rechtskräftig, so ist es endgültig. Auf die inhaltliche Richtigkeit kommt es nicht mehr an. Die Gerechtigkeit muss zugunsten der Rechtssicherheit zurückstehen.1057 Die Rechtskraft schafft auch für die Opfer einen Vertrauenstatbestand. Die Justiz betrachtet den Fall als abgeschlossen; sie wird nicht mehr auf das Opfer als Zeugen zurückgreifen. Für das Opfer bedeutet das rechtskräftige Urteil damit einen Schlussstrich. Es muss nicht mehr damit rechnen, vor Gericht aussagen zu müssen, nochmals mit dem Täter konfrontiert zu werden und sich ein weiteres Mal mit der Tat auseinandersetzen zu müssen. Die Tatverarbeitung kann nun ohne störende Einflüsse von außen erfolgen. Die Wiederaufnahme zerstört die Rechtskraft und damit den geschaffenen Vertrauenstatbestand. Allerdings ist der Anwendungsbereich der Wiederaufnahme sehr begrenzt. Die Varianten des Art. 84 Abs. 1 IStGH-Statut erfassen nur Konstellationen, in denen ein Festhalten an dem Urteil unerträglich wäre und den Rechtsfrieden stören würde. In diesen Fällen muss der Gerechtigkeit Vorrang vor der Rechtssicherheit zukommen.1058 Zudem darf die praktische Relevanz dieser Vorschrift nicht überschätzt werden. Vorbilder 1054 1055 1056 1057 1058

La Rosa, S. 1570. Bitti / Fernández de Gurmendi, S. 597. Art. 84 Abs. 2 S. 1 IStGH-Statut. Barayagwiza, Declaration of Judge Rafael Nieto-Navia, o. Fn. 40, Rn. 21. La Rosa, S. 1560.

C. Das Verfahren vor dem IStGH

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für die Wiederaufnahme finden sich vor allem im civil law Rechtskreis.1059 Die nationalen Gerichte sind allerdings sehr zurückhaltend, ein Verfahren wiederaufzunehmen.1060 Die Durchbrechung der Rechtskraft ist die Ausnahme und nur unter außergewöhnlichen Umständen gerechtfertigt.1061 In den Verfahren vor den Adhoc-Tribunalen kommt der Wiederaufnahme1062 insoweit gesteigerte praktische Relevanz zu, als entsprechende Anträge relativ häufig gestellt werden.1063 ICTY1064 und ICTR1065 bescheiden diese allerdings regelmäßig abschlägig. Schließt sich der IStGH der restriktiven Spruchpraxis seiner Vorgänger an, so bleibt der Ausnahmecharakter von Art. 84 IStGH-Statut auch im Interesse der Opfer gewahrt. In den Rules fehlt es an Detailvorschriften über das Wiederaufnahmeverfahren. Rule 161 Abs. 2 begnügt sich damit, der zuständigen Kammer die Befugnisse der Hauptverfahrenskammer einzuräumen. Im Ergebnis kann also eine vollständig neue Hauptverhandlung mit erneuter Beweisaufnahme und Zeugenvernehmung erfolgen. Eine Begrenzung folgt aber aus Sinn und Zweck des Wiederaufnahmeverfahrens. Die Beweisaufnahme muss nur insoweit wiederholt werden, als der Wiederaufnahmegrund hierfür Anlass gibt.1066 Soweit die Tatsachen- und Rechtsfindung der Verfahrenskammer nicht zu beanstanden ist, kann auf diese zurückgegriffen werden. Prozessual umgesetzt werden kann dies durch Beweisvereinbarungen nach Rule 691067. Dies ist nicht nur prozessökonomisch sinnvoll. Viel1059 Prosecutor v. Barayagwiza, Declaration of Judge Rafael Nieto-Navia, o. Fn. 40, Rn. 21. Triffterer(-Staker), Art. 84 IStGH-Statut Rn. 1; Carcano, S. 106. 1060 Triffterer(-Staker), Art. 84 IStGH-Statut Rn. 3. 1061 Siehe auch Tadic´ AC, o. Fn. 1053, Rn. 24; Blaškic´ AC, o. Fn. 1053, Rn. 23; Bitti / Fernández de Gurmendi, S. 597; La Rosa, S. 1565. 1062 Die Wiederaufnahme ist in den Artt. 26 ICTY-Statut; 25 ICTR-Statut geregelt. 1063 Siehe auch Carcano, S. 117. 1064 Siehe Prosecutor v. Delic´ – Decision on Motion for Review, AC, IT-96-21-R-R119, 25. 4. 2002 – Antrag verworfen; Tadic´ AC, o. Fn. 1053 – Antrag verworfen; Prosecutor v. Josipovic – Decision on Motion for Review, AC, IT-95-16-R2, 7. 3. 2003 – Antrag verworfen; Prosecutor v. Josipovic – Decision on Motion for Review, AC, IT-95-16-R.3, 2. 4. 2004 – Antrag verworfen; Prosecutor v. Zigic´ – Decision on Zoran Zigic´’s Request for Review Under Rule 119, AC, IT-98-30 / 1, 25. 8. 2006, – Antrag verworfen; Blaškic´ AC, o. Fn. 1053 – Antrag verworfen. 1065 Siehe Barayagwiza Decision on Review or Reconsideration, o. Fn. 40, Rn. 74 – Antrag stattgegeben; Prosecutor v. Barayagwiza – Decision on Review and / or Reconsideration, AC, ICTR-97-19-AR72, 14. 9. 2000 – Antrag verworfen; Prosecutor v. Niyitegeka – Decision on Request for Review, AC, ICTR-96-14-R, 30. 6. 2006, Rn. 76 – Antrag verworfen; Prosecutor v. Niyitegeka – Decision on Request for Reconsideration of the Decision on Request for Review, AC, ICTR-96-14-R, 27. 9. 2006 – Antrag verworfen; Rutaganda AC, o. Fn. 1053, Rn. 47 – Antrag verworfen; Prosecutor v. Simba – Decision on Aloys Simba’s Requests for Suspension of Appeal Proceedings and Review, AC, ICTR-01-76-A, 9. 1. 2007, Rn. 21 – Antrag verworfen. 1066 La Rosa, S. 1572. 1067 Siehe dazu bereits oben Teil 5 C. X. 4.

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Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

mehr kann so auch den Opfern eine erneute Reise nach Den Haag und eine weitere Aussage vor dem Gerichtshof erspart werden. Die Gefahr einer sekundären Viktimisierung kann so verringert werden.

XV. Zusammenfassung Das Verfahrensrecht des IStGH sieht ein komplexes System von checks and balances vor, mit denen die unterschiedlichen Interessen von Ankläger und Verteidigung, von Nationalstaaten und internationaler Gemeinschaft zum Ausgleich gebracht werden sollen. Dabei ist es grundsätzlich gelungen, den Grundstock für ein effektives Verfahren, in dem auch die Belange der Opfer hinreichend Berücksichtigung finden können, zu legen. Wünschenswert wären allerdings folgende Modifikationen: – Auf die in Art. 12 Abs. 2 IStGH-Statut genannten Vorbedingungen sollte verzichtet werden. Diese sind rechtlich nicht erforderlich und führen zu bedenklichen Zuständigkeitslücken bei internen Konflikten. – Abgeschafft werden sollten ebenfalls die Opt-out-Möglichkeiten der Artt. 121 Abs. 5; 124 S. 1 IStGH-Statut. Auch sie stellen den Grundsatz des gleichen Rechts für alle Täter in Frage. – Zur Vermeidung von Rechtsunsicherheiten sollte die Bedeutung von nationalen Amnestiegesetzen und Wahrheitskommissionen für das Verfahren vor dem IStGH geregelt werden. Das Komplementaritätsprinzip erfasst das Verhältnis zur nationalen Strafgerichtsbarkeit und ist nicht auf alternative Reaktionen zugeschnitten. Sinnvoller ist es, die Strafverfolgung in diesen Fällen ins Ermessen des Anklägers zu stellen. Dabei ist vor allem zu berücksichtigen, inwieweit im Verfahren vor der Wahrheitskommission die Belange und Interessen der Opfer Berücksichtigung finden. – Artt. 18; 19 IStGH-Statut bergen die Gefahr, dass ein male fide handelnder Staat die Zulässigkeit einer Sache mehrfach rügt, um das Verfahren zu verschleppen. Da das Anfechtungsrecht aus Art. 19 IStGH-Statut den Interessen der Nationalstaaten hinreichend Rechnung trägt, ist das Verfahren nach Art. 18 IStGH-Statut verzichtbar. – Wenn der Sicherheitsrat das Verfahren nach Maßgabe des Art. 16 IStGH-Statut aussetzt, sollte dem Ankläger das Recht zukommen, beweissicherende Maßnahmen durchzuführen. Ansonsten besteht die Gefahr, dass die Taten nach Fristablauf nicht mehr nachweisbar sind.

So wünschenswert die Umsetzung dieser Vorschläge im Sinne einer effektiven Strafgerichtsbarkeit auch sein mag, politisch durchsetzbar dürften derzeit die wenigsten von ihnen sein. Allerdings ist die Achillesferse des IStGH nicht sein Verfahrensrecht, sondern die Endlichkeit der ihm zur Verfügung stehenden Res-

D. Das Opfer als Beweismittel

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sourcen. Alle völkerrechtlichen Verbrechen zu verfolgen, übersteigt seine Möglichkeiten bei weitem. Dementsprechend muss dem Ankläger ein weiter Ermessensspielraum zugebilligt werden, welche Verbrechen er verfolgen will. Selektionsprozesse finden auf drei Ebenen statt: Zunächst müssen die Situationen, in denen Ermittlungen aufgenommen werden sollen, ausgewählt werden. Zweitens muss sich der Ankläger entscheiden, welche Fälle, d. h. welche Personen, er innerhalb dieser Situation verfolgen will. Drittens und letztens wird der Ankläger – wie der Fall Lubanga gezeigt hat – einem Beschuldigten nicht alle von diesem möglicherweise begangen Taten zur Last legen, sondern sich vielmehr auf bestimmte Tatvorwürfe beschränken. Diese Selektionsprozesse sind notwendig, beinhalten aber die Gefahr, dass sachfremde Erwägungen Berücksichtigung finden und die internationale Justiz hauptsächlich dort tätig wird, wo sie politisch erwünscht ist. Zudem wird ein Absehen von einer Strafverfolgung durch den IStGH in vielen Fällen Straflosigkeit für die Täter bedeuten. Dies gilt umso mehr, als der IStGH in Folge des Komplementaritätsprinzips nur in Situationen zuständig ist, in denen die nationale Justiz nicht willens oder fähig ist, die Taten selbst zu verfolgen. Dementsprechend ist es auch und vor allem im Interesse der Opfer notwendig, dass Selektionsprozesse transparent und nachvollziehbar erfolgen. Nur wenn die Vertragsstaaten den Gerichtshof auf nationaler und internationaler Ebene unterstützen und ihrer Verantwortung zur vorrangigen Strafverfolgung – auch auf Basis des Universalitätsprinzips – nachkommen, kann der Straflosigkeit von völkerrechtlichen Verbrechen ein Ende bereitet werden. Die Zusammenarbeit von nationaler und internationaler Justiz ist aber nicht nur für die Effektivität der Strafverfolgung, sondern auch für deren Akzeptanz von entscheidender Bedeutung. Bei unkoordinierten und nicht abgestimmten Vorgehensweisen drohen divergierende und widersprüchliche Ergebnisse. Diese können das Vertrauen in die Unparteilichkeit und Funktionsfähigkeit der nationalen oder internationalen Gerichtsbarkeit erschüttern. Positive Effekte für die Individualopfer und die betroffene Gesellschaft kann ein Verfahren vor dem IStGH nur entfalten, wenn nach Möglichkeit den jeweiligen nationalen und kulturellen Besonderheiten Rechnung getragen und auf eine Zusammenarbeit mit dem Täter- und Tatortstaat hingewirkt wird.

D. Das Opfer als Beweismittel Das Opfer ist als Zeuge persönliches Beweismittel. Seine Aussage ist für die Justiz Instrument zur Wahrheitsfindung. Insoweit kommt ihm nicht die Rolle eines Prozesssubjekts zu,1068 das bestimmenden Einfluss auf die Verhandlung nehmen kann.

1068

S. 139.

Dahs (1984), S. 1922; LR(-Rieß), Einl. Abschn. I Rn. 125; Hassemer / Reemtsma,

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Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

I. Bedeutung und Begriff des Zeugenbeweises Der Zeugenbeweis ist eines der wichtigsten und häufigsten Beweismittel im Strafverfahren.1069 Zeugenaussagen sind in vielen Fällen – auch und gerade für den Nachweis von völkerrechtlichen Verbrechen1070 – entscheidend für den Ausgang des Prozesses. So wurden beispielsweise im Verfahren Prosecutor v. Radislav Krstic´ über 100 Zeugen gehört.1071 Im Prozess gegen Thomas Lubanga Dyilo plant allein die Anklage 50 Zeugen zu benennen.1072 Von besonderer Bedeutung ist regelmäßig der Opferzeuge, der die Tat unmittelbar miterlebt hat.1073 Dies gilt umso mehr, wenn seine Aussage, wie es bei sexueller Gewalt und Folter häufig der Fall ist, das einzige Beweismittel ist. Anders als der Begriff des Opfers wird der des Zeugen weder im IStGH-Statut selbst noch in den Rules definiert, sondern vorausgesetzt.1074 Kennzeichnendes Element des Zeugenbeweises ist die Wiedergabe von persönlichen Wahrnehmungen über einen bestimmten Vorgang, der abgeschlossen in der Vergangenheit liegt.1075 Die Aussage kann sich auch auf gegenwärtige Tatsachen beziehen, soweit noch andauernde Tatfolgen geschildert werden.1076

1069 BGH 17. 10. 1983 BGHSt 32, 115, 127; Robert Hauser, S. 311; Däubler-Gmelin (2001), S. 360; Kreß (2001), S. 309; Hohlweck (2002a), S. 1105; May / Wierda, Rn. 6.01; Hans-Joachim Schneider (2002), S. 231; Cryer (2003), S. 411; Pfeifer(-Pfeiffer), Einl. Rn. 95; Walpen, S. 5; Mankowski, S. 788. 1070 Wehrenberg, S. 9; van Boven (1999), S. 88; Donat-Cattin (1999), S. 262; Harhoff (2000), S. 58; Wäspi, S. 2454; Ambos (2002b), S. 173; May / Wierda, Rn. 6.01; Cameron, S. 82; Wald (2002), S. 219; Cryer (2003), S. 411; Harmon / Gaynor, S. 421; Emily Ann Berman, S. 250; Bassin, S. 1784; Stahn / Olásolo / Gibson, S. 221; Stefanie Bock (2007c), S. 670; Byrne, S. 614; Bassiouni (2008d), S. 586; Sluiter (2009), S. 591. 1071 Krstic´ Trial Judgement, o. Fn. 86, Rn. 4. Siehe auch Othman, S. 4. 1072 Siehe Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1019, o. Fn. 79, Rn. 17. 1073 Delalic´ et al. Trial Judgement, o. Fn. 1003, Rn. 595; Ingadottir / Ngendahayo / Sellers, S. 16; Heikkilä, S. 17. 1074 Siehe auch Kreß (2001), S. 315; Friman (2003), S. 389. 1075 RG 18. 3. 1913, RGSt 47, 100, 104; BGH 6. 7. 1993, BGHSt 39, 251, 253; Panhuysen, S. 9; Robert Hauser, S. 38; Wehrenberg, S. 9; Sander, S. 47. Siehe auch zum Begriff des Zeugen die Länderberichten Arnaudova, S. 53 Rn. 20 (für Bulgarien); Bajons, S. 427 Rn. 37 (für Österreich); Granow / Bervoets, S. 387 Rn. 31 (für die Niederlande); Kofmel Ehrenzeller, S. 557 Rn. 14 (für die Schweiz); Mokry / Sobkowski, S. 477 Rn. 21 (für Polen); Patti, S. 267 Rn. 32 (für Italien); Rouhette, S. 167 Rn. 26 (für Frankreich); Schwonke, S. 505 Rn. 8 (für Portugal); Eva Smith, S. 69 Rn. 23 (für Dänemark); Steiner, S. 637 Rn. 21 (für die Tschechische Republik); Uzelac, S. 335 Rn. 29 (für Kroatien). In diesem Sinne auch Rule 66 Abs. 2. 1076 Eisenberg (2008), Rn. 1003.

D. Das Opfer als Beweismittel

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II. Aussagepflicht gemäß Rule 65 Rule 65 Abs. 1 etabliert für alle Zeugen, die vor dem Gerichtshof erscheinen, eine Aussagepflicht.1077 Verstöße können gemäß den Rules 65 Abs. 2; 171 mit Geldstrafe geahndet werden. Die Aussagepflicht besteht gemäß Rule 65 Abs. 1 in allen gerichtlichen Verfahren. Daraus folgt im Umkehrschluss, dass die Zeugen bei Vernehmungen durch den Ankläger im Ermittlungsverfahren nicht aussagen müssen.1078 Hiervon zu trennen ist die Frage, ob die Zeugen verpflichtet sind, vor dem Gerichtshof zu erscheinen. Art. 64 Abs. 6 lit. b) IStGH-Statut berechtigt die Verfahrenskammer lediglich, die Anwesenheit und Aussage von Zeugen zu verlangen. Nach der Grundkonzeption des IStGH-Statuts als völkerrechtlicher Vertrag sind die Mitgliedstaaten, nicht aber die Zeugen selbst als Adressaten eines entsprechenden Ersuchens anzusehen.1079 Die Rechtshilfevorschriften verpflichten die Staaten allerdings nur, das freiwillige Erscheinen von Zeugen zu erleichtern.1080 Zudem bestimmt Art. 93 Abs. 7 lit. a) (i) IStGH-Statut, dass Häftlinge nur zur Vernehmung an den IStGH überstellt werden dürfen, wenn sie hiermit einverstanden sind. Dies legt die Schlussfolgerung nahe, dass die Anwesenheit sonstiger Zeugen vor dem IStGH erst recht nicht erzwungen werden kann.1081 Das Erscheinen der Zeugen basiert demzufolge auf dem Prinzip der Freiwilligkeit.1082 Ihnen steht das Recht zu, die Zusammenarbeit mit dem IStGH zu verweigern. Die Abhängigkeit des IStGH von der freiwilligen Kooperation der Zeugen kann allerdings die Effektivität des Verfahrens beeinträchtigen. 1083 Zudem entsteht ein Widerspruch zu Art. 64 Abs. 6 lit. b) IStGH-Statut, der keine derartige Einschränkung enthält. Prozessuale Befugnisse der Kammer sollten nicht durch Rechtshilfevorschriften beschnitten werden.1084 Daher ist davon auszugehen, dass die Mitgliedstaaten berechtigt sind, auch gegen den Willen eines Zeugen sein Erscheinen vor dem IStGH sicherstellen.1085 Verpflichten kann sie der Gerichtshof hierzu allerdings nicht. 1077 Kreß (2001), S. 315; Heikkilä, S. 77; Ambos (2002b), S. 157; Stefanie Bock (2007c), S. 670. Siehe auch Lubanga Defence Request, ICC-01 / 04-01 / 06-328, oben Fn. 84, Rn. 24; McDowell, S. 161. 1078 Siehe zum Anwendungsbereicht von Chapter 4 of the Rules auch Ambos (2002b), S. 157. 1079 Ambos (2002b), S. 169. Dies wird auch durch den Verweis von Art. 64 Abs. 6 lit. b) IStGH-Statut auf die Rechtshilfevorschriften klar gestellt, Kreß (2001), S. 323. 1080 Art. 93 Abs. 1 lit. e) IStGH-Statut. 1081 Ambos (2002b), S. 171. Siehe auch Kreß (2001), S. 323; Sluiter (2009), S. 591. 1082 Ingadottir / Ngendahayo / Sellers, S. 6; Kreß (2001), S. 323; Ambos (2002b), S. 171; Sluiter (2009), S. 591. Siehe auch Gray, S. 311. 1083 Kreß (2003b), S. 616; Sluiter (2009), S. 601. Siehe auch Ingadottir / Ngendahayo / Sellers, S. 38. 1084 Kreß (2003b), S. 616. 1085 Kreß (2001), S. 325; ders. (2003b), S. 616. Kritisch Sluiter (2009), S. 599.

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Jedenfalls bei Opferzeugen sollte allerdings immer auf eine freiwillige Kooperation hingewirkt werden. Dies dient nicht nur der Verhinderung einer sekundären Viktimisierung.1086 Vielmehr werden von einer erzwungenen Aussage regelmäßig kaum positive Effekte für die Wahrheitsfindung ausgehen. Der Zeuge wird die Aussage dadurch faktisch verweigern, indem er behauptet, nichts gesehen zu haben oder sich nicht mehr erinnern zu können.1087 Außerdem ist die Zusammenarbeit mit dem IStGH für das Opfer – allen Schutzmaßnahmen zum Trotz – immer mit einem Restrisiko verbunden. Es kann nicht vollständig ausgeschlossen werden, dass das Opfer oder seine Familie in Folge seiner Kooperationsbereitschaft bedroht, angegriffen oder gar getötet wird. Dem Opfer muss die Entscheidung überlassen bleiben, ob es dieses Risiko auf sich nehmen will.1088 Zudem sind die strukturellen Besonderheiten der core crimes zu berücksichtigen. Die Anklage kann auf unzählige Zeugenaussagen zurückgreifen. Das gesamte existierende Beweismaterial auszuwerten und im Prozess vorzubringen ist unmöglich. Selektionsprozesse sind erforderlich, um ein effektives und zügiges Verfahren zu gewährleisten.1089 Sofern die Aussage eines kooperationsunwilligen Opferzeugen nicht unabdingbar ist, um die Schuld des Angeklagten1090 nachzuweisen, kann und sollte daher auf sie verzichtet werden. Ein solches Vorgehen kann selbst dann angebracht sein, wenn in Folge auf die Anklage einzelner, untergeordneter Tatvorwürfe verzichtet werden muss.1091

III. Auskunfts- und Aussageverweigerungsrechte Die Pflicht zur Aussage besteht nicht unbegrenzt. Die Rules sehen vielmehr bestimmte Auskunfts- und Aussageverweigerungsrechte vor.

1. Rule 74 Abs. 3 lit. a) Rule 74 Abs. 3 lit. a) enthält den Nemo-tenetur-se-ipsum-accusare-Grundsatz. Der Zeuge ist von seiner Aussagepflicht entbunden, wenn und soweit er sich durch eine wahrheitsgemäße Aussage selbst belasten würde. Auch diese Vorschrift gilt Lakatos, S. 937. Siehe auch Dembour / Haslam, S. 176. Lakatos, S. 937. 1088 Siehe auch Situation in Darfur, Sudan – Observations of the United Nations High Commissioner for Human Rights invited in Application of Rule 103 of the Rules of Procedure and Evidence, ICC-02 / 05-19, 10. 10. 2006, Rn. 13 d). 1089 Danner, S. 521; Othman, S. 4; Nice / Vallières-Roland, S. 356. 1090 Schwieriger ist die hier nicht weiter zu vertiefende Frage zu beantworten, wie vorzugehen ist, wenn ein Entlasungszeuge die Kooperation mit dem IStGH verweigert, siehe Sluiter (2009), S. 601 ff. 1091 Siehe auch Danner, S. 521. 1086 1087

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nur für gerichtliche Verfahren.1092 Bestehende Lücken werden durch Art. 55 Abs. 1 lit. a) IStGH-Statut geschlossen.1093 Rule 74 Abs. 3 lit. a) gewährt dem Zeugen nicht das Recht, die Aussage insgesamt zu verweigern. Vielmehr etabliert sie ein Beweisthema bezogenes Auskunftsverweigerungsrecht. Der Zeuge darf nur in Bezug auf Fragen, deren wahrheitsgemäße Beantwortung die Gefahr der Selbstbelastung in sich birgt, die Aussage verweigern.1094 Zu anderen Themenkomplexen kann die Kammer ihn gemäß Rule 74 Abs. 6 in jedem Fall vernehmen. Will das Gericht nicht auf die selbstbelastende Aussage des Zeugen verzichten, kann sie auf einer Antwort bestehen, wenn sie unter Berücksichtigung der in Rule 74 Abs. 5 genannten Abwägungskriterien eine Zusicherung nach Rule 74 Abs. 2, 3 lit. c) abgibt. Die Aussage des Zeugen wird dann vertraulich behandelt und darf nicht zu einer strafrechtlichen Verfolgung vor dem IStGH verwendet werden. Nach Erhalt einer solchen Zusicherung entfällt das Auskunftsverweigerungsrecht. Der Zeuge ist zu einer umfassenden, wahrheitsgemäßen Aussage verpflichtet.1095 Hierzu wird er aber regelmäßig nur bereit sein, wenn ihm auch keine nationale Strafverfolgung droht. Eine derartige Zusicherung abzugeben, würde aber die Kompetenzen des IStGH überschreiten.1096 Rule 74 Abs. 7 gibt der Kammer die Möglichkeit, durch bestimmte Anordnungen – wie die Befragung des Zeugen in camera – die Vertraulichkeit der Aussage zu gewährleisten. Verhindert wird so, dass die nationalen Behörden Kenntnis vom Inhalt der selbstbelastenden Aussage erlangen. Faktisch ist damit auch eine nationale Strafverfolgung ausgeschlossen.1097 Die Möglichkeit, das Auskunftsverweigerungsrecht durch die Zusicherung der Vertraulichkeit zu umgehen, entstammt dem common law.1098 Dies hat Konsequenzen für die Auslegung des Nemo-tenetur-Grundsatzes, wie er im IStGH-Statut verwendet wird. Dem Zeugen wird nicht die Preisgabe ihm unangenehmer Vorgänge erspart. Sein Persönlichkeitsrecht1099 wird nicht umfassend geschützt. Er hat lediglich keine strafrechtliche Verfolgung zu befürchten.1100 Von zentraler Bedeutung ist Rule 74 Abs. 5 vor allem in Verfahren gegen politische und militärische Führer. Ambos (2002b), S. 158. Siehe hierzu unten Teil 5 D. IV. 1094 Siehe auch Piragoff, S. 393; McDowell, S. 165. 1095 Kreß (2001), S. 327; Ambos (2002b), S. 173. 1096 Piragoff, S. 393. Siehe auch Katanga & Ngudjolo TC, ICC-01 / 04-01 / 07-1665, o. Fn. 930, Rn. 52. 1097 Kreß (2001), S. 328; Ambos (2002b), S. 175. 1098 Kreß (2001), S. 326; Ambos (2002b), S. 166. 1099 Siehe zum Persönlichkeitsschutz als Aufgabe des Nemo-tenetur-Grundsatzes nur BGH 27. 2. 1951, BGHSt 1, 39, 40; 21. 1. 1958, BGHSt 11, 213, 215, 216; Panhuysen, S. 5; Pfeiffer(-Senge), § 55 Rn. 1. Ähnlich BG 21. 5. 1968, BGE II 94 II 37, 43. 1100 Kreß (2001), S. 327; Ambos (2002b), S. 173. 1092 1093

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Deren Verantwortlichkeit kann regelmäßig nur durch Insiderzeugen, die sich häufig selbst der Beteiligung an völkerrechtlichen Verbrechen schuldig gemacht haben, bewiesen werden.1101 Vor diesem Hintergrund ist Rule 74 Abs. 2 als sinnvoller Ausgleich zwischen effektiver Strafverfolgung und Persönlichkeitsschutz zu begrüßen.1102 Rule 74 enthält keine Begrenzung hinsichtlich der Delikte, derer sich der Zeuge gegebenenfalls selbst bezichtigen müsste. Zum Schutz des Zeugen und im Interesse der Wahrheitsfindung ist es sinnvoll, den Nemo-tenetur-Grundsatz auch hinsichtlich rein nationaler Delikte greifen zu lassen. Auf diese Weise können auch Abgrenzungsprobleme vermieden werden. Vor der Aussage ist kaum feststellbar, wie die Tat rechtlich einzuordnen ist. So verstanden kann Rule 74 auch Bedeutung für den Opferzeugen erlangen. Das Überleben von systematischer Gewalt, die von einem (staatlichen) Machtapparat organisiert wird, ist häufig nur durch Kooperation mit diesem möglich. Insbesondere Konzentrationslager sind bereits in ihrer Struktur darauf angelegt, das Überleben des einen Insassen nur auf Kosten des anderen zu ermöglichen.1103 Die Trennlinie zwischen Tätern und Opfern verwischt. Daher kann auch für Opfer die Gefahr bestehen, dass sie sich durch eine wahrheitsgemäße Aussage selbst einer – zumindest nach nationalem Recht – strafbaren Handlung bezichtigen würden. Dann steht auch ihnen ein Auskunftsverweigerungsrecht zu, das gegebenenfalls durch die Zusicherung der Vertraulichkeit umgangen werden kann. 2. Rule 75 Rule 75 gewährt den Ehepartnern, den Kindern und Eltern des Angeklagten ein Beweisthema bezogenes Auskunftsverweigerungsrecht. Sie müssen keine Fragen beantworten, soweit sie dadurch den Angeklagten belasten würden. Die Verfahrensregeln lösen damit für die engsten Familienangehörigen den Konflikt zwischen Pflicht zur wahrheitsgemäßer Aussage und familiärer Bindung zugunsten der Letzteren.1104 3. Rule 73 Rule 73 privilegiert die Kommunikation und den Informationsaustausch zwischen bestimmten Personen. Insoweit darf keine Beweisaufnahme erfolgen. Den Beteiligten stehen Aussageverweigerungsrechte zu. Dies betrifft nach Rule 73 Nice / Vallières-Roland, S. 363. So auch Ambos (2002b), S. 173. Siehe auch Brady (1999), S. 297. 1103 Siehe oben Teil 2 C. VI. 2. 1104 BG 2. 6. 1992, BGE 118 IV 175, 179; Undeutsch, S. 82; Robert Hauser, S. 162; Eisenberg (2008), Rn. 1211; Bajons, S. 427 Rn. 42; Steiner, S. 637 Rn. 23. 1101 1102

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Abs. 1 zunächst das Verhältnis zwischen Anwalt und Klient. Privilegiert ist jedenfalls die Kommunikation zwischen dem Angeklagten und seinem Verteidiger. Darauf ist der Anwendungsbereich von Absatz 1 allerdings nicht beschränkt. Er bezieht sich allgemein auf die Kommunikation mit einem „counsel“.1105 Zieht man zur Auslegung den CPCC hinzu, so sind hiervon auch die Rechtsvertreter der Opfer erfasst.1106 Rule 73 Abs. 1 schützt damit auch den Informationsaustausch zwischen dem Opfer und seinem legal representative. Dies ist elementar, um die notwendige Vertrauensbasis zu gewährleisten. Sollte der Gerichtshof Rule 73 Abs. 1 enger auslegen, kann die notwendige Privilegierung der Kommunikation zwischen Opfer und seinem Rechtsbeistand jedenfalls über Rule 73 Abs. 2 erreicht werden.1107 Diese Vorschrift ermöglicht die fallgruppenbasierte Entwicklung weiterer Aussageverweigerungsrechte. Beispielhaft nennt Rule 73 Abs. 3 andere privilegierte Vertrauensverhältnisse, wie die Beziehung zu medizinischem Personal und Geistlichen. Begibt sich also ein Opfer zur Tatverarbeitung in psychologische Behandlung, kann zur Ermittlung seiner Glaubwürdigkeit grundsätzlich nicht sein Therapeut vernommen werden.1108 Privilegiert ist nach Maßgabe von Rule 73 Abs. 4 bis 6 auch das Internationale Komitee des Roten Kreuz als Organisation.1109 Informationen, die Mitarbeitern des IKRK im Rahmen ihrer humanitären Tätigkeit zugetragen werden, sind absolut geschützt1110. Es besteht keinerlei Pflicht des IKRK, sie zu offenbaren – selbst wenn sie für den Tatnachweis von entscheidender Bedeutung sind.1111 Ziel ist es, die Handlungsfähigkeit des IKRK zu wahren und es in die Lage zu versetzen, seinen humanitären Auftrag effektiv zu erfüllen.1112

4. Zusammenfassung Die Ausnahmen von der Aussagepflicht können den Opferzeugen zugute kommen. So schützt Rule 73 auch die vertrauliche Kommunikation des Opfers mit seinem Rechtsbeistand, seinem Therapeuten oder seinem Geistlichen. Bedeutung kann zudem der Nemo-tenetur-Grundsatz erlangen. Hat das Opfer – beispielsweise um sein Überleben zu sichern – selbst strafbare Handlungen begangen, so muss es Siehe auch Piragoff , S. 359. Siehe Art. 1 CPCC. 1107 Siehe auch Kreß (2001), S. 327. 1108 Siehe auch Cryer (2003), S. 434. Zu den Auswirkungen einer psyotherapeutischen Behandlung auf die Glaubhaftigkeit der Aussage auch unten Teil 5 D. VII. 4. 1109 Kreß (2001), S. 340; Gray, S. 297. Siehe auch Prosecutor v. Simic´ et al. – Decision Denying Request for Assistance in Securing Documents and Witnesses from the International Committee of the Red Cross, TC III, IT-95-9, 7. 6. 2000; Emily Ann Berman, S. 252. 1110 Kritisch Simic´ et al. TC III, IT-95-9, o. Fn. 1109, Rn. 10; Emily Ann Berman, S. 270. 1111 Kreß (2001), S. 340; McDowell, S. 184. 1112 Piragoff , S. 365; McDowell, S. 169; Gray, S. 297. 1105 1106

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nur aussagen, wenn die Kammer ihm zusichert, seine Aussage vertraulich zu behandeln und keine Strafverfolgung einzuleiten. Weitere opferspezifische Auskunfts- und Aussageverweigerungsrechte fehlen. Auf eventuell erforderliche Ergänzungen und Erweiterungen wird in den jeweiligen Zusammenhängen eingegangen.

IV. Zeugenrechte gemäß Art. 55 Abs. 1 IStGH-Statut Art. 55 Abs. 1 IStGH-Statut zählt Rechte auf, die allen Personen zustehen, die von den Ermittlungen betroffen sind. Sie gelten nicht nur für den Beschuldigten, sondern auch für Zeugen.1113 So darf kein Zeuge gezwungen werden, sich selbst zu belasten, er darf nicht Zwang, Nötigung oder Drohung, Folter oder einer anderen Form grausamer, unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung oder Strafe unterworfen werden, er darf nicht willkürlich festgenommen oder in Haft gehalten werden. Zudem muss ihm, wenn die Vernehmung in einer Sprache erfolgt, die er nicht beherrscht, unentgeltlich ein sachkundiger Dolmetscher zur Verfügung gestellt werden. Diese grundlegenden Rechte gelten nach dem Wortlaut des Art. 55 Abs. 1 IStGH-Statut nur während des Ermittlungsverfahrens. Eine solche zeitliche Begrenzung ist allerdings nicht sinnvoll. Es gibt keinen nachvollziehbaren Grund, warum die Rechtsposition des Zeugen im Hauptverfahren schwächer sein sollte, als während der Ermittlungen. Daher ist Art. 55 Abs. 1 IStGH-Statut analog auf sämtliche Verfahrensstadien anzuwenden.1114

V. Beweiswert des Zeugenbeweises und Fehlerquellen Der Beweiswert einer Aussage hängt entscheidend von den persönlichen Eigenschaften des Zeugen ab. Wesentlich sind vor allem seine Auffassungs- und Beobachtungsgabe, sein Urteilsvermögen, seine Gedächtnisstärke, seine Fähigkeit, streng sachlich zu berichten sowie seine persönliche Zuverlässigkeit.1115 Neben der Möglichkeit der bewussten Falschaussage kann die Qualität der Zeugenaussage durch Fehler auf den Ebenen der Wahrnehmung, Erinnerung und Übermittlung vermindert sein.

Kreß (2001), S. 343; Ambos (2002b), S. 158; van Heeck, S. 283. Kreß (2001), S. 344; Ambos (2002b), S. 172. 1115 Brdjanin Trial Judgement, o. Fn. 996, Rn. 25; RG 18. 3. 1913, RGSt 47, 100, 105; BGH 17. 10. 1983 BGHSt 32, 115, 127. Siehe auch BGH 12. 3. 1969, BGHSt 22, 347, 348; May / Wierda, Rn. 6.09; DiPardo, S. 294. 1113 1114

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1. Fehlerhafte Wahrnehmung Die Fähigkeit zur korrekten Wahrnehmung von Ereignissen kann zunächst durch bestimmte Eigenschaften, die in der Person des Zeugen liegen, eingeschränkt sein. Dies ist beispielsweise bei einer Seh- oder Hörbehinderung oder einem geringen Lebensalter der Fall.1116 Besonders fehleranfällig sind grundsätzlich Zeit- und Geschwindigkeitseinschätzungen.1117 Wahrnehmung erfolgt zudem immer selektiv. Dies folgt aus der begrenzten Kapazität der Sinnesorgane, unterschiedliche Reize gleichzeitig aufzunehmen.1118 Außerdem beinhaltet Wahrnehmung immer eine Interpretation der Vorgänge.1119 Verstärkt wahrgenommen werden Vorgänge oder Verhaltensweisen, die den eigenen Erwartungen und Erfahrungen entsprechen.1120 Details, die hierzu nicht passen, werden tendenziell eher ausgeblendet und später nicht erinnert.1121 Gleichzeitig besteht die Gefahr, dass Lücken in der Wahrnehmung entsprechend der eigenen Erwartungen und Lebenserfahrung unbewusst ausgefüllt werden.1122

2. Fehlerhafte Erinnerung Erinnern ist ein assoziativer Vorgang. Auch auf grundsätzlich bekanntes Wissen kann selbst in stressfreien Situationen nicht immer sofort zugegriffen werden.1123 Dies gilt umso mehr für die Aussage in der ungewohnten Situation des Strafverfahrens. Wie die Wahrnehmung kann auch die Fähigkeit zur Erinnerung durch physische Einschränkungen vermindert sein. Mögliche Folge von Schlägen und Tritten auf den Kopf sind beispielsweise Schädelhirnverletzungen, die die Gedächtnisfunktionen dauerhaft beeinträchtigen können.1124 Auch Mangelernährung durch 1116 Kühne, S. 252; Egon Schneider, Rn. 922; Bender / Nack / Treuer, Rn. 29, 34; Eisenberg (2008), Rn. 1363; Birck (2002c), S. 80. 1117 Robert Hauser, S. 312; Bender (1982), S. 486; Kühne, S. 252; Egon Schneider, Rn. 932 ff.; Eisenberg (2008), Rn. 1363; Hohlweck (2002a), S. 1106. 1118 Trankell, S. 15; Bender (1982), S. 486; Kühne, S. 253; Egon Schneider, Rn. 953; Bender / Nack / Treuer, Rn. 60 ff.; Hohlweck (2002a), S. 1106. Siehe auch Wydick, S. 9; Loftus / Wolchover / Page, Rn. 1.15. 1119 Panhuysen, S. 10; Trankell, S. 16; Birck (2002c), S. 35. Siehe auch Rüßmann, S. 155. 1120 Undeutsch, S. 57; Kühne, S. 253 f.; Egon Schneider, Rn. 968; Bender / Nack / Treuer, Rn. 40; Scholz, S. 572; Eisenberg (2008), Rn. 1370 – 1372; Loftus / Wolchover / Page, Rn. 1.13. 1121 Eisenberg (2008), Rn. 1373. 1122 Undeutsch, S. 58; Trankell, S. 17; Bender (1982), S. 485; Eisenberg (1984b), S. 963; Kühne, S. 253; Egon Schneider, Rn. 924; Bender / Nack / Treuer, Rn. 11; Wydick, S. 9; Hohlweck (2002a), S. 1107. Siehe auch Prosecutor v. Kayishema & Ruzindana, Judgement and Sentence, TC II, ICTR-95-1-T, 21. 5. 1999, Rn. 69. 1123 Birck (2002c), S. 39. 1124 Graessner / Ahmad / Merkord, S. 250; Birck (2002c), S. 53 f.; Ralf Weber, S. 110.

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Hunger oder Hungerstreik kann die Fähigkeit, sich zu erinnern, herabsetzen.1125 Zudem kann eine PTBS zu Teilamnesien führen, so dass das traumatische Ereignis ganz oder in Teilen nicht mehr abrufbar ist.1126 Mit zunehmendem Zeitablauf geraten Geschehnisse in Vergessenheit. Dies betrifft sowohl den Erinnerungsumfang – die Anzahl der Details, die noch erinnert werden können – als auch die Intensität und Konkretheit der Erinnerungen, die Erinnerungsstärke.1127 Sind die Erlebnisse mit starken Emotionen verbunden, so können sie zumeist auch noch zwei bis drei Jahren später zumindest in Grundzügen erinnert werden.1128 Dies wird bei den Opfern völkerrechtlicher Verbrechen typischerweise der Fall sein. Allerdings ist bei Verfahren vor dem IStGH mit erheblichen Zeiträumen zwischen Tat und Zeugenaussage zu rechnen.1129 Man denke nur an die Verfahren vor dem ICTR, die Taten aus dem Jahr 1994 zum Gegenstand haben. Die Zeugenaussagen betreffen also Vorgänge, die mittlerweile über 15 Jahre in der Vergangenheit liegen. Bei einer übermäßigen emotionalen Beteiligung am Geschehen kann sich zudem der gegenteilige Effekt einstellen. Zu intensive Gefühle beeinträchtigen die Erinnerungsfähigkeit.1130 Verblassende Erinnerungen bergen die Gefahr, dass entstandene Lücken anhand von Erwartungen oder Vorurteilen geschlossen werden.1131 Vor allem das Vergessen von Daten der allgemeinen Biographie ist sehr beängstigend. Die (unbewusste) Auffüllung der Erinnerung dient der Wiedererlangung von Lebenskontinuität und Sicherheit.1132 Verschiedene gleichartige Ereignisse können zudem in der Rückschau miteinander verschmelzen bzw. nicht mehr auseinander gehalten werden. Erinnert wird in erster Linie das Schema, also der typische Geschehensablauf.1133 Außerdem können sich die eigenen Erinnerungen mit Erzählungen von Dritten vermischen. Erlebnisse, von denen ein Zeuge nur gehört hat, können unbewusst in die eigene Graessner / Ahmad / Merkord, S. 251. Siehe oben Teil 2 A. I. 3. c) bb) (2) (b). 1127 Prosecutor v. Akayesu, Trial Judgement, TC I, ICTR-96-4-T, 2. 9. 1998, Rn. 140; Bender (1984), S. 127; Wald (2002), S. 236; Bender / Nack / Treuer, Rn. 122. 1128 Undeutsch, S. 63; Bender (1984), S. 127; Bender / Nack / Treuer, Rn. 142; Hohlweck (2002a), S. 1107; van der Kolk, S. 281. 1129 Siehe auch Zahar, S. 600. 1130 Birck (2002c), S. 42. Siehe aber auch Bender (1984), S. 128, der darauf hinweist, dass ehemalige KZ-Häftlinge auch nach Jahrzehnten sehr präzise und detailgetreue Aussagen machen können. Siehe zur Hyermnesie als Symptom der PTBS oben Teil 2 A. I. 3. c) bb) (2) (b). 1131 Undeutsch, S. 63; Trankell, S. 23; Bender (1984), S. 128; Eisenberg (1984b), S. 963; Egon Schneider, Rn. 1007; Scholz, S. 572; Hohlweck (2002a), S. 1108; Dembour / Haslam, S. 165. Siehe auch Loftus / Wolchover / Page, Rn. 1.26. 1132 Birck (2002c), S. 50. 1133 Trankell, S. 22; Bender (1984), S. 128; Bender / Nack / Treuer, Rn. 127; Birck (2002c), S. 37; Wald (2002), S. 236. 1125 1126

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Wahrnehmung integriert werden. Der Zeuge kann nicht mehr zuverlässig zwischen Fremd- und Selbsterlebnissen unterscheiden.1134 Die Opfer völkerrechtlicher Verbrechen haben teilweise sehr ähnliche Erfahrungen gemacht. Als Beispiel seien die 60 bis 70 Frauen genannt, die im Rahmen des Jugoslawienkonflikts in der Oberschule Foca unter menschenverachtenden Bedingungen gefangen gehalten und wiederholt misshandelt und vergewaltigt wurden.1135 Menschen, die vergleichbare traumatische Ereignisse durchlitten haben, können sich gegenseitig das Gefühl geben, verstanden zu werden.1136 Daher kann es bestehender Vermeidesymptome zum Trotz zu einem Erfahrungsaustausch kommen. Unterstützen sich die Opfer auch während des Strafverfahrens gegenseitig, kann dies die damit verbundenen Belastungen abmildern. Für die Wahrheitsfindung sind solche Kontakte aber wegen der mit ihnen verbundenen Gefahr der Erinnerungsverschmelzung problematisch und müssen bei der Würdigung der Zeugenaussage bedacht werden.1137 Gleichzeitig besteht bei Menschen grundsätzlich die Tendenz, sich den auch nur unterschwellig geäußerten Erwartungen ihrer Umwelt anzupassen.1138 Es besteht die Möglichkeit, dass sich in solchen Opfergruppen ein Konformitätsdruck entwickelt, der die Aussage des Einzelnen in eine bestimmte Richtung lenkt.

3. Fehlerhafte Übermittlung Während seiner Aussage muss der Zeuge seine Wahrnehmung in Worte fassen, um sie transportieren zu können. Die Übermittlung wäre optimal erfolgt, wenn bei den Richtern und den übrigen Prozessbeteiligten eine mit seinen Erinnerungen identische Vorstellung über das Tatgeschehen hervorgerufen würde. Dieser theoretische Idealfall scheitert in der Praxis bereits daran, dass die Wiedergabe unterschiedlicher und vielfältiger Sinneseindrücke einschließlich der damit verbundenen Emotionen nur durch Sprache erfolgen kann. Die Aussage ist damit nahezu zwangsläufig selektiv und kann nur den Teil der Erlebnisse erfassen, den der Zeuge 1134 Bender (1984), S. 128; Applegate, S. 351; Graessner / Ahmad / Merkord, S. 240; Rothkegel, S. 80; Birck (2002c), S. 45; Hohlweck (2002a), S. 1108; Wald (2002), S. 236; Cryer (2003), S. 435; Loftus / Wolchover / Page, Rn. 1.18. Siehe auch Situation in the DRC – Request for the Single Judge to order the production of relevant supporting documentation pursuant to Regulation 82 (2) (e), ICC-01 / 04-382, 31. 8. 2007, Rn. 42; Prosecutor v. Kupreškic´ et al., Appeals Judgement, AC, IT-95-16-A, 23. 10. 2001, Rn. 191 – 201; Kayishema & Ruzindana, Trial Judgement, o. Fn. 1122, Rn. 69; Stadler, S. 69. Dieser Prozess kann zusätzlich durch kulturelle Besonderheiten begünstigt werden, Akayesu Trial Judgement, o. Fn. 1127, Rn. 155; Prosecutor v. Musema, Judgement and Sentence, TC I, ICTR-96-13-A, 27. 1. 2000, Rn. 103. 1135 Siehe die Zusammenfassung bei media mondiale e.V., S. 39 ff. 1136 Eissler, S. 267. 1137 Siehe auch Undeutsch, S. 60; Bender (1984), S. 129; Eisenberg (1984b), S. 963. 1138 Kühne, S. 254; Egon Schneider, Rn. 1051, 1056. Siehe auch R v. Momodou [2005] EWCA Crim 177 Rn. 61.

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verbalisieren kann.1139 Zudem stellen Auswahl und Verständnis bestimmter Worte immer – selbst bei Bemühen um eine möglichst sachliche Darstellung – einen Interpretationsprozess dar. Zusätzlich kann die Wiedergabefähigkeit durch Ausdrucksschwierigkeiten herabgesetzt sein.1140 Unterschiedliche Bildungsniveaus oder andersartige kulturelle Hintergründe können zu Sprachbarrieren zwischen dem Zeugen und dem Vernehmenden führen, die die Entstehung von Missverständnissen begünstigen.1141 Gleiches gilt, wenn der Zeuge in dem Bedürfnis, sich der Situation anzupassen, Fremdwörter oder juristische Fachausdrücke benutzt, die nicht zu seinem normalen Wortschatz gehören und denen er gegebenenfalls eine völlig andere Bedeutung beimisst.1142 Zusätzlich erschwert wird der Übermittlungsvorgang, wenn keine direkte Kommunikation zwischen Gericht und Zeuge möglich ist, die Vernehmung also mittelbar über einen Dolmetscher erfolgen muss.1143 Die Einschaltung eines Dolmetschers wird im Verfahren vor dem IStGH immer notwendig sein. Arbeitssprachen sind nach Art. 50 Abs. 2 IStGH-Statut englisch und französisch. Selbst wenn eine dieser Sprachen offizielle Amtssprache in den betroffenen Regionen ist – z. B. französisch im Kongo und in Zentralafrika, englisch in Uganda – wird der Alltag teilweise durch indigene Sprachen – wie Luganda in Uganda – dominiert. Dem Zeugen sollte immer gestattet werden, in der für ihn gebräuchlichsten Sprache auszusagen. Ansonsten würde der so schon schwierige Übermittlungsprozess noch zusätzlich durch die Sprachunsicherheit belastet, die aus der Verwendung einer nicht vollständig beherrschten Sprache resultiert.1144 Zudem müssen die Mitarbeiter des IStGH nicht sowohl englisch als auch französisch verhandlungssicher beherrschen, so dass jedenfalls eine Übersetzung in die andere Arbeitssprache erfolgen muss.1145 Dem Dolmetscher kommt damit eine zentrale Stellung in der Vernehmungssituation zu. Seine Fähigkeiten sind maßgebend dafür, dass sowohl die Aussage als auch das Aussageverhalten des Zeugen zutreffend wiedergegeben werden.1146 Um dem Gericht ein authentisches Bild zu vermitteln, muss der Dolmetscher zumindest grundlegende Kenntnisse auch von der Kultur des Aussagenden 1139 Siehe Undeutsch, S. 65 zur schwierigen Vernehmung von Zeugen mit begrenztem Wortschatz. 1140 Egon Schneider, Rn. 1034; Kabbani, S. 412. 1141 Birck (2002c), S. 23. 1142 Egon Schneider, Rn. 1034. 1143 Ralf Weber, S. 175; Birck (2002c), S. 21; Hohlweck (2002a), S. 1108; Cryer (2006a), S. 2; Byrne, S. 623; Zahar, S. 602. Siehe auch Akayesu Trial Judgement, o. Fn. 1127, Rn. 137. 1144 Siehe auch Birck (2002c), S. 21, die auf die Schwierigkeit hinweist, selbst in einer gut beherrschten Fremdsprache differenziert Gefühle zum Ausdruck zu bringen. 1145 Siehe auch Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1091, o. Fn. 97; Akayesu Trial Judgement, o. Fn. 1127, Rn. 145; Rutaganda Trial Judgement, o. Fn. 1006, Rn. 23; Musema Trial Judgement, o. Fn. 1134, Rn. 103; Cryer (2003), S. 424; ders. (2006a), S. 3. 1146 Kabbani, S. 412.

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haben, die die Kommunikation und die Art der Erzählung beeinflusst.1147 Er muss sich außerdem auf den Zeugen einstellen und sich beispielsweise einer Ausdrucksweise bedienen, die der des Zeugen entspricht. Interpretationen sind nach Möglichkeit zu vermeiden.1148 Allerdings stellt bereits die Auswahl der Worte im Rahmen einer Übersetzung einen Interpretationsprozess dar, der die ursprüngliche Aussage zumindest in Nuancen,1149 wenn nicht sogar in ihrem Kern,1150 verändert. Der Einschaltung eines Dolmetschers ist daher die Gefahr einer Aussageverfälschung inhärent.

4. Bewusste Falschaussagen Neben unbewussten Aussageverfälschungen und -verzerrungen besteht die Gefahr, dass der Zeuge aus einer bestimmten Motivation heraus1151 bewusst die Unwahrheit sagt. 5. Zusammenfassung Im Gegensatz zur hohen Bedeutung des Zeugenbeweises für die Sachverhaltsaufklärung steht seine Fehleranfälligkeit. Daraus folgt ein gesteigertes Bedürfnis vor allem der Verteidigung, die Glaubwürdigkeit von Belastungszeugen und die Glaubhaftigkeit ihrer Aussagen kritisch zu überprüfen.

VI. Maßnahmen zur Erhöhung des Beweiswertes Trotz seiner Schwächen bleibt der auch als der schlechteste aller möglichen Beweise bezeichnete 1152 Zeugenbeweis in der Praxis unersetzbar und von maßgeblicher Bedeutung. Durch bestimmte Vorkehrungen kann der Beweiswert der Zeugenaussage aber erhöht werden. Ralf Weber, S. 175. Kabbani, S. 412. Siehe auch Cryer (2003), S. 423. 1149 Akayesu Trial Judgement, o. Fn. 1127, Rn. 145; Prosecutor v. Ntageruga et al., Trial Judgement, TC III, ICTR-99-46-T, 25. 2. 2004, Rn. 26; Birck (2002c), S. 23; Bassin, S. 1783. Siehe auch Hadzihasanoviç & Kubura Trial Judgement, o. Fn. 996, Rn. 304. 1150 Rutaganda Trial Judgement, o. Fn. 1006, Rn. 23. 1151 Siehe den Überblick bei Bender / Nack / Treuer, Rn. 219 ff. Siehe auch Prosecutor v. Gacumbtsi, Trial Judgement,TC III, ICTR-2001-64-T, 17. 6. 2004, Rn. 86 (Gefahr der Falschaussage aus Rache); Prosecutor v. Muvunyi, Appeals Judgement, AC ICTR-2000-55A-A, 29. 8. 2008, Rn. 130; Rüßmann, S. 156. 1152 Egon Schneider, Rn. 872; ähnlich Schäfer, S. 151 der von einer ständigen Gefahr für die Wahrheitsfindung spricht. Siehe auch Kühne, S. 252; Mokry / Sobkowski, S. 477 Rn. 30; Byrne, S. 614. 1147 1148

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1. Der Einfluss der Fragetaktik Zunächst gilt es zu verhindern, dass der Zeuge durch die Fragen der Ermittler, der Verteidigung oder des Gerichts beeinflusst wird. So besteht beispielsweise die Gefahr, dass der Zeuge eine Verfälschung seiner Aussage durch den Vernehmenden übernimmt1153 oder seine Tatschilderung an die unterschwellig zum Ausdruck gebrachten Erwartungen seines Gegenübers anpasst1154. Um Suggestionseffekte zu verhindern, sollten neutrale, offene Fragen gestellt werden, die keine Antworten vorgeben1155 und die wenig Auskunft über die Überzeugung der fragenden Person geben.1156 Besonders beeinflussend sind Vorhaltfragen, die Voraussetzungen, Erwartungen oder Wertungen enthalten.1157 Verzichtet werden sollte auch auf Wiederholungen, offenes Zweifeln,1158 irreführendes Fragen1159 und autoritäres, insistierendes Verhalten.1160 Im Einzelfall können allerdings Suggestivfragen unerlässlich sein, um dem Zeugen zu helfen, sich wieder an das Tatgeschehen zu erinnern.1161 Verwertet werden sollten dann allerdings nur die Teile der Antwort, die nicht bloß die Suggestion bestätigen, sondern hierüber hinausgehen.1162 Es ist Aufgabe der Verfahrenskammer, eine beeinflussende Befragung des Zeugen zu verhindern.1163 Dies folgt aus Art. 69 Abs. 3 S. 2 IStGH-Statut, der die Kammer zur Wahrheitsfindung auffordert. Art. 64 Abs. 8 lit. b) IStGH-Statut gibt dem vorsitzenden Richter zu diesem Zwecke auch die Möglichkeit, die Art und Weise der Zeugenbefragung durch die Parteien zu kontrollieren. Durch prozessleitende Verfügungen kann er Suggestivfragen und andere beeinflussende Befragungsmethoden begrenzen oder untersagen.

1153 Bender (1984), S. 128. Siehe auch Akayesu Trial Judgement, o. Fn. 1127, Rn. 137; Eisenberg (1984a), S. 917. 1154 Bender (1984), S. 128; Kühne, S. 255; Eisenberg (1984a), S. 915. Siehe auch Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1049, o. Fn. 1, Rn. 51 – 52; Scholz, S. 575. 1155 Eisenberg (1984a), S. 915: Wydick, S. 43; Blumenstein, S. 31. 1156 Birck (2002c), S. 129. 1157 Eisenberg (1984a), S. 915; Applegate, S. 308; Wydick, S. 10; Blank, S. 178; Scholz, S. 575; Cryer (2003), S. 425; ders. (2006a), S. 4; Loftus / Wolchover / Page, Rn. 1.33. 1158 Eisenberg (1984a), S. 916; Birck (2002c), S. 129. 1159 Birck (2002c), S. 129. 1160 Eisenberg (1984a), S. 918; Scholz, S. 575; Birck (2002c), S. 129. 1161 Bender (1984), S. 129. Siehe auch Prosecutor v. Lubanga – Prosecution’s Submission Regarding the Subjects that Need Early Determination: Status of Evidence Heard by the PreTrial Chamber, Status of Decision of the Pre-Trial Chamber, and Manner in which Evidence Shall Be Submitted, ICC-01 / 04-01 / 06-953, 12. 9. 2007, Rn. 37. 1162 Bender (1984), S. 129. Siehe auch Blumenstein, S. 31. 1163 Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1049, o. Fn. 1, Rn. 52.

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2. Verhinderung einer Abstimmung von Aussagen Der Wahrheitsfindung dienen zudem Maßnahmen, die eine Abstimmung von Aussagen verhindern.

a) Getrennte Vernehmung der Zeugen Eine Möglichkeit, eine unvoreingenommene und unbeeinflusste Aussage zu gewährleisten, ist die getrennte Vernehmung von Zeugen.1164 Wie bei den Ad-hocTribunalen1165 ist auch für den IStGH in Rule 140 Abs. 3 S. 1 vorgesehen, dass Zeugen vor ihrer eigenen Aussage nicht der Vernehmung anderer Zeugen beiwohnen dürfen. Die Kammer wird allerdings ermächtigt, im Einzelfall Ausnahmen zuzulassen. Rule 140 Abs. 3 S. 2 und 3 stellen dementsprechend klar, dass allein die Präsenz bei der Vernehmung anderer Zeugen nicht zur Unverwertbarkeit der späteren Aussage des Mithörenden führt. Vielmehr ist dieser Umstand lediglich bei der Beweiswürdigung zu berücksichtigen.1166 Bei der Entscheidung nach Rule 140 Abs. 3 ist das Interesse des Zeugen, der Beweisaufnahme beizuwohnen, mit den Folgen seiner Anwesenheit für den Beweiswert seiner Aussage abzuwägen. Der Ausschluss von der Beweisaufnahme kann mit dem Interesse der Opfer, umfassend über die Tathintergründe informiert zu werden und ihrem Recht, die Wahrheit zu erfahren, kollidieren. Bei den komplexen Geschehnissen, wie sie vor dem IStGH verhandelt werden, kann das Informationsbedürfnis des Opfers unter Umständen nicht nur durch Klärung des ihn direkt betreffenden Tatvorwurfs befriedigt werden. Um einen umfassenden Eindruck von den Geschehnissen und den Tathintergründen zu bekommen, kann es vielmehr den Wunsch verspüren, auch bereits vor seiner Aussage der Beweisaufnahme beizuwohnen. Zudem ist das Strafverfahren ein bedeutender Schritt zur Wiederherstellung von Gerechtigkeit sowie eine Form der Wiedergutmachung.1167 Dementsprechend kann es für die Opfer von großer Bedeutung sein, den Prozess vollständig verfolgen zu dürfen.1168 1164 BGH 20. 1. 1953, BGHSt 3, 386, 388; Eisenberg (2008), Rn. 1325; May / Wierda, Rn. 6.08; KK(-Senge), § 58 StPO Rn. 1. Siehe auch Sanchirico, S. 330. 1165 ICTY Rule 90 (C) und ICTR Rule 90 (D). Entsprechende Vorschriften finden sich auch in vielen nationalen Strafverfahrensgesetzen: in Deutschland § 58 Abs StPO, in der Schweiz Art. 81 BStP (Bundesgesetz über die Bundesstrafrechtspflege vom 15. 6. 1934, SR 312.0) oder auch in Zivilprozessordnungen: in den Niederlanden in Art. 179 Abs. 1 nRV (nieuw Wetboek van Burgerlijke Rechtsvordering vom 6. 12. 2001, Stb. 580); in Österreich § 339 Abs. 2 östZPO (Zivilprozessordnung vom 1. 8. 1985, östRGBl. 1895 / 113); in Spanien in Art. 366 LEC. 1166 Siehe auch Prosecutor v. Simic´ et al., Trial Judgement, TC I, IT-95-9-T, 17. 10. 2003, Rn. 26. 1167 Siehe oben Teil 4 B. 1168 Heikkilä, S. 163, Stehle, S. 288.

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Der Zeuge sollte der Beweisaufnahme auch dann vor seiner eigenen Aussage beiwohnen dürfen, wenn sie sich auf einen zeitlich und örtlich verschiedenen und strukturell nicht vergleichbaren Tatkomplex bezieht; eine bewusste oder unbewusste Angleichung der Aussagen daher nahezu ausgeschlossen werden kann. In allen anderen Fällen kommt eine Ausnahme von Rule 140 Abs. 3 grundsätzlich nicht in Betracht. Dies gilt selbst dann, wenn dem Gericht bekannt ist, dass die Zeugen bereits im Vorfeld des Verfahrens engen Kontakt zueinander hatten. Zwar besteht dann eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass ein umfassender Erfahrungsaustausch bereits zu einer Erinnerungsverschmelzung geführt hat. Es ist aber möglich, durch gezielte Fragen die eigenen Erinnerungen von den fremden zu trennen und so auf eine Ergänzung der Aussage hinzuwirken.1169 Daher ist auch in diesen Fällen eine getrennte Vernehmung der Zeugen sinnvoll. Eine Ausnahme von Rule 140 Abs. 3 ist typischerweise zudem dann angezeigt, wenn sich der Zeuge gleichzeitig als Opfer im Verfahren beteiligt.1170 Lässt es sich anwaltlich vertreten, so steht jedenfalls seinem Rechtsbeistand ein Anwesenheitsrecht während der gesamten Verhandlung zu.1171 Um das Informationsbedürfnis der Opfer, das sie durch die Wahrnehmung ihrer Partizipationsrechte nachdrücklich dokumentiert haben, zu befriedigen, sollte auch ihnen gestattet sein, der gesamten Beweisaufnahme beizuwohnen. Als nationales Vorbild kann § 397 Abs. 1 S. 1 StPO herangezogen werden. Er gewährt dem Opfer, das sich als Nebenkläger am Verfahren beteiligt, ein umfassendes Anwesenheitsrecht. Berücksichtigt man die hohe Anzahl an Opfern, die sich am Verfahren vor dem IStGH beteiligen,1172 drängt sich aber die Frage auf, ob ein Anwesenheitsrecht faktisch realisierbar ist. Ein Aufenthalt in Den Haag ist allerdings mit einem nicht unerheblichen finanziellen und logistischen Aufwand verbunden. Die Verfahren sind sehr lang und komplex. Die Aussagen anderer Opfer zu verfolgen, kann zudem eine erhebliche emotionale und psychische Belastung darstellen. Daher steht nicht zu erwarten, dass viele Opfer den Wunsch äußern werden, das Verfahren über einen längeren Zeitraum hinweg zu verfolgen.1173 Sollte im Einzelfall dennoch eine zu große Anzahl an Opfern beantragen, bereits vor der eigenen Vernehmung im Gerichtssaal anwesend sein zu dürfen, gewährt Rule 140 Abs. 3 dem Gericht einen hinreichenden Ermessenspielraum, um dennoch eine ordnungsgemäße Durchführung des Verfahrens sicherzustellen.

Siehe die Nachweise in Fn. 1180 und dazugehörigen Text. Anderer Ansicht Prosecutor v. Lubanga – Argumentation de la Défense sur des questions devant être tranchées à un stade précoce de la procédure: le rôle des victimes avant et pendant le procès, les procédures adoptées aux fins de donner des instructions aux témoins experts et la préparation des témoins aux audiences, ICC-01 / 04-01 / 06-991, 18. 10. 2007, Rn. 32. 1171 Rule 91 Abs. 2 S. 1. 1172 Siehe unten Teil 5 E. II. 3. c) ff). 1173 Heikkilä, S. 163. 1169 1170

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Der Grundsatz der gestaffelten Vernehmung darf zudem nicht zu einer unzumutbaren Belastung des Zeugen führen. Besonders schutzbedürftige Opfer – vor allem Kinder – sollten nur in Anwesenheit einer Vertrauensperson vernommen werden.1174 Ist auch diese als Zeuge geladen, ist ihre Aussage zuerst zu hören. Sollte dies ausnahmsweise nicht möglich sein, sollte ihr im Interesse des schutzbedürftigen Zeugen gestattet werden, bei seiner Aussage dennoch anwesend zu sein. Wenn eine getrennte Zeugenvernehmung durchgeführt wird, sollte dem Zeugen im Anschluss an seine Aussage die Möglichkeit gegeben werden, sich umfassend über den Stand des Verfahrens in Kenntnis zu setzen. Soweit er die englische oder französische Sprache beherrscht, ist dies unproblematisch durch die Zurverfügungstellung der Verhandlungsprotokolle, die auch auf der hompage des IStGH abgerufen werden können, möglich. In allen anderen Fällen ist es Aufgabe der VWU, den Zeugen die gewünschten Informationen in ihrer Sprache zukommen zu lassen.

b) Verbot, sich mit anderen Zeugen zu besprechen? Das ICTY versucht, der Gefahr einer Erinnerungsverschmelzung und der Abstimmung von Aussagen zusätzlich dadurch entgegenzuwirken, dass den Zeugen verboten wird, potentielle Inhalte ihrer Vernehmung mit anderen Zeugen zu besprechen. Hierzu wird den Zeugen durch die Abteilung für Opfer und Zeugen folgende Mitteilung1175 überreicht: „NOTICE Rule 90 (D) of the Rules of Evidence and Procedure of the International Tribunal provides: ,(D) A witness, other than an expert, who has not yet testified shall not be present when the testimony of another witness is given. However, a witness who has heard the testimony of another witness shall not for that reason alone be disqualified from testifying.‘ In addition to the basic instruction to witnesses not to be present in the courtroom when another witness is testifying, the Trial Chamber HEREBY DIRECTS you not to discuss testimony with other potential witnesses both prior to and during the trial. In practical terms this means that, from the time you are first advised that one of the parties wishes to list you as a potential witness for trial, you should not discuss any matters relating to the trial with persons other than members of the Office of the Prosecutor, coun-

1174 Siehe hierzu Prosecutor v. Lubanga – Conclusion du Representant Legal de la Victime a / 0105 / 06 Sur „Ordre Setting out the Shedule for Submission and Hearings on further Subjects which Require Determination Prior to Trial“, ICC-01 / 04-01 / 06-1106, 5. 1. 2008, Rn. 27. Siehe auch unten Teil 5 D. VIII. 8. 1175 Entnommen aus Prosecutor v. Furundzija – Order on Defense Motion Requesting Sequestration of Witnesses, TC II, IT-95-17 / 1, 10. 6. 1998.

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sel for the defence or their designated representatives, or officials of the International Tribunal. Witnesses must not watch, read or listen to media coverage of the proceedings prior to giving evidence. When the time comes to give your evidence you may be asked by the Trial Chamber whether you have discussed your testimony with other witnesses and whether you have read about the proceedings in the press or watched the broadcasts on television. Witnesses giving evidence before the International Tribunal are required to make a solemn declaration that they will speak the truth. A witness who gives false testimony after having made the declaration is liable to a potential fine of up to US $10, 000 or imprisonment for up to twelve months or both.“

Den Opfern wird damit über ICTY Rule 90 (D) hinaus untersagt, vor und während des Verfahrens ihre Aussage mit anderen potentiellen Zeugen zu besprechen oder sich aus den Medien über den Stand des Verfahrens zu informieren. Gleichzeitig wird angekündigt, dass die Kammer nachfragen kann, ob die Anweisungen eingehalten wurden. Der Zeuge wird zudem darüber informiert, dass Falschaussagen mit Gefängnis bis zu 12 Monaten sanktioniert werden können. Es fehlen empirische Daten, ob und in welchem Umfang die Zeugen einer solchen Anordnung nachkommen. Die Verbindung von Verbot, Strafandrohung und hierarchischer Wortwahl („directs“ „must not“) begründet jedenfalls die Gefahr einer sekundären Viktimisierung. Das Opfer kann sich bedrängt fühlen, die Strafandrohung kann Ängste auslösen. Den Druck auf die Opferzeugen durch zusätzliche Verbote weiter zu erhöhen, ist auch für die Wahrheitsfindung nicht förderlich. Zeugen, die durch die autoritäre Vorgehensweise verunsichert, eventuell sogar verängstigt sind, werden typischerweise weniger unbefangen und weniger umfassend aussagen. Sinnvoller erscheint es daher, das Problem der Erinnerungsverschmelzung im Zuge des Witnesses-Familiarisation1176 anzusprechen und auf eine freiwillige Kooperation der Opfer hinzuwirken. c) Getrennte Anreise und Unterbringung von Zeugen Um zumindest einen Erfahrungsaustausch unmittelbar vor der Aussage zu verhindern, wird angeregt, dass die Kanzlei für die Zeugen getrennte Anreisen und Unterkünfte organisiert. Allerdings ist es deutlich zeit- und kostenintensiver, Individualkonzepte entwickeln zu müssen, als die vor Ort befindlichen Gruppen geschlossen nach Den Haag zu fliegen und dort unterzubringen. Sind die Betroffenen in ein Zeugenschutzprogramm integriert, müssen Transport und Unterbringung zudem gesteigerten Sicherheitsanforderungen genügen. Dieser Aufwand dürfte nur in begründeten Ausnahmefällen gerechtfertigt sein.1177 Jedenfalls dürfen entsprechende Maßnahmen nicht dazu führen, dass besonders schutzbedürfSiehe hierzu unten Teil 5 D. VIII. 4. Prosecutor v. Lubanga – Decision regarding the Protocol on practices to be used to prepare witnesses for trial, TC I, ICC-01 / 04-01 / 06-1351, 23. 5. 2008, Rn. 31. 1176 1177

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tigen Opferzeugen die stabilisierend wirkende Bezugsperson genommen wird. Dies gilt auch dann, wenn die Begleitperson ebenfalls als Zeuge vernommen werden soll. d) Aufdeckung von Aussageanpassungen Im Zuge der Zeugenvernehmung kann zumindest in einem gewissen Rahmen aufgedeckt werden, ob der Zeuge – bewusst oder unbewusst – in seine Aussage die Erlebnisse anderer Opfer integriert hat. Hierzu sollte der Zeuge zunächst darüber befragt werden, mit wem er über die Geschehnisse gesprochen hat. Dadurch kann aufgezeigt werden, wann eine Veränderung der Erinnerung stattgefunden haben könnte.1178 Zudem kann die Aussage selbst Anhaltspunkte für eine Erinnerungsverschmelzung enthalten. Jeder Mensch nimmt dasselbe Ereignis anders wahr als andere Menschen. Selbst wenn zwei Menschen das gleiche erlebt haben, müssen sich individuelle Unterschiede in der Wahrnehmung finden, die sich auch in der Wiedergabe niederschlagen. So müssen sich die Aussagen der Zeugen beispielsweise in der Schilderung von Details oder in der Schwerpunktsetzung unterscheiden. Sind sie hingegen vollständig deckungsgleich, spricht dies für eine bewusste oder unbewusste Anpassung der Aussagen.1179 Durch gezieltes Nachfragen können die Zeugen allerdings häufig dazu gebracht werden, sich an weitere, individuelle Facetten der Geschehnisse zu erinnern.1180 e) Zusammenfassung Durch die getrennte Vernehmung von Zeugen kann eine bewusste oder unbewusste Anpassung der Aussagen während des Verfahrensstadiums verhindert werden. Ausnahmen von Rule 140 Abs. 3 sind insbesondere für Zeugen, die sich gleichzeitig als Opfer am Verfahren beteiligen, sowie für Personen, die besonders schutzbedürftige Zeugen, wie Kinder, bei ihrer Aussage begleiten, angezeigt. Gewährleistet werden muss ferner, dass die Zeugen im Anschluss an ihre Aussage die Möglichkeit haben, sich über den Stand des Verfahrens zu informieren. Ihnen darüber hinaus zu untersagen, sich untereinander über ihre Erlebnisse auszutauschen und sich aus den Medien über den Fall zu informieren, erscheint hingegen nicht ratsam. Ein unnötig autoritäres Verhalten beinhaltet nicht nur die Gefahr einer sekundären Viktimisierung, sondern kann auch die Kooperationsbereitschaft der Zeugen verringern. Scholz, S. 579. Bender (1984), S. 130. Siehe auch Situation in Darfur, Sudan – Public Redacted Version of Request for the Single Judge to order the production of relevant supporting documentation pursuant to Regulation 86 (2) (e), ICC-02 / 05-95, 21. 8. 2007, Rn. 46, wobei das OPCD allerdings ín diesem Fall weniger an der Glaubwürdigkeit der Zeugen als vielmehr an der Zuverlässigkeit der Übersetzung zweifelt. 1180 Siehe Blank, S. 187. 1178 1179

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3. Witness-Proofing? Im Verfahren vor den Ad-hoc-Tribunalen werden die Zeugen, von der Partei, die sie benennt, auf ihre Aussage vorbereitet.1181 Im Rahmen dieses sogenannten witness-proofing1182 wird den Zeugen zunächst ein Protokoll ihrer bisherigen Aussagen vorgelegt. Zudem wird mit ihnen über den möglichen Umfang und Inhalt ihrer Aussage vor Gericht sowie über Eingaben, die während der Aussage gemacht werden könnten, gesprochen.1183 Ziel des witness-proofing ist es, das Gedächtnis der Zeugen aufzufrischen und eine effiziente, umfassende, gut strukturierte und pointierte Aussage zu ermöglichen.1184 Es soll dadurch der Wahrheitsfindung dienen.1185 Dies erscheint im internationalen Verfahren umso notwendiger, als die Taten, über die Beweis erhoben wird, mehr als zehn Jahre zurückliegen können. Auch zwischen der ersten Vernehmung im Ermittlungsverfahren und der Aussage des Zeugen in der Hauptverhandlung liegt regelmäßig ein langer, mehrjähriger Zeitraum.1186 Weder das IStGH-Statut noch die Rules befassen sich explizit mit dem witnessproofing.1187 Für seine Zulässigkeit im Verfahren vor dem IStGH wird Art. 54 1181 Siehe Prosecutor v. Limaj et al. – Decision on Defence Motion on Prosecution Practice, TC II, IT-03-66-T, 10. 12. 2004; Prosecutor v. Milutinovic´ et al. – Decision on Ojdanic´ Motion to Prohibit Witness Proofing, IT-05-87-T, 12. 12. 2006; Prosecutor v. Karemera et al. – Decision on Interlocutory Appeal Regarding Witness Proofing, AC, ICTR-98-44-AR73.8, 11. 5. 2007, Rn. 8; Prosecutor v. Karemera et al. – Decision on Defence Motions to Prohibit Witness Proofing, TC III, ICTR-98-44-T, 15. 12. 2006, Rn. 9; Prosecutor v. Sesay et al. – Decision on the Gbao and Sesay joint application for the exclusion of the testimony of witness TF1 – 141, TC, SCSL-04-15-T, 26. 10. 2005, Rn. 33. Siehe auch den Überblick bei Karemaker / Taylor III / Pittman (2008a), S. 685. Zu den Unterschieden in der Gerichtspraxis Jordash, S. 503 ff. 1182 Etwas anderes ist das Witness-Familiarsation. Siehe hierzu unten Teil 5 D. VIII. 4. 1183 Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1049, o. Fn. 1, Rn. 49. Siehe auch Lubanga PTC I, ICC-01 / 04-01 / 06-679, o. Fn. 163, Rn. 17; Prosecutor v. Lubanga – Prosecution’s submissions regarding the subjects that require early determination: procedures to be adopted for instructing expert witnesses, witness familiarization and witness proofing, ICC-01 / 04-01 / 06-952, 12. 9. 2007, Rn. 9; Applegate, S. 298; Wydick, S. 5; Finlay / Cromwell, S. 47; WRCO (July 2009), S. 29. 1184 Lubanga Prosecution’s submissions, ICC-01 / 04-01 / 06-952, o. Fn. 1183, Rn. 15 – 17; Limaj et al. TC, o. Fn. 1181 Karemera et al. TC, o. Fn. 1181, Rn. 15; Applegate, S. 278; Finlay / Cromwell, S. 7; Carter, S. 468; Shargel, S. 1271; WRCO (July 2009), S. 30. 1185 Siehe Lubanga Prosecution’s submissions, ICC-01 / 04-01 / 06-952, o. Fn. 1183, Rn. 9; Sesay et al. TC, o. Fn. 1181, Rn. 33; Nix v. Whiteside, 475 U.S. 157, 190 (per Justice John Paul Stevens); Piorkowski, S. 391; Carter, S. 468; Karemaker / Taylor III / Pittman (2008a), S. 694. 1186 Siehe die Ausführungen des Anklägers im Fall Thomas Lubanga Dyilo, Transkript ICC-01 / 04-01 / 06-T 56 vom 30. 10. 2007, 56; Karemera et al. TC, o. Fn. 1181, Rn. 17; WRCO (July 2009), S. 37. 1187 Siehe auch Lubanga PTC, ICC-01 / 04-01 / 06-679, o. Fn. 163, Rn. 11; WRCO (July 2009), S. 20; Ambos (2009a), S. 602 sowie die umfassende Analyse bei Vasiliev (2009a), S. 208 ff.

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Abs. 3 lit. b) IStGH-Statut angeführt,1188 der den Ankläger berechtigt, Zeugen im Ermittlungsverfahren zu vernehmen. Aus dieser allgemein gehaltenen Vorschrift können aber keine Rückschlüsse darauf gezogen werden, ob auch eine Vorbereitungssitzung mit dem Zeugen unmittelbar vor dessen Aussage zulässig ist.1189 Auch der Verweis auf Art. 70 IStGH-Statut1190 überzeugt nicht. Nur weil das witness-proofing keine Straftat gegen die Rechtspflege ist, folgt daraus nicht im Umkehrschluss, dass die Vorbereitung von Zeugen zulässig ist.1191 Verschiedene nationale Rechtsordnungen lassen zwar in gewissem Umfang Kontakte zwischen der Partei und dem Zeugen im Vorfeld seiner Aussage zu.1192 Dennoch existiert kein allgemeiner Rechtsgrundsatz i. S. d. Art. 21 Abs. 1 lit. c) IStGH-Statut, demzufolge witness-proofing zulässig wäre.1193 An die Gerichtspraxis der Ad-hoc-Tribunale ist der IStGH nicht gebunden.1194 Umstritten ist, welche Folgen das Fehlen einer Rechtsgrundlage hat.1195 Während dies nach einer Ansicht zur Unlässigkeit des witness-proofing führen soll,1196 hält die Gegegenansicht die Vorbereitung von Zeugen mangels expliziter Verbotsnorm für gestattet.1197 Aus Gründen der Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit prozessualer Handlungen scheint die erste Auffassung vorzugswürdig. Dessen ungeachtet stellt sich die Frage, ob die Zulässigkeit des witness-proofing wünschenswert ist, scil. ob es die Kammer bei der Wahrheitsfindung unterstützt. Wird aber die Aussage im Vorfeld besprochen und der Zeuge auf Lücken und Ungereimten hingewiesen, besteht die Gefahr, dass der Zeuge beeinflusst und die Vorbereitungssitzung zu einer Generalprobe für die Aussage wird.1198 Auch wenn der Vernehmende sich bemüht, keine Rückmeldung zu geben, insbesondere den Zeugen nicht wissen zu lassen, ob seine Aussage die Anklage oder die Verteidigung unLubanga Prosecution’s submissions, ICC-01 / 04-01 / 06-952, o. Fn. 1183, Rn. 30. Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1049, o. Fn. 1, Rn. 36, Ambos (2009a), S. 602. 1190 Lubanga Prosecution’s submissions, ICC-01 / 04-01 / 06-952, o. Fn. 1183, Rn. 28. 1191 Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1049, o. Fn. 1, Rn. 36; Ambos (2009a), S. 603. 1192 Siehe den Lubanga Prosecution’s submissions, ICC-01 / 04-01 / 06-952, o. Fn. 1183, Rn. 24 – 26 sowie Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1049, o. Fn. 1, Rn. 40. 1193 Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1049, o. Fn. 1, Rn. 36; Jordash, S. 520; Ambos (2009a), S. 603 ff. Siehe auch Lubanga PTC I, ICC-01 / 04-01 / 06-679, o. Fn. 163, Rn. 36 – 37. Kritisch WRCO (July 2009), S. 25 f. 1194 Siehe Teil 2 B. I. Umgekehrt sind auch die Ad-hoc-Tribunale nicht an die Rechtsprechung des IStGH gebunden. In ihren Verfahren ist das witness-proofing weiterhin zulässig Karemera et al. AC, o. Fn. 1181, Rn. 7. Für die Übernahme der Rechtsprechung der Ad-hocTribunale WRCO (July 2009), S. 28. 1195 Siehe hierzu Vasiliev (2009a), S. 228 f. 1196 Ambos (2009a), S. 612. 1197 Karemaker / Taylor III / Pittman (2008b), S. 921. 1198 Siehe Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1049, o. Fn. 1, Rn. 51; Lubanga PTC I, ICC-01 / 04-01 / 06-679, o. Fn. 163, Rn. 41; R v. Momodou [2005] EWCA Crim 177 Rn. 61; Ambos (2009a), S. 613. Dies kann eine gezielt eingesetzte Vorbereitungstaktik sein, Applegate, S. 322. Siehe auch Karemera et al. AC, o. Fn. 1181, Rn. 13. 1188 1189

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terstützt,1199 kann zumindest eine unterbewusste Beeinflussung des Zeugen nicht ausgeschlossen werden.1200 Zudem besteht bei der Vernehmung eines unbefangenen, unvorbereiteten Zeugen die Möglichkeit, dass er sich an weitere Details erinnert und seine Aussage erweitern kann. Für die Wahrheitsfindung können diese spontanen Ergänzungen von zentraler Bedeutung sein. Dieser Möglichkeit sollte sich das Gericht nicht durch die Zulassung des witness-proofing begeben.1201 Aus diesen Gründen haben Vorverfahrenskammer1202 und Verfahrenskammer1203 den Parteien zu Recht1204 Vorbereitungssitzungen mit Zeugen untersagt. Einige Funktionen des witness-proofing können allerdings durch das witness-familiarisation erfüllt werden.1205

4. Verhinderung einer Verfälschung durch den Dolmetscher Ist der Zeuge nicht einer der Gerichtssprachen mächtig, so ist er auf einen Dolmetscher angewiesen. Nur vermittelt durch diesen kann er das Geschehen, einschließlich der damit verbundenen Emotionen, schildern. Dabei sind sowohl der Zeuge als auch der Vernehmende typsicherweise nicht in der Lage, die Qualität, Genauigkeit und Unparteilichkeit der Übersetzung zu kontrollieren. Alle Beteiligten sind vom Dolmetscher abhängig.1206 Art. 44 Abs. 2 IStGH-Statut verlangt für das gesamte Personal des IStGH – und damit auch für die Dolmetscher – ein Höchstmaß an Leistungsfähigkeit, fachlichem Können und Ehrenhaftigkeit. Die besondere Bedeutung und Verantwortung des Dolmetschers wird durch die Eides1199 Siehe die Ausführungen des Anklägers im Fall Thomas Lubanga Dyilo, Transkript ICC-01 / 04-01 / 06- T 56 vom 30. 10. 2007, 58, 62. In diese Richtung auch Limaj et al. TC, o. Fn. 1181, S. 3. Siehe auch Piorkowski, S. 403. 1200 Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1049, o. Fn. 1, Rn. 51; Wydick, S. 9. Diese Gefahr wird auch in Karemera et al. TC, o. Fn. 1181, Rn. 15 angedeutet. Siehe auch Jordash, S. 511 f. Anerkannt auch bei WRCO (July 2009), S. 32. Nach Karemaker / Taylor III / Pittman (2008a), S. 694 soll aber witness-proofing möglich sein, ohne den Zeugen zu beeinflussen. WRCO (July 2009), S. 33 weist darauf hin, dass die bisherige Praxis der Ad-hoc-Tribunale die Befürchtung, dass witness-proofing zu einer Beeinflussung der Zeugen missbraucht würde, nicht bestätigt. Dies dürfte allerdings nur für die gezielte Beeinflussung von Zeugen gelten. Gefährlicher, da deutlich schwerer zu bemerken, ist aber die unbewußte Einflussnahme auf die Aussage. 1201 Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1049, o. Fn. 1, Rn. 52. Kritisch hierzu Karemaker / Taylor III / Pittman (2008b), S. 921; WRCO (July 2009), S. 30. 1202 Lubanga PTC I, ICC-01 / 04-01 / 06-679, o. Fn. 163, Rn. 42. 1203 Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1049, o. Fn. 1, Rn. 57. 1204 Zustimmend auch Jordash, S. 520. Siehe aber zur Frage, ob das witness-proofing notwendig ist, ob die Zeugen vor einer sekundären Viktimisierung zu schützen, unten Teil 5 D. VIII. 10. c). 1205 Siehe hierzu unten Teil 5 D. VIII. 6. Für nicht ausreichend zum Schutz der Opfer hält dies offenbar WRCO (July 2009), S. 31. 1206 Siehe auch Kabbani, S. 410; Eisenberg (2008), Rn. 532; Wald (2002), S. 237.

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pflicht unterstrichen. Zu Beginn seiner Tätigkeit muss dieser schwören, dass er wahrheitsgemäß und unparteiisch übersetzen wird. Dennoch kann eine versehentliche oder absichtliche Verfälschung der Aussage durch den Dolmetscher nicht ausgeschlossen werden. Dieser Gefahr kann allerdings durch zusätzliche Sicherheitsmechanismen entgegengewirkt werden. Als Beispiel sei auf die Vernehmungspraxis des ICTR hingewiesen. Sofern die Zeugen nicht des Englischen oder Französischen mächtig sind, muss die Übersetzung aus der Landessprache Kinyarwanda erfolgen. Zurückgegriffen werden kann regelmäßig nur auf Mitglieder der ehemals verfeindeten Ethnien der Hutu oder Tutsi. Dabei können Zweifel an der Unparteilichkeit der Dolmetscher – sei es wegen verwandtschaftlicher Beziehungen zu Opfern oder Tätern, sei es wegen noch bestehender rassischer Vorurteile – nie vollständig ausgeschlossen werden. Um dennoch die Richtigkeit der Übersetzung möglichst umfassend gewährleisten zu können, sind im Verhandlungssaal zusätzlich zum Hauptdolmetscher zwei weitere Übersetzer, ein Hutu und ein Tutsi, anwesend, die unabhängig von einander die Richtigkeit der Übertragung bestätigen müssen. In vergleichbaren Fällen ist es sinnvoll, auch im Verfahren vor dem IStGH solche Kontrollen durchzuführen. 5. Verhinderung von Falschaussagen Neben Erinnerungs- und Übermittlungsfehlern gilt es auch vorsätzlichen Falschaussagen entgegenzuwirken. a) Beschränkung der Aussagepflicht Lügen wird der Zeuge regelmäßig nur aus einer bestimmten Motivation heraus. Die Ausnahmen von der Aussagepflicht erfassen Konstellationen, in denen typischerweise die Bereitschaft zu einer Falschaussage erhöht ist. So erspart das Auskunftsverweigerungsrecht nach Rule 74 Abs. 3 lit. a) dem Zeugen den Gewissenskonflikt zwischen Pflicht zur wahrheitsgemäßen Aussage und Selbstschutz.1207 Zumindest mittelbar ergeben sich daraus auch positive Effekte für die Wahrheitsfindung,1208 da der Zeuge nicht in die Lüge flüchten muss, um sich vor einer Strafverfolgung zu schützen. Ähnliches gilt für das Privileg, als naher Angehöriger nicht zu Lasten des Beschuldigten aussagen zu müssen.1209 Undeutsch, S. 82; Robert Hauser, S. 162. Robert Hauser, S. 162; Eisenberg (2008), Rn. 1113. Siehe auch das Kassationsgericht des Kantons Zürich 13. 6. 1955, SJZ 52 (1956), 92, 93 zum Auskunftsverweigerungsrecht bei eigener Schande. 1209 Siehe auch Robert Hauser, S. 312; Egon Schneider, Rn. 1054; Wald (2002), S. 236. Das spanische Zivilprozessrecht gewährt daher die Möglichkeit, die Glaubwürdigkeit des Zeugen zu rügen, wenn dieser mit der Gegenpartei verwandt ist, Art. 377 Abs. 1 LEC (Ley de Enjuiciamiento Civil in der Fassung vom 7. 1. 2000, No. 1 / 2000, BOE vom 8. 1. 2000). 1207 1208

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b) Risiko Wiedergutmachung? Eine Falschaussage kann auch durch ein wirtschaftliches Interesse am Ausgang des Prozesses begünstigt werden.1210 Dies kann im Verfahren vor dem IStGH insoweit eine Rolle spielen, als das Opfer Wiedergutmachung verlangen kann. Das Wiedergutmachungsverfahren muss daher so ausgestaltet sein, dass unberechtigte Anträge erkannt und abschlägig beschieden werden können. Allerdings muss auch bereits bei der Bewertung der Zeugenaussage im Strafprozess die Möglichkeit bedacht werden, dass ein Opfer aus finanziellen Erwägungen heraus seine Aussage modifiziert und beispielsweise Vermutungen als Tatsachen hinstellt. Ein hinreichender Grund für die Abschaffung von Art. 75 IStGH-Statut ist dies wegen der zentralen Bedeutung der Wiedergutmachung für die Opfer allerdings nicht.1211

c) Eid und Strafandrohung Gemäß Art. 69 Abs. 1 IStGH-Statut i. V. m. Rule 66 Abs. 1 ist jeder Zeuge verpflichtet, vor seiner Aussage zu schwören, dass er die Wahrheit sprechen wird, die ganze Wahrheit und nichts als die Wahrheit. Von der Eidespflicht kann bei Kindern unter 18 Jahren sowie bei Zeugen mit herabgesetztem Urteilsvermögen, bei denen die Kammer der Ansicht ist, dass sie die Natur eines Eides nicht verstehen, abgesehen werden. Falschaussagen sind gemäß Art. 70 Abs. 1 lit. a) IStGH-Statut strafbar. Hierauf ist der Zeuge gemäß Rule 66 Abs. 3 zu Beginn seiner Vernehmung hinzuweisen. Die Aussage des Opfers wird damit durch einen sehr förmlichen Akt, den Schwur, dessen Bedeutung durch die Strafandrohung weiter verstärkt wird, eingeleitet. Gleichzeitig wird die Autorität des Gerichtshofs als eine Organisation, der der Zeuge verpflichtet ist und die ihn gegebenenfalls bestrafen darf, betont. Dieses Prozedere ist geeignet, den Druck auf das Oper, das bereits durch die ungewohnte Situation sowie durch die Angst vor der bevorstehenden Auseinandersetzung mit der Tat belastet ist, weiter zu erhöhen.1212 Zudem kann der Zeuge den Eindruck gewinnen, die Kammer würde ihn der Lüge bezichtigen.1213

1210 Siehe nur Robert Hauser, S. 314; Egon Schneider, Rn. 1054 sowie Situation in the DRC – OPCD Observations on the Notification by the Board of Directors of the Trust Fund for Victims, ICC-01 / 04-458, 20. 2. 2008, Rn. 17, 47; Guhr (2008a), S. 368. Siehe auch Akayesu Trial Judgement, o. Fn. 1127, Rn. 46. Die Verteidigung bestritt die Glaubwürdigkeit eines Belastungszeugen mit der Begründung, er wolle sich das Eigentum des Angeklagten aneignen. Aus diesem Grund darf beispielsweise im griechischen Zivilprozess ein Zeuge nicht vernommen werden, wenn er am Ausgang des Prozesses ein eigenes Interesse hat, Art. 400 griechZPGB vom 16. 8. 1968. Eine ähnliche Regelung findet sich auch in der Schweiz (Art. 178 Z. 1 ZPO GL, Zivilprozessordnung des Kantons Glarus vom 2. 5. 1965). 1211 Siehe hierzu oben Teil 3 A. VI. 1212 Siehe auch Dahs (1984), S. 1923.

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Ziel der Vereidigung ist es, die Bedeutung der Aussage zu verdeutlichen und den Zeugen zu kooperativem Verhalten zu motivieren.1214 Sie erhöht die moralischen Kosten einer Falschaussage.1215 Ob hierdurch aber tatsächlich Falschaussagen verhindert werden können, erscheint zweifelhaft. Der Zeuge kommt nicht mit einem schlafenden Gewissen in den Gerichtssaal, das durch die Belehrung und den Eid geweckt werden könnte.1216 Hat er sich im Vorfeld seiner Vernehmung aus bestimmten Gründen heraus entschlossen, falsch auszusagen, wird er sich hiervon typischerweise auch nicht durch eine Vereidigung abbringen lassen.1217 Daher sollte erwogen werden, die Aussage von dieser Formalität zu befreien, um auf diese Weise zu einer entspannteren Atmosphäre beizutragen. Als Beispiel sei auf § 59 Abs. 1 StPO hingewiesen, der die Vereidigung von Zeugen nur in Ausnahmefällen vorsieht. Den Interessen der Wahrheitsfindung kann dadurch hinreichend Rechnung getragen werden, dass dem Zeugen im Vorfeld seiner Vernehmung die Bedeutung seiner Aussage verdeutlich wird1218 und die Kammer hierauf noch einmal Bezug nimmt.

6. Zusammenfassung Durch verschiedene Maßnahmen kann der Beweiswert der Zeugenaussage erhöht werden. Dies gilt vor allem für den Verzicht auf beeinflussende Befragungen, einschließlich des witness-proofing. Vollständig ausgeschlossen werden können aber weder fehlerhafte noch bewusst unwahre Aussagen.

VII. Bewertung der Zeugenaussagen durch das Gericht Wegen der hohen Fehleranfälligkeit von Zeugenaussagen darf das Gericht die Ausführungen eines Zeugen nicht in blindem Vertrauen übernehmen. Voraussetzung für eine Verurteilung ist vielmehr eine kritische Auseinandersetzung mit der Glaubwürdigkeit des Zeugen und der Glaubhaftigkeit seiner Aussage.1219 Dies gilt Siehe oben Teil 2 A. II. 2. Egon Schneider, Rn. 1030. Siehe auch Prosecutor v. Kordic & Cerkez – Decision on Appeal Regarding Statement of a Deceased Witness, AC, IT-95-14 / 2, 21. 7. 2000, Rn. 26; Akayesu Trial Judgement, o. Fn. 1127, Rn. 137; Ellison, S. 11. 1215 Siehe Sanchirico, S. 309. 1216 Sanchirico, S. 309. 1217 Egon Schneider, Rn. 1073. 1218 Dies kann im Zuge des witness-familiarisation erfolgen. Siehe unten Teil 5 D. VIII. 4. 1219 Kupreškic´ et al. Appeals Judgement, o. Fn. 1134, Rn. 37; Delalic´ et al. Trial Judgement, o. Fn. 1003, Rn. 594; Prosecutor v. Naletilic & Martinovic – Decision on the Request of the Accused to be Given the Opportunity to be Interrogated under Application of a Polygraph, TC I, IT-98-34, 27. 11. 2000; Prosecutor v. Blagojevic´ & Jokic´, Judgement, TC I, 1213 1214

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umso mehr, wenn die Aussage des Opferzeugen einziges Beweismittel für einen bestimmten Tatvorwurf ist. 1. Freie Beweiswürdigung als Aufgabe der Verfahrenskammer Die Verfahrenskammer entscheidet gemäß Art. 64 Abs. 9 lit. a) IStGH-Statut; Rule 63 Abs. 2 frei1220 über die Zulässigkeit und Erheblichkeit von Beweisen. Mit Ausnahme von Rule 70, die die Beweisaufnahme bei sexueller Gewalt betrifft,1221 enthalten weder das IStGH-Statut noch die Rules detaillierte Vorschriften über die Beweiswürdigung oder gar Beweisregeln. Nach Art. 66 Abs. 3 IStGH-Statut setzt eine Verurteilung voraus, dass nach Überzeugung des Gerichtshofs kein vernünftiger Zweifel an der Schuld des Angeklagten besteht. Maßgeblich ist die persönliche, individuelle, tatsachengestützte Überzeugung der Mehrheit der Richter.1222 Sie sichten sämtliche Beweise und gewinnen einen unmittelbaren Eindruck von den Zeugen. Sie erwerben sich damit im Verhältnis zur Berufungsinstanz einen engeren Bezug zum Prozessstoff.1223 Die Beweiswürdigung ist – um die deutsche Terminologie zu benutzen – ihre ureigene Aufgabe.1224 Der Berufungskammer steht es nicht zu, die Wertungen der ersten Instanz durch eigene zu ersetzen. Sie greift lediglich ein, wenn kein vernünftiges Gericht zu den in Frage stehenden Schlussfolgerungen gelangt wäre1225 oder die Kammer nicht ausreichend dargelegt hat, warum sie eine bestimmte Zeugenaussage als glaubhaft erachtet1226. Dies entspricht dem Charakter der Berufung als Verfahren zur Fehlerkorrektur.1227 IT-02-60-T, 17. 1. 2005, Rn. 21; Akayesu Trial Judgement, o. Fn. 1127, Rn. 131; RG 18. 3. 1913, RGSt 47, 100, 105; BGH 12. 3. 1969, BGHSt 22, 347, 349; Panhuysen, S. 35; Robert Hauser, S. 312; Chizzini / Bajons, S. 297 Rn. 83. Siehe auch Gacumbtsi Trial Judgement, o. Fn. 1151, Rn. 84 sowie Situation in the DRC – Request for Single Judge to order the Prosecutor to disclose exculpatory material, ICC-01 / 04-378, 28. 8. 2007, Rn. 41 ff. 1220 Siehe auch Prosecutor v. Lubanga – Decision on the status before the Trial Chamber of the evidence heard by the Pre-Trial Chamber and the decisions of the Pre-Trial Chamber in trial proceedings and the manner in which evicence shall be submitted, TC I, ICC-01 / 04-01 / 06-1084, 13. 12. 2007, Rn. 4. 1221 Siehe hierzu vertiefend unten Teil 5 D. VIII. 10. b). 1222 Siehe auch Kupreškic´ et al. Appeals Judgement, o. Fn. 1134, Rn. 38; Delalic´ et al. Trial Judgement, o. Fn. 1003, Rn. 25. Das Tribunal verweist auf das Urteil Green v. R. [1972] 46 A.L.J.R. 545, das sich auf die Beweiswürdigung durch eine Jury, also durch Laienrichter bezieht. Die dargelegten Grundsätze sind aber auf die Überzeugungsbildung bei Berufsrichtern übertragbar. Siehe zum nationalen Recht The People v. Douglas Byrne [1974] I.R. 1, 9 (C.C.A., per Kenndy J.); BGH 3. 2. 1983, NStZ 1983, 277, KK(-Schoreit), § 261 StPO Rn. 2; Eisenberg (2008), Rn. 89; Uzelac, S. 335 Rn. 7. Vertiefend Lampe, S. 353. 1223 Aleksovski Appeals Judgement, o. Fn. 1035, Rn. 63; Prosecutor v. Furundzija, Appeals Judgement, AC, IT-95-17 / 1-A, 21. 7. 2000, Rn. 37; Kupreškic´ et al. Appeals Judgement, o. Fn. 1134, Rn. 32; Roth / Henzelin, S. 1557; Gray, S. 312. 1224 Siehe auch Kupreškic´ et al. Appeals Judgement, o. Fn. 1134, Rn. 135. 1225 Tadic´ Appeals Judgement, o. Fn. 105, Rn. 64; Aleksovski Appeals Judgement, o. Fn. 1035, Rn. 63.

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2. Glaubhaftigkeit von Zeugenaussagen Das Gericht muss für jede Zeugenaussage entscheiden, welchen Beweiswert es ihr zumisst. Dafür ist nicht die allgemeine Glaubwürdigkeit des Zeugen, sondern seine spezifische Glaubwürdigkeit in der konkreten Aussagesituation zu ermitteln.1228 Abzustellen ist daher weniger auf charakterliche Eigenschaften des Zeugen, als vielmehr auf Kriterien, die sich aus der Aussage selbst ergeben. Die Kammer kann auch einer Aussage in Teilen Glauben schenken, andere Teile hingegen als unglaubwürdig zurückweisen.1229 Von Bedeutung für die Bewertung der Aussage sind vor allem ihr Inhalt, ihre Entwicklung, die Aussageweise sowie die Motivation des Zeugen.1230 Hinsichtlich der Bewertung des Aussageinhalts stell sich typischweise das Problem der fehlenden Ortskundigkeit. Verhandlungsort Den Haag und Tatort sind räumlich weit voneinander entfernt. Die genauen örtlichen Begebenheiten sind dem Gericht nicht bekannt. Selbst wenn sich die Richter vor der Verhandlung einen entsprechenden Überblick verschaffen, wird es schwierig sein, die Aussage des Angeklagten oder eines Zeugen bereits deswegen als fehlerhaft zu entlarven, weil die Schilderung mit den faktischen Gegebenheiten vor Ort nicht in Einklang zu bringen ist. Der Aussageinhalt muss daher regelmäßig an sich selbst gemessen werden. Ein zentraler Punkt ist dabei die innere und äußere Konsistenz der Aussage.1231 Innere Konsistenz liegt vor, wenn die Aussage in sich geschlossen und logisch ist, der Zeuge sich also nicht selbst widerspricht.1232 Sie wird zudem durch einen hohen Detailreichtum im Kern- und Randbereich des Geschehens verstärkt.1233 Dies gilt vor allem für solche Einzelheiten, die für das Verständnis des Geschehens nicht unmittelbar relevant sind, aus Sicht des Lügners also eine unnöSiehe Kupreškic´ et al. Appeals Judgement, o. Fn. 1134, Rn. 31. Siehe hierzu oben Teil 5 C. XII. 1228 Robert Hauser, S. 314; Michaelis-Arntzen, S. 119; Bender / Nack / Treuer, Rn. 214; Birck (2002c), S. 17; Hohlweck (2002a), S. 1208; Blumenstein, S. 31. Siehe auch Case of Velásquez-Rodríguez, o. Fn. 580, Rn. 143; Godínez-Cruz Case, o. Fn. 620, Rn. 149. Anders wohl DRC Request, ICC-01 / 04-382, o. Fn. 1134, Rn. 37. 1229 Kupreškic´ et al. Appeals Judgement, o. Fn. 1134, Rn. 333; Krajišnik Appeals Judgement, o. Fn. 1034, Rn. 150; R. v. Van der Molen [1997] Crim.L.R. 604, 605 (C.A.); Rüßmann, S. 156. 1230 Siehe Eisenberg (1984b), S. 964; Arntzen, S. 16. Ähnlich auch Robert Hauser, S. 616. 1231 Siehe auch Uganda PTC, ICC-02 / 04-101, o. Fn. 7, Rn. 15 = Kony et al. PTC, ICC-02 / 04-01 / 05-252, o. Fn. 7, Rn. 15; DRC Request, ICC-01 / 04-419, o. Fn. 36, Rn. 46. 1232 Siehe Blagojevic´ & Jokic´ Trial Judgement, o. Fn. 1219, Rn. 23; Limaj et al. Trial Judgement, o. Fn. 1007, Rn. 14; Ntageruga et al., Trial Judgement, o. Fn. 1149, Rn. 386; Gacumbtsi Trial Judgement, o. Fn. 1151, Rn. 145; Prosecutor v. Renzaho, Judgement and Setence, TC I, ICTR-97-31-T, 14. 7. 2009, Rn. 108; Sanchirico, S. 319; Maier, S. 248. 1233 Eisenberg (1984b), S. 964; Wolf / Steller, S. 123; Birck (2002c), S. 83. Siehe auch Ntageruga et al., Trial Judgement, o. Fn. 1149, Rn. 386; Prosecutor v. Muhimana, Judgement and Sentence, TC III, ICTR-95-1B-T, 28. 4. 2005, Rn. 102. 1226 1227

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tige Verkomplizierung darstellen.1234 Externe Konsistenz liegt vor, wenn der Aussageinhalt durch andere Beweismittel, beispielsweise durch Aussagen weiterer Zeugen, untermauert wird.1235 Auch wenn eine solche Bestätigung für die Glaubhaftigkeit einer Aussage spricht, so ist sie nach Rule 63 Abs. 4 keine Voraussetzung für ihre Verwertung. Der Gerichtshof kann sich daher auch auf eine einzelne, unbestätigte, aber im Übrigen glaubhafte Aussage stützen.1236 Erschüttert wird seine Glaubwürdigkeit grundsätzlich dann, wenn sich der Zeuge zu früheren Aussagen in Widerspruch setzt.1237 Dies gilt aber in erster Linie für das Zentralgeschehen, nicht aber für sämtliche Nebenaspekte.1238 Veränderungen in der Darstellung können vielmehr der verstrichenen Zeit und der damit verbundenen Erinnerungsveränderung geschuldet sein.1239 Verbessert sich ein Zeuge 1234 Birck (2002c), S. 83. Siehe auch Prosecutor v. Bagilishema, Trial Judgement, TC I, ICTR-95-1A-T, 7. 6. 2001, Rn. 532. 1235 Prosecutor v. Simic´ et al. Trial Judgement, o. Fn. 1166, Rn. 25; Birck (2002c), S. 61; dies. (2002b), S. 4; Sanchirico, S. 319. Siehe auch DRC PTC I, ICC-01 / 04-177, o. Fn. 17, S. 15; Uganda PTC, ICC-02 / 04-101, o. Fn. 7, Rn. 106 = Kony et al. PTC, ICC-02 / 04-01 / 05-252, o. Fn. 7, Rn. 106; Kordic & Cerkez AC, o. Fn. 1214, Rn. 27; Hadzihasanoviç & Kubura Trial Judgement, o. Fn. 996, Rn. 302; Akayesu Trial Judgement, o. Fn. 1127, Rn. 457; Kayishema & Ruzindana, Trial Judgement, o. Fn. 1122, Rn. 80; Ntageruga et al., Trial Judgement, o. Fn. 1149, Rn. 102; Gacumbtsi Trial Judgement, o. Fn. 1151, Rn. 83; Haradinaj et al. Trial Judgement, o. Fn. 1005, Rn. 14; Prosecutor v. Milutinovic´ et al., Judgement, Part II, TC, 26. 2. 2009, IT-05-87-T, Rn. 52; Byrne, S. 615. 1236 Lubanga PTC I, ICC-01 / 04-01 / 06-803, o. Fn. 878, Rn. 122. Siehe auch Tadic´ Appeals Judgement, o. Fn. 105, Rn. 65; Aleksovski Appeals Judgement, o. Fn. 1035, Rn. 62; Kupreškic´ et al. Appeals Judgement, o. Fn. 1134, Rn. 33; Muvunyi Appeals Judgement, o. Fn. 1151, Rn. 128; Brdjanin Trial Judgement, o. Fn. 996, Rn. 27; Simic´ et al. Trial Judgement, o. Fn. 1166, Rn. 25; Limaj et al. Trial Judgement, o. Fn. 1007, Rn. 21; Prosecutor v. Delic´, Trial Judgement, TC I, IT-04-83-T, 15. 9. 2008, Rn. 33; Akayesu Trial Judgement, o. Fn. 1127, Rn. 135; Prosecutor v. Rukundo, Judgement, TC II, ICTR-2001-70-T, 17. 2. 2009, Rn. 40. 1237 Prosecutor v. Simic´ et al. Trial Judgement, o. Fn. 1166, Rn. 24; Kayishema & Ruzindana, Trial Judgement, o. Fn. 1122, Rn. 77; Bagilishema Trial Judgement, o. Fn. 1234, Rn. 532; Gacumbtsi Trial Judgement, o. Fn. 1151, Rn. 145; Public Prosecutor v. Umbertus & Carlos Ena, Trial Judgement, SPET 5 / 2002, 23. 3. 2004, Rn. 67; BGH 16. 12. 1987, BGHR StPO § 261 Zeuge 3; 17. 4. 1991, BGHR StPO § 261 Zeuge 12; 29. 7. 1998, BGHSt 44, 153, 159; Arntzen, S. 55; Egon Schneider, Rn. 1101; Applegate, S. 310; DiPardo, S. 295. Siehe auch Maier, S. 247. Siehe aber auch Prosecutor v. Lukic´ & Lukic´, Judgement, TC, IT-98-32 / 1-T, 20. 7. 2009, Rn. 197. 1238 Delalic´ et al., Appeals Judgement, o. Fn. 1034, Rn. 484 – 485; Kupreškic´ et al. Appeals Judgement, o. Fn. 1134, Rn. 161 – 163; Akayesu Trial Judgement, o. Fn. 1127, Rn. 140; Prosecutor v. Semanza, Judgement and Sentence, TC III, ICTR-97-20-T, 15. 5. 2003, Rn. 36; Gacumbtsi Trial Judgement, o. Fn. 1151, Rn. 84; Bender (1984), S. 130; Bender / Nack / Treuer, Rn. 389; Birck (2002c), S. 115; Applegate, S. 311; Sanchirico, S. 328. Siehe auch Dembour / Haslam, S. 166; Bassiouni (2008d), S. 587. 1239 Kupreškic´ et al. Appeals Judgement, o. Fn. 1134, Rn. 31; Delalic´ et al. Trial Judgement, o. Fn. 1003, Rn. 596; Simic´ et al. Trial Judgement, o. Fn. 1166, Rn. 22; Brdjanin Trial Judgement, o. Fn. 996, Rn. 25; Delic´ Trial Judgement, o. Fn. 1236, Rn. 30; Akayesu Trial Judgement, o. Fn. 1127, Rn. 140, 455; Kayishema & Ruzindana, Trial Judgement,

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freiwillig gegenüber seiner vorherigen Aussage, signalisiert er damit Bemühen um eine möglichst wirklichkeitsgetreue Beschreibung der Ereignisse.1240 Insoweit können Widersprüche sogar ein Indiz für die Glaubwürdigkeit des Zeugen sein. Letztlich obliegt es der Kammer zu entscheiden, welchen Beweiswert sie einer widersprüchlichen Aussage zumessen will.1241 Für die Glaubhaftigkeit der Aussage spricht es ferner, wenn die inhaltliche Beschreibungen mit den gezeigten Emotionen übereinstimmen. 1242 Zudem kann das Verhalten während der Vernehmung – wie Art und Ausmaß des Blickkontakts, Körpersprache, Anzeichen von Unsicherheit oder Anspannung – Rückschlüsse auf den Wahrheitsgehalt der Aussage zulassen.1243 Diese Reaktionen variieren aber auch je nach Persönlichkeit des Zeugen,1244 so dass sie jedenfalls nur zusätzlich und subsidiär zur Bewertung der Aussage herangezogen werden können. Zudem können Anzeichen von Stress auch durch die ungewohnte und belastende Situation, als Zeuge vor Gericht aussagen zu müssen, hervorgerufen werden. Bei der Aussagebewertung muss das Gericht ferner die Motivation des Zeugen einbeziehen. So ist zu berücksichtigen, ob er einen Grund für eine Falschaussage hat.1245 Dies kann sich beispielsweise darin zeigen, dass der Zeuge ersichtlich versucht, den Angeklagten nach Möglichkeit zu entlasten. Für die Glaubwürdigkeit sprechen hingegen Einwände gegen die Richtigkeit der eigenen Aussage,1246 Vorbehalte, etwas nicht genau gesehen zu haben,1247 Selbstbelastungen,1248 den Zeugen beschämende Darstellungen1249 sowie – vor allem bei Opferzeugen – den Beschuldigten entlastende Ausführungen1250. o. Fn. 1122, Rn. 77; Prosecutor v. Kamuhanda, Trial Judgement, TC II, ICTR-95- 54A-T, 22. 1. 2004, Rn. 35; Semanza Trial Judgement, o. Fn. 1238, Rn. 36; Ntageruga et al., Trial Judgement, o. Fn. 1149, Rn. 26; Prosecutor v. Ndindabahizi, Trial Judgement, TC I, ICTR-2001-71-I, 15. 7. 2004, Rn. 23. 1240 Bender (1984), S. 130; Birck (2002c), S. 109. Siehe auch Wolf / Steller, S. 123; Aiyar & Aiyar’s, S. 767. 1241 Siehe Prosecutor v. Kalimanzira, Judgement, TC III, ICTR-05-88-T, 22. 6. 2009, Rn. 76; Rukundo Trial Judgement, o. Fn. 1236, Rn. 42. 1242 Eisenberg (1984b), S. 965. Siehe auch Brodsky, S. 78. 1243 Siehe Prosecutor v. Kupreškic´ et al. – Decision on Appeal by Dragan Papic Against Ruling to Proceed by Deposition, AC, IT-95-16, 15. 7. 1999, Rn. 18; Brdjanin Trial Judgement, o. Fn. 996, Rn. 25; Ntageruga et al. Trial Judgement, o. Fn. 1149, Rn. 23; Delic´ Trial Judgement, o. Fn. 1236, Rn. 30; Rüßmann, S. 157; Ellison, S. 11; Aiyar & Aiyar‘s, S. 379; Gray, S. 311. 1244 Eisenberg (1984b), S. 965. 1245 Eisenberg (1984b), S. 965; Rüßmann, S. 157. Siehe auch Limaj et al. Trial Judgement, o. Fn. 1007, Rn. 13; Hadzihasanoviç & Kubura Trial Judgement, o. Fn. 996, Rn. 301; Krajišnik Appeals Judgement, o. Fn. 1034, Rn. 150; Gacumbtsi Trial Judgement, o. Fn. 1151, Rn. 86. 1246 Wolf / Steller, S. 123; Birck (2002c), S. 109. Siehe auch Stadler, S. 69. 1247 Siehe Muhimana Trial Judgement, o. Fn. 1233, Rn. 102; Wolf / Steller, S. 123. 1248 Eisenberg (1984b), S. 964; Wolf / Steller, S. 123; Birck (2002c), S. 110.

