Der Unterschlagungstatbestand de lege lata und de lege ferenda [1 ed.] 9783428457205, 9783428057207

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Der Unterschlagungstatbestand de lege lata und de lege ferenda [1 ed.]
 9783428457205, 9783428057207

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ARISTOTELIS CHARALAMBAKIS

Der Unterschlagungstathestand de lege la ta und de lege ferenda

Schriften zum Strafrecht

Band 59

Der Unterschlagungstathestand de lege lata und de lege ferenda

Von

Dr. Aristotelis Charalambakis

DUNCKER & HUMBLOTI BERLIN

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Charalambakis, Arlstotelis: Der Unterschlagungstatbestand de lege lata und de lege ferenda / von Aristotelis Charalambakis. Berlin: Duncker und Humblot, 1985. (Schriften zum Strafrecht; Bd. 59) ISBN 3-428-05720-1 NE:GT

Alle Rechte vorbehalten

IC 1985 Duncker & Humblot, BerUn 41

Gedruckt 1985 bei Buchdruckerei Bruno Luck, BerUn 65 Printed in Germany ISBN 3-428-05720-1

Vorwort Die vorliegende Arbeit beruht auf meiner Dissertationsschrift, die im Juli 1982 der Rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität München vorgelegen hatte. Den entscheidenden Anstoß, mich mit der Unterschlagungslehre zu befassen, hat mir die Tatsache gegeben, daß seit der Monographie von Heinz Post - stammend aus dem Jahre 1956 - keine neuere umfassende Spezialstudie zu der interessanten Problematik der Auslegung des Unterschlagungstatbestandes veröffentlicht wurde, von einigen eine allgemeinere Thematik betreffenden Arbeiten - z. B. Maiwald, Dtto, Rheineck; vgl. Literaturverzeichnis - abgesehen. Der methodologische Teil wurde grundlegend überarbeitet. Außerdem WTUrdeneinige Probleme erörtert, die in der ursprünglichen Fassung nicht berücksichtigt waren. Auch an vielen anderen Stellen wurden Ergänzungen bzw. Änderungen in kleinerem oder größerem Umfang vorgenommen, so daß die Erörterung der Problematik ein vollständigeres Bild aufweist, als in der ursprünglichen FaSISUng. Rechtspechung und Literatur wurden bis einschl. Juli 1984 berücksichtigt. Ich möchte es 'an dieser Stelle nicht versäumen, meinem verehrten Lehrer, Herrn Prof. Dr. Dr. h. c. Claus Roxin, meinen aufrichtigsten Dank auszusprechen. Er hat als Doktorvater die Arbeit weit über das Übliche hinaus gefördert, stand mir stets mit Rat und Tat zur Seite und hat mich mit Gelduld und Hilfsbereitschaft durch die letzten Jahre meines akademischen Werdeganges begleitet. Er war darüber hinaus der Rechtslehrer, von dem ich die wichtigsten Anregungen für meine strafrechtliche Ausbildung erhalten habe. Einen herzlichen Dank schulde ich auch meinen Athener Lehrern: Herrn Prof. Dr. Nikolaos Androulakis für die liebevolle Betreuung während meiner ersten Studienjahre, die mein Interesse für das Strafrecht geweckt hatte; Herrn Prof. Dr. Christos Dedes außerdem für fürsorglichen Beistand, für zahlreiche wertvolle Anregungen sowie für das Vertrauen, das er mir stets entgegenbrachte; schließlich Herrn Prof. Dr. Georgios-Alexandros Mangakis, dem ich einige Denkanstöße verdanke, die auch die vorliegende Untersuchung gefördert haben.

Vorwort

6

Dank gebührt auch der Athener Anwaltskammer für ihr Wohlwollen und ihr Verständnis während und nach meiner Promotionszeit. Mein Dank gilt auch meiner Frau für ihren vielfältigen Beistand und insbesondere für tatkräftige Hilfe bei der Anfertigung des Manuskripts. Dd:ese Arbeit ist ihr von Herzen gewidmet. Zu danken habe ich auch der Alexander-S.-Onassis Stiftung für die großzügige finanzielle Unterstützung, ohne die die Anfertigung der Arbeit unmöglich wäre, sowie für die freundliche Übernahme eines Teils der Druckkosten. Schließlich möchte ich mich bei dem Inhaber des Verlages Duncker und Humblot, Herrn Senator Prof. Dr. Johannes Broermann, für die freundliche Aufnahme meiner Arbeit in sein Verlagsprogramm und bei den Mitarbeitern des Verlages, allen voran Herrn Wolfgang Nitzsche für die vorzügliche Zusammenarbeit herzlich bedanken. München, im Dezember 1984 Aristotelis Charalambakis

Inhaltsverzeichnis Erster Abschnitt

Einführung

13

§ 1. Das Umfeld der Problematik . ... ... . .. . ........ .. .. . .. .. .. .... ....

13

a) Einleitung ... ..... ........ . .... .. ....................... ... . .. .

13

b) Strafrechtliche Bedeutung ................. ... ..................

13

c) Der zivilrechtliche Zusammenhang ......... . .......... . .. .. .....

15

§ 2. Ablauf der Problemerörterung .. . . ........ .. .. .. ......... . .. . . .. . .

15

Zweiter Abschnitt

Geschichte

18

§ 1. Das römische und das ältere deutsche Recht

18

§ 2. Die deutschen Partikulargesetze ..... ..... .. ... ..... ..... .... . . ....

22

§ 3. Die Entwicklung des Unterschlagungstatbestandes durch die Ent-

würfe

........................ .. ......... . ........................

25

Dritter Abschnitt

Das geltende Recht

27

§ 1. Die gegenwärtige Fassung des Unterschlagungstatbestandes

27

§ 2. Die "strenge" Auslegung des § 246 .... .. ......................... .

28

§ 3. Die aus einer "strengen" Auslegung des § 246 entstehenden Strafbar-

keitslücken ................... .. ............................ .. ... .

30

a) Fundunterschlagung ... . ...... . .. ... ......... .. ................ .

30

b) übereignung an einen gutgläubigen Dritten ... ............ .. .. .

31

c) Mittäter ohne Gewahrsam . . .. . ....... .. ..... . ... .. ... . .. .. ... .

32

d) Unterschlagungsversuch ...................... . .......... . . .... .

33

§ 4. Die bisher vorgeschlagenen Alternativlösungen ....... . ........... .

34

a) Kleine berichtigende Auslegung

34

b) Große berichtigende Auslegung

35

8

Inhal tsverzeichnis

§ 5. Einwände gegen die berichtigende Auslegung

37

§ 6. Die Stellung der Rechtsprechung zum Problem

38

Vierter Abschnitt

Eigene These § 1. Die Klärung methodologischer Vorfragen als möglicher Wegweiser

41

zur Problemlösung ................................................

41

§ 2. über die Auslegung der Strafgesetze im allgemeinen ..............

43

a) Die Auslegungsmethoden ......................................

43

b) Subjektive oder objektive Auslegung? ..........................

47

c) Die "teleologische" Theorie ....................................

50

d) Das Gesetzlichkeitsprinzip und seine Bedeutung für die Auslegung der Strafgesetze ..........................................

52

e) Das strafrechtliche Analogieverbot ..............................

62

f) Argumente gegen das Analogieverbot .......................... aa) Sax ....................................................... bb) Arth. Kaufmann ........................................... cc) Stellungnahme zu den Thesen von Sax und Arth. Kaufmann

64 64 65 66

g) Ergebnis

80

.......................... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. Fünfter Abschnitt

Folgen für die Auslegung des § 246

84

§ 1. Einführung § 2. Fundunterschlagung

84

..............................................

88

a) Der "typische" Fundunterschlagungsfall - Manifestation der Zueignung ....................................................... 88 b) Der Beitrag der kleinen berichtigenden Auslegung ....... . . . ....

92

c) Seltenere Fundunterschlagungsfälle ............................

94

d) Das Verhältnis des Gewahrsamsbegriffs zum Besitzbegriff ......

95

e) Die bisherige Entwicklung des Gewahrsamsbegriffs ............

97

f) Der "extensive" Gewahrsamsbegriff ............................ 103 g) Die Auswirkung eines extensiven Gewahrsamsbegriffs auf den Anwendungsbereich des § 246 .................................. 107 h) Ergebnis .......................................... . . . .......... 109 § 3. übereignung an einen gutgläubigen Dritten ........................ 110

a) Die Betrugslösung ............................................. 111 b) Neuere Ansichten .............................................. 116

Inhal tsverzeichnis c) Der Einfluß des Zivilrechts auf das Strafrecht

9

117

d) Wie verhält sich der mittelbare Besitz zum unmittelbaren Besitz? 119 e) Der mittelbare Besitz als "Besitz" im Sinne des § 246 StGB ...... 119 § 4. Mittäter ohne Gewahrsam ........................................ 122

a) Der "Papierrollenfall" .......................................... 122 b) Die Täterschaftstheorien ................. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 124 c) Gehört die Unterschlagung zu den delicta propria? .............. 129 d) Die Lösung der Täterschaftsfrage beim Unterschlagungstatbestand .......................................................... 133 e) Ergebnis .............................. . ..................... . .. 141 § 5. Der Unterschlagungsversuch ...................................... 142

Sechster Abschnitt Sonderfragen beim Unterschlagungstatbestand

146

§ 1. Zueignung durch den Mitgewahrsamsinhaber ...................... 146 § 2. Unterschlagung durch Unterlassen ................................ 151

Siebenter Abschnitt Der Unterschlagungstatbestand de lege ferenda

156 156

§ 1. überblick § 2. Stellt der Unterschlagungstatbestand das allgemeine Aneignungs-

delikt dar? ....................................................... 157

§ 3. Kann beim § 246 auf die Merkmale "Besitz" und "Gewahrsam" ver-

zichtet werden? ................................................... 159

§ 4. Positive Tatbestandsmerkmale oder negative Abgrenzungsformel? .. 163 § 5. Der Unterschlagungstatbestand in viktimodogmatischer Hinsicht .... 165 § 6. Zusammenfassung ................................................ 169

Achter Abschnitt Abschluß Literaturverzeichnis

171 175

Rechtsprechungsverzeichnis .............. . ............................. 195

Abkürzungsverzeichnis Abs. AE AG

Anm.

ARSP AT Auf!. BayObLG Bd. BGB BGH BGHSt BT BVerfG BVerfGE BVerwG BVerwGE

Absatz Alternativentwurf eines Strafgesetzbuches Amtsgericht Anmerkung Archiv für Rechts- und Sozialphilosophie Allgemeiner Teil Auflage Bayerisches Oberstes Landesgericht Band Bürgerliches Gesetzbuch Bundesgerichtshof Entscheidungen des Bundesgerichtshofs in Strafsachen (amtliche Sammlung) Besonderer Teil Bundesverfassungsgericht Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts (amtliche Sammlung) Bundesverwaltungsgericht Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts (amtliche Sammlung)

DJT Diss. DRiZ

Deutscher Juristentag Dissertation Deutsche Richterzeitung

E

Entwurf eines deutschen Strafgesetzbuches

Festschr.

Festschrift

GA GerS

Goltdammers Archiv für Strafrecht Der Gerichtssaal

h.L. h.M.

Herrschende Lehre Herrschende Meinung

JA JR JuS JW JZ

Juristische Arbeitsblätter Juristische Rundschau Juristische Schulung Juristische Wochenschrift Juristenzeitung

i. S. d.

Im Sinne des/der

Lehrb. LG LK

Lehrbuch Landgericht Leipziger Kommentar zum StGB

Abkürzungsverzeichnis MDR MschKrim

Monatschrift für Deutsches Recht Monatschrift für Kriminologie

NJW NStZ

Neue Juristische Wochenschrift Neue Zeitschrift für Strafrecht

OLG

Oberlandesgericht

PrStGB

Strafgesetzbuch für die Preußischen Staaten von 1871

11

Rechtsw. Abh. Rechtswissenschaftliche Abhandlungen Reichsgericht RG Entscheidungen des Reichsgerichts in Strafsachen (amtliche RGSt Sammlung)

S.

SeiteiSatz

Schi Sch SchlHA SchwZStR SJZ SK StGB StPO Strafr. Abh. StrV

Schönke I Schröder, Strafgesetzbuch Schleswig-Holsteinische Anzeigen Schweizerische Zeitschrift für Strafrecht Süddeutsche Juristenzeitung Systematischer Kommentar zum StGB Strafgesetzbuch Strafprozeßordnung Strafrechtliche Abhandlungen Strafverteidiger

Tbd.

Teilband

ZPO ZStW

Zivilprozeßordnung Zeitschrift für die gesamte Strafrechtswissenschaft

Im übrigen wurden die allgemein gebräuchlichen Abkürzungen verwendet.

Erster Abschnitt

Einführung § 1. Das Umfeld der Problematik a) Einleitung

Wer es unternimmt, sich mit der Unterschlagungslehre zu beschäftigen, muß sich darüber im klaren sein, daß er mit erheblichen Schwierigkeiten zu rechnen hat. Dies nicht nur - was sämtliche Vorschriften des Besonderen Teils des StGB betrifft - weil man das "Zufällige zu seinem Gegenstand mache"!, sondern auch, und dies ist für die vorliegende Arbeit von hauptsächlicher Bedeutung, weil d~e Problematik der Unterschlagung ein viel weiteres Feld betrifft, als dies für einen Einzelstraftatbestand gewöhnlich 'ist, und strafrechtliche Fragen enthält, die Theorie und Praxis seit alten Zeiten beschäftigt haben und heute noch heftig diskutiert werden. Die folgenden Zeilen werden dies näher erläutern.

b) Strafrechtliche Bedeutung Schon seit der Jahrhundertwende hat die deutsche Theorie und Praxis festgestellt, daß zwischen den Tatbeständen des Diebstahls und der Unterschlagung Strafbarkeitslücken bestehen, welche, aufgrund der Tatsache, daß der Diebstahl und die Unterschlagung die zwei Grundformen der Eigentumsdelikte bilden, als Lücken im Gesamtsystem des strafrechtlichen Eigentumsschutzes angesehen wurden. Das hat zu einer Kritik 'an der Systematik der Eigentumsdelikte geführt, die sich insbesondere auf das Verhältnis der Unterschlagung zum Diebstahl und vor allem auf die Methode einer Abgrenzung der beiden Delikte voneinander bezogen hat. Eine solche Kritik findet man z. B. bei Binding'l, der die Ursache des Problems in der falschen Formulierung des Unterschlagungstatbestandes unter dem Einfluß des früheren Rechts sieht. 1 Der bekannte Vorwurf von v. Kirchmann, zitiert bei Maiwald, Der Zueignungsbegriff im System der Vermögensdelikte, 1970, S. 15. 2 Lehrbuch I, S. 254.

14

1. Abschn.:

Einführung

Ihm sind zahlreiche bedeutende Strafrechtler gefolgtl, die das in der Lehre zunehmend verbreitete Verlangen nach einem "Auffangtatbestand" im System der Eigentumsdelikte zum Ausdruck bringen. Zweck dieses "Auffangtatbestandes" wäre, sämtliche Fälle vorsätzlicher rechtswidriger Zueignung, die sich nicht unter den Diebstahlstatbestand subsumieren lassen, zu umfassen4• Diese Rolle wurde von Binding und seinen Nachfolgern der Unterschlagung zugewiesen. Eine Entscheidung über die richtige Auslegung des Unterschlagungstatbestandes bzw. über die zweckmäßige Bestimmung seines Anwendungsbereiches setzt also eine Stellungnahme zu der oben geschilderten Frage nach dem Umfang des Eigentumsschutzes und der Notwendigkeit eines Grundtatbestandes im Bereich der Eigenrumsdelikte vorauss. Eine solche Aufgabe ist keinesfalls leicht und mit einer einfachen Annahme oder Ablehnung dieser Auffassung bei weitem noch nicht gelöst. Es ist vielmehr erforderlich - und darin liegt eine der wichtigen Aufgaben dieser Arbeit - bei der Behandlung des Unterschlagungstatbestandes verschiedene Schwerpunkte der Strafrechtslehre sowohl des Allgemeinen Teils (wie z. B. die Auslegungslehre, den Grundsatz "nulla poena sine lege" und das darin enthaltene Analogieverbot, die Täterschafts- und die Versuchslehre) als auch des Besonderen Teils (wie z. B. die Bezeichnung des "Vermögensschadens" beim Betrug, die Bestimmung des Gewahrsamsbegriffs und einige zentr.ale Fragen der Diebstahlslehre) in die Untersuchung einzubeziehen, und zwar nicht in einer schlicht beschreibenden Art, sondern ,durch vertiefte Behandlung im Detail und durch eine Analyse ihrer jeweiligen Auswirkungen auf die Unterschlagungsproblematik.

3 Deren Aufzählung erfolgt bei der Behandlung der sogenannten "großen berichtigenden Auslegung", vgl. unten, III 4 b. 4 Die Bedeutung einer solchen überlegung betont auch Post, Der Anwendungsbereich des Unterschlagungstatbestandes, 1956, S.3: "Das Problem erschöpft sich nicht in der Frage, welche Fälle von Zueignung einer fremden beweglichen Sache als Unterschlagung zu erkennen sind, sondern hat weitere Bedeutung für den Umfang des strafrechtlichen Eigentumsschutzes überhaupt." 5 Auch atto (Die Struktur des strafrechtlichen Vermögensschutzes, 1970, S. 15) betont die Wichtigkeit einer Lösung der Auslegungsprobleme bei den Eigentums- und Vermögensdelikten. Er stellt fest, daß "nicht einmal von einer grundsätzlichen übereinstimmung in der Auslegung der einzelnen Vermögensdelikte gesprochen werden kann", und weist auf die negativen Konsequenzen dieses unerwünschten Zustandes hin; denn "... je nach der Auslegung der einzelnen Tatbestände bestimmt sich auch die Stellungnahme zu der Frage, ob diese Tatbestände in ihrer jetzigen Form die Materie befriedigend regeln, oder ob das Bedürfnis des Rechtsschutzes auf diesem Gebiet eine andere Normierung verlangt ......

§ 1. Das Umfeld der Problematik

15

c) Der zivil rechtliche Zusammenhang

Die Problematik der Unterschlagung greift sogar in den zivilrechtlichen Bereich ein, insbesondere in Bezug auf die Eigentumsovdnung, die von der Bestimmung des Anwendungsbereiches des Unterschlagungstatbestandes insofern beeinflußt wird, als im Falle der Unterschlagung einer Sache der gutgläubige Dritte, der die Sache vom Täter - dem Nichteigentümer - erhalten hat, dennoch Eigentum daran erwiI'lbt, während dies im Falle des Diebstahls wegen § 935 BGB nicht möglich ist. Ein weiteres Beispiel für den Einfluß und die gegenseitige Abhängigkeit der Eigentumsordnung und der Eigentumsdelikte ist die in der Lehre häufig gestellte Streitfrage, ob die strafrechtliche Auslegung des Begriffes "Besitz" der zivilrechtlichen Besitzbestimmung entsprechen soll. Solche Fragen veranlassen zu Überlegungen über das Ausmaß des Einflusses des Zivilrechts auf das Strafrecht, ein Thema, das im Bereich der Eigentumsdelikte am aktuellsten ist. § 2. Ablauf der Problemerörterung

Nach einer kurzen Erörterung der Systematik der Eigentumsdelikte bzw. der Entwicklung des Unterschlagungstatbestandes, werde ich versuchen, die Grenzen des Anwendungsbereichs des Unterschlagungstatbestandes, wie sie sich aus dem Gesetzeswortlaut nach der Auffassung der herrschenden Lehre ergeben, festzulegen und die möglicherweise daraus entstehenden Strafbarkeitslücken aufzuzeigen. Anschließend werden die zur erfolgreicheren und zweckmäßigeren Anwendung des Unterschl,agungstatbestandes vorgeschlagenen Alternativen, die sogenannten "kleine" und "große" berichtigende Auslegung, erörtert, und es wird das Ausmaß ihres jeweiligen Beitrages zur Problemlösung eingeschätzt. Danach soll die Stellung der Rechtsprechung zum Problem besprochen werden, die bei der Auslegung des § 246 eine ziemliche Unschlüssigkeit und Verworrenheit aufweist. Dann folgt die These des Verfassers: Der Stellungnahme zur Frage, welcher Auffassung - als der für eine zweckmäßige Funktion des Unterschlagungstatbestandes geeignetsten - der Vorzug gewährt werden soll, wird die Behandlung methodologischer Vorfragen - Auslegungstheorien" nulla poena sine lege, Analogieverbot - vorangestellt, da gegen die berichtigende Auslegung der Verdacht der Unvereinbarkeit mit dem Grundsatz "nulla poena sine lege" besteht. Wenn die berichtigende Auslegung als dem Gesetzlichkeitsprinzip gemäß für zulässig erklärt wird, dann muß ein direkter Vel'gleich zwischen den beiden Auf-

16

1. Abschn.: Einführung

fassungen - der Auslegung nach dem Wortlaut und der berichtigenden Auslegung - gezogen werden. Wenn hingegen die Zulässigkeit der berichtigenden Auslegung, weil sie gegen den nulla-poena Grundsatz verstößt, verneint wird, dann muß die Lösung der Unterschlagungsproblematik de lege lata "innerhalb" der worttreuen Auslegung gesucht werden. Abschließend werden unter dem Gesichtspunkt de lege lata zwei Probleme erörtert, die zwar den Kern der hier behandelten Problematik nicht unmittelbar berühren, sich jedoch in engem Zusammenhang damit befinden: Die Fragen der Zueignung durch den Mitgewahrsamsinhaber und der Unterschlagung durch Unterlassen. Im Schlußabschnitt wird der Verfasser der vorliegenden Arbeit die Unterschlagungsproblematik auch unter dem Gesichtspunkt einer künftigen Gesetzesänderung untersuchen, um anhand der bei der Behandlung des Unterschlagungstatbestandes ·de lege lata gewonnenen Erkenntnisse prüfen zu können, ob vielleicht der Untersch1agungstatbestand den modernen rechtlichen und kriminalpolitischen Erfordernissen nicht gerecht werden kann, mit der Folge, daß seine Fassung de lege ferenda geändert werden muß. Bei dieser Untersuchung wird das Verhältnis der Unterschlagung zum Diebstahl, als für die Gestaltung der Systematik der Eigentumsdelikte ausschlaggebend, besonders berücksichtigt. Die Arbeit wird mit einer kursorischen Schilderung der gewonnenen Erkenntnisse abgeschlossen. Zum Schluß dieser kurzen Inhalsvorausschau sei mir noch folgende Bemerkung gestattet: Die vorliegende Arbeit hat den Zweck, die Auseinandersetzung über das Problem der Auslegung des Unterschlagungstatbestandes zu schildern und eine eigene Lösung 2JU entwickeln. Das Hauptanliegen dieser Arbeit ist demzufolge die Auslegung des § 246 StGB - vor allem im Hinblick auf das Erfordernis der Besitz- oder Gewahrsamsinnehabung - und die Ermittlung seines Wesens und seiner Funktion im Bereich der Eigentumsdelikte. Dabei übersieht der Verfasser nicht, daß es eine große Anzahl von Fragen gibt, die zwar die hier zu behandelnde Problematik nicht unmittelbar betreffen, sich jedoch im gleichen Themenbereich im weiteren Sinne bewegen oder jedenfalls einen - wenn auch vielleicht nur mittelbaren - Bezug auf die vorliegende Problematik aufweisen. Der Verfasser hat sich lange mit der Frage gequält, ob einige oder gar sämtliche dieser Fragen mitbehandelt werden sollten. Als Beispiele für solche interessante Problemerörterungen könnte man erwähnen: -

Eine umfassende Behandlung des Zueignungsbegriffs, unter kritischer Auseinandersetzung mit sämtlichen Zueignungstheorien.

