Der befangene Staatsanwalt: Ausschluß und Ablehnung de lege lata und de lege ferenda, sowie Rechtsfolgen der Mitwirkung des disqualifizierten Staatsanwalts im Strafverfahren [1 ed.] 9783428453535, 9783428053537

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Der befangene Staatsanwalt: Ausschluß und Ablehnung de lege lata und de lege ferenda, sowie Rechtsfolgen der Mitwirkung des disqualifizierten Staatsanwalts im Strafverfahren [1 ed.]
 9783428453535, 9783428053537

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MARTIN SCHAIRER

Der befangene Staatsanwalt

Schriften zum Strafrecht

Band 51

Der befangene Staatsanwalt Ausschlu6 und Ablehnung de lege lata und de lege ferenda, sowie Rechtsfolgen der Mitwirkung des disqualifizierten Staatsanwalts im Strafverfahren

Von

Dr. Martin Schairer

DUNCKER &

HUMBLOT / BERLIN

CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Schairer, Martin: Der befangene Staatsanwalt : Ausschluss u. Ablehnung de lege lata u. de lege ferenda, sowie Rechtsfolgen d. Mitw. d. disqualifizierten Staatsanwalts im Strafverfahren / von Martin Schairer. - Berlin : Duncker und Humblot, 1983. (Schriften zum Strafrecht ; Bd. 51) ISBN 3-428-05353-2 NE:GT

D 21 Alle Rechte vorbehalten © 1983 Duncker & Humblot, BerUn 41 Gedruckt 1983 bei Buchdruckerei Bruno Luck, Berlin 65 Printed in Germany ISBN 3 428 05353 2

Vorwort Das Problem des befangenen Staatsanwalts ist nicht neu. In den letzten Jahren haben sich Rechtsprechung und Literatur verstärkt damit beschäftigt. Eine gesetzliche Regelung ist aber nicht in Sicht. Aber warum sollte ein Staatsanwalt nicht ebenso wie ein Richter befangen sein? Diese Arbeit versucht dogmatische Grundlagen und Lösungsmöglichkeiten für die strafverfahrensrechtliche Behandlung des "ausgeschlossenen" und "als befangen besorgten" Staatsanwalts de lege lata zu finden. Ganz besonders Wert gelegt wurde auf die systematische Erfassung von Ausschluß- und Besorgnisgründen. Beschlossen wird die Arbeit mit einer Zusammenfassung der Ergebnisse, die in einen Gesetzesvorschlag (de lege ferenda) gefaßt sind. Die Arbeit wurde im wesentlichen im November 1981 fertiggestellt. Literatur und Rechtsprechung sind bis November 1982 auf den neuesten Stand gebracht worden. Das Literaturverzeichnis beinhaltet die mehr als einmal zitierten Werke. Die übrige Literatur ist den Fußnoten zu entnehmen. Zu danken habe ich der Reinhold- und- Maria-Teufel-Stiftung, Tuttlingen, die durch ihre großzügige finanzielle Unterstützung die Veröffentlichung der Arbeit in dieser Form erst ermöglicht hat. Stuttgart, Februar 1983

Martin Schairer

Inhaltsverzeichnis

Erstes Kapitel

Einleitung

13

1. Gegenstand und Problemstellung der Arbeit. ... . ... . ........ .......

13

2. Verlauf und Schwerpunkte der Untersuchung ... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . ..

21

Zweites Kapitel

Bisher angebotene Redltsgrnndlagen

24

1. Befangenheitsregelungen in den Beamtengesetzen ..................

24

2. § 7 nds und § 11 ba-wü AGGVG ....................................

25

3. § 160 II StPO ......................................................

26

4. Die Verwendbarkeit der §§ 20, 21 VwVfG .... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .

28

5. Rechtsgrundlagen aus Art. 6 I 1 und II MRK? ......................

29

6. Der verfassungsrechtliche Grundsatz des "fairen Verfahrens" als Rechtsgrundlage oder analoge Anwendung der §§ 22 ff. StPO in "gesetzesimmanenter Rechtsfortbildung"? .............................. 30 7. Kritik und eigener Ansatz: Das eigenständige staatsanwaltschaftliche präventive Handlungsverbot bei Befangenheit ...................... 34

8

Inhaltsverzeichnis Drittes Kapitel

Rechtsgrundlagen, Inhalt, Umfang und Schutzzweck eines prinzipiellen staatsanwaltschaftlichen präventiven Handlungsverbots bei Befangenheit 1. Das Handlungsverbot bei "regelmäßiger" Besorgnis der Befangenheit

(Figur des "ausgeschlossenen" Staatsanwalts) ........................

39

39

2. Das Handlungsverbot bei Besorgnis der Befangenheit im Einzelfall (Figur des "als befangen besorgten" Staatsanwalts) .................. 46 a) Handlungsverbot bei "verobjektivierbaren" Besorgnisgriinden ....

48

b) Handlungsverbot bei Besorgnis der Befangenheit aus der Sicht des BeSchuldigten/Angeklagten. Inhalt und Einordnung des "Rechts" auf ein faires Verfahren ........................................

50

c) Handlungsverbot bei Besorgnis anderer Verfahrensbeteiligter und auch des "antragstellenden" Verletzten? .......................... 54 aal Andere Verfahrensbeteiligte ................................

54

bb) "AntragsteIlender" Verletzter? ..............................

55

3. Einschränkungen des prinzipiellen präventiven Handlungsverbots aus dem Grundsatz der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege ............

58

Viertes Kapitel

Konkretisierung des staatsanwaltschaftlichen Handlungsverbots bei "regelmäßiger" Besorgnis der Befangenheit durch einzelne AusschluOgrinde

61

1. Ausschlußgriinde der persönlichen Beziehung analog§ 22 Nr. 1- 3 StPO

61

a) Zu § 22 Nr. 1 StPO analog...................................... b) Zu § 22 Nr. 2 und 3 StPO analog ................................

61 64

c) Die "Sache, die den Gegenstand des Verfahrens bildet" ..........

65

2. Ausschlußgriinde der "sachlichen" Vorbefassung analog §§ 22 Nr. 4 und 23 StPO ........................................................ 67 a) Vorbefassung als "einseitiger" Sachwalter........................

69

b) Vorbefassung in staatsanwaltschaftlichen Funktionen.. . .. .. . .... aal 1. Konstellation: Sitzungsstaatsanwalt, der zuvor die Ermittlungen geführt hat ..........................................

70 70

Inhaltsverzeichnis

9

bb) 2. Konstellation: Staatsanwalt in der Rechtsmittelinstanz, der in einer Vorinstanz Sitzungsstaatsanwalt war. .. . . .... ... .... 73 ce) 3. Konstellation: Vorbefassung durch Zuruckverweisung gem. § 354 11 StPO ................................................ 77 dd) 4. Konstellation: Mitwirkung eines vorbefaßten Staatsanwalts im Wiederaufnahmeverfahren (WAV) ........................ 78 c) Disqualifizierende Vorbefassung als "Polizeibeamter" analog § 22 Nr. 4 StPO? .............................. :..................... 83 d) Vorbefassung in richterlicher Funktion ..........................

84

aal Als "erkennender" Richter ..................................

84

bb) Als Ermittlungs- und Eröffnungsrichter ......................

84

e) Vorbefassung aus anderen Strafverfahren... ... .. . .. . . . . . . ... . . ..

86

f) Vorbefassung aus Ehrengerichts- und Disziplinarverfahren

88

3. Ausschlußgrund analog § 22 Nr. 5 StPO: Staatsanwalt als Zeuge ....

89

a) Rechtslage vor der formellen Vernehmung ......................

89

b) Rechtslage nach der formellen Vernehmung in der Hauptverhandlung ............................................................

91

c) Rechtslage nach der formellen Vernehmung im Ermittlungsverfahren .......................................................... 100 d) Mitwirkung eines als Zeugen vernommenen Staatsanwalts im Rechtsmittelverfahren .......................................... 101 e) Vorbefassung des Staatsanwalts als vernommener Sachverständiger 101

Fünftes Kapitel

Konkretisierung des staatsanwaltschaftlichen Handlungsverbots bei Besorgnis der Befangenheit im. Einzelfall

103

1. Stand der Diskussion .............................................. 103

2. Der primär-objektive und der primär-subjektive Maßstab zur Beurteilung der Besorgnis der Befangenheit .. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 104 3. Rechtliche und faktische Stellung und Funktion der Staatsanwaltschaft als Eingrenzungskriterium bei der Beurteilung der Besorgnis der Befangenheit .................................................. 107

10

Inhaltsverzeichnis a) Ermittlungsverfahren ..... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 107 aal Die gesetzlich vorgesehene Voreingenommenheit .............. 107 bb) Verletzung des Legalitätsprinzips als Besorgnisgrund? ...... 110 cc) Der Maßstab im Bereich des Opportunitätsprinzips .......... 111 dd) Beachtung der Faktizität des Verhältnisses von Staatsanwalt und dessen Hilfsbeamten .................................... 113 b) Hauptverhandlung .............................................. 116 aal Die dialektische Rolle der Staatsanwaltschaft ................ 116 bb) Die "horizontale" Arbeitsteilung zwischen Staatsanwaltschaft und Gericht ................................................ 118

4. Die Verfahrensbezogenheit des Besorgnisgrundes - zugleich eine negative Auslesei .................................................. 120 5. Einzelne Fallgruppen der Besorgnis der Befangenheit im Umfeld des § 22 Nr. 1 - 5 analog ................................................ 121 a) BesorgnisgrüDde "personaler" Voreingenommenheit im Umfeld entspr. § 22 Nr. 1 - 3 StPO ...................................... 122 b) BesorgnisgrüDde unzulässiger Festlegung im Umfeld der §§ 22 Nr. 4 und 23 StPO analog ........................................ 123 aal Besorgnisgründe nach dem Rechtsgedanken des § 23 111 a. F. i. V. m. 178 I, 11 a. F. StPO .................................. 124 bb) Besorgnisgründe nach dem Rechtsgedanken des § 210 111 StPO 124 cc) BesorgnisgrüDde bei Zurückverweisung gem. § 354 11 StPO . . .. 125 c) Besorgnisgründe im thematischen Bereich des § 22 Nr. 5 StPO analog .......................................................... 127 aal Vorwissen des Staatsanwalts

127

bb) Nach formaler Vernehmung

129

6. Rechtsverletzung des Staatsanwalts als Indiz seiner Befangenheit? .. 129 a) Willkürliche Verfahrensfehler als Indiz

130

b) Verletzung der §§ 160 11, 163 a 11 StPO

134

c) Willkürliche fehlerhafte Rechtsanwendung als Indiz .............. 134 7. Besorgnis der Befangenheit auf Grund von Weisungen gem. § 143 GVG 137 a) Besorgnis der Befangenheit und "externes" Weisungsrecht ........ 138 b) Besorgnis bei "internem" Weisungsrecht ........................ 139

Inhaltsverzeichnis

11

Sechstes Kapitel

Verfahren zur Durcl1setzung und Sicl1erung des staatsanwaltscl1aftIicl1en präventiven Bandlungsverbots, insbesondere bei Besorgnis der Befangenheit

141

1. "Internes" Verfahren in Rechtsanalogie zu § 21 VwVfG .............. 142

2. Vorhandene "externe" Verfahren de lege lata ...................... 145 a) Dienstaufsichtsbeschwerde in Form der Sachaufsichtsbeschwerde .. 145 b) § 23 11 EGGVG ......... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 146 aal Ersetzung gern. § 145 GVG als Justizverwaltungsakt? ........ 147 bb) Rechtsverletzung i. S. v. § 24 I EGGVG? ...................... 149 3. Formelles Ablehnungsverfahren auf "strafverfahrensrechtlicher" Ebene 152 a) Möglichkeiten und Lösungsvorschläge ............................ 152 b) Die "Sperre" des § 150 GVG .................................... 153 c) Das Prinzip des fairen Verfahrens als Rechtsgrundlage und Richtlinie der Rechtsfortbildung ...................................... 154 d) Eigene Lösung im Ermittlungsverfahren de lege lata: Formelles rein staatsanwaltschaftliches Ablehnungsverfahren analog §§ 24 ff. StPO. Weitere Beschwerde zum Generalstaatsanwalt in den Fällen des § 140 I und 11 StPO .......................................... 159 e) Eigene Lösung im Hauptverfahren (Hauptverhandlung) de lege lata: Formelles rein staatsanwaltschaftliches Ablehnungsverfahren analog § 24 StPO; informeller Ablehnungsantrag als Verwirkungstatbestand . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 168

Siebentes Kapitel

Recl1tsfolgen (Sanktionen) der Mitwirkung eines disqualifizierten Staatsanwalts 1. Maßgeblicher Zeitpunkt des Eintritts der Rechtsfolgen

175 175

2. Fehlerhafte oder nichtige Amtshandlungen? ........................ 176 3. Auswirkungen der Mißachtung des Handlungsverbots im Ermittlungsverfahren .......................................................... 177

12

Inhaltsverzeichnis a) Anfechtbarkeit von staatsanwaltschaftlichen Entscheidungen und Maßnahmen im strafprozessualen Zwangsbereich ................ 177 b) Beweisverwertungsverbot von Errnittlungsergebnissen? .......... 178 c) Auswirkungen fehlerhafter, "befangener" Anträge auf richterliche Untersuchungshandlungen gern. § 162 StPO ...................... 178 d) Auswirkungen auf Schlußverfügungen .......................... aa) §§ 153 ff. StPO .............................................. bb) "Befangene" Anklage nach § 170 I StPO ...................... ce) "Befangene" Einstellung nach § 170 11 StPO ..................

179 179 180 181

4. Revision bei Mitwirkung eines disqualifizierten Staatsanwalts in der Hauptverhandlung ................... . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 181 a) Keine analoge Anwendung des § 338 Nr. 5 StPO .................. 181 b) Beruhensfragen gern. § 337 StPO ................................ 181 c) Die revisionsrechtliche Behandlung der Versäumnis eines Ablehnungsantrags in der Hauptverhandlung .......................... 183 d) Begründung und Nachprüfung der Verfahrensrüge ................ 184

Achtes Kapitel

Gesetzesvorschlag de lege ferenda als Zusammenfassung Schrifttumsverzeichnis

185

................................................ 189

Abkürzungsverzeichnis (spezifische und häufige Abkürzungen) AGGVG nds ba-wü E GVG EGGVG WAV

Landesrechtliches (niedersächsisches oder baden-württernbergisches) Ausführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz Referentenentwurf von 1977 eines Gesetzes zur Änderung des Rechts der Staatsanwaltschaften (StAAG) Einführungsgesetz zum Gerichtsverfassungsgesetz vorn 27. 1. 1877 Wiederaufnahmeverfahren

Erstes Kapitel

Einleitung 1. Gegenstand und Problemstellung der Arbeit Im Strafverfahren können Richter, Schöffen, Urkundsbeamte, Sachverständige, Dolmetscher und Gerichtsvollzieher gern. §§ 22, 31, 74 StPOl und gern. §§ 155, 191 GVG entweder bei Vorliegen von sogenannten "Ausschlußgründen", wie sie in den §§ 22, 23 normiert sind, ex lege und ex tune ausgeschlossen und/oder in einem formellen Ablehnungsverfahren gern. §§ 24 ff. i. V. m. 31, 74 von den Verfahrensbeteiligten, in vorderster Front von dem Beschuldigten/Angeklagten wegen Besorgnis der Befangenheit im Einzelfall abgelehnt werden. Bei den unmittelbar an der Urteilsfällung beteiligten Richtern und Schöffen ist in § 338 Nr. 2 und 3 ein absoluter Revisionsgrund vorgesehen. Bei den übrigen Genannten wird in deren Mitwirkung, wenn in ihrer Person ein Ausschlußgrund oder Besorgnisgrund vorliegt, ein Verfahrensfehler angenommen2 , der gern. § 337 gerügt werden kann. Das Urteil wird aufgehoben, wenn es zumindest möglicherweise auf dem Fehler beruht. Für den Staatsanwalt existieren, obwohl er ebenso wie all die genannten Rechtspflegeorgane zur Objektivität und Unparteilichkeit verpflichtet ist, weder in der StPO noch im GVG derartige Vorschriften. Das BVerfG hatte im 25. Band3 diesen Rechtszustand bestätigt. Nach Inkrafttreten des VwVfG in Bund und Ländern ist der Staatsanwalt der einzige an einem Verfahren hoheitlich Mitwirkende, der keiner geschriebenen Ausschluß- und Ablehnungsregelung unterliegt4 • Daraus folgt selbstverständlich nicht, daß die Staatsanwälte gegen die Gefahr der Voreingenommenheit gefeit wären. Im Gegenteil, das geflügelte Wort von der Staatsanwaltschaft als "objektivste Behörde Paragraphen ohne Gesetzesangabe sind im folgenden solche der StPO. Vgl. für den Sachverständigen Kleinknecht § 74, 12. 3 BVerfGE 25, 339 (345). , Vgl. §§ 20, 21 VwVfG; weiter z. B. § 18 ba-wü GemO, §§ 82 ff. AO 1977; im Verfahrensrecht: §§ 18 ff. BVerfGG, 41 ff. ZPO, 6 FGG, 46 II 1 i. V. m. 49 ArbGG, 11 LwVG, 54 VwGO, 41 a PatG, 51 FGO, 60 SGG; für Ehren- und Disziplinargerichte: § 116 BRAO i. V. m. §§ 22 ff. StPO, 24 UrkG, 16 BNotO, 51 BDO (nur Ausschließung), 63 DRiG i. V. m. 51 BDO, 71 WDO (nur Ausschließung). 1

!

14

1. Kap.: Einleitung

der Welt"5 darf nicht als Beschreibung einer Wirklichkeit, sondern muß als Postulat idealer Amtsführung 8 verstanden werden. Die besondere Konfliktlage des Staatsanwalts, einerseits als öffentlicher Ankläger, zum anderen objektiv und unparteiisch in dieser Funktion auftreten zu müssen, legt die Gefahr einer Voreingenommenheit im Sinne eines Strebens nach Verfolgung und Verurteilung um jeden Preis besonders nahe 7 • "Psychologische überforderungen"8 in der strikten Einhaltung der Verpflichtung zur Unbefangenheit drücken sich ebenso wie bei den Gerichtspersonen in der Tendenz zur Voreingenommenheit aus. Die Vorläufer der StPO von 1877, die deutschen Partikularprozeßordnungen g, haben deshalb ebenso wie die §§ 75, 76 der österr. StPO von 1873 in der Fassung von 1975 wenigstens ebenso wie die §§ 22, 23 Ausschlußregelungen und ähnlich dem § 21 VwVfG ein "internes" behördliches Verfahren geschaffen, um ex ante die Mitwirkung eines solchen Staatsanwalts zu verhüten. Von einer Ablehnung des Staatsanwalts haben all diese Prozeßordnungen mit der Begründung Abstand genommen, die Staatsanwaltschaft wäre keine "Partei" 10. Der deutsche StPOGesetzgeber von 1877 erkannte zwar ebenfalls das Phänomen des befangenen Staatsanwalts an, maß aber der Gefahr der Mitwirkung eines "ausgeschlossenen" entspr. §§ 22, 23 oder "als befangen besorgten" entspr. § 2411, kurz eines "disqualifizierten" Staatsanwalts keine solche Bedeutung zu, daß es seines Erachtens einer Regelung entsprechend der §§ 24 ff. bedurft hätte. Außerdem vertraute der Gesetzgeber darauf, daß die Organisation der Staatsanwaltschaft ex ante eine solche Gefahr werde beseitigen können. In den Motiven11 ist dazu ausgeführt: "Schließlich bleibt ... noch zu bemerken, daß es überflüssig erschien, besondere Vorschriften hinsichtlich der Beamten der Staatsanwaltschaft zu geben. ... Allein die Organisation der Staatsanwaltschaft gestattet, daß in den Fällen, wo die Ersetzung eines staatsanwaltschaftlichen Beamten durch G

Dieses Wort stammt vom Berliner Staatsanwalt Isenbühl.

e Marx GA 1978, 368.

7 Vgl. zur psychologischen Situation des Staatsanwalts: Grassberger S.286: "die menschliche Schwäche, das eigene Werk möglichst zu erhalten", treffe auch auf den Staatsanwalt zu; vgl. auch Peters, Fehlerquellen I, S. 517; Blomayer GA 1970, 172; Eb. Schmidt MDR 1951, 3. 8 Frisch S. 400. g Vgl. nur Art. 65 und 66 württ. StPO von 1868 über die "Unfähigkeit des Beamten der Staatsanwaltschaft und Ausschließung desselben" (vgl. Amtliche Handausgabe "Die neue Justizgesetzgebung des Königreiches Württemberg" III. Band, Stuttgart 1868); weitere Vorschriften bei Haeberlin, Sammlung der neuen deutschen Strafprozeßordnungen, Greifswald, 1852; vgl. § 38 Preuß. StPO v. 25.6.1867 (in: Preuß. Gesetzessamlg., Bd. 2, Berlin 1867, S. 933 ff.). 10 Vgl. nur Friedrich Rulf, Die österr. Strafprozeßordnung v. 23.5.1873 (2. Aufl.) Wien, 1874, S. 53. 11 Hahn, Motive Bd. 3, 1, S.93.

1. Gegenstand und Problemstellung der Arbeit

15

einen anderen geboten oder wünschenswert erscheint, dieselbe auf Antrag des Beschuldigten oder jenes Beamten selbst oder auch von Amtswegen durch die vorgesetzte Behörde bewirkt werden kann, ohne daß es eines förmlichen Verfahrens bedarf:' Bei Amtsmißbräuchen aus individueller "Willkür und Leidenschaft"1! des Beamten war man überzeugt, daß "jede Ministerialverwaltung aus eigenem Ehreninteresse" die genügende Sorge für die Ersetzung eines solchen Staatsanwalts tragen werde. Eine "scharfe und wirksame Controle" 13, kurz, daß eine pflichtgemäße Erfüllung der Amtspflichten ex ante die Gefahr der Mitwirkung eines disqualifizierten Staatsanwalts verhindern werde, wurde bis in jüngster Zeit14 als selbstverständlich angenommen. Wenn die innerorganisatorische Kontrolle der Staatsanwaltschaft versagen sollte, war nach Ansicht des Gesetzgebers von 1877 15 die mittelbare richterliche Kontrolle immer noch vorhanden und ausreichend: "Gegenüber der Besorgnis, daß die Staatsanwaltschaft in einzelnen Fällen durch die Justizaufsichtsbehörde zu ungerechtfertigten Verfolgungen veranlaßt werden könnte, ist darauf hinzuweisen, daß der Schutz der Staatsbürger in solchen Fällen in dem Richteramt zu finden ist, und daß er durch die Unabhängigkeit des letzteren hinreichend gewährleistet erscheint ... und es ist ja eben nur die Anklage, nicht eine Verurteilung zu der sie nöthigen können." Vertrauensvolle und gewissenhafte Erfüllung der Amtspflicht und die mittelbare richterliche Kontrolle waren lange Zeit die Argumentationsstützen der Literatur, um die fehlende, den §§ 22 ff. entsprechende Regelung zu rechtfertigen. Geyer18 allerdings hat kurz nach Erlaß der StPO die Nichtregelung mit einer für die damalige Zeit modernen rechtsstaatlichen Forderung nach Sanktion und Justiziabilität im Strafverfahren gerügt: "Besser wäre es gewesen, statt dieser immerhin unbestimmten und nicht

im Gesetz selbst ausgesprochenen nicht auf eine gesetzliche Sanktion ge-

stellten Verpflichtung, die Ausschließung ähnlich wie in der österreichischen Strafprozeßordnung ... zu regeln .. :'

12

Rudolf Gneist, Vier Fragen zur deutschen Strafprozeßordnung, Berlin,

1874, S. 27.

Rulf S. 53. Vgl. nur Eb. Schmidt LK 11 3 vor § 22 m. w. Nachw. aus der älteren Lit.; L / R / Dünnebier, 21. Aufl. (1963), 3 vor § 22. 15 Hahn, Motive zum GVG Bd. 1, 9, S. 150. 18 Lehrbuch des gemeinen deutschen Strafprozeßrechts, Leipzig (1880), S. 421; ähnlich Heinrich Gerland, Der deutsche Strafprozeß (1927) Mannheim, Berlin, Leipzig, S. 111 f. 13

14

16

1. Kap.: Einleitung

Die Forderungen Geyers wurden bald rechtswirkliche Notwendigkeit. Das Reichsgericht 17 hatte sich von Anfang an mit der Frage der Justiziabilität und Sanktionierung der Mitwirkung eines als Zeugen vernommenen Staatsanwalts, die beim Richter in § 22 Nr. 5 geregelt ist, zu beschäftigen und erkannte, da eine solche Mitwirkung "mit Stellung und Aufgaben der Staatsanwaltschaft nicht vereinbar" sei, einen Verfahrensfehler an, auf dem das Urteil gern. § 337 zum Teil beruhen konnte. Der nationalsozialistische Gesetzgeber versuchte mit seinen Entwürfen zur Strafverfahrensreform (vgl. § 126 EStVO 1936 und § 122 EStVO 1939)18 vergeblich eine Regelung über den Ausschluß des Staatsanwalts in der StPO zu etablieren. Nach dem Kriege wurden weitgehend unbeachtet von der Lehre und Rspr. 19 , die sich vorwiegend nur mit dem Problem der Mitwirkung des als Zeugen vernommenen Staatsanwalts beschäftigte und eine praktikable Lösung ohne grundsätzliche Stellungnahme gefunden zu haben glaubte, in den Ländern Niedersachsen und Baden-Württemberg im Ausführungsgesetz zum GVG gern. §§ 7 nds20 bzw. 11 ba-wü 21 AGGVG spezifisch auf die Aufgabe und Stellung der Staatsanwaltschaft zugeschnittene Ausschlußregelungen (Figur des "ausgeschlossenen" Staatsanwalts) und in § 7 Nr. 2 nds AGGVG eine Anzeige- und Enthaltungspflicht bei Besorgnis der Befangenheit (Figur des "als befangen besorgten" Staatsanwalts) ähnlich des jetzigen § 21 VwVfG geschaffen. Der RegE22 zu § 11 ba-wü AGGVG begründete die Regelung damit, daß "der Aufgabenkreis des Staatsanwalts mit demjenigen des Richters eng verwandt" sei und es deshalb geboten gewesen sei, "die hinsichtlich der Ausschließung des Staatsanwalts bestehende gesetzliche Lücke durch eine ähnliche Regelung zu schließen, wie sie für andere Organe der Rechtspflege besteht" . Dennoch wurde in dieser Zeit immer noch die Ansicht vertreten23 , daß die Mitwirkung eines disqualifizierten Staatsanwalts mit Ausnahme des als Zeugen vernommenen Staatsanwalts kein revisibler Rechtsfehler sei. 17 Grundlegend RGSt. 29, 236; vgl. weiter JW 1925, 1403 Nr. 6; JW 1933, 523 Nr. 17 m. Anm. Drucker; Das Recht 1926, 225 f. Nr. 17; GA 67, 436; 71, 92. 18 Vgl. die Nachweise bei OLG Stgt. NJW 1974, 1395. 19 BGHSt. 14, 264, 268; 21, 89, 90 m. Anm. Hanack JR 1967, 230 und JZ 1971, 91; JZ 1972,81; BGH MDR 1957, 16 f. 20 Text bei Kleinknecht 4 vor § 22. 21 Text bei Dürig, Gesetze des Landes Baden-Württemberg (28). 22 L-Tag Drs. 6/7750 S. 41; ähnlich Begr. des nds RegE, zit. bei OLG Stgt. NJW 1974, 1385. 23 Vgl. RGSt. 4, 264, 266 und LZ 1918, 454, wonach die Mitwirkung eines i. S. v. § 22 Nr. 1 - 3 personal vorbefaßten Staatsanwalts völlig unbedenklich sei, vgl. Eb. Schmidt LK 11 3 vor § 22 und L / R / Dünnebier, 21. Aufl. (1963), 3 b vor § 22.

1. Gegenstand und Problemstellung der Arbeit

17

Bewegung in Rspr. und Lehre kam erst 1969 mit dem Urteil des OLG Hamm!4 und der Kritik von Buckert25 • Der Verteidiger hatte den im Ermittlungsverfahren tätigen Staatsanwalt wegen Besorgnis der Befangenheit "abgelehnt" und bei dessen Vorgesetzten einen Antrag auf Ersetzung dieses Staatsanwalts gestellt, der abschlägig beschieden wurde. Der darauf erhobene Verpflichtungsantrag gern. § 23 II EGGVG auf Ersetzung lehnte das OLG mit der Begründung ab, daß der Beschuldigte grundsätzlich auf Maßnahmen der Dienstaufsicht wie sie eine Ersetzung darstelle, keinen "Rechtsanspruch" habe und dem Gericht andernfalls eine weitere Überprüfungsmöglichkeit der Ermittlungen der Staatsanwaltschaft gestattet werden würde, die in der StPO nicht vorgesehen sei. Dem hat sich das OLG Karlsruhe 26 bei gleicher Fallgestaltung angeschlossen, während andere Stimmen mit Buckert eine solche Rechtswegeröffnung bis heute befürworten27 • Durch die Ausführungen Frischs28 und Kuhlmanns29 und neuestens den Entscheidungen des BVerfG v. 24.4.197830 und des BGH31 v. 25.9.1979 hat sich die Diskussion mehr auf die strafverfahrensrechtIiche Ablehnungslösung analog § 24 verlagert. Das BVerfG und der BGH sprechen allerdings nur hypothetisch die Möglichkeit aus, daß der in Art. 6 I MRK enthaltene Anspruch auf ein faires Verfahren und/oder die Stellung der Staatsanwaltschaft im Strafverfahren auch das Recht umfassen könnte, den Staatsanwalt wegen Besorgnis der Befangenheit abzulehnen. Wendisch32 und Bruns33 zogen daraus, ohne sich weiter mit der Rechtsgrundlage de lege lata zu beschäftigen, den Schluß, daß eine solche Bemerkung unnötig gewesen wäre, wenn das BVerfG bzw. der BGH den Ausschluß oder die Ablehnung eines Staatsanwalts nicht schon de lege lata für grundsätzlich zulässig erachten würden. Die neuere Diskussion wendet sich deshalb jetzt mehr der Einzelbestimmung von Ausschluß- und Besorgnisgründen zu, für die infolge der verschiedenen Funktionen von Richter und Staatsanwalt auch andere Maßstäbe zu geIten hätten. NJW 1969, 808. NJW 1970, 848 f. !8 MDR 1974, 423; ebenso Kleinknecht 7 vor § 22. 27 Roxin, FS f. Schmidt-Leichner S. 148 f.; ders., StrafverfahrensR S. 48, Bruns, Geb.gabe, S. 50. 28 Frisch S. 403 ff. ze DRiZ 1976, 11 ff. 30 JR 1979, 24 ff. m. zust. Anm. Bruns S. 28 ff. 31 NJW 1980, 845 = MDR 1980, 158 f. = JR 1980, 431. 32 S. 251 ff. aa Anm. zum Urteil des BGH in JR 1980, 397 ff.; vgl. ebenso Joos NJW 1981, 24

IS

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:I Schairer

1. Kap.: Einleitung

18

Der Referentenentwurf eines Gesetzes zur Änderung des Rechts der Staatsanwaltschaft (StAÄG), im folgenden E GVG genannt, hat in einem § 145 a E GVG34 in den Absätzen I und II eine Umsetzung der Ausschluß gründe auf den Staatsanwalt versucht und in Abs. III eine dem § 21 VwVfG ähnliche "interne" Verfahrens ausgestaltung zur Bewältigung der Fälle der Besorgnis der Befangenheit vorgeschlagen. § 145 a III E GVG enthält kein formelles Ablehnungsverfahren ähnlich dem des § 24. Nach dieser Fassung sollte ein Staatsanwalt wenigstens Anzeige von dem disqualifizierenden Verhältnis machen und keine weiteren Amtshandlungen vornehmen, wenn "Tatsachen vorliegen, die unter Berücksichtigung der Aufgaben und Pflichten des staatsanwaltschaftlichen Amtes die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen". Gegen diese Fassung wurde von 20 Staatsanwaltschaften35 massive Bedenken vorgebracht. Die Fassung sei zu allgemein, zu ungenau und zu weit gefaßt und sei für die Praxis völlig ungeeignet, weil sie die Staatsanwaltschaft in ihrer Aufgabe nach Wahrheitsfindung behindern würde. Allerdings ist dieser Entwurf nie Gesetz geworden. Angesichts der verschiedenen inhaltlichen Regelungen in § 7 nds und § 11 ba-wü AGGVG, den Unklarheiten über Inhalt, Umfang und Ausmaß der Ausschluß- und Besorgnisgründe, sowie der Frage, ob und wie ein Ablehnungsrecht den Verfahrensbeteiligten gegenüber dem Staatsanwalt zuerkannt werden soll, tut schon aus Gründen der Rechtseinheit und -sicherheit eine gesetzliche Regelung not. Daß irgendeine Regelung notwendig ist, wird heute kaum mehr bestritten. Seit der Schaffung der StPO von 1877 haben sich zudem das Verständnis und die Anforderungen an eine rechtsstaatliche Strafverfahrensordnung gewandelt. Das Bedauern Geyers, unter Berufung auf eine lediglich fiktive Vertrauenswürdigkeit 36 der Staatsanwaltschaft in die korrekte Erfüllung ihrer Amtspflichten, Ausschluß- und Ablehnungsregelungen für unnötig zu erklären, kann unter Geltung eines materiellen Grund-Rechtsstaates jetzt als verfassungsnotwendige Forderung für eine Regelung entspr. der §§ 22 ff. beim disqualifizierten Staatsanwalt verstanden werden. Das Verständnis des vom Strafverfahren betroffenen Bürgers als ein Subjekt des Verfahrens erfordert Verfahrensnormen, die gerade wie die §§ 22 ff. unabhängig von der Disposition staatlicher Hoheitsträger Objektivität und Unparteilichkeit schützen. Vgl. Text bei L / R / Schäfer § 145 GVG, 10 f. Vgl. zur Referierung der Einwände Wendisch S. 272 f.; vgl. auch Jescheck ZStW 84, 838, der die Gefahr "unaufhörlicher Ablehnungsanträge" sieht. 30 Vgl. zu diesem Vertrauens argument zu Lasten rechtlicher Sicherungen: I. Müller S. 206 f., der zeigt, daß im Falle der Staatsanwaltschaft, besonders im 3. Reich, mit dem Vertrauens argument staatlichem Mißbrauch Tür und Tor geöffnet worden ist. 34

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1. Gegenstand und Problemstellung der Arbeit

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Verstärkt wird die Forderung nach einer gesetzlichen Regelung durch die Stärkung der Stellung der Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren seit der Abschaffung des Untersuchungsrichters durch das 1. StVRG, des übergangs seiner Kompetenzen auf die Staatsanwaltschaft und der Einführung der informellen Sanktionskompetenz in § 153 a, sowie durch die Erweiterung der §§ 154, 154 a durch das StVÄG 1979, welche die Staatsanwaltschaft zur alleinigen Herrin des Ermittlungsverfahrens gemacht haben. Statistisch gesehen stellt die Staatsanwaltschaft unter geringer Beteiligung des Richters fast 80 % der bei ihr anhängig gewordenen Verfahren ein, ohne daß es zu einem richterlichen Verfahren kommt 31 • Am Rande sei noch erwähnt, daß verfahrensrechtliche Sicherungen auch wegen des Einflusses der Öffentlichkeit auf die psychologische Situation des Staatsanwalts geboten sind. Der Staatsanwalt ist in den Augen der juristisch nicht gebildeten Öffentlichkeit entgegen dem Normbefehl, der sich in § 160 11 nur unvollkommen im Gebot ausgewogener Ermittlungen manifestiert, immer noch der Sachwalter "vergeltender Gerechtigkeit" 88, der den staatlichen Strafanspruch mit allen Mitteln durchzusetzen hat. An diesem Bild dürfte sich bis heute nicht viel geändert haben39 , zumal es dadurch genährt wird, daß die Anträge der Staatsanwaltschaft "regelmäßig"40 über dem Maß der später verhängten Strafe liegen und Freisprüche oft gegen den Antrag der Staatsanwaltschaft erfolgen41 • Angesichts dieses starken öffentlichen Bedürfnisses und Bewußtseins nach "Kriminalität" und ihrer Verfolgung42 wird ein forscher, harter Staatsanwalt immer den Beifall der Allgemeinheit finden, weil er der Rollenerwartung entspricht. Nicht übersehen werden darf, daß bei einer Regelung de lege ferenda wie auch de lege lata das Strafverfahren Verzögerungen erleiden kann und damit die Funktionsfähigkeit der Staatsanwaltschaft und der Rechtspflege überhaupt beeinträchtigt werden könnte. Mit diesem Argument wird besonders gegen eine Regelung des formellen Ablehnungsverfahrens analog §§ 24 ff. Front gemacht43 • Immer wieder wird 31 Vgl. Kohlhaas, Die Stellung der Staatsanwaltschaft, S. 19, 41, der die Einstellung durch die Staatsanwaltschaft als richterähnlichen "Freispruch" bezeichnet; vgl. Kerner (Bespr. von Weigand, Anklagepflicht und Ermessen) GA 1979, 278, wonach 1976 bei 3,1 MBl. polizeilich festgestellten Straftaten nur 400 000 im Hauptverfahren übrigblieben. 38 Roxin DRiZ 1969,389. 38 Roxin (Anm. 38), Marx GA 1978, 370. 40 Roxin (Anm. 38), für 1978; Marx S. 369. 41 Dahs DRiZ 1960, 108. 42 Helmut Ostermeyer, Strafrecht und Psychoanalyse, München 1972, S. 35: "Bedürfnis nach dem gesteigerten Verbrecher"; vgl. weitere Nachweise aus dem tiefenpsychologischen Schrifttum bei Marx S. 369 Fußn. 26. 41 Vgl. nur Blomeyer GA 1970, 168 f.; Schweichel ZRP 1970, 173; Oppe DRiZ 1971, 24; L-Tag Drs. 6/7750 S. 41 zu § 11 ba-wü AGGVG.

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1. Kap.: Einleitung

die Befürchtung vieler mißbräuchlicher Ablehnungsanträge geäußert! Symptomatisch dafür ist die Begründung zum Referentenentwurf des StAÄG zum Verzicht eines solchen Verfahrens in § 145 a III E GVG. Der Referentenentwurf44 geht von der grundsätzlich effektiven Kontrolle ex ante durch die Organisation der Staatsanwaltschaft und des erkennenden Gerichts aus und bezeichnet die Fälle, in denen ein Staatsanwalt vom Verfahrensbeteiligten abgelehnt werden könnte, als "Ausnahmefälle" und sieht deshalb "kein Bedürfnis" für eine gesetzliche Regelung. Zuallererst muß einer solchen Begründung die Verkennung wesentlicher rechtsstaatIicher Funktionszusammenhänge vorgeworfen werden. Ebensowenig wie mit dem Argument, die Staatsanwaltschaft habe sich seit Schaffung der StPO vertrauenswürdig erwiesen, kann mit dem bloßen Hinweis auf statistische Seltenheiten eine Regelung von rechtlichen Sicherungen als verzichtbar begründet werden45 . Zweifelhaft ist zudem, ob man die Prämisse, daß nur "Ausnahmefälle" vorkommen werden, akzeptieren kann, denn Dünnebier46 hat zu Recht bemerkt, daß die geringe Zahlobergerichtlicher Entscheidungen über Ausschluß und Ablehnung des Staatsanwalts unter anderem darauf zurückzuführen seien, daß wegen der bisher postulierten Aussichtslosigkeit der Revisionsrüge die Verteidiger eine verfahrensrechtIiche Initiative gar nicht gewagt hätten. Die Artikulation eines kriminal- und rechtspolitischen Bedürfnisses nach einer Regelung wird in den Reihen der Staatsanwaltschaft oft als Ausdruck des Mißtrauens gegen die Staatsanwaltschaft verstanden, das der Gesetzgeber im 1. StVRG doch ausdrücklich aufgegeben habe47 . Schon wegen der zahlreich existierenden Ausschluß- und Befangenheitsregelungen darf eine solche Forderung aber nicht als "kollektives Mißtrauensvotum" gegen die Staatsanwaltschaft verstanden werden, sondern ist allein vom Gebot gewisser strafverfahrensrechtIicher und verfassungsrechtlicher "Zwangsläufigkeiten"48 diktiert. Angesichts der immer noch unter dem Eindruck der Terrorismusphase stehenden restriktiven Teridenzen der Strafprozeßgesetzgebung49 und " Zit. bei L / R / Schäfer § 145 GVG, 11. U Vgl. in diese Richtung Grünwald, Gutachten C 31; allerdings wurde dem Verf. vom BJM mitgeteilt, daß die Begründung nicht mehr der Rechtsansicht des BJM entspreche, was wohl mit durch die Entscheidung des BVerfG v. 24.4.1978 (Ablehnungsverfahren wegen fair trial?) bedingt ist. 48 In L / R 18 vor § 22. 47 Vgl. Begründung zur Abschaffung des Untersuchungsrichters in BT-D:-s. 7/551 S. 38. 48 Dahs DRiZ 1971, 83 krit. zu Oppe. 49 Vgl. skeptisch auch Frisch S. 387.

2. Verlauf und Schwerpunkte der Untersuchung

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der einigermaßen funktionierenden Revisionsrechtsprechung bei der Mitwirkung des disqualifizierten Staatsanwalts wird allerdings kaum zu erwarten sein, daß sich der Gesetzgeber an eine völlige Neuregelung, wie es eine Ausschluß- und Ablehnungsregelung darstellen würde, heranwagen wird. Dazu dürften Praxis und Theorie noch zu wenig Boden bereitet haben. Die folgende Untersuchung wird sich deshalb schwerpunktmäßig mit den Rechtsgrundlagen und einer rechtssatzmäßigen Bestimmung von Ausschluß- und Ablehnungsregelungen sowie der Rechtsfolgen der Mitwirkung eines disqualifizierten Staatsanwalts de lege lata beschäftigen (Kapitel 2 bis 7), um zum Schluß in einer Zusammenfassung de lege ferenda einen Gesetzesvorschlag zu formulieren (8. Kapitel).

2. Verlauf und Smwerpunkte der Untersumung Die Problematik der verfahrens rechtlichen Behandlung des disqualifizierten Staatsanwalts de lege lata ist eine Problematik der rechtlichen Abwehrmaßnahmen 50 der Mitwirkung eines solchen Staatsanwalts ex ante und ex post. Die Frage nach der Anwendbarkeit von Ausschlußund Ablehnungsregelungen sowie der Revisibilität eines Urteils bzw. der Anfechtbarkeit von staatsanwaltschaftlichen oder richterlichen Maßnahmen und Entscheidungen unter Mitwirkung eines disqualifizierten Staatsanwalts ist eine Frage der Justiziabilität 51 des Phänomens des befangenen Staatsanwalts im Strafverfahren. Justiziabel wird dieses Phänomen erst, wenn de lege lata klare und bestimmte Regelungen, m. a. W. also Techtssatzmäßige Regelungen, die die Forderung nach Sinnbestimmtheit und Entschiedenheit52 erfüllen, festgestellt werden können. Die Suche nach solchen Rechtssätzen ist durch die §§ 22 ff., 338 Nr. 2 und 3 vorgegeben und hat sinnvollerweise auch in diesen Kategorien zu erfolgen. Dabei sollen kurz die Fragestellungen formuliert werden, an Hand derer eine solche Rechtssatzsuche zu erfolgen hat: Grundlage und Hintergrund der §§ 22 ff., 338 Nr. 2 und 3 ist ein Handlungsverbot und die prozessuale Unzulässigkeit des Weiteramtierens entweder bei sogenannten "Ausschluß gründen" gem. §§ 22, 23 oder bei "Besorgnisgründen" , die im Einzelfall gem. § 24 II festzustellen sind. Kirchhoff53 hat bei der ähnlichen Problematik im Verwaltungsverfahren zu Zeiten, in denen die §§ 20, 21 VwVfG noch nicht normiert waren, diese Grund50

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Bruns JR 1979, 31, Anm. zu BVerfG JR 1979, 28. Bruns JR 1980, 397 f., Anm. zu BGH MDR 1980, 158. Vgl. zur Definition eines "Rechtssatzes" Wolff, VerwR I, § 25 I-V. Kirchhoff VerwA 1975, 381 f.