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3. Berücksichtigung kultureller Besonderheiten Zeichnen sich die überblicksartig und ohne jeden Anspruch auf Vollständigkeit genannten Kriterien bereits generell durch ihre Vagheit aus, tritt im Verfahren vor dem IStGH noch die Gefahr eines kulturellen Missverständnisses hinzu. Wie Menschen aussagen und von Erlebnissen berichten und wie sie Verhalten wahrnehmen und interpretieren, hängt in erheblichem Umfang auch von ihrer gesellschaftlichen und kulturellen Prägung ab.1251 So gilt es in bestimmten Kulturen beispielsweise als unhöflich, Geschehnisse ausführlich zu schildern, wenn man ausgehen muss, dass sie dem Gegenüber zumindest in groben Zügen bereits bekannt sind.1252 Zudem kann die Bereitschaft, konkrete Details des Tatgeschehens wiederzugeben, bei gesellschaftlich tabuisierten Taten wie Sexualdelikten gemindert sein.1253 Vielmehr ist es in einigen Gesellschaften üblich, auf delikate Fragen nur ausweichend oder indirekt zu antworten.1254 Ebenfalls kulturell determiniert ist das Ausmaß an öffentlich gezeigten Emotionen1255 sowie der Einsatz und die Bewertung von Körpersprache, Augenkontakt, Gestik oder Mimik.1256 Zudem können Zeugen aus bestimmen Kulturkreisen ungeübt in der Angabe konkrete Zeiten oder Entfernungen sein.1257 4. Berücksichtigung traumatischer Störungen Die Auswirkungen einer Traumatisierung können die Aussagefähigkeit eines Opfers zusätzlich beeinträchtigen. 1258 Liegt eine Amnesie vor, können die Geschehnisse nicht erinnert werden. Hat eine PTBS das Sprachzentrum beeinträchtigt, so ist dem Zeugen eine Verbalisierung der erlittenen Gewalt selbst während einer Intrusion – also trotz intensiver Erinnerung an die Straftat – unter Umständen nicht möglich.1259 Zudem können starke Emotionen, die durch die erneute Auseinandersetzung mit dem traumatischen Ereignis hervorgerufen werden, die Fähigkeit, sich klar, verständlich und strukturiert auszudrücken, reduzieren.1260 Birck (2002c), S. 111. Eisenberg (1984b), S. 964; Wolf / Steller, S. 123; Birck (2002c), S. 111. 1251 Ralf Weber, S. 164; Birck (2002a), S. 255; Cryer (2006a), S. 1; Byrne, S. 624. Siehe auch Zahar, S. 602. 1252 Birck (2002c), S. 84. 1253 Siehe auch Limaj et al. Trial Judgement, o. Fn. 1007, Rn. 15 zur Berücksichtigung des gesellschaftlichen Ehrverständnisses. 1254 Akayesu Trial Judgement, o. Fn. 1127, Rn. 135. 1255 Birck (2002c), S. 92. 1256 Cryer (2006a), S. 2. 1257 Akayesu Trial Judgement, o. Fn. 1127, Rn. 135; Musema Trial Judgement, o. Fn. 1134, Rn. 104; Graessner / Ahmad / Merkord, S. 248. 1258 Siehe zu den Folgen einer PTBS oben Teil 2 A. I. 3. c) bb). 1259 Birck (2002c), S. 46; Heinl, S. 17. Siehe auch Birck (2002b), S. 4. 1249 1250

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Das traumatische Ereignis kann zudem sowohl zu einer Hypermnesie als auch gleichzeitig zu einer Amnesie für unterschiedliche Aspekte des traumatischen Ereignisses führen. Das bedeutet, dass bestimmte Vorgänge mit ungewöhnlicher Präzision und einem hohen, weit überdurchschnittlichen Detailreichtum, andere wiederum nur verschwommen bis überhaupt nicht geschildert werden können.1261 In unterschiedlichen Befragungssituationen können zudem unterschiedliche Aspekte des traumatischen Ereignisses zugänglich sein. Es ist durchaus möglich, dass der Opferzeuge sich während der ersten Befragung an Vorgänge erinnert, die er in einer zweiten Vernehmung nicht mehr aktiv abrufen kann.1262 Zudem kann der Verlust traumatischer Erinnerungen nur temporärer Art sein. Die Amnesie kann schrittweise zurückgehen oder sogar spontan abklingen. Die hiermit verbundene Wiedererlangung von Erinnerungen kann Ausdruck eines fortschreitenden psychischen Stabilisierungsprozesses sein.1263 Derartige krankheitsbedingte Veränderungen der Gedächtnisleistungen sind kein Hinweis auf die mangelnde Glaubhaftigkeit der Aussage des Opferzeugen, sondern Ausdruck schwerer psychischer Tatfolgen. Generell gehören Widersprüche bei der Darstellung der erlebten traumatischen Ereignisse zum Krankheitsbild der PTBS.1264 Entscheidend ist, ob das Kerngeschehen, nicht aber Nebenaspekte, zu denen auch Angaben über Zeit und Ort1265 des Geschehens gehören, inhaltlich identisch bleiben. Verstärkt werden kann die Inkonsistenz einer Aussage vor allem bei Berichten über psychische Folter, die darauf abzielt, den Realitätssinn zu verwirren.1266 Die während der Tat erlittene Desorientierung kann sich in der Art der Aussage wiederspiegeln.1267 Zudem gehört zu den wichtigsten Überlebensstrategien langandauernder traumatischer Situationen, sich auf neutrale Nebensächlichkeiten zu konzentrieren, die Aufmerksamkeit also bewusst vom traumatischen Ereignis abzulenken. Dies erschwert das Erinnern an das juristisch relevante Kerngeschehen.1268 1260 Delalic´ et al. Trial Judgement, o. Fn. 1003, Rn. 595; Kamuhanda Trial Judgement, o. Fn. 1239, Rn. 34. 1261 Birck (2002b), S. 5. Siehe auch Höfer / Langen / Dannenberg / Köhnken, S. 167; Graessner / Ahmad / Merkord, S. 244. 1262 Niederland, S. 231; Monika Hauser, S. 70; Birck (2002c), S. 84. 1263 Birck (2002c), S. 49. 1264 Simic´ et al. Trial Judgement, o. Fn. 1166, Rn. 22; Kayishema & Ruzindana, Trial Judgement, o. Fn. 1122, Rn. 75; Niederland, S. 231; Graessner / Ahmad / Merkord, S. 238: Monika Hauser, S. 70; Birck (2002c), S. 51; dies. (2002a), S. 256; Rothkegel, S. 79; Ralf Weber, S. 108; Haenel (2003), S. 20, Gäbel / Ruf / Schauer / Odenwald / Neuner, S. 13. Siehe auch Kupreškic´ et al. Appeals Judgement, o. Fn. 1134, Rn. 31; Akayesu Trial Judgement, o. Fn. 1127, Rn. 143; Semanza Trial Judgement, o. Fn. 1238, Rn. 36; Kamuhanda Trial Judgement, o. Fn. 1239, Rn. 37; Ntageruga et al., Trial Judgement, o. Fn. 1149, Rn. 26; Ndindabahizi Trial Judgement, o. Fn. 1239, Rn. 23; Cryer (2003), S. 431. 1265 Birck (2002c), S. 51. 1266 Siehe hierzu oben Teil 2 C. IV. 1267 Birck (2002c), S. 52.

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Zur Vermeidung schmerzhafter Erinnerungen oder als Folge einer PTBS bedingten allgemeinen emotionalen Taubheit berichten Traumaopfer teilweise nur oberflächlich, distanziert und kontrolliert über ihre Erlebnisse.1269 Die gezeigten Gefühle müssen also nicht mit dem Aussageinhalt korrespondieren. Es können sogar im Gegenteil paradoxe Emotionen auftreten – so lächelte ein Vergewaltigungsopfer bei der Tatschilderung.1270 Aus dem gleichen Grund neigen Traumaopfer dazu, ihr Leiden zu untertreiben – beispielsweise mit dem Hinweis darauf, dass andere viel Schlimmeres erlebt haben.1271 Der Beweiswert einer Zeugenaussage kann dadurch gesenkt werden, dass sich das Opfer zur Tatverarbeitung in psychologische Behandlung begibt. Vor allem im Rahmen von Traum- oder Hypnosetherapien kann sich die Erinnerung des Zeugen verändern.1272 Fragen nach dem psychischen Gesundheitszustand des Zeugen betreffen direkt seine Persönlichkeitssphäre. Diesen Punkt in der öffentlichen Verhandlung zu diskutieren, kann eine sehr demütigende Erfahrung sein. Zudem ist Rule 73, die die Beziehung zwischen Opferzeugen und Therapeut privilegiert, zu berücksichtigen. Auf der anderen Seite hat der Angeklagte ein Recht darauf, zu erfahren, wenn ein Umstand die Glaubwürdigkeit eines Belastungszeugen herabsetzt.1273 Um die Gefahr einer sekundären Viktimisierung möglichst gering zu halten, sollte über die Auswirkungen einer Therapie auf die Glaubhaftigkeit seiner Aussage in camera verhandelt werden. Zudem darf der Zeuge mit Blick auf Rule 73 nicht gezwungen werden, Therapieinhalte offenzulegen. Ob und inwieweit Psychotherapien bei der Bewertung der Zeugenaussage berücksichtigt werden müssen, ist von Fall zu Fall zu entscheiden. Sie führen jedenfalls nicht per se zur Unzulässigkeit des Zeugenbeweises.

5. Zusammenfassung Die hohe Fehleranfälligkeit des Zeugenbeweises macht eine intensive Auseinandersetzung mit der Glaubhaftigkeit der Zeugenaussage unabdingbar. Wird dem Opfer allerdings vom Gericht fehlende Glaubwürdigkeit attestiert, realisiert sich eine seiner größten Ängste1274. Daher muss jedenfalls das Vorliegen eines kulturelBirck (2002c), S. 45. Sczesny / Krauel, S. 343; Birck (2002c), S. 92; Ralf Weber, S. 107; Gurris (1995), S. 10; Haenel (2003), S. 20. Siehe auch Brodsky, S. 78. 1270 Niederland, S. 230; Birck (2002c), S. 47; Wenk-Ansohn / Gutteta, S. 36. 1271 Niederland, S. 230; Sczesny / Krauel, S. 343; Dahl / Mutapcic / Schei, S. 142; Ralf Weber, S. 108. 1272 Cryer (2003), S. 433. Siehe auch Furundzija Trial Judgement, o. Fn. 380, Rn. 103 sowie DRC OPCD Observations, ICC-01 / 04-458, o. Fn. 1210, Rn. 54; Höfer / Langen / Dannenberg / Köhnken, S. 171. 1273 Siehe auch Cryer (2003), S. 433. 1274 Siehe Dembour / Haslam, S. 173. 1268 1269

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len Missverständnisses ausgeschlossen werden. Zudem ist zu berücksichtigen, dass Auffälligkeiten im Aussageverhalten, wie inkonsistente Tatschilderungen, Ausdruck einer traumatischen Störung sein können. Sie sind daher nicht unbedingt ein Hinweis auf den mangelnden Wahrheitsgehalt einer Aussage, sondern können vielmehr bekräftigen, dass der Zeuge massiver Gewalt ausgesetzt war.

VIII. Schutz vor sekundärer Viktimisierung Die Heranziehung als Zeuge im Verfahren vor dem IStGH bedeutet für die Opfer eine erneute Auseinandersetzung mit dem traumatischen Ereignis. Leiden sie unter einer PTBS, steht die Pflicht zur Aussage im Widerspruch zu einem gegebenenfalls vorliegenden Vermeideverhalten.1275 Kann das Strafverfahren bereits im Normalfall eine erhebliche Belastung darstellen, so gilt dies erst recht für durch die Tat schwer traumatisierte Opferzeugen, deren Kapazitäten zur Stressbewältigung unter Umständen schon durch die noch nicht verarbeitete Tat ausgelastet sind. Die Aussage vor Gericht bedeutet ein erneutes Durchleben der Tat und ein Wiederaufleben der durchlittenen Ängste.1276 Zudem sind mit einem internationalen Prozess zusätzliche Belastungsfaktoren verbunden. Die Opferzeugen müssen in ein fremdes Land reisen und werden dort mit ihnen unbekannten, unter Umständen sogar unverständlichen Verhaltensvorschriften des IStGH konfrontiert. Zudem sind sie von ihrem sozialen Umfeld, von dem unterstützende und stabilisierende Wirkungen ausgehen könnten, isoliert. Die Aussage kann daher einen erheblichen Eingriff in das Recht auf körperliche und psychische Unversehrtheit darstellen. Das Recht der internationalen Gemeinschaft dennoch auf das Opfer als Zeugen zuzugreifen, folgt aus ihrem Strafanspruch. Sie hat ein berechtigtes Interesse an der Aufklärung völkerrechtlicher Verbrechen.1277 Die Achtung des Zeugen als individuellen Menschen verbietet allerdings seine uneingeschränkte Instrumentalisierung im Strafprozess. Ziel muss es sein, die Belastungen, denen der Zeuge im Strafverfahren ausgesetzt ist, so gering wie möglich zu halten.1278 Dieser Gedanke findet sich auch in Nr. 10 der van-Boven-Principles sowie in Nr. 6 lit. d) der Declaration of Basic Principles of Justice for Victims. Die Verhinderung einer sekundären Viktimisierung erfolgt nicht ausschließlich im Interesse der Opfer. Gelingt es, 1275 Stefanie Bock (2007c), S. 670. Siehe zu den Symptomen einer PTBS oben Teil 2 A. I. 3. c) bb) (2). 1276 Delalic´ et al. Trial Judgement, o. Fn. 1003, Rn. 595; Akayesu Trial Judgement, o. Fn. 1127, Rn. 144. 1277 Geht man hingegen davon aus, dass die internationale Gemeinschaft durch den IStGH keinen eigenen, sondern lediglich einen abgetretenen Strafanspruch durchsetzt (siehe hierzu oben Teil 5 C. I. 6.), ist auch die Berechtigung auf Zeugen zuzugreifen derivativ. Sie ergibt sich mittelbar aus dem Recht der Mitgliedstaaten, Zeugenaussagen zur Aufklärung von Verbrechen verlangen zu können. 1278 Siehe auch Heikkilä, S. 79; ASP, ICC-ASP / 8 / 45, Objectives 2 und 3.

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eine Aussagesituation zu schaffen, in der der Opferzeuge sich ernst genommen, verstanden, geachtet und sicher, also den Umständen entsprechend wohl fühlt, erhöht dies nicht nur seine generelle Kooperationsbereitschaft, sondern auch seine Gedächtnisleistung, seine Fähigkeit, sich zu erinnern1279. Die Schaffung einer möglichst entspannten Aussageatmosphäre dient also auch dem Interesse der internationalen Justiz an der Sachverhaltsaufklärung.

1. Art. 68 Abs. 1 IStGH-Statut als Ausgangspunkt Art. 68 Abs. 1 S. 1 IStGH-Statut verpflichtet den Gerichtshof, geeignete Maßnahmen zum Schutz der Sicherheit, des körperlichen und seelischen Wohles, der Würde und der Privatsphäre der Opfer und Zeugen zu treffen. Etabliert wird eine allgemeine Schutz- und Fürsorgepflicht des Gerichts für Opfer und Zeugen. Diese greift auch bei prozessimmanenten Belastungen.1280 Aufgabe des Gerichtshofs ist es, eine sekundäre Viktimisierung nach Möglichkeit zu verhindern.1281 Nach Art. 68 Abs. 1 S. 3 IStGH-Statut obliegen dem Ankläger die gleichen Pflichten vor allem im Ermittlungsverfahren.1282 Daraus folgt, dass auch das OTP gehalten ist, einer Retraumatisierung der Opfer entgegenzuwirken.1283 Art. 68 IStGH-Statut findet sich im Abschnitt über das Hauptverfahren. Dieser enthält allerdings allgemeine Grundsätze, die das gesamte Verfahrensrecht des IStGH durchziehen und prägen. Er wird durch die in alle Verfahrensstadien anwendbaren Rules 87 und 88 näher ausgestaltet. Zudem enthält Teil 6 des IStGH1279 Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1049, o. Fn. 1, Rn. 31; R v. Momodou [2005] EWCA Crim 177 Rn. 62; Birck (2002c), S. 77; Ellison, S. 19. Siehe auch Eisenberg (1984a), S. 917; Davies, S. 231; Blumenstein, S. 30. 1280 Stefanie Bock (2007c), S. 671. Siehe auch Lubanga PTC I, ICC-01 / 04-01 / 06-679, o. Fn. 163, Rn. 21. 1281 Siehe Lubanga PTC I, ICC-01 / 04-01 / 06-679, o. Fn. 163, Rn. 21; Situation in the DRC – Notification of the Board of Directors of the Trust Fund for Victims in accordance with Regulation 50 of the Regulations of the Trust Fund for Victims with Confidential Annex, ICC-01 / 04-439, 24. 1. 2008, Rn. 45; Situation in Uganda – Notification of the Board of Directors of the Trust Fund for Victims in accordance with Regulation 50 of the Regulations of the Trust Fund for Victims with Confidential Annex, ICC-02 / 04-114, 25. 1. 2008 Rn. 44. Siehe auch Trumbull IV, S. 805. 1282 Situation in the DRC – Decision on Protective Measures Requested by Applicants 01 / 04-1 / dp to 01 / 06-1 / dp, PTC I, ICC-01 / 04-73, 21. 7. 2005, S. 5. 1283 Hall (2003), S. 37. Siehe zur Anwendbarkeit von Art. 68 Abs. 1 IStGH-Statut auf den Ankläger auch Situation in Uganda – Prosecution’s Application under Regulation 42 (3) to Vary Protective Measures by Lifting Redactions from Applications for Victim’s Participation Provided to the OTP, and to Submit a Further Reply under Rule 89 (1) in the Case and Situation, ICC-02 / 04-88, 22. 3. 2007, Rn. 17 = Prosecutor v. Kony et al. – Prosecution’s Application under Regulation 42 (3) to Vary Protective Measures by Lifting Redactions from Applications for Victim’s Participation Provided to the OTP, and to Submit a Further Reply under Rule 89 (1) in the Case and Situation, ICC-02 / 04-01 / 05-231, 22. 3. 2007, Rn. 17.

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Statuts auch in den Artt. 69 – 71 grundlegende Bestimmungen, deren Geltung nicht auf die Hauptverhandlung begrenzt sein kann.1284 Daraus folgt, dass auch der Anwendungsbereich von Art. 68 Abs. 1 IStGH-Statut seiner systematischen Stellung zum Trotz zeitlich nicht auf die Hauptverhandlung begrenzt ist.1285 2. Auswahl der Zeugen Dem Ankläger ist es nicht möglich, alle Opfer in den Zeugenstand zu rufen.1286 Er muss eine Auswahlentscheidung treffen.1287 Diese führt zwangsläufig zu einer Ungleichbehandlung der Opfer. Während die Aussage einiger Zeugen als so wesentlich eingestuft wird, dass ihre Anwesenheit in Den Haag erforderlich ist, bewertet der Ankläger die Schilderungen anderer als redundant oder wenig aussagekräftig. Damit dies nicht zu einer sekundären Viktimisierung führt, sollte der Ankläger gegenüber den Opfern die Gründe für seine Selektionsentscheidung offen legen. Darüber hinaus sollte nach Möglichkeit bei der Zusammenstellung der Zeugenliste die Aussagewilligkeit der Opfer mitberücksichtigt werden. Ist es für einen Überlebenden von entscheidender Bedeutung, vor Gericht auszusagen und so seinen Beitrag zur Aufklärung der Tat und Bestrafung der Täter zu leisten, sollte ihm dies nach Möglichkeit gewährt werden.1288

3. Unterstützung durch die Abteilung für Opfer und Zeugen Regulation 79 Abs. 1 Regulations of the Registry bestimmt, dass die Abteilung für Opfer und Zeugen dafür Sorge tragen soll, dass die Aussage nicht zu einer erneuten Traumatisierung führt.1289 Die VWU ist insoweit nicht auf eine explizite Anweisung des Gerichtshofs angewiesen. Sie darf und muss die erforderlichen Maßnahmen ex officio ergreifen. Soweit die VWU allerdings aus eigenem Recht DRC PTC, ICC-01 / 04-101-Corr, o. Fn. 4, Rn. 43-44. Siehe DRC PTC, ICC-01 / 04-73, o. Fn. 1282, S. 3; Heikkilä, S. 95; Triffterer(-Donat Cattin), Art. 68 IStGH-Statut Rn. 9. Siehe auch Situation in Uganda – Decision to Hold a Hearing on the Protection of Victims and Witnesses in Connection with the Prosecutor’s Application for Warrants of Arrest and the Prosecutors’s Application dated 13 June 2005, PTC II, ICC-02 / 04-13, 17. 6. 2005, S. 3; Lubanga PTC, ICC-01 / 04-01 / 06-803, o. Fn. 878, Rn. 58; Prosecutor v. Katanga & Ngudjolo – Decision Authorising the Filing of Observations on the Applications for Participation in the proceedings [ . . . ], PTC I, ICC-01 / 04-01 / 07-182, 6. 2. 2008, S. 3. 1286 Siehe die Nachweise in Fn. 1089. 1287 Siehe auch Regulation 61 Regulations of the Prosecutor. 1288 Zum Recht der Opfer, in der Hauptverhandlung gehört zu werden, siehe auch unten Teil 5 E. X. 7. c). 1289 Prosecutor v. Lubanga – Victims and Witnesses Unit recommendations on psychosocial in-court assistance, ICC-01 / 04-01 / 06-1149, 31. 1. 2008, Rn. 1. Siehe auch DonatCattin (2003), S. 360. 1284 1285

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Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

tätig wird, ist ihr Mandat gemäß Art. 43 Abs. 6 IStGH-Statut auf Zeugen und Opfer, die vor dem Gerichtshof erscheinen, beschränkt.1290 Die Zuständigkeit der VWU erstreckt sich damit nicht auf alle Opfer i. S. v. Rule 85. Voraussetzung ist vielmehr, dass sich die Opfer offiziell am Verfahren beteiligen1291 oder zumindest eine Eingabe im Sinne von Rule 931292 gemacht haben.1293 Dem Gericht steht es nach Art. 68 Abs. 1 IStGH-Statut allerdings frei, die Unit auch mit der Betreuung weiterer Opfer zu betrauen.1294 Die in Art. 43 Abs. 6 IStGH-Statut enthaltene Beschränkung erlangt in erster Linie beim Opfer- und Zeugenschutz Bedeutung.1295 Da der Zuständigkeitsbereich der VWU zweifelsfrei alle Opferzeugen erfasst, ist sie berechtigt, in jedem Verfahrensstadium, einschließlich des Ermittlungsverfahrens, Vorkehrungen zur Verhinderung einer sekundären Viktimisierung zu treffen. Zunächst obliegt es der Kanzlei, ein Unterstützungsprogramm für Opfer und Zeugen zu entwickeln. Hierzu gehört die Zurverfügungstellung von psychologischen, medizinischen, sozialen und rechtlichen Hilfen. Diese Maßnahmen sollen so früh wie möglich wirksam werden.1296 Hier bietet sich eine enge Zusammenarbeit mit dem Ankläger an.1297 Die VWU sollte jedenfalls in die während der Ermittlungen vor Ort errichteten Feldbüros entsprechend geschultes Fachpersonal entsenden. So kann gewährleistet werden, dass Opferzeugen von Anfang an durch einen Psychologen begleitet werden können.1298 Da zu Beginn der Ermittlungen noch nicht feststehen kann, welche Zeugen gehört werden, muss sich das Mandat der VWU auch auf potentielle Zeugen bzw. alle Personen, die vom Ankläger vernommen werden, erstrecken.1299 Anderenfalls würden Rule 17; Regulation 83 Regulations of the Registry leerlaufen. Eine frühzeitige Hilfe durch die VWU wäre 1290 Prosecutor v. Lubanga – OPCV’s request to submit obersvations or otherwise be heard on point E of the Order of 14 November 2007 and on the issue of the dual status of witnessess / victims, ICC-01 / 04-01 / 06-1038, 21. 11. 2007, Rn. 26; Prosecutor v. Lubanga – OPCV’s analysis of the notions of „victims“ and of „victims who appear before the court“ with Annexes, ICC-01 / 04-01 / 06-1063, 7. 12. 2007, Rn. 12. 1291 Siehe unten Teil 5 E. 1292 Siehe unten Teil 5 E. VI. 3. 1293 Lubanga OPCV’s analysis, ICC-01 / 04-01 / 06-1063, o. Fn. 1290, Rn. 28. Kritisch Triffterer(-Donat Cattin), Art. 68 IStGH-Statut Rn. 31 – 32. 1294 Lubanga OPCV’s analysis, ICC-01 / 04-01 / 06-1063, o. Fn. 1290, Rn. 14, 15. 1295 Siehe unten Teil 5 D. IX. 2. 1296 Rule 17; Regulation 83 der Regulations of the Registry. 1297 Siehe Situation in Darfur, Sudan, Observations, ICC-02 / 05-14, o. Fn. 473, S. 6; Situation in Darfur, Sudan – Prosecutor’s Response to Cassese’s Observation on Issues Concerning the Protection of Victims and the Preservation of Evidence in the Proceedings on Darfur Pending before the ICC, ICC-02 / 05-16, 11. 9. 2006, Rn. 28. Siehe auch Regulations 37; 47 Regulations of the Prosecutor. 1298 Die Bedeutung einer prozessbegleitenden psychologischen Betreuung betonen auch Akayesu Trial Judgement, o. Fn. 1127, Rn. 143; Ingadottir / Ngendahayo / Sellers, S. 32. 1299 Siehe auch Ingadottir / Ngendahayo / Sellers, S. 17; Stehle, S. 255.

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nicht möglich. Die Erfahrungen der Ad-hoc-Tribunale haben allerdings gezeigt, dass aus finanziellen Gründen die Betreuung der Opfer und Zeugen im Feld größtenteils NGOs und nationalen Hilfsorganisationen überlassen werden muss.1300 Zu den Aufgaben der VWU gehört es zudem, die Anreise von Zeugen und Opfern zum Sitz des Gerichtshofs zu organisieren.1301 Gleiches gilt für ihre Unterbringung1302 und die erforderlichen Aufenthaltsgenehmigungen1303. Die Betroffenen sollen so wenig wie möglich durch organisatorische und bürokratische Fragen belastet werden.1304 Zudem übernimmt die Kanzlei die Kosten für diese Maßnahmen. Während des Aufenthalts in Den Haag steht den Zeugen ein umfassendes Unterstützungsprogramm zur Verfügung, das 24 Stunden am Tag erreichbar ist.1305 Soweit notwendig gehört hierzu auch psychologische Betreuung, vor allem vor, während und unmittelbar nach der Aussage vor Gericht1306. Dies gilt insbesondere für Kinder, behinderte und ältere Menschen sowie Opfer sexueller Gewalt.1307 Den Zeugen wird unter anderem die Möglichkeit gegeben, darüber zu sprechen, wie sie die Aussage erlebt haben. Zudem wird der emotionale Zustand des Zeugen während der Aussage überwacht, um bei einer Überlastung eingreifen zu können.1308 Um die Handlungsfähigkeit und Selbstständigkeit der Zeugen in Den Haag zu gewährleisten, ist ihnen ein Dolmetscher zur Verfügung zu stellen, der sie im Alltag unterstützt.1309 Möglich ist auch eine mittelbare Hilfe durch die Kanzlei. Wird ein Opfer oder ein Zeuge bereits durch eine Person seines Vertrauens begleitet, kann die Kanzlei diese bei der Betreuung unterstützen.1310 Diese Aufgaben sind umso Siehe hierzu Heikkilä, S. 106 – 108. Regulation 81 Regulations of the Registry. Siehe zu den hiermit verbundenen Problemen Ingadottir / Ngendahayo / Sellers, S. 27 – 28. 1302 Regulation 82 Regulations of the Registry. 1303 Regulations 84; 85 Regulations of the Registry. 1304 Ingadottir / Ngendahayo / Sellers, S. 29. 1305 Regulation 83 Abs. 2 Regulations of the Registry. Siehe auch Lubanga Victims and Witnesses Unit recommendations, ICC-01 / 04-01 / 06-1149, o. Fn. 1289, Rn. 7. 1306 Prosecutor v. Thomas Lubanga Dyilo – Decision on Various Issues Related to Witnesses’ Testimony during Trial, TC I, ICC-01 / 04-01 / 06-1140, 29. 1. 2008, Rn. 39; Lubanga Victims and Witnesses Unit recommendations, ICC-01 / 04-01 / 06-1149, o. Fn. 1289, Rn. 2. Siehe auch Annual Report of the International Criminal Tribunal for the Prosecution of Persons Responsible for Serious Violations of International Humanitarian Law Committed in Territory of the Former Yugoslawia vom 28. 7. 1994, UN-Doc A / 49 / 342, S / 1994 / 1007, Rn. 130. 1307 Rule 17 Abs. 2 lit. a) (iii), Abs. 3; Regulation 89 Abs. 1 lit. a) Regulations of the Registry. 1308 Siehe Lubanga Victims and Witnesses Unit recommendations, ICC-01 / 04-01 / 06-1149, o. Fn. 1289, Rn. 8. 1309 Third Annual Report of the International Criminal Tribunal for the Prosecution of Persons Responsible for Serious Violations of International Humanitarian Law Committed in Territory of the Former Yugoslawia vom 5. 8. 1996, UN-Doc A / 51 / 292, S / 1996 / 665, Rn. 122; Ingadottir / Ngendahayo / Sellers, S. 31. 1310 Regulation 90 Regulations of the Registry. 1300 1301

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wichtiger, als der IStGH in großem Umfang vom freiwilligen Erscheinen der Zeugen abhängig ist. Die Arbeit der VWU kann die Kooperationsbereitschaft von Zeugen deutlich erhöhen.1311 Besonders schutzbedürftigen oder gefährdeten Opfern und Zeugen kann regelmäßig nicht zugemutet werden, allein nach Den Haag zu reisen. Sie können entweder durch einen Mitarbeiter der VWU1312 oder eine Person ihrer Wahl begleitet werden. Für Letztere übernimmt die Kanzlei die Organisation und Kosten der Reise. Die Zulassung einer Begleitperson liegt im Ermessen der Kanzlei. Regulation 91 Abs. 2 Regulations of the Registry enthält einen nichtabschließenden Katalog zu berücksichtigender Kriterien. Eine wichtige Rolle spielt das Alter des Zeugen.1313 Jedenfalls Kindern ist zu erlauben, in Begleitung einer Vertrauensperson anzureisen. Besonders schutzbedürftig sind zudem typischerweise ältere, gebrechliche und behinderte Menschen. Gleiches gilt für Opfer, die durch die Tat schwer traumatisiert wurden,1314 oder sexueller Gewalt ausgesetzt waren1315. Ebenso kann die Zulassung einer Begleitperson bei Zeugen erforderlich sein, die im Vorfeld ihrer Aussage bedroht wurden und um ihr Leben fürchten. Die Anwesenheit einer vertrauten Person kann dem Opfer oder Zeugen helfen, sich in der ungewohnten Situation zurechtzufinden und ihm ein Gefühl der Sicherheit geben. Dies dient nicht nur der Stressreduzierung. Vielmehr kann dadurch auch die Aussagefähigkeit und -willigkeit erhöht werden.1316 Der VWU kommt damit zentrale Bedeutung für die Verhinderung einer sekundären Viktimisierung zu. Sie hat die Aufgabe, die Belastungen, die mit der Reise zum Gerichtshof und der Aussage verbunden sind, möglichst gering zu halten und so zum körperlichen und seelischen Wohlbefinden der Zeugen beizutragen. Grundvoraussetzung hierfür ist allerdings die entsprechende finanzielle Ausstattung der Unit.1317 4. Witness-Familiarisation Die bisher geschilderten Maßnahmen beziehen sich allgemein auf das Umfeld der Aussage einschließlich der prozessbegleitenden psychologischen Betreuung. Ingadottir / Ngendahayo / Sellers, S. 6. Siehe auch Walpen, S. 5. Ingadottir / Ngendahayo / Sellers, S. 30. 1313 Regulation 90 Abs. 2 lit. f) Regulations of the Registry. 1314 Regulation 90 Abs. 2 litt. b), c), i) Regulations of the Registry. 1315 Regulation 90 Abs. 2 lit. g) Regulations of the Registry. 1316 Siehe Regulation 90 Abs. 2 lit. e) Regulations of the Registry. 1317 Ingadottir / Ngendahayo / Sellers, S. 8. Siehe zur Unterfinanzierung der VWU des ICTY Second Annual Report of the International Criminal Tribunal for the Prosecution of Persons Responsible for Serious Violations of International Humanitarian Law Committed in Territory of the Former Yugoslawia vom 28. 7. 1994, UN-Doc A / 50 / 365, S / 1995 / 728, Rn. 108. 1311 1312

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Darüber hinaus obliegt es aber der VWU auch, den Zeugen konkret bei seiner Aussage vor Gericht zu unterstützen. Im internationalen Strafverfahren ist der Zeuge mit dem Prozessrecht nicht vertraut. Er wird unter Umständen sogar mit einer ihm völlig fremden Rechtskultur konfrontiert. Dies ist insbesondere für PTBS-Patienten, die ein gesteigertes Sicherheitsbedürfnis haben, oder für Opfer, die zum ersten Mal in ihrem Leben vor einem Gericht aussagen, belastend. Durch eine umfassende Vorbereitung der Aussage können die Ängste des Zeugen vor der ungewohnten Situation abgebaut und der Stresslevel gesenkt werden.1318 Dies ist Ziel des witness-familiarisation. Der Zeuge soll mit dem Gerichtsraum, dem Verfahren und den Aufgaben der verschiedenen Verfahrensbeteiligten vertraut gemacht werden.1319 Das witness-familiarisation besteht aus verschiedenen Komponenten. Zunächst wird der Zeuge über den Verfahrensablauf vor Gericht sowie die Prozessbeteiligten und ihre Aufgaben informiert. Zudem wird ihm seine Rolle im Verfahren verdeutlicht. In diesem Zusammenhang wird er auf seine Wahrheitspflicht hingewiesen. Außerdem wird ihm erklärt, wie eine Zeugenbefragung abläuft. Darüber hinaus wird mit dem Zeugen über gegebenenfalls notwendige Sicherheitsmaßnahmen gesprochen. Ihm wird ferner die Möglichkeit eingeräumt, sich mit den Personen, die ihn befragen werden, bekannt zu machen. Am Tag vor seiner Aussage wird mit dem Zeugen der Gerichtssaal begangen. Ihm wird gezeigt, wo die verschiedenen Prozessbeteiligten sitzen werden und welche Technik im Verfahren zum Einsatz kommen wird.1320 Diese Maßnahmen erscheinen in jeder Hinsicht geeignet, den Opfern die Angst vor der ungewohnten Situation zu nehmen. Gleichzeitig wird ihnen gezeigt, dass sie nicht bloßes Mittel zur Wahrheitsfindung sind, sondern dass das Gericht an ihrem Wohlbefinden interessiert ist.1321 Darüber hinaus wird den Zeugen eine Abschrift ihrer vorherigen Aussagen zur Verfügung gestellt, ohne dass diese allerdings mit ihnen besprochen wird.1322 Auf 1318 Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1049, o. Fn. 1, Rn. 31; Limaj et al. TC, o. Fn. 1181, S. 3; Sesay et al. TC, o. Fn. 1181, Rn. 33. Siehe auch Blumenstein, S. 30. 1319 Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1049, o. Fn. 1, Rn. 31; Lubanga PTC I, ICC-01 / 04-01 / 06-679, o. Fn. 163, Rn. 14; R. v. Momodou [2005] EWCA Crim 177 Rn. 62. Siehe auch Third Annual Report of the International Criminal Tribunal for the Prosecution of Persons Responsible for Serious Violations of International Humanitarian Law Committed in Territory of the Former Yugoslawia vom 5. 8. 1996, UN-Doc A / 51 / 292, S / 1996 / 665, Rn. 121; Wydick, S. 14. 1320 Siehe Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1049, o. Fn. 1, Rn. 53; Lubanga PTC I, ICC-01 / 04-01 / 06-679, o. Fn. 163, order; Second Annual Report of the International Criminal Tribunal for the Prosecution of Persons Responsible for Serious Violations of International Humanitarian Law Committed in Territory of the Former Yugoslawia vom 28. 7. 1994, UN-Doc A / 50 / 365, S / 1995 / 728, Rn. 115. 1321 Siehe Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1049, o. Fn. 1, Rn. 32. 1322 Siehe Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1049, o. Fn. 1, Rn. 55; Lubanga Victims and Witnesses Unit recommendations, ICC-01 / 04-01 / 06-1149, o. Fn. 1289, Rn. 8. Die inhaltliche Besprechung der Aussage wäre unzulässiges witness-proofing.

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diese Weise wird dem Zeugen geholfen, sich an die lang zurückliegenden Ereignisse zu erinnern. Neben den positiven Effekten, die hiermit für die Wahrheitsfindung verbunden sind, gibt dies dem Zeugen die Möglichkeit, sich durch die gedankliche Beschäftigung mit dem Aussagegegenstand auf seine Vernehmung vorzubereiten. Auch hierdurch kann er zusätzliche Sicherheit gewinnen. Durchgeführt wird das witness-familiarisation durch die VWU.1323 Ihre Neutralität bietet die Gewähr dafür, dass das familiarisation nicht zur Beeinflussung der Zeugen missbraucht wird.1324 Allerdings sind die Parteien mit den Einzelheiten und Besonderheiten des Falls besser vertraut. Daher ist es sinnvoll, wenn die VWU mit ihnen zusammenarbeitet, um auf die individuellen Bedürfnisse der einzelnen Zeugen eingehen zu können.1325

5. Vernehmung am Aufenthaltsort des Zeugen Die Belastungen für den Zeugen könnten verringert werden, wenn er an seinem Heimatort aussagen kann. Dadurch würde ihm die belastende Reise sowie die Aussage in einem unbekannten Umfeld erspart.

a) Verlegung des Verhandlungsorts Sitz des Gerichtshofs ist Den Haag. Wenn er es für wünschenswert hält, kann er allerdings gemäß Art. 3 Abs. 3 IStGH-Statut auch an einem anderen Ort tagen. Dementsprechend bestimmt Art. 62 IStGH-Statut, dass die Hauptverhandlung grundsätzlich, aber nicht ausnahmslos in Den Haag stattfindet.1326 Dem Gerichtshof wird damit die Möglichkeit eröffnet, die Beweisaufnahme an den Aufenthaltsort der Zeugen zu verlegen und so die mit einer Aussage verbundenen Belastungen zu reduzieren.1327 Zudem sind hiermit weitere positive Effekte, wie eine erhöhte Sichtbarkeit des Prozesses in der betroffenen Gesellschaft, verbunden.1328 Die Verlegung des Verhandlungsortes ist allerdings sehr aufwändig. Die Richter, die Vertreter der Anklage und der Verteidigung, die VWU1329, die Rechtsvertreter der Opfer, gegebenenfalls auch Mitarbeiter des OPCD und des OPCV müssen am Ver1323 Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1049, o. Fn. 1, Rn. 33; Lubanga Victims and Witnesses Unit recommendations, ICC-01 / 04-01 / 06-1149, o. Fn. 1289, Rn. 8; Lubanga PTC, ICC-01 / 04-01 / 06-679, o. Fn. 163, Rn. 24. 1324 Lubanga PTC, ICC-01 / 04-01 / 06-679, o. Fn. 163, Rn. 27. 1325 Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1049, o. Fn. 1, Rn. 34. 1326 Das Verfahren ist in Rule 100 genauer ausgestaltet. 1327 Kreß (2003b), S. 617. 1328 Prosecutor v. Lubanga – Conclusions des victimes a / 0001 / 06 à a / 0003 / 06 en vue de l’audience du 29. 10. 2007, ICC-01 / 04-01 / 06-992, 19. 10. 2007, Rn. 26. 1329 Ingadottir / Ngendahayo / Sellers, S. 11.

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handlungsort anwesend sein. Gleiches gilt für die Übersetzer und das erforderliche technische Personal. Zudem müssen im Gaststaat Örtlichkeiten gefunden werden, die über eine gewisse technische Grundausstattung verfügen und den Mindestsicherheitsanforderungen genügen. Dennoch wurde im Fall Thomas Lubanga Dyilo in Erwägung gezogen, den Prozessauftakt, zumindest die opening statements, im Kongo stattfinden zu lassen. Im Ergebnis scheiterte dies daran, dass keine Einigung mit der kongolesischen Regierung über den Verhandlungsort erzielt werden konnte.1330 Dessen ungeachtet ist jedenfalls eine längerwährende Verlegung des Verhandlungssitzes wegen des logistischem Aufwands und der damit verbundenen Kosten unwahrscheinlich. b) Videovernehmung Zeugen müssen grundsätzlich persönlich in der Verhandlung erscheinen.1331 Art. 69 Abs. 2 S. 2 IStGH-Statut i. V. m. Rule 67 erlaubt eine Ausnahme für direktübertragende Audio- und Videoaufzeichnungen. Der Zeuge kann im Rahmen einer Videokonferenz in die Verhandlung geschaltet und so von allen Beteiligten befragt werden,1332 ohne nach Den Haag reisen zu müssen. Anders als in vielen nationalen Verfahren besteht die Möglichkeit einer Videovernehmung bei allen Zeugen, nicht nur bei Kindern.1333 Auch wenn eine unmittelbare Konfrontation mit dem Zeugen im Gerichtssaal nicht möglich ist,1334 bleiben die Rechte des Angeklagten in soweit gewahrt, als er den Zeugen per video-link befragen kann.1335 Die Bildübertragung liefert zudem die Möglichkeit, bei der Würdigung der Aussage auch das Verhalten des Zeugen zu berücksichtigen.1336 Um die faktischen Voraussetzungen für eine Videovernehmung zu schaffen, ist es denkbar, die Feldbüros, die während der Ermittlungen vor Ort errichtet wurden, mit der erforderlichen Technologie auszustatten. Der Einsatz eines video-links ist jedenfalls eine 1330 Lubanga TC I, ICC-01 / 04-01 / 06-1311-Anx2, o. Fn. 979, Rn. 105. Siehe zur Verlegung des Verhandlungsortes im Verfahren gegen Bemba Gombo Prosecutor v. Bemba Gombo – Prosecution’s Submission to Conduct Part of the Trial In Situ, ICC-01 / 05-01 / 08-555, 12. 10. 2009. 1331 Art. 69 Abs. 2 S. 1 IStGH-Statut. Siehe auch Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1140, o. Fn. 1306, Rn. 36. 1332 Die Verwendung einer entsprechenden Technologie ist gemäß Rule 67 Abs. 1 IStGHStatut Voraussetzung für Zulässigkeit eines video-link. 1333 Kreß (2001), S. 361. 1334 Prosecutor v. Delalic et al. – Decision on the Motion to Allow Witnesses K, L and M to Give Their Testimony by Means of Video-Conference, TC II, IT-96-21, 28. 5. 1997, Rn. 12. 1335 Siehe auch Kordic & Cerkez AC, o. Fn. 1214, Rn. 21; Delalic et al. TC, o. Fn. 1334, Rn. 15; Kreß (2001), S. 361. 1336 Delalic et al. TC, o. Fn. 1334, Rn. 15; Prosecutor v. Bagosora et al. – Decision on prosecution request for testimony of witness BT via video-link, TC I, ICTR-98-41-T, 8. 10. 2004, Rn. 14.

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Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

sinnvolle Möglichkeit, um die Belastungen, die mit einer Reise zum Sitz des Gerichtshofs verbunden sind, zu minimieren.1337 Sie bietet ferner einen Weg, Aussagen von Zeugen im Verfahren zu berücksichtigen, die aus den verschiedensten Gründen nicht willens oder in der Lage sind, nach Den Haag zu kommen.1338

6. Verhinderung von mehrfachen Aussagen Das Risiko einer sekundären Viktimisierung steigt, wenn das Opfer mehrfach in unterschiedlichen Verfahrensschritten über seine Erlebnisse berichten muss.1339 Zu den bereits vorhandenen Belastungsfaktoren kann dann das Gefühl treten, dass der vorherigen Aussage nicht geglaubt oder dass sie nicht wahrgenommen wurde. Ziel eines opferorientierten Strafprozesses muss es daher sein, mehrfache Aussagen nach Möglichkeit zu verhindern.1340

1337

Wald (2002), S. 228; Kreß (2003b), S. 617. Siehe auch Delalic et al. TC, o. Fn. 1334,

Rn. 2. 1338 Siehe auch Delalic et al. TC, o. Fn. 1334, Rn. 2; Bagosora et al., TC, o. Fn. 1336, Rn. 6 – 7; Prosecutor v. Bagosora et al. – Decision on Ntabakuze motion to allow witness DK 52 to give testimony by video conference, TC I, ICTR-98-41-T, 22. 2. 2005, Rn. 5; Prosecutor v. Bagosora et al. – Decision on Bgosora request for witness Z-06 to give testimony vio video-link, TC I, ICTR-98-41-T, 20. 6. 2006, Rn. 3; Prosecutor v. Nsabimana et al. – Decision on Sylvain Nsabimana’s extremely urgent request – strictly confidential – under seal – motion to have witness Agwa testify via video-link, TC II, ICTR-97-29-T, Joint Case No. ICTR-98-42-T, 17. 8. 2006, Rn. 8; Prosecutor v. Bagosora et al. – Decision on Nsengiyumva motion for Witness Higaniro to testify by video-conference, TC I, 29. 8. 2006, ICTR-98-41-T, Rn. 3; Prosecutor v. Bagosora et al. – Decision on testimony of witness Amadou Deme by video-link, TC I, ICTR-98-41-T, 29. 8. 2006, Rn. 4; Prosecutor v. Bizimungu et al. – Decision on the Prosecution request for witness Roméo Dallaire to give testimony by video-link, TC II, ICTR-00-56-T, 15. 9. 2006, Rn. 13; Prosecutor v. Bagosora et al. – Decision on video-conference testimony of Kabiligi Witnesses KX-38 and KVB-46, TC I, ICTR-98-41-T, 5. 10. 2006, Rn. 3; Prosecutor v. Bizimungu et al. – Decision on Jérôme-Clément Bicamumpaka’s motion for video-link testimony for witness LJ-1,TC II, ICTR-99-50-T, 27. 4. 2007, Rn. 7; Prosecutor v. Bizimungu et al. – Decision on Bizimungu’s request for video-link testimonies of witnesses DC2-2 and DE8-6, TC II, ICTR-00-56-T, 31. 10. 2007, Rn. 3; Prosecutor v. Bizimungu, et al. – Decision on confidential motion from Mr. Bicamumpaka to allow video-link testimony of witness CF-1, TC II, ICTR-99-50-T, 23. 1. 2008, Rn. 7; Prosecutor v. Bizimungu et al. – Urgent Decision on Prosper Mugiraneza’s motion for the testimony of witness RGD to be taken by deposition and Chamber’s order for video-link testimony, TC II, ICTR-99-50-T, 24. 1. 2008, Rn. 11. Dies ist aber keine zwingende Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Videovernehmung, Prosecutor v. Lubanga – Redacted Decision on the defence request for a witness to give evidence via video link, TC I, ICC-01 / 04-01 / 06-2285, 10. 2. 2010, Rn. 15. 1339 Harkotte, S. 114; Däubler-Gmelin (2001), S. 360; Heikkilä, S. 117. 1340 EuGH 16. 6. 2005 – Rs. C-105 / 03, Slg. 2005, I-5285 Rn. 61 – Strafverfahren gegen Maria Pupino.

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a) Beweiserhebung im Vorfeld der Hauptverhandlung In den zahlreichen Verfahrensschritten, die vor der Hauptverhandlung durchzuführen sind, wird typischerweise keine vollständige, sondern nur eine kursorische Beweisaufnahme durchgeführt. Dies dient jedenfalls dazu, die Verfahren zu verkürzen und eine Vorwegnahme der Hauptverhandlung zu verhindern. Gleichzeitig geben diese Vorschriften aber auch die Möglichkeit, eine mehrfache Anhörung der Opferzeugen zu verhindern.1341 aa) Verfahren nach Art. 15 Abs. 3 S. 1 IStGH-Statut Will der Ankläger proprio motu ermitteln, so muss er die Vorverfahrenskammer nach Art. 15 Abs. 3 S. 1 IStGH-Statut um die Genehmigung von Ermittlungen bitten.1342 Die Grundlage für die Entscheidung der Kammer bilden der Antrag des Anklägers sowie die von ihm zur Verfügung gestellten Unterlagen.1343 Die Verfahrenskammer kann – soweit sie dies für die Entscheidung über ihr weiteres Vorgehen als notwendig erachtet – gemäß Rule 50 Abs. 4 zusätzliche Informationen sowohl vom Ankläger als auch von den Opfern einholen. Allerdings ist der Kreis der Opfer von vornherein beschränkt. Das Gericht darf nur auf die Opfer zugreifen, die nach Rule 50 Abs. 3 von ihrem Partizipationsrecht Gebrauch gemacht und eine schriftliche Eingabe eingereicht haben. Diese Opfer haben ihr Interesse an dem gerichtlichen Verfahren bekundet und werden regelmäßig auch darauf vorbereitet sein, in weiteren Kontakt mit dem Gericht zu treten. Dadurch reduziert sich die Gefahr einer sekundären Viktimisierung. Zudem holt die Kammer die erforderlichen Zusatzinformationen typischerweise schriftlich ein. Sie kann zwar auch, wenn sie das für sachgerecht hält, eine Anhörung anordnen. Von der gesetzlichen Konstruktion her ist dies aber die Ausnahme. Der Regelfall ist das schriftliche Verfahren.1344 Damit entfällt in diesem Verfahrensschritt die für die Opfer typischerweise sehr belastende Befragung durch das Gericht oder die Parteien. bb) Bestätigung der Anklage Im Zuge der Bestätigung der Anklage1345 erlaubt Art. 61 Abs. 5 S. 2 IStGH-Statut dem Ankläger, die Beweise summarisch vorzulegen. Es müssen daher noch nicht alle Zeugen gehört werden, auf deren Aussage der Ankläger sich im Hauptverfahren stützen will.1346 So wurde zur Bestätigung der Anklage gegen Thomas 1341 1342 1343 1344 1345 1346

Stefanie Bock (2007c), S. 671. Siehe hierzu oben Teil 5 C. II. 3. c). Art. 15 Abs. 4 S. 1 IStGH-Statut. Siehe Rule 50 Abs. 4. Siehe hierzu oben Teil 5 C. IX. Lewis (2001a), S. 221; Stefanie Bock (2007c), S. 671.

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Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

Lubanga Dyilo nur eine Zeugin vernommen.1347 Die übrigen Beweise können in Form von Vernehmungsprotokollen, Berichten und Zusammenfassungen eingebracht werden.1348 Bei der Entscheidung, welche Beweise präsentiert werden, sind nicht nur den Interessen des Angeklagten und der Prozessökonomie, sondern auch den Opferbedürfnissen Rechnung zu tragen. Das Opfer darf nur durch eine zusätzliche Aussage belastet werden, wenn dies unbedingt erforderlich ist. Kann der benötigte Beweis durch mehrere Opferzeugen erbracht werden, so ist derjenige auszuwählen, bei dem die Gefahr einer sekundären Viktimisierung am geringsten einzuschätzen ist.

b) Übernahme der Beweise aus der Bestätigung der Anklage? Wurde ein Zeuge ausführlich im Verfahren zur Bestätigung der Anklage vernommen und von allen Beteiligten umfassend befragt, drängt sich die Frage auf, ob dieser Zeuge in der Hauptverhandlung erneut gehört werden muss. Eine automatische Einführung der von der Vorverfahrenskammer aufgenommen Beweise in die Hauptverhandlung würde allerdings dem Unmittelbarkeitsgrundsatz widersprechen. Daher muss die Verfahrenskammer grundsätzlich neu Beweis erheben. Möglich bleibt aber, dass die Parteien gemäß Rule 69 übereinstimmend den Inhalt der Aussage als unbestritten akzeptieren, und so eine erneute Befragung des Zeugen entbehrlich wird.1349 c) Beweisvereinbarungen gemäß Rule 69 In Folge von Beweisvereinbarungen zwischen Anklage und Verteidigung über unstreitige Punkte kann auf die Zeugenaussage von Opfern verzichtet werden. Dies dient neben der effizienten Verfahrenserledigung auch der Verhinderung einer sekundären Viktimisierung.1350 d) Aussage traumatisierter Opferzeugen als einmalige Ermittlungsgelegenheit Gemäß Art. 56 Abs. 1 lit. a) IStGH-Statut liegt eine einmalige Ermittlungsgelegenheit unter anderem dann vor, wenn der Ankläger die Möglichkeit hat, einen Zeugen zu vernehmen, der für die Hauptverhandlung möglicherweise nicht mehr zur Verfügung steht. Legt man diese Vorschrift weit aus, so greift sie auch ein, wenn die Gefahr besteht, dass eine weitere Aussage des Opferzeugen zu einer nicht 1347 1348 1349 1350

Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1084, o. Fn. 1220, Rn. 9. Siehe Lubanga PTC I, ICC-01 / 04-01 / 06-803, o. Fn. 878, Rn. 56, 99. Siehe hierzu auch Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1084, o. Fn. 1220, Rn. 18 f. Siehe hierzu schon oben Teil 5 C. X. 4.

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mehr hinnehmbaren Retraumatisierung führt.1351 Gleiches gilt, wenn damit zu rechnen ist, dass der Zeuge nicht bereit sein wird, in der Hauptverhandlung erneut auszusagen.1352 Bejaht die Vorverfahrenskammer das Vorliegen einer einmaligen Ermittlungsgelegenheit, ergreift sie auf Antrag des Anklägers oder proprio motu die zur Wahrung der Rechte der Verteidigung notwendigen Maßnahmen. In diesen Fällen könnte sie anordnen, dass der Zeuge sowohl vom Ankläger als auch von der Verteidigung befragt wird und dass diese Vernehmung aufgezeichnet wird. Die Vorverfahrenskammer kann auf diese Weise die Voraussetzungen dafür schaffen, dass unter Wahrung der Rechte der Verteidigung die Aussage für die Hauptverhandlung gesichert wird. Eine erneute Vernehmung des Zeugen erübrigt sich. Eine andere Frage ist, welchen Beweiswert die Kammer einer Zeugenaussage zubilligen wird, wenn sie nicht selbst die Gelegenheit hat, ihn zu befragen oder sich einen unmittelbaren Eindruck von seinem Verhalten zu verschaffen.1353

e) Einführung vorangegangener Aussagen in die Hauptverhandlung Nach Maßgabe von Art. 69 Abs. 2 S. 2 IStGH-Statut kann der Gerichtshof gestatten, dass frühere Aussagen eines Zeugen in das Verfahren eingebracht werden. Wurde die Zeugenaussage aufgezeichnet, kann das Video in der Hauptverhandlung abgespielt werden. Ansonsten bleibt die Möglichkeit, Vernehmungsprotokolle zu verlesen. Art. 69 Abs. 2 S. 3 IStGH-Statut stellt allerdings klar, dass diese Maßnahmen nicht die Rechte des Angeklagten beeinträchtigen oder mit diesen unvereinbar sein dürfen. Die gilt vor allem für sein in Art. 67 Abs. 1 lit. e) IStGH-Statut festgeschriebenes Recht, Fragen an Belastungszeugen stellen zu dürfen.1354 Diesen Gedanken nimmt Rule 68, die nur anwendbar ist, wenn die Vorverfahrenskammer keine Maßnahmen nach Art. 56 IStGH-Statut ergriffen hat, auf. Die indirekte Einführung einer Zeugenaussage ist nur möglich, wenn sowohl der Ankläger als auch die Verteidigung die Möglichkeit hatten, den Zeugen während der Aufzeichnung seiner Aussage zu vernehmen. Zudem muss der Zeuge entweder nicht vor der Verfahrenskammer anwesend oder mit Verlesung des Vernehmungsprotokolls etc. einverstanden sein. Von der Grundkonzeption her legt Art. 69 Abs. 2 S. 1 IStGH-Statut den Schwerpunkt auf den persönlich anwesenden Zeugen. Die Einführung vorangegangener Aussagen ist die Ausnahme.1355 Von dieser Mög1351 Siehe auch Darfur, Sudan, Observations, ICC-02 / 05-14, o. Fn. 473, S. 11; Kreß (2001), S. 362. 1352 In diese Richtung auch Kreß (2003b), S. 607. 1353 Gray, S. 311; Kreß (2001), S. 363; Heikkilä, S. 121. Siehe auch Prosecutor v. Kupreškic´ et al. AC, o. Fn. 1243, Rn. 18. 1354 Siehe auch Kordic & Cerkez AC, o. Fn. 1214, Rn. 7 – 9, 23; Gray, S. 311; Dembour / Haslam, S. 162. 1355 Siehe Prosecutor v. Lubanga – Conclusions de la Défense sur des questions devant être tranchées à un stade précoce de la procédure: statut devant la Chambre de première

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lichkeit dennoch in geeigneten Fällen Gebrauch zu machen, dient allerdings nicht nur dem Schutz des Zeugen vor zusätzlichen Belastungen,1356 sondern auch der Verfahrenseffizienz1357. Der Ankläger schlug im Lubanga Verfahren vor, das während der Bestätigung der Anklage aufgenommene Vernehmungsprotokoll in der Hauptverhandlung gemäß Rule 68 lit. a) zu verlesen. Beide Parteien hätten hinreichend Gelegenheit gehabt, die Zeugin zu befragen. Dementsprechend sei es nicht nötig, sie erneut in der Hauptverhandlung zu hören.1358 Allerdings verlangt Rule 68 lit. a) zusätzlich, dass der Zeuge nicht vor der Verfahrenskammer anwesend ist. Da die Zeugin aber grundsätzlich zur Verfügung stand und auch bereit war, erneut auszusagen, erscheint es sehr fraglich, ob diese Voraussetzung erfüllt war.1359 Unklar ist auch, ob Rule 68 lit. a) voraussetzt, dass es dem Zeugen beispielsweise in Folge einer Erkrankung unmöglich ist, nach Den Haag zu reisen. Dem Wortlaut ist eine solche Beschränkung nicht zu entnehmen.1360 Berücksichtigt man ferner, dass der IStGH überwiegend von der freiwilligen Kooperation der Zeugen abhängig ist, erscheint es sinnvoll, Rule 68 lit. a) auch dann anzuwenden, wenn der Zeuge zwar grundsätzlich in der Lage ist, vor Gericht zu erscheinen, sich aber weigert, dies zu tun. Dies gilt insbesondere dann, wenn der Inhalt der Zeugenaussage bereits durch andere Beweise belegt ist, sie also nur zur Bekräftigung herangezogen werden soll.1361

f) Koordination der Verfahren Alle einer Situation entspringenden Fälle spielen sich vor dem gleichen Hintergrund ab, sind in die gleiche gesellschaftliche Krisensituation eingebettet. Es werden sich daher teilweise identische juristische Fragen stellen. Bevor über die Verantwortlichkeit des einzelnen Täters entschieden werden kann, ist zu klären, ob beispielsweise die Geschehnisse in Darfur, Sudan als Genozid einzustufen sind. Um zu verhindern, dass in allen Verfahren über die gleichen Punkte Beweis erhoinstance des témoignages entendus par la Chambre préliminaire, statut des décisions de la Chambre préliminaire dans le cadre des procédures de première instance et modalités de présentation des éléments de prevue, ICC-01 / 04-01 / 06-1033, 16. 11. 2007, Rn. 13 sowie Kreß (2001), S. 363. 1356 Brady (2001b), S. 455; Dembour / Haslam, S. 162; Heikkilä, S. 123. 1357 Lubanga Prosecution’s Submission, ICC-01 / 04-01 / 06-953, o. Fn. 1161, Rn. 3. Siehe auch Dembour / Haslam, S. 162. 1358 Lubanga Prosecution’s Submission, ICC-01 / 04-01 / 06-953, o. Fn. 1161, Rn. 5. 1359 Siehe Lubanga Conclusions de la Défense, ICC-01 / 04-01 / 06-1033, o. Fn. 1355, Rn. 19. 1360 Siehe die Ausführungen des Anklägers in der Anhörung vom 20. 11. 2007, ICC-01 / 04-01 / 06-T-61, 30. Kritisch Lubanga Conclusions de la Défense, ICC-01 / 04-01 / 06-1033, o. Fn. 1355, Rn. 19. 1361 In diese Richtung auch Kordic & Cerkez AC, o. Fn. 1214, Rn. 27.

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ben wird, Zeugen immer und immer wieder aufgerufen werden müssen, sind die Verfahren und bereits die Ermittlungen aufeinander abzustimmen.1362 Es ist ausreichend, dass grundlegende Fragen einmal geklärt werden und in den nachfolgenden Verfahren über diese nur noch summarisch Beweis erhoben wird.1363 In geeigneten Fällen ist zudem zu überprüfen, ob Verfahren gegen mehrere Angeklagte zusammengelegt werden können. Dies gilt vor allem dann, wenn davon auszugehen ist, dass ein Großteil des Beweismaterials für alle betroffenen Fälle relevant ist, bei getrennten Verfahren die Zeugen also doppelt vernommen werden müssten.1364

g) Zusammenfassung Das IStGH-Statut und die Rules geben der Kammer zahlreiche Möglichkeiten, mehrfache Zeugenaussagen zu verhindern. Allerdings steht die Anwendbarkeit der Maßnahmen vielfach im Ermessen des Gerichts oder hängt maßgeblich von der Auslegung einer bestimmten Vorschrift ab. Sinnvoll erscheint vor allem die Einstufung bestimmter Aussagen als einmalige Ermittlungsgelegenheit sowie die großzügige Anwendung von Art. 69 Abs. 2 S. 2 IStGH-Statut. Dies gilt vor allem dann, wenn der Zeuge nicht zu einer Aussage in der Hauptverhandlung bereit ist.

7. Ablauf der Aussage Nachdem der Zeuge aufgerufen wurde, sollte ihm zunächst die Möglichkeit gegeben werden, frei und grundsätzlich unbeeinflusst von Fragen auszusagen.1365 Dies entspricht den elementaren Bedürfnissen insbesondere des Opferzeugen, Jallow, S. 6. Siehe Regulation 54 lit. j) der Regulation of the Court. 1364 Siehe nur Prosecutor v. Katanga & Ngudjolo – Decision on the Joinder of the Cases of Germain Katanga and Mathieu Ngudjolo Chui, PTC I, ICC-01 / 04-01 / 07-307, 10. 3. 2008, S. 8; Prosecutor v. Katanga & Ngudjolo – Prosecution’s Observations on the Joinder of Cases against Germain Katanga und Mathieu Ngudjolo Choi, ICC-01 / 04-01 / 07-281 / 283, 14. 2. 2008, Rn. 12; Prosecutor v. Kunarac & Kovac – Decision on the Joinder of Trials, TC I, IT-96-23&23 / 1, 9. 2. 2000, Rn. 12; Prosecutor v. Milosevic – Decision on Prosecution’s Motion for Joinder, TC III, IT-02-54, 13. 12. 2001, Rn. 48; Prosecutor v. Popovic et al. – Decision on Motion for Joinder, TC III, IT-02-57-PT, IT-02-58-PT, IT-02-63-PT, IT-02-64-PT, IT04-80-PT, IT-05-86-PT, 21. 9. 2005, Rn. 25; Prosecutor v. Martic et al. – Decision on Prosecution Motion for Joinder, TC III, IT-95-11-PT, IT-03-69-PT, IT-03-67-PT, 10. 11. 2005, Rn. 58; Prosecutor v. Ngirumpatse et al. – Decision on Prosecutor’s Motion for Joinder of Accuesed and Prosecutor’s Motion for Severance of the Accused, TC II, ICTR-98-44-I, 29. 6. 2000, Rn. 3; Prosecutor v. Bagosora et al. – Decision on the Prosecutor’s Motion for Joinder, TC III, 29. 6. 2000, Rn. 144; Prosecutor v. Ntakirutimana et al. – Decisions on the Prosecutor’s Motion to Join the Indictments ICTR 96-10-I and ICTR 97-17-T, TC I, ICTR-96-10-1 und ICTR-96-17-T, 22. 2. 2001, Rn. 27; Heikkilä, S. 117. 1365 Siehe auch Lubanga Prosecution’s Submission, ICC-01 / 04-01 / 06-953, o. Fn. 1161, Rn. 36. 1362 1363

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angehört und ernst genommen zu werden.1366 Nur auf diese Weise kann der IStGH seiner Aufgabe, den Opfern ein Forum zu bieten, gerecht werden. Neben viktimologischen wird dies auch aussagespychologischen Erkenntnissen gerecht. Der freie Bericht liefert mehr Informationen als die strukturierte Befragung1367 und ist grundsätzlich zuverlässiger.1368 Problematisch ist allerdings, dass freie Aussagen zeitintensiv sind1369 und über das juristisch relevante Kerngeschehen hinausgehen können1370. Insoweit fehlt es der Aussage an der notwendigen Erheblichkeit im Sinne von Art. 64 Abs. 9 lit. a) IStGH-Statut. Hinzu kommt, dass in den Verfahren vor dem IStGH typischerweise nicht bestritten wird, dass Unrecht begangen wurde. Entscheidende Frage ist allein, ob und inwieweit der Angeklagte hierfür verantwortlich ist.1371 Wird dem Zeugen erlaubt, seine gesamte Geschichte zu erzählen, kann dies zu einer Vorverurteilung des Angeklagten führen. Es besteht die Gefahr, dass dieser nicht mehr als Individuum, sondern als Repräsentant seiner Gruppe, die für die gesamten Verbrechen verantwortlich ist, wahrgenommen wird.1372 Allerdings ist es nicht ausschließliche Aufgabe des IStGH, die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Angeklagten zu klären. Vielmehr dienen die Verfahren – in begrenztem Umfang – auch der Wahrheitsermittlung und der Dokumentation des vergangenen Unrechts. Den Richtern kann und muss zugetraut werden, dass sie sich bei der Frage nach der Verantwortlichkeit des Angeklagten nicht davon beeinflussen lassen, dass die Opferzeugen unvorstellbare Gräueltaten schildern. Daher ist an dem Grundsatz der freien Aussage festzuhalten. Sollte eine Schilderung zu ausschweifend werden, obliegt es dem Gericht, durch gezielte Fragen den Zeugen zu lenken – allerdings ohne diesem das Gefühl zu geben, dass sein Leid für das Verfahren ohne Belang ist. Im Anschluss ist der Zeuge von der Partei, die ihn benannt hat, zu befragen. Diese ist am besten mit ihm vertraut und kann die Befragung gezielt auf das juristisch relevante Kerngeschehen lenken.1373 Danach hat die jeweils andere Partei das Recht, Fragen an den Zeugen zu richten. Diese kann das Bedürfnis haben, den Zeugen zu einem Bereich zu befragen, der nicht von dem ursprünglichen Beweisthema abgedeckt ist. Rule 140 Abs. 2 lit. b) bestimmt daher, dass auch andere relevante Themen zum Gegenstand der Aussage gemacht werden dürfen. Relevant 1366 Siehe zu einer möglichen Begünstigung des psychischen Heilungsprozesses O’Connell, S. 328 ff. Kritisch wegen zu geringer Beteiligung von Opferzeugen bei der Wahrheitsermittlung in den Nürnberger Prozessen Danieli, S. 1641. 1367 Birck (2002c), S. 78. 1368 Eisenberg (1984a), S. 914; Cryer (2003), S. 420. 1369 Siehe Eisenberg (1984a), S. 915; Heikkilä, S. 116. 1370 Dembour / Haslam, S. 167. Siehe auch Haslam, S. 324. 1371 Siehe auch Prosecutor v. Naser Oric´, Appeals Judgement, AC, IT-03-68-A, 3. 7. 2008, Rn. 189. 1372 Cryer (2003), S. 419. 1373 Lubanga Prosecution’s Submission, ICC-01 / 04-01 / 06-953, o. Fn. 1161, Rn. 32.

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sind jedenfalls alle Fragen, die das Hauptverfahren betreffen und einen Bezug zur Schuldfrage aufweisen. Gleiches gilt für die Strafzumessung. Die Zeugenvernehmung darf darauf zielen, schuldschärfende oder -mindernde Faktoren zu ermitteln. Zu berücksichtigen ist ferner, dass im Anschluss an die Hauptverhandlung möglicherweise über Wiedergutmachungsleistungen entschieden wird. Daher kann der Zeuge auch nach seinem Besitz, seinem Vermögen sowie nach durch die Tat erlittenen Schäden befragt werden. Die Vernehmung ist so umfassend wie möglich durchzuführen. Dadurch soll auch verhindert werden, dass der Zeuge unnötig erneut in den Zeugenstand gerufen werden muss.1374 Vor oder nach der Befragung des Zeugen durch die Parteien darf das Gericht Fragen an diesen richten.1375 Die Verteidigung hat das Recht, als letzte den Zeugen zu befragen.1376 Generell gilt, dass die Zeugen mit Respekt und Empathie zu befragen sind. Auf Bevormundungen und gute Ratschläge sollte verzichtet werden.1377 Vielmehr sind die Zeugen in ihren Ängsten und in ihrem erlittenen Leid wahr und ernst zu nehmen. Trial Chamber I hat ferner entschieden, dass ihnen die Möglichkeit gegeben werden kann, die Aussage zu kontrollieren.1378 Was genau darunter zu verstehen ist, ist nicht ganz klar. Jedenfalls haben die Zeugen das Recht, um Pausen zu bitten, wenn die Aussage zu belastend oder anstrengend wird.1379 Ansonsten sollte im Zuge des witness-familiarisation angesprochen werden, ob die Opfer bestimmte Wünsche oder Vorstellungen hinsichtlich ihrer Vernehmung haben. Auf diese Weise wird ihnen das Gefühl gegeben, nicht nur bloßes Objekt der Beweisaufnahme zu sein, sondern ihre Aussage aktiv mitgestalten zu können.

8. Maßnahmen zur Aussageerleichterung Rule 88 ermächtigt die Kammer auf Antrag der Verteidigung, des Anklägers, des Zeugen oder aus eigenem Antrieb, besondere Maßnahmen zu treffen, um dem Opfer die Aussage zu erleichtern. Dies gilt insbesondere, aber nicht nur, für traumatisierte Zeugen, Kinder, ältere Menschen und Opfer sexueller Gewalt. Zur Vorbereitung ihrer Entscheidung kann die Kammer eine Anhörung unter Ausschluss der Öffentlichkeit oder nur mit der betroffenen Partei ansetzen. Zudem kann die VWU beratend hinzugezogen werden.

1374 Prosecutor v. Lubanga – Prosecution’s submissions of the role of victims in the proceedings leading up to, and during, the trial, ICC-01 / 04-01 / 06-996-AnxI, 19. 10. 2007, Rn. 7; Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1119, o. Fn. 7, Rn. 120; Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1140, o. Fn. 1306, Rn. 32. 1375 Rule 140 Abs. 2 lit. c). 1376 Siehe Rule 140 Abs. 2 lit. d). 1377 Dembour / Haslam, S. 175; Schotsmans, S. 112. 1378 Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1140, o. Fn. 1306, Rn. 35. 1379 Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1140, o. Fn. 1306, Rn. 35.

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Explizit vorgeschlagen ist in Rule 88 Abs. 2, dass die Zeugenvernehmung in Anwesenheit eines Familienmitglieds erfolgt. Die Gegenwart eines vertrauten Menschen kann stabilisierende und stressreduzierende Wirkung haben.1380 Hat ein Opfer ein Vertrauensverhältnis zu einem Mitarbeiter der VWU aufgebaut, so sollte auch ihm in geeigneten Fällen gestattet sein, der Vernehmung beizuwohnen.1381 Zudem kann die Kammer anordnen, dass ein legal representative oder ein Psychologe1382 der Aussage beiwohnt. Letzterem sollte das Recht zukommen, eine Verhandlungsunterbrechung vorzuschlagen, während der sich der Zeuge beruhigen und gegebenenfalls stabilisiert werden kann.1383 Die bereits beschriebene Vernehmung im Zuge einer live Übertragung1384 ist nicht nur geeignet, dem Zeugen die Anreise zum Gerichtshof zu ersparen. Vielmehr kann sie auch eingesetzt werden, um die sehr belastende direkte Konfrontation des Opfers mit dem Täter zu verhindern.1385 Der video-link kann so geschaltet werden, dass der Zeuge den Richter, den Ankläger und den Verteidiger sehen kann, wenn diese eine Frage an ihn richten, nicht aber den Angeklagten. Allerdings kann die Reaktion des Zeugen auf die direkte Konfrontation mit dem Angeklagten Rückschlüsse auf die Glaubhaftigkeit seiner Aussage zulassen und damit für die Wahrheitsfindung von nicht unerheblicher Bedeutung sein.1386 Die Vernehmung per video-link kann daher davon abhängig gemacht werden, dass der Zeuge ein gesteigertes Retraumatisierungsrisiko aufweist.1387 Zugunsten der in Rule 88 genannten Zeugengruppen sollte allerdings vermutet werden, dass sie besonders gefährdet sind. Die Verfahrenskammer hat im Lubanga Fall grundsätzlich die Möglichkeit einer Vernehmung per video-link bestätigt, wird aber über die Anwendung von Fall zu Fall entscheiden. Um aber den Prozess nicht unnötig 1380 Lubanga Victims and Witnesses Unit recommendations, ICC-01 / 04-01 / 06-1149, o. Fn. 1289, Rn. 10; Lakatos, S. 939. Siehe auch Lubanga Conclusion du Representant Legal de la Victime, ICC-01 / 04-01 / 06-1106, o. Fn. 1174, Rn. 27. 1381 In diese Richtung auch Lubanga Victims and Witnesses Unit recommendations, ICC-01 / 04-01 / 06-1149, o. Fn. 1289, Rn. 9, 12. 1382 Siehe Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1140, o. Fn. 1306, Rn. 39. 1383 Lubanga Conclusions de la Défense, ICC-01 / 04-01 / 06-1110, o. Fn. 979, Rn. 53. Siehe Lubanga Victims and Witnesses Unit recommendations, ICC-01 / 04-01 / 06-1149, o. Fn. 1289, Rn. 10. 1384 Siehe oben Teil 5 D. VIII. 5. b). 1385 Prosecutor v. Lubanga – Conclusions des Représentants Légaux des victims a / 0001706 à a / 0003 / 06 sur d’autres questions à determiner avant le process, ICC-01 / 04-01 / 06-1107, 7. 1. 2008, Rn. 20; Davies, S. 231; Ellison, S. 42; Heikkilä, S. 106. In diese Richtung auch Bagosora et al. TC, o. Fn. 1336, Rn. 8. 1386 Lubanga Conclusions de la Défense, ICC-01 / 04-01 / 06-1110, o. Fn. 979, Rn. 48; Prosecutor v. Delalic et al. – Decision on the Motions by the Prosecution for Protective Measures for the Prosecution Witnesses Pseudonymed „B“ through to „M“, TC II, IT-96-21, 28. 4. 1997, Rn. 65. Siehe auch Ellison, S. 45, 76. 1387 So Delalic et al. TC, o. Fn. 1386, Rn. 65 – 67. Siehe zum Ausnahmecharakter der Vorschrift auch Lubanga Conclusions de la Défense, ICC-01 / 04-01 / 06-1110, o. Fn. 979, Rn. 48.

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zu verzögern, wurden die Parteien aufgefordert, die Kammer und die VWU so frühzeitig wie möglich zu informieren, wenn sie eine Videovernehmung beantragen wollen.1388 Als mildere Maßnahme zu einer Videovernehmung kann die Aufstellung eines Sichtschutzes erwogen werden.1389 Das Opfer ist im Gerichtssaal anwesend, allerdings ohne den Angeklagten zu sehen. Die Kammer kann sich so einen unmittelbaren Eindruck von seinem Verhalten machen, ohne den Zeugen der direkten Konfrontation mit dem mutmaßlichen Täter aussetzen zu müssen.1390

9. Recht, die Aussage abzubrechen Opferzeugen sollte das Recht eingeräumt werden, die Aussage jederzeit abzubrechen, wenn das erneute Durchleben der Tat zu schmerzhaft wird.1391 Da die Opfer selbst entscheiden, ob sie sich dem Gerichtshof für eine Aussage zur Verfügung stellen, erscheint ein solches Recht nicht zwingend erforderlich zu sein. Psychisch äußerst instabile Opfer werden typischerweise bereits die Kooperation mit dem Gerichtshof verweigern. Allerdings bleibt die Gefahr bestehen, dass ein Zeuge die Auswirkungen, die die Befragung auf ihn hat, unterschätzt. Das Recht, die Aussage jederzeit abzubrechen, kann in diesen Fällen zur Vermeidung psychischer Schädigungen durch den Prozess beitragen.

10. Schutz vor besonders belastender Befragung Aus Art. 68 Abs. 1 IStGH-Statut resultiert auch eine Pflicht der Verfahrenskammer, Zeugen vor unnötig aggressiven Befragungen zu bewahren. Dementsprechend hat der IStGH bereits festgestellt, dass alle Verfahrensbeteiligten verpflichtet sind, bei der Vernehmung das Wohlergehen und die Würde des Zeugen zu wahren.1392 Besonders belastend ist für Opferzeugen typischerweise die Befragung durch die Verteidigung. Dieser steht selbstverständlich das Recht zu, den Opferzeugen kritisch zu vernehmen und seine Glaubwürdigkeit zu überprüfen. Das Gericht hat allerdings dafür Sorge zu tragen, dass die Vernehmung unter Achtung der Persönlichkeitsrechte des Zeugen erfolgt. Persönliche Angriffe auf den Zeugen, DiffamieLubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1140, o. Fn. 1306, Rn. 42. Siehe auch Katanga & Ngudjolo TC, ICC-01 / 04-01 / 07-1665, o. Fn. 930, Rn. 58; Lubanga Conclusion du Representant Legal, ICC-01 / 04-01 / 06-1106, o. Fn. 1174, Rn. 23 – 24; angedeutet auch in Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1140, o. Fn. 1306, Rn. 35. 1390 Delalic et al. TC, o. Fn. 1386, Rn. 68. Siehe auch Ellison, S. 33; Jones, S. 1358. 1391 Siehe auch Lakatos, S. 938. 1392 Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1140, o. Fn. 1306, Rn. 36. In diese Richtung auch die Stellungnahme der Verteidigung Lubanga Conclusions de la Défense, ICC-01 / 04-01 / 06-1110, o. Fn. 979, Rn. 57. 1388 1389

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rungen und Beleidigungen sind für eine effektive Verteidigung nicht erforderlich. Dies stellt Art. 29 CPCC ausdrücklich klar. Die Kammer kann die Art der Befragung sowohl durch prozessleitende Verfügungen als auch durch Einzelweisungen lenken. Rule 140 gewährt der Verteidigung zwar grundsätzlich das Recht, einen Zeugen unbeeinflusst und ohne gerichtliche Intervention zu befragen. Allerdings können die Rules als niederrangiges Recht nicht die aus dem Statut fließende Schutzpflicht der Kammer begrenzen. Die Verteidigung hat nur insoweit das Recht auf eine unbeeinflusste Zeugenbefragung, wie die Art der Vernehmung nicht mit der Schutzpflicht des Gerichts aus Art. 68 Abs. 1 IStGH-Statut kollidiert.

a) Genehmigung der Fragen durch die Kammer Grundsätzlich sind die Parteien nicht verpflichtet, die Fragen, die sie einem bestimmten Zeugen stellen wollen, vorher der Kammer vorzulegen. Dadurch wird auch der Tatsache Rechnung getragen, dass die Zeugenvernehmung ein dynamischer Prozess ist, bestimmte Fragen sich erst im Laufe der Aussage entwickeln.1393 Dennoch hat sich die Hauptverfahrenskammer vorbehalten, bei besonders schutzbedürftigen Zeugen die Parteien aufzufordern, die Fragen, die sie stellen wollen oder zumindest die Themenbereiche, die sie ansprechen werden, vorab offenzulegen.1394 Die Kammer wird so in die Lage versetzt, die Befragung durch Einzelanweisungen oder prozessleitende Verfügungen gezielt steuern zu können. Mit dieser Entscheidung hat sich die Kammer eindeutig zu ihrer Verantwortung gegenüber den Zeugen bekannt und gleichzeitig ihre starke verfahrensrechtliche Stellung betont. Nicht notwendig ist es hingegen, die Fragen auch dem legal representative des Opferzeugen zukommen zu lassen. Dies würde die Gefahr in sich bergen, dass das Verbot des witness-preparation unterlaufen und die Vernehmung vorher gezielt mit dem Zeugen durchgesprochen würde.

b) Sexualdelikte Opfer von Sexualdelikten sind im besonderen Maße der Gefahr einer sekundären Viktimisierung ausgesetzt.1395 Diese zu reduzieren ist Ziel der Rules 70 bis 72. Rule 70 litt. a) bis c) befassen sich mit der Einwilligung in den sexuellen Kontakt. Eine Zustimmung, die das Opfer in einer Bedrohungs- oder Nötigungssituation abgegeben hat, ist hinfällig. Gleiches gilt, wenn es aus anderen Gründen nicht in der Lage war,1396 ein ernstgemeintes Einverständnis zu erklären. Zudem darf aus dem 1393

Lubanga Conclusions de la Défense, ICC-01 / 04-01 / 06-1110, o. Fn. 979, Rn. 17 – 18,

41. 1394 1395 1396

Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1140, o. Fn. 1306, Rn. 33. Siehe oben Teil 2 C. V. 2. Siehe Piragoff , S. 383.

D. Das Opfer als Beweismittel

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passiven Erdulden der Tat nicht auf eine Einwilligung geschlossen werden. Da viele Opfer von Sexualdelikten sich vorwerfen, sich nicht hinreichend gewehrt zu haben, kann eine öffentliche Erörterung des fehlenden Widerstandes als besonders demütigend empfunden werden. Im Verfahren vor dem IStGH wäre dies zudem unnötig. Die im Rahmen der völkerrechtlichen Kernverbrechen begangenen Sexualdelikte zeichnen sich durch ein derart deutliches Machtgefälle aus, dass Widerstand aussichtslos ist, die Duldung des Sexualaktes zur Überlebensstrategie wird.1397 Man denke nur an den kriegstaktischen Einsatz von Vergewaltigungen oder an den sexuellen Missbrauch inhaftierter Frauen und Männer.1398 Dem Angeklagten allerdings jede Berufung auf eine Einwilligung zu untersagen, würde seine Verteidigungsmöglichkeiten unangemessen beeinträchtigen. 1399 Selbst unter einem Besatzungsregime oder einer Gewaltherrschaft sind freiwillige, einvernehmliche Sexualkontakte möglich.1400 Plant eine der Parteien – typischer-, aber nicht notwendigerweise die Verteidigung1401 – darzulegen, dass das Opfer in den Sexualkontakt eingewilligt hat, so ist gemäß Rule 72 Abs. 1 die Kammer darüber zu informieren. Um über die Erheblichkeit und Zulässigkeit des Beweismaterials zu entscheiden, hört diese unter Ausschluss der Öffentlichkeit die Stellungnahmen des Anklägers, der Verteidigung und des betroffenen Zeugen oder Opfers. Bei der Entscheidung sind die in Rule 70 niedergelegten Grundsätze sowie die Auswirkungen, die die vorgesehene Befragung auf das Opfer haben könnte, zu berücksichtigen. Nur wenn die Kammer zu dem Schluss gelangt, dass dem Beweismaterial hinreichende Bedeutung für den Fall zukommt, erlaubt sie seine Einführung in die öffentliche Verhandlung. Bei der Beweiswürdigung ist zwingend Rule 70 anzuwenden. Das Verfahren nach Rule 72 stellt sicher, dass dem Zeugen oder dem Opfer die öffentliche Erörterung seiner Einwilligung nur zugemutet wird, wenn dies im Interesse der Wahrheitsfindung und zur Wahrung der Rechte des Angeklagten unbedingt erforderlich ist. Das Verfahren nach Rule 72 ist auch dann durchzuführen, wenn das Einverständnis entgegen der in Rule 70 aufgestellten Grundsätze nachgewiesen werden soll. Dies ändert nichts daran, dass dieser Beweis unzulässig ist. Vielmehr soll erreicht werden, dass alle Beweise, die sich auf die Einvernehmlichkeit des Sexualkontakts beziehen, zunächst in camera vom Gerichtshof auf seine Zulässigkeit und Relevanz hin untersucht werden.1402

1397 Heikkilä, S. 127. Siehe auch Prosecutor v. Brima et al., Trial Judgement, TC II, SCSL-04-16-T, 20. 6. 2007, Rn. 694. 1398 Siehe auch Akayesu Trial Judgement, o. Fn. 1127, Rn. 688; Piragoff, S. 370. 1399 Siehe auch Prosecutor v. Muvunyi, Judgement and Sentence, TC II, ICTR-200055A-T, 12. 9. 2006, Rn. 521. Der ICTR hält das fehlende Einverständnis des Opfers für das Charakteristikum der Tat. 1400 Siehe Piragoff, S. 374. Dagegen Heikkilä, S. 130. 1401 Piragoff, S. 383. 1402 Piragoff, S. 383.

424

Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

Als sehr belastend werden von den Zeugen typischerweise Fragen nach ihrem sexuellen Vorleben empfunden. Sie stellen einen erheblichen Eingriff in die Intimsphäre dar und bergen in besonderem Maße die Gefahr einer sekundären Viktimisierung.1403 Mögen solche Fragen im nationalen Strafverfahren noch eine gewisse Berechtigung haben,1404 so entfällt sie jedenfalls beim systematischen Einsatz von sexueller Gewalt als Kriegstaktik oder als Angriffsmittel gegen die Zivilbevölkerung. Insoweit sind die Taten reine Gewaltdelikte, die sich nicht nur gegen das individuelle Opfer, sondern darüber hinaus gegen seine gesellschaftliche Gruppe und seine Kultur richten.1405 Das sexuelle Vortatverhalten der Opfer ist für die Tat ohne jegliche Bedeutung.1406 Dementsprechend sind Beweise über Sexualkontakte, die ein Zeuge oder ein Opfer vor oder nach der Tat hatte, gemäß Rule 71 unzulässig.1407 Sie gilt allgemein für alle Delikte, die der Gerichtsbarkeit des IStGH unterfallen, und nicht nur in Bezug auf Sexualdelikte.1408 Darüber hinaus bestimmt Rule 70 lit. d), dass aus dem sexuellen Verhalten eines Opfers oder eines Zeugens keine Rückschlüsse auf seine Glaubwürdigkeit oder seinen Charakter gezogen werden dürfen. Eine besondere Bedeutung kommt bei Sexualdelikten zudem Rule 63 Abs. 4 zu, die es erlaubt, auch Zeugenaussagen, die nicht durch andere Beweismittel bestätigt werden, zu berücksichtigen. Bei diesen ist typischerweise die Aussage des Opfers das einzig verfügbare Beweismittel. Rule 63 Abs. 4 bildet daher die Grundlage für eine effektive Verfolgung von sexuellen Gewalttaten.1409

c) Cross-examinations Die Rules of Procedure und Evidence des ICTY bestimmen in Rule 85 (B), dass jeder Zeuge ins Kreuzverhör genommen werden darf. Das Kreuzverhör selbst ist in Rule 90 (H) näher ausgestaltet. Das ICTR verfügt über vergleichbare VorschrifTondorf, S. 503; Sczesny / Krauel, S. 338; Gray, S. 310. Siehe auch Piragoff, S. 385. Siehe hierzu Tondorf, S. 503, aber auch Piragoff, S. 387 für das internationale Strafverfahren. 1405 Siehe oben Teil 2 C. V. 5. 1406 Siehe auch Delalic´ et al. Trial Judgement, o. Fn. 1003, Rn. 70; Annual Report of the International Criminal Tribunal for the Prosecution of Persons Responsible for Serious Violations of International Humanitarian Law Committed in Territory of the Former Yugoslawia vom 28. 7. 1994, UN-Doc A / 49 / 342, S / 1994 / 1007, Rn. 83; Lakatos, S. 934; Brady (1999), S. 301; Piragoff, S. 386; Gray, S. 309; Heikkilä, S. 131. 1407 Vergleichbare Vorschriften finden sich bereits für die Ad-hoc-Tribunale in ICTY Rule 96 (iv) und ICTR Rule 96 (iv). 1408 Piragoff, S. 389. 1409 Siehe auch Annual Report of the International Criminal Tribunal for the Prosecution of Persons Responsible for Serious Violations of International Humanitarian Law Committed in Territory of the Former Yugoslawia vom 28. 7. 1994, UN-Doc A / 49 / 342, S / 1994 / 1007, Rn. 83; Brady (1999), S. 300; Heikkilä, S. 127. 1403 1404

D. Das Opfer als Beweismittel

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ten.1410 Im Verfahrensrecht des IStGH ist das Kreuzverhör hingegen nicht geregelt. Art. 67 Abs. 1 lit. e) HS 1 IStGH-Statut gewährt dem Beschuldigten lediglich das Recht, Fragen an den Belastungszeugen zu stellen. Der Vorschlag, auch explizit das Recht, jeden Zeugen ins Kreuzverhör zu nehmen, ins Statut zu integrieren, wurde hingegen auf der Rom Konferenz verworfen.1411 Art. 64 Abs. 8 lit. b) IStGH-Statut in Verbindung mit Regulation 43 Regulations of the Court räumt der Kammer aber hinsichtlich der Ausgestaltung der Beweisaufnahme einen weiten Spielraum ein.1412 Zudem folgt aus Rule 140 Abs. 2, dass Ankläger und Verteidigung das Recht haben, grundsätzlich unbeeinflusst vom Gericht einen Zeugen zu befragen. Dies kann als indirekte Anerkennung von cross-examinations verstanden werden.1413 Hiervon unberührt bleibt freilich das Recht des vorsitzenden Richters, die Zeugenbefragung durch prozessleitende Verfügungen zu lenken und damit die Vernehmungsmethoden einzuschränken. Rein verfahrensrechtlich betrachtet sind Kreuzverhöre daher möglich. Zulässigkeit, Umfang und Ausmaß im Einzelfall liegen aber im Ermessen des Gerichts. Das cross-examination entstammt dem common law.1414 Im Rahmen einer intensiven Befragung wird eine Zeugenaussage auf ihre Stichhaltigkeit und Glaubhaftigkeit hin geprüft.1415 Ziel ist es, Widersprüche aufzudecken oder den Zeugen in Widersprüche zu verwickeln. Beispielsweise soll bewiesen werden, dass der Zeugen nicht gesehen hat, was er behauptet gesehen zu haben, dass er nicht gehört hat, was er behauptet gehört zu haben oder dass ein Zeuge, der eine Person identifiziert hat, sich dabei geirrt hat. Zudem wird der Zeuge mit Widersprüchen zu vorherigen Aussagen und anderen Beweismitteln konfrontiert.1416 Im Kreuzverhör wird sowohl ein Sicherungsinstitut für den Angeklagten als auch eine notwendige Basis Siehe ICTR-Rule 85 (B). Siehe Triffterer(-Schabas), Art. 67 IStGH-Statut Rn. 39. 1412 Siehe auch oben Teil 5 C. X. 1. 1413 Ambos (2003), S. 20; ders. (2008a), § 8 Rn. 31. Siehe auch Kreß (2001), S. 352. 1414 Applegate, S. 309; Lawry, S. 566; Bassin, S. 1783; McMorrow, S. 143; Lewis (2001b), S. 547; Epstein, S. 728. 1415 Madden v. State, 112 So. 2d 796, 799 (Ala. Ct. App. 1959); Baird v. Cincinnati Transit Co., 168 N.E.2d 413, 417 (Ohio Ct. App. 1959); State v. Perez, 442 P.2d 125, 128 (Ariz. Ct. App. 1968); State v. Lewis, 488 N.W.2d 518, 526 (Neb. 1992); People v. Terry, 618 N.Y.S. 2d 712, 714 (N.Y. App. Div. 1994); Callahan v. State, 937 S.W.2d 553, 556 (Tex. Ct. App. 1996); State v. Rochon, 733 So. 2d 624, 632 – 33 (La. Ct. App. 1999); State v. Wyrick, 62 S.W.3d 751, 782 (Tenn. Crim. App. 2001); Commonwealth v. Thomas, 783 A.2d 328, 334 (Pa Super. Ct. 2001); Farr v. Henson, 84 S.W.3d 871, 876 (Ark. Ct. App. 2002); State v. Darden, 41 P.3d 1189, 1193 (Wash. 2002); Fost v. Super, Ct., 80 Cal. App. 4th 724, 733 (Ct. App. 2000); State v. DeClue, 128 S.W.3d 864, 872 (Mo. Ct. App. 2004); Bocchino, S. 22; Ellison, S. 88; Aiyar & Aiyar’s, S. 4; Bassin, S. 1783. Siehe auch Walther, S. 471; Epstein, S. 727; Karemaker / Taylor III / Pittman (2008a), S. 695; DiPardo, S. 284. 1416 Aiyar & Aiyar’s, S. 8 – 10. Siehe auch State v. Castagna, 870 A.2d 653, 672 (N.J. Super. Ct. App. Div. 2005); Farr v. Henson, 84 S.W.3d 871, 876 (Ark. Ct. App. 2002) sowie das Beispiel bei Rutberg, S. 365. 1410 1411

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für eine effektive Anklage gesehen.1417 Gleichzeitig soll die Aufdeckung nicht glaubhafter Aussagen der Wahrheitsfindung dienen.1418 Wie bei einem cross-examination vorgegangen wird, ist eine Frage der jeweils für angebracht gehaltenen Taktik. Suggestivfragen, sogenannte leading questions, sind jedenfalls nicht nur zulässig, sondern vielmehr elementarer Bestandteil eines Kreuzverhörs.1419 Den Zeugen werden überwiegend geschlossene Fragen gestellt, die nur mit „Ja“ oder „Nein“ beantwortet werden sollen. Ihnen wird bewusst kein Raum für Erklärungen oder Klarstellungen gewährt.1420 Geht die Antwort über die gestellte Frage hinaus, kann der Befragende den Zeugen unterbrechen.1421 Zudem kann es zur Strategie des Vernehmenden gehören, den Zeugen mit unerwarteten Fragen zu überrumpeln und ihn so in Widersprüche zu verstricken.1422 Aus dem gleichen Grund kann auf eine Übermüdung des Zeugen, die seine Konzentrationsfähigkeit beeinträchtigt, hingewirkt werden.1423 Durch gezielt eingesetzte Vernehmungstaktiken wie plötzlichem Schweigen kann versucht werden, den Zeugen zu verunsichern.1424 Darüber hinaus zielt ein aggressiv geführtes Kreuzverhör1425 auf die Einschüchterung des Zeugen.1426 Ein cross-examination kann daher eine erhebliche Belastung für die Opferzeugen darstellen und zu einer sekundären Viktimisierung führen.1427 Haben die Zeugen bereits in einem nationalen Verfahren Angst vor der emotionalen Stresssituation des Kreuzverhörs,1428 so muss dies umso mehr für hochtraumatisierte Zeugen gelten.1429 Wegen des gezielten Einsatzes von Suggestivfragen kann bezweifelt werden,1430 ob ein Kreuzverhör der materiellen Wahrheitsfindung dient.1431 Das Konzept Lewis (2001b), S. 547. Ark. La. Gas Co. v. Bass, 698 P.2d 947, 949 (Okla. Civ. App. 1985); Lakatos, S. 933; Lawry, S. 566. Siehe auch Krajišnik Appeals Judgement, o. Fn. 1034, Rn. 146; Milutinovic´ et al. Trial Judgement, o. Fn. 1235, Rn. 52; Klinkner, S. 460. 1419 May / Wierda, Rn. 517; Bocchino, S. 22; Ellison, S. 98; Aiyar & Aiyar’s, S. 147; Rutberg, S. 365; Epstein, S. 727. Siehe auch Katanga & Ngudjolo TC, ICC-01 / 04-01 / 07-1665, o. Fn. 930, Rn. 75. 1420 Finlay / Cromwell, S. 52; Bocchino, S. 22; Brodsky, S. 189; Ellison, S. 98; Aiyar & Aiyar’s, S. 175; Rutberg, S. 365. 1421 Rutberg, S. 370. 1422 Sanchirico, S. 335 – 339. 1423 Sanchirico, S. 343. Siehe auch Ellison, S. 101. 1424 Rutberg, S. 368. 1425 Siehe zum Begriff Rutberg, S. 356 sowie Ellison, S. 101. 1426 Siehe Brodsky, S. 113 sowie Heikkilä, S. 115. 1427 Lakatos, S. 919; Heikkilä, S. 79; Rutberg, S. 355; Pillay, S. 462; Wolhuter / Olley / Denham, S. 47. 1428 Brodsky, S. 131. Siehe auch Finlay / Cromwell, S. 52. 1429 Siehe Stover, S. 85; O’Connell, S. 336; Hazan, S. 41; Damaška (2008), S. 342. 1430 Zur beeinflussenden Wirkung von ja / nein Fragen Eisenberg (1984a), S. 915; Scholz, S. 577. 1417 1418

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erscheint vielmehr an der prozessualen Wahrheit ausgerichtet zu sein. Die Erfahrung der civil-law-Systeme zeigt jedenfalls, dass sie weder zur Wahrung der Rechte des Angeklagten noch für die Wahrheitsfindung1432 zwingend erforderlich sind. Zudem ziehen sie die Verfahren in die Länge,1433 so dass ihre Zulässigkeit allein aus prozessökonomischen Erwägungen überdacht werden sollte. Zumindest die aggressive Befragung von Zeugen aktiviert die Schutzpflicht des Gerichts nach Art. 68 Abs. 1 IStGH-Statut. Dies wird durch Rule 88 Abs. 5 bekräftigt, derzufolge die Kammer verhindern muss, dass der Zeuge durch die Befragung bedroht oder eingeschüchtert wird.1434 Die Schutzfunktion des Gerichts ist umso wichtiger, da ein dem adversatorischen Verfahren inhärentes Schutzsystem im Verfahren vor dem IStGH versagen kann. In einem kontradiktorisch aufgebauten Prozess werden die Parteien ihre Zeugen zu schützen wissen und beispielsweise gegen unzulässige Fragen Einspruch erheben1435. Da der Ankläger des IStGH aber neutral und der Wahrheit verpflichtet ist, muss auch ihm daran gelegen sein, die Glaubwürdigkeit von Belastungszeugen zu hinterfragen. Aus diesem Grund kann er eher geneigt sein, eine aggressive Zeugenbefragung zu akzeptieren. Hinzu tritt ein systematisches Argument. Der Gerichtshof hat das witness-proofing untersagt.1436 Dessen Aufgabe ist es aber nicht nur, die Erinnerungslücken des Zeugen zu schließen. Vielmehr dient es auch der Vorbereitung auf das cross-examination1437. Teil des witness-proofing kann es daher sein, mit dem Zeugen ein Kreuzverhör durchzuspielen.1438 Auf diese Weise wird dem Opferzeugen geholfen, dem cross-examination standzuhalten und es zu verarbeiten.1439 Entfällt diese unterstützende Komponente, steht auch die Zulässigkeit des cross-examination in Frage. Zusammenfassend ist festzuhalten, dass das Verfahrensrecht die Zulässigkeit von Kreuzverhören in das Ermessen der jeweiligen Kammer stellt.1440 Berücksichtigt man die beeinflussende Wirkung der während eines cross-examination übliKritisch auch Bonomy, S. 350; Byrne, S. 631. Walther, S. 473. Siehe auch Epstein, S. 729. 1433 Siehe May / Wierda, Rn. 5.18 sowie Bonomy, S. 350. Angedeutet in Katanga & Ngudjolo TC, ICC-01 / 04-01 / 07-1665, o. Fn. 930, Rn. 71. 1434 Siehe auch Katanga & Ngudjolo TC, ICC-01 / 04-01 / 07-1665, o. Fn. 930, Rn. 75. 1435 Siehe Finlay / Cromwell, S. 64; Medford, S. 22; Rutberg, S. 369. 1436 Siehe hierzu oben Teil 5 D. VI. 3. 1437 Finlay / Cromwell, S. 55; Stover, S. 84; Carter, S. 469. Siehe auch Sanchirico, S. 322; Shargel, S. 1268. Den Zusammenhang zwischen witness-proofing und cross-examination betont auch Vasiliev (2009a), S. 250 ff. 1438 Applegate, S. 298. Siehe auch Brodsky, S. 45. 1439 Siehe auch Prosecutor v. Lubanga – Observations du Bureau du conseil public suite à l’invitation de la Chambre de première instance, ICC-01 / 04-01 / 06-1020, 9. 11. 2007, Rn. 74 ff. sowie WRCO (July 2009), S. 31, 38 f. 1440 In Katanga & Ngudjolo TC, ICC-01 / 04-01 / 07-1665, o. Fn. 930, Rn. 68 hat die Kammer grundsätzlich ein Recht auf cross-examination anerkannt. 1431 1432

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chen Befragung sowie die damit verbundenen Belastungen für Opferzeugen, spricht einiges dafür, von Kreuzverhören in großem Umfang abzusehen.1441 Dies gilt insbesondere für die Befragung besonders verletzlicher Zeugen, wie Kinder und Opfer sexueller Gewalt.1442 Aus Art. 68 Abs. 1 IStGH-Statut folgt jedenfalls die Pflicht der Kammer, aggressive Kreuzverhöre, die auf die Verunsicherung und Einschüchterung der Zeugen zielen, zu unterbinden.1443

11. Freispruch und Unrechtsinterlokut Ein Freispruch des Angeklagten – und sei es nur von spezifischen Tatvorwürfen – kann für die Opfer sehr belastend sein. Dies gilt umso mehr, wenn sie davon überzeugt sind, dass der Täter seiner gerechten Strafe entgeht. Wichtigste Präventivmaßnahme ist, dass keine Anklage ohne hinreichenden Tatverdacht erhoben wird. Dies dient nicht nur dem Schutz des Beschuldigten, sondern verhindert auch, dass enttäuschte Erwartungen zu einer sekundären Viktimisierung der Opfer führen.1444 Erfolgt dennoch ein Freispruch, müssen die Entscheidungsgründe in einer für die Opfer verständlichen Art und Weise dargestellt und vermittelt werden. Dies könnte im Zuge eines Unrechtsinterlokuts erfolgen. In einem von der Schuldfeststellung getrennten Schritt könnte das Gericht festhalten, dass den Opfern Unrecht widerverfahren ist. Zudem sollte das Gericht die Taten auch im Namen der internationalen Gemeinschaft missbilligen. Gleichzeitig kann dieser Schritt dazu genutzt werden, den Opfern zu erklären, dass die Schuldfrage hiervon unabhängig und unbeeinflusst zu beantworten ist.1445 Auch wenn es einigen Opfern nur darauf ankommt, dass irgendjemand für die Verbrechen bezahlt,1446 dürfte ein Großteil von ihnen nicht an der Verurteilung eines Unschuldigen interessiert sein. Verbindet die Kammer einen (Teil-)Freispruch mit der Verurteilung des erlittenen Unrechts und bringt sie ihr Mitgefühl mit den Opfern zum Ausdruck, dürfte dies die Gefahr einer sekundären Viktimisierung verringern. Ansätze eines Unrechtsinterlokuts finden sich bereits in der Rechtsprechung der Ad-hoc-Tribunale. Diese nutzen das Urteil, um die Leistung der Opferzeugen anzuerkennen, die Bedeutung ihrer Aussage für die internationale Gemeinschaft herauszustellen und ihnen für 1441 Siehe auch Lubanga Prosecution’s Submission, ICC-01 / 04-01 / 06-953, o. Fn. 1161, Rn. 33. Die Anklage spricht nur von „examination“ und „re-examination“ als Befragungsarten, nicht aber von „cross-examination“. Zudem regt sie in Rn. 37 an, dass grundsätzlich – abgesehen von der Hinführung des Zeugen auf das juristisch relevante Kerngeschehen – auf leading questions verzichtet werden sollte. 1442 In diese Richtung Prosecutor v. Lubanga – Prosecution’s Submission for the Status Conference on 9 Januar 2008, ICC-01 / 04-01 / 06-1109, 7. 1. 2008, Rn. 25. 1443 In diese Richtung auch Katanga & Ngudjolo TC, ICC-01 / 04-01 / 07-1665, o. Fn. 930, Rn. 32. 1444 Walleyn, S. 2. 1445 Siehe zum Unrechtsinterlokuts Jerouschek (2000), S. 191. 1446 So Wald (2002), S. 236.

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ihren Mut und ihre Kooperationsbereitschaft zu danken.1447 Zudem hat das ICTY im Fall Radislav Krstic´ betont, dass seine Gefühle gegenüber den Geschehnissen in Srebrenica sein Urteil nicht beeinflussen dürften.1448 In Prosecutor v. Naser Oric´ hat die Berufungskammer explizit darauf hingewiesen, dass zwar die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Angeklagten nicht bewiesen werden konnte, sie aber davon überzeugt ist, dass schreckliches Unrecht begangen wurde.1449 Die Wirkung solcher Ausführungen könnte noch gesteigert werden, wenn sie komprimiert in einem gesonderten Schritt erfolgten. Noch schwieriger dürfte die Situation sein, wenn – wie es zwischenzeitlich im Fall Lubanga drohte1450 – das Verfahren wegen schwerwiegender Versäumnisse des Anklägers eingestellt wird.1451 Es besteht die Gefahr, dass die Opfer ihr Vertrauen in die (internationale) Justiz verlieren. Die Enttäuschung dürfte umso schwerer wiegen, wenn die Opfer sich an dem Verfahren beteiligt, also Zeit, Energie und Kosten aufgewandt haben, um Gerechtigkeit zu erleben. Dem IStGH bleibt in diesen Fällen nur, die Gründe für die Verfahrenseinstellung offenzulegen und sie den Opfern soweit irgend möglich nahezubringen

12. Zusammenfassung Primäres Ziel eines opferorientierten Verfahrensrechts muss die Verhinderung einer sekundären Viktimisierung sein. Die VWU ist verpflichtet, die mit einer Aussage verbundenen Belastungen möglichst gering zu halten. Ihre Effektivität hängt allerdings entscheidend von den zur Verfügung gestellten finanziellen Mitteln ab. Während der Hauptverhandlung obliegt es in erster Linie der Verfahrenskammer, einer Retraumatisierung der Opfer entgegenzutreten. Hierzu hat sie die Möglichkeit, durch prozessleitende Verfügungen und Einzelanweisungen die Art der Befragung zu kontrollieren und besonders belastende Vernehmungsmethoden, wie 1447 Siehe Delalic´ et al. Trial Judgement, o. Fn. 1003, Rn. 595; Akayesu Trial Judgement, o. Fn. 1127, Rn. 144. Siehe zur Bedeutung der Danksagung für die Zeugen Dunn / Shepherd, Rn. 20.29. 1448 Krstic´ Trial Judgement, o. Fn. 86, Rn. 2. 1449 Oric´ Appeals Judgement, o. Fn. 1371, Rn. 189. 1450 Siehe Prosecutor v. Lubanga – Decision on the consequences of non-disclosure of exculpatory materials covered by Article 54(3)(e) agreements and the application to stay the prosecution of the accused, together with certain other issues raised at the Status Conference on 10 June 2008, TC I, ICC-01 / 04-01 / 06-1401, 13. 6. 2008. 1451 Ausdrücklich anerkannt in Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1401, o. Fn. 1450, Rn. 95; Prosecutor v. Lubanga – Redacted Version of „Decision on the Prosecution’s Application to Lift the Stay of Proceedings“, TC I, ICC-01 / 04-01 / 06-1467, 3. 9. 2008, Rn. 28. Der zum Schutz der Rechte des Beschuldigten angeordnete stay of proceedings wurde, nachdem die Anklage ihren Offenlegungspflichten umfassend nachgekommen war, wieder aufgehoben, siehe Prosecutor v. Lubanga – Reasons for Oral Decision lifing the stay of proceedings, TC I, ICC-01 / 04-01 / 06-1644, 23. 1. 2009.

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aggressiv geführte cross-examinations, zu untersagen. Gleichzeitig sollte verhindert werden, dass das Opfer mehrfach aussagen muss. Besonders schutzbedürftigen Zeugen ist zudem zu gestatten, per video-link oder in Anwesenheit einer Vertrauensperson oder eines Psychologen auszusagen. Sollte die Vernehmung allen Vorkehrungen zum Trotz zu einer unerträglichen Belastung für den Zeugen werden, sollte ihm das Recht eingeräumt werden, die Aussage abzubrechen. Um sicherzustellen, dass das Opfer einen Freispruch des Täters nicht als Negierung oder gar als Billigung des erlittenen Leids missversteht, bietet sich die Einführung eines Unrechtsinterlokuts an. In einem von der Schuldfrage getrennten Abschnitt des Urteils würde umfassend das von den Opfern erlittene Unrecht gewürdigt.

IX. Zeugenschutz Der Schutz von Zeugen ist im internationalen Verfahren von weitaus größerer Bedeutung als in nationalen Prozessen. Dies gilt umso mehr, wenn der Konflikt im Heimatland der Zeugen noch anhält. Bei Makrodelinquenz ist die Zahl der Täter so groß, dass nicht alle vor Gericht gestellt werden können. Das Beispiel von Ratko Mladic, der trotz intensiver Ermittlungsbemühungen noch nicht gefasst wurde, zeigt anschaulich, dass sich auch hauptverantwortliche Täter dem Zugriff der internationalen Justiz entziehen können. Opfer und Zeugen, die mit dem IStGH kooperieren, sind daher stetig gefährdet.1452 Mutmaßliche Mittäter, Freunde oder ehemalige Untergebene des Beschuldigten können versucht sein, ihre Aussage zu verhindern. Erschreckend sind vor allem die Erfahrungen in Ruanda. Zeugen wurden eingeschüchtert, bedroht oder ermordet.1453 Die Gefährdung der Zeugen endet zudem nicht mit ihrer Aussage. Vielmehr müssen sie damit rechnen, wegen ihrer Zusammenarbeit mit dem IStGH nach Verurteilung des Täters Rache- und Vergeltungsmaßnahmen ausgesetzt zu sein.1454

1. Art. 68 Abs. 1 IStGH-Statut Der Gerichtshof ist unter anderem verpflichtet, geeignete Maßnahmen zum Schutz der Sicherheit sowie des körperlichen und seelischen Wohls von Opfern und Zeugen zu ergreifen. Art. 68 Abs. 1 IStGH-Statut liegen zwei verschiedene Erwägungen zugrunde. Zum einen sollen aus humanitären Erwägungen heraus gefährdete Personen geschützt werden.1455 Zum anderen soll die Funktionsfähigkeit der internationalen Justiz gewahrt werden. Kann der IStGH nicht die Sicher1452 Siehe auch Katanga & Ngudjolo PTC I, ICC-01 / 04-01 / 07-428-Corr, o. Fn. 94, Rn. 17 und die Beispiele bei O’Connell, S. 336. 1453 Umfassend des Forges. 1454 Siehe auch Mischkowski (2004b), S. 398; Stefanie Bock (2007c), S. 676. 1455 Darfur, Sudan, Observations, ICC-02 / 05-14, o. Fn. 473, S. 3.

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heit von Opfern und anderen potentiellen Zeugen gewährleisten, werden diese nicht zu einer Aussage bereit sein.1456 Nicht nur Opferzeugen müssen Rache- und Vergeltungsmaßnahmen fürchten. In großer Gefahr sind typischerweise auch ehemalige Mitarbeiter oder Untergebene des Beschuldigten, denen als Insider-Zeugen entscheidende Bedeutung im Verfahren gegen die hauptverantwortlichen Täter zukommt.1457 Aber auch die Entlastungszeugen der Verteidigung können auf den Schutz des IStGH angewiesen sein.1458 Wegen ihrer humanitären Komponente erstreckt sich die Schutzpflicht des Art. 68 Abs. 1 IStGH-Statut auf alle Opfer, unabhängig davon, ob sie vor Gericht erscheinen.1459 Allerdings ist der Gerichtshof nicht in der Lage, sämtliche Opfer in einer Situation zu schützen. Dies gilt umso mehr, wenn in einem noch andauernden Konflikt ermittelt wird.1460 Daher wird man davon ausgehen müssen, dass sich Art. 68 Abs. 1 IStGH-Statut vorrangig auf die Opfer, die wegen ihres Kontakts zum IStGH gefährdet sind, bezieht.1461 Art. 68 Abs. 1 IStGH-Statut verlangt nicht die vollständige Eliminierung aller vorhersehbaren Risiken.1462 Absolute Sicherheit für Opfer und Zeugen kann nicht garantiert werden. Entscheidend ist vielmehr, dass die Zeugen umfassend über mögliche Schutzmaßnahmen aufgeklärt werden und danach unter Berücksichtigung des Restrisikos über die Zusammenarbeit mit dem Gerichtshof entscheiden können.1463 Generell gilt, dass bei der Ausgestaltung der Schutzmaßnahmen die Autonomie der Betroffenen zu wahren ist. Dementsprechend bestimmt Rule 87 Abs. 1 S. 2, dass die Kammer, bevor sie Vorkehrungen nach Art. 68 Abs. 1 IStGHStatut ergreift, grundsätzlich die Einwilligung der jeweiligen Opfer oder Zeugen einholen muss. Diese sollen nicht gegen ihren Willen geschützt werden und haben daher auch das Recht, Schutzmaßnahmen abzulehnen.1464

1456 Darfur, Sudan, Observations, ICC-02 / 05-14, o. Fn. 473, S. 3; Donat-Cattin (1999), S. 263; Schotsmans, S. 108. Siehe auch Katanga & Ngudjolo PTC I, ICC-01 / 04-01 / 07-428-Corr, o. Fn. 94, Rn. 13; Haradinaj et al. Trial Judgement, o. Fn. 1005, Rn. 28. 1457 Jallow, S. 6. 1458 Siehe auch Katanga & Ngudjolo PTC I, ICC-01 / 04-01 / 07-428-Corr, o. Fn. 94, Rn. 37. 1459 Lubanga OPCV’s analysis, ICC-01 / 04-01 / 06-1063, o. Fn. 1290, Rn. 13. 1460 Darfur, Sudan Prosecutor’s Response, ICC-02 / 05-16, o. Fn. 1297, Rn. 30. 1461 Siehe die Stellungnahme der VWU, wiedergegeben in Lubanga TC I, ICC-01 / 04-01 / 06-1311-Anx2, o. Fn. 979, Rn. 38. 1462 In diese Richtung aber der Ankläger, siehe Lubanga TC I, ICC-01 / 04-01 / 06-1311-Anx2, o. Fn. 979, Rn. 53; Katanga & Ngudjolo PTC I, ICC-01 / 04-01 / 07-428-Corr, o. Fn. 94, Rn. 13. 1463 Siehe auch Katanga & Ngudjolo PTC I, ICC-01 / 04-01 / 07-428-Corr, o. Fn. 94, Rn. 17; Darfur, Sudan Observations, ICC-02 / 05-19, o. Fn. 1088, Rn. 13 d). 1464 Siehe auch Lubanga TC I, ICC-01 / 04-01 / 06-1311-Anx2, o. Fn. 979, Rn. 96.