§ 1. Das Umfeld der Problematik

17

-

Die spezielle Problematik der Zueignung von Geld.

-

Die Problematik der Konkurrenz von Eigentums- und Vermögensdelikten, vor allem die Frage der Strafbarkeit einer Unterschlagungshandlung, wenn der Besitz oder der Gewahrsam unredlich erworben wurde.

-

Die Erörterung der Fälle der sog. "rechtswidrigen Abwendung einer Ersatzpflicht" (Verschleierung von Kassenfehlbeträgen, "Bundeswehrmützenfall" usw.).

-

Die Behandlung der Einwilligung bei den Eigentumsdelikten.

-

Die teilweise eigenständige Problematik der Veruntreuung (§ 246 Abs. 1 Satz 2), u.v.a.

Der Verfasser hat sich am Ende doch für die Ablehnung einer solchen Einbeziehung dieser Fragen in die zu behandelnde Problematik entschieden. Dafür sprechen wichtige Gründe: Alle genannten Probleme betreffen nicht speziell und ausschließlich den Gegenstand der vorliegenden Arbeit - den Unterschlagungstatbestand - sondern Begriffe und Probleme, die entweder (wie die "Zueignung" oder die Konkurrenz der Vermögensdelikte) in ihrer Bedeutung über § 246 weit hinauslaufen oder (wie die "Veruntreuung") einen qualifizierten Fall betreffen, der außerhalb der Grundstruktur des Unterschlagungstatbestandes liegt. Außerdem würde in einem solchen Fall die Arbeit einen ungewöhnlich großen Umfang erreichen, und es liegt die Befürchtung nahe, daß dabei der Gedankenfaden verloren ginge. Darunter würde wiederum die 1Jbersichtlichkeit der Problemdarstellung und der Argumentation leiden, und der Problematik wäre ein schlechter Dienst erwiesen. Aus diesem Grund wird sich die Arbeit auf die Behandlung der Auslegung des Unterschlagungstatbestandes de lege 1ata sowie auf die Erörterung der Möglichkeit und Notwendigkeit einer Änderung seiner Fassung de lege ferenda beschränken. Der Verfasser behält sich die Möglichkeit vor, sich in der Zukunft zu diesen "verwandten" Problemen bei anderen Gelegenheiten zu äußern.

2 Charalambakls

ZweiteT Abschnitt

Geschichte § 1. Das römische und das ältere deutsche Recht

Die Geschichte der Eigentumsdelikte ist fast genauso alt wie die Geschichte des Strafrechts! Da das Eigentum - in einer von der heutigen nicht sehr unterschiedlichen Form - schon in sehr früher Zeit anerkannt war, gehören die Eigentums- und Vermögensdelikte zu den ältesten strafrechtlichen Materien. Es darf freilich nicht übersehen werden, daß der Eigentumsschutz, wie auch der Schutz vieler anderer "Rechtsgüter" , in den anfänglichen Gesellschaften dem Einzelnen überlassen war. Der "Staat" hat sich zunächst mit der Verfolgung und Bestrafung solcher Taten nicht befaßt, sondern nur diejenigen Rechtsverstöße geahndet, die gegen die Existenz des "Staates" oder die Autorität der Obrigkeit gerichtet waren. Bald hat sich jedoch die Wichtigkeit des Schutzes der persönlichen Güter für die Aufrechterhaltung des Friedens innerhalb der Gesellschaft herausgestellt, und es wurden dem in seinem Eigentum Verletzten besondere Rechte zur Vergeltung des Delikts bzw. hinsichtlich der Wiedergutmachung des Schadens zugesprochen. Diese Rechte waren zunächst privater Natur. Erst als das Eigentum als wesentliche Institution, als ein Grundstein des gesellschaftlichen Lebens, anerkannt war, hat der Staat die Aufgabe übernommen, die Verletzungen der Eigentumsrechte öffentlich zu verfolgen.

Wenn einer Arbeit über den Unterschlagungstatbestand ein kurzer historischer Überblick vorangestellt wird, so wird dies nicht etwa aus einer gewohnheitlich bestehenden "Verpflichtung" getan, in jeder wissenschaftlichen Arbeit über einen Straftatbestand der Problemerörterung einen kurzen historischen Überblick voranzustellen; der Grund liegt vielmehr in der Tatsache, daß der Rückblick auf die Geschichte den notwendigen Schlüssel zum Verständnis des Unterschlagungsbegriffs wie auch der Systematik der Eigentums- und Vermögensdelikte bietet. Denn die Begriffe der Eigentumsdelikte in ihrer heutigen Gestalt sind das Produkt einer jahrhundertelangen Entwicklung, so daß nur eine historische Betrachtungsweise zum vollen V,erständnis ihres Wesens und der ihnen zugedachten Funktion führen kann. Diese Feststellung liefert uns nicht nur den Grund, warum es bei der Behandlung des Unterschlagungstatbestandes unmöglich ist, auf eine

§ 1. Das römische und das ältere deutsche Recht

19

kurze historische Erörterung zu verzichten; sie bestimmt vielmehr auch den gen auen Gegenstand dieser historischen Untersuchung, die sich demzufolge damit begnügen wird, nur diejenigen Angaben zu verarbeiten, die mit der Abgrenzung des Anwendungsbereichs des Unterschlagungstatbestandes und seiner Stellung im System der Eigentumsdelikte zusammenhängen. Auf weitergehende Erörterungen wird in Anbetracht des eingeschränkten Rahmens verzichtet werden müssen!. Ein historischer Überblick v,erdient auch schon deswegen besonderes Interesse, weil bei der Ausgestaltung der Tatbestände der Eigentumsdelikte ein Kampf zwischen römischer und deutscher Rechtsanschauung ausgetragen worden ist, der diesen Delikten sein besonderes Gepräge verliehen hat2. Das römische Recht hat keine tatbestandlich verschiedenen Eigentumsdelikte gekannt. Der ganze Bereich der heutigen Eigentumsdelikte wurde vom Begriff des "furtum" erfaßt3, dessen Tatbestand erst verhältnismäßig spät von der römischen Rechtswissenschaft umfassend herausgearbeitet wurde 4• KaserS beschreibt das furtum folgendermaßen: Für die hoch- und spätklassische Zeit kann das furtum als die Tat bezeichnet werden, bei der sich jemand vorsätzlich zum eigenen Vorteil und (für den Regelfall) heimlich eine bewegliche Sache aus fremdem Rechtsbereich oder eine unter fremder Gewalt stehende Person zueignet. Unter dies "sich zueignen" fällt jedes Ergreifen zwecks unrechtmäßiger Aneignung, sei es durch Wegnahme, wie beim Diebstahl im heutigen Sinn, sei es durch Vorenthalten von Sachen, die man bereits im Gewahrsam hat, wie bei der Unterschlagung, sei es durch Verheimlichen des Täters oder seiner Beute, wie bei der Begünstigung und Hehlerei, sei es endlich durch betrügerisches Ausnützen eines fremden Irrtums, wie etwa bei der wissentlichen Annahme des irrtümlich geleisteten indebitum. Das furtum schließt auch die Entwendung des bloßen Gebrauchs ein, sowie die Wegnahme der eigenen Sache aus fremdem Ersitzungs- oder Pfandrecht. Den Ausführungen Kasers ist zu entnehmen, daß das furtum damals noch zwei zusätzliche Deliktsformen erfaßte, die nach geltendem Recht nicht mehr strafbar sind: die Besitzentziehung und die Gebrauchsanmaßung6, 7, ,8. I Für weitere detaillierte Informationen bezüglich der historischen Entwicklung des Unterschlagungstatbestandes vgl. u. a.: Bauer, Die Unterschlagung, Diss. Frankfurt 1970, S. 92 ff.; Veyhl, Diebstahl und Unterschlagung nach geltendem Recht und nach den Strafgesetzentwürfen, Diss. Tübingen 1933.

2

3 4

5

Veyhl, S. 2.

Kaser, Das Römische Privatrecht, 2. Aufl., 1971, S.614.

Veyhl, S. 2.

Kasel', S. 615.

Welzel, Lehrb., S.339; Veyhl, S.3; Maiwald, Der Zueignungsbegriff, S.20; Ebener, Die Untreue, S.I; Nödelke, Der Begriff des Gewahrsams und der 6

2*

2. Abschn.: Geschichte

20

Es liegt auf der Hand, daß eine so globale Norm keine Möglichkeit für eine Fundierung, geschweige denn Entwicklung der Unterschlagungslehre geboten hat9 • Zu erwähnen ist noch das in der klassischen Definition des furtum lO enthaltene Tatbestandsmerkmal der "lucri faciendi gratia", das vom größten Teil der Lehre als "gewinnsüchtige Absicht"l1 interpretiert wurde und die spätere Entwicklung der Eigentumsdelikte insofern beeinflußt hat, als immer wieder die Forderung nach einem Hinzufügen der Bereicherungsabsicht als Merkmal des Diebstahls- oder des Unterschlagungstatbestandes erhoben wurde. Das ältere deutsche Recht unterschied zwischen "dieblichem Nehmen", womit der Diebstahl und seine qualifizierte Form, der Raub, gemeint waren, und "dieblichem Behalten", was den verschiedenen Formen der heutigen Unterschlagung entsprachl2 • Als "diebliches Behalten" wurden solche Fälle bezeichnet, wo der Täter " ... den Besitz der Sache nicht durch Entwendung aus fremder Gewere sondern auf andere Weise, jedoch nicht durch freiwillige Übertragung seitens des seitherigen Inhabers, erlangt hat und sich die Sache nunmehr in rechtswidriger Weise dadurch 'anmaßt, daß er ihren Besitz verheimlicht oder auf Verlangen nicht herausgibt"13. Obwohl man dieser Bezeichnung des "dieblichen Behaltens" anmerkt, daß schon zur damaligen Zeit das Wesen der Unterschlagung mindestens im Ansatz erWegnahme beim Diebstahl, Diss. Berlin 1964, S. 18; Handschuch; Die Fundunterschlagung, Diss. Würzburg 1935, S.2; Disse, Die Privilegierung der Sachbeschädigung gegenüber Diebstahl und Unterschlagung 1983, S.268. 7 Die einzige Ausnahme im geltenden Recht ist die Bestrafung des "unbefugten Gebrauchs eines Fahrzeuges" (§ 248 b StGB). 8 Nach Derichsweiler (Diebstahl und Unterschlagung nach dem Entwurf eines allgemeinen deutschen Strafgesetzbuches vom Jahre 1927, Diss. Freiburg 1934, S.8) umfaßte das furtum sogar noch "... mehrere Betrugsfälle im Sinne des heutigen Strafrechts, die bewußte Annahme eines indebitum, das Entziehen einer fremden Förderung durch einen falsus procurator, die contrectatio eigener Sachen, die einem anderen zum Besitz überlassen sind ..."; vgl. auch H. Mayer, Die Untreue im Zusammenhang der Vermögensverbrechen, S.15. 9 Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang die Tatsache, daß im römischen Recht die Verletzung von auf besonderem Vertrauen beruhenden Rechtsverhältnissen, soweit sie nicht unter den Tatbestand des furtum fiel, nur zivilrechtlich verfolgt werden konnte; vgl. Kaser, S.426. 10 "Furtum est contrectatio rei fraudulosa lucri faciendi gratia vel ipsis rei vel etiam usus eius possessionisve" (Paulus, Dig. 47,2, 1 § 3). 11 Dagegen u. a. auch Veyhl, der das "lucri faciendi" als "diebische Absicht", d. h. Vorsatz, interpretiert; zur Auseinandersetzung im Schrifttum über die Bedeutung und Funktion des Merkmals "animus lucri faciendi" vgl. die übersichtliche Darstellung bei Rheineck, Zueignungsdelikte und Eigentümerinteresse, 1979, S. 69 f. U Lautenburg, ZSchwStrR VI 1883, S.262; Welzel, Lehrb., S.339; Kujawa, GA 51, S. 1; Ebener, S.2; H. Mayer, S.8; Nödelke, S. 18; Handschuch, S.3. 13

Veyhl, S. 5.

§ 1.

Das römische und das ältere deutsche Recht

21

kannt war, kann man keinesfalls von einer klaren Systematik der Eigentumsdelikte sprechen, da beide Formen der "Dieberei" (diebliches Nehmen und diebliches Behalten) lediglich als Verbrechen gegen den Besitz angesehen wurden und beide unter den Tatbestand des furtum subsumiert wurden. Der ausschlaggebende Grund, warum es zu dieser Zeit unmöglich war, die Eigentumsdelikte klar voneinander zu trennen und sie systematisch einzuordnen, liegt in der Tatsache, daß die Tatbestände eine besonders ausgeprägte Kasuistik aufwiesen. Die Einteilung der Straftaten erfolgte nicht nach den unterscheidenden Tatbestandsmerkmalen; vielmehr wurde jeweils ein - oft sehr langer - Katalog aufgestellt, in dem die einzelnen Begehungsarten enthalten waren. Allmählich hat sich dann der Diebstahl als ein "Gewahrsamsbruch in gewinnsüchtiger Absicht" herausgebildet. Sein Haupttatbestandsmerkmal war der Bruch fremden Gewahrsams. Als erschwerender Umstand kam die heimtückische Begehungsweise hinzu. Die Fälle von Gebrauchsanmaßungen galten nicht ohne weiteres als Diebstahl, sondern als geringfügigere Verletzung fremden Eigentums, für die eine Buße je nach Umfang und Dauer des Gebrauchs verhängt wurdel4. Die Fälle des "dieblichen Behaltens" wurden vom Diebstahlstatbestand getrennt. Mit der Aussonderung der Fälle des "dieblichen Behaltens" sollte jedoch nicht ein neuer Tatbestand, etwa im Sinne der heutigen Unterschlagung, geschaffen werden, sondern " ... nur der Unterschied zum Diebstahl im damaligen Sinne klargestellt werden"IS. Bald hat sich jedoch die Notwendigkeit der Schaffung eines weiteren Deliktes herausgestellt, das seinem Wesen naCh ausschließlich gegen das Eigentum gerichtet sein und dadurch eine Ergänzung zum Diebstahl, der bekanntlich hauptsächlich gegen den Besitz und nur mittelbar gegen das Eigentum gerichtet ist, bilden sollte. Diese Rolle hat die Unterschlagung übernommen, " ... die, da ihr die Wegnahme aus fremden Besitz ihrer Natur nach fremd ist, in Gegensatz zum Diebstahl treten mußte"16. Im gemeinen deutschen Recht ist die Situation schlechterdings konfus. Das vorsätzliche Behalten einer fremden Sache, praktisch die Grundform der heutigen Unterschlagung, wurde manchmal unter den Diebstahls- 17 und manchmal unter den Betrugstatbestand subsumiert. Ebenso wurde di'e Fundunterschlagung von dem allgemeinen Fall des Drieb14

Disse, S. 275.

17

Und zwar als Sonderfall des Diebstahls, die Entwendung; vgl. Veyhl,

IS

Ebener, S. 2. 16 Veyhl, S. 7.

S.8.

2. Abschn.: Geschichte

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stahls nicht unterschieden18 , obwohl das Ableugnen des Fundes mitunter auch einen eigenständigen Tatbestand bildete. Als eine Art Sonderdelikt wurde von der Carolina19 die Veruntreuung, d. h. die rechtswidrige Zueignung fremder, dem Täter anvertrauter Sachen, eingeführt. Die Praxis der damaligen Gesetzgebung, für die Unterschlagung keinen besonderen Tatbestand vorzusehen, hat sich im 18. Jahrhundert zunächst fortgesetzt. So erhält das Allgemeine Landrecht für die preußischen Staaten (ALR) nur für die Fundunterschlagung eine selbständige Regelung, die sich aber merkwürdigerweise im zivilrechtlichen Abschnitt des Gesetzbuches befindet20. Dort wird das Ableugnen des Fundes "auf Befragen des Richters" dem Diebstahl gleichgestellt. Diese Gleichstellung unterschiedlicher Zu eignungs arten und ihre trotz grarvierender Unterschiede erfolgende teilweise Subsumtion unter den Betrugs- oder den Diebstahlstatbestand führte Z!U einer "Nichtbeachtung der reinen Natur und der entsprechenden ,strafrechtlichen Bedeutung der vorsätzlichen rechtswidrigen Zueignung"21. § 2. Die deutschen Partikulargesetze

Allmählich hat die Veruntreuung ihre Selbständigkeit verloren und im Zusammenhang mit mehreren Arten des "dieblichen Behaltens" einen speziellen ZueignungstatbestaIl!d, nämlich die Unterschlagung, herausgebildet, dessen wesentliches Merkmal die Treupflichtverletzung war. In dem vom berühmten Anselm v. Feuerbach geschaffenen Bayerischen Strafgesetzbuch (1813) wurde erstmals eine klare systematische Trennung des Diebstahls von der Unterschlagung vorgenommen, indem der Diebstahl als Bruch fremden Gewahrsams, die Unterschlagung hingegen als Zueignung anvertrauter, in Besitz oder Gewahrsam des Täters befindIicher Sachen bezeichnet wurde: Art. 209: "Wer wissentlich ein fremdes bewegliches Gut ohne Einwilligung des Berechtigten, jedoch ohne Gewalt an einer Person, eigenmächtig in seinen Besitz nimmt, um dasselbe rechtswidrig als Eigentum zu haben, ist ein Dieb." Art. 229: "Wer eine Sache für einen Anderen in Besitz oder Gewahrsam hat, und sich dieselbe rechtswidrig zueignet, ist der Unterschlagung des Anvertrauten schuldig." Diese vom Bayerischen Strafgesetzbuch eingeschlagene Tendenz, die Unterschlagung als Veruntreuung im Besitz oder Gewahrsam des Tä18 Sogar "furtum inventionis" genannt; vgl. Kujawa, S. 1. 19 In Art. 170. 20 § 73 ALR. 21 Lautenburg,

S. 203.

§ 2. Die deutschen Partikulargesetze

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ters befindlicher Sachen anzusehen, hat seinerzeit große Zustimmung erfahren. So fordern die meisten Partikulargesetze des 19. Jahrhunderts nicht nur, daß der Täter vor der Zueignung Besitz oder Gewahrsam an der Sache hat, sondern darüber hinaus, daß der Täter eine besondere Verpflichtung haben muß, die Sache zu verwalten, zurückzugeben oder abzuliefern. Typisches Beispiel dafür ist das Preußische Strafgesetzbuch von 185!. Zum ersten Mal wurde während der preußischen Strafrechtsreform ein Unterschlagungstatbestand ähnlich wie der heutige § 246 StGB geschaffen. Das preußische StGB hat schon von seinem ersten Entwurf (1828) an die Unterschlagung ais "Zueignung" bezeichnet. Unklar blieb nur noch, ob der Anwendungsbereich des Unterschlagungstatbestandes durch eine kasuisUsche Formulierung enger abgesteckt werden sollte, oder ob die Unterschlagung die Aufgabe eines allgemeinen Aneignungsdeliktes übernehmen sollte, mit der Folge, daß der Unterschlagungstatbestand jede vorsätzliche rechtsw1dvige Zueignung erfaßtl . Der Entwurf 1839 hatte für die Unterschlagung einen Tatbestand vorgesehen, der dem Sinn und der FOl'mulierung nach dem heutigen § 246 StGB sehr verwandt waiZ. Der VOl'schlag hat sich aber nicht durchgesetzt, weil die Staatsra1lskommission der Ansicht war, daß nur die Verletzung eines besonderen Vertrauens unter dem Gesichtspunkt der Unterschlagung strafwüvdig sei3• Diese Ansichten haben sich in der endgültigen Gesetzesformulierung niedergeschlagen. So heißt es im § 225 des preußischen StGB von 1851: "Wer eine fremde bewegliche Sache, deren Besitz oder Gewahrsam er mit der Verpflichtung erlangt hat, sie zu verwahren, zu verwalten, zurückzugeben oder abzuliefern, zum Nachteile des Eigentümers oder Inhabers veräußert, verpfändet, verbraucht oder beiseiteschafft, macht sich der Unterschlagung schuldig." Für die Fundunterschlagung, die infolgedessen nicht unter den Veruntreuungstatbestand der einfachen Unterschlagung subsumiert werden konnte, wurde ein Sondertatbestand (§ 226 Pl'StGB) geschaffen, in dem die Fundunterschlagung nur für die Fälle unter Strafe gestellt wurde, daß der Täter die Sache veräußert, verpfändet, verbraucht oder beiseiteschafft4• Vgl. auch Maiwald, S.35. Bockelmann, MDR 1953, S.5 (= Strafr. Unters., S.220). 3 Bei der -Begründung der Ablehnung heißt es: "Der Staat würde die Sorge für das Eigentum zu weit treiben, wenn er jeden Besitzer, der seine Rechte überschreitet, mit Strafe bedrohen wollte." 4 § 226 StGB: "Einer Unterschlagung wird es gleichgeachtet, wenn derjenige, welcher eine fremde bewegliche Sache gefunden hat oder durch Zufall in seinen Gewahrsam bekommen hat, dieselbe zum Nachteile des Eigentümers, Besitzers oder Inhabers veräußert, verpfändet, verbraucht oder beiseiteschafft." . I

2

2. Abschn.: Geschichte

24

Noch einige Beispiele aus den Partikulargesetzen: Das StGB von Württemberg (1839): Art. 344: "Wer sich eine fremde bewegliche Sache, die er in seinem Besitz hat, widerrechtlich zueignet, namentlich dieselbe veräußert, ganz oder teilweise verbraucht, in der auf Zueignung gerichteten Absicht verpfändet oder in solcher Absicht dem zur Zurückforderung Berechtigten den Besitz ableugnet oder verheimlicht, macht sich der Unterschlagung schuldig." Das Badische StGB (1845): § 400:

"Wer fremde bewegliche Sachen, die ihm zur Bewahrung oder Verwaltung oder infolge eines anderen, die Verbindlichkeit zu deren Rückgabe oder Ablieferung begründenden Rechtsgeschäfts anvertraut oder übergeben worden sind, in der Absicht sich zueignet, sie dem zur Zurückforderung Berechtigten ohne Ersatz zu entziehen, ist der Unterschlagung schuldig."

Das Bayerische StGB (1861): Art. 293: "Wer eine ihm anvertraute oder infolge einer Geschäftsführung erlangte fremde bewegliche Sache in der Absicht, sich oder einem Dritten einen rechtswidrigen Vorteil zu verschaffen, unbefugt ganz oder teilweise veräußert, verbraucht oder auf andere Weise sich zueignet, ist der Unterschlagung schuldig." Das StGB von Hannover (1840): Art. 304: "Wer eine fremde bewegliche Sache für einen anderen in seinem Besitz oder Gewahrsam hat und sich dieselbe mit rechtswidrigem Vorsatz zueignet, ist der Unterschlagung schuldig." Schließlich das StGB von Braunschweig (1840): § 220:

"Wer wissentlich eine fremde bewegliche Sache, die er in seinem Besitz oder Gewahrsam hat, widerrechtlich in gewinnsüchtiger Absicht sich aneignet, insbesondere dieselbe veräußert, ganz oder teilweise verbraucht, oder solche, um sie sich zuzueignen verpfändet oder gegen den zur Zurückforderung Berechtigten deren Besitz ableugnet oder verheimlicht, ist wegen Unterschlagung zu bestrafen."