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1. Kap.: Einleitung

lage als "Handlungsverbot" bei Befangenheit bezeichnet. Ich möchte ganz allgemein dieses Verbot als präventives Handlungsverbot bezeichnen, weil es, ohne auf die tatsächliche Befangenheit abzustellen, entweder bei regelmäßiger54 Besorgnis, die in den Ausschlußgründen unwiderleglich55 vermutet wird, oder bei Besorgnis im Einzelfall, wie bei den Besorgnisgründen gem. § 24 H, ein Handlungsverbot ausspricht. Ein solches Verbot mit seinen Ausnahmen gilt es auch beim Staatsanwalt als Voraussetzung für eine rechtssatzmäßige Regelung überhaupt de lege lata festzustellen. Sodann wären Rechtssätze für die Tatbestände, bei deren Vorliegen ein solches Handlungsverbot beim Staatsanwalt wirksam wird, die ich ganz allgemein als Disqualijikationstatbeständebezeichnen möchte, zu erarbeiten. Ist ein solches prinzipielles Handlungsverbot und seine Disqualifikationstatbestände rechtssatzmäßig festgestellt, so ist die Justiziabilität der Mitwirkung eines disqualifizierten Staatsanwalts möglich, weil z. B. der Verfahrensfehler i. S. v. § 337 ein Verstoß gegen das präventive Handlungsverbot bedeutet. Wann ein solcher Verstoß vorliegt, wird durch die Disqualifikationstatbestände vorgegeben. Unter dem Blickpunkt solcher Fragestellungen sind deshalb im 2. Kapitel in einer Grundlagenbetrachtung zuallererst die bisher geschriebenen Rechtssätze, die irgendwie mit der Problematik befaßt sind, auf ihre Tauglichkeit zu untersuchen. Da der Staatsanwalt Beamter i. S. d. Beamtengesetze ist, kommen die einschlägigen beamtenrechtlichen Vorschriften in Frage, weiter die den §§ 22 ff. ähnlichen §§ 7 nds und 11 ba-wü AGGVG. Naheliegend ist auch § 160 H, der den Staatsanwalt zu ausgewogenen, also unbefangenen Ermittlungen verpflichtet, sowie zuguterletzt die §§ 20, 21 VwVfG. Da sich hieraus keine befriedigende, alle Probleme lösende Antwort finden läßt, werden die beiden gesetzesmethodisch unterschiedlichen Ansätze einer allein an der Teleologie der StPO orientierten "gesetzesimmanenten Rechtsfortbildung" und die Rechtsfortbildung auf Grund des Verfassungsprinzips des fairen Verfahrens (Art. 2 I i. V. m. 1 I, 20 GG bzw. Art. 6 I MRK) vorgestellt, um schließlich zum Ergebnis zu kommen, daß mit einer Kombination beider Ansätze ein eigenständiges staatsanwaltschaftliches präventives Handlungsverbot entwickelt werden muß, aus dem sich dann Ausschluß- und Befangenheitsregelungen konkretisieren lassen. Im 3. Kapitel wird ein solches präventives Handlungsverbot getrennt nach Ausschluß- und Besorgnisgründen nach Inhalt, Schutzrichtungen Vgl. Bettermann in: Die Grundrechte 111/2 S. 526. Vgl. auch RGSt 30, 71: aus "Erfahrung"; BGHSt 14, 221: "allgemein" und "naturgemäß". 54

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2. Verlauf und Schwerpunkte der Untersuchung

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und Umfang konkretisiert werden. Besonderer Schwerpunkt wird dabei auf die bisher kaum behandelte Frage gelegt werden, ob eine Besorgnis des antragstellenden Verletzten und Nebenklägers ebenfalls zu einem solchen Handlungsverbot führt. Vor allem die Bestimmung der Zwecksetzungen des Handlungsverbots ist wichtig für Umfang und Inhalt der einzelnen Disqualifikationsgründe. Nach der Feststellung dieser Grundlagen folgen die Schwerpunkte der Arbeit, die vor allem die Praxis interessieren werden. Im 4. Kapitel wird das präventive Handlungsverbot bei regelmäßiger Besorgnis der Befangenheit durch die Bestimmung der einzelnen Ausschlußgründe analog §§ 22, 23 konkretisiert. Im 5. Kapitel geschieht dasselbe mit dem präventiven Handlungsverbot bei Besorgnis der Befangenheit im Einzelfall, indem Grundsätze und einzelne Gruppen von typischen Besorgnisfällen mit Hilfe der auf die Funktionen der Staatsanwaltschaft abgestimmten Generalklausel entspr. § 24 II aufgestellt werden. Grundsätzliches ist bisher nur insofern geleistet worden, als neben einigen stereotypen Beispielsfällen darauf hingewiesen wird, daß die Maßstäbe bei Richter und Staatsanwalt wegen der verschiedenen Funktionen unterschiedlich sein müßten. Zu trennen vom präventiven Handlungsverbot mit seinen Disqualifikationstatbeständen ist die nach wie vor ungeklärte Frage, nach dem "ob" und "wie" eines formellen Ablehnungsverfahrens im Strafverfahren selbst oder nach Rechtsschutz gem. § 23 EGGVG, die im 6. Kapitel beantwortet werden soll. über die Rechtsjalgen der Mitwirkung eines Staatsanwalts entgegen dem präventiven Handlungsverbot ist nur im Zusammenhang mit der Revision des Urteils bei seiner Mitwirkung im Hauptverfahren geschrieben worden. Unklar sind die Rechtsfolgen bei Mitwirkung im Ermittlungsverfahren und die Auswirkung auf sonstige richterliche Amtshandlungen. Bei einem rechtssatzmäßig zulässigen formellen Ablehnungsverfahren ergeben sich für die Möglichkeit einer Revisionsrüge Probleme der Heilung und Verwirkung, die nicht gelöst sind. Hierzu sollen im 7. Kapitel Lösungen angeboten werden. Schließlich sollen im B. Kapitel die de lege lata gewonnenen Rechtssätze in einem Gesetzesvorschlag (de lege ferenda) zusammen ge faßt werden.

Zweites Kapitel

Bisher angebotene Rechtsgrundlagen 1. Befangenheitsregelungen in den Beamtengesetzen Die Staatsanwälte sind Beamte im Sinne der Bunrles- bzw. Landesbeamtengesetze. Auf sie finden deshalb die §§ 51 I2; 54, 2 BBG; 35 I; 36 BRRG und z. B. §§ 64 I, 67 ba-wü LBG, wonach sie ihre Amtspflichten unparteiisch, gerecht und uneigennützig zu erfüllen haben, ebenso Anwendung, wie die Vorschriften des § 59 BBG bzw. z. B. § 77 I ba-wü LBG, gemäß denen sie von Amtshandlungen "zu befreien" sind, die sich gegen sie selbst oder ihre Angehörigen richten würden. Das BVerwGl folgert aus diesen Vorschriften einen weit über den Wortlaut des § 59 BBG hinausgehenden Grundsatz, daß sich der Beamte "sogar jeder dienstlichen Tätigkeit zu enthalten habe, die nach außen den Anschein einer Parteilichkeit und Eigennützigkeit erwecken könnte" und will damit alle Fälle möglicher Gefährdung des Vertrauens der Allgemeinheit auf seine sachliche Amtsausführung erfassen. In der Diskussion2 um den befangenen Staatsanwalt wird immer wieder auf § 59 BBG verwiesen, wonach der Staatsanwalt eine "Amtspflicht" habe, sich beim Anschein einer Befangenheit Amtshandlungen zu enthalten und daß der Dienstvorgesetzte den Staatsanwalt dann "ablösen" müsse. Selbst wenn man mit der Interpretation des BVerwG die beamtenrechtlichen Vorschriften auf alle möglichen Fälle der Disqualifikation etwa wie bei den §§ 22 ff. ausdehnen würde 3 , können diese Vorschriften keine der eingangs gestellten Fragen nach einem Handlungsverbot und Disqualifikationstatbeständen sowie Rechtsfolgen im Strafverfahren beantworten, weil sie als Ausdruck eines zwar allgemeinen rechtsstaatlichen Grundsatzes nur das Dienstverhältnis zwischen Beamten und Dienstherrn mit unmittelbarer Rechtswirkung regeln können. Für das "Außenverhältnis" Staat-Bürger, wie es im Strafverfahren auftaucht, soll nach Sinn und Zweck der Beamtengesetze 1 BVerwGE 43, 42 ff.; vgl. ähnlich für das Verwaltungsverfahren: Dagtoglou S .70 f. 2 Kleinknecht 3 vor § 22; KMR / Paulus 17 vor § 22; Bruns, Geb.gabe S. 46. 3 Vgl. aber Frisch S. 388, der dem § 59 BBG zu Recht de lege lata einen solchen Regelungsinhalt strikt abspricht.

2. § 7 nds und § 11 ba-wü AGGVG

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keine unmittelbare rechtssatzmäßige Regelung getroffen werden. Ansonsten hätten die § 59 111 BBG und z. B. § 77 111 ba-wü LBG nicht ausdrücklich bestimmt, daß spezielle Vorschriften über den "Ausschluß" von Amtshandlungen "unberührt" bleiben, womit z. B. die §§ 22 ff. gemeint sind'. Auch Kleinknecht 5 scheint diesen Unterschied erkannt zu haben, wenn er neben die Amtspflicht des § 59 BBG eine weitere Pflicht "verfahrensrechtlicher Art" stellt, auf Grund derer sich der Staatsanwalt bei Befangenheit allen Amtshandlungen zu enthalten habe. Diebeamtenrechtlichen Regelungen können damit allenfalls Argumentationshilfen, aber keine Rechtssätze für eine Bewältigung des Phänomen des befangenen Staatsanwalts im Strafverfahren liefern8 •

2. § 7 nds und § 11 ba-wü AGGVG Die Regelung der § 7 Nr. 1 a) - d) nds und § 11 Nr. 1- 4 ba-wü AGGVG, wonach der Staatsanwalt keine Amtshandlungen mehr "vornehmen darf", wenn in seiner Person· Ausschlußgründe ähnlich denen von § 22 Nr. 1- 4 oder gern. § 7 Nr. 2 nds AGGVG Besorgnisgründe vorliegen, sind, besonders im Zusammenhang mit der Frage, wann ein Verfahrensfehler i. S. v. § 337 vorliegF, oft als "allgemeine Richtlinien"8 mit (Außen)Wirkung für das Strafverfahren interpretiert worden. Aber auch diese Vorschriften können keine tauglichen Rechtsgrundlagen für die Behandlung des befangenen Staatsanwalts im Strafverfahren hergeben, weil sie, abgesehen von dem Umstand, daß sie nur in den Ländern Niedersachsen und Baden-Württemberg gelten, nur dienst- und organisationsrechtlichen Charakter9 haben, m. a. W. also nur Konkretisierungen der beamtenrechtIichen Vorschriften sind. Deshalb gehen auch die von Frisch10 erhobenen verfassungsrechtlichen Bedenken, der einen Verstoß gegen Art. 72, 74 Nr. 1 GG behauptet, weil die § 7 nds bzw. § 11ba-wü AGGVG Strafverfahrensrecht ent, Plog / Wiedow / Beck, Kommentar zum BBG, § 59 IV. 3 vor § 22. • Ebenso Frisch S. 388: unzulässige "Konfundierung von Dienst- und Verfahrensrecht"; ebenso für das Verhältnis von Dienst- und Verwaltungsverfahrensrecht: Kirchhoff VerwA 1975,374. 7 OLG Stgt. NJW 1974, 1395: ausdrücklich beschränkt auf den Fall, daß ein Staatsanwalt eine Amtshandlung nicht vornehmen darf, wenn er vorher in der Sache als Richter tätig war (§ 7 Nr. 1 nds. AGGVG). 8 Bruns, Geb. Gabe S. 46; Kuhlmann S. 15; Roxin, StrafverfahrensR S. 48; Dahs DRiZ 1971, 84. t Kleinknecht 3 vor § 22: "Richtlinie dienst- und organisationsrechtlicher Art", falsch interpretiert von den in Fußn. 8 Genannten. 10 S. 389; ihm folgend Wendisch S. 247. 5

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2. Kap.: Bisher angebotene Rechtsgrundlagen

hielten und ausweislich der §§ 3, 6 EGStPO die Materie des Strafverfahrens vom Bundesgesetzgeber abschließend geregelt sei, fehl, da eine Kollision dieser Vorschriften mit ihrem nur dienstlichen Regelungscharakter dann gar nicht möglich ist. Den angeblich strafverfahrensrechtlichen Regelungscharakter der § 7 nds bzw. § 11 ba-wü AGGVG begründet Frisch allein mit den Begründungen zu den Regierungsentwürfenl l , in denen von einer "Lückenfüllung" mit Hilfe der § 7 nds bzw. § 11 ba-wü AGGVG im Strafverfahren die Rede ist. Entscheidend für die Frage der Sperrwirkung der §§ 3, 6 EGStPO ist aber, wie Frisch12 selbst feststellt, der materielle Gehalt der § 7 nds und § 11 ba-wü AGGVG. Da der Wortlaut und Sinn dieser Regelungen sowohl eine innerdienstliche als auch die verfassungswidrige verfahrens rechtliche Interpretation zulassen, ist nach den Grundsätzen der verfassungskonformen Auslegung13 die innerdienstliche Interpretation vorzuziehen, da diese nicht zur Verfassungswidrigkeit führt. Schon daraus ergibt sich dann zwangsläufig die Interpretation der § 7 nds und § 11 ba-wü AGGVG als allein dienstrechtliche Konkretisierungen des allgemeinen beamtenrechtlichen Grundsatzes zur Enthaltung bei Parteilichkeit. Anders wäre es gewesen, wenn § 145 a E GVG vom Bundesgesetzgeber zum Gesetz gemacht worden wäre. Allerdings sei dem zukünftigen Gesetzgeber empfohlen, Vorschriften wie § 145 a E GVG in die StPO einzustellen. Das Gerichtsverfassungsrecht (GVG) soll nur die grundsätzlichen Qualifikationsfragen der Rechtspflegeorgane 14 und die Rechtspflegegrundrechte regeln, während die konkreten Auswirkungen aus der Natur der Sache in den Regelungszusammenhang der StPO gehören (vgl. z. B. den Grundsatz des gesetzlichen Richters in § 16 GVG und dessen Konkretisierung in §§ 22 ff.). Immerhin können die § 7 nds und § 11 ba-wü AGGVG ebenso wie § 145 a E GVG als Interpretationshilfen bei der Ausgestaltung der Disqualifikationsgründe de lege lata herangezogen werden. 3. § 180 TI StPO Ausschluß- und Ablehnungsregelungen, sowie die Revision wegen Mitwirkung disqualifizierter Amtsträger sichern und sanktionieren zuvorderst die Verpflichtung zur Objektivität und Unparteilichkeit. § 160 11, der die Staatsanwaltschaft verpflichtet, ausgewogene Ermittlungen zu führen, scheint deshalb auf den ersten Blick die grund11 12

13 14

Vgl. 1. Kap. 1. Fußn. 22. S.390. BVerfGE 32, 373, 383 ständ. Rspr. Kern / Wolf, Gerichtsverfassungsrecht (5. Aufl.), München 1975, § I, 3.

3. § 160 II StPO

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legende Rechtsnorm für die Bewältigung der Problematik der Mitwirkung des disqualifizierten Staatsanwalts zu sein. Zumal immer damit argumentiert wird, daß der Staatsanwalt, da er ebenso wie der Richter zur Objektivität und Unparteilichkeit verpflichtet ist, dann unter denselben Voraussetzungen ausgeschlossen und abgelehnt werden müsse 15 • In der Tat ist § 160 II für die Staatsanwaltschaft eine "ganz bedeutsame"16 Vorschrift, die "im Mittelpunkt des Selbstverständnisses der Staatsanwaltschaft"17 steht und erst die "rechtsethische"lS Fundierung. ihrer Tätigkeit gibt. Dennoch liefert § 160 II keinen tauglichen Rechtssatz, um de lege lata die gestellten Fragen der Mitwirkung eines ,befangenen' Staatsanwalts zu beantworten. Einmal gilt § 160 II nur im Ermittlungsverfahren. Selbst wenn man ihm Rechtssatzqualität im Hauptverfahren zugestehen wollte, was vielfach vertreten wirdi', so regelt § 160 II nur das Gebot, daß der Staatsanwalt tatsächlich ausgewogen ermittelt oder die Anklage in der Hauptverhandlung vertritt. Von einem eingangs 20 festgestellten, für eine Ausschluß regelung notwendigen (präventiven) Handlungsverbot ist in § 160 II nicht die Rede! Deshalb kann auch der Meinung21 nicht zugestimmt werden, die eine Disqualifikation wenigstens dann auf § 160 II stützen will, wenn der Staatsanwalt tatsächlich parteiisch amtiert, z. B. den Beschuldigten begünstigende Umstände einfach "unterschlägt". Eine Sanktion und Justizibilität der Verletzung der Verpflichtung zur Unparteilichkeit und Objektivität kann aus § 160 II deshalb nicht entnommen werden2!. Selbst wenn man aber ein Handlungsverbot bei tatsächlicher Unausgewogenheit akzeptieren würde, so wären damit die wirklich praktischen Fälle des Verbots der Mitwirkung eines den Anschein der Befangenheit erweckenden Staatsanwalts nicht erfaßt. Zudem würde § 160 II nur einen Teilaspekt der Tätigkeit23 der Staatsanwaltschaft regeln. Schließlich wird der Verstoß gegen § 160 II grundsätzlich im Ermittlungsverfahren zwar ein Verfahrensfehler sein, der aber die Aufhebung des Urteils nicht bedingen wird, da das Urteil grundsätzlich 15 Vgl. besonders OLG Stgt. NJW 1974, 1395; Bruns, Geb. Gabe S. 47; Henkel, StrafverfahrensR S. 135. le Eb. Schmidt LK II § 160, 3. 17 Kuhlmann S. 13. 18 Bruns, Geb. Gabe S. 48. 11 Eb. Schmidt aaO; Kleinknecht § 160, 14; Steffen DRiZ 1972, 154. zo Vgl. 1. Kap. 2. !l Frisch S. 390; Wendisch S. 249; Kuhlmann S. 13. zz Ähnlich Blomeyer GA 1970, 173: "Die Verpflichtung des § 160 II sei nicht prozeßual erzwingbar"; ebenso Fezer in: Gedschrift f. Schröder S. 414 f. Z3 Kohlmann, FS. f. Maurach S. 504 versteht § 160 als "fragmentarische Beschreibung der Tätigkeit" der Staatsanwaltschaft.

2. Kap.: Bisher angebotene Rechtsgrundlagen

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aus dem Inbegriff der Hauptverhandlung (§ 261) gefällt wird und deshalb auf einem Fehler im Ermittlungsverfahren nicht beruhen kann24 • Mit § 160 II wird damit ein Topos bemüht, der zwar Ausdruck des richtigen Ausgangspunktes einer rechtssatzmäßigen Regelung ist, aber die Last der rechtssatzmäßigen Regelung und ihrer Rechtsfolge nicht zu tragen vermag.

4. Die Verwendbarkeit der §§ 20, 21 VwVfG Gem. § 1 I VwVfG und den insoweit inhaltlich entsprechenden Landesgesetzen gelten die Vorschriften des Verwaltungsverfahrensgesetzes und damit auch die §§ 20, 21 VwVfG über den Ausschluß und die Besorgnis der Befangenheit von Amtsträgern im Rahmen der "öffentlichrechtlichen Verwaltungstätigkeit der Behörden" (§ 1 I VwVfG). Aus § 1 und § 2 VwVfG folgt, daß die §§ 20, 21 VwVfG grundsätzlich subsidiär anwendbar sind, wenn, wie etwa hier, die Bundes- bzw. Landesgesetze keine entsprechende Regelung enthalten. Zwar ist die Staatsanwaltschaft mit ihren Mitgliedern eine "Behörde" i. S. d. § 1 I VwVfG. Angesichts der unklaren25 Zuordnung der Tätigkeit der Staatsanwaltschaft im Strafverfahren zu einer der drei Gewalten i. S. d. Art. 20 GG und der starken sachlichen Anlehnung der staatsanwaltschaftlichen Aufgaben an das Strafprozeßrecht hat der Gesetzgeber26 gem. § 2 II Nr. 2 VwVfG die "Strafverfolgung" und damit die gesamte Tätigkeit der Staatsanwaltschaft im Strafverfahren aus dem Regelungsbereich und damit aus den §§ 20, 21 VwVfG herausgenommen. "Besonderheiten der strafverfahrensrechtlichen Materie", wie z. B. der Charakter des Ermittlungsverfahrens als Inquisitionsverfahren verbieten, obwohl auf den ersten Blick nicht einsehbar, jegliche, also auch eine analoge Anwendung der §§ 20,21 VwVfG. Ganz funktionslos für eine Grundlagenbetrachtung und Rechtssatzsuche sind die §§ 20, 21 VwVfG dennoch nicht, denn nach Aussage des Gesetzgebers 27 stellen die Vorschriften des VwVfG in der Regel die "Mindestanforderungen an ein rechtsstaatliches Verfahren" dar. Trotz unterschiedlicher Ausgestaltung und Aufgabenerfüllunghaben Ermittlungs- und Verwaltungsverfahren so viele Gemeinsamkeiten, so daß Dahs / Dahs, Revision Rdnr. 27, 175 ff.; BGHSt. 6, 328. Die Staatsanwaltschaft ist JustiZbehörde (vg!. L / R / Schäfer, Ein!. Kap.8, 5). Streit herrscht darüber, ob die Staatsanwaltschaft wegen ihren Funktionen mehr der Exekutive, der Rechtsprechung oder als selbständiges Organ der Rechtspflege zwischen den Gewalten einzuordnen: ist, vgl. L / R / Schäfer, Ein!. Kap. 8, 5 m. w. Nachw. 28 Begr. zum RegE des VwVfG BT-Drs. 7/910 S. 33; 21 BT-Drs. aaO; Kopp VwVfG § 2,1. !4

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5. Rechtsgrundlagen aus Art. 611 und II lVIRK?

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es erlaubt ist, die rechtsstaatliche Grundidee und die den §§ 20, 21 VwVfG zugrundeliegenden Zwecksetzungen als Argumentationshilfe für eine rechtssatzmäßige Ausschluß- und Ablehnungsregelung beim Staatsanwalt zu verwenden. Beini Verfahren des § 21 VwVfG ist an gegebener Stelle28 die Frage einer Rechtsanalogie zur Situation beim Staatsanwalt zu überlegen. 5. Redltsgrundlagen aus Art. 6 I 1 und n MRK? Nicht übersehen werden soll die Menschenrechtskonvention (MRK), die durch Gesetz vom 7.8.1952 (BGBI II S. 686)2~ in den Rang eines einfachen, unmittelbar geltenden Bundesgesetzes erhoben worden ist. Eine besondere Betrachtung der MRK empfiehlt sich, weil die in ihr enthaltenen Regelungen in besonderem Maße auf eine Besserstellung des Angeklagten im Strafverfahren hinzielen und deshalb für die vorwiegend zugunst~n des Angeklagten ausgerichteten Ausschluß- und Ablehnungsregelungenrechtssatzmäßige Aussagen enthalten könnten. Nach Art. 6 11 MRK hat jedermann Anspruch darauf, daß seine Sache in "billiger Weise öffentlich und innerhalb einer angemessenen Frist gehört wird und zwar von einem unabhängigen und unparteiischen, auf Gesetz beruhenden Gericht, das über ... die Stichhaltigkeit der gegen ihn erhobenen strafrechtlichen Anklage zu entscheiden hat"so. Der BGH31 folgert aus Art. 6 11 MRK, wie schon angedeutet, offenbar die Gültigkeitdes Grundsatzes des fairen Verfahrens in der Hauptverhandlung und will in seiner hypothetischen Äußerung eine Ablehnung des Staatsanwalts wegen Besorgnis der Befangenheit darauf stützen. Aber schon auf den ersten Blick .zeigt sich, daß Art. 6 I 1 MRK keine rechtssatzmäßige Aussagen für eine Ausschluß- und Ablehnungsregelung anbietet: Nur ein unparteiisches "Gericht" wird gefordert. Weiter geht der Wortlaut eindeutig davon aus, daß die Garantien nur im Zwischen- und Hauptverfahren, nicht aber im Ermittlungsverfahren gelten, da es zur Erhebung der Anklage, die nach Abschluß des Ermittlungsverfahrens erfolgt, gekommen sein muß. Aus Art. 6 II MRK wird neben der reinen Unschuldsvermutungsgarantie des "in dubio pro reo" auch das Verbot voreingenommener Behandlung des Beschuldigten im Verfahren gefolgert und auf die §§ 22 ff. hingewiesen32 • Für die Staatsanwaltschaft soll Art. 6 II MRK 18 28 30

31 32

Vgl. unten 6. Kap. 1. Vgl. auch BVerfGE 10, 271, 274. . Vgl. Text zu Art. 6 I IlVIRK bei Kleinknecht A 4 Art. 6 MRK. NJW 1980, 845.

Kleinknecht A 4 Art. 6 MRK, lL

2. Kap.: Bisher angebotene Rechtsgrundlagen

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aber nicht gelten, so daß auch diese Vorschrift keinen Ansatzpunkt einer rechtssatzmäßigen Regelung bietet33 • Allerdings ist es zweifelhaft, daraus zu folgern, daß die in Art. 6 11 MRK enthaltenen Grundsätze überhaupt nicht an die Staatsanwaltschaft adressiert sind. All diese Grundsätze und noch viel mehr sind im grundrechtlich fundierten Prinzip des "fairen Verfahrens" gern. Art. 2 I i. V. m. 1 I GG und dem Rechtsstaatsprinzip enthalten34 , die über Art. lIII und 20 GG an alle staatlichen Gewalten mithin auch an die Staatsanwaltschaft adressiert sind! Die MRK ist deshalb im bundesdeutschen Rechtsraum eine bloße Interpretationshilfe verfassungs rechtlich fundierter Rechtskontrolle und -Fortbildung! So wird auch die Entscheidung des BGH verstanden werden müssen, die bei der Nennung des Prinzips des fairen Verfahrens - auch - auf Art. 6 MRK verweist.

6. Der verfassungsrechtliche Grundsatz des "fairen Verfahrens" als Rechtsgrundlage oder analoge Anwendung der §§ 22 ff. StPO in "gesetzesimmanenter Rechtsfortblldung"? Da eindeutige einfach-gesetzliche Rechtsgrundlagen nicht vorhanden sind, wurden in der Diskussion zwei methodische Ansätze zur Rechtsfortbildung de lege lata versucht: der Ansatz des fairen Verfahrens als Rechtsgrundlage und die gesetzesimmanente Rechtsfortbildung mit analoger Anwendung der §§ 22 ff. Für Kuhlmann 35 und Wendisch38 ist das Recht auf ein faires Verfahren de lege lata Grundlage für Ausschließung und Ablehnung eines befangenen Staatsanwalts wie .auch für die Revision. Die Mitwirkung eines solchen Staatsanwalts stelle einen Verstoß gegen den Grundsatz des fairen Verfahrens dar und sei deshalb prozeßordnungswidrig und unzulässig. Das Prinzip des fairen Verfahrens folge aus der allgemeinen Fürsorgepflicht des Gerichts, das Verfahren justizförmig, pfleglich und zweckvoll zu gestalten. Ein dem Gedanken der Fairneß verpflichtetes Strafverfahren verlange von allen staatlichen Organen, mithin auch von der Staatsanwaltschaft, daß die zur Selbstbeschränkung staatlicher Mittel geschaffenen Vorschriften nicht nur korrekt, sondern auch fair gehandhabt werden. In § 160 11, der die Staatsanwaltschaft auch zur Ermittlung von den Beschuldigten entlastenden Umständen verpflichtet, habe dieser Grundsatz einen positiv-rechtlichen Niederschlag gefunden. Im Verhältnis der Staatsanwaltschaft zum Beschuldigten/Angeklagten könne die Notwendigkeit ihrer Selbstbeschränkung durchgehend festgestellt werden: a3 34

35

3e

Guradze, MRK, Berlin, Frankfurt 1968, Art. 6 Ziff. 22; I. Müller S. 61. BVerfGE 19, 342 (347), 22, 254, 265; Kleinknecht A 4 Art. 6 MRK, 11 f. S. 14 f. S. 250 f.; zustimmend auch Bruns JR 1980, 398.

6. Rechtsgrundlagen: ..fair trial" oder §§ 22 ff. StPO

31

So habe die Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren ein erhebliches verfahrensrechtliches übergewicht gegenüber dem Beschuldigten gewonnen. Eine richterliche Kontrolle finde nur noch bei besonders gravierenden Eingriffen statt. Durch das 1. StVRG habe die Staatsanwaltschaft zusätzliche Befugnisse erhalten. Von einer Waffengleichheit zwischen Angeklagtem und Ankläger könne kaum mehr gesprochen werden. Inwieweit die Staatsanwaltschaft unter Beobachtung des übermaßverbotes und der Verhältnismäßigkeit ihre Aufgaben durchführt, könne aber nicht allein durch die. Verpflichtung zur Objektivität des im Einzelfall ermittelnden Staatsanwalts gesichert werden! Deshalb müsse die Gewährung eines fairen Verfahrens bezweifelt werden, wenn ein durch seine persönlichen Bindungen beeinflußter oder sachlich vorbefaßter Staatsanwalt tätig wird. Daraus sei zu folgern, daß in einem solchen Fall von Befangenheit die Möglichkeit der Verletzung der gebotenen Objektivität so nahe liege, daß vom Standpunkt eines vernünftig denkenden Menschen die begründete Befürchtung bestehe, "der ermittelnde Staatsanwalt werde den Sachverhalt nicht mehr unvoreingenommen, sondern möglicherweise parteiisch, d. h. unter Mißachtung der Grundsätze eines fairen Verfahrens prüfen"37. Schließlich sei die Annahme auch nicht abwegig, dem Strafanspruch könne Gewalt angetan werden, wenn ein befangener Staatsanwalt amtiert. Endlich müßte die Mitwirkung eines möglicherweise voreingenommenen Staatsanwalts ebenso wie bei einem unbefangenen Richter das Vertrauen in die Unparteilichkeit der Rechtspflege mindern. Aus all dem folge die Notwendigkeit, richterähnliche Sicherungen der Unbefangenheit zur Wiederherstellung eines fairen Verfahrens de lege lata zuzulassen. Nach Kuhlmann38 bleibt dann nur noch zu prüfen, welche Tatsachen geeignet erscheinen, die Unvoreingenommenheit des Staatsanwalts so weit zu beeinträchtigen, daß seine Mitwirkung mit den Grundsätzen des fairen Verfahrens nicht mehr zu vereinbaren ist. Eine schlichte analoge Anwendung der §§ 22 ff. verbiete sich angesichts der unterschiedlichen Stellung der Staatsanwaltschaft zum Gericht. Vielmehr sei der Grundsatz des fair trial mit Hilfe der .. Richtlinien" der § 7 nds bzw. § 11 ba-wü AGGVG zu konkretisieren. Frisch39 dagegen will den "naheliegensten" methodischen Weg der gesetzesimmanenten Rechtsfortbildung, also der Lückenfeststellung allein mit Hilfe der immanenten Teleologie der StPO und Lückenausfüllung durch die analoge Anwendung der §§ 22 ff. gehen. 37 38 3D

Wendisch S. 251. S.14f. S. 390 f.

2. Ksp.!.Bisher angebotene Rechtsgrundlagen

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Den Versuch· Kuhlmanns, alle Erscheinungsformen und Rechtsfragen des disqualifizierten Staatsanwalts über den verfassungsrechtIichen Grundsatz des "fairen Verfahrens" und durch "Konkretisierung" an Hand der Richtlinie des § 7 nds AGGVG zu lösen, lehnt Frisch ausdrücklich ab. Bei der Rechtssatzsuche komme ein Rückgriff auf verfassungsrechtliche Prinzipien nur "in letzter Linie" in Betracht. Denn aus dem rechtsstaatlichen Begriff des "fair trial" könnten keine bestimmten Tatbestände von Ausschlußgründen herausdestiIIiert werden. Das Prinzip des fairen Verfahrens sei viel zu unbestimmt und unsicher. Bei solchen "bloß möglichen" oder "wünschenswerten" Konkretisierungen aus einem verfassungsrechtlichen Prinzip drohten grundsätzlich die Wertungen des einfachen Gesetzgebers durch "Konkretisierungsdesiderate" des Rechtsanwenders überspielt zu werden40 • Zwar verliere dieser Einwand an Gewicht, wo· das positive Recht, wie hier die StPO, bezüglich Ausschluß und Ablehnung des disqualifizierten Staatsanwalts selbst lückenhaft sei. Hier lasse eine verbreitete Meinung eine richterliche Rechtsfortbildung durch Konkretisierung von Verfassungsprinzipien zu. Aber ganz abgesehen davon, daß Kuhlmann eine Lücke nicht bewiesen habe, komme eine solche Lückenfüllung nur "in letzter Linie" in Betracht. Angesichts des ungesicherten Prinzips des fairen Verfahrens komme "allemal" zuvor eine Rechtsfortbildung anhand von speziellen Gesetzen (hier der §§ 22 ff. und §§ 20, 21 VwVfG) für vergleichbare Fallgruppen und bereits aufgestellten Grundsätzen und Entscheidungen zum Tragen .. Im Rahmen der für eine gesetzesimmanente Rechtsfortbildung notwendigen Suche nach einer Gesetzeslücke geht Frisch41 auf die Äußerungen des historischen Gesetzgebers von 187742 zurück und stellt zu Recht fest, daß von einem. für eine Gesetzeslücke notwendigen "beredtem Schweigen" einer gewollten Nichtgeltung der Ausschluß- oder Befangenheitsgründe keine Rede sein könne, da die Motive selbst die Mitwirkung persönlich beteiligter, vorbefaßter oder befangen erscheinender Staatsanwälte nicht etwa für unbeachtlich erklären, sondern im Gegenteil von einer "wünschenswerten", sogar einer "gebotenen" Ersetzung sprächen. Auch eine Verneinung eines formellen Ablehnungsrechts lasse sich aus den Motiven "schwerlich" entnehmen, weil der Gesetzgeber den Fall eines auf eine gerichtliche Entscheidung hinführenden formellen Ablehnungsrechts "gar nicht bedacht habe". Was insofern allein fehle, sei deshalb einerechtssatzmäßige Bekundung dessen, wovon der Gesetzgeber eigentlich ausging, womit Frisch 40 41 42

S.391. S. 396. Vgl. 1. Kap. 1.

6. Rechtsgrundlagen: "fair trial" oder §§ 22 ff. StPO

33

lediglich eine Rechtssatzlücke behauptet. Man könne deshalb hier darauf verzichten, das Gewicht von Äußerungen des historischen Gesetzgebers im Kontext der Lückenfeststellung allgemein und speziell bei zwischenzeitlich eingetretenen Wandlungen, sowohl in der Kompetenzausstattung der Staatsanwaltschaft als auch im Ausmaß genereller Rechtsschutzgewährung gern. Art. 19 IV GG, zu eruieren. Frisch geht dann dazu über, die Definition einer damit lediglich bestehenden "Regelungslücke" für die einzelnen Ausschluß- und Befangenheitsfälle entsprechend seines Ausgangspunktes der gesetzesimmanenten Rechtsfortbildung anhand "des im Gesetz objektivierten Regelungsplans" bzw. "gewisser im Gesetz anerkannter Grundsätze und Entscheidungen" festzustellen, und füllt diese Lücken mit den richterlichen "Vorwertungen" der §§ 22 ff. aus. Die analoge Anwendung der §§ 22 ff. sei nach dem im Rahmen eines Analogieschlusses geltenden Gebots der "Gleichbehandlung gleicher Sachverhalte"43 geboten, weil eine ausreichende Differenzierung zwischen der Mitwirkung eines befangenen Richters und befangenen Staatsanwalts im Regelungsplan der StPO nicht ersichtlich sei. Soweit bisher ersichtlich, hat sich die Rspr., vor allem die zitierten jüngsten Entscheidungen des BVerfG und des BGH, sowie die übrige Literatur zwischen den beiden Wegen nicht entschieden. Besonders unentschieden" ist man sich darüber, ob das umstrittene formelle Ablehnungsverfahren, wenn überhaupt, analog §§ 24 ff. "gesetzesimmanent", d. h. "aus allgemeinen Erwägungen über die Struktur des Strafprozesses und die Stellung der Staatsanwaltschaft" oder aus "übergeordneten verfassungs rechtlichen Verfahrensgrundsätzen" , eben des Prinzips des fairen Verfahrens, folgen soll. Symptomatisch für die derzeitige Diskussion sind die Ausführungen Wendischs45 , der sich deshalb nicht entscheidet, weil beide Wege "zum selben Ergebnis" führen würden. Diese Unentschiedenheit sei auch deshalb erlaubt, da beide Methoden nicht von einer eigenen "selbständigen und unmittelbaren" Grundlage für einen Ausschluß und eine Ablehnung ausgingen, ihnen vielmehr als Ausgangspunkt "letztlich die den §§ 22 ff. StPO zugrundeliegenden Erwägungen unter Berücksichtigung der besonderen Stellung der Staatsanwaltschaft im Strafverfahren dienen". Daß innerhalb dieser beiden methodischen Richtungen die Rechtsgrundlage zu finden ist, dürfte unbestritten sein. Allerdings muß im Interesse einer rechtssatzmäßigen Regelung de lege lata und der Rechts'3 U

S.400.

Vgl. repräsentativ Kleinknecht 6 vor § 22; ebenso unentschieden BGH

NJW 1980, 845. 4S S.251. 3 Schalrer

34

2. Kap.: Bisher angebotene Rechtsgrundlagen

sicherheit und -klarheit eine Entscheidung getroffen werden, zudem Staatsanwaltschaft und Gerichte noch ungern bereit sind, der Forderung der Literatur zur Anwendung der §§ 22 ff. zu folgen.

7. Kritik und eigener Ansatz: Das eigenständige staatsanwaltscbaftliche präventive Handlungsverbot bei Befangenheit Gegen den methodischen Weg der gesetzesimmanenten Rechtsfortbildung ist einzuwenden, daß er dem heutigen Verständnis des Strafverfahrens vom "angewandten Verfassungsrecht"46 nicht entspricht. Rechtsfortbildung kann heute nicht ohne die für das Strafverfahren wesentlichen Prinzipien des Verfassungsrechts erfolgen. Eine Lückenfeststellung kann deshalb zwar unter Berücksichtigung der historischen Intentionen des Gesetzgebers erfolgen, dahingestellt sein lassen kann man aber das Verhältnis von Verfassungsrecht und dem Gewicht der Äußerung von 1877, wie Frisch meint, nicht. Vielmehr ist eindeutig jede Lückenfeststellung und -ausfüllung an Hand der Wechselwirkung von aktuellem Verfassungsverständnis und Regelungsplan der StPO zu leisten. Zudem scheint der methodische Ansatz von Frisch auf einem Mißverständnis zu beruhen. Denn die Idee der "gesetzesimmanenten" Rechtsfortbildung ist von Larenz 47 unter dem Eindruck der Rechtsfortbildung in der Privatrechtsordnung geschaffen worden, in der in der Tat eine Lückenfeststellung und -ausfüllung allein mit Hilfe des einfach-gesetzlichen Regelungsplanes möglich ist. Während aber im Privatrecht ein Ausgleich privater Interessen stattfindet und die gesetzlichen Regelungen, z. B. im BGB, Ergebnisse eines wertenden Ausgleichs sind, die so aber auch anders lauten können, geht es im Strafverfahren vorwiegend um die Legitimation hoheitlicher Eingriffe in grundrechtlich geschützte Interessensphären des Bürgers, was schon damit anfängt, daß der Bürger mit einem Strafverfahren überzogen wird. Rechtsstaat und Grundrechtsschutz sind deshalb wesentlicher Bestandteil des Strafverfahrensrechts. Auch Frisch48 kann letztlich ohne Verfassungsprinzipien nicht auskommen und verläßt den Boden seiner "Gesetzesimmanenz" , wenn er zur Begründung eines von ihm wenigstens für das Ermittlungsverfahren vertretenen formellen gerichtlichen Ablehnungsverfahrens analog §§ 24 ff. Art. 19 IV GG und die nur verfassungs4S BVerfGE 32, 373 (383), Sax in: Die Grundrechte 111/2 S. 967, BGHSt 19, 325 (330) und schon Henkel, Das deutsche Strafverfahren, Hamburg (1943), S. 123, der für das Strafverfahren den Begriff des "angewandten Verfassungsrechts" verwandte; vgl. auch Kohlmann, FS f. Peters S. 313. 47 Methodenlehre S. 354. 48 S.401.

7. Kritik und eigener Ansatz für Rechtsgrundlagen

35

und grundrechtsspezifisch begründbare Garantie des effektiven Rechtsschutzes bemüht. Andererseits ist Frisch Recht zu geben, daß, abgesehen von der Frage, ob das verfassungsrechtliche Prinzip des fairen Verfahrens allein überhaupt einen Ausschluß wie ein Ablehnungsverfahren de lege lata zu tragen vermag, die isolierte Berufung auf das Recht auf ein faires Verfahren keine Rechtssätze über Ausschluß und Ablehnung und deren Tatbestände zu begründen vermag. Letztlich wird deshalb nur eine Kombination von Verfassungsprinzipien und der Teleologie der StPO, welche Aufgaben und Funktionen der Staatsanwaltschaft bestimmt, eine rechtssatzgeeignete Basis liefern. Wie diese Rechtsgrundlage aussehen wird, ist durch die Methodik eines Analogieschlusses vorherbestimmt. Denn die Frage nach Rechtssätzen ist ja nichts anderes als die Frage nach der Möglichkeit eines Analogieschlusses zu den §§ 22 ff. und evtl. zu § 21 VwVfG! So läßt sich ein Analogieschluß rechtsmethodisch49 in einen induktiven Schluß vom besonderen geschriebenen Recht der §§ 22 ff. auf das allgemeine Prinzip, das den §§ 22 ff. zugrunde liegt und einem Vergleich dieses Prinzips mit einem für den Staatsanwalt festzustellenden allgemeinen Prinzip, das die Mitwirkung des befangenen Staatsanwalts für unzulässig erklärt und Grundlage für eine Ausschluß- und Ablehnungsregelung ist, aufschlüsseln. Soweit beide allgemeine Prinzipien gleichartig sind, gebietet dann das von Frisch60 zu Recht angewandte Gebot der Gleichbehandlung gleicher Sachverhalte im Wege eines deduktiven Schlusses die Anwendung der §§ 22 ff. auf die speziellen staatsanwaltschaftlichen Sachverhalte. Die für eine staatsanwaltschaftliche Ausschluß- und Ablehnungsregelung gesuchte Rechtsgrundlage ist damit nichts anderes als ein staatsanwaltschaftliches Unbefangenheitsprinzip, das dieselben Zwecksetzungen wie das den §§ 22 ff. zugrunde liegende richterliche Unbefangenheitsprinzip haben muß. Wendisch ist deshalb zu widersprechen, wenn er die Suche nach einer eigenen staatsanwaltschaftlichen Rechtsgrundlage für unnötig hält, weil sowieso keine "selbständige und unmittelbare" Rechtsgrundlage existiere. Eine solche selbständige Rechtsgrundlage ist für den Analogieschluß zwingend notwendig und gar nicht so schwierig, de lege lata festzustellen. Dieser Weg ist nicht neu, eher selbstverständlich, weil rechtslogisch bedingt. Er ist im Verwaltungsverfahrensrecht vor Inkrafttreten der §§ 20, 21 VwVfG überall dort gegangen worden61, wo keine Spezialvorschriften, wie etwa die BefanC8

60

Larenz, Methodenlehre S. 367 und Canaris S. 98.

S.401.