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Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

2. Art. 46 Abs. 6 IStGH-Statut Gemäß Art. 46 Abs. 6 IStGH-Statut gehört es zu den Aufgaben der VWU, notwendige und angemessene Sicherheitsmaßnahmen und Schutzvorkehrungen einzuleiten. Anders als bei Art. 68 Abs. 1 IStGH-Statut erstreckt sich das Mandat der VWU allerdings nur auf Zeugen, die vor dem Gerichtshof erscheinenden Opfer sowie andere, durch die Aussagen dieser Zeugen gefährdete, Personen. Wird die VWU von sich aus tätig, kann sie also nur für diesen begrenzten Personenkreis, nicht aber für sonstige Opfer der Situation tätig werden. Allerdings steht es der Kammer gemäß Art. 68 Abs. 1 IStGH-Statut frei, den Aufgabenkreis der Unit durch eine entsprechende Anweisung zu erweitern.1465 Berücksichtigt man allerdings die große Anzahl der Zeugen und sich am Verfahren beteiligenden Opfer1466, erscheint fraglich, ob die VWU über ausreichend Ressourcen verfügt, um für den Schutz weiterer Personen sorgen zu können.1467

3. Einzelne Maßnahmen Die Kammer und die VWU müssen in jedem Einzelfall die notwendigen und angemessenen Sicherheitsvorkehrungen ergreifen.1468 Exemplarisch seien in der Praxis besonders wichtige Maßnahmen und die damit verbundenen Probleme dargestellt.

a) Schutzprogramm der VWU Im Einklang mit Regulation 96 der Regulations of the Registry hat die VWU ein Schutzprogramm entwickelt.1469 Von diesem können Zeugen und ihre Begleitpersonen sowie alle Personen, die in Folge einer Zeugenaussage gefährdet sind, profitieren. Die Betroffenen werden mit einer neuen Identität ausgestattet und an einen sicheren Ort umgesiedelt. Ausschlaggebende Kriterien für die Aufnahme ins Schutzprogramm sind unter anderem die Einbindung des Betroffenen ins Verfahren vor dem IStGH und der Grad seiner Gefährdung. Ergänzend hat die VWU sich Siehe hierzu auch oben Teil 5 D. VIII. 3. Siehe unten Teil 5 E. II. 3. c) ff). 1467 Zu den begrenzten Kapazitäten der VWU siehe auch Katanga & Ngudjolo PTC I, ICC-01 / 04-01 / 07-428-Corr, o. Fn. 94, Rn. 55. 1468 Zum Einzelfallcharakter der Maßnahmen auch Lubanga TC I, ICC-01 / 04-01 / 06-1311-Anx2, o. Fn. 979, Rn. 77. 1469 Siehe auch Lubanga TC I, ICC-01 / 04-01 / 06-1311-Anx2, o. Fn. 979, Rn. 36 ff.; Katanga & Ngudjolo PTC I, ICC-01 / 04-01 / 07-428-Corr, o. Fn. 94, Rn. 12; Prosecutor v. Katanga & Ngudjolo – Victims and Witnesses Unit’s considerations on the system of witness protection and the practice of „preventive relocation“, ICC-01 / 04-01 / 07-585, 12. 6. 2008, Rn. 3. 1465 1466

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mit dem Ankläger auf weitere zu berücksichtigende Punkte geeinigt. Diese zusätzlichen Kriterien sind allerdings nicht öffentlich bekannt gegeben worden.1470 Ein Antrag auf Aufnahme ins Zeugenschutzprogramm kann vom Ankläger1471 oder von einem Rechtsbeistand – sei es der Verteidiger, sei es der legal representative1472 eines Opfers – gestellt werden. Allerdings ist dies die aufwendigste und kostenintensivste Schutzmaßnahme. Sie wird daher nur in Fällen zur Anwendung gelangen können, in denen sie absolut erforderlich ist, die Sicherheit des Betroffenen nicht anderweitig gewährleistet werden kann.1473 Verweigert die VWU die Aufnahme einer bestimmten Person ins Zeugenprogramm, kann diese Entscheidung von der zuständigen Kammer proprio motu oder auf Antrag eines Beteiligten, auch des Zeugen, überprüft werden.1474 Der VWU verbleibt allerdings ein Ermessensspielraum. Die Kammer kann nur prüfen, ob die Unit ihrer Entscheidung nicht sachgerechte Kriterien zu Grunde gelegt hat oder zu unhaltbaren Schlussfolgerungen gelangt ist.1475 In eindeutig gelagerten Fällen kann sie allerdings auch die Aufnahme einer gefährdeten Person in das Schutzprogramm anordnen.1476

b) Präventive Umsiedlungen durch den Ankläger Um die Sicherheit der Belastungszeugen zu gewährleisten, hat der Ankläger präventive Umsiedlungen vorgenommen. Die Zeugen wurden vorübergehend an einem sicheren Ort untergebracht und vom Ankläger betreut. Hierbei handelt es sich um eine Übergangsmaßnahme, die nur bis zur Entscheidung der VWU über die Aufnahme der Betroffenen ins Schutzprogramm greifen sollte.1477 Der Ankläger hat diese Vorgehen auf Art. 68 Abs. 1 IStGH-Statut gestützt. Pre-Trial Chamber I hält es hingegen zu Recht für unzulässig.1478 Wenn der Ankläger die Zeugen beSiehe Lubanga TC I, ICC-01 / 04-01 / 06-1311-Anx2, o. Fn. 979, Rn. 40. Katanga & Ngudjolo Victims and Witnesses Unit’s considerations, ICC-01 / 04-01 / 07-585, o. Fn. 1469, Rn. 15 ff. 1472 Siehe hierzu unten Teil 5 E. IV. 1473 Katanga & Ngudjolo PTC I, ICC-01 / 04-01 / 07-428-Corr, o. Fn. 94, Rn. 37; Katanga & Ngudjolo Victims and Witnesses Unit’s considerations, ICC-01 / 04-01 / 07-585, o. Fn. 1469, Rn. 10. Siehe auch Lubanga TC I, ICC-01 / 04-01 / 06-1311-Anx2, o. Fn. 979, Rn. 77 – 78. 1474 Siehe Katanga & Ngudjolo Victims and Witnesses Unit’s considerations, ICC-01 / 04-01 / 07-585, o. Fn. 1469, Rn. 20. 1475 Lubanga TC I, ICC-01 / 04-01 / 06-1311-Anx2, o. Fn. 979, Rn. 82. 1476 Siehe Katanga & Ngudjolo PTC I, ICC-01 / 04-01 / 07-428-Corr, o. Fn. 94, Rn. 52. 1477 Siehe Katanga & Ngudjolo PTC I, ICC-01 / 04-01 / 07-428-Corr, o. Fn. 94, Rn. 13 f. 1478 Katanga & Ngudjolo PTC I, ICC-01 / 04-01 / 07-428-Corr, o. Fn. 94, Rn. 25. Zustimmend Prosecutor v. Lubanga – Separate and Dissenting Opinion of Judge Blattmann attached to Decision on Disclosure Issues, Responsibilities for Protective Measures and other Procedural Matters, TC I, ICC-01 / 04-01 / 06-1311-Anx3, 28. 4. 2008, Rn. 6. Bestätigt in Prosecutor 1470 1471

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reits umsiedelt, bevor die VWU über deren Aufnahme in das Zeugenschutzprogramm entschieden hat, setzt er die Unit unter Zugzwang.1479 Lehnt diese den Antrag ab, würde dies die Zeugen erheblich verunsichern. Zudem werden sie regelmäßig in ihren Heimatort zurückkehren müssen. Ihre Abwesenheit über einen längeren Zeitraum wird allerdings zwangsläufig die Aufmerksamkeit auf sie lenken und ihre Gefährdung erhöhen.1480 Sind dem Ankläger präventive Umsiedlungen daher untersagt, muss es allerdings im Gegenzug Aufgabe der VWU sein, die Sicherheit der Betroffenen bis zur Entscheidung über ihre Aufnahme ins Schutzprogramm sicherzustellen.1481 Eine andere Frage ist, ob der Ankläger selbst für eine Umsiedlung der Betroffenen sorgen darf, nachdem die VWU den Antrag auf Aufnahme in das Schutzprogramm abschlägig beschieden hat.1482 Hiergegen spricht, dass er damit in den Kompetenzbereich der VWU eingreifen würde. Gemäß Art. 43 Abs. 6 IStGH-Statut i. V. m. Regulation 96 der Regulation of the Registry liegt das Zeugenschutzprogramm in ihrem Aufgabenbereich, nicht in dem des Anklägers. Sein allgemeines Mandat aus Art. 68 Abs. 1 IStGH-Statut berechtigt ihn nicht, die Entscheidungen der speziell zum Schutz von Opfern und Zeugen geschaffenen VWU zu umgehen.1483 Die Unabhängigkeit und Unparteilichkeit der VWU garantiert zudem, dass die Schutzmaßnahmen nicht – bewusst oder unbewusst – zu einer Beeinflussung der Zeugen missbraucht werden. Wird die Umsiedlung hingegen von dem Ankläger oder der Verteidigung vorgenommen, wäre die Neutralität der Zeugen gefährdet, da sie nun ersichtlich einer Partei näherstünden.1484 Zudem würden parallel laufende Schutzprogramme des Anklägers und der VWU die begrenzten Ressourcen des Gerichtshofs unnötig belasten.1485 Lehnt die VWU die Aufnahme v. Katanga & Ngudjolo – Judgement on the appeal of the Prosecutor against the „Decision on Eventiary Scope of the Confirmation Hearing, Preventive Relocation and Disclosure under Article 67(2) of the Statute and Rule 77 of the Rules“ of Pre-Trial Chamber I, AC, ICC-01 / 04-01 / 07-776, 26. 22. 2008. 1479 Siehe auch Katanga & Ngudjolo Victims and Witnesses Unit’s considerations, ICC-01 / 04-01 / 07-585, o. Fn. 1469, Rn. 27 ff. 1480 Katanga & Ngudjolo PTC I, ICC-01 / 04-01 / 07-428-Corr, o. Fn. 94, Rn. 25. 1481 Katanga & Ngudjolo PTC I, ICC-01 / 04-01 / 07-428-Corr, o. Fn. 94, Rn. 36; Katanga & Ngudjolo PTC I, ICC-01 / 04-01 / 07-428-Corr, o. Fn. 94, Rn. 25, 26; Katanga & Ngudjolo AC, ICC-01 / 04-01 / 07-776, o. Fn. 1478, Rn. 102. 1482 In diese Richtung Lubanga TC I, ICC-01 / 04-01 / 06-1311-Anx2, o. Fn. 979, Rn. 80. 1483 Lubanga Separate and Dissenting Opinion of Judge Blattmann, ICC-01 / 04-01 / 06-1311-Anx3, o. Fn. 1478, Rn. 4; Katanga & Ngudjolo PTC I, ICC-01 / 04-01 / 07-428-Corr, o. Fn. 94, Rn. 25, 26; Katanga & Ngudjolo AC, ICC-01 / 04-01 / 07-776, o. Fn. 1478, Rn. 91. 1484 Katanga & Ngudjolo PTC I, ICC-01 / 04-01 / 07-428-Corr, o. Fn. 94, Rn. 30 – 31; Katanga & Ngudjolo PTC I, ICC-01 / 04-01 / 07-428-Corr, o. Fn. 94, Rn. 25, 26; Katanga & Ngudjolo AC, ICC-01 / 04-01 / 07-776, o. Fn. 1478, Rn. 92, 94. Siehe auch Katanga & Ngudjolo Victims and Witnesses Unit’s considerations, ICC-01 / 04-01 / 07-585, o. Fn. 1469, Rn. 58. 1485 Katanga & Ngudjolo PTC I, ICC-01 / 04-01 / 07-428-Corr, o. Fn. 94, Rn. 33. Siehe auch Katanga & Ngudjolo Victims and Witnesses Unit’s considerations, ICC-01 / 04-01 / 07-585, o. Fn. 1469, Rn. 32 ff.

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eines Zeugen ins Schutzprogramm ab, bleibt es dem Ankläger allerdings unbenommen, die Kammer um die Überprüfung dieser Entscheidung zu ersuchen.1486 c) Anonymität gegenüber der Öffentlichkeit Basis aller Schutzmaßnahmen ist Anonymität. Die Identität gefährdeter Personen ist gegenüber der Öffentlichkeit, vor allem gegenüber der Presse, geheim zu halten.1487 Zu diesem Zweck listen Rule 87 und Regulation 94 der Regulations of the Registry exemplarisch verschiedene Sicherheitsvorkehrungen auf: die Verwendung von Pseudonymen, der Einsatz von Bild- oder Stimmverzerrern sowie die Redigierung oder Geheimhaltung von Entscheidungen, Urteilen oder Schriftsätzen. Des Weiteren können die Zeugen via video-link1488 oder hinter einem Sichtschutz, abgeschirmt von der Öffentlichkeit, aussagen1489. Zudem kann die Öffentlichkeit ausgeschlossen werden.1490 Während der Hauptverhandlung kollidierte diese Schutzmaßnahme allerdings mit dem Recht des Angeklagten auf einen öffentlichen Prozess,1491 so dass sie nur in Ausnahmefällen in Betracht kommt.1492 Über die notwendigen Vorkehrungen entscheidet die Kammer im Einzelfall auf Antrag des Anklägers, der Verteidigung, eines Zeugen oder Opfers1493 oder aus eigenem Antrieb.1494 d) Anonymität gegenüber der Verteidigung Ein Großteil der Belastungszeugen fürchtet insbesondere um ihre Sicherheit, sollte ihre Identität der Verteidigung und damit dem Beschuldigten offenbart werden. Ihnen Anonymität auch gegenüber der Verteidigung zu gewähren, könnte aber die Fairness des Verfahrens in Frage stellen.1495 Art. 67 Abs. 2 IStGH-Statut 1486 Lubanga Separate and Dissenting Opinion of Judge Blattmann, ICC-01 / 04-01 / 06-1311-Anx3, o. Fn. 1478, Rn. 6; Katanga & Ngudjolo PTC I, ICC-01 / 04-01 / 07-428-Corr, o. Fn. 94, Rn. 25, 26; Katanga & Ngudjolo AC, ICC-01 / 04-01 / 07-776, o. Fn. 1478, Rn. 93. Siehe auch Lubanga TC I, ICC-01 / 04-01 / 06-1311-Anx2, o. Fn. 979, Rn. 41 – 42 sowie oben Teil 5 D. IX. 3. a). 1487 Lubanga OPCV’s request, ICC-01 / 04-01 / 06-1038, o. Fn. 1290, Rn. 24; Prosecutor v. Lubanga – First Decision on the Prosecution Requests and Amended Requests for Redactions under Rule 81, 15. 9. 2006, PTC I, ICC-01 / 04-01 / 06-437, S. 7. Siehe auch Darfur, Sudan Observations, ICC-02 / 05-19, o. Fn. 1088, Rn. 13 lit. g) sowie Uganda PTC, ICC-02 / 04-13, o. Fn. 1285, S. 2; Harmon / Gaynor, S. 421. 1488 Siehe hierzu oben Teil 5 D. VIII. 5. b). 1489 Lubanga TC I, ICC-01 / 04-01 / 06-1311-Anx2, o. Fn. 979, Rn. 98. 1490 Rule 87 Abs. 3 lit. e); Regulation 94 lit. e) der Regulations of the Registry. 1491 Art. 67 Abs. 1 IStGH-Statut. 1492 Art. 68 Abs. 2 IStGH-Statut. 1493 Hierzu auch unten Teil 5 E. VI. 1. 1494 Rule 87 Abs. 1.

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bestimmt, dass der Ankläger der Verteidigung so bald wie möglich alle in seinem Besitz befindlichen entlastenden1496 Beweise offenlegen muss. Dieses Recht ist absolut und kann nicht beschränkt werden.1497 Elementare Voraussetzung für ein faires Verfahren ist, dass die Verteidigung Zugang zu allem Beweismaterial erhält, mit dem sie möglicherweise die Unschuld des Beschuldigten beweisen oder diesen in anderer Weise entlasten könnte. Dies muss beispielsweise auch dann gelten, wenn eine Zeugenaussage sowohl be- wie entlastende Passagen enthält. Letztere müssen der Verteidigung in einer Weise zugänglich gemacht werden, dass sie diese sinnvoll ins Verfahren einbringen kann.1498 Die Offenlegung sonstigen Beweismaterials ist in den Rules 76 ff. geregelt. Rule 76 Abs. 1 bestimmt, dass der Ankläger der Verteidigung vor der Verhandlung die Namen der Zeugen, auf die er sich im Verfahren stützen will, sowie Kopien ihrer bisherigen Aussagen zur Verfügung stellen muss. Dadurch wird gewährleistet, dass sich der Beschuldigte und sein Verteidiger angemessen auf die Verhandlung vorbereiten können und nicht „blind“1499 im Gerichtssaal mit dem Zeugen konfrontiert werden. Rule 76 Abs. 4 verweist aber auf die Vorschriften zum Opferund Zeugenschutz. Schutzmaßnahmen dürfen allerdings gemäß Art. 68 Abs. 1 IStGH-Statut ihrerseits nicht mit den Rechten des Angeklagten unvereinbar sein. Das Recht des Beschuldigten auf Konfrontation ist daher mit dem Schutzbedürfnis des Zeugen abzuwägen.1500 Möglich ist beispielsweise, die Zeugenaussagen der Verteidigung (zunächst) nur in überarbeiteter Form zur Verfügung zu stellen. Der Ankläger redigiert die Interviews und legt sie der Kammer zur Überprüfung vor.1501 Hält diese es für notwendig, der Verteidigung bestimmte Informationen vorzuenthalten, so ist dies in jedem Einzelfall zu begründen.1502 Dieses Prozedere ist zwar sehr aufwändig,1503 bietet 1495

Zur Bedeutung der Offenlegungspflichten für Verfahrensfairness oben Teil 5 B. II.

3. d). Siehe hierzu Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1401, o. Fn. 1450, Rn. 59. Lubanga TC I, ICC-01 / 04-01 / 06-1311-Anx2, o. Fn. 979, Rn. 94. Noch deutlicher Lubanga Separate and Dissenting Opinion of Judge Blattmann, ICC-01 / 04-01 / 06-1311-Anx3, o. Fn. 1478, Rn. 14. Siehe auch Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1401, o. Fn. 1450, Rn. 92. 1498 Siehe hierzu Katanga & Ngudjolo PTC I, ICC-01 / 04-01 / 07-428-Corr, o. Fn. 94, Rn. 96 ff. 1499 Prosecutor v. Delalic´ et al. – Decision on the Defence Motion to Compel the Discovery of Identity and Location of Witnesses , TC II, IT-96-21, 18. 3. 1997, Rn. 19. 1500 Ambos (2008a), § 8 Rn. 25. 1501 Siehe beispielsweise Lubanga PTC, ICC-01 / 04-01 / 06-437, o. Fn. 1487, S. 6; auch Katanga & Ngudjolo PTC I, ICC-01 / 04-01 / 07-428-Corr, o. Fn. 94, Rn. 64. 1502 Prosecutor v. Lubanga – Judgement on the appeal of Mr. Thomas Lubanga Dyilo against the decision of Pre-Trial Chamber I entitled „First Decision on the Prosecution Requests and Amended Requests for Redactions under Rule 81“, AC, ICC-01 / 04-01 / 06-773, 14. 12. 2006, Rn. 20; Prosecutor v. Lubanga – Judgement on the appeal of Mr. Thomas Lubanga Dyilo against the decision of Pre-TriaChamber I entitled „Second Decision on the Prosecution Requests and Amended Requests for Redactions under Rule 81“, AC, 1496 1497

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allerdings eine hohe Gewähr dafür, dass die Interessen aller Beteiligten, insbesondere die des Beschuldigten, angemessen berücksichtigt werden. Mit zunehmendem Fortgang des Verfahrens fällt das Interesse der Verteidigung an der Offenlegung sämtlichen Beweismaterials immer mehr ins Gewicht. Im Verfahren zur Bestätigung der Anklage ist es in Ausnahmefällen1504 möglich, dass der Ankläger sich auch auf anonyme Zeugenaussagen stützt.1505 Diesen kommt dann allerdings ein geringerer Beweiswert zu.1506 Eine andere Frage ist allerdings, ob es mit den Rechen des Angeklagten vereinbar ist, einem Zeugen auch im Hauptverfahren Anonymität zu gewähren. In einer äußerst umstrittenen Entscheidung1507 hat das ICTY diese bejaht. Die Identität eines Zeugen kann nach Auffassung der Trial Chamber unter den folgenden Bedingungen auch vor der Verteidigung geheim gehalten werden1508: – Es besteht eine reale Gefahr für den Zeugen oder seine Familie. – Die Aussage des Zeugen ist für den Ankläger von Bedeutung. – Die Kammer muss davon überzeugt sein, dass kein prima facie Beweis gegen die Glaubwürdigkeit des Zeugen besteht. – Eine Aufnahme des Zeugen in ein Zeugenschutzprogramm ist nicht möglich. – Andere, weniger einschneidende Sicherheitsvorkehrungen können den Schutz des Zeugen nicht hinreichend gewährleisten.

In Ergänzung hat die Verfahrenskammer im Blaškic´-Fall verlangt, dass die Kammer den Zeugen bei seiner Aussage beobachten können muss, dass die Identität ICC-01 / 04-01 / 06-774, Rn. 31; Katanga & Ngudjolo PTC I, ICC-01 / 04-01 / 07-428-Corr, o. Fn. 94, Rn. 66. 1503 Dies wird auch in Katanga & Ngudjolo PTC I, ICC-01 / 04-01 / 07-428-Corr, o. Fn. 94, Rn. 67 deutlich herausgestellt. 1504 Siehe Prosecutor v. Abu Garda – Decision on the Prosecutor’s Requests for Authorisation for Non-Disclosure of Identities of Witnesses [ . . . ], PTC I, ICC-02 / 05-02 / 09-74, 31. 8. 2009, Rn. 5; Prosecutor v. Abu Garda – Decision on the Prosecutor’s Requests for Authorisation for Non-Disclosure of Identities of Witness [ . . . ], PTC I, ICC-02 / 05-02 / 09-77, 31. 8. 2009, Rn. 1. 1505 Lubanga AC, ICC-01 / 04-01 / 06-773, o. Fn. 1502, Rn. 50; Prosecutor v. Lubanga – Decision concerning the Prosecution Proposed Summary Evidence, PTC I, ICC-01 / 04-01 / 06-517, 4. 10. 2006, S. 4; Lubanga PTC I, ICC-01 / 04-01 / 06-803, o. Fn. 878, Rn. 101; Katanga & Ngudjolo PTC I, ICC-01 / 04-01 / 07-428-Corr, o. Fn. 94, Rn. 18; Abu Garda PTC, ICC-02 / 05-02 / 09-74, o. Fn. 1504, S. 9; Abu Garda PTC, ICC-02 / 05-02 / 09-77, o. Fn. 1504, S. 6. 1506 Lubanga PTC I, ICC-01 / 04-01 / 06-803, o. Fn. 878, Rn. 103; Katanga & Ngudjolo PTC I, ICC-01 / 04-01 / 07-428-Corr, o. Fn. 94, Rn. 18; Prosecutor v. Katanga & Ngudjolo – Decision on the confirmation of charges, PTC I, ICC-01 / 04-01 / 07-717, 1. 10. 2008, Rn. 160; Abu Garda PTC, ICC-02 / 05-02 / 09-243, o. Fn. 563, Rn. 52. 1507 Vertiefend zur Diskussion Garkawe, S. 355 ff.; Nicholls, S. 278 ff.; Abo Youssef, S. 135 ff. 1508 Prosecutor v. Tadic´ – Decision on the Prosecutor’s Motion Requesting Protective Measures for Victims and Witnesses, TC II, IT-94-1-T, 10. 8. 1995, Rn. 62 – 66.

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des Zeugen der Kammer bekannt sein muss, dass die Verteidigung den Zeugen zu allen Punkten befragen können muss, die keine Rückschlüsse auf dessen Identität oder Aufenthaltsort zulassen und dass die Identität des Zeugen offenbart werden muss, sobald für diesen keine Gefahr mehr besteht.1509 Inwieweit sich der IStGH dieser Rechtsprechung anschließt, bleibt abzuwarten.1510 Jedenfalls sollte der Ausbau des Zeugenschutzprogramms absoluten Vorrang genießen,1511 so dass zumindest die Hauptbelastungszeugen von diesem profitieren können. e) Beweisverwertungsverbot Pre-Trial Chamber I verlangt, dass die Parteien diejenigen Zeugen, auf deren Aussage sie sich im confirmation hearing stützen wollen, zuvor hierüber unterrichten. Kommen sie dieser Verpflichtung nicht nach, dürfen die Aussagen nicht ins Verfahren eingebracht werden.1512 Die Einwilligung des Betroffenen in die Verwendung seiner Aussage ist zudem nur wirksam, wenn er zuvor über mögliche Schutzmaßnahmen und deren Grenzen aufgeklärt wurde.1513 Damit hat die Kammer basierend auf Art. 68 Abs. 1 IStGH-Statut ein neues Beweisverwertungsverbot entwickelt. Sichergestellt wird, dass die Zeugen über die notwendigen Informationen verfügen, um ihr Risiko realistisch einschätzen und bei Bedarf die notwendigen Sicherheitsvorkehrungen treffen zu können. Daher sollte dieser Ansatz auch für die Hauptverhandlung übernommen werden. f) Aussageverweigerungsrecht bei Gefahr für Leib oder Leben Das IStGH-Statut billigt dem Zeugen zumindest nicht explizit das Recht zu, bei Gefahren für Leib oder Leben die Aussage zu verweigern. Allerdings entscheidet dieser selbst, ob er sich dem IStGH zur Verfügung stellen.1514 Da die Zeugen im Vorfeld von den Parteien und der VWU über potentielle Risiken und denkbare Schutzmaßnahmen zu informieren sind, können sie sich eigenverantwortlich für oder gegen eine Aussage im Verfahren entscheiden. Ihnen darüber hinaus bei Gefahr für Leib oder Leben ein besonderes Aussageverweigerungsrecht zuzubilligen, erscheint nicht notwendig. Bestehen allerdings unvertretbare Risiken, sollte der Gerichtshof dem Betroffenen aber von einer Aussage abraten und diesen nicht als Zeugen aufrufen.1515 Zitiert nach Jones, S. 1364. Siehe hierzu auch Triffterer(-Donat Cattin), Art. 68 IStGH-Statut Rn. 19. 1511 Siehe auch Abu Garda PTC, ICC-02 / 05-02 / 09-74, o. Fn. 1504, Rn. 12 f. 1512 Lubanga PTC I, ICC-01 / 04-01 / 06-803, o. Fn. 878, Rn. 59. Siehe auch Katanga & Ngudjolo PTC I, ICC-01 / 04-01 / 07-428-Corr, o. Fn. 94, Rn. 17. 1513 Katanga & Ngudjolo PTC I, ICC-01 / 04-01 / 07-428-Corr, o. Fn. 94, Rn. 17. 1514 Siehe oben Teil 5 D. II. 1509 1510

D. Das Opfer als Beweismittel

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g) Langzeitmaßnahmen Die Gewährleistung der Sicherheit der Opfer und Zeugen während des Verfahrens in Den Haag ist nur ein Aspekt. Die humanitäre Komponente von Art. 68 Abs. 1 IStGH-Statut verlangt vielmehr eine zeitliche Ausdehnung des Schutzes. Der Gerichtshof ist auch verpflichtet, die Zeugen vor dem Verfahren nachfolgenden Rache- und Vergeltungsmaßnahmen zu bewahren.1516 Rule 17 Abs. 2 lit. a) (ii) verpflichtet daher die Abteilung für Zeugen und Opfer, nötigenfalls auch Langzeitpläne für die Sicherheit der Opfer und Zeugen auszuarbeiten. Denkbare Maßnahmen sind ein Identitätswechsel einschließlich Änderung des sozialen Umfelds, die dauerhafte Aufnahme in das Zeugenschutzprogramm und in Extremfällen auch eine chirurgische Veränderung des Aussehens.1517

4. Zusammenfassung Dem Zeugenschutz kommt im Verfahren vor dem IStGH eine zentrale Bedeutung zu. Es gehört zu den verantwortungsvollsten Aufgaben der Kammer, im Einzelfall einen angemessenen Ausgleich zwischen den Rechten des Beschuldigten und dem Schutzbedürfnis der Zeugen zu finden.

X. Zeugenentschädigung Die Aussage vor dem IStGH kann zu erheblichen Verdienstausfällen führen.1518 Stellt dies eine übermäßige finanzielle Härte dar, können die Zeugen gemäß Regulation 86 der Regulations of the Registry Ersatz verlangen. Da aber das Erscheinen vor dem Gerichtshof überwiegend von der freiwilligen Kooperation der Zeugen abhängig ist, sollte von der Entschädigungsmöglichkeit großzügig Gebrauch gemacht werden. Muss das Opfer neben den emotionalen Belastungen auch noch mit finanziellen Beeinträchtigungen rechnen, dürfte seine Bereitschaft zu einer Aussage vor dem IStGH deutlich reduziert sein. Zudem beinhaltet die Entschädigung eine Anerkennung seiner Leistung, die im Interesse der internationalen Gemeinschaft liegt. Sie sollte ihm schon aus diesem Grund gewährt werden.1519 1515 Siehe auch Schotsmans, S. 108. Siehe zum deutschen Recht BGH 16. 6. 1983, NStZ 1984, 31, 32; 10. 2. 1993, NJW 1993, 214. 1516 Stefanie Bock (2007c), S. 667. 1517 Wehrenberg, S. 70 f.; Stefanie Bock (2007c), S. 667. 1518 Kreß (2001), S. 346. 1519 So auch Third Annual Report of the International Criminal Tribunal for the Prosecution of Persons Responsible for Serious Violations of International Humanitarian Law Committed in Territory of the Former Yugoslawia vom 5. 8. 1996, UN-Doc A / 51 / 292, S / 1996 / 665, Rn. 120.

440

Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

XI. Zusammenfassung Seiner Unzuverlässigkeit und Fehleranfälligkeit zum Trotz wird dem Zeugenbeweis in allen Verfahren vor dem IStGH eine entscheidende Rolle zukommen. Auch wenn der Beweiswert durch bestimmte Maßnahmen, wie die getrennte Vernehmung von Zeugen, gesteigert werden kann, können Fehler und bewusste Falschaussagen nicht ausgeschlossen werden. Die Kammer muss sich daher mit der Glaubwürdigkeit des Zeugen intensiv auseinandersetzen. Dabei wird die Beweiswürdigung dadurch erschwert, dass die Kommunikation mit dem Zeugen typischerweise nicht direkt, sondern nur vermittelt durch einen Dolmetscher erfolgen kann. Zudem müssen die Möglichkeit eines kulturellen Missverständnisses sowie die potentiellen Auswirkungen einer Traumatisierung auf das Aussageverhalten bedacht werden. Die Opfer werden den Gerichtshof in erster Linie danach bewerten, wie sie im Verfahren behandelt werden.1520 Ziel aller Organe sollte es daher sein, eine Retraumatisierung durch den Prozess nach Kräften zu verhindern. Das Regelwerk gibt ihnen dazu zahlreiche prozessuale Instrumente an die Hand. Inwieweit diese zum Einsatz kommen, hängt zum einen von der finanziellen Ausstattung der VWU, zum anderen vom Ermessen des Gerichts ab.

E. Das Opfer als Beteiligter Erstmals in der Geschichte der internationalen Strafgerichtsbarkeit erlaubt Art. 68 Abs. 3 IStGH-Statut den Opfern, sich aktiv am Verfahren zu beteiligen. Grundvoraussetzung für die Einbeziehung der Geschädigten war der Verzicht auf ein streng adversatorisches Verfahren,1521 denn im zwei-Parteien-System des common law ist nur bedingt Platz für eine starke prozessuale Stellung der Opfer.1522 Ziel von Art. 68 Abs. 3 IStGH-Statut ist es, den Opfern eine Stimme zu geben.1523 Sie werden in die Lage versetzt, eigenständig und unabhängig von den Parteien ihre Interessen zu verfolgen. Damit wird der Erkenntnis Rechnung getragen, dass die Interessen der Opfer nicht mit denen der Parteien deckungsgleich sind.1524 Die prozessuale Unabhängigkeit der Opfer ist auch gegenüber dem AnSiehe auch Pillay, S. 461; ASP, ICC-ASP / 8 / 45, Rn. 12. Dennoch kritisch wegen des Konflikts zwischen Opferbeteiligung und der Bipolarität des Verfahrens Damaška (2008), S. 342. 1522 Siehe Bemba Gombo PTC, ICC-01 / 05-01 / 08-320, o. Fn. 11, Rn. 97; Tochilovsky (1999), S. 349; Boas, S. 283; Donat-Cattin (2003), S. 358; Schabas (2004a), S. 506; David, S. 2; Pizzi, S. 3; Mekjian / Varughese, S. 13; Jackson, S. 22; Zegveld (2010b), S. 86 f.; Trumbull IV, S. 781; Zappalà (2010), S. 138. Siehe auch Schabas (2007), S. 323 f.; Vasiliev (2009b), S. 637. 1523 Prosecutor v. Kony et al. – Decision on the „Prosecution’s Application to Attend 12 February Hearing“, PTC II, ICC-02 / 04-01 / 05-155, 9. 2. 2007, S. 4; Uganda Prosecution’s Reply, ICC-02 / 04-85, o. Fn. 36, Rn. 8; Blattmann / Bowman, S. 728. 1520 1521

E. Das Opfer als Beteiligter

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kläger, der wegen seiner Objektivitätsverpflichtung nicht Sprachrohr der Opfer sein kann,1525 von zentraler Bedeutung.1526 Seine Aufgabe ist es, auf die Bestrafung der Täter hinzuwirken. Wie aber Kapitel 3 gezeigt hat, erschöpfen sich die Interessen der Opfer nicht in einem bloßen Sanktionsbedürfnis. Vor allem ist ihnen an der Anerkennung als Mensch, die ihnen vom Täter versagt wurde, und der Dokumentierung des begangenen Unrechts gelegen. Art. 68 Abs. 3 IStGH-Statut will es den Opfern ermöglichen, diese zusätzliche Komponente aktiv und selbstbestimmt ins Verfahren einzubringen. Sie agieren nicht als zusätzlicher Ankläger, dessen Verbündeter oder Gehilfe,1527 sondern nehmen eine von diesem deutlich unterscheidbare prozessuale Stellung ein. Als Maßstab für die Bestimmung der Opferrechte sollte nicht der Grundsatz der Waffengleichheit herangezogen werden.1528 Ziel ist es nicht, die Opfer mit den gleichen oder gleichwertigen prozessualen Befugnissen wie den Ankläger oder die Verteidigung auszustatten. Vielmehr soll es ihnen lediglich ermöglicht werden, ihre Interessen effektiv wahrzunehmen. Dies ist ein Gebot des Fair-trial-Grundsatzes.1529 Ein faires Verfahren muss den Interessen aller Beteiligter – des Beschuldigten, des Anklägers und der Opfer – gerecht werden. 1524 Prosecutor v. Katanga & Ngudjolo – Decision on the Set of Procedural Rights Attached to Procedural Status of Victim at the Pre-Trial Stage of the Case, PTC I, ICC-01 / 04-01 / 07-474, 13. 5. 2008, Rn. 155; DRC Request, ICC-01 / 04-313, o. Fn. 46, Rn. 6; Situation in the DRC – Observations of the Legal Representative of [ . . . ] on the „OPCD appeal brief on the Decision on the Requests of the OPCD on the Production of Relevant Supporting Documentation Pursuant to Regulation 86 (2) (e) of the Regulations of the Court and on the Disclosure of Exculpatory Materials by the Prosecutor“, ICC-01 / 04-451, 14. 2. 2008, Rn. 38; Stahn / Olásolo / Gibson, S. 221. 1525 Siehe oben Teil 5 B. I. 1526 Siehe auch Kony et al., ICC-02 / 04-01 / 05-155, o. Fn. 1523, S. 4. Anders hingegen Trumbull IV, S. 822. 1527 DRC PTC, ICC-01 / 04-101-Corr, o. Fn. 4, Rn. 51; Bemba Gombo PTC, ICC-01 / 05-01 / 08-320, o. Fn. 11, Rn. 90; Berger v. France, ECHR Judgement, 48221 / 99, 3. 12. 2002, Rn. 38; Perez v. France, ECHR Judgement, 47287 / 99, 12. 2. 2004, Rn. 68. Anders Prosecutor v. Lubanga – Request for Leave to Appeal the „Décision sur les demandes de participation à la procedure a / 0001 / 06, a / 0002 / 06, et a / 0003 / 06 dans le cadre de l’affaire Le Procureur v. Thomas Lubanga et de l’enquête en République démocratique du Congo“, ICC-01 / 04-01 / 06-272, 7. 8. 2006, Rn. 69. 1528 In diese Richtung aber Situation in Darfur – Request for the Single Judge to order the Prosecutor to disclose exculpatory material, ICC-02 / 05-97, 24. 8. 2007, Rn. 9; DRC Request, ICC-01 / 04-378, o. Fn. 1219, Rn. 7; de Hemptinne, S. 168. 1529 Situation in Uganda – Decision on the Prosecution’s Application for Leave to Appeal the Decision on Victims’ Applications for Participation [ . . . ], PTC II, ICC-02 / 04-112, 19. 12. 2007, Rn. 27; Situation in Uganda – Response of Legal Representative of Victims a / 0101 / 06 and a / 0119 / 06 to the Prosecution’s Application for Leave to Appeal the Decision on Vicitms’ Applications for Participation [ . . . ], ICC-02 / 04-106, 31. 8. 2007, Rn. 36; Situation in Darfur, Sudan – Response of the Legal Representatives of Victims to the Prosecution’s Application and OPCD’s Request to Leave to Appeal the „Decision on the Applications for Participation in the Proceedings af Applicants a / 0011 / 06 to a / 0015 / 06, a / 0021 / 07, a / 0023 / 07 to a / 0033 / 07 and a / 0035 / 07 to a / 0038 / 07“, ICC-02 / 05-116,

442

Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

I. Art. 68 Abs. 3 IStGH-Statut als Generalnorm Art. 68 Abs. 3 IStGH-Statut ist die Generalnorm zur Opferbeteiligung.1530 Sind die persönlichen Interessen der Opfer betroffen, so gestattet ihnen der Gerichtshof, dass ihre Auffassungen und Anliegen in von ihm für geeignet befundenen Verfahrensabschnitten in einer Weise vortragen und behandelt werden, welche die Rechte des Angeklagten sowie die Fairness und Unparteilichkeit des Verfahrens nicht beeinträchtigt oder damit unvereinbar ist. Daraus folgt zunächst, dass die Opfer ein Recht auf Beteiligung haben.1531 Die jeweils zuständige Kammer kann die Opfer nicht vollständig vom Verfahren ausschließen. Es obliegt aber dem Gericht, Zeitpunkt und Art der Beteiligung zu bestimmen. Der Umfang der Partizipationsrechte liegt damit im Ermessen des Gerichts.1532 Die Einbeziehung der Opfer kann 17. 12. 2007, Rn. 30; Uganda Response of the Legal Representative, ICC-02 / 04-133, o. Fn. 10, Rn. 27 = Kony et al. Response of the Legal Representative, ICC-02 / 04-01 / 05-291, o. Fn. 10, Rn. 27; Situation in Uganda – Request of the victims a / 0101 / 06 and a / 0119 / 06 for participation in the interlocutory appeal lodged by the Defence against the Decision of the Single Judge of Pre-Trial Chamber II dated 14 March 2008, ICC-02 / 04-144, 20. 6. 2008, Rn. 32 = Prosecutor v. Kony et al. – Request of the victims a / 0101 / 06 and a / 0119 / 06 for participation in the interlocutory appeal lodged by the Defence against the Decision of the Single Judge of Pre-Trial Chamber II dated 14 March 2008, ICC-02 / 04-01 / 05-302, 20. 6. 2008, Rn. 31. Anderer Ansicht Zappalà (2010), S. 149, der nur dem Angeklagten das Recht auf ein faires Verfahren zubilligt. 1530 Zu den Sonderregelungen der Artt. 15 Abs. 3 S. 2; 19 Abs. 3 S. 2 IStGH-Statut unten Teil 5 E. VII. 1531 Siehe auch Lubanga AC, ICC-01 / 04-01 / 06-925, o. Fn. 100, Separate Opinion of Judge Georghious M. Pikis, Rn. 14; Bemba Gombo PTC, ICC-01 / 05-01 / 08-320, o. Fn. 11, Rn. 89; OTP (2009), S. 2; Donat-Cattin (1999), S. 270; WCRO (November 2007), S. 19; Stehle, S. 301; Redress (2009), S. 4; dies. (2010), S. 1; McGonigle, S. 95; Friman (2009), S. 486; Tsereteli, S. 634; Vasiliev (2009b), S. 649; ASP, ICC-ASP / 8 / 45, Rn. 45; WCRO (February 2009), S. 10. 1532 Lubanga PTC, ICC-01 / 04-01 / 06-601, o. Fn. 11, S. 10; Uganda PTC, ICC-02 / 04-101, o. Fn. 7, Rn. 8 = Kony et al. PTC, ICC-02 / 04-01 / 05-252, o. Fn. 7, Rn. 8; Situation in Darfur, Sudan – Decision on the Request of the OPCD on the Production of Relevant Supporting Documentation Pursuant to Regulation 86 (2) (e) of the Regulation of the Court and on the Disclosure of Exculpatory Materials by the Prosecutor, PTC I, ICC-02 / 05-110, 3. 12. 2007, Rn. 2; Situation in Darfur, Sudan – Corrigendum to Decision on the Applications for Participation in the Proceedings of Applicants [ . . . ], PTC I, ICC-02 / 05-111-Corr, 14. 12. 2007, Rn. 14; DRC PTC, ICC-01 / 04-423-Corr, o. Fn. 11, Rn. 5; Situation in the DRC – Decision on Request for leave to appeal the „Decision on the Requests of the OPCD on the Production of Relevant Supporting Documentation Pursuant to Regulation 86 (2) (e) of the Regulations of the Court and on the Disclosure of Exculpatory Materials by the Prosecutor“, PTC I, ICC-01 / 04-438, 23. 1. 2008, S. 5; Situation in Darfur, Sudan – Decision on Request for leave to appeal the „Decision on the Requests of the OPCD on the Production of Relevant Supporting Documentation Pursuant to Regulation 86 (2) (e) of the Regulations of the Court and on the Disclosure of Exculpatory Materials by the Prosecutor“, PTC I, ICC-02 / 05-118, 23. 1. 2008, S. 5; Abu Garda PTC, ICC-02 / 05-02 / 09-121, o. Fn. 18, Rn. 5; Abu Garda PTC, ICC-02 / 05-02 / 09-136, o. Fn. 890, Rn. 6; Prosecutor v. Katanga & Ngud-

E. Das Opfer als Beteiligter

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dadurch flexibel, unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls bestimmt werden. Allerdings führt die Festlegung der Beteiligungsrechte auf einer case-by-case-Basis zu einer nicht unerheblichen Rechtsunsicherheit für alle Beteiligten.1533 Weder die Opfer noch die Parteien können mit Sicherheit vorhersehen, wie stark die prozessuale Stellung der Geschädigten in einem bestimmten Verfahrensabschnitt sein wird. Dies erscheint aber primär als ein vorübergehendes Problem. Mit zunehmender Weiterentwicklung der Rechtsprechung wird das case-law hinreichende Anhaltspunkte für den Umfang der Opferrechte bieten.1534 Allerdings sind die Kammern autonom und daher nicht durch die Entscheidungen der anderen (Vor-)Verfahrenskammern gebunden. Umfang und Ausmaß der Partizipationsrechte werden daher nahezu zwangsläufig von Kammer zu Kammer variieren.1535 Dies zeigt sich bereits jetzt an den teilweise divergierenden Ansätzen von PTC I und PTC II.1536 Die hieraus resultierende Ungleichbehandlung der Opfer kann als gerichtliche Wertentscheidung missverstanden werden. Geschädigte, denen nur geringere Rechte zugebilligt werden, können sich als Opfer zweiter Klasse fühlen.1537 Diese Gefahr ist umso größer, sollten irgendwann in einer Situajolo – Decision on the Modalities of Victim Participation at Trial, TC II, ICC-01 / 04-01 / 07-1788, 22. 1. 2010, Rn. 46; Prosecutor v. Lubanga – Prosecution’s 25 August 2006 Observations on Applications for Participation of Applicants a / 0047 / 06-a / 0052 / 06, ICC-01 / 04-01 / 06-390, 6. 9. 2006, Rn. 26; Darfur, Sudan Response of the Legal Representatives, ICC-02 / 05-116, o. Fn. 1529, Rn. 31; Situation in the DRC – Réponse du BCPV aux demandes d’autorisation d’interjeter appel de la decision du 24 décembre 2007 déposée par le Bureau du Procureur et le Bureau du conseil public pour la Défense, ICC-01 / 04-435, 11. 1. 2008, Rn. 21; Prosecutor v. Lubanga – Corrigendum de la réponse des Représentants légaux des victimes a / 0001 / 06 à a / 0003 / 06 aux requêtes de la Défense et du Procureur sollicitant l’autorisation d’interjeter appel de la décision du 18 janvier 2008, ICC-01 / 04-01 / 06-1147-Corr, 31. 1. 2008, Rn. 16; DRC Observations of the Legal Representative, ICC-01 / 04-451, o. Fn. 1524, Rn. 16; Prosecutor v. Katanga & Ngudjolo – Sousmission du représentant légal des victimes [ . . . ] sur le mode de participation des victimes à l’audience des confirmations des charges, ICC-01 / 04-01 / 07-385, 9. 4. 2008, Rn. 21; Mekjian / Varughese, S. 20; Ingadottir / Ferstmann / Kristjansdottir, S. 13; Stefanie Bock (2007c), S. 676; WCRO (November 2007), S. 19; dies. (February 2009), S. 10; Greco, S. 539; Baumgartner, S. 411; Trumbull IV, S. 791; McGonigle, S. 95; Friman (2009), S. 486; Tsereteli, S. 645; Will, S. 114; Bassiouni (2010), S. 619; Vasiliev (2009b), S. 649; Olásolo (2009), S. 517, 519. 1533 Situation in the DRC – Prosecution’s Document in Support of Appeal against the 24 December 2007 Decision on the Victims’ Applications for Participation in the Proceedings, ICC-01 / 04-454, 18. 2. 2008, S. 3; Haslam, S. 323; Vasiliev (2009b), S. 650; Zappalà (2010), S. 140, 141. Siehe auch Stefanie Bock (2007c), S. 680. 1534 Siehe auch Art. 21 Abs. 2 IStGH-Statut. 1535 Lubanga Réponse des Représentants légaux, ICC-01 / 04-01 / 06-1147-Corr, o. Fn. 1532, Rn. 17. Siehe auch Prosecutor v. Lubanga – Réponse du représentant légal de a / 0105 / 06 au requête de la défense et de l’accusation sollicitant autorisation d’aller en appel contre la décision du 18 janvier 2008, portant sur mode participation des victimes, ICC-01 / 04-01 / 06-1154, 1. 2. 2008, Rn. 8; Uganda Response of the Legal Representative, ICC-02 / 04-133, o. Fn. 10, Rn. 44 = Kony et al. Response of the Legal Representative of Victims, ICC-02 / 04-01 / 05-291, o. Fn. 10, Rn. 44. 1536 Auf die unterschiedliche Rechtsprechungspraxis wird den jeweiligen Abschnitten eingegangen.

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Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

tion verschiedene (Vor-)Verfahrenskammern parallel tätig werden. Daher sollten sich die Kammern ihrer Autonomie zum Trotz um eine möglichst kongruente Rechtsprechungspraxis bemühen.

II. Voraussetzungen 1. Opfer im Sinne von Rule 85 Beteiligungsberechtigt sind nur Opfer im Sinn von Rule 85.1538

a) Verteilung und Umfang der Beweislast Derjenige, der Zulassung zum Verfahren begehrt,1539 muss beweisen, dass er die Voraussetzungen von Rule 85 erfüllt.1540 Hiervon zu trennen ist die Frage nach dem Umfang der Darlegungslast. Zu bedenken ist dabei, dass Rule 85 in den unterschiedlichsten Verfahrensstadien Bedeutung erlangen kann. Würde man dessen ungeachtet immer verlangen, dass die zuständige Kammer über jeden vernünftigen Zweifel hinaus von der Opfereigenschaft des Antragstellers überzeugt ist1541, so würde dies zu einer unzulässigen Vorwegnahme der Hauptsache führen.1542 Es ist beispielsweise nicht Aufgabe der Vorverfahrenskammer, abschließend zu klären, ob eine Tat der Gerichtsbarkeit des IStGH unterfällt oder ob durch diese Tat eine bestimmte Person geschädigt wurde. Naheliegend ist es daher, den notwendigen Verdachtsgrad nicht allgemein, sondern in Abhängigkeit vom jeweiligen Verfahrensstadium zu bestimmen.1543 Während des Ermittlungsverfahrens1544 ist der Siehe auch WCRO (November 2007), S. 57 ff. Siehe hierzu bereits oben Teil 5 A. 1539 Siehe zum Antragsverfahren unten Teil 5 E. III. 1540 DRC PTC, ICC-01 / 04-101-Corr, o. Fn. 4, Rn. 100; Uganda PTC, ICC-02 / 04-101, o. Fn. 7, Rn. 13 = Kony et al. PTC, ICC-02 / 04-01 / 05-252, o. Fn. 7, Rn. 13; Bemba Gombo PTC, ICC-01 / 05-01 / 08-320, o. Fn. 11, Rn. 31; Prosecutor v. Kony et al. – Prosecutions Reply under Rule 89 (1) to Applications for Participation of Applicants [ . . . ] in the Case of The Prosecutor v. Joseph Kony, Vincent Otti, Raska Lukwiya, Okot Odhiambo and Dominic Ongwen, ICC-02 / 04-01 / 05-214, 28. 2. 2007, Rn. 15; Uganda OPCV’s Observations, ICC-02 / 04-89, o. Fn. 7, Rn. 43 = Kony et al. OPCV’s Observations, ICC-02 / 04-01 / 05-232, o. Fn. 7, Rn. 43; Greco, S. 536; Narantsetseg / Sevgili S. 124. 1541 Dies wäre der Maßstab des Art. 66 Abs. 3 IStGH-Statut. 1542 Siehe auch Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1119, o. Fn. 7, Rn. 99. Kritisch auch Bitti / Friman, S. 461. 1543 DRC PTC, ICC-01 / 04-101-Corr, o. Fn. 4, Rn. 97 – 98; Uganda PTC, ICC-02 / 04-101, o. Fn. 7, Rn. 13 – 14 = Kony et al. PTC, ICC-02 / 04-01 / 05-252, o. Fn. 7, Rn. 13 – 14; Prosecutor v. Kony et al. Prosecutions Reply, ICC-02 / 04-01 / 05-214, o. Fn. 1540, Rn. 13. 1544 Siehe zur Anwendbarkeit von Art. 68 Abs. 3 IStGH-Statut im Ermittlungsstadium unten Teil 5 E. II. 3. c). 1537 1538

E. Das Opfer als Beteiligter

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Opferstatus bereits dann zu bejahen, wenn Gründe für die Annahme sprechen, dass die Voraussetzungen von Rule 85 erfüllt sind.1545 Dies entspricht dem Verdachtsgrad des Art. 55 Abs. 2 IStGH-Statut. Je weiter das Verfahren fortschreitet, desto höhere Anforderungen sind an den Nachweis der Opfereigenschaft zu stellen. Ab Erlass eines Haftbefehls oder einer Ladung müssen in Anlehnung an Art. 58 Abs. 1 lit. a) IStGH-Statut „reasonable grounds“ für die Annahme sprechen, dass der Antragsteller Opfer ist.1546 Für die Teilnahme am Verfahren zur Bestätigung der Anklage wird der Verdachtsgrad des Art. 61 Abs. 7 IStGH-Statut analog angewandt1547 bzw. verlangt, dass ein prima facie Beweis für das Bestehen der Opfereigenschaft vorliegt.1548 Eine Beteiligung im Hauptverfahren setzt nach Rechtsprechung der Trial-Chamber voraus, dass „credible grounds“ die Annahme rechtfertigen, dass die Voraussetzungen von Rule 85 gegeben sind.1549 Es erscheint allerdings zweifelhaft, ob eine sinnvolle Differenzierung zwischen „substantial“ und „credible grounds“ möglich ist.1550 Besondere Schwierigkeiten bereitet typischerweise der Nachweis von rein emotionalen bzw. psychischen Schäden.1551 Während dies in der ersten Verfahrensstufe

1545 DRC PTC, ICC-01 / 04-101-Corr, o. Fn. 4, Rn. 99; Darfur, Sudan PTC, ICC-02 / 05-111-Corr, o. Fn. 1532, Rn. 38; DRC PTC, ICC-01 / 04-423-Corr, o. Fn. 11, Rn. 38. Zustimmend Situation in the DRC – Observations des représentants légaux de a / 0071 / 06 suite à la requête du Procureur et de l’OPCD sollicitant l’autorisation d’interjeter appel de la décision de la chambre préliminaire I sur les demandes de participation à la procédure en République Démocratique du Congo, ICC-01 / 04-436, 11. 1. 2008, Rn. 12. In der Formulierung etwas anders Uganda PTC, ICC-02 / 04-101, o. Fn. 7, Rn. 12 = Kony et al. PTC, ICC-02 / 04-01 / 05-252, o. Fn. 7, Rn. 12. Statt „grounds to believe“ verwendet die Pre-Trial Chamber II „appear“. Inhaltliche Unterschiede dürften damit kaum verbunden sein. 1546 DRC PTC, ICC-01 / 04-101-Corr, o. Fn. 4, Rn. 98; Prosecutor v. Lubanga – Decision on the Applications for Participation in the Proceedings Submitted by VPRS 1 to VPRS 6 in the Case the Prosecutor v. Thomas Lubanga Dyilo, PTC I, ICC-01 / 04-01 / 06-172, 29. 6. 2006, S. 6; DRC PTC I, ICC-01 / 04-177, o. Fn. 17, S. 9; Prosecutor v. Lubanga – Observations du conseil de permanence au sujet du statut de victime des demandeurs VPRS 1 à VPRS conformément à la décision dur 28 Mars 2006, 7. 4. 2006, ICC-01 / 04-01 / 06-72, S. 4; Prosecutor v. Lubanga – Observations du Représentant legal des victims VPRS1 à 6 suite aux observations du Procurerur et du Conseil de la défense, au sujet du statut de victime des demandeurs VPRS 1 à VPRS 6 dans le cadre de l’affaire „Le Procureur c. Thomas Lubanga Dyilo“, ICC-01 / 04-01 / 06-132, 31. 5. 2006, S. 6; Lubanga PTC, ICC-01 / 04-01 / 06-228, o. Fn. 11, S. 9; Prosecutor v. Kony et al. Prosecutions Reply, ICC-02 / 04-01 / 05-214, o. Fn. 1540, Rn. 13. 1547 Siehe DRC PTC, ICC-01 / 04-101-Corr, o. Fn. 4, Rn. 98. 1548 Prosecutor v. Abu Garda – Public Redacted Version of „Decision on the 52 Applications for Participation at the Pre-Trial Stage of the Case“, PTC I, ICC-02 / 05-02 / 09-147, 9. 10. 2009, Rn. 18. Ähnlich Bemba Gombo PTC, ICC-01 / 05-01 / 08-320, o. Fn. 11, Rn. 31 „prove to a satisfactory level“. Kritisch wegen der Uneinheitlichkeit der Rechtsprechung de Hemptinne, S. 170. 1549 Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1119, o. Fn. 7, Rn. 99. 1550 Auch deswegen bietet es sich an, auf eine erneute Zulassungsentscheidung vor dem Hauptverfahren zu verzichten, siehe hierzu unten Teil 5 E. X.

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Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

noch unproblematisch möglich ist, können die Opfer mit steigendem Umfang der Darlegungslast in Beweisnot geraten. Hier bietet sich ein Rückgriff auf die Rechtsprechung der IACHR an. Das Gericht vermutet zugunsten des Antragstellers, dass bestimmte Verbrechen zu psychischen Schäden beim direkten Opfer und emotionalen Schäden bei seinen Angehörigen führen. Entsprechende Tendenzen lassen sich bereits in den bisherigen Entscheidungen des IStGH ablesen. Die Feststellung, dass der Antragsteller einen nahen Angehörigen verloren hat, führte nahezu automatisch zur Bejahung eines hinreichenden emotionalen Schadens.1552

b) Opfer des Falls und Opfer der Situation Je nach Kausalzusammenhang können die Opfer einer Situation oder einem konkreten Fall zugeordnet werden.1553 Besteht lediglich ein Zusammenhang zwischen dem eingetretenen Schaden und irgendeinem in der Situation begangenen Verbrechen, ist der Antragsteller ein „Opfer der Situation“. Der Status „Opfer des Falls“ setzt darüber hinaus voraus, dass der Schaden mutmaßlich durch ein im Haftbefehl, in der Ladung oder in der Anklage genanntes Verbrechen verursacht wurde.1554 Diese Differenzierung ist allerdings nicht Rule 85 zu entnehmen. Sie wird vielmehr erst durch das in Artikel 68 Abs. 3 IStGH-Statut enthaltene Kriterium der Betroffenheit persönlicher Intressen ermöglicht.1555

c) Beteiligung mittelbarer Opfer Die Opferdefinition in Rule 85 erstreckt sich auch auf indirekte Opfer.1556 Vergegenwärtigt man sich, wie viele Menschen von völkerrechtlichen Verbrechen betroffen sind, stellt sich die Frage, ob man aus prozessökonomischen Erwägungen die Beteiligungsberechtigung mittelbarer Opfer begrenzen sollte. Vorgeschlagen wurde beispielsweise, Opfer, die ausschließlich moralische oder emotionale Schä1551 Die Beweisnot spitzt sich im Wiedergutmachungsverfahren zu. Daher wird diese Problematik unter Teil 5 F. VI. 2. d) vertiefend behandelt. 1552 Siehe DRC PTC, ICC-01 / 04-101-Corr, o. Fn. 4, Rn. 162, 183. 1553 DRC PTC, ICC-01 / 04-101-Corr, o. Fn. 4, Rn. 66; Narantsetseg / Sevgili, S. 124. Siehe auch Lubanga, Separate and Dissenting Opinion of Judge René Blattmann, TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1119, o. Fn. 7, Rn. 17. TC I ist diesem Ansatz im Lubanga-Verfahren allerdings nicht gefolgt, Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1119, o. Fn. 7, Rn. 93. Siehe hierzu unten Teil 5 E. II. 2. 1554 DRC PTC, ICC-01 / 04-101-Corr, o. Fn. 4, Rn. 65, 66; Lubanga PTC, ICC-01 / 04-01 / 06-172, o. Fn. 1546, S. 6; Uganda OPCV’s Observations, ICC-02 / 04-89, o. Fn. 7, Rn. 43 = Kony et al. OPCV’s Observations, o. Fn. 7, ICC-02 / 04-01 / 05-232, Rn. 43; Abu Garda Prosecution’s Observations ICC-02 / 05-02 / 09-100, o. Fn. 11, Rn. 9; Narantsetseg / Sevgili, S. 124. 1555 Siehe hierzu unten Teil 5 E. II. 2. 1556 Siehe oben Teil 5 A. I.

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den erlitten haben, nur zum Verfahren zuzulassen, wenn das direkte Opfer gestorben ist und zu diesem eine enge familiäre Bindung bestand.1557 Der Begriff des moralischen oder emotionalen Schadens darf allerdings nicht dazu verleiten, die Tatfolgen zu bagatellisieren. Die Personen leiden häufig unter erheblichen psychischen Beeinträchtigungen. Die abweichende Wortwahl bringt lediglich zum Ausdruck, dass die Tat nicht unmittelbar gegen sie, sondern gegen eine andere Person gerichtet war.1558 Die Tötung eines nahen Verwandten berechtigt dessen Angehörige jedenfalls zur Verfahrensbeteiligung. Auf diese eindeutige Konstellation sollte aber die Einbeziehung mittelbarer Opfer nicht beschränkt werden. Eine vergleichbare Interessenslage ist beispielsweise beim Verschwindenlassen von Personen gegeben, auch wenn die Angehörigen typischerweise nicht wissen, ob das direkte Opfer noch am Leben ist. Darüber hinaus hat die Eingliederung von Kindern in die Streitkräfte meist erhebliche Auswirkungen auf das psychische Wohlbefinden der Eltern, so dass auch ihnen die Rechte aus Art. 68 Abs. 3 IStGH-Statut zugestanden werden sollten. Ebenso wenig vermag der Ansatz, den Begriff der mittelbaren Opfer auf den Ehepartner, die Eltern und die Kinder zu beschränken, zu überzeugen.1559 Die psychische Belastung von Lebensgefährten und Lebenspartnern kann beispielsweise ebenso stark sein. Gleiches gilt, wenn Großfamilien auf engem Raum zusammenleben und das gesamte Leben gemeinsam bestreiten. Außerdem sollten auch Personen, die lediglich Zeugen massiver Gewalthandlungen waren, nicht per se vom Verfahren ausgeschlossen werden. Insgesamt erscheint es ratsam, über die Einbeziehung mittelbarer Opfer nicht abstrakt, sondern auf einer case-by-case Basis1560 zu entscheiden. Zu berücksichtigen ist unter anderem, in welchem Ausmaß das mittelbare Opfer geschädigt ist und ob eine Nähebeziehung zum direkten Opfer bestand. d) Täter als Opfer? Um den Kreis möglicher Verfahrensbeteiligter zu beschränken, wird teilweise vertreten, dass eine Verfahrensbeteiligung ausgeschlossen sein soll, wenn das Opfer sich an völkerrechtlichen Verbrechen beteiligt oder von diesen profitiert hat.1561 1557 DRC Observations du Bureau du Conseil Public pour la Défense, ICC-01 / 04-502, o Fn. 7, Rn. 33; Situation in Uganda – Defence Appeal of Pre-Trial Chamber II’s Decision of 14 March 2008 on Victim Participation, ICC-02 / 04-142, 16. 6. 2008, Rn. 34, 40 = Prosecutor v. Kony et al. – Defence Appeal of Pre-Trial Chamber II’s Decision of 14 March 2008 on Victim Participation, ICC-02 / 04-01 / 05-298, 16. 6. 2008, Rn. 34, 40. 1558 Siehe auch oben Teil 2 A. I. 4. 1559 Vorgeschlagen in Uganda Defence Appeal, ICC-02 / 04-142, o. Fn. 1557, Rn. 33 = Kony et al. Defence Appeal, ICC-02 / 04-01 / 05-298, o. Fn. 1557, Rn. 33. 1560 Siehe auch Lubanga AC, ICC-01 / 04-01 / 06-1432, o. Fn. 7, Rn. 32; Lubanga Prosecution’s Response, ICC-01 / 04-01 / 06-1233, o. Fn. 9, Rn. 12. 1561 Darfur Request, ICC-02 / 05-97, o. Fn. 1528, Rn. 41; DRC Request, ICC-01 / 04-378, o. Fn. 1219, Rn. 39; DRC Request, ICC-01 / 04-382, o. Fn. 1134, Rn. 36. Siehe auch Baumgartner, S. 419.

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Auch wenn dieser Ansatz auf den ersten Blick zu überzeugen vermag, wird er der tatsächlichen Struktur der Delikte nicht gerecht. Am augenfälligsten ist das Beispiel der Kindersoldaten. Sie werden aus ihrem sozialen Umfeld gerissen, innerhalb kurzer Zeit zum Töten ausgebildet und dann als Kämpfer eingesetzt. Sie sind – meistens bereits während der Ausbildungszeit, die teilweise darauf zielt, die Kinder zu brechen, um sie zu willenlosen Befehlsempfängern zu machen – massiver Gewalt ausgesetzt. Auf der anderen Seite sind sie selbst Täter, beteiligen sich an Kriegsverbrechen. Die Strafbarkeit der Eingliederung von Kindersoldaten entstammt Art. 77 Abs. 2 ZP I, der in Art. 38 Abs. 2, 3 der UN-Konvention über die Rechte des Kindes1562 übernommen wurde. Diese Vorschriften bezwecken den Schutz der Kinder vor den Auswirkungen bewaffneter Konflikte. Mit diesem Grundgedanken wäre es unvereinbar, ihnen den Opferstatus zu verwehren.1563 Gleiches gilt für KZ-Häftlinge, die, um ihr eigenes Überleben zu sichern, mit der Lagerleitung zusammengearbeitet haben. Kennzeichnend für völkerrechtliche Verbrechen ist gerade, dass die Trennlinie zwischen Tätern und Opfern in vielen Fällen verwischt. Auch wenn ein Missbrauch der Partizipationsrechte verhindert werden muss, darf die Beteiligung an Verbrechen nicht automatisch zum Ausschluss vom Verfahren führen. Vielmehr ist im Einzelfall zu entscheiden, ob Umfang und Ausmaß der Verstrickung des Betroffenen in die Verbrechen mit einer Beteiligung im Verfahren als Opfer unvereinbar ist. 2. Betroffenheit persönlicher Interessen Art. 68 Abs. 3 IStGH-Statut bestimmt, dass sich nur diejenigen Opfer im Verfahren beteiligen dürfen, deren persönliche Interessen betroffen sind. Die Opfereigenschaft allein reicht damit nicht aus, um Aktivrechte wahrnehmen zu dürfen.1564 Die Betroffenheit persönlicher Interessen ist vielmehr ein eigenständiges Kriterium, das zusätzlich zu den in Rule 85 genannten Voraussetzungen erfüllt sein muss.1565 Bestätigt wird dies durch Rule 89 Abs. 2. Die Kammer kann Beteiligungsersuchen abschlägig bescheiden, wenn der Antragsteller entweder kein BGBl. 1992 II, S. 121. Im Ergebnis ebenso Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1813, o. Fn. 9, Rn. 47 f. 1564 DRC Prosecutions’ Reply, ICC-01 / 04-84, o. Fn. 1, Rn. 9; Situation in the DRC – Prosecution’s Observations on the Applications for Participation of Applicants [ . . . ], ICC-01 / 04-315, 30. 11. 2006, Rn. 17; Uganda Prosecution’s Reply, ICC-02 / 04-85, o. Fn. 36, Rn. 20; Situation in the DRC – Réponse à“ Prosecution’s Application for Leave to Appeal the Single Judge’s 24 December 2007 „Décision sur les demande de participation á la procédure déposée dans le cadre de l’enquête en République démocratique du Congo“ déposées le 7 janvier 2008, ICC-01 / 04-433, 10. 1. 2008, Rn. 15 ff.; Darfur Prosecution’s Document, ICC-02 / 05-125, o. Fn. 46, Rn. 22. Siehe auch Uganda PTC, ICC-02 / 04-101, o. Fn. 7, Rn. 9 = Kony et al. PTC, ICC-02 / 04-01 / 05-252, o. Fn. 7, Rn. 9. 1565 DRC Prosecutions’ Reply, ICC-01 / 04-84, o. Fn. 1, Rn. 25; DRC Prosecution’s Reply, ICC-01 / 04-346, 25. 6. 2007, o. Fn. 421, Rn. 10; DRC Prosecution’s Document, ICC-01 / 04-454, o. Fn. 1533, Rn. 18. 1562 1563

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Opfer im Sinne von Rule 85 ist oder wenn die übrigen Voraussetzungen von Art. 68 Abs. 3 IStGH-Statut nicht erfüllt sind.1566 Die Interessen der Opfer müssen von dem jeweiligen Verfahrensstadium, zu dem sie Zulassung begehren, betroffen sein.1567 Dabei bestimmt die persönliche Betroffenheit nicht nur das „ob“, sondern auch das „wie“ der Beteiligung. Opfer sind nur wenn und soweit ihre persönlichen Interessen betroffen sind, berechtigt, sich ins Verfahren einzubringen. Daraus zieht die Appeals Chamber die Schlussfolgerung, dass Opfer keine dritte Partei, sondern lediglich Verfahrensbeteiligte seien.1568 Ob mit dieser Nomenklatur viel an Klarheit über die (potentielle) prozessuale Stellung der Geschädigten gewonnen ist, sei dahingestellt. Ausmaß und Umfang der Opferbeteiligung hängt entscheidend von der Frage ab, welche Interessen Art. 68 Abs. 3 IStGH-Statut anerkennt. Ein restriktiver Ansatz schließt aus der Trennung von Opfereigenschaft und persönlichem Interesse, dass die Schädigung durch eine Straftat allein nicht ausreicht.1569 Vielmehr müsse zwischen den Aufgaben des Anklägers und den Interessen der Opfer differenziert werden.1570 Strafverfolgung und Sachverhaltsaufklärung würden ausschließlich dem Ankläger obliegen.1571 Der Wunsch der Opfer, den Verantwortlichen bestraft zu sehen, wird dementsprechend nicht als Interesse i. S. v. Art. 68 Abs. 3 IStGHStatut angesehen. Unstreitig berühren jedenfalls Fragen der Wiedergutmachung1572 und des Opferschutzes1573 die Interessen der jeweiligen Opfer. DRC Prosecutions’ Reply, ICC-01 / 04-84, o. Fn. 1, Rn. 26. Lubanga AC, Separate Opinion of Judge Georghious M. Pikis, ICC-01 / 04-01 / 06-925, o. Fn. 100, Rn. 13. 1568 DRC AC, ICC-01 / 04-556, o. Fn. 7, Rn. 55. Siehe auch McGonigle, S. 95; Zappalà (2010), S. 154; Chung, S. 465. 1569 Lubanga Acte d’appel de la Défense, ICC-01 / 04-01 / 06-1220, o. Fn. 9, Rn. 21. 1570 Lubanga AC, ICC-01 / 04-01 / 06-925, o. Fn. 100, Rn. 28; Prosecutor v. Lubanga – Prosecution’s Document in Support of Appeal against Trial Chamber I’s 18 January 2008 Decision on Victims’ Participation, ICC-01 / 04-01 / 06-1219, 10. 3. 2008, Rn. 19; Prosecutor v. Katanga & Ngudjolo – Observations de la Défense de Mathieu Ngudjolo sur le mode de participation des victimes durant la phase préliminaire du procès pénal, ICC-01 / 04-01 / 07-433, 23. 4. 2008, Rn. 34; OTP (2009), S. 6; Trumbull IV, S. 824. 1571 Prosecutor v. Lubanga – Corrigendum to the Response to the application by Victims [ . . . ] for authorization to participate in the appeals proceedings relating to the Decision on the confirmation of charges, ICC-01 / 04-01 / 06-901-Corr, 16. 5. 2007, Rn. 29; Lubanga Prosecution’s Document, ICC-01 / 04-01 / 06-1219, o. Fn. 1570, Rn. 22. 1572 Lubanga AC, Separate Opinion of Judge Sang-Hyun Song, ICC-01 / 04-01 / 06-925, o. Fn. 100, Rn. 11; Lubanga Response, ICC-01 / 04-01 / 06-901-Corr, o. Fn. 1571, Rn. 26; Abu Garda PTC, ICC-02 / 05-02 / 09-121, o. Fn. 18, Rn. 3; Bemba Gombo PTC, ICC-01 /05-01 / 08-320, o. Fn. 11, Rn. 90; Prosecutor v. Al Bashir – Decision on Applications [ . . . ] for Participation in the Proceedings at the Pre-Trial Stage of the Case, PTC I, ICC-02 / 05-01 / 09-62, 15. 12. 2009, Rn. 4. Siehe auch Lubanga AC, ICC-01 / 04-01 / 06-925, o. Fn. 100, Rn. 28 sowie Prosecutor v. Lubanga – Decision on the Arrangements for Participation of Victims a / 0001 / 06, a / 0002 / 06 and a / 0003 / 06 at the Confirmation Hearing, PTC I, ICC-01 / 04-01 / 06-462, 22. 9. 2006, S. 5. 1566 1567

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Vor dem Hintergrund der vielfältigen Interessen, die Opfer völkerrechtlicher Verbrechen haben, erscheint es allerdings nicht gerechtfertigt, ihre Beteiligung auf diese beiden eindeutigen Fallgruppen zu begrenzen.1574 Dies würde die Partizipationsrechte ihrer Effektivität berauben. Den Opfern würde die Möglichkeit genommen, nennenswerten Einfluss auf das Prozessgeschehen zu nehmen; ihre Einbeziehung in das Verfahren wäre überwiegend symbolischer Art.1575 Ebensowenig überzeugt es, die Partizipationsrechte der Opfer zu beschränken, wenn und soweit ihre Interessen mit denen des Anklägers deckungsgleich sind. Art. 68 Abs. 3 IStGHStatut will den Opfern gerade eine vom Ankläger unabhängige prozessuale Stellung verschaffen. Mit dieser Zielsetzung ist es unvereinbar, ihre Rechtsposition in Relation zu den Aufgaben des Anklägers zu definieren.1576 Insbesondere ist daher auch das eigenständige Interesse der Opfer an der Wahrheitsermittlung,1577 an der Klärung der Schuldfrage1578 und an der Bestrafung der Täter1579 anzuerkennen.1580 1573 Lubanga AC, ICC-01 / 04-01 / 06-925, o. Fn. 100, Rn. 28; Lubanga OPCV’s request, ICC-01 / 04-01 / 06-1038, o. Fn. 1290, Rn. 23; Situation in the DRC – Demande du représentant legal des victims [ . . . ], ICC-01 / 04-330, 4. 6. 2007, Rn. 8; Situation in DRC – Request of the Legal Representative of Victims [ . . . ], ICC-01 / 04-332, 5. 6. 2007, Rn. 9; Situation in the DRC – Prosecution’s Observations on the „Demande du représentant légal des victims [ . . . ]“, ICC-01 / 04-334, 6. 6. 2007, Rn. 5; Situation in the DRC – Prosecution’s Observations on the „Demande du représentant légal des victims [ . . . ]“, ICC-01 / 04-335, 11. 6. 2007, Rn. 6; Situation in the DRC – Prosecution’s Observations on the „Demande du représentant legal des victims [EXPURGÉ], ICC-01 / 04-366, 27. 7. 2007, Rn. 14; Prosecutor v. Lubanga – Request of the OPCV in relation to redactions to the applications of victims following the Trial Chamber’s decision of 6 May 2008, ICC-01 / 04-01 / 06-1315, 9. 5. 2008, Rn. 7. 1574 Siehe auch Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1119, o. Fn. 7, Rn. 98; Donat-Cattin (1999), S. 270. Gegen ein weites Verständnis von personal interests hingegen Trumbull IV, S. 798. Siehe auch die Analyse bei Vasiliev (2009b), S. 664 ff. 1575 So bereits zur gegenwärtigen Rechtslage Mohan, S. 745 f. 1576 Siehe auch Tsereteli, S. 642. So aber auch der Ansatz von WCRO (February 2009), S. 52 f. 1577 Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1119, o. Fn. 7, Rn. 97; Katanga & Ngudjolo TC, ICC-01 / 04-01 / 07-1788, o. Fn. 1532, Rn. 59; Katanga & Ngudjolo PTC, ICC-01 / 04-01 / 07-474, o. Fn. 1524, Rn. 34; Abu Garda PTC, ICC-02 / 05-02 / 09-121, o. Fn. 18, Rn. 3; Al Bashir PTC, ICC-02 / 05-01 / 09-62, o. Fn. 1572, Rn. 4. Siehe auch Case of the Rochela Massacre v. Colombia (Merits, Reparations and Costs), IACHR 11. 5. 2007, Rn. 146; Case of Cantoral-Huamaní and García-Santa Cruz v. Peru (Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs), IACHR 10. 7. 2007, Rn. 132; Case of Garcia Prieto et al. v. El Salvador, (Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs), IACHR 20. 11. 2007, Rn. 102. 1578 Katanga & Ngudjolo TC, ICC-01 / 04-01 / 07-1788, o. Fn. 1532, Rn. 59; Katanga & Ngudjolo PTC, ICC-01 / 04-01 / 07-474, o. Fn. 1524, Rn. 35; Al Bashir PTC, ICC-02 / 05-01 / 09-62, o. Fn. 1572, Rn. 4. 1579 Lubanga AC, Separate Opinion of Judge Sang-Hyun Song, ICC-01 / 04-01 / 06-925, o. Fn. 100, Rn. 11; Katanga & Ngudjolo TC, ICC-01 / 04-01 / 07-1788, o. Fn. 1532, Rn. 59; Katanga & Ngudjolo PTC, ICC-01 / 04-01 / 07-474, o. Fn. 1524, Rn. 41; Abu Garda PTC, ICC-02 / 05-02 / 09-121, o. Fn. 18, Rn. 3; Al Bashir PTC, ICC-02 / 05-01 / 09-62, o. Fn. 1572, Rn. 4; de Hemptinne, S. 172. In diese Richtung auch Lubanga PTC, ICC-01 / 04-01 / 06-462, o. Fn. 1572, S. 5; Greco, S. 539. Siehe auch Case of the Rochela Massacre v. Colombia (Merits, Reparations and Costs), IACHR 11. 5. 2007, Rn. 146; Case of Cantoral-Huamaní and

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Diese Überlegung ist auch mit dem systematischen Verhältnis zwischen Rule 85 und Art. 68 Abs. 3 IStGH-Statut zu vereinbaren. Rule 85 hat nicht zur Aufgabe, die Beteiligung von Opfern zu begrenzen. Sie definiert lediglich alle Personen, die durch Verbrechen, die der Gerichtsbarkeit des IStGH unterfallen, geschädigt wurden, als Opfer. Die Differenzierung zwischen Opfern der Situation und des Falls ist demnach nicht in Rule 85 angelegt.1581 Vielmehr werden durch diese die Opfer bereits entsprechend ihrer Interessenlage einer bestimmten Situation beziehungsweise einem konkreten Fall zugeordnet. Dies ist im Ergebnis nichts anders als die Inkorporation des persönlichen Interesses in den Opferbegriff. Die Feststellung, dass eine Person durch ein im Haftbefehl genanntes Verbrechen geschädigt wurde, begründet deren Interesse, diese Tat gesühnt zu sehen.1582 Die Überlegung, dass Rule 85 die Einteilung in Opfer des Falls und der Situation fremd ist, liegt auch einer Entscheidung der Lubanga Hauptverfahrenskammer zugrunde.1583 Nicht zu überzeugen vermag hingegen die Schlussfolgerung der Kammer.1584 Sie erkennt zwei verschiedene Kategorien von beteiligungsberechtigten Opfern an. Das persönliche Interesse soll zum einem dadurch begründet werden können, dass zwischen dem Opfer und dem Beweismaterial, das der Kammer im fraglichen Fall vorgelegt wird, eine kausale Verbindung besteht. Zum anderen soll es ausreichen, dass die persönlichen Interessen eines Opfers in einem tatsächlichen Sinne durch das Verfahren berührt werden.1585 Durch die zweite Gruppe wird eine neue Kategorie von Opfern eingeführt. Beteiligungsberechtigt sind demnach theoretisch auch solche Opfer, die nicht durch ein in der Anklage genanntes Verbrechen geschädigt wurden, die aber ein sonstiges tatsächliches Interesse am Fall aufweisen.1586 Damit überschreitet die Kammer aber ihre Kompetenzen. Sie kann nur innerhalb ihrer Zuständigkeit, also innerhalb des von der Anklage determinierten Umfangs, über den Opferstatus einer natürlichen oder juristiGarcía-Santa Cruz v. Peru (Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs), IACHR 10. 7. 2007, Rn. 132; Case of Garcia Prieto et al. v. El Salvador (Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs), IACHR 20. 11. 2007, Rn. 102. Siehe auch Triffterer(-Donat Cattin), Art. 68 IStGH-Statut Rn. 22. 1580 Ähnlich auch Bemba Gombo PTC, ICC-01 / 05-01 / 08-320, o. Fn. 11, Rn. 90 „right to justice“. 1581 Siehe Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1119, o. Fn. 7, Rn. 93. 1582 Siehe auch Uganda PTC, ICC-02 / 04-101, o. Fn. 7, Rn. 9 = Kony et al. PTC, ICC-02 / 04-01 / 05-252, o. Fn. 7, Rn. 9; Situation in the DRC – Decision on the Prosecution, OPCD and OPCV Request for Leave to Appeal the Decision on the Applications for Participation of Victims in the Proceedings in the Situation, PTC I, ICC-01 / 04-444, 6. 2. 2008, S. 10; Greco, S. 540. 1583 Siehe Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1119, o. Fn. 7, Rn. 93. 1584 Kritisch auch Tsereteli, S. 645. 1585 Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1119, o. Fn. 7, Rn. 95. Aufgehoben durch Lubanga AC, ICC-01 / 04-01 / 06-1432, o. Fn. 7, Rn. 62 ff. 1586 Siehe auch Lubanga TC, Separate and Dissenting Opinion of Judge René Blattmann, ICC-01 / 04-01 / 06-1119, o. Fn. 7, Rn. 9.

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schen Person entscheiden.1587 Zudem ist dieser Ansatz unökonomisch. Er zwingt die Parteien, sich mit Fragen auseinanderzusetzen, die unter Umständen im gesamten Verfahren nicht relevant werden.1588 Zusammenfassend ist festzuhalten, dass Art. 68 Abs. 3 IStGH-Statut die Beteiligungsberechtigung auf Opfer, deren Interessen durch den jeweiligen Verfahrensabschnitt betroffen sind, begrenzt. Erst dieses Kriterium ermöglicht es, die Opfer einer Situation bzw. einem Fall zuzuordnen. Voraussetzung für eine Beteiligung ist, dass die Opfer durch ein der Situation bzw. dem Fall zugehöriges Verbrechen geschädigt wurden.1589 Im Übrigen ist Art. 68 Abs. 3 IStGH-Statut weit gefasst. So haben beispielsweise Opfer eines im Haftbefehl genannten Verbrechens grundsätzlich ein Interesse daran, sich in dem fraglichen Fall zu beteiligen. Damit ist allerdings noch nicht über die Art der Beteiligung entschieden. Diese ist in einem zweiten Schritt u. a. unter Berücksichtigung von Umfang und Ausmaß der persönlichen Betroffenheit zu bestimmen.1590

3. Geeignete Verfahrensabschnitte Opfer können sich nur in vom Gericht als geeignet empfundenen Verfahrensabschnitten beteiligen.

a) Bestimmung der Geeignetheit Bei der Entscheidung über die Geeignetheit eines Verfahrensabschnitts sind die Bedeutung der Opferbeteiligung für das Verfahren, die Konstruktivität der Beteiligung sowie Art und Umfang der betroffenen Opferinteressen zu berücksichtigen.1591 Auch prozessökonomische Erwägungen können eine Rolle spielen.1592 1587 Lubanga TC, Separate and Dissenting Opinion of Judge René Blattmann, ICC-01 / 04-01 / 06-1119, o. Fn. 7, Rn. 11; Lubanga Prosecution’s Document, ICC-01 / 04-01 / 06-1219, o. Fn. 1570, Rn. 16; Lubanga Acte d’appel de la Défense, ICC-01 / 04-01 / 06-1220, o. Fn. 9, Rn. 36. Siehe auch Friman (2009), S. 491; Chung, S. 516. 1588 Prosecutor v. Lubanga – Application for Leave to Appeal Trial Chamber I’s 18 January 2008 Decision on Victims’ Participation, ICC-01 / 04-01 / 06-1136, 28. 1. 2008, Rn. 8. Siehe auch Chung, S. 513. 1589 Siehe auch Abu Garda Prosecution’s Observations ICC-02 / 05-02 / 09-100, o. Fn. 11, Rn. 9; Abu Garda PTC, ICC-02 / 05-02 / 09-121, o. Fn. 18, Rn. 12. 1590 Siehe zu den Auswirkungen dieser Differenzierung auf das Zulassungsverfahren unten Teil 5 E. II. 1. b). 1591 Lubanga, Separate and Dissenting Opinion of Judge René Blattmann, TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1119, o. Fn. 7, Rn. 25. 1592 Lubanga, Separate and Dissenting Opinion of Judge René Blattmann,TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1119, o. Fn. 7, Rn. 25. Siehe auch Prosecutor v. Lubanga – Prosecution’s Response to Applications by Victims to Participate in the Appeals by the Prosecution and Defence

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Fragwürdig ist es allerdings, die Geeignetheit der Opferbeteiligung zu verneinen, weil das Verfahren bereits durch den Beschuldigten verzögert wurde und daher eine weitere Verfahrensverlängerung, die mit der Einbeziehung der Opfer verbunden wäre, nicht mehr hinnehmbar ist.1593 Das Verhalten des Beschuldigten darf nicht zu einer Beschränkung der Opferrechte führen.

b) Opferschutz Eine Verfahrensbeteiligung setzt nahezu zwangsläufig regelmäßigen Kontakt zwischen dem Opfer und dem Gerichtshof bzw. seinem legal representative voraus. Damit erhöht sich das Risiko, dass die Zusammenarbeit des Opfers mit dem Gerichtshof bekannt wird und es deswegen Rache- und Vergeltungsakten ausgesetzt ist. Die Vorverfahrenskammer ist im Lubanga-Fall daher zu dem Schluss gekommen, dass die Gewährung von Beteiligungsrechten im Widerspruch zu der Schutzpflicht des Art. 68 Abs. 1 IStGH-Statut stehen kann. Wenn es nicht möglich ist, den Schutz der Opfer zu gewährleisten, sei das Verfahrensstadium zur Opferbeteiligung ungeeignet.1594 Es erscheint äußerst fraglich, ob der Entzug von Rechten eine geeignete Schutzmaßnahme i. S. v. Art. 68 Abs. 1 IStGH-Statut ist. Vielmehr wird vom Gerichtshof verlangt, dass er die Sicherheit von Opfern auch und gerade dann gewährleistet, wenn sich diese am Verfahren beteiligen. Zudem bestimmt Rule 87 Abs. 1 S. 3, dass Schutzmaßnahmen nach Möglichkeit nur im Einvernehmen mit dem Opfer angeordnet werden. Der Betroffene soll mit anderen Worten nicht gegen seinen Willen geschützt werden. Durch seinen Antrag hat das Opfer aber zum Ausdruck gebracht, dass es sich dem erhöhten Risiko zum Trotz am Verfahren beteiligen will. Ist die Kammer der Ansicht, dass der Gerichtshof nicht in der Lage ist, seiner Schutzpflicht aus Art. 68 Abs. 1 IStGH-Statut umfassend nachzukommen, sind die Antragsteller hierüber zu informieren. Es sollte den Opfern überlassen bleiben, ob sie unter Berücksichtigung des verbleibenden Restrisikos ihren Wunsch, sich aktiv ins Verfahren einzubringen, aufrechterhalten. Die Kammer sollte insoweit auf jegliche Bevormundung verzichten.

c) Die Ermittlungen als geeigneter Verfahrensabschnitt? Einigkeit besteht darüber, dass Art. 68 Abs. 3 IStGH-Statut von der Bestätigung der Anklage an bis zum Ende des Verfahrens, einschließlich Berufung und Wiederaufnahme, anwendbar ist.1595 Umstritten war lange Zeit, ob die Opfer sich auch an against Trial Chamber I’s 18 January 2008 Decision on Victims’ Participation, ICC-01 / 04-01 / 06-1266, 7. 4. 2008, Rn. 16. 1593 In diese Richtung Lubanga AC, Separate Opinion of Judge Sang-Hyun Song, ICC-01 / 04-01 / 06-925, o. Fn. 100, Rn. 23. 1594 Lubanga PTC, ICC-01 / 04-01 / 06-601, o. Fn. 11, S. 11.

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Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

den Ermittlungen des Anklägers beteiligen dürfen. Während die Vorverfahrenskammern dies zunächst in zahlreichen Entscheidungen bejaht hatten,1596 hat die Appeals Chamber diesem Ansatz mittlerweile eine deutliche Absage erteilt.1597 Auch wenn sich dieser Streitpunkt damit für die Praxis erledigt hat, sollen an dieser Stelle die vorgebrachten Argumente rekapituliert werden, um die Berechtigung des restrikiven Standpunktes der Appeals Chamber hinterfragen zu können. aa) Der Wortlaut von Art. 68 Abs. 3 IStGH-Statut Gegen eine Erstreckung von Art. 68 Abs. 3 IStGH-Statut auf die Ermittlungen wird sein Wortlaut angeführt. Vorgesehen sei eine Opferbeteiligung nur in den verschiedenen Verfahrensstadien. Art. 127 Abs. 1 IStGH-Statut und Rule 49 Abs. 1 differenzierten aber eindeutig zwischen Verfahren und Ermittlungen. Daraus wird der Umkehrschluss gezogen, dass Art. 68 Abs. 1 IStGH-Statut ein förmliches Verfahren vor einer Kammer voraussetze1598 und damit grundsätzlich erst nach Abschluss der Ermittlungen,1599 also ab Bestätigung der Anklage, anwendbar sei. Eine Ausnahme soll nach Ansicht des Anklägers lediglich für das Verfahren nach 1595 Siehe Uganda PTC, ICC-02 / 04-101, o. Fn. 7, Rn. 9 = Kony et al. PTC, ICC-02 / 04-01 / 05-252, o. Fn. 7, Rn. 9. In diese Richtung auch Timm, S. 295; Orie, S. 1478; Haslam, S. 326; Stehle, S. 301; Vasiliev (2009b), S. 642. 1596 Siehe Darfur, Sudan PTC, ICC-02 / 05-110, o. Fn. 1532, Rn. 2; DRC PTC, ICC-01 / 04-423-Corr, o. Fn. 11, Rn. 5; DRC PTC, ICC-01 / 04-438, o. Fn. 1532, S. 5; Situation in Darfur, Sudan PTC, ICC-02 / 05-118, o, Fn. 1532, S. 5; DRC PTC, ICC-01 / 04-505, o. Fn. 17, Rn. 26; Situation in Darfur, Sudan – Consolidated Statement of Views and Concerns of the Legal Representatives of the Participating Victims [ . . . ] With Respect to the Appeal Chamber’s 18 June 2008 Decision on Victim Participation in the Interlocutory Appeals of the Office of Public Counsel for the Defence and the Office of the Prosecutor, ICC-02 / 05-144, 24. 6. 2007, Rn. 20; Uganda OPCV’s Observations, ICC-02 / 04-89, o. Fn. 7, Rn. 22 = Kony et al. OPCV’s Observations, ICC-02 / 04-01 / 05-232, o. Fn. 7, Rn. 22; Uganda Response of Legal Representative, ICC-02 / 04-106, o. Fn. 1529, Rn. 15; DRC Réponse du BCPV, ICC-01 / 04-435, o. Fn. 1532, Rn. 45; DRC Observations des représentants légaux, ICC-01 / 04-436, o. Fn. 1545, Rn. 14; Situation in Darfur, Sudan – Response of Legal Representative to the „OPCD Appeal Brief on the Decision on the Request of the OPCD on the Production of Relevant Supporting Documentation Pursuant to Regulation 86 (2) (e) of the Regulations of the court and on the Disclosure of Exculpatory Materials by the Prosecutor“ and Alternative Request to Participate in the Appeal, ICC-02 / 05-124, 15. 2. 2008, Rn. 16. Siehe auch Darfur, Sudan, Observations, ICC-02 / 05-14, o. Fn. 473, S. 6. 1597 DRC AC, ICC-01 / 04-556, o. Fn. 7, Rn. 59; Situation in Darfur, Sudan – Judgement on victim participation in the investigation stage of the proceedings in the appeal of the OPCD against the decision of Pre-Trail Chamber I of 3 December 2007 and in the appeals of the OPCD and the Prosecutor against the decision of Pre-Trial Chamber I of 6 December 2007, AC, ICC-02 / 05-177, 2. 2. 2009, Rn. 7 (59). 1598 DRC AC, ICC-01 / 04-556, o. Fn. 7, Rn. 45; Darfur, Sudan AC, ICC-02 / 05-177, o. Fn. 1597, Rn. 7 (45). 1599 DRC Prosecution’s Reply, ICC-01 / 04-346, 25. 6. 2007, o. Fn. 421, Rn. 17; Uganda Prosecution’s Reply, ICC-02 / 04-85, o. Fn. 36, Rn. 22.

E. Das Opfer als Beteiligter

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Art. 53 Abs. 3 IStGH-Statut gelten. Überprüft die Kammer die Entscheidung des Anklägers, keine Ermittlungen oder keine Strafverfolgung einzuleiten, sollen den Opfern die Rechte aus Art. 68 Abs. 3 IStGH-Statut zustehen.1600 Art. 127 IStGH-Statut und Rule 49 Abs. 1 sind die einzigen Vorschriften, in denen eine Differenzierung zwischen Verfahren und Ermittlungen erfolgt.1601 An anderer Stelle wird der Begriff des Verfahrens vielmehr in einem weiteren, die Ermittlungen einschließenden, Sinne verwendet. Dies ist besonders augenfällig bei Art. 17 Abs. 2 IStGH-Statut. Der mangelnde Wille zur ernsthaften Strafverfolgung kann sich unzweifelhaft bereits im Ermittlungsstadium manifestieren. Gleiches gilt für Art. 54 Abs. 3 lit. e) IStGH-Statut. Der Ankläger ist vor allem während der Ermittlungen berechtigt, die Offenlegung von Dokumenten oder Informationen zu verweigern, die er unter der Bedingung der Vertraulichkeit erlangt hat.1602 Der Wortlaut von Art. 68 Abs. 3 IStGH-Statut schließt demnach nicht zwangsläufig eine Beteiligung an den Ermittlungen aus. bb) Systematische Auslegung Art. 68 IStGH-Statut ist Bestandteil des Abschnitts über das Hauptverfahren.1603 Wie aber bereits die Analyse zu Absatz 1 gezeigt hat1604, enthält der 6. Teil des IStGH-Statuts mehrere Vorschriften, die darüber hinaus für das gesamte Verfahren, einschließlich des Ermittlungsstadiums, Anwendung heischen. Zudem werden die Beteiligungsrechte durch die Rules 89 – 93 genauer ausgestaltet. Diese gelten aber in allen Verfahrensschritten. Dementsprechend ist der Anwendungsbereich von Art. 68 Abs. 3 IStGH-Statut nicht aus systematischen Gründen auf das Hauptverfahren beschränkt.1605 1600 DRC Prosecutions’ Reply, ICC-01 / 04-84, o. Fn. 1, Rn. 13 – 14; Uganda Prosecution’s Reply, ICC-02 / 04-85, o. Fn. 36, Rn. 26; Situation in Darfur, Sudan – Prosecutions Reply under Rule 89 (1) to the Applications for Participation of [ . . . ] in the Situation in Darfur, the Sudan, ICC-02 / 05-81, 8. 6. 2007, Rn. 15 Fn. 17; DRC Prosecution’s Reply, ICC-01 / 04-346, o. Fn. 421, Rn. 13 Fn. 26; Prosecutor v. Katanga & Ngudjolo – Defence observations on the 12 applications for participation as victims, ICC-01 / 04-01 / 07-253, 7. 3. 2008, Rn. 11. 1601 DRC PTC, ICC-01 / 04-101-Corr, o. Fn. 4, Rn. 30. Siehe auch Olásolo (2005), S. 108. 1602 DRC PTC, ICC-01 / 04-101-Corr, o. Fn. 4, Rn. 32 – 34. Zustimmend Uganda OPCV’s Observations, ICC-02 / 04-89, o. Fn. 7, Rn. 38 = Kony et al. OPCV’s Observations, ICC-02 / 04-01 / 05-232, o. Fn. 7, Rn. 38; Uganda Response of Legal Representative, ICC-02 / 04-106, o. Fn. 1529, Rn. 24; Darfur, Sudan Response of the Legal Representatives, ICC-02 / 05-116, o. Fn. 1529, Rn. 21. 1603 Siehe aber den ausdrücklichen Hinweis auf die systematische Stellung von Art. 68 IStGH-Statut in DRC Prosecutions’ Reply, ICC-01 / 04-84, o. Fn. 1, Rn. 18. 1604 Siehe oben Teil 5 D. VIII. 1. 1605 DRC PTC, ICC-01 / 04-101-Corr, o. Fn. 4, Rn. 45; Donat-Cattin (1999), S. 269; Stefanie Bock (2007c), S. 673; Stehle, S. 301. Siehe aber den ausdrücklichen Hinweis auf die systematische Stellung von Art. 68 IStGH-Statut in DRC Prosecutions’ Reply, ICC-01 / 04-84, o. Fn. 1, Rn. 18.

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Rule 92 Abs. 2 und 3 verpflichten die Kammer, die Opfer über die Entscheidung des Anklägers, keine Ermittlungen oder keine Strafverfolgung aufzunehmen sowie über ein bevorstehendes Zwischenverfahren i. S. v. Art. 61 IStGH-Statut zu informieren. Auf diese Weise sollen die Opfer in die Lage versetzt werden, ihre Beteiligungsrechte ausüben zu können. Würde man den Anwendungsbereich von Art. 68 Abs. 3 IStGH-Statut auf das Ermittlungsverfahren ausdehnen, würde das Informationssystem seiner Effektivität beraubt. Die Opfer würden zu spät über ihre Beteiligungsmöglichkeiten in Kenntnis gesetzt.1606 Zugestanden sei, dass Rule 92 Abs. 2 und 3 nicht an einer frühzeitigen Opferbeteiligung orientiert sind. Allerdings ordnet Art. 51 Abs. 5 IStGH-Statut die Rules dem Statut unter. Bei Widersprüchen setzt sich das IStGH-Statut als höherrangiges Recht durch. Die Rules könnten daher nicht zur Beschränkung der in Art. 68 Abs. 3 IStGH-Statut niedergelegten Beteiligungsrechte herangezogen werden. Dies gilt umso mehr, als Rule 92 Abs. 2 und 3 nur ein Informationssystem etablieren und bereits von ihrer Zielsetzung nicht darauf angelegt sind, den Umfang der Beteiligungsrechte zu bestimmen oder gar zu begrenzen.1607 cc) Betroffenheit persönlicher Interessen Gegen eine Anwendung von Art. 68 Abs. 3 IStGH-Statut im Ermittlungsstadium wird zudem angeführt, dass es zu diesem Zeitpunkt noch nicht möglich sei, zu entscheiden, ob die persönlichen Interessen der Opfer betroffen sind. Dies soll insbesondere für Ermittlungen in der Situation gelten. Zu diesem Zeitpunkt existiere noch kein konkreter Verfahrensgegenstand, kein Ermittlungsfokus, der tauglicher Bezugspunkt des persönlichen Interesses sein könne. Würde eine Person hingegen allein mit der Behauptung, sie sei in der Situation, in der der Ankläger ermittelt, Opfer eines völkerrechtlichen Verbrechens geworden, das Recht zur Beteiligung erwerben, würde Art. 68 Abs. 3 IStGH-Statut seines eigenständigen Anwendungsbereichs beraubt.1608 Diese Argumentation wird allerdings der Bedeutung des Ermittlungsverfahrens für die Opfer nicht gerecht. Im Situationsstadium werden die grundlegenden Wei1606 DRC Prosecutions’ Reply, ICC-01 / 04-84, o. Fn. 1, Rn. 15; Uganda Prosecution’s Reply, ICC-02 / 04-85, o. Fn. 36, Rn. 27. 1607 DRC PTC, ICC-01 / 04-101-Corr, o. Fn. 4, Rn. 47 – 49. Anders hingegen DRC AC, ICC-01 / 04-556, o. Fn. 7, Rn. 46 ff.; Darfur, Sudan AC, ICC-02 / 05-177, o. Fn. 1597, Rn. 7 (46 ff.). 1608 DRC Prosecutions’ Reply, ICC-01 / 04-84, o. Fn. 1, Rn. 28 – 29; DRC Prosecution’s Observations, ICC-01 / 04-315, o. Fn. 1564, Rn. 17; Uganda Prosecution’s Reply, ICC-02 / 04-85, o. Fn. 36, Rn. 29 – 30; DRC Prosecution’s Reply, ICC-01 / 04-346, o. Fn. 421, Rn. 19; Darfur Prosecution’s Document, ICC-02 / 05-125, o. Fn. 46, Rn. 29. Siehe auch Prosecutor v. Katanga & Ngudjolo – Defence observations on the 12 applications for participation as victims, ICC-01 / 04-01 / 07-253, 7. 3. 2008, Rn. 8; Darfur, Sudan Prosecution’s Response, ICC-02 / 05-145, o. Fn. 1600, Rn. 10. Siehe auch Guhr (2008a), S. 368.

E. Das Opfer als Beteiligter

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chen für alle weiteren Verfahren gestellt. Welche Fälle später vor dem IStGH verhandelt werden, hängt ganz entscheidend davon ab, auf welche Personen und Verbrechen sich die Bemühungen des Anklägers konzentrieren. Die Anwendung von Art. 68 Abs. 3 IStGH-Statut im Ermittlungsstadium ermöglicht es den Opfern, Einfluss auf die Ermessenausübung des Anklägers zu nehmen. Sie werden in die Lage versetzt, zur Sachverhaltsaufklärung, zur Identifizierung und letztlich zur Bestrafung der Täter, die für die Verbrechen, die sie erlittenen haben, verantwortlich sind, beizutragen.1609 Dies ist auch für die spätere Geltendmachung von Wiedergutmachungsansprüchen von zentraler Bedeutung.1610 Von den Ermittlungen in einer Situation sind daher die Interessen aller Opfer der Situation betroffen.1611 Auch nach dieser Ansicht bleibt Art. 68 Abs. 3 IStGH-Statut ein eigenständiger Anwendungsbereich. Erst das Kriterium der Betroffenheit der persönlichen Interessen erlaubt es, die Opfer den verschiedenen Situationen zuzuordnen. Opfer der Uganda Situation haben beispielsweise nicht das Recht, sich an den Ermittlungen im Kongo zu beteiligen. Dies gilt auch dann, wenn in der Kongo-Situation eine grundlegende Entscheidung getroffen wird, die der Kammerautonomie zum Trotz auch Auswirkungen auf die Rechtsposition von Opfern anderer Situationen haben könnte. dd) Beeinträchtigung der Objektivität der Ermittlungen und der Stellung des Anklägers Befürchtet wird zudem, dass die Beteiligung von Opfern an den Ermittlungen deren Objektivität und Integrität gefährdet.1612 Anders als der Ankläger sind die 1609 Siehe DRC PTC, ICC-01 / 04-101-Corr, o. Fn. 4, Rn. 63; Darfur, Sudan PTC, ICC-02 / 05-111-Corr, o. Fn. 1532, Rn. 11; Uganda OPCV’s Observations, ICC-02 / 04-89, o. Fn. 7, Rn. 37 = Kony et al. OPCV’s Observations, ICC-02 / 04-01 / 05-232, Rn. 37; Uganda Response of Legal Representative, ICC-02 / 04-106, o. Fn. 1529, Rn. 19; Darfur Response of the Legal Representatives, ICC-02 / 05-116, o. Fn. 1529, Rn. 20; Greco, S. 540. Siehe auch Situation in Darfur, Sudan – Decision on the Requests for Leave to Appeal the Decision on the Application for Participation of Victims in the Proceedings in the Situation, PTC I, ICC-02 / 05-121, 6. 2. 2008, S. 8; Al Bashir PTC, ICC-02 / 05-01 / 09-62, o. Fn. 1572, Rn. 5; Lubanga Observations du conseil de permanence, ICC-01 / 04-01 / 06-72, o. Fn. 1546, S. 4; Tsereteli, S. 639, 643. 1610 DRC PTC, ICC-01 / 04-101-Corr, o. Fn. 4, Rn. 63, 72; Greco, S. 540. Kritisch zur Berücksichtung des Reparationsinteresse in einem frühen Verfahrensstadium Guhr (2008b), S. 124. 1611 Auch die Appeals Chamber hat ihre Entscheidung nicht auf das fehlende persönliche Interesse der Opfer gestützt, DRC AC, ICC-01 / 04-556, o. Fn. 7, Rn. 50. 1612 DRC Prosecutions’ Reply, ICC-01 / 04-84, o. Fn. 1, Rn. 30; Situation in the DRC – Prosecution’s Application for Leave to Appeal the Pre-Trial Chamber I’s Decision on the Applications for Participation in the Proceedings of [ . . . ], ICC-01 / 04-103, 23. 1. 2006, Rn. 14; DRC Prosecution’s Observations, ICC-01 / 04-315, o. Fn. 1564, Rn. 17; Uganda Prosecution’s Reply, ICC-02 / 04-85, o. Fn. 36, Rn. 34; Darfur, Sudan Prosecutions Reply, ICC-02 / 05-81, o. Fn. 1600, Rn. 28. Siehe auch de Hemptinne / Rindi, S. 347; Guhr (2008a), S. 368; ders. (2008b), S. 120; Baumgartner, S. 415. Allgemein Trumbull IV, S. 808 ff.

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Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

Opfer nicht der Wahrheit verpflichtet, müssen nicht in gleichem Umfang auch entlastende Momente berücksichtigen. Daher bestünde die Gefahr, dass sie dem Ankläger unzuverlässiges oder gefälschtes Beweismaterial zukommen ließen.1613 Zudem könne nicht ausgeschlossen werden, dass jemand sein Beteiligungsrecht missbraucht, um die Ermittlungen zu stören.1614 So könne versucht werden, Informationen über den Stand des Verfahrens zu erlangen, um anschließend gezielt die Bemühungen des Anklägers unterlaufen zu können.1615 Generell berge ein Beteiligungsrecht, das die Einsichtnahme in vertrauliche Unterlagen umschließe, die Gefahr von Effektivitäts- und Sicherheitseinbußen. Gerade im Ermittlungsstadium sei die Geheimhaltung von Fokus und Stand der Ermittlungen von entscheidender Bedeutung, um der Zerstörung von Beweismaterial und der Einschüchterung von Zeugen vorzubeugen.1616 Darüber hinaus falle die Durchführung der Ermittlungen nach Art. 42 Abs. 1 IStGH-Statut in den ausschließlichen Zuständigsbereich des Anklägers. Den Opfern das Recht zur Beteiligung an den Ermittlungen zuzugestehen, würde im Widerspruch zu dieser klaren Aufgabenzuweisung stehen.1617 Zunächst ist festzuhalten, dass es den Opfern freisteht, auch wenn sie nicht zum Verfahren zugelassen sind, jederzeit Kontakt mit dem Ankläger aufzunehmen.1618 Die Möglichkeit, dass sie gefälschtes Beweismaterial präsentieren, besteht damit unabhängig von etwaigen Beteiligungsrechten. 1619 Grundsätzlich führt die Kommunikation zwischen Opfern und Ankläger zu einer Bereicherung der Ermittlungen, da der Ankläger mit zusätzlichem Beweismaterial und weiteren Informationen versorgt wird.1620 Insoweit erscheint die Opferbeteiligung geeignet, die Ermittlun1613 Uganda Prosecution’s Reply, ICC-02 / 04-85, o. Fn. 36, Rn. 16; Situation in Uganda – Prosecution’s Application for Leave to Appeal the Decision on Vicitms’ Applications for Participation [ . . . ], ICC-02 / 04-103, 20. 8. 2007, Rn. 13; Guhr (2008b), S. 121. Siehe auch de Hemptinne, S. 173. 1614 DRC Prosecution’s Application, ICC-01 / 04-103, o. Fn. 1612, Rn. 18; Uganda Prosecution’s Reply, ICC-02 / 04-85, o. Fn. 36, Rn. 16. Siehe auch Situation in the DRC – Prosecution’s Application for Leave to Appeal the Single Judge’s 24 December 2007 „Décision sur les demande de participation á la procedure déposée dans le cadre de l’enquête en République démocratique du Congo“, ICC-01 / 04-428, 7. 1. 2007, Rn. 25. 1615 Uganda Prosecution’s Reply, ICC-02 / 04-85, o. Fn. 36, Rn. 17; Uganda Prosecution’s Application, ICC-02 / 04-103, o. Fn. 1613, Rn. 14. 1616 DRC PTC, ICC-01 / 04-374, o. Fn. 16, Rn. 2; DRC PTC, ICC-01 / 04-423-Corr, o. Fn. 11, Rn. 5; DRC Prosecutions’ Reply, ICC-01 / 04-84, o. Fn. 1, Rn. 33; DRC Observations of Legal Representative, ICC-01 / 04-105, o. Fn. 46, Rn. 4; DRC Prosecution’s Application, ICC-01 / 04-103, o. Fn. 1612, Rn. 15; DRC Prosecution’s Observations, ICC-01 / 04-315, o. Fn. 1564, Rn. 19. Insbesondere zur Gefährdung von Zeugen Uganda Prosecution’s Reply, ICC-02 / 04-85, o. Fn. 36, Rn. 18. Siehe auch Uganda Prosecution’s Application, ICC-02 / 04-103, o. Fn. 1613, Rn. 15; Chung, S. 518. 1617 DRC AC, ICC-01 / 04-556, o. Fn. 7, Rn. 52; Darfur, Sudan AC, ICC-02 / 05-177, o. Fn. 1597, Rn. 7 (52). 1618 Siehe auch Regulation 16 Regulations of the Prosecutor. 1619 Dies hat auch die Appeals Chamber klargestellt, DRC AC, ICC-01 / 04-556, o. Fn. 7, Rn. 53, 54; Darfur, Sudan AC, ICC-02 / 05-177, o. Fn. 1597, Rn. 7 (53, 54).

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gen auf eine breitere Basis zu stellen und ihre Legitimität zu erhöhen. Eine abstrakte Missbrauchsgefahr ist nicht ausreichend, um den Opfern allgemein den Zugang zu den Ermittlungen zu verwehren. Wenn der Ankläger konkrete Anhaltspunkte für einen Missbrauch hat, kann er die Kammer darüber informieren, die dann im jeweiligen Einzelfall die angemessenen Maßnahmen, wie beispielsweise den Ausschluss bestimmter Personen vom Verfahren, ergreifen kann.1621 Zudem bedeutet die Zulassung der Opfer zu den Ermittlungen nicht, dass diese eine aktive Rolle bei der Beweissuche und -sicherung übernehmen sollen oder dürfen. Die Hoheit über das Ermittlungen hat weiterhin der Ankläger. Im Übrigen richten sich die Bedenken mehr gegen den Umfang der Partizipationsrechte, als gegen die Beteiligung als solche. Bei der Entscheidung, ob den Opfern ein Akteneinsichtsrecht gewährt wird, ist zu berücksichtigen, inwieweit dadurch die Effektivität der Ermittlungen oder der Zeugenschutzmaßnahmen beeinträchtigt wird. Allein die Vermutung, dass eine bestimmte Beteiligungsmodalität die Integrität des Verfahrens beeinträchtigen könnte, kann der grundsätzlichen Anwendbarkeit von Art. 68 Abs. 3 IStGH-Statut nicht entgegenstehen.1622 ee) Schutz der Opfer Den Opfer die Beteiligung an den Ermittlungen zu gestatten, soll aus Gründen des Opfer- und Zeugenschutzes nicht möglich sein. Opfer, die sich an Verfahren vor dem IStGH beteiligen, haben ein gesteigertes Sicherheitsrisiko. Zudem würden sie durch die Zulassung zu den Ermittlungen ermutigt, selbst investigativ tätig zu werden, Beweise zu sammeln und sicherzustellen. Dadurch potenziere sich ihre Gefährdung.1623 Die begrenzten Ressourcen der VWU würden nicht ausreichen, um alle Opfer einer Situation angemessen zu schützen.1624 Zunächst erscheint es zweifelhaft, ob eine Zulassung zum Verfahren die Opfer zur Vornahme von Ermittlungsmaßnahmen verleitet.1625 Darüber hinaus gibt es einfache und kostengünstige Maßnahmen, um die Sicherheit der Opfer zu gewährleisten. Von zentraler Bedeutung sind die Wahrung der Anonymität der Opfer1626 und 1620 Uganda Response of Legal Representative, ICC-02 / 04-106, o. Fn. 1529, Rn. 37; Darfur, Sudan Response of the Legal Representatives, ICC-02 / 05-116, o. Fn. 1529, Rn. 31. Siehe auch de Hemptinne, S. 167. 1621 Uganda PTC II, ICC-02 / 04-112, o. Fn. 1529, Rn. 34. 1622 DRC PTC, ICC-01 / 04-101-Corr, o. Fn. 4, Rn. 58 – 60. Siehe auch Uganda Response of Legal Representative, ICC-02 / 04-106, o. Fn. 1529, Rn. 39. 1623 Uganda Prosecution’s Application, ICC-02 / 04-103, o. Fn. 1613, Rn. 16. Siehe auch de Hemptinne, S. 169. 1624 Uganda Prosecution’s Reply, ICC-02 / 04-85, o. Fn. 36, Rn. 15; Darfur, Sudan Prosecutions Reply, ICC-02 / 05-81, o. Fn. 1600, Rn. 27; Uganda Prosecution’s Application, ICC-02 / 04-103, o. Fn. 1613, Rn. 21. Zweifelnd Uganda Response of Legal Representative, ICC-02 / 04-106, o. Fn. 1529, Rn. 41. 1625 Uganda PTC II, ICC-02 / 04-112, o. Fn. 1529, Rn. 31, 42.

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der Verzicht des Gerichtshofs, direkt mit ihnen in Kontakt zu treten1627. Da der Umfang der Partizipationsrechte im Ermittlungsverfahren eher gering sein wird,1628 werden diese Vorkehrungen regelmäßig ausreichend sein. Zusätzlich sollten die Opfer über die Gefährdung, die mit der Ausübung von Aktivrechten verbunden sind, und die möglichen Schutzmaßnahmen informiert werden. Dann haben sie die Möglichkeit, sich unter Berücksichtigung des verbleibenden Restrisikos für oder gegen eine Verfahrensbeteiligung zu entschieden. ff) Auswirkungen auf die Verfahrensökonomie Die uneingeschränkte Anwendbarkeit von Art. 68 Abs. 3 IStGH-Statut im Ermittlungsstadium führt im Ergebnis dazu, dass sich jedes Opfer der Situation an den Ermittlungen in der Situation beteiligen darf. Dies kann letztlich in einer Beteiligung von zehntausenden Opfern münden.1629 Dies bindet in erheblichem Umfang Ressourcen des Gerichtshofs. Die Kammer muss die Anträge prüfen, der Ankläger und das OPCD bzw. der ad-hoc-counsel for the Defence müssen ihre Stellungnahmen verfassen. Sind die Opfer zu den Ermittlungen zugelassen, müssen Ankläger und Kammer, sollen die Beteiligungsrechte nicht faktisch leerlaufen, auf Eingaben der Opfer antworten. Gefordert ist auch die Kanzlei. Die VWU muss die Sicherheit der Opfer gewährleisten. VPRS und OPCV haben die Aufgabe, sie bei der prozessualen Wahrnehmung ihrer Rechte zu unterstützen. Befürchtet wird, dass die Einbeziehung der Opfer in die Ermittlung zu einer Überlastung des Gerichtshofs und damit zu einer Lähmung der Verfahren führt.1630 Auch wenn sich die Problematik der hohen, nahezu unbegrenzten Anzahl an beteiligungsberechtigten Opfern im Ermittlungsverfahren zuspitzt, so ist sie doch in allen Verfahrensstadien präsent. Die Einbeziehung von Opfern verlangsamt per se die Verfahrensgeschwindigkeit. Dennoch haben sich die Staaten entschieden, ihnen einen Platz im Verfahren einzuräumen. Diese Grundsatzentscheidung darf nicht durch Gründe der Verfahrensökonomie durch die Hintertür wieder relativiert Siehe hierzu unten Teil 5 E. VIII. 4. Siehe hierzu unten Teil 5 E. IV. 1. 1628 Siehe hierzu unten Teil 5 E. VIII. 1629 DRC Prosecution’s Application, ICC-01 / 04-103, o. Fn. 1612, Rn. 5; Uganda Prosecution’s Reply, ICC-02 / 04-85, o. Fn. 36, Rn. 12. Siehe auch Guhr (2008b), S. 127; Vasiliev (2009b), S. 646. 1630 Uganda Prosecution’s Reply, ICC-02 / 04-85, o. Fn. 36, Rn. 14; Darfur, Sudan Prosecutions Reply, ICC-02 / 05-81, o. Fn. 1600, Rn. 24. Siehe auch Situation in the DRC – OPCD Appeal Brief on the „Decision on the Request of the OPCD on the Production of Relevant Supporting Documentation Pursuant to Regulation 86 (2) (e) of the Regulations of the court and on the Disclosure of Exculpatory Materials by the Prosecutor, ICC-01 / 04-440, 4. 2. 2008, Rn. 22. Darfur, Sudan OPCD Appeal Brief, ICC-02 / 05-119, o. Fn. 36, Rn. 21; Guhr (2008a), S. 368; Baumgartner, S. 415; de Hemptinne, S. 174; Zegveld (2010a), S. 616; Guhr (2008b), S. 127. 1626 1627

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werden.1631 Art. 68 Abs. 3 IStGH-Statut gibt zudem hinreichend Raum zur Berücksichtigung prozessökonomischer Erwägungen. Die Ausgestaltung der Opferrechte liegt auch deswegen im Ermessen der Kammer, damit diese sicherstellen kann, dass die Einbeziehung der Geschädigten nicht mit dem Recht des Angeklagten auf einen zügigen Prozess und dem Interesse des Anklägers an einem effizienten Verfahren unvereinbar ist. Zudem bedeutet die allgemeine Zulassung zu den Ermittlungen nicht die Zulassung zu jedem spezifischen Verfahren, das im Ermittlungsstadium durchgeführt wird.1632 Darüber hinaus hat die Kammer verschiedene Möglichkeiten, um einer hohen Anzahl an Beteiligten zum Trotz die Effektivität des Verfahrens zu gewährleisten. Wichtigstes Beispiel ist die Ernennung eines gemeinsamen legal representative für eine Gruppe von Opfern.1633 Daher darf den Opfern die Beteiligung an den Ermittlungen auch in der Situation nicht aus verfahrensökonomischen Erwägungen verwehrt werden. gg) Auswirkungen auf die Rechte der Verteidigung Die Beteiligung der Opfer an den Ermittlungen in der Situation wird zudem als unvereinbar mit den Rechten der Verteidigung angesehen. Da noch kein Verdächtiger ermittelt wurde, existiert noch kein Verteidigungsteam. Es fehle daher an einem Gegengewicht zu den Opferbefugnissen, durch das ein Ausgleich mit den Interessen späterer Beschuldigter erreicht werden könne. Das gesamte Kräfteverhältnis im Verfahren drohe daher zu Lasten der Verteidigung verändert zu werden.1634 Die Interessen der Verteidigung können in diesem Stadium allerdings von einem ad-hoc-counsel for the Defence oder dem OPCD wahrgenommen werden.1635 Auch wenn diese nicht auf Anweisung und im Interesse eines bestimmten Beschuldigten handeln,1636 bilden sie jedenfalls einen gewissen Gegenpol zur Opferbetei1631 Siehe auch Uganda Response of Legal Representative, ICC-02 / 04-106, o. Fn. 1529, Rn. 47 f. 1632 Siehe DRC Observations of Legal Representative, ICC-01 / 04-105, o. Fn. 46, Rn. 5 sowie unten Teil 5 E. III. 1. 1633 Siehe unten Teil 5 E. IV. 2. 1634 DRC Prosecution’s Application, ICC-01 / 04-103, o. Fn. 1612, Rn. 21; Uganda Prosecution’s Reply, ICC-02 / 04-85, o. Fn. 36, Rn. 38; Uganda Prosecution’s Application, ICC-02 / 04-103, o. Fn. 1613, Rn. 17. Siehe auch DRC Prosecution’s Application, ICC-01 / 04-428, o. Fn. 1614, Rn. 25; Situation in Darfur, Sudan – OPCD Appeal Brief on the „The Decision on the Application for Participation in the Proceedings of Applicant [ . . . ], ICC-02 / 05-126, 18. 2. 2008, Rn. 39; Prosecutor v. Kony et al. – Request for leave to appeal the Decision on victims’ applications for participation [ . . . ], ICC-02 / 04-01 / 05-359, 1. 12. 2008, Rn. 12; de Hemptinne / Rindi, S. 348; WCRO (November 2007), S. 47; Baumgartner, S. 415; de Hemptinne, S. 174; SáCouto / Cleary, S. 103. Siehe auch Chung, S. 519. 1635 DRC PTC, ICC-01 / 04-101-Corr, o. Fn. 4, Rn. 70; Uganda Response of Legal Representative, ICC-02 / 04-106, o. Fn. 1529, Rn. 44.

