Der gemeine Mann vor dem geistlichen Richter: Kirchliche Rechtsprechung in Diözesen Basel, Chur und Konstanz vor der Reformation 9783110503708, 9783828200869

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Der gemeine Mann vor dem geistlichen Richter: Kirchliche Rechtsprechung in Diözesen Basel, Chur und Konstanz vor der Reformation
 9783110503708, 9783828200869

Table of contents :
Vorwort
Inhalt
Tabellen
1. Einleitung
2. Das kirchliche Gerichtssystem
3. Richter und Beamte an der Arbeit: Die Rechtsprechung
4. „Gerechtigkeyt slefft“ – Kirchliche Gerichte auf der Anklagebank
5. Schluss
6. English Summary
7. Bibliographie
Sachregister

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Thomas D. Albert Der gemeine Mann vor dem geistlichen Richter

Quellen und Forschungen zur Agrargeschichte Herausgegeben von Peter Blickle und David Sabean Band 45

Thomas D. Albert

Der gemeine Mann vor dem geistlichen Richter Kirchliche Rechtsprechung in den Diözesen Basel, Chur und Konstanz vor der Reformation

mit 59 Tabellen

®

Lucius & Lucius · Stuttgart

Anschrift des Autors: Thomas D. Albert Laufenstr. 15 CH - 4142 Münchenstein

Publiziert mit Unterstützung des Schweizerischen Nationalfonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung

Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Albert, Thomas D.: Der gemeine Mann vor dem geistlichen Richter : kirchliche Rechtsprechung in den Diözesen Basel, Chur und Konstanz vor der Reformation ; mit 59 Tabellen / Thomas D. Albert. Stuttgart : Lucius und Lucius, 1998 (Quellen und Forschungen zur Agrargeschichte ; Bd. 45) Zugl.: Bern, Univ., Diss., 1996/97 ISBN 3-8282-0086-9

Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere fur Vervielfältigung, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung, Verarbeitung und Übermittlung in elektronischen Systemen.

© Lucius & Lucius Verlagsgesellschaft mbH Stuttgart · 1998 Gerokstr. 51 · D-70184 Stuttgart

Druck und Bindung: Franz Spiegel Buch GmbH, Ulm

Vorwort

Die vorliegenden „empirischen Notizen" sind im Wintersemester 1996/97 von der Philosophisch-historischen Fakultät der Universität Bern als Dissertation angenommen worden. Für den Druck wurden sie überarbeitet und gekürzt. Die Anregung für das Unterfangen, der Reformationsforschung ein kirchenrechtsgeschichtliches Kapitel beizufügen, empfing ich von Herrn Professor Peter Blickle. In ihm fand ich den Lehrer, der mir den benötigten Freiraum gewährte, um meinen wissenschaftlichen Neigungen nachzugehen, und mich gleichwohl immer unterstützte und fachlich beriet. Als ich das Manuskript arg verspätet einreichte, opferten er und der Korreferent, Professor Martin Körner, ihre freien Tage zwischen Weihnachten und Neujahr, um es zu begutachten. Dank ihres außergewöhnlichen Arbeitseinsatzes versäumte ich den nächsten Priifüngstermin nicht. Herrn Professor Peter Blicke und Herrn Professor David W. Sabean danke ich auch für die Aufnahme meiner Arbeit in die von ihnen herausgegebene Reihe „Quellen und Forschungen zur Agrargeschichte". Zweieinhalb Jahre intensivster wissenschaftlicher Arbeit lassen sich nicht ohne fremde Hilfe unterschiedlichster Form durchstehen. Das Institut fur Europäische Geschichte (Abteilung für Abendländische Religionsgeschichte) nahm mich in den Kreis seiner Stipendiaten auf und gewährte mir einen Vertrauensvorschuss, indem es mir unbürokratisch schnell das auslaufende Stipendium zweimal verlängerte. Zwei Jahre atmete ich die inspirierende Luft des Hauses. Insbesondere möchte ich Herrn Professor Gerhard May, Herrn Professor Rolf Decot und Herrn Dr. Markus Wriedt danken. Oft brachten die beiden Letzteren meine ins Stocken geratene Arbeit mit ihren gütig-kritischen Hinweisen wieder einen Schritt weiter. Ohne die Solidargemeinschaft der Stipendiatinnen und Stipendiaten, die sich zum Glück nicht nur in fachlicher, sondern auch in freundschaftlicher Weise auswirkte, hätte ich kaum solange konzentriert arbeitend durchhalten können. Wie weit wäre meine Arbeit gediehen ohne Dirk Bönker, Monica Cioli, Berit Dencker, Elisabeth Fisch, Gilbert Fournier, Tanya Kevorkian und Luitgard Marschall. Ein spezieller Dank geht an Mike Driedger, der meine Zusammenfassung ins Englische übersetzte. Auch möchte ich allen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern der Bibliotheken und Archive danken, die mir meine manchmal sehr eiligen Wünsche erfüllten. Ein besonderes Dankeschön geht an Herrn Dr. Bruno Hübscher, Bischöfliches Archiv Chur, der mir unter nicht gerade optimalen Umständen zahlreiche Kopien von dringend benötigten Quellen herstellte. Regula Grossen und Martin Albrecht bewahrten mich mit ihrem nüchternironischen Blick auf die akademische Betriebsamkeit vor dem endgültigen Entschweben in die intellektuelle Sphäre. Der Verlockung widerstand ich um so

V

leichter, als sie mich in den kulinarischen Himmel entführten. Wann immer ich in Bern aufkreuzte, kitzelten ihre Kochkünste und ihr Weinkeller meinen Gaumen. Nicht zuletzt danke ich auch meinen Eltern, die mich nicht nur finanziell unterstützten, sondern auch immer an den Erfolg des Unternehmens geglaubt haben.

Basel/Chur, Mai 1998

Inhalt

Vorwort

Inhaltsverzeichnis

V

VII

1 Einleitung 1. 2. 3. 4. 5.

Erkenntnisleitende Interessen und Zielsetzung Räumliche und zeitliche Begrenzung Methoden und Quellen Aufbau der Arbeit Forschungslinien und-geschichte, Wissensstand 5.1 Rekonstruktion der kirchlichen Rechtsprechung 5.1.1 Deduktiv-impressionistischer Ansatz 5.1.2 Induktiv-quantifizierender Ansatz 5.2 Kirchliche Rechtsprechung und Reformation

2 Das kirchliche Gerichtssystem

1 6 8 11 13 13 16 20 27

37

I.

Normativer Rahmen

1.

Personelle Zuständigkeit

39

2.

40 40

4.

Streitige Gerichtsbarkeit (Jurisdictio contentiosä) 2.1 Geistliche Angelegenheiten (causae spirituales) 2.2 Weltlich-geistlich gemischte Sachen (causae spiritualibus annexae Straf- und Bußrecht (jurisdictio erim inai is) 3.1 Verbrechen und Vergehen 3.2 Kirchliche Zensuren: Bann, Interdikt, Suspension 3.3 Bann schadet der Seele - Religion und Strafe Freiwillige Gerichtsbarkeit (jurisdictio voluntaria)

43 44 44 47 52 55

II.

Das Netz kirchlicher Gerichte

57

1.

Hierarchische Verwerfimg: Send und archidiakonale Gerichte

57

3.

39

VII

2.

3. 4.

5.

1.1 Sonderfall: Innerschweizer Kanzelgerichte 1.2 Sonderfall: Stadtzürcher Pfaffengericht Bischöfliche Gerichtsbarkeit 2.1 Die Gerichtsbarkeit des Generalvikars 2.2 Die Offizialate 2.2.1 Prozessrechtliches Verfahren 2.2.2 Der Beamtenapparat in Basel, Konstanz und Chur 2.2.3 „Costen solicher process oder brief 2.2.4 Entwicklungen im 15. Jahrhundert 2.2.4.1 Parallelen: Neue Beamte 2.2.4.2 Unterschiede : Reorganisierung, Behebung von Mängeln 2.3 Delegierte Gewalt der Archdiakone und Dekane Erzbischöfliche Gerichtsbarkeit Päpstliche Jurisdiktion 4.1 Delegierte Rechtsprechung 4.1.1 Apostolische Legaten 4.1.2 Gerichte exemter Institutionen: Konservatorien 4.1.3 Das Schirmgericht der Stadt Basel 4.2 Konziliare Gerichtsgewalt Zusammenfassung

60 62 63 63 65 66 68 75 86 87 92 100 105 106 106 106 107 110 114 115

III. Exkurs: Komplementäres weltliches Recht

118

1.

118 119 121 121

Überlappende Normen, Sitten und Bräuche 1.1 Das Privilegium fori auf dem Prüfstand 1.2 Streitige Gerichtsbarkeit 1.2.1 Ehe und Eheschließung 1.2.2 Weltlich-geistlich gemischte Rechtshändel: Konkurrenz und Subsidiarität 1.3 Vergehen gegen Frieden und Ehre

125 127

3 Richter und Beamte an der Arbeit: Die Rechtsprechung

129

1.

Die Quellen 1.1 Bistum Basel 1.2 Bistum Konstanz 1.3 Bistum Chur

129 130 133 134

I.

Nebenschauplätze

136

VIII

1. 2.

Sendurteile? Prozesse vor dem Kanzel-oder Pfaffengericht? Bischöfliche Rechtsprechung 2.1 Der Bischof als Richter 2.2 Generalvikare als Richter 2.3 Jurisdiktion der Dekane und Archidiakone Rechtsprechung erzbischöflicher Offiziale Der Papst lässt Recht sprechen 4.1 Apostolische Legaten 4.2 Konservatoren sprechen Recht 4.3 Kirchliche Richter schirmen die Stadt Basel 4.4 Konziliare Rechtsprechungsakte

136 136 136 138 141 145 148 149 152 154 157

II.

Hauptschauplatz: Das Forum der bischöflichen Offiziale

159

1. 2.

Methodische Vorbemerkungen Streitige Rechtsprechung (jurisdictio contentiosa) 2.1 „Wilt du mich zu der ee?" - Inhalt und Kosten der Eheprozesse 2.2 Weltlich-geistlich gemischte Fälle (causae spiritualibus annexae) Strafrechtliche Gerichtsakte aus Basel und Chur 3.1 Vergehen der Laien 3.2 Unpriesterlicher Lebenswandel 3.3 Strafen: Geldbuße und Exkommunikation Freiwillige Gerichtsbarkeit in Basel 4.1 Verträge 4.2 Vidimierungen Wer steht vor dem geistlichen Richter? 5 .1 Sozialer Status und Herkunftsort der Parteien 5.2 Geschlechtsspezifische Aspekte Vergleichende Zusammenfassung

159 162 .. 162

4 „Gerechtigkeyt slefft" - Kirchliche Gerichte auf der Anklagebank

.. 282

3. 4.

3.

4.

5.

6.

180 191 193 206 216 234 236 246 248 248 270 274

I.

Kritik der Laien: Spätmittelalterliche Reformdebatten

284

1.

Der Ruf nach Reformation 1.1 Verfassungspolitische Traktate 1.1.1 Die Reformatio Sigismundi 1.1.2 Der „oberrheinische Revolutionär" 1.2 Reichspolitische Ebene: Gravamina der deutschen Nation 1.3 Gemeiner Mann - wohin?

284 284 285 288 292 300 IX

1.3.1 1.3.2

Vorreformatorische Beschwerden (bis 1521) Beschwerden in den ersten Reformationsjahren

300 306

II.

Der kritische Klerus

314

1. 2.

Zwischen Hammer und Amboss: die Dorfgeistlichen Reformatoren und päpstliches Recht - ein „deutsches Requiem" 2.1 Luther 2.2 Zwingli

314 320 322 329

III. Zusammenfassung

1. 2.

3.

5 Schluss

338

6 English Summary

341

7 Bibliographie

348

Abkürzungen Quellen 2.1 Ungedruckte Quelle 2.2 Gedruckte Quellen Literatur 3.1 Hilfsliteratur 3.2 Sekundärliteratur

Anhang: Geldeinheiten

Sachregister

X

335

348 349 349 350 353 353 354

364

365

Tabellen: Tab. Tab. Tab. Tab. Tab. Tab. Tab. Tab. Tab. Tab. Tab. Tab. Tab. Tab. Tab. Tab. Tab. Tab.

1 : Einnahmen aus Schriftsätzen für Kirchenstrafen (Bistum Basel) 2: Bistum Konstanz, Gebührenordnungen von 1345 und 1512 3: Bistum Konstanz, Taxen des Freiburger Offizialats (1345) 4: Bistum Konstanz, Bußen für Vergehen (1493) 5: Bistum Chur, Absolutionsgebühren um 1520 6: Bistum Basel, Taxen des Basler Konservatorialgerichts (1488) 7: Bistum Basel, Taxen des Konservatorialgerichts (ca. 1512) 8: Appellationen von Basel nach Besançon 9. Appellationen von Konstanz nach Mainz 10: Appellationen von Basel an die Kurie 11 : Appellationen von Konstanz an die Kurie 12: Einnahmen des Konservatoriums der Stadt Basel (1514-16) 13 . Bistum Basel, jährliche Eheprozesse (1463-69, 1521-24) 14: Inhalt der Basler Eheprozesse (1463-69, 1521-24) 15: Bistum Konstanzjährliche Eheprozesse, (1514/15, 1519-25) 16: Bistum Konstanz, Inhalt der Eheprozesse (1514/15, 1519-25) 17: Ehefälle aus dem Register eines Kommissars (1454-59) 18: Bistum Chur, jährliche Eheprozesse (1495-1527)

76 79 80 81 83 111 113 146 147 150 151 156 163 164 167 168 171 173

Tab. Tab. Tab. Tab. Tab. Tab. Tab. Tab. Tab. Tab.

19: Bistum Chur, Inhalt der Eheprozesse (1495-1527) 20: Bistum Basel, causae annexae (1463-69, 1521-24) 21 : Bistum Basel, Inhalt der causae annexae (1463-69, 1521-24) 22: Bistum Chur, causae annexae (1498-1527) 23: Bistum Chur, Inhalt der causae annexae (1498-1527) 24: Bistum Basel, jährlich bestrafte Laien (1463/64-69/70) 25: Bistum Basel, jährlich bestrafte Laien (1509/10-1521/22) 26: Bistum Basel, Sexual- und Ehedelikte der Laien (1463/64-69/70) 27: Bistum Basel, Sexual- und Ehedelikte der Laien (1509/10-21/22) 28: Strafrechtliche Delikte (ohne Sexualdelikte) der Laien (1463-69)

174 182 183 187 188 193 194 195 195 197

Tab. Tab. Tab. Tab. Tab. Tab. Tab. Tab.

29: 30: 31: 32: 33: 34: 35: 36:

Strafrechtliche Delikte (ohne Sexualdelikte) der Laien ( 1509-22) Bistum Chur, jährliche Vergehen der Laien (1497-1526) Bistum Chur, Inhalt der Laiendelikte (1497-1526) Täter aus Bludenz, Chur und Feldkirch (1514-25) Bistum Basel, jährlich bestrafte Kleriker (1463/64-69/70) Bistum Basel, jährlich bestrafte Kleriker (1509/10-21/22) Bistum Basel, klerikale Vergehen (1463/64-69/70) Bistum Basel, klerikale Vergehen (1509/10-21/22)

198 202 203 204 206 207 208 209

Tab. Tab. Tab. Tab. Tab. Tab.

37: 38: 39: 40: 41: 42:

Bistum Chur, jährliche klerikale Vergehen (1497-1527) Die Vergehen der Geistlichen (1497-1526) Bistum Basel, bezahlte und unbezahlte Strafgelder Bistum Basel, exkommunizierte und absolvierte Laien (1503/04-11/12) Bistum Basel, exkommunizierte und absolvierte Kleriker (1503/04-11/12) Bistum Chur, jährliche Zensuren (1497-1527)

213 214 222 223 224 228

XI

Tab. Tab. Tab. Tab. Tab. Tab. Tab. Tab. Tab. Tab. Tab. Tab. Tab. Tab. Tab. Tab. Tab.

XII

43: Bistum Chur, Ursachen des Banns 44: Bistum Chur, exkommunizierte und suspendierte Kleriker 45: Bistum Basel, freiwillige Gerichtsbarkeit (1471-79) 46: Bistum Basel, freiwillige Gerichtsbarkeit (1506-16, 1521-27) 47: Inhalt der Verträge der freiwilligen Gerichtsbarkeit 48: Rentenverträge und Konfessate (1471-79, 1506-16) 49: Bistum Basel, Vidimierungen (1471-79) 50: Sozialer Status der Parteien in Basler Eheprozessen 51 : Sozialer Status der Parteien in Konstanzer Eheprozessen 52: Einzugsgebiet des Konstanzer Ehegerichts 53: Sozialer Status der Parteien in Eheprozessen aus Bludenz, Chur und Feldkirch 54: Bistum Basel, Parteien in den causae annexae (1463-69) 55: Bistum Basel, Parteien in den causae annexae (1521-24) 56: Bistum Chur, Parteien in den causae annexae (1498-1527) 57: Klagepartei und Geschlecht in Basler Eheprozessen 58: Bistum Chur, Eheprozess und Geschlecht (1514-27) 59: Bistum Basel, Geschlecht und Vergehen

232 233 237 238 239 243 247 250 253 254 256 258 258 261 271 272 273

1

1.

Einleitung

Erkenntnisleitende Interessen und Zielsetzung

Die Reformation bedeutete auch in rechtlicher Hinsicht eine Weichenstellung. Das illustriert eine Episode, der bereits die Zeitgenossen große Bedeutung zumaßen. Am 10. Dezember 1520 verbrannte Martin Luther an einem für die Wittenberger Öffentlichkeit gut sichtbaren Ort, dem Elstertor, die gegen ihn gerichtete päpstliche Bannandrohungsbulle Exsurge Domine sowie zahlreiche kirchenrechtliche Schriften, darunter mehrere Bände des kanonischen Rechts und die Summa Angelica casuum conscientiae des Angelus Carleti von Chivasso. Letztere war eines der am weitesten verbreiteten Beichthandbücher der Zeit, worin praktisch alle bedeutenden Juristen zu Wort kamen. 1 Kirchenkritik war nichts Neues, vielmehr ein dem Hoch- und Spätmittelalter eingeschriebenes Merkmal. Die Vorgänge am Elstertor erreichten aber sowohl der Form als auch dem Inhalt nach eine neue Ebene. Die Respektlosigkeit gegenüber der Institution Kirche, die die junge reformatorische Bewegung in Sachsen an den Tag legte, erreichte durch diese apokalyptische Tat nach dem Thesenanschlag Luthers 1517 einen neuen, gleichermaßen publikumswirksamen wie folgenreichen Höhepunkt. Verbrannt wurde nur Papier. Dieses aber anstelle des Antichrists in der Kirche und seiner in der ganzen Christenheit verstreuten Anhänger. Tod durch Verbrennen. Die inquisitorische Strafe, die die Kirche den Ketzern, den vom rechten Glauben unrettbar Abgekommenen, vorbehielt, setzte der Wittenberger Theologe gegen sie selbst ein. Dass Luther hauptsächlich kirchenrechtliche Schriften verbrannte, kann in seiner Bedeutung ebenfalls kaum überschätzt werden. Die Wahrheit des Evangeliums äscherte das Symbol des weltlichen Machtund Autoritätsanspruchs, das juristische Fundament der Papstkirche, ein. Der Reformator und seine Anhänger hatten damit die äußeren Verbindungen zu Rom gekappt. 2 Die Episode deutet an, worum es in dieser Studie geht. Im Zentrum steht die Frage, ob die kirchliche Jurisdiktion - hier im engeren, modernen Sinn verstanden als

1

2

Vgl. dazu Hans-Christoph Rublack, Die verbrannte Bulle, in: Ders., ... hat die Nonne den Pfarrer geküsst? Aus dem Alltag der Reformationszeit (Gütersloher Taschenbücher Siebenstern, 1113), Gütersloh 1991, 67-78. Ähnlich Bemd Hamm, Einheit und Vielfalt der Reformation - oder: was die Reformation zur Reformation machte, in: B. Hamm, B. Moeller, D. Wendebourg (Hgg ), Reformationstheorien. Ein kirchenhistorischer Disput über Einheit und Vielfalt der Reformation, Göttingen 1995, 57-127, hier 66.

1

„Rechtsprechung" 3 - mitgeholfen hat, dass der gemeine Mann die reformatorischen Botschaft bereitwilliger annahm. Der gemeine Mann, das ist der in seiner Gemeinde vollberechtigte Bürger und Bauer, das größte Zielpublikum der evangelischen Prediger. Dass es überwiegend der gemeine Mann war, der vor dem kirchlichen Richter stand, ist eine Prämisse, die noch zu belegen sein wird. Die vorliegenden „empirischen Notizen" 4 verstehen sich als Beitrag zur Rezeptionsforschung der Reformation als gesellschaftlichem Ereignis. Sie versuchen, einen institutionellen Pfeiler der spätmittelalterlichen Gesellschaft, eben das kirchliche Gericht, mit der Reformation auf der religiösen, sozial- und verfassungsgeschichtlichen Ebene zu verknüpfen. Was heißt „Reformation als gesellschaftliches Ereignis"? Weshalb wird damit die kirchliche Jurisdiktion in Zusammenhang gebracht? Wessen Jurisdiktion ist genau gemeint? Die sozialgeschichtliche Perspektive, aus der die Reformation betrachtet wird, bestimmt den thematischen Fluchtpunkt. Es ist das die Verknüpfung sozialer und ideeller Bewegungen und die daraus sich ergebenden Folgen für das Zusammenleben der Menschen. Sämtliche Stände und sozialen Großgruppen, der Adel und der Klerus, das Stadtbürgertum und die Bauern, anders gewendet: der gemeine Mann und die Herrschaftsträger nahmen aktiv am reformatorischen Geschehen teil. Die Sozialgeschichte versucht, möglichst genau die Rolle zu verstehen, die jede Gruppe und jeder Stand darin gespielt. In diesem Zusammenhang erlaubt die Frage nach der Rezeption der reformatorischen Lehre keine Verengung auf den theologischen Kern. Sie darf nicht darauf beschränkt werden, ob ihr Proprium, die Rechtfertigungslehre, verstanden, anerkannt und angeeignet wurde oder nicht. Das ist primär ein individuelles Problem einiger akademisch Gebildeten, oder, um es in den Worten Max Webers zu sagen, religiöser Virtuosen.5 Wenn es aber nicht die theologische Suche nach dem gnädigen Gott war, die Christen aller deutschen Territorien sich unter der Fahne der Reformation vereinigen ließ, was war es dann? „Reformation als gesellschaftliches Ereignis" wird von der Bedürfiiislage der sozialen Gruppen her definiert, besonders derjenigen, die immerhin etwa 80-90 % der Bevölkerung ausmachten, der Bauern und Städter, und dem ihm entsprechenden Angebot der Reformatoren. Ich unterscheide zwei Ebenen, die auch eine 3

4

5

2

Der mittelalterliche Begriff iurisdictio meint die Befugnis, mittels des Rechts zu regieren. Das schloss ein, Gesetze zu erlassen, sie auszufuhren sowie Recht zu sprechen. Otto G. Oexle, „Der Teil und das Ganze" als Problem geschichtswissenschaftlicher Erkenntnis. Ein historisch-typologischer Versuch, in: K. Acham, W. Schulze (Hgg), Teil und Ganzes. Zum Verhältnis von Einzel- und Gesamtanalyse in Geschichts- und Sozialwissenschaften (Beiträge zur Historik, 6), München 1992, 348-384, hier 364. Oexle stützt sich seinerseits auf Arthur Schopenhauer, der mit der Wendung zum Ausdruck bringen will, dass die Geschichtswissenschaft nicht imstand sei, das Ganze darzustellen, sondern stets irgendwo zwischen dem unendlich Großen und dem unendlich Kleinen sich ansiedle. M. Weber, Wirtschaft, bes. 327f.

Klammer der ganzen Arbeit bilden, nämlich die individuelle und die kollektive Ebene, wobei die zweite die Gesamtheit der individuellen Wünsche organisiert, kanalisiert und reproduziert. Auf der individuellen Ebene steht das religiöse Bedürfnis im Mittelpunkt, das Seelenheil zu sichern. Nur wo Intellektuelle intensiv darüber nachdachten, lautete die Antwort: simul iustus et peccator. Die überwiegende Mehrheit ließ sich von anderen Überlegungen leiten, wie unzählige Urkunden von Pfründstiftungen, Petitionen und Klagebriefen in städtischen und ländlichen Gebieten zeigen, am eindrücklichsten die Beschwerdeschriften des Bauernkriegs von 1525. Der gemeine Mann wünschte eine wohlfeile Kirche und einen permanent im Ort residierenden Pfarrer, der ihm die Sakramente spendete, das Evangelium verkündete und alle liturgischen Handlungen vollzog, öfter auch ein kirchliches Gericht, das die Pfarrgenossen nicht wegen weltlicher Angelegenheiten exkommunizierte. Auf der kollektiven Ebene ging es darum, diese Bedürfhisse so zu organisieren, dass keine lästigen Unterbrechungen der pfarrherrlichen Aufgaben das Seelenheil in Frage stellten, und die Gefahr möglichst gering blieb, dass eine kirchliche Instanz den Bann verhängte. Das war die kirchenpolitische Aufgabe der Stadt- und Landgemeinde. „Kommunalisierung der Kirche" heißt das Schlagwort, das schon seit längerer Zeit die Runde macht, und in der Reformationsforschung auf den Begriff „Gemeindereformation" zugespitzt wurde. 6 Das kommunalistische Verfassungsprinzip ist sachgemäß. Es drückt das Bestreben der städtischen und dörflichen Pfarrgenossen aus, ihr religiöses Bedürfnis mit ähnlichen Mitteln zu befriedigen. Ihre Heilssehnsucht versuchten sie dadurch zu stillen, dass sie nach größtmöglicher Rechtsautonomie auch in kirchlichen Fragen strebten und seit dem 15. Jahrhundert in zunehmendem Maß die cura animarum, die geistliche Versorgung mit allen dafür erforderlichen Diensten als Teil der eigenen Verwaltungshoheit auffassten. 7 „Gemeindereformation heißt theologisch-ethisch, das Evangelium in reiner Form verkündet haben zu wollen, und danach das Leben auszurichten; organisatorisch, Kirche auf die Gemeinde zu gründen; politisch, die Legitimation von Obrigkeit an Evangelium und Gemeinde zu binden." 8 Wird von diesem Reformationsbegriff ausgegangen, eignet sich die kirchliche Rechtsprechung besonders gut, um den Motivationsgründen für die Rezeption nachzuforschen. Denn sie erfasste die quantitativ wichtigste Bevölkerungsgruppe, eben den gemeinen Mann. 6

7

8

Peter Blickle, Gemeindereformation. Die Forschungsdiskussion darüber fasste zuletzt zusammen A. Holenstein, Bauern, 113-116. Eine der wichtigeren Kritiken an Blickles These lautet, dass das Konzept „Gemeindereformation" nicht einfach auf den norddeutschen lutherischen Raum übertragen werden könne. Ich trage ihr dadurch Rechnung, dass ich meine Studie geographisch auf die Diözesen Basel, Konstanz und Chur beschränke Cura animarum ist der Zeit gemäß „vornehmlich als kirchenrechtlicher, nicht als dogmatischer Begriff" zu verstehen. Zur Begriffsgeschichte vgl Gerhard Ebeling, Luthers Gebrauch der Wortfamilie „Seelsorger", in: Lutherjahrbuch 61 (1994), 7-44, bes. 12ff. P. Blickle, Gemeindereformation, 112.

3

Was heisst aber kirchliche Rechtsprechung? Darunter wird hier allein diejenige Tätigkeit verstanden, die Einzelrichter in fest eingerichteten Instanzen aufgrund des gemeinen Kirchenrechts ausübten, nämlich die jurisdictio ecclesiastica in foro externo. Die in foro interno beziehungsweise in foro conscientiae geübte Bußpraxis muss unberücksichtigt bleiben, da es dazu aus naheliegenden Gründen kaum Quellen gibt.9 Ausgeklammert wird auch die schiedsgerichtliche Jurisdiktion kirchlicher Personen und die Rechtsprechung der bischöflichen Offiziale, die sie als oberste Richter der weltlichen Gerichtsbarkeit der Hochstifte wahrnahmen. Kirchliche Gerichte gefährdeten einerseits das individuelle Seelenheil der Gläubigen direkt, indem sie sie bannten und damit von der Abendmahlsgemeinschaft und vom Empfang der Sakramente ausschlössen; indirekt, indem sie Geistliche ihres Amts enthoben und so die Versorgung eines Dorfes mit den Heilsgütern unterbrachen. Andererseits griff das kirchliche Gericht auch in die weltliche Rechtshoheit über. Es beanspruchte zwar, die weltliche Gewalt komplementär zu ergänzen. Doch in doppelter Weise arbeitete es gegen deren Interessen. Zum einen überlappten sich die Zuständigkeitsbereiche, zum anderen störten die Kirchenstrafen Bann, Interdikt und Suspension das Gemeindeleben empfindlich. Denn bestraft war nie allein eine einzelne Person, sondern immer auch die Gemeinschaft, in der die zensurierten Männer und Frauen lebten. Der letzte Punkt sei noch etwas breiter ausgeführt, um die Bedeutung der Rechtsprechung kirchlicher Gerichte für die spätmittelalterliche Gesellschaft stärker zu betonen. Kirchliche Gerichte waren mehr als eine Instanz und ein Teil der damaligen Rechtsstruktur neben den weltlichen Gerichten. Da sich das vormoderne Recht ohne Bezug zur Religion weder denken noch verstehen lässt, waren geistliche Gerichte auch ein institutioneller Bestandteil der geistig-religiösen Welt. Sie waren zuständig für die Erhaltung der sakramentalen Ordnung. Die religiöse Dimension lässt sich besonders gut an der Strafe der Exkommunikation zeigen, weil diese die bestrafte Person nicht nur von der Teilhabe am kirchlichen Gnadenschatz, sondern auch vom christlichen, kommunale Identität mitstiftenden Ritual des Abendmahls ausschloss. In der Regel reproduzierte die Rechtsprechung die rechtlichen und religiösen Strukturen, festigte sie dadurch oder veränderte sie unter Umständen; im schlimmsten Fall aber störte sie diese empfindlich. Im letzteren Fall lief das Gericht Gefahr, sich selbst zu delegitimieren, was nur solange erträglich war, wie sich diese Situation nicht zu einem Dauerzustand auswuchs. Die hier gezogene Verbindungslinie zwischen Reformation und kirchlicher Rechtsprechung ist nicht neu, sondern zeitgenössisch. Margaretha von Österreich beispielsweise, die Statthalterin der Niederlande, führte 1525 die Verbreitung der Reformation auch auf die zahlreichen und unrechtmäßig verhängten Exkommuni9

4

Zur Bedeutung der iurisdictìo in foro interno im Spätmittelalter vgl. zuletzt W. Trusen, Bedeutung.

kationen und Interdikte zurück. 10 In der heutigen Reformationsforschung wird der Zusammenhang unter verschiedenen Gesichtspunkten angesprochen und der bald fünfhundert Jahre alte Faden weitergesponnen: Jurisdiktion als Einnahmequelle im Zeichen des kirchlichen Fiskalismus, als Zankapfel zwischen weltlicher und geistlicher Herrschaft und schließlich auch als Motivationsfaktor fur die Rezeption der reformatorischen Lehre durch Städter, Bauern und den niederen Klerus.11 Hatte die kirchliche Jurisdiktion tatsächlich diese Wirkung? In der vorliegenden Studie wird eine andere These vertreten: In den Herrschaftsgebieten, wo die kirchliche Rechtsprechung eine tragende Rolle im Rechtssystem spielte, war sie ein Ordnungsfaktor, den der gemeine Mann weiterhin akzeptierte. Die Bannpraxis hintertrieb zwar oftmals ihre eigentliche Aufgabe, und die Jurisdiktion wurde disfunktional, da sie diejenige Ordnung störte, die die Kirche zu erhalten verpflichtet war. Vor allem die Bauern beklagten sich immer wieder darüber. Doch war das kein hinreichender Grund, auf den reformatorischen Kurs einzuschwenken und mit den Reformatoren die Abschaffung dieser Institution zu fordern; auch nicht während des Bauernkriegs von 1525, als sich der gemeine Mann ausdrücklich auf das Evangelium als lex Christi berief, um seine Forderungen biblisch zu begründen und ihnen dadurch Nachdruck zu verleihen. Obwohl die reformatorischen Prediger Alternativen bereitstellten, wichen die sich kritisch zur geistlichen Gerichtsbarkeit äußernden Laien nicht grundsätzlich von ihrer Position ab, die sie schon im 15. Jahrhundert bezogen hatten. Die kirchliche Jurisdiktion, das spezifische Wissen über sakrale und sakramentale Dinge und die dadurch ausgeübte Macht der römischen Kirche blieben akzeptiert. Dass die kirchliche Gerichtsbarkeit in den evangelisch gewordenen Gebieten dennoch abgeschafft wurde, kann durch das Zusammenwirken vor allem dreier Faktoren erklärt werden: Das kirchliche Rechtssystem brach nach 1525 infolge der Kriegs- und Reformationswirren zusammen. Ein engmaschigeres Gerichtssystem trat an seine Stelle, da der Weg zum Gerichtsort allzu lang unterbrochen war, und Rechtsstreitigkeiten ungelöst blieben. Dann verpflichtete und legitimierte die reformatorische Lehre die weltliche Obrigkeit, ihre Herrschaft auch in den kirchlichen Bereich auszudehnen. Drittens kam in einzelnen, insbesondere reichsstädtischen Gebieten hinzu, dass die kirchliche Rechtsprechung bereits vor der Reformation keine wesentliche Rolle mehr spielte. Das Ereignis „Reformation" setzte einer spätmittelalterlichen Entwicklung nur den unfreiwilligen Schlusspunkt.

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Der Hinweis bei J. Hashagen, Charakteristik, 258. P. Blickle, Reformation, 32f. H.-J. Goertz, Pfaffenhaß, 47, 58. J. Lortz, Reformation I, 9, 76, 143, 204. B. Moeller, Deutschland, 41. V. Press, Bewegung, 13. H. A. Oberman, Zwingiis Reformation, 239. O. Vasella, Reform, 7-48. Vgl. auch den Forschungsüberblick (§ 1,5.2).

5

2.

Räumliche und zeitliche Begrenzung

Untersuchungsraum sind die drei Diözesen Basel, Chur und Konstanz, deren Fläche sich vom Elsass bis ins Südtirol und von Stuttgart bis in die Berner Voralpen erstreckte. Aus naheliegenden Gründen handelt es sich um Bistümer, da sie den Rechtssprengel des wichtigsten kirchlichen Gerichts, nämlich des bischöflichen Offizialats - auch Chorgericht oder Konsistorium genannt - bildeten. Sie unterstanden zwei verschiedenen Erzbistümern. Chur und Konstanz zählten zum Metropolitanverband Mainz, Basel hingegen war ein Teil der Kirchenprovinz Besançon. Das beeinflusste die Arbeit der Richter allenfalls geringfügig. Das gemeine Kirchenrecht galt in der gesamten christlichen Welt. Zudem waren die Beamten und Richter ebenso wie die Notare der wichtigsten geistlichen Gerichte abwechslungsweise sowohl in Basel als auch in Konstanz, beziehungsweise in Chur und Konstanz tätig. Das bekannteste Beispiel ist Johannes Fabri, der zwischen 1515-17 Offizial am bischöflichen Gericht in Basel war, anschließend bis 1523 das Amt eines Generalvikars im Bistum Konstanz ausübte.12 Diese personellen Wechsel, die sowohl fur das 14. als auch fur das 15. Jahrhundert nachzuweisen sind, sprechen für eine ähnliche, wenn nicht sogar gleiche Verwaltungstätigkeit und Rechtsanwendung an zu unterschiedlichen Metropolitansprengeln gehörenden Kirchengerichten.13 Aus pragmatischen Gründen wurde für das Bistum Chur die Analyse der Rechtsprechung auf drei Herrschaftsgebiete begrenzt. Die Wahl fiel auf zwei weltliche Territorien, nämlich das Untertanenland der eidgenössischen Orte, die Sarganser Landschaft, und die zu Habsburg gehörenden Vorarlberger Gerichte sowie auf das Hochstift, den sogenannten Gotteshausbund. Die Quelle, aus der das Datenmaterial stammt, ist derart reichhaltig, dass die Resultate repräsentativ sind, obwohl sie nicht vollständig ausgewertet wurde. Die Untersuchungszeit reicht vom Beginn des 15. Jahrhunderts bis in das erste Reformationsjahrzehnt. Zwei Ereignisse markieren Anfangs- und Enddatum: Das Ende des abendländischen Schismas (1417) sowie die Reformation. Beide sind für die Rechtsprechung kirchlicher Gerichte von erheblicher Bedeutung. Für das Anfangsdatum sprechen zwei Gründe. Das Schisma schädigte das Ansehen der kirchlichen Gerichte nachhaltig dadurch, dass die Päpste die kirchlichen Zensuren als machtpolitisches Instrument einsetzten, die Gegenpartei bannten und interdizierten 12

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6

Die prosopographischen Daten zu Johannes Fabri in W. D. Wackernagel, Offizialat, 254f. und B. Ottnad, Generalvikare, 558ff. Fabri war allerdings nicht erst ab 1516 Offizial in Basel, sondern bereits Ende 1515, wie aus dem Manual eines Notars hervorgeht; StABS: Gerichtsarchiv AA 19, fol. 35-35v. Eine Arbeit, die diese personellen Verbindungen geistlicher Gerichte systematisch untersucht, fehlt bislang. Die prosopographischen Verzeichnisse kirchlicher Richter und Notare Südwestdeutschlands belegen aber, dass solche öfter vorkamen; J.-P. Schuler, Notare.

sowie deren Urteile kassierten. Die Bistümer gerieten zwangsläufig in den Strudel des Streits, und auch die untere kirchliche Verwaltungsebene konnte nicht umhin, Partei zu ergreifen. Diese Strafpraxis untergrub die Glaubwürdigkeit der Kirche so nachhaltig, dass die Konzilien von Konstanz (1414-18) und Basel (1431-37) das Problem eigens diskutierten.14 Spätestens die definitive Beendigung des Schismas durch die Abdankung des letzten Gegenpapstes Felix V. (1439-49) schuf die Voraussetzung für eine geregelte, effiziente und allgemein anerkannte Ausübung der kirchlichen Jurisdiktion. Der zweite Grund ist die organisatorische Entwicklung der bischöflichen Verwaltung im Untersuchungsraum während des 15. Jahrhunderts. Die Bestrebungen, den Behördenapparat zu zentralisieren und effizienter zu gestalten, wirkten sich auf die kirchlichen Gerichte und die Rechtsprechung aus. Sie müssen berücksichtigt und dargestellt werden, um ihr Erklärungspotential für die Interpretation der Rechtsprechung zu nutzen. Für das Enddatum 1525/30 sprechen zwei Gründe. Einerseits eine argumentationslogische Erklärung. Reformation als breite soziale Bewegung fand ihren Höhepunkt zwischen 1520-25.15 Nach dem Bauernkrieg wurden Religionsfragen zu einer hauptsächlich von oben, den Landesherren und städtischen Obrigkeiten gelösten Angelegenheit. Die Gemeindereformation löste sich in der Fürsten- und Ratsreformation auf. Da kirchliche Rechtsprechung aber vorab mit der Reformation als gesellschaftlichem Ereignis verknüpft wird, ist es folgerichtig, die Untersuchung zu diesem Zeitpunkt abbrechen zu lassen. Andererseits brach das alte kirchliche Rechtssystem spätestens ab 1525 endgültig zusammen. Zuerst stellte Zürich eine eigene Eheordnungen auf und setzte weltliche Sittenrichter ein. Andere Städte zogen alsbald nach.

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Das auf dem Basler Konzil verabschiedete Dekret zur Klärung und Milderung der Folgen von Bann und Interdikt gehörte zum Kernbestand der besonders häufig rezipierten Dekrete; so J. Helmrath, Konzil, 346. Vertreter dieser Periodisierung sind z.B. Rainer Wohlfeil, Einführung in die Geschichte der deutschen Reformation, München 1982 und P. Blickle, Gemeindereformation. Kritik kommt von Heinz Schilling, Die deutsche Gemeindereformation. Ein oberdeutsch-zwinglianisches Ereignis vor der „reformatorischen Wende" des Jahres 1525?, in: Zeitschrift für historische Forschung 14 (1987), 324323, hier 329f. Schilling argumentiert, dass die Vorstellung einer Zäsur um 1525 eng mit den sozialgeschichtlichen und geographischen Prämissen des Konzepts der „Gemeindereformation" zusammenhänge. Die Rede von der Wende könne nicht auf ganz Deutschland übertragen werden.

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3.

Methoden und Quellen

Im Mittelpunkt dieser Arbeit steht die Rechtsprechung geistlicher Gerichte, näherin die Anwendung des kirchlichen Rechts auf Diözesanebene. Die erkenntnisleitende Frage weist aber darauf hin, dass sie sich als Beitrag zur Reformationsgeschichte versteht. Das bedeutet, dass das Recht als geschichtsmächtiger Faktor, die Geschichte des Rechts als Sektor der Geschichtswissenschaft verstanden wird. Was wissenschaftsorganisatorisch getrennt ist, soll hier aus Sachgründen vereinigt werden. Das ist, wie der Forschungsüberblick ausfuhrt, keine Selbstverständlichkeit. Hinter diesem Standpunkt steht ein bestimmtes Rechtsverständnis und, davon abhängig, eine bestimmte Vorstellung davon, wie Rechtsgeschichte betrieben werden soll. Das Vorverständnis sei knapp anhand der forschungsgeschichtlichen Tendenz innerhalb der Rechtsgeschichte erläutert. Das erleichtert, den Aufbau und den Gang der Arbeit gedanklich nachzuvollziehen. In einem richtungsweisenden, die Theoriedebatte der 70er Jahre verarbeitenden Aufsatz charakterisierte Dieter Grimm selbstkritisch die vorherrschende Tendenz der Rechtsgeschichte und ihr Verhältnis zur Geschichtswissenschaft. Ausgehend von der in der Rechtstheorie längst anerkannten Tatsache, dass „Recht kein Eigenleben fuhrt, sondern in einem sozialen Kontext steht, der seine Entstehung, Anwendung und Auswirkung mitbestimmt", plädierte Grimm fur eine sozial- und strukturgeschichtlich ausgerichtete Rechtsgeschichte.16 Charakterisiert sei die Lage - der Aufsatz erschien 1976 - jedoch durch die einseitige Ausrichtung der Rechtsgeschichte auf ideengeschichtliche Phänomene und die Vernachlässigung des sozialen, das Recht mitkonstituierenden Kontextes. Dies führe dazu, dass Juristische Geistesgeschichte zulasten einer juristischen Realgeschichte" betrieben würde; die Rechtsgeschichte sei mithin einem Verständnis von Geschichtswissenschaft verhaftet, nämlich dem Historismus, das diese selbst weitgehend hinter sich gelassen habe.17 Den idealistischen Grundzug, der nach Grimm die Rechtsgeschichte durchzieht, wies er anhand der Forschungsinteressen, der verwendeten Quellen und der eingesetzten Methode nach. Ein bevorzugtes Thema der Forschung bilde die Entwicklung rechtlicher Dogmen oder Institutionen, wobei hauptsächlich mit normativen Quellen die Sollensdimension ausgeleuchtet und mit literarischen Texten Genealogien wissenschaftlicher Lehrmeinungen erstellt werden. Die Methode sei fast ausschließlich die Hermeneutik, womit der Sinn der Texte und die Intentionen der Autoren entschlüsselt würden. Was laut Grimm vernachlässigt wird, ist die Gesetzgebung, die Rechtsprechung und die soziale Auswirkung rechtlicher Regelungen. Mit den verwendeten Quellen sei dies ohnehin nicht zu erfassen. 16 17

8

D. Grimm, Rechtswissenschaft, 18. D. Grimm, Rechtswissenschaft, 21.

Die Beobachtung, dass Recht und sozialer Kontext wechselseitig aufeinander bezogen sind, hat weitreichende methodische Implikationen. Denn Recht als Aspekt sozialer Wirklichkeit wird auch von der Sachlogik geprägt, die jener innewohnt. Die Hermeneutik muss deshalb durch eine Methode ergänzt werden, die es ermöglicht, Recht nicht nur als ideelles, intentional gesteuertes, sondern auch als sozial bedingtes Phänomen zu erfassen. Eine Rechtsgeschichte, die dieser Erkenntnis Rechnung trägt und gegenstandsadäquate Ergebnisse erzielen will, muss deshalb zu Forschungstechniken der Sozialgeschichte greifen. Grimms Kritik an den rechtsgeschichtlichen Arbeiten ist im Einzelnen durchaus anfechtbar. Sachlich mag sie leicht überzogen sein. Es kann ihr entgegengehalten werden, dass die Sozialgeschichte seit dem 19. Jahrhundert ein anerkanntes, wenn auch nicht besonders intensiv erforschtes Arbeitsfeld deutschsprachiger Rechtshistoriker ist.18 Auch kann argumentiert werden, dass es ebenso gut die Aufgabe der Sozialhistoriker sei, die Relevanz des Rechtlichen in der Geschichte angemessen zu würdigen, was bedeutet, die Normen, Organisationsstrukturen und Verfahrensbestimmungen der Rechtsprechung zu kennen. Das geschah in letzter Zeit vor allem auf dem Feld der historischen Kriminalitätsforschung.19 Doch aufs Ganze gesehen ist sie berechtigt und, wiewohl vor über zwanzig Jahren formuliert, noch nicht überholt.20 Meine Untersuchung ist methodisch Grimms Ansatz verpflichtet. Forschungspraktisch schlägt sich das auf drei Ebenen nieder: der erkenntnisleitenden Frage (a.), der Quellenauswahl (b.) und dem Methodeninstrumentarium (c.). a. Während in älteren Arbeiten zur kirchlichen Gerichtsbarkeit die Institution „Kirchengericht" oder die normative Grundlage untersucht wurden, wird es hier die Rechtsanwendung sein, die auf die Reformation bezogen wird. Die Untersuchung der Rechtsprechung wird somit in den Horizont der Reformationsgeschichte gestellt und bezweckt, das Verständnis für das epochale Ereignis zu erweitern und zu vertiefen. Eine direkte praktische Folge davon ist, dass die räumlichen und zeitlichen Koordinaten, womit die Rechtshistoriker arbeiten, versetzt werden. Der räumliche Bezugsrahmen ist nicht mehr die Archidiakonats- oder Bistumsgrenze, sondern ein weiter Untersuchungsraum, der sich über mehrere Sprengel erstreckt; zeitlich beginnt die Studie nicht bei den Anfangen der Institutionalisierung eines 18

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Vgl. z.B. die Hinweise bei Otto G. Oexle, Rechtsgeschichte und Geschichtswissenschaft, in: D. Simon (Hg.), Akten des 26. Deutschen Rechtshistorikertages. Frankfurt am Main, 22. bis 26. September 1986 (lus Commune, Sonderhefte 30), Frankfurt/M. 1987, 77-107. Oexle weist insbesondere auf Otto von Gierke und dessen Hauptwerk 'Rechtsgeschichte der deutschen Genossenschaft' und seine Bedeutung fur die Geschichte sozialer Gruppen hin. Vgl. den Forschungsbericht von M. Schüßler, Quantifizierung. Geht man die aufgeführte Literatur durch, fallt auf, wie klein der Anteil deutscher Rechtshistoriker und -historikerinnen ist. A. Lefebvre-Teillard, nouvelle venue.

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einzelnen Gerichts, sondern beschränkt sich auf die hundert Jahre, die der Reformation vorangingen. b. Für die Quellenauswahl hat die angestrebte Verzahnung von Kirchenrechts- und Reformationsgeschichte eine zweifache Folge. Wenn - erstens - davon ausgegangen wird, dass Reformation ein gesellschaftliches Ereignis war und mögliche Querverbindungen zwischen ihr und der kirchlichen Rechtsprechung herausgearbeitet werden sollen, müssen Quellen herangezogen werden, die die soziale Bedeutung und breite Wirkung der Jurisdiktion ermessen lassen. Serielle Quellen, in denen Tausende von formal gleichen oder ähnlichen Eintragungen straf- oder zivilrechtlichen Inhalts gespeichert sind, erfüllen diese Aufgabe. Gearbeitet wird mit Notariatsregistern, Rechnungs- und Protokollbüchern, kurz: mit dem 'Gedächtnis kirchlicher Gerichte'. Wie der Forschungsüberblick zeigt, wurden diese Quellen bislang nicht oder unter anderen Fragestellungen ausgewertet, als es hier geschieht. Zwar glaubte 1980 auf einem Internationalen Kongress für mittelalterliches Kirchenrecht Anne Lefebvre-Teillard, eine ausgewiesene Kennerin der Materie, 21 beobachten zu können, dass in den letzten Jahren die Rechtsprechung auf ein wachsendes Interesse der Forschung gestoßen sei, und sprach von einem „nouvelle venue dans l'histoire du droit canonique". 22 Doch bezog sich diese Aussage hauptsächlich auf den französisch- und englischsprachigen Raum. Hingegen stieg in der deutschen Forschung das Interesse an geistlichen Gerichtsakten bisher nicht 2 3 Die zweite Konsequenz besteht darin, dass die Gerichtsurkunden und -akten nicht nur als eigenständiges Korpus untersucht, sondern mit Aussagen über die Rechtsprechung vernetzt werden. Diese kann dann sinnvoll auf die Reformation als gesellschaftliches Ereignis bezogen werden, wenn der Nachweis erbracht wird, dass ein Reformationsbedürfiiis geographisch und in den gesellschaftlich relevanten sozialen Gruppen weit verbreitet war. Die Kritik an der kirchlichen Gerichtsbarkeit gehört zum Kernbestand der Reformatio-Debatten, die ihren Höhepunkt Ende des 15. und im ersten Viertel des 16. Jahrhunderts erreichten. Sie taucht in allen Gattungen der Literatur auf, in Predigten, zeitkritischen Pamphleten und Reformprogrammen gleichermaßen wie in Beschwerdebriefen oder theologischen 21

22 23

Ihre 1973 erschienene Dissertation „Recherches sur les officialités à la veille du concile de Trente" baut weitgehend auf Ofïizialatsregistem aus zahlreichen französischen Diözesen auf. Sozialgeschichtlich relevante Fragen werden allerdings kaum gestellt. Lefebvre-Teillard interessiert vor allem „l'organisation, la procédure et la compétence des officialités, c'est-à-dire les éléments du système judiciaire qu'elles constituent, mais également, par l'étude de leur jurisprudence, de mettre en évidence le rôle qu'elles jouent en tant qu'organe d'application et d'élaboration du droit canonique"; ebd., 2. Vgl. auch Dies., Règle et réalité dans le droit matrimonial à la fin du moyen-âge, in: Revue du droit canonique 30 (1980), 41-54. A. Lefebvre-Teillard, nouvelle venue. Die Arbeiten des Kirchenrechtshistorikers Rudolf Weigand, der sich bereits in den 60er Jahren der Rechtsanwendung zuwandte, seien hier ausdrücklich ausgenommen. Vgl. dazu die Angaben im Forschungsüberblick (§ 1,5.1.2).

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Traktaten. Die Rechtsprechung der Gerichte regte jeden Stand zu Tadel, seltener zu Lob an, den gemeinen Mann ebenso wie den Adel oder den Pfarrklerus und die Theologen. Zur Auswertung werden natürlich hauptsächlich solche Texte herangezogen, die im Untersuchungsraum und somit - aber nicht ausschließlich - als Reflex der untersuchten Rechtsprechung produziert wurden. Wo dies nicht der Fall ist, handelt es sich wie zum Beispiel bei den Beschwerden der Deutschen Nation, die 1521 auf dem Wormser Reichstag angeregt wurden, oder den Traktaten Martin Luthers um Texte, die auch im Untersuchungsraum verbreitet und diskutiert wurden. Um die Kritik des gemeinen Mannes sachgemäß zu interpretieren, wird versucht, möglichst viele Diskussionsfelder aufzudecken. c. Die hier angestrebte Verknüpfung von Rechts- und Reformationsgeschichte zeigt sich schließlich auch in der Auswahl der Methoden, darin nämlich, dass der hermeneutische, der analytische und der komparatistische Ansatz miteinander verbunden werden. Die seriellen Quellen werden hauptsächlich quantitativ daraufhin ausgewertet, welche Materien verhandelt wurden und wer das geistliche Gericht aufsuchte oder vor den Richter zitiert wurde. Die im engeren und weiteren Umkreis der Reformatio-Debatten entstandenen Texte werden vorwiegend mit den Mitteln der Hermeneutik bearbeitet. Dass die vergleichende Methode angewandt wird, wo immer sich die Gelegenheit bietet, ist für eine geschichtswissenschaftliche Arbeit selbstverständlich.

4.

Aufbau der Arbeit

Die im ersten Kapitel vorgestellte These der grundsätzlichen Akzeptanz der geistlichen Gerichte beim gemeinen Mann wird in drei Schritten belegt. Der Einstieg in die kirchliche Rechtsprechung ist traditionell. Der erste Teil stellt das verästelte kirchliche Gerichtssystem vor. Er beginnt mit den normativen Grundlagen, um dann ihre organisatorische Umsetzung, das institutionelle Geflecht der kirchlichen Rechtsinstanzen in den ausgewählten Diözesen darzustellen. Er soll die Frage beantworten, wie funktionstüchtig die Gerichte vor der Reformation waren. Weshalb sich der erste Teil aber derart ausführlich mit den Rahmenbedingungen beschäftigt, muss ausführlicher begründet werden. Sein Aufbau und Inhalt ergibt sich insbesondere aus der Fragestellung, seine Länge auch aus dem Forschungsstand. Da Reformation und Rechtsprechung aufeinander bezogen werden, kann nicht nach der Praxis eines einzigen kirchlichen Gerichts gefragt werden. Vielmehr muss die Tätigkeit aller im Untersuchungsraum tätigen Gerichte berück11

sichtigt werden. Das heißt abklären, welche Kompetenzen jedes einzelne Gericht hatte, und in welchem Verhältnis die einzelnen Gerichte zueinander standen. Genau diesem Problem wandte sich die Forschung nur beiläufig zu. Das Wort „Rahmenbedingung" wird zudem in dreifacher Weise weiter gefasst, als dies in der Rechtsgeschichte üblich ist. Nicht allein die kirchenrechtsinternen, sondern auch die säkularrechtlichen und religiös-mentalen Voraussetzungen werden berücksichtigt. Dieses Vorgehen geht von einer doppelten Annahme aus: Erstens waren kirchliche Gerichte bloß ein Teil des auch weltliche Gerichte umfassenden Rechtssystems. Beide Institutionen arbeiteten nicht unabhängig voneinander. Sie ergänzten sich, standen manchmal aber auch in einem konkurrierenden Verhältnis zueinander. Zweitens setzte das kirchliche Recht - wie jedes Recht eine mentale Prägung voraus, ohne die es nicht funktionieren konnte. Diese muss beschrieben werden, um sowohl die Kritik als auch die reformatorische Alternative angemessen interpretieren zu können. Zu den Rahmenbedingungen werden drittens auch die Entwicklungen und Veränderungen gerechnet, denen die kirchliche Gerichtsorganisation während der Untersuchungszeit unterworfen waren. Auch die zeitweisen Missstände gehören dazu. Unter Umständen konnten sie den Umfang, aber auch den Inhalt der Rechtsprechung beeinträchtigen. Die Beschreibung der genannten Voraussetzungen beansprucht nicht vollständig zu sein. Die Kanonisten werden nicht ganz zu Unrecht die knappe Darstellung der normativen Grundlagen einklagen, die Kirchen- und Landeshistoriker die geraffte Wiedergabe und Verkürzung der Bistumsgeschichte, die Mentalitätshistoriker die manche Frage offenlassende Schilderung und Deutung der geistigreligiösen Strukturen. Doch als Mittel zum Zweck scheint mir dieses Vorgehen legitim zu sein. Der zweite Teil der Arbeit beschreibt die Praxis der vorgestellten Gerichte. Er ist nicht nur formal, sondern auch substantiell der Kern der Arbeit. Hier werden die objektiven Bedingungen dargestellt, auf die die reformatorische Lehre stieß und die sie zu verändern trachtete. Die Prozessmaterien, die die Richter der einzelnen Instanzen entschieden, werden ebenso quantifiziert, wie die Exkommunikationen. Weiter wird gezeigt, wer das Gericht aufsuchte oder sich eine Strafe zuzog. Der letzte Teil schließlich befasst sich mit der negativen Reaktion auf die Rechtsprechung, der Kritik am kirchlichen Gericht und seiner Jurisdiktion sowie der reformatorischen Position. Zu diesem Zweck werden entsprechende Schriften des Adels, des niederen und hohen Klerus, der Bürger und Bauern ausgewertet. Hier wird die subjektive Befindlichkeit dargestellt, genauer, die weltlichen, bis etwa 1525 geäußerten Bedürfnisse und Wünsche. Ein dialektischer Aufbau, der zeigt, dass die Gerichtspraxis von der Kritik beeinflusst wurde und wiederum neue Debatten hervorrief ist nur theoretisch denkbar. Praktisch steht diesem Vorgehen die Quellenlage entgegen.

12

5.

Forschungslinien und -geschichte, Wissensstand

Die Rechtsprechung kirchlicher Gerichte ist Gegenstand mehrerer Forschungszweige und -disziplinen, der Geschichtswissenschaft im Allgemeinen und der Rechts- und Reformationsgeschichte im Besonderen. Sie sind wissenschaftsorganisatorisch getrennt und verfolgen je spezifische Interessen und Fragestellungen. Das erklärt zu einem guten Teil,24 weshalb sich Kanonisten bisher kaum mit der Reformation und umgekehrt Historiker selten mit dem kirchenrechtlichen Aspekt dieses Ereignisses beschäftigt haben, sei es als ihm vorausgehender, mitlaufender oder ihm nachfolgender Faktor.25 Sofern die letzteren das kirchliche Gericht als eigenen Forschungsschwerpunkt wählten, wandelten sie zumeist in den bewährten Pfaden der Juristen und näherten sich dem Thema aus institutions- und rezeptionsgeschichtlichem oder prosopographischem Interesse.26 Die Organisation wissenschaftlicher Disziplinen, die daraus resultierenden unterschiedlichen Zugänge zum Gegenstand 'kirchliche Gerichtsbarkeit' schlagen sich im Aufbau des Forschungsüberblicks nieder. Die beiden Unterkapitel (5.1 und 5.2) bilden grob die wenig bis gar nicht koordinierte Forschungspraxis und die entsprechend disparaten Resultate ab.

5.1

Rekonstruktion der kirchlicher Rechtsprechung

Ende des 19. Jahrhunderts entdeckte auch die Sozial- oder Kulturgeschichte, wie sie damals genannt wurde, die geistliche Gerichtsbarkeit und Rechtsprechung als Forschungsfeld.27 Ausgerechnet der wegen seiner spekulativen Geschichtspsychologie von der Zunft vielgeschmähte Karl Lamprecht war es, der auf die erkenntnisfördernde Bedeutung der Rechnungs- und Protokollbücher geistlicher Gerichte

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Einen weiteren Grund nennt A. Lefebvre-Teillard, nouvelle venue, 649. Die an der kirchlichen Rechtsprechung interessierten Juristen unterzögen sich nur selten der Mühe, selbst in die Archive zu steigen, um die teilweise schwer zu entziffernden Quellen zu bearbeiten. Ahnlich R. Weigand, Ehegerichtsbarkeit, 307. Sofern sich Kanonisten und Historiker diesem Thema zuwandten, interessierte vor allem die Frage nach dem Weiterleben des Kirchenrechts in protestantischen Gebieten. Für das deutschsprachige Gebiet vgl. zuletzt die Aufsätze von Udo Wolter, Anneliese Sprengler-Ruppenthal und Thomas M. Safley im Sammelband, der herausgegeben wurde von R H. Helmholz (Hg ), Canon Law. Es seien hier nur erwähnt die rezeptions- und prosopographischen Arbeiten von O.P. Clavadetscher, Richter, und I. Buchholz-Johanek, Richter, sowie die Institutionengeschichte von J. Müller-Volbehr, Gerichte. Gerhard Oestreich, Die Fachhistorie und die Anfange der sozialgeschichtlichen Forschung in Deutschland, in: Historische Zeitschrift 208 (1969), 320-363.

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fur die Erforschung der Wirtschafts- und Kulturgeschichte hinwies.28 Er selbst beließ es bei einem Fingerzeig, indem er vereinzelte Akten edierte. Einer seiner Schüler aber, Justus Hashagen,29 ging ans Werk. Er suchte nach weiteren Quellen und verarbeitete die gefundenen Bruchstücke in zwei Aufsätzen. Einer davon, der 1916 verfasste längere Artikel „Zur Charakteristik der geistlichen Gerichtsbarkeit vornehmlich im späteren Mittelalter", gehört zu den noch heute am häufigsten zitierten Titeln.30 Er liefert darin den Satz der Bausteine, aus dem sich fast alle Historiker und Historikerinnen bedienten, die über das Thema arbeiteten. Hashagens Untersuchungen zur geistlichen Gerichtsbarkeit konzentrierten sich räumlich zwar auf das Rheinland, insbesondere auf die Diözesen Trier und Köln. Seine Beschreibung der Quellenlage bezog sich jedoch auf ganz Deutschland. „Die Überlieferung der geistlichen Gerichtsakten," bedauerte er, „ist [..] außerordentlich trümmerhaft. Fast nirgendwo sind zusammenhängende Akten der Offizialatgerichte erhalten."31 Eine Erklärung für diesen Verlust lieferte Hashagen gleich mit. Aus „naheliegenden Gründen" seien diese Akten „systematisch vernichtet" worden. Der Subtext dieser Begründung lässt sich leicht beim Durchlesen seiner Publikationen entschlüsseln. Die sittenverderbte Kirche wollte den nachkommenden Generationen das wahre Ausmaß der vorreformatorischen Missstände verheimlichen. Die Argumentation zeigt, wie stark die Forschung über das 15. Jahrhundert auf die Reformation fixiert war und deutet zugleich an, wie tief der konfessionelle Standpunkt die Interpretation beeinflusste. Die Anfänge der Forschung über die Rechtsprechung geistlicher Gerichte stand damit unter keinem guten Stern. Einerseits gehörten Lamprecht und seine Schüler zu den Verlierern des sogenannten Methodenstreits, und ihre Gewinner - Friedrich Meinecke und Georg von Below, um die prominentesten zu nennen - definierten nicht nur, womit sich die Zunft deutscher Historiker zu beschäftigen hatte, sondern auch, wie sie dies tun sollte. Das Arbeitsgebiet war die Politik- und Ideengeschichte, das Arbeitsmittel die Hermeneutik.32 Andererseits wurde sie als Argument in das Prokrustesbett der konfessionellen und ideologisch geprägten Debatte über die Ursachen und Voraussetzungen der Reformation gepresst. Die protestantischen Historiker fühlten sich quasi verpflichtet, die Notwendigkeit der Reformation zu belegen und argumentierten, dass - um ihre Worte zu gebrauchen - die 28

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Karl Lamprecht, Deutsches Wirtschaftsleben im Mittelalter (Bd. 3: Quellen), Leipzig 1885, Nrn. 292, 296. Stefan Haas, Historische Kulturforschung in Deutschland 1880-1930. Geschichtswissenschaft zwischen Synthese und Pluralität (Münstersche Historische Forschungen, 5), Köln u.a. 1994, 284-287. Der andere Aufsatz trägt den Titel: Zur Sittengeschichte des westfälischen Klerus im späteren Mittelalter. Darin interpretierte und edierte Hashagen den Bericht eines an einem der kirchlichen Gerichte im Bistum Köln tätigen Beamten an seinen Vorgesetzten. J. Hashagen, Sittengeschichte, 106. Hashagens Arbeitsgebiet blieb zwar weiterhin das späte Mittelalter, aber seine Fragestellung richtete sich nach dem Zeitgeist, wie der Titel seines Hauptwerks zeigt: Staat und Kirche vor der Reformation. Eine Untersuchung der vorreformatorischen Bedeutung des Laieneinflusses in der Kirche, Essen 1931.

„sittlichen Zustände der spätmittelalterlichen Kirche" einer dringenden Reform bedurften. Die katholische Seite räumte, die zahlreichen Beschwerden und obrigkeitlichen Mahnungen zur Besserung vor Augen, Mitte der 50er Jahre ein, dass es vorreformatorische Missstände gegeben habe.33 Es genügte jedoch nicht, dass konfessionelle Gegensätze abgebaut und in der Nachkriegszeit die Politik- und Ideengeschichte allmählich um die Sozialgeschichte ergänzt wurden, um die Erforschung der Gerichtspraxis in Gang zu setzen. Wie ein Menetekel stand einem Neuanfang zur Erforschung der kirchlichen Jurisdiktion Hashagens Diktum im Weg, dass es die Quellen dafür nicht gäbe.34 Diese düstere Einschätzung erfuhr erst vor wenigen Jahren eine zumindest partielle Korrektur. Nicht zufallig ist es, dass der Anstoß dazu aus einem anderen, dem angelsächsischen Forschungsraum kam.35 Dort können die Historiker und Historikerinnen sowie historisch interessierte Kanonisten auf eine jahrzehntelange Erfahrung im Umgang mit Akten kirchlicher Gerichte aus dem Spätmittelalter und neuerdings auch der Frühen Neuzeit zurückblicken.36 Die Kärrnerarbeit in den Archiven, die die Mitarbeiter des Bandes „The Records of the Medieval Ecclesiastical Courts. Part I: The Continent" auf sich nahmen, um die Überlieferung der kirchlichen Gerichte zu inventarisieren, förderte zum Teil Erstaunliches zutage. Dies gilt auch für die ehemals zum deutschen Reich gehörenden Staaten Schweiz und Österreich.37

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Die Wende innerhalb der katholischen Reformationsforschung ist eng mit dem Namen Joseph Lortz und seiner zweibändigen Reformationsgeschichte verknüpft. Die erste Auflage erschien ein Jahr vor Ausbruch des Zweiten Weltkriegs, weshalb die Thesen mit einer zeitlichen Verzögerung rezipiert wurden. Vgl. auch Ders., Zur Problematik der kirchlichen Mißstände im Spätmittelalter, in: Trierer Theologische Zeitschrift 58 (1949), 1-26, 212-227, 257-279, 347-357. Seiner Interpretation schloss sich an der Schweizer O. Vasella, Reform. Ein spätes Echo findet sich im „Handbuch der Quellen und Literatur der neueren europäischen Privatrechtsgeschichte": „Die für uns wichtigen Protokollbücher der geistlichen Gerichte sind heute meist nicht mehr vorhanden." W. Trusen, Gerichtsbarkeit, 467. Ähnlich F. Elsener, Exkommunikation, 81, und W.-H. Struck, Sendgerichtsbarkeit, 105. Zuletzt - 1990 - nochmals W. Trusen, Bedeutung, 276. Der Satz hat heute insofern mehr Berechtigung, als im letzten Weltkrieg möglicherweise einige für die Erforschung geistlicher Gerichte unentbehrliche Archivalien verbrannten. Ch. Donahue, Jr. (Hg.), Records. Stellvertretend sei verwiesen auf die Arbeit von Martin Ingram, Church Courts, Sex, and Marriage in England 1570-1640, Cambridge u.a. 1987. Hier auch die wichtigste Literatur zur spätmittelalterlichen Rechtsprechung kirchlicher Gerichte. An neueren Arbeiten über die Rechtsprechung sind zu erwähnen: R.H. Helmholz, Si quis suadente; Sandra Lee Parker - L R. Poos, Notes and Documents. A Consistory Court from the Diocese of Rochester, 1363-4, in: English Historical Review 106 (1991), 653-665; Ch. Donahue, Jr., marriage Cases; L. R. Poos, Sex, Lies, and the Church Courts of Pre-Reformation England, in: Journal of Interdisciplinary History 25 (1995), 585-607. Vgl. auch die Literaturhinweise in: Charles Donahue, Jr. (Hg ), The Records of the Medieval Ecclesiastical Courts. Part II: England. Reports of the Working Group on Church Court Records (Comparative Studies in Continental and Anglo-American Legal History, 7), Berlin 1994. Vgl. die Archivberichte im von Ch. Donahue, Jr., herausgegebenen Sammelband von A. Meyer, Schweiz, 189-219, und Othmar Hageneder u.a., I. Österreich (Kirchenprovinz Salzburg), in: ebd., 33-

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Die folgenden Unterkapitel zeigen, dass die Forschung über die Rechtsprechung geistlicher Gerichte in deutschen Diözesen seit Hashagen nicht stillstand. Sie machen aber auch deutlich, dass die gewählten Fragestellungen mit dieser Vorgeschichte aufs engste verhängt sind. Zwei bis heute zumeist selten verknüpft nebeneinander herlaufende Forschungsstränge lassen sich unterscheiden:38 der deduktiv-impressionistische und der induktiv-quantifizierende Ansatz.39 Die dem methodischen Zugriff folgende Gliederung bringt gleichzeitig zum Ausdruck, dass sozialgeschichtliche Fragen allenfalls beiläufig mit der Gerichtspraxis verbunden wurden.

5.1.1 Deduktiv-impressionistischer Ansatz Rechtsprechung mittels eines deduktiv-impressionistischen Ansatzes zu untersuchen heißt, den Ist-Zustand geradlinig vom Sollensanspruch abzuleiten und mit einzelnen, im überzeugenderen Fall mit einer Kette von Beispielen zu belegen, dass und wie eine Norm tatsächlich angewandt wurde. Das deduktivimpressionistische Vorgehen wählt man hauptsächlich dann, wenn die institutionelle Entstehung und Entwicklung eines geistlichen Gerichts untersucht werden soll. Das ist der gängige Forschungszugriff auf die Gerichtspraxis.40 Die sich aus einem solchen Ansatz ergebenden Erkenntnisse sind voraussehbar, da sie den Bereich, den die Lehrbücher als Kompetenzbereich vorzeichnen, nicht überschreiten. Diese Kritik will keineswegs den Wert solcher Arbeiten für die Institutionengeschichte in Frage stellen, sondern darlegen, dass dieses Vorgehen nicht genügt, wenn nach der Rechtsprechung gefragt wird. Denn es kann kaum über die Erkenntnis hinausfuhren, dass es Normen gab und diese angewandt wurden. Die meisten der den deduktiven Weg beschreitenden Arbeiten kommen zum Ergebnis, dass die mittelalterlichen Kirchengerichte, insbesondere die bischöflichen Konsistorien wichtig für das gesellschaftliche Leben und teilweise sogar beliebt gewesen seien. „Die Rechtsgeschichte hat nachgewiesen", fasste ein Jurist

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49. - Der Bericht über Deutschland geriet, sowohl was die Quellenüberlieferung als auch die Literaturangaben betrifft, etwas vorläufig; Klaus Lindner, IV. Germany, in: ebd., 117-123. Eine Ausnahme ist die Dissertation von I. Buchholz-Johanek. Die Autorin vernetzt für ihre vor allem prosopographisch ausgerichtete Arbeit über die Eichstätter Offiziale sozial- und rechtsgeschichtliche Fragestellungen und die entsprechenden Methoden. Zur Terminologie vgl. auch M. Schüßler, Quantifizierung, 269ff. Vgl. z.B. H. Straub, Gerichtsbarkeit, 124-194. Seine Quellen sind gedruckte und ungedruckte Urkunden des Bamberger Domdekans. G. May, Gerichtsbarkeit. May wertet ein Gerichtsprotokoll des Erfurter Generalgerichts aus. H. Paarhammer, Rechtsprechung. Jean François Poudret, Procès matrimoniaux à la fin du XIV e siècle selon le plus ancien registre de I'officialité de Lausanne, in: ZSKG 86 (1992), 7-46.

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den Forschungsstand auf einer Tagung zusammen, „daß der Zugang und Zulauf der Laien zu den geistlichen Gerichten enorm war."41 Da die kirchenrechtlichen Normen im ganzen christlichen Abendland Geltung hatten, braucht weder nach örtlichen noch zeitlichen Unterschieden gefragt zu werden 42 Den Grund fur die allgemeine Beliebtheit sehen die Autoren in den Vorzügen des kirchlichen Rechtssystems gegenüber dem schwerfalligen weltlichen Gerichtsapparat. Diese waren die folgenden:43 Erstens erstreckte sich die räumliche Kompetenz im Gegensatz zu den weltlichen Gerichtssprengeln über eine größere Fläche. Das Einzugsgebiet der Chorgerichte, um nur die wichtigste Instanz zu nennen, überdachte die kleinräumigen und zersplitterten Gerichtsbezirke weltlicher und geistlicher Herren. Zweitens kam hinzu, dass sich die sachliche Kompetenz nicht allein auf kirchliche, sondern auch auf weltliche Streitigkeiten erstreckte. Sofern die Parteien unterschiedlichen Herrschaftsgebieten zugehörten, sei es für sie vorteilhafter gewesen, den Prozess an einem kirchlichen Gericht, gewissermaßen auf neutralem Terrain zu fuhren. Drittens bot das kirchliche Verfahren mancherlei Vorteile. Dazu zählten das zwar formal streng geregelte, aber auch übersichtliche und bei gutem Willen der Beteiligten effizient zu handhabende Prozessrecht, die schriftliche Prozessführung oder die gegenüber dem weltlichen Recht 'modernen' Beweismittel in zivil- und strafrechtlichen Fällen, in erster Linie sei an den Zeugenund den Urkundenbeweis erinnert.44 Auch der klar geordnete Instanzenzug muss hier erwähnt werden. Viertens verfugten kirchliche Gerichte mit dem Bann über ein wirksameres Strafmittel, da er schwerwiegende religiöse und soziale Folgen sowohl für den Einzelnen als auch die Gemeinschaft hatte. Der Arm des kirchlichen Gerichts, wird gefolgert, zwang sogar den in der hintersten Ecke des Bistums wohnenden Schuldner, seinen Gläubiger zu befriedigen. Manchmal wird auch die Unentgeltlichkeit der kirchlichen Rechtspflege als Vorteil herausgestrichen 45

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Das Zitat stammt aus einer Diskussion, die 1982 zwischen dem Juristen Hans Schlosser, der es formulierte, und dem Historiker Walter Heinemeyer anlässlich einer am Historischen Kolleg in München stattgefundenen Tagung gefuhrt wurde. Heinz Angermeier (Hg ), Säkulare Aspekte der Reformationszeit (Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien 5), München 1983, 108. Stellvertretend sei auf die Ergebnisse folgender Untersuchungen hingewiesen: J. Müller-Volbehr, Gerichte, und H.J. Budischin, Zivilprozess. - Dass mit regionalen Unterschieden gerechnet werden muss, zeigte zuletzt Ch. Donahue, Jr., marriage Cases. Donahue weist darauf hin, dass die Ehefalle, die nordfranzösische und englische Gerichte beurteilten, sich inhaltlich und prozessrechtlich unterschieden. In England waren es vorwiegend Zivilfalle, in denen es um das sponsalium de presenti ging und die die Parteien selbst vor den Richter brachten. In Nordfrankreich hingegen drehte sich der Prozess hauptsächlich um das sponsalium de futuro, und es waren Kriminalfälle, die von Amts wegen untersucht wurden. Zusammengestellt wurde der Katalog der Vorteile schon von J. Hashagen, Charakteristik, 218-225. Vgl. auch W. Trusen, Anfange, 56-62; F. Elsener, Exkommunikation, 72-75. Dagegen wendet sich ausdrücklich A. Steins, Zivilprozess, 223-227. Laut den von ihm ausgewerteten Offizialatsstatuten waren die Verhandlungen vor dem Richter im allgemeinen mündlich. E. Eichmann, recursus, 16.

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Obwohl sich die Forschung über die Gerichtspraxis in den Diözesen Basel und Konstanz - für das Bistum Chur fehlen entsprechende Arbeiten -46 vorwiegend des deduktiven Ansatzes bediente, reicht es nicht, es bei der Aufzählung einzelner Arbeiten beruhen zu lassen. Aus drei Gründen werden diese Untersuchungen detaillierter vorgestellt. Erstens gehen sie inhaltlich über die Lehrbücher hinaus, indem sie qualitative und quantitative Aussagen über die Jurisdiktion formulieren sowie sozialgeschichtliche Folgerungen sowohl aus den Normen als auch aus einzelnen Gerichtsurkunden ziehen. Zweitens dienen ihre Ergebnisse als Vergleichswerte, die durch eigene Forschung überprüft, bestätigt oder relativiert werden. Drittens werden in einzelnen Arbeiten Faktoren berücksichtigt, welche die Rechtsprechung kirchlicher Gerichte beeinflussten. In erster Linie sind dabei die weltlichen Herrschaftsinteressen gemeint. Zwei Instanzen stehen im Mittelpunkt des Forschungsinteresses, das archidiakonale und das bischöfliche Offizialat. Hauptsächlich konzentriert man sich auf die streitige Rechtsprechung und die freiwillige Gerichtsbarkeit, das heißt die notarielle Funktion kirchlicher Gerichte. Die strafrechtliche Sphäre hingegen wird zumeist auf die Strafe des Banns reduziert. Die archidiakonalen Gerichte sind im 15. Jahrhundert beinahe bedeutungslos.47 Ihre vor allem auf das Gewohnheitsrecht sich stützende Gewalt bröckelte unter dem Druck des konziliaren und päpstlichen Rechts, worauf sich die Bischöfe stützten, Stück für Stück ab. Ihre jurisdiktionellen Funktionen wurden von den bischöflichen Offizialaten übernommen. Allenfalls die Sendabgaben und die Strafgelder, der Bannschatz, zogen die Archidiakone im Jahrhundert vor der Reformation noch ein.48 Allerdings blieb es, wie es in der neusten Arbeit über das Archidiakonat heißt, den Pfarrern und Kirchenfabriken überlassen, „ob und wie sie die Strafgelder bei den Pfarreiangehörigen erheben wollten". Damit war das Amt des Archidiakons spätestens im 15. Jahrhundert ein „Benefizium ohne Verpflichtung" geworden.49 Über die bischöflichen Offizialate gibt es drei kürzere Studien, zwei Arbeiten zum Basler Konsistorium, eine einzige über das Konstanzer Offizialat. Zwei verfolgen einen Institutionen-, die dritte einen rezeptionsgeschichtlichen Ansatz. Ge-

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Einzelne Hinweise finden sich in der rezeptionsgeschichtlichen Studie von O.P. Clavadetscher, Richter. E. Baumgartner, Geschichte, bes. 146-224. Baumgartner arbeitete ausschließlich mit gedrucktem Quellenmaterial, insbesondere Send- und Synodalstatuten, sowie Urkunden. Seine von ihm noch vertretene These allerdings, dass die Bischöfe die Archidiakone verdrängt hätten, wurde in der Zwischenzeit aufgegeben. Der Archidiakon wurde in die sich entwickelnde bischöfliche Verwaltung eingegliedert. Vgl. z.B. Th. Gottlob, Offiziale Basel, 122f. Für Konstanz vgl. E. Baumgartner, Geschichte, 208Í, 213ff. R. Reinhard, Archidiakone, 852.

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meinsam ist allen, dass sie sich fast ausschließlich auf edierte Quellen stützen.50 Soweit sie auf die Gerichtspraxis eingehen, fallen die Urteile relativ allgemein aus. Herausgestrichen wird die Bedeutung des Offizialats als Besiegelungsstelle und Gericht für zivilrechtliche Streitigkeiten.51 Bis zur Reformation, als das Basler Offizialat 1528/29 ins elsässische Altkirch verlegt wurde, sei das Gericht bei allen Bevölkerungsschichten eine beliebte, zumindest wohlgelittene und akzeptierte Gerichtsinstanz gewesen. Das schloss nicht aus, dass es zeitweise zu Kompetenzstreitigkeiten zwischen Bürgermeister und Rat der Stadt Basel einerseits und dem Bischof als dem städtischen Oberherrn und seinem Offizial andererseits kam. Über die strafrechtliche Funktion kirchlicher Gerichte wird in den drei genannten Arbeiten nichts gesagt, was über die juristischen Lehrbücher hinausgeht. „Die Kirche übte damals," gemeint ist das 14. Jahrhundert, „unbestrittenermaßen die Strafgerichtsbarkeit über Laien bei Irr- und Unglauben, Zauberei, Meineid, Wucher, Ehebruch u. a. aus."52 Die These, dass die notarielle Tätigkeit der Offizialate beliebt gewesen sei, wird mit dem Hinweis auf den Kirchenbann belegt. Reiche Stadtbürger hätten die Kanzlei geistlicher Gerichte als Beurkundungsinstanz insbesondere für Schuldurkunden gegenüber den weltlichen Kanzleien bevorzugt. Denn bei mangelnder oder nicht fristgerechter Leistung der Schuld sah der Vertrag regelmäßig vor, den Schuldner mittels Exkommunikation zur Bezahlung zu zwingen. Noch im 15. Jahrhundert sei der Bann ein „rasches und meist wirksames Exekutionsmittel" gewe-

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Th. Gottlob, Offiziale Konstanz; Th. Gottlob, Offiziale Basel; W.D. Wackernagel, Geschichte. Gottlob arbeitete nur mit gedruckten Gerichtsurkunden und musste deshalb vorwiegend mit Beispielen vorliebnehmen, die aus dem 14. Jahrhundert stammen. W.D. Wackernagel, Offizialat, 241f.: „Da seine Kompetenz sich örtlich auf die ganze, bezüglich der weltlichen Gewalt zersplitterte Diözese erstreckte und sachlich nicht nur rein geistliche Angelegenheiten, sondern auch Zivilstreitigkeiten umfasste, hatte es sehr starke Frequenz und war in seinem vergleichsweise großen Gerichtssprengel von maßgeblicher Wichtigkeit." Vgl. auch Th. Gottlob, Offiziale Basel, 130. - Sowohl Gottlob als auch Wackemagel rechnen mit Faktoren, die im Bistum Basel vor allem in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts auf die Rechtsprechung Einfluss nahmen. Erwähnt wird das Konzil, die Gründung der Universität 1460 sowie die Auseinandersetzung mit den konkurrierenden Stadtgerichten in Groß- und Kleinbasel. Inwiefern diese jedoch eine nachweisbare Wirkung auf die Rechtsprechung oder freiwillige Gerichtsbarkeit hatten, bleibt in der Schwebe, da keine Gerichtsakten und -urkunden auf diese Punkte hin durchgesehen wurden. Th. Gottlob, Offiziale Konstanz, 257. F. Elsener, Exkommunikation, 73. Vgl. auch Ders., Die censura ecclesiastica (Exkommunikation) in zivilrechtlichen Verträgen auf Grund eines Formularbuches des 15. Jahrhunderts aus Freiburg in Üchtland, in: L. Carlen - F. Steinegger (Hgg ), Festschrift für Nikolaus Grass zum 60. Geburtstag (Bd. 1), Innsbruck/München 1974, 299-308. Elsener untersuchte die Rolle der Exkommunikation anhand einzelner Konfessaturkunden sowie der kanonistischen Schuldlehre. Sein Ergebnis beansprucht Gültigkeit für das weite Gebiet, das von Brandenburg bis Reims und von Köln bis zu den Alpen reicht.

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5.1.2 Induktiv-quantifizierender Ansatz Die Rechtsprechung auf dem induktiv-quantifizierenden Weg zu untersuchen heißt, die Arbeit der Richter nicht allein von den Normen abzuleiten, sondern auch anhand der Gerichtsakten quantifizierend zu beurteilen. Am überzeugendsten geschieht das anhand serieller Quellen, die die alltägliche Arbeit der Richter und Beamten dokumentieren. Über die Praxis kirchlicher Gerichte in den drei Diözesen Basel, Konstanz und Chur finden sich unzählige verstreute Hinweise. Fallbeispiele werden zitiert, Rechtsfälle erwähnt und die noch erhaltenen Urkunden der freiwilligen Gerichtsbarkeit zusammengezählt und zum Teil auch ausgewertet.54 Nur eine einzige Arbeit wendet sich aber ausschließlich der Jurisdiktion zu und zieht zu diesem Zweck ungedruckte Quellen als Arbeitsmaterial heran. Ihre Autoren, Pierre Pegeot und Jean-Paul Prongue, fragen nach dem sittlichen Verhalten der Kleriker im zur Diözese Basel gehörenden Dekanat Sundgau. Quellengrundlage bilden die Rechnungsbücher des Fiskalprokurators, die für das 15. Jahrhundert fast vollständig erhalten sind. Die Amts- und Lebensführung des Pfarrklerus habe wenig zu wünschen übriggelassen, fassen Pegeot und Prongue ihre Studie zusammen. Die große Mehrheit der 764 erfassten Geistlichen, nämlich 80 % erschien nie vor dem geistlichen Richter. Die 165 Priester, die vom Fiskal gebüßt wurden, verstießen in 70 % der Fälle gegen die kirchliche Sexualmoral. Die Autoren wissen um die methodischen Fallstricke, die sich um die seriellen Quellen ziehen und die Interpretation erschweren. Über die Denunziationsbereitschaft der Kirchgenossen oder der Geistlichen selbst sei ebensowenig etwas zu erfahren wie über die Arbeitsweise und Funktionstüchtigkeit der strafenden Behörde.55 Deshalb rechnen sie mit einer Dunkelziffer unbekannter Größe. Vergleichsarbeiten, die sich ebenfalls auf serielle Quellen stützen, wurden über den Klerus der Diözesen Genf, Straßburg oder Eichstätt geschrieben.56 Sie warten mit ähnlichen Ergebnissen auf.

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Vgl. dazu die älteren Arbeiten, in denen die Sittlichkeit des vorreformatorischen Klerus untersucht wurde. Für das Bistum Konstanz vgl. J. Lohr, Beiträge, und Albert Braun, Der Klerus des Bistums Konstanz im Ausgang des Mittelalters (Vorreformationsgeschichtliche Forschungen, 14), Münster i. W. 1938. Für das Bistum Chur vgl. Oskar Vasella, Über das Konkubinat des Klerus im Spätmittelalter, in: Mélanges d'histoire et de littérature offerts à Charles Gilliard, Lausanne 1944, 269-283. Für Basel K. Mommsen, Kanzlei. P. Pegeot - J.-P. Prongue, Contribution, 29, 34. Louis Binz, Vie religieuse et réforme ecclésiastique dans le diocèse de Genève pendant le Grand Schisme et la crise conciliaire (1378-1450), Genf 1973, 302, 361, 495, 497. Vgl. auch F. Rapp, Réformes, 276f. Für die Diözese Eichstätt vgl. P.Th. Lang, Würfel. Für das Bistum Köln vgl. J. Hashagen, Sittengeschichte. Hashagen unterlässt es, nach der Gesamtzahl der im Gerichtssprengel tätigen Priester zu fragen. Deshalb fehlt ihm ein sachgemäßer Maßstab, womit der „Grad der Sittlichkeit" hätte beurteilt werden können.

Da die Rechtsprechung kirchlicher Gerichte über Laien im Untersuchungsraum ein fast vollkommen brachliegendes Forschungsfeld ist, werden im Folgenden Ergebnisse aus anderen Diözesen referiert. Obwohl sie je nach Ort und Zeit differenzieren, können sie dennoch als Vergleichsdaten dienen, um die im Hauptteil der Arbeit (Kapitel § 3) erarbeiteten quantitativen und sozialgeschichtlich wichtigsten Resultate in einen größeren Inteipretationszusammenhang zu stellen. Der Überblick folgt dem Aufbau der Arbeit: Zivilprozesse (a.), Straffälle (b ), freiwillige Gerichtsbarkeit (c.). a. Was die streitige Rechtsprechung betrifft, konzentrierte sich die Forschung bislang hauptsächlich auf die Eheangelegenheiten. Untersuchungen, die sich allein diesem Thema zuwenden, gibt es zwar nur fur das Regensburger und Konstanzer Offizialat.57 Doch finden sich Hinweise dazu in allen breiter angelegten Untersuchungen über die Gerichte in den Diözesen Augsburg, Köln, Mainz sowie dem Erzbistum Salzburg.58 Zumeist fragen die Autoren nach dem Inhalt der Prozesse. Die Parteien stritten sich in weitaus den meisten Fällen darüber, ob ein gültiges Eheversprechen geleistet und die Ehe somit geschlossen worden war oder nicht. Ehehindernisse spielten dagegen eine weniger bedeutende Rolle, als aufgrund ihrer großen Zahl und ausfuhrlichen Thematisierung in der kanonistischen Lehre zu vermuten wäre. Blutsverwandtschaft und Schwägerschaft waren diejenigen Hindernisse, weswegen am häufigsten prozessiert wurde. Eine von der allgemeinen Meinung leicht abweichende These vertrat Oskar Vasella für das Bistum Chur. Aus der Lektüre einer seriellen Quelle - er wertete sie nicht systematisch aus - und weiterer Akten schließt er, dass die genannten Hindernisse fast ebenso oft Prozesse verursachten wie die heimlichen Ehen. Er führte das auf die engen Verhältnisse in den Alpen zurück, wo praktisch keine anderen als verwandte Heiratspartner zur Auswahl standen.59 Das Verbot der ungenossamen Ehen durch die Leibherren führte in der Praxis wohl ebenfalls dazu, dass sich Personen im verbotenen Verwandtschafts-

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Für Regensburg vgl. R. Weigand, Rechtsprechung. Weigand konzentriert sich dabei vor allem auf die bedingten Eheschließungen. Für Konstanz vgl. Th.D. Albert, Anspruch [im Druck], Ich untersuche in diesem Artikel den Einfluss sowohl der Gerichtsorganisation als auch weltlicher Normen auf den Umfang der Eherechtsprechung des Offizials. Neue Ergebnisse vergleichend zusammengefasst bei Th.D. Albert, Anspruch [im Druck], Einen weitgespannten Überblick, der die heutigen Staaten Deutschland, England, Frankreich und Italien einschließt gibt R. Weigand, Ehegerichtsbarkeit. Dort auch die wichtigste Literatur. Für das Erzbistum Salzburg vgl. die Arbeit von H. Paarhammer, Rechtsprechung, 82-96. Paarhammer wertet zwar eine serielle Quelle aus, verzichtet aber darauf, sie unter quantitativen oder sozialgeschichtlichen Gesichtspunkten auszuwerten. Für Köln vgl. J. Lohr, Verwaltung. 0 . Vasella, Kurie, 90f. Ders., Bauerntum, 51f.

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grad heiraten mussten. Dass daraus jedoch Gerichtsfälle entstanden, ist nicht bekannt.60 Sozialgeschichtliche Fragestellungen werden kaum jemals mit der Darstellung der Eherechtsprechung verknüpft. Nach dem Rechtsstatus oder sozialen Rang der Männer und Frauen, die vor dem Richter standen, oder nach ihrer geographischen Herkunft wird ebenso selten gefragt wie nach den weltlichen Gesetzen oder Ehebräuchen, die möglicherweise den Umfang der Rechtsprechung beeinflussen konnten. Wo dies geschah, antwortete man indirekt: Stadtbürger und -bürgerinnen suchten das kirchliche Gericht selten auf.61 Die Frage nach dem sozialen Rang der Männer und Frauen, die in Eheprozesse verwickelt waren, beantwortet nur eine Arbeit aus dem englischsprachigen Raum. Grundlage sind die Eheprozesse, die im Register des bischöflichen Konsistorialgerichts der englischen Diözese Ely aus den Jahren 1374-82 enthalten sind. Nach den Angaben zum sozialen Status der 273 vor dem Gericht erscheinenden Personen, folgert der Autor, dass „the principals of the marriage suits that appear in the register form a spectrum that, with the possible underrepresentation of the upper class, accurately reflects non-clerical Cambridgeshire society as a whole".62 Die übrige Rechtsprechung in streitigen Rechtsfällen, Zehnt-, Zins-, Testamentsstreitigkeiten etc. wurde bislang vor allem für archidiakonale Gerichte unter quantitativen und sozialgeschichtlichen Aspekten untersucht. Einen umfassenden Einblick in die Tätigkeit eines Archidiakons ingesamt und speziell in die Rechtsprechung bieten die Jahresrechnungen aus dem Xantener Archidiakonat (Bistum Köln). Sie stammen aus dem 15. Jahrhundert und zeigen, dass „einzig und allein die Ehegerichtsbarkeit [...] von praktischer Bedeutung gewesen" ist. Die übrigen, vergleichsweise wenig zahlreichen Fälle der streitigen Jurisdiktion wurden wegen strittiger Benefizialrechte allein zwischen Klerikern gefuhrt.63 Dieses Resultat darf nicht verallgemeinert werden, da davon ausgegangen werden muss, dass die Rechtsprechung der Instanzen wesentlich von der Organisation des Gerichtssystems, dem Kompetenzanspruch einzelner, auch weltlicher Gerichte sowie deren Funktionstüchtigkeit abhing. Zwei Untersuchungen aus dem Bistum Mainz relativieren die Kölner Ergebnisse. Ein Protokoll dokumentiert die streitige Praxis des Propsteigerichts Fritzlar aus der Zeit zwischen Oktober 1507 bis März 60

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Das Problem wird nicht in der kirchenrechtlichen, sondern nur in der sozialgeschichtlichen Literatur behandelt. Vgl. W. Müller, Widerstand, 8f. Th.D. Albert, Anspruch [im Druck], L. Roper, Household, 158. M.M. Sheehan, Formation, 234. Neben dem Konsistorialgericht gab es noch zwei weitere kirchliche Instanzen, die ebenfalls befugt waren, in Ehefallen Recht zu sprechen. Über ihre Tätigkeit ist nichts bekannt. Vgl. fur Frankreich A. Lefebvre-Teillard, Recherches, 149: „Les demandeurs sont souvent des gens simples." Das ist fur Sozialhistoriker zwar eine unbefriedigende Formulierung, aber immerhin kann herausgelesen werden, dass es sich nicht um Adlige handelte. Wer die Beklagten waren, sagt Lefebvre-Teillard nicht. J. Lohr, Verwaltung, 204f.

1508. Der Richter bearbeitete 33 Fälle. Die Parteien scheinen ausnahmslos Laien gewesen zu sein.64 Über die Praxis des archidiakonalen Gerichts zu Aschaffenburg geben hingegen nur Urkunden Auskunft. In allen überlieferten Zivilfällen, die das Gericht zwischen dem 13.-16. Jahrhundert entschied, klagten Geistliche gegen Laien.65 Sämtliche Prozesse - die häufigsten Klagen betrafen Gült-, Zehnt- und Zinsstreitigkeiten - endeten mit der Niederlage der letzteren.66 b. Die Strafgerichtsbarkeit, insbesondere die Bannpraxis kirchlicher Gerichte wurde bislang ebenfalls selten nach quantitativen und/oder sozialgeschichtlichen Kriterien untersucht.67 Zwei ältere, von der Forschungsliteratur völlig übersehene Arbeiten breiten einschlägiges Material aus. Die eine belegt die These, dass Bann und Interdikt zu „Hebeln der kirchlichen Steuermaschine" vor der Reformation geworden seien, mit einer Sammlung von rund 350 Bannzetteln aus Schlesien.68 Aussteller war der bischöfliche Offizial des Bistums Breslau, der Antragsteller ein Prämonstratenserkloster bei Breslau, und betroffen waren die zur klösterlichen Grundherrschaft gehörenden Bauern. Die Bannzettel stammen aus folgenden Jahren: Zwanzig Stück verteilen sich auf die Jahre 1364, 1379-85; der „größte Teil" stammt aus der Zeit von 1426-60 und ein „gutes Drittel" aus der Zeit von 1470-98. Inhaltlich lassen sich die Bannbriefe in drei Gruppen einteilen. Die meisten drohten säumigen Schuldnern mit dem Bann, wenn sie nicht innerhalb einer bestimmten Frist ihrer Verpflichtung nachkommen würden.69 Die kleinere Zahl der Briefe bedrohte die Familie einer bereits exkommunizierten Person mit der Zensur, wenn es ihr nicht gelänge, den Verstockten innerhalb von acht Tagen zur Lossprechung zu bewegen. Die dritte und kleinste Gruppe von Briefen ermahnte noch einmal, in den Schoß der Kirche zurückzukehren, andernfalls jeder vom Gebannten betretene Ort für die Dauer seines Aufenthalts mit dem Interdikt belegt werde.70 Jedes Jahr ließ das Kloster etwa fünf Bannbriefe verschicken. Um die Bedeutung dieses Verhältnisses ermessen zu können, fehlen jedoch zwei wichtige Informationen. Weder ist 64

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M. Hannappel, Johannes Haltupderheide, 60ff. Die Mehrzahl der sieben Prozesse wurde um Geldforderungen gefuhrt. Ob das Gericht auch für Ehesachen zuständig war, ist unklar. Das heißt nicht, dass niemals ein Laie gegen einen Geistlichen klagte. Das Ergebnis ist eher darauf zurückzufuhren, dass Urkunden geistlicher Provenienz eine größere Überlieferungschance hatten als weltliche. H. Fath, Gericht, 117, 12 lf. - Die Analyse der Urkunden des Propsteigerichts St. Stephan zeigt ebenfalls, dass nicht nur Kleriker, sondern auch Laien in Fälle der streitigen Gerichtsbarkeit verwickelt waren; vgl. W. Ewoldt, Official, Anhang 1. Trusen beobachtet gar eine „große, ja unverantwortliche Forschungslücke", was den Strafprozess angehe. Er erklärt das damit, dass die meisten Rechtshistoriker in Deutschland das Fach Zivilrecht lehren; W. Trusen, Bedeutung, 278f. A.O. Meyer, Studien, 62. Nach Meyer handelt es sich um eine sententia excommunicationis, A.O. Meyer, Studien, 68. M. E. waren es Mahnungen oder, wie das Fachwort lautet, monitoria, also keine Zensuren. Diese trat automatisch ein, wenn die Schuldner nicht zahlten. Meyer gab die genaue Zahl der Briefe nicht an. A.O. Meyer, Studien, 66f.

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bekannt, wieviel Leibeigene zum Kloster gehörten, noch ob die Sammlung vollständig ist. Die zweite Arbeit mit Hinweisen zur Bannpraxis wertet die Register des Stendaler Kommissars für den Balsambann (Bistum Halberstadt) aus den Jahren 1485 und 1489 aus. Der Balsambann umfasste 163 Pfarreien. Über die Bevölkerungsdichte ist nichts bekannt. Die seriellen Akten enthalten unter anderem Informationen über die Gebühren für die Lossprechung vom Bann und die Geldbußen, die das Gericht wegen Exzessen verhängte. Was unter dem Begriff „Exzess" zu verstehen ist, erklären die Quellen offenbar nicht. 1485 wurden 640 Absolutionsgebühren und 32 Geldbußen wegen Exzessen entrichtet, 1489 waren es 631 und 46.71 Vergleichsdaten könnten allenfalls aus edierten Quellen erhoben werden. Der Erkenntnisgewinn ist aber gering, da weder über die Gerichtsverhältnisse noch über die Bevölkerungszahl etwas bekannt ist.72 Die Sendgerichtsakten des Archidiakonats Wetzlar (Bistum Trier) aus den Jahren zwischen 1459-1520 enthalten ebenfalls quantifizierbare Angaben zur strafrechtlichen Gerichtspraxis. Wolf-Heino Struck analysierte die Vergehen aus siebzehn Jahren, wozu er zwei Kategorien bildete. Fünf verschiedene Verstöße gegen die Sexualmoral und das Eherecht bilden die erste Kategorie, die zweite umfasst die Delikte 'Wucher', 'Fluchen', 'Gewalttaten' sowie 'Veruntreuung von Geldern oder Erbschaften'. Der quantitative Vergleich zeigt, dass die Vergehen der letzteren selten begangen wurden. In absoluten Zahlen ausgedrückt: 874 Vergehen der ersten Kategorie stehen bloß 88 Delikte der zweiten gegenüber.73 Auch die Xantener Archidiakone hatten die Kompetenz, strafrechtliche Vergehen der Laien zu bestrafen. Die Rechnungen enthalten bis zum Ende des 15. Jahrhunderts kaum Geldbußen von Laien, sondern fast ausschließlich solche von Klerikern. Das änderte sich offenbar um die Jahrhundertwende. Die Zahl der gebüßten 71

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A. Diestelkamp, Balsambann, 110, 115. Diestelkamp vermutet, dass man mit Hilfe des Banns Geldschulden eintrieb. Vgl. auch seine beiden längeren Aufsätze: Geschichte, 277-340, und Gerichtsbarkeit, 163-267. - Auch aus englischen Diözesen ist bekannt, dass oftmals Zensuren verhängt wurden, vor allem wegen Kontumaz; vgl. R.H. Helmholz, Excommunication, 214. Für Köln: J. Hansen, Jahresrechnung des Kölnischen Offizialatgerichts in Soest vom 1. März 1438 1. März 1439, in: Westdeutsche Zeitschrift für Geschichte und Kunst 7 (1888), 35-54, hier 49f. Richard Bettgenhaeuser, Drei Jahresrechnungen des Kölner Offizialatsgerichts in Werl, 1495-1516, in: Annalen des Historischen Vereins für den Niederrhein 65 (1898), 151-201, hier 166f., 170, 180f. 186f. Für Mainz: M. Hannappel, Kommissare, 177-209. Die Rechnungen des Xantener Archidiakonats enthalten keine einzige Absolutionsgebühr; vgl. J. Lohr, Verwaltung, 257ff. W.-H. Struck, Sendgerichtsbarkeit, 125-128. Jährlich wurden ca. 28 Personen wegen Unzucht (fornicatici) gebüßt, zehn wegen Ehebruchs (adulterium), fünf wegen Inzests, je vier wegen fehlender ehelicher Gemeinschaft (non cohabitat) und versäumter Eheschließung (non solemnisat). Weitere drei Personen wurden jährlich wegen untreuer Verwaltung von Geldern bestraft, je knapp eine Person wegen Wuchers, Gewalttätigkeit und Fluchens. Ob Mehrfachbestrafungen vorkamen, ist unklar. Die jährlichen Schwankungen sind zum Teil beträchtlich. 1511/12 wurden auffallend viele Personen bestraft. Struck belässt es bei einer beschreibenden Aufzählung der Übertretungen gegen die kirchlichen Verbote.

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Laien stieg. Die Kompetenzausweitung des Sieglers sei der Grund dafür gewesen. Welches die bestraften Vergehen waren und wie groß ihre Zahl war, ist unklar.74 Ähnliches gilt für das archidiakonale Gericht zu Aschaffenburg. Ende des 15. Jahrhunderts wurden die Richter auch in strafrechtlichen Fällen tätig. Vergehen von Laien wurden auf dem Send gerügt und an den archidiakonalen Offizial zur Beurteilung überwiesen. Welches die Verstöße waren, ist ebenfalls unklar.75 c. Die freiwillige Gerichtsbarkeit geistlicher Gerichte, das heißt ihre Funktion als Besiegelungsinstanz von Rechtsgeschäften jeglichen Inhalts, wurde zumeist aufgrund einzelner Urkunden beurteilt. Die jeweiligen Verfassungsverhältnisse am Kanzleiort und in seiner nächsten Umgebung spielten fur den Umfang notarieller Akte des Gerichts immer eine entscheidende Rolle. Besonders im 15. Jahrhundert bekamen die kirchlichen Notariate die Konkurrenz der weltlichen zu spüren und behaupteten sich dagegen nur mit Mühe. Aus Basel ist bekannt, dass das Offïzialat im Lauf des 15. Jahrhunderts immer weniger Urkunden ausstellte. Doch habe die Kanzlei bis zur Reformation ihre fuhrende Stellung gegenüber dem Großbasier Schultheißengericht und dem Kleinbasier Gericht behauptet.76 Dass die geistlichen Urkunden eine größere Überlieferungschance haben als die weltlichen, wird mitbedacht.77 Wer die Personen waren, die das Offïzialat als Notariat aufsuchten, ist ebenso unerforscht wie der Inhalt der Rechtsgeschäfte. Gräbt man tiefer bis zu den ältesten Schichten der Forschung, stößt man auf eine völlig übersehene Position. Mitte des 19. Jahrhunderts stellte der mit der Rechtsgeschichte im Allgemeinen und der baselstädtischen im Besonderen gut vertraute Jurist Andreas Heusler in seiner Studie über den deutschen Exekutivprozess die These auf, dass die geistlichen Gerichte vielleicht in der nächsten Umgebung anerkannt, vielleicht sogar maßgebend für zivilrechtliche Angelegenheiten und vor allem für Konfessatbriefe - das sind Schuldbriefe - gewesen seien. Doch falle auf, dass der Ausdruck confessatimi keine Verbreitung gefunden habe, und 74 75 76

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J. Lohr, Verwaltung, bes. 247-255. H. Fath, Gericht, 113. K. Mommsen, Kanzleiwesen, 166f. Die erhaltenen Urkunden des bischöflichen Offizialats, des Großbasier Schultheißengerichts und des Kleinbasier Gerichts verteilen sich wie folgt auf die von Mommsen willkürlich ausgewählten Untersuchungsjahre: 1357 kommen auf vierzehn Offizialatsurkunden vier Urkunden des Großbasier Schultheißengerichts und eine Urkunde des Kleinbasler Gerichts. 1400 betrug das Verhältnis 6:2:1 und 1431 schließlich 4.1:1. Mommsen wertete nur die Urkunden aus, die im StABS lagern. Mit Sicherheit sind solche aber auch im StA. Liestal und in den Archives départementales de Haut-Rhin in Colmar zu finden, möglicherweise auch noch in anderen Archiven. Mommsens These wiederholen neuere Arbeiten. Vgl. H.-R. Hagemann, Rechtsleben I, 52: „Die Offizialate" - Hagemann bezieht sich sowohl auf das archidiakonale als auch das bischöfliche Gericht „waren als Beurkundungsinstanzen auch bei den Laien beliebt, hauptsächlich weil das dort gehandhabte Recht dem Gläubigen die Vollstreckung seiner Forderung erleichterte." Arnold Esch formulierte treffend: „Urkunden-Überlieferung macht das Mittelalter noch kirchlicher, als es ohnehin schon ist." A. Esch, Überlieferungs-Chance, 46.

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auch Zasius, der bedeutende Rechtsprofessor wisse „von solchem Einfluss nichts, indem er von der ganzen Sache als von etwas auf die Bischofsstädte Beschränktem" spreche.78 Als ehemaliger Notar am Konstanzer Chorgericht und bischöflicher Kommissar im gleichen Bistum sei er als sicherer Gewährsmann zu betrachten.79 Für das Konstanzer und Churer Offizialat fehlen entsprechende Untersuchungen.80 Als Vergleichswert können - trotz unterschiedlicher Verfassungsverhältnisse und Gerichtsstruktur - die Resultate über die Praxis in der Stadt Worms herangezogen werden. Sie beruhen auf einer detaillierten Auswertung von 1200 Urkunden, die das weltliche Gericht oder eine der vier geistlichen Kanzleien zwischen ca. 1350-1600 besiegelten. Bis 1500 wurden etwa 75 % aller Beurkundungen von den geistlichen Gerichten vorgenommen, wobei eine Abnahme im Lauf des 15. Jahrhunderts deutlich zu erkennen ist. Seit dem 16. Jahrhundert dominierte aber eindeutig die weltliche Behörde. Von den geistlichen Beglaubigungsinstanzen war nur noch das bischöfliche bedeutsam, zumindest bis 1550.81 Vor der Reformation besiegelten die kirchlichen Gerichte häufig weltliche Rechtsgeschäfte. Worum es sich konkret handelte, und wer die Personen waren, die ihr Siegel begehrten, bleibt offen.82 Resultate, die sich auf die Auswertung serieller Quellen stützen, bestätigen diese Ergebnisse teilweise. Sie zeigen aber vor allem, dass je nach Gerichtsort unterschieden werden muss. Wieder sind es hauptsächlich die Arbeiten aus dem Kölner und dem Mainzer Bistum, die vergleichend herangezogen werden können. Das Propsteigericht Beatae Mariae Virginis in der Handelsstadt Erfurt scheint als Besiegelungsinstanz bei den Laien besonders beliebt gewesen zu sein. Zwar fehlen vergleichende Angaben über die notarielle Tätigkeit weltlicher Gerichte, doch die hohen Zahlen sprechen für sich. Zwischen 1515 bis 1521 wurden fast 4000 Zahlungsvereinbarungen (recognitio pecuniarum) besiegelt, jährlich beinahe 560.83 Auch der Kommissar des Balsambanns war oftmals notariell tätig. Die Einkünfte für die Besiegelung von Rechtsgeschäften betrugen 1485 und 1489 jeweils mehr als die Hälfte des Gesamteinnahmen. Über den Inhalt der Verträge erfahrt man nur,

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A. Heusler, Geschichte, 167. Die prosopographischen Daten bei J. Brülisauer, Kommissare, 682. Für die Annahme Mommsens, dass in Konstanz ebenso wie in Basel das bischöfliche Gericht die weltlichen Instanzen dominierte, fehlen die Belege. K. Mommsen, Kanzleiwesen, 167. F. Battenberg, Gerichtsbarkeit, 58-62. Präzisierend seien die absoluten Zahlen genannt. Für die erste Hälfte des 15. Jahrhunderts wurden 273 besiegelte Urkunden an geistlichen und 90 an weltlichen Gerichten gezählt, für die zweite Hälfte waren es 107 geistliche und 127 weltliche Urkunden; zwischen 1501-1550 schließlich nur noch 11 bzw. 38 Urkunden. F. Battenberg, Gerichtsbarkeit, 62. M. Hannappel, Johannes Haltupderheide, 61 Anm. 131. Die absoluten Zahlen der beurkundeten Rechtsgeschäfte schwankten jährlich zwischen 831 und 148.

dass Testamente relativ selten besiegelt wurden. 1485 waren es sechs letztwillige Verfügungen, 1489 nur drei.84 Unbedeutend hingegen scheint die notarielle Tätigkeit des Propsteigerichts von St. Peter in Fritzlar und des Xantener Archidiakonats gewesen zu sein. Das Rechnungsbuch des ersten verzeichnet für ein halbes Jahr (1507/08) nur sieben Akte der freiwilligen Gerichtsbarkeit.85 Laut den Protokollen des Xantener Gerichts ließen nur Geistliche Rechtsgeschäfte besiegeln. Es diente ausschließlich klerikalen Zwecken. 86

5.2

Kirchliche Rechtsprechung und Reformation

Geistliche Gerichtsbarkeit und kirchliche Rechtsprechung des späten Mittelalters wurden in der Reformationsforschung seit langem, aber bisher eher assoziativ als systematisch mit der Reformation verknüpft. Forschungsgeschichtlich können zwei Ansätze unterschieden werden. Beide sind wesentlich vom Reformationsbegriff abhängig, der als heuristischer Ausgangspunkt - manchmal stillschweigend, manchmal ausdrücklich - den Arbeiten zugrunde gelegt wurde. Einerseits wurde die Praxis der Kirchengerichte der Kategorie „vorreformatorische Missstände" zugeordnet, welche die Reformation abstellen half. Diese Richtung stellt hauptsächlich auf das subjektive Bedürfiiis sozialer Gruppen ab, das sich in unzähligen Beschwerdeschriften Gehör verschaffte (a.). Andererseits wurde argumentiert, dass die Reformation als Teil und Höhepunkt der spätmittelalterlichen Bestrebungen begriffen werden kann, die kirchliche Verwaltung - und damit auch das geistliche Gericht - unter die weltliche Oberaufsicht zu stellen oder ihre Aufgaben sogar ganz durch die weltliche Gewalt wahrnehmen zu lassen. Die Verfassungsstruktur ist hier der Ausgangspunkt und der Rahmen, in dem sich religiöse Bedürfiiisse äußerten (b.). a. Antiklerikalismus oder Kirchenkritik waren nicht nur ein Zeichen des Spätmittelalters, sondern auch ein mentaler Wegbereiter der Reformation. Ί 5 2 1 , Gravamina der deutschen Nation' sei als Stichwort genannt.87 In den letzten Jahren war es vor allem Hans-Jürgen Goertz, der in immer neuen Anläufen die beiden Phänomene miteinander verkettete. Mit Hilfe des Antiklerikalismus erklärte er die so-

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A. Diestelkamp, Balsambann, 110, 115. M. Hannappel, Johannes Haltupderheide, 61. J. Lohr, Verwaltung, 204. Etwa die Hälfte der Gravamina beschäftigte sich mit den kirchlichen Gerichten. H R. Schmidt, Reichsstädte, 38. H-Chr. Rublack, Gravamina.

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ziale Breite der reformatorischen Bewegung und deren Intensität.88 Die Beschwerden über die geistlichen Gerichte waren zahlreich. Was wurde kritisiert? Wer kritisierte? Es war der bereits erwähnte Justus Hashagen, der in seinem Aufsatz über die kirchliche Gerichtsbarkeit den Weg vorzeichnete. Die geistlichen Strafen, die im späten Mittelalter häufig verhängt worden seien, hätten „mit ihrer überaus fühlbaren Schärfe zur Gegenwehr" herausgefordert.89 So einfach die Antwort scheinen mag, war sie dennoch anregend, weil sie indirekt den Anstoß zu einer Dissertation über - so der Titel - „Bann und Interdikt im 14. und 15. Jahrhundert als Voraussetzung der Reformation" gab. Darin sind zahlreiche Äußerungen von Theologen, Bürgern und Adligen aus dem ganzen spätmittelalterlichen Deutschland zusammengestellt, die die Meinungen und die Stimmung über die kirchlichen Strafen einfangen und gleichzeitig erklären sollten, weshalb ihnen Widerstand entgegengesetzt wurde.90 Die Gründe, weshalb sich Geistliche und Laien über Bann und Interdikt und die geistlichen Gerichte beschwerten, finden sich allerdings schon in älteren Arbeiten über die städtischen Gravamina gegen den Klerus. Folgende Kritikpunkte, die in der Zwischenzeit sozusagen kanonische Geltung erlangten, werden angeführt:91 Kirchenstrafen wurden zu fiskalischen Zwecken und in weltlichen Angelegenheiten missbraucht, beispielsweise um Geldschulden einzutreiben. Sie seien zu einem bloßen Exekutionsmittel verkommen. Vergehen und Strafe, lautete ein dritter Vorwurf, standen in einem Missverhältnis zueinander. Oftmals seien Bannurteile wegen geringfügigster Vergehen ausgesprochen worden. Aufgrund der Strafwirkung seien davon in der Regel auch ganz Unschuldige betroffen gewesen. Die Unangemessenheit der Strafe komme auch darin zum Ausdruck, dass sie die exkommunizierte Person vom religiösen Leben ausschloss, und der Bann somit das Seelenheil gefährdete, obwohl das Vergehen rein weltlicher Natur gewesen sei. Kirchliche Gerichtsbarkeit wird in doppelter Weise mit der Reformation verbunden. Erstens wird mit der subjektiven Betroffenheit der exkommunizierten und interdizierten Personen argumentiert. Ein Autoritätsverlust der Kirche sei die Folge des übermäßigen und unangemessenen Gebrauchs der Strafen gewesen. Sofern die Bevölkerung ihre religiösen Bedürfnisse weiterhin befriedigen wollte, hätte sie sich von der Kirche emanzipieren müssen. Die Folge war, dass „die geistlichen Straf88

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Vgl. zuletzt Hans-Jürgen Goertz, Antiklerikalismus und Reformation. Ein sozialgeschichtliches Erklärungsmodell, in: Ders., Antiklerikalismus, 7-21. Goertz sieht im Antiklerikalismus „mehr als ein taktisches Mittel zur Einleitung reformatorischer Prozesse". Ihm wohne erneuernde Kraft inne, die Goertz in der Losung vom „Priestertum aller Gläubigen" erkennt. Dagegen argumentierte Blickle, der im übrigen die Stärke des Ansatzes herausstrich, dass die Anwendung des Begriffs damit streng auf die Reformationszeit begrenzt bleibe; Peter Blickle, Neuorientierung der Reformationsforschung?, in: Historische Zeitschrift 262 (1996), 481-491, hier 483f. J. Hashagen, Charakteristik, 289. K. Anker, Bann. Ankers Quellen liegen alle in gedruckter Form vor. J. Hashagen, Charakteristik, 233-237, 245-252, 260-274. A. Störmann, Gravamina, 208-219. Κ. Anker, Bann, 66-73.

mittel immer mehr an Zugkraft" verloren hätten. Sie seien vom Volk, am heftigsten von den Städtern verachtet und verspottet worden.92 Insofern die Städte im Reformationszeitalter eine „gewaltige Rolle" spielten, sei ihre Stellung zu Bann und Interdikt besonders bedeutsam.93 Diese These erfuhr in dreifacher Hinsicht eine Vertiefung. Zum einen stützte die Forschung sie für einzelne, hauptsächlich städtische Herrschaftsgebiete empirisch breiter ab. Zum anderen wurde sie auch auf ländliche Regionen übertragen. Drittens entdeckte man den niederen Klerus als weitere soziale Gruppe, die die Kirchenstrafen belasteten und der daher sozusagen prädisponiert war, positiv auf die Reformation zu reagieren. Nur der zweite und dritte Punkt werden im Folgenden erörtert. Der erste gehört zur vorreformatorischen Herrschafts- und Gemeindepolitik und wird unter Punkt b. behandelt. Die bäuerliche Bevölkerung der Diözesen Straßburg und Chur sowie der eidgenössischen Quart des Bistums Konstanz haben unter dem Bann gelitten. Zwei Reformschriften aus Straßburg deuten daraufhin, dass auf dem Land nichts so sehr „die kirchliche Autorität untergraben [...], nichts den sonst zäh am Alten festhaltenden und schwerfälligen Landmann so sehr den radikalen Ideen [...] zugänglich gemacht [habe] als das Wirken der geistlichen Gerichte".94 Die einschneidenden sozialen und religiösen Folgen der Bannurteile seien es nicht zuletzt gewesen, die die „Abkehr weiter, an sich konservativer Bauernmassen von der Kirche" erklären helfen.95 Sie störten massiv den Rhythmus des täglichen Lebens, worüber sich die Bauern vor allem während des Bauernkriegs von 1525 beklagten. Dass der niedere Klerus neben den Bürgern und Bauern eine zweite zur Gemeinde gehörende soziale Gruppe war, die die Praxis geistlicher Gerichte bedrükken konnte, wurde selten als Argument in die Rezeptionsdiskussion eingebracht, obwohl der Zusammenhang schon bei einer oberflächlichen Lektüre von Luthers Schriften zum Beispiel deutlich wird. Das belegt die fragmentarische Korrespondenz zwischen dem Siegler des Churer Konsistoriums und Dorfgeistlichen. Sie 92

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K. Anker, Bann, 58, 60. Anker führte paradoxerweise weiter aus, dass das kirchliche Leben verlotterte und dadurch Raum fur Reformideen geschaffen worden sei. Wie es zur Verluderung des religiösen Lebens kommen konnte, wenn die kirchlichen Zensuren nicht beachtet wurden, sondern die Versorgung der Bevölkerung mit den Heilsgütern in der gewohnten Form gesichert blieb, ist unklar. K. Anker, Bann, 72ff. Vgl. auch J. Hashagen, Charakteristik, 257. An der weitgehend kirchentreuen Frömmigkeit der Stadt- und Landbevölkerung um 1500 kann nach neueren Forschungen nicht gezweifelt werden. Vgl. stellvertretend B. Moeller, Frömmigkeit, und P. Blickle (Hg ), Zugänge. K. Anker, Bann, 58. K. Stenzel, Gerichte, 407. Mit einigen neuen Quellen wurde diese These für dasselbe Gebiet untermauert von F. Conrad, Reformation, 3 lf. - Vgl. auch P.-J. Schuler, „armen Kit", und Ders., Reformation. Schuler edierte und interpretierte die wichtigste Quelle. 0 . Vasella, Bauerntum, 50fF. - Ahnlich O. Vasella, Bauernkrieg, 7f. Ders., Ursachen, 416ff. Ders., Reform, 42ff. Vasella stützte seine Thesen ausschließlich auf die in den 20er Jahren des 16. Jahrhunderts im Bistum Chur von den Bauern formulierten Beschwerden, die er mit einzelnen Beispielen aus der Gerichtspraxis des Churer Konsistoriums belegte, und übertrug das Resultat auf die Konstanzer Diözese. Zu Konstanz vgl. auch Vasellas Schüler T. Frey, Rheintal, 22ff.

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zeigt, wie schwierig es für die Dorfgeistlichen war, die Interessen sowohl der Vorgesetzten als auch der Pfarrgenossen unter einen Hut zu bringen. Sie hatten die undankbare Aufgabe, die Briefe des Gerichts zu exekutieren, beispielsweise die Bannbriefe zu verlesen. Unterließen sie das oder führten sie die Pflicht unsorgfältig aus, wurden sie des Amtes enthoben. Die Reformation, wird argumentiert, bot „vielen Geistlichen die Gelegenheit, sich von einem häufig beängstigenden Druck zu befreien".96 An diesen Positionen wurde bis heute prinzipiell festgehalten, zumindest wird ihnen nicht widersprochen. Auf die spätmittelalterliche Kritik am geistlichen Gericht weisen alle wichtigen Gesamtdarstellungen zur Reformationsgeschichte hin und der eben dargestellte Bezug zur Reformation hat sich eingespielt: Es waren unter anderem die kirchlichen Zensuren sowie die ungerechte, fiskalische und zugleich das Seelenheil bedrohende Bannpraxis der Gerichte, die den Boden für reformatorische Bewegungen und die Rezeption der neuen Lehre ebnen halfen.97 Auch die Ansicht, dass die Kirchenstrafen nicht mehr respektiert worden seien, ist heute anerkannt.98 Doch gibt es Hinweise auf der inhaltlichen, quellenkritischen, methodischen und interpretatorischen Ebene, die zeigen, dass durchaus Anlass für eine kontroverse, jedenfalls weniger stromlinienförmige Behandlung des Themas vorhanden wäre. Eine schon Anfang dieses Jahrhunderts gefertigte Arbeit, es handelt sich um die Dissertation von Otto Dix, liefert kontrapunktische Ergebnisse. Dix untersuchte anhand gedruckter Quellen die mittelalterliche Strafpraxis kirchlicher Gerichte im ostelbischen Raum. Zwar vertrat auch er die These, dass das Volkes unter dem Interdikt" gelitten habe. Dennoch kam er zum Schluss, dass die kirchlichen Zensu96

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0 . Vasella, Kurie, 102. Die These nahm auf U. Gabler, Huldrych Zwingli, 21. - Wo die Literatur auf dieses Problem aufmerksam macht, verweist sie zumeist auf die von Albert WerminghofF herausgegebenen Epistola de miseria curatorum seu plebanorum. Diese fingierten Briefe wurden Ende des 15. Jahrhunderts erstmals gedruckt. Vasella zitierte sie nicht. Vgl. z.B. J. Lortz, Reformation 1, 9, 76, 143, 204. B. Moeller, Deutschland, 41f. H.-J. Goertz, Pfaffenhaß, 47, 58. P. Blickle, Reformation, 32f. - Die These auf die Spitze treibend, könnte provozierend gefragt werden: Hätte sich die Reformation in Wittenberg durchsetzen können, wenn die Stadt nicht wegen Tötung eines Priesters drei Jahre lang, von 1512-15, interdiziert worden wäre? Der Hinweis auf die Kirchenstrafe bei O. Dix, Interdikt, 118. P. Kirn, Friedrich der Weise, 57ff. G. May, Bann, 180f. Ernst Schubert, Einführung in die Grundprobleme der deutschen Geschichte im Spätmittelalter, Darmstadt 1992, 251 f. Hartmut Zapp, Exkommunikation, in: Lexikon des Mittelalters (Bd. 4), München/Zürich 1989, Sp. 170. - Der Vollständigkeit halber sei auf eine amerikanische Dissertation hingewiesen: William K. Gotwald, Ecclesiastical Censure at the End of the fifteenth Century (Johns Hopkins University Studies, series XLV/3), Baltimore 1927. Wie Anker fragte auch er nach einem möglichen Zusammenhang zwischen Kirchenstrafen und Reformation. Gotwald erweiterte jedoch dessen Ansatz geographisch auf halb Europa, indem er Böhmen, Frankreich, England, Burgund und Norditalien berücksichtigte, und verengte ihn gleichzeitig auf die soziale Ebene des Adels und den hohen Klerus. Aufgrund dieses Vorgehens fiel es ihm schwer, einen auch nur einigermaßen plausiblen Zusammenhang der Phänomene nachzuweisen.

ren ihre Wirkung bis zur Reformation behalten hätten." Dieses Ergebnis passt eigentlich viel besser in das bisherige Verknüpfungsschema, da argumentiert werden kann: Weil die Stadt- und Landbevölkerung unter den Kirchenstrafen litt und sich nicht zu wehren wagte, sammelte sich ein Konfliktpotential an, das den Boden für die Empfänglichkeit der reformatorischen Lehre bereitete. Aber Dix Arbeit verschwand nach Ankers Dissertation in der Versenkung. Gegen die communis opinio spricht sodann ein methodisches Argument. Die Verknüpfung von Bannpraxis und Reformation wird empirisch zwar in zweifacher Weise, aber nie systematisch abgesichert. Einerseits werden Beschwerdetexte, die aus verschiedenen Jahrhunderten stammen und in weit aneinanderliegenden Gebieten geschrieben wurden, zusammengestellt und ihnen fur die hundert Jahre vor der Reformation flächendeckende Gültigkeit zugesprochen. Auf unterschiedliche Gerichtsverhältnisse oder spezifische wirtschaftliche, politische oder soziale Strukturen in einzelnen Bistümern wird keine Rücksicht genommen. Andererseits wurden einzelne Rechtsfälle, die - vor allem in der älteren Literatur - hauptsächlich aus dem 14. Jahrhundert stammen, verallgemeinert. Serielle Quellen werden hingegen nicht ausgewertet.100 Neben diesem methodisch anfechtbaren Beweisgang sei drittens auf einen inneren Widerspruch der Argumentation hingewiesen. Bann und Interdikt seien kaum mehr beachtet worden, heißt es. Gleichzeitig wird behauptet, die Bürger und Bauern hätten sich darüber beklagt. Beschwert sich aber jemand über etwas, sas er ohnehin nicht mehr ernst nimmt und worüber er sich hinwegsetzt?101 Ein letzter Punkt betrifft die Interpretation der Beschwerden. Worte bilden Realität ab. Bloß welche? Zumeist werden sie als Reaktion auf objektiv vorhandene Missstände gedeutet. Das ist möglich, aber nicht zwingend, wie eine englische Studie anhand der 1532 vom gemeinen Mann formulierten „Supplication against the Ordinaries" belegt. Die Bittschrift war eine Jeremiade gegen die Herrschaft der 99

O. Dix, Interdikt, 70f. - Anker hielt die These von Dix aus methodischen Gründen für nicht verallgemeinerbar. Dessen Untersuchung sei räumlich zu beschränkt und berücksichtige zudem auch das Hochmittelalter, mithin eine Zeit, als die Autorität der Kirche noch intakt gewesen sei. Ankers Kritik ist zwar grundsätzlich richtig, aber insofern verfehlt, als er auf den gleichen methodischen Pfaden wandelt. 100 Die Reformationsliteratur zitiert nie die einschlägigen Arbeiten zur Bannpraxis von Meyer, Diestelkamp oder Hannappel. 101 Der Widerspruch könnte möglicherweise aufgelöst werden, wenn erstens danach gefragt wird, ob diejenigen Personen, die die Kirchenstrafen nicht mehr beachteten, wirklich dieselben waren, die sich darüber beschwerten. Zweitens müsste untersucht werden, in welchen Fällen die Zensur nicht beachtet wurde, ob es eine permanente oder fallweise Missachtung war. Drittens müsste genau unterschieden werden, in welchen Fällen die Zensuren nicht beachtet wurden. Als Unterscheidungskriterium kommen z.B. die Gründe der Strafe in Betracht oder die Institution, die sie verhängte (Papst, Bischof, Offizial etc.). - Einige Hinweise dazu bei 0 . Vasella, Kurie, 101, und Th.D. Albert, Rechtsprechung, 152. Vgl. auch die informative Studie von Richard C. Trexler, The Spiritual Power. Republican Florence under Interdict (Studies in Medieval and Reformation Thought, 9), Leiden 1974. Nach Trexler zeigte die vom Papst verhängte Kirchenstrafe bis ins 16. Jahrhundert die beabsichtigte Wirkung; ebd., 187ff.

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Kirche, vor allem auch eine Attacke gegen ihre Gerichte. Den Klagen entsprachen aber keine massenhaft nachweisbaren Missbräuche der Beamten und Richter, zumindest können solche durch die Untersuchung und Auswertung auch serieller Gerichtsakten nicht belegt werden. Einige Missbräuche seien zwar vorgekommen, aber im Großen und Ganzen hätten die kirchlichen Gerichte korrekt gearbeitet, nämlich so, wie es der gemeine Mann forderte. „The Supplication of the Commons" ziele nicht auf die Verbesserung der schlechten Verwaltung, sondern sei „a statement of a fear of too much governance".102 Neuere Übersichten über die kirchlichen Gerichte in England vertreten die Ansicht, dass man aufgrund der zahlreichen Parteiprozesse durchaus von einer gewissen Beliebtheit dieser Instanzen sprechen könne.103 b. Die zweite Forschungsrichtung kann mit den Begriffen „landesherrliches Kirchenregiment" und „Kommunalisierung der Kirche" überschrieben werden. Beiden ist gemeinsam, dass sie Reformation und kirchliche Gerichtsbarkeit auf der politisch-institutionellen und verwaltungsorganisatorischen Ebene verknüpfen. Während die erste ausschließlich die Obrigkeit in den Blick nimmt, erfasst die zweite auch die nicht herrschaftsberechtigte soziale Ebene oder schichtspezifisch gesprochen: den gemeinen Mann in den Städten und Dörfern. Letzeres Vorgehen ermöglicht, einen weiteren Motivationsfaktor fur die Bejahung der Reformation herauszuarbeiten. Die machtpolitischen Bestrebungen des Herrschaftsausbaus werden um die religiösen Beweggründe erweitert, das Seelenheil in eigener Verantwortung organisatorisch zu sichern und sich - über alle sozialen Konflikte hinweg - „als corpus christianum im kleinen" zu konstituieren.104 Reformation kann nicht kausal auf die neu entstehenden weltlichen Kirchenverfassungen zurückgeführt werden. Sonst hätte jeder Landesherr, jede Reichsund zahlreiche Landstädte die Reformation eingeführt.105 Was aber in der Forschung mit den Begriffen „Fürstenreformation" und „Stadtreformation" erfasst wird, nämlich die landesherrliche und ratsherrliche Durchsetzung der Reformation nach 1525/26, baut auf der spätmittelalterlichen Kirchenpolitik auf und kann als deren Fortsetzung mit neuen Mitteln gelesen werden. Die Reformation erleichterte und beschleunigte die landesherrliche und städtische Politik nicht nur, sondern bot ihr auch ein neues Legitimationsmuster. Insofern ist eine verfassungspolitische 102 103

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M. Bowker, Archdeacon' Court Books, 312. R.N. Swanson, Church, 181: „While the coercive aspects of the courts might have been resented, and resisted, the multiplicity of instance cases indicate some sort of popularity, and that the system was satisfying a need." Swanson gibt in einem längeren Kapitel einen differenzierten Überblick über das Verhältnis zwischen dem weltlichen und dem geistlichen Rechtssystem sowie dem Funktionieren kirchlicher Gerichte; vgl. ebd., 140-190. B. Moeller, Reichsstadt, 15. Von den 85 Städten, die auf dem Wormser Reichstag 1521 vertreten waren, beanspruchten 65 den Status der Reichsunmittelbarkeit. In mehr als fünfzig von ihnen fand im Lauf des 16. Jahrhunderts die Reformation offizielle Geltung; die Angaben nach B. Moeller, Reichsstadt, 9.

Kontinuität nicht zu übersehen, die nicht zuletzt an der allmählichen Zurückdrängung der geistlichen Gerichtsbarkeit und der stückweisen Einverleibung ihrer Kompetenzen in die weltliche Verwaltung abgelesen werden kann. Die Forschung über das landesherrliche Kirchenregiment kann auf eine lange Tradition zurückblicken.106 Hier braucht nur am Rand auf sie eingegangen zu werden, da landesherrliche Politik nur in einem relativ kleinen Teil der drei in dieser Arbeit ausgewählten Diözesen eine relevante Rolle hinsichtlich des geistlichen Gerichts spielte. Deshalb werden die neusten Ergebnisse knapp zusammengefasst und am Beispiel Württembergs vertieft. Die Entwicklung des 'weltlichen Kirchenregiments' im Spätmittelalter muss vor dem Hintergrund der angestrebten Landeshoheit gesehen werden. Der Begriff meint, dass die landesherrliche Obrigkeit im Zug der Vereinheitlichung der Rechtsverhältnisse in ihrem Herrschaftsgebiet versuchte, die Oberaufsicht über diejenigen Aufgaben zu gewinnen, die bislang der geistlichen Herrschaft vorbehalten waren. Jedoch wurden bei der Kirche nie Legitimitätsdefizite geortet oder gar ihre Existenzberechtigung grundsätzlich in Frage gestellt. Es ging nicht um Säkularisation von Kirchengut, sondern um einen „härteren fürstlichen Zugriff auf kirchliche Pfründen".107 Dies lässt sich auf verschiedenen Ebenen beobachten: in der Beziehung zur päpstlichen Kurie, zum Bischof und zu den Klöstern. Insofern die Gerichtshoheit Kern der Landeshoheit waren, war ein Konflikt zwischen der weltlichen und der geistlichen Herrschaft um die Kompetenzen der kirchlichen Gerichte unausweichlich. Doch stritten sich die Fürsten mit den Bischöfen „nicht um Prinzipien, sondern um Einzelfälle".108 Dieser Satz mag für die materielle Ebene berechtigt sein, wo die Politik der Landesherren hauptsächlich darauf bedacht war, die weltlichen Angelegenheiten von weltlichen Gerichten entscheiden zu lassen. Was den Personenkreis betraf, gilt er nicht. Wo eine nach einheitlichen Rechtskriterien gebildete Untertanenschaft formiert werden sollte, mussten auch die Kompetenzen der geistlichen Jurisdiktion neu verhandelt werden. In der Praxis bedeutete das nämlich, den Geistlichen ihr Gerichtsstandsprivileg abzusprechen. 106

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Vgl. den knappen, aber analytisch klaren Überblick bei E. Schubert, Herrschaft, 38-41. Schubert kritisiert die Redeweise vom 'landesherrlichen Kirchenregiment' als übertreibendes Schlagwort. Allenfalls für die württembergischen Verhältnisse treffe es zu, weil nur dort alle geistlichen Immunitäten als landesherrliche Privilegierungen verstanden wurden. Vgl. zuletzt die Arbeit von M. Schulze, Fürsten. Hier auch ein längerer Forschungsüberblick. E. Schubert, Herrschaft, 40. E. Schubert, Herrschaft, 39. Doch darf nicht übersehen werden, dass die Einflussnahme weltlicher Herrschaften auf kirchliche Gerichtskompetenzen verschiedene Wege der Durchsetzung kannte. Das Beispiel des Ansbacher Markgrafen Achilles aus dem 15. Jahrhundert zeigt, dass das Gericht zwar prinzipiell anerkannt blieb, aber seine Macht von innen heraus ausgehöhlt wurde. Achilles erzwang für seine landesherrlichen Beamten den Zutritt zu den geistlichen Gerichtsverhandlungen; vgl. W. Engel, Geschichte, 361.

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In Württemberg zeigt sich besonders gut, dass und wie die Grafen und Herzöge die geistlichen Gerichte erfolgreich zurückdrängten.109 Streitfalle, in die Geistliche verwickelt waren, wurden im 15. Jahrhundert zunehmend von einer landesherrlichen Schiedskommission entschieden.110 Durch die Errichtung des Hofgerichts 1475 wurde diese Tendenz organisatorisch verfestigt. Dieses sowohl von Laien als auch von Geistlichen besetzte Gericht sollte fortan den ordentlichen Gerichtsstand der Geistlichen bilden. Überdies strebten die Grafen mit dem neuen Gericht an, Angelegenheiten, die bis zu dieser Zeit in Konstanz oder an anderen geistlichen Gerichten verhandelt wurden, vor ihr Forum zu ziehen.111 Durch ein Mandat verbot Herzog Ulrich 1505 seinen Untertanen, kirchliche Gerichte freiwillig in weltlichen Angelegenheiten aufzusuchen.112 Der Versuch, die Kirche zu kommunalisieren, war Teil der spätmittelalterlichen Bestrebung nach möglichst umfassender Selbstverwaltung und Kontrolle nicht nur im weltlichen, sondern auch im geistlichen Bereich. Er kann überall dort beobachtet werden, wo eine Gemeinde sich politisch konstituierte, in der Stadt gleichermaßen wie im Dorf.113 Die verwandtschaftliche Nähe zwischen dem kommunalen Gestaltungsprinzip der Stadt und der Reformation wurde bereits um die letzte Jahrhundertwende erkannt.114 Dass parallel dazu eine solche auch in ländlichen Gebieten zu beobachten ist, ist hingegen eine noch relativ junge Erkenntnis. Herausgearbeitet hat sie vor 109

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Die folgenden Resultate können nur bedingt auf andere Territorien übertragen werden. Die Grafen und Herzöge von Württemberg verfolgten eine Kirchenpolitik, die sich in ihrer Zugriffshärte und ihrem Erfolg von derjenigen anderer Fürsten qualitativ unterschied. Zum Forschungsstand vgl. immer noch den 1916 von Hashagen referierten Überblick, wo die wichtigsten, noch heute gültigen Positionen herausgearbeitet und auch regionale Unterschiede berücksichtigt werden; J. Hashagen, Charakteristik, 205215. Vgl. auch E. Eichmann, recursus, bes. 1-99. P. Kirn, Staat, 162-199. Neben der bei Schulze angegebenen Literatur vgl. Gustav Bossert, Die Jurisdiktion des Bischofs von Konstanz im heutigen Württemberg, 1520-1529, in: Württembergische Vierteljahrshefte für Landesgeschichte, Neue Folge 2 (1893), 260-281; Dieter Stievermann, Geistliche Gerichtsbarkeit in Altwürttemberg, in: Arbeitskreis fur Landes- und Ortsgeschichte, Protokoll der 62. Sitzung am 26. November 1983 im Hauptstaatsarchiv Stuttgart, 13-25. Schulze selbst geht zu weit, wenn er feststellt: „Das Kirchenregiment offenbart sich zunächst einmal in dem Bestreben, Kontrolle über die geistliche Rechtsprechung zu gewinnen." Die Ehegerichtsbarkeit des Konstanzer Offizialats wurde von den Grafen und Herzögen nie zu kontrollieren versucht. M. Schulze, Fürsten, 23-28, hier 24. D. Stievermann, Landesherrschaft, 239. Johannes Wülk, Staat und Kirche in Württemberg nach dem Tode Graf Eberhards im Bart (1496) bis zur Einfuhrung der Reformation, in: Württembergische Vierteljahresschrift fur Landesgeschichte, Neue Folge 26 (1917), 1-41, hier 23. Zum Strukturprinzip des Kommunalismus vgl. insbesondere den programmatischen Aufsatz von P. Blickle, Kommunalismus. E. Isenmann, Stadt, 210-219. Immer noch wichtig die ältere Studie von F. X. Künstle, Pfarrei. Zuerst Alfred Schultze, Stadt und Reformation, Leipzig 1918, dann B. Moeller, Reichsstadt. In den Forschungsberichten zur Reformationsgeschichte wird das Thema „Kirchengericht" knapp behandelt von Kaspar von Greyerz, Stadt und Reformation: Stand und Aufgaben der Forschung, in: Archiv für Reformationsgeschichte 76 (1985), 6-63, hier 17.

allem Peter Blickle. Er erprobte sein Konzept „Kommunalismus", das von der Tatsache ausgeht, dass es in „Dörfern und Tälern, Städten und Märkten gemeinsame institutionelle, gesellschaftliche und normative Ausprägungen gegeben" hat, an der Reformation, genauer an den ersten Jahren bis zum Bauernkrieg. Das Ergebnis war die These der „Gemeindereformation". 115 Die Reformatoren lieferten die theologischen Elemente, die es den Gemeinden ermöglichten, ihre Politik der zunehmenden Selbstverwaltung sowohl zu intensivieren als auch zu legitimieren. Dies sei ein wichtiger Motivationsgrund der Gemeinden gewesen, sich zur reformatorischen Lehre zu bekennen. Das Konfliktpotential, das aus dem gleichzeitigen Nebeneinander unterschiedlicher Rechtskreise und Machtansprüche auf engstem Raum entstand, konnte so gelöst oder zumindest entspannt werden. Das Erklärungspotential dieser These zeigt sich, wenn nach den Ursachen für die ausbleibende Reformation gefragt wird: Wo im Spätmittelalter die Rechtsautonomie derart gesteigert wurde, dass die kirchlichen Eingriffsmöglichkeiten bereits vor der Reformation auf ein Minimum verringert worden waren, waren die Bedingungen fur die Rezeption der Reformation erheblich ungünstiger als anderswo. Die Innerschweiz ist bisher der einzige Raum, wo dies empirisch belegt wurde. 116 Die Kommunalisierung verschonte auch die geistlichen Gerichte nicht, die als fremdes Herrschaftsinstrument dem kommunalen Verband eingepflanzt waren. Indem die Gemeinden Satzungen erließen, die mit den geistlichen konkurrierten und in der Praxis bewirkten, dass die Kompetenzen des kirchlichen Gerichts begrenzt wurden, verfolgten sie eine doppelte Strategie. Einerseits sollte die eigene rechtliche Autonomie ausgedehnt und andererseits die Sicherheit des Heils, der reibungslose Ablauf der cura animarum, gewährleistet werden. 117 Systematische Untersuchungen, die sich ausschließlich dem Problem sich ergänzender, auch konkurrierender weltlicher und geistlicher Normen und Ansprüche zuwenden oder die Frage nach der konkreten Anwendung und den Folgen sich überlappender Zuständigkeitsbereiche im täglichen Leben stellen, liegen fur die Eidgenossenschaft und für einzelne Städte vor. 118 Obwohl der Konflikt von Ort zu 115 116

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Ders., Gemeindereformation, 165-204. Das Zitat aus. P. Blickle, Kommunalismus, 8. P. Blickle, Antiklerikalismus. Ders., Innerschweiz, 38: „Die Gemeinden hatten aus eigener Kraft die Kirche so organisiert, dass sie ihren Frömmigkeitsvorstellungen und religiösen Bedürfnissen entsprach, und sie hatten es, soweit ihre Macht reichte, der Amtskirche nicht erlaubt, sich von ihren eigentlichen Aufgaben für die Gläubigen, der cura animarum, zu weit zu entfernen." „Wenn die Gemeinde Satzungen gegen das geistliche Gericht erlässt," formuliert Blickle mit Blick auf die bäuerlichen Gemeinden der 20er Jahre des 16. Jahrhunderts, „so nicht nur, um die kommunale Autonomie in jurisdiktioneller Hinsicht zu steigern, sondern auch um Bann und Interdikt vom Dorf und seinen Mitgliedern fernzuhalten." P. Blickle, Bauern, 19. Der Satz kann geradlinig auf städtische Verhältnisse des 15. Jahrhunderts übertragen werden. Das Thema wird selbstredend in jedem Buch zur Stadtgeschichte zumindest mit einem Satz gestreift. Aber es fehlen differenzierte Analysen unter vergleichenden Gesichtspunkten. Interessante Ansätze mit voneinander abweichenden Ergebnissen bei: Rolf Kießling, Bürgerliche Gesellschaft und Kirche in Augsburg im Spätmittelalter. Ein Beitrag zur Strukturanalyse der oberdeutschen Reichsstadt (Abhandlungen zur Geschichte der Stadt Augsburg, 19), Augsburg 1971, 70-98. „Die reale Macht der

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Ort mit unterschiedlicher Heftigkeit ausgetragen wurde, können die Ergebnisse verallgemeinert werden. Denn die Konfliktlinien waren überall grundsätzlich dieselben. Allenfalls sind zeitliche Verschiebungen bei der Festsetzung entsprechender Satzungen oder Geltendmachung der Ansprüche zu beobachten. Das Problem wurde für die Eidgenossenschaft anhand normativer Quellen hauptsächlich städtischer Herkunft untersucht. Hier spiegelt sich der Konflikt seit dem ersten Pfaffenbrief von 1370. 119 Spätestens bis zum Stanserverkommnis 1481 hatten sich die zwei Rechtsprinzipen durchgesetzt, dass in weltlichen Angelegenheiten keine Kirchengerichte angerufen werden durften und der Gerichtsort identisch mit dem Wohnort sein sollte (forum domicilii). Die zivilrechtliche Zuständigkeit der geistlichen Instanzen sei mit Ausnahme der Eheangelegenheiten fast vollständig durch die weltliche Obrigkeit beansprucht und das Gerichtsstandsprivileg der Kleriker weitgehend bestritten worden. 120 Vereinzelte in Reichsstädten durchgeführte Tiefenbohrungen, die aufgrund ihrer rechtlichen Stellung besonders befähigt waren, diesen Konflikt erfolgreich zu führen, ergaben ähnliche Resultate. Solche liegen vor für die Reichsstädte Zürich (Bistum Konstanz) und Colmar (Bistum Basel). 121 Die Landstadt Schaffhausen hingegen scheint die Kompetenzen des Konstanzer OfFizialats ohne Abstriche respektiert zu haben. 122 Zwei neuere Arbeiten gehen noch einen Schritt weiter. Ihre Autoren vertreten die These, dass weltliche Obrigkeiten auch die Ehegerichtsbarkeit des Konstanzer Offízialats bereits vor der Reformation einschränkten. Vor allem die Bestrafung der ungerechtfertigten Zuerkennungsklage habe dahin gewirkt, dass das Konsistorium an Anziehungskraft verloren habe. 123

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Bürgerschaft war groß genug," lautet sein Fazit, „in den Fällen, die ihr am Herzen lagen, eine Durchbrechung der Sonderrechte wenigstens zum Teil zu erlangen. Die volle Assimilation der Geistlichen und ihrer Bezirke gelang freilich nicht, dafür war ihre Macht zu bedeutend." Ebd., 98. Wolfram Heitzenröder, Reichsstädte und Kirche in der Wetterau. Der Einfluss des städtischen Rats auf die geistlichen Institute vor der Reformation (Studien zur Frankfurter Geschichte, 16), Frankfurt/M. 1982, bes. 130-159. Eine Aufwertung der städtischen gegenüber der geistlichen Jurisdiktion sei „nicht zuletzt gegen die Bürger selbst durchgesetzt" worden, die „um des eigenen Vorteils willen ihre Klagen rechtswidrig oft auch beim geistlichen Gericht vorbrachten"; ebd. 153. Der Pfaffenbrief von 1370 war ein Erlass der sechs eidgenössischen Orte, der sich in erster Linie gegen das geistliche Gericht in Konstanz richtete. F. Elsener, Pfaffenbrief. Elsener wertete insbesondere die einschlägigen Artikel aus Friedensverträgen, Städtebündnissen und Satzungen einzelner Städte und eidgenössischer Orte aus. F. Elsener, Pfaffenbrief, 172. Den strafrechtlichen Aspekt des Problems klammerte Elsener aus. A. Bauhofer, Zürich. H. Morf, Obrigkeit. D. Demandi, Konflikte. Demandt interessieren vor allem die Konflikte, die die spätmittelalterliche Stadt Colmar um die geistlichen Standesprivilegien führte. Die Verbürgerlichung des Klerus untersuchte auch Bernd Moeller vor allem für Straßburg und den süddeutschen Raum; vgl. B. Moeller, Kleriker, 195-224. Für Basel vgl. J. Stöcklin, Johann VI. von Venningen, bes. 55-82. R. Wackernagel, Geschichte II/2, 735-741. E. Rüedi, Gericht. Für die Innerschweiz im Besonderen vgl. P. Blickle, Innerschweiz, 36f. Für Konstanz Th.D. Albert, Anspruch [im Druck], Vgl. ergänzend auch Th. M. Safley, Canon Law, 189-193.

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Das kirchliche Gerichtssystem

Geistliche Gerichtsbarkeit: Das war ein Netz kirchlicher Gerichte, eine institutionelle Landschaft mit einer von Diözese zu Diözese verschiedenen Topographie, 1 nicht zuletzt aber auch eine Seite der spätmittelalterlichen Medaille „Gerichtsbarkeit", deren andere ein weltliches Gesicht trug. Statische Merkmale beherrschen diese Beschreibung. Zu Unrecht. Der kirchliche Gerichtsapparat veränderte sich, langsam, für die meisten Zeitgenossen wohl unmerklich. Aber aus großer zeitlicher Distanz lassen sich Entwicklungen feststellen und sogar Bruchstellen markieren, zumindest auf das Jahrhundert genau. Das 12. und 13. Jahrhundert beispielsweise bedeutete fur das Kirchenrecht eine Weichenstellung, ähnlich wie für die europäische Agrarwirtschaft, die Verfassungs- und Bevölkerungsgeschichte. Personifiziert ist sie in Gratian, dem Sammler, Ordner und Kommentator kirchenrechtlicher Normen, dessen scholastisches Werk zum Pfeiler des Corpus iuris canonici wurde; dann aber auch in den Juristen auf dem Papststuhl, in Gregor IX., Innozenz IV. oder Bonifaz VIII., um nur drei besonders wichtige Juristen zu nennen, die fur die Blütezeit der dekretalen Gesetzgebung verantwortlich waren. Institutionell faßbar wird der päpstliche Reformwille in der Delegation der richterlichen Gewalt zum Beispiel, in den Konservatorialgerichten oder im Gesandtschaftswesen. Am offensichtlichsten jedoch in den bischöflichen Oflfizialaten, die seit Mitte des 13. Jahrhunderts errichtet wurden. Sie setzten sich zuerst neben die archidiakonalen Gerichte, traten allmählich aber an ihre Stelle, ohne sie ganz verdrängen zu wollen noch zu können. Als zweite Umbruchszeit ist das 16. Jahrhundert zu nennen. Wo sich die Reformation durchsetzen konnte, kleidete sich das Kirchenrecht zuerst in ein protestantisches Gewand, um an unter weltlicher Aufsicht stehenden Gerichten angewendet zu werden, 2 bildete sich dann aber selbstständig fort, da die tragenden theologischen Prämissen wegfielen. In den altgläubig gebliebenen Gebieten verstärkte das Konzil von Trient die spätmittelalterlichen Anstrengungen, das kirchliche Gerichtswesen zu zentralisieren und zu hierarchisieren. Aber langsam, der Reihe nach. Begonnen wird mit der jurisdiktioneilen Zuständigkeit, das heißt mit dem Anspruch darauf. 3 Er war zuerst da, gewohnheitsrechtlich und verschriftlicht. Dann werden die verschiedenen Gerichte vorgestellt, die ihn in die Praxis umsetzten. Die

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Ein hilfreiches Organigramm der Kirche als juristischer Einheit, angefangen beim Papst bis zur Laiengemeinde, findet sich bei H J. Berman, Recht, 348f. Den zur Zeit besten Überblick bietet R H. Helmholz (Hg.), Canon Law. W. Trusen, Gerichtsbarkeit, 483-487; W M. Plöchl, Geschichte II, 171ff., 267-297, 305-354. Aufgrund der Quellenangaben immer noch wichtig P. Hinschius, Kirchenrecht V. Einen hervorragenden Überblick über die Entstehungsbedingungen des kanonischen Rechts gibt H.J. Berman, Recht, 85-435.