Wenn man die Regelung der Unterschlagung in den oben zitierten Partikulargesetzbüchern des 19. Jahrhunderts liest, bemerkt man den hinter jeder Formulierung versteckten Kampf verschiedener Auffassungen vor allem zwischen dem römischen und dem germanischen Recht. Die unterschiedliche Formulierung darf jedoch über eine schon damals existierende gemeinsame Grundlage nicht hinwegtäuschen. Zu unterstreichen wäre auch noch die Tatsache, daß schon zu diesem Zeitpunkt die Unterschlagung als Zueignung angesehen wurde, unter welchen Umständen und besonderen Voraussetzungen auch immer. Diese Tatsache ist für die spätere Entwicklung der Unterschlagung und für den Versuch ihrer Begriffsbestimmung von wesentlicher Bedeutung.

§ 3. Die Entwicklung des Tatbestandes durch die Entwürfe

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§ 3. Die Entwicklung des Unterschlagungstatbestandes

durch die Entwürfe

Erst ab dem ersten Entwurf eines StGB für den Norddeutschen Bund (1869) begann die Entwicklung der Unterschlagungstatbestände in jene Richtung zu gehen, die zur heutigen Fassung des § 246 geführt hat. Denn zwar hatte der Entwurf den Unterschlagungscharakter als Vertrauensvedetzung beibehalten, er hatte aber gleichzeitig durch Änderungen im Bereich der Fundunterschlagung! und durch die Betonung des Erfordernisses der Besitz- oder Gewahrsamsinnehabung vor der ZueignungshanJdlung in den Motiven2 den ersten Anlaß gegeben, daß die Unterschlagung ihres Charakters als Treupflichtverletzung entkleidet wird "und sich zum reinen Aneignungsdelikt entwickelt"3, 4. ,So kam es durch die späteren EntwürfeS zu Fassungen des Unterschlagungstatbestandes, die sich im Grunde genommen von der heutigen Fassung des § 246 StGB kaum unterschieden. In aB diesen Fassungen war das Besitz- oder Gewahrsamserfordernis als Tatbestandsmerkmal aufgenommen, d. h. Unterschlagung konnte nur an Sachen begangen werden, die der Täter bereits vor der Zueignung in Besitz oder Gewahrsam hatte. In Anbetracht dieses Erfordernisses der Besitz- oder Gewahrsamsinnehabung wurde dem Gesetzgeber von 1871 vielfach vorgeworfen6 , daß er, dem früheren Recht zu stark verbunden, es nicht gewagt habe, einen weiteren Schritt zu tun, um die Unterschlagung als einen sämtliche Fälle vorsätzlicher rechtswidriger Aneignung umfassenden Grundtatbestand auszugestalten. Diese Ansicht, die Unterschlagung soll sich vom Besitz- oder Gewahrsamserfordernis abkoppeln und zum Grundtatbestand der Zueignungsdelikte werden, ist auch in den späteren Entwürfen eines StGB stets vertreten worden: 1 Wo das Ableugnen des Fundes der Obrigkeit gegenüber nicht mehr als Unterschlagung angesehen wurde; vg!. Bockelmann, MDR 1953, S. 6 (= Strafrecht!. Unters., S. 221). 2 Motive, S. 76. 3 Bockelmann, MDR 1953, S.6 (= Strafrecht!. Unters., S.221). 4 Zugleich "... kam erneut und entschiedener noch als im preußischen Strafrecht - zum Ausdruck, daß erst ein der Gewahrsamserlangung nachfolgender, den Zueignungswillen objektivierender Akt Unterschlagung sein könne" (Bockelmann, Strafr. Unters., S.221). 5 Hier sind die Entwürfe eines Strafgesetzbuc."'1es für den Norddeutschen Bund gemeint. 6 Siehe z. B. Binding, Lehrb., S.276; Kujawa, S.8; Bockelmann, MDR 1953, S. 6 (= Strafrecht!. Unters., S. 222).

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2. Abschn.: Geschichte

E 1911: "Wer in der Absicht, sich oder einem Dritten einen dem Recht zuwiderlaufenden Vermögensvorteil zu verschaffen, eine fremde bewegliche Sache sich zueignet, die sich nicht im Gewahrsam eines anderen befindet, wird ... bestraft." E 19137: "Wer eine fremde bewegliche Sache, die sich nicht in dem Gewahrsam eines Dritten befindet, sich oder einem Dritten rechtswidrig zueignet, wird wegen Unterschlagung bestraft." E 1925: "Wer sich, abgesehen von den Fällen der Veruntreuung, eine fremde bewegliche Sache in der Absicht zueignet, sich oder einen Dritten unrechtmäßig zu bereichern, wird wegen Unterschlagung bestraft." E 19278 : "Wer eine fremde bewegliche Sache, die sich nicht im Gewahrsam eines anderen befindet, sich oder einem Dritten in der Absicht zueignet, sich oder den Dritten dadurch unrechtmäßig zu bereichern, wird ... bestraft." " Die Auseinandersetzungen über die Fassung und den Charakter des Unterschlagungstatbestandes haben sich bis in die neu este Geschichte des Strafrechts hineingezogen. Trotz des eindeutigen Bekenntniss·es aller Entwürfe zur umfassenderen Formulierung des Unterschlagungstatbestandes9 (Grund- oder Auffangtatbestand) hat sich der Gesetzgeber nicht entschlossen, das Erfordernis der Besitz- oder Gewahrsamsinnehabung im Unterschlagungstatbestand abzuschaffen, mit der Folge, daß die Probleme des § 246 StGB heute genauso aktuell sind, wie zur Zeit der Entstehung des Gesetzes, und daß die Diskussion um den Unterschlagungstatbestand, trotz jahrhundertelanger VergangeIl!heit, nichts von ihrer früheren Bedeutung verloren hat.

Die gleiche Formulierung hatte der E 1919. Dem E 1927 war auch der E 1930 gleich formuliert. . 9 Eine detaillierte Erörterung findet man in den Diskussionen der Großen Strafrechtskommission (Niederschriften über die Sitzungen der Großen Strafrechtskommission, Bd.6, BT, Bonn 1958, S. 52 ff.). 7

8

Dritter Abschnitt

Das geltende Recht § 1. Die gegenwärtige Fassung des Unterschlagungstatbestandes

Das StGB hat in der heute geltenden Fassung den Unterschlagungstatbestand, wie er im früheren Recht formuliert wurde!, unberührt g€lassen. Der § 246 StGB lautet: (1): Wer eine fremde bewegliche Sache, die er in Besitz oder Gewahrsam hat, sich rechtswidrig zueignet, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe und, wenn ihm die Sache anvertraut ist, mit Freiheitsstrafe bis zu fünf Jahren oder mit Geldstrafe bestraft. (2): Der Versuch ist strafbar. Wie aus dem Text des § 246 zu ersehen ist, unterscheidet das Gesetz zwischen der einfachen Unterschlagung und der Unterschlagung anvertrauter Sachen, der sog. Veruntreuung, als einem qualifizierten Fall. Die im früheren Recht enthaltene Amtsunterschlagung läßt sich seit dem Wegfall des § 350 unter den Tatbestand der einfachen Unterschlagung subsumieren. Die Begehung durch einen Amtsträger ist nur noch ein allgemein strafschärfender Grund. Die Bestimmung der Rechtsnatur der Amtsunterschlagung war zur Zeit der Geltung des früheren Rechts sehr strittig; man war sich nicht einig, ob sie eine unselbständige Abwandlung der einfachen Unterschlagung - und damit ein "unechtes" Amtsdelikt - oder ein selbständiges Sonderdelikt - und damit ein "echtes" Amtsdelikt - war2• Dem Streit, der bei der Täterschafts- und bei der Konkurrenzfrage eine Rolle gespielt hat, kommt heute nach der Abschaffung des § 350 keine Bedeutung mehr zu. Die Probleme, mit welchen sich die vorliegende Arbeit befassen wird, haben - wie bereits gesagt - hauptsächlich mit der e,infachen Unterschlagung zu tun. Die Problematik der Veruntreuung, insbesondere die Frage, ob sie als eigenständiges Delikt erfaßt werden soll, liegt außerhalb des hier gestellten Themas. Tatobjekt bei der Unterschlagung, wie auch beim Diebstahl, kann nur eine fremde bewegliche Sache sein. Tathandlung ist die vorsätzliche 1 2

Vgl. oben II 3.

Maurach f Schroeder, BTf1, S.315; Bockelmann, JZ 1960, 62l.

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3. Abschn.: Das geltende Recht

rechtswidrige Zueignung der Sache. Anders als beim Diebstahl, wo nach dem Wortlaut des § 242 die Absicht rechtswidriger Zueignung für die Deliktsvollendung genügt3, muß bei der Unterschlagung dil~ Sache tatsächlich zugeeignet werden. Beim Diebstahl genügt für die Deliktsvollendung die Absicht rechtswidriger Zueignung wegen der Existenz des ausschlaggebenden und das Delikt charaktedsierenden Merkmals der " Wegnahme", d. h. einer Handlung, die nach außen leicht erkennbar und in den meisten Fällen klar festZ'Ustellen ist. Bei der Unterschlagung fehlt es an einem so eindeutigen Merkmal. Aus diesem Grunde wird von einem Teil der Lehre und der Rechtsprechung4, um den Tatbestand des § 246 ein wenig zu "objektivieren" und die Grenze zwischen Vollendung und Versuch5 in erkennbarer Weise festzulegen, eine Betätigung des Zueignungswillens durch eine nach außen erkennbare Handlung6 gefordert'. Gerade diese Forderung nach einer objektiv erkennbaren Zueignungshandlung ist einer der stctttigen Punkte des Unterschlagungstatbestandes. Die Ursache jedoch der heftigsten Auseinandersetzungen im Rahmen des Unterschlagungstatbestandes, der Umstand, der die Unterschlagungsproblematik so interessant gemacht und sie zu einer der Zentralfragen des Eigentums- und Vermögensschutzes erhoben hat, ist das Erfordernis des § 246, daß der Täter die Sache bereits vor der Zueignung in Besitz oder Gewahrsam haben muß. Die daraus entstehenden Probleme werden als Hauptthema der vorliegenden Arbeit anschließend behandelt. § 2. Die "strenge" Auslegung des § 246

Wie gerade erwähnt, ist der Hauptpunkt der Unterschlagungsproblematik die Auslegung des Tatbestandsmerkmal's "Sache, die er in Besitz oder Gewahrsam hat". Dieses schon im irüheren Recht unter dem Einfluß des Veruntreuungstatbestandes eingeführte Merkmall wird vom BGH, wie auch frü3 In der Lehre wird daher die nicht unumstrittene Ansicht - vertreten, der Diebstahl gehöre zu den sog. "Delikten mit überschießender Innentendenz" , weil er neben dem Vorsatz ein zusätzliches "subjektives" Element, nämlich die Absicht rechtswidriger Zueignung, enthält. Näheres darüber bei VII 4. 4 Vgl. die Nachweise bei V 2 a. 5 Aber auch zwischen Versuch und (nicht strafbaren) Vorbereitungshandlungen. 6 Oder nach der Bezeichnung Bockelmanns, eine "Manifestationshandlung" . 7 Selbstverständlich muß auch der Zueignungsvorsatz vorhanden sein. Ein Verhalten, das nur objektiv den Anschein einer Zueignung erweckt, genügt bei fehlendem Vorsatz nicht; vgl. Sch I Sch lEser, Rdnr. 11 zu § 246. 1 Über den Einfluß der im früheren Recht herrschenden Ansichten über

§ 2. Die "strenge" Auslegung des § 246

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her vom RG, in den meisten Fällen "streng" ausgelegt, d. h. nach der Rechtsprechung muß der Täter die Sache bereits vor der Zueignung in Besitz oder Gewahrsam haben. Der Rechtsprechung, die nicht immer in ihren Entscheidungen dieser Richtlinie der "strengen" Auslegung gefolgt isf, hat sich ein Teil der Lehre3 angeschlossen. Durch das Erfordernis der Besitz- oder Gewahrsamsinnehabrung wird nach einer in der Theorie vielfach vertretenen Meinung4, die sich auch in einigen BGH-Urteilen niedergeschlagen hatS, der Anwendungsbereich des Unterschlagungstatbestandes erheblich eingeengt, mit der Folge, daß einige Fälle rechtswidriger Zueignung nicht geahndet werden, weil der Täter die Sache nicht vor der Zueignungshandlung im Besitz oder Gewahrsam gehabt hat. Diese angebliche6 Einschränkung des strafbaren Bereichs bei einer strengen Auslegung des Unterschlagungstatbestandes stellt das Hauptproblem in ·der Unterschlagungslehre dar und ist der Kern jeder wissenschaftlichen Arbeit über den § 246 StGB. In der Lehre werden - im Zuge der Auseinandersetzung über die richtige Auslegung des Unterschlagungstatbestandes - mehrere Fälle benannt, bei denen das Erfordernis der Besitz- oder Gewahrsamsinnehabung ein Hindernis für eine Bestrafung rechtswidriger Angriffe gegen das Eigentum darstellen soll. Diese Fälle, sogenannte "Strafbarkeitslücken", lassen sich systematisch in vier große Gruppierungen einteilen: - die Fundunterschlagungsfälle, -

die Fälle der übereignung einer dem Täter nicht gehörenden Sache an einen gutgläubigen Dritten, der die Sache bereits in seinem Gewahrsam hat,

das Wesen und die Funktion des Unterschlagungstatbestandes auf die Einführung des Erfordernisses der Besitz- oder Gewahrsamsinnehabung als Merkmal des § 246 vgl. oben, 11 2 u. 3. 2 Siehe dazu unten, III 6. 3 Der bedeutendste Vertreter der "strengen" Auslegung ist wohl Bockelmann. In seiner Abhandlung "Ist eine berichtigende Auslegung des § 246 statthaft?" (MDR 1953, S.3 ff. und Strafrechtliche Untersuchungen, S. 216 ff.) Versucht er, ein umfassendes Bild der Problematik zu geben und die Verzugswürdigkeit der "strengen" Auslegung - trotz einiger kriminalpolitischer Bedenken - zwingend zu begründen. Für die "strenge" Auslegung haben sich u. a. folgende Autoren ausgesprochen: All/eId, Lehrbuch, S. 431 ff.; Frank, Lehrbuch, 11 3 zu § 246; Hälschner, Deutsches Strafrecht 11/1, 1884, S.348; Kohlrausch I Lange, 11 zu § 246; H. Mayer, JW 1934, S.486; Sauer, GA 63, S. 289 ff. Für weitere Nachweise zur neue ren Literatur vgl. V 1 - 5. 4 Siehe unten, 111 4 a, b. 5 Siehe dazu 111 6. 6 Der Verfasser hält das Wort "angeblich" für angemessen, da es der im Rahmen dieser Arbeit vorzunehmenden Untersuchung vorbehalten bleiben soll, zu beurteilen, ob diese Einschränkung des strafbaren Bereichs des § 246 tatsächlich vorhanden ist.

3. Abschn.: Das geltende Recht

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die Bestrafung der an einer Unterschlagung Mitbeteiligten, die keinen Gewahrsam an der Sache haben, -

die Einschränkung des Anwendungsbereichs der versuchten Unterschlagung. Jedes dieser Lückenprobleme enthält eine Reihe strittiger Punkte, so daß die Behauptung, der Unterschlagungstatbestand bereite in seiner heutigen Fassung Schwierigkeiten, jedenfalls auf den ersten Blick als gerechtfertigt erscheint. Die Strafbarkeitslücken sehen im Einzelnen so aus: § 3. Die aus einer "strengen" Auslegung des § 246

entstehenden Strafbarkeitslücken a) Fundunterschlagung

Die ersten Probleme tauchen in Fällen wie dem folgenden auf: Ein verdächtig aussehender Mann sieht auf einem Weg einer Parkanlage eine schöne Geldtasche liegen. Nachdem er vorsichtig nach allen Seiten geschaut hat, nimmt er sie schnell auf und verschwindet seitwärts in die Büschel. Dies ist eine typische Konstellation, die im Zusammenhang der sogenannten Fundunterschlagungsfälle untersucht wird. Hier scheint die Gewahrsamserlangung gleichzeitig mit der Zueignung.shandlung stattzufinden. Wenn man den Fall unter dem Gesichtspunkt der strengen Auslegung betrachtet, ist es nicht einfach, eine Unterschlagung festzusteHen; die strenge Auslegung erfordert bekanntlich eine Vorzeitigkeit der Gewahrsamserlangung. Damit der Unterschlagungstatbestand zur Anwendung kommt, fordern die Anhänger der strengen Auslegung eine spätere Betätigung des Zueignungswillens durch einen nach außen erkennbaren Aneignungsakt. Der Täter unseres Beispiels macht sich also erst strafbar, wenn er eine der Gewahrsamserlangung zeitlich nachfolgende und seinen Zueignungswillen nach außen manifestierende Handlung vornimmt, wenn er z. B. die Geldtasche veräußert, verschenkt oder den Inhalt verbraucht. Um das Problem der Fundunterschlagung zu vereinfachen, haben einige Verfasser die Meinung vertreten, daß zwischen dem Fund und der Ansichnahme der Sache in Zueignungsabsicht eine "logische Sekunde" besteht, so daß Gewahrsamsgründung und Zueignungshandlung "momentan aufeinanderfolgen"2 und jedenfalls unmittelbar nach dem Finden und noch vor der Zueignung die Sache im Gewahrsam des Täters seil. Diese Konstruktion wird bei der weiteren Behandlung der Problematik mitberücksichtigt. I 2

3

Dreher, Niederschriften, S.52. Gerland, Deutsches Strafrecht, 1932, S.605. Allfeld, Lehrbuch des deutschen Strafrechts, 8. Aufl., 1922, S.436.

§ 3. Die entstehenden Strafbarkeitslücken

31

Eines steht jedenfalls fest: Eine starre Handhabung der strengen Auslegung kann zu kriminalpolitisch bedenklichen Ergebnissen führen. Dies sei auch durch das folgende, von Post4 erfuIlidene, Beispiel verdeutlicht: A, der mit seiner FreuIlidin B spazieren geht, bezeichnet eine von ihr am Wegrain entdeckte silberne Zigarettenspitze der Wahrheit zuwider als ihm gehörende und sagt, während sie sie aufhebt, zu B, daß er die Zigarettenspitze ihr schenke, weil sie von ihr wiedergefunden wurde. Der Täter würde nach der strengen Auslegung in diesem Fall straflos bleiben, weil die Gewahrsamserlangung der Zueignungshandlung nicht vorangegangen isP, und dies, obwohl eine tatbestandsmäßige Zueignungshandlung vorliegt, und zwar erstens in der Behauptung des Täters, die Zigarettenspitze gehöre ihm, und zweitens in der Schenkung der Sache an die FreuIlidin. Anläßlich solcher Fälle ist die Auffassung der strengen Auslegung auf harte Kritik gestoßen. Einevseits - uIlid in diesem Punkt muß man sich dem Standpunkt der strengen Auslegung nähern - kann die bloße Ansichnahme einer gefuIlidenen Sache nicht ohne weiteres strafbar sein. Nicht jeder, der eine verlorene Sache findet und sie an sich nimmt, hat vor, sie sich auch anzueignen. Es besteht durchaus die Möglichkeit, daß er danach die Sache im Fundbüro oder bei der nächsten Polizeistation abgibt oder sie sonstwie dem Eigentümer zukommen läßt. Die Bestrafung in einem solchen Fall wäre voreilig und würde auf eine unzulässige Ausdehnung der Strafbarkeit des § 246 hinauslaufen. Andevevseits bietet das Erfordernis einer - eiIlideutig zeitlich abtrennbaren - späteren Zueignungshandlung bei Sachverhalten wie dem "Zigarettenspitzenfall" keine befriedigeIlide Lösung; denn hier ist beveits zum Zeitpunkt der Gewahrsamserlangung klar und durch nach außen erkennbare UmstäIlide ersichtlich, daß sich der Täter die gefundene Sache aneignet, während er selbst, wenn man der h. L. folgt, kleinen Gewahrsam an der Sache hat und ihn auch nicht einmal später erlangt. b) Obereignung an einen gutgläubigen Dritten

Problematisch siIlid auch die Fälle der Übereignung einer dem Täter nicht gehörenden Sache an einen gutgläubigen Dritten, der sie bereits in seinem Gewahrsam hat. Ein Schulbeispiel dafür: A leiht dem B ein besonders gutes juristisches Werk. Dieser v,erleiht es weiter an C. Als C ihm gegenüber äußert, daß ihm das Buch gefalle, brüstet sich B damit, Eigentümer des Buches zu sein uIlid erklärt ihm, daß er es ihm schenke6 • Da der C sich Der Anwendungsbereich des Unterschlagungstatbestandes, S.19. Der Täter erlangt sogar in diesem Fall nach der h. L. keinen Gewahrsam an der Sache. 6 Vgl. Dreher, Niederschriften, S. 52. 4

5

3. Abschn.: Das geltende Recht

32

im guten Glauben darüber befindet, B sei der Eigentümer der Sache, wird er gemäß §§ 929, 932 BGB Eigentümer des Werkes. Nach der strengen Auslegung d~ § 246 StGB kann in diesem Fall keine Unterschlagung angenommen werden7 , da der Täter (B) zur Zeit der Zueignung (Veräußerung des Buches an C) die Sache nicht in Besitz oder Gewahrsam hatte. In Frage käme nach dieser Auffassung höchstens eine Bestrafung wegen Betrugs. Aber abgesehen davon, daß mit der Anwendung des Betrugstatbestandes in desem Fall nur die Tat gegenüber dem getäuschten Erwerber bestraft würde und nicht die gegenüber dem wirklichen Eigentümer der Sache begangene rechtswidrige Eigentumsverletzung, die bei einem Ausscheiden des Unterschlagungstatbestandes in jedem Fall unbestraft bliebe, kann der Betrugstatbestand - wenn überhaupt - nur in den Fällen eine Anwendung finden, bei denen eine Gegenleistung seitens des Dritten bzw. eine Bereicherung des Täters vorliegt. Ebenso problematisch erscheint die für eine BestITafung gemäß § 263 StGB unentbehrliche Feststellung eines Vermögensschadens beim Getäuschten; er erwirbt ja wegen seiner Gutgläubigkeit Eigentum an der Saches. Die Bestrafung der Veräußerung einer fremden, dem Täter nicht gehörenden Sache an einen gutgläubigen Dritten bleibt also ein Problem, mit dem sich der Unterschlagungstatbestand in seiner gegenwärtigen Fassung auseinandersetzen muß. c) Mittäter ohne Gewahrsam

Das Problem der Mittäterschaft in der Unterschlagungslehre war das Hauptargument, der Hauptangriffspunkt der Gegner der strengen Auslegung des § 246.& handelt sich um die Frage, ob Mittäter einer Unterschlagung nur derjenige sein kann, der zur Zeit der Zueignung selbst Mitbesitz oder Mitgewahrsam an der Sache hat, oder ob einzelne an der Deliktsbegehung als Mittäter beteiligte Personen, die nicht vor der Zueignung, sondern erst durch die Zueignung oder überhaupt nicht Gewahrsam an der Sache erlangen, als Unterschlagungs(mit)täter bestraft werden können. Wenn sich z. B. zwei Angestellte einer Speditionsfirma gemeinsam für die Zueignung der von der Firma abzuliefernden Gegenstände entscheiden, und der eine (A) unterwegs die Sachen aus dem von ihm gefahrenen Firmenwagen entfernt, während der andere (B) im Firmenbüro sitzf und die Lieferungsscheine fälscht9, WJiITd nach der strengen Auslegung nur der A wegen Unterschlagung bestraft, da er 7

So wird mindestens von den Gegnern dieser Theorie behauptet; siehe

z. B. Petters I Preisendanz,. S. 233.