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ligung. Zudem ist der Ankläger gleichermaßen zur Ermittlung be- und entlastender Beweise verpflichtet. Auch er hat dafür Sorge zu tragen, dass das Recht der zukünftigen Beschuldigten auf ein faires Verfahren gewahrt wird. Dabei wird er von der Vorverfahrenskammer kontrolliert, die gegebenenfalls korrigierend eingreifen kann.1637 Hinzu kommt, dass die Kammer bei der Ausgestaltung der Beteiligungsrechte dafür Sorge zu tragen hat, dass diese nicht zu einer Benachteiligung der Verteidigung führen.1638 Auch hier kommt es wieder entscheidend auf den Umfang der Beteiligungsrechte an. Unter Berücksichtigung aller im IStGH-Statut zu Gunsten der Verteidigung vorgesehenen Sicherungsinstrumente ist eine Opferbeteiligung auch im Situationsstadium nicht per se als unvereinbar mit dem Rechten späterer Beschuldigter anzusehen. hh) Die Konsequenzen der Rechtsprechung der Appeals Chamber Die Appeals Chamber hat ihre Entscheidung, den Opfern kein Recht auf Beteiligung an den Ermittlungen zuzubilligen, im Wesentlichen auf den Wortlaut des Art. 68 Abs. 3 IStGH-Statut1639 sowie die Aufgabenzuweisung des Art. 42 IStGHStatut1640 gestützt. Dies bedeutet allerdings nicht, dass die Appeals Chamber den Opfern eine Beteiligung im gesamten Ermittlungsverfahren versagen würde. Vielmehr ist nach ihrer Auffassung Art. 68 Abs. 3 IStGH-Statut in jedem Verfahren vor einer Kammer anwendbar und zwar auch dann, wenn sich das gerichtliche Verfahren auf die Ermittlungen bezieht. Insoweit ist auch eine Beteiligung der Opfer im Situationsstadium nicht per se ausgeschlossen.1641 Daher drängt sich die Frage auf, ob und in welchem Umfang die Rechtsprechung der Appeals Chamber tatsächlich zu einer Beschränkung der Beteiligungsrechte der Opfer geführt hat. Zwar haben die Vorverfahrenskammern die Geschädigten umfassend zum Ermittlungsverfah1636 Kritisch daher Uganda Prosecution’s Reply, ICC-02 / 04-85, o. Fn. 36, Rn. 39; Situation in Uganda – Request for leave to appeal the Decisions on legal representation, appointment of counsel for the defence, criteria for redactions of applications for participation, and submission of observations on applications for participation [ . . . ] and Request that the appeal have suspensive effect in accordance with Article 83(3) of the Statute, ICC-02 / 04-155, 24. 9. 2008, Rn. 13 – 14; Kony et al. Request, ICC-02 / 04-01 / 05-359, o. Fn. 1634, Rn. 11. Siehe auch SáCouto / Cleary, S. 104. 1637 Siehe beispielsweise Art. 56 Abs. 3 IStGH-Statut. 1638 Darfur, Sudan PTC, ICC-02 / 05-111-Corr, o. Fn. 1532, Rn. 13; Darfur, Sudan Response of the Legal Representatives, ICC-02 / 05-116, o. Fn. 1529, Rn. 31; Uganda PTC II, ICC-02 / 04-112, o. Fn. 1529, Rn. 44; Uganda OPCV’s Observations, ICC-02 / 04-89, o. Fn. 7, Rn. 36 = Kony et al. OPCV’s Observations, ICC-02 / 04-01 / 05-232, o. Fn. 7, Rn. 36. 1639 DRC AC, ICC-01 / 04-556, o. Fn. 7, Rn. 45; Darfur, Sudan AC, ICC-02 / 05-177, o. Fn. 1597, Rn. 7 (45). 1640 DRC AC, ICC-01 / 04-556, o. Fn. 7, Rn. 52; Darfur, Sudan AC, ICC-02 / 05-177, o. Fn. 1597, Rn. 7 (52). 1641 DRC AC, ICC-01 / 04-556, o. Fn. 7, Rn. 56; Darfur, Sudan AC, ICC-02 / 05-177, o. Fn. 1597, Rn. 7 (56). Siehe auch Tsereteli, S. 657. Im Egebnis ebenso Guhr (2008b), S. 137.

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ren zugelassen, ihnen allerdings – in Abwesenheit eines gerichtlichen Verfahrens – nur sehr beschränkte Rechte zugebilligt. Insbesondere durften sie ihre Anliegen vortragen, Schriftsätze einreichen und die Anordnung bestimmter prozessualer Maßnahmen anregen.1642 Auch die Appeals Chamber schließt aber Kontakte zwischen den – nicht zu den Ermittlungen zugelassenen – Opfern und dem Gerichtshof im Allgemeinen und dem Ankläger im Besonderen nicht aus. So wird insbesondere betont, dass die Opfer dem Ankläger Informationen und Beweismittel zukommen lassen und aktiv Maßnahmen zu ihrem Schutz anregen dürfen.1643 Der einzig relevante Unterschied dürfte darin liegen, dass die Opfer nach dem Ansatz der Vorverfahrenskammern einen Anspruch auf Auseinandersetzung mit ihrer Eingabe haben. Allerdings wird es generell im Interesse des Gerichtshofs liegen, sich auch mit von außerhalb kommenden Ermittlungs- und Verfahrensanregungen zu befassen. Das Recht, schriftliche Eingaben einzureichen, wird in erster Linie im Zusammenhang mit gerichtlichen Verfahrensschritten, in denen auch die Appeals Chamber eine Opferbeteiligung nicht ausschließt, relevant. Die faktischen Auswirkungen ihrer Rechtsprechung auf den Umfang der Beteiligungsrechte scheinen daher eher gering zu sein.1644 Der Vorteil des weiten Ansatzes der Vorverfahrenskammern lag auch nicht primär in der Stärkung der Aktivrechte der Opfer. Vielmehr ermöglichte er es, frühzeitig einer großen Anzahl Geschädigter den Opferstatus zu verleihen und sie auf diese Weise symbolisch als Verbrechensopfer anzuerkennen.1645 Die Rechtsprechung der Vorverfahrenskammern hatte daher den Vorzug, einem elementaren Opferbedürfnis1646 umfassend Rechnung zu tragen.1647

d) Zusammenfassung Die Frage, ob ein Verfahrensschritt zur Opferbeteiligung geeignet ist, ist im jeweiligen Einzelfall zu beantworten. Grundsätzlich ist Art. 68 Abs. 3 IStGH-Statut in jedem Verfahrensstadium anwendbar. Daher ist eine Opferbeteiligung auch in gerichtlichen Verfahren, die inhaltlich im Zusammenhang mit den Ermittlungen 1642 Siehe Siehe auch Uganda PTC, ICC-02 / 04-101, o. Fn. 7, Rn. 85 = Kony et al. PTC, ICC-02 / 04-01 / 05-252, o. Fn. 7, Rn. 85. 1643 DRC AC, ICC-01 / 04-556, o. Fn. 7, Rn. 50, 53 f.; Darfur, Sudan AC, ICC-02 / 05-177, o. Fn. 1597, Rn. 7 (50, 53 f.). 1644 Siehe auch den Bericht des WCRO (November 2007), S. 44 ff., in dem kritisiert wird, dass die Rechtsprechung der Vorverfahrenskammern i. E. leerliefe, da die Zulassung zu den Ermittlungen insbesondere im Situationsstadium nicht mit der Zubilligung nennenswerter Partizipationsrechte verbunden sei. 1645 Siehe zur Frage, ob es möglich ist, Antragstellern einen abstrakten Opferstatus zuzuerkennen, unten Teil 5 E. II. 2. b). 1646 Siehe Teil 3 A. III. 1647 Kritisch wegen der Gefahr, unerfüllbare Hoffnungen bei den Opfern zu wecken, WCRO (November 2007), S. 44 ff.; SáCouto / Cleary, S. 100 f.; Guhr (2008b), S. 118. Siehe auch Vasiliev (2009b), S. 647.

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des Anklägers stehen, möglich. Nach Ansicht der Appeals Chamber darf den Opfern aber nicht das Recht eingeräumt werden, sich an den Ermittlungen selbst zu beteiligen. 4. Rechte des Angeklagten sowie Fairness und Unparteilichkeit des Verfahrens Die Kammer ist verpflichtet, die Beteiligungsmodalitäten so zu bestimmen, dass sie die Rechte des Angeklagten und die Fairness und Unparteilichkeit des Verfahrens nicht beeinträchtigen. Dies erfordert grundsätzlich eine einzelfallbezogene Abwägung. Zur Klarstellung sei aber an dieser Stelle auf zwei übergreifende Gesichtspunkte hingewiesen. a) Verstoß gegen die Unschuldsvermutung Insbesondere von der Verteidigung wird regelmäßig vorgebracht, dass die Beteiligung von Opfern im Strafverfahren gegen die Unschuldsvermutung verstoße1648 und damit per se unvereinbar mit den Rechten des Angeklagten sei. Wird vor der Verurteilung des Beschuldigten einer Person der Opferstatus verliehen, beinhalte dies die Annahme, dass bestimmte Verbrechen begangen worden sein.1649 Die Problematik verschärft sich, wenn eine Person als „Opfer des Falls“ anerkannt wird. Dadurch würde die Vermutung aufgestellt, dass der Beschuldigte für die erlittenen Schäden verantwortlich sei. Hiergegen spricht aber, dass die Opfereigenschaft nicht zur vollen Überzeugung des Gerichts feststehen muss, sondern dass abhängig vom jeweiligen Verfahrensstadium ein deutlich geringerer Verdachtsgrad ausreichend ist.1650 Die Verleihung des Opferstatus impliziert lediglich die Aussage, dass bestimmte Gründe für die Annahme sprechen, dass eine Person Opfer von bestimmten, mutmaßlichen Taten geworden ist. Genau genommen wird ihr lediglich die Eigenschaft als potentielles oder mutmaßliches Opfers zuerkannt.1651 1648 Lubanga Request, ICC-01 / 04-01 / 06-272, o. Fn. 1527, Rn. 10; Prosecutor v. Lubanga – Observation de la Défense sur les demandes de participation à la procédure [ . . . ], ICC-01 / 04-01 / 06-561, 12. 10. 2006, Rn. 18; Prosecutor v. Lubanga – Observation de la Défense sur les demandes de participation à la procédure [ . . . ], ICC-01 / 04-01 / 06-585, 18. 10. 2006, Rn. 21. Siehe auch die Stellungnahme des Ad-hoc-Counsel for the Defence wiedergegeben in DRC PTC I, ICC-01 / 04-177, o. Fn. 17, S. 5 sowie Prosecutor v. Lubanga – Defence submissions regarding the applications for participation in the proceedings of applicants [ . . . ], ICC-01 / 04-01 / 06-386, 4. 9. 2006, Rn. 52; Trumbull IV, S. 823. Siehe auch Guhr (2008b), S. 128. 1649 Uganda Prosecution’s Reply, ICC-02 / 04-85, o. Fn. 36, Rn. 35; Jorda / de Hemptinne, S. 1403. 1650 Siehe hierzu oben Teil 5 E. II. 1. a). 1651 Siehe auch DRC Prosecutions’ Reply, ICC-01 / 04-84, o. Fn. 1, Rn. 8; DRC PTC, ICC-01 / 04-423-Corr, o. Fn. 11, Rn. 19 „victime présumée“; Stehle, S. 241 sowie Stahn / Olásolo / Gibson, S. 236; Sánchez, S. 882 f.

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Endgültig entscheidet erst das Strafurteil über die Opfereigenschaft. Ein Widerspruch zur Unschuldsvermutung besteht daher damit nicht. b) Verstoß gegen das Recht auf ein zügiges Verfahren Die Beteiligung von Opfern zieht das Verfahren in die Länge. Dies gilt wegen der großen Anzahl von Opfern bei völkerrechtlichen Verbrechen im Verfahren vor dem IStGH noch mehr als in nationalen Prozessen. Je mehr Opfer am Verfahren beteiligt sind, desto höher ist die Anzahl an Anträgen, desto umfangreicher werden die Zeugenbefragungen.1652 Daraus wird der Schluss gezogen, dass die Beteiligung von Opfern das Recht des Beschuldigten auf ein zügiges Verfahren beeinträchtige.1653 Dem IStGH-Statut liegt aber die Wertentscheidung zugrunde, den Opfern eine aktive Rolle zukommen zu lassen, auch wenn dadurch die Verfahrensdauer steigt. Die Verfahrensverlängerung ist damit bloße Konsequenz von Art. 68 Abs. 3 IStGH-Statut und als solche nicht per se unvereinbar mit dem Recht des Angeklagten auf einen zügigen Prozess.1654 Es obliegt der Kammer, im Einzelfall sicherzustellen, dass der Umfang der Beteiligungsrechte nicht zu einer unzumutbaren Verfahrensverzögerung führt. Diese Pflicht besteht nicht zuletzt auch im Interesse der Opfer, die ebenfalls von einem zügigen Verfahren profitieren.1655

5. Rechtswegerschöpfung als zusätzliche Voraussetzung? Teilweise wird gefordert, dass die Opfer, bevor ihre Beteiligung im Verfahren vor dem IStGH möglich ist, sich zunächst bemühen müssen, ihre Interessen auf nationaler Ebene durchzusetzen. Voraussetzung für die Ausübung der Rechte nach Art. 68 Abs. 3 IStGH-Statut sei, dass die Opfer Strafanzeige vor nationalen Behörden gestellt und versucht haben, sich in nationalen Strafverfahren zu beteiligen. Zur Begründung wird auf die Artt. 35 Abs. 1 EMRK; Art. 41 Abs. 1 lit. c) IPbürgR; 46 Abs. 1 lit. a) AMRK; 50 AfrMRK verwiesen, die die Zulässigkeit von Individualbeschwerden an die Erschöpfung des nationalen Rechtswegs knüpfen. 1652 Prosecutor v. Lubanga – Decision on the implementation of the reporting System between the Registrar and the Trial Chamber in accordance with Rule 89 and Regulation of the court 86 (5), TC I, ICC-01 / 04-01 / 06-1022, 9. 11. 2007, Rn. 23. Siehe auch Stefanie Bock (2007c), S. 675. 1653 Lubanga Response, ICC-01 / 04-01 / 06-901-Corr, o. Fn. 1571, Rn. 33; Prosecutor v. Lubanga – Defence Observations Relative to the Proceedings and Manner of Participation of Victims [ . . . ], ICC-01 / 04-01 / 06-379, 4. 9. 2006, Rn. 26. Kritisch auch Trumbull IV, S. 812 ff. 1654 Lubanga AC, Separate Opinion of Judge Sang-Hyun Song, ICC-01 / 04-01 / 06-925, o. Fn. 100, Rn. 27; OTP (2009), S. 3. Siehe auch Hoven, S. 183 und Teil 5 E. II. 4. b). Unter bestimmten Voraussetzungen können allerdings bestimmte Beteiligungsmodalitäten mit dem Recht des Angeklagten auf einen zügigen Prozess unvereinbar sein, Zappalà (2010), S. 146. 1655 Siehe hierzu WCRO (November 2007), S. 27.

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Dies wird zudem als erforderlich angesehen, um unnötige Verfahrensdopplungen zu vermeiden1656 und die subsidiäre Zuständigkeit des IStGH im Sinne des Komplementaritätsprinzips zu wahren.1657 Hiergegen spricht, dass im Verfahrensrecht des IStGH eine Art Rechtswegerschöpfung nicht vorgesehen ist.1658 Sie ist auch nicht notwendig. Anders als die Individualbeschwerde ist das Beteiligungsrecht aus Art. 68 Abs. 3 IStGH-Statut ein abhängiges Recht. Es kann nicht in Abwesenheit eines Verfahrens ausgeübt werden. Für dieses Verfahren gelten sämtliche im IStGH-Statut aufgeführten Sicherheitsmechanismen, einschließlich des Komplementaritätsprinzips. Ist ein Fall nach Art. 17 IStGH-Statut unzulässig, bestehen keine Beteiligungsrechte. Umgekehrt gilt aber auch, dass wenn und solange eine Situation oder ein Fall vor dem IStGH anhängig ist, sich die Opfer nach Maßgabe von Art. 68 Abs. 3 IStGHStatut beteiligen dürfen. Das Komplementaritätsprinzip ist nicht gesondert auf die Opferbeteiligung anwendbar.1659

III. Das Zulassungsverfahren Um den Rechtsstatus eines Verfahrensbeteiligten zu erlangen, muss das Opfer Zulassung zum Verfahren beantragen. Das Zulassungsverfahren ist in Rule 89 und Regulation 86 der Regulations of the Court näher ausgestaltet.

1. Ziel und Umfang des Zulassungsverfahrens Stark umstritten sind Charakter, Ziel und Umfang des Zulassungsverfahrens.

a) Unabhängigkeit des Zulassungsverfahrens Rule 89 Abs. 2 bestimmt, dass die Kammer einen Antrag auf Beteiligung ablehnen kann, wenn der Antragsteller kein Opfer im Sinne von Rule 85 ist oder die anderen in Art. 68 Abs. 3 IStGH-Statut aufgestellten Kriterien nicht erfüllt sind. Hieraus ergibt sich auch das Ziel des Zulassungsverfahrens. Es wird allein darüber 1656 Situation in Darfur, Sudan Request, ICC-02 / 05-95, o. Fn. 1179, Rn. 35; DRC Request, ICC-01 / 04-382, o. Fn. 1134, Rn. 53. 1657 Darfur, Sudan Request, ICC-02 / 05-95, o. Fn. 1179, Rn. 31 f.; DRC Request, ICC-01 / 04-382, o. Fn. 1134, Rn. 46. 1658 Darfur, Sudan PTC, ICC-02 / 05-110, o. Fn. 1532, Rn. 12; Darfur, Sudan PTC, ICC-02 / 05-111-Corr, o. Fn. 1532, Rn. 23; DRC PTC, ICC-01 / 04-423-Corr, o. Fn. 11, Rn. 8; Darfur, Sudan Response of Legal Representative, ICC-02 / 05-124, o. Fn. 1596, Rn. 33. 1659 Darfur, Sudan PTC, ICC-02 / 05-110, o. Fn. 1532, Rn. 11. Zustimmend DRC Observations of the Legal Representative, ICC-01 / 04-451, o. Fn. 1524, Rn. 49.

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entschieden, ob der Antragsteller berechtigt ist, sich im Verfahren zu beteiligen. Gegenstand des Zulassungsverfahrens sind damit nicht die Schuld oder Unschuld des Beschuldigten oder die Glaubwürdigkeit von Belastungszeugen.1660 Damit ist das Zulassungsverfahren inhaltlich vollständig vom eigentlichen Strafverfahren unabhängig. b) Verfahrenszulassung ohne Festlegung der Beteiligungsmodalitäten Kernstreitpunkt ist die Frage, ob die Kammer gleichzeitig mit der Zulassung eines Opfers zum Verfahren dessen Beteiligungsrechte festlegen muss. Vor allem PTC I hält es für ausreichend, dem Antragsteller abstrakt den Status eines zur Beteiligung im jeweiligen Verfahrensstadium berechtigten Opfers zu verleihen; über den genauen Umfang der Beteiligungsrechte wird später, mit Blick auf den jeweiligen Verfahrensschritt, entschieden.1661 Dementsprechend prüft die Kammer im Zulassungsverfahren lediglich, ob die persönlichen Interessen des Antragstel1660 Darfur, Sudan PTC, ICC-02 / 05-110, o. Fn. 1532, Rn. 6; Situation in the DRC – Decision on the Requests of the OPCD on the Production of Relevant Supporting Documentation Pursunat to Regulation 86 (2) (e) of the Regulation of the Court and on the Disclosure of Exculpatory Materials by the Prosecutor, PTC I, ICC-01 / 04-417, 7. 12. 2007, Rn. 11; Darfur, Sudan PTC, ICC-02 / 05-111-Corr, o. Fn. 1532, Rn. 22. 1661 Darfur, Sudan PTC, ICC-02 / 05-110, o. Fn. 1532, Rn. 5; DRC Réponse du BCPV, ICC-01 / 04-435, o. Fn. 1532, Rn. 16, 27; Darfur, Sudan PTC, ICC-02 / 05-121, o. Fn. 1609, S. 9; DRC PTC, ICC-01 / 04-444, o. Fn. 1582, S. 11. Siehe auch Prosecutor v. Lubanga – Decision on Defence Motion for Leave to Appeal, PTC I, ICC-01 / 04-01 / 06-338, 18. 8. 2006, S. 8; Uganda PTC II, ICC-02 / 04-112, o. Fn. 1529, Rn. 39; DRC PTC, ICC-01 / 04-438, o. Fn. 1532, S. 6; Situation in Darfur, Sudan PTC, ICC-02 / 05-118, o. Fn. 1532, S. 6; Katanga & Ngudjolo PTC I, ICC-01 / 04-01 / 07-357, o. Fn. 11, S. 12; Uganda Response of Legal Representative, ICC-02 / 04-106, o. Fn. 1529, Rn. 25; DRC Observations of the Legal Representative, ICC-01 / 04-451, o. Fn. 1524, Rn. 24; Prosecutor v. Lubanga – Résponse à la reqêute de la Défense sollicitant l’autorisation de faire appel contre la décision sur les demandes de participation des victimes, ICC-01 / 04-01 / 06-323, 11. 8. 2006, Rn. 16. Kritisch Lubanga Request, ICC-01 / 04-01 / 06-272, o. Fn. 1527, Rn. 49; DRC Prosecution’s Application, ICC-01 / 04-428, o. Fn. 1614, Rn. 16; Situation in Darfur, Sudan – Request for Leave to Appeal the „Decision on the Request of the OPCD on the Production of Relevant Supporting Documentation Pursuant to Regulation 86 (2) (e) of the Regulations of the Court and on the Disclosure of Exculpatory Materials by the Prosecutor“, ICC-02 / 05-112, 10. 12. 2007, Rn. 26 ff.; Situation in Darfur, Sudan – Request for Leave to Appeal the „Decision on the Applications for Participation in the Proceedings of Applicants [ . . . ]“, ICC-02 / 05-113, 12. 12. 2007, Rn. 22; DRC Request for leave to appeal, ICC-01 / 04-419, o. Fn. 36, Rn. 27; DRC Réponse, ICC-01 / 04-433, o. Fn. 1564, Rn. 17; Situation in the DRC – Prosecution’s Response to OPCD’s Request for Leave to Appeal the Single Judge’s 24 December 2007 Decision on the Applications for Participation in the Proceedings, ICC-01 / 04-434, 11. 1. 2008, Rn. 8; DRC OPCD Appeal Brief, ICC-01 / 04-440, o. Fn. 1630, Rn. 21; Darfur, Sudan OPCD Appeal Brief, ICC-02 / 05-119, o. Fn. 36, Rn. 20; Situation in Darfur, Sudan – Prosecution’s Response to OPCD’s Appeal Brief on the „Decision on the Requests of the OPCD on the Production of Relevant Supporting Documentation Pursuant to Regulation 86 (2) (e) or the Regulations of the Court and on the Disclosure of Potentially

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lers allgemein von dem in Frage stehenden Verfahrensabschnitt – Ermittlungsverfahren, Bestätigung der Anklage oder Hauptverhandlung – betroffen sind. Nicht notwendig ist es demzufolge, dass das Opfer bereits sein persönliches Interesse an jeder einzelnen Verfahrenshandlung, an jedem einzelnen Beweisstück demonstriert.1662 In ihrer Entscheidung über die Opferbeteiligung im Ermittlungsstadium hat die Appeals Chamber fesgestellt, dass die Vorverfahrenskammer nicht das Recht habe, den Opfern einen prozessualen Status zu verleihen, der das Recht beinhaltet, sich an den Ermittlungen zu beteiligen.1663 Auch wenn die Kammer der abstrakten Anerkennung eines Opferstatus eher ablehnend gegenüber zu stehen scheint,1664 hat sie die Behandlung von Beteiligungsanträgen im Situationsstadium explizit der jeweils zuständigen Vorverfahrenskammer überlassen.1665 Daher scheint die bisherige Rechtsprechung der Appeals Chamber es nicht zu verbieten,1666 einen Geschädigten abstrakt als Opfer beispielsweise der Situation in Uganda anzuerkennen, seine Beteiligungsrechte hingegen erst festzulegen, wenn in der Situation ein konkretes gerichtliches Verfahren durchgeführt wird.1667 Fraglich ist allerdings, ob dieser Ansatz mit dem Prozessrecht des IStGH vereinbar ist.1668 aa) Verstoß gegen Art. 68 Abs. 3 IStGH-Statut? Gegen die Rechtsprechung der Pre-Trial Chamber wird angeführt, dass sie die Voraussetzungen von Art. 68 Abs. 3 IStGH-Statut aushöhlen würde.1669 Das KriteExculparoty Material“, ICC-02 / 05-123, 15. 2. 2008, Rn. 16; Darfur Prosecution’s Document, ICC-02 / 05-125, o. Fn. 46, Rn. 10; DRC Prosecution’s Document, ICC-01 / 04-454, o. Fn. 1533, Rn. 12; Situation in Uganda – Defence Application for Leave to Appeal the Decision on victims’ applications for participation issued on 14 March 2008, ICC-02 / 04-128, 25. 3. 2008, Rn. 21 = Prosecutor v. Kony et al. – Defence Application for Leave to Appeal the Decision on victims’ applications for participation issued on 14 March 2008, ICC-02 / 04-01 / 05-285, 25. 3. 2008, Rn. 21; Chung, S. 527. 1662 Darfur, Sudan PTC, ICC-02 / 05-121, o. Fn. 1609, S. 6. Kritisch Darfur Prosecution’s Document, ICC-02 / 05-125, o. Fn. 46, Rn. 32; Darfur, Sudan OPCD Appeal Brief, ICC-02 / 05-126, o. Fn. 1634, Rn. 20. 1663 DRC AC, ICC-01 / 04-556, o. Fn. 7, Rn. 57; Darfur, Sudan AC, ICC-02 / 05-177, o. Fn. 1597, Rn. 7 (57). 1664 Siehe DRC AC, ICC-01 / 04-556, o. Fn. 7, Rn. 43 f.; Darfur, Sudan AC, ICC-02 / 05-177, o. Fn. 1597, Rn. 7 (43 f.). So auch Tsereteli, S. 657. 1665 DRC AC, ICC-01 / 04-556, o. Fn. 7, Rn. 57; Darfur, Sudan AC, ICC-02 / 05-177, o. Fn. 1597, Rn. 7 (57). 1666 Siehe auch Olásolo (2009), S. 526 ff. So wohl auch Tsereteli, S. 655. 1667 Siehe zu möglichen gerichtlichen Verfahren unten Teilf 5 E. VIII. 3. 1668 Dieses Problem wird in der neueren Literatur unter dem Schlagwort „systematic v. casuistic approach“ diskutiert, siehe Tsereteli, S. 664 ff.; Olásolo (2009), S. 520 ff. 1669 DRC Réponse, ICC-01 / 04-433, o. Fn. 1564, Rn. 18 ff.; DRC OPCD Appeal Brief, ICC-01 / 04-440, o. Fn. 1630, Rn. 27; Darfur, Sudan OPCD Appeal Brief, ICC-02 / 05-119, o. Fn. 36, Rn. 26. Siehe auch Uganda Defence Application, ICC-02 / 04-128, o. Fn. 1661, Rn. 15 = Kony et al. Defence Application, ICC-02 / 04-01 / 05-285, o. Fn. 1661, Rn. 15;

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rium der persönlichen Betroffenheit wäre nach dem Ansatz der Kammer faktisch deckungsgleich mit der Opfereigenschaft im Sinne von Rule 85 und würde daher jeder eigenständigen Bedeutung beraubt.1670 Zudem würde nicht geprüft, ob die Beteiligung des Antragstellers mit den Rechten des Angeklagten sowie der Fairness und Unparteilichkeit des Verfahrens vereinbar ist.1671 Diese Kritik verkennt, dass die Zuordnung eines Antragstellers zu einer Situation oder einem Fall auch eine Aussage über die generelle Betroffenheit seiner Interessen beinhaltet.1672 Inwieweit diese auch spezifisch durch einen konkreten Verfahrensschritt, beispielsweise eine Entscheidung nach Art. 56 Abs. 1 IStGHStatut, berührt werden, kann bei der Ausgestaltung der Beteiligungsrechte berücksichtigt werden.1673 Die fehlende Abwägung mit den Rechten der Verteidigung ist die logische Folge der Trennung zwischen Verfahrenszulassung und Entscheidung über den Umfang der Beteiligung. Erst bei der Festlegung der konkreten Beteiligungsmodalitäten kann geprüft werden, ob diese mit den Rechten des Angeklagten oder der Fairness und Unparteilichkeit des Verfahrens vereinbar sind.1674 Die abstrakte Feststellung, dass bestimmte Personen die Antragsvoraussetzungen erfüllen, kann das Verfahren oder die Rechtsposition der Verteidigung nicht beeinträchtigen.1675 bb) Verstoß gegen Rule 89 Abs. 1? Angeführt wird ferner, dass Rule 89 Abs. 1 die Kammer zwinge, gleichzeitig mit Zulassung eines Opfers zum Verfahren die Beteiligungsmodalitäten festzuleSituation in Darfur, Sudan – OPCD‘ Response to the 24 June 2008 Consolidated Statement of Views and Concerns of the Legal Representatives of the Participating Victims [ . . . ], ICC-02 / 05-147, 3. 7. 2008, Rn. 25. 1670 Darfur Prosecution’s Document, ICC-02 / 05-125, o. Fn. 46, Rn. 13. 1671 Darfur, Sudan Request, ICC-02 / 05-113, o. Fn. 1661, Rn. 26; Situation in Darfur Sudan – Prosecution’s Response to OPCD’s Request for leave to appeal the Single Judge’s 6 December 2007 Decision on the Applications for Participation in the Proceedings, ICC-02 / 05-117, 17. 12. 2007, Rn. 8; Darfur Prosecution’s Document, ICC-02 / 05-125, o. Fn. 46, Rn. 14; DRC Prosecution’s Document, ICC-01 / 04-454, o. Fn. 1533, Rn. 36; Uganda Defence Application, ICC-02 / 04-128, o. Fn. 1661, Rn. 26 = Kony et al. Defence Application, ICC-02 / 04-01 / 05-285, o. Fn. 1661, Rn. 26; Darfur, Sudan OPCD’ Response, ICC-02 / 05-147, o. Fn. 1669, Rn. 26. 1672 Siehe oben Teil 5 E. II. 2. 1673 Siehe auch Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1119, o. Fn. 7, Rn. 96. Kritisch hierzu WCRO (November 2007), S. 54, da dem IStGH-Statut nicht zu entnehmen sei, dass diese Voraussetzung auch für den Umfang der Beteiligungsrechte Bedeutung habe. Hiergegen spricht allerdings, dass das „wie“ der Beteiligung vollständig im Ermessen der Kammer steht und diese daher auch ermessenslenkende Kriterien entwickeln kann. 1674 Darfur, Sudan PTC, ICC-02 / 05-121, o. Fn. 1609, S. 10; Darfur, Sudan Response of the Legal Representatives, ICC-02 / 05-116, o. Fn. 1529, Rn. 55. 1675 Lubanga Résponse, ICC-01 / 04-01 / 06-323, o. Fn. 1661, Rn. 17; DRC Réponse du BCPV, ICC-01 / 04-435, o. Fn. 1532, Rn. 18 ff.

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gen.1676 Diese Vorschrift bestimmt aber lediglich, dass die Kammer über den Umfang der Partizipationsrechte entscheidet, nicht aber, wann sie dies tun muss.1677 Dies ist auch sinnvoll, da es sich bei der Entscheidung über die Zulassung zum Verfahren und der Bestimmung der Beteiligungsmodalitäten um zwei inhaltlich getrennte Fragen handelt.1678 cc) Verletzung der Verfahrensfairness? Kritisiert wird ferner, dass der Verzicht, unverzüglich den Umfang der Beteiligungsrechte zu bestimmen, zu einer unerträglichen Unsicherheit über die prozessuale Stellung der Opfer führt. Dies würde die Verfahrensfairness für alle Beteiligten verletzen.1679 Die Unsicherheit hinsichtlich der Beteiligungsmodalitäten ist allerdings im IStGH-Statut angelegt. Will man den Umfang der Opferrechte nicht allgemeingültig festlegen, sondern es der Kammer ermöglichen, ihn flexibel, unter Berücksichtigung der konkreten Verfahrensumstände auf einer case-by-case-Basis zu bestimmen, muss man die damit verbundene Rechtsunsicherheit in Kauf nehmen.1680

1676 Darfur, Sudan Prosecution’s Response, ICC-02 / 05-123, o. Fn. 1661, Rn. 18; Darfur Prosecution’s Document, ICC-02 / 05-125, o. Fn. 46, Rn. 15; DRC Prosecution’s Document, ICC-01 / 04-454, o. Fn. 1533, Rn. 15; Lubanga Prosecution’s Document, ICC-01 / 04-01 / 06-1219, o. Fn. 1570, Rn. 23. 1677 Darfur, Sudan Consolidated Statement, ICC-02 / 05-144, o. Fn. 1596, Rn. 15; DRC Réponse du BCPV, ICC-01 / 04-435, o. Fn. 1532, Rn. 17; Uganda Response of the Legal Representative, ICC-02 / 04-133, o. Fn. 10, Rn. 21 = Kony et al. Response of the Legal Representative of Victims, ICC-02 / 04-01 / 05-291, o. Fn. 10, Rn. 21. Siehe auch Uganda Response of Legal Representative, ICC-02 / 04-106, o. Fn. 1529, Rn. 26. 1678 Darfur, Sudan Consolidated Statement, ICC-02 / 05-144, o. Fn. 1596, Rn. 15; DRC Réponse du BCPV, ICC-01 / 04-435, o. Fn. 1532, Rn. 17. Siehe auch Prosecutor v. Lubanga – Prosecution’s Observations on the Applications for Participaton of Applicants a / 0001 / 06 to a / 0003 / 06, ICC-01 / 04-01 / 06-140, 6. 6. 2006, Rn. 7; Prosecutor v. Lubanga – Prosecution’s Observations on the Applications for Participation of Applicants [ . . . ], ICC-01 / 04-01 / 06-345, 22. 8. 2006, Rn. 9; Lubanga Prosecution’s Observations, ICC-01 / 04-01 / 06-390, o. Fn. 1532, Rn. 10; Prosecutor v. Lubanga – Prosecution’s Observations on the Applications for Participation of Applicants [ . . . ], ICC-01 / 04-01 / 06-560, 12. 10. 2006, Rn. 9; Prosecutor v. Lubanga – Formatted and Redacted Version of Prosecution’s Ovservations on the Applications for Participation of Applicants [ . . . ], ICC-01 / 04-01 / 06-589, 19. 10. 2006, Rn. 9; Prosecutor v. Kony et al. Prosecutions Reply, ICC-02 / 04-01 / 05-214, o. Fn. 1540, Rn. 18. Der Ankläger selbst räumt ein, dass es sich um einen „two-stage process“ handelt. 1679 DRC Prosecution’s Application, ICC-01 / 04-428, o. Fn. 1614, Rn. 22 – 23. 1680 DRC Réponse du BCPV, ICC-01 / 04-435, o. Fn. 1532, Rn. 39. Siehe auch Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1119, o. Fn. 7, Rn. 101 „participation is not a once-and-for-all-event“ sowie oben Teil 5 E. I.

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dd) Prozessökonomische Erwägungen Darüber hinaus wird angeführt, dass das Vorgehen der Kammer unter verfahrensökonomischen Gesichtspunkten bedenklich sei. Die zugelassenen Opfer müssten zwangsläufig eine große Anzahl von Folgeanträgen einreichen, um den Umfang ihrer Rechte zu klären.1681 Wird allerdings einmal abstrakt über den Opferstatus in einem Verfahrensstadium entschieden, muss im weiteren Verfahrensverlauf nur noch der Umfang der Beteiligung bestimmt werden. Es muss nicht für jede einzelne von den Opfern gewünschte Prozesshandlung das komplette Zulassungsverfahren durchgeführt werden. Auf diese Weise führt die Anerkennung eines abstrakten Opferstatus zu einer Entlastung des weiteren Prozesses.1682 Zudem erscheint es zweifelhaft, ob es überhaupt möglich ist, bei der Entscheidung über die Anträge bereits den Umfang der Beteiligung vollumfänglich zu bestimmen. Daher erscheint die Praxis einiger Kammern, zu Beginn eines Verfahrensstadiums allgemeine Richtlinien über die Beteiligung von Opfern aufzustellen1683 und diese dann eigenverantwortlich auf die einzelnen Verfahrensschritte anzuwenden, auch verfahrensökonomisch sinnvoll. ee) Zusammenfassung Die abstrakte Entscheidung über den verfahrensrechtlichen Statuts eines Opfers bildet die Basis für eine effektive Opferbeteiligung. Der Antragsteller erhält ein allgemeines, übergreifendes Beteiligungsrecht. Dies versetzt ihn in die Lage, in einem Verfahrensabschnitt umfassend seine Rechte wahrzunehmen und diesen aktiv mitzugestalten. Art. 68 Abs. 3 IStGH-Statut würde erheblich entwertet, wenn das Opfer ausschließlich für spezifische Beweisstücke oder einzelne Verfahrenshandlungen zugelassen würde.1684 Zudem ist die abstrakte Verfahrenszulassung auch eine Form der immateriellen Wiedergutmachung. Der Geschädigte erfährt hierdurch die Anerkennung als Opfer eines Verbrechens.1685 Zusammenfassend ist daher festzuhalten, dass im Zulassungsverfahren allein darüber entschieden wird, ob der Antragsteller grundsätzlich berechtigt ist, sich in dem jeweiligen Verfah1681 DRC Prosecution’s Application, ICC-01 / 04-428, o. Fn. 1614, Rn. 29; DRC Réponse, ICC-01 / 04-433, o. Fn. 1564, Rn. 32. 1682 Darfur, Sudan PTC, ICC-02 / 05-121, o. Fn. 1609, S. 7; DRC PTC, ICC-01 / 04-444, o. Fn. 1582, S. 9; Darfur, Sudan Consolidated Statement, ICC-02 / 05-144, o. Fn. 1596, Rn. 23 ff. Siehe auch Katanga & Ngudjolo PTC, ICC-01 / 04-01 / 07-474, o. Fn. 1524, Rn. 48; Tsereteli, S. 654, 655. 1683 Siehe die Entscheidungen DRC PTC, ICC-01 / 04-101-Corr, o. Fn. 4; Lubanga PTC, ICC-01 / 04-01 / 06-462, o. Fn. 1572; Uganda PTC, ICC-02 / 04-101, o. Fn. 7 = Kony et al. PTC, ICC-02 / 04-01 / 05-252, o. Fn. 7. 1684 Siehe auch Darfur, Sudan PTC, ICC-02 / 05-121, o. Fn. 1609, S. 7; Katanga & Ngudjolo PTC, ICC-01 / 04-01 / 07-474, o. Fn. 1524, Rn. 48. 1685 Siehe auch Mohan, S. 759. Kritisch Rauschenbach / Scalia, S. 454 f.

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rensabschnitt zu beteiligen. Der Umfang seiner Rechte kann zu einem späteren Zeitpunkt festgelegt werden.

2. Antrag Gemäß Rule 89 Abs. 1 S. 1 müssen die Opfer ihren Antrag auf Beteiligung an die Kanzlei richten. Um die Antragstellung zu erleichtern, hat die Kanzlei ein Formular entworfen, in dem die erforderlichen Informationen abgefragt werden.1686 Die Opfer sind allerdings nicht gezwungen, den Vordruck zu verwenden.1687 Akzeptiert werden auch freie oder durch NGOs vermittelte Anträge.1688

a) Antragsinhalt Der Antrag soll gemäß Regulation 86 Abs. 2 Regulations of the Court nach Möglichkeit folgende Angaben enthalten: – die Identität des Antragstellers sowie eine Kontaktadresse; – den Zeitpunkt der Tat; – den Ort der Tat; – den Namen des mutmaßlichen Täters; – eine Beschreibung des durch die Tat verursachten Schadens; – Hinweise auf unterstützendes Beweismaterial, beispielsweise Name und Anschrift von Zeugen; – eine Begründung warum und inwieweit die persönlichen Interessen des Antragstellers betroffen sind; – Ausführungen, in welchen Verfahrensstadien Beteiligung beantragt wird; – Name und Anschrift des beauftragten Opferanwalts (soweit vorhanden); – Unterschrift des Antragstellers oder Fingerabdruck.1689

Hält die Kammer die im Antrag enthaltenen Informationen nicht für ausreichend, um über die Zulassung zum Verfahren zu befinden, so ist sie nach Regulation 86 Abs. 7 der Regulations of the Court berechtigt, Staaten, den Ankläger, die Antragsteller oder ihre Vertreter um zusätzliche Informationen zu ersuchen. Siehe Regulation 86 Abs. 1 Regulations of the Court. WCRO (February 2009), S. 12. 1688 DRC PTC, ICC-01 / 04-101-Corr, o. Fn. 4, Rn. 102. 1689 DRC PTC, ICC-01 / 04-374, o. Fn. 16, Rn. 12; DRC PTC, ICC-01 / 04-423-Corr, o. Fn. 11, Rn. 14; DRC PTC, ICC-01 / 04-505, o. Fn. 17, Rn. 16; Abu Garda PTC, ICC-02 / 05-02 / 09-121, o. Fn. 18, Rn. 7. 1686 1687

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b) Identitätsnachweis Die Kammer kann nur diejenigen Opfer zum Verfahren zulassen, von deren Identität sie sich überzeugen konnte. Daher ist dem Antrag zwingend ein Identitätsnachweis beizufügen.1690 Allerdings ist es Opfern, die aus Krisengebieten geflohen sind, häufig nicht möglich, an die notwendigen amtlichen Papiere zu gelangen.1691 Dementsprechend haben alle Kammern – allerdings mit leichten Variationen – auch andere Identitätsnachweise zugelassen. Dadurch wird sichergestellt, dass die Beteiligungsrechte nicht durch unerfüllbare Antragsvoraussetzungen entwertet werden.1692 Pre-Trial Chamber I1693 und die Trial Chambers I1694 und II1695 haben die Identitätsnachweise in drei verschiedene Gruppen eingeteilt: 1690 Prosecutor v. Bemba Gombo – Decision defining the status of 54 victims who participated at the pre-trial stage, and inviting the parties’ observations on applications for participation by 86 applicants, TC III, ICC-01 / 05-01 / 08-699, 22. 2. 2010, Rn. 31; DRC PTC, ICC-01 / 04-374, o. Fn. 16, Rn. 12; Darfur, Sudan PTC, ICC-02 / 05-111-Corr, o. Fn. 1532, Rn. 27; DRC PTC, ICC-01 / 04-423-Corr, o. Fn. 11, Rn. 14; Abu Garda PTC, ICC-02 / 05-02 / 09-121, o. Fn. 18, Rn. 8; Uganda Defence Application, ICC-02 / 04-128, o. Fn. 1661, Rn. 17 = Kony et al. Defence Application, ICC-02 / 04-01 / 05-285, o. Fn. 1661, Rn. 17; Abu Garda Prosecution’s Observations ICC-02 / 05-02 / 09-100, o. Fn. 11, Rn. 9 Prosecutor v. Al Bashir – Prosecution’s Observations on 8 Applications for Victims’ Participation in the Proceedings, ICC-02 / 05-01 / 09-58, 2. 12. 2009, Rn. 10. 1691 Uganda PTC, ICC-02 / 04-101, o. Fn. 7, Rn. 16 = Kony et al. PTC, ICC-02 / 04-01 / 05-252, o. Fn. 7, Rn. 16; Darfur, Sudan PTC, ICC-02 / 05-111-Corr, o. Fn. 1532, Rn. 27; DRC PTC, ICC-01 / 04-374, o. Fn. 16, Rn. 14; Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1119, o. Fn. 7, Rn. 87; DRC PTC, ICC-01 / 04-505, o. Fn. 17, Rn. 20; Kony et al. – Decision on victims’ applications for participation [ . . . ], PTC II, ICC-02 / 04-01 / 05-282, 14. 3. 2008, Rn. 4 f.; Bemba Gombo PTC, ICC-01 / 05-01 / 08-320, o. Fn. 11, Rn. 34; Abu Garda PTC, ICC-02 / 05-02 / 09-121, o. Fn. 18, Rn. 8; Al Bashir PTC, ICC-02 / 05-01 / 09-62, o. Fn. 1572, Rn. 9; Uganda Response of the Legal Representative, ICC-02 / 04-133, o. Fn. 10, Rn. 38 = Kony et al. Response of the Legal Representative of Victims, ICC-02 / 04-01 / 05-291, o. Fn. 10, Rn. 38. Siehe auch Stehle, S. 243; Ferstmann / Goetz, S. 323. 1692 Dennoch kritisch Lubanga Requête de la Défense, ICC-01 / 04-01 / 06-1135, o. Fn. 100, Rn. 15 – 16. 1693 DRC PTC, ICC-01 / 04-374, o. Fn. 16, Rn. 15; Darfur, Sudan PTC, ICC-02 / 05-111-Corr, o. Fn. 1532, Rn. 28; DRC PTC, ICC-01 / 04-423-Corr, o. Fn. 11, Rn. 15; DRC PTC, ICC-01 / 04-505, o. Fn. 17, Rn. 18; Prosecutor v. Katanga & Ngudjolo – Public Redacted Version of the „Decision on the 97 Applicatins for Participation at the Pre-Trial Stage of the Case“, PTC I, ICC-01 / 04-01 / 07-579, 10. 6. 2008, Rn. 46; Abu Garda PTC, ICC-02 / 05-02 / 09-121, o. Fn. 18, Rn. 8; Al Bashir PTC, ICC-02 / 05-01 / 09-62, o. Fn. 1572, Rn. 9. Siehe auch DRC Observations of Legal Representative, ICC-01 / 04-105, o. Fn. 46, Rn. 16. Ähnlich auch PTC III Bemba Gombo PTC, ICC-01 / 05-01 / 08-320, o. Fn. 11, Rn. 36 f. 1694 Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1119, o. Fn. 7, Rn. 87. Ähnlich Bemba Gombo TC, ICC-01 / 05-01 / 08-699, o. Fn. 1690, Rn. 36. 1695 Prosecutor v. Katanga & Ngudjolo – Decision on the treatment of applications for participation, TC II, ICC-01 / 04-01 / 07-933, 9. 7. 2009, Rn. 30.

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– Offizielle Dokumente, z. B. Personalausweis, Reisepass, Geburtsurkunde, Todesurkunde, Heiratsurkunde, Familienbuch, Testament, Führerschein, Ausweise von humanitären Organisationen; – Inoffizielle Dokumente, z. B. Wahlkarte, Studentenausweis, Schülerausweis, Brief von lokalen Behörden, Unterlagen über medizinische Behandlungen, Arbeitnehmerausweis, Taufschein; – Sonstige Dokumente, z. B. Urkunde über den Verlust von bestimmten offiziellen Dokumenten, Schulunterlagen, Kirchenpass, Mitgliedsausweis einer Partei, Dokumente von Rehabilitationszentren für Kinder, Nachweise über die Nationalität, Rentennachweis.

Diese Einteilung beruht auf einer Bewertung der Beweiskraft der Dokumente. Daraus folgt, dass nach Möglichkeit offizielle Unterlagen zum Nachweis der Identität vorgelegt werden sollen. Nur wenn diese nicht verfügbar sind, kann auf inoffizielle bzw. sonstige Dokumente zurückgegriffen werden. Kann ein Opfer keine der genannten Unterlagen beibringen, ist es ausreichend, wenn zwei Zeugen übereinstimmend die Identität des Antragstellers bestätigen. Voraussetzung ist allerdings, dass die Zeugen über einen hinreichenden Identitätsnachweis verfügen.1696 Restriktiver ist der ursprüngliche Ansatz von Pre-Trial Chamber II. Sie verlangte die Vorlage eines Dokuments, das von einer Behörde ausgestellt wurde, den Namen und Geburtstag des Inhabers aufführt und eine Fotografie von ihm enthält.1697 Die Beschränkung auf behördliche Unterlagen dürfte für viele Opfer eine ernst zu nehmende Hürde darstellen. Oftmals wurden solche Dokumente bei der Tat zerstört oder gingen auf der Flucht verloren. Kontakt mit den Behörden ihres Heimatlands aufzunehmen, um beispielsweise die Ausstellung eines neuen Ausweises zu beantragen, ist häufig keine Option. Die Opfer befürchten Repressalien, sollten ihre Flucht oder ihre Zusammenarbeit mit dem IStGH offiziell bekannt werden. Daher wird der Ansatz von Pre-Trial Chamber I und Trial Chamber I der Situation der Opfer völkerrechtlicher Verbrechen besser gerecht. Gleichzeitig gewährleistet er, dass die Identität des Antragstellers mit hinreichender Sicherheit überprüft werden kann. Er ist daher vorzugswürdig. Wollen sich Personen am Verfahren beteiligen, die mittelbar dadurch geschädigt wurden, dass ein ihnen nahestehender Mensch Opfer eines Verbrechen geworden ist, so verlangt die Rechtsprechung, dass der Antragsteller zusätzlich die Identität 1696 Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1119, o. Fn. 7, Rn. 88; DRC PTC, ICC-01 / 04-374, o. Fn. 16, Rn. 15; Darfur, Sudan PTC, ICC-02 / 05-111-Corr, o. Fn. 1532, Rn. 28; DRC PTC, ICC-01 / 04-423-Corr, o. Fn. 11, Rn. 15; Bemba Gombo PTC, ICC-01 / 05-01 / 08-320, o. Fn. 11, Rn. 37; DRC Observations of Legal Representative, ICC-01 / 04-105, o. Fn. 46, Rn. 16. 1697 Uganda PTC, ICC-02 / 04-101, o. Fn. 7, Rn. 16 = Kony et al. PTC, ICC-02 / 04-01 / 05-252, o. Fn. 7, Rn. 16. Weiter hingegen Kony et al. PTC, ICC-02 / 04-01 / 05-282, o. Fn. 1691, Rn. 6.

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des direkten Opfers und seine Beziehung zu diesem beweist.1698 Zu berücksichtigen ist allerdings, dass es für die Betroffenen häufig schwierig, wenn nicht sogar unmöglich sein dürfte, nicht nur die eigene Identität, sondern auch noch die Identität des direkten Opfers durch (offizielle) Dokumente zu belgen.1699 Unmittelbar Geschädigten darf der Zugang zum Verfahren aber nicht durch überzogene Beweisanforderungen unzumutbar erschwert werden. Daher ist flexibel von Fall zu Fall unter Berücksichtigung der dem jeweiligen Antragsteller zur Verfügung stehenden Möglichkeiten zu entscheiden, ob dieser als indirektes Opfer anerkannt wird.1700 Insbesondere dürfen an den Nachweis der Identiät des direkten Opfers und der Beziehung zwischen diesem und dem mittelbaren Opfer geringere Anforderungen gestellt werden, als an den Beweis der Identität des Antragstellers.1701 c) Stellvertretung Aus Rule 89 Abs. 3 und Regulation 86 Abs. 2 lit. b) Regulations of the Court folgt, dass sich die Opfer vertreten lassen dürfen, also eine andere Person im Zulassungsverfahren ihre Rechte wahrnehmen kann. Dies muss nicht zwangsläufig ein Jurist sein. Vielmehr kann grundsätzlich jede Person bevollmächtigt werden.1702 Voraussetzung ist allerdings, dass der Vertreter bei der Antragstellung die Vollmacht sowie einen Identitätsnachweis für sich und das von ihm vertretene Opfer vorlegt.1703 Basiert die Vertretungsmacht auf einem verwandtschaftlichen Näheverhältnis, handeln also beispielsweise Eltern im Namen ihrer Kinder, müssen sie eine Abstammungsurkunde oder einen Nachweis über die Vormundschaft vorlegen.1704 Umstritten ist, ob sich die Erben im Namen eines Verstorbenen am Verfahren beteiligen können. Hiergegen spricht der Wortlaut von Rule 89 Abs. 3. Eine Stell1698 Uganda AC, ICC-02 / 04-179, o. Fn. 9, Rn. 36 = Kony et al. AC, ICC-02 / 04-01 / 05-371, o. Fn. 9, Rn. 36; Abu Garda PTC, ICC-02 / 05-02 / 09-121, o. Fn. 18, Rn. 9; Abu Garda PTC, ICC-02 / 05-02 / 09-147, o. Fn. 1548, Rn. 6. 1699 Uganda AC, ICC-02 / 04-179, o. Fn. 9, Rn. 38 = Kony et al. AC, ICC-02 / 04-01 / 05-371, o. Fn. 9, Rn. 38. 1700 Siehe auch Abu Garda PTC, ICC-02 / 05-02 / 09-121, o. Fn. 18, Rn. 9; Abu Garda PTC, ICC-02 / 05-02 / 09-147, o. Fn. 1548, Rn. 6. 1701 Uganda AC, ICC-02 / 04-179, o. Fn. 9, Rn. 38 = Kony et al. AC, ICC-02 / 04-01 / 05-371, o. Fn. 9, Rn. 38. 1702 Siehe Uganda OPCV’s Observations, ICC-02 / 04-89, o. Fn. 7, Rn. 46 = Kony et al. OPCV’s Observations, ICC-02 / 04-01 / 05-232, o. Fn. 7, Rn. 46. 1703 Darfur, Sudan PTC, ICC-02 / 05-111-Corr, o. Fn. 1532, Rn. 32; DRC PTC, ICC-01 / 04-423-Corr, o. Fn. 11, Rn. 19; Kony et al. PTC, ICC-02 / 04-01 / 05-282, o. Fn. 1691, Rn. 7; Bemba Gombo PTC, ICC-01 / 05-01 / 08-320, o. Fn. 11, Rn. 38; Katanga & Ngudjolo TC, ICC-01 / 04-01 / 07-933, o. Fn. 1695, Rn. 36, Siehe auch DRC PTC I, ICC-01 / 04-177, o. Fn. 17, S. 13. 1704 Darfur, Sudan PTC, ICC-02 / 05-111-Corr, o. Fn. 1532, Rn. 34; DRC PTC, ICC-01 / 04-423-Corr, o. Fn. 11, Rn. 31; DRC PTC, ICC-01 / 04-505, o. Fn. 17, Rn. 31; Kony et al. PTC, ICC-02 / 04-01 / 05-282, o. Fn. 1691, Rn. 7.

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vertretung ist nur möglich, wenn das Opfer seine Einwilligung erklärt hat. 1705 An dieser Voraussetzung wird es bei Anträgen im Namen eines Verstorbenen regelmäßig fehlen.1706 Dennoch hat Pre-Trial Chamber III es den Erben gestattet, sich anstelle des primären Opfers am Verfahren zu beteiligen und dessen Interessen wahrzunehmen.1707 Begründet wurde dies damit, dass der Tod nichts daran ändere, dass der Betroffene Opfer i. S. d. Rule 85 ist.1708 Zudem sei eine Einbeziehung der Erben ins Verfahren mit Blick auf eine (mögliche) spätere Geltendmachung von Schadensersatz- und Schmerzensgeldansprüchen aus übergegangenem Recht geboten.1709 Hiergegen spricht aber, dass Wiedergutmachungsleistungen unabhängig von einer Verfahrensbeteiligung gewährt werden können.1710 Zudem ist es möglich, auch unter Beachtung von Rule 89 Abs. 3 zu angemessenen Ergebnissen zu gelanen. Typischerweise werden die Erben durch den Tod des primären Opfers einen psychischen oder emotionalen Schaden erlitten haben, so dass sie zumeist in eigener Person die Voraussetzungen von Rule 85 lit. a) erfüllen werden. In diesen Fällen können sie als indirekte Opfer zum Verfahren zugelassen werden, ohne dass es einer erneuten Antragstellung bedarf.1711

d) Daueranträge Will sich ein Opfer sowohl in der Situation, als auch in jedem Fall, der dieser Situation entspringt, beteiligen, wird der zweite Antrag automatisch berücksichtigt, sobald ein neuer Haftbefehl erlassen wird. Es ist nicht notwendig, dass das Opfer für jeden Fall erneut Zulassung beantragt.1712 Sollte allerdings seit der ursprünglichen Antragstellung ein gewisser Zeitraum vergangen sein, kann es sinnvoll sein, die Angaben zu akutaliseren.

1705 Darfur, Sudan PTC, ICC-02 / 05-111-Corr, o. Fn. 1532, Rn. 36; DRC PTC, ICC-01 / 04-423-Corr, o. Fn. 11, Rn. 24; DRC PTC, ICC-01 / 04-505, o. Fn. 17, Rn. 22. Siehe auch DRC Observations du Bureau du Conseil Public pour la Défense, ICC-01 / 04-502, o Fn. 7, Rn. 25. 1706 DRC PTC, ICC-01 / 04-423-Corr, o. Fn. 11, Rn. 25; Katanga & Ngudjolo PTC, ICC-01 / 04-01 / 07-579, o. Fn. 1693, Rn. 62 f. 1707 Bemba Gombo PTC, ICC-01 / 05-01 / 08-320, o. Fn. 11, Rn. 39. 1708 Bemba Gombo PTC, ICC-01 / 05-01 / 08-320, o. Fn. 11, Rn. 40. 1709 Bemba Gombo PTC, ICC-01 / 05-01 / 08-320, o. Fn. 11, Rn. 44 ff. 1710 Siehe unten Teil 5 F. I. 1. 1711 DRC PTC, ICC-01 / 04-423-Corr, o. Fn. 11, Rn. 136; DRC PTC, ICC-01 / 04-444, o. Fn. 1582, S. 14; DRC PTC, ICC-01 / 04-505, o. Fn. 17, Rn. 23; Katanga & Ngudjolo PTC, ICC-01 / 04-01 / 07-579, o. Fn. 1693, Rn. 63. Kritisch DRC Prosecution’s Response, ICC-01 / 04-434, o. Fn. 1661, Rn. 15. 1712 DRC PTC, ICC-01 / 04-101-Corr, o. Fn. 4, Rn. 67; Uganda PTC, ICC-02 / 04-101, o. Fn. 7, Rn. 104 = Kony et al. PTC, ICC-02 / 04-01 / 05-252, o. Fn. 7, Rn. 104.

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3. Frist Der Antrag ist grundsätzlich nicht fristgebunden. Allerdings bestimmt Regulation 86 Abs. 3 der Regulations of the Court, dass er nach Möglichkeit vor Beginn des Verfahrensstadiums, in dem das Opfer sich beteiligen will, eingereicht werden soll. Im Übrigen steht es im Ermessen der Verfahrenskammer, für bestimmte Verfahrensabschnitte Fristen festzusetzen, nach deren Ablauf sie keine Anträge auf Beteiligung mehr berücksichtigt.1713 Dadurch wird gewährleistet, dass sich das Verfahren nicht durch die Einreichung weitere Anträge immer weiter verzögert.

4. Unvollständige Anträge Die Kanzlei ist verpflichtet, alle und damit auch unvollständige Anträge, an die zuständige Kammer weiterzuleiten. 1714 Das Gericht allein hat das Entscheidungsund Verwerfungsmonopol.1715 Unvollständige Anträge werden allerdings nicht abschlägig entschieden. Sie werden vielmehr von der Kammer nicht berücksichtigt.1716 Damit wird es den Antragstellern ermöglicht, fehlende Informationen nachzureichen1717, um so zu einem späteren Zeitpunkt die Zulassung zum Verfahren zu erwirken. Rule 89 Abs. 4 ermächtigt die Kammer, bei einer großen Anzahl an Anträgen geeignete Maßnahmen zur Verfahrensvereinfachung zu treffen. Dazu zählt auch, die Kanzlei zu bitten, nur vollständige Anträge weiterzuleiten. 1718 Gleichzeitig 1713 Siehe Lubanga PTC, ICC-01 / 04-01 / 06-601, o. Fn. 11, S. 12; Prosecutor v. Lubanga – Decision on the Defence request for leave to appeal regarding the transmission of applications for victim participation, PTC I, ICC-01 / 04-01 / 06-672, 6. 11. 2006, S. 7; Proesecutor v. Bemba Gombo – Decision on Victim Participation, PTC III, ICC-01 / 05-01 / 08-103, 12. 9. 2008, S. 5; Prosecutor v. Bemba Gombo – Decision Concerning the Time Limit for the Submission of New Victim Applications, PTC III, ICC-01 / 05-01 / 08-305, 3. 12. 2008, S. 4 – 5; Bemba Gombo PTC, ICC-01 / 05-01 / 08-320, o. Fn. 11, Rn. 23; Prosecutor v. Abu Garda – Decision on the Designation of a Single Judge on Victims’ Issues and on the Deadline for the Filing of Applications for Participation, PTC I, ICC-02 / 05-02 / 09-55, 19. 8. 2009, S. 6; Prosecutor v. Abu Garda – Decision on the „Request in Respect of Information relevant to Victim Participation on the basis of the Decision on 52 Applications for Participation at the Pre-Trial Stage of the Case“, PTC I, ICC-02 / 05-02 / 09-169, 15. 10. 2009, S. 5. 1714 Anders Katanga & Ngudjolo TC, ICC-01 / 04-01 / 07-933, o. Fn. 1695, Rn. 27. 1715 DRC PTC, ICC-01 / 04-374, o. Fn. 16, Rn. 8. Insofern ist die Praxis einiger Kammer, die Kanzlei die Anträge vorprüfen zu lassen bedenklich, siehe hierzu Katanga & Ngudjolo TC, ICC-01 / 04-01 / 07-933, o. Fn. 1695, Rn. 20 f. 1716 DRC PTC, ICC-01 / 04-423-Corr, o. Fn. 11, Rn. 14; Bemba Gombo PTC, ICC-01 / 05-01 / 08-103, o. Fn. 1713, Rn. 8; Abu Garda PTC, ICC-02 / 05-02 / 09-147, o. Fn. 1548, Rn. 11. 1717 Darfur, Sudan PTC, ICC-02 / 05-111-Corr, o. Fn. 1532. Die Kanzlei wird ausdrücklich aufgefordert, Kontakt mit den Antragstellern bzw. ihren Rechtsvertretern aufzunehmen und auf eine Verfollständigung der Anträge hinzuwirken. 1718 DRC PTC, ICC-01 / 04-374, o. Fn. 16, Rn. 9.

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kann die Kanzlei beauftragt werden, die fehlenden Angaben zu erfragen und so auf eine Vervollständigung der Anträge hinzuwirken. Erst im Anschluss werden die Anträge der Kammer übergeben.1719 Gelingt es der Kanzlei nicht, die fehlenden Angaben zu ermitteln, legt sie dem Gericht nach Ablauf einer angemessenen Wartefrist die unvollständig gebliebenen Anträge zur abschließenden Entscheidung vor.1720

5. Anonymität im Zulassungsverfahren Viele Antragsteller fürchten um ihr Leben oder das Leben ihrer Familie, wenn bekannt würde, dass sie sich im Verfahren gegen ehemals führende Persönlichkeiten beteiligen wollen.1721 Die Opfer wünschen daher überwiegend, dass ihre Identität ihrem Heimatstaat,1722 der Verteidigung oder auch dem Ankläger nicht offenbart wird.1723 Grundvoraussetzung, um die Sicherheit der Antragsteller zu wahren, ist die Geheimhaltung ihrer Namen vor der Öffentlichkeit. Sie werden dementsprechend in allen Schriftsätzen nur mit der ihnen von der VPRS zugewiesenen Nummer bezeichnet.1724 Dies ist eine Schutzmaßnahme im Sinne von Rule 87 Abs. 3 DRC PTC, ICC-01 / 04-374, o. Fn. 16, Rn. 10. DRC PTC, ICC-01 / 04-374, o. Fn. 16, Rn. 11. 1721 Kony PTC, ICC-02 / 04-01 / 05-134, o. Fn. 170, Rn. 18; Situation in Darfur, Sudan – Request on Behalf of Applicants [ . . . ], ICC-02 / 05-75, 31. 5. 2007, Rn. 7. 1722 Prosecutor v. Lubanga – Decision inviting the parties’ observations on applications for participation of [ . . . ], TC I, ICC-01 / 04-01 / 06-1308, 6. 5. 2008, Rn. 21; Prosecutor v. Kony et al. – OPCV’s Request to Appear before the Single Judge or to Otherwise be Heard on the Protective Measures for Applicants [ . . . ] in the Uganda Situation and in the Case The Prosecutor v. Joseph Kony, Vincent Otti, Okot Odhiambo, Raska Lukwiya and Dominic Ongwen and to File a Response to the Prosecution’s Application to vary Protective Measures, ICC-02 / 04-01 / 05-234, 29. 3. 2007, Rn. 14; Lubanga OPCV’s request, ICC-01 / 04-01 / 06-1038, o. Fn. 1290, Rn. 24. 1723 Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1308, o. Fn. 1722, Rn. 21; Kony PTC, ICC-02 / 04-01 / 05-134, o. Fn. 170, Rn. 18; Uganda Prosecution’s Application, ICC-02 / 04-88, o. Fn. 1283, Rn. 18 = Kony et al. Prosecution’s Application, ICC-02 / 04-01 / 05-231, o. Fn. 1283, Rn. 18; Kony et al. OPCV’s Request, ICC-02 / 04-01 / 05-234, o. Fn. 1722, Rn. 14; Darfur, Sudan Request, ICC-02 / 05-75, o. Fn. 1721, Rn. 6; Situation in the DRC – Demande du répresentant légal des victims [EXPURGÉ], ICC-01 / 04-361, 20. 7. 2007, Rn. 7; Lubanga OPCV’s request, ICC-01 / 04-01 / 06-1038, o. Fn. 1290, Rn. 24. Siehe auch Lubanga PTC, ICC-01 / 04-01 / 06-601, o. Fn. 11, S. 12; Prosecutor v. Kony et al. – Prosecution’s further submission supplementing its „Application to Lift Redactions from Applications for Victims’ Participation fo be Provided to the OTP“, dated 6 February 2007, and request for extension of time, ICC-02 / 04-01 / 05-208, 15. 2. 2007, Rn. 10. 1724 Situation in the DRC – Decision authorising the filing on applications for participation in the proceedings, PTC I, ICC-01 / 04-358, 17. 7. 2007, S. 4; Katanga & Ngudjolo PTC, ICC-01 / 04-01 / 07-182, o. Fn. 1285, S. 4; DRC Prosecution’s Observations, ICC-01 / 04-335, o. Fn. 1573, Rn. 4; Al Bashir PTC, ICC-02 / 05-01 / 09-62, o. Fn. 1572, Rn. 14; Situation in the DRC – Response to the „Demande du représentant legal des victims [ . . . ]“, ICC-01 / 04-336, 12. 6. 2007, Rn. 6. 1719 1720

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lit. a); Regulation 94 lit. g) der Regulations of the Registry. Die Geheimhaltung bezieht sich nicht nur auf die Namen der Antragsteller. Vielmehr sind in den öffentlich zugänglichen Dokumenten sämtliche Informationen zu tilgen, die zu einer Identifizierung des Antragstellers führen könnten.1725 Dazu gehören unter anderem Anschrift, Geburtstag und -ort des Antragstellers, die Namen seiner Eltern, seine ethnische Zugehörigkeit sowie Details über die mutmaßliche Tat, wie Zeitpunkt, Ort, Art und Folgen der Viktimisierung.1726

6. Stellungnahme von Anklage und Verteidigung Rule 89 Abs. 1 räumt der Anklage und der Verteidigung das Recht ein, zu den Anträgen Stellung zu nehmen. Zu diesem Zwecke lässt ihnen die Kanzlei Kopien der Anträge zukommen. Ist noch kein konkreter Beschuldigter ermittelt, werden die Interessen der Verteidigung von einem hierzu benannten Ad-hoc-Counsel for the Defence1727 oder vom OPCD1728 wahrgenommen. 1725 Siehe auch Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1308, o. Fn. 1722, Rn. 27; DRC PTC, ICC-01 / 04-73, o. Fn. 1282, S. 3; Situation in the DRC – Decision Appointing Ad-hoc-Counsel and Establishing a Deadline for the Prosecution and the Ad-hoc-Counsel to Submit Observations on the Applications of Applicants [ . . . ], PTC I, ICC-01 / 04-147, 18. 5. 2006, S. 3; Prosecutor v. Lubanga – Decision Establishing a Deadline for the Prosecution and the Defence to submit Observations on the Applications of Applicants [ . . . ], PTC I, ICC-01 / 04-01 / 06-107, 18. 5. 2006, S. 3; Prosecutor v. Lubanga – Decision authorising the Prosecutor and the Defence to file observations on the applications of applicants [ . . . ] in the case of the Prosecutor v. Thomas Lubanga Dyilo, PTC I, ICC-01 / 04-01 / 06-270, 4. 8. 2006, S. 4; Situation in the DRC – Décision autorisant le depot d’observations sur les demandes de participation à la procedure [ . . . ], PTC I, ICC-01 / 04-228, 22. 9. 2006, S. 4; Prosecutor v. Lubanga – Decision authorising the filing of observations on the applications for participation in the proceedings[ . . . ], PTC I, ICC-01 / 04-01 / 06-463, 22. 9. 2006, S. 4; Prosecutor v. Lubanga – Decision authorising the filing of observations on applications for participation in the proceedings [ . . . ], PTC I, ICC-01 / 04-01 / 06-494, 29. 9. 2006, S. 3; Kony PTC, ICC-02 / 04-01 / 05-134, o. Fn. 170, Rn. 20; Katanga & Ngudjolo PTC, ICC-01 / 04-01 / 07-182, o. Fn. 1285, S. 3. 1726 Kony PTC, ICC-02 / 04-01 / 05-134, o. Fn. 170, Rn. 21. Siehe auch Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1308, o. Fn. 1722, Rn. 28; DRC PTC, ICC-01 / 04-73, o. Fn. 1282, S. 3. 1727 DRC PTC, ICC-01 / 04-73, o. Fn. 1282, S. 4; DRC PTC, ICC-01 / 04-147, o. Fn. 1725, S. 4; DRC PTC, ICC-01 / 04-228, o. Fn. 1725, S. 7; Kony PTC, ICC-02 / 04-01 / 05-134, o. Fn. 170, Rn. 15; Situation in Uganda – Decision on legal representation, appointment of counsel for the defence, criteria for redactions of applications for participation, and submission of observations on applications for participation [ . . . ], PTC II, ICC-02 / 04-154, 12. 9. 2008, S. 7. 1728 Situation in the DRC – Decision authorising the filings of observations on applications for participation in the proceedings, PTC I, ICC-01 / 04-329, 23. 5. 2007, S. 4; Situation in Darfur, Sudan – Decision Authorising the Filing of Observations on Applications for Participation in the Proceedings [ . . . ], PTC I, ICC-02 / 05-74, 23. 5. 2007, S. 3; DRC PTC, ICC-01 / 04-358, o. Fn. 1724, S. 3; Situation in Darfur, Sudan – Decision Authorising the filing of observations on Applications [ . . . ] for Participation in the Proceedings, PTC I, ICC-02 / 05-85, 23. 7. 2007, S. 3; Stahn / Olásolo / Gibson, S. 233.

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a) Weiterleitung redigierter Anträge Da die Opfer überwiegend wünschen, dass ihre Identität auch gegenüber den Parteien geheim gehalten wird, stellt sich die Frage, ob auch diesen nur eine redigierte Version der Anträge übermittelt werden kann. Gestützt werden kann eine solche Maßnahme auf Rule 89 Abs. 1, die ausdrücklich auf Art. 68 Abs. 1 IStGHStatut verweist.1729 Daraus folgt, dass die Kammer sicherstellen muss, dass die Übermittlung der Anträge nicht zu einer Gefährdung der Antragsteller führt. Dies berechtigt sie grundsätzlich auch, die Kanzlei anzuweisen, vor Übermittlung der Anträge an die Parteien alle Informationen unkenntlich zu machen, die zur Identifizierung der Antragsteller führen könnten.1730 Die Überarbeitung muss sich 1729 Siehe auch Situation in Uganda – Decision on victims’ applications for participation [ . . . ], ICC-02 / 04-180, 10. 3. 2009, S. 8 = Prosecutor v. Kony et al. – Decision on victims’ applications for participation [ . . . ], ICC-02 / 04-01 / 05-375, 10. 3. 2009, S. 8; Prosecutor v. Bemba Gombo – Second Decision on the question of victim’s participation requesting observations from the parties, PTC III, ICC-01 / 05-01 / 08-184, 23. 10. 2008, Rn. 11; Prosecutor v. Katanga & Ngudjolo – Deuxième décision invitant les parties à presenter leurs observations relatives aux demandes de participation (règle 89 – 1 du Règlement de procedure et de prevue), TC II, ICC-01 / 04-01 / 07-1129, 12. 5. 2009, Rn. 6 f.; Prosecutor v. Katanga & Ngudjolo – Troisième décision invitant les parties à presenter leurs observations relatives aux demandes de participation (règle 89 – 1 du Règlement de procedure et de prevue), TC II, ICC-01 / 04-01 / 07-1151, 19. 5. 2009, Rn. 6 f.; Prosecutor v. Bemba Gombo – Third Decision on the Question of Victims’ Participation Requesting Observations from the Parties, PTC III, ICC-01 / 05-01 / 08-253, 17. 11. 2008, Rn. 12; Prosecutor v. Al Bashir – Decision Ordering the Parties to Submit their Observations on Applications [ . . . ] for Participation as Victims in the Proceedings, PTC I, ICC-02 / 05-1 / 09-50, 9. 11. 2009, S. 5; Prosecutor v. Al Bashir – Decision on the Observations Submitted by the Ad-hoc-Counsel for the Defence in relation to Applications [ . . . ] for Participation in the Proceedings, PTC I, ICC-02 / 05-01 / 09-72, 28. 1. 2010, Rn. 7. Kritisch Prosecutor v. Lubanga – Request for Leave to Appeal the Décision autorisant le depot d’observations sur les demandes de participation à la procedure [ . . . ], ICC-01 / 04-01 / 06-487, 28. 9. 2006, Rn. 16; Prosecutor v. Katanga & Ngudjolo – Defence Application for Leave to Appeal the „Decision authorising the filing of observations on the applications for participation in the proceedings [ . . . ]“, ICC-01 / 04-01 / 07-193, 13. 2. 2008, Rn. 9 f. 1730 Bemba Gombo TC, ICC-01 / 05-01 / 08-699, o. Fn. 1690, Rn. 33; DRC PTC, ICC-01 / 04-73, o. Fn. 1282, S. 3; DRC PTC, ICC-01 / 04-147, o. Fn. 1725, S. 3; Lubanga PTC, ICC-01 / 04-01 / 06-107, o. Fn. 1725, S. 3; Lubanga PTC, ICC-01 / 04-01 / 06-270, o. Fn. 1725, S. 4; DRC PTC, ICC-01 / 04-228, o. Fn. 1725, S. 4; Lubanga PTC I, ICC-01 / 04-01 / 06-463, o. Fn. 1725, S. 4; Lubanga PTC, ICC-01 / 04-01 / 06-494, o. Fn. 1725, S. 3; Lubanga PTC, ICC-01 / 04-01 / 06-672, o. Fn. 1713, S. 6; Kony PTC, ICC-02 / 04-01 / 05-134, o. Fn. 170, Rn. 20; Katanga & Ngudjolo PTC, ICC-01 / 04-01 / 07-182, o. Fn. 1285, S. 3; Uganda PTC, ICC-02 / 04-154, o. Fn. 1727, S. 6; Situation in Uganda – Decision on legal representation, appointment of counsel for the defence, criteria for redactions of applications for participation, and submission of observations on applications for participation [ . . . ], PTC II, ICC-02 / 04-154, 17. 9. 2008, S. 4 = Prosecutor v. Kony et al. – Decision on legal representation, appointment of counsel for the defence, criteria for redactions of applications for participation, and submission of observations on applications for participation [ . . . ], PTC II, ICC-02 / 04-01 / 05-312, 17. 9. 2008, S. 4. Siehe auch Prosecutor v. Abu Garda – Transmis-

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allerdings auf das unbedingt notwendige Maß beschränken. Die Parteien müssen genug Informationen erhalten, um ihr Stellungnahmerecht effektiv ausüben zu können.1731 Kritisiert wird allerdings, dass diese Schutzmaßnahme das Recht der Parteien aus Rule 89 Abs. 1 entwerte. Eine sinnvolle Stellungnahme zu den Anträgen sei nicht möglich. Angaben über Zeit und Ort der mutmaßlichen Tat seien beispielsweise unabdingbar, um bewerten zu können, ob sie der Gerichtsbarkeit des IStGH unterfällt.1732 Darüber hinaus wird angeführt, dass die Anonymität der Antragsteller mit den Rechten des Beschuldigten unvereinbar sei. Durch den Antrag auf Beteiligung würden die Opfer den Beschuldigten als Täter bezichtigten. Die Verteidigung müsse daher deren Identität kennen.1733 Da die Opfer die Verfahrensbeteiligung zudem typischerweise dazu nutzen würden, um die Geltendmachung von Wiedergutmachungsansprüchen vorzubereiten, sei die frühzeitige Enthüllung ihrer Identität unabdingbar, um den Beschuldigten effektiv vor ungerechtfertigten Ansprüchen schützen zu können.1734 Letztlich hätten die Opfer aus freien Stücken die Zulassung zum Verfahren beantragt und müssten daher auch das damit verbundene Risiko tragen.1735 sion to the Defence of redacted copies of 34 victims’ applications for participation, ICC-02 / 05-02 / 09-71, 28. 8. 2009, Rn. 1. 1731 DRC PTC, ICC-01 / 04-73, o. Fn. 1282, S. 4; DRC PTC, ICC-01 / 04-147, o. Fn. 1725, S. 3; Lubanga PTC, ICC-01 / 04-01 / 06-107, o. Fn. 1725, S. 3; Lubanga PTC, ICC-01 / 04-01 / 06-270, o. Fn. 1725, S. 4; DRC PTC, ICC-01 / 04-228, o. Fn. 1725, S. 5; Lubanga PTC, ICC-01 / 04-01 / 06-494, o. Fn. 1725, S. 3; Katanga & Ngudjolo PTC, ICC-01 / 04-01 / 07-182, o. Fn. 1285, S. 3; Uganda PTC, ICC-02 / 04-154, o. Fn. 1730, S. 5 = Kony et al. PTC, ICC-02 / 04-01 / 05-312, o. Fn. 1730, S. 5; Uganda PTC, ICC-02 / 04-180, o. Fn. 1729, S. 8 = Kony et al. PTC, ICC-02 / 04-01 / 05-375, o. Fn. 1729, S. 8; Bemba Gombo PTC, ICC-01 / 05-01 / 08-184, o. Fn. 1729, Rn. 15; Bemba Gombo PTC, ICC-01 / 05-01 / 08-253, o. Fn. 1729, Rn. 14; Al Bashir PTC, ICC-02 / 05-01 / 09-62, o. Fn. 1572, Rn. 13. 1732 Siehe Lubanga Request, ICC-01 / 04-01 / 06-272, o. Fn. 1527, Rn. 40; Lubanga Request, ICC-01 / 04-01 / 06-487, o. Fn. 1729, Rn. 32; Kony et al. Prosecution’s further submission, ICC-02 / 04-01 / 05-208, o. Fn. 1723, Rn. 3; DRC Prosecution’s Observations, ICC-01 / 04-366, o. Fn. 1573, Rn. 10; Lubanga Requête de la Défense, ICC-01 / 04-01 / 06-1135, o. Fn. 100, Rn. 35; Katanga & Ngudjolo Defence Application, ICC-01 / 04-01 / 07-193, o. Fn. 1729, Rn. 16. Kritisch auch Prosecutor v. Kony et al. – Prosecution’s Request for Leave to Appeal the Decision Denying the „Application to Lift Redactions From Applications for Victims’ Participation to be Provided to the OTP“, ICC-02 / 04-01 / 05-212, 26. 2. 2007, Rn. 14; Kony et al. Prosecutions Reply, ICC-02 / 04-01 / 05-214, o. Fn. 1540, Rn. 23 – 25; Uganda Prosecution’s Application, ICC-02 / 04-88, o. Fn. 1283, Rn. 19 = Kony et al. Prosecution’s Application, ICC-02 / 04-01 / 05-231, o. Fn. 1283, Rn. 19. 1733 Lubanga Request, ICC-01 / 04-01 / 06-272, o. Fn. 1527, Rn. 45; Lubanga Defence Request, ICC-01 / 04-01 / 06-328, oben Fn. 84, Rn. 13; Lubanga Defence submission, ICC-01 / 04-01 / 06-386, o. Fn. 1648, Rn. 22. Siehe auch Lubanga Prosecution’s Response, ICC-01 / 04-01 / 06-331, o. Fn. 107, Rn. 7; Lubanga Defence Observations, ICC-01 / 04-01 / 06-379, o. Fn. 1653, Rn. 13, 16 ff. 1734 Lubanga Defence Request, ICC-01 / 04-01 / 06-328, oben Fn. 84, Rn. 14; Lubanga Defence submission, ICC-01 / 04-01 / 06-386, o. Fn. 1648, Rn. 17 f.

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Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

Bei der Bewertung, ob die Tilgung von sensiblen Daten aus den Anträgen unangemessen in die Rechte der Parteien eingreift, muss der begrenzten Zielsetzung des Zulassungsverfahrens Rechnung getragen werden. Entschieden wird lediglich über das „Ob“ der Beteiligung.1736 Bei der Festlegung der Beteiligungsmodalitäten kann erwogen werden, ob ein konkretes Partizipationsrecht, beispielsweise die Befragung eines Zeugen, voraussetzt, dass die Verteidigung Kenntnis von der Identität des Opfers erlangt.1737 Zudem wird den Opfern lediglich Anonymität als Antragsteller, keinesfalls aber als Belastungszeugen gewährt. Gelingt es dem IStGH nicht, die Sicherheit der Antragsteller zu gewährleisten, werden viele Opfer aus Angst vor Repressalien von einer Verfahrensbeteiligung absehen. Die Beteiligungsrechte würden faktisch entwertet. Daher erweist sich die Tilgung sensibler Informationen aus den Anträgen als sinnvoller Ausgleich zwischen den Interessen der Opfer und den Rechten der Parteien. Die notwendigen Redigierungen werden von der Kanzlei entsprechend den Anweisungen der Kammer vorgenommen. Die Rechtsvertreter der Opfer oder das OPCV haben nicht das Recht, die überarbeiteten Anträge vorher einzusehen und zu kontrollieren. Da die Kammer den Umfang der Tilgungen konkret bestimmt, ist dies auch nicht notwendig. Vielmehr würde hierdurch das Zulassungsverfahren unnötig verlängert.1738

b) Privilegierung des Anklägers Die Antragsteller stehen dem Ankläger meist weniger misstrauisch gegenüber als der Verteidigung. Sie haben typsicherweise nichts dagegen einzuwenden, dass ihm ihre Identität offenbart wird. Hinzu kommt, dass der Ankläger während der Ermittlungen mit vielen Opfern Kontakt aufgenommen hat, ihm daher ein Großteil der sensiblen Informationen bereits bekannt ist.1739 Zudem ist der Ankläger im Gegensatz zur Verteidigung gemäß Art. 68 Abs. 1 IStGH-Statut verpflichtet, für den Schutz und das Wohlergehen der Opfer und Zeugen Sorge zu tragen und unter1735 Lubanga Defence Request, ICC-01 / 04-01 / 06-328, oben Fn. 84, Rn. 24; Lubanga Lubanga Defence Observations, ICC-01 / 04-01 / 06-379, o. Fn. 1653, Rn. 15. 1736 Siehe auch Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1308, o. Fn. 1722, Rn. 24, 26. 1737 Siehe auch Lubanga PTC, ICC-01 / 04-01 / 06-338, o. Fn. 1661, S. 7; Lubanga PTC, ICC-01 / 04-01 / 06-672, o. Fn. 1713, S. 5 – 6. 1738 Prosecutor v. Lubanga – Decision on the request of the OPCV and on the prosecution’s filing which concern the Trial Chamber’s decision inviting the parties’ observations on applications for participation of victims issued on 6 May 2008, TC I, ICC-01 / 04-01 / 06-1333, 16. 5. 2008, Rn. 10; Prosecutor v. Lubanga – Réponse de la Défense à la Request of the OPCV in relation to redactions to the applications of victims following the Trial Chamber’s decision of 6 May 2008“ déposée le 9 mai 2008, ICC-01 / 04-01 / 06-1318, 12. 5. 2008, Rn. 3. Kritisch Lubanga Request of the OPCV, ICC-01 / 04-01 / 06-1315, o. Fn. 1573, Rn. 6 ff. 1739 Kony et al. Prosecutions Reply, ICC-02 / 04-01 / 05-214, o. Fn. 1540, Rn. 26.

E. Das Opfer als Beteiligter

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liegt den Geheimhaltungspflichten der Rules 5 und 6.1740 Hinzu kommt, dass die Kanzlei zur Vervollständigung der Anträge den Ankläger gemäß Regulation 86 Abs. 4 der Regulations of the Court um zusätzliche Informationen über die Antragsteller ersuchen kann. Die Geheimhaltung ihrer Identität auch gegenüber der Anklage wäre vor diesem Hintergrund sinnwidrig.1741 Außerdem würde die Unkenntlichmachung von Informationen es dem Ankläger erschweren, die notwendigen Opferschutzmaßnahmen zu ergreifen und die bestehenden Maßnahmen gegebenenfalls anzupassen.1742 Dem Ankläger eine unredigierte Fassung der Anträge zu übermitteln, kann daher die Sicherheitslage der Antragsteller verbessern. Dementsprechend wurden dem Ankläger in einem Teil der Zulassungsverfahren die Anträge in Originalfassung zur Verfügung gestellt.1743

1740 Prosecutor v. Kony et al. – Application to Lift Redactions From Applications for Victims’ Participation to be Provided to the OTP, ICC-02 / 04-01 / 05-150, 6. 2. 2007, Rn. 9; Uganda Prosecution’s Application, ICC-02 / 04-88, o. Fn. 1283, Rn. 21 = Kony et al. Prosecution’s Application, ICC-02 / 04-01 / 05-231, o. Fn. 1283, Rn. 21. 1741 Prosecutor v. Abu Garda – Decision Ordering the Parties to Submit their Observations on the Applications for Victims’ Participation in the Proceedings, PTC I, ICC-02 / 05-02 / 09-68, 27. 8. 2009, S. 4; Prosecutor v. Abu Garda – Decision Ordering the Parties to Submit their Observations on the 52 Applications for Victim’s Participation in the Proceedings, PTC I, ICC-02 / 05-02 / 09-106, 16. 9. 2009, S. 5; Prosecutor v. Abu Garda – Decision Setting a Time Limit for the Parties’ Replies to 20 Applications for Victims’ Participation in the Proceedings, ICC-02 / 05-02 / 09-240, 29. 1. 2010, S. 4; Prosecutor v. Al Bashir – Decision Ordering the Parties to Submit their Observations on the Applications for Victims’ Participation in the Proceedings, PTC I, ICC-02 / 05-01 / 09-38, 1. 9. 2009 S. 5. 1742 Kony et al. Prosecution’s further submission, ICC-02 / 04-01 / 05-208, o. Fn. 1723, Rn. 6; Kony et al. Prosecution’s Request, ICC-02 / 04-01 / 05-212, o. Fn. 1731, Rn. 14; Uganda Prosecution’s Application, ICC-02 / 04-88, o. Fn. 1283, Rn. 17, 19 = Kony et al. Prosecution’s Application, ICC-02 / 04-01 / 05-231, o. Fn. 1283, Rn. 17, 19; DRC Prosecution’s Observations, ICC-01 / 04-366, o. Fn. 1573, Rn. 10. Siehe auch Abu Garda PTC, ICC-02 / 05-02 / 09-68, o. Fn. 1741, S. 4; Abu Garda PTC, ICC-02 / 05-02 / 09-106, o. Fn. 1741, S. 5; Abu Garda PTC, ICC-02 / 05-02 / 09-240, o. Fn. 1741, S. 4; Al Bashir PTC, ICC-02 / 05-01 / 09-38, o. Fn. 1741, S. 4 – 5. 1743 DRC PTC, ICC-01 / 04-73, o. Fn. 1282, S. 5; DRC PTC, ICC-01 / 04-147, o. Fn. 1725, S. 4; DRC PTC, ICC-01 / 04-228, o. Fn. 1725, S. 5; Katanga & Ngudjolo PTC, ICC-01 / 04-01 / 07-182, o. Fn. 1285, S. 4; Lubanga PTC, ICC-01 / 04-01 / 06-270, o. Fn. 1725, S. 5; Lubanga PTC, ICC-01 / 04-01 / 06-107, o. Fn. 1725, S. 4; Lubanga PTC I, ICC-01 / 04-01 / 06-463, o. Fn. 1725, S. 4; Lubanga PTC, ICC-01 / 04-01 / 06-494, o. Fn. 1725, S. 3 Abu Garda PTC, ICC-02 / 05-02 / 09-68, o. Fn. 1741, S. 5; Al Bashir PTC, ICC-02 / 05-01 / 09-38, o. Fn. 1741, S. 5. Anders hingegen Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1308, o. Fn. 1722, Rn. 30; Kony PTC, ICC-02 / 04-01 / 05-134, o. Fn. 170, Rn. 25; Prosecutor v. Kony et al. – Decision on the Prosecution’s Request dated 22 March 2007 and on the OPCV’s Request dated 29 March 2007, PTC II, ICC-02 / 04-01 / 05-239, 4. 4. 2007, S. 6; Uganda PTC, ICC-02 / 04-154, o. Fn. 1727, S. 6 – 7; Uganda PTC, ICC-02 / 04-154, o. Fn. 1730, S. 6 f. = Kony et al. PTC, ICC-02 / 04-01 / 05-312, o. Fn. 1730, S. 6 f.; Uganda PTC, ICC-02 / 04-180, o. Fn. 1729, S. 8 = Kony et al. PTC, ICC-02 / 04-01 / 05-375, o. Fn. 1729, S. 8; Bemba Gombo PTC, ICC-01 / 05-01 / 08-184, o. Fn. 1729, Rn. 13; Bemba Gombo PTC, ICC-01 / 05-01 / 08-253, o. Fn. 1729, Rn. 13; Bemba Gombo TC, ICC-01 / 05-01 / 08-699, o. Fn. 1690, Rn. 32.

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Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

Hiergegen wird angeführt, dass die Privilegierung des Anklägers den Grundsatz der Waffengleichheit verletze. Die prozessualen Rechte der Verteidigung dürften unter keinen Umständen stärker beschnitten werden als die des Anklägers.1744 Zunächst ist fraglich, ob der Grundsatz der Waffengleichheit im vom Strafprozess getrennten Zulassungsverfahren vollumfänglich Geltung beansprucht. Jedenfalls kann aber nicht verlangt werden, dass Anklage und Verteidigung ohne Berücksichtigung ihrer unterschiedlichen Aufgaben und Verpflichtungen gleichstellt werden. Vielmehr muss Raum dafür bleiben, der besonderen Verantwortung des Anklägers gegenüber Opfern und Zeugen Rechnung zu tragen.1745 Vor diesem Hintergrund ist die Privilegierung des Anklägers gerechtfertigt. Auch ihm ist allerdings nur eine redigierte Fassung der Anträge zuzuleiten, wenn die Offenlegung der sensiblen Informationen selbst gegenüber der Anklage zu einer Gefährdung der Opfer führen würde.1746

c) Privilegierung des OPCD Werden die Interessen der Verteidigung vom OPCD wahrgenommen, hat PreTrial Chamber I auch diesem eine vollständige Fassung der Anträge übermitteln lassen.1747 Begründet wird dies damit, dass das OPCD nicht nur wie jeder Verteidiger gemäß Art. 8 Abs. 1 CPCC zur Geheimhaltung von Informationen verpflichtet ist,1748 sondern darüber hinaus gemäß Rule 6 denselben Geheimhaltungspflichten unterliegt, wie alle anderen Organe des Gerichtshofs.1749 Da die Rechtsstellung 1744 Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1308, o. Fn. 1722, Rn. 30; Uganda PTC, ICC-02 / 04-154, o. Fn. 1730, S. 6 = Kony et al. PTC, ICC-02 / 04-01 / 05-312, o. Fn. 1730, S. 6; Uganda PTC, ICC-02 / 04-180, o. Fn. 1729, S. 8 = Kony et al. PTC, ICC-02 / 04-01 / 05-375, o. Fn. 1729, S. 8; Bemba Gombo PTC, ICC-01 / 05-01 / 08-184, o. Fn. 1729, Rn. 13; Bemba Gombo PTC, ICC-01 / 05-01 / 08-253, o. Fn. 1729, Rn. 13; Lubanga Request, ICC-01 / 04-01 / 06-272, o. Fn. 1527, Rn. 39; Lubanga Defence Request, ICC-01 / 04-01 / 06-328, oben Fn. 84, Rn. 25; Lubanga Defence Observations, ICC-01 / 04-01 / 06-379, o. Fn. 1653, Rn. 14; Lubanga Request, ICC-01 / 04-01 / 06-487, o. Fn. 1729, Rn. 35; Uganda Prosecution’s Application, ICC-02 / 04-88, o. Fn. 1283, Rn. 15 = Kony et al. Prosecution’s Application, ICC-02 / 04-01 / 05-231, o. Fn. 1283, Rn. 15; DRC Observations du Bureau du Conseil Public pour la Défense, ICC-01 / 04-502, o Fn. 7, Rn. 6. 1745 Siehe zur Anwendung der equality of arms im Verfahren vor dem IStGH schon oben Teil 5 B. II. 3. 1746 Uganda Prosecution’s Application, ICC-02 / 04-88, o. Fn. 1283, Rn. 21 = Kony et al. Prosecution’s Application, ICC-02 / 04-01 / 05-231, o. Fn. 1283, Rn. 21. Siehe auch Al Bashir PTC, ICC-02 / 05-1 / 09-50, o. Fn. 1729, S. 5 – 6; Kony et al. Prosecution’s further submission, ICC-02 / 04-01 / 05-208, o. Fn. 1723, Rn. 12. 1747 DRC PTC I, ICC-01 / 04-329, o. Fn. 1728, S. 4; Darfur, Sudan PTC I, ICC-02 / 05-85, o. Fn. 1728, S. 4. 1748 DRC Response, ICC-01 / 04-336, o. Fn. 1724, Rn. 4; DRC Prosecution’s Observations, ICC-01 / 04-366, o. Fn. 1573, Rn. 7; DRC PTC, ICC-01 / 04-374, o. Fn. 16, Rn. 22. 1749 DRC PTC, ICC-01 / 04-358, o. Fn. 1724, S. 3; DRC Response, ICC-01 / 04-336, o. Fn. 1724, Rn. 4; Darfur, Sudan PTC, ICC-02 / 05-85, o. Fn. 1728, S. 4; DRC Prosecution’s

E. Das Opfer als Beteiligter

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des OPCD insoweit mit der des Anklägers identisch sei, sei eine Ungleichbehandlung nicht gerechtfertigt. Bedenklich ist dies allerdings vor dem Hintergrund von Regulation 77 Abs. 5 der Regulations of the Court. Hiernach kann das Gericht das OPCD beauftragen, die Verteidigung zu unterstützen. Diese Aufgabe kann im Widerspruch zu der Verpflichtung, die im Antragsverfahren erlangten vertraulichen Informationen geheim zu halten, stehen. Die Kammer hat das OPCD daher angewiesen, das Büro so zu organisieren, dass spätere Interessenkonflikte ausgeschlossen sind.1750 Denkbare Maßnahme ist die Aufteilung des OPCD in zwei getrennte Teams, von denen eins für das Antragsverfahren, das andere für die Unterstützung von Beschuldigten und ihrer Verteidiger zuständig ist.

d) Zusammenfassung Ankläger und Verteidigung sind berechtigt, zu den Anträgen auf Beteiligung Stellung zu nehmen. Rule 89 Abs. 1 i. V. m. Art. 68 Abs. 1 IStGH-Statut ermächtigt allerdings die Kammer, den Parteien zum Schutz der Antragsteller nur eine redigierte Fassung der Formulare, die keine Rückschlüsse auf die Identität des mutmaßlichen Opfers zulässt, zukommen zu lassen. Aufgrund der gesteigerten Geheimhaltungspflichten von Ankläger und OPCD ist diese Schutzmaßnahme ihnen gegenüber allerdings grundsätzlich nicht angezeigt.

7. Stellungnahme des OPCV? Gemäß Regulation 81 Abs. 4 der Regulations of the Court ist es Aufgabe des OPCV, Opfer und ihre Rechtsvertreter zu unterstützen.1751 Fraglich ist, ob dies auch das Recht umfasst, zu den Anträgen Stellung zu nehmen. Dies ist vor allem dann naheliegend, wenn das OPCV explizit von der Kammer beauftragt wurde, die Interessen der Antragsteller wahrzunehmen.1752 Schlägt das OPCV allerdings dem Observations, ICC-01 / 04-366, o. Fn. 1573, Rn. 7; DRC PTC, ICC-01 / 04-374, o. Fn. 16, Rn. 22. 1750 DRC PTC, ICC-01 / 04-374, o. Fn. 16, Rn. 9. 1751 Siehe zum OPCV unten Teil 5 E. V. 1752 So Uganda OPCV’s Observations, ICC-02 / 04-89, o. Fn. 7., Rn. 18 = Kony et al. OPCV’s Observations, ICC-02 / 04-01 / 05-232, o. Fn. 7, Rn. 18; Situation in Uganda – Request of the OPCV for leave to file observations on the „Submissions of observations on applicatons for participation [ . . . ]“ filed by the ad hoc Counsel for the Defence, ICC-02 / 04-161, 21. 10. 2008, Rn. 6 ff. = Kony et al. – Request of the OPCV for leave to file observations on the „Submissions of observations on applicatons for participation [ . . . ]“ filed by the ad hoc Counsel for the Defence, ICC-02 / 04-01 / 05-319, 21. 10. 2008, Rn. 6 ff. Ablehnend Prosecutor v. Kony et al. – Decision on the OPCV’s Observations on Victims’s Applications and on the Prosecution’s Objections Thereto, PTC II, ICC-02 / 04-01 / 05-243,

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Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

Gericht vor, bestimmte Opfer zum Verfahren zuzulassen, die Anträge anderer aber abzulehnen, kann dies die Vertrauensbasis zwischen dem Office und den Antragstellern zerstören.1753 Das Office würde mehr als objektiver Berater der Kammer, denn als Interessensvertreter der Opfer agieren. Dies entspräche aber nicht seinem Mandat.1754 Zudem ist der Wortlaut von Rule 89 Abs. 1 eindeutig. Nur die Verteidigung und der Ankläger sind zur Stellungnahme berechtigt.1755 Die automatische Einholung einer weiteren Stellungnahme würde außerdem das aufwändige Zulassungsverfahren noch weiter in die Länge ziehen.1756 Daher hat OPCV nicht die Befugnis, dem Gericht seine Einschätzung der Anträge vorzulegen. Davon unberührt bleibt allerdings die Kompetenz der Kammer, in geeigneten Fällen die Ansicht des OPCV einzuholen.1757 8. Einsicht in die Stellungnahmen? Die Stellungnahmen von Verteidigung und Ankläger sind zum Schutz der Antragsteller vertraulich. Veröffentlicht wird lediglich eine stark redigierte Fassung. Könnte der Rechtsvertreter der Opfer diese dennoch einsehen, wäre er in der Lage, die Anträge gegebenenfalls nachzubessern und durch zusätzliches Material zu ergänzen.1758 Dementsprechend hat ein legal representative1759 die Kenntnis von den Stellungnahmen als erforderlich zur Ausübung seines Mandats angesehen und Einsichtnahme beantragt.1760 Obwohl der Ankläger das Ersuchen unterstützte1761, 16. 4. 2007, S. 5. Kritisch auch Situation in Uganda – Prosecution’s Objection to „OPCV’s Observations on the Victims’ Applications [ . . . ] to Participate in the Uganda situation and in the Case The Prosecutor v. Joseph Kony, Vincent Otti, Okot Odhiambo, Raska Lukwiya and Dominic Ongwen“, ICC-02 / 04-91, 3. 4. 2007, Rn. 20. 1753 Uganda Prosecution’s Objection, ICC-02 / 04-91, o. Fn. 1752, Rn. 21 – 22. 1754 Uganda Prosecution’s Objection, ICC-02 / 04-91, o. Fn. 1752, Rn. 24. 1755 Uganda Prosecution’s Objection, ICC-02 / 04-91, o. Fn. 1752, Rn. 25. 1756 Situation in Uganda – Decision on the request by the Office of Public Counsel for Victims dated 21 October 2008, PTC II, ICC-02 / 04-162, 23. 10. 2008, S. 5. = Prosecutor v. Kony et al. – Decision on the request by the Office of Public Counsel for Victims dated 21 October 2008, PTC II, ICC-02 / 04-01 / 05-322, 23. 10. 2008, S. 5. 1757 Kony et al. PTC, ICC-02 / 04-01 / 05-243, o. Fn. 1752, S. 6; Uganda PTC, ICC-02 / 04-162, o. Fn. 1756, S. 5 = Kony et al. PTC, ICC-02 / 04-01 / 05-322, o. Fn. 1756, S. 5. 1758 Situation in the DRC – OPCV’s Application for Leave to Appeal Against the Decision Rendered on 10 December 2007 on the Application Filed by the OPCV on 18 October 2007, ICC-01 / 04-420, 17. 12. 2007, Rn. 14, 22. Siehe auch Situation in the DRC – Decision on the Requests of the OPCV, PTC I, ICC-01 / 04-418, 10. 12. 2007, Rn. 14. 1759 Das OPCV war für die Dauer des Antragsverfahrens zum legal representative aller unvertretenen Antragsteller ernannt worden. 1760 Prosecutor v. Lubanga – Request of the OPCV to access documents in the case record related to applicants [ . . . ], ICC-01 / 04-01 / 06-987, 18. 10. 2007, Rn. 10; Situation in the DRC – Request of the OPCV to access documents in the situation record related to applicants [ . . . ], ICC-01 / 04-407, 18. 10. 2007, Rn. 7; DRC OPCV’s Application, ICC-01 / 04-420, o. Fn. 1758, Rn. 14. Siehe auch Massidda / Pellet, S. 699.

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lehnte Pre-Trial Chamber I den Antrag ab1762. Begründet wurde dies mit der Schutzpflicht des Gerichts gegenüber allen Antragstellern. Wenn dem legal representative Einsicht in die Stellungnahmen gewährt würde, hätte er auch Zugang zu sensiblen Daten über Opfer, die er nicht vertritt.1763 Zwar könne man dieses Problem dadurch lösen, dass den Rechtsbeiständen eine überarbeitete Version der Stellungnahmen zur Verfügung gestellt würde, in denen nur die Informationen enthalten sind, die die von ihnen vertretenen Opfer betreffen. Wegen der großen Anzahl an Antragstellern würde dies aber zu einer erheblichen Verfahrensverzögerung führen.1764 Trial Chamber I hat hingegen im Lubanga-Fall demselben Ersuchen stattgegeben und dem legal representative Einsicht in die Stellungnahme des Anklägers gewährt.1765 Gründe für die abweichende Entscheidung wurden allerdings nicht angeführt. Die verfahrensökonomischen Erwägungen von Pre-Trial Chamber I vermögen nur bedingt zu überzeugen, da sie zuvor zu Gunsten des OPCD eine vergleichbar aufwendige Maßnahme angeordnet hat.1766 Zudem werden die Antragsteller typischerweise in Gruppen vertreten. Für jeden legal representative muss nur ein Bericht, in dem die Passagen, die seine Mandanten betreffen, zusammengefasst sind, erstellt werden. Dies dürfte den Aufwand deutlich minimieren.1767 Dementsprechend hielt TC I eine entsprechende Anordnung auch ohne weiteres für möglich.1768 Fraglich ist aber, auf welche Rechtsgrundlage die legal representatives ihr Ersuchen stützen können. Hierzu enthält auch die Entscheidung der Trial-Chamber keine Ausführungen. Art. 68 Abs. 3 IStGH-Statut kommt als Anspruchsgrundlage nicht in Betracht, da er erst anwendbar ist, wenn das Opfer zur Beteiligung im Verfahren zugelassen ist1769. Rechte für Antragsteller vermag Art. 68 Abs. 3 IStGH1761 Situation in the DRC – Prosecution’s Response to the „Request of the OPCV to access documents in the situation record related to applicants [ . . . ]“, ICC-01 / 04-413, 8. 11. 2007, Rn. 4; Prosecutor v. Lubanga – Prosecution’s response to the „Request of the OPCV to access documents in the case record related to applicants [ . . . ]“, ICC-01 / 04-01 / 06-1017, 8. 11. 2007, Rn. 4. 1762 DRC PTC, ICC-01 / 04-418, o. Fn. 1758. Anders allerdings noch Sitution in the DRC – Order on the request of the OPCV for access to certain documtents regarding applications [ . . . ], ICC-01 / 04-395, 17. 9. 2007. 1763 DRC PTC, ICC-01 / 04-418, o. Fn. 1758, Rn. 13 – 14. 1764 DRC PTC, ICC-01 / 04-418, o. Fn. 1758, Rn. 15. 1765 Prosecutor v. Lubanga – Decision on the role of the Office of Public Counsel for Victims and its request for access to documents, TC I, ICC-01 / 04-01 / 06-1211, 6. 3. 2008, Rn. 38. 1766 DRC OPCV’s Application, ICC-01 / 04-420, o. Fn. 1758, Rn. 23 mit Verweis auf Situation in the DRC – Decision on the request by the OPCD for access to previous filings, PTC I, ICC-01 / 04-389, 11. 9. 2007, S. 8. 1767 DRC OPCV’s Application, ICC-01 / 04-420, o. Fn. 1758, Rn. 25. 1768 Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1211, o. Fn. 1765, Rn. 38.

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Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

Statut daher nicht zu begründen. Auch die Informationsrechte aus Rule 92 stehen den Opfern erst ab Zulassung zum Verfahren zu. Darüber hinaus kann bezweifelt werden, ob die Einsichtnahme in die Stellungnahme für eine effektive Rechtsausübung unabdingbar ist. Lehnt die Kammer den Antrag auf Beteiligung ab, muss sie die Gründe hierfür darlegen. Im Anschluss kann das Opfer einen neuen, den Anforderungen des Gerichts entsprechenden Antrag einreichen. Auf diese Weise wird den Interessen des Antragstellers hinreichend Rechnung getragen.1770 Soll den Opfern in Anerkennung ihres Informationsbedürfnisses hingegen dennoch ein Anspruch auf Einsichtnahme in die Stellungnahme zuerkannt werden, müssten die Rules entsprechend ergänzt werden. Die bisherige Rechtslage vermag ein solches Recht nicht zu begründen. 9. Erwiderung auf die Stellungnahmen? Wenn die Antragsteller schon keinen Anspruch auf Einsicht in die vollständigen Stellungnahmen haben, so stellt sich die Frage, ob sie zumindest das Recht haben, auf die veröffentlichten Kurzfassungen zu reagieren.1771 Auch insoweit fehlt es allerdings an einer hinreichenden Rechtsgrundlage. Regulation 24 Abs. 2 der Regulations of the Court erlaubt es lediglich zum Verfahren zugelassenen Opfern, auf Eingaben anderer Prozessbeteiligter zu antworten. Über den prozessualen Status der Antragsteller ist aber gerade noch nicht entschieden – die Stellungnahmen von Anklage und Verteidigung dienen vielmehr der Vorbereitung der gerichtlichen Entscheidung.1772 Zudem haben die Betroffenen die Möglichkeit, im Antrag selbst auf alle maßgeblichen – tatsächlichen und rechtlichen – Gesichtspunkte hinzuweisen. Eine zusätzliche, nachträgliche Stellungnahme ist weder vorgesehen,1773 noch ist sie zur Wahrung der Rechte der Antragsteller erforderlich. 1769 Situation in the DRC – Decision on the Application by Applicants [ . . . ] for Leave to Respond to the Observations of the Prosecutor and Ad Hoc Counsel for the Defence, PTC I, ICC-01 / 04-164, 7. 7. 2006, S. 3; DRC PTC, ICC-01 / 04-418, o. Fn. 1758, Rn. 5. Anderer Ansicht Situation in the DRC – Request from the OPCV acting as Legal Representative for Clarifications on Victim’s Participation in the Interlocutroy Appeal filed by the OPCD under Article 81 (2) (d) Rome Statute, ICC-01 / 04-442, 6. 2. 2008, Rn. 17; Situation in Darfur, Sudan – Request of the Legal Representative for Clarifications on Victim’s Participation in the Interlocutroy Appeal filed by the OPCD under article 81 (2) (d) Rome Statute, ICC-02 / 05-122, 13. 2. 2008, Rn. 21; Massidda / Pellet, S. 700. 1770 Siehe auch DRC PTC, ICC-01 / 04-418, o. Fn. 1758, Rn. 17. 1771 Siehe die entsprechenden Anträge in Situation in the DRC – Application by Applicants [ . . . ] for Leave to Respond to the Observations of the Prosecutor and Ad Hoc Counsel for the Defence, ICC-01 / 04-163, 30. 6. 2006; Prosecutor v. Abu Garda – Response to Defence Observations on 52 Applications for Victim Participation, ICC-02 / 05-02 / 09-130, 2. 10. 2009. 1772 Prosecutor v. Abu Garda – Decision on the „Response to Defence Observations on Applications for Victim Participation in the Proceedings“, PTC I, ICC-02 / 05-02 / 09-140, 7. 10. 2009, S. 4. Siehe auch Uganda Prosecution’s Objection, ICC-02 / 04-91, o. Fn. 1752, Rn. 33.