61 Vgl. dazu grundlegend: Dagtoglou, Festgabe Forsthoff, S. 65 ff.; Kirchhoff VerwA 1975, 370 ff.; Marre, Befangenheit im Verwaltungsverfahren;

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2. Kap.: Bisher angebotene Rechtsgrundlagen

genheitsregelungen in den Gemeindeordnungen, vorzufinden waren. Dann mußte aus allgemeinen Verfassungs- und Verwaltungsgrundsätzen kombiniert ein verwaltungsverfahrensrechtliches Unparteilichkeitsprinzip de lege lata entwickelt werden. Zur Bestimmung eines notwendig eigenständigen staatsanwaltschaftlichen Unbefangenheitsprinzips ist deshalb zuvorderst zu fragen, welche Zweckrichtungen und verfassungsrechtlichen Grundsätze hinter den für eine Analogie in Frage kommenden §§ 22 ff. stehen: Ganz allgemein sollen die §§ 22 ff. die "personalen Voraussetzungen für Gerichtspersonen für ein justizförmiges faires gerichtliches Verfahren"62 verwirklichen. Damit ist die verfassungs rechtliche Rechtsquelle schon angesprochen. Es ist das Rechtsstaatsprinzip gern. Art. 20 GG und das Prinzip eines fairen Verfahrens, dessen Kernaussage aus den Art. 2 I i. V. m. Art. 1 I GG gezogen wird, wonach sich jedes Verfahren am Grundsatz auszurichten hat, den betroffenen Bürger nicht als Objekt, sondern als Subjekt des Verfahrens mit eigenständigen, selbständig ausübbaren Rechten und Pflichten zu betrachten53 • Beim Richter werden die personalen Voraussetzungen, die Art. 20 GG wie Art. 2 I und 1 I GG zu entsprechen haben, zusätzlich durch die Gebote des "gesetzlichen Richters" gern. Art. 101 12 GG speziell verbürgt54 • Neben der Verbürgung, daß dem Verfahrensbeteiligten im voraus "ex ante" ein allein durch Zuständigkeits- und Geschäftsordnungsregelungen bestimmter Richter gegenübertritt, gebietet Art. 101 12 GG weiter, daß auch im Verfahren gern. §§ 22 ff. der gesetzliche Richter gewährleistet wird. Ein den Anschein der Befangenheit erweckender Richter ist danach nicht mehr der gesetzliche Richter. Der gesetzliche Richter wird dabei in zwei Verfahrenskomplexen verwirklicht: Einmal mit den §§ 22 ff., denen ein Handlungsverbot bei Anschein der Befangenheit (präventives Handlungsverbot55) zugrunde liegt. Dieses besteht aus einem Tatbestand, der die Disqualifikationsgründe des iudex inhabilis ("Ausschlußgründe") der §§ 22, 23 und die des iudex HessVGH JZ 1971, 257 ff. m. Anm. Dagtoglou u. w. Nachw., der das thür. OVG Jena NJW 1947/48, 38 zitiert, wonach das in der Verwaltung geltende Unparteilichkeitsprinzip ein "zum gemeindeutschen Gewohnheitsrecht" gewordener Verwaltungsrechtsgrundsatz sei; schließlich Kopp S. 42 ff., 88; Begründ. z. RegE zu § 17 EVwVfG 1973 BT-Drs. 7/910 S. 47: § 17 (heute § 21 VwVfG) entspreche einem "in der Verwaltung herrschenden Selbstverständnis"; Wolff VerwR II § 73 III c B); Besche DOV 1972, 636 ff.; Kopp VwVfG § 20, 1 m. zahlr. Nachw. aus der Rspr. 62 KMR / Paulus 2 vor § 22. 63 Vg!. grundlegend BVerfG NJW 1975, 103, L / R / Schäfer Ein!. Kap. 6, 16 ff. und hier 3. Kap. 6. 54 KMR / Paulus 2 vor § 22; BVerfGE 4, 412 (416) und DOV 1976, 240. 55 Ebenso für die Konstruktion eines (präventiven) Handlungsverbots: Kirchhoff S. 301 ff., Marre S. 18 ff.

7. Kritik und eigener Ansatz für Rechtsgrundlagen

37

suspeetus ("Besorgnisgründe") i. S. d. § 24 II beinhaltet und der Rechtsfolge einer solchen Tatbestandserfüllung, der Disqualifikation und prozessualen Unzulässigkeit bei Weiterhandeln, die bei "Ausschlußgründen" ex lege und ex tune, bei "Besorgnisgründen" gern. § 24 bei Initiative und ab dem Zeitpunkt des Anbringens des Ablehnungsgesuchs ex nune (§ 29) eintritt. Des weiteren gewährleistet Art. 101 I 2 GG nach der Rspr. des BVerfG56 auf jeden Fall ein Ablehnungsrecht des Verfahrensbeteiligten, welches das präventive Handlungsverbot mittels einer gerichtlichen Entscheidung darüber sichern und durchsetzen soll. Die Zwecksetzungen eines solchen richterlichen Handlungsverbots und des zusätzlichen formellen Ablehnungsverfahrens sind zuvorderst präventiver Natur und können in drei wesentliche57 Schutzrichtungen aufgeteilt werden: "Durch Ausschaltung bereits des Anscheins des Parteilichkeitsverdachts"58 soll vorgebeugt werden, (1) der möglichen prozeßwidrig-sachfremden Beeinflussung zuverlässiger Tatsachenfeststellung und richtiger rechtlicher Beurteilung59 (objektiver 60 Sicherungszweck des Verfahrens); (2) der Störung des Vertrauens der Allgemeinheit in eine objektiv willkürfrei gehandhabte Strafrechtspflege 61 (objektiver Schutzzweck der Legitimation der Rechtspflegekompetenzen), und (3) der Störung des sich aus der Subjektstellung ergebenden notwendigen Schutzes des Vertrauens des vom Verfahren Betroffenen, insbesondere des Beschuldigten/Angeklagten in einen objektiv willkürfrei agierenden Richter62 (subjektiver 60 Schutzzweck der Legitimation gegenüber den Verfahrensbeteiligten). Solche Zwecksetzungen müssen als Voraussetzung einer analogen Anwendung der §§ 22 ff. beim Staatsanwalt ebenso festgestellt werden, G8 BVerfG NJW 1971, 1030; BVerfGE 21, 139 ff. (145), deshalb war § 6 11 FGG a. F. verfassungswidrig, da er nur eine Ausschlußregelung enthielt. G7 Der für das Straf- und Verwaltungsverfahren genannte zusätzliche subjektive Schutzzweck der Vorbeugung möglicher Gewissenskonflikte des Amtsträgers wird eher durch die beamtenrechtlichen Vorschriften aufgefangen. 58 KMR / Paulus 2 vor § 22. 59 RGSt. 17, 175; 30, 70 (§ 22 Nr. 5); BGHSt. 3, 68 (69); 9, 193 (194); 28, 265 = MDR 1979, 414; KMR / Paulus 2 vor § 22. 80 Zu dieser Klassifizierung: Dagtoglou S. 81. 81 RGSt. 28, 53 (54); 59, 267; BGHSt. 14, 219, 221; ebenso Hahn, Mat. Bd. 31. S.81. 82 RGSt. 61, 69; 45, 42; vor allem BVerfGE 30, 149 (153) = BVerfG NJW 1971, 1029 und diss. opinion der Richter Leipholz, Geiger und Rinck S. 1031 ff.; sowie Arzt, S. 3, 5 ff., unter Hinweis auf das frühere schlicht mit der Begründung einer subjektiven Vertrauenskrise mögliche "peremptorische Recusationsrecht" .

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2. Kap.: Bisher. angebotene Rechtsgrundlagen

um daraus dann ein staatsanwaltschaftliches präventives Handlungsverbot mit Tatbeständen und Rechtsfolgen und eventuell ein Ablehnungsrecht rechtssatzmäßig begründen zu können. Allerdings zeigt schon der erste Blick, daß die besondere verfassungsrechtliche Verbürgung des Art. 101 12 GG, die insbesondere ganz unproblematisch zu einem formellen Ablehnungsverfahren gem. §§ 24 ff. führt, auf den Staatsanwalt nicht anwendbar ist. Es gibt keinen "gesetzlichen Staatsanwalt", weil er weder eine wie in Art. 97 GG festgelegte weisungsfreie und unabhängige Stellung innehat, noch gem. Art. 92 ff. GG die Aufgaben der "Rechtsprechung"83 wahrnimmt, wie z. B. rechtskräftiges64 Urteilen über kriminelles Unrecht 66 , noch Eingriffskompetenzen bei schweren64 Grundrechtsbeeinträchtigungen hat. Im 3. Kapitel sollen deshalb die ein eigenständiges staatsanwaltschaftliches präventives Handlungsverbot konstituierenden Rechtsgrundlagen und Inhalte festgestellt werden.

83 Der Streit darüber, ob die Staatsanwaltschaft zur "Rechtsprechung" 1. S. d. Art. 92 GG gehört, ist nicht mehr aktuell (vgI. dazu ausführlich m. Nachw.: Kausch S. 96 ff.). N BVerfGE 9, 97; Bettermann AöR 92, 498 ff.; Eb. Schmidt LK I, 12, 14; Arndt NJW 1961, 1617. 85 Nach BVerfGE 22, 49 ff. muß der Richter bei "schwerem" hoheitlichen Eingriff, d. h. bei "kriminellem" Strafen, zuständig sein.

Drittes Kapitel

Rechtsgrundlagen, Inhalt, Umfang und Schutzzweck eines prinzipiellen staatsanwaltschaftlichen präventiven Handlungsverbots bei Befangenheit 1. Das Handlungsverbot bei "regelmäßiger" Besorgnis der Befangenheit (Figur des "ausgeschlossenen" Staatsanwalts) Unproblematisch scheint auf den ersten Blick die Begründung eines Handlungsverbots bei Mitwirkung des "ausgeschlossenen" Staatsanwalts zu sein, da es eigentlich genügen müßte, die inzwischen ständige Revisionsrechtsprechung zur Begründung eines Verfahrensfehlers bei Mitwirkung des "ausgeschlossenen" Staatsanwalts heranzuziehen, da eines Gesetzesverletzung i. S. v. § 337 rechtslogisch ein Handlungsverbot voraussetzt, gegen das der "ausgeschlossene" Staatsanwalt bei seiner Mitwirkung verstoßen hat. Betrachtet man die Begründung eines solchen Verfahrensfehlers wegen der Mitwirkung eines als Zeugen vernommenen Staatsanwalts, so sind Formeln zu finden, wie, die Stellung eines Zeugen sei "mit den Funktionen eines Staatsanwalts nicht vereinbar"1, bzw. die weitere Mitwirkung vereinbare sich nicht mit der Rechtsstellung der Staatsanwaltschaft2 bzw. mit der "Struktur des Strafprozesses"3. Abgesehen davon, daß diese Begründungen ganz auf den spezifischen Fall des Staatsanwalts als Zeugen zugeschnitten sind, bieten sie in ihrer Allgemeinheit zu wenig Ansatzpunkte für eine Grundlage zur Analogie der §§ 22 ff. Aussagen über ein Handlungsverbot im Ermittlungsverfahren mußte die Revisionsrechtsprechung mangels Kausalität eines Verfahrensfehlers überhaupt nicht machen. Symptomatisch ist auch die Begründung Dünnebiers 4 für andere als die bei Mitwirkung eines als Zeugen vernommenen Staatsanwalts möglichen Verfahrensfehler, die im wenn-schon, denn-schon Schluß gefaßt ist. So müsse auch bei anderen Fällen des "ausgeschlossenen" Staatsanwalts ein Verfah1

RGSt. 29, 236; ähnlich GA 67, 436; 71, 92; JW 1933, 523 Nr. 17 m. Anm.

Drucker. 2

S 4

BGHSt. 14,266; ebenso BGHSt. 21, 89, 90; MDR 1957, 167. BGH NJW 1980, 845. L / R / Dünnebier 15 vor § 22.

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3. Kap.: Definition des Handlungsverbots beim befangenen Staatsanwalt

rensfehler bejaht werden, da dort nichts anderes gelten könne. Zudem argumentiert die Rspr. wie Frisch auf rein gesetzes immanenter Basis, ohne verfassungsrechtliche Grundlagen zur erwähnen, was dazu führt, daß nicht alle Einwände gegen eine staatsanwaltschaftliche Ausschlußregelung de lege lata bewältigt werden können. Ganz deutlich wird die Notwendigkeit der Bestimmung eines eigenständigen staatsanwaltschaftlichen Handlungsverbots 6 aus dem kombinierten Maßstab von Verfassungsrecht und Teleologie des Verfahrensrechts, wenn die Einwände von Oppe6 widerlegt werden sollen. Nach Oppe widerspricht ein verfahrensrechtlicher Ausschluß ex lege dem "System des Strafverfahrens" und § 145 GVG. Die organisationsrechtliche Stellung der Staatsanwaltschaft und die gebotene Arbeitsund Funktionsfähigkeit der Staatsanwaltschaft werde sonst unvertretbar beeinträchtigt. Für eine Ausschlußregelung könnten nur "optische Gesichtspunkte" angeführt werden. Das strafverfahrensrechtliche System kenne zwar den gesetzlichen Richter und die notwendige Ergänzung hierzu des "kraft Gesetzes ausgeschlossenen Richters". Einen "gesetzlichen" Staatsanwalt gebe es dagegen nicht, da nach § 145 GVG der Vorgesetzte des Staatsanwalts sein Devolutions- und Substitutionsrecht ausüben könne, wenn ein "befangener" Staatsanwalt zu besorgen sei. Die Befugnisse würden gerade die Besonderheit und Stärke der Staatsanwaltschaft ausmachen, die nicht durch einen "gesetzlichen" Staatsanwalt als Folge der entsprechenden Anwendung der §§ 22, 23 eingeengt werden dürften. § 145 GVG biete den Vorteil, den Staatsanwalt einzusetzen, der die Gewähr der besten Sachkunde und persönlichen Fähigkeiten biete. Würde dem Vorgesetzten diese Entscheidung durch die Ausschlußregelung ex lege aus der Hand genommen, so sei die "Wahrheitsfindung" erschwert. Zudem würden staatsanwaltschaftliche Sonderdezernate mit Fachstaatsanwälten ihren eigentlichen Sinn verlieren. Dahs7 hat in seiner Erwiderung diesen Ausführungen zu Recht eine schwerwiegende Verkennung rechtsstaatIicher Zusammenhänge attestiert. "Ausschlußregelungen" und ein damit zugrundeliegendes präventives Handlungsverbot existieren bekanntlich nicht nur beim "gesetzlichen" Richter, sondern finden sich im justiziellen Bereich bei Rechtspflegern, Gerichtsvollziehern, Notaren und Urkundsbeamten8 und 5 Zweifel an der von der Rspr. bisher angebotenen Rechtsgrundlage äußert auch Fuchs Anm. zu OLG Stgt. NJW 1974, 1396 f. e DRiZ 1971, 24 zur Frage der Analogie zu § 2311; ähnlich Blomeyer GA

1970, 161, 166. 7 DRiZ 1971, 84. 8 § 10 RpflG, § 155 GVG, §§ 16 BNotO, 3 BeurkG, §§ 31, 74 StPO.

1. Das Handlungsverbot beim "ausgeschlossenen" Staatsanwalt

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über den justiziellen Bereich hinaus 9 insbesondere bei Verwaltungsbeamten jeglicher Fachrichtung (§ 20 VwVfG), in den Gemeindeordnungen für ehrenamtliche Gemeinderäte 10 und in zahlreichen anderen Sachgebietenl l . Art. 101 12 GG ist nur eine spezial-verfassungsrechtliche "Gewährsnorm"12, die als Prozeßgrundrecht wegen der besonderen Aufgaben und Kompetenzen des Richters das richterliche Unbefangenheitsprinzip besonders sichert. Für ein Junktim des "gesetzlichen" Amtsträgers und des "kraft Gesetzes ausgeschlossenen Amtsträgers" gibt es keinerlei verfassungsrechtliche Vorentscheidungen. Hinter allen Ausschlußregelungen - auch hinter den §§ 22 ff. - steht einmal die rechtsstaatliche Idee des Gerechtigkeitspostulats der Sachgemäßheit 13 , wonach Amtshandlungen staatlicher Organe in fremden Angelegenheiten, nämlich in Angelegenheiten des betroffenen Bürgers, nur dann legitimiert!' sind, wenn nicht nur der tatsächlichen inneren Voreingenommenheit, die kaum festgestellt werden kann 1s , sondern schon der objektiven Möglichkeit der Gefährdung des gebotenen sachlichen HandeIns begegnet wird. Mit einem solchen, schon die objektive Möglichkeit der Voreingenommenheit erfassenden und deshalb präventiven Handlungsverbots bei Befangenheit sollen Gefährdungen der Sachlichkeit vermieden werden. Das präventive Handlungsverbot ist deshalb eine notwendige Vorbedingung 16 gebotenen sachlichen Handelns und notwendiger Bestandteil des Gerechtigkeitsgebots der Sachgemäßheit. Art. 20III GG spricht dieses Handlungsverbot für das Verhältnis der Staatsanwaltschaft zu den Verfahrensbetroffenen rechtlich verbindlich aus 17 • Denn die Staatsanwaltschaft ist, gleichgültig ob sie 8 Vgl. Begr. zum RegE. zu § 16 (heute § 20) EVwVfG 1973 BT-Drs. 7/910 S. 45, der feststellt, daß das Prinzip der Unbefangenheit wesentlicher Bestandteil jedes und nicht nur des gerichtlichen Verfahrens ist. 10 z. B. § 18 ba-wü GemO. 11 Vgl. die Hinweise bei St/B/L VwVfG § 20, und und Wolff, VerwR II § 73 c 2. 11 Maunz in M / D / H / S, Art. 101,37. 13 Vgl. besond. Marre S. 48 f.; Wolff, VerwR III § 156, III e. 14 Dies betont Rieß, FS f. Schäfer S. 195 auch für die Staatsanwaltschaft; ganz deutlich wird die Legitimationswirkung im Verwaltungsverfahren, wenn Kirchhoff (S. 376) als verfassungsrechtlichen Geltungsgrund für ein Unbefangenheitsgebot das Demokratieprinzip anführt. Die Allgemeinheit werde nur durch unbefangenes Verwaltungshandeln demokratisch repräsentiert! 1G Kopp S. 176. 18 Kirchhoff S. 370; Dagtoglou S. 66. 17 Aus Art. 3 I GG ein präventives Handlungsverbot bei Befangenheit zu folgern (so aber Kopp S. 175 f. und VwVfG § 20, 3) geht zu weit, da Art. 3 I GG nicht "originär", sondern nur als Gleichheit vor dem Gesetz und damit "derivativ" Geltung erlangen kann und in dieser Gestalt nichts anderes als eine grundrechtliche Ausgestaltung des Gerechtigkeitsgebots der Sachgemäß-

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3. Kap.: Definition des Handlungsverbots beim befangenen Staatsanwalt

mehr der Exekutive l8 , der Judicative 19 oder zwischen den bei den Gewalten als selbständiges Organ der Rechtspflege 20 einzuordnen ist, an "Recht" und "Gesetz" und damit auch an die Vorbedingungen zur Gewährleistung der Verpflichtung aus Art. 20111 GG gebunden. Soweit von der Staatsanwaltschaft striktes gesetzes gebundenes Amtshandeln verlangt wird, ist sie an das "Gesetz" gebunden. Eine Gefährdung des "Gesetzes" ist es, wenn die Gefahr besteht, daß ungesetzliche, d. h. voreingenommene Motivationen in die Amtshandlung einzufließen drohen. Soweit die Staatsanwaltschaft in Entscheidungsräumen zu handeln befugt ist, was besonders im Ermittlungsverfahren durch die zweckbedingten Ermittlungen, den unbestimmten Rechtsbegriffen mit Beurteilungsspielraum (z. B. "genügender Anlaß zur Erhebung der öffentlichen Klage gem. § 170 I) und die Verfügungen gem. §§ 153 ff. im Rahmen des Opportunitätsprinzips von praktischer Bedeutung ist, gewährleistet die Bindung an das "Recht" die Sachlichkeit und ebenso erfordert diese Bindung als Vorbedingung wieder das präventive Handlungsverbot bei Befangenheit. Betrachtet man die AufgabensteIlung der Staatsanwaltschaft im Strafverfahren und ihre Einflußmäglichkeiten, dann wird das präventive Handlungsverbot noch dringender21 • Die Staatsanwaltschaft erfüllt mit dem Richter in arbeitsteilig-funktionalem22 Zusammenwirken die staatliche Justizgewährungspflicht in den Angelegenheiten des Bürgers. Der Staatsanwalt muß deshalb nicht nur im "selben Verpflichtungsverhältnis zur Objektivität" stehen - wie es Eberhard Schmidt22 schon vor der Kompetenzerweiterung durch das 1. StVRG ausgesprochen hat -, sondern muß ebenso wie der Richter und ebenso wie alle anderen Rechtspflegeorgane dann, wenn die Gefährdung dieser gebotenen Objektivität besteht, weil voreingenommene Motivationen einzufließen drohen, einem präventiven Handlungsverbot unterliegen und disqualifiziert werden. Angesichts der starken Stellung der Staatsanwaltschaft heit ist (vgl. Hesse, Grundzüge, § 6 11 2) und deshalb hier keine selbständige Bedeutung hat, was auch Kopp (S. 167) letztlich zugesteht. Kirchhoff (S. 374 Fußn. 30) und Marre (S. 44 f.) wollen unter dem Eindruck des Willkürverbots wenigstens "schwere" tatsächliche Befangenheitsfälle von Art. 3 I GG erfaßt sehen, was aber keine dogmatische oder praktische Bedeutung hat. Ein anderes Problem ist, inwieweit Art. 3 I GG Bedeutung für die Frage der grundrechtlichen Notwendigkeit eines formellen Ablehnungsverfahrens aus dem Prinzip der Waffengleichheit und eines fairen Verfahrens hat; dazu 6. Kap. 18 Baumann, Grundbegriffe S. 73. 19 A. Arndt NJW 1961, 1617; Kausch S. 226. 20 Roxin, StrafverfahrensR S. 46 f.; Eb. Schmidt MDR 1964, 713 f. 21 Für eine Befürwortung einer Ausschlußregelung aus diesem Grund: Dahs DRiZ 1971, 84; Grünwald, Gutachten C 31 ff.; RieB, FS f. Schäfer S. 195, 197; Frisch S. 398: "dringlicher als bei anderen Staatsbehörden" . 21 Eb. Schmidt MDR 1964, 630.

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im Ermittlungsverfahren, in dem sie seit dem 1. StVRG und der Abschaffung des Untersuchungsrichters bis zu den Schlußverfügungen die Weichen stellt und Entscheidungen in überwiegend eigener Verantwortung trifft und der besonders vom OLG Stgt28 hervorgehobenen notwendigen Unterstützung des Gerichts in der Wahrheits- und Rechtsfindung im Hauptverfahren, dürfte es keinem Zweifel unterliegen, daß aus Art. 20III GG i. V. m. der arbeitsteilig-funktionalen Stellung der Staatsanwaltschaft im Strafverfahren diese objektive Zwecksetzung der Vermeidung möglicher prozeßwidrig sachfremder Beeinflussung bei Mitwirkung eines "ausgeschlossenen" Staatsanwalts gelten muß. Die Konsequenz eines solchen präventiven Handlungsverbots bei regelmäßiger Besorgnis der Befangenheit ist, wie Oppe bemängelt hat, in der Tat, daß die Organisation der Staatsanwaltschaft, da das Handlungsverbot strafverfahrens rechtliche Wirkung hat, keinerlei Einfluß auf die Disqualifikation hat. Damit können auch sachkundige und zum Teil mit langwierigen Ermittlungen befaßte Staatsanwälte für dieses Verfahren verlustig gehen. Auch der Beschuldigte oder Angeklagte kann nicht durch seine Behauptung, er besorge die Befangenheit des Staatsanwalts nicht, den ihm sachkundig erscheinenden "sympatischen" Staatsanwalt halten. Diese für die Funktionsfähigkeit der Staatsanwaltschaft und der Rechtspflege unangenehme Konsequenz kann zusätzlich neben der Zwecksetzung, eine Gefährdung der Sachlichkeit zu vermeiden, noch aus dem ebenfalls aus dem Rechtsstaatsprinzip folgenden Grundsatz, der sich in einem bekannten englischen Richterwort24 niederschlägt, gerechtfertigt werden, daß nämlich Gerechtigkeit "nicht nur geübt werden soll, sondern es soll auch offenbar und unzweifelhaft sichtbar sein, daß sie geübt wird". Aus Art. 20 III GG und der Stellung der Staatsanwaltschaft folgt deshalb auch, daß ein präventives Handlungsverbot zum Zweck der Erhaltung des Vertrauens der Allgemeinheit in eine objektiv-willkürfrei arbeitende Staatsanwaltschaft besteht. Für die Hauptverhandlung hat das OLG Stgt25 ein Handlungsverbot für den Staatsanwalt in der Berufungsverhandlung, der in der 1. Instanz das Urteil gefällt hat, vorwiegend eben mit dieser Zwecksetzung begründet. Angesichts der Stellung des Staatsanwalts "als Organ der Rechtspflege und seiner Aufgabe, das Gericht bei der Wahrheits- und Rechtsfindung" zu unterstützen, sei "es nicht vereinbar", wenn der Staatsanwalt nach "dem Eindruck dieses Außenstehenden" voreingeNJW 1974, 1395. Vgl. das Zitat bei Kopp S. 44 von Lord Hewart in R. v. Sussex Justiee, ex parte Me Charty, 1924, 1. K. B. 259: "Justiee should not be done, but should manifestly and undoubtly be seen to be done." 25 NJW 1974, 1395. !3

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nommen ist. Betrachtet man sich die Rspr. des RG und des BGH zur Begründung eines richterlichen Handlungsverbots bei regelmäßiger Besorgnis der Befangenheit, so werden nur diese beiden objektiven Zwecksetzungen eines Handlungsverbots angeführt. Entweder wird vom Zweck der Vermeidung der fehlerhaften Beeinflussung von Empfindungen und Einstellungen des Richters "auf die Schuld- und Straffrage"26 oder schlicht vom "Schutz des Strafverfahrens"27 oder dem "Schutz des Ansehens der Rechtspflege"28 gesprochen. Auch das OLG Stgt. begründet den Ausschluß des vorbefaßten Staatsanwalts nur mit objektiven Zwecksetzungen. Richtig daran ist, daß konstitutiv die Disqualifikation bei Ausschlußgründen nur mit diesen objektiven Zwecken begründet zu werden braucht. Der subjektive Schutzzweck, die Besorgnis des einzelnen betroffenen Verfahrensbeteiligten zu honorieren, ist ein Einzelfallkriterium und kann keine Rechtsfolgen ex lege, wie es die Ausschlußgründe vorsehen, auslösen. Aber angesichts des heutigen Verständnisses von einem materiellen Rechtsstaat, der durch die Grundrechte und hier vor allem durch den Schutz der SubjektsteIlung des von einem Strafverfahren betroffenen Bürgers nach Art. 2 I i. V. m. Art. 1 I GG bestimmt ist, ist die subjektive Zwecksetzung der §§ 22 ff., der Schutz des Vertrauens des Einzelnen in die Unbefangenheit des Staatsanwalts zusätzlicher Geltungsgrund und erlangt Bedeutung für die Umfangs- und Inhaltsbestimmung der Ausschlußgründe. Z. B. hat der Gesetzgeber die Einfügung des § 23 II29 ganz wesentlich damit begründet, daß der "Angeklagte gegenüber den Richtern, die ihn früher verurteilt haben, häufig nicht das erforderliche Vertrauen aufbringt". Beide objektive Zwecksetzungen sollen aber nicht so verstanden werden, daß, wie es vom Ausgangspunkt der Begründung aus dem Gerechtigkeitspostulat der Sachgemäßheit der Entscheidung her verständlich und im Verwaltungsverfahren vertreten wird 30 , ein Handlungsverbot nur die richterliche bzw. Verwaltungs entscheidung schützen will. Erfaßt werden soll vielmehr jede Tätigkeit, die irgend wie für die Entscheidung von Bedeutung ist. Nur so kann der Zweck einer vollen Legitimation gegenüber der Allgemeinheit und die vollständige Gefahr sachwidriger Tatsachenfeststellungen und Entscheidungsbeeinflussungen vermieden werden. Denn Sinn eines präventiven staatsanwaltschaftlichen Handlungsverbotes muß sein, schon im Bereich des Ermitt28 RGSt. 17, 175; 30, 70 (Fall der §§ 22 Nr. 5); BGHSt. 3, 68/69 zu § 22 Nr. 1- 3. 27 BGHSt. 9, 193 (194 f.); 28, 262, 265 = MDR 1979,414. 28 RGSt. 59, 267 unter Hinweis auf RGSt. 28, 53 (54); BGHSt. 14, 219, 221; vgl. auch Hahn, Motive Bd. 3.1. S. 81. 29 Begr. RegE zu § 23 11: BT-Drs. IV /178 S. 33. 30 Ausdrücklich KirchhoffS. 3751

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lungsverfahrens die Entscheidungen vorbereitenden Tatsachenfeststellungen und rechtlichen Erkenntnisbildungen, von befangenem Einfluß frei zu bekommen, was durch nachträgliche richterliche Kontrolle nicht erreicht werden kann. Inzwischen ist durch die Fassung des § 20 VwVfG, "Tätigwerden" , diese rechtsstaatlich allein richtige Ansicht bestätigt worden 31 • Nach dem bisher Gesagten läßt sich das noch nicht behandelte Gegenargument Oppes, der beim Ausschluß ex lege eine "Gefährdung der Wahrheitsfindung" befürchtet, auf seinen wahren Gehalt relativieren, nämlich auf ein prozeß-ökonomisches, an der Frage der Einzelausgestaltung der Ausschlußtatbestände ausgerichtetes Argument S2 • Insoweit ist auf das im Verwaltungsverfahren ähnliche Problem zu verweisen, wo mit dem Argument, daß es keinen "gesetzlichen" Verwaltungsbeamten gebe33 , in § 20 VwVfG keine Ausschlußregelung wegen Vorbefassung vorgesehen ist. Die Fragen der prozeßökonomisch angemessenen Ausgestaltung der Disqualifikationsgründe dürfen nicht mit dem Problem eines prinzipiellen präventiven Handlungsverbots bei Befangenheit vermengt werden. Auch die von Oppe34 beanstandete "systemwidrige" Einengung des Devolutions- und Substitutionsrechts gern. § 145 GVG muß in den Rahmen eines rechtsstaatlichen Strafverfahrens eingestellt und relativiert werden. Durch ein präventives Handlungsverbot ex lege wird, auch wenn das Gesetz von "Ausschluß" spricht, lediglich die Unzulässigkeit und Rechtsstaatswidrigkeit der Mitwirkung des betreffenden Staatsanwalts ausgesprochen. Die richterlichen Kompetenzen halten sich in Grenzen, denn das Gericht kann auf Grund des Handlungsverbots weder im Ermittlungs- noch im Hauptverfahren den "ausgeschlossenen" Staatsanwalt aus dem Verfahren entfernens~. Dazu wären Vorschriften wie beim Verteidiger ausschluß gern. §§ 138 a ff. notwendig, die in der StPO nicht einmal im Ansatz festzustellen sind. Dem Vorgesetzten bleibt deshalb die gern. §§ 145, 150 GVG garantierte freie Handhabe, den "ausgeschlossenen" Staatsanwalt entweder nicht auszuwechseln und das Risiko einer Revision oder Anfechtung staatsanwaltschaftlicher Amtshandlungen in Kauf zu nehmen oder einen ihm genehmen Ersatz zu bestellen. Einschränkungen wird es durch ein noch zu bestimmendes formelles Verfahren zur Disqualifikation geben, die 31 Vgl. auch die Begr. des § 15 EVwVfG (1963) S. 15: "Tätigkeiten vorbereitender Art" müßten vom Ausschlußgrund erfaßt werden, da sie "für die Entscheidung in der Regel von wesentlicher Bedeutung" sind. 32 Dahs DRiZ 1971, 84. 33 st / B / L VwVfG § 20, 9. M DRiZ 1971, 24 f. 3G Peters, StPO S. 168; L / R / Dünnebier 17 vor § 22.

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3. Kap.: Definition des Handlungsverbots beim befangenen Staatsanwalt

aber, ohne groß vorgreifen zu wollen, sich ebenfalls in den Grenzen des § 150 GVG (Unabhängigkeit der Staatsanwaltschaft vom Gericht) halten müssen36 • Als Zwischenergebnis kann danach festgestellt werden, daß sich de lege lata gern. Art. 20 III GG i. V. m. der arbeitsteilig-funktionalen Stellung der Staatsanwaltschaft die bei den §§ 22 ff. zugrundeliegenden beiden objektiven Zwecksetzungen der Vermeidung sachwidrig-willkürlicher Amtshandlungen und Entscheidungen als Vorbedingung rechtsstaatlich gebotenen sachlichen HandeIns und die Notwendigkeit, im Interesse des Vertrauens der Allgemeinheit und der gebotenen Legitimation ein Handlungsverbot schon beim Anschein der Befangenheit auszusprechen, auch für das Amtieren des Staatsanwalts im Strafverfahren gelten. Die subjektive Zwecksetzung, die Besorgnis des Verfahrensbeteiligten gegenüber dem ihm als befangen erscheinenden Staatsanwalts zu berücksichtigen, ist für generelle Ausschlußgründe mit der Rechtsfolge des Ausschlusses ex lege und ex tune zwar nicht konstitutiv, aber bedeutend für die Einzelausgestaltung der einzelnen Ausschlußgründe. Weiter ist das Handlungsverbot nur prinzipiell, was bedeutet, daß auch Ausnahmen zugelassen werden müssen, die im Anschluß an die Festlegung des präventiven Handlungsverbots bei Besorgnis der Befangenheit im Einzelfall aufgelistet werden sollen31 •

2. Das Handlungsverbot bei Besorgnis der Befangenheit im Einzelfall (Figur des "als befangen besorgten" Staatsanwalts) Wesentlich problematischer scheint die Feststellung eines Handlungsverbots zu sein, dessen Rechtswirkung gern. §§ 24 ff. bei Geltendmachung einer nicht willkürlich erscheinenden Besorgnis aus der Sicht eines Verfahrensbeteiligten (§ 24 III) im Einzelfall eintritt. In § 24 III wird nur von einem "Ablehnungsrecht" gesprochen, in § 21 I VwVfG z. B. von Unterrichts- und Enthaltungspflichten38 . Das BVerfG3u spricht hypothetisch nur von der Möglichkeit, daß der "Anspruch auf ein faires Verfahren" auch das "Recht" umfassen könnte, "einen befangenen Staatsanwalt abzulehnen". Ebenso äußert sich der BGH'o zu einem möglichen "Recht" des Angeklagten "zur Ablehnung", das aus allgemeinen Erwägungen über die Struktur des Strafprozesses und Stellung der Staatsanwaltschaft oder aus Art. 6 11 MRK ("Fair Trial") begründet sein se Vgl. unten 6. Kapitel. Vgl. unten 3. Kapitel 3). as Vgl. ähnlich § 145 a III E GVG und § 7 Nr. 2 nds AGGVG. 30 JR 1979, 28. 40 NJW 1980, 845. 31

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könnte. Frisch41 hat als erster und in dieser Deutlichkeit bisher einziger'! hervorgehoben, daß bei § 24 wie § 21 VwVfG zwischen der Frage der Unzulässigkeit der Mitwirkung als befangen erscheinender Richter, Verwaltungsbeamter usw. (1. Ebene) und der Frage der verfahrensmäßigen DUTchsetzung der Besorgnis der Verfahrensbeteiligten entweder im Wege eines formellen Ablehnungsverfahrens gem. § 24 ff. oder des Verfahrens gem. § 21 VwVfG (2. Ebene) zu differenzieren sei. Von diesen beiden Ebenen wurde bereits anläßlich des Ansatzes zur Suche nach einem eigenständigen präventiven Handlungsverbot ausgegangen43 • Die Beantwortung einer möglichen Ablehnung im Einzelfall erfordert rechtlogisch .zuerst die Feststellung der Prozeßordnungswidrigkeit und Disqualifikation, also nichts anderes als die Feststellung, ob der Amtsträger gegen ein Handlungsverbot verstößt", das dann im Wege der Ablehnung usw. durchgesetzt werden kann. Die Richtigkeit der rechtslogischen Differenzierung zeigt sich z. B. darin, daß in der Revision gem. § 338 Nr. 3 die Frage gestellt wird, ob ein "als befangen besorgter" Richter gegen das Handlungsverbot verstoßen und damit prozeßordnungswidrig amtiert hat. Im folgenden interessiert nur die 1. Ebene der prozessualen Unzulässigkeit und Disqualifikation eines "als befangen besorgten" Staatsanwalts. Gegenargumente in Form prozeßökonomischer Bedenken gegen ein formelles Ablehnungsverfahren entspr. § 24 haben deshalb hier keinen Platz. Ein Junktim zwischen beiden Ebenen besteht nicht. Damit ist der Weg eröffnet, die konstitutive Wirkung eines staatsanwaltschaftlichen präventiven Handlungsverbots im Einzelfall nicht von einem formellen Ablehnungsrecht der Verfahrensbeteiligten abhängig zu machen. Dies hat für die Bestimmung der Rechtsgrundlagen und der Zwecksetzungen Bedeutung. Ausgehend von der Notwendigkeit, daß eine lückenlose Sicherung der Unbefangenheit des im Strafverfahren mitwirkenden Staatsanwalts gewährleistet sein muß, kann die Bestimmung von Rechtsgrundlagen, Inhalt und Umfang eines Handlungsverbotes in 3 Kategorien eingeteilt werden: Zuallererst ist ein Handlungsverbot für die, wie ich sie nennen möchte, "verobjektivierbaren" Besorgnisgründe zu begründen, bei deFrisch S. 403. Wendisch S. 250 und Bruns JR 1980,398 sprechen ohne auf die Differenzierung Frischs einzugehen, von einer "prozeßualen Unzulässigkeit" wegen des Verstoßes gegen ein faires Verfahren. 43 Vgl. 2. Kap. 7. 44 Für das Verwaltungsverfahrensrecht: Kopp VwVfG § 21, 7 und Ule / Laubinger § 12 III 5: "Der Vorstoß gegen § 21 VwVfG macht den Verwaltungsakt rechtswidrig" und kann gern. § 97 VwVfG i. V. m. § 44 a VwGO im Verwaltungsprozeß als "Verfahrensfehler" geltend gemacht werden. 41

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3. Kap.: Definition des Handlungsverbots beim befangenen Staatsanwalt

nen Anknüpfungspunkt in der Person eines besorgenden Verfahrensbeteiligten nicht möglich, eine Gefährdung wegen Befangenheit dennoch gegeben ist (a). Weiter soll die rechtliche Begründung für den am häufigsten diskutierten Fall der Besorgnis seitens des Beschuldigten im Ermittlungsverfahren und des Angeklagten an Hand der bisher angebotenen Ansätze erfolgen (b), um daran anknüpfend die bisher kaum erörterte Frage nach einem Handlungsverbot wegen Besorgnis des "antragstellenden Verletzten" im Ermittlungsverfahren und sonstiger Interessenträger zu stellen (c). a) Banc1lungsverbot bei "verobjektivierbaren" Besorpisgriinden

Besonders im Ermittlungsverfahren können massive Anzeichen einer Voreingenommenheit des zuständigen Staatsanwalts bestehen, die aber vom Beschuldigten nicht "besorgt" werden, weil die Amtshandlungen ihm zum Vorteil gereichen. Zu denken ist an Anzeichen von Strafvereitelungsmaßnahmen i. S. v. § 258 a StGB, weil Akten entfernt, das Ergebnis von Ermittlungen unrichtig wiedergegeben oder Wesentliches unterdrückt wurde45 oder an Freundschaft oder Verlöbnis zum Beschuldigten, an politische Opportunitätserwägungen, die zu offensichtlichen Begünstigungen führten. Ein solcher Grenzfall ist die HoechstUmweltschutzangelegenheit46 , in der gegen Zahlungsauflage von 1,45 Mill. DM (I) das öffentliche Interesse gem. § 153 a beseitigt sein soll. Ähnliche Fälle können in der Hauptverhandlung vorkommen. Würde beim Richter eine solche, den Beschuldigten/Angeklagten "vorteilhafte" Besorgnis bestehen, wird ein präventives Handlungsverbot durch die Geltendmachung der Besorgnis der Befangenheit durch den "Gesetzeswächter" Staatsanwalt begründet. Die Staatsanwaltschaft fragt nicht, ob die Besorgnis der Befangenheit zum Nachteil oder Vorteil des Angeklagten besteht. Durch den Ausfall des Gesetzeswächters, weil der Staatsanwalt selbst die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigt, entsteht eine Lücke. Im Ermittlungsverfahren ist nach dem Gesetz die Besorgnis Vgl. weitere Beispiele bei Sch / Sch / Stree § 258 a, 8. Vgl. DIE ZEIT Nr. 9, 1981 S. 10, Titel: "Hoechst bleibt sauber": Gegen Manager des Hoechst-Konzerns wurde wegen des Verdachts des Verstoßes gegen das Abfallbeseitigungsgesetz ermittelt. Die Firma hatte laut beschlagnahmten Unterlagen große Mengen Chemikalien in den Main geleitet. Die Einstellung wurde damit begründet, daß die Firma nicht dafür bestraft werden könne, daß der Gesetzgeber jahrelang versäumt habe, gesetzliche Grundlagen für Auflagen zu schaffen, die jetzt von der Firma nicht innerhalb kurzer Zeit vollzogen werden können. Dilemma des Umweltschutzes oder über § 153 a hinausgehende wirtschaftliche Opportunität durch Druck von "oben"? Vgl. auch das Beispiel von Gössel GA 1980, 343: Absprachen der Staatsanwaltschaft mit dem Gericht wegen Nichtverfolgung von Gewalttätigkeiten von Schülern und Studenten im Schul- und Hochschulbereich in jüngster Vergangenheit. 45

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2. Das Handlungsverbot beim "als befangen besorgten" Staatsanwalt

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des Verletzten nicht konstitutiv. Ob dies de lege lata richtig ist, soll später näher untersucht werden 47 . Soweit wegen Strafvorschriften ermittelt wird, in denen die Allgemeinheit geschützt wird, fällt der individuelle Verletzte sowieso aus. Der Nebenkläger wird in der Hauptverhandlung entweder nicht mitwirken können (§§ 395 ff. i. V. m. § 374, aber auch § 395 II, 2!) oder nicht mitwirken wollen, so daß von daher keine personalen Ansatzpunkte einer Besorgnis möglich sind. Nimmt man § 24 III wörtlich, der die Disqualifikation offenbar nur an die geltend gemachte Besorgnis der dort genannten Verfahrensbeteiligten knüpft, wären die Fälle des zum Vorteil des Delinquenten tendierenden Staatsanwalts nicht erfaßt. Die Lösung findet sich erst, wenn man sich vergegenwärtigt, daß die Generalklausel des § 24 II, der "Besorgnis der Befangenheit", Aujjangtatbestand48 zu den wenigen enumerativ aufgezählten Gefährdungstatbeständen der §§ 22, 23 ist, da die Ausschlußgründe nicht allein das Gebot eines unbefangenen Staatsanwalts sichern können. Das rechtsstaatliche Gebot eines lückenlosen Schutzes des Verfahrens vor befangenen Einflußnahmen und die Erhaltung des Vertrauens in eine unbefangene Rechtspflege erfordert, daß auch für die Mitwirkung eines den Beschuldigten/Angeklagten unterhalb der Schwelle des § 258 a begünstigenden Staatsanwalts ein Handlungsverbot vorliegt. In § 21 VwVfG411 ist dieses Gebot des lückenlosen Schutzes positiv-rechtlich verwirklicht. Dort wird unterschieden zwischen dem "Grund", der Mißtrauen gegen eine unparteiliche Amtsführung rechtfertigt und dem Grund, "der von einem Beteiligten behauptet" wird. Während letzterer sich aus der Sicht eines tatsächlich existierenden Verfahrensbeteiligten beurteilt, kann ersterer nur aus der Sicht eines fiktiven Verfahrensbeteiligten und damit letztlich aus der Sicht eines objektiven Dritten festgestellt werden. Mit dem Anknüpfungspunkt des objektiven Dritten geht dann notwendig eine "Verobjektivierung"50 der Besorgnis einher. Damit entstehen Besorgnisgründe, die vom individuellen Besorgnishorizont des VerfahrensbeteiIigten abgekoppelt sind, weil sie objektiv jeder besorgt. Bei § 21 VwVfG werden sie "typische Vgl. sogleich unten cl. L / R / Dünnebier 5 vor § 22; St / B / L VwVfG § 21, 2; Kopp VwVfG § 21, 1: "allgemeiner Auffangtatbestand". 49 Nicht so deutlich § 30 StPO, wo von einem "Verhältnis" gesprochen wird, das "seine Ablehnung rechtfertigen" könnte. 50 Im Zivilprozeß sind solche verobjektivierbaren Besorgnisgründe unter der Bezeichnung "abstrakte" Ablehnungsgründe zu finden (dazu Stemmler S. 171 ff.). Th. Putzo, ZPO (9. Aufl.) § 42, 2 b, aal nennt Verlöbnis, Liebesverhältnisse, Freundschaften als Fälle, die "immer", Verwandtschaft, Schwägerschaft die "regelmäßig" und Mitgliedschaft des Richters bei jur. Personen, die "in der Regel" Indiz für eine Besorgnis sein sollen; für den Strafprozeß L / R / Dünnebier § 24, 24: Verlöbnis mit Beschuldigten usw. und Richter als Sachverständiger für Privat- und Urheberrechtssachen: "stets" Besorgnis! 47

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3. Kap.: Definition des Handlungsverbots beim befangenen Staatsanwalt

Befangenheitsgründe"sl genannt. Die gravierendsten Fälle der Besorgnis, daß der Staatsanwalt zugunsten des Beschuldigten/Angeklagten handelt und die nicht durch eine geltend gemachte Besorgnis des Nebenklägers aufgefangen werden können, wirken bei entsprechender Initiative durch den Vorgesetzten des Staatsanwalts oder des Gerichts ebenfalls disqualifizierend, weil infolge der ähnlichen Gefährdungsintensität von solchen verobjektivierbaren Besorgnisgründen mit den Ausschlußgründen schon allein die objektiven Zwecksetzungen der Vermeidung einer Gefährdung sachlichen Amtshandelns und die Erhaltung des Vertrauens der Allgemeinheit in eine objektive Staatsanwaltschaft ein Handlungsverbot bedingen. Entgegen dem durch die Fassung der §§ 24 ff. entstandenen Eindruck ist ebenso wie bei § 21 VwVfG die Artikulation einer Besorgnis der Befangenheit durch einen Verfahrensbeteiligten nicht erforderlich. Damit muß das für einen personalen Anknüpfungspunkt notwendige Prinzip des fairen Verfahrens mit der Forderung nach Respektierung der SubjektsteIlung der Verfahrensbeteiligten nicht bemüht werden! Mit dieser Erkenntnis ist auch für die rechtspolitische Diskussion um die Einführung eines Ablehnungsrechts der Verfahrensbeteiligten gegenüber einem als befangen besorgten Staatsanwalts ein Argument gefunden. Soweit ein Verfahrensbeteiligter einen verobjektivierbaren Grund zur Besorgnis der Befangenheit des Staatsanwalts hat, werden die eingangsS2 referierten Bedenken einer laufend mißbräuchlichen Ausübung eines Ablehnungsrechts nicht durchgreifen können, weil schon durch den verobjektivierbaren Disqualifikationstatbestand selbst dem Mißbrauch Grenzen gesetzt sind. b) Bandlungsverbot bei Besorgnis der Befangenheit aus der Sicht des Beschuldigten/Angeklagten. Inhalt und Einordnnng des "Rechts" anf ein faires Verfahren

Soweit das staatsanwaltschaftliche Handlungsverbot, die Disqualifikation und Unzulässigkeit der Mitwirkung eines Staatsanwalts konstitutiv von der individuellen Besorgnis des Beschuldigten/Angeklagten abhängen soll, reichen die bisher erörterten objektiven Zwecksetzungen der Legitimation und Vermeidung der Gefährdung der Sachlichkeit nicht aus. Deshalb zieht die schon vorgestellte Rspr. und LitS3 neuerdings den Grundsatz des "fairen Verfahrens" zu Hilfe. Auch Frisch54 spricht von seinem scheinbar gesetzesimmanenten Standpunkt vom Beschuldigten und Angeklagten als "Rechtssubjekt". Er beschreibt 61

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Meyer / Borgs VwVfG § 21, 2. 1. Kapitell. Vgl. 2. Kapitel 6. und 3. Kapitel 2.