Vgl. dazu unten V 3 a. Vgl. BGHSt 2, 37 ("Papierrollenfall"); er wird ausführlich unter V 4 a behandelt. S

9

§ 3. Die entstehenden Strafbarkeitslücken

33

Alleingewahrsam an der Sache hatte. Der B kann unter Umständen als

Gehilfe bestraft werden.

Die Beihilfelösung ist jedoch nicht unbedenklich. Zunächst steht nach einer Auffassung lO die Beihilfe zur Täterschaft ... "nicht etwa in einem Subsidiaritätsverhältnis, so daß jede Beteiligung an fremder Tat, sofern sie nicht Täterschaft ist, wenigstens als Beihilfe bestraft werden kann" . Sodann ist es in solchen Fällen, wo sowohl der Tatentschluß als auch die Rollenverteilung und die Tatausführung keine Unterordnung des Willens eines Beteiligten unter der Autorität eines anderen anzeigen, unbillig, nur einen von ihnen als Täter zu bestrafen; dagegen spricht nämlich die - wohl unüberstreitbare - Tatsache, daß alle die gleiche "Beteiligungsintensitä t" aufweisen11. Ein weiterer Gesichtspunkt, der mit der ·strengen Auslegung nicht in Konflikt kommt, vielmehr zum gleichen Ergebnis (nur A kann als Mittäter bestraft werden) führt, wäre die Behauptung, bei der Unterschlagung könne nur ein besitz- oder gewahrsamsinnehabender Beteiligter als Täter bestraft werden, weil die Unterschlagung ein "eigenhändiges" Delikt sei, d. h. ein Delikt, dessen Handlungunrecht nur dann erfüllt wird, wenn der Täter sich die in seinem Besitz oder Gewahrs'am befindliche Sache in eigener Person zueignet 12 • Es ist evident, daß die Lösung des Problems durch die BehalUptung, die Unterschlagung sei ein eigenhändiges Delikt, keine Antwort auf die Frage zu geben vermag, ob es doch nicht unbillig wäre, einen Beteiligten, dessen Tatbeitrag die gleiche Wichtigkeit für den Eintritt des gemeinsam erstrebten Erfolges besitzt, nur deswegen milder zu bestrafen, weil er eines der Merkmale des verletzten Tatbestandes nicht in eigener Person erfüllt. Es lassen sich also Zweifel gegen die Richtigkeit der Eigenhändigkeitslösung vorbringen, die eine weitere Überprüfung dieser Behauptung im Rahmen der vorliegenden Arbeit notwendig machen. Festzuhalten ist zunächst, daß die h. M. jedenfalls davon ausgeht, nach der strengen Auslegung sei eine Besitz- oder Gewahrsamsinnehabung bei sämtlichen Mittätern erforderlich. d) Unterschlagungsversuch

Der Tatbestand des § 246 erfordert, daß der Täter die Sache in Besitz oder Gewahrsam haben muß. Diese Besitz- oder Gewahrsamsinnehabung soll nach der strengen Auslegung bereits vor der Zueignung be10 Bockelmann, MDR 1953, 8, der obwohl Vertreter der strengen Auslegung - selber die Schwierigkeiten einräumt, in einem solchen Fall eine akzeptable Lösung zu finden. 11 Der Meinung schließen sich u. a. Bockelmann ("die Mittäter haben subjektiv Täterschuld an der Tat"), MDR 1953, S.8 und Post, S.6 an. 12 Jescheck, Strafrecht, S.213/214.

3 Charalambakis

3. Abschn.: Das geltende Recht

34

gründet sein. Dadurch wird nach einer vielfach vertretenen Meinung\3 der Anwendungsbereich des Versuches beim Unterschlagungstatbestand wesentlich eingeschränkt. Sämtliche Handlungen, die der Besitz- oder Gewahrsamserlangung vorangehen, sollen nach dieser Auffassung!4 unbestraft bleiben (als bloße Vorbereitungshandlungen), auch wenn sie auf eine Zueignung der Sache abzielen. § 4. Die bisher vorgeschlagenen Alternativlösungen a) Kleine berichtigende Auslegung

Unter Berücksichtigung der oben (11I 3 a-d) erörterten Probleme wurde an der strengen AIllslegung des § 246 harte Kritik geübt. Der erste Vorschlag einer Verbesserung wurde von den Vertretern der sog. "kleinen berichtigenden Auslegung"! gemacht. Sie sind der Auffassung, im Unterschlagungstatbestand werde eine zeitliche Voranstellung der Besitz- oder GewahrsamsbegruncLung gegenüber der Zueignungshandlung nicht unbedingt gefordert. Es genüge vielmehr, ". .. wenn Gewahrsamserlangung und Zueignungshandlung zeitlich zusammenfallen"2. Die kl,eine berichtigende Ausl'egung versucht also, den Anwendungsbereich des Unterschlagungstatbestandes zu erweitern, indem sie im Satz "Sache, die er in Besitz oder Gewahrsam hat", das Wort "hat" nicht nur - wie die Vertreter der strengen Auslegung - im Sinne eines "bereits hat" interpretiert, sondern als "bereits hat oder zum Zeitpunkt der Zueignungshandlung bekommt" auslegt. Dadurch stellt sie in übereinstimmung mit der strengen Auslegung - den Charakter des Satzes "Sache, die er in Besitz oder Gewahrsam hat" als positives Tatbestandsmerkmal des § 246 nicht in Frage. Ihr Bestreben besteht darin, eine erweiterte Auslegung des Unterschlagungstatbestandes zu ermöglichen, die seinen gegenwärtigen Wortlaut nicht sprengt. Allerdings ist die kleine berichtigende Auslegung nur im F,alle der Fundunterschlagung von Bedeutung; sie wurde auch meist anläßlich dieses Problems vertreten. Bei der Fundunterschlagung kann es mitunte2 geschehen, daß die Gewahrsamserlangung und die Zueignungshandlung zeitlich4 zusam13

Vgl. Nachweise bei V 5.

!4 Bockelmann, MDR 1953, S.4.

1 Dadurch unterscheidet sie sich von der "großen berichtigenden Auslegung", die anschließend behandelt wird. 2 RG, JW 1934, S.386; BGH LM NI". 3 zu § 246; Petters / Preisendanz, S.233; Sch / Sch / Eser, Rdnr.1 zu § 246. Vgl. weitere Nachweise bei V 2 b. 3 Aber nicht immer. 4 Im weiteren Sinne verstanden.

§ 4. Die bisher vorgeschlagenen Alternativlösungen

35

menfallen. In solchen Fällen könnte die kleine berichtigende Auslegung von Nutzen sein. Doch ist ihr Anwendungsbereich auf wenige Fälle beschränkt, da im Moment der Gewahrsamserlangung nicht immer l'eicht zu erkennen ist, ob der Täter mit Zueignungsabsdcht handelt. Deswegen erscheint das 'Erfordernis der strengen Aus.legung, wonach ein späterer, nach außen erkennbarer Verfügungsakt vorliegen muß, durch welchen derjenige, der Gewahrsam an der gefundenen Sache erlangt hat, sich "als Eigentümer geriert" 5, prinzipiell durchaus als berechtigt. Der Bereich, in dem die kleine berichtigende Auslegung eine sinnvolle Anwendung finden kann, beschränkt sich demnach auf die wenigen Fälle, wo bei der Gewahrsamserlangung schon eine klar el.""kennbare und als solche aurslegbare Zueignungshandlung vorliegt. Für die übrigen Strafbarkeitslücken bzw. Probleme im Unterschlagungstatbestand kann die kleine berichtigende Auslegung keine Lösung anbieten6 • Sowohl die Fälle deI."" Veräußerung der Sache durch den mittelbaren Besitzer und der Bestrafung der an einer Unterschlagung Mitbeteiligten, die keinen Gewahrsam an deI."" Sache haben, al,s auch die Einschränkung des Anwendungsbereichs der versuchten UnteI'schlagung bleiben auch unter dem Gesichtspunkt der kleinen berichtigenden Auslegung ungelöst. b) Große berichtigende Auslegung Große Beachtung in der Unterschlagungslehre haben die Vertreter1 der sog. "großen berichtigenden Auslegung" gefunden. Sie behaupten, daß die Fassung des § 246 "offensichtlich vergriffen"a ist und unterstellen dem Gesetzgeber, sich anders ausgedrückt zu haben, als er wollte: nämlich statt einer - richtigen - negativen Abgrenzungsformel gegenüber dem Diebs11ahl ("Zueignung ohne Gewahrsamsbruch"), einen Relativsatz ("Sache, die er in Besitz oder Gewahl.""sam hat") in den Text des UnteI.""Schlagung,statbestandes eingesetzt zu haben, der den falschen Anschein erweckt, er bestehe aus positiven Tatbestandsmerkmalen, obwohl dies - nach der Meinung deI."" Vertreter der großen berichtigenden Auslegung - nicht dem Willen des Gesetzgebers entsprach. Arzt, Strafrecht, BT/3, S. 80. Anders, wenn auch unklar, Dreher / Tröndle, Rdnr. 10 zu § 246. 7 Als Begründer der großen berichtigenden Auslegung wird Binding (Lehrbuch, Bd. I, S.275) angesehen. Ihm folgen: Deubner, NJW 1962, S.75; Lobe, LK 4. Aufl., Rdnr. 1 zu § 246; Nagler, LK .617. Aufl., S. 340; Heimann / Trosien, LK 9. Aufl., Rdnr.1 zu § 246; Maurach / Schroeder, Lehrbuch BT/1, S.314; Welzel, S.339; Sauer, System des Strafrechts BT, S.60; Wagner, Fälle zum Strafrecht BT, S. 20; Schmidhäuser, Strafrecht BT, S. 98. S Nagler, LK 6.17. Aufl., Rdnr. II zu § 246. 5

6

3*

36

3. Abschn.: Das geltende Recht

Die große berichtigende Auslegung9 verzichtet also auf das Erfordernis der Besitz- oder Gewahrsamsinnehabung beim Unterschlagungstatbestand, weil nach Ansicht ihrer Vertreter der Gesetzgeber mit dem umstrittenen Satz eine bloße Formel für die Abgrenzung der Unterschlagung zum Diebstahl einführen wollte und er diesen Satz, hauptsächlich wegen des Einflusses des früheren Rechts, lediglich falsch formuliert hat. Sie behaupten weiter, die Unterschlagung stelle gegenüber dem Diebstahl das allgemeine Aneignungsdelikt dar, so daß jede vorsätzliche rechtswidrige Aneignung einer fremden beweglichen Sache, die ohne Bruch fremden Gewahrsams erfolgtlO , unter den Unterschlagungstatbestand subsumiert werden 001111 • Das Erfordernis der Besitzoder Gewahrsamsinnehabung, das im Text des § 246 den Anschein erweckt, als ob es ein positives 'Datbestandsmerkmal wäre, soll als eine bloße Abgrenzungsformel zum Diebstahl aufgefaßt und sein Wortlaut folgenderweise interpretiert werden: "Sache, die nicht durch diebische Wegnahme erlangt wird" oder genauer "Aneignung, die nicht durch Gewahrsamsbruch erfolgt". Die berichtigende Auslegung fordert also überhaupt keine Besitzoder Gewahrsamsinnehabung von Seiten des Täters. Es besteht kein Zweifel, daß der Unterschlagungstatbestand, wie er von der berichtig,enden Auslegung interpretiert wird, ein umfangreiches Delikt darstellt und sämtliche Fälle, die unter dem Gesichtspunkt der strengen Auslegung den Charakter einer Strafbarkeitslücke aufweisen, al,s strafbare Handlungen erfaßt. Die Lösung der verschiedenen Einzelprobleme des § 246 sieht - vom Standpunkt der berichtigenden Auslegung her betrachtet - so aus: Im Falle der Funduntersch1agung wird in der Regel die Gewahrsamsbegründung schon als Aneignungsakt angesehen;da:durch wird das Erfordernis einer späteren Zueignungshandlung entbehrlich. Der Fall der Übereignung einer dem Täter nicht gehörenden Sache an einen gutgläubigen Dritten, der sie bereits in seinem Gewahrsam hat, wird durch die Feststellung gelöst, daß die Zueignung ihren Ausdruck im übereignungsakt findet und überhaupt kein Eigenbesitz oder -gewahrsam dies Täters vorausgesetzt wird l2 • Da die berichtigende Auslegung keinen Besitz oder Gewahrsam des Täters an der Sache erfordert, ist die Bestra9 Sie wird im folgenden nur "berichtigende Auslegung" genannt, da die kleine berichtigende Auslegung in Wirklichkeit, wie schon angedeutet, eine bloße ausdehnende Auslegung des § 246 ist. 10 Oder, wie Binding (Lehrbuch, S.275) sagt: "Rechtswidrige vorsätzliche Aneignung fremder, nicht durch Diebsgriff erlangter Sachen." 11 Beling, Die Lehre vom Verbrechen, S.282; Schmidhäuser, Bruns-Festschr., S. 347; Welzel, Lehrbuch, S. 345. 12 Maurach / Schroeder, Strafrfi!cht BT/1, S.318.

§ 5. Einwände gegen die berichtigende Auslegung

37

fung der an einer Unterschlagung Mitbeteiligten, die zur Zeit der Zueignung keinen Besitz oder Gewahrsam haben, oder auch nie bekommen, durchaus mögli.ch. Sogar der Anwendungsbreich der versuchten Unterschlagung würde bei Annahme der berichtigenden Auslegung erweitert. Handlungen, die zwar auf die Zueignung der Sache abzielen, jedoch der Gewahrsamsbegründung vorangehen, werden nicht als bloße Vorbereitungshandlungen angesehen; sie könnten vielmehr als versuchte Zueignung bzw. Unterschlagung bestraft werden. § 5. Einwände gegen die berichtigende Auslegung

Die :zjahl der Anhänger der berichtigenden Auslegung hat seit ihrer Einführung durch Binding erheblich zugenommen und einen beachtlichen Umfang erreicht. Dennoch ist sie auch auf Kritik gestoßen, und zwar - naheliegenderweise - hauptsächlich seitens der Befürworter einer strengen Auslegung. Manche von ihnen halten die berichtigende Auslegung immerhin de lege ferenda für kriminalpolitisch erforderlich!, andere2 bestreiten auch ihre kriminalpolitische Vorzugswürdigkeit. In einem siIl!d sich allerdings alle Kritiker einig: die berichtigende Auslegung läßt sich de lege 1ata mit dem Wortlaut des § 246 nicht vereinbaren und kann deswegen im gelteIl!den Recht keine Anwendung finden. Die Argumente haben ,erhebliches Gewicht: Die berichtigende Auslegung - so argumentieren ihre Gegner - unternimmt es, den Unterschlagungstatbestand gegen seinen WorUaut und entgegen herkömmlichen Auslegungsprinzipien3 wil'lkürlich zu interpretieren. Sie hält sich nicht in den Grenzen des WorUautsund ist damit eine verbotene Analogie; ihre Anwendung vel1Stößt gegen den strafrechtlichen Grundsatz "nullum crimen nulla paena sine lege" (Art. 103 II GG und § 1 StGB). Dabei liegt - so behaupten die Gegner der berichtig,enden Auslegung - in bezug auf die FasS'llng des § 246 kein Vel1S'ehen des Gesetzgebers vor; er hat das Erfordernis der Besitz- (jder Gewahrsamsinnehabung bewußt als positives T,atbestandsmerkmal formuliert, weil er, im Anschluß an das frühere Recht, der Unterschlagung eine eigene, vom Diebstahl unabhängige, Natur verleihen wollte. Die daraus möglicherweise entstehenden StrafbaIlkeitslücken waren ihm bekannt, er hat sie jedoch bewußt offengelassen4 • Kriminalpalitich wird die berichtigende Auslegung ebenfalls für unbrauchbar gehalten. Denn dem Wunsch nach einem lückenlosen Strafl"echt und, speziell auf die 1 Bockelmann, MDR 1953, 8; Sch I Sch / Eser, Rdnr.1 zu § 246; Krey, Strafrecht BT/2, S. 51; Eser, Strafrecht/IV, S.48. 2 Arzt, Strafrecht BT/3, S.79. 3 Krey, Strafrecht BT/2, S. 52. 4 Schünemann, JuS 1968, 116.

3. Abschn.: Das geltende Recht

38

Unterschlagung bezogen, nach einem lückenlosen Eigentumsschutz, kann entgegengehalten werden, daß die berichtigende Auslegung zu einer unzulässigen Ausweitung des Deliktumfanges und damit zu einer übermäßig weitgehenden Bestrafung führP. Als Ergänzung ihrer Kritik 'an der berichtigenden Auslegung und 2lum Beweis rilhrer Unbrauchbarkeit veI1suchen d,ie Vertreter der strengen Auslegung, eigene Lösungen zur Schließung der Strafbarkeitslücken vorzuschlagen: Bei der Fundunterschlagung wird auf die spätere Aneignungshandlung des Finders abgestellt, d. h. man hat abzuwarten, bis derjenige, der durch den Fund Gewahrsam an der Sache erlangt hat, sich nachträglich als Eigentümer geriert6• Im Falle der Veräußerung einer dem Täter nicht gehöreniden Sache an einen gutgläubigen Dritten wird eine Bestrafung wegen Untreue oder u. U. wegen Betrugs vorgeschlagen. Der einzige Fall, der nach fast einhelliger Ansicht unter dem Gesichtspunkt der strengen Auslegung nicht befriedigend gelöst werden kann, ist die Bestrafung der an einer Unterschl'agung mitbeteiligten Nichtgewahrsamsinhaber. § 6. Die Stellung der Rechtsprechung zum Problem

Die Rechtsprechung des HGH - wie auch früher des RG - nimmt zum Problem keine klare Stellung. Statt durch eine einheitliche Rechtsprechung den Streit über die Auslegung des § 246 zu schlichten, hat sie mit unterschiedlichen Entscheidungen, in denen sie sich manchmal für die strenge - wie RGSt 49, 194; 19, 38; 53, 302; 67, 77; 68, 90; 72, 326; BGHSt 2, 317 - manchmal für die ausdehnende - wie RG JW 1934, S. 386; RGSt 67, 70; BGHSt 4, 76 - und oft sogar für die berichtigende Auslegung des § 246 - wie RG JW 1937,1334; RGSt 49,194, BGR LM Nr.3 zu § 246; BGHSt 4, 77; 13, 43 - ausgesprochen hat, dazu beigetmgen, daß der Streit noch intensiver wurde. Der häufige Meinungswechsel und die Unschlüssigkeit der Rechtsprechung, eine klare Linie bei der Auslegung des Unterschlagungstatbestandes zu halten, lassen sich durch eine kurze Darstellung höchstrichterlicher Entscheidungen deutlich belegen: Eine Entscheidung des Reichsgerichts (RG DJ 1938, 1880) verlangt z. B. daß im Zeitpunkt der rechtswidrigen Zueignung eigener Besitz oder Gewahrsam des Täters an der Sache bestehtl. Mit der AuseinandeI1setziUng um die Auslegung des Unterschlagungstatbestandes hat sich auch der BGH in seinem Urteil BGHSt 2, 317 eingehend beschäftigt. Dort heißt es: "Mittäter ,einer Unterschlagung kann 5 6 I

Krey, Strafrecht BT/2, S.52; Arzt, Strafrecht BT/3, S. 79. Arzt, Strafrecht BT/3, S. 80. Vgl. auch: RGSt 42, 420; 63, 376; 72, 326.

§ 6. Die Stellung der Rechtsprechung zum Problem

39

nur sein, wer eigenen Besitz oder Gewahrsam an der Sache hat." Im darauffolgenden Absatz des gleichen Urteils findet eine Erörterung der berichtigenden AJUslegung statt, zu der der BGH folgende Stellung nimmt: "Es mag sein, daß einer 'erschöpfenden Regelung der rechtswidrigen Zueignung einer fremden beweglichen Sache, soweit sie nicht aus einem wesentlich anderen Gesichtspunkt als dem des Diebstahls oder der UnteI'lschlagung bestraft wird, eine derartige Fassung entsprochen und daß sie den Begriff der Unterschlagung 2lum D1ebstahl besser abgegrenzt hätte. In dem Wortlaut des Gesetzes hat diese Formulierung jedoch keinen Ausdruck gefunden. Es spricht klar und bestimmt aus, daß der T'atbestand der Unterschlagung als unentbehrliches Merkmal den Besitz oder den Gewahrsam des Täters fordert." Weiter heißt es: ,/Daraus kann geschlossen werden, daß der Gesetzgeber bewußt den Tatbestand der Unterschlagung begrenzt hat. Der Richter ist aber nicht befugt, entgegen dem klaren und bestimmten, dem Willen des Gesetzgebers jedenfalls nicht widersprechenden WortlJaut, den gesetzlichen Tatbestand zu berichtigen, noch dazu zu ungunsten des Beschuldigten." Dadurch stellt ,sich das Urteil eindeutig auf den Standpunkt der strengen Ausle~ng. Ein anderes Urteil des BGH aber vertritt eine ganz konträre Meinunt und spricht sich für die berichtigende Auslegung aus: "Unterschlagung ist Zueignung fremder Sachen ohne Gewahmamsbruch ... Es ist keinerlei sachlicher Grund dafür zu erkennen, warum zwischen den Tatbeständen 'des Diebstahls und der Unterschl1agung eine Lücke klaffen sollte, innerhalb derer die Aneignung fremder Sachen straffrei wäre." Die Rechtsprechung hat also teils die strenge, teils die berichtigende AJUslegung vertreten. Sie ist jedoch auch öfters einem mittleren Weg gefolgt, wie in RG JW 1934, 386, wo festgestellt wird, daß es genügt, "wenn Gewahrsamserlangung und Zueignungshandlung zeitlich zusammenfallen", womit die ausdehnende (kleine berichtigende) Auslegung akzeptiert wurde3. In einigen Urteilen wiederum, die Einzelfälle aus der UnterschlagungsprobIematik betreffen, bleibt zwar die Rechtsprechung auf dem Standpunkt der worttreuen Auslegung, sie versucht jedoch einer daraus erwachsenden zu weitgehenden Einschränkung der Strafbarkeit dadurch zu entgehen, daß sie das Erforderiliis einer Besitz- oder Gewahrsamsinnehabung "ausdehneI1ld" interpretiert". 2

260.

Urteil des 5. Senats vom 29. 5. 1952; vgl. auch: OLG Bremen, MDR 1948,

Vgl. auch RGSt 67, 70. So z. B. OLG Bremen, JR 1950, 216; OLG Nürnberg, MDR 1950, 627; OLG Schleswig, NJW 1979, 882. 3

4

3. Abschn.: Das geltende Recht

40

Z!Usammenfassend kann man feststellen, daß die höchst richterlichen UrteileS öfters unterschiedlich sind und keine Hilfe für eine allgemein gültige Lösung des Problems der Auslegung des Unterschlagungstatbestandes bieten können.