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10. Anspruch der Parteien auf zusätzliche Informationen? Um sein Stellungnahmerecht effektiver ausüben zu können, hat das OPCD den Ankläger um die Ermittlung und Offenlegung zusätzlicher Informationen ersucht, die für die Entscheidung über den Opferstatus bestimmter Personen relevant sein könnten. Zunächst bat das Office um Auskünfte über Umfang und Ausmaß der bewaffneten Auseinandersetzung zum Zeitpunkt der mutmaßlichen Viktimisierung. Nur so könne ermittelt werden, ob diese die Qualität eines bewaffneten Konflikts aufwiesen.1774 Um ferner prüfen zu können, ob sich der fragliche Angriff gegen die Zivilbevölkerung oder ein sonstiges nichtmilitärisches Ziel richtete, verlangte das OPCD zu wissen, wie viele Bewohner der betroffenen Dörfer Verbindungen zu bewaffneten Gruppen unterhielten. 1775 Zudem sollte der Ankläger offenlegen, ob und inwieweit die Antragsteller selbst in die Begehung von völkerrechtlichen Verbrechen verwickelt sind1776 oder ob ihre Glaubwürdigkeit aus anderen Gründen gemindert ist1777. Gestützt hat das OPCD seinen Antrag auf Art. 67 Abs. 2 IStGH-Statut.1778 Dieser verpflichtet den Ankläger, der Verteidigung die in seinem Besitz befindlichen Beweismittel offenzulegen, die seiner Überzeugung nach die Unschuld des Angeklagten beweisen oder zu beweisen geeignet sind, dessen Schuld mildern oder die Glaubwürdigkeit der vom Ankläger beigebrachten Beweismittel beeinträchtigen können. Da im Antragsverfahren aber nicht über die Schuld des Angeklagten oder die Glaubhaftigkeit von Belastungszeugen entschieden wird, ist Art. 67 Abs. 2 IStGH-Statut nicht einschlägig.1779 Der Ankläger ist daher – zumindest im Rahmen des Zulassungsverfahrens – nicht zur Offenlegung der gewünschten Informationen verpflichtet. In einem weiteren Antrag hat das OPCD die Kammer gebeten, weitere Informationen von den Antragstellern einzuholen. Zunächst sollten sie ihre Krankengeschichte offenlegen. Dies sei notwendig, um feststellen zu können, ob die angegebenen Schäden durch die Straftat verursacht wurden oder bereits vor der Tat bestanden.1780 Gebeten wurde ferner um Information darüber, ob der Antragsteller Abu Garda PTC, ICC-02 / 05-02 / 09-140, o. Fn. 1772, S. 4. Darfur Request, ICC-02 / 05-97, o. Fn. 1528, Rn. 29; DRC Request, ICC-01 / 04-378, o. Fn. 1219, Rn. 27. 1775 Darfur Request, ICC-02 / 05-97, o. Fn. 1528, Rn. 36-40; DRC Request, ICC-01 / 04-378, o. Fn. 1219, Rn. 34 – 38. 1776 Darfur Request, ICC-02 / 05-97, o. Fn. 1528, Rn. 41; DRC Request, ICC-01 / 04-378, o. Fn. 1219, Rn. 39; DRC Request, ICC-01 / 04-382, o. Fn. 1134, Rn. 37. Siehe hierzu auch oben Teil 5 E. II. 1. d). 1777 Darfur Request, ICC-02 / 05-97, o. Fn. 1528, Rn. 43; DRC Request, ICC-01 / 04-378, o. Fn. 1219, Rn. 41. 1778 Darfur Request, ICC-02 / 05-97, o. Fn. 1528, Rn. 21; DRC Request, ICC-01 / 04-378, o. Fn. 1219, Rn. 19. 1779 Darfur, Sudan PTC, ICC-02 / 05-110, o. Fn. 1532, Rn. 20; DRC PTC, ICC-01 / 04-417, o. Fn. 1660, Rn. 11; Darfur, Sudan PTC, ICC-02 / 05-111-Corr, o. Fn. 1532, Rn. 22; DRC Observations of the Legal Representative, ICC-01 / 04-451, o. Fn. 1524, Rn. 80. 1773 1774

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bereits auf nationaler Ebene versucht hat, eine Verfolgung der Taten zu erwirken oder Entschädigung zu erlangen.1781 Zudem verlangte das OPCD zu wissen, welche Personen als Dolmetscher im Rahmen des Antragsprozesses tätig waren, über welche Qualifikationen sie verfügen1782 und ob sie mit dem Antragsteller verwandt sind1783. Gleiches gilt für die beteiligten Zeugen.1784 Zudem begehrte das OPCD Abschriften von sämtlichen Aussagen, die von den Antragstellern in nationalen Strafverfahren oder Asylverfahren gemacht wurden.1785 Auch diesem Begehren fehlt es an einer hinreichenden Rechtsgrundlage. Nach Rule 89 haben die Parteien lediglich Anspruch darauf, dass ihnen die Anträge zur Verfügung gestellt werden. Es ist nicht vorgesehen, dass sie hierüber hinausgehende Informationen erhalten.1786 Hiervon unberührt bleibt allerdings die Kompetenz der Verfahrenskammer, gegebenenfalls zusätzliche Informationen von den Antragstellern nach Regulation 86 Abs. 7 der Regulations of the Court einzuholen.1787 Ob die Kammer von diesem Recht Gebrauch macht, liegt in ihrem Ermessen. Sie ist keinesfalls verpflichtet, auf ein entsprechendes Ersuchen der Parteien tätig zu werden. Maßgebliches Prüfungskriterium ist, ob die zusätzlichen Angaben für die Entscheidung über die Anträge notwendig sind. Dies ist bei den vom OPCD begehrten Informationen nicht der Fall.1788 So verlangt Regulation 86 der Regulations of the Court nicht, dass ein professioneller Übersetzer im Antragsverfahren eingeschaltet wird. Informationen über dessen Qualifikationen einzuholen ist nur notwendig, wenn konkrete Zweifel an der Glaubhaftigkeit oder Richtigkeit der Übersetzung vorliegen.1789 Zudem ist die Beteiligung im Verfahren nicht davon abhängig, dass das Opfer den nationalen Rechtsweg erschöpft hat oder auf eine nationale Verfolgung DRC Request, ICC-01 / 04-382, o. Fn. 1134, Rn. 29. Darfur, Sudan Request, ICC-02 / 05-95, o. Fn. 1179, Rn. 28; DRC Request, ICC-01 / 04-382, o. Fn. 1134, Rn. 45. Hintergrund ist die Annahme, dass das Komplementaritätsprinzip auch auf die Opferbeteiligung Anwendung findet. Siehe hierzu bereits oben Teil 5 E. II. 5. 1782 Darfur, Sudan Request, ICC-02 / 05-95, o. Fn. 1179, Rn. 41. 1783 DRC Request, ICC-01 / 04-382, o. Fn. 1134, Rn. 59. 1784 Darfur, Sudan Request, ICC-02 / 05-95, o. Fn. 1179, Rn. 61. 1785 Darfur, Sudan Request, ICC-02 / 05-95, o. Fn. 1179, Rn. 68. 1786 Darfur, Sudan PTC, ICC-02 / 05-110, o. Fn. 1532, Rn. 15; DRC PTC, ICC-01 / 04-417, o. Fn. 1660, Rn. 16; DRC PTC, ICC-01 / 04-423-Corr, o. Fn. 11, Rn. 7; Darfur, Sudan Consolidated Statement, ICC-02 / 05-144, o. Fn. 1596, Rn. 32; DRC Observations of the Legal Representative, ICC-01 / 04-451, o. Fn. 1524, Rn. 71; Darfur, Sudan Response of Legal Representative, ICC-02 / 05-124, o. Fn. 1596, Rn. 30. 1787 Darfur, Sudan PTC, ICC-02 / 05-110, o. Fn. 1532, Rn. 16; DRC PTC, ICC-01 / 04-417, o. Fn. 1660, Rn. 17; DRC PTC, ICC-01 / 04-423-Corr, o. Fn. 11, Rn. 7. Siehe auch Darfur, Sudan Response of Legal Representative, ICC-02 / 05-124, o. Fn. 1596, Rn. 32. 1788 Darfur, Sudan PTC, ICC-02 / 05-110, o. Fn. 1532, Rn. 17; DRC PTC, ICC-01 / 04-417, o. Fn. 1660, Rn. 18. 1789 Darfur, Sudan PTC, ICC-02 / 05-111-Corr, o. Fn. 1532, Rn. 24. 1780 1781

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der Verbrechen hingewirkt hat.1790 Außerdem ist zu berücksichtigen, dass die Opfereigenschaft nicht zur Überzeugung der Kammer feststehen muss. Vielmehr genügt ein deutlich geringerer Verdachtsgrad. Überwiegend wird es daher ausreichend sein, die Anträge an ihrer inneren Konsistenz zu messen und sie anhand der bisherigen Ermittlungsergebnisse des Anklägers und der verfügbaren externen Quellen wie UN-Berichten zu überprüfen.1791 Auf die Einholung zusätzlicher Informationen kann daher grundsätzlich verzichtet werden. Dementsprechend wird die Kammer nur in Ausnahmefälle Anlass haben, von ihrer Befugnis nach Regulation 86 Abs. 7 der Regulations of the Court Gebrauch zu machen. 11. Der Bericht der Kanzlei Die Kanzlei, genauer die VPRS,1792 fertigt über die Zulassungsanträge einen Bericht an und legt diesen zusammen mit den Anträgen der Kammer vor.1793 Die Anträge sind zunächst zusammenzufassen. Jeder Antragsteller ist gesondert aufzuführen. Die Kanzlei kann die Opfer aber in verschiedene Gruppen – beispielsweise nach Zeit und Ort oder Art der Tat – zusammenfassen. Zudem enthält der Bericht die der Kanzlei bekannten Zusatzinformationen, die sich nicht in den Anträgen finden, die aber für die Entscheidung über die Zulassung von Bedeutung sein können. Der Bericht ist neutral abzufassen. Die Kanzlei gibt keine Stellungnahme darüber ab, wie die Anträge beschieden werden sollten.1794 Nicht verwehrt ist es ihr aber, auf Punkte besonders hinzuweisen, die für die Entscheidung des Gerichts von besonderer Bedeutung sein könnten.1795 Da die im Bericht enthaltenen Informationen die Entscheidung über die Zulassung der Antragsteller beeinflussen können, stellt sich die Frage, inwieweit er auch den Parteien1796 und den Rechtsvertretern der Antragsteller1797 zur Verfügung geSiehe oben Teil 5 E. II. 5. Siehe DRC PTC, ICC-01 / 04-101-Corr, o. Fn. 4, Rn. 101; Uganda PTC, ICC-02 / 04-101, o. Fn. 7, Rn. 15 = Kony et al. PTC, ICC-02 / 04-01 / 05-252, o. Fn. 7, Rn. 15; Kony et al. PTC, ICC-02 / 04-01 / 05-282, o. Fn. 1691, Rn. 8 f.; Katanga & Ngudjolo PTC I, ICC-01 / 04-01 / 07-357, o. Fn. 11, S. 9; Abu Garda PTC, ICC-02 / 05-02 / 09-121, o. Fn. 18, Rn. 14; Bemba Gombo PTC, ICC-01 / 05-01 / 08-320, o. Fn. 11, Rn. 31; Abu Garda PTC, ICC-02 / 05-02 / 09-147, o. Fn. 1548, Rn. 18; Al Bashir PTC, ICC-02 / 05-01 / 09-62, o. Fn. 1572, Rn. 28; Greco, S. 540. 1792 Siehe DRC PTC, ICC-01 / 04-423-Corr, o. Fn. 11, Rn. 10. 1793 Regulation 86 Abs. 5 der Regulations of the Court. 1794 Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1022, o. Fn. 1652, Rn. 19 f. 1795 Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1022, o. Fn. 1652, Rn. 20. 1796 Siehe den Antrag in DRC Prosecution’s Observations, ICC-01 / 04-366, o. Fn. 1573, Rn. 11. 1797 Siehe die Anträge DRC Demande du répresentant légal, ICC-01 / 04-361, o. Fn. 1723, Rn. 19; Situation in Darfur, Sudan – Request on Behalf of Applicants [ . . . ], ICC-02 / 05-90, 8. 8. 2007. Zustimmend DRC Prosecution’s Observations, ICC-01 / 04-366, o. Fn. 1573, Rn. 12. 1790 1791

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stellt werden muss. Eine Pflicht der Kanzlei zur Offenlegung des Berichts, der typischerweise auch vertrauliche Informationen enthalten wird, ist unter dem Gesichtspunkt des Opferschutzes bedenklich.1798 Zudem ist er als Instrument für die Kammer konzipiert, das diese bei der Entscheidungsfindung unterstützen soll.1799 Den Interessen der Parteien wird hinreichend dadurch Rechnung getragen, dass ihnen gemäß Rule 89 Abs. 1 S. 2 die Anträge zugeleitet werden. Die Kenntnis von den Zusatzinformationen ist für eine effektive Stellungnahme nicht erforderlich.1800 Dies gilt umso mehr, wenn die Kammer die Kanzlei beauftragt hat, für eine Vervollständigung der Anträge Sorge zu tragen.1801 Hinzu tritt ein systematisches Argument. Für die Anträge ist die Offenlegung ausdrücklich vorgeschrieben. Daraus folgt im Umkehrschluss, dass für den Bericht eine vergleichbare Pflicht nicht besteht.1802 Zudem ist es der Kammer nicht verwehrt, ihre Entscheidung auf Informationen zu stützen, die sie dem Bericht entnommen hat und die daher nur ihr bekannt sind. Wegen der begrenzten Zielsetzung des Antragsverfahrens gelten der Unmittelbarkeitsgrundsatz und das Recht auf einen öffentlichen Prozess nicht.1803 Die Rechte der Verteidigung werden insoweit gewahrt, als die Kammer die Entscheidungsgründe offenlegen muss und die Verteidigung gegen die Zulassung von Opfern Rechtsmittel einlegen kann. Daher haben die Parteien und Beteiligten grundsätzlich kein Recht, den Bericht einzusehen.1804 Die Kammer hat sich allerdings vorbehalten, eine Offenlegung des Berichts in Ausnahmefällen anzuordnen, wenn dies durch besondere situative 1798 Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1022, o. Fn. 1652, Rn. 25; Darfur, Sudan Request, ICC-02 / 05-90, o. Fn. 1797, Rn. 3. 1799 Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1022, o. Fn. 1652, Rn. 22; Katanga & Ngudjolo PTC, ICC-01 / 04-01 / 07-357, o. Fn. 11, S. 6. Siehe auch DRC PTC, ICC-01 / 04-374, o. Fn. 16, Rn. 36; Situation in Darfur, Sudan – Decision on the the Requests of the OPCD and the Legal Representatives of the Applicants Regarding the Transmission of the Report of the Registry under Rule 89 of the Rules of Evidence and Procedure, PTC I, ICC-02 / 05-93, 21. 8. 2007, S. 4. 1800 Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1022, o. Fn. 1652, Rn. 24. 1801 DRC PTC, ICC-01 / 04-374, o. Fn. 16, Rn. 37. Siehe auch Darfur, Sudan PTC, ICC-02 / 05-93, o. Fn. 1799, S. 3 – 4; Darfur, Sudan Request, ICC-02 / 05-90, o. Fn. 1797, Rn. 4 – 5. 1802 Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1022, o. Fn. 1652, Rn. 25; DRC PTC, ICC-01 / 04-374, o. Fn. 16, Rn. 35; Katanga & Ngudjolo PTC, ICC-01 / 04-01 / 07-357, o. Fn. 11, S. 6; Al Bashir PTC, ICC-02 / 05-01 / 09-62, o. Fn. 1572, Rn. 16. Siehe auch Darfur, Sudan PTC, ICC-02 / 05-93, o. Fn. 1799, S. 3. 1803 Kritisch Lubanga Request, ICC-01 / 04-01 / 06-272, o. Fn. 1527, Rn. 60; DRC OPCD Appeal Brief, ICC-01 / 04-440, o. Fn. 1630, Rn. 64; Darfur, Sudan OPCD Appeal Brief, ICC-02 / 05-119, o. Fn. 36, Rn. 63. 1804 Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1022, o. Fn. 1652, Rn. 27. Siehe auch Darfur, Sudan PTC, ICC-02 / 05-93, o. Fn. 1799, S. 4. Siehe auch Situation in the DRC – Order concerning the transmission of further information on victim’s applications, PTC I, ICC-01 / 04-376, 24. 8. 2007, S. 5. Kritisch WCRO (February 2009), S. 49 f.

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Momente geboten erscheint. Auch für diesen Fall betont die Kammer allerdings, dass der Schutz von vertraulichen Informationen, deren Offenlegung die Opfer schädigen oder gefährden könnte, gewährleistet sein muss.1805

12. Rechtliche Vertretung Gemäß Rule 91 hat das Opfer das Recht, sich durch einen legal representative seiner Wahl vertreten zu lassen.1806 Grundsätzlich stehen dem Opfer erst ab Zulassung zum Verfahren die Beteiligungsrechte zu. Allerdings ist das Antragsverfahren derart komplex, dass den Opfern bereits in diesem Stadium die Hinzuziehung eines Anwalts gestattet werden sollte.1807 Ebenso sollte Regulation 81 der Regulations of the Court angewendet werden,1808 damit das OPCV den Opfern auch im Antragsverfahren unterstützend zur Seite stehen kann.1809 Dementsprechend haben beispielsweise die Pre-Trial Chambers I und III das OPCV als legal representative für alle unvertretenen Opfer eingesetzt.1810 Im Verfahren gegen Abu Garda hat die Vorverfahrenskammer hingegen betont, dass das OPCV nur zugunsten bereits zugelassener Opfer tätig werden solle.1811 Zudem sei es Aufgabe der VPRS, nicht des OPCV auf eine Vervollständigung der Anträge hinzuwirken.1812 Dementsprechend wurde der Vorschlag der Kanzlei, das OPCV zum legal representative der unvertretenen Opfer zu ernennen, nicht aufgenommen.1813 Vergegenwärtigt man sich die Komplexität des Antragsverfahrens erscheint es fraglich, ob diese Aufgabe nicht besser beim auf juristische Aufgaben ausgerichteten OPCV angesiedelt ist. Entscheidend ist jedenfalls, dass die Opfer auch bereits bei der Antragsstellung hinreichend unterstützt werden – sei es nun durch die VPRS oder das OPCV.

Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1022, o. Fn. 1652, Rn. 26. Siehe hierzu sogleich Teil 5 E. IV. 1807 Siehe auch DRC PTC, ICC-01 / 04-374, o. Fn. 16, Rn. 42 – 43. Zur Notwendigkeit professioneller Unterstützung der Opfer Abo Youssef, S. 113; WCRO (February 2009), S. 13. 1808 Kony PTC, ICC-02 / 04-01 / 05-134, o. Fn. 170, Rn. 13. 1809 Siehe auch Kony PTC, ICC-02 / 04-01 / 05-134, o. Fn. 170, Rn. 13; Uganda PTC, ICC-02 / 04-154, o. Fn. 1727, S. 8; Kony et al. PTC, ICC-02 / 04-01 / 05-282, o. Fn. 1691, S. 71 ; Katanga & Ngudjolo TC, ICC-01 / 04-01 / 07-933, o. Fn. 1695, Rn. 45. 1810 DRC PTC, ICC-01 / 04-374, o. Fn. 16, Rn. 43; DRC PTC, ICC-01 / 04-423-Corr, o. Fn. 11, S. 59. Siehe auch Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1308, o. Fn. 1722, Rn. 18; Katanga & Ngudjolo TC, ICC-01 / 04-01 / 07-933, o. Fn. 1695, S. 24; Bemba Gombo PTC, ICC-01 / 05-01 / 08-103, o. Fn. 1713, Rn. 10. Den Zusammenhang zwischen unvollständigen Anträgen und der Notwendigkeit einer rechtlichen Betreuung stellt auch Katanga & Ngudjolo PTC, ICC-01 / 04-01 / 07-182, o. Fn. 1285, S. 2 heraus. 1811 Prosecutor v. Abu Garda – Decision on issues realting to victims’ applications in the Case, PTC I, ICC-02 / 05-02 / 09-20, 12. 6. 2009, S. 5. 1812 Abu Garda PTC, ICC-02 / 05-02 / 09-20, o. Fn. 1811, S. 5. 1813 Abu Garda PTC, ICC-02 / 05-02 / 09-20, o. Fn. 1811, S. 6. 1805 1806

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13. Opferschutzmaßnahmen im Zulassungsverfahren Aus Rule 89 Abs. 1 i. V. m. Art. 68 Abs. 1 IStGH-Statut folgt die Pflicht der Kammer, bereits während des Antragsverfahrens die Sicherheit der Opfer zu gewährleisten.1814 Dementsprechend sind die Antragsteller berechtigt – obwohl ihnen noch nicht die umfassende Rechtsposition nach Art. 68 Abs. 3 IStGH-Statut zusteht – Eingaben bezüglich ihrer Sicherheit zu machen und Schutzmaßnahmen1815 zu beantragen.1816

14. Rechtsmittel Der Antragsteller kann eine ablehnende Entscheidung nicht mit Rechtsmitteln angreifen.1817 Allerdings erlaubt ihm Rule 89 Abs. 2, jederzeit einen erneuten Antrag zu stellen. Ankläger und Verteidigung können hingegen gegen die Zulassungsentscheidung nach Maßgabe von Art. 82 Abs. 1 lit. d) IStGH-Statut Beschwerde einlegen. Wenn dem Antragsteller der Opferstatus gewährt wurde, stehen ihm im Beschwerdeverfahren die Rechte aus Art. 68 Abs. 3 IStGH-Statut zu.1818

15. Zusammenfassung Im Zulassungsverfahren wird darüber entschieden, ob der Antragsteller zur Beteiligung im Verfahren berechtigt ist. Die konkreten Beteiligungsmodalitäten können hingegen zu einem späteren Zeitpunkt festgelegt werden. Hauptinformationsquelle für die Kammer sind die in den Anträgen gemachten Angaben sowie der von der Kanzlei angefertigte Bericht. Ankläger und Verteidigung dürfen zu den Anträgen Stellung nehmen. Zu diesem Zweck sind ihnen Kopien der Anträge zur Verfügung zu stellen. Sie haben allerdings nicht die Befugnis, den Bericht der Kanzlei einzusehen oder von der Kammer weitere Informationen zu erhalten. Siehe schon oben Teil 5 D. IX. 1. Die Maßnahmen zum Opferschutz entsprechenden grundsätzlich denen zum Zeugenschutz. Insoweit wird auf Teil 5 D. IX. verwiesen. Auf Besonderheiten wird im Verlauf der weiteren Darstellung eingegangen. 1816 Siehe Uganda PTC, ICC-02 / 04-101, o. Fn. 7, Rn. 99 = Kony et al. PTC, ICC-02 / 04-01 / 05-252, o. Fn. 7, Rn. 99. Zustimmend Lubanga OPCV’s request, ICC-01 / 04-01 / 06-1038, o. Fn. 1290, Rn. 21. 1817 DRC PTC, ICC-01 / 04-418, o. Fn. 1758, Rn. 16; DRC PTC, ICC-01 / 04-444, o. Fn. 1582, S. 4; Situation in the DRC – Prosecution’s Response to OPCV’s for Leave to Appeal the Single Judge’s Decision of 24 December 2007, ICC-01 / 04-432, 10. 01. 2008, Rn. 7. Siehe auch Abu Garda PTC, ICC-02 / 05-02 / 09-140, o. Fn. 1772, S. 4. 1818 Siehe Prosecutor v. Lubanga – Decicion Establishing a Time Limit for the Prosecution and the Victims to submit their responses to the Request for Leave to Appeal by the Defence, PTC I, ICC-01 / 04-01 / 06-317, 8. 8. 2006. 1814 1815

E. Das Opfer als Beteiligter

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Darüber hinaus ist die Kammer verpflichtet, die notwendigen Maßnahmen zum Schutz der Antragsteller zu treffen. Dies berechtigt sie auch, den Parteien in geeigneten Fällen nur eine redigierte Fassung der Anträge zukommen zu lassen. Achillisferse des Zulassungsverfahrens ist seine Komplexität.1819 Eine Auswertrung von Redress Ende 2008 hat ergeben, dass von den bis dato eingereichten 960 Anträgen weniger als 20% beschieden waren, sich das Zulassungsverfahren teils über mehr als zwei Jahren hinzog.1820 Ein Jahr später – Ende 2009 – sahen die Zahlen allerdings schon deutlich besser aus. Von den 1877 Antagsstellern hatten immerhin 743 eine Zulassung zum Verfahren erhalten.1821 Trotz dieser positiven Tendenz steht weiterhin zu befürchten, dass sich das Zulassungsverfahren dauerhaft zu einer ernstzunehmende Hürde für eine effektive Opferbeteiligung entwickelt.1822 Zu begrüßen sind daher sämtliche Maßnahmen, die – wie der Verzicht auf eine Stellungnahme des OPCV – zu einer Entschlackung des Verfahrens führen. Zudem ist kritisch zu prüfen, wann und unter welchem Umstände (erneute) Anträge auf Beteiligung gestellt werden müssen. Auf diesen Punkt wird bei der Darstellung der Beteiligungsmodalitäten näher eingegangen.

IV. Vertretung durch einen legal representative Rule 90 Abs. 1 gestattet es den Opfern, sich durch einen Rechtsvertreter ihrer Wahl vertreten zu lassen. Sofern dies nicht zu Interessenkonflikten führt, dürfen die Opfer auch einen legal representative beauftragen, der bereits in einem Parallelverfahren tätig ist.1823 1. Freie Wahl eines legal representative Aufgabe des legal representative ist die rechtliche Beratung der Opfer und die prozessuale Wahrnehmung ihrer Rechte. Vergegenwärtigt man sich die Komplexität des Verfahrens vor dem IStGH, so erscheint eine qualifizierte Betreuung der Opfer unabdingbare Voraussetzung für eine effektive Rechtsausübung.1824 Sie ist umso erforderlicher, wenn der Betroffene gleichzeitig als Zeuge aussagt, die Beteiligungsrechte also mit den Rechten und Pflichten eines Zeugen abgestimmt werden müssen.1825 Dementsprechend bestimmt Rule 90 Abs. 6, dass ein legal representaSiehe auch WCRO (November 2007), S. 56; 59 f. Redress (2008), S. 3. Siehe auch Chung, S. 460, 499 ff. 1821 Redress (2009), S. 4. 1822 Kritisch auch McGonigle, S. 103; Chung, S. 497 ff.; WCRO (February 2009), S. 14. 1823 Katanga & Ngudjolo PTC, ICC-01 / 04-01 / 07-474, o. Fn. 1524, Rn. 7-15. 1824 Siehe auch Bitti / Friman, S. 463; de Beco, S. 478; Stehle, S. 317. 1825 Lubanga OPCV’s request, ICC-01 / 04-01 / 06-1038, o. Fn. 1290, Rn. 27. Siehe zum Doppelstatus als Opfer und Zeuge unten Teil 5 E. XIII. 1819 1820

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Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

tive die in Rule 22 Abs. 1 festgelegten Qualifikationen erfüllen muss. Er muss Kenntnisse im Völker- oder Strafrecht nachweisen sowie über praktische Erfahrungen in Strafverfahren verfügen. Zudem muss er zumindest eine der beiden Gerichtssprachen fließend beherrschen. Darüber hinaus dient die Beauftragung eines legal representative auch dem Schutz seines Mandanten. Der Gerichtshof muss nicht mit dem Opfer direkt in Kontakt treten, sondern kann es über seinen Rechtsbeistand erreichen.1826 Zudem wird das Opfer in die Lage versetzt, seine Interessen durch einen Vertreter wahrzunehmen, ohne selbst an der Verhandlung teilnehmen zu müssen. Ihm wird die Anreise nach und der Aufenthalt in Den Haag sowie die direkte Konfrontation mit dem Beschuldigten erspart. Darüber hinaus ermöglicht eine qualifizierte Rechtsvertretung der Opfer eine zügige und sachgerechte Abwicklung des Verfahrens.1827 Sie liegt damit auch im Interesse des Gerichtshofs und der Parteien. Dennoch etabliert Rule 90 Abs. 1 nur das Recht, einen legal representative zu wählen. Sie zwingt hierzu nicht.1828 Die Opfer können sich vielmehr auch selbst vertreten.1829 Zudem ermächtigt Rule 90 Abs. 3 die Kammer nur, einen kollektiven Rechtsbeistand1830 zu ernennen. Daraus folgt im Umkehrschluss, dass dem Opfer gegen seinen Willen kein individueller Rechtsbeistand beigeordnet werden kann.1831 Dies wird durch Regulation 80 Abs. 1 der Regulations of the Court bestätigt. Die Kammer kann, wenn die Interessen der Gerechtigkeit es erfordern, einen Rechtsvertreter für „victims“, also für mehrere Opfer, ernennen.

1826 Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1308, o. Fn. 1722, Rn. 35; DRC PTC, ICC-01 / 04-73, o. Fn. 1282, S. 5; DRC PTC, ICC-01 / 04-147, o. Fn. 1725, S. 5; Lubanga PTC, ICC-01 / 04-01 / 06-107, o. Fn. 1725, S. 5; Lubanga PTC, ICC-01 / 04-01 / 06-463, o. Fn. 1725, S. 4; Lubanga PTC, ICC-01 / 04-01 / 06-494, o. Fn. 1725, S. 3; Darfur, Sudan PTC I, ICC-02 / 05-74, o. Fn. 1728, S. 4; DRC PTC, ICC-01 / 04-228, o. Fn. 1725, S. 7; DRC PTC, ICC-01 / 04-358, o. Fn. 1724, S. 3; Darfur, Sudan PTC, ICC-02 / 05-85, o. Fn. 1728, S. 5; Katanga & Ngudjolo PTC, ICC-01 / 04-01 / 07-182, o. Fn. 1285, S. 4; Abu Garda PTC, ICC-02 / 05-02 / 09-121, o. Fn. 18, S. 32. Verfügt das Opfer über keinen legal representative so erfolgt die Kontaktaufnahme über die VPRS oder VWU, Lubanga PTC, ICC-01 / 04-01 / 06-270, o. Fn. 1725, S. 4; Lubanga PTC, ICC-01 / 04-01 / 06-494, o. Fn. 1725, S. 3. 1827 Uganda PTC, ICC-02 / 04-101, o. Fn. 7, Rn. 80 = Kony et al. PTC, ICC-02 / 04-01 / 05-252, o. Fn. 7, Rn. 80. 1828 Kony PTC, ICC-02 / 04-01 / 05-134, o. Fn. 170, Rn. 5; Stehle, S. 317. 1829 Kony PTC, ICC-02 / 04-01 / 05-134, o. Fn. 170, Rn. 10; Uganda PTC, ICC-02 / 04-101, o. Fn. 7, Rn. 80 = Kony et al. PTC, ICC-02 / 04-01 / 05-252, o. Fn. 7, Rn. 80; Situation in Uganda – Decision on legal representative of Victims a / 0101 / 06 and a / 0119 / 06, PTC II, ICC-02 / 04-105, 28. 8. 2007, S. 4; Stehle, S. 317. 1830 Siehe hierzu Teil 5 E. IV. 2. 1831 Siehe auch Kony PTC, ICC-02 / 04-01 / 05-134, o. Fn. 170, Rn. 5.

E. Das Opfer als Beteiligter

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2. Kollektiver Rechtsbeistand Aus dem fair trial-Grundsatz folgt das Recht des Angeklagten auf einen zügigen Prozess, das auch in Art. 67 Abs. 1 lit. c) IStGH-Statut niedergelegt ist. Sind die Verfahren vor dem IStGH allein aufgrund ihrer Komplexität von beträchtlicher Länge, so verschärft sich dieses Problem durch die Zulassung weiterer Prozessbeteiligter. Daher sieht Rule 90 Abs. 2 vor, dass das Gericht die Opfer zu einer oder mehreren Gruppen zusammenfassen und diese auffordern kann, sich auf einen oder mehrere gemeinsame Vertreter zu einigen.1832 Beispielsweise können alle Opfer eines bestimmten Angriffs zu einer Gruppe zusammengefasst werden.1833 Auf diese Weise kann das Gericht auch verhindern, dass sich einzelne Opfer selbst vertreten. Können sich die Opfer nicht auf einen gemeinsamen Vertreter einigen, fordert die Kammer die Kanzlei auf, einen legal representative zu bestimmen1834, wobei die Wünsche und Bedürfnisse der Opfer zu berücksichtigen sind1835 und ein Interessenkonflikt zwischen der Opfergruppe und deren Vertreter zu verhindern ist1836. Regulation 79 Abs. 3 der Regulations of the Court gewährt den Opfern das Recht, innerhalb von 30 Tagen der Auswahl des legal representative zu widersprechen. Rule 90 Abs. 2 sucht einen Mittelweg zwischen angemessener Opfervertretung und verfahrensökonomischen Erwägungen zu finden.1837 Zudem kann der legal representative als Mittler zwischen Opfer und Gericht fungieren und sicherstelltén, dass die Belange seiner Mandanten hinreichend berücksichtigt werden, ohne dass dies zu einer unangemessenen Emotionalisierung des Prozesses führt.1838 Dennoch darf man nicht verkennen, dass die Ernennung eines kollektiven Rechtsbeistands mit dem Wunsch der Opfer, in ihrer Einzigartigkeit und Individualtiät anerkannt zu werden, kollidiert.1839 Kann sich das Opfer zudem nicht in eigener Person in das 1832 Siehe zum Beispiel Situation in Uganda – Decision on legal representation of Victims [ . . . ], PTC II, ICC-02 / 04-117, 15. 2. 2008 = Prosecutor v. Kony et al. – Decision on legal representation of Victims [ . . . ], PTC II, ICC-02 / 04-01 / 05-267, 15. 2. 2008; Prosecutor v. Bemba Gombo – Fifth Decision on Victim’s Issues Concerning Common Legal Representation of Victims, PTC III, ICC-01 / 05-01 / 08-322, 16. 12. 2008; Wemmers, S. 411. 1833 Uganda PTC, ICC-02 / 04-101, o. Fn. 7, Rn. 80 = Kony et al. PTC, ICC-02 / 04-01 / 05-252, o. Fn. 7, Rn. 80. Siehe auch Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1119, o. Fn. 7, Rn. 124. Für weitere Beispiele siehe Lubanga Observations, ICC-01 / 04-01 / 06-1020, o. Fn. 1439, Rn. 62. 1834 Rule 90 Abs. 3. 1835 Regulation 79 Abs. 2 Regulations of the Court. 1836 Rule 90 Abs. 4. 1837 Kony PTC, ICC-02 / 04-01 / 05-134, o. Fn. 170, Rn. 6; Uganda PTC, ICC-02 / 04-117, o. Fn. 1832, S. 5; Kony et al. PTC II, ICC-02 / 04-01 / 05-267, o. Fn. 1832, S. 5; Stefanie Bock (2007c), S. 675. Siehe auch Donat-Cattin (1999), S. 270; Bitti / Friman, S. 462; Safferling (2003a), S. 376; David, S. 3.; Triffterer(-Donat Cattin), Art. 68 IStGH-Statut Rn. 38. 1838 Siehe zur Gefahr der Emotionalisierung, wenn sich die Opfer selbst vertreten Mohan, S. 753 f. 1839 Siehe zum Wunsch der Opfer nach individueller Rechtsausübung Mohan, S. 758.

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Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

Verfahren einbringen, dürften die postiven psychologischen Effekte, die mit der Übernahme einer aktiven Rolle im Prozess verbunden sein können,1840 deutlich geringer ausfallen.1841 Dies bedeutet aber nicht, aber dass die in Rule 90 Abs. 2 vorgesehene Kollektivierung der Opfer die Sinnhaftigkeit ihrer Partizipationsrechte grundsätzlich in Frage stellen würde. Vielmehr ist die Beteiligung auch gemeinsamer Opferanwälte Garant dafür, dass die Interessen der Geschädigten im Verfahren hinreichend Beachtung finden.1842 Schwierigkeiten dürfte regelmägßig die Bildung homogener Gruppen bereiten.1843 Nicht alle Opfer eines Angriffs oder eines Konzentrationslagers haben notwendigerweise die gleichen Interessen. So ist es beispielsweise möglich, dass ein Opfer von einem Täter gerettet wurde und das Bedürfnis hat, ihn durch seine Aussage zu entlasten.1844 Solche und ähnliche Interessenkonflikte innerhalb einer Opfergruppe sind kaum zu vermeiden und müssen im Sinne eines zügigen Verfahrensablaufs hingenommen werden. Allerdings muss bei der Zusammenstellung der Gruppe versucht werden, zumindest unerträgliche Widersprüche zu vermeiden. So dürfen beispielsweise keinesfalls Kindersoldaten und die von ihnen geschädigten Personen in einer Gruppe zusammengefasst werden.1845 Ein weiteres Problem ist die Gruppengröße. Vertritt ein Anwalt 641846 oder gar 1321847 Opfer, scheint es kaum möglich, dass die individuellen Interessen der Mandanten ins Verfahren eingebracht werden können. Während dies im Zulassungsund Ermittlungsverfahren noch hinnehmbar ist, sollte jedenfalls für die Hauptverhandlung nach Möglichkeit verhindert werden, dass die Gruppengröße an sich bereits einer individuellen Betreuung der Opfer durch ihren legal representative entgegensteht. 3. Anonymität des legal representative? Nicht nur die Opfer haben Angst vor Repressalien, wenn ihre Kooperation mit dem IStGH bekannt wird; auch ein legal representative, der selbst aus der betroffeSiehe hierzu oben Teil 3 A. V. Trumbull IV, S. 804. 1842 Hoven, S. 183. In diese Richtung auch Wemmers, S. 411. 1843 Siehe Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1119, o. Fn. 7, Rn. 125; Bitti / Friman, S. 464; Stehle, S. 318, Abo Youssef, S. 118. 1844 Walleyn, S. 1. 1845 Siehe auch Situation in Uganda – OPCV Report on legal representation of victims, ICC-02 / 04-173, 28. 11. 2008, Rn. 14 ff. = Prosecutor v. Kony et al. – OPCV Report on legal representation of victims, ICC-02 / 04-01 / 05-358, 28. 11. 2008, Rn. 14 ff. 1846 Siehe DRC Request of the Legal Representative of Victims, ICC-01 / 04-332, o. Fn. 1573. 1847 Siehe Prosecutor v. Lubanga – Demande de déposition du répresentant légal des demandeurs des victimes [ . . . ] (règle 103 du Règlement de procédure et de preuve), ICC-01 / 04-01 / 06-994, 19. 10. 2007. 1840 1841

E. Das Opfer als Beteiligter

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nen Krisenregion stammt, fürchtete wegen seiner Tätigkeit als Opfervertreter Ziel von Rache- und Vergeltungsmaßnahmen zu werden. Er beantragte daher, dass seine Identität vor der Öffentlichkeit und den anderen Prozessbeteiligten geheim gehalten werden sollte.1848 Dies würde allerdings bedeuten, dass alle Dokumente redigiert werden müssten. Außerdem müssten aufwendige Maßnahmen getroffen werden, um die Anonymität des legal representative auch in der öffentlichen Verhandlung wahren zu können. Dadurch würde nicht nur die zügige Durchführung des Verfahrens behindert. Vielmehr kann dies auch zu Interessenkonflikten führen, wenn der legal representative sich beispielsweise zwischen der effektiven Vertretung seines Klienten und der Geheimhaltung seiner eigenen Identität entscheiden muss. Anonymität ist daher mit den Aufgaben eines legal representative unvereinbar.1849

4. Prozesskostenhilfe Gemäß Rule 90 Abs. 5 können Opfer, denen es an den notwenigen Mitteln zur Bezahlung eines kollektiven Rechtsbeistands fehlt, finanzielle Unterstützung beantragen. Daraus folgt im Umkehrschluss, dass ein Opfer, das sich durch einen Einzelanwalt vertreten lassen will, diesen selbst bezahlen muss.1850 Aber auch bei der Beauftragung eines gemeinsamen Rechtsbeistands haben bedürftige Opfer keinen Anspruch auf volle Kostenübernahme. Es liegt vielmehr im Ermessen der Kanzlei, ob und inwieweit finanzielle Unterstützung gewährt wird.1851 Eine fehlende Kos1848 DRC Request of the Legal Representative of Victims, ICC-01 / 04-332, o. Fn. 1573, Rn. 7; DRC Demande du répresentant légal, ICC-01 / 04-361, o. Fn. 1723, Rn. 21. 1849 DRC PTC, ICC-01 / 04-374, o. Fn. 16, Rn. 47 – 48. 1850 Stehle, S. 318. Siehe auch David, S. 3. 1851 Siehe Regulations 83 Abs. 2, 85 Regulations of the Court sowie Bitti / Friman, S. 466; Stehle, S. 319 und die Entscheidung der Kanzlei in der Situation in the DRC – Registrar’s Decision on the Indigence of Victims [ . . . ], ICC-01 / 04-490, 26. 3. 2008; Prosecutor v. Katanga & Ngudjolo – Decision on the Indigence of Victim a / 0333 / 07, ICC-01 / 04-01 / 07-562, 9. 6. 2008; Prosecutor v. Katanga & Ngudjolo – Decision on the Indigence of Victims [ . . . ], ICC-01 / 04-01 / 07-563, 9. 6. 2008; Prosecutor v. Katanga & Ngudjolo – Registrar’s Decision on the Indigence of Victims [ . . . ], ICC-01 / 04-01 / 07-607, 18. 6. 2008; Prosecutor v. Katanga & Ngudjolo – Registrar’s Decision on the Indigence of Victims [ . . . ], ICC-01 / 04-01 / 07-608, 18. 6. 2008; Situation in Darfur, Sudan – Decision on the Indigence of Victims [ . . . ], ICC-02 / 05-153, 25. 8. 2008; Situation in Darfur, Sudan – Decision on the Indigence of Victims [ . . . ], ICC-02 / 05-156, 8. 9. 2008; Prosecutor v. Abu Garda – Décision du Greffier sur l’indigence des victimes [ . . . ], ICC-02 / 05-02 / 09-172, 15. 10. 2009; Prosecutor v. Abu Garda – Décision du Greffier sur l’indigence des victimes [ . . . ], ICC-02 / 05-02 / 09-173, 15. 10. 2009; Prosecutor v. Abu Garda – Décision du Greffier sur l’indigence des victimes [ . . . ], ICC-02 / 05-02 / 09-195, 20. 10. 2009; Prosecutor v. Abu Garda – Décision du Greffier sur l’indigence des victimes [ . . . ], ICC-02 / 05-02 / 09-197, 20. 10. 2009; Prosecutor v. Bemba Gombo – Registrar’s Decision on the Indigence of Victims [ . . . ], ICC-01 / 05-01 / 08-348, 15. 1. 2009. Siehe zum Verfahren ASP, ICC-ASP / 8 / 25, Rn. 14 ff. Kritisch Redress (2009), S. 6.

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Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

tendeckung ist insbesondere dann problematisch, wenn die Kammer die Hinzuziehung eines kollektiven Rechtsbeistands anordnet und den Opfern damit die Möglichkeit nimmt, sich selbst zu vertreten. Wenn diese die Anwaltskosten nicht aufbringen können, bleibt ihnen nur, auf eine Verfahrensbeteiligung zu verzichten. Da Opfer völkerrechtlicher Verbrechen typischerweise über keine oder nur sehr geringe finanzielle Möglichkeiten verfügen,1852 droht eine Entwertung der Beteiligungsrechte.1853 Um zu verhindern, dass mittellose Opfer faktisch vom Verfahren ausgeschlossen werden, sollte ihnen ein Anspruch auf Kostenübernahme für einen kollektiven Rechtsbeistand eingeräumt werden.1854

5. Die Zweiteilung der Beteiligungsrechte in Art. 68 Abs. 3 IStGH-Statut und Rule 91 Art. 68 Abs. 3 IStGH-Statut berechtigt die Opfer, ihre Auffassungen und Anliegen in geeigneten Verfahrensabschnitten vorzutragen. Rule 91 erweitert den Rechtskreis für Opfer, die von einem Rechtsbeistand vertreten werden um zusätzliche verfahrensunmittelbare Handlungsmöglichkeiten.1855 Daraus folgt, dass in Verfahren vor dem IStGH zwei Klassen von Opfern mit unterschiedlichen Beteiligungsrechten existieren: die unvertretenen Opfer, die lediglich das Recht haben, ihre Auffassungen und Anliegen zu präsentieren und die Opfer, die, vertreten durch ihren legal representative, eine deutlich aktivere Rolle im Verfahren übernehmen können.1856 6. Zusammenfassung Das Recht, sich durch einen legal representative seiner Wahl vertreten zu lassen, bildet die Basis für eine effektive Rechtsausübung. Zudem stehen einem Opferanwalt die erweiterten Partizipationsrechte aus Rule 91 zu. Um aber eine zügige Abwicklung des Verfahrens zu gewährleisten, ist es sinnvoll, die Opfer in Gruppen zusammenzufassen, deren Interessen von einem gemeinsamen Vertreter wahrgenommen werden. Dabei ist aber zu beachten, dass möglichst homogene Gruppen zusammengestellt werden. Dies ist elementar zur Vermeidung unlösbarer Interes1852 Situation in the DRC – Demande de réexamen de la „Décision du Greffier sur la demande d’aide judiciaire aux frais de la Cour déposé par Maître Keta au nom des victimes des victimes [ . . . ]“ datée du 28 mars 2008 selon la norme 85.3 du Règlement de la Cour, ICC-01 / 04-494, 14. 4. 2008, Rn. 26 f. Siehe auch DRC Registrar’s Decision, ICC-01 / 04-490, o. Fn. 1851, S. 3; Abo Youssef, S. 120 f. 1853 ASP, ICC-ASP / 8 / 25, Rn. 6. 1854 So auch Stehle, S. 320. 1855 Kony PTC, ICC-02 / 04-01 / 05-134, o. Fn. 170, Rn. 7; Safferling (2003a), S. 377. 1856 Kony PTC, ICC-02 / 04-01 / 05-134, o. Fn. 170, Rn. 10; Bitti / Friman, S. 466; Baumgartner, S. 430. Siehe auch Stehle, S. 309.

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senkonflikte. Um auch mittellosen Opfern eine Verfahrensbeteiligung zu ermöglichen, sollten bei Bedarf die Kosten für einen kollektiven Rechtsbeistand vollständig von der Kanzlei übernommen werden.

V. Die Rolle des OPCV Aufgabe des OPCV1857 ist die Unterstützung von legal representatives und Opfern.1858 Zudem kann die Kammer gemäß Regulation 80 Abs. 2 der Regulations of the Court einen Mitarbeiter des OPCV zum legal representative ernennen. 1. Unterstützungsfunktion Das OPCV unterstützt legal representatives und Opfer unter anderem1859 durch rechtliche Beratung und Erscheinen vor Gericht. Art und Umfang der Unterstützung, die das Office einem Rechtsvertreter zukommen lässt, wird im Einzelfall in vertraulichen Verträgen geregelt.1860 Das OPCV steht dem Opferanwalt jedenfalls rechtsberatend zur Seite. Typischerweise erteilt dieser dem OPCV Untervollmacht1861, so dass das Office auch an Stelle des legal representative vor Gericht erscheinen kann1862 und Zugang zu allen wesentlichen Schriftsätzen hat. Eine weiSiehe auch schon oben Teil 5 B. IV. 3. Regulation 81 Abs. 4 der Regulations of the Court. 1859 Lubanga Submissions of the OPCV, ICC-01 / 04-01 / 06-1108, o. Fn. 168, Rn. 14. 1860 Lubanga Submissions of the OPCV, ICC-01 / 04-01 / 06-1108, o. Fn. 168, Rn. 13; Massidda / Pellet, S. 695. 1861 Siehe beispielsweise Prosecutor v. Lubanga – Procuration de représentation des victimes a / 0001 / 06, a / 0002 / 06 et a / 0003 / 06 à l’audience du 3 novembre 2006, ICC-01 / 04-01 / 06-645, 1. 11. 2006; Prosecutor v. Lubanga – Procuration de représentation de la victime a / 0105 / 06 à l’audience du 3 novembre 2006, ICC-01 / 04-01 / 06-646, 2. 11. 2006; Prosecutor v. Lubanga – Power of Attorney for the Representation of Victims a / 0001 / 06, a / 0002 / 06 and a / 0003 / 06 at the Hearing of 14 December 2006, ICC-01 / 04-01 / 06-771, 13. 12. 2006; Prosecutor v. Lubanga – Procuration aux fins de représentation de la victime a / 0105 / 06 à l’audience du 29 janvier 2007, ICC-01 / 04-01 / 06-790, 26. 1. 2007; Prosecutor v. Lubanga – Procuration aux fins de la représentation des victimes a / 0001 / 06, a / 0002 / 06 et a / 0003 / 06 à l’audience du 13 février 2007, ICC-01 / 04-01 / 06-821, 12. 2. 2007; Situation in Darfur, Sudan – Power of Attorney from the Legal Representatives of Applicants [ . . . ] to the Principal Counsel of the Office of Public Counsel for Victims, ICC-02 / 05-76, 31. 5. 2007; Prosecutor v. Lubanga – Procurations aux fins de représentation des victimes a / 0001 / 06 à a / 0003 / 06 et a / 0105 / 06 à l’audience du 11 décembre 2007, ICC-01 / 04-01 / 06-1074, 11. 12. 2007; Prosecutor v. Lubanga – Procurations aux fins de représentation des victimes a / 0001 / 06 à a / 003 / 06 et a / 0105 / 06 à l’audience du 13 décembre 2007, ICC-01 / 04-01 / 06-1079, 12. 12. 2007; Prosecutor v. Lubanga – Procuration aux fins de la représentation de la victime a / 0105 / 06 à l’audience du 6 mai 2008, ICC-01 / 04-01 / 06-1305-Corr, 5. 5. 2008. 1862 Siehe auch Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1211, o. Fn. 1765, Rn. 35; Lubanga Submissions of the OPCV, ICC-01 / 04-01 / 06-1108, o. Fn. 168, Rn. 26. 1857 1858

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tere wichtige Aufgabe ist die Unterstützung bei der Verfassung von Eingaben und der Verwaltung des Falls. Dies ist umso wichtiger, wenn die Vertretung von einem Einzelanwalt übernommen wird, der nicht über ein Team verfügt, das die erforderlichen Hintergrundrecherchen durchführen könnte. Gleiches gilt, wenn der Anwalt nicht hinreichend in der Benutzung der einschlägigen Datenbanken geübt ist oder es ihm an den notwendigen IT-Kenntnissen mangelt.1863 Wie das OPCV die Opfer und ihre Rechtsvertreter im Übrigen unterstützt, ist von der Kammer von Fall zu Fall festzulegen.1864 So kann es zu den Aufgaben des Office gehören, die Opfer über ihre Rechte zu informieren,1865 ihnen das Verfahren zu erklären oder bei der Einreichung von Anträgen1866 zu helfen. Zudem kann die Kammer bei Bedarf vom Office Stellungnahmen zu opferspezifischen Grundsatzfragen einholen.1867 Das OPCV kann darüber hinaus von sich aus beantragen, bezüglich einer bestimmten Fragestellung vor Gericht erscheinen zu dürfen.1868

2. Tätigkeit als legal representative Wird das OPCV zum legal representative ernannt, hat es dieselbe verfahrensrechtliche Stellung wie jeder andere Opfervertreter.1869 Verhindert werden muss allerdings, dass die verschiedenen Aufgaben des Office zu einem Interessenkonflikt führen.1870 Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass die Unterstützung eines 1863 Siehe auch Donat-Cattin (1999), S. 270, der allerdings noch anregt, dass die VWU untersützend tätig werden soll. 1864 Kony et al., PTC II, ICC-02 / 04-01 / 05-243, o. Fn. 1752, S. 5. Siehe auch Prosecutor v. Bemba Gombo – Decision on the Observations on legal representation of unrepresented applicants, TC III, ICC-01 / 05-01 / 08-651, 9. 12. 2009, Rn. 8. 1865 Uganda PTC, ICC-02 / 04-101, o. Fn. 7, Rn. 164 = Kony et al. PTC, ICC-02 / 04-01 / 05-252, o. Fn. 7, Rn. 164; Lubanga Submissions of the OPCV, ICC-01 / 04-01 / 06-1108, o. Fn. 168, Rn. 19. 1866 Prosecutor v. Kony et al. – Decision on the OPCV’s „Request to access documents and material“, PTC II, ICC-02 / 04-01 / 05-222, 16. 3. 2007, S. 4. 1867 Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1211, o. Fn. 1765, Rn. 35. Siehe auch Lubanga Submissions of the OPCV, ICC-01 / 04-01 / 06-1108, o. Fn. 168, Rn. 26. Siehe beispielsweise Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1813, o. Fn. 9, Rn. 37; Massidda / Pellet, S. 702 f. 1868 Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1211, o. Fn. 1765, Rn. 35; Kony et al., PTC, ICC-02 / 04-01 / 05-243, o. Fn. 1752, S. 5; Lubanga Submissions of the OPCV, ICC-01 / 04-01 / 06-1108, o. Fn. 168, Rn. 26; Lubanga Conclusions de la Défense, ICC-01 / 04-01 / 06-1110, o. Fn. 979, Rn. 4 ; Massidda / Pellet, S. 702 f. 1869 Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1211, o. Fn. 1765, Rn. 37; Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1813, o. Fn. 9, Rn 39; DRC OPCV’s Application, ICC-01 / 04-420, o. Fn. 1758, Rn. 26; Massidda / Pellet, S. 694. Siehe auch DRC Prosecution’s Response, ICC-01 / 04-413, o. Fn. 1761, Rn. 5. 1870 Siehe Uganda PTC, ICC-02 / 04-117, o. Fn. 1832, S. 5 = Kony et al. PTC II, ICC-02 / 04-01 / 05-267, o. Fn. 1832, S. 5; Lubanga Conclusions des Représentants Légaux,

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Opfervertreters inhaltlich mit der Prozesstaktik unvereinbar ist, die das OPCV für die von ihm repräsentierten Opfer entwickelt hat. Um zu gewährleisten, dass das Office beide Aufgaben uneingeschränkt wahrnehmen kann, ist es in zwei getrennte Teams einzuteilen.1871 Das erste ist für die rechtliche Vertretung der Opfer, das zweite für die Unterstützung der legal representatives zuständig. Die Kammer kann diesen Prozess insoweit unterstützen, indem sie nicht das Office allgemein1872, sondern einen bestimmten Mitarbeiter1873 mit der Tätigkeit als legal representative betraut. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass die Ressourcen des OPCV beschränkt sind. Wird das Office als legal representative tätig, bedeutet dies gleichzeitig, dass weniger Zeit, Mitarbeiter und Mittel für die Unterstützung von Opfern und ihren legal representatives zur Verfügung stehen. Um aber zu gewährleisten, dass eine möglichst große Anzahl an Opfern vom OPCV profitiert, sollten die Aufgaben nach Regulation 81 Abs. 4 der Regulation of the Court Vorrang haben. Das Office sollte daher nur in Ausnahmefällen und möglichst nur für eine Übergangszeit als legal representative agieren.1874 Insbesondere bietet es sich an, das OPCV mit der Wahrnehmung der Opferinteressen zu betrauen, bis sich die Opfer auf einen gemeinsamen Rechtsvertreter geeinigt haben. 3. Zusammenfassung Durch die Unterstützung von legal representatives und Opfern leistet das OPCV einen entscheidenden Beitrag dazu, dass die Opfer ihre Beteiligungsrechte effektiv und prozesstaktisch sinnvoll wahrnehmen können. Das Office kompensiert sowohl die fehlende Vertrautheit der legal representatives mit dem Verfahrensrecht des ICC-01 / 04-01 / 06-1107, o. Fn. 1385, Rn. 4; Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1211, o. Fn. 1765, Rn. 31. 1871 Siehe auch ASP, ICC-ASP / 8 / 25, Rn. 48. 1872 DRC PTC, ICC-01 / 04-374, o. Fn. 16, Rn. 43; Situation in the DRC – Désignation du Bureau du conseil public pour les victimes pour représenter la victime a / 0184 / 06 en application de la décision ICC-01704-505, PTC I, ICC-01 / 04-506, 4. 7. 2008; Bemba Gombo TC, ICC-01 / 05-01 / 08-651, o. Fn. 1864, Rn. 18. 1873 Uganda PTC, ICC-02 / 04-117, o. Fn. 1832 = Kony et al. PTC II, ICC-02 / 04-01 / 05-267, o. Fn. 1832; Situation in Uganda – Decision on the OPCV’s Requests for leave to file a response to the Defence’s Application dated 25 March 2008 and to file observations on the Prosecution’s Response to such Application, PTC II, ICC-02 / 04-132, 4. 4. 2008 = Prosecutor v. Kony et al. – Decision on the OPCV’s Requests for leave to file a response to the Defence’s Application dated 25 March 2008 and to file observations on the Prosecution’s Response to such Application, PTC II, ICC-02 / 04-01 / 05-290, 4. 4. 2008; Situation in Uganda – Decision on legal representation of Victims [ . . . ], ICC-02 / 04-176, 9. 2. 2009 = Prosecutor v. Kony et al. – Decision on legal representation of Victims [ . . . ], ICC-02 / 04-01 / 05-366, 9. 2. 2009. 1874 Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1211, o. Fn. 1765, Rn. 32 – 33. Siehe auch Lubanga Conclusion du Representant Legal, ICC-01 / 04-01 / 06-1106, o. Fn. 1174, Rn. 2 – 5; Lubanga Conclusions des Représentants Légaux, ICC-01 / 04-01 / 06-1107, o. Fn. 1385, Rn. 4; DRC PTC, ICC-01 / 04-506, o. Fn. 1872. Siehe auch Triffterer(-Donat Cattin), Art. 68 IStGH-Statut Rn. 41.

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IStGH als auch ihren Mangel an Ressourcen. Darüber hinaus kann die Kammer das OPCV als Opfervertreter einsetzen. Damit dies aber nicht die Fähigkeit des Office, Opfern und ihren Anwälten zur Seite zu stehen, schmälert, sollte hiervon nur in Ausnahmefällen Gebrauch gemacht werden.

VI. Allgemeine Beteiligungsrechte Bevor auf die Ausgestaltung der Beteiligungsmodalitäten in den einzelnen Verfahrensabschnitten eingegangen wird, sollen kurz die grundlegenden Rechte, die den Opfern ab Zulassung zum Verfahren zustehen, vorgestellt werden.

1. Recht auf Gehör Das Recht auf Gehör ist das Kernstück von Art. 68 Abs. 3 IStGH-Statut.1875 Die Opfer haben das Recht, der Kammer ihre Auffassungen und Anliegen vorzutragen. Hiermit verbunden ist die Pflicht der Vorverfahrenskammer, die Eingaben zu prüfen und gegebenenfalls zu berücksichtigen.1876 Darüber hinaus dürfen die Opfer gemäß Regulation 24 Abs. 2 der Regulations of the Court auf Eingaben anderer Verfahrensbeteiligter antworten. Dieses Recht kann allerdings durch die Kammer modifiziert werden. Denkbar ist beispielsweise, den Opfern eine Stellungnahme zu Komplexen, die wie disclosure-Fragen ausschließlich die Parteien betreffen, zu untersagen.1877 Besonders evident sind die Interessen der Opfer bei Vorkehrungen, die ihrer Sicherheit und ihrem Schutz dienen, betroffen. Insoweit sind sie jederzeit berechtigt, sich mit der Kammer in Verbindung zu setzen. Zudem sind sie in den Entscheidungsfindungsprozess einzubinden. Verzichten der Ankläger oder die zuständige Kammer darauf, die notwendigen Schutzmaßnahmen einzuleiten, kann dies zu einer erheblichen Gefährdung der Opfer führen. Daher ist ihnen auch zu gestatten, die erforderlichen Sicherheitsvorkehrungen aktiv zu beantragen.1878 Darüber hinaus haben die Opfer ein Interesse an der zügigen und unparteiischen Verfahrensabwicklung. Neben der Anregung, spezifische Verfahrensschritte einDRC PTC, ICC-01 / 04-101-Corr, o. Fn. 4, Rn. 71. DRC PTC, ICC-01 / 04-101-Corr, o. Fn. 4, Rn. 71; Tsereteli, S. 634. 1877 Lubanga Prosecution’s submissions, ICC-01 / 04-01 / 06-996-AnxI, o. Fn. 1374, Rn. 16; Prosecutor v. Katanga & Ngudjolo – Prosecution’s Observations on the Anonymity and the Modalities of Participation in the Proceedings of Applicants a / 0327 / 07 to a / 0337 / 07, ICC-01 / 04-01 / 07-392, 14. 4. 2008, Rn. 23. In diese Richtung auch Katanga & Ngudjolo PTC, ICC-01 / 04-01 / 07-474, o. Fn. 1524, Rn. 141. 1878 DRC AC, ICC-01 / 04-556, o. Fn. 7, Rn. 50; Darfur, Sudan AC, ICC-02 / 05-177, o. Fn. 1597, Rn. 7 (50); Uganda PTC, ICC-02 / 04-101, o. Fn. 7, Rn. 98 = Kony et al. PTC, ICC-02 / 04-01 / 05-252, o. Fn. 7, Rn. 98. 1875 1876

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zuleiten,1879 können die Opfer daher beispielsweise auch die Befangenheit eines Anklägers oder Richters rügen, um diesen dazu bewegen, auf eine Beteiligung am Verfahren zu verzichten1880. 2. Informationsrechte Gemäß Rule 16 Abs. 2 lit. a) ist es Aufgabe der VWU, alle Opfer über ihre Partizipationsrechte aufzuklären. Ab Zulassung zum Verfahren stehen den Opfern darüber hinaus die Informationsrechte aus Rule 92 Abs. 5 und 6 zu. Sie oder ihr legal representative sind über bevorstehende Verfahren, Ersuchen, Eingaben, Anträge und Entscheidungen in Kenntnis zu setzen. Diese Informationsrechte gelten allerdings nicht unbeschränkt. Vielmehr bestimmt Rule 92 Abs. 5, dass die Benachrichtigung „in a manner consistent with the ruling made under rules 89 to 91“ erfolgen soll. Daraus folgt, dass die jeweils zuständige Kammer berechtigt ist, den exakten Umfang der Informationsrechte festzulegen.1881 Schwieriger ist die Situation, wenn es an einer solchen gerichtlichen Anweisung fehlt. Dann müssen Sinn und Zweck von Rule 92 Abs. 5 und 6 berücksichtigt werden. Die Opfer sollen über den Fortgang des Verfahrens informiert werden, um ihre Beteiligungsrechte, insbesondere ihr Stellungnahmerecht, sinnvoll und effizient ausüben zu können. Informations- und Beteiligungsrechte müssen eine schlüssige Einheit bilden. Sichergestellt werden muss beispielsweise, dass die Opfer eines Falls zumindest in Grundzügen Kenntnis über Stand und Entwicklung des Verfahrens orientiert sind.1882 Zudem können die Parteien, wenn sie Stellungnahmen und Eingaben einreichen, bestimmen, dass diese auch den Opfern und ihren Vertretern bekannt gegeben werden.1883 3. Rule 93 Rule 93 S. 1 ermächtigt die Kammer, von sich aus zu beliebigen Fragen die Ansichten von Opfern, die zum Verfahren zugelassen sind, einzuholen.1884 Dies ermöglicht es ihr, die Opfer als Informationsquelle zu nutzen. Zudem kann sie sicherstellen, dass bei grundlegenden Entscheidungen die Auffassungen der Opfer Siehe hierzu unten Teil 5 E. VIII. 3. Siehe zur Befangenheit oben Teil 5 B. I. und III. 1881 Bitti / Friman, S. 472. 1882 Siehe auch Bitti / Friman, S. 472. 1883 Prosecutor v. Lubanga – Order on notification of filings, TC I, ICC-01 / 04-01 / 06-1035, 19. 11. 2007, Rn. 4; Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1119, o. Fn. 7, Rn. 107. Siehe auch Abu Garda PTC, ICC-02 / 05-02 / 09-136, o. Fn. 890, Rn. 14; Bemba Gombo PTC, ICC-01 / 05-01 / 08-320, o. Fn. 11, Rn. 106. 1884 Siehe auch DRC AC, ICC-01 / 04-556, o. Fn. 7, Rn. 48; Darfur, Sudan AC, ICC-02 / 05-177, o. Fn. 1597, Rn. 7 (48). 1879 1880

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Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

auch dann ins Verfahren einfließen, wenn es an einer entsprechenden Eigeninitiative fehlt. Auf diese Weise kann die Kammer beispielsweise verhindern, dass sich Versäumnisse eines Opferanwalts nachteilig auf die Berücksichtigung der Opferinteressen im Verfahren auswirken. Ob die Kammer aktiv auf die Opfer zugeht, liegt allein in ihrem Ermessen. Allerdings hebt Rule 93 S. 1 einige Verfahrensschritte besonders hervor. Dies sind neben der gerichtlichen Überprüfung der Entscheidung des Anklägers, keine Ermittlungen oder keine Strafverfolgung einzuleiten,1885 die Entscheidung der Kammer gemäß Rule 125, die Anklage in Abwesenheit des Beschuldigten zu bestätigten, die Entscheidung über Erweiterungen der Anklage gemäß Rule 128, die Entscheidung über die Zusammenlegung von Verfahren gegen verschiedene Beschuldigte gemäß Rule 136, die Entscheidung über das weitere Verfahren nach einem Geständnis1886 sowie die Entscheidung der Kammer, einem Zeugen gemäß Art. 93 Abs. 2 IStGH-Statut; Rule 191 im Rechtshilfeverfahren zuzusichern, dass er wegen einer Handlung oder Unterlassung, die vor seiner Abreise aus dem ersuchten Staat erfolgte, vom Gerichtshof nicht strafrechtlich verfolgt oder in Haft genommen wird. All diese Verfahrensschritte berühren typischerweise in ganz erheblichem Ausmaß die persönlichen Interessen der Opfer. Ihre explizite Inbezugnahme legt nahe, dass die Delegierten in diesen Fällen die Einbeziehung von Opfern grundsätzlich für sinnvoll und wünschenswert hielten. Sie sollte daher regelmäßig erfolgen. Soweit die Kammer dies für angemessen erachtet, kann sie gemäß Rule 93 S. 2 auch die Ansichten anderer Opfer einholen.1887 Damit sind Opfer, die (noch) nicht zum Verfahren zugelassen sind, gemeint.1888 Aus der systematischen Stellung zu Satz 1 folgt jedoch, dass die Einbeziehung bisher unbeteiligter Opfer die Ausnahme sein soll. Jedenfalls ist darauf zu achten, dass Geschädigte nicht gegen ihren Willen ins Verfahren einbezogen werden.

VII. Gesondert geregelte Beteiligungsformen In Artt. 15; 19 IStGH-Statut ist die Beteiligung von Opfern gesondert geregelt.

1885 Art. 53 Abs. 3 IStGH-Statut; Rules 107 und 109. Siehe hierzu oben Teil 5 C. IV. und unten Teil 5 E. VIII. 3. b). 1886 Art. 65 IStGH-Statut, Rule 139. Siehe hierzu oben Teil 5 C. X. 2. 1887 Siehe auch Prosecutor v. Lubanga – Decision on „Demande de déposition du répresentant légal des demandeurs des victimes“, TC I, ICC-01 / 04-01 / 06-1004, 25. 10. 2007, Rn. 3. 1888 Siehe auch DRC AC, ICC-01 / 04-556, o. Fn. 7, Rn. 48; Darfur, Sudan AC, ICC-02 / 05-177, o. Fn. 1597, Rn. 7 (48).

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1. Beteiligung im Verfahren nach Art. 15 IStGH-Statut Will der Ankläger Proprio motu ermitteln, so muss er die Genehmigung der Vorverfahrenskammer einholen.1889 Rule 50 Abs. 1 S. 1 verpflichtet ihn, zuvor alle ihm oder der VWU bekannten Opfer der Situation1890 hierüber zu informieren. Der Ankläger ist allerdings von seiner Informationspflicht entbunden, wenn diese die Integrität der Ermittlungen oder die Sicherheit der Opfer und Zeugen gefährden würde.1891 Die Benachrichtigung der Opfer über ein bevorstehendes Verfahren nach Art. 15 Abs. 4 IStGH-Statut soll sie in die Lage versetzen, sich an diesem zu beteiligen.1892 Innerhalb von 30 Tagen können sie schriftlich zur geplanten Aufnahme von Ermittlungen Stellung nehmen. Die Eingaben sind an die Vorverfahrenskammer zu richten.1893 Gemäß Rule 50 Abs. 5 sind alle Opfer, die von ihrem Stellungnahmerecht Gebrauch gemacht haben, über die Entscheidung des Gerichts zu informieren. Die Benachrichtigung der Opfer durch den Ankläger ist allerdings keine zwingende Voraussetzung für die Ausübung des Partizipationsrechts aus Art. 15 Abs. 3 S. 2 IStGH-Statut. Erfahren Opfer auf andere Weise von der bevorstehenden Entscheidung der Kammer, sind sie dennoch berechtigt, Stellungnahmen einzureichen. Anderenfalls stünden die Rechte der Opfer zur Disposition des Anklägers. Dieser könnte durch eine strategische Entscheidung, nach Maßgabe von Rule 50 Abs. 1 S. 1 auf eine Benachrichtigung der Opfer zu verzichten, deren prozessuale Rechte aushebeln. Dieses Ergebnis wäre aber mit dem Grundgedanken des IStGH-Statuts, den Opfern unabhängig vom Ankläger die Möglichkeit zu geben, ihre Interessen zu verfolgen, unvereinbar.1894 Wenn die Kammer dies für erforderlich erachtet, kann sie zur Vorbereitung ihrer Entscheidung zusätzliche Informationen einholen oder in Ausnahmefällen eine Anhörung durchführen. Insoweit stellt sich die Frage, ob Art. 15 Abs. 3 S. 2 IStGH-Statut die Opferbeteiligung in diesem Verfahrensstadium abschließend regelt oder ob die Opfer – vertreten durch ihren legal representative – gemäß Art. 68 Abs. 3, Rule 91 berechtigt sind, an der Anhörung teilzunehmen. Hierfür spricht, dass in dieser Anhörung die grundlegende Entscheidung für die Verfolgung der in Frage stehenden Verbrechen getroffen wird. Verwehrt die Kammer dem Ankläger die Aufnahme von Ermittlungen, kann dies Straffreiheit für die Täter bedeuten. Die Entscheidung betrifft daher in ganz erheblichem Umfang die Siehe hierzu oben Teil 5 C. II. 3. c). Olásolo (2005), S. 113. 1891 Um die Opfer nicht zu gefährden, hat der Ankläger sie in der Situation Kenia nicht direkt kontaktiert, sondern sich für eine öffentliche Bekanntmachung entschieden, Kenya Request, ICC-01 / 09-3, o. Fn. 482, Rn. 112. 1892 Stehle, S. 257; WCRO (November 2007), S. 23. 1893 Art. 15 Abs. 3 S. 2 IStGH-Statut; Rule 50 Abs. 3 i. V. m. Regulation 50 Abs. 1 der Regulations of the Court. 1894 Siehe hierzu auch Olásolo (2005), S. 114 – 115. 1889 1890

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Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

Interessen der Opfer. Daher sollte ihnen auch das Recht zugebilligt werden, sich aktiv an der Anhörung zu beteiligen.1895 Unklar ist allerdings, ob das Recht zur Stellungnahme aus Art. 15 Abs. 3 IStGHStatut an eine erfolgreiche Absolvierung des Zulassungsverfahrens geknüpft ist. Bejaht man dies, so ist die Benachrichtigung über die bevorstehende Entscheidung der Kammer nichts anderes, als eine Aufforderung an die Opfer, nach Maßgabe von Rule 89 Abs. 1 ihre Zulassung zum Verfahren zu beantragen.1896 Allerdings drängt sich dann die Frage auf, warum die Opferbeteiligung bei der Einleitung von Proprio-motu-Ermittlungen gesondert geregelt ist; die Delegierten es nicht bei der allgemeinen Regel des Art. 68 Abs. 3 IStGH-Statut belassen haben. Art. 15 Abs. 3 S. 2 IStGH-Statut liegt die Wertung zugrunde, dass die Entscheidung über die Genehmigung von Ermittlungen die Interessen aller Opfer einer Situation betrifft und dass ihre Einbindung in den Entscheidungsfindungsprozess angemessen ist.1897 Ihnen wird eine starke prozessuale Stellung zugebilligt.1898 Ihre Rechtsausübung sollte daher nicht durch die Formalitäten des Antragsverfahrens belastet werden.1899 Allerdings bleibt der Vorverfahrenskammer das Recht, Eingaben nicht zu berücksichtigen, wenn der Einreichende kein Opfer i. S. v. Rule 85 ist.1900 Gelangt der Ankläger nach Auswertung der erhaltenen Informationen zu dem Schluss, dass keine hinreichende Grundlage für die Aufnahme von Ermittlungen besteht, so hat er gemäß Art. 15 Abs. 6 S. 1 IStGH-Statut den Informanten hiervon zu unterrichten. Wenn das Vorermittlungsverfahren auf Grundlage von Opferberichten eingeleitet wurde, erstreckt sich die Informationspflicht auf alle Opfer, die eine entsprechende Eingabe gemacht haben. Sie werden hierdurch in die Lage versetzt, weitere Informationen, die die Annahme einer hinreichenden Ermittlungsgrundlage rechtfertigen könnten, nachzureichen.1901 Um die Entscheidung und die Gründe für die Nichtaufnahme von Ermittlungen darüber hinaus einer breiten Öffentlichkeit und damit auch einem größeren Opferkreis zugänglich zu machen, veröffentlich der Ankläger sie auch im Internet.1902 Nicht geregelt ist allerdings, in So auch Stahn / Olásolo / Gibson, S. 228; Stehle, S. 303. Siehe Olásolo (2005), S. 116. 1897 Uganda PTC, ICC-02 / 04-101, o. Fn. 7, Rn. 90 = Kony et al. PTC, ICC-02 / 04-01 / 05-252, o. Fn. 7, Rn. 90. 1898 Anders wohl Stehle, S. 302. 1899 So auch Darfur, Sudan Consolidated Statement, ICC-02 / 05-144, o. Fn. 1596, Rn. 17; Stehle, S. 303. Von der Tendenz her ebenso Uganda PTC, ICC-02 / 04-101, o. Fn. 7, Rn. 94 = Kony et al. PTC, ICC-02 / 04-01 / 05-252, o. Fn. 7, Rn. 94; Stahn / Olásolo / Gibson, S. 225; Baumgartner, S. 413; Tsereteli, S. 631; Guhr (2008b), S. 111. Wohl auch Situation in the Republic of Kenya – Order to Victims Participation and Reparations Section Concerning Victims’ Representation Pursuant to Article 15(3) of the Statute, PTC II, ICC-01 / 09-4, 10. 12. 2009, Rn. 7 ff. 1900 So wohl auch Kenya PTC, o. Fn. 1899, Rn. 7. 1901 Olásolo (2005), S. 62. 1902 So sind die Iraq und die Venezuela Responses unter http: //www.icc-cpi.int/Menus/ ICC/Structure+of+the+Court/Office+of+the+Prosecutor/Comm+and+Ref/abrufbar. 1895 1896

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welchem Zeitraum die Vorermittlungen durchgeführt werden müssen. Das Informationsrecht aus Art. 15 Abs. 6 IStGH-Statut würde faktisch entwertet, wenn der Ankläger die Entscheidung über die Aufnahme von Ermittlungen unbegrenzt aufschieben könnte. Daher muss diese innerhalb einer angemessenen Zeitspanne getroffen werden.1903 Dem Informanten sollte gestattet werden, zu gegebener Zeit Auskunft über den Stand der Vorermittlungen zu verlangen. Nur so kann er in die Lage versetzt werden, auf die Einhaltung seiner Rechte hinzuwirken. 2. Beteiligung im Verfahren nach Art. 19 IStGH-Statut Entscheidet eine Kammer über die Gerichtsbarkeit des IStGH oder die Zulässigkeit einer Sache1904, haben die Opfer gemäß Art. 19 Abs. 3 S. 2 IStGH-Statut das Recht, Stellungnahmen einzureichen.1905 Zu diesem Zweck verpflichtet Rule 59 Abs. 1 lit. b) die Kanzlei, alle Opfer, die bereits mit dem Gerichtshof bezüglich des jeweiligen Falls Kontakt aufgenommen haben, über ein bevorstehendes Verfahren nach Art. 19 IStGH-Statut zu informieren. Dies sind neben den bereits zugelassenen Opfern des Falls1906 jedenfalls auch die Antragsteller im Fall, über deren ver1903 Olásolo (2005), S. 61. So auch für durch Staatenbeschwerden ausgelöste Vorermittlungen Situation in the CAR – Decision Requesting Information on the Status of the Preliminary Examination of the Situation in the Central African Republic, PTC III, ICC-01 / 05-6, 30. 11. 2006, S. 4. Siehe auch die Rechtsprechung des IACHR, derzufolge die Opfer ein Recht darauf haben, dass der Staat bei hinreichendem Anfangsverdacht in einer angemessenen Zeit Ermittlungen aufnimmt Case of Goiburú et al. v. Paraguay (Merits, Reparations and Costs), IACHR 22. 9. 2006, Rn. 165; Case of Vargas-Areco v. Paraguay (Merits, Reparations and Costs), IACHR 26. 9. 2006, Rn. 102; Case of the Miguel Castro-Castro Prison v. Peru (Merits, Reparations and Costs), IACHR 25. 11. 2006, Rn. 256; Case of La Cantuta v. Peru (Merits, Reparations and Costs), IACHR 29. 11. 2006, Rn. 149. 1904 Art. 19 IStGH-Statut. Siehe oben Teil 5 C. VI. 1905 Siehe Prosecutor v. Lubanga – Decision inviting the Democratic Republic of the Congo and the Victims in the Case to Comment on the Proceedings Pursuant to Article 19 of the Statute, PTC I, ICC-01 / 04-01 / 06-206, 24. 7. 2006; Prosecutor v. Lubanga – Observations des victimes [ . . . ] quant à l’exception d’incompétence soulevée par la défense dans la requête du 23 mai 2006, ICC-01 / 04-01 / 06-349, 24. 8. 2006; Prosecutor v. Kony et al. – Decision initiating proceedings under article 19, requesting observations and appointing counsel for the Defence, PTC II, ICC-02 / 04-01 / 05-320, 21. 10. 2008, S. 7; Prosecutor v. Kony et al. – Observations on behalf of victims pursuant to article 19(1) of the Rome Statute with 55 Public Annexes and 45 Redacted Annexes, ICC-02 / 04-01 / 05-349, 18. 11. 2008; Prosecutor v. Kony et al. – Order on the re-filing of the document in support of the appeal and Directions on the filing of observations, AC, ICC-02 / 04-01 / 05-393, 9. 4. 2009; Prosecutor v. Kony et al. – Observations of victims on the refiled document in support of „Defence Appeal against ,Decision on the admissibility of the case under article 19(1) of the Statute’ dated 10 March 2009“ filed on 15 April 2009 and on the Prosecution Response thereto filed on 7 May 2009, ICC-02 / 04-01 / 05-403, 28. 5. 2009; Prosecutor v. Katanga & Ngudjolo – Observations of the Victims on the Objection to Jurisdiction raised by the Defence for Germain Katanga in its Motion of 10 February 2009, TC II, ICC-01 / 04-01 / 07-1060, 16. 4. 2009. 1906 Lubanga PT, ICC-01 / 04-01 / 06-206, o. Fn. 1905, S. 4; Kony et al. PTC, ICC-02 / 04-01 / 05-320, o. Fn. 1905, S. 7.

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Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

fahrensrechtliche Stellung noch nicht entschieden wurde1907. Darüber hinaus sind alle Opfer erfasst, die in sonstiger Weise zu einem beliebigen Organ des Gerichtshofs Kontakt aufgenommen haben.1908 Anders als bei Art. 15 Abs. 3 IStGH-Statut genügt es hingegen nicht, dass das Opfer lediglich beim Gerichtshof aktenkundig ist. Vielmehr muss es aktiv sein Interesse am Verfahren zum Ausdruck gebracht haben. Hintergrund für diese Beschränkung ist, dass, anders als im Verfahren nach Art. 15 Abs. 3 IStGH-Statut, bei der Entscheidung über die Gerichtsbarkeit oder die Zulässigkeit kein Bedarf an weiteren Opferzeugen besteht.1909 Zudem trägt die Reduzierung der Informationspflichten zur Entlastung der Kanzlei bei. Vergegenwärtigt man sich, dass die Opfer von der VWU über ihre Beteiligungsrechte zu informieren sind,1910 kann von ihnen erwartet werden, dass sie in irgendeiner Form ihr Interesse am Verfahren signalisieren. Die in Rule 59 Abs. 1 lit. b) enthaltene Beschränkung ist daher hinnehmbar.1911 Ebenso wie bei Art. 15 Abs. 3 S. 2 IStGH-Statut sollte auch im Verfahren nach Art. 19 IStGH-Statut das Stellungnahmerecht nicht vom erfolgreichen Abschluss des Zulassungsverfahrens abhängen.1912 Allerdings kommen die zugelassenen Opfer in den Genuss weitergehender Rechte. Damit sie ihr Recht auf Gehör sinnvoll ausüben können, sind ihnen die einschlägigen öffentlichen Dokumente zur Verfügung zu stellen1913. Führt die Kammer gemäß Rule 58 Abs. 2 S. 2 eine Anhörung durch, sind die betroffenen Opfer wegen der erheblichen Bedeutung, die der Entscheidung über die Gerichtsbarkeit des IStGH oder die Zulässigkeit einer Sache für die weitere Strafverfolgung zukommt, grundsätzlich einzubeziehen.

VIII. Beteiligungsrechte im Ermittlungsverfahren Vielen Opfern ist es wichtig, das Verfahren von Anfang an begleiten zu können, also bereits ins Ermittlungsverfahren eingebunden zu werden. Nach der Rechtsprechung der Appeals Chamber ist Art. 68 Abs. 3 IStGH-Statut in jedem gerichtlichen Verfahren und zwar auch, wenn dieses sich inhaltlich auf die Ermittlungen des Anklägers in einer Situation oder in einem Fall bezieht, anwendbar.1914

1907 Uganda PTC, ICC-02 / 04-101, o. Fn. 7, Rn. 93 = Kony et al. PTC, ICC-02 / 04-01 / 05-252, o. Fn. 7, Rn. 93; Kony et al. PTC, ICC-02 / 04-01 / 05-320, o. Fn. 1905, S. 7. 1908 Stehle, S. 258. Anders wohl Kony et al. PTC, ICC-02 / 04-01 / 05-320, o. Fn. 1905, S. 7. 1909 Safferling (2003a), S. 374. 1910 Rule 16 Abs. 2 lit a). 1911 Kritisch hingegen Stehle, S. 258. 1912 So auch Darfur, Sudan Consolidated Statement, ICC-02 / 05-144, o. Fn. 1596, Rn. 17; Baumgartner, S. 413; Guhr (2008b), S. 111. Siehe auch Tsereteli, S. 631. 1913 Siehe auch Lubanga PTC, ICC-01 / 04-01 / 06-206, o. Fn. 1905, S. 4. 1914 Siehe oben Teil 5 E. II. 3. c).

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1. Recht auf Gehör Die Opfer haben bereits im Ermittlungsverfahren das Recht, der Kammer ihre Ansichten und Bedenken vorzutragen.1915 Dies umfasst die Befugnis, Beweisstücke, die für die Ermittlungen relevant sein könnten, einzureichen.1916 Dies bedeutet aber nicht, dass den Opfern Ermittlungsbefugnisse zustünden. Gemeint ist lediglich, dass sie dem Gerichtshof Beweismaterial, das sich in ihrem Besitz befindet, zur Verfügung stellen dürfen. Halten sie hingegen Ermittlungsmaßnahmen für sinnvoll oder erforderlich, haben sie diese nicht selbst vorzunehmen, sondern den Ankläger darauf hinzuweisen.1917 2. Akteneinsicht Dem Recht der Opfer auf Wahrheit kann durch die Gewährung von Akteneinsicht Rechnung getragen werden. Allerdings hängt der Erfolg der Ermittlungen maßgeblich von der Geheimhaltung sensibler Informationen ab. Um die Integrität der Strafverfolgung zu gewährleisten, kann den Opfern im Ermittlungsstadium daher nur sehr begrenzt Zugang zu vertraulichen Unterlagen gewährt werden. Ausgeschlossen ist jedenfalls, dass sie Einsicht in die Ermittlungsakten des Anklägers nehmen.1918 Unabhängig von der Ermittlungsakte des Anklägers ist die von der Kanzlei geführte Verfahrensakte. Jede Situation und jeder Fall hat eine eigene Akte. Diese enthält gemäß Regulation 21 Abs. 2 der Regulations of the Registry unter anderem alle Entscheidungen und Anordnungen der Kammer, die von den Parteien eingereichten Dokumente und Beweisstücke, Listen von Zeugen und Opfern, Verfahrensmitschriften und -protokolle. Das gesamte von der Kanzlei verwaltete Material ist in drei Geheimhaltungsstufen untergliedert: öffentlich, geheim und ex-parte.1919 Geheime Unterlagen sind lediglich vor der Öffentlichkeit geschützt. Ex-parteMaterial darf hingegen auch nicht von allen Verfahrensbeteiligen oder allen Organen des Gerichtshofs eingesehen werden. Vielmehr wird es nur explizit genannten Personen zugänglich gemacht. Zur Wahrung der Effektivität der Ermittlungen sowie der Integrität der Opferund Zeugenschutzmaßnahmen ist den Opfern im Ermittlungsstadium grundsätzlich nur Einsicht in die öffentlichen Dokumente zu gewähren.1920 Eine Ausnahme ist Siehe zur Anwendbarkeit von Art. 68 Abs. 1 IStGH-Statut oben Teil 5 E. II. 3. c). DRC PTC, ICC-01 / 04-101-Corr, o. Fn. 4, Rn. 72. Siehe auch Greco, S. 540. 1917 Katanga & Ngudjolo PTC, ICC-01 / 04-01 / 07-474, o. Fn. 1524, Rn. 83. Siehe auch DRC AC, ICC-01 / 04-556, o. Fn. 7, Rn. 54; Darfur, Sudan AC, ICC-02 / 05-177, o. Fn. 1597, Rn. 7 (54), die ausdrücklich betont, dass diese Recht unabhängig von einer Verfahrenszulassung ist. 1918 Katanga & Ngudjolo PTC, ICC-01 / 04-01 / 07-474, o. Fn. 1524, Rn. 89. 1919 Regulation 14 der Regulation of the Registry. 1915 1916

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möglich, wenn das vertrauliche Material die persönlichen Interessen des Opfers betrifft. Dies ist in jedem Einzelfall zu prüfen.1921 Sind die Opfer allerdings zu einem Verfahren, das unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet, bereits zugelassen, beinhaltet dies das Recht, Einsicht in alle, auch vertrauliche, Schriftstücke, die in diesem Verfahren eingereicht werden, zu nehmen.1922 In geeigneten Fällen kann die Kammer proprio motu entscheiden, ob ein bestimmtes vertrauliches Schriftstück auch den Opfern zugänglich gemacht werden soll.1923 Im Übrigen obliegt es dem Opfer über seinen legal representative Einsicht in vertrauliche Unterlagen zu beantragen.1924 Die Begründungslast liegt beim Antragsteller.1925 Um einen derartigen Antrag stellen zu können, muss das Opfer oder sein legal representative allerdings um die Existenz des Dokumentes wissen. Teilweise wird in öffentlichen Entscheidungen oder Eingaben auf nichtöffentliche Dokumente verwiesen.1926 Allerdings können auf diese Weise nicht die Titel aller vertraulichen Eingaben und Entscheidungen ermittelt werden. Eine mögliche Lösung wäre es, den legal representatives Zugang zu dem vollständigen Index der jeweiligen Verfahrensakte einzuräumen.1927 Ein entsprechender Antrag des OPCV wurde zwar abgelehnt. Begründet wurde dies allerdings damit, dass über den verfahrensrechtlichen Status der vom Office vertretenen Opfer noch nicht entschieden war.1928 Ob zum Verfahren zugelassene Opfer das Recht haben, Einsicht in den 1920 DRC PTC, ICC-01 / 04-101-Corr, o. Fn. 4, Rn. 76; Uganda PTC, ICC-02 / 04-112, o. Fn. 1529, Rn. 37; Katanga & Ngudjolo PTC, ICC-01 / 04-01 / 07-357, o. Fn. 11, S. 13. Siehe auch DRC Prosecution’s Response, ICC-01 / 04-413, o. Fn. 1761, Rn. 3; Situation in the DRC – Decision on the „Demande des représentants légaux de [ . . . ] aux fins d’accéder au document confidentiel déposé par le Conseil des Fonds d’affectation spéciale au profit des victimes le 7 février 2008“, PTC I, ICC-01 / 04-457, 19. 2. 2008, S. 3. 1921 DRC Prosecution’s Response, ICC-01 / 04-413, o. Fn. 1761, Rn. 5. Siehe beispielsweise Situation in the DRC – Decision Establishing a Deadline for Final Submissions on the NFI’s Additional Report, PTC I, ICC-01 / 04-112, 8. 2. 2006; DRC PTC, ICC-01 / 04-395, o. Fn. 1762, sowie Prosecutor v. Luganga – Judgement on the appeal of Mr. Thomas Lubanga Dyilo against the decision of Pre-Trial Chamber I entitled „Décision sur la demande de mise en liberté provisoire de Thomas Lubanga Dyilo“, AC, ICC-01 / 04-01 / 06-824, 13. 2. 2007, Rn. 75. 1922 Siehe DRC PTC, ICC-01 / 04-101-Corr, o. Fn. 4, Rn. 76. 1923 Siehe beispielsweise DRC PTC, ICC-01 / 04-112, o. Fn. 1921. 1924 Siehe Situation in the DRC – Demande du BCPV d’accéder à certain documents concernant les demandeurs [ . . . ], ICC-01 / 04-392, 14. 9. 2007; Lubanga Request of the OPCV, ICC-01 / 04-01 / 06-987, o. Fn. 1760; DRC Request of the OPCV, ICC-01 / 04-407, o. Fn. 1760. 1925 DRC Prosecution’s Response, ICC-01 / 04-413, o. Fn. 1761, Rn. 3. 1926 Lubanga Request of the OPCV, ICC-01 / 04-01 / 06-987, o. Fn. 1760, Rn. 9; DRC Request of the OPCV, ICC-01 / 04-407, o. Fn. 1760, Rn. 6. 1927 Siehe die entsprechenden Anträge in Lubanga Request of the OPCV, ICC-01 / 04-01 / 06-987, o. Fn. 1760, S. 5; DRC Request of the OPCV, ICC-01 / 04-407, o. Fn. 1760, Rn. 5. 1928 Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1211, o. Fn. 1765, Rn. 40; DRC PTC, ICC-01 / 04-418, o. Fn. 1758, Rn. 6. Siehe auch Prosecutor v. Lubanga – Réponse de la Défense à la

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Dokumentenindex zu nehmen, ist daher noch offen.1929 Berücksichtigt man die geringen Informationen, die der Index enthält – Titel des Dokuments, Datum und Nummer – scheint dies keinen durchschlagenden Bedenken zu begegnen.1930 Alternativ hat der Ankläger angeboten, die legal representatives bei der Ermittlung einschlägiger Dokumente zu unterstützen.1931 Auch wenn dieser Ansatz ebenfalls denkbar wäre, hat er doch den Nachteil, dass die Opfer von der Einschätzung des Anklägers, welche Dokumente ihre Interessen betreffen, abhängig wären. Daher ist die erste Variante vorzugswürdig. Sind die Opfer zum Verfahren zugelassen, sollte ihnen das Recht, den Index der Situation oder des Falls einzusehen, gewährt werden. Festzuhalten bleibt aber, dass die Einsichtnahme in nichtöffentliche Dokumente während des Ermittlungsverfahrens die absolute Ausnahme darstellt.

3. Beteiligung in ausgewählten Verfahren Nach Maßgabe von Art. 68 Abs. 3 IStGH-Statut können sich die Opfer in gerichtlichen Verfahren, die (auch)1932 im Ermittlungsstadium durchgeführt werden, einbringen. Ohne Anspruch auf Vollständigkeit seien im Folgenden einige von ihnen vorgestellt.

a) Verfahren nach Art. 18 Abs. 2 IStGH-Statut Entscheidet der Gerichtshof gemäß Art. 18 Abs. 2 IStGH-Statut vorläufig über die Zulässigkeit einer Sache1933, so sind die Interessen der Opfer nicht weniger betroffen als bei einem Verfahren nach Art. 19 IStGH-Statut. Auch hier trifft die Kammer eine für die weitere Strafverfolgung grundlegende Entscheidung. Auch wenn es an einer mit Art. 19 Abs. 3 S. 2 IStGH-Statut vergleichbaren Spezialvorschrift fehlt, sollte es den betroffenen Opfern daher auf Grundlage von Art. 68 „Request of the OPCV to access documents in the case record related to applicants [ . . . ], ICC-01 / 04-01 / 06-1002, 24. 10. 2007 Rn. 6. 1929 Siehe auch Prosecutor v. Katanga & Ngudjolo – Observations des Représentants légaux de la vicitme a / 0333 / 07 relatives au maintien de l’anonymat et aux modalités de participation des vicitmes au stade préliminaire de l’affaire, ICC-01 / 04-01 / 07-383, 9. 4. 2008, S. 8. 1930 Kritisch hingegen Katanga & Ngudjolo Prosecution’s Observations, o. Fn., 14. 4. 2008, Rn. 17. 1931 Lubanga Prosecution’s response, ICC-01 / 04-01 / 06-1017, o. Fn. 1761, Rn. 5; DRC Prosecution’s Response, ICC-01 / 04-413, o. Fn. 1761, Rn. 7. 1932 Einige der vorgestellten Verfahren können – wie die Haftprüfung – auch in späteren Verfahrensabschnitten durchgeführt werden. Dann gelten die hier gemachten Ausführungen unter Berücksichtigen der Besonderheiten des jeweiligen Verfahrensabschnitts (beispielsweise hinsichtlich des Umfangs des Akteneinsichtsrechts) entsprechend. 1933 Siehe oben Teil 5 C. V.

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Abs. 3 IStGH-Statut zumindest gestattet werden, schriftliche Stellungnahmen einzureichen.1934

b) Verfahren nach Art. 53 IStGH-Statut Entschließt sich der Ankläger, keine Ermittlungen oder keine Strafverfolgung aufzunehmen,1935 so sind gemäß Rule 92 Abs. 2 drei Kategorien von Opfern hiervon zu informieren: Opfer, die bereits zum Verfahren zugelassen sind, Opfer, die mit dem Gerichtshof hinsichtlich der betroffenen Situation in Kontakt getreten sind, sowie Opfer, die mit dem Gericht hinsichtlich des betroffenen Falls in Kontakt getreten sind.1936 Ziel dieser Benachrichtigung ist es, die Opfer in die Lage zu versetzen, ihre Zulassung zum Verfahren zu beantragen.1937 Haben sie das Verfahren nach Rule 89 erfolgreich absolviert, können sie ihre Auffassungen und Anliegen vortragen, wenn die Kammer die Entscheidung des Anklägers, keine Ermittlungen oder keine Strafverfolgung aufzunehmen, nach Maßgabe von Art. 53 Abs. 3 IStGH-Statut1938 überprüft. Dabei ist es unerheblich, ob das Verfahren durch den Sicherheitsrat, einen Mitgliedstaat oder die Kammer proprio motu ausgelöst wird.1939 Die Opfer sind aber nicht nur berechtigt, zu den bisherigen Ermittlungen und Schlussfolgerungen des Anklägers Stellung zu nehmen. Vielmehr können sie diesem auch weiteres Beweismaterial zukommen lassen, um so eine erneute Prüfung der Sachlage anzuregen.1940 Die Opfer können nicht aus eigenem Recht eine gerichtliche Überprüfung der Einstellungsentscheidung verlangen.1941 Gestützt auf Art. 68 Abs. 3 IStGH-Statut können sie allerdings anregen, dass die Kammer ihre Proprio-motu-Befugnisse ausübt.1942 Damit dieses Recht nicht leerläuft, wird man von der Kammer verlangen müssen, dass sie eine ablehnende Entscheidung begründet. Auf diese Weise wird den Opfern zumindest bei einer Verfahrenseinstellung aus Opportunitätsgründen eine abgeschwächte Kontrollfunktion zugebilligt. Siehe auch Stahn / Olásolo / Gibson, S. 229. Art. 53 IStGH-Statut. Siehe oben Teil 5 C. IV. 1936 Siehe auch Uganda PTC, ICC-02 / 04-101, o. Fn. 7, Rn. 95 = Kony et al. PTC, ICC-02 / 04-01 / 05-252, o. Fn. 7, Rn. 95. 1937 Rule 92 Abs. 2 S. 1. 1938 Siehe hierzu oben Teil 5 C. IV. 3. 1939 Uganda PTC, ICC-02 / 04-101, o. Fn. 7, Rn. 95 = Kony et al. PTC, ICC-02 / 04-01 / 05-252, o. Fn. 7, Rn. 95; Olásolo (2005), S. 110. 1940 Siehe auch Olásolo (2005), S. 110; Stehle, S. 259. 1941 Siehe zum Bedürfnis nach einem Klageerzwingungsverfahren Teil 5 E. VIII. 5. c). 1942 Siehe DRC PTC I, ICC-01 / 04-399, o. Fn. 763, S. 6 sowie Olásolo (2005), S. 110, der einen entsprechenden Antrag allerdings auf Rule 103 Abs. 1 stützen will. Siehe hierzu unten Teil 5 E. XIV. Anderer Ansicht Stehle, S. 275. 1934 1935

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c) Verfahren nach Art. 56 IStGH-Statut Die Vorverfahrenskammer entscheidet gemäß Art. 56 IStGH-Statut bei einmaligen Ermittlungsgelegenheiten über Maßnahmen zur Sicherung von Beweisen. Das Verfahren wird entweder durch einen Antrag des Anklägers oder von der Kammer selbst eingeleitet. 1943 Den Opfern kommt hingegen kein Initiativrecht zu.1944 Sie können aber gestützt auf Art. 68 Abs. 3 IStGH-Statut die Kammer ersuchen, von ihren Proprio-motu-Befugnissen Gebrauch zu machen.1945 Hinsichtlich der Frage, ob die Opfer sich in dem Verfahren nach Art. 56 IStGHStatut beteiligen dürfen, differenziert Pre-Trial Chamber I nach dem zugrunde liegenden Auslösermechanismus. Wird die Kammer proprio motu tätig, soll sie gleichzeitig nach Maßgabe von Art. 68 Abs. 3 IStGH-Statut entscheiden, welche Opfer zur Beteiligung zugelassen werden.1946 Die persönlichen Interessen eines Opfers seien vor allem dann betroffen, wenn das zu sicherende Beweismaterial in einem engen Zusammenhang mit den Taten, durch die es mutmaßlich geschädigt wurde, steht.1947 Beantragt hingegen der Ankläger Maßnahmen zur Beweissicherung, unterscheidet die Kammer weiter zwischen öffentlichen und nichtöffentlichen Verfahren. In der ersten Variante wird den Opfern grundsätzlich die Beteiligung gestattet, es sei denn, die Kammer entscheidet unter Berücksichtigung der in Art. 68 Abs. 3 IStGH-Statut genannten Voraussetzungen anders.1948 Dabei scheint die Kammer eine Vermutung zugunsten der persönlichen Betroffenheit der Opfer aufzustellen. Genau umgekehrt liegt der Fall bei Verfahren, die unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden. An diesen dürfen sich die Opfer grundsätzlich nicht beteiligen. Ausnahmen sollen dann möglich sein, wenn das Ausmaß, in dem ihre persönlichen Interessen betroffen sind, dies rechtfertigt.1949 Die Differenzierung nach Art des Auslösermechanismus vermag nicht zu überzeugen. Aus Opfersicht ist es unerheblich, ob die Kammer aus eigenem Antrieb oder aufgrund eines Antrages des Anklägers tätig wird. Entscheidendes Kriterium ist allein, ob die persönlichen Interessen der Opfer betroffen sind. Sinnvoll ist hingegen die Unterscheidung zwischen öffentlichen und nichtöffentlichen Verfahren. Die Einbeziehung von Opfern in der zweiten Variante bedeutet, dass ihnen sensible Daten beispielsweise über bisher gesammeltes Beweismaterial, Zeugen oder den Stand der Ermittlungen bekannt gemacht werden muss. Die Weitergabe solcher Informationen beinhaltet immer die Gefahr, dass sie auch unbefugten Personen zur Siehe auch oben Teil 5 C. VIII. 1. Uganda PTC, ICC-02 / 04-112, o. Fn. 1529, Rn. 32. 1945 DRC PTC, ICC-01 / 04-101-Corr, o. Fn. 4, Rn. 75. 1946 DRC PTC, ICC-01 / 04-101-Corr, o. Fn. 4, Rn. 73. 1947 Siehe DRC PTC, ICC-01 / 04-112, o. Fn. 1921, S. 2 sowie Uganda PTC, ICC-02 / 04-101, o. Fn. 7, Rn. 97 = Kony et al. PTC, ICC-02 / 04-01 / 05-252, o. Fn. 7, Rn. 97. 1948 DRC PTC, ICC-01 / 04-101-Corr, o. Fn. 4, Rn. 74. 1949 DRC PTC, ICC-01 / 04-101-Corr, o. Fn. 4, Rn. 74. 1943 1944

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Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

Kenntnis gelangen und diese daraufhin in die Lage versetzt werden, die Ermittlungen gezielt zu sabotieren. Daher darf die Opferbeteiligung nur in Ausnahmefällen möglich sein. Bei öffentlichen Verfahren kann hingegen die Zulassung von Opfern deutlich großzügiger gehandhabt werden. Festzuhalten ist zudem, dass die Kammer implizit davon auszugehen scheint, dass sie aus eigenem Antrieb heraus über die Beteiligung der Opfer entscheidet, dass, mit anderen Worten, ein gesonderter Antrag der bereits zum Verfahren zugelassenen Opfer nicht erforderlich ist.

d) Verfahren nach Art. 57 Abs. 3 IStGH-Statut Für Verfahren nach Art. 57 Abs. 3 IStGH-Statut gelten die Ausführungen zu Art. 56 IStGH-Statut entsprechend.1950 Die Einbeziehung der Opfer liegt vor allem dann nahe, wenn die Kammer gemäß Art. 57 Abs. 3 lit. c) IStGH-Statut über Maßnahmen zum Schutz von Opfern und Zeugen und die Sicherung von Beweismitteln befindet.1951 Ein besonders hohes Interesse haben Opfer an Entscheidungen über sie betreffende Sicherheitsmaßnahmen.1952 In diesen Fällen ist ihre Beteiligung grundsätzlich auch dann gerechtfertigt, wenn die Öffentlichkeit vom Verfahren ausgeschlossen ist.

e) Verfahren nach Art. 58 IStGH-Statut Gelangt der Ankläger zu dem Schluss, dass ein begründeter Verdacht besteht, dass eine bestimmte Person ein der Gerichtsbarkeit des IStGH unterfallendes Verbrechen begangen hat, kann er gemäß Art. 58 IStGH-Statut bei der Vorverfahrenskammer den Erlass eines Haftbefehls beantragen.1953 Der Antrag wird typischerweise auf einer Ex-parte-Basis eingereicht, das Verfahren ist grundsätzlich1954 vertraulich.1955 Die Entscheidung über den Erlass eines Haftbefehls ist für 1950 Siehe auch die gemeinsame Behandlung beider Artikel in DRC PTC, ICC-01 / 04-101-Corr, o. Fn. 4, Rn. 73. 1951 Uganda PTC, ICC-02 / 04-101, o. Fn. 7, Rn. 97 = Kony et al. PTC, ICC-02 / 04-01 / 05-252, o. Fn. 7, Rn. 97. 1952 Siehe auch Uganda PTC, ICC-02 / 04-101, o. Fn. 7, Rn. 97 = Kony et al. PTC, ICC-02 / 04-01 / 05-252, o. Fn. 7, Rn. 97 sowie oben Teil 5 E. II. 2. und VI. 1. 1953 Siehe auch oben Teil 5 C. VIII. 1. 1954 Anders im Fall Prosecutor v. Harun & Kushayb – Decision on Prosecution Application under Article 58 (7) of the Statute, PTC I, ICC-02 / 05-01 / 07-1, 27. 4. 2007. 1955 Siehe Situation in Uganda – Decision to hold a hearing on the requests under Rule 176 made in the Prosecution’s Application for Warrant of Arrests under Article 58, PTC II, ICC-02 / 04-10, 9. 6. 2005; Prosecutor v. Kony et al. – Decision on the Prosecution’s Application for Unsealing of the Warrants of Arrests, PTC II, ICC-02 / 04-01 / 05-52, 13. 10. 2005; Prosecutor v. Lubanga – Decision to unseal the Warrant of Arrest against Thomas Lubanga Dyilo and related documents, PTC I, ICC-01 / 04-01 / 06-37, 17. 3. 2006; Prosecutor v. Katanga & Ngudjolo – Decision to unseal the Warrant of Arrest against Germain Katanga, PTC

E. Das Opfer als Beteiligter

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die Opfer von zentraler Bedeutung, kann von dieser doch abhängen, ob der Täter strafrechtlich zur Verantwortung gezogen wird. Allerdings befinden sich die Ermittlungen zu diesem Zeitpunkt typischerweise in einer sehr sensiblen Phase. Geheimhaltung ist von zentraler Bedeutung. Jede Indiskretion, die Fokus und Ziel der Ermittlungen offenbart, kann dazu führen, dass entscheidendes Beweismaterial zerstört wird oder der Beschuldigte sich dem Zugriff des Anklägers entzieht.1956 Der Kreis derjenigen, die über diese sensiblen Informationen verfügen, muss daher so klein wie möglich gehalten werden. Die Beteiligung von Opfern im Haftbefehlsverfahren ist daher regelmäßig nicht geboten. Ist das Verfahren hingegen öffentlich, bestehen keine durchschlagenden Bedenken gegen die Einbeziehung der Opfer des Falls. Gleiches gilt grundsätzlich auch dann, wenn der Beschuldigte bereits inhaftiert ist und gemäß Art. 58 Abs. 6 IStGH-Statut über die Aufnahme weiterer Verbrechen in den Haftbefehl entschieden wird. f) Verfahren nach Art. 60 Abs. 2, 3 IStGH-Statut Die Entscheidung über die Aufrechterhaltung der Untersuchungshaft kann für die Opfer von überragender Bedeutung sein. Mit der Entlassung des Beschuldigten1957 entsteht nicht nur die Gefahr, dass er sich dem weiteren Verfahren entzieht,1958 Beweismaterial vernichtet oder in anderer Form die Ermittlungen des Anklägers stört1959. Vielmehr eröffnet sie ihm die Möglichkeit, auf Opfer und andere potentielle Belastungszeugen einzuwirken, sie einzuschüchtern oder sogar zu töten.1960 Dauert der Konflikt noch an, sind die dem Beschuldigten vertrauten I, ICC-01 / 04-01 / 07-24, 18. 10. 2007; Prosecutor v. Katanga & Ngudjolo – Decision to Unseal the Warrant of Arrest against Mathieu Ngudjolo Chui, PTC I, ICC-01 / 04-01 / 07-269, 7. 2. 2008; Prosecutor v. Ntaganda – Decision to Unseal the Warrant of arrest against Bosco Ntaganda, PTC I, ICC-01 / 04-02 / 06-18, 28. 4. 2008; Prosecutor v. Bemba Gombo – Décision de lever les scellés sur le mandat d’arrêt contre M. Jean-Pierre Bemba Gombo, PTC III, ICC-01 / 05-01 / 08-5, 24. 5. 2008. 1956 Siehe Ntaganda PTC, ICC-01 / 04-02 / 06-18, o. Fn. 1955, S. 4; Bemba Gombo PTC III ICC-01 / 05-01 / 08-5, o. Fn. 1955, Rn. 1. 1957 Diese wurde beispielsweise im Verfahren gegen Bemba Gombo angeordnet, Prosecutor v. Bemba Gombo – Decision on the Interim Release of Jean-Pierre Bemba Gombo and Convening Hearings with the Kingdom of Belgium, the Republic of Portugal, the Republic of France, the Federal Republic of Germany, the Italian Republic, and the Republic of South Africa, PTC II, ICC-01 / 05-01 / 08-457, 14. 8. 2009. 1958 Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-976, o. Fn. 854, Rn. 10; Lubanga PTC, ICC-01 / 04-01 / 06-586, o. Fn. 854, S. 5; Lubanga PTC, ICC-01 / 04-01 / 06-826, o. Fn. 854, S. 6; Prosecutor v. Bemba Gombo – Decision on application for interim release, PTC III, ICC-01 / 05-01 / 08-80-Anx, 20. 8. 2008, Rn. 56; Prosecutor v. Lubanga – Prosecution’s Response to the Defence Request of Interim Release, ICC-01 / 04-01 / 06-531, 9. 10. 2006, Rn. 12. 1959 Prosecutor v. Lubanga – Observations of victims [ . . . ] in respect of the application for release filed by the Defence, ICC-01 / 04-01 / 06-530, 9. 10. 2006, Rn. 11; Lubanga Prosecution’s Response, ICC-01 / 04-01 / 06-531, o. Fn. 1958, Rn. 13. 1960 Lubanga PTC I, ICC-01 / 04-01 / 06-586, o. Fn. 854, S. 5; Lubanga PTC, ICC-01 / 04-01 / 06-826, o. Fn. 854, S. 6; Lubanga PTC, ICC-01 / 04-01 / 06-924, o. Fn. 854, S. 6;

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Machtstrukturen noch intakt, besteht zudem die Gefahr, dass er nach Rückkehr in sein Heimatland1961 weitere Verbrechen begeht.1962 Daher betrifft eine Entscheidung nach Art. 60 Abs. 2, 3 IStGH-Statut die persönlichen Interessen der Opfer des Falls.1963 Dementsprechend hat Pre-Trial Chamber I allen zum Fall zugelassenen Opfern gestattet, sich im Haftprüfungsverfahren von Thomas Lubanga Dyilo zu beteiligen. Dabei dürfen die Opfer auch zu der Frage Stellung nehmen, ob die Voraussetzungen des Art. 58 Abs. 1 IStGH-Statut noch vorliegen. Ihnen nur zu gestatten, sich zu den Bedingungen, unter denen die Haftentlassung erfolgen soll, zu äußern,1964 würde dem Ausmaß ihrer persönlichen Betroffenheit nicht gerecht.1965 Die Zulassung zum Verfahren nach Art. 60 IStGH-Statut erfolgte zudem autoProsecutor v. Bemba Gombo – Decision on Application for Interim Release, PTC III, ICC-01 / 05-01 / 08-321, 16. 12. 2008, Rn. 38 ff.; Lubanga Prosecution’s Response, ICC-01 / 04-01 / 06-531, o. Fn. 1958, Rn. 13; Prosecutor v. Lubanga – Prosecution’s Response to Defence Appeal Against the ,Décision sur la demandede mise en liberté provisoire Thomas Lubanga Dyilo‘, ICC-01 / 04-01 / 06-637, 1. 11. 2006, Rn. 51; Prosecutor v. Lubanga – Prosecution’s Submission on the Review of Thomas Lubanga Dyilo’s Pre-Trial Detention, ICC-01 / 04-01 / 06-1337, 19. 5. 2008, Rn. 22; Prosecutor v. Bemba Gombo – Response of the Legal Representatives of Victims [ . . . ] to Additional Observations of the Office of the Prosecutor and the Defence on the Interim Release of Jean-Pierre Bemba, ICC-01 / 05-01 / 08-457, 25. 8. 2009, Rn. 9; Prosecutor v. Bemba Gombo – Observations of the Legal Representatives of Victims regarding the review of the detention of Mr. Jean-Pierre Bemba Gombo, ICC-01 / 05-01 / 08-703, 24. 2. 2010, Rn. 12. 1961 Dies ist möglich, wenn die Kammer die Freilassung des Beschuldigten nicht gemäß Rule 119 Abs. 1 lit. a) bedingt. 1962 Lubanga Observations of victims, ICC-01 / 04-01 / 06-530, o. Fn. 1959, Rn. 12. 1963 Prosecutor v. Bemba Gombo – Reasons for the „Decision on the Participation of Victims in the Appeal against the ,Decision on the Interim Release of Jean-Pierre Bemba Gombo and Convening Hearings with the Kingdom of Belgium, the Republic of Portugal, the Republic of France, the Federal Republic of Germany, the Italian Republic, and the Republic of South Africa‘“, AC, ICC-01 / 05-01 / 08-566, Rn. 17; Prosecutor v. Lubanga – Decision Establishing a Deadline in Relation to the Defence Request for the Interim Release of Thomas Lubanga Dyilo, PTC I, ICC-01 / 04-01 / 06-465, 22. 9. 2006, S. 2; Prosecutor v. Luganga – Response of Victims [ . . . ] to the Defence request of 16 November 2006, ICC-01 / 04-01 / 06-739, 29. 11. 2006, Rn. 5; Luganga Prosecution’s Response, ICC-01 / 04-01 / 06-757, o. Fn. 1052, Rn. 15; Prosecutor v. Bemba Gombo – Observations of the Legal Representatives of the Victims on the Participation of the Victims in the Interlocutory Appeal Filed by the Office of the Prosecutor under Article 81(2)(b), ICC-01 / 05-01 / 08-479, 24. 8. 2009, Rn. 7, 13 ff.; Prosecutor v. Bemba Gombo – Prosecution’s Response to the Observations of the Legal Representatives of Victims on their Participation in the Prosecution Appeal against the Decision on the Interim Release of Jean-Pierre Bemba Gombo, ICC-01 / 05-01 / 08-489, 31. 8. 2009, Rn. 13. Siehe auch Lubanga Observations of victims, ICC-01 / 04-01 / 06-530, o. Fn. 1959. Kritisch Lubanga Defence Response, ICC-01 / 04-01 / 06-734, o. Fn. 36, Rn. 23; Lubanga Defence Response, ICC-01 / 04-01 / 06-734, o. Fn. 36, Rn. 7. 1964 So Lubanga Defence Response, ICC-01 / 04-01 / 06-734, o. Fn. 36, Rn. 21; Prosecutor v. Lubanga – Defence Response to the Appeals Chamber Order of 4 December 2006, ICC-01 / 04-01 / 06-756, 6. 12. 2006, Rn. 8. 1965 Siehe auch Luganga AC, ICC-01 / 04-01 / 06-824, o. Fn. 1921, Rn. 54.

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matisch. Bereits zugelassene Opfer mussten keinen gesonderten Antrag auf Beteiligung stellen.1966 Bei einer automatischen periodischen Haftprüfung i. S. v. Rule 118 Abs. 2 hält es Pre-Trial Chamber I für entbehrlich, erneute Stellungnahmen der Parteien einzuholen.1967 Hat noch nicht einmal die Verteidigung das Recht, ihre Ansichten vorzutragen, muss dies auch und erst recht für die Opfer gelten. Wird allerdings das Kontrollverfahren durch den Antrag einer Partei ausgelöst, ist die andere berechtigt, die Eingabe zu erwidern.1968 Dann sollten auch die Opfer einbezogen werden. Dies gilt sowohl für das schriftliche Verfahren1969 als auch für den Fall, dass die Kammer eine Anhörung ansetzt. Die Kammer kann die Haftentlassung von bestimmten Bedingungen abhängig machen. Der nicht abschließende Katalog von Rule 119 Abs. 1 schlägt beispielsweise vor, die Entlassung des Beschuldigten auf ein bestimmtes Gebiet zu begrenzen oder diesem zu untersagen, direkten oder indirekten Kontakt mit Opfern und Zeugen aufzunehmen. Bevor die Kammer die Bedingungen festsetzt, hat sie zwingend die Ansichten der Opfer, die mit dem Gerichtshof in Bezug auf den jeweiligen Fall Kontakt aufgenommen haben und die nach Ansicht der Kammer in Folge der Freilassung des Beschuldigten gefährdet sein könnten, einzuholen.1970

4. Recht auf Anonymität Der Umfang der den Opfern im Ermittlungsverfahren zustehenden Beteiligungsrechte ist relativ gering und beschränkt sich regelmäßig auf die Einreichung schriftlicher Stellungnahmen. Daher wird man es den Opfern grundsätzlich gestatten können, anonym zu bleiben, ohne dass dies die Position der Verteidigung beeinträchtigen würde.

1966 Lubanga PTC, ICC-01 / 04-01 / 06-465, o. Fn. 1963, S. 3. Siehe auch Prosecutor v. Katanga & Ngudjolo – Decision Inviting Observations from the Participants concerning the Detention of Mathieu Ngudjolo Chui (rule 118(2)), TC II, ICC-01 / 04-01 / 07-904, 18. 2. 2009. 1967 Lubanga PTC, ICC-01 / 04-01 / 06-826, o. Fn. 854, S. 7; Lubanga PTC, ICC-01 / 04-01 / 06-924, o. Fn. 854, S. 8. Dieser Rechtsprechung hat sich die Trial Chamber im Fall Lubanga zunächst stillschweigend angeschlossen. Siehe Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-976, o. Fn. 854; Prosecutor v. Lubanga – Decision reviewing the Trial Chamber’s ruling on the detention of Thomas Lubanga Dyilo in accordance with Rule 118(2), TC I, ICC-01 / 04-01 / 06-1151, 1. 2. 2008. Später hat sie allerdings die Parteien um Stellungnahmen gebeten. Siehe Lubanga Prosecution’s Submission, ICC-01 / 04-01 / 06-1337, o. Fn. 1960, Rn. 2. 1968 Lubanga PTC, ICC-01 / 04-01 / 06-826, o. Fn. 854, S. 7. 1969 Stellungnahme gemäß Regulation 24 Abs. 2 Regulations of the Court. 1970 Rule 119 Abs. 3.

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Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

5. Die fehlenden Rechte Art. 68 Abs. 3 IStGH-Statut gewährt den Opfern auch im Ermittlungsverfahren grundsätzlich eine ausreichend starke prozessuale Stellung. Dennoch stellt sich die Frage, ob die Position der Opfer durch zusätzliche Rechte weiter ausgebaut werden sollte.

a) Recht des Opfers, einer Strafverfolgung zu widersprechen Art. 53 Abs. 1 S. 1 IStGH-Statut ist Ausdruck des Legalitätsprinzips. Wenn eine hinreichende Ermittlungsgrundlage besteht, muss der Ankläger eine Strafverfolgung einleiten. Dies gilt grundsätzlich auch dann, wenn die Opfer keine Tatahndung wünschen. Da völkerrechtliche Verbrechen nicht nur ihre Individualinteressen, sondern auch elementare Rechtsgüter der internationalen Gemeinschaft verletzen, kann die Strafverfolgung nicht zur Disposition der Opfer stehen. Dennoch lässt das IStGH-Statut Raum, ein fehlendes Strafbedürfnis der Geschädigten zu berücksichtigen. Zunächst hat der Ankläger dies bei der Entscheidung, ob die Aufnahme von Ermittlungen oder die Einleitung von Strafverfolgungsmaßnahmen im Interesse der Gerechtigkeit liegt, zu berücksichtigen.1971 Zudem steht es den Opfern grundsätzlich frei, ob sie sich dem IStGH als Zeugen zur Verfügung stellen.1972 Verweigern sie eine Zusammenarbeit, wird der Nachweis der sie betreffenden Einzelakte typischerweise schwierig, eine Strafverfolgung häufig ausgeschlossen sein. Es besteht kein Bedürfnis, den Opfern darüber hinaus das Recht einzuräumen, einer Strafverfolgung ausdrücklich zu widersprechen.

b) Individualbeschwerde Anders als beispielsweise verschiedene Menschrechtskonventionen1973 erkennt Art. 13 IStGH-Statut die Individualbeschwerde nicht als eigenständigen triggermechanism an.1974 Im Gegensatz zur Staatenbeschwerde haben diese aber den Vorteil, dass sie weitestgehend unabhängig von politischen Erwägungen sind.1975 Aufgewertet wird die Rechtsposition der Opfer allerdings durch Artt. 13 lit. c); 15 IStGH-Statut, die ihnen die Möglichkeit geben, den Ankläger über mutmaßliche Verbrechen zu informieren. Nach Erhalt jeglicher notitia criminis ist dieser verpflichtet, ein Vorermittlungsverfahren einzuleiten und zu prüfen, ob eine hinreichende Grundlage für die Aufnahme von Ermittlungen besteht.1976 Das Recht, 1971 1972 1973 1974 1975

Siehe auch oben Teil 5 C. IV. 2. c) bb). Siehe oben Teil 5 D. II. Siehe Artt. 34 EMRK; 44 AMRK; 55 AfrMRK. Siehe Baumgartner, S. 426 f.; WCRO (November 2007), S. 32. van Dijk / van Hoof / van Rijn / Zwaak, S. 51.