S. 403 f.

, 2. Das Handlungsverbot beim "als befangen besorgten" Staatsanwalt

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sogar am deutlichsten, was unter dem Anspruch auf ein faires Verfahren im vorliegenden Fall zu verstehen ist, nämlich daß es dem Beschuldigten/ Angeklagten grundsätzlich nicht "zugemutet" werden könne, "als Rechts- und Interessenträger einem Verfahren ausgesetzt zu sein, das durch befangen erscheinende Amtsträger betrieben wird". Hieraus folge die "Zubilligung eines Rechts auf einen unbefangen erscheinenden Amtsträger" . Ebenso wie Kuhlmann, Wendisch und Bruns55 folgert Frisch aus der Kompetenzfülle der Staatsanwaltschaft gegenüber dem Beschuldigten/Angeklagten, daß noch mehr als bei allen anderen die Amtsträger betreffenden Befangenheitsregelungen die Mitwirkung eines "als befangen besorgten" Staatsanwalts die SubjektsteIlung bzw. das Prinzip des fairen Verfahrens verletzt und hieraus eine "Prozeßordnungswidrigkeit" gefolgert und mit der Revision gerügt werden könne. Nach Bruns56 ist angesichts der Rspr. des BVerfG und des BGH, da die hypothetischen Äußerungen jedenfalls die Möglichkeit einer JustiziabiIität aus dem Prinzip des fairen Verfahrens zulassen und mehr als eine "richterliche Prüfungskompetenz" nicht verlangt werde, das Problem des "als befangen besorgten" Staatsanwalts entscheidungsreif. Im Ergebnis ist Bruns zuzustimmen, nur besteht angesichts der immer noch bestehenden Begründungsverwirrung57 , daß mit dem "Anspruch" auf ein faires Verfahren sowohl eine Prozeßordnungswidrigkeit wie auch ein formelles Ablehnungsrecht verlangt werden kann, die Gefahr, daß Einwände gegen ein formelles Ablehnungsverfahren auch das Handlungsverbot treffen. Dies gilt um so mehr, als nicht nur nach einer revisionsrichterlichen Prüfungskompetenz, sondern nach einer Justiziabilität im gesamten Strafverfahren, also auch im Ermittlungsverfahren gefragt werden soll, zu dem die Rspr. aus der Natur der Sache keine Stellungnahme abgeben mußte. Im folgenden soll ein eigentlich nicht mehr zweifelhaftes Handlungsverbot bei Mitwirkung des "als befangen besorgten" Staatsanwalts durch eine Standort- und Inhaltsbestimmung des Prinzips des fairen Verfahrens konkretisiert werden. Das "Recht" oder der "Anspruch" auf ein faires Verfahren ist ein Ordnungsprinzip 58, das objektiv-rechtlich59 zu einer Selbstbeschränkung Kuhlmann S. 14; Wendisch S. 250; Bruns JR 1980, 398. JR 1980, 398. 57 Vgl. z. B. den Irrtum der Begründ. zu § 15 EVwVfG (1963), Musterentwurf, S. 117: Dort wurde mit der Begründung, daß das Ablehnungsrecht entspr. z. B. § 24 StPO mißbräuchlich ausgeübt werden könnte, überhaupt keine Besorgnisregelung vorgesehen; heute noch falsch z. B. Meyer / Borgs, VwVfG 9 vor § 20, wonach § 21 VwVfG, da kein subj. Ablehnungsrecht gegeben sei, nur "an die Behörde, nicht an den Bürger'·' gerichtet sei. 58 Sax in: Die Grundrechte 111/2 S. 987; I. Müller S. 62; Vollkommer, Ged.schrift f. R. Bruns S. 211. 58 Hesse EuGRZ 1978,431; Starck JuS 1981,240. 55

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3. Kap.: Definition des Handlungsverbots beim befangenen Staatsanwalt

staatlicher Machtmittel gegenüber den beschränkten Möglichkeiten des Einzelnen führt und sich nach der Rspr. des BVerfG80 unter anderem in der Verpflichtung an die staatlichen Organe niederschlägt, nicht nur korrekt sondern auch fair zu verfahren. Weiter kommt ihm unter dem Stichwort der "Waffengleichheit" eine grundrechtsverwirklichende Bedeutung mit Hilfe von verfahrensrechtlichen Möglichkeiten zu. Dem von der staatlichen Machtausübung Betroffenen sollen nach dem BVerfG "prozessuale Rechte und Möglichkeiten" gewährleistet sein, die er "mit der erforderlichen Sachkunde selbständig wahrnehmen" kann, "um Mißbräuche der gesetzlichen staatlichen Befugnisse abwehren zu können". Grundgedanke beider Aussagen ist der aus Art. 2 I i. V. m. 1 I GG und dem Rechtsstaatsprinzip folgende und gem. Art. 20 III und Art. 1 III GG das Strafverfahren unmittelbar gestaltende Grundsatz, daß ein Beschuldigter/Angeklagter nicht Obj ekt, sondern Subj ekt des Verfahrens sein müsse, solange für ihn die Vermutung seiner Unschuld (Art. 6 II MRK) streitet. Durch den mit Art. 2 I GG gewonnenen grundrechtlichen Aspekt wird Art. 6 MRK allerdings zur verfassungsrechtlichen Interpretationshilfe. Damit entfällt die sonst entstehende Schwierigkeit zu prüfen, ob Art. 6 11 MRK, in dem ein "fair trial" (d. h. "billiger Weise") ausdrücklich garantiert wird, aber nach seinem Wortlaut nur Garantien für das "öffentliche" "Gerichts"-verfahren enthält81 , auch für inquisitorisch angelegte Verfahren wie das Ermittlungsverfahren gilt. Der BGH62 hätte deshalb zusätzlich zu Art. 6 I I MRK noch Art. 2 I i. V. m. 1 I GG, wie es das BVerfG tut, nennen sollen. Für die Begründung eines staatsanwaltschaftlichen Handlungsverbots der Besorgnis im Einzelfall interessiert nur der zur staatlichen Selbstbeschränkung führende Aspekt des Prinzips des fairen Verfahrens. Die ganz andere Frage, welche die von mir schon angesprochene63 2. Ebene betrifft, ist, inwieweit aus dem Grundrecht des Art. 2 I i. V. m. 1 I GG verfahrensrechtliche Möglichkeiten zur Durchsetzung des staatsanwaltschaftlichen Handlungsverbots als Vollzug des Gebots der Waffengleichheit bzw. neuerdings im Sinne einer effektiven Grundrechtsverwirklichung ("status activus processualis") gefolgert werden kann64 • In seiner ursprünglichen grund rechtlichen Schutzfunktion ist Art. 2 I i. V. m. Art. 1 I GG zu allererst ein individuelles Abwehrrecht gegen die

staatlichen Gewalten. Aus ihm kann deshalb ein freiheitliches Abwehr80 Vgl. grundlegend BVerfGE 38, 105, 111, 114 = NJW 1975, 103, ebenso BVerfGE 26, 66, 71; 39, 156 (163), 238 (242); 41, 246 (249) und 46, 203 (208). 81 So auch die Interpretation von Roxin, StrafverfahrensR S. 13 f., 55. G2 NJW 1980, 845. 88 Vgl. oben 1. 8C Dazu 6. Kapitel.

2. Das Handlungsverbot beim "als befangen besorgten" Staatsanwalt

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recht des Beschuldigten/Angeklagten gefolgert werden, rechtswidrige, wie hier "befangene" staatsanwaltschaftliche Amtshandlungen nicht dulden zu müssen 65 . Dies gilt auch, wenn der Beschuldigte/Angeklagte die Besorgnis der Befangenheit hegt. Seit das BVerfG in ständ. Rspr. die Grundrechte als Bestandteile der objektiven Wertordnung sieht, und diese damit "Ausstrahlungswirkung"66 auf alle drei Gewalten haben, sind auch die Staatsanwaltschaften und ihre Mitglieder gern. Art. 1 III und 20 III GG Adressaten des Abwehrrechts. Das Abwehrrecht wird dann zur "negativen Kompetenzbestimmung"67 staatlicher Machtausübung und führt zu einem Handlungsverbot des "als befangen besorgten" Staatsanwalts. Korrespondierend hierzu muß dann nach der Rspr. des BVerfG über Art. lIII GG für den Staatsanwalt, der Mitglied der Behörde ist, eine Selbstbeschränkungspflicht i. S. einer Amtsenthaltungspflicht folgen. Kleinknecht hat diese Pflicht als "verfahrensrechtliche" Amtspflicht im Gegensatz zur Pflicht des § 59 BBG bezeichnet. Der vom BVerfG und BGH und Frisch erwähnte "Anspruch" auf einen unbefangenen Staatsanwalt ist damit der Abwehranspruch, daß ein solcher Staatsanwalt nicht gegen den Beschuldigten/Angeklagten auftreten darf. Diese verfassungs rechtliche Aussage könnte nun durch eine genaue Beschreibung der "übermacht" der staatsanwaltschaftlichen Kompetenzen gegenüber dem Beschuldigten und Angeklagten konkretisiert werden. Sie würde vor allem die rechtspolitische Notwendigkeit einer Regelung de lege ferenda unterstreichen. De lege lata mag, da es hier nicht um das großen prozeßökonomischen Bedenken ausgesetzte formelle Ablehnungsverfahren geht, der Rückgriff auf das schon einmal bemühte erweiterte Wort Eb. Schmidts68 genügen: Danach muß die Staatsanwaltschaft infolge ihrer arbeitsteilig-funktionalen Erfüllung der staatlichen Justizgewährungspflicht mit dem Gericht im gleichen Verpflichtungsverhältnis zur Objektivität stehen. Angesichts ihrer Kompetenz, einen Bürger mit einem Ermittlungsverfahren zu überziehen, strafprozessuale Zwangsbefugnisse zu treffen, Anklage zu erheben, die für sich schon eine empfindliche Beeinträchtigung (Makel) grundrechtlicher Stellung des Angeklagten enthält, angesichts der Mitverantwortung an der Urteilsfällung und der Befugnis zur Rechtsmitteleinlegung und Wiederaufnahme des Verfahrens auch zugunsten des Verurteilten muß sie eigentlich selbstverständlich der zu einem Dürig in M / D / H / S Art. 2 I, 36. oe BVerfGE 7, 198 (207); 24, 278 (281 f.); 35, 202 (219); Hesse EuGRZ 1978, 432. 87 Horst Ehmke, Wirtschaft und Verfassung, Karlsruhe (1961), S. 29 f.; Hesse, Grundzüge § 9 11 3 a). 88 VgI. oben 1.; Eb. Schmidt MDR 1964, 630. 15

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3. Kap.: Definition des Handlungsverbots beim befangenen Staatsanwalt

präventiven Handlungsverbot führenden negativen Kompetenzbestimmung des Art. 2 Ii. V. m. 1 I GG unterfallen. Der Abwehranspruch aus dem Prinzip des fairen Verfahrens ersetzt damit Art. 101 12 GG! Das eigentliche Problem der Figur des "als befangen besorgten" Staatsanwalts ist mehr die rechtssatzmäßige Fassung einer dem § 24 11 ähnlichen Generalklausel und eine nur durch systematische Kasuistik mögliche Eingrenzung des durch das richterliche Vorbild fälschlichG9 präjudizierten und deshalb oft als zu weit beklagten Befangenheitsbegriffs. Dazu soll die im 5. Kapitel vorzunehmende Konkretisierung des präventiven Handlungsverbots beitragen. c) Handlungsverbot bei Besorgnis anderer VerfahrensbeteUigter und auch des "antragstellenden" Verletzten?

aa) Andere Verfahrensbeteiligte Auch Neben- und Privatkläger und der Einziehungsbeteiligte sind, weil die StPO ihnen durch Antrags-, Anhörungs- und sonstige Mitwirkungsrechte eine BeteiligtensteIlung (vgl. § 33 111) verliehen hat, auf einer Stufe anderer Intensität Prozeßsubjekte70 • Auch sie können deshalb das Prinzip des fairen Verfahrens in Anspruch nehmen. Ihre Besorgnis bewirkt, soweit sie sich in vernünftigem Rahmen bewegt, ebenfalls konstitutiv ab Geltendmachung ein Handlungsverbot. Dieses Ergebnis wird auch durch die gesetzliche Vorwertung des § 24111 unterstützt, der diese Verfahrensbeteiligten als Ablehnungsberechtigte nennt71 , wozu über § 397 I auch der Nebenkläger gehört. Die Besorgnis wirkt konstitutiv allerdings nur in den Verfahrensstadien, in denen die StPO die Interessen der Verfahrensbeteiligten behandeln will, z. B. für den Nebenkläger also nur, soweit der Staatsanwalt mit sogen. "Nebenklagedelikten" im Verfahren gerade befaßt isP2 und soweit der Nebenkläger seinen Anschluß erklärthaps. Soweit in Zukunft von Verfahrensbeteiligten gesprochen wird, ist diese Gruppe inklusive des Beschuldigten/Angeklagten gemeint. 89 Frisch (S. 405) spricht von einer "schlichten Verkennung des Befangenheitsbegriffes" beim Staatsanwalt. 70 Nach Dürig (in: M / D / H / S Art. 19 IV, 34 a. E.) besteht bei einer förmlichen Verfahrensbeteiligung die "kaum widerlegbare gesetzliche Vermutung" einer subjektiven Rechtsstellung; vgl. auch Eb. Schmidt LK 11 Rdnr. 76 ff. 7l Ebenso für "Betroffene" und "sonstige Verfahrensbeteiligte": Wendisch S. 258, 271, 273; vgl. auch Frisch S. 405 Fußn. 85. 72 Gollwitzer, FS f. Schäfer S. 68. 73 Vgl. Eb. Schmidt LK 11 § 396, 11.

2. Das Handlungsverbot beim "als befangen besorgten" Staatsanwalt

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bb) "Antragstellender" Verletzter? Der Verletzte gehört nach § 24III nicht zu denjenigen, deren Besorgnis den Richter disqualifizieren kann. Er hat gern. § 24 III kein Ablehnungsrecht. Andererseits kann ihm nicht einfach das Interesse an einem ihm unbefangen erscheinenden Staatsanwalt abgesprochen werden, da er nach Abschluß des Ermittlungsverfahrens immerhin Privatklage erheben oder seinen Anschluß als Nebenkläger verlangen kann. Das Gesetz gesteht ihm damit zu, sein "persönliches Interesse der Genugtuung"74 neben dem Staatsanwalt zu verfolgen. Dennoch verwehrt die StPO dem Verletzten im Ermittlungsverfahren jegliche förmliche Beteiligung. Dies ist leicht hinzunehmen, soweit ein ihm unbefangen erscheinender Staatsanwalt seine Interessen vertritt. Eine Rechtsschutzlücke entsteht aber, wenn der Staatsanwalt vom Verletzten als befangen besorgt wird. Eine gerichtliche überprüfung der "befangenen" Art und Weise der Ermittlungen kann der Verletzte im Klageerzwingungsverfahren, das eine Verletzung des Legalitätsprinzips zum Prüfungsgegenstand hat, nur bedingt erreichen. Soweit die Staatsanwaltschaft ihre Schlußverfügungen gern §§ 153 ff. trifft, fällt auch diese Kontrolle bis auf eine Ausnahme75 aus (§ 172 II, 3). Die richterliche Zustimmung zu den §§ 153 ff. ist, soweit überhaupt erforderlich, oft rechtsstaatliche Makulatur76 . Der Verletzte muß deshalb vielfach "sehenden Auges" einen von ihm "als befangen besorgten" Staatsanwalt seines Amtes walten lassen. Als bisher einziger hat Frisch77 angedeutet, daß eine zu einem staatsanwaltschaftlichen präventivem Handlungsverbot führende Besorgnis des "antragstellenden" Verletzten jedenfalls insoweit anerkannt werden müßte, als dieser seine "vom Gesetz anerkannten Interessen dem Walten eines ihm befangen erscheinenden Staatsanwalts ausgeliefert" sieht. Damit sind zwei wesentliche Einschränkungen angesprochen. Soweit nur der "antragstellende" Verletzte in Frage kommen soll, ist dem uneingeschränkt zu folgen. Denn nur derjenige aus der unübersehbaren Zahl potentieller Verletzter ist schutzwürdig, der gern. § 158 I und II nach außen durch Initiative sein Schutzinteresse deutlich macht. Problematisch ist die zweite Einschränkung, daß die Besorgnis nur bei durch die StPO (das "Gesetz") "anerkannten Interessen" Auswirkungen haben soll. Frisch nennt als einziges Beispiel das KlageerzwingungsGollwitzer S. 65. Bei endgültiger Einstellung nach § 153 a und notwendiger Zustimmung des Gerichts (KMR / Sax § 153 a, 17). 18 Weigand S. 54 und Fußn. 202. 11 S. 404 f. 14

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3. Kap.: Definition des Handlungsverbots beim befangenen Staatsanwalt

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verfahren. Er wendet damit die Grundsätze der neueren Meinung zur Richterablehnung an, wonach grundsätzlich nur eine "Prozeßpartei"78 Anspruch auf den gesetzlichen Richter und eine Richterablehnung hat und § 24111 zusätzlich im Lichte des seit BVerfGE 21, 139 ff. anerkannten Prozeßgrundrechts auf einen gesetzlichen Richter gern. Art. 101 12 GG extensiv79 dahin ausgelegt werden müsse, daß der Verletzte, weil er im Klageerzwingungs- und im Adhäsionsverfahren eine "selbständig auf sich gestellte"79 bzw. "partei ähnliche" Verfahrensrolle innehabe, ebenso wie die in § 24 111 Genannten ein Ablehnungsrecht haben müsse. Keinesfalls könne dem Verletzten im Ermittlungsverfahren ein Ablehnungsrecht schlechthin eingeräumt werden80 . Diese Rechtsmeinung kann auch auf das Verhältnis von antragsteIlenden Verletzten und von ihm als befangen besorgten Staatsanwalt übertragen werden, so daß jedenfalls im Klageerzwingungs- und Adhäsionsverfahren gern. §§ 403 ff. der Verletzte wie andere Verfahrensbeteiligte auch, seine Besorgnis konstitutiv geltend machen kann. Dies folgt zwar nicht aus Art. 101 12 GG, wohl aber aus dem Prinzip des fairen Verfahrens und dem gebotenen Schutz der verfahrensrechtlichen Subjektstellung. Das BVerfG81 hatte dem Zeugen, der anerkanntermaßen kein Verfahrensbeteiligter ist, sondern als Beweismittel fungiert, jedenfalls dann ein rechtlich geschütztes parteiähnliches Interesse zugebilligt, das durch "angemessene" verfahrensrechtliche Vorschriften in Rechtsfortbildung (Rechts analogie) zu schützen sei, soweit der Zeuge "in die Einwirkungen des Verfahrensrechts" miteinbezogen ist. Denn Art. 2 I i. V. m. 1 I GG und das Rechtsstaatenprinzip gebiete, daß er nicht zum "Objekt des Verfahrens" gemacht werden dürfe. Der Verletzte erfährt in den Verfahren gern. §§ 172 ff. und §§ 403 ff. eine solche "Einwirkung" des Verfahrensrechts und muß deshalb, will er nicht zum Objekt des Verfahrens gemacht werden, dieselben Rechte gegenüber dem Staatsanwalt wie ein Beschuldigter innehaben, also auch die konstitutive Geltendmachung der Besorgnis. Die eingangs dargestellte Interessenlage des Verletzten würde es aber durchaus rechtfertigen, ihm darüber hinaus im Ermittlungsverfahren schlechthin eine den Staatsanwalt disqualifizierende konstitutive Besorgnis zuzuerkennen, ohne daß gleich ein formelles Ablehnungsverfahren entspr. §§ 24 ff. anerkannt werden müßte. Abwegig ist BVerfGE 18,447. Treplitzki MDR 1970, 106; OLG Karlsruhe NJW 1973, 1658; OLG Saarbrücken NJW 1975, 399; OLG Hamm NJW 1976, 1701; Hamm, Recht des Verletzten zur Richterablehnung im Strafverfahren? NJW 1974, 682: Der Verletzte sei "Anklageerzwingungskläger" und insoweit Prozeßsubjekt. 80 Hamm (Fußn. 79). 81 NJW 1975, 103, 104. 78 79

2. Das Handlungsverbot beim "als befangen besorgten" Staatsanwalt

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diese überlegung nicht, seit H. J. Bruns82 dem Verdächtigen, der als "Auskunftsperson" benutzt wird, aber dennoch in der StPO keinerlei dem Beschuldigten oder Zeugen ähnliche Beteiligungsrechte hat, gewisse Beschuldigtenrechte bei seiner Vernehmung zuerkennen will. Auch Bohnert83 , will unter dem Stichwort "Drittbeteiligung im Strafprozeß" gern. Art. 103 I GG am Strafverfahren nicht beteiligten Familienmitgliedern und Vertragspartnern des Angeklagten Anhörungsrechte zugestehen, weil sie im Falle dessen Verurteilung zum Freiheitsentzug schwer in ihren z. B. durch Art. 6 GG geschützten Interessen verletzt werden würden. Aber ebensowenig wie die h. M.84 den Vorschlägen Bruns und Bohnerts de lege lata folgt, kann eine konstitutive Besorgnis des antragstellenden Verletzten im Ermittlungsverfahren schlechthin anerkannt werden. Für eine strafverfahrensrechtlich-rechtssatzmäßige Einbeziehung mit Hilfe des Prinzips des fairen Verfahrens fehlt es schlicht an einem "Koordinatensystem" zur Bestimmung einer Subjektstellung im Ermittlungsverfahren, das beim Verdächtigen entsprechend der Rspr. des BVerfG für den Zeugen noch in der "Ähnlichkeit" der Zwangslage85 zum vernommenen Beschuldigten und bei den anhörungsberechtigten Familienmitgliedern noch im schrankenlosen86 "Jedermann" des Prozeßgrundrechts des Art. 103 I GG gesehen werden kann. Im Gegensatz zu Art. 103 I GG ist der allein für eine Rechtsfortbildung in Frage kommende Topos des Art. 2 I i. V. m. 1 I GG ein offenes, allen Abwägungen zugängliches Grundrecht und deshalb nur in Verbindung mit einem verfahrens spezifischen Leitbild wirksam. Eine wie beim Zeugen mögliche Gleichstellung des Verletzten mit dem Beschuldigten ist nicht möglich, da die StPO eine solche nicht vornimmt. Dem Verletzten bleibt deshalb nur die Möglichkeit, als Repräsentant der Allgemeinheit, deren Vertrauen in eine unbefangene Staatsanwaltschaft geschützt werden soll, informell eine Ersetzung des Staatsanwalts bei dessen Vorgesetzten anzuregen, der diese bei einer Gefährdung des allgemeinen Vertrauens pflichtgemäß vornehmen muß. In der Praxis wird ein solches informelles Ersetzungsersuchen oft in die Form einer "Beschwerde" gegen eine Maßnahme (z. B. gegen eine Einstellung nach § 170 I oder §§ 153, 153 a) gekleidet sein, die dann als Dienstauf82 "Der Verdächtige" als schweigeberechtigte Auskunftspersonund als selbständiger Prozeßbeteiligter neben dem Beschuldigten und Zeugen?" in:FS f. Schmidt-Leichner S. 1 ff. 83 JZ 1978, 710 ff. (713) "Zum Problem des Anhörungsrechts Dritter im Strafverfahren" . 84 Dahs, Das rechtliche Gehör im Strafverfah.ren, S. 49; Bettermann Anm. zu Bay VerfGH JZ 1962, 673: ansonsten würden die Prozesse zu "Mannschaftskämpfen ausarten". 81 BVerfG NJW 1975, 103; Bruns S. 15. 88 Bohnert S. 713.

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3. Kap.: Definition des Handlungsverbots beim befangenen Staatsanwalt

sichtsbeschwerde behandelt wird. Wird dieser "Beschwerde" durch Fortgang (i. d. R. Anklageerhebung) stattgegeben, bleibt dennoch die Ersetzung des sachbearbeitenden Staatsanwalts zu prüfen, wenn er weiterhin mit der Sache befaßt bleibt. Dieses Ergebnis hat auch die Prozeßäkonomie auf seiner Seite, da z. B. in Wirtschaftsstrafsachen (gem. §§ 263 ff., 283 ff. StGB) eine unübersehbare Zahl von Verletzten mit mehr oder weniger schwergewichtigen Interessenverletzungen auftreten würden, was, würde man ihnen eine beschuldigtenähnliche SubjektsteIlung mit Verfahrensrechten zuerkennen, zu einer unkontrollierbaren Verzögerung des Verfahrens führen würde.

3. Einschränkungen des prinzipiellen präventiven Handlungsverbots aus dem Grundsatz der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege Ebenso wie das präventive Handlungsverbot aus mehreren Wurzeln von Rechtsprinzipien begründet worden ist, wird es selbst wiederum bei seiner rechtssatzmäßigen Konkretisierung auf der Tatbestands- und der Rechtsfolgenseite durch andere verfassungsrechtIiche und strafverfahrensrechtliche Prinzipien relativiert werden müssen87 . Ein solches hier wesentliches Relativierungsprinzip ist das ebenfalls aus dem Rechtsstaatsprinzip und dem Gerechtigkeitsgebot folgende Gebot der Aufrechterhaltung einer funktionsfähigen Rechtspflege. Denn ohne dieses kann Gerechtigkeit, auch im Interesse eines z. B. in Untersuchungshaft befindlichen Beschuldigten, nicht verwirklicht werden88 . Das BVerfG89 hat seit seiner Entscheidung vom 19.7.1972 dieses Prinzip zum Verfassungssatz erhoben. Die Folge ist, daß eine Rechtsfortbildung auf Grund des Prinzips des fairen Verfahrens nach der Rspr. des BVerfGvo in jedem Einzelfall wegen der "Abwägungsoffen~eit" des Art. 2 Ii. V. m. Art. 1 I GG unter strikter Wahrung des Verhältnis87 Vgl. RieB, FS f. Schäfer S. 172 im Zuge der Darstellung der Prinzipien für eine Gesamtreform der StPO: "Die verschiedenen Prinzipien stehen in einem nicht vollkommen auflösbaren Spannungsverhältnis zueinander." 88 Kleinknecht Einl., 18; BVerfGE 41, 246, 250. 8. BVerfGE 33, 367: Eine gem. Art. 3 I GG denkbare Gleichstellung des Zeugnisverweigerungsrechts von Sozialarbeitern mit § 53 I Nr. 3 würde die "Funktionsfähigkeit der Rechtspflege" zu sehr beeinträchtigen. 110 Inzwischen ständ. Rspr.: BVerfGE 38, 312 (321) = NJW 1975, 588 (kein berufsbezogenes Zeugnisverweigerungsrecht für Tierärzte entspr. § 53 I Nr. 3); BVerfGE 39, 156 (163) = NJW 1975, 1013 (zur Verfassungsmäßigkeit der Beschränkung auf 3 Verteidiger in § 137 I); BVerfGE 41, 246 (250) = NJW 1976, 413 (Verfassungsmäßigkeit des § 231 a); BVerfGE 45, 272 ff. und 354 f. (Verfassungsmäßigkeit von § 146).

3. EinschränkUngen des prinzipiellen präventiven Handlungsverbots

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mäßigkeitsgrundsatzes durch diesen Verfassungssatz relativiert ist91 . Eine Konkretisierung des staatsanwaltschaftlichen präventiven Handlungsverbots muß sich deshalb ebenfalls auf Tatbestands- wie Rechtsfolgenseite von einer verhältnismäßigen Relativierung wegen der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege leiten lassen. Unter dem Grundsatz der Funktionsfähigkeit versteht das BVerfG92 die "unabweisbaren Bedürfnisse einer wirksamen Strafverfolgung und Verbrechensbekämpfung, das öffentliche Interesse an einer möglichst vollständigen Wahrheitsermittlung im Strafprozeß" und "die Aufklärung von Straftaten als wesentlicher Auftrag eines rechtsstaatlichen Gemeinwesens". Für die folgende Konkretisierung des präventiven Handlungsverbots läßt sich dieses Prinzip in zwei Einzelprobleme zerlegen: (1) Auf der Tatbestandsseite wird sich das Prinzip der Arbeitsfähigkeit der Staatsanwaltschaft auf den Regelungsumfang der Ausschlußgründe und des Maßstabes der Besorgnis der Befangenheit entspr. § 24 II auswirken. Im Bereich des Verwaltungsverfahrensrechts ist dieses Prinzip als Beschränkung des Handlungsverbots ebenfalls anerkannt93 und hat z. B. in § 2 IV ba-wü VwVfG einfachgesetzlich seinen Niederschlag gefunden. Danach kann die oberste Schulbehörde durch Rechtsverordnung Ausnahmen von einem Ausschluß von befangenen Lehrern gem. § 20 VwVfG zulassen, wenn es "für die Aufrechterhaltung eines ordnungsgemäßen Schulbetriebs oder bei Abwägung der Interessen eines Betroffenen geboten ist". Besonders in kleinen Gemeinden mit dünner Personaldeck:e soll vermieden werden, daß der Schul betrieb lahmgelegt wird. Bei Sonderdezernaten der Staatsanwaltschaft und bei für Großverfahren freigestellten Staatsanwälten, die mit der Zeit zu "Spezialisten" werden, wie auch bei einer kleineren Staatsanwaltschaft mit zahlreichen personellen Verbindungen zur Öffentlichkeit können ähnliche Probleme auftauchen. Bekanntlich" wollten Oppe und Blomeyer wegen diesen Punkten eine Ausschlußregelung völlig ablehnen. Zwar verbietet sich selbstverständlich im Strafverfahren eine "Verordnungslösung" , vielmehr müssen solche Probleme durch eine von vornherein differenzierte Tatbestandsfassung bei den Aus81 Vgl. z. B. BVerfGE 38, 103 ff. (111) =NJW 1975, 103: "Der Ausschluß eines Rechtsbeistandes eines Zeugen von der Zeugenvemehmung verstößt im allgemeinen gegen das im Rechtsstaatsprinzip enthaltene Recht auf ein faires Verfahren. Er ist nur dann mit dem Rechtsstaatsprinzip vereinbar, wenn er unter Wahrung des Verhältnismäßigkeitsgebots zur Aufrechterhaltung einer funktionsfähigen wirksamen Rechtspflege erforderlich ist." 82 NJW 1975, 103 f. 93 Dagtoglou S. 79; Hess. VGH JZ 1971, 258; Ule / Laubinger VwVfG § 12 I. 84 Vgl. 3. Kapitell.

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3. Kap.: Definition des Handlungsverbots beim befangenen Staatsanwalt

schlußgründen und einer restriktiven Interpretation der "Besorgnis der Befangenheit" gelöst werden. (2) Auf der Rechtsjolgenseite muß ein Staatsanwalt trotz Erfüllung eines Disqualifikationstatbestandes nach dem Rechtsgedanken des § 20 III VwVfG und § 29 bei "Gefahr im Verzug" im Ermittlungsverfahren und im Hauptverfahren dennoch "unaufschiebbare Amtshandlungen" vornehmen dürfen. Begründet wird diese ebenfalls mit der Erhaltung der Funktionsfähigkeit öffentlicher Stellen, weil es "im öffentlichen Interesse"95 einer wirksamen Aufgabenerfüllung ist oder die "Dringlichkeit des Verwaltungsanliegens"98 es gebietet. Eine rechtssatzmäßige Konkretisierung dieser Ausnahmen soll im 7. Kapitel unter der Rubrik "Rechtsfolgen" erfolgen.

es Dagtoglou S. 79; Marre S. 90. 98

Kirchhoff S. 381.

Viertes Kapitel

Konkretisierung des staatsanwaltschaftlichen Handlungsverbots bei "regelmä&iger" Besorgnis der Befangenheit durch einzelne Ausschlu&gründe Mit dem bisher festgestellten staatsanwaltschaftlichen Handlungsverbot bei "regelmäßiger" Besorgnis der Befangenheit ist nur ein "Grob"-tatbestand und eine "Grob"rechtsfolge verbunden. Die jetzt noch bestehende "rechtssatzmäßige" Lücke soll, wie es Canaris1 nennt, durch eine "konkretisierende Analogie" zu den §§ 22, 23 unter Berücksichtigung der Stellung und Aufgaben der Staatsanwaltschaft im Strafverfahren geschlossen werden. Dies gebietet das Gleichbehandlungsgebot, nachdem bei Richter und Staatsanwalt im wesentlichen dieselben Zwecksetzungen in der Sicherung eines Unbefangenheitsgebots festgestellt worden sind.

1. AusschlußgrÜDde der persönlichen Beziehung analog § 22 Nr. 1 - 3 StPO a) Zu § 22 Nr. 1 StPO analog

§ 22 Nr. 1 kann ohne Bedenken analog angewandt werden, da ein "verletzter" Staatsanwalt ebenso wie ein verletzter Richter einen typischen Anschein der Befangenheit hervorrufen wird. Ebenso wie ein Richter ist der Staatsanwalt selbstverständlich auch dann disqualifiziert, wenn er selbst Beschuldigter2 , Angeklagter oder materiell TäterS ist. § 145 a I Nr. 1 E GVG hat darüber hinaus noch weitere personale Bezugspunkte aufgenommen, die den Staatsanwalt ex lege disqualifizieren sollen: ,,1. wenn er in der Sache Beschuldigter oder selbst durch die Straftat verletzt ist oder wenn er bei Straftaten, die auf Antrag des Dienstvorgesetz-

S. 160 ff. Wendisch S. 252. 3 Für den Richter: L / R / Dünnebier § 22, 30, und zwar unabhängig davon, ob er angeschuldigt wurde oder nicht. Allerdings wird ein solcher Fall kaum vorkommen. 1 2

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4. Kap.: Ausschlußgrunde

ten oder mit Ermächtigung verfolgbar sind (§ 77 a, § 77 e des Strafgesetzbuches), den Strafantrag gestellt oder die Ermächtigung erteilt hat oder als Privat- oder Nebenkläger beteiligt ist'." Zu prüfen ist, inwieweit diese gegenüber § 22 Nr. 1 weitergehenden Bezugspunkte auf den Staatsanwalt de lege lata Anwendung finden können. Soweit § 145 a I Nr. 1 E GVG den Neben- und Privatkläger erwähnt und diese Beziehung nicht schon durch den Begriff des Verletzten abgedeckt ist, sind die Fälle gemeint, in denen der klagebefugte Staatsanwalt gern. § 374 II und § 395 II Angehöriger gern. § 77 II StGB bzw. zur Stellung des Strafantrags befugter Vorgesetzter des Beschuldigten (§§ 77 a, 194 IIl, 232, 355 III StGB) ist. Abgesehen davon, daß dieser Fall selten genug vorkommen wird, muß eine Disqualifikation ex lege de lege lata immer dann bejaht werden, wenn der Staatsanwalt Nebenkläger ist und zugleich die Aufgaben der Staatsanwaltschaft wahrnimmt. Dies ergibt sich aus einer Rechtsanalogie zu § 20 I Nr. 1 VwVfG, der mit der Disqualifikation von jeglichem "Beteiligten" i. S. v. § 13 VwVfG den allgemeinenö rechtsstaatlichen Grundsatz repräsentiert, daß regelmäßig das Vertrauen der Allgemeinheit erschüttert ist, wenn ein Amtsträger zugleich in anderer Funktion am Verfahren formell "beteiligt" ist, da dann Interessenkollisionen der beiden Verfahrensrollen nicht zu vermeiden sind. Gestützt wird diese Rechtsanalogie durch die Fassung von § 7 Nr. 1 a nds bzw. § 11 Nr. 1 ba-wü AGGVG, die etwas mißverständlich, da es im Strafverfahren eine solche nicht gibt, den Staatsanwalt dann disqualifizieren wollen, wenn er als "Partei" auftritt, womit nichts anderes als das Auftreten in einer anderen Funktion als Verfahrensbeteiligter gemeint sein,kann. Im Privatklageverfahren ist ein Nebeneinander als Staatsanwalt und zugleich als Privatkläger insoweit möglich, als der Staatsanwalt gern. § 377 I Mitwirkungs- und Anwesenheitsrechte hat, um zu prüfen, ob Anlaß besteht, das Verfahren wegen des öffentlichen Interesses gern. § 376 zu übernehmen. übt er diese Rechte aus, ist er in Rechtsanalogie zu § 20 I Nr. 1 VwVfG wegen einer nach außen bestehenden Interessenkollision ebenso disqualifiziert, wie wenn er gleichzeitig die Stellung eines Nebenklägers inne hat. Konsequenterweise gehören dann zu diesem Kreis förmlich Beteiligter ("Partei") auch die Einziehungsbeteiligten, die im subjektiven Strafverfahren gern. § 431 vom Gericht herbeigezogen werden können und dann gern. § 433 I dieselben Befugnisse wie der Angeklagte habens. , Vgl. Text bei L / R / Schäfer, § 145 GVG, 10. S Erichsen / Martens, Allgemeines Verwaltungs recht, (4. Aufl.), Berlin, New York 1980 § 3811. 8 § 122 i. V. m. § 111 Nr.2 und 3 E StvO 1939 erwähnen den "Einziehungsbeteiligten" ausdrücklich als den Staatsanwalt ex lege disqualifizierende Bezugspersonl

1. Analog § 22 Nr. 1 - 3 StPO der persönlichen Beziehung

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Die von § 145 a I Nr. 1 E GVG weiter angeführte disqualifizierende Eigenschaft der Strafantragstellung gem. § 77 a StGB und die Erteilung der Ermächtigung gem. § 77 e StGB schlechthin, ohne daß der Staatsanwalt als Neben- oder Privatkläger auftritt, kann, da eine gesetzliche Vorwertung in § 22 Nr. 1 fehlt, und eine Rechtsanalogie zu § 20 I Nr. 1 VwVfG mangels formellen Beteiligtseins unmöglich ist, de lege lata nicht übernommen werden. In übereinstimmung mit der h. M.7 im vergleichbaren Fall des antragstellenden Richters werden diese Fälle nur mit Hilfe der Geltendmachung der Besorgnis der Befangenheit gelöst werden können, soweit auf Grund der Antragstellung der Eindruck entsteht, daß der Staatsanwalt mehr als pflichtgemäß handelt. Abzulehnen ist auch ein diesbezüglicher Disqualifikationstatbestand de lege ferenda. Dieser wird vom Referentenentwurf8 damit begründet, daß der den Antrag oder die Ermächtigung beschließende Staatsanwalt dabei in "so naher Beziehung zum Rechtsgut" stünde, so daß dieselbe Situation besteht, wie wenn ein Verwandter i. S. v. § 22 Nr. 2, 3 verletzt worden wäre. Diese Gleichstellung kann aber nicht überzeugen. Entgegen dem Zweck der §§ 22 ff. ist das Verhältnis von Vorgesetzten und untergebenem Staatsanwalt kein typisches Verhältnis, das regelmäßig auf eine Voreingenommenheit schließen läßt, wie dies bei der in der Regel emotional geprägten Beziehung zu Verwandten angenommen werden kann. Ansonsten müßte auch der Vorgesetzte ex lege disqualifiziert werden, der infolge privater Kenntnis schwerer Straftaten gegen seinen Untergebenen formlose Anzeige i. S. v. § 158 erstattet, was zu Recht niemand verlangt. Bisher nicht behandelt ist die Frage, ob neben dem materiellen Täter und Beschuldigten nicht auch der verdächtigte Staatsanwalt ex lege disqualifiziert werden muß. Ein verdächtigter Staatsanwalt, der das Ermittlungsverfahren führt, kann nach Eindruck von Außenstehenden ebenso wie ein beschuldigter Staatsanwalt ein Interesse haben, die Ermittlungen so zu führen, daß Verdachtsmomente von ihm abgewandt werden. Zudem ist in § 20 I, 2 VwVfG ein ähnlicher Fall gegeben, in dem der Verwaltungsbeamte disqualifiziert wird, der durch seine amtliche Tätigkeiten einen, wenn auch nur ideellen NachteilD erwarten kann. Soweit der Staatsanwalt allerdings materiell Täter ist, fällt er schon unter § 22 Nr. 1 analog. Damit bleiben nur noch die Fälle, in denen der Staatsanwalt im Ergebnis zu Unrecht verdächtigt wird. Und hier treten nur die Fälle zutage, in denen er entweder gem. §§ 161 a, 162, 55 als verdächtiger Zeuge vernommen oder aber als schlichte RGSt. 30, 123, 125; KMR / Paulus § 22, 4. Begr. zit. bei Wendisch S. 269, der zustimmt. e Kopp VwVfG § 20, 29. 7

8

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4. Kap.: Ausschlußgründe

"Auskunftsperson"lo behandelt wird. Der erstere Fall wird, da der Staatsanwalt Zeuge ist, nach den Grundsätzen des als Zeugen vernommenen Staatsanwalt analog § 22 Nr. 5 behandelt werden müssenl l • Für den letzteren Fall ist angesichts der Vorwertungen des § 22 Nr. 1, nur den Beschuldigten12 und des § 22 Nr. 5, nur den Zeugen zu disqualifizieren, eine Analogie de lege lata nicht möglich und auch nicht unbedingt erforderlich, weil solche Fälle durch eine Geltendmachung der Besorgnis der Befangenheit bei nach außen tretendem Anlaß aufgefangen werden können. b) Zu § 22 Nr. 2 und 3 stPO analog.