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Kompetenzen geistlicher Gerichte werden nur soweit beschrieben, als es das Verständnis der nachfolgenden Kapitel über die Rechtsprechung erfordert. Eingehender wird dann der Gerichtsapparat vorgestellt, und zwar das gesamte Netz sich ergänzender, unter Umständen aber auch konkurrierender kirchlicher Instanzen in den Diözesen Basel, Konstanz und Chur.

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I.

Normativer Rahmen

1.

Personelle Zuständigkeit

Die Kirche war ein Verband, dessen Mitglieder sich dadurch auszeichneten, dass sie alle das Initiationsritual der Taufe durchlaufen hatten. Das Verbandsrecht, wenn dieser moderne Begriff erlaubt ist, erstreckte sich auf sämtliche Mitglieder. Doch gab es soziale Gruppen, deren Interesse zu schützen der Kirche eine besondere Pflicht war. Kirchliche Gerichte waren in erster Linie Standesgerichte. Die Geistlichen sowie auch die Angehörigen ihres Hauses, die Famiiiaren, beanspruchten das Privilegium fori. Wer Kleriker vor ein weltliches Gericht zog, wurde exkommuniziert. Das bestimmten päpstliche Gesetze seit dem 3. Laterankonzil (1179). Genau besehen war dieses Privileg aber nicht nur ein Recht, sondern auch eine Pflicht. Es war den Priestern verboten, darauf zu verzichten. Ausnahmen waren für lehensrechtliche Fälle vorgesehen. Auch über die sogenannten personae miserabiles - nicht zu verwechseln mit den pauperes,4 sondern die Witwen, Waisen und Armen - breitete die Kirche ihren rechtlichen Schutzmantel aus. Das Wort „Schutz" ist, wie zum Beispiel aus den Konstanzer Gerichtsstatuten hervorgeht, auch so zu verstehen, dass der Richter den Prozess auf dem billigsten Weg zu entscheiden hatte. 5 Zwei weitere Personengruppen, die in den Genuss des kirchlichen Rechtsschutzes kommen konnten, waren die im Fernhandel tätigen Kaufleute sowie in manchen Erzdiözesen wie Mainz beispielsweise die Juden, obwohl diese nicht getauft waren. Sie waren besonderen Gefahren ausgesetzt, vor denen die Kirchengerichte sie aus christlicher Nächstenliebe zu schützen verpflichtet waren. 6

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K. Bosl, Potens. Der mittelalterliche Quellenbegriff pauper hebt in erster Linie auf die „politische Armut", auf den Mangel an herrschaftlichen Rechten ab, weniger aber auf die ökonomische Lage. Zum Begriffspaar vgl. zuletzt Otto G. Oexle, Potens und Pauper im Frühmittelalter, in: W. Harms K. Speckenbach (Hgg ), Bildhafte Rede in Mittelalter und früher Neuzeit, Tübingen 1992, 131-149. Th. Gottlob (Hg.), Gerichts- und Kanzleiordnung, 199: Item statuimus, quod in paruis, leuibus et vilibus causis scilicet infra duas libras Hallensis usualis monete vel eius extimacione, vel si levis, vilis persona existât, puta pauper rusticus agricola aliasque miserabilis persona in discrecione rationabilis iudicis relinquatur, an summarie sit procedendum sine libello et causa breuitatis partes poterum facere deponere, prout hactenus in paruis causis fieri est consuetum. Vgl. auch ebd., 204 (Art.2 ) und 205 (Art. 4). Zum summarischen Prozess vgl. § 2 II.,2.2.1. Wilhelm Güde, Die rechtliche Stellung der Juden in den Schriften deutscher Juristen des 16. und 17. Jahrhunderts, Sigmaringen 1981, 27-30.

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2.

Streitige Gerichtsbarkeit (jurisdictio contentiosa)

2.1

Geistliche Angelegenheiten (causae spirituales)

Zu den rein geistlichen und geistlich-weltlich gemischten Dingen wurden sämtliche Angelegenheiten gezählt, die direkt oder indirekt die sakramentale Ordnung berührten: Die Rechtsgültigkeit von Ehen, Fragen im Zusammenhang mit Gelübden, Streitigkeiten um Benefizien, Testamenten oder kirchlichen Abgaben. Da sich die kirchlichen Richter überwiegend mit Ehefallen befassten, werden die normativen Grundlagen dieses Bereichs ausfuhrlich behandelt. Als Eherichter griffen die kirchlichen Juristen in einen sozialen Bereich ein, der für die Reproduktion der gesellschaftlichen Ordnung zentral war. Die Ehe war nicht nur der einzige Weg, sich legitime Nachkommen zu verschaffen und das Überleben des Familienverbandes zu gewährleisten.7 Auch die gesellschaftliche Stellung, sowohl die eigene Ehre8 als auch diejenige der Familie hing von der Ehe ab - es sei denn, dass man sich dem geistlichen Stand anschloss. „Unehelich" und „unehrlich" waren fast austauschbare Begriffe.9 Ebenso belangvoll war die Frage der rechtmäßigen Ehe dort, wo es um Dotal- und Erbansprüche ging, wo also nachgewiesen werden musste, dass tatsächlich eine rechtsgültige Ehe geschlossen beziehungsweise eine Person legitim geboren worden war. Martin Luther erklärte die Ehe für „ein eusserlich weltlich ding" und brach damit mit der theologisch-juristischen Tradition, die spätestens seit Peter Lombards Sentenzenkommentar die Ehe zu den Sakramenten rechnete.10 Bis zur Reformation war die Ehe ein geistlicher Stand. Und die ekklesiologischen Verhältnisse waren derart konstruiert, dass die Kirche die Aufgabe übernehmen musste, in Zweifelsfallen zu entscheiden, ob eine Ehe gültig geschlossen worden war oder nicht. Sie verpflichtete sich selbst, als Garantin für das sakramentale Rechtsverhältnis einzustehen.

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Vgl. dazu den von Ludwig Schmugge herausgegebenen Sammelband „Illegitimität im Spätmittelalter" und darin insbesondere den Aufsatz von Knut Schulz, Die Norm der Ehelichkeit im Zunft- und Bürgerrecht spätmittelalterlicher Städte, in: L. Schmugge (Hg.), Illegitimität im Spätmittelater (Schriften des Historischen Kollegs München, Kolloquien 29), München 1994, 67-83. Das Thema „Kirchlichliche Eherechtsprechung und weibliche Ehre" wurde vor allem für die nachreformatorische Zeit bearbeitet. Vgl. z.B. die Arbeiten von Sandra Cavallo - Simona Cerutti, Female Honor and the Social Control of Reproduction in Piémont between 1600 and 1800, jetzt in: E. Muir, G. Ruggiero (Hgg), Sex and Gender in Historical Perspective, Baltimore-London 1990, 73-109; L. Roper, Household. S. Burghartz, Jungfräulichkeit. Dass sich das Problem aber bereits vor der Reformation stellte, dürfte klar sein. Der Wortgebrauch des Basler OfFizials zeigt das. Er entschied in einem Legitimationsprozess, dass die „ewirtin unerlich geborn und durch solichs, das ir vatter ir muter darnach zu der ee genommen und zu kilchen gefurt hett, nit elich worden" sei; StABS: Gerichtsarchiv AA 1, 873f. M. Luther, Von Ehesachen, 205.

Was aber war rechtens? Die Juristen diskutierten zwei verschiedene Antworten. Das von Gratian in Bologna und seinem Schülerkreis vertretene germanische Kopulations- und das römisch-rechtliche, in Paris gelehrte Konsensprinzip. Die wichtigsten Kanonisten, allen voran Peter Lombard argumentierten für das letztere. Das kanonische Recht, wie es zwischen dem 12.-13. Jahrhundert allmählich sich herausgebildet und verfestigt hatte, legte fest, dass die Eheschließung nicht an bestimmte, notwendigerweise einzuhaltende formale Regeln gebunden war.11 Bis zum Tridentinum genügte der beidseitige formlose Konsens - das sogenannte sponsalium per verba de presenti - der ehewilligen Personen. Grundsätzlich waren dafür weder Zeugen noch das Einverständnis des Vormunds notwendig. Der Ort, wo die gegenseitige Einwilligung gegeben wurde, spielte ebensowenig eine Rolle wie die Aufnahme sexueller Beziehungen.12 Bezweifelte etwa jemand, dass Maria und Josef ehelich zusammenlebten, bloß weil sie jungfräulich geboren hatte?13 Die Kirche schränkte diese Freizügigkeit ein, nämlich durch die Ehehindernisse. Zudem bekämpfte sie seit dem 4. Laterankonzil (1215) die heimliche Ehe (matrimonium clandestinum), um Ehen im verbotenen Verwandtschaftsgrad zu verhindern. In der Lehre war die Zahl der Ehehindernisse so verwirrend groß, wie es in der Praxis schwierig war, sie nachzuweisen - allein für das Hindernis der geistlichen Verwandtschaft rechneten die Kanonisten mit 21 Möglichkeiten.14 In der Praxis waren vor allem sieben Hindernisse von Bedeutung:15 Die Blutsver11

Den besten Überblick über die kirchenrechtliche Entwicklung bietet J A. Brundage, Law, 229-575. Knapp Rudolf Weigand, Die Durchsetzung des Konsensprinzips im kirchlichen Eherecht, in: Österreichisches Archiv für Kirchenrecht 38 (1989), 301-314 [zitiert nach: R. Weigand, Liebe und Ehe im Mittelalter (Bibliotheca Eruditorum, 7), Goldbach 1993, 141-154. - Neuerdings wird mit gewichtigen Argumenten die These vertreten, dass nördlich der Alpen das Konsensprinzip sich unabhängig vom Kirchenrecht entwickelt habe. Vor allem die zunehmende soziale Mobilität habe zu seiner Entstehung und Ausbreitung beigetragen. Die Verbreitung der formlosen Ehe sei einer der Gründe fur die kanonistische Anerkennung des bloßen Konsenses gewesen. So K. Michaelis, Eherecht, 33ff.

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Der Geschlechtsverkehr verlor aber nicht jegliche Bedeutung fur die Eheschließung. Die Lehre unterschied zwei Typen von Ehe versprechen: das erwähnte sponsalium de presentì vom sponsalium per verba de futuro. Während die Ehe im ersten Fall nach Austausch des Versprechens sofort rechtsgültig war, wurde dies im zweiten Fall in die Zukunft verschoben. Schliefen die beiden Personen jedoch miteinander, so galt dies als Indiz für die Ehe. Der rechtstechnische Begriff fur diese Konstruktion hieß matrimonium praesumptum. Ausführlich dazu Joannes Mullenders, Le manage présumé (Analecta Gregoriana, B/30), bes. 61-70. Zur Bedeutung des Geschlechtsverkehrs für die gültige Eheschließung vgl. auch J. A. Brundage, Impotence. Die Marienehe war ein wichtiges Argument der (Früh-)Scholastiker gegen das Kopulationsprinzip, wonach der Geschlechtsakt die Ehe begründe. Penny S. Gold, The Marriage of Mary and Joseph in the Twelfth-Century. Ideology of Marriage, in: V. L. Bullough - J. A. Brundage (Hgg.), Sexual Practice and the Medieval Church, Buffalo 1982, 102-117. W M. Plöchl, Geschichte II, 270-287. J. Β. Sägmüller, Lehrbuch des katholischen Kirchenrechts II, Freiburg/Br. 3 1909, 135-203. - Bis zum Abschluss des Codex Juris Canonici (1917) gab es überhaupt keine einheitliche Zählung der trennenden Ehehindemisse. Diese Aussage stützt sich sowohl auf die eigene Untersuchung als auch auf die Literatur. Einen vergleichenden Überblick über die westeuropäische Rechtsprechung kirchlicher Gerichte bei R. Weigand, Ehegerichtsbarkeit, 324-335.

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wandtschaft (consanguinitas), wonach die Heirat zwischen Personen verboten war, die bis zum 4. Grad der Blutsverwandtschaft miteinander verwandt waren; die Schwägerschaft {affinitas), die durch den vorehelichen Geschlechtsverkehr einer (oder beider) zur Ehe bereiten Person mit einer mit dem potentiellen Ehepartner im Grad der geistlichen- oder Blutsverwandtschaft verbundenen Person gegeben war; die geistliche Verwandtschaft (cognatio spiritualis), die zwischen Personen bestand, die von derselben Person getauft oder gefirmt worden waren; das Hindernis der erzwungenen Ehe (vis et metus), da sie des Konsenses entbehrte; die Impotenz, die die Verwirklichung des wichtigsten Ehezwecks, nämlich die Zeugung von Kindern verhinderte; das Hindernis der Minderjährigkeit (minorennitas), wobei in der Praxis nicht das Alter, sondern die Geschlechtsreife das ausschlaggebende Kriterium bildete;16 und schließlich das Hindernis der bereits bestehenden Ehe (impedimentum ligaminis, matrimonium precontractum).17 Die Folgen eines Ehehindernisses für eine bereits geschlossene Ehe waren je nach Art unterschiedlich. Während die physischen Hindernisse nicht unbedingt einen Trennungsgrund der Partner bildeten,18 galt in den übrigen hier vorgestellten Fällen, dass die Eheschließung rechtsungültig war. Fälle von Doppelehen kamen vor allem dann vor Gericht, wenn jemand heiratete, dessen Gatte oder Gattin vermisst wurde.19 Die Richter tolerierten solche Verbindungen in der Regel, obwohl nicht immer gewiss war, ob der erste Ehepartner oder die erste Ehepartnerin gestorben war. Jedoch untersagten sie die kirchliche Einsegnung, bis die Parteien diesen Nachweis erbracht hatten. Die synodale Gesetzgebung, die Ritualien oder spezielle Mandate waren im 14. und 15. Jahrhundert die Medien, dekretalenrechtliche Normen in den einzelnen Bistümern zu verbreiten und durchzusetzen.20 Was die Ehe betrifft, so lassen sich ihre Forderungen in folgenden Punkten zusammenfassen. Die bischöflichen Gerichte beanspruchten, für Eheangelegenheiten allein zuständig zu sein. Dieser Monopolanspruch richtete sich nicht nur gegen die Archidiakone, sondern auch gegen das forum internum der Pfarrer. Die Bischöfe forderten sie auf, sämtliche Fälle an den Chorrichter weiterzuleiten.21 Die auf dem 4. Laterankonzil festgelegten Be16 17

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Seit Gratian galt, dass niemand vor dem siebten Altersjahr verheiratet werden durfte. Die neuste Arbeit dazu von Marie-Ange Valazza Tricarico, L'officialité de Genève et quelques cas de bigamie à la fin du Moyen Age: l'empêchement de lien, in: ZSKG 89 (1995), 99-118. J. A. Brundage, Impotence, 407-423. - Die Ehescheidung im heutigen Sinn war in der Kanonistik bekanntlich nicht denkbar, da das sakramentale Band der Ehe ein Gottesgeschenk war und von irdischen Gewalten nicht durchschnitten werden konnte. Bis zur Reformation meint der Begriff „Scheidung" die Trennung von Tisch und Bett (separatio quo ad thorum, mensam et mutuo servitutem), nicht die Scheidung ab vinculo. Ob es um 1500 noch Vielehen gab und eine der Ehefrauen das Gericht aufsuchte, um sich als prima inter pares bestätigen zu lassen, ist unklar. Vgl. zuletzt K. Maier, Diözesansynoden, 55. Zum Folgenden vgl. für Basel die Synodalstatuten von 1503 in: J. Hartzheim - J.F. Schannat (Hgg.), Concilia Germaniae VI, 2-29, hier 15. Für Chur: H. Bissig, Rituale, 259-263, 271-282, 300-308. Für

Stimmungen - Verbot heimlicher Ehen, dreimalige Verkündigung der Ehe durch den Pfarrer, um Ehehindernisse rechtzeitig zu erfahren - tauchen in fast allen Synodalstatuten zum Teil wörtlich auf. Priester hatten diejenigen, die sich in aller Heimlichkeit ehelich verbanden, zu ermahnen, die Ehe innerhalb einer bestimmten Frist kirchlich segnen zu lassen, andernfalls drohte der Bann. Das diözesane Recht sah auch die automatische Exkommunikation für Personen vor, die wissentlich in einem verbotenen Grad der Blutsverwandtschaft oder Schwägerschaft heirateten.22

2.2

Weltlich-geistlich gemischte Sachen (causae spiritualibus

annexae)

Neben der Ehe gab es noch weitere Rechtsbereiche, für die sich kirchliche Gerichte zuständig erklärten. Einschränkend wirkte aber ein Entscheid des Papstes Innozenz III., wonach ein Laie einen anderen Laien in einer Zivilsache nicht vor dem geistlichen Richter verklagen dürfe, es sei denn, die Gewohnheit erlaube es, oder das weltliche Gericht verweigere das Recht. 23 Streitigkeiten, die entstanden, weil jemand einen eidlich bekräftigten Rechtsakt nicht einhielt oder einen Vertrag brach, der das Siegel einer kirchlichen Kanzlei trug, konnten - mussten aber nicht - von einem kirchlichen Richter entschieden werden.

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Konstanz die Synodalstatuten von 1435 und 1438 bei K. Brehm (Hg ), Diözesansynoden, 23 (1905), 61f., 93f., 142; diejenigen von 1463, 1483 und 1492 in: J. Hartzheim - J.F. Schannat (Hgg), Concilia Germaniae V, 449-470, hier 465, 545-567, hier 550f., 561, 566, 659ff. Die litaneienhafte Wiederholung deutet nicht zwingend daraufhin, dass die Gläubigen nicht nach den Geboten lebten. In der Regel übernahm der Bischof den größten Teil der Statuten von seinem Vorgänger; K. Maier, Diözesansynoden, 55. Für das Bistum Chur lässt sich das beispielhaft zeigen, wo Bischof Heinrich von Hewen (1491-1505) versuchte, die kirchlichen Ehenormen mit Hilfe der Dorfgeistlichen durchzusetzen. Vgl. dazu H. Bissig, Rituale, 23f., 260ff., 302f. - Was an den Churer Synodalstatuten Eigengut ist, findet sich bei J. G. Mayer, Synodalstatuten, 198-202. Bischof Heinrich VI. versuchte nicht nur, die kirchlichen Vorschriften durch stete Wiederholung in die Praxis umzusetzen. Etwa 1495 bat er den Papst um das Privileg, Personen, die unwissentlich im dritten oder vierten Grad der Verwandtschaft (Blutsverwandtschaft und Schwägerschaft) miteinander die Ehe geschlossen hatten, dispensieren, von der deshalb verhängten Zensur lossprechen sowie die in solchen Ehen gezeugten Kinder fur ehelich erklären zu dürfen. In seiner gebirgigen und waldreichen Diözese, begründete der Bischof die Eingabe, wohnten viele Unwissende und Gesetzesunkundige. Zwar hätten er und sein Offizial öffentlich verkünden lassen, dass solche Ehen nicht eingegangen werden dürfen. Aber das ahbe bis jetzt keinen Erfolg gebracht. Die Ehepartner blieben dennoch beisammen, weil sie zu arm seien, um an der römischen Kurie um eine Dispens nachzusuchen. Solche Ehen sollte man doch besser bestehen lassen als sie zu trennen, insbesondere wegen des durch die Trennung entstehenden Ärgernisses, vor allem aber wegen der Schmach, die den Frauen dadurch unausweichlich ihr ganzes Leben anhaften würde. Die Eingabe ist ediert bei O. Vasella, Untersuchungen, Beilagen II., 183f. Vgl. auch Ders., Bauerntum 51f. CIC: X 2.2.10. P. Kirn, Staat, 173. W. Trusen, Gerichtsbarkeit, 487.

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Die Prorogation war ein weiterer Kompetenzgrund. Darunter wird der freiwillige Entscheid der Parteien verstanden, sich in einem Streit an eine kirchliche statt an eine weltliche Instanz zu wenden Ein dritter Grund war die Rechtsverweigerung oder allgemein: der Defekt des weltlichen Gerichts (iustitia degenata). Subsidiär trat das kirchliche an seine Stelle.

3.

Straf- und Bußrecht {jurisdictio criminalis)

3.1

Verbrechen und Vergehen

Das kirchliche Strafrecht baut auf der Sünde auf. Seine Grundlage ist eine theologische. Zwar ist nicht jede Sünde ein Verbrechen, aber jedes Verbrechen ist eine Sünde. Nur dasjenige peccatum, das äußerlich vollzogen wurde und ein öffentliches Ärgernis darstellt, ist auch ein zu bestrafendes crimen 24 Diese Verschränkung von innerweltlicher Tat mit der religiösen Welt, dem Seelenheil, ist für das Verständnis der kirchlichen Strafen von zentraler Bedeutung. Denn in diesem Zusammenhang ist die Strafe immer auch eine Bußübung. Welche Straftatbestände ahndeten die kirchlichen Richter? Der Begriff „Straftatbestand" stammt aus der modernen Strafrechtslehre. Ihn auf das Mittelalter zu übertragen, ist auch dann problematisch, wenn es sich um das - aus heutiger Sicht betrachtet - moderaste damalige Recht handelt. Denn eine präzise, allgemeingültige Definition, was eine strafbare Handlung sei, gab es erst behelfsmäßig in Form von Schulmeinungen, die sich im Lauf der Zeit aber selber wiederum ändern konnten. Auch dort also, wo die Kanonisten Straftatbestände definierten, können sie nicht ohne weiteres Allgemeingültigkeit für die gesamte Christenheit während des ganzen Spätmittelalters beanspruchen.25 „Straftatbestand" soll hier als Arbeitsbegriff verwendet werden, der nur anzeigt, dass es sich um ein zu bestrafendes Vergehen handelt. Auf die im Einzelfall unterschiedliche Gewichtung definitorischen Elemente, wird nicht eingegangen, da dies umfassende Kenntnis

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Eine Dekretale Innozenz III. setzte fest, dass der kirchliche Richter mit dem Argument, es handle sich um eine sündhafte Tat, jeden Täter vor sein Forum ziehen konnte. Im strafrechtlichen Bereich war der jurisdiktionelle Anspruch der Kirche theoretisch allumfassend. Erhellend ist unter diesem Aspekt der Index im chronologisch aufgebauten Buch von J. A. Brundage, Law, zu lesen. Die Seitenzahlen für die Straftatbestände wie z.B. „Adultery", „Fornication" oder „Sodomy" verweisen auf die einzelnen Epochen, Entwicklungen, Strömungen, denen auch das Kirchenrecht nicht entfliehen konnte.

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des Studiengangs der in den drei untersuchten Diözesen tätigen Richter voraussetzt. 26 Die gängigen deutschen Lehrbücher des Kirchenrechts unterscheiden zwei Kategorien von Straftatbeständen: die eigentlichen und die uneigentlichen crimina ecclesiastica11 „Uneigentlich" meint, dass nicht allein kirchliche, sondern auch weltliche Richter solche Vergehen untersuchen und bestrafen durften. Das der kanonistischen Lehrtradition entlehnte Unterscheidungskriterium ist, ob die Delikte auch die weltliche Strafrechtsordnung berührten oder nicht. Das folgende Kapitel aber folgt einer anderen Systematik. Das Kriterium, das aus rechtssystematischen Gründen angebracht sein mag, erweist sich mindestens fur die Untersuchungszeit und den ausgewählten Raum als wacklig. Auch eigentliche kirchliche Straftatbestände wie zum Beispiel Bigamie, Ehebruch, Wucher oder Ketzerei wurden in weltliche Rechtsordnungen aufgenommen und ihre Verwirklichung von weltlichen Gerichten, insbesondere Stadtgerichten geahndet. 28 Im Folgenden wird nach Vergehen von Laien und Klerikern unterschieden. Die strafrechtlichen Delikte der Laien werden danach geordnet, ob es sich um Ehe- und Sexualdelikte, Gewalt- oder Verbalvergehen handelt. In einer dritten Kategorie finden die restlichen Straftaten gegen die christliche Ordnung Platz. Die von Geistlichen begangenen Verstöße werden getrennt in solche gegen die sittliche Lebensführung und solche gegen die Amtspflichten, wobei die erste Kategorie der Systematik der Laiendelikte folgt. Eine stattliche Zahl von Delikten, die der ersten Kategorie zuzuordnen sind, behandeln den verbotenen Geschlechtsverkehr. Die Zuständigkeit kirchlicher Gerichte, diese Vergehen zu bestrafen, leitete sich von der Konstruktion der Ehe als einem göttlich autorisierten Institut ab. Die Ahndung sexueller Vergehen diente primär ihrem Schutz und sollte eine der Folgen der Erbsünde, nämlich die Fleischeslust kanalisieren helfen. Prinzipiell galt jeder außereheliche Geschlechtsverkehr als Sünde und innerhalb der Ehe jede sexuelle Praktik, die die Zeugung von Nachkommen verhinderte. Die wichtigsten Straftatbestände waren die Vergewaltigung (stuprum), sowohl vom Mann als auch von der Frau begangener Ehebruch (iadulterium), die Unzucht (fomicatio),29 die Defloration, die zumeist unter dem 26

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Prosopographische Angaben der einzelnen Richter mit Angaben zu ihrem Studiengang finden sich bei W.D. Wackemagel, Offiziale, 244-255; B. Ottnad, Offiziale, 581-606, und O.P. Clavadetscher - W. Kundert, Generalvikariat, 514-521. W.M. Plöchl, Geschichte II, 337. E. Eichmann, recursus, 14. Welche Vergehen die eigentlichen kirchlichen Delikte sind, geht aus der Literatur nicht immer deutlich hervor. Der einschlägige Artikel in CIC: VI 2.12.2. Für die Stadt vgl. E. Isenmann, Stadt, 162-166. J. A. Brundage, Sex, 247-251, 294f„ 303-308, 380-389, 459-463 [481 Anm. 317!], 517-521. Vgl. wegen der Belege auch die ältere Übersicht von N. München, Gerichtsverfahren II, 429-456. Terminologische Schwierigkeiten bieten die beiden in der Kanonistik je nach Schule und Zeit unterschiedlich aufgefüllten Begriffe „Ehebruch" und „Unzucht". Während der erste nur den außerehelichen Sex ver-

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Vorwand einer späteren Heirat erfolgte,30 sowie die Sünden wider die Natur, also die sodomitischen Fälle.31 Ein weiteres zu dieser Kategorie gehörende Delikt war die Bigamie. Gewalt- und Verbaldelikte sollen die zweite Kategorie bilden. Dazu zählen Vergehen wie zum Beispiel Körperverletzung, Beleidigung, Gotteslästerung oder Meineid. Die dritte Kategorie ist nicht auf den Begriff zu bringen, weil die Vergehen zu verschiedenartig sind. Sie reichen von der Münz- und Siegelfälschung über den falschen Glauben (Hexerei, Apostasie) bis zum Verstoß gegen das kirchliche Fastengebot. Die strafrechtlichen Delikte, die geistliche Personen begehen konnten, umfassten die Vergehen gegen die Standespflichten, die sowohl einen bestimmten Lebenswandel als auch die korrekte Erfüllung der übernommenen priesterlichen Aufgaben erforderten.32 Die schon bei den Laien erwähnten verbotenen sexuellen Handlungen wie Ehebruch oder Unzucht galten selbstredend auch für Kleriker. Zu diesen gesellte sich ein typisch klerikales Delikt, nämlich der Bruch des Zölibatsgebots, das Konkubinat. Worin der praktische Unterschied zwischen „Unzucht" und „Konkubinat" lag, ist nicht eindeutig zu sagen. Möglicherweise war der erste Tatbestand dann erfüllt, wenn der Priester mit derselben Frau einmal oder allenfalls wenige Male Geschlechtsverkehr hatte, während dieser beim zweiten Tatbestand oftmals vorkam. Weitere Vergehen, die sich nur Priester zu Schulden lassen kommen konnten, waren die weltlichen Vergnügungen. Würfel- und Kartenspiele waren ihnen ebenso verboten wie das Tanzen. Hingegen unterschieden sich die Gewalt- und Verbaldelikte, die Kleriker begehen konnten, zumindest formal in keiner Weise von denjenigen der Laien. Die möglichen Verletzungen der Amtspflichten seien nur erwähnt, ohne sie einzeln aufzulisten.

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heirateter Personen meint, schließt der zweite auch die sexuelle Beziehung unverheirateter Personen mit ein. Sofern es in Deflorationsfallen um die finanzielle Höhe der Entschädigung fur die Mitgift ging, handelte es sich jedoch um eine Zivilsache (causa spiritualibus annexae). Der Begriff „Sodomie" umfasste sämtliche sexuelle Praktiken, die zum vornherein die Zeugung von Nachkommen ausschlössen. P. Hinschius, Kirchenrecht V, 679-893.

3.2

Kirchliche Zensuren: Bann, Interdikt, Suspension

Die wichtigsten, weil schwerwiegendsten Strafen waren die kirchlichen Zensuren, das sind die Exkommunikation, auch Bann genannt, das Interdikt und die Suspension. Daneben kannte das Kirchenrecht auch andere Strafen sowohl geistlichen als auch weltlichen Charakters wie die Gefängnis- 33 und die Prügelstrafe oder - wenn auch nicht eindeutig gutgeheißen - die Geldbuße. 34 Hier wird nur auf die Zensuren eingegangen. Sie sind die eigentlichen kirchlichen Strafen und spielen in der Praxis eine besonders hervorragende Rolle. Da jedes Lehrbuch den Zensuren ein eigenes Kapitel widmet, kann darauf verzichtet werden, die Entwicklung der Strafen, ihr historischer und theologischer Hintergrund breit zu erörtern. 35 Für das Verständnis der Kapitel über die Rechtsprechung und über die Kritik an der kirchlichen Gerichtspraxis kommt es darauf an, die wichtigsten Begriffe einzuführen, die Straffolgen darzustellen sowie die mentale Disposition und den religiösen Hintergrund spätmittelalterlicher Christen zu beschreiben, ohne deren Kenntnis die Wirkung der Zensuren nicht abzuschätzen ist. Zuerst zum Bann und Interdikt. Sie waren die Strafen für die Laien, während die Suspension nur für geweihte Personen angewendet werden konnte. 36 Beide hatten kirchliche und weltliche Folgen. Die kirchliche bestand darin, die bestrafte Person oder Personengemeinschaft (Dorf, Stadt, Dekanat, Bistum etc.) aus der Gesamtheit der Gläubigen, dem Körper der Kirche, der sowohl die Lebenden als auch die Toten umfasste, auszuschließen. 37 Ob gleichzeitig das mit der Taufe erhaltene Recht auf Mitgliedschaft sowie die Pflichten, die dieses mit sich brachte, verloren gingen, beantwortete die Kanonistik nicht eindeutig. Entsprechend widersprüchlich sind die heutigen Ansichten. 38 Thomas von Aquin lehrte, dass die Exkommunikation 33

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F. Kober, Gefängnisstrafe. Kobers Arbeit beruht ausschließlich auf normativen Quellen von der Spätantike bis zu den hochmittelalterlichen Dekretalen, welche die Grundlage fur die tridentinischen Normen bildeten. Vgl. zuletzt die Hinweise bei F. Elsener, Justizreform, 80ff. Die dekretalenrechtlichen Normen schwankten zwischen Verbot und Billigung. Dazu F. Kober, Geldstrafen, bes. 40-51. Aus finanziellen Gründen konnte die Kirche auf die Einnahmen aus den Geldbußen nicht verzichten. P. Hinschius, Kirchenrecht V, 494-633. G. May, Bann, 170-182; Ders., Interdikt, 221-226. W M. Plöchl, Geschichte II, 329-354. Die Gerichtspraxis vermischte die Begriffe. Die Exkommunikation wurde - in Canterbury - auch Suspension oder - in Ostelbien - Interdikt genannt. E. Vodola, Excommunication, 42 Anm. 55. O. Dix, Interdikt, 87. Ausfuhrlich dazu E. Vodola, Excommunication, 44-70. G. May, Bann, 175: „Aber es ist nicht leicht zu sagen, worin konkret der Ausschluß besteht und welches seine Tragweite ist. Die Exkommunikation hat nach den Dekretisten wahrscheinlich nicht nur rechtliche oder disziplinare, sondern ontologische Wirkungen. Das bedeutet: Die Exkommunikation schließt aus der Gemeinschaft der Gläubigen aus, was Ausdruck [...] des Verlustes der Gnadengemeinschaft ist." Hingegen argumentiert Christoph Link, Bann. V. Reformation und Neuzeit, in: TRE 5, Berlin-New York 1980, 182-190, hier 182: „Der große Bann bedeutet den Verlust aller aus der Kirchenmitgliedschaft erwachsenden Rechte einschließlich der aktiven Rechtsfähigkeit, nicht aber den

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den Stand der Gnade nicht direkt berühre, sondern indirekt. Denn der bestraften Person werde die notwendige kirchliche Unterstützung entzogen, die es brauche, um den Gnadenstand zu erhalten.39 Johannes Eck vertrat 1533 in seiner gegen Luther gerichteten Schrift Enchiridion folgende, wie andere Belege zeigen repräsentative Meinung über die Wirksamkeit des Banns: „Auß disem allem erlernen wir wann ain mensch inn Bann thon würdt, so würdt er übergeben dem teüffel, würdt abgesündert vonn der Christlichen kirchen".40 Die Exkommunikation hatte also soteriologische Wirkimg insofern, als sie das Seelenheil gefährdete. Die wichtigste weltliche Folge des Banns war der Verlust der Rechtsfähigkeit. Eine exkommunizierte Person konnte weder am kirchlichen noch am weltlichen Gericht eine Rechtshandlung vollziehen lassen. Die Wirkung der Zensur hing auch von der Art des Banns ab. Die Juristen unterschieden je nach Straffolge zwischen dem kleinen und dem großen Bann.41 Wer mit dem kleinen Bann bestraft wurde, durfte keine Sakramente empfangen. Der Exkommunizierte musste dem Gottesdienst und der Abendmahlsgemeinschaft fern bleiben. Starb jemand im Bann, bevor der Priester ihm die Absolution erteilen konnte, durfte er nicht auf dem Friedhof beerdigt werden. Sein Platz war die ungeweihte Erde.42 Der große Bann bewirkte zusätzlich, dass die Bevölkerung die bestrafte Person meiden musste oder nur noch eingeschränkt mit ihr verkehren durfte.43 Sie war wie eine Aussätzige zu meiden und wer trotzdem mit ihr Umgang pflegte, steckte sich mit der excommunicatio minor an.44

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Entzug der Mitgliedschaft selbst. Gerade der Charakter des Bannes als Medizinalstrafe ist mit einer 'Austoßung aus der Kirche' unvereinbar." Das Zitat bei E. Vodola, Excommunication, 43 Anm. 59. Johannes Eck, Enchiridion. Handbiichlin gemainer stell unnd Artickel der jetzt schwebenden Neuwen leeren. Faksimile-Druck der Ausgabe Augsburg 1533, hg. v. E. Iserloh, Münster 1980, 64. Den gleichen Standpunkt vertrat der Täufer Balthasar Hubmaier in mehreren seiner Schriften, unter anderem im 1526/27 gedruckten Text „Ein Christennliche Leertafel"; Balthasar Hubmaier, Schriften (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte, 29), hg. von G. Westin - T. Bergsten, Gütersloh 1962, 306-326, hier 316. Hoch- und spätscholastische Belege bei E. Vodola, Excommunication, 42-45. Das Anathem ist keine eigentliche, allenfalls eine symbolische Verschärfung des Banns. Der Begriff bezeichnet die zeremonielle Form, womit der Bann verkündet wurde. Die Zeremonien konnten je nach Diözese verschieden sein, enthielten aber folgende unverzichtbare Elemente: Die Verkündigung der Exkommunikation fand in der Kirche statt, wo die Geistlichen alle Kerzen angezündet hatten und die Glocken läuteten. Unter Absprechen und Absingen bestimmter Formeln und Wechselgesänge wurde das Anathem, der Bannfluch (v. a. Deuteronomium 28, 15ff., Psalm 109) verkündet. Um die Verhängung des Banns sichtbar zu machen, löschte man die Lichter, bedeckte oder entfernte den Kirchenschmuck, und die Glocken verstummten. Die Kirche war desakralisiert. Vgl. F. Kober, Kirchenbann, 194-202; Hinrich Siuts, Bann und Acht und ihre Grundlagen im Totenglauben (Schriften zur Volksforschung, 1), Berlin 1959, bes. 80-102. Weitere Differenzierungen bei E. Vodola, Excommunication, 45f. Auf dem Karthäuser Friedhof in Basel zum Beispiel befand sich ein ungeweihter Winkel, wo man die Exkommunizierten beerdigte; R. Wackernagel, Geschichte II/2, 775 (Anmerkungsteil). G. May, Bann, 183f. R H. Helmholz, Excommunication, 21 If. Treffend verglich ein geistlicher Richter des Generalgerichts zu Erfurt die Exkommunikation mit der Lepra: excommunicatio concomitatur excommunicatum sicut lepra leprosum. Das Zitat bei G. May,

Je nach Vergehen kannte das Kirchenrecht zwei verschiedene Verfahren, eine Person zu bannen. Die eine Form war die automatisch erfolgende Exkommunikation. Sie trat ein, wenn jemand eine bestimmte Tat beging, einen Priester tätlich angriff zum Beispiel oder die Ehe schloss, obwohl ihm bekannt war, dass ein Ehehindernis vorlag.45 Der kirchliche Richter untersuchte allenfalls im Nachhinein, ob die Person tatsächlich eo ipso exkommuniziert war und sich zu absolvieren hatte. Die zweite Art, eine Person zu bannen, bestand darin, sie zuerst zu mahnen und zu warnen, von einer bestimmten Handlung abzusehen oder sie zu beenden.46 Die Strafbarkeit bezog sich dann nur indirekt auf diese Handlung selbst, direkt aber auf die Unverbesserlichkeit und Starrköpfigkeit der Person, ihre Kontumaz. Das Interdikt war eine Weiterentwicklung der Exkommunikation. Sowohl einzelne Personen als auch ganze Gebiete konnten interdiziert werden.47 Das christliche Leben kam dadurch vollständig zum Erliegen. Die Kirchen blieben geschlossen, die Glocken schwiegen.48 Das Interdikt war seiner Natur nach eine Kollektivstrafe, die auch Unschuldige treffen konnte. Das mögliche Missverhältnis zwischen Tat und Strafe erkannten die Juristen bereits im 14. Jahrhundert als Problem und versuchten, es zu beheben. Wegen Geldschulden beispielsweise durfte niemand interdiziert werden;49 Geistliche sollten während eines Interdikts hinter verschlossenen Türen Gottesdienst feiern dürfen, an den wichtigsten kirchlichen Feiertagen sogar öffentlich, jedoch unter Ausschluss der Exkommunizierten.50

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Gerichtsbarkeit, 214 Anm. 35. Mittelalterliche Kanonisten verglichen Exkommunizierte gerne mit kranken Tieren und sprachen ihnen damit die menschlichen Eigenschaften ab. Vgl. E. Vodola, Excommunication, 46f. Die Zahl der Straftatbestande, deren Verwirklichung eine sententia lata ferenda nach sich zogen, nahm im Spätmittelalter stark zu; G. May, Bann, 179. Weiterführende Quellenhinweise bei E. Vodola, Excommunication, 34f. - Nach W.M. Plöchl, Geschichte II, 337, gehörte auch die Nichterfüllung von Geldschulden zu den Vergehen, die eine automatische Exkommunikation nach sich zogen. In dieser Eindeutigkeit ist das nicht ganz richtig, wie die Diskussion unter einflussreichen Kanonisten des 13./14. Jahrhunderts zeigt. Da die Exkommunikation eine Medizinalstrafe sei, lehrten sie, dürfe niemand exkommuniziert werden, weil er aufgrund seiner Armut die Schulden nicht bezahlen könne. Die Belege bei R.H. Helmholz, Excommunication, 207f. Die Warnung hatte entweder dreimal oder peremptorisch, d. h. eine für alle drei zu erfolgen und musste dem oder der Beschuldigten persönlich übermittelt werden. Die Lehre unterscheidet im Wesentlichen drei Interdiktsformen, das Lokal-, das Personal- und das gemischte Interdikt. Ich verzichte darauf, sie im Einzelnen vorzustellen, da die Gerichtsakten unterschiedslos von „Interdikt" sprechen. Vgl. W.M. Plöchl, Geschichte II, 349-352. In den Augen der mittelalterlichen Kanonisten war die cessatio a divinis keine Strafe, sondern ein verordnete Kirchentrauer. Bonifaz VIII. erließ 1302 als erster Papst ein entsprechendes Verbot; CIC: Extrav. comm. 5.10.2. Auch Synodalstatuten zitierten die Dekretale Provide attendentes, beispielsweise die Basler Statuen von 1503; J. Hartzheim - J.F. Schannat (Hgg ), Concilia Germaniae VI, 14. Die wichtigsten Feiertage, an denen die Folgen des Interdikts zeitweise aufgehoben wurden, waren: Ostern, Pfingsten, Fronleichnam, Maria Himmelfahrt und Weihnachten; G. May, Interdikt, 225. Laut den Synodalstatuten Peter von Aspelts von 1299 durften die Priester im Bistum Basel auch an Fronleichnam nicht öffentlich die Messe feiern; J. Trouillat (Hg ), Monuments II, Nr. 520, 681.

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Der Zweck der Zensuren war ein dreifacher. Der Täter sollte gebessert und die Gemeinschaft vor ihm geschützt werden. Bann und Interdikt waren aber immer auch Vergeltungsstrafen. 51 Um wieder in die Gemeinschaft aufgenommen zu werden, musste die bestrafte Person beweisen, dass sie sich gebessert hatte, zumindest dass der Wille dazu vorhanden war. Sie musste Reue zeigen. Die Instanz, die die Exkommunikation aussprach, war verpflichtet, reuige Personen von der Strafe loszusprechen. Absolutio hieß der juristische Begriff für die Lossprechung von der Exkommunikation, relaxatio für die Aufhebung des Interdikts. Die Absolutionsvollmacht konnte auch delegiert werden. Blieb eine exkommunizierte Person über Jahr und Tag im Bann, ohne eine Spur von Reue zu zeigen, sollte der weltliche Arm strafend eingreifen. Dem kirchlichen Bann folgte die weltliche Acht. Die Suspension schließlich war eine Strafe, die nur Geistliche direkt treffen konnte. Je nach Art war die Folge die Amtsenthebung (suspensio ab officio) oder der Entzug der Befugnis, Weihehandlungen zu vollziehen (suspensio a divinis). In beiden Fällen ist davon auszugehen, dass die bestraften Priester nicht sofort ersetzt wurden und also auch Laien betroffen waren. Die Suspension hatte somit ähnliche Folgen, wie wenn der Priester nicht am Ort residierte. Die Versorgung mit den Heilsgütern, die cura animarum, war erschwert, schlimmstenfalls unterbrochen. An diesem Strafsystem änderte sich grundsätzlich nichts mehr. Doch die Praxis des 14. und 15. Jahrhunderts, insbesondere die Häufung von Exkommunikationen und Interdikten während des Großen Schismas (1378-1417) deckte seine Schwächen auf. Vor allem zwei Probleme beschäftigten die Konzilsjuristen des 15. Jahrhunderts: Wie weit reichte das Verkehrsverbot des großen Banns? Und: In welchen Fällen durfte das Interdikt verhängt werden? Das Konzil von Konstanz, auf dem zahlreiche Stimmen die Einschränkimg des Banns forderten, entschied nichts. Der Papst selbst gewährte 1418 der deutschen Nation ein Indult (ad vitandam), das das Basler Konzil als allgemeines Gesetz bestätigte und das zu den am häufigsten rezipierten Synodaldekreten gehörte. 52 Das Indult schränkte das Verkehrsverbot insofern ein, als es nicht mehr für ipso facto eintretende Exkommunikationen galt, wenn diese nicht ausdrücklich festgestellt und öffentlich von der Kanzel verkündet worden waren. Davon ausgenommen waren die Fälle, in denen es sich um notorische Täter handelte. 53 Auf der Basler Synode wurde in diesem Zusammenhang zudem noch eine weitere Reform verabschiedet. Das Interdikt durfte nur dann über einen Ort verhängt werden, wenn die ganze Gemeinde gegen die christliche Ord51

Die Dekretalisten betonten, dass der Bann der seelischen Gesundung diene. Belege bei R.H. Helmholz, Excommunication, 207f. Doch im 15. Jahrhundert trat dieser Strafzweck hinter den Vergeltungsgedanken zurück. Erst seit dem 16. und 17. Jahrhundert sei die Idee der Medizinalstrafe stärker betont und endgültig in die Definition der kirchlichen Zensur aufgenommen worden. So Richard A. Strigi, Das Funktionsverhältnis zwischen kirchlicher Strafgewalt und Öffentlichkeit (Münchener Theologische Studien, III/21), München 1965, 111.

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J. Helmrath, Konzil, 346. G. May, Bann, 180f.

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nung verstoßen hatte. Hingegen sollte kein Richter einen Ort wegen der Tat eines Einzelnen interdizieren.54 Was hieß Verkehrsverbot im konkreten Fall? Wie ein Jurist das päpstliche Indult ad vitandam interpretierte, zeigt folgender Fall. Zwischen 1426-29 wurden die Appenzeller Gotteshausleute des Klosters St. Gallen mehrmals exkommuniziert und interdiziert, da sie ihrem geistlichen Herrn die Abgaben verweigerten, über mehrere Jahre hinweg im Bann verharrten, ohne reuig in den Schoß der Kirche zurückzukehren, und obendrein noch Priester erschlugen, die sich weigerten, ihnen die Sakramente zu spenden. 55 Die Folgen der Kirchenstrafen waren nicht nur für die Landleute, sondern auch für die Einwohner der ganz in der Nähe gelegenen Stadt St. Gallen schwerwiegend, da die wirtschaftlichen und rechtlichen Beziehungen sehr eng waren. Die verunsicherten Bürger fragten mehrmals beim Bischof von Augsburg als dem Exekutor des Bannmandats an, wie sie sich gegenüber ihren gebannten Nachbarn verhalten sollten, damit der Bannstrahl nicht auch sie treffe. Dessen Auskunft, dass niemand mit ihnen Gemeinschaft haben soll „weder mit essende, noch mit trinkende, mit kouffend und verkouffende noch mit dekainer ander gemainsamy", 56 war ihnen aber offenbar zu ungenau. Der Bischof beauftragte deshalb den Konstanzer Generalvikar, einen Katalog von Verhaltensweisen, der die Beziehungen mit den Appenzellem regelte. Das Rechtsgutachten griff ganz alltägliche Probleme auf, die in ihrer scheinbaren Banalität die einschneidenden sozialen und wirtschaftlichen Folgen des Banns unterstreichen. Der erste Artikel behandelt das Problem, ob und wie man Exkommunizierte ansprechen und grüßen dürfe. Der Vikar löste es so: Gespräche mit den gebannten Appenzellem seien erlaubt, wenn sie zur Reue anstifteten und die Bestraften der Kirche zuführten. Wenn eine gebannte Person jemanden grüße, soll diese den Gruß nicht erwidern, sondern sagen: „Got beßer üch" oder „Got beker üch". Niemand zog sich den Bann zu, wenn er sich von der exkommunizierten Person grüßen lasse, selbst wenn er sich ihr entgegenneigte oder „gegen im uffstu(o)nd, doch also, daz er im kain lipplich dienste erbött". 57 Grundsätzlich war alles erlaubt, was der Besserung der Bestraften dienen konnte, was den wirtschaftlichen Nachteil für die St. Galler begrenzte und den materiellen Schaden der Appenzeller vergrößerte. 58 Geldbeträge, die die Appenzeller zurückbezahlten, durften die Städter gefahrlos entgegennehmen. Fallund Erblehen, die sie an die Gebannten vergeben hatten, fielen zwar an jene zu54

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COD, 487f. - Das Basler Konzil war es aber auch, das an der von der weltlichen Obrigkeit am schärfsten kritisierten Form des Interdikts festhielt, nämlich am interdictum ambulatorium. Danach wurde jeder Ort mit dem Interdikt belegt, der eine exkommunizierte Person länger als zwei Tage wissentlich beherbergte. Vgl. J. Hashagen, Charakteristik, 266f. Den Hintergrund beschreibt W. Schläpfer, Freiheitskriege. Appenzeller Urkundenbuch (Bd. 1), Nr. 461. Appenzeller Urkundenbuch (Bd. 1), Nr. 523. Das Original des Rechtsgutachtens ist in lateinischer Sprache verfasst. Die Übersetzung fertigte ein Beamter des Generalvikars an. Appenzeller Urkundenbuch (Bd. 1), Nr. 523: „Sie mu(o)gent ouch mit in redden in sachen, die den Appenzellem schädlich und inen nu(o)tzlich sind.'"

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rück. Jedoch war es den St. Gallern auch erlaubt, weiterhin den Zins und den Zehnt davon zu nehmen. Um ihre Rechte wahrnehmen zu können, war es erlaubt, durch interdiziertes Gebiet zu gehen, solange man keinen Umgang mit den Appenzellern pflegte. Zur Deckung des eigenen Bedarfs durften sie mit den Exkommunizierten sogar Handel treiben. Aber Schulden mussten ihnen nicht zurückbezahlt werden. Vieh, das den Bürgern gehörte, durften Appenzeller nur dann hüten, wenn durch die Trennung der Herden große Nachteile zu erwarten waren. Das war eine pragmatische Lösung. Ein striktes Verkehrsverbot war in einer verhältnismäßig mobilen und auf verschiedenen Ebenen miteinander verflochtenen Gesellschaft nicht durchsetzbar. Exkommunizierte konnten nur partiell ausgegrenzt werden. Die Juristen bemühten sich, Unschuldige vor allzu großen Nachteilen und Schäden zu bewahren. Gerade der interpretatorische Rückgriff auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit zeigt, dass die Auslegung des Verkehrsverbots nicht einem starren Regelwerk folgte, das im kirchenrechtlichen Elfenbeinturm entstand, sondern immer ein Kompromiss zwischen normativem Ideal und praktischer Durchführbarkeit war.

3.3

Bann schadet der Seele - Religion und Strafe

Das Kirchenrecht ist seiner Natur nach ein Verbandsrecht. Deshalb ist es konsequent, dass die schärfste Form der Strafe darin besteht, einen Delinquenten aus diesem Verband mindestens zeitweise auszuschließen. Der eigene Charakter kirchlicher Zensuren ist damit aber nicht hinreichend erfasst. Denn auch die weltlichen Rechtsordnungen kannten die Strafe, den Ausschluss aus der Gemeinschaft, nämlich in Form der Acht und des Stadtverweises.59 Das Besondere des Kirchenbanns liegt vielmehr in seinem metaphysischen Bezug. „Ban ist ein bant, der lib und sele bindet, ban ist ein Gotes vluoch, wen man da vindet, daz er in banne stirbet, des wird nimmer rat [...] verdi[e]neter ban [...] verdirbet sele und lib", dichtete ein deutscher Minnesänger.60 Der Bann ist ein Fluch Gottes, der das Band zwi59

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Eduard Eichmann, Acht und Bann im Reichsrecht des Mittelalters (Görres-Gesellschaft zur Pflege der Wissenschaft im katholischen Deutschland. Sektion iur Rechts- und Sozialwissenschaft, 6), Paderborn 1909; E. Isenmann, Stadt, 165. Friedrich Heinrich von der Hagen, Minnesinger (Bd. 3), Leipzig 1838, 89. Die ganze Strophe lautet: „Ban ist ein bant, der üb unt sele bindet, ban ist ein Gotes vluoch, swen man da vindet, daz er in banne stirbet, des wirt nimmer rat. Je doch unrehter ban nie manne wirret, unrehter ban den ban er selben irret; unschult zwiespeldik Ion vor Gotes ougen hat. Ban vleisches vol der kumt von zorne; verdi[e]neter ban den ban er selben bannen kan, verdi[e]neter ban, vruht hochgeborne, verdirbet sele und lib, des schiuwet sülhen ban. der babes mak niht unrehten ban erlouben, daümbe erne mak niht Got sin[e]s rehtes rouben: Got ist gereht, er wil kroenen den (ge)rehten man." Auszugsweise zitiert bei Emil Friedberg, Die Gränzen zwischen Staat und Kirche und die Garantieen gegen deren Verletzung. Historisch-dogmatische Studie mit Berücksichtigung der deutschen und ausserdeutschen Gesetzgebungen

sehen Leib und Seele durchtrennt. Stirbt jemand im Bann, ist ihm nicht mehr zu helfen, sein Seelenheil ist verloren. Es sei denn, der Richter habe die Strafe zu Unrecht verhängt.61 Dieser Gedanke findet sich in mittelalterlichen Texten oft. „Ban scadet der sele", erklärte Eike von Repgow im Sachsenspiegel, dem am weitesten verbreiteten Rechtsbuch im Mittelalter.62 Hinter dieser knappen Aussage verbirgt sich eine komplexe Gedankenwelt, die jahrhundertelang - unabhängig vom Stand und von der sozialen Schicht - das religiöse Weltbild und das tägliche Verhalten leitete. Dass von Repgow vom Vorhandensein einer Seele ausging, der Schaden zugefugt werden konnte, ist offenkundig. Schwieriger ist die Frage zu beantworten, wie der Schaden vermieden werden konnte. Wie ist es möglich, das Seelenheil zu bewahren, zu sichern oder sogar zu retten? Darauf könnte mit theologischen Argumenten geantwortet werden.63 Aus methodischen Gründen wird darauf jedoch verzichtet, da der Standpunkt der Untersuchung kein theologie- oder dogmen-, sondern ein sozialgeschichtlicher ist. Wenn gezeigt werden soll, wie die kirchlichen Zensuren wirkten, dann muss das religiöse Weltbild der potentiell Betroffenen beschrieben werden. Dieser Ansatz hat Konsequenzen für die Quellenauswahl. Religion kann nicht verstanden werden als System von Glaubenssätzen, da solche nur in theologischen Werken zu finden und den Leseunkundigen nicht zugänglich sind. Vielmehr wird Religion als System von Handlungen und Verhaltensweisen von Städtern und Bauern dargestellt werden müssen. Das war der Personenkreis, der am häufigsten von den Zensuren betroffen war. Beide Gesellschaftsschichten hatten eine sehr genaue Vorstellung davon, wie man sich das Seelenheil sichern und am Gnadenschatz teilhaben konnte, den die Amtskirche verwaltete. Die vorreformatorische Frömmigkeit verhielt sich weitgehend nach den Regeln der von der Kirche vorgegebenen Ordnimg, die einem Haus mit vielen Zimmern glich. Im Urteil der Kirchenhistoriker gelten die Jahrzehnte vor der Reformation als die kirchenfrömmsten des Mittelalters. Keine Zeit suchte das ewige Heil strebsamer und kirchenkonformer als diese.64 Inwiefern die Theologen

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(Bd. 1), Tübingen 1872, 60. - Der Gedanke, dass der unrechtmäßig verhängte Bann keine Wirkung habe und nicht zu furchten sei, findet sich auch im Sachsenspiegel oder bei Luther; vgl. Kapitel § 4 11,2.1. Der Text ist im Einzelnen schwierig zu interpretieren. Doch der Sinn ist unzweideutig. Zitiert nach J. Hashagen, Charakteristik, 235. Vgl. dazu auch die dazugehörende Szene aus einer Bilderhandschrift des Sachsenspiegels. Sie zeigt einen Geistlichen, wie er einer am Boden liegenden Person den großen Bann verkündet. Symbolisch zerbricht der Priester einen Stab, vermutlich handelt es sich um eine Kerze. Dem sterbenden Exkommunizierten entweicht die Seele aus dem Mund, die der Teufel sich alsbald greift. Vgl. Der Sachsenspiegel. Die Heidelberger Bilderhandschrift Cod. Pal. Grm. 164, hg. v. W. Koschorreck - W. Werner, Frankfurt/M. 1989, Blatt 22v, Kommentar 204. Die Folgen der dogmatischen Grundlagen fur die Entwicklung des kanonischen Strafrechts beschreibt H. J. Beiman, Recht, 272-326. Als Beispiele sei auf den Heiligen- und Reliquienkult hingewiesen, die Gründungen von Bruderschaften, vor allem aber auf die zahllosen, hohe finanzielle Kosten erfordernden Messstiftungen. Für die Stadt vgl. B. Moeller, Frömmigkeit; E. Isenmann, Stadt, 222-225. Für das Land vgl. die von Peter Blickle selbst verfassten oder von ihm angeregten Arbeiten zur Frömmigkeit der Bauern und ihrem Verständnis von Religion und Kirche. F. Conrad, Reformation; P. Blickle, Gemeindereformation. Zu

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diese Ordnung konstruierten und über den Pfarrklerus vermittelten, oder umgekehrt die Laien die kirchlichen Strukturen instrumentalisierten, um die eigenen vorchristlichen und magischen Vorstellungen zu reproduzieren, braucht hier nicht beantwortet zu werden. Heuristischer Ausgangspunkt ist die von der Religionsphänomenologie erarbeitete und neuerdings von der Historischen Anthropologie für die vormoderne Zeit bestätigte Erkenntnis, dass das Heilige und das Profane eine Zweiheit bildeten. Die Wirklichkeit war ein Zusammenspiel von Transzendentem und Immanentem, die sich gegenseitig bedingten.65 Diese interaktive Beziehung hatte für den Einzelnen Menschen und fur die ganze Gemeinschaft inner- und außerweltliche Folgen. Die intakte Zweiheit garantierte nicht nur den stabilen und störungsfreien Weltlauf und machte diesen berechenbar, sondern galt überdies als Voraussetzung, um das Seelenheil zu erlangen, das der Lebenden und der Toten. Die Vorsorge fur das Seelenheil war wiederum ein Bestandteil der sozialen Ehre.66 Von dieser Prämisse wird ausgegangen und in einem zweiten Schritt gefragt, wie sich das komplementäre Verhältnis zwischen Sakralem und Profanem in der spätmittelalterlichen Gesellschaft auswirkte. Da die transzendente Welt Historikern direkt nicht zugänglich ist, beschränken sie sich auf die immanente Ebene. Hier lassen sich rituelle Verhaltensweisen beobachten, deren symbolischer Charakter über das Innerweltliche hinausweist. Diese Handlungen folgen teilweise dem menschlichen Lebenszyklus. Beispiele dafür sind die Taufe, die Hochzeit oder die Beerdigung. Teilweise liegt ihnen ein kalendarisch vorgegebener Rhythmus zugrunde. Dies gilt beispielsweise fur die christlichen Feste (Ostern, Pfingsten, Weihnachten, Maria Lichtmess u.a.), aber auch für die Flurumgänge, Kerzenpro-

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den Messstiftungen auf dem Land vgl. die innovatorische Arbeit von R. Fuhrmann, Kirche, und für einzelne Teile des Bistums Graubünden die Untersuchung von I. Saulle-Hyppenmeyer, Nachbarschaft. Für die Region Basel im Speziellen ist hinzuweisen auf die Studie von Rudolf Wackernagel, Mitteilungen über Raymundus Peraudi und kirchliche Zustände seiner Zeit in Basel, in: Basler Zeitschrift für Geschichte und Altertumskunde 2 (1903), bes. 176-194. Die Literatur dazu ist uferlos. Ich stütze mich hauptsächlich auf Richard van Dülmen, Religionsgeschichte in der historischen Sozialforschung, in: Geschichte und Gesellschaft 6 (1980), 36-58; Clifford Geertz, Religion as a cultural System, jetzt in: Ders., Dichte Beschreibung, Frankfurt/M., 1983, 4495. Kaspar von Greyerz (Hg.), Religion and Society in Early Modern Europe 1500-1800, London 1984. Darin v. a. die Einleitung von K. von Greyerz, 1-14, sowie R. Scribner, Order, 17-32. Letzterer verarbeitet auch religionsphänomenologische Erkenntnisse Mircea Eliades. Aaron J. Guijewitsch, Das Weltbild des mittelalterlichen Menschen, München 1989. Vgl. auch André Holenstein, Seelenheil und Untertanenpflicht. Zur gesellschaftlichen Funktion und theoretischen Begründung des Eides in der ständischen Gesellschaft, in: P. Blickle (Hg ), Der Fluch und der Eid. Die metaphysische Begründung gesellschaftlichen Zusammenlebens und politischer Ordnung in der ständischen Gesellschaft (Zeitschrift für Historische Forschung. Beiheft 15), Berlin 1993, 11-63. Dieser Aufsatz ist deshalb besonders wichtig, weil das kirchliche wie jedes vormodeme Rechtssystem auf dem Eid der Parteien und Zeugen aufbaute. Auf diesen Zusammenhang macht aufmerksam Richard van Dülmen, Kultur und Alltag in der Frühen Neuzeit. Bd. 1: Das Haus und seine Menschen, München 1990, 216. Zum Problem vgl. einführend Ders., Kultur und Alltag in der Frühen Neuzeit. Bd. 2: Dorf und Stadt, München 1992, 175-219.

Zessionen oder Benediktionen.67 Diese Rituale, die immer unter der Leitung eines mit dem dafür notwendigen Wissen um die richtigen Formen und Formeln ausgerüsteten Priesters stattfanden, bildeten die Brücke zwischen den beiden Welten. Durch die Wiederholung solcher Handlungen versicherten sich sowohl der Einzelne als auch die Gemeinschaft, dass die Verbindung zur transzendenten Welt und damit ihr Seelenheil unversehrt blieb. Die dahinter liegende Vorstellung kann mit einem Vertrag verglichen werden, der nach dem Prinzip des do ut des funktioniert. Diese regelmäßig zu erbringenden Frömmigkeitsleistungen boten die größtmögliche Gewähr, um die Zweiheit von Heiligem und Profanem zu bewahren.68 Auf die Bedeutung des Priesters, der in den Augen der Laien aufgrund seines Wissens der transzendenten Welt einen Schritt näher stand und sozusagen als vermittelnde Person tätig war, wurde bereits hingewiesen. Zu ergänzen ist, dass zu ihr ein sakraler Raum gehörte: die Kirche. Hier fanden die Rituale statt, begannen und endeten die Prozessionen. Kirchliche Zensuren griffen in diese Rituale ein, indem sie zumindest zeitweise die Verbindung zwischen Heiligem und Profanem entzweischnitten. Die exkommunizierte Person oder die interdizierte Gemeinschaft musste diejenigen Handlungen unterlassen, die für die Reproduktion der Zweiheit notwendig waren. Die gesellschaftliche Ordnung, der soziale und religiöse Kosmos wurde somit aufgebrochen. Das Chaos trat an seine Stelle.

4.

Freiwillige Gerichtsbarkeit (jurisdicüo voluntaria)

Ohne auf die freiwillige Gerichtsbarkeit der archidiakonalen und bischöflichen Gerichte einzugehen, kann die gesellschaftliche Bedeutung dieser spätmittelalterlichen Instanzen nicht voll ermessen werden. Der Begriff stammt aus dem römischen Recht und ist dem CIC fremd, doch wird er von den Glossatoren verwendet, und der Sache nach wurde sie tagtäglich ausgeübt. Mit dem Ausdruck ist nicht die Prorogation gemeint, wo die Parteien sich darauf einigten, ihren Streit vor dem kirchlichen Richter auszutragen. Es handelt sich nicht um Jurisdiktion im modernen Sinn, weil die Parteien die kirchliche Kanzlei nicht um des Rechtsschutzes wegen aufsuchten. Es ging eben nicht darum, rechtliche Ansprüche gegen jemanden durchzusetzen, sondern solche zu sichern.

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Auf die Bedeutung der letzteren weist insbesondere R. Scribner, Order, 18, hin. Diese sind nicht die einzigen, aber für die Gesellschaft wichtigsten Brücken, die Heiliges und Profanes miteinander verbinden. Das Gebet sei als weitere Möglichkeit erwähnt. In Betracht kommt auch, dass die transzendente Welt direkt auf die immanente Welt einwirkte, beispielsweise durch Eingebungen, Träume, aber auch durch Unwetter und Naturkatastrophen.

55

Unter freiwilliger Gerichtsbarkeit können ganz verschiedene Rechtsakte verstanden werden. Mittelalterliche Kanonisten zählten dazu auch die Absolution von einer Kirchenstrafe oder die Verleihung von Benefizien. 69 In der vorliegenden Arbeit werden jedoch nur die notariellen Handlungen, das heißt die Beglaubigungen von Rechtsakten zur jurisdictio voluntaria gezählt. Die öffentlichen Notare kirchlicher Gerichte besiegelten beispielsweise Kauf-, Renten- oder Erbverträge, auch Testamente oder Eheabkommen, worum Laien und Kleriker sie freiwillig baten. 70 Diese gerichtliche Dienstleistung setzte voraus, dass das Gericht über ein eigenes Siegel (sigillum authenticum) verfugte. Ein damit versehenes Dokument besaß eine Beweiskraft, die der Notariatsurkunde ebenbürtig war. Brach zwischen den Vertragspartnern Streit über die beurkundete Sache aus, war das ausstellende Gericht fur die Streitbeilegung zuständig.

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Karl Hofmann, Die Freiwillige Gerichtsbarkeit (iurisdictio voluntaria) im kanonischen Recht (GörresGesellschaft, Veröffentlichungen der Sektion für Rechts- und Staatswissenschaft, 53), Paderborn 1929, 25f., 49f. Vgl. dazu insbesondere Nikolaus Hilling, Die Bedeutung der iurisdictio voluntaria und involuntaria im römischen Recht und im kanonischen Recht des Mittelalters und der Neuzeit, in: AKathKR 105 (1925), 449-473. Allgemein W. Trusen, Anfange, 63-69. Für Basel und Konstanz Th. Gottlob, Offiziale Basel, 138, und Ders., Offiziale Konstanz, 68ff.

II.

Das Netz kirchlicher Gerichte

Es liegt in der Herrschaftslogik des Wissens, das immer zur Macht drängt, dieses zu schützen, zu verwalten und womöglich auszudehnen. Die Kirche als innerweltliche Anstalt war in doppeltem Sinn gefordert. Einmal galt es, die Standesinteressen wahrzunehmen und durchzusetzen, zum anderen verpflichtete sie aber auch ihre Einsicht in das Wesen der Sakramente als Gnaden- und Heilsmittel, dafür als Garantin einzustehen. Zumindest solange niemand ihre Legitimation in Frage stellte. Denn wenn dieses Arkanwissen als solches akzeptiert war, bestand auch ein Druck seitens der „Unwissenden", diese Pflicht wahrzunehmen. Zu diesem Zweck baute sie eine Administration auf. Dazu gehörte auch eine Instanz, die die Gerichtsfunktionen ausübte, denn „herrschen" und „richten" waren im Mittelalter beinahe austauschbare Wörter. Die kirchliche Gerichtsbarkeit war ein Mosaik von Institutionen und Behörden. Diese Situation erklärt sich einerseits durch das historische Wachsen des kirchlichen Rechts, andererseits durch die örtlich und zeitlich verschiedenen Machtverhältnisse. Die zeitverschobene Institutionalisierung kirchlicher Gerichte und die zentralisierte Produktion kirchlicher Normen, die wiederum eigene Instanzen erforderten, bewirkten eine Gemengelage von Institutionen und jurisdiktioneilen Ansprüchen. Die päpstlichen Anstrengungen im 12. und 13. Jahrhundert, den institutionellen Wildwuchs durch Zentralisierung und Hierarchisierung zu beschneiden, brachten zwar etwas Ordnung in dieses Gerichtssystem. Zwischen der hierarchisch gestuften Idealvorstellung und der Realität in den einzelnen Diözesen klaffte aber je nach dem eine größere oder kleinere Lücke.

1.

Hierarchische Verwerfung: Send und archidiakonale Gerichte

Der Send war ein Straf- und Sittengericht über die Laien. Anfanglich, im 8. und 9. Jahrhundert, hielt der Bischof ihn selbst während der jährlich durchgeführten Visitation des Bistums ab. Aus der bischöflichen Visitationspflicht leitete sich die archidiakonale Disziplinargewalt über die Laien ab.71 Die Dignität des Gewohnheitsrechts, später auch die verschrifitlichten Sendordnungen billigten den archidiako71

Einführend P. Hinschius, Kirchenrecht II, 183-205; H.-J. Becker, Send, Sendgericht, Sp. 1630Í - Vgl. aber auch die älteren Arbeiten, die jedoch für das 15. Jahrhundert und das südwestdeutsche Rechtsgebiet nur begrenzt aussagekräftig sind: Albert M. Königer, Die Sendgerichte in Deutschland (Veröffentlichungen aus dem kirchenhistorischen Seminar der Universität München, III/2), München 1907; Nikolaus Hilling, Die bischöfliche Banngewalt, der Archipresbyterat und Archidiakonat in den sächsischen Bistümern, in: AKathKR 80 (1900), 80-114, 323-345, 645-664 und 81 (1901), 86-112. Ein knapper, aber präzis die Forschung zusammenfassender Überblick bei A. Franzen, Archidiakonate, 1-23. Für den Untersuchungsraum immer noch am wichtigsten E. Baumgartner, Geschichte.

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nalen Anspruch auf die Rechtsprechung. Das ging soweit, dass die Archidiakone im 13. Jahrhundert die jurisdictio ordinaria beanspruchten. Die im 12. und 13. Jahrhundert erlassenen Dekretalen hingegen schwiegen sich über die Kompetenzen der Archidiakone beredt aus. Denn sie begrenzten ihre Jurisdiktion, indem sie die Leitung der gesamten diözesanen Verwaltung (jurisdictio) ausdrücklich dem Bischof anvertrauten. Gemäß dem päpstlichen Recht waren zwar die Archidiakone verpflichtet, ihren Sprengel zu visitieren, verfugten aber nicht aus eigenem Recht über die Strafgewalt. Allenfalls konnte der Bischof ihnen diese übertragen.72 Das Archidiakonat war ein Benefizium geworden. 73 In der Literatur wird übereinstimmend die Meinung vertreten, dass die Blütezeit der archidiakonalen Gerichte das 13./14. Jahrhundert gewesen sei. Als die Bischöfe die päpstlichen Vorgaben in die Praxis umsetzten, ihre Kompetenzen erweiterten und die diözesane Verwaltung seit dem 13. Jahrhundert schrittweise zusammenfassten und vereinheitlichten, habe die archidiakonale Gerichtsbarkeit allmählich ihre eigenständige Bedeutung verloren.74 Die Bischöfe, die sich gegen die gewohnheitsrechtlich entstandene Machtfulle der Archidiakone auf das gemeine Recht beriefen, behielten sich in zunehmendem Maß die jurisdiktionelle Gewalt vor. Denn nur dadurch konnten sie gewährleisten, dass das kirchliche Recht von qualifizierten, das heißt gelehrten Richtern angewandt wurde. Bereits das 4. Laterankonzil legte nämlich 1215 fest, dass die Untersuchung von Ehefällen in die bischöfliche und nicht in die archidiakonale Gewalt gehörten.75 Die Intensität und Geschwindigkeit des archidiakonalen Kompetenzenschwunds war von Diözese zu Diözese verschieden. Er fand seinen normativen Schlusspunkt auf dem Tridentinum, das im Zug eines neuen diözesanen Zentralisierungsschubes die Archidiakone endgültig der bischöflichen Autorität unterstellte und ihnen verbot, weder Ehe-

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Die einschlägigen Artikel im CIC betreffend das Archidiakonat sind CIC: X 1.23.1-10. Der Grundsatz, dass der Bischof die Diözese zu leiten habe in CIC . VI 1.16.7. Die Forschung unterscheidet zwischen dem Archidiakonat älterer und jüngerer Ordnung. Das Unterscheidungskriterium ist, ob der Archidiakonat eine Amtsgewalt eigenen Rechts beanspruchte oder nicht - anders gewendet, ob der Archidiakonat Benefizialcharakter hatte oder nicht. A. Franzen, Archidiakonate, 10-16. Allgmein E. Baumgartner, Geschichte, 216-242. W. Trusen, Gerichtsbarkeit, 482f. - Für die in dieser Hinsicht besonders gut untersuchte Diözese Mainz vgl. im Speziellen folgende Arbeiten: Alfred Bruns, Der Archidiakonat Nörten (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, 17 = Studien zur Germania Sacra, 7), Göttingen 1967; W. Ewoldt, Official; H. Fath, Gericht; W. Gresky, Archidiakonat; M. Hannappel, Johannes Haltupderheide. W. Trusen, Gerichtsbarkeit, 486. Dieser Bestimmung wurde nachzukommen versucht, wie aus den Statuten verschiedener Mainzer Provinzsynoden hervorgeht. Bereits 1261 heißt es: Causas matrimoniales nullus Sacerdos, Archi Prespyter vel Plebanus, sine speciali mandato Episcopi audire praesumat, aliter eius sententie vel processus, nullam obtineat flrmitatem & ipse transgressor durrissime puniatur, J. Hartzheim - J.F. Schannat (Hgg.), Concilia Germaniae III, 601; vgl. auch Dies. (Hgg ), Concilia Germaniae IV, 576.

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noch Strafprozesse zu fuhren. Auch das selbstständige Visitationsrecht wurde ihnen entzogen.76 Wo der archidiakonale Send im 15. Jahrhundert noch zusammenkam, funktionierte er nach dem Prinzip eines Rügegerichts. Sendgeschworene oder Schöffen, wie sie auch hießen, meldeten dem Archidiakon oder seinem Vertreter sämtliche Vergehen gegen die christliche Ordnung. Welche strafrechtlichen Delikte sie im Einzelnen rügten, geht teilweise aus den Sendordnungen hervor. In der Regel beschränkte sich die Nachforschung auf Sexualdelikte (Unzucht, Ehebruch), Meineid, Missachtung der Sonn- und Feiertagsruhe, Aberglauben etc. Die Sünder mussten für ihre Taten Bußleistungen erbringen, konnten sich aber auch von der Schuld loskaufen. Nötigenfalls sprach der Sendrichter auch Exkommunikationen aus. Die verwickelte Geschichte der archidiakonalen Gerichte kann nicht geschrieben werden, ohne auf die eigentümliche Entwicklung innerhalb des jeweiligen Bistums einzugehen. Seit dem Ende des 14. Jahrhunderts war die Diözese Basel in zwölf archidiakonale Gerichtssprengel eingeteilt, deren Verwaltung in den Händen von fünf bis sieben Archidiakonen, zumeist Domherren lag.77 Diese Landarchidiakone - wenn diese Pfründe überhaupt noch besetzt wurde -,78 scheinen keine jurisdiktioneilen Kompetenzen besessen zu haben. Nur drei, vermutlich eigenständige archidiakonale Gerichtsinstanzen lassen sich im 15. Jahrhundert eindeutig nachweisen.79 Die Stiftsarchidiakone St. Ursitz und Münster-Granfelden besaßen das Recht, die zur Propstei gehörenden Pfarreien visitieren zu dürfen. Noch 1492 ließ sich das Kollegiatstift St. Ursitz dies vom Bischof bestätigen. Das Weistum von 1463, das 76

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A. Franzen, Archidiakonate, 23-27. - Von einem ausgesprochenen Antagonismus zwischen Archidiakon und Bischof kann aber in den dreihundert Jahren zwischen dem 4. Lateranum bis zum Tridentinum keinesfalls die Rede sein. Die auf dem Trienter Konzil geführten Diskussionen zeichnet nach Rudolf Reinhardt, Das Archidiakonat auf dem Konzil von Trient, in: ZRG KA 61 (1975), 84-100, bes. 99. Die Situation im 13. und 14. Jahrhundert fasst immer noch maßgebend zusammen E. Baumgartner, Geschichte, 41-63. Ergänzendes Material für das 14. Jahrhundert bei J.B. Villiger, Bistum Basel, 112120. Prosopographisches Verzeichnis der mit einem Archidiakon verbundenen Domdignitäten in W. Kundert, Domstift, 298-315. - Im Basler Bistum waren die Archidiakonate deckungsgleich mit den Landdekanaten. Visitationen scheinen zumindest in der Propstei Münster-Granfelden Ende des 15. Jahrhunderts ohnehin während längerer Zeit nicht mehr stattgefunden zu haben. Mit der Begründung, das Archipresbyterat sei seit so langer Zeit erledigt, dass dessen Besetzung dem apostolischen Stuhl zustehe, bat 1492 Nicolaus Rost, Kanoniker der Kirche SS. Maria, Germanus und Randoaldus von Granfelden, den Papst erfolgreich um die Verleihung der Pfründe; C. Wirz (Hg ), Regesten 5, Nr. 503. Die mit der Bistumsgeschichte vertrauten Historiker werden in der folgenden Aufzählung das Gericht des Domarchidiakons vermissen. Dieser besaß aber eine delegierte, keine ordentliche Gerichtsbarkeit. Gegen seine Urteile konnten die Parteien an das bischöfliche Chorgericht appellieren. Das belegen neu entdeckte Quellen. Deshalb wird diese Instanz im Kapitel über die bischöfliche Gerichtsbarkeit behandelt.

59

die Visitationspflichten des Propstes von Münster-Granfelden als Archidiakon des Dekanats Salsgau und insbesondere der stiftischen Pfarreien enthält, gibt Hinweise auf seine Rechtsprechungsgewalt über Laien auch im geistlichen Bereich. Jedes Schaltjahr sollte der Propst den Send (placitum) halten und ehebrecherische sowie hexende Männer oder Frauen bestrafen.80 Das Stift St. Ursitz seinerseits besaß noch im 17. Jahrhundert das Kollationsrecht, einen Priester in der gleichnamigen Pfarrei einzusetzen, der jährlich um die Weihnachtszeit als Sendrichter Gericht (placidum) halten sollte. Er büßte Frauen und Männer, die die christlichen Feste nicht einhielten, sich gegen das Ehesakrament vergingen oder mehr als ein Jahr exkommuniziert blieben.81 Das dritte um 1500 noch aktive archidiakonale Gericht wird in der 'Rôle de Roggenburg' erwähnt. 1505 beeideten die zwischen Laufen und Pruntrut gelegene Gemeinde Roggenburg, die zum Kanonikerstift St. Leonhard in Basel gehörte, und ihr Leutpriester einen Vertrag, der nicht nur die christlichen Aufgaben (les choses chrétiennes) des Dorfgeistlichen festhielt. Auch vom Erzpriester ist darin die Rede. Seine Funktionen werden jedoch nur in allgemeinster Form gestreift. Wenn er will - „s'il luy plait" -, darf er jedes Schaltjahr die Gemeinde visitieren.82 Im Bistum Konstanz scheint von einigen speziellen Gerichten abgesehen, die als Sonderfalle behandelt werden, kein Send mehr gehalten worden zu sein. Völlig anders sieht die Gerichtslandschaft im Bistum Chur aus, vielleicht auch nur aufgrund der schlechten Quellenlage. Möglicherweise wurde hier der Send zumindest zu Beginn des 15. Jahrhunderts noch gehalten. Aber die Sendrichter waren fest in die bischöfliche Verwaltung eingebunden, und die Archidiakonate bischöfliche Benefizien. Deshalb werden sie im nächsten Kapitel (2) behandelt.

1.1

Sonderfall: Innerschweizer Kanzelgerichte

Eine eigene Form archidiakonaler Gerichtsbarkeit bildete sich in der Innerschweiz, offenbar vor allem im Gebiet des heutigen Kantons Luzern aus, nämlich die sogenannten Kanzelgerichte. Sie waren weder rein geistliche noch rein weltliche In80

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E. Baumgartner, Geschichte, 56f. Der Text ist ediert in J. Trouillat (Hg.), Monuments V, Nr. 162, 465ff. J. Grimm (Hg.), Weisthümer IV, 442 ff.: „soit tant de non observer les festes [...] ou qui feraient contre le sacrement de mariage [...] ou qui par ung an et jour seroient en sentence d'excommunication." Die 'Rôle de la paroisse de St. Ursanne' ist nur noch in einer französischen Abschrift aus dem 17. Jahrhundert erhalten und enthält einige eindeutig nachreformatorische Artikel. So wird der Pfarrer zum Beispiel verpflichtet, ein Taufregister zu fuhren. Jedoch scheint die 'Rôle' vor der Reformation verfasst worden zu sein, wie der Hinweis auf die „officialitc de Basle" vermuten lässt. Denn seit der Reformation war nicht mehr Basel Gerichtsort, sondern Altkirch im Elsass. J. Grimm (Hg.), Weisthümer IV, 440f., vor allem die Artikel 1 und 5.

stanzen, sondern nahmen aufgrund ihrer Kompetenzen und ihrer Stellung im Geflecht des kirchlichen und weltlichen Rechtssystems eine Zwitterstellung ein. Kanzelgerichte waren ein anfanglich dem Kirchenherrn unterstehendes Sendgericht über die Pfarrgenossen, dessen Befugnisse die Gemeinden im Zug der Kommunalisierung des Kirchenwesens übernahmen. Im 15. und 16. Jahrhundert gliederten diese das Gericht aus der bischöflichen Verwaltung aus und entzogen es der kirchlichen Oberaufsicht.83 Wie den wenigen noch erhaltenen Statuten, den Kanzelbriefen, zu entnehmen ist, erstreckte sich die Rechtsprechung des vom Patronatsherrn eingesetzten Kirchenrichters sowie der Urteilsfinder sowohl in den zivil- als auch strafrechtlichen Bereich, der eigentlich dem bischöflichen Offizial vorbehalten war. Sie entschieden Streitereien über der Kirche zustehende Zehnt- und Zinsabgaben ebenso wie Fälle von Ehebruch, Unzucht oder auf dem Weg zur Kirche begangene Frevel.84 Kam jemand der Aufforderung, sich vor dem Kanzelgericht zu verantworten, nicht nach, sprach das Gericht eine Geldstrafe aus. Notfalls verhängte es den großen Bann. Der aus dem Jahr 1500 stammende Kanzelbrief der Pfarrei Escholzmatt bestimmte, dass man Personen, die sich den richterlichen Anordnungen widersetzten, wegen Kontumaz „verschiessen [solle] mit brünenden kertzen und mit lütenden gloggen". Den Widerborstigen verbot man „alle gotzrechte". Der Artikel beschreibt nichts anderes als das Ritual, das beim Anathem abgehalten werden sollte mit der Folge, dass der Gebannte sichtbar aus dem Schoß der Kirche ausgestossen war.85 Gegen das Urteil eines Kanzelgerichts konnte appelliert werden. Bestimmte noch das Kirchenrecht von Rüeggeringen von 1334 das bischöfliche Offizialat als 83

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Immer noch einschlägig A.Ph. v. Segesser, Rechtsgeschichte I, 423ff., 592ff. und II, 783f., bes. 820ff. Knapp F.X. Künstle, Pfarrei, 73f. Zuletzt, aber ohne neues Quellenmaterial Carl Pfaff, Pfarrei und Pfarreileben. Ein Beitrag zur spätmittelalterlichen Kirchengeschichte, in: Innerschweiz und frühe Eidgenossenschaft Jubiläumsschrift 700 Jahre Eidgenossenschaft (Bd. 1), hg. Historischer Verein der Fünf Orte, Ölten 1990, 25 lf. Nach Segesser handelt es sich formal betrachtet um eine Analogieform zum Mark- und Dinggericht; ebd., Rechtsgeschichte II, 821. Aufgrund seiner Kompetenzen zählte das Kanzelgericht aber eindeutig zu den Sendgerichten; die Begriffe werden in der Forschung synonym verwendet; vgl. H.-J. Becker, Send, Sendgericht, Spp. 1630f. - Weltliche Herrschaften versuchten auch in anderen Bistümern, Einfluss auf das archidiakonale Gericht zu nehmen, allerdings nicht in derselben Weise wie in der Innerschweiz. Im thüringischen Gebiet des Bistums Mainz z.B. dehnten im 15. Jahrhundert die Schwarzburger Grafen mit päpstlicher Unterstützung das landesherrliche Kirchenpatronat auch auf das Archidiakonat aus und entschieden über die Besetzung der Pfründe mit; vgl. W. Gresky, Archidiakonat, 28-34. Für Würzburg vgl. W. Engel, Geschichte, 361. Vgl. die Kirchenrechte folgender, im heutigen Kanton Luzem liegender Pfarreien: Rüeggeringen (1334) in: Ph. ν. Segesser, Rechtsgeschichte I, 423ff.; Entlibucher Pfarreien (erweiterte Abschriften aus dem 16. Jahrhundert), in: Ders., Rechtsgeschichte I, 592f£; Escholzmatt (1500) in: J. Grimm (Hg.), Weisthümer IV, 379-381. - Hinweise auf weitere Kanzelbriefe bei Ph. von Segesser, Rechtsgeschichte II, 821 Arnn. 1. J. Grimm (Hg.), Weisthümer IV, 381. - Wie sich diese Bestimmungen mit dem geltenden Kirchenrecht vertrugen, ist unklar. In den Quellen steht nichts davon, dass der Bischof die Rechtsprechungskompetenz und vor allem das Recht, Zensuren zu verhängen, an die Kanzelrichter delegierte.

61

Berufungsinstanz, gestatteten die Kanzelbriefe aus dem 15. Jahrhundert die Berufung auch an die weltliche Obrigkeit. Im 16. Jahrhundert schließlich durfte das Urteil nur an den weltlichen Herrn weitergezogen werden.86

1.2

Sonderfall: Stadtzürcher Pfaffengericht

Das Pfaffengericht war das Ergebnis des Kompetenzenstreits, den der Zürcher Rat mit den Stadtstiften und dem Konstanzer Bischof um den Gerichtsstand der städtischen Weltgeistlichen ausfocht.87 1304 stimmte der Bischof einem Vertrag zu, dem sogenannten Richtebrief, den die Stadt mit den beiden Stiften schloss. Danach hatten sich Kleriker, die „vrevel aid unfu(o)ge" gegenüber Laien begingen, vor einem Kollegium von drei Pfaffenrichtern zu verantworten. Frevelten hingegen Bürger gegen städtische Priester, war das weltliche Gericht zuständig. Das sogenannte Pfaffengericht bildeten zwei Chorherren zusammen mit einem Geistlichen der Abtei. Die Kapitel hatten jedoch nur ein Nominationsrecht, das Bestellungsorgan war der Rat.88 Insofern handelte es sich nicht um ein eigentliches Kirchengericht. Die Straftatbestände umfassten hoch- und niedergerichtliche Vergehen wie beispielsweise Mord und Totschlag, Körper- und Ehrverletzung, Messertragen und das Zücken desselben etc. Sie wurden in einem mündlichen Verfahren gerügt und in den meisten Fällen mit einer Geldbuße bestraft.89 Der Zweck des Vertrags bestand darin, den Schutz des Stadtfriedens zu erhöhen.90 Der Richtebrief enthielt somit Einungsrecht. Er blieb bis zur Reformation in Kraft.

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Ph. von Segesser, Rechtsgeschichte II, 823. Das Kirchenrecht verbot die Berufung von einem kirchlichen an ein weltliches Gericht. Demzufolge waren Kanzelgerichte keine geistlichen Gerichte mehr; E. Eichmann, recursus, 14f. - Dass Parteien die Berufung gegen ein Offizialsurteil bei einem weltlichen Richter einreichten, lässt sich auch in anderen Bistümern beobachten, beispielsweise im Bistum Hildesheim. Die Missachtung des kirchenrechtlichen Verbots kann damit erklärt werden, dass der Bischof und sein Offizial über keine wirksamen Mittel verfugten, ihre Autorität zur Geltung zu bringen. G. Schräder, Offiziale, 103. R. Bader, Klerus. A. Bauhofer, Zürich, 12-19. H. Morf, Obrigkeit, 168-171. R. Bader, Klerus 87. Zum Verhältnis zwischen dem Zürcher Richtebrief und dem kanonischen Recht vgl. ebd., 76ff. R. Bader, Klerus, 91ff. Die zu bestrafenden Delikte sind detailliert aufgezählt in: ebd., 86. Nach Bauhofer traten die Regelungen kumulativ zu den landrechtlichen Strafbestimmungen hinzu; A. Bauhofer, Zürich, 13.

2.

Bischöfliche Gerichtsbarkeit

Die Jurisdiktionsgewalt des Bischofs deckte sich mit derjenigen seines permanent eingesetzten Offizials und Gener al vikars. Die fallweise delegierte Gerichtsbarkeit gehört gleichermaßen dazu wie die bischöflichen Reservationsfalle. Die letzteren beiden stellen aber die Ausnahme dar, weshalb nicht näher darauf eingegangen wird.91

2.1

Die Gerichtsbarkeit des Generalvikars

Von Anfang an waren Offizialat und Generalvikariat zwei getrennte Ämter, denen das gemeine Recht unterschiedliche Aufgaben zuwies. Der Offizial stand dem bischöflichen Gericht vor, der in der kurialen Hierarchie über ihm stehende Generalvikar der bischöflichen Verwaltung. Letzerer vertrat den Bischof während dessen Abwesenheit in spiritualibus.92 In dieser Funktion nahm er auch jurisdiktionelle Aufgaben wahr, insbesondere die Straf- und Disziplinargewalt über Kleriker. Die Praxis verwischte jedoch diese Trennung. Die Zuständigkeit des Generalvikars konnte sich auch auf Laien erstrecken wie zum Beispiel im Bistum Eichstätt, wo der Generalvikar fur die Ehefälle zuständig war.93 Infolge der je nach Diözese unterschiedlich verlaufenden Entwicklung wird für jedes Bistum einzeln geprüft, in welchem Verhältnis die Rechtsprechung des Generalvikars zu deijenigen des bischöflichen Offizials stand, beziehungsweise welche Bedeutung ihr für die Laien zukam. Allgemein gilt für alle drei Diözesen, dass von einer scharfen Trennung der gerichtlichen Kompetenzen keinesfalls gesprochen werden kann. Vielmehr ist von einem überlappenden Aufgabenbereich auszugehen.94 Im Bistum Basel wurde das Generalvikariat im Lauf des 14. Jahrhunderts dauerhaft institutionalisiert.95 Weder die Synodalstatuten des 15. Jahrhunderts noch die Gerichtsstatuten von ca. 1480 weisen daraufhin, dass der Vertreter des Bischofs 91

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Die Reservationsfalle des Konstanzer Bischofs in J. Hartzheim - J.F. Schannat (Hgg.), Concilia Germaniae V, 566f. Der vicarius generalis in temporalibus war bischöflicher Statthalter der weltlichen Verwaltung; der vicarius generalis in pontiflcalibus, das ist der Weihbischof, war befugt, den Bischof in allen Amtshandlungen zu vertreten, welche die Bischofsweihe erforderten. I. Buchholz-Johanek, Richter, 147. Bis etwa 1475 scheint ein Teil der Ehegerichtsbarkeit auch vom Offizial ausgeübt worden zu sein. Vgl. W. Trusen, Gerichtsbarkeit, 48lf. Am ausführlichsten immer noch R. Wackernagel, Geschichte II/2, 71 Iff. Der neuste Forschungsstand in W. Kundert, Generalvikariat, 235f. Hier auch ein prosopographisches Verzeichnis der Generalvikare; ebd., 237-241.

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auch richterliche Funktionen übernahm.96 Jedoch bekleidete der Generalvikar gleichzeitig das Amt eines Sieglers an der bischöflichen Kurie. Mit anderen Worten: Er war ein Beamter des Offizialats.97 In Ausnahmefallen sprang der Generalvikar als Offizial ein und übte die beiden mächtigsten Ämter der bischöflichen Verwaltung gleichzeitig aus.98 Die enge personelle Verbindung zwischen den Ämtern zeigt sich überdies darin, dass sie sich teilweise derselben Notare bedienten. Ahnlich sah es im Bistum Konstanz aus.99 Auch hier waren die Ämter des Generalvikars und Offizials personell nicht immer getrennt. Commissio vicariatus et officialatus simul heißt es 1438 in der Ernennungsurkunde von Nikolaus Gundelfinger zum Generalvikar.100 Wie ein prosopographischer Vergleich der Amtsinhaber beider Ämter zeigt, war das jedoch die Ausnahme.101 Die Gerichtsbarkeit des Konstanzer Generalvikars war auch für Laien bedeutsam. Vor allem die Strafgewalt scheint er ausgeübt zu haben, wie in der Satzung des Gerichts und den Synodalstatuten zu lesen ist. Die Gerichtsstatuten von 1475 und 1498, die den Vikar und den Offizial häufig in einem Atemzug nennen, bestimmten, dass ersterer das unsittliche Verhalten und die Sünden von Klerikern und Laien strafen solle. Darin habe er sich dem Offizial „gleichfo(e)rmig" zu verhalten.102 Ein weiterer Hinweis auf seine strafrechtlichen Funktionen liefern die den Synodalstatuten von 1483 angehängten Reservationsfalle. Sie zeigen, dass der Generalvikar auch über die Absolutionsgewalt in Ehefallen verfugte. Sie sind betitelt: Remittantur itaque ad Nos, seu Vicarium nostrum [...] pro absolutionibusm Die Situation im Bistum Chur war ganz anders. Das Amt des Generalvikars und das des Offizials waren immer in Personalunion miteinander verbunden.104

96

Die Statuten von 1434 erwähnen nur die Aufsichtspflicht bei der Vergabe von Pfründen; J. Trouillat (Hg ), Monuments V, Nr. 99, 318. Weitere Belege bei W. Kundert, Generalvikariat, 235. 97 W. Kundert, Generalvikariat, 235. 98 Beispiele bei W. Kundert, Generalvikariat, 241, W.D. Wackemagel, Offizialat, 253, R. Wackemagel, Geschichte II/2, 712. 99 Immer noch grundlegend P. I. Staub, Dr. Johannes Fabri, 37-68. 100 Im Anhang ediert bei Th. Gottlob, Offiziale Konstanz, 294ff. Der Vermerk in der Überschrift et officialatus simul wurde offenbar nachträglich hinzugefügt. 101 Prosopographisches Verzeichnis der Generalvikare bei B. Ottnad, Generalvikare, 525-580. Eine Liste der Offiziale in: Ders., Offiziale, 581-606. 102 GLAK: 65/291, fol. 3v. Der lateinische Text in den Statuten von 1498; ebd., fol. 32. - Einen guten Überblick über die Kompetenzen des Generalvikars gibt auch der Konstanzer Stadtschreiber Jörg Vögeli in seiner Reformationschronik; vgl. den Auszug bei I. Staub, Dr. Johannes Fabri, 56 Anm. 3. 103 J. Hartzheim - J.F. Schannat (Hgg.), Concilia Germaniae V, 566f. 104 O.P. Clavadetscher - W. Kundert, Generalvikariat, 512.

64

2.2

Die Offizialate

Das Konsistorium war aufgrund der gemeinrechtlichen Kompetenzen dasjenige kirchliche Gericht, das fur die Bevölkerung der einzelnen Diözesen, insbesondere fur den gemeinen Mann, die größte Bedeutung besaß. Nach der Bulle Romana ecclesia von 1246 hatte der bischöfliche Richter - sozusagen als alter ego des Bischofs - die Stellung eines Mandatierten inne.105 Der Offizial war ein ordentlicher und kein delegierter Richter. Die Berufungsinstanz gegen seine Entscheide war deshalb nicht der Bischof, sondern das erzbischöfliche oder päpstliche Gericht. Die Errichtung der Offizialate fand in den einzelnen nördlich der Alpen gelegenen Diözesen von Westen nach Osten zeitverschoben statt. 1173 wird erstmals in der Diözese Reims ein Offizial urkundlich erwähnt, in Basel 1252, in Konstanz 1256 und in Chur 1273. In der Regel bildeten die sogenannten indices delegati die Übergangsstufe, die den Kompetenztransfer vom verselbstständigten archidiakonalen Richter zum bischöflichen Einzelrichter einleitete.106 Zweihundert Jahre später, im 15. Jahrhundert, war das Offizialat durch Recht, Macht und Gewohnheit fest ins weltliche und kirchliche Rechtsgefuge eingepasst. Die materielle Zuständigkeit der Offiziale erstreckte sich eigentlich nur auf die streitige Gerichtsbarkeit in rein geistlichen oder weltlich-geistlich gemischten Fällen. Jedoch sah das Dekretalenrecht vor, dass der Bischof die Strafgerichtsbarkeit seinem Offizial mittels einer Sondervollmacht übertrug. Deshalb waren die bischöflichen Richter zumeist zuständig für die causae spirituales, civiles et criminales ,107 Das gilt auch fur die Richter der drei untersuchten Diözesen. In der Bestallungsurkunde des Basler Offizials Ulrich Schmotzer von 1517 heißt es, dass er von Rechts als auch von Gewohnheit wegen beauftragt sei, sowohl Eheangelegenheiten wie Kriminalfälle zu untersuchen und zu entscheiden.108

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CIC: VI 2.15.3. - W. Trusen, Gerichtsbarkeit, 467-473. Trusen stellt zwei Gründe für die Entstehung dieser Institution in den Vordergrund, einmal die örtlichen diözesanen Umstände, dann allgemein der Wandel des Prozessrechts und der Lehre. Das gelehrte Recht erforderte den gelehrten Richter. 106 Th. Gottlob, Offiziale Basel, 118. Ders., Offiziale Konstanz, 128-133. Der neuste Artikel, worin der Autor die Entstehung eines Offizialates untersucht wird, stammt von Georg May, Die Anfange des Gerichtes des Heiligen Stuhles zu Mainz, in: Jahrbuch für fränkische Landesforschung 52 (1992), 121-134. 107 Winfried Trusen, Offizialat, in: HRG (Bd. 3), Berlin 1984, Spp. 1214-1224, hier 1216. 108 Konrad W. Hieronimus, Das Hochstift Basel im ausgehenden Mittelalter, Basel 1938, 554: facultatem et potestatem causas quasqunque, tarn matrimoniales, civiles, criminales atque mixtas, tarn de iure quam de consuetudine in dicta curia nostra audiri sólitas et consuetuetas audiendi ac in eisdem ac quibusdam aliis sibi apostolica vel alia auctoritatibus ut officiali pro tempore existenti commissis procedendi et decreta ac sententias tarn interlocutorias quam definitivas dandi, ferendi et promulgandi, censuras contra quoscunque ferendi etc.

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2.2.1 Prozessrechtliches Verfahren Das Verfahren in zivil- und strafrechtlichen Prozessen wird nur kurz vorgestellt, um wenigstens eine Vorstellung davon zu geben, wie das Gericht einen kirchlichen Prozess abwickelte. Zudem sollen die in den folgenden Kapiteln verwendeten Fachwörter eingeführt und erklärt werden. Grundsätzlich ist zwischen dem Zivi1und dem Strafverfahren zu unterscheiden.109 Der streitige Prozess bestand aus fünf Teilen. Dreh- und Angelpunkt war die sogenannte Litiskontestation, die den ersten Teil abschloss und den zweiten einleitete, der mit der Definitivsentenz endete.110 Der Zivilprozess begann damit, dass jemand seine Klage (libellum) schriftlich beim zuständigen Richter einreichte. Der Kläger folge dem Gerichtsstand des Beklagten, lautete die Regel. Der Offizial zitierte daraufhin entweder mündlich oder schriftlich die beklagte Partei, worauf diese antwortete (responsio), falls keine Einreden vorgebracht wurden.111 Der Inhalt des Prozesses war damit festgelegt, der zweite Teil konnte beginnen. Die Parteien leisteten den Kalumnien- und den Wahrheitseid. Sie schworen, nur redliche und der Wahrheit dienende Mittel einzusetzen, um ihren Anspruch durchzubringen, beziehungsweise diesen zu widerlegen.112 Es folgten die Bestimmungen der Fristen zur Bildung der Prozessbehauptungen. Dann wurde der Beweisgang eröffnet. Als Beweismittel waren im Unterschied zum deutschen Recht auch Zeugen oder Urkunden zugelassen. Der Richter entschied den Prozess mit der Definitivsentenz (sententia diffinitiva)m Die Gründe und Rechtssätze, auf die er sein Urteil stützte, musste er nicht nennen. Gegen den Entscheid konnten die Parteien innerhalb von zehn Tagen an eine übergeordnete Instanz, das erzbischöfliche oder direkt das päpstliche Gericht, appellieren. Die Berufung musste in der Regel beim Richter, dessen Urteil angefochten wurde, eingereicht werden. Formulierte die Partei den Berufungsantrag nicht sofort, hatte dies schriftlich zu geschehen.114 Das kanonische Recht schrieb dem Richter und seinen Gehilfen vor, den Prozess schriftlich zu fuhren. Klagen und Klagantworten, Zeugenprotokolle und Urteile mussten auf Papier festgehalten werden, da der Schriftlichkeit höhere Be-

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Vgl. A. Steins, Zivilprozess. Daneben H J . Budischin, Zivilprozess, und für den Strafprozess auch W M. Plöchl, Geschichte II, 311-324. Vgl. dazu v. a. W M. Plöchl, Geschichte II, 312-16, und K. W. Nörr, Prozesszweck. Erschien die Partei auf die Ladung hin nicht, wurde sie erneut zitiert. Maximal erfolgten drei Ladungen. Der Richter konnte jedoch bereits die erste Ladung für peremptorisch, das heißt für unbedingt erklären. Der deutsche Text des vor dem Speyrer Offizials abzulegenden Kalumnieneids ist ediert bei 0 . Riedner, Gerichtshöfe, Nr. 28. Sie ist vom Zwischenurteil (sententia interrogatoria) zu unterscheiden, womit der Richter während des Verfahrens auftauchende Nebenpunkte entschied. Die Parteien konnten auch gegen ein interrogatorisches Urteil appellieren. A. Lefebvre-Teillard, Recherches, 65-69.

weiskraft zugesprochen wurde als dem verhallenden Wort. Nur die Verhandlungen wurden mündlich geführt.115 Die finanziellen Kosten eines kanonischen Prozesses waren entsprechend dem aufwendigen Verfahren relativ hoch. Wer vor dem Konsistorium stand, ob freiwillig oder nicht spielte keine Rolle, der musste unter Umständen tief in die Tasche greifen, zumal jede Prozesspartei sich einen Sachwalter leisten musste, und die Gebühr für die Besiegelung des Urteils zwischen den Parteien geteilt wurde.116 Um Kosten zu sparen, standen dem Richter und den Parteien zwei Möglichkeiten offen. Sofern es sich nicht um rein geistliche Angelegenheiten handelte, war der Richter in jedem Stadium des Prozesses gehalten, die Parteien zu einer gütlichen Einigung zu bewegen.117 Als andere verbilligende Maßnahme konnte der Offizial das Verfahren abkürzen und summarisch prozessieren.118 Das Dekretalenrecht ermöglichte es ihm in Ehe-, Zehnt- und Wucherfällen sowie in Streitigkeiten um die Besetzung von kirchlichen Ämtern, den Prozess in einem Schnellverfahren zu entscheiden, rechtstechnisch formuliert: simpliciter et de piano, ac strepitu iudicii et figura. Das verkürzte die Prozessdauer insofern, als allein das Beweisverfahren, die Verteidigung sowie die schriftliche Abfassung des Urteils und dessen förmliche Verkündigung durchzuführen blieben. Hingegen konnte auf das Klaglibell und die Litiskontestation verzichtet werden.119 Auch war der Richter gehalten, die Fristen möglichst kurz zu setzen, die Zahl der Zeugen nach Möglichkeit zu beschränken und notfalls sogar während seiner Ferientage Recht zu sprechen. Dem Richter wurde so „gegenüber aller Verzögerungstaktik der Advokaten und Parteien [...] gewissermaßen 'plein pouvoir' nach freiem Ermessen gewährt".120 Das strafrechtliche Verfahren setzte sich im wesentlichen aus denselben prozessualen Elementen zusammen wie das zivilrechtliche. Die wichtigsten Unterschiede bestanden darin, dass erstens das zuständige Gericht nicht nur dasjenige am Wohnort des Beklagten zu sein brauchte. Ein Verstoß gegen kirchliche Normen konnte auch dort verfolgt werden, wo das Vergehen stattgefunden oder wo man den Delinquenten gefangengenommen hatte. Der zweite Unterschied betraf die Einleitung des Verfahrens. Das Dekretalenrecht kannte zwei Möglichkeiten, die

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Diese Informationen finden sich in jedem Lehr- und Handbuch über das kirchliche Recht, ausführliche Belegstellen aber nur bei N. München, Gerichtsverfahren I, 85, 21 lf. N. München, Gerichtsverfahren I, 218ff. W M. Plöchl, Geschichte II, 325. Zum Güte- und Schiedsgedanken vgl. die Arbeit von Paul Caspers, Der Güte- und Schiedsgedanke im kirchlichen Zivilgerichtsverfahren. Eine kirchenrechtliche Untersuchung über das Wesen der episcopalis audientia (Diss, jur ), Düsseldorf 1954, 50-59, bes. 56. N. München, Gerichtsverfahren I, 334-345. Weitere prozessverkürzende Maßnahmen finden sich in diversen Gerichtsstatuten; vgl. A. Steins, Zivilprozeß, 211-217. In allen in den Diözesen Basel und Konstanz geführten und für diese Studie ausgewerteten Eheprozesse wurde die Litiskontestation durchgeführt. F. Elsener, Exkommunikation, 73.

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Anklage und die Inquisition.121 Wer beim Akkusationsprozess klageberechtigt war, hing vom Vergehen ab. 'Privatdelikte' (Diebstahl, Beleidigung u.a.) konnte die geschädigte Person selbst vor den Richter bringen. Im Fall der sogenannten 'öffentlichen Sünden' (Ehebruch, Häresie, Mord u.a.) stand das Rügerecht hingegen allen zu.122 Eine mündliche Anzeige oder auch ein Gerücht {publica fama) konnten den Inquisitionsprozess eröffnen. Seit der Wende zum 14. Jahrhundert genügten dazu bloße Verdachtsmomente. Der Richter war kraft seines Amtes verpflichtet, dem Verdacht nachzugehen. Der Strafprozess war somit ein Offizialverfahren im Gegensatz zum Parteienprozess in zivilen Fällen.123 Bei ungenügender Beweisführung konnte sich die verdächtigte Person durch den Reinigungseid vom Verdacht befreien. Ein Unterfall des Inquisitionsverfahrens war der Denunziationsprozess. Er unterschied sich in zweifacher Weise von ihm. Der Anzeiger war von der Beweislast entbunden, und der Prozess war nur zulässig, wenn zuerst versucht worden war, den Sünder außerhalb des Gerichts zur Reue zu bewegen (corredici caritativa, denunciatio evangelica) ,124 Der kanonische Eheprozess war, was das Verfahren betraf, in gewissem Sinn eine Zwitterform.125 Er enthielt der Form nach wesentliche Elemente des Strafprozesses. Gefuhrt wurde er ähnlich wie ein Anklage- oder Inquisitionsprozess. Vom Inhalt her war er aber kein eigentlicher Strafprozess. Denn das Ziel war die gerichtliche Feststellung, ob eine Ehe vorlag. Daran war keine Strafsanktion geknüpft.

2.2.2 Der Beamtenapparat in Basel, Konstanz und Chur Um diese Aufgaben wahrzunehmen, dieses Verfahren durchzuführen sowie die Urteile durchzusetzen, stand den Offizialen ein Stab qualifizierter Mitarbeiter, daneben aber auch der gesamte niedere Klerus der Diözese als ausführendes und das 121

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Dazu W M. Plöchl, Geschichte II, 316-320. Hier auch Angaben über die Abart des Inquisitionsprozesses, den Ketzerprozess. Zur Entstehung des Inquisitionsprozesses vgl. Winfried Trusen, Der Inquisitionsprozess. Seine historischen Grundlagen und frühen Formen, in: ZRG KA 74 (1988), 168-230. Der Kläger hatte jedoch auch die Beweislast zu tragen. Konnte er die Klage nicht beweisen, hatte er unter Umständen selbst die Strafe für das angeklagte Verbrechen auf sich zu nehmen. Das arbeitete zuletzt heraus K. W. Nörr, Prozesszweck. Das Prozedere war biblisch begründet (Matthäus 18,15ff.). Die Bibelstelle spielte für Reformatoren die zentrale Rolle, um den evangelischen Strafprozess zu legitimieren. - Die denuntiatio evangelica erlaubte es dem kirchlichen Gericht unter dem Vorwand, dass es sich um ein sündhaftes Vergehen handelte, jede Streitigkeit vor sein Forum zu ziehen; CIC: X 2.1.13. Vgl. G. May, Gerichtsbarkeit, 152f. Als „Sünde" nannte das Kirchenrecht oftmals den Vertragsbruch; E. Eichmann, recursus, 14. Zu den Unterschieden vgl. W M. Plöchl, Geschichte II, 318ff.

Gericht informierendes Organ zur Verfugung.126 Die Zahl der Ämter und der Beamten schwankte je nach Größe des Bistums. Der Minimalbestand an Personal, der sich an sämtlichen Gerichtshöfen des Untersuchungsraums findet, setzte sich zusammen aus dem Richter, Siegler, Fiskalprokurator, den Notaren, Prokuratoren, Advokaten und Kommissaren sowie den Hilfsschreibern und Briefboten.127 Als Beamte einer kirchlichen Institution genossen sie theoretisch die geistlichen Vorrechte, die privilegia fori et immunitatis, obwohl sie oftmals eine Familie hatten und also keine eigentlichen Kleriker waren. Das war in der Praxis aber umstritten. In Basel z.B. blieb es lange gewiss, ob die Beamten rechtlich und ökonomisch exemt und privilegiert seien. Die weltliche Obrigkeit ließ sich 1488 das kaiserliche Recht verleihen, alle Ortsansässigen, auch die Geistlichen zu besteuern. Aber erst 1515 fiel das Steuer- und Gerichtsstandsprivileg der Kleriker endgültig, nach hartnäckigem Insistieren von Bürgermeister und Rat.128 Auch in Konstanz bestritt der Rat teilweise erfolgreich die rechtliche und steuerliche Sonderstellung der Gerichtsbeamten. Während die Gerichtsstatuten von 1475 noch bestimmten, dass mit Ausnahme der auswärtigen Kommissare und Prokuratoren kein Beamter das städtische Bürgerrecht annehmen oder sich in den Schutz und Schirm einer anderen als der bischöflichen Herrschaft stellen dürfe, handelten 1511 Bischof Hugo von Hohenlandenberg und der Konstanzer Bürgermeister und Rat einen Vertrag aus, der sämtliche Privilegien zumindest eines Teils der Gerichtsbeamten aufhob.129 Am Basler Offizialat waren nach den um 1480 erlassenen Gerichtsstatuten zwischen 25-30 Personen tätig:130 ein Offizial, ein Siegler, der - dies ist eine Basler Eigenart - zugleich Generalvikar war,131 mindestens zwei Advokaten, acht Nota-

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Die kanonistische Literatur erwähnt den Diözesanklerus als verlängerten Arm des geistlichen Gerichts in der Regel nicht. Die Kirchengerichte aber waren ohne die Ortsgeistlichen nicht funktionsfähig. Das belegt eindrücklich der edierte Briefwechsel zwischen dem Siegler des bischöflichen Offizialats in Chur mit Priestern verschiedener Pfarreien; O. Vasella, Kurie. Vgl. auch die Mahnung desselben Sieglers an einen Pfarrer, einen Prozess zu exekutieren, in: O. Vasella, Entstehungsgeschichte, 191f. Zuletzt auch Th.D. Albert, Rechtsprechung, 147. Erwägenswert, wenn auch kaum überprüfbar ist die Überlegung von Buchholz-Johanek, wonach die Urteilsverkündigung von der Kanzel der zuständigen Pfarrkirche ein vom Gericht „einkalkuliertes Mittel" gewesen sei, „die übrigen Bauern auch ohne Klage und Prozeß zu veranlassen, ihre Zehntgewohnheiten zu überdenken"; I. Buchholz-Johanek, Richter, 128.

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Dazu allgemein W. Trusen, Gerichtsbarkeit, 473-479. P.-J. Schuler, Geschichte, 185. 129 GLAK: 65/291, fol. 1. P.-J. Schuler, Geschichte, 186f. 130 Th. Gottlob, Offiziale Basel, 154-157. Da Gottlob nur mit der lückenhaften Edition der Gerichtsstatuten von Trouillat arbeitete, sind seine Angaben unvollständig. Im Folgenden stütze ich mich auf die Statuten, die in einer Abschrift aus dem Jahr 1514 erhalten sind. Knapp zu den Basler Synodalstatuten im Allgemeinen Karl Holder, Basier Synodalstatuten, in: Katholische Schweizer-Blätter, Neue Folge 20(1904), 241-258. 131 AAEB: A 85/33 (Gerichtsstatuten, Abschrift 1514), 4: ordinamus ut idem vicarius crut edam sigillifer noster. 128

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re,132 vier bis sechs Prokuratoren,133 ein Fiskalprokurator, ungefähr zwei oder drei Kommissare, ein Proklamator, der die Zitationen und Monitionen verkündete, ein Registrator - auch Kanzellator oder Taxator genannt -,134 sowie mindestens je zwei Pedelle und Briefträger.135 In Konstanz waren es laut eines Vertrags, den der Bischof mit der Stadt Konstanz 1511 aushandelte, 21 geschworene Beamte (iurati), die der Verbürgerlichung entgingen: fünf Notare, je sechs procuratores maioresm und minores, ein „familieschreyber", der die großen Exkommunikationen schrieb, ein Investiturschreiber, ein Pedell und ein Kommissar.137 Wie viele Beamte das Gericht darüber hinaus beschäftigte, lässt sich kaum errechnen. Die Gerichtsstatuten der Bischöfe Marquard (1398-1406) und Hugo von Hohenlandenberg (1496-1529) erwähnen überdies je einen Richter und Siegler, mindestens zwei Advokaten, einen Proklamator sowie sechs Briefboten.138 Angaben über den Personalbestand des Churer Konsistoriums müssen auf Umwegen gesammelt werden, da der direkte Weg über die Gerichtstatuten oder die Bestallungen mangels Überlieferung nicht begehbar ist. Der Beamtenapparat war höchstwahrscheinlich kleiner als in den Diözesen Basel und Konstanz. Zwei Gründe sind dafür zu nennen. Das Bistum war verhältnismäßig klein, vor allem aber gebirgig, und deshalb die Bevölkerungsdichte entsprechend niedrig. Da war kein Bedarf nach einem großen, ausgebauten Gericht. Darauf weisen zudem die 132

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AAEB: A 85/33 (Gerichtsstatuten, Abschrift 1514), 13: In primis quod ex nunc et in futurum sint quattuor notarii superiores, numero non plures collatérales. Die „höheren Notare", das waren der Notar des Generalvikars, der Notar des Domkapitels, deijenige des bischöflichen Fiskals und der Sekretär des Bischofs. In der Praxis scheint der Notar des Generalvikars mit demjenigen des Fiskals identisch gewesen zu sein. In einem Akt der freiwilligen Gerichtsbarkeit waren 1477 fünf Prokuratoren als Zeugen anwesend: „Johannes Erlibach, Johannes Spuli, Caspar Brilinger, Heinrich Gredler und Jörg Schmit, procuratores"; StABS: Gerichtsarchiv AA 18, fol. 214. Siehe auch die Namen, die auf den Protokollen der Eheprozesse notiert wurden; StABS: Gerichtsarchiv AA 2-5. Ein unvollständiger Überblick über Prokuratoren und Advokaten bei R. Wackernagel, Geschichte II/2, 576f. In den Gerichtsstatuten wurden die einzelnen Aufgabenbereiche dieses Beamten zur besseren Unterscheidung in drei Kapiteln - de registratore, de cancellatore, de taxatore - untergebracht. Es handelt sich aber nicht um drei Beamte; AAEB: A 85/33 (Gerichtsstatuten, Abschrift 1514), 39: De cancellatore. In primis statuimus, prout antiquitus dinoscitur tentum, quod ex nunc et in fiiturum unius quem adhoc pro tempore deputaverimus, exerceat officia registrature et cancellature et taxe nostre curie. Der Unterschied zwischen den pedelli seu cursores und den latores bestand wohl im Aktionsradius. Die Pedelle wohnten den Gerichtsverhandlungen bei und waren innerhalb des städtischen Rechtsbezirks tätig, die Briefträger nur außerhalb desselben In der Taxordnung wird nur den Pedellen ein eigenes Kapitel gewidmet: Item pro qualibet citacione infra muros antique civitatis Basiliensis 2 d., in suburbio vero 4 d:, AAEB: A 85/33, (Gerichtsstatuten, Abschrift 1514), 47. In drei Urkunden des OfFizialats von 1441 werden insgesamt sechs Prokuratoren namentlich genannt. REC 4, Nrn. 10455, 10468, 10492. Die Gerichtsstatuten von 1475 beschränkten ihre Zahl auf vier; GLAK: 65/291, fol. l l v P.-J. Schuler, Geschichte, 186f. Th. Gottlob (Hg ), Gerichts- und Kanzleiordnung, 198-213. GLAK: 65/291, fol. 1-20 und 21-70.

mehrfachen Ämterkumulationen hin. Das Generalvikariat und das Offizialat werden immer in Personalunion ausgeübt, 139 mindestens ein Prokurator war zugleich Gehilfe des Fiskalprokurators, 140 und der Siegler scheint den Eintragungen des DG zufolge gleichzeitig das Amt eines Registrators ausgeübt zu haben sowie - zumindest zeitweise - als Fiskal tätig gewesen zu sein.141 Sicher belegt werden können nach 1500 ein Offizial, ein Siegler,142 ein Fiskalprokurator, 143 vier Notare, 144 drei oder vier procurators causarum145 und mindestens drei Briefträger. 146 Auch ständige Kommissare sind nachzuweisen Zu den Gerichtsbeamten im weiteren Sinn gehörten auch die delegierten Richter im Misox. 147 Die Aufgaben der einzelnen Beamten waren die folgenden. Der Siegler war nach dem Offizial die ranghöchste Person in der Behörde. Er verwaltete das Siegel und zog die Siegelgebühren ein. Die Notare, ohne die seit dem 4. Laterankonzil kein schriftliches Gerichtsverfahren durchzuführen erlaubt war, 148 waren für sämtliche Schreibarbeiten der Kurie

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O.P. Clavadetscher, Richter, 30-34. - In der Zeit, aus der die im Rechtsprechungskapitel ausgewertete Quelle stammt, sind sechs Richter namentlich nachzuweisen. Die prosopographischen Angaben bei O.P. Clavadetscher - W. Kundert, Generalvikariat, 524f. 140 DG 1/1, 1: magistro Johannes Marügkh causarum curie Curiensis procurator assumptus est [...] ad providendum et sollicitandum officium fisci (1517 Januar 18). 141 Das war 1504 der Fall, als der Siegler Paul Erenzheimer aus Kempten zugleich Fiskal war; 0 . Vasella, Reform, 18 Anm. 35. 142 O. Vasella, Kurie, 15f. - Zwischen 1496-1527 waren insgesamt drei Siegler tätig. 143 DG 1/1, 1: Johannes Brunolt; DG 1/2, 503: Johannes Marück, vermutlich Brunolts Vorgänger. 144 DG 1/1, 2 u. ö.. Johannes Hoffischer; DG 1/1, 237: Lucius Mateus (Kollateralnotar); DG 1/1, 239 u. ö.: Franciscus Studer (Kollateralnotar); DG 1/2, 400: Bing; DG III, 215: Christanus Berri; DG 1/2, 402 u. ö.: Lucius Marcus Munghofer (Kollateralnotar). - Weitere im DG genannte Notare, deren Zugehörigkeit zum geistlichen Gericht aber nicht sicher ist, waren: DG Vi, 44: Johannes Hoffmann; DG 1/1, 58 u. ö.: Christoph Pfefferkorn aus Chur; DG 1/3, 686: Johannes Lender (substitutus notarli); DG 1/3, 708: Lucius Maier; DG 1/3, 719 u. ö.: Andreas Bell; DG 1/4, 1042: Johannes Travers; DG 1/4, 1054: Ulrich Schriber; DG 1/4, 1056: Ulrich Jäcklin. Zu Pfefferkorn vgl. die prosopographischen Daten bei O. Vasella, Untersuchungen, 148, Nr. 260. - Die von Pool gefertigte Studie über die Notare im Engadin liefert wichtige prosopographische Informationen, fragt aber nicht nach möglichen Beziehungen dieser Personen zum geistlichen Gericht; G. Pool, Notare, Nm. 29a [Bell], 1 ld [Jecklin], 27c [Travers], 145 DG 1/1, 1 u. ö.: Johannes Marückh; DG 1/1, 59 u. ö.: Lucius Kreyer; DG 1/1, 238 u. ö.: Magister Konrad Scriptor; DG 1/1, 255 u. ö.: Johannes Vetter; DG II, 15, 22: Christan Berrli; DG II, 9: Magister Johannes Risch Luci. Die beiden letztgenannten werden nur in ganz wenigen Fällen aus den Jahren 1523/24 erwähnt. - Weitere vermutlich ebenfalls geschworene Prokuratoren: DG 1/1, 243: Chrispin Nussbaumer; DG 1/3, 642: Jörg Battalia; DG 1/3, 679: Jann Donaw. 146 Bernhard Gnepff, Michael Mer und Michael Kiber. Vor allem die Namen der ersten beiden finden sich im DG auf fast jeder Seite. Kiber war gleichzeitig deutscher Schulmeister in Bludenz; K.-H. Burmeister, Kulturgeschichte, 162. Vgl. auch O. Vasella, Kurie, 20f. und Nrn. 4, 10. 147 O. Vasella, Geschichte, 94. 148 Der 38. Kanon des 4. Laterankonzils forderte die Anwesenheit einer persona publica oder zweier geeigneter Zeugen während des ganzen Prozesses.

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zuständig.149 Dazu traten Akte der freiwilligen Gerichtsbarkeit wie beispielsweise die Echtheitsanerkennung von Vertragsabschlüssen, die Anfertigung von Abschriften oder Beglaubigungen. Durch Spezialdelegation konnte ihnen auch die Untersuchung eines ganzen Falls oder die Vernehmung der Zeugen übertragen werden. Ihre Gruppe lässt sich hierarchisch in vier Klassen einteilen: notarii superiores (principales; consistorii), notarii collatérales, notarii iurati (minores), scribae. Die beiden ersten Gruppen, die sogenannten notarii publici, waren die fest besoldeten Schreiber der Kurie. Registratoren waren hauptsächlich für die Registrierung der exkommunizierten Personen verantwortlich. In Basel rechnete der Beamte offenbar auch noch die Einnahmen aus den ausgegangenen Schriftsätzen zusammen. Sachwalter, Prokuratoren, gab es zweierlei. Der Fiskalprokurator verfolgte von Amts wegen die sogenannten öffentlichen Sünden wie Ehebruch, Konkubinat und Unzucht.150 Der procurator causarum vertrat die Parteien auf ihren Wunsch im Zivilprozess. Die juristisch ausgebildeten Advokaten verfassten die Klagschriften und andere Schriftsätze, die das kanonische Verfahren für einen gültigen Prozess forderte. Sie konnten auch als Prozessvertreter vor Gericht erscheinen. Die Kommissare (commissarius foraneus) waren sozusagen der verlängerte Arm des Konsistoriums, das Verbindungsglied zwischen den Parteien und dem Gericht.151 Auf der untersten Stufe der Beamtenhierarchie standen die Boten, Pedelle und Briefträger. Die Gerichtsstatuten beschreiben ausfuhrlich das Pflichtenheft, das Anforderungsprofil an die Beamten skizzieren sie hingegen nur grob. Offenbar stand das von vornherein und zweifelsfrei fest oder war aus den einzelnen Aufgaben bereits 149

Ausfuhrlich und für den südwestdeutschen Raum grundlegend P.-J. Schuler, Geschichte, bes. 181-

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Zur relativ späten Entwicklung des Amts vgl. G. May, Fiskalprokurator, 82-106. Die Handbücher erwähnen sie nicht, weil es sich offenbar um einen Beamtentyp handelt, der erst im 15. Jahrhundert und wahrscheinlich nicht an allen Offizialaten als ständiger Gerichtsdiener eingesetzt wurde. Ob es sich um eine Eigenart der drei untersuchten Gerichte handelt, ist noch abzuklären. Jedoch fallt auf, dass die Gerichtsordnung des Speyrer Offizialats aus dem Jahr 1479 keine Kommissare erwähnt; vgl. 0 . Riedner, Gerichtshöfe, Nr. 26. In den Halberstädter Gerichtssatzungen aus dem 15. Jahrhundert findet sich ein Hinweis auf einen Kommissar. In der Ordnung von 1490 heißt es: In opido Brunswick episcopus Halberstadensis aut eius officialis habere poterit unum et archidiaconi vel eorum commissarii similiter unum procuratorem. Damit ist aber sicher nicht derselbe Typ „Kommissar" gemeint. Seine Aufgaben wären sonst in einem eigenen Artikel festgeschrieben worden. Das Zitat in: N. Hilling (Hg.), Gerichtsordnungen, 34. Hingegen scheinen auch bischöfliche Offizialate in französischen Diözesen Kommissare desselben Typs wie in Basel, Konstanz und Chur eingestellt zu haben. Vgl. die Hinweise bei A. Lefebvre-Teillard, Recherches, 37. - Bei den von Hannappel im thüringischen Gebiet des Bistums Mainz aufgespürten Kommissare handelt es sich um delegierte Richter. Die Basler, Konstanzer und Churer Kommissare hingegen durften keine Urteile fallen. Vgl. M. Hannappel, Kommissare, bes. 152f.

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deutlich genug herauszulesen.152 Natürlich erwartete der Bischof, dass die Gerichtsdiener rechtschaffen und ehrlich sein sollten. Von den Prokuratoren heißt es überdies, sie müssten alle schreibkundig sein, damit der Kurie Schmach und Schande erspart bleibe.153 Einige Bestallungsbriefe von Basler Beamten sind noch erhalten. Ihre stereotype Formulierung deutet auf eine Vorlage hin. Der Arbeitgeber - der Ausdruck ist nicht zu modern - teilte den Untergebenen ihre Aufgaben mit, erörterte die in sie gesetzte Erwartung und äußerte sich zum Lohn.154 Ferriat Schaffner aus Delsberg war seit 1454 einer der kurialen Briefboten. Der Bischof trug ihm auf, die Urkunden, Akten und gerichtlichen Anordnungen - „unsers hofs brief, process und mandata" - im ganzen Bistum auszutragen und den Adressaten zukommen, beziehungsweise sie verkünden zu lassen. In den meisten Fällen wird der Briefbote den Dorfgeistlichen aufgesucht und ihm die Schriftsätze übergeben haben, damit dieser sie auf der Kanzel öffentlich verlesen konnte.155 Ein zweites, ausfuhrlicheres Beispiel einer Bestallungsurkunde ist diejenige für den Fiskalprokurator Ulrich Stadel, die Bischof Christoph von Utenheim 1503 bestätigte.156 Wie es einem frommen Amtmann gebühre, habe er alles zu unternehmen, um die strafwürdigen Handlungen, die von Klerikern oder Laien im ganzen Bistum begangen würden, zu untersuchen und die Übertretungen der sittlichen Ordnung zu bestrafen. Die Geldbußen seien „vlyssig unnd truwlich" einzuziehen, wobei er Arme und Reiche gleich behandeln solle. Die Übeltäter, die ihr Unrecht einsähen und Reue zeigten, sollten mit seiner Milde rechnen dürfen. Im Bestallungsbrief wird auch die Höhe des jährlichen Lohns, sowohl des Bargelds auch der Naturalien festgesetzt.157 28 fl. standen dem Fiskal zu, ein Kleid - „ein hofrock" oder als Ersatz dafür 3 lb. Stebler. Auch für die Nahrung und den Unterhalt seines Pferdes, das der Fiskal für seine Amtsgeschäfte benutzte, kam der Bischof zumindest teilweise auf: 8 Vierzel Hafer und 6 fl. für Heu, Stroh und die Beschlagung 152 153

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Zu den kirchenrechtlich festgesetzten Qualifikationen vgl. W. Trusen, Gerichtsbarkeit, 473-79. AAEB: A 85/33, (Gerichtsstatuten, Abschrift 1514), 23: nullus ad officium [...] admittatur, nisi sciai congrue scribere citationes, monitiones, aggravations ceterosque processus per eos scribendos ad vitandum dedecus et scandalum nostre curie. Neben den Bestallungsurkunden, aus denen im Folgenden zitiert wird, ist die Ernennungsurkunde von 1517 fur den Offizial Ulrich Schmotzer zu erwähnen; AAEB: Variarum bullarum copiae, Buch Nr. 409. In einer Imbreviatur ist überdies vom Eid des Kommissars in Ensishein die Rede. Der Magister Wemher Meiger aus dem elsässischen Münster (Munster vallis sancii Gregorii) schwor 1521 dem Generalvikar, dass er das Amt treu und gehorsam ausüben wolle, wie es das sogenannte Liber marcarum vorschreibe iprout in libro marcarum idipsum iuramentum continet). Im aus dem Jahr 1441 stammenden liber marcarum findet sich jedoch nichts, was die Kommissare berührt; vgl. Joseph Trouillat - Louis Vautrey (Hgg ), Liber Marcarum, Porrentruy 1866. AAEB: A 85/37. Wie aus dem Text hervorgeht, hatte die Bestallungsurkunde gleichzeitig die Funktion eines Geleitbriefs. AAEB: A 85/37. Das Einkommen der Offiziale setzte sich in der Regel aus mehreren Posten zusammen. Einzelne unterrichteten an der Universität, andere hatten ein Pfründe. Vgl. dazu die Prosopographien bei Wackemagel, Ottnad und Clavadetscher-Kundert.

73

bewilligte er. Ein letzter Teil des Gehalts bildeten die Sportein, die Einnahmen aus den verlangten Gebühren und Geldbußen. Von jeder Strafe gehörten 5 ß. Stebler dem Fiskal. Voraussetzung war allerdings, was eigens notiert wurde, dass die Summe zuerst eingenommen worden war. Gleichzeitig mahnte der Bischof, keine unnützen und überflüssigen Kosten für die bischöfliche Verwaltung oder für die Delinquenten zu verursachen. Der Inhalt des Anstellungsvertrags von Johann Steinhusers, der 1523 zum Fiskal und ein Jahr später zum Offizial ernannt wurde, dürfte ähnlich gelautet haben. Erhalten sind nur noch die Vertragsverlängerungen von 1529 und 1532, worin die inhaltlichen Änderungen festgehalten wurden.158 Die Bestallungen sind aus zwei Gründen interessante Dokumente. Daraus geht nämlich hervor, dass der Arbeitsvertrag zeitlich befristet war. Dies unterstreicht den modernen Charakter der geistlichen Gerichtsverwaltung. Das Offizialat war eben keine kirchliche Pfründe auf Lebenszeit, sondern eine beidseitig kündbare Beamtenstelle.159 Zweitens kann die Bestallung auch als eine Art Lohnausweis über das Grundgehalt gelesen werden, da sie Auskunft über den Natural- und Geldlohn gibt, der dem Beamten neben seinen aus der richterlichen Tätigkeit fließenden Haupteinnahmen zukam. Dem Offizial und Vikar wird zugesichert, dass er jährlich Anrecht auf ein Fass „halbfiderig mit win" aus Binzenheim habe. Das ihm 1523 versprochene zweite Fass wurde 1532 ersetzt durch einen jährlichen Geldbetrag von 12 fl.160 Weiter wird Steinhuser eine Expektanz versprochen. Und zuletzt heißt es, dass der Offizial gleich wie das Hofgesinde jedes Jahr mit einem Winterkleid ausgestattet würde.161

158

AAEB: A 85/35, 17ff., 23-28. Steinhuser bekleidete seit 1520 das Amt des Generalvikars. 1524 wird er zudem als Offizial erwähnt. Prosopographische Daten bei André Chèvre, Le vicariat générale et l'officialat de Bâle depuis la Réforme, in: HelSac 1/1, 256-267, hier 258. 159 AAEB: A 85/35, 18f.: „Dise bstallung soll uff den meytag nechst verschinen anfahen und vier jar nechstkunfftig uffeinander weren. Und so dhein theil dem andern abkunden wolt, solle solchs ein halb Jar vor usganng des lettsten jars bschehen." Vgl. auch ebd., 26. Der moderne Charakter des Amts schloss nicht aus, dass es gekauft werden konnte. Mattheus Müller alias Matheus Steinmetz, zwischen 1470-80 Offizial, bezahlte dem Bischof etwa 230 fl. dafür. Der Beleg bei W.D. Wackernagel, Offizialat, 251. 160 Zum Vergleich: Bürgermeister und Oberzunftmeister der Stadt Basel bezogen 1532/33 ein Gehalt von je etwa 50 fl., der Salzmeister und der Salzschreiber ihrerseits verdienten je 16 fl. Zu den Jahresgehältern baselstädtischer Beamten vgl. J. Rosen, Verwaltung, 146f. Rosen berücksichtigt aber nicht, dass die Beamten zusätzlich auch in Naturalien entlöhnt wurden. Diese machten in der Regel etwa die Hälfte des Gesamtlohnes aus. 161 AAEB: A 85/35, 17f. Den besonderen, durch die Reformation bedingten Umständen, die 1529 den Umzug des Offizialats von Basel nach Altkirch nach sich zogen, verdankt sich folgender Zusatz: „Und so sich begeb, das consistorium wider zu Basel gehalten wurd, solle im [= Steinhuser; Anm. T.D.A.] min gnediger herr ein zimbliche behusung verschaffen."

74

2.2.3 „Costen solicher process oder brief Die Beamten bezogen, wie aus den Bestallungsbriefen ersichtlich ist, ein festes, verglichen mit städtischen Löhnen großzügig bemessenes Grundgehalt. Vermutlich verdienten sie aber mindestens eben soviel an den Gebühren, die die Parteien für die verschiedenen Schriftsätze und die Arbeit der Gerichtsdiener entrichteten. Die relativ moderne Prozessführung, wofür insbesondere der Grundsatz der Schriftlichkeit angeführt werden kann, hatte ihren Preis. Jede Urkunde und jede Akte, die in der Kanzlei geschrieben wurde, kostete einen bestimmten Geldbetrag. Taxordnungen aus Basel und Konstanz geben Aufschluss über die genaue Höhe. Die Basler Gebührenordnung, die einen Teil der Statuten von 1480 bildete, ist in zahlreiche Abschnitte gegliedert.162 Sie listet nicht nur für jeden Beamten getrennt auf, wie viel er an welchem Schriftsatz verdiente, sondern führt auch einzelne Dienstleistungen separat auf, das Schreiben von Signaturen beispielsweise. Kein Beamter verdiente an einem Schriftsatz oder an einer Amtshandlung weniger als 1 d. und mehr als 12 ß. 6 d. Die ausführliche Taxordnung kann nicht vollständig, sondern nur auszugsweise wiedergegeben werden. Aber es lohnt sich, zumindest die Sportein wenigstens eines Beamten in ganzer Länge aufzulisten. Ausgewählt wurde der Offizial. Das entsprechende Unterkapitel {de taxa qfficialem concernente) fuhrt vier Taxpunkte auf. Der Richter vediente am dezisorischen Eid jeder Partei 4 d., eben soviel am Eid eines Zeugen, das interlokutorische Urteil brachte ihm 6 d. ein, und das Endurteil 1 ß. 6 d.163 Für die Parteien, die freiwillig oder gezwungenermaßen in einen Prozess verwickelt waren, war aber unwichtig, wie viel ein Beamter an einem End- oder Zwischenurteil verdiente. Aus ihrer Sicht zählte der Gesamtbetrag. Deshalb werden die Abschnitte de taxa litterarum summarum und de taxa signaturarum, confessatorum et aliorum contractum ausführlicher vorgestellt. Zuerst aber soll gezeigt werden, wie viel das Gericht an den vermutlich am häufigsten verschickten Briefen einnahm, nämlich für Zitationen, Bannbriefe und Absolutionen, sowie gleichzeitig dargestellt werden, welcher Beamte wie viel daran verdiente.164

162

AAEB: A 85/33 (Gerichtsstatuten, Abschrift 1514), 40-47. Ergänzende Angaben über die Taxen finden sich zudem in den meisten Kapiteln, die über die Aufgaben der Beamten orientieren. 163 AAEB: A 85/33 (Gerichtsstatuten, Abschrift 1514), 42. Natürlich kostete ein Endurteil mehr. Genannt wird aber nur der Betrag, der dem Offizial zustand. Zum Vergleich sei erwähnt, dass der Siegler an jedem Endurteil 6 d. verdiente. 164 AAEB: A 85/33 (Gerichtsstatuten, Abschrift 1514), 40, 43.

75

Tabelle 1 : Einnahmen aus Schriftsätzen fur Kirchenstrafen (Bistum Basel) Briefe 163 Zitation 1. Bannbrief 2. Bannbrief 3. Bannbrief 4. Bannbrief omnes sententiae Interdiktsmahnung Interdikt Invocatio176 Mahnung suspensio absolutio - simplex - reincidenciae relaxado

Beamte

a,66

2d. 4 d. 5 d. 6 d. 8 d. 8 d. 6 d. 6 d. 6 d. 4 d.

b167

.168

c

d169

3/2 5 5 5 5 6/7

2d. 4 d. 4 d. 4 d.

1 ß. 1 ß. 177 4 d.

ß. ß. ß. ß. ß. ß.

174

5 ß.

e 170

J.171

3 ß. 2d. 4 d. 4 d. 4 d. 6 d.

1 d.

gm

h 173 2-8 d 175

3d. 6 d.

1 d.

3d. 2d. 4 d. 1 ß.

1 ß.

5 ß. 178

2d.

1 ß.

5 ß. 179

4 d.

Nach diesem Verteilmodus kostete jede Ladimg mindestens 3 ß. 9 d. Ein Exkommunizierter musste fur den ersten Bannbrief 5 ß. 10 d. bezahlen und für die Absolution nochmals 6 ß. 4 d. 165

Die lateinischen Begriffe heißen: citatio simplex, contumacia, secunda bis ultima sententia, omnes sententiae ex registro, monitio interdicti, interdictum, simplex monitio. Sie werden teilweise noch spezifiziert. 166 a = Siegler. Hier wurden nur die Taxen der Rubrik mit dem folgenden Titel aufgenommen: De taxa sigilliferum concernente processuum quando ftunt per latorem execucionem. Die Taxen der Rubrik Quando autem processus emittuntur per non iuratum latorem subscripta veniunt ad sigillum solvendum sind zwischen 1-3 d. höher. 167 b = Prokurator: Taxa processuum in scriptura procuratori bus per taxatorem taxanda. 168 c = Gerichtssiegier: De taxa in sigillo servanda racione subscriptarum litterarum. 169 d = Notar: De taxa notariorum et primo de taxa notarti vicariatus. 170 e = Fiskalprokurator. 171 f = Proklamator. 172 g = Kanzellator. 173 h = Pedell. 174 Eine citatio ad respondendum libello cum avisacione kostete 3 ß., eine citatio alia quacumque in vaIvis 2 ß. 175 Der geringste Betrag, nämlich 2 d., forderte das Gericht von Personen, die innerhalb der alten Stadtmauer wohnten. Eine Ladung, die der Briefträger in einen Vorort (in suburbio) trug, kostete hingegen 4 d., und wenn sie an der Kirchentür (in valvis ecclesìe) ausgehängt wurde, gar 8 d. 176 In den Taxen für die Prokuratoren heißt es invocatio brachii secularis und invocati o iudicis lantgravii. Gemeint ist die Bitte des Konsistoriums an die weltlichen Gerichte, ihm bei der Durchsetzung seiner Rechtsansprüche und Urteile zu helfen. 177 Dies war der Betrag für die Anrufung der weltlichen Gewalt im Allgemeinen. Die Anrufung des landgräflichen Gerichts kostete 16 d. 178 Diesen Betrag erhielt der notarius vicariatus für die absolutio a canone. 179 Der Betrag stand dem notarius vicariatus zu.

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Die Zahl der summarisch geführten Prozesse war sicher nicht so hoch wie diejenige der Zitationen und Bannbriefe, obwohl wahrscheinlich ist, dass der Offizial die meisten Fälle im abgekürzten Verfahren durchführte. Der Abschnitt über die Gebühren für die Schriftsätze (littera) in summarisch geführten Prozessen ist in vier Abschnitte unterteilt.180 Sofern die Parteien nur ein einziges Rechtsgeschäft (icontractus) vortrugen, betrug die Grundgebühr 6 ß. Die Kosten wuchsen, wenn sie mehrere Rechtsakte in einem einzigen Prozess durchfuhren wollten, beispielsweise ein interlokutorisches Urteil verlangten oder gegen einen Entscheid appellierten.18' Ehefalle oder andere summarisch geführte Prozesse, in denen mindestens ein Zeuge befragt, das Konzept des Urteils oder bloß ein Auszug daraus verlangt wurde, kosteten 12 ß. Wie tief die Parteien in die Tasche greifen mussten, wenn der Prozess nicht nur durch Zeugen, sondern zusätzlich durch Gegenzeugen oder durch sonstige Schwierigkeiten wie die langwierige Prüfung der Beweise zum Beispiel verlängert wurde, bemaß sich an den jeweiligen Umständen. Eine dritte Gruppe besonders oft durchgeführter Rechtsakte war diejenige der freiwilligen Gerichtsbarkeit. Die Gerichtsordnung hielt ausdrücklich fest, dass die Taxen für die Signaturen und Imbreviaturen, die Konfessate und anderer Rechtsgeschäfte gleich hoch waren wie unter den Vorgängern. Die Notare verlangten für jedes protokollierte Schuldbekenntnis (confessatimi) 4 d.182 Die Grösse der Geldschuld spielte ebensowenig eine Rolle wie die Zahl der Schuldner. An den Konfessaten verdiente auch das Siegel. Wenn die Schuldsumme kleiner als 10 lb. war, kostete das 4 d., war sie höher, musste 1 ß. an das Siegel bezahlt werden. Aus dem Bistum Konstanz sind mehrere Gebührenordnungen überliefert. Die älteste ist diejenige des Offizialats in Freiburg im Breisgau, der Filiale des Konstanzer Hofs.183 Sie stammt aus dem Jahr 1345 und wurde von den Richtern des bischöflichen Gerichts in Konstanz erlassen.184 Daraus ist zu schließen, dass die Gebührenhöhe wohl für das ganze Bistum galt. Die Währung ist offenbar das Konstanzer

180

AAEB: A 85/33 (Gerichtsstatuten, Abschrift 1514), 43: In causis matrimonialibus, prophanis etc., ubi proceditur summarie simpliciter et de piano. 181 AAEB: A 85/33 (Gerichtsstatuten, Abschrift 1514), 43: Ubi autem plures contractus matrimoniales in una causa deducuntur, ibi de quolibet huiusmodi contractu ultra primum et ubi a sententia appellator sex solidi pro scriptura sententie solummodo, superaddentur examine principali scilicet de qualibet persona duobus solidis sibi salvis. 182 AAEB: A 85/33 (Gerichtsstatuten, Abschrift 1514), 44. Damit ist natürlich nicht die Reinschrift, die Ingrossatur, gemeint. Dafür mussten zusätzlich 6 ß. bezahlt werden; ebd., 45. 183 Im 15. Jahrhundert gab es nur noch ein einziges Offizialat, das in Konstanz. 184 „Wir richter des hoves ze Kostentz ku(i)nden allen den, die disen brief sehent aid ho(e)rent lesen, daz wir dur u(i)sers gerichtes ère und der lu(i)ten notdurft, die u(i)nsern hof von Friburg in der statte und in ir na(e)hi in Brisgo(e)y su(o)chent in iren sachen, u(i)nsers hofs botten mit gu(o)tem rat, den wir dar u(i)ber gehebt haben, genanden lôn von ie dem brief ze nemen, die si von u(i)nserm hof erwerbent und umb ze versehende ir tag, gesetzet haben nah dem lo(v)fF als hie nah geschriben stât;" P. Ladewig, in: ZGO 38 (1885), 204-208, hier 204. Danach auch die folgenden Zitate.

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Pfund.185 Die Urkunde enthält 22 Artikel. Vierzehn davon befassen sich mit den Preisen für die Briefe, die der Gerichtsbote zu überbringen hatte, die übrigen beschreiben die Aufgaben der Beamten. Die zweite Gebührenordnung ist die sogenannte „Friburg Taxa" von 1512. Bürgermeister und Rat der Stadt Freiburg erstellten sie gemeinsam mit dem Konstanzer Bischof, nachdem sich die Pedelle und Briefträger des Chorgerichts in Konstanz über Mängel und Unzulänglichkeiten des Verfahrens beschwert hatten.186

185 186

78

Über die Umrechnung in die Freiburger Währung ist nichts bekannt. Die näheren Umstände sind unbekannt. GLAK. 65/291, fol. 70v-73. Danach die folgenden Zitate.

Tabelle 2: Bistum Konstanz, Gebührenordnungen von 1345 und 1512 Art des Schriftsatzes Ladungsbrief - bis 2 Meilen um Freiburg - mehr als zwei Meilen - Zitation ad videndumnl 1. Bannbrief188 - Registrierung189 - Taxierung190 2. Bannbrief191 3. Bannbrief192 Bestätigung des Banns193 Interdikt - nachfolgende Beschwerungen 194 Reintrusion195 Absolution vom Bann - von lebenden Personen (kleines Siegel) - von lebenden Personen (großes Siegel) - von toten Personen Absolution vom Interdikt - von lebenden Personen - von toten Personen

Taxen (1345)

8 d. 4 d. -

20 d. -

2 ß.. 3 ß. 5 ß. 10 ß. je 5 ß. 3 ß. 3 ß. 10 ß. 6 ß. 10 ß. 20 ß.

Taxen (1512)

8 4 8 20 1 1 2 3

d. d. pro Meile d. d. d. d. d. ß.

-

4 ß. -

2 ß. 3 ß. -

unklar196 -

Gab es keine Inflation? Keine Geldentwertung?197 Blieb der Kaufwert während hundertfunfzig Jahren gleich hoch? Die Fragen drängen sich auf. Denn der Ver-

187

Was der Inhalt dieser Zitation war, ist unbekannt. Auch „erste contumacion" genannt. 189 Die Registrierung der Exkommunikation geschah laut Text nicht von Amts wegen: „Item zu registriern, ob er registrator begert, ain pfenning." 190 Was damit gemeint sein könnte, ist nicht klar, da die Taxation ja von vornherein feststand und allenfalls nur die Wegstrecke zu berechnen war, die der Briefträger für die Überbringung der Zitation zurücklegte. 191 1345 „andere swa(e)rung", d. h. „zweite Beschwerung", 1512 „excommunicatz" genannt. 192 Gemeint ist das Anathem: „Und von der driten swa(e)rung mit verschiessenn, mit brinnenden kertzen und lu(i)tenden gloggen, und von nu(i)werung derselben benn under dem minren insigel, an der nu(i)werung begriffen sol sin Judas flu(o)ch", heißt es 1345. Die Ordnung von 1512 verwendet den juristischen Fachbegriff „aggravation". 193 Auch umschrieben mit „confirmación under dem grossen insigel". 194 Was damit konkret gemeint war, ist unklar. 195 „Das ist so einer der usser bann komen ist, sich wider in die ba(e)nn werfen lat." 196 „Item von der absolution sollen die procuratores nemen dry sch. d. rapen muntz; es wer dann sach, das sy yemantz in schweren sachen absolutiones ußziehen musten, so sollen sy nemen, was sy zu Constantz in scriptura et sigillo ußgeben müssen." 188

79

gleich der zwei Taxordnungen zeigt, dass das Gericht für die meisten Rechtsakte die gleich hohe Gebühr verlangte. Das ist durchaus möglich. Auch die päpstlichen Gebührensätze hatten um 1500 im Wesentlichen noch dieselbe Höhe wie im 14. Jahrhundert.198 Wenn also von einer fast unveränderten Höhe der Gebühren ausgegangen werden kann, ist es sinnvoll, die ganze „Freiburger Taxordnung" vorzustellen. Ihr Inhalt kann zumindest als Richtwert für die Zeit bis zur Reformation gelten.

Tabelle 3: Bistum Konstanz, Taxen des Freiburger Offizialats ( 1 3 4 5 )

Schriftsatz Einfache Klage („minre ansprach") Libell („mere ansprach") 1 9 9

Taxen 2 ß. 3 ß.

Kommission 2 0 0

3 ß.

Eheurteil 201 Exekution in ehelichen Sachen

10 ß. 2 ß. 2 ß.

Mahnung zur Bezahlung der Kosten Zeugenprotokoll - kleineres Siegel - größeres Siegel Konfessat (Bundbrief)AVartbrief anderes 202

5 d. 10 d. 2 0 d. nach Aufwand

Die dritte erhaltene Gebührenordnung ist ein Teil des sogenannten zweiten Pfaffenbriefs von 1493. Es handelt sich um einen Schiedsspruch, der das Zerwürfiiis der zur eidgenössischen Quart des Bistums Konstanz gehörenden Priesterschaft mit ihrem Bischof beilegte. Inhaltlich konzentriert sich die Ordnung vor allem auf 197

198 199

200 201

202

80

Der Silbergehalt des Gulden scheint nur unwesentlich abgenommen zu haben. Julius Cahn, Münz- und Geldgeschichte von Konstanz und des Bodenseegebietes im Mittelalter bis zum Reichsmünzgesetz von 1559, Heidelberg 1911, 173, 345. W. Andreas, Deutschland, 69. Der Unterschied zwischen der kleinen und der großen Klage war, dass die Obergrenze der Geldschulden, die mittels der kleinen Klage eingefordert werden konnte, 4 lb. nicht übersteigen durfte. Sofern die Schuld 1 lb. nicht überstieg, durfte das Gericht überhaupt keiner Forderungsklage („petición") stattgeben. „Das ist ein beva(e)lhung geistelicher und weltlicher sachen." Der relativ hohe Betrag deutet darauf hin, dass es sich möglicherweise um die Reinschrift des Urteils handelt. Seine Registrierung kostete zu Beginn des 15. Jahrhunderts nämlich nur 2 d.; vgl. Th. Gottlob (Hg.), Gerichts- und Kanzleiordnung, 201. „Item in grossen und swa(e)ren sachen, da ietwa(e)dere teil gen dem andern usszu(i)g machet mit fu(i)rsprechen, das sint exceptiones, replicationes, duplicationes, triplicationes und urteil interlocutoria vel diffinitiva in weltlichen und geistlichen sachen, umb gu(o)t, und amonitiones, manbrief umb ro(v)b, mit einem bann aid mit allen bennen sont su(i) nemen nach der erbeit, so dar inne gehabt ist und gro(e)ssi der sach bi ir eid an geva(e)rd, wan sie nieman gescha(e)tzen kan ungesehen."

die Festsetzung der Bußen für die strafrechtlichen Vergehen - genauer: der Gebühren für die Absolution - der Kleriker und Laien. Deshalb ist sie nur punktuell mit den beiden anderen 'Preislisten' vergleichbar.203 Zwar handelt es sich um eine Absprache zwischen dem Bischof und den eidgenössischen Orten. Doch konnte sich der geistliche Herr wohl kaum erlauben, von den üblichen, im ganzen Bistum geltenden Ansätzen abzuweichen. Darum wird sie fast in voller Länge wiedergegeben.

Tabelle 4: Bistum Konstanz, Bußen fur Vergehen (1493) Absolution eines Priesters wegen ...

Buße

Unzucht (fornicatici)

8 ß. d. Vi fi. 1 fi. 10 ß. d.

- Zitation wegen Unzucht

- cum virgine204

Konkubinat Inzest

- cum moniali et consanguinea - cumfiliaconfessionis

1 fl. 1 fl.

Tätlichkeit gegen einen Kleriker - ohne Blutvergießen - mit Blutvergießen

!4 fl. 1 fl.

Absolution eines Laien wegen...

Buße

Tätlichkeit gegen einen Priester

Mord {cum insertione emendae) Priestermord Schwängerung durch Priester Ehebruch

Blutschande (incestus)

minus diligenti custodii absolutio a canone206

203

204 205

206

5 '/2 1 2 16 3 1 5

ß. d. fl. fl. fl. ß. d. ß. d. ß. d.