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dem Ankläger Informationen zukommen zu lassen, beinhaltet damit das Recht, zumindest in begrenztem Umfang Ermittlungsaktivitäten des Anklägers auszulösen.1977 Berücksichtigt man die begrenzten Kapazitäten des Gerichtshofs,1978 so ist dies ein sinnvoller Kompromiss zwischen Opferrechten und verfahrensökonomischen Erwägungen.1979

c) Klageerzwingung Gemäß §§ 171; 172 StPO gewährt das deutsche Strafverfahrensrecht dem Opfer, wenn es die Straftat angezeigt hat, das Recht, gegen die Einstellung der Ermittlungen vorzugehen. Zunächst kann das Opfer Beschwerde beim Generalbundesanwalt einreichen. Spricht sich dieser ebenfalls gegen die Aufnahme von Ermittlungen aus, kann daraufhin eine gerichtliche Überprüfung der Einstellungsentscheidung angestrengt werden. Durch das Klageerzwingungsverfahren wird dem Opfer eine Art Wächterstellung über das Legalitätsprinzip zuerkannt.1980 Das IStGH-Statut billigt den Opfern keine vergleichbare Rechtsposition zu.1981 Die Einstellungsentscheidung des Anklägers kann allein auf Initiative des Sicherheitsrats, des überweisenden Staats oder der Kammer selbst überprüft werden.1982 Sobald allerdings das Kontrollverfahren eingeleitet ist, haben die Opfer gemäß Art. 68 Abs. 3 IStGHStatut das Recht, sich an diesem zu beteiligen. Erfolgt die Verfahrenseinstellung allein aus Opportunitätsgründen, können die Opfer zudem die Kammer ersuchen, dass diese die Entscheidung des Anklägers proprio motu überprüft.1983 Im begrenzten Rahmen können die Opfer so zur Verhinderung ungerechtfertigter Verfahrenseinstellung beitragen. Berücksichtigt man ferner, dass im Verfahren vor dem IStGH wegen der begrenzten Ressourcen Selektionsprozesse unvermeidlich sind, ist es gerechtfertigt, den Opfern ein Klageerzwingungsverfahren zu versagen.

6. Zusammenfassung Die Opfer haben bereits im Ermittlungsverfahren umfassend das Recht, ihre Ansichten und Auffassungen vorzutragen. Dies umschließt die Möglichkeit, den Ankläger auf bestimmte Taten und relevantes Beweismaterial hinzuweisen. Siehe oben Teil 5 C. II. 3. b). Olásolo (2005), S. 58. Siehe auch Baumgartner, S. 427. 1978 Junck, Rn. 450. 1979 So auch Stehle, S. 277. 1980 Siehe auch Bischoff, S. 18; Wehnert, S. 18; Jan, S. 9; Pfeiffer, § 172 StPO Rn. 1; Stehle, S. 131; Meyer-Goßner, § 172 StPO Rn. 1. Siehe auch KK(-Schmid), § 172 StPO Rn. 1. 1981 Siehe auch Manning, S. 825. 1982 Siehe zu Art. 53 Abs. 3 IStGH-Statut oben Teil 5 C. IV. 3. 1983 Siehe oben Teil 5 E. VIII. 3. b). 1976 1977

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Darüber hinaus können sich die Opfer, wenn und soweit ihre persönlichen Interessen betroffen sind, in einzelnen Verfahren beispielsweise nach den Artt. 56 Abs. 3; 57 Abs. 3 oder 60 Abs. 2 IStGH-Statut einbringen.

IX. Beteiligung an der Bestätigung der Anklage Um sich am Verfahren zur Bestätigung der Anklage1984 und den vorbereitenden Verfahrensschritten beteiligen zu können, müssen die Opfer zum Verfahren zugelassen sein. Wurde einem entsprechendem Antrag stattgeben, muss die Kammer den Umfang der Partizipationsrechte bestimmen. Dabei sind sowohl die Wünsche der Opfer1985 als auch die Auffassung des Anklägers und der Verteidigung1986 zu berücksichtigen.

1. Berücksichtigung der Zielsetzung des confirmation hearing Im Verfahren nach Art. 61 Abs. 7 IStGH-Statut überprüft die Vorverfahrenskammer lediglich, ob ein dringender Tatverdacht gegen den Beschuldigten besteht. Es wird nicht über dessen Schuld oder Unschuld entschieden. Darüber hinaus kann der Ankläger, wenn die Kammer die Bestätigung der Anklage verweigert, jederzeit aufgrund zusätzlichen Beweismaterials eine erneue Prüfung veranlassen.1987 Anders als ein Freispruch beendet eine ablehnende Entscheidung der Kammer daher das Verfahren nicht endgültig. Hieraus soll ein geringeres Beteiligungsinteresse der Opfer resultieren.1988 Allerdings obliegt es dem Ankläger, ob und wann er die Verfahrenskammer erneut um die Bestätigung der Anklage ersucht. Zudem kann die Anklageschrift alterniert, einzelne Tatvorwürfe herausgenommen werden. Sicherheit, dass die von ihnen erlittenen Verbrechen zu einem späteren Zeitpunkt angeklagt werden, haben die Opfer daher nicht.1989 Zudem muss man ihnen ein Siehe oben Teil 5 C. IX. Siehe Lubanga PTC, ICC-01 / 04-01 / 06-228, o. Fn. 11, S. 17; Katanga & Ngudjolo Observations des Représentants légaux, ICC-01 / 04-01 / 07-383, o. Fn. 1929; Katanga & Ngudjolo Sousmission du représentant légal, ICC-01 / 04-01 / 07-385, o. Fn. 1532. 1986 Siehe Prosecutor v. Lubanga – Decision Authorising the Prosecutor and the Defence to Respond to the Observations of the Legal Representatives of the Victims regarding the Manner in which Victims a / 0001 / 06, a / 0002 / 06 and a / 0003 / 06 are to Participate in the Confirmation Hearing, PTC I, ICC-01 / 04-01 / 06-319, 10. 8. 2006 sowie Katanga & Ngudjolo Prosecution’s Observations, ICC-01 / 04-01 / 07-392, o. Fn. 1877; Katanga & Ngudjolo Observations de la Défense, ICC-01 / 04-01 / 07-433, o. Fn. 1570. 1987 Siehe oben Teil 5 C. IX. 1988 Siehe Lubanga Prosecution’s Response, ICC-01 / 04-01 / 06-353, o. Fn. 889, Rn. 14. In diese Richtung auch Stahn / Olásolo / Gibson, S. 220, 235. 1989 Siehe auch Lubanga AC, Separate Opinion of Judge Sang-Hyun Song, ICC-01 / 04-01 / 06-925, o. Fn. 100, Rn. 18; Prosecutor v. Lubanga – Joint Application of Victims 1984 1985

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Interesse an einer zügigen und möglichst belastungsarmen Durchführung des Verfahrens zubilligen. Die Zurückweisung der Anklage durch die Vorverfahrenskammer kann von den Opfern als Negierung der Tat und des erlittenen Unrechts verstanden werden. Sie bedeutet zudem eine Verlängerung des Verfahrens und damit eine Intensivierung der prozessimmanenten Belastungen. Den Opfern sollte daher auch im confirmation hearing hinreichende Befugnisse zur Wahrnehmung ihrer Interessen eingeräumt werden.1990 Wegen der inhaltlichen Begrenzung des Verfahrens brauchen diese allerdings nicht so umfangreich zu sein wie in der Hauptverhandlung. Generell gilt, dass die Eingaben der Opfer und ihrer Vertreter mit dem Sinn und Zweck des Zwischenverfahrens im Einklang stehen müssen.1991 Sie müssen sich mit anderen Worten auf die Frage beziehen, ob das vom Ankläger vorgelegte Material die Annahme eines dringenden Tatverdachts rechtfertigt.1992

2. Recht auf Information Rule 92 Abs. 3 verpflichtet den Gerichtshof alle Opfer, die sich bereits am Verfahren beteiligen, sowie nach Möglichkeit alle Opfer, die mit dem Gerichtshof in Bezug auf den jeweiligen Fall Kontakt aufgenommen haben, über das bevorstehende Verfahren nach Art. 61 IStGH-Statut zu informieren. Darüber hinaus hat die Kanzlei gegebenenfalls in Zusammenarbeit mit den betroffenen Mitgliedstaaten und NGOs auch die Öffentlichkeit hierüber in Kenntnis zu setzen. Hiermit korrespondiert die Pflicht des Gerichtshofs, den Tag des confirmation hearings öffentlich bekanntzugeben.1993 Diese Maßnahmen zielen auch darauf, die Zahl der Opfer, die vom Zwischenverfahren Kenntnis erlangen, zu erhöhen1994 und sie so zur Wahrnehmung ihrer Partizipationsrechte zu befähigen.

3. Recht auf Anonymität Die Opfer hegen häufig den Wunsch, auch im Verfahren zur Bestätigung der Anklage anonym zu bleiben.1995 Vor allem wenn der Konflikt noch andauert, ist [ . . . ] concerning the „Directions and Decision of the Appeals Chamber“, filed on 1 February 2007, ICC-01 / 04-01 / 06-802, 2. 2. 2007, S. 4. 1990 Siehe auch Abu Garda PTC, ICC-02 / 05-02 / 09-121, o. Fn. 18, Rn. 4; Abu Garda PTC, ICC-02 / 05-02 / 09-136, o. Fn. 890, Rn. 5. 1991 Siehe auch Abu Garda PTC, ICC-02 / 05-02 / 09-136, o. Fn. 890, Rn. 7; Bemba Gombo PTC, ICC-01 / 05-01 / 08-320, o. Fn. 11, Rn. 94 f. 1992 Lubanga Prosecution’s Response, ICC-01 / 04-01 / 06-353, o. Fn. 889, Rn. 12. 1993 Rules 121 Abs. 1; 125 Abs. 1. 1994 Safferling (2003a), S. 375. Siehe auch Bitti / Friman, S. 471. 1995 Siehe die Zusammenfassung des nichtöffentlichen Antrags des legal representatives im Lubanga-Verfahren bei Prosecutor v. Lubanga – Decision on the agenda of the hearings

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Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

die Geheimhaltung der Identität der Opfer eine entscheidende, wenn nicht sogar die einzig wirksame, Maßnahmen zur ihrem Schutz.1996 Die Namen der Opfer nicht der Öffentlichkeit bekanntzugeben, ist unproblematisch möglich.1997 Bedenklicher ist es allerdings, ihnen auch gegenüber der Verteidigung Anonymität zu gewähren. Aus Gründen des Opferschutzes kann dies sinnvoll und geboten sein. Solange im Heimatland des Beschuldigten die alten Machtstrukturen noch intakt sind, steht zu befürchten, dass er über hinreichend Möglichkeiten verfügt, auch aus der Untersuchungshaft heraus die Einschüchterung oder Beseitigung von Personen zu veranlassen. Allerdings stellt sich die Frage, ob die Geheimhaltung der Identität der Opfer mit dem Recht auf ein faires Verfahren vereinbar ist. Es droht die Zulassung anonymer Ankläger.1998 Weiß die Verteidigung nicht, von wem eine bestimmte Eingabe stammt, ist eine angemessene Erwiderung erschwert.1999 Auf der anderen Seite kann von den Opfern nicht verlangt werden, sich zwischen ihrer Sicherheit und einer Verfahrensbeteiligung zu entscheiden. Pre-Trial Chamber I hat daher die Identität der Opfer auf Antrag auch gegenüber der Verteidigung geheim gehalten, dies aber bei der Ausgestaltung der Beteiligungsrechte berücksichtigt.2000 Diese sinnvolle Kompromisslösung ermöglicht es, die Rechte der Verteidigung zu wahren, ohne die Opfer vollständig vom Verfahren ausschließen zu müssen. Die Zweiteilung der Rechte muss bei der Bestellung eines kollektiven Rechtsbeistands berücksichtigt werden. Die unterschiedliche Behandlung anonym bleibender Opfer kann nur dann umgesetzt werden, wenn die Gruppen insoweit homogen sind, ein legal representative also nicht gleichzeitig Opfer mit und ohne Partizipationsbeschränkungen vertritt.

of 23 and 25 August 2006, PTC I, ICC-01 / 04-01 / 06-346, 22. 8. 2006, S. 4 sowie Lubanga PTC, ICC-01 / 04-01 / 06-462, o. Fn. 1572, S. 6. 1996 Lubanga PTC, ICC-01 / 04-01 / 06-462, o. Fn. 1572, S. 6; Katanga & Ngudjolo Observations des Représentants légaux, ICC-01 / 04-01 / 07-383, o. Fn. 1929, S. 5. 1997 Siehe auch Katanga & Ngudjolo PTC, ICC-01 / 04-01 / 07-474, o. Fn. 1524, Rn. 22. Dies haben im Fall Katanga / Ngudjolo Chui auch einige Opfer als ausreichende Sicherheitsmaßnahme empfunden, Katanga & Ngudjolo Sousmission du représentant légal, ICC-01 / 04-01 / 07-385, o. Fn. 1532, Rn. 19. 1998 Siehe Lubanga PTC, ICC-01 / 04-01 / 06-462, o. Fn. 1572, S. 7. 1999 Lubanga Prosecution’s Response, ICC-01 / 04-01 / 06-353, o. Fn. 889, Rn. 21. Für die Hauptverhandlung Lubanga Acte d’appel de la Défense, ICC-01 / 04-01 / 06-1220, o. Fn. 9, Rn. 51; 23; Prosecutor v. Lubanga Argumentation de la Défense, ICC-01 / 04-01 / 06-991, o. Fn. 1170, Rn. 33 ff. Kritisch auch Zappalà (2010), S. 151. 2000 Lubanga PTC, ICC-01 / 04-01 / 06-462, o. Fn. 1572, S. 6; Katanga & Ngudjolo PTC, ICC-01 / 04-01 / 07-474, o. Fn. 1524, Rn. 179; Abu Garda PTC, ICC-02 / 05-02 / 09-136, o. Fn. 890, Rn. 22. Anders hingegen Bemba Gombo PTC, ICC-01 / 05-01 / 08-320, o. Fn. 11, Rn. 99.

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4. Recht auf Akteneinsicht Nach Maßgabe von Rule 121 Abs. 10 kann die von der Kanzlei geführte Verfahrensakte auch von den Opfern und ihren legal representatives eingesehen werden. Dies umfasst das Recht auf Zugang zu den zur Verfahrensakte gereichten Beweisstücken. Das Akteneinsichtsrecht steht auch unvertretenen Opfern zu. Hierdurch werden sie in die Lage versetzt, sich effektiv auf die Verhandlung vorzubereiten.2001 Das Recht auf Akteneinsicht gilt allerdings nicht unbegrenzt, sondern nur vorbehaltlich von Geheimhaltungsbeschränkungen. In welchem Umfang die Opfer und ihre Vertreter auf die Verfahrensakte zugreifen können, wird von der jeweiligen Kammer festgelegt. Auch in diesem Verfahrensstadium besteht die Gefahr, dass die Ermittlungen oder die Sicherheit von Zeugen durch die Preisgabe sensibler Informationen gefährdet werden. Daher könnte man erwägen, den Opfern wie im Ermittlungsverfahren grundsätzlich nur Zugang zu öffentlichem Material zu gewähren.2002 Dadurch würde allerdings die Fähigkeit der Opfer und ihrer Vertreter, sich auf das Verfahren vorzubereiten, empfindlich eingeschränkt.2003 Dies gilt umso mehr, da alle Schriftstücke, in denen Bezug auf Beweismaterial genommen wird, typsicherweise als vertraulich eingestuft werden.2004 Zudem würden die Verbrechensopfer im Ergebnis mit der Öffentlichkeit auf eine Stufe gestellt.2005 Dies wird aber der Tatsache nicht gerecht, dass sich am Verfahren zur Bestätigung der Anklage nur Opfer beteiligen dürfen, bei denen vernünftige Gründe dafür sprechen, dass sie durch die in Frage stehenden Verbrechen geschädigt wurden. Sie haben damit ein gesteigertes Interesse an der Strafverfolgung und ein legitimes Bedürfnis, über das Verfahren informiert zu werden. Wenn die Opfer von einem legal representative vertreten werden, ist zudem Art. 8 CPCC in Rechnung zu stellen. Auch der Opferanwalt ist zum Schutz vertraulicher Informationen verpflichtet. Vor diesem Hintergrund erscheint eine Beschränkung des Akteneinsichtsrechts auf öffentlich zugängliches Material nicht gerechtfertigt. Vielmehr sollte zumindest den anwaltlich vertretenen Opfern die Einsichtnahme in die Verfahrensakte nur insoweit verwehrt 2001 Katanga & Ngudjolo Observations des Représentants légaux, ICC-01 / 04-01 / 07-383, o. Fn. 1929, S. 8; Katanga & Ngudjolo Sousmission du représentant légal, ICC-01 / 04-01 / 07-385, o. Fn. 1532, Rn. 24 – 25. 2002 Lubanga Prosecution’s Response, ICC-01 / 04-01 / 06-353, o. Fn. 889, Rn. 26 f.; Prosecutor v. Abu Garda – Prosecution’s Response to the Victims’ Legal Representatives Requests For Access to Confidential Documents, ICC-02 / 05-02 / 09-193, 19. 10. 2009, Rn. 7. Siehe auch Katanga & Ngudjolo Prosecution’s Observations, ICC-01 / 04-01 / 07-392, o. Fn. 1877, Rn. 17; Bemba Gombo PTC, ICC-01 / 05-01 / 08-320, o. Fn. 11, Rn. 103. 2003 Siehe auch Katanga & Ngudjolo Observations des Représentants légaux, ICC-01 / 04-01 / 07-383, o. Fn. 1929, S. 8; Prosecutor v. Abu Garda – 1. Request in respect of Lifting the Anonymity of Victims, 2. Request for Access To Documents Relating to Witnesses, ICC-02 / 05-02 / 09-176, 16. 10. 2009, Rn. 4. 2004 Katanga & Ngudjolo PTC, ICC-01 / 04-01 / 07-474, o. Fn. 1524, Rn. 151. 2005 Siehe auch Narantsetseg / Sevgili, S. 138.

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werden, wie dies zum Schutz besonders sensibler Informationen absolut notwendig ist. Dargelegt werden sollte, dass auch gegenüber den Opfern Geheimhaltung erforderlich ist, um beispielsweise die Integrität der Ermittlungen, die Sicherheit von Zeugen oder den Schutz nationaler Sicherheitsinteressen zu gewährleisten.2006 Dies ist typischerweise bei Unterlagen, die auf einer Ex-parte-Basis eingereicht werden, also nur einem begrenzten Personenkreis zugänglich sind, der Fall.2007 Daher gewährte Pre-Trial Chamber I im Verfahren gegen Katanga und Ngudjolo den Opfern und ihren Vertretern grundsätzlich Einsicht in die öffentlichen und vertraulichen Teile der Verfahrensakte. Zugriff auf Ex-parte-Material hatten sie hingegen nicht.2008 Durch das Recht auch den nicht-öffentlichen Teil der Verfahrensakte einsehen zu können, wird gewährleistet dass die Opfer bzw. ihre legal representatives auch Kenntnis vom Beweismaterial, das die Parteien in der Verhandlung präsentieren wollen, erlangen.2009 Gemäß Rule 121 Abs. 3 muss der Ankläger der Vorverfahrenskammer und dem Beschuldigten mindestens 30 Tage vor Beginn des confirmation hearing die Anklage und eine Liste der Beweisstücke, auf die er sich im Verfahren beziehen will, vorlegen. Will die Verteidigung selbst Beweise präsentieren, treffen sie ähnliche Offenlegungspflichten. Gemäß Rule 121 Abs. 10 sind diese Unterlagen, die nicht der Öffentlichkeit bekannt gegeben werden müssen,2010 vor Beginn der Verhandlung der Verfahrensakte beizufügen2011. Gewährt man den Opfern daher das Recht, auch den vertraulichen Teil der Akte einzusehen, erhalten sie genug Informationen, um sich auf das Verfahren effektiv vorbereiten zu können. Gleichzeitig verhindert die Anknüpfung an die allgemeine Kategorisierung von Material nach Regulation 14 der Regulation of the Registry eine aufwendige Einzelfallprüfung und ist damit auch aus verfahrensökonomischen Gründen sinnvoll. Sollte im Einzelfall die Weitergabe der in der Akte enthaltenen personenbezogen Daten an die Opfer zu einer Gefährung von Zeugen führen, so besteht die Möglichkeit, das Akteneinsichtsrecht auf die legal representatives zu beschränken und diesen zu untersagen, sensible Informationen – wie z. B. Namen und Adressen von Zeugen – an ihre Mandanten weiterzugeben. Auf diese Weise kann dem Sicherheitsbedürfnis gefährdeter Personen hinreichend Rechnung getragen werden, ohne die Beteiligungsrechte der Opfer übermäßig zu beschränken.2012 Insgesamt Katanga & Ngudjolo PTC, ICC-01 / 04-01 / 07-474, o. Fn. 1524, Rn. 147. Katanga & Ngudjolo PTC, ICC-01 / 04-01 / 07-474, o. Fn. 1524, Rn. 152. 2008 Katanga & Ngudjolo PTC, ICC-01 / 04-01 / 07-474, o. Fn. 1524, Rn. 128. 2009 Katanga & Ngudjolo PTC, ICC-01 / 04-01 / 07-474, o. Fn. 1524, Rn. 118. 2010 Siehe Lubanga PTC, ICC-01 / 04-01 / 06-102, o. Fn. 130, S. 7; Prosecutor v. Katanga & Ngudjolo – Prosecution’s Submission of the Document Containing the Charges and List of Evidence, ICC-01 / 04-01 / 07-422, 21. 4. 2008. 2011 Katanga & Ngudjolo PTC, ICC-01 / 04-01 / 07-474, o. Fn. 1524, Rn. 117. 2012 Prosecutor v. Katanga & Ngudjolo – Decision on Limitations of Set of Procedural Rights for Non-Anonymous Victims, PTC I, ICC-01 / 04-01 / 07, 30. 5. 2008, Rn. 21 ff. Siehe auch Katanga & Ngudjolo TC, ICC-01 / 04-01 / 07-1788, o. Fn. 1532, Rn. 113. 2006 2007

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erscheint die Rechtsprechung von PTC I im Verfahren gegen Katanga & Ngudjolo einen sinnvollen Interessenausgleich zu ermöglichen. Im Verfahren gegen Abu Garda ist die Kammer allerdings restriktiver vorgangen und hat das Akteneinsichtsrecht der Opfervertreter auf den öffentlichen Teil der Verfahrensakte beschränkt.2013 Wird den legal representatives auch Zugriff auf nicht-öffentliche Schriftstücke gewährt, wirkt sich dies auf den Umfang der Informationsrechte der Rule 92 Abs. 5 und 6 aus. Die Opfer oder ihre Rechtsvertreter sind auch über vertrauliche Verfahren, Eingaben, Entscheidungen und sonstige Dokumente zu informieren.2014 Ziehen die Opfer es vor, anonym zu bleiben, hat Pre-Trial Chamber I ihr Akteneinsichtsrecht grundsätzlich auf öffentliche Dokumente beschränkt. Ausnahmen sind nur in besonderen Einzelfällen vorgesehen.2015 Die Beteiligungsrechte anonym gebliebener Opfer sollten allerdings nur insoweit beschränkt werden, wie dies das Verbot anonymer Ankläger erfordert. Dies schließt in erster Linie aus, dass die Opfer weitere Tatsachen oder Beweisstücke in das Verfahren einbringen.2016 Durch die Wahrnehmung passiver Rechte, insbesondere Informationsrechte, agiert das Opfer aber nicht als Ankläger. Die Position der Verteidigung wird nicht beeinträchtigt, wenn sich anonyme Opfer bzw. zumindest deren legal representatives aus der Verfahrensakte über den Stand des Verfahrens informieren. Ihr Akteneinsichtsrecht sollte daher grundsätzlich nicht beschnitten werden.2017 In jedem Fall sollte den Rechtsvertretern anonym gebliebener Opfer aber der vollständige Index des Falls zugänglich gemacht werden, damit sie vertrauliche Unterlagen, die ihre persönlichen Interessen in besonderem Maße betreffen, identifizieren und gegebenenfalls Einsichtnahme beantragen können.2018

5. Recht auf Offenlegung von Beweisen? Die Opfer haben weder die notwendigen rechtlichen Befugnisse2019 noch die erforderlichen Ressourcen, um selbst Ermittlungen durchzuführen. Sie sind insoweit vom Ankläger abhängig. Die vergleichbare strukturelle Unterlegenheit der 2013 Abu Garda PTC, ICC-02 / 05-02 / 09-136, o. Fn. 890, Rn. 11. Siehe auch Prosecutor v. Bemba Gombo – Sixth Decision on Victims’ Participation Relating to Certain Questions Raised by the Office of Public Counsel for Victims, PTC III, ICC-01 / 05-01 / 08-349, 8. 1. 2009, Rn. 6. 2014 Katanga & Ngudjolo PTC, ICC-01 / 04-01 / 07-474, o. Fn. 1524, Rn. 129. 2015 Katanga & Ngudjolo PTC, ICC-01 / 04-01 / 07-474, o. Fn. 1524, Rn. 182. Siehe auch Lubanga PTC, ICC-01 / 04-01 / 06-462, o. Fn. 1572, S. 6. 2016 Lubanga PTC, ICC-01 / 04-01 / 06-462, o. Fn. 1572, S. 7. 2017 Siehe auch die Gleichbehandlung in Katanga & Ngudjolo TC, ICC-01 / 04-01 / 07-1788, o. Fn. 1532, Rn. 121. 2018 Siehe auch oben Teil 5 E. VIII. 2. 2019 Siehe oben Teil 5 E. VIII. 1.

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Verteidigung wird unter anderem dadurch kompensiert, dass der Ankläger ihr seine Beweise offenlegen muss.2020 Daher drängt sich die Frage auf, ob die prozessuale Stellung der Opfer dadurch gestärkt werden sollte, dass sie in den disclosure-Prozess eingebunden werden. Die Parteien müssten dann das in ihrem Besitz befindliche Beweismaterial den Opfern zugänglich machen, soweit es für diese relevant ist. Hiergegen spricht zunächst, dass die einschlägigen Vorschriften über die Offenlegung von Beweisen2021 ausschließlich den Ankläger und die Verteidigung berechtigen und verpflichten.2022 Rechtspflichten der Parteien oder auch nur des Anklägers gegenüber den Opfern sind hieraus nur schwerlich abzuleiten. 2023 Dies ist auch prozessökonomisch sinnvoll. Bereits die Offenlegung von Beweisen zwischen den Parteien ist über die Maßen zeit- und ressourcenintensiv. Würde dem Ankläger zusätzlich auferlegt, das gesamte Beweismaterial einer Situation daraufhin zu untersuchen, ob es im Zusammenhang mit den vom jeweiligen Opfer erlittenen Verbrechen steht, droht eine Überlastung.2024 Darüber hinaus besteht zumindest im Zuge des confirmation hearing kein Bedürfnis,2025 den Opfern Zugang zu dem im Besitz der Parteien befindlichen Beweismaterial einzuräumen. Ziel von Offenlegungspflichten kann es nur sein, die Opfer in die Lage zu versetzen, unabhängig von den Parteien, insbesondere unabhängig vom Ankläger, Beweise präsentieren zu können.2026 Im Zwischenverfahren muss allerdings nur ein dringender Tatverdacht nachgewiesen werden. Die Beweisaufnahme ist dementsprechend beschränkt. Daher kann es dem Ankläger überlassen werden, welches Beweismaterial er zur Bestätigung der Anklage auswählt. Die Rechtsposition der Opfer wird dadurch nicht nennenswert beeinträchtigt. 2027

6. Recht auf Anwesenheit Die Opfer selbst dürfen nur im gleichen Umfang wie die Öffentlichkeit den Verhandlungen beizuwohnen.2028 Der legal representative hat gemäß Rule 91 Abs. 2 Siehe oben Teil 5 B. II. 3. c). Artt. 61 Abs. 3; 67 Abs. 2 und 3; Rules 76 – 83. 2022 Katanga & Ngudjolo PTC, ICC-01 / 04-01 / 07-474, o. Fn. 1524, Rn. 91. Siehe auch Lubanga PTC, ICC-01 / 04-01 / 06-102, o. Fn. 130, Annex I Rn. 63; Lubanga Argumentation de la Défense, ICC-01 / 04-01 / 06-991, o. Fn. 1170, Rn. 43; Lubanga Prosecution’s submissions, ICC-01 / 04-01 / 06-996-AnxI, o. Fn. 1374, Rn. 9; Haslam, S. 323. 2023 Lubanga Prosecution’s Response, ICC-01 / 04-01 / 06-353, o. Fn. 889, Rn. 24; Lubanga Defence Observations, ICC-01 / 04-01 / 06-379, o. Fn. 1653, Rn. 29. Siehe auch Victims Compensations and Participation, Judges’ Report of 13 September 2000, 11. 2024 Siehe auch Lubanga Application, ICC-01 / 04-01 / 06-1136, o. Fn. 1588, Rn. 21. 2025 Siehe zur entsprechenden Fragestellung in der Hauptverhandlung unten Teil 5 E. X. 5. 2026 Katanga & Ngudjolo PTC, ICC-01 / 04-01 / 07-474, o. Fn. 1524, Rn. 97 f. 2027 Katanga & Ngudjolo PTC, ICC-01 / 04-01 / 07-474, o. Fn. 1524, Rn. 99. 2020 2021

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S. 1 hingegen ein umfassenderes Recht auf Anwesenheit. Sein Ausschluss auch von Verfahren, die unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfinden, ist daher die Ausnahme.2029 Dies wird der Tatsache gerecht, dass die Anwesenheit im Verfahren Grundbedingung für die Wahrnehmung prozessualer Rechte ist und der Schutz vertraulicher Informationen hinreichend durch Art. 8 CPCC gewährleistet wird. Dementsprechend hat der legal representative grundsätzlich das Recht, dem confirmation hearing und allen vorbereitenden Sitzungen beizuwohnen. Ausnahmen sind in begründeten Fällen möglich. Entsprechend der Erwägungen zur Akteneinsicht erstreckt sich allerdings auch das Anwesenheitsrecht nicht auf Ex-parte-Verfahren.2030 Das Anwesenheitsrecht von Vertretern anonym gebliebener Opfer hat Pre-Trial Chamber I allerdings grundsätzlich auf öffentliche Verhandlungen beschränkt.2031 Ebenso wie beim Akteneinsichtsrecht ist allerdings sehr fraglich, ob diese Maßnahme zum Schutz des Beschuldigten notwendig ist. Allein durch die Anwesenheit seines Rechtsvertreters wird das Opfer nicht zum anonymen Ankläger. Noch restriktiver ging die Vorverfahrenskammer allerdings im Fall Abu Garda vor, indem sie das Anwesenheitsrecht aller Opfervertreter – also auch das derjenigen, deren Mandanten ihre Identität offengelegt haben – grundsätzlich auf öffentliche Sitzungen beschränkte, Ausnahmen nur in begründeten Ausnahmefällen zuließ.2032

7. Verfahrensunmittelbare Rechte Art. 68 Abs. 3 IStGH-Statut ermächtigt die Opfer und ihre Vertreter, sich auch aktiv in das confirmation hearing einzubringen.

a) Eröffnungs- und Schlussvortrag Im Einklang mit Rule 89 Abs. 1 S. 3 sind die Opfer grundsätzlich berechtigt, zu Beginn und am Ende des Verfahrens eine mündliche Stellungnahme abzugeSiehe zu den Auswirkungen von Rule 144 oben Teil 5 D. VI. 2. a). Prosecutor v. Lubanga – Conclusions conjointes des Représentants légaux des victimes a / 0001 / 06 à a / 0003 / 06 et a / 0105 / 06 relatives aux modalités de participation des victimes dans le cadre des procédures précédant le procès et lors du procès, ICC-01 / 04-01 / 06-964, 28. 9. 2007, Rn. 25, 27; Bitti / Friman, S. 466. 2030 Katanga & Ngudjolo PTC, ICC-01 / 04-01 / 07-474, o. Fn. 1524, Rn. 140. Siehe auch Katanga & Ngudjolo Sousmission du représentant légal, ICC-01 / 04-01 / 07-385, o. Fn. 1532, Rn. 26. 2031 Lubanga PTC, ICC-01 / 04-01 / 06-462, o. Fn. 1572, S. 6; Katanga & Ngudjolo PTC, ICC-01 / 04-01 / 07-474, o. Fn. 1524, Rn. 182. 2032 Abu Garda PTC, ICC-02 / 05-02 / 09-136, o. Fn. 890, Rn. 17, 20. So auch Bemba Gombo PTC, ICC-01 / 05-01 / 08-320, o. Fn. 11, Rn. 101; Bemba Gombo PTC, ICC-01 / 05-01 / -08-349, o. Fn. 2013, Rn. 12. 2028 2029

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ben.2033 Dadurch wird es ihnen ermöglicht, die Kammer, die anderen Prozessbeteiligten und die Öffentlichkeit auf für sie relevante Punkte hinzuweisen. Dieses Recht kann auch von unvertretenen Opfern wahrgenommen werden.

b) Fragerecht Rule 91 Abs. 3 erlaubt es dem legal representative, nicht aber dem unvertretenen Opfer, Zeugen, Sachverständige und den Beschuldigten zu befragen. Dieses Recht besteht auch bereits im confirmation hearing.2034 Dies ist umso bedeutender, da dies die einzige Möglichkeit für den Opfervertreter sein kann, von seinem Fragerecht Gebrauch zu machen.2035 Beispielsweise haben im Lubanga-Verfahren die Parteien die einzige geladene Zeugin so umfassend befragt, dass erwogen wurde, auf ihre Aussage in der Hauptverhandlung zu verzichten.2036 Der Opfervertreter sollte die Zeugen und Sachverständigen nach dem Ankläger befragen.2037 Auf diese Weise kann am besten gewährleistet werden, dass die Rechte der Verteidigung, insbesondere ihr Recht, die Zeugenvernehmung abzuschließen,2038 gewahrt bleiben. Eine Befragung des Beschuldigten ist nur möglich, wenn dieser nicht von seinem Schweigerecht Gebrauch macht.2039 Strittig ist, ob das Fragerecht aus Rule 91 Abs. 3 inhaltlich begrenzt ist. So wird teilweise vertreten, dass der legal representative keine Fragen stellen darf, die mit der Schuldfrage in Zusammenhang stehen.2040 Vielmehr soll das Recht aus Rule 91 Abs. 3 in erster Linie der Vorbereitung von Wiedergutmachungsansprüchen dienen.2041 Dies würde das Fragerecht empfindlich entwerten; für das confirmation hearing, in dem Wiedergutmachungsansprüche noch nicht zur Debatte stehen, sogar vollständig aushebeln. Zudem basiert diese Ansicht auf einer strikten Auf2033 Siehe auch Abu Garda PTC, ICC-02 / 05-02 / 09-136, o. Fn. 890, Rn. 19; Bemba Gombo PTC, ICC-01 / 05-01 / 08-320, o. Fn. 11, Rn. 102. 2034 Katanga & Ngudjolo Sousmission du représentant légal, ICC-01 / 04-01 / 07-385, o. Fn. 1532, Rn. 26; Katanga & Ngudjolo PTC, ICC-01 / 04-01 / 07-474, o. Fn. 1524, Rn. 137. Anderer Ansicht Lubanga Defence Observations, ICC-01 / 04-01 / 06-379, o. Fn. 1653, Rn. 39. 2035 Kritisch zur Notwendigkeit des Fragerechts hingegen Lubanga Prosecution’s Response, ICC-01 / 04-01 / 06-353, o. Fn. 889, Rn. 18. 2036 Siehe zu den prozessualen Möglichkeiten oben Teil 5 D. VIII. 5. a) bb). 2037 Katanga & Ngudjolo PTC, ICC-01 / 04-01 / 07-474, o. Fn. 1524, Rn. 138. 2038 Rule 140 Abs. 2 lit. d). 2039 Siehe auch Lubanga Prosecution’s Response, ICC-01 / 04-01 / 06-353, o. Fn. 889, Rn. 18; Lubanga Defence Observations, ICC-01 / 04-01 / 06-379, o. Fn. 1653, Rn. 39, de Hemptinne, S. 176 f. 2040 Katanga & Ngudjolo Prosecution’s Observations, ICC-01 / 04-01 / 07-392, o. Fn. 1877, Rn. 22. 2041 Lubanga Prosecution’s submissions, ICC-01 / 04-01 / 06-996-AnxI, o. Fn. 1374, Rn. 20.

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gabentrennung zwischen Ankläger und Opfer. Wie bereits dargelegt,2042 haben die Opfer aber ein eigenständiges, vom Ankläger unabhängiges Interesse an der Bestrafung des schuldigen Täters. Daher ist auch das Fragerecht des legal representative grundsätzlich nicht auf bestimmte Aspekte beschränkt.2043 Allerdings steht es der Vorverfahrenskammer frei, insbesondere unter Berücksichtigung der begrenzten Zielsetzungen des confirmation hearing, Art und Umfang der Befragung zu steuern. Rule 91 Abs. 3 etabliert ein eigenes Zulassungsverfahren.2044 Der Opfervertreter muss zunächst seinen Wunsch, eine Befragung durchzuführen, der zuständigen Kammer bekannt geben. Diese kann verlangen, dass ihr die geplanten Fragen schriftlich zur Genehmigung vorgelegt werden. In diesem Fall sind die Fragen auch der Anklage und der Verteidigung zur Verfügung zu stellen, damit sie hierzu Stellung nehmen können. Dies dient zum einem dem Schutz der Verteidigung vor unfairen Fragen, zum anderen dem Schutz der Integrität des Anklägers, der sich vielleicht entschlossen hat, bestimmte Informationen nicht im Verfahren zu verwenden.2045 Bei der Entscheidung über den Antrag hat die Kammer das Verfahrensstadium, die Interessen des Zeugen, das Bedürfnis nach einem fairen, unparteilichen und zügigen Verfahren und die Rechte der Opfer zu berücksichtigen. Gibt sie dem Ersuchen statt, kann sie dem legal representative auch Auflagen für die Befragung erteilen. Darüber hinaus kann sie als Mittler agieren und die gewünschten Fragen dem Zeugen selbst stellen. Dies wird sich zumeist bei besonders schutzdürftigen Zeugen, wie Kindern, anbieten, um diese nicht den Belastungen einer weiteren Befragung auszusetzen. Durch dieses eigenständige Zulassungsverfahren wird der Prozess weiter in die Länge gezogen. Muss der legal representative sich zudem vorher die Fragen genehmigen lassen, ist er nicht in der Lage, spontan auf sich im Verfahren ergebene Aspekte zu reagieren. Zu begrüßen ist daher der pragmatische Ansatz von Pre-Trial Chamber I im Verfahren gegen Katanga und Ngudjolo. Diese hat allen zum confirmation hearing zugelassenen Opfervertretern ein Fragerecht zugesprochen und auf eine vorherige Vorlage der Fragen verzichtet. Da die Parteien die Möglichkeit haben, unzulässige Fragen zu rügen oder um die Neuformulierung unpräziser oder Siehe oben Teil 5 E. II. 2. Siehe auch Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1119, o. Fn. 7, Rn. 108; Prosecutor v. Lubanga – Decision on the Manner of Questioning Witnesses by Legal Representatives of Victims, TC I, ICC-01 / 04-01 / 06-2127, 16. 9. 2009, Rn. 26 f.; Redress (2010), S. 3. Nicht zu überzeugen vermag der Ansatz in Katanga & Ngudjolo TC, ICC-01 / 04-01 / 07-1665, o. Fn. 930, Rn. 90, demzufolge die Opfervertreter grundsätzlich keine Frage stellen dürfen, die sich auf die Glaubwürdigkeit des Zeugen und die Glaubhaftigkeit seiner Aussage beziehen. Auch solche Fragen können elementar für die Wahrheitsfindung sein. Zu Recht anders Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-2127, o. Fn. 1942, Rn. 28. 2044 Siehe auch die Umsetzung in Katanga & Ngudjolo TC, ICC-01 / 04-01 / 07-1665, o. Fn. 930, Rn. 87 ff. 2045 Bitti / Friman, S. 468. 2042 2043

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uneindeutiger Fragen zu bitten, werden ihre Interessen hinreichend gewahrt.2046 Zudem bleibt das Recht der Kammer, die Art und Weise der Befragung zu lenken, unberührt.2047 So hat sie beispielsweise die Möglichkeit, ausschweifende Vernehmungen durch die Zuteilung von Zeitkontingenten zu verhindern. Den Vertretern von anonym gebliebenen Opfern soll das Fragerecht aus Rule 91 Abs. 3 nicht zustehen,2048 da dies der Zulassung anonymer Ankläger gleichkäme. Allerdings stellt sich die Frage, ob die Rechte des Beschuldigten nicht durch weniger schwerwiegende Maßnahmen geschützt werden können. Vom Vertreter anonymer Opfer könnte verlangt werden, die Fragen der Kammer zur Prüfung und Genehmigung vorzulegen. Auf diese Weise könnte verhindert werden, dass zusätzliche Tatsachen aus anonymen Quellen ins Verfahren eingebracht werden. Wegen des hiermit verbunden Aufwands sollte zu dieser Lösung allerdings nur in Ausnahmefällen gegriffen werden, wenn dies zur Wahrung der Opferinteressen unbedingt erforderlich ist. c) Beibringung von Beweisen Unabhängig von der Frage, ob Art. 68 Abs. 3 IStGH-Statut, Rule 91 den legal representative berechtigt, Beweise ins Verfahren einzubringen,2049 ist dies im Verfahren zur Bestätigung der Anklage jedenfalls nicht geboten. Dies folgt aus dem begrenzten Zweck des Verfahrens. Gestattet man den Rechtsvertretern der Opfer, zusätzliche Tatsachen und Beweise einzubringen, droht eine Vorwegnahme der Hauptverhandlung. Zudem würde das Verfahren in die Länge gezogen. Dies ist mit Sinn und Zweck des confirmation hearing nicht vereinbar.2050 Sollten die Opfer den Eindruck gewinnen, dass der Vortrag des Anklägers nicht ausreicht, um einen dringenden Tatverdacht zu begründen, bleibt es ihnen unbenommen, die Kammer oder den Ankläger auf weiteres Beweismaterial hinzuweisen.

d) Sonstige „observations“ und „submissions“ Rule 91 Abs. 2 gibt dem legal representative nicht nur ein Recht auf Anwesenheit, sondern auch auf Beteiligung. Möglich sind vor allem das Einbringen von „observations“ (Beobachtungen) und „submissions“ (Eingaben). Die erste BeteiKatanga & Ngudjolo PTC, ICC-01 / 04-01 / 07-474, o. Fn. 1524, Rn. 138. Katanga & Ngudjolo PTC, ICC-01 / 04-01 / 07-474, o. Fn. 1524, Rn. 139. Siehe auch oben Teil 5 C. X. 1. 2048 Lubanga PTC, ICC-01 / 04-01 / 06-462, o. Fn. 1572, S. 7; Katanga & Ngudjolo PTC, ICC-01 / 04-01 / 07-474, o. Fn. 1524, Rn. 182; Abu Garda PTC, ICC-02 / 05-02 / 09-136, o. Fn. 890, Rn. 22; Prosecutor v. Abu Garda – Decision setting a deadline for requests to lift anonymity of victims, PTC I, ICC-02 / 05-02 / 09-166, 14. 10. 2009, S. 4. 2049 Siehe hierzu unten Teil 5 E. X. 7. c). 2050 Katanga & Ngudjolo PTC, ICC-01 / 04-01 / 07-474, o. Fn. 1524, Rn. 101. 2046 2047

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ligungsform ist reagierend. Der Opfervertreter nimmt zu Verfahrenshandlungen der Parteien oder der Kammer Stellung. Das Recht, selbst Eingaben zu machen, erlaubt ihm darüber hinaus eine aktivere Rolle einzunehmen. Der legal representative kann eigenständig neue Gesichtspunkte ins Verfahren einbringen.2051 Inhaltlich unterliegt dieses Recht ebenso wie das Fragerecht grundsätzlich keinen Beschränkungen. Voraussetzung ist lediglich, dass die persönlich Interessen der Opfer betroffen sind. Da hierzu auch die Bestrafung der verantwortlichen Täter zählt, dürfte diese Voraussetzung regelmäßig gegeben sein. Etwas anderes gilt lediglich bei Themenkomplexen, die wie die Offenlegung von Beweisen ausschließlich die Parteien betreffen.2052 Rule 91 erlaubt es den Opfernvertretern allerdings nicht, weitere Taten, die nicht in der Anklage enthalten sind, hinzuzufügen. Dies würde im Widerspruch zu Rule 121 stehen, die festlegt, bis zu welchem Zeitpunkt und unter welchen Bedingungen die Anklageschrift ergänzt werden darf.2053 Der tatsächliche Rahmen der Verhandlung wird von der Anklage determiniert. Die rechtliche Bewertung der Taten obliegt hingegen der Kammer. Dementsprechend ist es den legal representatives auch gestattet, ihre Ansicht über eine mögliche rechtliche Neubewertung der vom Ankläger vorgetragenen Fakten einzubringen2054 oder sich generell zu Rechtsfragen zu äußern.2055 Die legal representatives sind darüber hinaus berechtigt, die vorgelegten Beweise zu begutachten sowie ihre Zulässigkeit und Relevanz zu rügen.2056 Die Gegenansicht2057 beruht auf der nicht überzeugenden Vorstellung, dass die Opfer keine Rechtshandlungen vornehmen dürften, die mit der Schuldfrage und dem Tatnachweis in Verbindung stehen.2058 e) Die Anpassung der Rechte an den Einzelfall Die Beteiligungsmodalitäten werden von der Kammer nicht endgültig bestimmt. Vielmehr verlangt Art. 68 Abs. 3 IStGH-Statut eine einzelfallbezogene Anpassung. 2051 Bemba Gombo PTC, ICC-01 / 05-01 / 08-320, o. Fn. 11, Rn. 108. Siehe auch Bitti / Friman, S. 466; Stehle, S. 314; Mekjian / Varughese, S. 28. 2052 Siehe Katanga & Ngudjolo PTC, ICC-01 / 04-01 / 07-474, o. Fn. 1524, Rn. 114. 2053 Katanga & Ngudjolo PTC, ICC-01 / 04-01 / 07-474, o. Fn. 1524, Rn. 112. 2054 Katanga & Ngudjolo PTC, ICC-01 / 04-01 / 07-474, o. Fn. 1524, Rn. 123. 2055 Katanga & Ngudjolo Observations des Représentants légaux, ICC-01 / 04-01 / 07-383, o. Fn. 1929, S. 9. Siehe auch Narantsetseg / Sevgili, S. 131 ff. 2056 Katanga & Ngudjolo PTC, ICC-01 / 04-01 / 07-474, o. Fn. 1524, Rn. 134. 2057 Lubanga Prosecution’s submissions, ICC-01 / 04-01 / 06-996-AnxI, o. Fn. 1374, Rn. 24; Prosecutor v. Lubanga Argumentation de la Défense, ICC-01 / 04-01 / 06-991, o. Fn. 1170, Rn. 68; Lubanga Requête de la Défense, ICC-01 / 04-01 / 06-1135, o. Fn. 100, Rn. 42; Lubanga Prosecution’s Document, ICC-01 / 04-01 / 06-1219, o. Fn. 1570, Rn. 50. Vermittelnd Friman (2009), S. 497. 2058 Siehe hierzu oben Teil 5 E. II. 2.

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Die Kammer kann proprio motu oder auf Antrag eines Verfahrensbeteiligten die Rechte der Opfer und ihrer legal representatives einschränken, wenn dies beispielsweise zum Schutz von Zeugen, der Ermittlungen oder der nationalen Sicherheit erforderlich ist.2059 Im Gegenzug kann insbesondere der Vertreter anonym gebliebener Opfer bitten, seine Partizipationsrechte zu erweitern, ihm beispielsweise das Stellen einer bestimmten Frage zu gestatten. Hierüber entscheidet die Kammer auf Anfrage während der Verhandlung.2060 Pre-Trial Chamber I hat hierfür nicht auf das förmliche Antragsverfahren nach Rule 89 zurückgegriffen. Vielmehr haben die Richter sofort, ggf. nach kurzer Beratung, über die Anträge entschieden.2061 Jedenfalls bei weitgehenderen Ersuchen, die beispielsweise die Rechte des Beschuldigten berühren könnten, sollten allerdings zuvor Stellungnahmen von Anklage und Verteidigung eingeholt werden. Dies kann aber ebenfalls unmittelbar in der mündlichen Verhandlung erfolgen. Der Verzicht auf ein förmliches schriftliches Verfahren ermöglicht es der Kammer, ohne Zeitverlust und abgestimmt auf die Besonderheiten des Einzelfalls über den Umfang der Partizipationsrechte zu entscheiden. Auf diese Weise wird sichergestellt, dass Fragen der Opferbeteiligung das Verfahren nicht unzumutbar in die Länge ziehen. 8. Zusammenfassung Um ihre Beteiligungsrechte im Verfahren zur Bestätigung der Anklage effektiv wahrnehmen zu können, müssen die Opfer die Möglichkeit haben, sich effektiv auf die Verhandlung vorbereiten zu können. Daher sollte es ihnen ermöglicht werden, Einsicht in die Verfahrensakte zu nehmen. Dies gilt grundsätzlich auch für vertrauliche, nicht aber für Ex-parte-Unterlagen. Die gleichen Erwägungen greifen für das Anwesenheitsrecht der legal representatives. Nicht notwendig ist es hingegen, die Opfer in den disclosure-Prozess einzubeziehen, ihnen also das Beweismaterial zugänglich zu machen, das sich im Besitz der Parteien befindet. Die Opfer können sich durch Eröffnungs- und Schlussvorträge unmittelbar ins confirmation hearing einbringen. Werden sie durch einen Anwalt vertreten, kann dieser zudem grundsätzlich zu allen Punkten Stellung nehmen, Eingaben machen, Beweise begutachten, deren Zulässigkeit und Relevanz rügen sowie Zeugen, Sachverständige und den Beschuldigten befragen. Nicht gestattet ist es den Opfern und ihren Vertretern hingegen, Beweise vorzulegen. Dies würde im Widerspruch zu der begrenzten Zielsetzung des confirmation hearing stehen. Fürchten die Opfer um ihre Sicherheit, ist ihnen zu gestatten, anonym zu bleiben und zwar auch im Verhältnis zur Verteidigung. Allerdings wirkt sich dies auf ihre Beteiligungsrechte aus. Sichergestellt werden muss, dass der Beschuldigte nicht mit einem anonymen Ankläger konfrontiert wird. Ausgeschlossen sind daher regel2059 2060 2061

Katanga & Ngudjolo PTC, ICC-01 / 04-01 / 07-474, o. Fn. 1524, Rn. 147. Lubanga PTC, ICC-01 / 04-01 / 06-462, o. Fn. 1572, S. 7. Siehe Transcript vom 9. 11. 2006, ICC-01 / 04-01 / 06-T-30-EN, 10.

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mäßig verfahrensunmittelbare Beteiligungsformen, wie die Befragung von Zeugen. Nicht geboten ist es allerdings, auch die Informationsrechte, wie das Recht auf Akteneinsicht, zu beschränken. Insgesamt liegt der Rechtsprechung der Katanga / Ngudjolo Pre-Trial Chamber ein überzeugender, ausgewogener Ansatz zu Grunde. Sie entscheidet einmal grundlegend über die Beteiligungsrechte der Opfer und ihrer Vertreter. Diese passt sie dann proprio motu oder auf Antrag eines Beteiligten den jeweiligen Umständen an, ohne dass ein aufwendiges Verfahren nach Rule 89 Abs. 1 durchgeführt werden müsste. Auf diese Weise gelingt es der Kammer, Opferrechte und das Interesse an einem zügigen Verfahren zu vereinbaren.

X. Beteiligung im Hauptverfahren Vor allem im Hauptverfahren haben die Opfer die Möglichkeit, Gerechtigkeit gelebt zu sehen. Sich in diesem Verfahrensabschnitt beteiligen zu können, ist für sie daher von zentraler Bedeutung. Voraussetzung ist grundsätzlich der erfolgreiche Abschluss des Zulassungsverfahrens. Haben sich die Opfer allerdings bereits im confirmation hearing beteiligt, übernehmen die Trial Chambers die Zulassungsentscheidung der Vorverfahrenskammern, behalten sich allerdings eine Überprüfung vor.2062 Im Verfahren gegen Bemba Gombo hat Trial Chamber III ausdrücklich klargestellt, dass eine Kontrolle der Zulassungsentscheidung nicht automatisch, sondern nur auf Anregung durch die VPRS oder eine der Parteien erfolgen soll.2063 Hierdurch wird nicht nur das Verfahren zeitlich gestrafft, sondern auch gewährleistet, dass die Opfer nicht ein weiteres Mal durch das aufwändige Zulassungsverfahren belastet werden.

1. Recht auf Information Die bereits zum Verfahren zugelassenen Opfer werden nach Maßgabe von Rule 92 Abs. 5 und 6 über das bevorstehende Hauptverfahren informiert. Zudem ist gemäß Rule 132 Abs. 1 S. 3 der Beginn der Hauptverhandlung öffentlich bekannt zu geben. Weitergehende Benachrichtigungen – etwa nach Vorbild von Rule 92 Abs. 3 – sind nicht vorgesehen. Da aber sichergestellt ist, dass eine möglichst große Anzahl von Opfern über das confirmation hearing informiert wurde, kann vor der 2062 Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1119, o. Fn. 7, Rn. 112 f. Siehe auch Bemba Gombo TC, ICC-01 / 05-01 / 08-699, o. Fn. 1690, Rn. 18; Katanga & Ngudjolo TC, ICC-01 / 04-01 / 07-933, o. Fn. 1695, Rn. 12 ff. Im Verfahren gegen Lubanga hat TC I die Beteiligungsanträge i.E. vollständig überprüft, siehe Prosecutor v. Lubanga – Decision on the applications by victims to participate in the proceedings, TC I, ICC-01 / 04-01 / 06-1556, 15. 12. 2008. 2063 Bemba Gombo TC, ICC-01 / 05-01 / 08-699, o. Fn. 1690, Rn. 18, 20.

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Hauptverhandlung auf eine vergleichbare Ausdehnung der Informationspflichten der Kanzlei verzichtet werden. Den Opfern wurde hinreichend Möglichkeit gegeben, ihr Interesse an einer Verfahrensbeteiligung zu bekunden.

2. Recht auf Anonymität Bezüglich der Anonymität der Opfer gelten grundsätzlich die Ausführungen zum confirmation hearing entsprechend. Soweit dies zu ihrem Schutz erforderlich ist, kann die Identität der Opfer auch im Hauptverfahren gegenüber der Verteidigung geheim gehalten werden, wobei sich dies aber auf den Umfang der Beteiligungsrechte auswirkt.2064 Da aber mit zunehmendem Fortgang des Verfahrens die Interessen des Beschuldigten immer mehr Gewicht erhalten, wird man vollständige Anonymität nur in Ausnahmefällen zulassen können.2065 Ziel sollte es vielmehr sein, die Sicherheit der Opfer durch andere Maßnahmen, wie ihre Aufnahme in Schutzprogramme, sicherzustellen.2066

3. Recht auf Akteneinsicht Rule 131 Abs. 2 gewährt den Opfern und ihren Rechtsvertretern vorbehaltlich von Geheimhaltungsbeschränkungen Zugriff auf die Verfahrensakte. Die Vorschrift ist mit Rule 120 Abs. 10 S. 3 identisch.2067 Allerdings handhabt Trial Chamber I das Akteneinsichtsrecht für Opfer deutlich restriktiver als die Vorverfahrenskammer im Verfahren gegen Katanga & Ngudjolo. Sie hat den Opfern und ihren Vertretern grundsätzlich nur Zugang zu öffentlichen Dokumenten gewährt. Eine Ausnahme soll nur in Betracht kommen, wenn die persönlichen Interessen der Opfer betroffen sind.2068 Die Kammer erkennt allerdings an, dass die Opfer, um sich auf die Verhandlung vorbereiten zu können, zumindest wissen müssen, auf welche Beweise sich der Ankläger stützen will. Dementsprechend sollen sie mit einer Kopie des „summary of presentation of evidence“ ausgestattet werden.2069 In die2064 Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1119, o. Fn. 7, Rn. 131; Prosecutor v. Lubanga – Decision on the Defence and Prosecution Requests for Leave to Appeal the Decision on Victims’ Participation of 18 January 2008, TC I, ICC-01 / 04-01 / 06-1191, 26. 2. 2008, Rn. 37. Kritisch Prosecutor v. Lubanga Argumentation de la Défense, ICC-01 / 04-01 / 06-991, o. Fn. 1170, Rn. 33; Lubanga Prosecution’s submissions, ICC-01 / 04-01 / 06-996-AnxI, o. Fn. 1374, Rn. 25. 2065 Lubanga TC I, ICC-01 / 04-01 / 06-1191, o. Fn. 2064, Rn. 37. 2066 In diese Richtung auch Prosecutor v. Lubanga Argumentation de la Défense, ICC-01 / 04-01 / 06-991, o. Fn. 1170, Rn. 37. 2067 Siehe hierzu oben Teil 5 E. IX. 4. 2068 Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1119, o. Fn. 7, Rn. 106. 2069 Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1119, o. Fn. 7, Rn. 110.

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sem Dokument fasst der Ankläger die Hauptpunkte seines Falls zusammen und legt dar, in welchem Zusammenhang die Beweise zu den einzelnen Anklagepunkten stehen.2070 Allerdings bekommen die Opfer den summary nicht im Original, sondern nur in einer überarbeiteten, redigierten Fassung zur Verfügung gestellt.2071 Daher vermag diese Maßnahme die Position der Opfer nicht wesentlich zu verbessern. Die fehlende Kenntnis von vertraulichen Unterlagen macht vielmehr eine angemessene Verfahrensvorbereitung nahezu unmöglich. Zudem werden die Opfer ungeachtet ihrer Viktimisierungserfahrung mit der Öffentlichkeit auf eine Stufe gestellt. Die Beschränkungen des Akteneinsichtsrechts sind daher nicht angemessen. Vielmehr sollte den Opfern und ihren Vertretern auch im Hauptverfahren nur der Zugriff auf Ex-parte-Material verwehrt werden.2072

4. Zugang zu Beweisen Trial Chamber I geht im Grundsatz davon aus, dass die disclosure-Pflichten nur zwischen den Parteien wirken.2073 Damit die Opfer aber in die Lage versetzt werden, ihre verfahrensunmittelbaren Rechte effektiv ausüben zu können, sollen sie vom Ankläger die Offenlegung allen Beweismaterials, das sich in dessen Besitz befindet und ihre persönlichen Interessen betrifft, verlangen dürfen. Eingeschränkt wird allerdings verlangt, dass die einzelnen Beweisstücke präzise bezeichnet werden. Um den Opfern dies zu ermöglichen, erhalten sie eine – allerdings redigierte – Fassung der Annexe 1 und 2 des „summary of presentation of evidence“.2074 Diese enthalten eine Aufstellung aller be- und entlastenden Beweise, die der Ankläger ins Verfahren einbringen will.2075 Der Ankläger fürchtet durch diese Offenlegungspflichten die Kontrolle über das Beweismaterial zu verlieren. Sein Entschluss, bestimmte Informationen nicht zu verwenden, könnte unterlaufen werden, wenn die Opfer von diesen Kenntnis erlangen und sie selbst ins Verfahren einbringen könnten.2076 Dessen ungeachtet stellt sich die Frage, ob durch die begrenzten disclosure-Pflichten die Rechtsposition der Opfer nennenswert verbessert wird. Ihnen wird letztlich nur Zugang zu Material 2070 Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1019, o. Fn. 79, Rn. 26; Prosecutor v. Lubanga – Submission of the Prosecution’s Summary of Presentation of Evidence, 14. 12. 2007, ICC-01 / 04-01 / 06-1089, Rn. 2 – 3. 2071 Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1119, o. Fn. 7, Rn. 110. 2072 So Katanga & Ngudjolo TC, ICC-01 / 04-01 / 07-1788, o. Fn. 1532, Rn. 121. Siehe oben Teil 5 E. IX. 4. 2073 Siehe auch oben Teil 5 E. IX. 5. 2074 Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1119, o. Fn. 7, Rn. 111. 2075 Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1019, o. Fn. 79, Rn. 25. 2076 Lubanga Application, ICC-01 / 04-01 / 06-1136, o. Fn. 1588, Rn. 18 – 19; OTP (2009), S. 12. Siehe zur Frage, ob die Opfer Beweise ins Verfahren einbringen können, unten Teil 5 E. X. 7. c).

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eingeräumt, von dessen Existenz sie bereits wissen. Insoweit erscheint es aber ausreichend, ihnen zu gestatten, die Kammer hierauf hinzuweisen, damit diese die notwendigen Maßnahmen ergreift, beispielsweise die Beibringung der entsprechenden Beweismittel anordnet.2077 Die prozessökonomischen Erwägungen, die hinter der Beschränkung der Offenlegungspflichteten stehen, vermögen allerdings zu überzeugen. Die Opfer umfassend in den disclosure-Prozess einzubinden, würde die Möglichkeiten des Anklägers überschreiten. Allerdings sollte konsequenterweise vollständig auf die analoge Anwendung der Rules 77; 78 verzichtet werden. Die Zwischenlösung von Trial Chamber I scheint nur mit zusätzlichem Aufwand für alle Beteiligten verbunden zu sein, ohne dass dies durch eine spürbare Verbesserung der prozessualen Stellung der Opfer gerechtfertigt wäre.

5. Recht auf Anwesenheit Im Verfahren gegen Thomas Lubanga Dyilo hat die Trial Chamber den Opfern grundsätzlich nur für den öffentlichen Teil des Verfahrens ein Recht auf Anwesenheit zugesprochen. Ob sie darüber hinaus an vertraulichen oder Ex-parte-Anhörungen und Konferenzen teilnehmen dürfen, will die Kammer in jedem Einzelfall auf Antrag entscheiden. Gegebenenfalls sollen die Parteien um Stellungnahme gebeten werden.2078 Dem Wortlaut nach befasst sich die Kammer nur mit dem Anwesenheitsrecht der Opfer, nicht mit dem ihrer legal representatives. Da aber alle von der Entscheidung betroffenen Opfer über einen Rechtsbeistand verfügten, steht zu vermuten, dass die Erwägungen entsprechend für diese gelten sollen. Dies würde aber das Anwesenheitsrecht aus Rule 91 Abs. 1 entwerten. Müssen die Opfer und ihre Vertreter zudem für jede Anhörung und jede Konferenz, die unter Ausschluss der Öffentlichkeit stattfindet, einen gesonderten Zulassungsantrag stellen, der von den Parteien beantwortet und der Kammer beschieden werden muss, droht das Verfahren äußerst zeitaufwendig zu werden. Wertvolle Ressourcen der Beteiligten und des Gerichts würden gebunden. Daher sollte – auch aus prozessökonomischen Gründen – der Ansatz von Pre-Trial Chamber I, den legal representatives grundsätzlich Zugang zu öffentlichen und vertraulichen Sitzungen zu gewähren,2079 für das Hauptverfahren übernommen werden.2080

6. Beauftragung und Anweisung von Sachverständigen Im Lubanga-Verfahren hat die Verfahrenskammer die Rechtsposition der Opfer deutlich gestärkt, indem sie die legal representatives in den Prozess der Beauftra2077 2078 2079 2080

Siehe auch unten Teil 5 E. X. 7. c). Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1119, o. Fn. 7, Rn. 113. Siehe oben Teil 5 E. IX. 6. So auch Katanga & Ngudjolo TC, ICC-01 / 04-01 / 07-1788, o. Fn. 1532, Rn. 71.

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gung und Anweisung von Sachverständigen integriert hat. Ist eine Frage zwischen den Parteien umstritten und soll zur Lösung ein Sachverständiger herangezogen werden, sollen sich Ankläger und Verteidigung auf einen gemeinsamen Sachverständigen einigen und diesen nach Möglichkeit gemeinsam anweisen. Wenn die Frage, die vom Sachverständigen geklärt werden soll, die persönlichen Interessen von Opfern betrifft, haben deren legal representatives die Möglichkeit, sich an der Anweisung des Sachverständigen zu beteiligen. Können sie keine Einigung mit den Parteien erzielen, dürfen sie dem Sachverständigen eigene, von den Wünschen der Parteien unabhängige, Anweisungen erteilen.2081 Sind die Opfervertreter mit dem von den Parteien ausgewählten Sachverständigen nicht einverstanden, können sie mit Erlaubnis der Kammer selbst ein Sachverständigengutachten einholen.2082 Den Opfern wird auf diese Weise die Möglichkeit gegeben, die Beweiserhebung signifikant mitzugestalten. 7. Verfahrensunmittelbare Rechte a) Eröffnungs- und Schlussvortrag Ebenso wie im confirmation hearing haben die Opfer auch in der Hauptverhandlung das Recht, einen Eröffnungs- und Schlussvortrag zu halten.2083 Dies gibt ihnen die Gelegenheit, frei und ohne durch die Parteien unterbrochen zu werden, auf die ihnen wichtigen Aspekte des Verfahrens hinzuweisen.2084 Allerdings muss ein Ausgleich mit dem Recht des Angeklagten auf einen zügigen Prozess gefunden werden. Die Stellungnahmen der Opfer dürfen die Verhandlung nicht über Gebühr in die Länge ziehen. Typischerweise wird das Recht aus Rule 89 Abs. 1 S. 3 daher nicht von den Opfern selbst, sondern von ihrem gemeinsamen legal representative wahrgenommen werden. Zudem kann das Rederecht zeitlich begrenzt werden.2085

b) Weitere Rechte Des Weiteren stehen den legal representatives in der Hauptverhandlung ähnliche Rechte wie im Verfahren zur Bestätigung der Anklage zu. Sie können Stellungnahmen und sonstige Eingaben2086 einreichen, Zeugen und Sachverständige befragen2087 sowie die Zulässigkeit oder Relevanz von Beweisen rügen2088. 2081 Prosecutor v. Lubanga – Decision on the procedure to be adopted for instructing expert witnesses, TC I, ICC-01 / 04-01 / 06-1069, 10. 12. 2007, Rn. 18. Bestätigt in Prosecutor v. Bemba Gombo – Decision on the procedures to be adopted for instructing expert witnesses, TC III, ICC-01 / 05-01 / 08-695, 12. 2. 2010, Rn. 11 f. 2082 Lubanga TC I, ICC-01 / 04-01 / 06-1069, o. Fn. 2081, Rn. 23. 2083 Katanga & Ngudjolo TC, ICC-01 / 04-01 / 07-1788, o. Fn. 1532, Rn. 68. 2084 Stehle, S. 311. 2085 Siehe zu den Erfahrungen vor dem ECCC Studzinsky, S. 46 f.

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Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

c) Beibringung von Beweisen Umstritten ist, ob es den Opfervertretern darüber hinaus gestattet werden sollte, Beweise ins Verfahren einzubringen. Hiergegen wird angeführt, dass ein solches Recht den Rahmen von Art. 68 Abs. 3 IStGH-Statut sprengen würde, der es den Opfern nur gestattet, ihre Auffassungen und Anliegen vorzutragen.2089 Außerdem würden die legal representatives auf diese Weise zu einem zweiten Ankläger.2090 Da sie zudem keinen disclosure-Pflichten unterworfen sind, hätten die Parteien keine Gelegenheit, sich auf die von den Opfervertretern präsentierten Beweise vorzubereiten.2091 Die Verfahrensfairness würde verletzt. Zudem bestünde die Gefahr, dass unzuverlässiges Beweismaterial in den Prozess eingebracht würde.2092 Diese Ansicht verkennt, dass das Recht auf Gehör das Kernstück von Art. 68 Abs. 3 IStGH-Statut ist. Dessen primäres Anliegen – nämlich den Opfer eine Stimme zu geben – kann nicht erreicht werden, wenn sich diese nur durch ihre Rechtsvertreter zu Wort melden dürfen.2093 Daher haben die legal representatives jedenfalls das Recht, die Vernehmung ihres Mandanten zu beantragen2094 und ihn so in die Lage zu versetzen, seine Anliegen in eigener Person vorzutragen. Einem solchen Ersuchen ist stattzugeben, wenn dies der Wahrheitsfindung dient und die Vernehmung des Opfers nicht mit den Rechten des Angeklagten – insbesondere mit seinem Recht auf ein zügiges Verfahren – unvereinbar ist.2095 2086 Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1119, o. Fn. 7, Rn. 118. Siehe auch oben Teil 5 E. IX. 7. d). 2087 Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1119, o. Fn. 7, Rn. 108; Katanga & Ngudjolo TC, ICC-01 / 04-01 / 07-1665, o. Fn. 930, Rn. 87 ff.; Katanga & Ngudjolo TC, ICC-01 / 04-01 / 07-1788, o. Fn. 1532, Rn. 72. Siehe auch oben Teil 5 E. IX. 7. b). 2088 Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1119, o. Fn. 7, Rn. 109; Katanga & Ngudjolo TC, ICC-01 / 04-01 / 07-1788, o. Fn. 1532, Rn. 104. Siehe auch Lubanga AC, ICC-01 / 04-01 / 06-1432, o. Fn. 7, Rn. 94; Lubanga Conclusions, ICC-01 / 04-01 / 06-964, o. Fn. 2029, Rn. 37. 2089 Lubanga Prosecution’s Document, ICC-01 / 04-01 / 06-1219, o. Fn. 1570, Rn. 35. Siehe auch Victims Compensations and Participation, Judges’ Report of 13 September 2000, 11. 2090 Lubanga Requête de la Défense, ICC-01 / 04-01 / 06-1135, o. Fn. 100, Rn. 42. 2091 Lubanga Prosecution’s Document, ICC-01 / 04-01 / 06-1219, o. Fn. 1570, Rn. 32. 2092 Lubanga Application, ICC-01 / 04-01 / 06-1136, o. Fn. 1588, Rn. 15. Kritisch auch Chung, S. 517. 2093 Baumgartner, S. 429. 2094 Katanga & Ngudjolo TC, ICC-01 / 04-01 / 07-1665, o. Fn. 930, Rn. 20; Katanga & Ngudjolo TC, ICC-01 / 04-01 / 07-1788, o. Fn. 1532, Rn. 86. Etwas zurückhaltender, aber in der Tendenz ähnlich Prosecutor v. Lubanga – Decision on the request by victims [ . . . ] to express their views and concerns in person and to present evidence during the trial, TC I, ICC-01 / 04-01 / 06-2032, 26. 6. 2009, Rn. 24 ff. 2095 Katanga & Ngudjolo TC, ICC-01 / 04-01 / 07-1665, o. Fn. 930, Rn. 21 ff.; Katanga & Ngudjolo TC, ICC-01 / 04-01 / 07-1788, o. Fn. 1532, Rn. 87 ff. Siehe auch Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-2032, o. Fn. 2094, Rn. 29 ff.; Prosecutor v. Katanga & Ngudjolo, Judgement on the Appeal of Mr. Katanga Against the Dicision of Trial Chamber II of 22 January 2010 Entitled „Decision on the Modalities of Victim Participation at Trial“, AC, ICC-01 / 04-01 / 07-2288, 16. 7. 2010, Rn. 3.

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Darüber hinaus ist festzuhalten, dass Art. 68 Abs. 3 IStGH-Statut den Opfern nicht das Recht gewährt, aus eigenem Recht Beweise ins Verfahren einzuführen.2096 Zu berücksichtigen ist allerdings, dass die Kammer die Befugnis hat, die Beibringung sämtlicher Beweise zu verlangen, die sie zur Wahrheitsfindung für erforderlich erachtet.2097 Mit dem Wortlaut des Art. 68 Abs. 3 IStGH-Statut ist es ohne weiteres vereinbar, den Opfern das Recht zuzugestehen, die Kammer auf bestimmte Beweise hinzuweisen und so eine Beweiserhebung anzuregen.2098 Auf diese Weise wird dem Interesse der Opfer an der Überführung des schuldigen Täters Rechnung getragen. Zudem wird ihre prozessuale Unabhängigkeit vom Ankläger anerkannt und verstärkt. Gleichzeitig ermöglicht es dieser Ansatz, den Interessen der Parteien hinreichend Rechnung zu tragen. Diese haben die Möglichkeit, ggf. ihre Bedenken vorzutragen bzw. die Unzulässigkeit oder fehlende Relevanz der Beweise zu rügen.2099 Darüber hinaus fungiert die Kammer als Filter und kann zweifelhaftes Beweismaterial von vornherein aussondern.2100 Sie kann zudem in jedem Einzelfall die notwendigen Maßnahmen zum Schutz der Rechte des Beschuldigten festlegen2101 und bestimmen, wie und von wem (dem Ankläger oder dem legal represenative)2102 die Beweise vorgelegt werden.

d) Beteiligung an der Strafzumessung Umstritten ist, ob den Opfern auch das Recht zugebilligt werden sollte, zur Strafzumessung Stellung zu nehmen bzw. eine konkrete Strafe vorzuschlagen. Vasiliev (2009b), S. 654. Anders wohl Redress (2010), S. 3. Siehe oben Teil 5 C. X. 1. 2098 Siehe auch Katanga & Ngudjolo TC, ICC-01 / 04-01 / 07-1665, o. Fn. 930, Rn. 45; Katanga & Ngudjolo TC, ICC-01 / 04-01 / 07-1788, o. Fn. 1532, Rn. 81 ff.; Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1119, o. Fn. 7, Rn. 108; Lubanga Réponse des Représentants légaux, ICC-01 / 04-01 / 06-1147-Corr, o. Fn. 1532, Rn. 20; Stehle, S. 309. Triffterer(-Donat Cattin), Art. 68 IStGH-Statut Rn. 23. Ausdrücklich zugelassen in Lubanga AC, ICC-01 / 04-01 / 06-1432, o. Fn. 7, Rn. 95. Siehe beispielsweise Prosecutor v. Lubanga – Decision on the request by the legal representatives of victims [ . . . ] for admission of the final report of the Panel of Experts on the illegal exploitation of natural resources and other forms of wealth of the Democratic Republic of the Congo as evidence, TC I, ICC-01 / 04-01 / 06-2135, 22. 9. 2009. Siehe auch Friman (2009), S. 494. Kritisch OTP (2009), S. 10; WCRO (February 2009), S. 51. 2099 Lubanga Réponse des Représentants légaux, ICC-01 / 04-01 / 06-1147-Corr, o. Fn. 1532, Rn. 23; Lubanga Acte d’appel de la Défense, ICC-01 / 04-01 / 06-1220, o. Fn. 9, Rn. 50. 2100 Siehe zum Beispiel Katanga & Ngudjolo TC, ICC-01 / 04-01 / 07-1665, o. Fn. 930, Rn. 47. 2101 Lubanga AC, ICC-01 / 04-01 / 06-1432, o. Fn. 7, Rn. 100. Daher ist es auch in diesen Fällen nicht notwendig, unmittelbar den Opfern Offenlegungspflichten aufzuerlegen Katanga & Ngudjolo TC, ICC-01 / 04-01 / 07-1788, o. Fn. 1532, Rn. 105 ff. Siehe auch Schabas (2010), S. 832 f. sowie Katanga & Ngudjolo AC, ICC-01 / 04-01 / 07-2288, o. Fn. 2095, Rn. 1 f. Kritisch hingegen Guhr (2008a), S. 369; Zappalà (2010), S. 148; WCRO (February 2009), S. 52. 2102 Siehe hierzu auch Friman (2009), S. 494. 2096 2097

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Hiergegen wird angeführt, dass ein solches Recht zu einer Emotionalisierung des Verfahrens führen könnte. Insbesondere bestünde die Gefahr, dass der Vergeltungsgedanke überbetont würde.2103 Allerdings muss berücksichtigt werden, dass die Folgen der Tat für die Opfer ein wichtiger Strafzumessungsfaktor ist, der eine Einbeziehung der Opfer nahezu unabdingbar macht. Zudem liegt es im Interesse der Opfer, dass der Täter eine tat- und schuldangemessene Strafe bekommt. Geht man richtigerweise davon aus, dass Art. 68 Abs. 3 IStGH-Statut den Opfern die eigenverantwortliche Wahrnehmung ihrer Interesse auch dann erlaubt, wenn sich diese mit den Aufgaben des Anklägers zu überschneiden scheinen, so muss man ihnen – falls sie überhaupt den Wunsch hierzu haben – grundsätzlich auch das Recht zubilligen, eine konkrete Strafe vozuschlagen. Es obliegt den legal representatives und der Kammer dafür Sorge zu tragen, dass diese Befugnis auf angemessene, sachliche Art und Weise wahrgenommen wird. e) Erforderlichkeit gesonderter Anträge? Trial Chamber I billigt die verfahrensunmittelbaren Rechte den Opfern und ihren Vertretern nicht generell zu. Sie verlangt vielmehr, dass ein Opfer, das allgemein zum Verfahren zugelassen ist, für jede konkrete Verfahrenshandlung, beispielsweise die Befragung eines Zeugen oder die Beteiligung an einer bestimmten Diskussion, einen gesonderten schriftlichen Antrag stellt. In diesem ist darzulegen, warum die persönlichen Interessen des Opfers durch dieses Beweisstück oder diese Rechtsfrage berührt sind. Das allgemeine Interesse am Ausgang des Falls soll insoweit unzureichend sein. Als Beispiel führt die Kammer an, dass ein Opfer, das durch einen bestimmten Vorfall geschädigt wurde, sich beteiligen darf, wenn über diesen Vorfall Beweis erhoben wird.2104 Darzulegen ist auch der Umfang der gewünschten Intervention. Beispielsweise sind die Fragen, die einem Zeugen gestellt werden sollen, der Kammer vorzulegen.2105 Durch diese Rechtsprechung werden die Partizipationsrechte der Opfer in ihrer Effektivität herabgesetzt. Um sich umfassend beteiligen zu können, müssen die Opfer gegebenenfalls unzählige Einzelanträge stellen. Dies ist eine unzumutbare Belastung.2106 Zudem wird der Dynamik des Verfahrens nicht hinreichend Rechnung getragen. Hält ein legal representative beispielsweise eine Frage, die die Verteidigung einem Zeugen stellt, für unzulässig, kann er diese nicht sofort rügen, sondern muss erst schriftlich darum bitten, einen solchen Antrag stellen zu dürfen. Auf diese Weise ist eine de Hemptinne, S. 178. Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1119, o. Fn. 7, Rn. 96. Siehe auch Prosecutor v. Lubanga Argumentation de la Défense, ICC-01 / 04-01 / 06-991, o. Fn. 1170, Rn. 49. 2105 Lubanga Application, ICC-01 / 04-01 / 06-1136, o. Fn. 1588, Rn. 10. Siehe hierzu auch oben Teil 5 E. IX. 7. b). 2106 Lubanga Prosecution’s Document, ICC-01 / 04-01 / 06-1219, o. Fn. 1570, Rn. 25; Lubanga, Separate and Dissenting Opinion of Judge René Blattmann, TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1119, o. Fn. 7, Rn. 22. 2103 2104

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effektive und sinnvolle Wahrnehmung der Opferinteressen nicht mehr möglich. Zudem wird das Verfahren unnötig in die Länge gezogen.2107 Dies gilt umso mehr, wenn die Parteien zu den jeweiligen Anträgen der Opfer noch Stellung nehmen.2108

8. Zusammenfassung Die Rechtsprechung der Verfahrenskammer im Lubanga-Verfahren wirkt inkonsequent. Einerseits wird den Opfern gestattet, sich nahezu gleichberechtigt mit den Parteien an der Beauftragung von Sachverständigen zu beteiligen. Zudem werden sie in begrenztem Rahmen in den disclosure-Prozess eingebunden. Andererseits wird ihr Akteneinsichts- und Anwesenheitsrecht über Gebühr beschränkt. Zu überzeugen vermag hingegen die grundsätzliche Ausgestaltung der verfahrensunmittelbaren Rechte. Den Opfervertretern wird eine starke Stellung, inklusive Beweisanregungsrecht, zugebilligt. Bedenklich ist es hingegen, dass für jede Verfahrenshandlung ein gesonderter Antrag verlangt wird. Dies hemmt nicht nur die Rechtsausübung, sondern zieht auch das Verfahren erheblich in die Länge. Überzeugender ist es im Sinne von Pre-Trial Chamber I den Opfern und ihren Vertretern gewisse Rechte grundsätzlich zuzuerkennen und diese bei Bedarf zu beschränken. Auf diese Weise kann die Kammer dafür Sorge tragen, dass die Opferbeteiligung mit den Rechten des Angeklagten und den Interessen des Anklägers vereinbar ist, ohne das Verfahren durch Formalien unnötig zu belasten. Machen die legal representatives von ihren Rechten exzessiv Gebrauch, kann die Kammer jederzeit einschreiten. Denkbar wäre es, ihre Beteiligung zeitlich zu begrenzen, ihnen beispielsweise ein Zeitkontingent zuzuteilen, das sie nach Belieben zur Befragung von Zeugen und Sachverständigen einsetzen können.

XI. Beteiligung im Verfahren vor der Berufungskammer Für die Opfer ist es von besonderer Bedeutung, auch vor der Berufungskammer auftreten zu können, da deren Entscheidungen abschließend2109 und damit von zentraler Bedeutung für den Ausgang des Prozesses sind.

2107 Lubanga Prosecution’s Document, ICC-01 / 04-01 / 06-1219, o. Fn. 1570, Rn. 26; Lubanga, Separate and Dissenting Opinion of Judge René Blattmann, TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1119, o. Fn. 7, Rn. 31. Siehe auch McGonigle, S. 103. 2108 Lubanga Application, ICC-01 / 04-01 / 06-1136, o. Fn. 1588, Rn. 12. 2109 Darfur, Sudan Response of Legal Representative, ICC-02 / 05-124, o. Fn. 1596, Rn. 19.

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Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

1. Verfahrenseinleitung durch die Opfer Gemäß Art. 81 IStGH-Statut sind ausdrücklich nur der Ankläger und der Verurteilte berechtigt, Berufung gegen das abschließende Urteil einzulegen. Daraus folgt im Umkehrschluss, dass den Opfern diese Befugnis nicht zusteht.2110 Unbenommen ist ihnen allerdings, den Ankläger auf mögliche Berufungsgründe hinzuweisen. Nicht so eindeutig ist die Formulierung des Art. 82 IStGH-Statut. Hiernach kann jede Partei Beschwerde gegen sonstige Entscheidungen einlegen. Während die Rules und die Regulations zwischen „Parteien“ und „Beteiligten“ unterscheiden, findet sich eine vergleichbare Differenzierung im IStGH-Statut nicht. Daher stellt sich die Frage, ob der Parteibegriff auch in einem weiteren, die beteiligungsberechtigten Opfer umschließenden, Sinne gebraucht werden kann.2111 Dies erscheint umso naheliegender, wenn man berücksichtigt, welch starke prozessuale Stellung die durch einen legal representative vertretenen Opfer einnehmen können.2112 Pre-Trial Chamber I hat zwar dem als Opfervertreter agierenden OPCV die Beschwerdebefugnis abgesprochen; begründet wurde dies allerdings damit, das die vom Office vertretenen Opfer noch nicht zum Verfahren zugelassen waren und ihnen daher noch nicht die Rechte aus Art. 68 Abs. 3 IStGH-Statut zustanden.2113 Der bisherigen Rechtsprechung liegt insgesamt ein eher weites Verständnis des Parteibegriffs zugrunde. Werden in einer Situation die Recht der Verteidigung vom OPCD, das als Unterabteilung der Kanzlei keine Prozesspartei im engeren Sinne ist, wahrgenommen, werden ihm die Rechte aus Art. 82 IStGH-Statut zugestanden.2114 Gegen eine Beschwerdebefugnis der Opfer ließe sich Art. 82 Abs. 4 IStGH-Statut anführen. Dieser ermächtigt explizit die Opfervertreter, gegen eine gerichtliche 2110 Prosecutor v. Lubanga – Prosecution’s Response to ,Defence Request for an Order Regarding Non-Compliance with the Time Limits‘, pursuant to ,Order of the Appeals Chamber‘ of 24 November 2006, ICC-01 / 04-01 / 06-736, 29. 11. 2006, Rn. 12; Jorda / de Hemptinne, S. 1406; Haslam, S. 322; Stehle, S. 324. 2111 So beispielsweise DRC OPCV’s Application, ICC-01 / 04-420, o. Fn. 1758, Rn. 9. Siehe zu den Begriffen „party“ and „participant“ auch Prosecutor v. Lubanga – Observations of the Legal Representative of Victims a / 0001 / 06 to a / 0003 / 06, ICC-01 / 04-01 / 06-982, 12. 10. 2007, Rn. 2. 2112 Bejahend daher Situation in the DRC – Demande du BCPV aux fins d’autorisation d’interjeter appel à l’encontre de la Decision rendue le 24 decembre 2007 relative aux demandeurs a / 0047 / 06 à a / 0052 / 06, ICC-01 / 04-426, 4. 1. 2008, Rn. 9. 2113 DRC PTC, ICC-01 / 04-444, o. Fn. 1582, S. 4; Situation in the DRC – Decision on the Application for Leave to Appeal the Decision on the Requests of the OPCV, PTC I, ICC-01 / 04-437, 18. 1. 2008. 2114 Siehe DRC PTC, ICC-01 / 04-438, o. Fn. 1532; Situation in Darfur, Sudan PTC, ICC-02 / 05-118, o, Fn. 1532; DRC PTC, ICC-01 / 04-444, o. Fn. 1582. Abgelehnte Amicus Curiae sind hingegen keine Partei i. S. d. Art. 82 IStGH-Statut, siehe Situation in Darfur, Sudan – Decision on the Application for Leave to Appeal the Decision on Application under Rule 103, ICC-02 / 05-192, 19. 2. 2009, S. 5.

E. Das Opfer als Beteiligter

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Wiedergutmachungsanordnung Beschwerde einzulegen. Daraus könnte man den Umkehrschluss ziehen, dass es den Opfern in allen anderen Fällen nicht möglich sein soll, ein Beschwerdeverfahren einzuleiten. 2115 Art. 82 Abs. 4 IStGH-Statut kann aber auch so verstanden werden, dass die Opfer bei Wiedergutmachungsanordnungen jedenfalls beschwerdebefugt sind, dieses Recht mit anderen Worten nicht im Ermessen der Kammer steht. Daher erscheint es nicht ausgeschlossen, den Opfern gestützt auf Art. 68 Abs. 3 IStGH-Statut das Recht zu gewähren, auch andere Entscheidungen mit der Beschwerde anzugreifen.2116 Voraussetzung sollte allerdings sein, dass die Interessen der Opfer im vergleichbaren Maße wie bei Wiedergutmachungsanordnungen betroffen sind. Dies ist vor allem bei der Ablehnung von Schutzmaßnahmen der Fall. Selbst wenn man davon ausgeht, dass die Opfer nicht beschwerdebefugt sind, hat dies keine Auswirkung auf den Umfang ihrer Beteiligungsrechte in einem vom Ankläger oder von der Verteidigung initiierten Verfahren. Insoweit greift Art. 68 Abs. 3 IStGH-Statut ein.2117

2. Erfordernis eines gesonderten Zulassungsantrags Nach der Rechtsprechung der Berufungskammer müssen Opfer, die bereits im erstinstanzlichen Verfahren als Beteiligte mitgewirkt haben und sich in einem hieraus resultierenden Beschwerdeverfahren beteiligen wollen, einen erneuten Zulassungsantrag stellen.2118 Die Appeals Chamber entscheidet selbst, ob die VorausSo Lubanga Prosecution’s Response, ICC-01 / 04-01 / 06-736, o. Fn. 2110, Rn. 12. Anderer Ansicht Lubanga Response, ICC-01 / 04-01 / 06-901-Corr, o. Fn. 1571, Rn. 35; Lubanga Prosecution’s Response, ICC-01 / 04-01 / 06-736, o. Fn. 2110, Rn. 12; DRC Prosecution’s Response, ICC-01 / 04-432, o. Fn. 1817, Rn. 6; Situation in the DRC – Prosecution’s Response to OPCV’s Application for Leave to Appeal the Single Judge’s 10 December 2007 Order, ICC-01 / 04-422, 20. 12. 2007, Rn. 7; Stehle, S. 324. 2117 Stehle, S. 325. Anderer Ansicht Lubanga Response, ICC-01 / 04-01 / 06-901-Corr, o. Fn. 1571, Rn. 35; Jorda / de Hemptinne, S. 1406. 2118 Luganga AC, ICC-01 / 04-01 / 06-824, o. Fn. 1921, Rn. 1, 38; Lubanga AC, ICC-01 / 04-01 / 06-925, o. Fn. 100, Rn. 23; Situation in the DRC – Order of the Appeals Chamber on the date of filing of applications for participation and on the time of the filing of the responses thereto by the OPCD and the Prosecutor, AC, ICC-01 / 04-480, 29. 2. 2008; Situation in the DRC – Order of the Appeals Chamber on the date of filing of applications for participation and on the time of the filing of the responses thereto by the OPCD and the Prosecutor, AC, ICC-01 / 04-481, 29. 2. 2008; Situation in Darfur, Sudan – Order of the Appeals Chamber on the date of filing of applications for participation and on the time of the filing of the responses thereto by the OPCD and the Prosecutor, AC, ICC-02 / 05-132, 29. 2. 2008; Situation in Darfur, Sudan – Order of the Appeals Chamber on the date of filing of applications for participation and on the time of the filing of the responses thereto by the OPCD and the Prosecutor, AC, ICC-02 / 05-133, 29. 2. 2008; Prosecutor v. Lubanga – Order of the Appeals Chamber on the date of filing of applications for participation by victims and on the time of the filing of the responses thereto by the Prosecutor and the Defence, AC, ICC-01 / 2115 2116

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Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

setzungen von Art. 68 Abs. 3 IStGH-Statut vorliegen.2119 Sie übernimmt lediglich die Feststellung, dass der Antragsteller Opfer i. S. v. Rule 85 ist.2120 Im Übrigen kommt der Zulassung zum Ausgangsverfahren keine Indizwirkung zu. Die Opfer müssen darlegen, ob und wie ihre persönlichen Interessen durch das Beschwerdeverfahren betroffen sind.2121 Darüber hinaus können sie ihre Vorstellungen über die Beteiligungsmodalitäten äußern.2122 Entscheidet die Kammer in einem gesonderten Schritt über die Zulässigkeit der Beschwerde,2123 müssen die Opfer für beide 04-01 / 06-1239, 20. 3. 2008, Rn. 1; Prosecutor v. Lubanga – Decision, in limine, on Victim Participation in the appeals of the Prosecutor and the Defence against Trial Chamber I’s Decision entitled „Decision on Victims’ Participation“, AC, ICC-01 / 04-01 / 06-1335,16. 5. 2008, Rn. 13; Situation in Darfur, Sudan – Decision on Victim Participation in the appeal of the Office of Public Counsel for the Defence against Pre-Trial Chamber I’s Decision of 3 December 2007 and in the appeals of the Prosecutor and the Office of Public Counsel for the Defence against Pre-Trial Chamber I’s Decision of 6 December 2007, AC, ICC-02 / 05-138, 18. 6. 2008, Rn. 49; Situation in the DRC – Decision on Victim Participation in the appeal of the Office of Public Counsel for the Defence against Pre-Trial Chamber I’s Decision of 7 December 2007 and in the appeals of the Prosecutor and the Office of Public Counsel for the Defence against Pre-Trial Chamber I’s Decision of 24 December 2007, AC, ICC-01 / 04-503, 30. 6. 2008, Rn. 88; Bemba Gombo AC, ICC-01 / 05-01 / 08-566, o. Fn. 1963, Rn. 14; Prosecutor v. Al Bashir – Decision on the Second Application by Victims [ . . . ] to Participate in the Appeal against the „Decision on the Prosecution’s Application for a Warrant of Arrest against Omar Hassan Ahmad Al Bashir“, AC, ICC-02 / 05-01 / 09-70, 28. 1. 2010, Rn. 9. Zustimmend Lubanga Prosecution’s Response, ICC-01 / 04-01 / 06-736, o. Fn. 2110, Rn. 15; Lubanga Defence Response, ICC-01 / 04-01 / 06-756, o. Fn. 1964, Rn. 8; Luganga Prosecution’s Response ICC-01 / 04-01 / 06-757, o. Fn. 1052, Rn. 11; Bemba Gombo Prosecution’s Response, ICC-01 / 05-01 / 08-489, o. Fn. 1963, Rn. 9 ff. Dies gilt nicht bei Verfahren nach Art. 19 IStGH-Statut, siehe Kony et al. AC, ICC-02 / 04-01 / 05-393, o. Fn. 1905; Prosecutor v. Katanga & Ngudjolo – Directions on the submission of observations pursuant to article 19(3) of the Rome Statute and rule 59 (3) of the Rules of Procedure and Evidence, AC, ICC-01 / 04-01 / 07-1295, 10. 7. 2009 und oben Teil 5 E. VII. 2. 2119 Luganga AC, ICC-01 / 04-01 / 06-824, o. Fn. 1921, Rn. 2. Siehe auch Lubanga Prosecution’s Response, ICC-01 / 04-01 / 06-736, o. Fn. 2110, Rn. 14. 2120 Luganga AC, ICC-01 / 04-01 / 06-824, o. Fn. 1921, Rn. 45; Lubanga AC, ICC-01 / 04-01 / 06-1335, o. Fn. 2118, Rn. 37; Darfur, Sudan AC, ICC-02 / 05-138, o. Fn. 2118, Rn. 53; DRC AC, ICC-01 / 04-503, o. Fn. 2118, Rn. 92; Lubanga Prosecution’s Response, ICC-01 / 04-01 / 06-736, o. Fn. 2110, Rn. 17. Siehe auch Prosecutor v. Al Bashir – Decision on the Applications by Victims [ . . . ] to Participate in the Appeal against the „Decision on the Prosecution’s Application for a Warrant of Arrest against Omar Hassan Ahmad Al Bashir“ and on the Request for an Extension of Time, AC, ICC-02 / 05-01 / 09-48, 23. 10. 2009, Rn. 10; Al Bashir AC, ICC-02 / 05-01 / 09-70, o. Fn. 2118, Rn. 10. 2121 Luganga AC, ICC-01 / 04-01 / 06-824, o. Fn. 1921, Rn. 44; Lubanga AC, ICC-01 / 04-01 / 06-1239, o. Fn. 2118, Rn. 1; Bemba Gombo AC, ICC-01 / 05-01 / 08-566, o. Fn. 1963, Rn. 15; Siehe auch Prosecutor v. Lubanga – Order of the Appeals Chamber, AC, ICC-01 / 04-01 / 06-727, 24. 11. 2006 sowie Situation in Uganda – Prosecution Response to the Victims’ Request for Participation in the Defence Appeal of Pre-Trial Chamber II’s Decision of 14 March 2008 on Victim Participation, ICC-02 / 04-150, 12. 8. 2008, Rn. 12 ff. 2122 Siehe Luganga AC, ICC-01 / 04-01 / 06-824, o. Fn. 1921, Rn. 44. 2123 Siehe Prosecutor v. Lubanga – Directions and Decision of the Appeals Chamber, AC, ICC-01 / 04-01 / 06-800, 1. 2. 2007, Rn. 1.

E. Das Opfer als Beteiligter

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Verfahrensabschnitte gesondert Zulassung beantragen. Es reicht nicht aus, dass ihre Interessen generell vom Beschwerdegegenstand betroffen sind. Vielmehr müssen sie darlegen, dass auch die Entscheidung über die Zulässigkeit der Beschwerde ihre Interessen berührt.2124 Diese Rechtsprechung basiert auf dem Prinzip der Unabhängigkeit der Kammern. Die erstinstanzlich zuständige Kammer könne verbindlich nur über die Beteiligung von Opfern in ihrem Verfahren befinden. Eine andere Kammer könne sie nicht binden. Die Appeals Chamber sei Herrin über ihr Verfahren und daher in prozessualen Fragen unabhängig von erstinstanzlichen Entscheidungen.2125 Zudem sei das Berufungsverfahren ein eigenständiges Verfahren.2126 Daher könnte die Schlussfolgerung der Kammer, dass für das erstinstanzliche Verfahren die Voraussetzungen von Art. 68 Abs. 3 IStGH-Statut erfüllt seien, nicht ohne weiteres auf das Beschwerdeverfahren übertragen werden.2127 Gegen diese Ansicht sprechen zunächst prozessökonomische Erwägungen. Die erneute Durchführung eines Zulassungsverfahrens ist zeit- und ressourcenintensiv.2128 Zudem ist sie rechtlich nicht geboten. So verlangt Art. 68 Abs. 3 IStGHStatut lediglich, dass der Gerichtshof, nicht aber eine bestimmte Kammer, über die Betroffenheit der persönlichen Interessen der Opfer befindet.2129 Regulations 64 Abs. 4; 65 Abs. 3 der Regulations of the Court ermächtigen alle Verfahrensbeteiligte, nicht nur die Parteien, auf die Einlegung einer Beschwerde zu antworten. Es ist nicht ersichtlich, warum diese Vorschriften für Opfer, die zum Ausgangsverfahren zugelassen sind, nicht gelten soll.2130 Lubanga AC, ICC-01 / 04-01 / 06-925, o. Fn. 100, Rn. 24. Luganga AC, ICC-01 / 04-01 / 06-824, o. Fn. 1921, Rn. 43; Lubanga Defence Response, ICC-01 / 04-01 / 06-734, o. Fn. 36, Rn. 2, 10; Lubanga Prosecution’s Response, ICC-01 / 04-01 / 06-736, o. Fn. 2110, Rn. 15. Siehe auch Lubanga AC, ICC-01 / 04-01 / 06-1335, o. Fn. 2118, Rn. 35. 2126 Luganga Prosecution’s Response ICC-01 / 04-01 / 06-757, o. Fn. 1052, Rn. 12. 2127 Luganga AC, ICC-01 / 04-01 / 06-824, o. Fn. 1921, Rn. 40; Prosecutor v. Lubanga – Prosecution’s Response to the Joint Application of Victims a / 0001 / 06 to a / 0003 / 06 and a / 0105 / 06 pursuant to ,Directions of the Appeals Chamber‘ of 5 February 2007, ICC-01 / 04-01 / 06-817, 9. 2. 2007, Rn. 15. 2128 Luganga AC, Dissenting Opinion of Judge Sang-Hyun Song ICC-01 / 04-01 / 06-824, o. Fn. 1921, Rn. 8; Prosecutor v. Bemba Gombo – Reasons for the „Decision on the Participation of Victims in the Appeal against the ,Decision on the Interim Release of Jean-Pierre Bemba Gombo and Convening Hearings with the Kingdom of Belgium, the Republic of Portugal, the Republic of France, the Federal Republic of Germany, the Italian Republic, and the Republic of South Africa‘“, Dissenting Opinion of Judge Sang-Hyun Song, AC, ICC-01 / 05-01 / 08-623, 27. 11. 2009, Rn. 4; Situation in the DRC – Application by Victims [ . . . ] to reply to the responses of the Defence and the Prosecutor filed in accordance with the Appeals Chamber Order of 4 December 2006, ICC-01 / 04-01 / 06-765, 7. 12. 2006, Rn. 7. 2129 Luganga AC, Dissenting Opinion of Judge Sang-Hyun Song ICC-01 / 04-01 / 06-824, o. Fn. 1921, Rn. 7; Lubanga AC, Separate and partly dissenting opinion of Judge Sang-Hyun Song, ICC-01 / 04-01 / 06-1335, o. Fn. 2118, Rn. 5. 2124 2125

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Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

Darüber hinaus bestimmt Regulation 86 Abs. 8 der Regulations of the Court, dass eine Entscheidung nach Rule 89 für das gesamte Verfahren gelten soll. Zwar könnte man anführen, dass das Beschwerdeverfahren einen eigenen und abgrenzbaren Zweck habe und daher ein anderes Verfahren sei.2131 Hiergegen spricht aber, dass im Beschwerdeverfahren eine Frage behandelt wird, die sich aus dem Ausgangsverfahren ergeben hat. Beide sind inhaltlich miteinander verschmolzen. Der interlocutory appeal steht daher nicht für sich, sondern ist eine Ausdehnung des ursprünglichen Verfahrens2132. Dementsprechend ist es nur sinnvoll und logisch, die Verhandlung mit denselben Beteiligten fortzuführen.2133 Regulation 86 Abs. 8 der Regulations of the Court ist anwendbar. Wegen der inhaltlichen Überschneidung beider Verfahren wirkt es zudem willkürlich, wenn die Berufungskammer im Gegensatz zur ersten Instanz die Betroffenheit persönlicher Interessen verneint.2134 Eine solche Entscheidung wäre für die Opfer nicht nachvollziehbar2135 und kann eine sekundäre Viktimisierung begünstigen. 3. Zulassung weiterer Opfer Die Appeals Chamber lässt nur Opfer, die sich am erstinstanzlichen Verfahren beteiligt haben, zum Beschwerdeverfahren zu. Neuanträge werden nicht berücksichtigt.2136 Selbst wenn man – entgegen der Ansicht der Appeals Chamber – Ausgangs- und Beschwerdeverfahren als eine Einheit begreift, vermag diese Rechtsprechung nicht vollständig zu überzeugen. Regulation 86 Abs. 3 der Regulations 2130 Luganga AC, Dissenting Opinion of Judge Sang-Hyun Song ICC-01 / 04-01 / 06-824, o. Fn. 1921, Rn. 3; Lubanga AC, Separate and partly dissenting opinion of Judge Sang-Hyun Song, ICC-01 / 04-01 / 06-1335, o. Fn. 2118, Rn. 4. 2131 So Luganga Prosecution’s Response ICC-01 / 04-01 / 06-757, o. Fn. 1052, Rn. 13; Lubanga Prosecution’s Response, ICC-01 / 04-01 / 06-736, o. Fn. 2110, Rn. 15. Siehe auch Luganga AC, ICC-01 / 04-01 / 06-824, o. Fn. 1921, Rn. 43. 2132 Luganga AC, Dissenting Opinion of Judge Sang-Hyun Song ICC-01 / 04-01 / 06-824, o. Fn. 1921, Rn. 4. Siehe auch Lubanga Joint Application of Victims, ICC-01 / 04-01 / 06-802, o. Fn. 1989, S. 3. 2133 Luganga AC, Dissenting Opinion of Judge Sang-Hyun Song ICC-01 / 04-01 / 06-824, o. Fn. 1921, Rn. 6. Siehe auch Bemba Gombo Observations, ICC-01 / 05-01 / 08-479, o. Fn. 1963, Rn. 9. 2134 Siehe auch Luganga AC, Dissenting Opinion of Judge Sang-Hyun Song ICC-01 / 04-01 / 06-824, o. Fn. 1921, Rn. 8. 2135 Siehe Lubanga Joint Application of Victims, ICC-01 / 04-01 / 06-802, o. Fn. 1989, S. 4. 2136 Lubanga AC, ICC-01 / 04-01 / 06-1335, o. Fn. 2118, Rn. 39; Darfur, Sudan AC, ICC-02 / 05-138, o. Fn. 2118, Rn. 54; DRC AC, ICC-01 / 04-503, o. Fn. 2118, Rn. 93. Zustimmend Prosecutor v. Lubanga – Defence Response to the „Order of the Appeals Chamber on the Date of Filing of Applications for Participation by Victims and on the Time of Filing of the Responses thereto by the Prosecutor and the Defence“ dated 20 March 2008, ICC-01 / 04-01 / 06-1264, 7. 4. 2008, Rn. 12 Lubanga Prosecution’s Response, ICC-01 / 04-01 / 06-1266, o. Fn. 1592, Rn. 18.

E. Das Opfer als Beteiligter

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of the Court verlangt von den Opfern lediglich im Rahmen des Möglichen ihren Zulassungsantrag vor Beginn des jeweiligen Verfahrensstadiums zu stellen. Beteiligungsbegehren, die zu einem späteren Zeitpunkt geäußert werden, sind daher nicht grundsätzlich unzulässig und dürfen nicht ohne weiteres abgelehnt werden. Dies gilt insbesondere dann, wenn die Opfer bereits bei der (Vor-)Verfahrenskammer einen Zulassungsantrag gestellt haben, über diesen aber noch nicht entschieden ist.2137 Solche Opfer kategorisch von der Beteiligung an interlocutory appeals auszuschließen, hieße ihre Rechte faktisch von der Arbeitsauslastung des Gerichtshofs abhängig zu machen. Allerdings sollten Beschwerdeverfahren möglichst zügig durchgeführt werden und nicht durch das Verfahren nach Rule 89 verlängert werden. Zumindest wenn die Appeals Chamber aber über grundlegende Fragen der Opferbeteiligung entscheidet, sollte diesen verfahrensökonomischen Gründen zum Trotz auch noch nicht zugelassenen Opfern die Möglichkeit gegeben werden, sich einzubringen.2138 Die Kammer kann einer unzumutbaren Ausdehnung des Verfahrens entgegenwirken, indem sie die Frist zur Antragstellung knapp bemisst. Alternativ sollte bei grundlegenden Entscheidungen die Ansichten der Opfer, über deren Anträge noch nicht entschieden wurde, gemäß Rule 93 eingeholt werden.2139

4. Umfang der Beteiligungsrechte Legt der Ankläger oder die Verteidigung Berufung gegen das Urteil gemäß Art. 81 IStGH-Statut ein, haben die Opfer das Recht, gemäß Regulation 59 der Regulations of the Court hierzu Stellung zu nehmen. Soweit die Appeals Chamber im Berufungsverfahren die Befugnisse der Hauptverfahrenskammer wahrnimmt2140, stehen den Opfern dieselben Rechte zu, wie in der Hauptverhandlung. 2137 Dieses Problem stellte sich beispielsweise im Verfahren gegen Al Bashir, siehe Prosecutor v. Al Bashir – Legal Representative’s Request to Expedite the Consideration of Applications for Victim Status, ICC-02 / 05-01 / 09-34, 27. 8. 2009 sowie Prosecutor v. Al Bashir – Decision on the ,Legal Representative’s Request to Expedite the Consideration of Applications for Victim Status‘, PTC I, ICC-02 / 05-01 / 09-36, 28. 8. 2009; Al Bashir AC, ICC-02 / 05-01 / 09-48, o. Fn. 2120, Rn. 10 f. 2138 Im Ergebnis ebenso Darfur, Sudan AC, Partly dissenting opinion of Judge Sang-Hyun Song ICC-02 / 05-138, o. Fn. 2118, Rn. 4; Prosecutor v. Lubanga – Request of the OPCV Acting as Legal Representative of the Applicants in the Lubanga Case for Particpation in the Interlocutory Appeals against Trial Chamber’s I Decision dated 18 January 2008, 18. 3. 2008, ICC-01 / 04-01 / 06-1228, Rn. 18; Prosecutor v. Lubanga – Application for Participation Filed by Victims a / 0009 / 06, a / 0106 / 06, a / 0107 / 06, a / 0108 / 06 Seeking Leave to Participate in the Appeals Proceedings against the Decision issued on 18 January 2008 by Trial Chamber I, ICC-01 / 04-01 / 06-1241, 19. 3. 2008, Rn. 3. 2139 In diese Richtung Lubanga AC, Separate and partly dissenting opinion of Judge SangHyun Song, ICC-01 / 04-01 / 06-1335, o. Fn. 2118, Rn. 9. 2140 Art. 83 Abs. 1 IStGH-Statut. Zum Umfang des Berufungsverfahrens siehe oben Teil 5 C. XII.

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Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

Im Verfahren nach Art. 82 IStGH-Statut sind die Opfer jedenfalls zur Abgabe schriftlicher Stellungnahmen befugt.2141 Da das Verfahren grundsätzlich schriftlich erfolgt, bestehen typischerweise keine weiteren Beteiligungsmöglichkeiten. Hält die Berufungskammer es aber in Ausnahmefällen für erforderlich, eine Anhörung durchzuführen,2142 so ist den Opfern auch in diesem Rahmen zu gestatten, ihre Ansichten vorzutragen.

5. Zusammenfassung Den Opfern kommt grundsätzlich nicht das Recht zu, ein Verfahren vor der Berufungskammer einzuleiten. Eine Ausnahme ist in Art. 82 Abs. 4 IStGH-Statut lediglich für Wiedergutmachungsanordnungen vorgesehen. Allerdings könnte man erwägen, den Parteibegriff in Art. 82 Abs. 1 IStGH-Statut weit auszulegen und den Opfern bei anderen Entscheidungen, die ihre Interessen in erheblichem Maße berühren, eine Beschwerdebefugnis zuzusprechen. Die Berufungskammer sollte darauf verzichten, selbst ein Verfahren nach Rule 89 Abs. 1 durchzuführen. Vielmehr wirkt die erstinstanzliche Zulassungsentscheidung nach Regulation 86 Abs. 8 der Regulations of the Court auch in der nächsten Instanz. Dies ist nicht nur prozessökonomisch sinnvoll, sondern hilft auch, divergierende Entscheidungen, die zu einer sekundären Viktimisierung der Opfer beitragen können, zu vermeiden.

XII. Beteiligung an der Wiederaufnahme Nimmt die Berufungskammer den Antrag eines Verurteilten auf Wiederaufnahme des Verfahrens entgegen, so sind nach Möglichkeit auch alle Opfer, die sich im ursprünglichen Verfahren beteiligt haben, hierüber zu informieren.2143 Ihnen ist nach Rule 161 Abs. 1 auch der Tag, an dem die Kammer über die Wiederaufnahme des Verfahrens befindet, bekannt zugeben. Diese Entscheidung hat weitreichende Konsequenzen für die Opfer. Sie müssen sich gegebenenfalls erneut mit den Taten auseinandersetzen, dem Gerichtshof ein weiteres Mal als Zeugen zur Verfügung stehen. Es besteht die Gefahr, dass die ursprüngliche Entscheidung geändert, der Beschuldigte nun doch freigesprochen wird. Die Interessen Opfer sind in einem ganz erheblichen Ausmaße betroffen. Daher sollte ihnen jedenfalls die Gelegenheit gegeben werden, ihre Ansichten und Bedenken vorzutragen. Gibt die Kammer dem Antrag statt, wird das Verfahren also wiederaufgenommen, gelten die gleichen Regeln wie für die ursprüngliche Hauptverhandlung. Siehe Regulations 64 Abs. 4; 65 Abs. 5 der Regulations of the Court. Rule 156 Abs. 3. 2143 Rule 159 Abs. 3. Nach Sinn und Zweck der Vorschrift ist der Begriff „parties“ weit auszulegen und umfasst auch alle zum Verfahren zugelassenen Opfer. 2141 2142

E. Das Opfer als Beteiligter

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XIII. Doppelstatus als Opfer und Zeuge Das Opfer kann zwei verschiedene Rollen im Verfahren vor dem IStGH einnehmen, die passive als Zeuge und die aktive als Beteiligter. Da das sich am Verfahren beteiligende Opfer Interessensvertreter in eigener Sache ist, drängt sich die Frage auf, ob es gleichzeitig die objektivere Funktion als Zeuge ausfüllen kann.2144 Die Problematik lässt sich anschaulich durch einen Blick in das deutsche Strafverfahrensrecht2145 verdeutlichen. Wird das Opfer als Privatkläger tätig, kann es nicht als Zeuge fungieren,2146 wohingegen die Aussage des Nebenklägers zulässiges Beweismittel ist2147. Im Verfahrensrecht des IStGH ist die Vereinbarkeit von Zeugeneigenschaft und Beteiligung als Opfer nicht explizit geregelt. Den nationalen Rechtsordnungen, die eine Opferbeteiligung im Strafverfahren vorsehen, lässt sich kein allgemeiner Rechtsgrundsatz entnehmen, der den Doppelstatus als Opfer und Zeuge verböte.2148 Würde man es dem Ankläger verwehren, Opfer, die sich am Verfahren beteiligen, in den Zeugenstand zu rufen, entzöge man ihm ein wichtiges Beweismittel.2149 Die Effektivität der internationalen Strafverfolgung wäre gefährdet. Gleichzeitig droht eine Entwertung der Beteiligungsrechte. Das Opfer müsste sich entscheiden, ob es im Verfahren aktiv seine Interessen wahrnehmen oder sich dem Ankläger als Belastungszeuge zur Verfügung stehen will. Die erste Variante beinhaltet das Risiko, zu einem Freispruch aus Mangel an Beweisen beizutragen. Das Opfer könnte sich daher gedrängt fühlen, auf eine Verfahrensbeteiligung zu verzichten. Dies widerspräche aber dem Sinn und Zweck von Art. 68 Abs. 3 IStGH-Statut.2150 Aus diesen Gründen ist die Vereinbarkeit von Opfer- und Zeugenrolle zu bejahen.2151

2144 Dagegen Lubanga Defence Observations, ICC-01 / 04-01 / 06-379, o. Fn. 1653, Rn. 37; Jorda / de Hemptinne, S. 1409. Zweifelnd DRC Request for leave to appeal, ICC-01 / 04-419, o. Fn. 36, Rn. 35; Darfur, Sudan Request, ICC-02 / 05-112, o. Fn. 1661, Rn. 35; Baumgartner, S. 433; Trumbull IV, S. 809 f.; McGonigle, S. 112. 2145 Siehe zum kambodschanischen Recht Boyle, S. 313. 2146 BayObLG 10. 8. 1961, NJW 1961, 2318; KK(-Senge), § 384 StPO Rn. 2. 2147 § 397 Abs. 1 S. 1 StPO. 2148 Siehe die Auswertung Lubanga Prosecution’s Observations, ICC-01 / 04-01 / 06-390, o. Fn. 1532, Rn. 28 – 31. 2149 Lubanga Prosecution’s Observations, ICC-01 / 04-01 / 06-390, o. Fn. 1532, Rn. 34. Siehe zur Bedeutung des Zeugenbeweises für die Sachverhaltsaufklärung oben Teil 5 D. I. 2150 Siehe auch David, S. 4. 2151 Katanga & Ngudjolo TC, ICC-01 / 04-01 / 07-1788, o. Fn. 1532, Rn. 110; Prosecutor v. Lubanga – Decision on certain practicalities regarding individuals who have the dual status of witness and victim, TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1379, 5. 6. 2008, Rn. 52; Katanga & Ngudjolo PTC I, ICC-01 / 04-01 / 07-717, o. Fn. 1506, Rn. 207; Abu Garda PTC, ICC-02 / 05-02 / 09-121, o. Fn. 18, Rn. 102; Lubanga Prosecution’s Observations, ICC-01 / 04-01 / 06-390, o. Fn. 1532, Rn. 22; Kreß (2001), S. 321; David, S. 4. Siehe auch Lubanga PTC, ICC-01 / 04-01 / 06-601, o. Fn. 11, S. 5; Stehle, S. 289.