Die Nrn. 2 und 3 des § 22 sind weitere Fälle der Rubrik "persönliche" Beziehungen, aus denen sich beim Richter die Besorgnis der Befangenheit ergibt. Eine analoge Anwendung auf dieselben persönlichen Beziehungen des Staatsanwalts als Ehegatte und Vormund (Nr. 3) zum Beschuldigten bzw. Angeklagten oder materiellen Täter und Verletzten kann unproblematisch bejaht werden1s. § 145 aI Nr. 3 E GVG hat denselben Wortla\lt wie § 22 Nr. 2, währenddessen § 145 a I Nr. 3 E GVG gegenüber § 22 Nr. 3 nur scheinbar eine umfassendere Regelung trifft: ,,3. wenn er mit dem Beschuldigten oder Verletzten in gerader Linie verwandt, verschwägert oder durch Annahme an Kindes Statt verbunden, in der Seitenlinie bis zum dritten Grad verwandt oder bis zum zweiten Grad verschwägert ist, auch wenn die Ehe, durch die die Schwägerschaft begründet ist, nicht mehr besteht;" Die Hervorhebung der Annahme an Kindes Statt in § 145 a I Nr. 3 E GVG ist mit dem heutigen Rechtszustand nicht mehr vereinbar. Auf Grund des Adoptionsgesetzes vom 2.7.1976 (BGBL I S. 1749), das seit 1. 1. 1977 die Volladoption ermöglicht, wird zwischen dem angenommenen Kind und dem Annehmendem ein umfassendes gesetzliches Verwandtschafts- und Schwägerschaftsverhältnis im Sinne der §§ 1589, 1590 BGB begründet14 • Auch nach Sinn und Zweck des § 22 ist die Einordnung des Adoptionsverhältnisses in das normale Verwandtschaftsverhältnis richtig, da zwischen Annehmendem und angenommenem Kind regelmäßig ein emotionales, die Besorgnis der Befangenheit begründendes Verhältnis besteht. 10 Dazu Bruns (Fußn. 82, 3. Kap. 2. c) in FS f. Schmidt-Leichner S. 1 ff. n Vgl. unten 4. Kapitel 3. tZ Zur Begriffsbestimmung der h. M., wonach jemand nur dann Beschuldigter ist, wenn sich die Ermittlungen nach dem. Willen. der Strafverfolgungsbehörde erkennbar gegen ihn richten, Kleinknecht Einl. 74 m. w. Nachw. 13 Wendisch S. 252; Koffka ZStW 84,671; "liegt auf der Hand." 14 Palandt / Diederichsen, BGB, (41. Aufl., 1982) § 1754, 1.

1. Analog § 22 Nr. 1 - 3 StPO der persönlichen Beziehung

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Unnötig ist der Zusatz, daß eine Schwägerschaft nach Auflösung der Ehe weiterbesteht, da gem. § 1590 11 BGB dies gesetzlich geregelt ist und damit schon de lege lata gilt. Nicht erfaßt von § 22 Nr. 2 und 3 und damit einer Analogie nicht zugänglich sind persönliche Beziehungen des Staatsanwalts zu sonstigen am Verfahren Mitwirkenden wie z. B. zu sämtlichen Gerichtspersonen, zum Verteidiger, dem Nebenkläger, Sachverständigen, Zeugen usw. Beim Richter kommt ebenfalls nur Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit im Einzelfall in Betrachtl5 . Dagegen erwähnen § 7 Nr. 1 b) und c) nds bzw. § 11 Nr. 2 und 3 ba-wü AGGVG auch die Angehörigenbeziehungen des Staatsanwalts zu einer "Partei", womit wenigstens an Nebenkläger, Verteidiger und Einziehungsbeteiligten gedacht werden kann. Auch nach § 75 i. V. m. § 67 OStPQl8 ist der Staatsanwalt ausgeschlossen, der in einem Angehörigenverhältnis zum "Verteidiger" oder "Privatkläger" steht. Der Nebenkläger wird aber de lege lata wieder durch den "Verletzten" in § 22 Nr. 2 und 3 erfaßt. Zum Verteidiger oder Anwalt des Nebenklägers besteht kein solches Näheverhältnis wie zum Beschuldigten oder Verletzten, das regelmäßig eine Disqualifikation ex lege rechtfertigen würde. Eine Rechtsanalogie zu § 20 I Nr. 2 VwVfG (Ausschluß, soweit man "Angehöriger eines Beteiligten" ist) wäre ohnehin nicht möglich, da der Beteiligtenbegriff des § 13 VwVfG zumindest ein materielles Betroffensein erfordert17 , was bei Anwälten im Strafverfahren nicht gegeben ist. übrig bleibt wieder der Einziehungsbeteiligte, der dem Angeklagten nach §§ 431, 433 gleichgestellt ist und in Rechtsanalogie zu § 20 I Nr. 2 VwVfG als Angehöriger zum Staatsanwalt den Ausschluß ex lege bewirkt. De lege jerenda sollte angesichts des mit anderen Personen in § 22 Nr. 2 und 3 vergleichbaren intensiven Näheverhältnisses der mit dem Beschuldigten usw. verlobte oder in einem Pjlegeverhältnis stehende Staatsanwalt ausgeschlossen werden, zudem diese Verhältnisse unter den Angehörigenbegriff des § 11 Nr. 1 StGB und § 20 I, V Nr. 1 bzw. 8 VwVfG fallen. c) Die ..Same, die den Gegenstand des Verfahrens bUdet"

Nach § 11 Nr. 1 - 3 ba-wü AGGVG darf der Staatsanwalt keine Amtshandlungen vornehmen, wenn er "in der Sache, die den Gegenstand des Verfahrens bildet", in einem persönlichen Verhältnis der Nr. 1- 3 steht. Damit ist zweierlei ausgesagt: Der Staatsanwalt darf in derselben Sache, in der er seine Aufgaben erfüllt, nicht auch noch den Anschein Kleinknecht § 22, 9. Vgl. Text bei Foregger / Serini, Die Österreichische Strafprozeßordnung 1975, 2. Aufi., Wien 1976. 17 Kopp VwVfG § 13, 22. 16

18

5 Schatrer

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4. Kap.: AusschlußgrüIide

des persönlichen Engagements erwecken. Beim Richter ist die Rspr. und Lit. 18 der Ansicht, daß es die dem § 22 zugrundeliegenden Schutzzwecke gebieten, nicht nur bei Vorliegen einer "Tat" im prozessualen Sinne gem. §§ 155, 264, sondern bei jedem möglichen "sachlichen Zusammenhang" von Bezugsstraftat und Gegenstand des Verfahrens den Richter ex lege auszuschließen. Die Konsequenz ist z. B., daß nach der Rspr. des BGH19 ein "verletzter" Richter nach § 22 Nr. 1 auch dann auszuschließen ist, wenn die verletzende Straftat nach §§ 153 ff. im Hauptverfahren eingestellt worderi ist. Der Richter könne sich auch dann nur selten vom "Unwillen gegenüber dem Angeklagten", der ihn verletzt habe, lösen. Für den Richter mag diese undifferenzierte Lösung angesichts seiner "rechtssprechenden" Funktion im Hauptverfahren noch geboten sein. Für den Staatsanwalt jedenfalls kann einer solchen weiten Auslegung der "Sache" schon im Interesse der Funktionsfähigkeiten der Staatsanwaltschaft nicht pauschal gefolgt werden. Jedenfalls dann, wenn die Bezugstat durch förmliche Einstellung im Ermittlungsverfahren gem. §§ 153 ff., 170 11 eingestellt oder die Strafsache an eine andere Staatsanwaltschaft förmlich abgegeben wurde oder im Hauptverfahren eine Einstellung nach §§ 153 ff., 206 a, 260 bzw. eine Abgabe oder Trennung erfolgt ist, ist nach außen eine solch starke Ferne des Staatsanwalts von der Bezugsstraftat dokumentiert, daß der Zweck des staatsanwaltschaftlichen Handlungsverbots z. B. bei § 22 Nr. 1, die Allgemeinheit vor Erschütterung ihres Vertrauens in die Unbefangenheit des Staatsanwalts zu schützen, hinter dem Gebot der Erhaltung der Arbeitsfähigkeit der Staatsanwaltschaft zurücktreten muß. Durchaus noch bestehende Bedenken der konkret am Verfahren Beteiligten können durch die Geltendmachung der Besorgnis der Befangenheit im Einzelfall geschützt werden. Besonders im Ermittlungsverfahren würde ein solch undifferenzierter Ausschluß zu erheblichen Funktionsstörungen führen. Bei Sammelverfahren gern. Nr. 25 ff. RiStBV und § 7 BKAG, deren Voraussetzung der sachliche Zusammenhang gerade ist, würde eine einzige gern.. '§170 11 oder §§ 153 ff; eingestellte Bezugsstraftat zu einem Ausschluß des spezialisierten Staatsanwalts führen und damit den Zweck einer solchen Verfahrenskonzentration unterlaufen. Zudem bestünde die Gefahr, daß die "Steine des Anstoßes" durch im Ergebnis nicht gerechtfertigte Einstellungen der Tatteile beseitigt werden könnten. So könnte die Staatsanwaltschaft gern. Nr. 25, 2 RiStBV (vgl. auch Nr. 17 11) mit dem Deckmantel "aus einem wichtigen Grund" eine 18 BGHSt. 9, 193; 28, 262, 264; KMR / Paulus 16 vor § 22

13.

18

BGHSt. 14, 219 (222).

ID.

w. Nachw.; § 22,

2. Ausschlußgrunde der "sachlichen" Vorbefassung

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wegen des sachlichen Zusammenhangs eigentliche gebotene Verbindung trennen, nur um eine pauschale Disqualifikation zu vermeiden. Mehr als eine KlarsteIlung, weil schon beim Richter als selbstverständlich anerkannt, ist die Wendung in § 11 ba-wü AGGVG "die den Gegenstand des Verfahrens bildet" nicht. Damit soll vermieden werden20 , daß z. B. im Ermittlungsverfahren der Beschuldigte den Staatsanwalt durch gezielte Beleidigungen "verletzt" und damit der Staatsanwalt ohne Bezug zur ermittelten Sache aus dem Verfahren gedrängt werden würde. Für den Staatsanwalt ergibt sich diese Einschränkung de lege lata aus einem Mißbrauchsverbot der Zwecke des staatsanwaltschaftlichen Handlungsverbots und dem Gebot der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege.

2. Ausscblußgründe der "sachlichen" Vorbefassung analog §§ 22 Nr.4 und 23 StPO Im Gegensatz zu den Fällen der regelmäßigen Besorgnis personaler Voreingenommenheit des § 22 Nr. 1 bis 3 beinhalten die § 22 Nr. 4 und § 23 Umstände der richterlichen Vorbefassung in der Sache, die nach Ansicht des Gesetzgebers nach außen regelmäßig den Anschein eines Vorurteils, alsö einer sachlichen Voreingenommenheit erwecken sollen. Auffällig ist, daß im Verwaltungsverfahren nur von der "Unparteilichkeit"21 gesprochen und darunter das Gebot, sich von personaler Voreingenommenheit freizuhalten verstanden wird. Von Objektivität, die mehr den Abstand in sachlicher Beziehung bezeichnet, ist nicht die Rede. Auch § 24 II spricht vom Mißtrauen gegen die "Unparteilichkeit", wobei aber Arzt und Riedel22 klargestellt haben, daß auch die Besorgnis sachlicher Voreingenommenheit unter § 24 II fällt. Für das Verwaltungsverfahren hat der Begriffsunterschied aber den realen Hintergrund, daß nach § 20 VwVfG Fälle der sachlichen Vorbefassung von Verwaltungsbeamten keinen Ausschlußgrund darstellen. Begründet wird dies damit, daß Art. 101 12 GG einen "gesetzlichen" Verwaltungsbeamten nicht gebiete 23 und das Verwaltungsrecht seit jeher "funktional bedingte" Verantwortlichkeitskonflikte "innerhalb des Amtsrechts"24 durch Verfahrensordnungen, Inkompatibilitätsregeln und verwaltungsinterne Arbeitsteilung löse. "Amtskonflikte" würden, wie z. B. die §§ 68, 73 VwGO zeigten, "je nach Zweckmäßigkeit"24 vermieden. Begr. RegE L-Tag Drs. 6/7750 S. 41. § 59 BBG; Dagtoglou S. 65 ff.; St / B / L VwVfG § 20, 3; § 21 VwVfG. 22 Zu sehr problematisiert von Arzt S. 56, 89, 115 und Riedel S. 78 ff.; vgl. auch Friesenhahn Anm. zum Leipholz-Urteil BVerfGE 20, 1 ff. in JZ 1966, 707. !S Kopp VwVfG § 20, 9; St / B / L VwVfG § 20, 9. 24 Kirchhoff S. 380. 10 !1



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4. Kap.: Ausschlußgründe

Ob die in § 20 VwVfG zum Gesetz gewordene Ansicht richtig ist25 , kann dahingestellt bleiben. Jedenfalls, und dies wurde anläßlich der Befassung mit den Ansichten Oppe's26 herausgestellt, ist die Sicherung des staatsanwaltschaftlichen Unbefangenheitsgebots, das unzweifelhaft auch von einem sachbezogen voreingenommenen Staatsanwalt gefährdet werden kann, nicht allein eine Frage der Zweckmäßigkeit, die innerhalb der Organisation der Staatsanwaltschaft gelöst werden darf, sondern eine Frage der rechtsstaatlich gebotenen rechtssatzmäßigen Sicherungen im Strafverfahren selbst. Rechtssatzmäßige Ausschlußregelungen wegen Vorbefassung sind beim Staatsanwalt deshalb grundsätzlich geboten! Allerdings soll nach der ständ. Rspr. des RG, BGH und BVerfG27 für den Richter, der richterlich vorbefaßt war, auf Grund seiner richterlichen Qualitäten grundsätzlich die Vermutung der Unbefangenheit streiten. Dabei wird aus der Pflicht zur Distanz und Neutralität die Vermutung der Einhaltung dieser Pflicht gefolgert: Für den Richter bestehe "selbstverständlich die Pflicht, sich in einem neuen Verfahren, in dem es wieder auf die Beurteilung derselben Vorgänge ankommt, sein Urteil unbefangen und nur auf Grund des in dem neuen Verfahren vorgetragenen Beweisstoffes zu finden. Mit der gewissenhaften Erfüllung dieser Pflicht können die Beteiligten rechnen"28. Die Gefahr des Vorurteils bei Vorbefassung soll also die Ausnahme, die Unbefangenheit die Regel sein, was sich in einer restriktiven Auslegung des § 23 und dessen Verständnis als Ausnahmevorschrift niederschlägt. Mit Recht ist gegen ein solches Verständnis der Einwand29 erhoben worden, daß angesichts der aus Art. 2 I i. V. m. 1 I GG und dem Rechtsstaatsprinzip (fair trial) folgenden SubjektsteIlung dem jeweiligen Verfahrensbeteiligten "das sichere Gefühl" gegeben werden müsse, er stünde einem vorurteilslosen Richter gegenüber. In der Tat ist die Vermutung der Unbefangenheit angesichts der objektivrechtlichen "Ausstrahlungswirkung" der Grundrechte 30 eine nicht mehr vertretbare Fiktion31 • Für einen vorbefaßten Staatsanwalt kann die spezifisch richterliche Unterparteilichkeitsvermutung sowieso nicht gelten, da er die besonderen Qualitäten des richterlichen Amtes für sich nicht beanspruchen kann. Aber auch die ganz allgemein staatlichen Amtsträgern 25 And. Dagtoglou S. 88 f. unter Hinweis auf das anglo-amerikanische und österreichische Verwaltungsverfahren. 28 2. Kapitel 1. 27 RGSt. 59, 409 f.; 60, 43 (46); 61, 67 (68); 62, 299 (302); BGHSt. 9, 193 und 233; 24, 336; BVerGE 30, 145 ff. = BVerfG NJW 1971, 1029 ff.;vgl. auch Kleinknecht § 23, 1. 28 RGSt. 59, 410. 29 Diss. opinion zu BVerfG NJW 1971, 1029 ff. der Richter Leipholz, Geiger und Rinck NJW 1971, 1031 ff.; Arzt S. 65 ff. (68). 30 Vgl. oben 3. Kapitel 2. b). 81 Arzt NJW 1971, 1115: "Selbstbetrug".

2. Ausschlußgriinde der "sachlichen" Vorbefassung

69

zugesprochene Unbefangenheitsvermutung muß durch die objektivrechtliche Geltung des Prinzips des fairen Verfahrens mit dem Maßstab des "sicheren Gefühls" des Verfahrensbeteiligten relativiert werden. Auch beim Staatsanwalt muß deshalb die Einzelausgestaltung der Disqualifikationsgründe der Vorbefassung unter Beachtung der SubjektsteIlung vor allem des Beschuldigten und Angeklagten geleistet werden. Die folgende Betrachtung orientiert sich systematisch an den verschiedenen Anlässen einer Vorbefassung, die der Staatsanwalt funktional einnehmen kann. Vorangestellt werden soll der Vorschlag von § 145 al Nr. 4 E GVG, wonach der Staatsanwalt ausgeschlossen ist, ,,4. wenn er in der Sache als Richter, Anwalt des Verletzten oder als Verteidiger tätig geworden ist." § 11 Nr. 4 ba-wü AGGVG enthält ebenso wie § 7 Nr. 1 d) nds AGGVG eine dem § 22 Nr. 4 ähnliche Vorschrift: ,,4. in der Sache als Richter, als Polizeibeamter, als Anwalt des' Verletzten oder einer Partei oder als Verteidiger tätig geworden ist." a) Vorbefassung als "einseitiger" SadlwaIter

Der Staatsanwalt kann "einseitig" als früherer Anwalt des Verletzten bzw. im Hauptverfahren als Anwalt des Privat- oder Nebenklägers oder als Verteidiger des Beschuldigten/Angeklagten im Ermittlungsoder in einem vorinstanzlichen Verfahren tätig geworden sein. Mit der Nennung der "Partei" will § 11 Nr. 4 ba-wü AGGVG wieder auf die Möglichkeit hinweisen, daß z. B. der Einziehungsbeteiligte durch den jetzigen Staatsanwalt als damaliger Anwalt vertreten werden konnte. Die Annahme des regelmäßigen Anscheins der Voreingenommenheit läßt sich damit begründen, daß der Staatsanwalt nach der "Natur der Sache"s2 der Allgemeinheit gegenüber als frühere "Partei" auftritt. Zudem ist psychologisch anerkannt, daß sich der Staatsanwalt nicht von seiner früheren einseitigen Interessenwahrnehmung lösen kann, so daß eine regelmäßige Gefahr der einseitigen sachwidrigen Beeinflussung des Strafverfahrens besteht33 • Wiederum muß der Staatsanwalt in der "Sache" einseitig vorbefaßt sein. Die von der Rspr. und Lit. 34 vertretene weite Interpretation der "Sache" führt hier zu Recht dazu, daß ein Staatsanwalt auch dann ausgeschlossen ist, wenn er den Angeklagten z. B. in einem anderen Verfahren als Anwalt vertreten az LG Kiel SchlHA 1964, 72 zur Frage der Vorbefassung des Beschwerderichters in der Strafvollzugskammer. 83 Kuhlmann S; 14; Wendisch S. 252; Frisch S. 399; KMR !Paulus 20 vor

§ 22. 34

VgI. BGHSt. 28, 262, 264 und oben 1. cl.

4. Kap.: Ausschlußgrunde

70

hat, das in solchem engen sachlichem Zusammenhang mit dem jetzigen Verfahren steht, daß der Staatsanwalt mit tatsächlichen und rechtlichen Fragen des Vorverfahrens erneut befaßt ist. Zumindest nach dem Eindruck eines Außenstehenden wird sich der Staatsanwalt ebensowenig von seiner damals "parteiischen" Befassung lösen können, wie wenn er im selben Verfahren bei derselben Tat im Sinne des § 264 schon parteiisch vorbefaßt war. Darunter fällt z. B. der Fall in Anlehnung an BGHSt 9, 193 ff.: Dieselbe Person war im 1. Verfahren als Verteidiger dem Angeklagten wegen des Vorwurfs der üblen Nachrede beigestanden, welche in einem Aufsatz in einer Zeitschrift enthalten sein sollte. Im 2. Verfahren hat diese Person wegen desselben Aufsatzes, der in einer anderen Zeitschrift wiederholt worden war, dann die Aufgaben der Staatsanwaltschaft wahrgenommen. b) VorbefassUDg in staatsanwaltschanUchen FunktIonen

In § 11 Nr. 4 ba-wü bzw. § 7 Nr. 1 d) nds AGGVG und § 145 a I Nr. 4 E GVG fehlen Regelungen, nach denen die Vorbefassung in staatsanwaltschaftlichen Funktionen den Staatsanwalt ex lege disqualifiziert. Ob dem de lege lata zugestimmt werden kann, soll im folgenden nachgegangen werden.

aa) 1. Konstellation: Sitzungsstaatsanwalt, der zuvor die Ermittlungen geführt hat In der Praxis wird eine solche Konstellation in der Regel nur bei im Unrechtsgehalt schwerwiegenden, umfangreichen Taten und bei Staatsanwälten vorkommen, die als Beamte der Schwerpunktstaatsanwaltschaften spezialisiert sind. Ansonsten erfolgt die Sitzungsvertretung nach einer ad hoc erfolgenden Zuteilungsverfügung durch den nach dem Geschäftsverteilungsplan zuständigen (Ober) Staatsanwalt, so daß eine Personenidentität nur zufällig gegeben sein wird. De lege lata wird für diese 1. Konstellation der Vorbefassung eine Analogie zu § 22 Nr. 4 in Frage kommen. § 23 betont mehr die Vorbefassung durch Mitwirkung an einer angefochtenen (endgültigen) gerichtlichen Entscheidung. Der Sitzungsvertreter, der zugleich ermittelnder Staatsanwalt war, ist in der Hauptverhandlung zwangsläufig 35 von einer bestimmten Vorstellung beeinflußt. Er hat die Untersuchungen nach einem bestimmten Verdachtsmuster geführt, kennt besser als der Richter die Akten und Umstände, hat eventuell den Angeklagten und wesentliche Zeugen gem. 3&

Else Koffka ZStW 84, 671; Schweichel ZRP 1970, 173 und 1. Kapitel 1.

2. Ausschlußgrunde der "sachlichen" Vorbefassung

71

§§ 161 a, 163 a vernommen und hat sich vor allem über die Persönlichkeit des Angeklagten, was gern. § 160 111 geradezu seine Pflicht ist, von vornherein ein detailliertes Psychogramm machen können. Diese auch beim früheren Inquisitionsrichter zutreffende psychologische Situation38 hat deshalb im reformierten Strafprozeß zur Trennung von anklagender und richtender Funktion und damit notwendig zur Personenverschiedenheit geführt. Da in der Mitwirkung desselben Staatsanwalts im Ermittlungs- wie Erkenntnisverfahren eine zur Situation des früheren Inquisitionsrichters ähnliche psychologische Konstellation einer Gefährdung des Unbefangenheitsgebots durch Voreingenommenheit vorliegt, wäre ein präventives Handlungsverbot für die 1. Konstellation rechtsstaatlich durchaus zu begrüßen37 . Die vertikale Arbeitsteilung von Richter und Staatsanwalt würde eine Ergänzung in Gestalt einer innerstaatsanwaltschaftlichen vertikalen Aufteilung der Aufgaben finden. Weder in der StPO noch im GVG ist vorgeschrieben, daß ermittelnder und Sitzungsstaatsanwalt personengleich sein müßten. Denn im Gegensatz zu der aufgabenzuweisenden "Individualisierung" des Richters (vgl. den "Ermittlungsrichter" gern. § 162 und den "erkennenden" Richter 1. und 2. Instanz) weist die StPO die Aufgabenerfüllung nur der "Staatsanwaltschaft" als Behörde zu (vgl. insbesondere § 227). Die ganz h. M.3s dagegen lehnt einen Ausschluß des ermittelnden Staatsanwalts, der in der Hauptverhandlung weiter tätig bleibt, ab. Dem ist im Ergebnis, nicht aber in allen Begründungsansätzen zuzustimmen. Gegen eine Disqualifikation wird eine Parallelwertung zum Eröffnungsrichter ins Feld geführt, der ursprünglich in § 23111 a. F.39, soweit er Berichterstatter war, in der Hauptverhandlung ausgeschlossen wurde. Beseitigt wurde diese Regelung ersatzlos durch die "Emminger Verordnung" v. 24.1.1924. Daraus wird der Schluß gezogen40 , daß ebensowenig wie der "eröffnende" Richter heutzutage ausgeschlossen werden könne, dies für den ermittelnden Staatsanwalt gelten könne, weil ansonsten der Anklageerhebung größere Bedeutung zugemessen werden würde, als dem vergleichbaren Eröffnungsbeschluß! Abgesehen davon, daß die Abschaffung des § 23111 a. F. allein finanzpolitische Hintergründe hatte41 , geht es hier um die Frage, ob nicht nur Eb. Schmidt LK I Rdnr. 93 ff. L / R / Dünnebier 13 vor § 22 Fußn. 3: "hätte Vorteile". 38 Wendisch S. 253; Frisch S. 401; wohl auch L / R / Dünnebier 13 vor § 22, Fußn. 3; Kuhlmann S. 15. 38 RGBI I 253. 40 Wendisch S. 253; Frisch S. 401. 41 Arzt NJW 1971, 1112. 38

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4. Kap.: Ausschlußgründe

der die Anklage fertigende sondern auch der ermittelnde Staatsanwalt ausgeschlossen werden soll. Denn die Gefahr der Voreingenommenheit rührt ebenso wie dies zur Begründung der Disqualifikation des zuvor als Untersuchungsrichter tätigen erkennenden Richters gem. § 23 III a. F. begründet worden war, aus dem "Vorgehen nach einem bestimmten Plan" und dem "selbständigen Beitrag zu Sachgestaltung durch unmittelbare Erforschung der Tat" her4 2 • Die psychologische Situation des ermittelnden Staatsanwalts ist deshalb mehr mit der des früheren Untersuchungsrichters vergleichbar. Denn schließlich leistet seit der übernahme der ursprünglich dem Untersuchungsrichter obliegenden Aufgaben durch die Staatsanwaltschaft im Zuge des 1. StVRG der ermittelnde Staatsanwalt dieselbe "geistige" Tätigkeit43 , wie früher der Untersuchungsrichter. Weshalb dennoch damals eine Analogie zu § 23III a. F.44 und heute einem Ausschluß analog § 22 Nr. 4 nicht zugestimmt werden kann, liegt letztlich allein im Interesse an der Erhaltung der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege und dort nicht so sehr wegen der Erhaltung der Arbeitsfähigkeit der Staatsanwaltschaft, sondern im Interesse an einer möglichst vollständigen Wahrheitsermittlung und Aufklärung der Straftaten in der Hauptverhandlung45 begründet. Auch der BGH46 begrüßt die "ständige übung ... im Interesse einer raschen und orientierten Verfahrensgestaltung tunlichst den mit den Ermittlungen befaßten Staatsanwalt auch mit den staatsanwaltschaftlichen Geschäften in der Hauptverhandlung zu betreuen". Die §§ 25, 26, 27 OrgSta47 , die eine Spezialisierung der Staatsanwälte vorsehen, liefern ein zusätzliches Argument. Der Verzicht au~ ein solches Handlungsverbot fällt einigermaßen leicht, weil in der Hauptverhandlung der eventuell mit Vorurteilen behaftete Staatsanwalt durch die richterliche Erkenntnisdominanz relativiert wird. Zudem steht in leichteren und mittleren Fällen der Kriminalität die Polizei als "planmäßig" ermittelnde Behörde im Vordergrund, so daß die Gefahr einer Voreingenommenheit des Staatsanwalts wegen nicht stattfindender intensiver Sachbefassung nicht so groß ist. Der Besorgnis des einzelnen Verfahrensbetroffenen wird durch die Geltendmachung der Besorgnis im Einzelfall Rechnung getragen. Allerdings wird dann Großzügigkeit bei der Beurteilung der Besorgnis zu RGSt 68, 375 (376); BGH NJW 1952, 1246. Eb. Schmidt LK III 4 zu § 146 GVG. " Ablehnend Koffka ZStW 84, 671 ohne große Begründung. 4$ BVerfG NJW 1975, 103 und 3. Kapitel 3. 48 BGHSt 21, 90 (Staatsanwalt als Zeuge). 47 Vereinbarung der Länder über ein Organisationsstatut (OrgSta) der Staatsanwaltschaft v. 1. 4. 1975 (Die Justiz 1975, 325 ff.). 41

43

2. Ausschlußgründe der "sachlichen" Vorbefassung

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empfehlen sein, wenn der Staatsanwalt im Ermittlungsverfahren mit solch schweren und komplizierten Sachverhalten befaßt war, daß nach § 178 I u. II a. F. der Untersuchungsrichter damit beauftragt worden wäre. Dies ergibt sich aus dem Rechtsgedanken des § 23111 a. F., weil der Untersuchungsrichter nur in Fällen des § 178 I und 11 a. F. kompetent und dann für die Hauptverhandlung disqualifiziert war. Hintergrund ist, daß bei schwerem Unrecht vor allem dem Angeklagten die Gefahr der Mitwirkung eines mit Vorurteilen behafteten Staatsanwalts noch weniger zugemutet werden kann und daß bei tatsächlich komplizierten Sachverhalten der durch das Ermittlungsverfahren vorbefaßte Staatsanwalt einen solchen Informationsvorsprung hat, daß das mit der Sache nicht so vertraute erkennende Gericht die rechtsstaatlich gebotene mittelbare richterliche Kontrolle über den die Gefahr der sachlichen Voreingenommenheit rechtfertigenden Staatsanwalt nicht mehr wirksam ausüben kann48 •

bb) 2. Konstellation: Staatsanwalt in der Rechtsmittelinstanz, der in einer Vorinstanz Sitzungsstaatsanwalt war Die Konstellation, daß ein in der Revisionsinstanz vor dem Oberlandesgericht gem. § 121 I Nr. 1 GVG oder dem Bundesgerichtshof gem. § 135 I GVG mitwirkender Staatsanwalt in einer Vorinstanz mit der Sache befaßt war, wird im Regelfall nicht vorkommen, da gem. § 142 I Nr. 1 GVG dem BGH und gem. § 142 I Nr. 2 GVG den Oberlandesgerichten neben den Landgerichten" eigene Staatsanwaltschaften mit dann notwendig personenverschiedenen Mitgliedern zugeordnet sind. Eine Ausnahme ist in dem Fall gegeben, daß ein Staatsanwalt zum Generalstaatsanwalt oder zur Bundesanwaltschaft versetzt wird. Durch die Einrichtung der Amtsanwältello und Referendare, die gem. § 142 I Nr. 2, 11 GVG vor dem Amtsgericht staatsanwaltschaftliche Aufgaben in Fällen geringerer Bedeutung wahrnehmen, wird eine Vorbefassung des Staatsanwalts in der Berufungsinstanz vor dem Landgericht oft institutionell vermieden. Im Fall des § 142 al GVG besteht theoretisch die Gefahr der vorurteilsbehafteten Vorbefassung, da der Generalbundesanwalt die Aufgaben der Staatsanwaltschaft in der 1. Instanz gem. § 120 I, 11 GVG vor dem OLG und in der Revisionsinstanz vor dem BGH wahrnehmen kann. Im übrigen kann ein Staatsanwalt deshalb vorbefaßt sein, weil er als Referent die Sache ständig bearbeitet oder zufällig auch in der zweiten Instanz mit der Wahrnehmung des Sitzungsdienstes beauftragt ist. 48 Vgl. Arzt S. 72 für den Fall des "dominanten" Berichterstatters in der Kammer des eröffnenden Gerichts in der folgenden Hauptverhandlung. " Vgl. §§ 1, 2 OrgSta. 110 z. B. § 8 ba-wü AGGVG.

74

4. Kap.: Ausschlußgrunde

Diesmal stellt sich die Frage der analogen Anwendung des § 23 I, wonach ein Richter in der Rechtsmittelinstanz ausgeschlossen ist, wenn er an der durch Rechtsmittel angefochtenen Entscheidung "mitgewirkt" hat. Die Disqualifikation bei dieser Konstellation resultiert aus der Erkenntnis, daß ein Richter, der in Form eines Urteils eine auf Rechtskraft ausgerichtete endgültige Sachentscheidung gefällt hat, psychologisch überfordert wäre61 , nach dieser Endgültigkeit wiederum eine völlige Neubesinnung und überprüfung seiner eigenen Erkenntnisse und Beweiswürdigungen zu leisten. Ein solcher Richter soll vor allem dem Rechtsmittelführer nicht zugemutet werden. Die Allgemeinheit würde dafür kein Verständnis haben, die Sachgemäßheit der Rechtsmittelentscheidung wäre gefährdet. Frisch52 kommt denn zum Ergebnis, daß auch der Staatsanwalt in der Rechtsmittelinstanz analog § 23 I ausgeschlossen werden müsse, da er in der Vorinstanz mit dem Vortrag seines Schlußplädoyers gem. § 258 zu einem ähnlich endgültigen Ergebnis komme wie der urteilende Richter. Dagegen will Wendisch53 § 23 I auf diesen Fall nicht angewandt wissen, weil das Schlußplädoyer des Staatsanwalts einem richterlichen Urteil nicht gleichgestellt werden könne. Trotz zahlreicher übereinstimmender Tätigkeitsmerkmale von Staatsanwaltschaft und Gericht seien die Prozeßrollen zu verschieden. Einerseits erfüllten Staatsanwaltschaft und Gericht die Aufgabe der "Justizgewährung" , andererseits gelte zwischen Angeklagtem und Staatsanwaltschaft der Grundsatz der "Waffengleichheit" . Schon dieses Spannungsverhältnis zeige, daß Richter und Staatsanwalt nicht ohne weiteres gleich behandelt werden könnten, wenn es um die Mitwirkung in der nächsthöheren Instanz geht. Des weiteren sei es nur Aufgabe der Staatsanwaltschaft, einen Sachverhalt unter strafrechtlichen Gesichtspunkten zu ermitteln undbei genügendem Anlaß zur Erhebung der öffentlichen Klage - dem Gericht zur Entscheidung zu unterbreiten, und zwar mit dem Ziel einer rechtskräftigen Entscheidung, die allein das Gericht fällen könne. Zudem wolle der rechtsmitteleinlegende Verfahrensbeteiligte nur erreichen, daß die Entscheidung durch ein anderes Gericht, nicht durch einen anderen Staatsanwalt überprüft werden soll. Dies ergebe sich auch schon aus der Zuordnung der Staatsanwaltschaft zum Landgericht, die auch die staatsanwaltschaftlichen Aufgaben beim Amtsgericht wahrnehme, so daß in Berufungssachen dieselbe Staatsanwaltschaft mit der Sache befaßt bleibt, während das Gericht wechsle. Dabei sei es dann eben möglich und quasi eingeplant, daß derselbe Dezernent die Sache 51 52

SI

Grassberger S. 268 ff.; Frisch S. 400. S. 400 f. S. 257 f.

2. Ausschlußgründe der "sachlichen" Vorbefassung

75

weiterhin vertritt. Dem stehe auch nicht entgegen, daß der Staatsanwalt im Wiederaufnahmeverfahren (WAV) ausgewechselt werden solle, wie es Nr. 170 I RiStBV vorsieht. Denn dann sei entscheidend, daß es Aufgabe der Staatsanwaltschaft ist, das Verfahren einer rechtskräftigen Entscheidung zuzuführen und diese dann zu vollstrecken. Werde aber die Rechtskraft einer Entscheidung im Wege des Wiederaufnahmeverfahrens in Frage gestellt, so sei - zumindest aus der Sicht des Verurteilten - die Befürchtung nicht von der Hand zu weisen, der Staatsanwalt werde mit allen Mitteln versuchen, die Rechtskraft des Urteils zu "retten". Der Differenzierung Wendischs kann so pauschal nicht gefolgt werden. Unverständlich ist, weshalb der formale Grundsatz der Waffengleichheit ein Indiz gegen eine analoge Anwendung des § 23 I sein soll. Entscheidend ist allein, ob die Intensität der Vorbefassung mit der des Richters vergleichbar ist. Ebenfalls kein Argument ist der Hinweis der Zuordnung der Staatsanwaltschaft zum Landgericht, wonach dieselbe Behörde auch für die Berufungsverhandlung zuständig sei. Denn es bleibt immer noch möglich, einen anderen Staatsanwalt derselben Behörde mit der Wahrnehmung der Aufgaben der Staatsanwaltschaft in der Rechtsmittelinstanz zu beauftragen. Auf den ersten Blick plausibel ist dagegen das Argument, daß der vorbefaßte Richter, der das Urteil gefällt hat, sich schwerer von seiner einmal gefaßten subjektiv endgültigen Entscheidung lösen kann, als der Staatsanwalt, der seine endgültige Entscheidung ,nur' im Schlußplädoyer kundtut. Man würde aber die faktischen und vom Gesetz gewählten Einflußmöglichkeiten des Staatsanwalts in der Hauptverhandlung verkennen, wenn man die Gefahr eines Vorurteils und den Beharrungswillen des Staatsanwalts allein mit dem Anbringen des Schlußplädoyers verknüpft. Schon während des ganzen Verlaufs der Hauptverhandlung wirkt der Staatsanwalt durch Beweisanträge, Fragen usw. auf den Verhandlungsstoff ein und legt sich immer mehr fest. Anknüpfungspunkt im Vergleich mit der Intensität richterlicher Vorbefassung darf deshalb nicht das Schlußplädoyer, sondern die Mitverantwortung des Staatsanwalts am Urteil sein. Der Schlußvortrag ist nur Ergebnis seiner mitverantwortlichen Mitwirkung am Zustandekommen des Urteils und notwendige Grundlage richterlicher Urteilsfällung. Deshalb wird das Fehlen des Schlußvortrags von der Rspr." als Verfahrensfehler angesehen, auf dem das Urteil regelmäßig beruht und aufgehoben werden muß. Eine solche Betrachtungsweise entspricht auch der von Wendisch angeführten AufgabensteIlung der Staatsanwaltschaft, eine rechtskräftige Entscheidung a4 OLG Düsseldorf NJW 1963, 1167; OLG Köln GA 1964, 156; L / R / Dünnebier 15 vor § 22; vgl. Welp, Der Verteidiger als Anwalt des Vertrauens, ZStW 90,119. ..

4. Kap.: Ausschlußgrilnde

76

herbeizuführen, wobei die Betonung auf der (richterlichen) Entschefdung liegt! Auch § 324 zeigt, daß aus der Sicht der Verfahrensbeteiligten im Rechtsmittelverfahren nicht das Schlußplädoyer, sondern das mitverantwortete angefochtene Urteil vom Staatsanwalt verteidigt wird, weil der Richter nur dieses zu Beginn der Hauptverhandlung verliest! Insofern besteht nur ein gradueller Unterschied zum WAV, in dem der Staatsanwalt ein schon rechtskräftiges Urteil verteidigen will und dort nach Wendisch und Frisch auf jeden Fall wegen Vorbefassung analog § 23 II ausgeschlossen sein soll! Dieser graduelle Unterschied besteht im Verhältnis von vorbefaßtem RechtsmittelTichter i. S. v. § 23 I und vorbefaßtem Wiederaufnahmerichter i. S. v. § 23 II auch! Und dennoch sind beide Richter wegen Vorbefassung ex lege ausgeschlossen! Zuzumuten ist dem Angeklagten aber das Mitwirken eines vorbefaßten Staatsanwalts, der zu seinen Gunsten Rechtsmittel eingelegt hat. Dann ist der Staatsanwalt nicht auszuschließen! Der Angeklagte wird regelmäßig keine Besorgnis wegen dessen Vorbefassung in der unteren Instanz hegen wollen, weil die zu seinen Grunsten erfolgte Rechtsmitteleinlegung eine gewisse kritische Distanz zum mitverantworteten Urteil nach außen dokumentiert. Auch wird dann eine Schädigung des Ansehens der Staatsanwaltschaft sich in Grenzen halten. Diese Differenzierung hat zudem den schon bei der 1. Konstellation vorgebrachten Verfassungssatz des Gebots der Aufrechterhaltung einer funktionsfähigen Rechtspflege hinter sich. Denn der generelle Ausschluß des Staatsanwalts vom Rechtsmittelverfahren trifft die Wahrheitsfindung und ein effektives und wirksames Strafverfahren insbesondere bei der immer zunehmenden Spezialisierung der Staatsanwaltschaft (§§ 25, 26, 27 OrgSta) empfindlich. Wenn aber der Angeklagte selbst oder ein Nebenkläger oder der Staatsanwalt zuungunsten des Angeklagten Rechtsmittel einlegt, ist eine generelle Ausschlußregelung im Interesse der objektiven und subjektiven Zwecksetzung des staatsanwaltschaftlichen präventiven Handlungsverbotes vonnöten. Allerdings scheint der Weg einer Analogie zu § 23 I für diese Fälle blockiert zu sein, da nach dem BVerfG55 auf Grund der Vermutung richterlicher Unbefangenheit trotz Vorbefassung § 23 als "Ausnahmevorschrift" restriktiv ausgelegt und unter "Mitwirkung" am Urteil nur die Urteilsfällung selbst verstanden wird. Der Staatsanwalt wäre dann ebenso wie nach dem BVerfG der Ergänzungsrichter kein solcher "Mitwirkender". Dieses Hindernis ist aber schon mit der eingangs56 vollzogenen Ablehnung der richterlichen Unbefangenheitsvermutung beseitigt worden. Folgt man zudem der diss. opinion57 zur Entscheidung des 55 58

51

NJW 1971, 1029 ff.

4. Kapitel 2.

NJW 1971, 1032 ff. (vgl. Fußn. 29); and. Arzt NJW 1971, 1115 f.

2. Ausschlußgründe der "sachlichen" Vorbefassung

77

BVerfG und sieht konsequent auch den Ergänzungsrichter als einen am Urteil "Mitwirkenden" an, weil er durch Stellen oder NichtsteIlen von Anträgen usw. im Verfahren aktiv die Urteilsgrundlage mitgestaltet, so ist der Schritt nicht weit, den Staatsanwalt ebenso zu behandeln. Denn wenn der vernünftige Verfahrensbeteiligte als Subjekt des Verfahrens gem. Art. 2 I i. V. m. 1 I GG beim im Rechtsmittelverfahren mitwirkenden Ergänzungsrichter regelmäßig die Besorgnis dessen Befangenheit hegen darf, so erst recht gegenüber einem Staatsanwalt, der so intensiv am vorinstanzlichen Verfahren mitwirkt, daß er sogar die Mitverantwortung am Urteil trägt!