Der Zweite Pfaffenbrief ist ediert in: Urkundenbuch von Stadt und Amt Zug vom Eintritt in den Bund bis zum Ausgang des Mittelalters 1352-1528, bearb. von E. Gruber - A. Iten - E. Zumbach, Zug 1964, Nr. 2566. Die Angaben betreffend die Taxen sind darin jedoch nicht enthalten. Diese finden sich in den Erläuterungen zur Chronik des Laurencius Bosshart von Winterthur 1185-1532 (Quellen zur Schweizerischen Reformationsgeschichte, 3), Basel 1906, 364f. Möglicherweise ist damit die Defloration gemeint. Damit ist wahrscheinlich die vernachlässigte Sorgfaltspflicht der Eltern gegenüber den eigenen Kindern umschrieben. Vgl. die Beispiele aus dem Bistum Chur in § 3 II.,3.1. Damit ist eine Absolution von einer Zensur gemeint, die aufgrund eines Vergehens gegen eine kirchlichen Vorschrift automatisch eintrat.

81

Die Taxordnung listet überdies die Gebühren fur die Dispens vom Ehehindernis der verbotenen Verwandtschaft auf. dispensado quarti gradus dispensado terdi et terdi gradui0 dispensado terdi et quarti gradus

1 fl. '/2 fl. 1 lb. d.

Von allen Gerichtseinnahmen waren die Siegelgebühren am einträglichsten. Sie waren derart lukrativ, dass einzelne Bischöfe das Siegelamt oder die Einnahmen aus den Besiegelungen verpfändeten, um akute Finanzengpässe zu überbrücken. Der Konstanzer Bischof Otto III. von Hachberg zum Beispiel verkaufte 1418 seinem Bruder für 100 fl. rheinischer Währung eine jährliche Rente von 10 rheinischen Goldgulden aus den Gefallen des bischöflichen Gerichtssiegels.208

Für das Churer Chorgericht ist keine Taxordnung erhalten. Bestimmt orientierten sich aber auch hier die Beamten an einer solchen. Das belegen zahlreiche Hinweise im Rechnungsbuch des Sieglers.209 Aus diesem Register kann die Höhe einzelner Taxen herausgefiltert werden, die das Gericht entweder für die von den Gerichtsbeamten erbrachte Arbeit oder als Buße für Vergehen festsetzte. Im Folgenden werden nur diejenigen Gebühren genannt, die der Siegler entweder selbst als „gewöhnliche Taxen" bezeichnete, oder die aufgrund ihrer oftmaligen Erwähnung als solche zu erkennen sind; zuerst diejenigen, die Laien, dann diejenigen, die Kleriker bezahlen mussten. Die Höhe der Taxen veränderte sich während der untersuchten dreißig Jahre nicht. Eine stetig fließende Einnahmequelle des Konsistoriums war die Besiegelung von Schriftsätzen. Jedes Urteil beispielsweise kostete die Parteien 2 lb. Auch an den Absolutionen von den Bannurteilen verdiente das Gericht regelmäßig. Die Gebühr dafür bemaß sich einerseits an der Ursache der Exkommunikation. Für die Lossprechung vom eo ipso erfolgten Bann mussten mindestens 2 lb. an das Siegel bezahlt werden.210 Andererseits richtete sich die Taxhöhe nach dem Grad des Banns, wobei sie von Grad zu Grad verdoppelt wurde:

207

208

209

210

82

Die beiden Gradangaben in diesem und im nächsten Beispiel beziehen sich auf die Schwägerschaft und Blutsverwandtschaft. REC 3, Nr. 8653. - Vgl. auch REC 4, Nr. 10799 oder Nr. 12069: Bischof Heinrich von Hewen verkaufte mit Zustimmung des Domkapitels 50 fl. jährlichen Zinses aus den Gefällen des Hofsiegels, den ersten Früchten und den Konsolationen um 1000 fl. an den bischöflichen Kanzler Wunnebald Haidelbeck aus Basel. Der Hinweis iuxta communem taxam oder taxa litterae findet sich unter anderem auf folgenden Seiten: BAC: DG 1/2, 388, 415; DG 1/3, 697, 705 u. ö. In einzelnen Aktennotizen ist auch von der „althergebrachten Taxe" (antiqua taxa) die Rede; vgl. z.B. DG 1/4, 1057, 1140 u. ö. BAC: DG 1/2, 460: Johannes Ruch calciator in Schlins tenetur ad minus ad sigillum 2 fl. R. pro absolutione iniectionis manuum violentarum in dominum Jodocum Vincencii seu Werli.

Tabelle 5: Bistum Chur, Absolutionsgebühren um 1520

Höhe der Taxe

absolutio - primae sententiae - secundae sententiae - terciae sententiae - quartae sententiae - quintae sententiae - sextae sententiae (comminatio - a suspensione

interdicti)

2 4 8 16 1 2 2

ß. ß. ß. ß. lb. lb. ß.

211

2 d. 2 4 d.212 213 8 d.2 16 d.:214 215 6 ß.: 216 2-7 ß.

Auch für einzelne Vergehen gegen die Synodalstatuten kann die festgelegte Bußenhöhe aus dem DG herausgelesen werden. Sie betrug, wie folgende Beispiele zeigen, zwischen 2-10 lb. Wenn zwei Personen heirateten und miteinander schliefen, obwohl ihnen bekannt war, dass sie verschwägert oder blutsverwandt waren, also vorsätzlich blutschänderisch miteinander verkehrten, zogen sie sich nicht nur automatisch die Exkommunikation zu, sondern mussten überdies dem Fiskal eine Buße von 5 fl. bezahlen.217 Die Strafe betrug 2 fl., wenn das Ehepaar den Inzest unwissentlich beging.218 Wer gebannt war, weil er sein eigenes Kind vernachlässigt hatte, bezahlte für die Absolution 1 lb.219 Mit einer besonders hohen Strafe belegte das Konsistorium Vergehen gegen ein Sakrament oder gegen geweihte Personen. Laien, die das Privilegium canonis verletzten, also tätlich gegen Geistliche vorgingen, wurden eo ipso gebannt und hatten zusätzlich eine Geldstrafe von 10 fl. zu entrichten.220 Das Vergehen, eine Frau unter dem Vorwand zu deflorieren, sie später heiraten zu wollen, ahndete das Gericht mit 9 fl., sofern der Mann sein Heiratsversprechen nicht hielt 221 Der Ehebruch wurde mit 5 lb. bestraft. 222

211

ΒAC: DG 1/3, 688 u.ö. BAC: DG 1/3, 689 u.ö. 213 BAC: DG 1/3, 688 u.ö. 214 BAC: DG 1/3, 684 u.ö. 2,5 BAC: DG 1/3, 685 oder DG 1/3, 641: 35 ß. u.ö. 216 BAC: DG 1/3, 592, 692, 707; DG 1/4, 1158 u.ö. 217 BAC: DG 1/3, 666: Catharina Forrür de Ryampss tenetur 2 fl. R. pro iuribus iudicii in causa matrimoniali impedimenti afflnitatis inter Lucium Marischut de Thartar parrochie Porthein principalem [...]. Tenetur plus ad minus duos fl. R. pro absolucione canonis super eo, quod avisata et certiorata de huiusmodi impedimento nichilominus defacto contraxit cum principali copule incestuose [...], teneretur de comuni taxa 5 fl. R. Ein weiteres Beispiel, wo die Buße 8 fl. betrug, ebd., DG 1/2, 482. 218 BAC: DG 1/3, 725 u.ö. 2,9 BAC: DG 1/4, 1178 u.ö. 220 BAC: DG 1/2, 540 u.ö. 221 BAC: DG 1/2, 415 u.ö. 212

83

Die Bußen, die Geistliche fur ihren unpriesterlichen Lebenswandel bezahlen mussten, überschritten wie bei den Laien den Betrag von 10 fl. in der Regel nicht.223 Wegen Exzesses - welches die objektiven Tatbestandsmerkmale dieses Vergehens waren, ist unklar - entrichteten sie eine Strafgebühr von 6 fl.,224 wegen einer Tätlichkeit und Gewalttat gegen einen Laien 9 fl 225 Der Kleriker, der eine Frau vergewaltigte, zahlte zur Strafe 8 fl.226

Auf die Frage, wie teuer ein kirchlicher Prozess war, geben die nackten Zahlen der Taxordnungen nur eine ungenügende Antwort. Denn „teuer" oder „billig" sind relationale Angaben. Um die Höhe der Kosten abzuschätzen, wird als Vergleich zuerst der Richtpreis der Stadt Basel für die wichtigsten Agrargüter um 1500, dann der Bargeldlohn einzelner Beamten herangezogen. Die vom Rat alljährlich neu festgelegten Richtpreise fur Wein und Getreide beantworten die Frage nach der Kaufkraft des Geldes ziemlich genau.227 Zwischen 1504-13 betrug er für einen Saum Wein (= ca. 144 Kubikliter) durchschnittlich etwa 1 lb. 7 ß., für ein Vierzel (= 273,31 Liter) Dinkel legte der Rat den Durchschnittspreis auf etwa 15 ß. fest, denjenigen für die gleiche Menge Haber auf etwa 13 ß. Der nicht zuletzt von der Jahreszeit abhängige Marktpreis lag jedoch 10-15 ß. über dem Richtpreis und betrug im ungünstigsten Fall ungefähr das Doppelte der obrigkeitlich festgesetzten Richtwerte für das Getreide. Die Höhe des Bargeldlohns ist für einzelne städtische Beamte, besonders gut aber für die Bediensteten des Basler Spitals überliefert. Der Spitalmeister, um mit dem höchsten Beamten zu beginnen, erhielt zwischen 1455-1467/68 einen jährlichen Lohn von 25 lb. in bar. Die nächsten zehn Jahre erhielt er jährlich 3 lb. mehr,

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BAC: DG 1/2, 394, 524; DG 1/4, 1150: Elsa Kramerin de Sanagasa uxor iunioris Johannis Krammers in Chur institoris tenetur quinqué fl. R. pro iuribus in causa mutui adulterii seu divorcii. In einem Eintrag heißt es: Ordinaria taxa comuni teneretur ad minus pro absolucione 20 fl. R. et pro muleta 40 gl. R. ad minus; BAC: DG 1/4, 1073. Mit dieser außerordentlich hohen Geldstrafe belegte das Gericht 1522 den Pleban aus Guarda, der mit einer verheirateten Frau in einer inzestuösen Beziehung lebte und ein Kind zeugte. BAC: DG 1/4, 1081 u. ö. BAC: DG 1/2, 558 u. ö. BAC: DG 1/3, 673. Ende November, manchmal auch erst anfangs Dezember berichteten die Kornmesser dem Kleinen Rat über die Preisentwicklung der Früchte seit Martini, worauf der Rat einen Richtpreis festsetzte, der in der Regel 10-15 ß. unter dem Marktpreis lag. Dazu allgemein Annemarie Dubler, Das Fruchtwesen der Stadt Basel von der Reformation bis 1700, in: Jahresbericht des StABS 1968, 25-67. Die darin gegebenen Werte sind allerdings nur mit Vorsicht zu verwenden, da die Verfasserin die aussagekräftigste Quelle nicht auswertete. Es handelt sich um eine Tabelle über den „Wein- und Fruchtschlag der Stadt Basel, 1797", die von 1476-1773 sämtliche Richtpreise fur Wein und Getreide enthält; Universitätsbibliothek Basel: VB Mscr. Q 267b, Nr. 30. Den Hinweis auf diese Quelle verdanke ich Herrn Dr. Nikiaus Landolt.

dann wiederum nur 25 lb. 228 Das war zweifellos ein Spitzengehalt. Der Spitalschreiber verdiente in derselben Zeitspanne jährlich zwischen 8-16 Ib., der Keller 10-12 lb, der Oberkoch 9-12 lb. oder ein Knecht 4-8 lb. 229 Die Gehälter der politisch mächtigsten Stadtbeamten lagen um ein Mehrfaches darüber. Der bestbesoldete Beamte war der Stadtschreiber. Die Stadt entgalt seine Dienste mit 92 lb. jährlich, wobei die Naturalien nicht dazugerechnet sind. Der Bürgermeister und der Oberstzunftmeister erhielten zwischen 1510-12 einen Bargeldlohn von etwa 32 Ib., zwischen 1512-25 zusätzlich etwa 27 lb. Ein Kaufhausschreiber verdiente in derselben Zeit 30 lb. 230 Vergleicht man die Angaben über die Gebührenhöhe einzelner Schriftsätze mit den Richtpreisen für Lebensmittel und den Bargeldlöhnen von Beamten und Dienstpersonal, ist klar, dass der am Basler Konsistorium geführte Prozess teuer war. Das gilt auch für die Prozesse, die am Churer Chorgericht gefuhrt wurden. Vergleiche mit Steuerabgaben und Arbeitslöhnen belegen das eindeutig.231 Um 1500 schwankte in Chur die Höhe der Steuerabgabe j e nach Person zwischen 1 ß. und 6 lb. 8 ß. Durchschnittlich betrug sie 11 ß. 232 Das 1480 angelegte Steuerregister der Stadt Feldkirch listet 597 Personen auf. 112 davon bezahlten 1 ß. 233 Ein Taglöhner, den die bischöfliche Verwaltung für einen Tag verpflichtete, verdiente um 1500 zwischen 5 d. und 1 ß. Ein Knecht des bischöflichen Hofs schließlich erhielt ein Jahresgehalt zwischen 8-10 fl.234

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M. von Tschamer-Aue, Wirtschaftsführung, 130f. Der Lohn bezog sich immer auch auf die von der Frau des Spitalmeisters erbrachte Arbeitsleistung. M. von Tscharner-Aue, Wirtschaftsführung, 131-136. Hier auch weitere Angaben. J. Rosen, Verwaltung, 134-137. Der Naturallohn der ranghöchsten Beamten konnte bis zu 50 % des Bargeldlohnes betragen. Bereits Vasella veranschlagte die Taxen für die Absolutionen als „ziemlich hohe", ohne jedoch Vergleichsdaten anzuführen; O. Vasella, Bauernkrieg, hier 9 Aran. 19. M. Bundi, Leben, 257f. - Die neuste Währungsgeschichte vernachlässigt die Frage der Kaufkraft; vgl. Norbert Furrer, Die Bündner Währung vom 16. Jahrhundert bis zum 18. Jahrhundert, in: JbHaGG 114(1984), 3-68. G. Leipold-Schneider, Bevölkerungsgeschichte, 142ff. - Es handelt sich um dieselbe Währung wie in Chur. BAC. BAh 48'480/491 (Bd. 1480-1491). Den Hinweis verdanke ich Frau Dr. Immacolata SaulleHippenmeyer. - Wahrscheinlich erhielt der Knecht neben dem Bargeld zusätzlich einen Naturallohn. Damit konnte er allfallige Prozesskosten aber nicht begleichen, da das Gericht Geld bevorzugte.

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2.2.4 Entwicklungen im 15. Jahrhundert Die Literatur beschreibt die Entwicklung der Offizialate als eher langsamen, fast unmerklichen Vorgang. Nachdem die Bischöfe ihren Gerichtshof im 13. Jahrhundert errichtet und ihn im 14. Jahrhundert möglicherweise noch leicht ausgebaut hatten, verlief die Entwicklung ohne nennenswerte Brüche oder Sprünge bis zur Reformation.235 Das mag an der Quellenlage liegen, die Statik auch dort nahelegt, wo Bewegung vielleicht sogar dominierte. Für Basel wird immerhin auf das Konzil (1431-37) und die Universitätsgründung 1460 als Faktoren hingewiesen, die ihre Wirkung auf die Gerichtsorganisation und auf die Rechtspraxis gehabt hätten. Dass das Konzil auch das Gerichtswesen reformieren wollte, steht außer Zweifel. Welches aber die erkennbaren Auswirkungen waren und wo dieser Einfluss tatsächlich beobachtbar ist, bleibt in der Schwebe.236 Für Chur schließlich verweist die Literatur auf die Zentralisierung des bischöflichen Gerichts, die erst Ende des 15. Jahrhunderts ihren Abschluss gefunden habe. Doch angesichts der prekären Quellenlage steht diese These auf einer schwachen Grundlage.237 Die hier zu beantwortende Frage nach der Entwicklung der bischöflichen Gerichtshöfe des 15. Jahrhunderts bezweckt, ein etwas plastischeres Bild zu zeichnen, strebt aber nicht Vollständigkeit an. Denn es soll nur nachgewiesen werden, dass die Bischöfe ihre Offizialate im 15. Jahrhundert weiter ausbauten und effizienter organisierten. Wo Mängel auftauchten oder Unzulänglichkeiten organisatorischer oder personeller Art offenkundig waren, griffen sie korrigierend ein, indem sie beispielsweise Gerichtsstatuten erliessen oder erneuerten. Aber auch auf Zäsuren soll hier aufmerksam gemacht werden. Die Geschichte des Offizialats ist zwar weitgehend eine solche des Erfolgs. Sie kennt aber auch Brüche und Schattenseiten. Damit sind nicht die Streitigkeiten zwischen der Stadtobrigkeit und den Bischöfen um die Zuständigkeit ihrer Gerichte gemeint. Diese sind längst bekannt und zumindest umrisshaft aufgearbeitet.238 Vielmehr geht es um das Innenleben der Instanzen. 235 236

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Th. Gottlob, Offiziale Konstanz. R. Reinhardt, Bistum, 97ff. W.D. Wackernagel, Geschichte, 14. W.D. Wackernagel, Offizialat, 242. Wackernagel spricht von einer wissenschaftlicheren Rechtsanwendung, ohne aber den methodisch dafür notwendigen Vergleich mit den Quellen aus der vorangehenden Zeit zu ziehen. Doch ist ihm bekannt, dass die Beamten schon vor dem Konzil sorgfaltig registrierten und jeden Prozess ausfuhrlich protokollierten. W.D. Wackernagel, Geschichte, 8f. Das älteste erhaltene Register beginnt 1429; AAEB: A 85/39. Für Konstanz vgl. R. Reinhardt, Bistum, 97ff. - Für die Forschungslage ist bezeichnend, dass nur die Gerichtsstatuten ediert sind, die zu Beginn des 15. Jahrhunderts verfasst wurden. Auf die umfangreicheren von 1475 bzw. 1498 wird meistens nicht einmal hingewiesen. Th. Gottlob (Hg.), Gerichts- und Kanzleiordnung, 198-214; GLAK: 65/291, fol. l-20r, 21v-70r. 0 . Vasella, Kurie, 84. Sein Hauptargument ist die späte Erwähnung des procurator ßscalis in den Quellen. Zur Entwicklung dieses Amts vgl. G. May, Fiskalprokurator, 82-106. Jedoch fehlen systematische Untersuchungen. Für Basel vgl. R. Wackernagel, Geschichte II/2, 73741; J. Stöcklin, Johann VT von Venningen; H.-R. Hagemann, Rechtsleben I, 49ff., und Ders., Rechtsleben II, 37, 59f., 194.

2.2.4.1

Parallelen: Neue Beamte

Neben Unterschieden, die auf die spezifische Geschichte des Bistums zurückzuführen sind, ist den drei Konsistorien eines gemeinsam: Alle setzten sie offenbar im 15., vielleicht auch schon Ende des 14. Jahrhunderts zwei neue Typen von Beamten ein, nämlich den Fiskalprokurator und den Kommissar (commissarius foraneus). Mit der Einsetzung eines Fiskals ging vermutlich ein Funktionswandel der Gerichte einher. Mit einem Beamten, der von Amts wegen Vergehen zu untersuchen und nötigenfalls zu bestrafen hatte, nahm das bischöfliche Konsistorium verstärkt eine Büß- und Straffunktion wahr, eine Aufgabe, die vorher die Sendgerichte wahrnahmen. Das katholische Chorgericht ist damit noch kein evangelisches Sittengericht, aber die Voraussetzung dazu leiteten die Bischöfe im 15. Jahrhundert ein. Während die Literatur den Fiskalprokurator kennt,239 erwähnt sie die Kommissare selten und eher beiläufig. Deshalb und weil es sich um eine für die Entwicklung zumindest der Konstanzer Rechtsprechung wichtige Neuerung handelt, wird ausfuhrlicher auf diese Beamten eingegangen.240 Laut den Basler und Konstanzer Gerichtsstatuten bestand ihre Aufgabe darin, vor Ort oder zumindest in einer Stadt, die näher bei den Parteien lag als der Gerichtsort, die ersten Schritte in Zivilprozessen bis zur Litiskontestation und zum Kalumnieneid einzuleiten und abzuschliessen. Sie zitierten in Eheangelegenheiten die Parteien und nahmen ihre Klagen entgegen, um sie an den Offizial weiterzuleiten.241 Sie verhörten zudem die Parteien und ihre Zeugen, verhandelten mit ihnen über die Höhe der Gebühren und kassierten diese ein, um sie an den Siegler zu schicken.242 Doch blieb es dem Offizial

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Grundsätzlich dazu G. May, Fiskalprokurator, 82-106. Für Basel vgl. Th. Gottlob, Offiziale Basel, 156f. Für Konstanz vgl. J. Brülisauer, Kommissare, und ergänzend P.-J. Schuler, Geschichte, 200f., sowie Th.D. Albert, Anspruch (im Druck). Für Chur gibt es keine Hinweise in der Literatur. Für Basel vgl. AAEB: A 85/33, (Gerichtsstatuten, Abschrift 1514), 35: habeant generalis commissionìs vigore, quatenus saltern sue facultatis practice ad id se extendent plenam auctoritatem ad requisicionem curatorum, vel parcium aut alicius earum causas matrimoniales ad nostram curiam per citationem vel alias nortdum devolutas quod primam depositionem et partis adverse desuper responsionem premisso calumnie solito iuramento examinandi et in scriptis debite redactis consuetoque more clausas et sigillatas nostro officiali pro ipsarum decisione remittendas. Für Konstanz vgl. Th. Gottlob (Hg.), Gerichts- und Kanzleiordnung, 206, und GLAK: 65/291, fol. 17-18v. Der lateinische Text ebd., fol. 61-63. Die Beispiele aus Chur dürfen auf die beiden anderen Diözesen übertragen werden. BAC: DG 1/2, 396: Magdalena Haldnerin von Gams tenetur i gl. Ren. pro iuribus in causa matrimoniali [...] (1506 Februar 26). Dedit viß. commissarius in Veitkirch; D G 1/2, 544: magister Johannes Vetter eo tunc in Veitkirch commissarius imbursavit et testes in Schruns examinavir, DG 1/2, 531 : Johannes Sander tenetur xiii ß. d. pro iuribus in causa inter ipsum ex una et Annam Saltzgeberin ex altera; contra matrimonium (1504 April 24). Iuravit commissario puram paupertatem edam sua paupertas vicinis suis omnibus constar, D G 1/2, 552: Heredes Else sororis Jorii Murer tenentur χ β. d. pro iu-

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vorbehalten, das Urteil zu fallen. Das hielt die Konstanzer Gerichtsordnung bei Strafe des Meineids ausdrücklich fest.243 Als Notare des bischöflichen Hofs übten die Kommissare auch die freiwillige Gerichtsbarkeit aus und schrieben in ihrem eigenen Namen Urkunden. Dem Siegler wurden diese dann zugeschickt, damit er sie auf ihre formale Richtigkeit überprüfte, eine Reinschrift anfertigen ließ und besiegelte. Es sei denn, der Kommissar verfügte über ein eigenes Siegel.244 Über ihre Tätigkeiten führten die Kommissare entweder selbst oder an ihrer statt die bischöfliche Kanzlei Buch.245 Von ihrer Ausbildung her waren sie öffentliche, das heißt von kaiserlicher Gewalt autorisierte Notare. Ein Aktenstück aus der Konstanzer Kanzlei weist überdies darauf hin, dass in Frage kommende Kandidaten während drei Monaten als Kollateralnotare „die practic des Comissariatz" erlernen mussten.246 Während die Konstanzer Kommissare zumeist weltliche Personen waren, besaßen die Churer und Basler Kommissare oftmals die niederen Weihen.

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ribus in causa inter ipsam ex una et Jopp Furer ex altera (1497 April 9). Non concordava coram commissario. GLAK: 65/291, fol. 18v: „Item er sol ouch deßglich schweren, daζ er den parthyen, so zu(o) im koment und besonder in elichen sachen, nutz rat, ercla(e)r noch entschaid. Deshalb die partyen und ir sachen desterminder uff unnseren hoff ko(e)mint und gesandt wurden, zu(o) erholen entschaidung ir sachen." Wahrscheinlich reagierte der Konstanzer Bischof auf konkrete Fälle, wo sich Kommissare richterliche Funktionen angemaßt hatten. Ein Absatz ähnlichen Inhalts fehlt in den Basler Statuten. Die Strafe des Meineides war die Höchststrafe. Denn die Ehre eines meineidigen Schreibers, die als symbolisches Kapital die Ausübung seines Berufes erst möglich machte, war verloren. Sein Wort galt vor Gericht nichts mehr. Vgl. P.-J. Schuler, Geschichte, 189. Ein Beispiel verdeutliche das: „Ich, Conradus Brunner alias Mo(e)dily, Capplan zu(o) Schauffhusen [...], von dem haiigen kayserlichen gewallt offner geschwomer schriber und in direr harundergeschribnen sach von dem erwirdigen hochgelerten doctor Cu(o)nrat Winterberg des hoffs zu(o) Costentz official sundrer commissarii Tu(o)n kunt", beginnt ein Zeugenverhör, das 1482 auf Veranlassung des Grafen Hans von Tengen stattfand. Der Graf ließ sich bestätigen, dass er seinen Bruder mit einem Leibding versehen hätte. „Uff diser zugen sag," schließt der Text, „hab ich, genannter Conradus Brunner alls Commissarii [...] dise ding trulichen angeschriben und under minem Insigel beschlossen, dem genannten Hans Graven zu siner notturfft, wenn sich das begibt, zu handen geben." GLAK: 8/30b. Die Quelle erwähnt auch P.-J. Schuler, Geschichte, 201 Anm. 251. - Vgl. auch REC 4, Nr. 12315: 1460 stellte Ulrich Mader, Schreiber der Herrschaft Badenweiler und Kommissar des bischöflichen Hofs, Verena von Bolsenheim, der Witwe des Junkers Rudolf Kreps, ein Notariatsinstrument aus, womit diese der Muttergottesbruderschaft in der Pfarrkirche Mühlheim einige Gülten für eine Jahrzeit schenkte. Von Kommissaren des bischöflichen Hofs ausgestellte Urkunden sind meines Wissens kaum überliefert. Vermutlich waren es vor allem weltliche, seltener geistliche Personen, die diese Möglichkeit der notariellen Beurkundung in Anspruch nahmen. Die Überlieferungschancen solcher Urkunden sind relativ klein. BAC: DG 1/2, 518: Margareta Salerin tenetur ii gl. R. pro iuribus in causa mota inter Waltherum ex una et ipsam Magdalenam ex altera (1497 Mai 5). Iterum tenetur magis ii gl. R. pro dispensacione (1500 Februar 29/ Vide librum commissarii; vgl. auch DG 1/2, 520. Zitat aus: Der Geschichtsfreund 22 (1878), Nr. 3, 49f. Die Gerichtsstatuten formulieren allgemeiner, dass angehende Kommissare sich persönlich am bischöflichen Hof vorzustellen hätten, wo sie „durch unser vicari, official und insigler an kunst und erberkait ta(u)genlich und gnu(o)gsam" geprüft würden und verlangten Kenntnisse der Statuten, „sonderlich und zuminsten die, so sinem ampt zuogehörig sind"; GLAK: 65/291, fol. 17v, 18v.

Die Bischöfe verfolgten mit der permanenten247 Einsetzung kommissarischer Beamter zwei Ziele. Einerseits entsprachen sie dem Wunsch weltlicher Herrschaften ebenso wie der Prozessparteien, den Verkehr mit dem Gericht zu erleichtern. Kommissare waren die Außenstellen des Offizialats, die es den Klienten ermöglichten, sich den oftmals weiten und gefahrvollen Weg zum Gerichtsort zu ersparen.248 Vor allem aber verbilligte sich dadurch Prozess 249 Andererseits waren die Kommissare eine Folge der Vereinheitlichung des Gerichtssystems. Sie ersetzten die Archidiakone und waren wie diese fur ein begrenztes Gebiet zuständig.250 Wie viele Kommissare das Basler Konsistorium einsetzte, und wo dies geschah, kann aus den Quellen teilweise erschlossen werden. Nur im elsässischen Teil des Bistums finden sich Spuren ihres Wirkens. Sicher ist, dass in den 1460er Jahren zwei oder drei Kommissare gleichzeitig dort tätig waren. 1463 nahm der Notar Laurencius Hering aus Kaysersberg die Klage von Ulrich Rosenboim, der in derselben Stadt wohnte, entgegen. Rosenboim klagte, dass Margareth, die Tochter von Clewinus Trëger aus Rappoltsweiler (Ribeauvillé) ihm die Ehe versprochen, dieses Versprechen aber gebrochen habe.251 Im selben Jahr klagte Ennelina Haffnerin aus Hohenrodern vor Johannes David, dem Presbyter und Kirchherrn der Kirche in Massmünster, der gleichzeitig geschworener Kommissar in Ehesachen war, dass Andreas Meiger mit ihr geschlafen habe und damit die Ehe eingegangen sei.252 Der dritte Kommissar war der Kanoniker und Kirchherr in Ensisheim, Ulrich 247

Kommissare konnten auch fallweise eingesetzt werden. Vgl. REC 4, Nrn. 11180, 11185. Neben den Kommissaren gab es noch zwei weitere institutionelle Möglichkeiten, den Geschäftsverkehr und die Kommunikation mit dem Gerichtshof zu beschleunigen. Einerseits beherbergten einige von Konstanz relativ weit entfernt liegende Städte Filialen. In diesen Schreibstuben wurde fast dieselbe Arbeit wie im Offizialat verrichtet, aber keine Urteile gefallt. Diejenige am Rheinknie, in Kleinbasel, war zumindest noch in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts mit zwei Prokuratoren besetzt. R. Wakkernagel, Geschichte II/2, 716f. Andererseits schickten einzelne Städte wie z.B. Freiburg oder Schaffhausen eigene Prokuratoren nach Konstanz, welche die Interessen ihrer Bürger vertreten und dafür sorgen sollten, dass der Prozess möglichst schnell und billig vorangetrieben wurde. Bürgermeister und Rat von Freiburg z.B. empfahlen dem Bischof 1448 Thomas Brunner als ihren Prokurator am geistlichen Gericht. REC 4, Nr. 11295. Vgl. auch REC 4, Nm. 11295, 12597, 13952. Vgl. auch P.-J. Schuler, Geschichte, 196. Für Schaffhausen vgl. E. Rüedi, Gerichte, 100. 249 1406 sicherte der Konstanzer Bischof dem österreichischen Herzog zu, mit Rat und Wissen seiner Amtleute in den Städten und auf dem Land ehrbare Prokuratoren und Gerichtsboten zu bestimmen, um die österreichischen Untertanen nicht zu benachteiligen; REC 3, Nr. 7979. Die erste mir bekannte Erwähnung eines Kommissars in einer nicht normativen Quelle stammt aus dem Jahr 1427; REC 3, Nr. 9164. - Ritt ein Kommissar allerdings zu den Zeugen, hatte dies natürlich auch seinen Preis, nämlich „den zwifaltten Ion von ainem blat [. .] mit dem costen deß pferdes"; GLK: 65/291, fol. 17v. 250 Das geht aus den vom Konstanzer Generalvikar dem Freiburger und Cannstatter Kommissar erteilten Aufträgen hervor; REC 4, Nm. 10838, 10936a. 251 StABS: Gerichtsarchiv AA 1, 385: coramprovido viro Laurencio Hering de opido Keiserperg notorio et commissario nostro iurato; ebd., 45If. heißt es von ihm: publico imperiali auctoritate notorio in causa subscripta speciali commissario. 252 StABS: Gerichtsarchiv AA 1,410: coram honorabili et provido viro domino Johanni David, rectori, presbytero ecclesie in Maßmunster, commissario nostro coniugali iurato; vgl. auch ebd., 445f., 54If., 605, 909f. 248

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Gemminger. 1463 nahm er zum Beispiel die Klage im Ehefall zwischen Georg Blepin aus Richenwiller, Katherin Blesinger genannt Wasmerin aus Herlisheim sowie Clewin Gunther aus demselben Dorf entgegen.253 In der großflächigeren Diözese Konstanz war die Dichte der eingesetzten Kommissare bedeutend höher als in Basel. In jedem Archidiakonat findet sich mindestens ein Kommissar, so in den Städten Bern,254 Biberach, Ehingen,255 Eßlingen, Freiburg, Kleinbasel, Lindau, Luzern, Rapperswil, Ravensburg, Reutlingen, Rottenburg, Rottweil, Schaffhausen, St. Gallen, Stuttgart,256 Tübingen, Ulm, Urach, Wangen im Algäu, Weilheim, Zürich. Hinzu kommt noch ein Kommissar fur die innerschweizerischen Orte Uri, Schwyz und Unterwaiden.257 Wie die Kommunikation mit den Beamten am Gerichtsort Konstanz aufrechterhalten wurde, geht aus einem „Friburg Taxa" betitelten Aktenstück von 1512 hervor. In der Stadt Freiburg wohnten zwei Pedelle. Aufgrund ihres Amtseides waren sie verpflichtet, abwechslungsweise jeweils für einen Monat nach Konstanz zu reiten, um den Gerichtsbeamten (consistoriales) Bericht zu erstatten.258 Der Freiburger Kommissar seinerseits war gehalten, sich nur dieser beiden Pedellen zu bedienen. Deshalb -„damit sich der comissarius in sinen sachen dartzu richten mug" mussten sie ihm auch rechtzeitig melden, wann sie nach Konstanz ritten.259 Auch im Bistum Chur gab es ständige kommissarische Beamte. Belegt sind sie zumindest für das trusianische Dekanat, also das vor dem Arlberg gelegene Gebiet, sowie im Hochstift und dort offenbar vor allem im Engadin.260 Im Vintschgau übte

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StABS: Gerichtsarchiv AA 1, 385f.: coram honorabili viro domino Ulrico Gemminger ecclesie collegiate sancii Martini Columbariensis canonico ac commissario nostro generali iurato. Vermutlich dieselbe Person - dominus Ulricus Gemminger rector parochialis ecclesie in Ensishein [...] notarius publicus noster commissarius speciali deputato - ist erwähnt auf den Seiten 468f., 470, 497f., 536, 581f., 648, 631f., 699f. - Ein Prozessprotokoll aus dem Jahr 1510 erwähnt einen Kommissar in Colmar; StABS: Gerichtsarchiv AA 3 (1510 April 23) und AAEB: A 85/43 (1514/15), 5. Der Name eines weiteren Kommissars, Jacob Bonacker aus Oberaspach, findet sich im Thornus-Register; StABS: Gerichtsarchiv AA 22, 29. 254 Wo nicht eigens vermerkt wird, finden sich die Belege in der oben, in Anmerkung 240 angegebenen Literatur. 255 REC 4, Nm. 9942, 11180, 11185. 256 W. Zeller, Martin Prenninger, 30 Anm. 229. 257 J. Brülisauer, Kommissare, 696. 258 GLAK: 65/291, fol. 72. 259 GLAK: 65/291, fol. 72v. 260 Möglicherweise finden sich Kommissare auch im Gebiet des Oberen Bundes und des Zehngerichtebundes. Das DG wurde daraufhin noch nicht durchgesehen. - Im hochstiftischen Gebiet des Gotteshausbundes, offenbar vor allem im Engadin, waren auch apostolische Kommissare tätig, die Dispense in Fällen von Ehehindemissen verkauften; BAC: DG 1/3, 676, 732f., 1091. Einen Dispens erhielten auch Leonhard Sifrit und Elisabeth Munsch aus Wartau, um trotz ihrer Blutsverwandtschaft verheiratet bleiben zu können. Sie erhielten sie a comissariis Curiensis fabrice basilice apostolorum Petri et Pauli-, BAC: DG 1/1,346.

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der Erzpriester gleichzeitig die Aufgabe eines Kommissars aus. 1521 beauftragte ihn der Bischof, in einem Ehefall die Zeugen zu vernehmen.261 Der Kommissar im Vorarlberg wohnte in Feldkirch und war offenbar immer ein Geistlicher, besaß wenigstens die niederen Weihen. Zwischen etwa 1495-1507 übte das Amt ein gewisser Johannes Spitzennagel aus,262 zwischen 1519-25 der Magister Johannes Vetter, der zugleich Prokurator der Kurie sowie Schulvorsteher in Feldkirch war.263 Bedeutend seltener sind die Belege fur die Kommissare im Hochstift. 1506 wird der Pleban in Lavin (Unterengadin), Anthonius Nuttal, als solcher erwähnt.264 Und um 1520 übte der Kaplan in Zuoz (Oberengadin), Johannes Mola, dieses Amt aus.265 Etwa 1520 war ein weiterer Kommissar möglicherweise im Oberhalbstein eingesetzt.266 Vielleicht delegierte der Bischof kommissarische Aufgaben zumeist nur fallweise. Das würde die kleine Zahl dieser Beamten erklären.267 Schließlich nahm der Dekan des Engadins die ständige Rechtsprechung wahr. Wie die Kompetenzen zwischen ihm und den im Engadin tätigen Kommissaren verteilt waren, ist unklar, denn Bestallungsbriefe sind nicht überliefert. Die Institution des Kommissariats weist auf eine Besonderheit hin, die theoretisch zwar in jeder Diözese, praktisch aber bisher nur in Konstanz festgestellt werden konnte: Die Kommissare im Bistum Konstanz waren meistens Diener zweier Herren. Weltliche Herrschaften konnten Einfluss auf die Personalpolitik des geistlichen Gerichts nehmen, sofern die Beamten in ihrem Herrschaftsgebiet tätig waren. Das Einfallstor dazu war sperrangelweit offen, da im 15. Jahrhundert die öffentlichen Schreiber meistens keine Geistlichen mehr, sondern Weltliche und Stadtbürger waren.268 Die in den Reichs- und Landstädten des Bistums eingesetzten Kom-

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O.P. Clavadetscher, Richter, 14. Alexius Irmler, zwischen ca. 1492-1500 Erzpriester im Vintschgau, trug die Titel iudex in spiritualibus und commissarius generalis; O.P. Clavadetscher - W. Kundert, Generalvikariat, 524. 262 BAC: DG 1/2, 500, 518 u. ö. 263 BAC: DG 1/2, 443: magister Johannes Vetter procurator causarum curie Curiensis; DG 1/2, 475: cavit Fridericus Ges institor in Veitkirch pro ipso coram magistro Johanni Vetter rectore scolarium in Veitkirch et in manibus sollenniter debitorem constituens ut notano et commissario cause in fine propria manu eiusdem notatum habetur. Vgl. auch DG 1/1, 255 und DG III, 159 (Johannes Vetter ludimagister in Veitkirch). Zur Person vgl. die prosopographischen Angaben bei O. Vasella, Untersuchungen, 45; K.-H. Burmeister, Kulturgeschichte, 162. 264 BAC: DG 1/4, 1067. Zur Datierung vgl. DG 1/4, 1076. 265 BAC: DG 1/4, 610, 1062: commissarius in valle Engadine. 266 BAC: DG 1/3, 689. 267 Seit 1513 schuldete der Domherr Johannes de Pontisella 8 ß. 6 d. fur vier Kommissionen, womit ihn der Bischof beauftragt hatte, im Bergell Fälle von Ehehindernissen zu untersuchen und Zeugen zu befragen; BAC: DG II, 152. 268 Die Kommissare waren neben den auswärtigen Prokuratoren die einzigen Gerichtsbeamten, die laut der Satzung von 1475 das Bürgerrecht annehmen beziehungsweise behalten durften; GLAK: 65/291, fol. 1.

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missare waren Stadt- und Kanzleischreiber wie in Luzern, Freiburg269 und Stuttgart zum Beispiel oder Schulmeister wie in Rottweil oder Biberach, nur zu einem kleinen Teil Kapläne. Die Zentralisierung des bischöflichen Gerichtswesens ermöglichte der städtischen Obrigkeit, ihre Interessen im Bereich der geistlichen Gerichtsbarkeit verstärkt zur Geltung zu bringen. Wo sich weltliche und kirchliche Rechts- und Machtansprüche überlappten, diente der Kommissar als Sprachrohr der weltlichen Obrigkeit.270 Dass weltliche Herrschaften auf das Amt Einfluss nahmen, sowohl auf seine Besetzung als auch auf die Entscheidungen seines Inhabers, zeigt ein Fall aus Zürich. 1502 beschwerten sich Bürgermeister und Rat der Stadt aus unbekannten Gründen beim Bischof Hugo von Hohenlandenberg über den Kommissar. Sie forderten nicht nur seine Entlassung, sondern präsentierten dem geistlichen Herrn gleichzeitig einen ihnen ebenso geeignet erscheinenden wie genehmen Geistlichen als Nachfolger, nämlich den Chorherrn des Großmünsters Heinrich Utinger. Obwohl der Bischof nichts Nachteiliges über den Kommissar gehörte hatte, gab er nach.271 Allein schon die Art und Weise wie der Rat Utinger - übrigens ein Freund des Reformators Ulrich Zwingli -272 als Kommissar durchsetzte, unterstreicht den gewichtigen Einfluss bei der kirchlichen Stellenbesetzung in seinem Herrschaftsbereich. Die letzten Zweifel an dieser These können ausgeräumt werden, wenn Utingers verwandtschaftliche Beziehungen und mithin die Bedeutung des Klientelsystems fur die Besetzung solcher Ämter aufgedeckt werden: Ein Verwandter des Kaplans war Mitglied des Rats.273

2.2.4.2

Unterschiede: Reorganisierung, Behebung von Mängeln

In Basel deuten mehrere gerichtsinterne Schriftstücke daraufhin, dass das Chorgericht Zeiten erlebte, in denen es seine Struktur, seine Organisation und die Arbeitsabläufe als mangelhaft, reformbedürftig oder wenigstens verbesserungswürdig einstufte. Der selbstkritische Inhalt dieser Quellen zeugt von der Bereitschaft und vom Willen, den Apparat zu reorganisieren und die Mängel zu beheben. Die dahinter 269

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Vgl. neben J. Brülisauer, Kommissare, 681ff., auch REC 4, Nrn. 12095, 12954, und das Urkundenbuch der Stadt Basel (Bd. 9), Nr. 68. Die rechtsgelehrten Stadtnotare seien nicht nur „Mehrer der Macht der Städte gegenüber den eigenen Untertanen" gewesen, sondern auch „Mehrer bürgerlicher Macht im kirchlichen Bereich", erkannte schon F. Elsener, Notare, 19-22, das Zitat 19. Elsener scheint jedoch nicht bekannt gewesen zu sein, dass zahlreiche Stadtnotare eine kommissarische Funktion fur das geistliche Gericht in Konstanz ausübten. W. Köhler, Ehegericht 1, 12f. Zur Person Heinrich Utingers vgl. J. Brülisauer, Kommissare, 683. ZW III, 490. H. Morf, Obrigkeit, 178.

steckenden Motive werden in der Regel nicht benannt. Nur einmal wird „auf die Ehre und den Nutzen des Gerichtssiegels" verwiesen. Das ideelle Argument der „Ehre" wird in einem Atemzug mit dem materiellen genannt. Aber Nützlichkeitserwägungen, worin auch die Ehre ihren Platz hatte, dürften im Vordergrund gestanden haben. Denn die bischöfliche Verwaltung war auf die Einnahmen des Gerichts dringend angewiesen. Ein schlecht funktionierendes Gericht, dem die Akzeptanz in der Bevölkerung fehlte, schränkte die ohnehin schon eng begrenzte finanzielle Bewegungsfreiheit noch stärker ein. Als erstes Dokument ist der Ordo iudiciarius zu nennen, worin 1435 das Prozessrecht des Basler Offizialats festgeschrieben wurde;274 dann ein undatiertes Aktenstück aus der Mitte des 15. Jahrhunderts, worin organisatorische Missstände angeprangert und konkrete Vorschläge zur Effizienzsteigerung und strafferen Organisierung gegeben werden; ein Brief des Notars an seinen Vorgesetzten gehört ebenfalls zu diesen Quellen selbstkritischen Inhalts. In einem weiteren Sinn sind schliesslich auch die Gerichtsstatuten von ca. 1480 zu erwähnen. Der Ordo iudiciarius ist mit einem Namen verknüpft: Heinrich von Beinheim, Frühhumanist und von 1428/29-36/37 bischöflicher Offizial. Den äußeren Anstoß zur Entstehung des in der Forschung „Ordo-Beinheim" genannten Textes gab das gleichzeitig tagende Basler Konzil. Beinheim war Konzilsrichter und nahm seit 1431 als einer der wenigen promotores concila fast an sämtlichen auf dem Konzil geführten Verhandlungen teil. Die dort geäußerte Kritik an der Strafpraxis kirchlicher Richter sowie die diskutierten Reformen des Prozessrechts beeinflussten vermutlich nicht unwesentlich den Inhalt der Ordnung. Der „Onio-Beinheim" enthält das am Offizialat anzuwendende Prozessrecht. Es soll vermieden werden, heißt es in der Einleitung, dass die Urteile wegen schludriger Prozessführung der Notare und Prokuratoren sowie wegen Missachtung der notwendigen rechtlichen Formen zum Schaden der Parteien und zur Schande des Richters von der Appellationsinstanz kassiert und annulliert würden.275 Der Ordo iudiciarius enthält also kein neues Recht. Vielmehr wird das gültige, bereits praktizierte prozessrechtliche Verfahren für alle Beamten der Behörde leicht fassbar und zugänglich niedergeschrieben. Darin liegt das Neue von Beinheims Ordo.

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Das Datum nennen die Gerichtsstatuten (ca. 1480): in eadem procédant iuxta modum per quondum magistrum Heinricum de Benheim dum viveret decretorum doctorem et diete nostre curie officiaient anno domini Millesimo quadringentesimo tricesimoquinto sacro Basilee vigente Consilio desuper ordinatum; AAEB: A 85/33 (Gerichtsstatuten, Abschrift 1514), 17. Eine Teiledition der Gerichtsstatuten, die wegen ihrer Lücken hier nicht verwendet wird, findet sich bei J. Trouillat (Hg.), Monuments V, Nr. 198. Vgl. auch die vermutlich zeitgleich auf dem Konzil entstandene anonyme Denkschrift über die Reform des Prozesswesens: Heinrich Dannenbauer u.a. (Hgg), Concilium Basiiiense VIII, Basel 1936, Nr. 13, 139-142. Vgl. auch StABS: Gerichtsarchiv AA 21: Unvollständige Prozessordnung fur Appellationen aus dem 15. Jahrhundert.

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Denn offenbar zum erstenmal lag den Beamten ein ausgefeilter Text vor, der ihnen im Detail den Weg zeigte, wie sie einen Prozess rechtmäßig fuhren sollten 276 Systematisch unterscheidet die Ordnung zwischen den weltlichen und geistlichen Zivilsachen, wobei die ersteren nochmals unterteilt sind in größere und kleinere Fälle. Mit einer Ausnahme werden alle nach dem kanonischen Verfahrensrecht behandelt. Nur fur die sogenannten kleinen Fälle wandten die Notare ein spezielles, nämlich mündliches Verfahren an, das offenbar noch effizienter als das summarische war.277 Die Anleitungen Beinheims dienten den Gerichtsbeamten mindestens bis zur Reformation als Leitfaden. Die etwa fünfzig Jahre später, ungefähr 1480 von Bischof Kaspar zu Rhein erlassene Gerichtsordnung berief sich in sämtlichen prozessrechtlichen Angelegenheiten ausdrücklich auf diesen Ordo}1% Der Ordo hatte möglicherweise auch ideelle Auswirkungen. Etwa zu selben Zeit, als Beinheim ihn schrieb, taucht erstmals die Korporation der Gerichtsbeamten in den Quellen auf.279 Dass die Beamten des geistlichen Gerichts, insbesondere die Notare, Mitglieder einer Gilde waren oder eine eigene Schreiberinnung bildeten, ist auch aus anderen Städten bekannt.280 Einzigartig scheint es aber zu sein, dass mit Ausnahme der Advokaten sich das gesamte Gerichtspersonal angefangen zuoberst beim Richter bis hinunter zu den Pedellen korporativ organisierte und sich gleich den übrigen Gilden zur Aufrechterhaltung des städtischen Kosmos verpflichteten.281 Die Schar von mindestens sechzehn zünftigen Beamten bildete ein Glied in der Verteidigungskette um die Stadt, indem sie im Bedrohungsfall auf ei276

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Der Gattung nach gehört der Ordo iudiciarius zur populären Literatur des römisch-kanonischen Rechts. W.D. Wackernagel, Heinrich von Beinheim, 280f. Vermutlich handelt es sich um ein Prozedere, das am weltlichen Ratsgericht in Basel geübt und vom bischöflichen Gericht übernommen wurde, um konkurrenzfähig zu bleiben; so W. D. Wackemagel, Heinrich von Beinheim, 280. Ähnlich Hans-Rudolf Hagemann, Basler Stadtrecht im Spätmittelalter, in: ZRG GA 78 (1961), 140-297, hier 170. Hier auch ein knapper Überblick über die prozessrechtliche Entwicklung. P.-J. Schuler, Geschichte, 189. Beispiele in AAEB: A 85/33 (Gerichtsstatuten, Abschrift 1514), 17, 23. W.D. Wackemagel, Heinrich von Beinheim, 282ff.; K. Mommsen, Kanzleiwesen, 167f. Mommsen bezeichnet die Zunft „Gesellschaft der Schreiber des Hofs zu Basel", was m. E. nicht richtig ist. Diese Gesellschaft bildete nur einen Teil der ganzen Zunft. Das legt der Quellentext nahe, auf den sich Mommsen stützt. Der Offizial oder der Generalvikar waren dem Rang nach überdies keine Schreiber, und wären mit der degradierenden Bezeichnung kaum einverstanden gewesen. In Trier schlössen sich die die Beamten 1449 zur fraterni tas consistorialium zusammen, in Koblenz hatten sie eine stuba iuratorum und in Konstanz besaßen die Notare ebenfalls eine eigene Trinkstube; P.-J. Schuler, Geschichte, 171ff.; R. Wackemagel, Geschichte II/2, 541: Die Basler Notare gehörten alle zur Sozietät des Schreiberhauses. Die Gilde umfasste folgende Beamte: „Wir dise nachgenempten Heinrich von Beinheim, Official; Herman Friling, Vicary und Ingesigeler; Cunrat Guntfrid, Lienhart Valk, Johanns Gemolt, Peter Hartman, Johanns Stehellin, die geswomen Notarien; Jacob Vogel, der Banbucher; Johanns Schonwetter, Cancellator; Claus Riser, Johanns Tannegger, beide Pedellen; Heinrich Engelfrid, Albrecht Brissger und Jacob Platner, Fürsprechen; und die gantze Geselleschafft der Schribern des hoffs ze Basel [...]"; zitiert nach W.D. Wackemagel, Heinrich von Beinheim, 283.

nem Turm der Stadtmauer Wache stand. Die Korporation blieb solange bestehen, wie Basel Sitz des Offizialats war, also bis 1529. Freilich, auf den ersten Blick hat das nichts mit der Rechtsprechung zu tun. Die korporative Organisierung der Offizialatsbeamten zeigt aber, wie eng die Beziehung zwischen Kirchengericht und Stadt war. Die Beamten besaßen das Bürgerrecht und übernahmen entsprechende Pflichten.282 Das Gericht mochte noch so effizient organisiert, seine Beamten noch so treu und redlich sein, alles war vergebens, wenn der Rat und die Bürger ihm nicht vertrauten.283 Das zweite Dokument, ein undatiertes Aktenstück, das mit Informationes überschrieben ist und vom Schreiber selbst als „ordenung" bezeichnet wurde, enthält eine unverblümte Selbstkritik an der Gerichtsorganisation. Offenbar handelt es sich um eine Ergänzung alter Gerichtsstatuten, auf die verwiesen wird.284 Der Adressat war der Bischof, der Absender möglicherweise der Siegler.285 Mit Blick auf die alte, offenbar unwirksame und die Ehre des Offizialats und den Nutzen seines Siegels nicht förderliche Organisation werden Vorschläge zur Abhilfe unterbreitet. Sie betreffen einerseits einzelne Ämter, das Amt des Briefträgers und der Notare, insbesondere das des Prokurators, andererseits die Taxen. Zum Vorteil der Kurie und der Untertanen sei das Amt des Sachwalters zu reorganisieren und der Gebühreneinzug übersichtlicher zu gestalten, forderte der unbekannte Schreiber. Früher, beginnt der Text, habe es keine geschworenen Briefträger gegeben. Das Gericht habe die Prozessakten und Ladungsbriefe jeder Partei persönlich ausgehändigt. Diese seien selbst verantwortlich gewesen, sie dem Prozessgegner zukommen zu lassen.286 Es sei bisher nicht Aufgabe des Amts, sondern der Parteien gewesen, Exekutionstermine zu setzen. Weil dadurch die Siegeleinnahmen gemindert worden seien, habe man folgende Ordnung aufgestellt: Boten sollen die Brie282

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Die Gerichtsbeamten gehörten also nicht zum engen Kreis des bischöflichen Hofgesindes. - Als 1529 das Offizialat nach Altkirch verlegt wurde, verzichteten die vier Notare Johannes Salzmann, Johannes Heintzmann, Johannes Spirer und Johannes Schwegler auf ihr Bürgerrecht; Paul Roth, Durchbruch und Festsetzung der Reformation in Basel (Basier Beiträge zur Geschichtswissenschaft, 8), Basel 1942, 5Of. Es geht nicht darum, das Verhältnis zwischen Stadt und Kirchengericht um jeden Preis zu harmonisieren. Dass es gerade in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts öfters zu Handeln, Reibereien und Misshelligkeiten über die rechtlichen Zuständigkeiten kam, soll nicht verschwiegen werden. Vgl. zuletzt H.-R. Hagemann, Rechtsleben I, 49ff., und Ders., Rechtsleben II, 37, 59f., 194. AAEB: A 104/1, 157-160: „Item es sind ouch ertliche artickel in den alten Statuten begriffen procuratores beru(e)rende." Aufgrund des Schriftvergleichs datiere ich das Aktenstück in die Mitte des 15. Jahrhunderts. Der Inhalt legt es zudem nahe, dass es vor den ca. 1480 verfassten Gerichtsstatuten geschrieben wurde. Drei Gründe sprechen dafür: Der Schriftvergleich mit Akten aus der bischöflichen Verwaltung zeigt, dass es der Schreiber des Sieglers war. Zweitens kann aus dem Textinhalt geschlossen werden, dass es weder ein Prokurator noch ein Notar war. Schließlich deuten die zahlreichen Hinweise auf die effizientere Gestaltung der Einnahmepraxis - „und hette sin gnad ein mercklichs mer in sigillo denn vor" auf den Siegler. AAEB: A 104/1. Danach auch alle folgenden Zitate.

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fe, die das Gericht verschickte, den zuständigen Dorfgeistlichen übergeben, damit diese sie verlesen 287 Die Boten seien bei ihrem Amtseid verpflichtet, die Briefe termingerecht zu aushändigen. Nachdem die Schriftstücke verlesen worden seien, haben die Geistlichen sie mit einem Exekutionsvermerk zu versehen und Boten diese Briefe den zuständigen Prokuratoren wieder zurückzubringen. Dieser hätte sie dafür angemessen zu entlöhnen. Auch ein anderer Vorschlag betraf den Arbeitsablauf, der professioneller geregelt werden sollte. Es sei nicht die Aufgabe des Klägers, sondern die Pflicht des Prokurators, die Prozessschriften dem Siegler vorzulegen. Der Sachwalter wird überdies bei seinem Eid daran erinnert, dass er die in einem Prozess zitierten Personen tatsächlich empfangen soll „uff die tag, so er sin termin hett". Wenn diese dann am Gericht erschienen, habe der Prokurator ihnen die Klage seines Klienten vorzutragen und nicht anderen Geschäften nachzugehen.288 Dem Prokurator wird auch aufgetragen, wann und in welcher Reihenfolge er die Zitationen und Monitionen zu verschicken habe, und er wird ermahnt, sie ins Register eintragen zu lassen 289 Ein drittes Problem betraf offenbar die Absolutionsbriefe. Zwei Instanzen waren nämlich damit beschäftigt, sie zu schreiben, sowohl die Notare als auch die Prokuratoren. Jedoch informierten die Notare die Kläger und ihre Sachwalter nicht, wenn das Gericht jemanden absolvierte. Deshalb wurden „erber lutt" oftmals zu unrecht beschuldigt, sie seien exkommuniziert. Eine zweite Ursache war, dass das Gericht zwei verschiedene Formen von Absolutionen kannte, nämlich die kanzellierte Lossprechung und die nicht kanzellierten absoluciones sub forma reincidencie,290 Beide waren rechtsgültig, doch verwirrte diese Doppelspurigkeit die „armen Leute". Zahlreiche Artikel beschäftigen sich sodann mit den Gebühren, die für die einzelnen Dienste und Schreibarbeiten erhoben wurden. Die Einnahmen des Prokurators setzten sich aus dem Geld für das Siegel, die Exekution, Proklamation und für den Eintrag in das Register zusammen. Was er verdiente, hatte er an die zu287

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Nach K. Mommsen, Kanzleiwesen, 168 Anm. 24, war Nicolaus Riser, dessen Name erstmals in der Liste der Beamten der Gerichtsinnung auftaucht, der erste Pedell. Wenn dies zuträfe, dann wäre das Aktenstück in die 1420/30er Jahre zu datieren. Im Original heisst es: „[...] und zu(o) einem ieglichen, so also kumpt in meynung, den tag ze verston, sin clag von des actors wegen formlich ze tu(o)nd und andere gescheffte underwegen ze lassen". Vermutlich bedeutet die Wendung „den Tag verstehen" soviel wie „den Tag vor Gericht verbringen". Vgl. Hermann Fischer, Schwäbisches Wörterbuch (Bd. 2), Tübingen 1905, Spp. 1356-1360. „Item darnach so der procurator sol witter procedieren über die citaciones und moniciones, deren tag also verschinen sind, sol man dieselben citaciones und moniciones registratori uberantwurten, das der excommunicaciones in pergamento daruff schribe, und der procurator die copie uff die auttentigk. Nu(o) blibent alle auttentigk inn der statt Basel und siecht kein priester die auttentigken, id est litteras sigillatas, und wirt allein der copie, so der procurator daruff schribt, glouben geben;" AAEB: A 104/1, 158. Das kanonische Recht unterschied drei verschiedene Absolutionsformen. Die absolute Lossprechung für vollkommen erfüllte Leistungen; die resolutiv bedingte Absolution (absolutio ad reincidentiam), sowie die vorsichtshalber ausgesprochene Absolution (absolutio ad cautelarti), wenn Zweifel über das Vorhandensein einer Zensur bestanden. Vgl. W.M. Plöchl, Geschichte II, 332, und ausführlich F. Kober, Kirchenbann, 537-550. In der Quelle ist offenbar kein juristischer Unterschied gemeint.

ständigen Beamten abzuliefern und dem Bischof darüber zu berichten. Das war offenbar nicht selbstverständlich, sondern musste eigens angemahnt werden. Ebenso kritisch zur Gerichtspraxis äußerte sich um 1500 der Notar Sixtus Swegler gegenüber seinem Vorgesetzen.291 Die Bauern flüchten, wenn er angeritten komme, und murrten über das Gericht. Das Auftauchen eines Beamten, meinten sie, verheiße nie etwas Gutes. Aber wenn sie selbst einmal einen Gerichtsdiener brauchten, etwa fur eine Besiegelung oder fur eine Absolution, sei er nirgends zu finden. Schwegler unterbreitete zahlreiche Vorschläge, um den Nutzen und die Ehre des Gerichts zu heben. Die Richter sollten weniger streng urteilen, die Adligen sollten zuvorkommender behandelt werden, die Notare sollten nur schreiben, was ihnen diktiert würde, die Gerichtstermine sollten frühzeitig bekannt gegegeben werden, damit sich die Zitierten danach richten und pünktlich in Basel erscheinen könnten. Manche Prokuratoren würden überhaupt keinen Termin setzen, nicht einmal die Namen der Parteien mitteilen. Wenn den Bauern diese Briefe zurückgeschickt werden, würden sie die Priester schelten und ihnen die Schuld zuschieben, wenn Gerichtstermine platzten. Das schade dem Ansehen des Gerichts, zumal etliche Bauern lesen und dieses Spiel durchschauen könnten. Auch die Geschichte des Konstanzer Chorgerichts verläuft nicht kontinuierlich bis zur Reformation, sondern kennt Brüche, die mit der allgemeinen sowie mit der diözesanen Kirchengeschichte zusammenhängen. Für Konstanz ist spezifisch, dass das Konsistorium zweimal eine Konkurrenz in Form eines zweiten Gerichts erhielt, zuerst im 14. Jahrhundert bis zum Ende des großen Schismas (1378-1417), dann während des Bistumsstreits (1474-80). Spätestens seit 1345 konkurrierte in der landesherrlichen Stadt Freiburg im Breisgau ein Offizial mit demjenigen in Konstanz.292 Die Vorteile nutzte während des Schismas nicht nur die clementistische Partei, indem sie ihren Sitz nach Freiburg verlegte.293 Auch die Stadt schätzte ein ortseigenes Kirchengericht. Es wertete ihren Status auf und hatte einen ganz praktischen Nutzen. Doch zu einem unbestimmten Zeitpunkt wurde die Außenstelle geschlossen. Denn 1406 befahlen der päpstliche Kämmerer und 1415 der Papst selbst dem Bischof, in Freiburg wieder ein Gericht einzurichten.294 Ehefälle blieben unerledigt und zahlreiche Verbrechen ungestraft, weil Konstanz mehr als zwei Tagesreisen entfernt liege, der Weg überdies unsicher, gefahrvoll und mit hohen Kosten verbunden sei, argumentierten sie. Er solle einen Stellvertreter (vicarius forensis) mit den Vollmachten eines Generalvikars in spiritualibus et temporalibus in die Stadt 251

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AAEB: A 85/34. Die Datierung ergibt sich aus der Nennung des Prokurators Ungerer, der in zahlreichen Eheregistern erwähnt wird. Die Jahrzahl geht aus der erwähnten Gerichts- und Taxordnung des Freiburger Offizialats hervor; vgl. P. Ladewig, in: ZGO 38 (1885), 204-208. P. Holtermann, Stellung. P. Holtermann, Stellung, 75-79, 129. Holtermann stellt vor allem die Kompetenzkonflikte zwischen Stadt und geistlichem Gericht dar. REC 2, Nm. Nr. 6926, 8462. Dazu knapp und ohne neue Fakten P. Holtermann, Stellung, 129f.

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schicken, der innerhalb des Archidiakonats Breisgau und der Kapitel Villingen und Ewattingen die Aufgaben eines kirchlichen Richters wahrnehmen solle. Die erste Berufungsinstanz sei der Bischof von Konstanz oder sein Generalvikar. Die Einkünfte aus dem Siegel gehörten dem diözesanen Oberhaupt. Die Kosten für das Gericht würden von der Stadt und der in diesem Archidiakonat wohnhaften Geistlichen und Laien aufgebracht. Ob diese Zweigstelle des Konstanzer Offizialats tatsächlich wieder eröffnet wurde, muss aus zwei Gründen fuglich bezweifelt werden. Dagegen sprechen zum einen die zahlreichen Fälle, in denen Personen aus Freiburg direkt in Konstanz Recht suchten oder vom bischöflichen Hof zitiert wurden;295 zum anderen machte die Einsetzung von Kommissaren - einer wohnte in Freiburg -, das Gericht überflüssig. Die zweite Zäsur bildete der Bistumsstreit Ende des 15. Jahrhunderts.296 Auch während der sieben Jahre von 1474-80, in denen sich zwei Bischöfe - Ludwig von Freiberg und Otto von Sonnenberg - um die rechtmäßige Nachfolge Bischof Hermanns stritten, gab es zwei Offizialate 297 Denn jeder Bischof baute eine eigene Verwaltung auf. Inwiefern die Doppelbesetzung des Bischofsstuhls sich auf die Rechtsprechung auswirkte, ist schwer zu beurteilen. Sicher ist, dass ein rechtliches Vakuum entstand, da die eine Kurie die Urteile der anderen für ungültig erklärte und aufhob. Rechtsunsicherheit war die Folge. Dass weltliche Herrschaften dieses Vakuum ausnützten, um den geistlichen Gerichtszwang einzuschränken, kann belegt werden. Das württembergische Hofgericht festigte sich organisatorisch und institutionell ausgerechnet während des Konstanzer Schismas. Seine „geistlichen gelehrten Räte" hatten unter anderem die Aufgabe, geistliche Sachen zu entscheiden, die nicht in die Zuständigkeit der Dorf- und Stadtgerichte fielen.298 Wie eine direkte Antwort darauf liest sich ein Schreiben des Offizials an den Grafen Ulrich von Württemberg aus dem Jahr 1477. Darin beklagte sich jener, dass einige Einwohner seiner Grafschaft unter Berufung auf ihn, den Grafen, sich der geistlichen Gewalt entzögen.299

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Vgl. z.B. REC 4, Nrn. 12021, 12769, 13067, 13115, 13260, 13299, 13334, 13795, 14081, 14118. Zu den Hintergründen und Interessenkonflikten vgl. Walter Dann, Die Besetzung des Bistums Konstanz vom Wormser Konkordat bis zur Reformation, in: ZGO 100 (1952), 3-96, bes. 75-88; Johannes Gisler, Die Stellung der acht alten Orte zum Konstanzer Bistumsstreit 1474-80 (ZSKG, Beiheft 18), Freiburg/Ü. 1956; Peter Haußmann, Die Politik der Grafen von Württemberg im Konstanzer Schisma der Jahre 1474-1480, in: J. Engel (Hg.), Mittel und Wege früher Verfassungspolitik, (Spätmittelalter und Frühe Neuzeit 9, Kleine Schriften 1), Stuttgart 1979, 320-355. Ludwig von Freiburg ließ seine Jurisdiktion in Radolfzell ausüben, Otto von Sonnenberg blieb in Konstanz; vgl. REC 5, Nr. 14448. D. Stievermann, Landesherrschaft, 239. Die neueste Arbeit zum Hofgericht stellt keinen Bezug zum Konstanzer Offizialat her; vgl. Siegfried Frey, Das württembergische Hofgericht (1460-1618), (Veröffentlichung der Kommission fur geschichtliche Landeskunde in Baden-Württemberg B/118), Stuttgart 1989. REC 5, Nr. 15021.

Wie groß die Rechtsunsicherheit war, zeigt skizzenhaft nachstehende Episode. 1476 verlas der Leutpriester von der Kanzel einen Brief des Papstes mit folgendem Inhalt: Der bestätigte Bischof Ludwig von Freiberg dürfe bis zur Beilegung des Streits niemanden mehr bannen. Der Papst habe seine Exkommunikationen rückwirkend für ungültig erklärt.300 Diese unscheinbare Begebenheit macht ein Problem deutlich, das jeden Streit mit oder innerhalb der Kirche begleitete. Die sich rivalisierenden Bischöfe neigten nämlich dazu, den Gegner und seine Parteigänger mit dem Bann, ihrem Ersatzschwert, zu schlagen.301 Aber waren kirchliche Zensuren, die von einem Bischof, den man fur illegitim hielt, überhaupt gültig? Das war spätestens zum Zeitpunkt, da der Bann ausgesprochen worden war, keine rein akademische Frage mehr. Als Ludwig von Freiberg, um auch die Vorgeschichte des auf der Kanzel verlesenen Papstbriefs zu erzählen, der Stadt Überlingen mit dem Bann drohte, appellierte der Rat dagegen. Solange sich Papst und Kaiser in der Nachfolgeregelung uneins seien, argumentierte er, wolle die Stadt erst gehorsam sein und die Zensur beachten, wenn sich die Oberhäupter wieder vereint hätten. Ende 1475 wurden Rat und Gemeinde exkommuniziert. Die städtische Obrigkeit kümmerte sich aber, wie es in einer Chronik heißt, nicht um die Zensur und ließ weiterhin die Messen lesen und Gottesdienste feiern.302 Aber ob dieser Entscheid von allen Überlingern, insbesondere der kanonistisch nicht geschulten Mehrheit mitgetragen wurde, ist zu bezweifeln. Wahrscheinlicher ist, dass sich die Bürger und Bürgerinnen verunsichert fragten, ob dem Rat oder den an der Kirchentür angeschlagenen Exkommunikationsbullen zu gehorchen sei. Erst die öffentliche Erklärung des Priesters behob die Verunsicherung. Die Entwicklung des Churer Offizialats von 1273 bis zur Reformation ist mangels Akten, Urkunden und Gerichtsstatuten kaum nachzuzeichnen. Der einzige Hinweis auf eine organisatorische Veränderung, der sich in der Literatur findet, betrifft die Zentralisierung der bischöflichen Verwaltung. Die Kompetenzen der Archidiakone seien im 15. Jahrhundert zugunsten des bischöflichen Konsistoriums eingeschränkt, näherhin sie in die bischöfliche Administration eingegliedert worden. Über die Gründe des im Vergleich zu Basel und Konstanz späten Abschlusses der Zentralisierung, kann nur spekuliert werden. Die geographische Zersplitterung des Bistums in unzählige, während der schneereichen Wintermonate fast völlig abgeschnittene Täler erschwerte es vermutlich ebenso wie die politisch mächtige, in Bünden organisierte Bauernschaft, die Verwaltung organisatorisch zu straffen. Auf eine zweite Neuerung im Gerichtswesen verweist der 1. Ilanzer Artikelbrief, den die drei Bünde (Oberer Bund, Gotteshausbund, Zehngerichtebund) im Frühjahr 1524 als Gesetz annahmen. Die Prokuratoren, heißt es dort, sollen vor

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REC 5, Nr. 14657. REC 5, Nm. 14434, 14513, 14499 u.ö. REC 5, Nrn. 14531, 14567.

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Gericht wie früher deutsch und nicht wie jetzt üblich lateinisch reden.303 Wann war „früher"? Einzelne noch vorhandene Protokolle in Ehefallen, die aus der Mitte des 15. Jahrhunderts stammen, zeigen, dass der Anteil der deutschen Worte und Sätze höher war als in den Gerichtsakten des 16. Jahrhunderts.304 Aber das Quellenmaterial ist zu fragmentarisch, um die „allten zitten" genauer zu datieren.

2.3

Delegierte Gewalt der Archidiakone und Dekane

Das gemeine Recht erlaubte es den Bischöfen, ihre Gerichtsgewalt ganz oder teilweise an Archidiakone oder Dekane als ihren Untergebenen und Beamten zu delegieren. Dieser wurde dann als bischöflicher Mandatar in die Verwaltungshierarchie eingebunden und übte die Jurisdiktion nach Benefizialrecht aus. Solche Archidiakonats- oder Dekanatsgerichte funktionierten auf der Grundlage des Dekretalenrechts gleich wie die bischöflichen Offizialate. Die Archidiakone hatten im besten Fall dieselben straf- und zivilrechtlichen Kompetenzen und konnten auch notarielle Beurkundungen vornehmen. Um diese Befugnisse auszuüben, stand dem Archidiakon manchmal ein eigener Offizial zur Seite, dem eine ganze Behörde mit einem Stab von Beamten - mindestens ein Notar, ein Prokurator und ein Pedell - zur Verfugung stand. Innerhalb des kirchlichen Gerichtssystems war das archidiakonale Gericht die unterste Instanz. Gegen seine Urteile konnte an das bischöfliche Offizialat appelliert werden. Die Gerichtsbarkeit der Dekane der Landkapitel entwickelte sich aus derjenigen der Archidiakone. Sie warfen ihr wachsames und prüfendes Auge sowohl auf die korrekte Amtsführung als auch auf den sittlichen Lebenswandel des Klerus. Doch besaßen sie keine ordentliche Gewalt, um Übertreter selbstständig zu bestrafen.305 Über diese verfugte allein der Bischof und sein Generalvikar. Jener erlaubte ihnen manchmal per delegationem, Zensuren zu verhängen oder mit anderen Strafen einzuschreiten, damit sie wirkungsvoll ihrer Aufsichtspflicht nachkommen konnten. Der Umfang der Delegation war aber je nach Zeit und Dekanat verschieden. Ein solches archidiakonales Gericht findet sich in der Stadt Basel. Der Domarchidiakon (archidiaconus maior) stand dem städtischen Archidiakonatssprengel vor, 303 304 305

C. Jecklin (Hg.), Urkunden Nr. 134, 81. BAC: Mappen Β 60 und Β 61. Für die Kenntnis der normativen Grundlagen immer noch zentral ist die Arbeit von J. Ahlhaus, Landdekanate, bes. 136-144. Die Kompetenzen der Dekane wurden auch in den Synodalstatuten festgeschrieben. Für Konstanz vgl. z.B. K. Brehm (Hg.), Geschichte, 94; für Basel vgl. z.B. J. Hartzheim J.F. Schannat (Hgg.), Concilia Germaniae VI, 4.

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der neben der Stadt Basel die sieben freien Dörfer Allschwil, Hochwald, Hüningen, Münchenstein, Muttenz, Oberwil und Pratteln einschloss.306 Die Rechtsprechung delegierte er offenbar an einen Offizial, der über ein eigenes Haus und ein eigens Gerichtssiegel verfügte.307 „Des erzpriesters lichter hüsli" stand neben dem Chorgericht, der Berufungsinstanz.308 Über die Kompetenzen dieses Richters ist in der Forschung so gut wie nichts bekannt, obwohl mindestens ein öffentlicher Notar und ein Schreiber tätig waren und sich das Prinzip der schriftlichen Prozessführung auch an diesem Gerichtshof längstens durchgesetzt hatte.309 Zum einen wird vermutet, dass das Gericht des Archidiakons sich „bis weit ins 15. Jahrhundert hinein" zwar halten konnte, die bischöflichen Organe aber, zuvorderst der Generalvikar und der Offizial, ihm im Zug der allmählichen Zentralisation und Vereinheitlichung der diözesanen Verwaltung seine Kompetenz entzogen.310 Andererseits weist die lokalgeschichtliche Forschung auf die Selbstbeschreibung des Archidiakons Hans Konrad von Bodman hin, wonach er und seine Vorgänger im Archidiakonatssprengel der Stadt Basel noch Ende des 15. Jahrhunderts alle offenkundigen Ehebrecher, Wucherer und Feiertagsschänder, sowie alle anderen öffentlichen Sünder zu strafen die Gewalt gehabt hätten.311 Laut den „Einungsbriefen über die Pfaffheit" von 1339 und 1352 hatte der Domarchidiakon das Recht und die Pflicht, Übertretungen des Stadtfriedens zu richten, die durch Kleriker oder an Klerikern begangen wurden.312 Nach alter Gewohnheit war es dem archidiakonalen Offizial zudem erlaubt, kirchliche Zensuren zu verhängen.313 Doch keine Quelle belegt, dass diese Bestimmungen im 15. Jahrhundert noch gültig waren.

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Zu den Begriffen archidiaconus maior und archidiaconus minor siehe P. Hinschius, Kirchenrecht II, 192. Gegenüber den anderen Archidiakonen hatte er eine herausragende Stellung inne. Dafür spricht, dass ihm neben dem Stadtsprengel noch drei weitere und damit die meisten Archidiakonate (citra Rhenum, ultra et citra colles Ottonis) unterstellt waren; E. Baumgartner, Geschichte, 59f. R. Wackemagel, Geschichte I, 124f.; Ders., Geschichte II/2, 543, 657f., 715. Beispiele für die Tätigkeit des erzpriesterlichen Gerichts im Urkundenbuch der Stadt Basel (Bd. 4), Nrn. 39, 35 und 43. Der Name 'Erzpriester' ging auf den Archidiakon über; R. Wackemagel, Geschichte I, 124. P.-J. Schuler, Geschichte, 184, 192. Vgl. auch R. Wackernagel, Geschichte II/2, 543. B. Ottnad, Insiegler, 618. - Im 14. Jahrhundert gab es offenbar auch einen Advokaten; J.B. Villiger, Bistum Basel, 117 Anm. 23. Das Zitat aus W. Kundert, Domstift, 301. Für diese Position stehen Baumgartner, Geschichte, 60, 63, und J.B. Villiger, Bistum, 112-120; beim letzteren auch Beispiele von Gerichtsfällen aus dem 14. Jahrhundert. R. Wackemagel, Geschichte II/2, 657. Johann Konrad von Bodman war vermutlich von 1485-1510 Domkantor und als solcher höchstwahrscheinlich zugleich Archidiakon im Dekanat Leimental und nicht, wie Wackemagel annahm, städtischer Archidiakon; W. Kundert, Domstift, 299. Zwischen ca. 1475-80 war Johannes Savageti, Domherr zu Konstanz und Basel, Archidiakon von Basel; vgl. REC 5, Nrn. 14263 und 15301. Urkundenbuch der Stadt Basel (Bd. 4), Nm. 139, 202. Vgl. R. Wackemagel, Geschichte II/2, 716.

101

Die Dekane in der Diözese Basel verfugten über keinen Gerichtszwang.314 Die Diözese Konstanz war in zehn Archidiakonate eingeteilt. Quellen, die über die Rechtsprechungskompetenzen der ihnen vorstehenden Archidiakone Auskunft geben könnten, fehlen fast gänzlich. Sprachen die Archidiakone im 15. Jahrhundert überhaupt noch Recht?315 Die Synodalstatuten erwähnen ihre streitige Gerichtsbarkeit. Allerdings tun sie das in einer Weise, die gleichzeitig erklärt, weshalb keine anderen Quellen das archidiakonale Gericht nennen. Denn regelmäßig betonen die Statuten, dass in Ehesachen nicht der Archidiakon, sondern allein der Bischof oder sein Offizial zuständig sei. Offenbar gelang es bis spätestens um die Mitte des 15. Jahrhunderts, die archidiakonale Gerichtsbarkeit in Ehesachen und auch anderen Angelegenheiten auszuschalten. Ein Indiz dafür ist der zu dieser Zeit erstmals erscheinende neue Beamtentyp, der ständige Kommissar, der gewissermaßen als Außenstelle des bischöflichen Gerichts die Parteien in streitigen Angelegenheiten verhörten.316 Das Archidiakonat war im Bistum Konstanz endgültig ein „Benefizium ohne Verpflichtung" geworden.317 Mit der Gerichtsgewalt der Dekane stand es nicht viel anders. Von Zeit zu Zeit stattete sie der Bischof mit Jurisdiktionsgewalt aus. Doch kam es auch vor, dass er ihnen das Recht, Kirchenstrafen zu fallen, gänzlich entzog, wie dies fur das Landkapitel Hechingen 1484 überliefert ist.318 Ganz anders in Chur, wo das Archidiakonat ein Benefizium mit Verpflichtung war. Den Titel „Archidiakon" sucht man in den Quellen jedoch vergebens. Stattdessen stößt man auf die austauschbaren Amtsbezeichnungen „Archipresbyter", „Erzpriester" und „Dekan".319 Über die Aufgaben der Archipresbyter sowie über ihr rechtliches Verhältnis zum Bischof geben die sogenannten Ämterbücher, die um 1400 verfasst wurden, knapp Auskunft.320 Für die Zeit um 1525 stützt sich die

314

Jean Burcklé, Les chapitres ruraux des anciens évêchés de Strasbourg et de Bàie, Colmar 1935, bes.

315

Th. Gottlob, Offiziale Konstanz, 187ff., 261f. Zuletzt R. Reinhardt, Archdiakone, 851-881. Hier auch ein prosopographisches Verzeichnis der Archidiakone. Bereits die um 1400 verfassten Gerichtsstatuten erwähnen zwar dieses Amt. Doch dass Kommissare als ständige Gerichtsbeamte eingesetzt wurden, ist für diese Zeit nicht belegt. R. Reinhardt, Archidiakone, 852. Vgl. auch weitere Beispiele bei J. Ahlhaus, Landdekanate, 141f. - Für die Zeit vor 1400 vgl. Karl O. Müller, Ein Landkapitel als geistliches Gericht, in: ZRG KA 23 (1934), 390-394. Vgl. J. C. Muoth (Hg.), Ämterbücher, 23: „Ain byschoff hat och ze setzen ain tegan und ertzpriester." Zum synonymen Gebrauch der Ausdrücke vgl. O.P. Clavadetscher, Richter, 15f. - Auch im Bistum Würzburg trugen die Archidiakone den Titel „Archipresbyter" oder „Erzpriester"; vgl. F. Merzbacher, Verfassung, hier 326. Nach dem CIC handelt es sich jedoch um zwei verschiedene Ämter; vgl. X 1.23.1-10 und X 1.24.1-4. J. C. Muoth (Hg.), Ämterbücher, bes. 18-25. Die Bücher listen die einzelnen Ämter auf, die der Bischof von Chur zu verleihen hatte, und orientieren über ihre Aufgabe.

260.

316

317 3,8

319

320

102

Forschung auf Akteneintragungen aus dem Debitorium generale, dem Rechnungsbuch des bischöflichen Sieglers. Nach den Ämterbüchern verlieh der Bischof in fünf Dekanaten das Amt eines Erzpriesters: im Walgau (vallis Trusianae), unter der Landquart (sub Langaro), ob der Landquart (um Chur), im Engadin (vallis Engadine inferioris et superioris) und im Vintschgau (archipresbyteratus vallium Venustis et Athesis)m Der Vorsteher des Dekanats „um Chur" war immer zugleich auch bischöflicher Offizial in Chur. Die Archipresbyter wachten über den christlichen Lebenswandel, wie ihn die Synodalstatuten umschrieben.322 Die drei Erzpriester im Walgau, unter und ob der Landquart hatten ihren Sprengel regelmäßig zu visitieren und den Send abzuhalten.323 Die beiden anderen Lehensträger beauftragte der Bischof, das geistliche Gericht zu halten, eine Aufgabe, die das Entscheiden von Ehesachen miteinschloss. Insoweit übernahmen sie Aufgaben, die eigentlich dem konsistorialen Richter vorbehalten waren.324 Die Zentralisierung der bischöflichen Verwaltung und die damit verbundene Eingliederung der archidiakonalen Gerichtsbarkeit wurde im Bistum Chur erst Ende des 15. Jahrhunderts abgeschlossen.325 In den etwa hundert Jahren zwischen 1400 und 1500 scheint die Zahl der Erzpriester nicht nur verringert, sondern auch ihr Aufgabenkreis enger gezogen worden zu sein. Drei archidiakonale Rechtsprechungsbezirke lassen sich am Ende dieser Periode noch nachweisen: das Misox, der Vintschgau und das Engadin.326 In den beiden Dekanaten vallis Trusianae und 321

322

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325 326

Das Bistum war in sieben Kapitel unterteilt. Ob es in den beiden Dekanaten supra silvam und supra saxum, die im Ämterbuch nicht erwähnt werden, das Amt eines Archipresbyters nicht gab oder vom Bischof nicht verliehen wurde, ist unbekannt. Primo querendum est de fide cattolica et circumstanciis eius et si omnes fidem teneant und Item de statutis ecclesiae lauten die beiden ersten Artikel des Churer Quaestionarium in placito Christianitatis. Die einzelnen Tatbestände sind aufgeführt bei J. C. Muoth (Hg.), Ämterbücher, 22f. Das Frageschema datiert Muoth aber ins 12. oder 13. Jahrhundert; vgl. J. C. Muoth, Mitteilungen über die kirchliche Organisation des Bistums Chur im XV. Jahrhundert, in: Bündner Monatsblatt 1896, 161168, 185-191, hier 188 Anm. 16. J. C. Muoth (Hg ), Ämterbücher, 21-24: „[...] sol ain ieklicher ertzpriester in sinem ampt placitieren, das man nemet ze tútzsch tavellen und in welsch plaid cristianida." Im Original heißt es: „E sachen uss ze richten und och gaistlich gericht" zu halten. - Der Artikel, worin die Tätigkeit des bischöflichen Offizials festgehalten wird, umschreibt nur vage seine Kompetenzen. Er „rieht ungefarlich in den sachen, die im zu(o) geho(e)ren"; J. C. Muoth (Hg.), Ämterbücher, 20. O. Vasella, Kurie, 84. Der Artikel über die Generalvikare und Offiziale des Bistums Chur in der HelSac enthält jedoch nur die prosopographischen Daten der Vintschgauer Erzpriester und der Engadiner Dekane, da den Autoren nicht bekannt war, dass auch im Misox Richter eingesetzt wurden; vgl. O.P. Clavadetscher - W. Kundert, Generalvikariat, 512, 521-526. Der Nachweis eines Richters im Misox erbrachte O. Vasella, Geschichte, 93-97. Hier - 105f. - weitere prosopographische Angaben. Diese können ergänzt werden. Im DG sind vier Dekane des Engadins namentlich erwähnt, nämlich - in zeitlicher Reihenfolge - Conrad (DG 1/4, 1078, 1080), Johannes Bischetta (DG 1/4, 1038-1041), Nicolaus Serarard (DG 1/4, 1065, 1067ff ), Johannes Bursella (DG 1/4, 1061). Bischetta, Serarard und Bursella waren kaiserlich autorisierte Notare; vgl. G. Pool, Notare, Nrn. 31, 32a, 91b.

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sub Langaro hingegen nahm das Amt des Erzpriesters offenbar den Charakter einer Pfründe ohne Amtsgewalt an. Über welche Kompetenzen verfugten der Dekan im Engadin, der Erzpriester im Vintschgau und der Richter im Misox? In ihrer Untersuchung über die Rechtsverhältnisse im Vintschgau vertrat Meyer-Marthaler die Ansicht, dass die weltlichen Gerichte seit dem 15. Jahrhundert Vergehen bestraften wie zum Beispiel Meineid, Gotteslästerung, Ehebruch, heimliche Ehen oder Inzest, die von alters her im placidum christianum gerügt worden seien.327 Clavadetscher und Vasella vertraten unter Berufung auf Quellen aus der bischöflichen Verwaltung eine andere Ansicht, ohne sich jedoch in deren Interpretation einig zu sein. Während ersterer die These verteidigte, dass die Erzpriester des Vintschgaus über eine vom Bischof praktisch unabhängige Gerichtsbarkeit in geistlichen Angelegenheiten verfugten, wies Vasella nach, dass der archipresbyterale Gerichtszwang eingeschränkt war. Nur der Bischof übte die Rechtsprechung über den Klerus aus. Zweifelhaft sei überdies, ob eine solche uneingeschränkt über Ehesachen bestand. Eine Appellation gegen ein Eheurteil vom erzpriesterlichen an den bischöflichen Richter belege, dass die Instanzen nicht gänzlich losgelöst voneinander gearbeitet haben.328 Den besten Einblick in den Amtsbereich eines vom Bischof eingesetzten Richters geben drei Aktennotizen aus dem Rechnungsbuch des Sieglers. Sie stammen alle von 1527 und halten die Übertragung der Gerichtsbarkeit an den Richter im Misox fest. Der Umfang seiner Zuständigkeit schwankte geringfügig je nach Eintrag. Johannes de Salvagnio erhielt die Vollmacht, zivile Prozesse zu entscheiden, sofern der Streitwert die Höhe von 4 fl. nicht überschritt. Auch war ihm erlaubt, Laien in eigentlich dem Bischof vorbehaltenen Fällen zu absolvieren. Jedoch war er nicht befugt, über Geistliche Recht zu sprechen.329 Johannes de Sacco de Agrono seinerseits war ermächtigt, die ordentliche Jurisdiktion auszuüben. Eheangelegenheiten gehörten vor sein Forum; weltliche Sachen nur, solange sie den Betrag von 4 fl. nicht überschritten.330 Von Johannes de Quattrinis schließlich heißt es, dass ihm die Gewalt übertragen worden sei, sowohl die iurisdictio intema als auch 327

Elisabeth Meyer-Marthaler, Untersuchungen zur Verfassungs- und Rechtsgeschichte der Grafschaft Vintschgau im Mittelalter (Teil II), in: JbHaGG 72 (1942), 99-233, hier 157f. Die Aussage beruht auf der Auswertung von normativen Quellen, die ausschließlich weltliche Institutionen produzierten. 328 O.P. Clavadetscher, Richter, 21. Vasella, Geschichte, 97. 329 Dominus presbyter Johannes de Salvagnio, prepositus et canonicus ecclesie sanctorum Johannis et Victoris vallis Misolcine tenetur [...] pro generali commissione sive eius sigillo judicandi in civilibus et aliis causis summam iiii florenos non excedentibus, item absolvendi subditos tempore quadragesimali et aliis anni partibus utriusque sexus auctoritate ordinaria in casibus episcopalibus publicis et occultis, exceptis presbyterorum quibuslibet transgressionibus, edam fomicariorum clericorum proles procreacium et presbyterorum percussorum seu manuum violentarum iniectorum in eosdem absolucionibus que sunt retente; zitiert nach O. Vasella, Geschichte, 94. 330 Dominus presbyter Johannes de Sacco de Agrono [...] tenetur [...] pro commissione ordinarie iurisdictionis sibi per vollem Misoltzinam usque ad sententias diffinitivas exclusive tum matrimonialium tum prophanarum summam 4 fl. R non excedencium causarum tradite; zitiert nach 0 . Vasella, Geschichte, 94.

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die iurisdictio externa, die die bischöflichen Reservationsfalle einschloss, auszuüben.331 Die genannten Befugnisse steckten wohl auch den Rechtsprechungsbereich des Vintschgauer Erzpriesters und des Engadiner Dekans ab.332 Aus einer Aktennotiz von 1517 geht beispielsweise hervor, dass der Dekan im Engadin dem Siegler Geld schuldete, das jener für die Lossprechung eines Laien vom Bann erhalten hatte. An einer anderen Stelle liest man: Der Dekan schuldet Geld fur den Bußgerichtshof, den er in Reservationsfallen vom Pfarrer in Sins übernahm. An einer dritten Stelle: er schuldet dem Notar eine große Geldsumme, weil er die Jurisdiktion innehat.333 Der Dekan verfugte also über die Absolutionsgewalt zumindest über exommunizierte Laien334 und war Bußpriester mit Rechtsprechungskompetenzen im Rahmen des forum internum. Der Umfang der anfallenden Verwaltungs- und Richterarbeit des Vintschgauer Erzpriesters war so groß, dass er offenbar einen ständigen Gerichtshof unterhielt. Michael Christoffel, der zwischen 1516-24 bischöflicher Ofïïzial in Chur war, amtete vorher zwei Jahre lang, von 1510-12, als notarius officii archipresbiteratus vallis Venuste collaterale ìì5

3.

Erzbischöfliche Gerichtsbarkeit

Erzbischöfliche Gerichte waren die nächsthöhere Appellationsinstanz gegen Urteile bischöflicher OfRziale. Literatur über die Metropolitangerichte in Mainz oder Besançon gibt es nicht. Über den Beamtenapparat oder die Gerichtskosten ist kaum etwas bekannt.336 Nach dem gemeinen Recht funktionierten sie nach denselben Prinzipien wie die bischöflichen Chorgerichte.

331

Dominus presbyter Johannes de Quattrinis, prepósitos et canonicus ecclesie collegiate sanctorum Johannis et Victoris vallis Misoltzine tenetur [...] pro commissione et facúltate ordinaria in penitencialibus seu casibus publicis et occultis episcopalibus-, zitiert nach 0 . Vasella, Geschichte, 94. 332 0 . Vasella, Geschichte, 94ff. 333 BAC: DG 1/4, 1067: Nicolaus Serarard, Pleban in Zemez und Dekan im Engadin, tenetur plus iiii testonos pro absolucione Alberti Tschanoya, laici inibì, armata manu invasit citra tum aliquant lesionem [...], tenetur plus i teston adpenitenciariam quem recepii in casibus reservatis a plebano in Sins (Gesamtrechnung vom 27. August 1517); DG 1/4, 1068: Nicolaus Serarat[\] [...] tenetur [...] i fl. pro notario Studers Sed merito grandem summam contribuere deberet quia iurisdictionem habet (1515 Mai 24). 334 1 51 1 absolvierte der Dekan einen Pleban, obwohl er dazu nicht ermächtigt war; BAC: DG 1/4, 1080: non tarnen habuitpotestatem. 335 O.P. Clavadetscher - W. Kundert, Generalvikariat, 525. 336 Einige Hinweise bei G. May, Gerichtsbarkeit, 278-292.

105

4.

Päpstliche Jurisdiktion

In die Kategorie der päpstlichen, das heißt im vorliegenden Fall vom Papst delegierten Gerichtsbarkeit gehört sowohl die Rechtsprechung der apostolischen Legaten als auch der römischen Konservatoren. Vom Anspruch her gehört auch die konziliare Gerichtsbarkeit in diese Kategorie. Nur beiläufig erwähnt werden hier hingegen einerseits die Rota Romana, da sie sich zumeist mit verwaltungsinternen Fällen wie Benefizialstreitigkeiten und Ähnlichem befasste, und andererseits die Inquisitionsgerichte, deren spektakuläre Auftritte sich vielleicht ins Gedächtnis der Zeitgenossen wie der heutigen Historikergeneration einbrannten, aber eigentlich äußerst selten stattfanden.337

4.1

Delegierte Rechtsprechung

4.1.1 Apostolische Legaten Die Päpste bauten ihr Gesandtschaftswesen im 12. und 13. Jahrhundert stark aus. Apostolische Legaten waren mit außerordentlichen und zeitlich begrenzten Vollmachten ausgestattete Gesandte im Kardinalsrang, die die primatialen Rechte in den ihnen anvertrauten Provinzen wahrnahmen.338 Die legati de latere und die legati missi - nur von ihnen ist hier die Rede339 - waren das alter ego des Papstes. Als seine Repräsentanten im eigentlichen Sinn des Wortes besaßen sie - beide in gleichem Umfang - auch die ordentliche Gerichtsbarkeit. Die damit verbundenen Aufgaben nahmen sie erstinstanzlich anstelle der bischöflichen Richter oder in Konkurrenz zu den Metropolitangerichten als Appellationsinstanz gegen konsistoriale Urteile wahr. Selbstverständlich war es ihnen wie dem Papst erlaubt, diese Aufgaben zu delegieren.340 Wie diese Zuständigkeit innerhalb der drei Diözesen in die Praxis umgesetzt wurde, wird in der Literatur zumeist nur beiläufig erwähnt, und die archivalischen 337

338

339

340

Um 1480 beispielsweise gab es in der ganzen Erzdiözese Mainz keinen einzigen Inquisitor. HenriCharles Lea, Histoire de l'inquisition au moyen-âge (Bd. 2), Paris 1901, 421-425 [die Seitenzahl ist mit der amerikanischen Originalausgabe identisch], Allgemein W.M. Plöchl, Geschichte II, 95-100; K. Walf, Entwicklung, hier 48-55. Vgl. ergänzend den Aufsatz von Robert C. Figueira, Legatus apostolice sedis: the Pope's alter ego According to Thirteenth-Century Canon Law, in: Studi medievali 27 (1986), 527-574. Die Forschung unterscheidet drei Typen von Legaten. Der dritte ist der legatus natus, dessen Rechte an einen Bischofssitz gebunden waren. Er spielt im Untersuchungsraum keine Rolle. Die Kompetenzen der legati de latere sind weitreichender als diejenigen der legati missi, allerdings nicht im jurisdiktioneilen Bereich. Beispiele in REC 3, Nr. 9579; REC 4, Nr. 13923.

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Quellen sind derart verstreut, dass sie nur unter großem zeitlichen Aufwand gesichtet werden können.341 Wenigstens ein Beispiel kann einen ungefähren Eindruck vermitteln. Anthonius Pucci, den der Papst von 1517-21 als Legat fur das Gebiet der eidgenössischen Orte einsetzte, durfte unter anderem Ehedispense erteilen oder Leutpriester ermächtigen, die Pfarrgenossen zu absolvieren, um nur einige seiner mannigfaltigen Rechte aufzuzählen.342 Seine richterliche Gewalt nahm er vemutlich über die Delegation wahr.

4.1.2 Gerichte exemter Institutionen: Konservatorien Über eine exemte, nur der päpstlichen Gewalt unterstehende Gerichtsbarkeit verfugten zahlreiche Klöster und die Dekane der Domkapitel aller drei Diözesen. Die Forschungsliteratur enthält nur spärliche Informationen darüber. Die Domdekane übten in der Regel das Korrektionsrecht über die Kanoniker aus und waren auch fur zivile Fälle zuständig, in die diese oder das Kapitel als Korporation verwickelt waren. Der Konstanzer Domdekan Hermann von Landenberg urteilte 1464 als iudex clerici civitatis Constanciensis consuetudinarias in einer weltlichen Streitsache unter Klerikern, um wenigstens einen Beleg dafür anzuführen.343 Auch für die Diözese Basel sind nicht viele Fälle überliefert, anhand derer dieses Gericht studiert werden kann.344 Für Chur gilt Gleiches.345 Keinesfalls verfügten aber der Basler, Churer oder der Konstanzer Domdekan über dieselbe Machtfülle wie ihr Amtskollege aus dem Bistum Bamberg, der das Amt des bischöflichen Offizials bekleidete.346

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342 343

344

345 346

Ein prosopographisches Verzeichnis der Vertreter des Heiligen Stuhls bei Manfred Welti, Das apostolische Gesandtschaftswesen in der Schweiz, in: HelSac 1/1, 35-60. Zur Gesandtschaft Raymund Peraudis vgl. die Studie von R. Wackernagel, Mitteilungen. Vgl. auch die Tätigkeit des Legaten a latere im Fall Krain Ende des 15. Jahrhunderts. Der Bischof von Krain, Andrea Zamometic, versuchte in den 1480er Jahren, in Basel ein allgemeines Konzil einzuberufen; A. Stoecklin, Konzilsversuch, 107ff. Siehe ebd. auch die Belegstellen im Register unter dem Namen „Angelo Gerardini". EA III/2, Nm. 721, 1078. REC 4, Nr. 12808. - Zur exemten Gerichtsbarkeit des Konstanzer Domdekans vgl. REC 3, Nr. 9024, und Konstantin Maier, Das Domkapitel von Konstanz und seine Wahlkapitulationen: ein Beitrag zur Geschichte von Hochstifi und Diözese in der Neuzeit, Bd. 1, (Beiträge zur Geschichte der Reichskirche in der Neuzeit, 11), Stuttgart 1990, 41 f. Hier auch knappe Hinweise zu den Kompetenzstreitigkeiten, die das Domkapitel und die Bischöfe Ende des 15. Jahrhunderts austrugen. 1455 urteilte der Basler Domdekan in einem Streit zwischen zwei Domkaplänen; W.D. Wackemagel, Geschichte, 11. Allgemein R. Wackemagel, Geschichte Basel II/2, 715 (und Anmerkungsteil zur Seite 657). Ahnlich gelagerte Konflikte um die Kompetenzen wie im Bistum Konstanz fanden auch im Bistum Basel statt, allerdings vor allem im 14. Jahrhundert; vgl. Th. Gottlob, Offiziale Basel, 125f. O.P. Clavadetscher, Richter, 24ff. H. Straub, Gerichtsbarkeit.

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Die Zahl der exemten geistlichen Institutionen ist zu hoch, um sie im einzelnen aufzuzählen.347 Nicht alle verfugten aber über ein eigenes Gericht, gar ein Offizialat wie das Dominikanerinnenkloster Klingental in Kleinbasel.348 Der Papst gewährte ihnen aber das Privileg, sich im Notfall zu ihrem Schutz an delegierte Richter, sogenannte Konservatoren zu wenden. Diese Schirmrichter waren beauftragt, die Privilegien, Freiheiten und Rechte hauptsächlich geistlicher Institutionen, insbesondere der Orden, Klöster und Universitäten, vereinzelt auch der Reichsstädte zu schützen. Konservatorialgerichte waren in der Regel fallweise eingesetzte Ausnahmetribunale, und als solche verfügten sie nicht über einen ständigen Gerichtshof.349 Für die kirchliche Rechtsprechung ist diese Institution insofern bedeutsam, als die bestellten Konservatoren einen massiven Eingriff in die ordentliche Gerichtshierarchie darstellten. Denn sie umgingen das Rechtsprinzip, wonach der Kläger das Gericht des Beklagten angehen musste. Ein Beispiel verdeutlicht das. 1455/56 tagte in Aschaffenburg die Mainzer Provinzialsynode. Sie beschloss, eine Delegation an den Papst zu entsenden, um ihm die gegenwärtigen Beschwernisse zu schildern, denen der deutsche Klerus ausgesetzt war, und um Abhilfe zu bitten. In der als Gravamina nationis Germanicae bekannt gewordenen Instruktion der Gesandten bat der hohe Klerus unter anderem um Konservatoren zum Schutz der geistlichen Rechte und Freiheiten. Diese sollten den Klerus vor der Bedrückung und insbesondere der Missachtung des Privilegium fori durch Laien und vor allem durch Gemeinden schützen.350 Die Konservatoren, die sich in den untersuchten Diözesen nachweisen lassen, sind jedoch nicht zwingend als Antwort auf diese Bitte zu verstehen, da solche Richter bereits früher - und vermutlich ebenso häufig - eingesetzt wurden wie nach der Formulierung der Gravamania 1456.351 Für das Bistum Chur sind päpstliche 347

348

349

350 351

Mit Ausnahme des Frauenkonvents des Klosters St. Georgen im Schwarzwald waren beispielsweise sämtliche Konvente im furstenbergischen Territorium exemt; Werner Thoma, Die Kirchenpolitik der Grafen von Fürstenberg im Zeitalter der Glaubenskämpfe (1520-1660). Ein Beitrag zur Geschichte der Kirchenreform und Konfessionsbildung (RST, 87), Münster/W. 1963, 10. Klöster mit einem exemten Status waren u.a. Reichenau, Einsiedeln, St. Gallen. Die Exemtionsprivilegien wurden regelmäßig erneuert. 1512 z.B. wurde das Kloster Einsiedeln für 15 Jahre von der bischöflichen Jurisdiktion befreit; C. Wirz (Hg.), Bullen, Nr. 296. Offizial des Klosters Klingental war zu Beginn des 16. Jahrhunderts der Stadtschreiber Heinrich Ryhiner; vgl. August Burckhardt, Stadtschreiber Heinrich Ryhiner, in: Basler Zeitschrift 2 (1902), 3466, hier 38. P. Hinschius, Kirchenrecht I, 179-195. G. May, Konservatoren. May untersuchte vor dem Hintergrund der rechtsgeschichtlichen Entwicklung und der normativen Grundlagen die Tätigkeit der Konservatoren der Universitäten im Allgemeinen und diejenige der Universität Erfurt im Besonderen. Hier auch die neueste Literatur zum Thema. Vgl. auch P. Johanek, „Karolina de ecclesiastica übertäte". Johanek zeigt anhand der unter dem Begriff „Karolina" vorgenommenen Privilegierungen Karls IV., dass diese im 15. Jahrhundert die vorherrschende Grundlage der Konservatorenmandate waren. M. Hannappel, Provinzialsynoden, 460f. Vgl. zur allgemeinen Einordnung E. Wolgast, Gravamina. Die Fallbeispiele sollen nur dazu dienen, auf die Existenz dieser Institution aufmerksam zu machen. Mit dem Argument, dass die Johanniter in den Diözesen Konstanz und Würzburg von den weltlichen Herren bedrückt würden, bestellte schon die Synode zu Basel 1436 Konservatoren; REC 3, Nr. 9750.

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Gerichte nur spärlich nachzuweisen. 1494 beispielsweise bat der Bischof für sich, die Familiaren, seinen Offizial sowie seine Nachfolger um eine ständige Konservatorie, die der Papst bewilligte.352 Für das großflächigere Bistum Konstanz ist hingegen eine höhere Zahl von Konservatoren belegt. Einige Beispiele seien genannt: Die Bischöfe von Basel und Chur sowie der Vorsteher der Propstei SS. Felix und Regula von Zürich wurden 1463 zu Konservatoren des Klosters Einsiedeln ernannt;353 etwa 1490 war Abt Martin von Petershausen iudex et conservator des Hochstifts,354 und 1512 übten die Äbte der Klöster St. Gallen, Salem und des locus Heremitarum Beatae Mariae das Amt von Konservatoren für das Augustinerkloster SS. Udalricum und Afra zu Kreuzlingen aus.355 In der Diözese Basel sieht es ähnlich aus. Wie viele Institutionen sich im 15. Jahrhundert auf solche päpstliche Privilegien beriefen, sei anhand der Stadt Basel dargestellt:356 Das Spital der armen Leute,357 das Kollegiatstift St. Peter,358 der Karthäuser Orden,359 das Steinenkloster, die Universität, der Bischof und das Domstift,360 die Stadt Basel selbst sowie der Patronat der Familie Offenburg über die Nikiauspfründe im Gerner bei St. Peter. Zweifellos konnten auch die geistlichen Institutionen in anderen Städten zu ihrem Schutz auf Schirmrichter zurückgreifen. Doch nur ein Konservatorialgericht scheint während der Untersuchungszeit wirklich bedeutsam gewesen zu sein, nämlich dasjenige der Stadt Basel.

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C. Wirz (Hg.), Regesten 6, Nr. 175. Im Regest wird das Motiv für die Bitte nicht angegeben. Weitere Beispiele bei J. G. Mayer, Geschichte I, 430f., 449, 461; auch REC 4, Nr. 12057. C. Wirz (Hg.), Bullen, Nr. 109. Vgl. auch REC 4, Nrn. 12863, 12911. Ferdinand Elsener (Hg.), Rechtsquellen der Abtei St. Gallen (SSRQ, III/l), Aarau 1903, Nr. 363. C. Wirz (Hg.), Bullen, Nr. 297. - Weitere Konservatorien werden erwähnt in REC 3, Nr. 9505 (Klöster Weingarten, Ochsenhausen, Wiblingen, Zwiefalten, Isny und Blaubeuren), REC 4, Nm. 12082 (Kloster St. Trudpert), 12086 (Kloster Petershausen), 12282 (Kloster Zwiefalten), 12341 (Kloster Kempten), 12366 (Domkapitel), 12342 und 13405 (Kloster St. Blasien) etc. Sofern nicht anderweitig belegt, findet man die Quellenhinweise bei R. Wackemagel, Geschichte II/2, 728-31. Ein Konservator entschied eine Schuldangelegenheit zwischen dem Spitalmeister Hans Brüglinger als Kläger einerseits und Hans Höltzlin aus Vischingen (Bistum Konstanz) andererseits; StABS: Gerichtsarchiv AA 9 (eingelegtes Blatt). StABS: Gerichtsarchiv AA 9, 31 f. Vgl. auch C. Wirz (Hg.), Regesten 6, Nr. 548. Vgl. auch: StA. Straßburg: série IV, 4 (15): 1496. Nicolas, évêque de Tripolo, demeurant à Bàie, conservateur des droits de Gaspard zu Rhein, évêque de Bâle.

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4.1.3 Das Schirmgericht der Stadt Basel Das päpstliche Konservatorialgericht der Stadt verdankte seine Einrichtung einem entsprechenden Begehren, das der Rat wahrscheinlich Mitte des 15. Jahrhunderts an den Papst richtete. Die Rechtsprechung des Bischofs und seines Offizials, begründete die Stadt ihr Gesuch, sei ungenügend. Die Gerechtigkeit werde vernachlässigt.361 1483 entsprach Sixtus IV. der Bitte, und sein Nachfolger Innozenz VIII. siegelte ein Jahr später das Privileg. Julius II. und sein Nachfolger Leo X. erneuerten es 1512 beziehungsweise 1520.362 Über die Organisation, die Zuständigkeit sowie die Höhe der Taxen geben neben den Bullen noch weitere Quellen Auskunft, zuerst der 1488 zwischen dem badischen Markgrafen Philipp von Hachberg und der Stadt Basel getroffene Vergleich über einige Unklarheiten hinsichtlich ihrer rechtlichen Ansprüche (a.); dann die Gerichtsstatuten der Konservatorie, die anlässlich der Subdelegation der Gerichtsbarkeit durch Thiebold Hillweg, Abt zu Lützel, an Johann Rudolf von Hallwil, Kustor und Domherr des Hochstifts,363 Anfang des 16. Jahrhunderts verfasst wurde (b.).364 a. Der Vergleich zwischen den beiden weltlichen Herrschaften regelte die Ladungen der markgräflerischen Hintersassen durch die Stadtbürger. Anlass gaben die häufigen Zitationen in Schuldangelegenheiten, die die Bürger verschicken ließen. Die Parteien einigten sich, dass in diesen Fällen als Alternative zum Kommissar des Konstanzer Offizialats das päpstliche Konservatorium der Stadt die zuständige Instanz sei. Der Markgraf bedingte sich aber aus, dass die Taxen nicht übermäßig hoch angesetzt würden. Folgende Höchstwerte wurden vereinbart:

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363

364

Im 1484 von Innozenz VIII. ausgestellten Privileg heißt es, die Stadt habe schon seit längerer Zeit (dudum) darum gebeten; Urkundenbuch der Stadt Basel (Bd. 8), Nr. 702, 537f. Vgl. R. Wackernagel, Geschichte II/2, 728ff. - Stadtische Konservatorialgerichte scheinen selten gewesen zu sein. Nur von der thüringischen Reichsstadt Nordhausen ist ebenfalls bekannt, dass sie ein ähnlich lautendes Privileg besaß; G. May, Gerichtsbarkeit, 24. Urkundenbuch der Stadt Basel (Bd. 8), Nrn. 666, 686, 702; Urkundenbuch der Stadt Basel (Bd. 9), Nrn. 388, 497. Thiebold Hillweg war von 1494-1532 Abt des Zisterzienserklosters Lützel; André Chèvre, Cisterciens de Lucelle, in: HelSac III/3, Bern 1982, 290-311, hier 303f. Johannes Rudolf von Hallwil war seit 1484 Domherr, zwischen 1504-10 Dompropst, dann Domkustos. Zu seiner Karriere vgl. z.B. Albert Bruckner u.a., Die Bischöfe von Basel, in: A. Bruckner (Hg.), HelSac 1/1: Schweizerische Kardinäle. Das apostolische Gesandtschaftswesen in der Schweiz. Erzbistümer und Bistümer I, Bern 1972, Bern 1972, 200f., 283, 308. Als Richter des päpstlichen Konservatoriums amtete er bis 1515, wie aus der Rechnungslegung des Notars hervorgeht. Sein Nachfolger war der Propst von St. Peter zu Basel; StABS: Justiz-Akten Q 2. StABS: Justiz-Akten Q 2. Danach die Zitate. Die undatierte Satzung ist ediert in: D. Bruckner, Fortfuhrung, 46-51.

110

Tabelle 6: Bistum Basel, Taxen des Basler Konservatorialgerichts (1488)

Inhalt des Briefs Ladung Mahnung Bannbrief wegen Ungehorsams Bannbrief 8 6 5

monitorium interdicti Interdikt Relaxation Absolution

Höhe der Taxe 6 8 15 16 2 5 5 16

d. d. d. d. ß. ß. ß. d.

Überdies kamen die Parteien überein, dass im Fall, wo mehrere Schuldner auf eine Schuld Anspruch erhoben, es seien Haupt- oder Nebenschuldner, die Bürgen oder die Erben eines verstorbenen Schuldners, „dieselben nit me denn fii(i)r ein person gerechnet werden".366 b. Gemäß den Gerichtsstatuten war das Schirmgericht der Stadt - der lateinische Begriff conservatores wird in der Quelle selbst mit „schirmrichter" übersetzt - fur einen bestimmten Personenkreis zuständig, nämlich für ihre Bürger und Hintersassen, sowie alle, die „inen verwandt und by inen inn ir stat wonhaft sint [...] geistliche und weltliche personen".367 Die Bulle Julius II. erlaubte zudem, nicht nur Personen zu zitieren, die innerhalb der Diözese ansässig waren, sondern auch solche, die außerhalb des Bistum mehr als eine Tagesreise von der diözesanen Grenze entfernt wohnten.368 Der organisatorische Aufbau entsprach dem bischöflichen Offizialat. Der päpstliche Richter konnte sich auf einen, wenn auch bedeutend kleineren Stab von beeideten Beamten stützen. Die Satzung erwähnt einen Notar, einen Advokaten (solliciter), einen Fiskalprokurator, zwei Prokuratoren und einen Pedellen. Die Aufgabe dieser Beamten bestand laut den Privilegien darin, die Rechte und Freiheiten der Stadt zu schützen und zu schirmen. Aus der Sicht des Rats war darin eingeschlossen, die pekuniären Interessen der Bürger mit geistlichem Gerichtszwang durchzusetzen. „Sy mo(e)chtend das Ro(e)misch gericht besetzen," ist in einer anonymen Chronik darüber zu lesen, und jeden säumigen Bauern - „er wer 365

366 367 368

Die Quelle spricht von „brieff uff bann, es sye uff zyl oder ganz". Die genaue Bedeutung dieses Satzes ist unklar. Offenbar handelt es sich um zwei verschiedene Inhalte von Bannbriefen. Möglicherweise drohte der eine den Bann erst nach einer bestimmten Zeit an, während er beim anderen sofort eintrat. Urkundenbuch der Stadt Basel (Bd. 9), Nr. 68, hier 55f. StABS: Justiz-Akten Q 2. Urkundenbuch der Stadt Basel (Bd. 9), Nr. 388, hier 355: ne aliquis extra civitatem et diocesim suam nisi in certis exceptis casibus et in Ulis ultra unam dietam a fine sue diócesis ad judicium evocetur. Die Eingangsformel Militanti ecclesiae weist die Bulle Julius II. als typische littera conservatoria aus.

Ill

woher er wetty" - zitieren.369 In der Publikation, womit der Stadtrat die Einsetzung des Gerichtshofs verkündete, heißt es genauer, dass er fur Zins- und Zehntschulden sowie „ander zusprüch in Constanzer bistumb und an andern enden darumb gelegen" zuständig sein soll.370 Der Text der Gerichtsordnung bestätigt, dass die Instanz hauptsächlich in Schuldsachen angerufen wurde. Das Wort „Schulden" taucht auffallend häufig auf. Zu den Prozessakten, die der Notar sorgfaltig aufzuschreiben habe, werden nicht nur die Ladungen, Mahnungen, Bannbriefe, die Absolutionen und Relaxationen gezählt, sondern auch alle „erkanntniß und vergichten der schulden". Das Konservatorialgericht, heißt das, übte auch die freiwillige Gerichtsbarkeit aus, indem es unter anderem Konfessate notariell besiegelte. Streng scheiden die Statuten die Kompetenzen zwischen den Prokuratoren und dem Notar. Jene werden angewiesen, selbst keine Prozesse zu schreiben. Wenn die Gläubiger ihnen die Namen von Schuldnern nannten, sollten sie sich diese notieren und an den Notar weiterleiten (Art. 20). Auch wird ihnen eingeschärft, keine Quittungen über bezahlte Schulden („vergicht der schulden") auszustellen, sondern jeden Schuldner, der seinen Gläubiger befriedigt und dafür ein „warzeichen" von ihm bekommen hatte, zum Notar zu schicken (Art. 21). Der Briefbote wird verpflichtet, siebenmal jährlich die Briefe hinaus auf das Land zu tragen und folgsam und ohne Verzug zu verkünden (Art. 27, 30). Ein deutlicher Hinweis auf die eigentliche Funktion des Gerichts als Schuldgericht sind auch die dreizehn Artikel, worin die Höhe der Taxen sowie ihre Umlegung auf die an einem Fall beteiligten Gerichtsbeamten festgesetzt wird (Art. 214). Die Art der Schuldsache bestimmte die Gebührenhöhe fur die ausgestellten Briefe. Die Taxordnung unterscheidet zwischen Handschulden371 einerseits und Zins- und Zehntschuld - „veriechen schuld, zubekant schuld und zubekant kosten und derglichen offenbar bekantlich und anredlich sachen" - andererseits. Für die Briefe, die um Handschulden ausgeschickt wurden, galten folgende Taxen:

369

370 371

Anonyme Chronik der Mailänderkriege 1507-1516, in: Basler Chroniken (Bd. 6), bearb. v. A. Bernoulli, Leipzig 1902, 30-74, hier 42. Das Zitat bei R. Wackernagel, Geschichte II/2, 730f. In diesem Punkt folgt die Taxordnung ausdrucklich einer älteren Gewohnheit (Art. 2). - Unter Handschulden werden einfache Geldschulden im Unterschied zu geschuldeten Erbleihzinsen oder Rentenzahlungen verstanden; vgl. H.-R. Hagemann, Rechtsleben I, 63.

112

Tabelle 7: Bistum Basel, Taxen des Konservatorialgerichts (ca. 1512) Inhalt des Briefs 372 1. Ladung 2. Bannbrief wegen Ungehorsams 374 3. Bannbrief975 4. Bannbrief876 5. Mahnung 377 6. Interdikt378 7. Zitation interdizierter Personen 379

Höhe der Taxe373 7 10 11 2 3 4 8

Rp. Rp. Rp. ß. ß. ß. Rp.

Briefe, die aus den anderen genannten Schuldgründen versandt wurden, kosteten:

Inhalt des Briefs 1. Mahnung 2. Bannbrief®80 (Forts, wie oben 5. - 7.)

Höhe der Taxe 16 d. 2 ß.

Eine exkommunizierte Person bezahlte 16 d. (= ca. 8 Rp.), um die Absolution oder die Relaxation zu erhalten. Die Aufhebung eines Interdikts kostete 8 ß. Wie der Vergleich zwischen dem Vertrag von 1488 und der etwa gleichzeitig um 1480 geschriebenen Gerichtssatzung zeigt, gelang es dem Hachberger Grafen offenbar, die Kosten wenigstens teilweise zu senken. Doch die 'Gebührenermäßigung' drückte vermutlich gleichwohl auf den Geldbeutel der Bauern, wie der Vergleich mit den baselstädtischen Preisen fur Wein und Getreide nahelegt.381

372 373

374 375 376 377 378 379 380 381

Art. 3-9. Die Aufzählung der Briefe entspricht der einzuhaltenden Reihenfolge ihres Ausgangs. 1 ß. = ca. 5 Rp. = ca. 10 -11 d. - Angegeben ist jeweils auch, wie diese Gebühr auf die verschiedenen am geistlichen Gericht tätigen Personen umgelegt werden soll. Auch „citatz in contumacia" genannt, offenbar die prima sententia (Art. 4). „Zu latin secunda sentencia genant" (Art. 5). „Zu latin omnes sentencie genant (Art. 6). „Zu latin monitorium interdicti genant" (Art. 7). Auf deutsch „kilchverschlachung" (Art. 8). „Zu latin citado contra participantes" (Art. 9). „Zu latin omnes sentencie genant" (Art. 12). Vgl. § 2 II., 2.2.3.

113

4.2

Konziliare Gerichtsgewalt

Im Selbstverständnis der Konzile waren diese Versammlungen ein dem Papst in allen Belangen ebenbürtiges und auf derselben hierarchischen Stufe stehendes Organ. Konsequenterweise beanspruchten sie deshalb auch jurisdiktioneile Aufgaben. Über die Rechtsprechungsgewalt des Konstanzer und Basler Konzils wurde noch nicht systematisch geforscht, weshalb die Ausführungen sehr kurz ausfallen. 1432 entschloss sich die Basler Konzilsversammlung, die Rota Romana zu ersetzen, zumindest deren Macht und Einfluss zu schmälern, indem sie eigene Gerichtsinstanzen einsetzte und Prozesse jeder Art annahm. Die Idee, Frieden zu stiften, überdachte dieses Projekt. Sofern das Konzil schiedsgerichtliche Aufgaben wahrnahm, interessiert es hier aber nicht. Wichtig ist, dass es Prozessinstanzen nach dem römischen Vorbild einsetzte, dessen materiellrechtliche Grundlage und Arbeitsweise es übernahm.382

382

W.D. Wackernagel, Geschichte, 47f. J. Helmrath, Konzil, 188-193.

114

5.

Zusammenfassung

Der Teil über die Institutionen beschreibt eine vielseitige kirchengerichtliche Landschaft mit teils zu erwartenden Höhen, teils auffallenden Unebenheiten. Zwei Ähnlichkeiten und Abweichungen sollen herausgestrichen werden, weil sie für die erkenntnisleitende Frage nach der Funktion der Rechtsprechung fur die Rezeption der reformatorischen Lehre durch den gemeinen Mann besonders bemerkenswert sind. 1. Aufs Ganze gesehen überwiegen die Gemeinsamkeiten. Das ist insofern bedeutsam, als die institutionelle Gleichförmigkeit eine notwendige Voraussetzung ist, um die Rechtsprechung der drei Diözesen vergleichen zu können. Die kirchlichen, seit dem Hochmittelalter sich verstärkenden Bemühungen, den Gerichtsapparat dem normativen Anspruch gemäß hierarchisch zu gliedern, waren weitgehend erfolgreich. In jedem Bistum war das bischöfliche Konsistorium das mächtigste Kirchengericht, was Kompetenzen, Einfluss und Größe des Sprengeis betraf. Von einer Monopolstellung kann aber höchstens im Ehebereich die Rede sein. Aufgrund des in der ganzen Christenheit geltenden Kirchenrechts funktionierten die Chorgerichte prinzipiell alle gleich. Sieht man von den Größenunterschieden einmal ab, war der Beamtenapparat überall derselbe. Die Kosten für einen Gerichtsprozess waren gemessen sowohl an den Jahreslöhnen städtischer und bischöflicher Beamten als auch an den Lebenshaltungskosten in allen drei Bistümern hoch. Eigentlich war es nur vermögenden Männern und Frauen möglich, einen Prozess am bischöflichen Offizialat zu fuhren. Obwohl die finanzielle Lage der bischöflichen Verwaltungen während der Untersuchungszeit oftmals misslich war, sind die hohen Taxen nicht allein auf fiskalische Motive zurückzufuhren. Anders ist es nicht zu erklären, dass das Konstanzer Chorgericht für die in der Freiburger Filiale erhobenen Taxen 1514 gleichviel verlangte wie Mitte des 14. Jahrhunderts. Allenfalls hinter der Gerichtspraxis, für die Absolution eine Gebühr zu verlangen, obwohl das kanonische Recht das untersagte,383 kann ein fiskalisches Motiv vermutet werden. Die Ursachen des teuren Verfahrens liegen vielmehr darin, dass die Rationalität des Kirchenrechts um den Preis eines aufwendigen und kostspieligen Verfahrens in die Praxis umgesetzt wurde. Gerichtsbeamte verdienten nicht nur an den Sportein, sondern erhielten einen festen Jahressold. Und die Parteien mussten rechtskundige Vertreter und Papier verbrauchende Schreiber bezahlen. Im Folgenden soll die Aufmerksamkeit auf die Entwicklungen gelenkt werden, die die konsistorialen Gerichte während der Untersuchungszeit durchliefen. Zwei Merkmale seien vor allem hervorgehoben. Die bischöfliche Verwaltung wurde 383

CIC: X 5.3.24.

115

vereinheitlicht und zentralisiert sowie der Zugang zum Gericht vereinfacht. Ersteres zeigt sich in der Einbindungs- beziehungsweise Abgrenzungsstrategie gegenüber anderen kirchlichen Instanzen, archidiakonalen Gerichten oder delegierten Richtern beispielsweise. Letzteres verdeutlicht die fallweise und ständige Einsetzung von Kommissaren, die als Außenstellen der Offizialate die Klagen der Pfarrgenossen sammelten, um sie an die jeweiligen Gerichtsorte weiterzuleiten, und umgekehrt die Anweisungen und Aufträge der Richter ausführten. Alles deutet daraufhin, dass diese Entwicklungen im Wesentlichen in der ersten Hälfte, spätestens aber bis Ende des 15. Jahrhunderts abgeschlossen waren.384 Das ist fur die Erforschung sowohl der Rechtsanwendung als auch deren möglichen Folgen fur die Reformation eine belangreiche Erkenntnis. Denn daraus ist zu schließen, dass die bischöflichen Konsistorien lange vor der Reformation fest im Rechtssystem verankert waren. Ihre Rechtsprechung hatte regelmäßigen Charakter. Die Kritik daran entzündete sich nicht an institutionellen Neuerungen. Das Fehlen solcher um 1500 kann vielmehr als Hinweis für das gute und reibungslose Funktionieren des Verwaltungsapparats gewertet werden. Wo sich in diesem System Mängel zeigten, bemühten sich die Bischöfe um Abhilfe. Das zeigen die Gerichtssatzungen. Ob die wenigen darin angesprochenen Missstände die Wirklichkeit abbildeten oder nur ein rhetorisches Mittel waren, um die Ordnung zu rechtfertigen, sei dahingestellt.385 Die Basler und Konstanzer Gerichtsordnungen von Ende des 15. Jahrhunderts legen beredtes Zeugnis ab, dass der Wille vorhanden und der Verwaltungsapparat beweglich genug war, um allfällige Probleme wirksam zu lösen. 2. Die institutionellen Unterschiede sind im Einzelnen zahlreich. Nur auf diejenigen soll eigens aufmerksam gemacht werden, von denen spürbare Auswirkungen auf den Inhalt und den Umfang der Rechtsprechung des Offizialats als dem wichtigsten Gericht erwartet werden kann: zuerst die ständige Konservatorie der Stadt Basel sowie die archidiakonalen Gerichte im Bistum Basel; dann die Dekanatsgerichte in einigen Tälern der Churer Diözese; zuletzt die Innerschweizer Kanzelgerichte und das Zürcher Pfaffengericht. Allen Instanzen ist gemeinsam, dass es sich um Gerichte handelt, die - mit dem Konsistorium verglichen - fur einen kleinen, überschaubaren Rechtsbezirk zuständig waren. Die kirchlichen Vorschriften und Regeln und die sie in die Praxis umsetzende Institution wurden so nahe wie möglich an die Kirchgenossen herangetragen, die ihrer bedurften. Und auch umgekehrt: Diese - aber natürlich auch die 384

385

Für das Bistum Halberstadt ähnlich A. Diestelkamp, Geschichte, 297f. Diestelkamp vertrat gegen Hilling entschieden die These, dass die innere Wandlung der geistlichen Gerichte „in das Ende des 14. und in die ersten Jahrzehnte des 15. Jahrhunderts zu verlegen" sei. Er leitete dies nicht zuletzt aus den zu diesem Zeitpunkt auftretenden Beschwerden ab. Vgl. auch J. Hashagen, Charakteristik, 228ff. Die Gerichtsordnungen selbst sind kein Hinweis auf Missstände. Solche Satzungen wurden mehrfach erneuert, erweitert und den veränderten Umständen angepasst. Einen allerdings unvollständigen Überblick über Offizialatsstatuten bei A. Steins, Zivilprozess, 192f. Anm. 3.

116

weltliche Obrigkeit - wünschten und verstanden es durchzusetzen, dass das Gericht in der Nähe blieb. Doch gibt es zwei gewichtige Unterschiede: Während die Churer Dekanatsgerichte und das baselstädtische Archidiakonatsgericht offenbar fest in der diözesanen Gerichtshierarchie verankert waren, standen die übrigen Institutionen, die Kanzelgerichte, das Schirm- und das Pfaffengericht sowie die archidiakonalen Gerichte entweder sowohl unter dem kirchlichen als auch dem weltlichen Regiment oder sogar ganz außerhalb der bischöflichen Verwaltung. Die städtische Konservatorie und das Pfaffengericht wurden auf die Bitte von Bürgermeister und Rat hin eingerichtet. Für die Kanzelgerichte gilt, dass sie um 1500 in den weltlichen Herrschaftskörper eingegliedert waren. Das zeigt sich daran, dass die Appellationsinstanz ein weltliches Gericht war. Nur an den Kompetenzen oder der Befugnis, Bannurteile zu fallen, sind sie noch als geistliche Institutionen erkennbar.386 Der zweite Unterschied betrifft die Kompetenzen dieser Gerichte. Während die Kanzelgerichte und das Pfaffengericht eine strafrechtliche und friedenssichemde Funktion hatten, war das Konservatorium offenbar vor allem ein Schuldgericht. Es ermöglichte den Baslern, gegen säumige Schuldner vorzugehen, die im angrenzenden Bistum Konstanz wohnten. Die Dekanatsgerichte wiederum deckten, soweit das den spärlichen Quellen zu entnehmen ist, materiell das gesamte Spektrum kirchlicher Rechtsprechung ab. Welche Bedeutung die einzelnen Gerichtsinstanzen in der Praxis hatten, und was für eine Rolle sie im Leben der Pfarrgenossen spielten, zeigt das nächste Hauptkapitel, das die Rechtsprechung untersucht. Zunächst sei aber noch ein Exkurs eingeschoben, der einen weiteren Faktor beleuchtet, der die geistliche Gerichtspraxis beinflusste, nämlich das weltliche Recht.

386

Eine prosopographische Untersuchung der von kirchlichen Gerichten besoldeten Beamten könnte wahrscheinlich die Verflechtung von weltlicher Herrschaft und Kirchengericht deutlich zu Tage fordern.

117

III.

Exkurs:387 Komplementäres weltliches Recht

1.

Überlappende Normen, Sitten und Bräuche

Weltliches und kirchliches Recht sowie die sie in die Praxis umsetzenden Instanzen werden in dieser Untersuchung als komplementär aufeinander bezogene Teile des spätmittelalterlichen Rechtssystems verstanden. Daraus könnte gefolgert werden, dass es unnötig sei, einen Blick auf das weltliche Recht zu werfen. Was nicht kirchlich sei, gehöre zum weltlichen Bereich, und umgekehrt. Nicht einmal im Idealfall ist das richtig. Denn die Rechtssphären überlappten sich; und zwar nicht nur in der Praxis, sondern auch auf der normativen Ebene. Angesichts dieser Gemengelage ist es verständlich, dass auch antagonistische Züge das Verhältnis der beiden Rechtsbereiche kennzeichneten. Aber beherrschend waren sie nicht. Was heißt aber „weltliches Recht"? Darunter werden hier besonders die kommunalen Normen verstanden, die Stadt- und Dorfrechte.388 Dazu gehören städtische Statuten ebenso wie ländliche Weistümer, die im Einverständnis mit der weltlichen oder geistlichen Herrschaft entstanden. Daneben werden auch herrschaftlich gesetzte Normen herangezogen. Wenn der Blick in den folgenden Kapiteln auf die Schnittmenge zwischen weltlichen und kirchlichen Normen gerichtet ist, geschieht das aus zwei Gründen. Einerseits hilft die Kenntnis des weltlichen Rechts, die kirchliche Gerichtspraxis zu interpretieren. Das kann sich auf den Inhalt der Urteile beziehen, aber auch auf die sozialen Gruppen, die ihre Ansprüche vor dem kirchlichen Richter durchzusetzen suchten oder beklagt wurden. Andererseits dient sie auch zur Erklärung des Umfangs der geistlichen Rechtsprechung. Als Nebeneffekt wird belegt, dass bereits vor der Reformation der Kern des kirchlichen Rechtsanspruchs über die Laien seitens der Gemeinden in Frage gestellt wurde, nämlich der Ehebereich. Damit wird gegen die in der Forschung vertretene Tendenz Stellung bezogen, wonach die Reformation auch auf dem Gebiet der Ehe einen radikalen Bruch dargestellt habe.389 Mit anderen Worten wird hier die Kontinuität betont.

387

388 389

Die Kapitel wurden aus doppeltem Grund als Exkurs eingefugt. Der eigentliche Untersuchungsgegenstand ist die kirchliche und nicht die weltliche Seite des Rechtssystems. Dann werden hier fast ausschließlich normative, bereits edierte Texte hereingezogen und untersucht. Wie die Rechtsprechung weltlicher Gerichte hingegen funktionierte, ob und inwieweit sie jene in die Praxis umsetzten, wird im Gegensatz zur geistlichen Sphäre indes kaum behandelt. Die inhaltliche Nähe der hier behandelten Materie zum eigentlichen Gegenstand findet seine formale Entsprechung darin, dass der Aufbau weitestgehend dem ersten Hauptteil der Studie folgt, ohne jedoch das Geflecht der Instanzen entwirren zu wollen. Kommunales Recht findet sich natürlich auch in den Verträgen zwischen den Gemeinden. Statt einer uferlosen Aufzählung von Literatur vgl. die folgenden Standardwerke: Steven Ozment, When Fathers Ruled. Familiy Life in Reformation Europe, Cambridge (MA) 5 1994, 29f. L. Roper, Household.

118

1.1

Das Privilegium fori auf dem Prüfstand

Die Frage, welches Gericht in Rechtsfallen zwischen Laien und Geistlichen zuständig sei, wurde je nach Rechtsbezirk verschieden beantwortet. Der kirchliche Monopolanspruch auf den privilegierten Gerichtsstand der Geistlichen war lange vor der Reformation in zahlreichen Herrschaftsgebieten am Widerstand der weltlichen Obrigkeit zerbrochen. Die Durchsicht zahlreicher normativer Texte legt es nahe, die strafrechtliche von der zivilen Sphäre zu trennen, wobei immer zu fragen ist, wer der Kläger beziehungsweise der Angeklagte war. In Straftallen sind vier Möglichkeiten zu unterscheiden, frevelnde Geistliche zu bestrafen. Die übliche, mit dem Kirchenrecht zu vereinbarende Lösung war, dass der Bischof mit den weltlichen Herrschaften Hand in Hand arbeitete. Diese fing den kriminellen Priester und überwies ihn zu Bestrafung an den Bischof, den Generalvikar oder den Offizial.390 Auch die zweite Möglichkeit war kirchenrechtskonform. Der Bischof oder der Generalvikar delegierte im Einzelfall die Bestrafung eines Klerikers an die weltliche Obrigkeit.391 Die dritte Möglichkeit war das Schiedsgericht, eine weltliches oder ein geistliches.392 Die letzte Lösung stand dem Kirchenrecht diametral entgegen und provozierte folgerichtig eine scharfe Kritik des Bischofs.393 In einzelnen, sowohl städtischen als auch ländlichen Rechtsbezirken war das Gerichtsstandsprivileg des Klerus bereits vor der Reformation massiv durchbrochen worden. Einzelne Gemeinden behandelten ihre Untertanen und ihre Priester rechtlich insofern gleich, als beide Gruppen vor demselben Forum Recht suchen mussten. Die Kleriker verschmolzen mit dem Untertanenverband.394 Das zeigen zwei Beispiele. Um 1500 galt im eidgenössischen Teil des Bistums Konstanz in Kriminalfällen folgendes Prinzip, wie einem gütlichen Vertrag zwischen dem Landvogt der gemeinen Herrschaft Thurgau und dem Bischof zu entnehmen ist.395 Eine geistliche Person, die einen Totschlag beging, soll dem Bischof darüber Rechenschaft geben. Aber wenn Priester mit Laien freveln „mit Worten, Werken, Friedversagen, Friedbrechen" soll sie der Landvogt genau wie die Laien strafen. Im Fall dass zwei Geistliche miteinander streiten, möge der Bischof sie zur Rechenschaft ziehen. Und in Zivilfällen einigte man sich so: Der Landvogt darf Priester nur in weltlichen 390

391 392 393 394

395

REC 4, Nm. 12725, 12750, 12775, 13770. Aus diesem Vorgehen kann nicht auf besonders bedenkliche Verhältnisse geschlossen werden, wie Demandt das tut. Es entsprach dem Funktionieren nach dem Komplementaritätsprinzip. D. Demandt, Konflikte, 141. - Nach den Weistümern zu schließen, beachtete man auf dem Land den gesonderten Gerichtsstand der Priester noch weitgehend; F.X. Künstle, Pfarrei, 32f. REC 4, Nr. 13355. REC 4, Nrn. 13533, 13476. Bischöfliche Klagen in REC 4, Nm. 12759, 12798. Diesen Gesichtspunkt vernachlässigt B. Moeller, Kleriker, 195-224. - Das Kirchenrecht erlaubte der weltlichen Strafgewalt nur dann, einen Kleriker zu bestrafen, wenn dieser vorab degradiert worden war; CIC: X 5.40.27. EAIII/2, Nr. 159(1504).

119

Sachen vor sein Gericht laden, geistliche Angelegenheiten hingegen - „Zehnten oder Kirchengut" - sollen am bischöflichen Hof entschieden werden. Das zweite Beispiel: 1506 schlössen der Konstanzer Bischof und die Stadt Zürich einen Vertrag über Frevel und Unfug. Darin vereinbarten sie, dass Bürgermeister und Rat die strafrechtlichen Vergehen zwischen Priestern und Laien bestrafen sollten, die diese auf ihrer Landschaft - „usserthalb der stat Zürich" - begingen, unabhängig davon, wer der Täter war. Die Wendung „Frevel und Unfug" erfasste Vergehen wie Friedbruch, Schlagen, Messerzücken oder Verwundung. Allerdings fiel das Strafgeld der gebüßten Priester dem Bischof zu.396 Wenn der Bischof eine solche Regelung in einzelnen Gebieten der Eidgenossenschaft zuließ, dann räumte er wahrscheinlich auch anderen weltlichen Herren dieses Rechte ein.397 Aber nicht nur aus dem großen Bistum Konstanz, sondern auch aus der Basler Diözese sind solche Regelungen bekannt. In Colmar beispielsweise hatten die frevelnden Geistlichen denselben Geldbetrag zu entrichten wie die Laien und waren insofern verbürgerlicht.398 Im zivilrechtlichen Bereich sind ähnliche Tendenzen zu beobachten, Laien und Geistliche rechtlich gleichzustellen. Das Prinzip des forum domicilii, wonach der Kläger das Gericht aufsuchen musste, wo der Streitgegenstand sich befand, beziehungsweise der Beklagte wohnte, war dem Privilegium fori übergeordnet.399 Die württembergischen Grafen bestimmten 1477, nachdem sie zwei Jahre zuvor das Hofgericht eingerichtet hatten, dass die Priester auch in geistlichen Angelegenheiten, über die zu entscheiden die Stadt- und Dorfrichter nicht befugt wären, vor „unsem geistlichen gelerten retten" Recht suchen sollen.400 Was in Württemberg allgemein galt, wurde in anderen Rechtsbezirken bloß für einen bestimmten, offenbar häufig vorkommenden Zivilfall festgesetzt: Wegen Geldschulden darf kein Geistlicher einen Laien vor ein kirchliches Gericht laden, 396

397

398

399

400

A. Bauhofer, Zürich, 16-19. Die peinlichen Vergehen des städtischen Klerus ahndete weiterhin der Bischof. Ab 1512 bestrafte der Rat nichtpeinliche Vergehen der städtischen Priester selbstständig; ebd., 16ff. H. Morf, Obrigkeit, 169. Das alte Landbuch des schweizerischen Kantons Glarus bestimmte, dass kein Priester einen Laien vor ein fremdes Gericht laden dürfe. Für klerikale Rechtsansprüche wurde ein eigenes Gremium eingesetzt; in: Zeitschrift für Schweizerisches Recht 5 (1856), 130-202, hier 162 (Art. 84). In den sanktgallisch-furstäbtlichen Rechtsbezirken des Rheintals war das Privilegium fori ebenfalls durchbrochen. Frevelnde Priester wurden vom niedergerichtlichen Hofgericht des Abts belangt, das nach deutschrechtlichem Verfahren urteilte; H. von Rütte, Reformation, 63f. Dazu auch EA IV/la, Nr. 141ee. D. Demandt, Konflikte, 141. Auch in Biberach (Bistum Konstanz) zahlten die spielenden und Messer tragenden Kleriker diesselben von Bürgermeister und Rat für die Laien festgesetzten Strafen; REC 4, Nr. 12406. Vgl. F. Elsener, Pfaffenbrief, 121. Neben dem Grundsatz des forum domicilii gab es noch ein zweites Prinzip, das es ermöglichte, das Privilegium fori auszuhöhlen. Die Rede ist vom Privilegium de non appellando, das die mittelalterlichen Könige und Kaiser weltlichen Herrschaften, insbesondere den Reichsstädten verliehen hatten. A. L. Reyscher (Hg ), Sammlung (Bd. 4), Nr. 25, hier 27.

120

lautete ein Rechtssatz, der sich in zahllosen städtischen und dörflichen Ordnungen findet401 Als 1467 der Vorsteher des Dekanats Breisach den Freiburger Schuhmacher Hanns Cratz vor dem Konstanzer Offizial verklagte, schritten Bürgermeister und Rat von Freiburg ein und baten den Dekan, die Sache vor dem Stadtgericht entscheiden zu lassen.402 Das Beispiel zeigt, dass die Frage des Gerichtsstandes noch nicht endgültig entschieden war, und die Kirchenoberen immer wieder versuchten, das Privilegium fori durchzusetzen 403 Aber die Antworten lagen lange vor der Reformation bereit.

1.2

Streitige Gerichtsbarkeit

1.2.1 Ehe und Eheschließung Niemand könne leugnen, schrieb Luther in seinem 1530 erschienen Traktat „Von Ehesachen", dass die Ehe ein öffentlicher Stand und ein „eusserlich weltlich ding" 404 Was bleibt von dieser Charakterisierung der Ehe, wenn von den theologisei schen Implikationen abgesehen und sie auf ihren rechtshistorischen Gehalt hin befragt wird. Im Rechtsbewusstsein wohl der meisten Menschen, die das heiratsfähige Alter erreichten - unabhängig davon, welcher sozialen Schicht sie angehörten -, bedeutete die Ehe in erster Linie ein Austausch von Gütern, eine Verschiebung von Besitz und Eigentum zwischen zwei Familien. Die Hauptware bei diesem Vertragsgeschäft waren Menschen, Männer ebenso wie Frauen. Nichts könnte dies besser verdeutlichen als die ritualisierte, mehrstufige Vertragsverhandlung, die einer Eheschließung vorausgehen musste, damit die Gültigkeit der Ehe gewährleistet war. Die Eheschließung war - ohne jede Ironie, wie zahlreiche Fälle belegen - ein 'Fünfakter', während dessen die Frau in die Munt, die Verfügungsgewalt des Mannes, übergeben wurde.405 Das Ritual begann mit der Werbung. Es galt zuerst

401

402 403

404 405

Für Chur vgl. die Kirchenordnung der Landschaft Davos von 1466/1500 in: Fritz Jecklin (Hg ), Das Davoser Spendbuch vom Jahre 1562, in: JbHaGG 54 (1923), 193-282, hier 205f. Weitere Beispiele bei F.X. Künstle, Pfarrei, 33ff. REC 4, Nr. 13260. 1516 beispielsweise brachte Bern an der Tagsatzung vor, dass der Bischof von Konstanz ein Mandat erlassen habe, wonach sich kein in seinem Bistum wohnhafter Priester sich einem weltlichen Gericht unterwerfen dürfe, selbst wenn es sich um eine weltliche Sache handelte. Die Eidgenossen antworteten, er solle dieses Mandat auflieben, denn es sei „gemeiner Eidgnoschaft ganz vnerträglich"; EA III/2, Nr. 682h. M. Luther, Von Ehesachen, WA XXX/3, 205, 207. Zu den einzelnen Teilen der Eheschließung P. Mikat, Ehe, Spp. 810-818. I. Schwarz, Bedeutung, 2143. Die Arbeit von Schwarz ist zwar geographisch in doppelter Hinsicht begrenzt, weil sie sich nur auf das norddeutsche und das städtische Gebiet konzentriert. Die Ergebnisse lassen sich aber ceteris pari-

121

abzuklären, ob das Geschäft standesgemäß war, und beide Familien einverstanden waren, es zu tätigen. Hatten sich die Vormünder oder Sippenvertreter über diese Grundlagen geeinigt, konnte über die vermögensrechtlichen Verpflichtungen beider Seiten verhandelt werden. Vor allem musste die Höhe der Morgengabe vertraglich festgelegt werden. Dann folgte der eigentliche Ehevertrag, das Verlöbnis. Der Vater löste sich von der Tochter und versprach sie dem Mann zur Ehe, der sie übernahm. Ob dies auch dem Willen der Tochter entsprach, war für das Zustandekommen einer rechtsgültigen Ehe unwesentlich. Erst an diesem Punkt trat - zunehmend im 13. Jahrhundert - die Kirche auf den Plan, wenn auch nicht notwendigerweise. Von einem Priester ließ man abklären, ob kanonische Ehehindernisse vorlagen. War dies nicht der Fall, begann das Hochzeitsritual: Braut und Bräutigam mussten ihren Willen zur Eheschließung bekunden, was im 15. Jahrhundert in der Regel in Anwesenheit eines Priesters geschah, aber nicht unbedingt vor oder in der Kirche, sondern häufig im Haus, in dem die Hochzeit stattfand.406 Es folgte, was in den Quellen das „zu Kirchen und Straßen gehen"407 genannt wird, der Hochzeitszug, dann das Hochzeitsmahl und zuletzt das Beilager. An die Aufnahme der sexuellen Beziehung knüpften sich die güterrechtlichen Folgen der Eheschließung, wie unzählige Stadtrechte und Weistümer belegen.408 Der Vollzug der Ehe schloss ab, was Rechtshistoriker ein 'gestrecktes Rechtsgeschäft' nennen. Vor allem zwei Momente unterschieden die weltliche von der kirchlichen Eheschließung. Die legitime Ehe wurde in der Öffentlichkeit, vor Zeugen und in einem rituellen Verfahren geschlossen. Die Zeugen billigten durch ihre Anwesenheit nicht nur die Eheschließung, sondern hatten auch für den Bestand der Ehe und ihre Erfüllung zu garantieren 409 Nicht immer war es die Sippe, die das Forum der Öffentlichkeit bildete. Auch andere Rechtskreise konnten diese Funktion übernehmen: die Zunft, die Pfarrei, die Gemeinde, die Nachbarschaft sowie - um auch die vertikale Ebene zu berücksichtigen - die Herrschaft, der Grundherr zum Beispiel. Im Gegensatz dazu hielt das Kirchenrecht bis zum Tridentinum an der formlosen Kon-

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to verallgemeinern, wie der Blick in die Literatur zeigt. Zuletzt K. Michaelis, Eherecht. Für Basel vgl. R. Wackernagel, Geschichte II/2, 777 Anmerkungsteil. Laien- und Haustrauungen waren auch nach dem 4. Laterankonzil (1215) die Regel; K. Michaelis, Eherecht, 111. Das Ritual beschreibt und analysiert zuletzt am Beispiel der Reichsstadt Augsburg L. Roper, „Going to Church and Street". Ein Beispiel aus der Öffnung von Binzikon (Kanton Zürich) von 1435: „Wo auch zwey menschen ehelich zu sammen kommend, wenn dan die frauw zu ir man an dasz betth nider kommt vnd sie sich entgürt, wasz sie danzemal varends gutt hat, so bald sie sich entgürt, dasz ist desz mans"; J. Grimm (Hg.), Weisthümer IV, 274. Für weitere Beispiele siehe ebd., Weisthümer VII (Registerband), Stichwort 'Morgengabe'. Darauf weist mit Nachdruck hin I. Schwarz, Bedeutung, 21. Aufgrund der Analyse der einschlägigen Quellen (Echtheitszeugnisse, Ratsurteile, Schöffensprüche, Weistümer) vertritt sie die These, dass „die Öffentlichkeit der Eheschließung [...] nach der Rechtsüberzeugung des Volkes WirksamkeitsVoraussetzung einer jeden rechtmäßig eingegangenen Ehe" war. Vgl. auch K. Michaelis, Eherecht, lOOf., 117f.

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sensehe fest.410 Der zweite Unterschied betrifft die Ehehindernisse.411 Ein spezifisch weltliches, dem Kirchenrecht sogar zuwiderlaufendes Ehehindernis war die ungenossame Ehe. Ein Ungenosse war eine Person, die zum gleichen Rechtsverband gehörte. Wer eine nicht zur Genossame gehörende Person heiratete, den bestrafte die Obrigkeit, der Leibherr oder die Stadt 412 Was in der Abstraktion säuberlich voneinander geschieden werden kann, ist in der Praxis oftmals gordisch verknotet. So auch hier. Neuere Untersuchungen zum abendländischen Eherecht geben zu bedenken, dass evolutionistische Interpretationen der Entwicklung des Eherechts im Sinn, dass die kanonistische Ehe die deutschrechtlichen Ehebräuche verdrängt habe, in dieser Einseitigkeit fragwürdig sind. Auch wenn aus den städtischen Statutarrechten und ländlichen Weistümern klar hervorgehe, dass es Aufgabe der kirchlichen Gerichte gewesen sei, in Zweifelsfällen über die Gültigkeit der Ehe zu entscheiden, so folge daraus nicht zwingend, dass das kirchliche das weltliche Recht ersetzt habe. Dieser Vorstellung liege die wenig plausible Prämisse zugrunde, dass „beide Rechte in dem Sinne gleichartig sind, dass sie sich auf derselben Geltungsebene begegnen und sich nur inhaltlich unterscheiden" 413 Vielmehr deuten die Quellen, die normativen ebenso wie die Gerichtsakten,darauf hin, dass beide Überlieferungsströme nebeneinander flössen und - um im Bild zu bleiben - durch kleinere Flüsse miteinander verbunden waren. In der Praxis blieb das Prinzip der Öffentlichkeit für jede gültige Eheschließung maßgebend.414 Das Konsensprinzip (in gewissem Sinn auch die kirchlichen Ehehindernisse) durchbrach es jedoch. Die Folgen heimlich geschlossener Ehen, die ohne Zeugen im Bett, im Wald oder wo auch immer geschlossen wurden, liegen 410

Es ist kein rechtssystematischer Widerspruch, wenn das 4. Laterankonzil bestimmt, dass Ehen in der Kirche und vor einem Priester öffentlich verkündet werden sollten. Denn man wollte, lautete das Argument, dadurch Ehehindernisse rechtzeitig erkennen und ungültigen Ehen vorbeugen. Der Zweck der Öffentlichkeit ist damit ein prinzipiell anderer als im deutschrechtlichen Verfahren; er hat keine legitimierende Funktion. COD, 258: statuimus, ut cum matrimonia fuerint contrahendo, in ecclesiis per presbyteros publice proponantur, competenti termino praeflnito, ut infra ilium, qui voluerit et valuerit, legitimum impedimentum opponat, (= CIC: X 4.3 .3). 411 Der Sache nach kannte auch das deutsche Recht Ehehindernisse. Vgl. P. Mikat, Ehe, Spp. 823ff. Das Ulmer Stadtrecht z.B. enthielt das Ehehindernis der Minderjährigkeit; C. Mollwo (Hg.), Buch, 45 (Art. 46). 412 Grundlegend Walter Müller, Entwicklung und Spätformen der Leibeigenschaft am Beispiel der Heiratsbeschränkungen. Die Ehegenoßsame im alemannisch-schweizerischen Raum (Vorträge und Forschungen, 14), Sigmaringen 1974. Zur Bedeutung in der Reformationszeit vgl. zuletzt Peter Blickle, Freiheit. Ein Problem der Deutschen und Martin Luthers, in: Stefan Oehmig (Hg.), 700 Jahre Wittenberg. Stadt, Universität, Reformation, Weimar 1995, 79-94, hier 81f. Beispiele für die Bestrafung der ungenossamen Ehe durch den Grundherrn in: Peter Blickle - André Holenstein (Hgg ), Agrarverfassungsverträge. Eine Dokumentation zum Wandel in den Beziehungen zwischen Herrschaften und Bauern am Ende des Mittelalters (Quellen und Forschungen zur Agrargeschichte, 42), Stuttgart 1996, Nr. 21. 413

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K. Michaelis, Eherecht, 101. Die 'Verdrängungsthese' ist insbesondere in den Handbüchern zum Kirchenrecht zu finden; stellvertretend W.M. Plöchl, Kirchenrecht II, 267. Das wurde vom Kirchenrecht anerkannt. So heißt es im 51. Kanon des 4. Laterankonzils auch: quare specialem quorumdam locorum consuetudinem ad alia generaliter prorogando-, COD, 258.