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Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

Sagt das zur Beteiligung zugelassene Opfer als Zeuge aus, so treffen ihn die gleichen Rechte und Pflichten wie jeden anderen Zeugen. Insbesondere ist auch der Opferzeuge der Wahrheit verpflichtet, er sagt nicht in eigener Sache aus. Auch in prozessualer Hinsicht kommt ihm grundsätzlich keine Sonderstellung zu.2152 Lediglich leichte Modifikationen sind denkbar. So können Zeugen, die als Opfer zum Verfahren zugelassen sind, bei jeder Vernehmung von ihrem legal representative begleitet werden.2153 Zudem stehen Personen, die den Doppelstatus als Opfer und Zeuge innehaben, typischerweise in intensiverem Kontakt zum Gerichtshof und sind daher besonders exponiert. Dies ist bei der Ausgestaltung der Schutzmaßnahmen zu berücksichtigen.2154 Konsequenzen kann der Doppelstatus zudem für die Beweiswürdigung haben.2155 Dies gilt beispielsweise dann, wenn der Zeuge infolge seiner Beteiligungsrechte2156 Zugang zu Dokumenten hatte, die seine Aussage beeinflusst haben könnten, oder der Verdacht naheliegt, dass er von seinem Rechtsvertreter auf die Aussage vorbereitet wurde.2157 Daher hat die Verteidigung ein berechtigtes Interesse zu erfahren, welche Zeugen sich zugleich als Opfer am Prozess beteiligen.2158 Im Verfahren gegen Abu Garda hat PTC I der Verteidigung zusätzlich von allen zugelassenen Opferzeugen die vollständigen, nicht-redigierten Beteiligungsanträge zukommen lassen.2159 Ob dies erforderlich ist, um die Rechte der Verteidigung zu wahren, erscheint allerdings wegen der Unabhängigkeit des Zulassungsverfahrens von dem Strafverfahren2160 zweifelhaft. Für eine effektive Prozessvorbereitung dürfte es genügen, dass der Ankläger auch hinsichtlich der Opferzeugen seinen üblichen Offenlegungspflichten nachkommt. Es besteht kein Grund, warum der Verteidigung bei Zeugen, die den Doppelstatus innehaben, zusätzliche, äußerst sensible Informationen zur Verfügung gestellt werden müssten.

2152 Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1379, o. Fn. 2151, Rn. 52; Lubanga Prosecution’s Observations, ICC-01 / 04-01 / 06-390, o. Fn. 1532, Rn. 23. Siehe auch Transkript vom 12. 3. 2008, Prosecutor v. Lubanga, ICC-01 / 04-01 / 06-T-78, S. 34. 2153 Siehe Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1379, o. Fn. 2151, Rn. 53 ff. 2154 Siehe Lubanga OPCV’s request, ICC-01 / 04-01 / 06-1038, o. Fn. 1290. 2155 Siehe auch Baumgartner, S. 433. 2156 So darf der legal representative bei der familiarisation seines Klienten anwesend sein, Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1351, o. Fn. 1177, Rn. 39; Katanga & Ngudjolo TC, ICC-01 / 04-01 / 07-1788, o. Fn. 1532, Rn. 79 f. Siehe zu weiteren Besonderheiten Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1379, o. Fn. 2151, Rn. 62 ff. 2157 Siehe auch Katanga & Ngudjolo Observations de la Défense, ICC-01 / 04-01 / 07-433, o. Fn. 1570, Rn. 33 sowie die Diskussion im Lubanga-Verfahren Transkript vom 12. 3. 2008, Prosecutor v. Lubanga , ICC-01 / 04-01 / 06-T-78, S. 37. 2158 Abu Garda PTC, ICC-02 / 05-02 / 09-121, o. Fn. 18, Rn. 102. Siehe auch Bemba Gombo PTC, ICC-01 / 05-01 / 08-320, o. Fn. 11, Rn. 100. 2159 Abu Garda PTC, ICC-02 / 05-02 / 09-121, o. Fn. 18, S. 32. 2160 Hierzu oben Teil 5 E. III. 1. a).

E. Das Opfer als Beteiligter

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XIV. Exkurs: Opferrechte und amici curiae Rule 103 Abs. 1 regelt die Beteiligung von amici curiae. Die Kammer kann, wenn sie es für wünschenswert hält, Stellungnahmen von Staaten, Organisationen oder Einzelpersonen zu bestimmten Punkten einholen. Diese können sich allerdings auch von sich aus an den Gerichtshof wenden und Gehör beantragen.2161 Ziel dieser Vorschrift ist es, der Kammer Expertenwissen, das für eine sachgerechte Fortführung des Verfahrens von Belang ist, zugänglich und nutzbar zu machen.2162

1. Opfer als amici curiae Da Rule 103 Abs. 1 auch Einzelpersonen erfasst, stellt sich die Frage, ob auch Opfer Eingaben als amici curiae einreichen dürfen.2163 Hiergegen spricht allerdings, dass Art. 68 Abs. 3 IStGH-Statut und die Rules die Opferbeteiligung umfassend und abschließend regeln. Ein Bedürfnis, den Opfern darüber hinaus zu gestatten, als amici curiae zu agieren, besteht nicht.2164 Dies gilt umso mehr, als Rule 103 Abs. 1 darauf zielt, unabhängigen, wenn gleich nicht zwangsläufig unparteiischen2165 Organisationen und Personen ein Stellungnahmerecht einzuräumen, nicht aber den Rechtskreis der Verfahrensbeteiligten zu erweitern.2166 Dem Gericht bleibt zudem jederzeit die Möglichkeit, die Ansichten der Opfer und ihrer Rechtsvertreter gemäß Rule 93 einholen.2167 2. Opferorganisationen als amici curiae Opferorganisationen haben das Recht, gemäß Rule 103 Abs. 1 zu beantragen, von der Kammer zu bestimmten Punkten – beispielsweise zur Sicherheitslage bestimmter Opfer – gehört zu werden. Voraussetzung ist allerdings, dass die Eingabe einen konkreten Bezug zum jeweiligen Verfahren aufweist und für den weiteren 2161 Siehe auch Situation in the DRC – Decision on the Request submitted pursuant to Rule 103 (1) of the Rules of Procedure and Evidence, PTC I, ICC-01 / 04-373, 17. 8. 2007, Rn. 2. 2162 DRC PTC, ICC-01 / 04-373, o. Fn. 2161, Rn. 3. 2163 So Lubanga Demande, ICC-01 / 04-01 / 06-994, o. Fn. 1847, Rn. 9; Olásolo (2005), S. 110. Wohl auch Stehle, S. 316. Offengelassen von Stahn / Olásolo / Gibson, S. 235. 2164 Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1004, o. Fn. 1887, Rn. 3. Siehe auch Williams / Woolaver, S. 181. 2165 Prosecutor v. Bagosora – Decision on the amicus curiae application by the Government of the Kingdom of Belgium, TC II, ICTR-96-7-T, 6. 6. 1998. 2166 Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1004, o. Fn. 1887, Rn. 3. Dies räumt der Opfervertreter auch selbst ein, Lubanga Demande, ICC-01 / 04-01 / 06-994, o. Fn. 1847, Rn. 10. 2167 Siehe oben Teil 5 E. VI. 3.

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Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

Verlauf des Verfahrens relevant ist.2168 Die Beweislast liegt beim Antragsteller.2169 Nicht berechtigt sind NGOs, allgemeine Ausführungen zum Verhältnis von Ankläger und Vorverfahrenskammer sowie der Stellung von Opfern im Verfahren zu machen2170 oder für eine weite Auslegung des Opferbegriffs zu plädieren.2171

3. Amici curiae als Informationsquelle des Gerichts Die Kammer kann Rule 103 Abs. 1 nutzen, um von externer Expertise in den Bereichen Opferrechte und Opferschutz zu profitieren. So wurde beispielsweise der High Comissioner of Human Rights sowie der Vorsitzende der UN-Untersuchungskommission für Darfur, Sudan, gebeten, Stellung zur Situation der Opfer zu nehmen und geeignete Schutzmaßnahmen vorzuschlagen.2172

XV. Zusammenfassung Art. 68 Abs. 3 IStGH-Statut gewährt den Opfern zwar grundsätzlich das Recht, sich in allen Verfahrensstadien zu beteiligen, stellt aber gleichzeitig den Umfang ihrer Rechte nahezu vollständig zur Disposition der Kammer. Dies führt zu uneinheitlichen und widersprüchlichen Entscheidungen. Um eine willkürliche Ungleichbehandlung der Opfer zu vermeiden, sollten die Kammern ihre Vorgehensweisen abstimmen.2173 Ein gewisses Maß an Unvorhersehbarkeit ist allerdings unvermeidbar, da dem Gericht die Möglichkeit bleiben muss, die Partizipationsrechte an die Besonderheiten des Einzelfalls anzupassen. 2168 Prosecutor v. Lubanga – Decision on Request pursuant to Rule 103 (1) of the Statute, PTC I, ICC-01 / 04-01 / 06-480, 26. 9. 2006, S. 3; Lubanga Defence Response, ICC-01 / 04-01 / 06-442, Fn. 86, Rn. 14 ff.; Prosecutor v. Lubanga – Prosecution’s Response to Request Submitted pursuant to Rule 103(1) of the Rules of Procedure and Evidence for Leave to Participate as Amicus Curiae in the Article 61 Confirmation Proceedings, ICC-01 / 04-01 / 06-478, 25. 9. 2006, Rn. 11; DRC Prosecution’s Response, ICC-01 / 04-316, o. Fn. 877, Rn. 17; DRC PTC, ICC-01 / 04-373, o. Fn. 2161, Rn. 5; Bagosora TC, ICTR-96-7-T, o. Fn. 2165. 2169 DRC Prosecution’s Response, ICC-01 / 04-316, o. Fn. 877, Rn. 16. 2170 Siehe die entsprechenden Anträge der Women’s Initiatives for Gender Justice, Lubanga Request, ICC-01 / 04-01 / 06-403, o. Fn. 727, Rn. 5; DRC Request, ICC-01 / 04-313, o. Fn. 46, Rn. 7. Abgelehnt durch Lubanga PTC, ICC-01 / 04-01 / 06-480, o. Fn. 2168 DRC PTC I, ICC-01 / 04-373, o. Fn. 2161. 2171 So DRC Request, ICC-01 / 04-313, o. Fn. 46, Rn. 7. 2172 Prosecutor v. Lubanga – Decision Inviting Observations from the Special Representative of the Secretary General of the United Nations for Children and Armed Conflict, TC I, ICC-01 / 04-01 / 06-1175, 18. 2. 2008; Situation in Darfur, Sudan – Inviting Observations in Application of Rule 103 of the Rules of Prosecure and Evidence, PTC I, ICC-02 / 05-10, 24. 7. 2006. 2173 Siehe auch Katanga & Ngudjolo TC, ICC-01 / 04-01 / 07-1788, o. Fn. 1532, Rn. 46.

F. Wiedergutmachung – Das Opfer als Anspruchsteller

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Die aktive Einbindung der Opfer ins Verfahren vor dem IStGH ist mit nicht unerheblichen Problemen verbunden. Die große Anzahl der Opfer droht den Prozess unzumutbar auszudehnen. Die Verteidigung nimmt die Opfer als zusätzliche Ankläger, die das Prozessgleichgewicht stören, wahr. Der Ankläger sieht sich teilweise in Konkurrenz zu den Opfern und befürchtet, die Kontrolle über das Verfahren und über sensible Informationen zu verlieren. Dennoch erscheint es möglich, die divergierenden Interessen zu vereinbaren und den Opfern eine starke prozessuale Stellung im Verfahren zuzubilligen, ohne dass grundlegende Verfahrensgarantien aufgegeben werden müssten. Voraussetzung hierfür ist, dass die Kammer eine starke, prozessleitende Rolle übernimmt.2174 Je mehr Beteiligte im Verfahren involviert sind, desto weniger ist es möglich, die Prozessgestaltung dem freien Spiel ihrer Kräfte zu überlassen. Ist die Kammer aber bereit, bei Bedarf jederzeit regulierend tätig zu werden, können die von einem legal representative vertretenen Opfer grundsätzlich mit umfangreichen Befugnissen ausgestattet werden. Dies gilt insbesondere für die Hauptverhandlung. In dieser sollten die Opfervertreter das Recht haben, Zeugen und Sachverständige zu befragen, die Unzulässigkeit von Beweisen zu rügen und die Einholung weiterer Beweise anzuregen. Sollte ein legal representative seine Prozessbeteiligung über das Maß, das zur angemessenen Vertretung seiner Mandanten notwendig und geboten ist, überschreiten, obliegt es der Kammer, dies zu unterbinden.

F. Wiedergutmachung – Das Opfer als Anspruchsteller Die Ermittlung des Sachverhalts, die Dokumentierung des begangenen Unrechts und die Bestrafung der verantwortlichen Täter sind wichtige Schritte zur Wiedergutmachung von Humanitätsverbrechen.2175 Bei gravierenden oder gar irreversiblen Schädigungen erscheint diese Art der immateriellen Kompensation aber ungenügend.2176 Dementsprechend gewährt das IStGH-Statut in Art. 75 den Opfern 2174 In diese Richtung auch de Hemptinne / Rindi, S. 349; Schabas (2008), S. 757; de Hemptinne, S. 179. Vgl. auch die Kritik bei Safferling (2010), S. 111 f. 2175 Siehe oben Teil 4 A. III. 2. 2176 Siehe auch Case of El Amparo v. Venezuela (Reparations and Costs), IACHR 14. 9. 1996, Rn. 35; Caso Neira Alegría y otros v. Perú (Reparaciones y Costas), IACHR 19. 9. 1996, Rn. 56; Case of Blake v. Guatemala, IACHR, 22. 1. 1999, Rn. 55; Caso Ivcher Bronstein v. Perú, Fondo (Reparaciones y Costas), IACHR, 6. 2. 2001, Rn. 183; Case of the „White Van“ (Paniagua-Morales et al.) v. Guatemala (Reparations and Cost), IACHR, 25. 5. 2001, Rn. 115; Caso Cesti Hurtado v. Perú (Reparaciones y Costas), IACHR, 31. 5. 2001, Rn. 51; Caso Trujillo Oroza v. Bolivia (Reparaciones y Costas), IACHR, 27. 2. 2002, Rn. 83; Caso Juan Humberto Sánchez v. Hondura, Excepción Preliminar (Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR, 7. 6. 2003, Rn. 172; Case of Bulacio v. Argentina (Merits, Reparations and Costs), IACHR, 18. 9. 2003, Rn. 96; Caso de los Hermanos Gómez Paquiyauri v. Perú (Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR, 8. 7. 2004, Rn. 215; Case of Ricardo Canese v. Paraguay (Merits, Reparations and Costs), IACHR, 31. 8. 2004, Rn. 205;

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Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

das Recht, darüber hinausgehende Wiedergutmachung – beispielsweise in Form von Rückerstattung, Entschädigung und Rehabilitierung – zu beantragen. Damit bewegt sich das IStGH-Statut im Einklang mit den Forschungsergebnissen der Viktimologie, denen zufolge der Ausgleich der erlittenen Schäden zu den primären Interessen der Opfer nach einer Straftat zählt.2177

I. Verfahrenseinleitung Wiedergutmachungsleistungen können auf Antrag eines Geschädigten oder von der Kammer proprio motu gewährt werden. Case of the „Juvenile Reeducation Institute“ v. Paraguay (Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs), IACHR, 2. 9. 2004, Rn. 299; Caso De la Cruz Flores v. Perú (Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR, 18. 11. 2004, Rn. 159; Case of the Plan de Sánches Massacre v. Guatemala (Reparations), IACHR, 19. 11. 2004, Rn. 81; Caso Huilca Tecse v. Perú (Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR, 3. 3. 2005, Rn. 97; Caso de la Comunidad Moiwana v. Suriname (Excepciones Preliminares, Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR, 15. 6. 2005, Rn. 192; Case of the Yakye Axa Indigenous Community v. Paraguay (Merits, Reparations and Costs), IACHR, 17. 6. 2005, Rn. 200; Case of Acosta-Calderón v. Ecuador (Merits, Reparations and Costs), IACHR, 24. 6. 2005, Rn. 159; Caso Gutiérrez Soler v. Colombia (Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR, 12. 9. 2005, Rn. 83; Caso Palamara Iribarne v. Chile (Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR, 22. 11. 2005, Rn. 245; Caso Gómez Palomino v. Perú (Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR, 22. 11. 2005, Rn. 131; Caso García Asto y Ramírez Rojas v. Perú (Excepción Preliminar, Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR, 25. 11. 2005, Rn. 268; Case of Blanco-Romero et al v. Venezuela (Merits, Reparations and Costs), IACHR, 28. 11. 2005, Rn. 87; Caso López Álvarez v. Honduras (Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR, 1. 2. 2006, Rn. 200; Case of the Sawhoyamaxa Indigenous Community v. Paraguay (Merits, Reparations and Costs), IACHR, 29. 3. 2006, Rn. 220; Case of MonteroAranguren et al. (Detention Center of Catia) v. Venezuela, IACHR, 5. 7. 2006, Rn. 131; Caso Servellón García y otros v. Honduras (Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR, 21. 9. 2006, Rn. 180; Caso Vargas Areco v. Paraguay (Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR, 26. 9. 2006, Rn. 150; Caso del Penal Miguel Castro Castro v. Perú (Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR, 25. 11. 2006, Rn. 431; Caso La Cantuta v. Perú (Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR, 29. 11. 2006, Rn. 219; Caso Cantoral Huamaní y García Santa Cruz v. Perú (Excepción Preliminar, Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR, 10. 7. 2007, Rn. 180; Case of Chaparro Álvarzez and Lapo Íòiguez v. Ecuador (Preliminary Objections, Merits, Reparations, and Costs), IACHR, 21. 11. 2007, Rn. 250; Case of Kimel v. Argentina (Merits, Reparations and Costs), IACHR 2. 5. 2008, Rn. 117; Case of Yvon Neptune v. Haiti (Merits, Reparations and Costs), IACHR 6. 5. 2008, Rn. 166; Case of Apitz Barbera et al. („First Court of Administrative Disputes“) v. Venezuela, IACHR 5. 8. 2008, Rn. 242; Case of Tiu Tojín v. Guatemala (Merits, Reparations, and Costs), IACHR 26. 11. 2008, Rn. 65; Case of Ticona Estrada et al. v. Bolivia (Merits, Reparations and Costs), IACHR 21. 11. 2008, Rn. 130; Case of Valle Jaramillo et al. v. Colombia (Merits, Reparations and Costs), IACHR 27. 11. 2008, Rn. 224; Case of Tristán Donoso v. Panamá (Preliminary Objection, Merits, Reparations, and Costs), IACHR 27. 1. 2009, Rn. 189; Case of Kawas-Fernández v. Honduras (Merits, Reparations and Costs), IACHR 3. 4. 2009, Rn. 184; Case of Escher et al. v. Brazil (Preliminary Objections, Merits, Reparations, and Costs), IACHR 6. 7. 2009, Rn. 233 sowie Tomuschat (2002a), S. 166. 2177 Siehe oben Teil 3 A. VI.

F. Wiedergutmachung – Das Opfer als Anspruchsteller

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1. Antragsverfahren Gemäß Art. 75 Abs. 1 IStGH-Statut sind alle Opfer i. S. v. Rule 85 berechtigt, einen Antrag auf Wiedergutmachung zu stellen. Weitere Voraussetzungen müssen nicht erfüllt sein. Die Antragsberechtigung besteht insbesondere unabhängig davon, ob sich das Opfer am Verfahren beteiligt2178 oder als Zeuge ausgesagt hat2179. Ziel ist die Gleichbehandlung aller Opfer. Die Wiedergutmachung erfolgt ausschließlich wegen der erlittenen Tatschäden. Sie ist keine Belohnung für die Kooperation mit der internationalen Justiz, für eine Aussage im Verfahren. Das Opfer wird damit in seiner Verletzung wahrgenommen und nicht nach seiner Funktion für die Strafrechtspflege bewertet.2180 Zudem wird der Selektivität der Beweisaufnahme Rechnung getragen. Es können nicht alle Opfer im Prozess gehört werden.2181 Das Recht, Wiedergutmachung beantragen zu können, soll nicht von dem vom Opfer unbeeinflussbaren Umstand abhängen, ob es als Zeuge vernommen wird.2182 Nicht nur natürliche Personen, sondern auch geschädigte Organisationen und Institutionen können Wiedergutmachung beantragen.2183 Zu denken ist beispielsweise an ein Krankenhaus, das Schadenersatz wegen der im Krieg rechtswidrig zerstörten Gebäude und medizinischen Geräte verlangt.2184 Die Opfer können von ihrem Antragsrecht nur Gebrauch machen, wenn sie wissen, dass ein Wiedergutmachungsverfahren gegen einen bestimmten Täter bevorsteht. Diesen Gedanken enthält auch Nr. 24 der van-Boven-Principles. Die Staaten sind gehalten, die Opfer über die einschlägigen Reparationssysteme zu informieren. Die Opfer, die bereits im Verfahren involviert sind – sei es als Zeugen oder als 2178 Bemba Gombo PTC, ICC-01 / 05-01 / 08-320, o. Fn. 11, Rn. 90; Darfur, Sudan OPCD Appeal Brief, ICC-02 / 05-126, o. Fn. 1634, Rn. 31; Peter G. Fischer, S. 222; Lasco, S. 21; de Brouwer, S. 222; de Greiff / Wierda, S. 240; SáCouto / Cleary, S. 87; WCRO (February 2009), S. 32. Siehe auch DRC Notification, ICC-01 / 04-439, o. Fn. 1281, Rn. 35; Uganda Notification, ICC-02 / 04-114, o. Fn. 1281, Rn. 35. Offengelassen von di Giovanni, S. 46. 2179 Lasco, S. 21; Stefanie Bock (2007c), S. 678. Siehe auch DRC Notification, ICC-01 / 04-439, o. Fn. 1281, Rn. 35; Uganda Notification, ICC-02 / 04-114, o. Fn. 1281, Rn. 35; Victims Compensations and Participation, Judges’ Report of 13 September 2000, 6. 2180 Siehe auch VRWG (February 2005), S. 11. So auch der Ansatz der Sierra Leone Truth and Reconciliation Commission, Report Volume II (2004), Chapter 4 Rn. 54. Anders hingegen die Truth and Reconciliation Commission of South Africa. Diese konnte nur Opfern, die als Zeugen ausgesagt haben, Wiedergutmachung zusprechen, siehe Report of the Truth and Reconciliation Commission of South Africa (2003), Section II Chapter VII Rn. 16. 2181 Siehe schon oben Teil 5 D. II. 2182 Victims Compensations and Participation, Judges’ Report of 13 September 2000, 11. Im Zusammenhang mit dem Treuhandfonds so auch AI, IOR 40 / 005 / 2001, S. 11. 2183 Siehe Standard Application Form for Reparations Before the International Criminal Court for victims which are Organizations or Institutions, Form Reparations-2 sowie Rule 85 lit. b). 2184 Siehe hierzu auch Shelton (1999), S. 8 – 9; Bassiouni (2008 f.), S. 665.

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Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

Prozessbeteiligte – werden typischerweise auch Kenntnis von der Wiedergutmachungsmöglichkeit erlangen. Etwas anderes gilt aber für die Opfer, die sich in ihrem Heimatstaat oder auf der Flucht befinden. Diese nicht zu informieren hieße, sie vom Wiedergutmachungsverfahren auszuschließen. Die Antragsberechtigung würde faktisch an eine Verfahrensbeteiligung geknüpft. Um dies zu verhindern, verpflichtet Rule 96 Abs. 1 den Kanzler, nach Möglichkeit alle Opfer, interessierte Personen und Staaten über ein bevorstehendes Wiedergutmachungsverfahren in Kenntnis zu setzen. Basierend auf den Ermittlungsergebnissen des Anklägers sind die Wiedergutmachungsverfahren einer möglichst breiten Öffentlichkeit bekannt zu machen. Zu diesem Zweck kann das Gericht auch die betroffenen Mitgliedstaaten und NGOs um Zusammenarbeit ersuchen.2185

2. Proprio-motu-Verfahren Der Grundsatz der Gleichbehandlung der Opfer wird dadurch gestärkt, dass der Gerichtshof in Ausnahmefällen aus eigenem Antrieb Wiedergutmachung gewähren kann.2186 Gedacht ist an Fälle, in denen ein Opfer wegen der großen Entfernung zum Gericht oder fehlender Informationen seine Ansprüche nicht selbst geltend machen kann.2187 Einen Antrag auf Wiedergutmachung zu stellen, setzt einen gewissen Grad an Handlungsfähigkeit, Organisation und Bildung voraus. Die Proprio-motu-Befugnisse ermöglichen es dem Gericht, dafür Sorge zu tragen, dass unabhängig hiervon die bedürftigsten Opfer in den Genuss von Wiedergutmachungsleistungen kommen.2188 Das Proprio-motu-Verfahren ist in Rule 95 ausgestaltet. Der Kanzler soll nach Möglichkeit alle Opfer, interessierte Personen und Staaten darüber in Kenntnis setzen, dass das Gericht plant, eine Wiedergutmachungsanordnung gegen eine bestimmte Person zu erlassen. Die auf diese Weise informierten Opfer können gemäß Rule 95 Abs. 2 entweder einen Antrag auf Wiedergutmachung stellen oder auf Wiedergutmachung verzichten. Im ersten Fall wird es genauso behandelt, als hätte es aus eigenem Antrieb Wiedergutmachung beantragt. Lehnt das Opfer Reparationen ab, so ist dies für den Gerichtshof bindend. Er kann keinem Opfer Wiedergutmachung gegen dessen Willen zusprechen.2189 Auf diese Weise wird der zivilrechtlichen Natur der Wiedergutmachungsansprüche Rechnung getragen.2190 Wenn ein Zivilgericht dem Opfer einer Straftat nur auf dessen Antrag hin Schadenersatz Rule 96 Abs. 2. Möller (2003), S. 601; Stefanie Bock (2007c), S. 678. 2187 Jorda / de Hemptinne, S. 1407; Victims Compensations and Participation, Judges’ Report of 13 September 2000, 4; de Brouwer, S. 222; Stefanie Bock (2007c), S. 678; Zegveld (2010b), S. 88. 2188 De Greiff, S. 458; Walleyn, S. 7. Siehe auch de Greiff / Wierda, S. 233. 2189 Lewis / Friman, S. 481. 2190 Lewis / Friman, S. 481. Siehe auch Muttukumaru, S. 309. 2185 2186

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zusprechen kann, so soll dies auch im Verfahren vor dem IStGH gelten. Damit wird die Autonomie der Opfer gewahrt. Ziehen sie es vor, sich nicht mehr mit den erlittenen Taten auseinanderzusetzen, fürchten sie das gerichtliche Verfahren oder wollen sie kein „Blutgeld“ annehmen, so ist dies zu akzeptieren.2191 Eine aufgedrängte Wiedergutmachung wäre zudem sinnlos. Das Opfer würde sie nur als Belastung oder Bevormundung empfinden. Positive Effekte wären hiermit nicht verbunden. Das Widerspruchsrecht des Opfers bezieht sich allerdings nur auf individuelle Reparationsleistungen. Wiedergutmachungsmaßnahmen auf kollektiver Basis2192 kann es nicht verhindern.2193 3. Notwendigkeit von Selektionsprozessen Der Verzicht, die Antragsberechtigung zu begrenzen, ist mit einem erheblichen faktischen Problem verbunden. Allen Opfern eines Makroverbrechens angemessen und umfassend Wiedergutmachung zu leisten, erscheint ausgeschlossen. Selektionsprozesse sind unvermeidlich.2194 Verzichtet man darauf, bereits den Kreis der Antragsberechtigen zu beschränken, wird man dies nahezu zwangsläufig auf späteren Ebenen – sei es beim Umfang des Schadenersatzes,2195 sei es bei der Art der zu kompensierenden Schäden2196 – ausgleichen müssen.

II. Die Arten der Wiedergutmachung In Art. 75 IStGH-Statut sind als Formen der Wiedergutmachung Rückerstattung, Entschädigung und Rehabilitierung explizit aufgeführt. Dieser Katalog ist nicht abschließend. Es steht dem Gerichtshof frei, den Opfern auch andere Wiedergutmachungsleistungen zuzusprechen. In den van-Boven-Principles sind die verschiedenen Wiedergutmachungsarten detailliert ausgearbeitet. Aufgrund des engen Entstehungs- und Regelungszusammenhangs kann bei der Auslegung von Art. 75 IStGH-Statut auch auf die van-Boven-Principles zurückgegriffen werden.2197 2191 Siehe auch Lewis / Friman, S. 481; Roht-Arriaza (2004), S. 180; Hamber (2005), S. 139; Mani, S. 77; Schotsmans, S. 131 sowie das Beispiel bei Guembe, S. 47. 2192 Siehe hierzu unten Teil 5 F. III. 2. 2193 Timm, S. 303. 2194 Pict, S. 19; Redress (December 2003), S. 3. Siehe auch Report of the Sierra Leone Truth and Reconciliation Commission, Volume II (2004), Chapter 4 Rn. 56; Tomuschat (2005b), S. 162; Mani, S. 79; Shelton (2005), S. 31. 2195 Siehe auch Taylor, S. 3. 2196 So der Ansatz der Sierra Leone Truth and Reconciliation Commission, Report Volume II (2004), Chapter 4 Rn. 58. Zur Entschädigung von Opfern des NS-Regime durch Schweizer Banken auch van der Auweraer, S. 572; Reig, S. 3. Siehe auch Falk, S. 492. 2197 Timm, S. 303. Siehe auch Redress (2001), S. 19; Rombouts / Sardaro / Vandeginste, Rn. 137 sowie oben Teil 3 B.

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1. Rückerstattung Im Zuge der Rückerstattung soll der Zustand wiederhergestellt werden, der vor den völkerrechtlichen Verbrechen bestand.2198 Dies ist insbesondere bei Eigentums- und Vermögensdelikten naheliegend. Gestohlene oder auf sonstige Weise entzogene Güter werden dem (ehemaligen) Eigentümer zurückgewährt.2199 Der Anwendungsbereich der Rückerstattung ist aber nicht auf materielle Schäden begrenzt. Diese Wiedergutmachungsform kommt beispielsweise auch bei Vertreibungen in Betracht. Der ursprüngliche Zustand wird dadurch wiederhergestellt, dass den Opfern die Rückkehr in ihre Heimat ermöglicht wird.2200 Dem Pflichtigen können beispielsweise die Kosten für eine Rückführung der Vertriebenen auferlegt werden. In den van-Boven-Principles sind exemplarisch2201 weitere Anwendungsfälle wie die Wiederherstellung der Freiheit, der Identität und des Familienlebens aufgeführt.2202 2. Entschädigung Entschädigung ist bei allen Tatfolgen möglich, die durch Geldleistungen ausgleichbar sind.2203 Dies sind nach Nr. 20 der van-Boven-Principles zunächst alle materiellen Schäden und Vermögenseinbußen2204 einschließlich der aus der Tat resultierende Einkommensminderungen und -ausfälle2205. Fällt in Folge der Straf2198 Nr. 19 der van-Boven-Principles. Siehe auch AI, IOR 49 / 19 / 99, S. 36; Shelton (1999), S. 7; dies. (2005), S. 22; Report of the Truth and Reconciliation Commission of South Africa (2003), Section II Chapter I Rn. 8; Nowak (2005a), S. 245; Carrillo, S. 512; de Greiff, S. 453; Redress (March 2006), S. 34; Abo Youssef, S. 166. 2199 Case of the Sawhoyamaxa Indigenous Community v. Paraguay (Merits, Reparations and Costs), IACHR, 29. 3. 2006, Rn. 210; Report of the International Commission of Inquiry on Darfur of 25 January 2005, Rn. 599; Timm, S. 303; Safferling (2003a), S. 379; Mani, S. 76; Rombouts / Vandeginste, S. 328; Shelton (2005), S. 22; Authers, S. 83; Guerrero, S. 3. Siehe auch Nr. 19 der van-Boven-Principles. 2200 Siehe auch Redress (March 2006), S. 34. In Chile wurde zu diesem Zweck extra ein National Office for Returning Exils gegründet. Dies soll Menschen, die während der Militärdiktatur von 1973 – 1990 ins Ausland geflohen sind, die Rückkehr nach Chile ermöglichen. Siehe hierzu Lira, S. 72 – 74. 2201 Redress (March 2006), S. 34. 2202 Nr. 19 der van-Boven-Principles. Siehe hierzu auch Dwertmann, S. 129 ff. 2203 Shelton (1999), S. 7; Safferling (2003a), S. 379; Nowak (2005a), S. 282; Redress (March 2006), S. 35. 2204 Siehe auch Case of Bueno-Alves v. Argentina (Merits, Reparations, and Costs), IACHR, 11. 5. 2007, Rn. 135; Mehmet Blentic´ v. Republika Srpska, HRCBH, CH / 96 / 17, 14. 7. 1998, Rn. 10; Ivica Keveševic´ v. the Federation of Bosnia and Herzigovina, HRCBH, CH / 97 / 46, 24. 8. 1999, Rn. 15. 2205 Nr. 20 van-Boven-Principle. Siehe auch Case of Garrido and Baigorria, IACHR, 27. 9. 1998, Rn. 41; Case of Suárez-Rosero v. Ecuador (Reparations and Costs), IACHR, 20. 1. 1999, Rn. 59; Case of the „White Van“ (Paniagua-Morales et al.) v. Guatemala (Repa-

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tat der Ernährer einer Familie aus, kommt eine Entschädigung der Angehörigen durch Rentenzahlung in Betracht.2206 Physische, psychische und moralische Schäden können durch die Zahlung von Schmerzensgeld kompensiert werden.2207 Insbesondere bei der Entschädigung drängt sich die Frage auf, ob Wiedergutmachung bei völkerrechtlichen Verbrechen überhaupt möglich ist. Die erlittenen Verletzungen sind so schwerwiegend, dass deren Kompensation bereits aufgrund der Natur der Taten ausgeschlossen zu sein scheint.2208 Wie sollen monatelange Folter, mehrfache Vergewaltigungen oder die Ermordung von Kindern im Beisein ihrer Eltern entschädigt werden? Auch wenn sich insbesondere die seelischen Verletzunrations and Cost), IACHR, 25. 5. 2001, Rn. 118; Case of the „Street Children“ (VillagránMorales et al.) v. Guatemala (Reparations and Costs), IACHR, 26. 5. 2001, Rn. 79; Case of the Caracazo v. Venezuela (Reparations and Costs), IACHR, 29. 8. 2002, Rn. 88; Case of Bulacio v. Argentina (Merits, Reparations and Costs), IACHR, 18. 9. 2003, Rn. 85; Case of Myrna Mack Chang v. Guatemala (Merits, Reparations and Costs), IACHR, 25. 11. 2003, Rn. 250; Case of Tibi v. Ecuador, Preliminary Objections (Merits, Reparations and Costs), IACHR, 7. 9. 2004, Rn. 235; Case of Bueno-Alves v. Argentina (Merits, Reparations, and Costs), IACHR, 11. 5. 2007, Rn. 138; Case of the Rochela Massacre v. Colombia (Merits, Reparations and Costs), IACHR, 11. 5. 2007, Rn. 245; Case of Chaparro Álvarzez and Lapo Íníòiguez v. Ecuador (Preliminary Objections, Merits, Reparations, and Costs), IACHR, 21. 11. 2007, Rn. 235; Case of Bayarri v. Argentina (Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs), IACHR 30. 10. 2008, Rn. 149; Case of Valle Jaramillo et al. v. Colombia (Merits, Reparations and Costs), IACHR 27. 11. 2008, Rn. 216; Case of Kawas-Fernández v. Honduras (Merits, Reparations and Costs), IACHR 3. 4. 2009, Rn. 174 ff.; Case of Anzualdo Castro v. Peru (Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs), IACHR 22. 9. 2009, Rn. 214; Case of González et al. („Cotton Field“) v. Mexico (Preliminary Objection, Merits, Reparations, and Costs), IACHR 16. 11. 2009, Rn. 577; Case of Young, James and Webster v. The United Kingdom, Judgement, ECHR, 7601 / 76; 7806 / 77 18. 10. 1982, Rn. 10 – 11; Peter G. Fischer, S. 235; Rombouts / Sardaro / Vandeginste, Rn. 49 sowie Report of the Sierra Leone Truth and Reconciliation Commission, Volume II (2004), Chapter 4 Rn. 68. 2206 Siehe Roht-Arriaza (2004), S. 158; Guembe, S. 25; Lira, S. 59. 2207 Safferling (2003a), S. 379; Redress (March 2006), S. 35; Stefanie Bock (2007c), S. 678. Siehe auch Case of Garrido and Baigorria, IACHR, 27. 9. 1998, Rn. 41; Case of Bámaca Velásquez v. Guatemala (Reparations and Costs), IACHR, 22. 2. 2002, Rn. 56; Case of Maitza Urrutia v. Guatemala (Merits, Reparations and Costs), IACHR, 27. 11. 2003, Rn. 162; Case of the Rochela Massacre v. Colombia (Merits, Reparations and Costs), IACHR, 11. 5. 2007, Rn. 254; Papamichalopoulos and Others v. Greece (Article 50), Judgement, ECHR, 14556 / 89, 31. 10. 1995, Rn. 41; Case of Bayarri v. Argentina (Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs), IACHR 30. 10. 2008, Rn. 164; Case of Ríos et al. v. Venezuela (Preliminary Objections, Merits, Reparations, and Costs), IACHR 28. 1. 2009, Rn. 396; Case of Perozo et al. v. Venezuela (Preliminary Objections, Merits, Reparations, and Costs), IACHR 28. 1. 2009, Rn. 405; Stretko Damjanovic´ v. The Federation of Bosnia and Herzigovina, HRCBH, CH / 96 / 30, 16. 3. 1998, Rn. 32; M. J. v. Republika Srpska, HRCBH, CH / 96 / 28 ,14. 10. 1998, Rn. 20; Ivica Keveševic´ v. The Federation of Bosnia and Herzigovina, HRCBH, CH / 97 / 46, 24. 8. 1999, Rn. 20; Rombouts / Vandeginste, S. 329; de Greiff, S. 452; Abo Youssef, S. 169. Vertiefend Dwertmann, S. 136 f. 2208 van Boven, E / CN.4 / Sub.2 / 1993 / 8, Rn. 131; Report of the Truth and Reconciliation Commission of South Africa (2003), Section II Chapter VII Rn. 6; Roht-Arriaza (2004), S. 158; Mani, S. 77. Siehe auch Hamber (2005), S. 135; ders. (2006), S. 567; Schotsmans, S. 129; Torpey, S. 46; Malamud-Goti / Grosman, S. 542; Nathan, S. 1.

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gen nicht kompensieren oder ungeschehen machen lassen, können die Tatfolgen immerhin gemildert oder erträglicher gemacht werden.2209 Dabei spielt die symbolische Funktion der Wiedergutmachung eine entscheidende Rolle: die Taten werden als Unrecht anerkannt, der Täter bekennt sich konkludent durch die Zahlung zu seiner Verantwortlichkeit.2210 Die hiermit verbundene Genugtuung kann dem Opfer bei der Bewältigung der Tatfolgen helfen.2211 Generell gilt, dass die Schwierigkeiten, die mit der Etablierung eines Wiedergutmachungssystems für die core crimes verbunden sind, nicht dazu verleiten dürfen, vor ihnen zu kapitulieren. Vielmehr muss versucht werden, den Rechten der Opfer soweit wie möglich Geltung zu verschaffen.2212

3. Rehabilitierung Wiedergutmachung durch Rehabilitierung erfasst alle Maßnahmen, die dem Opfer bei der Überwindung der Straftatfolgen helfen. Zu denken ist vor allem an medizinische und psychologische Behandlungen,2213 aber auch an rechtliche Beratung2214.

2209 Kiefl / Sieger, S. 266; Hamber (2005), S. 136 – 137; Schotsmans, S. 133. Siehe auch Case of Bámaca Velásquez v. Guatemala (Reparations and Costs), IACHR, 22. 2. 2002, Rn. 40; Redress (March 2006), S. 35. 2210 Siehe oben Teil 3 A. VI. 2211 Kiefl / Sieger, S. 266. 2212 Siehe auch Van Boven, E / CN.4 / Sub.2 / 1993 / 8, Rn. 131; Report of the Truth and Reconciliation Commission of South Africa (2003), Section II Chapter VII Rn. 8; de Greiff, S. 459; Malamud-Goti / Grosman, S. 542. 2213 Nr. 22 der van-Boven-Principles. Siehe auch Case of the Plan de Sánches Massacre v. Guatemala (Reparations), IACHR, 19. 11. 2004, Rn. 107 – 108; Caso de las Hermanas Serrano Cruz v. El Salvador (Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR, 1. 3. 2005, Rn. 189 – 193; Case of Heliodoro Portugal v. Panama (Preliminary objections, Merits, Reparations and Costs), IACHR 12. 8. 2008, Rn. 254 ff.; Case of Ticona Estrada et al. v. Bolivia (Merits, Reparations and Costs), IACHR 21. 11. 2008, Rn. 168; Case of Anzualdo Castro v. Peru (Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs), IACHR 22. 9. 2009, Rn. 203; Case of González et al. („Cotton Field“) v. Mexico (Preliminary Objection, Merits, Reparations, and Costs), IACHR 16. 11. 2009, Rn. 544 ff.; Case of the „Las Dos Erres“ Massacre v. Guatemala (Preliminary Objections, Merits, Reparations, and Costs), IACHR 24. 11. 2009, Rn. 270; Report of the Truth and Reconciliation Commission of South Africa (2003), Section II Chapter I Rn. 8; Report of the Sierra Leone Truth and Reconciliation Commission, Volume II (2004), Chapter 4 Rn. 24; Roht-Arriaza (2004), S. 158; Nowak (2005a), S. 282; Rombouts / Vandeginste, S. 332; Redress (March 2006), S. 36; Carrillo, S. 512 Abo Youssef, S. 169. 2214 Nr. 22 der van-Boven-Principles. Siehe auch Nowak (2005a), S. 282.

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4. Genugtuung Genugtuung ist eine immaterielle Form der Wiedergutmachung.2215 Erfasst sind u. a. Projekte, die der Wahrheitsfindung und -dokumentierung2216 dienen oder die – wie Gedenkfeierlichkeiten 2217 oder Denkmäler2218 – das Andenken an die Opfer wahren2219. Solche symbolischen Wiedergutmachungsleistungen dienen der Anerkennung des begangenen Unrechts und bringen Respekt vor den Opfern zum Ausdruck.2220 Sie können für die Opfer sogar bedeutsamer sein als materielle Kompensation.2221 Gleichzeitig haben sie Auswirkungen auf die gesamte Gesellschaft. Wenn den Opfern gedacht wird, wird gleichzeitig verhindert, dass die begangenen Verbrechen in Vergessenheit geraten. Solche Genugtuungsmaßnahmen sind damit eine Mahnung an die Gesellschaft, dass sie solche Verbrechen nie wieder geschehen lässt.2222 Auch die Veröffentlichung des Strafurteils des IStGH kann eine Redress (March 2006), S. 38. Nr. 22 der van-Boven-Principles. Siehe auch Case of Molina-Theissen v. Guatemala (Reparations and Costs), IACHR, 3. 7. 2004, Rn. 74; Shelton (2005), S. 23; Nowak (2005a), S. 282; Redress (March 2006), S. 38. 2217 Case of González et al. („Cotton Field“) v. Mexico (Preliminary Objection, Merits, Reparations, and Costs), IACHR 16. 11. 2009, Rn. 469; Case of the „Las Dos Erres“ Massacre v. Guatemala (Preliminary Objections, Merits, Reparations, and Costs), IACHR 24. 11. 2009, Rn. 262; Report of the Sierra Leone Truth and Reconciliation Commission, Volume II (2004), Chapter 4 Rn. 198; Roht-Arriaza (2004), S. 159 Rombouts / Vandeginste, S. 334; Rombouts / Sardaro / Vandeginste, Rn. 159; Fannah, S. 10. Siehe auch Segovia (2006a), S. 156. 2218 Case of González et al. („Cotton Field“) v. Mexico (Preliminary Objection, Merits, Reparations, and Costs), IACHR 16. 11. 2009, Rn. 472; Case of the „Las Dos Erres“ Massacre v. Guatemala (Preliminary Objections, Merits, Reparations, and Costs), IACHR 24. 11. 2009, Rn. 265; Report of the Truth and Reconciliation Commission of South Africa (2003), Section II Chapter I Rn. 14; Report of the Sierra Leone Truth and Reconciliation Commission, Volume II (2004), Chapter 4 Rn. 26. Siehe auch Timm, S. 304; Roht-Arriaza (2004), S. 159; David, S. 7; Segovia (2006a), S. 156; Fannah, S. 10 sowie Case of Heliodoro Portugal v. Panama (Preliminary objections, Merits, Reparations and Costs), IACHR 12. 8. 2008, Rn. 250 ff.; Case of Ticona Estrada et al. v. Bolivia (Merits, Reparations and Costs), IACHR 21. 11. 2008, Rn. 164. 2219 Case of Molina-Theissen v. Guatemala (Reparations and Costs), IACHR, 3. 7. 2004, Rn. 88; Caso Baldeón García v. Perú (Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR, 6. 4. 2006, Rn. 205; Caso Vargas Areco v. Paraguay (Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR, 26. 9. 2006, Rn. 157; Report of the Sierra Leone Truth and Reconciliation Commission, Volume II (2004), Chapter 4 Rn. 26; Rombouts / Sardaro / Vandeginste, Rn. 159. Siehe auch van der Auweraer, S. 575; Guembe, S. 45. 2220 Report of the Sierra Leone Truth and Reconciliation Commission, Volume II (2004), Chapter 4 Rn. 26. Siehe auch Segovia (2006a), S. 156. 2221 Roht-Arriaza (2004), S. 159; Cano / Salvao Ferreira, S. 133; Hamber (2006), S. 567; Triffterer(-Donat-Cattin), Art. 75 IStGH-Statut Rn. 13; Bassiouni (2008 f.), S. 657. Siehe auch Case of Anzualdo Castro v. Peru (Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs), IACHR 22. 9. 2009, Rn. 218; Safferling (2010), S. 102. 2222 Report of the Sierra Leone Truth and Reconciliation Commission, Volume II (2004), Chapter 4 Rn. 26; Hamber (2006), S. 567; Rombouts / Sardaro / Vandeginste, Rn. 159. Siehe 2215 2216

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Genugtuung für die Opfer sein.2223 Völkerrechtliche Verbrechen sind regelmäßig mit einer Diffamierung, Erniedrigung und Entwürdigung des Opfers verbunden. auch Case of González et al. („Cotton Field“) v. Mexico (Preliminary Objection, Merits, Reparations, and Costs), IACHR 16. 11. 2009, Rn. 469. 2223 Siehe auch Caso Durand Ugarte v. Perú (Reparaciones y Costas), IACHR, 3. 12. 2001, Rn. 39; Case of Bámaca Velásquez v. Guatemala (Reparations and Costs), IACHR, 22. 2. 2002, Rn. 84; Case of Myrna Mack Chang v. Guatemala (Merits, Reparations and Costs), IACHR, 25. 11. 2003, Rn. 280; Case of Molina-Theissen v. Guatemala (Reparations and Costs), IACHR, 3. 7. 2004, Rn. 86; Caso de los Hermanos Gómez Paquiyauri v. Perú (Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR, 8. 7. 2004, Rn. 234; Case of Ricardo Canese v. Paraguay (Merits, Reparations and Costs), IACHR, 31. 8. 2004, Rn. 209; Case of Tibi v. Ecuador (Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs), IACHR, 7. 9. 2004, Rn. 260; Caso De la Cruz Flores v. Perú (Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR, 18. 11. 2004, Rn. 173; Case of the Plan de Sánches Massacre v. Guatemala (Reparations) IACHR, 19. 11. 2004, Rn. 102 – 103; Caso de las Hermanas Serrano Cruz v. El Salvador (Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR, 1. 3. 2005, Rn. 195; Caso Huilca Tecse v. Perú (Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR, 3. 3. 2005, Rn. 112; Case of the Yakye Axa Indigenous Community v. Paraguay (Merits, Reparations and Costs), IACHR, 17. 6. 2005, Rn. 227; Caso Yatama v. Nicaragua (Excepciones Preliminares, Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR, 23. 6. 2005, Rn. 252 – 253; Case of Acosta-Calderón v. Ecuador (Merits, Reparations and Costs), IACHR, 24. 6. 2005, Rn. 164; Caso de las Nin´as Yean y Bosico v. República Dominicana (Excepciones Preliminares, Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR, 8. 9. 2005, Rn. 234; Caso Gutiérrez Soler v. Colombia (Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR, 12. 9. 2005, Rn. 104; Caso de la „Masacre de Mapiripán“ v. Colombia (Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR, 15. 9. 2005, Rn. 318; Caso Palamara Iribarne v. Chile (Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR, 22. 11. 2005, Rn. 252; Caso Gómez Palomino v. Perú (Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR, 22. 11. 2005, Rn. 142; Caso García Asto y Ramírez Rojas v. Peru (Excepción Preliminar, Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR, 25. 11. 2005, Rn. 282; Case of Blanco-Romero et al v. Venezuela (Merits, Reparations and Costs), IACHR, 28. 11. 2005, Rn. 100; Caso Masacre de Pueblo Bello v. Colombia (Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR, 31. 1. 2006, Rn. 279; Caso Acevedo Jaramillo y otros v. Perú (Excepciones Preliminares, Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR, 2. 2. 2006, Rn. 313; Case of the Sawhoyamaxa Indigenous Community v. Paraguay (Merits, Reparations and Costs), IACHR, 29. 3. 2006, Rn. 236; Caso Baldeón García v. Perú (Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR, 6. 4. 2006, Rn. 194; Case of the Ituango Massacres v. Colombia (Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs), IACHR, 1. 7. 2006, Rn. 410; Caso Ximenes Lopes v. Brasil (Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR, 4. 7. 2006, Rn. 249; Case of Montero-Aranguren et al. (Detention Center of Catia) v. Venezuela, IACHR, 5. 7. 2006, Rn. 151; Caso Servellón García y otros v. Hondura (Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR, 21. 9. 2006, Rn. 162; Caso del Penal Miguel Castro Castro v. Perú (Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR, 25. 11. 2006, Rn. 446; Caso La Cantuta v. Perú (Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR, 29. 11. 2006, Rn. 237; Case of Bueno-Alves v. Argentina (Merits, Reparations, and Costs), IACHR, 11. 5. 2007, Rn. 215; Case of Escué-Zapata v. Colombia (Merits, Reparations and Costs), IACHR, 5. 7. 2007, Rn. 173; Caso Cantoral Huamaní y García Santa Cruz v. Perú (Excepción Preliminar, Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR, 10. 7. 2007, Rn. 195; Case of Chaparro Álvarzez and Lapo Íniguez v. Ecuador (Preliminary Objections, Merits, Reparations, and Costs), IACHR, 21. 11. 2007, Rn. 261 f.; Case of Kimel v. Argentina (Merits, Reparations and Costs), IACHR 2. 5. 2008, Rn. 125; Case of Yvon Neptune v. Haiti (Merits, Reparations and Costs), IACHR 6. 5. 2008, Rn. 180; Case of Apitz Barbera et al. („First Court of Administrative Disputes“) v. Venezuela, IACHR 5. 8. 2008, Rn. 249; Case of Heliodoro Portugal v. Panama (Preliminary objections, Merits, Reparations and Costs), IACHR

F. Wiedergutmachung – Das Opfer als Anspruchsteller

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Wird durch die Verbreitung des Urteils in der Gesellschaft des Opfers und in seinem engeren sozialen Umfeld bekannt, dass die Taten von der internationalen Gemeinschaft als Unrecht geächtet werden, kann auf diese Weise die Ehre und Reputation des Opfers wiederhergestellt werden.2224 Der einzelne Täter kann Genugtuung leisten, indem er entsprechende Projekte finanziell unterstützt. Als Beispiel sei die Geldzahlung an eine nationale NGO genannt, die es sich zur Aufgabe gemacht hat, eine Gedenkstätte für die Opfer eines Genozids zu errichten. Neben diesen projektbezogenen Genugtuungsmaßnahmen kommen aber auch persönliche Leistungen durch den Täter in Betracht. Beispielsweise kann er die Verantwortung für bestimmte Verbrechen übernehmen und die Opfer um Entschuldigung bitten.2225 Dies kann selbst bei schwersten Verbrechen einen entscheidenden Beitrag zur Aussöhnung zwischen Tätern und Opfern leisten.2226 Die hierfür erforderliche Unrechtseinsicht kann allerdings nicht erzwungen werden. Daher sollte der Täter zu einer solchen Wiedergutmachung nicht gegen seinen Willen verpflichtet werden.2227 Dies dient nicht nur dem Schutz seiner Persönlichkeitsrechte. Eine Bitte um Entschuldigung wird die Opfer nur dann zufrieden stellen und es ihnen ermöglichen, dem Täter zumindest in begrenztem Umfang zu vergeben, wenn sie ernst gemeint ist. Anderenfalls würde sie zu einem inhaltsleeren Ritual ohne jedwede friedensstiftende Wirkung verkommen. 12. 8. 2008, Rn. 248; Case of Tiu Tojín v. Guatemala (Merits, Reparations, and Costs), IACHR 26. 11. 2008, Rn. 106; Case of Ticona Estrada et al. v. Bolivia (Merits, Reparations and Costs), IACHR 21. 11. 2008, Rn. 158 ff.; Case of Tristán Donoso v. Panamá (Preliminary Objection, Merits, Reparations, and Costs), IACHR 27. 1. 2009, Rn. 197; Case of Ríos et al. v. Venezuela (Preliminary Objections, Merits, Reparations, and Costs), IACHR 28. 1. 2009, Rn. 405; Case of Perozo et al. v. Venezuela (Preliminary Objections, Merits, Reparations, and Costs), IACHR 28. 1. 2009, Rn. 415; Case of Escher et al. v. Brazil (Preliminary Objections, Merits, Reparations, and Costs), IACHR 6. 7. 2009, Rn. 239; Case of Anzualdo Castro v. Peru (Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs), IACHR 22. 9. 2009, Rn. 194; Case of Garibaldi v. Brazil (Preliminary objections, Merits, Reparations, and Costs), IACHR 23. 9. 2009, Rn. 157; Case of González et al. („Cotton Field“) v. Mexico (Preliminary Objection, Merits, Reparations, and Costs), IACHR 16. 11. 2009, Rn. 468; Case of Usón Ramírez v. Venezuela (Preliminary Objections, Merits, Reparations, and Costs), IACHR 20. 11. 2009, Rn. 221; Case of the „Las Dos Erres“ Massacre v. Guatemala (Preliminary Objections, Merits, Reparations, and Costs), IACHR 24. 11. 2009, Rn. 256; Rombouts / Sardaro / Vandeginste, Rn. 74. 2224 Case of Bámaca Velásquez v. Guatemala (Reparations and Costs), IACHR, 22. 2. 2002, Rn. 84; Case of Molina-Theissen v. Guatemala (Reparations and Costs), IACHR, 3. 7. 2004, Rn. 86; Caso Goiburú y otros v. Paraguay (Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR, 22. 9. 2006, Rn. 175; Caso Vargas Areco v. Paraguay (Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR, 26. 9. 2006, Rn. 164; Case of Zambrano-Vélez et al. v. Ecuador, (Merits, Reparations and Costs), IACHR, 4. 7. 2007, Rn. 151. 2225 Safferling (2003a), S. 379; Nowak (2005a), S. 282; Shelton (2005), S. 23; Redress (March 2006), S. 38; Stefanie Bock (2007c), S. 678; Triffterer(-Donat-Cattin), Art. 75 IStGHStatut Rn. 13. Siehe auch Case of Apitz Barbera et al. („First Court of Administrative Disputes“) v. Venezuela, IACHR 5. 8. 2008, Rn. 247 ff. 2226 David, S. 7; Schotsmans, S. 131. 2227 Siehe auch Triffterer(-Donat-Cattin), Art. 75 IStGH-Statut Rn. 13.

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Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

5. Garantie der Nichtwiederholung In den van-Boven-Principles ist als fünfte Form der Wiedergutmachung die Garantie der Nichtwiederholung aufgeführt.2228 Teilweise wird angenommen, dass Art. 75 IStGH-Statut auch diese Form der Wiedergutmachung erfasst.2229 Verdeutlicht man sich aber deren Inhalt und Ziel, so erscheint dies zweifelhaft.2230 Die Nichtwiederholung von Humanitätsverbrechen kann beispielsweise durch eine zivile Kontrolle des Militärs, durch eine unabhängige Justiz oder durch Gesetzesreformen garantiert werden. Diese Maßnahmen zielen auf Prävention.2231 Der Verantwortliche soll die erforderlichen Schritte einleiten, um zu verhindern, dass sich die Taten in Zukunft wiederholen. Die van-Boven-Principles enthalten insoweit Hinweise an Regierungen, wie eine Politik, die auf die Verhinderung völkerrechtlicher Verbrechen ausgerichtet ist, ausgestaltet werden kann.2232 An dieser Stelle zeigt sich deutlich, dass die Principles, anders als das IStGH-Statut, vorrangig die Verantwortlichkeit von Staaten und nicht von Individuen regeln. Da die völkerrechtlichen Verbrechen typischerweise durch den Staat, mit seiner Unterstützung oder Billigung begangen werden, verlieren viele Opfer den Glauben in die öffentliche Hand.2233 Wiedergutmachung kann in diesen Fällen nur dann die Grundlage für einen gesellschaftlichen Neuanfang bilden, wenn es gelingt, das zerstörte Vertrauen der Opfer zumindest in Teilen wiederherzustellen. Der Staat muss die Opfer davon überzeugen, dass er willens und in der Lage ist, vergleichbare Verbrechen in Zukunft zu verhindern.2234 Nur dann kann bei den Opfern das für soziale und gesellschaftliche Interaktionen notwendige Sicherheitsgefühl geweckt werden. Es geht, um mit Maslow zu sprechen,2235 um die Befriedigung der Bedürfnisse der Nr. 23 der van-Boven-Principles. So AI, IOR 40 / 005 / 2001, S. 4; dies., IOR 49 / 19 / 99, S. 35; Boyle, S. 312 sowie Lubanga Conclusions, ICC-01 / 04-01 / 06-964, o. Fn. 2029, Rn. 7. 2230 Siehe auch Abo Youssef, S. 163. 2231 Redress (March 2006), S. 40. 2232 Tomuschat (2005b), S. 164. Siehe beispielsweise Case of Yvon Neptune v. Haiti (Merits, Reparations and Costs), IACHR 6. 5. 2008, Rn. 171 ff.; Case of Castaòeda Gutman v. México (Preliminary objections, merits, reparations and costs), IACHR 6. 8. 2008, Rn. 227 ff.; Case of Heliodoro Portugal v. Panama (Preliminary objections, Merits, Reparations and Costs), IACHR 12. 8. 2008, Rn. 257 ff.; Case of Ticona Estrada et al. v. Bolivia (Merits, Reparations and Costs), IACHR 21. 11. 2008, Rn. 170 ff.; Case of Tristán Donoso v. Panamá (Preliminary Objection, Merits, Reparations, and Costs), IACHR 27. 1. 2009, Rn. 204 ff.; Case of Dacosta Cadogan v. Barbados (Preliminary Objections, Merits, Reparations, and Costs), IACHR 24. 9. 2009, Rn. 101 ff.; Case of González et al. („Cotton Field“) v. Mexico (Preliminary Objection, Merits, Reparations, and Costs), IACHR 16. 11. 2009, Rn. 474 ff. 2233 Siehe Report of the Sierra Leone Truth and Reconciliation Commission, Volume II (2004), Chapter 4 Rn. 47 sowie Shelton (1999), S. 7. 2234 Report of the Sierra Leone Truth and Reconciliation Commission, Volume II (2004), Chapter 4 Rn. 49; de Greiff, S. 462 – 464. 2235 Siehe oben Teil 2 A. I. 3. a). 2228 2229

F. Wiedergutmachung – Das Opfer als Anspruchsteller

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ersten und zweiten Stufe, also um die Wiederherstellung der Pyramidenbasis. Durch die Garantie der Nichtwiederholung kann der Staat hierzu einen entscheidenden Beitrag leisten. Ein einzelner Täter – selbst wenn er der ehemalige Staatschef ist – ist hierzu nicht (mehr) in der Lage.2236 Denkbar wäre zwar auch hier, den Täter zu verpflichten, Organisationen, die beispielsweise auf eine Reform diskriminierender Gesetze hinwirken, finanziell zu unterstützen. Das Verfahren vor dem IStGH zielt aber auf die Aufklärung und Ahndung bestimmter Taten. Auf diese sollte sich auch die Wiedergutmachungsanordnung beziehen. Ist der Bezug zum Einzelfall, zur konkreten Verletzung und zum konkreten Opfer bereits bei den Genugtuungsmaßnahmen teilweise nur schwach ausgeprägt, fehlt er bei der Garantie der Nichtwiederholung völlig.2237 Sie werden daher auch von den Opfern überwiegend nicht als Wiedergutmachung angesehen werden.2238

6. Zusammenfassung Art. 75 IStGH-Statut enthält keine Begrenzung auf bestimmte Wiedergutmachungsformen. Dem Gericht wird es dadurch ermöglicht, den Besonderheiten des Einzelfalls umfassend Rechnung zu tragen. Die Verluste, Verletzungen und emotionalen Schädigungen, die die Opfer völkerrechtlicher Verbrechen erlitten haben, sind allerdings in den meisten Fällen so schwerwiegend, dass eine Entschädigung im engeren Sinne ausgeschlossen ist. Von besonderer Bedeutung sind daher symbolische Wiedergutmachungsakte. Dokumentation des Unrechts, Wahrung des Andenkens der Opfer und Klärung von Verantwortlichkeit sind zentrale Anliegen der Geschädigten. Die Wiedergutmachung nach Art. 75 IStGH-Statut schafft eine weitere Ebene, um diesen Bedürfnissen gerecht zu werden. Dem Pflichtigen darf allerdings keine Unmöglichkeit auferlegt werden. Daher wird typischerweise Wiedergutmachung in Form der Garantie der Nichtwiederholung nicht in Betracht kommen. Auch wenn solche Maßnahmen für die gesellschaftliche Krisenbewältigung wünschenswert und sinnvoll sind, müssen die Grenzen dessen, was im Verfahren vor dem IStGH erreicht werden kann, beachtet werden. An dieser Stelle sei aber nochmals betont, dass das IStGH-Statut die Verantwortlichkeit der Staaten nicht berührt. Es ist ihre Aufgabe, für eine über Art. 75 IStGH-Statut hinausgehende Wiedergutmachung Sorge zu tragen. Ebenso wie das Ziel, Straflosigkeit für die schwersten Verbrechen zu beenden, nur in Zusammenarbeit mit den Nationalstaaten erreicht werden kann, können auch die Wiedergutmachungsanordnungen des IStGH nur Teil eines Gesamtkonzepts sein.

2236 2237 2238

Timm, S. 303. Tomuschat (2005b), S. 164; de Greiff, S. 470. Schotsmans, S. 132; de Greiff, S. 470.

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Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

III. Adressat der Wiedergutmachung Das Gericht kann gemäß Rule 97 Abs. 1 die Wiedergutmachung auf individueller oder kollektiver Basis zusprechen.

1. Wiedergutmachung auf individueller Basis Wird individuelle Wiedergutmachung gewährt, kommt die Leistung unmittelbar einem bestimmten Opfer zugute. Ausgangspunkt zur Ermittlung des Anspruchsumfangs ist der Grundsatz der restitutio in integrum.2239 Ziel ist die Wiederherstellung des ursprünglichen Zustands, der vor der Tat bestand. Sofern dies nicht möglich ist, ist ein angemessenes Schmerzensgeld zu zahlen.2240 Es erscheint al2239 Papamichalopoulos and Others v. Greece (Article 50), Judgement, ECHR, 14556 / 89, 31. 10. 1995, Rn. 34; Weigend (1990), S. 21; Wierda / de Greiff, S. 1; Rombouts / Sardaro / Vandeginste, Rn. 62; Schabas (2005b), S. 299; de Greiff, S. 455. 2240 Siehe Caso Neira Alegría y otros v. Perú (Reparaciones y Costas), IACHR, 19. 9. 1996, Rn. 38; Caso del Tribunal Constitucional v. Perú (Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR, 31. 1. 2001, Rn. 119; Caso Baena Ricardo y otros v. Panamá (Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR, 2. 2. 2001, Rn. 202; Caso Ivcher Bronstein v. Perú (Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR, 6. 2. 2001, Rn. 178; Case of the „White Van“ (Paniagua-Morales et al.) v. Guatemala (Reparations and Cost), IACHR, 25. 5. 2001, Rn. 76; Case of the „Street Children“ (Villagrán-Morales et al.) v. Guatemala (Reparations and Costs), IACHR, 26. 5. 2001, Rn. 60; Caso Cesti Hurtado v. Perú (Reparaciones y Costas), IACHR, 31. 5. 2001, Rn. 33; Caso Barrios Altos v. Perú (Reparaciones y Costas), IACHR, 30. 11. 2001, Rn. 25; Caso Cantoral Benavides v. Perú (Reparaciones y Costas), IACHR, 3. 12. 2001, Rn. 41; Caso Durand Ugarte v. Perú (Reparaciones y Costas), IACHR, 3. 12. 2001, Rn. 24; Case of Bámaca Velásquez v. Guatemala (Reparations and Costs), IACHR, 22. 2. 2002, Rn. 39; Caso Trujillo Oroza v. Bolivia (Reparaciones y Costas), IACHR, 27. 2. 2002, Rn. 61; Caso Hilaire, Constantine y Benjamin y otros v. Trinidad y Tobago (Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR, 21. 6. 2002, Rn. 203; Case of the Caracazo v. Venezuela (Reparations and Costs), IACHR, 29. 8. 2002, Rn. 77; Caso Juan Humberto Sánchez v. Hondura, (Excepción Preliminar, Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR, 7. 6. 2003, Rn. 149; Case of Bulacio v. Argentina (Merits, Reparations and Costs), IACHR, 18. 9. 2003, Rn. 72; Caso Herrera Ulloa v. Costa Rica (Excepciones Preliminares, Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR, 2. 7. 2004, Rn. 192; Case of Molina-Theissen v. Guatemala (Reparations and Costs), IACHR, 3. 7. 2004, Rn. 42; Caso de los Hermanos Gómez Paquiyauri v. Perú (Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR, 8. 7. 2004, Rn. 189; Case of Ricardo Canese v. Paraguay (Merits, Reparations and Costs), IACHR, 31. 8. 2004, Rn. 194; Caso De la Cruz Flores v. Perú (Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR, 18. 11. 2004, Rn. 140; Case of the Plan de Sánches Massacre v. Guatemala (Reparations), IACHR, 19. 11. 2004, Rn. 53; Case of the „Juvenile Reeducation Institute“ v. Paraguay (Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs), IACHR, 2. 9. 2004, Rn. 259; Case of Tibi v. Ecuador (Preliminary Objections, Merits, Reparations and Costs), IACHR, 7. 9. 2004, Rn. 224; Caso de las Hermanas Serrano Cruz v. El Salvador, (Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR, 1. 3. 2005, Rn. 135; CasoHuilca Tecse v. Perú (Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR, 3. 3. 2005, Rn. 88; Caso de la Comunidad Moiwana v. Suriname (Excepciones Preliminares, Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR, 15. 6. 2005, Rn. 170; Case of the Yakye Axa Indigenous Community v. Paraguay (Merits, Reparations and Costs), IACHR, 17. 6. 2005, Rn. 181; Case of Fermin Ramirez v. Guatemala, (Merits, Reparations

F. Wiedergutmachung – Das Opfer als Anspruchsteller

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lerdings sehr fraglich, ob ein solcher Ansatz realisierbar ist. In vielen Fällen dürfte die Zahl der Geschädigten die tausend überschreiten. Zudem ist die Intensität der Tatfolgen zu bedenken. Bürgerkriegs- und Verfolgungsopfer haben häufig ihr gesamtes Hab und Gut verloren. Außerdem besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass dauerhafte psychische Schäden zurückbleiben, die das gesamte Leben der Opfer beeinträchtigen. 2241 Tatbedingte Erwerbsausfälle bis hin zur Berufsunfähigkeit werden eher die Regel, denn die Ausnahme sein. Allen Geschädigten unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände des Einzelfalls in vollem Umfang Wiedergutmachung zu leisten, dürfte schlechterdings unmöglich sein. Zur Illustration sei exemplarisch auf einige Entscheidungen des IACHR verwiesen. Im Fall Castillo Páez verklagten die Eltern eines Soziologiestudenten den Staat Peru auf Wiedergutmachung. Ihr Sohn war im Alter von 22 Jahren verhaftet worden und blieb von diesem Zeitpunkt an verschwunden. Der IACHR gab der Klage statt und verurteilte Peru zur Zahlung US $ 245.021,80.2242 In einem anderen Fall wurden den Geschädigten Summen zwischen US $ 3.000 und US and Costs), IACHR, 20. 6. 2005, Rn. 123; Caso Yatama v. Nicaragua (Excepciones Preliminares, Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR, 23. 6. 2005, Rn. 232; Case of Acosta-Calderón v. Ecuador (Merits, Reparations and Costs), IACHR, 24. 6. 2005, Rn. 147; Caso de las Niñas Yean y Bosico v. República Dominicana (Excepciones Preliminares, Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR, 8. 9. 2005, Rn. 210; Caso Gutiérrez Soler v. Colombia (Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR, 12. 9. 2005, Rn. 63; Case of Raxacó-Reyes v. Guatemala (Merits, Reparations and Costs), IACHR, 15. 9. 2005, Rn. 115; Caso de la „Masacre de Mapiripán“ v. Colombia (Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR, 15. 9. 2005, Rn. 244; Caso Palamara Iribarne v. Chile. (Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR, 22. 11. 2005, Rn. 234; Caso Gómez Palomino v. Perú (Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR, 22. 11. 2005, Rn. 113; Caso García Asto y Ramírez Rojas v. Perú (Excepción Preliminar, Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR, 25. 11. 2005, Rn. 248; Case of Blanco-Romero et al v. Venezuela (Merits, Reparations and Costs), IACHR, 28. 11. 2005, Rn. 69; Caso Masacre de Pueblo Bello v. Colombia (Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR, 31. 1. 2006, Rn. 228; Caso López Álvarez v. Honduras (Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR, 1. 2. 2006, Rn. 182; Caso Acevedo Jaramillo y otros v. Perú (Excepciones Preliminares, Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR, 2. 2. 2006, Rn. 296; Case of the Sawhoyamaxa Indigenous Community v. Paraguay (Merits, Reparations and Costs), IACHR, 29. 3. 2006, Rn. 197; Caso Baldeón García v. Perú (Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR, 6. 4. 2006, Rn. 176; Case of the Ituango Massacres v. Colombia (Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs), IACHR, 1. 7. 2006, Rn. 347; Caso Ximenes Lopes v. Brasil (Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR, 4. 7. 2006, Rn. 209; Caso Claude Reyes y otros v. Chile (Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR, 19. 9. 2006, Rn. 151; Caso Goiburú y otros v. Paraguay (Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR, 22. 9. 2006, Rn. 142; Caso Almonacid Arellano y otros v. Chile (Excepciones Preliminares, Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR, 26. 9. 2006, Rn. 136; Caso Vargas Areco v. Paraguay (Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR, 26. 9. 2006, Rn. 141; Caso Trabajadores Cesados del Congreso (Aguado Alfaro y otros) v. Perú (Excepciones Preliminares, Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR, 22. 11. 2006, Rn. 143; Caso del Penal Miguel Castro Castro v. Perú (Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR, 25. 11. 2006, Rn. 415; Caso La Cantuta v. Perú (Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR, 29. 11. 2006, Rn. 201. 2241 Siehe hierzu ausführlich Teil 2 A. und C. 2242 Case of Castillo-Páez v. Peru (Reparations and Costs), IACHR 27. 11. 1998, Leitsatz 1.

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Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

$ 172.759 zugesprochen.2243 Venezuela musste wegen der während eines Ausnahmezustandes vom Militär begangenen Menschenrechtsverletzungen insgesamt über US $ 5,4 Millionen Wiedergutmachung an die Opfer zahlen.2244 Solche Entschädigungssummen können in Einzelfällen geleistet werden, nicht aber in Situationen, in denen schwere Humanitätsverbrechen die Regel und keine seltene Ausnahmeerscheinung sind.2245 Dies gilt umso mehr, als sich die Wiedergutmachungsansprüche im Verfahren vor dem IStGH nicht gegen Staaten, sondern gegen individuelle Täter richten.2246 Die Realisierbarkeit der Reparationsanordnung muss zumindest in einem gewissen Rahmen bereits bei ihrem Erlass berücksichtigt werden.2247 Die Opfer könnten das Vertrauen in die (internationale) Justiz verlieren, wenn ihnen im Urteil umfassende Wiedergutmachung zugesagt wird, diese aber nicht durchgesetzt werden kann.2248 Gewährt der IStGH individuelle Entschädigung, muss gleichzeitig entschieden werden, welche Opfer in welchem Umfang für welche Schäden Kompensation erhalten sollen. 2. Wiedergutmachung auf kollektiver Basis Rule 97 Abs. 1 erkennt die Schwierigkeiten einer Einzelfallentschädigung an2249 und ermöglicht es dem Gericht, Wiedergutmachung auf kollektiver Basis zuzusprechen. Die Wiedergutmachungsleistung kommt einem Kollektiv – einer bestimmten Opfergruppe oder der gesamten Gesellschaft2250 – zugute. Denkbare Projekte sind beispielsweise die Errichtung von Krankenhäusern, Kliniken zur Behandlung von Traumaopfern2251 und Schulen2252 sowie der Wiederaufbau von Gemeinde- oder religiösen Zentren.2253 Ebenfalls Maßnahmen der kollektiven Wiedergutmachung sind Dokumentationsprojekte 2254 sowie die Errichtung von Denkmälern und Plaketten im Gedenken an die Opfer2255. 2243 Case of the „White Van“ (Paniagua-Morales et al.) v. Guatemala (Reparations and Cost), IACHR, 25. 5. 2001. 2244 Case of the Caracazo v. Venezuela (Reparations and Costs), IACHR, 29. 8. 2002. 2245 Tomuschat (2002a), S. 174; Zegveld (2003), S. 522; Roht-Arriaza (2004), S. 169; Wierda / de Greiff, S. 6. Siehe auch Shelton (1999), S. 10; Schwager, S. 436; Tomuschat (2005a), S. 586; Boyle, S. 312; Cammack, S. 238; de Greiff, S. 456; Goetz, S. 6. 2246 Siehe unten Teil 5 F. IV. 3. 2247 Siehe auch Weigend (1990), S. 23. 2248 Siehe zu den entsprechenden Erfahrungen in Malawi Cammack, S. 241. 2249 Siehe auch Redress (2001), S. 18. 2250 Safferling (2003a), S. 379; di Giovanni, S. 46; Stefanie Bock (2007c), S. 679. 2251 Redress (2001), S. 19 – 20; Timm, S. 303; Roht-Arriaza (2004), S. 159; Goetz, S. 1. 2252 Case of the Plan de Sánches Massacre v. Guatemala (Reparations), IACHR, 19. 11. 2004, Rn. 104. Siehe auch Case of the „Street Children“ (Villagrán-Morales et al.) v. Guatemala (Reparations and Costs), IACHR, 26. 5. 2001, Leitsatz 7; Timm, S. 303. 2253 Muttukumaru, S. 307; Redress (2001), S. 19 – 20; Roht-Arriaza (2004), S. 159. 2254 Redress (2001), S. 19 – 20.

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3. Individuelle Wiedergutmachung als Regelfall? Rule 97 Abs. 1 legt die individuelle Wiedergutmachung als Regelfall fest2256. Dies dient der Schaffung von Einzelfallgerechtigkeit.2257 Die Opfer werden in ihrer Einzigartigkeit wahrgenommen.2258 Die spezifischen Besonderheiten ihrer persönlichen Viktimisierungserfahrung können Berücksichtigung finden. Damit sucht die Wiedergutmachung auch in struktureller Hinsicht das Tatunrecht zu kompensieren. Der Täter hat typischerweise das Opfer wegen seiner Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe viktimisiert und dadurch die Individualität des Opfers in Frage gestellt.

a) Implementierungsschwierigkeiten Wegen der hiermit verbundenen Umsetzungsschwierigkeiten ist zweifelhaft, ob das Primat der Wiedergutmachung auf individueller Basis sinnvoll ist. Wird den Opfern nur ein geringer Geldbetrag als Entschädigung zugesprochen, können sie dies als Bagatellisierung der Tatfolgen auffassen und die Wiedergutmachung als Demütigung empfinden.2259 Da ein vollständiger Ausgleich der Tatfolgen nicht erreicht werden kann, also immer Ansprüche offen bleiben, kann die Wiedergutmachung ihre konfliktbeendende Wirkung nicht oder nur begrenzt entfalten.2260 Das Gericht wird daher häufig geneigt sein, von vornherein nur eine Entschädigung auf kollektiver Basis zuzusprechen. Wird aber gegenüber den Opfern die Individualentschädigung als Regelfall dargestellt, besteht die Gefahr, dass damit verbundene Erwartungen enttäuscht werden. Dies gefährdet die Glaubwürdigkeit des Gerichtshofs und birgt die Gefahr einer sekundären Viktimisierung.2261

2255 Caso Servellón García y otros v. Honduras (Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR, 21. 9. 2006, Rn. 199; Redress (2001), S. 19 – 20; Boyle, S. 312. Siehe auch Case of the „Street Children“ (Villagrán-Morales et al.) v. Guatemala (Reparations and Costs), IACHR, 26. 5. 2001, Leitsatz 7; Caso de la Comunidad Moiwana v. Suriname (Excepciones Preliminares, Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR, 15. 6. 2005, Rn. 218; Caso de la „Masacre de Mapiripán“ v. Colombia (Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR, 15. 9. 2005, Rn. 315; Caso Masacre de Pueblo Bello v. Colombia (Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR, 31. 1. 2006, Rn. 278; Caso Goiburú y otros v. Paraguay (Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR, 22. 9. 2006, Rn. 177. 2256 Safferling (2003a), S. 379; Stefanie Bock (2007c), S. 679. 2257 Safferling (2003a), S. 379; Malamud-Goti / Grosman, S. 546; Stefanie Bock (2007c), S. 679. Siehe zum Bedürfnis der Opfer nach Individualentschädigung Mohan, S. 760 ff. 2258 In diese Richtung auch de Greiff, S. 460; ICTJ, S. 5. 2259 Siehe Kiefl / Sieger, S. 263; Lira, S. 93 sowie Authers, S. 439; de Greiff, S. 457; Malamud-Goti / Grosman, S. 555. 2260 Tomuschat (2005a), S. 586. 2261 Siehe auch di Giovanni, S. 50; Walleyn, S. 3. In einem anderen Zusammenhang so auch Colvin, S. 191.

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b) Ungleichbehandlung der Opfer Wiedergutmachung auf individueller Basis zuzusprechen setzt voraus, dass jeder Einzelfall für sich bewertet wird. Vorangegangene Entscheidungen können nur Leitlinien, keinesfalls absolute Kriterien sein.2262 Das Wiedergutmachungsverfahren wird dadurch nicht nur sehr aufwendig. Vielmehr führt dies auch zu einer Ungleichbehandlung der Opfer. Das Gericht muss den Umfang des Leidens eines jeden einzelnen Opfers ermitteln und bewerten.2263 Geschädigte, die aufgrund ihrer individuellen Veranlagung über wirksamere coping-Strategien verfügen, weisen beispielsweise geringere psychische Langzeitschäden auf als die meisten ihrer Leidensgefährten. Ihnen steht damit grundsätzlich eine geringere Entschädigungssumme zu. Durch diese Ungleichbehandlung kann der Eindruck erweckt werden, dass die Verletzung elementarer Rechte bei bestimmten Menschen weniger schwerwiegend ist, als die Verletzung derselben Rechte bei anderen Menschen.2264 Erschwerend tritt hinzu, dass grundsätzlich2265 nur diejenigen Opfer Entschädigung erhalten können, die das Glück haben, dass sich ihre Täter vor dem IStGH verantworten müssen.2266 Die übrigen Geschädigten können sich zurückgesetzt und als Opfer zweiter Klasse fühlen.2267 Selbst wenn Wiedergutmachung auf individueller Basis möglich ist, kann sie daher zu einer Ungleichbehandlung der Opfer und zu einer Spaltung der Opfergruppe führen. Es droht daher sowohl für die Individualopfer als auch für das Kollektiv eine erneute Viktimisierung.

c) Vorteile der Kollektiventschädigung Wird die Wiedergutmachung an ein Kollektiv geleistet, kann eine deutlich höhere Anzahl an Opfern hiervon profitieren.2268 Zudem dürften kollektive Maß2262 Case of Blake v. Guatemala, IACHR, 22. 1. 1999, Rn. 54; Case of the „White Van“ (Paniagua-Morales et al.) v. Guatemala (Reparations and Cost), IACHR, 25. 5. 2001, Rn. 104. 2263 Siehe auch Case of Bueno-Alves v. Argentina (Merits, Reparations, and Costs), IACHR, 11. 5. 2007, Rn. 83; Wierda / de Greiff, S. 6; de Greiff, S. 458. 2264 Wierda / de Greiff, S. 6; de Greiff, S. 458. Siehe auch ICTJ, S. 5. 2265 Siehe zu Ausgleichsmaßnahmen des Treuhandfonds unten Teil 5 F. V. 2. b). 2266 Victims Compensations and Participation, Judges’ Report of 13 September 2000, 9; Sarkin (2005), S. 180; di Giovanni, S. 58. 2267 De Greiff, S. 459. 2268 DRC Notification, ICC-01 / 04-439, o. Fn. 1281, Rn. 34; Uganda Notification, ICC-02 / 04-114, o. Fn. 1281, Rn. 34; Situation in Uganda – Observations du représentant légal des victimes a / 101 / 06 et a / 0119 / 06 suite à la notification du Conseil de direction du Fonds au profit des victimes conformément à la règle 50 du Règlement du Fonds, ICC-02 / 04-118, 18. 2. 2008, Rn. 12; Situation in the DRC – Observations du Bureau du conseil public pour les victimes en tant que représentant légal suite à la notification du Conseil de direction du Fonds au profit des victimes conformément à la règle 50 du Règlement du

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nahmen stärkere Auswirkungen auf die gesamte Gesellschaft haben und damit mehr zur Konfliktbewältigung beitragen können, als die Wiedergutmachung einiger weniger ausgewählter Fälle.2269 Diese Form der Wiedergutmachung wird zudem der Tatsache gerecht, dass sich der Angriff primär gegen ein Opferkollektiv und nicht gegen ein Individualopfer richtet.2270 Allerdings besteht die Gefahr, dass die Bindung zwischen Reparationen und individueller Tat gelöst wird. Die Leistung wird von der Wiedergutmachung zum sozialen Wiederaufbau.2271 Dies muss aber nicht unbedingt im Gegensatz zu den Wünschen der Geschädigten stehen. So hat eine Opferbefragung durch die Sierra Leone Truth and Reconciliation Commission ergeben, dass die Betroffenen mehr am Wiederaufbau der Gesellschaft als an individuellen Geldleistungen interessiert sind.2272 Den Bedürfnissen der Opfer völkerrechtlicher Verbrechen nach Unterkunft, Verpflegung, medizinischer Betreuung und Bildung2273 kann durch kollektive Wiedergutmachung besser Rechnung getragen werden, als durch singuläre Entschädigungen. Zudem kann auch hier zumindest ein gewisser Bezug zu den Einzelfällen hergestellt werden. Wurde beispielsweise der Angeklagte schuldig befunden, den gezielten Einsatz von Vergewaltigungen in einem Bürgerkrieg befohlen zu haben, so kann die kollektive Wiedergutmachung speziell Vergewaltigungsopfern zu gute kommen. Ebenso denkbar ist die Förderung örtlich begrenzter Projekte. So beschränken sich die Vorwürfe gegen Germain Katanga2274 und Mathieu Ngudjolo Chui2275 bisher auf Verbrechen, die im Zusammenhang mit dem Angriff auf das Dorf Bogoro begangen wurden. Hieran könnte eine Wiedergutmachungsanordnung anknüpfen. Sollten Katanga und Ngudjolo für schuldig befunden werden, könnte ihnen beispielsweise nach Art. 75 Abs. 2 IStGH-Statut auferlegt werden, den Wiederaufbau von Bogoro finanziell zu unterstützen. Vor diesem Hintergrund erscheint es sinnvoll, die kollektive Wiedergutmachung zum Regelfall zu erklären.2276

Fonds, ICC-01 / 04-460, 20. 2. 2008, Rn. 13. Siehe auch Pict, S. 27; Rombouts / Sardaro / Vandeginste, Rn. 157; Zegveld (2010b), S. 98. 2269 Rombouts / Sardaro / Vandeginste, Rn. 157. 2270 Timm, S. 303; Roht-Arriaza (2004), S. 181; Wierda / de Greiff, S. 6; Stefanie Bock (2007c), S. 679. Siehe auch de Greiff / Wierda, S. 233; Rombouts / Sardaro / Vandeginste, Rn. 75, 153; Fannah, S. 4. 2271 Di Giovanni, S. 42; Goetz, S. 1. Siehe auch Roht-Arriaza (2004), S. 187; de Greiff, S. 469. 2272 Report of the Sierra Leone Truth and Reconciliation Commission, Volume II (2004), Chapter 4 Rn. 71. Siehe auch Roht-Arriaza (2004), S. 180 – 181 sowie speziell zu den Bedürfnissen von Kindersoldaten di Giovanni, S. 54. 2273 Siehe hierzu oben Teil 3 A. II. 2274 Katanga & Ngudjolo PTC, ICC-01 / 04-01 / 07-1, o. Fn. 849, S. 4. 2275 Katanga & Ngudjolo PTC, ICC-01 / 04-01 / 07-260, o. Fn. 849, S. 4. 2276 Siehe auch Zegveld (2003), S. 522; Tomuschat (2005a), S. 586; Boyle, S. 312; Falk, S. 495; Redress (November 2006), S. 3.

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Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

d) Individualentschädigung in Ausnahmefällen In Ausnahmefällen sollte für bestimmte Opfer eine individuelle Entschädigung möglich bleiben. Verhindert werden muss aber, dass die übrigen Geschädigten dies als ungerechtfertigte Diskriminierung empfinden.2277 Als Beispiel hierfür sei auf die Entschädigung der Opfer von Menschrechtsverletzungen während der brasilianischen Diktatur verwiesen. Wiedergutmachung erhalten die Angehörigen von Opfern, die verhaftet und während ihrer Gefangenschaft getötet wurden. Ein Anspruch ist hingegen ausgeschlossen, wenn der Betroffene nach monatelanger Folter entlassen wurde und sich im Anschluss selbst getötet hat. Diese Differenzierung wird von den Angehörigen nicht akzeptiert.2278 Derartige negative Wirkungen von Individualentschädigungen lassen sich aber vermeiden. Die Privilegierung eines bestimmten Opfertypus muss auf einem Konsens der betroffenen Gesellschaft beruhen. Besteht eine kollektive Übereinstimmung dahingehend, dass beispielsweise Kinder oder Opfer sexueller Gewalt besonders schutzbedürftig sind und vorrangig entschädigt werden sollten, sind von der Ungleichbehandlung der Opfer keine oder kaum negative Konsequenzen zu erwarten.2279 Dies bedeutet aber auch, dass keine festen, allgemeingültigen Regeln aufgestellt werden können, welche Opfer auf individueller Basis entschädigt werden können. Vielmehr sind für jede Situation die maßgeblichen gesellschaftlichen Werte, Normen und Überzeugungen zu ermitteln. Zur Verhinderung einer Ungleichbehandlung innerhalb der individuell zu entschädigenden Opfergruppe kann der Ansatz der United Nations Compensation Commission übernommen werden. Diese arbeitet mit festen Wiedergutmachungssummen. So erhalten alle Einzelpersonen, die nach der Invasion durch den Irak 1990 aus Kuwait fliehen mussten, US $ 2.500, Familien US $ 5.000 Entschädigung.2280 Auf diese Weise wird die Gleichbehandlung der Geschädigten sichergestellt. Opfer, die Vergleichbares erlitten haben, werden gleichermaßen entschädigt.2281

4. Ergebnis Dem Vorrang der Individualentschädigung liegt das Streben nach Einzelfallgerechtigkeit zugrunde. Bei einer großen Opferzahl versagt dieser Ansatz aber. 2277 Walleyn, S. 6. Zu den Schwierigkeiten des hiermit verbundenen „Opferrankings“ siehe auch Baldo / Magarrell, S. 28 f. 2278 Siehe Roht-Arriaza (2004), S. 169; Cano / Salvao Ferreira, S. 137. 2279 Siehe auch Report of the Sierra Leone Truth and Reconciliation Commission, Volume II (2004), Chapter 4 Rn. 65. 2280 http: //www2.unog.ch/uncc/claims/a_claims.htm. 2281 Peter G. Fischer, S. 224; van Houtte, S. 365. Siehe zur Bedeutung der inneren Konsistenz von Wiedergutmachungssystemen di Giovanni, S. 43.

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Inadäquate Entschädigungssummen sowie die Ungleichbehandlung von Geschädigten können eine sekundäre Viktimisierung sowohl der Individualopfer als auch des Opferkollektivs begünstigen. Daher sollte die kollektive Entschädigung zum Regelfall ernannt werden. Individuelle Wiedergutmachung, d. h. die Privilegierung eines bestimmten Opfertypus, sollte hingegen nur in Betracht gezogen werden, wenn ein entsprechender gesellschaftlicher Konsens besteht.

IV. Verpflichteter Wiedergutmachung kann durch den individuellen Täter oder den nach Art. 79 IStGH-Statut gegründeten Treuhandfonds geleistet werden. Ergänzend könnte man erwägen, die Staaten zur Verantwortung zu ziehen. 1. Wiedergutmachung durch den Täter Wiedergutmachungsansprüche sind nach Rule 98 Abs. 1 gegen den Verurteilten zu richten. Die von ihnen zu verantwortenden Tatfolgen umfassend auszugleichen, wird die finanziellen Möglichkeiten der meisten Täter allerdings bei weitem überschreiten2282. Ein Wiedergutmachungssystem, das Leistungen verspricht, die nicht realisierbar sind, wird von den Opfern nicht akzeptiert werden2283 und muss wirkungslos bleiben. 2. Wiedergutmachung durch den Treuhandfonds Basierend auf Art. 79 IStGH-Statut hat die Versammlung der Vertragsstaaten einen Treuhandfonds zugunsten der Opfer und ihrer Familien ins Leben gerufen.2284 Dies steht im Einklang mit Nr. 13 der Basic Principles of Justice for Victims of Crimes, die zur Schaffung nationaler Opferentschädigungsfonds aufruft. Die Aufgaben des Treuhandfonds lassen sich in drei Gruppen einteilen: Verwaltung, Kompensation und humanitäres Mandat. a) Verwaltungsfunktion Rule 98 Abs. 1 bestimmt, dass individuelle Ansprüche im Regelfall2285 direkt gegen den Verurteilten gerichtet werden sollen. Allerdings kann es schwierig oder 2282 Siehe auch Scharf (1997), S. 389; Ingadottir, S. 16; Pict, S. 8; Jorda / de Hemptinne, S. 1415; Ingadottir / Ferstmann / Kristjansdottir, S. 21; Tomuschat (2002a), S. 182; Garkawe, S. 364; Schwager, S. 436; di Giovanni, S. 49; de Greiff / Wierda, S. 237. 2283 Victims Compensations and Participation, Judges’ Report of 13 September 2000, 8. 2284 Resolution ICC-ASP / 1 / Res. 6 vom 9. 9. 2002.

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unmöglich sein, das Geld unmittelbar an die Opfer auszahlen. Probleme können sich allein aus der großen Anzahl der Geschädigten ergeben.2286 Hinzu kommt, dass sich diese häufig nicht in Den Haag, sondern in ihren Heimatländern oder auf der Flucht befinden. Unter Umständen ist dem Gerichtshof der aktuelle Aufenthaltsort der Anspruchsberechtigten nicht bekannt.2287 In diesen Fällen kann die Kammer die Geldsumme gemäß Rule 98 Abs. 2 beim Treuhandfonds hinterlegen lassen. Die Ermittlung der Begünstigten2288 und die Auszahlung der zugesprochenen Geldsummen übernimmt der Fonds. Der Gerichtshof hat zudem die Möglichkeit, die zu entschädigenden Opfer nicht namentlich zu benennen, sondern lediglich anzuordnen, dass alle Mitglieder einer näher bezeichneten Gruppe Anspruch auf materielle Wiedergutmachung haben. Aufgabe des Treuhandfonds ist es dann, nach Maßgabe von Regulation 60 der Regulations of the Trust Fund Kriterien aufzustellen, anhand derer die Begünstigten identifiziert werden können. Zudem sollen in Zusammenarbeit mit der Opfergruppe, betroffenen Staaten und NGOs potentielle Gruppenglieder ermittelt und auf ihre Anspruchsberechtigung hingewiesen werden. Bestimmt der Gerichtshof, dass der Verurteilte kollektive Wiedergutmachung leisten oder eine bestimmte Geldsumme an eine Organisation i. S. v. Rule 98 Abs. 4 zahlen muss, kann er ebenfalls den Treuhandfonds mit der Implementierung betrauen.2289 Dem Treuhandfonds kommt insoweit eine rein administrative Funktion zu.2290 Er entlastet das Gericht,2291 indem er die Konkretisierung und Umsetzung der Wiedergutmachungsweisung übernimmt.

b) Kompensationsfunktion Hat der Gerichtshof eine Wiedergutmachungsleistung angeordnet, die außerhalb der finanziellen Möglichkeiten des Verurteilten liegt, kann der Treuhandfond die zur Verfügung stehenden Gelder aufstocken2292 und so verhindern, dass die AnordPict, S. 17. Siehe auch Redress (2001), S. 8. 2287 Timm, S. 305. 2288 Siehe Regulation 59 der Regulations of the Trust Fund. 2289 Die Umsetzung ist in den Regulations 69 – 72 der Regulations of the Trust Fund (kollektive Wiedergutmachung) und den Regulations 73 – 75 (Geldzahlung an zwischenstaatliche, internationale oder nationale Organisationen) genauer ausgestaltet. 2290 Siehe auch Pict, S. 15; Redress (2001), S. 15; Peter G. Fischer, S. 205; de Greiff / Wierda, S. 231; di Giovanni, S. 47 sowie DRC Notification, ICC-01 / 04-439, o. Fn. 1281, Rn. 16; Uganda Notification, ICC-02 / 04-114, o. Fn. 1281, Rn. 16; Situation in the DRC – Observations des Représentants Légaux de VPRS1 et de a / 0071 / 06 sur la „Notification by the Board of Directors of the Trust Fund for Victims, ICC-01-04-463, 20. 2. 2008, Rn. 18. 2291 Siehe auch Ingadottir, S. 14 ff. 2292 Regulation 56 der Regulations of the Trust Fund. Siehe auch Situation in the CAR – Notification from the Board of Directors of the Trust Fund for Victims in Accordance with 2285 2286

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nung des Gerichts aufgrund der Mittellosigkeit des Täters leer läuft. Dadurch wird gewährleistet, dass sich Wiedergutmachung nicht in symbolischen Gesten erschöpft.2293 Diese können für das Opfer zwar eine erhebliche emotionale Bedeutung haben und sich so positiv auf den Verarbeitungsprozess auswirken. Allerdings zerstören völkerrechtliche Verbrechen typischerweise die gesamte Infrastruktur einer Region und die Lebensgrundlage der betroffenen Menschen. Die Opfer haben sehr konkrete finanzielle Bedürfnisse. Eine rein symbolische Wiedergutmachung kann daher als unzulänglich und inadäquat empfunden werden.2294 Kompensationszahlungen durch den Treuhandfonds gewährleisten damit die Effektivität und Akzeptanz der Wiedergutmachungsweisungen. Sollte sich zu einem späteren Zeitpunkt herausstellen, dass der Verurteilte über weiteres Vermögen verfügt, dürfte dem Treuhandfonds ein Rückzahlungsanspruch zustehen.2295 Zur Klarstellung sollte aber eine entsprechende Vorschrift in die Regulations of the Trust Fund aufgenommen werden. Die Entscheidung, ob und inwieweit er seine Kompensationsfunktion ausübt, obliegt allein dem Treuhandfonds. Die Kammer kann keine Mittelaufstockung erzwingen.2296 Eine entsprechende Weisung würde im Widerspruch zur Unabhängigkeit des Fonds2297 stehen und dessen Mittelhoheit in Frage stellen. Bestätigt wird dies durch den Wortlaut von Art. 75 Abs. 2 S. 2 IStGH-Statut. Das Gericht kann nur bestimmen, dass Wiedergutmachung „through“, aber nicht „from“ Treuhandfonds geleistet wird.2298 Fraglich ist aber, ob die Kompensation durch den Treuhandfonds mit dem Sinn und Zweck der Wiedergutmachung in Einklang zu bringen ist. Wiedergutmachung ist – vor allem bei schwersten Straftaten – mehr als der rein materielle Schadensausgleich. Sie bedeutet vielmehr Anerkennung der Verantwortlichkeit. Da völkerrechtliche Verbrechen regelmäßig mit Unterstützung oder Duldung durch einen Staat begangen werden, sind auch Wiedergutmachungsleistungen durch den Täteroder Tatortstaat mit diesem Grundgedanken in Einklang zu bringen. Hinter dem Treuhandfonds steht aber die internationale Staatengemeinschaft. Sie ist höchstens insoweit für die völkerrechtlichen Verbrechen verantwortlich, als sie deren BegeRegulation 50 of the Regulation of the Trust Fund for Victims, ICC-01 / 05-29, 30. 10. 2009, Rn. 7. 2293 Siehe auch Ferstmann, S. 685 sowie Donat-Cattin (2003), S. 363; Triffterer(-DonatCattin), Art. 75 IStGH-Statut Rn. 17. 2294 De Greiff, S. 468; Stefanie Bock (2007c), S. 679; ICTJ, S. 4. 2295 VRWG (June 2002), S. 3. 2296 Ingadottir / Ferstmann / Kristjansdottir, S. 14. 2297 Siehe auch Uganda Observations du représentant légal, ICC-02 / 04-118, o. Fn. 2268, Rn. 8; DRC Observations du Bureau du conseil public, ICC-01 / 04-460, o. Fn. 2268, Rn. 9; DRC Observations des Représentants Légaux, ICC-01-04-463, o. Fn. 2290, Rn. 37; Pict, S. 5; CAR Notification from the Board of Directors of the Trust Fund, ICC-01 / 05-29, o. Fn. 2292, Rn. 7. 2298 Ingadottir / Ferstmann / Kristjansdottir, S. 14.

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hung nicht verhindert hat.2299 Eine solche Argumentation ist allerdings sehr abstrakt. Eine Wiedergutmachung durch den Treuhandfonds wird von den Opfern kaum als Ausdruck der Verantwortlichkeit für die begangenen Verbrechen verstanden werden.2300 Die damit verbundene Genugtuung kann nicht eintreten.2301 Es besteht die Gefahr, dass die Opfer die Wiedergutmachung als Glück oder Wohlfahrt ansehen2302 und sich nicht in ihrer Individualität wahrgenommen fühlen2303. Leistungen durch den Treuhandfonds sind allerdings eine Solidaritätserklärung mit den Opfern.2304 Sie bringen Bedauern über das erlittene Unrecht zum Ausdruck und zeigen, dass die internationale Gemeinschaft Anteil am Leid der Opfer nimmt.2305 Auch wenn eine Entschädigung durch den Treuhandfonds typischerweise keine Genugtuung bei den Begünstigten auslöst, kann ihr daher dennoch neben der materiellen auch eine symbolische Bedeutung zukommen.

c) Humanitäre Funktion Gemäß Rule 98 Abs. 5 kann der Treuhandfonds seine Mittel allgemein zum Nutzen der Opfer einsetzen. Sein Mandat ist damit nicht auf die Implementierung gerichtlicher Wiedergutmachungsweisungen begrenzt. Vielmehr kann er seine Mittel auch darüber hinaus zur Unterstützung der Opfer in jeder geeignet erscheinenden Form einsetzen.2306 Leistungen des Treuhandfonds nach Rule 98 Abs. 5 sind keine Wiedergutmachung i. S. v. Art. 75 IStGH-Statut.2307 Sie sind unabhängig von einer entsprechenden Anordnung des Gerichts2308 oder der Verurteilung eines bestimmten Täters. Ob und wie er seine Mittel im Rahmen seiner humanitären Funktion2309 einsetzt, liegt im Ermessen des Treuhandfonds.2310 Wegen seiner in2299 In Art. 1 der Völkermordkonvention haben sich die Vertragsstaaten beispielsweise zur Verhütung von Genozid verpflichtet. 2300 Siehe auch Wierda / de Greiff, S. 8; de Greiff / Wierda, S. 236. 2301 Malamud-Goti / Grosman, S. 552. Siehe auch Weigend (1989), S. 404; Baldo / Magarrell, S. 18. 2302 Siehe Walleyn, S. 6. 2303 Siehe auch Hans-Joachim Schneider (1977), S. 627. 2304 Siehe auch Report of the Sierra Leone Truth and Reconciliation Commission, Volume II (2004), Chapter 4 Rn. 50; de Greiff, S. 464 – 466. 2305 Siehe auch de Greiff / Wierda, S. 236; Rombouts / Sardaro / Vandeginste, Rn. 162. 2306 Redress (2001), S. 6; VRWG (April 2004), S. 7. Siehe auch AI, IOR 40 / 005 / 2001, S. 4; Redress (December 2003), S. 34. 2307 Redress (December 2003), S. 36; VRWG (July 2005a), S. 4. 2308 Siehe auch Situation in the DRC – Observations of the Legal Representative of Victims [ . . . ] on the Notification of the Board of Directors of the Trust Fund for Victims, ICC-01 / 04-461, 20. 2. 2008, Rn. 7. 2309 Siehe auch Zegveld (2010b), S. 98. 2310 DRC Notification, ICC-01 / 04-439, o. Fn. 1281, Rn. 12; Uganda Notification, ICC-02 / 04-114, o. Fn. 1281, Rn. 12; Uganda Observations du représentant légal, ICC-02 /

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stitutionellen Unabhängigkeit ist eine gerichtliche Kontrolle der Mittelverwendung nicht möglich.2311 aa) Begünstigte Bereits Art. 79 Abs. 1 IStGH-Statut bestimmt, dass der Treuhandfonds zugunsten der Opfer von Verbrechen, die der Gerichtsbarkeit des Gerichtshofs unterfallen, und deren Angehörigen errichtet wird. Regulation 48 of the Trust Fund nimmt diesen Gedanken durch den Verweis auf Rule 85 wieder auf. Der Treuhandfonds kann daher jede natürliche Person, die durch ein der Gerichtsbarkeit des IStGH unterfallendes Verbrechen geschädigt wurde, unterstützen. Art. 79 Abs. 1 IStGH-Statut und Regulation 48 der Regulations of the Trust Fund scheinen auf den ersten Blick den Kreis der Berechtigten zu erweitern, indem auch die Familien der Opfer mit einbezogen werden. Da aber die Angehörigen selbst durch die Tat in physischer, psychischer oder materieller Hinsicht geschädigt sein müssen, dürfte sich kaum ein Unterschied zu Rule 85, die auch mittelbare Opfer erfasst,2312 ergeben.2313 Neben natürlichen Personen dürfen auch die in Rule 85 lit. b) genannten Organisationen und Institutionen unterstützt werden. bb) Verfahrenskonnexität Regulation 48 der Regulation of the Trust Fund verlangt nur, dass die Begünstigten Opfer von Verbrechen, die der Gerichtsbarkeit des IStGH unterfallen, geworden sind, nicht aber, dass sich der IStGH dieser angenommen hat. Daher stellt sich die Frage, ob der Treuhandfonds auch Opfer in Situationen unterstützen kann, in denen der Ankläger keine Ermittlungen aufgenommen hat. Der Verzicht auf jedwede Bindung an die Verfahren vor dem IStGH würde dem Grundsatz der Gleich04-118, o. Fn. 2268, Rn. 20; Situation in Uganda – Prosecution’s observations on the „Notification of the Board of Directors of the Trust Fund for Victims“, ICC-02 / 04-119, 19. 2. 2008, Rn. 4; DRC Observations of the Legal Representative, ICC-01 / 04-461, o. Fn. 2308, Rn. 5; DRC Observations du Bureau du conseil public, ICC-01 / 04-460, o. Fn. 2268, Rn. 9; Situation in the DRC – Prosecution’s observations on the „Notification of the Board of Directors of the Trust Fund for Victims“, ICC-01 / 04-462, 20. 2. 2008, Rn. 5; DRC Observations des Représentants Légaux, ICC-01-04-463, o. Fn. 2290, Rn. 16; Kony et al. – Observations of legal representatives of victims on the Notification of the Board of Directors of the Trust Fund for Victims, ICC-02 / 04-01 / 05-277, 12. 3. 2008, Rn. 24; de Greiff / Wierda, S. 231. 2311 Anders Kony et al. Observations of legal representatives, ICC-02 / 04-01 / 05-277, o. Fn. 2310, Rn. 24; Prosecutor v. Kony et al. – OPCD Observations on the Notification under Regulation 50 of the Regulations of the Trust Fund for Victims, ICC-02 / 04-01 / 05-279, 12. 3. 2008, Rn. 22. 2312 Siehe oben Teil 5 A. I. 2313 Anders Pict, S. 5, der allerdings noch nicht die Regulation of the Trust Fund berücksichtigen konnte. Das IStGH-Statut selbst verlangt nicht, dass die Familienmitglieder auch geschädigt sein müssen.

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heit aller Opfer umfassend Rechnung tragen. Der Treuhandfonds könnte immer in Fällen tätig werden, in denen die Not am größten ist, Hilfeleistungen am dringendsten gebraucht werden. Politische Erwägungen und Selektionsentscheidungen, die verhindert haben, dass sich der IStGH mit einer bestimmten Situation befasst, würden sich nicht auf die Tätigkeit des Treuhandfonds auswirken. Unter rechtlichen Gesichtspunkten wäre diese Lösung wegen der Unabhängigkeit des Treuhandfonds vom Gerichtshof durchaus möglich. Allerdings müsste dann der Fonds selbst entscheiden, ob bestimmte Taten der Gerichtsbarkeit des IStGH unterfallen. Solche juristische Würdigungen vorzunehmen ist aber Aufgabe der Strafrechtspflege, nicht des Fonds.2314 Schon deswegen sollte zumindest eine minimale Verbindung zu den Verfahren vor dem IStGH gegeben sein.2315 Auf der anderen Seite hängt das Recht des Opfers auf Wiedergutmachung nicht davon ab, ob der Täter bekannt oder gar vor dem IStGH angeklagt ist.2316 Daher dürfen die Anforderungen an die Verfahrenskonnexität nicht überspannt werden. Eng hiermit verbunden ist die Frage, ab wann der Treuhandfonds unter Rule 98 Abs. 5 tätig werden darf. Die Draft Regulations of the Trust Fund ermächtigten den Fonds explizit, Opfer zu unterstützen, sobald der Ankläger und gegebenenfalls die Vorverfahrenskammer gemäß Artt. 15 Abs. 4; 53 Abs. 1 IStGH-Statut festgestellt haben, dass eine hinreichende Grundlage für die Aufnahme von Ermittlungen besteht. In der Endfassung fehlt allerdings eine entsprechende Vorschrift. Eine Anknüpfung an Artt. 15 Abs. 4; 53 Abs. 1 IStGH-Statut würde den Treuhandfonds in die Lage versetzten, frühzeitig, vor Abschluss der ersten Verfahren, Opfern zu helfen. Er könnte sich an Ersthilfemaßnahmen in der Krisensituation – beispielsweise durch die Finanzierung von Flüchtlingslagern – beteiligen. Stellt man in Rechnung, dass der Ankläger bisher bereits während des laufenden Konflikts Ermittlungen aufgenommen hat, erscheint eine möglichst frühzeitige Unterstützung der Opfer auch durch den Treuhandfonds notwendig und sinnvoll. Befürchtet wird aber, dass solche Projekte das Strafverfahren präjudizieren und zu einer Vorverurteilung der Beschuldigten führen könnten.2317 Zu überzeugen vermag dieser Einwand allerdings nicht. Die Entscheidungen des Treuhandfonds entfalten keinerlei bindende Wirkung für den Gerichtshof.2318 Die Kopplung an Artt. 15 Abs. 4; 53 Abs. 1 IStGH-Statut würde zudem sicherstellen, dass der Gerichtshof und nicht der Treuhandfonds die notwendige juristische Bewertung übernimmt.2319 Auch unter tatsächlichen Gesichtspunkten ist eine Beeinflussung Redress (2001), S. 14; Redress (December 2003), S. 36. Redress (2001), S. 14; Redress (December 2003), S. 36. 2316 DRC Notification, ICC-01 / 04-439, o. Fn. 1281, Rn. 30; Uganda Notification, ICC-02 / 04-114, o. Fn. 1281, Rn. 30. Siehe auch VRWG (February 2005), S. 8 sowie Nr. 2 der van-Boven-Principles. Für eine engere Verfahrenskonnexität hingegen Kony et al. OPCD Observations, ICC-02 / 04-01 / 05-279, o. Fn. 2311, Rn. 25 ff. 2317 DRC OPCD Observations, ICC-01 / 04-458, o. Fn. 1210, Rn. 31, 43. 2318 Siehe auch VRWG (February 2005), S. 10; Pict, S. 9 sowie DRC Observations des Représentants Légaux, ICC-01-04-463, o. Fn. 2290, Rn. 36. 2314 2315

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des Gerichtsverfahrens unwahrscheinlich. Ersthilfemaßnahmen kommen typischerweise dem Opferkollektiv als solchem zu Gute. Der Treuhandfonds wird regelmäßig nicht entscheiden (müssen), ob einzelne Personen Opfer völkerrechtlicher Verbrechen geworden sind. Auswirkungen auf das Strafverfahren stehen daher kaum zu erwarten.2320 Selbst wenn der Treuhandfonds in seltenen Ausnahmefällen bereits frühzeitig individuelle Unterstützung gewähren wollte, müsste er nur feststellen, dass die Begünstigen Opfer i. S. v. Rule 85 sind, nicht aber, wer für die Schädigung verantwortlich ist.2321 Daher ist es nahezu ausgeschlossen, dass es zu einer Vorverurteilung des Beschuldigten kommen wird.2322 Dennoch bestehenden Bedenken trägt zudem Regulation 50 lit. a) der Regulations of the Trust Fund hinreichend Rechnung. Der Vorstand des Treuhandfonds wird verpflichtet, die zuständige Kammer von geplanten, spezifischen2323 Unterstützungsmaßnahmen zu unterrichten.2324 Befürchtet die Kammer, dass von dieser irgendeine präjudizierende Wirkung für das Strafverfahren ausgehen könnte, hat der Treuhandfonds von ihr Abstand zu nehmen. Umstritten ist, ob der Fonds über seine Tätigkeiten auch dann berichten muss, wenn der Ankläger noch keine konkreten Verdächtigen identifiziert hat, sich das Verfahren also noch im Situationsstadium befindet.2325 In der Praxis hat sich allerdings durchgesetzt, dass der Treuhandfonds frühzeitig seinen Informationspflichten nachkommt. Dies erscheint sinnvoll, da auf diese Weise von vornherein sichergestellt werden kann, dass die Projekte des Fonds keinesfalls mit den Ermittlungen des Anklägers in Konlikt geraten. Wollte man hingegen von vornherein jedwede Beeinflussung ausschließen, müsste der Treuhandfond abwarten, bis alle Einzelverfahren, die eine bestimmte Situation betreffen, vollständig abgeschlossen sind. Da dies aber Jahre oder JahrVRWG (February 2005), S. 10. DRC Notification, ICC-01 / 04-439, o. Fn. 1281, Rn. 31; Uganda Notification, ICC-02 / 04-114, o. Fn. 1281, Rn. 31; Uganda Observations du représentant légal, ICC-02 / 04-118, o. Fn. 2268, Rn. 25; Uganda Prosecution’s observations, ICC-02 / 04-119, o. Fn. 2310, Rn. 6; DRC Observations of the Legal Representative, ICC-01 / 04-461, o. Fn. 2308, Rn. 18; DRC Observations du Bureau du conseil public, ICC-01 / 04-460, o. Fn. 2268, Rn. 26; DRC Observations des Représentants Légaux, ICC-01-04-463, o. Fn. 2290, Rn. 55; Kony et al. Observations of legal representatives, ICC-02 / 04-01 / 05-277, o. Fn. 2310, Rn. 29; VRWG (July 2005b), S. 4. Anders Kony et al. OPCD Observations, ICC-02 / 04-01 / 05-279, o. Fn. 137, Rn. 51 ff. 2321 Siehe auch Situation in Uganda – Decision on Notification of the Trust Fund for Victims and on its Request for Leave to respond to OPCD’s Observations on the Notification, PTC II, ICC-02 / 04-126, 19. 3. 2008, S. 5 = Prosecutor v. Kony et al. – Decision on Notification of the Trust Fund for Victims and on its Request for Leave to respond to OPCD’s Observations on the Notification, PTC II, ICC-02-04-01-05-283, 19. 3. 2008, S. 5. 2322 Siehe auch CAR Notification ICC-01 / 05-29, o. Fn. 2292, Rn. 48 ff. 2323 Siehe hierzu Situation in the CAR – Decision on the Submission of the Trust Fund for Victims dated 30 October 2009, PTC I, ICC-01 / 05-30, 16. 11. 2009, Rn. 4. 2324 Siehe beispielsweise CAR Notification ICC-01 / 05-29, o. Fn. 2292. 2325 Siehe Kony et al. Observations of legal representatives, ICC-02 / 04-01 / 05-277, o. Fn. 2310, Rn. 28. 2319 2320

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zehnte dauern wird, wäre eine sinnvolle Unterstützung der Opfer kaum noch möglich.2326 Das humanitäre Mandat des Treuhandfonds würde faktisch leerlaufen. Die Anknüpfung an Artt. 15 Abs. 4; 53 Abs. 1 IStGH-Statut ist ein sinnvoller Kompromiss. Es wird eine hinreichende Verbindung zu den Verfahren vor dem IStGH gewahrt, ohne eine frühzeitige Unterstützung der Opfer zu verhindern oder den Treuhandfonds übermäßig vom Ermittlungserfolg oder Selektionsentscheidungen des Anklägers abhängig zu machen2327. Da diese Auslegung mit dem Wortlaut sowie dem Sinn und Zweck von Regulation 49 der Regulations of the Trust Fund vereinbar ist, steht ihr auch nicht entgegen, dass auf den ausdrücklichen Verweis auf die Artt. 15 Abs. 4; 53 Abs. 1 IStGH-Statut verzichtet wurde. Sobald der Ankläger – gegebenenfalls unter Einschaltung der Vorverfahrenskammer – entschieden hat, Ermittlungen aufzunehmen, darf der Treuhandfond daher alle Opfer der jeweiligen Situation unterstützen.2328 Weitere Bezüge zu konkreten Verfahren vor dem IStGH sind nicht erforderlich. cc) Form der Unterstützung Hinsichtlich der Art der Unterstützung enthalten Rule 98 Abs. 5 und Regulation 48 der Regulations of the Trust Fund keinerlei Beschränkungen. Zulässig ist jede Maßnahme, die den Opfern i. S. v. Rule 85 zugute kommt. Die humanitären Projekte des Treuhandfonds zielen auf die Wiederherstellung und Sicherung der Lebensgrundlage. Diese besteht aus drei Kernkomponenten: menschliche Ressourcen, materielle und immaterielle Güter sowie wirtschaftliche Aktivitäten.2329 Dementsprechend können die Maßnahmen auf physische, psychische und materielle Rehabilitierung der Opfer und ihrer Familien ausgerichtet sein.2330 Die Tätigkeit des Treuhandfonds basiert auf dem Prinzip Hilfe zur Selbsthilfe. In enger Zusammenarbeit mit der Opfergruppe, beispielsweise einer DorfgemeinSiehe auch Pict, S. 11; VRWG (July 2005a), S. 6. So auch VRWG (July 2005b), S. 3; de Brouwer, S. 230. Siehe auch DRC Observations des Représentants Légaux, ICC-01-04-463, o. Fn. 2290, Rn. 35; Abo Youssef, S. 200. 2328 DRC Notification, ICC-01 / 04-439, o. Fn. 1281, Rn. 36; Uganda Notification, ICC-02 / 04-114, o. Fn. 1281, Rn. 36; DRC Observations of the Legal Representative, ICC-01 / 04-461, o. Fn. 2308, Rn. 13; DRC Observations des Représentants Légaux, ICC-01-04-463, o. Fn. 2290, Rn. 33; CAR Notification ICC-01 / 05-29, o. Fn. 2292, Rn. 16 f.; AI, IOR 40 / 005 / 2001, S. 11; VRWG (July 2005b), S. 3. Siehe auch Redress (November 2006), S. 2. 2329 DRC Notification, ICC-01 / 04-439, o. Fn. 1281, Rn. 23; Uganda Notification, ICC-02 / 04-114, o. Fn. 1281, Rn. 23; Report to the Assembly of States Parties on the activities and projects of the Board of Directors of the Trust Fund for Victims for the period 1 July 2008 to 30 June 2009, ICC-ASP / 8 / 18, Rn. 11. 2330 DRC Notification, ICC-01 / 04-439, o. Fn. 1281, Rn. 55; Uganda Notification, ICC-02 / 04-114, o. Fn. 1281, Rn. 54. Siehe auch DRC Observations du Bureau du conseil public, ICC-01 / 04-460, o. Fn. 2268, Rn. 22; Redress (2001), S. 8. 2326 2327

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schaft, wird ein auf deren Verhältnisse abgestimmtes Konzept zur Beseitigung der Tatfolgen entwickelt. Dieses Vorgehen entspricht dem Vorbild der Truth and Reconciliation Commission of Sierra Leone. Diese hat umfassende Opferbefragungen durchgeführt, um das Reparationsprogramm auf die spezifischen Wünsche und Bedürfnisse der Geschädigten abstimmen zu können.2331 Zu bedenken ist allerdings, dass es den Opfern teilweise an den notwendigen Fachkenntnissen fehlen kann, um einschätzen zu können, welche Unterstützungsformen hilfreich und sinnvoll wären. Dies gilt vor allem für die Bereiche Traumatherapie und psychologische Betreuung.2332 Daher sind immer ergänzend auch Expertisen einzuholen. Neben der Versorgung von Kranken und Verwundeten zielen die Maßnahmen hauptsächlich auf die Wiederherstellung der wirtschaftlichen und sozialen Grundlage der Gemeinschaft. So werden beispielsweise einem Dorf die notwendigen Mittel zur Verfügung gestellt, um wieder Ackerbau und Viehzucht betreiben zu können. Andere Projekte bezwecken die Wiedereingliederung von Kindersoldaten in die Gemeinschaft. Neben rituellen Versöhnungszeremonien werden diese aktiv in den Wiederaufbau ihrer Dörfer eingebunden. Sie helfen beispielsweise, zerstörte Häuser, Brücken und Straßen zu reparieren. Solche Maßnahmen können einen erheblichen Beitrag dazu leisten, dass die Handlungsfähigkeit der Opfergruppe wiederhergestellt wird. Sie wird in die Lage versetzt, ihr Leben wieder aktiv zu gestalten. Dadurch kann vor allem einer tertiären Viktimisierung, einer Lähmung der Gruppe aufgrund erlernter Hilflosigkeit2333, entgegengewirkt werden. Darüber hinaus arbeitet der Treuhandfonds mit anderen Hilfsorganisationen und nationalen Entschädigungsprogrammen zusammen. So hat beispielsweise im Darfur-Konflikt die International Commission of Inquiry on Darfur vorgeschlagen, dass der Sicherheitsrat in Ergänzung der Überweisung der Situation Darfur, Sudan an den IStGH eine Compensation Commission ins Leben ruft.2334 Finanziert werden soll ein solcher Fond durch Zahlungen der sudanesischen Regierung.2335 Durch die Zusammenarbeit verschiedener Institutionen kann ein in sich stimmiges Gesamtkonzept für die gesamte Region geschaffen werden.2336 Reichweite und Effizienz der Reparationsleistungen werden so gesteigert.2337

2331 Report of the Sierra Leone Truth and Reconciliation Commission, Chapter 4 Rn. 30 ff. Siehe auch DRC Notification, ICC-01 / 04-439, o. Uganda Notification, ICC-02 / 04-114, o. Fn. 1281, Rn. 26. 2332 Report of the Sierra Leone Truth and Reconciliation Commission, Chapter 4 Rn. 73. 2333 Siehe oben Teil 2 A. III. 2334 Report of the International Commission of Inquiry on Darfur of Rn. 590. Siehe hierzu auch Travis, S. 61 ff. 2335 Report of the International Commission of Inquiry on Darfur of Rn. 603. 2336 di Giovanni, S. 59. 2337 Siehe auch di Giovanni, S. 51.