Als Ergebnis bleibt festzuhalten: Soweit der vorinstanzlich vorbefaßte Staatsanwalt zugunsten des Angeklagten Rechtsmittel eingelegt hat, trifft ihn keine Disqualifikation ex lege. In allen anderen Fällen der Vorbefassung ist er analog § 23 J im Rechtsmittelverfahren ex lege ausgeschlossen. cc) 3. Konstellation: Vorbejassung durch ZUTÜckverweisung gern. § 354 II StPO Nach § 354 II kann eine Sache, die in der Revision vor dem OLG oder BGH anhängig ist, an eine andere Abteilung oder Kammer des Gerichts, dessen Urteil aufgehoben wird, oder an ein zu demselben Land gehörendes anderes Gericht gleicher Ordnung zurückverwiesen werden. Beidesmal wirkt der Staatsanwalt als Sitzungsvertreter in der Instanz, an diE;! zurückverwiesen wurde, mit. Beim Staatsanwalt können hierdurch zwei Fälle der Vorbefassung entstehen: Der Staatsanwalt wirkte in der Revisionsinstanz mit (1. Fall) oder er war Sitzungsstaatsanwalt in der Tatsacheninstanz, in der das angefochtene und aufgehobene Urteil erlassen wurde (2. Fall). Der 1. Fall wird äußerst selten vorkommen, da Revisionsinstanz gem. § 121 I 1 GVG entweder das OLG oder gem. § 135 I GVG der BGH sein wird und am OLG bzw. BGH gem. § 142 GVG i. V. m. §§ I, 2 OrgSta eine eigene Staatsanwaltschaft mit notwendig personenverschiedenen Mitgliedern eingerichtet ist. Bei Zurückverweisung wird deshalb regelmäßig ein Staatsanwalt der Staatsanwaltschaft am LG zuständig sein. Nur in extremen Ausnahmefällen, z. B. bei einer Abordnung eines Staatsanwalts, die abgelaufen ist und wenn der Staatsanwalt inzwischen wieder an seine frühere Dienststelle zurückversetzt worden ist, dürfte eine Personengleichheit vorkommen. Dagegen dürfte im 2. Fall die Personengleichheit häufiger sein, da in der Regel nach Zurückverweisung dieselbe Staatsanwaltschaft am LG mit ihren Mitgliedern wieder zuständig ist.

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4. Kap.: Ausschlußgründe

§ 23 enthält für beide Vorbefassungsfälle bei Zurückverweisung gern. § 354 II keine Regelung. Er regelt nur die Vorbefassung aus unteren Instanzen, nicht aber die Vorbefassung aus gleicher oder höherer Instanz. Mit der Neufassung des § 354 II strebte der Gesetzgeber zwar an, daß eine vom Revisionsgericht zurückverwiesene Sache i. d. R. vor andere Richter kommen soll. Der Gesetzgeber wollte aber weder § 23 erweitern noch § 354 II als verkappten Ausschlußgrund bei Zurückverweisung; wie es z. T. vertreten wurde 58 , verstehen, sondern hat bewußt in Kauf genommen59 , daß im Einzelfall ein Richter mitwirkt, der schon an der aufgehobenen Entscheidung beteiligt war (2. Fall). Zur Frage der Vorbefassung (1. Fall) aus der Revisionsinstanz hat er mangels praktischer Bedeutung gar nicht Stellung genommen. Mangels eines beim Richter entsprechenden Topos kann deshalb ein vorbefaßter Staatsanwalt in den zwei oben genannten Fällen de lege lata nicht "ausgeschlossen" werden. Das Problem einer Disqualifikation ist deshalb in den Bereich der Besorgnisgründe wegen Befangenheit in Einzelfall zu verweisen6o • dd) 4. Konstellation: Mitwirkung eines vorbefaßten Staatsanwalts im Wiederaufnahmeverfahren (WA V) Die praktische Relevanz einer Ausschlußregelung im WA V wegen Vorbefassung des Staatsanwalts wird durch die neue gerichtliche Zuständigkeitsregelung gem.§ 140 a GVG und § 367 I, 1 über die Entscheidung eines Wiederaufnahmeantrags relativiert. Danach ist ein "anderes" Gericht örtlich zuständig, bei gleicher sachlicher Zuständigkeit, wie das Gericht, gegen dessen Entscheidung sich der Wiederaufnahmeantrag richtet, bzw. bei einem Wiederaufnahmeantrag gegen ein im Revisionsverfahren erlassenes Urteil wie das Gericht, gegen dessen Urteil Revision eingelegt worden war. Infolge der "Sequenzzuständigkeit" der Staatsanwaltschaft gem. § 143 GVG wird in aller Regel, da die Staatsanwaltschaft am anderen LG usw. zuständig ist, auch ein personenverschiedener Staatsanwalt mit den Vorbereitungen gem. §§ 368 II, 369III, IV (auch schon bei Antragstellung61 gem. § 365) und in der mündlichen Verhandlung im WAV mit der Sache befaßt sein. Praktische Relevanz bekommt die Frage der analogen Anwendung des § 23 II in den Fällen der Wiederaufnahme gegen ein Urteil des 58 Zeitz, Ausschließung des Strafrichters nach erfolgreicher Revision, DRiZ 1965, 393; Dahs NJW 1966, 1691 (1693). 6. Dahs aaO m. Nachw. aus der Gesetzgebungsgeschichte; ebenso BGHSt 20, 252 (253); 21, 142; 24, 337. 80 Vgl. 5. Kapitel 5. b), ce). 81 Kleinknecht § 365, 2.

2. Ausschlußgronde der "sachlichen" Vorbefassung

79

Strafrichters oder des Schöffengerichts, denn dort wird nur ein "anderes" Amtsgericht im selben Landgerichtsbezirk gem. § 140 a II GVG bestimmt62 , womit ein Problem der Vorbefassung ebenso entsteht, wie in den Fällen des § 140 a III - VI GVG und bei Versetzung des vorbefaßten Staatsanwalts zur für das WAV zuständigen Staatsanwaltschaft. § 145 a II E GVG will den vorbefaßten Staatsanwalt ebenso wie die Verfasser von Nr. 170 I RiStBV im WAV ausschließen. Die Vorschriften lauten: § 145 a II E GVG: "Absatz I gilt auch für Amtshandlungen im Rahmen oder zur Vorbereitung des Wiederaufnahmeverfahrens, wenn der Verurteilte einen Antrag auf Wiederaufnahme oder zur Vorbereitung eines Wiederaufnahmeantrags gestellt hat oder wenn die Staatsanwaltschaft zuungunsten des Verurteilten ein Wiederaufnahmeverfahren betreiben will und wenn der Staatsanwalt an der angefochtenen Entscheidung dadurch mitgewirkt hat, daß er den Hauptverhandlungstermin wahrgenommen, den Strafbefehlsantrag gestellt oder ein Rechtsmittel zuungunsten des Verurteilten eingelegt oder durchgeführt hat." Nr. 170 I RiStBV: "Der Staatsanwalt, der die Anklage oder die Antragsschrift verfaßt hat oder der an der Hauptverhandlung gegen den Verurteilten teilgenommen hat, soll in der Regel in dem von dem Verurteilten beantragten Wiederaufnahmeverfahren nicht mitwirken."

De lege lata steht für die Mitwirkung eines solchen vorbefaßten Staatsanwalts die analoge Anwendung des § 23 II zur Diskussion. Der Vorschlag von Peters83 , der trotz seiner Feststellung, daß Fehler der Staatsanwaltschaft auch zur Wiederaufnahme beigetragen haben, eine "Einzelfallbehandlung" einer generellen Ausschlußregelung vorziehen will, kann angesichts der von Dahs64 zu Recht festgestellten erheblichen staatsanwaltschaftIichen Einflußnahme auf das WAV in der Prozeßwirklichkeit und der Tendenz der Staatsanwaltschaft, ein rechtskräftiges Urteil auf alle Fälle "halten" zu müssen, nicht mehr gefolgt werden. Die rechtsstaatIichen und fairen Zwecksetzungen eines staatsanwaltschaftIichen präventiven Handlungsverbots erfordern eine generelle Disqualifikation. Folgende vier Vorbefassungsgruppen stehen zur Diskussion: (1) Der Staatsanwalt hat, wie § 145 a II E GVG nur unvollkommen mit der StrafbefehlsantragsteIlung und Nr. 170 I RiStBV zusätzlich mit der Nennung der Anklageerhebung bezeichnet, das ErmittlungsverfahKleinknecht § 140 a GVG, 2; OLG Nürnberg MDR 1977, 688. Fehlerquellen II S. 261. U Dahs DRiZ 1971, 84 gegen Oppe DRiZ 1971, 24; vgl. auch Hanack / Gerlach / Wahle, Denkschrift zur Reform des Rechtsmittelrechts und der Wiederaufnahme des Verfahrens im Strafprozeß, Tübingen 1971 Leitsatz 56: "Es ist sicherzustellen, daß der froher tätig gewesene Staatsanwalt im Wiederaufnahmeverfahren nicht wieder amtiert" (S. 113). 8!

es

80

4. Kap.: Ausschlußgründe

ren geführt und dieses mit Anklageerhebung oder einem Strafbefehls-

antrag abgeschlossen. (2) Der Staatsanwalt war Sitzungsvertreter in einer Instanz, die der Instanz, in dem das jetzt angefochtene rechtskräftige Urteil gefällt wurde, vorausging. § 2311, 2 regelt diesen Fall beim Richter, während § 145 allE GVG und Nr. 170 I RiStBV eine solche Vorbefassung nicht erwähnen. (3) Der Staatsanwalt war Sitzungsvertreter in der Instanz, in der das angefochtene Urteil gefällt und rechtskräftig wurde.

(4) Der Staatsanwalt wirkte an einer (1.) Entscheidung mit, die gem. § 354 11 aufgehoben und zurückverwiesen wurde. Erst die (2.) Entscheidung wurde rechtskräftig und angefochten. Vergegenwärtigt man sich Sinn und Zweck des Wiederaufnahmeverfahrens, dem Verurteilten eine Chance völlig neuer Besinnung vorwiegend über die tatsächliche Grundlage des rechtskräftigen Urteils zu verschaffen, so wäre die rechtsstaatlich sauberste und fairste Lösung, jegliches Rechtspflegeorgan, das an früheren zur Verurteilung führenden Entscheidungen mitgewirkt hat, auszuschließen. Denn sowohl der Gesetzgeber als auch das BVerfG86 legen übereinstimmend nicht so viel Wert auf die objektive sondern auf die subjektive Zwecksetzung des § 2311: Der Verurteilte solle keinesfalls besorgen müssen, im WAV einem in der Sache vorbefaßten vorurteilsbehafteten Richter gegenüberzutreten. Allerdings sind durch Fassung und Interpretation des § 23 11 folgende Probleme zu bewältigen: Nach dem zur 2. Konstellation der Mitwirkung eines vorbefaßten Staatsanwalts im Rechtsmittelverfahren Gesagten66 läßt sich unproblematisch eine analoge Anwendung des § 23 11, 1 für den Fall (3) der Vorbefassung des am angefochtenen rechtskräftigen Urteil mitwirkenden Staatsanwalt und eine Analogie zu § 23 11, 2 für den Fall (2) der Mitwirkung an einer der rechtskräftigen angefochtenen Entscheidung vorausgegangenen Entscheidung befürworten, weil ebenso wie bei der 2. Konstellation unter "Mitwirkung" am Urteil auch die mitverantwortliche Mitwirkung des Sitzungsstaatsanwalts zu verstehen ist. Und hier ist Wendisch und Frisch voll Recht zu geben, daß der Staatsanwalt schon kraft seiner Aufgabe, auf rechtskräftige Entscheidungen hinzuwirken, in den Augen des Verurteilten ein die Besorgnis der Voreingenommenheit erregendes Beharrungsinteresse haben wird. Aus der besonderen Stoßrichtung des WA V, die tatsächlichen 67 Grundlagen des e5 RegE BT-Drs. IV/178 S. 33; BVerfG NJW 1971, 1033; vgl. auch Arzt NJW 1971, 1113. .. Vgl. dazu 2. b) bb). e7 Roxin, StrafverfahrensR S. 316.

2. Ausschlußgrunde der "sachlichen" Vorbefassung

81

Urteils nachzuprüfen, ist allerdings die Kontroverse entstanden, ob auch der im W A V als Revisionsrichter vorbefaßte Richter, dessen rechtskräftiges Urteil angefochten wurde, unter § 23 II fällt, da er im Revisionsverfahren vorwiegend nur mit der rechtlichen überprüfung des Urteils befaßt war. Aber ebenso wie das BVerfG88 die Vorbefassung als Revisionsrichter beim Wiederaufnahmerichter unter § 23 II subsumierte, wird der Staatsanwalt, der durch seine Mitwirkung im Revisionsverfahren vorbefaßt ist (Fall 3), aus denselben Gründen im WAV ausgeschlossen werden müssen. Denn im Revisionsverfahren werden Gericht und Staatsanwalt in beschränktem Umfang auch die den rechtlichen Erwägungen zugrundeliegenden tatsächlichen Feststellungen, z. B. ob ein Sachverständiger in der Vorinstanz hätte herbeigezogen werden müssen, überprüfen, so daß bei der überprüfung der tatsächlichen Urteilsgrundlage im WAV durchaus die Gefahr der diesbezüglichen Voreingenommenheit besteht. Schwieriger, da nicht ausdrücklich in § 23 II geregelt, ist die Frage nach einer Analogie auf den Fall (1) des durch die Ermittlungen vorbefaßten Staatsanwalt. In Frage kommt nur eine Analogie zu § 23 II, 2, wenn der dort genannten "zugrundeliegenden Entscheidung" das Ermittlungsverfahren mit Anklageerhebung gleichzustellen ist. Dafür spricht, daß Ermittlungsverfahren und Anklageerhebung ebenso wie die dem rechtskräftigen Urteil vorausgegangene (Berufungs-)Instanz Voraussetzungen und Glieder in der dem rechtskräftigen Urteil "zugrundeliegenden" Kette i. S. v. § 23 II, 2 sind. Andererseits soll nach einhelliger Meinung89 der Eröffnungsrichter, der als unverzichtbare Voraussetzung in der Kette zum rechtskräftigen Urteil den Eröffnungsbeschluß beisteuert, nicht unter § 23 II, 2 fallen, weil der Zusammenhang und die Vorbefassungsintensität zu schwach ist. Anläßlich des in der 1. Konstellation durch die Ermittlungen in der Hauptverhandlung vorbefaßten Sitzungsstaatsanwalt wurde aber festgestellt 70 , daß Eröffnungsbeschluß und Anklage als Ergebnis der Ermittlungen in der Intensität der Vorbefassung unterschiedlich sind. Einem Verurteilten ist es nicht zumutbar, gerade dem Staatsanwalt im WAV gegenüberzustehen, der die zum "Justizirrtum" führende Kette initiiert hat. Auch Nr. 170 I RiStBV sowie § 145 allE GVG wollen diesen Staatsanwalt ausschließen. Zu widersprechen ist dem Vorschlag des § 145 a II EGGVG, u. a. nur den Staatsanwalt auszuschließen, der Rechtsmittel zuungunsten des 88 NJW 1971, 1033; Arzt NJW 1971, 1113, and. diss. opinion der Richter GeIler, Rupp und Wend NJW 1971, 1033. G9 BVerfG NJW 1971, 1029 f.; diss. opinion dazu S. 1031 f.; KMR / Paulus

§ 23, 13. 70

Vgl. oben 2. b) aal.

6 Schairer

4. Kap.: Ausschlußgrunde

82

Verurteilten in den vorigen Instanzen eingelegt und durchgeführt hat, nicht aber den Staatsanwalt, der die Urteile zugunsten des Verurteilten angefochten und durchgeführt hatte. Zwar spricht für eine solche Differenzierung das Interesse an einer funktionsfähigen Staatsanwaltschaft und Rechtspflege, weil dann wenigstens zum Teil der bisherige sachbearbeitende Staatsanwalt weiter agieren kann. Doch überwiegt im WAV das Interesse des Verurteilten, sich in dem für ihn existenziellen Verfahren möglichst neuen, anderen Richtern und Staatsanwälten gegenüber zu sehen. Zuzustimmen ist dagegen § 145 all EGGVG (ebenso Nr. 170 I RiStBV) aus Gründen der Erhaltung der Funktionsfähigkeit von Staatsanwaltschaft und Rechtspflege in der Differenzierung, daß der Staatsanwalt, der den Wiederaufnahmeantrag gestellt hat nur dann ausgeschlossen sein soll, wenn dies zuungunsten des Verurteilten geschehen ist. Auch wird der Verurteilte ein Interesse daran haben, dem ihm aktuell "günstig gestimmten" Staatsanwalt gegenüber zu stehen. Der zuletzt erwähnte Fall (4) fällt dagegen ebensowenig wie beim Richter 71 unter § 23 11, da der Staatsanwalt nur in der 1. Entscheidung, die wegen ihrer Aufhebung und Zurückverweisung nicht mehr dem rechtskräftigen Urteil "zugrundeliegt" , vorbefaßt ist. Allerdings liegt die Besorgnis einer Befangenheit bei einer solchen Konstellation nahe72 • Ausgeschlossen ist der Staatsanwalt dann von allen Amtshandlungen "im Rahmen und zur Vorbereitung des Wiederaufnahmeverfahrens" wie es § 145 allE GVG treffend formuliert. Aus der Parallel wertung zu § 2311,3 i. V. m. § 364 b folgt, daß weder die AntragsteIlung gern. § 365 noch die Stellungnahme zur Begründetheit des Wiederaufnahmeantrags gern. § 368 11 vom vorbefaßten Staatsanwalt abgegeben werden darf, wenn der Richter in der Vorbereitung des WAV nicht einmal mehr gern. § 364 b dem Verurteilten einen Verteidiger bestellen darf. Dabei wäre es wenigstens für die AntragsteIlung oft von Vorteil, wenn diese der bisher darauf "spezialisierte sachkundige" Staatsanwalt bearbeiten könnte.

Als Ergebnis bleibt festzuhalten: Soweit der Staatsanwalt im Ermittlungsverfahren durch Anklageerhebung oder Strafbefehlsantrag und als Sitzungsstaatsanwalt in einer der der rechtskräftigen Entscheidung "zugrundeliegenden" Instanzen oder in der zur rechtskräftigen Entscheidung führenden Instanz selbst am Urteil mitverantwortlich mitgewirkt hat, ist er analog § 23 11, 1 und 2 von der Vorbereitung (§ 23 11, 3) und Durchführung des WA V ausgeschlossen, es sei denn, er hat zugunsten des Verurteilten den Wiederaufnahmeantrag gestellt. 71 7Z

OLG Hamm NJW 1966, 2073. KMR / Paulus § 23, 13 für den Richter.

2. Ausschlußgrunde der "sachlichen" Vorbefassung

83

c) Disqualifizierende Vorbefassung als .,PoUzelbeamter" analog § 22 Nr. , StPO?

§ 22 Nr. 4 bekommt erst einen praktischen Sinn, wenn "Polizeibeamter" als Hilfsbeamter der Staatsanwaltschaft73 gelesen wird74 , weil eine solche Vorbefassung durch Wechsel zum Richteramt nur von den ganz wenigen Hilfsbeamten, die die Befähigung zum Richteramt haben (z. B. am BKA, LKA oder an den Polizeidirektionen), was gem. §§ 3 -7, 122 DRiG ebenso für den Wechsel zum staatsanwaltschaftlichen Amt gilt, vorkommen wird. Der Wechsel vom "klassischen" ermittelnden Kriminal- oder Vollzugspolizeibeamten zum Staatsanwalt ist dagegen kaum denkbar. Während § 7 Nr. 1 d nds und § 11 Nr. 4 ba-wü AGGVG dem Staatsanwalt, der als "Polizeibeamter" vorbefaßt war, verbieten, weitere Amtshandlungen vorzunehmen, lehnt die h. M.75 eine Analogie mit § 22 Nr. 4 ab. Der Polizeibeamte würde in seiner Eigenschaft als Hilfsbeamter der Staatsanwaltschaft - auch wenn er aus eigener Entschließung handle - in gleicher Weise und mit den gleichen Zielen tätig, wie der Staatsanwalt. Würde man einen ermittelnden Polizeibeamten von späterer staatsanwaltschaftlicher Tätigkeit ausschließen, würde diese Tätigkeit, da der Staatsanwalt selbst bei dieser Konstellation nicht disqualifiziert wird, graduell schwerwiegender bewertet, als die Tätigkeit des Staatsanwalts selbst. Es mag dahinstehen, ob die Art und Intensität der Tätigkeit der Hilfsbeamten der des Staatsanwalts faktisch und erkenntnistheoretisch gleichgestellt ist7 6 - nur dann kann überhaupt von einer unzulässigen "graduellen" überhöhung gesprochen werden - , denn ebenso wie beim durch Ermittlungen vorbefaßten Staatsanwalt (1. Konstellation) wird das Prinzip der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege gebieten, daß ein solch "sachverständiger" vorbefaßter Staatsanwalt im Hauptverfahren nicht ausgeschlossen sein darf, zudem in Fällen kleinerer und mittlerer Kriminalität in Wahrheit77 die Hilfsbeamten "Herren des Ermittlungsverfahrens" sind und quasi die Stellung des ermittelnden vorbefaßten Staatsanwalts einnehmen. 73 Vgl. z. B. VO der ba-wü Landesreg. v. 1. 6. 1976; Dürig, Gesetze des Landes Baden-Württemberg, Fundnr. 67. 74 Kuhlmann S. 15. 75 Kuhlmann aaO; Frisch S. 401; Wendisch S. 254; KMR / Paulus 20 vor § 22; Koffka ZStW 84, 671; and. Bruns, Geb.gabe S.45. 78 Gegen eine Gleichstellung wohl U. K. Preuß, Krit. Justiz 1981, 109 ff. (l11), wonach die mehr an der öffentlichen Ordnung und Sicherheit orientierte Erkenntnisperspektive der Polizei auch auf die Hilfsbeamten der Staatsanwaltschaft und deren Ermittlungsbemühungen, vor allem auch beim BKA (LKA) durchzuschlagen droht. 77 Roxin, StrafverfahrensR S. 50.

84

4. Kap.: Ausschlußgründe

d) Vorbefassung in richterlicher Funktion

aa) Als "erkennender" Richter

Hierunter fallen die Fälle, in denen der in einer höheren Instanz oder im WA V mitwirkende Staatsanwalt vorher als Richter in erster oder einer Rechtsmittelinstanz das Urteil gefällt hat. Die Konstellation des Wechsels der Funktionen vom Staatsanwalt zum Richteramt und wie hier umgekehrt, ist eigentlich von § 22 Nr. 4 erfaßt. Zu Recht aber zieht die einhellige Meinung78 eine Parallele zum Ausschluß des Rechtsmittelrichters, der, wenn er zuvor als erkennender Richter gewirkt hat, gem. § 23 I bzw. 11 ausgeschlossen ist. Der als erkennender Richter vorbefaßte Staatsanwalt befände sich psychologisch und in den Augen der Allgemeinheit und der Verfahrensbeteiligten in derselben Situation wie ein Rechtsmittel- oder Wiederaufnahmerichter, der in der Vorinstanz eine für ihn zuerst einmal endgültige Entscheidung in Form eines Urteils gefällt habe. Das OLG Stgt. 79 hat in dem Fall, daß der Staatsanwalt in der Berufungsinstanz mitwirkte und in der 1. Instanz das Urteil gefällt hatte, diesen Staatsanwalt als ausgeschlossen betrachtet, weil die "innere Bindung" des Staatsanwalts an das von ihm selbst gefällte Urteil "zumindest nach dem Eindruck eines Außenstehenden" so stark sei, daß "zwangsläufig" die gebotene Objektivität und Unparteilichkeit in Zweifel gezogen werden müsse. Dem ist in vollem Umfang zuzustimmen. Der als erkennender Richter vorbefaßte Staatsanwalt ist deshalb in Analogie zu § 23 I und 11 ausgeschlossen.

bb) Als Ermittlungs- und Eröjjnungsrichter Soweit der Staatsanwalt als Ermittlungs- und Eröffnungsrichter vorbefaßt ist, beschränkt sich die Frage nach seinem generellen Ausschluß auf die Tätigkeit in der 1. Instanz als Sitzungsvertreter. Ein Staatsanwalt in der Rechtsmittelinstanz oder im WAV wird so "weit" von seiner richterlichen Vortätigkeit entfernt sein, daß der Anschein der Befangenheit nicht mehr zwangsläufig ist, zumal der Staatsanwalt keine endgültigen richterlichen Entscheidungen getroffen hat. Im Gegensatz zu § 7 Nr. 1 d) nds und § 11 Nr. 4 ba-wü AGGVG, die jeglichen "Richter" erfassen, will die h. M.80 den als Ermittlungs- oder Eröffnungsrichter vorbefaßten Staatsanwalt nicht ausschließen. Dafür werden 3 Gründe genannt: Wenn schon die Vortätigkeit als ermitteln78 Wendisch S. 256,Frisch S. 400; Blei JA 1974 StR S,. 178 Anm. zu OLG Stgt. (Fußn. 79); Fuchs NJW 1974, 1396; KMR / Paulus 20 vor § 22. 79 NJW 1974, 1392 ff. (1395) = MDR 1974, 688. 80 Frisch S. 401 f.; Wendisch S. 256; KMR / Paulus 20 vor § 22; wohl auch Koffka ZStW 84, 671; OLG Stgt. NJW 1974, 1392 ff.

2. Ausschlußgründe der "sachlichen" Vorbefassung

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der Staatsanwalt für das gesamte vorbereitende Verfahren kein Hinderungsgrund für ein weiteres Tätigwerden als Sitzungsstaatsanwalt sei, dann müsse dies um so mehr für einzelne Amtshandlungen des Ermittlungsrichters, wie etwa die Vernehmung des Beschuldigten, der Erlaß eines Durchsuchungs- oder Haftbefehls und beim Eröffnungsrichter für den Beschluß über die Eröffnung des Hauptverfahrens gelten. Zudem handle es sich bei den beschriebenen Vorbefassungen stets nur um vorläufige Entscheidungen, bei denen davon ausgegangen werden könne, daß diese den Staatsanwalt nicht hindern, bei anderer Beweislage zu einem anderen Ergebnis zu kommen. Und letztlich könne, auch wenn eine Disqualifikation wünschenswert sei, nicht an den Vorwertungen des § 23 vorbeigegangen werden, der (vgl. die Abschaffung des § 23III a. F. durch die Emminger-VO) den Eröffnungsrichter und Ermittlungsrichter auch bei extensivster Auslegung nicht erfasse. Der h. M. ist entgegenzuhalten, daß sie sich zu sehr auf eine Parallelwertung mit § 23 konzentriert und verkennt, daß für den Wechsel von richterlicher zu staatsanwaltschaftlicher Funktion § 22 Nr. 4 zutrifft, dem das Prinzip des reformierten Strafprozesses zugrunde liegt, nämlich die Gewährleistung von Unparteilichkeit durch Funktionentrennung auf vertikaler Ebene in staatsanwaltschaftliche und richterliche Aufgaben. § 22 Nr. 4 soll als Ergänzung hierzu gewährleisten, daßdiese funktionale Arbeitsteilung nicht durch Personenidentität unterlaufen wird und disqualifiziert den Richter, der als zur Objektivität verpflichteter Polizeibeamter oder Staatsanwalt vorher irgendwie "tätig" war. Nicht umsonst hat das RG81 unter dem Begriff "Tätigkeit" in § 22 Nr. 4 jedes vorherige amtliche Handeln des Richters in der Sache verstanden, das "geeignet ist, den Sachverhalt zu erforschen oder den Gang des Verfahrens zu beeinflussen", wozu der BGH82 zu Recht das bloße Unterschreiben einer "vorentworfenen" Verfügung rechnet. Es ist nicht zu bestreiten, daß der als Ermittlungs- oder Eröffnungsrichter vorbefaßte Staatsanwalt in dieser Eigenschaft sehr wohl, sogar manchmal ebenso sehr intensiv wie wenn er als ermittelnder Staatsanwalt vorbefaßt gewesen wäre 83 , den "Sachverhalt erforscht" und den "Gang des Verfahrens beeinflußt" hat. Zusätzlich mit der Tatsache seiner funktionell anders liegenden Vorbefassung als Ermittlungsund Eröffnungsrichter besteht deshalb Grund genug, eine Analogie zu § 22 Nr. 4 und eine Disqualifikation zu befürworten. Da für diese RGSt. 59, 268; 70, 162. BGH NJW 1952, 1149; zust. L / R / Dünnebier § 22, 43. 83 Ähnlich Begr. zum RegE des § 11 Nr. 4 ba-wü AGGVG L- Tag Drs. 6/ 7750 S. 41. 81

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4. Kap.: Ausschlußgrunde

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Konstellation § 22 Nr. 4 zutrifft, fehlen die gesetzlichen Vorwertungen für eine Disqualifikation de lege lata gerade nicht. e) VorbefasaUDg aus anderen Strafverfahren

Beim Staatsanwalt können ebenso wie beim Richter Konstellationen auftreten, in denen der Staatsanwalt in gleicher oder anderer Funktion (als Richter oder Anwalt) mit. demselben Beschuldigten/Angeklagten und/oder mit demselben Sachverhalt in einem früheren anderen Strafverfahren befaßt war. Folgende Konstellationen sind denkbar:

Ohne weiteren sachlichen Zusammenhang könnte eine Vorbefassung in gleicher oder anderer Funktion gegeben sein, wenn das vorherige und jetzige Strafverfahren denselben Angeklagten betrifft und im jetzigen Verfahren aus beiden Einzelstrafen eine Gesamtstrafe gern. § 54 StGB gebildet werden muß84. Oder zwischen beiden Strafverfahren besteht ein sachlicher Zusammenhang, weil zum Teil derselbe Sachverhalt zur Verurteilung steht. Möglich wäre in Anlehnung an RGSt. 59, 40985 die Konstellation, daß im vorherigen Verfahren der jetzige Angeklagte als Zeuge einen Meineid geschworen hat, der jetzt zur Verhandlung ansteht. Der Staatsanwalt, der damals als Richter die Vereidigung angeordnet hat, ist im jetzigen Verfahren Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft. Auch der in Anlehnung an BGHSt. 9, 193 ff. schon erwähnte Fall könnte beim Staatsanwalt eintreten, wonach der jetzige Sitzungsstaatsanwalt im 1. Strafverfahren als Richter oder Staatsanwalt mit dem Vorwurf der üblen Nachrede in einem Aufsatz des Angeklagten befaßt war und Gegenstand des jetzigen Strafverfahrens derselbe Aufsatz ist, den der Angeklagte in einem neuen Aufsatz wiederholt hatte. Schließlich ist in Anlehnung an BGH StR 553/6288 die Konstellation möglich, daß der jetzige Staatsanwalt im 1. Verfahren als Richter den X freigesprochen bzw. als Sitzungsstaatsanwalt am Freispruch mitgewirkt hatte. Der X wurde dabei letztlich mit der Begründung freigesprochen, daß Täter dann eigentlich nur der Y sein könne. Im Strafverfahren gegen Y nimmt der Staatsanwalt die Ermittlungen auf, bzw. ist Sitzungsvertreter in der Hauptverhandlung. Für die Frage nach einer analogen Anwendung der §§ 22 Nr. 4 bzw. § 23 ist es erforderlich, sich kurz die Lösung der Rechtssprechung zu BGHSt. 28, 262, 264: der Richter war im 1. Verfahren Staatsanwalt. Vgl. auch OLG Düsseldorf JMBl NRW 1959, 247: Der im Vorprozeß Verurteilte erstattet gegen den Belastungszeugen Anzeige wegen falscher Anschuldigung und wird daraufhin selbst wegen falscher Anschuldigung angeklagt. 88 Zit. bei Schwarz / Kleinknecht, StPO (28. Aufl.) § 24 2 A. Be

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2. Ausschlußgrunde der "sachlichen" Vorbefassung

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den zur Entscheidung gestandenen richterlichen Konstellationen vor Augen zu führen. Soweit der Richter als Richter in anderen Verfahren vorbefaßt war, hat die Rspr. gemäß ihrem Ausgangspunkt der grundsätzlichen Vermutung der Unbefangenheit eines vorbefaßten Richters konsequent festgestellt, daß die Verfahrensbeteiligten damit rechnen könnten, der Richter werde sich im neuen Verfahren trotz sachlichen Zusammenhangs ein unbefangenes neues Urteil bilden können 87 und verweist bei "zusätzlichen Anzeichen"88 die Verfahrensbeteiligten auf ihr Ablehnungsrecht gern. § 24. Soweit der Richter in einem anderen Verfahren in anderer Funktion z. B. als Staatsanwalt o. ä. vorbefaßt ist, sucht die neuere grundlegende Entscheidung des BGH89 im 28. Band die Lösung mit einer extensiven Auslegung des Merkmals der gleichen "Sache", die, wie schon anläßlich der Vorbefassung als einseitiger Sachwalter 90 angeführt, nicht an dem prozessualen Tatbegriff des § 264 haltmacht. Der Begriff der Sache sei allein vom Zweck der §§ 22 ff. zu interpretieren, dem Verfahrensbeteiligten möglichst jede Besorgnis einer Voreingenommenheit zu ersparen. Eine solche Besorgnis könne in Ausnahmefällen auch bei getrennten Verfahren aufkommen, soweit ein "enger und für die zu treffende Entscheidung bedeutsamer Sachzusammenhang" besteht, was allerdings nur eine Einzelfallfrage sein könne. Da die Unbefangenheitsvermutung des Richters keinesfalls für den Staatsanwalt gilt91 , können alle vorgestellten Konstellationen der Vorbe fassung des Staatsanwalts nach dieser Rspr. gelöst werden. Ihr ist voll zuzustimmen, weil es oft auf Zufall beruht, ob das Gericht gern. §§ 2, 3, 4, 237 eine Einheit der Hauptverhandlung i. S. v. § 264 herstellt und der Ansatzpunkt einer Besorgnis der Voreingenommenheit wegen der Intensivität der Vorbefassung nicht so sehr von der formalen Verknüpfung, sondern vom materiellen, sachlichen Zusammenhang abhängt. Und schließlich soll nach der subjektiven Zwecksetzung des staatsanwaltschaftlichen Handlungsverbots den Verfahrensbeteiligten möglichst alles Mißtrauen gegen einen mit Vorurteilen behafteten Staatsanwalt genommen werden. Ein solcher enger sachlicher Zusammenhang liegt z. B. vor, wenn der jetzige Sitzungsstaatsanwalt im 1. Verfahren als Richter den X mit 87 RGSt. 59, 410; BGHSt. 21, 334, 341: Vorbefassung des Richters im Zivilverfahren in einer Beleidigungssache. 88 RGSt. 59, 410, Treplitzki NJW 1962, 2044. 89 BGHSt. 28, 262, 264; zustimmend KMR / Paulus § 22, 13; Kleinknecht § 22, 12; vgl. ähnlich auch Kopp VwGO § 54, 8 für § 5411 VwGO und BVerwG NJW 1969, 763 ff.: "innerer Zusammenhang"; and. L / R / Dünnebier § 22, 34 ff.: "wegen derselben Tat gegen dieselbe Person" . 80 Vgl. 4. Kapitel 2. a). 11 4. Kapitel 2.

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4. Kap.: Ausschlußgrunde

der Begründung freigesprochen hat, dann könne eigentlich nur Y der Täter sein. Dasselbe gilt für den Meineidfall in Anlehnung an RGSt. 59,409 und den Fall der doppelten Verleumdung nach BGHSt. 9, 193 ff. Dagegen wird mit BGHSt. 28, 262 ff. ein Sachzusammenhang zu verneinen sein, wenn der Sitzungsstaatsanwalt nur im Schlußplädoyer mit der Einbeziehung der früheren Strafen in die Gesamtstrafe gegen denselben Angeklagten befaßt ist. Soweit ein sachlicher Zusammenhang vorliegt, gelten dann die in den vorherigen Konstellationen entwickelten Grundsätze. Wenn der Staatsanwalt z. B. als erkennender Richter vorbefaßt war, so wird er sich z. B. in der Verleumdungssache schwer von seiner damals ge faßten endgültigen Entscheidung lösen können und muß deshalb ausgeschlossen werden. Soweit der Staatsanwalt als ermittelnder Staatsanwalt vorbefaßt war, wird danach differenziert werden müssen, ob die beiden Verfahren aus Zweckmäßigkeitsgründen getrennt worden sind, aber ein Sachzusammenhang i. S. v. § 3 besteht oder ob ein über § 3 hinausgehender Zusammenhang gegeben ist. In den Fällen von Verfahren mit einem Sachzusammenhang i. S. d. § 3 (Anschuldigung einer Person wegen mehreren Straftaten oder eine Tat mit mehreren Tätern, Teilnehmern) gebietet es der Grundsatz der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege, daß der Staatsanwalt, der im 1. Verfahren mit der Sache befaßt war, weiter befaßt bleibt9z • Insoweit bestehen keine sachlichen Unterschiede zur Konstellation der Vorbefassung als ermittelnder oder Sitzungsstaatsanwalt. Dagegen wird bei mehr zufällig bestehenden, über § 3 hinausgehenden Zusammenhängen, wie z. B. beim Meineids- oder Verleumdungs fall das Interesse an einer effektiven Wahrheitsfindung zugunsten der Vermeidung jeglichen Anscheins eines mit Vorurteilen behafteten Staatsanwalt zurücktreten müssen. Jeder andere Staatsanwalt wird in diesem Fall die Aufgaben der Staatsanwaltschaft ebenso schnell und wirksam erfüllen können. f) Vorbefassung aus Ehrengerichts- und Disziplinarverfahren

Denkbar ist, daß der Staatsanwalt im Strafverfahren durch die Wahrnehmung seiner Aufgaben als Staatsanwalt im Ehrengerichtsverfahren gegen Rechtsanwälte gern. §§ 120, 121 (Verfassung der Anschuldigungsschrift), 144, 147 BRAO oder als Ehrenrichter bzw. im Disziplinarverfahren in einer seiner dortigen Funktionen als Dienstvor92 Z. B. bei umfangreichen Prozessen, die gezwungenermaßen getrennt verlaufen müssen (vgl. Herstatt-Prozeß - Bericht DIE ZEIT Nr. 9, 1981, S. 18 und die "vorläufige" Verhandlungsunfähigkeit mehrerer Angeklagter). Ebenso wie beim Richter (vgl. Arzt S. 85) spricht die Prozeßökonomie für ein Weiteramtieren desselben Staatsanwalts. Ansonsten müßten sich immer wieder neue Staatsanwälte (bzw. Richter) in die komplexe Materie einarbeiten.

3. Ausschlußgrund analog§ 22 Nr.5 StPO: Staatsanwalt als Zeuge

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gesetzter gem. §§ 26, 28, 56 BDO vorbefaßt ist. § 122 i. V. m. § 111 Nr. 6 EStVO 1939 enthielt für diese Fälle extra einen Ausschlußtatbestand. Gem. § 22 Nr. 4 analog würde der Staatsanwalt durchaus in derselben "Sache" handeln, da beiden Verfahren in der Regel dasselbe Verhalten des Delinquenten zugrunde liegt, so daß nach der neuen Rspr. des BGHD3 ein "sachlicher Zusammenhang" angenommen werden könnte. Da vom Ehrengerichts- bzw. Disziplinarverfahren im Gegensatz zur Konstellation, daß das Strafverfahren vorausgegangen ist, keine Bindungswirkung gem. § 118III BRAO bzw. § 18 BDO besteht, bestünde durchaus die Gefahr der Mitwirkung und Beeinflussung des Strafverfahrens durch einen mit Vorurteilen behafteten Staatsanwalt. In der Praxis wird diese Konstellation aber deshalb kaum vorkommen, weil beide Verfahren in der Regel im gleichen Zeitraum ablaufen und gem. §§ 118, 118 b BRAO bzw. § 17 BDO die Sonderverfahren bis zur Beendigung des Strafverfahrens ausgesetzt werden müssen. In dem kurzen Zeitraum des Gleichlaufens der Verfahren muß der sofortigen Aussetzung Vorrang vor der Disqualifikation gegeben werden. Ein Ausschlußtatbestand ist deshalb nicht notwendig. 3. Aussdllußgrund analog § 22 Nr.5 StPO: Staatsanwalt als Zeuge a) Rechtslage vor der formellen Vernehmung Prozeßsituationen im Ermittlungs- wie im Hauptverfahren, in denen die Möglichkeit einer Zeugenvernehmung auftaucht, weil es die Prozeßlage so erfordert oder weil ein Verfahrensbeteiligter, ohne das Beweisthema näher zu erläutern, diesen Wunsch zu erkennen gibt D4 , werden von § 22 Nr. 5 ebensowenig erfaßt, wie die förmliche Benennung95 in einem Verteidigerschriftsatz, die Benennung im Beweisbeschluß oder eine Ladung als Zeuge96 • Insoweit muß wegen des klaren Wortlauts des § 22 Nr. 5, "vernommen ist", worunter nur die förmliche 97 Anhörung des Richters von einem Rechtspflegeorgan verstanden wird, für die Situation beim Staatsanwalt dasselbe geltenDS. Soweit die Zeugenbenennung offensichtlich nur dazu dient, den Staatsanwalt aus dem Verfahren zu "werfen", eröffnen die §§ 241, 244 dem Gericht und für die 93 BGHSt. 28, 262 ff.; and. noch BGHSt; 15, 372 (373) für den umgekehrten Fall, daß der Richter des Ehrengerichts vorher im Strafverfahren tätig war: Es sei trotz gleichen Sachverhalts nicht "dieselbe Sache", da aus ihr "unterschiedliche Folgerungen" gezogen werden würden (ebenso für das Disz.verfahren RG JW 1939, 2143). 94 BGH b. HoUz MDR 1977, 107. 85 KMR / Paulus § 22, 20 für den Richter. 88 BGHSt. 11, 206 für den Richter. n KMR / Paulus § 22, 20. 98 Dose NJW 1978, 349 (350).

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4. Kap.:· Ausschlußgründe

Staatsanwaltschaft im Ermittlungsverfahren, wenn der Staatsanwalt z. B. als Entlastungszeuge benannt wird, die lex imperfecta des § 163 a 11, einfach nicht zu reagieren99 , gesetzlich zulässige Möglichkeiten einer Mißbrauchsabwehr. Ganz allgemein spricht gegen einen Ausschluß vor formeller Vernehmung, daß vor genauer Kenntnis des Inhalts der gemachten Aussage eine den Anschein der Voreingenommenheit rechtfertigende Konfliktsituation vernünftigerweise gar nicht besorgt werden kann loo . Zudem hat DoselO l verfahrensrechtlich zulässige Möglichkeiten beschrieben, mit denen der Staatsanwalt seine Zeugenvernehmung vermeiden kann. Soweit es um die Aufklärung von Umständen geht, die nicht dem Strengbeweis unterliegen, weil sie nicht die Schuldoder Rechtsfolgenfrage betreffen, sondern rein technische Vorgänge in der Sphäre der Staatsanwaltschaft anläßlich der Ermittlungen, können alle verfügbaren Erkenntnismittel außerhalb des formellen Beweisverfahrens, wie z. B. dienstliche Erklärungen, die vom Platz der Staatsanwaltschaft im Gerichtssaal abgegeben werden oder eine allerdings streng auf den technischen Vorgang zu beschränkende 102 schriftliche Stellungnahme des Staatsanwalts herangezogen werden. Schlüchterlo3 erhebt zwar "keine grundsätzlichen Bedenken" gegen ein freibeweisliches Verfahren, will aber dem Vorschlag Doses "nicht folgen", weil auch bei einer Erklärung im Freibeweisverfahren "kaum anders als bei einer Zeugenaussage zu besorgen ist, daß der Staatsanwalt die Gewichte in der Beweiswürdigung des Schlußvortrags gleichsam ,verschiebt'''. Schlüchter übersieht aber, daß das Freibeweisverfahren thematisch nur für technische Vorgänge möglich sein soll, die imSchlußvortrag kaum zur Sprache kommen werden. Soweit irgendwie die Schuld- oder Rechtsfolgenfrage betroffen sein könnte, wird das Gericht, um keiner Aufklärungsrüge ausgesetzt zu sein, sich nicht mit einem "Ersatzbeweismittel" zufriedengeben. Bestes Beispiel ist BGHSt. 21,85 (88), wo der Staatsanwalt dem Antrag des Verteidigers auf seine Zeugenvernehmung über einen im Ergebnis technischen Vorgang damit begegnen wollte, daß er die Vernehmung des ebenfalls bei dem fraglichen Vorfall mitanwesenden Protokollführers beantragte. Der Ver8. Vgl. dazu Fezer, Gedschr. f. Schröder S. 415 ff.