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auf der Hand. Der Konsens konnte bestritten, die Ehe mit einem anderen Mann oder einer anderen Frau geschlossen werden; die Ehe war aufgrund eines erst nachträglich festgestellten Hindernisses ungültig, oder das verleumderische Gerücht tauchte auf, dass zwei Personen die Ehe geschlossen hätten. An diesem Punkt traten die kirchlichen Richter auf den Plan.415 Dass das kirchliche Gericht allein zuständig war, um solche Frage abzuklären, war bis zur Reformation allseits anerkannt. Denn es war unbestritten, dass die Ehe trotz der weltlichen Eheschließungsformen im Kern ein geistliches Ding war.416 Das belegen unzählige städtische Statutarrechte, Verträge und andere normative Quellen. Der vom Landamman, den Räten und der ganzen Gemeinde in Nidwaiden 1470 verkündete Landrechtsbrief beispielsweise hielt ausdrücklich fest, dass in Zuerkennungsklagen, in denen eine Partei die andere als Ehemann oder -frau begehrte ausschließlich das Konstanzer Chorgericht zuständig sei.417 Das sei altes Recht, wird behauptet.418 Ein zweites Beispiel stammt aus Ulm. Das Stadtrecht bestimmte etwa um 1400, dass Eheansprachen unabhängig von Stand und Würde, Alter und Geschlecht „von uns noch nieman andrò ussgericht werden su(i)llen, denn das si su(i)llen gewiset werden gen Costentz fu(i)r das gaistlich gerichte, da och so(e)lich sachen ze erlutern und uss ze tragen hin geho(e)rent".419 Die kirchlichen Gerichte waren als Ehegerichte in allen drei Diözesen mehr als geduldet: Sie waren Stützen des Rechtssystems. Doch kannten weltliche Herr415

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Weltliche Gerichte urteilten manchmal beiläufig über die Gültigkeit einer Ehe, wenn es beispielsweise um die Erbfähigkeit einer Person oder um die Aufnahme in eine Zunft ging. Fallbeispiele I. Schwarz, Bedeutung, 20. Exemplarisch die zweite württembergische Regimentsordnung von 1498: „Und nach dem das Sacrament der hailigen Ee. nach Ordnung Cristenlicher vfsatzung. fry vngeno(e)t. vnbezwungen vnd vngedrungen. durch die personen, so sich eelich verhyraten wo(e)llen. zugen vnd beschlossen werden soll. In ansehung das widerwillig verma(e)hlungen. swer und sorgueltig vßgang gewonlich thund geperen. Deßhalben wo(e)llen vnd ordnen wir. das gantz dehain person, disem fu(e)rstenthumb zugeho(e)rig [...] nymmer mer zu der Ee zugryffen. wider jrn willen geno(e)t oder gedrengt soll werden. Ouch ir vatter vnd mutter oder fru(e)ntschafft dartzu nit gehalten. Sonder das hailig sacrament, mit fryem vnd vnbezwungen willen aller personen halb volzogen vnd volbracht werden." A. L. Reyscher (Hg ), Sammlung (Bd. 2), Nr. 16, hier 22f. Robert Durrer, Die Einheit Unterwaldens - Studien über die Anfange der urschweizerischen Demokratie, in: Jahrbuch für Schweizer Geschichte 35 (1910), 1-356, hier 279: Der Text fahrt fort: „Were aber das jeman dem andern, die jeman in ansprach hetti, us dem selben gericht entfrömdetti und darús verschüfFe und dem rechten ze Cöstitz nit nach giengi, und des der ansprecher zü schaden ka(e)me, so söllent der und die, so die angesprochnen dem gericht entfrömdent und verschaffent, die ansprecher von allen schaden wysen, darin sie der sach köment." Dem Text liegt vermutlich ein konkretes Ereignis zugrund, nämlich der Fall „Zeiger", wo das Lausanner Offizialat angerufen wurde. EA II, Nrn. 645a, 663. Dazu knapp Jakob Wyrsch, Der Ehehandel der Margreta Zeiger von Buochs 1463-1477, in: Beiträge zur Geschichte Nidwaldens 37 (1978), 84101.

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C. Mollwo (Hg.), Buch, Nr. 469. Der Artikel kennt allerdings den Nachsatz: „Es were denne das, daz so(e)lich ansprechen oder hanndlungen als gevarlich zu(o)ga(u)n mo(e)chten, das wir uns selb und dem ra(u)te allezit behalten und bedingen zu(o) so(e)lichem ze tu(o)nde, was sich gepu(i)ret."

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schaften und Gemeinden eine Norm, die dem kirchlichen Monopol zwar nicht zuwiderlief, aber durch ihre Anwendung diese Wirkung haben musste und seine Macht brach. Die Rede ist vom Verbot der ungerechtfertigten Eheansprache. 1372 bestimmte der Rat von Colmar (Bistum Basel), wenn eine Person, Frau oder Mann, eine andere „umb die e anspreche vor geistlichem gerichte", und der Richter entscheide, dass keine Ehe geschlossen worden warene nicht nur eine Entschädigung als Wiedergutmachung zu zahlen habe, sondern auch fünf Jahre Stadtverweis erhalte.420 Das falschlich behauptete Eheversprechen galt als üble Nachrede. Beinahe jede Reichs- und manche Landstadt im untersuchten Gebiet kannten einen ähnlich lautenden Artikel. Zumeist wurde der abgewiesene Kläger mit einer Geldbuße von 10 lb. bestraft. Auf dem Land scheint das Verbot vor allem südlich des Rheins verbreitet gewesen zu sein.421 Aufgrund des formlosen Eheschließungsverfahrens war es schwierig, oft sogar unmöglich zu beweisen, dass ein gegenseitiges Versprechen vorlag. Die Wahrscheinlichkeit war gering, dass der Richter eine Zuerkennungsklage zugunsten der Klägerin oder des Klägers entschied, entsprechend groß also die Gefahr, dass die weltliche Obrigkeit deswegen die Geldstrafe verhängte.422 Das Verbot war geeignet, den Umfang der kirchlichen Rechtsprechung zu schmälern.

1.2.2 Weltlich-geistlich gemischte Rechtshändel: Konkurrenz und Subsidiarität Innozenz III. bestimmte um 1200, dass ein Laie einen anderen Laien nicht gegen seinen Willen in Zivilsachen vor ein kirchliches Gericht zitieren dürfe, es sei denn aus Gewohnheit (consuetude) oder wenn das weltliche Gericht das Recht verweigerte 423 Dass weltliche Herrschaften diesen Grundsatz ausdrücklich als Argument in die Waagschale warfen, um ihren jurisdiktionellen Anspruch auszuweiten, kann nicht nachgewiesen werden. Mit dem Hinweis auf das kirchenrechtliche Prinzip sei aber deutlich gemacht, dass in diesem Bereich die Kirche freiwillig eine defensive

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P.W. Finsterwalder (Hg ), Stadtrechte III/3, 315. Die Belege bei Th.D. Albert, Anspruch [im Druck], Ergänzend fur Basel: H.-R. Hagemann, Rechtsleben I, 263. Für Rheinfelden: F E. Welti (Hg ), Rechtsquellen, 228 (Art. 58). Für Feldkirch im Bistum Chur: F.J. Mone (Hg ), Stadtrecht, 142. Der Artikel war nicht gegen das geistliche Gericht gerichtet. Auch unter bischöflicher Herrschaft stehende Städte wie Basel oder Klingnau kannten ihn. Vielmehr diente er der städtischen Friedenssicherung. E. Isenmann, Stadt, 89. CIC: X 2.2.10: Laicus laicum super re civili coram iudice ecclesiastico convenire non potest, nisi in defechi lustitiae saecularis, vel nisi consuetudo id exposcat. W. Trusen, Gerichtsbarkeit, 487.

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Position einnahm 424 Die weltlichen Herrschaften formulierten mit Zustimmung ihrer Untertanen einen eigenen, aber auffallig ähnlich lautenden Rechtsgrundsatz und stießen damit auf dieses Feld vor. Stellvertretend sei auf das Weistum von 1432 aus Rümlang an der Glatt - das Dorf gehörte seit 1424 der Stadt Zürich - hingewiesen. Darin heißt es, dass niemand den anderen vor ein fremdes Gericht laden soll. Nur zwei Ausnahmen sind vorgesehen: „Es sye dann, das einer rächtlos wurde gelassen oder das man ein gericht nit wären möchte."425 Die Forschung belegt anhand normativer Quellen aus einzelnen Gebieten wie beispielsweise dem eidgenössischen Teil des Bistums Konstanz, dass bis Ende des 15. Jahrhunderts das bischöfliche Konsistorium nur noch für rein geistliche Streitigkeiten, hauptsächlich Ehesachen zuständig gewesen war.426 Dieses Phänomen lässt sich sowohl in anderen Teilen der Diözese als auch in den Bistümern Basel und Chur beobachten.427 Bereits 1361 schlössen sich die elsässischen Städte Colmar, Ruffach, Egisheim, Sulz und Heiligkreuz zu einer Liga gegen die Übergriffe des Offizialats in weltlichen Angelegenheiten zusammen.428 Aber nicht nur die Städte drangen darauf, das geistliche Gericht in weltlichen Sachen auszuschalten. Die politisch organisierten Bauern standen nicht zurück. Im Bistum Chur waren die Kompetenzen zwischen geistlichen und weltlichen Gerichten zumindest auf der normativen Ebene lange vor der Reformation bereinigt. Dazu ein repräsentatives Beispiel: 1406 schlössen der Gottshausbund und der Obere Bund ein Landfriedensbündnis. Die Vertragspartner bestimmten, dass keiner den anderen wegen weltlicher Sachen vor das Chorgericht zitieren dürfe. Geschehe das trotzdem, solle der kirchliche Richter die Klage an das weltliche Gericht weisen. Der Kläger sei in einem solchen Fall verpflichtet, dem Beklagten den dadurch entstanden Schaden wiedergutzumachen.429

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Das Kirchenrecht kannte jedoch manchen Weg, um dennoch Zivilstreitigkeiten vor geistlichen Gerichten entscheiden zu lassen. Wie erwähnt waren diese z.B. verpflichtet, die Witwen, Waisen und Armen zu schützen. Oder man wurde rattone peccati vor das kirchliche Forum gezogen. Vgl. zum letzteren G. May, Gerichtsbarkeit, 152f. J. Grimm (Hg.), Weisthümer IV, 306. - Ein weiteres Beispiel ebd., Öffnung von Kyburg (1487), 337ff„ hier 338. F. Elsener, Pfaffenbrief, 172. REC 4, Nrn. 13334, 13434, 13680 u.ö. R. Wackernagel, Geschichte, IV2, 737f. Christian L. von Mont - Placid Plattner, Das Hochstift Chur und der Staat. Geschichtliche Darstellung ihrer wechselseitigen Rechtsverhältnisse von den ältesten Zeiten bis zur Gegenwart mit einer Sammmlung der bezüglichen Urkunden, Chur 1862, XXI. Weitere aus dem 15. Jahrhundert stammende Beispiele aus dem Bistum Chur in: C. Jecklin (Hg.), Urkunden, Nrn. 14 (17), 18 (30), 24 (39), 25 (44), 26 (50).

126

1.3

Vergehen gegen Frieden und Ehre

Gleich wie im streitigen gab es auch im strafrechtlichen Bereich einige Fälle, die sowohl kirchliche als auch weltliche Gerichte büßten. Auf diese wird nur knapp hingewiesen. In einem zweiten Schritt wird gezeigt, dass die Gemeinden bereits vor der Reformation Vergehen zu bestrafen begannen, die jenseits dieser Schnittmenge im Bereich lagen, den die Kirchengerichte sich selbst vorbehielten. Zu den gemischten, nach dem Grundsatz der Prävention zu bestrafenden Tatbeständen gehörten aus der Sicht der kanonistischen Lehre Delikte wie zum Beispiel Fälschungen aller Art, Brandstiftung, Diebstahl, Ketzerei430 oder Mord. Eigentliche kirchliche Verstöße waren unter anderem Wucher, Verbrechen gegen die Autorität der Kirche, Meineid, Ehebruch oder Bigamie.431 Aus dem Blickwinkel der weltlichen Obrigkeit sah das anders aus. Das geht beispielsweise aus dem 85. Artikel der auf dem Wormser Reichstag 1521 formulierten Beschwerden hervor, worin zu lesen ist: Je nach „vermug der recht" sollen Delikte wie Meineid, Ehebruch, Zauberei „und dergleichen" vorbeugend entweder von geistlichen oder von weltlichen Richtern bestraft werden 432 Der Zusatz „und dergleichen" erlaubte es den Richtern theoretisch, jedes Sittendelikt vor ihr Forum zu ziehen. Aber er war kein Freibrief dazu. Der nicht erwähnte Tatbestand des Wuchers beispielsweise sollte nach den einen, hauptsächlich städtischen Normen vom weltlichen Gericht bestraft werden,433 nach den anderen war es ein Vergehen, das der kirchliche Richter bestrafen sollte.434 Dass der Aufgabenbereich zwischen kirchlicher und weltlicher Gewalt fließend war, soll an den Ehe- und Sexualdelikten eingehender dargestellt werden. Insbesondere die Reichsstädte, aber auch Landstädte und Dörfer begannen spätestens im 15. Jahrhundert, sexuelle Vergehen unter Strafe zu stellen. Es ging dabei nicht um die Zurückdrängung der kirchlichen Autorität, sondern um Vorbeugung. Die weltliche Obrigkeit wollte Gewissheit, dass die Vergehen geahndet wurden. Mög430

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W.M. Plöchl, Kirchenrecht II, 317f. Ketzer oder Hexer wurden im 15. Jahrhundert oftmals von weltlichen Gerichten bestraft. Für den Untersuchungsraum vgl. vor allem Andreas Blauert, Frühe Hexenverfolgungen. Ketzer-, Zauberei- und Hexenprozesse des 15. Jahrhunderts (Sozialgeschichtliche Bibliothek bei Junius, 5), Hamburg 1989. Im Bistum Chur sah die Rechtspraxis hingegen anders aus. Der Bischof reklamierte das Recht für sich, Hexen und Zauberer zu bestrafen. Das belegen zwei Fälle aus der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts. Vgl. Peter Liver, Vom Feudalismus zur Demokratie in den graubündnerischen Hinterrheintälem (Diss, phil.), Chur 1928, 118f., und Lorenz Joos, Die Kirchlein des Safientals, in: Bündner Monatsblätter 1936, 1-26, hier lOf. W.M. Plöchl, Kirchenrecht II, 337; E. Eichmann, recursus, 14. RTA. (j.R.) II, Axt. 85. Der Strafzweck war in den beiden Rechtssystemen nicht deckungsgleich. Der weltlichen Herrschaft ging es immer auch, vielleicht sogar vorrangig um die Friedensicherung. Überlingen bestrafte den offenen Wucher laut dem Stadtrecht von 1520 selbst; Oberrheinische Stadtrechte II/2, bearb. v. F. Geier, Heidelberg 1908, 321 (Art. 125). Ebenso Basel J. Schnell (Hg ), Rechtsquellen I, Nr. 143m. F. Elsener, Pfaffenbrief, 120.

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licherweise verhängte sie die Strafe in manchen Fällen kumulativ zur kirchlichen. Ihr Hauptmotiv war, den kommunalen Frieden zu wahren und die Ehre Gottes zu mehren. Diese Aufgabe verstand man zunehmend als Teil der sich immer stärker herausbildenden gemeindlichen Selbstverantwortung.435 Das sei an zwei Vergehen nachgewiesen, dem Ehebruch und der Defloration. Nicht nur politisch einflussreiche und wirtschaftlich potente Reichsstädte wie Ulm oder Basel, auch kleinere Orte gingen im 15. Jahrhundert dazu über, Ehebrecher in eigener Regie zu bestrafen.436 Zu diesem Zweck setzten Bürgermeister und Rat der Stadt Basel spätestens 1457 eine Aufsichtsbehörde von drei Männern ein. Das Gremium ermahnte Männer und Frauen, die offen die Ehe gebrochen hatten, und büßte sie mit 5 lb.437 Das Rheinfelder Stadtrecht kannte seit 1504 einen Ehebrecherartikel. Wenn ein Ratsmitglied, heißt es dort, verleumdet und überfuhrt werde - „in offnen lümbd vnd ru(o)ff fiele vnd ka(e)me"-, ein Ehebrecher zu sein, habe er zur Strafe 5 lb. d. zu bezahlen. Sein Amt dürfe er jedoch behalten. Ausdrücklich wird festgehalten, dass die Strafgewalt in den Händen der Obrigkeit liege - die „straff stat zu(o) vnsern herren" 438 Während es dem kirchlichen Strafrichter in erster Linie um das beschädigte sakramentale Eheband ging und er somit einen Verstoß gegen die göttliche Einrichtung ahndete, war für den weltlichen Richter hauptsächlich die verletzte soziale Ehre und die damit verbundene Störung der öffentlichen Ordnung der Strafgrund. Um Fehden und der Selbstjustiz vorzubeugen, monopolisierte er die Strafgewalt in seiner Hand. Aus dem nämlichen Grund bestraften städtische und dörfliche Gerichte Männer, die eine Frau unter dem Vorwand entjungferten, sie zu heiraten, das Versprechen aber nicht hielten. Ganz bewusst griff man hier dem Rad der kirchlichen Rechtsprechung in die Speichen. Die Rheintaler Gemeinde Altstätten (Bistum Konstanz) entschied 1504: Keine Tochter soll jemanden wegen ihrer Entjungferung - „umb jren pluomen" - nach Konstanz zitieren. Sie soll für ihre Entehrung mit 10 lb. entschädigt werden.439 435

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Dass die weltliche Obrigkeit auch materielle Ziele verfolgte, nämlich die Vermehrung der Gerichtseinnahmen, ist nicht auszuschließen, stand aber sicher nicht im Vordergrund. - Für den Untersuchungsraum fehlen vergleichende Arbeiten. Zur unterschiedlichen Konstruktion des Tatbestands des Ehebruchs im weltlichen und kirchlichen Recht vgl. R. Lieberwirth, Ehebruch, in: HRG (Bd. 1), Berlin 1971, Spp. 835-839. Bis weit ins Spätmittelalter hinein bestrafte das weltliche Recht nur den handhaften Ehebrecher. Da die Theologen die Ehe anders, eben als Konsensehe konstruierten, rechneten sie auch mit Ehebrecherinnen. J. Schnell (Hg.), Rechtsquellen I, Nm. 149. Dazu die sich ergänzenden Angaben bei R. Wackernagel, Geschichte II/2, 738; A. Staehelin, Sittenzucht, 83f. Der Bischof reagierte unwirsch und verärgert und protestierte dagegen. - Für Ulm vgl. C. Mollwo (Hg.), Buch, 68. Der Artikel 110 beschreibt die Bestrafung eines blutschänderischen Ehebruchs. Zu einem unbestimmten Zeitpunkt wurde der Artikel allerdings kreuzweise durchgestrichen und mit dem Vermerk „Iis nit" versehen. F E. Welti (Hg.), Rechtsquellen, 190 (Art. 223). T. Frey, Rheintal, 24. Für Ulm vgl. C. Mollwo (Hg ), Buch, 233 (Art. 472). Für den schweizerischen Ort Nidwaiden vgl. das Alte Landbuch in: Zeitschrift für Schweizerisches Recht 6 (1857), 116-185, hier 146f. (Art. 119). - 10 lb. war der Mindestbetrag, den auch das Offizialat den deflorierten Frauen zusprach.

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3

Richter und Beamte an der Arbeit: Die Rechtsprechung

Wie ein Netz legte sich die kirchliche Gerichtsbarkeit in Form unzähliger, miteinander mehr oder weniger verbundener Instanzen über jede Diözese. Unübersichtlich und sogar verworren stellt sich die Gerichtslandschaft aus der zeitlichen Distanz von fünfhundert Jahren dar. Die zahlreichen Instanzen sind aber nur eine und nicht einmal die wichtigste Erklärung fur diesen Sachverhalt. Der Hauptgrund ist die Quellenlage. Sie ist so dürftig, dass von einzelnen Gerichten kaum mehr als der Name überliefert ist.

1.

Die Quellen

Der zweite Hauptteil der Untersuchung wird hauptsächlich aus seriellen Quellen, Registern und Protokollbüchern erarbeitet, worin die Gerichtsbeamten die täglichen Rechtsakte notierten: die Urteile, die Bußen der Laien und Geistlichen wegen ihrer Vergehen gegen die Amtspflicht oder die Kirchenzucht, die Gebühren fur einen Prozess oder die Besiegelung eines Urteils, die Schulden für die Lossprechung von kirchlichen Zensuren, die notariellen Geschäfte und anderes. Die einzelnen Quellenbestände werden für mehr als nur ein Kapitel, in einzelnen Fällen auch für mehr als ein Gericht ausgewertet. Um Wiederholungen zu vermeiden, werden sie gemeinsam vorgestellt. Nicht für jedes Kirchengericht sind solche Quellen erhalten.1 Zum Glück! Vorliegende Studie wäre immer noch nicht fertiggestellt. Was sich in den Archiven findet, sind Bruchstücke, fragmentarische Register für wenige Jahre, einzelne Urkunden, Verwaltungsakten. Deshalb wird die Quellensituation für jede Diözese einzeln beschrieben und jedesmal die Frage nach der Überlieferungsdichte gestellt. Neben den hier vorgestellten Quellen werden ergänzend solche anderer Gattungen herangezogen, Synodalstatuten, Verträge, Prozessprotokolle oder einzelne Gerichtsakten zum Beispiel. Darauf wird hier aber nicht näher eingegangen, da sie eine untergeordnete Rolle spielen und nur verwendet werden, um ein spezielles Problem auszuleuchten oder einem Beispiel größere Anschaulichkeit zu verleihen.

1

Vgl. den Überblick bei A. Meyer, Schweiz, 189-219. Ergänzend sei hinzugefügt, dass Offizialatsurkunden in fast allen Archiven der näheren Umgebung des Gerichtsorts zu finden sind.

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1.1

Bistum Basel

Von den konsistorialen Aktenbeständen abgesehen, hat sich die Tätigkeit anderer kirchlicher Gerichte kaum in den Archiven abgelagert. Die Arbeit des bischöflichen Offizialats dokumentieren ein Sentenzenbuch, das „thornus bu(e)chlein", die jährlichen Rechnungslegungen des Fiskals und mehrere Register bischöflicher Notare. Das Kapitel über die streitige Gerichtspraxis stützt sich hauptsächlich auf zwei Quellen. Herangezogen wurde zum einen das Sentenzenbuch, dessen lateinischer Titel lautet: sentencie coram domino officiali in ordinariis 2 Es enthält chronologisch geordnet die Urteilsprotokolle aus den Jahren zwischen 1458-69/70. Sie sind länger als die eigentlichen Urteile, weil sie die einzelnen Prozessschritte von der Klage bis zur Schlusssentenz wiedergeben.3 Deshalb nenne ich sie Protokolle. Zum anderen wurde auch das sogenannte Thornus-Register ausgewertet. Es handelt sich um ein Protokollbuch des Hauptnotars Adelbert Salzmann aus den Jahren 1521-24,4 worin er sämtliche Prozesse eintrug, die Notare des Offizialats leiteten.5 Überliefert ist nur dieses eine Buch. Salzmann führte jedoch bereits vorher und auch nach 1524 ein solches Register.6 Das vierzigseitige Heft ist nach Rechtsmaterien beziehungsweise Prozessverfahren in fünf Kapitel gegliedert, wobei die Ehefalle fast zwei Drittel des Umfangs beanspruchen. Beide Quellen dürften vollständig sein. Die strafrechtliche Tätigkeit des Gerichts spiegeln vor allem die jährlich angelegten Bußenregister der Fiskalprokuratoren wider.7 Darin sind die Geldstrafen eingetragen, die sowohl Laien als auch Geistliche wegen disziplinarischer Vergehen bezahlten.8 Die Rechnungshefte der Jahre 1441-1500 sind komplett erhalten, aus der Periode zwischen 1503-46 fehlen einzelne Jahre.

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8

StABS : Gerichtsarchiv AA 1. Zum Aufbau einer solchen Urkunde vgl. I. Buchholz-Johanek, Richter, 126-145. Wer eine Urteilsbegründung oder gar Hinweise auf die Vollstreckung erwartet, wird enttäuscht. Der Notar hielt, wie in der Vormodeme allgemein üblich, nur den Entscheid fest. StABS: Gerichtsarchiv AA 22. - Ein einziger Fall stammt von 1525. Zum Begriff vgl. die fünfzehn Artikel des Kapitels De Thurno in den Statuten der Konstanzer Kurie von 1498; GLAK: 65/291, fol. 42v-45v. Jeder Notar führte daneben noch sein eigenes Register, wie aus dem Thornus-Heft hervorgeht. „Stat im nüwen thornus bu(e)chlein" steht als Randbemerkung neben einer Eintragung; StABS; Gerichtsarchiv AA 22, 39. Der älteste gefundene Hinweis stammt von 1464; StABS: Gerichtsarchiv AA 1, 604. AAEB: A 85/39 (1429-1500) und A 85/43 (1502-46). Das zweite Register trägt den Titel Registra seu computationum calculi vicarii generalis et sigilliferi item notarli vicariatus et procurator fìscalis. Die Eintragungen enthalten in der Regel die folgenden Informationen: Datum, Name der gebüßten Person, Wohnort, Vergehen, Höhe der Buße. Wurde sie bezahlt, so strich der Schreiber den Eintrag durch.

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Eine weitere ausgewertete serielle Quelle ist das Register des Notars des Generalvikars, das die Zeit zwischen 1503-12 abdeckt.9 Die nach Dekanaten aufgebaute Akte gibt nicht nur Auskunft über die Geldbeträge, die Kleriker für ihre Investitur, für Kommissionen und Absenzen, Indulte, Dimissorien etc. entrichteten, sondern auch über Absolutions- und Relaxationsgebühren, über die Geldsumme also, die für die Lossprechung oder Lockerung von Kirchenstrafen bezahlt werden musste.10 Das Kapitel über die freiwillige Gerichtsbarkeit beruht auf der fast vollständigen Auswertung der Registerbände der Notare aus den Jahren 1471-82," 1506-08, 1507-16 und 1521-4812 sowie der protokollierten Vidimierungen aus den Jahren 1456-90.13 Bei diesen Notarsregistern handelt es sich um zusammengebundene Konzepturkunden beziehungsweise Beglaubigungen verschiedener Rechtsgeschäfte oder, wie es auf einem der Register in der zeitgenössischen Terminologie der Notare heißt: Signature sive Imbreviature,14 Solche Konzepte unterschieden sich inhaltlich in der Regel kaum vom feierlichen Notariatsinstrument. Nur die ausfuhrliche Unterschrift und das Signet fehlten. Der entscheidende Unterschied war finanzieller Art: Das Notariatsinstrument kostete den Auftraggeber sehr viel mehr.15 In der Forschung wurde bislang nur mit den Registern der Fiskalprokuratoren gearbeitet. Die Autoren Pierre Pegeot und Jean-Paul Prongue erheben zwei Einwände gegen ihre Vollständigkeit. Der erste lautet, dass diese Akten nur diejenigen Vergehen enthalten, die Ortsgeistliche und Pfarreiangehörige denunzierten. Die Dunkelziffer der nicht gemeldeten Verstöße gegen die Kirchenzucht sei nicht zu berechnen.16 Dagegen kann zwar nichts eingewendet werden. Aber für die in die9

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AAEB: A 85/41: Registra curiae Basiliensis: notarius vicarii. Die Notare waren Ulrich Bruckfelder (1502-05) und Adelbert Salzmann (ab 1505). Streng genommen handelt es sich um die Gebühren, die für die Mühewaltung erhoben wurden, eine Absolution zu schreiben, zu besiegeln und wegzuschicken. StABS : Gerichtsarchiv AA 18. StABS: Gerichtsarchiv AA 18 (1471-82) und Gerichtsarchiv AA 19 (1506-48). - Wie aus den angegebenen Jahreszahlen hervorgeht, überschneiden sich die Register zeitlich. Auch inhaltlich ist das der Fall. StABS: Gerichtsarchiv AA 20. Das auf dem Titelblatt angegebene Jahr 1470 ist irreführend. Der erste Band trägt den Titel Contractus, donaciones, locaciones, testamenta, precontracts, quittancie, confessata audite sub sigillo curie Bas. (1471-81) - Johannes Friderich de Munderstat et Johannes Saltzmann notarii; die Zeitangabe ist ungenau. Der Band enthält zahlreiche sowohl ältere als auch jüngere Eintragungen. Die anderen Bände sind betitelt Sexternus contractum inceptus anno (1506) [...] contractuum, donacionum, locacionum, testamentariorum, precontractuum. quittancium, confessatum - Adelberus Saltzmann notarius bzw. Signature coram officiali curie Bas. ab annis (1507-15) sowie Signature sive imbreviature (1521-37). Zur Notariatsurkunde ausfuhrlich J.-P. Schuler, Geschichte, 203-289. Zur Entstehung ihrer Reinschrift vgl. ebd., 223-235, bes. 224f. P. Pegeot - J.-P. Prongue, Contribution, 26. - Vgl. auch P.Th. Lang, Würfel, 220 Anm. 6. Seine Annahme, dass „sicherlich nur ein kleinerer Teil der justiziablen Verhaltensweisen zur Anzeige kam", ist aber genauso wenig stichhaltig.

131

ser Studie zu beantwortende Frage spielt die Dunkelziffer keine Rolle. Gewichtiger ist der zweite Einwand, dass Personen, die ihre Buße sofort bezahlten, möglicherweise nicht im Register erwähnt wurden.17 Er läßt sich mit drei Argumenten entschärfen. Es finden sich nämlich auch Eintragungen, die belegen, dass die Bestraften die Buße sofort entrichteten.18 Auch aus dem Fehlen eines Zahlungstermins darf geschlossen werden, dass sofort bezahlt wurde. Zuletzt spricht das im ersten Hauptteil erarbeitete Resultat, wonach die Höhe der Bußgelder gemessen an ihrer Kaufkraft hoch gewesen sei, gegen die These. Nur wenige Personen waren vermutlich zahlungskräftig genug, die Strafe gleich zu begleichen. Die Lückenlosigkeit der Quelle wird aber durch eine eigene Beobachtung angezweifelt. In den Eheurteilen ist manchmal zu lesen, dass der Richter eine Person wegen Ehebruchs oder Unzucht dem Fiskalprokurator zur Bestrafung übergab. In den meisten Fällen findet sich ein entsprechender Vermerk in dessen Bußenregister, aber nicht immer. Das Fehlen der übrigen Strafen kann nicht erklärt werden.19 Das letzte Problem betrifft den Inhalt der Eintragungen, oder genauer: die je nach Schreiber unterschiedlich sorgfaltige Registerführung. Teilweise fehlen die Angaben des Wohnorts, des Vergehens, mitunter auch des Datums.20 Da solche unvollständigen Akteneintragungen gemessen an der Zahl der vollständigen selten sind, können sie das Ergebnis nicht verfälschend beeinflussen. Die Akte der Notare des Generalvikars dürfte fur die angegebenen Jahre vollständig überliefert sein.21 Ihre Aussagekraft wird zusätzlich dadurch gesteigert, dass der Generalvikar nur einen Notar beschäftigte.22 Sind auch die anderen Notarsregister komplett erhalten? Die Frage zielt in zwei Richtungen, sowohl die Gesamtzahl der Register als auch die Qualität der überlieferten steht auf dem Prüfstand. Die Zahl der vorhandenen Manuale ist kleiner als die Zahl der bischöflichen Notare. Gemäß den Gerichtsstatuten von ca. 1480 waren vier notarli superiores und ebenso viele Kollateralnotare tätig. Nur fur die Jahre 1521-24 kann jedoch sicher nachgewiesen werden, dass vier Kollateralnotare 17 18

P. Pegeot - J.-P. Prongue, Contribution, 26. AAEB: A 85/39 (1463/64), fol. 6: Fuit condempnatus ad emendarti [...] propter fornicacionem commissam, concordavit presenti domino officiali pro duabus lib. Solvit inprompto. Vgl. auch ebd., fol. 6v.

19

Es handelt sich jährlich um drei bis fünf Fälle, die 'fehlen'.

20

Das letztere spielt insofern keine Rolle fur die Auswertung der Quellen, als das Jahr immer bekannt ist.

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Dass die Absolutionsgebühren, die Johannes Frundt und Otilia Schleglin aus Brunstatt - beide wurden 1510 exkommuniziert, weil sie wissentlich in einem verbotenen Verwandtschaftsgrad geheiratet hatten - nicht enthalten sind, ist vermutlich ein Versehen. Dafür spricht, dass der Notar die Absolutionsgebühren für Exkommunikationen verzeichnete, die aus demselben Grund von anderen Personen verlangt wurden. Der Fall ist erwähnt in StABS: Gerichtsarchiv A A 3(1510 Februar 14).

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Im Bestallungsbrief des Fiskals Ulrich Stadel von 1503 wird nur ein Notar genannt: „unnd ob sich zu(o)triege, das ein ubertrettender mitt im uberka(e)me unnd deshalb ein confessât gebe, soll er dasselb confessât durch den notarien unsers fisci [...] verzeichnen lassen, der es ouch sonnderlich inn sin prothocol uffschriben solle;" AAEB: A 85/37. Vgl. auch die Gerichtsstatuten, wo ebenfalls nur von einem Notar die Rede ist; AAEB: A 85/33 (Gerichtsstatuten, Abschrift 1514), 30.

132

beschäftigt waren. Führten aber alle Notare, auch die auswärtigen Kommissare ein eigenes Register?23 Weshalb band man dann nur die Register Johannes Friedrichs von Münnerstadt und Johannes Salzmanns zusammen? Wie auch immer, mit den Manualen dieser beiden Notare sowie des Registers seines Sohns Adelbert Salzmann blieben die Bücher derjenigen Beamten erhalten, die in der Hierarchie der Kanzleinotare auf der obersten Stufe standen. Die Salzmanns waren nicht nur Kollateralnotare, sondern auch Notare des jeweiligen Generalvikars und gehörten damit zu den notarii superiores. Als solche waren sie für die gesamte Kanzleiarbeit zuständig.24 Das bürgt füir die Repräsentativität des Inhalts in jeder Beziehung, in qualitativer und in quantitativer. Was die Lückenlosigkeit der Quelle betrifft, sind Zweifel anzumelden. Lose eingelegte Signaturen wecken den Verdacht, dass sie nicht vollständig ist. Die Vermutung, dass nicht alle Urkunden das letzte halbe Jahrtausend überlebt haben, liegt auf der Hand, kann aber selbstredend nicht bewiesen werden. Was sich zerstreut in anderen Aktenbeständen fand, wurde in die quantitative Auswertung aufgenommen.25

1.2

Bistum Konstanz

Erhalten sind viele Aktenbände. Doch da die Schriftstücke zum Teil ganzer Register nur als Konzepte erhalten sind und deswegen häufig kein Datum tragen, sind sie für diese Arbeit wertlos. Brauchbar sind allein das Register eines Kommissars (1454-59) und die Sentenzenbücher des Offizials (1514-16, 1519-25). Beide sind chronologisch aufgebaut. Die erste Quelle wird allein fur die Eherechtsprechung verwendet.26 Sie enthält keine Urteile, sondern Parteien- und Zeugenprotokolle. Die zweite Quelle - die libri sententiarum seu protocollorum in officio officialatus Constantiensis - orientiert ebenfalls fast ausschließlich über die Rechtsprechung in Ehefällen, kann aber auch für die übrigen Prozesse der streitigen Gerichtsbarkeit

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25

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Die in den Archives départementales du Haut-Rhin lagernden Offizialatsurkunden müssten einmal daraufhin ausgewertet werden, wer die Aussteller waren, ob Kommissare oder Kollateralnotare des bischöflichen Hofs in Basel. Prosopographische Angaben bei J.-P. Schuler, Notare, Nm. 364, 1115, 1117. Die Vorzugsstellung Adelbert Salzmanns kann auch am Thornus-Register abgelesen werden. Die übrigen Notare waren ihm Rechenschaft über ihre notariellen Aufgaben schuldig. StABS: Gerichtsarchiv AA 14. Hier finden sich die Folio-Seiten 126-135v, die zum zweiten Teil des ersten Protokollbandes (1471-82) gehören. StABS: Gerichtsarchiv AA 15: Das Korpus enthält einige Akten der freiwilligen Gerichtsbarkeit von 1515. BAC: Mappe Β 60 (Faszikel 1). Das Register enthält noch andere Rechtsakte, unter anderem mehrere Appellationsfalle und Akten über verwaltungsinteme Geschäfte wie Präsentationen von Klerikern oder Resignationen.

133

ausgewertet werden.27 Die Konstanzer Urteile sind formal ähnlich aufgebaut wie die Basler. Während die Frage nach der Vollständigkeit für die Urteilsprotokolle bejaht werden kann, muss ein Fragezeichen hinsichtlich des Kommissarsregisters gesetzt werden. Der Grund sind nicht die fehlenden Anfangs- und Endseiten.28 Schwerer wiegt es, dass ein kommissarischer Rechtsakt überliefert ist, der zwar in der fraglichen Zeit stattfand, aber im Register nicht vermerkt ist.29 Trotz dieses Einwands kann davon ausgegangen werden, dass das Register einen repräsentativen Einblick in die Arbeit dieses Beamten gibt.

1.3

Bistum Chur

Gleich wie in den Diözesen Basel und Konstanz ist auch in Chur nur Archivmaterial für das Chorgericht erhalten. Über seine Rechtsprechung gibt das Rechnungsbuch der Siegler Auskunft, das sogenannte Debitorium universale seu generale officii sigilli Reverendissimi domini episcopi Curiensis per eandem civitatem Curiensem atque circumcirca etc. (1512-26).30 Die Jahresangaben sind nachweislich falsch. Die ältesten Eintragungen stammen aus dem letzten Jahrzehnt des 15. Jahrhunderts, die jüngste von 1527. Im DG trugen die Siegler nach Pfarreien geordnet sämtliche Geldschulden ein, die weltliche und geistliche Personen oder Personengemeinschaften dem Gericht in der Regel aufgrund eines Rechtsstreits oder eines Vergehens schuldeten.31 Auch die Absolutionsgebühren notierten die Beamten peinlich genau. Die Quelle ist also sowohl für die streitige als auch für die strafrechtliche Rechtsprechimg aussagekräftig. Aber ist sie vollständig überliefert? Vasella, der bislang als einziger die Quelle intensiver ausgeschöpft hat, vermutete, dass nur diejenigen Schuldner vermerkt wurden, die ihre Schulden nicht sofort bezahlten.32 Dagegen sprechen die schon im

27

28 29

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31

32

EAF: Ha 126, Ha 127, Ha 330i. - Auch im Stiftsarchiv St. Gallen befinden sich einige, allerdings ebenfalls undatierte Akten. Das könnte erklären, dass der Verweis aufbereite erwähnte Personen nicht zu finden ist. Der Kommissar teilte am 13. Dezember 1455 dem Offizial die Kundschaft über die Vermögensverhältnisse in einem Deflorationsfall mit; vgl. REC 4, Nr. 11934. Das Einnahmeregister eines Briefträgers aus dem Jahr 1523 ist für die Fragestellung unbrauchbar; BAC: Recepta et quietata ad sigillum per Michaelem Mer, cursorem in capitulo vallis Trusianae (1523). Um Missverständnissen vorzubeugen, sei betont, dass der Siegler nicht gleichzeitig das Amt des Fiskalprokurators ausübte. Aber die Kanzleiarbeit war offenbar nicht streng getrennt. Der Fiskalprokurator führte ein eigenes Register, wie das DG belegt. Vgl. z.B. BAC: DG 1/2, 416: Lucius Sche(a)ckli de Rannckhml tenetur ad flscum iifl. R. ut in libro fisci. O. Vasella, Reform, 22.

134

Kapitel über die Basler Quellen vorgebrachten Argumente.33 Gegen die Vollständigkeit des Registers sprechen drei andere Beobachtungen. Einige Seiten fehlen, weil sie entweder herausgeschnitten34 oder in den Deckel des zweiten Bandes eingebunden wurden.35 Zweitens sind für die Stadt Chur kaum und fur die Pfarrei Trimmis überhaupt keine Eintragungen aus der Zeit vor 1512 vorhanden.36 Angesichts der massenhaften Schuldvermerke aus dem ersten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts, die Einwohner anderer Pfarreien betrafen, ist das auffallig. Drittens ist eine Prozessurkunde aus dem Jahr 1508 überliefert, worin es heißt, dass ein Laie zur Zahlung der Gebühren und der Kosten des Prozesses verurteilt worden sei.37 Im DG hinterließ dieser Fall aber keine Spuren.38

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37

38

Beispiele dafür, dass die Gerichtskosten sofort beglichen wurden, finden sich in BAC: DG 1/1, 251: Eist Zindlin tenetur i gl. R. pro iuribus in causa matrimoniali inter ipsam ex una et Jodocum Gertsch de ìVanxparrochie Meils. Dedit i gl. inprompto (1509 Februar 27). Vgl. auch DG 1/1, 258, 259, 265 u.ö. Die Seite zwischen DG 1/1, 274 und 275 fehlt. Die vier Bücher, die heute das DG I bilden, wurden in diesem Jahrhundert zusammengebunden. Vorher lagen sie lose aufeinander. Geordnet wurden sie nach Dekanaten, aber innerhalb dieser Ordnung gibt es ein chronologisches Wirrwarr. Es ist nicht auszuschließen, dass einige Blätter verloren gingen. Für die Pfarreien der Stadt Chur stimmt also die Zeitangabe, die auf dem DG prangt. Möglicherweise wurde für Chur ein eigenes Register geführt. Vgl. den von 1521 stammenden Hinweis in: BAC: DG II, 15: Heredes Margarethe Senngerin reliete olim Fiorini Batalia civis Curiensis tenetur ad sigillum vii β. χ d. quemadmodum in parvo registro debitorio per civitatem Curiensem privato intitulato habetur extensum. VLAB: Urkunde Nr. 4533. Die Urkunde trägt das Siegel Jodok Neyers, des Sieglers des Churer Offizialats. Der Siegler brachte zudem Randbemerkungen an wie z.B. translatum ad novum librum Chur ac nondum solvit, die nicht immer im DG II gefunden werden können. Insofern aber der Prozess notiert wurde, ist die fehlende Fortsetzung zu verschmerzen. Das Beispiel in: BAC: DG 1/4, 1163.

135

I.

Nebenschauplätze

1.

Sendurteile? Prozesse vor dem Kanzel- oder Pfaffengericht?

Hielt man den Send überhaupt noch? Vielleicht in einigen wenigen Stiftsgebieten im Jura, die vom Hochstift eingeschlossen waren, möglicherweise in einigen Tälern des Bistums Chur, die ebenfalls zum Hochstift gehörten. Aber belegt werden kann nichts. Ebensowenig lässt sich ein archidiakonales Gericht nachweisen, dessen Richter nicht nach Benefizialrecht seine Gewalt ausübte. Die bischöfliche Verwaltung entwickelte sich in allen drei Bistümern gemäß dem päpstlichen Recht. An der Spitze des Gerichts stand der Chorrichter. Was die innerschweizerischen Kanzelrichter betrifft, kann nur indirekt und andeutungsweise belegt werden, dass sie ihr Amt in der untersuchten Zeit ausübten. Aufgrund des mündlichen Verfahrens kann eine aussagekräftige Quellenüberlieferung auch nicht erwartet werden. Einer 1419 im Luzerner Ratsbuch eingetragenen Notiz ist immerhin zu entnehmen, dass der Rat ihre Jurisdiktion prinzipiell guthieß und ihr Vorgehen gegen offene Ehebrecher schützte.39 Auch die Zürcher Pfaffenrichter wandten das mündliche Verfahren an. Das ist wohl die einleuchtendste Erklärung dafür, dass aus der Untersuchungszeit nur ein einziger Fall bekannt ist.40 Das ist eine erstaunlich geringe Zahl angesichts der etwa 200 Geistlichen, die um 1500 den Zürcher Stadtklerus bildeten. Immerhin Diese soziale Gruppe entsprach 15-20 % der erwerbstätigen Bevölkerung.41

2.

Bischöfliche Rechtsprechung

2.1

Der Bischof als Richter

Obwohl die Bischöfe ihre Jurisdiktionsgewalt in der Regel an ihren Offizial delegierten, kam es vor, dass sie ab und an selbst ein Urteil fällten. Das geschah aber wahrscheinlich aus Zeitmangel - sehr selten.42 Aus der Diözese Basel seien zwei der raren Fälle erwähnt. 1498 exkommunizierte der Bischof einen Leutpriester aus Burgdorf (Bistum Konstanz), weil dieser seine Geldschulden gegenüber einer im Bistum Basel wohnenden Person nicht be-

39 40 41 42

Ph.A. von Segesser, Rechtsgeschichte II, 687 Anm. 3 und 822. A. Bauhofer, Zürich, 14f. U. Gabler, Huldrych Zwingli, 21. Bischöfliche Visitationen hingegen sind aus dem 15. Jahrhundert nicht überliefert.

136

glichen hatte 43 1523 weigerte sich der Bischof, einem heiratswilligen Paar aus dem Amt Waldenburg den kirchlichen Segen zu erteilen, weil ein Ehehindernis vorlag und das Paar das Geld für eine Dispens nicht aufbringen konnte.44 Nachdem sich der Rat der Stadt Basel beim Bischof fur die Abgewiesenen erfolglos eingesetzt hatte, ging er über das bischöfliche Verbot hinweg und ordnete die kirchliche Einsegnung an mit dem Hinweis auf seine von ihm beanspruchten Pflichten als Sittenwächter - „domit solich gemachele irer eelichen werken, die sie gott dem almechtigen ze leib volpringen nit in sintlichen gedanken fielen". Die Exkommunikation - letzter Rettungsanker kirchlichen Machtanspruchs - folgte auf dem Fuß. Sowohl der Priester, der den Segen gespendet hatte, als auch das Ehepaar wurden gebannt. Von der Rechtsprechung des Konstanzer Bischofs sind ebenfalls nur Einzelfälle überliefert. Das liegt nicht allein an der Quellenlage. Er sei mit Verwaltungsgeschäften überhäuft, begründete er 1467 eine Subdelegation eines Prozesses an den Generalvikar.45 Die systematische Durchsicht der Regesten bischöflicher Verwaltungsgeschäfte auf jurisdiktioneile Akte aus den Jahren 1460-70 förderte nur siebzehn Urteile zutage 46 In den meisten Fällen handelte es sich um strafrechtliche Streitigkeiten, die mit dem Privilegium canonis, also mit dem Schutz der klerikalen Standesvorrechte zusammenhingen,47 oder um klerikale Verstöße gegen die Sittlichkeit 48 Nur wenige Urteile betrafen Prozesse streitigen Inhalts 49 Solche Fälle entschieden die Parteien zumeist auf gütlichem Weg. 50 43 44

45

46

47

48

49 50

EAIII/l,Nr. 607, 573. Die Akten bei E. Dürr (Hg.), Aktensammlung I, Nr. 134. - Der Offizial scheint an diesem Fall offenbar nicht beteiligt gewesen zu sein. Zumindest findet sich kein entsprechender Eintrag im ThornusRegister. REC 4, Nr. 13216. Das Schlussurteil behielt er sich aber vor. Der Fall, es handelte sich um einen Streit um Geldschulden, in den auch Prinzessin Margaret!) von Württemberg verwickelt war, wurde vom apostolischen Stuhl an den Bischof delegiert. Weitere Subdelegationen in REC 4, Nm. 13663, 13755. Das Jahrzehnt zwischen 1460-70 wurde deshalb gewählt, weil einerseits der Streit um die Besetzung des Bischofsstuhls das Bistum in den 70er Jahren nachhaltig erschütterte, und die Ausweitung der Regesten aufgrund dieser Ausnahmesituation auch nicht annähernd repräsentativ sein kann. Andererseits endet die Regestenedition mit dem Jahr 1480. Gezahlt wurden nur definitiv erfolgte Gerichtsakte. Eine Bitte um Aufhebung eines Interdikts zum Beispiel, wie sie Freiburg 1466 an den Bischof richtete, wurde also nicht mitgezählt. Denn es ist denkbar, dass der Bischof den Fall zur Entscheidung delegierte. REC 4, Nr. 13132. Ebenfalls nicht gezahlt wurden die schiedsgerichtlichen Urteile. REC 4, Nm. 12492 (1462), 12866 (1464), 12904 (1464), 13430a (1468), 13431 (1468), 13463 (1468), 13468 (1468). REC 4, Nrn. 12862 (1464), 12945 (1465), 13069 (1466), 13259 (1467), 13467 (1468). - Ein Urteil über ein von Laien begangenes Vergehen ebd., Nr. 12813 (1464). REC 4, Nm. 12734 (1463), 13614 (1469), 13626 (1469), 13746 (1470). Um Kosten zu sparen, einigten sich Bürgermeister und Rat der Stadt Meersburg einerseits und die Kleriker der Pfarrkirche andererseits, ihren Streit um die Präsentation für die Pfründe des St. Katharinenaltars gütlich beizulegen; REC 4, Nr. 13523. Ähnlich Nm. 12900, 13495.

137

Auch aus dem Bistum Chur sind nur vereinzelte bischöfliche Jurisdiktionsakte überliefert. Ein Beispiel: Nachdem ein Vertreter der Gerichtsvögte der Abtei von Pfafers, das waren die sieben eidgenössischen Orte, den Abt 1502 gefangen genommen hatten, exkommunizierte der Bischof die Täter.51 Die Rechtsprechungsgewalt des Bischofs, die ihm als Grund- und Territorialherr zustand, interessiert hier nur insoweit, als er kirchliche Zensuren als Strafmittel gegen Laien oder Kleriker einsetzte. Dies scheint insbesondere dann der Fall gewesen zu sein, wenn jemand seine grundherrlichen Rechte bestritt. Als 1434 beispielsweise die Leibeigenen der Nachbarschaft Schams dem Bischof den Gehorsam verweigerten, belegte dieser sie mit Bann und Interdikt.52 Die Zensuren waren offenbar die Notbremse, die immer dann gezogen wurde, wenn die in Frage gestellten Herrschaftsrechte nicht mit anderen Mitteln verteidigt werden konnten.53 Gewiss, die Liste der Beispiele könnte verlängert werden.54 Aber dies würde nichts am Resultat ändern, dass die Bischöfe von Basel, Konstanz und Chur ihre Jurisdiktions- und Strafgewalt selten selbst ausübten. Die erwähnten Fälle lassen sich nur schwer auf einen gemeinsamen Nenner bringen. Eine minimale Gemeinsamkeit besteht darin, dass es sich zumeist um besonders schwere Vergehen handelte oder anders formuliert: der Bischof sich besonders bedrängt und genötigt fühlte, selbst zu handeln, weil ihm die Macht unter den Füssen weggezogen wurde. Ein zweiter gemeinsamer Nenner - freilich etwas spekulativer Natur - könnte sein, dass der Bischof Recht sprach, um mit seinem kirchlichen und politischen Gewicht für die Durchsetzung der Strafe zu sorgen.

2.2

Generalvikare als Richter

Keine normative Quelle aus dem Bistum Basel, weder die Synodal- noch die Gerichtsstatuten, enthält Angaben über jurisdiktionelle Aufgaben des Generalvikars. Zweifellos nahm er aber solche wahr, und zwar, wie vereinzelte Urkunden und Akten belegen, in einer doppelten Funktion: als procurator flscalis und Strafrichter sowie als Appellationsrichter der zweiten Instanz der hochstiftischen Gerichtsbarkeit. Als Fiskal bestrafte er 1464 die Ehefrau Nikiaus Webers, des Weibels von

51 52 53 54

J G. Mayer, Geschichte (Bd. 1), 530. J.G. Mayer, Geschichte (Bd. 1), 435. Beispiele bei A. von Castelmur, Versuch, 100-103, 105. K. Weissen berührt das Thema in seiner sonst materialreichen Dissertation über die furstbischöfliche Landesherrschaft nicht.

138

Habsheim im Sundgau wegen Ehebruchs mit einer Geldbuße von 2 fl.55 Als Richter in einem schweren Fall von Homosexualität schritt er 1475 ein. Ein Priester zwang einen jungen Mann gegen dessen Willen zum Analverkehr, so dass dieser noch Tage später blutete.56 In der zweiten Funktion - es handelt sich nicht um kirchliche Gerichtsbarkeit im in der Einleitung definierten Sinn - urteilte der Generalvikar Friedrich Franck 1462 beispielsweise zwischen den Basler Bürgern Lienhart Rumelin und seiner Ehefrau Elsi Huckermans als Appellanten einerseits und Conrad Orab aus Riehen (Bistum Konstanz) andererseits in einem Streit um „einer stu(o)ben halben".57 Einzelfalle und Prozesssplitter sind überliefert. Eine umfangreiche Rechtsprechung übte der Generalvikar nie aus. Der Konstanzer Generalvikar war in dieser Hinsicht bedeutend aktiver. Er entschied zum einen streitige Prozesse, sowohl Ehehändel als auch sogenannte geistlich-weltlich gemischte Fälle.58 Zum anderen war er auch als Strafrichter tätig. Seine strafrechtliche Gewalt erstreckte sich auf Kleriker, die sich unpriesterlich benommen oder ihre Amtspflicht vernachlässigt oder verletzt hatten. Johannes Fabri, der seit 1517 Generalvikar war, legt beredtes Zeugnis dieser von ihm wenig geliebten richterlichen Tätigkeit ab. Eine Frau möchte einen Mann zur Ehe zugesprochen erhalten, ein Mann sich von seiner Gattin unbedingt scheiden lassen. Er sei solcher Klagen überdrüssig, ließ er 1519 seinen Bischof wissen.59 Wie aber sah die Realität hinter der Klage aus? Was den Umfang betraf, scheint die Rechtsprechung in Eheangelegenheiten unbedeutend gewesen zu sein. Jedenfalls sind nur wenige Fälle überliefert.60 Dasselbe gilt für geistlich-weltlich 55

56 57

58

59 60

AAEB: A 85/39, fol. I. In der Aktennotiz wird zwar nicht der rechtstechnische Terminus für 'Generalvikar' verwendet. Statt vicarius in spiritualibus generalis steht: uxor [...) condempnata ad emendarti per dominum vicarium. Damit kann aber nicht der Pfarrverweser - rechtstechnisch vicarius (perpetuus) genannt - gemeint sein, da dieser gemäß dem Kirchenrecht keine strafrechtliche Funktion ausüben durfte. Für diese Interpretation spricht auch das folgende Beispiel aus AAEB: A 85/43 (1516/17): Item sabato ante Martini Alexander Schorer de Morschwiller emendatus et concordava in absencia domini vicarii coram domino officiali f..J propter adulterium. - Obwohl die Register der Fiskalprokuratoren systematisch für die Jahre 1463-69 und 1509/10-21/22 auf vikarische Rechtsprechungsakte durchgesehen wurden, fanden sich keine weiteren Beispiele. Die Akten des Sodomieprozesses in AAEB: A 85/83. StABS: Gerichtsarchiv AA 9, 37, 82ff. [eigene Paginierung]. - Die erste Instanz war das Dorfgericht zu Riehen. Die Berufung ging an den Bischof als weltlichen Oberherrn, der seinerseits den Fall an den General vikar delegierte. Der Generalvikar entschied auch streitige Angelegenheiten zwischen geistlichen Personen, Pfnind- und Zehntstreitigkeiten beispielsweise, oder Auseinandersetzungen zwischen weltlichen und kirchlichen Parteien um Patronatsrechte. Dieser Bereich der Rechtsprechung ist aber für die Arbeit ohne Erkenntniswert. Belege in REC 4, Nrn. 13140, 13288, 13443, 14113. I.P. Staub, Johannes Fabri, 54. Urteile in Ehefällen: GLAK: 67/494, fol. 21-24v (Dispensatio super quarto consanguinitatis, 1504, Pfarrei Sulgen); EAF: Ha 322, fol. 191-191v (Sententia discohabitandi coniugium, ca. 1516-18, Tü-

139

gemischte Fälle. Auf Antrag des Offizials arrestierte der Generalvikar zum Beispiel 1468/69 die Habe des Magisters Johann Bächt.61 Oder er entschied 1467 einen Streit um einen Hof - eine sogenannte causa prophana - zwischen einem Kaplan und einem Laien.62 Gewichtiger63 war seine strafrechtliche Rechtsprechung, die dem Schutz der geistlichen Privilegien im weitesten Sinn diente und Ausfluss seiner Aufsichtspflicht über die korrekte Amts- und Lebensführung des Klerus war. Dazu gehörte auch, Laien und Geistlichen kirchliche Zensuren anzudrohen, sie schlimmstenfalls zu verhängen und bei Anzeichen von Reue davon loszusprechen.64 Die REC wurden fur das Jahrzehnt zwischen 1460-70 systematisch auf seine Strafgewalt durchgesehen.65 Das Ergebnis sind elf Fälle, die aus dem ganzen Bistum stammen.66 Arbeitsüberlastung war nicht das Problem des Generalvikars, auch wenn die Unvollständigkeit des Quellenkorpus in Rechnung gestellt wird. Allenfalls hätte er seine strafrechtliche Jurisdiktionsgewalt auch delegieren können, wie er das 1463 tat, als er dem Kirchherrn von Freiburg erlaubte, ein Jahr lang die leichten Fälle von Tätlichkeiten und Streitereien zwischen den gefreiten Studenten der Universität zu entscheiden und sie von der Exkommunikation zu absolvieren, die diese sich aufgrund des Kanons Si quis suadente diabolo zugezogen hatten.67 Die Situation im Bistum Chur ist mit derjenigen in Basel und Konstanz nicht vergleichbar. Denn die Ämter des Generalvikars und des Offizials waren immer in Personalunion miteinander verbunden.

61 62 63

64

65 66

67

hingen). Weitere Quellenbelege bei I. P. Staub, Johannes Fabri, 54. Vgl. auch REC 4, Nrn. 12213, 13050, 14150. REC 4, Nrn. 13447, 13545. REC 4, Nr. 13356. Weitere Beispiele in REC 4, Nm. 12560, 12949, 13569. Dass die kriminellen Sachen das eigentliche Jurisdiktionsgebiet des Generalvikars war, belegt folgende Urkunde. 1465 gestattete er dem Kirchherrn und den Kaplänen der Pfarrkiche Villingen, Georg Truchseß und andere Edelknechte vor ein weltliches Gericht zu ziehen, falls es sich nicht um strafrechtliche Dinge handelte; REC 4, Nr. 13028. Neben dem Generalvikar war auch der Offizial damit beschäftigt, Verstöße der Kleriker gegen die Sitte und das Amt zu ahnden. Vgl. z.B. REC 4, Nr. 14169. Die Begründung der zeitlichen Begrenzung in Anm. 46. REC 4, Nrn. 12546, 12790, 12917, 12918 (die Akte ist nicht sicher zu datieren), 12920, 12926, 12930, 12979, 13458, 13529 (vgl. dazu auch die Nrn. 13549, 13560), 12766. REC 4, Nr. 12632. Sofern die Mitglieder der Bursen bereits die höheren Weihen empfangen hatten, behielt sich der Generalvikar ihre Absolution vor. - Ebenfalls 1463 erlaubte er dem Leutpriester der Pfarrkirche zu Baden im Aargau, Welt- und Ordensgeistliche, die schwere Exzesse begingen, selbstständig oder notfalls mit Hilfe des weltlichen Arms gefangenzunehmen, um sie dem Bischof zur Untersuchung auszuliefern; REC 4, Nrn. 12750, 12775. Eine weitere, aber fallweise Delegation aus den Jahren 1467 und 1469 in REC 4, Nm. 13211, 13650.

140

2.3

Jurisdiktion der Dekane und Archidiakone

Die Untersuchung der Institutionen und der Normen machte deutlich, dass die Vertreter des Bischofs und des Generalvikars eine je nach Ort und Zeit unterschiedliche richterliche Aufgaben wahrnahmen. Wie der Rechtsalltag konkret aussah, ist fast unmöglich zu sagen. Aus den Quellen kann so gut wie nichts herausgepresst werden. In der Diözese Basel hatten die Dekane offenbar überhaupt keine richterliche Gewalt. Was die Tätigkeit des städtischen Kathedralarchidiakons jedoch betrifft, finden sich einige verstreute Nachrichten sowohl in der Literatur als auch in neu entdeckten Archivalien. Bei den letzteren handelt es sich fast ausnahmslos um Appellationsfälle an die höhere Instanz, das bischöfliche Offizialat. Die Annahme, dass es nur Trümmer einer größeren Überlieferungsmasse sind, stempelt sie zu Fragmenten. Doch hat auch diese kleine Menge von Gerichtsakten Indizienwert.68 Sie stützen die in der Forschung umlaufende Meinung, dass der Umfang der jurisdiktionellen Arbeit des archidiakonalen Offizials bescheiden war. Aus den Jahren 1522 und 1524 stammen die jüngsten Fälle. Das archidiakonale Gericht war also noch zu Beginn der Reformation aktiv. Der Geistliche Benedikt Gut aus dem markgräflichen Rötteln, das zum Bistum Konstanz gehörte, beauftragte 1522 einen Prokurator, um sich gegen Caspar Schaller coram domino officiali archidiácono Basiliensi tanquam iudice apostolico verteidigen zu lassen.69 Im anderen Fall appellierte 1524 Anthonius Zancker, der Pleban von St. Martin zu Basel,70 gegen einen Entscheid in einer streitigen Angelegenheit a curia domini archidiaconi an den konsistorialen Richter. Sein Prozessgegner war Jacobus Breitschwert, ein Laie.71 Während hier der Kanzleischreiber den Herkunftsort des Beklagten nicht nannte, vermerkte er diese Information in den folgenden zwei Berufungen. Peter Held, der Schneider und Bürger von Basel, verlor den in einer Zinsangelegenheit geführten Prozess gegen den Basler Stiftskaplan Rudolf Burckler und appellierte 1461 gegen das Urteil des archidiakonalen Offizials an das bischöfliche Gericht.72 Ebenfalls aus Basel stammten die Prozessparteien Johannes Geyger, ein Bürger und Glockengießer, und Nicolaus Tütelin, ein Schneider. 1469 zog Geyger seine Klage wegen Ehrbeleidigung, die Tütelin ihm zugefugt hatte, a

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72

Ein in erster Instanz gefälltes Urteil eines erzpriesterlichen Offizials von 1349 ist auszugsweise ediert bei W.D. Wackernagel, Geschichte, 7. Weitere Belege für die Tätigkeit dieses Offizials aus dem 13. und 14. Jahrhundert bei E. Baumgartner, Geschichte, 59 Anm. 5. StABS: Gerichtsarchiv AA 19, 9. Der Anlass des Prozesses ist nicht bekannt. StABS: Gerichtsarchiv AA 19, 9: Constitutio domini Anthonii Zancker plebani in sancto Martino Basiliensis. StABS: Gerichtsarchiv AA 22, 31. Der Fall wurde am 24. Oktober 1524 Johannes Heintzmann, einem Notar des Offizialats, übertragen. StABS: Gerichtsarchiv AA 10 (Faszikel 1): Registrum in causa appellationis coram officiali curie episcopalis Basiliensis iudice ordinario. Der Fall ist auf 85 Folio-Seiten ausfuhrlich dokumentiert.

141

curia venerabilis viri domini archidiaconi ecclesiae Basiliensis ad nostrani tribunalem73 Vier Rechtsfälle während knapp 60 Jahre bis 1524 - und die ausgewerteten seriellen Gerichtsquellen decken immerhin 13 Jahre ab; alles streitige Rechtsfälle, aber kein einziger Ehefall; in drei Fällen gehört eine Prozesspartei dem geistlichen Stand an; wo der Herkunftsort bekannt ist, stammen die Personen aus Basel oder aus der näheren Umgebung. Die kleine Zahl von Beispielen lässt keine weitreichenden Schlüsse zu. Aber da sie sich nicht vergrößern lässt, muss sie genügen, um - wenn auch vorsichtig - Hypothesen zu bilden. Die tiefe Zahl von Appellationsfallen deutet auf einen kleinen Umfang der archidiakonalen Rechtsprechung hin. Die Prozessfunktion des Gerichts bestand hauptsächlich darin das Privilegium fori der Geistlichen zu schützen. Das würde erklären, weshalb kein einziges Eheurteil - vorausgesetzt, dass das archidiakonale Gericht auch in diesem Rechtsbereich aktiv war - überliefert ist. Die freiwillige Gerichtsbarkeit der archidiakonalen Kurie scheint in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts ebenfalls bis zur Bedeutungslosigkeit herabgesunken zu sein. Diese These stützt sich auf zwei Beobachtungen. Als 1479 der Prokurator und Briefträger des „ertzpriesters hoff', Burckhart Scherner, dem in Basel wohnenden Heinrich Stöcklin eine jährliche Gült von 6 ß. verkaufte, ließ er den Vertrag nicht durch den eigenen Gerichtshof aufsetzen und besiegeln, sondern suchte die bischöfliche Kanzlei auf.74 Das archidiakonale Siegel wurde offenbar auch nur selten fur die Vidimation von Urkunden verwendet. Die systematische Durchsicht der Gerichtsbücher sowie sämtlicher Klosterurkunden, die zwischen 1470-79 besiegelte wurden, erbrachte als magere Ausbeute vier Vidimationen. 1475, um ein Beispiel zu erwähnen, stellten der archidiakonale und der bischöfliche Offizial gemeinsam einige Urkunden fur Geistliche aus.75 Noch ein Wort zum Verhältnis zwischen dem archidiakonalen und dem bischöflichen Gerichtshof. Von einer konkurrierenden, antagonistischen Beziehung 73 74

75

StABS: Gerichtsarchiv AA 1, 989ff. StABS: Gerichtsarchiv AA 18 (Zweites Heft, 61v-62). - Wird die Zahl der zwischen 1420-1530 von den Offizialen der beiden Mainzer Propsteien St. Stephan und Aschaffenburg ausgestellten Urkunden als Vergleichswert gewählt, kommt dem Basler archidiaconus maior überhaupt keine Bedeutung mehr für das diözesane oder auch nur städtische Rechtsleben zu. Das Verzeichnis der Urkunden des archidiakonalen Gerichts zu Aschaffenburg bei H. Fath, Gericht, 222-238; vgl. dazu auch das Einnahmeregister des Aschaffenburger Propstes von 1502 in: Valentin Ferdinand Gudenus (Hg.), Codex diplomaticius sive Anecdotorum, res Moguntinas, Francicas, Trevirenses, Colonienses, Finitimarumque regionum (Bd. 2), Leipzig 1747, 416-421. Verzeichnis der Urkunden des Offizials von St. Stephan bei W. Ewoldt, Official, Anhang 1. Dass auch diese beiden Gerichte nicht mehr so oft aufgesucht wurden wie zur Zeit ihrer intensivsten Beanspruchung um die Mitte des 14. Jahrhunderts, weil ihnen sowohl durch erzbischöfliche Kommissare als auch durch weltliche Gerichte Konkurrenz erwachsen war, sei beiläufig erwähnt. StABS: Gerichtsarchiv AA 20, fol. 168v-169v. - Eine weitere gemeinsame Beurkundung im Urkundenbuch der Stadt Basel (Bd. 8), Nr. 448 (1473 November 25). Zwei Vidimierungen vom 26. und 28. September 1478 in: StABS: Städtische Urkunden (St. Alban Teich Archiv, Acten Nr. 2 und ebd., Buchiii, 190).

142

kann keinesfalls gesprochen werden. Alles deutet darauf hin, dass das Archidiakonat ein gut eingepasster Teil der episkopalen Verwaltung war. Dies zeigt sich einerseits darin, dass die Offiziale beider Behörden gemeinsam Urkunden siegelten, oder die Beamten einmal an dieser, dann an jener, vielleicht sogar gleichzeitig an beiden Kurien tätig waren.76 Andererseits belegt das auch ein Berufungsfall aus dem weltlichen Rechtsbereich des Bischofs. Als 1461 der Ritter Thomas von Falkenstein gegen ein Urteil des hochstiftischen Vogteigerichts in Zwingen an den Bischof appellierte, delegierte dieser den Fall an „Johannes Mittelhusen, licenciât in geschriebenen rechten, officiai des hoffs und gerichts des wirdigen herrn des ertzpriesters der stiffi Basel".77 Weshalb der Bischof diesen Fall nicht wie üblich78 Laurencius Krön, dem Chorrichter, übergab, oder seinem Vikar Friedrich Franck,79 ist unbekannt. Aufschlussreich für die Kenntnis der Beziehung zwischen den beiden Kurien ist aber, dass er sich für den Offizial des Archidiakons entschied.80 Für ein geklärtes hierarchisches Verhältnis sprechen zuletzt auch die Synodal- und Gerichtsstatuten aus dem Jahrhundert vor der Reformation. Der Archidiakon wird nicht erwähnt.81 Da das Archidiakonat im Bistum Konstanz seit dem 14. Jahrhundert ein Benefizium ohne Verpflichtung geworden war, muss gar nicht erst nach der Rechtsprechung gefragt werden.82 Was die Gerichtstätigkeit der Dekane angeht, war die Jurisdiktion offenbar eine nebensächliche Aufgabe. Die in den REC gesammelten Akten und Urkunden aus den Jahren 1460-70 wurden systematisch daraufhin durchsucht. Die Ausbeute ist gering. Nur vier Fälle konnten aus dem Überlieferungsstrom gezogen werden. Kein einziges Mal handelte es sich um die Bestrafung von Geistlichen wegen frivolen Lebenswandels, die Kardinalaufgabe der Dekane 76

77

78 79

80

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82

Belege bei R. Wackernagel, Geschichte Basel IL/2, 715. Nikiaus Haller war 1491 Kollateralnotar des archidiakonalen Offizials und drei Jahre später Prokurator des bischöflichen Hofs; J.-P. Schuler, Notare, Nr. 491. StABS: Gerichtsarchiv AA 9, 49f. [eigene Paginierung]. Die Zusammenarbeit dokumentiert auch die gemeinsame Exekution einer päpstlichen Breve durch den Kathedralarchidiakon, den Bischof und dessen Offizial in den Jahren 1458; C. Wirz (Hg ), Bullen, Nr. 75. Der Archidiakon wird nochmals erwähnt ebd., Nr. 98. Zahlreiche Fälle belegen das. Vgl. StABS: Gerichtsarchiv AA 9. Siehe z.B. den Appellationsfall Rumelin/Huckenman versus Orab; StABS: Gerichtsarchiv AA 9, 37, 82ff. [eigene Paginierung]. Die jurisdiktioneile Teamarbeit hatte Tradition. Bereits im 14. Jahrhundert wirkten die beiden Offiziale gemeinsam bei einer Rechtsentscheidung mit; J. B. Villiger, Bistum Basel, 117. Ein Überblick über den Statuteninhalt von 1434 und ca. 1470 bei J. Trouillat (Hg.), Monuments V, Nrn. 99, 170. Die Statuten von 1503 bei J. Hartzheim - J.F. Schannat (Hgg), Concilia Germaniae VI, 2-29. Die Gerichtsordnung von ca. 1480 in einer Abschrift von 1514 in: AAEB: A 85/33. HelSac 1/2, 852. Die sicherheitshalber dennoch durchgesehenen REC enthalten keinen Hinweis auf einen archidiakonalen Rechtsakt. - In die Gerichtshierarchie nicht einzuordnen ist folgender Fall: 1462 urteilten Propst und Kapitel von Zürich in einem Prozess wegen Defloration. Die Frau, Anna Lenerin aus Zürich, appellierte an den Bischof. Dieser übertrug den Fall seinem Generalvikar: REC 4, Nr. 12477.

143

auf dem Gebiet der Rechtsprechung. Vielmehr werden sie immer als Exekutoren von Urteilen anderer Instanzen, entweder des Bischofs oder des Generalvikars erwähnt.83 Anders sieht die Situation im Alpenbistum Chur aus. Zwar hinterließen die Dekane und Erzpriester keine eigenen Akten oder Urkunden, die über ihre richterliche Tätigkeit Auskunft geben. Doch ist der Umweg durch das Dickicht der konsistorialen Aktennotizen begehbar, um zu den gewünschten Informationen zu kommen. Das Debitorium generale ermöglicht immerhin einen hypothetischen Erkenntnisgewinn. Denn die Analyse der in diesem Rechnungsbuch eingetragenen Fälle gibt nicht nur einen Einblick in die Rechtsprechung des bischöflichen Offizials, sondern lässt auch direkte und indirekte Rückschlüsse auf diejenige der Erzpriester zu. Direkte Hinweise sind die Appellationen gegen erzpriesterliche Urteile in Ehefallen an den Chorrichter sowie die Eintragungen, die über Bestrafungen von Klerikern durch diese bischöflichen Beamten berichten. Auf indirektem Weg lassen sich Erkenntnisse über die Jurisdiktion durch den quantitativen Vergleich sämtlicher Eintragungen gewinnen, die sich auf Dekanate beziehen, in denen nachweislich kein archidiakonaler Richter amtete, mit solchen, die Gebiete betreffen, wo Erzpriester beziehungsweise Dekane tätig waren. Zu erwarten ist, dass die Zahl der letzteren niedriger ist, da die Dekane anstelle des konsistorialen Richters Streitigkeiten entschieden. In diesem Kapitel wird nur der direkte Weg beschritten, da das DG erst im Kapitel über die Rechtsprechung der bischöflichen Richter ausgewertet wird. Die Zahl der Berufungen an den Offizial aus dem Vintschgau und dem Engadin, das zum Hochstift gehörte, ist klein.84 Wenn diese Fälle auch keine Rückschlüsse auf den tatsächlichen Umfang der erzpriesterlichen Jurisdiktion zulassen, beweisen sie immerhin, dass es diese gab, und zwar mindestens bis Ende 1523. Damals appellierte Wolffinus, der Sohn von Severim Propst aus Mals, gegen ein Urteil ab archipresbytero vallis Venuste, das dieser in einem Ehefall zwischen ihm und Catharina Lesch gefallt hatte.85 Im Dezember desselben Jahres appellierte Anna, die Tochter von Jann Plannsch aus S-chanf ebenfalls in einer Eheangelegenheit, die in erster Instanz der Dekan im Engadin entschied, an den Offizial.86 Die Erzpriester entschieden nicht nur Ehesachen, sondern auch weltlich-geistlich gemischte Prozesse.87 83 84

85

86 87

REC 4, Nrn. 12406, 12782, 12813, 13539. Das Misox, wo ebenfalls ein delegierter Beamter Recht sprach, lasse ich beiseite. Da nicht gezeigt werden kann, wie oft die delegierten Richter ihre Tätigkeit ausübten, genügt es, anhand weniger Fälle zu zeigen, dass sie dies überhaupt getan haben. BAC: DG 1/4, 1129. Das sechzig Folio-Seiten dicke Protokoll des Falls befindet sich in der Mappe Β 61. Den Prozess erwähnt auch 0 . Vasella, Reform, 19. - Weitere Appellationen in Ehefällen in DG 1/4, 1135 (Meran), 1137 (Schlanders); vgl. 0 . Vasella, Geschichte, 97. BAC: DG 1/4, 1053. Eine Berufung gegen ein Urteil des Vintschgauer Erzpriesters an den Chorrichter belegt das. BAC: DG 1/4, 1129. - Welche die erste Instanz im nachstehenden Fall war, ist unklar. Vermutlich wurde das

144

Aus drei weiteren Aktennotizen des bischöflichen Sieglers wird deutlich, dass sowohl der Vintschgauer Erzpriester als auch der Engadiner Dekan kirchliche Strafen über Laien und Priester verhängten oder zumindest von diesen lossprachen.88 Laurencius Schu(o)chler, ein Bürger aus der Stadt Meran, schuldete 1516 dem Siegler des bischöflichen Gerichts 1 fl. und 22 Kreuzer für die besiegelte Zitation in seinem Appellationsfall und für die Absolution gewisser Zensuren, die der Erzpriester auf Betreiben seiner Gegner über ihn verhängt hatte.89 Von Nicolaus Serarard, der gleichzeitig Pleban in Zernez und Dekan im Engadin war, heißt es 1517 im Rechnungsbuch, er schulde dem Gericht Geld für die Absolution eines Laien.90 1524 notierte sich der Siegler, dass ihm jemand aus Schuls im Namen des geistlichen Herrn Wolffinus von Plant 4 fl. ausgehändigt habe. Dieser sei vom Erzpriester im Engadin suspendiert und exkommuniziert worden, weil er sich der lutherischen Sekte angeschlossen habe.91

3.

Rechtsprechung erzbischöflicher Offiziale

Die Bedeutung der metropolitanen Gerichte lag hauptsächlich darin, dass sie - neben den apostolischen Legaten - als Appellationsinstanz gegen Urteile der bischöflichen Chorrichter angerufen werden konnten. Doch sind Gerichtsurteile oder akten nur vereinzelt überliefert. Das gilt sowohl für das Offizialat in Besançon als auch for dasjenige in Mainz.92 Das ist der Hauptgrund, weshalb zum Thema keine Untersuchung vorliegt. Die allgemeine Literatur enthält nur verstreute Einzelhinweise. Relativ häufig sei im 15. Jahrhundert von Chur nach Mainz oder nach Rom appelliert worden, lautet die eine These.93 Nach der anderen, die ebenfalls für Chur

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93

bischöfliche Offizialat nicht als kirchliches, sondern als Berufungsgericht fur das hochstiftische Gebiet angegangen; DG 1/4, 1146: Dominicus Dotsch civis Curiensis ex Engadina onundus et sui litisconfertes tenentur pro iuribus iudicii in causa appellacionis inter ipsos et heredes Simonis Bonur de Zernetz vallis Engadine viiiß. R. Et fiterunt ipsi heredes Simonis Bonur appellantes et succumbantes in causa dictis Dominico et litisconfertibus appellatis triumphantibus in expensis condemnati [...] (1514 Mai 3). Nach dem kanonischen Recht absolvierte diejenige Instanz, die die Kirchenstrafe ausgesprochen hatte. Jedoch war es auch möglich, diesen Gerichtsakt zu delegieren. BAC: DG 1/4, 1134: pro sigillo citacionis et cause sue appellacionis et absolucionis certarum censuram per archipresbyterum vallis predicte ad instanciam sue adverse partium eiusdem cause appellacionis latarum. BAC: DG 1/4, 1067: Teneturplus iiii testonos pro absolucione Alberti Tschanoya laica inibì armata manu invasit citra tum aliquam lesionem. BAC: DG 1/4, 1082. Die Vermutung Clavadetschers, dass die Mainzer Bestände im Bayerischen Staatsarchiv in Würzburg Material zu Appellationsverfahren enthalten, erwies sich leider als unrichtig; O.P. Clavadetscher, Mainz, 322. 0 . Vasella, Reform, 19. Vasella belegt die Annahme nicht.

145

gilt, spielte das erzbischöfliche Gericht spätestens nach 1500 keine große Rolle mehr als Berufungsinstanz. Die Ursache liege in den politisch-mentalen Verhältnissen, dem eidgenössisch-schwäbischen Antagonismus. Der Schwabenkrieg von 1499 habe auch auf kirchenrechtlichem Gebiet die praktische Ablösung der Eidgenossenschaft vom Reich bewirkt.94 Eine neuere Arbeit über die geistlichen Gerichte im Bistum Eichstätt untermauert zwar die zweite Annahme, dass nur selten jemand nach Mainz appellierte, untergräbt aber gleichzeitig die gegebene Erklärung der Abspaltung insofern, als das Untersuchungsgebiet nördlich des Rheins liegt.95 Der Stellenwert der erzbischöflichen Rechtsprechung innerhalb des kirchlichen Rechtssystems wird für die beiden Diözesen Basel und Konstanz genauer bestimmt. Nur fur diese sind quantifizierbare Quellen vorhanden, nämlich die Urteilsbücher aus den Kanzleien des Basler und Konstanzer Konsistoriums aus den Jahren 1463-69 beziehungsweise 1514/15 und 1519-25. Wenn eine Partei Berufung gegen das Endurteil einlegte, hielten die Notare diesen rechtlichen Akt fest. Gertrud Adlerin und Nikiaus Lebar aus Roggenbeuren seien als Beispiel erwähnt. Sie klagte 1519, dass er ihr die Ehe versprochen, seine Zusage aber gebrochen habe. Der Konstanzer Offizial entschied, dass die Ehe rechtsgültig geschlossen worden sei, worauf der Beklagte seinen Prokurator anwies, nach Mainz zu appellieren.96 Da es sich bei den Quellen um serielle Bestände handelt, ist ihre Aussagekraft hoch zu veranschlagen, höher jedenfalls als die Auswertung gesiegelter Urkunden.97 Tabelle 8: Appellationen von Basel nach Besançon98 Jahr

Urteile insgesamt

Zahl der Appellationen

1463 1464 1465 1466 1467 1468 1469

77 76 55 73 73 40 81

3 4 2 3 2

Total 94

95

96 97

98

475(100%)

-

2 16 (3 %)

O.P. Clavadetscher, Mainz, 323. Clavadetscher stützt sich auf seine Urkundensammlung, die sich als Anhang in seinem Buch über die geistlichen Richter im Bistum Chur findet; Ders., Richter. I. Buchholz-Johanek, Richter, 143. Die Auswertung sämtlicher überlieferter Gerichtsurkunden des Eichstätter Offizialats aus den Jahren 1450-1500 ergab nur fünf Appellationen. EAF: Ha 126, fol. 38-38v. Für Basel vergleiche auch die gesammelten Urkunden aus der erzbischöflichen Kanzlei oder an dieselbe, beispielsweise StABS: städtische Urkunden, Nr. 2754; Klosterurkunden St. Peter, Nr. 131 la; Klosterurkunden St. Alban, Nm. 438, 439. StABS: Gerichtsarchiv AA 1. Die Berufungsinstanz wurde in vier Fällen nicht genannt.

146

Tabelle 9: Appellationen von Konstanz nach M a i n z " Jahr

Urteile insgesamt

1514 1515 1519 1520 1521 1522 1523 1524 1525

254 211 207 337 275 248 218 171 99

Total

2020 (100 %)

Zahl der Appellationen 11 14 7 13 24 27 17 17 9 139 ( 7 % )

Das Resultat ist eindeutig. Die verlierende Partei legte äußerst selten Berufung ein. Fünfzehnmal geschah das jährlich in Konstanz und in Basel noch seltener, nur zwei- bis dreimal im Jahr. In der Kanzlei des Basler Offizialats war offensichtlich nicht einmal der Name des Erzbischofs bekannt. Der Schreiber ersetzte ihn durch das anonyme 'n'. 100 Erklärungen für die niedrige Zahl von Berufungen gegen erstinstanzliche Urteile können nur vermutet werden, da die Gerichtsakten darüber bloß in ganz seltenen Fällen Hinweise enthalten. Der nächstliegende Grund ist, dass die Parteien mit dem Urteil des Chorrichters zufrieden waren. Fühlten sie sich jedoch dadurch beschwert und wollten dagegen appellieren, schreckten die hohen Verfahrenskosten vor einer zweiten Prozessrunde ab. Auch die große Distanz zwischen den Gerichtsorten konnte ein Problem sein, weil sie das Verfahren erschwerte und verlängerte und so nochmals verteuerte. 1468 ließ der Konstanzer Bischof die Richter des Mainzer Hofs wissen, dass eine von diesen zitierte Frau wegen der unsicheren und gefährlichen Wege nicht in Mainz erscheinen könne. Sie sollen, forderte er die Richter auf, einen Prälaten oder sonst einen erfahrenen Mann zu schicken, um das Verhör in der Diözese Konstanz durchzufuhren.101

99 100

101

EAF: Ha 126, Ha 127, Ha 330 i. Die Appellationsinstanz wurde in einem Fall nicht genannt. StABS: Gerichtsarchiv AA 1, fol: 537, 547, 602 u.ö.: ob reverenciam Reverendissimi in Christo patris et domini nostri domini Ν archiepiscopi Bisuntinensis. REC 4, Nr. 13477. Es handelte sich um eine Ehesache zwischen Heinrich Greilinger, Anna Rüterin und Anna Michlin. Der Offizial entschied, dass Anna Rüterin die rechtmäßige Ehefrau sei, wogegen Greilinger nach Mainz appellierte.

147

4.

Der Papst lässt Recht sprechen

Von einer Forschungslage zur päpstlichen Rechtsprechimg, insbesondere auch zur Bedeutung der Rota Romana fur die Diözesen Basel, Konstanz und Chur kann auch nicht annähernd die Rede sein. Doch nichts spricht dagegen, die Ergebnisse von Nikolaus Hilling zu verallgemeinern. Hilling untersuchte die in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts an der Rota geführten Prozesse, die die sächsischen Bistümer, vor allem die Diözese Hildesheim betrafen.102 In den meisten Fällen stritten sich geistliche Parteien um Pfründen. Jedes Jahr wurden etwa ein bis zwei Benefizialfalle in Rom entschieden. Eheprozesse hingegen kamen praktisch nie vor.103 Die Rechtsprechung der Rota Romana war fur die Laien, die in einer von Rom relativ weit entfernt liegenden Diözese wohnten, praktisch ohne jede Bedeutung. Konrad Anstein und seine Frau Elisabeth aus dem südlichsten Teil des Bistums Konstanz seien hier als seltene Exemplare vorgeführt. Sie übersprangen offenbar sämtliche Instanzen und brachten 1461 ihren Eheprozess, es ging um die Gültigkeit ihrer im Pubertätsalter geschlossenen Ehe, direkt nach Rom.104 Auch fur den niederen Klerus spielte der römische Gerichtshof kaum eine Rolle.105 Als „Bannwerfer des Antichrists" - wie es in der antiklerikalen Polemik der Reformationszeit hieß - nahm man eher von der päpstlichen Rechtsprechung Notiz.106 Doch oftmals kümmerte sich niemand um die päpstlichen Zensuren; zumindest solange nicht, wie die weltliche Obrigkeit der kirchlichen Autorität Widerstand entgegensetzte. Zehn Jahre lang blieb die Stadt Basel ab 1438 interdiziert. Aber die Strafen scheinen ohne Wirkimg geblieben zu sein, feierten doch die Priester weiterhin öffentlich die Messe.107 Ein Vierteljahrhundert später belegte der Papst die Stadt am Rheinknie wiederum mit dem Interdikt, weil sie duldete, dass ein Bischof - Andrea Zamometic aus Krain - Anstalten traf, hier ein allgemeines Konzil einzuberufen.108 Einem Damoklesschwert gleich hing ab 1482 die Interdiktsandrohung über der Stadt. Rat und Bürgermeister unternahmen Vieles, um die Zensur zu vermeiden. Man wartete ab, suchte das Gespräch, schickte Boten, schrieb Briefe an den apostolischen Gesandten, an die eidgenössischen Orte, an andere weltliche Herrschaften. Aber man schlug sich nicht einfach auf die Seite des kirchlichen Oberhauptes. Das Interdikt war die Folge der ergebnislosen städtische Suche nach einem Ausweg. Ein Kleriker beklagte sich zwar kurz danach, die 102 103 104 105

106

107 108

N. Hilling, Rota. Für die sächsischen Bistümer vgl. N. Hilling, Rotaprozesse. N. Hilling, Rota, 37-44. Ν. Hilling, Rotaprozesse, 196. REC 4, Nr. 12400. Der Papst delegierte den Fall an den Konstanzer Bischof. Ein Fall findet sich in den REC 4, Nr. 11992: Urteil der Rota in einem Rechtsstreit zwischen dem Abt von Weingarten und dem Pfarrer Jakob Imhof von Fronhofen wegen des Zehntbezugs zu Fronhofen. Vgl. Hans-Jürgen Goertz, „Bannwerfer des Antichrist" und „Hetzhunde des Teufels". Die antiklerikale Spitze der reformatorischen Bildpropaganda, in: Ders., Antiklerikalismus, 75-102, hier Anm. 43. Erwähnt bei J. Helmrath, Konzil Basel, 166. Urkundenbuch der Stadt Basel (Bd. 8), Nrn. 656, 658. Zu den Hintergründen und zum Ereignisverlauf vgl. A. Stoecklin, Konzilsversuch.

148

Strafe schmälere ihm die Einkünfte. Doch musste er kaum am Hungertuch nagen, denn bald scheint niemand mehr die Zensur beachtet zu haben.109 Zumindest in der Stadt selbst nicht, in der Nachbarschaft schon. Denn die Kirchenstrafen spalteten politische Freundschaften und trieben einen Keil zwischen Nachbarn. Als im Dezember 1484 der Basler Ratsherr Peter von Thann in die elsässische Stadt Mühlhausen ritt, um Geschäfte zu erledigen, erkannte ihn einer der Kapläne. Sofort begann der Geistliche das Interdikt zu verkünden. Der Gottesdienst hörte auf.110 Wie oft der Papst zum Mittel der Kirchenstrafen griff, um die kirchlichen Interessen durchzusetzen und mit dem geistlichen Schwert den Gehorsam zu erzwingen, ist unbekannt. Ob die päpstliche Exkommunikation - oder zumindest die Androhung - im Erfahrungshorizont jeder Generation fest verankert war, ist möglich, sogar wahrscheinlich. Die systematische Suche in Archiven und Quelleneditionen gestaltet sich aber zu aufwendig, um diese Annahme zu belegen.

4.1

Apostolische Legaten

Die Gerichtspraxis päpstlicher Gesandten in den Diözesen Basel, Konstanz und Chur ist in der Forschung weitgehend ein weißer Fleck. 1 " Dass das Konzil von Trient ihre umfangreichen Kompetenzen einschränkte, deutet darauf hin, dass die Legaten ihre Aufgaben wahrnahmen. In erster Linie scheint das aber eine - um es in der Sprache der Beamten zu sagen - strukturbereinigende und die Hierarchie straffende Zentralisierungsmaßnahme gewesen zu sein, da sich die Rechtsprechung der Gesandten in einzelnen Diözesen hemmend und hindernd auf die bischöfliche Jurisdiktion ausgewirkt hatte.112 Wie oft und welche Fälle die Legaten des Heiligen Stuhls in erster Instanz entschieden, ist unbekannt. Höchstwahrscheinlich waren es nur ganz wenige Prozesse. Zwei Belege erhärten diese Annahme. Zuerst deutet die Antwort auf die Frage, welcher sozialen Schicht die Personen angehörten, die ihr Recht zuerst beim Legaten suchten, in diese Richtung. Waren es die Bäuerin und ihr Mann aus einem kleinen Weiler auf der Schwäbischen Alb? Oder war es nicht so, dass vor allem der Adel sich an den Legaten wandte, um so das 'bürgerliche', nicht standesgemäße Offizialat zu umgehen und die ständische Hierarchie zu wahren? Für letzteres 109 110 111

112

C. Wirz (Hg ), Regesten 4, Nr. 687. A. Stoecklin, Konzilsversuch, 185f. Vgl. auch ebd., 138. Einzelne Hinweise auf die Tätigkeit apostolischer Gesandter finden sich in gedruckten Quellen- und Regestensammlungen; vgl. beispielsweise REC 3, Nrn. 9358, 9531, 9649, 9712; REC 4, Nm. 13798, 13877, 13975, 14175; REC 5, Nrn. 14848, 14877, 15281. Eine Ausnahme bildet die Arbeit von R. Wackernagel, Mitteilungen. Sie listet regestartig die Rechtsakte des Gesandten Raymundus Peraudis auf, der um 1500 in Basel weilte. K. Walf, Entwicklung, 23.

149

spricht folgendes Beispiel: Der päpstliche Legat Philipp erteilte 1466 Graf Eberhard von Württemberg und Markgräfin Elisabeth von Brandenburg, die wissentlich im dritten Grad verwandt waren, eine Ehedispens.113 Beispiele dafür, dass auch nichtadlige Laien sich in derselben Absicht an diese Instanz wandten, lassen sich nicht erbringen. Ihre Spuren finden sich nur in den konsistorialen Urteilsprotokollen, sofern sie gegen die chorgerichtlichen Entscheide appellierten. Die Auswertung dieser Fälle ist der zweite Beleg für die Annahme, dass die Rechtsprechung der Legaten unbedeutend war. Die folgenden zeigen, wie oft eine Partei maximal114 gegen ein vom Basler oder Konstanzer Offizial gefälltes Urteil nach Rom oder eben an den Gesandten Berufung einlegte. Für Konstanz wurden 2020 Urteile und für Basel immerhin 475 Sentenzen daraufhin geprüft.

Tabelle 10: Appellationen von Basel an die Kurie

Jahr

Urteile insgesamt

Zahl der Appellationen

1463 1464 1465 1466 1467 1468 1469

77 76 55 73 73 40 81

1 3

Total

113 114

475 (100 %)

-

1 1 -

2 8 (2 %)

REC4, Nr. 13263. Exekutor war der Generalvikar. - Ähnlich auch Nr. 12318. Aus den Quellen kann genau genommen nur herausgelesen werden, ob die erste Appellationsinstanz das erzbischöfliche Gericht war oder nicht. Wenn dies nicht der Fall war, heißt es: ad [...] sanctam sedem apostolicam vel eiusdem sedis legatuum provocavit et appellerait-, EAF: Ha 127, fol. 198v. Die 53 bzw. 8 Appellationen stellen deshalb die höchstmögliche Zahl von Fällen dar, die Legaten beurteilten. - War der apostolische Stuhl die Berufungsinstanz, standen dem Papst zahlreiche Möglichkeiten offen, den Fall zur Entscheidung zu delegieren, beispielsweise an einen bischöflichen Offizial, sogar an denselben, der in erster Instanz geurteilt hatte. StABS: Gerichtsarchiv AA 9, 205ff. [eigene Paginierung]. Eine Appellation in einem Ehefall, den in erster Instanz der Konstanzer Offizial entschieden hatte, delegierte der Papst an den Abt von Weingarten; dieser subdelegierte den Prozess an einen sich im Bistum aufhaltenden Bischof; C. Wirz (Hg ), Regesten 6, Nr. 916.

150

Tabelle 11 : Appellationen von Konstanz an die Kurie Jahr 1514 1515 1519 1520 1521 1522 1523 1524 1525 Total

Urteile insgesamt 254 211 207 337 275 248 218 171 99 2020 (100 %)

Zahl der Appellationen 4 3 3 8 8 8 12 6 1 53 (3 %)

Als Appellationsrichter waren die Gesandten beinahe arbeitslos. Auf das Jahr umgerechnet entschieden sie in Basel höchstens einen Prozess, in Konstanz waren es sechs Fälle.115 Aus dem Bistum Chur sind noch weniger, nämlich nur gerade zwei Appellationen in beinahe tausend Eheprozessen bekannt. Johannes Marti aus Scharans appellierte 1515 in einem Ehefall ad sedem apostolicam.nb Ebendies taten 1517 auch Elsa Krammer und Johannes Krammer der Jüngere aus Chur in einem Scheidungsfall wegen Ehebruchs.117 Die den Gerichtsakten entnommenen Berufungen vervollständigen die Hinweise in der Literatur. Gegen fünfzehn von insgesamt 27 bekannten Urteilen aus der Zeit zwischen 1496-1526 sei nach Rom appelliert worden. Nicht Mainz, sondern Rom sei spätestens nach 1514 gewöhnlich die zweite Instanz gewesen.118 Aber das Sample wird damit nur unwesentlich umfangreicher. Die Gründe dafür sind dieselben, die im Kapitel über die Rechtsprechung der erzbischöflichen Offiziale aufgezählt wurden. Die Parteien waren mit dem erstinstanzlichen Urteil zufrieden, kirchliche Prozesse kosteten die Rechtssuchenden ein Vermögen, und der Weg zur Berufungsinstanz war weit, gefahrvoll und kostspieHgWie teuer eine Appellation nach Rom sein konnte, zeigt das Beispiel Johannes Krammers des Jüngeren aus Chur. 5 fl. hatte er schon als Strafe wegen Ehebruchs 115 116 117

118

In fünf Fällen - vier aus Basel, ein Fall aus Konstanz - wird die Appellationsinstanz nicht genannt. BAC: DG 1/3, 847. BAC: DG 1/4, 1150, 1156; vgl. auch DG II, 18. - Möglicherweise ein dritter Fall in DG 1/4, 1165. Die Appellationsinstanz wird in der Notiz jedoch nicht genannt. O.P. Clavadetscher, Mainz, 322f. Hier auch weiteres Zahlenmaterial für das 15. Jahrhundert, das allerdings wenig aussagekräftig ist, da nur noch ein Dutzend Urkunden des geistlichen Gerichts erhalten ist.

151

zu bezahlen. Hinzu kamen nochmals 5 fl. für das Siegel des Registers, das das Chorgericht an den Heiligen Stuhl weiterleitete.119 Bedenkt man, dass ein Knecht des bischöflichen Hofs um 1500 ein Jahresgehalt von zwischen 8-10 fl. in bar erhielt, dann wird deutlich, wie tief man die Tasche greifen musste, um nach Rom, Mainz oder Besançon zu appellieren.120 Für die meisten Personen war eine Berufung schlechtweg unbezahlbar.

4.2

Konservatoren sprechen Recht

Vermutlich traten römische Konservatoren in der Regel nur fallweise zusammen, wenn jemand kirchliche Privilegien und Freiheiten verletzte. Deshalb waren sie nicht auf einen ständigen Gerichtshof angewiesen, wo die wichtigen Schriftsätze der Prozesse hätten archiviert werden können, wie das bei den bischöflichen Offizialaten der Fall war. Das legen die Gerichtsakten und -urkunden aus der Diözese Basel nahe, die vergleichsweise zahlreich überliefert sind.121 Johannes Ner zum Beispiel entschied 1457 als iudex et conservator iurium, privilegiorum et causarum einen Streit um jährliche Abgaben zwischen dem in Kleinbasel, also in der Diözese Konstanz gelegenen Dominikanerinnenkloster Klingental als Kläger und dem Laien Konrad Ratz, der in einem nicht genannten Dorf ebenfalls in der Diözese Konstanz wohnte.122 Oder: Der Offizial des bischöflichen Hofs zu Basel, Laurentius Krön, urteilte 1463 als päpstlicher Konservator in einem Streit zwischen den Augustinern in Mühlhausen und dem beklagten Ritter Johann Knöringer um „possesß und gewër" an fünfviertel Korngeld.123 Ein besonders spektakulärer und weite Kreise ziehender Fall konservatorialer Rechtsprechung, der überdies außergewöhnlich gut dokumentiert ist, ereignete sich 119

120 121

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BAC: DG 1/4, 1156: Tenetur plus quinqué fl. pro sigillo registri in causa appellationis inter iamdictas partes interpositi ad curiam Romanam pro parte sua. BAC: BAh 48'480/491 (Bd. 1480-1491. StABS: Gerichtsarchiv AA 8-9. Prosopographische Daten zu Ner und Krön bei W.D. Wackernagel, Offizialat, 249f. Zu Ner vgl. auch die biographische Skizze in R. Wackernagel, Geschichte II/2, 824f. - Die Urteile, die für die Jahre zwischen 1455-60 möglicherweise vollständig erhalten sind, wurden in der Kanzlei des Offizialats geschrieben. Der bischöfliche Richter siegelte mit dem Siegel des Konsistoriums: „Geben under unserm ingesigel, so wir uns in den bebstlichen gerichten gebruchen, gehenckt an disen brieff"; StABS: Gerichtsarchiv AA 9 (erstes eingelegtes Blatt zu Beginn des Bandes). StABS: Gerichtsarchiv AA 8, 37f. [eigene Paginierung]. In der Abschrift heißt es über den Streitgegenstand: super censibus annuis rebusque aliis. Diese offene Formulierung findet sich in sämtlichen Urteilen sowohl derjenigen der Konservatoren als auch der Offiziale. Sie war von verfahrensrechtlicher Bedeutung insofern, als sie der klagenden Partei die Möglichkeit offenließ, eine konkrete Klage nachzureichen und im selben Verfahren entscheiden zu lassen, ohne einen neuen Prozess anstrengen zu müssen. StABS: Gerichtsarchiv AA 9, 67-70 [eigene Paginierung].

152

kurz nach dem Konzil von Konstanz südlich des Bodensees. Die Appenzeller Holden des Klosters St. Gallen verweigerten ihrem Herrn die Abgaben.124 Der Abt versuchte zuerst auf gütlichem Weg eine Einigung zu erzielen, wandte sich aber, als die Verhandlungen stockten, an den Konstanzer Offizial und bat um rechtliche Hilfe. Dieser griff auf das Konservatorium über die sogenannte Karolina zurück, einer Sammlung von Privilegien Karls IV., die das Konstanzer Konzil 1416 Bischof, Domkapitel und dem Klerus der Diözese Konstanz ausgestellt hatte. Sie diente als Grundlage für Exekutionen im ganzen Bistum. Davon verschaffte er dem St. Galler Abt ein Abschrift. Die Bulle bestimmte als Exekutoren die Bischöfe von Basel und Lausanne sowie den Abt des Schottenklosters von außerhalb der Mauern von Konstanz,125 die die Ausführung aber an den Domscholaster in Speyer subdelegierten. Dieser erließ 1426 ein scharfes Mandat gegen die Appenzeller. Er forderte sie auf, sich innerhalb von dreißig Tagen entweder dem Spruch zu unterwerfen oder Einwände dagegen vorzubringen. Die Gotteshausleute zeigten sich willig zu verhandeln und schlugen einen Termin vor. Doch da der Domherr im fernen Speyer offenbar nichts von der Verhandlungsbereitschaft vernommen hatte, handelte er sofort nach Ablauf der Frist. Im Frühjahr 1426 belegt er die Appenzeller Landleute wegen ihrer unverbesserlichen Hartnäckigkeit mit dem Bann. Das Ereignis schlug unvorhersehbar hohe Wellen. Nicht nur sämtliche politischen Macht- und kirchlichen Würdenträger in den Territorien rund um den Bodensee wie die Reichsstädte zum Beispiel, die Eidgenossen, die schwäbische Ritterschaft mit St. Jörgenschild und andere Adlige sowie mehrere Bischöfe befassten sich damit, sondern auch der Reichstag, der Kaiser und ein päpstlicher Legat. 1427 rief die Kirche sogar zum Kreuzzug gegen die Appenzeller auf. Diese ihrerseits versammelten sich, wie ein Chronist berichtet, zur Landsgemeinde und bestimmten mit großem Mehr, dass sie nicht im Bann sein wollten. Das hieß aber nicht, klein beizugeben und dem Abt die Abgaben zu liefern, sondern Jagd auf die Priester zu machen, die sich weigerten, die Sakramente zu spenden und die Toten zu beerdigen.126 Drei Jahre später, am 27. April 1429, nachdem das erste Bannmandat mehrmals wiederholt und verschärft worden war, absolvierte der Augsburger Bischof die Gotteshausleute, da diese sich bereit erklärt hatten, ihren Verpflichtungen gegenüber dem Abt nachzukommen.127 Ein paar wenige Fällen konservatorialer Rechtsprechung konnten vorgestellt werden. Ob es sich um eine fragmentarische Überlieferung handelt, oder die Gerichte 124

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127

Der Hintergrund und der Ereignisverlauf bei W. Schläpfer, Freiheitskriege. Zur rechtlichen Einordnung wichtig P. Johanek, „Karolina de ecclesiastica libertate", 816ff. AUB (Bd. 1), Nr. 447. Joachim von Watt, Deutsche Historische Schriften (Bd. 1), hg. v. E. Götzinger, St. Gallen 1875, 526, 563. Untersuchungen zur zeitlichen Dauer von Kirchenstrafen fehlen fest völlig. Für das ostelbische Gebiet ist heranzuziehen 0 . Dix, Interdikt, 48f. In etwa 60 % aller Fällen, wo Anfangs- und Endtermin des Interdikts bekannt sind, dauerte die Strafe länger als ein Jahr.

153

tatsächlich nur selten aktiv waren, lässt sich beim gegenwärtigen Stand der Forschung nicht sagen.128 Die Konstanzer Synodalstatuten von 1438 erwähnen, dass die fremden Gerichte, ausdrücklich wurden auch Konservatorialrichter genannt, unter den Pfarrgenossen {subditi) Anlass zu Klagen gegeben hätten.129 Aber dahinter steckt vielleicht auch die bischöfliche Strategie, den fremden Gerichten in seinem Sprengel sowenig Spielraum wie möglich zu geben. Diese Interpretation kann auch auf die Kritik gegen die Richter der Konservatorien übertragen werden, die sich 1503 in den Synodalstatuten des frisch gewählten Basler Bischofs Christoph von Utenheim findet. Sie überschritten, heißt es hier, oftmals ihren zuständigen Rechtsbereich und beschwerten die Gläubigen (subditi) zu Unrecht (indebite) mit Ladungen, Mahnbriefen sowie Zensuren. Diese seien überdies noch unsorgfaltig und unklar geschrieben, wodurch den Pfarreigenossen zusätzlich hohe Kosten und Geldstrafen (graves expensas et damna) entständen. Deshalb rief er ihnen ihre begrenzten Kompetenzen in Erinnerung. Indem er überdies auf die dekretalenrechtliche Bestimmung Provide attendentes aus den Extravagantes hinwies, unterstrich er das Verbot, das Interdikt wegen Geldschulden zu verhängen.130 Doch Quantität ist nur ein, wenn auch wichtiger Punkt. Wie das Beispiel der widerspenstigen Appenzeller zeigt, konnte ein einziger Fall ungeahnte Folgen der schwerwiegendsten Art haben. Solche breitenwirksamen Ereignisse waren aber Ausnahmen. Das kann aus der fehlenden Überlieferung geschlossen werden. Denn irgendeine Quellengattung, sei es eine Chronik, eine Urkunde oder eine Akte, überlieferte immer solche denk- und erinnerungswürdigen Ereignisse.131 Nach dem Kriterium des Umfangs der Rechtsprechimg war nur ein Konservatorialgericht von Bedeutung, dasjenige der Stadt Basel, das - vermutlich mit einigen Unterbrechungen - zwischen 1484-1525 aktiv war.

4.3

Kirchliche Richter schirmen die Stadt Basel

Was lässt sich über die Tätigkeit und Bedeutung der städtischen Konservatorie fur die Laien um 1500 aufgrund der Quellen sagen, das über die vorhin zitierte Klage des Bischofs hinausgeht? Angesichts der Tatsache, dass das römische Gericht über einen ständigen Gerichtshof mit fest besoldeten Beamten verfugte, erstaunt die 128

129 130

131

Weitere Fälle konservatorialer Jurisdiktion aus dem Bistum Konstanz, in die Laien verwickelt waren, in REC 4, Nrn. 10125, 10161, 10617, 10689, 12591, 12987 etc. Zwei Fälle aus dem Bistum Chur in J.G. Mayer, Geschichte (Bd. 1), 441 f., 461. K. Brehm (Hg.), Geschichte 23 (1905), 93. J. Hartzheim - J.F. Schannat (Hgg.), Concilia Germaniae VI, 2-29, hier 14. - Gemeint ist eine Dekretale Bonifaz VIII.; CIC: Extrav comm. 5.10.2. Vgl. für die Innerschweiz den Hinweis bei P. Blickle, Antiklerikalismus, 116.

154

spärliche Quellenüberlieferung.132 Eine einzige Akte ist erhalten, die auf die Frage wenigstens eine Teilantwort gibt. Es handelt sich um die Rechnungslegung des Schreibers Nikiaus Haller aus den Jahren 1514-16. 1516 forderte die Stadt Basel vom Notar des päpstlichen Gerichts, der gleichzeitig ihr Ratsschreiber war, Einblick in die Sportein.133 Haller kam der Forderung nach. Seine Rechnung beginnt mit dem Jahr 1514, als Johannes Spyrer, „der alle brieff hynder im hat", zum Prokurator bestellt wurde.134 Die Einnahmen setzten sich aus den Siegelgebühren für die Briefe, die das Gericht während der drei Jahre bis 1516 verschickt hatte, sowie aus den Prozesskosten zusammen. Innerhalb dieser Zeitspanne seien den Richtern insgesamt 68 lb. 4 ß. 2 d. für das Siegel zugefallen, ihm selbst ebenso viel. Wie hoch die Einkünfte des Prokurators waren, konnte der Notar nicht sagen. Wie viel jener dem Richter und dem Notar ablieferte, beruhte nicht auf einer sorgfältigen, von allen betroffenen Personen einseh- und nachvollziehbaren Buchführung des Prokurators über seine Einnahmen, sondern allein auf dem ihm entgegengebrachten Vertrauen in seine korrekte Amtsführung.135 Die Summe lässt sich in einzelne Summanden zergliedern:

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D. Bruckner, Fortfuhrung, 46, weist auf „unzehliche merkwürdige Instrumente" hin, die in dieser Kurie abgeschrieben und vidimiert worden seien. Wo diese geblieben sind, ist unbekannt. StABS: Justiz-Akten Q 2. Erwähnt bei R. Wackernagel, Geschichte II/2, 731. - Der Notar Nikiaus Haller war gleichzeitig an zwei Kurien tätig. Vgl. die Belege im Urkundenbuch der Stadt Basel (Bd. 9), Nr. 215 (1497 November 3). Die Urkunde ist unterschrieben mit Nicolaus Haller alias Leonhardi de Massmunster nolarius diete curie Basiliensis collateralis juratus hec audivit et subscripsit. Vgl. ebd., Nm. 224 (1498 Mai 21), 248 (1500 April 2), 251 (1500 Juni 16), 284 (1502 Mai 25), 328 (1505 November 10), 369 (1510 September) Vgl. auch Nr. 394 (1512 Oktober; die Urkunde ist unterschrieben mit „Nie. Haller von Massmunster, ein clerick Bassler bistumbs, von babstlichem und keyserlichem gewalt ein offner und der [...] hochen schull ze Basel ein geswomer notarius". Zur Person vgl. auch P.-J. Schuler, Notare, Nr. 491. Johannes Spyrer war vorher oder vielleicht auch gleichzeitig Prokurator und Briefbote des Konsistoriums; vgl. Urkundenbuch der Stadt Basel (Bd. 9), Nr. 284 (1502 Mai 25). „Und hatt Johannes Spirer das gelt uss den brieffen hynder im gelegen allwegen ingenommen und davon den richtem und mir unserm geburenden teil [...] uberantwurtet und im selbs behalten sinen teil, der im zugehört, wievil sich aber der jerlichen gelouffen, hab ich dheyn wissen;" StABS: Justiz-Akten Q 2. - Aufgrund des in der Gerichtsordnung angegebenen Verteilerschlüssels der einzelnen Einnahmeposten kann davon ausgegangen werden, dass das Einkommen des Prokurators kleiner als dasjenige der anderen Beamten war.

155

Tabelle 12: Einnahmen des Konservatoriums der Stadt Basel (1514-16) Jahr

Empfänger,136

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Richter Notar Richter Richter Notar Richter Richter Richter Notar Notar Notar

1515

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Sporteln 211b. 21 lb. 41b. 71b. 11 lb. 41b. 101b. 21 lb. 41b. 101b. 21 lb.

13 ß. 9 d. Siegelgebühren 13 ß. 9 d. Siegelgebühren Siegelgebühren 10 ß. 5 d. Siegelgebühren 10 ß. 11 d. Siegelgebühren Prozessgebühren Siegelgebühren Siegelgebühren Schreiberlohn Schreiberlohn Siegelgebühren

Die Kontrolladdition zeigt, dass sich die Gesamteinnahmen aus den Siegelgebühren für die Richter auf 64 lb. 3 ß. 14 d. und nur für den Notar auf 68 lb. 3 ß. belaufen. Offenbar zählte Haller die Prozessgebühren zu den Einnahmen aus dem Siegel. Die Abrechnung des Notars ist gleichermaßen unvollständig wie - für moderne Ansprüche - unbefriedigend; unvollständig, weil die Einnahmen des Sachwalters nicht verzeichnet sind, unbefriedigend, weil nichts über den Inhalt der ausgegangenen Briefe gesagt wird. Waren es vorwiegend Ladungen? Wie viel nahm das Gericht aus Bann- oder Mahnungsbriefen ein? Darauf kann keine Antwort gegeben werden. Die bekannten Fakten bilden aber eine genügend große Basis, um wenigstens ein hypothetisches Rechenbeispiel durchzuführen. Das ist mehr als bloßer Zahlenzauber. Denn daurch kann eine quantitative Vorstellung vom Briefausgang des päpstlichen Konservatoriums gegeben werden. Ausgerechnet werden soll die höchstmögliche Zahl der Zitationen. Die Prämissen lauten: Das Gericht verschickte nur Ladungen und nahm dafür immer die festgesetzten 7 Rappen ein; drittens lieferte der Prokurator den Statuten gemäß seine Einnahmen ab, und viertens ist die vom Notar zusammengerechnete Gesamtsumme von zweimal 68 lb. 4 ß. 2 d. richtig. Um das Rechenexperiment korrekt auszuführen, muss man natürlich den Verteilerschlüssel für die Einnahme eines Ladungsbriefs kennen: „Zum ersten soll ussgan ein citatz, die soll kosten siben rappen, davon gehert an das insigel iii d., dem notarien iii d., dem sollicitor ii d. und dem latori vi d.", heißt es in den Statuten.137 Daraus folgt: 136 lb. 8 ß. 4 d. oder umgerechnet zwischen 27364-34204 d. betru136

137

Nur die Richter und der Notar werden erwähnt. Laut den Statuten besoldete das Gericht aber auch einen Anwalt, dem ebenfalls ein Teil der Einnahmen aus den Briefgebühren zustand. Vermutlich gab es ihn nur auf dem Papier. StABS: Justiz-Akten Q 2.

156

gen die Einkünfte der Richter und des Notars aus den Siegelgebühren. Beide verdienten zusammen 6 d. pro Zitation. Aufgrund dieser Berechnungsgrundlage konnten also während drei Jahren maximal 5700, mindestens aber 4560 Zitationen verschickt werden. Anders formuliert: Das römische Gericht verschickte täglich mindestens vier Ladungsbriefe. Natürlich ist das Beispiel reine Theorie. Doch fuhrt es plastisch vor Augen, wie groß die Arbeitslast der Beamten war oder, aus der Sicht der Geladenen, die enorme Zugriffsintensität der Instanz. Die Befürchtungen Daniel Sweglers, eines Notars am bischöflichen Hofgericht, dass dadurch die Einnahmen des Offizialats geschmälert würden, waren berechtigt.138 Das Basler Schirmgericht war eine höchst aktive, im Alltag der Menschen der näheren Umgebung stets gegenwärtige Behörde. Das bekam auch Konrad Stürzel von Buchheim zu spüren, ein Landadliger und Hintersasse der Stadt Freiburg. 1515 lud der Basler Bürger Clemens Keller genannt Klämlin ihn wegen einiger Schulden vor den päpstlichen Richter. Daraufhin setzte sich die Stadt Freiburg für ihren Rechtsgenossen ein. Mit welchem Erfolg ist unbekannt.139 Das Beispiel belegt gleichzeitig, dass das städtische Konservatorialgericht ein Schuldgericht war, das von Baslern angerufen wurde, um Schuldner, die im Bistum Konstanz wohnten, gerichtlich zu belangen.140

4.4

Konziliare Rechtsprechungsakte

Analog zur Rechtsprechung des päpstlichen Gerichtshofs entschied die konziliare Rota hauptsächlich Benefizialprozesse. Zumindest war das auf dem Basier Konzil der Fall.141 Da es sich um verwaltungsinterne Streitigkeiten der Kirche handelt, interessieren sie hier jedoch nicht. Das Gericht war selten in streitigen Fällen aktiv, in die Laien verwickelt waren. Zwei Fälle fand ich bis jetzt: Ein von der Basler Synode 1434 bestellter Richter urteilte in einem Zehntstreit zwischen dem Kir138

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141

AAEB: A 85/34: „Item so denck ich, unnd bin nit der eltst am hoff, das alle closter am hoff procedierten, unnd dz sigel ein nutz hat, wurd als yetz gezogen uff sant Petersberg, und mit bäbstlichen gericht volfurt unnd so vil procesß, dz mann sy mu(o)ß trucken, mag kein nutz bringen, sondern schaden dem sigel." Das Aktenstück, das den Titel trägt „Mins g. Herrn nutz am gericht und sigel", ist undatiert. A. Rosenkranz, Bundschuh 1, 270 Anm. 1. Ein weiteres Beispiel findet sich bei A. Rosenkranz, Bundschuh 1, 273 Anm. 1. - Fälle, die zeigen, dass die Schirmrichter auch gegen Schuldner aus der Diözese Basel vorgingen, habe ich bisher nicht gefunden. J. Helmrath, Basler Konzil 39, 188-193. Der einzige bisher bekannt gewordene, vom Konzil öfter delegierte Richter war Johannes Ner, der Propst von St. Peter zu Basel, der dieses Amt mindestens in den Jahren 1457/58 ausgeübt haben soll; vgl. W.D. Wackemagel, Rezeption, 11. - Zur Rechtsprechung des Konstanzer Konzils fand ich in der Literatur nur einen Hinweis: Hans Kaiser, Die Konstanzer Anklageschrift von 1416 und die Zustände im Bistum Strassburg unter Bischof Wilhelm von Diest, in: ZGO Neue Folge 22 (1907), 387-455.

157

chenherrn zu Schwyz und dem Ritter Christof von Silenen.142 1436/37 stritten sich vor dem Konzil die Stadt Zürich und das Haus Habsburg um Leibeigene von Walenstadt.143 Wenn überhaupt scheint das Gericht für die Laien und Geistliche in Straffallen von Belang gewesen zu sein. Die in den Lehrbüchern vertretene Meinung, dass die Strafgewalt des Konzils praktisch bedeutungslos gewesen sei, widerlegen die wenigen Beispiele aber nicht.144 Das Konzil von Basel belegte 1434 die Domherren von Konstanz mit dem Bann, da sie sich weigerten, eine ihnen nicht genehme Person als Domherrn aufzunehmen. In der Folge wurde die Stadt Konstanz mit dem Interdikt belegt und blieb vom 25. September bis zum 5. Dezember auf Befehl des Bischofs innerhalb der Ringmauern „ungesungen", wie es in der Quelle heißt.145 Ein zweiter Fall konziliarer Rechtsprechung ist aus dem Jahr 1446 überliefert: Gegen die Einwohner der im Sundgau (Bistum Basel) gelegenen Pfarreien St. Amarin, Öderen und Mollau sprach das Konzilsgericht die Exkommunikation aus, weil sie sich geweigert hatten, dem Chorherrenstift Thann den Zehnt abzuliefern.146

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REC 3, Nr. 9631. Der Ritter musste den Zehnt zurückgeben und 23 Goldgulden als Entschädigung für die Prozesskosten bezahlen. Wilhelm H. Ruoff, Die Zürcher Räte als Strafgericht und ihr Verfahren bei Freveln im 15. und 16. Jahrhundert (Diss, jur), Zürich 1941, 14 Anm. 2. W.M. Plöchl, Kirchenrecht II, 330. REC 3, Nr. 9608. - Aber erst am 13. März 1435 wurden sämtliche exkommunizierte Personen absolviert; vgl. REC 3, Nr. 9643. Lucien Pfleger, Untersuchungen zur Geschichte des Pfarrei-Instituts im Elsass. III. Die Einkommensquellen, in: Archiv fur Elsässische Kirchengeschichte 8 (1933), 1-118, hier 58. Ein drittes Beispiel bei A. von Castelmur, Versuch, 100. - Weitere Urteile der Konzilsgerichte, die jedoch nur geistliche Personen oder Institutionen betrafen in: REC 3, Nrn. 8484, 8520, 8535 (Konstanzer Konzil) und REC 3, Nr. 9623 (Basler Konzil). Vgl. auch den bei Muther geschilderten Fall: Die Rostocker veijagten 1428 ihre Bürgermeister. Diese sorgten dafür, dass das Reich die Acht und Aberacht über die Stadt ausrief. Die mit der Exekutive beauftragten Fürsten zögerten, worauf die Veijagten bei der römischen Kurie klagten. Die Rostocker Bürger wiederum appellierten gegen das päpstliche Urteil ans Basler Konzil, das den Fall an einen Richter delegierte. Als sich die Bürgerschaft seinem Urteil nicht beugte, wurde sie interdiziert; Theodor Muther, Römisches und canonisches Recht im deutschen Mittelalter, in: Ders., Zur Geschichte der Rechtswissenschaft und der Universitäten in Deutschland. Gesammelte Aufsätze, Jena 1876 [Nachdruck Amsterdam 1961], 1-37, hier 25f.

158

II. Hauptschauplatz: Das Forum der bischöflichen Offiziale

I. Methodische Vorbemerkungen Sämtliche Resultate der folgenden Kapitel beruhen auf der quantifizierenden Auswertung von Gerichtsakten und -urkunden. Da nur selten Rohdaten, sondern hauptsächlich Endergebnisse geliefert werden, soll hier der Prozess der Erkenntnisgewinnung offengelegt und problematisiert werden. Vor allem drei Probleme mussten gelöst werden. Das erste bestand darin, ein geeignetes Kriterium zu finden, um die Datenmasse begrifflich zu strukturieren und zu standardisieren (a.). Das zweite betraf die unterschiedlichen Quellengattungen, die mit derselben Methode bearbeitet und an die dieselben Fragen gestellt wurden (b.). Das dritte Problem bezog sich auf die Überschneidung straf- und zivilrechtlicher Elemente in einem einzigen Gerichtsfall (c.). a. Die meisten Kapitel enthalten mindestens zwei Tabellen. Die eine ordnet die Daten nach dem Jahr, in dem der Richter die Urkunde ausstellte oder der Schreiber die Aktennotiz schrieb; die andere schlüsselt die Quellen nach dem Inhalt des Prozesses auf. Anders als die chronologische stellt die inhaltliche Erfassung ein Problem dar, zumindest im ersten Kapitel über die Ehefalle. Das Urteil kann nämlich materielle Aspekte oder Argumente enthalten, die in der Klage fehlen, da sie erst im Lauf des Verfahrens wichtig wurden. Ein Beispiel verdeutlicht das. Am 20. September 1521 entschied der Chorrichter in Konstanz einen Eheprozess zwischen Anna Schmidin aus Goldach, der Klägerin, und Hainrich Lutz aus dem benachbarten Dorf Thal.147 Anna Schmidin wollte Hainrich Lutz, mit dem sie ein Kind gezeugt zu haben behauptete, als Ehemann zugesprochen erhalten. Im Fall der Nichtanerkennung klagte sie auf finanzielle Entschädigung wegen ihrer verlorenen Jungfräulichkeit sowie auf Anerkennung des Kindes, forderte Alimente und die Rückerstattung der Kosten des Kindbetts. Der Beklagte argumentierte, dass zwischen ihm und der Klägerin wegen eines impedimentum ajfinitatis keine rechtsgültige Ehe möglich sei und begehrte, von der Anklage freigesprochen zu werden. Daraufhin forschte der Richter nach. Wie in solchen Fällen üblich, ließ er in den betroffenen Pfarreien ein Edikt verlesen, das allfällige Zeugen aufforderte, ihr Wissen dem Richter oder einem Kommissar mitzuteilen. Das Urteilsprotokoll verzeichnet, dass der Kommissar eine gewisse Zahl solcher Verhöre durchführte. Auf dieser Grundlage urteilte der Richter, dass das Hindernis der Schwägerschaft aus-

147

EAF: Ha 126, fol. 236-236v: super matrimonio, flore, recognitione et alitione prolis quam formidebat concepisse et expensis puerpera. - Beide Dörfer liegen im heutigen Kanton St. Gallen in der Schweiz.

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reichend bewiesen und zwischen den Parteien keine Ehe möglich sei. Der beklagte Hainrich Lutz sei von der Eheklage loszusprechen.148 Wird dieser Prozess nach dem Kriterium „Klageinhalt" kategorisiert, verschwindet das Ehehindernis aus der Statistik. Würden die Ehefalle aber nach dem Kriterium „Urteilsinhalt" erfasst, taucht das Eheversprechen nicht auf. Das Dilemma wird pragmatisch gelöst, indem allein die Klageinhalte als Kategorie gewählt wurden, um die Daten tabellarisch aufzubereiten. Das ist damit zu rechtfertigen, dass sich das Problem verhältnismäßig selten stellt. b. Die zweite Schwierigkeit ist terminologischer Art und hängt damit zusammen, dass die ausgewerteten Quellen unterschiedlichen Zwecken dienten. Die Sentenzenbücher enthalten ausschließlich Urteile, die aufgrund der juristischen Ausbildung der Richter und der weitgehend standardisierten inhaltlichen und formalen Textgestaltung sich auch dann ähneln, wenn sie aus verschiedenen Kanzleien stammen. Anders das Aktenmaterial, insbesondere die Rechnungsbücher, die fur die Bistümer Basel und Chur überliefert sind. Der Inhalt der Klage spielt in diesen Akten eine unbedeutende Rolle. Dem Schreiber war wichtig zu wissen, welche Person dem Gericht wie viel Geld schuldete. Katherina, die Tochter Peter Scainas aus St. Moritz, notierte zum Beispiel der Siegler des Churer Offizialats 1498 in sein Rechnungsbuch, schuldet 2 fl. aus einem Eheprozess zwischen ihr und Nutt Sarrot.149 Wie ist es methodisch vertretbar, diese Aktennotizen, die nur sehr allgemeine Angaben über den Inhalt einer Klage liefern, mit demselben Kriterium zu quantifizieren wie die 'gesprächigeren' Urteilsprotokolle? Einmal deshalb, weil sämtliche Fälle von Ehehindernissen als solche benannt wurden, wobei der Schreiber immer anmerkte, um welches Hindernis es sich handelte; dann, weil es, wenn auch sehr selten, möglich ist, den Klageinhalt über das Urteil zu erschließen; drittens aus der Vorkenntnis der kirchenrechtlichen Normen und der sich daraus ergebenden praktischen Probleme, die sich auch in anderen Bistümern nachweisen lassen. Das ist der wichtigste Punkt. Mit Hilfe des Vergleichs von Akten und Urkunden verschiedener Kanzleien lassen sich derartige knappe Hinweise verstehen. Auf zwei Ebenen kann verglichen werden, sowohl auf der quantitativen (welche Klagen werden besonders oft vorgebracht?) als auch auf der sprachlichen Ebene. Das letztere sei an einem Beispiel illustriert. In der einzigen seriellen Quelle aus dem Bistum Chur präzisierte der Schreiber die allermeisten Ehefälle nur dahingehend, ob es sich um Ehehindernisse handelte oder nicht. War das zweite

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Der Beklagte wurde aber dazu verurteilt, die Klägerin für die Defloration nach dem festgelegten Satz zu entschädigen, das Kind, das von Anna Schmidin in absehbarer Zeit geboren würde, anzuerkennen, für dessen Unterhalt aufzukommen und für die Kosten des Kindbetts geradezustehen. BAC: DG 1/4, 1038: pro iuribus in causa matrimoniali.

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der Fall, so ist zumeist nur von Eheprozessen (in causa matrimoniali) die Rede.150 Mit Hilfe der Urkunden und Protokolle, die aus anderen Kanzleien stammen, lässt sich diese offene Formulierung inhaltlich näher bestimmen. Das Verhandlungsprotokoll, das 1511 im Prozess zwischen Johannes Beck und Ursula Huserin im Basler Konsistorium gefuhrt wurde, trägt die Überschrift registrum in causa matrimoniali. Laut diesem Protokoll behauptete die Klägerin, Johannes Beck habe ihr die Ehe versprochen und mit ihr geschlafen.151 Hinter der nichtssagenden Wendung „Ehefall", davon wird im folgenden ausgegangen, verbirgt sich die heimliche Eheschließung, mit anderen Worten: die Klage auf Bruch des Eheversprechens, eine Zuerkennungsklage. Wie die Urteilsprotokolle aus Basel und Konstanz, aber auch der vergleichende Blick in die Literatur zeigen, ist diese Interpretation die wahrscheinlichste.152 c. Das dritte Problem betrifft die Vermischung zivil- und strafrechtlicher Elemente in einem einzigen Rechtsstreit. Eherechtliche Fälle, in denen der Richter darüber entschied, ob eine rechtsgültige Ehe geschlossen worden war, also causae spirituales, fanden nach dem Urteil oftmals eine Fortsetzung, die vom rechtlichen Standpunkt zum Strafrecht oder zu den sogenannten causae annexae zählte. Was in den einzelnen Kapiteln aus analytischen Gründen getrennt wurde, gehörte in der Praxis manchmal zusammen. Ein Beispiel erhellt das Problem: 1466 klagte Eisina Mürbe(a)chin aus dem elsässischen Uffholtz gegen Heinrich Kübler. Sie forderte, ihn als Ehemann zugesprochen zu erhalten, und, falls sich der Offizial dagegen entschied, eine finanzielle Entschädigung wegen Entjungferung. Dass die Ehe rechtsgültig geschlossen worden war, konnte sie nicht beweisen. Doch der Beklagte gestand die Unzucht. Deshalb überwies ihn der Richter an den Fiskal zur Bestrafung. In dessen Register findet sich ein entsprechender Eintrag: Wegen Defloration habe Kübler eine Buße von 3 fl. zu bezahlen.153

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151

152 153

Im Notarsregister aus Basel wird ebenfalls oft nur von „Ehefall" gesprochen, ohne dass eine weitergehende Erläuterung gegeben wird. StABS: Gerichtsarchiv AA 3 (1511 Januar 15): Registrum in causa matrimoniali [...] mota inter dìstretos Ursulam Huserinn de Richsshein actricem ex una et Johannem Beck de Richssen reum [...] ex eo, quod ipsa actrix assent et pretendit reum iamdictum secum matrimonium contraxisse, illud edam carnali copula consumasse. Weitere Beispiele ebd., 1510 August 12; 1510 September 17 u.ö. Vgl. das Kapitel im Forschungsüberblick (§ 1,5.1.2). StABS: Gerichtsarchiv AA 1, 729f.: super federe sancii matrimonii, floris virginitatis ipsius actricis destitucione et dotacione ac iHorum occasione [...] reum propterea ab impetitione [...] absolvimus [...] reum propter fomicacionem confessam ad emendam condignam condempnandum [...] mense episcopali instantiam eius procuratore fiscali condempnantes dicte actrici actionem super defioratione, dotacione et dotis taxacione reservantes expensas compárenles in quorum etc. AAEB: A 85/39, fol. 3v: fuit condempnatus ad emendam Heinricus Kubler de Uffholtz propter deflorationem. - Als Nebenergebnis sei festgehalten, dass die Begriffe „Defloration" und „Unzucht" in der Rechtspraxis offenbar austauschbar waren.

161

Solche Prozesse wurden nach juristischen Kriterien zergliedert und den entsprechenden Kapiteln zugewiesen, entweder als streitige oder als Strafsache. Die Deflorationsfalle, in denen es der Klägerin darum ging, eine finanzielle Entschädigung zu bekommen, wurden zu den Eheangelegenheiten gezählt, obwohl es sich streng genommen um weltlich-geistlich gemischte Prozesse handelte. Im weiteren Sinn gehören sie aber ebenfalls zu den Ehefällen. Diese Bemerkungen haben eine interpretatorische Konsequenz. Die Zahlen der verschiedenen Tabellen können nämlich nicht einfach zusammengezählt werden, um die Gesamtsumme der geführten Prozesse oder die Zahl der vor den kirchlichen Gerichten stehenden Personen zu errechnen.

2.

Streitige Rechtsprechung (jurisdictio contentiosa)

2.1.

„Wilt du mich zu der ee?" - Inhalt und Kosten von Eheprozessen

1463-69 und 1521-24. Die in diesen elf Jahren vor dem Basler Chorrichter verhandelten Ehefälle wurden quantitativ aufbereitet.154 Tabelle 13 enthält 602 Ehefälle, davon sind 349 Urteile.155 Von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen tauchen die Namen der Prozessparteien nur einmal in den Gerichtsakten auf.156 In den meisten Fällen, in denen der Richter zwei Urteile fällte, handelte es sich um eine Klage wegen Bruchs des Ehegelübdes, die bei negativem Entscheid mit einem Anspruch auf finanzielle Entschädigung wegen Entjungferung gekoppelt war. Der Deflorationsprozess fand einige Zeit später statt.157

154

Die Datenmenge ist groß genug, um repräsentative Ergebnisse zu erzielen. Deshalb wurden die Eheurteile der Jahre 1459-62 nicht ausgewertet. - Von 1452-69 war Laurencius Krön konsistorialer Richter; vgl. W.D. Wackernagel, Offizialat, 250f. Wer das Amt zwischen 1521-24 ausübte, ist unbekannt. 1524 wurde in einem Fall der Generalvikar als Offizial genannt; vgl. W. Kundert, General vikariat, 258. 155 StABS: Gerichtsarchiv AA 1 und Gerichtsarchiv AA 22. - Streng betrachtet waren es 350 Urteile. In einem Fall von Impotenz wurden zwei Urteile gefallt, aber nur eines gezählt. Zuerst (1468, jovis próxima post dominicam [. . .] cantabatur letare Jerusalem) entschied der Richter auf eine Bewährungszeit, während der die Eheleute noch einmal versuchen sollten, den Ehezweck zu erfüllen, dann (1468, sabati proximam post festum sancii Laurencii martiris), nachdem der Versuch offenbar gescheitert war, auf Trennung der Ehe; vgl. Gerichtsarchiv AA 1, 919 und 930ff. 156 Ein Beispiel in StABS: Gerichtsarchiv AA 1, 665f., 950f.: Margaretha Bomerin aus Rheinfelden klagte 1466 und 1468, dass Johannes Eby sein ihr gegebenes Eheversprechen gebrochen habe. Weitere Beispiele ebd., 756ff./762 und 544f./1032-35. 157 StABS: Gerichtsarchiv AA 1, 570f./574f„ 810f./813f. oder 980f./1012-1015.

162

Tabelle 13: Bistum Basel, jährliche Eheprozesse (1463-69, 1521-24)

Jährlich bearbeiteten die Gerichtsbeamten etwa 55 Ehefalle. In der Praxis schwankte die Zahl der Prozesse jedoch stark. Eine Erklärung dafür steht aus. Es gibt keinen Hinweis darauf, dass sich das Eheschließungs- oder Prozessverhalten während dieser Zeit wandelte oder die Institution sich organisatorisch oder personell so veränderte, dass dadurch ein Einfluss auf die Menge der Prozesse abgeleitet werden könnte. Nur die stetig sinkende Zahl der Fälle um über einen Drittel zwischen 1521-24 kann eindeutig begründet werden, nämlich mit den reformatorischen Ereignissen und dem dadurch entstandenen Misstrauen in kirchliche Institutionen. Gemessen jedoch am Durchschnittswert von circa 55 Fällen pro Jahr wird dieser sich stetig verringernde Umfang der bischöflichen Rechtsprechung relativiert. Nimmt man nämlich als Vergleichswert die durchschnittliche Zahl der Urteile, die zwischen 1463-69 gefallt wurden, erscheinen die 82 beziehungsweise 70 Ehefalle aus den Jahren 1521/22 auffallend hoch. Es ist weniger die langsam schrumpfende Arbeitsmenge der Offiziale, sondern die verhältnismäßig hohe Zahl der Ehefälle von 1521/22, die erklärungsbedürftig ist. Wie die folgende Übersicht über die Prozessinhalte zeigt, entschieden die Basler Offiziale hauptsächlich darüber, ob ein gegenseitiges Eheversprechen vorlag oder nicht:

163

Tabelle 14: Inhalt der Basler Eheprozesse (1463-69, 1521-24)158 Prozessin halt 1. Ehehindernis - ajfmitas - cognatio spiritualis - consanguinitas - impotentia - minorennitas - precontracts - unklar Zwischentotal 2. Zuerkennungsklage - matrimonium duplicis - - matrimonium triplicis139 - matrimonium mit Deflorationsklage - matrimonium mit Deflorationsklage und Alimentenforderung Zwischentotal 3. Ehegültigkeitsprüfiing160 - petitio declaratoria - petitio declaratoria super fama Zwischentotal 4. Übrige Prozesse - defloratio (taxa dotis) - divortium161 - anderes162 - unklar Zwischentotal Gesamttotal

158

159

160

161

162

1463-69

6 3 5 28 1 33 1 77 (22%)

1521-24

7 6 2 4 -

22 10 51 (20%)

181 15 16

163 2 1

4 216 ( 6 2 % )

3 169 (67%)

16 15 31

17 -

(9%)

9

17

(7%)

3 13 25 ( 7 % )

6 2 6 2 16 ( 6 % )

349(100%)

253 (100%)

-

Da fur die Tabelle zwei verschiedene Quellen miteinander verwoben wurden, werden die Resultate getrennt aufgelistet. Darunter wird der Fall verstanden, wo zwei Personen gleichzeitig behaupteten, eine dritte Person habe ihnen die Ehe zugesagt. Es handelt sich um Fälle, wo zwei Personen vom Richter eine Bestätigung verlangten, dass sie eine rechtsgültige Ehe geschlossen hatten. Das TTîomus-Register enthält insgesamt 25 Scheidungsfalle. Lepra und Impotenz werden je einmal als Ursache genannt; StABS: Gerichtsarchiv AA 22, 11, 18. In den übrigen Fällen wird davon ausgegangen, dass Ehebruch der Grund war. Diese Fälle gehören in den strafrechtlichen Teil. Fünfmal ging es um die Zuschreibung des Kindes (ascriptio prolis), zweimal um die Frage, ob das Ehepaar zusammenleben dürfe (cohabitatio), ebenfalls zweimal handelte es sich um eine Diffamationsklage (iuxta legem diffamali).

164

Wenn das prozentuale Verhältnis der Klageinhalte nicht absolut, sondern für jedes Jahr einzeln betrachtet wird, lassen sich innerhalb der vier Kategorien relativ große Abweichungen beobachten. Der Anteil der Ehehindernisse betrug in der Regel zwischen 20-25 %, konnte allerdings im Extremfall (1468) auf 7 % fallen. Die Eheklagen schwankten zwischen 55-65 %, stiegen unter Umständen aber auf über 75 % (1465, 1468). Weder lässt sich eine kontinuierliche Zu- noch Abnahme des prozentualen Anteils einzelner Prozessinhalte feststellen. Wie kostspielig war es, einen Rechtsstreit am Basler Chorgericht zu führen? Oder, aus der Sicht der Beamten gefragt, wie viel verdienten sie an einem Prozess? Protokolle von Eheprozessen, die die Notare Anfang des 16. Jahrhunderts anfertigten, enthalten oftmals Angaben über die Verfahrenskosten. Die Schreiber rechneten gleichzeitig den Anteil für die am Prozess beteiligten Beamten aus. Das soll an zwei der am häufigsten verhandelten Ehefällen gezeigt werden. 1517 klagte Anna Louwenbergin aus der Stadt Mühlhausen, dass ein Bürger desselben Orts, Johannes Kannengiesser genannt Fuchs, seine Ehezusage nicht eingehalten habe, die er ihr gegeben hatte, bevor sie einwilligte, mit ihm zu schlafen. Zwei Plapparte habe sie als Brautgabe erhalten. Die 21-jährige Klägerin versicherte in der Klagschrift, dass sie vorher noch Jungfrau gewesen sei, und forderte, ihn als Ehemann zugesprochen zu bekommen. Ihr Zeuge, der Pleban Johannes Widmer aus Mühlhausen, sagte aus, Katharina habe ihm berichtet, dass der Kannengießer mit ihr die Ehe geschlossen und bereits mit ihr geschlafen habe. Der Beschuldigte bejahte das zwar, beteuerte jedoch, dass kein Eheversprechen als Bedingung vorausgegangen sei. Dass er ihr die zwei Plapparte gegeben habe, bestritt er ebenfalls, gab aber zu, sie mit 2 ß. propter fornicarium contorbitum entschädigt zu haben. Er wolle deshalb von der Anklage freigesprochen werden. Darauf entschied der Offizial, Johannes Kannengießer von der Klage loszusprechen, verurteilte ihn aber wegen Unzucht zu einer Buße. Und was die Defloration betreffe, so behalte er sich ein Urteil vor. Dieser Prozess kostete Anna Louwenbergin 1 lb. 15 ß. 1 d. - allein für das Urteil 7 ß. - und Johannes Kannengießer 1 lb. 7 ß. ohne die Buße für die begangene Unzucht, also insgesamt 3 lb. 1 ß. 8 d. Von dieser Summe gab der Notar Adelbert Salzmann dem Generalvikar 1 Ib. 6 ß., dem Prokurator der Klägerin 3 ß. 1 d. und demjenigen des Beklagten 2 ß.; der Offizial erhielt 4 ß. Es blieben damit 1 lb. 6 ß. 5 d. übrig, die der Notar vermutlich für sich beanspruchte.163 Das zweite Beispiel ist der Ehestreit zwischen Martin Windeck und Eisina Herbrecht. Das Gerücht löste ihn aus, das Ehepaar könne nicht kirchlich eingesegnet werden, da die Ehe sonst im verbotenen Grad der Verwandtschaft (iconsanguinitas vel affinitas) geschlossen werde. Der Prozess kostete jede Partei 163

StABS: Gerichtsarchiv AA 5 (1517 August 25). Die Strafe fur die Unzucht findet sich in AAEB: A 85/43 (1516/17). - Zum Vergleich: Ein ähnlicher Fall kostete 1520 die Parteien 3 lb. 2 ß.; StABS: Gerichtsarchiv AA 5 (1520 Februar 28).

165

insgesamt 2 lb. 3 ß. 8 d.164 Nachdem Martin Windeck 2 lb. bezahlte hatte, gab der Notar Adelbert Salzmann dem Offizial 6 ß. davon ab. Der Vater von Eisina Herbrecht zahlte die restlichen 2 lb. 6 ß., die der Notar wiederum an die Beamten verteilte: die beiden Prokuratoren erhielten je 6 ß. und der Generalvikar als Insiegler 32 ß. Der Restbetrag von 1 lb. 20 ß. bildete sein eigenes Einkommen. Der Richter legte die Verfahrenskosten in sämtlichen Ehefallen zwischen 146369 zu gleichen Teilen auf beide Parteien um.165 Daraus kann geschlossen werden, dass die Klage zumindest in seinen Augen immer berechtigt war und nie leichtfertig erhoben wurde. Wer trotz einem entgegenstehenden Ehehindernis heiraten wollte, konnte unter Umständen eine Dispens erstehen, die unabhängig von der Art des Hindernisses 1 lb. 5 ß. kostete. Hinzu kam je nach Fall die geringe Gebühr, die man für die Befragung der Zeugen zu entrichten verpflichtet war. 1504 bezahlten Leonhard Senn und Madalena Mu(o)ry aus Sewen deshalb insgesamt 1 lb. 8 ß., Lucius Iselin und Elisabethin Berin aus Basel 1511 sogar 2 lb. 4 ß.166 Die finanzielle Entschädigung, die der Beklagte der Klägerin fiir ihre Defloration aufbringen musste, betrug mindestens 8 lb. oder 10 fl.167 Die Mindestsumme war festgesetzt, und der Richter variierte sie je nach der ökonomischen Lage des Beklagten. Als weiterer Berechnungsfaktor spielte wohl die weibliche Ehre eine Rolle. Je höher die Entschädigung für die Deflorierte ausfiel, desto besser war ihre Aussicht, auf dem Heiratsmarkt einen Partner zu finden. Die höhere Mitgift machte die verminderte Heiratschance wett, statt ihrer Jungfräulichkeit brachte die Frau ein größeres Vermögen mit in die Ehe.168 164

165

166

167

168

StABS: Gerichtsarchiv AA 5 (1517 Februar 27). Die Summe setzte sich aus folgenden Posten zusammen: Die Darlegung des Falls (deductio) kostete 4 ß.; fur sechs Folio-Seiten mussten 6 ß. bezahlt werden. Was damit gemeint war, ist unklar. Der Fall ist auf fünfzehn Seiten protokolliert. Der Prokurator erhielt 3 ß., für die Rechte der Kurie (pro iuribus curie) wurde ebenso viel berechnet; das öffentliche Edikt, das der Pfarrer in der Pfarrei verlas, um allfallige Zeugen aufzufordern, das Ehehindernis zu bestätigen oder zu widerlegen, kostete 20 d. und seine Besiegelung 1 ß.; für die Besiegelung der einzelnen Seiten mussten nochmals 9 ß. bezahlt werden; die Kosten für die Reinschrift des Urteils beliefen sich auf 10 ß., und schließlich hatte man noch 6 ß. für ein weiteres Siegel - wofür ist nicht klar - aufzubringen. Die Frage der Verteilung der Prozesskosten musste im Urteil geregelt werden. In den Basler Entscheiden heisst es stereotyp: expensas ex causa compensantes in quorum etc. AAEB: A 85/41. Die Akte, es handelt sich um die Rechnungslegung der Notare des Generalvikars von 1502-11, ist weder paginiert noch foliiert. Sie enthält insgesamt dreizehn Dispense, pro Jahr höchstens drei. Vgl. z.B. StABS: Gerichtsarchiv AA 1, 814: nos reum pretactum ex tunc ut ex nunc et ex nunc ut ex tunc ad dotandum prefatam actricem eique datum nomine octo libras denar. Bas. dandum, solvendum et expediendum [...] condemnamus; ebd., 538: Taxamus dotem ipsam ad summam decern florenorum quos reus ipse actrici persolvat iuxta sententiam. In den meisten Fällen heißt es nur, dass sich das Gericht den Entscheid über die Höhe des Mitgifts vorbehalten wolle. L. Roper, „Going to Church and Street", 89. S. Burghartz, Jungfräulichkeit, 22f. Burghartz untersuchte die Argumentationsmuster vor dem Basier Ehegericht im 16. und 17. Jahrhundert. Modifiziert wurde die These dahingehend, dass davon ausgegangen wird, die Jungfräulichkeit habe schon vor der

166

Zu den Konstanzer Ehefällen. Die Analyse der Rechtsprechung des Konstanzer Chorrichters Johannes Fridinger169 stützt sich auf 1927 Urteile aus den Jahren 1514/1515 und 1519-2 5.' 70 Sie verteilen sich so auf die neun Jahre.

Tabelle 15: Bistum Konstanz, jährliche Eheprozesse, (1514/15, 1519-25)

350

15

20

25

Der Offizial entschied jährlich 214 Eheprozesse. Das bedeutet für die Interpretation der Tabelle zweierlei: Das Jahr 1520, in dem er 329 Entscheide fällte, schält sich klar als Ausnahmefall heraus. Eine befriedigende Erklärung dafür steht aus. Dann heißt dies aber auch, dass die reformatorischen Ereignisse und die theologische Propaganda - trotz der seit 1520 kontinuierlich abnehmenden Zahl der Urteile - den Umfang der bischöflichen Rechtsprechung wenn überhaupt erst ab 1524 einschneidend beeinflussten. In diesem Jahr sank die Zahl der Urteile erstmals beträchtlich unter den Durchschnitt, nämlich um 25 %. 1525 - in Zürich wurde im Mai unter der Leitung Zwinglis die erste Ehesatzung im reformatorischen Gebiet erlassen und für ihre Durchsetzung eigene Eherichter bestellt171 -, belief sich die Zahl der Entscheide auf nicht einmal mehr die Hälfte des durchschnittlichen Werts, auf nur 96 Urteile. Womit sich der Offizial befasste, veranschaulicht die nächste Tabelle.

169

170 171

Reformation eine zentrale Rolle auf dem Heiratsmarkt gespielt. Ein Beleg dafür bei Martin Luther, WA XV, 168. Johannes Fridinger bekleidete das Amt eines Offizials von 1510-27. Prosopographische Angaben bei B. Ottnad, Offiziale, 597. EAF: Ha 126, Ha 127, Ha 330i. E. Egli (Hg.), Actensammlung, Nr. 711.

167

Tabelle 16: Bistum Konstanz, Inhalt der Eheprozesse (1514/15, 1519-25) Prozessinhalt

1514/15,1519-25

1. Ehehindernis172

- affmitas - cognatio spiritualis - consanguinitas - impotentia - precontracts

- anderes173 - nicht genannt Zwischentotal

112 36 159 14 81 14 4 420 (22%)

2. Zuerkennungsklage

- matrimonium duplicis - - matrimonium triplicis174 - matrimonium mit Deflorationsklage - matrimonium mit Deflorationsklage und

670 121 122

Alimentenforderung Zwischentotal

264 1177 (61 %)

3. Ehegültigkeitsprüfung 175

- petitio declaratoria - petitio declaratoria super fama Zwischentotal

108 146 254 (13 %)

4. Übrige Prozesse

- defloratio (taxa dotis) - Diffamationsklage (iuxta legem diffamarî) - anderes176 - unklar Zwischentotal Gesamttotal

172

29 19 8 20 76

(4%)

1927(100%)

In neun Fällen urteilte der Richter über ein doppeltes Hindernis. Folgende solcher Fälle wurden zu den impedimenta affinitatis gerechnet: Fünf Fälle von afflnitas/precognitio, zwei Fälle von affinitas/publica honesta, ein Fall von affinitas/cognatio spiritualis. Ein Fall von adultera pollutio/cognatio spiritualis wurde dem zweitgenannten Hindernis zugeordnet. 173 Fünfmal precognatio, je dreimal adulterii pollutio und Minderjährigkeit (minorennitas), je einmal Furcht und Zwang (vii et metus), publica honestas und fitriositas. 174 Darunter wird der Fall verstanden, wo zwei Personen gleichzeitig behaupteten, eine dritte Person habe ihnen die Ehe versprochen. 175 Es handelt sich um Fälle, wo zwei Personen vom Richter eine Bestätigung verlangten, dass sie eine rechtsgültige Ehe geschlossen hatten. 176 Dreimal ging es darum, die eheliche Geburt eines Kindes nachzuweisen (legitimatio); zweimal um die discohabitatio; je einmal handelte es sich um eine ascriptio prolis, Rücknahme des Urteils (re tractatio sententiae) sowie um eine Einsegnung (solemnisatio).

168

Die jährliche Abweichung von diesen Durchschnittswerten ist relativ gering, wenn man vom Jahr 1525 absieht, als die Eheansprachen 76 % aller Gerichtsverfahren betrugen. Die pro Jahr ermittelten Werte bewegen sich fast ausnahmslos in einer Bandbreite zwischen 0-10 % um das Mittel herum. Den Sentenzenbüchern des konsistorialen Richters kann das Manual Johannes Hechingers, eines Kommissars des Konstanzer Gerichts, vergleichend gegenübergestellt werden. Hechinger war nicht nur ein Beamter des Chorgerichts, sondern bekleidete in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts auch das Amt eines Notars des Klosters St. Gallen. Sein Register enthält die in den Jahren 1454-59 vollzogenen Rechtsakte beider Verwaltungen.177 Es ist die bisher einzig bekannte serielle Quelle, die über die Tätigkeit eines solchen Kommissars Auskunft gibt.178 Insgesamt enthält sie fast achtzig Rechtsgeschäfte, wovon fast die Hälfte Ehefalle sind. Genauer gesagt, handelt es sich entweder um Partei- und Zeugenprotokolle, die Hechinger im Auftrag des Offizials anfertigte und anschließend nach Konstanz schickte, damit dieser den Fall entscheiden konnte; oder es waren Eheklagen, die eine Person von ihm aufschreiben und an das Gericht weiterleiten ließ. Die darin erwähnten Männer und Frauen wohnten von einer Ausnahme abgesehen in den heutigen Kantonen St. Gallen, Appenzell Außer- und Innerrhoden.179 Kirchengeographisch gesprochen war der Kommissar zuständig für die Dekanate St. Gallen und Wil/Leutmerken. Diese räumliche Begrenzung kann aber auch damit zusammenhängen, dass er ein Beamter des Fürstabts Ulrich Rösch war, dessen Territorium vorwiegend in diesen beiden Dekanaten lag.180 Ein Verhör soll hier stellvertretend nacherzählt werden. Das Einzelschicksal beleuchtet zugleich die dramatischen Verwicklungen, die hinter dem Fachbegriff „Zuerkennungsklage" stehen. Im Januar 1457 schreibt Hechinger dem Offizial, dass er mehrere Personen in einem Ehefall verhört habe. Waither Ru(o)ff aus der vorarlbergischen Stadt Feldkirch behaupte, er habe mit Anna Gmunderin aus St. Gallen die Ehe geschlossen, und wolle sie als Ehefrau zugesprochen erhalten. Die Frau vertrete den gegenteili177

178

179

180

BAC: Mappe Β 60 (Faszikel 1). - Über die Person Hechingers ist bis jetzt nur bekannt, was er über sich selbst sagte: Et ego Johannes Hechinger de Rinfelden Basiliensis diócesis publiais imperiali auctoritate necnon predicti domini mei graciosi abbatis sancii Galli notarius iuralus; ebd., 36. Vgl. auch REC 4, Nr. 11772. - Aus Basel sind vier Verhörregister von Kommissaren erhalten. Alle wurden in Eheprozessen angelegt. Zwei stammen von Theobald Klett, Kanoniker und Notar in Colmar. StABS: Gerichtsarchiv AA 6 (1529 Mai 12); Gerichtsarchiv AA 7 (1530 Oktober 10). Eines von Lucas Frei (sacellanus in Colmar ac commissarius eiusdem curie deputatus); StABS: Gerichtsarchiv AA 7 (1531 Januar 26). Das vierte von Babuel Cesar, Prokurator am königlichen Hof in Ensishein; StABS: Gerichtsarchiv AA 7 (1531 Januar 27). Eine Partei wohnte in der zum Bistum Chur gehörenden Stadt Feldkirch. Jedoch wohnte die Beklagte in St. Gallen; BAC: Mappe Β 60 (Faszikel 1), 139-142. Vgl. Werner Vogler, Wirtschafts- und Finanzpolitik Abt Ulrich Röschs nach einer Zusammenstellung aus dem Ende des 15. Jahrhunderts, in: W. Vogler (Hg.), Ulrich Rösch. St. Galler Fürstabt und Landesherr. Beiträge zu seinem Wirken und zu seiner Zeit, St. Gallen 1987, 131-149.