Volume II (2004), Fn. 1281, Rn. 26; Volume II (2004),

25 January 2005, 25 January 2005,

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Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

Sein humanitäres Mandat ermächtigt den Treuhandfonds, an alle Opfer einer Situation Wiedergutmachung zu leisten. Dadurch wird die Selektivität der gerichtlichen Wiedergutmachungsanordnungen ausgeglichen. Der Kreis der Begünstigten wird deutlich über die – vergleichsweise – wenigen Opfer, deren Täter sich vor dem IStGH verantworten müssen, ausgedehnt. Der Treuhandfonds leistet somit einen entscheidenden Beitrag zur Gleichbehandlung der Opfer.2338 Allerdings sind auch die Ressourcen des Treuhandfonds nicht ausreichend, um alle Opfer zu entschädigen.2339 Daher sollte er grundsätzlich nur subsidiär tätig werden, wenn also keine Unterstützung durch andere Stellen – wie der Victims and Witness Unit oder sonstigen humanitären Organisationen – möglich ist.2340 Zudem sollten auch bei Leistungen durch den Treuhandfonds kollektive Entschädigungen der Regelfall sein.2341

d) Mittelbeschaffung Der Treuhandfonds kann seinen Aufgaben nur im Rahmen seiner finanziellen Möglichkeiten nachkommen. Regulation 21 der Regulations of the Trust Fund zählt die Quellen auf, aus denen der Treuhandfonds Mittel erhalten kann. Soweit der Gerichtshof bestimmt, dass die Wiedergutmachung über den Treuhandfonds erfolgt, fließen ihm zwar Mittel zu;2342 diese sind allerdings zweckgebunden. Der Treuhandfonds kann sie nur zur Umsetzung der gerichtlichen Anordnung verwenden. Für sein humanitäres Mandat und seine Kompensationsfunktion stehen dem Fonds nur seine sonstigen Ressourcen i. S. v. Rule 98 Abs. 5; Regulation 47 der Regulations of the Trust Fund zur Verfügung. Zunächst kann der Gerichtshof dem Fonds gemäß Art. 79 Abs. 2 IStGH-Statut Vermögenswerte, die durch Geldstrafen oder Einziehung erlangt wurden, zusprechen.2343 Legt man allerdings die Erfahrungen der Ad-hoc-Tribunale zugrunde, muss man davon ausgehen, dass hierdurch nur geringe Summen zusammen kommen werden.2344 Dies zeichnet sich auch bereits in den Verfahren vor dem IStGH 2338 Siehe auch Uganda Observations du représentant légal, ICC-02 / 04-118, o. Fn. 2268, Rn. 11; DRC Observations des Représentants Légaux, ICC-01-04-463, o. Fn. 2290, Rn. 13; Kony et al. Observations of legal representatives, ICC-02 / 04-01 / 05-277, o. Fn. 2310, Rn. 16; VRWG (July 2005a), S. 3; de Greiff / Wierda, S. 240. 2339 Redress (November 2006), S. 3; Redress (December 2003), S. 34; Redress (2001), S. 9; Goetz, S. 6. Siehe auch de Greiff / Wierda, S. 232. 2340 Redress (2001), S. 20; dies. (December 2003), S. 34; VRWG (February 2005), S. 12. 2341 DRC Notification, ICC-01 / 04-439, o. Fn. 1281, Rn. 34; Uganda Notification, ICC-02 / 04-114, o. Fn. 1281, Rn. 34; de Brouwer, S. 233. 2342 Regulation 21 lit. c) der Regulations of the Trust Fund. 2343 Siehe Regulation 21 lit. b) der Regulations of the Trust Fund. 2344 Redress (2001), S. 10; dies. (December 2003), S. 19; Lasco, S. 21. Siehe auch Pict, S. 12; Peter G. Fischer, S. 218; Garkawe, S. 365.

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ab. So wurden Lubanga2345 und Abu Garda2346 wegen ihrer Mittellosigkeit Prozesskostenhilfe gewährt. Gemäß Regulation 21 lit. d) der Regulations of the Trust Fonds kann die Versammlung der Vertragsstaaten dem Treuhandfonds Gelder zuweisen. Da es aber bereits schwierig ist, eine ausreichende Finanzierung aller Organe des Gerichtshofs sicherzustellen, dürfte sie hiervon nur selten und unregelmäßig Gebrauch machen.2347 In den jährlichen Rechenschaftsberichten des Treuhandfonds ist dementsprechend auch noch keine Zuwendung durch die Versammlung der Vertragsstaaten verzeichnet. Wichtigste Einnahmequelle sind Spenden2348 von Staaten, NGOs, internationalen Organisationen, Einzelpersonen und privaten Vereinigungen2349. Von Juli 2004 bis August 2005 erhielt der Treuhandfonds ca. 680.000 A an freiwilligen Zuwendungen.2350 Im Folgejahr waren es bereits über 1,4 Millionen A,2351 im Zeitraum von Juli 2008 bis Juni 2009 hingegen nur ca. 870.000 A.2352 Dessen ungeachtet sind Spendengelder von entscheidender Bedeutung für die Funktionsfähigkeit des Treuhandfonds. Dementsprechend gehört aktive Mittelakquise zu den zentralen Aufgaben des Vorstands.2353 Regulations 23 und 24 der Regulations of the Trust 2345 Prosecutor v. Lubanga – Registrar’s Decision on Mr Thomas Lubanga Dyilo’s Application for Legal Assistance Paid by the Court, ICC-01 / 04-01 / 06-63, 31. 3. 2006, 3. 2346 Prosecutor v. Abu Garda – Decision of the Registrar on the application of Bahar Idriss Abu Garda requesting legal assistance to be paid by the Court, ICC-02 / 05-02 / 09-32, 29. 6. 2009. 2347 Redress (2001), S. 10; dies. (December 2003), S. 19; VRWG (February 2005), S. 8; Garkawe, S. 365. 2348 AI, IOR 40 / 005 / 2001, S. 48; Redress (2001), S. 11; dies. (December 2003), S. 19; VRWG (February 2005), S. 4; Ingadottir / Ferstmann / Kristjansdottir, S. 21; Lasco, S. 21; VRWG (April 2004), S. 5; Arsanjani / Reisman, S. 344. Siehe auch Pict, S. 19; Peter G. Fischer, S. 215. Siehe auch die Aufschlüsselung in Report to the Assembly of States Parties on the activities and projects of the Board of Directors of the Trust Fund for Victims for the period 1 July 2008 to 30 June 2009, ICC-ASP / 8 / 18, Annex I. 2349 Resolution ICC-ASP / 1 / Res. 6 Punkt 2 lit. a) der Versammlung der Vertragsstaaten vom 9. 9. 2002 und Regulation 23 of the Trust Fund. 2350 Report to the Assembly of States Parties on the activities and projects of the Board of Directors of the Trust Fund for Victims for the period 16 July 2004 to 15 August 2005, ICC-ASP / 4 / 12, Annex B. 2351 Report to the Assembly of States Parties on the activities and projects of the Board of Directors of the Trust Fund for Victims for the period 16 August 2005 to 30 June 2006, ICC-ASP / 5 / 8, Annex II. 2352 Report to the Assembly of States Parties on the activities and projects of the Board of Directors of the Trust Fund for Victims for the period 1 July 2008 to 30 June 2009, ICC-ASP / 8 / 18, Annex I. 2353 AI, IOR 40 / 005 / 2001, S. 8; VRWG (July 2005b), S. 2; Redress (December 2003), S. 19; VRWG (April 2004), S. 5. Siehe auch Report to the Assembly of States Parties on the activities and projects of the Board of Directors of the Trust Fund for Victims for the period 1 July 2008 to 30 June 2009, ICC-ASP / 8 / 18, Rn. 13 f.

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Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

Fund verpflichten ihn daher, Kontakte zu potentiellen Spender zu knüpfen und Richtlinien zur Einholung von Spenden aufzustellen. Zu diesem Zwecke wurde ein Fund-Raising Officer eingestellt, in dessen Verantwortungsbereich u. a. das Auftun neuer Geldquellen und die Koordination des Fund-Raisings zählt.2354 Zudem fordert der Vorstand in seinen jährlichen Berichten regelmäßig die Vertragsstaaten auf, den Treuhandfonds zu unterstützen.2355 Die Abhängigkeit des Treuhandfonds von Spenden kann allerdings dessen Unabhängigkeit beeinträchtigen. 2356 Die Geldgeber können versucht sein, die Verteilung der Mittel in ihrem Sinne zu beeinflussen. Um dies zu verhindern, bestimmt Regulation 30 of the Trust Fund, dass Zuwendungen, die mit den Zielen und Aufgaben des Fonds nicht vereinbar sind, oder dessen Unabhängigkeit beeinträchtigen, nicht angenommen werden dürfen. So würden beispielsweise Spenden von einem Waffenhersteller nicht akzeptiert. Vor allem dürfen aber die Zuwendungen nicht den Grundsatz der Gleichheit aller Opfer in Frage stellen. Diese Gefahr besteht insbesondere bei zweckgebundenen Spenden. Diese führen dazu, dass für die Unterstützung bestimmter Opfergruppen mehr Mittel als in anderen Fällen zur Verfügung stehen.2357 Daher bestimmt Regulation 27 S. 1 der Regulations of the Trust Fund, dass staatliche Zuwendungen nicht an Bedingungen geknüpft werden dürfen. Da der Löwenanteil der Spenden von Staaten stammt,2358 ist damit gewährleistet, dass der Treuhandfonds im Wesentlichen nach eigenem Ermessen über die Verwendung der Gelder entscheiden kann. Zuwendungen aus anderen Quellen dürfen hingegen grundsätzlich an einen bestimmten Verwendungszweck gebunden werden.2359 Damit wird dem Bedürfnis der Spender, über den Einsatz der von ihnen zur Verfügung gestellten Mitteln bestimmen zu können, Rechnung getra2354 Siehe Report to the Assembly of States Parties on the activities and projects of the Board of Directors of the Trust Fund for Victims for the period 16 August 2005 to 30 June 2006, ICC-ASP / 5 / 8, Annex I Rn. 5.; Report to the Assembly of States Parties on the activities and projects of the Board of Directors of the Trust Fund for Victims for the period 16 July 2004 to 15 August 2005, ICC-ASP / 4 / 12, Annex A Rn. 11. 2355 Report to the Assembly of States Parties on the activities and projects of the Board of Directors of the Trust Fund for Victims for the period 16 August 2005 to 30 June 2006, ICC-ASP / 5 / 8, Rn. 19.; Report to the Assembly of States Parties on the activities and projects of the Board of Directors of the Trust Fund for Victims for the period 16 July 2004 to 15 August 2005, ICC-ASP / 4 / 12, Rn. 18. 2356 Pict, S. 22; Ferstmann, S. 686; Redress (December 2003), S. 21. Siehe auch Kamhi, S. 585. 2357 Pict, S. 22; Ferstmann, S. 686; Redress (December 2003), S. 21. Siehe auch Kamhi, S. 586. 2358 Siehe Report to the Assembly of States Parties on the activities and projects of the Board of Directors of the Trust Fund for Victims for the period 16 August 2005 to 30 June 2006, ICC-ASP / 5 / 8, Annex II; Report to the Assembly of States Parties on the activities and projects of the Board of Directors of the Trust Fund for Victims for the period 16 July 2004 to 15 August 2005, ICC-ASP / 4 / 12, Annex B. 2359 Siehe Regulation 27 S. 2 der Regulations of the Trust Fund. Siehe hierzu auch ASP, ICC-ASP / 8 / 16, Rn. 5 ff.

F. Wiedergutmachung – Das Opfer als Anspruchsteller

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gen.2360 Hat die Zweckbindung allerdings einen diskriminierenden Hintergrund, sollen von der Spende beispielsweise nur Opfer einer bestimmten Nationalität oder einer bestimmten Religionszugehörigkeit unterstützt werden, wird die Zuwendung zurückgewiesen.2361 Die den völkerrechtlichen Verbrechen typischerweise inhärente Diskriminierung soll nicht auf der Ebene der Wiedergutmachung fortwirken. Unzulässig ist auch eine umgekehrte Diskriminierung, also eine Benachteiligung der Gruppe, aus der typischerweise die Täter stammen. So wurden im Jugoslawienkonflikt der überwiegende Teil der Taten von Serben zu Lasten muslimischer Bosnier begangen. Auch eine Spende, die Serben von der Unterstützung ausschließen will, müsste vom Treuhandfonds des IStGH zurückgewiesen werden. Die gesellschaftliche Teilung in rivalisierende Gruppen darf nicht durch die Wiedergutmachung fortgeführt werden.2362 Zulässig sind hingegen Differenzierungen nach Art des Verbrechens. Beispielsweise kann zur Auflage gemacht werden, dass die Spende besonders schutzbedürftigen Opfern, wie Kindern oder den Opfern sexueller Gewalt, zugute kommen soll.2363 Kann der mit der Zuwendung verfolgte Zweck nicht erreicht werden, so wird das Geld nach Absprache mit dem Spender für die allgemeinen Aufgaben des Treuhandfonds verwandt.2364

3. Wiedergutmachung durch den Staat? Im humanitären Völkerrecht sind grundsätzlich die Staaten verpflichtet, den Opfern von Menschenrechtsverletzungen Wiedergutmachung zu leisten. So bestimmt bereits Art. 3 der HLKO, dass Vertragsverletzungen eine umfassende Schadenersatzpflicht des vertragsbrüchigen Staates auslösen. Bei Verletzungen der Europäischen Menschrechtskonvention kann der EGMR den verantwortlichen Staat gemäß Art. 41 EMRK zur Zahlung einer gerechten Entschädigung verurteilen. Der Gedanke der Staatenverantwortlichkeit liegt auch den van-Boven-Principles zugrunde. Das IStGH-Statut erlaubt es den Opfern hingegen nur, Ansprüche gegen individuelle Täter, nicht aber gegen den Täter- oder Tatortstaat geltend zu machen.2365 Dies scheint auf den ersten Blick unbefriedigend, weil den Opfern ein 2360 VRWG (July 2005a), S. 6. Siehe auch VRWG (February 2005), S. 5; VRWG (July 2005b), S. 5; Ingadottir, S. 18. 2361 Regulation 30 lit. b) der Regulations of the Trust Fund. 2362 Report of the Sierra Leone Truth and Reconciliation Commission, Volume II (2004), Chapter 4 Rn. 23. Siehe zu entsprechenden Erfahrungen in Ruanda Rombouts / Vandeginste, S. 339 – 340. 2363 AI, IOR 40 / 005 / 2001, S. 49; Redress (December 2003), S. 21;VRWG (July 2005a), S. 6; de Brouwer, S. 230. 2364 Regulation 28 der Regulations of the Trust Fund. 2365 van Boven (1999), S. 87; Victims Compensations and Participation, Judges’ Report of 13 September 2000, 4; Pict, S. 21; Ferstmann, S. 669; Peter G. Fischer, S. 200; Ingadottir / Ferstmann / Kristjansdottir, S. 20; Redress (December 2003), S. 2; dies. (2007), S. 8; Roth-

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Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

leistungsfähiger Schuldner genommen wird. Die Einbeziehung der Staaten in das Reparationssystem scheint eine Möglichkeit zu sein, angemessene Entschädigungssummen zu ermöglichen. Zudem könnte die Garantie der Nicht-Wiederholung sinnvoll in das Wiedergutmachungskonzept integriert werden. Zu bezweifeln ist allerdings bereits die Leistungsfähigkeit des entfallenden Schuldners. Ein Völkermord oder ein Bürgerkrieg zerstört nationale Ressourcen und beeinträchtigt die Wirtschaft. Nach Beendigung der gesellschaftlichen Krisensituation muss ein kostspieliger Wiederaufbau erfolgen. Typischerweise werden die betroffenen Staaten daher nur begrenzt in der Lage sein, Wiedergutmachung zu leisten.2366 Zudem dürfte es in vielen Fällen auch an der Zahlungswilligkeit fehlen.2367 Ausschlaggebend ist aber ein systematisches Argument. Der IStGH entscheidet über die Verantwortlichkeit von Individuen, nicht über die von Staaten. Die klare Trennung zwischen diesen Gebieten würde verwischt, wenn man auf der Ebene der Wiedergutmachung die Staaten einbezöge.2368 Dementsprechend stellt Art. 75 Abs. 6 IStGH-Statut klar, dass die Rechte der Opfer nach nationalem oder internationalem Recht unberührt bleiben. Den Opfern ist es daher unbenommen, sowohl gegen den individuellen Täter, als auch gegen den Staat weitere Ansprüche auf Wiedergutmachung geltend zu machen. Als Grundlage für Ansprüche gegen den Staat kommen neben den bereits genannten Menschenrechtskonventionen auch nationale Opferentschädigungs- und Amtshaftungsgesetze in Betracht.2369 Art. 76 Abs. 6 IStGH-Statut gewährleistet, dass sich im Sinne der Opfer der jeweils höchste Standard durchsetzt.2370 4. Zusammenfassung Adressat der gerichtlichen Wiedergutmachungsanordnung ist der individuelle Täter. Allerdings wird dieser typsicherweise nicht in der Lage sein, alle Berechtigten angemessenen zu entschädigen. Dies kann durch den Treuhandfonds ausgeglichen werden. Seine Aufgabe ist es nicht nur, die Weisungen der Kammer zu implementieren, sondern auch zusätzliche Gelder zur Verfügung zu stellen. Darüber hinaus hat der Treuhandfonds ein humanitäres Mandat. In diesem Rahmen ist er berechtigt, alle Opfer einer Situation zu unterstützen. Gewährleistet wird dadurch, Arriaza (2004), S. 168; Schwager, S. 430; di Giovanni, S. 49; Bassiouni (2008 f.), S. 666; ders. (2010), S. 618. 2366 Siehe zur Situation in Sierra Leone Schabas (2005b), S. 301; zur Siutation in Malawi Cammack, S. 235, 238; zur Situation in Uganda di Giovanni, S. 59. Allgemein Lasco, S. 18 ff.; Schotsmans, S. 109; Duggan / Abusharaf, S. 641; Segovia (2006b), S. 650. 2367 Scharf (1997), S. 391. Siehe auch Tomuschat (2002a), S. 172 sowie di Giovanni, S. 59; Guembe, S. 45; Segovia (2006a), S. 158. 2368 Siehe auch van Boven (1999), S. 88; Muttukumaru, S. 308; Schwager, S. 436. 2369 Siehe Malamud-Goti / Grosman, S. 546. 2370 Safferling (2003a), S. 381; Triffterer(-Donat-Cattin), Art. 75 IStGH-Statut Rn. 25. Siehe hierzu auch Schabas (2010), S. 883.

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dass – ganz im Sinne der van-Boven-Principles – die Wiedergutmachung nicht davon abhängt, dass der Täter ermittelt oder gerichtlich belangt wird. Durch die Etablierung des Treuhandfonds hat die Staatengemeinschaft daher den Grundstein für ein effektives, vom Gleichheitsgrundsatz getragenes Wiedergutmachungssystem gelegt.2371

V. Verfahren Für die Opfer ist nicht nur von Bedeutung, dass sie Wiedergutmachungsleistungen erhalten, sondern auch, wie der Entscheidungsfindungsprozess ausgestaltet ist. Die Art wie die Opfer das Verfahren erleben, wird ihre Wahrnehmung von der Wiedergutmachungsleistung maßgeblich beeinflussen.2372

1. Die Gefahr der sekundären Viktimisierung Die Geltendmachung von Wiedergutmachungsansprüchen beinhaltet eine Auseinandersetzung mit der Tat und den Tatfolgen. Auch dem Entschädigungsverfahren ist daher die Gefahr einer sekundären Viktimisierung inhärent.2373 Zudem müssen die Opfer gegebenenfalls erneut um ihre Anerkennung kämpfen.2374 Die Ablehnung eines Antrags kann als Negierung des erlittenen Unrechts verstanden werden und daher retraumatisierende Wirkung haben.2375 Besteht dieses Problem bereits in nationalen Entschädigungsprozessen, wie dem deutschen Adhäsionsverfahren, verschärft sie sich, wenn völkerrechtliche Verbrechen in Frage stehen. Die Unmöglichkeit, alle Taten umfassend wiedergutzumachen, kann zu einem Kampf der Opfer untereinander um die begrenzten Ressourcen führen.2376 Letztlich muss das Leiden der unterschiedlichen Opfergruppen verglichen und bewertet werden.2377 Es besteht die Gefahr, dass dieser Abwägungsprozess zu Lasten derjenigen geht, deren Verletzungen weniger sichtbar sind, die also hauptsächlich psychische Schäden davongetragen haben.2378

Siehe auch Garkawe, S. 364; Stefanie Bock (2007c), S. 679. Goetz, S. 1. Siehe auch Magarrell, S. 9; Forstmann / Goetz, S. 341. 2373 Harkotte, S. 109; Schmeling, S. 129; Wierda / de Greiff, S. 5; Cano / Salvao Ferreira, S. 133; de Greiff, S. 459. Siehe auch Guembe, S. 47. 2374 Roht-Arriaza (2004), S. 179. 2375 de Greiff / Wierda, S. 232. 2376 Rombouts / Sardaro / Vandeginste, Rn. 170; Schotsmans, S. 130. 2377 Rombouts / Sardaro / Vandeginste, Rn. 172. 2378 Schotsmans, S. 130. 2371 2372

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Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

2. Das Verfahren vor dem IStGH Gemäß Art. 75 Abs. 1 S. 1 IStGH-Statut soll der Gerichtshof Prinzipien für die Wiedergutmachung aufstellen. Diese werden Fall und Kammer übergreifend gelten und so zu einer Gleichbehandlung der Opfer beitragen. Sie sind allerdings als Leitlinien nicht strikt bindend. So wird es der Kammer ermöglicht, den Besonderheiten des Einzelfalls Rechnung zu tragen. Nach Art. 75 Abs. 1 S. 2 IStGH-Statut kann die Kammer eine Wiedergutmachungsanordnung erlassen. Die Opfer haben somit keinen Anspruch auf die Einleitung eines Entschädigungsverfahrens. Vielmehr steht der Kammer ein Ermessensspielraum zu.2379 Berücksichtigt werden sollte bei der Ermessensausübung der Gleichheitsgrundsatz sowie das Bestreben der internationalen Gemeinschaft, das Recht auf Wiedergutmachung effektiv durchzusetzen.

a) Antrag Zunächst muss der Geschädigte einen Antrag ausfüllen. Dies gilt im Verfahren vor dem IStGH unabhängig davon, ob das Wiedergutmachungsverfahren auf seine Initiative oder von der Kammer proprio motu eingeleitet wird.2380 Basierend auf Regulation 88 Abs. 1 der Regulations of the Court hat die Kanzlei ein Standardformular entwickelt. Neben Angaben zur Person muss der Antragsteller auch Fragen zum schädigenden Ereignis beantworten. Nach einer Beschreibung der Tat soll das Opfer Auskünfte zu Zeit und Ort der Tat, den mutmaßlichen Tätern, anderen potentiellen Opfern, Zeugen und den erlittenen Tatfolgen geben. Nach Möglichkeit soll dem Antrag einschlägiges Beweismaterial beigefügt werden. Zudem wird der Geschädigte über seine Wiedergutmachungswünsche und -vorstellungen befragt.2381 Die Anträge auf Entschädigung sind an die Kanzlei zu richten und werden dort gesammelt. Die VPRS leitet sie an die zuständige Kammer weiter und fertigt auf Anfrage einen Bericht an.2382 Dieser kann gemäß Regulation 110 Abs. 2 der Regulations of the Registry Vorschläge hinsichtlich der Art der Wiedergutmachung, der Um- und Durchsetzung der Ansprüche sowie der möglichen Rolle des Treuhandfonds enthalten. Grundvoraussetzung für ein sinnvolles Wiedergutmachungsverfahren ist, dass das Antragsformular den Opfern in einer ihnen verständlichen Sprache zugänglich ist.2383 In den Situationen, mit denen der IStGH bisher befasst ist, muss allerdings 2379 Ingadottir / Ferstmann / Kristjansdottir, S. 14; Victims Compensations and Participation, Judges’ Report of 13 September 2000, 4; Pict, S. 16; Sarkin (2005), S. 180; Tomuschat (2005a), S. 584; de Brouwer, S. 220; Triffterer(-Donat-Cattin), Art. 75 IStGH-Statut Rn. 16. 2380 Siehe oben Teil 5 F. I. 2. 2381 Siehe das Standardformular abrufbar unter http: //www.icc-cpi.int/library/victims/ Form-Reparation-1_en.pdf. 2382 Regulation 110 Abs. 1 der Regulations of the Registry. 2383 Goetz, S. 3.

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damit gerechnet werden, dass ein nicht unerheblicher Teil der Opfer nicht lesen und schreiben kann.2384 Zwar ist es möglich, dass sich diese bei der Antragstellung vertreten lassen oder die Hilfe der VPRS2385 in Anspruch nehmen. Dennoch dürfte das Antragserfordernis für viele Opfer eine ernst zu nehmende Hürde darstellen. Zudem werden die Geschädigten häufig nicht in der Lage sein, Angaben zu den Tätern und anderen Opfern zu machen, oder gar Beweismaterial beizufügen. Auch dies kann dazu beitragen, dass die Opfer darauf verzichten, Wiedergutmachung zu beantragen. Darüber hinaus birgt die Konzeption des Antragsformulars die Gefahr, dass bei den Geschädigten zu hohe Erwartungen geweckt werden. Nur an einer Stelle erfolgt die Einschränkung, dass Wiedergutmachung nur unter der Voraussetzung ausreichender Mittel erfolgen kann. Daher könnte der Eindruck entstehen, dass alle gelisteten Schäden entsprechend der Vorstellungen der Antragsteller ausgeglichen werden. Bestehen solche Hoffnungen, kann das Reparationsverfahren für die Opfer nur eine Enttäuschung sein.

b) Voraussetzungen Das Gericht kann Wiedergutmachung zusprechen, wenn der Antragsteller Opfer i. S. v. Rule 85 ist und der Täter für die völkerrechtlichen Verbrechen, durch die die Schäden verursacht wurden, verantwortlich ist. Auch wenn sich diese Voraussetzung nicht direkt aus dem Wortlaut von Art. 75 Abs. 1 IStGH-Statut ergibt, wird der Gerichtshof schon aus prozessökonomischen Erwägungen heraus nur hinsichtlich der Taten, für die der Angeklagte verurteilt wurde, Wiedergutmachungsanordnungen erlassen. Dies dürfte auch dann gelten, wenn wie im Fall Thomas Lubanga Dyilo der Verdacht besteht, dass der Verurteilte sich noch weiterer Taten schuldig gemacht hat.2386 Anderenfalls bestünde die Gefahr, dass das Wiedergutmachungsverfahren einen nicht mehr hinnehmbaren Umfang annimmt und zu viele Ressourcen des Gerichtshofs bindet. Die Akzessorietät von Strafverfahren und Wiedergutmachung bedeutet aber, dass der Kreis der Berechtigten auf die Opfer des Falls begrenzt wird und damit viele Geschädigte vom Wiedergutmachungsverfahren ausgeschlossen werden.

2384 Die Alphabetisierungsrate beträgt beispielsweise in Uganda 66,8 %, im Congo 65,5%, im Sudan 61,1% und in Zentralafrika 51 %. Siehe https: //www.cia.gov/library/publications/ the-world-factbook/geos. 2385 Siehe Regulation 88 Abs. 2 S. 1 der Regulations of the Court. 2386 Siehe Abo Youssef, S. 165. Für einen weiteren Ansatz hingen OTP (2009), S. 5. Zustimmend Redress (2010), S. 2.

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Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

c) Haftungsumfang Bevor die konkrete Reparationsleistung festgelegt werden kann, muss der Umfang der eingetretenen Schäden ermittelt werden. Dies gilt vor allem dann, wenn individuelle Wiedergutmachung gewährt werden soll. In Ausnahmefällen kann dabei selbst bei völkerrechtlichen Verbrechen eine Kürzung wegen Mitverschuldens des Geschädigten in Betracht kommen. Vor allem beim Umfang des Schmerzensgelds kann es eine Rolle spielen, ob sich das Opfer unmoralisch verhalten hat oder bewusst ein Risiko eingegangen ist.2387 Den Verurteilten nur im Rahmen seiner individuellen Verantwortlichkeit zu Reparationsleistungen zu verpflichten, bedeutet auch, die Tatbeiträge anderer Beteiligter zu berücksichtigen.2388 Völkerrechtliche Verbrechen werden nicht von einem einzelnen Täter, sondern einer Vielzahl von Personen begangen. Weder das IStGH-Statut noch die Rules klären allerdings, wie sich die Verschuldensbeiträge von Mittätern, Anstiftern und Vorgesetzten auf die zivilrechtliche Haftung des Verurteilten auswirken. Denkbar wäre es beispielsweise, diesem nur entsprechend seines Verantwortungsbeitrags Wiedergutmachungsleistungen aufzuerlegen. Dies bedeutet aber, dass die Tatbeiträge anderer Beteiligter ermittelt und bewertet werden müssen. Das Wiedergutmachungsverfahren würde erheblich in die Länge gezogen. Zieht man allerdings den Umfang der zu leistenden Entschädigung in Betracht, erscheint es ebenso unbefriedigend, den Verurteilten ungeachtet seines Tatbeitrags zur umfassenden Wiedergutmachung zu verpflichten und es ihm zu überlassen, Regressansprüche gegen Mittäter geltend zu machen. Bei kollektiven Reparationen stellt sich zudem die Frage nach der Zielgenauigkeit der Maßnahmen. Beispielsweise könnte der IStGH einen Täter, der systematisch sexuelle Gewalt als Kriegstaktik eingesetzt hat, verpflichten, sich finanziell am Aufbau eines Therapiezentrums für vergewaltigte Frauen zu beteiligen. Dabei kann allerdings nicht sichergestellt werden, dass hier nur Opfer von Taten, für die der Verurteilte verantwortlich ist, behandelt werden. Darüber hinaus stellt nicht jede während eines bewaffneten Konflikts begangene Vergewaltigung ein Kriegsverbrechen dar.2389 Das Therapiezentrum wird aber keine juristischen Selektionsprozesse vornehmen, sondern allen vergewaltigten Frauen – unabhängig von der Frage, wie die Tat rechtlich zu bewerten ist – helfen. Dies bedeutet aber, dass die Reparationsleistung auch Geschädigten, die nicht die Voraussetzungen von Rule 85 erfüllen, zugute kommt; der Gerichtshof also indirekt Wiedergutmachung für Taten anordnet, die nicht in seine Zuständigkeit fallen. Individuelle Verantwortlichkeit und kollektive Wiedergutmachung scheinen daher nur schwer vereinbar zu sein.2390 Siehe Rombouts / Sardaro / Vandeginste, Rn. 56. Siehe auch Wierda / de Greiff, S. 10; Redress (2007), S. 8; de Greiff / Wierda, S. 238. 2389 Siehe zum erforderlichen Nexus oben Teil 2 B. IV. 1. a). 2390 Angedeutet in Kony et al. Observations of legal representatives, ICC-02 / 04-01 / 05-277, o. Fn. 2310, Rn. 15. 2387 2388

F. Wiedergutmachung – Das Opfer als Anspruchsteller

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d) Beweislast und Beweiserleichterungen Wegen der zivilrechtlichen Natur des Wiedergutmachungsverfahrens wird man grundsätzlich dem Antragsteller die Beweislast auferlegen müssen. Das Opfer muss darlegen, das und in welchem Umfang er von dem Verurteilten geschädigt wurde.2391 aa) Beweisschwierigkeiten Ehebliche Probleme bereitet der Nachweis rein psychischer Schäden.2392 Es fehlt an objektivem Beweismaterial. Um die Verletzungen darzulegen, muss das Opfer seine innersten Ängste und Gefühle offenlegen.2393 Dennoch können auch Gutachter selbst nach mehrstündigen Gesprächen mit den Geschädigten nur schwer den Grad und die Intensität der psychischen Beeinträchtigung bestimmen.2394 Bei völkerrechtlichen Verbrechen kann aber auch der Nachweis materieller Schäden eine nahezu unüberwindbare Hürde darstellen. Wenige Opfer haben die Möglichkeit zu beweisen, was ihnen gehörte und wie viel es wert war.2395 Auf der Flucht gilt es, das eigene Leben und das naher Angehöriger zu retten. Dokumente, die Aufschluss über die Eigentumslage geben – so sie denn überhaupt existieren und nicht bei der Tat vernichtet wurden2396 – werden nicht mitgenommen oder gehen verloren.2397 Noch schwieriger ist allerdings der Beweis zu führen, dass die Schäden durch die Tat verursacht wurden.2398 Selbst wenn nachgewiesen werden kann, dass der Antragsteller in psychischer und physischer Hinsicht beeinträchtigt ist, so muss als nächstes dargelegt werden, dass diese Schäden nicht bereits vor der Tat bestanden haben. So wurden bei der Entschädigung von NS-Opfern viele Schäden als anlagebedingt bewertet. Den Betroffenen wurde attestiert, dass sie an einer von äußeren Einflüssen unabhängigen psychischen Störung litten.2399 Darüber hinaus stellt sich die Frage, ob beim Opfer Vorschäden bestanden, die durch die Tat lediglich verschlimmert, nicht aber originär hervorgerufen wurden.2400 Zegveld (2010b), S. 104. Harkotte, S. 112, Colonomos / Armstrong, S. 410. 2393 Colonomos / Armstrong, S. 410. 2394 Harkotte, S. 112. 2395 Reig, S. 9. 2396 Reig, S. 8. 2397 Taylor, S. 3. Siehe auch DRC PTC, ICC-01 / 04-374, o. Fn. 16, Rn. 13; Schmeling, S. 75; Zegveld (2010a), S. 618 ff. 2398 Siehe zur Kausalität auch Abo Youssef, S. 174 ff. 2399 Siehe Schmeling, S. 63; Colonomos / Armstrong, S. 410. 2400 Pross (1988), S. 136; Burdenski, S. 14; Colonomos / Armstrong, S. 410. In diese DRC Request, ICC-01 / 04-382, o. Fn. 1134, Rn. 29. 2391 2392

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Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

bb) Erleichterungen der Beweisführung Wegen der zivilrechtlichen Natur des Wiedergutmachungsverfahrens2401 könnte dem Geschädigten die Beweisführung erleichtert werden.2402 Insbesondere der IACHR arbeitet mit verschiedenen Vermutungen. So hält er emotionale Schäden bei Folter und ähnlichen Angriffen für offensichtlich und gewährt Schmerzensgeld ohne die Beibringung weiterer Beweise zu verlangen.2403 Ebenso wird bei der Tötung oder Verschleppung von Personen zugunsten der Eltern2404 und anderer engster Familienangehöriger 2405 das Vorliegen eines ersatzfähigen moralischen Schadens vermutet. Hinsichtlich der übrigen Familienangehörigen stellt der Gerichtshof darauf ab, wie eng die Bindung zum Opfer war.2406 Diese Problematik erübrigt sich allerdings, wenn nach dem Vorbild der United Nations Compensation Commission mit festen Entschädigungssummen gearbeitet wird. Dann genügt der Nachweis des schädigenden Ereignisses. Eine Beweiserhebung hinsichtlich des exakten Schadenumfangs muss nicht erfolgen. Dies erspart dementsprechend nicht Siehe Shelton (1999), S. 11. Siehe auch Zegveld (2010a), S. 620. 2403 Case of El Amparo v. Venezuela (Reparations and Costs), IACHR, 14. 9. 1996, Rn. 36; Case of Garrido and Baigorria v. Argentina (Reparations and Costs), IACHR, 27. 8. 1998, Rn. 49; Case of Suárez-Rosero v. Ecuador. (Reparations and Costs), IACHR, 20. 1. 1999, Rn. 65; Case of the „White Van“ (Paniagua-Morales et al.) v. Guatemala (Reparations and Costs), IACHR, 25. 5. 2001, Rn. 106; Case of Bámaca Velásquez v. Guatemala (Reparations and Costs), IACHR, 22. 2. 2002, Rn. 62; Caso Juan Humberto Sánchez v. Hondura (Excepción Preliminar, Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR, 7. 6. 2003, Rn. 155; Caso de la „Masacre de Mapiripán“ v. Colombia (Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR, 15. 9. 2005, Rn. 283; Caso Masacre de Pueblo Bello v. Colombia (Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR, 31. 1. 2006, Rn. 255; Case of the Ituango Massacres v. Colombia (Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs), IACHR, 1. 7. 2006, Rn. 384; Case of Bueno-Alves v. Argentina (Merits, Reparations, and Costs), IACHR, 11. 5. 2007, Rn. 202; Case of Bayarri v. Argentina (Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs), IACHR 30. 10. 2008, Rn. 153; Case of Kawas-Fernández v. Honduras (Merits, Reparations and Costs), IACHR 3. 4. 2009, Rn. 185. 2404 Case of Garrido and Baigorria v. Argentina (Reparations and Costs), IACHR, 27. 8. 1998, Rn. 60; Case of the „White Van“ (Paniagua-Morales et al.) v. Guatemala (Reparations and Costs), IACHR, 25. 5. 2001, Rn. 108; Case of the „Street Children“ (Villagrán-Morales et al.) v. Guatemala (Reparations and Costs), IACHR, 26. 5. 2001, Rn. 66; Caso Cantoral Huamaní y García Santa Cruz v. Perú (Excepción Preliminar, Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR, 10. 7. 2007, Rn. 175. Siehe auch Case of Heliodoro Portugal v. Panama (Preliminary objections, Merits, Reparations and Costs), IACHR 12. 8. 2008, Rn. 238. 2405 Case of Bámaca Velásquez v. Guatemala (Reparations and Costs), IACHR, 22. 2. 2002, Rn. 63; Case of Myrna Mack Chang v. Guatemala (Merits, Reparations and Costs), IACHR, 25. 11. 2003, Rn. 243; Case of Molina-Theissen v. Guatemala (Reparations and Costs), IACHR, 3. 7. 2004, Rn. 48; Caso Juan Humberto Sánchez v. Hondura (Excepción Preliminar, Fondo, Reparaciones y Costas), IACHR, 7. 6. 2003, Rn. 75; Case of Anzualdo Castro v. Peru (Preliminary Objection, Merits, Reparations and Costs), IACHR 22. 9. 2009, Rn. 220. 2406 Case of the „White Van“ (Paniagua-Morales et al.) v. Guatemala (Reparations and Costs), IACHR, 25. 5. 2001, Rn. 109. 2401 2402

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nur den Opfern die belastende Darstellung ihrer Leiden, sondern führt auch zu einer prozessökonomisch sinnvollen Verkürzung des Wiedergutmachungsverfahrens.2407 Auch bezüglich des schädigenden Ereignisses ist im Wiedergutmachungsverfahren in geeigneten Fällen der Einsatz von Beweiserleichterungen denkbar. So stellte die Commission on Illegal Detention and Torture in Chile die Vermutung auf, dass alle Personen, die für einen gewissen Zeitraum in einem bestimmten Lager interniert waren, gefoltert wurden.2408 Eine ähnliche Vermutung greift in den brasilianischen Entschädigungsprozessen.2409 cc) Beweisgrad Die Kammer darf den Angeklagten gemäß Art. 66 Abs. 3 IStGH-Statut nur dann verurteilen, wenn kein vernünftiger Zweifel an seiner Schuld besteht. Dieser hohe Beweisstandard ist im Strafverfahren notwendig, um die Verurteilung Unschuldiger auszuschließen. Er gehört zu den zentralen menschenrechtlichen Verfahrensgarantien. Im Zivilverfahren geht es hingegen um Wahrscheinlichkeiten.2410 Daher stellt sich die Frage, ob im Wiedergutmachungsverfahren nicht ein geringerer Beweisgrad ausreichend sein könnte.2411 Dies betrifft weniger die bereits durch das Strafurteil grundsätzlich geklärten Haftungsvoraussetzungen. Zu überlegen ist vielmehr, ob nicht geringere Anforderungen an den Nachweis des Schadensumfangs gestellt werden könnten. Grundlage für die Ermittlungen eines von Art. 66 Abs. 3 IStGH-Statut abweichenden Beweisstandards könnte gemäß Art. 21 Abs. 1 lit. c) IStGH-Statut eine Analyse der Verfahrensrechte der Nationalstaaten bilden.2412 dd) Unterstützung durch Kammer und Ankläger Darüber hinaus stellt sich die Frage, inwieweit der Geschädigte bei der Beweisführung durch die Kammer oder den Ankläger unterstützt werden kann. Im deutschen Recht gilt beispielsweise der Amtsermittlungsgrundsatz auch im Adhäsionsverfahren.2413 Das Gericht übernimmt die Sachverhaltsaufklärung und ermittelt Van Houtte, S. 365. Goetz, S. 4. 2409 Cano / Salvao Ferreira, S. 138. 2410 Shelton (1999), S. 11. 2411 Siehe auch Zappalà (2010), S. 152; Dwertmann, S. 228 f. 2412 Siehe zu unterschiedlichen Beweisregelungen im deutschen Straf- und Adhäsisonsverfahren LG Berlin 1. 12. 2005, NZV 2006, 389; Weiner, Rn. 26. 2413 Köckerbauer (1993), S. 119; ders. (1994), S. 308; Klaus, S. 61; Lars Falc Alexander Klein, S. 74; Meyer-Goßner, § 404 StPO Rn. 11; Weiner, Rn. 26. 2407 2408

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von Amts wegen alle Umstände, die für die Frage der Entschädigung von Bedeutung sein könnten. Das Opfer ist von der Beweisbeibringungspflicht befreit.2414 Im Verfahren vor dem IStGH ist die Kammer gemäß Art. 64 Abs. 6 lit. d) IStGH-Statut berechtigt, von den Parteien die Beibringung weiterer Beweise zu verlangen. Die systematische Stellung der Vorschrift scheint allerdings nahe zu legen, dass dem Gericht diese Kompetenz nur im Hauptverfahren, nicht aber im Wiedergutmachungsverfahren zusteht. Allerdings kann die Kammer gemäß Regulation 56 der Regulations of the Court bei der Beweisaufnahme über die strafrechtliche Verantwortlichkeit des Angeklagten auch Fragen nachgehen, die für ein eventuell folgendes Wiedergutmachungsverfahren relevant sein könnten.2415 Zudem ermächtigt Art. 75 Abs. 3 IStGH-Statut die Kammer, vor Erlass einer Wiedergutmachungsanordnung den Verurteilten, die Opfer, andere interessierte Personen oder Staaten anzuhören. Zudem kann sie gemäß Rule 97 Abs. 2 auch aus eigenem Antrieb einen Sachverständigen beauftragen, der ihr bei der Bestimmung des Schadensumfangs und der Auswahl der angemessenen Wiedergutmachungsleistung unterstützend zur Seite steht. Insgesamt ermöglichen es diese Vorschriften der Kammer, auch im Wiedergutmachungsverfahren eine aktive Rolle einzunehmen und die Opfer bei der Beweisführung zu unterstützen. Die Position der Opfer würde weiter gestärkt, wenn der Ankläger sie bei der Beschaffung der notwendigen Beweise unterstützen würde. Art. 54 Abs. 1 lit. a) IStGH-Statut verpflichtet den Ankläger nur insoweit zur Wahrheitsermittlung, wie dies für die Beurteilung der strafrechtlichen Verantwortlichkeit einer Person erforderlich ist. Wiedergutmachungsfragen scheinen e contrario nicht in seinen Zuständigkeitsbereich zu fallen. Dies führt allerdings zu unbilligen Ergebnissen. Soweit die Geschädigten als Zeugen oder Beteiligte am Verfahren teilgenommen haben, kann im Wiedergutmachungsverfahren größtenteils auf die Ergebnisse der Hauptverhandlung zurückgegriffen werden. Vollständig entlastet werden die Opfer dadurch zwar nicht, da typischerweise noch Beweis über den Schadensumfang erhoben werden muss. Dennoch schont der Rückgriff auf die Tatsachenfindung im Hauptverfahren die Ressourcen des Gerichts und erspart den Opfern eine erneute Aussage2416. Zudem können sich die Geschädigten auf die Ermittlungsergebnisse und Beweise des Anklägers, wie sie in der Hauptverhandlung präsentiert wurden, stützen. Opfer, die sich nicht an der Hauptverhandlung beteiligt haben, steht diese Möglichkeit hingegen nicht im gleichen Maße offen. Über ihre Anspruchsberechtigung muss originär im Wiedergutmachungsverfahren befunden werden. Insbesondere müssen sie darlegen, dass auch sie durch die im Urteil genannten Taten Köckerbauer (1993), S. 119; ders. (1994), S. 308; Weiner, Rn. 26. Siehe auch Lubanga TC, ICC-01 / 04-01 / 06-1119, o. Fn. 7, Rn. 121. Kritisch wegen einer möglichen Vorverurteiltung des Angeklagten Lubanga Argumentation de la Défense, ICC-01 / 04-01 / 06-991, o. Fn. 1170, Rn. 11 ff. 2416 AI, IOR 49 / 19 / 99, S. 39. Siehe zum deutschen Adhäsionsverfahren von Hasseln, S. 33. 2414 2415

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geschädigt wurden. Dies führt zu einer unterschiedlichen Beweislastverteilung. Während die Verfahrensbeteiligten vom Ankläger mittelbar bei der Geltendmachung von Wiedergutmachungsansprüchen unterstützt werden, müssen die übrigen Opfer selbst und eigenständig die Anspruchsvoraussetzungen beweisen. Dies widerspricht dem Grundsatz der Opfergleichbehandlung und würde die Durchsetzung von Wiedergutmachungsansprüchen faktisch an eine Verfahrensbeteiligung knüpfen. Um dieses systemwidrige2417 Ergebnis zu verhindern, sollte der Ankläger in begrenztem Umfang während seiner Ermittlungen auch Beweise sichern, die möglicherweise erst beim Verfahren nach Art. 75 IStGH-Statut Bedeutung erlangen2418 und diese später auf Anfrage der Kammer vorlegen. Alternativ wäre es denkbar, den Opfern zwar die Beweisführung zu überlassen, ihnen aber bei den notwendigen Ermittlungen die VPRS unterstützend zur Seite zu stellen. Es erscheint allerdings effizienter und kostengünstiger, das Mandat des Anklägers zu erweitern.

e) Beteiligung der Opfer Art. 75 Abs. 3 IStGH-Statut überlässt es dem Ermessen der Kammer, ob diese vor Erlass einer Wiedergutmachungsanordnung die Opfer anhört.2419 Um die Reparationsanordnung auf den Einzelfall abstimmen zu können, müssen aber die Bedürfnisse und Vorstellungen der betroffenen Opfer erforscht werden.2420 Diese wissen am besten, welche Bedürfnisse sie haben und welche Maßnahmen ihnen Genugtuung bringen würden.2421 Darüber hinaus wird die Wiedergutmachungsanordnung auf höhere Akzeptanz treffen, wenn die Geschädigten in den Entscheidungsprozess integriert werden. Daher sollte die Kammer in jedem Fall die Opfer um Stellungnahmen bitten. Unabhängig von Art. 75 Abs. 3 IStGH-Statut können sich die Opfer nach Maßgabe von Art. 68 Abs. 3 IStGH-Statut im Wiedergutmachungsverfahren beteiligen.2422 Sie können ihre Anliegen und Auffassungen vortragen, Zeugen, Sachverständige und den Verurteilten ohne die Beschränkungen von Rule 91 Abs. 3 durch ihre legal representatives befragen lassen2423 sowie die erforderlichen Beweise beibringen2424. Zudem können sie gemäß Rule 97 Abs. 2 anregen, einen Sachverständigen zu hören oder zu bereits eingeholten Gutachten Stellung nehmen. Siehe oben Teil 5 F. I. 1. In diese Richtung auch Taylor, S. 5. 2419 AI, IOR 49 / 19 / 99, S. 42. 2420 Redress (2007), S. 8. Siehe auch DRC Notification, ICC-01 / 04-439, o. Fn. 1281, Rn. 25; Uganda Notification, ICC-02 / 04-114, o. Fn. 1281, Rn. 25; DRC Observations of the Legal Representative, ICC-01 / 04-461, o. Fn. 2308, Rn. 8; Redress (2001), S. 7. 2421 Magarrell, S. 3. Siehe auch AI, IOR 49 / 19 / 99, S. 42; Baldo / Magarrell, S. 33. 2422 Siehe auch Triffterer(-Donat-Cattin), Art. 75 IStGH-Statut Rn. 26. 2423 Siehe hierzu auch oben Teil 5 E. IX. 7. b). 2417 2418

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Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

f) Beteiligung des Treuhandfonds Nicht zwingend vorgesehen ist, dass die Kammer den Treuhandfonds beratend hinzuzieht.2425 Da dieser sich aber im Rahmen seines humanitären Mandates mit den Bedürfnissen der Opfer in der jeweiligen Situation bereits umfassend auseinandergesetzt haben wird, sind seine Kenntnisse auch für das Gericht von großem Wert. Daher sollte das Gericht bei jeder Reparationsentscheidung die Expertise des Treuhandfonds nutzen und diesen um eine Stellungnahme bitten. Rule 97 Abs. 2 S. 1 liefert hierfür eine hinreichende Rechtsgrundlage.

g) Rechtsmittel Die Wiedergutmachungsanordnung kann gemäß Art. 82 Abs. 4 IStGH-Statut vom gesetzlichen Vertreter der Opfer oder vom Verurteilten mit der Beschwerde angegriffen werden. Dadurch wird das große persönliche Interesse der Opfer an dem Ausgleich der Tatfolgen anerkannt.

h) Durchsetzung Zur Durchsetzung einer Wiedergutmachungsweisung kann die Kammer nach Maßgabe von Artt. 75 Abs. 4; 93 Abs. 1 IStGH-Statut die Hilfe der Mitgliedstaaten in Anspruch nehmen. Bei Bedarf kann auch die Kanzlei unterstützend tätig werden.2426 Die Anordnungen werden gemäß Art. 75 Abs. 5 IStGH-Statut i. V. m. Rule 218 Abs. 3 von den Mitgliedstaaten wie Geldstrafen und Einziehungsanordnungen umgesetzt. Die Staaten handeln dabei gemäß Art. 109 Abs. 1 IStGH-Statut im Einklang mit ihrem innerstaatlichen Verfahrensrecht. Dabei kommt ihnen allerdings nicht das Recht zu, den Inhalt der Anordnung zu modifizieren.2427

i) Zusammenfassung Die faktische Umsetzung von Art. 75 Abs. 1 IStGH-Statut stellt die Kammern vor nicht unerhebliche Probleme. Dies gilt beispielsweise für die Frage, wie sich Verschuldensbeiträge von Mittätern oder Fehlverhalten der Geschädigten auf den Umfang der zu leistenden Wiedergutmachung auswirken. Schwierigkeiten bereitet zudem die fehlende Treffgenauigkeit von kollektiven Reparationen. Darüber hinaus 2424 Prosecutor v. Lubanga Argumentation de la Défense, ICC-01 / 04-01 / 06-991, o. Fn. 1170, Rn. 9; Lubanga Prosecution’s submissions, ICC-01 / 04-01 / 06-996-AnxI, o. Fn. 1374, Rn. 22. 2425 Pict, S. 16. 2426 Regulation 111 der Regulations of the Registry. 2427 Rule 219.

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stellt das Wiedergutmachungsverfahren eine Belastung für die Opfer dar, die ihre Anspruchsberechtigung beweisen müssen. Erleichtert wird ihnen diese Aufgabe, soweit auf die Ergebnisse der Hauptverhandlung zurückgegriffen werden kann. Um aber die Gefahr einer sekundären Viktimisierung weiter zu verringern, sollte der Ankläger in analoger Anwendung von Art. 54 Abs. 1 lit. a) IStGH-Statut bereits während der Ermittlungen auch Beweise sicherstellen, die für ein späteres Wiedergutmachungsverfahren von Bedeutung sein können. Damit die angeordnete Reparationsleistung den Vorstellungen und Bedürfnissen der Geschädigten gerecht wird, sollten diese und der Treuhandfonds ins Verfahren einbezogen werden. 3. Das Verfahren vor dem Treuhandfonds Der Treuhandfonds ist nicht an das enge Verfahrenskonzept des Gerichts gebunden.2428 Seine Mittelhoheit beinhaltet vielmehr einen weiten Ermessenspielraum, wie er die ihm zur Verfügung stehenden Gelder einsetzt. Der Entscheidungsprozess wurde weitgehend entformalisiert. So besteht beispielsweise kein Antragserfordernis. Die Mitarbeiter des Treuhandfonds sind vor Ort präsent. Sie nehmen mit den Opfern Kontakt auf und erarbeiten mit ihnen gemeinsam passende und finanzierbare Wiedergutmachungskonzepte.2429 Die Verfahrensflexibilität wird weiter dadurch erhöht, dass die Leistungen des Treuhandfonds nicht an die individuelle Verantwortlichkeit bestimmter Personen geknüpft sind.2430 Daher ist es dem Treuhandfonds möglich, auch bei schlechter Beweislage tätig zu werden.2431 Zudem ist die fehlende Zielgenauigkeit von Kollektiventschädigungen von geringerer Bedeutung. Auch wenn die Leistungen des Fonds grundsätzlich nur Opfern im Sinne von Rule 85 zugute kommen sollen, wird man es als unerheblich betrachten können, wenn in geringem Umfang auch Nichtopfer von ihnen profitieren.2432 Insgesamt sind die Hilfen durch den Treuhandfonds daher effektiver und mit geringeren Belastungen für die Opfer verbunden.2433

VI. Die Vorzugswürdigkeit einer Entschädigung durch den Treuhandfonds Das Nebeneinander von Gericht und Treuhandfonds birgt die Gefahr von unterschiedlichen Prüfungsstandards und inkonsistenten Entscheidungen.2434 Die de Greiff / Wierda, S. 235. Siehe auch CAR Notification ICC-01 / 05-29, o. Fn. 2292, Rn. 20 ff. 2430 Siehe auch Zegveld (2010b), S. 89. 2431 Sarkin (2005), S. 159. Siehe auch Schabas (2005b), S. 299. 2432 Kritisch Kony et al. OPCD Observations, ICC-02 / 04-01 / 05-279, o. Fn. 2311, Rn. 46 f. 2433 de Greiff / Wierda, S. 233. 2428 2429

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Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

Gleichbehandlung der Opfer kann nicht gewährleistet werden. Die hieraus folgende Gefahr einer sekundären Viktimisierung wird zusätzlich dadurch verschärft, dass IStGH und Treuhandfonds von den Geschädigten typischerweise nicht als getrennte, voneinander unabhängige Organisationen wahrgenommen werden. Unterschiede in den Reparationsleistungen sind daher nur schwer nachzuvollziehen. Ähnliche Probleme ergaben sich beispielsweise in Malawi. Der High Court sprach den Opfern der Militärdiktatkur hohe Entschädigungssummen zu. Das National Compensation Tribunal blieb wegen seiner begrenzten Ressourcen hingegen weit hinter diesem Standard zurück und musste dementsprechend die von der Rechtsprechung des High Court beeinflussten Erwartungen der Opfer enttäuschen.2435 Innere Konsistenz der Wiedergutmachungsleistungen ist allerdings eine zentrale Voraussetzung für deren Akzeptanz.2436 Diese kann durch den Treuhandfonds am besten gewährleistet werden.2437 Er kann unter Berücksichtigung anderer nationaler und internationaler Hilfsprojekte dafür Sorge tragen, dass für die Situation ein stimmiges Gesamtkonzept entsteht, das auf die Wünsche, Vorstellungen und Bedürfnisse der Opfer abgestimmt ist.2438 Gleichzeitig wird dem Grundsatz der Opfergleichheit bestmöglich Rechnung getragen. In den Genuss der Wiedergutmachungsleistung kommt eine möglichst große Anzahl an Opfern, ohne dass es darauf ankommt, ob diese in der Lage sind, die Anspruchsvoraussetzungen zu beweisen. Der Kreis der Begünstigten wird erhöht, die mit dem Reparationsverfahren verbundenen Belastungen minimiert. Daher sollte der Gerichtshof die Wiedergutmachung vollständig dem Treuhandfonds überlassen.2439 Nimmt der Gerichtshof diesen Bedenken zum Trotz seine Kompetenz aus Art. 75 Abs. 2 IStGH-Statut wahr, sollte dies nur in enger Absprache mit dem Treuhandfonds erfolgen.2440 Nur so kann gewährleistet werden, dass sich die verschiedenen Maßnahmen sinnvoll ergänzen und nicht durch eine ungerechtfertigte Ungleichbehandlung von Opfern neues Konfliktpotential entsteht.

VII. Zusammenfassung Wiedergutmachung ist eine wichtige Maßnahme zur Wiederherstellung von Gerechtigkeit nach völkerrechtlichen Verbrechen. Steht sie allerdings allein, ist sie 2434 Taylor, S. 2; Wierda / de Greiff, S. 1. Siehe auch DRC OPCD Observations, ICC-01 / 04-458, o. Fn. 1210, Rn. 12. 2435 Siehe Cammack, S. 229. 2436 Peter G. Fischer, S. 224. 2437 di Giovanni, S. 48. 2438 Siehe auch CAR Notification ICC-01 / 05-29, o. Fn. 2292, Rn. 26. Zur Zusammenarbeit mit anderen Organisationen siehe auch Report to the Assembly of States Parties on the activities and projects of the Board of Directors of the Trust Fund for Victims for the period 1 July 2008 to 30 June 2009, ICC-ASP / 8 / 18, Rn. 10. 2439 de Greiff / Wierda, S. 234. 2440 Siehe auch Wierda / de Greiff, S. 2.

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nicht ausreichend. Sie kann und darf kein Ersatz für die Wahrheitsermittlung und die Bestrafung der Täter sein. Ansonsten können die Opfer das Gefühl haben, ihr Schweigen solle erkauft werden.2441 Wird die Strafverfolgung allerdings nicht von Reparationen begleitet, kann der der Tat zugrunde liegende Konflikt nicht gelöst werden. Die Integration einer Wiedergutmachungskomponente in das Verfahren vor dem IStGH ist daher eine sinnvolle Maßnahme, um das Konzept „Gerechtigkeit für die Opfer“ abzurunden.2442 Das IStGH-Statut akzeptiert grundsätzlich jede Form der Wiedergutmachung – sei sie materiell oder ideell. Ein optimales Ergebnis kann erreicht werden, wenn die verschiedenen Reparationsleistungen zu einem einheitlichen Konzept verbunden werden.2443 Allerdings ist die Wiedergutmachung von völkerrechtlichen Verbrechen mit nicht unerheblichen Problemen verbunden. Zunächst sind die Tatfolgen so schwerwiegend, dass sie nicht vollständig kompensiert werden können. Umso wichtiger ist die symbolische Funktion der Wiedergutmachung. Sie ist ein Akt des Mitgefühls und der Solidarisierung mit den Opfern. Genugtuungsmaßnahmen – so bedeutsam sie auch sein mögen – sind wegen der gravierenden Tatfolgen dennoch nicht ausreichend. Wegen der großen Anzahl an Opfern ist es allerdings ausgeschlossen, alle in angemessenem Umfang zu entschädigen. Dies würde sowohl die Ressourcen der Schädiger als auch die des Treuhandfonds bei weitem übersteigen. Vorzugswürdig sind daher kollektive Reparationen, die einer Opfergruppe als solche zugute kommen. Dadurch wird der Kreis der Begünstigten erweitert und einer Ungleichbehandlung der Opfer entgegengewirkt. Die Kammer kann zudem nur den Opfer(-gruppen) Wiedergutmachung zusprechen, die durch den Verurteilten geschädigt wurden. Dabei stellt sich insbesondere die Frage, wie sich das Mitverschulden anderer auf den Umfang der zu leistenden Entschädigung auswirkt. Außerdem ist das Opfer gezwungen, Art und Ausmaß der erlittenen Schädigungen zu beweisen. Selbst wenn der Ankläger es hierbei unterstützt und das Gericht Vermutungen aufstellt, die die Beweisführung erleichtern, birgt das Wiedergutmachungsverfahren dennoch in erheblichem Maße die Gefahr einer sekundären Viktimisierung. Diese Probleme lassen sich erheblich reduzieren, wenn der Treuhandfonds bei Wiedergutmachungsmaßnahmen eine federführende Rolle übernimmt. Sobald der Ankläger gemäß Art. 53 Abs. 1 IStGH-Statut feststellt, dass eine hinreichende Grundlage für die Aufnahme von Ermittlungen besteht, ist der Fonds berechtigt, alle Opfer der Situation zu unterstützen. Durch die Zusammenarbeit mit interna2441 Siehe auch Hamber (2005), S. 139; Cammack, S. 243; di Giovanni, S. 44; Guembe, S. 35; Goetz, S. 2; Walleyn, S. 3 – 4. Siehe auch Roht-Arriaza (2004), S. 197; de Greiff, S. 459; ICTJ, S. 2. 2442 Siehe auch Hamber (2005), S. 139; Triffterer(-Donat-Cattin), Art. 75 IStGH-Statut Rn. 26. 2443 Siehe auch Roht-Arriaza (2004), S. 200; de Greiff, S. 470; di Giovanni, S. 51 sowie Hamber (2006), S. 581; Baldo / Magarrell, S. 30.

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Teil 5: Das Opfer im Verfahren vor dem IStGH

tionalen und nationalen Organisationen kann er sicherstellen, dass unter Berücksichtigung der Interessen der Opfer ein schlüssiges, widerspruchsfreies Gesamtkonzept entsteht. Die Kammer selbst sollte – wenn überhaupt – nur in enger Absprache mit dem Treuhandfonds Wiedergutmachungsanordnungen erlassen. Nur so kann inkonsistenten Entscheidungen vorgebeugt werden. Allerdings sind auch die finanziellen Möglichkeiten des Treuhandfonds begrenzt. Ebenso wie das Ziel, Straflosigkeit für völkerrechtliche Verbrechen zu beenden, sich nur mit Hilfe der Nationalstaaten verwirklichen lässt, ist auch effektive Wiedergutmachung nur möglich, wenn Staaten, nationale und internationale Organisationen mit dem IStGH und dem Treuhandfonds zusammenarbeiten.

Teil 6

Gesamtbetrachtung Die Opferwerdung ist eine einschneidende Erfahrung, die das gesamte weitere Leben des Geschädigten prägen und beeinträchtigen kann. Er musste am eigenen Leib erfahren, dass die Welt nicht gerecht ist, nicht alle Menschen gütig und wohlmeinend sind.1 Zudem wird er mit seiner eigenen Verletzlichkeit konfrontiert. Er war dem Täter hilflos ausgeliefert, nicht in der Lage, sich oder seine Angehörigen zu schützen. Selbst Straftaten, die objektiv betrachtet nur von geringerer Intensität sind, können daher das subjektive Sicherheitsempfinden erschüttern und erhebliche psychische Folgen haben. Die Opfer völkerrechtlicher Verbrechen waren unvorstellbaren Gräueltaten ausgesetzt. Völkermord und Verfolgung2, Folter,3 sexuelle Gewalt4 oder Haft in Konzentrationslagern5 stehen im äußersten Widerspruch zu grundlegenden Forderungen der Menschlichkeit. Sie zerstören die soziale Basis für zwischenmenschliche Interaktionen und werfen die Opfer auf die Ebene der bloßen Existenzsicherung zurück.6 Sie müssen in physischer und psychischer Hinsicht um ihr Überleben kämpfen. Zudem wirkt das traumatische Ereignis7 nicht nur einmalig und verhältnismäßig kurz auf die Betroffenen ein. Vielmehr ist ein kompletter Lebensabschnitt von Gewalt geprägt. Diese Extremerfahrung führt typischerweise – ungeachtet persönlicher Eigenschaften und der mentalen Konstitution der Opfer8 – zu einer Traumatisierung.9 Viele Überlebende von Makrodelinquenz10 leiden daher an einer (komplexen) posttraumatischen Belastungsstörung11 oder einer dauerhaften Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastungen. Kernsymptome sind das unfreiwillige Wiedererleben des traumatischen Ereignisses, extremes Vermeideverhalten, das auf mentaler Ebene zu (Teil-)Amnesien führen kann, sowie eine anhaltende Übererregung.12 Diese Symptome können sich über mehrere Zum Glauben an eine gerechte Welt oben Teil 2 A. I. 3. a). Teil 2 C. III. 3 Teil 2 C. IV. 4 Teil 2 C. V. 5 Teil 2 C. VI. 6 Zur Bedeutung der maslowschen Pyramide Teil 2 A. I. 3. a). 7 Zum Begriff Teil 2 A. I. 3. c) aa). 8 Zur Bedeutung der individuellen Vorprägung Teil 2 A. I. 3. c) cc). 9 Teil 2 C. VIII. 10 Zum Begriff Teil 2 E. 11 Teil 2 A. I. 3. c) bb) (4). 1 2

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Jahre oder gar lebenslang halten. Letztlich können völkerrechtliche Verbrechen zu einer irreversiblen psychischen Schädigung der Opfer und ihres Selbst führen. Dieser Prozess wird zusätzlich durch die strukturellen Besonderheiten von Makrodelinquenz begünstigt. Völkerrechtliche Verbrechen werden vom Staat begangen, unterstützt oder zumindest toleriert. Zwischen Tätern und Opfer besteht daher ein erhebliches Machtgefälle. Die Opfer sind in besonderem Maße wehr- und hilflos. Gleichzeitig gehen den Taten typischerweise intensive labeling-Prozesse voraus.13 Vor der eigentlichen Tatbegehung werden die Opfer schrittweise aus der Gesellschaft ausgegrenzt. Ihnen wird das Menschsein abgesprochen. Sie sind keine selbstbestimmten Individuen, keine gleichberechtigten Mitglieder der Gesellschaft mehr, sondern rechtlose, niedere Lebensformen.14 Hieran zeigt sich auch das besondere Unrecht völkerrechtlicher Verbrechen. Die Opfer werden nicht als einzelne Menschen, sondern lediglich als Teil einer Gruppe wahrgenommen. Der Täter, beziehungsweise das Täterkollektiv, verletzt das Opfer nicht nur in seiner physischen und psychischen Integrität, sondern negiert dessen Individualität.15 Daher bergen völkerrechtliche Verbrechen in besonderem Maße die Gefahr einer tertiären Viktimisierung. Sowohl die individuellen Opfer als auch ihre Gruppe können den Opferstatus in ihr Selbstbild integrieren und so in dauerhafte Hilflosigkeit verfallen.16 Zudem sind völkerrechtliche Verbrechen in ihren Auswirkungen nicht auf die direkten Opfer beschränkt. Neben den Tatzeugen17 und den Angehörigen der primär Geschädigten18 können auch nachfolgendende Generationen, die zum Zeitpunkt der Taten noch nicht geboren waren, unter traumatischen Störungen leiden.19 Dies erhöht die gesamtgesellschaftliche Brisanz der Taten. Der IStGH wird in seinen Verfahren mit einer großen Anzahl stark traumatisierter Opfer konfrontiert. Wird die Völkerstrafgerichtsbarkeit deren Bedürfnissen nicht gerecht, büßt sie an Legitimität ein. Dies folgt zunächst aus der Schutzrichtung der Verbrechenstatbestände. Diese schützen zwar vorrangig supraindividuelle Rechtsgüter wie den Weltfrieden oder das Existenzrecht bestimmter Gruppen. Subsidiär dienen sich aber auch dem Schutz elementarer Individualrechtsgüter jedes einzelnen Opfers. Dem materiellen Völkerstrafrecht ist damit eine opferspezifische Schutzrichtung inhärent.20 Diese muss sich auch im Prozess der Tatahndung niederschlagen. Dies wird umso deutlicher, vergegenwärtigt man sich die Ziele des Teil 2 A. I. 3. c) bb) (2). Zur Bedeutung von Fremdzuschreibungsprozesses für die Viktimisierungserfahrung Teil 2 A. III. 2. 14 Insbesondere zu Kriegsverbrechen und Völkermord Teil 2 C. III. und IV. 15 Siehe die Analyse der Straftatbestände in Teil 2 B. 16 Teil 2 A. III. 17 Teil 2 A. I. 3. c) aa). 18 Teil 2 D. II. 19 Teil 2 D. III. 20 Teil 2 B. 12 13

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Völkerstraf- und Völkerstrafprozessrechts.21 Völkerstrafrecht dient vorrangig der positiven Generalprävention. Durch das Urteil wird die Gültigkeit der verletzten Norm bestätigt und die Tat als Unrecht gebrandmarkt. Auf diese Weise befriedigt das Völkerstrafrecht gleichzeitig elementare Opferbedürfnisse.22 Übergeordnetes Ziel des Verfahrens vor dem IStGH ist zudem die Schaffung von dauerhaftem (Rechts-)Frieden. Gelingt es aber nicht, die Opfer angemessen ins Verfahren zu integrieren und ihren Interessen Rechnung zu tragen, kann der IStGH keinen nennenswerten Beitrag zur Beendigung des den Taten zugrunde liegenden Konflikts leisten. Soll die Völkerstrafgerichtsbarkeit einen gesellschaftlichen Neuanfang in der Krisensituation ermöglichen, so setzt dies zwangsläufig eine opferorientierte Verfahrensausgestaltung voraus.23 Als Leitlinie können insoweit die van-BovenPrinciples sowie die Basic Principles of Justice for Victims of Crime and Abuse of Power dienen.24 Dies bedeutet allerdings nicht, dass die Bedürfnisse und Interessen der Geschädigten zum alleinigen Gradmesser für die Verfahrensgerechtigkeit werden dürften. Vielmehr müssen die Interessen aller Beteiligten berücksichtigt werden. Dies sind wegen der supraindividuellen Schutzrichtung der Tatbestände neben dem Beschuldigten und den Opfern auch die betroffenen Nationalstaaten sowie die internationale Staatengemeinschaft als solche.25 Vorrangiges Ziel eines opferorientierten Strafverfahrens muss es, einer sekundären Viktimisierung, also einer Intensivierung der Straftatfolgen,26 vorzubeugen. Dies betrifft zunächst die allgemeine Verfahrensausgestaltung.27 Auf Akzeptanz bei den Opfern darf nur ein Strafverfahren hoffen, das einen effektiven Beitrag zur Wahrheitsermittlung28 und Bestrafung der verantwortlichen Täter29 leistet. Das Verfahrensrecht des IStGH sieht ein komplexes System von checks and balances vor, mit denen die unterschiedlichen Interessen von Ankläger und Verteidigung, von Nationalstaaten und internationaler Gemeinschaft zum Ausgleich gebracht werden sollen. Dabei ist es grundsätzlich gelungen, den Grundstock für ein effektives Verfahren, in dem auch die Belange der Opfer hinreichend Berücksichtigung finden können, zu legen. Bestimmte Modifikationen wären allerdings wünschenswert.30 Dies gilt insbesondere für die in Art. 12 Abs. 2 IStGH-Statut aufgestellten Vorbedingungen für die Ausübung der Gerichtsbarkeit. Sie sind rechtlich nicht notwendig, führen aber zu erheblichen Strafbarkeitslücken.31 Der Effektivität des 21 22 23 24 25 26 27 28 29 30

Teil 4. Teil 4 A. III. 2. Teil 4 B. Teil 3 B. Siehe auch Teil 5 A. und B. Teil 2 A. II. Teil 5 C. Zum Bedürfnis der Opfer nach Wahrheit Teil 3 A. IV. Zum Bedürfnis der Opfer nach Bestrafung der Täter Teil 3 A. V. Siehe die Vorschläge in Teil 5. C. XV.

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Gerichtshofs wird allerdings weniger durch sein Verfahrensrecht, sondern vielmehr durch die Endlichkeit seiner Ressourcen Grenzen gezogen. Alle völkerrechtlichen Verbrechen zu ahnden, übersteigt seine Möglichkeiten bei weitem. Damit die erforderlichen Selektionsprozesse auch bei den Opfern auf Akzeptanz treffen können, müssen die maßgeblichen Kriterien offengelegt und die Entscheidungsprozesse so transparent wie möglich gestaltet werden.32 Das Gebot, eine sekundäre Viktimisierung nach Möglichkeit zu verhindern, verlangt des Weiteren eine möglichst belastungsarme Befragung von Opferzeugen. Dies erhöht nicht nur das Wohlbefinden der Zeugen, sondern auch die Effizienz der Strafrechtspflege. Auch bei völkerrechtlichen Verbrechen ist der Zeugenbeweis trotz seiner Schwächen entscheidendes Mittel zur Tataufklärung.33 Die Aussagebereitschaft und -fähigkeit der Opferzeugen wird aber deutlich erhöht sein, wenn eine möglichst entspannte Aussageatmosphäre geschaffen wird. Von großer Bedeutung ist in diesem Zusammenhang, dass die Zeugen grundsätzlich frei entscheiden können, ob sie sich dem IStGH als Zeuge zur Verfügung stellen.34 Sie können daher die mit einer Aussage verbundenen Gefahren und Belastungen mit den zu erwartenden Vorteilen abwägen. Zu Letzteren gehört insbesondere, dass ihnen vor einem internationalen Gericht und einer internationalen Öffentlichkeit die Möglichkeit gegeben wird, ihre Geschichte zu erzählen und so auf das erlittene Unrecht aufmerksam zu machen. Damit sich auch im Interesse einer effektiven Strafverfolgung möglichst viele Opfer zu einer Aussage bereit erklären, gehört es zu den Aufgaben aller Organe des IStGH, die mit einer Aussage verbundenen Gefahren35 und Belastungen möglichst gering zu halten.36 Dies gilt insbesondere für die VWU. Während der Hauptverhandlung obliegt es allerdings in erster Linie der Verfahrenskammer, einer Retraumatisierung der Opfer entgegenzutreten. So kann sie insbesondere die Art der Zeugenbefragung kontrollieren und besonders belastende Vernehmungsmethoden untersagen. Darüber hinaus ist schutzbedürftigen Zeugen – wie Kindern oder Opfern sexueller Gewalt – die Aussage durch besondere Maßnahme zu erleichtern. Zu denken ist beispielsweise an eine Vernehmung per videolink oder in Anwesenheit einer Vertrauensperson oder eines Psychologen. Sollte die Aussage allen Vorkehrungen zum Trotz zu einer unerträglichen Belastung für den Zeugen werden, sollte ihm das Recht eingeräumt werden, die Aussage abzubrechen.37 Zudem ist sensibel auf für Opfer typischerweise besonders belastende Situationen zu reagieren. Dies gilt insbesondere für einen Freispruch aus Mangel Siehe Teil 5 C. I. Zu den Selektionsprozessen Teil 5 C. III. 3. d) und IV. 33 Zur Bedeutung des Zeugenbeweis Teil 5 D. I.; zu den Schwächen des Zeugenbeweis und möglichen Gegenmaßnahmen Teil 5 D. V. und VI. 34 Teil 5 D. I. 35 Zum Zeugenschutz Teil 5 D. IX. 36 Teil 5 D. VIII. 37 Teil 5 D. VIII. 9. 31 32

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an Beweisen. Die Opferzeugen können diesen als Negierung oder gar Billigung des erlittenen Leids missverstehen. Um dies zu verhindern, bietet sich die die Einführung eines Unrechtsinterlokuts an.38 In einem von der Schuldfrage getrennten Abschnitt des Urteils würde umfassend auf das von den Opfern erlittene Unrecht eingegangen. Eng hiermit verbunden ist die Würdigung von Zeugenaussagen. Für viele Opfer ist es eine schwere Belastung, wenn ihre Tatschilderung vom Gericht als unglaubwürdig zurückgewiesen wird. Bevor sich die Kammer hierzu entschließt, sollte ausgeschlossen werden, dass die Aussageauffälligkeiten einem kulturellen Missverständnis oder einer traumatischen Störung geschuldet sind.39 Erstmalig in der Geschichte der Völkerstrafgerichtsbarkeit erlaubt es Art. 68 Abs. 3 IStGH-Statut den Opfern, über die passive Zeugenaussage hinaus eine aktive Rolle im Verfahren einzunehmen.40 Sie werden in die Lage versetzt, ihre Rechte selbst und unabhängig von anderen Verfahrensbeteiligten wahrzunehmen. Damit trägt das IStGH-Statut der Tatsache Rechnung, dass Gerechtigkeit weniger ein Ergebnis, als vielmehr ein Prozess ist. Die Opfer werden eher bereit sein, ein Urteil zu akzeptieren, wenn sie zuvor in das Verfahren ihre Auffassungen und Anliegen einbringen konnten. Sie werden zudem als selbstbestimmte, eigenverantwortliche Individuen mit eigenen Interessen und Bedürfnisse anerkannt und entsprechend behandelt. Die aktive Teilnahme am Verfahren steht damit im Gegensatz zur Viktimisierung, die durch Passivität und Ohnmachtsgefühle gekennzeichnet war. Sie kann daher einen entscheidenden Beitrag zur Überwindung der Tatverfolgung leisten und einer tertiären Viktimisierung vorbeugen.41Allerdings legt Art. 68 Abs. 3 IStGH-Statut die Ausgestaltung der Partizipationsrechte vollständig ins Ermessen der zuständigen Kammer. Insbesondere Trial Chamber I42 und die Appeals Chamber43 schränken die Beteiligungsmöglichkeiten der Opfer teilweise erheblich ein und nutzen das volle Potential von Art. 68 Abs. 3 IStGH-Statut nicht aus. Hintergrund ist die Erwägung, dass die Rechte des Beschuldigten nicht beschnitten werden sollen. Die umfassende Beteiligung einer großen Anzahl an Opfern birgt die Gefahr, dass sich das Verfahren erheblich in die Länge zieht. Zudem könnte der Eindruck entstehen, dass der Beschuldigte einer Unzahl von Anklägern gegenübersteht. Dennoch besteht auch im völkerrechtlichen Strafverfahren die Möglichkeit, die Opfer sinnvoll und unter voller Wahrung der Rechte des Beschuldigten einzubeziehen. Voraussetzung ist allerdings, dass die Kammer – dem Modell des civil law folgend – eine aktive, verfahrensbeherrschende Stellung einnimmt und für eine prozessökonomische und faire Anwendung von Art. 68 Abs. 3 IStGH-Statut Sorge trägt. Werden die Partizipationsrechte vom Gericht nach 38 39 40 41 42 43

Teil 5 D. VIII. 11. Teil 5 D. VII. 3. und 4. Teil 5 E. Teil 3 A. V. Siehe Teil 5 E. X. Siehe Teil 5 E. XI.

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Bedarf modifiziert und gegebenenfalls beschränkt, erscheint es unproblematisch, den Opfern und ihren Rechtsvertretern44 in jedem Verfahrensstadium eine starke prozessuale Stellung einzuräumen. In Ergänzung der Partizipationsrechte ermöglicht es Art. 75 IStGH-Statut den Opfern, Wiedergutmachung – beispielsweise in Form von Rückerstattung, Entschädigung und Rehabilitierung – zu beantragen.45 Damit bewegt sich das IStGH-Statut im Einklang mit den Forschungsergebnissen der Viktimologie, denen zufolge der Ausgleich der erlittenen Schäden zu den primären Interessen der Opfer nach einer Straftat zählt.46 Bei völkerrechtlichen Verbrechen kommt insbesondere der symbolischen Funktion der Wiedergutmachung eine zentrale Bedeutung zu: Anerkennung des begangenen Unrechts und Zuschreibung bzw. Übernahme von Verantwortlichkeit. Erfolgt die Wiedergutmachung durch den Treuhandfonds ist sie Ausdruck von Solidarität und Mitgefühl mit den Opfern.47 Das Verfahren nach Art. 75 IStGH-Statut schafft so eine weitere Ebene zur Berücksichtigung der Opferinteressen. Gleichzeitig wird die gesamtgesellschaftliche Auseinandersetzung mit den Taten begünstigt. Wiedergutmachung kann daher einen Beitrag zur Konfliktbeendigung leisten und so die rechtsfriedenschaffende Funktion des Strafverfahrens verstärken. Allerdings ist die Wiedergutmachung von völkerrechtlichen Verbrechen mit nicht unerheblichen Problemen verbunden. Wegen der großen Anzahl an Opfern und der Intensität der Tatfolgen ist es ausgeschlossen, alle in angemessenen Umfang zu entschädigen. Dies würde sowohl die Ressourcen der Schädiger als auch die des Treuhandfonds bei weitem übersteigen. Vorzugswürdig sind daher grundsätzlich kollektive Reparationen, die einer Opfergruppe als solcher zugute kommen. Dadurch wird der Kreis der Begünstigten erweitert und einer Ungleichbehandlung der Opfer entgegengewirkt.48 Allerdings müssen die Opfer im Wiedergutmachungsverfahren gegebenenfalls erneut um ihre Anerkennung kämpfen. Es droht eine sekundäre Viktimisierung.49 Hinzu kommt die Selektivität der gerichtlichen Wiedergutmachungsanordnungen. Die Kammer kann nur den verhältnismäßig wenigen Opfern, die das Glück haben, dass sich ihr Täter vor dem IStGH verantworten muss, eine Entschädigung zusprechen. Dies führt zu einer erheblichen Ungleichbehandlung der Opfer und birgt neues Konfliktpotential. Vorzugswürdig ist es daher, die Wiedergutmachung ausschließlich dem Treuhandfonds zu überlassen. Da dieser unabhängig vom Strafprozess50 und damit unabhängig von der individuellen Verantwortlichkeit bestimmter Personen tätig werden kann, muss sein Verfahrensrecht nicht an den legitimen Interessen des Beschuldigten ori44 45 46 47 48 49 50

Teil 5 E. IV. Teil 5 F. Teil 3 A. VI. Teil 5 F. V. 2. Teil 5 F. III. 3. Teil 5 F. VI. 1. Zu Einschränkungen Teil 5 F. V. 2. c) bb).

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entiert sein. Vielmehr kann er unbürokratisch dort tätig werden, wo Hilfe am dringendsten erforderlich ist. Durch die Zusammenarbeit mit internationalen und nationalen Organisationen kann er zudem sicherstellen, dass ein schlüssiges, widerspruchsfreies Gesamtkonzept, das den Interessen und Bedürfnissen der Opfer bestmöglich Rechnung trägt, entsteht.51 Insgesamt ist es gelungen, ein faires Prozessrecht zu entwerfen, das den Belangen aller Beteiligten, auch denen der Opfer, gerecht wird. Den Geschädigten wird eine starke verfahrensrechtliche Stellung zugebilligt. Auf diese Weise gelingt es dem IStGH, die historisch bedingte Neutralisation der Verbrechensopfer52 zumindest teilweise rückgängig zu machen und so seine Legitimationsgrundlage entscheidend zu verbreitern. Allerdings dürfen die Erwartungen an die Völkerstrafgerichtsbarkeit nicht übersteigert werden. Der IStGH ist schon aufgrund seiner begrenzten Ressourcen nicht in der Lage, im Alleingang die weltweit begangene Makrodelinquenz aufzuarbeiten. Er kann nur Teil eines Gesamtkonzepts sein. Der Straflosigkeit völkerrechtlicher Verbrechen kann nur ein Ende bereitet werden, wenn die Nationalstaaten dieses Ziel aktiv unterstützen. Innerhalb seiner Möglichkeiten kann der IStGH aber einen entscheidenden Beitrag dazu zu leisten, dass den Opfern der core crimes Gerechtigkeit zuteil wird.

51 52

Teil 5 F. VII. Siehe hierzu Teil 1.

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Personen- und Sachwortverzeichnis Abschreckung 41, 185 f., 190 ff., 305, 359 Absprachen siehe plea agreements ad-hoc-Counsel for the Defence 227, 460 f. admission of guilt 349 ff., 543 Akteneinsichtsrecht 229, 459, 511, 525 ff., 529, 535 ff. amicus curiae 228, 553 ff. – Opfer als amici curiae 553 ff. Amnesie 63, 66, 70, 380, 400 f., 403 Amnestien 298 ff. – Autoamnestien 302 f., 311 – Blankettamnestien 302 f., 307 – De-facto-Amnestien 307 – und Komplementaritätsgrundsatz 307 f., 310 ff. – Zulässigkeit 299 ff., 305 ff. andauernde Persönlichkeitsänderung nach Extrembelastungen 60, 67, 74, 158, 603 Angriff, ausgedehnter oder systematischer 94 ff., 100 f. Ankläger – anonymer ~ 524, 527, 532, 534 – Aufgaben 214 ff. – Befangenheit 216, 505 – Ermessen 89, 197, 268, 278, 311, 315, 316 ff., 320 f., 331, 343, 370 f., 403, 457 – gerichtliche Kontrolle 279 ff., 319 ff., 339, 345 – Objektivität 216 f., 226, 230, 345, 364, 440 f., 453 f. – Organ der Rechtspflege 215, 226 – Unabhängigkeit 214 ff., 275, 280, 315 Anonymität – bei der Bestätigung der Anklage 523 f., 534 – im Ermittlungsverfahren 519 – im Hauptverfahren 536 – im Zulassungsverfahren 478 – von Zeugen 435 ff., 482 Antrag auf Beteiligung 466, 488

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Bericht der Kanzlei 491 f., 494 Frist 477, 549 Form 472 ff. Inhalt 472 ff. Stellungnahme der Parteien 479, 481, 485 f., 494 – Stellungnahme des OPCV 485 f., 495 – unvollständiger ~ 477 f. Antrag auf Wiedergutmachungsleistungen 556 ff., 590 f., 593, 599, 608 Anwesenheitsrecht 386, 528 f., 534, 538, 543 Apartheid 94, 98, 124 Ausrottung 94, 97 f. Aut-dedere-aut-judicare-Grundsatz 264 Avoidance 61 f. Bedürfnispyramide 55, 170 f., 566 f. Begnadigung 44, 299 f. Beibringung von Beweisen 532, 540 Belastungsreaktion, akute 60 Beobachtungen (observations) 532 f. Berufung 216, 332, 363 ff., 396, 453, 543 ff. Berufsunfähigkeit 569 Beschwerde 326, 327, 329, 366 f., 494, 521, 544 ff., 598 Bestätigung der Anklage 343 ff., 413 f., 437, 454, 468, 522, 525, 532, 534, 539 Beteiligungsrechte 175, 210, 213, 298, 443, 453, 455 f., 458, 460, 462 f., 465 ff., 473, 493, 500, 503 ff., 510, 524, 526 f., 534 f., 545, 549, 551 – Befangenheitsantrag 216, 233, 505 – Recht auf Gehör 504, 510 f., 540 – Recht auf Offenlegung von Beweisen 505 Betroffenheit persönlicher Interessen 448, 456, 548 bewaffneter Konflikt 82, 95, 101 ff., 112, 115 ff., 120, 124, 138, 167, 204, 256, 274, 299, 448, 489, 592 – internationaler ~ 104 f.

Personen- und Sachwortverzeichnis – nicht-internationaler ~ 104 f., 114 Beweis 47, 110, 138, 143, 216, 226, 228 ff., 284, 292, 327 f., 333 f., 343 ff., 353, 364 f., 390, 396, 413 f., 416 f., 423 f., 436 f., 445, 459, 462, 475, 515, 526 ff., 532 ff., 536 f., 539 ff., 551, 555, 593 f., 596 f., 599, 601, 607 – Relevanz 423, 533 f., 539, 541 – Zulässigkeit 347, 396, 423 f., 533 f., 539, 541, 551, 555 Beweisanregung 543 Beweisaufnahme 204, 228, 284, 333, 346 ff., 350, 353 ff., 365 f., 369, 376, 385 f., 396, 410, 413, 419, 425, 528, 557, 596 Beweisregeln 396 Beweissicherung, Maßnahmen zur 333 f., 337, 338, 515 f. Beweisvereinbarungen 356 ff., 414 Beweisverwertungsverbot 438 Beweiswürdigung 346, 385, 396, 423, 522 Burn-Out-Syndrom 158 Defence Support Section 231 Denkmal 112, 213, 563, 570 Deportation 83 f. Depressionen 64, 77, 139, 147, 159, 161 Disorder of Extreme Stress Not Otherwise Specified (DESNOS) 60 Dispositionsmaxime 346 Dissoziation 63 Dokumente – ex parte 511, 516, 526, 534, 537, – öffentlich 479, 510 f., 527, 536 – vertraulich 458, 511 f., 525, 527, 537 Dolmetscher 154, 225, 378, 382 f., 392 f., 407, 440, 490 dolus specialis 87, 90 Doppelbestrafungsverbot 291 f., 310 Doppelstatus siehe Opferzeuge Drittstaaten 220, 240 f., 247 f., 250 ff., 256, 283, 297, 324 ff., 336, 341 Eingaben (submissions) 390, 460, 463, 488, 494, 502 ff., 512, 523, 527, 532 ff., 539, 553 Einkommensminderung 560 Einziehung 340, 358, 584, 598

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Entschädigung 41, 48 ff., 176, 178 f., 302, 306, 310, 370, 439, 490, 556, 559 ff., 567, 570 ff., 578, 583 f., 587 ff. Entschuldigung 202, 256, 306, 565 Erga-omnes-Pflichten 265 Ermittlungs- und Verfolgungsaufschub 331 ff. Ermittlungsgelegenheit, einmalige 328, 333, 338, 414 ff., 515 Ermittlungsgrundsatz 354, 595 Ermittlungsverfahren 218, 279, 308, 314 f., 323, 332, 337, 339, 373, 378, 390 f., 404, 406, 444, 456, 460, 462, 468, 498, 508, 510 f., 513, 519 ff., 525 – Opferbeteiligung im ~ 453 ff., 460, 462, 468, 498, 508, 510 f., 513, 519 ff., 525 – Rolle der Vorverfahrenskammer im ~ 337 ff., 342 ff. Eröffnungsvortrag 529, 534, 539 Erwerbsausfall 569 Ethnische Säuberung 84, 124 Ex-officio-Ermittlungen 273, 276 ff., 322 Exil 144, 150, 153, 156 Extremtraumatisierung 157, 164 Fair-trial-Grundsatz 226, 441 Fehde 40 ff., 50 Feuerbach, Anshelm von 48, 190 Flash Backs 62, 72 Flüchtlinge 145 ff. Flüchtlingslager 146 f., 151, 580 Folter 46 f., 67, 83, 94, 100, 107, 109, 127 ff., 141, 143, 145, 149, 157 f., 201, 264, 292, 301, 372, 378, 401, 561, 574, 594 f., 603 Fragerecht 530 ff., 539 Freiheitsstrafe 48, 292, 358, 363 – lebenslange ~ 192, 358 ff. Freispruch 72, 175, 291 f., 297, 364, 428, 430, 522, 551, 606 Frieden 41, 43, 45 f., 50, 82, 92 f., 95, 101 f., 105, 113, 116 ff., 155, 166, 169, 171, 207 f., 236 f., 241, 251, 254, 271, 274 f., 302 ff., 309, 319, 331 ff., 565, 604 Garantie der Nichtwiederholung 566 f. Gedenkfeierlichkeit 563 Gedenkstätte 565 Gefangenschaft 66 f., 106, 145, 156, 574

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Personen- und Sachwortverzeichnis

Geheimhaltungspflicht 483 ff. Geldstrafe 46, 229, 358, 373, 584, 598 Generalprävention 189, 202 – negative ~ 190 f., 193 f., 197 – positive ~ 197 f., 208, 305, 318, 605 Genugtuung 42 f., 179, 562 ff., 578, 597, 601 Gerichtsbarkeit – Ad-hoc-Unterwerfung 239, 297 – Anfechtung der ~ 328 ff. – automatische Anerkennung 242 – Drittstaatenangehörige 240 f., 247 ff. – jurisdiction to adjudicate 265 – jurisdiction to enforce 262 – jurisdiction to prescribe 261 f., 265 – Opt-in / opt-out-Regime 241 – Personalitätsprinzip, aktives 239, 265, 285 – Personalitätsprinzip, passives 243, 285 – ratione materiae 315 – ratione temporis 315 f. – Schutzlücke bei internen Konflikten 242, 268 – Territorialitätsprinzip 239, 247, 265, 285 – Universalitätsprinzip siehe Universalitätsprinzip Gesamtakt 93, 100 ff., 116, 118 Gesamttat – bei Kriegsverbrechen 103 ff. – bei Verbrechen gegen die Menschlichkeit 94 ff. – bei Völkermord 88 f. Geständnis 46 f., 72, 132, 298, 303, 349 ff., 361, 506 Gewalt, sexuelle 83, 85, 108, 133 ff., 137 ff., 141, 157 f., 592, 603 Gleichlaufprinzip 257 grave breaches 105 f., 250, 264 Grundannahmen, Erschütterung der 54, 57, 66, 159, 168 guilty plea 350 ff. – Opferinteressen 352, 354 f. – ratio legis 350 f. – Schutz des Angeklagten 352, 355 – Wahrheitsfindung 353 Haftbefehl 260, 270, 337 f., 342 f., 445 f., 451 f., 476, 516 f. Haftentschädigung 368

Hauptverhandlung 221, 237 f., 345 ff., 366, 369, 390, 405, 419, 413 ff., 429, 435, 438, 468, 498, 523, 530 ff., 549 f., 555, 596, 599, 606 Hilflosigkeit, erlernte 75, 77 Homo oeconomicus 191 Hyperarousal 61, 64 Hypermnesie 62, 66, 401 Identifizierung mit dem Aggressor 130 IKRK 377 Immunitäten 218 ff. Informationsrechte 50, 110, 488, 505, 527, 535 Institution, totale 141 ff.,146 Integration 73, 148 ff., 180, 290, 362, 601 Intrusion 61 f., 66, 70, 400 IStGH – als internationale Organisation 219, 236, 266 – als zwischenstaatliche Einrichtung 246 – Gründungsakt 236 f. – Unabhängigkeit 219, 236 f., 275, 282 – Völkerrechtspersönlichkeit 236, 246 Jury 347 jus cogens 264 f. Justice Rapid Response 290, 341 Kanzlei 214, 227 f., 230 ff., 363, 388, 406 ff., 460, 472, 477 ff., 491 ff., 497, 499, 501, 509 ff., 523, 525, 536, 544, 590, 598 Kindersoldaten 110, 212, 323, 343, 448, 498, 583 Klageerzwingung 521 Kombattanten 106, 113, 115 f. Komorbide Störungen 64, 70 Komplementaritätsgrundsatz 79, 246, 250 f., 256, 282 ff., 316, 325, 328, 330, 341 – Ad-hoc-Tribunale 311 f. – Beweislast 294 f. – Beweislastumkehr 295 – Doppelbestrafungsverbot 291 f., 310 – Hybrid-Gerichte 311 f. – Missbrauch 286, 294 – positive approach of complementarity 297 – opferorientierte Verfahrensausgestaltung 290 f.

Personen- und Sachwortverzeichnis ratio legis 283 Scheinprozesse 288, 291, 310 Schwere der Sache 292 Überweisung durch den UN-Sicherheitsrat 286 – Unfähigkeit zur ernsthaften Strafverfolgung 291, 294 ff., 309, 313 – Unwilligkeit zur ernsthaften Strafverfolgung 288, 291, 294 f., 309, 313 – Vorrangzuständigkeit der Nationalstaaten 292, 295 f., 328 Konzentrationslager 66 f., 84, 140 f., 143, 157 f., 376, 498 Kooperationspflichten siehe Rechtshilfe Krieg (siehe auch bewaffneter Konflikt) 48 f., 56, 66, 103 ff., 121 ff., 127, 139 f., 144 f., 156 ff., 164 ff., 176, 242, 270, 301, 423 f., 557, 569, 573, 588, 592, Kriegsverbrechen 77, 92 f., 102 f., 105 ff., 114, 117, 239, 251, 253 ff., 260, 265, 275, 448, 592 – – – –

Labeling approach 74 Labelingprozesse 126, 269, 604 legal representative 235, 377, 420, 422, 433, 453, 486 f., 493, 495 ff., 501 ff., 512 f., 524 ff., 538 ff., 552, 555, 597 – Anonymität 498 f. – Auskunftsverweigerungsrecht 377 – kollektiver ~ 497 – Qualifikation 496 Legalitätsgrundsatz 261, 316 Liszt, Franz von 48, 185 Makrokriminalität 166 f., 185, 188 Maslow, Abraham 55, 170 f., 566 Ne-bis-in-idem-Grundsatz siehe Doppelbestrafungsverbot Neutralisationstechniken 121, 124, 172, 189, 207 Nichteinmischungsgrundsatz 257 Non-Governmental-Organisation (NGO) 278, 280, 295, 314 f., 321, 407, 472, 523, 554, 558, 565, 576, 585 Offenlegung von Beweisen (disclosure) 229 f., 504, 527 f., 533 f., 537 f., 540, 543

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Office of Public Counsel for the Defence (OPCD) 232, 410, 460 f., 479, 484 f., 487, 489 f., 544 Office of Public Counsel for Victims (OPCV) 234 f., 410, 460, 482, 485 f., 493, 495, 501 ff., 512, 544 Opfer – Anerkennung als ~ 139, 171 ff., 184, 199, 305 f., 357, 441, 471, 563, 589, 608 – Begriff 210 ff. – der Situation 432, 446, 457, 460, 507, 601 – des Falls 446, 451, 464, 517 f., 591 – direkte 158, 173, 447 – Gleichheit der ~ 586, 600 – indirekte 446, 476 – Interessen 38 f., 183, 198, 201, 203, 208 ff., 238, 278, 303, 310, 316 ff., 321, 332, 354, 370, 440 ff., 449, 452, 456, 482, 503 f., 506, 508, 513, 515, 518, 532 f., 536, 543, 545, 547, 556, 602, 608 – juristische Personen 213 – mutmaßliche 464, 485, 489 – natürliche Personen 210 – Täter als ~ 447 – Ungleichbehandlung der ~ 201, 297, 405, 443, 554, 572, 574, 601, 608, Opferbeteiligung – an den Ermittlungen 454 ff., 464 – Antrag auf ~ siehe Antrag auf Beteiligung – bei der Aufnahme von Proprio-motu-Ermittlungen 507 f. – bei der Bestätigung der Anklage 445, 453 f., 468, 522 f., 525, 528, 532, 534, 539 – bei der Strafzumessung 541 f. – bei der vorläufigen Entscheidung über die Zulässigkeit 513 – bei der Wiederaufnahme 453, 550 – bei Entscheidungen über die Untersuchungshaft 517, 524 – Betroffenheit persönlicher Interessen 448 ff., 456, 548 – geeignete Verfahrensschritte 452, 463, 471, 504, 506, 522 – im Berufungsverfahren 547, 549 – im Beschwerdeverfahren 494, 545 ff. – im Ermittlungsverfahren 453 ff., 468, 498, 508, 510 ff.

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Personen- und Sachwortverzeichnis

– im Haftbefehlsverfahren 517 – im Hauptverfahren 445, 535 ff., 549, 596 – im Verfahren nach Art. 19 IStGH-Statut 509 f., 513 – im Verfahren nach Art. 53 IStGH-Statut 514 – im Verfahren nach Art. 56 IStGH-Statut 515 – im Verfahren nach Art. 57 Abs. 3 IStGHStatut 516 – im Wiedergutmachungsverfahren 557 f., 596 f., 608 – Recht auf ~ 442, 462 Opferrechte siehe Beteiligungsrechte Opferstatus, abstrakter 471 Opferzeuge 357 f., 372, 374, 376 f., 388 f., 396, 399, 401 ff., 413 f., 417 f., 421 f., 426 ff., 431, 510, 552, 606 f. Opportunität 242, 316 ff., 514 Opt-out-Klausel 255 Pacta-tertiis-nec-nocent-nec-prosunt-Grundsatz 248, 252 Pawlow, Iwan 75 f. plea agreements 298, 355, 358 plea bargaining 355 posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) 60 ff., 70, 72, 74, 77, 120, 136, 143, 149, 157 ff., 164 f., 168, 380, 400 ff., 409 – komplexe ~ 66 Proprio-motu-Ermittlungen siehe triggermechanism und Ex-offico-Ermittlungen Prozesskostenhilfe 499, 585 psychosomatische Störungen 64, 137 Rache 40 ff., 44, 50, 57, 65 f., 71, 155, 165, 183, 206 ff., 430 f., 439, 453, 499 Reaktualisierung 61 Recht auf ein zügiges Verfahren 465, 540 Rechtsfrieden 177, 202 f., 205 ff., 301, 368, 608 Rechtshilfe 222, 231, 339, 341, 373, 373, 506 Rechtskraft 367 ff. Rechtspflege, Delikte gegen die 79, 117 Rechtswegerschöpfung 465 f. Regression 131, 143, 144, 192

Rehabilitierung 178 f., 556, 559, 562, 582, 608 Rente 474, 561 Resozialisierung 48, 187 ff. restitutio in integrum 568 Rückerstattung 178 f., 556, 559, 560, 608 Sachverständige 348, 530, 534, 538 f., 543, 550, 596 f. Schaden – emotionaler ~ 69, 210, 445 ff., 476, 567, 594 – materieller ~ 52 f., 69, 77, 168, 210, 213, 560, 579, 593 – moralischer ~ 69, 210, 446 f., 561, 594 – physischer ~ 52 ff., 69, 77, 108, 168, 210, 561, 579, 593, 603 f. – psychischer ~ 52 ff., 57, 67 ff., 71, 77, 83, 108, 119, 136 ff., 146, 155, 157 f., 160 ff., 168 f., 210, 421, 445 f., 476, 561, 569, 572, 579, 589, 593, 603 f. Schadenersatz 476, 558 ff., 587, 594, Schlussvortrag 529, 534, 539 Schmerzensgeld 476, 561, 568, 592, 594 Schuldausgleich 182, 184, 360 Schwangerschaft, erzwungene 99, 108 Schweigerecht 205, 530 Selbstbild 53, 56 f., 65 ff., 73, 75, 77, 121 ff., 126, 129, 139, 143, 169, 604 Selektionsprozesse 260, 266, 271, 276, 293 f., 317, 324, 374, 521, 559, 592 – Transparenz 281, 343, 371, 606 Seligman, Martin 75 f. Soldaten 110, 114 f., 120 ff., 138, 160, 284 Spezialprävention 185, 202 – negative ~ 185, 189 – positive ~ 187 ff. Staatenbeschwerde 270 ff., 276, 297, 315, 324, 329, 367, 520 Stockholmsyndrom 66 Strafgewalt 244, 247 ff., 255 ff., 259 f., 264, 266 f. – derivative ~ 245, 262, 265, 269 – originäre ~ 244, 262, 267 ff. Strafvollstreckung 189, 192, 207, 299, 310, 358 f., 363 Strafzumessung 183, 188, 358, 360, 362 ff., 419, 541 f.

Personen- und Sachwortverzeichnis Täter-Opfer-Gewaltkreislauf 164 f. Talionsprinzip 41 Todesstrafe 46, 184, 191 ff., 300, 359 f. Trauma 59 f., 72, 234 f. traumatisches Ereignis 59 ff., 69, 72, 75 f., 120, 123, 135, 149, 157 ff., 169, 380 f., 400 f., 403, 603 – Typ I 59 – Typ II 59, 66 Traumatisierung 60, 64, 66, 145, 157, 164 f., 169, 400, 404, 405, 414, 420, 429, 440, 603 – mittelbare ~ 159 f. – stellvertretende ~ 157, 159 f., 165, 235 – transgenerationelle ~ 161 ff. Treuhandfonds 358, 575 ff., 598 ff., 608 – humanitäre Funktion 578 – Kompensationsfunktion 576 f., 584 – Mittelbeschaffung 584 – Spenden 585 f. – Unabhängigkeit 577, 580, 586 – Verwaltungsfunktion 575 trigger-mechanism 244, 269, 313 f., 321 – Ex-officio-Befugnisse des Anklägers 277, 279 ff. – Individualbeschwerde 465 f., 520 – self-referrals 296 – Unterbreitung durch den UN-Sicherheitsrat 274 ff. – Unterbreitung durch einen Mitgliedstaat 269 ff., 279 f., 282 Überlebensschuld 119 ff., 155 UN-Sicherheitsrat 214, 236, 238, 240, 251, 311, 313 ff., 319, 333, 335, 341 Universalitätsprinzip 243, 257, 259 f., 262 ff., 269, 307, 324, 371 – Begriff 243, 257, 262 f., 264 f., 269, 307, 324, 371 – erfasste Delikte 257, 259 f. – Grenzen 260 – save haven 264 Unmittelbarkeitsgrundsatz 346, 414, 492 Unrechtsinterlokut 428, 430, 607 Unschuldsvermutung 72, 218, 223, 345, 352, 464 f.

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van-Boven-Principles 178 ff., 210, 212, 403, 557, 559 f., 566, 587, 589, 605 Verbrechen gegen die Menschlichkeit 77, 85, 90, 92 ff., 100 f., 105, 107, 115 f., 256, 260, 265, 274 f., 292, 300 f. Verfahrensakte 511 f., 525 ff., 534, 536 Vergeltung 40 ff., 72, 118, 182 ff., 198, 202, 206 ff., 430 f., 439, 453, 499, 542 Vergewaltigung (siehe auch Gewalt, sexuelle) 56, 58, 85, 108, 132 ff., 138 f., 157, 195, 292, 402, 423, 561, 573, 592 Verhandlungsort 397, 410 f. Verschwindenlassen von Personen 94, 100, 447, 489 Vertreibung 84 f., 94, 99, 109, 127, 138, 144 f., 148, 156 ff., 167, 560 Victims and Witnesses Unit (VWU) 234, 387, 405 ff., 419 ff., 429, 433 ff., 438, 440, 459, 460, 505, 507, 510, 606 Victims Participation and Reparation Unit (VPRS) 234, 460, 478, 491, 493, 535, 590 f., 597 Viktimisierung 38, 49, 52, 56, 58, 66 ff., 72, 74, 76, 90, 118 f., 165, 169, 172 f., 175, 212, 479, 537, 571 f., 607 – primäre ~ 52, 70, 74, 77, 170, 176 – sekundäre ~ 70 f., 73 f., 77, 128, 134 ff., 139, 149, 169, 176, 179 f., 201, 205, 217, 345, 352, 357, 360, 370, 374, 388 f., 402 ff. , 412 ff., 422, 424, 426, 428 f., 548 f., 571, 575, 589, 599 ff., 605 f., 608 – tertiäre ~ (siehe auch Hilflosigkeit, erlernte) 73 ff., 77, 126, 131, 168, 582, 604, 607 Viktimisierungssyndrom 65 f., 74, 164 Viktimologie 49, 213, 556, 608 Völkergewohnheitsrecht 93, 219, 247 f., 258, 260, 265, 269 Völkermord 77, 79, 81, 85 ff., 97 ff., 101, 118 f., 124 ff., 140, 158, 165, 223, 242, 256, 261, 265, 274 f., 300, 588, 603 Vorermittlungen 279, 314 f., 332, 334, 509 Waffengleichheit, Grundsatz der 225, 441, 484 Wahrheit 47, 173 ff., 177, 179 f., 203 ff., 208, 216 f., 229, 238, 302 ff., 348, 352, 385, 394, 427, 458, 511, 552

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Personen- und Sachwortverzeichnis

– Dokumentierung der ~ 205 ff., 304 f., 418, 441, 555, 563 – materielle ~ 204 f., 348, 357, 426 – prozessuale ~ 175, 205, 427 – Recht auf ~ 173, 175, 179, 385, 511 Wahrheitskommissionen 303 ff. – Doppelbestrafungsverbot 310 – Komplementaritätsprinzip 307 f. – Zulässigkeit 305 f. Weltrechtspflege siehe Universalitätsprinzip Wiederaufnahme 367 ff., 453, 550 Wiedergutmachung 176 ff., 180, 199, 214, 360, 367, 385, 394, 449, 471, 555 ff., 608 – als Form der Anerkennung 608 – durch den Täter 176, 565, 575 – durch den Treuhandfonds 575, 577 f., 584, 601 f., 608 – immaterielle ~ 471, 563 – individuelle ~ 568, 570 ff., 575, 592, 601 – kollektive ~ 568, 570, 572 f., 576, 592 – materielle ~ 576, 601 – staatliche ~ 570, 587 f. – symbolische Funktion 42, 562 f., 577, 601, 608 Wiedergutmachungsverfahren 38, 394, 590 ff. – Antragsberechtigung 557 f. – Beteiligung des Treuhandfonds 598 – Beweislast 593 ff., 601 – Beweisvermutungen 594 f., 601 – Opferbeteiligung 597 ff. – Rechtsmittel 598 Zeuge 37 f., 49, 73, 76, 118, 136, 203, 210, 229 f., 234, 308, 314 f., 327, 334, 337 f., 346 ff., 352, 356 ff., 364 ff., 371 ff., 447, 458, 472, 474, 482, 490, 495, 506 f., 511, 515 ff., 525 ff., 530 f., 534 f., 538, 542 f., 550 ff., 555, 557, 590, 596 f., 606 – Anreise 388, 407, 420, 496 – Auswahl 337, 405 – Begleitpersonen 432 – Bedeutung 372, 383, 392, 395, 397, 420, 437 – Begriff 372 – Doppelstatus als Opfer und Zeuge 551 f. – Entschädigung 439

– Glaubwürdigkeit 136, 383, 395, 397 ff., 402, 421, 424, 427, 437, 440, 467, 489 – Unterkunft 388, 573 – witness familiarisation 392, 408 ff., 419 – witness proofing 390 ff., 395, 427 Zeugenaussage 136, 217, 221, 289, 314 f., 357 f., 372, 374, 378 ff., 394 ff., 402, 414 ff., 424 f., 432, 436 f. – Ablauf der Aussage 417 – Auskunftsverweigerungsrecht 375 f., 393 – Aussagepflicht 373 f., 377, 393 – Beweiswert 378, 383, 385, 395, 397, 399, 402, 415, 437, 440 – Eid 392, 394 f. – Emotionen 380 f., 392, 399 f., 402 – Erinnerung, fehlerhafte 379 – Erinnerungsverschmelzung 381, 386 ff. – Falschaussage 229, 378, 383, 388, 393 ff., 399, 440 – Glaubhaftigkeit 383, 395, 397 ff., 401 f., 420, 425, 489 – Körpersprache 399 f. – Konsistenz 397 – kulturelle Besonderheiten 371, 382, 400, 440, 607 – mehrfache Aussagen 412, 417, 430 – Motivation 383, 393, 397, 399 – Nemo-tenetur-se-ipsum-accusare-Grundsatz 374 – Prinzip der Freiwilligkeit 373 – psychologische Betreuung 407, 583 – Selbstbelastungsfreiheit 375 – traumatische Störungen 400 f., 403, 607 – Übermittlung, fehlerhafte 381 – Unterstützung durch die VWU 405 ff., 419 ff., 429, 432 ff., 440, 459 f. – Wahrnehmung, fehlerhafte 379 – Widersprüche 399, 401, 425 f. – Würdigung 381, 411, 607 – Zusicherung der Vertraulichkeit 375 f. Zeugenschutz 49, 230, 234, 333 f., 337, 406, 430, 436, 459, 511 – Anonymität 435, 437 – Aussageverweigerungsrecht 438 – Beweisverwertungsverbot 438 – Umsiedlungen, präventive 433 f. – während eines Ermittlungs- oder Verfahrensaufschubs 334 f.

Personen- und Sachwortverzeichnis – Zeugenschutzprogramm 388, 432 ff., 437 ff. Zeugenvernehmung 369, 389, 419 f., 530 – cross-examinations 424 ff., 430 – durch die Kammer 348, 422 – durch die Parteien 384, 419 – Fragetaktik 384 – Genehmigung von Fragen 422, 531 – getrennte ~ 385 ff., 389, 440 – leading questions 426

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– prozessleitende Verfügungen 348, 384, 422, 425 – Sichtschutz 421, 435 – Suggestionseffekte 384 – Videovernehmung 49, 411, 421 Zivilisten 97, 106, 110 ff., 116, 120, 122 f. Zulassungsverfahren (siehe auch Antrag auf Beteiligung) 466 f., 471, 475, 482 ff., 486, 489, 494 f., 508, 510, 531, 535, 547, 552 Zwangsarbeit 84, 141 Zwangsmaßnahmen 337, 347