100 Vgl. BVerfGE 16, 214 (218) für die seit der abschließenden Normierung der §§ 138 a ff. nicht mehr aktuelle Frage des Ausschlusses eines Verteidigers, der als Zeuge benannt, aber noch nicht vernommen wurde. 101 NJW 1978, 350; ebenso Kleinknecht § 48, 15 a. 102 Zu Recht wird beim Richter, um eine Umgehung zu verhindern, unter "Vernehmung" auch eine schriftliche Stellungnahme über Erkenntnisse der Schuld- und Straffrage verstanden, vgl. KMR / Paulus § 22, 20; ebenso wohl Arzt S. 88, and. noch RGSt. 12, 180; 58, 286. 103 Das Strafverfahren 66.2 Fußn. 172.

3. Ausschlußgrund analog § 22 Nr.5 StPO: Staatsanwalt als Zeuge

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teidiger beharrte auf seinem Antrag, worauf das Gericht die Vernehmung des Staatsanwalts anordnete. Zudem ist unklar, mit welchem rechtlichen Verbot Schlüchter das unerwünschte, aber freibeweislich zulässige Prozedieren verhindern will. Einen Sinn geben die Ausführungen deshalb nur, wenn man sie als Plädoyer für eine mögliche Geltendmachung der Besorgnis der Befangenheit des freibeweislich "vernommenen" Staatsanwalts ansiehtlo4 • b) Red!tslage nad! der formellen Vemebmung in der Hauptverhandlung

Nach der grundlegenden Entscheidung des RGI05, dem sich die nachfolgende Rspr. und Literatur108 angeschlossen haben, wurde ebenso wie beim Richter die weitere Mitwirkung des Staatsanwalts ab dem formalen Zeitpunkt seiner Vernehmung als Zeuge als ein Verstoß gegen Aufgabe und Stellung der Staatsanwaltschaft im Strafprozeß und deshalb als prozeßordnungswidrig angesehen. Es sei namentlich undenkbar, daß der als Zeuge vernommene Staatsanwalt seine weitere Sitzungstätigkeit unvoreingenommen wahrnehmen könne. Er werde nicht mehr unvoreingenommen prüfen können, welche Anträge, Vorbehalte oder Gegenüberstellungen notwendig seien, wenn z. B. Widersprüche zwischen seinen Aussagen und denen weiterer vernommener Zeugen hervortreten. Spätestens im Schlußvortrag komme der Staatsanwalt in die Konfliktsituation, seine eigene Aussage (z. B. auf deren Glaubwürdigkeit?) würdigen zu müssen. Selbst ohne eine beim Richter vergleichbare Regelung des § 22 Nr. 5 könnte deshalb der Grundsatz der Unvereinbarkeit von Zeugenaussage und Ausübung von Rechtspflegeaufgaben als ungeschriebenes Rechtsprinzip angesehen werden, das auf jeden Fall auch für den Staatsanwalt gilt. Allerdings wird Verwirrung dadurch gestiftet, daß in diesem Zusammenhang immer wieder festgestellt wird, die Zeugenaussage des Staatsanwalts sei "unverwertbar". Das RGI07 ging einmal sogar so weit, nur die Aussage des als Zeugen vernommenen Staatsanwalts als unverwertbar anzusehen, der Staatsanwalt selbst dagegen sollte weiteramtieren dürfen. Es verkannte, daß die Vernehmung des Staatsanwalts als Zeuge eine zulässige Beweiserhebungsmethode ist und deshalb an der VgI. dazu näher 5. Kapitel 5. cl. RGSt. 29, 236 ff. 101 RG JW 1925, 1403; GA 67, 436; 71, 92; LZ 1926,236; JW 1933, 523; BGHSt. 14, 264, 268; 21, 85 (88 ff.); b. Dallinger MDR 1957, 16 f.; Roxin, StrafverfahrensR S. 135; KMR / Paulus 32 vor § 48; L / R / Dünnebier 15 vor § 22; Dose NJW 1978, 349 ff.; Wendisch S. 255; L / R / Meyer 25 f. vor § 48 m. w. Nachw. auch aus der älteren Lit. 107 JW 1924, 1761. 104

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4. Kap.: Ausschlußgründe

Verwertbarkeit dieser Aussage unabhängig von der Zulässigkeit seines Weiteramtierens kein Zweifel bestehen kann108 . Gegen eine pauschale Übernahme der richterlichen Regelung des § 22 Nr. 5, die ebenso wie der für den Staatsanwalt geltende § 75 österr. StPO (1975)109 den Staatsanwalt schlechthin nach formaler Vernehmung ausschließen würde, spricht die vom Richter unterschiedliche Aufgabe und Stellung der Staatsanwaltschaft und das Prinzip der Erhaltung der Funktionsfähigkeit der Staatsanwaltschaft und der Rechtspflege. Bei einem pauschalen Ausschluß würde ohne Rücksicht auf die Bedeutung und den Inhalt der Zeugenaussage l10 oft ein Staatsanwalt disqualifiziert werden, der auf grund seines Sachverstandes und seiner Einarbeitung während eines umfangreichen langdauernden Ermittlungsverfahrens "unverzichtbar" geworden ist. Um solche Folgen in der Praxis möglichst zu vermeiden, greift der BGH111 auf die ratio des § 22 108 Vgl. die Kritik von Alsberg Anm. zu RG JW aaO (Fußn. 107); richtig dagegen RG JW 1933, 523 m. Anm. Drucker, das die Befangenheit des Staatsanwalts wenigstens nur als "mittelbare Urteilsgrundlage" ansah. Ebenso BGHSt. 14, 268; vgl. aber neuestens wieder KMR / Paulus 32 vor § 48 (Verwertungsverbot) und L / R / Meyer 25 vor § 48, welcher die allerdings undeutlichen RG-Entscheidungen zu Unrecht in Richtung Unverwertbarkeit interpretiert. Dagegen in der vergleichbaren Konstellation, daß der Privatkläger als Zeuge vernommen wurde, für die Verwertbarkeit der Aussage: BayObLGSt. 1953, 28 f. 109 Vgl. auch § 65 11 ba-wü StPO v. 1868 (1. Kap. Fußn.9). 110 So aber beim Richter. L / R / Dünnebier § 22, 68. 111 BGHSt. 14, 264, 268 und 21, 85 (88 ff.); die Konstellation, die der Entscheidung des BGH (b. Dallinger MDR 1957, 17 f.) zugrunde lag, ist dagegen ein Sanderfall. Das LG hatte den Staatsanwalt erst nach Schluß der Beweisaufnahme und nach Stellung seiner Schlußanträge als Zeugen vernommen. Der BGH hielt eine Vernehmung selbstverständlich für zulässig und sah, was entscheidend ist, auch keine Gefährdung des Unbefangenheitsgebots, weil der. Staatsanwalt sich durch· seine Stellung und vorherige Tätigkeit schlicht nicht beeinflussen lassen dürfe. Es sei Sache. des Gerichts, wie es die Aussage würdige. Dallinger (aaO) sieht in dieser Verfahrensweise einen "Fingerzeig" für die unteren Instanzgerichte, wie sie in allen Fällen der notwendigen Vernehmung eines Staatsanwalts verfahren könnten, um den damit verbundenen Schwierigkeiten aus dem Wege zu gehen. Dose (NJW 1978, 352) entgegnet richtig, daß dies eine Scheinlösung des Problems sei! Es widerspricht einer fairen fürsorglichen und der Aufklärungspflicht des Gerichts entsprechenden Verfahrens führung, die Vernehmung des Staatsanwalts im Wege der Wiedereröffnung der HV durchzuführen, wenn vorher die Notwendigkeit der Vernehmung schon bekannt ist. Soweit das Gericht wirklich erst nach Schluß der mündlichen Verhandlung die Notwendigkeit der Vernehmung des Staatsanwalts erkennt, wird in die mündliche Verhandlung wieder eingetreten werden müssen. Nach der Vernehmung des Staatsanwalts ist wiederum notwendig, zum Abschluß der mündlichen Verhandlung einen Schlußantrag zu stellen. nies ergibt sich bekanntlich (OLG Düsseldorf NJW 1963, 1167 und oben 4. Kapitel 2. b» aus der notwendigen Mitverantwortung des Staatsanwalts an der Urteilsfindung. Keinesfalls darf dann der vernommene Staatsanwalt den Schlußantrag stellen, sondern ein neuer Staatsanw'!lt hat diese Aufgabe wahrzunehmen. Dies kann mitunter zu Schwierigkeiten führen, wenn die Aussage des Staatsanwalts wesentlich und deshalb eine neue Wür-

3. Ausschlußgrund analog § 22 Nr.5 StPO: Staatsanwalt als Zeuge

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Nr. 5 zurück, die davon ausgeht, daß die Konfliktlage zwischen Würdigung der eigenen Zeugenaussage und unvoreingenommener Wahrnehmung staatsanwaltschaftlicher Aufgaben nur bezüglich des Beweisthemas besteht. Soweit sich folglich der Verfahrensgegenstand, auf den sich die Zeugenaussage bezieht, durch eine "sichere Grenzziehung" von dem übrigen zu erörternden Sachverhalt trennen läßt, also nicht in "unlösbarem Zusammenhang" steht und so eine "abgesonderte Betrachtung und Würdigung" möglich ist, sieht es der BGH als rechtlich erlaubt an, daß, wie in der Praxis verfahren wird, bezüglich des abtrennbaren Beweisthemas ein anderer Staatsanwalt die Aufgaben der Staatsanwaltschaft wahrnimmt, der vor allem im Schlußplädoyer die Aussagen seines Kollegen würdigt. Im übrigen aber soll der als Zeuge vernommene Staatsanwalt in der restlichen Sache die Aufgaben der Staatsanwaltschaft zulässig weiter wahrnehmen können. Dabei können zwei große Gruppen ausgemacht werden: (1) Der Staatsanwalt wird als Zeuge über einen rein technischen, mit seiner amtlichen Tätigkeit als Sachbearbeiter notwendig verbundenen Vorgang, der in der Regel im Ermittlungsverfahren vorfällt, vernommen. Zu nennen wäre z. B. die Registrierung und Verwahrung einer beschlagnahmten Urkunde ll2 oder von sonstigen Beweisgegenständen. Eine abgesonderte Würdigung sei in der Regel möglich, weil sich dieser technische Vorgang regelmäßig von der für den Angeklagten wichtigen Schuld- und Rechtsfolgenfrage trennen läßt113 • (2) Grundsätzlich sei ein Staatsanwalt pauschal ausgeschlossen, wenn seine Vernehmung die Schuld- und Rechtsfolgenfrage, also insbesondere den Inhalt und vor allem den Beweiswert seiner Aussage und seine Glaubwürdigkeit betrifft 114 • Eine sichere Trennung von Beweisthema und übrigem Prozeßgegenstand sei aber dann möglich, wenn die Zeugenvernehmung sich nur auf einen von mehreren Angeklagten und auf eine Tat bezieht, die nur diesem Angeklagten zur Last gelegt wird 1U>. Anders wäre es, wenn das Beweisthema auf den anderen zu beurteilenden Sachverhalt ausstrahlt, so z. B. wenn eine Beteiligung des anderen Angeklagten in Frage steht, oder das Beweisthema die digung notwendig wird. Dann kann nicht, wie es Dose so einfach darstellt (aaO S. 352), der bereits gestellte Antrag wiederholt werden. Die sich durch eine neue Würdigung ergebende Prozeßverzögerung muß im Interesse der Sicherung des Unbefangenheitsprinzips hingenommen werden. 112 Bsp. bei BGHSt. 21, 85 (89). 113 BGHSt. 14, 266; 21, 89; 2 StR 709/75 S. 4 (unveröffentlicht): Wenn nur "äußere Umstände" anläßlich der Vernehmung der Zeugen durch den Staatsanwalt im Ermittlungsverfahren Beweisthema waren. 11f BGH 2 StR 709/75 S. 4. m Beispiel BGHSt. 21, 85 (89).

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4. Kap.: Ausschlußgrunde

Voraussetzung der tatsächlichen oder rechtlichen Beurteilung der Tat des anderen Angeklagten darstellt (vgl. z. B. die Feststellung einer "Vortat" in §§ 257, 259 und §§ 258, 258 a StGB). Die Literaturll6 folgt grundsätzlich dieser Rechtsprechung des BGH, soweit eine "strikte und sichere Grenzziehung" zwischen Beweisthema und übrigem Prozeßgegenstand möglich ist. Dagegen plädiert eine im Vordringen begriffene Meinungl17 für einen pauschalen Ausschluß ab formaler Vernehmung, da die gemachte Aussage auch dann, wenn der Staatsanwalt einer Würdigung seiner eigenen Aussage bei Trennbarkeit vom übrigen Prozeßgegenstand durch einen anderen Staatsanwalt enthoben sei, ihn doch "irgendwie" in seinen übrigen Ausführungen z. B. im Schlußplädoyer beeinflussen könnte. Dies folge aus der "psychologischen Schwierigkeit", Abstand von der eigenen Aussage zu finden, zumal sich der Staatsanwalt und die besorgenden Verfahrensbeteiligten vergegenwärtigen müßten, daß er vom Gericht jederzeit wieder hervorgerufen und auf Widersprüche in seiner Aussage hingewiesen werden könnte. Die Gefahr, jederzeit wieder in eine "Zwitterstellung" hineinzugeraten, sei nicht nur eine Frage der Stilwidrigkeit. Zudem hebt Hanack ein bisher nicht beachtetes Moment hervor, wonach auch der zusätzlich mithereingenommene Staatsanwalt, der im Umfang des Beweisthemas die Aufgaben der Staatsanwaltschaft wahrnimmt, sich ebenfalls in einer solchen psychologischen Konfliktlage befinden könne, die zumindest die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen könnte. Es sei für ihn psychologisch nahezu unmöglich, die Aussagen des noch neben ihm sitzenden Kollegen objektiv und unparteiisch zu würdigen, zumal er "irgendwie" auch von dessen Schlußvortrag abhängig sei. Diese Kritik, der eine gewisse Berechtigung nicht abzusprechen ist, verkennt, daß sie mit dem pauschalen Ausschluß ein präventives Handlungsverbot für das ganze weitere Verfahren fordert, was die Konsequenz hat, daß sowohl der Vorgesetzte des Staatsanwalts, als auch das Gericht aus seiner Fürsorgepflicht für ein justizförmiges Verfahren verpflichtet ist, von Amts wegen oder auf Anregung eines Verfahrensbeteiligten auf die Ersetzung des vernommenen Staatsanwalts so schnell wie möglich hinzuwirken. Da aber ein pauschaler Ausschluß, besonders im Falle der Vernehmung über rein technische Vor111 So z. B. LI R I Meyer 26 vor § 48; KMR I Paulus 32 vor § 48 und 22 vor § 22; Dose NJW 1978, 352 ff.; Wendisch S. 255; Bruns, Geb.gabe S. 46. Zu pauschal E. Koffka ZStW 84, 671 und Frisch S. 399. 117 Besonders Hanack JR 1967, 230 Arun. zu BGHSt. 21, 85 (88); ebenso JZ 1971, 91, 1972, 81 und Schlüchter, Das Strafverfahren 66.1. Ähnliche Bedenken, soweit eine Trennung bei mehreren Angeklagten von BGHSt. 21, 85 (90) befürwortet wird, ohne weitere Begründung Roxin, StrafverfahrensR S. 155 und Dahs, Handbuch Rdnr. 148.

3. Ausschlußgrund analog § 22 Nr.5 StPO: Staatsanwalt als Zeuge

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gänge zu unpraktikablen Ergebnissen führen würde, werden Staatsanwaltschaft und Gericht versucht sein, einen disqualifizierten Staatsanwalt dennoch weiter amtieren zu lassen, obwohl darin ein Verfahrensfehler liegt. Es liegt deshalb der Verdacht nahe, daß diese Meinung 118 sich auf das Risiko einer Revision einlassen will, wenn sich der Staatsanwalt soweit erkennbar nur über technische Einzelheiten und in für das Urteil unwesentliche Fragen geäußert hat. Da die Mitwirkung eines als Zeugen vernommenen Staatsanwalts kein absoluter Revisionsgrund sein kann11l, wird gern. § 337 trotz verfahrensfehlerhafter Mitwirkung ein Urteil auf einem solchen Fehler dann nicht beruhen können. Eine solche Tendenz ist auch bei Kleinknecht1 20 zu erkennen, wonach die Staatsanwaltschaft auf eine weitere Mitwirkung eines 2. Sitzungsvertreters verzichten könne, "wenn die Aussage des vernommenen Staatsanwalts nach ihrer Auffassung für die Beweiswürdigung in der Schuld- und Rechtsfolgenfrage ohne Bedeutung ist". Für die Revision mögen die verschiedenen Ausgangspunkte das Ergebnis nicht beeinflussen, dagegen würden die Zwecksetzungen des staatsanwaltschaftlichen präventiven Handlungsverbots, nicht nur ein gerechtes Urteil, sondern von vornherein die Gewähr eines gerechten und rechtsstaatlichen Verfahrensablaufs zu garantieren, verkannt, wenn man einen Verfahrensfehler bewußt hinnehmen und auf die Beruhensfrage schielen würde. Nur die - ehrliche - Lösung der Rspr. bietet einen angemessenen Ausgleich zwischen einem fairen Verfahren und dem Gebot der Erhaltung der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege. Zudem hat die Rspr. mit ihrer differenzierten Lösung die ratio des § 22 Nr. 5 hinter sich, der beim Staatsanwalt einen nur beschränkten Ausschluß geradezu gebietet. Im Gegensatz zu den Fällen des § 22 Nr. 1- 3 und Nr. 4 i. V. m. § 23 ist Anlaß der Disqualifikation nicht die Befassung mit der Sache als Ganzes, weil entweder der Staatsanwalt durch persönliche Beziehungen durchweg engagiert ist oder mit der gesamten Sache vorbefaßt war. Vielmehr geht § 22 Nr. 5 davon aus, daß die regelmäßige Gefahr der Befangenheit durch die Vorbefassung mit einem umgrenzten Sachgebiet, dem Beweisthema, begründet ist. Dem BGH ist deshalb zu folgen, wenn er nach alledem keinen Grund sieht, die Disqualifikation des Staatsanwalts weiter zu spannen, "als die sachlichen Erwägungen, welche der Rechtsprechung über den Ausschluß zugrunde liegen, unbedingt gebieten" 121. 118 118 110 1!1

Vgl. vor allem Schlüchter, Das Strafverfahren 66.1. And. Schorn GA 77, 254. 15 a vor § 48. BGHSt. 21, 85 (90); vgl. auch BGLSt. 14, 219 (221).

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4. Kap.: Ausschlußgründe

Bleibt demnach nur der Weg der Differenzierung, so liegen die echten Probleme in der rechtssatzmäßigen Ausgestaltung des Ausschlußgrundes 122 • Die Frage, wann eine strikte Trennung von Beweisthema und übrigem Prozeßgegenstand gegeben ist, ist eine Frage des prozessualen Einzelfalls. Sogar noch im konkreten Prozeß selbst kann sich diese Beurteilung je nach der vom Gericht und von den Verfahrensbeteiligten beigemessenen Bedeutung der Aussage ändern. Dose123 scheint deshalb nicht zu Unrecht die passendere Form der Disqualifikation in der Geltendmachung der Besorgnis der Befangenheit im Einzelfall zu erwägen, lehnt sie aber wegen der rechtlichen Unsicherheit, ob der Verfahrensbeteiligte einen Anspruch auf Ersetzung eines befangenen Staatsanwalts hat, ab. Entscheidend ist aber, daß die Disqualifikation eines als Zeugen vernommenen Staatsanwalts nicht von der konstitutiven Besorgnis und mithin auch nicht von Versäumnissen der Verfahrensbeteiligten, diese Besorgnis geltend zu machen, abhängig gemacht werden darf. Dagegen sprechen auch die gesetzliche "Vorwertung" des § 22 Nr. 5 und die bedeutende Einflußmöglichkeit der Staatsanwaltschaft auf das Urteil sowie die Stellung der Staatsanwaltschaft als ein für das Urteil mitverantwortliches Rechtspflegeorgan. An einer ex lege wirkenden differenzierten Disqualifikation wird man deshalb nicht vorbeikommen. Notwendig ist aber eine über die bisherige Kasuistik hinausgehende grundsätzlich generelle Aussage, die in einen Rechtssatz gegossen werden kann. Dies ist angesichts der Versuche, weitere Ausnahmetatbestände von § 22 Nr. 5 für den als Zeugen vernommenen Staatsanwalt zu schaffen, besonders geboten. So soll z. B. ein zulässiges Weiterhandeln dann möglich sein, wenn der als Zeuge vernommene Staatsanwalt gem. § 61 Nr. 3 unvereidigt geblieben ist 124 , weil das Gericht seiner Aussage keine "wesentliche Bedeutung" für das Urteil zugemessen hat. Ebenso soll ein Weiter amtieren zulässig sein, wenn nach Vernehmung des Staatsanwalts ein Vorgesetzter "formal" die Verantwortung der staatsanwaltschaftlichen Aufgabenerfüllung übernimmt. Dadurch werde erreicht, daß nach außen durch einen formalen Akt der Anschein einer "befangenen" Beeinflussung vermieden werde und der sachkundig vernommene Staatsanwalt weiterhin Anträge und Fragen stellen und den Schlußvortrag halten könne. Dem gleichzustellen ist dann auch der Fall, daß der inhaltlich eigentlich von dem als 12% Indiz für diese Problematik sind die Begründungen zum Verzicht einer Regelung in § 11 ba-wü AGGVG bzw. § 145 a E GVG. Dort wird die ,Ausrede' (krit. auch Wendisch S. 270) benutzt, daß sich die Rpr. des BGH "bewährt" habe und zudem auf den Einzelfall abstelle, wodurch ermöglicht werde, eine in jedem Fall sachgerechte Regelung zu finden (vgl. RegE Begr. zu § 11 ba-wü AGGVG L-Tag Drs. 6/7750 S. 41). 123 NJW 1978, 353. 124 Dose (Anm. 123).

3. Ausschlußgrund analog § 22 Nr.5 StPO: Staatsanwalt als Zeuge

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Zeugen vernommenen Staatsanwalt erarbeitete Schlußvortrag rein "formal" von dem Vorgesetzten verlesen wird. Eine rechtssatzmäßige Fassung muß sich am Grundgedanken des § 22 Nr. 5 orientieren, daß ab der formalen Vernehmung regelmäßig eine zur Besorgnis der Befangenheit führende Konjliktlage des Staatsanwalts zwischen der Würdigung seiner Aussage und der unbefangenen Wahrnehmung seiner staatsanwaltschaftlichen Aufgaben vermutet wird. Ausnahmetatbestände können diesen Anschein nur entkräften, wenn sie in Verbindung mit der ratio des § 22 Nr. 5, daß das Beweisthema die Konfliktlage verursacht, selbst objektive Umstände enthalten, die die zum Anschein der Voreingenommenheit führende Konfliktlage entkräften. Die Widerlegung kann z. B. durch den Nachweis einer strikten Trennbarkeit von Beweisthema und übrigem Prozeßgegenstand erfolgen, wenn man unter "strikt" das Vorliegen objektiver Anzeichen versteht, die ein übergreifen der aus der eigenen Zeugenaussage fließenden Wertungen ausgeschlossen erscheinen lassen (wie z. B. bei technischen Vorgängen). Auch die beiden neuen vorgeschlagenen Ausnahmetatbestände müssen nach diesen Kriterien beurteilt werden: Die Verfahrensbeteiligten können aus der Nichtvereidigung des als Zeugen vernommenen Staatsanwalts gem. § 61 Nr. 3 durchaus folgern, daß das Gericht dieser Aussage offenbar keine wesentliche Bedeutung zumißt. Unrichtig ist es aber, daraus auch zu folgern, daß dann für den Staatsanwalt in den Augen der Verfahrensbeteiligten keine Konfliktlage mehr besteht, weil darin die falsche Prämisse liegt, der Staatsanwalt lege quasi "resigniert" seine Aussage "zu den Akten". übersehen wird nämlich einmal, daß die Nichtvereidigung eines Zeugen entgegen dem Wortlaut des Gesetzes in der Praxis schon die Regel ist und deshalb aus dem Akt der Nichtvereidigung keine Schlüsse auf die Beurteilung des Gerichts über die Wesentlichkeit oder Unwesentlichkeit der Aussage gezogen werden können! Dies wird demzufolge auch der nichtvereidigte als Zeuge vernommene Staatsanwalt nicht tun, so daß dessen Konfliktlage durchaus auch nach seiner Vernehmung weiter bestehen kann. Selbst wenn das Gericht mit dem Akt der Nichtvereidigung die Unwesentlichkeit der Aussage des Staatsanwalts dokumentieren will, wird von Dose die Möglichkeit übersehen, daß das Gericht die Aussage infolge geänderter tatsächlicher und rechtlicher Begebenheiten doch noch als "wesentlich" ansehen kann und dies nach außen durch eine N achholung der Vereidigung, die sogar noch während der Urteilsberatung möglich ist125 , dokumentieren wird. Damit besteht nach wie vor der durch den Akt der formalen Zeugenvernehmung nicht ent125

BGHSt. 7, 281; Kleinknecht § 61, 8.

7 Schairer

4. Kap.: Ausschlußgründe

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kräftete objektive Anschein, der Staatsanwalt könne entgegen der Ansicht des Gerichts versuchen, eine Wesentlichkeit seiner Aussage dem Gericht gegenüber selbst im Schlußvortrag noch klarzumachen. Dem unzweifelhaft bestehenden Bedürfnis, die "Unwesentlichkeit" der Aussage als Ausnahmetatbestand anzuerkennen, kann dennoch Rechnung getragen werden, wenn man verlangt, daß Gericht und Staatsanwalt nach der Vernehmung übereinstimmend die Aussage als unwesentlich betrachten und dies durch die Verfahrensführung (z. B. die Staatsanwaltschaft bestellt keinen 2. Sitzungsvertreter; die Aussage wird von dem Staatsanwalt selbst als bedeutungslos gewürdigt) dokumentieren. Dann sind objektive Umstände vorhanden, welche die durch die formale Zeugenvernehmung bestehende Vermutung entkräften können. Sobald aber eines der Rechtspflegeorgane zu erkennen gibt, daß die Aussage des Staatsanwalts nun doch erheblich für die Schuldund Straffrage sein könnte, ist der Anschein einer durch die Zeugenvernehmung entstandenen Konfliktsituation wieder hergestellt. Diese Konfliktsituation kann allerdings wiederum durch die Bestellung eines weiteren Sitzungsvertreters für dieses Beweisthema ausgeräumt werden. Die weiter erwähnte Ausnahme der "formalen" übernahme der Verantwortung im Hauptverfahren durch einen Vorgesetzten unter Beibehaltung der aktiven inhaltlichen Gestaltung der Hauptverhandlung durch den als Zeugen vernommen Staatsanwalt wird unter Hinweis auf § 142 In GVG für zulässig gehalten126 • § 142 In GVG beinhalte den allgemeinen Rechtsgedanken, daß einem an sich zum eigenverantwortlichen Vortrag vor einem Gericht Nichtberechtigten (hier Referendar) die Ausübung prozessualer Rechte unter Aufsicht eines Postulationsfähigen übertragen werden könne. In der Tat scheint hier der objektive Ansatzpunkt für einen Ausnahmetatbestand gefunden zu sein. § 142 In GVG stellt aber eine spezielle Ausnahmevorschrift dar, die nur den Fall regelt, daß infolge der fehlenden Voraussetzungen des § 5 I DRiG eine wirksame Wahrnehmung der Aufgaben der Staatsanwaltschaft nicht möglich ist. Und selbst wenn man aus dem hierarchischen Verhältnis in der Staatsanwaltschaft gern. §§ 143 ff. GVG eine solche übernahmemöglichkeit folgern könnte, würde sie eine Umgehung der hinter § 22 Nr. 5 wesentlichen Zwecksetzung, "befangene" Beeinflussungen der Urteilsfindung auf jeden Fall zu vermeiden, bedeuten. Denn der als Zeuge vernommene Staatsanwalt hat trotz formaler Abgabe der Verantwortung an einen Vorgesetzten immer noch den entscheidenden inhaltlichen Einfluß auf das Verfahren behalten. 128

Dose NJW 1978, 353.

3. Ausschlußgrund analog § 22 Nr.5 StPO: Staatsanwalt als Zeuge

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Besonders deutlich wird die Unzulässigkeit einer solchen Verfahrensweise in dem dann möglichen Fall, daß der Vorgesetzte in einem umfangreichen Prozeß das vom als Zeuge vernommenen Staatsanwalt inhaltlich vorbereitete Schlußplädoyer schlicht verliest. Die Konsequenz wäre auch, daß der als Zeuge vernommene Staatsanwalt im Ermittlungsverfahren allein durch eine formale Erklärung des Dienstvorgesetzten, die Verantwortung gem. §§ 145 ff. GVG zu übernehmen, von jeglicher disqualifizierenden Konfliktlage befreit wäre und weiter die Ermittlungen beeinflussen könnte! Eine Entkräftung der Vermutung der Voreingenommenheit ist deshalb nur durch eine formelle und inhaltliche121 übernahme der Verantwortung durch den Vorgesetzten möglich, was im Ergebnis dazu führt, daß der übernehmende sich aktiv an der Hauptverhandlung beteiligen muß und den als Zeugen vernommenen Staatsanwalt nur als Berater auf der Staatsanwaltschaftsbank mitwirken lassen darf. Allerdings muß dann die Möglichkeit in Kauf genommen werden, daß der Vorgesetzte im Falle eines Anzeichens der Beeinflussung durch den als Zeugen vernommenen, beratenden Staatsanwalt wegen Besorgnis der Befangenheit disqualifiziert werden kann. Zu Recht nirgends erörtert ist die Frage, ob ein Ausnahmetatbestand dann besteht, wenn der Staatsanwalt eine den Angeklagten entlastende Aussage gemacht hat. Immerhin gab es bei der früheren Praxis des Verteidigerausschlusses128 Stimmen, die einen Verteidiger nur dann ausschließen wollten, wenn er eine seinen Mandanten belastende Aussage gemacht hat. Indes ist der Staatsanwalt im Unterschied zum Verteidiger nach "beiden Seiten" zur Objektivität verpflichtet. Nach den für § 22 Nr. 5 wesentlichen Zwecksetzungen des staatsanwaltschaftlichen Handlungsverbots, sachwidrige Beeinflussungen des Urteils und ein Mißtrauen der Allgemeinheit gegen die Staatsanwaltschaft zu vermeiden, verbietet sich jeder Anschein einer Konfliktsituation beim Staatsanwalt und sei er durch eine den Angeklagten entlastende Aussage bedingt. Als Ergebnis kann festgehalten werden, daß eine pauschale Disqualifikation des als Zeugen vernommenen Staatsanwalts, wie sie beim Richter in § 22 Nr. 5 gegeben ist, durch eine differenzierte Regelung ersetzt werden muß. Gemeinsamer Grundgedanke aller Differenzierungen muß sein, daß rechtsstaatlich ein Ausschluß des als Zeugen 127 Im Verwaltungsverfahren z. B. kann eine durch Mitwirkung eines "ausgeschlossenen" Verwaltungsbeamten fehlerhafte Amtshandlung nur durch eine inhaltliche Nachprüfung durch den Behördenleiter geheilt werden, Kopp VwVfG § 20, 56. 128 Vgl. v. Hippel, Strafprozeß (1941) S. 303, 396.



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4. Kap.: Ausschlußgrunde

vernommenen Staatsanwalts ex lege nur gerechtfertigt werden kann, wenn grundsätzlich an dem formalen Element der Zeugenvernehmung festgehalten und daraus regelmäßig die Vermutung der Voreingenommenheit gefolgert wird. Nur durch objektive Umstände kann diese vermutete Konfliktlage entkräftet werden. So kann eine Ausnahme einmal dann angenommen werden, wenn objektive Umstände eine strikte Trennung von Beweisthema und übrigem Prozeßgegenstand möglich machen und der als Zeuge vernommene Staatsanwalt außer bezüglich des trennbaren Beweisthemas weiter als Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft amtieren kann. Eine unwesentliche Aussage des Staatsanwalts führt nur dann zu einer Ausnahme, wenn objektiv erkennbar Gericht und Staatsanwalt von dieser Unwesentlichkeit ausgehen. Die lediglich formale übernahme der Verantwortung der Aufgaben der Staatsanwaltschaft durch einen Vorgesetzten des als Zeugen vernommenen Staatsanwalt, der weiter aktiv und inhaltlich das Verfahren beeinflußt, ist eine Umgehung der mit § 22 Nr. 5 analog verbundenen Zwecksetzungen und entkräftet die durch die formale Zeugenvernehmung entstandene Vermutung der Konfliktsituation nicht. Nicht behandelt werden muß in diesem Zusammenhang das Problem, inwieweit bei einem Verstoß dieser Grundsätze und einem Weiteramtieren des als Zeugen vernommenen Staatsanwalts die Revision gem. § 337 erfolgreich ist. Dies ist eine Beruhensjrage, die im Rahmen der Rechtsfolgen (7. Kapitel) behandelt werden wird. Eine rechtssatzmäßige Regelung de lege jerenda kann nach dem bisher Gesagten lediglich in einen generalklauselartigen Regel-Ausnahmetatbestand ge faßt werden, der etwa so lauten könnte: "Ein Staatsanwalt, der als Zeuge vernommen worden ist, ist von der Sache kraft Gesetzes ausgeschlossen. Die Wahrnehmung seiner staatsanwaltschaftlichen Aufgaben ist weiterhin möglich, soweit er sich offensichtlich in keiner durch seine Vernehmung entstandenen Konfliktsituation befindet." c) Rechtslage nach der formellen Vernehmung im Ermittlungsverfahren

Nur theoretisch denkbar ist, daß der Staatsanwalt schon im Ermittlungsverfahren als Zeuge vernommen werden kann. In der Praxis der Ermittlungen kleinerer und mittlerer Delikte wird der Staatsanwalt erst bei Fertigung der Schlußverfügung mit der Sache befaßt, so daß ein Erkenntniskontakt, der eine Zeugenvernehmung erforderlich machen könnte, gar nicht vorliegt. In größeren Verfahren wird ein Antrag des Beschuldigten zur Zeugenvernehmung des Staatsanwalts schwer durchzusetzen sein, weil eine Vernehmung vor dem Ermittlungsrichter

3. Ausschlußgrund analog § 22 Nr.5 StPO: Staatsanwalt als Zeuge

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gern. § 162 von der Staatsanwaltschaft selbst beantragt werden muß bzw. im Ermittlungsverfahren der Beschuldigte zwar gern. § 163 a II zur Antragstellung entlastender Beweiserhebungen durch die Staatsanwaltschaft berechtigt ist, der Staatsanwalt dazu aber nicht gezwungen werden kann129 • Sollte eine Vernehmung tatsächlich erfolgen, befindet sich der Staatsanwalt danach in derselben Konfliktlage wie in der Hauptverhandlung, so daß dieselben Grundsätze gelten130 • Soweit der Staatsanwalt als verdächtiger Zeuge vernommen wird (§ 55 I, II) ist er gern. § 22 Nr. 1 nicht ausgeschlossen, da dieser Tatbestand nur für den Staatsanwalt als Beschuldigten gilt. Doch das zusätzliche Moment der Konfliktsituation, daß er sich mit seiner eigenen Zeugenaussage auseinanderzusetzen hat, disqualifiziert ihn nach den Grundsätzen des § 22 Nr. 5. d) Mltwirkun~ eines als Zeu~en vernommenen staatsanwalts im RechtsmiUelverfahren

Die obigen Grundsätze müssen auch für den Fall gelten, daß derselbe Staatsanwalt seine Zeugenaussage im Rechtsmittelverfahren131 nochmals "würdigen" muß, weil er mit demselben Sachverhalt und damit in derselben "Sache" in irgendeiner Weise wieder konfrontiert ist. In der Regel wird der Staatsanwalt dann wieder als Zeuge vernommen werden, so daß wiederum die unter b) erarbeiteten Grundsätze gelten. Diskussionswürdig sind deshalb hier nur die Fälle, daß der Staatsanwalt vor seiner formellen (2.) Vernehmung nicht hätte Einfluß auf das Verfahren nehmen dürfen132 • Soll die spezifische Zwecksetzung des § 22 Nr. 5 konsequent verwirklicht werden, so muß jedem möglichen durch die Zeugenvernehmung konfliktbehafteten Einfluß auch schon vor der nächsten Vernehmung durch einen Ausschluß ex lege vorgebeugt werden. e) Vorbetassung des staatsanwalts als vernommener Sachverstindiger

Grundsätzlich bestehen keine Bedenken, die für die Disqualifikation beim Staatsanwalt als Zeugen entwickelten Grundsätze auch auf den als Sachverständigen vernommenen Staatsanwalt anzuwenden. Der Staatsanwalt wird als Sachverständiger ebenfalls als "persönliches" Vgl. dazu Fezer, Gedschr. f. Schröder S. 412/415 ff. Koffka ZStW 84, 671: ganz pauschal. 131 Im Wiederaufnahmeverfahren ist der Staatsanwalt als "vorbefaßt" ausgeschlossen, vgl. 4. Kapitel 2. b) dd). 131 Vgl. RGSt. 30, 70: Das RG hatte den Parallelfall zu entscheiden, daß ein in der Hauptverhandlung als Zeuge vernommener Richter in dem folgenden wiederaufgenommenen Verfahren als beauftragter oder ersuchter Richter richterliche Handlungen vorgenommen hat, von deren Vornahme er aber nach Ansicht des RG (5. 71) hätte ausgeschlossen sein müssen. In

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4. Kap.: Ausschlußgründe

Beweismittel in den Prozeß eingeführt. Entscheidend ist nicht die formale Gleichstellung in der prozessualen Behandlung durch § 72, sondern die Intensität in der Befassung der Sache als Sachverständiger, die eher noch größer sein wird, als beim als Zeugen vernommenen Staatsanwalt. Der Vernehmung ist die schriftliche Erstattung des Gutachtens gleichzustellen133. Allerdings wird das Gericht in dem Strafverfahren, mit dem der Staatsanwalt befaßt ist, tunlichst einen anderen Sachverständigen auswählen. Soweit die Notwendigkeit besteht, das sachverständige Sonderwissen des Staatsanwalts in die Hauptverhandlung einzuführen, kann der Staatsanwalt als sachverständiger Zeuge gem. § 85 vernommen werden. Diese Fälle können vorkommen, wenn der Staatsanwalt in den Ermittlungen als Sonderde~ernent13' z. B. für Wirtschaftsstraftaten mit besonderem wirtschaftlichen und buchungstechnischem Wissen ausgestattet ist und Sonderkenntnisse erworben hat. Allein der Umstand, daß der Staatsanwalt über eigenes sachverständiges Wissen vernommen wird, macht ihn bekanntlich136 noch nicht zum Sachverständigen. Praktische Anwendung werden die Grundsätze zu § 22 Nr. 5 auf die Konstellationen finden, in denen der jetzige Staatsanwalt vorher z. B. als Mitarbeiter des Bundes- oder der Landeskriminalämter kriminaltechnische Gutachten in derselben Sache erstellt hat und jetzt über dieses Sonderwissen Auskunft geben soll. Erst die Grundsätze des § 22 Nr. 5 disqualifizieren den Staatsanwalt, da er als vorheriger "Polizeibeamter" entspr. § 22 Nr. 4 nicht ausgeschlossen sein S011136 •

133 Ausdrücklich zur Gleichstellung beim Richter: RGSt. 12, 180; KMR / Paulus § 22, 20. 134 Nicht zu verwechseln mit dem sogen. Wirtschaftsreferenten, der kein Staatsanwalt, sondern höherer oder mittlerer Beamter ist. Vgl. Dose NJW 1978,354. 135 Vgl. L / R / Meyer § 85, 12, wonach entscheidend auf die Auftragserteilung gutachterlicher Stellungnahme, sei es durch das Gericht oder eines Prozeßbeteiligten, abgestellt wird. 138 Vgl. dazu oben 4. Kapitel 2. cl.

Fünftes Kapitel

Konkretisierung des staatsanwaltschaftlichen Handlungsverbots bei Besorgnis der Befangenheit im Einzelfall 1. Stand der Diskussion Wenn in der Person eines Staatsanwalts Gründe vorliegen, die objektiv oder aus der Sicht eines Verfahrensbeteiligten die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen, so trifft ihn vorbehaltlich einer noch näher zu präzisierenden verfahrensrechtlichen Initiative 1 ein Handlungsverbot2 • Offen ist jetzt nur noch die rechtssatzmäßige Bestimmung des Tatbestandes, bei dem diese Disqualifikation eintritt. Selbstverständlich bietet sich nur die "konkretisierende Analogie"3 zu § 2411 bzw. § 21 VwVfG an, die beide lediglich generalklauselartig ein Handlungsverbot aussprechen, wenn "ein Grund vorliegt, der geeignet ist, Mißtrauen gegen die Unparteilichkeit ... zu rechtfertigen". Die zu Recht geltend gemachten Bedenken', daß eine vollständige übernahme des § 24 11 im Falle eines "als befangen besorgten" Staatsanwalts, wie es z. B. § 7 Nr. 2 nds AGGVG vorsieht, dazu führen würde, daß eine wirksame effektive Strafverfolgung durch die Staatsanwaltschaft nicht mehr gewährleistet wäre, wenn für sie dieselben Maßstäbe wie für den neutralen Richter gelten würden, führten zur Forderung, daß beim Staatsanwalt "besondere" Gründe hinzukommen müßten, damit auf die disqualifizierende Besorgnis einer inneren Voreingenommenheit geschlossen werden kann. Danach soll eine Besorgnis dann begründet sein, "wenn besondere Umstände, etwa die Art und Weise seines Vorgehens eine. offensichtliche und durch die Sachaufgabe nicht gerechtfertigte Voreingenommenheit erkennen lassen"5. Eine ähnliche Generalklausel ist in § 145 a 111 E GVG zu finden: Vgl. dazu 6. Kapitel. Vgl. oben 3. Kapitel 2. 3 Canaris S. 160 ff.; vgl. 4. Kapitel eingangs. 4 OLG Karlsruhe MDR 1974, 423: Behinderung des Ermittlungsverfahrens; Oppe DRiZ 1971, 25 u. Blomeyer GA 1970, 168 f.: möglicherweise Entfernung des am besten informierten Staatsanwalts; vgl. auch Schweichel ZRP 1970, 171; Jescheck ZStW 84,350: Nicht jede Verletzung des § 16011 darf zur Ablehnung wegen Befangenheit führen. 6 Vgl. zu dieser Formulierung: Kuhlmann DRiZ 1976, 16; ebenso Wendisch S. 259, Bruns JR 1980, 398. 1

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5. Kap.: Besorgnisgründe

,,(3) Liegen bei einem Staatsanwalt Tatsachen vor, die unter Berücksichtigung der Aufgaben und Pflichten des staatsanwaltschaftlichen Amtes die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen, so hat er ... in der Sache keine weiteren Amtshandlungen vorzunehmen."