169

gen Standpunkt und verlange einen Freispruch. Der 24-jährige Walther schildert den Fall so: Sein Vater habe ihm eine Frau geben wollen. Da habe er ihm erzählt, dass er sich schon einer anderen versprochen habe. In einem Haus in St. Gallen sita in novo vico der Getzenwilerin hus - hätten sie sich ihre Liebe gestanden und einander das Jawort gegeben. „Walther", habe die beklagte Anna gefleht, „versprich mir, keine andere zur Frau zu nehmen als mich. Dann verspreche auch ich, keinen anderen Mann zu heiraten." Die Entrüstung seiner Eltern habe er gefürchtet, doch Anna geliebt, sie in der Küche umarmt und geküsst, wie Liebende das eben tun - more amantium -, und ihr geschworen: „Nu sye sin gott gelopt, das ich yetz recht zu(o) dir han." Durch diese Worte habe er erkannt, dass er Anna die Ehe versprochen habe. Einige Tage später habe er sie in der Krypta von Sankt Othmar getroffen. Ihr Vater, gestand Anna ihm, habe von ihrer Verlobung erfahren und sei sehr bestürzt, sogar wütend gewesen. Daraufhabe er, Walther, gesagt: lass uns heiraten - nos volumus cum effectu ad matrimonium convolare. Er habe Anna also gefragt: „Wilt du mich durch Gott zu(o) der E, so sprich 'ja' " Worauf sie ihm mit ,ja" geantwortet habe. Darauf habe ihm Anna die gleiche Frage gestellt, und auch er habe mit, j a " geantwortet. Das alles sei vor viereinhalb Jahren geschehen. Bis zum heutigen Tag sei er abwesend gewesen. Das Gerücht, Anna und er seien Mann und Frau, sei wahr. Geschlafen hätten sie aber nicht miteinander, fügte er hinzu. Die 21-jährige Anna bejahte teils. Walther sei zu ihr gekommen, weil sein Vater ihn verheiraten wollte, und habe sie gebeten, ihn zu heiraten. Das Entscheidende, worauf die nicht überlieferten Fragen des Kommissars abzielten, verneinte sie. Nie habe sie ihm ihr Jawort gegeben. „Ich wil dir nütz verhaissen. Wo(e)lt ich aber ietz ain mann nemmen, so wo(e)lt ich dich als gern han als ain andern", habe sie ihm geantwortet. Sie habe nie gegen den Willen ihres Vaters verstoßen. Ihr Ehemann sei Ulrich Tunbach, ein Einwohner (opidanus) aus St. Gallen.181 In den gut viereinhalb Jahren, zwischen dem ersten und dem letzten protokollierten Eintrag (August 1454 - Februar 1459) befasste sich Hechinger jährlich mit acht Ehefällen. Die nackte Zahl sei mit der Menge der Eheprozesse aus den beiden Dekanaten verglichen, die der konsistoriale Richter zu Beginn des 16. Jahrhunderts in Konstanz entschied: 1514 waren es achtzehn Ehefalle, 1515 zwanzig, 1523 wieder achtzehn und 1524 schließlich noch zwölf.182 Inhaltlich ging es in den Rechtsakten, die Hechinger ausführte, um folgende Probleme:

181 182

BAC: Mappe 60 (Faszikel 1), 139-142. - Wie der Offizial den Fall entschied, ist nicht bekannt. Damit soll nicht angedeutet werden, dass die Zahl der Gerichtsverfahren während des halben Jahrhunderts zugenommen hat, sondern es wird ein Vergleichsmaßstab an die Hand gegeben.

170

Tabelle 17: Ehefalle aus dem Register eines Kommissars (1454-59) Prozessinhalt

1454-59

1. Ehehindernis - afflnitas - cognatio spiritualis - consanguinitas

5 2 8

2. Zuerkennungsklage - matrimonium duplicis - - matrimonium triplicis

7 3

3. Ehegültigkeitsprüfung - petitio declaratoria super fama

3

4. Übrige Prozesse - deßoratio (taxa dotis) - retractatio sententiae - unklar

5 2 1

Total

36(100%)

Auch wenn das Sample der Fälle vergleichsweise klein ist, kann das daraus gewonnene Resultat als relativierendes Moment verwendet werden. Es zeigt ein anderes Bild als das aufgrund der Kenntnis der Konstanzer Eherechtsprechung zu erwarten ist. Zwar überwiegen auch hier die Ehehindernisse und die Ehefeststellungsklagen, aber der prozentuale Anteil jener ist gemessen an der Gesamtzahl der Ehefalle etwas höher, während derjenige der Ehefeststellungsklagen nur einen Viertel beträgt. Ebenfalls höher als die Ergebnisse des bischöflichen Gerichts erwarten lassen, ist der Anteil der Deflorationsfälle. Wie kann das erklärt werden? Der je nach Prozessinhalt unterschiedliche Arbeitsaufwand ist der Grund fur die abweichenden Ergebnisse. In Ehefällen bestand die wichtigste Tätigkeit des Kommissars darin, die Parteien und die Zeugen zu verhören. Während es in Fällen von Ehehindernissen fast immer zu einer Befragung von Zeugen kam - ein Verwandter oder Nachbar, der über die verwandtschaftlichen Beziehungen Bescheid wusste oder zu wissen glaubte, war in der Regel immer aufzutreiben und bereit auszusagen, notfalls unter Androhung einer Kirchenstrafe -,183 war dies in den Fällen, wo auf Bruch eines Eheversprechens ge183

In mehreren Fällen wiesen die Zeugen daraufhin, dass sie deshalb aussagten, weil sie sich vor dem Kirchenbann fürchteten. Die Strafe wurde denjenigen angedroht, die der öffentlich verkündeten Aufforderung, als Zeugen in einem Ehefall aufzutreten, nicht folgten, obwohl sie aufgrund ihrer Kenntnis dazu befähigt waren: Johannes de Stachen, parochianus ecclesie Arbonensis [...] iuratus ut dicit metu pene in edicto contenti compárense BAC: Mappe Β 60 (Faszikel 1), 92ff., lOlf., 206-210.

171

klagt wurde, nicht immer der Fall. Eheversprechen konnten überall und mussten nicht notwendigerweise vor Zeugen gegeben werden. Es ist davon auszugehen, dass der Kommissar in sämtliche Ehehindernisfälle eingebunden war, während in Zuerkennungsklagen das nur dann der Fall war, wenn sich der Kläger oder die Klägerin nicht direkt an das Offizialat wandte oder Zeugen aufbot. Über die Kosten eines Eheprozesses finden sich mangels einschlägiger Gerichtsakten nur unvollständige Angaben. In ganz wenigen Fällen vermerkte der Schreiber am Ende eines Urteils die Höhe einer Taxe. Welche Leistung damit aber bezahlt werden sollte, die Besiegelung, die Schreibarbeit oder andere Dienste der Beamten, auch die Absolution von einer kirchlichen Zensur ist denkbar, ist völlig unklar, zumal der Vergleich mit den Gebührenordnungen von 1345 und 1512 keine Rückschlüsse ermöglicht.184 Die erwähnten Gebühren beliefen sich zumeist auf entweder 4 oder 6 ß., konnten im Ausnahmefall aber auch 12 ß. betragen.185 Über die Höhe der finanziellen Entschädigungen geben die Urteilsprotokolle ebenfalls vereinzelte Hinweise. Solche Geldbeträge mussten entweder sozusagen als Brautschatz im Fall der Defloration bezahlt werden, die aber nicht zu einer Ehe führte; oder sie waren als einmalige Alimentationszahlung gedacht, falls einer außer- oder vorehelichen sexuellen Beziehung ein Kind entsprang. Der 1525 geführte Prozess zwischen Margaretha Stetterin aus Baustetten (Pfarrei Laupheim) gegen Leonard Keuchtlin, der im selben Ort wohnte, belegt das. Im Fall, dass der Richter ihre Zuerkennungsklage negativ entschied, forderte die deflorierte Klägerin eine Entschädigung als Mitgift sowie die Übernahme der Kosten fur das Kindbett und die Aufzucht des Kindes durch den Beklagten. Es sei keine Ehe geschlossen worden, erkannte der Offizial. Doch verurteilte er Keuchtlin, eine Entschädigung von 10 lb. als Mitgift sowie 3 lb. für das Kindbett zu zahlen. Auch solle er Margaretha Stetterin für die Ernährung des Kindes entschädigen, doch müsse man über die Höhe dieser Summe noch beraten.186 Dies scheint der Mindestbetrag für das Dos gewesen zu sein.187 Eine obere Grenze gab es offensichtlich nicht. 18 lb. kostete

184

Vgl. die Gebührenordnungen § 2 II.,2.2.3. Beispiele für 4 ß.: EAF: Ha 330i, 265f„ 305. Beispiele für 6 ß.: ebd., 164, 307f. Beispiele für 12 ß.: ebd., 302f„ 306f. 186 EAF: Ha 127, fol. 245-246v: Causa defloraciones et taxe dotis earundem necnon expensis tum puerpera tum etiam alitionis occasione [..]prolis [...]. Declaramus reum [...] addotandum actricem eidemque dotis nomine et occasione deflorationis dandum [...] decern librarum den. summam [..] monete Constanciensis, necnon ad persolvendum etiam eidem actrici pro expensis puerpera occasione prolis questionis habitis tres librarum den. [...] et satisfaciendum etìam sibi expensis [causam] alitionis dicte prolis habitis secundum patrie consuetudinem et iuxta ratum temporis unacum refusionem expensarum huius litis legitime factarum condemnandum fore. 187 EAF: Ha 127, fol. 57-57v, fol. 132v-133, fol. 206-206v, fol. 227-228 u.ö. - In den meisten Urteilen findet sich nur der Hinweis, dass der Entscheid über die finanzielle Entschädigung dem Gericht vorbehalten sei. 185

172

die Abfindungssumme fur die Defloration in einem anderen Fall, in einem dritten sogar 40 Ib., und dieser erhöhte sich noch um weitere 5 lb. fur das Kindbett.188 Die Höhe dieser Beträge bemaß sich nicht allein an der Vermögenslage des Mannes, sondern auch an der wirtschaftlichen Situation der Frau. Das geht aus einem 1461 gefällten Urteil hervor. Im Prozess zwischen Anna Bomgartnerin und Johann Rietmann, der jene unter dem Vorwand der Eheschließung entjungferte, entschied der Richter, dass die Ehe nicht geschlossen worden sei. Nachdem er die Vermögensverhältnisse beider Parteien studiert hatte, verurteilte er Rietmann, der Bomgartnerin eine Aussteuer von 25 lb. zu bezahlen.189 Zuletzt seien die Eheprozesse vorgestellt, die das Churer Chorgericht entschied. In der chronologischen Überblickstabelle sind die jährlichen Fälle von 1495 bis 1527 erfasst, in die Männer und Frauen aus den Pfarreien der drei Herrschaftsgebiete Sarganser Landschaft, Gotteshausbund und Vorarlberger Gerichte verwickelt waren. Während dieser Zeit entschieden die Offiziale mindestens 982 Prozesse, jedes Jahr etwa 30.190 Die jährlichen Schwankungen sind dabei beträchtlich, wie das Schaubild zeigt.

Tabelle 18: Bistum Chur, jährliche Eheprozesse (1495-1527)

188 189 190

EAF: Ha 127, fol. 243-244v, fol. 191-193. Vgl. auch EAF: Ha 127, fol. 142-143, fol. 156v-157v. REC 4, Nr. 12459. Der Prokurator des Beklagten appellierte gegen das Urteil nach Mainz. Nicht jede Aktennotiz wurde gezahlt, da die Besiegelungskosten des Urteils häufig auf beide Parteien umgelegt wurde. In 22 Aktennotizen fehlt das Datum. Während der untersuchten Periode waren mindestens sechs verschiedene Richter tätig; O.P. Clavadetscher - W. Kundert, Generalvikariat, 524f.

173

Die weit unter dem Durchschnitt liegende Zahl der in den Jahren 1495-1501 verzeichneten Fälle kann damit erklärt werden, dass das im Rechnungsbuch oftmals erwähnte „ältere Register" die übrigen Ehehändel enthielt. Die beiden Bücher überschneiden sich zeitlich. Das erklärt auch das allmähliche Ansteigen der Prozesse von 1495-1504. In gleicher Weise überlappen sich die Bücher DG 1/1-4 einerseits und DG II und III andererseits.191 Dass die Zahl der Ehefalle nach 1523 radikal abnahm, würde man gerne kausal auf die reformatorischen Ereignisse und den Zusammenbruch der bischöflichen Verwaltung zurückfuhren. Das spielt gewiss eine wichtige Rolle. Doch angesichts der ebenso massiven Einbrüche von 1505 oder 1519 kann das Ergebnis nicht allein darauf zurückgeführt werden. Hinter dem Phänomen, dass die Zahl der Eheprozesse nicht wie früher wieder ansteigt, stecken hinwiederum zwei Ursachen: die Reformation und der Bauernkrieg. Die teilweise auffallend großen jährlichen Schwankungen zwischen 1502-23 können nicht plausibel erklärt werden, zumal während dieser Zeit keine organisatorischen Veränderungen des Gerichtsapparats festzustellen sind. Allerdings gab es häufige Wechsel in der personellen Zusammensetzung. Da der Eheprozess aber auf die Initiative einer Partei begann, spielt es keine Rolle, wer der Richter war. Mehr Erklärungskraft hat allenfalls der Hinweis, dass die verschiedenen Siegler die Akten unterschiedlich sorgfältig führten.192 Drei Siegler lösten sich in der Führung des DG ab: Paul Erenzheimer (ca. 1495-1507), Jodok Neyer (ca. 1508-13) und Andreas Gabion (ca. 1514-27).193 Neyer notierte jährlich etwa 29 Ehefälle, Gabion hingegen bis 1524 deren 49. Die Offiziale untersuchten und entschieden folgende Arten von Eheprozessen: Tabelle 19: Bistum Chur, Inhalt der Eheprozesse (1495-1527)

Prozessinhalt 1. Ehehindernis -ajfinitasm 191

192 193

194

1495-1527

78

Erwähnt wird der Uber antiquus z.B. in BAC: DG 1/1, 42 und 1/3, 682, 840 u.ö. - Wären nur das DG II und III überliefert, dann würde der Eindruck entstehen, dass die Zahl der Ehehändel, die zwischen 1519-27 gefuhrt wurden, sehr niedrig gewesen sei. Auch in den Eintragungen aus den beiden jüngsten Registern wird auf das DG 1/1-4 verwiesen. Vgl. DG II, 353 [verweist auf DG 1/3, 841], 386 [verweist auf DG 1/3, 850] u.ö. Vgl. die Reproduktion einer Seite aus dem DG in Th.D. Albert, Rechtsprechung, 144. O. Vasella, Kurie, 16. Der Amtswechsel von Erenzheimer zu Neyer muss mangels Urkundenmaterial über die Schrift und die datierten Eintragungen gefuhrt werden. Ein Eintrag Neyers von Ende Februar 1508 z.B. in DG 1/3, 640. - Neben diesen drei namentlich bekannten Sieglern hinterließen noch weitere Personen ihre schriftlichen Spuren. Sie sind aber nicht zahlreich. Vgl. z.B. DG 1/3, 680; DG II, 439, 565, 566. Zu dieser Unterkategorie wurden auch mehrere Fälle gezählt, in denen der Prozess keine Klarheit darüber brachte, ob es sich um das Hindernis der Blutsverwandtschaft, Schwägerschaft oder um beide Hindernisse gleichzeitig handelte; ebenso ein Fall, in dem sowohl auf Schwägerschaft als auch auf spirituelle Verwandtschaft entschieden wurde.

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- cognado spiritualis - consanguinitas - impotentia - anderes195 - unklar Zwischentotal 2. Zuerkennungsklage - matrimonium duplicis - - matrimonium triplicisi96 - matrimonium mit Deflorationsklage - matrimonium mit Deflorationsklage und Alimentenforderung - sponsalium Zwischentotal

12 110 23 21 2 246 (25 %

581 26 16 1 16 640 (65 %)

3. Ehegültigkeitsprüfung 197 -petitio declaratoria198 Zwischentotal

19 19 ( 2 % )

4. Übrige Prozesse - ascriptio prolis - deßoratw" - defloratio/ascriptio prolis - Diffamationsklage (iuxta legem diffamari) - anderes200 Zwischentotal

10 35 9 9 14 77 ( 8 % )

Gesamttotal

982(100%)

195

Siebenmal Furcht und Zwang (vis et metus), sechsmal Mindeijährigkeit (minorennitas), dreimal Bigamie (precontracts, ligamen), zweimal precognitio, je einmal publica honestas, ingressus religionis und eine Kombination von Hindernissen (precognitio/vis et metus/affinitas). 196 Darunter wird der Fall verstanden, wo zwei Personen gleichzeitig behaupteten, eine dritte Person habe ihnen die Ehe versprochen. 197 Es handelt sich um Fälle, wo zwei Personen vom Richter eine Bestätigung verlangten, dass sie eine rechtsgültige Ehe geschlossen hatten. 198 In den allermeisten Fällen heißt es in der Aktennotiz nur: in causa matrimoniali. Jedoch spricht der Schreiber dann nicht von klagenden und beklagten Personen, sondern von principalis und comprincipalis. Das tun in declaratio-Fällen auch die Notare aus Konstanz und Basel. 199 In den meisten Deflorationsfallen (causa deflorationis) dürfte es der Klägerin darum gegangen sein, den Beklagten als Ehemann zugesprochen zu erhalten, oder dann bei negativem Entscheid finanziell entschädigt zu werden. Vgl. zum Beispiel die zwei Eintragungen, die denselben Fall betreffen: im einen heißt es in causis matrimoniali et floris, im anderen in causa ascripitionis prolis, destitutionis floris et expensarum puerperiv, BAC: DG 1/2, 437. Da das aber nicht völlig sicher ist, wurden diese Fälle separat und nicht in die Kategorie der Ehefeststellungsklagen aufgenommen. 200 Viermal handelte es sich um Legitimationsprozesse, in denen die legitime Geburt eines oder mehrerer Kinder nachgewiesen werden musste; je dreimal ging es um die Zurücknahme eines Urteils (retractatio sententiae) und die Einsegnung (solemnisatio), je einmal um die licencia seorsum standi, die integri tas, die matrimonii indispensatio sowie eine discohabitatio.

175

Was sagt das Rechnungsbuch des Sieglers über die Kosten von Eheprozessen? Für das Schreiben und Besiegeln eines jeden Urteils mussten die Parteien mit Mindestkosten von 2 fl. beziehungsweise 2 lb. d. rechnen.201 Nach 1518/19 scheint das Gericht öfter als vorher zwei Urkunden pro Fall ausgestellt zu haben. Ob dies auf Verlangen der Parteien geschah, oder die Instanz damit die Einnahmen steigern wollte, geht aus den einzelnen Schuldnotizen nicht hervor. Gegen das fiskalische Motiv spricht, dass die Tendenz schwach ausgeprägt ist.202 Die Kosten stiegen, wenn weitere Briefe besiegelt werden mussten. Die öffentliche Bekanntmachung des Edikts, womit der Richter mögliche Zeugen aufforderte, in einer Gerichtsverhandlung auszusagen, kostete jede Prozesspartei einen Betrag von 1-2 ß.203 Auch Exekutionsbriefe mussten eigens bezahlt werden. Anna Pargin aus Parpan gewann einen Deflorations- und Kindschaftsprozess gegen Johannes Henni. Für die Exekutionsbriefe entrichtete sie 18 d.204 Ein weiterer manchmal hinzukommender Kostenpunkt war die Interpellation, die Anfrage. Johannes von Soles aus Vaz beispielsweise entrichtete dafür 18 d., was die übliche Höhe war.205 In Deflorationsfallen mussten zudem der entehrten Frau, so der Beklagte den Gerichtsstreit verlor, eine finanzielle Entschädigung von 10 lb. fur die entgangene Mitgift bezahlt werden 206 Keine oder allenfalls eine geringe Bedeutung für die Höhe der Kosten hatte der Prozessverlauf. Ob der Chorrichter zwei Zeugen oder über ein halbes Dutzend verhörte, ob es sich um einen einfachen oder äußerst langwierigen und schwer zu fuhrenden Fall handelte, das Verfahrensprotokoll nur wenige oder sechzig Folio-Seiten207 umfasste, wirkte sich offenbar nicht auf die Höhe der Besiegelungsgebühren aus.208 201

Aus einem Akteneintrag geht hervor, dass dem Notar, der den Ehefall untersuchte, zusätzlich 8 ß. zu zahlen war. BAC: DG II, 21: et pro notario pro examine et litteris sententie viii ß. Jedoch ist nicht sicher, ob dieses Beispiel verallgemeinerbar ist. 202 Der 1524 von den Bauern der drei Bünde im 1. Ilanzerbrief erhobene Forderung, dass nur die gewinnende Partei gezwungen werden dürfe, das Urteil in besiegelter Form anzunehmen, lagen offenbar andere Motive zugrund. Vermutlich stieß man sich an der gemessen an der Kaufkraft hohen Summe. Die Klage bei C. Jecklin (Hg ), Urkunden, Nr. 37, 81. 203 BAC: DG 1/3, 610: coniuges tenentur coniunctim ad sigillum iiii ß. d. pro eorum commissione examinum testium purifications eorum dispensacionum. DG 1/3, 583: Ursula filia Jann Jenin seu Janin de Oberfatz tenetur Hfl. R. iura iudicii in causa matrimoniali impedimenti affinitatis [...]. Teneturplus iß. pro comissione examinis testium et edicto. 204 BAC: DG 1/3, 587: in causis jloris, ascriptionis prolis et expensispuerpera [...] tenetur xviii d. pro litteris executorialibus contra eundem Henni. 205 BAC: DG 1/3, 583: Tenetur 18 d. pro interpellatione mei processus. Das Possessivpronomen bezieht sich auf den Siegler. 206 BAC: DG 1/3, 656: Barbara filia Anthonii Riget de Salux olim famulans in Flumbs tenetur ad sigillum i Ib. d. iura iudicii in causa defloracionis [...], actrix triumphavit et reus dotis nomine sibi in decern libras d. vicarium refusionem singularum expensarum sententialiter fuit condemnatus (1524 Oktober 10). 207 BAC: DG 1/4, 1129: Catharina Lesch de Su(o)ss vallis Engadine, nutrix in Mols, et Woljfinus filius Severin Propst in Mals, coniuges, tenentur coniunctim iiii fl. R. ad minus iura iudicii in causa matrimoniali appellata ab archipresbytero vallis Venuste [...], fuit solum registrum acticatorum coram archipresbytero presentatum et curie per vicarium pro partium matrimonio pronunciatum. Dedit in

176

Die folgenden Beispiele konkretisieren die trockenen Angaben und zeigen gleichzeitig, dass die Höhe der Gebühr während der untersuchten Zeitspanne konstant blieb. Elsi Zindlin und Jos Gertsch aus der Pfarrei Mels schuldeten 1509 dem Siegler je 1 fl. für ihren Eheprozess.209 Denselben Betrag schuldete 1519 Gebhard Gantenbein aus Graps/Werdenberg, obwohl das Verfahren wegen der vielen Zeugen schwierig zu führen war und sich deshalb in die Länge gezogen hatte.210 Jedoch finden sich auch Fälle, die von der Höhe der Grundgebühr abweichen, und zwar sowohl gegen oben als auch gegen unten. Meist war die Armut des Schuldners oder der Schuldnerin der Grund, die Gebühren zu verringern. Die Ehe zwischen Anna Paul und Mauricius Simonis von Ortenstain aus Tomils wurde trotz des bestehenden Hindernisses der Blutsverwandtschaft geschlossen. Für die Dispens schuldeten sie dem Siegler 1520 gemeinsam 4 lb. d. Dieser schickte ihnen wegen ihrer Armut 1 fl. zurück.211 Für die Erhöhung der Grundtaxe können nur Belege, aber keine Erklärungen geliefert werden. In einem 1504 entschiedenen Fall von Blutsverwandtschaft verlangte der Siegler vom Mann die üblichen 2 fl., von der Frau aber anfanglich 3 fl. Nach einer Aussprache kam man aber überein, ihre Kosten auf 2 fl. zu senken.212 Oder: Anna Felixin aus Bludenz schuldete 7 fl. für ihren Eheprozess; der von ihr angeklagte Bürger Johannes Kolb ebenso viel. Die Gerichtsverhandlung habe lange gedauert, merkte der Siegler an. Aber ob das die Erklärung für die hohen Kosten war, ist unwahrscheinlich.213

promptis ü fl. R. (1523 Juni 26). Habuit registrum 60folia, precor taxam sententie etc. Dedit Hfl. R. per Michlum Mer nuncium (1523 Juli). - Die Registerlänge ist außergewöhnlich, wie die aus der Diözese Basel stammenden Eheprotokolle nahelegen. 208 Der Siegler Andreas Gabion schilderte manchmal in knappen Worten den Verlauf des Prozesses. Er unterschied vier Schwierigkeitsgrade, den einfachen (simplex), den mittelmäßigen (mediocris), den langen (longus) und den schwierigen und sich in die Länge ziehenden (intricatissimus) Rechtsstreit. Die Höhe der Verfahrenskosten blieb gleich; der Siegler verlangte 2 fl. bzw. 2 lb. d. für jedes besiegelte Urteil. Je ein Beispiel für die erwähnten Arten des Prozessverlaufs in BAC: DG 1/3, 583, 654; DG 1/2, 435,415. 205 BAC: DG 1/1,251. 2.0 BAC: DG 1/2, 346. Der Verhandlungsverlauf - non simplex processus - wird ziemlich genau beschrieben. 2.1 BAC: DG 1/3, 869: tenentur coniunctim iiii fl. R. ad sigillum pro dispensacione super tercio et quarto consanguinitatis gradu [...], re missus est i fl. R. ob eorum paupertatem. Ein zweites Beispiel aus dem Jahr 1523: Margaretha Mathisin ex Rannckhwil tenetur i lb. iiiß. d. ad sigillum iura iudicii in causa matrimoniali inter Lucium Willi praefatum actorem et ipsam Margaretham ream minorennem, fuit replicatum et duplicatum, concluso in negocio contra matrimonium absolutorie discussa [...], remissifuerunt 4ß.\ DG 1/2, 411. 212 BAC: DG 1/2, 486: Katherina Spachartin tenetur iii gl. R. pro iuribus in causa impedimenti consanguinitatis [...] fuerunt viii testes producti [...], non concordava. Est concordatum pro Hfl. R. Die ihren Mann betreffende Aktennotiz findet sich in DG 1/2, 473. 2,3 BAC: DG 1/2, 505: tenetur vii gl. R. ad minus in causa matrimoniali [...], fuit eum longus processus cum singulis terminis observatus et propterea pro parcium matrimonio pronunciatum fuit in favorem ipsius actricis eciam diu propondit in lite et omnino benigne tractatur alias plus debuisset dedisse (1516 November 6).

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Ein am Churer Chorgericht geführter Prozess war kostspielig, zumal der Siegler offenbar bares Geld wollte. Nur die allerwenigsten Schuldner bezahlten in Naturalien, mit Wein, Eiern, Schmalz, einem Rebhuhn oder Wachs.214 Wie teuer es war, einen Rechtsstreit zu fuhren, zeigt sich aber besonders eindrücklich daran, wie viele Monate und sogar Jahre die Parteien benötigten, bis sie die Prozesskosten vollständig getilgt hatten.215 In der Regel lasteten die Schulden jahrelang auf den Schultern der Verhandlungsgegner. Diese Fälle sind derart häufig, dass mangelnde Zahlungsmoral dieses Phänomen nur unzureichend erklärt. Die Mühsal, die Schulden abzutragen, sei am Fall von Barbara Matth, der Tochter Jörg Matths und Gattin von Peter im Hag aus Chur, ausfuhrlich geschildert. Seit Sommer 1508 schuldet sie dem Siegler 2 lb. d. Da sie den Betrag nicht bezahlt, wird sie exkommuniziert. Im Frühjahr 1516 entrichtet sie für die Lossprechung vom Bann, in den sie zum zweitenmal fällt {reintrusio dicte sententie) 2 ß. 2 d. Ein Jahr später bezahlt sie 1 Teston. Der Sieger exkommuniziert sie 1518 erneut, da die Schuld noch immer nicht abgetragen war. Im Mai desselben Jahres ist Barbara Mattli in der Lage, einen ganzen Gulden zu zahlen. Die nächste Rate, 8 Kreuzer, gibt sie im März 1519; weitere 3 Kreuzer ein paar Monate später; im Januar 1520 nochmals 13 Kreuzer. Doch die Schuld ist damit nicht beglichen, und der Siegler verhängt erneut den Bann über sie, für dessen Absolution sie 8 ß. 8 d. schuldet. Im März 1520 gibt sie ihm 2 „bös Batzen" und erhält die Absolution. Ein Jahr darauf, im April 1521, rechnet der Siegler mit ihr ab: 13 ß. d. schuldet Barbara Mattli noch. Im Dezember trägt sie den Schuldenberg teilweise ab, indem sie 16 Kreuzer bezahlt. Im Frühjahr 1523 entrichtet sie den letzten Betrag von 8 ß. Der Rest erlässt ihr der Beamte.216 Zwei Punkte seien an diesem Beispiel herausgestrichen. Erstens die Zeitdauer. Fünfzehn Jahre dauerte es, bis Barbara Mattli ihre Prozesskosten abgetragen hatte. Ob sie die Hälfte oder nur einen Drittel ihres Lebens in der Schuld des Gerichts stand, ist müssig zu fragen. Es war einfach eine sehr, sehr lange Zeit. Gewiß war ihr Fall eine Ausnahme, zumindest was die Zeitdauer betrifft. Aber dass die Prozessparteien mehrere Jahre benötigten, um die Schulden zu tilgen, war die Regel.217 Woran - zweitens - die Institution nicht unschuldig war. Denn sie verhängte über die zahlungsunfähige Frau den Bann, wes-

214

Nur in sechs von weit über tausend durchforsteten Aktennotizen - es handelt sich ausschließlich um Ehefalle - fanden sich Hinweise auf Naturalabgaben: BAC: DG 1/1, 48: Johannes Gabriel de Trimente [...] dedit Hfl. R. in vino ad Castrum-, DG 1/1, 68: Barbara Risch Nuttli aus Igis dedil fiir iiß. d. ayer ad curiam; DG 1/3, 590: Margareth filia Anthonii Weber aus Obervaz dedit schmaltz ad Castrum; DG 1/3, 717: Florinus Jos ex Aufers tenetur i libram [...], dedit i rebhun ad Castrum. Vgl. auch DG 1/3, 654. DG 1/4, 1156: Dedit plus iiii libras wachs per nuncium. 215 BAC: DG 1/1,251. 2,6 BAC: DG 1/1, 8; DG II, 4: Anno domini (1521 April 16) computavi cum Barbara Mattli uxore Petri im Hag foris portano civitatis Curiensis de singulis restantibus debitis causa floris contra heredes Grass Peters ex Maladers de anno (1508) [...] usque in diem computations inclusive ad sigillum obligata in summa tredecim solidorum denariorum. 217 Beispiele in Th.D. Albert, Rechtsprechung, 148f.

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wegen sich die Schuldenlast zusätzlich erhöhte.218 Barbara Matths ökonomische Lage war offensichtlich derart schlecht, dass sie außerstande war, der Kostenspirale von Schuld, Bann und Absolution zu entkommen. Die Gerichtskosten waren hoch und ihre Bezahlung mit entsprechend großen Mühen und sogar Entbehrungen verbunden. Das zeigt auch die Auskunft des Dorfpfarrers Johannes Schmid von Susch, die er 1515 dem Siegler über zwei Schuldner gab. Der eine sei gestorben, berichtete er, und aus Armut sei seine Frau mit den Kindern weggezogen. Sie hätten nichts zurückgelassen und selbst "nichtz dan armu(o)t". Vom anderen heißt es im selben Brief, er habe acht kleine Kinder, und die Familie sei schrecklich arm und lebe von Almosen - „die hant auch nicht änderst, dan waß man inen und iren kinder git von tag zu(o) tag durch gotz willen."219 Davon ist auszugehen: nichts als Armut. Und dennoch war der Wille bei den meisten Schuldnern vorhanden, die Kosten abzutragen. Nicht zuletzt aus Angst vor dem Bann. Die Schulden wurden fast immer vollständig bezahlt. Sonst hätte der Siegler die Aktennotizen nicht durchgestrichen und mit der Formel solvit totum versehen. Selbstverständlich gab es Ausnahmen. Von Margareta Nanin aus Bludenz heißt es, sie sei jetzt im Vintschgau. Es sei zu befurchten, dass der Betrag verloren sei, zumal sie sich in einer anderen Diözese aufhalte. Der Siegler hatte die Situation richtig eingeschätzt. Margareta starb in Brixen und hinterließ weder Erben noch einziehbare Güter. Das Geld musste abgeschrieben werden. 220 Zumindest bis zu Beginn der 20er Jahre wurden die Gerichtskosten beglichen. Dann änderte sich das offenbar. Die Schuldner wurden entweder unfähig oder und das ist wahrscheinlicher - unwillig, ihre Geldschuld zu begleichen. Die ersten Jahre der Reformation markieren in dieser Hinsicht eine deutliche Wende. Nach 1520 finden sich immer mehr Aktennotizen, die nicht durchgestrichen sind. Das kann nicht ausreichend damit erklärt werden, dass die Schuldner mehrere Jahre brauchten, bis sie den Betrag abgestottert hatten. Denn das Register wurde noch bis 1527 weitergeführt, bis das Gericht völlig zusammenbrach. Schuldner wie beispielsweise Jakob und Adam Spitz aus Sevelen hätten also noch genügend Zeit gehabt, ihre Schuld zu begleichen, wenn sie wirklich gewollt hätten. Beide schuldeten dem Gericht wegen eines Eheprozesses eine Geldsumme, Jakob seit Juli 1521, Adam seit Mai 1522. Jakob bezahlte einen Teil ein Jahr, Adam ein halbes

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219

220

Für die Zahlungswilligkeit Barbara Mattlis spricht, dass sie noch 1523 dem Siegler einen Geldbetrag zukommen ließ, als unter dem zunehmenden Einfluss der Reformation und den Anfangen der bäuerlichen Revolten schon zahlreiche Schuldner nicht mehr bereit waren, die Prozesskosten abzutragen. O. Vasella, Kurie, Nr. 2. Vgl. dazu die Aktennotiz im Rechnungsbuch des Sieglers: BAC: DG 1/4, 1070. BAC: DG 1/2, 502: Est in Athesi. Timendum scilicet deperditum quia in aliena diocese et omnino deperditum que obiit in Brixena nec heredes nec bona reliquit. Manchmal strich der Siegler die Aktennotiz auch durch, weil der Schuldner ohne Erben gestorben war. Beispiele dafür in DG 1/2, 456, 472, 484 U . Ö . ; DG 1/3, 685, 860, 862 u.ö.

179

Jahr später. Das war gleichzeitig ihre letzte Rate.221 Offen ist allerdings die Frage, wie die Faktoren, die zur Interpretation dieses Phänomens herangezogen werden können, gewichtet werden sollen. Verlor das Konsistorium seine Legitimation? Oder wurde es angesichts der aufkeimenden Unruhen zunehmend schwieriger, die Verbindung mit dem Gericht aufrechtzuerhalten und das Geld von den unzähligen Seitentälern nach Chur zu bringen? Oder ist das Jahrzehnt durch Inflation und eine wirtschaftliche Krise gekennzeichnet, die eine Verarmung der Bauern bewirkte?222 Sicher ist nur, dass ein großer Teil der disziplinarischen Fälle, womit sich die nachreformatorischen Sittengerichte befassten, aus dem Sexual- und Ehebereich stammten. Die heimlichen Ehen blieben ein Problem.223 Das bedeutet, dass das Offizialat seine Funktion nicht eingebüßt hatte.

2.2

Weltlich-geistlich gemischte Fälle (causae spiritualibus annexae)

Nur für die Diözesen Basel und Chur liegen serielle Quellen vor, die Angaben über die Menge und den Inhalt von Rechtsfallen geben können, die nicht eindeutig dem geistlichen Bereich zuzurechnen sind. Solche sind fur das Konstanzer Bistum nur vereinzelt überliefert. Denn die Sentenzenbücher aus dem zweiten Jahrzehnt des 16. Jahrhunderts, die bereits für die Rechtsprechung in Ehesachen ausgewertet wurden, enthalten nur ganz wenige Urteile, die Arrestationen, Zehnt- oder Testamentsangelegenheiten betreffen. Ihre Zahl ist gemessen an der Größe des Bistums derart gering - jährlich zwischen zwei und elf Fälle -, dass sie kaum die tatsächliche Menge der vor dem Konstanzer Konsistorium behandelten causae annexae wiedergibt. Für Basel stehen mehrere serielle Quellen zur Verfugung.224 Zwei davon wurden ausgewertet: Das Sentenzenbuch, aus dem wiederum die Fälle aus den Jahren 221

BAC: DG 1/1, 335. - Jedoch notierte der Siegler nie, dass sich jemand geweigert habe, die Schuld abzutragen. 222 Zur wirtschaftlichen Situation der Bauern vgl. Oskar Vasella, Der bäuerliche Wirtschaftskampf und die Reformation in Graubünden (1526 bis etwa 1540), in: JbHaGG 71 (1941). Laut Vasella lässt sich nicht entscheiden, ob und inwieweit eine wirtschaftliche Notlage fur die in den beiden Ilanzer Beschwerdebriefen von 1524 und 1526 artikulierten Forderungen ausschlaggebend gewesen sei. Vgl. ebd., 173f. 223 U. Pfister, Sittenzucht, 324. 224 Neben den seriellen Quellen gibt es noch separate Prozessprotokolle. Vgl. z.B. die beiden Zehntprozesse zwischen einem Priester und einem Laien, die in den Jahren 1496 und 1498 gefuhrt wurden; StABS: St. Martin H 16a. Die Suche nach solchen Prozessakten gestaltet sich sehr aufwendig, da diese nicht zentral aufbewahrt werden und die Findbücher der Archive zumeist auch nicht weiterhelfen. Außer diesen Akten sind noch einzelne Urteile überliefert, in den Klosterarchiven beispielsweise.

180

1463-69 herausgezogen wurden,225 sowie das Thomus-Register von 1521-24.226 Nicht berücksichtigt wurden hingegen die Register mit den Appellationen und delegierten Fällen, da einerseits nicht klar ist, ob sie vollständig überliefert sind, und andererseits das verwendete Material ausreicht, um einen repräsentativen Eindruck zu geben.227 Da die beiden benutzten Quellen einem je anderen Zweck dienten, sind die jeweiligen Ergebnisse nicht ohne weiteres miteinander vergleichbar. Während das Thornus-Register einen vollständigen Überblick über die causae annexae gibt, da sogar diejenigen Prozesse verzeichnet sind, in denen es nicht zu einem Urteil kam, weil sich die Parteien außergerichtlich einigen konnten, enthält das Sentenzenbuch selbstredend nur die Urteile. Dies fuhrt aber nicht zu einer Verzerrung der miteinander zu vergleichenden Resultate, weil die Fälle offenbar selten waren, die zwischen 1521-24 abgebrochen und auf gütlichem Weg beigelegt wurden.228 Stärker ins Gewicht fallt, dass das Sentenzenbuch mit Sicherheit nicht sämtliche Urteile enthält, die in geistlich-weltlich gemischten Angelegenheiten gefuhrt wurden. Dies belegt die Akte eines Falls, der 1464 zwischen dem Kloster Klingental und dem Basler Gerber Nicolaus Endinger gefuhrt, jedoch nicht im Sentenzenbuch protokolliert wurde. Nur den Taxen ist zu entnehmen, dass der Offizial ein Urteil fällte.229 Wie der quantitative Vergleich mit den vom Churer Richter entschiedenen Prozessen jedoch nahelegt, kann davon ausgegangen werden, dass die Basier Schreiber die meisten Urteile im Sentenzenbuch festhielten. Zwischen 1463-69 entschied der Chorrichter mindestens 82 gemischte Streitigkeiten, zwischen 1521-24 waren es 67 230 Die Verteilung auf die einzelnen Jahre zeigt die folgende Tabelle:

225

StABS: Gerichtsarchiv AA 1. StABS: Gerichtsarchiv 22, 28f.: Thomus causarum arrestacionum; ebd., 30-39: Thomus in causis ordinariis ubi proceditur, per libellum sive summariam peticionum aut quando scribitur registrum ex recessis inceptis. 227 Das Thomus-Register enthält ohnehin nur sechs solcher Fälle; StABS: Gerichtsarchiv AA 22, 40. 228 StABS: Gerichtsarchiv AA 22, 40: Mercurii 3" februaris (1524) habui [= Adelbert Salzmann; Anm. T D.Α.] causam decimarum inter dominos de capitulo ecclesie Basiliensis actores, et dictum Karlo Treiger de Zell reum. Illa causa ante emissionem citacionis concordata. Ein zweiter vor dem Urteil abgebrochener Fall ebd., 29. 229 StABS: Gerichtsarchiv AA 14: Acta cause dominarum in Klingendal actricem et Clewini Endinger pelliflcem Basiliensis [...]. Item pro nota et ingrossata sententie viii β. [...]. Item pro sigillo sentente vi β. 230 Die Beleidigungsfalle wurden als strafrechtliche Vergehen nicht mitgezählt, zumal nicht immer klar zu trennen ist, ob sich der Prozess um die Frage der Entschädigung oder um die Feststellung der Verwirklichung des Vergehens drehte. Sie wurden im Kapitel § 3 II.,3.1 aufgenommen. 226

181

Tabelle 20: Bistum Basel, causae annexae (1463-69, 1521-24)

In der ersten Periode waren es jährlich etwa elf bis zwölf Fälle, in der zweiten siebzehn. Angesichts sowohl der kurzen Zeitspanne, die die Quellen abgedecken, als auch des kleinen Samples ist es müssig, die jährlichen Schwankungen zu interpretieren. Dass die Menge der causae mixtae 1523/24 halb so hoch war wie 1521/22, muss nicht unbedingt kausal auf die Reformation zurückgeführt werden. Denn es ist denkbar, dass sie vor 1521 ebenso tief war. Der Durchschnittswert der Jahre 1463-69 zeigt, dass die Annahme nicht abwegig ist. Auch strukturelle Faktoren können eine Rolle gespielt haben. Gemeint ist in erster Linie das Netz der in der Stadt verteilten weltlichen und geistlichen Gerichtsinstanzen und die dadurch gegebene Konkurrenzsituation.231 Rivalisiert wurde nicht nur um die Macht- und Vorrangstellung, sondern auch um Gerichtseinnahmen.232 Die unförmige Masse der 82 beziehungsweise 67 Fälle weltlich-geistlich gemischter Rechtsakte beginnt erst einen schärferen Umriss anzunehmen, wenn nach ihrem Inhalt gefragt wird. Die Rechtsmaterien lassen sich aber nicht immer klar aus den Urteilen oder den knapp formulierten Aktennotizen herauslesen, wie die folgende Übersicht zeigt.

231 232

Auf diesen Punkt legt zu Recht den Finger F. Battenberg, Gerichtsbarkeit, 61. Über die Tätigkeit weltlicher Gerichte gibt es noch keine quantitativen Untersuchungen, obwohl entsprechende Quellen vorhanden sind, so z.B. vom Basler Ratsgericht. Vgl. die allgemeinen Hinweise bei H.-R. Hagemann, Rechtsleben II.

182

Tabelle 21: Bistum Basel, Inhalt der causae annexae (1463-69, 1521-24) Rechtsmaterie

1463-69

1521-24

arrestatio/inhibitio causa prophana - Schuld233 Erbschaft Zehnt Zins - Rentenzins anderes unklar

1 1 14 6 6 23 10 g234

15 10 9

12

17

Total

82

67

-

6 7 -

j235

Bevor die Zahlen interpretiert und miteinander verglichen werden können, was wegen der unterschiedlichen Anzahl untersuchter Jahre ohnehin nicht ganz unproblematisch ist, müssen zuerst terminologische Probleme gelöst werden. Die begriffliche Erfassung der Rechtsfälle soll nicht verbergen, dass die Rechtssprache auch im - von heute aus gesehen - modernsten Recht der Zeit nicht immer eindeutig war. Zwei Beispiele verdeutlichen das. In einem Fall ging es um jährlich zu bezahlende Zinsen. Der Kanoniker Peter Testor aus Basel appellierte 1469 gegen das Urteil des Offizials nach Besançon. In der interposicio appellacionis heißt es zuerst, dass es sich um eine weltliche Angelegenheit (causa prophana) handelt, dann wird präzisierend ergänzt: nämlich um Zinsen.236 Ist aber jede im 77joraws-Register verzeichnete causa prophana ein Streit um Zinsen?237 Dass die Bedeutungsfulle der unscharfen Bezeichnung „weltlicher Fall" damit nicht ausreichend erfasst wird, 233

Sowohl Geld- als auch Naturalschulden. StABS: Gerichtsarchiv AA 1, 403f. (Streit um Herrschaftsrechte), 423f. (Streit um Güter), 520ff. (Streit um einen Vertrag), 642ff. (Streit um den Begräbnisplatz), 719-722 (Streit betreffend einer Kautionsleistung), 782ff. (Streit um die Früchte der Kirche), 818-821 (Streit um die Aussteuer), 933f. (Streit um die Nutznießung einer Stiftung), 1050-1055 (Streit wegen Kurpfuscherei). 235 In einem Fall wurde um die Rückgabe einiger Güter gestritten, in einem anderen um die Wasserleitung; StABS: Gerichtsarchiv AA 22, 36f.: Jeorius Hoffischer dudum habuit causam aqueductus inter dominum Johannem Huglin curatum in veteri Munstrol actorem, et Hugonem Perizet eiusdem loci reum, licet sopita fuerit huiusmodi causa, tarnen Herum resumpta die xxvii februaris (1524). In einem dritten Rechtsfall ging es um die Pfarrrechte und die Wiederherstellung oder Erneuerung einer nicht näher bezeichneten Sache (super iuribus parrochialibus et restauratione)·, ebd., 34. 236 StABS: Gerichtsarchiv AA 1, 1027f.: in quadam causa prophana videlicet censuum. - Das Protokoll des erstinstanzlichen Urteils ebd., 1023-1027. 237 Worum es sich konkret handelte, kann aus keinem der Registernotizen herausgelesen werden, wie folgendes Beispiel stellvertretend zeigt: Mortis post Ulrici habuit Heinczmann causam prophanam inter validum Wilhelmum Meilinger actorem et dominam de Wonnenberg in Altkilch residentem reum[\]; StABS : Gerichtsarchiv AA 22, 3 8. 234

183

belegen die Akteneintragungen, die der Churer Siegler in sein Rechnungsbuch eintrug. Ihnen zufolge war die Bezeichnung causa prophana ein Sammelbegriff, der nicht nur Schuldsachen, sondern auch Streitigkeiten um Güter im weitesten Sinn einschloss.238 Auch ein Prozess um Möbel oder ein Streit, der sich aus einem chirurgischen Eingriff ergab, wurden als „weltlicher Fall" bezeichnet.239 Das zweite terminologische Problem betrifft den Begriff „Inhibition", auch „Arrest" oder „Fronung" genannt.240 Er bezeichnet die Beschlagnahme des Vermögens eines Schuldners, um den Rechtsanspruch eines Gläubigers gerichtlich sicherzustellen und zwangsvollstrecken zu lassen. Das Vermögen wurde in erster Linie dann beschlagnahmt, wenn jemand seine Schulden nicht bezahlte.241 Der Begriff „Schuld" schließt auch versessene Zinsen oder ausstehende Zehnten ein.242 Hinter den verhältnismäßig zahlreichen Fällen von Arrestationen und Inhibitionen, die sich im 77îoraws-Register finden, verstecken sich also Forderungsklagen auf Rückzahlung einer Schuld 243 Die Inhibitionen und Arrestationen wurden aber nicht dem Sammelbegriff „weltlicher Fall" zugeordnet, weil kein einziges Beispiel belegt, dass damit auch Zehntprozesse gemeint waren. Diese beiden Hinweise relativieren die in der Tabelle vorgestellten Zahlen. Keine Rede kann davon sein, dass es in der ersten Periode mehr Zins- und Schuldfälle gab. Was der Notar zwischen 1463-69 als Zinsstreit bezeichnete, brachten die Beamten zwischen 1521-24 aufgrund der anderen Funktion der Quelle möglicherweise als causa prophana oder als inhibitio auf den Begriff. 238

BAC: DG 1/2, 446: Wilhelmus Krenntzig, civis opidì Veitkirch, tenetur ad sigillum iura iudicii Hfl. R. in causa prophana seu debitoria; weitere Belege DG 1/2, 402 (causa prophana eiusdem census et boni), 444, 536; DG 1/3, 722. Vgl. auch G. May, Gerichtsbarkeit, 98 Anm. 7: Ende des 14. Jahrhunderts wurden in Thüringen die causae pecuniariae unter den Oberbegriff „weltliche Fälle" zusammengefasst. 239 BAC: 1/4, 1143: causa prophana certorum vasorum; DG 1/1, 655: causa prophana medicinalis cirurgicalium convencionis et reconvencionis inter Wilhelmum Grope civem Curiensis cirurgicum actorem reconventem et ipsum dominum Florinum reum; DG 1/3, 698: tenetur 10ß. iura iudicii cause prophane [...] de et super convencione praebendacionis. Dieser Fall wurde an das weltliche Gericht zurückgewiesen. 240 Der Unterschied bestand wie in der Rechtssprache des Basler Ratsgericht vermutlich darin, dass sich die Inhibitio auf die Fahrhabe und nicht auf die Immobilien bezog. Nach Hagemann war der gewöhnliche Ausdruck fur die gerichtliche Arrestierung der Fahrhabe „verbieten"; H.-R. Hagemann, Rechtsleben (Bd. 1), 63 Anm. 356. 241 G. Buchda, Kummer, Spp. 1257-1263. - Ein Fall von 1463, worin sechs Bewohner aus Delsberg verwickelt waren, in StABS: Gerichtsarchiv AA 1, 390-394. 242 Ein Beispiel für Letzteres in StABS: Gerichtsarchiv AA 1, 725-729. Die Güter von Konrad Ratz aus Eschkon (Bistum Konstanz) wurden auf Veranlassung des Presbyters und Rektors derselben Pfarrei eingezogen, weil jener den jährlichen Weinzehnt nicht lieferte. 243 Das juristische Fachwort inhibitio kann auch mit 'Verbot' übersetzt werden, wie folgendes Beispiel aus dem Bistum Chur zeigt. In einem Fall von Impotenz heißt es: Tenetur plus 2 ß. d. pro inhibicione contra iusdicentes in Pargün ne se de iudicando in eadem causa intromitterent; BAC: DG 1/2, 613. Hier handelt es sich um eine gerichtliche Verfügung, keinen Streitfall. Das zentrale definitorische Merkmal des modernen Zivilprozesses, dass sich zwei Parteien um einen Rechtsanspruch streiten, fehlt. Im 77¡or/?ws-Register ist diese Konstellation hingegen in jedem Inhibitionsfall gegeben.

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Hinsichtlich des Inhalts der causae annexae sollen drei Punkte herausgestrichen werden: Erstens war die Zahl der Zehnt- und Erbschaftsstreitigkeiten, die die kanonistische Literatur als besonders wichtigen Bereich der geistlichen Rechtsprechung bezeichnet, gemessen an der Größe des Rechtssprengeis unbedeutend. Testamentarische Angelegenheiten waren zweitens zwischen 1521-24 nie Inhalt eines Prozesses, zwischen 1463-69 nur gerade sechsmal. Zuletzt kann dasselbe fur die Zwangsvollstreckungen gesagt werden. Gemessen an den 40-80 Fronungen und den noch zahlreicheren Arresten, die die einschlägigen Bücher des Großbasier Schultheißengerichts im 15. Jahrhundert verzeichnen, ist die Zahl der in der bischöflichen Kanzlei vollzogenen Verfahren quantitativ völlig unbedeutend.244 Worüber sich die Parteien in Zehntfällen stritten, um die Höhe oder den Anspruch, lässt sich nur in den Fällen angeben, die aus dem 15. Jahrhundert stammen und in denen das Urteilsprotokoll einsehbar ist. Die Eintragungen im ThomusRegister eignen sich wegen ihrer lapidaren Kürze nicht dazu. In keinem einzigen Fall ging es um die Abgabenhöhe, sondern immer um den Zehntanspruch, wie folgendes Beispiel zeigt. Der Rektor der zwischen Mülhausen und Basel gelegenen Pfarrei Kembs klagte 1467 gegen seine Untertanen und Kirchgenossen, dass sie ihm von Rechts wegen den Zehnt von der Allmend schuldig seien.245 Das Urteil erhellt die Hintergründe des Falls nicht. Doch die Argumentation des Geistlichen er berief sich sowohl auf das göttliche wie das gemeine Recht -246 macht deutlich, dass die Kirchgenossen nicht versuchten, die Abgabe zu reduzieren, sondern seinen Rechtsanspruch anzweifelten. In Erbschaftsprozessen bestand die Aufgabe des kirchlichen Gerichts hauptsächlich darin, die Berechtigung des Anspruchs zu prüfen. Der Kirchenrichter entschied über die bestrittene Legitimität des Erben oder der Erbin und untersuchte zu diesem Zweck den Verwandtschaftsgrad oder klärte ab, ob eine Person ehelich geboren war. Das illustriert folgendes Beispiel. 1467 erhoben Jakob Leymbach und seine Frau Metzi Zornin, die im Sundgauer Dorf Reiningen wohnten, Anspruch auf das väterliche Erbe. Dagegen wehrte sich Heinrich Taler.247 Da Metzi zur Welt gekommen sei, bevor ihr Vater ihre Mutter geheiratet - „sy zu kilchen gefurt" - habe, argumentierte er, sei sie kein eheliches Kind. Jakob Leymbach hielt dagegen, dass seine Frau im Augenblick der Heirat ihrer Eltern ehelich geworden sei und deshalb „bilichen erben solt". Der Offizial gab Heinrich Taler recht und wies den Fall an das weltliche Gericht weiter, „darinn das erb gefallen" war.248 244

Die Hinweise auf die städtischen Arreste bei H.-R. Hagemann, Rechtsleben II, 124. StABS. Gerichtsarchiv AA 1, 865-868. Der Titel des Urteilsprotokolls lautet: Inter dominum procuratorem Kempts et suos subditos. Der Offizial bejahte den Anspruch. 246 StABS: Gerichtsarchiv AA 1, 865: de iure tarn divino quam humano. 247 StABS: Gerichtsarchiv AA 1, 873f. Der Fall wurde zuerst vor dem Gericht des Meiers in Reiningen behandelt. Angesichts der abzuklärenden Frage aber nach Basel weitergeleitet. 248 Ähnliche Fälle in StABS: Gerichtsarchiv AA 1, 629ff„ 770f„ 1037-1042. 245

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Über die Prozesskosten in weltlich-geistlichen gemischten Fällen geben einige erhaltene Register Auskunft, die den Verlauf des Prozesses, die Behauptungen der Parteien und Zeugen wiedergeben. Zwar handelt es sich nur um einzelne Akten, doch genügt das, um orientierende Anhaltspunkte zu geben. Wie die folgenden Beispiele zeigen, kostete ein Prozess zwischen ca. 3-11 lb.249 1464 standen sich das Predigerinnenkloster Klingental in Kleinbasel und der bischöfliche Notar Adelbert Salzman vor dem Chorrichter gegenüber. Die Schwestern klagten, dass der Notar ihnen einen jährlichen Zins schulde 250 Die Kosten des Prozesses, der sich über ein halbes Jahr hinzog, setzten sich fur Salzmann aus folgenden Posten zusammen: Taxa in causa census per dominas de Clingental actrices Adelbero possessorio mota. Pro reo: Pro deductione negocii 2 ß. Pro XXfoliorum in actis 1 lb. Pro iuribus curie 3 ß. Procuratori Johanni Swegler 8 ß. Pro domino advocate Lucci151 1 lb. Pro copiis 4 ß. Pro notario et ingrossatura sententiae 1 lb. 10 ß. Pro sigillo illius 6 ß. Pro sigillo foliorum 1 lb. 10 ß. Pro taxa 2 ß. Summa 6 lb. 5 ß.

Saltzmann

reo in

indicio

Das Kloster hatte denselben Betrag zu bezahlen, versäumte es jedoch, ihn fristgerecht zu entrichten. Das Gericht reagierte umgehend und verhängte den Bann. Nachdem die Schwestern im November 1520 aber die Kosten beglichen hatten, wurden sie absolviert.252 249

Zwei weitere Beispiele: Die Kosten in einem 1510 geführten Zinsstreit beliefen sich auf 8 lb. 19 ß. 6 d.; StABS: Gerichtsarchiv AA 16. Der Prozess in einer causa emergens et annexae beneficialis, die 1530 vor den Richter kam, kostete den Kläger 4 lb. 9 ß. 11 d.; StABS: Gerichtsarchiv AA 15. 250 StABS: Gerichtsarchiv AA 15: Registrum in causa prophana mota et introducta inter venerabiles religiosasque et in Christo devotas dorn, abbatissam et capellanes monasterii Clingental siti in minori Basiliensis Constanciensis diócesis actrices ex una et providum virum Adelberum Saltzmann venerabilem curie Basiliensis collateralem notarium et causarum scribam iuratum reum [...], et se Adelberum exponentum eiusdem quondam patris sui defuncti fllium et heredem legittimum sibi dominabus in Clingental debuisse et debere quendam censum annuum unius floreni et unius quarte partis floreni monete usualis Basiliensis. Auch in diesem Fall handelte es sich um einen summarisch geführten Prozess. 251 Es handelt sich um Lucas Klett. 252 StABS: Gerichtsarchiv AA 15: Anno xx uff mittwoch noch Martini als dann die frowen zu Clingental von mintwegen umb obgemelt 6 lb. 5 ß. ze bann komen sind, haben sy mir dieselben 6 lb. 5 ß. bezalt und sind in toto absolviert. Sy haben ouch expensas processuum usgericht, und hab ich sy quittiert mit miner hantschrifft. A. Saltzmann.

186

Um für die Diözese Chur Erkenntnisse über die causae spiritualibus annexae zu gewinnen, sei wieder das Rechnungsbuch des Sieglers herangezogen.253 Ausgewertet wurden ausschließlich die Eintragungen, die die Pfarreien der drei Herrschaftsgebiete Gotteshausbund (Hochstift), Sarganser Landschaft und Vorarlberger Gerichte betreffen. Die folgende Tabelle zeigt die jährliche Verteilung der Gesamtzahl der in diesem Gebiet zwischen 1498-1527 geführten Prozesse.

Tabelle 22: Bistum Chur, causae annexae (1498-1527)

0

5

10

15

20

25

136 causae annexae wurden gezählt.254 Pro Jahr entschied der Offizial knapp fünf Prozesse. Das Schaubild zeigt, dass der Durchschnittswert wenig mit der tatsächlichen jährlichen Verteilung gemeinsam hat. Eine plausible Erklärung fur diesen Anstieg kann angesichts der niedrigen Datenmenge nicht gegeben werden.255 Die Gliederung der Prozesse nach Inhalt und Herrschaftsgebiet - maßgebend für die Zuordnung soll der Wohnort der klagenden Partei sein256 - ergibt folgendes Resultat: 253

Einzelne Prozessregister sind noch vorhanden; BAC: Mappe Β 61. Es handelt sich hauptsächlich um Zehntangelegenheiten aus der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts. 254 Zwei causae prophanae wurden nicht mitgerechnet, weil das Datum nicht vermerkt oder weggeschnitten wurde; BAC: DG 1/2, 387, 435. 255 Es sei daran erinnert, dass die Zeitangabe, die auf dem DG selbst prangt, lautet: 1512-26. Der Anstieg der Prozesse kann jedoch nicht darauf zurückgeführt werden, da das Schaubild im Kapitel über die Ehestreitigkeiten (Tabelle 18) zeigt, dass bereits in früheren Jahren die Zahl der Prozesse genauso hoch war wie nach 1512. 256 Die klagende und die beklagte Partei stammten von einer Ausnahme abgesehen immer aus dem gleichen Herrschaftsgebiet. Die Ausnahme betrifft den 1513 ausgetragenen Streit um die Todfallabgabe

187

Tabelle 23: Bistum Chur, Inhalt der causae annexae (1498-1527) Rechtsmaterie arrestatio/inhibitio Pfarrrechte Kirchenbau Benefizium causa prophana - Schuldsache257 Zins Zehnt Testament/Stiftung 258 Erbschaft anderes unklar Total

Vorarlberg

Sarganser L.

Gotteshausbund 2 6 8

1

4

-

-

-

-

-

1 1 1

-

10 5 4 2 2

-

-

-

1

2

1

28

12

96

2 259

-

3

-

22 11 3 9 16 3 15260

Hauptsächlich fallen drei Punkte in die Augen. Sie betreffen die Prozessinhalte s o w i e die Verteilung der Rechtsfalle auf die Untersuchungsgebiete. D i e Zahl der weltlichen Angelegenheiten, w o z u auch die Schuld- und Zinsforderungen gerechnet werden, ist in allen Herrschaftsgebieten relativ hoch. Mit dem Sammelbegriff causa prophana werden dabei sämtliche Prozesse erfasst, die keinen spezifisch kirchlichen Inhalt haben. 2 6 1 Dann fallt auf, dass das Churer Konsistorium sich im (ιcausa caducitatis) zwischen Abt und Konvent des Klosters St. Luzius in Chur als Kläger einerseits und Johannes Beck genannt Krumbeck aus Rankweil andererseits; BAC: DG 1/2, 402f. und DG 1/4, 1145. 257 Causa prophana und causa debitoria sind austauschbare Begriffe, wie folgendes Beispiel zeigt: Wilhelmus Krenntzig, civis opidi Veitkirch, tenetur ad sigillum iura iudicii ii fl. R. in causa prophana seu debitoria·, BAC: DG 1/2, 446. Jedoch kann es auch heißen: iura iudicii in causa debitoria seu emphyteotica, ohne dass der Begriff causa prophana verwendet würde; DG 1/3, 724. 258 Dazu gehören auch die causae piae. 259 BAC: DG 1/2, 471: causa remediorum; DG 1/2, 474: causa remissionis fori, DG 1/2, 485: causa remissi seu litis intentacionis certorum bonorum. 260 Teilweise handelt es sich wohl um weltliche Angelegenheiten, die aber nicht als solche benannt werden. Da die Prozessmaterie großenteils nicht auf einen deutschen Begriff gebracht werden kann, bzw. länger umschrieben werden müsste, wird einfachheitshalber in den meisten Fällen der Quellentext wiedergegeben. DG 1/1, 49; DG 1/4, 1145; DG LI, 18, 148: vier Prozesse betreffend Todfallabgabe (caducitas). DG 1/1, 8: causa conventions. DG 1/3, 641: causa cuiusdam cere. DG 1/3, 679: causa dotis. DG 1/4, 1043: causa melioracionis bonorum. DG 1/4, 1045: causafldeiussionis. DG 1/4, 1059: causa sinistre electionis und causa retractationis estimations bonorum. DG 1/4, 1143: causa transactions. DG 1/4, 1146: causa expensarum. DG 1/4, 1149: causa retencionis pignoris non defalcati predi. DG II, 154: causa requisicionis resignacionis cautorie. 261 Vgl. folgende sowie die in der vorangehenden Anmerkung aufgelisteten Beispiele. BAC: 1/4, 1077: causa prophana sive redempcionis certorum bonorum·, DG 1/3, 641: causa prophana sive emphiteotice locacionis quorundum bonorum ecclesie-, DG 1/1, 48: causa prophana seu presencionis gallinarum carnis, DG 1/3, 722: causa prophana quorundum bonorum et censuum.

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Vergleich zu Basel selten mit Arrestationen beschäftigte. Es mag sein, dass sich hinter den „weltlichen Fällen" solche verbergen. Belegt werden kann es nicht.262 Rechtshändel, die die Pfarrrechte oder den Kirchenbau betrafen, führten drittens offenbar nur Personen oder Personengemeinschaften aus dem Hochstift. Weder aus der Sarganser Landschaft noch aus dem vorarlbergischen Gebiet sind solche Rechtsfälle überliefert. Dafür fehlt eine plausible Erklärung. Die Analyse der Inhalte zeigt, dass es sich um Rechtsansprüche handelte, die nicht spezifisch fur hochstiftische Pfarreien waren, sondern überall Anlass zu Streitigkeiten geben konnten. Gestritten wurde um die Abtrennung einer Gemeinde von der Mutterkirche {separatio) zum Beispiel,263 um Dotationen264 oder um das Begräbnisrecht.265 In Prozessen um Kirchenbauten stritten sich die Parteien um die Kosten der Instandsetzung oder der Restauration der Gotteshäuser und Kapellen,266 um die Ausbesserung der Krippe und des Kelchs267 oder um die Kosten einer neu errichteten Kapelle.268 In einem Fall prozessierte eine Gemeinde, weil sie offenbar einem Schwindel um die Pendel ihrer Turmuhr aufgesessen war.269 Streitigkeiten ähnlichen Inhalts muss es auch in den beiden anderen, unter weltlicher Herrschaft ste262

Natürlich zog auch das Churer Gericht Güter ein, beispielsweise wenn ein Geistlicher das Zeitliche gesegnet oder ein Schuldner sich in die Fremde abgesetzt hatte. Aber das waren keine Prozesse, sondern Verfugungsakte der Verwaltung. BAC: DG 1/4, 1169: Debita domini Martini Scho(e)ni de civitate Curiensis olim plebani in Letsch et subsequenter bona et res eiusdem ad sigillum arrestata et liquidata. Von Jodok Riner aus dem vorarlbergischen Laterns heißt es. Est in partibus Hispanie et habet vestes, domi arrestantur, DG 1/2, 423. Den letzten Fall erwähnt auch 0 . Vasella, Kurie, 18. 263 BAC: DG 1/1, 63; DG 1/3, 576, 613. - Zu den Prozessen, die in den drei Bünden (Gotteshausbund, Zehngerichtebund, Oberer Bund) um die Pfarrrechte geführt wurden, vgl. I. Saulle-Hippenmeyer, Nachbarschaft. 264 BAC: DG 1/4, 1123: causa dotacionis possessionis diete ecclesie in Bergün; DG 1/3, 679: causa restantes summae arbitrate racionis dotis zwischen einer Erbgemeinschaft in Savognin und dem Kaplan Konrad Donaw. 265 BAC: DG 1/4, 1053, 1057: Sindici, covici ac communitas in Schgannffs [= S-chanf; Anm. T D.Α.] iii gl. R. iura iudicii in causa concessionis ecclesie sepulture inter ipsos [...] actores ex una et plebanum, covicos et communitatem in Zutz reos. 266 BAC: DG 1/3, 709: causa reparacionis ecclesie in Stallen [= Bivio; Anm. T.D.A.]; DG 1/3, 643f.: causa contribucionis expensarum refectionis seu restauracionis ecclesie parrochialis in Tiefenkastel; DG 1/3, 858: causa sustentaciones editui eiusdem et reparacionis ecclesie in Almens; DG 1/3, 699: causa supplicacionis certarum defectarum dotium atque restauracionis domus diete Capelle Sur; DG 1/3, 845: causa reparacionis domus in Sils. 267 BAC: DG II, 20: Heredes Petri Goldschmid alias de Be(a)row civis dum viveret Curiensis tenetur ad sigillum iura iudicii 15 ß. d. nomine sindicorum ecclesie in Tschapina in causa reparacionis cuiusdem calicis et patene etc. inter ipsos síndicos actores et Petrum reum. 268 BAC: DG 1/3, 652: Sindici Capelle noviter constructe beate Marie Magdalene in Stu(e)rffis seu Mutten tenentur pro iuribus iudicii ii fl. R. in causa melioracionis solucionis laborum et expensarum edificacionis diete Capelle inter magistrum Laurencium Höltzli lapicidam agentem et ipsos síndicos reos. 269 BAC: DG I/l, 59: causa vertigacionis pendiculorum maioris campanis diete ecclesie in Zizers. Zu diesem Prozess vgl. auch auch DG 1/2, 563. Der Begriff vertigatio findet sich nicht in den Wörterbüchern. Da der Wortstamm mit vertigo verwandt scheint, darf das Wort wohl entsprechend übersetzt werden. Im DG wird er noch in einem anderen Zusammenhang verwendet. BAC: DG 1/4, 1077: causa vertigacionis dictorum bonorum.

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henden Gemeinden gegeben haben. Doch die Parteien suchten deswegen offenbar nicht das Chorgericht, sondern eine andere Instanz auf. Wie teuer ein solcher Prozess die Parteien zu stehen kam, ist aus dem Rechnungsbuch des Sieglers nicht zu ersehen. Die Besiegelung des Urteils kostete 2-4 fl. oder ebenso viele Pfund, war also unter Umständen doppelt so teuer wie ein Eheurteil. Der Churer Bürger und Chirurg Wilhelm Groppi (oder Grope) klagte 1523 gegen den Vikar aus Salux, Florin Anthon. Dieser weigerte sich offenbar, die Behandlungskosten von 17 fl. zu bezahlen. Der Arzt gewann den Prozess, schuldete aber dennoch mindestens 3 fl., der Geistliche hingegen 4 fl.270 In einzelnen Prozessen beliefen sich die Kosten auf eine höhere Summe, ohne dass ein Grund dafür erkennbar ist. Die Distanz zum Gerichtsort war, wie folgende Fälle zeigen, offenbar nicht ausschlaggebend. Im ersten Beispiel kommen die Parteien aus dem Engadin. Die Verwalter (sindici) der St. Johannes Kapelle in Celerina und des Altars in der Heiliggeist Kapelle in Samedan schuldeten 1524 dem Siegel 5 fl. aufgrund eines außerordentlich langwierigen Verfahrens um eine Stiftung. Der Kläger Andreas Jost aus Pontresina hingegen schuldete nur 3 fl.271 Im zweiten Beispiel kommen die Parteien aus dem Gerichtsort. Der Bischof und der Abt von St. Luzius schuldeten 1520 dem Siegel 4 fl. abzüglich 30 Kreuzer. Der Arzt Johann Mosnang zog sie vor das Konsistorium, weil sie ihm offenbar seinen Lohn vorenthielten oder mit der Höhe des beanspruchten Honorars nicht einverstanden 272

waren. Wenn das Chorgericht einen Fall nicht selbst entschied, sondern an ein weltliches Gericht zurückwies, kostete das immer noch 10 oder 12 ß. Zumindest schuldeten 1523 der Kläger Ambrosius zur Müli aus Tinzen und 1522 Claus Schnider aus Riom diesen Betrag.273 270

271

272

273

BAC: D G II, 12: Wilhelmus Gróppi civis civitatis Curiensis tenetur ad minus tres fl. R. pro iuribus iudicii in causa prophana salarii reconvencionis inter ipsum Wilhelmum actorem reconventum et dominum Florinum Anthoni vicarium in Salux reum reconventor, fuit longus processus [...] actor reconventus triumphavit et dominus reus reconventor eidem in summa xviifl. R. nomine salarii questions unacum refiisionem singularum expensarum litis fuit sententialiter condemnatus. Der Eintrag fur den Vikar in D G 1/3, 655: Tenetur plus ad minus quatuor fl. R. pro iuribus iudicii in causa prophana medicinalium cirurgicalium convencionis et reconvencionis inter Wilhelmum Grope civem Curiensis cirurgicum. BAC: D G 1/4, 1048: causa pya seu annui canonis [...] fuit extensissimus processus. Der Entscheid fiel zu Gunsten der Beklagten aus, und der Kläger wurde zur Übernahme der Kosten verurteilt. BAC: D G 1/4, 1163: Reverendus in episcopo pater et dominus Theodolus abbas sancti Ludi tenentur [...] in causa mercedis inter Johannem Mosnang de Wertach chirurgicum pustularumque medicum. Der Arzt gewann den Prozess, der in Maienfeld gefuhrt wurde. Dorthin zog das Gericht 1520 wegen der Pest. - Vgl. auch ebd., 1164: in causa deserantis mercedis. BAC: D G 1/3, 698: tenetur χ β. d. iura iudicii prophane [...] causae ad forum secutare fuerunt remi s si de expensis nichil decretum fuit. DG 1/3, 667: tenetur xiiß. d. pro iuribus iudicii in causa pia legacionis [...] causa ad forum seculare remisse unacum refusionem omnium expensarum sententialiter.

190

3.

Strafrechtliche Gerichtsakte aus Basel und Chur

Die Konstanzer Urteilsprotokolle enthalten nur 48 strafrechtliche Verfahren.274 In 23 Fällen ging es um Ehebruch (adulterium), sechzehnmal um Gewalt in der Ehe (saevities) und in neun Fällen löste eine Beleidigung (iniurium) einen Prozess aus. Entschied der Offizial der größten Diözese des Erzbistums Mainz jährlich tatsächlich nur zwischen null und fünf Prozesse? Angesichts des vollständig scheinenden Quellenmaterials, muss die Frage bejaht werden. Die Delikte „Ehebruch", „Gewalt in der Ehe" oder „Entjungferung" wurden auch von weltlichen Gerichten geahndet und bestraft. Das könnte die relativ kleine Anzahl derartiger Streitigkeiten am kirchlichen Gericht erklären. Ebenso sei daran erinnert, dass das Privilegium fori bereits vor der Reformation in einigen, vor allem eidgenössischen Herrschaftsgebieten massiv durchbrochen worden war und die Geistlichen sich wegen leichter, nichtpeinlicher Vergehen vor den weltlichen Niedergerichten zu verantworten hatten.275 Angesichts der wenigen Fälle ist es überflüssig, die Daten weiter aufzuschlüsseln. Nur auf das Strafmaß, insbesondere die Höhe der Geldbußen sei eingegangen, da sie verallgemeinert werden können. Die Strafe ist von vier Vergehen bekannt, nämlich von Beleidigungs-, Deflorations- und Ehebruchsfällen sowie vom wissentlichen Verstoß gegen die Eheordnung, indem eine Person oder ein Paar heiratete, obwohl ihr oder ihm das bestehende Ehehindernis bekannt war. 1523 beschuldigte Barbara Haylarin aus Eßlingen, die als Magd (famulo) in Waldorf arbeitete, den Magister Balthasar Hyller, den Frühmesser der Pfarrei, er habe sie geschmäht und ihre Ehre verletzt. Der Offizial entschied, dass die Worte des Priesters entehrend seien und verurteilte ihn zu einer Geldstrafe von 20 fl.276 Die Höhe der Buße bemaß sich vermutlich an der finanziellen Lage der Parteien.277 Wer einer Frau die Ehe versprach, sie deflorierte und das Versprechen nicht hielt, wurde nicht nur dazu verurteilt, ihr die Mitgift zu bezahlen, sondern hatte an die Münsterfabrik in Konstanz auch eine Buße von 2 fl. zu entrichten.278 Etwa gleich hoch war die Geldstrafe fur Ehebrecher. 1514 hatte ein Ehebrecher aus Rottweil dem Fiskal zur Strafe 1 lb. in Konstanzer Währung zu bezahlen.279 Im selben Jahr

274

EAF. Ha 330i, Ha 126, Ha 127. Vgl. Exkurs, Kapitel § 1,1.1. 276 EAF: Ha 127, fol. 159-160v. 277 Vgl. den Diffamierungsprozess zwischen Stephan Segmüller und seiner Frau Anna Bantzermacherin als Kläger aus Ulm und dem dortigen Kaplan Johann Wiolin. Der Offizial entschied, dass die Worte des Geistlichen beleidigend gewesen seien und brummte ihm eine Strafe von 40 fl. auf; EAF: Ha 127, 207v-209v. 278 EAF: Ha 330i, 267: adpersolvendum edam fabrice huius ecclesìe cathedralis Constanciensis duos florenos Rhenenses condemnamus. 279 EAF: Ha 330i, 195. Vgl. auch ebd., 291f. Das Urteil trägt den Schlussvermerk: taxa 4β. d., was sich vermutlich auf die Schreibkosten bezieht. Ebenso Ha 126, fol. 28-29, fol. 54-54v u.ö. 275

191

wurde ein Bürger aus der eidgenössischen Stadt Baden mit 2 fl. gebüßt, die in die Kasse der Münsterfabrik flössen.280 Was das letzte Vergehen betrifft, zogen sich die Eheleute eo ipso die Exkommunikation zu. In den untersuchten Jahren gab es immer mehrere Fälle, in denen ein oder beide Heiratspartner die Ehe schlössen, obwohl ihnen bekannt war, dass sie verschwägert oder blutsverwandt waren. Insgesamt waren es 71 Fälle, also fast acht jährlich. Insgesamt wurden während der untersuchten Zeit 271 Fälle von Blutsverwandtschaft oder Schwägerschaft gezählt. Mit anderen Worten wusste in 26 % der Fälle mindestens ein Partner um das Eheverbot der Verwandtschaft.281 Mathias Ho(e)ltzlin aus dem Dorf Hittelkofen, das zur Pfarrei Haisterkirch (Dekanat Waldsee) gehörte, und Verena Längi aus dem zur selben Pfarrei gehörenden Weiler Haidgau, seien als exemplarischer Fall vorgestellt. Sie hatten schon die Ehe geschlossen und miteinander geschlafen, als das Gerücht auftauchte, sie hätten im verbotenen Grad der Blutsverwandtschaft geheiratet, weshalb die Verbindung nicht bestehen bleiben könne. Die Verdächtigten forderten vom Richter Klarheit. Der Offizial ließ ein Edikt verlesen, worin er Zeugen um ihre Aussage bat. Das Ehehindernis wurde bewiesen. Gleichzeitig wurden die Eheleute vom Bann absolviert.282 Ob ihnen allerdings auch bekannt war, dass sie deswegen automatisch exkommuniziert würden, geht aus dem Urteil nicht hervor.

280

EAF: Ha 330i, 228: ad persolvendum fabrice huius cause cathedralis Constanciensis duos fl. Rhen. Vgl. Tabelle 16. - Offenbar wurden die Eheleute nicht noch zusätzlich mit einer Geldbuße bestraft, wie das in Chur der Fall war. 282 EAF: Ha 127, fol. 70v: super eo, quod licet partes ipsas matrimonium mutuo contraxerunt per verba legitima de praesenti copula carnali subseguía fama tarnen etc. eo, quia sibi invicem in certo consanguinitatis gradu in iure ad contrahendum prohibito attinere dicebantur, unde petiverunt per nos etc. [...] impedimentum [...] famatum sufficienter probatum invenimus [...] Matheo parti principali et se a sententia canonis quam scienter in quarto et tertio gradi bus consanguinitatis [...] absolví mus. 281

192

3.1

Vergehen der Laien

Die folgende Graphik gibt einen Überblick über die Zahl der im Bistum Basel von Männern und Frauen begangenen disziplinarischen Vergehen gegen die christliche Ordnung und Moral. Sie datieren aus den Jahren 1463/64-69/70 sowie 1509/1021/22.283 Aus der letzeren Periode sind nur noch sieben Register erhalten, so dass also zwei gleich lange Zeitabschnitte verglichen werden.284 Zwar wären noch zahlreiche weitere Bußenhefte aus dem 15. Jahrhundert auszuwerten. Aufgrund der leitenden Fragestellung reicht es aber, die Jahre knapp vor und während der Reformationszeit zu berücksichtigen. Die Menge der Daten ist ohnehin repräsentativ genug. Als Vergleichsperiode wurden die Jahre zwischen 1463/64-69/70 gewählt, weil aus dieser Zeit die im vorangehenden Kapitel ausgewertete serielle Quelle, das Sentenzenbuch, stammt. Wie zu zeigen ist, ergänzen sich die Akten.

Tabelle 24: Bistum Basel, jährlich bestrafte Laien (1463/64-69/70)

«

63/64

,

[—

1—

1—

1—

1

60/70

283

Die Rechnungslegung begann nie am 1. Januar eines Kalendeijahres, sondern in den Monaten März, April oder Mai. Aus diesem Grund werden im Folgenden immer zwei Jahresangaben genannt. Der Titel eines Registers lautet zum Beispiel Recepta et expósita per me Heininum Karricher alias Hug, fiscalem Reverendi domini, domini episcopi Basiliensis a dominica palmarum anno decimo quarto usque ad dominicam palmarum anno decimo quinto etc., ein anderer: „Heinrichs Karrichers alias Hu(o)g Innemenn unnd ußgebenn, angefangen an sant Andres oben in dem fimftzehen hu(o)ndertstenn unnd zehenden jare"; AAEB: A 85/43. 284 AAEB: A 85/39 und A 85/43. Aus den Jahren zwischen 1509/10-1521/22 sind nicht mehr alle Bußenregister erhalten. Überliefert sind die Hefte der Jahre 1509/10, 1510/11, 1512/13, 1513/14, 1514/15, 1516/17 und 1521/22. - Aufgenommen wurden auch diejenigen Vergehen, über deren Strafe noch nicht entschieden worden war.

193

Tabelle 25: Bistum Basel, jährlich bestrafte Laien (1509/10-1521/22)

Der Fiskal bestrafte 483 Vergehen, 214 in der ersten und 269 in der zweiten Periode. Das sind durchschnittlich etwa 35 Fälle jedes Jahr. Die Zahl der geahndeten Delikte schwankte mit Ausnahme der Rechnungsjahre 1512/13 und 1521/22 nur unwesentlich. Da aber für das vorangehende beziehungsweise nachfolgende Jahr kein Register überliefert ist, sind diese Extreme nicht zu interpretieren. Die bestraften Pfarrgenossen mussten vor allem wegen sexueller Delikte eine Geldstrafe entrichten. Allein der Ehebruch und die Unzucht machten beinahe 90 % aller Verstöße aus, derentwegen der Fiskal in der ersten Periode eine Geldstrafe verhängte;285 in der zweiten nahm die Zahl dieser Delikte zwar sowohl absolut als auch prozentual ab, blieb aber im Vergleich zu den restlichen Vergehen unverändert hoch. Hundertzehn Ehebruchs- und Unzuchtsfalle (70 %) wurden gezählt. Die beiden nachstehenden Tabellen geben einen diachronischen Überblick über die Delikte der Laien, die Menge der Ehebrüche (adulterium), Unzuchtsfälle (fornicatio), Konkubinate (concubinatus), Entjungferungen (defloratio) sowie der sexuellen Exzesse.

285

Die in der neusten Literatur vertretene Ansicht, dass der Ehebruch und die Homosexualität die häufigsten Vergehen der Laien gewesen seien, wird somit relativiert. Vgl. K. Weissen, „An der stu(e)r ...", 127. -Mehrfachbestrafungen kamen in der untersuchten Zeit nur gerade zweimal vor. In beiden Fällen wurde eine Person zweimal bestraft. In der Statistik wird jeder dieser Fälle nur einmal gezählt. Das ist deshalb möglich, weil keine Person sowohl wegen eines Sexual- oder Ehedelikts als auch wegen eines anderen Vergehens bestraft wurde.

194

Tabelle 26: Bistum Basel, Sexual- und Ehedelikte der Laien (1463/64-69/70) 1463/64

64/66

adulterium fornicatio concubinatus defloratio Exzess anderes

14 13 1 2 1 l286

5 15 2 2 -

Total

32

24

Delikt

65/66

66/67

67/68

68/69

69/70

Total

13 18 2 -

4 19 3 -

5 10 1 2

14 1 2

23 1 1

41 112 5 10 6 1

33

26

18

17

25

175 ( 1 0 0 % )

(23 %) (64 %) (3 %) (6%) (3 %) (1 %)

Tabelle 27: Bistum Basel, Sexual- und Ehedelikte der Laien (1509/10-21/22) Delikt adulterium fornicatio concubinatus defloratio puerum anderes Total

1509/10

18

l288 19

10/11

12/13

1 26

13

-

-

27

13

13/14

14/15

1 2 10 8 1 8 1 1 2 2 3 289 l 290 18

22

16/17

21/22

Total

2 3 l 287 829'

10 16 1 15 292

16 ( 1 0 % ) 94 (61 %) 11 (7 %) 2 (1 %) 4 (3 %) 28 (14 %)

14

42

155 ( 1 0 0 % )

286

Nesa Meygerin de Switterlin parochiae Luckeren condempnata ad emendarti per dominum officiaient crostino palmarum quia habuit rem carnis cum uno postea duxit fratrem dicti cum quo habuit rem in maritum legitimum; AAEB: A 85/39 (1463/64), fol. 7. 287 Die Person musste genaugenommen sowohl wegen concubinatus als auch wegen divorcium eine Buße bezahlen. 288 Condempnatus est Ludwicus Schmidysen ea racione quod neglexit solempnisare matrimonium; AAEB: A 85/43 (1509/10), 2. 289 Item Ursula Merenwick de Colmar excommunicatus, non wlt[!J cohabitare marito. - Item villicus im Frigen hoff non vult retiñere uxorem. - Item Eisina Höfflin de Hintzbach hat ein man genomen und sint zu(o)samen gen, und domoch ein andern genomen sine declaratione; AAEB: A 85/43 (1513/14), 14f. 290 Item Ulricus Schnider et Agata eius uxor in Fessenhein non volunt cohabitare; AAEB: A 85/43 (1514/15), 10. 291 Sechs Scheidungen (divorcium), deren Ursache nicht angegeben wurde; Ambier de Songeren racione famule sue que erat suspecta; dedit racione Johannis de Hagenbach et famule sue propter suspicionem et quod ipsa fuerat maritata; AAEB: A 85/43 (1516/17), 1, 3. 292 Aus folgenden Gründe musste eine Geldbuße entrichtet werden: funfinal wegen copula, viermal wegen illegitimer Kinder, wegen der Weigerung, die Ehe einsegnen zu lassen (zweimal), einmal wegen verbotener Einsegnung der Ehe, einmal wegen unerlaubten Zusammenlebens (illegittimum thorum); in zwei Fällen heißt es nur: propter causam matrimonialem bzw. in suis matrimonialibus; einmal wurde eine Frau wegen Bigamie bestraft (quia dixit alium maritum indensa pendente causa matrimoniali cum certo alio).

195

Der Tatbestand puerum bezeichnet wohl die Homosexualität. Der Notar pflegte als Begründung der Buße zu schreiben propter puerum293 Was „Excess" bedeutet, der in der zweiten Periode fehlt, ist unklar. Vielleicht handelte es sich um Verstöße gegen einen Ehezweck. 294 Zuletzt zur Defloration. Sie wird auch als „geraubte Jungfräulichkeit" umschrieben. Damit ist nicht die „Vergewaltigung" gemeint. Denn der rechtstechnische Begriff dafür hieß stuprum\ und aus einzelnen Urteilsprotokollen geht hervor, dass die Strafe im Rahmen einer abgewiesenen Eheklage ausgesprochen wurde. Eine Deflorierte beschuldigte zum Beispiel den Täter, er habe ihr die Ehe versprochen. Deshalb habe sie sich von ihm deflorieren lassen. Dieser bestritt erfolgreich Ersteres, gestand aber das Letztere. 295 Während die Zahl der Sexual- und Ehedelikte in den ersten sieben ausgewählten Jahren höher war als in der zweiten Periode, ist bei den übrigen Vergehen das Gegenteil der Fall. In absoluten Zahlen ausgedrückt stiegen sie von 39 Fällen (1463/64-69/70) auf 114 Fälle (1509/10-21/22). Die übrigen disziplinarischen Delikte, derentwegen Laien eine Geldstrafe entrichten mussten, waren die Folgenden:

293

294

295

Die inhaltliche Auffüllung dieser unscharfen Beschreibung fallt deshalb schwer, weil ein Fall überliefert ist, wo eine Frau bestraft wurde, weil sie „einen Knaben hatte" (habuit puerum). Möglicherweise handelt es sich aber nicht um dasselbe Vergehen; AAEB: A 85/43 (1514/15). Quarta post festum sancii Ulrici condempnatus fuit ad emendam Ullinus Bruchei de Roschencz propter certos excessus in matrimonio commisses, concordatum die sancii Galli in presencia advocati in Zwingen Johannis Salczmanpro tribus Ib.; AAEB: A 85/39 (1469), 2v. Heininus Hütt de Buserach condempnatus ad emendam sententialiter quia destituii quondam virginem; AAEB: A 85/39 (1462/63). Das Urteil des Eheprozesses in StABS: Gerichtsarchiv AA 1, 445f.

196

Tabelle 28: Strafrechtliche Delikte (ohne Sexualdelikte) der Laien (1463-69) Delikt Exzess Injurie Lüge Meineid

1463/64

68/69

69/70

65/66

2 2

1

1

-

-

-

-

-

-

-

2 1

-

-

-

-

-

3

3

1

1

-

Si quis

-

Wucher anderes

22%

Total

6

1 1

66/67

67/68

64/65

1 1

2 297

2298

-

-

|299

3300

^301

2 1 1302

6

6

4

4

7

6

-

-

-

Total 2 7 2 1 11 1 15 39

296

Clewinus Bulin de Hagental condempnatus ad emendarti quia publice presidente domino officiali monitus fuit; AAEB: A 85/39 (1463/64), fol. 5v. 297 Condempnatus fuit ad emendarti Petrus der Lutenschlaher in Mulhuß quia lusit iudeis in Lutonis in una forma sexta in impiis, fuerunt condempnati ad emendam heredes quondam domini Richardi ohm cappelani in Maßmunster quia infringerunt arrestum positum in bonis dìcti domini Richardi pro parte domini nostri graciosi, AAEB: A 85/39 (1464/65), fol. lv, 2. 298 Condempnatus fuit sententialiter ad emendam Caspar Kuppelin de Hohenrodern [...] propter prevencionem. - Dominus Heinricus Heinrici plebanus in Hunnewiler concordavit pro parte heredum quondam domini Johannis Wolffen quia decessit sine fertone; AAEB: A 85/39 ( 1465/66), fol. 2, 5. 299 Item quidem dictus Linse Wernlin de Richenwilr tenetur solvere duos fi. racione certorum debí forum Hi quibus fuit dicto domino quondam η obligatus solvendo AAEB: A 85/39 (1466/67), fol. 3. 300 Condempnatus fuit [...] Erhardus Rosenfeld sartor ex eo, quia infregit arrestum domini mei graciosi Bas. - Remissus fuit Clewinus Volmi fuit de carceribus de Zessingen propter suum falsum commissum. - Mater quondam domini Petri Dur et dominus Jodocus Ranching concordarunt cum domino meo vicario et cum me racione indulti persolvendum domino meo gracioso ii fi. racione vertone et mich[\] quatuor fl. racione offici, AAEB: A 85/39 (1467/68), fol. 2, 3, 5. 301 In drei Fällen heißt es von Personen aus dem elsässischen Sulzmatt: Concordatus [...] vigore processus generalium excommunicationis; AAEB: A 85/39 (1468/69), fol. 2. 302 Condempnatus fuit [...] Conradus Walleser de Roschenz quia fecit se officialem [..fx Ib.; AAEB: A 85/39 (1469/70), fol. 2v.

197

Tabelle 29: Strafrechtliche Delikte (ohne Sexualdelikte) der Laien (1509-22)

Delikt Exzess Injurie Meineid Blasphemie

1509/10 10/11

21/22

Total

26 2 2 16 3

8

-

5

1

2

-

-

-

-

4 2

-

-

-

6 -

1 1

1

-

-

303

16/17

-

Wucher

Total

14/15

-

2 4

anderes unklar

13/14

6

Si quis sigillum

12/13

3303

5304 -

20

-

-

2 1

1 -

-

-

^305

-

16

2306 -

3

-

2 1 2 16 307 -

26

4308

j309

-

1

7

9 3 io

3

3

10

42 16

15

8

26

114

Dreimal propter defraudationem sigilli-, AAEB. A 85/43 (1509/10), 11. Zweimal propter revocationem; einmal quod de portavit peccunias spectantes domino vicario ad sigillum, dedit nomine emendae xii β. ; recepii a villico in Zwingen ratione sacerdotis de Maltingen i lb. ν β.; ratione quod suscepit sacramentum consumationem [...] ii lb. xv β:, AAEB: A 85/39 (1509/10), 2, 8, 9, 11 und 16. 305 Item Panthalianus Junt scultetus in Munwiler dedit proter[\] inobedienciam ecclesie. - Item Nicolaus Gremper de Meli fregit sabatum dedit xxx β. - Item Urbanus Herman de Helffanzkilch hat den priester mit einem gelten geworffen, facit xxx β. - Item scultetus in Munwiler dedit, hat am sontag ein hasen gefangen, ν ß. - Item Hans Bom de Wolffswiler hat milch gessen in der fasten, ν ß.; AAEB: A 85/43 (1510/11), 1, 10-13. 306 luratos ville in Ufingen solverunt iuxta concordiam factam. - Item villicus et iurati ville Hirsingen dederuntpropter certa emenda; AAEB: A 85/43 (1512/13), 11, 13. 307 Item Heinrich Göttfryd de Sennhein dedit propter falsum interSignum i Ib. xiiiiß. - Item advocatus et cónsules in Richenwiler sunt citati. - Item Cristen Urban de Meisprach communicavit in excommunicatione. - Item villicus et iuratos in Bencken sunt citati noluerunt obedire nihilominus. - Item procuratores ecclesie in Thüngelßhein prope sancta Cruce non volunt dare calculum rectori. - Item Hanß Rumer de Winzenhein gehört gon Wettelzhein, non communicavit tempore pascali, non fecit confessionem suo plebano, non dedit sibi intersignum, ubi et vult dare oblacionem passe non dedit. Item dictus Cleinpeter de Rennendorff iuravit mihi satisfacere in quindena non servavit fidem. - Item Steffanus et eius famula in Pfeffingen sunt citati. - Item Morandus Fehinger de Volckersperg non communicavit tempore pascali. - Sieben Personen aus Oltingen sind zitiert; AAEB: A 85/43 (1514/14), 6, 14-17. 308 Item Marcus Dubenest von Oltingen ist ouch Herman fur sin huß geluffen. - Item Ludwicus Banwart de Lutterbach hat einfaltig Wortzeichen bracht, quia dominus actor non consensu iuxta litteras. Item Groß Heinrich de Aspach hat unelich lut uffgehalten. - Item Steffanus Murer de Ysenhein hat ein metz zu(o) Hartmaßwiler ins wirtz huß gehan[!]; AAEB: A 85/43 (1514/15), 8, 1 If., 14. 309 Johannes Bomlin qui in fraudem ecclesie alienavit bona ecclesie et per suum iuramentum denegavif, AAEB: A 85/43 (1516/17), 1. 310 Fünfmal propter indiscretionem (in iure oder in iudicio factam), je einmal propter certum mendacium, propter aliam rebellionem, propter pertinacem cavillationis in iudicio und propter venerem; AAEB: A 85/43 (1521/22). 304

198

Bevor die Tabellen interpretiert werden, muss noch ein Wort zu den stichwortartig abgekürzten Tatbeständen gesagt werden. Mit dem Begriff „Injurie" werden sämtliche Verbaldelikte mit Ausnahme der Gotteslästerung (blasphemia) bezeichnet. Der Schreiber protokollierte den Wortlaut jedoch in den meisten Fällen nicht. 3 " Im Bußenregister heißt es zumeist nur, dass der Fiskalprokurator einen Mann oder eine Frau wegen „gewisser Worte" oder „unerlaubter Worte" (verba illicita oder frivola) bestraft habe, die sie oder er im Konsistorium vor dem Offizial, also vermutlich im Verlauf eines Verfahrens oder ausnahmsweise gegen eine Person außerhalb des Gerichts geäußert hatte. In diese Kategorie von Tatbeständen wurden aber auch die Indiskretionen oder die Drohungen aufgenommen. In einem einzigen Fall ist ihr Inhalt überliefert. „Ich wil inn ze tod schlahen", wütete 1521 oder 1522 Bernhard Schindler aus Zimmersheim gegen eine unbekannte Person und büßte dafür mit 1 lb.312 Ein weiteres Verbaldelikt ist die vor dem Richter geäußerte Lüge, die sich vom Meineid dadurch unterscheidet, dass sie nicht unter Eid ausgesagt wurde. Unter Si quis - es handelt sich um die Anfangsworte der Dekretale Si quis suadente diabolo313 - werden sämtliche Gewaltdelikte verstanden, die Laien an Klerikern begingen. Nicht auszuschließen ist, dass auch einige der in der Rubrik „Exzesse" aufgelisteten Vergehen Gewaltdelikte waren, wie der Fall von Peter Wagner aus Basel zeigt, der 1468 wegen seiner Exzesse zu einer Strafe von 10 lb. verurteilt wurde. 314 Nur aus dem Urteil geht hervor, was gemeint ist: Peter Wagner drang mit Gewalt beim Fiskal ein, stieß und schlug ihn und wurde exkommuniziert, weil er die Immunität des Orts missachtete. 315 Sigillum schließlich bezeichnet den Tatbestand der missbräuchlichen Verwendung eines Siegels, der Siegelfälschung oder des Betrugs mit einem gefälschten oder falschen Siegel. Die lapidare Formulierung des Notars propter falsum sigillum ist nicht eindeutig. Zwei Vergehensarten bestrafte der Fiskal besonders oft, Verbaldelikte und Gewaltvergehen gegen Priester. Alle übrigen Delikte sind quantitativ betrachtet von 311

312

313 314

315

Solche finden sich höchstens in den Urteilsprotokollen. 1463 klagte das Frauenkloster Unterlinden in Colmar vor dem Offizial, es sei geschmäht worden. Der Pleban aus Mittelwihr habe zu einem Einwohner desselben Orts, der dem Kloster offenbar etwas schenken wollte, gesagt: „Wilt du der huren zu(o) Underlinden din gut geben? Dennen sy sint böser dennen huren und sy ligend in den closter übereinander und wissent nit, was sy betten, und hett ich ein dochter und hett ir gut ze geben, ich wolt sy lieber in ein offenen hurhuss thu(o)n dennen in das closter zu(o) Underlinden;" StABS: Gerichtsarchiv AA 1, 407fF.; vgl. auch die Beleidigung zwischen geistlichen Parteien; ebd., 709-712. AAEB: A 85/43 (1521/22). Das Beispiel macht deutlich, dass es sich nicht um ein spezifisch kirchenrechtliches Delikt handelte. CIC: c. 17 q. 4 c. 29. AAEB: A 85/39 (1466/67), fol. 6v und (1467/68), fol. 4v. Da Peter Wagner gegen das Urteil appellierte, wurde er nicht bereits 1466 zu einer Strafe verurteilt. StABS: Gerichtsarchiv AA 1, 844-847: aliqua violencia invadere, percutere, verberare aut alias molestare [...] declaramus, reum propter violenciam per eum coram nobis [...] in violacionem immuni tatis loci consistorii nostri factam et coram nobis probatam ad emendam condìgnam [...] condemnamus. Das instrumentum appellacionis a sententia contra Petrum Wagner, ebd., 815f.

199

untergeordneter Bedeutimg. Werden die beiden Perioden auf diese besonders oft verwirklichten Tatbestände hin verglichen, so fallt der quantitative Anstieg beider Vergehen auf, insbesondere derjenige der Verbaldelikte. Prozentual gesehen nehmen aber die Fälle von Gewalttaten stark ab. In den ersten Jahren der Reformation wurde deswegen keine einzige Person bestraft. Unübersehbar ist, dass das Gericht in der zweiten Periode fast dreimal soviel Personen bestrafte. Wie ist das zu erklären? Mehrere sich einander ergänzende Faktoren kommen in Betracht, ohne dass ihr Gewicht bestimmt werden könnte. Da über die Entwicklung der Bevölkerungsdichte keine genauen Zahlen vorliegen, fallt ein möglicher Grund zum vornherein weg. Zwei Beobachtungen können als Erklärungshilfen fiir die mengenmäßigen Verschiebungen dienen. Einmal ist es auffallend, dass die Bußenregister der zweiten Periode andere, vorher nicht geahndete Vergehen enthalten, darunter die Blasphemie, die missbräuchliche Verwendung eines Siegels und die Homosexualität. Aber auch Vergehen finden sich, die in anderen Diözesen wie zum Beispiel in Trier im Send gerügt wurden. Ein Mann habe am Sonntag einen Hasen gefangen, heißt es beispielsweise. Von einem zweiten liest man, er habe während der Fastenzeit „Milch gegessen".316 Möglicherweise wuchs die Bereitschaft sowohl der Kirchgenossen, unsittliches Verhalten ihrer Nachbarn zu melden, als auch des Dorfpfarrers, diese Vergehen dem Richter in Basel zu melden. Auch die zusätzlichen Gerichtseinnahmen mögen aus der obrigkeitlichen Sicht eine Rolle gespielt haben. Das führt zur zweiten Erklärung. Es ist denkbar, dass in der ersten Periode mehr Delikte auf dem gütlichen Weg ausgetragen wurden als in der zweiten. Der Kirchenrichter konnte Vergehen wie zum Beispiel Verbaldelikte schlichten, statt den Täter zu bestrafen. Das belegt folgender Fall. 1515 klagte Theobald Muller, der Kaplan aus Thann, Otilia, die Wirtin zum Engel, habe ihn beleidigt. Er sandte dem Offizial die Klageschrift, die Kopie davon Otilia. Die Wirtin erschien darauf in Basel und bat, die Angelegenheit gütlich beizulegen, um Kosten und Arbeit zu sparen. Der Richter ging auf den Antrag ein.317 Otilia wiederholte vor ihm die Schmähworte. Sie schalt den Geistlichen einen Freier und einen Schelm - „er sig von einer dirnen uffgestanden und hab niess gehan und sig dornoch wider zu gelegen [...] ein lecker und ein bub". Es täte ihr leid, „habs uss zorn und beweglicheit geredt",318 entschuldigte sie sich und fügte hinzu, 3,6

AAEB: A 85/43 (1510/11), 13. Beide mussten eine Geldstrafe von 5 ß. bezahlen. - Nach den Synodalstatuten von 1297 gehörte es zwar von Anfang an zu den Aufgaben des Basler Offizials, Übertretungen des Feiertaggebots zu bestrafen; J. Trouillat (Hg ), Monuments II, Nr. 506, 656. 317 StABS: Gerichtsarchiv AA 15: „Also haben wir uff das schoben und ernstlich bitt obgemelt die parthien fur uns beschickt, die in der gutlicheit ze vereynbaren mittel gesucht, und ir clag, antwort, red und widerred gnugsam verstanden, und zu lest an beiden parthien vermo(e)gt, das sy uns sollichen handel von handen gegeben uns zugeseit und versprochen, was wir harin in der fruntlicheit lutern deby ze bliben sollichs erstatten und vollstrecken getruwlich und on all geverd" Hier auch die weiteren Zitate. 3 8 ' „Aus Zorn" bedeutet wohl das Gegenteil von „vorsätzlich" und „mutwillig", also „fahrlässig". Hagemann vermutet, dass die Unterscheidung „mit verdachtem mu(o)t" und „us zorn" auf die römisch-

200

sie wisse über den Kaplan sonst nur Gutes zu sagen, er sei ein frommer Priester. Der Offizial erkannte darauf, dass diese Beleidigung Otilia nicht entehre, die Wirtin mit ihrer Entschuldigung Genugtuung geleistete habe und die Ehre des Kaplans damit wieder hergestellt sei.319 Aus Chur ist kein Fiskalbuch überliefert. Doch das Rechnungsbuch enthält genügend Material, um repräsentative Ergebnisse liefern zu können. Die folgende Tabelle gibt einen diachronischen Überblick über die Zahl der Kriminalprozesse,320 die Laien untereinander oder mit Klerikern aus den Herrschaftsgebieten Sarganser Landschaft, Gotteshausbund und Vorarlberger Gerichte zwischen 1497-1526 führten. Mit eingeschlossen ist die Zahl der Vergehen, die der Richter im Verlauf eines streitigen Rechtsverfahrens entdeckte. Was damit gemeint ist, verdeutlicht folgender Fall: 1520 schuldeten Lucius Waldman, der Schneider und Bürger aus Chur, sowie Anna Tischin aus Scharans je 1 lb. fur ein Eheurteil. Anna Tischin klagte, so ist die Aktennotiz des Sieglers wohl zu interpretieren, dass Lucius Waldmann ihr die Ehe versprochen und mit ihr geschlafen, sein Gelübde aber gebrochen habe. Der Offizial entschied gegen die Ehe, da die beiden Personen miteinander blutsverwandt waren. Lucius Waldmann sei vielmehr zu bestrafen, führte er aus, weil er dies gewusst und somit Inzest begangen habe.321

gemeinrechtliche Unterscheidung von „proposito"' und „ímpetu" zurückgeht; H.-R. Hagemann, Rechtsleben I, 230f. 319 Theobald Muller war ein notorischer Täter. Ob sein Vorstrafenregister die Entscheidung des Schiedsrichters beeinflusste, ist durchaus denkbar. 1513/14 wurde er wegen Unzucht zu einer Buße von 4 lb. 10 ß. verurteilt. 1514/15 bezahlte er 2 lb. 5 ß., weil er eine Nacht lang mit Spielen verbracht hatte. In derselben Rechnungsperiode findet sich auch folgender Eintrag: „Item her Diebold Muller hat sich in vil sachen unpriesterlich gehalten, dordurch er angenomen ist und gefangen und als er uß gelossen ward, concordiert er pro 8 lb." AAEB: A 85/43 (1513/14), fol. 6; (1514/15), fol. 3, 7, 13. 320 Prozesse, die um das dos, den vom Mann der Frau zu gebenden Vermögensanteil (Wittum, Morgengabe) geführt wurden, erscheinen als Zivilsache nicht in dieser Tabelle. Die causae dotis wurden ebenso wie die causae matrimoniales et defloracionis und die causae deßoracionis et ascriptionis prolis im Kapitel über die streitige Rechtsprechung behandelt. 321 BAC: DG 1/4, 1161: Erit mulctandus super incestu scienter cum eadem commisse nam per sanguina iunctim sibiprecognita juit etc. , vgl. auch DG II, 3.

201

Tabelle 30: Bistum Chur, jährliche Vergehen der Laien (1497-1526)

Ξ anderes H Sex.del • total

Insgesamt wurden 233 disziplinarische Vergehen gezählt. Unverkennbar steigt ihre Zahl nach 1515/16 deutlich an und erreicht um 1520 ihren Höhepunkt. Welches die Ursachen dafür sind, ist jedoch unklar. Die Vergehen und Verbrechen der Laien können grob in Sexual- und Ehedelikte einerseits sowie in nichtsexuelle Delikte andererseits unterteilt werden. Beide Kategorien lassen sich nach verschiedenen Tatbeständen feiner aufschlüsseln. Zur ersten Gruppe gehören der Ehebruch, die Entjungferung, die Misshandlung in der Ehe (saevities), die Bigamie und der Inzest. Auch die Scheidungsfälle bilden eine eigene Untergruppe, sofern der Grund nicht angegeben wurde. Die Scheidung von Tisch und Bett ist zwar nicht Inhalt eines strafrechtlichen Prozesses, kann aber die Folge davon sein. Wo der Schreiber den Grund nannte - meistens Ehebruch -,322 wird sie aber nicht separat erwähnt, sondern der entsprechenden Rubrik zugerechnet. Ebenfalls zur ersten Kategorie wird das Vergehen gezählt, trotz eines den ehewilligen Personen bekannten Hindernisses geheiratet zu haben. Die zweite Gruppe wird hauptsächlich aus den Streitigkeiten gebildet, die wegen Verbal- und Gewaltdelikten sowie wucherischer Verträge und Geschäfte {usura, turpis lucris) gefuhrt wurden. Zu den Gewaltvergehen wird auch die Vernachlässigung und Unterdrückung der - meistens der eigenen - Kinder gerechnet.323 322

323

Vgl. z.B. BAC: DG 1/1, 55: fiierunt propter adulterium Martini [= Ehemann; Anm. T D . A ] a thoro et mense divorcíate. Aber auch die Impotenz oder die Heirat in einem verbotenen Verwandtschaftsgrad konnten den Richter dazu bewegen, eine Ehe zu scheiden. Vgl. BAC: DG 1/1, 55, 67, 92; DG 1/2, 259, 532; DG 1/3, 640, u.ö. Fälle von Scheidungen, denen kein Vergehen vorausging, wurden hier natürlich nicht mitgezählt. Im DG wird der strafrechtliche Tatbestand mit den Begriffen oppressio oder negligencia erfasst oder so umschrieben: Petrus Tschorer et Margareta uxor sua tenentur 1 gl. R. pro absolucione super minus diligenti custodia unius puerv, BAC: DG 1/1, 263. Das Beispiel zeigt, dass die vage formulierten Aktennotizen nicht unbedingt den Schluss zulassen, es handle sich um die leiblichen Kinder. Worum

202

Auf eine Graphik, die die jährliche Verteilung der Delikte zeigt, wird verzichtet, da die Zahl der Fälle im Unterschied zu Basel relativ klein und die Abweichung vom vorangehenden Schaubild nur geringfügig ist. An ihrer Stelle wurde eine Überblickstabelle über die absolute und relative Verteilung der Prozesse nach Herrschaftsgebieten erstellt.

Tabelle 31: Bistum Chur, Inhalt der Laiendelikte (1497-1526) Prozessinhalt 1. Kategorie adulterium Bigamie defloratio divortium Ehehindernis incestus saevities Zwischentotal 2. Kategorie Vergehen - gegen Kleriker - gegen Kinder iniurium - gegen Kleriker - gegen Laien Wucher anderes Zwischentotal Gesamttotal

324

325

326

Vorarlberg

Sarganser L. Gotteshausbund

9

15 1 10 3 20 1 1 51

1 1 1 1 1 14

16 5 26 1 70

42 1 27 9 47 3 6 135

12 4

7 2

45 17

64 23 7

-

18

Total

-

4324

3

-

4

-

-

-

4

1

-

-

23

10

77

74

24

147

10 ,325

(55 %)

-

15 1 110

(45 %)

245 326 (100%)

es sich genau handelte, geht nur aus wenigen Vermerken hervor. Baptista de Stalurda aus Bivio und seine Frau wurden vom Bann losgesprochen, in den sie fielen, weil sie eines ihrer Kinder vernachlässigten, das im Bett erstickte. Wie der Siegler offenbar selbst erkannte, lag die Schuld nicht klar zu Tage. Aus heutiger Sicht kann die Frage gestellt werden, ob hier nicht möglicherweise auch Fälle von plötzlichem Kindstod gemeint sind; DG 1/3, 705: pro absolutione oppressions seu negligertele unius eorum infantali in ledo suffocati si emendarti occultatem elegerunt nimis tenetur 1 Ib. d. iuxta consuetam taxam adpublicam. In einem Fall handelt es sich sowohl um Impotenz als auch um Gewalt in der Ehe. Er wurde in die Rubrik „Ehehindernis" im Kapitel über die streitige Jurisdiktion aufgenommen; BAC: DG 1/3, 667. Es handelt sich um eine causa infamacionis homicidi zwischen Leonard Flugett und seinen Helfern vom Weiler Roffiia bei Tinzen als Kläger und dem Kleriker Sebastian Valler alias Bulthera aus Riom; BAC: DG 1/3, 666. Die Summe entspricht nicht genau der Zahl der Fälle, die für die Tabelle 29 verwendet wurden, da in sechs Aktennotizen das Jahr nicht angegeben wurde. Diese wurden hier mitgezählt.

203

Die Gesamtsumme der wegen Sexual- und Ehedelikten geführten Gerichtsverfahren übersteigt diejenige der Gewalt- und Verbaldelikte um ca. 10 %. Wird jedoch nach Herrschaftsgebiet unterschieden, zeigt sich eine leichte Verschiebung. Vorarlberger und, wenn auch weniger eindeutig, Personen aus der Sarganser Landschaft standen vor allem wegen Ehe- und Sexualvergehen vor Gericht; die Bauern aus dem Hochstift aber häufiger wegen Gewaltdelikten. Wahrscheinlich war die unterschiedliche Gerichtslandschaft dafür verantwortlich. Denkbar ist, dass der Dekan im Engadin Sexualdelikte parallel zum Churer Chorrichter büßte; oder die weltlichen Gerichte außerhalb des Hochstifts bestraften möglicherweise auch die Gewalt- und Verbaldelikte, die im Gotteshausbund vor das Kirchengericht gelangten. Um das letztere Argument zu überprüfen, wird die Deliktstruktur dreier Städte - Chur, Feldkirch und Bludenz - miteinander verglichen und die Menge der Vergehen auf die jeweilige Bevölkerungszahl umgelegt. Zwar bemühte sich der Gerichtsort im auslaufenden 15. Jahrhundert, sich dem bischöflichen Zugriff zu entziehen und seine Rechte zurückzudrängen Doch war Chur nie mit so weitreichenden Freiheiten privilegiert wie Feldkirch. Da die Eintragungen des DG für die Stadt Chur offenbar nur fur die Jahre zwischen 1512-27 vollständig überliefert sind, wird nur dieser Zeitabschnitt ausgewertet. Tabelle 32: Täter aus Bludenz, Chur und Feldkirch (1514-25) Prozessinhalt 1. Kategorie adulterium Bigamie defloratio divortium Ehehindernis incestus saevities 2. Kategorie Vergehen - gegen Kleriker - gegen Kinder iniurium Wucher anderes Total 327

Bludenz

Chur

Feldkirch

-

7

2

-

-

-

1

5

-

-

-

-

-

-

-

-

1 2327

-

3

-

7 1 3 1

-

-

-

4

27

-

1 -

3

In einem Fall wurde sowohl wegen Ehebruchs als auch wegen Gewalt in der Ehe geklagt: Anna Jossin civis Curiensis tenetur [...] 2 Ib. d. in causis adultera et seviciei inter ipsam Annam actricem et Laurencium Zipper de Thamins maritus eius reum; BAC: DG 1/4, 1166.

204

Einwohner aus Chur bestrafte der Chorrichter besonders häufig. Johannes Liesch, ein Bürger und Gast der Stadt, gehörte auch dazu. Er verpflichtete sich 1516 als Bürge, im Namen des Kaufmanns Simport Frölich aus Landsberg dem Siegler 5 fl. zu entrichten. Soviel kostete die Absolution vom Bann, den Frölich sich deshalb zuzog, weil er den Kaplan des St. Kreuz Altars in Chur, Mathias Wendel, tätlich angegriffen und derart auf ihn eingeschlagen hatte, dass Blut floss.328 Die Zahl der Delinquenten lässt sich mit der Einwohnerzahl verbinden. 1511 wurden in Feldkirch dreihundert und in Bludenz 165 wehrhafte Männer zwischen 18-60 Jahren gezählt. Die Einwohnerschaft der Stadt Chur zählte Ende des 15. Jahrhunderts etwa dreitausend Einwohner, schätzungsweise sechshundert männliche.329 Da in allen Straffällen die Täter Männer waren, können die demographischen Angaben geradewegs mit der Zahl der Vergehen verknüpft und zu folgender These verarbeitet werden. Als Instanz zur Entscheidung strafrechtlicher Prozesse spielte das Konsistorium für alle drei Städte eine unbedeutende Rolle, sei es, weil die Männer nur selten solche Vergehen begingen, sei es, weil die Stadtgerichte sie straften. Der Faktor „Herrschaftszugehörigkeit" beeinflusste offenbar die Menge der am Konsistorium verhandelten Fälle nicht. Der Vergleich der Ergebnisse in der Kategorie der Sexual- und Ehedelikte zeigt, dass in allen drei Herrschaftsgebieten der Ehebruch, die Defloration sowie der Verstoß gegen ein Ehehindernis die mit weitaus häufigsten Vergehen waren. Die Unzucht (fornicatici) jedoch, weswegen in Basel die meisten Bußen ausgesprochen wurden, fehlt hingegen in allen untersuchten Gebieten fast völlig. Das kann damit erklärt werden, dass das Rechnungsbuch des Sieglers kein Bußenregister ist. Auch in der Diözese Chur dürfte die Unzucht dasjenige Sexualdelikt gewesen sein, das dem Fiskal am meisten Strafgelder einbrachte. Die zahlreichen Klagen, die Frauen wegen Bruchs des Eheversprechens und der ihm oftmals vorangegangenen Entjungferung führten, deuten daraufhin.

328

329

BAC: DG 1/4, 1149: Johannes Liesch, civis ac hospis civitatis Curiensis [...] cautorio ac debitorio nomine Simporti Frölich de Lanndsperg mercatoris. Tenetur ν fl. R. pro absolutione super eo, quod dominum Mathiam Wenndeli capellanum altaris sancii crucis Curiensis ad sanguinis effusionem spada citrum enormem seu notabilem lesionem percussit et sententiam canonis Si quis etc. ' defacto incurrit. Die angesprochene kirchenrechtliche Norm ist das Dekret Si quis suadente diabolo (C. 17 q. 4 c. 29). Weitere ähnliche Beispiele aus Chur in: DG 1/4, 1155, 1159; DG II, 5, 16. K. Klein, Bevölkerung, 72. M. Bundi, Chur, 63.

205

3.2

Unpriesterlicher Lebenswandel

Nach der „moralité du clergé sundgauvien" fragten bereits Pierre Pegeot und JeanPaul Prongue in ihrer Studie über den Pfarrklerus zwischen 1441-1500. Das disziplinarische Verhalten der Sundgauer Priester, fassen die Autoren ihre Resultate zusammen, ließ wenig zu wünschen übrig. „L'immense majorité d'entre eux (80 %) n'a jamais comparu devant un tribunal ecclésiastique [...] la discipline ecclésiastique est bien respecteé."330 Der größte Teil der aktenkundig gewordenen Kleriker - fast alle gehörten dem Weltklerus an, die meisten davon waren plebani - bestrafte der Fiskal, weil sie nicht zölibatär lebten. Wegen Gewaltdelikten hingegen büßte er nur wenige Geistliche. Wenn jetzt noch einmal die Frage nach den disziplinarischen Vergehen der Priester gefragt wird, geschieht das in der Absicht, die Resultate von Pegeot und Prongue zu ergänzen. Denn ihre die Untersuchung ist sowohl geographisch als auch zeitlich begrenzt. Die folgenden Abschnitte erweitern sie räumlich um die übrigen Dekanate und zeitlich um die Analyse der Bußenregister der Jahre 1509/10-21/22. Die Tabellen 33-36 zeigen die jährliche Verteilung der Vergehen und schlüsseln sie nach einzelnen Straftaten auf.

Tabelle 33: Bistum Basel, jährlich bestrafte Kleriker (1463/64-69/70) 60

SO 40

63/64

330

P. Pegeot - J.-P Prongue, Contribution, 34.

206

69/70

Tabelle 34: Bistum Basel, jährlich bestrafte Kleriker (1509/10-21/22) Τ

I

:

5

ρ

I

S

ν



— l ·

09;10

I

5

;

1

1-

h



h

1

h

V 1

1

1

1

h 21;22

639 Vergehen bestrafte der Fiskal insgesamt, 283 in der ersten und 356 in der zweiten Periode, jährlich zwischen vierzig und fünfzig. Dabei handelte es sich um eine breite Skala von Verstößen.

207

Tabelle 35: Bistum Basel, klerikale Vergehen (1463/64-69/70)

Delikt Sexualdelikt - concubinatus - fornicatio - anderes Verbaldelikt Gewaltdelikt - gegen Laien - gegen Kleriker Exzess Zensur 3 3 3 anderes unklar

Total

331

1463/64 64/65 65/66 66/67 67/68

23 10 j 331

20 4 2332

23 5

16 9

10 14

68/69 69/70

4 5

1 22

-

-

-

-

-

-

-

-

3

1

1

5

-

-

-

-

1

-

-

-

-

-

-

-

9 1

3 2 |338

6

Total

97 (34 %) 69 (24 %) 3 (1 %) 10 (4%)

4 1 j336

12

3334

2 3 2 3335

6

8

5

13

1

6

2

1 2 (1 % ) 40 (14 % ) 6 (2 % ) 14 (5 %) 41 ( 1 5 % )

46

44

41

55

37

22

38

283 (100 % )

-

3 -

-

2337

-

-

2339

Dominus Heinricus Grieser cappellanus in Allkilch propter excessum commissum, quia intravit de nocte ad uxorem Andre Langaßpersolvendum ixfl. ; AAEB: A 85/39 (1463/64), fol. 6. 332 Dominus Rudolphus Zymmerlin in Hirlißhein concordatum propter defloracionem cuiusdem virginis pro vi fl. - Dominus N. rector ecclesie in Othmerßhein propter puerperium pro iii fl. ; AAEB: A 85/39 (1464/65), fol. 4v, 5. 333 Damit ist gemeint, dass ein Kleriker zelebrierte, obwohl über ihn eine Kirchenstrafe verhängt war. Dreimal wurde ein Priester sowohl wegen Konkubinats als auch wegen Zelebrierens trotz Zensur bestraft. Diese Fälle erscheinen in der Rubrik concubinatus. 334 Dominus Martinus decanus et camerarius citra Ottenspuhl pro olim primissario in Pfaffenhein qui decessit sine fertone, pro solvendum χ fl. - Dominus Johannes Lichtkamer plebanus in Spechtbach [...] quia inofficiavit sine commissione ad anni spacium et ultra ecclesiam in Spechbach pro solvendum iii fl. - Dominus Matemus Bader plebanus in sancto Martin in Bebeinhein ex eo, quia contemnisit arrestum domini [...] vifl. 335 Dominus Bartholomeus monachus in Munster vallis sancii Gregorii condempnatus [...] quia inofficiavit unam capplaniam in Turigkhein sine tytulo. - Dominus Jacobus Wittwiler plebanus in Luterbach quia trinies recidinavit. - Dominus Johannes Saltzman plebanus in superiori Herigkhein ex eo, quod non fecit execucionem certorum processum racione domini mei vicarii. 336 Dominus preposi tus in Pflrt concordatum seu emit bona quondam sui plebani in Altenpftrt qui decessit sine fertone, iii fl. - Dominus Bartholomeus de Hagenbach ut debitor principalis et dominus Johannes Bolex plebanus in Thurgkhein condebitor obligantur in solidum in tribus fl. iuxta tenorem confessatum. - Dominus Stephanus Gutbrot captus et carceribus mancipatus propter sua [demerita] singula sua bona confiscata sunt. 337 Emeritus dominus decanus et procurator dominorum in Tann bona derelicta per dominum Heinricum Bi ¡linger quondam capplaniam in Tann pro octo fl. [...] pro fertone. - Camerarius et pater quondam plebani in Rigoltzwilr qui decessit sine fertone [...] pro fertone [...] vifl. 338 Dominus Johannes capplanus in Pfeffingen emit singula bona derelicta per quondam dominum Beatum pro solvendum domino vicario iifl. pro vertone. 339 Obiit dominus Eberhardus Jeger cappellanus ecclesie sancii Petri Bas. qui decessit sine fartone[\], factus est inventarius. - Redemptus fuit de carceribus dominus Johannes Widenstetter de Uffhein Augustinensis diócesis propter certas medicinas commissas ad preces dicti Bentzgen magister pro presentandi domino meo gracioso unum plaustrum albi vini.

208

Tabelle 36: Bistum Basel, klerikale Vergehen (1509/10-21/22) Delikt Sexualdelikt - concubinatus - fornicatio - prolis - puerum - anderes Verbaldelikt Gewaltdelikt - gegen Laien - gegen Kleriker - Messerzücken Exzess anderes unklar Total

1509/10

-

15 4

10/11

2134Ü

12/13

4

6 3

-

-

1

13/14

14/15

24 3

29

16/17

21/22

7

-

-

-

-

-

2 2 6

2

5

9

-

-

-

-

14

-

-

-

-

9

3

-

5

-

2

8

6 4 5342

1 2

-

1 2

3 11

3 1

4 3

-

-

-

-

-

1 J345

6

1 4343

-

5344

-

-

-

1 15 J46

-

j)47

5 JÌ4S

Total

89 (25 %) 27 (8 %) 10 (3 %) 31 (9%) 2 (1 % ) 27 (8 %) 18 (5 %) 23 (6%) 5 (1 % ) 14 (4%) 40 ( 1 1 % )

4

1

19

12

10

16

8

70 ( 1 9 % )

52

51

32

55

76

45

45

356(100%)

340

Ein Kaplan wurde gleichzeitig wegen Unzucht und Homosexualität (propter puerum) bestraft. Item dominus Heinricus plebanus in Lutor, hat ein dochter hinweggeffuert et tenet earn. - Item her Hanß Dilger caplanus zu(o) Mulhusen hat zu(o) nacht einer frouwen mit steinen an ir ladenfenster geworffen, dorumb er gefangen ward, und als er uß kam, concordiert er pro 5 lb. 342 Der Ort der Handlung war zumeist das Gericht (prope consistorium, ad locum consistorii), ausnahmsweise auch das Wirtshaus. 343 Ein Pleban wurde wegen Simonie bestraft, ein zweiter, weil er eine Frau im Stich ließ (quia neglexit quedam mulierem), ein dritter gestand, einem Kirchherm 4 fi. R. zu schulden; ein vierter fuit repertus a preconibus cum una persona suspecta, dedit se ad emendarti [...] 1 Ib. 15 ß. 344 Item dominus Leonhardus Reinbold canonicus in Sulzmat dedit se ad emendam, quia noluit providere unum subtitum in absencia domini plebani, facit 2 Ib. 5 ß. - Item dominus Jeorius capelanus in Maßmunster dedit se ad emendam, hat inn lossen ablössen etlich korngult und nit wider angeleit etc., facit 2 Ib. 5ß. - Item dominus Adolffus Rusch dedit [...]propter lusum 1 Ib. 5 ß. - Item dominus Morandus Ranenie caplanus in sancto Ursicino dedit propter falsum interSignum, facit 3 Ib.. item Herum dedit 2 Ib. - Item dominus Morandus plebanus in Aspach dedit propter albas caligas emendatas per dominum meum vicarium, facit 10 ß. 345 Item dominus Johannes plebanus in Ottendorff dedit propter mendatium, facit 14 Ib. 10 ß. - Item dominus Johannes Gallam in superiori Sultzbach dedit iuxta decretum. facit I Ib. 346 Item dominus Ludwicus plebanus in superiori Eißhein concordava, quia conmeri t carnes quart [a] ante dominicam trinitatis pro 3 lb. - Item dominus Jacobus caplanus in Habßheim was verclagt von der gemein, es fand sich aber nit, sedproter[\] bonum pacis concordava in presencia domini magistri Johannis Gebwiler et aliorum et ad preces davit 2 lb. - Item dominus plebanus in Schweighusen concordava una famula fuit falde\\] infirma pro 1 lb. 5 β. - Item der munch von Waßkilch hat ich gefangen in vigilia passe, und als er ußgelossen wer, concordirt er, zu(o) gend domino nostro gracioso 3 lb. - Item dominus Ludwicus plebanus Meysproch communicavit Cristanum Urban in excommunicacionem. - Item dominus plebanus in Rumerßhein hat geladen Johannem Schwegler uff sin brutlofft, den sin metz sig im in Franckrich geloffen etc. noch kunt des brieffs. - Item dominus Theobaldus Muller caplanus in Thann hat gspilt ein gantze nacht, concordavit 2 lb. 5 ß. - Item her Diebold Muller 341

209

Sexualdelikte waren in beiden Perioden die Vergehen, derentwegen die Geistlichen mit Abstand am häufigsten zur Kasse gebeten wurden. 58 % beziehungsweise 46 % betrug ihr Anteil. Danach folgen die Tätlichkeitsdelikte (ca. 15. %) und an dritter Stelle Verbaldelikte. Zwar bestrafte der Fiskal insgesamt 639 Vergehen. Das bedeutet aber nicht, dass die Zahl der Delinquenten gleich hoch war. Es kam - anders als bei den Laien - oftmals zu Mehrfachbestrafungen, teils wegen desselben, teils wegen unterschiedlicher Vergehen. Im ersten Zeitabschnitt wurden mindestens349 3 7 Priester mehr als einmal gebüßt, die allermeisten, nämlich 25 Personen zweimal, eine aber sogar fünfmal. In der zweiten Periode lud der Fiskal etwa gleichviel Kleriker mehrmals vor. Matheus Burger, Kaplan von St. Peter in Basel, war einer davon. Der Beamte bestrafte ihn 1510 wegen seiner Konkubine, 1512 zog er ihn wegen

hat sich in vil sachen unpriesterlich gehalten dordurch er angenomen ist und gefangen und als, er ußgelossen ward, concordiert er pro 8 lb. - Item dominus Johannes Jo(e)ly caplanus in Thann ist mit sinen cleider unpriesterlich gangen, concordavit pro 1 lb. 5 ß. - Item dominus plebanus in Sultzbach hat zu(o)getruncken etc., concordavit per dominum meum doctorem Jacobum 2 lb. - Item magister Theobaldus rector in Kempß communicavit Leonhardum Hertz de infra et non vidit absolucionem. Item her Diebold Muller in Thann, item dominus Mathias in Oliberg, item dominus plebanus in superiori Aspach, item dominus plebanus in inferiori Aspach, item dominus Cristopherus Kubler in Thann hand gspilt. 347 Plebanus in Turcken qui contra debitares suos misit et scripsit processus non sigillarum per procurators nostros emanarum etc., concordavit coram domino vicario pro 15 fi. - Dominus Wilhemus canonicus in Munster grandis vallis convenit mecum per dominum de Liechtenfels racione famule sue domini Wilhelmi que est vel erat suspecta, dedit 2 lb. minus Id. - Item dominus plebanus in Brattelen vel villicus nomine plebani dedit ex eo, quod non recepii commissionem pro emenda 1 fl. Item dominus Erhardus presbiter in Hapkissen emendatus per me quod habuit calteos et caligas decissos etc., I fl. - Dominus doctor Lucas, dedit 1 fl. racione domini plebani in Bietzen, qui obinavit domino Reverendissimo et nulli fecit reverenciam etc., 1 fl. - Dominus Steffanus plebanus in Liechstall convenit [...] quia fecit vim revocationis, dedit 3 fl. - Dominus Andreas plebanus in Morzwil concordavit mecum propter personam suspectam, dedit 1 fl. 348 Imbursavi a decano magistro in sancta Cruce plebano emende nomine ob nominem executionem processus contra Ganß, I lb. - Imbursavi a domino Johanne Spirer emende nomine propter rebellionem erga officialem 3 ß. - Imbursavi a domino Heinrico ohm in Mörentz nunc in Uffholtz propter recessus a parrochia Mo(e)rentz 1 lb. - Imbursavi a domino Johanne Hegelin capellano in Gebwilr super fprecto bistulpo] 8 ß. - Imbursavi a domino camerario Martino Hemerlin de Hercken superiori racione famule conducte in matrimonium filio sororis, concordavit pro 34 β. - Imbursavi a domino Matheo plebano in Mittelwiler emende nomine propter bombardum et aliorum articulorum inquisitorum, concordavit pro 8 lb. - Imbursavi a domino Baltasaro Burger plebano in alten Tann propter aperturam certarum litterarum apostolicarum. 349 Der Nachweis einer Mehrfachbestrafung kann nicht immer mit völliger Sicherheit erbracht werden, da die Registereintragungen manchmal die dazu erforderliche Information nicht enthalten. Ob der nicht namentlich genannte Pleban aus Fessenheim, der 1510 wegen einer Konkubine bestraft worden war, identisch ist mit Sigismund, der zur gleichen Zeit und am selben Ort als Pleban und Kammerer des Dekanats ci tra Rhenum wirkte und 1511 wegen eines Knaben, 1514 nochmals wegen einer Konkubine verurteilt wurde, müsste mit Hilfe anderer Quellen überprüft werden; AAEB: A 85/43 (1510/11) und (1514/15). - Zum Problem der Identifizierung von Wiederholungstätern vgl. auch P. Pegeot - J.-P. Prongue, Contribution, 27f. Die Autoren zählten 302 Delikte, die von 165 Priestern begangen wurden.

210

eines Knaben zur Rechenschaft. 350 Oder Johannes Feringer, der Egisheimer Pleban, bezahlte für seine Konkubine zweimal eine Buße. 351 Zwei Probleme erschweren die Interpretation der Tabellen besonders, das Fehlen des wichtigsten Korrelationsfaktors und die Begrifflichkeit. Während über die Gesamtzahl der Geistlichen, die in den untersuchten Zeitabschnitten im Bistum Basel tätig waren, kaum etwas bekannt ist,352 kann das terminologische Problem teilweise gelöst werden. Die Schreiber arbeiteten offenbar nicht immer mit denselben Begriffen oder erfassten damit andere Vergehen. Während in der zweiten Periode kein Priester bestraft wurde, weil er trotz einer Kirchenstrafe zelebrierte, fehlen in der ersten Delikte wie 'Messerzücken' oder 'puer'. Und schließlich finden sich rechtstechnische Bezeichnungen wie zum Beispiel excessus, die unscharf und deshalb besonders interpretationsbedürftig sind. Der Begriff 'Exzess', so legen die Eintragungen im Bußenregister selbst nahe, bezieht sich hauptsächlich auf Sexualdelikte, schließt möglicherweise aber auch Gewaltvergehen ein.353 Johannes Bo(e)ler, der Pleban in Turckheim, wurde zu einer Buße von 8 lb. verurteilt, weil er eine Konkubine hatte und „andere Exzesse" beging.354 Der Kaplan in Altkirch, Heinrich Griesser, bezahlte zur Strafe 9 fl., weil er in der Nacht das Haus oder das Schlafzimmer einer Frau betrat. 355 Aber auch die gleichgeschlechtliche Sexualität, die in der zweiten Periode puerum genannt wurde, fällt wohl unter „Exzess". So heißt es zum Beispiel in einer Notiz, dass der Pleban in Homburg 4 fl. zu entrichten habe, weil er mit einem Bauer Exzesse beging.356 Für die Interpretation, dass „Exzess" auch Gewaltdelikte einschloss, spricht das Verhältnis zwischen den beiden Vergehen: 1 3 : 1 betrug es in der ersten, 1 : 4 aber in der zweiten Periode. Auch die termini technici 'Konkubinat' und 'Unzucht' sind inhaltlich nicht streng voneinander zu unterscheiden. Der Unterschied ist ein gradueller. Wie oft 350

AAEB: A 85/43 (1510/11) und (1512/13). AAEB: A 85/43 (1513/14) und (1514/15). 352 Die Zahl der Priester, die zwischen 1441-1500 im Dekanat Sundgau ihr Amt versahen, betrug 764. P. Pegeot - J.-P. Prongue, Contribution, lOf. Die Autoren rechnen mit einer maximalen Abweichung von 10 %. 353 Die Unterscheidung ist nicht sophistisch, da sich der Satz „Jedes Sexualdelikt ist ein Tätlichkeitsdelikt" nicht umkehren lässt. - Das Delikt excessus wird, soweit ich sehe, in der modernen kanonistischen Literatur nur bei Nicolaus München behandelt. Danach kann laut der mittelalterlichen Kanonistik jedes gemeine Delikt als Exzess bezeichnet werden. N. München, Gerichtsverfahren I, 664. 354 AAEB: A 85/39 (1464/65), fol. 2: propter vicium concubinatos et alìis excessibus. 355 AAEB: A 85/39 (1463/64), fol. 6. propter excessum comissum quia intromit de node ad uxorem Andre Langaß. - Die Umschreibung des Tathergangs sagt nichts über das Motiv aus. Theoretisch könnte ebensogut der Tatbestand des Hausfriedensbruchs oder des Diebstahls wie deijenige des Ehebruchs erfüllt sein Für eine sexuelle Verfehlung spricht, dass der Priester bei einer Frau eintrat, und die Strafe relativ hoch ausfiel. 356 AAEB: A 85/39 (1467/68), fol. 2v: propter certos excessus quidem rustico commisses. Vgl. ebd.: Citatus fuit dominus Caspar capplanus in Waltikoffen propter certos excessus cum certo bastardo de Eptingen commissos in castro Waltikoffen. dedit se ad graciam post ea, obiit, im fl. 351

211

jemand mit einer Frau oder einem Mann schlafen musste, damit ein kirchlicher Richter diese Person wegen Konkubinats und nicht wegen Unzucht bestrafte, wurde nicht normativ, sondern durch die Rechtsprechung entschieden. Ob die Unzuchts- gegenüber den Konkubinatsdelikten zahlenmäßig abnahmen, oder die in den jeweiligen Perioden urteilenden Richter ein- und denselben Tatbestand bloß unterschiedlich interpretierten, kann deshalb nicht entschieden werden. Auffallend ist jedenfalls das numerische Verhältnis der Konkubinats- zu den Unzuchtsfallen in den Jahr 1463/64-69/70. Dass es im letzten Rechnungsjahr 1 : 22 betrug, während die Konkubinatsfälle sonst zumeist überwogen, erhärtet den Verdacht, dass sich nicht das Verhalten des Pfarrklerus änderte, sondern der Fiskalprokurator seine Wortwahl.357 Im Bistum Chur bestrafte das Gericht die Dorfgeistlichen wegen ähnlicher Vergehen. Ulrich Yrmler, Pleban in Vicosuprano, ist ein typisches Beispiel, sowohl was die Tatbestände als auch die Häufigkeit betrifft.358 Seit dem 30. September 1502 schuldet er 4 fl. fiir die Absolution, weil er mit seiner Konkubine ein Kind gezeugt hatte.359 Am 1. Dezember 1503 notiert der Siegler, dass der Pleban für die Absolution vom selben Vergehen nochmals 3 fl. zu bezahlen habe. Zehn Jahre später muss sich Yrmler erneut vor dem geistlichen Gericht verantworten. Diesmal schuldet er dem Siegler für die Besiegelung eines Urteils, das einen Beleidigungsprozess abschloss. Yrmler, der in der Zwischenzeit die Pfarrei gewechselt hatte und nun in Walenstadt als Priester tätig war, schmähte einen anderen Geistlichen, Ulrich in der Vorburg, den Kaplan in Quarten. 1514 ist Yrmler wiederum in einen Rechtsstreit wegen Ehrverletzung mit einem Geistlichen verwickelt, nämlich mit dem ehemaligen Kaplan in Flums. Diesmal ist er selbst der beleidigte Kläger.360 Zwei Jahre später, am 12. November 1516, trägt der Siegler eine neue Schuld Ulrich Yrmlers in sein Rechnungsbuch ein. Der Pleban schulde für die Absolution wegen öffentlicher Unzucht 1 fl. 12 d.361 Wie häufig zwischen 1497-1527 das Chorgericht Kleriker bestrafte, zeigt folgende Graphik, wobei die Sexualdelikte von den anderen Vergehen getrennt aufgeführt werden.

357

358 359

360 361

Ein Wechsel auf dem Richterstuhl fand nicht statt. Von 1452-69 war Laurencius Krön Offizial; vgl. W.D. Wackernagel, Offizialat, 250f. Zur Person O. Vasella, Untersuchungen, 172f., Nr. 29. BAC: DG 1/3, 728. In der Aktennotiz des Sieglers heißt es: pro absolucione super procreacionis prolis. BAC: DG 1/1, 264: causa iniuriarum. BAC: DG 1/1, 269: pro absolucione publice fornicacionis.

212

Tabelle 37: Bistum Chur, jährliche klerikale Vergehen (1497-1527)

Ξ anderes 3 Sex.del. • total

total anderes

Das Rechnungsbuch des Sieglers erwähnt insgesamt 434 datierbare Vergehen beziehungsweise Absolutionen, das sind etwa vierzehn jährlich. 362 Wie bei den Laien (Tabelle 30) stieg die Zahl der Strafprozesse um 1515 an und fiel nach 1522 wieder. Ob sich die jährlich begangenen Vergehen immer auf etwa dieselbe Zahl von Geistlichen bezog, ist unbekannt. 363 Hier soll nur gezeigt werden, dass die klerikalen Delikte weit verbreitet waren, in fast jeder Pfarrei ein Konkubinarier die Heilsgüter der Kirche verwaltete, und somit das kirchliche Gericht auch über die Abschöpfung des priesterlichen Vermögens oder schlimmstenfalls durch die Suspendierung des Seelsorgers im Alltag der Pfarreileute stets gegenwärtig war. Die klerikalen Vergehen können in drei Kategorien eingeteilt werden. Sexual- und andere Delikte, die mit „unpriesterlichem Lebenswandel" umschrieben werden, bilden die ersten beiden. Zur dritten Kategorie gehören die Amtspflichtverletzungen. Wiederum werden die drei Herrschaftsgebiete Vorarlberger Gerichte, Sarganser Landschaft und Gotteshausbund auseinandergehalten.

362 363

Vier Aktennotizen enthalten kein Datum. Die Quellen reichten aus, um die Zahl der vom Bistum bepfründeten Priester zu berechnen, da das sogenannte Induzienbuch aus den ersten Jahrzehnten des 16. Jahrhunderts erhalten ist. Es liegt im Bischöflichen Archiv in Chur.

213

Tabelle 38: Bistum Chur, Vergehen der Geistlichen (1497-1526) Vergehen 1. Kategorie adulterium defloratio fornicano stuprum anderes Zwischentotal 2. Kategorie Exzess Gewalt - gegen Kleriker - gegen Laien iniurium - gegen Kleriker - gegen Laien Wucher anderes Zwischentotal 3. Kategorie fiktiver Titel Zelebration - trotz Zensur - inkorrekt Zwischentotal Gesamttotal

Vorarlberg

2 1 91 1

Sarganser L.

-

1 51 2

Gotteshausbund

4 -

102 5 j364

Total

6 2 244 8 1 261 (60 %)

-

-

95

54

112

4

1

27

31

9 7

4 3

25 36365

38 46

1 1

2 1

-

22

-

2367 13

-

-

8

-

-

-

8

-

125

67

9366

3 1 g368 109

6 10 5369 21 242

12 5 2 10 144 (33 %)

6 18 5 29 (7 %) 434(100%)

Eindeutig mussten die Kleriker sich hauptsächlich wegen Vergehen gegen die kirchliche Sexualmoral verantworten. Konkubinat, Missachtung des Zölibats, Kinder, das kostete manchen Geistlichen, Pleban, Frühmesser oder Kaplan eine hübsche Summe, fur jede Absolution 2 fl., manchmal sogar 3 oder 4 fl.370 364

Der Vikar in Tomils wurde wegen Inzests mit einer Blutsverwandten bestraft, mit der er ein Kind zeugte; BAC: DG 1/3, 869. 365 In einem Fall richtete sich die Tätlichkeit sowohl gegen einen Geistlichen als auch gegen einen Laien; BAC: DG 1/4, 1085. In einem anderen Fall überlebte der Laie die Tätlichkeit nicht. Der Priester aus Scuols wurde wegen Tötung (homicidium) angeklagt; ebd., 1/4, 1087. 366 Einmal vermerkte der Siegler nur, der Fiskal habe einen Geistlichen, Johannes Bischetta aus St. Moritz, super excessibus diffamatoriis verhört, gab jedoch nicht an, wer die diffamierte Person gewesen sei; BAC. DG 1/4, 1036. 367 BAC: DG 1/1, 242: computavi [...]pro [...] occasione absolutionum conflictus cum Gaspare Scherer in Ragaz; DG 1/1, 247: Dominus Theodolus Zopffi de Glarona, plebanus in Vilters tene tur [...] pro absolucione super eo, quod belli eis expedicionibus regis Francie ad 3 menses de (1522) in vere interfuit mora armigerís [...]. Item super homicidio ut dicitur per eum in Francia perpetrato.

214

Der Lebenslauf Ulrich Yrmlers zeigt, dass ein Geistlicher während seiner Laufbahn mehr als einmal - und öfter wegen desselben Vergehens - vor den Schranken des geistlichen Gerichts stand. Und Yrmler war kein Einzelfall. Wie hoch der Anteil der delinquierenden, gebannten und suspendierten Priester gemessen an der Gesamtzahl der Kleriker war, ist zwar unbekannt. Doch ist klar erkennbar, dass das Gericht als Strafinstanz in das religiöse Leben beinahe jeder Pfarrei und Filiale eingriff. Die Sarganser Landschaft zählte insgesamt dreizehn Kirchgemeinden. Mit Ausnahme von Quarten und Murg/Urnen war keiner die Erfahrung fremd, dass ihr Priester wegen Unzucht und verbotener Nachkommenschaft sich absolvieren lassen musste. Im Hochstift und in den Vorarlberger Gerichten bietet sich das gleiche Bild.371 Um diesen Sachverhalt in seiner ganzen Tiefe auszu-

368

BAC: DG 1/3, 672: inquisitimi super suspecta machinacione latronicii-, DG 1/3, 721: tempore passionis Christi ebdomade sánete visitavit lupunar, DG 1/3, 734: tenetur ad fiscum 20 gl. R. super eo. quod publions lusor fuit et quodam tempore in taberna ludendi perdidit octavaginta fl. R. ubi ira motus quasdam plasphemias commisit; DG 1/3: 845: certas insolencias de node in prolatus in civitate Curíense exereuit; DG 1/3, 864: pro absolucione racionis conflictus·, DG 1/4, 1081: pro absolutione conflictus sui diversis vieibus cum certis laicis: DG 1/4, 1097: stantibus certis censuris ecclesiasticis [...] contra eum latis ad longum tempus divinis se ingessit ignoranter; DG 1/4, 1166: Tenetur eciam absolucionem conflictus mit einem Churer Bürger. 369 BAC: DG 1/3, 576: Dominus Georgius Sangaser. plebanus in Oberfatz. tenetur 5 gl. R. pro declaracione ipsum irregularitatis ob id. quod plures censuras ecclesiasticas contra certos subditos ad instanciam mei sigilliferi usque ad ecclesiasticum interdictum et invocacionem brachii secularis inclusive executas non publicavit nec insinuavit et nichilominus coram talibus divina celebravit; DG 1/3, 849: absolucione et cohabilitacione certe negligencie in divinis per eum commisse pura aqua celebrando divino ydolatriam ut sic committendo scienter et quadam simplicitate; DG 1/3, 713: Dominus Conradus Curraw de Oberfatz [...] tenetur plus ad minus 3 gl. R. pro absolucione negligencie in divinis commisse eo. quod pura aqua celebrava missam ydolatricam committendo: DG 1/4. 1162: Dominus Georgius Gerster succentor ecclesie Curiensis reeepit absolucionem negligencie in missa vaste pura quasi aqua divinis celebrando; DG 1/4. 1123: Anno Domini (1521 April 23) computavi cum domino Johanne Mennig de Vetta, capellano zum Münster prefato pro [...] absolucione eo. quod ante quinquennium divina celebrando sanguinem Christi extra calicem ad tabulam altaris et pallas totum effudit. Möglicherweise handelt es sich bei dieser eigenartigen Form der Eucharistie um die im vorangehenden Eintrag erwähnten Exzesse, die als solche ebenfalls in die Statistik aufgenommen wurden. 370 Die Schwankung kann nicht erklärt werden. Notorietät war jedenfalls kein Grund, eine höhere Absolutionsgebühr zu verlangen 371 In folgenden hochstiftischen und vorarlbergischen Pfarreien fanden sich keine bestraften Kleriker. Filisur, Sur und Tschengeis, das sind drei von 41 Pfarreien Altenstadt, Klaus. Tisis und Tosters, das sind vier von 34 Gemeinden.

215

leuchten, seien die Eintragungen des DG für die kleine Gemeinde Weißtannen ausgewertet, die abseits im Weißtannental lag, an dessen unterem Ende sich Mels und Sargans befinden. Die entsprechende Seite des Rechnungsbuchs enthält sieben Eintragungen. Die älteste stammt von 1497, die jüngste von 1522. Fünf davon betreifen Geistliche, nämlich Jo(e)rig Flesch U(o)tz, Pleban (1512), Hilarius Thorman, ebenfalls Pleban oder Vikar (1516), Adam Zerweg, Kurat (1519) und den Presbyter Caspar Albertz Hofer (1520/22). Sie alle schuldeten wegen desselben Vergehens, nämlich pro absolucione publice fomicacionis seu prolis procreacionism Das ist die Regel. Das Chorgericht bestrafte den Normalzustand.373

3.3

Strafen: Geldbußen und Exkommunikationen

Die Chorgerichte kannten hauptsächlich drei Formen der Bestrafung: die Geldbuße, die Zensur und - für die Geistlichen - die Gefängnisstrafe. Die quantitativ ausgewerteten Quellen geben einzig über die ersten beiden Auskunft. Nur aus ganz wenigen Aktennotizen geht hervor, dass das Gericht einen Priester in Haft nahm. Zumeist wird es sich wohl eher um eine Untersuchungsmaßnahme als um eine Strafe gehandelt haben. Die Anzahl dieser Hinweise ist aber derart gering, dass es sich erübrigt, darauf einzugehen.374 Vermutlich wurde der Hinweis auf das Gefängnis ohnehin nicht systematisch angebracht, weil er für den Fiskal ohne Informationswert war. Der im Titel vorgenommenen Trennung zwischen Geld- und Kirchenstrafen liegen rechtssystematische Gründe zugrunde. In der Praxis war der Übergang jedoch fließend. Zensurierte Pesonen lösten sich immer mit einem Geldbetrag von

372 373

374

BAC: DG 1/1, 298. J. Schöch, Neuerungen, 32f. Bereits Schöch zählte im Gericht Walgau zwischen 1505-24 31 Geistliche, die wegen Unzucht bestraft wurden, einige mehrmals. Zuletzt A. Niederstätter, Studien, 40f. Der Karzer befand sich in Basel auf Schloss Birseck. Beispiele fur gefangene Priester mit allerdings nur anekdotischem Wert bei K. Weissen, „An der stu(e)r ...", 217f. In Konstanz war das Gefängnis in Gottlieben. - Aus Kostengründen - der Unterhalt des Gefängnisses musste bezahlt und dem Gefangenen mindestens Brot und Wasser gereicht werden - ist anzunehmen, dass die Zahl der inhaftierten Kleriker klein war. Die Kosten wurden vermutlich auf die inhaftierte Person umgelegt. Das erforderte aber wiederum einen administrativen Aufwand, wobei nie sicher war, ob der Gefängnisaufenthalt auch bezahlt wurde. Ein Beispiel aus dem Bistum Konstanz: REC 4, Nr. 11466. Fälle aus Chur: BAC: DG 1/3, 685: Dominus Je(o)rius Dansett capellanus in Sur tenetur 10 gl. pro sua inquisicione et absolucione, fuit incarceratus, celebravit in excommunicacione notorio vel cedit que solutus est. Weitere Beispiele: DG 1/1, 268, DG 1/2, 389, 444, 497; DG 1/3, 677, 743, 813. Vgl. auch die einzelnen Fälle bei C. Wirz (Hg.), Regesten 6, Nrn. 139, 800; J G. Mayer, Geschichte 1, 492f.