5

Weitere Nachweise zu der Rechtsprechung im fünften Abschnitt.

Vierter Abschnitt

Eigene These § 1. Die Klärung methodologischer Vorfragen

als möglicher Wegweiser zur Problemlösung

Die bisherigen Untersuchungen haben ergeben, das sich das Hauptproblem in der Unterschlagungslehre auf die Auslegungsgrenze bezieht und mit der Frage zu tun hat, ob der Unterschlagungstatbestand streng interpretiert werden muß, mit der Folge, daß er nur die Fälle umf~ßt, in welchen der Täter bereits vor der Zueignungshandlung Besitz oder Gewahrsam an der Sache erlangt hat, oder ob die Unterschlagung als das allgemeine Aneignungsdelikt angesehen werden soll, mit der Folge, daß ihr Tatbestand sämtliche Fälle vorsätzlicher rechtswidriger Aneignung umfaßt, ohne daß es überhaupt auf den Besitz oder Gewahrsam des Täters ankommt!. Beide Seiten weisen zur Unterstützung ihrer Ansichten auf Argumente2 hin, die einige PlausibiHtät für sich haben und über den konkreten Tatbestand hinaus Grundlagenprobleme des Strafrechts betreffen. Die Anhänger der berichtigenden Auslegung gründen ihre Theorie auf eine teleologische Interpretation des § 246, die den vom Unterschlagungstatbestand im System der Eigentums- und Vermögensdelikte zu erfüllenden Zweck vor Augen hat. ,Sie gehen davon aus, daß der Unterschlagungstatbestand einen umfassenden und lückenlosen Schutz des Bigentums gegen etwaige Angriffe - mit Ausnahme der Diebs"bahlsfälle - gewähren soll. Dieser "Zweck des Gesetzes", das Eigentum durch den Unterschlagungs"batbestand umfassend und lückenlos zu schützen, ist nach ihrer Meinung aus den Motiven des Gesetzes klar erkennbar; er sei lediglich in einer mißlungenen Art und Weise zum Ausdruck gebracht worden. Die Ergebnisse dieses Gedankenganges sind einfach und klar: Der umstrittene Satz im § 246 "Sache, die er in Besitz oder GeW!ahrsam So die Anhänger der berichtigenden Auslegung. Die verschiedenen Argumente wurden bereits bei der Behandlung der berichtigenden Auslegung (vgl. oben III 4 b u. 5) umfassend dargestellt. !

2

42

4. Abschn.: Eigene These

hat", stellt sich trotz des vom Wortlaut erweckten anderen Anscheins als eine bloße Abgrenzungsformel zum Diebstahl dar; der Anwendung des Unterschlagungstatbestandes in jedem Fall einer vorsätzlichen rechtswidrigen Aneignung einer fremden beweglichen Sache stehen daher keine Hindernisse im Wege. All diese Schlüsse setzen die Richtigkeit der Erwägung voraus, daß der Zweck des Gesetzes der ausschlaggebende Faktor seiner Auslegung sei und daß die Erreichung des Zieles, welches der Zweck einer Norm setzt, die Hauptaufgabe des Gesetzesanwenders sei, selbst wenn dieses Ziel nur unter Mißachtung anderer Auslegungsmethoden und durch eventuellen Verstoß gegen den Wortlaut der Vorschrift erreicht werden kann. Die Anhänger der bel"ichtigenden Auslegung versuchen die Rechtsauslegungstheorien derart zu interpretieren, daß sie einer unbegrenzten Anwendung des Unterschlagungstatbestandes nicht im Wege stehen. Gerade diese "Manipulation" der Auslegungslehren wird der berichtigenden Auslegung als ihr Schwachpunkt vorgeworfen. Es ist deshalb unerläßlich, bevor man sich überhaupt mit dem Kernproblem bschäftigt, d. h. bevor man einen direkten Vergleich zwischen den beiden Auffassungen - der strengen und der berichtigenden Auslegung - zieht, sich zuerst kurz mit der rechtstheoretischen Seite des Problems zu befassen und die berichtigende Auslegung unter dem Gesichtspunkt der verschiedenen Auslegungsmethoden unter die Lupe zu nehmen. Eine solche Prüfung ist keinesfalls leicht, wohl aber unter Berücksichtigung der Problematik sowie der Struktur rechtlicher Normen unbedingt erforderlich. Larenz hat dies einmal (Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S.298) zutreffend formuliert: "Daß die genaue Bedeutung eines Gesetzestextes immer wieder problematisch wird, liegt in erster Linie daran, daß die Umgangssprache, deren sich das Gesetz weithin bedient, anders als eine mathematische Logik und Wissenschaftssprache, keine in ihrem Umfang genau festgelegten Begriffe verwendet, sondern mehr oder minder flexible Ausdrücke, deren mögliche Bedeutung innerhalb einer weiten Bandbreite schwankt und je nach den Umständen, der Sachbezogenheit und dem Zusammenhang der Rede, der Satzstellung und Betonung eines Wortes unterschiedlich sein kann. Selbst wo es sich um einigermaßen fest bestimmte Begriffe handelt, enthalten diese häufig Merkmale, die ihrerseits einer scharfen Begrenzung entbehren." Ziel dieser Prüfung ist es, festzustellen, ob die berichtigende Auslegung überhaupt als eine verfassungsmäßige GesetzeS/auslegung akzeptiert werden kann. Dabei wird ein möglicher Verstoß gegen strafrechtliche Grundsätze - vor allem gegen das Prinzip "nulla poena sine lege" und das darin enthaltene Analogi'everbot - besonders geprüft. Erst wenn unter Berücksichtigung sämtlicher Auslegungsmethoden sowie des Gesetzlichkeitsprinzips die Zulässigkeit der berichtigenden Auslegung er-

§ 2. über die Auslegung der Strafgesetze im allgemeinen

43

wiesen wird, kann man die Fr.age weiter verfolgen, ob sie der strengen Auslegung im Ergebnis vorzuziehen ist. Sollte aber die Zulässigkeit und Verfassungsmäßigkeit der berichtigenden Auslegung verneint werden, dann hat man sich den Vergleich erspart. Dann wird sich nämlich die worttreue Auslegung als die einzige zulässige Interpretionsmethode des § 246 herausstellen und die Aufgabe der vorliegenden Arbeit wird insoweit beschränkt und vereinfacht, als sie die mögliche Lösung des Problems allein noch im Rahmen einer worttreuen Auslegung des Unterschlagungstatbest'andes suchen darf. Die von der berichtigenden Auslegung vorgeschlagenen Problemlösungen hätten in diesem Fall nur de lege ferenda, im Hinblick: auf eine künftige Gesetzesreform, Wert. § 2. über die Auslegung der Strafgesetze im allgemeinen a) Die Auslegungsmethoden

Die Vertiefung in das weite Feld der Hermeneutik bringt - vor allem für denjenigen, der, wie der Verfasser der vorliegenden Arbeit, einen konkreten Tatbestand aus dem Besonderen Teil des Strafrechts als Behandlungsobjekt hat und wegen der Probleme, die bei der Tatbestandsanwendung auftauchen, sich mit dem umfangreichen Gebiet der Auslegungslehre beschäftigen muß - erhebliche Schwierigkeiten! mit sich, nicht zuletzt aufgrund der in Theorie und Praxis herrschenden UnkJ.arheit2. Der Streit um die Auslegung der Strafgesetze reicht bis in die Anfänge der deutschen Strafrechtsgeschichte zurück:. Die Grunde, warum diese Auseinandersetzung nach wie vor so aktuell ist UIl!d sich noch kein Abschluß der Diskussion abzeichnet, sind vielerlei. Hier sind die wichtigsten davon zu nennen: Erstens, wie so oft im Strafrecht3, fehlt es an einer klaren Regelung, d~e die Weichen der Problemlösung gestellt hätte. § 1 StGB, die einzige strafrechtliche Vorschrift, die sich mit der Auslegung befaßt, enthält eine allgemeine - und nicht gänzlich unumstrittene - Regelung, die einer Ergänzung durch theoretische Erwägungen bedarf. Außer der unzureichenden Norm des § 1 StGB gibt es im gesamten Strafrecht keine andere Vorschrift, die entweder die Auslegung der Strafgesetze unmit1 Vgl. dazu Schünemann, Methodologische Prolegomena zur Rechtsfindung im Besonderen Teil des Strafrechts, Bockelmann-Festschr., 1979, 119. 2 über die Unklarheit bei der Rechtsprechung vgl. Zimmermann, GA 1955,

336.

3 Der Umstand, daß große strafrechtliche Probleme eine ihrer Wichtigkeit entsprechend umfangreichen Regelung nicht gefunden haben, ist eine im StGB oft wiederkehrende Erscheinung. Man denke z. B. an den in einem einzigen Paragraphen (§ 13 StGB) geregelten Unterlassungsbegriff, oder an Vorsatz und Fahrlässigkeit (§ 15 StGB).

4. Abschn.: Eigene These

44

telbar betrifft oder zumindest durch einen indirekten Hinweis zu einer Lösung des Auslegungsproblems beiträgt. Der zweite Grund ist in der Vielseitigkeit des Auslegungsproblems zu erblicken. Evident ist seine Berührung mit dem Bereich des Staatsrechts bzw. mit der Verfassungslehre. Der Rech'bsstaatsgedanke, einer der Leitsätze der Verfassung, hat die Auslegungslehre nachhaltig beeinflußt. Auch die Philosophie - und insbesondere die Rechtsphilosophie - wie auch die Logik und die anderen damit verwaI1!dten Wissenschaften iirben einen nicht unerheblichen 'Einfluß auf die Entwicklf\lng und Gestaltung der Auslegungslehre. Gemeint sind hier die philosophischen Bewegungen und Theorien von der Antike über das Mittelalter und die Aufklärung bis zur Gegenwart. ArthuT Kaufmann hat sich einmal die Mühe gemacht" eine lange Liste aufzustellen, die zeigt, wie die verschiedenen philosophischen Theorien ·auf die Rechahermeneutik wirken. Das Ergebnis ist beeindruckend. Jeder philosophische Ansatz, 'unverändert oder durch seine späteren Anhänger entwickelt, kommt bei der Fvage nach der "Natur" des Rechts und nach seiner Auslegung zu Ergebnissen, die sich teils untereinander ähneln, teils aber als grundverschieden erscheinen. Als dritter und m. E. ausschlaggebender Grund ist der folgende zu nennen: Die Entscheidung über die "richtige" Auslegungsmethode setzt ein tiefes Eindringen in die GrundLagen der Strafrechtsdogmatik und der Kriminalpolitik voraus. Gemeint sind hier vor allem Problemkreise wie dIe Strafzwecklehre und die Rechtsgutlehr.e. Jede neue Erkenntnis, jeder neue Diskussinonsbeitrag zu diesen Themen regt auch die AuseinaI1!dersetzung um die Auslegung erneut an. Dies wird im Laufe der vorliegenden Untersuchung näher erläutert. Die vorliegende Arbeit kann freilich nicht das Ziel verfolgen, den Streit dadurch zu beenden, daß sie eine Lösung sämtlicher Auslegungsprobleme erreichen will. Hier sollen vielmehr nur die Fragen behandelt werden, die eine Lösung der Hauptaufgabe dieser Arbeit - der richtigen Auslegung des Unterschlagungstatbestandes - ermöglichen können. Auslegung ist die Sinnermittlung von Rechtisätzen zum Zwecke ihrer Anwendung auf konkrete Sachverhaltes. Grundsätzlich werden in der Rechtsprechung6 wie in der Lehre7 die vier folgenden Auslegungsmethoden unterschieden: 1975, S.340. Dies ist eine der geläufigsten Bezeichnungen der Auslegung in der Lehre; vgl. z. B. Maurach / Zipf AT/I, S. 109. 6 BVerfGE 1, 299 (312) = JZ 1952, 419. 7 Baumann, Strafrecht AT, S.150; Blei, Strafrecht AT, S.26; Bockelmann, 4

S

JZ

§ 2. über die Auslegung der Strafgesetze im allgemeinen

-

die grammatische Auslegung,

-

die historische Auslegung,

-

die teleologische Auslegung,

-

die systematische Auslegung.

45

Während in Theorie und Praxis weitgehende Einigkeif! über die Zahl der Auslegungsmethoden besteht, herrncht hingegen Streit darüber, wie sich die vier Auslegungsmethoden kombinieren lassen, welche den Vorrang haben und welche schließlich für die Bestimmung des Anwendungsbereichs des jeweils ,auswIegenden Straftatbestandes maßgebend sein soll. "Alle Auslegung fängt beim Worte an" (BGHSt 8, 262). Dieser sehr häufig zitierte Satz9 weist uns in übereinstimmung mit der herrschenden Lehre, darauf hin, daß der Ausgangspunkt für die Auslegung eines Tatbestandes sein WortZaut lO ist. Ohne die Zugrundelegung des grammatischen Sinnes des Gesetzestextes kann der Auslegungsprozeß nicht beginnen, der WorHaut ist insoweit für 'den weitel"en Auslegungsablauf maßg~bend.

Dies ist sehr eindeutig und logisch unwiderlegbar. Die Probleme treten jedoch erst ein, wenn man die Frage nach der Möglichkeit und Zulässigkeit der überschreiturng des vom Wortlaut bestimmten Rahmens zugunsten einer besseren Verwirklichung des Gesetzeszwecks sowie etwa bestehender kriminalpolitischen Bedürfnissen stellt. Mit einem Wort: Kann der Vel'such, die ratio legis .optimal zu verwirklichen, eine überschreitung der Wortlautgrenze einer lex 11 rechtfertigen? Die in der Lehre und der Rechtsprechung bisher herrschende Meinung t2 hat diese Möglichkeit verneint, mit der Begründung, daß der

Wortlaut den Anwendungsbereicheines Tatbestandes begrenzt; er bestimmt nämlich den Rahmen, in dem sich die Auslegung der verschiedenen im Tatbestand enthaltenen Begriffe bewegen kann; eine Überschreitung dieser vom Wortlaut gestellten Grenze sei nicht zulässig l3 •

Strafrecht AT, S.19; Engisch, Einführung in das juristische Denken, S.77; Eser, Strafrecht/I, S.22; Geilen, Strafrecht AT, S.16; Haft, Strafrecht AT, S.44; Köhler, Deutsches Strafrecht, S.80; Maurach I Zipf, Strafrecht AT/I, S. 113; Tröndle LK 10. Auf!., Rdnr. 42 - 46 zu § 1; Paulus, S. 129; SK-Rudolphi, Rdnr. 28 - 34 zu § 1; Schmidhäuser, Lehrbuch AT, S.105 f.; Gössel, PetersFestschr., S.41; Schünemann, Klug-Festschr., S. 169; Danckert, S.64. 8

Vgl. z. B. BVerfGE 11, 126 (130).

Maurach / Schroeder ATIl, S. 114; Schönke, MDR 1947, 87; Danckert, S.65; Sch / Sch lEser, Rdnr. 40 zu § 246. 9

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11 12

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Larenz, Methodenlehre der Rechtswissenschaft, S.307. Hier sind natürlich die Strafgesetze gemeint. Vg!. die Nachweise bei V 2 e, f. Sch / Sch / Eser, Rdnr. 26 ff. zu § 1; SK-Rudolphi, Rdnr. 35 zu § 1.

46

4. Abschn.: Eigene These

Eine im Vordringen befindliche Meinung bestreitet dies. Mit Argumenten, die nachstehend erörtert werden, verneint sie die Notwendigkeit, ja sogar die Möglichkeit der Bindung an dem Wortlaut und gibt der teleologischen Auslegung den Vorrang, indem sie ihr die Entscheidung über die Bestimmung der Auslegungsgrenze eines Straftatbestandes einräumt. Dabei beruft sie sich auch auf die Rechtsprechung. So heißt es in einem Beschluß des Gemeinsamen Senats der Obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 15. 3. 1971 14 : "Zwar ist auch gegenüber einen sprachlich unzweideutigen Wortlaut eine Auslegung nach Sinn und Zweck des Gesetzes nicht ausgeschlossen; doch ist bei verfassungsrechtlichen Zuständigkeitsregelungen im Interesse der Rechtssicherheit im besonderen Maße Zurückhaltung geboten, wenn von einem sprachlich klaren Wortlaut abgegangen werden soll ..." Hier wollte ein Verfechter der rein teleologischen Auslegung " ... den prinzipiellen Vorrang des Zwecks ganz klar zum Ausdruck gebracht"15 sehen. Abgesehen davon, daß der zitierte Beschluß sich auf einen verfahrensrechtlichen Fall bezogen hat, läßt sich in dem Beschluß beim besten Willen keine "klare Aussage" in diesem Sinne finden; es läßt sich eher sagen, daß der Beschluß auf die Wichtigkeit des Wortlauts und die Gefahr seiner überschreitung hinweist. Einige Autoren16 gehen noch weiter. Sie behaupten, die teleologische Auslegung sei für die Bestimmung der Anwendbarkeit einer Norm allein ausschlaggebend, da sie den dem Zustandekommen der Vorschrift zugrundelegenden Zweck des Gesetzes verwirkliche. Der histor~schen Auslegung messen sie keinen Wert bei; die grammatische Auslegung betrachten sie als einen bloßen Ausgangspunkt eines rein teleologischen Auslegungsprozesses. Diese kurze Problemdarstellung gibt allerdings nur einen Teil der Auseinandersetzung wieder. Die Entwicklung der letzten Jahre hat nämlich gezeigt, daß sich das Problem der Rechtsfindung im Strafrecht nicht auf den Streit um die Vorrangigkeit der verschiedenen Auslegungsmethoden "innerhalb" des herhömmlichen Rechtsfindungsprozesses beschränkt. Neuere Lehren versuchen vielmehr, die Auseinandel'Setzung "außerhalb" dieses Rechtsfindungsrahmens zu verlagern, indem sie andere Topoi zur Geltung bringen, die auf völlig neue Wege zur Lösung des Auslegungsproblems hinweisen. Die Anhänger solcher Auffassungen schöpfen ihre Argumente aus der Rezeption der modernen sprachanalytischen Philosophie sowie aus dem Gedankengut der onto14 BVerwGE 37, 371 f. 15 Schwalm, Heinitz-Festschr., S.50. 16 Wie z. B. Ecker, JZ 1969,477; Schmidhäuser, Lehrbuch AT, S. 106 u. Studienbuch AT, S.40; vgl. auch Dreher / Tröndle, Rdnr. 10 zu § 1.

§ 2. über die Auslegung der Strafgesetze im allgemeinen

47

logischen Hermeneutik, wobei die zwei hier erwähnten philosophischen Richtungen ihre Angriffe gegen die herkömmliche Rechtsfindungslehre auf völlig verschiedenen Ebenen führen. Die moderne sprachanalytische Philosophie greift den Kern des Auslegungsprozesses, die ihm zugrundeliegeilide (Umgangs)sprache an, die nach ihrer Lehre eine "ontologisch unauflösbare und unbehebbare Vagheit und Porosität"17 aufweist. Dadurch soll dem auf dem Gesetzespositivismus beruhenden traditionellen Wissenschaftsverständnis der Jurisprudenz der Boden entzogen werden . .Die ontologische Hermeneutik hingegen geht grundsätzlich von der Möglichkeit einer tauglichen Hantierung mit der Umgangssprache im Rahmen des Rechtsfintdungsprozesses aus; sie setzt ihre Kritik vielmehr bei der herkömmlichen Unterscheidung zwischen Auslegung und Analogie an, indem sie die Möglichkeit einer Abgrenzung der beiden verneint und die Einheit des Rechtsfindungsvorganges proklamiert l8 • Heide Auffassungen haben der ohnehin stets lebhaften Auseinanderneue Impulse gegeben und sie mit :zrusätzlichen Argumenten bereichert, die bei der hiesigen Erörterung nicht unbeachtet bleiben dürfen.

se~ung

b) Subjektive oder objektive Auslegung? Zugleich stellt sich eine weitere Frage, welche für die Auseinandersetzung von Bedeutung ist: Es geht darum, ob die Gesetze "subjektiv", d. h. nach den Vorstellungen ihres damaligen Schöpfers, des Gesetzgebers l9 , oder "objektiv", d. h. nach den heutigen Erfordernissen und Notwendigkeiten, wie sie der Gesetzesanwender ansieht, ausgelegt werden sollten. Der Anfang der Auseinandersetzung20 liegt in der fernen VergangenheWI. Die Anhänger der "subjektiven Theorie"22 stellen allein auf den Willen des Gesetzgebers ab, ohne die Entwicklung oder auch eventuell vollkommene Änderung der sozialen Lage und der daraus entstehenden Rechtserfordernisse zu berücksichtigen. Gesetz bedeutet für sie den zum Ausdruck gebrachten Willen des Gesetzgebers, der durch die Jahre unverändert und von äußeren Zuständen unbeein17 Vgl. die Nachweise bei Schünemann, Klug-Festschr., S. 170.

Näheres dazu bei IV 2 f. Unter "Gesetzgeber" ist natürlich nicht eine einzige Person zu verstehen, sondern sämtliche an der Gesetzgebung beteiligten Organe. 20 Darüber ausführlich Schroth, Theorie und Praxis subjektiver Auslegung im Strafrecht, 1983, S. 37 ff. 21 Stratenwerth (Germann-Festschr., S.258) weist darauf hin, daß die Anhänger beider Grundpositionen immer wieder die überzeugung aussprachen, ihre Auffassung verdiene nicht zuletzt unter rechtsstaatlichen Gesichtspunkten den Vorzug. 22 Naucke, JZ 1967, 371; Walter, Klug-Festschr., S. 194. 18

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4. Abschn.: Eigene These

flußt gelten soll. Dementsprechend hat die Auslegung " .. .lediglich die Funktion, die Bedeutung zu ermitteln, die der historische Gesetzgeber den Merkmalen eines Tatbestandes gegeben hat" 23 • Wie aber andere Autoren24 bemerken, ist ein derartiges einseitiges Abstellen auf den historisch-psychologischen Willen des Geset~gebers nicht akzeptabel. Denn ... "konsequent durchgeführt müßte es zur Folge haben, daß eine Entwicklung des Gesetzes durch Wissenchaft und Praxis ausgeschlossen ist, daß das Gesetz unfähig ist, auf neue rechtspolitische Fragen, die zur Zeit seiner Entstehung noch nicht bestanden, eine Antwort zu geben, und daß insbesondere der Praxis der höchsten Gerichte verwehrt wäre, eine inhaltliche Fortentwicklung der Gesetzesbegriffe vorzunehmen ...". Das Zitat zeigt deutlich, worauf sich die Anhänger der Gegenmeinung, der "objektiven Theorie", berufen, um die subjektive Theorie als rechtspolitisch untauglich anzuzeigen. Eine rein subjektive Auslegung müßte nämlich ... "in einer Zeit rapider gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Entwicklung zu einer klaren Überforderung des Gesetzgebers führen, da er zu ständigen Korrekturen seiner Kodifikation gezwungen wäre, ein Unterfangen, dem er nicht gewachsen und das im Interesse der Stabilität des Rechts auch nicht wünschenswert wäl'e" 25 • Die Anhänger der objektiven Theorie hingegen betrachten das Gesetz als eine "konstante, in der Rechtsgemeinschaft lebendig wirkende Kraft" 26 • Diese dynamische Betrachtung des Gesetzes veranlaßt sie, das Gesetz von seinen Schöpfern total abzulösen, es objektiv anzusehen, als eine Einheit, die ihre eigenen Ziele setzt und verfolgt, unabhängig davon, WalS der Gesetzgeber bei seinem Erlaß gedacht oder bezweckt hat. Man spricht in diesem Zusammenhang nicht mehr vom Willen des Gesetzgebers, sondern vom" Willen des Gesetzes,m. Mit der Auseinandersetzung zwischen subjektiver und objektiver Theorie hat sich auch das Bundesverfassungsgericht befaßt. In einer Reihe - zum Teil widersprüchlicher - Entscheidungen 28 wurde das Problem eingehend erörtert. Als Ergebnis hat sich eine vermittelnde Ansicht herausgestellt, die eher in die objektive Theorie einzugliedern ist. Sie ist im Urteil des 2. Senats Naucke, JZ 1967, 371. Sch I Sch lEser, Rdnr.45 zu § 1. Sch / Sch lEser, Rdnr.45 zu § 1. Sch / Sch / Eser, Rdnr.45 zu § 1; Schmidhäuser, Lehrbuch AT, S. 104; Siegert, GA 1934, 380. TI Zimmermann, Mehrstufige Rechtsfindung als Verbindung von subjekti23 24 25 26

ver und objektiver Auslegungsmethode, NJW 1954, S. 1629; er bezeichnet ihn, im Anschluß an Eb. Schmid, als den "immanenten Sinn des Gesetzes, der dem Gesetz als einem von seiner psychologischen Entstehungsgrundlage losgelösten in sich selbständigen Geistesprodukt innewohnt, die teleologisch zu ermittelnde ratio legis". 28 Eine übersichtliche Darstellung findet sich bei Müller, Subjektive und objektive Auslegung in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts, JZ 1962, S. 471.