216

der Strafe. Nur wenige Fälle sind bekannt, in denen die Bestraften ihre Tat mit Naturalien - mit Wein oder Getreide - sühnten.375 In allen Diözesen war die Höhe der Bußen für die Vergehen der Laien nur ungefähr festgelegt. Der Fiskalprokurator verfugte über einen Ermessensspielraum.376 Dies geht einerseits aus der unterschiedlichen Höhe der Geldbeträge hervor, die je nach Person für dasselbe Vergehen entrichtet werden mussten; andererseits deutet die Mehrzahl der Formulierungen der Bußenvermerke dies an. Zwar kann es heißen: macht (faceré) diesen oder jenen Betrag. Häufiger liest man jedoch, dass über die zu bezahlende Geldsumme eine Übereinkunft (concordare) zwischen dem Täter oder seinem Fürsprecher auf der einen und dem Notar oder dem Fiskal377 auf der anderen Seite getroffen wurde. Ein eindeutiger Hinweis auf die nicht starr angewandten Geldbußen findet sich auch in den Basler Urteilsprotokollen. Die Notare benutzten die stereotype Formulierung „wird zu einer angemessenen Buße verurteilt" (ad emendam condignam)m Welches die Angemessenheitskriterien bei der Festlegung der Geldstrafe waren, wird normalerweise nicht gesagt. Einzelne Beispiele jedoch legen nahe, dass die finanziellen Verhältnisse des Täters ausschlaggebend waren. Auf Bitte (ad preces) des Fiskulators der Stadt Basel verlangte 1463 der Basler Offizial von Martin Pfiffer aus Sulz nur 1 fl. für die begangene Unzucht.379 Eberhard Bechlin, der Knecht von Rudolf im Graben aus Rheinfelden, stand wegen desselben Delikts vor Gericht. Er gestand die Tat, und der Fiskal kam mit den Edelknechten Sebastian und Adelberus Truchseß, vermutlich seinen Grundherren, überein, dem Täter eine Geldstrafe von nur 1 lb. aufzubürden. Er begründete dies ausdrücklich damit, dass Bechlin arm sei.380 Zwischen 1463/64 und 1469/70 wurden insgesamt 24 solcher Bittgesuche fiir Laien und dreißig für Kleriker gezählt. Das entspricht etwa 10 % aller Fälle. Neben der materiellen Lage spielte bei den Verbaldelikten sicher auch die Wortwahl eine Rolle, um die Bußenhöhe festzusetzen.381 375

376

377

378 379 380

381

Beispiele aus Basel: AAEB: A 85/39 (1468/69), fol. 3v: concordatum pro una vierzella haver, oder ebd. (1469/70), fol. 5ν: duas plaustros albi vini. Dies war keine Basler Eigenart, sondern lässt sich auch in anderen Diözesen beobachten. Vgl. G. May, Gerichtsbarkeit, 222f., oder REC 5, Nr. 15416, wo ausdrücklich gesagt wird, dass die Taxen nach den Umständen festgelegt würden. Ulricus Reiner und Eisina Symonts standen 1463 vor dem Offizial, da das Gerücht umging, sie würden ehelich zusammenleben. Der Richter entschied, dass dies nicht der Fall sei, verurteilte die beiden aber wegen Unzucht {propter fornicariam adhesionem) zu einer angemessenen Buße. Im Bußenregister des Fiskals findet sich ein entsprechender Eintrag, worin es heißt: non concordavit. volebat expectore adventumflscalis. StAB: Gerichtsarchiv AA 1, 418 und AAEB: A 85/39 (1462/63), fol. 2. StABS: Gerichtsarchiv AA 1, 560f„ 571, 578f. u.ö. AAEB: A 85/39 (1466), fol. 1. AAEB: A 85/43 (1503/04). Ein drittes Beispiel: Item Elizabeth Kerterlin de Habßhein tenetur propter fornicacionem, quia pauper xv ß.\ AAEB: A 85/43 (1513/14). Weitere Beispiele in AAEB: A 85/39 (1464/65), fol. 4, 6 u.ö. Das war auch an weltlichen Gerichten so, am Basler Ratsgericht zum Beispiel; H.-R. Hagemann, Rechtsleben I, 74.

217

Das Basler Konsistorium setzte den Richtwert fur die Sexual- und Ehedelikte bei etwa 3 lb. fest, und über- oder unterschritt ihn nur selten. Wer sich der Unzucht schuldig machte, musste mit einer Geldstrafe in der Höhe zwischen etwa 15 ß. und 3 lb. rechnen. Der Ehebruch wurde in der Regel mit einem Betrag um 2 Ib., in einem einzigen Fall mit 6 lb. abgegolten. Personen, die im Konkubinat lebten, entrichteten in der Regel 3 lb. Die Geldstrafe fur Defloration betrug normalerweise ebenfalls 3 lb. Exzess in der Ehe kostete den Täter etwa 2 lb. Die Bußenhöhe für Scheidungsfalle schwankte zwischen 15 ß. und 2 lb. 10 ß.382 Die Höhe der Geldbußen, die für die übrigen Vergehen entrichtet werden mussten, war ebenfalls uneinheitlich. Die Missachtung des Privilegium canonis konnte den Täter sehr teuer zu stehen kommen. Gewaltdelikte gegen Priester bestrafte der Fiskal in der Regel mit einem Betrag zwischen 1-4 lb. Das Höchstmaß lag jedoch bedeutend höher als bei den Sexual- und Ehedelikten. Bis zu 12,5 lb. musste eine Person bezahlen, die ihre kriminelle Energie gegen einen Priester richtete.383 Der finanzielle Ermessensspielraum für die Bestrafung verbaler Entgleisungen reichte von 5 ß. - der am häufigsten ausgesprochenen Strafe384 - bis zu 2 lb.385 Die beiden Fälle von Gotteslästerung wurden mit je 1 lb. abgegolten. Die Exzesse schließlich, sowohl die sexuellen als auch die anderen, inhaltlich nicht präzisierten wurden mit 2-3 fl. bestraft. Mehr als 12,5 lb. musste in den untersuchten Jahren kein Laie für sein Vergehen bezahlen. Die Höhe der Strafgebühren änderte sich in diesem halben Jahrhundert nicht. Das legen Stichproben aus den übrigen Registern des Fiskals nahe. Die Höhe der Geldbußen, die die Kleriker für ihre Vergehen bezahlten, war sicherlich wie im Bistum Konstanz in einer Taxordnung festgelegt. Überliefert ist sie 382

Aus der unterschiedlichen Bußenhöhe kann nicht auf die Ursache der Scheidung geschlossen werden. Sowohl Ehebruch als auch Ehehindernisse kommen in Frage. - Ob die Unzucht, das Konkubinat oder die Defloration in den Augen des Richters bzw. der Gesellschaft schwerwiegendere Vergehen als der Ehebruch waren, kann allenfalls hypothetisch aus der Höhe der Bußen abgeleitet werden. Ausgehend vom Ergebnis, dass die Strafen für Defloration und Konkubinat höher waren, könnte jedoch auch die These formuliert werden, dass diese von finanziell eher besser gestellten Personen begangen wurden, während die fornicatio das Vergehen des kleinen Mannes waren. Da über die ökonomische Lage der einzelnen Täterinnen und Täter nichts bekannt ist, sind diese Thesen der Falsifikation entzogen. 383 AAEB: A 85/39 (1465/66), fol. 5v: Zschan Nicolin de sancto Ursicino sententialiter condempnatus ad emendarti quia manu violenter invasit quendum dominum Theobaldum Warney; vgl. auch AAEB: A 85/39 (1464/65), fol. 3. AAEB: A 85/43 (1513/14), 13: Item Martinus Müller de Spechtbach percussit dominum Heinrich in Mörentz, 9 lb. 13 ß. 6 d. - Fast ebenso viel kosteten Johannes Huser aus dem elsässischen Ammerschwihr seine wucherischen Geldforderungen, nämlich 12 Ib.; AAEB: A 85/43 (1516/17), 6. 384 Nicht ausgeschlossen werden kann, dass dies der Betrag war, der fur die Absolution der ipso facto eingetretenen Zensur entrichtet werden musste. 385 Hinzu kommen natürlich noch die Verfahrenskosten. Die Taxen im 1522 stattgefundenen Beleidigungsprozess zwischen dem Kläger Heinrich Keller aus Aspach und dem dortigen Pleban Morand Schmid beliefen sich für den Letzteren auf 1 lb. 7 ß. 11 d.; StABS: Gerichtsarchiv AA 17.

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jedoch nicht. 386 Der Verlust wird durch die Auswertung der Bußenregister wettgemacht. Der Fiskal ahndete Sexualdelikte in der Regel mit einer Geldstrafe zwischen 2-4 fl. Die Ausnahme war das - nur einmal erwähnte - Vergehen der Defloration, wofür der Täter 6 fl. bezahlen musste. 387 In ganz wenigen Fällen sprengte die Höhe der Strafe den durchschnittlichen Betrag; der Beamte forderte ein Mehrfaches oder gab sich mit einem bedeutend geringeren Betrag zufrieden. Einen Grund nannte er nicht. Für das Delikt puer wurden einmal 30 ß., ein anderes Mal 7 lb. verlangt. Oder der Rektor der Kirche in Sulz zum Beispiel bezahlte wegen Konkubinats eine Strafe von 16 fl. 388 Tätlichkeitsdelikte wurden mit ganz unterschiedlich hohen Geldstrafen belegt. Die Beobachtung von Pegeot und Prongue, dass die Strafe höher ausfiel, je nachdem ob ein Geistlicher oder ein Laie angegriffen oder verletzt wurde, kann nicht bestätigt werden. Unabhängig von der ständischen Zugehörigkeit der angegriffenen Person kostete das Vergehen vermutlich je nach seiner Schwere oder dem Ansehen der Person zwischen 1-8 Ib., in der Regel aber ebenfalls zwischen 2-4 Ib.389 Für die Verletzung (lesio) eines Bauern büßte der Fiskal den Pleban in Niedersept mit 8 Ib., wohingegen er den Pleban von Heidwiller wegen desselben, jedoch an einem Kaplan verübten Vergehens, mit nur 1 lb. bestrafte. 390 Nur das Messerzücken scheint ein etwas „billigeres" Delikt gewesen zu sein. Das Gericht verlangte dafür zumeist 1 lb. 5 ß. Außerordentlich weit war die Streuung zwischen dem höchsten und dem niedrigsten Betrag, den das Gericht für die Exzesse verlangte. Er lag zwischen 1-20 fl. Zelebrierte ein Priester trotz der über ihn verhängten Kirchenstrafe, kostete ihn dieses Vergehen zwischen 2-6 fl. Verbaldelikte kosteten die Priester in der Regel einen Betrag zwischen 2-4 fl. In der zweiten Periode wurde dafür oftmals weniger, unter Umständen nur 10 ß. verlangt. Auch in diesen Fällen kann nur vermutet werden, dass die Höhe der Geldstrafe auf den Inhalt der „unerlaubten Worte" und der „Beleidigungen" abgestimmt wurde. Wenn das richtig ist, dann war die Lüge des Plebans in Ottendorf ein Musterexemplar einer besonders infamen, verabscheuenswerten Entgleisung. Die Buße betrug nämlich 14 lb. 10 ß.391 Zumindest an einem Beispiel kann das Verhältnis zwischen Inhalt der Diffamierung und der Höhe der Geldbuße verdeutlicht werden. 1468 standen sich zwei Geistliche, die beide an der Kirche St. Martin in Colmar ihren Dienst versahen, vor dem Offizial gegenüber. Der Kaplan Anthonius Kespenbach klagte, dass der Kanoniker Bartholomeus Krus seine Ehre verlet386

Zur Höhe der Geldbußen vgl. auch P. Pegeot-J.-P. Prongue, Contribution, 30-33. Die von ihnen ermittelten Werte stimmen nicht immer mit den meinigen überein. 387 Nach P. Pegeot - J.-P. Prongue, Contribution, 30, lag die in der Regel erhobene Strafe bei 3-6 fl. 388 AAEB. A 85/39 (1466/67), fol. 3v. - Laut den Gerichtsstatuten von ca. 1480 hatten die Konkubinarier für ihr Vergehen 2 ß. zu bezahlen. AAEB: A 85/33 (Gerichtsstatuten, Abschrift 1514), 31. 389 P. Pegeot - J -P Prongue, Contribution, 31. 390 AAEB: A 85/43 (1509/10), 1, 3. 391 AAEB: A 85/43 (1512/13), 5.

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ze, wenn er ihm vorwerfe, er, Anthonius Kespenbach, sei ein Dieb. Kespenbach zahlte mit gleicher Münze zurück: „Wennen ir das sprechent, so sprich ich, ir sient ein gehigner, verlumbdetter wissenthafftiger diep und ich wil üch des wysen." Der Dekan habe im Kapitel oftmals gesagt, dass Krus ihn bestohlen habe. Aber er wisse es auch aus eigener Erfahrung - „und dar zu(o) me ir haben mynen vatter einen garten gestolen".392 Der Kanoniker wurde aufgrund der Verleumdung mit 20 fl. bestraft; die beleidigende Antwort kostete den Kaplan seinerseits 4 fl.393 Das Beispiel zeigt, dass wenn zwei Personen sich mit den gleichen ehrmindernden Worten beleidigten, das nicht unbedingt dasselbe war. Die Ehrverletzung, die als Reaktion geäußert wurde, wog weniger schwer. Die je nach Delikt zum Teil erheblichen Schwankungen der Strafgebühren zwischen 10 ß. bis 20 fl. lassen einen direkten Zusammenhang zwischen der Bußenhöhe und der Schwere der Tat vermuten. Die Delikte können dementsprechend in einer Skala geordnet werden: Der Exzess findet sich darin höher plaziert als die explizit genannten Tätlichkeitsdelikte - mit Ausnahme des Messerzückens. Dieses Vergehen rangiert an letzter Stelle. Unterhalb der Tätlichkeitsdelikte finden sich auf etwa derselben Stufe die Sexual-, Ehe- und Verbalvergehen. Der Vergleich zwischen der Höhe der Gebühren, die Laien und Kleriker für dieselben Vergehen zu zahlen hatten, zeigt eine weitgehende Übereinstimmung, bei einzelnen Vergehen aber auch auffallende Unterschiede. Diese können am plausibelsten durch die Standeszugehörigkeit erklärt werden. Das kanonische Recht stellte an Geistliche grundsätzlich höhere moralische Ansprüche als an Laien.394 Allerdings wurde dieses Prinzip offenbar nicht konsequent in die Praxis umgesetzt. Für die am häufigsten begangenen Sexualdelikte des Konkubinats und der Unzucht wurde etwa gleich viel gefordert. Für die Defloration verlangte das Gericht jedoch eine höhere Strafe, wenn ein Kleriker sie beging. Verbaldelikte kosteten die Priester ebenfalls durchschnittlich mehr als die Laien. Für die Exzesse gilt, dass die Kleriker meistens etwas mehr bezahlen mussten als die Laien. Bei aller Vorsicht, die vor allem deshalb geboten ist, weil über den jeweiligen Tathergang, der vermutlich mit ausschlaggebend für die Festlegung der Bußenhöhe war, nichts bekannt ist, lässt sich die These vertreten, dass Geistliche tendenziell eine höhere Strafsumme bezahlen mussten als Laien. Die Tatsache, dass die höchsten bekannten Geldbußen - im Extremfall 20 fl. - alle von geistlichen Tätern beglichen werden mussten, weist ebenfalls daraufhin. Was lässt sich über das Zahlungsverhalten der Gebüßten sagen? Bezahlten sie nicht sofort, räumte ihnen der Fiskal eine Zahlungsfrist ein. Manchmal setzte er 392

StABS: Gerichtsarchiv AA 1, 1059-1066. AAEB: A 85/39 (1468/69), fol. 4v. 394 H.J. Berman, Recht, 316. 393

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sogar zwei Termine, um die finanzielle Last zu verteilen. In den Registern von 1463/64-69/70 werden häufig solche erwähnt. Am 17. Juni 1464 zum Beispiel wurde Peter der „Lutenschlaher" aus Mülhausen zu einer Geldstrafe von 2 lb. verurteilt, weil er mit Juden spielte. Die eine Hälfte hatte er bis Martini (11. November) zu bezahlen, für die andere Hälfte wurde die Frist bis Weihnachten erstreckt.395 Meistens hatten die Schuldner bis zu einem halben Jahr, manchmal sogar länger Zeit, um das Geld dem geistlichen Gericht abzuliefern. Wenn jemand seine Schuld beglichen hatte, strich der Notar den Eintrag durch. Es gab Männer und Frauen, die sofort bezahlten, andere blieben die Buße schuldig. Zumindest muss dies daraus geschlossen werden, dass der Eintrag nicht durchgestrichen wurde. Dass alle Schuldner der Zahlungspflicht nachkamen, war sicher nicht der Fall. Im Register aus dem Rechnungsjahr 1503/04 findet sich eine Rubrik „Bußengelder, die zu erhalten hoffnungslos ist". Sie enthält die Namen von fünfzehn Schuldnern. Der Mann oder die Frau sei flüchtig (fugitivus), merkte der Schreiber in den meisten Fällen an. Oder: Aufenthaltsort unbekannt; selten: starb ohne Erben oder eine Erbschaft zu hinterlassen.396 Eine inhaltlich vergleichbare Rubrik findet sich im Register für die Periode 1510/11. Sie enthält 31 Eintragungen. Sieben Personen galten als flüchtig, zwei waren nicht im Ort, drei weitere starben, bevor sie bezahlt hatten. Was die Bußen der übrigen betraf, so wurde darüber noch verhandelt.397 Die Begleichung der Schuld sei an einem Register von 1464/65 im einzelnen dargestellt. Es enthält 74 Eintragungen. Dreißig davon beziehen sich auf Laien, die restlichen auf Kleriker. In vierzig Fällen bezahlten die Gebüßten die Geldstrafe ganz. Neunzehn Geistliche und fünfzehn Laien waren entweder nicht zahlungswillig oder nicht -fähig; in acht Fällen vermutlich vor allem das Letztere, denn die Personen bezahlten immerhin einen Teil. Eine tabellarische Übersicht zeigt, dass dieses Resultat verallgemeinert werden kann. 398

395

AAEB: A 85/39 (1464/65), fol. lv. AAEB: A 85/43 (1503/04), 2f.: Sequuntur nunc emende post proximum calculum remanse ubi non est spes aliquid habendi. - Dieselbe Rubrik aus dem Register des Jahres 1512/13 enthält fünf Eintragungen, die ausnahmslos Laien betreffen. 397 AAEB: A 85/43 (1510/11): Exstancie ubi cause ad hue pendentes et non sunt concordatae. 398 Bei der Erstellung der Tabelle wurde vorausgesetzt, dass der Schreiber gewissenhaft arbeitete und jede Schuldnotiz durchstrich, sobald die Person bezahlt hatte. 396

221

Tabelle 39. Bistum Basel, bezahlte und unbezahlte Strafgelder Jahr 1463/64 1464/65 1465/66 1466/67 1467/68 1468/69 1469/70 Total

Laien 38 30 39 30 22 24 31 214

Buße bezahlt 27 15 18 13 13 20 28 134 (63 %)

Kleriker 46 44 41 55 37 22 38 283

Buße bezahlt 29 25 28 24 26 18 33 183 (65 %)

Für die zweite Periode lässt sich eine solche Übersicht nur für ein Rechnungsjahr erstellen. Die vier verschiedenen Schreiber, die während dieser Zeitspanne das Register führten, wählten eine Methode der Rechnungsführung, die für Außenstehende nicht leicht zu durchblicken, teilweise gar unverständlich ist. Durchgestrichen wird nämlich nichts mehr.399 Der Schreiber, der 1509/10 mit der Registerführung betraut war, brachte wenigstens am Rand der einzelnen Notizen einen Vermerk an, wenn jemand seine Buße bezahlt hatte: Von 43 Laien und 52 Klerikern beglichen je dreizehnt die Buße. Über Bann und Interdikt geben die erhaltenen Basler Quellen keinen vollständigen Überblick. Die Register des Kanzellators, worin sämtliche exkommunizierten Personen verzeichnet waren, gingen verloren.400 Aber zumindest Anhaltspunkte über die Bannpraxis sind aus dem Register des Notars des Generalvikars aus den Jahren 1503/04-11/12 zu gewinnen.401 Darin findet sich jährlich eine Rubrik, die die Einnahmen aus den Absolutions- und Relaxationsgebühren enthält.402 Die Akte wird ergänzt durch die Rechnungslegung des Fiskals, worin die Geldbußen für Vergehen verzeichnet sind, die das gemeine Recht eo ipso mit der Exkommunikation ahndete. Theoretisch müssten auch die nicht bezahlten Bußen zur Menge der Exkommunikationen geschlagen werden. Denn eine Geldschuld nicht zu begleichen, war eine strafrechtlich relevante Handlung,403 die wiederum mit einer Geldstrafe, 399

Daraus jedoch zu schließen, dass überhaupt niemand seine Schuld beglich, scheint mir unwahrscheinlich zu sein. 400 AAEB: A 85/33 (Gerichtsstatuten, Abschrift 1514), 39. Die Synodalstatuten von 1503 fordern den Pfarrklerus (curati) ebenfalls auf, die Exkommunizierten in Registern zu verzeichnen. Die Pfarrer seien außerstande, lautete das Argument, die Namen sämtlicher Personen im Kopf zu behalten, die von den sakramentalen Handlungen ausgeschlossen worden sind. J. Hartzheim - J.F. Schannat (Hgg.), Concilia Germaniae VI, 24. 401 AAEB: A 85/41. Die Quelle ist weder paginiert noch foliiert. 402 Eine Absolution kostete in der Regel 5 ß. 403 W M. Plöchl, Kirchenrecht II, 337.

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schlimmstenfalls mit dem Bann geahndet werden konnte. In den Jahren 1463/6469/70 hätten theoretisch achtzig Personen deswegen exkommuniziert werden können. Der Konjunktiv wird verwendet, weil nicht sicher ist, ob diese Personen tatsächlich ipso facto gebannt wurden.

Tabelle 40: Bistum Basel, exkommunizierte und absolvierte Laien (1503/04-11/12) Jahr

absolu tio/relaxatioWA

1503/04 1504/05 1505/06 1506/07 1507/08 1508/09 1509/10 1510/11 1511/12

5 18 18 7 7 15 15 3 9

Total

97

Zensuren 2405

j406 -

j407

-

4408

y409 -

15

Mindestens 112 Personen oder Orte wurden zwischen 1503/04-11/12 im Bistum Basel exkommuniziert oder von Zensuren losgesprochen. 410 Diese Zahl kann in 404

Diese Spalte enthält nur die Zensuren, die im Notarsregister enthalten sind; AAEB: A 85/41. AAEB: A 85/43 (1503/04). Vinzenz Pertigat und seine Frau Agnes aus Buethwiller heirateten trotz des ihnen bekannten Ehehindemisses der Schwägerschaft und damit contra iudicium ecclesie. 406 AAEB: A 85/43 (1504/05), 11: Anno ut supra jovìs ante Laurentiì [= 1504 August 8; Anm. T.D.A.] etc. Dédit se ad emendam Johannes Steinbach de Mulhusen etc. quia misit manum violentam in personam domini Michaelis Lemblin plebani in lltzich. Die sich im Notarsregister findende Notiz: Item pro relaxacione interdicti in Ylzich, factum xxviii junii anno xv'° quarto, vi β. (AAEB: A 85/41) könnte aufgrund des Datums und der Ortsangabe damit im Zusammenhang stehen. Da es sich aber um verschiedene Zensuren handelt, wurden beide einzeln gerechnet. 407 Item Heinricus Steinbach de Mulhusen tenetur Hfl. et est excommuni catus et interdictus\ AAEB: A 85/43 (1507/08). 408 Es handelt sich ausnahmslos um Exkommunikationen, die eo ipso wegen einer Tätlichkeit gegen einen Kleriker eintraten: Wolffgangus Frowenstein dédit se [...] quia de nocte percussit quendam monachum repertum ab eo in edibus suis [...] i Ib. ν β. et cum hoc recepii absolucionem. - Leonhardus Schnider de iuniori Munstroll percussit quendam monachum de nocte qui incessit unius indiscretum [...] i Ib. ν ß. - Adam Sub lin de Sachsen dédit se [...] quia inviolenter invasi t et percussit sacerdotem ibidem [...] iiii Ib. xvß. - Item Matheus Brunner in Oltingen dedit se ad emendam quia percussit plebanum ibidem, recepii absolutionem et tenetur nomine emendae i Ib.; AAEB: A 85/43 (1509/10). 409 Vier Fälle - zweimal erfolgte die Exkommunikation aufgrund einer Tätlichkeit gegen einen Kleriker, zweimal in einer Eheangelegenheit - stammen aus der Rechnungslegung des Vikars; drei Fälle stammen aus zwei Gerichtsprotokollen, die in Eheprozessen gefuhrt wurden; StABS: Gerichtsarchiv AA 3 (1510 Januar 22; 1510 Februar 14). 405

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zweifacher Hinsicht präzisiert werden, einerseits nach der Ursache und andererseits, aber damit zusammenhängend, nach der Art der Zensur. Interdikte wurden zumeist wegen Tötung von Klerikern über ein Dorf, eine Stadt oder ein Dekanat verhängt 4 " Wo der Grund der Exkommunikationen erwähnt wird - insgesamt 22 Fälle -, handelt es sich zumeist um Gewalttätigkeiten, die gegenüber Klerikern verübt wurden. Aufgrund des Kanons Si quis suadente diabolo wurden neun Personen exkommuniziert.412 In den übrigen neunzig Fällen wird keine Begründung für die Verhängung der Kirchenstrafe gegeben. Ein ähnliches Resultat liefert die Quelle iur die Frage nach den exkommunizierten oder absolvierten Klerikern:

Tabelle 41: Bistum Basel, exkommunizierte und absolvierte Kleriker (1503/04-11/12)

Jahr

Absolutionen413

Zensuren414

1503/04 1504/05 1505/06 1506/07 1507/08 1508/09 1509/10 1510/11 1511/12

7 7 7 4 12 14 5 11 7

4 2

Total

74

14

-

7 1 -

410

Zwei Arten von Absolutionen sind in dieser Zahl eingeschlossen, sowohl die absolutio a canone als auch die absolutio ad cautelarti. Während der ersten mit Sicherheit eine Zensur vorausging, wurde die zweite vorsichtshalber erteilt, weil nicht gewiss war, ob eine solche ausgesprochen worden war. Zum Begriff A. Villien, Absolution, in: Dictionnaire du Droit Canonique I, Paris 1935, Spp. 119-124, hier

411

Das belegen drei Fälle. In den übrigen Fällen wird die Ursache des Interdikts nicht genannt. Vier Exkommunikationen verhängte das Gericht, weil sich die Personen an einem verbotenen Ort aufhielten, nämlich im Kloster Klingental, das auf der Kleinbasler Seite im Bistum Konstanz lag. Zu den Hintergründen vgl. R. Wackernagel, Geschichte II/2, 834-840. Drei Ehepaare wurden gebannt, weil sie die Ehe trotz eines ihnen bekannten Hindernisses wissentlich eingegangen waren; eine Person zog sich den Bann zu, weil sie mit einem Exkommunizierten verkehrte; die Schöffen (turati) und die Gemeinde von Elfingen wurden mit kirchlichen Zensuren belegt, weil sie einen Dieb an einem geweihten Ort, nämlich auf ihrem Friedhof fingen. Diese Spalte enthält nur die Zensuren, die im Notarsregister enthalten sind; AAEB: A 85/41. Die Rubrik enhält die eo ipso eintretenden Zensuren. Ausgewertet wurden alle erhaltenen Register der Jahre zwischen 1502-12 (AAEB: A 85/43 (1503/04; 1504/05; 1509/10; 1510/11). Nur die Höhe der Geldbußen verzeichnen die Register. Aufgrund des angegebenen Vergehens ist jedoch bekannt, ob dieses automatisch die Zensur nach sich zog oder nicht.

122. 412

413 414

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Nur in einem einzigen Fall kann zweifelsfrei gezeigt werden, dass ein Geistlicher in beiden Quellen, sowohl im Register des Notars des Generalvikars als auch in der Rechnungslegung des Fiskalprokurators erwähnt wird. 415 Am 31. Januar 1503 absolvierte der Beamte den Kaplan Johannes Perret aus St. Ursitz von einer Zensur, nachdem dieser den üblichen Betrag von 5 ß. bezahlt hatte. Im Frühjahr desselben Jahres (veneris ante reminiscere) verurteilte er denselben Johannes Perret alias Grogonie wegen Unzucht zu einer Geldstrafe von 3 lb. 416 In der Rubrik „Absolutionen" werden nur in achtzehn Fällen die Gründe genannt, weswegen der Generalvikar Kleriker mit kirchlichen Strafen belegte. Sieben Geistliche zensurierte er wegen Konkubinats und zwei wegen „Irregularität". Die übrigen neun Gründe sind derart verschieden, dass sie nicht auf einen gemeinsamen Nenner gebracht werden können 417 Die zweite Rubrik der Tabelle enthält die Tätlichkeiten, die Geistliche gegen einen Standesgenossen verübten, also Verstöße gegen das auf dem 2. Laterankonzil gutgeheissene Privilegium canonis. Folgt man der in der Forschung vertretenen Ansicht, die sich bisher ausschließlich auf englische Gerichtsakten stützt, diente der Kanon nur dem Schutz der Priester vor gewalttätigen Laien. 418 Die Basler, Konstanzer und Churer Fälle zeigen, dass diese Interpretation zu eng ist und die herrschende Praxis die Dekretale Si quis suadente diabolo auch zur Bestrafung der geistlichen Täter heranzog. 419 Gegen neunzig Kleriker wurden gezählt, die gebannt wurden oder sich absolvieren lassen mussten. Ist das viel oder wenig? Die Gesamtmenge der im Bistum tätigen Geistlichen ist zwar unbekannt, doch als Vergleichspunkt kann die Zahl der Pfarreien herangezogen werden. Etwa 420 Pfarreien umfasste das Bistum um 1500. 420 415

416 4,7

418 419

420

Zweifelhaft ist die Identität des Plebans Petrus in Franken, der 1510 zweimal eine Strafe bezahlen musste - das erste Mal, weil er seine Haushälterin vor aller Augen schlug, das andere Mal wegen nicht näher beschriebener Exzesse -, mit Petrus de Stella, incuratus in Francken, der am 26. Oktober desselben Jahres fur seine Absolution 5 ß. bezahlte; AAEB: A 85/43 (1509/10) und A 85/41. - Der Pleban in Heidwiller wurde im November 1509 zu einer Geldbuße von 1 lb. verurteilt, weil er einen Kaplan desselben Orts verletzte (propter lesionem). Im selben Jahr, am 24. Oktober, bezahlte Johannes Rudinger, der Pleban in Heidwiller, fur seine Absolution ebenfalls 5 ß.; AAEB: A 85/43 (1509/10) und A 85/41. AAEB: A 85/41 und A 85/43 (1503/04). AAEB: A 85/41: Quia ab alio invasus; ob non solucionem ciusdam emende; ob non solutionem collectarum; quia laicum vulneravit; racione cuiusdam participationis cum quodam excommunicato; quia intravit monasterium Clingental, propter fcarrucamj commissions fitit suspensus ad non vicem; propter suam ignoranciam fuerat suspensus; propter non exequcionem processum. R. H. Helmholz, 'Si quis suadente hier 426-431. AAEB: A 85/43 (1509/10): Item dominus Adam plebanus in Walhen dédit se ad emendam ea racione quod percussit monachum plebanum in Francken, recepii absolucionem et tenetur nomine emendae ii lb. ν ß \ BAC: DG 1/4, 1145: Der Kanoniker Johannes de Pontesello schuldete dem Siegler ad minus χ fl. R. pro absolucione et declaracione super eo, quod dominum magistrum Thomam Mayer in Tintzen ad sanguinis effusionis (...] percussit propterea sententiam canonis 'Si quis suadente diabolo ·. Für Konstanz vgl. REC 4, Nrn. 11012, 11107, 11110 u.ö. Ein Verzeichnis der Pfarreien in HelSac I, 336-352.

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Jährlich war somit etwa jede vierzigste Pfarrei während einer unbestimmten Zeitdauer seelsorgerlich unterversorgt. So gesehen hatten die kirchlichen Zensuren kaum eine nachhaltig negative Wirkung auf das religiöse Gemeindeleben. Die Gerichtsakten aus dem Bistum Chur enthalten, was den Registern des Basler Fiskals fehlt: detaillierte Angaben über Bannurteile. Der Siegler trug minutiös jeden Geldbetrag in sein Rechnungsbuch ein, den das Gericht für die Lossprechung vom Bann verlangte. Diese Aktennotizen sind jedoch aus zwei Gründen nicht leicht zu interpretieren. Erstens werden die Exkommunikationen selten als solche benannt. Nicht überall, wo das Wort absolutio verwendet wird, handelt es sich um die Befreiung vom Bann.421 Zweitens ist nicht immer klar, wie viele Personen das Gericht exkommunizierte. Deshalb werden im Folgenden ausführlich die Kriterien offengelegt, womit die Daten erhoben wurden, aus denen sich die Graphik 40 zusammensetzt. Keine interpretatorischen Probleme bieten natürlich diejenigen Akteneintragungen, worin der Siegler ausdrücklich vom Bann spricht: Anna Pargin aus Parpan schuldet 18 d. für die Exekutionsbriefe, womit sie Johann Henni, der in derselben Pfarrei wohnt, exkommunizieren läßt, und nochmals 16 d. für die Briefe, womit sie über denselben Henni den großen Bann erwirkt.422 Schwieriger wird es bei folgenden Formulierungen. Johann Schigkh aus Rankweil schuldet dem Siegler 12 ß. für die Absolution vom dritten und zweiten Urteil, das auf Veranlassung von Ulrich Brock und Christoph Gampsen aus Feldkirch gefallt wurde.423 In solchen Fällen handelt es sich eindeutig um Lossprechungen von Bannurteilen. Der Textvergleich zeigt, dass dem Churer Konsistorium sechs verschiedene Grade der Exkommunikation - Urteile genannt - zur Verfugung standen, um die Untertanen je nach der Schwere ihres Vergehens zu bestrafen.424 Ein Mann aus Nüziders schuldete für die Absolution von der „dritten Exkommunikation",425 421

422

423

424

425

Die Beamten verwendeten das Wort absolutio in Urteilen auch im Sinn von „Freispruch einer Anklage", wie Urkunden aus Basel und Konstanz belegen. In den Eheurteilen heißt oftmals absolutio ab impeti tione. BAC: DG 1/3, 587: Anna Pargin filia Petri Pargu(e)n de Parpon tenetur iiii fi. R. iura iudicii in causis fioris ascripcionis prolis et expensis puerpera inter ipsam Annam actricem ex una et Johannem Henni de loco eodem reum, pro actrice et contra reum [...]. Tenetur xviii d. pro litteris executorialibus contra eundem Henni et excommunicacione, recepii per se (1518 März 15). Tenetur xvi d. pro excommunicacione et aggravacione in familiam. BAC: DG 1/2, 404: Johannes Schigkh de Rannckhwil tenetur 12ß. d. pro duabus absolucionibus a tercia et secunda sententiis ad instancias U(o)lrici Brockh in Veitkirch et Cristopheri Gampsen ibidem latis. - Ulrich Brock war der Amtmann des Domkapitels; vgl. DG 1/2, 466. Nicht das Prinzip der abgestuften Exkommunikationen, aber die dafür verwendete Terminologie scheint ein Spezifikum des Churer Offizialats gewesen zu sein. Die Gerichtsstatuten des Basler Konsistoriums oder des Basler Konservatorialgerichts kennen ebenfalls eine Abstufung der Bannurteile. Vgl. Kapitel § 2 11,2.2.3 und 11,4.1.3. Auch das Generalgericht zu Erfurt verschärfte stufenweise die Zensuren; vgl. G. May, Gerichtsbarkeit, 217 Anm. 61. Vgl. auch die Gerichtsordnung von Konstanz; Th. Gottlob, Gerichstatuten, 202. BAC: DG 1/2, 499: pro absolucione a tercia excommunicacione.

226

ein gewisser Johann Beck für die Lossprechung von der „vierten Zensur", 426 und Conradin Jeger aus Tinzen schuldete „für die Absolution vom sechsten Urteil, nämlich der Androhung des Interdikts" 427 Die praktischen Konsequenzen der Bannabstufung scheinen hauptsächlich in der unterschiedlichen Höhe der Absolutionsgebühren bestanden zu haben. Auch dass es sich im folgenden Beispiel um eine Exkommunikation handelt, kann nur mit Hilfe des Vergleichs erschlossen werden. Johann Gall aus Flums und seine Ehefrau Margareth Hiltin schulden seit dem 19. Juni 1519 dem Siegler gemeinsam 2 lb. für die Erlaubnis, während eines Jahres getrennt zu leben. Etwa zwei Jahre später notierte der Siegler, dass Gall für die Absolution seines Verfahrens 2 ß. 2 d. schulden würde. 428 Wofür aber? Für den Freispruch von der Klage seiner Frau oder für die Absolution vom Bann? Aus zwei Gründen wird das Letztere angenommen. Zum einen weist die Höhe der Geldsumme daraufhin; 429 zum anderen finden sich auch Aktennotizen mit der Formulierung „schuldet für die Absolution vom ersten Urteil meines Prozesses" 430 Ein weiteres Problem sei an folgenden zwei Beispielen dargestellt: 1509 schuldete ein Ehepaar gemeinsam 2 fl. für die Bestätigung der Dispens von einem Ehehindernis. Sechs Jahre später verlangte der Siegler 8 ß. für die Absolution von der dritten Zensur, die er selbst veranlasst hatte. Wen ließ er aber exkommunizieren? Das Ehepaar, nur den Mann oder nur die Frau? Oder: Die Erben und Verwalter der Güter von Jakob Plant aus Samedan schuldeten für mehrere Absolutionen Geld, einmal 8 ß. 8 d. für die Lossprechung von der dritten Sentenz. Aber wurde die Personengemeinschaft als ganze oder ein einzelner Erbe exkommuniziert?431 Das Problem wird pragmatisch gelöst, indem die Zahl der Exkommunikationen gezählt wird.432 Aus der Höhe des Geldbetrags, der für eine Absolution entrichtet werden 426 427

428

429 430

431 432

BAC: DG 1/2, 403: absolucione quarte censure. BAC: DG 1/3, 707: pro absolucione a sexta sententia videlicet cominacione ecclesiastici interdicti. Vgl. auch DG 1/4, 1158. BAC: DG 1/1, 259: Johannes Gali de Flumbs et Margaretha Hiltin coniuges, tenentur coniunctim 2 Ib. pro licencia seorsum standi ad unius anni spacium [...]. Tenetur 2 ß. 2d. pro absolucione mei processus contra mulierem procedatur. Die Gebühren fur die Absolutionen in § 2 11,2.2.3. BAC: DG 1/1, 247: Agnes Thein vel Dein uss Galfeisen nunc in Vi Iters tenetur iura iudicii 2 gl. R. in causa matrimoniali impotencia coeundi [...] (1419 Juni 17). Tenetur 2 ß. 2d. pro absolucione prime sententie mei processus (1520 November 12). Vgl. auch folgendes Beispiel: Jacobus Tagkh de Zellarina tamquam cautore quodam domini Jacobi Baliopp [...] recepìt absolucionem quinte excommunicacionis seu sententie mei processus; D G 1/4, 1043. BAC: DG 1/4, 1042, 1044. Konsequenterweise wurden deshalb Fälle nicht aufgenommen, in denen Personen sich aufgrund eines entsprechenden Vergehens eine Zensur zuzogen, die nicht explizit genannt wird. 1523 zum Beispiel schuldeten Gregorius Locher und seine Frau 4 Gulden für die Dispens vom Ehehindemis der Schwägerschaft. Sie hatten trotz des Wissens darum geheiratet und in einer inzestuösen Beziehung gelebt. Der Siegler spricht zwar von einer Strafe Von einer automatisch eingetretenen Zensur ist hingegen nicht die Rede; vgl. BAC: DG 1/1, 245. Da solche Fälle relativ selten sind, fallen sie quantitativ nicht ins Gewicht.

227

musste, geht in den allermeisten Fällen eindeutig hervor, wie viele Zensuren verhängt wurden.433 Angemerkt sei überdies, dass Personengemeinschaften verhältnismäßig selten gebannt wurden, so dass darauf verzichtet werden kann, zwischen Einzelpersonen und Kollektiven zu unterscheiden.434 Die folgende Tabelle zeigt die jährliche Verteilung der zwischen 1497-1527 ausgesprochenen Bannurteile, die sich Männer und Frauen aus den drei untersuchten Herrschaftsgebieten Gotteshausbund, Sarganser Landschaft und Vorarlberger Gerichte zuzogen.435

Tabelle 42: Bistum Chur, jährliche Zensuren (1497-1527)



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Das Gericht verlangte für 1085 Zensuren eine Absolutionsgebühr. 709 Lossprechungen sind aus dem Hochstift überliefert, 322 aus den Vorarlberger Gerichten und 54 aus der Sarganser Landschaft. Jährlich forderte der Siegler 36-mal einen 433

434

435

Vgl. z.B. BAC: DG 1/3, 730: Bartholomeus Mauricii et heredes Simonis de Crana tenentur 4ß. d. coniunctim pro absolucione prime sententie. Wie nach der Höhe der Absolutionsgebühr und der Angabe „erste Sentenz" zu schließen ist, wurden zwei Zensuren verhängt. 1520 wurde die Gemeinde Ober Porta gebannt, 1521 zogen sich die zehntpflichtigen Einwohner von Latems den Bann zu; BAC: DG 1/3, 722: Albertus de Andrianus viceplebanus in Pregalia [...] tenetur ii ß. d. pro absolucione prime sententie contra communitatem superioris Porte de instanciam domini abbatis sancii Ludi late; DG 1/2, 422: Incole communitatis decimarios in Glaterns tenentur i Ib. coniunctim pro absolucione prime sententie ad instanciam domini Jacobi Bapis plebanus in Rannckhwil ob non paricionum certi decreti de sibi decimando non obstante litipendencia inter plebanum Rannckhwil et Glaterns. In vierzig Fällen ist das Jahr nicht angegeben. - Es wird davon ausgegangen, dass die Absolutionsgebühr zum gleichen Zeitpunkt gefordert wurde, wo die Zensur verhängt wurde.

228

entsprechenden Geldbetrag. Die Zahl der Lossprechungen ist aber nicht mit der Menge der gebannten Pfarrgenossen gleichzusetzen, da sich etliche mehr als einmal den Bann zuzogen. Die über tausend Absolutionen verteilen sich auf etwa 550-650 Männer und, aber bedeutend seltener, Frauen. Weiter ist zu beachten, dass das Konsistorium in der weit überwiegenden Mehrzahl das erste, zweite oder dritte Bannurteil fällte. 450 (63 %) Exkommunikationen dieser Kategorien wurden in den Aktennotizen, die den Gotteshausbund betrafen, gezählt, für die Vorarlberger Gerichte waren es 190 (60 %) und für die Sarganser Landschaft 34 (63 %). Hingegen drohte es fast niemals mit dem Interdikt und verhängte auch nie ein Anathem.436 Im Gotteshausbund zogen sich nur 21 Personen die sechste Sentenz zu; im Vorarlbergischen waren es zwei. Ähnliches gilt für die vierte und fünfte Exkommunikation.437 233 disziplinarische Vergehen oder Prozesse wurden aus dem DG herausgefiltert. In derselben Zeit und im selben Untersuchungsraum wurden aber über tausend Zensuren gezählt. Wie ist diese Differenz zu erklären?438 Oder anders gefragt. Welches sind die Gründe, weshalb das Gericht Laien exkommunizierte? Das Schaubild zeigt deutlich, dass sich die Menge der Absolutionen ab 1515 vervielfachte. Die jährliche Verteilung ist mit derjenigen der Ehe- und Straffalle fast identisch. Zwischen diesen und der Zahl der Bannurteile gibt es einen direkten Zusammenhang: Je mehr Prozesse geführt werden, desto häufiger ziehen sich die Parteien den Bann zu. Ein Eintrag des Sieglers zeigt, weshalb das so war. 1514 schuldeten die in Zizers wohnenden Anna Güffli und Leonhard Mayer gemeinsam 2 fl. für das Urteil, das der Ofifizial in ihrem Eheprozess gefallt hatte.439 Der Siegler setzte Mayer eine 436

Das Offizialat verhängte auch das Anathem, aber über keine Person, die in einem der drei untersuchten Herrschaftsgebiete wohnte; vgl. BAC: DG V\, 147: pro absolucione Jodoci Philipp de valle Reni qui fuit excommunicato, aggravatus et reaggravatus usque ad decantocionem responsorii Revelabunt celi inclusive. 437 Keine in der Sarganser Landschaft lebende Person zog sich eine der beiden Exkommunikationsgrade zu. Immerhin 29 Fälle (9 %) wurden fur die Vorarlberger Gerichte gezählt und 48 (7 %) für den Gotteshausbund. 438 Damit keine Missverständnisse aufkommen, sei ausdrücklich darauf hingewiesen, dass nicht alle 233 in die Tabelle aufgenommenen Eintragungen mit dem Bann bestraft wurden. Die Summe setzt sich allein aus den Prozessen sowie den Vergehen zusammen, die das Gericht mit einer Geldstrafe büßte. 439 BAC: DG 1/1, 67: Anna Güffli von der Altenstat vel Gisingen, prope Veitkirch et Leonhardus Mayer de Sems morantes in Zützers tenerentur coniunctim 2 fl. R. causa eorum matrimoniali declaracionis, in favorem matrimonii, actum (1514 April 27). Obtinuit terminum solucionis ad festum sancti Martini proximum (1516 September 20), alioquin excommunicetur ipsa Anna. Solvit totum etc. Mayer de sua parte per Lennhart Jenni de Igis etc. (1517 März 1 ). Tenetur idem Leonhardus 26 d. pro absolucione prime sententie ad mei instanciam sigilliferi emanate, recepii (1517 April 8). Vgl. die dazugehörenden Eintragungen im DG 1/1, 73: Anna Güffli de Schwaynigen, nunc sub parrochia Ygis cum Leonharde Mayer morans, tenetur 1 fl. R. ut Zutzers invenitur. Tenetur eciam 3 ß. d. pro rata litterarum sententie, tenetur insuper 4β. 4 d. pro absolucione secunde excomunicacionis, recepii eandem per se in presencia Leonhardi Mayer de Ygis (1516 Oktober 14) [...] cavit et in debito-

229

Zahlungsfrist bis Martini 1516. Hielt er diese nicht ein, drohte ihm der Bann. Anna Güffli zog sich diesen bereits im Oktober 1516 zu und bezahlte ihre Schuld im März 1517. Ihr Mann wurde etwa ein halbes Jahr später exkommuniziert. Am 18. April 1517 schuldete er 26 d. fur die Absolution vom ersten Urteil, das der Siegler veranlasst hatte. Dieses Beispiel kann verallgemeinert werden. In den mit Abstand meisten Fällen erfolgte der Bann, weil eine Geldschuld nicht rechtzeitig beglichen wurde. Differenziert werden muss jedoch danach, in welcher Angelegenheit Geld und, damit zusammenhängend, wem es geschuldet wurde, beziehungsweise wer die Exkommunikation veranlasst hatte. Dieser Punkt ist für die Interpretation der von den Bauern geäußerten Kritik an der Bannpraxis wichtig. Je nachdem, ob die Gläubiger Kleriker und geistliche Institutionen oder Laien waren, erhält die Klage entweder einen deutlicheren antiklerikalen Unterton, oder muss eher als Kritik an den reichen Laien gelesen werden, die das kirchliche Gericht für ihre weltlichen Zwecke instrumentalisierten. Um möglichst genau die Frage zu beantworten, in welcher Sache der Bann beziehungsweise auf wessen Veranlassung er verhängt wurde, werden folgende vier Ober- und mehrere Unterkategorien konstruiert. Die erste Oberkategorie enthält die automatisch eintretenden Exkommunikationen. Die übrigen drei Oberkategorien erfassen die Bannsprüche, die das Chorgericht wegen ausstehender Schulden fällte:440 Einmal solche, die es im Zug eines Rechtsverfahrens, zumeist aufgrund unbezahlter Prozessschulden aussprach,441 dann solche, bei denen der Schreiber den Grund zwar nicht nannte, jedoch die Person erwähnte, die den Bann veranlasste; in die vierte Oberkategorie gehören Fälle von Exkommunikationen, wo weder der Grund noch die sie veranlassende Person genannt wird.442 Diese drei Oberkategorien werden weiter in Unterkategorien aufgeschlüsselt. Exkommunikarem se pro eadem constitua Leonhart Jenni de Ygis pro dicto debito sollenni stipulacionis sequnta[\] (1517 Februar 21); DG 1/1, 59: Leonhardus Mayer de Sewis moram habens nunc in Zützers tenetur 1 gl. R. iura iudicii in causa matrimoniali inter Annam Güfflin de Maynigen ex Altennstatt principale m et ipsum Leonhardum comprincipalem; in favorem matrimonii pronunciatum (1517 April 27). Tenetur xviii d. pro interpellacione excommunicacionis ad mei sigilliferi instanciam emanate (1516[!] Oktober). Tenetur 26 d. pro absolucione prime sententie ad instanciam mei sigilliferi emanate. Recepii (1517[!] April 8). Tenetur 3ß. d. pro rata litterarum sententie diete prime cause pro notario. Solvit totum per Ulricum Pfoss (1518 Januar 11). 440 Rechssystematisch betrachtet, ist das eine wenig befriedigende Einteilung, da auch Personen, die Geld schuldeten, automatisch gebannt werden konnten. In der Praxis jedoch war es vermutlich so, dass der Gläubiger um die Strafe nachsuchen musste. 441 In den meisten Fällen wurden die Exkommunikationen auf Betreiben des Sieglers gefällt; oder es ist von einer Absolution aufgrund „meines Prozesses" die Rede. In Ausnahmefallen wurde der Bann von einer anderen Person veranlasst, wie folgendes Beispiel zeigt: Jakob Platter aus Chur schuldete dem Gericht eine Geldsumme fur die wegen Ehebruchs und Scheidung geführten Verhandlungen. Hinzu kam die Gebühr der Absolution vom ersten Bannurteil, das seine eigene Frau über ihn aussprechen ließ. BAC: DG 1/4, 1156. 442 Unwahrscheinlich ist, dass es sich um automatisch ausgesprochene Zensuren handelt. Das Vergehen wird in solchen Fällen immer genannt.

230

tionen wegen Prozessschulden können in Ehe- oder Strafprozessen, aber auch in sogenannten causae annexae ausgesprochen worden sein.443 Die dritte Oberkategorie kann danach aufgefächert werden, wer den Bann veranlasste. Gerichtspersonen werden erwähnt (Siegler, Notar, Fiskal), Geistliche sowie Laien. 444 Jedoch kam es auch vor, dass der Siegler die Person, die die Kirchenstrafe verlangte, nicht nannte. Die engmaschige Kategorisierung hat den Vorteil, dass die oben gestellte Frage differenziert beantwortet werden kann. Der, allerdings nur kleine Nachteil ist, dass einzelne Fälle in mehreren Unterkategorien Platz finden können. 445 Zwei Beispiele erhellen, was mit der dritten Oberkategorie gemeint ist. 1507 notierte der Siegler in sein Rechnungsbuch: Gallus Crista schuldet 2 ß. 2 d. fur die Absolution seiner Frau Magdalena Haldnerin; den Bann habe er selbst veranlasst.446 1519 heißt es: Hans Mayer aus Götzis schuldet 8 ß. fiir die Absolution von der dritten Bannsentenz, die auf Betreiben des Magisters Gaudenz Biesch, eines Churer Kanonikers, gefällt wurde. 447 Ein weiteres Beispiel soll die vierte Oberkategorie illustrieren helfen: Hans Frick aus Sulz, heißt es in einer Aktennotiz von 1504, schuldet 6 ß. 6 d. für die Absolution von Johannes Atzger, Margaretha Kumer und Nicolaus Walser. 448

443

In der Quelle heißt es in solchen Fällen, dass der Bann entweder vom Siegler veranlasst wurde (ad instanciam sigilliferi) oder einfach: aufgrund meines Prozesses (mei processus). 444 Nicht in jedem Fall kann scharf zwischen diesen drei Möglichkeiten unterschieden werden. Zwei Beispiele zeigen das: 1. Clas Rad von Patschuns schuldete für die Absolution der ersten Exkommunikation, die Ulrich Brock, der Amtmann des Domkapitels, veranlasst hatte. Ob Brock den Bann aber in dieser Funktion, als verlängerter Arm einer geistlichen Institution, oder sozusagen als Privatmann forderte, geht aus der Akteneintragung nicht hervor. Das Beispiel in BAC: DG 1/2, 402 Die Funktionsbezeichnung ebd., 466. 2. Von Johannes Beck heißt es, dass er sich von drei gegen ihn geführten Prozessen absolvieren müsse. Dreimal hätten einige aus Feldkirch gegen ihn den Bann beantragt. DG 1/2, 403: Tenetur plus 6 ß. d. pro tribus absolucionibus processuum contra eum ad instancias certorum de Veitkirch contra eum emanatorum. - Sämtliche solcher Eintragungen wurden in die Unterkategorie „Laien" aufgenommen. 445 Jann Jackmutt und Jann Michel aus Bivio schuldeten 16 ß. d. für die Absolution vom dritten Bannurteil. Der Siegler weiß aber nicht genau, wer die Strafe beantragt hat. War es Jodok Gaudenz oder ein anderer Bürger aus Chur? Oder vielleicht der geistliche Magister Ulrich von Marmels? Solche Fälle wurden in die Unterkategorie „unklar" aufgenommen; BAC: DG 1/3, 712. Ein anderes Beispiel: 1517 schuldete Jann Donaw aus Savognin dem Siegler einen Geldbetrag aufgrund sowohl einer gütlichen Einigung um die Mitgift als auch eines Streits wegen Schmähworte. 1518 wurde zweimal auf Veranlassung des bischöflichen Prokurators Lucius Kreyer der Bann über ihn verhängt Da ein sicheres Kriterium für die Zuweisung des Falls in eine Kategorie fehlt, wurde der Fall willkürlich der Unterkategorie „Strafprozess" zugeordnet; BAC: DG 1/3, 679. 446 BAC: DG 1/2, 396. 447 BAC: DG 1/2, 388. 448 BAC: DG 1/2, 398, 476. Margaretha Kummer war 1501 in einen Eheprozess mit Frick Atzger verwickelt. Ob der Bann aber eine Folge davon war, ist unklar; vgl. DG 1/2, 398. Die beiden anderen Personen werden nur hier genannt.

231

Tabelle 43: Bistum Chur, Ursachen des Banns Bann

Vorarlberg

Sarganser L.

1. ipso facto 2.Geldschulden aus Prozess - Ehesache - causa annexa - Vergehen 3. Beantragende - Gerichtsperson - Geistlicher - Laie 4. unklar

60 (19 °/ϋ) 103 (32 %)

15 (28 %) 34 (63 %)

147 (21 %) 196 (28 %)

72 25 6 151 (47%) 35 32 84 8 (2 %)

28 2 4 4

(2 %)

125 32 39 316 (44 %) 132 59 125 50 (7 %)

Total

322 (100 %)

54 (100 %)

709 (100 %)

(7 %)

-

2 2 1

Gotteshausbund

Total 222 (21 %) 333 (31 %)

471 (43 %)

59

(5 %)

1085 (100%)

Wie der Tabelle zu entnehmen ist, zeigen sich je nach Herrschaftsgebiet Unterschiede, wobei die prozentualen Ergebnisse für die Vorarlberger Gerichte und den Gotteshausbund kaum voneinander abweichen. Die Resultate für die Sarganser Landschaft unterscheiden sich deutlich davon. Vor allem fallt auf, dass hier die Zahl der Exkommunikationen, die im Verlauf eines Prozesses wegen nicht beglichener Verfahrenskosten verhängt wurden, etwa doppelt so hoch war wie in den beiden anderen Gebieten.449 Als Hauptergebnis sei festgehalten, dass das Chorgericht zwischen 40-70 % der Bannurteile sozusagen in eigener Sache aussprach, sei es in Schuldsachen, sei es aus nicht näher bezeichneten Angelegenheiten. Laien setzten im Vergleich dazu den geistlichen Gerichtszwang relativ selten ein, um ihren Interessen Nachdruck zu verleihen. Von den Exkommunikationen, derentwegen sich die Geistlichen im Bistum Chur absolvieren mussten, war im vorangehenden Kapitel die Rede. Jedes der dort erwähnten Vergehen erzwang die Lossprechung vom Bann. Hinzu kommen aber noch die Suspensionen und Exkommunikationen, die sie sich wegen nicht fristgerecht bezahlter Schulden oder anderer, aus den Aktennotizen der Siegler nicht herauszulesender Gründe zugezogen hatten. Der Kaplan Johannes Bulschin zum Beispiel bezahlte Ende 1518 nicht nur 5 fl. dafür, dass ihn das Gericht für irregulär erklärte, weil er seinen Titel nicht rechtmäßig erworben hatte. Im Sommer 1519 schuldete er für zwei Absolutionen vom ersten Bannurteil insgesamt 4 ß. 4 d. Die Strafe beantragten der Siegler und der ehemalige Notar des Offizialats. Im Frühjahr 449

Da die Zahl der Ehefalle im Vergleich mit den übrigen streitigen und strafrechtlichen Prozessen höher war, leuchtet es ein, dass die Zensuren besonders oft im Rahmen eines Eheverfahrens ausgesprochen wurden.

232

1520 exkommunizierte ihn das Gericht erneut, weshalb er zusätzlich 2 ß. bezahlen musste.450 Wenn die Rückzahlung der Geldbußen zu lange dauerte, oder der Geistliche in der Zwischenzeit weitere Vergehen beging, suspendierte ihn das Gericht. Jakob Marek, Kaplan in Pontresina, war ein solcher Fall. Über ein lang Jahr war er aller Weiherechte enthoben.451 Ob der im Rechnungsbuch verwendete Begriff suspensio aber immer so ausgelegt werden darf, ist fraglich. In der Regel fehlen die Hinweise darauf, weder wird von einer suspensio a divinis ineurrere gesprochen noch eine Strafdauer erwähnt. Der Geistliche schulde 2 ß. 2 d. für die Lossprechung von der Suspension, heißt es gewöhnlich.452 Soll darunter die Amtsenthebung verstanden werden, für deren Absolution der Siegler denselben Geldbetrag verlangte wie für die Lossprechung eines Laien vom ersten Bannurteil? Das scheint unverhältnismäßig. Dass die Terminologie der Beamten nicht einheitlich war, ist aus englischen Gerichtsbüchern bekannt. „Suspension" wurde auch im Sinn von „kleiner Exkommunikation" verwendet, und meint nicht jedesmal den Entzug der Amtsrechte.453 Dies sei als Verstehenshilfe der folgenden Tabelle vorausgeschickt.

Tabelle 44: Bistum Chur, exkommunizierte und suspendierte Kleriker Vorarlberg

Sarganser L.

Gotteshausbund

Total

Absolution Suspension

21 13

3 4

75 43

99 60

Total

34

7

118

159

Auf einen diachronischen Überblick wird verzichtet. Er würde dieselbe Verteilung zeigen, die aus fast allen Tabellen zur konsistorialen Rechtsprechung im Bistum Chur deutlich zu erkennen ist. Ab 1514/15 stieg die Zahl der Geistlichen, die sich 450

BAC: DG 1/3, 678. BAC: DG 1/4, 1047: Anno domini etc. (1520 Juni 22) computavi denuo cum domino Jacobi Marckh capellano sancii spiritus in Pontraschina vallis Engadine superioris [...]. Tenetur plus xxxiiß. d. pro absolucione quinte sententie ad instanciam Francisci Studers notarii olim Curiensis late. Tenetur insuper iiii β. iiii d. pro absolucione 2 sententie mei processus, reeepit per se (1522 April 14). Tenetur insuper ad fiscum camere episcopalis componere super eo, quod ad unius anni spacium et multo ultra a divinis supensus excommunicatus et aggravatus ad instanciam prefati Studers divinis se continue [...] ineurrit a qua auetoritate sedis apostolice est absolutus reservata muleta ut pena excessus huiusmodi ordinarie deberet ad minus 30 fl. R. Vgl. ergänzend die Eintragung auf derselben Seite und DG 1/4, 1050. - Zum Begriff „Suspension" vgl. P. Hinschius, Kirchenrecht V, 597f. 452 BAC: DG 1/4, 1179: Dominus Sebastianus Yttan capellanus curatus in Beffers [...] tenetur iiß. ii d. pro absolucione suspensionis ad instanciam sigilliferi Curiensis emanate. 453 E. Vodola, Excommunication, 42. 451

233

wegen eines Bannurteils oder einer Suspension absolvieren mussten, stark an, fiel aber 1521/22 wieder auf das vorherige Niveau zurück.

4.

Freiwillige Gerichtsbarkeit in Basel

Zum weltlichen und kirchlichen Notariatswesen in Südwestdeutschland liegen neuere Untersuchungen vor.454 Ihr Interesse gilt vorwiegend der Prosopographie der Notare und der Urkundensprache. Hier interessiert hingegen, was die Kanzleien beurkundeten, wie oft und fur wen sie das taten. Zu diesem Zweck wurde neues Archivmaterial erschlossen, nämlich die Manuale der Basler Notare 455 Für die beiden anderen Diözesen sind keine Register erhalten, sondern bloß einzelne Konzepte bischöflicher Notare.456 Allein fur die Stadt Basel sind mindestens fünf bis sechs verschiedene Instanzen bekannt, die Beurkundungen für Dritte vornahmen.457 Wie in anderen Städten auch konkurrierte die Kanzlei des Offizialats mit kirchlichen und weltlichen Beurkundungsinstanzen, zuvorderst mit derjenigen des Rats sowie des Groß- und Kleinbasler Schultheißengerichts. Vor allem seit Beginn des 15. Jahrhunderts stritten die geistliche und weltliche Herrschaft auch auf diesem Feld um Einfluss, Macht und Ansehen. Die Zahl der in der kirchlichen Kanzlei gefertigten Urkunden der freiwilligen Gerichtsbarkeit nahm im Lauf des Jahrhunderts im Vergleich zu denjenigen 454

455

456

457

Den besten Überblick bietet die Untersuchung über das südwestdeutsche Notariat von P.-J. Schuler, Geschichte. Ergänzend die ältere Arbeit von Ferdinand Elsener, Notare. Für die Stadt Worms vgl. F. Battenberg, Gerichtsbarkeit; für Basel vgl. K. Mommsen, Kanzleiwesen; für Straßburg siehe F. Rapp, Réformes; fur das Engadin und das Münstertal vgl. G. Pool, Notare 161-309. Der mittelalterliche Begriff „Protokoll" bezieht sich sowohl auf das einzelne Konzept des Notars als auch auf den aus diesen zusammengebundenen Buchband. Während die Protokolle der weltlichen Notare deren Privatbesitz waren, über den sie auch im Todesfall frei verfugen konnten, waren die amtlich beglaubigten Kollateralnotare der Kurien verpflichtet, diese im bischöflichen Archiv zu hinterlegen. Vgl. P.-J. Schuler, Geschichte, 228. Zweifelsfrei führten auch die Notare der beiden anderen Diözesen Konstanz und Chur ein Register. Der Beleg für Konstanz bei P.-J. Schuler, Geschichte, 228 Anm. 56. Für Chur: D G 1/2, 414: Anno Domini millesimo xix die penultima octobrís computavi cum Michaeli Hummel de Rannckhwil genitore Clare Hiimli et eiusdem nomine videlicet fìlli legitimi Clare praefate de omnibus debitis ad sigi Hum edam notarium Studer tenore sui registri restantibus. Vgl. auch DG I/l, 703, 713: ut in manuali Hoffischers habetur extensum. Einzelhinweise auf die freiwillige Gerichtsbarkeit des Churer Konsistoriums finden sich ebenfalls hier. Beispiele in BAC: DG 1/3, 665 (pro sigillo confirmaciones et approbacionis testamenti seu ultimo voluntatis uxoris sue); D G 1/4, 1037 (pro sigillo confirmacionis quorundum bonorum sive agri), 1039 (pro vidimacione impedimenti tercii gradus consanguinitatis), 1073 (pro confirmacione et approbacione litterarum emphitheotice locacionis certorum bonorum feudalium ecclesie) u.ö. K. Mommsen, Kanzleiwesen, 160. Hinzu kommen noch die Klöster und die Privatleute.

234

der weltlichen leicht ab, wie die Auszählung der noch vorhandenen Urkunden andeutet 458 Aber anders als in den Bistümern Straßburg oder Konstanz soll die Kanzlei des Basler Offizialats bis zur Reformation nichts von ihrer Bedeutung als Beurkundungsinstanz für das ganze Bistum verloren haben. 459 Die aus dem 19. Jahrhundert stammende These, dass das geistliche Notariat noch um 1500 eine wichtige Rolle fiir das städtische Wirtschaftsleben bildete, wiederholen die neusten Beiträge zur Stadtgeschichtsforschung 4 6 0 Ihre Vertreter führen im Wesentlichen drei Argumente ins Feld, um sie zu untermauern. 461 Als Kronzeuge wird der Bischof selbst bemüht. 1456 bestätigte er den Basier Bürgern ihr Recht, das geistliche Gericht gegen alle im habsburgischen Herrschaftsgebiet sitzenden Sundgauer anzurufen.462 Dann wird auf die Ineffizienz der Ratskanzlei hingewiesen. Einer aus den 1490er Jahren stammenden Notiz aus den Ratsprotokollen ist zu entnehmen, dass viele Bürger die kirchliche Kanzlei der städtischen vorzogen, da das weltliche Fronungsverfahren durch die lässige Handhabung der Fristen in Misskredit geraten war und die Kirche ein wirksameres Vollstreckungsmittel kannte. Leisen Neides anerkannten die Ratsmitglieder, dass der Bann die „seel merglich beschwerd" 4 6 3 In der neuesten Literatur wird schließlich auf den möglichen Zusammenhang zwischen Geldknappheit, Schlechtwetterperioden und bäuerlicher Verschuldung hingewiesen. Insbesondere in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts hätten die Bauern ihren Geldbedarf durch Kredite decken müssen, da die Ernten wegen des miserablen Wetters zu klein ausgefallen seien, um mehr als den Eigenbedarf zu decken. Da die Produktionsmenge auch bei guten Ernten verhältnismäßig niedrig war, erzielten die Bauern auf dem Markt keine Gewinne und waren außerstande, Geld zu sparen 4 6 4 Um neues Saatgut zu kaufen oder Investitionen an Haus und Hof zu täti458

K. Mommsen, Kanzleiwesen, 166f. Mommsen versucht, die in den drei Kanzleien gefertigten Urkunden quantitativ zu erfassen. Das Ergebnis ist deshalb nicht überzeugend, weil, wie der Verfasser selbst zugeben muss, erstens die Überlieferung der Urkunden zufällig ist und zweitens ein Teil der kirchlichen Urkunden dem Inhalt nach rein kirchliche Rechtsakte enthält. Zur freiwilligen Gerichtsbarkeit der Basler Schultheißengerichte sowie der Kanzlei des Rats vgl H -R. Hagemann, Rechtsleben II, 29-68.

459

Th. Gottlob, Offiziale Basel, 146. Κ Mommsen, Kanzleiwesen, 166. W.D. Wackernagel, Offizialat, 242 - Systematische Untersuchungen zur freiwilligen Gerichtsbarkeit des Straßburger Offizialats fehlen. Die sich in der Literatur findenden Hinweise - noch Mitte des 15. Jahrhunderts sollen allein für Geistliche und Klöster jede Woche zwischen 3 0 0 - 6 0 0 Urkunden ausgestellt worden sein - widersprechen aber der Dekadenzthese von Mommsen. Vgl. K. Stenzel, Gerichte, 68, 383, und besonders F. Rapp, Réformes, 207.

460

A. Heusler, Geschichte, 127-205, bes. 150ff.; Th. Gottlob, Offiziale Basel, 142.

461

Nur der Vollständigkeit halber soll die Argumentation Rippmanns paraphrasiert werden. Einer der reichsten und einflussreichsten Bürger der Stadt Basel, Ulrich Meltinger, sei mit dem am geistlichen Gericht tätigen Notar Johannes Salzmann verwandt gewesen. Aufgrund dieser Beziehung liege es auf der Hand, dass er seine Schuldverschreibungen und Rentenkäufe in der kirchlichen Kanzlei besiegeln ließ; D. Rippmann, Bauern, 180-184, 192.

462

Z . B . Th. Gottlob, Offiziale Basel, 131. D. Rippmann, Bauern, 192.

463

H.-R. Hagemann, Rechtsleben I, 62 und Rechtsleben II, 121.

464

Natürlich gab es auch Großbauern, die ihre Ernte immer mit großem Gewinn verkauften, weil sie auch in den Jahren mit ungünstiger Witterung einen Überschuss produzierten. Oder sie waren sogar in der Lage, den Ernteüberschuss für schlechtere Zeiten zurückzuhalten, um das Getreide zu höheren Preisen

235

gen, brauchten sie aber Bargeld. Dieses bekamen sie durch den Rentenverkauf, dem im Spätmittelalter bedeutendsten Kreditinstrument. Beim Rentenverkauf erwarb der Käufer das Recht, eine regelmäßig zu bezahlende Rente zu beziehen, deren Höhe vertraglich festgesetzt wurde. Diese Rente wurde als dingliche Last auf die Immobilien gelegt.465 Die Forschung weist seit langem darauf hin, dass die Rentenverschuldung der elsässischen Bauern in dieser Zeit alarmierende Ausmaße annahm.466 Eben diese Rentenverträge beglaubigte auch die kirchliche Kanzlei. Ob die Bauern zu diesem Zweck das bischöfliche oder das archidiakonale Offizialat aufsuchten, wird in der Forschung nicht diskutiert, da die Antwort keine argumentative Rolle spielt. Welche Instanz eine Person wegen Nichterfüllung einer Schuld bannte, ist solange unerhebliche, als die Straffolgen und die Absolutionsgebühren dieselben waren. Aus dem im ersten Argument erwähnten Hinweis auf die bischöfliche Bestätigung von 1456 kann geschlossen werden, dass die konsistoriale Kanzlei die bevorzugte kirchliche Beurkundungsbehörden war. Dieser Forschungsbefimd wird jetzt in zwei Schritten überprüft und sowohl präzisiert als auch relativiert.

4.1

Verträge

Das Quellenmaterial, worauf sich die bisherige Forschung über die freiwillige Gerichtsbarkeit des bischöflichen Offizialats stützte, waren die zufallig überlieferten besiegelten Urkunden, die vor allem aus den Klosterarchiven stammen. Wenn im vorliegenden Kapitel auch auf dieses Material zurückgegriffen wird, geschieht das in der Absicht, die Frage der Vollständigkeit der seriellen Quellen zu prüfen und nötigenfalls zu ergänzen. Im Folgenden wird das Gewicht aber auf die seriellen

465

466

zu verkaufen. Von ihnen ist hier nicht die Rede. Vgl. François Rapp, L'aristocratie paysanne de Kochersberg à la fin du Moyen Age et au début des temps modernes, in: Bulletin philologique et historique 1 (1967), 439-450. Modem gesprochen handelte es sich um ein „verzinsliches grundpfandgesichertes Darlehen"; H.-J. Gliomen, Motiv, 176. Hier auch die ältere Literatur. Zuletzt H.-J. Gliomen, Motiv, 173-189. Zum Einfluss von Schlechtwetterperioden auf die Preisentwicklung von agrarischen Produkten im Gebiet des Oberrheins vgl. H. Buszello, „Wohlfeile", 18-42. Zur Verschuldung der Bauern im Amt Waldenburg, das zur Basler Landschaft gehörte, vergleiche Juliane Kümmel, Bäuerliche Gesellschaft und städtische Herrschaft im Spätmittelalter. Zum Verhältnis von Stadt und Land im Fall Basel/Waldenburg 1300-1535 (Konstanzer Dissertationen, 29), Konstanz 2 1984, 148-152.

236

Quellen gelegt. Ausgewertet werden die Registerbände der Notare aus den Jahren 1471-79, 1506-08, 1507-16 und 1521-27. 467 Die beiden folgenden Graphiken zeigen, wie viele Rechtsakte die drei Notare Johannes Friedrich von Münnerstadt und Johannes Salzmann Ende des 15. Jahrhunderts sowie dessen Sohn Adelbert Salzmann Anfang des 16. Jahrhunderts mit ihrer Unterschrift beglaubigten. Aus den Jahren 1471-79 sind 353 freiwillige Rechtsakte überliefert, wovon 294 (83 %) aus den Manualen der beiden erstgenannten Notare stammen.468

Β Urkunde Ξ Manual

Auf zwei Punkte sei besonders hingewiesen. Die Register sind zwar nicht vollständig erhalten. Es sind einige Offizialatsurkunden überliefert, die darin nicht zu finden sind.470 Doch der Vergleich der beiden Quellenbestände zeigt, dass die Protokolle die Hauptmasse der freiwilligen Rechtsakte enthalten. Deutlich ist sodann - auch ohne Vergleichsmöglichkeit471 - die geringe Menge der Rechtsge467

468

469

470 471

StABS: Gerichtsarchiv AA 18 (1471-82) und Gerichtsarchiv AA 19 (1506-48). Wie aus den angegebenen Jahreszahlen hervorgeht, überschneiden sich zwei Register zeitlich. Auch inhaltlich ist das der Fall. In dieser Summe sind sämtliche, auch die inhaltlich identischen, jedoch aus verschiedenen Gründen mehrmals beglaubigten Rechtsakte enthalten. Im Zusammenhang der testamentarischen Schenkung der adligen Kunigund von Schwarzenberg z.B. wurde 1477 sechsmal eine Beglaubigung ausgestellt, darunter allein drei für den Herzog von Rötteln; StABS: Gerichtsarchiv AA 18, fol. 50-52, 58-63v. Auf die zeitraubende Auswertung der restlichen Jahre wurde verzichtet, weil die Datenmenge repräsentativ genug ist. Sie befinden sich im StABS in der Sammlung der klösterlichen und städtischen Urkunden. Für Worms - ob für das Bistum oder nur für die Stadt ist unklar - zählt Battenberg zwischen 14511500 insgesamt 107 Urkunden, die das Siegel eines der vier kirchlichen Gerichte tragen, die sich auf städtischem Boden befanden. Davon siegelte der bischöfliche Notar 29. Vgl. F. Battenberg, Gerichts-

237

Schäfte. Jährlich waren es in den neun Jahren knapp über vierzig; anders formuliert: Ein Notar schrieb etwa zwanzig Urkunden, nicht einmal jede zweite Woche eine Signatur oder Imbreviatur. Über den möglichen Zusammenhang zwischen der erkennbaren Zunahme der Rechtsgeschäfte in den 1470er Jahren und der 1498 im Rat geäußerten Beobachtung, dass die kirchliche Kanzlei eine beliebte Beurkundungsinstanz sei, kann nur spekuliert werden. Die Fortsetzung der Tätigkeit auf dem Gebiet der notariellen Arbeit liegt im Dunkeln. Ein überfliegendes Lesen der Registereintragungen aus den nachfolgenden Jahren ergab, dass die Zahl der Beurkundungen vermutlich wieder zurückging.472 Der Vergleich mit den zwischen 1506-16 und 1521-27 vollzogenen Rechtsakten der freiwilligen Gerichtsbarkeit zeigt, dass die jährliche Zahl von etwa zwanzig Urkunden pro Jahr verallgemeinert werden kann.

Tabelle 46: Bistum Basel, freiwillige Gerichtsbarkeit (1506-16, 1521-27)

Β Urkunde Ξ Manual

472

barkeit, 59. Vermutlich sind in diesen Zahlen nicht nur die Verträge, sondern auch die Vidimierungen enthalten. Da die Registereintragungen nicht streng chronologisch geordnet sind, kann die jährliche Menge nur mit größerem Arbeitsaufwand ermittelt werden. - Zum gleichen Ergebnis fuhrt die Überlegung, dass die Zahl der Rechtsgeschäfte abnahm, nachdem die Stadt in den achtziger Jahren längere Zeit mit dem Interdikt belegt wurde und der Umgang mit den Basler verboten worden war. Vgl. A. Stoecklin, Konzilsversuch.

238

Adelbert Salzmann stellte in den letzten beiden Untersuchungsperiode 288 Signaturen oder Imbreviaturen aus, jährlich also etwa sechzehn. Die starke Abnahme der Beurkundungen nach 1524 kann kausal auf die Reformation und den Bauernkrieg zurückgeführt werden. 473 Solange der Urkundeninhalt unbekannt ist, haben die nackten Zahlen einen geringen Erkenntniswert. Die inhaltliche Analyse der Rechtsgeschäfte erfolgt nach Kategorien, die weitestgehend der juristischen Urkundensprache folgen. Um die Interpretation auch optisch zu erleichtern, wird die Masse von 641 Rechtsakten nicht in einer einzigen Tabelle dargestellt, sondern nach den drei Perioden aufgeschlüsselt, die der Quellenüberlieferung entsprechen. Diesem vergleichenden Vorgehen liegt die Hypothese zugrunde, dass der Inhalt der Rechtsgeschäfte sich im Lauf der Zeit änderte. Zumindest der reformatorische Einfluss muss sich bemerkbar gemacht haben. Es schien gleichzeitig nützlich, den Kreis der Personen, die das Gericht freiwillig aufsuchten, nach ständischen Kriterien zu unterteilen. Tabelle 47: Inhalt der Verträge der freiwilligen Gerichtsbarkeit Vrkundeninhalt (1471-79) 1. Konfessat 2. Schenkung - Vergabung - Jahrzeit - Testament 3. Kaufgeschäft - Immobilien - Rente - anderes474 4. Lehen - Zeitlehen - Leibding - Erblehen 5. Übrige Verträge - Ehevertrag - Quittung - anderes Total

Laien

Kleriker

32

gemischt

27

17

-

-

-

14

8

13 46 5

1 -

-

-

Total

59 ( 1 7 % ) 60 ( 1 7 % )

10 4 7 118 (33 %)

-

6 44 3 28

1 4

-

2 3 18

-

-

-

(8 %)

88 (25 %) 5 2 36 175 ( 5 0 % )

-

24 33 (9 %)

6 15 145 (41 %)

353 (100%)

473

Obwohl das Offizialat 1529 nach Altkirch verlegt worden war, gab es in Basel offenbar bis mindestens in die 1540er Jahre eine Besiegelungsstelle der bischöflichen Kurie. Vgl. die Register des Notars Adelbert Salzmann aus den Jahren 1521-38 und 1538-43; StABS: Gerichtsarchiv AA 19. 474 Zehnt-, Rentenverkauf u.a. 1471 verkaufte z.B. Hanns Göldlin aus Basel dem Kloster St. Alban 8 ß. jährliche Zinsen ab 15 ß., die ihm Peterhanns Offenburg jährlich schuldete; Klosterarchiv St. Alban, Nr. 406.

239

Urkundeninhalt (1506-16) 1. Konfessat 2. Schenkung - Vergabung - Jahrzeit - Testament 3. Kaufgeschäft - Immobilien - Rente - anderes 4. Lehen - Zeitlehen - Erblehen 5. Übrige Verträge - Ehevertrag - Quittung - anderes

Laien

Kleriker

18

gemischt

1

20

1 1

1

7

-

-

-

-

-

4 40 5

-

-

-

-

-

7 10

-

-

-

7 15

17

Total

91 (43 %)

19(9%)

Urkundeninhalt (1521-27)

Laien

1. Konfessat 2. Schenkung 3. Kaufgeschäft - Immobilien - Renten - anderes 4. Lehen 5. Übrige Verträge • 475 - constitutio - Quittung - anderes Total

-

-

Total

39 (18 %) 10 (5 %)

92

(43 %)

17

(8 %)

10 30 3

55 (26 %) -

Kleriker

5

2 14 103 (48 %)

213 ( 1 0 0 % )

gemischt

Total

12

-

-

-

-

-

5 2

17 9

1

-

-

-

1

-

-

-

13 -

15 3 14

14

37

49 -

1 -

3 24

75

Der sofortigen Interpretation der Tabellen stehen terminologische Probleme im Weg. Fachbegriffe können unter Umständen Materien trennen, die bloß unterschiedliche Aspekte eines einzigen Rechtsgeschäfts darstellen. Drei Beispiele zei475

Die Bevollmächtigung wird zur freiwilligen Gerichtsbarkeit gezählt, weil es den Personen freistand, sich einen Prozeßvertreter zu wählen oder nicht.

240

gen die Grenzen auf, die dem Einblick in die vor den Notaren verhandelten Rechtsmaterien aufgrund der sprachlichen Einengungen gesetzt sind. Fridlin Ment, Bader in Säckingen, bekannte 1472, dass er für sich und seine Erben Hans Kratz aus Colmar 9 lb. 16 ß. 6 d. „Baseler muntz" schulde.476 Das Register des Notars enthält nur das Schuldbekenntnis, das heißt das Rechtsgeschäft ist als Konfessat überliefert. Denkbar ist aber auch, dass Kratz dem Bader einen Kredit gewährte, dieser die Zinsen jedoch bis zur genannten Summe auflaufen ließ; oder es könnte sich um eine Schuld aus einem Grundstückkauf handeln, die der Gläubiger durch diesen Rechtsakt sicherheitshalber schriftlich festhalten wollte. Hinter dem Konfessat könnte sich also ein Renten- oder Immobiliengeschäft verbergen. Das zweite Beispiel: 1472 bezeugte Johannes Weber von Grenzach, dass er vom Basler Kloster St. Alban einen Garten als Erblehen empfangen habe und verpflichtet sei, einen jährlichen Zins in bestimmter Höhe zu bezahlen.477 Der Vertrag könnte sowohl der Rubrik 'Erblehen' als auch 'Konfessat' zugeordnet werden. Da sich der Empfänger des Erblehens ausdrücklich als Schuldner bekannte, geschah letzteres. Rechtstechnische Begriffe sind auch nicht immer aussagekräftig genug, um den genauen Inhalt des Rechtsakts klar erkennen zu lassen. Constitutio zum Beispiel bezeichnet eine Prokuratorie, die Bevollmächtigung eines Parteivertreters im Prozess. 1521 gab Laurencius Tech aus Rufach einem Sachwalter des geistlichen Gerichts den Auftrag, sich seiner Streitsache gegen seine Frau Agatha Stammlerin anzunehmen.478 Der Signatur des Notars ist nicht zu entnehmen, wozu Tech diesen brauchte. Aus einer Notiz, die Adelbert Salzmann im ThomusRegister eintrug, geht jedoch hervor, dass es sich um eine Scheidung handelte.479 Im Fall von Katharina Kannengiesserin, der Frau des Basler Bürgers Jakob Kannengiessers, hilft jedoch keine andere Quelle, um herauszufinden, weshalb sie 1523 ReinhardRetlat zum Sachwalter im Rechtsstreit mit ihrem Mann ernannte 480 Die letzten beiden Beispiele zeigen, dass die freiwillige Gerichtsbarkeit und die streitige Rechtsprechung in Zivil- oder Straffallen nicht parallel nebeneinander herliefen. Es gab zumindest eine kleine Menge von Rechtsakten, die in engem Zusammenhang mit einem Prozess standen und sozusagen seine Vorstufe bildeten. Das ist für die Interpretation im Auge zu behalten. Denn diese Beobachtung relativiert die in der Forschungsliteratur öfter auftauchende Meinung, die Offizialate seien als notarielle Beurkundungsbehörden beliebt gewesen. Obwohl die Quellenüberlieferung vermutlich unvollständig ist, ermöglichen die vorhandenen Register doch Rückschlüsse auf Umfang und Inhalt der freiwilligen 476 477 478 479

480

StABS: Gerichtsarchiv AA 18, fol. 67v-68. StABS: Klosterurkunden St. Alban Nr 409. Vgl. auch ebd., Nr. 416. StABS: Gerichtsarchiv AA 19, fol. 1. StABS: Gerichtsarchiv AA 22, 6. Die Ehe wurde geschieden, weil Agatha Stammlerin Ehebruch mit einem Kleriker beging. Ihrem Mann entgegnete sie keck: „Wiltu ein fromme frow haben, so darffst du weder mu(e)nch noch pfaffen ze huß bringen." Das noch erhaltene Protokoll des Prozesses befindet sich in: StABS: Gerichtsarchiv AA 5 (1521 August 12). StABS: Gerichtsarchiv AA 19, fol. 11.

241

Gerichtsbarkeit. Zwei Punkte lassen sich deutlich aus den Tabellen ablesen: In allen drei Perioden ragen von der Menge her betrachtet allein die Schuldbekenntnisse und die Rentenverträge hervor. Fast ebenso klar schält sich heraus, dass andere Rechtsgeschäfte nur zwischen 1471-79 eine Rolle spielten. Im 16. Jahrhundert hingegen siegelte die kirchliche Kanzlei nur mehr selten Schenkungen, Erblehen oder Immobilienverkäufe. Hinsichtlich der prozentualen Anteile der Rechtsmaterien können bis zur Reformation nur zwei auffallende Verschiebungen beobachtet werden: Die Schenkungen waren in der zweiten Periode wesentlich kleiner, die Kaufgeschäfte größer. Unter diesen überwogen die Renten, die zwischen 1471-79 über ein Viertel und zwischen 1506-16 sogar ein Drittel der freiwilligen Beurkundungen ausmachten. Werden jedoch die absoluten Mengen miteinander verglichen und in Rechnung gestellt, dass die zweite Periode zwei Jahre mehr einschloß, dann ist der quantitative Rückgang der freiwillig vor dem bischöflichen Notar getätigten Beurkundungen nicht zu übersehen. Die Rentenverkäufe bildeten keine Ausnahme. In der dritten Periode von 1521-27 zeigt sich hingegen ein ganz anderes Bild. Adelbert Salzmann beurkundete keine einzige Schenkung mehr, und die Zahl der Konfessate und Kaufgeschäfte bewegte sich jährlich gegen null. Wie als Ersatz stellte der Notar Bevollmächtigungen für Prozessvertretungen aus. Es handelte sich um Signaturen, die er vorher nie schrieb. Zwei Ursachen für die vergleichsweise große Zahl von Konfessaten und Rentenverträge wurden in der Einleitung dieses Kapitels schon vorwegnehmend angesprochen, nämlich die durch schlechte Witterung verursachten Teuerungen (a.) sowie die Möglichkeit, versessene Zinse mit dem Kirchenbann einzutreiben (b.). Beide sollen nun überprüft werden. a. Bei steigender Teuerung sei bei der bäuerlichen Bevölkerung der Bedarf an Kapital gewachsen, der durch die Aufnahme von Krediten, eben den Rentenkäufen gedeckt worden wäre. Wenn diese These mit derjenigen von der Beliebtheit des bischöflichen Notariats verbunden wird, dann müsste dieser Zusammenhang aus den Quellen abzulesen sein. Nach 1470 häuften sich am Oberrhein Missernten und Teuerungen „in einem zuvor nicht gekannten Ausmaß",481 große Teile der agrarwirtschaftlich tätigen Bevölkerung und der Lohnarbeiter standen in „ungewöhnlich rascher Folge vor Einkommensverlusten und/oder Hunger". Die beiden Teuerungswellen von 1476-78 und 1511/15 können mit den Manualen korreliert werden.482 Die folgende Tabelle zeigt, wie sich die abgeschlossenen Rentenverkäufe auf die einzelnen Jahre zwischen 1471-79 und 1506-16 verteilen. Da sich unter dem Begriff „Konfessat" möglicherweise auch Rentenschulden verbergen beziehungs481 482

H. Buszello, „Wohlfeile", 29. H. Buszello, „Wohlfeile", 27.

242

weise angenommen werden kann, dass die Zahl der Schuldbekenntnisse in Teuerungszeiten parallel dazu stieg, wurden diese ebenfalls in die Tabelle verarbeitet:

Tabelle 48: Rentenverträge und Konfessate (1471-79, 1506-16) Jahr

Renten

Konfessate

1471 1472 1473 1474 1475 1476 1477 1478 1479

4 10 5 7 8 8 9 15 24

7 9 2 12 5 5 5 7 7

Total

90

59

Jahr 1506 1507 1508 1509 1510 1511 1512 1513 1514 1515 1516

Renten

Konfessate

3 11 8 6 4 2 6 10 7 8 5

1 3 3 2 2 3 5 2 3 11 4

70

39

Die Zahl der jährlich getätigten Rechtsgeschäfte war klein. Die Ergebnisse sollen deshalb nicht überbewertet werden. Eine direkte Abhängigkeit zwischen Teuerungsjahren und Akten der freiwilligen Gerichtsbarkeit lässt sich allenfalls bei den in den 1470er Jahren abgeschlossenen Renten vermuten. Der Zusammenhang ist für die zweite Periode noch schwächer ausgeprägt. Das erste Teuerungsjahr (1511) wirkte sich - wenn überhaupt - erst mit einer Verzögerung von zwei Jahren auf die Aktivität der freiwilligen Gerichtsbarkeit aus, zumindest im Kreditgeschäft. Sie hatte jedoch keinerlei Einiluss auf die Menge der Schuldbekenntnisse. Im zweiten Teuerungsjahr (1515) stieg die Zahl der Konfessate aber um fast das Vierfache des bisherigen Durchschnitts an, während diejenige der Rentenkäufe den 1507 erreichten Höchststand nicht erreichte. Kann aus diesen Zahlen etwas über die oft erwähnte Beliebtheit des Offizialats bei den Laien ausgesagt werden? Ende des 15. Jahrhunderts hatte das Chorgericht einen anerkannten Platz innerhalb der städtischen Beurkundungsinstanzen, während es schon im ersten Fünftel des 16. Jahrhunderts offenbar an Bedeutung eingebüßte. Man mag einwenden, dass das Sample notarieller Beurkundungen zu klein sei, um diese These zu vertreten. Aber gerade ihre geringe Zahl kann dafür als Argument in die Waagschale geworfen werden. Auch die Annahme, dass das Offizialat wegen der wirksameren Strafen bei Nichtbezahlung einer Schuld eine beliebte Beurkundungsinstanz für Rentenverkäufe 243

gewesen sei, ist wenig wahrscheinlich. Es ist richtig, dass die am Chorgericht gefertigten Verträge die stereotype Strafandrohung kannten, wonach der nicht leistungswillige Schuldner mit dem geistlichen Gerichtszwang, dem Bann, gefügig gemacht werden konnte.483 Das zeigt folgender Fall eines Kreditgeschäfts, das Johannes Geruler, ein Basler Bürger, und Peter Richart aus dem badischen, am Rhein bei Istein gelegenen Dorf Huttingen tätigten. Am 6. Juli 1476 suchten sie beide persönlich den Notar auf, um einen Rentenvertrag aufsetzen zu lassen. Geruler verkaufte Richart 20 lb. d., für welche dieser ab sofort alljährlich am Martinstag zwei Vierzel Dinkel „by burger mess der stat Basel" abliefern sollte.484 Da die Rente als dingliche Last auf die Güter gelegt wurde, mussten diese genaustens beschrieben werden,485 und Richart hatte zu beeiden, dass sie sein Eigentum und nicht belastet seien oder, wie es in der Rechtssprache hieß, „lidig, eigen und vormals nit versetzt, bekümbert noch beladen". Überdies schwor er, dass er den Zins regelmäßig und pünktlich bezahlen sowie die Güter in gutem Zustand halten wolle. Sollte er diesen Pflichten nicht nachkommen, hatte Geruler oder seine Erben das Recht, „die vorgeschribenen underpfender und ob daran abgieng, alle andere ire guter davor gemeldet sampt oder insunders fronen, verbieten, verkouffen, vertriben oder an sich selbs zihen oder, ob inen solich angriffung der gu(e)tern nit füglichen noch ze willen wer, alsdennen den verkoiffer und alle sin erben und nachkomen persönlichen umb solich ußstand zins fumemen, manen, bannen, echten, aberächten und sust wider sy jagen und triben mit gericht, geistlichem oder weltlichen". Diese Drohformel findet sich in den meisten Rentenverträgen. Schon die Reihenfolge der Rechtsmittel weist auf die Bedeutung des Banns hin. Sie zeigt, dass der Kirchenbann nur eine unter mehreren, darunter auch weltlichen Möglichkeiten war, den Schuldner zur Bezahlung zu zwingen. Er war, nachdem alle anderen Mittel versagt hatten, sozusagen die letzte Hoffnung, den drohenden Schaden abzuwenden. Das andere, vorher einzusetzende Mittel war die Fronung, die Beschlagnahmung des ganzen Vermögens als Entschädigung.486 Nicht nur weltliche, sondern auch kirchliche Gerichte setzten auf sie, um Schulden einzutreiben.

483

E. Eichmann, recursus, 19f. F. Elsener, Exkommunikation, 69f., 74. StABS: Gerichtsarchiv AA 18, fol. 127v-128. - 1 Vierzel = 2 Säcke = 546,62 Liter. 485 „Nemlich vier jucharten ackers gelegen aneinander in Francken bannen underthalb der Wiler Eck nebent Ludman Margens ze einer siten und zu der andern siten Heinricus Hüglins güter von Francken, sodennen uff und abe vier andern jucharten ackers in Utinger bann und under Guerrat gelegen zu einer siten nebent der aiment und zu der andern siten nebent Heyni Matters güter. Item ab einer jucharten ackers under Guerriet zu einer siten nebent Lienhart Retlis und zu der andern siten nebent Heyni Matter; item einen jucharten ackers, lyt uff der Ho(e)neck, zühet über den wegk zu einer siten nebent Reblins güter und zu der andern siten an Heyni Matter; item uff und ab eyner jucharten ackers gelegen im bann ze Utingen im Yfers, stosset uff den wyden zu einer siten und zu der andern siten neben Richart Schmitds güter;" StABS: Gerichtsarchiv AA 18, fol. 128. 486 Nach F. Elsener, Exkommunikation, 74, wurde der Schuldner, der in den Bistümern Basel, Genf, Lausanne, Konstanz, Würzburg und Mainz seine Schulden nicht fristgemäß bezahlte, automatisch gebannt. Davon kann zumindest im Bistum Basel im 15. Jahrhundert keine Rede sein. Die von Elsener 484

244

Die Exkommunikation mag im 13. oder 14. Jahrhundert oft als Exekutionsmittel eingesetzt worden sein. Ende des 15. und Anfang des 16. Jahrhunderts jedoch war dies vermutlich eher selten der Fall. Was sich auf den ersten Blick bedrohlich ausnimmt, erweist sich beim näheren Hinsehen als formelhafte Drohgebärde. In der Praxis waren die Gläubiger realistisch genug zu wissen, dass der Bann oftmals ein untaugliches Mittel war, um ausstehende Schulden und versessene Zinsen einzutreiben. Ein Schuldner, der seinen Gläubiger wegen einer Missernte zum Beispiel nicht befriedigen konnte, war auch dann nicht in der Lage dazu, wenn er gebannt wurde. Zwar war es möglich, einen zweiten oder dritten Kredit zur Schuldentilgung aufzunehmen. 487 Aber den Kreditoren musste dafür ebenso wie heute Sicherheiten gegeben werden, die gerade in Fällen von Mehrfachverschuldungen nicht leicht zu erbringen waren. Ein rasches und meist effizientes Exekutionsmittel war die Exkommunikation nur in der Theorie. Wer nach ihrer praktischen Wirksamkeit fragt, darf die Alternativen nicht übersehen, nämlich die Fronung und die gütliche Einigung - die im übrigen auch von den weltlichen Gerichten angewandt wurden. 488 Wenn der Gläubiger zu seinem Geld kommen wollte, hatte er mit der Fronung ein Rechtsmittel zur Hand, das mehr oder zumindest ebenso viel Erfolg versprach wie der Bann. 1473 kaufte der Priester Conrad Schlewitzer im Namen der Präsenz des Hochstifts von Hans Deck aus Rümmingen (Bistum Konstanz) und seinen Erben vor dem weltlichen Gericht zu Wittlingen das Recht, eine Rente zu beziehen. 489 Er gab Deck 40 fl., die dieser mit jährlich 2 fl. abzulösen hatte, die auf seine Güter, nämlich auf Haus, Hof, Scheune und Garten geschlagen wurden. Aber Deck war nicht bereit, den Zins zu zahlen. Er ließ die Schuld anwachsen und brachte „mit sinen wunderlichen umbzugen die presentz und iren amptman zu grossen kosten und schaden". Böswillig - aus „eigener bosheit" - brannte er sogar Haus und Hof nieder, wie er vor dem Gericht in Wittlingen gestand. Im Urteilsspruch war die Rede von einem Schaden, der mehr als 30 lb. ß. betrug. Für einen solchen Fall sah der Rentenvertrag vor, dass die Güter an den Gläubiger, also an die Präsenz zurückfallen sollten. Wann dies geschah, lässt sich nicht sagen. Am 3. Januar 1477 jedenfalls trafen sich Schlewitzer im Namen der Präsenz des Hochstifts und Hans Ome, der Meier von Rümmingen, der letztere „für sich und sin erben", in der Kanzlei des bischöflichen Offizialats, um einen Kaufvertrag über eben diese Güter aufzusetzen. Schlewitzer verkaufte ihm dieselben für 30 lb. ß. „Baseler müntz".

487

488

489

erbrachten Belege stützen bei genauerem Hinsehen nicht einmal seine eigene These, da es sich um Urkunden handelt, die ausnahmslos im 14. Jahrhundert am Konstanzer Offizialat ausgestellt wurden. Michel Jordan aus dem elsässischen Dorf Wentzwiller verkaufte 1479 zweimal ein Rentenbezugsrecht, einmal Lienhart Meiger aus Musbach, dann Ludwig Hugental aus Bouxwiller; StABS: Gerichtsarchiv AA 18 [drittes, weder paginiertes noch foliiertes Heft]. H.-R. Hagemann, Rechtsleben II, 124. Die meisten der 40-80 Fronungen, die das Großbasier Schultheißengericht im 15. Jahrhundert jährlich durchführte, geschahen wegen versessener Zinsen. StABS: Gerichtsarchiv AA 18, fol. 123v-124; vgl. dazu auch den hier eingelegten Zettel.

245

Und schließlich gab es neben der Fronung und der Exkommunikation noch den gütlichen Weg. Ihn begingen beispielsweise die Priorin und der Konvent des Basler Klosters Gnadental. 1515 blieb Peter Brendlin aus Hüningen dem Kloster die Zinsen eines Darlehens aus nicht genannten Gründen schuldig. Die Klosterfrauen schickten Brendlin deswegen aber keinen Bannbrief und zogen auch nicht seine Güter ein, sondern ließen Gnade vor Recht walten. In ihrem Namen kam der Schaffner Hans Prassel dem Schuldner entgegen und erließ ihm „umb siner kleinen kinden willen" die Hälfte der versessenen Zinsen.490 Die beiden Beispiele reichen natürlich nicht, um zu behaupten, dass niemand wegen Schulden exkommuniziert worden sei. Aber sie zeigen, dass Alternativen zum Kirchenbann als Exekutionsmittel nicht nur bereitstanden, sondern auch eingesetzt wurden. Dem Gläubiger war die Bestrafung des leistungsunwilligen oder unfähigen Schuldners bestimmt nicht Selbstzweck. Ihm lag daran, sein Geld wiederzuerlangen. Diesen Zweck erfüllt die Fronung wahrscheinlich wirkungsvoller als der Bann.491

4.2

Vidimierungen

Die Beglaubigung der Kopie einer Urkunde diente dazu, das Original zu ersetzen oder zu vervielfältigen. Dazu ermächtigt waren die öffentlichen Notare. Über die Vidimierungstätigkeit des bischöflichen Offizialats geben in erster Linie die gesammelten Manuale der Notare Auskunft, die für die Zeit zwischen 1471-79 ausgewertet wurden.492 Die serielle Quelle ist mit Sicherheit nicht vollständig, wie einzelne erhaltene vidimierte Urkunden, insbesondere aus den Klosterarchiven belegen, die nicht gleichzeitig im Notarsregister enthalten sind. Doch dies schmälert die inhaltliche und quantitative Repräsentativität der Quelle aus zwei Gründen nicht. Erstens stammen die meisten Vidimierungen aus dem Register.493 Zweitens ergibt die Auswertung der beiden Quellenbestände ganz ähnliche Resultate.

490 491

492 493

StABS: Gerichtsarchiv AA 19, fol. 28v. So gesehen ist die Frage, ob das weltliche oder das geistliche Gericht das wirkungsvollere Strafmittel besaß, falsch gestellt. Vielmehr muss nach der Effizienz des jeweiligen Fronungsverfahrens gefragt werden. Einen rechtshistorischen Überblick über die Zwangsvollstreckung gibt Adrian Staehelin, Zwangsvollstreckung in älteren Schweizer Stadtrechten, in: ZRG Germanistische Abteilung 93 (1976), 184-256. Er betrachtet das Rechtsinstitut jedoch nur von der normativen Seite, ohne die Rechtswirklichkeit zu beleuchten. Die Rolle der Kirchengerichte blendet er aus. StABS: Gerichtsarchiv AA 20. Teilweise sind die im Register festgehaltenen Vidimierungen noch erhalten. In solchen Fällen wurde nur der Registereintrag gezählt und ausgewertet.

246

Zwischen 1471-79 wurden insgesamt 89 Vidimierungsaufträge gezählt. In seltenen Fällen sollten gleichzeitig zwei oder sogar drei Urkunden gleichen oder ähnlichen Inhalts mit dem Siegel des Offizialats versehen werden, in der Regel aber nur eine einzige. Wie die folgende Tabelle zeigt, kopierten die bischöflichen Notare, hauptsächlich Johannes Salzmann und Johannes Friedrich von Münnerstadt, jährlich zwischen 3-18 Urkunden. 494

Tabelle 49: Bistum Basel, Vidimierungen (1471-79)

H Urkunde Ξ Manual

Hier wird zum erstenmal ein derartiges Notariatsregister quantitativ ausgewertet. Doch auch ohne angemessenen Vergleichsmaßstab steht fest, dass die Vidimierungstätigkeit unbedeutend war. Beide Notare beglaubigten jährlich etwa fünf Urkunden.

494

Dieselben schrieben die Signaturen der übrigen Rechtsgeschäfte.

247

5.

Wer stand vor dem geistlichen Richter?

Die im Titel gestellte Frage wird in dreifacher Weise beantwortet. Zuerst interessiert der soziale Status der Parteien, dann, woher sie kamen. Diese Frage soll klären, ob und inwiefern die Distanz zum Gerichtsort eine Rolle spielte, mit anderen Worten, ob es ein Einzugsgebiet des Gerichts gab. Sofern einigermaßen sichere Daten über die Bevölkerungszahlen einzelner Dörfer und Städte bekannt sind, wird die Häufigkeit errechnet, mit der die Einwohner das Chorgericht aufsuchten, um seinen Stellenwert im kommunalen Rechts- und Alltagsleben zu ermitteln. Zuletzt interessieren auch die geschlechtsspezifischen Aspekte in Zuerkennungsklagen. Die folgenden Unterkapitel verstehen sich als Diskussionsbeitrag zu zwei Positionen, die in der Literatur vertreten werden. Die eine stammt von den Rechtshistorikern. Das geistliche Gericht, so lautet sie, sei eine bei der Bevölkerung nicht nur akzeptierte, sondern beliebte Instanz gewesen. Die andere entwickelten Forscherinnen, die die geschlechtsspezifische Funktion evangelischer Ehegerichte untersuchten und das Ergebnis auf die vorreformatorische Instanz übertrugen. Danach seien es vor allem Frauen gewesen, die auf Bruch des Eheversprechens geklagt hätten, um fiir ihre Entjungferung entschädigt zu werden. Das Rechtssystem habe sie aber benachteiligt, da die Richter solche Klagen mangels Beweisen in der Regel zu ihrem Nachteil entschieden.495

5.1

Sozialer Status und Herkunft der Parteien

Wenn die Schreiber nähere Angaben zur Person machten, ihren Beruf nannten oder eine besondere Anrede wählten, taten sie das möglicherweise nicht systematisch. Solche Hinweise dienten wohl eher als Unterscheidungshilfen, um die Parteien nicht miteinander zu verwechseln. Die Sentenzenbücher aus Basel und Konstanz enthalten nur spärliche Informationen zum Status der Parteien. Doch reichen sie aus, um ein ungefähres Sozialprofil zu erstellen. Ein erster Hinweis ergibt sich aus der Tatsache, dass die Notare in den allermeisten Urteilen die Pfarrei nannten.496 Daraus kann geschlossen werden, dass sämtliche Personen, die am Gerichtshof erschienen oder sich vertreten ließen, zumindest zum Zeitpunkt des Prozesses sesshaft waren. Der soziale Status der Par495 496

So zuletzt S. Burghartz, Jungfräulichkeit, 15. Das Basler Sentenzenbuch enthält 349 Eheprozesse, die zwischen 1463-69 gefuhrt wurden. In fünf Fällen fehlen die Ortsangaben. Die Konstanzer Urteilsbücher nennen von vier Ausnahmen abgesehen immer den Wohnort. Manchmal gibt der Schreiber auch nur den Wohnort einer Partei an. Inter Barbaram Mederin et Clewinum Blumeler de villa Gebliswilr, lautet zum Beispiel die Überschrift eines Urteils; StABS: Gerichtsarchiv AA 1, 497f. Es wird im Folgenden davon ausgegangen, dass in solchen Fällen beide Parteien aus demselben Ort stammten.

248

teien kann somit nach unten abgegrenzt werden. Fahrende und Spielleute, Söldner oder Vagabunden standen nicht vor dem bischöflichen Richter.497 Der rechtliche Status der prozessierenden Parteien kann aber noch genauer erfasst werden, nämlich mittels der Angaben zum Beruf, zur rechtlichen Position im sozialen Verband sowie zur Standeszugehörigkeit. Letztere wurde nur dann berücksichtigt, wenn die Prozesspartei entweder als adlige oder geistliche Person ausgewiesen wurde. Auch die Anrede, die die Schreiber fur die Verhandlungsgegner benutzten, kann als Indiz für den sozialen Status interpretiert werden. Hauptsächlich drei Attribute verwendeten sie: distretus, validus und honestus 498 Dass diese Anredeformen auf einen besonderen gesellschaftlichen Rang hinweisen, wird daraus geschlossen, dass nicht sämtliche Personen damit versehen wurden, sondern nur eine relativ kleine Anzahl 499 Einzelne Personen könnten gemäß diesen Klassifikationskriterien in zwei Kategorien untergebracht werden. Johannes Graben beispielsweise war nicht nur Gehilfe (famulus) eines Schmieds, sondern wird auch selbst als solcher bezeichnet. Und Jörg Dickenlang gehörte zur Einwohnerschaft von Basel, wo er das Handwerk eines Buchdruckers ausübte.500 Die folgenden Tabellen (Tabellen 50, 51 und 53) fuhren aber jede Person, deren sozialer Status näher bezeichnet wird, nur einmal auf. Ausgewertet wurden nur die Eheurteile.

497

In den Konstanzer Eheprotokollen werden vier Personen ohne festen Wohnsitz genannt. Zwei davon pilgerten gerade nach Santiago de Compostela, die zwei anderen nennt der Notar „Vagabundierende" (cum quondam Jacobo mancípate η bellatore et homine vago und mulier vagabunda). EAF: Ha 330i, 241f., 309; Ha 127, fol. 77vf. 498 Zumeist waren es verheiratete Personen, die so angeredet wurden. Adlige wurden als nobiles bezeichnet. Auch andere Anreden wie zum Beispiel venerabilis, illuster oder magniflcus wurden in den Urteilsprotokollen verwendet. Sie kennzeichnen in der sozialen Pyramide besonders hochstehende Personen, die aber selbst nie klagten oder beklagt wurden. 499 Der Name Johannes aus Dinkelsbühl, Müller in Colmar, taucht zweimal im Urteilsbuch auf. Jedoch wurde er nur einmal mit distretus angesprochen; StABS: Gerichtsarchiv AA1, 580, 657-663. 500 Johannes Graben faber et famulus Nicolai Môsifabri et civis Basiliensis; StABS: Gerichtsarchiv AA 1, 499; Dickenlang Jergpressorum librorum incolam Basiliensis; StABS: Gerichtsarchiv AA 22, 20.

249

Tabelle 50: Sozialer Status der Parteien in Basler Eheprozessen

Sozialer Status 1. Berufsbezeichnung - Handwerker - Beamter - anderes 2. Gesinde

- famula/famulus

1463-69

1521-24

35501 6502 1504

25 5 503

^506

15507

3. Rechtsstatus

- civis - incola/opidanus - andere 4. Stand - Adliger - Priester 5. Anredeform

- distreta/distretus - validus - honestus Total

3 508

5510

2505

2509

g511 4512

3513 1514 345.6

3 l515 -

-

2

2

-

97

67

501

Darunter vier Frauen, eine Tochter und ein Sohn. Darunter werden folgende Beschäftigungen verstanden: baccalarius der freien Künste (arcium liberalium baccalarius), Stadtschreiber (prothonotarius), Arzt {phisicus), Kammerdiener (cubicularius), Schreiber (scriba) und ein magister (magister artium liberalium); StABS: Gerichtsarchiv AA 1, 430, 486, 501, 565, 713, 905. Mitgezählt sind auch die Witwe, eine Tochter und ein Sohn eines Beamten. 503 Stadtschreiber (prothonotarius) und Dienstfrau (ministra domini comitesse in Sulz)·, StABS: Gerichtsarchiv AA 22, 4, 25. Auch die Witwe eines ehemaligen Schultheissen und eine Beamtentochter (filia procuratoris monasterii sancii Albani) wurden dazugezählt; Gerichtsarchiv AA 22, 6f. 504 Servitor illustris et magnificis principis et domini Ludovici ducis Bavarie; StABS: Gerichtsarchiv AA 1, 85Iff. 505 Ein Schaf- oder Ziegenhirt (opilio) und ein Student; StABS: Gerichtsarchiv AA 22, 4, 14. 506 Zwei Mägde, drei Knechte. 507 Zehn Mägde, fünf Knechte. 508 Eine Bürgerin, zwei Bürger. 509 Zwei Bürger, wovon einer zugleich Ratsmitglied (ex consulibus) war; StABS: Gerichtsarchiv AA 22, 23. 510 Vier Männer, eine Frau. 511 Drei Männer, fünf Frauen. 512 Zweimal filius hospitis,)e einmal filia villici und filia hospitis; StABS: Gerichtsarchiv AA 22, 4, 10, 502

18. 513

In einem Fall waren beide Prozessparteien adligen Standes; StABS: Gerichtsarchiv AA 1, 775f.: Sententia inter nobiles et honestos domicellum Jacobum de Regishein et dominam Beatricem de Andlo. 514 Es handelte sich um einen Fall von Defloration. Prozessinhalt war die Höhe des Wittums; StABS: Gerichtsarchiv AA 1, 379. 515 StABS: Gerichtsarchiv AA 22, 5. 516 Je zur Hälfte Männer und Frauen.

250

Zwischen 1463-69 standen rund 730 Personen vor Gericht. 97 Männer und Frauen (ca. 13 %) lassen sich mit aus der Quelle selbst stammenden Kriterien erfassen. Zwischen 1521-24 waren es etwa fünfhundert Prozessparteien. Von 67 Personen (ca. 13 %) lässt sich die ungefähre Position in der gesellschaftlichen Hierarchie ablesen. Das scheint eine kleine Menge zu sein. Doch reicht sie aus, um die These zu vertreten, dass mit Ausnahme der randständigen Gruppen alle sozialen Schichten vor dem kirchlichen Ehegericht vertreten waren. 517 Doch auch die jeweilige Funktion im Prozess muss berücksichtigt werden. Die allermeisten Handwerker, Beamten, Bürger und Bürgerinnen traten kaum jemals als Kläger, sondern fast ausnahmslos als Beklagte auf. 518 Madalena Lamparts, eine Basler Einwohnerin, klagte beispielsweise gegen den ehrenwerten Herrn Doktor Claudius, den Stadtschreiber von Basel. 519 Oder Ennelina Gotberotin aus Hartmannswiller klagte gegen den Bäcker Erhard Bieler aus Guebwiller. 520 Neben den Handwerkern und Beamten bildete das Gesinde die dritte quantitativ bedeutende Gruppe. In den meisten Fällen ging es um ein gebrochenes Eheversprechen. 1464 beispielsweise klagte Gredlina Friesin aus Bollweiler (Pfarrei Feldkirch) gegen Heinrich Karrer, der als Famulus dem Landadligen (domicellus) Bernhard von Bollweiler diente.521 Es kann davon ausgegangen werden, dass es in der Regel Bauerntöchter und söhne waren, die das Basler Ehegericht aufsuchten. Das erklärt, weshalb der Schreiber in den meisten Fällen die Personen nur mit Namen und Wohnort erfasste. Angehörige dieser Gruppe brauchten nicht eigens, etwa mit dem Wort „Bauer", bezeichnet zu werden. Aus den Reichsstädten Basel oder Colmar, um die These mit einem weiteren Argument zu stützen, kamen gemessen an der Zahl der Bevölkerung vergleichsweise wenig Parteien. Basel beherbergte um 1500 innerhalb der Mauern zwischen 6-8000 Einwohner und die Bevölkerung Colmars wuchs nie über 5000 Personen hinaus.522 Nur 32 Eheprozesse sind aus der Rheinstadt überliefert, 19 aus Colmar. 523 517

Zum gleichen Ergebnis kommt M. M. Sheehan, Formation, 234. In einem Gerichtsverfahren klagte ein Basler Bürger gegen einen anderen Basler Bürger wegen des Heiratsvertrages; StABS: Gerichtsarchiv AA 1, 961ff. 519 StABS: Gerichtsarchiv AA 22, 4: causam super federe matrimonii inter Madalenam Lamparts incoiarli Basiliensis actricem et venerabilem dominum doctorem Claudium [..] prothonotarium urbis Basiliensis reum, heißt es in einem Eintrag im Thornus-Register von 1521. 520 StABS: Gerichtsarchiv AA 1, 544. 521 StABS: Gerichtsarchiv AA 1, 527f. 522 H. Amman, Bevölkerung. 37, 51. Zuverlässige Berechnungen der BevölkerungszahleN anderer im Bistum Basel liegenden Städte sind mir nicht bekannt. 523 Die kleine Zahl mag damit zusammenhängen, dass beide Städte die ungerechtfertigte Eheansprache mit einer Buße belegten. H.-R. Hagemann, Rechtsleben I, 263; P. W Finsterwalder (Hg ). Stadtrechte III/3, 315. Von den 32 von Baslerinnen und Baslern geführten Prozessen sind 20 Zuerkennungsklagen. Vier davon hieß der Richter gut. Von den Colmarer Eheprozessen sind es 12. In einem Fall bekam die Klägerin recht. Jedoch ist zu bedenken, dass nur die Urteilsprotokolle von 1463-69 den Entscheid mitteilen, nicht aber die Aktennotizen aus den Jahren 1521-24. 518

251

Die Analyse der Konstanzer Eheprotokolle ergeben ein ähnliches Bild. Nicht die städtische, sondern überwiegend die dörfliche Bevölkerung reichte eine Klage am Chorgericht ein. So sind aus Konstanz nur neun, 524 aus Biberach, 525 Ulm 526 und Freiburg 527 j e acht, aus Lindau 528 und Luzern 529 j e sechs, aus Ravensburg 530 und Reutlingen 531 j e fünf, aus Bregenz 532 drei Eheansprachen und aus Zürich 533 eine einzige Zuerkennungsklage überliefert. 534 Zwischen 1514/15 und 1519-25 wurden 1927 Gerichtsverfahren wegen Ehestreitigkeiten geführt, wobei die strafrechtlichen Fälle wegen Ehebruchs oder Gewalt in der Ehe nicht mitgerechnet wurden. In 121 Prozessen nahmen mindestens drei Parteien teil. Insgesamt standen also gegen 4000 Personen vor dem kirchlichen Richter in Konstanz. In nur 6 % der Fälle nannte der Schreiber sozial charakterisierende Merkmale. Die meisten davon weisen die Parteien dem Gesinde zu.

524

525

EAF: Ha 330i, 245, 298; Ha 126, fol. 66-66v, fol. 217, fol. 224; Ha 127, fol. 37v, fol. 50-51, fol. 70, fol. 141. EAF: Ha 330i, 68; Ha 126, fol. 147v, fol. 167v; Ha 127, fol. 99, fol. 24v-25, fol. 152v, fol. 197, fol. 198V-199.

526

527

528 529 530 531 532 533 534

EAF: Ha 330Í, fol. 175v-176v; Ha 126, fol. 99v, fol. 117v-118, fol. 158; Ha 127, fol. 55, fol. 71v, fol. 117, fol. 124, fol. 225v. EAF: Ha 126, fol. 176; Ha 127, fol. 20-20v, fol. 51, fol. 117v, fol. 170, fol. 216v, fol. 236-236v, fol. 258. EAF: Ha 330Í, 126Í; Ha 126, fol. 83-83v, fol. 121, fol. 132, fol. 207v, fol. 254v. EAF: Ha 126, fol. 99v, fol. 129; Ha 127, fol. 61, fol. 94v, fol. 125v, fol. 244v. EAF: Ha 330i, 19; Ha 126, fol. 80v; Ha 127, fol. 2-2v, fol. 104v, fol. 218v. EAF: Ha 330Í, 94, 312; Ha 126, fol. 33-34, fol. 180; Ha 127, fol. 37v. EAF: Ha 330i, 208; Ha 127, fol. 253v-254, fol. 259v-260. EAF: Ha 126, fol. 222v. Alle diese Städte kannten das Verbot der ungerechtfertigten Eheansprache. Für die Ermittlung der Zahl der Prozesse war der Herkunftsort des Klägers oder der Klägerin ausschlaggebend, weil er oder sie den allfalligen Schaden bei Abweisung der Klage zu tragen hatte. Personen, die in einer der genannten Städte geboren waren, in der Zwischenzeit sich aber woanders niedergelassen hatten, wurden nicht mitgezählt. Vgl. Th.D. Albert, Anspruch.

252

Tabelle 51 : Sozialer Status der Parteien in Konstanzer Eheprozessen 535 1514/15, 1519-254 1. Berufsbezeichnung - Handwerker - Beamter/Akademiker - Tochter eines Taglöhners 2. Gesinde - famula/famulus 3. Rechtsstatus - civis - incola/opidanus - andere - filia plebani 4. Stand - Adliger - Priester 5. Anredeform - distretus/providus - validus - honesta Total

10536 5 537 1 197538 ^539 4540

1541 1 j542 3 1 3 11 247

Auch im Bistum Konstanz traten die Handwerker, Beamten, Bürger und Bürgerinnen vorwiegend als Beklagte in Erscheinung.543 Bemerkenswert am Konstanzer Offizialat ist, dass seine Eherechtsprechung von regional unterschiedlicher Bedeutung war. Das Gericht hatte ein Einzugsgebiet. Das lässt sich behaupten, obwohl über die Bevölkerungsdichte nichts bekannt ist. 535

Die Klassifikationen überschneiden sich von einer Ausnahme abgesehen nicht. Jedoch ist sicher, dass der erwähnte Stadtschreiber, der in die Kategorie „Beamter" fiel, auch Bürger der Stadt war, oder die übrigen genannten Bürger und Einwohner ebenfalls ein Handwerk ausübten. 536 Darunter zwei Töchter von Handwerkern. 537 Baccalareus artium, scultetus, EAF: Ha 330i, lOOf., 224f. Studens, EAF: Ha 126, fol 176. Der Altschultheiß aus Tuttlingen (scultetus senior), der Stadtschreiber (prothoscribus) aus Winterthur; EAF: Ha 127, fol. 75-75v, fol. 129v. 538 98 Mägde, 99 Knechte. 539 Darunter auch eine Bürgerin. Ein Bürger war zugleich Handwerker (avis Constantiensis pistor domini abbatis monasterii Petridomus); EAF: Ha 126, fol. 66-66v. - Mit einer Ausnahme stammen alle aus Konstanz. 540 Darunter eine Frau. 541 Hospes; EAF: Ha 330i, 63. 542 Darunter eine Frau. 543 Eine Bürgerin trat in einem Trennungsfall (discohabitatio) als Klägerin auf; EAF: Ha 127, fol. 50-51.

253

Um zu dieser Erkenntnis zu gelangen, wurde willkürlich ein Radius mit einem Durchmesser von 30 km um den Gerichtsort gezogen, und die Prozesse gezählt, die Parteien aus diesem Gebiet führten. Das Verfahren ist zu aufwendig, um sämtliche Ehefälle auszuweiten. Ausgewählt wurden die Urteile aus den Jahren 1514/15 und 1523-25. 1126 Ortsangaben bilden die Grundlage für die nächste Tabelle.

Tabelle 52: Einzugsgebiet des Konstanzer Ehegerichts Wohnsitz der klagenden Partei 1. geistliche Herrschaften im Bodenseeraum 544 - Hochstift 545 - Abtei St. Gallen 2. gemeine Herrschaft Thurgau - übrige Orte Total

Total

39 52 75 53 219

Ein Fünftel der Prozessparteien waren in der konstruierten Kreisfläche ansässig, die nicht einmal einen Zehntel der Diözese bedeckte, und die erst noch zu einem guten Teil unbewohnbar war wegen des Bodensees.546 Sodann fällt auf, dass weit über die Hälfte der Personen aus Pfarreien stammte, die südlich des Bodensees, vor allem in der gemeinen Herrschaft Thurgau lagen. Wie kann dieses Phänomen erklärt werden, das es dem kirchenrechtlichen Anspruch nach gar nicht geben dürfte? Als erstes sei auf die Distanz zum Gerichtsort hingewiesen. Das Offizialat war fur Personen, die relativ nahe bei Konstanz wohnten, attraktiver anzurufen, als für weit entfernt ansässige. Hohe Anfahrtsoder gar Aufenthaltskosten entfielen, die Gefahren des Reisens waren berechenbar und die Mühen einigermaßen erträglich. Der bischöflichen Verwaltung gelang es nur unzureichend, die langen Anlaufwege dadurch zu verkürzen, dass sie fallweise oder ständige Kommissare einsetzte. Die Distanz blieb ein kaum zu überwindendes Hindernis. Die Kommissare waren überdies - es wurde bereits darauf hingewiesen - auch Diener der weltlichen Obrigkeit und vertraten somit auch deren Interesse, so 544

Natürlich gab es mehr als nur die zwei aufgeführten geistlichen Herrschaften. Ich habe mich auf diese beiden beschränkt, weil sie verhältnismäßig viele und bedeutende Rechtstitel besaßen, insbesondere an zahlreichen Orten die niedere Gerichtsbarkeit ausübten. 545 Zur territorialen Ausdehnung des Hochstifts nördlich und südlich des Bodenseeraums vgl. Anneliese Müller, Besitzgeschichte des Hochstifts, in: E. Kuhn u.a. (Hgg ), Die Bischöfe von Konstanz (Bd. 1), Friedrichshafen 1988, 277-287. Die am Nordufer des Sees gelegenen Gebiete sind unbedeutend, wenn von Meersburg einmal abgesehen wird. 546 Die Bandbreite schwankt zwischen 20 % (1525) und 29 % (1524).

254

wenig Rechtsfälle wie möglich von fremden Gerichten entscheiden zu lassen. 547 Die ständigen Prokuratoren ihrerseits, die sich einzelne Städte wie zum Beispiel Freiburg in Konstanz hielten, erleichterten den Zugang zum Gericht höchstens für die Stadtbewohner. Das zweite Argument greift zur Erklärung auf die Rechtsverhältnisse im Einzugsgebiet zurück. Vor allem fur die gemeine Herrschaft Thurgau kann es verwendet werden, und zwar in doppeltem Sinn. Nicht nur waren die Rechtsverhältnisse dort besonders zersplittert und auf viele Machtträger verteilt, sondern oft auch in geistlicher Hand. Das Domkapitel, die Fürstabtei St. Gallen oder das Hochstift besaßen in diesem Raum zahlreiche Rechtstitel. Das Gebiet gehörte erst seit 1460 zur Eidgenossenschaft. Doch auch sechzig Jahre später gab es immer noch etliche weltliche und geistliche Grund- und Gerichtsherren. Diese hatten kaum ein Interesse daran, das Konstanzer Offizialat auszuschalten. Die Frage nach dem sozialen Status der Parteien wird für das Bistum Chur nur fur die Städte Bludenz, Chur und Feldkirch beantwortet. In Eintragungen, die sich auf die Dorfpfarreien beziehen, finden sich brauchbare Hinweise dazu selten. Fast ausnahmslos handelt es sich um Mägde und Knechte (famula/famulus)iA% Adlige Parteien waren entsprechend ihrem niedrigen Anteil an der Gesamtbevölkerung Ausnahmen. 549 Zwischen 1495-1527 entschied das Chorgericht 118 zivilrechtliche Eheprozesse aus den genannten Städten, 32 aus Bludenz, 57 aus Chur und 29 aus Feldkirch. Einzelne Personen tauchten zweimal vor dem Richter auf. Der Churer Bürger Vallentin Haldner zum Beispiel. Einmal schuldete er 1522 wegen eines Ehestreits, den er mit Lucia Vögtin „vom Vellenngatter parrochie Frastenntz olim in Veitkirch" führte, nachdem sie sich in Chur als Magd verdingt hatte. Im selben Jahr klagte er gegen Agatha Pfefferkorn, die Witwe Christoph Pfefferkorns, ebenfalls eine Bürgerin. 550 In 77 Fällen gab der Schreiber den sozialen und rechtlichen Status der Verhandlungsgegner an. Danach können die Personen folgendermaßen klassifiziert werden:

547 548 549

550

Vgl. §211,2.2.4.1. BAC: DG 1/2, 559 u.ö.; DG 1/3, 591, 619, 734 u.ö. Ein Beispiel in: BAC: DG 1/3, 731: Ulrich Delporta und Margaretha von Marmels standen wegen eines Ehehindernisses vor Gericht. Vgl. auch DG 1/3, 733. BAC: DG 1/4, 1168; DG II, 6, 8. - Drei weitere Beispiele: DG 1/4, 1154 und 1158; DG 1/4, 1163; DG II, 149.

255

Tabelle 53: Sozialer Status der Parteien in Eheprozessen aus Bludenz, Chur und Feldkirch sozialer Status 1. Berufsbezeichnung - Handwerker - Akademiker - andere 2. Gesinde

- famulus - famula

Bludenz

-

Chur

Feldkirch

12551 l 553

5 552

4 554

1

8

-

8

-

1 4

3. Rechtsstatus

- civis - incola/hospita

1 -

15 5 " 3 557

II 5 5 6

1 558

4. Anredeform

- validus

-

-

1

5. andere

-

I 559

-

Total

2

52

23

Jede Person taucht nur einmal in der Tabelle auf, auch wenn sie mit verschiedenen Bezeichnungen in die gesellschaftliche Hierarchie eingeordnet wurde. Johannes Herennburger zum Beispiel wurde als Feldkircher Bürger registriert, hätte aber auch in die Rubriken „Anrede" oder „Berufsbezeichnungen aufgenommen werden können. Denn er war ein kurialer Schreiber und der Siegler nannte ihn providus.560 Da solche Fälle aber relativ selten vorkommen, verzerrt das gewählte Vorgehen das Ergebnis nur unwesentlich.561 Von über einem Drittel der etwa zweihundert Parteien, die in einen Eheprozess verwickelt waren, ist die gesellschaftliche Position umschrieben. Während am Ge551

Darunter die Frau eines Handwerkers. Darunter die Tochter eines Handwerkers. 553 BAC: DG 1/4, 1165: Egregius vir dominus doctor Bernardinas de Ctaverna phisicus civitatis Curiensis [...] in causa ascriptionisprolis et expensarumpuerpera. 554 BAC: DG 1/1, 7: Saumtiertreiber (somarius); DG 1/4, 1163: Fuhrmann (auriga); DG 1/4, 1165: Gärtner (magister culture seu agriculture monasterii ad sanctum Lucium); DG 1/4, 1168: Leichengräber (bustitarius). 555 Ein Drittel davon waren Frauen. 556 Darunter drei Bürgerinnen. 557 Es handelt sich ausschließlich um Frauen. Auch die Witwe eines Churer Einwohners wurde dazu gezählt; BAC: DG II, 7. 558 BAC: DG 1/2, 438: oppidaria. 559 Ein Kaplan, Johannes Mayer, wurde 1518 wegen Defloration angeklagt; BAC: DG 1/1, 2. 560 BAC: DG 1/2, 435, 443. 561 Drei als Churer Bürger aufgenommene Männer werden als Handwerker bzw. als Sohn eines solchen bezeichnet. Ein Churer Handwerker und eine Handwerkerin (netrix) hatten den Status eines Einwohners (incola). Zwei Feldkircher Bürger waren Handwerker, ein weiterer auch Beamter (capitaneus). 552

256

richtsort die Handwerker, das Hausgesinde und die Bürgerschaft zahlenmäßig sich ungefähr die Waage halten, stellen in Feldkirch die Bürgerinnen und Bürger die größte soziale Gruppe. Dass Chur der Gerichtsort war, spielte vermutlich keine Rolle. Der Befund gewinnt an Tiefenschärfe, wenn nach der Funktion der sozialen Gruppen im Prozess gefragt wird. Wer waren die Kläger? Wer die Beklagten? Bürger und Handwerker waren meistens die Beklagten.562 Beim Hausgesinde sieht es hingegen etwas anders aus. Mägde sind fast immer die Klägerinnen, aber auch die Knechte beanspruchten das Gericht in dieser Funktion relativ oft. Der folgende Fall ist in dieser Hinsicht typisch. Agatha Negelin aus der allgäuischen Reichsstadt Wangen, die beim ehrenwerten Johann Jacob Wittenbach in Feldkirch als Magd (famulo) arbeitete, klagte 1523 gegen den Bürger Johannes Neßler, den Küfer aus Feldkirch. Neßler habe sie defloriert und ihr dabei ein Kind gemacht. Die vier Zeugen, die der Beklagte aufbot, konnten den Vorwurf nicht entkräften. Neßler hatte deshalb als finanzielle Entschädigung für die Mitgift 10 lb. d. in Konstanzer Währung zu zahlen.563 Der besondere Reiz des Städtevergleichs liegt darin, dass relativ verlässliche Angaben über die Höhe der männlichen Bevölkerung vorliegen. 1511 wurde in den vorarlbergischen Herrschaften eine Mannschaftszählung durchgeführt. Sie erfasste sämtliche wehrfähige Männer im Alter zwischen 18-60 Jahren. Die auszugstaugliche Mannschaft von Bludenz zählte 165 Mann, diejenige von Feldkirch etwa 3 2 5.564 Über die Einwohnerzahl von Chur gibt eine Liste der steuerzahlenden Häuser Auskunft, die um 1480 angefertigt wurde. Ihr zufolge wohnten 558 Steuerpflichtige, also gegen sechshundert Männer in der Stadt.565 Diese Informationen können unter zwei Voraussetzungen mit den Angaben über die Eheprozesse verknüpft werden: Erstens war die Zahl der in den genannten Städten wohnhaften Männer, die reich genug waren, einen Eheprozess zu führen, nur unwesentlich höher; zweitens war fast jeder im DG erwähnte Mann nur in eine einzige Gerichtsverhandlung verwickelt.566 Die erste Prämisse ist eine Vermutung, die zweite hin-

562

Zwei Churer Bürger und zwei Feldkircher Bürgerinnen waren die Ausnahmen. Sie erhoben die Klage. BAC: DG 1/2, 442f.: Agatha Negelin de Wanngen Constanciensis diócesis famulans cum valido Johanne Jacobo Wittennbach in Veitkirch tenetur duos β. R. pro iuribus iudicii in causa defloraciones et ascripcionis prolis inter ipsam Agatham actricem et Johannem Nesler civem opidi Veitkirch reum doleatorem. Produxit reus quatuor testes eum minime relevantes [...], actrix triumphavit et reus nomine dotis in decern libris d. moneta Constanciensis unacum refusionem singularum expensarum litis condemnatus fuit actrici sententialiter et diffinitive. 564 K. Klein, Bevölkerung, 63f. Die Stadt Feldkirch stellte insgesamt 527 Mann. Zur Truppe gehörten nämlich auch 202 Ausbürger, die in den Gerichten Rankweil, Sulz und Jagdberg ansässig waren. Die Aktennotizen des DG beziehen sich aber ausschließlich auf Personen innerhalb der Stadtmauer. 565 M. Bundi, Chur, 62. Beamte wie z.B. der Bürgermeister, der Torwächter oder die Ärzte waren nicht steuerpflichtig. 566 Die Ausnahmen waren: Johannes Rützer, der Bedienstete {famulus) des Ritters Christof Schenk, des Präfekten in Bludenz, der 1517 und 1519 wegen eines Ehehindemisses - mit derselben Frau! - vor dem 563

257

gegen kann belegt werden. Daraus ergibt sich, dass in Chur etwa jeder elfte, in Bludenz etwa jeder zwölfte und in Feldkirch etwa jeder fünfzehnte Mann irgendeinmal zwischen 1512-27 wegen einer Eheangelegenheit mit dem kirchlichen Gericht direkt in Kontakt kam, sei als Kläger, sei es als Beklagter.567 Anders als bei den Eheurteilen ist das ständische Element in den weltlich-geistlich gemischten Prozessen stärker zu beachten. Das legen die Prozessinhalte nahe. Die causae-annexae-Fälle aus Basel werden in einem ersten Schritt daraufhin untersucht, wie viele Parteien weltlich oder geistlich waren.

Tabelle 54: Bistum Basel, Parteien in den causae annexae Jahr 1463-69

weltl./weltl. 37

weltl./geistl.

geistl./weltl.

geistl./geistl.

11

22

12

Tabelle 55: Bistum Basel, Parteien in den causae annexae Jahr 1521-24

weltl./weltl. 16

(1463-69) 568 Total 82

(1521-27) 569

weltl./geistl.

geistl./weltl.

geistl./geistl.

14

24

13

Total 67

Um keine Missverständnisse entstehen zu lassen, sei hier deutlich gesagt, dass die Tabellen nur die Zahl der Rechtsfälle enthalten, nicht die Zahl der klagenden und beklagten Personen. Diese ist natürlich höher, lässt sich aber nicht genau angeben, weil nicht nur Einzelpersonen, sondern manchmal auch Personengemeinschaften vor dem Chorgericht standen. 1521 lud Wilhelm Reublin, Pleban von St. Alban in Basel, den Bürgermeister und Rat der Stadt Laufenburg vor den Offizial;570 im sel-

Richter erscheinen musste; BAC: DG 1/2, 503. Sowie Johannes Neßler, der Feldkircher Bürger, der 1521 und 1522 vor Gericht stand; BAC: DG 1/2, 44Iff. 567 Wohlgemerkt: Die strafrechtlichen Eheprozesse wurden nicht mitgerechnet, auch nicht die Zahl der Städter, die als Bürgen in Erscheinung traten. Wie groß die Zahl der Zeugen war, ist ohnehin nicht herausfinden. 568 Erläuterung der Sigel: weltl. = weltliche Personen; geistl. = geistliche Personen/Institutionen. Das erste S igei meint immer die Klagepartei. 569 Erläuterung der Sigel: weltl. = weltliche Personen; geistl. = geistliche Personen/Institutionen. Das erste Sigel meint immer die Klagepartei. 570 StABS: Gerichtsarchiv AA 22, 31: Veneris xxv octobris habuit causam Gregorius Swegler inhibicionis per recessos inchoatam sed tandem ad folia registratam inter dominum Wilhelmum Reublin ple-

258

ben Jahr klagte der Kirchherr in Herickheim gegen den Schultheißen, das Gericht (,turati) und die Gemeinde Herickheim. 571 Die meisten weltlichen und geistlichen Personen tauchen nur einmal als klagende oder beklagte Partei in den Quellen auf. Vier Ausnahmen sind überliefert; alle stammen aus der zweiten Periode. 572 Die Tabellen zeigen eine bemerkenswerte Verschiebung, was die ständische Zusammensetzung der Klageparteien angeht. Zwischen 1463-69 waren sowohl die klagenden als auch die beklagten Parteien meistens Weltliche; zwischen 1521-24 jedoch waren die Klageparteien mehrheitlich geistlichen Standes. Die Datenmenge ist zwar relativ klein, doch kann als Tendenz dennoch festgehalten werden, dass das Gericht offenbar immer stärker von Klerikern und kirchlichen Institutionen in Anspruch genommen wurde, um ihre standesspezifischen Interessen gegen weltliche Personen oder gegen ihresgleichen durchzusetzen. Ob dieses Phänomen allein auf die Reformation zurückzuführen ist, kann aufgrund der Quellenüberlieferung nicht eindeutig gesagt werden. Auch die Funktionstüchtigkeit der städtischen Gerichte mag eine Rolle gespielt haben. Immerhin fallt auf, dass der Anteil der Laien, die sich gegenseitig vor das Konsistorium luden, in der zweiten Periode bedeutend kleiner ist als in der ersten. Ein weiterer Punkt ist erwähnenswert, der aus den Tabellen nicht abgelesen werden kann. Gemessen sowohl am Anteil an der Gesamtbevölkerung als auch an der Analyse der übrigen streitigen Prozesse suchten Adlige das Offizialat in cau,sae-annexae-Fä.\\en auffallend oft auf, vor allem zwischen 1463-69. Von den 48 weltlichen Klägern sind zehn Adlige, und von den 59 beklagten Laien sind es immerhin sechs. 573 Sofern der Landadel im 15. Jahrhundert nicht ein Schiedsgericht einberief, um seine zivilrechtlichen Ansprüche durchzusetzen, war das Konsistorium ein standesgemäßes Gericht. 1466 stritten der Ritter Conrad Munch aus Münchenstein genannt Löwenberg und Johannes Werner von Flachsland, der Vorsteher der Basler Kathedrale, um die Früchte der Kirche in Muttenz. 574 Während in diesem Beispiel der Streitgegenstand eine im weiteren Sinn kirchliche Angelegenheit und insofern das Offizialat dafür zuständig war, liegt im nächsten Beispiel ein an-

571

572

573

574

banum in sánelo Albano Basiliensis, agentem, et dominos, magistrumeivium ac consulatum oppidi Louffemberg reos. StABS: Gerichtsarchiv AA 22, 31 f.; Mercurii xx novembris habuit Gregohus Swegler causam decimarum inter dominum Heinricum Go(u)del rectorem in inferiori Herickhein actorem, ac scultetum, iuratos et communitatem ville Herickhein reos. - Mit den iurati ist wohl das von den Gemeindeangehörigen gewählte Gremium gemeint, das mit der Verwaltung und Rechtspflege eines Dorfes betraut war. Die Klöster Klingental in Kleinbasel und St. Alban in Großbasel, die in Altkirch wohnende adlige Witwe des Bartholomeus von Wonnenberg sowie Gregorius Swegler, der Notar des geistlichen Gerichts, werden je zweimal erwähnt; StABS: Gerichtsarchiv AA 22, 30, 3 4 f f , 38. In der zweiten Untersuchungsperiode lag ihr Anteil jedoch tiefer: Sieben klagende und drei beklagte Laien waren adlig. StABS: Gerichtsarchiv AA 1, 782-86. Der Ritter ließ sich von Hieronimus Starck, seinem Famiiiaren und Sachwalter, vertreten. Der Offizial entschied zu Gunsten Konrad Münchs.

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derer, rein weltlicher Sachverhalt vor. 1467 prozessierten die beiden Ritter Hermann von Eptingen und Rudolf von Altnach um den Besitz einiger Güter.575 Werden die Datenmengen 'Rechtsmaterien' und 'Stand der klagenden Parteien' miteinander verknüpft, ergibt sich folgendes Resultat: In Zehntangelegenheiten waren in beiden Perioden ausnahmslos geistliche Personen oder Institutionen die Kläger; in einem Drittel der Fälle gehörten auch die Beklagten dem klerikalen Stand an.576 In Zinsstreitigkeiten, wozu auch Rentenangelegenheiten sowie die causae prophanae gezählt werden, zeigt sich in den beiden Untersuchungsperioden ein etwas verändertes Bild. Während zwischen 1463-69 die weltlichen Parteien überwogen - fast zwei Drittel der Kläger und zwei Fünftel der Beklagten -, gewinnen die geistlichen Parteien 1521-24 ein leichtes Übergewicht zumindest auf der Klägerseite. Arrestierungen und Inhibitionen schließlich wurden zwischen 1463-69 ein einziges Mal und zwar von einer weltlichen Person beantragt. Die beklagte Partei gehörte demselben Stand an. Zwischen 1521-24 jedoch ließen in einem Drittel der Fälle die Geistlichen arrestieren, in einem Drittel der Fälle gegen ihresgleichen. Die Parteien kamen nicht aus dem ganzen Bistum, sondern vorwiegend aus der Stadt Basel und der nahen Umgebung, wozu auch das rechtsrheinische Gebiet gehört, das im Bistum Konstanz lag. Von den 164 Parteien, die zwischen 1463-69 vor dem konsistorialen Richter standen, stammten 38 (23 %) aus Basel und 78 (48 %) aus dem angrenzenden Sundgau. Zwischen 1521-24 betrug die Zahl der Parteien 134, davon wohnten (13 %) in Basel und 81 (81 %) im südlichen Zipfel des Elsasses. Wenn überhaupt die Rede sein kann, dass das Offizialat beliebt gewesen sei, allenfalls bei Personen, die in der Nähe des Gerichtsorts wohnten. Im Unterschied zu den aus dem Bistum Basel stammenden Quellen nennt das Churer DG nicht in jedem Eintrag, welche Partei die klagende oder die beklagte war. Mit Sicherheit kann aber immer angegeben werden, welchem Stand sie angehörte.

575 576

StABS: Gerichtsarchiv AA 1, 883-887. Der Kläger Hermann von Eptingen gewann den Prozess. Vgl. I. Buchholz-Johanek, Richter, 116-122. Buchholz-Johanek kommt für das Bistum Eichstätt zu einem ähnlichen Ergebnis. In Prozessen um den Zehntbesitz waren die Parteien ausnahmslos Geistliche. Wo es um Zehntminderungen ging, war die eine Partei natürlich weltlichen Standes.

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Tabelle 56: Bistum Chur, Parteien in den causae annexae (1498-1527) 577 Rechtsakt arrestatio/inhibitio Pfarrrechte Kirchenbau Benefizium causa propharta - Schuldsachen Zins Zehnt Testament/Stiftung Erbschaften anderes unklar Total

weltl./weltl. weltl./geistl. geistl./weltl. 3 3 7 -

12 5 -

1 13 3 7 1 55 (40 %)

geistl./geistl. unklarS78

1 2

3 1

-

-

-

-

1

-

-

-

-

2 3

6

-

7 4 6 2 2

-

-

-

-

1 2

3

7 1

1 6 5 1 6 2

27 (20 %)

-

4

*

16 (12 %)

30 (22 %)

-

1 1 -

8 (6%)

Zwei Erläuterungen seien der Interpretation vorausgeschickt. Was in der Tabelle säuberlich in weltliche und geistliche Parteien geschieden wurde, traf man in der Praxis auch in gemischter Zusammensetzung an. Priester und Laien klagten manchmal gemeinsam - oder wurden gemeinsam beklagt. Allerdings wurden nur vier solcher Fälle gezählt,579 darunter der folgende. 1517 klagten der Pleban aus Riom, Georg Textor, und der bischöfliche Dienstmann in Oberhalbstein, der adlige Johannes Andree von Marmels aus Tinzen, gemeinsam gegen die Erben von Nuth Gretha aus Savognin.580 Dann ist anzumerken, dass 'weltlich' und 'geistlich' grobe Standeskategorien sind, die differenziert werden könnten. Einerseits schließt die Kategorie 'weltlich' auch adlige Parteien ein. Ein Beispiel wurde gerade gegeben, und es braucht nur noch nachgetragen zu werden, dass in insgesamt zehn, ausnahmslos aus dem Hochstift stammenden Fällen, die eine Partei adlig war. Dass Adlige gegeneinander prozessierten, ist nicht überliefert. Andererseits sind mit 'weltlich' auch Perso577

Erläuterung der Sigel: weltl. = weltliche Personen; geistl = geistliche Personen/Institutionen. Das erste Sigel meint immer die Klagepartei. 578 Diese Rubrik enthält die Fälle, in denen unklar ist, welche Partei klagte oder beklagt wurde. Immer aber gehörten die sich gegenüberstehenden Parteien einerseits dem weltlichen, andererseits dem geistlichen Stand an. 579 BAC: DG 1/3, 613 (causa separations), DG 1/3, 664 (causa decimalis); DG 1/4, 1043 (causa decimalis)\ DG 1/4, 1045 (causa fideiussionis). 580 BAC: DG 1/3, 664, 679, 688. Prozessiert wurde um den Zehnt. Doch kann aus der Akteneintragung nicht herausgelesen werden, ob es um das Zehntrecht oder die Höhe der Abgabe ging. Der Offizial sprach die Beklagten von der Anklage frei. - Der Hinweis auf das Amt von Johannes Andree - minister Reverendissimi - findet sich ebd., 688, 690 u.ö.

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nengemeinschaften (communitas, sindici, covici, heredes) gemeint. Auch das sind Ausnahmen. Die meisten Prozesse führte eine einzelne Person nichtadligen Standes. Ahnliche Beobachtungen gelten für die Kategorie 'geistlich'. Dass der Bischof oder ein Abt - allgemein formuliert: der hohe Klerus - vor dem Richter erschien, war die Ausnahme. In den allermeisten Fällen wurde der niedere Klerus aktenkundig, Plebane, Kaplane oder Vikare. In der Mehrzahl der 136 Prozesse war mindestens eine Partei geistlich, nämlich in 81 Fällen. Gut erkennbar ist, dass das Konsistorium eine standesspezifische Funktion zum Schutz klerikaler Interessen wahrnahm. Der zweite Grund, einen Prozess am Kirchengericht zu führen, ist die Materie. Prozesse um Kirchenbauten oder Pfarrrechte waren Angelegenheiten, worüber sich oftmals nur weltliche Personen stritten. Das geschah immer vor dem kirchlichen Gericht. In abgeschwächter Form gilt das auch fur die Testaments- und Erbschaftssachen. Die als weltliche Angelegenheiten bezeichneten Prozesse jedoch hätten die Parteien ebensogut an einem weltlichen Gericht fuhren können. Einzelne Fälle zeigen, dass dieses die erste Instanz war, die die Parteien aufsuchten. Aus einem unbekannten Grund wandten sie sich dann aber an den kirchlichen Richter.581 Der soziale Status der Männer und Frauen, die in Basel wegen eines Vergehens vor dem kirchlichen Richter standen, dürfte etwa identisch sein mit den Resultaten, die aus den Eheurteilen gewonnen wurden. Das Register des Fiskals enthält nur wenige Angaben dazu. Es waren vor allem Personen vom Land, die einen festen Wohnsitz hatten.582 Welche Rolle das Gericht als Ordnungsfaktor spielte, kann für die Reichsstädte Basel und Colmar zumindest ungefähr beantwortete werden, da relativ verlässliche Angaben zur Bevölkerungsdichte vorliegen. Um 1500 wohnten in Basel 6-8000 Einwohner, in Colmar bestimmt nicht mehr als 5000.583 Zwischen 1463/64-69/70 wurden 31 Basler und Baslerinnen je einmal gebüßt,584 etwa zwei Drittel davon wegen eines Sexual- oder Ehedelikts.585 In drei Fällen handelte es sich um je einen Exzess, eine Nichtbeachtung der arrestatio und eine Tätlichkeit gegen einen Priester. In den restlichen sechs Fällen gab der Schreiber keinen Strafgrund an. In den

581 582

583

584

585

BAC: DG 1/3, 677, 698. Vielleicht handelte es sich um Appellationsfälle. Eine Ausnahme war offenbar Barbara Sitzin. Sie stammte aus Freiburg im Breisgau, wohnte aber in Colmar. Nachdem sie vom Gericht aus einem unbekannten Grund belangt wurde, floh sie {processus est etfiigit)·, AAEB: A 85/39 (1467/68), fol. 1. H. Ammann, Bevölkerung, 37, 51. Auch die Kleinbasler, die auf der zum Bistum Konstanz gehörenden rechten Rheinseite wohnten, wurden gezählt. Gezählt wurden nur Personen, die innerhalb der Stadtmauern wohnten, da sich die Schätzung der Bevölkerung darauf bezieht. Personen aus den Vororten, beispielsweise aus Bottmingen oder Binningen, wurden nicht mitgezählt. Mehrfachbestrafungen kamen nicht vor. AAEB: A 85/39 (1463/64-69/70). Vierzehn Unzuchtsfälle, sechs Ehebrüche, je ein Fall von Konkubinat und Exzess.

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Jahren 1509/10-21/22 wurden nur sieben Basler und Baslerinnen je einmal im Bußenregister vermerkt. Allein fünf davon wegen Unzucht. Was lässt sich aus den Quellen über das Sozialprofil der bestraften Laien herauslesen? Acht der 31 in der ersten Periode bestraften Personen waren Frauen. 586 In beinahe der Hälfte der Eintragungen, die die Stadt Basel betreffen, wurde der Täter durch die Berufsbezeichnung - bei Frauen wird zum Teil auf den Beruf des Mannes hingewiesen - 587 näher charakterisiert. 1464 gestand beispielswiese Jodok Longus, der Koch, er habe die Ehe gebrochen. 588 1467 büßte der Fiskal die Frau des Gerbers (pelliparius) Henslin Ruber ebenfalls wegen Ehebruchs. 589 Unter den Bestraften finden sich neun Handwerker 590 und vier Bedienstete (famulus/famula). Aber auch ein Junker (domicellus), nämlich Petrus Offemburg, ein Arzt, Magister Anthonius, sowie der marstallus des Bischofs zählten zu den Bestraften. 591 Die übrigen Personen werden nicht sozialspezifisch charakterisiert, wenn man von Bezeichnungen wie „ist arm" (zwei Fälle) oder „ist Einwohner (incola) der Stadt" absieht. Die soziale Zusammensetzung der Basler, die zwischen 1509/10 bis 1521/22 vom Fiskal gebüßt wurden, zeigt ein ähnliches Bild. Sesshafte aller Schichten waren betroffen. 592 Für die Stadt Colmar kann Ähnliches festgestellt werden. In der ersten Periode zwischen 1463/64-68/69 wurden insgesamt acht Personen, drei Frauen und fünf Männer, bestraft, sechs davon wegen eines Sexualdelikts - ausnahmslos Unzuchtsfälle - , 593 eine Person wegen Beleidigung594 und in einem Fall ist der Schuldgrund unklar.595 In der zweiten Untersuchungsperiode 1509/10-21/22 bestrafte der Fiskal ebenfalls nur acht Personen, sechs wegen Ehe- und Sexualdelik-

586

Vier Personen büßte der Fiskal wegen eines Ehe- oder Sexualdelikts. In einem Fall belangte er eine Frau wegen des Fertons ihrer Söhne. Einmal ist kein Strafgnind genannt. 587 Dies geschieht teilweise auch bei der Nennung männlicher Delinquenten, was den Verdacht verstärkt, dass solche Hinweise identifizierende Funktion hatten. So heißt es z.B.: Clewinius Yselin frater Johannis Yselinpannitonsoris; AAEB: 85/39, fol. 3v. 588 AAEB: A 85/39 (1463/64), fol. 6. 589 AAEB: A 85/39 (1466/67), fol. 6v. Vgl. auch A 85/39 (1465/66), fol. 3v: Uxor Johannis Bragand texloris Basiliensis. 590 Je zwei Schuster (sutor) und Messerschmiede (cultifabri), je ein Bader (barbitensor), „Goldschlaher", Koch, Schneider (sartor) und Zimmermann (carpenlarius). 591 AAEB: A 85/39 (1469/70), fol. 6; (1463/64), fol. 6v; (1467/68), fol. 1. 592 Sechs der acht Personen werden näher charakterisiert: Wilhelm Spul, der Kaufmann (mercator), Johannes Glaser, der Sachwalter des Klosters St. Alban, ein ehemaliger Briefbote der Kurie, ein Böttcher, eine Bürgerin sowie ein Einwohner (incola) werden genannt. AAEB: A 85/43 (1509/10, 1510/11, 1516/17, 1521/22). 593 AAEB: A 85/39 (1465/66), fol. 4, (1467/68) fol. 1, (1468/69), fol. 1, (1469/70), fol. 1, 4v. 594 AAEB: A 85/39 (1468/69), fol. 3. 595 AAEB: A 85/39 (1467/68), fol. 1.

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ten,596 eine wegen Tätlichkeit an einem Kleriker,597 und einmal nannte der Schreiber den Strafgrund nicht.598 Mehrfachbestrafimgen kamen ebenfalls nicht vor. Wie in Basel war beinahe ein Drittel der bestraften Personen Frauen, die das Gericht fast ausnahmslos wegen Ehe- oder Sexualdelikten belangte. In fünf Fällen gab der Schreiber eine Berufsangabe. Drei Handwerker (Maler, Schneider, Zimmermann), ein Rebmann ( v i n i c o l a ) und ein Bediensteter {famulus) wurden erwähnt. Zusammenfassend sei festgehalten, dass die Zahl der Delinquenten aus Basel und Colmar im Vergleich zur Einwohnerschaft sehr klein war. Besonders ausgeprägt gilt dies für Basel in den Jahren knapp vor der Reformation. Dieser Befund kann mit zwei sich gegenseitig ergänzenden Hinweisen erklärt werden. Das Offizialat konkurrierte im strafrechtlichen Bereich mit zwei anderen Instanzen, einerseits dem Gericht des Basler Kathedralarchidiakons, andererseits mit dem Basler Ratsgericht. Vor allem das letztere kommt als erklärender Faktor für die erzielten Ergebnisse in Betracht, und zwar in zweifacher Weise. Die Stadt setzte Mitte des 15. Jahrhunderts ein Sittengericht ein, das den Ehebrecher bestrafen sollte. Sodann verfugten Bürgermeister und Rat mit der 1498 erlassenen Reformationsordnung über ein Instrument, das es ihr wirksamer als bisher erlaubte, dem unsittlichen, die Ehre Gottes und der Stadt beschmutzenden Verhalten Einhalt zu gebieten und mithin den kommunalen Frieden zu sichern.599 Als zum Beispiel Peter Hener aus Muttenz 1522 den Offizial beleidigte, bestrafte ihn nicht der Fiskal, sondern der Rat.600 Die Vergehen, die Churer, Bludenzer und Feldkircher Einwohner begingen, wurden schon tabellarisch erfasst (vgl. Tabelle 32). Hier sollen die Leitfragen des Kapitels auf die Personen begrenzt werden, auf deren Antrag das Chorgericht ein Bannurteil fällte, sodann auf die Exkommunizierten selbst. Wer waren die Gläubiger, die das Konsistorialgericht anriefen? Die Frage soll für die Vorarlberger Gerichte und insbesondere die Stadt Feldkirch detailliert be-

596

Je einmal wegen Konkubinats, Scheidung und der Weigerung, mit dem Ehegatten zusammenzuleben, dreimal wegen Unzucht; AAEB: A 85/43 (1513/14), 14, (1514/15), 10; (1516/17), 6, (1509/10), 5 die Ortsangabe findet sich in der Extanzenrechnung vom selben Jahr - (1514/15), 11, 14. 597 AAEB: A 85/43 (1514/15), 14. 598 AAEB: A 85/43 (1509/10), 5. Vermutlich handelte es sich um einen Ehefall, wie der Text andeutet: adiudicatus est Johannes Fröschesser de Columbaria qui dedit nomine emende 3 Ib. Fröschesser wurde wahrscheinlich einer Frau als Ehemann zugesprochen. 599 Die Akten des weltlichen Strafgerichts müssten einmal daraufhin durchgesehen werden, ob die Jahrhundertwende eine Zäsur markiert. Zur Reformationsordnung vgl. H.-R. Hagemann, Rechtsleben I, 70ff. Zum Basler Ehegericht vgl. den Exkurs § 2,111,1.3. 600 E. Dürr (Hg.), Aktensammlung, Nr. 117. Die Motive Heners sind unbekannt. Diejenigen der Stadt, den Täter zu bestrafen, werden jedoch genannt. Seine Worte hätten dazu gedient, zum Ungehorsam aufzurufen und Aufruhr zu stiften.

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antwortet werden.601 Der Entscheid fiel deshalb zugunsten dieses Gebiets aus, weil in der Literatur eine These formuliert wurde, die die Klagen über die massenhaft ausgesprochenen Exkommunikationen zu erklären versucht. Danach verwaltete die Stadt Feldkirch um 1500 sämtliche Pfründstiftungen der Stadt mit Ausnahme der Pfarrpfründen. Auch Ammann und Rat seien daran interessiert gewesen, die versessenen Zinsen mit dem Bann einzutreiben.602 Die übrigen mit dem Wort 'auch' erfassten Personen sind wohl nicht nur die Geistlichen, sondern auch die Ausbürger, die im ganzen vorarlbergischen Raum, vor allem aber im oberen Rheintal und im vorderen Walgau ansässig waren.603 Tatsächlich deutet die geographische Verteilung der Exkommunikationen darauf hin, dass die These richtig ist. Die Zensuren häufen sich um Feldkirch herum, wobei die Stadt selbst beinahe bannfrei blieb. Während dreißig Jahren verlangten die Siegler nur gerade von fünf Feldkirchern eine Absolutionsgebühr.604 Keine Rede aber kann davon sein, dass Rat und Amman Zinsen mit dem Bann einzogen. Insgesamt wurden 84 Exkommunikationen von Laien veranlasst. In 48 Fällen waren Einwohner oder Bürger aus Feldkirch dafür verantwortlich.605 Was kann über den Sozialstatus oder die Identität dieser Feldkircher gesagt werden? Zwanzig von ihnen sind namentlich bekannt. Bei einem Drittel ist angegeben, welches ihr Amt oder ihr Beruf war: Ulrich Brock, Dienstmann des Domkapitels,606 Nicolaus Cläsi, Bartscherer (barbitensor),607 Christoph Gabion, ehemaliger Pfleger des Leprosenhauses in Göfis,608 Johann Haffher, Prokurator „des bettel seckels",609 Stoffel Stainhuser, Pfleger des Leprosenhauses in Göfis,610 Johannes Vetter, Kommissar und Prokurator des bischöflichen Hofs sowie Schulvor601

Das Gebiet vor dem Arlberg war, soweit es zum Bistum Chur gehörte, in die drei Herrschaften Feldkirch, Bludenz und Sonnenberg unterteilt. Sie zerfielen in einzelne Gerichte, die die unterste Einheit der habsburgischen Verwaltung bildeten. Die vierte Herrschaft vor dem Arlberg war Bregenz samt Hohenegg, die aber zum Bistum Konstanz gehörte. Die reichsunmittelbaren Herrschaftsgebiete Hohenems und Blumenegg sowie die Propstei St. Gerold seien nur der Vollständigkeit halber erwähnt. Aus diesen Gebieten sind keine Klagen über das geistliche Gericht bekannt. Ein knapper Überblick über die vorarlbergische Herrschaftsstruktur bei K. Klein, Bevölkerung, 6 0 f f , 89f. 602 B. Bilgeri, Politik, 67 Anm. 83 und 256. 603 G. Leipold-Schneider, Bevölkerungsgeschichte, 23. 604 Zwei Fälle stammen von 1520, zweimal tragen die Notizen kein Datum, wurden aber sicher vor 1514 geschrieben; BAC: DG 1/2, 432, 437, 440. In drei Fällen handelte es sich um eine eo ipso erfolgte Zensur, in den übrigen zwei Fällen um Schuldangelegenheiten. 605 Für die restlichen 36 Bannurteile kann keine derartig auffallige Konzentration beobachtet werden. Zwei Personen aus Chur begehrten, Geldschulden mit dem Bann einzutreiben, drei aus Bludenz, eine aus Zizers etc.; BAC: DG 1/2, 407, 451, 505, 522, 561. 606 BAC: DG 1/2, 403f., 406, 458, 466. 607 BAC: DG 1/2, 561. 608 BAC: DG 1/2, 431. Die Aktennotiz stammt aus dem Jahr 1519. - Ob es sich um einen Verwandten des aus Schlins stammenden bischöflichen Sieglers Andreas Gabion handelt, ist ungewiss; O. Vasella, Kurie, 94. 609 BAC: DG 1/2, 454f., 561. 610 BAC: DG 1/2, 426, 430f.

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Steher;611 hinzugerechnet werden können der Prokurator des Hospitals, dessen Namen nicht genannt wurde,612 sowie die Erben Peter Mortens, des Schmids (ferrator)6U Vermutlich besaßen sie alle das Bürgerrecht. Allein siebzehn Exkommunikationen wurden von diesen sechs mit Namen genannten Männern veranlasst.614 Weitere sechs Bannurteile wurden auf Betreiben von sechs anderen Bürgern ausgesprochen, die aber nicht mit Namen genannt werden. Soweit der Inhalt der Akteneintragungen. Die Literatur hilft bei der näheren Identifizierung weiter. Aufgrund der Namen und Ämter ist davon auszugehen, dass acht der zwanzig Personen zu den führenden, städtische und herrschaftliche Ämter innehabenden Familien gehörten.615 Gemessen an der Zahl der ratsfahigen, der politisch und wirtschaftlich potenten Familien ist dies jedoch eine geringe Zahl.616 Die Namen der wichtigsten Kaufmannsgeschlechter finden sich beispielsweise nicht im DG.617 Nicht allein Laien, auch einige Geistliche waren dafür verantwortlich, dass von allen vorarlbergischen Pfarreien die Stadt Feldkirch die meisten Personen beherbergte, die Schulden mit dem Bann einzogen. Die Priester Jacob und Eglinus Blekkenzahn ließen drei Bannurteile ergehen, der Kleriker Johannes Winterthur eine Exkommunikation.618 Dass kaum jemals ein Einwohner und schon gar kein Bürger der Stadt Feldkirch exkommuniziert wurde, ist schon gesagt worden. Wie stand es aber mit den Churern und Bludenzern? Es sei daran erinnert, dass die Zahl der männlichen, sozusagen im bannfahigen Alter stehenden Bevölkerung ungefähr bekannt ist. In Feldkirch waren es etwa dreihundert, in Bludenz ca. 165 und in Chur ca. sechshundert Männer. Da Frauen äußerst selten gebannt wurden, ist damit die wichtigste Bezugsgröße bekannt. Zwischen 1497-1526 wurden fünf (ca. 2 %) Feldkircher und zehn (6 %) Bludenzer gezählt, die sich eine Exkommunikation zuzogen; und zwischen 1514-22 teilten 23 (4 %) der im Gerichtsort selbst wohnenden Personen die

611

BAC: DG 1/2, 467. - Die übrigen namentlich genannten Personen waren: Andreas Pappus, Ludwig Brunig, Nicolaus Capiels, Christoph Gampsin, Jodok Gaudenz, Hainrich Güffils, Claus und Conrad Haslach, Johannes Morii, Conrad Ritter, Leonhard Röslis, Algast Sattelberg, Martin Schmid, Ulrich Schwarzen, Ulrich Winstain. 612 BAC: DG 1/2, 465. 613 BAC: DG 1/2, 449. 614 Die 'Rangliste': Ulrich Brock war fur fünf Exkommunikationen verantwortlich, Johannes Haffiier für vier, Stoffel Stainhuser für drei Bannsprüche, die übrigen Personen für je eine Zensur. - Die restlichen Feldkircher beantragten in der Regel nur einmal, dass eine Person gebannt wurde. 615 Pappus, Brock, Cläsi, Gabion, beide Haslachs, Sattelberg und Stainhuser. 616 Der innere und äußere Rat der Stadt Feldkirch zählte immer achtzehn Mitglieder; vgl. B. Bilgeri, Geschichte 3, 533 Anm. 75. Ein Überblick über die wichtigsten Familien und ihre verwandtschaftlichen Beziehungen bei G. Leipold-Schneider, Bevölkerung, 104-108. 617 Die Namen Geltinger, Münzer, Widnower, Furtenbach, Rainolt etc. tauchen nicht auf. 618 BAC: DG 1/2, 457. Insgesamt sind im DG 21 Priester und fünf geistliche Gemeinschaften aus vorarlbergischen Pfarreien erwähnt, die Schulden mit dem Bann einzogen.

266

mindestens 34 vermerkten Absolutionen unter sich auf. 619 Die meisten Bannurteile fallen dabei in die Jahre zwischen 1518-20, sechs in Bludenz und zwanzig in Chur. Die Menge der zensurierten Personen scheint relativ niedrig zu sein. Doch um die Wirkung der Strafe zu ermessen, ist nicht allein die Quantität ausschlaggebend. Wichtig wären ergänzende Informationen über die Dauer der Strafe oder Angaben über ihre sozialen und religiösen Auswirkungen. Zumindest was die zeitliche Dauer der Kirchenstrafen betrifft, finden sich im DG Hinweise, die Rückschlüsse erlauben. Aus Eintragungen des Sieglers geht hervor, dass einzelne Personen jahrelang gebannt blieben, weil sie offenbar die Absolutionsgebühr nicht aufbringen konnten. Barbara Matth, die Tochter Jörg Matths aus Maladers und Ehefrau von Peter im Hag aus Chur, war ein solcher Fall. 1508 führte sie einen Prozess wegen Defloration und Zuschreibung (ascriptio) des Kindes. Zwischen März 1516 bis mindestens März 1520 exommunizierte sie der Siegler vermutlich sechsmal - der Text ist nicht ganz eindeutig -, weil sie außerstande war, die Gerichtskosten zu begleichen. 620 Da die Schreiber aber immer nur das Datum notierten, von dem an eine Person Geld fur die Lossprechung vom Bann schuldete, aber nicht vermerkten, wann diese die Schuld beglich, kann die Strafdauer nicht berechnet werden. Doch kann man davon ausgehen, dass die Kirchenstrafen spätestens ab 1514 zum Alltag der Kirchgenossen gehörten. Das belegen folgende Beispiele. 1511 wohnten in den drei Pfarren Satteins, Schlins und Schnifis, die zusammen das vorarlbergische Gericht Jagdberg bildeten, 231 wehrfähige Männer. 621 Zwischen 1503-23 sprach das Chorgericht 62 Exkommunikationen über 21 Männer (9 %) aus.622 Im Gericht Montafon wohnten sechshundert wehrhafte Männer, alle zwischen 18-60 Jahre alt. Zwischen 1512-24 mussten sich neunzehn (3 %) vom Bann absolvieren; dasselbe taten elf Frauen. Diese dreißig Personen bezahlten aber fur insgesamt 46 Bannsprüche. 623 Noch ein letzter Vergleich: 1511 zählte das Gericht Rankweil-Sulz 754 Männer im auszugsfähigen Alter. 93 Bannurteile prasselten zwischen 1498-1523 auf 43 Männer (6 %) und neun Frauen nieder. 1521 bannte das Gericht überdies

6,9

620

621 622 623

Einige Personen wurden also mehr als einmal exkommuniziert. Nach 1522 wurde offenbar niemand mehr gebannt. BAC: DG 1/1, 8: Barbara [...] tenetur 26 d pro absolucione prime sententie ad mei instanciam emanate [...], dedit ii ß. i i d. pro reintrusione dicte sententie. Tenetur iterum 16 d. pro reintrusione huiusmodi sententie (1516 März 19); [...] tenetur iiiiβ. iiii d. pro absolucione 2e sententie ad instanciam mei sigilli/eri [...] (1519 März 1) [...]; tenetur viii β. viii d. pro absolucione tercie sententie mei processus, recepii ut supra. Dedit ii bös batzen per se (1520 März 26) et recepii similem absolucionem mei processus. Vgl. dazu DG II, 4. Κ. Klein, Bevölkerung, 79. BAC: DG 1/2, 452-68. - Auch zwei Frauen wurden gebannt. K. Klein, Bevölkerung, 81. Zum Gericht gehörten die Pfarreien Bartholomäberg, Gaschum, St. Gallenkirch, Silbertal und Tschagguns; BAC: DG 1/2, 520-551.

267

alle Zehntpflichtigen der Gemeinde Lateras, die ebenfalls zu diesem Gericht gehörte.624 In beinahe allen Pfarreien hielt sich während der genannten Zeitspanne mindestens eine exkommunizierte Person auf. Das gilt nicht nur für das vorarlbergische, sondern auch für das hochstiftische Gebiet.625 Nur die Pfarreien der Sarganser Landschaft waren keine 'bannverseuchte' Orte. Ein einziger Mann aus Sargans,626 drei Personen aus Walenstadt und immerhin neun Männer und Frauen aus Ragaz mussten sich absolvieren lassen.627 Schließlich seien die Leitfragen des Kapitels auch an die Urkunden der freiwilligen Gerichtsbarkeit aus Basel gestellt. Die ständische Zusammensetzung der Parteien geht aus der Tabelle 47 hervor. Bis spätestens zum Beginn der Reformation zeichnet sich ein schwacher prozentualer Rückgang der notariellen Beurkundungen ab, die ausschließlich weltliche Parteien tätigten, während umgekehrt die Rechtsgeschäfte zunahmen, die weltliche und geistliche Parteien miteinander eingingen. In 10 % der Fälle gehörten beide Vertragspartner dem kirchlichen Stand an. Die Auswertung der Jahre 1521-27 zeigt hingegen eine völlig andere Zusammensetzung. Nur noch ein knappes Fünftel der Beurkundungen wurde fur Laien ausgestellt. In 32 % der Fälle gehörten die Parteien beiden Ständen an. Aber die Hälfte der Signaturen betraf allein geistliche Personen und Institutionen. Die Antwort auf die Frage, woher die Parteien kamen, untermauert die These, dass die Kanzlei ein Einzugsgebiet hatte. Die Vertragspartner verteilten sich nicht über das ganze Bistum, sondern wohnten vorwiegend in der Stadt Basel und der näheren Umgebung.628 Das bedeutet aber nicht, dass hauptsächlich Städter oder geistliche Institutionen mit außerhalb des städtischen Rechtsbezirks lebenden Bauern Verträge schlössen. Die soziale Zusammensetzung der Vertragspartner wäre zu einseitig beschrieben, wenn nur die Stadt-Land-Beziehung in den Blick genommen würde. Deshalb werden im Folgenden die quantitativ bedeutendsten Rechtsgeschäfte ausgewertet, die Erb- und Zeitlehen, die Konfessate sowie die Renten, und

624

625

626

627

628

K. Klein, Bevölkerung, 82f. Dies waren die Pfarreien: Altenstadt, Tisis, Tosters, Fraxem, Göfis, Götzis, Klaus, Laterns, Rankweil, Röthis. BAC: DG 1/2, 359f., 387-431, 449ff. Vgl. die Auswertung der Aktennotizen fur die Pfarrei Tinzen bei Th.D. Albert, Rechtsprechung, 144155. BAC: DG 1/1, 257. Christopher Schaffner zog sich den Bann zu, weil er einen Geistlichen tätlich angegriffen hatte. Für Ragaz wurden aber insgesamt siebzehn Bannurteile gezählt; BAC: DG M\, 236-246. Für Walenstadt nur drei; DG 1/1, 263-269. Die juristische Literatur vertritt die gegenteilige These. Vgl. sowohl allgemein als auch spezifisch für Basel W. Trusen, Anfange, 44, 63-68. F. Elsener, Exkommunikation, 73. Für Basel im speziellen Th. Gottlob, Offiziale Basel, 138-149. - Die hier vertretene Ansicht ist im Licht der Forschung zur Stadtgeschichte wenig überraschend. Es entspricht der gängigen Meinung, dass der städtische Wirtschaftsraum mit einer rechtlichen Einflusszone Hand in Hand ging. Zu den Marktbeziehungen der Basier vgl. D. Rippmann, Bauern. Vgl. auch die ältere Position von A. Heusler, Geschichte, 167.

268

dabei auf die Beziehung zwischen Rechtsinhalt und Vertragschließenden geachtet.629 Erb- und Zeitlehen wurden fast ausnahmslos von geistlichen Institutionen an Pächter aus Basel und dem Umland vergeben. Ein typisches Beispiel ist der Vertrag zwischen dem Kaplan Johannes Ötlin genannt Hergot, der als Baumeister und im Namen der Fabrik des Basler Münsters dem Bartscherer Wilhelm Schorr aus Kleinbasel und seinen beiden Brüdern aus dem nahen Blotzheim ein Erblehen aus dem Fabrikgut verlieh.630 Oder: Der Domherr und Schaffner des Klosters St. Leonhard, Hans von Spyr, verlieh 1477 im Namen des Klosters Hans Ruch, der als Bader in der Stadt Basel tätig war, die Badestube für zehn Jahre.631 Bei den Konfessaten sieht die Zusammensetzung der Vertragspartner anders aus. 63 der 113 Gläubiger gehörten dem geistlichen Stand an. Die meisten davon kamen aus den beiden Basel. Diachronisch betrachtet fällt auf, dass ihr Anteil allmählich zunimmt. Zwischen 1471-79 waren es noch doppelt so viele Laien, zwischen 1506-16 hielt sich die Menge der geistlichen und weltlichen Gläubigern fast die Waage. Zu Beginn der Reformation schließlich waren die Gläubiger ausnahmslos Geistliche oder klerikale Gemeinschaften. Von den weltlichen fünfzig Gläubigern waren zwölf Adlige632, und 29 wohnten in Basel.633 Die Schuldner 101 Debitoren - wohnten vor allem in Basel (31 Personen)634 oder im nahen Sundgau (39 Personen).635 Achtzehn Schuldner kamen aus rechtsrheinischen Dörfern. Es fehlt noch die Analyse der Renten. 163 Rentengeschäfte wurden gezählt. Die meisten Käufer - das sind die Kreditoren! - waren entweder geistliche Perso629

Die im Folgenden gegebenen Zahlen stimmen nicht mit denjenigen aus der Tabelle 47 überein. Nicht die Zahl der Verträge, sondern die Zahl der daran beteiligten Personen ist hier ausschlaggebend. 630 StABS: Gerichtsarchiv AA 18, fol. 44f.: Das Gut lag „zwischen Wernlin Meders hoffstat zu einer, und wilent Henni und Lienhart Schorren hoffstetten zu der andern siten, und stosset uff die allmend gegen sanct Leodegaren cappellen und zu der nidem siten uff des genannten buws der stifft Basel guter, so Wernlin Muller von Blotzen besiezet. Sollich gelihen gut ist des selben buws fry ledig eigen, inn keinen weg bekümbert, zinshaffi, beswert noch beladen als der genannte herr Hans Ötlin der buwmeister rete und by sinen gegebnen truwen behielte [...]." - Ötlin verlieh in dieser Funktion noch drei weiteren Personen ein Lehen; ebd., fol. 45-45v (1471), 47v/49 (1474). 631 StABS: Gerichtsarchiv AA 18, fol. 102-103. Die Badstube befand sich ,,zu(o) Basel innwendig dem Eselthürlin under sant Lienhartz closter obgenannt uff dem obern Birsch genant Kienberg". 632 Zwischen 1471-74 wird zehnmal einer der Herren von Eptingen erwähnt. 633 Fast zwei Drittel von ihnen besaßen mit Sicherheit das Bürgerrecht. 634 Fünfzehn Bürger und zwei Bürgerinnen; elf Einwohner und drei Einwohnerinnen. 635 Eine außerordentlich hohe Dichte von Schuldnern - insgesamt dreizehn und vermutlich etwa 10 % der Hausväter - wies zwischen 1471-79 das in der Nähe von Basel gelegene Dorf Pratteln auf, das den Herren von Eptingen gehörte. Vermutlich handelte es sich um deren Leibeigene. StABS: Gerichtsarchiv AA 18, fol. 9-10: Hans Atz genannt Muetling zum Beispiel bekannte, dass er dem Herrn von Eptingen 58 fl. und „güter an gold und by der gewicht und werschafft zu Basel" schuldete. Derselbe Muetling wird in einem Friedensvertrag zwischen dem Ritter Hans Bernhard von Eptingen und seinen Leibeigenen zu den letzteren gezählt; vgl. ebd., fol. l-4v. Hier auch eine Aufzählung von Leibeigenen und Hintersassen der Eptinger in Pratteln, deren Namen auch in Konfessaten wieder auftauchen. Zum Vergleich: 1525 zählt das Dorf etwa 137 Haushaltungen und 732 Personen; vgl. H. Ammann, Bevölkerung, 47.

269

nen und Institutionen aus Basel oder Basler Bürger und Einwohner, nämlich 116. Die Zahl der Rentenkäufer ist kleiner als die Gesamtzahl der vergebenen Darlehen. Die Erklärung ist einfach. Es gab finanziell potente Personen und Klöster, die mehrere Kredite gleichzeitig vergaben. Ein extremes und insofern nicht repräsentatives Beispiel ist der Basler Bürger Johannes Geruler. Zusammen mit seiner Frau Agnes und seinen zwei Erben wird er zwischen 1476-79 zwölfmal als Rentenkäufer erwähnt.636 Die städtischen Klöster standen nicht zurück, doch fällt auf, dass sie vorwiegend in der ersten Periode (1471-76) als Geldleiher auftraten. Das Kloster St. Leonhard wird achtmal genannt, St. Alban viermal und das Siechenhaus immerhin dreimal.637 Die 257 Rentenverkäufer, die Debitoren, stammten ebenfalls hauptsächlich aus der Stadt Basel, nämlich 92 (36 %) Schuldnerinnen und Schuldner.638 46 (18 %) Personen kamen aus der Basler Landschaft. Im Elsass, genauer im angrenzenden Sundgau wohnten dagegen 80 (31 %) Vertragspartner.639

5.2

Geschlechtsspezifische Aspekte

Nicht alle Ehefälle eignen sich für die Auswertung, da nicht jeder Prozess mit einer Klage begann. Ausgeklammert werden deshalb die Ehehindernisse.640 Hier veranlasste den Offizial das Gerücht (fama), dass zwei Personen in einem verbotenen Grad geheiratet hatten, eine Untersuchung einzuleiten.641 Ausgewertet werden nur die Zuerkennungsklagen, wo der Schreiber angab, wer klagte und wer beklagt wurde. Für das Bistum Basel stehen beinahe vierhundert solcher Klagen als Datenmaterial zur Verfugung.

636

StABS: Gerichtsarchiv AA 18, fol. 127v-128 (1476), 129v-130v (1477), 40-42 [zweites Heft im gleichen Register] (1478), 42-43v [zweites Heft im gleichen Register] (1479). Seine Schuldner wohnten in Huttingen (eine Person), im elsässischen Friesen (zwei Personen), vor allem aber in Muttenz (16 Personen). Mehrfachschuldner sind nicht darunter. 637 StABS: Gerichtsarchiv AA 19, fol. 107, 107v-108, 108v-109, 109-109v, 109v-110v. Betr. St. Alban: Ebd., [zweites Heft], 178v, 179, 179v-180, 180-180v. Betr. Siechenhaus: Ebd., 57v-59 und Klosterurkunden Siechenhaus, Nrn. 51, 51a. 638 Mindestens 52 von ihnen - 37 Männer und 15 Frauen - besaßen das Bürgerrecht. 639 Nur dreizehn (5 %) Debitoren wohnten im Bistum Konstanz. 640 Nur in Fällen von Impotenz sowie Furcht und Zwang begann der Prozess mit einer Klage. 641 In den Gerichtsprotokollen ist also nicht von actor/actrix bzw. reus/rea die Rede. Die Eheleute werden als principalis und comprincipalis bezeichnet. Ein Beispiel: habuit Jeorius Hoffischer causam matrimonialem impedimenti affinitatis inter Michaelem Matter de Bühel principalem et Elsam flliam Wolfgangi Schnider de eodem loco comprincipalem; StABS: Gerichtsarchiv AA 22, 19.

270

Tabelle 57: Klagepartei und Geschlecht in Basler Eheprozessen 642 Jahr

Klägerinnen

Kläger

Total

1463-69 1521-24

98 (44 %) 108 (63 %)

126 ( 5 6 % ) 63 (37 %)

224(100%) 171 ( 1 0 0 % )

Total

206 (52 %)

189 ( 4 8 % )

395 ( 1 0 0 % )

Bemerkenswert ist, dass in der ersten Periode der Anteil der männlichen Kläger größer war als der weibliche, und sich dieses Verhältnis in der zweiten Periode umkehrte. Eine Erklärung für dieses Phänomen steht aus. Die Wahrscheinlichkeit, dass das Gericht die Klage guthieß und die Ehe anerkannte, war äußerst gering. Denn der Beweis, dass ein gegenseitiges Eheversprechen vorlag, war schwierig, sogar fast unmöglich zu erbringen. Die meisten Urteile aus den Jahren 1463-69 entschied der Chorrichter zugunsten des oder der Beklagten. Geschlechtsspezifische Unterschiede können dabei keine festgestellt werden. Als Fazit steht fest, dass es in der Diözese Basel eben nicht so war, wie in der Literatur behauptetet wird, dass nämlich das mittelalterliche kirchliche Eheschließungsrecht die Frauen benachteiligte. Zumindest lässt sich das aus den Gerichtsquellen nicht ablesen. Genauso gut ließe sich die Gegenthese vertreten und als Beleg die große Menge der von Männern eingereichten Klagen anfuhren, die der Richter negativ entschied. Ein anderes Bild ergibt sich, wenn dieselbe Art von Eheprozessen aus dem Bistum Konstanz untersucht wird. In 1144 von 1177 Eheansprachen nannte der Schreiber die klagende Partei. Bedeutend mehr Frauen luden einen Mann vor Gericht als umgekehrt: 823-mal klagten Frauen (72 %), 321-mal Männer (28 %). Auch hier war die Erfolgsquote gering. Jedes Jahr wurden 80-90 % der Klagen abgelehnt. Ein typisches Beispiel ist das folgende.643 1525 klagte Verona Sigristin aus Malters (Dekanat Luzern) gegen Caspar Swingruber aus demselben Ort. Lapidar verzeichnet das Urteilsprotokoll, weshalb Sigristin das Verfahren anstrengte: super solo matrimonio. Der Offizial entschied gegen die Klage. Swingruber erhielt die Absolutionsbriefe (littera absolutoria), die ihn von der Ansprache befreiten.644 Die Frau, der Mann und die Siegler des Churer Chorgerichts. Die Gerichtsbeamten dürfen in dieser Aufzählung nicht fehlen, denn je nach dem, wie genau sie das Re642

Die Zahlen sind etwas höher als die in der Tabelle 14 zu findenden. Das hat zwei Gründe: In fünfzehn Prozessen waren drei Personen verwickelt (causa matrimonialis triplicis); in ganz wenigen Fällen vergaß der Schreiber anzugeben, wer klagte bzw. beklagt wurde. 643 Genauere Zahlenangaben für ausgewählte Herrschaftsgebiete bei Th.D. Albert, Anspruch [im Druck], 644 EAF: Ha 127, fol. 237.

271

gister führten, kann über die anderen Komponenten nichts ausgesagt werden. Andreas Gabion, der ab 1514 das Siegelamt innehatte, war in dieser Hinsicht der gewissenhafteste. Nur er gibt die Information, ob die Frau den Mann vor Gericht lud oder umgekehrt. Die Frage, ob und inwiefern das Gericht eine geschlechtsspezifische Funktion hatte, kann also nur für seine Amtsperiode untersucht werden. 228 Ehefeststellungsklagen und Deflorationsfalle bilden das Sample. In 23 Akteneintragungen unterließ der Siegler jedweden Hinweis darauf, wer geklagt hatte.

Tabelle 58: Bistum Chur, Eheprozess und Geschlecht (1514-27) Herrschaftsgebiet Gotteshausbund Sarganser Landschaft Vorarlberger Gerichte Total

Klägerinnnen 82 20 63 165 (72 %)

Kläger

Total

23 5 35

105 25 98

63 (28 %)

228 (100 %)

Wie im Bistum Konstanz waren es in erster Linie die Frauen, die mit einer Klage an das Chorgericht gelangten. In Straffällen hingegen waren hauptsächlich Männer beteiligt. Die folgende Tabelle lässt daran keinen Zweifel.

272

Tabelle 59: Bistum Basel, Geschlecht und Vergehen Delikt

1463/64-1469/70 Männer Frauen

1509/10-1521/22 Männer Frauen

Sexual-, Ehedelikte

- defloratio - divortiumMi - adulterium - excessus - concubinatos - fornicatio - puerum - anderes Tätlichkeitsdelikte Verbaldelikte64* Exzesse anderes unklar Total

10

-

-

27 4 4 96 -

1 11 9 2 15 -

179 (84 %)

-

14 2 1 16 -

1 -

1 -

35 (16%)

2 5 12 -

-

1 4 -

10 82 3 14 16 29

1 12 1 7

-

-

49 15 237 (89 %)

-

1 3 1 31 01%)

Das Ergebnis ist nicht selbstverständlich. Denn mit Ausnahme des Delikts defloratio hätten sämtliche Vergehen auch von Frauen begangen werden können. Ihr Handlungsspielraum war dazu weit genug. Das eindeutige Verhältnis von etwa 5 : 1 in der ersten und 8 : 1 in der zweiten Periode zugunsten der Männer kann nicht damit erklärt werden, dass diese als Vormund ihrer oder anderer Frauen die Bußen bezahlten. Nachdem Ennelina Schmerbergin ihren Meineid gestanden hatte, traf nicht sie selbst, sondern ihr Mann eine Vereinbarung mit dem Fiskal über die Höhe der Strafe.647 Das Beispiel zeigt, dass auch dort, wo der Tutor anstelle der Frau in den Prozess eingriff, die Täterin genannt wird.

645

„Scheidung" ist natürlich kein Vergehen, sondern die Folge eines solchen. Da aber der Schreiber keinen Grund dafür nannte, werden diese Fälle separat aufgenommen. 646 Der Oberbegriff umfasst die Vergehen „Beleidigung", „Indiskretion", „Gotteslästerung" und „Meineid". 647 AAEB: A 85/39 (1464/65), fol. 2v. Vgl. auch ebd. (1469/70), fol. 3v.

273

6.

Vergleichende Zusammenfassung

Zahlreich waren die kirchlichen Gerichte in den Diözesen Basel, Konstanz und Chur. Aber gemessen am quantitativen Ausstoß von Urteilen und an der räumlichen Reichweite ihrer Entscheide standen die bischöflichen Offiziale der mächtigsten und einflussreichsten Instanz vor. Dieses Ergebnis ist fur die Interpretation der kritischen Äußerungen über die Rechtsprechung bedeutsam. Denn in den Beschwerden des gemeinen Mannes ist zumeist nur in allgemeiner Form von „kirchlichen Gerichten" die Rede. Gemeint ist also in der Regel das konsistoriale Gericht. Die Ausnahme betrifft das baselstädtische Konservatorium. Womit waren die Beamten des Chorgerichts vor allem beschäftigt? Der Zürcher Chorherr und Jurist Felix Hemmerlin, der als Notar und Prokurator fur kirchenrechtliche Angelegenheiten auf dem Konzil in Konstanz weilte, berichtete, dass in der Diözese die Zahl der Eheprozesse sehr hoch gewesen sei; so hoch, dass man gemunkelt habe, Venus selbst sei die heimliche Herrscherin über das Gebiet.648 Er irrte. Venus herrschte auch über die Bistümer Basel und Chur. Die streitige Gerichtsbarkeit der Chorgerichte bestand überall hauptsächlich aus Ehefallen. Zehnt-, Zins- oder Erbschaftsstreitigkeiten hingegen waren ebenso von untergeordneter Bedeutung wie die sogenannten causae prophanae,649 Sie machten zwischen einem Zehntel und einem Fünftel der gesamten Zivilsachen aus. Zwei Erklärungen bieten sich an, um das Mengenverhältnis zwischen den causae mere spirituales und den causae spiritualibus annexae zu interpretieren. Einerseits mussten Letztere nicht unbedingt mittels eines kirchenrechtlichen Verfahrens bis zur Deffinitivsentenz entschieden werden. Auch die gütliche Einigung stand dem Richter als Lösungsweg offen. Andererseits war es in den meisten Fällen rechtlich gesehen möglich, Streitigkeiten in weltlich-geistlich gemischten Sachen vor einem weltlichen Gericht zu verhandeln oder von Anfang an einem Schiedsgericht zur Entscheidung zu übergeben. Denn es galt - auch im Kirchenrecht - der Grundsatz, wonach der Kläger dem Gerichtsstand des Beklagten oder dem „Forum der Sache" zu folgen habe. Prozesse um die Zuerkennung eines Mannes als Gatten oder einer Frau als Gattin waren in allen drei Bistümern die mit Abstand am häufigsten geführten Prozesse (60-65 %). An zweiter Stelle, aber schon weit abgeschlagen folgen Ehehindernissfälle (20-25 %). Blutsverwandtschaft, Schwägerschaft und Bigamie, gefolgt von der Impotenz überwogen alle anderen hindernden und trennenden Hindernisse. Andere Prozesse, in denen es im weitesten Sinn um die Ehe ging, spielten hingegen eine ganz untergeordnete Rolle.

648 649

W. Zeller, Jurist, 125. Diese quantitative Einschätzung ändert sich nur unwesentlich, wenn die Deflorationsprozesse, die zu den Eheangelegenheiten gerechnet wurden, den causae mixtae zugeschlagen werden.

274

Angesichts der kirchenrechtlich anerkannten Möglichkeit, eine gültige Ehe formlos durch ein mündliches zweiseitiges Versprechen zustande kommen zu lassen, überrascht es nicht, dass der Chorrichter hauptsächlich Ehefeststellungsklagen zu entscheiden hatte. Überdies musste das aufgrund der in der Literatur zu findenden Ergebnisse aus anderen Diözesen erwartet werden. 650 So gesehen ist erklärungsbedürftig, dass solche Prozesse nicht öfter geführt wurden. Drei sich ergänzende Interpretationen bieten sich an: Die kirchliche und weltliche Forderung nach „Öffentlichkeit" des Eheschließungsverfahrens scheint sich im 15. Jahrhundert weitgehend durchgesetzt und die heimlichen Ehen fast zum Verschwinden gebracht zu haben. Gerichtsfalle sind immer Ausnahmen. Die verhältnismäßig niedrige Zahl der Eheprozesse ist zweitens damit zu begründen, dass die betroffenen Personen und Familien sich zuerst um außergerichtliche Lösungen bemühten, bevor sie das Gericht als letzte Möglichkeit aufsuchten. 651 Denn dieses war zumeist weit entfernt, und ein Prozess kompliziert und außerdem teuer. Ein weiterer Grund war, dass in zahlreichen Herrschaften die ungerechtfertigte Eheklage mit einer hohen Geldbuße bestraft wurde. Ein gerichtliches Verfahren war die ultima ratio. Für diese Ansicht spricht auch die Tatsache, dass das Gericht die meisten Zuerkennungsklagen ablehnte. Die geringe Erfolgsquote dürfte ebenso bekannt gewesen sein wie die Bestrafung für die ungerechtfertigte Klage durch die eigene Obrigkeit. Diese Erklärungen provozieren wiederum die Frage, weshalb so oft geklagt wurde, obwohl kaum Aussicht auf Erfolg bestand. Das ist um so erstaunlicher, als die Prozesskosten sehr hoch waren und die Gefahr bestand, wegen ausstehender Gerichtsschulden gebannt zu werden. Doch jede Antwort darauf ist spekulativ, da nicht einmal die noch vorhandenen Parteiprotokolle eine Auskunft geben. Die Richter waren nur an der rechtlichen Seite des Problems interessiert, nicht aber an den persönlichen Motiven der Klägerinnen und Kläger. Wer das Gericht aufsuchte, hatte vermutlich noch andere Gründe, als die beklagte Person als Gatten oder Gattin zugesprochen zu erhalten. Welches diese waren, ist allein aufgrund der Gerichtsakten nicht zu erkennen. In den Fällen, wo Frauen versuchten, eine finanzielle Entschädigung für die Defloration, die Kosten fur das Kindbett oder die Aufzucht des Kindes zu erhalten, kann auf die materiellen Motive verwiesen werden. Auch der Gedanke, dass das Geld die ramponierte weibliche Ehre wiederherstellte und die Chancen verbesserte, auf dem Heiratsmarkt einen Mann zu finden, leuchtet ein.652 Aber die Prozesse, in denen eine finanzielle Wiedergutmachung keine Rolle spielte, sind zu zahlreich, als das diese Erklärungen ausreichten. Überdies berücksichtigen sie nicht, dass oftmals auch Männer klagten. Denkbar ist, dass es den 650

651

652

Vgl. den Überblick bei R. Weigand, Ehegerichtsbarkeit, 310-317. - Die in Basel, Konstanz und Chur entschiedenen Ehefálle entsprechen den englischen, nicht aber den nordfranzösischen Prozessen. Es waren Zivilsachen, die die Parteien selbst vor das Gericht brachten, keine Kriminalangelegenheiten, die das Gericht von Amts wegen untersuchte. Dazu vgl. Ch. Donahue, Jr., marriage Cases. Es sei daran erinnert, dass der Offizial von Rechts wegen verpflichtet war, einen in rein geistlichen Sachen begonnenen Prozess bis zum Endurteil durchzufuhren. L. Roper, „Going to Church and Street", 89. S. Burghartz, Jungfräulichkeit, 22f.

275

Kläger und Klägerinnen - und selbstredend ihren Familien und dem Verwandtschaftsverband -653 darum ging, ehrverletzende und -mindernde Gerüchte zum Schweigen zu bringen. „Ist sie oder er ledig oder verheiratet", mag sich mancher hinter vorgehaltener Hand erkundigt haben Die rechtliche Position war in Frage gestellt, und damit auch indirekt die soziale Stellung innerhalb der Gemeinschaft unklar. Die Klageparteien waren gezwungen, ihren Rechtsstatus von dritter Seite untersuchen lassen. Dass jemand versuchte, mittels einer Eheklage die soziale Leiter emporzuklettern, kann in einzelnen Fällen als Motiv ebenfalls eine Rolle gespielt haben. Einige Parteikonstellationen deuten daraufhin 654 Der Hinweis auf den Familienverband sei noch einmal aufgegriffen, da er für die Beurteilung der gesellschaftlichen Bedeutung von Eheprozessen bedeutsam ist. Diese waren nicht allein eine Angelegenheit zwischen zwei Personen, sondern der gesamten Familie, manchmal wohl auch der Nachbarschaft, der Pfarrei oder der Gemeinde. Indirekt waren damit sehr viel mehr Personen in einen Rechtshandel verwickelt, als aus den Gerichtsakten hervorgeht. Von der kleine Menge der Eheprozesse darf somit nicht auf eine geringe gesellschaftliche Bedeutung geschlossen werden. Im Gegenteil nahmen die Chorgerichte eine äußerst wichtige Ordnungsfunktion in der spätmittelalterlichen Gesellschaft wahr. An der jährlichen Verteilung der Eheurteile ist bemerkenswert, dass sie nur für das Bistum Chur ein auffalliges Bild zeigt Die Zahl der pro Jahr geführten Prozesse lag zwischen 1515-23 deutlich über dem bisherigen Durchschnitt und fiel 1524/25 extrem stark. Eindeutig ist eine Zäsur zu beobachten. In Konstanz sank die Menge der jährlichen Ehehändel zwar ebenfalls 1524/25 unter den Durchschnittswert. Aber es war ein kontinuierlicher, kein abrupter Rückgang. Für Basel kann aufgrund fehlender serieller Quellen aus den Jahren zwischen 1500-20 nur festgehalten werden, dass die Zahl der jährlichen Streitigkeiten seit 1521 allmählich abnahm. Doch auch 1524 sank sie nicht unter den Mittelwert. Zweifellos beeinflussten die reformatorische Predigt und die damit zusammenhängende religiöse und soziale Unruhe die Gerichtspraxis. Ihre Intensität nahm ab. Doch führten sie nicht zu einem radikalen Bruch, zumindest nicht sofort. Erst mit dem Bauernkrieg änderte sich das schlagartig. Die soziale Gruppe, die die Offizialate am häufigsten aufsuchte, war in allen drei Diözesen der gemeine Mann, Frauen und Männer aus den Dörfern vor allem, wäh653

Dass der Familienverband eine große Rolle spielte ist bekannt. Lefebvre-Teillard nimmt sogar an, dass die meisten Klagen auf Druck der Familie eingereicht wurden; A. Lefebvre-Teillard, officialité, 149. Aus den Gerichtsakten der Diözesen Basel, Konstanz und Chur lässt sich das nicht herauslesen. Die autoritär-hierarchische Struktur des Familienverbandes und die rechtliche Stellung der Frau deuten aber daraufhin. 654 In der Regel standen die Parteien aber auf derselben Stufe der gesellschaftlichen Pyramide. - Natürlich mögen noch zahlreiche andere Gründe eine Rolle gespielt haben. Die Klage konnte z.B. auch eingereicht werden, um den Ruf einer anderen Person zu schädigen. Aber belegt werden kann das nicht.

276

rend aus den Reichsstädten nur wenige Eheprozesse überliefert sind.655 Adlige oder nicht sesshafte Personen sind seltene Ausnahmen. Das war angesichts der zu vermutenden Bevölkerungsverteilung auf städtische und ländliche Gebiete zu erwarten. Überraschend hingegen ist, dass kein einziger Bürger mit Sicherheit nachzuweisen ist, der am bischöflichen Offizialat eine Eheklage einreichte.656 Angehörige dieser sozialen Gruppe, deren Sozialprestige vergleichsweise hoch war, tauchen allenfalls als Beklagte vor dem geistlichen Forum auf. Vermutlich regelten in der Stadt die Vormünder die Eheschließung und kontrollierten ihre Schützlinge derart wirkungsvoll, dass Klagen wegen Winkelehen vermieden werden konnten. Eventuell sprach auch das bürgerliche Ehrgefühl dagegen, die Ehe per Gerichtsentscheid einzufordern.657 Ebenfalls bemerkenswert ist, dass das Konstanzer Chorgericht ein Einzugsgebiet hatte. Die Distanz zum Gerichtsort war ein Grund dafür. Daran änderte offenbar auch die Einsetzung von Kommissaren nichts. Ein anderer ist die relativ große rechtliche Selbständigkeit einzelner Rechtsbezirke, in derster Linie der eidgenössischen Orte. Die Frage nach der geschlechtsspezifischen Funktion des Konsistoriums kann nicht eindeutig beantwortet werden. In den Jahren um 1520 war es in allen drei Diözesen zwar so, dass Zuerkennungsprozesse in der überwiegenden Mehrheit von Frauen angestrengt wurden (ca. 65-70 %).658 Doch die aus den 1470er Jahren stammenden Resultate aus Basel zeigen, dass es Ausnahmen gab. Hier hielten sich die Anteile der klagenden Frauen und Männer die Waage. Das scheint für diese Zeit das übliche Verhältnis gewesen zu sein. Die Statistik, die Weigand aufgrund der Regensburger Eheklagen von 1490 erstellte, zeigt, dass der Anteil der Frauen nur unwesentlich höher lag.659 Die Faktoren aber, die bewirkten, dass nach 1500 derart wenig Männer eine Eheklage einreichten, sind unbekannt.

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Einzelne Hinweise, die sich in der Literatur finden, konnten somit bestätigt werden. M M. Sheehan, Formation, 234. A. Lefebvre-Teillard, officialité, 149. Die Bürgerinnen, die klagten, sind an einer Hand abzuzählen. In der Reformationszeit scheinen sich die Klagen über Winkelehen, der heimlich eingegangenen Ehen bei den Gebildeten zu häufen. Vgl. zuletzt die allerdings nicht durch eine stringente Systematik glänzende Belegsammlung bei Joel F. Harrington, Recordering marriage and society in Reformation Germany, 1995, bes. 27-38. Das scheint von den Zeitgenossen offenbar nicht wahrgenommen worden zu sein. So heißt es in den Beschwerden der Deutschen Nation von 1521, dass oftmals Frauen „von ungegrundts leumuts" wegen beschwert würden. RTA (j.R ) II, Nr. 96, Art. 83. Die quantitativen Forschungsresultate über die Rechtsprechung verschiedener kirchlicher Gerichte in deutschen, französischen und englischen Diözesen fasst auch hinsichtlich geschlechtsspezifischer Fragen zusammen R. Weigand, Ehegerichtsbarkeit, 310-326. Speziell fur Regensburg und Augsburg Ders., Rechtsprechung, 248-254. 1490 entschied der Offizial 378 Eheprozesse. In mindestens 205 Fällen handelte es sich um Zuerkennungsklagen. 119-mal (58 %) klagte eine Frau. R. Weigand, Rechtsprechung, 249.

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Was den Inhalt der causae annexae angeht, bildeten sowohl im Bistum Basel als auch in der Diözese Chur - fur Konstanz fehlen entsprechende Quellen - die sogenannten weltlichen Fälle den größten Teil der Rechtshändel (ca. 20-35 %). Der Begriff ist unscharf. Er schließt alle Schuldangelegenheiten - ausgenommen die kirchlichen Abgaben - ein. Andere Materien wie zum Beispiel Zehnt- oder Erbschaftsstreitigkeiten spielten daneben ebenso eine untergeordnete Rolle wie Testamentsfalle. Inhaltliche Unterschiede lassen sich am plausibelsten durch die herrschaftlichen Verhältnisse erklären. Prozesse um Pfarrrechte, Kirchenbau im weitesten Sinn oder Testamente finden sich fast nur im Churer Hochstift, dem Gotteshausbund. Dass keine derartigen Rechtsstreitigkeiten aus dem Hochstift der Diözese Basel überliefert sind, kann mit der Quellenlage erklärt werden. Die Zahl der jährlichen Prozesse erreichte in beiden Diözesen um 1520 das Maximum. Im Bistum Chur nahm sie in den Jahren ab 1509/10 fast kontinuierlich zu und erreichte 1517 den ersten, 1523 den zweiten Höchststand. Ab 1525 fiel die Zahl der Gerichtshändel gegen null. In Basel kann aufgrund der Quellenlage keine derart lange Verlaufskurve beschrieben werden. 1521/22 lag die Menge der jährlich gefällten Urteile einen Drittel über dem vor allem aus den Jahren 1463-69 ermittelten Durchschnittswert; 1523/24 bewegte sie sich um das Mittel herum. Wie bei den Ehefallen zeigt sich auch hier, dass die reformatorischen Ereignisse keine sofortige Abnahme der Gerichtstätigkeit bewirkten. Wer waren die Parteien in weltlich-geistlich gemischten Fällen? Der Vergleich zwischen Basel und Chur zeigt eine sehr ähnliche ständische Zusammensetzung. In 60-70 % der Fälle klagten weltliche Personen vor allem gegen ihresgleichen. In Basel sank ihr Anteil zwischen 1521-24 jedoch auf etwa 45 %. Im Unterschied zu den Ehestreitigkeiten waren auffallend viele Adlige entweder als Kläger oder als Beklagte in Rechtshändel verwickelt. Dass geistliche Personen oder kirchliche Institutionen Laien oder weltliche Gemeinschaften vor das Gericht luden, geschah in 20-30 % der Fälle; nur in Basel in den ersten Reformationsjahren öfters. Die absolute Zahl der Fälle ist aber derart gering, dass nicht behauptet werden kann, die antiklerikale Stimmung sei dadurch angeheizt worden. Keine Rede kann davon sein, dass das Offizialat bei den Laien beliebt gewesen sei. Dagegen spricht nicht nur die geringe Menge der Prozesse, sondern auch die Tatsache, dass das Basler Offizialat ein Einzugsgebiet um den Gerichtsort herum kannte, aus dem verhältnismässig viele Parteien stammten. Je größer die Distanz zum Gericht war, desto weniger attraktiv war es, dort sein Recht einzufordern. Neben dem weiten und gefährlichen Weg schreckten auch die hohen Prozesskosten ab. Schwierig ist es, die strafrechtlichen Vergehen miteinander zu vergleichen, da die ausgewerteten Quellen teilweise nicht vollständig sind, aus verschiedenen Jahren stammen und erst noch von Beamten mit unterschiedlichen Funktionen (Siegler, 278

Fiskal) geschrieben sind. Doch zweifellos steht fest, dass die kirchlichen Gerichte Kleriker und Laien hauptsächlich wegen Sexual- und Ehedelikten bestraften. Der Anteil der gebüßten Geistlichen übertrifft denjenigen der Laien. Die wichtigste strafrechtliche Funktion der Chorgerichte lag darin, die Moral des Klerus zu überwachen und Abweichungen davon zu ahnden. Im Fall des Konkubinats gehörten solche offenbar zum Alltag. Neben Geldstrafen, deren Höhe sich an der finanziellen Situation der Täterin oder des Täters bemaß, sprachen die Gerichte häufig auch Exkommunikationen aus. Nur aus dem Bistum Chur ist eine Quelle überliefert, die sämtliche vom Richter verhängten Bannurteile vermerkt. Die Auswertung ergab, dass die Zahl der jährlichen Sentenzen ab 1514 signifikant stieg und 1519/20 das Maximum erreichte. Die Exkommunikation war eine weit verbreitete, in den Alltag der Kirchgenossen eingeschriebene Strafe. Eine völlig befriedigende Erklärung iur diesen Anstieg konnte nicht gefunden werden, da über zahlreiche Einflussfaktoren wie beispielsweise die wirtschaftliche Situation der Bauern oder Änderungen in der Gerichtspraxis zuwenig oder gar nichts bekannt ist. Sicher ist, dass die steigende Zahl von Bannurteilen mit der Zunahme von Zivil- und Strafprozessen direkt zusammenhängt. Das Gericht exkommunizierte aus Eigennutz, um die Gerichtskosten zu erhalten. Das bewirkte, dass die Zahl der jährlichen Zensuren, die es wegen ausstehender Geldschulden verhängte, ständig wuchs. Das Bannwesen entwickelte eine Eigendynamik. Da Personen ihre Schulden nicht beglichen, zogen sie sich den Bann zu. Für die Absolution mussten sie wiederum einen Geldbetrag errichten. Ihre Schuld wuchs also noch mehr und damit auch die Wahrscheinlichkeit, deswegen nochmals exkommuniziert zu werden. In etwa 60 % der Fälle handelte es sich um mehrfach gebannte Personen.660 Fiskalische Motive lagen der exzessiven Bannpraxis kaum zugrunde, obwohl die Gelder fur die Absolutionen der beinahe leeren Bistumskasse willkommen waren. Andernfalls wäre es erstaunlich, dass die Zahl der Exkommunikationen erst ab 1514 zu steigen begann. Die Masse der Bannurteile führte aber nicht zu ihrer Geringschätzung oder Missachtung. Der Bann wurde als Seelenheil bedrohende Strafe ernst genommen. Anders kann nicht erklärt werden, dass die Exkommunizierten fur ihre Absolution und damit fur die Erlaubnis, wieder am Abendmahl zugelassen zu werden, Geld bezahlten. Zwei Hauptursachen für die Zensuren sind auseinanderzuhalten: Einerseits die Strafen, die mit der Vollbringung der Handlung automatisch eintraten, andererseits der Bann wegen Geldschuld. Beim Schuldbann muss vor allem danach unterschieden werden, wer die Strafe beantragte, das Gericht selbst, andere Institutionen, 660

Dieses Ergebnis lässt sich wahrscheinlich auf alle Diözesen übertragen, wo Bauern sich über den wegen Geldschulden verhängten Bann beklagten. Quellen, die die massenhafte Exkommunizierung von Laien aus dem nämlichen Grund vermuten lassen, sind nur noch aus den Bistümern Halberstadt und Breslau bekannt. A. Diestelkamp, Balsambann. 0 . Meyer, Studien, 62. Einzelheiten im Forschungsüberblick, Kapitel § 1,5.1.2.

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Geistliche oder Laien. Am häufigsten war es das Gericht oder Gerichtsbeamte (ca. 40-60 %). Erst an zweiter Stelle waren es Laien, die mit kirchlichem Gerichtszwang ihre Schuldner bannten (ca. 20-25 %). Die notarielle Beurkundung von Rechtsgeschäften spielte allenfalls in der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts eine gewisse Rolle, zumindest am Gerichtsort und in der näheren Umgebung der Stadt Basel. Diese genau zu bestimmen, ist jedoch unmöglich, solange die Quellen der übrigen in der Stadt tätigen Kanzleien nicht ausgewertet sind. Doch verglichen mit der Menge der anderen Rechtsakte, die das Gericht vollzog, handelte es sich um eine nebensächliche Aufgabe. Besonders oft suchten Vertragspartner die kirchliche Kanzlei auf, um Schuldund Rentenverträge siegeln zu lassen. Rechtsakte anderen Inhalts bildeten die Ausnahme. Die Möglichkeit, die Exkommunikation als Exekutionsmittel einzusetzen, um ausstehende Schulden einzutreiben, war kein Grund, die Kanzlei häufiger aufzusuchen. Denn das geistliche Gerichte arbeitete in erster Linie mit der gleichen Maßnahme, versessene Zinsen einzufordern, wie das weltliche Gericht, nämlich mit der Pfändung der belasteten Güter.661 Diese These darf wohl verallgemeinert werden. Die weltliche Obrigkeit war darauf bedacht, dass die Untertanen ihre eigenen Besiegelungsinstanzen vor denjenigen der geistlichen Kanzleien bevorzugten. Wenn die kirchliche Kanzlei vergleichsweise weit entfernt war, ließ sich dieser Machtanspruch leichter durchsetzen. Wo sich mehrere weltliche und geistliche Kanzleien um die Kundschaft stritten, gab nicht zuletzt die Frage nach dem wirksameren Vollstreckungssystem den Ausschlag. Das weltliche Verfahren musste aber dem geistlichen keineswegs nachstehen. Bei den beteiligten Parteien handelte es sich bis ca. 1520 meistens entweder ausschließlich um Laien, oftmals Basler Bürger, oder um Laien und Kleriker. Das änderte sich ab 1520. Der Anteil der lediglich zwischen geistlichen Personen und Institutionen geschlossenen Verträge stieg auf etwa die Hälfte aller Rechtsakte. Das kann nur damit erklärt werden, dass die freiwillige Gerichtsbarkeit der Kirche im Zug der beginnenden Reformation ihre noch verbliebene Attraktivität vollends einbüßte, und die Laien andere, nämlich die städtischen Kanzleien aufsuchten. Was für das Halberstädter Offizialat gesagt wurde, dass es um 1525 beinahe völlig bedeutungslos gewesen sei,662 kann fur die drei untersuchten Instanzen bestimmt nicht behauptet werden. Im Gegenteil. Vor allem die Konsistorien waren höchst aktive und funktionstüchtige Gerichte. Ihre Bedeutung kann für die soziale Ordnung kaum überschätzt werden. Vor diesem Hintergrund sind die Aussagen, die 661

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Für Basel darf aber nicht vergessen werden, dass die Stadt mit einem römischen Schirmgericht privilegiert war, das die Basler hauptsächlich benutzten, um Schulden mit dem Bann einzutreiben. A. Diestelkamp, Geschichte, 331. Diestelkamps Urteil beruht auf der Aussage des Offizials, dass die Exekution der Prozesse nicht mehr funktionierte.

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Klagen und Beschwerden über die Gerichtspraxis zu interpretieren, die der gemeine Mann formulierte. Sie zu sammeln und auszuwerten, ist Aufgabe des nächsten Hauptkapitels.

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„Gerechtigkeyt slefft" - Kirchliche Gerichte auf der Anklagebank

Reformbestrebungen auf allen kirchlichen und politischen Ebenen charakterisieren das späte Mittelalter. Reformatio hieß: Missstände abschaffen, die in vergessene oder aus dem Lot geratene göttliche Ordnung wiederherstellen und erneuern.1 Hoffnungen und Erwartungen knüpften sich daran. Ein „diskursfähiger Reformbegriif' wurde jedoch nicht entwickelt.2 Reformiert werden sollte auch das Gerichtswesen. Die im vorangegangenen Kapitel untersuchte Gerichtspraxis entsprach nicht dem Rechtsempfinden und den Gerechtigkeitsvorstellungen zahlreicher Pfarrgenossen. Das belegt die Fülle von Klagen und Beschwerden unterschiedlichster Herkunft. Im Mittelpunkt der Kritik standen das Verhältnis der Stände zueinander und das Rechtssystem der Zeit im Allgemeinen,3 dessen eine Seite die kirchliche Gerichtsbarkeit war. In den folgenden Kapiteln kommen Laien und Kleriker zu Wort. Was missfiel ihnen an der kirchlichen Rechtsprechung und welche Vorschläge machten sie zur Behebung der Missstände? War die Kritik berechtigt? Diese Fragen werden an Texte verschiedener Gattungen gestellt, an verfassungspolitische Traktate, die Gravamina des Reiches und die Beschwerden des gemeines Mannes gleichermaßen wie an die Briefe von Dorfgeistlichen an einen Gerichtsbeamten oder an die Traktate der Reformatoren Luther und Zwingli. Das Auswahlkriterium ist, ob sie im Untersuchungsraum entstanden oder dort zumindest gelesen wurden.4 Das 1

2 3

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Dazu einführend die begriffsgeschichtliche Studie von E. Wolgast, Reform, Reformation, in: 0 . Brunner - W. Conze - R. Koselleck (Hgg.), Geschichtliche Grundbegriffe. Historisches Lexikon zur politisch-sozialen Sprache in Deutschland (Bd. 5), Stuttgart 1984, 313-360, bes. 321-334. Vgl. auch die Definition von J. Helmrath, Theorie, 48: „Er changiert zwischen Bedeutungen wie: statutarische Neuorganisation, Sittenverbesserung und spirituelle Metanoia. Er kann erstens den Gesamtplan meinen, zweitens den einzelnen Akt der Durchführung und drittens das Ergebnis, den Zustand danach. Reformiert werden kann im Augiasstall der öffentlichen Missstände wie im Gemütswinkel der privaten Gottesliebe, mittels Brennschere wie mittels Seelenmedizin." J. Helmrath, Theorie, 48. Die Suche nach Recht und Billigkeit trieb insbesondere die Bauern um. Es war neben der wirtschaftlichen Ausbeutung auch der Kampf um das alte Recht und Herkommen, der die Bauern zu Verschwörungen, Aufständen und schließlich zur Revolution motivierte. P. Blickle, Revolution, 72-77. G. Franz, Bauernkrieg, 1-41. Im Gegensatz zu Franz gewichtet Blickle stärker die ökonomische Lage. Vgl. auch die facetten- und kenntnisreiche Studie von Gerald Strauss, Law, Resistance, and the State. The Opposition to Roman Law in Reformation Germany, New Jersey 1986. Strauss geht auf die Kritik am kirchlichen Recht und an den kirchlichen Gerichten und ihren Beamten nur beiläufig ein. Die Wiederholungen, die sich ergeben können, sind nicht darauf zurückzufuhren, dass die Beschwerdeführer einander abschrieben, sondern auf den allen gemeinsamen Gegenstand der Kritik. Sie werden in der Darstellung deshalb in Kauf genommen, weil davon ausgegangen wird, dass jede Aussage aufgrund ihrer sozialen Verankerung ihr spezifisches Gewicht hat und ein nicht wegzulassender Teil des Ganzen bildet.

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Schwergewicht liegt auf deutschen Texten, da diese ein größeres Publikum erreichten. Die Gliederung nach ständischen Kriterien wird ergänzt durch eine chronologische. Das Jahr 1521, als die reformatorische Bewegung einen großen Teil des Volkes zu erfassen begann, markiert den Einschnitt. Dieses Vorgehen soll klären helfen, ob die evangelische Propaganda die Beschwerden und Klagen der Laien inhaltlich beeinflusste.

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I.

Kritik der Laien: Spätmittelalterliche Reformdebatten

Das Wort „Kritik" lenkt den Blick ausschließlich auf Missstände und -bräuche. Eine Mängelliste wird erstellt, die Institution in den schwärzesten Farben gezeichnet. Wer sich im Spätmittelalter zur Amtsführung und Tätigkeit kirchlicher Richter äußerte, tat das zumeist in abwertender Form und rief zur reformatio auf. Lobende Worte findet man bestenfalls zwischen den Zeilen. Der Tadel war in der Regel punktueller Natur, die Institution blieb grundsätzlich akzeptiert.

1.

Der Ruf nach Reformation

1.1

Verfassungspolitische Traktate

Zahlreiche Reformschriften begleiteten die Reichsreformbewegung des 15. und beginnenden 16. Jahrhunderts. Insoweit sie aus dem Anliegen entstanden, die Rechtsordnung zu reformieren - und bei welchen war das nicht der Fall -, wurden die geistlichen Gerichte und die kirchliche Rechtsprechung als Teil dieser Ordnung mitbehandelt. Zwei Reformschriften werden auf ihre Kritik am kirchlichen Gerichtswesen sowie auf ihre Lösungsvorschläge hin befragt: Die Reformatio Sigismundi - im Folgenden als RS abgekürzt - und der sogenannte Oberrheinische Revolutionär. Die Texte gehören verschiedenen Gattungen zu, obwohl heute beide aufgrund ihres Inhalts „Reformschriften" genannt werden. Die RS galt den Zeitgenossen als kaiserliche Verfassungsurkunde und Gesetz,5 der Text des Oberrheiners war eine Reformschrift.6 Beide Traktate sind in deutscher Sprache geschrieben, was der Verbreitung der RS im Weg stand, da die Gebildeten Wert auf Latein legten, die Ungebildeten aber nicht lesen konnten. In diesen Rahmen fallen noch andere Texte, vor allem solche aus der Reformationszeit. Hans Hergots christlich-utopische, unter dem Einfluss von Reformation und Bauernrevolution verfasste Flugschrift 5

6

H. Koller, RS, 22. H. Boockmann, Wirkungen, 121. Die Gattungszuordnung ergibt sich daraus, dass elf von vierzehn Handschriften und alle drei Drucke die RS neben kaiserliche Verfassungsurkunden stellen, nämlich neben die Goldene Bulle von 1356 und den Landfrieden von 1442. K.H. Lauterbach, Geschichtsverständnis, 33-39. Lauterbach spricht von der mit utopischprophetischen Elementen versetzten volkstümlichen Reformliteratur des Spätmittelalters. Von volkstümlich kann nicht die Rede sein. Das Buch der hundert Kapitel wurde weder abgeschrieben noch gedruckt, sondern blieb ein Einzelexemplar. Dass Luther die RS kannte und sogar als Quelle fur seinen Traktat „An den christlichen Adel" verwendete, ist eine unbewiesene Hypothese, die Annahme, die Bauern hätten sie rezipiert, eine Fiktion; so H. Koller, RS, 26f.

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„Von der neuen Wandlung eines christlichen Lebens" ist beispielsweise zu nennen. 7 Auf ihre Analyse wird verzichtet, da sie sachlich und argumentativ nichts Neues zur Diskussion beitragen.

1.1.1 Die Reformatio Sigismundi Die Reformatio Sigismundi schrieb ein unbekannter Autor wahrscheinlich 1439 in Basel unter dem Eindruck des dort abgehaltenen Konzils. 8 Die in vier Teile gegliederte Schrift wendet sich an die allgemeine Christenheit.9 Nach einer Vorrede folgen die Verbesserungsvorschläge im geistlichen, dann im weltlichen Bereich. Den Schluss bildet die Vision Kaiser Sigmunds von der erfolgreich durchgesetzten Reform,10 der Wiederherstellung der alten Ordnung.11 Was muss reformiert werden? „Gerechtigkeyt leyt not, nichts stet in rechter ordenung", leitet der Verfasser in Anlehnung an einen Psalm die Schrift ein. 12 Die Sakramentsordnung13 und das Recht als Fundament der von Gott begründeten gesellschaftlichen Ordnung werde missbraucht. Die Gerechtigkeit schläft, die Ungerechtigkeit regiert,14 das richtige Verhältnis zwischen geistlicher und weltlicher 7

Adolf Laube - Hans W. Seiffert (Hgg), Flugschriften der Bauemkriegszeit, Köln/Wien 1978, 547557. 8 Jedoch steht aufgrund des Inhalts fest, dass es sich um einen mit der juristischen und publizistischen Literatur seiner Zeit vertrauten Laien handeln muss, der seinem Idiom nach zu urteilen höchstwahrscheinlich aus einer südwestdeutschen Reichsstadt stammte. Beiläufig sei erwähnt, dass auch Heinrich von Beinheim, der bischöfliche Offizial der Basler Kurie, als Verfasser vorgeschlagen wurde; W.D. Wackernagel, Heinrich von Beinheim, 284-287. 9 Die folgenden Ausfuhrungen stützen sich, wo nicht eigens auf andere Untersuchungen verwiesen wird, auf folgende Arbeiten: Lothar Graf zu Dohna, Reformatio Sigismundi. Beiträge zum Verständnis einer Reformschrift des 15. Jahrhunderts (Veröffentlichungen des Max-Planck-Instituts für Geschichte, 4), Göttingen 1960; die Einleitung zur kritischen Edition der RS von H. Koller; T. Struve, Reform. 10 Reform erhoffte sich der Verfasser von sämtlichen Ständen, insbesondere setzte er aber auf die sogenannten „Kleinen", womit er die Reichsritter und die Städte meinte. Vgl. T. Struve, Reform, 108-113. " Über die bloße Reform hinaus gingen die Forderungen der Abschaffung der Leibeigenschaft und des Eheverbots fiir Priester. Dazu T. Struve, Reform, 102-106. 12 RS, 50. Die Interpretation der RS wird dadurch erschwert, dass das Original verloren ist. Der Versuch, den Text hinsichtlich seiner Behandlung des kirchlichen Rechts und der kirchlichen Gerichte zu analysieren, stützt sich auf die drei dem Urtext am nächsten kommenden Fassungen. Es handelt sich um die in der Ausgabe von H. Koller mit den Großbuchstaben Ν, V und Ρ gekennzeichneten Texte. Wo nicht eigens erwähnt, wird die N-Version zitiert. 13 RS, 70: „Sol man ein recht ordenung haben, so müß man mercken dye syben sacrament, auß denen so zeucht man alle gerecht ding in ein gut ordenung." 14 „Dye weyl dye katz slefft, so regiren dy meüße", hieß ein zeitgenössisches Sprichwort, dessen sich die RS bediente, um die Zustände zu schildern. Vgl. auch das Bild der „schlafenden Gerechtigkeit"; RS, 124, 240.

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Sphäre sei aus dem Lot geraten - „geystlich recht und keyserlich recht ist vespulget" -,15 und die Reformbemühungen des Konzils bleiben in Absichtserklärungen stecken. Die Hauptschuld dafür tragen die „heupter", das heißt die geistliche und die weltliche Obrigkeit. Zwei Sünden werden hervorgehoben, die Simonie der Geistlichen und der Geiz der Weltlichen.16 Die Folge der auf den Eigennutz gerichteten Politik sei die Missachtung der geschriebenen Rechte.17 Als Teil der Rechtsordnung sind die geistlichen Gerichte ein Abbild dieser Schilderung. Dies zeigt sich in mehreren Bereichen, im zivil- und strafrechtlichen gleichermaßen wie im Urkundenwesen. Viel zu viele Ehen würden geschieden, klagte der Reformer. Es gebe gute Gründe dafür, räumte er ein, aber die heutigen Männer würden dafür immer einen Vorwand und einen Richter finden.18 Dann stieß sich die RS daran, dass weltliche und kirchliche Gerichte über ihre Zuständigkeit hinaus tätig waren. Sie überschritten die Grenzen, die ihnen das kaiserliche beziehungsweise das päpstliche Recht zöge. Das Prinzip, wonach der Kläger dem Gerichtsstand des Beklagten zu folgen habe, solle durchgesetzt werden.19 Im strafrechtlichen Bereich zeigte sich die beschriebene Unrechtsordnung ebenfalls in mannigfaltiger Weise, vor allem aber in der Strafpraxis. Kirchliche Zensuren würden in weltlichen Angelegenheiten verhängt, beispielsweise um Geldschulden einzutreiben.20 Das sei aber kein gerechter Grund. Kirchenräuber und -Schänder, auch kriminelle Geistliche solle man bannen. Die Exkommunikation wird also nicht völlig verworfen. Die RS anerkennt sie als angemessene Strafe für bestimmte Vergehen. Zu diesen gehört auch der „rechte" oder „offene" Wucher, womit der Zinswucher gemeint ist.21

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RS, 114. - Der Terminus „kaiserliches Recht" bezieht sich nicht allein auf die Reichsgesetze, sondern meint auch das weltliche Recht im Allgemeinen im Gegensatz zum geistlichen, päpstlichen Recht. RS, 60. Die Begriffe „Simonie" und „Wucher" werden nicht im rechtstechnischen Sinn verwendet. Ihr semantisches Feld ist weiter gefasst. Vgl. T. Struve, Reform, 80ff., 90f. RS, 114: „Wann es in geystlich und weltlich stat zü beydenn teylen ging nach geschoben rechten und man dye hielt, so gieng es recht und woll." RS, 122, 124. - Der Autor befürwortet die Scheidung nicht, da die Ehe eine göttliche Institution sei. Deshalb sei auch keine Wiederverheiratung möglich; RS, 156. RS, 298: „Item man soll verhüten, an keinen weltlichen gerichten über kein geistlich ding zü richten, wann weltlich gericht und geistlich gericht sollent sich lauter scheyden. Man soll an allen weltlichen gerichten richten, was in keyserlich recht gehört und sol bebstlich und bischofflich recht unbekommert lassen, desselben gleichen sey herewider. Item hat ein geistlich man zü sprechen an einem weltlichen umb eygen oder umb erbe, so sol der geistlich sich entscheyden gegen einen weltlichem vor einem rat, es sey mit recht oder in der mynne. Desselben gleichen hat ein weltlich man mit einem geistlichen zü schaffen, so sol er entscheyden vor einem geistlichen richter auch züm rechten oder in der mynne." RS, 298: „Item man soll auch umb kein geltschüld bannen kein geistlich und kein leyen, es gehört in keyserlich recht, noch kein kyrchen versiahen." RS, 254, 259. Der engere Wucherbegriff der RS gibt den kanonischen usura-Bogúñ wieder; der weitere schließt jede Handlung ein, die gegen die justitìa commutativa, also gegen das Gleichgewicht von Leistung und Gegenleistung verstößt. Vgl. Clemens Bauer, Der Wucher-Begriff der Reformatio Sigismund!, in: Aus Stadt- und Wirtschaftsgeschichte Südwestdeutschlands. Festschrift für E. Maschke

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Die Ungerechtigkeit der Bannsprtiche lag aber nicht nur darin, dass die Richter damit ein weltliches Delikt ahndeten, sondern auch im Missverhältnis zwischen Vergehen und Straffolge. Die RS legt das an der Priesterehe dar. Die Bischöfe halsten den Priestern Prozesse auf, vor allem „von yr concubini wegen". Falls sie sich nicht loskaufen wollten oder könnten, kämen sie in den Bann. Wenn sie sich nicht schnell genug absolvierten, geschähe es, dass die Geistlichen und ihre Untertanen die göttliche Gnade verlören und miteinander zur Hölle führen. 22 Die unrechtmäßige Strafe, die das Gericht gegen eine einzelne, aber für den geregelten Ablauf des religiösen Alltags der Gemeinde unverzichtbar wichtige Person aussprach, stellte das Seelenheil einer ganzen Pfarrei in Frage.23 Eine weitere Kritik an der kirchlichen Strafpraxis richtete sich gegen die simonitischen Bischöfe. Sie würden dem Diözesanklerus, der die Gebote nicht hielt, Geldstrafen auferlegen, statt sie bei Brot und Wasser ins Gefängnis werfen. 24 Es sei allgemein ein großes Unrecht, für Sünden Geld zu verlangen. Das päpstliche Recht - der Verfasser verweist auf das 2. und 3. Buch der Klementinen - würde dadurch in sein Gegenteil verkehrt. 25 Ein letzter Punkt betraf die Zuständigkeit in Strafsachen. Die RS hält es für richtig, dass städtische Unzuchtgerichte die offenen Wucherer, Ehebrecher und Zauberer zur Rechenschaft zieht.26 Damit spricht sie den kirchlichen Gerichten die Zuständigkeit zumindest im städtischen Rechtssprengel ab, solche Vergehen selbst zu untersuchen und zu bestrafen. Soll das Prinzip der strikten Trennung des geistlichen vom weltlichen Bereich aber allgemein gelten, was heißt, den Autor beim Wort zu nehmen, gilt das auch für ländliche Rechtsbezirke. Das Urkundenwesen und darin eingeschlossen die freiwillige Gerichtsbarkeit der Offizialate sah die RS durch die gleichen Übelstände charakterisiert. Allein der weltlichen Obrigkeit stünde es zu, Urkunden zu besiegeln. Die geistliche Herrschaft übe jedoch auch notarielle Tätigkeiten aus und verlange erst noch Geld dafür. Wahrheit könne nicht gekauft werden, moralisierte der anonyme Autor und forderte, dass dem geistlichen Stand nur erlaubt sei, Notariatsinstrumente anzufer-

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zum 75. Geburtstag (Veröffentlichungen der Kommission für geschichtliche Landeskunde in BadenWürttemberg, B/85), Stuttgart 1975, 110-117, bes. 117. RS, 148, 150. Das Problem kleidet die RS an anderer Stelle in die rhetorische Frage „Warumb solt man gots dinst nider slagen von zweyer oder von dreyer person wegen?"; RS, 298. RS, 141 f. : „Item ein byschoff soll haben einen kercker oder gefencknuß, ob ein priester thet sach, darumb er zü straffen were [...] es straffent ytzundt dick und vii bischoff dye priester umb sachen, des dye bischoff schuldiger sein und schetzten sye aber umb yr gelt, wann sy gelt von in mögen pringen, so achten sye dann nit umb yr unrecht." Vgl. auch RS, 154, 156. RS, 62. Diese Kritik bezog sich insbesondere auf den Ablass und die Strafpraxis („in der correctery"), darf aber wohl auf die Praxis, für die Absolution von Zensuren Geld zu verlangen, übertragen werden. - Das Verbot, für Absolutionen Geld zu heischen, findet sich im Liber Extra (X 5.3 .24). RS, 264. - Zum Gericht der Unzüchter in der Stadt Basel vgl. H.-R. Hagemann, Rechtsleben I, 196ff.

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tigen. 27 In einer der Abschriften der Reformatio Sigismundi liest man sogar, dass geistliche Personen und vor allem die Klöster nur geistliche, Laien aber nur weltliche Rechtsgeschäfte besiegeln sollten. 28 Besonders arg und verabscheuenswert findet zuletzt die RS, dass die Bischöfe das Gerichtssiegel verpfändeten. 29

1.1.2 Der „oberrheinische Revolutionär" Die Verfasserschaft der Schrift „Buchli der hundert Capiteln" ist noch ungeklärt.30 Einzelne autobiographische Notizen im Text zeigen jedoch, dass es sich um eine Person handelte, die mit den sozialen, wirtschaftlichen und rechtlichen Bedingungen des oberrheinischen Raumes, des Elsasses und Breisgaus, wohl vertraut war. Besonders kenntnisreich setzte er sich mit den Rechtsverhältnissen auseinander und geißelte die in diesem Bereich grassierenden Missbräuche. Seine Verweise auf Rechtstexte - selbstredend nicht allein auf weltliche, sondern auch auf kirchliche Normen und die Heilige Schrift - 31 sind derart zahlreich und und auch recht kompetent, dass die Forschung davon ausgeht, der Autor sei juristisch ausgebildet. Geplant war der Traktat als konkreter Reformbeitrag fur den Wormser Reichstag 1498. Doch er wurde nicht fertig, und der Autor arbeitete noch während mindestens zwölf Jahren, von 1498-1510, an der Niederschrift. 32

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RS, 302: „Alle insigel steen keyserlichem rechten zu und hören zu seinem hoff und alle instrument hören den geistlichen staten zu von recht." Vgl. auch RS, 102, wo der Verfasser vorschlägt, dass die Geistlichen - wenn überhaupt - umsonst siegeln sollen. RS, 307. Es handelt sich um die Handschrift V: „Man sol wissen, das man das lauter abthon sol, das die clöster mit kainem sigili mer versigeln Süllen, dann was irem orden oder des ordens person anrüret und änderst nichts; kain weltlich sach süllen sie mer versigeln noch kain gaistlich person; es sol sich in allwegen lauter schaiden das gaistlich und das weltlich." Laut Struve vertritt diese Handschrift pointiert reichsstädtische Interessen; vgl. T. Struve, Reform, 123. RS, 304. Die folgenden Ausfuhrungen beruhen, soweit nichts anderes angegeben ist, auf der Untersuchung von K.H. Lauterbach, GeschichtsVerständnis. Vgl. auch Tom Scott, Der „Oberrheinische Revolutionär" und Vorderösterreich. Reformvorstellungen zwischen Reich und Territorium, in: N. Fischer - M. Kobelt-Groch (Hgg), Außenseiter zwischen Mittelalter und Neuzeit. Festschrift für H.-J. Goertz zum 60. Geburtstag (Studies in Medieval and Reformation Thought, 61), Leiden u.a. 1997, 47-63 Betreffend die Verweise auf kirchenrechtliche Normen vgl. die Auflösung der Text-Allegate bei A. Franke - G. Zschäbitz (Hgg.), Buch, 530-533. Ein Beispiel mag genügen: Das Kirchenrecht sei noch nicht so alt, rekonstruiert der Oberrheiner seine Entstehung. Im Jahr 1084 habe Gratian die „vrtel der alten vetter" gesammelt und damit das sogenannte „decret" geschaffen. Papst Gregor IX. seinerseits habe das Dekretale gemacht, das „vßweisset den gwalt des bobest, wie er mug richten, vnd mit namen im fierden bu(o)ch, an sich het zogen vrteilen vber die eelut"; ebd., 345/95a. Die wichtigsten Reformen waren: Allmonatliche Zusammenkunft des Reichstags, Bewilligung der Reichssteuer, Verabschiedung einer Landfriedens- und Kammergerichtsordnung.

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Die Absicht des Autors ist mit der Reformatio Sigismundi verwandt, die er aus eigener Lektüre kannte. Er möchte dem über zahlreiche Beschwerden sich beklagenden armen, gemeinen Mann einen Leitfaden in die Hand drücken, wie er die Missstände beheben, den gemeinen Nutzen fördern und den Frieden sichern könne.33 Folgerichtig legt er großes Gewicht auf die Beschreibung der üblen Zustände, die er sowohl im weltlichen als auch im geistlichen Bereich beobachtet. Sieben Hauptsünden zählt der Verfasser auf, die den gemeinen Mann besonders beschwerten: den Wucher, den Ehebruch, die Blasphemie, die böse Gewalt, den Kirchenraub und den Totschlag.34 Die Ursachen dafür sieht er in der Verkehrung der sozialen Werte und Vermischung der Zuständigkeitsbereiche der weltlichen und geistlichen Obrigkeit. Jedermann, besonders aber die Mächtigen und Reichen verfolgten ihren eigenen statt den gemeinen Nutzen. Das führte zur andauernden Rechtsverdrehung und zum gezielten Rechtsmissbrauch. Sein Reformziel orientiert sich an der Kategorie des gemeinen Nutzens und des göttlichen Rechts. Die Umsetzung der beiden abstrakten Prinzipien in die Praxis bedeutete die Entflechtung des geistlichen und weltlichen Bereichs auf sämtlichen Ebenen, der politischen, verwaltungsorganisatorischen sowie der rechtlichen Ebene.35 Aufgrund dieser Ausgangssituation - Kritik am Umgang mit dem Recht, Kenntnis der Reformatio Sigismundi, juristische Bildung des Autors, der die Interessen des gemeinen Mannes vertrat - könnte man erwarten, dass sich der Verfasser auch über die geistlichen Gerichte, das kirchliche Rechtssystem und das Gerichtspersonal auslassen würde. Dem ist nicht so. Die Hauptsünden, nämlich Ehebruch, Totschlag, Wucher, Gotteslästerei, Kirchenraub, aber auch alle übrigen Vergehen gegen den gemeinen Nutzen sollten weltliche Richter strafen, meinte der Oberrheiner.36 Diese Aussage zielte nicht auf eine neue Zuordnung oder Verteilung der Kompetenzen zwischen weltlicher und geistlicher Sphäre ab. Der Autor ging in diesem Punkt von bestehenden, grundsätzlich akzeptierten Rechtsverhältnissen aus 33

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„Ein klein 1er zu(o) einer vnderwisung, als wie ein gegenwurf ' um das „bo(e)s abzu(o)stellen", den „gmein nutz by sim alten herkumen" handzuhaben und Frieden herzustellen. Zitiert wird mangels Alternativen nach der wissenschaftlichen Ansprüchen kaum genügenden Edition von A. Franke - G. Zschäbitz (Hgg), Buch, llb/199, 12a/200. Zur Kritik an der Edition vgl. K.H. Lauterbach, Geschichtsverständnis, 261 f. Was mit den „bösen gewalt" gemeint ist, ist unklar. A. Franke - G. Zschäbitz (Hgg ), Buch, 1 lb/199. An anderer Stelle spricht der Oberrheiner von den „fünf sund", wozu er „wu(o)cher, ebruch, gotzlesterer, bosser gewalt, sacrilegium vnd alle beschwemus des gemeintz gu(o)tz" zählt; ebd., 465/165b. Zu den einzelnen Reformmaßnahmen vgl. K.H. Lauterbach, Geschichtsverständnis, 229-249. Lauterbach wies nach, dass der Oberrheiner konkrete Vorstellungen einer gesellschaftlichen und politischen Reformordnung vertrat. „Dieser beschwemuß sindt vil, wie obgemelt, die das weidlich recht solte straffen, vnd [die, die] straffen das nit, sundt zu(o) stroffen." A. Franke - G. Zschäbitz (Hgg.), Buch, 331f./88a. Ehebrecher scheinen - wenigstens zeitweise - von kirchlichen Gerichten bestraft worden zu sein: „In kurtzen ioren was, wan einer sin e brach, der mu(o)st den stein sundages drymol vor dem crutz vmb die kilchen tragen."

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und kritisierte, dass sie nicht mehr beachtet würden. Folgerichtig schilderte er vor allem die Missbräuche im weltlichen Rechtssystem. Dennoch überrascht der Befund, dass das „bu(o)chli" kaum Hinweise auf die Verhältnisse enthält, die den kirchlichen Rechtsbereich berühren.37 Die Institution des geistlichen Gerichts und die Tätigkeit geistlicher Richter sowie der Gerichtsdiener,38 aber auch das Prozessverfahren gaben offenbar selten Anlass zu Kritik. Diese betraf vielmehr das Kirchenrecht als solches, die richterliche Tätigkeit im Allgemeinen und die Bannpraxis im Besonderen sowie die Frage der Kompetenzabgrenzung gegenüber dem weltlichen Gericht. Papst Gregor IX. habe auch den Anspruch erhoben, zu „vrteilen vber eelut". Dadurch aber sei der Ehebruch nur vermehrt worden und auch der Wucher - der Zusammenhang wird vom Oberrheiner hergestellt - sei eine besondere Sünde geblieben.39 Die Gesetzeskonstruktion sei unbefriedigend, weil sie das Unrecht vergrößert, heißt das wohl. An den Ofïïzial richtete der Autor drei Vorwürfe. Sein Umgang mit dem Recht sei parteiisch. Er sei selbst Sohn eines Geistlichen, schrieb der Autor und versuchte damit zu erklären, weshalb die frevelnden Kleriker nicht bestraft würden.40 Sodann warf er ihm Gewinnsucht vor.41 Drittens bemängelte der Oberrheiner die Bannpraxis. Er tat das in ganz anderem Sinn als die Reformatio Sigismundi. Er stieß sich nicht an den Zensuren, welche die Richter der niederen Kirchengerichte verhängten, sondern am Bann des Papstes. Dem geistlichen Oberhaupt warf er vor, damit das Recht auf freie Meinungsäußerung einzuschränken. Kritik am Heiligen Stuhl werde umgehend mit der Exkommunikation beantwortet, klagte er.42 Nur an zwei Stellen des langen Traktats greift der Oberrheiner die in seiner Zeit am weitesten verbreitete Kritik auf, nämlich diejenige am Bann, den die geistlichen Gerichte we37

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Das Fehlen einer ausführlichen Kritik am geistlichen Gericht wirft Licht auf die unbekannte Herkunft des Verfassers. Äußerst unwahrscheinlich ist es, dass er aus dem Bistum Straßburg stammte, wie dies zuletzt vorgeschlagen wurde von K.H. Lauterbach, Geschichtsverständnis, 284-298. Die Kritik am geistlichen Gericht war in dieser Diözese während des ganzen 15. Jahrhunderts nicht nur weit verbreitet, sondern auch außergewöhnlich radikal. Es ist kaum denkbar, dass der Oberrheiner diese Missstände kommentarlos überging. Vgl. P.-J. Schuler, Reformation, und Ders., „armen lüt". Neben dem Offizial erwähnt der Oberrheiner als weiteren Beamten am geistlichen Gericht den Fiskal. Vgl. A. Franke - G. Zschäbitz (Hgg.), Buch, 453/158b: „Man sol den priester dem vischal [überjandwurten, das er in strofft, vnd wo er in nit stroff, so ist dem weidlichen richter erloupt, in zu(o) stroffen." - Wo der „Fiskal" sonst erwähnt wird, ist immer ein am weltlichen Gericht tätiger Beamter gemeint; vgl. z.B. ebd., 385/115b, 254/54a. A. Franke - G. Zschäbitz (Hgg ), Buch, 345/95a: „Domit der ebruch gemerdt ist worden, der wu(o)cher sunder sund [geblieben]." - Gregor IX. erließ 1234 eine eigene Sammlung von Dekretalen, das Liber extravagantium. A. Franke - G. Zschäbitz (Hgg ), Buch, 450/157a. A. Franke - G. Zschäbitz (Hgg.), Buch, 436/149a. „Ist es nit eilend zu(o) scriben, das ein babst, wan man im die worheit forhelt, so will er ein vermaledyen, in Latin ein schwerer flu(o)ch." A. Franke - G. Zschäbitz (Hgg.), Buch, 443/153a. Vgl. die Beispiele ebd., 346/95b, 4137130b.

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gen Geldschulden verhängten. Niemand dürfe deswegen gebannt werden, meinte auch er. 43 Der vierte Kritikpunkt schließlich betraf die Grenzen der Zuständigkeit. Auch der Oberrheiner vertrat den allgemein vertretenen Grundsatz, dass niemand einen anderen vor ein fremdes Gericht laden dürfe. Sein Beispiel erhellt, dass es sich um einen Standeskonflikt handelte: Bleibt jemand einem Priester etwas schuldig, so habe dieser vor dem weltlichen Richter zu klagen. 44 Trotz seiner zurückhaltenden Kritik am kirchlichen Gerichtswesen, wartete der Oberrheiner mit Reformvorschlägen auf. Er ging dabei davon aus, dass die weltliche der geistlichen Sphäre überlegen sei. 45 Für frevelnde Kleriker bedeutete dies, dass sie sich nicht mehr auf das Privilegium fori berufen konnten, für die bischöflichen Gerichte einen Kompetenzverlust. 46 Ein neu einzurichtendes weltliches Gericht, der Send, sollte zuständig sein, kriminelle Priester zu bestrafen. 47 Der Send ist ein kommunales Rügegericht oder - in den Worten des Oberrheiners - eine „offne bich[t]", das jährlich einmal zusammentritt. 48 Das Gremium der Schöffen, das aus mindestens zwei Personen besteht, setzt sich aus Laien und Geistlichen zusammen. Es urteilt nach gesetztem Recht über die öffentlichen Sünden des Nächsten, ermahnt, belehrt die Sünder und belegt diese notfalls mit geistlichen Bußen. Bleibt die brüderliche Appell an das Gewissen, die übrigens an die correctio caritativa des kanonischen Rechts und an das mattheische Bußritual erinnert, 4 9 erfolglos, wird der Sünder dem weltlichen Gericht zur Bestrafung überantwortet. Über die Art der Strafen schweigt sich der Verfasser der Reformschrift aus. Auch die Tatbestände, die vom Send geahndet werden sollen, nannte er nicht. 50

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A. Franke - G. Zschäbitz (Hgg), Buch, 522/197b: „Wer ein man so arm vnd moch mit der worheit dartu(o)n, das er nit hett vnd doby versprechen bezalung noch sim vermugen - als ein dienstknecht den XXX. pfennig sins lonß - so soll man den nit in och oder aberoch erkennen, oder der priester in von cristenlicher wirden bannen." Vgl. auch ebd., 436/149a. - An einer anderen Stelle verbindet der Oberrheiner den Bann mit dem Zehntbezugsrecht. A. Franke - G. Zschäbitz (Hgg ), Buch, 292/70b. A. Franke - G. Zschäbitz (Hgg.), Buch, 418/134b. Vgl. zum Grundsatz auch ebd., 485ff./176a-177a A. Franke - G. Zschäbitz (Hgg.), Buch, 486/176b: „Ein keisser soll ein babst examinieren, investigieren in geistlichen sachen [...]." Illustrativ das Organigramm der Reichsverwaltung im einschlägigen Kapitel bei K.H. Lauterbach, Geschichtsverständnis, 246. A. Franke - G. Zschäbitz (Hgg ), Buch, 281/65b, 322/83b, u.ö. Dazu auch K.H. Lauterbach, Geschichtsverständnis, 195f., 243f. Hier auch die Belege. A. Franke - G. Zschäbitz (Hgg ), Buch, 465/165a. Vgl. § 2 11,2.2.1 und § 4 11,2. - Beides erwähnt der Oberrheiner aber nicht ausdrücklich, obwohl er vom Evangelisten zu berichten weiß, er sei ein „offener der gesatzt". Seine Vorbilder sind vielmehr Jesajas und Paulus. A. Franke - G. Zschäbitz (Hgg.), Buch, 375/110a, 330/87a. Mit dem Begriff „öffentliche Sünden" sind möglicherweise Ehebruch, Mord, Diebstahl, Wucher etc. gemeint.

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1.2

Reichspolitische Ebene: Gravamina der deutschen Nation

Auf der höchsten politischen Ebene war die kirchliche Gerichtsbarkeit lange Zeit kein Thema, dem die Stände spezielle Aufmerksamkeit widmeten. Auf den Reichstagen blieb die Gerichtspraxis nur ein nebensächlicher Verhandlungsgegenstand ohne besonderes Gewicht und ohne Dringlichkeit.51 Die Mitte des 15. Jahrhunderts erstmals verwendete Formulierung gravamina nationis germanicae52 fasste die Beschwerungen zusammen, welche die Reichsstände durch die päpstliche Kurie und den deutschen Klerus zu erleiden hatten.53 Sie sind als Reaktion darauf zu verstehen, dass Kaiser und Papst im Wiener Konkordat von 1448, sozusagen der Verfassung der deutschen Kirche bis zur Reformation, den Ergebnissen der Reformkonzile von Konstanz und Basel nicht vollständig Rechnung trugen.54 Das erklärt zu einem guten Teil die Stoßrichtung der Beschwerden und Postulate. Die Bestimmungen des Wiener Konkordats sollten zunächst als Minimalrechte eingehalten, längerfristig gesehen aber die Ergebnisse der Reformkonzile durchgesetzt werden; überdies strebte man an, die landeskirchlichen Bemühungen der weltlichen Territorialherren abzuwehren. Bis zur Reformation war dieser Zielsetzung gemäß - zwar nicht ausschließlich, aber vor allem - die hohe Geistlichkeit der Motor der Gravamina-Bewegung. Erst Maximilian I. setzte die Gravamina als Instrument seiner Außenpolitik ein, ohne ihren Inhalt aber grundsätzlich zu ändern. Seit dem Augsburger Reichstag 1518 bildeten die Beschwerden fast auf jedem nachfolgenden Reichstag bis 1530 Verhandlungsgegenstand. Der Einfluss der Reformation wirkte sich dabei in doppelter 51

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In der Literatur zur Reichsreform wird die kirchenrechtliche Problematik zum Teil ganz weggelassen. Zwei der wichtigeren Beiträge zur Reichsreformpolitik des 15. Jahrhunderts enthalten keine Hinweise zur kirchlichen Gerichtsbarkeit, so Heinz Angermeier, Die Reichsreform 1410-1555. Die Staatsproblematik in Deutschland zwischen Mittelalter und Gegenwart, München 1984, und Karl-Friedrich Krieger, König, Reich und Reichsreform im Spätmittelalter (EDG, 14), München 1992. In einem Artikel kann Angermeier aber schreiben: „Man könnte wohl sagen, dass die Reformforderungen des 15. Jahrhunderts vornehmlich kirchenrechtlicher Natur waren, während sie in den Gravamina des 16. Jahrhunderts mehr als kirchenpolitisch erscheinen;" Heinz Angermeier, Reichsreform und Reformation, in: Historische Zeitschrift 235 (1982), 529-604, hier 539. E. Wolgast, Gravamina. Vgl. zum Thema auch die älteren, aber nützliches Hintergrundwissen liefernden Untersuchungen von B. Gebhardt, gravamina, und H. Cellarius, Reichsstadt, bes. 13-48. Das subjektive Empfinden tauschte über die tatsächliche Belastung hinweg. W. Andreas, Deutschland, 69f. Das Wiener Konkordat war bekanntlich die päpstliche und kaiserliche Reaktion auf die konziliaren Reformversuche. Geregelt wurden unter anderem der Umfang der päpstlichen Rechte bei der Pfründenvergabe und der Besetzung kirchlicher Ämter, sowie die Höhe der kirchlichen Steuern (Annaten bzw. Servitien). Vgl. die Synopse des Konstanzer Konkordats, der Pragmatischen Sanktion sowie des Wiener Konkordats bei B. Gebhardt, gravamina, 114-125. Im Wiener Konkordat fehlen folgende, im Konstanzer Konkordat (1418) oder in der Mainzer Akzeptation (1439) enthaltenen Artikel: De interdictis; de non vitandis excommunicatis antequam per iudicem fiierint declorati et denunciati; de modo communicandi his, qui dicuntur excommunicato; de publicis concubinariis, H. Cellarius, Reichsstadt, 169.

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Weise aus: Zum einen verschärfte sich der antikuriale und kirchenkritische Ton; zum anderen, bedingt durch die Verschmelzung reformatorischer Anliegen mit denjenigen der Gravamina-Bewegung, war nicht mehr hauptsächlich die päpstliche Kurie der Brennpunkt der Kritik, sondern der Klerus insgesamt. Infolgedessen wurden die Beschwerden zunehmend zu einer Angelegenheit, womit sich auschließlich die weltlichen Stände beschäftigten.55 Entsprechend dieser Entwicklung veränderten sich Form und Inhalt der Gravamina. Sie wurden immer differenzierter vorgetragen. Das lässt sich einerseits an der Zahl der Beschwerdepunkte ablesen. Waren es 1455 nur dreizehn Artikel, welche die Mainzer Provinzialsynode verabschiedete, so wuchs der Umfang bis 1521 auf hundertzwei Artikel an. Andererseits zeigt sich das auch an den Formulierungen zur geistlichen Gerichtsbarkeit, welche in irgendeiner Form immer ein mitlaufender Beschwerdepunkt waren. Die vom hohen Klerus 1455 verabschiedeten Beschwerden, die der Reichstag zu Frankfurt 1456 verhandelte, enthielten drei Artikel, die sich im weiteren Sinn mit den kirchlichen Gerichten befassten.56 Die Kleriker forderten vom Papst, dass ihr Gerichtsstandsprivileg beachtet und besser geschützt werde. Sodann enthielt der synodale Text ein Verbot der heimlichen Ehen. Solche seien nur gültig, wenn sie vor zwei Zeugen geschlossen worden seien und eine bestimmte Wortformel verwendet würde. Dadurch sollten Ärger (scandalum) und Prozesse (lites) vermieden werden. Der gemeinsame Punkt beider Beschwerden liegt in der Forderung, kirchenrechtliche Normen strenger zu beachten.57 Als Beschwerung der Laien wurde die Forderung der Landesfursten aufgenommen, wonach kirchliche Gerichte aufhören sollten, weltliche Sachen vor ihre Foren zu ziehen. Obwohl die weltlichen Stände sich an der Diskussion beteiligten, nahm die Kritik an der kirchlichen Rechtspraxis zunächst keinen prominenteren Platz ein. Der „Kampf gegen die geistliche Gerichtsbarkeit", wie die Kapitelüberschriften nicht nur in den älteren Arbeiten zur landesherrlichen Kirchenpolitik im Spätmittelalter lauten, warf nur kleine Wellen auf der reichspolitischen Ebene.58 In dieser

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Der katholische Klerus seinerseits begann 1523 seine eigenen Beschwerden zu formulieren. Vgl. die dem Kardinallegaten Cajetan vorgelegte Beschwerdeliste bei G. Pfeilschrifter (Hg.), Acta, Nm. 43f. Der Text bei M. Hannappel, Provinzialsynode, 459ff. Zum Hintergrund vgl auch B. Gebhardt, gravamina, 14-18. Die 1479 und 1487 vom deutschen Klerus formulierten Artikel gingen inhaltlich über die 1455/56 abgesteckten Grenzen nicht hinaus; vgl. E. Wolgast, Gravamina, 131. - Die Versammlung des Klerus der drei Erzstifte diskutierte das Thema „geistliches Gericht" ähnlich. Man beklagte einerseits, dass die Laien den geistlichen Gerichtszwang unterliefen, indem sie von ihresgleichen einen Eid forderten, Kirchengerichte nicht anzurufen, andererseits, dass das Gerichtsstandsprivileg missachtet würde; vgl. B. Gebhardt, gravamina, 62ff. Vgl. z.B. P. Kim, Friedrich der Weise, 36-71. Wilhelm Wintruff, Landesherrliche Kirchenpolitik in Thüringen am Ausgang des Mittelalters (Forschungen zur Thüringisch-sächsischen Geschichte, 5), Halle/S. 1914, 40-52. Johannes Wülk, Staat und Kirche in Württemberg nach dem Tode Graf Eber-

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Frage ist kein wesentlicher Gegensatz zwischen geistlicher und weltlicher Gewalt erkennbar.59 1456 klagte man zwar in den sogenannten Frankfurter Avisamenta, der Papst zöge sämtliche weltliche und geistliche Rechtsstreitigkeiten nach Rom, wo das Verfahren verschleppt würde. Mancher sei wegen seiner Armut gezwungen, entweder sich mit einem ungünstigen Urteil - einer „vngeburlich rachtunge" zu begnügen oder auf die Gerechtigkeit gänzlich zu verzichten.60 Aber die Stände ließen es bei dieser allgemeinen und nur gegen die päpstliche Kurie gerichteten Kritik bewenden. Auf den großen Reformreichstagen unter Kaiser Maximilian I., die 1495/96 abgehalten wurden, schoben die Stände das Problem vor sich her.61 Auch in einem Arbeitspapier über die innere Reichsordnung, das 1502 auf dem Kurfiirstentag in Gelnhausen 1502 entworfen wurde, beließ man es beim pauschalen Vorwurf, der arme Mann sei von den geistlichen Gerichten „mercklich beswerdt" 62 Noch auf dem Augsburger Reichstag 1518 enthielten die Gravamina, die formuliert wurden, um die Türkensteuer abzulehnen, keinen einzigen Artikel, in dem von den kirchlichen Gerichten die Rede war.63 Bis 1521 war die geistliche Gerichtsbarkeit im Unterschied zur päpstlichen Pfründen- und Steuerpolitik kein Reizwort, das breite Diskussionen auf der höchsten politischen Ebene hervorrief. Das änderte sich in den ersten Reformationsjahren. Vielleicht auch unter dem Eindruck von Luthers zündenden Predigten und Flugschriften waren es zuerst Herzog Georg von Sachsen und dann weitere kleinere weltliche Fürsten, die je eine Vorlage für den Entwurf der Beschwerden der deutschen Nation auf dem 1521 stattfindenden Reichstag zu Worms lieferten.64 Die Beschwerden verdankten sich also der Initiative des Adels. Ausgearbeitet wurde das Konzept von einem Ausschuss geistlicher und weltlicher Kurfürsten und Fürsten, dessen genaue Zusammensetzung aber nicht bekannt ist. Ob die Städte inhaltlich etwas dazu beitrugen ist denkbar, aber die eindeutigen Belege fehlen.65 Der reformatorische Wind aus

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hards im Bart (1496) bis zur Einfuhrung der Reformation, in: Württembergische Vierteljahreshefte fur Landesgeschichte NF 26 (1917), 1-41, bes. 18-24. E. Schubert, Herrschaft, 39f. L. von Ranke, Geschichte (6. Bd.), Nr. 4, 23. Zum Hintergrund vgl. B. Gebhardt, gravamina, 19f. Deutsche RTA., Mittlere Reihe, 6. Bd., bearb. H. Gollwitzer, Göttingen 1979, Nr. 32. Vgl. auch B. Gebhardt, gravamina, 70. Der Entwurf ist ediert bei L. von Ranke, Geschichte (Bd. 6), Nr. 5, 30. Johannes Janssen (Hg.), Frankfurts Reichscorrespondenz (2. Bd.), Freiburg/Br. 1872, Nr. 1204. RTA. (j-R ) Π, Nm. 94ff., 662-704. Zu den formalen Aspekten und Hintergründen der Beschwerden vgl. B. Gebhardt, gravamina, 105-113. Einzelne Detailkorrekturen an seiner Rekonstruktionsarbeit in RTA. (j.R.) III, 661f. - Zum Zusammenhang zwischen Luthers Adelsschrift und den Gravamina vgl. Heinz Scheible, Die Gravamina, Luther und der Wormser Reichstag 1521, in: Blätter für pfalzische Kirchengeschichte 39 (1972), 167-183. Zuletzt H.-Chr. Rublack, Gravamina, 295, 311. Rublack arbeitete hauptsächlich am Speyrer Reichstag von 1526 heraus, dass es zwischen Gravamina und Reformation kein eindeutiges Zuordnungsverhältnis gab, und interpretierte Luthers Adelsschrift als „Solidaritätserklärung" mit der Gravaminabewegung. Bürger werden in keinem einzigen Artikel zur Personengruppe gerechnet, die von den kirchlichen Gerichten geschädigt wurden. Jedoch kann nicht daran gezweifelt werden, dass die Städte die Meinung

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Sachsen blähte das antikirchliche Bittgesuch an den Kaiser auf. Hundertzwei Artikel enthielt es. Mehr als die Hälfte davon befassten sich mit der kirchlichen Gerichtsbarkeit.66 Sie finden sich in allen vier Teilen der Schrift, nicht nur im letzten Viertel, der den Titel „Von erzpriestern, officialen und andern gaistlichen richtern und gerichtspersonen" trägt.67 Die Angst, dass der geistliche Stand den weltlichen allmählich um sein Geld bringe, zieht sich als roter Faden durch die ganze Schrift.68 Hinter jeder kirchlichen Handlung und hinter jedem politischen Akt der römischen Kurie und ihren Funktionären witterten die fürstlichen Stände Raff- und Geldgier sowie Übergriffe in den ihnen zustehenden Kompetenzbereich. Anders aber als Luther, der aufgrund seiner theologischen Position dem päpstlichen Recht und den kirchlichen Gerichten die Legitimation entzog, verlangten die Stände nur, dass die Missstände abgestellt würden. Im Folgenden werden allein die Beschwerden von 1521 ausgewertet, da sie auf den in den 1520er Jahren abgehaltenen Reichstagen nur noch wiederholt, allenfalls durch ältere, bereits vorgetragene Klagen ergänzt, ihnen aber keine grundsätzlich neuen Artikel inseriert wurden 69 Ihr Inhalt kann zusammengefasst werden unter den Rubriken „Übergriff geistlicher Richter in einen fremden Zuständigkeitsbereich" (a.) und „Missbrauch der Rechtsgewalt und Missstände im geistlichen Bereich" (b.). a. Der Vorwurf des Übergriffs oder des unrechtmäßigen Kompetenzanspruchs richtete sich sowohl gegen den Papst und seine Richter (Konservatoren, Kommis-

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des Adels hinsichtlich des geistlichen Gerichtszwangs grundsätzlich teilten. Vgl. Artikel 8 der 1522 auf dem Eßlinger Städtetag verabschiedeten Supplikation der Städtegesandten an Statthalter und Stände in: RTA. (j-R.) III, Nr. 85, 468 und Nr. 89, 492f. Zur Stellung der Reichsstädte gegenüber dem geistlichen Gericht vgl. immer noch A. Störmann, Gravamina, 191-228; zuletzt H.R. Schmidt, Reichsstädte. - Jedenfalls ist in der Forschung unbestritten, dass die Gravamina ausschließlich obrigkeitliche, das heißt fürstliche und städtische Interessen enthielten. Auf den gemeinen Mann berief man sich allenfalls aus Nützlichkeitserwägungen; so H.-Chr. Rublack, Gravamina, 294. Vgl. dazu die kategorisierende Übersicht bei H R. Schmidt, Reichsstädte, 38. Die übrigen drei Kapitelüberschriften lauten: 1. „Articul damit päpstliche Heiligkait Teutsche land beschwärt" (Art. 1-28), 2. „Beschwerd von den erzbischofen, pischofen und prelaten allain" (Art. 2958), 3. „Von thumb- und chorhem, pharrhern, auch andern gaistlichen personen ingemain" (Art. 5972). Um Wiederholungen zu vermeiden, werden die einzelnen Teile nicht separat behandelt. RTA (j.R ) II, Nr. 96 (Art. 32). Der Artikel selbst bezieht sich zwar nur auf die weltlichen Immobilien, die in geistliche Hände gelangten. Aber der Vorwurf, dass das Geld der deutschen Laien in die Taschen der Geistlichkeit fließe, findet sich in fast jedem Artikel. Die 1523 auf dem Reichstag zu Nürnberg verabschiedeten Gravamina geben im Wesentlichen die Wormser Artikel in 74 Punkten wieder (Art. 74: „Das noch mehr beswerden vor äugen sein, di dismals umb kurze willen anzuzeigen unterlassen werden"); RTA. (j.R.) III, Nr. 110. Vgl. die Synopse der Wormser und Nürnberger Artikel bei B. Gebhardt, gravamina, 133-141. Beschwerden von 1526 bei L. von Ranke, Geschichte (6. Bd.), Nr. 8.

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sare) als auch gegen die ordentlichen Kirchengerichte in den einzelnen Bistümern (bischöfliche und archidiakonale Offizialate). Die Aspekte werden im ersten Artikel verdichtend zusammengefasst: Eure kaiserliche Majestät, baten die Stände, solle erwirken, dass niemand, weder Priester noch Laien, um geistliche oder weltliche Sachen erstinstanzlich nach Rom zitiert werden, sondern vor ihren Bischof oder Archidiakon; in weltlichen Angelegenheiten soll ein Laie bei dem Herrn und ordentlichen Richter Klage einreichen, unter dessen Schirm der Beklagte lebe oder wo sonst die Sache hingehört.70 Drei Punkte werden hier angesprochen: Die Einhaltung des ordentlichen Instanzenzugs, die sachliche Grenze zwischen weltlichen und geistlichen Rechtsmaterien und die ständischen Schranken. Der Vorwurf, der Papst und seine Richter würden ihre Kompetenz überschreiten und das Rechtsprinzip brechen, wonach der Wohnort in der Regel auch der Gerichtsort sei, bezog sich nicht allein auf zivile Fälle - „erbschaft, pfantschaft und ander dergleichen weltlich sachen" 71 Auch bei kriminellen Vergehen tauchte das Problem der fließenden rechtlichen Grenzen und sich überlappenden Ansprüche auf. Laien, die Kleriker beleidigten, würden vor den geistlichen statt vor den zuständigen weltlichen Richter zitiert.72 In einem anderen Artikel heißt es: Obwohl Vergehen wie beispielsweise Meineid, Ehebruch oder Zauberei nach dem Grundsatz der Prävention sowohl vom geistlichen als auch vom weltlichen Richter bestraft werden kann, wollen die Kirchenrichter die Täter allein bestrafen.73 Die Schuld dafür wies man nicht allein der Gerichtsbehörde zu, sondern auch dem niederen Klerus, weil er sich nicht als solcher zu erkennen gebe. Personen, welche die niederen Weihen empfangen hätten, würden weltliche Geschäfte treiben und seien oftmals auch verheiratet; zudem trügen sie keine Tonsur, aber weltliche Kleider. Im Fall eines zivil- oder strafrechtlichen Rechtsstreits würden diese Personen deshalb vor den weltlichen Richtern geladen, dort aber pochten sie auf ihr Gerichtsstandsprivileg.74 Aber auch die Laien waren an dieser Situation nicht ganz unschuldig. Auch sie wollten die Vorteile des geistlichen Gerichtszwangs nutzen, beispielsweise indem sie Vertragsbrüchige vor den geistlichen Richter luden und deren Habe arrestieren ließen, obwohl es sich in den Augen der Stände um eine weltliche Sache handelte.75 70 71

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RTA. (j.R.) II, Nr. 96 (Art. 1). Vgl. auch Nr. 96 (Art. 57). Die Gravamina erinnern explizit an die seit Gratian gängige kirchenrechtliche Formel actor tenetur sequi forum rei. RTA. (j.R.) II, Nr. 96 (Art. 73). Vgl. die Dekrete C. 3. q.6 c.16 und C. 11 q.l c. 15/16 sowie die Dekretalen X 2.2.5 und X 2.2.8. RTA. (j.R.) II, Nr. 96 (Art. 78). RTA. (j.R.) II, Nr. 96 (Art. 85). Zum Meineid vgl. auch Art. 79. Der Vorwurf, geistliche Richter würden unberechtigterweise weltliche Sachen beurteilen, findet sich auch in den Artikeln 84, 86ff., 94, 98, 101. RTA. (j.R ) II, Nr. 96 (Art. 3Of., 5 9 Í , 73, 77, 80). RTA. (j.R.) II, Nr. 96 (Art. 98): „Von unbillichen arresten und kummern der gaistlichen richter. Item an vil orten ist ain missbrauch in taglicher ubung, das auf aines laien ansuechen in weltlichen sachen der gaistliche richter wider den andern laien inhibition und verbotsbrive ausgeen last, vor dem weltli-

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b. Der Vorwurf, die geistliche Gerichtsgewalt zu missbrauchen, traf kollektiv das gesamte Gerichtssystem, die Pfarrer ebenso wie die Sendherren, die archidiakonalen und bischöflichen Offiziale, die Metropolitane, endlich auch den Papst. Am häufigsten wird in den Gravamina in allgemeiner Form aber von „geistlichen Richtern" gesprochen. Die Geschädigten und Beschwerten waren der weltliche Stand, das „Volk", die „Laien", „arme, eilende, arbaitsame Menschen";76 im Speziellen werden auch Frauen als missbrauchte Personengruppe erwähnt.77 Die Fürsten sahen sich aber offenbar als Sprachrohr derjenigen, denen sie nach alter Gewohnheit Schutz und Schirm angedeihen lassen sollten, nämlich ihren Untertanen. Entsprechend häufig ist von „armen Leuten" die Rede.78 Die Vorwürfe, die geistlichen Richter würden Schindluder mit ihrer Amtsgewalt treiben, richteten sich vor allem gegen zwei - nur analytisch zu trennende Praktiken, einerseits waren sie personell, andererseits materiell motiviert. Die Kritik an den Gerichtsbeamten konzentriert sich auf die Richter, insbesondere die erzpriesterlichen Offiziale. Sie verständen nichts von ihrer Arbeit und seien charakterlich ungeeignet, zum Teil „leichtfertige Personen".79 Die mit gutem Beispiel vorangehen sollten, verdarben selbst die Laien. Dann hielt man die Richter fur parteiisch und warf ihnen vor, sie würden ihre Standesgenossen in Schutz nehmen. Ungestraft würden die Kleriker in den Wirtshäusern Karten spielen und würfeln, sich mit Laien raufen, mit Frauen schlafen und sonst ein liederliches, unpriesterliches Leben fuhren. Das geistliche Recht binde allein die „armen, eilenden, arbaitsamen menschen",80 diejenigen, auf deren Kosten die Frevler lebten. In diese Kategorie der Klagen gehört auch die Beschwerde, dass die Bischöfe und Prälaten die Gerichtsstatuten aus Eigennutz nicht beachteten.81 Nichts aber deutet darauf hin, dass das untere Gerichtspersonal, die Notare, Schreiber und Prokuratoren es den Bannerträgern von Recht und Wahrheit gleich taten. Offenbar arbeiteten diese zur Zufriedenheit der weltlichen Obrigkeit. Der Kern der sachlich begründeten Kritik war die Strafpraxis, der Missbrauch der kirchlichen Zensuren. Der Bann, klagten die Fürsten, würde nicht verhängt um

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chen richter nit weiter, sonder vor ime, dem gaistlichen, rechtlich zu vollfaren [...]." Vgl. Art. 87. „Kummer" ist ein Arrestverfahren, wodurch die Vermögenswerte eines Schuldners beschlagnahmt werden; vgl. G. Buchda, Kummer, Spp. 1257-1263. RTA. (j.R.) II, Nr. 96 (Art. 19, 34, 43, 99). RTA. (j R.) II, Nr. 96 (Art. 83, 89). Die Titel der beiden Artikel lauten: „Wie oft von ungegrundts leumuts wegen erbere frauen beschwert werden" und „Wie man die frauen, so tote firucht geberen, unbillichen strafft". RTA. (j.R ) II, Nr. 96 (Art. 19, 44f., 66, 74, 77, 92, 94, IOlf). - Das Adjektiv „arm" zielt weniger auf die ökonomische Lage als auf die Position in der weltlichen Herrschaftshierarchie. Vgl. die begriffsgeschichtliche Untersuchung von K. Bosl, Potens. RTA. (j.R ) II, Nr. 96 (Art. 36). RTA. (j.R ) II, Nr. 96 (Art. 34). Vgl. ebd. (Art. 31, 59, 66f„ 69). RTA. (j.R ) II, Nr. 96 (Art. 38 ,57, 81).

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des Seelenheils willen, sondern wegen geringster Schulden, „die zu vil malen nicht über zwei oder vier weisspfennig ertragen", wegen anderer weltlicher Sachen, nicht zuletzt auch wegen ausstehender Prozesskosten.82 Die Zensuren würden als Exekutionsmittel eingesetzt. Der Zweck der Strafe werde dadurch pervertiert, denn sie fördere nicht die Reue und diene nicht der Besserung des Sünders, sondern werde aus Eigennutz der Gerichte verhängt. Die meisten Bannurteile seien fiskalisch motiviert, da mit den Absolutionen viel Geld zu verdienen sei. 83 Die Beziehung zwischen Strafe und Vergehen wurde überdies als unverhältnismäßig empfunden, insbesondere dann, wenn Gericht Geldschulden entgegen des päpstlichen Verbots mit dem Interdikt eintrieb.84 In diesem Zusammenhang prangerten die Fürsten schließlich auch die Häufung von Strafen an. Geistliche Richter würden Laien, die bereits von der weltlichen Gewalt bestraft worden seien, noch einmal bestrafen.85 Sie seien Blutsauger, die den „armen, weltlichen, unverstendigen laien" den Lebenssaft entzögen und sie in das ewige Verderben führten.86 Neben den missbräuchlich verhängten Zensuren waren die Prozesskosten und die arglistige Geldbereicherung im Allgmeinen Gegenstand der Beschwerden. Den kirchlichen Richtern hielt man vor, sie würden die Laien absichtlich übereilen und in hohe Kosten stürzen.87 Zu diesem Zweck missbrauchten sie das inquisitorische Verfahren. Die Fürsten klagten, dass dieses nicht, wie das Recht es vorschrieb, durch ein Gerücht in Gang gesetzt würde, das dem Richter zugetragen werden musste. Vielmehr hätten die Gerichte überall Spitzel ausgeschickt, „in die stett, 82

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RTA. (j.R.) II, Nr. 96 (Art. 43). „Were von nöten," endet der Artikel, „solichen unwidersprechlichen und unleidlichen missbrauch und ungeburliche excommunication abzustellen, und das in sachen, darumb sie zugelassen und nicht änderst fiirgenomen werden, dieweil man sieht, das ir metropolitan solichs inen nit weren, sonder sie dabei handhaben." Der Bann sollte also weiterhin von den geistlichen Richtern als Strafmittel eingesetzt werden können. - Artikel mit ähnlichem Inhalt sind: Art. 11, 29, 31, 37, 40, 44f., 47, 66, 74, 76, 85 ,94-97, 101. RTA. (j.R ) II, Nr. 96 (Art. 19/39/68/82). Bündig bringt es der 39. Artikel auf den Punkt: Die geistlichen Richter verhängten Exkommunikationen allein deshalb, damit „die Laien dieselben fùrter mit gelt von inen abkaufen".

RTA. (j.R.) II, Nr. 96 (Art. 47). RTA. (j.R.) II, Nr. 96(90/92).

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RTA. (j.R.) II, Nr. 96 (Art.43).

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RTA. (j R ) H, Nr. 96 (Art. 94): In „ladungen und manungen [...] wurdet die sach der clag nit dermassen gemelt, das man daraus die ursach versteen mug, ob solich clag für gaistlich gericht gehör oder nit. Daraus volget, so der beclagt desshalb sein weltlich herrschaft ansuecht, das dieselbig erstlich den gaistlichen richter ersuchen und erfaren muss, was die clag sei; und so er dess bericht wurdet und daraus erfindet, das die clag fur weltlich gericht gehört, alsdann muss er allererst noch ainmal den gaistlichen richter umb die remission oder Weisung ansuechen, wellich Weisung dann oftermals als vorsteet, unbillich versagt wurdet; ist auch je zu zeiten des beclagten herrschaft nit so nahet, das er, der beclagt, die umb abforderungschrift ansuechen mag, so setzen die gaistlichen richter fursetzlich mit vleis kurze termin, damit sie die armen preeipitirn und ubereiln, je zu zeiten also schnell, das die citirten dazwuschen ir herschaft nit erreichen oder derhalben notdurftigen rat und hilf bei den erlangen mugen; und also vil armer, unschuldiger leut in vermainten pann, auch gross, merclich, verderplich costen und Scheden [...] gefuert werden". Ähnlich Art. 73

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flecken und dörfer", um sowohl nach öffentlichen als auch nach heimlichen Vergehen und Sünden zu forschen. Redliche und unbescholtene Menschen würden von missgünstig gesinnten und leichtfertigen Kerlen angezeigt, vor das Kirchengericht zitiert und angeblichen ihre Sünden anschließend öffentlich von der Kanzel verlesen. Die Offiziale hätten kein Recht, sie zu strafen. Dadurch würden die Laien in große Unkosten gestürzt.88 Die Geldgier zeigte sich noch in einer anderen Unart. Die Offiziale, einmal mehr stehen die Richter im Kreuzfeuer der Kritik, zögen nur um des Geldes willen falsche Anschuldigungen - „unbilliche ruge" - vor ihr Forum. Denn am Urteilsbrief fur den Reinigungseid, der geleistet werden musste, um sich von der falschen Anklage zu befreien, verdienten sie „zwen gulden und ain ort ains guldens". Überdies werden die Parteien gezwungen, das schriftliche Urteil zu nehmen, weil das Gericht an der Besiegelung viel Geld verdiene.89 Der Fiskalismus geistlicher Gerichte führe sogar zur Rechtsbeugung. Vergehen wie beispielsweise „Konkubinat" oder „Wucher" würden geduldet, weil die Delinquenten sich mit einem jährlich zu bezahlenden Zins freikauften.90 Neben diesen Hauptvorwürfen traten andere Klagen in den Hintergrund. Sie wogen deshalb aber nicht weniger schwer. Die Fürsten jammerten, dass die Richter indirekt die Bigamie und den Ehebruch duldeten. Sie setzten sich, warfen sie ihnen vor, vorschnell über das impedimentum ligaminis hinweg, indem sie in Fällen, in denen der Gatte oder die Gattin vermisst würde, eine neue Ehe mit einer anderen Person einzugehen erlaubten, ohne Erkundigungen darüber einzuholen, ob er oder sie tatsächlich tot sei.91 Ein zweiter Nebenpunkt betraf die Prozesskosten. Da die „armen, einfaltigen laien" lange Prozesse wegen der Höhe der Gerichtskosten scheuten - „das beiweiln die unschuldigen den costen, der auf das recht geet, auch mue mit hin- und herlaufen, fliehen" -, würden sie oftmals vorschnell in einen ungerechten Vertrag einwilligen, um dem Verfahren ein möglichst schnelles, eben kostengünstiges Ende zu setzen.92 Die Gravamina beschreiben die Übelstände, zählen sie minutiös auf. Konkrete Vorschläge aber, wie sie abzustellen seien, enthalten sie keine. Der Ruf nach einem Konzil, in dem man im 15. Jahrhundert das Forum zur Abhilfe sah, wurde in den zwei, drei Jahrzehnten vor der Reformation nicht mehr ernsthaft erhoben.

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RTA. (j.R.) II, Nr. 96 (Art. 93). Einen anderen Verfahrensmissbrauch wird in Artikel 100 („Wie man kain frembden advocaten oder procurator zu vil gaistlichen gerichten brauchen darf') moniert. RTA. (j.R.) II, Nr. 96 (Art. 83).

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RTA. (j.R.) II, Nr. 96 (Art. 91). Vgl. auch Art. 37.

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RTA. (j.R.) II, Nr. 96 (Art. 91): „[...] das sie nennen tolleramus; dienet zu Verachtung des heiligen sacraments der ee und ergernus fromer Christen."

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RTA. (j.R.) Π, Nr. 96 (Art. 99).

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1.3

Gemeiner Mann - wohin?

In allen drei untersuchten Bistümern standen die kirchlichen Gerichte bereits vor der Reformation auf der Anklagebank. Hauptsächlich die Bauern äußerten ihren Unmut, fast nie die Städter.93 Zwei verschiedene Anlässe können unterschieden werden, einmal der konkrete Rechtsfall, die Betroffenheit aufgrund der Bann- und Interdiktsfolgen, dann bäuerliche Unruhen oder Verschwörungen, in deren Verlauf ein Beschwerdebrief aufgesetzt, der Herrschaft vorgelegt und die Übereinkunft später vertraglich festgehalten wurde.94 Damit sind auch bereits die wichtigsten Quellengattungen genannt, welche die Kritik des gemeinen Mannes am geistlichen Gericht enthalten, Beschwerdebriefe und Verträge.

1.3.1 Vorreformatorische Beschwerden (bis 1521) Vor allem seit der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts werden Klagen gegen die geistlichen Gerichte laut - beziehungsweise in den Quellen fassbar. Sie entzündeten sich fast immer an einzelnen Rechtsfällen. Es war also eine punktuelle Kritik.95 Vor allem zwei Gründe, die in der Rechtsprechungspraxis oftmals miteinander verknüpft waren, gaben zu Kritik Anlass: die Strafpraxis, hauptsächlich die Folgen von Bann und Interdikt (1), und die streitige Jurisdiktion, insbesondere die Übergriffe der kirchlichen Rechtsprechung in den weltlichen Bereich (2). Eine letzte Gruppe von Klagen betraf das Gerichtsprivileg der Geistlichen (3). Beschwerden über die Ehegerichtsbarkeit, über korrupte Beamte oder über das römischrechtliche, in einer Fremdsprache geführte Verfahren finden sich hingegen nicht. Allenfalls hielt man dem Prozessgegner die Höhe der Gerichtskosten vor Augen, um ihn zu bewegen, einen anderen, billigeren Rechtsweg einzuschlagen. Zwei Bei93

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Allerdings beschwerte sich manchmal die Stadtobrigkeit. Aber nur selten wurden Bürgermeister und Rat als Sprachrohr der Untertanen aktiv. Denn in der Regel handelte es sich um einen Herrschaftskonflikt. Im Konfliktverlauf war die Eingabe von Beschwerden zumeist der erste Schritt. Peter Blickle, Auf dem Weg zu einem Modell der bäuerlichen Rebellion - Zusammenfassung, in: Ders. (Hg ), Aufruhr, 298-308, hier 305. Nur einmal ist die radikale Forderung überliefert, man wolle den geistlichen Gerichtszwang ganz abschaffen. Erhoben wurde sie von den Verschwörern des Bundschuhs von Schlettstadt (Bistum Straßburg) 1493; A. Rosenkranz, Bundschuh 2, N m . 1, 10. - Zur Situation im Bistum Straßburg vgl. die von einem Juristen in der ersten Hälfte des 15. Jahrhunderts verfasste Beschwerdeschrift, die sich detailliert über die Missstände der geistlichen Gerichtshöfe ausläset. Ediert von P.-J. Schuler, Reformation, 177-214. Interpretiert von Dems., „armen lüt". Vgl. auch die ältere Arbeit, die sich unter anderem auf diese Quelle stützt von K. Stenzel, Gerichte. Zur Einordnung in die Tradition spätmittelalterlicher Aufstände vgl. G. Franz, Bauernkrieg, 56-62.

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spiele illustrieren das. Der Abt des Klosters St. Gallen forderte 1500 die Gemeinde Gaiserwald auf, ihm den Groß- und Kleinzehnt abzuliefern, und drohte ihr, sie widrigenfalls vor dem geistlichen Gericht in Konstanz zu verklagen. Die Bauern lenkten ein und baten, „sy vor costen zu(o) verhu(e)ten".96 Um 1513 lud der Abt des nördlich von Freiburg gelegenen Klosters St. Ulrich oftmals Untertanen eines mit dem Freiburger Bürgerrecht privilegierten Landadligen vor das geistliche Gericht nach Basel. Der Grund ist unklar. Jedenfalls hielt es die Stadt Freiburg für ihre Pflicht einzuschreiten. Sie begehrte vom Klostervorsteher, dass er das Verfahren einstelle und sein Recht am städtischen Gericht suche, um die hohen Prozesskosten zu vermeiden.97 Die Kritik, die sich gegen die kirchliche Gerichtsbarkeit erhob, richtete sich von ganz wenigen Ausnahmen abgesehen gegen die Rechtsprechung der bischöflichen Offizialate in Basel, Konstanz und Chur. Die Ausnahme betraf das päpstliche Schirmgericht der Stadt Basel. (1) Der Bann schade der Seele, heißt es im Sachsenspiegel. Die folgenden, leicht zu vermehrenden Belege zeigen, dass Bauern und Städter diese Auffassung bis zur Reformation teilten. Dass es daneben auch Fälle gab, wo man sich über die kirchlichen Zensuren hinwegsetzte,98 soll ebensowenig geleugnet werden wie die Interpretation außer acht gelassen werden kann, wonach die Herrschaft aus eigennützigen Motiven den Exkommunizierten ihren Schutz und Schirm angedeihen ließ und sich beim Exekutor des Banns für die Lossprechung einsetzte. Der Hinweis auf die Seelenpein der Untertanen mag vorgeschoben sein; das Eintreten für die Untertanen legitimierte schließlich die Herrschaft. Doch sowohl die Auswertung der Aktennotizen aus dem Rechnungsbuch des konsistorialen Sieglers aus Chur als auch die nachfolgenden Beispiele weisen unzweideutig nach, dass sich die gebannten Personen tatsächlich beschwert fühlten. Als Gründe führen sie an die akute Gefahrdung ihres Seelenheils, die UnVerhältnismäßigkeit zwischen Vergehen und Strafe sowie die Exkommunikation Unschuldiger. Die Stadt Freiburg wandte sich 1466 mit folgender Bitte an den Bischof. In der Pfarrei Hochdorf sei der Leutpriester getötet und deshalb das Interdikt verhängt worden. Für die armen Leute sei es ein unerträglicher Zustand, ohne Gottesdienst zu sein und nicht mit den Sakramenten versorgt zu werden, zumal sie unschuldig seien. Der Bischof möge deshalb das Interdikt aufheben.99 1474, nachdem der Graf von Fürstenberg einen Priester im Dekanat Villingen gefangengenommen hatte, 96

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M

Das Beispiel in Peter Blickle, Bäuerliche Rebellionen im Fürststift St. Gallen, in: Ders. (Hg.), Aufruhr, 215-295, hier 272. - Weitere Klagen über die Höhe der Gerichtskosten in: EA III/2, Nr. 758b. A. Rosenkranz, Bundschuh 1, 269 Anm. 1. Hier auch weitere Beschwerdebriefe der Stadt Freiburg in ähnlichen Angelegenheiten. Beispiele fur die Missachtung von Kirchenstrafen durch Laien: REC 4, Nrn. 10489, 10551, 12723, 13817. REC 4, Nr. 13132.

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verhängte der Bischof über das Gebiet das Interdikt, weswegen sich etliche Personen und Gemeinden beklagten.100101 Ein illustrierendes Beispiel stammt aus der gemeinen Herrschaft Thurgau. Ammann und Rat von Zug übermitteln 1500 an Schultheiß und Rat von Luzern folgende Beschwerde, die ihnen der Zuger Landvogt im Thurgau gemeldet hatte. Zahlreiche Missstände habe dieser beobachtet, darunter auch solche wegen des Banns und Interdikts. Ein besonders anstößiges Problem betreffe die Neugeborenen. Wenn sie mit Gottes Gnade das Kind zu Welt brächten, die Pfarrei aber ausgerechnet dann im Interdikt liege, blieben die Kinder ungetauft.102 Offenbar scheint das öfters vorgekommen zu sein. (2) Wo die streitige Rechtsprechung kritisiert wurde, lautete ein besonders häufig erhobener Vorwurf, dass die kirchlichen Richter sich in weltliche Angelegenheiten einmischten und den Bann oftmals in profanen Rechtshändeln verhängten. Die unscharfe Grenze zwischen den Rechtssphären gab immer wieder zu Beschwerden Anlass, wie die drei nächsten Beispiele zeigen. Das erste findet sich in einem Vertrag, der 1467 zwischen Probst und Kapitel im Münstertal und ihren Leibeigenen einerseits sowie dem Basler Bischof andererseits geschlossen wurde. Im siebten Artikel ist zu lesen: Alle zur Probstei gehörenden Personen sollen „mit dem geistlichen gericht als mit lad und banbrieffen umb weltlichen sachen gentzlich unbeschwert [...] bliben".103 Im baslerisch-hachbergischen Konflikt 1488/90 spielten Schuldforderungsklagen von Basler Bürgern gegen hachbergische Untertanen eine mitverursachende Rolle. Dem Markgrafen ging es um den korrekten Rechtszug nach Konstanz, seinen Bauern aber darum, wegen Schuldforderungen nicht mehr vor das geistliche Gericht zitiert und schlimmstenfalls gebannt zu werden.104 Dass 100

REC 4, Nr. 14146. Wer sich genau beschwerte, wird im Regest nicht gesagt.Ein weiteres Beispiel in EA III/1, Nr. 618f. - Aus dem Bistum Chur sind nicht viele derartige Klagen überliefert. Das kann an der Quellenüberlieferung liegen. 1423 beschwerte sich die Stadt Chur bei den Eidgenossen über die ungerechte Interdiktspraxis des Bischof; vgl. J.-G. Mayer, Geschichte I, 440. 1468 heißt es im Abschied des in Fürstenau abgehaltenen Gotteshaustages: „So denn von des gaistlichen gerichts wegen berrett [. . .] wie man daz furer halten solle, damit daz niemant dadurch beschwärt, sonder daz geprucht werd, nach glichen pillichen dingen, wie von alter herkommen ist;" F. Jecklin (Hg ), Materialien, Nr. 10, 22. Zum Hintergrund vgl. Anton von Castelmur, Ein Versuch zur Einfuhrung der ständischen Verfassung im Bistum Chur 1468, in: ZSKG 18 (1924), 96-108, hier 102. Weitere Beispiele: REC 4, Nrn. 11024, 11941, 13083, 13468 u.ö. EA II, Nr. 664c und EA III/l, Nrn. 598h, 669ee. Aus dem Bistum Basel sind kaum solche Bitten und Beschwerden überliefert, wenn man vom jahrzehntelangen Streit zwischen den Münstertalern und dem Bischof einmal absieht; vgl. dazu P. Kistler, Burgrecht.

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Urkundenbuch von Stadt und Amt Zug vom Eintritt in den Bund bis zum Ausgang des Mittelalters, 1352-1528, bearb. von. E. Gruber, A. Iten, E. Zumbach, Zug 1964, Nr. 1760. StABS: Bistum Basel F 5. - Die Vorgeschichte liegt im Dunkeln. Dazu zuletzt D. Rippmann, Bauern, 156-159. Hier auch die Quellenangaben. Welches geistliche Gericht gemeint war, ist nicht eindeutig zu beantworten. Das Konstanzer Offizialat wird genannt. Aber in Frage kommen auch das bischöfliche Offizialat in Basel, das baselstädtische Konservatorialgericht und andere Konservatorien in der Basler Diözese. Vgl. auch die Kritik des 1503 gewählten Basier Bi-

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Bauern in weltlichen Sachen vor das geistliche Gericht geladen und oftmals exkommuniziert wurden, zeigt auch der dritte Fall. 1513 verschworen sich Bauern und Städter in und um Lehen bei Freiburg im Bundschuh, einer gegen die weltliche und geistliche Herrschaft und Ehrbarkeit gerichteten Verschwörung.105 Ein gewisser Jacob Huser verriet unter der Folter, welches die Ziele der Konspirateure gewesen seien. Dazu habe gehört, dass kirchliche Gerichte ausschließlich in geistlichen Angelegenheiten, aber nicht mehr in Schuldsachen aufgesucht würden. Jeder solle seine Schuldforderungen vor dem Gericht geltend machen „an dem end, da er dann gesessen wer".106 Aus dem eidgenössischen Teil des Bistums Konstanz sind zwar auch derartige Klagen überliefert. 1518 beispielsweise beschwerten sich die eidgenössischen Orte gemeinsam, dass Eingesessene nach Rom zitiert und wegen weltlicher Sachen mit dem Bann beschwert würden.107 Gehäuft findet sich diese Kritik jedoch im nordöstlichen Teil der Eidgenossenschaft, hauptsächlich in der gemeinen Herrschaft Thurgau. 1482 beklagten sich die Landsassen wegen der Exkommunikationen und forderten, dass weder ein Laie den anderen noch ein Priester einen Laien um Geldschulden vor das geistliche Gericht nach Konstanz laden soll.108 Oder: 1501 prozessierten einige Juden wegen ausstehender Schulden gegen mehrere Bürger aus Dießenhofen zuerst vor dem Landgericht in Stockach, zogen dann die Sache vor das Chorgericht und ließen die Bürger bannen.109 Die Tatsache, dass der Klerus noch über zahlreiche Herrschaftsrechte in der Ostschweiz verfugte - dort lag der größte Teil des dem Bischof verbliebenen territorialen Streubesitzes, das geistliche Territorium des St. Galler Fürstabts, auch das Domstift verfugte über Grundrechte -, erklärt dieses Phänomen nur teilweise.110 Mitbedacht werden müssen auch fol-

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schofs an der Tätigkeit der konservatorialen Richter, wodurch die Untertanen (subditi) beschwert würden; J. Hartzheim - J.F. Schannat (Hgg), Concilia Germaniae VI, 14. Das Kerngebiet der vier Aufstandsversuche (1493, 1502, 1513, 1517), die unter dem Namen Bundschuh bekannt wurden, war - kirchengeographisch gesprochen - das Bistum Straßburg. Das Netz der Verschwörer spannte sich aber auch über die angrenzenden Gebiete der Diözesen Basel, Konstanz und Speyer und hatte 1493 und 1513 ein zweites Gravitationszentrum in und um Freiburg. Deshalb werden sie hier berücksichtigt. Vgl. die Karte Nr. 2, worauf die an der Verschwörung beteiligten Dörfer verzeichnet sind, bei G. Franz, Bauernkrieg. A. Rosenkranz (Hg ), Bundschuh 2, Nr. 69, 190. An welchen Gerichtshof diese Forderung gerichtet war, kann nicht entschieden werden. In Frage kommen aufgrund der Nähe vor allem das Straßburger, aber auch das Konstanzer und Basler Offizialat sowie das baselstädtische Konservatorialgericht. - Eine ähnliche Klage aus Konstanz in: EA III/l, Nr. 420f (1491). EA III/2, Nr. 758b. EA III/l, Nr. 158k. Vgl. F. Elsener, Pfaffenbrief, 168ff. EA 111/2, Nr. 42y. - Weitere Beispiele EA III/l, Nrn. 572t (1497), 575c (1497), 629q (1498), 669t (1499), 672c-d (1499); EA 111/2, Nm. 9o (1500), 29h (1500). 1492 klagte z.B. die Stadt St. Gallen, dass der Abt sie um einige Zehnte mit dem geistlichen Gericht zu Konstanz verfolge; EA III/l, Nm. 440c, 442a, 458v. Vgl. auch EA III/l, Nr. 584b. Im selben Jahr brachten die St. Galler auf der Tagsatzung vor, dass in einem Erbfallstreit ihr Widersacher, der in Bischofszell wohnte - die Stadt gehörte zum Hochstift -, sie nach Konstanz geladen habe; EA III/l, Nr. 43 lu. Ähnlich EA III/2, Nrn. 195a, 209.

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gende zwei Faktoren: Erstens lag der Thurgau von allen eidgenössischen Territorien am nächsten zum Gerichtsort, sozusagen im Einzugsgebiet des Offizialats. Die Lage nutzten offenbar die Konstanzer Bürger aus. 1 " Zweitens war der Thurgau erst seit den 1460er Jahren zum eidgenössischen Territorium geschlagen worden. Die rechtliche Eingliederung in die neue Herrschaft, deren Verhältnis zur kirchlichen Gerichtsbarkeit vergleichsweise eindeutig geregelt war, benötigte ihre Zeit. (3) Die Klagen und Beschwerden über konkurrierende Rechtsansprüche waren aber nicht nur inhaltlicher, sondern auch personeller Art. Es ging um die Frage, welches Gericht für die Priester zuständig sei. Der Sache nach handelte es sich in erster Linie um einen Herrschaftskonflikt, der auf den entsprechenden Ebenen diskutiert wurde, und braucht insoweit hier nicht dargestellt zu werden.112 Daneben waren aber auch die Untertanen betroffen. Für sie stellte sich das Problem als solches der Rechtsunsicherheit dar. Vermutlich war es überdies auch eine finanzielle Frage, da kirchliche Prozesse hohe Verfahrenskosten verursachten. Jedoch finden sich nur wenige Texte, die nahelegen, dass die weltliche Herrschaft erst auf Klage der Untertanen aktiv wurde. Ein solcher stammt aus dem Thurgau. 1512 berichtete der Landvogt der gemeinen Herrschaft auf der Tagsatzung, dass Laien und Priester sich über die Frage stritten, welches Gericht kompetent sei, wenn ein Priester einem Laien etwas schuldig bliebe. Gehört ein solcher Streit vor das Landgericht oder nach Konstanz vor das Konsistorium?113 Hingegen klagte fast niemand darüber, dass Priester wegen ihrer Vergehen nicht zur Rechenschaft gezogen würden.114 Bereits ist angedeutet worden, dass vor der Reformation nicht aus allen Ecken und Enden der drei Diözesen Klagen über die kirchlichen Gerichte und ihre Rechtsprechung laut wurden. Bis 1520 sind zahlreiche Klagen des gemeinen Mannes aus dem Münstertal (Bistum Basel) sowie aus der Ostschweiz, insbesondere dem Thurgau (Bistum Konstanz) überliefert. Im übrigen jedoch scheint die kirchliche Gerichtsbarkeit wenig Anlass zu Beschwerden gegeben zu haben. Dieses Ergebnis kann nicht mit dem Hinweis auf die möglicherweise dürftige Quellenüberlieferung erklärt werden. Zwischen 1450-1520 gab es zahlreiche Bauernunruhen mit der entsprechenden Produktion von Beschwerdeschriften. Das kirchliche Gericht wird aber nicht erwähnt. Offenbar war das kein strittiger 111

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1500 meldeten thurgauische Boten auf der Tagsatzung, dass die Eidgenossen ihre Zinsen, Zehnten etc., die sie während des Schwabenkrieges (1499) Konstanzern schuldig geblieben seien, als Feindesgut eingenommen hätten. Nun würden aber die Geprellten versuchen, die Schulden mit dem geistlichen Gerichtszwang einzutreiben. Vgl. EA III/2, Nr. 9. Vgl. auch EA III/l, Nrn. 652c, 669t. Vgl. z.B. die Streitigkeiten zwischen der Eidgenossenschaft und dem Bischof von Chur Ende des 15. Jahrhunderts über die zu bestrafenden Priester in der gemeinen Herrschaft Sargans; EA III/l, Nr. 481. EA III/2, Nr. 472f. Eine Ausnahme waren die Einwohner von Colmar. D. Demandt, Konflikte, 141f.

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Punkt.115 Die Bauern, die sich 1460 im Hegau (Bistum Konstanz) gegen die Grafen von Lupfen erhoben, scheinen sich ebensowenig an der Art und Weise, wie die kirchlichen Gerichte ihre Aufgaben wahrnahmen, gestört zu haben wie die Bauern im Eisgau (Bistum Basel), die sich 1462 empörten.116 Weder die Bauern, die am „Armen Konrad" 1514 im Herzogtum Württemberg beteiligt waren, noch die Bauern, die zwischen 1513-16 in der Eidgenossenschaft den Aufstand probten, noch die Stadt Geislingen, die 1513/14 dem Ulmer Rat ihre Gravamina kundtat, beklagten sich über das Konstanzer oder das Basler Offizialat.117 Nicht einmal die Landschaft des Ober- und Niederthurgaus beschwerte sich in ihrem 1504 eingereichten Artikelbrief an den Landvogt über die kirchliche Jurisdiktion.118 Keinen Anlass fanden offenbar auch die vorderösterreichische Gemeinde Pfirt „und alle ab der Larich und im Liemantal ausserhalb dem ampt Pfird seßhaft und doch an die grafschaft daselbs gehörig", ihrem Beschwerdebrief, den sie 1513 an Kaiser Maximilian I. richteten, einen Artikel gegen die Rechtsprechung des Basler Offizialats einzufügen. Sie hatten mit der Gerichtspraxis ja gute Erfahrungen gemacht. Der Offizial hatte den außerhalb der vorderösterreichischen Herrschaft wohnenden Hintersassen nämlich bestätigt, dass sie ihrem Vogt die jährliche Abgabe von zwei Hühnern nicht schuldig seien.119 Folgt man der geographischen Verteilung der Klagebriefe, war das weitaus größte Gebiet des Untersuchungsraum beschwerdefrei. Das geistliche Gericht war weder im Sundgau noch auf der Basier, Berner oder Zürcher Landschaft, auch nicht bei den Untertanen der nördlich des Bodensees und im Bistum Chur gelegenen Herrschaften ein Stein des Anstoßes.120

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Der Adressat der Beschwerdeschriften beeinflusste m. E. ihren Inhalt in diesem Punkt nicht. Denn es wäre gerade die Pflicht der Obrigkeit gewesen, ihre Untertanen gegen Übergriffe fremder Herren zu schützen. Zudem musste es in ihrem eigenen materiellen und religiösen Interesse liegen, Prozesse vor weltlichen Gerichten austragen zu lassen. Zum Hegauer Aufstand vgl. zuletzt Rolf Köhn, Der Hegauer Bundschuh (Oktober 1460) - ein Aufstandsversuch in der Herrschaft Hewen gegen die Grafen von Lupfen, in: ZGO 138 (1990), 99-141. Zu den Bauernunruhen im Eisgau vgl. Hermann Rennefahrt, Bauemunruhen im Eisgau (1462 und 1525), in: Schweizerische Beiträge zur allgemeinen Geschichte 20 (1962/63), 5-53. Die Beschwerden der Württemberger Bauern und der Gemeinde Geislingen sowie die zahlreichen Artikelbriefe, die während des Solothurner Aufstandes (1513/14) verfasst wurden, bei G. Franz (Hg ), Bauernkrieg. Aktenband, Nrn. 13ff. Das gemeinsame Motiv der Aufstände sieht Franz im Kampf für das alte Recht und Herkommen. Das wäre ein passender Rahmen gewesen, um auch Missstände im geistlichen Gerichtswesen zu benennen. G. Franz (Hg ), Bauernkrieg. Aktenband, Nr. 10. G. Franz (Hg ), Bauernkrieg. Aktenband, Nr. 12b (Art. 12). Keine Klagen über das geistliche Gericht enthalten auch die 1514 formulierten Beschwerden aus dem Straßburger Mundat Ruffach (Bistum Basel); G. Franz (Hg ), Bauernkrieg. Aktenband, Nr. 16a, und der 1513 von der Zürcher Landschaft formulierte Artikelbrief; Anton Largiadère, Untersuchungen zur zürcherischen Landeshoheit, Zürich 1920, Beilage 3.