§ 2. über die Auslegung der Strafgesetze im allgemeinen

49

vom 21. 5. 195229 zum ersten Mal formuliert worden: "Maßgebend für die Auslegung einer Gesetzesvorschrift ist der in dieser zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers, so wie er sich aus dem Wortlaut der Gesetzesbestimmung und dem Zusammenhang ergibt, in den diese hineingestellt ist. Nicht entscheidend ist dagegen die subjektive Vorstellung der am Gesetzgebungsverfahren beteiligten Organe oder einzelner ihrer Mitglieder über die Bedeutung der Bestimmung." Man kann sagen, daß sich die objektive Theorie - vor allem in der vom BVerfG vertretenen modifizierten Form - heute durchgesetzt hat. Sie hat auch in der Lehre30 erheblichen Anklang gefunden3!. Wenn man sich jedoch das Problem näher -ansieht, ist leicht zu erkennen, daß be1de Auffassungen zu Extremen neigen, daß keine von beiden absolute Richtigkeit beanspruchen kann32• Vielmehr wird man folgendes sagen müssen: Die objektive Theorie sieht das Gesetz als eine von seinen Verfassern unabhängige Aussage an, die sich den Jeweils zeitgenössischen Erfordernissen ,anpaßt. Man übersieht dabei, daß das Gesetz kein lebendiges Wesen mit eigenem Sinn und Verstand ist, sondern ein zum Ausdruck gebrachter menschlicher Wille, der wiederum von Menschen ausgelegt und angewendet wird33 • Die Feststellung, was die heutige Rechts- und Soziallage erfordert, und die sich daraus ergebende Gesetzesauslegung kann immer nur von Menschen, den Gesetzesanwendern, nach ihren eigenen persönlichen Vorstellungen über die rechtlichen und gesellschaftlichen Zustände vorgenommen werden34 • Das Auslegungsobjekt, das Geset~, bleibt unverändert. Was sich im Laufe der Zeit ändern kann, ist die Meinung der jeweils für die Gesetzesauslegung zuständigen Peffionen über die Bedeutung und den Anwendungszweck bzw. -spielraum der Vorschrift. Jede Gesetzesauslegung, einerlei ob sie von den Verfassern des Gesetzes selbst oder von seinen späteren Anwendern vorgenommen wird, ist in diesem Sinne immer subjektiv. Insofern ist auch eine Auslegung, die das Gesetz nach den heutigen Vorstellungen und Notwendigkeiten ungeachtet ursprünglicher gesetzgeberischer Vorhaben und Zielsetzungen interpretiert, rein subjektiv. Von einer objektiven Gesetzesauslegung kann in diesem Sinne nicht die Rede sein35 • BVerfGE 1,299; vgl. auch BVerfGE 11, 126 (130 f.). Maurach / Zipf AT/l, S.116; Schmidhäuser, Lehrbuch, S.107 u. Studienbuch AT, S.38; Eser, Strafrecht/I, S.123; H. Mayer, Strafrecht AT, S.36; Bockelmann, Strafrecht AT, S.21; Jakobs, Strafrecht, S.63; LK-Tröndle, Rdnr.47 zu § 1; SK-Rudolphi, Rdnr.32 zu § 1. 3! Schroth, S. 58. 32 Oder, um es in den Worten Larenz' (Methodenlehre, S.303) auszudrücken, daß "beiden Theorien eine Teilwahrheit zugrundeliegt" . 33 Larenz, Methodenlehre, S. 303. 34 Zimmermann, S. 1629. 35 Vgl. auch Roxin, Lehrbuch des Strafrechts (unveröffentl. Typoskript) § 5, 8.128. 29 30

4 Charalambakls

4. Abschn.: Eigene These

50

Allerdings ist bei jeder Gesetzesauslegung auch ein objektives Element vorhanden: die jeweils herrschenden sozialen Umstände, die der Schöpfung oder der späteren Gesetzesanwendung zrugrundeliegen. Daraus ergibt sich die Einsicht, daß sowohl die ursprüngliche Gesetzesschöpfung als auch die zeitgenössische Gesetzesauslegung im Grunde subjektiv erfolgen, da sie die individuelle Einschätzung der jeweils zuständigen Person zum Ausdruck bringen; dies geschieht jedoch unter Berücksichtigung objektiver Gegebenheiten, die die jewedligen rechtlichen und geseUschaftlichen Zustände und die damit verbundenen kriminalpolitischen Erfordemisse wiederspiegeln. Einerseits gibt es die "subjektive" Bewertung der zur Zeit des Gesetzeserlasses herrschenden und den Gesetzgeber motivierenden rechtspolitischen Lage, die beim Zustandekommen der Norm Pate gestanden hat36 , andererseits existiert die - ebenfalls "subjektive" - Vorstellung des Gesetzesanwenders über die heutigen sozialen Verhältnisse, die er zum Maßstab für die Gesetzesauslegung nimmt37 . Das Problem kann also keinesfalls "subjektive" oder "objektive" Auslegung heißen, da joede Auslegung unter Berücksichtigung sowohl subjektiver wie auch objektiver Gesichtspunkte erfolgt. Die eigentliche Frage lautet vielmehr: J.st die Auslegung eines Gesetzes im Ablal\.lf der Zeit streng an die Vorstellungen seines ,Schöpfers - vor aUem im Hinblick auf die Bestimmung des Anwendungsbereichs der Vorschrift gebunden, oder darf der Gesetzesanwender, wenn die heutigen Zustände es nach seiner Meinung erfol1dern, -auch andere, vom Gesetzgeber nicht vorgesehene Fälle unter den Tatbestand subsumiel'en?38 Die Antwort soll an diesem Punkt der Untersuchung noch zurückgestellt werden. c) Die "teleologische" Theorie

Damit kehren wir zum Ausgangsproblem zurück. Das "klassische" System der vier Auslegungsmethoden wird, wie gesagt, bestritten. Ursache dafür ist eine im Vordringen befindliche Ansicht, die der teleologischen Auslegung die alleinige oder jedenfalls endgültige Entscheidung über den Umfang des Anwendungsbereichs einer strafrechUichen Norm einräumen will. Die Anhänger einer solchen "teleologischen" Theorie bringen die teleologische Methode mit der Rechtsgutslehre in Zusammenhang. Sie gehen davon aus, daß Aufgabe der Auslegung allein die Ermittlung des der Norm innewohnenden GesetzeSIZweckes ist, der sich in der Regel auf den Schutz des jeweiligen Rechtsgutes beVgl. Krey, Studien zum Gesetzesvorbehalt im Strafrecht, S. 174. 37 So auch Paulus, S. 130. 38 Vgl. auch Zimmermann, NJW 1954, 1630. 36

§ 2. über die Auslegung der Strafgesetze im allgemeinen

51

zieht. Ausgangspunkt dieser Dberlegungen ist die Prämisse, Aufgabe des Strafrechts im allgemeinen sei die Erreichung kiminalpolitischer Ziele; die Straftatbestände dienen lediglich als Werkzeug dazu39 • Anhand dieser beiden Grundgedanken über die Aufgabe des Strafrechts einerseits und über die Ziele der Auslegung andererseits versuchen - und das ist der springeIl!de Punkt der ganzen Problematik die Anhänger40 der teleologischen Theorie, die Dberschreitung der Wortlautgrenze einer Vorschrift und die Erstreckung der Strafbarkeit auf andere, vom "Wortlauttatbestand" nicht umfaßte Fälle zugunsten eines "vollkommenen Schutzes" des jeweiligen Rechtsgutes als kriminalpolitiisch notwendig darzutun; die l'atio legis ist, ihrer Ansicht nach, nicht an den Wortlaut gebunden41 , 42. Gegen den Vorwurf, die Dberschreitung der Wortlautgrenze verletze als verbotene Analogie den Grundsatz "nulla poena sine lege"43, wehren sich die Anhänger der teleologischen Theorie dadurch, daß sie den Wert und die Durchführbarkeit des Gesetzlichkleitsprinzips im modernen Strafrecht bestreiten. Ihre Argumente lassen sich wie folgt zusammenfassen: -

Das Prinzip "nulla poena sine lege" mag zwar auch heute nicht vollkommen bedeutungslos 'sein, es hat aber sehr an Wichtigkeit verloren. Es ist in einer alten Zeit und unter ganz anderen gesellschaftlichen und rechtlichen Voraussetzungen entstanden44 und kann modernen kriminal politischen Erfordernissen nicht mehr gerecht werden.

-

Nicht nur der Grundsatz als solcher hat an Bedeutung verloren, sondern auch die in ihm enthaltenen Einzelverbote sind heute, angesichts neuerer kriminalpolitischer und rechtstheoretischer Erkenntnisse, nicht mehr durchsetzbar. Das gilt insbesondere für das Analogieverbot. Es ist kaum möglich, zwischen Auslegung und Analogie zu unterscheiden, da sich die Grenzen zwischen den beiden logisch nicht einwandfrei ziehen lassen. Schließlich erfolgt jede Gesetzes39

Mezger, Lehrbuch, S.81; Baumann, MDR 1958, S.395.

Vgl. oben IV 2 a, Anm. 15 u. 16. Dieser Ansicht verwandt ist das speziell auf die Eigentumsdelikte bezogene Prinzip des lückenlosen strafrechtlic.'1en Eigentumsschutzes, welches als eines der Hauptargumente von den Anhängern der berichtigenden Auslegung in die Unterschlagungsproblematik hineingebracht wurde. 42 Die Rechtsprechung zeigte hingegen in der Regel Zurückhaltung, wenn es sich um eine überschreitung der Wortlautgrenze handelte; vgl. z. B. RGSt 27, 246; 62, 369 (388); BVerfGE 9, 338 (349); 34, 269 (287). Vgl. aber auch die Rechtsprechungszitate im nächsten Kapitel (d), bei Anm. 64. 43 Art. 103 Abs.2 GG und § 1 StGB. 44 Lemmel, S. 19. 40

41

52

4. Abschn.: Eigene These

auslegung bzw. -anwendung analogisch, da sie auf der Ähnlichkeit des Lebenssachverhaltes mit dem im Gesetzestext beschriebenen Fall beruhts. d) Das Gesetzlichkeitsprinzip und seine Bedeutung

füT die Auslegung deT Strafgesetze

Um da:ml StelLung :ml nehmen, bedarf es zunächst eines Eingehens auf den Grundsatz "nulla poena lege". Man kann keine Darlegung über die Auslegung der Str.afgeeetze46 vornehmen, so kurz und bescheiden sie sein mag, ohne von dem nulla-poena-Grundsatz und dem darin enthaltenen Analogieverbot7 zu sprechen; die Unterscheidung zw.ischen Auslegung und Analogie sowie das auf den Gesetzlichkeitsgrundsatz zurückgeführte Analogieverbot gehören nämlich zu den wichtigen Themen jeder methodologischen Untersuchung im Strafrecht. Der Grundsatz hat seine Wurzel in der Zeit der Aufklärung, in der Lehre vom Sozialvertrag48 und im Postulat der Gewaltenteilung49, seine endgültige Formulierung ist jedoch auf den berühmten Anselm v. FeueTbach!'IJ 2lurückzuführen. Feuerbach war auch der erste, der in seiner Lehre von der "psychologischen Zwangstheorie" die " .. .im Vergleich zum Naturrecht und Gerichtsgebrauch potenzierte generalpräventive 45 Vgl. Z. B. Arth. Kaufmann, Analogie und "Natur der Sache", in Rechtsphilosophie im Wandel, 1972, S.276, zitiert hier nach der selbständigen zweiten Auflage, 1982. 46 Die Auslegung in den anderen Rechtsgebieten erfolgt zum Teil nach anderen Regeln. 47 Unter Analogie ist hier die Auslegung praeter legem zu verstehen; vgl. Krey, Studien, S. 44. 48 Versuche, ältere Wurzeln dieses Prinzips nachzuweisen (Schottlaender, Die geschichtliche Entwicklung des Satzes "nulla poena sine lege", 1911; Hennings, Die Entstehungsgeschichte des Satzes "nulla poena sine lege", 1933) sollen nach einer neueren Ansicht (Geerds, Engisch-Festschr., S.409) als gescheitert angesehen werden. Krey hingegen (Keine Strafe ohne Gesetz, S. 5) meint, eine viel ältere Herkunft des Grundsatzes erkennen zu können. Eine vermittelnde Ansicht vertritt Schreiber (Gesetz und Richter, S. 17). Danach soll zwar der Grundsatz als Ganzes ein Produkt der neueren Geschichte - Aufklärung usw. - sein, die Entwicklung seiner Einzelelemente soll aber bis in das römische Recht zurückreichen. 49 Montesquieu, De l'Esprit des Lais, 1748: "Es gibt ferner keine Freiheit, wenn die richterliche Gewalt nicht von der gesetzgebenden und der vollziehenden getrennt ist. Wäre sie mit der gesetzgebenden Gewalt verbunden, so würde die Macht über Leben und Freiheit der Bürger willkürlich sein; denn der Richter wäre Gesetzgeber ... " Seine stark ausgeprägte rechtsstaatliche Ideologie hat Montesquieu sogar dazu geführt, für die Eliminierung der Richterbefugnisse bei der Auslegung der Gesetze zu plädieren; ihnen dürfte kein Ermessensspielraum überlassen werden: "Les juges ne sont que la bauche qui prononce les paroIes de la lai" (= Die Richter sind nur der Mund, der die Worte des Gesetzes ausspricht). !'IJ Lehrbuch des gemeinen in Deutschland geltenden peinlichen Rechts, 1 Aufl., 1801, S.20.

§ 2. über die Auslegung der Strafgesetze im allgemeinen

53

Wirksamkeit des geschriebenen Gesetzes herausgearbeitet hat und dadurch ,eine konsistente staatsrechtliche und strafrechtliche Bedeutung des nul1a-poena~Satzes gefunden hat"51. Er hat auch dafür gesorgt, daß dieser Grundsatz in einer der seinerzeit vollkommensten strafrechtlichen Kodifikationen, dem Bayerischen Strafgeset2lbuch von 181552 , zum Ausdruck gekommen ist. Feuerbach hat das in der heutigen Literatur sogenannte Gesetzlichkeitsprinzip als eine Einheit dreier parallel existierender Grundsätze verstanden, die er wie folgt formuliert hat53 : 1. Jede Zufügung einer Strafe setzt ein Strafgesetz voraus (nulla

poena sine lege). Denn lediglich die Androhung des Übels durch Gesetz -begründet den Begriff und die rechtliche Möglichkeit einer Strafe. 11. Die Zufügung einer Strafe ist bedingt durch das Dasein der bedrohten Handlung (nulla poena sine crimine). Denn durch das Gesetz ist die angedrohte Strafe an die Tat als rechtlich notwendige Voraussetzung geknüpft. 111. Die gesetzlich bedrohte Tat (die gesetzliche Voraussetzung) ist bedingt durch die gesetzliche StJ."lafe (nullum crimen sine poena legali). Denn durch das Gesetz wird an die bestimmte RechtsverletZl\.lng das übel als eine notwendige rechtliche Folge geknüpft. Der Gedanke des Gesetzesvorbehalts wurde auch vom preußischen StGB von 1851 - dem Vorbild unseres heutigen StGB - übernommen. Im § 2 hieß es: "Kein Verbrechen, kein Vergehen und keine übertretung kann mit einer Strafe bel,egt werden, die nicht gesetzlich bestimmt war, bevor die Handlung begangen wurde." Im Anschluß daran hat das Strafgesetzbuch für das deutsche Reich von 1871 eine Formulierung gefunden, die der des heutigen StGB sehr ähnelt: "Eine Handlung kann nur dann mit Strafe belegt werden, wenn diese Strafe gesetzlich bestimmt war, bevor die Handlung begangen wurde." Schünemann, Nulla poena sine lege?, S. 22. 52 In einer anderen bedeutenden Kodifikation des 19. Jahrhunderts, Napoleons Code Plmal von 1810, war der nulla-poena-Satz ebenfalls enthalten. Art. 4: "Keine übertretung, kein Vergehen und kein Verbrechen kann mit Strafe geahndet werden, die das Gesetz vor ihrer Begehung nicht vorgesehen hätte" (übersetzung zitiert bei Krey, Studien, S. 17). 53 In der 11. Auflage seines bereits erwähnten Lehrbuches aus dem Jahre 1832 (zitiert bei Bohnert, Paul Johann Anselm von Feuerbach und der Bestimmtheitsgrundsatz im Strafrecht, 1982, S.6). 51

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4. Abschn.: Eigene These

Seitdem hat der Grundsatz eine allgemeine Anerkennung gefunden und sich allmählich so durchgesetzt, daß er heute " ... nicht nur in der Verfassung fast aller liberal-demokratischer Staaten, sondern auch in den Grundgesetzen von manchen Ländern, die unter einem totalitären Regime stehen, ausdrücklich enthalten ist"54. Im geltenden deutschen Recht ist der Grundsatz mit identischem Wortlaut in Art. 103 Abs. 2 GG sowie in § 1 StGB kodifiziert worden: "Eine Tat kann nur bestraft werden, wenn die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war, bevor die Tat begangen wurde." Eine ähnliche ForIIlJUlierung sieht Art. 7 Abs. 1 MRK vor55. Schon aus seiner Entstehung56 stammt auch die Entfaltung des Grundsatzes in folgenden vier konkreten Ausprägungen57, 58: 54 Mangakis, über die Wirksamkeit des Satzes nulla poena sine lege, ZStW 81 (1969), S. 997 ff.; Sax, Das strafrechtliche Analogieverbot, S.13; Jescheck, Lehrbuch AT, S.105. Dagegen Schinnerer, ZStW 55 (1936), S. 768 ff., der zu beweisen versucht, daß die Stellung des nulla-poena-Grundsatzes im Bewußtsein der deutschen und internationalen juristischen Fachwelt nicht so unangefochten ist, wie es von vielen behauptet wird. 55 "Niemand kann wegen einer Handlung oder Unterlassung verurteilt werden, die zur Zeit ihrer Begehung nach inländischem oder internationalem Recht nicht strafbar war. Ebenso darf keine höhere Strafe als die im Zeitpunkt der Begehung der strafbaren Handlung angedrohte Strafe verhängt werden." Interessanterweise macht Abs. 2 des Art. 7 MRK eine Ausnahme vom nullapoena-Grundsatz. Danach darf ... "die Verurteilung oder Bestrafung einer Person nicht ausgeschlossen werden, die sich einer Handlung oder Unterlassung schuldig gemacht hat, welche im Zeitpunkt ihrer Begehung nach den allgemeinen von den zivilisierten Völkern anerkannten Rechtsgrundsätzen strafbar war". 56 Zur Geschichte des Gesetzlichkeitsprinzips gibt es ein Schrifttum von nahezu unübersehbarem Umfang. Der Verfasser begnügt sich an dieser Stelle mit dem Hinweis auf einige der ausführlichsten Beiträge: Jimenez de Asua, Nullum crimen nulla poena sine lege, ZStW 63 (1951), S.170 ff.; Maurach / Zipf, Strafrecht ATIl, S. 123 f.; Krey, Keine Strafe ohne Gesetz, 1983; Schottlaender, Die geschichtliche Entwicklung des Satzes nulla poena sine lege, 1911; Schreiber, Gesetz und Richter, 1975; Jescheck, Lehrbuch AT, S.103 ff.; Stratenwerth, Strafrecht AT, S. 41 ff.; Lemmel, Unbestimmte Strafbarkeitsvoraussetzungen im Besonderen Teil des Strafrechts und der Grundsatz nulla poena sine lege, 1970; Bopp, Die Entwicklung des Gesetzesbegriffes im Sinne des Grundrechtes nulla poena, nullum crimen sine lege, Diss. Freiburg, 1966; Elvers, Die Bedeutung des Satzes nulla poena sine lege, 1910; H. Mayer, Das Analogieverbot im gegenwärtigen deutschen Strafrecht, SJZ 1947, S. 12 ff. 57 Sch / Sch / Eser, Rdnr.8 zu § 1; LK-Tröndle, Rdnr.2 zu § 1; Eser, Strafrecht/I, S. 34; Geilen, Strafrecht, S. 11; Haft, Strafrecht AT, S. 35; Krey, Keine Strafe ohne Gesetz, S. 1. 58 Ob sich diese aus dem nulla-poena-Grundsatz abgeleiteten Verbote alle gleichzeitig entwickelt und durchgesetzt haben, ist umstritten. Krey (Keine Strafe ohne Gesetz, S.l) verneint dies. Unumstritten ist jedenfalls ihre intensive wechselseitige Beziehung sowie die Tatsache, daß sie auf einen gemeinsamen Nenner, nämlich das Postulat der Gesetzesherrschaft bzw. der Rechtssicherheit im Strafrecht, zurückzuführen sind.

§ 2. über die Auslegung der Strafgesetze im allgemeinen

55

Analogieverbot zum Nachteil des Ang,eklagten (nulla poena sine lege stricta)59. Verbot der strafbegründenden oder strafschärfenden Anwendung vom Gewohnheitsrecht (nulla poena sine lege scripta). Rückwirkungsverbot zum Nachteil des Angeklagten (nulla poena sine lege praevia). -

Verbot unbestimmter Strafgesetze (nulla poena sine lega certa)60.