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1.3.2 Beschwerden in den ersten Reformationsjahren Inhaltlich unterscheiden sich die Klagen, welche die Bauern und Städter in den ersten Jahren der Reformation, vor allem während des Bauernkriegs 1525 gegen die geistlichen Gerichte vorbrachten, nicht grundsätzlich von den vorreformatorischen Beschwerden. Aus zwei Gründen rügten sie die kirchliche Bannpraxis. Die Exkommunikationen gefährdeten ihr Seelenheil, und die Kirchenrichter bannten sie auch in weltlichen Angelegenheiten. Ein weiterer Beschwerdepunkt bildete die unklare Kompetenzverteilung zwischen den geistlichen und den kirchlichen Instanzen. Niemand hingegen - und das ist angesichts des weitverbreiteten Antiklerikalismus und der wortgewaltigen reformatorischen Propaganda das eigentlich Überraschende - bestritt die Legitimation der Gerichte und forderte ihre Auflösung.121 Doch sind auch Unterschiede erkennbar. Auf drei besonders offensichtliche sei näher eingegangen. Einmal waren die Klagen oftmals differenzierter formuliert. Im Vergleich zu den vorreformatorischen Beschwerden fällt auf, dass der Zuständigkeitsbereich geistlicher Gerichte in der Regel angegeben und positiv bestimmt wird. Oftmals wird ausdrücklich gesagt, dass sie in Ehesachen weiterhin allein kompetent seien. Dann handelte es sich nicht mehr um Klagen, die im Rahmen eines einzelnen Rechtsfalls geäußert wurden. Vielmehr waren sie Teil eines ausfuhrlichen, zahlreiche Artikel umfassenden Beschwerdeprogramms, worin sich ihr grundsätzlicher Charakter widerspiegelt. Sie waren zudem eingebettet in einen ideologisch gefärbten Kontext, der gleichzeitig den Inhalt rechtfertigte. Oftmals ist dem einleitenden Satz der Artikelbriefe zu entnehmen, dass man sich nach der göttlichen Ordnung ausrichte oder an die lex Christi halte, womit das Evangelium gemeint war. Zuletzt ist ein quantitativer Unterschied festzustellen. Die Zahl der Beschwerden gegen die kirchliche Rechtsprechung wuchs stark an. Jetzt kamen sie aus fast sämtlichen Teilen der drei Diözesen.122 Zumindest gilt das für die Bistümer Basel und Chur. In Basel waren es ebenso die Bauern auf der Landschaft123 wie aus dem Sundgau124 und der Herrschaft Rotberg,125 die sich über die geistlichen Gerichte beklagten. Beschwerden sind auch aus dem hochstiftischen Gebiet126 121

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Eine Ausnahme waren vielleicht die Farnsberger auf der Basler Landschaft. „Item das geistlich recht wend sy abthu(e)n", heißt es in einer Textfassung. Eine andere mildert hingegen ab, „des geistlichem gerichtz des bannens halber wollent sy absin"; E. Dürr (Hg ), Aktensammlung I, Nr. 407, 249. Die Aufzählung strebt nach Vollständigkeit, um die geographische Streuung der Klagen deutlich zu machen. In folgenden Ämtern wurden 1525 Klagen über das kirchliche Gericht formuliert: Farnsburg, Waldenburg und Münchenstein-Muttenz; vgl. E. Dürr (Hg ), Aktensammlung I, Nr. 407. 1525 beschwerten sich die Sundgauer zusammen mit den „mitgewandten unser anstoßenden Nachpum" über die kirchliche Gerichtsbarkeit; vgl. H. Schreiber (Hg ), Bauernkrieg, Nr. 381, 22. Vgl. auchAAEB: Β 130. G. Franz (Hg ), Bauernkrieg. Aktenband, Nr. 107. 1525 klagten die Bauern aus dem Amt Laufental: StABS: Bistum Basel F 3; AAEB: Β 234/2; die ganze Gemeinde von Therwil, Arlesheim und Pfeifingen: StABL: Altes Archiv L. 114 A, Faszikel

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überliefert sowie aus den Städten Colmar, Guebwiller, Massmünster und Ruffach.130 Auch der vorderösterreichische Aargau blieb offenbar nicht still.131 Im Bistum Konstanz murrten die Bauern aus den Gerichten der Neuen Herrschaft Bregenz über den Konstanzer Offizial.132 Auch die Bauern aus der Markgrafschaft Baden fühlten sich beschwert. 1523 wurde Markgraf Ernst bei Bürgermeister und Rat der Stadt Basel deswegen vorstellig. „Umb ligende gutter, erb und aigin" würden seine Untertanen nach Basel zitiert und um geringe Summen - „umb dri, vier plaphart oder noch mynder" - mit dem Bann beschwert und aus der christlichen Gemeinschaft ausgeschlossen.133 Aus der Ostschweiz wurden besonders viele Klagen laut. Die St. Galler Bürger klagten 1523, dass Priester sie mit Zitationen und Exkommunikationen vor das Chorgericht luden.134 Einige Thurgauer Gemeinden meldeten sich auf der Tagsatzung in Frauenfeld zu Wort. Zwei Beschwerden wollten sie verhandeln. Sie würden von Schneidern, Schuhmachern und anderen Handwerksleuten wegen weltlicher Schulden nach Konstanz geladen. Bannte sie der Richter, könnten keine Gottesdienste stattfinden, und vier- bis fünfhundert Menschen seien ohne kirchliche Betreuung. Wenn zudem eine Frau einen Mann wegen Bruchs des Eheversprechens verklage, würde das Gericht einen höheren Schadenersatz fur die Entjungferung verlangen als früher, nämlich 80 fl. statt 10

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616B/212. Vgl. dazu auch EA IV/la, Nr. 273. Die Artikel der Freiberger Bauern in: G. Franz (Hg ), Bauernkrieg. Aktenband, Nr. 102. Als wichtige Ergänzung einzusehen: AAEB: Β 194/9. Dieselben machten 1527 ihre Huldigung davon abhängig, dass der Bischof „sie der jurisdiction geistlicher Processen fryen" soll, wie er ihnen das vertraglich zugesichert habe; Heinrich Türler, Die Huldigungsreise des Fürstbischofs von Basel nach Biel und Neuenstadt, 1527, in: Neues Berner Taschenbuch auf das Jahr 1907, Bem 1908, 245-264, hier 250. 1528 beschwerten sich die Bauern aus dem Amt Zwingen, sowie den Dörfern Brislach und Nenzlingen: AAEB: Β 234/2. Die Beschwerde der „gantzen gemeynd und kirchhöre von Pfeffingen" stammt wohl aus demselben Jahr; StABL: Altes Archiv L. 114 C, Faszikel 670C/218. Die Beschwerden von Brislach, Blauen und Nenzlingen, die hingegen 1525 verfasst wurden, enthalten keinen Artikel zur geistlichen Rechtsprechung; G. Franz (Hg ), Bauernkrieg. Aktenband, Nm. 99f. G. Franz (Hg ), Bauernkrieg. Aktenband, Nrn. 48, 71. G. Franz (Hg ), Bauernkrieg. Aktenband, Nr. 78f. G. Franz (Hg.), Bauernkrieg. Aktenband, Nr. 82. Adressat der Klagen war die Äbtissin in der Stadt. G. Franz (Hg ), Bauernkrieg. Aktenband, Nr. 78o. Am 17. März 1524 schrieb Ulrich von Habsburg, Hauptmann der vier Waldstätte am Rhein, an den Bischof zu Basel und riet ihm, in nächster Zeit den geistlichen Gerichtszwang um Schulden halber zu sistieren. „Nachdem und aber jetz und allenthalb mit den lutherischen wesen der gemain man wider die gaisthlichen und derselbigen gerichtszwang etwas hitzig und uffruerig sind", warnte der Hauptmann, sollte man „sovil und müglich wer, die gaisthlichen gericht gegen dem gemainen man der schulden halb [..] ain klaine zytt ru(o)wen" lassen. „Dann," so sein Kassandraruf, „ich sorg sunst, der priester halb werde gegen dem gmainen man einen uffrur und underwillen begegnen;" StABS: Bischöfliches Archiv 28, 42 (Nr. 32). J. Schöch, Neuerungen, 86f. Der Inhalt wird teilweise zitiert von B. Bilgeri, Geschichte 3, 343 Anm. 30. StABS: Akten Baden A 1. Allgemeines und Einzelnes, 1501-1600, Faszikel 60. EA IV/la, Nr. 149n.

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Ib.135 Klagen aus den Städten waren vergleichsweise selten. Aus Konstanz sind welche bekannt.136 Im Bistum Chur schließlich beklagte sich 1523 die Sarganser Landschaft,137 1524 die Bauern aus den Drei Bünden (Gotteshausbund, Grauer oder Oberer Bund, Zehngerichtebund),138 1 5 2 5 auch die Tiroler Bauern.139 Aus den Vorarlberger Gerichten Montafon, Sonnenberg, Rankweil-Sulz, Neuburg und Jagdberg sind Beschwerden aus den Jahren zwischen 1523 bis 1527 überliefert.140 Gemeinde und Rat der Stadt Bludenz verfassten einen eigenen Beschwerdebrief, worin sie sich 1525 über den kirchlichen Gerichtszwang beklagten.141 Die Klagen und Beschwerden zielten wiederum in erster Linie gegen die Rechtspraxis der drei Offizialate. Die Bauern der badischen Markgrafschaft beschwerten sich hingegen über die Ladungen und Exkommunikationen des Konservatorialgerichts der Stadt Basel. Möglicherweise richteten sich die aus dem Bistum Basel stammenden Beschwerden zumindest teilweise ebenfalls gegen dessen Gerichtspraxis. Sofern sich der gemeine Mann in seinen Beschwerdeschriften zum geistlichen Gericht äußerte, räumte er ihm meistens nur einen einzigen Artikel ein. Dieser war kurz und bündig formuliert. Wenn das Gewicht des Inhalts die Reihenfolge der Artikelpunkte bestimmte, dann war die kirchliche Rechtsprechung nicht das bedrückendste Gravamen. Die Birsecker Gemeinde Arlesheim ist ein typisches Beispiel. Sie klagte 1525 dem Basler Bischof: „Item der xi artigel ist von den banbriefen, da wen wir kein han, es sy dan die kilg antreff."142 Nur die Artikelbriefe der Sarganser Landschaft (1523) und der drei Bünde (1523/24) enthielten mehrere, inhaltlich besonders ausgefeilte Artikel zum Problem. Sechs von sieben Artikeln im Sarganser (1523) und sieben von 18 Artikeln im 1. Ilanzer Brief befassten sich mit dem Chorgericht. Sie werden hier stellvertretend für die übrigen vorgestellt und interpretiert. Zwar mag es sich teilweise um 135

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EA IV/la, Nr. 170c. - Beschwerden aus dem Gebiet des Abts von St. Gallen: EA IV/la, Nr. 289. Gesamteidgenössische Klagen finden sich im Glaubenskonkordat von 1525; EA IV/la, 244e [II. 13]. Wolfgang Dobras, Ratsregiment, Sittenpolizei und Kirchenzucht in der Reichsstadt Konstanz 15311548 (Quellen und Forschungen zur Reformationsgeschichte, 59), Gütersloh 1993, 275 Anm. 721. Die Konstanzer Einwohner scheinen das Konsistorium durchaus geschätzt zu haben, um Geldforderungen von Thurgauern mittels Bann einzutreiben. A. Eichhorn (Hg.), Codex, Nr. 131. C. Jecklin (Hg.), Urkunden, Nr. 37. H. Wopfher (Hg ), Quellen, Nra. 15a, 17. Klage des Bergrichters aus dem Montafon bei J. Schöch, Neuerungen, 87f.; Klagen der Gerichte in: VLAB: Buch Walgau (1. Bd.), fol. 3ν, 8vf. Dazu auch Hermann Sander, Vorarlberg, 300-303, 352Í, und B. Bilgeri, Geschichte 3, 39, und Ders., Politik, 256, 258. Eine regestartige Zusammenfassung bei Ludwig Welti, Landesgeschichte, in: K. Ilg (Hg ), Landesund Volkskunde, Geschichte, Wirtschaft und Kunst Vorarlbergs (Bd. 2), Innsbruck-München 1968, 151-343, hier 220f. StABL: Altes Archiv L. 114 A, Faszikel 616B/212. - Die Artikel der Birsecker Bauern sind erwähnt bei K. Gauss, Landschaft, 393f.

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spezifische Probleme des Bistums Chur handeln, doch decken die Texte den Inhalt anderer Beschwerdeartikel vollständig ab. Der 1. Ilanzer Artikelbrief fand als Flugschrift, um dieses Vorgehen mit einem zweiten Argument zu stützen, über das Bistum hinaus Aufmerksamkeit. Die Bündner Bauern verfassten den Text im November 1523. Noch im selben Jahr erschien er als Flugschrift in Nürnberg und Zwickau, 1524 in Augsburg.143 Und drittens sei schließlich daran erinnert, dass eine serielle Quelle es ermöglicht, die Beschwerden auf ihre Stichhaltigkeit zu überprüfen. 1523 reichte die Sarganser Landschaft ihre Gravamen beim eidgenössischen Vogt ein.144 Im ersten Artikel forderten sie, dass niemand Geldschulden mit dem Bann einziehen solle. Wenn das Churer Offizialat einem Priester in einem solchen Fall einen Bannbriefe schicke, und dieser ihn nicht verkünde, solle der Bischof ihn deswegen nicht bestrafen.145 Sodann begehrten die Bauern, die Strafgewalt über frevelnde Laien in Fällen öffentlicher Sünde an die Priester zu delegieren. Bisher hätten diese jeden Täter bei entsprechenden, in der Beichte zum Vorschein gekommenen Vergehen nach Chur zur Bestrafung schicken müssen. Dieses Verfahren war den Sargansern zu umständlich. Der dritte Artikel handelt von Ehestreitigkeiten, sowohl vom Ansprechen zur Ehe als auch von der Ehescheidung. Thematisiert werden hauptsächlich die Kosten. Keine Partei soll gezwungen werden, das besiegelte Urteil zu nehmen und dafür zu bezahlen. Die Höhe der Prozesskosten soll der Richter bei der Eröffnung des Urteils bekanntgeben. Eine am Rand mitlaufende Beschwerde betraf die Prozessfuhrung. Ehesachen sollen „ohn Verzug" behandelt werden. Von der personellen Kompetenz in strafrechtlichen Angelegenheiten handelt der fünfte Artikel. Amtsvergehen der Priester solle der Bischof ahnden, bestimmten die Bauern. Auch Artikel sechs und sieben diskutieren den Gerichtsstand. In Straffallen zwischen Laien und Klerikern gelte der Grundsatz, dass der Ort des Geschehens zugleich Gerichtsstandsort sei. In Zivilprozessen sollen weder Geistliche noch Weltliche einander nach Chur laden, außer es handle sich

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H.-J. Köhler, Bibliographie, Nm. 171ff. Die Flugschriften tragen den Titel: Artickel so die zwen pündt / des gleichen Bürgermaister / Rath / vnd Gemayn der Stat Chur / mitsampt den vieer Dürffem / vnd der Herschafft Ortenstaini / samentlich mit ainander zu(o) halten angenommen. Zur Entstehungsgeschichte und zum Abhängigkeitsverhältnis der beiden Texte vgl. O. Vasella, Entstehungsgeschichte. Zur breiteren Einbettung in die Bündnerische Reformationsgeschichte sowie den Bauernkrieg vgl. Ders., Bauernkrieg und Reformation in Graubünden 1525-1526, in: ZSG 20 (1940), 1-65. Über den Beginn der Reformation in der Landvogtei Sargans vgl. Franz Fäh, Die Glaubensbewegung in der Landvogtei Sargans, in: Jahrbuch für Schweizerische Geschichte 19 (1894), 41-69 und 20 (1895), 35-88. Vgl. auch die Hinweise in EA IV/la, Nm. 141g/h, 144v, 145. Fäh scheint den Wortlaut der Sarganser Artikel nicht gekannt zu haben. - Die Einleitung der Artikel lautet: „Aus Anrufung und Beger einer Landschaft in Songonserlande " Der Wortlaut widerlegt die These Vasellas, dass die Geistlichen die Artikel initiiert hätten und diese somit deren Interessen wiedergäben; O. Vasella, Entstehungsgeschichte, 186. Die Belegstellen in A. Eichhorn (Hg ), Codex, Nr. 131.

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um Wucher- und Ehesachen. Die Klage sei am Wohnort des Beklagten einzureichen. Was will die politische Vertretung der Sarganser Bauern? Die Institution des Konsistoriums wird nicht in Frage gestellt, jedoch seine Zuständigkeit und Gerichtspraxis kritisiert. Das Kriterium fur die Kompetenz des Gerichts ist die - wenn die Wendung erlaubt ist - Natur der Sache. Die Bauern gehen offenbar von der Zweiteilung der weltlichen und geistlichen Sphäre aus, die innerweltlich durch zwei verschiedene Institutionen repräsentiert wird. Die Ehe wird als göttliche Institution der Letzteren zugeordnet. Deshalb sind sie damit einverstanden, dass ein Kirchenrichter solche Prozesse entscheidet. Diese Zweiteilung erstreckt sich aber offenbar nicht mehr in den personellen Bereich, denn das Privilegium fori wird aufgehoben. Der Bischof hat nur Amtsvergehen zu ahnden. Der 1. Ilanzer Artikelbrief der Drei Bünde, der ein halbes Jahr später verfasst, aber erst im Frühjahr 1524 auf dem nächsten Bundestag als Vertrag verabschiedet wurde, übernahm inhaltlich nicht nur sämtliche Artikel der Sarganser Beschwerden, sondern ging noch darüber hinaus.146 Aber auch er stellt das Chorgericht nicht prinzipiell in Frage.147 Hinsichtlich des Konsistoriums - der Text enthält noch zahlreiche Artikel, die die politischen, wirtschaftlichen und religiösen Probleme behandelten - besteht das Sondergut aus folgenden Artikeln. Die Advokaten werden verpflichtet, die Angelegenheit ihrer Mandanten zu deren Vorteil - „zum furderlichosten" - voranzubringen.148 Die Höhe der Anwaltskosten soll das Ziemliche nicht übersteigen. Für die Besiegelung des Eheurteils darf das Gericht nicht mehr als 2 fl. verlangen. Prozesse werden nur noch in deutscher statt in lateinischer Sprache geführt, um „biderb lütt" zu ermöglichen, der Verhandlung zu folgen. Ein weiterer Artikel behandelt die Appellation nach Rom oder „anderschwo hin", womit wohl der erzbischöfliche Richterstuhl in Mainz gemeint ist. In Ehesachen und kirchlichen Angelegenheiten soll die Berufung gegen erstinstanzliche Urteile niemandem genommen sein. Der delegierte Appellationsrichter jedoch, darin besteht das Neue, soll ein dazu fähiger und unparteiischer Einheimischer sein. Die Berufung darf also nicht bei einer Instanz eingereicht werden, die sich außerhalb der drei Bünde befand. Schließlich setzten die Bauern fest, dass niemand mehr die Strafe des Interdikts beachten müsse, wenn sie wegen Tötung eines Priesters verhängt würde. Das wird mit dem kollektiven Charakter der Strafe begründet, die auch unschuldige Leute betreffe und „das lob gottes und sin dienst" verhindere. 146

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Ein wesentlicher Unterschied liegt überdies darin, dass die Ilanzer Artikel normativen, die Sarganser Artikel nur appellativen Charakter hatten. Dies tut auch der 2. Ilanzer Artikelbrief von 1526 nicht. Dem Bischof wird die weltliche Gewalt genommen, nicht die geistliche. Von der kirchlichen Gerichtsbarkeit ist deshalb nicht mehr die Rede, weil 1524 alles Notwendige gesagt wurde. - Blickle schließt nicht aus, dass auch die geistliche Gerichtsbarkeit eingeschlossen sei; P. Blickle, Gemeindereformation, 54 Anm. 14. Sämtliche Belege in: C. Jecklin (Hg ), Urkunden, Nr. 37.

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Das hier entworfene Bild einer klagenden, vor allem bäuerlichen Gesellschaft bedarf einer präzisierenden Korrektur. Nicht aus jedem Teil der drei Diözesen sind Klagen überliefert.149 Die Münstertaler beispielsweise, die sich jahrzehntelang über die Rechtsprechung und Strafpraxis des Basler Offizialats beschwerten, scheinen 1525 keinen Anlass gehabt zu haben, sich nochmals darüber zu beklagen. Zumindest enthalten ihre Beschwerden keinen entsprechenden Artikel.150 Vor allem aber aus dem großen Bistum Konstanz gibt es relativ wenig Klagen. Die im Bauernkrieg am weitesten verbreitete Beschwerdeschrift, „Die gründlichen und rechten Hauptartikel aller Bauerschaft und Hintersassen der geistlichen und weltlichen Obrigkeiten, von welchen sie sich beschwert vermeinen" zum Beispiel, bekannt als die Zwölf Artikel der schwäbischen Bauern, enthalten keinen Artikel, worin sich die Bauern über das Konstanzer Konsistorium oder ein anderes kirchliches Gericht beklagten.151 Auch die Bauern im Schwarzwald152 schwiegen sich in ihrem Artikelbrief - auch er gehörte zu den zentralen Dokumenten des Bauernkriegs- über das Offizialat aus; ebenso die Kirchgenossen in Thayngen,153 die Rebleute in Schaffhausen154 oder die Bewohner der zur Stadt Schaffhausen gehörenden Dörfer, die in unmittelbarer Nähe des Gerichtsorts lagen.155 Erstaunt es, dass die Memminger Bundesordnung, ebenfalls eines der Kernstücke von 1525, die sich ebenfalls auf das göttliche Recht und das Evangelium berief, keinen Artikel zur kirchli-

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Auf die unterschiedliche Verbreitung weist auch hin P. Blickle, Gemeindereformation, 58f. G. Franz (Hg ), Bauernkrieg. Aktenband, Nr. 96. - Weitere Beschwerdebriefe aus dem Bistum Basel ohne Artikel gegen die geistliche Gerichtsbarkeit: G. Franz (Hg ), Bauernkrieg. Aktenband, Nr. 97 (Beschwerden der Stadt Biel), Nr. 101 (Beschwerden der Bürger von Laufen); E. Dürr (Hg.), Aktensammlung I, Nr. 407 (Ämter Liestal, Homburg); K. Gauss, Landschaft, 404 (Amt Ramstein); StABL: Altes Archiv L. 114 C, Faszikel 670C/218 (Oberwil); StABL: Altes Archiv L. 114 B, Faszikel 650B/328 (Gemeinden Pfeffingen, Aesch, Oberaesch, Duggingen, Grellingen). Jedoch enthält ein anderer Beschwerdebrief der Gemeinde Pfeffingen einen Artikel, worin man sich über das Offizialat beklagte; vgl. StABL: Altes Archiv L. 114 B, Faszikel 650B/328. Ediert bei P. Blickle, Revolution, 321-327. Der Text in: G. Seebaß, Artikelbrief, 34-36. G. Franz (Hg ), Bauernkrieg. Aktenband, Nr. 83. Die Ansicht, dass das geistliche Gericht im Schaffhauser Herrschaftsbereich keinen Stein des Anstoßes bildete, vertritt auch Peter Bierbrauer, Die Reformation in den Schaffhauser Gemeinden Hailau und Thayngen, in: P. Blickle (Hg ), Zugänge, 21-53, hier 23. G. Franz (Hg ), Bauernkrieg. Aktenband, Nr. 87. G. Franz (Hg ), Bauernkrieg. Aktenband, Nr. 88-92. - Weitere Beschwerdebriefe aus dem Bistum Konstanz ohne Artikel gegen die geistliche Gerichtsbarkeit: G. Franz (Hg ), Bauernkrieg. Aktenband, Nr. 23 (Mühlhausen im Hegau), Nr. 26 (Dörfer des Baltringer Haufens), Nr. 44 (Grafschaft Rheinfelden), Nr. 147 (Gericht Langenthal), Nrn. 149f. und 152-155 (Beschwerden aus dem Raum Burgdorf bei Bern); Franz Ludwig Baumann (Hg ), Akten zur Geschichte des deutschen Bauernkrieges aus Oberschwaben, Freiburg/Br. 1877, Nr. 104 (Artikel der Kisslegger Bauer); E. Egli (Hg ), Actensammlung, Nr. 703 (Grafschaft Kyburg, Herrschaft Eglisau, Andelfingen, Neuampt und Rümlang), Nr. 710 (Herrschaft Greifensee), Nrn. 724ff. (Grafschaft Kyburg und Genossen).

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chen Rechtsprechung enthält?156 Der gemeine Mann im Bistum Konstanz fühlte sich von der kirchlichen Gerichtsbarkeit offenbar nicht beschwert. Im Bistum Chur hingegen zeichnet sich ein ganz anderes Bild ab. Alle wichtigen Beschwerdebriefe enthalten mindestens eine Klage über die kirchliche Gerichtspraxis. Wie überraschend und wenig selbstverständlich das Ergebnis ist, wonach im nördlich des Rheins und Bodensees gelegenen Teil des Bistums Konstanz derart wenige Beschwerden laut wurden, wird offenkundig, wenn sie mit dem Inhalt der in dieser Region zwischen 1520-25 zirkulierenden Flugschriften verglichen werden. Dies sei an einem markanten Beispiel etwas ausführlicher erarbeitet. Es wirft zudem Licht auf die Kommunikatoren, welche die lutherische Botschaft dem gemeinen Mann vermittelten. Der Grund dafür, dass es Beschwerdebriefe ohne Kritik am Bann und am geistlichen Gericht gab, lag bestimmt nicht darin, dass es an Predigern mangelte, die das reformatorische Gedankengut verbreiteten.157 Die 1525 verfassten Zwölf Artikel wurden von zwei Männern redaktionell betreut, die beide bereits vorher in Flugschriften zum Kirchenrecht Stellung bezogen hatten. Es waren dies der Kürschnergeselle und Laienprediger Sebastian Lotzer und der Prädikant Christoph Schappeler.158 Lotzer schrieb 1523 die Flugschrift „Ain hailsame Ermanunge an die ynwoner zu(e) horw das sy bestendig beleyben an dem haiigen wort Gottes mit anzaigung der go(e)ttlichen hailigen geschrifft". Lotzer, der selbst in Horb geboren war, schloss sich früh der reformatorischen Bewegung an und war, wie die Flugschrift belegt, aktiv an der Verbreitung der neuen Lehre beteiligt. In einem offenen Brief forderte er die Horber zur christlichen Lebensführung auf, die sich am Evangelium ausrichtet.159 Im Zusammenhang mit dem Fastengebot kommt Lotzer auch auf den Kirchenbann zu sprechen. Es gebe keine einzige Stelle in der ganzen heiligen Schrift, die belege, dass die Kirche und ihre Funktionäre das Gewissen mit dem Bann oder einer Todsünde beschweren dürfen. Das sei unchristlich. Gott wolle nur freiwillige Diener.160 Gleich wie Lotzer bezog auch Schappeler bereits früher eine Position, die nicht mit den Anforderungen des päpstlichen Rechts zu vereinbaren war. 1522 trat er erstmals als vehementer Kirchenkritiker auf und tat die Dekretalen und andere Normen als „fleischlich, als verbranntes geistliches Recht" ab.161 156

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G. Seebaß, Artikelbrief, 77-87. - Memmingen lag zum größten Teil im Bistum Augsburg, nur die Pfarrei St. Laurenz gehörte zur Diözese Konstanz. Doch den oberschwäbischen Bauern waren Bistumsgrenzen vermutlich ziemlich egal. Vgl. aber auch J. Maurer, Prediger. Das Sachregister weist nur ganze wenige Betreffe „Bann" aus. Dazu M. Brecht, Hintergrund. Zitiert wird nach der Edition von A. Laube - A. Schneider - S. Looß (Hgg.), Flugschriften I, 252-264. Die Flugschrift wurde in Augsburg gedruckt. Zu Lotzer vgl. M. Arnold, Handwerker, 145-171. M. Brecht, Hintergrund, 324-328. A. Laube - A. Schneider - S. Looß (Hgg ), Flugschriften I, 253. M. Brecht, Hintergrund, 315.

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Lotzer und Schappeler waren nicht die einzigen Fackelträger, welche die neue Wahrheit über das Massenmedium der Flugschrift im oberschwäbischen Raum verkündeten und den von der Kirche unrechtmäßig gehandhabten Bann kritisierten. Andere schlugen in dieselbe Kerbe und monierten, dass in weltlichen Angelegenheiten, vor allem wegen Geldschulden exkommuniziert würde, bezichtigten die geistlichen Richter der Rechtsverdrehung oder forderten die Abschaffung des päpstlichen Rechts. Nur einige Namen von Laien und Theologen seien erwähnt: Hans Schwalb,162 Johann Eberlin von Günzburg,163 Heinrich von Kettenbach164 oder Utz Richsner.165 In den wichtigsten Texten des gemeinen Mannes jedoch, worin eigens darauf hingewiesen wird, dass man nach dem Wort Gottes und der christlichen Lehre leben wolle, war das Thema „Kirchenrecht und geistliches Gericht" den Verfassern keine Zeile wert. Das kann nur bedeuten, dass das päpstliche Recht und die kirchliche Rechtsprechung die oberschwäbischen Bauern nicht beschwerte.

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Beklagung eines Laien, genannt Hanns Schwalb, über viel Missbräuche christlichen Lebens (1521), in: A. Laube - A. Schneider - S. Looß (Hgg ), Flugschriften I, 63-74, hier 64f. Johann Eberlin von Günzburg, Ausgewählte Schriften (Bd. 1-3), (Flugschriften aus der Reformationszeit, 11), hg. v. L. Endres, Halle/S. 1896-1902 [Bd. 1: 12, 128, 149; Bd. 2: 187; Bd. 3: 175], - Vgl. dazu Günther Heger, Johann Eberlin von Günzburg und seine Vorstellungen über eine Reform in Reich und Kirche (Schriften zur Rechtsgeschichte, 35), Berlin 1985, bes. 63, 79, 95-99. Ein Sermon wider des Papsts Küchenprediger zu Ulm (1523), in: Otto Clemen (Hg.), Die Schriften Heinrichs von Kettenbach (Flugschriften aus den ersten Jahren der Reformation, 2/1), Leipzig 1908, 27-51, hier 33, 36. Vgl. die Serie „Flugschriften des frühen 16. Jahrhunderts auf Microfiche", Fiche 622/Nr. 1611 (vgl. 9/Nr. 36; 253/ Nr. 707): Utz Rychsner, Ein hübsch Gesprächbüchlin von einem Pfaffen und einem Weber (o.O., o.Dr.) 1524, Blatt 14-14v. Zu Richsner vgl. zuletzt M. Arnold, Handwerker, 217-250.

313

II.

Der kritische Klerus

1.

Zwischen Hammer und Amboss: die Dorfgeistlichen

Ein oder zwei Tage nachdem Johannes Hus 1414 auf Befehl des Konzils in Konstanz angekommen war, feierte er in seiner Unterkunft die Messe. Zahlreiche Neugierige seien herbeigeströmt, um ihn zu sehen und mitzufeiern, berichtet der Konzilschronist Ulrich von Richental. Als der Bischof vernahm, das Hus die Messe hielt, schickte er seinen Generalvikar und seinen Offizial zu ihm, um untersuchen zu lassen, weshalb er dies tue. Er wisse doch, dass ihn der Papst in den Bann getan habe. Hus gab eine klare Antwort. Er halte keinen Bann und wolle Messe halten, „als dick er sin gnad hett". Daraufhin verbot der Bischof den Gläubigen, dass sie die Messe bei Hus hörten.166 „Solange er seine Gnade habe." Auf wessen Gnade bezog sich Hus? Auf die bischöfliche oder die göttliche? Der Kontext und vor allem auch seine theologische Position legen die zweite Interpretation nahe.167 Was Johannes Hus von den Theologen und Priestern unterschied, die sich vor der Reformation zum kirchlichen Gerichtswesen äußerten, war die Radikalität seiner Ekklesiologie. Die Gnade Gottes und die Heilige Schrift spielte darin die zentrale Rolle. Bann und Interdikt sind die Waffen des Antichrists. Von daher gedacht war die kirchliche Gerichtsbarkeit in der bestehenden Form nicht mehr zu legitimieren. Hus war jedoch eine Ausnahme168 - bis Martin Luther diesen Faden wieder aufnahm und fortspann.169 Die Kritik seiner Standesgenossen hob sich inhaltlich kaum von derjenigen der weltlichen Stände ab, der Fürsten und des gemeinen Mannes. Es war eine punktuelle, keine prinzipielle Kritik. Das zeigen nicht nur die Ende des 15. Jahrhunderts formulierten Gravamina, deren Initianten der hohe Klerus war, sondern bereits die selbstkritischen Predigten, welche die Konzilsteilnehmer in Konstanz hielten. Abgerechnet wurde in erster Linie mit der Rota Romana. Sie zöge ungerechtfertigterweise Prozesse vor ihr Forum, missbrauchte das Recht, Habsucht und Bestechlichkeit regierten die Richter und Beamten, die Armen würden ausgesaugt und kirchli166 167

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REC 3, Nr. 8430. Zur Konzeption der Theologie und des Kirchenbegriffs bei Hus vgl. zuletzt Ernst Werner, Jan Hus. Welt und Umwelt eines Prager Frühreformators (Forschungen zur Mittelalterlichen Geschichte, 34), Weimar 1991, 145-173. Kirche und Sozialethik sind bei Hus untrennbar verknüpft. Nur wer gemäß der lex dei und dem Evangelium lebt, gehört zur Kirche, deren Haupt Christus ist. Der Papst und der größte Teil insbesondere des hohen Klerus brach aber mit dem Gottesgesetz. Er gehört nicht nur nicht zur Kirche, sondern hat aufgehört, legitime Obrigkeit zu sein. Vgl. auch die Hinweise bei J. Hashagen, Charakteristik, 25 8f. Eine Arbeit, die diese weit verstreuten Belege sammelt und auswertet, fehlt. Vgl. als Ersatz die Hinweise bei J. Hashagen, Charakteristik, 290ff. WA VI, 454ff.

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che Zensuren verhängt, um sich zu bereichern. 170 Gebetsmühlenartig scheinen sich die Kanzelredner wiederholt zu haben. Die Inhalte geronnen zu Stereotypen, wenn sie es nicht schon vorher waren. Die Kritik der niederen Geistlichkeit unterschied sich davon nicht grundsätzlich. Inhaltlich zeigen sich jedoch wichtige Unterschiede. Sie weisen darauf hin, dass hoher und niederer Klerus in zwei verschiedenen Realitäten lebten. Der Pfarrklerus war ein Funktionsträger des geistlichen Gerichts. Er las dessen Briefe den Kirchgenossen von der Kanzel herab vor, und informierte die Richter über Personen, die in einen Prozess verwickelt waren; und er selbst wachte darüber, dass Gebannte vom Abendmahl ausgeschlossen blieben. Die Zahl der Quellen, die für dieses Kapitel herangezogen werden können, ist nicht eben hoch. Hauptsächlich sind es satirische Schriften. Untersucht wurden die Epistola de miseria curatorum seu plebanorum und einige Schriften Thomas Murners. Das Geschäft der Satiriker, wird man einwenden, bestehe darin, die Wirklichkeit zu verfremden. Sie übertreiben, verzerren und spitzen zu. Doch war die „Wirklichkeit" offenbar dergestalt, dass sie solche literarischen Produkte hervorrief. Insoweit scheint es mir durchaus berechtigt zu sein, diese Quellen heranzuziehen. Überdies können ihre Aussagen an einer anderen Quellengattung teilweise überprüft werden. Neben den satirischen Texten wird die fragmentarische Korrespondenz zwischen dem Siegler des Churer Konsistoriums einerseits sowie den Dorfgeistlichen und auch einigen Laien andererseits ausgewertet. Die zuerst in der Sprache der Humanisten veröffentlichte Flugschrift „Brief über das Elend des Pfarrklerus" schrieb ein unbekannter Verfasser, der in Meißen wohnte. Sie erschien erstmals 1489 und fand schnell Verbreitung in ganz Deutschland. 171 Der Autor stellt die neun Quälgeister vor, welche die Plebane plagten. Einer davon ist der Offizial. 172 Wie ein Geier, der die Brut zerfleischt, stürzt er sich auf die Pfarrgemeinde und ihren Priester. Er überhäuft den Pfarrer mit zahllosen Mandaten, die dieser sofort verkünden muss - mandat, iterum mandat, mandare non cessât. Tut er das nicht, freut sich der Beamte, ihn vorzuladen. Doch will er ihn nicht bestrafen, um ihn zu bessern, sondern um seinen eigenen Geldbeutel zu fiil170

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Die Belege bei Paul Arendt, Die Predigten des Konstanzer Konzils. Ein Beitrag zur Predigt- und Kirchengeschichte des ausgehenden Mittelalters, Freiburg/Br. 1933, 206-209. Ediert wurde sie von A. Werminghoff, Epistola, 201-213. Luther regte 1540 eine der zahlreichen Auflagen an und verfasste dazu die Einleitung. Gemäß dem deutschen Text waren es die Mitglieder der geistlichen Behörde, vor allem der Fiskalprokurator. A. Werminghoff, Epistola, 208f., 217f. Gefolgt wird dem lateinischen Original. Wichtige Abweichungen werden angemerkt. Das Thema „geistliches Gericht" wird auch unter dem Gesichtspunkt des fünften Plaggeists, das sind die Bauern, betrachtet. Die übrigen Plagen sind, collator, cusios, coca, vitricus, rusticus, episcopus, capellanus, predicator.

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len.173 „Wer zieht den Offizial zur Rechenschaft, wenn du dich nicht beklagst?", forderte der Anonymus zum Widerstand auf. Die Vorwürfe an das kirchliche Gericht sind endlos. Es spalte die Gemeinde, lautet ein besonders schwerwiegender. Die Mandate würden nämlich oft zu Unrecht verschickt und allein dazu dienen, den Pleban gegen die Bauern aufzubringen. Diese zahlen es ihm heim. „Oh! Große Gefahr! Wenn du die Aufträge ausfuhrst, feindet dich der Bauer an, wenn du die Briefe nicht verliest, runzelt der Offizial seine Stirn und brummelt unwirsch."174 Der Dorfpriester wird von zwei Seiten getreten. Auch der Vorwurf, die Richter würden aus Geldgier das Recht beugen, fehlt nicht. Sie glauben dem, der sie beschenkt. Reiche werden laufen gelassen, Arme hingegen werden zitiert, ermahnt, exkommuniziert und mit dem Interdikt verfolgt. Ehebruch und Unzucht (fornicatio) sind wegen ihrer Parteilichkeit an der Tagesordnung.175 Der Minoritenmönch Thomas Murner (ca. 1475-1537) malte das Elend der Dorfgeistlichen in ähnlichen Farben. Der Theologe und Jurist, der mit den Verhältnissen im süddeutschen Raum gut vertraut war176 - er studierte zeitweise in Freiburg und Basel, predigte unter anderem in Eßlingen und Ulm -, beschrieb die kirchliche Gerichtspraxis in ähnlichen Worten. Ob er die Epistola gelesen hatte, ist unbekannt. In der 1512 erschienenen Moralsatire „Narrenbeschwerung" jammerte Murner über die geistlichen Richter und reimte: „Das ir uns umb dry haselnuß Den ban im landt verkünden duß. Wen sant Peter thet in ban, So traff es grosse sachen. Unser pfarrer mu(o)ß offt Ion Meß und predig lassen ston Und üwer brieflen furher lesen, 173

A. Werminghoff, Epistola, 209: Gaudens illico te citât, ut mali quid in te inveniat, non ut puniat, sed magis ut marsubium suum impleat. Si non comparueris, indignationem eius quis enarrabit? [...] Scribit 'Salutem in Domino ' quasi fautor tuus optimus et inter omnes persecutores in lacereando non est pessimus. 174 A. Werminghoff, Epistola, 208f., 217f.: O magnum periculum! Si processus exequeris, rusticus impugnai, si non publicaveris, officialis murmurât. 175 In der deutschen Fassung findet sich folgende, vielleicht durch den spezifischen Hintergrund des Übersetzers zu erklärende Abweichung vom Original: Das Grundübel liege darin, dass die Beamten es den Pfarrern nicht gestatteten, die Vergehen der Pfarrkinder mit Geldbußen zu bestrafen. Vielmehr zögen die Offiziale alles an ihren Gerichtshof, um möglichst viel Geld abzuschöpfen. Erklärt wird damit das fehlende Interesse der Pfarrer, Vergehen anzuzeigen. Vgl. A. Werminghoff, Epistola, 218. 176 Noch besser waren ihm die Verhältnisse in und um Straßburg bekannt. Dort wurde Murner 1475 geboren, verbrachte er zumindest seine Jugend, dorthin kehrte er immer wieder zurück.

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Wie Nickel schuldig sy gewesen, Fouten diebolt, wickers gredten Und lauweis lauwel von bernstetten; Er würt verschossen und verbrandt; Das gschicht all suntag uff dem landt." 177

Wenn der Papst zur Bannstrafe greife, geschehe dies in einem vernünftigen Verhältnis zum Vergehen. Die örtlichen, von Murner unter Beschuss genommenen Kirchenrichter hingegen straften Hinz und Kunz um Nebensächlichkeiten.178 Vor allem die ländliche Bevölkerung habe darunter zu leiden. „Vergessendt irer seien heil, / Go(e)tlich ba(e)n sindt worden feil!", heißt es an einer anderen Stelle.179 Die Strafe sei völlig unverhältnismäßig. Anstatt zu predigen, würde der Dorfpfarrer nur die Briefe des kirchlichen Gerichts verlesen, klagte Murner.180 Der Vergleich zwischen der epistola und Murners satirischen Reimen fördert Ähnlichkeiten und Unterschiede zutage. Mehrere Elemente, mit denen schon der Brief über das Elend der Plebane spielte, tauchen bei Murner wieder auf. Darunter die Klage über die zahlreichen Bannurteile, die wegen Geringfügigkeiten ergingen, oder die Flut der Briefe, die den Pfarrer daran hinderte, seine eigentliche Pflicht zu erfüllen. Im Unterschied zur Epistola jedoch unterbreitete Murner Vorschläge zur Behebung der Missstände. In seiner 1520 erschienen Schrift „An den Großmechtigsten und Durchlüchtigsten adel tütscher nation" empfahl er, den Bann nur in solchen Fällen zu verhängen, welche die Heilige Schrift vorsah.181 Welches diese Vergehen waren, sagt er zwar nicht ausdrücklich. Aber das kann aus seiner Kritik geschlossen werden: Wegen Geldschulden beispielsweise oder weltlicher Angele-

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Th. Mumer, Narrenbeschwörung, 196. Vgl. auch ebd., 197-200, 204ff., 422f. Die „Narrenbeschwörung" ist eine sozusagen exorzistische Schrift. Die Narren, die Sebastian Brant in seinem Narrenschiff ins Land holte, sollten gebannt und ausgetrieben werden. Vgl. dazu M. Spanier in seiner Einleitung zur kritischen Edition des Textes, 3ff. Die Zeile „Er würt verschossen und verbrandt" meint das Ritual bei der Verkündigung des großen Banns. Vgl. § 2 1,3.2. Th. Murner, Narrenbeschwörung, 197. Vgl. auch Thomas Mumer, Die Schelmenzunft, hg. v. M. Spanier (= Thomas Murners Deutsche Schriften, Bd. 3, hg. von. F. Schultz), Berlin-Leipzig 1925, 49: „Wan ich das gotz wort hören wil / Der ban brieff lißt er myr so fil: / Wie iocops deng und foltzen gredt / Jeckley nit bezalet hett, / Wie die von basel und von Singen / Umb eyn barchet wellen ringen, / Ouch wie gred Milleryn iorzeit werdt / Und wie man an dem dantz gebert / Ich wolt meyn ewangelinen leren, / So mu(o)ß ich dissen trippel hören, / Wie sy eyander richtend uß." Vgl. auch die 1522 publizierte Schrift von Thomas Murner, Von dem großen Lutherischen Narren, hg. v. P. Merker (= Thomas Mumers Deutsche Schriften, Bd. 9, hg. v. F. Schultz), Straßburg 1918, 136: „Der ban thu(o)t armen lüten we, ach wan er leg in dem boden see." Thomas Murner, An den Großmechtigsten und Durchlüchtigsten adel tütscher nation, hg. v. W. Pfeiffer-Belli (= Thomas Murners Deutsche Schrifen, 7), Berlin-Leipzig 1928, 104f.

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genheiten wie „dreier Haselnüsse" sollte niemand „verschossen", das heisst mit dem Anathem belegt werden. Die Satire will nicht sachgemäß analysieren. Aber wie stark übertreibt sie? Vom Briefwechsel, den Dorfpriester und Pfarrgenossen mit dem Siegler des bischöflichen Offizialats führten, sind noch 27 Briefe erhalten. Sie tragen alle ein Datum aus den Jahren zwischen 1514-25. Pfarrer geben darin Auskünfte über Personen, die dem geistlichen Gericht einen Geldbetrag schuldeten, bitten um Absolutionen für Exkommunizierte oder um eine Dispens für ein in einem verbotenen Grad der Verwandtschaft verheiratetes Ehepaar, empfehlen einen Bürgen oder versprechen, Zahlung zu leisten. Aber sie protestieren auch gegen das Vorgehen des Sieglers und beklagen sich über die falsche Rechnungsführung.182 Am 19. Januar 1517 zum Beispiel schrieb der Frühmesser Lucius Kiber aus Bludenz an den Siegler und bat, ihn zum Bürgen für seinen Vater anzunehmen. Dieser übte neben seinem Schulmeisteramt eine Zeit lang die Funktion eines Briefträgers des Chorgerichts aus. Er, Lucius Kiber, wolle seines Vaters Schulden ratenweise begleichen, jedes Jahr so viel geben, wie er könne, bis der Siegler bezahlt sei, erklärte er, nachdem er bereits den Bann über seinen eigenen Vater verhängen musste. Der Gerichtsbeamte möge den Vater keinesfalls von der Schule vertreiben, da er sonst kein Einkommen mehr habe. Der Sohn appellierte an das Herz des Sieglers: Er habe acht Kinder zu ernähren und bewirtschafte nur ein kleines Gut. „Demnach so bitt ich ûwer wirdi, ir wellind ain mitliden haben und mich zu(o) ainem bürgen nemen, so wil ich geben, was ich uffbringen kann."183 Der Schulmeister Michel Kiber wandte sich eine Woche später selbst an den Siegler, gab ihm Auskunft über Geldschulden und bedankte sich, dass er seinen Sohn als Bürgen angenommen habe. Auch er strich heraus, dass die Familie für die Schuldentilgung den Gürtel noch enger schnallen müsse - „so wend wir unns dester gnäwer zuchen und sparren an trincken und essen, damit G. H. bezalt werde". Nachgiebigkeit kann dem Siegler des Konsistoriums nicht nachgesagt werden. Alte Verdienste zählten nicht, die Schuld musste beglichen und der Bürge rechtmäßig gestellt werden. Der anonyme Verfasser der Epistola kleidete dieses Verhalten in die Metapher vom Geier, der sich auf die kleinen Vögel stürze. Von ähnlichen Schicksalen lassen auch zwei andere Briefe etwas erahnen. Der erste ist datiert vom 10. Juni 1518. Der Richter forderte darin den Pfarrhelfer Hieronimus Bappis aus Rankweil auf, seine Schulden dem Siegler fristgerecht innerhalb von zwei Wochen zu bezahlen. Falls er dies nicht täte, drohe ihm die Suspen182 183

Die Briefe wurden ediert von 0 . Vasella, Kurie, 161-185. 0 . Vasella, Kurie, Nrn. 6, 7. Lucius Kiber wandte sich zuerst an den Bludenzer Rat, der dem Siegler bestätigte, dass der Frühmesser jährlich „etwas an der schuld" geben wolle. Doch der Siegler verlangte eine rechtmäßige Bürgschaft, die mit dem vorliegenden Brief geleistet wurde. - Zu Kiber vgl. die Eintragungen im DG 1/2, 501, 506.

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sion.184 Im zweiten Brief mahnte der Siegler den Frühmesser aus Sennwald seine Absolution einzulösen. Der Priester habe ihn in einem Brief um die Lossprechung wegen öffentlicher Unzucht und Zeugung eines Kindes gebeten - „ain absolutz super procreacione prolis seu publice fornicacionis" -, mahnt der Beamte und warnt: „Haben ir nach mais nit genomen. Wundert mich, was die ursach sy; dann wo üch das khind geben wer oder ascribirt unnd ir deshalb ab ordinario in foro contencioso kein absolutz erzaigtind, wurdend ir dem fiscal zu(o) Chur nit enntrinnen. Hierumb sind in gu(o)ten gewarnet".185 Das ist der Geier - aus der Sicht des Priesters. Kein Vergehen entgeht dem scharfen Auge des Fiskals. Über das Verhalten und Vorgehen des Sieglers in Schuldangelegenheiten beklagte sich der Pfarrer Ulrich Mayer aus Altenstadt in seinem Brief vom Frühjahr 1523 ebenso bitter wie eloquent. Er habe die Mandate und Briefe, die das Gericht in einem Prozess verschickte, nur unter Schwierigkeiten verlesen können. Eine undankbare Aufgabe sei das, weil er immer in das Schussfeld von Pfarrgenossen und geistlichem Gericht gerate. Mayer beschreibt darauf den Briefwechsel mit dem Siegler. Er wisse aber nicht, ob die Briefe beim Siegler angekommen seien. „Ich habe von euch nämlich keine Antwort erhalten", beschwerte er sich.186 Auch der Pleban aus der hochstiftischen Pfarrei Reams weiß ein Lied von der nicht immer über jeden Zweifel erhabenen Registerfiihrung des Sieglers zu singen. „Thu(o)nd so wohl und gend denen absolutz", bittet er für die Kirchenpfleger der Kapelle, „wan ich waist worlich nit, dz sy durch mich excommuniciert syend."187

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O. Vasella, Kurie, Nr. 10: Vobis mandamus, quatenus diligenter amoneatis dominum Jeronimum Bappis divinorum cooperatorem in Rannckhwil, quem sic amonemus, ut satisfacía! sigillifero Rmi domini nostri Curiensis et rerum gestori heredum quondam Ludi Marcii Munghofers, notarii collaterals dicte curie, de sibi debitis restantibus infra proximos XV dies post presencium notificacionem seu postquam vise fuerint, sub pena divinorum suspensionis late sententie. 0 . Vasella, Kurie, Nr. 13. Vgl. auch den Brief Nr. 12, worin Jakob Plösch um Absolution nachsucht. - Ein weiteres Beispiel findet sich im Brief Nr. 17, worin der Frühmesser aus Trimmis um Zahlungsaufschub bittet. O. Vasella, Kurie, Nr. 20. Mayer war 1482 an der Universität Leipzig eingeschrieben. Es ist nicht auszuschließen, dass er die Epistola kannte. 0 . Vasella, Kurie, Nr. 24. Der Brief ist nicht datiert. Vgl. auch Nr. 25.

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Reformatoren und päpstliches Recht - ein „deutsches Requiem"188

2.

Die symbolische Einäscherung des rechtlichen Fundaments der kurialen Kirche, die Luther am 10. Dezember 1520 inszenierte, kannte verbale Vorspiele. Nur zwei sollen erwähnt werden. Das erste stammt von Luther selbst. Die Juristen und Theologen übernehme er, schrieb er in der im Sommer desselben Jahres publizierten Schrift an den christlichen Adel deutscher Nation. Den Rechtsgelehrten werde er beweisen, dass es richtig sei, das geistliche Recht vom ersten bis zum letzten Buchstaben zu vertilgen, besonders die Dekretalen.189 Das zweite Zeugnis findet sich in den Disputationsthesen seines Mitstreiters Andreas Bodenstein von Karlstadt, welche dieser im Herbst aufstellte. Die neunte und zweitletzte These lautete: Tollendae igitur sunt Pontiflcis Decretales,190 Diese radikale Position war allen evangelischen Theologen gemeinsam. Die Würfel waren gefallen. Wie der Übergang von der alten zur neuen Kirchenordnung praktisch zu bewerkstelligen war, darüber konnte jetzt gestritten werden. Dass damit zumindest theoretisch der kirchlichen Rechtsprechung der Boden unter den Füßen weggezogen war, steht fest. In der Praxis aber blieben alle Reformatoren den kirchenrechtlichen Strukturen verhaftet.191 Luther selbst ließ in seinen späteren Traktaten sogar durchblicken, dass das Kirchenrecht als Steinbruch für die evangelische Kirchenordnung durchaus nützlich sei.192 Aber was konkret kritisierten Luther und Zwingli am geistlichen Recht und an der kirchlichen Rechtsprechung? Wie argumentierten die Reformatoren? Welche Alternativen zeigten sie auf? Die Einschränkung auf Luthers und Zwingiis Positionen und Aussagen zur kirchlichen Gerichtspraxis ist dadurch gerechtfertigt, dass sie bis 1525 die tonangebenden Köpfe der evangelischen Bewegung im Untersuchungsraum waren. Da188

Der Titel spielt auf die 1520 erschienene Flugschrift „Das teutsch Requiem der verbranten Bullen vnd Bebstlichen Rechten" an. Ediert in A. Laube - A. Schröder - Sigrid Looß (Hgg.), Flugschriften I, 58-

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WA VI, 459. Ulrich Bubenheimer, Consonantia Theologiae et Iurisprudentiae. Andreas Bodenstein von Karlstadt als Theologe und Jurist zwischen Scholastik und Reformation (Jus Ecclesiasticum, 24), Tübingen 1977, 290f. Das kann nicht allein damit erklärt werden, dass sich auch die kanonistische Lehre auf die Bibel berief. Bedacht werden muss, dass erstens die Reformatoren die rechtlichen Strukturen stärker internalisiert hatten, als ihnen selbst bewußt war; zweitens stieß die Umsetzung der reformatorischen Prinzipien gerade im rechtlichen Bereich auf praktische Hindernisse. Obwohl Luther 1520 das Kirchenrecht dem Feuer übergab, heißt es im 1530 gedruckten Traktat „Von Ehesachen": „Was mehr feile komen muegen, die befehl ich frumen, gottfurchtigen mennern zu entrichten, das beste sie muegen, es sei nach dem weltlichen odder geistlichen recht wo es gut ist;" WA XXX/3, 236. Vgl. dazu Wilhelm Maurer, Reste des kanonischen Rechts im Frühprotestantismus, in: ZRG 82 KA 51 (1965), 190-253. Die Positionen der Forschung bei Sieghard Mühlemann, Luther und das Corpus Iuris Canonici bis zum Jahre 1530. Ein forschungsgeschichtlicher Überblick, in: ZRG 89 KA 58 (1972), 235-305.

62. 190

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mit soll die eigenständige Leistung anderer reformatorischer Theologen, etwa Martin Bucers, Wolfgang Capitos oder Ambrosius Blarers nicht geschmälert werden. Aber sie alle bauten auf der Wittenberger und Zürcher Theologie auf und vor allem. Sie gewannen erst nach dem Bauernkrieg an Profil. Nicht jede reformatorische Schrift wird herangezogen, um darin nach Äußerungen zur kirchlichen Gerichtsbarkeit zu suchen. Nur die Schriften, die vor de Bauernkrieg 1525 gedruckt wurden, werden untersucht. Es macht keinen Sinn, spätere Traktate auszuwerten, da es in dieser Arbeit um den Zusammenhang zwischen Gerichtspraxis und Rezeption der reformatorischen Lehre bei den Pfarreigenossen geht, die Texte aber, aus denen die Rezeption herausgelesen werden kann, selten nach 1525 verfasst wurden. Das Schwergewicht liegt auf den deutschsprachigen Schriften, weil davon ausgegangen werden kann, dass sie sozialgeschichtlich betrachtet breitenwirksamer waren als die lateinischen Traktate, deren Leser nur die Gebildeten waren. Kirchenkritik beruhte bei Luther und Zwingli auf bestimmten theologischen Urteilen, die sie im Bewußstein fällten, in einer apokalyptischen Zeit zu leben. Eine ausführliche Darstellung der theologischen Prämissen oder gar das Nachzeichnen der verästelten Folgerungen bis hin zu ihren Aporien kann nicht geleistet werden. Allein die schlagwortartige Verdichtung sola gratia, sola fide, sola scriptura soll angeführt und erläuternd angemerkt werden, dass die Gnade Gottes nicht mehr als Folge der christlichen Leistungsfrömmigkeit interpretiert wurde, sondern als unverdientes Geschenk an den Glaubenden. Die Lücke, welche die Negation der Kirche als heilsvermittelnde Anstalt hinterließ, wurde durch das Evangelium gefüllt. Seine funktionale Interpretation war aufgrund der unterschiedlichen christologischen und eschatologischen Ausgangspositionen bei Luther und Zwingli verschieden. Der Zürcher Reformator betonte gegenüber Luther, dass sich in Jesus Christus wirklich Gott geoffenbart habe; ebenso zentral war für ihn die Gewißheit, im Anbruch des vorletzten Tages zu leben, der dadurch gekennzeichnet war, dass die gegenwärtigen Verhältnisse in Vorbereitung auf den letzten Tag erneuert werden sollten gemäß dem Wort Gottes. Daraus folgte für ihn, dass das Evangelium normative Kraft und Gesetzescharakter hat. Es musste als „Schnur Christi" zur Gestaltung des politischen, sozialen und wirtschaftlichen Lebens der Gläubigen herangezogen werden.193 Luther seinerseits betonte die Offenbarung und interpretierte deshalb das Evangelium nicht normativ. Es versinnbildlicht zwar den Anbruch des Eschatons und das göttliche Sollen, das rettend auf den Christen einwirkt. Indem 193

Dazu Gottfried W. Locher, Grundzüge der Theologie Huldrych Zwinglis im Vergleich mit derjenigen Martin Luthers und Johannes Calvins, in: Ders., Huldrych Zwingli in neuer Sicht. Zehn Beiträge zur Theologie der Zürcher Reformation, Zürich-Stuttgart 1969, 173-273. Walter E. Meyer, Huldrych Zwinglis Eschatologie. Reformatorische Wende, Theologie und Geschichtsbild des Zürcher Reformators im Lichte seines eschatologischen Ansatzes (Diss ), Zürich 1987, bes. 72, 103-111, 149, 219ff.

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das göttliche Wort dem Sünder das Heil und die Heilsmittel verkündete, überschritt es die Welt auf den Himmel und das Reich Gottes hin. Aber Luther verzeitlichte dieses göttliche Sollen nicht. Das himmlische Reich durfte nicht mit dem weltlichen vermischt werden. Gesetz und Evangelium bleiben dadurch, dies ist ein wichtiger Unterschied zur zwinglischen Konzeption, zwei wesenhaft verschiedene Dinge. Das Mittel, die menschliche Sündhaftigkeit in der Welt einzudämmen, sah der Wittenberger allein im Gesetz, womit er Dekalog und Naturrecht meinte.194

2.1

Luther

Zwei Punkte sind es im Wesentlichen, die Luther am kirchlichen Rechtswesen immer wieder bemängelte, nicht allein aufgrund seiner theologischen Prämissen, sondern auch aus seelsorgerlicher Pflicht gegenüber den Gewissensängsten seiner christlichen Untertanen: die Bannpraxis (1) und das Eherecht (2). Die wichtigsten Traktate, aus denen der lutherische Standpunkt zur Kirchenzucht und zum Eherecht herauszuschälen ist, sind „An den christlichen Adel deutscher Nation" (1520), „Der Sermon von dem Bann" (1520), die Rechtfertigungsschrift „Warum des Papstes und seiner Jünger Bücher von D. Martin Luther verbrannt sind" (1521), „Vom ehelichen Leben" (1522) und „Daß Eltern die Kinder zur Ehe nicht zwingen noch hindern, und die Kinder ohne der Eltern Willen sich nicht verloben sollen" (1524).195 Bereits die relativ große Anzahl von Schriften deutet an, dass Luther seinen Standpunkt im Lauf der Jahre entwickelte, wobei er nicht vermeiden konnte, sich manchmal in Widersprüche zu verwickeln. Auf die Beschreibung dieser Entwicklung kann verzichtet werden, da es darum geht, das darzustellen, was bis 1525 rezipiert werden konnte. 1. Im „Sermon von dem Bann" vertiefte Luther seine Position zur Kirchenstrafe, die er bereits im Sommer 1518 in einer lateinischen Predigt bezogen hatte.196 Ob Luther das Predigtthema aus aktuellem Anlass wählte, entzieht sich der Kenntnis. 194

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J. Heckel, Kirche. Gerhard Ebeling, Luther. Einfuhrung in sein Denken, Tübingen 4 1981. Bernhard Lohse, Luthers Theologie in ihrer historischen Entwicklung und in ihrem systematischen Zusammenhang, Göttingen 1995. Die relativ hohe Zahl der Drucke sämtlicher Traktate deutet auf ihre weite Verbreitung hin. Zur Auflagenstärke vgl. Joseph Benzing, Lutherbibliographie (Bibliotheca bibliographica Aureliana, 10), Baden-Baden 1966, und Josef Benzing - Helmut Claus, Lutherbibliographie (Bibliotheca bibliographica Aureliana, 143), Baden-Baden 1994. WA IV, 663-75. Möglicherweise erschien der Sermon bereits Ende 1519. Die Predigt Sermo de virtute excommunicationis, in: WA I, Weimar 1883, 638-643. Vgl. auch die These der 1520 stattgefundenen Disputatici de excommunicatione, in: WA VII, Weimar 1897, 236.

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Er selbst schrieb im Juli 1518 in einem Brief an seinen Nürnberger Freund Wenzeslaus Link: „Ich hielt neulich eine Predigt über die Tugend des Banns, in der ich nebenbei die Tyrannei und den Unverstand dieser niederträchtigen Kerle von Offizialen, Kommissaren und Vikare mit Spott übergössen habe. Alle rieben sich erstaunt die Augen. Niemals zuvor hatten sie dergleichen schon gehört."197 Bestimmt hatten die Wittenberger aber das dreijährige Interdikt, das zwischen 1512-15 wegen der Verhaftung eines Klerikers durch den Rat über die Stadt verhängt worden war, noch nicht vergessen.198 Der deutsche Traktat ist eine Aufklärungsschrift, worin Luther es unternimmt, das Wesen der Exkommunikation, ihre Ursache, ihren Zweck und ihre Folgen zu erklären. Gleichzeitig will er Hörer und Leser zur rechten Einstellung gegenüber der Bannstrafe anleiten, sei sie zu Recht oder zu Unrecht verhängt worden. Die Institution des geistlichen Gerichts stellt er noch nicht in Frage. Die Prälaten, Bischöfe und ihre Richter sollen sich mäßigen und nicht leichtfertig mit dem Bann umgehen.199 Methodisch geht er so vor, dass er zuerst nach dem evangeliumsgemäßen Bann fragt und dann diesem die von den kirchlichen Richtern geübte Bannpraxis gegenüberstellt.200 Der Bann sei die Strafe fur öffentliche Sünden, wodurch dem schuldigen Christen das heilige Sakrament verboten werde, begann Luther. Der kleine und der große Bann, führte er den theologischen Dreh- und Angelpunkt aus, schließe die bestrafte Person von der äußerlichen Gemeinschaft der Christen aus; von der geistlichen Gemeinschaft, an der jeder getaufte Mensch teilhabe, vermag hingegen nur Gott auszuschließen. Diesen äußerlichen Bann, sowohl die excommunicato minor als auch die excommunicatio maior, habe Christus eingesetzt, fuhr Luther mit Verweis auf Mätthaus (18,15 ff.) und Paulus (1. Kor. 5,11) fort. Sein Strafzweck sei nicht die Rache. Der Bann diene ausschließlich der Besserung des Nächsten. Er sei die Arznei zur Rettung des ewigen Seelenheils. Richtig verstanden handelt es sich beim Bann also nicht um eine Strafe, sondern um eine Buße. Darin lag der Sinn des gewählten Predigtthemas „Über die Tugend Banns".

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WA I (Briefwechsel), Weimar 1930, Nr. 83, 185f.: Habui nuper sermonem ad vulgum de virtute excommunicationis, ubi taxavi obiter tyrannidem et inscitiam sordidissimi istius vulgi offlcialium, commissariorum, vicariorum. Mirantur omnes nunquam sese talia audisse. Er habe ein neues Feuer entzündet, kommentierte Luther sich selbst. - Die Stelle erwähnt auch E. Vodola, Excommunication,

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Dazu P. Kim, Friedrich der Weise, 57ff. WA VI, 74. In der Literatur wurde das Thema mehrfach berührt. Vgl. R. Götze, Luther, bes. 102-127. Götze untersucht die von Luther selbst ab ca. 1530 geübte Kirchenzucht. Rudolf Hermann, Die Probleme der Exkommunikation bei Luther und Thomas Erastus, in: Zeitschrift fur systematische Theologie 23 (1954), 103-136. Die rechtshistorische Einordnung erfolgte bei Rudolf Sohm, Kirchenrecht I (Systematisches Handbuch der Deutschen Rechtswissenschaft 1/1), Berlin 21970, 506-541, bes. 522f J. Heckel, Kirche, bes. 241ff.

1.

199 200

323

Welches waren aber die bannwürdigen Vergehen? Der Bann solle nicht nur über Täter gefällt werden, die vom Glauben abfallen - „die, ßo ym glauben spenstig seyn" -, sondern über alle, „die öffentlich sundigen", über Wucherer, unkeusche Männer und Frauen, Betrunkene und dergleichen.201 Luther unterschied zwei Vergehenstypen, einerseits solche gegen den Glauben und die christliche Lehre, die vor allem die innere Haltung betreffen, andererseits äußerliche Verhaltensweisen, die Ärgernis erregten und die öffentliche Ordnung durcheinander brachten.202 Die Frage, wem die Banngewalt zukomme, beantwortete Luther in der Schrift „Warum des Papstes Bücher verbrannt sind", einer dreißig Artikel umfassenden Jeremiade gegen das „Gift" des Kirchenrechts. Die Gewalt, öffentliche Sünden zu bestrafen, soll der ganzen Gemeinde zukommen, wie es der Evangelist Matthäus (18,15 ff.) beschrieb. Sie soll in die Lücke treten, die Papst, Bischof und OfSzial hinterlassen haben.203 Die „Gemeinde", das war, wie es im Titel einer Gelegenheitsschrift von 1523 heißt, das Synonym für die „christliche Versammlung", der Ort, wo das reine Evangelium gepredigt wurde.204 Der Begriff ist ausschließlich theologisch, genauer eschatologisch bestimmt. Er meint bei Luther keinesfalls dasselbe wie „weltliche Gemeinde" und ist schon gar nicht identisch mit „weltlicher Obrigkeit",205 welche die Aufgabe der Friedenssicherung wahrnimmt. Das Konstitutivum der Gemeinde ist die evangelische Predigt, weshalb Luther diese geistliche Körperschaft auch die „stym Christi" nannte. Sie ist quasi eine Solidargemeinschaft von Sündern, deren Aufgabe darin besteht, jedes Gemeindeglied zum Glauben anzuleiten und sich gegenseitig auf dem Heilsweg zu stützen. In der Nachfolge Jesu Christi liegt ihre vornehmste Pflicht, denn damit nimmt sie ein Stück des Gottesreichs vorweg. „In der wellt gepieten die herrn was sie woln, und die unterthanen nemens auff. Aber unter euch", rief Luther der christlichen Versammlung zu, „soils nicht also seyn. Sonder unter den Christen ist eyn iglicher des andern lichter und widderumb auch dem andern unterworffen."206 201

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WA VI, 63, 65, 68, 75. Was die objektiven Straftatbestände betrifft, lehnte sich Luther an Paulus an (1. Kor. 5,9 ff und 10, 1-11). Der Apostel zählt überdies Raub und Götzendienst zu den bannwürdigen Vergehen. Damit blieb Luther in der Tradition des kanonischen Strafrechts, dessen theoretische Grundlage Abälard in seiner Ethik ausgearbeitet hatte. Danach müssen drei Hauptbedingungen erfüllt sein, damit ein ein Kirchengericht eine Handlung bestraft. Es muss sich um eine schwere Sünde handeln; diese muss äußerlich, in Form einer Handlung erkennbar sein; drittens muss sie für die Kirche ein Ärgernis darstellen. H J. Berman, Recht, 31 Off. WA VII, 169f. Dieser Gedanke ist gegenüber dem „Sermon von dem Bann" neu. „Daß eyn Christliche versamlung odder gemeyne recht und macht habe, alle lere tzu urteylen und lerer tzu beruffen, eyn und abtzusetzen, Grund und ursach aus der schrifft", in: WA XI, 401-416. Den Begriff „weltliche Gemeinde" gibt es bei Luther meines Wissens nicht. Antonym der geistlichen Gemeinde ist die weltliche Obrigkeit. WA XI, 410. - Die lutherische Bannpraxis wich allerdings von diesem Ideal ab. Wie Beispiele belegen, schwang die Gemeinde nicht selbst die Zuchtrute des evangelischen Banns, sondern der Pfarrer. Dazu R. Götze, Luther, 107-111.

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Die tatsächlich geübte Rechtsprechung und insbesondere die Bannpraxis der Offiziale, die Luther seiner Konstruktion antithetisch entgegenhielt, hob sich scharf von diesem Ideal ab. Man müsse in allen Sprengein die grässliche Schinderei der Offiziale verbieten.207 Sie straften, warf Luther ihnen vor, auch solche Vergehen, die Christus und seinen Aposteln unbekannt gewesen seien, nämlich ausstehende Geldschulden und andere zeitliche Sachen. Sie hätten sich sogar selbst eine neue Sünde ausgedacht, indem sie „niemant umb schuld, sondern umb ungehorsam willen, das er nit auff die citation kommen ist", bannten. Damit meinte Luther die Kontumaz, worunter die Kanonisten die hartnäckige Widersetzlichkeit einer Person gegenüber einer Anordnung eines geistlichen Gerichts verstanden. Der arme Mann werde so gezwungen, weder Mühen noch Kosten zu scheuen, um den weiten Weg zum Gerichtsort zurückzulegen. Überdies, fuhr er fort, gebärdeten sich die Offiziale als machthungrige Tyrannen, die die Exkommunikation verhängten, um die Furcht des armen Mannes vor der kirchlichen Obrigkeit zu vergrößern. Sie selbst hätten ein Rechtsprinzip entwickelt, das lautete: „Unser Bann sei rechtmäßig oder nicht, man soll ihn furchten".208 Kirchenrichter brauchten keinen gerechten Grund, um eine Zensur zu verhängen. Der Willkür seien dadurch Tür und Tor geöffnet. Luther lastete die Missstände nicht allein den Gerichtsbeamten an. Es war auch das päpstliche Gesetz selbst, welches die Billigkeit und das Rechtsempfinden verletzte. Das Übel lag an der Wurzel, an der juristisch legitimierten Vermischung von Geistlichem und Weltlichem. Um es mit den Worten Luthers zu sagen: „Die geystlich gewalt solt mit gottis wort, mit den sunden, mit dem teuffeil zu schaffen haben, die seelen zu gott zu bringen, das zeytlich gutt lassen, die weltlichen richten."209 Was soll der arme Mann tun, solange die kirchlichen Richter ihr Unwesen trieben? Und an dieser misslichen Situation sollte sich nach Luthers eigener, noch 1524 geäußerten Ansicht bis auf weiteres nichts ändern. Das kanonische Recht müsse von der alten geistlichen Obrigkeit durchgesetzt werden, schrieb er nämlich in einem Brief an den kurfürstlichen Kanzler, bis die päpstliche Religion durch die Predigt des Evangeliums überwunden worden sei.210 Luther mahnte zur Geduld. Wo die göttliche Vorsehung nicht ins Weltgeschehen eingreife, dürfe niemand dem Rad der Zeit in die Speichen fallen. In seelsorgerlicher Absicht billigte er jedoch einerseits, dass Offiziale und ihre Beamten geschlagen, gefangen, sogar getötet werden, und erklärt, dass durch Gottes Vorsehung den Tyrannen recht geschehe; 207 208

209

2,0

WA VI, 430. WA VI, 65, 68, 71, 73, 75, 430. Luther spielt auf das Dekret an: Sententia pastoris, sive iusta sive iniusta fiierit, timenda est; C.l 1 q.3 c.l und C.l 1 q.3 c.27. Erläuternd dazu G. May, Art. Bann, 175. WA VI, 75. Von daher betrachtet, ist es konsequent zu sagen: „Ich lob die weltlichen hirschafften, die solchen ban und mißprauch yn yhren lendem und leuten nit leyden." WA III (Briefwechsel), Weimar 1933, Nr. 732, 274. Ein Brief ähnlichen Inhalts von 1521 an Spalatin in WA II (Briefwechsel), Weimar 1931, Nr. 243, 368f.

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andererseits versuchte er, die unrechtmäßig Gebannten zu beruhigen. Niemand solle beim Gedanken erschrecken, er werde das Sakrament nicht empfangen und auf dem Feld statt in geweihter Erde begraben. Um sein Seelenheil brauche er deswegen nicht zu bangen. Das sei nämlich ein rein weltlicher Entscheid. Nur Gott könne den Menschen aus der innerlichen, geistlichen Gemeinschaft der Christen vertreiben und ausschließen. Luther zögerte nicht, die zu Unrecht Exkommunizierten mit Märtyrern zu vergleichen. Der Bann sei ein edles und großes Verdienst vor Gott „vnd selig gebenedeyet ist der, der yn unrechtem ban stirbt, dan umb der warheyt willen, ob der er wirt vorbannet, wirt yn got kro(e)nen ewiglich". Und sogar wer im rechtmäßig verhängten Bann sterbe, habe nur dann die ewige Verdammnis zu befürchten, wenn er den Bann verachte und sein sündhaftes Tun nicht bereue, tröstete er seine Gemeinde.211 2. Das zweite kirchenrechtliche Thema, womit sich Luther eingehender beschäftigte, war das Eherecht. Wie bereits Erasmus vor ihm übersetzte auch er das neutestamentliche Wort μυστεριον, welches das Wesen der Ehe bezeichnete, nicht mehr mit sacramentum. Die exegetische Folge war, mit der Lehre der Sakramentalität und Unauflösbarkeit der Ehe zu brechen. Die Ehe gehörte nach Luther zur Schöpfungsordnung, da sie von Gott eingesetzt sei.212 Christus gab ihr nach dem Sündenfall zwar den heilsvermittelnden Charakter wieder zurück. Aber in Luthers Verständnis galt dies nicht für die Institution „Ehe", sondern der einzelnen Person, welche die Ehe im Glauben lebte. Die Konstruktion der Ehe als „eußerlich leyplich ding [..] wie andere weltliche hanttierung" hatte drei weitreichende Folgen. Erstens widersprach das Eheverbot für Priester dem göttlichen Schöpfungswillen. Zweitens wachten nicht mehr kirchliche Gerichte als Garanten über dieses Rechtsverhältnis, sondern weltliche Instanzen.213 Drittens folgt daraus, dass der Riegel zurückgeschoben wurde, der die breitere Entfaltung deutschrechtlicher Ehevorstellungen verhinderte. Letzteres wirkte sich vor allem in der Frage der rechtsgültigen Form der Eheschließung und der rechtlichen Wirkung des Verlöbnisses aus.214 Wie Luther selbst erklärte, waren es nicht allein theologische Überlegungen, sondern auch die zahlreichen akuten Missstände, die ihn veranlassten, als Seelsorger in Ehefragen Stellung zu beziehen. Bis 1525 beschäftigten ihn vor allem drei 2,1 212 213 214

WA VI, 71,74. K. Suppan, Ehelehre. WAX/2, 283. Luther argumentierte zwar ausschließlich mit biblischen Beispielen, vor allem erinnerte er immer wieder an das vierte Gebot. Aber nicht zu übersehen ist auch, dass sein Konzept sich nahtlos an die zeitgenössischen Ehesitten anschloss. Es ist nicht so, dass Luther seine Ehelehre ausschließlich im Gegensatz zum kanonischen Eherecht und in Anlehnung an die Bibel entwarf. Vgl. z.B. WA XV, 168.

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Problemkreise: die Eheschließung (a.), die Ehehindernisse (b.) und die Scheidung (c.). a. Seine Ansichten über die Eheschließung entfaltete Luther erstmals 1524 in einem kurzen Traktat, nachdem er schon früher seine Vorstellungen skizziert hatte. Bereits aus dem Titel „Daß Eltern die Kinder zur Ehe nicht zwingen noch hindern, und die Kinder ohne der Eltern Willen sich nicht verloben sollen" kann herausgelesen werden, dass er sich nicht mit dem ganzen Komplex von Problemen auseinandersetzte, den die Eheschließung mit sich bringen konnte. Die Frage nach der Funktion der Trauung - dass diese ein notwendiger Akt der Eheschließung war, war selbstverständlich - schloss er ebenso aus wie diejenige nach dem Verlöbnis oder den Ehehindernissen.215 Er verengte die Problematik auf die beiden im Titel angekündigten zwei Grundsätze. Es kann hier darauf verzichtet werden, die kasuistische Behandlung des Themas zu paraphrasieren. Die Hauptsache wurde bereits im Titel gesagt. Dass die theologische Grundlage seiner These das vierte Gebot war, ist bekannt. Die deutschrechtliche Prämisse, die Luther damit verwob, war die Öffentlichkeit der Eheschließung.216 Dass diese Position der kanonistischen Konsensehe entgegenstand, ist offensichtlich.217 b. Der Papst, hieß es in der 1522 erschienen Schrift „Vom ehelichen Leben", habe in seinem geistlichen Recht achtzehn verschiedene Ursachen erdichtet, die Eheschließung zu verbieten.218 Die Zahl entlehnte Luther wohl dem zwei Jahre zuvor verbrannten Beichthandbuch Summa Angelica219 Er geht jedes einzeln durch, setzt bei der Blutsverwandtschaft ein und endet bei der Impotenz, wobei er immer nach der Rechtmäßigkeit fragt. Rechtlich betrachtet haben zwar alle Hindernisse den gleichen Stellenwert, doch in der Praxis sind einige wichtiger als andere. Das impedimentum ligaminis war nach Luther ein besonders oft vorkommender Fall. Es sei „ein weyt leufftige unnd gemeyne sach, darynn man sich auch viel versucht".220

215 2,6 217

218

219 220

WA XV, 163-169. Vgl. dazu auch K. Suppan, Ehelehre, 70f., und N. Olsen, New Testament, 43-57. Ausführlich und in deutlicher Frontstellung gegen die kirchenrechtliche Konzeption, wonach der formlose Konsens eine Ehe begründen kann, nahm er erst 1530 Stellung in der Schrift „Von Ehesachen", in: WA XXX/3, 205-248. Bereits in der 1520 gedruckten Polemik De captivitate Babylonica ecclesiae und in der Schrift an den christlichen Adel behandelte Luther das Problem der Ehehindernisse; vgl. WA VI, 497-573, bes. 555559, und WA VI, 446f. Sachlich ging er darüber nicht hinaus, kam aber teilweise zu anderen Lösungen. K. Suppan, Ehelehre, I I I . WA X/2, 286. - Die Analyse der kirchlichen Rechtsprechung zeigte hingegen, dass die Hindernisse der Blutsverwandtschaft, Schwägerschaft und der Impotenz mindestens ebenso häufig Prozesse verursachten.

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Aus Luthers an den Papst gerichteten Pauschalvorwurf, dass dieser die Hindernisse gegen Gold und Silber aufwiege, sie sogar nur zum Zweck erfunden habe, „das sie gelltnetz und seelstrick seyn sollten",221 könnte geschlossen werden, er selbst verwerfe die Ehehindernisse in Bausch und Bogen. Auch Luthers Ehelehre kannte Heiratsverbote, nämlich die alttestamentlich begründete Blutsverwandtschaft und Schwägerschaft (Leviticus 18,6-18 und 20, 17-21).222 Die übrigen hielt er jedoch tatsächlich fur Narrenwerk, weil sie mit der Heiligen Schrift nicht in Einklang zu bringen waren. Sie seien aus fiskalischen Gründen erfunden worden und sollten keine Geltung mehr haben.223 c. Das Problem der Ehescheidung löste Luther ähnlich, wie es um 1500 die kirchlichen Richter von Schottland bis Avignon taten. Die Papstkirche war ein Haus mit vielen Zimmern.224 Obwohl ihm die Scheidung ein wahrer Greuel war, ließ er drei Gründe zu: die Impotenz, weil dadurch der Ehezweck nicht erfüllt werden konnte, der Ehebruch und die Verweigerung der ehelichen Pflichten, die beide biblisch begründet waren.225 Eigentlich hielt er aber nur den Ehebruch für einen legitimen Scheidungsgrund, weil nur er von Christus bestätigt worden war. Neben diesen führte er Trennungsgründe an wie beispielsweise die Gewalt in der Ehe oder Krankheit. Im Unterschied zur Scheidung blieben die getrennten Ehepaare in den beiden letztgenannten Fällen ehelich verbunden und sind aufgefordert, sich wieder zu versöhnen. In zwei entscheidenden Punkten sprang der Wittenberger aus der Bahn der kirchenrechtlichen Tradition. Zum einen wich er in der Frage, wem die Scheidungsgewalt zukomme, von der herkömmlichen Meinung ab, dass nur kirchliche Richter diesen Akt vornehmen dürfen. Vielmehr befähigte er dazu weltliche Personen. „Aber öffentlich sich scheyden [...], das muss durch welltlich erku(e)ndung und gewalt tzu gehen", erklärte er hinsichtlich des Ehebruchs.226 Zum anderen bedeutete die Ehescheidung für Luther mehr als die kirchenrechtliche Scheidung von 221 222 223

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WA X/2, 280. Auch WA X/2, 266. Vgl. den 1522 verfassten Text „Welche Personen verboten sind zu ehelichen" in: WA X/2, 265f. Im Fall des impedimentum ligaminis hielt er einen seelsorgerlichen Ratschlag bereit: 1. Wenn sich zwei Personen verloben, obwohl der Vormund bereits eine andere Wahl getroffen hat, soll dessen Willen gefolgt werden, „denn ob die magd wol betrogen wirt, ßo ists doch yhre schuld. Syntemal sie wissen solt, das eyn kind seym vatter unterthenig gehorsam seyn solt"; 2. Haben die zwei heimlich Verlobten bereits ein Kind gezeugt, sollen sie jedoch zusammenbleiben. Denn „die erste kan yhrs schadens nach komen, weyl sie noch on kinder ist". Der Mann ist zu büßen; WA X/2, 286. R. Weigand, Scheidungsproblem, und Ders., Ehegerichtsbarkeit, 241-245. Grundsätzlich galt sowohl bei den Protestanten wie bei den Katholiken der Satz: Was Gott zusammenfügt, soll kein Mensch trennen. - Vgl. dazu aus lutherischer Sicht und ohne Verweis auf die kirchenrechtliche Tradition Ernst Kinder, Luthers Stellung zur Ehescheidung, in: Luther 24 (1953), 75-88. Zuletzt K. Suppan, Ehelehre, 99-125. In De captivitate babylonica ecclesiae zählte Luther vier Gründe auf: Ehebruch, Impotenz, Unkenntnis einer früheren Heirat und das heimliche Weglaufen. Vgl. dazu N. Olsen, New Testament, 46f. WA X/2, 289.

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Tisch und Bett, da sie das Eheband ganz löste. Im Fall von Ehebruch ließ er es nämlich zu, dass der unschuldige Teil sich wieder verheiratete.227 Im Fall der Impotenz hingegen griff er zu einem rhetorische Trick. Frauen, die aufgrund der Impotenz ihres Mannes geschieden worden waren - Luther rechnet nicht wirklich mit impotenten Frauen: „wie wol das seltzamer ist denn mit mannen" -, dürfen nämlich einen anderen zum Gatten nehmen, heißt es. Doch Luther riet den Frauen zu argumentieren, dass dies in den Augen Gottes keine richtige Ehe gewesen sei. Impotenz wird damit zu einem Nichtigkeitsgrund erklärt.228 Auf die Frage der Wiederverheiratung antwortete Luther jedoch nur ein Jahr später im 1523 publizierten Kommentar zum 7. Kapitel des Paulusbriefs an die Korinther mit einem unzweideutigen „Nein!". Der Herr, argumentierte er, verbiete den Frauen, sich vom Mann scheiden zu lassen. Tue sie das dennoch, solle sie sich nicht wieder verheiraten, sondern mit ihrem Gatten versöhnen.229 Dahinter steht nicht allein Luthers Vorstellung von der Würde der Ehe, immerhin nannte er sie einen weltlicher Stand, sondern vor allem seine theologische und somit auch kirchenrechtliche Sozialisation.230

2.2

Zwingli

Wie im vorangehenden Kapitel über Luther, lassen sich auch die Äußerungen Zwingiis zum Kirchenrecht, zu den kirchlichen Gerichten und zur Rechtsprechung sachlich in zwei Teile gliedern: Bannpraxis (1) und Eherecht (2).231 Inwiefern er sich von Luthers Traktaten beeinflussen ließ, ist schwer zu sagen. Bestimmt kannte er „Die Babylonische Gefangenschaft der Kirche" und die Adelsschrift. Doch war nicht alles, was er dazu zu sagen wusste, angelesen. Vielmehr kann ein eigenstän227 228

229

230 231

WA X/2, 288. WA X/2, 278f. - Von diesem Grundsatz her ist seine Erlaubnis zu interpretieren, die Frau [sie!] dürfe mit Zustimmung des Mannes eine heimliche Doppelehe eingehen, wenn dieser dem Scheidungsbegehren nicht nachgebe. Falls der Mann auch der Doppelehe nicht zustimmt, soll sie ihn verlassen; vgl. WA VI, 558. Das siebend Capitel aus der Epistel S. Pauli zu den Chorinthem, in: WA XII, Weimar 1891, 94-142, hier 118-125. Vgl. auch die lateinische Predigt über die Ehescheidung aus dem Jahr 1524, in: WA XV, Weimar 1899, 558-562. - 1530 rang sich Luther zu einer neuen Position durch. Er schrieb: „Der Bapst lessts zu, das er sich von yhr scheide zu tische und bette, Aber gestattets nicht, das er eine andere neme, Aber wir geben den rat, weil das scheiden von bette und tische ein Ehescheiden ist, das kein fii(e)ncklin Ehe da bleibt [...], So mag er wol eine andere nemen;" WA XXX/3, 232. Die Ehelehre Luthers wandelte sich in dieser Hinsicht stark. Dazu N. Olsen, New Testament, 49f. Zur Stellung Zwingiis zum CIC vgl. den Aufsatz von Fritz Schmidt-Clausing, Das Corpus Juris Canonici als reformatorisches Mittel Zwingiis. Ein Beitrag zur 450-Jahrfeier der Zürcher Reformation, in: Zeitschrift fur Kirchengeschichte 80 (1969), 14-21. Nach Schmidt-Clausing benutzte Zwingli das CIC im Gegensatz zu Luther als Argumentationsmittel gegen die Papstkirche.

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diger Denkprozess vorausgesetzt werden, zumal erst etwa 1522 eindeutig klar wird, dass er reformatorische und nicht nur humanistische Positionen einnahm.232 Im Gegensatz zu Luther vertrat der Zürcher Reformator seine Vorstellung vom Bann und von der Ehe nicht in zahlreichen Traktaten und Predigten. Die kurze Schrift „Über die Gevatterschaft" war eine Ausnahme. Daraus aber zu schließen, dass es sich für Zwingli um nebensächliche Dinge handelte, die seiner intellektuellen und theologischen Aufmerksamkeit nicht wert waren, ist falsch. Gerade seine Ansichten über die Kirchenzucht finden sich an prominenter Stelle, nämlich in den Schlussreden. 1. Zwingli polemisierte bereits früh gegen das kirchliche Recht, schon 1518, nachdem er das Amt eines Leutpriesters am Zürcher Großmünster übernommen hatte. Er schmähte Rechtsautoritäten wie Innozenz IV., Hostiensis, Johannes Andreae oder Panormitanus, nannte sie „tolle fantasten" und beschimpfte ihre Lehre als „wüest pfutzen oder mistlachen".233 Der Chorherr Konrad Hofmann sah sich deshalb zu einer Klagschrift veranlasst, die er 1521 beim Propst und Kapitel des Münsters einreichte. Er anerkenne zwar Zwingiis Verdienste als Prediger, schrieb er, doch sei er um dessen Rechtgläubigkeit besorgt und wolle Ärger und Unruhe in der Gemeinde vermeiden und vorbeugen. Zwingli solle unbedingt um seine Meinung hinsichtlich des Banns gefragt werden. Ein Irrtum in diesem Punkt halte er für ein ebenso großes Ärgernis und genau so schädlich wie Ketzerei, merkte der Chorherr an.234 Was hielt Zwingli vom Bann? Die älteste noch überlieferte schriftliche Kritik findet sich im 1522 geschriebenen Traktat „Von Klarheit und Gewißheit des Wortes".235 Die wichtigsten Passagen sind aber diejenigen aus den 1523 veröffentlichten Schlussreden, worin er seine im Januar anlässlich der ersten Badener Disputation formulierten Thesen begründete und kommentierte.236 In den Schlussreden analysierte Zwingli Probleme, die zu seiner Zeit die größten Missstände und Streitigkeiten verursachten, und versuchte, sie aus evangelischer Sicht zu lösen. Auch den Missbrauch der kirchlichen Banngewalt zählte er dazu. Rhetorisch fragte Zwingli, ob die Bischöfe den Bann recht brauchten, und wenn nicht, ob man trotzdem verpflichtet sei, sich daran zu halten. Die Antwort setzte er als Titel über das 31. Kapitel: „Das den bann dhein besunder mensch ieman ufflegen mag, sunder die kilch, das ist: geminsame dero, under denen der

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U. Gäbler, Huldrych Zwingli, 46f. E. Egli (Hg.), Aktensammlung Nr. 213, 63. E. Egli (Hg ), Aktensammlung Nr. 213, 64. ZW I, 3 8 Of. Weitere Stellen finden sich im theologischen Hauptwerk Commentarìus 1525; ZW III, 628-911, vor allem im 27. Kapitel (de magistratu).

330

de vera et falsa religione von

bandwirdige wonet, mit sampt dem Wächter, das ist: pfarrer."237 Diese kollektive Banngewalt, die der Reformator beim Evangelisten Matthäus vorfand, erfasste er mit dem Begriff „Kirchhöre", womit die sichtbare Kirche gemeint war. Der Begriff hat eine doppelte Bedeutung. Im weiteren Sinn kann darunter die Pfarrei, die politisch verfasste Ortsgemeinschaft der Gläubigen, im engeren Sinn die Versammlung der Kirchgemeinde, die zu kirchlichen und kirchenpolitischen Fragen Stellung bezog, verstanden werden. Im Spätmittelalter verbanden sich die beiden Körper so eng, dass sie praktisch miteinander verschmolzen und konstitutionell nicht mehr zu trennen waren.238 Indem Zwingli diesen umgangssprachlichen Begriff verwendete, machte er deutlich, dass er die Aufgabe der Kirchenzucht einer realexistierenden Körperschaft zuwies.239 Im Kommentar De vera et falsa religione geht er nochmals auf den Begriff ein. Im Zusammenhang mit den Ausführungen zu den Aufgaben der weltlichen Obrigkeit erklärte er, dass es gerade nicht ihre Funktion sei, die Zuchtrute des Banns zu schwingen. Die Strafgewalt komme allein der ganzen Kirchgemeinde zu.240 Was diese Aussage vom gemeinen Recht unterscheidet, ist der Kirchenbegriff. „Kirche" bedeutete für Zwingli etwas ganz anderes. Es war nicht mehr die römische Autorität. Die Banngewalt leitete sich nicht mehr vom Papstrecht, sondern das Evangelium ab, und dieses ermächtigt die Gemeinde. In der Interpretation Zwingiis wird daraus die politisch verfasste Kirchgemeinde. Das bedeutet nicht, dass er das Evangelium gegen das Kirchenrecht ausspielte, wie Luther das tat. Die beiden normativen Texte bildeten für ihn nicht zwei völlig verschiedene Welten ab. Zwingli weist in den Schlussreden ausrücklich daraufhin, dass sich das CIC selbst nicht über die Heilige Schrift stellt. Im Gegenteil ist diese der übergeordnete Maß-

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ZW II, 16f., 276. Die wichtigsten Äußerungen Zwinglis zum Bann finden sich im 31., 32., 36. und 53. Kapitel. Vgl. Schweizerisches Idiotikon. Wörterbuch der schweizerdeutschen Sprache (Bd. 2), Frauenfeld 1885, Sp. 1578f. Zum Verhältnis zwischen Dorf- und Kirchgemeinde ist heranzuziehen Karl S. Bader, Studien zur Rechtsgeschichte des mittelalterlichen Dorfes, 2. Teil: Dorfgenossenschaft und Dorfgemeinde, Köln-Graz, 182-213. - Im Gutachten, worin Zwingli 1525 den Zürcher Rat über die Exkommunikation vom Abendmahl beriet, verwendete er den Begriff „Kirchhöri" auffallenderweise nicht mehr und klammerte die Frage der Banngewalt aus. Zum Kirchenbegriff Zwinglis vgl. zuletzt J.V. Pollet, Zwingli, 489-499. Der Verfasser betont den Übergang von der Kirche als „Heilsanstalt" zur „pädagogischen Anstalt". Die historisch-politische Seite seines Kirchenbegriffs arbeitete heraus P. Blickle, Gemeindereformation, 149-154. ZW III, 877: Invenimus autem, non ut isti dicunt, sacerdotalem et laicalem esse magistratum, sed unum tantum; nam ecclesiae potestas, qua impudentem a communicatione abstinet. magistratus non est, sicut hactenus ubi sunt episcopi; nam totius ecclesiae est, non quorundam, qui per tyrannidem sibi rerum summam vendicarunt. Dass sich diese Position gegen den Zürcher Rat nicht durchsetzen ließ, ist bekannt. Vgl. U. Gäbler, Huldrych Zwingli, 96f. - Von einer „Verschmelzung der beiden Körperschaften, der kirchlichen und der staatlichen" kann insofern nicht die Rede sein; so J.V. Pollet, Zingli, 495.

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stab, woran sich das kanonische Recht orientieren soll.241 Aber der Papst, der Knecht der Knechte, setze sich willkürlich über diese Bestimmung hinweg. Das Bannprozedere fand Zwingli bei Matthäus (18,15 ff) beschrieben und er übernahm es ohne Abstriche. Der Evangelist beschrieb ein vierstufiges Verfahren. Zuerst wird der Delinquent von seinem Bruder in Christo unter vier Augen zurechtgewiesen. Blieb das wirkungslos, sollte die Aussprache in Gegenwart mehrerer Zeugen wiederholt werden. Wenn sich der Sünder renitent verhielt, zitierte man ihn vor die Gemeinde; und half auch das nichts, bannte man ihn, was bedeutete, dass der Sünder aus der Gemeinde verstoßen wurde. Die gebannte Person war solange nicht mehr zum Abendmahl zugelassen, bis sie ihr Tun bereute. Was die bannwürdigen Vergehen betraf, lehnte Zürichs Reformator sich ebenfalls an den Evangelisten an. Die Aufzählung - Ehebruch, Gotteslästerung, Verfuhrung von Jungfrauen, Völlerei, üble Nachrede, Müssiggang, Krieg, Kuppelei, Verrat, Lüge etc., kurz: „offenlich verbösrende sünd" - geht aber darüber hinaus.242 Dass Zwingli den Krieg unter die bannwürdigen Tatbestände zählte, zeigt, wie stark die zeitgenössischen, auch von ihm angeheizten Diskussionen um das Pensionenwesen auf die Konzeption des ehemaligen Söldnerpfarrers einwirkten.243 Der theologische Begriff „Sünde" weist darauf hin, dass die genannten Vergehen das Seelenheil der Menschen gefährdeten. Der Strafzweck des Banns ist deshalb die Heilung des Geistes. Er ist ein Bußwerk oder, mit Zwingiis eigenen Worten gesprochen: „nit ein werck [...], sunder ein verlassen der bösen wercken". Als solches ist es die notwendige Voraussetzung für die Wiedereingliederung des Delinquenten in die Gemeinde.244 Neben den theologischen Prämissen bildete die Bannpraxis der Gerichte den zweiten Ausgangspunkt für Zwingiis Überlegungen zum Bann und zur Kirchenzucht. Sie war fast das genaue Gegenteil von dem, was sein sollte. Die Bischöfe 241

z w II, 63.

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ZW II, 277, 282. Vgl. ergänzend ZW IV, 31. Im 32. Kapitel der Schlussreden wird die These ausgeführt, wonach „man allein den bannen mag, der offenlich verergret". Zur politisch-theologischen Semantik des Begriffs „Ärgernis" vgl. die ingeniöse Studie von Beat Hodler, Das „Ärgernis" der Reformation. Begriffsgeschichtlicher Zugang zu einer biblisch legitimierten politischen Ethik (Veröffentlichungen des Instituts für Europäische Geschichte Mainz, Abt. Religionsgeschichte, 158), Mainz 1995. Hodler vertritt die These, dass die Reformatoren auf einem scholastischen Fundament ein Ärgerniskonzept entwickelten, das sie besonders oft in konkreten sozialethischen Fragen einbrachten. „Ärgernis" wird dabei in der Bedeutung von „Verschlechterang" verwendet. Hodler berücksichtigt allerdings die strafrechtliche Funktion des Begriffs nicht, wie er von Abälard entwickelt wurde. Dazu J H. Berman, Recht, 310ff. Anders als Luther sollte nach Zwingli der Wucher vom weltlichen Richter bestraft werden; ZW III, 877. Zu Luther vgl. R. Götze, Kirchenzucht, 9-13, 108. ZW II, 405f. Richtig gebraucht, nämlich als Buße, ist der Bann „ein gu(o)t, heilsam ding"; ZW II,

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bänden damit ihren Gegnern einen Maulkorb um. Sie exkommunizierten „nieman, denn der wider sy redt oder tu(o)t". Zudem setzten sie den Bann als Zwangsmittel ein, um Prozesskosten einzutreiben. Der Bann habe seinen Bußcharakter völlig verloren und sei zu einer Strafe verkommen, womit die Kirche einerseits ihre Privilegien schützte und andererseits ihre pekuniären Interessen durchsetzte. Hinzu kam, dass offenbar auch weltliche Personen ihre Schuldner mit dem Bann verfolgten. Hinweisend auf das einheimische Schuldrecht, mahnte Zwingli, dass niemand vor fremde Gerichte gezogen werden dürfe. Der Gerichtsstand sei der Wohnort des Beklagten.245 Der Bann aber, der wegen Geldschulden verhängt werde, sei kein Bann im eigentlichen Sinn des Wortes, wird Zwingli nicht müde zu wiederholen. Denn Geld zu schulden, sei keine Sünde, sofern das aus Armut geschehe. Bannten die geistlichen Richter wegen nicht bezahlter Schulden, sei das ein „yteler betrug". Eine solche Exkommunikation brauche niemand zu furchten, sie sei wirkungslos.246 2. Auch Zwingli zählte die Ehe nicht mehr zu den Sakramenten. Er verstand sie dem griechischen Wort im Neuen Testament gemäß als Mysterium. Eine Ehelehre aufgrund systematischer und theologischer Überlegungen, die über die eingespielte zeitgenössische Eheauffassung hinausging, entwickelte Zwingli aber nicht. Fast alle seine Äußerungen zu diesem Thema betrafen das Zölibat, fur dessen Aufhebung er nicht nur verbal kämpfte, sondern dem er auch selbst tatkräftig entgegentrat, indem er 1522 heiratete. Über die Ehe der Laien verlor er hingegen kaum ein Wort, sieht man einmal von der Schrift „Über die Gevatterschaft" ab, worin er 1524/25 - bezeichnenderweise auf Anfrage - ein spezifisches Problem analysierte, eben das Ehehindernis der geistlichen Verwandtschaft aufgrund der Taufe. Zürichs reformatorischer Vorkämpfer rechtfertigte seine Aufhebung mit dem Hinweis auf die Heilige Schrift, die kein entsprechendes Verbot kennen würde. Dieses sei nur eine päpstliche Erfindung, um durch Dispense Geld zu scheffeln. Sein Ratschlag entsprach nach eigenem Bekunden seiner Seelsorgepraxis. Jedesmal, wenn jemand um einen Rat in Ehesachen nachsuche, frage er sich, ob er wider die Verbote Gottes sei. „Und so ich darinn nüts wider got erfinden, so sag ich es den forschenden mit sölicher vorbehaltnus: Ir sollend sehen, das ir nit mit verergernus üwer kilchhöre ze kilchen gangind, sunder iro verschonen, bis sy bericht werden, daß sy wüssend, das es nit sünd ist."247 245 246

247

ZW II, 278. ZW II, 278, 282, 286f., 290f. - Bereits in der Schrift „Von Klarheit und Gewißheit des Wortes Gottes" kritisierte Zwingli den Bann, der um Geldschulden verhängt wurde; ZW I, 38f. Zwingli segnete 1524 einen Bauer und eine Frau aus dem Thurgau ein, obwohl sie dessen Patin war. Der Fall erhitzte die politischen Gemüter so sehr, dass er auf einer Tagsatzung diskutiert werden musste. Denn Zwingli verstieß nicht nur gegen das noch geltende Kirchenrecht, sondern griff auch in einen fremden Rechtssprengel ein. Das Zitat in: ZW III, 478f. Vgl. auch ebd., 480. Dazu EA IV/la, Nr. 228m.

333

In den berühmten Schlussreden hingegen werden kirchenrechtliche Ehefragen nicht einmal angesprochen.248 Erst ein Jahr später, 1524, kam Zwingli in der Schrift „Wer Ursach zu Aufruhr gebe" zweimal kurz auf die Ehe zu sprechen. Sie diente ihm als Beispiel, um die These zu belegen, dass man im Streit zweier Schriftgelehrten fur denjenigen Partei ergreifen soll, der sich auf das göttliche Wort, die „Schnur Christi", verlässt. Die Ehe sei ein notwendiger Brauch. Wie man sie aber schließen soll, führe das Neue Testament nicht aus. Moses hingegen erwähne zwei Regeln. Zwingli paraphrasierte zustimmend die einschlägigen Stellen, wonach erstens in bestimmten Graden der Blutsverwandtschaft nicht geheiratet werden darf, und zweitens die Ehe nur mit Einwilligung der Eltern - des Vormunds - geschlossen werden soll. Diese Position ermöglichte es ihm, das Eherecht der Kirche zu kritisieren, und er frug die Verteidiger des Heiligen Stuhls: „Wo ist die ee so veer hinuß verbottenn, als der bapst verhütet? Und nimpt aber gelt und lat's geschlicht sin. Wo ist die ee einigem menschen von gott ye verschlagen?"

248

Im theologischen Hauptwerk De vera et falsa religione commentarius widmete er ein kurzes Kapitel (Kap. 16) der Frage, weshalb die Ehe kein Sakrament sei, ein anderes (Kap. 21) rechtfertigt die Priesterehe.

334

III.

Zusammenfassung

Die von ganz verschiedenen sozialen Gruppen seit dem 15. Jahrhundert vorgebrachte Kritik gegen die kirchliche Rechtsprechung weist inhaltliche Gemeinsamkeiten und Unterschiede gleichermaßen auf wie Kontinuitäten und eine Zäsur. Diese sollen im Folgenden herausgearbeitet werden. Die Klagen des gemeinen Mannes von 1525 werden dabei weniger aus chronologischen, sondern aus interpretatorischen Gründen zuletzt zusammengefasst. Das Vorgehen ermöglicht, sie vor dem Hintergrund des bis zu diesem Zeitpunkt erstellten Beschwerdekatalogs zu beleuchten und angemessen in die Reformatio-Debatten einzuordnen. Vorab sei daran erinnert, dass die Kritik an der kirchlichen Gerichtspraxis nicht flächendeckend vorgebracht wurde, und nicht jeder Beschwerdebrief einen entsprechenden Artikel enthielt. Es gab insbesondere in der Diözese Konstanz zahlreiche Herrschaftsbezirke, die sowohl vor der Reformation als auch während des kriegerischen 1525 beschwerdefrei blieben. Im Bistum Chur hingegen, auch in der Diözese Basel enthalten beinahe allen bäuerlichen Artikelbriefen, die zwischen 1523-26 verfasst wurden, eine Kritik an der kirchlichen Rechtsprechung. Aus den Städten sind beinahe keine Klagen bekannt. Das kann damit erklärt werden, dass die städtische Obrigkeit bereits vor der Reformation einen Teil vor allem der kirchlichen Strafkompetenz an sich zog. Außderdem erschwerte sie in Eheansprachen den Zugang zum geistlichen Gericht, indem sie unberechtigte Eheansprachen mit einer hohen Buße belegte. Hinsichtlich der streitigen Rechtsprechung bestehen die Gemeinsamkeiten darin, dass die Laien und die Geistlichen, die sich vor der Reformation beschwert fühlten, einstimmig forderten, dass der weltliche Bereich vom geistlichen streng getrennt werden müsse. Kirchengerichte sollten allein fur den Letzteren zuständig sein. Was aber hieß „geistlich"? Eindeutig sind darunter die innerkirchlichen Streitigkeiten sowie Eheangelegenheiten zu verstehen. Letztere gehörten aufgrund ihres unbestrittenen sakramentalen Charakters dazu. Was über diesen Kernbereich hinausgeht, wird selten inhaltlich genauer bestimmt. Prozesse um Abgaben, die kirchlichen Institutionen geschuldet werden, werden manchmal genannt.249 Die reformatorische Theologie brach mit der kurialen Kirche und den „Romanisten". Nach Luthers Verbrennung des päpstlichen Rechts geriet das Normengefüge durcheinander. Der kirchliche Gerichtsapparat verlor seine Legitimation und blieb allenfalls als Notlösung während der Zeit der Entscheidung akzeptiert, bis die Botschaft des Evangeliums sich durchgesetzt hatte. 249

Der Streitpunkt ist nicht der Anspruch selbst, sondern die Höhe der Schuld.

335

Rechtsstreitigkeiten weltlich-geistlich gemischten Charakters gab es in dieser Konzeption selbstredend nicht. Allein Ehesachen werden - vor allem von Luther behandelt, da die Evangelisten sich dazu äußerten. Ausgehend von der Voraussetzung, dass die Ehe kein Sakrament sei, richtete sich Luthers Konzept vor allem gegen das Kirchenrecht. Vor diesem Hintergrund mag es neu und radikal erscheinen. Stellt man seinen Vorschlägen jedoch die Rechtspraxis und die Eheschließungsbräuche seiner Zeit gegenüber, sind seine Vorstellungen eher als konventionell zu bezeichnen. Zwingli hingegen bleibt, was die Ehe betrifft, merkwürdig still. Der sich sonst in keiner Weise zurückhält, sein Wächteramt wahrzunehmen und die Missstände seiner Zeit anzuprangern, schweigt. Das kann nur damit erklärt werden, dass der Zürcher Reformator hier kein aktuelles Problem sah. Das Konsistorium in Konstanz war als Ehegericht für die alten eidgenössischen Orten schon vor der Reformation beinahe bedeutungslos geworden. Zum strafrechtlichen Bereich. Darauf zielt die Kritik der Laien und der Geistlichen besonders ab. Wie ein roter Faden zieht sich durch sämtliche Beschwerden die Klage, dass der Bann wegen Geldschulden verhängt werde. Die empirischen Ergebnisse zeigen in aller Deutlichkeit, dass sie berechtigt war. Der Schuldbann war das Grundübel der Zeit. Aber nicht allein die Betroffenheit spricht aus dieser Beschwerde, sondern auch der Grundsatz, dass sich Kirchengerichte nur mit geistlichen Angelegenheiten, den offenen Sünden, beschäftigen sollen. Das bedeutete konkret, dass man den weltlichen Strafinstanzen eine größere Rolle einräumte als bisher. Ehebruch, Gotteslästerung und andere den sozialen Frieden und die Ehre Gottes beeinträchtigenden Vergehen gehörten zunehmend in den Zuständigkeitsbereich weltlicher Gerichte. Wird nach den Alternativen gefragt, wird der Bruch deutlich, den die evangelischen Theologen vollziehen. Während ihre klerikalen Vorgänger und mit Ausnahme des oberrheinischen Revolutionärs auch alle Laien nur den Mahnfinger heben, um die kirchlichen Richter zur Vernunft zu bringen, müssen Luther und Zwingli aufgrund ihrer theologischen Position aus der Bahn der Tradition springen und eine neue Richtung einschlagen. Das Evangelium ist der Wegweiser. Es ermächtigt die Gemeinde zum strafenden Organ. Luthers Gemeindebegriff ist politisch nicht klar zu fassen, anders der von Zwingli. „Gemeinde" ist fur ihn die real existierende Körperschaft der „kilchhöri". Es ist bemerkenswert, dass der oberrheinische Revolutionär ebenfalls einen eigenen Weg beschreitet. Er will den Send reaktivieren. Er legitimiert seine Strafinstanz nicht mit dem Evangelium und dem göttlichen Gesetz, sondern mit der Formel des alten Rechts. Vor dieser doppelten Folie der Kontinuität und der Zäsur müssen die Beschwerden der Bauern von 1525 interpretiert werden. Zwar mahnen auch sie die kirchliche

336

Bannpraxis an, auch die nicht scharf getrennten Kompetenzbereiche weltlicher und kirchlicher Gerichte riefen ihren Unmut hervor. Ein Reformbedürfnis, dem tatsächlich Missbräuche zugrunde lagen, war zweifellos vorhanden. Doch an der Institution selbst rüttelten sie nicht. Kirchengerichte also solche blieben unangetastet. Geistliche Sachen, insbesondere Eheangelegenheiten gehörten weiterhin vor den geistlichen Richter; die Strafe der Exkommunikation blieb für offene Sünder angemessen. Die bäuerliche Forderung, die Zuständigkeit der Gerichte auf die geistliche Sphäre zu begrenzen, war alt. Der Inhalt der Beschwerden war Treibgut aus dem 15., sogar 14. Jahrhundert. Ebenso die Kritik an der Bannpraxis. Insofern forderten die Pfarrgenossen einen überlieferten Sollensanspruch ein. Es brauchte keine Reformation, um diese Kritik zu artikulieren.

337

5

Schluss

Welche Rolle spielte die kirchliche Rechtsprechung fur die Rezeption der reformatorischen Lehre durch die Pfarrgenossen? Keine. Zumindest nicht bis 1525. Trotz zahlloser Exkommunikationen und dem dadurch leichtfertig aufs Spiel gesetzte Heil der Seele durch die Papstkirche hielten sie am geistlichen Gericht fest. Anders als die Reformatoren wurden die Bauern und Städter am kirchlichen Autoritätsanspruch nicht irre. Deren alternatives Modell, offene Sünder von der Gemeinde zu bestrafen, nahmen sie nicht auf, obwohl sie sich ausdrücklich auf das Evangelium als neuer verfassungsrechtlicher Norm beriefen. Die Kirchgenossen verzichteten darauf, die kommunalen Gerichtskompetenzen in den geistlichen Bereich auszuweiten und akzeptierten, dass eine fremde, kirchliche Instanz ordnend in das Pfarreileben eingriff. Was das bedeutet, wird vollends klar, wenn gleichzeitig die quantitativen Ergebnisse der Rechtsprechung in Erinnerung gerufen werden. Während der untersuchten Zeit bildete die Jurisdiktion in Ehesachen den maßgeblichen Teil der Prozesse. In den Diözesen Basel und Chur gerhörte die kirchliche Rechtsprechung zur Lebenserfahrung einer jeden Pfarrei. Die große Anzahl dieser Fälle zeigt, dass kirchliche Gerichte anerkannte Instanzen für die Regelung von Ehekonflikten waren. Denn es waren die Parteien selbst, die ihr Problem vor den Kirchenrichter brachten. Das Gericht reagierte bloß auf Klagen oder Gerüchte. Am Churer Material kann diese These besonders plastisch vor Augen gefuhrt werden. Die Aktivität des Chorgerichts stieg gegen 1520 stark an. Die jährlichen Eheprozesse nahmen leicht zu, ebenfalls die weltlich-geistlich gemischten Fälle; die Menge der strafrechtlichen Prozesse und der bestraften Bauern und Priester wuchs in derselben Zeit deutlich, diejenige der jährlichen Zensuren sogar außerordentlich. Das Gericht verhängte die Mehrzahl der Exkommunikationen wegen unbezahlter, ihm geschuldeter Geldbeträge. 1524/25 beschwerten sich deswegen die Bauern und beriefen sich unter anderem auf das Evangelium und die lex Christi. Aber am geistliche Gericht hielten sie grundsätzlich fest. Ihr Reformationsbedürfnis war systemkonform. Es zielte darauf ab, Missstände abzustellen, vor allem die eigennützige Bannpraxis des Chorgerichts zu unterbinden. Die Kritik daran war berechtigt. Dennoch übernahmen sie das systemsprengende Angebot der Reformatoren, die Kirchenzucht selbst zu organisieren, nicht.250 Unter diesem Gesichtspunkt kann das Phänomen, dass in allen drei Diözesen der Umfang der kirchlichen Rechtsprechung ab 1524/25 signifikant abnahm, nicht 250

Dieses Ergebnis stützt die Resultate Conrads. Sie vertritt die Ansicht, dass das Ergebnis der bäuerlichen Auseinandersetzung mit der reformatorischen Predigt eine Verschmelzung evangelisch-biblischer Prinzipien mit dem herkömmlichen Werkglauben sei; F. Conrad, Reformation, 92-107.

338

monokausal auf die Reformation und ihre Botschaft zurückgeführt werden. Die Einrichtung evangelischen Sittengerichte, die nach 1525 die weltliche, zuerst die städtische Obrigkeit als Ersatz für das bischöfliche Chorgericht einsetzte, war kein Anliegen der kirchlichen Untertanen.251 Wie ist es aber zu erklären, dass sich die kirchliche Gerichtslandschaft nach 1525 gegen den erklärten Willen des gemeinen Mannes radikal veränderte? Zwei sich ergänzende Thesen seien abschließend formuliert. Erstens ist auf die Wirkung des Bauernkriegs hinzuweisen. Eine seiner Folgen war offensichtlich, dass das kirchliche Justiznetz riss, dessen Zentrum das bischöfliche Konsistorium bildete. Der Anlaufweg zum Gericht war in dieser unruhigen Zeit noch unsicherer und noch beschwerlicher. Vermutlich blieb der Zugang zum Gericht sogar längere Zeit unterbrochen.252 An den rechtlichen Vorstellungen änderte sich nichts, doch es fehlte an Instanzen, diese durchzusetzen. Ein Vakuum entstand. Zweitens verschob sich das Machtverhältnis nach der Niederschlagung der Bauern zugunsten der weltlichen Obrigkeit. Sie war es auch, die das Rechtsvakuum füllte. Das ist nicht als plötzliche Usurpation kirchlicher Rechte zu verstehen. Denn es fallt auf, dass dort, wo die weltliche Herrschaft früh, das heißt zwischen 1525-30, den Platz der Ofifizialate einnahm, sie bereits vorher deren Rechtsprechung weitestmöglich übernommen hatte. In den Reichsstädten des Bistums Konstanz spielte das Konsistorium als Ehegericht vor der Reformation nur eine unbedeutende Rolle und hatte kaum noch Einfluss auf das religiöse und soziale Leben. Hier konnte diesbezüglich kein Reformationsbedarf entstehen. Wo das Kirchengericht jedoch bis 1525 einen grundlegenden Bestandteil des Rechtssystems bildete wie im Bistum Chur, dauerte es länger, bis das Vakuum aufgefüllt war. Der Churer Siegler führte sein Rechnungsbuch bis 1527 weiter, obwohl die Zahl der Prozesse radikal abnahm. Doch erst 1532 wurde die erste Eheordnung verfasst.253 Hier stauten sich die Rechtsprobleme, strittige Fragen blieben ungelöst liegen. Aus diesen skizzierten unterschiedlichen Entwicklungen lässt sich eine verallgemeinernde Schlussthese formulieren. Wo einerseits die kirchliche Rechtspre251

252

253

Vielmehr setzte die Obrigkeit Luthers und Zwingiis Konzeption in die Praxis um. Einschlägig für die drei Diözesen W. Köhler, Ehegericht, U. Pfister, Sittenzucht, Thomas M. Safley, Let No Man Put Asunder: The Control of Marriage in the German Southwest: a Comparative Study, 1550-1600, Kirksville 1984, und Heinrich R. Schmidt, Dorf und Religion. Reformierte Sittenzucht in Berner Landgemeinden der Frühen Neuzeit (Quellen und Forschungen zur Agrargeschichte, 41) Stuttgart u.a. 1995 Einen Überblick über Europa bei Heinrich R. Schmidt, Gemeinde und Sittenzucht im protestantischen Europa der Frühen Neuzeit, in: P. Blickle (Hg ), Theorien kommunaler Ordnung (Schriften des Historischen Kollegs, Kolloquien 36), München 1996, 181-214. Der Bauernkrieg soll nicht gegen die Reformation ausgespielt werden, doch in der Frage der Kirchengerichte dem Bauernkrieg größeres Gewicht beigemessen werden. Zum Zusammenhang von Bauernkrieg und Reformation vgl. P. Blickle, Revolution. F. Jecklin (Hg ), Materialien, Nr. 195. Es handelt sich um den Artikelbrief „vonn der ee" des Zehngerichtebundes. Die drei Bünde stellten erst 1537 eine gemeinsame Ehegerichtsordnung auf. Vgl. ebd., Nr. 205.

339

chung schon vor der Reformation eine unbedeutende Rolle im Rechtsleben eines Herrschaftsbezirks spielte und als Ordnungsfaktor weitgehend ausgeschieden war, artikulierte der gemeine Mann kein Reformationsbedürfhis. Zwei Entwicklungsmöglichkeiten gab es hier. Entweder ersetzte die weltliche Obrigkeit das bischöfliche Offizialat durch ein evangelisches Sittengericht, wie das in Zürich oder Bern zum Beispiel geschah; oder es blieb alles beim Alten wie in der Innerschweiz. Wo andererseits die kirchliche Rechtsprechung eine wichtige Funktion fur das Rechtsleben hatte als Ehe-, Straf- oder Schuldgericht, gab es Missstände. Die Betroffenen, hauptsächlich Bauern, beklagten sich und forderten Reformen, hielten aber grundsätzlich an der Institution fest und machten von der reformatorischen Alternative keinen Gebrauch. Hier setzte der Bauernkrieg der Gerichtspraxis ein Ende. Es entstand ein Rechtsvakuum, das erst verhältnismäßig spät mit weltlichen Instanzen gefüllt wurde.

340

6

1.

English Summary

Questions, Methods, Sources

In 1520 in a symbolic act Martin Luther burned a large number of manuscripts containing church law, including several volumes of canon law. With this act the movement of evangelical theologians separated itself publicly from the established Roman church. In sermons, pamphlets and tracts they justified this step and at the same time tried to win new supporters. These supporters, whom we can more precisely call „commoners", are the focus of this study. Commoners were fully enfranchised residents of a village or city and thus made up the great majority of the population. I want to investigate whether and to what extent the practice of church law (iurisdictio in foro extemo) offered people in this social category a motivation to join the new evangelical movement. To answer this question, I have chosen a two-pronged approach. First, I have examined court records to develop as objective a picture as possible of court activities. Second, I describe the subjective experiences of commoners by analyzing complaints concerning the church's jurisdiction. We find the commoners' criticisms of clerical courts in complaints from the fifteenth century, but also particularly frequently during the Peasants' War of 1525. Because we find hardly any later cases of commoners expressing opinions about this subject, the Peasants' War marks the chronological end of the study. My interpretation of these complaints then follows against the background of the Reformation alternatives worked out by Luther and Zwingli. Three new investigative approaches were necessary to examine church court practice in the light of social historical questions as well as in the context of the history of the Reformation. First, I had to expand the regions under examination in order to come to representative conclusions. Instead of looking at the decisions of a single court, I chose three dioceses: the bishoprics of Basel, Constance and Coire. These make up a closed region in which above all the Zwinglian brand of Reformation theology spread. Second, I examine the practice of each court that was active in these territories. The third innovation concerns the method of source selection and analysis. My major sources are court books. They contain the daily records of the work conducted by officials in church courts. These collections of data are large enough to allow statistical analysis. Only conclusions arrived at through this approach reveal the significance of courts in the commoners' daily lives. 341

2.

Church Courts in Basel, Constance and Coire

The jurisdiction of church courts was broad. In theory ecclesiastical judges could punish every kind of sinful offence perpetrated by clergymen and members of the laity. In the realm of civil law they were responsible for all conflicts which involved a clergyman, as well as those which had any connection with the sacraments and therefore with salvation, an example being marital disputes. Similarly, they adjudicated all conflicts involving an oath, for example, commercial or rent contracts. They also carried out freelance legal activities (jurisdictio voluntaria), which concerned such matters as notarial arrangements and the certification of legal documents. For instance, church courts put seals on commercial, rent and inheritance contracts, as well as testaments or marriage contracts whenever requested by the laity or clergy. Furthermore, certifying a copied document, the so-called Vidimus, belonged within the realm of the court's voluntary jurisdiction. In each of the three dioceses there were several church courts whose jurisdictions overlapped. Measured by their responsibilities, the most important of these in all localities was the episcopal court [bischöfliches Offizialat], also called a prebendary court [Chorgericht] or consistory. For three reasons the fifteenth century was especially important for the development of the episcopal court. First, during this period the centralization of the diocesan court administration was completed. This meant that the archdeaconal court no longer constituted an autonomous authority. Wherever it still existed it was incorporated as part of the episcopal administration and constituted the first court against whose judgements litigants could appeal before the consistory. Second, also during this period the court strengthened its disciplinary function. Offences against church order, which earlier were brought before a synod [Send], were later the responsibility of the episcopal prosecutor (procurator fiscalis). Third, the court gained in efficiency through the activities of commissioners. These acted as external agents of the court. They collected charges in order to pass them on to judges, or, conversely, they carried out judges' orders. Besides the archdeaconal and consistorial courts, there were still further courts. In each of the three dioceses, bishops exercised judicial functions. In Basel and Constance vicars-general also took on corresponding duties, while in Coire the offices of episcopal judge [Offizial] and the vicar-general were united in the same person. Similarly in all three bishoprics there were papal curators, who were mainly responsible for protecting the rights and freedoms of clerics and ecclesiastical institutions. 342

Moreover, in the dioceses of Basel and Constance there were still other courts of which there is no evidence in Coire. For example, in two provost's territories and a parish in Basel there were still synodal courts (St. Ursitz, Miinster-Granfelden, Roggenburg). In addition, around 1500 the city of Basel controlled its own curatorship. In the bishopric of Constance two special courts were active, which hardly fit within the boundaries of the church's administrative structures: the clerical court [Pfaffengericht] in the city of Zurich and the so-called pulpit courts [Kanzelgerichte] in Central Switzerland. The first was a committee of three clergymen called together by the city council in order to punish offences perpetrated by civic clergymen against citizens. The latter was originally a synodal court. But because around 1500 its decisions could be appealed before secular courts, we cannot call this body a church court in any strict sense. Further standing authorities which played a role in a diocese's legal affairs included the Pope and his legates as well as the archiépiscopal courts in Mainz and Besançon. The latter were the courts of appeal against judgements by the episcopal judges. With the exception of the synod, the clerical court and the pulpit court, cases were tried according to canon law by academic judges. This resulted in tremendous financial burdens for the parties involved. Measured relative to wages and the cost of living, a case was very expensive.

3.

Ecclesiastical Administration of Justice

Serial sources are available only for the episcopal courts. They are from the period between about 1450-1525. Prebendary judges decided primarily marital cases. Between 1463-1469 and 15211524 Basel's episcopal court dealt with approximately 760 cases; of these 80% concerned marriage disputes. The court book from Constance contains a total of 2020 decisions for the years 1514-1515 and 1519-1525; 95% of these cases concerned marriage disputes. Between 1498-1527 Coire's episcopal court decided 1120 cases, 88% of which concerned marriage disputes.1

I have not evaluated source material for the entire diocese of Coire, but rather only for three territories within it: the Sarganser Landschaft, which the Swiss Confederate territories administered cooperatively; the Gotteshausbund. that is the secular territory of the bishop: and the vorderösterreichische Gerichte, which were administered bv officials of the Habsburg dvnastv.

343

The marriage cases which judges decided concerned above all marriage claims and marriage impediments. The proportion of the former was in each diocese about 65%, while that of the latter was about 20-25%. The remaining matters of dispute before the courts are not so easy to organize into a simple category. Among the cases are some about interest, tithes and testaments, but also one case concerning a burial plot. Most of the remaining cases were disputes about debts. Creditors in these cases were members of the laity as well as priests or church institutions. To collect unpaid debts, residents of Basel went to the curatorial court. However, in practice this authority was also used to collect debts from rural and urban residents who lived beyond the Rhine in the bishopric of Constance. The reason is that, in contrast to the episcopal court, the jurisdiction of the papal court was not restricted to the boundaries of the bishopric. Only sources from Basel and Coire provide a picture of the prosecutorial function of episcopal courts. Basel's prosecutor punished a total of 497 offences between 1463-1469, 214 by members of the laity and 283 by members of the clergy; in the seven years between 1509 and 1521 which I have examined ~ only seven court registers have survived — there were 624 offences, 269 by members of the laity and 355 by members of the clergy. Most people were punished for sexual offences. Lay men and women committed primarily crimes of fornication (43%) and adultery (12%), while clergymen kept a concubine illicitly. Compared with these violations of the church's conception of marital and sexual morality, verbal and violent offences played only a minor role. The prosecutor had two kinds of punishment at his disposal, fines or censures (namely excommunication, interdict, or suspensions). An accounting register from Coire contains a list of all charges levied on those excommunicated who had to pay for their absolution. Between 1497 and 1527 the consistory excommunicated over 1100 parish members from the „Sarganser Landschaft", the „Gotteshausbund" and the „Vorarlberger Gerichte". The number of decisions resulting in a ban increased drastically after 1514 and reached a high point in 1519-1520. The ban was part of everyday life for the population before the Reformation. Because of the piety of the Christian populace at the time, excommunication was a serious punishment, mostly because priests refused banned individuals access to the sacraments. This included exclusion from communion, the social significance of which we can hardly underestimate.

344

There are two main reasons for the extremely large numbers of excommunications. About 20% were punishments which were administered automatically (ipso facto, eo ipso) for certain actions. For example, anyone who attacked a priest physically was faced with an automatic ban. About 80% of excommunications were levied by the courts in cases where debts had not been paid. Often the consistory tried to collect unpaid court costs using ecclesiastical censures. And finally, we need to address the courts' notarial activities. Registers of court notaries have survived from the bishopric of Basel which show that around 1500 these activities were of relatively little significance. Between 1471-1479 the episcopal judge's notaries sealed 320 documents, which were brought to them voluntarily by laymen and clergymen; between 1506-1516 it was 294; and, finally, between 1521-1527 it was only 38. Business transactions, among these especially the purchase of rents, as well as IOUs made up the greatest portion of notarial certifications. On the other hand, judging by an evaluation of the register from the years 1471-1479, the number of copied documents was completely insignificant, that is, only 89. Although for most legal matters the jurisdiction of each prebendary court reached across an entire diocese, this was not so for the court's freelance legal activities. Generally only those laymen and clergymen who lived near the court brought commissions to it. In the case of Basel it can be shown that most legal cases involved parties from the within city itself or from the immediate countryside. Finally, it is possible to give a fairly exact picture of the social class of laity whose members went before a judge, whether voluntarily or not. While the concept „commoner" was not used, all evidence suggests that the people recorded in court documents were mainly from this class. Nobles were mentioned extremely infrequently. At most, they were among the parties involved in cases concerning nonmarital disputes. People without a stable residence appear in the records just as infrequently.

345

4.

Criticisms of Church Courts

Since at least the beginning of the fifteenth century, members of all estates criticized the ecclesiastical administration of justice. We find the laity's criticisms in various kinds of sources which originated in the context of the late medieval reformatio-debate. I view the commoners' complaints in terms of texts like political and constitutional tracts (Reformatio Sigismundi and the so-called Upper Rhineland Revolutionary), the Gravamina of the German Nation, criticisms of the lower clergy, as well as the reform programmes of Luther and Zwingli. The texts examined originated in the regions under investigation or at least were given attention there. A comparison of the criticisms made from these various points of view simplifies the interpretive organization of the commoners' complaints. Rural and urban complaints have survived from all three dioceses, both from before the Reformation and during the Peasants' War. It is noteworthy, however, that not all prebendary courts were subjected to criticism with the same intensity. Especially in the diocese of Constance there were numerous territories which were free of complaints. On the other hand, letters of complaint from the diocese of Basel and Coire almost always contained an article with grievances about ecclesiastical courts. There are only a few complaints which have survived from urban contexts. Above all, two kinds of complaints surface again and again. The main criticism found in all the texts, with the exception of the Upper Rhineland Revolutionary, was directed against the practice of the ban. The charge was that church judges passed ban sentences too often and with too little cause. This charge was followed by a demand for the separation of secular and ecclesiastical jurisdictions with regard to the contentious administration of justice. Church courts, the letters of complaint continued, should only be responsible for ecclesiastical affairs. What „ecclesiastical" meant was seldom defined in precise terms. In any case, innerchurchly affairs and matters of marriage certainly belonged in this category. Early sixteenth-century church reformers, because of their theological convictions, deviated fundamentally from this position. The reason was that the New Testament does not recognize an institution such as the church court of the sort in place in the late middle ages. For this reason, the judicial institutions of the Roman church lacked legitimacy in the reformers' eyes. In place of ecclesiastical courts the reformers placed a court of the parish community, organized according to the biblical models found in the Letters of Paul and the Gospel of Matthew, which 346

punished the sins of parish members. The Upper Rhineland Revolutionary favoured a similar arrangement, one which was, however, based on legal tradition and not on the New Testament. He wanted to reactivate the synod. At least until the time of the Peasants' War, commoners did not accept the position of the reformers. Rather, they repeated their demands from the fifteenth century. To be sure, they considered church courts to be in need of reform. But they did not place the institutions themselves in question. They expressly acknowledged the courts' authority to make judgements on matters of marriage. Ecclesiastical judges concerned themselves for the most part with such cases, which indicates that the courts were accepted social institutions. According to commoners, not even the prosecutorial functions of church courts were in need of reform. Their criticisms only concerned the practice of the ban. Therefore, the practice of church courts was not a factor which further contributed to the reception of the Reformation cause among commoners.

347

7

Bibliographie

In die Bibliographie wurden nur Titel aufgenommen, die mehr als einmal zitiert wurden.

1.

Abkürzungen

AAEB AKathKR BAC CIC COD CR DG EA EAF EDG GLAK HRG HelSac JbHaGG REC RS RST RTA SSRQ StABL StABS Tab. TRE VLAB WA ZGO ZRGGA ZRGKA ZSG ZSKG ZW

348

Archives de l'ancien évêché de Bàie Archiv fur katholisches Kirchenrecht Bischöfliches Archiv Chur Corpus Iuris Canonici Conciliorum Oecumenicorum Decreta, Bologna 3 1973 Corpus Reformatorum Debitorium universale seu generale officii sigilli etc. Amtliche Sammlung der älteren Eidgenössischen Abschiede Erzbischöfliches Archiv Freiburg Enzyklopädie Deutscher Geschichte Generallandesarchiv Karlsruhe Handwörterbuch zur deutschen Rechtsgeschichte Helvetia Sacra Jahresberichte der Historisch-antiquarischen Gesellschaft von Graubünden Regesta Episcoporum Constantiensis Reformatio Sigismundi Reformationsgeschichtliche Studien und Texte Reichstagsakten Sammlung der Schweizerischen Rechtsquellen Staatsarchiv Basel-Landschaft Staatsarchiv Basel-Stadt Tabelle Theologische Realenzyklopädie Vorarlbergisches Landesarchiv Bregenz Weimarer Ausgabe Zeitschrift für die Geschichte des Oberrheins Zeitschrift der Savigny-Stiftung für Rechtsgeschichte, Germanistische Abteilung Zeitschrift der Savigny-Stiftung fur Rechtsgeschichte, Kanonistische Abteilung Zeitschrift für Schweizerische Geschichte Zeitschrift für Schweizerische Kirchengeschichte Huldreich Zwingiis sämtliche Werke, hg. von E. Egli, G. Finsler, W. Köhler

2.

Quellen

2.1

Ungedruckte Quellen

AAEB:

A A A A A A A A A

85/33 85/34 85/35 85/37 85/39 85/41 85/43 85/83 101/1

Β 130 Β 194/9 Β 234/ 2

BAC:

BAh 48'480/491 (Bd. 1480-1491) Debitorium Generale Mappe Β 60 Mappe Β 61

EAF:

Ha Ha Ha Ha

GLAK:

8/30b 65/291 67/494

StABL:

Altes Archiv L. 114 A, Faszikel 616B/212 Altes Archiv L. 114 Β, Faszikel 650B/328 Altes Archiv L. 114 C, Faszikel 670C/218

StABS:

Akten Baden A 1. Allgemeines und Einzelnes, 1501-1600 Bischöfliches Archiv 28, 42 (Nr. 32) Bistum Basel F 3 Bistum Basel F 5 Gerichtsarchiv AA 1-6, 9-10, 14-19, 21-22 Justiz-Akten Q 2

126 127 330i 322

349

Klosterarchiv: Augustiner Domstift Elendenherberge Gnadental Karthäuser Klingental Maria Magdalena Predigerkloster St. Alban St. Elisabethen St. Klara St. Leonhard St. Margrethen St. Peter Spital Städtische Urkunden St. Martin H 16a

StA. Straßburg:

série IV, 4 ( 15)

Universitätsbibliothek Basel: VB Mscr. Q 267b, Nr. 30

VLAB:

2.2

Walgau-Buch (1. Bd.) Urkunde Nr. 4533

Gedruckte Quellen

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Anhang: Geldeinheiten Bistum Basel: 1 Pfund (Ib.) = 20 Schilling (ß.) = 200-250 Pfennig (d.) 1 Pfund = 12 Batzen = 120 Rappen = 240 Pfennig 1 Gulden (fl.)1 = 1,25 Pfund = 25 Schilling Bistum Chur: 1 Pfund (lb.) = 20 Schilling (ß.) = 240 Pfennig (d.) 1 Gulden (fl.) = ca. 2 Pfund 1 Teston = ca. 3 Schilling

'

Gemeint ist immer der rheinische Gulden.

364

Sachregister Absolution 23f.; 48; 50; 56; 64; 75í; 81ff.; 85; 96; 105; 11 Iff.; 129; 140; 172; 178f ; 205; 212Í; 215Í; 222ff.; 236; 242; 266; 268; 272; 279f.; 287; 298; 301; 318f. Advokat allgemein 67; 69; 72 Bst. Basel 69f; 94; 101; 111 Bst. Chur 78; 310 Anathem Siehe Zensur, kirchliche Appellation 62; 65f.; 100; 105f. Bst. Basel 59; 77; 93; 101; 104; 138f.; 141ÉF.; 145f.; 150f.; 181; 183 Bst. Chur 144; 310; 318 Bst. Konstanz 61Í; 98f.; 117; 147; 151f. Archidiakon allgemein 18; 37; 48; 55; 57ff; 65; 89; 99f.; 117; 136; 141; 296f. Bst. Basel 59f.; lOOf.; 117; 141ff.; 265 Bst. Chur 90; 99f.; 102ff.; 144 Bst. Köln 22; 24; 27 Bst. Konstanz 60; 102; 117; 143 Bst. Mainz 22; 24; 27; 142 Bst. Trier 24 Archipresbyter Siehe Archidiakon Arrestation allgemein 184; 268Í;296;299 Bst. Basel 140; 183ff ; 235; 244ff.; 261; 263 Bst. Chur 188Í; 262 Bst. Konstanz 180 Bann Siehe Zensur, kirchliche Bauernkrieg 3; 5; 7; 29; 35; 174; 239; 277; 306; 311; 321; 335f.; 338ff. Beichte 4; 42; 309 Beleidigung 46; 68; 141; 191; 199ff; 203f.; 212; 214; 218ff. ; 264f.; 274; 296 Bigamie 42; 45f.; 127; 175; 179; 202ff.; 275; 299 Blasphemie Siehe Gotteslästerung Briefträger allgemein 69;72;100 Bst. Basel 70; 73; 94ff.; l l l f . ; 142; 155; 264 Bst. Chur 71; 134; 318 Bst. Konstanz 70; 78; 89f. Buße Siehe Reue causa mixta allgemein 40; 43; 65; 125f.; 161f.; 180; 336; 338 Bst. Basel 140; 180ff.; 188ffi; 185Í; 239f.; 259Í;279 Bst. Chur 144; 180; 187f.; 23 lf.; 262; 338 causa prophana 104; 140; 183Í; 186ff; 190; 261Í; 275; 293; 296f; 302 Chorrichter Siehe Offizial, bischöflicher correctio caritativa 68; 291

Defloration 45f.; 81; 83; 128; 134; 143; 160ff.; 168; 171ff.; 175f.; 191; 194ff.; 201; 203ff; 208; 214; 218; 220; 256f.; 273ff.; 307 Dekan allgemein 100; 107; 141 Bst. Basel 102; 107; 141; 220 Bst. Chur 91; 102ff.; 116; 144f.; 204 Bst. Konstanz 100; 102; 107; 121; 143 Dispens Siehe Ehe Diffamation Siehe Ehe Ehe Diffamation 164; 168; 175; 214 Dispens 43; 82; 90; 107; 137; 139; 150; 166; 175ff.; 227; 318; 333 Gewalt in der Ehe (saevities) 191; 202ff.; 252 heimliche 21; 41; 104; 123; 161; 180; 276; 278; 293 ungenossame 21; 123 Eheansprache 124f.; 169; 201; 251f.; 273; 309; 335 Ehebruch 19; 24; 45f.; 59ff.; 68; 72; 81; 83; 101; 104; 123; 127f.; 132; 136; 139; 151; 164; 191; 194; 202; 204ff.; 211; 218; 230; 241; 252; 262£f; 287Í; 289f.; 296; 299; 316; 328f.; 332; 336 Ehehindernis affinitas 21; 42f.; 83; 159; 164f.; 168; 171; 174£f.; 192; 223; 227; 271; 275; 328 cognatio spiritualis 42; 164; 168; 171; 174f; 327f. consanguinitas 21; 42f.; 81f.; 139; 164; 168; 171; 174f.; 177; 192; 201; 214; 234; 275; 327f.; 334 impotentia 42; 162; 164; 168; 175; 184; 202f.; 227; 271; 275; 327ff. ligamen/precontractus 42; 131; 164; 168; 175; 299; 327 minorennitas 42; 164; 168; 175; 177 publica honesta 168; 175 vis et metus 42; 168; 175; 271 Ehescheidung 42; 151; 164; 195; 202ff.; 218; 230; 241; 265; 274; 286; 309; 327fif. Ehre 40; 54; 93; 95; 127f.; 166; 191; 201; 219; 264; 276;336 Eid 40; 43; 75; 96; 162; 170; 199; 201; 244 Erbschaft 140; 183; 185; 188; 221; 261f.; 275; 280; 296 Erzpriester Siehe Archidiakon Exkommunikation Siehe Zensur, kirchliche Exzess 24; 84; 140; 194ff.; 208f.; 211; 214f; 218ff.; 225; 262; 274; 280 Fälschung 46; 127; 199 Fiskal Siehe Fiskalprokurator

365

Fiskalismus, kirchlicher 5; 23; 28; 30; 115; 176; 280; 295; 298ff.; 315f.; 319; 328; 333 Fiskalprokurator allgemein 69; 72; 87; 319 Β st. Basel 20; 70; 73f.; 111; 130ff.; 138t; 161; 194; 199; 206f.; 210; 212; 216ff.; 220; 225; 262ff. ; 274 Bst. Chur 71; 83; 134; 205; 214; 216; 231; 319 Bst. Konstanz 191 forum domicilii 36; 66f.; 120; 286; 296; 310; 333 forum internum 42; 104; 275 Fronung Siehe Arrestation Gebühren Siehe Prozesskosten Gefängnis 47; 216 Geldbuße 24; 47; 61f.; 73f.; 83; 125; 128; 130; 139; 154; 191Í; 194ff.; 200; 212; 216ff.; 222; 224ff.; 229; 233; 276; 280; 282; 335 Geldschulden 25; 28; 49; 77; 105; U l f . ; 120; 129; 134£f; 145; 154; 157; 160; 176ff.; 183f.; 188; 190; 212; 221f.; 226ff.; 230; 232; 236; 241; 244f.; 255; 265; 280; 286; 291; 298; 303; 309; 313; 317f.; 325; 333; 336 Gelübde Siehe Eid Generalvikar allgemein 63; 100; 119 Bst. Basel 63f.; 69; 101; 131ff. ; 138t; 140; 162; 165f.; 222; 225 Bst. Chur 64; 71; 140 Bst. Eichstätt 63 Bst. Konstanz 6; 51; 64; 97; 137; 139f.; 143f.; 150;314 Gerichtsbarkeit, freiwillige Siehe Notariat, kirchliches Gerücht 68; 124; 164f.; 168; 170f.; 192; 194; 217; 271; 277; 298; 338 Gotteslästerung 46; 104; 198£f.; 218; 274; 289; 332; 336 Homosexualität Siehe Sodomie Imbreviatur Siehe Notariat, kirchliches 1. Ilanzer Artikelbrief (1524) 99; 309f. Interdikt Siehe Zensur, kirchliche Iniurium Siehe Beleidigung Inzest 81; 83; 104; 201f.; 214; 227 jurisdictio voluntaria Siehe Notariat, kirchliches Kanzelgericht, Innerschweizer 60f.; 116; 136 Ketzerei 1; 45; 147 Kindbett 159t; 172f.; 276 Kommissar allgemein 69; 72; 87; 89; 116; 296; 323 Bst. Basel 70; 87ff; 133 Bst. Chur 71; 88; 90f.; 256 Bst. Halberstadt 24; 26

366

Bst. Konstanz 27; 70: 80; 87ff.; 98; 102; 110; 134; 159; 169£f.; 254; 278 Konfessat 25; 77; 80; 112; 239ff; 269f. Konkubinat 46; 72; 81; 194; 208, 210ff.; 215; 218£f. ; 225; 262; 264; 280; 299 Konservatorialgericht allgemein 37; 106ff.; 295 Bst. Basel 109ff.; 153f. Bst. Chur 108f. Bst. Konstanz 109; 152ff. Stadt Basel; 109ff; 113; 116t; 154fif.; 226; 275; 301; 308 Kontumaz 49; 61; 153; 325 Konzil allgemein 106; 114; 299 Basel 7; 50f.; 86; 93; 114; 148; 157f.; 285f.; 292 Konstanz 7; 50; 114; 153; 158; 275; 292; 314 2. Lateran (1139-1143) 225 3. Lateran (1179) 39 4. Lateran (1198-1216) 41t; 58; 71; 122f. Trient 37; 41; 47; 58f; 122; 149 Ladung Siehe Zitation Legat, apostolischer 37; 106f.; 145; 148ff.; 153; 293 Leibding Siehe Zins Litiskontestation 66f.; 87 Meineid 19; 46; 59; 88; 104; 127; 197ff; 274; 296 Memminger Bundesordnung 311 Mitgift 46; 122; 166; 172; 176; 191; 201; 231; 250; 257 Morgengabe Siehe Mitgift Notar allgemein 6; 56; 69; 71t; 91; 100; 130; 234t; 246; 248t; 297 Bst. Basel 6; 64; 70; 76f.; 89; 93ff.; 97; l l l f . , 130ft; 141; 146f.; 155ft; 165f.; 169; 181; 184; 186; 196; 199; 211; 217; 221f.; 225; 235; 237ff; 24lt.; 244; 247f.; 251; 262; 264; 269f. Bst. Chur 71; 105; 160; 163; 202; 230ff ; 234; 255f.; 267 Bst. Konstanz 26; 70; 88; 146; 169; 172; 234; 252; 271; 275 Notar, archidiakonaler Bst. Basel 101 Notariat, kirchliches allgemein 18ft; 20f.; 25; 44; 55f.; 72; 234; 287f. Bst. Basel 25; 77; 112; 131; 133; 142; 146f.; 185; 234ft; 238; 241ft; 245ft; 268f.; 280 Bst. Chur 234 Bst. Halberstadt 27 Bst. Köln 27 Bst. Konstanz 34; 88; 146; 243 Bst. Mainz 26f. Bst. Straßburg 234

Bst. Worms 26: 234; 237 Offizial, archidiakonaler allgemein 100; 297 Bst. Basel 101; 142f. Bst. Mainz 25 Offizial, bischöflicher allgemein 4; 18; 61; 63; 6 5 f f ; 71; 89; 105; 119; 159; 274f.; 297; 290; 299; 315Í; 323ff. Bst. Bamberg 107 Bst. Basel 6; 19; 6 4 Í ; 69; 74ff; 93f.; 110, 142ff.; 150; 152; lólff.; 165Í; 181; 183; 185f.; 199ff.; 217; 219; 258; 264; 270f.; 305 Bst. Breslau 23 Bst. Chur 64f.; 71; 87; 89; 103; 105; 109; 140; 144; 160; 173f; 176; 181; 187; 201; 204f.; 229; 232 Bst. Konstanz 64f.; 71; 77; 97f.; 102; 121; 133; 140; 146; 150; 153; 159; 167; 169, 172; 191f.; 271; 307; 314 Bst. Reims 65 Offizial, erzbischöflicher allgemein 145f.; 151 Pedell Siehe Briefträger Pfändung Siehe Arrestation Pfaffenbrief (1370) 36 Pfaffenbrief (1493) 80 Pfaffengericht, Zürcher 62; 116Í; 136 Pfründstiftung 3; 188; 190; 261; 265 Privilegium canonis 83; 137; 140; 197flf.; 218;224f. Privilegium fori 33; 36; 39; 69; 108; 119ff.; 142; 191; 293; 296; 3 0 9 Í ; 2 9 1 Prokurator allgemein 69; 72; 100; 297 Bst. Basel 70; 73; 93; 95ff.; l l l f . ; 141; 142; 155Í; 1 6 5 Í ; 2 4 1 Bst. Chur 71; 91; 99; 265 Bst. Konstanz 69; 146; 255; 274 Prorogation 44; 55; 123 Prozesskosten allgemein 67; 105; 115; 276; 279f.; 298ff.; 325; 333 Bst. Basel 7 4 f f ; 80; 84f.; 112Í; 154; 165f.; 186; 200;218 Bst. Chur 82; 85; 135; 151; 166; 173; 176ff; 190; 205; 215; 232; 268; 309f. Bst. Konstanz 80ffi; 97f.; 137; 147; 158f.; 172f.; 191; 254; 304 Registrator Bst. Basel 70ff. Reichstag allgemein 153; 292; 295 1456 293 1495/96 294 1498 288

1518 292; 294 1521 292,294 Relaxation 50; 76; 11 Iff.; 222f. Rente Siehe Zins Reue 50Í; 68; 73; 140; 298; 323; 326; 332f. Rota Romana 106; 114; 148; 296; 303; 314 Sachwalter Siehe Prokurator Schiedsgericht 4; 34; 67; 88; 114; 119; 153; 181; 200; 245f.; 259; 274 Schirmgericht Siehe Konservatorialgericht Schisma, abendländisches (1378-1417) 6f.; 50; 97f. Schreiber Siehe Notar Send allgemein 57; 59; 87; 291; 297; 336 Bst. Basel 60 Bst. Chur 60; 103; 136 Bst. Konstanz 18;60f.;136 Bst. Mainz 25 Bst. Trier 24 Siegler allgemein 69 Bst. Basel 64; 69; 95f; 166 Bst. Chur 29; 71; 82; 103ff.; 134; 145; 160; 174; 176ff; 184; 187; 190; 201; 205; 212f.; 226; 256; 265; 267; 271Í; 278; 301; 315; 318f.; 339 Bst. Köln 25 Bst. Konstanz 70; 87f. Signatur Siehe Notariat, kirchliches Si quis suadente diabolo Siehe Privilegium canonis Simonie 286 Sodomie 46; 139; 194; 196; 200; 209 Sportein Siehe Prozesskosten Sünde 44ff.; 59; 64; 68; 72; 101; 286Í; 289£f.; 298f.; 309; 312; 322Ef.; 332Í; 336ff. Suspension Siehe Zensur, kirchliche Testament 22; 27; 40; 56; 180; 185; 188; 239f.; 261f.; 278 Unzucht 45f.; 59; 61; 72; 81; 132; 161; 194; 205; 21 I i ; 215; 217f.; 220; 225; 263; 316; 319 Verkehrsverbot 50ff. Vidimierung Siehe Notariat, kirchliches Weistum 59; 118; 122f.; 126 Wucher 19; 24; 45; 67; 101; 127; 197f.; 202ff.; 214; 286f.; 289f; 299Í; 324 Zauberei 19; 17; 287; 296 Zehnt 22f.; 52; 61; 67; 112; 120; 157f.; 180; 184f.; 254; 260; 268; 274; 278; 291; 301; 303Í Zensur, kirchliche Anathem 48; 61; 79; 229; 318

367

Exkommunikation 3ff.; 12; 17ff; 23f.; 28ff.; 39; 43; 47ff.; 55; 59ff.; 70; 72; 75ff.; 79; 82f.; 96; 99; 105; l l l f f . ; 117; 136ff; 140; 145; 148f.; 153; 156; 158; 178f.; 186; 192; 199; 205; 215f.; 222ff.; 242; 244ff.; 264ff.; 275; 279f.; 286f.; 290f.; 297f.; 300ff; 306ff.; 312ff.; 316ff.; 322ff.; 329ff; 336ff. Interdikt 4 f f ; 23; 28ff.; 47; 49ff.; 55; 76; 79; 83; 111; 113; 138; 148f.; 154; 158; 222; 224; 227; 229; 298; 300ff; 310; 314; 316; 323

368

Suspension 4; 47; 50; 76; 83; 145; 213; 215; 232ff.; 319 Zins 23f.; 52; 56; 61; 112; 141; 183Í; 186; 188; 236; 239ff; 244ff.; 260f.; 265; 268ff.; 274; 280; 286; 299; 304 Zitation 70; 75ff.; 79; 81; 95f.; llOff.; 145; 154; 156Í; 296; 299; 302f.; 307f.; 316

Quellen und Forschungen zur Agrargeschichte Herausgegeben von Prof. Dr. Peter Blickle, Bern und Prof. Dr. David Sabean, Los Angeles

Band 44 · Troßbach/Zimmermann

Band 41 · Schmidt

Positionen und Perspektiven 1998. 184 S., geb. DM 7 8 ISBN 3-8282-0086-9

Reformierte Sittenzucht in Berner Landgemeinden der Frühen Neuzeit 1995. XVI, 425 S„ 87 Abb., 25 Tab., incl. 3 1/2" Datendiskette, geb. DM 128,ISBN 3-8282-5391-1

Agrargeschichte

Band 43 · v. Below/Breit

Wald - von der Gottesgabe zum Privateigentum

Gerichtliche Konflikte zwischen Landesherren und Untertanen um den Wald in der frühen Neuzeit 1998. 364 S„ geb. DM 1 1 8 ISBN 3-8282-0079-6

Band 42 · Blickle/Holenstein (Hrsg.)

Dorf und Religion

Band 40 · Fuhrmann

Kirche und Dorf

Religiöse Bedürfnisse und kirchliche Stiftung auf dem Lande vor der Reformation 1995. X, 506 S., 1 Abb., 1 Karte, 18 Tab., geb. DM 128,ISBN 3-8282-5366-0

Agrarverfassungsverträge

Eine Dokumentation zum Wandel in den Beziehungen zwischen Herrschaften und Bauern am Ende des Mittelalters 1996. X, 192 S.r geb. DM 78,ISBN 3-8282-0007-9

Band 39 · Cechura

Die Struktur der Grundherrschaften im mittelalterlichen Böhmen

Unter besonderer Berücksichtigung der Klosterherrschaften 1994. XII, 162 S„ 5 Karten, 17 Tab., geb. DM 79,ISBN 3-8282-5359-8

Lucius & Lucius

Quellen und Forschungen zur Agrargeschichte Herausgegeben von Prof. Dr. Peter Blickle, Bern und Prof. Dr. David Sabean, Los Angeles

Band 35 · Blickle

Band 38 · Cordes

Stuben und Stubengesellschaften

Zur dörflichen und kleinstädtischen Verfassungsgeschichte am Oberrhein und in der Nordschweiz 1993. XIV, 345 S., 25 Abb., 4 Karten, geb. DM 9 4 ISBN 3-8282-5358-X

Studien zur geschichtlichen Bedeutung des deutschen Bauernstandes

1989. X, 235 S„ 3 Abb., 1 Tab., geb. DM 58,ISBN 3-8282-5323-7

Band 34 · Hinsberger

Band 37 · Maisch

Notdürftiger Unterhalt und gehörige Schranken

Lebensbedingungen und Lebensstile in württembergischen Dörfern der frühen Neuzeit 1992. IV, 518 S., 5 Karten, 105 Abb., 182 Tab., geb. DM 1 2 8 ISBN 3-8282-5353-9

Die Weistümer des Klosters St. Matthias in Trier

Studien zur Entwicklung des ländlichen Rechts im frühmodernen Territorialstaat 1989. X, 256 S., 1 Karte, 54 Tab., geb. DM 8 9 ISBN 3-8282-5322-9

Band 33 · Zückert

Band 36 · Holenstein

Die Huldigung der Untertanen

Rechtskultur und Herrschaftsordnung (800-1800) 1991. X, 543 S., 10 Abb., geb. DM 1 1 6 ISBN 3-8282-5338-5

Die sozialen Grundlagen der Barockkultur in Süddeutschland

1988. X, 354 S., 19 Abb., 21 Tab., geb. DM 9 8 ISBN 3-8282-5315-6 Preisänderungen vorbehalten

Lucius & Lucius