Wiie aus dem Wortlaut des Grundsatzes zu ersehen ist, gelten diese Verbote nicht nur im Hinblick auf die 'Strafbarkeitsbegründung (nullum crimen sine lege), sondern auch bezüglich der Strafverhängung (nulla poena sine lege). So stark und unangefochten die Herrschaft dieses Grundsatzes erscheint, wenn man seine hervorgehobene Stellung in den meisten Gesetzbüchern betrachtet, dieses "Bollwerk des Staatsbürgers gegenüber der rücksichtslosen Macht der Mehrheit"61 wird heute paradoxerweise nicht seiner Bedeutung entsprechend respektiert62. Schünemann63 staunt mit Hecht darüber "Ich glaube, daß sich schwerlich eine andere Norm finden läßt, die einerseits in der Normenpyramide unserer Rechtsordnung an so hervorragender Stelle steht, auleine so imponierende Vergangenheit zurückblickt und in dogmatischer Hinsicht einen so scharfkantigen Eindruck macht, kurz gesagt, die -ein so hohes Prestige besitzt und die doch andererseits von der Praxis so häufig mißachtet wird". Diese Diagnose gilt sowohl für einige Tendenzen der RechtsprechungM wie einen Teil der LehrEf5. Die Verletzung des nulla-poena-Satz-es er59

Die hinzugesetzten lateinischen Formulierungen stammen von Feuer-

bach.

60 Von Maurach / Zipf (Strafrecht AT/I, S.105) wird diese vierte Ausprägung als Unterfall des "nulla poena sine lege scripta" angesehen. 61 v. Liszt, Aufsätze und Vorträge, Bd. II, 1905, S.80. 62 Schreiber, Gesetz und Richter Zur geschichtlichen Entwicklung des Satzes nullum crimen nulla poena sine lege, 1975, S. 12. 63 Keine Strafe ohne Gesetz, S.8. 64 Ein typisches Beispiel dafür ist die frühere Rechtsprechung zur Unfallflucht. Sie bestrafte gemäß § 142 StGB a. F. auch denjenigen, der nicht an den Unfallort zurückkehrt, nachdem er sich erlaubterweise oder ohne den Unfall zu bemerken, entfernt hatte (BGHSt 18, 114) und sogar denjenigen Fahrer, der nach entschuldigter Entfernung zum Unfallort zurückkehrt, dort aber der Polizei gegenüber irreführende Angaben macht (BGHSt 14, 213)! Daß in beiden oben genannten Fällen - insbesondere im zweiten - das Verhalten des Fahrers nicht als "Flucht" verstanden werden kann, liegt auf der Hand; in diesem Sinne auch GTÜnwald, ZStW 76 (1964), S.l1; LKTröndle, Rdnr.33 zu § 1. Heute ist der Fall im § 142 Abs. 2 u. 3 n. F. im Sinne der früheren Rechtsprechung geregelt. 65 Richtungsweisend hier die Auffassung Bindings, der im nulla-poena-Satz eine "Tyrranei" gesehen hat und für die Befreiung des Strafrechts von der "unwürdigen Fessel" des Analogieverbots kämpfte; vgl. dazu auch Bindokat,

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4. Abschn.: Eigene These

streckt sich fallweise vort v,erdeckter Mißachtung über geschickte Umgehung bis zur offenkundigen Bezweifelung seiner Erforderlichkeit und seines Wertes überhaupt. Gegen den Grundsatz wird eingewendet, er habe an Bedeutung verloren und stelle nunmehr lediglich eine Art Empfehlung des Gesetzgebers an den Richter dar, die rechtsstaatlichen Prinzipien bei der Gesetzesanwendung zu beachten. Weiterhin wird dem Gesetzlichkeitsgrundsatz vorgeworfen, er sei nicht mehr in der Lage, die ihm ursprünglich zugedachte Funktion in unserer modernen, an neuen kriminalpolitischen Erfordernissen orientierten Strafrechtsordnung zu erfüllen. Nicht nur seine Erforderlichkeit, sondern sogar se~­ ne Durchführbarkeit werden bezweifelf'6. Eine Analyse der heutigen Situation zeigt jedoch, daß die Beibehaltung des Gesetzlichkeitsprinzips genauso notwendig ist wie in der V,ergangenheit. "Möge das Gesetzlichkeitsprinzip wie auch immer in das Reich der Philosophie und den Bereich der Wissenschaft hineinreichen, so sind sein Ursprung und beherrschender Sinn sicherlich im Grunde politischer Natur." Diese Äußerunt7 deutet auf die eine Komponente des Gesetzlichkeitsgrundsatzes, die rechtsstaatliche68 , hin; seine schwerwiegende politische Bedeutung ist nicht zu übersehen69 • "Es gibt kein Rechtsgebiet, dessen Machtmittel weHer reichen als die des Strafrechts . . . . Es ist ,evident, daß die Ausübung derartiger staatlicher Macht einer verfassungsrechtlichen Grundlage bedarf. Sie liegt im Rechtsstaatsprinzip, dem die Merkmale der Rechtssicherheit und der materiellen Gerechtigkeit wesentlich sind"70. Diese Bindung der Staatsgewalt an die im Gesetzestext zum Ausdruck gekommene Entscheidung des Gesetzgebers soll die Freiheit des Staatsbürgers gegen willkürliche obrigkeitliche Eingriffe sichern71 • Teleologie und Analogie im Strafrecht, JZ 1969, S. 541 ff.; Mayer-Ladewig, Der Satz "nulla poena si ne lege" in dogmatischer Sicht, MDR 1962, S. 262; Mittermaier, über Analogie im Strafrecht, SchwZStr, Bd.63, S.403. 66 Stratenwerth, Zum Streit der Auslegungstheorien, Germann-Festschr., S. 260; Naucke, Strafrecht, S. 77. 67 Jimenez de Asua, S. 171. 68 Vgl. dazu die Ansicht Woesners (Generalklausel und Garantiefunktion der Strafgesetze, NJW 1963, 274), der Grundsatz stelle die "vielleicht wesentlichste Verwirklichung des Rechtsstaatsgedankens" im Strafrecht dar; vgl. auch Jakobs, Strafrecht AT, S.52/53; v. Weber, DJZ 1931, 664; BGHSt 18, 136 (140). (fo) Vgl. auch Sax, Das strafrechtliche Analogieverbot, S.14. 70 Maurach I Zipf, Strafrecht AT/I, S.118. 71 Eine derartige rechtsstaatliche Schutz- und Garantiefunktion des Gesetzlichkeitsprinzips soll nach Krey (Keine Strafe ohne Gesetz, S. 5) bereits zur Zeit Hammurabis erkannt und in seiner berühmten Gesetzessammlung - etwa um 1700 vor ehr. - kodifiziert worden sein. Zu der Auseinandersetzung über die Herkunft und die geschichtliche Reichweite des Gesetzlichkeitsprinzips in der Vergangenheit vgl. auch die Literaturnachweise bei Anm. 48.

§ 2. über die Auslegung der Strafgesetze im allgemeinen

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Charakteristisch für die Abneigung, die die totalitären Regime gegen ein gesetzlich gesichertes Willkürverbot bei der Rechtsfindung - wie den nullapoena-Grundsatz - empfinden, sind die Angriffe gegen das Analogieverbot zur Zeit des Nationalsozialismus. Mit Argumenten, wie "das Analogieverbot entspringt einer überschätzung des Einzelnen, dessen doktrinär übertriebener Schutz notwendig zu einer Schwächung des Strafrechts führen mußte" oder "die liberale Staats- und Strafrechtsauffassung hat nicht nur die individuelle Freiheit zu hoch eingeschätzt, sie hat auch in ihrer Sorge um die Rechte des Einzelnen den Richter zu niedrig bewertet"72 hat man versucht, eine Abschaffung des Analogieverbots im Strafrecht zu rechtfertigen. Eine bessere Fürsprache73 für die Notwendigkeit einer freiheits sichernden Regelung im Sinne des Gesetzlichkeitsprinzips könnte man m. E. nicht aufzeigen74 • In den von totalitären Regimen regierten Staaten ist die Erforderlichkeit eines Grundsatzes, der den willkürlichen und unberechenbaren Eingriffen staatlicher Strafgewalt in die Freiheitssphäre des Bürgers Schranken setzt, eine Selbstverständlichkeit. Eine genauso wichtige Rolle hat jedoch das Ges'etzlichkeitsprinzip in unserer liberal-demokratischen Rechtsordnung zu spielen75 • Ohne den nulla-poena-Grundsatz, der die Strafbarkeitserklärung allein dem Gesetzgeber vorbehält, würde die Bestrafung der demokratisch-verfassungsrechtlichen Legitimation entbehren. Es kann nicht geleugnet werden, daß die Bestrafung einen -der schwersten Eingriffe in die Freiheit des Staatsbürgers darstellt. Demzufolge kann nur der unmittelbare Repräsentant des Volkes - das Parlament - die Legitimation besitzen, die Voraussetzungen dieses einschneidenden Eingriffes zu bestimmen. Die Legitimierung staatlicher Strafgewalt durch ein vom zuständigen Verfassungsorgan verabschiedetes Gesetz erweist sich hiermit als eine der wichtigsten Aufgaben de72 Ackennann, Das Analogieverbot im geltenden und zukünftigen Strafrecht, 1934, S.39. 73 Vgl. auch die Kritik von Schönke, MDR 1947,85: "In einem Staat, in dem die richterliche Unabhängigkeit ... nicht respektiert wird, schwächt die Zulassung der Analogie die Stellung des Richters weiter." 74 Eine detaillierte Schilderung der Behandlung des Gesetzlichkeitsprinzips und des Analogieverbots durch den Nationalsozialismus findet sich bei Krey (Keine Strafe ohne Gesetz, S.30), Schreiber (Gesetz und Richter, S. 191 ff.), Bopp (S.135), Bockelmann (Smend-Festschr., S. 34 ff.), Hirsch (JR 1966, S. 334 ff.). Vgl. dazu auch Siegert (GA 1934, S. 376 ff.), der zwar eine strenge Handhabung des nulla-poena-Grundsatzes ablehnt, andererseits aber vor einer totalen übermacht der Richter, die sich an konkrete Rechtsnormen nicht mehr zu halten brauchen, eindringlich warnt, weil er der Meinung ist, nur in einer utopischen Lage könne es Richter geben, die den wahren Willen der Rechtsgemeinschaft - auf die es nach nationalsozialistischer Auffassung bei der Rechtsfindung ankommen soll - fehlerlos interpretieren können (S.377). 75 Selbst Lemmel, der anfangs (S. 79) die Meinung vertritt, der nulla-poenaGrundsatz entbehre im modernen Staat der Brauchbarkeit, da er zu einer Zeit entstanden ist, wo andere soziale Notwendigkeiten herrschten, kommt später (S. 128) doch zum Schluß, die rechtsstaatliche Komponente des Gesetzlichkeitsprinzips stelle ein überzeitliches Motiv dar, welches "nun gerade in unserer Zeit wieder sehr lebendig geworden ist".

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4. Abschn.: Eigene These

mokratischer Rechtsordnungen. Nur unter dieser Voraussetzung kann von den Bürgern verlangt werden, sich der Strafgewalt zu beugen und ggf. eine Strafe als Konsequenz sozialschädlichen Verhaltens zu ertragen, indem man ihnen klarmacht, daß dies auf dem demokratisch gefaßten und im Gesetz festgelegten Entschluß der Gemeinschaft beruht76 • "Jeder Angeklagte pflegt eine richterliche Entscheidung, die nach seiner Auffassung nicht im Strafgesetz wurzelt, in völliger übereinstimmung mit den Theoretikern der Aufklärung als Willkür zu empfinden, und umgekehrt fühlt sich kein human denkender Strafrichter dazu legitimiert, das Leben des vor ihm stehenden Angeklagten zu zerstören, wenn er sich nicht als Vollstrecker des legislatorischen Willens dazu verpflichtet weiß ... Denn gerade weil der Richter nach unserer heutigen Erkenntnis bei der von ihm zu leistenden Normenkonkretisierung einen Entscheidungsspielraum hat, der ihm wegen der semantisch porösen Struktur der vom Gesetzgeber benützten Umgangssprache niemals genommen werden kann, stellt sich die schon von Montesquieu aufgeworfene Frage, wie man die unter Menschen so schreckliche richterliche Gewalt begrenzen und die Zerstörung der bürgerlichen Freiheit durch die Willkür einzelner Amtsträger verhindern könne, um so dringlicher"77. Auch die zweite Komponente des Gesetzlichkeitsprinzips, die rein strafrechtliche, hat im Laufe der Jahre nichts von ihrer Bedeutung eingebüßt, ihre Wichtigkeit nimmt vielmehr zu. In diesem Zusammenhang sind zunächst spezial- und generalpräventive Aspekte zu erwähnen; der Effekt der General- und Spezialprävention würde bei einer Nichtbeachtung des nulla-poena~Grundsatzes erheblich geschwächt, wenn nicht vollkommen beseitigt78 • Der Täter wird es schwer haben, das Unrecht seiner Tat einzusehen, und bei den Bürgern kann sich k>eine rechtstreue Gesinnung entwickeln, wenn ihnen nicht klargemacht wird, welches Verhalten als "rechtstreu" von der Gemeinschaft gebilligt und gefordert wird und welche Taten demgegenüber, weil sie eine Abweichung von diesem rechtstreuen Verhalten darstellen, als Verbr,echen mißbilligt und bestraft werden. "Das Strafrecht wirkt mit seinen Tatbeständen auf die allgemeine überzeugung von Recht und Unrecht ein und bestimmt somit das soziale Handeln der Menschen. Indem es gewisses Tun tabuisiert, trägt das Strafrecht dazu bei, Sitte und Verhalten der Menschen zu bilden. Die Strafe formt und festigt die soziale Wertwelt, prägt neue Werte und enthält alte Werte im Gedächtnis und wird damit zu einem entscheidenden und unentbehrlichen Integrationsfaktor im Vergesellungsprozeß. Denn die Strafe informiert die Bürger über das, was von allen Bürgern als unbedingt notwendig beachtet 76 In diesem Zusammenhang wurde in Abwandlung des Spruches v. Liszts, das Strafgesetzbuch sei die magna charta des Verbrechers - die Ansicht vertreten, daß sich dadurch das Strafgesetzbuch zur magna charta des Bürgers erhebt. 77 Schünemann, Nulla poena sine lege?, S.IO/11. 78 Bopp, S.156/157.

§ 2. über die Auslegung der Strafgesetze im allgemeinen

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werden muß um das Zusammenleben der Menschen gedeihlich zu erhalten79." "Wenn nämlich der Zweck der Strafandrohung in der Abschreckung potentieller Delinquenten liegt, so ist die beabsichtigte psychische Determinierung nur zu erreichen, wenn die verbotene Handlung vor der Tat möglichst exakt im Gesetz festgelegt wird. Fehlt es an einem vorher bestehenden Gesetz oder ist es undeutlich, so kann keine Abschreckungswirkung eintreten, weil niemand weiß, ob sein Verhalten Strafe nach sich ziehen wird oder nicht"so. Diese präventive Begründung des nulla-poena-Grundsatzes wurde jedoch in Zweifel gezogen mit dem Argument, daß nicht den Rechtsnormen, sondern den jeder gesellschaftlichen Ordnung immanenten "Kulturnormen", die unabhängig vom Gesetz existieren, die sozialpädagogische ,Funktion zugesprochen werden soll. Lemme181 verdeutlicht dies mit einem anschaulichen Beispiel: Es sei evident, daß kein Bürger das Gebot "Du darfst nicht stehlen" dem § 242 IStGBentnimmt; daß er nicht stehlen darf, sagt ihm schon sein Gewissen, das durch die Erziehung in unserem Kulturkreis geprägt ist. Diese Ansicht verkennt jedoch den gegenseitigen Einfluß zwischen den Rechtsnormen und den Kulturnormen. Die Kulturnormen stellen keine feste Größe dar; sie kommen erst durch ihre gesetzliche Konkl'et'isierung zur allgemein-verbindlichen Geltung32. Auch die Bestrafung als Rechtsfolg'e bezieht sich immer auf eine verletzte Rechtsnorm (einen Straftatbestand) und nicht auf eine Kulturnorm. Dem Dieb wird nicht vorgeworfen - um beim Beispiel Lemmels zu bleiben - er habe die Kulturnorm "Du darfst nicht stehlen" verletzt; es ist vielmehr der Diebstahlstatbestand - eine Rechtsnorm - die Grundlage, auf der die Ahndung seines Verhaltens basiert. Auch die Abschreckungswirkung, die durch die Bestrafung erreicht werden soll, fundiert auf der Verletzung materiellen Rechts und nicht der Kulturnormen. Nur 'eine die in den Kulturnormen enthaltenen Verhaltensanweisungen (Ge- und Verbote) konkretisierende Rechtsnorm kann die vage Aussage einer Kulturnorm in differenzierender und den aktuellen rechtspolitischen Erfordernissen gerechtwerdender Weise beschr,eiben, so daß den kriminalpolitischen Orientierungen des Gesetzgebers Genüge getan wird. Außerdem bilden sich mitunter erst die Kulturnormen im Anschluß an Rechtsnormen. Dies ist dann der Fall, wenn aus Zweckmäßigk'eitserwägungen eine Reg,elung getroffen wird, deren Notwendigkeit im Bewußtsein der mei79 Peter, Die Sachentziehung im geltenden und zukünftigen Strafrecht, Diss. Münster, 1970, S.67/68. so Roxin, Lehrbuch des Strafrechts (unveröffentl. Typoskript), S. 122; vgl. auch Bapp, S. 154. 81 S.152. 82 Ihre Geltung wird auch oft durch die Angst vor "gesellschaftlichen" Sanktionen erzwungen; dies ist jedoch mit der Intensität eines auf rechtlichen Sanktionen beruhenden Geltungszwangs nicht vergleichbar.

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4. Abschn.: Eigene These

sten Bürger noch nicht fest verankert ist und die damit das Prädikat Kulturnorm noch nicht verdient hat. Hier wird durch die strafrechtliche Ahndung der Normverletzung den Bürgern die neccessitas der Norm aufgezeigt. iEinige Autoren leiten auch aus dem Schuldprinzip eine weitere Rechtfertigung des Gesetzlichkeitsgrundsat~es her. So meint Roxin83 - unter Zugrundelegung der Prämisse, Strafe setze Schuld voraus84 - daß man von Schuld nur dann sprechen kann, wenn der Täter vor seiner Tat wußte oder mindestens Gelegenheit hatte zu erfahren, daß sein Verhalten verboten istes. Di'es aber setzt wiederum voraus, daß die Strafbarkeit gesetzlich bestimmt war86 • Die Rechtfertigung des nulla-poena Satzes durch das Schuldprinzip - ,ein Gedanke, der im ersten Blick einleuchtet - wird sogar von Autoren vorgetragen, die nicht gerade zu den über~eugten Verfechte rn des Gesetzlich:keitsprinzips zählen. So versucht Sa:x;87 einen "modernen Freiheitssinn" des nulla-poena-Satzes aus der Unantastbarkeit der Menschenwürde und der sich daraus ergebenden Eigenverantwortlichkeit des Individuums abzuleiten. Eine Strafe sei nur dann damit vereinbar, wenn sie auf einer "bewußten oder vorwerfbar unbewußten Fehl~mt­ scheidung für das Unrecht" ~Schuld) beruht. Diesem Gedanken hat sich Schreiber88 entschieden widersetzt. Er meint, die Rechtfertigung des nulla-poena-Prinzips sei hauptsächlich wenn auch nicht ausschließlich - aus dem Rechtsstaatsprinzip abzuleiten89• Führe man den nuUa-poena-Satz auf den Umfang zurück, der dem Schuldprinzip entspricht, so würde er nahezu bedeutungslos90 • Denn nicht das Strafrecht, sondern allein die Verbotsnorm bilde den Bezugspunkt des Schuldvorwurfes und diese könne sich "auch aus Sätzen des Bürgerlichen Rechts oder des Gewohnheitsrechtsergeben"91. Die Rückwirkung oder die analoge Anwendung eines Strafgesetzes wären stets dann zulässig, wenn sie ein Verhalten beträfen, das bereits gegen irgendeine rechtliche Norm verstieß92. Lehrbuch des Strafrechts (unveröffentl. Typoskript), S. 122 f. Die im Schrifttum auch in der lateinischen Formulierung "nulla poena sine culpa" vorkommt; vgl. z. B. Schmidhäuser, Lehrbuch AT, S.108. 8S Dieser Grundsatz ist auch im Gesetz verankert; gemäß § 17 StGB bleibt der Täter beim unvermeidbaren Verbotsirrtum unbestraft. 86 Im ähnlichen Sinne auch GTÜnwald, S.l11. 87 Grundsätze der Strafrechtspflege, S. 998 f. 88 Gesetz und Richter, S. 210 f. 89 S. 213 ff. 90 S.211. 91 S.211. 92 S.212. 83

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Richtig dürfte allerdings eine vermittelnde Ansicht sein: Die Rechtfertigung des Gesetzlichkeitsprinzips kann zwar nicht ausschließlich93 aus dem Schuldprinzip hergeleitet werden; sIe beruht aber auch nicht nur auf rein staatsrechtlichen Erwägungen. Das Schuldprinzip liefert vielmehr neben dem Rechtsstaatsprinzip - und als Ergänzung dazu ein zusätzliches Argument für die Rechtfertigung der gesetzlichen Straf.e. Man kann nämlich von keinem Menschen verlangen, daß er ein strafvechtliches Ver- oder Gebot beachtet, wenn ,er zur Zeit der Tat weder in der Lage war noch sein konnte, den verletzten '!Iatbestand in Betracht zu ziehen, wenn keine Nichtbeachtung einer erkennbaren Strafandrohung94 vorliegt. Man spricht in diesem Zusammenhang von der Berechenbarkeit des Gesetzes bzw. der Voraussehbarkeit der Deliktsfolgen. !Diese Auffassung wird wiederum öfters bekämpft, mit dem Ziel, die Undurchführbarkeit bzw. Unbrauchbarkeit des Gesetzlichkeitsprinzips zu beweisen. Repräsentativ dafür sind die Auffassungen von Waiblinger95 und GTÜnwalcfX': Ein Laie könne sich normalerweise, selbst wenn er alle Strafvorschriften gelesen habe, in dem gewaltigen Gebäude des heutigen Strafrechts gar nicht zuverlässig orientieren und beurteilen, welche Strafe er für welches Verhalten zu erwarten habe. Der raffinierte V,erbrecher aber, der im Bewußtsein der Unerlaubtheit seines Handelns darauf vertraut habe, sein Ziel erreichen zu können, ohne nach dem ihm bekannten Wortlaut des Strafgesetzes belangt zu werden, verdiene keinen Schutz. Somit stellt sich dieser Auffassung nach die Frage, ob es überhaupt sinnvoll und vertretbar erscheint, das Vertrauen eines Straftäters - sogar über die Schuldvoraussetzungen hinaus - zu schützen. Auch Lemmel97 hat sich dieser Kritik angeschlossen. Schreiber widersetzt sich dieser Kritik, indem er zwischen "individueller" und "genereller" Vorhersehbarkeit unterscheidet: "Selbst wenn eine restlose Vorhersehbarkeit aller Rechtsfolgen für den Einzelnen nicht zu verwirklichen und eine vorhandene Unkenntnis durchaus 93 Wie Sax, Grundsätze der Strafrechtspflege, S.998 für die heutige Zeit meint. 94 " ••• Und bezüglich der Strafverfolgung folgt aus der damit bezweckten Normbekräftigung, daß eine vor der Tat erkennbare Strafandrohung nicht beachtet worden sein muß; denn nur dann ist eine durch das Strafrecht begründete normative Erwartung enttäuscht worden, zu dessen Stabilisierung pro futuro eine systemkongruente Sanktion erforderlich ist" (Schünemann, Nulla poena sine lege?, S. 14). 95 Die Bedeutung des Grundsatzes nullum crimen sine lege für die Anwendung und Fortentwicklung des schweizerischen Strafrechts, in: Rechtsprobleme im Schweizerischen Strafrecht, 1955, S. 212 ff. 96 Bedeutung und Begründung des Satzes nulla poena sine lege, ZStW 76 (1964), S. 11 ff. 97 S. 78 ff.

4. Abschn.: Eigene These

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nicht immer schutzwürdig ist, bleibt die Berechenbarkeit und vorherige Meßbarkeit des Strafrechts doch ein wesentliches rechtsstaatliches Postulat. Nur muß der Vertrauensgedanke mehr objektiv ge faßt werden im Sinne einer durchgängigen Festlegung des Rechts, die es von wechselnder Willkür abhebt und damit einen Zustand schafft, in dem man das Vertrauen haben kann, nicht mit willkürlichen Strafvorschriften überzogen zu werden"98. Es soll hier auf die "generelle" Vorhersehbarkeit ankommen, auf die "Bindung der Strarbefugnis an ein naturrechtlich verstandenes positives Gesetz", was auch den "Kern des nulla-poena-Prinzips bildet"99. Der Gedan~e Schreibers verdient im allgemeinen Zustimmung. Allerdings ist ergänzend hinzuzufügen, daß es auch mit der "individuellen" Vorhersehbarkeit nicht so schlecht bestellt ist ,wie man vielleicht meinen könnte. Zwar ist 'eine genaue Vorausberechnung der strafrechtlichen Folgen durch den Laien in der Regel nicht möglich. Aber, abgesehen von der ihm offenstehenden Möglichkeit, sich mit Hilfe von Sachverständigen - vor allem eines Anwalts - zu orientieren, tragen heutzutage auch die Massenmedien (durch Berichte über Gerichtsverhandlungen, durch an den Laien adressierte Fernsehsendungen, durch Zitieren von allgemein interessanten Gerichtsentscheidungen oder Gesetzesentwürfen) dazu bei, daß jedermann sein (straf)rechtliches Wissen beträchtlich erweitern kann. Die - im allgemeinen begrüßenswerte - Auffassung Schl'eibers ist also dahingehend zu korrigieren, daß man sowohl auf die "generelle" wie auch auf die "individuelle" Vorhersehbarkeit als Komponenten des nulla-poena~Grundsatzes abzustellen hat. e) Das strafrechtliche Analogieverbot Damit sollte die Wichtigkeit und Notwendigkeit des Gesetzlichkeitsprinzips im allgemeinen außer Zweifel stehen. Es bleibt nur übrig, die Durchführbarkeit der im nulla-poena~Satz enthaltenen Einzelverbote zu prüfen, um den Gegnern jeglichen Gesetzesvorbehalts im Strafrecht eine Antwort geben zu können; dabei wird die Untersuchung im R'ahmen der vorliegenden Arbeit sich auf das - für die hier behandelte Problematik - wichtigste Einzelverbot, das Analogieverbot, konzentrieren, während die anderen Verbote nur am Rande erwähnt werden!oo. Es kann nicht geleugnet werden, daß zur Zeit der 'Entstehung und anfänglichen Entwicklung des nulla-poena-SatZles die Ansicht herrschte, die konkrete Rechtsanwendung könne in einem streng logisch-schemati98 99

Schreiber, S. 215.

S.217.

!OO Für die Prüfung der Durchführbarkeit der übrigen drei Verbote verweise ich auf die bereits erwähnte Arbeit Schünemanns, Nulla poena si ne lege?, S. 23 ff.

§ 2. über die Auslegung der Strafgesetze im allgemeinen

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schen Verfahren aus dem Gesetz abgeleitet werden lOl . Es ist ebenso unstrittig, daß die neueren Erkenntnisse über den Rechtsfindungsvorgang und die daraus abgeleiteten modernen Methodenlehren eine derartig vereinfachte Auffassung nicht mehr zulassen. Vielmehr wird heute unter "Rechtsfindung" ein viel komplizierterer Vorgang verstanden, bei dem mehrere 'Faktol'en - auch solche, die sich außerhalb des Rechts befinden - eine Rolle spielen. Aus der Vielfalt der mit der Auslegung von Strafgesetzen zusammenhängenden Probleme wird hier eines hervorgehoben: die Abgr:enzung zwischen Auslegung und Analogie. Die Gegner -eines Gesetzesvorbehalts - }edenfalls im herkömmlichen Sinne - im Strafrecht bringen die Unmöglichkeit einer hbgrenzung zwischen Auslegung und Analogie als eines ihrer Hauptargumente vor; sie behaupten, eine begriffliche Trennung der beiden stütze sich auf überholte Ansichten über den Rechtsfindungsvorgang, sie lasse sich in Wirklichkeit nicht vollziehen. Eine solche Abgrenzung ist joedoch, dies darf man vorwegnehmend sagen, ohne weiteres möglichl l02 Die Grenze zwischen Auslegung - vor allem extenshner Auslegung - und Analogie bildet die sog. "weiteste Wortlautgl'enze" der in Frage kommenden Vorschrift l03 . Dabei wird nicht nur die bereits auf den ersten Blick ersichtliche Begriffsbedeutung (Begriffskern) in Betracht gezogen, sondern auch jede mögliche Sinndeutung, die grammatisch und logisch dem Begriff zugeschrieben werden kann (Begriffshof)I04. KreylOS beschreibt die Bildung dieser Wortlautgrenze folgendermaßen: "Es gibt Fälle, die vom Wortsinn eines Begriffes (unter Berücksichtigung von dessen Zusammenspiel mit den anderen in der fraglichen gesetzlichen Regelung verwendeten Begriffe) klar erfaßt werden (Begriffskern). Den Gegensatz zu den vom Begriffskern abgedeckten Fällen bilden diejenigen, die vom Wortsinn des Gesetzes nicht mehr erfaßt werden, die also sprachlich beim besten Willen nicht mehr dem fraglichen Begriff zugeordnet werden können. 101 Schreiber, S. 221. 102 Wenn auch öfters schwierig; LK-Tröndle, Rdnr.31 zu § 1; Dreher / Tröndle, Rdnr.l0 zu § 1; Lackner, Rdnr. 1 c zu § 1; Eser, Strafrecht/I, S.42; Geilen, Strafrecht, S.15; Larenz, Methodenlehre, S.309. 103 "Möglichen Wortsinn" nennt sie Schwalm (S.58) und bezeichnet sie als "den Spielraum, den der Wortlaut nach allgemeinem und fachlichem Sprachgebrauch läßt"; vgl. auch Krey, Keine Strafe ohne Gesetz, S.48 und Studien, S.247; Eser, Strafrecht/I, S.42; Geilen, Strafrecht, S. 15; Larenz, Methodenlehre, S.309; Sch / Sch / Eser, Rdnr.40 zu § 1; Schwinge, Teleologische Begriffsbildung im Strafrecht, S.48. 104 Schünemann, Nulla poena sine lege, S. 19 f. und Klug-Festschr., S.177; Krey, Studien, S. 47 und 156. 105 Studien, S. 46 f.

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4. Abschn.: Eigene These

Zwischen dem Begriffskern und dem vom fraglichen Rechtsbegriff sprachlich keinesfalls mehr abgedeckten Bereich liegt der Begriffshof: er umfaßt alle Fälle, bei denen der mögliche Wortsinn des Gesetzes ihre Subsumtion nicht fordert, aber ihr auch nicht entgegensteht."

Die weiteste Wortlautgrenze trennt also die Bereiche der Auslegung und der Analogie. Die Rechtsfindung, die innerhalb der Wortlautgrenze stattfindet, ist zulässige Auslegung; eine diese Grenze überschreitende Sinndeutung ist verbotene Analogie lO6 • Bei der ausdehnenden Auslegung handelt es sich um die Erstreckung der Strafbarkeit auf einen Fall, der bisher nicht unter den entsprechenden Tatbestand subsumiert wurde, obwohl nach dem Schutzzweck des jeweiligen Rechtsgutes ein solches Bedürfnis bestand; sie ist zulässig unter der unbedingten Voraussetzung, daß der Sachverhalt sich innerhalb des vom Wortlaut bestimmten Anwendungsbereichs der Vorschrift befindet und deshalb noch zum Tatbestand gehört lO7 • Dies ist bei der Analogie nicht der Fall. Dort wird die Strafbarkeit auf einen Fall erstreckt, der sich nicht innerhalb der weitesten Wortlautgrenz'e befindet, bei welchem aber eine gewisse Ähnlichkeit mit den vom Tatbestand umfaßten Fällen besteht, was die Handlungsmodalitäten, die Rechtsgutsverletzung und die sonstigen Umstände betrifft. Diese vereinfacht formulierte Unterscheidung zwischen (extensiver) Auslegung und Analogie bedarf freilich der weiteren Klärung; dies wird im folgenden geschehen. f) Argumente gegen das Analogieverbot

Es gibt eine nicht zu übersehende Reihe von Autoren, die di'e Durchführbarkeit eines AnalogieV'erbots im Strafrecht bestreiten; eine kurze Zusammenfassung ihrer Argumentation ,erscheint an dieser Stelle unerläßlich. Dabei kann natürlich nicht auf alle Meinungen, die sich gegen das Analogieverbot ausgesprochen haben, eingegangen werden; der V'erfasser ist angesichts des engen Rahmens der vorliegenden Arbeit gezwungen, sich auf diejenigen Auffassungen zu beschränken, die für die Auseinandersetzung repräsentativ sind. aal Sax Sax hält das Kriterium des "möglichen Wortsinnes" für untauglich, die Grenzen des Auslegungsverfahrens zu bestimmenlOS. Ferner glaubt er, im Falle der sog. "offenen" oder" wertausfüllungsbedürftigen" Tatbestandsmerkmale ein Versagen des strafrechtlichen Analogieverbots feststellen zu können, welches die Undurchführbarkeit einer Trennung 106

107

lOS

Danckert, S. 107. Vgl. Schmidhäuser, Die Sache der Justiz, S.53. Sax, Das strafrechtliche Analogieverbot, S.81.

§ 2. über die Auslegung der Strafgesetze im allgemeinen

zwischen Auslegung und Analogie herrschenden Lehre - beweise J09 •

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zumindest im Sinne der heute

Nach seiner Meinung bleibt angesichts "der Ungeeignetheit des Gesetzeswortlauts, der Auslegung eine formal greifbare Grenze zu setzen, nur die Möglichkeit, daß sich auf methodologischer Ebene, aus der Struktur der Aus}egung selbst, Grenzgesichtspunkte gewinnen lassen"lIo. Die Analogie bezeichnet Sax als "ein Schluß verfahren zwischen einer durch positiven Satz geregelten Größe und einer ihr logisch einwandfrei nebengeordneten nicht geregelten Größe, in dem aus der Einfügbarkeit beider in die im Rechtssatz verkörperte gesetzliche Zweckrichtung zulässigerweise auf ihre Gleichbehandlung in der Rechtsfolge geschlossen wird"111. Dieses Auslegungsverfahren soll nach Sax 112 auch mit dem Gesetzlichkeitsprinzip 113 vereinbar sein, da der Sinn des Art. 103 Abs. 2 GG darin zu erblicken sei, " ... daß die Strafbarkeit für jede Tat vorher bestimmt ist, die dem gesetzlich geregelten Lebensvorgang entweder entspricht oder im Wege einer sinnerforschenden Auslegung der Subsumtionsnorm, unbeachtet einer überschreitung von deren äußeren Wortlautgrenzen, als wesensgleich zur Seite gestellt werden kann". Nur eine solche Bestimmung des Auslegungsrahmens soll der "ursprünglich gesetzgeberischen Intention" zugrundegelegen haben können, die darauf gerichtet war, die Abgrenzung von Gesetzesauslegung gegenüber richterlicher Willkür zu ermöglichenll4 • bb) Arth. Kaufmann Arth. Kaufmann versucht zu beweisen, daß die Analogie als ein grundlegender Denkprozeß im Leben und in der Rechtspraxis ein unverzichtbares Element jeder juristischen Schlußfolgerung ist. "Denn wenn man sagt, die Auslegung reiche bis zum möglichen Wortsinn, so ist man ja bereits mitten in der Analogie, weil dieser mögliche Wortsinn weder ein Univokes noch ein Äquivokes und also nur ein Analoges sein kann"l15. Was man in der Jurisprudenz "Analogie" nennt, unterscheidet sich nach Arth. Kaufmann von der normalen Rechtsfindung "... nur durch die logische Struktur des Verfahrens", da auch die gewöhnliche Subsumtion Analogie sei. "Man könnte Subsumtion und Ana109 110 111

112

113 114 115

S.89.

Sax, S.82; vgl. auch Bindokat, S.541. S.148. S.93. Das er freilich vom Analogieverbot befreit versteht. Sax, S. 93. Arth. Kaufmann, Analogie und "Natur der Sache", S.4/5.

5 Charalambakis

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4. Abschn.: Eigene These

logie nur dann voneinander logisch scheiden, wenn 'es eine logische Gren2Je zwischen Gleichheit und Ähnlichkeit gäbe. Aber diese Grenze gibt es nicht, denn materielle Gleichheit ist immer nur Ähnlichkeit und formale Gleichheit kommt in der Wirklichkeit nicht vor, sie ,existiert' nur im Bereich mathematischer (logistischer) Zahlen und Zeichen"1I6. Jede Rechtsfindung stellt also nach Arth. Kaufmann ein analogisches Schlußverfahren dar; ein Verbot der Analogie im Strafrecht habe demzufolge keinen Sinn. ce) Stellungnahme zu den Thesen von Sax und Arth. Kaufmann Den Ausführungen von Sax und Arth. Kaufmann kann jedoch nicht zugestimmt werden. Die Behauptung, jede Gesetzesauslegung erfolge auf der Grundlage eines analogismen Denkens, ist in der Tat logisch schwer widerlegbar. Man könnte sogar den oben genannten Autoren einräumen, daß de'r Subsumtion eines konkreten Falles unter einen Deliktstatbestand stets ein Ähnlichkeitsschluß zugrundeliegt. Dieses Argument, das bisher als das wesentliche beim Beweis der Undurchführbarkeit eines Analogi'everbots im Strafrecht gilt, entpuppt sich jedoch als ein bloßes "Wortspiel", als eine Frage der "Etikettierung". Es hindert uns nämUch keineswegs daran, die Wortlautgrenze als den Scheidepunkt zwischen extensiver Auslegung und Analogie l17 beizubehalten. Statt der herkömmlichen Termini ("extensive Auslegung" - "Analogie") würde man in diesem Fall eine Differenziierung zwischen "zulässiger", d. h. innerhalb der Wortlautgrenze liegender, und "unzulässiger" d. h. sich außerhalb der Wortlautgrenze bewegender, Analogie treffen1l8 • Dadurch bestätigt sich im Ergebnis die von uns bereits1l9 getroffene Unterscheidung zwischen "Tatbestandszugehörigkeit", d. h. um den Thesen von Sax und Arth. Kaufmann Rechnung zu tragen, Fällen, die den im Tatbestand beschriebenen ähnlich sind und - hier liegt eben der bedeutende Unterschied - sich innerhalb des vom möglichen Wort116 Arth. Kaufmann, S.40; vgl. auch Schroth, Theorie und Praxis subjektiver Auslegung im Strafrecht, S. 107 und Hassemer, Tatbestand und Typus, S. 132 ff. m Im gebräuchlichen Sinne. 118 "Die Wortlautgrenze bezeichnet keine Differenz in der logischen Struktur des Rechtsfindungsvorganges, sondern findet ihre Rechtfertigung in davon unabhängigen staats- und strafrechtlichen Prämissen" (Roxin, Lehrbuch/ Typoskript, S.131). Vgl. auch H. Mayer (SJZ 1947, 12), der den Unterschied zwischen Auslegung und Analogie "nicht in einer begrifflichen Beziehung zum Rechtsinhalt" , sondern "in der verschiedenen Beziehung zum realen Willen des historischen Gesetzgebers und zum sprachlichen Ausdruck dieses Willens" sieht. Im ähnlichen Sinne auch Schünemann, S.20. 119 Vgl. oben IV 2 e.

§ 2. über die Auslegung der Strafgesetze im allgemeinen

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sinn bestimmten Anwendrungsbereichs der Vorschrift befinden, und "Tatbestandsähnlichkeit", d. h. Fällen, die zwar zu den im Tatbestand beschriebenen eine gewisse Ähnlichkeit aufweisen, sich jedoch außerhalb der Wortlautgrenze befinden. Die Tatsache, daß jeder Rechtsfindung ein analogisches Schlußverfahren zugrundeliegt, rechtfertigt demzufolge einen Verzicht auf das strafr'echtliche Analogieverbot nicht, da man nach wie vor zwischen Rechtsfindung - einerlei ob "analogischer" oder nicht - innerhalb der weitesten Wortlautgrenze und solcher außerhalb der Wortlautgrenze unterscheiden kann. Dadurch reduziert sich der ganze Streit auf ein unerhebliches terminologisches Problem. In diesem Sinne verst'ehen sich auch die meisten Definitionen der Analogie in der Lehre. Als gemeinsamer Nenner ergibt sich die Erkenntnis, daß die Analogie sich außerhalb des Anwendungsber,eichs des Tatbestandes befindet, vom Wortlaut nicht mehr gedeckt wird. Einige Beispiele: Otto l20 : ,,100 Strafrecht setzt das sog. Analogieverbot der extensiven Auslegung aber dort eine Grenze, wo der im Tatbestand erfaBte Unrechtstypus auf einen anderen, ähnlichen Sachverhalt angewendet wird." Schmidhäuserl21 : "Analogie ist ... die Anwendung des Gesetzes auf einen Fall, der vom Tatbestand des Gesetzes nicht erfaßt wird, der aber aus Gründen überwiegend ähnlicher Sachstruktur dieser gesetzlichen Regelung unterworfen werden könnte." Roxin l22 : "Analogie ist die übertragung einer rechtlichen Regel auf einen im Gesetz nicht geregelten anderen Fall im Wege eines Ähnlichkeitsschlusses."

Dreher / Tröndle l23 : "Analogie ist die Anwendung eines Rechtssatzes auf einen von ihm nicht erfaBten Sachverhalt, der dem von ihm erfaßten rechts ähnlich ist" 124. Lackner l25 : "Analogie ist die übertragung eines einem Tatbestand (Gesetzesanalogie) oder einer Mehrheit untereinander ähnlicher Tatbestände (Rechtsanalogie) zugrundeliegenden Rechtssatzes auf einen vom Gesetz nicht geregelten ähnlichen Fall"126. H. Mayer127 : "Analogie liegt ... dann vor, wenn der Wortlaut die fraglichen Fälle überhaupt nicht mehr deckt, selbst wenn sich von den Zweck- und Wertvorstellungen des Gesetzgebers aus ein Grund für die enge Formulierung des Textes nicht angeben läßt." 120 121 122 123 124 125 126

Die Struktur des strafrechtlichen Vermögensschutzes, S. 19. Lehrbuch AT, S. 110. Lehrbuch/Typoskript, S. 113. Rdnr. 10 zu § 1. Ähnlich auch LK-Rudolphi, Rdnr.22 zu § 1. Rdnr.l d zu § 1. Ähnlich auch: Sch / Sch / Eser, Rdnr.26 zu § 1; Eser, Strafrecht/I, S.43; Haft, Strafrecht AT, S.36. 127 SJZ 1947, 18.

4. Abschn.: Eigene These

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Schröderl28 : "Analogie ist ... die übertragung eines Rechtssatzes auf Fälle, die zwar vom Wortlaut des Tatbestandes nicht erfaßt sind, aber dem Grundgedanken des Gesetzes nach hätten erfaßt werden sollen." Schönkel29 : "Die Auslegung bleibt innerhalb des durch den gesetzlichen Tatbestand gezogenen Rahmens; die Analogie dehnt dagegen die gesetzlichen Vorschriften über ihren Rahmen hinaus auf einen vom Gesetz nicht geregelten Fall aus." Danckert 130 : "Beim Analogieschluß werden ungleiche Sachverhalte gleich behandelt, als gleichwertig angesehen." Es steht also fest: die analogische Anwendung sprengt den Rahmen, der vom Gesetzeswortlaut bestimmt ist; es handelt sich dabei um eine Erstreckung der Tatbestandsanwendung auf Sachverhalte, die zu den vom Wortlaut der Vorschrift erfaßten eine bestimmte Ähnlichkeit aufweisen. Eine Auslegung, die außerhalb der weitesten Wortlautgrenze ansetzt, ist als unzulässige Analogie zu verwerfen. Auch das Argument, die "wertausfüllungsbedürftig,en" Tatbestandsmerkmale - die häuf.ig in den strafrechtlichen Tatbeständen zu finden sind - steUeneine Umgehung des Analog1everbots und zugleich einen Beweis seiner Undurchführbarkeit dar l3l , hat keine Durchschlagskraft. Bei den "wertausfüllungsbedürftigen" Tatbestanclsmerkmalen hat der Gesetzgeber selbst die Befugnis ihrer Auslegung und (eventuell auch analogischen) Inhaltsbestimmung dem Richter überlassen l32 • Ein solches Verfahren wurde auch vom Bundesverfassungsgel"icht133 als verfassungskonform angesehen: "Allerdings kann das Strafrecht nicht völlig darauf verzichten, allgemeine Begriffe zu verwenden, die nicht eindeutig allgemein-gültig umschrieben werden können und die im besonderen Maße der Auslegung durch den Richter bedürfen." ,Die Anwendung solcher off.enen Begriffe ist, wegen der Mehrdeutigkeit der Lebensverhältnisse und der Unmöglichkeit ihrer genaueren Vorausberec1mung und -:bestimmung, schlechterdings unerläßlich l34 • Der Bestimmtheitsgrundsatz und das Analogieverbot werden durch ihre Existenz nicht v,erletzt l35 , da es sich um eine vom Gesetzgeber dem Richter gewollt überlassene Rechtsfortbildung handelt. Der "mögliche Wortsinn", die "weiteste Wortlautgren21e" hat jedoch auch im Falle eines offenen Tatbestandsmerkmales Gültigkeit; an sie ist die Auslegung gebunden. 128 129 130 131

132 133 134 135

Gesetz und Richter im Strafrecht, S.17.

MDR 1947, 88.

S.14. Vgl. Sax, S.89; Arth. Kaufmann, S. 26 ff. Schröder, Gesetz und Richter im Strafrecht, S. 15. BVerfGE 11, 234 (237). v. Weber, DJZ 1931, 668. Geerds, Zur Problematik der strafrechtlichen Deliktstypen, 416.

§

2. über die Auslegung der Strafgesetze im allgemeinen

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Die überschreitung der Wortlautgrenze, des "möglichen Wortsinnes", entspricht - entgegen der Auffassung Sax'sl36 - keinesfalls der "ursprünglichen gesetzgeberischen Intention". Es läßt sich nirgendwo entnehmen, daß der Sinn des Art. 103 Abs. 2 GG bzw. § 1 StGB in einer bloßen Absteckung des "Gesetzes rahmens" und der "Richtung" für eine "mögliche Sinndeutung" zu 'erblicken ist137 • Allerdings sehen auch die Kritiker des Analogieverbots die Notwendigkeit ein, der Auslegung der Strafgesetze Grenzen zu setzen. Arth. Kaufmann räumt selber ein, der Analogieschluß führe immer nur zu einem problematischen Urteil und könne daher keine gesicherten Ergebnisse Hefern138 und weiterhin: "Vor einer gesetzesfreien R