Diese Formel ist damit mit noch mehr unbestimmten Rechtsbegriffen gespickt, wie die Generalklausel des § 2411. Die von Wendische referierte Klage von 20 Staatsanwaltschaften, die Fassung sei zu allgemein, zu ungenau und zu weit gefaßt und deshalb in der Praxis völlig ungeeignet, weil sie immer noch großen Mißbrauchsmöglichkeiten ausgesetzt sei, ist ein Einwand, der gegen alle anderen bestehenden generalklauselartigen Tatbestände von Handlungsverboten bei Besorgnis der Befangenheit geltend gemacht werden kann. Aber nur die "Flucht des Gesetzgebers in die Generalklausel"7 kann eine lückenlose Sicherung des rechtsstaatlich und aus dem Prinzip des fairen Verfahrens gebotenen staatsanwaltschaftlichen Unbefangenheitsprinzips garantieren! Der Konflikt zwischen dem Interesse an einer möglichst vollständigen Erfassung aller möglichen Gefährdungen der gebotenen Unbefangenheit des Staatsanwalts und dem aus dem Gebot der Rechtssicherheit folgenden Interesse einer möglichst voraussehbaren Bestimmung der Besorgnisgründe kann nur durch die Bemühung einer umfassenden Konkretisierung und Katalogisierung Rechnung getragen werden. Selbst im materiellen Strafrecht ist das Rechtsinstitut des jetzt in § 34 StGB normierten "übergesetzlichen Notstandes" bis zum 1. StrRG v. 25.6. 1969 mit Hilfe differenzierter Konkretisierung bewältigt worden. Zudem kann man nicht daran vorbeigehen, daß die Disqualifikation wegen Besorgnis der Befangenheit letztlich immer eine Frage des nicht ganz vorauszubestimmenden Einzelfalles sein wird. Im folgenden soll ein Beitrag zu einer solchen bisher nur in stereotypen Beispielen abgelaufenen Konkretisierung mit Hilfe einer an der Problematik des als befangen besorgten Richters orientierten Systematik erfolgen.

2. Der primär-objektive und der primär-subjektive Maßstab zur Beurteilung der Besorgnis der Befangenheit Den Staatsanwalt trifft ein präventives Handlungsverbot, d. h. er ist schon dann " ausgeschlossen" , wenn objektiv verifizierbare Umstände geltend gemacht werden, die geeignet sind, das Mißtrauen auf den inneren Zustand seiner Voreingenommenheit zu rechtfertigen. Unerheblich ist deshalb, daß der Staatsanwalt tatsächlich befangen ist oder daß er sich befangen fühlt oder diesbezüglich Zweifel hat8 . Ob im Ein8 7

S

S. 272; vgl. schon oben 1. Kapitell. Stemmler S. 90. L / R / Dünnebier § 24, 4; BayObLG DRiZ 1977,245.

2. Maßstab zur Beurteilung der Besorgnis der Befangenheit

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zelfall eine Besorgnis der Befangenheit vorliegt, soll sich bei § 24 II und § 21 VwVfG gleichgültig, ob sich dies der Richter im Rahmen des Selbstablehnungsrechts nach § 30 oder der Behördenleiter gem. § 21 VwVfG selbst fragen muß, weil keine Initiative seitens der Verfahrensbeteiligten vorliegt oder wenn die Verfahrensbeteiligten eine solche Besorgnis informell oder formell geltend gemacht haben, nicht etwa aus der Sicht des Richters, Verwaltungsbeamten, Behördenleiters usw. beurteilen, sondern aus der Sicht der Verfahrens beteiligten. Konsequent folgert die h. M.' für den Staatsanwalt, eine Besorgnis sei im Einzelfall für ein Handlungsverbot erst konstitutiv, wenn Umstände vorliegen, die vom Standpunkt eines verständigen10 oder vernünftigenll Verfahrensbeteiligten die begründete Besorgnis hervorruft, der Staatsanwalt werde sein Amt in personaler oder sachlicher Voreingenommenheit wahrnehmen. Die Beurteilung der Besorgnis würde deshalb wie beim Richter nach einem "primär-objektiven Maßstab"1! festgestellt, weil letztlich der "vernünftige Verfahrensbeteiligte" mit der Kontrollüberlegung des Standpunktes eines "unbefangenen Dritten"13 einhergeht. Hinter diesem primär-objektiven Maßstab steht die prozeßökonomische überlegung, auf diese Weise auf der Tatbestandsebene Willkür und Mißbrauch ebenso wie beim richterlichen Ablehnungsrecht1 4 verhindern zu können. Indes haben die Ausführungen zum prinzipiellen staatsanwaltschaftlichen Handlungsverbot bei Besorgnis der Befangenheit im Einzelfall gezeigt, daß die zusätzliche Rechtsgrundlage des fairen Verfahrens (Art. 2 Ii. V. m. Art. 1 I GG und dem Rechtsstaatsprinzip) als negative Kompetenzbestimmung zu einer Differenzierung führt, die auch für den Maßstab der Besorgnis der Befangenheit beim Staatsanwalt Bedeutung haben muß. Soweit im Einzelfall sogenannte "verobjektivierbare" Besorgnisgründe15 vorliegen, die in jedem objektiven Dritten ein Mißtrauen erwecken, ist der primär-objektive Maßstab der h. M. zutreffend. Im übrigen folgt aber aus der nach dem Prinzip des fairen Verfahrens notwendigen Berücksichtigung der Subjektstellung des Verfahrensbeteiligten die Respektierung seiner subjektiv motivierten Besorgnis, was zu einem primär-subjektiven Maßstab führt, wie dies • Dafür Wendisch S. 250; KMR / Paulus 21 vor § 22. 10 Für Richter: BGHSt. 1, 34, 39; b. Dallinger MDR 1972, 571 f. 11 Für Richter: BGHSt. 18, 214, 217; 21, 341; Treplitzki JuS 1969 319; BVerfGE 32, 291. 1! Vgl. die Analyse der Rspr. und die conclusio bei Arzt S. 23 f. 13 BayObLG Recht 1915, 581. 14 Arzt aaO und L / R / Dünnebier § 24, 6 zur ratio beim Richter. 15 Vgl. oben 3. Kapitel 2. a).

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5. Kap.: Besorgnisgrunde

auch zunehmend beim Richter gefordert wird18. Der konkrete Verfahrensbeteiligte soll in seiner Lage, bei seinem Bildungsgrad und bei seinen Erkenntnissen das "sichere Gefühl" haben, einem unvoreingenommenen Staatsanwalt gegenüberzustehen. Selbstverständlich ist damit nicht jeder "allergischen"17, überempfindlichen und unvernünftigen Besorgnis das Wort geredet. Das Prinzip der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege erfordert die Einengung des Maßstabs auf den zwar individuellen aber dennoch vernünftigen Verfahrensbeteiligten. Es ist der Rechtsordnung auch unter Geltung des Prinzips des fairen Verfahrens nicht zumutbar, zur Willkürlichkeit neigenden "Launen" nachzugehen. Im Ermittlungsverfahren ergibt sich die Einschränkung auf einen individuell-vernünftigen Angeklagten als Maßstab schon aus der Natur des Verfahrens selbst, das als Inquisitions- und vorläufiges mit selektiver Tendenz ausgestattetes Verfahren den Beschuldigten notwendigerweise mehr als Objekt behandeln wird, wie dies im Erkenntnisverfahren erlaubt ist. Immer muß aber beachtet werden, daß die Schranke der "Vernünftigkeit" eine vom Prinzip der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege gebotene Einschränkung des fairen Verfahrens ist und demgemäß nach der Rspr. des BVerfG18 restriktiv zu handhaben ist! So wird z. B. nicht schon jede dienstliche Äußerung des Staatsanwalts auf eine Geltendmachung der Besorgnis der Befangenheit, er sei aus diesen oder jenen Gründen nicht befangen, diese Besorgnis entkräften können, wohin der BGH19 beim Richter tendiert. Widerspricht z. B. eine dienstliche Äußerung anderen glaubhaft gemachten Zeugenaussagen, die für eine Voreingenommenheit des Staatsanwalts sprechen (z. B. Zeugnis über eine "tendenziöse" Äußerung des Staatsanwalts), so wird man kaum mehr davon ausgehen können, daß der Beschuldigte/Angeklagte mit einem "sicheren Gefühl" dem sich als nicht befangen behauptenden Staatsanwalt gegenübertreten kann.

1& Vgl. diss. opinion zu BVerfG NJW 1971, 1029 ff. (S. 1031); Treplitzki JuS 1969, 318 f.: Mehr "Großzügigkeit" bei Ablehnungsgesuchen; KMR I Paulus § 24, 7: bei Zweifeln zugunsten des Ablehnenden; besond. Arzt S. 8, 28; vgl.

4. Kapitel 2.; das nicht schlüssige (Treplitzki JuS aaO) Argument Sarstedts (JZ 1966, 314), eine Ablehnung müsse restriktiv gehandhabt werden, damit sich der Angeklagte nicht seinem gesetzlichen Richter entziehen könne, gilt für den Staatsanwalt sowieso nicht. 17 Arzt S. 28 für den Richter. 18 BVerfG NJW 1975, 103; vgl. dazu 3. Kapitel 3. 18 BGHSt. 21, 334, 352 (Weigand-Prozeß); krit. Arzt S. 11, 25.

3. Stellung und Funktion d. Staatsanwaltschaft als Eingrenzungskriterium 107

3. Bedltliche und faktische Stellung und Funktion der Staatsanwaltschaft als Eingrenzungskriterium bei der Beurteilung der Besorgnis der Befangenheit Nach der Besorgnisformel des § 145 a III E GVG und der h. M. kann der vernünftig-individuelle Verfahrensbeteiligte eine Befangenheit nur besorgen, soweit Umstände vorliegen, die nicht durch die Sachaufgabe der Staatsanwaltschaft gerechtfertigt sind. Da die Beurteilung der Besorgnis der Befangenheit im Vergleich mit den weitergehenden richterlichen Disqualifikationstatbeständen erfolgen wird, ist die "Sachaufgabe" der Staatsanwaltschaft ein Eingrenzungskriterium für die Beurteilung der Besorgnis der Befangenheit im Einzelfall. Während der Richter nach dem BVerfG20 "neutraler, unbeteiligter Dritter" ist, erfordern Aufgaben und Funktionen der Staatsanwaltschaft grundsätzlich eine nähere Befassung mit der Sache und den Verfahrensbeteiligten, so daß, wie es Henkel21 formulierte, der Aufgabenerfüllung der Staatsanwaltschaft ein "dynamisches Element" im Gegensatz zur "abwägenden Gerechtigkeit" beim Richter immanent ist, wovon z. B. auch § 261 ausgeht. Die zulässige und unzulässige "Nähe" des Staatsanwalts zu Person und Sache im Strafverfahren ist deshalb rechtslogische Voraussetzung für jede systematische Benennung von Besorgnisfällen und soll im folgenden getrennt nach den Strafverfahrensabschnitten deutlich gemacht werden. a) Ermittlungsverfahren

aa) Die gesetzlich vorgesehene Voreingenommenheit Eine gegenüber dem Richter zulässige nähere Befassung und Bildung von Vorurteilen über die Person des Beschuldigten und der Sache ergibt sich aus den gesetzlichen Vorschriften selbst. Diese Selbstverständlichkeit wird überall in der Diskussion22 ausgesprochen und damit umschrieben, daß es ja Aufgabe der Staatsanwaltschaft sei, strafbare Handlungen zu verfolgen und sich über den Verdacht gegenüber dem Beschuldigten und über die Beweislage schon vor der Verurteilung aus "Ermittlungsgründen" ein Bild zu machen. Bei Aufnahme der Ermittlungen soll der Staatsanwalt gem. §§ 152 I, 160 I bei "zureichenden, tatsächlichen Anhaltspunkten", bzw. "bei Verdacht einer Straftat" und bei "öffentlichem Interesse an einer Strafverfolgung" (§ 232 StGB, § 376 bei übernahme der Verfolgung von Privatklagedelikten) Amtshandlungen vornehmen. Eine gewisse tatsächliche rechtliche Festlegung, eine Vor20 21 22

BVerfGE 21, 139 ff. (145); Bettermann AöR 92, 507. StrafverfahrensR S. 112. z. B. Kuhlmann S. 16; Dahs, Handb. Rdnr. 148; Koffka ZStW 84, 671.

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5. Kap.: Besorgnisgrunde

einschätzung des weiteren Verlaufs von erfolgreichen Ermittlungen, eine Einschätzung des Beschuldigten als potentieller Täter, eine Einstufung der Schwere des Unrechtsgehaltes der Tat laufen damit zwangsläufig einher. Nr. 86 II RiStBV, der Richtlinien für die Bejahung eines öffentlichen Interesses bei übernahme von Privatklagedelikten aufstellt, zeigt die Notwendigkeit der Bildung einer Prognose beispielhaft: "Ein öffentliches Interesse wird in der Regel vorliegen, wenn der Rechtsfrieden über den Lebenskreis des Verletzten hinaus gestört und die Strafverfolgung ein gegenwärtiges Anliegen der Allgemeinheit ist, z. B. wegen des Ausmaßes der Rechtsverletzung, wegen der Rohheit und Gefährlichkeit der Tat, der niedrigen Beweggründe des Täters oder der Stellung des Verletzten im öffentlichen Leben." Schon beim bloßen "Verdacht" einer Straftat kann und muß der Staatsanwalt strafprozessuale Zwangsmaßnahmen anordnen und durchführen (z. B. § 102, Durchsuchung eines Verdächtigen; § 110 a, I, überwachung des Fernmeldeverkehrs durch die Staatsanwaltschaft bei Gefahr im Verzug; § 111, KontrollsteIlen). Ein bloßer Verdacht liegt schon vor, wenn durch schlüssiges Tatsachenmaterial ein gewisses Maß an Konkretisierung erreicht ist 23 • Der Verdacht braucht sich nicht einmal auf die Schuld erstrecken. Schon bei hinreichendem Verdacht entsprechend § 203 kann Klage gern. § 170 I erhoben oder Strafbefehlsantrag gestellt werden. Der Staatsanwalt muß lediglich eine "vorläufige Tatbewertung"24 leisten, daß das Gericht das Hauptverfahren eröffnen wird und nach dem bisherigen bekannten AkteninhaIt die Verurteilung des Angeschuldigten zu erwarten ist. Die Aufklärung von Widersprüchen zwischen den Angaben des Angeschuldigten und vorhandenen Beweisergebnissen können der Hauptverhandlung überlassen werden25 . In den Fällen des § 112 (Beantragung von Haft) muß sich der Staatsanwalt "nur" vom dringenden Tatverdacht leiten lassen, der nach Nr. 46 I a RiStBV vorliegt, wenn ein "hoher Grad der Wahrscheinlichkeit" von Täterschaft und Schuld gegeben ist. Außerungen des Staatsanwalts über den Grad des Tatverdachtes können deshalb ebensowenig Indizien für die Besorgnis sein, wie Ermittlungshandlungen gegenüber einem objektiv Unverdächtigen, solange und soweit aus der Sicht eines unbefangenen Dritten nur irgendwie Spuren in diese Richtung zu laufen scheinen. Die Grenze dürfte hier überschritten sein, wenn ganz offensichtlich Entlastungstatsachen oder -aussagen vorliegen, die geeignet sind, jeden Tatverdacht zu zerstreuen, der Staatsanwalt vor diesen aber 23 L / R / Meyer § 111, 8; Kuhlmann DRiZ 1978, 239; für § 110 a: Welp, Zwangsbefugnisse S. 67. 24 BGHSt. 23, 304, 306. 25 BGH NJW 1970, 1543 = JZ 1970, 729.

3. Stellung und Funktion d. Staatsanwaltschaft als Eingrenzungskriterium 109 regelrecht die "Augen verschließt", so daß der Betroffene unweigerlich den Eindruck bekommen muß, der Staatsanwalt wolle unter allen Umständen ihn zumindest mit der ErmittIungsbelastung "sanktionieren" (z. B. linke Terroristensympatisanten werden nicht in Ruhe gelassen oder ganz extreme Vorkommnisse bei Wallraff-ErmittIungen). Allerdings werden letztlich oft Vorsicht und Geschicklichkeit des Staatsanwalts und Art und Weise der "Einkleidung" seiner Äußerung über Tat- und Schuldfrage darüber entscheiden, ob der Verfahrensbeteiligte den Eindruck bekommt, der Staatsanwalt betrachte die Hauptverhandlung nur noch als Formsache, weil er von der Verurteilung des Beschuldigten und der Taten, die er ihm vorwirft, schon jetzt voll überzeugt ist. Allen Amtshandlungen auf Grund eines Verdachts ist eigen, daß eine

gewisse Festlegung des Staatsanwalts in einem bestimmten Verfah-

rensstadium im Ermittlungsverfahren schon zulässig ist, was dem Richter im Erkenntnisverfahren so nicht erlaubt werden kann. So wird die unzweifelhaft beim Richter die Besorgnis der Befangenheit erregende Äußerung, der Verdächtige könne als Typ des Gewohnheitsverbrechers angesehen werden26 , beim Staatsanwalt noch keine Besorgnis hervorrufen. Wenn aber evident zwischen Verdachtsäußerungen und Stand der Ermittlungen ein krasses Mißverständnis besteht, wird eine Besorgnis glaubhaft gemacht sein. Dagegen ist der Staatsanwalt bei Rechtsfragen wie der Richter an eine sachlich richtige und endgültige Entscheidungsbildung und nicht etwa an die Bildung eines Wahrscheinlichkeitsurteils gebunden27 • Eine ähnliche, zulässige Prognoseentscheidung in Person oder Sache ist in §§ 153 ff. und vor allem durch die im Zuge des StVÄG 1979 neuformulierten §§ 154 I, 154 a I gesetzlich für zulässig erklärt worden. Die Entscheidung über die Einstellung einer Tat oder Teile einer Tat erfordert nämlich keine "Ausermittlung" des Sachverhalts mehr bis zur Anklagereife 28 • Trotz des notwendig bestehenden Beurteilungsermessens darüber, wann eine Schuld im Sinne der §§ 154, 154 a "als gering anzusehen wäre" bzw. die Strafe oder Maßregel der Tat gegenüber einer schon rechtskräftig verurteilten Tat oder eines Tatteiles "nicht beträchtlich ins Gewicht fällt", wenn sich der Tatverdacht bestätigen würde, wird eine Besorgnis der Befangenheit z. B. dann angenommen werden können, wenn offensichtlich ist, daß eine solche Prognoseentscheidung angemessen wäre, der Staatsanwalt dennoch nicht 28 Kuhlmann S. 14 unter Hinweis auf den beim Richter vergleichbaren Fall BGH LM § 24 StPO Nr.4. 27 Für Richter L / R / Dünnebier § 112, 26; für § 153 L / R / Meyer-Goßner § 153,12. 28 L / R / Rieß, Ergänzbd. § 154; Baumann, Grundbegriffe S. 53.

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5. Kap.: Besorgnisgründe

nach §§ 154, 154 a einstellt. Für den Beschuldigten muß der Eindruck entstehen, der Staatsanwalt wolle ihn intensiver verfolgen, als es sogar das Gesetz vorsieht, was nach außen eigentlich nur aus voreingenommenen Motiven begründet sein kann.

bb) Verletzung des LegalitätspTinzips als Besorgnisgrund? Die staatsanwaltschaftliche Tätigkeit ist bekanntlich am Beginn des Ermittlungsverfahrens und in mittleren und schweren Fällen bis zum Ende am Legalitätsprinzip orientiert, das eine delikts- und täterneutrale und am Gleichbehandlungsgrundsatz orientierte Tataufklärung und Beweisführung erfordert. Eine objektive Verletzung dieser Grundsätze könnte deshalb die Vermutung befangener Amtsführung besonders nahe legen. In ihrer rechtstatsächlichen Untersuchung haben Blankenburg, Sessar und Steffen29 für ihr Untersuchungsjahr 1970 festgestellt, daß die Staatsanwaltschaft "Filterungsprozessen" unterworfen ist, die im Ergebnis das Legalitätsprinzip außer Kraft setzen. So sei eine "aktivere Ermittlungspolitik" feststellbar, wo es sich um ein im Sinne des Strafrechts erhöhtes Tat- oder Schuldunrecht handele. Beweisschwierigere Verfahren würden häufiger eingestellt, eindeutig aufgeklärte Verbrechen häufiger "durchermittelt" und angeklagt. Das aus der Natur des Ermittlungsverfahrens von Anfang an bestehende "Auswahlermessen" , ob und wie die Tat verfolgt, angeklagt oder eingestellt wird, werde von "diskriminierenden Faktoren"3o geleitet, wie vor allem Vorstrafen, Schadensverursachung und Delikthäufigkeit, die bei der Staatsanwaltschaft ein größeres Ermittlungsinteresse wecken. Hinzu kämen "schichtspezifische"31 Entscheidungsmechanismen. Am Angelpunkt zwischen Einstellung und Anklage seien "kriminalisierende Tendenzen"32 festzustellen. Fälle, die schwierig nachzuweisen sind, also Zweifel am "hinreichenden Tatverdacht" i. S. v. §§ 170 I, 203 bestehen, würden dennoch durchermittelt und angeklagt, weil der Staatsanwalt von der Schuld des Verdächtigen überzeugt sei. Dies geschehe ungeachtet des Verfahrensausgangs allein um eine Sanktionierung über die Anklageerhebung oder die Hauptverhandlung trotz Freispruchs zu erreichen. Oft seien solche Anklagen "Versuchsballone" einer neuen kriminal politischen Linie der betreffenden Staatsanwaltschaft. Solche Umstände können trotz objektiver Verletzung des Legalitätsprinzips allein noch kein Indiz für eine Besorgnis der Befangenheit des ermittelnden Staatsanwalts darstellen. Denn zum einen muß das Lega28 30

31 32

B / S / S S. 317,320 im Kapitel "Kriminalpolitische Schlußfolgerungen". B / S / S S. 323; Blankenburg ZRP 1978,265. Vgl. auch Schünemann DRiZ 1974,278,282. B / S / S S. 248 ff., 317, 326.

3. Stellung und Funktion d. Staatsanwaltschaft als Eingrenzungskriterium 111 litätsprinzip durch den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz33 relativiert werden, soll sich die Staatsanwaltschaft nicht "zu Tode ermitteln" und funktionsunfähig werden. Der Staatsanwalt kann deshalb durchaus unter objektiver Verletzung des aus dem Legalitätsprinzip folgenden Gleichbehandlungsgrundsatzes nach Unrechtsschwere und Dringlichkeit der Delikte differenzieren. Zudem glaubt Sessar34 feststellen zu können, daß die obigen Differenzierungen und diskriminierende Ermittlungsmotive auf allgemeinen kriminalpolitischen Motiven beruhen, die folglich keine konkrete Fallbezogenheit, sondern ein generelles Konzept beinhalten, das zur Entwicklung gewisser Handlungsstile und zur Standardisierung von Entscheidungen unabhängig von dem konkreten Täter führt. Weiter ist ein gewisses durch kriminalpolitische Faktoren motiviertes Prioritäten setzendes Ermessen der staatsanwaltschaftlichen Aufgabenerfüllung immanent und zulässig35 • Besorgnis der Befangenheit ist deshalb erst dann gegeben, wenn Diskriminierung, Schwerpunktsetzung und Kriminalisierung evident auf gegenüber dem konkreten Täter oder der Sache ausgerichteter Voreingenommenheit beruht und nicht etwa durch Sachzwänge des Ermittlungsverfahrens, durch ein standardisiertes Entscheidungskonzept oder durch kriminalpolitische Prioritätensetzung bedingt ist. So wird eine Besorgnis der Voreingenommenheit gegenüber einem Industriellensohn gerechtfertigt sein, wenn ein als bekannt links eingestufter Staatsanwalt erstmals seit langem den bisher immer nach § 153 a eingestellten Tatvorwurf plötzlich, um kriminalpolitisch ein Exempel zu statuieren, anklagt. ce) Der Maßstab im Bereich des Opportunitätsprinzips

Auch im Bereich des Opportunitätsprinzips gilt über Art. 1 III GG der Gleichbehandlungsgrundsatz des Art. 3 I. Aus seiner bloßen objektiven Verletzung durch den Staatsanwalt kann ebensowenig wie im Bereich des Legalitätsprinzips eine Besorgnis der Voreingenommenheit gefolgert werden. Hinzu kommt noch, daß der Staatsanwalt im Gegensatz zum Richter in den Schlußverfügungen der §§ 153 ff. Entscheidungen aus "opportunen" Motivationen treffen darf, die beim Richter längst den Vorwurf der Voreingenommenheit rechtfertigen würden. Ein Zurechtrücken der Maßstäbe im Unterschied zum befangenen Richter ist insbesondere bei § 153 a geboten. Durch die Kompetenz der Peters, StPO S. 162; Zipf, FS f. Peters S. 487 f.; Weigand S. 47. MSchrKrim. 1979, 128 ff. (136). 35 Kutzer DRiZ 1975, 110; Blankenburg ZRP 1978, 260: "Die Aufgabe der Staatsanwaltschaft besteht in der Organisation von Selektivitätsentscheidungen; ihre Funktion ist die Festschreibung struktureller Selektivität." 33

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5. Kap.: Besorgnisgrunde

Staatsanwaltschaft zur "informellen Sanktionierung"36 konstatieren z. B. Frisch und Bruns37 eine endgültig "funktionale Gleichstellung zwischen Staatsanwalt und Richter", die zu einem gleichen formellen Ablehnungsrecht beim Staatsanwalt wie beim Richter in § 24 führen müsse, weil eine "Ausübung gleicher Befugnisse" vorliege. Für den Maßstab bei Besorgnis der Befangenheit sind aber weiterhin die bisher dargestellten Grundsätze zu beachten. Im Ergebnis kann der Staatsanwalt zwar wie ein Richter anstatt des Richters auf der Bagatellebene "strafen", die Voraussetzungen für diese "Bestrafung" sind aber an Opportunitäts- und nicht an richterlichen Entscheidungskriterien orientiert. Das gilt sowohl für die Ausübung des Auswahlermessens, also ob "Geringfügigkeit" für die Anwendung des § 153 a überhaupt vorliegt, wie dafür, ob das "informelle Strafen" das öffentliche Interesse an der Anklage neutralisieren kann. Nicht der Beurteilungsspielraum der "geringen Schuld", sondern derjenige beim "öffentlichen Interesse" macht den Unterschied zum Richter aus. Dort sind nämlich über § 46 StGB hinaus 38 die typisch opportunen Gesichtspunkte entscheidend, wie z. B. general- und spezialpräventive Strafzweckerwägungen, schwierige und deshalb offenzulassende Rechtsfragen, spezielle kriminogene Faktoren, Belange des Staatswohls, Verfahrensbeschleunigungen, Arbeitsentlastung der Gerichte, sowie rechtspolitische und rechtssoziologische Erwägungen im Zusammenhang mit der Verteidigung der Rechtsordnung. Eine typisch und sehr bedenkliche "opportune", weil zu billige und einen echten "Kuhhandel"39 darstellende Entscheidung, ist der Fall der Firma Hoechst, wonach der strafrechtliche Vorwurf der Umweltverschmutzung und das öffentliche Interesse an einer Verfolgung durch Zahlung von 1,3 Mil!. DM gern. § 153 a I 2 "beseitigt" sein so1l40! Obwohl der Beschuldigte der informellen Sanktionierung im Wege eines (vielfach mehr oder weniger unfreiwilligen) "Vertrags"41 zustimmt, sind für ihn Besorgnisfälle denkbar. Die informelle Sanktionierung des § 153 a wird trotz des Ersparens einer Hauptverhandlung und eines eventuell strafenden Urteils für ihn nicht immer eine Wohltat sein. So kann aus der Art und Weise, wie der Staatsanwalt den Beschuldigten zur Zustimmung "bringt", eine Besorgnis der Befangenheit gese Vgl. zu dieser problematischen, weil zu einer "faktischen Sanktionierung" führenden Befugnis krit. Kausch S. 104 ff., 139 m. w. Nachw. und L / R / Meyer-Goßner § 153 a, 7. 37 Bruns JR 1979, 32; Frisch S. 391. 38 Krit. Weigand S. 66; zu den Kriterien: L / R / Meyer-Goßner § 153, 13 ff.; Peters, StPO S. 164; F. C. Schroeder FS f. Peters S.417. S9 Baumann, Grundbegriffe S. 52. 40 Vgl. dazu schon 3. Kapitel 2. a). 41 Baumann, Grundbegriffe S. 52.

3. Stellung und Funktion d. Staatsanwaltschaft als Eingrenzungskriterium 113 rechtfertigt sein, so wenn z. B. der Staatsanwalt beim Beschuldigten durch Drohung und Versprechungen den Eindruck erweckt, er wolle wenigstens eine informelle Sanktionierung herausholen, weil im Falle der Durchführung des Hauptverfahrens das Gericht mit großer Wahrscheinlichkeit aus anderer Bewertung der Beweistatsachen zum Freispruch kommen wird. Ein Indiz wäre auch die unangemessene Höhe einer Geldauflage im Verhältnis zu Tatunrecht und Schuldgehalt! Auch wenn die eben beschriebenen Anlässe zur Besorgnis am Verfahrensende liegen, sind sie für den Beschuldigten doch noch erheblich, weil Einstellungsentscheidungen nur vorläufig sind und das Ermitt-

lungsverfahren vor allem bei Nichterfüllung der Auflagen und Weisungen gem. § 153 a wieder aufgenommen werden und der "als befangen besorgte" Staatsanwalt dem Beschuldigten wieder gegenübertreten kann.

dd) Beachtung der Faktizität des Verhältnisses von Staatsanwalt und dessen Hilfsbeamten Aufgaben und Stellung des Staatsanwalts werden durch das faktische Verhältnis zu seinen Hilfsbeamten relativiert. In bestimmten Ermittlungsbereichen sind deshalb die Ansatzpunkte bei der Beurteilung der Besorgnis der Befangenheit anders, als in der StPO vorgezeichnet. Der an sich der StPO (§§ 160 I, 161, 163 H, vgl. auch § 152 GVG) vorschwebende Weg, daß die Vorgänge zunächst ohne Ermittlungen der Hilfsbeamten (vor allem der Polizei) dem Staatsanwalt vorgelegt und von diesem dann die Ermittlungsanordnungen getroffen werden, hat sich in folge der personellen, sachlichen, kurz der kriminalistischen Ob erlegenheit der Polizei42 dahin gewandelt, daß im Bereich der Bagatell- und Massenkriminalität der Staatsanwalt nur noch eine überprüfung der Definitionen der Polizei (Kontrollaufgabe)43 nach justizförmigen Kriterien und die Beendigung des Ermittlungsverfahrens44 betreibt, obwohl er für das ganze Ermittlungsverfahren die Verantwortung hat. Eine Mitwirkung des Staatsanwalts als unmittelbar ermittelnder Beamter ist nur in den Ausnahmefällen von Kapital-, Wirtschafts- und politischen Delikten45 gegeben. Peters, StPO S. 172; Decker, Kriminalistik, 1980,423 f. Blankenburg ZRP 1978, 263; Gössel GA 1980 347 m. w. Nachw. " Sessar MschKrim 1979, 431; Decker, aaO, S.425. 45 Kuhlmann, DRiZ 1976, 265, 268; dies liegt u. a. an der Schaffung von Schwerpunkt-Staatsanwaltschaften mit teilweise eigenem Unterbau; vgl. auch Gössel, aaO, S. 350; vgl. die Erhebungen des Justizministeriums Bad-Württ. 1974 und des Bay. Justizministeriums 1972 über die Einschaltung der Staatsanwaltschaft in die Ermittlungsverfahren (Nachw. bei B / S / S S. 8 Anm. 19): Bezogen auf sämtliche Verfahren war die Staatsanwaltschaft in Bayern ü

43

8 Schairer

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5. Kap.: Besorgnisgrunde

Auf die rechtsstaatliche Problematik und die "Reform"bestrebungen als Reaktion dieser institutionellen Verschiebung, muß hier nicht eingegangen werden46 • Für eine Diskussion um Besorgnisgründe ist der "status quo" maßgebend. In dieser faktischen Situation konnten Entscheidungsmuster festgestellt werden, die mit der Aufgabe der Staatsanwaltschaft, gem. § 160 11 nicht nur die be-, sondern auch entlastenden Umstände zu ermitteln, nicht mehr vereinbar sind. Mangels richtiger "Weichenstellungen" bei der ermittelnden Polizei kommen manche entlastende Umstände gar nicht ins Blickfeld des zuständigen Staatsanwalts 47 • Weiter stellt Blankenburg48 aufgrund seiner Untersuchung fest, daß es dem Staatsanwalt tendenziell darum geht, die für eine Anklageerhebung ausreichenden Beweismittel, also in der Regel belastende Umstände zusammenzutragen. Die Beweiskraft des polizeilichen Beweismaterials wird in der Regel nicht angezweifelt, sondern nur noch justizförmig abgesichert. Blankenburg stellt die These auf, daß der Staatsanwalt "objektiv" nur bezüglich der Inaktivität seiner Ermittlungen sei, aber angewiesen auf überwiegende schriftliche Informationen und ohne eigenen Ermittlungsstab die selektive Kriminalisierung von Anzeigenstellern und Polizei unkontrolliert weitergäbe. Das "Versagen" der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungstätigkeit ist damit regelmäßig das Ergebnis einer insgesamt psychologisch problematischen Grundsituation 49 , die durch die oben genannten Sachzwänge bedingt ist. Von der Besorgnis einer Voreingenommenheit gegenüber der Person des Beschuldigten oder in der konkreten Sache wird man deshalb nur sprechen können, wenn dementsprechende Umstände glaubhaft gemacht werden, z. B. wenn offensichtlich entlastende Umstände vorliegen, und der Staatsanwalt seine Inaktivität nicht durch das übergewicht der Polizei und mit dem von ihm nicht vertretbaren Informationsdefizit entschuldigen kann, weil ihn die Polizei unterrichtet hat, bzw. er sich früher in die Ermittlungen zumutbar hätte einschalten können. in 22010, in Bad-Württ. in 25010 der Fälle überhaupt eingeschaltet. Mit der Schwere des Delikts stieg die "Einschaltquote" an und erreichte in Wirtschaftsstrafsachen 100% bzw. 93010. Am geringsten ist die Quote im Bereich der Verkehrskriminalität mit 36% bzw. 44 '/0. 48 Vgl. L / R / Dünnebier 10 vor § 158 und zu den Leitsätzen der "Gemeinsamen Kommission" zur Neuregelung des Verhältnisses Staatsanwaltschaft und Polizei, krit.: Ullrich ZRP 1977, 158 ff.; Baumann ZRP 1977,208; Decker, Kriminalistik 1980, 423 f.; Rieß, FS f. Schäfer S. 196: "Rechtsstaatliches Vakuum"; Kuhlmann DRiZ 1976,269. 47 Gössel GA 1980,354; Kuhlmann DRiZ 1976,265,267. 48 Vgl. die Zahlen zur begrenzten Rückverfügung der Staatsanwaltschaft: Blankenburg ZRP 1978, 263 f. und B / S / S S. 89 ff., 249 ff., 317 (Ergebnis); Bringewat ZRP 1979, 249. 40 Bringewat S. 249.

3. Stellung und Funktion d. Staatsanwaltschaft als Eingrenzungskriterium 115 Nicht verkannt werden darf, daß in der Praxis dem Betroffenen mangels Parteiöffentlichkeit50 und Öffentlichkeit des Ermittlungsverfahrens, wenn nicht der Anlaß zur Besorgnis, so doch die Mittel der Glaubhaftmachung fehlen werden! Ein Paradefall dazu, der sogar im Bereich der Schwerkriminalität liegt, ist der Fall Astrid Spro1l51 • Astrid Sproll war wegen zweifach versuchten Mordes an zwei Kriminalbeamten angeklagt. Der Vorfall ereignete sich 1972, das Verfahren wurde schließlich im Jahre 1979/80 im 2. Anlauf abgeschlossen. Die lange Dauer des Verfahrens war u. a. dadurch bedingt, daß zwei Beamten des Landesamtes für Verfassungsschutz Berlin die, wie sich im Nachhinein herausstellte, Astrid Sproll von dem Vorwurf des zweifachen Mordversuches entlasten konnten, keine Aussagegenehmigung erteilt worden war. Der Staatsanwaltschaft war von der Presse vorgeworfen worden, ihr sei schon 2 Jahre nach der Schießerei bekannt geworden, daß die Verfassungsschutzbeamten als Entlastungszeugen in Betracht kommen. Erst im zweiten Sprollprozeß 1979/80 wurden den Verfassungsschutzbeamten auf Veranlassung von Bundesinnenminister Baum eine Aussagegenehmigung erteilt. Die darauf in das Verfahren eingeführten Aussagen entlasteten Astrid Sproll mit der Folge, daß der Vorwurf des zweifachen Mordversuches fallengelassen werden mußte. Der Verdacht, daß auch der zuständige Staatsanwalt, und vor allem dessen Vorgesetzter infolge Voreingenommenheit gegen die linke Terroristin und gegenüber der Sache selbst nicht alles (auch der Versuch, eine Aussagegenehmigung zu erreichen gehört dazu!) getan haben, um ihrer Pflicht nach § 160 II zu genügen, liegt nahe. Der leitende Oberstaatsanwalt der Staatsanwaltschaft Frankfurt, Dr. Schäfer, hatte in seinem Leserbrief im Spiegel (Nr. 8, 1980, S. 12) zugegeben, daß es "eine Reihe von Vorgängen" gegeben habe, "die auch von der Staatsanwaltschaft als Merkwürdigkeiten empfunden worden sind". In der Praxis wird aber, wie dieses Beispiel zeigt, ein präventives Handlungsverbot, wenn man eine vernünftig-individuelle Besorgnis der Befangenheit annehmen wollte, in seiner präventiven Wirkung fehl gehen, weil der öffentlichkeitsfeindliche Charakter des Ermittlungsverfahrens solche Umstände, die dem Beschuldigten Anlaß zur Besorgnis und Mittel zur Glaubhaftmachung geben, nicht nach außen dringen läßt!

GO Zum nicht ganz korrekten Begriff der "Parteiöffentlichkeit" , mit dem vor allem Anwesenheits-, Mitwirkungs- und Einsichtsrechte (vgl. z. B. § 147) gemeint sind, Rieß, FS 100jähriges Bestehen S. 396 ff. 51 Vgl. den Bericht im Stern 1980 Nr. 6, S. 138 ff. (146) und im Spiegel Nr. 6, 1980, S. 111; Bruns JR 1980, S. 339. Fußn. 16 und der Verteidiger von Astrid SproH U. K. Preuß in Krit. Justiz 1981, S. 109 ff.



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5. Kap.: Besorgnisgrunde b) BauptverbancUanc

Auch in der Hauptverhandlung ist in der Aufgabenerfüllung der Staatsanwaltschaft ein "dynamisches Element" festzustellen, das die Besorgnis der Befangenheit anders als beim Richter beurteilen läßt. Besorgnis der Befangenheit liegt deshalb erst vor, wenn Indizien vorliegen, die über die bei den "dynamischen" Aspekte der "dialektischen" Rolle der Staatsanwaltschaft (aa) und "horizontalen" Arbeitsteilung mit dem Gericht (bb) hinausgehen.

aa) Die dialektische Rolle der Staatsanwaltschaft In der Diskussion um die Stellung der Staatsanwaltschaft wird, ohne daß eine gesicherte empirische Erkenntnis vorliegt52 , angenommen, daß der Staatsanwalt trotz seines Gesetzeswächteramtes das Gericht und das Verfahren zu kontrollieren 53 , eben doch mehr oder weniger der Rolle eines Kontrahenten des Angeklagten zuneigt, was infolge des kontradiktorischen Aufbaus des Anklageprozesses54 der Funktion der Staatsanwaltschaft immanent ist. Von einer formellen Parteirolle sollte man in diesem Zusammenhang nicht sprechen, weil es inzwischen eine Binsenweisheit ist 55 , daß Staatsanwalt- und Angeklagtenseite auch im Hauptverfahren weder verfahrensrechtlich gleiche Rechte noch angesichts des vorausgegangenen Ermittlungsverfahrens denselben Informationsstand haben. Vielmehr stellt der Staatsanwalt in Form der Anklage Thesen auf, die von der Angeklagtenseite her mit Antithesen belegt werden und aus der der Richter eine Synthese in Gestalt des Urteils ziehen soll. Diese, wie ich sie bezeichnen möchte, dialektische Rolle der Staatsanwaltschaft ist normativ, psychologisch und von der Wahrheitsfindung und Prozeßökonomie her der Stellung der Staatsanwaltschaft immanent. Die auf Grund der Ermittlung erfolgte Anklage, der Strafbefehls antrag und die Nachtragsanklage dokumentieren diese thetische Stellung, die durch den Schlußantrag, der oft nochmals die "prozessuale Polarität"56 zur Angeklagtenseite dokumentiert, ver62 Als Rechtstatsachen für einen solchen empirischen Schluß bietet sich eigentlich nur der staatsanwaltschaftliche Strafvorschlag im Verhältnis zum richterlichen Strafmaßausspruch an. Die Lit. (vgl. Marx GA 1978, 268; Dahs DRiZ 1960, 106; Grassberger S. 285: ganz pauschal, und B / S / S S.247) behauptet, daß der Antrag der Staatsanwaltschaft selten niedriger als die spätere gerichtliche Entscheidung ist. 63 Sarstedt NJW 1964, 1753; Eb. Schmidt MDR 1951,3. 64 Vgl. nur Kausch S. 229 und das gern. § 239 zulässige Kreuzverhör. 66 BGHSt 15, 155 ff. (159); Eb. Schmidt LK I Rdnr. 105 ff. und Baumann, Grundbegriffe S. 46 m. w. N.; mißverständlich Blomeyer GA 1970, 172, der von der "formalen" Partei spricht, aber auch nur argumentative Gegnerschaft meint. 60 Dahs DRiZ 1960, 106.

3. Stellung und Funktion d. Staatsanwaltschaft als Eingrenzungskriterium 117 stärkt wird, auch wenn der Staatsanwalt gehalten ist, wie ein Richter entsprechend § 261 67 aus dem "Inbegriff der Hauptverhandlung" seine endgültigen Schlußfolgerungen zu ziehen. Das psychologische Phänomen, daß der ermittelnde Staatsanwalt, der zugleich Sitzungsvertreter ist, wie die Vertreter der Staatsanwaltschaft in der Hauptverhandlung überhaupt, im Wege eines vielleicht langen und mühseligen Ermittlungsverfahrens einen hinreichenden Tatverdacht erarbeitet hat, von dem er sich in einer Hauptverhandlung nur schwer wird lösen können, folgt aus der Struktur des reformierten Strafprozesses. Dieses Phänomen muß erst recht akzeptiert werden, wenn man aus Gründen der Arbeitsfähigkeit der Staatsanwaltschaft keinen generellen Ausschlußgrund der Vorbefassung anerkennen Will 68 . Der so vorbelastete Staatsanwalt oder mit weniger Intensität der Sitzungsvertreter als "Vertreter" des ermittelnden Staatsanwalts wird unbewußtein Gegengewicht schaffen wollen gegenüber dem naturgemäß einseitig auf die Reduzierung des Tatverdachtes bis zum Freispruch tendierenden Angeklagten/Verteidigers9 • Teilweise wird eine solche argumentative Gegnerschaft nicht ungern gesehen, weil nach den Grundsätzen der Hermeneutik die prozessuale Wahrheitsfindung dadurch verbessert werden kann". Argumentative Gegnerschaft allein rechtfertigt also noch nicht die Besorgnis der Befangenheit. Die Grenze zur Besorgnis einseitiger voreingenommener Verfahrensführung ist deshalb schwer zu ziehen. Im Gegensatz zum amerikanischen Strafverfahrens1 , das auf der "sporting theory of justice" aufgebaut ist, darf der Staatsanwalt weder aus taktischen, allein im Interesse der überführung des Angeklagten liegenden Gründen entlastende Beweistatsachen zurückhalten noch sich mit der bloßen Mitteilung entlastender Beweistatsachen an die Angeklagtenseite begnügen, wenn der Verteidiger oder der unverteidigte Angeklagte ersichtlich diese Umstände nicht in seinem Interesse zu verwenden weiß oder das Gericht deren Bedeutung (noch) nicht erkannt hat. Nicht zu verwechseln mit einer zulässigen argumentativen Gegnerschaft ist der im amerikaVgl. Less JR 1951, 194. Vgl. oben 4. Kapitel 2. b). 58 Blomeyer GA 1970, 171. 60 Schünemann GA 1978, 168 unter Hinweis auf die dem anglo-amerikanischen Strafverfahren zu Grunde liegende Theorie der prozessualen Wahrheitsfindung (vgl. dazu auch Hermann S. 162 f.), und Nowakowski, Gutachten zum 45. DJT Band I Teil 2 Karlsruhe 1964 "Ist die Staatsanwaltschaft an die ständige oder gefestigte höchstrichterliche Rechtsprechung gebunden"? S. 18; Henkel, StrafverfahrensR S. 112. 61 Hermann S. 195 ff., 199 ff., 204, 215 f. S7

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5. Kap.: Besorgnisgründe

nischen Strafverfahren herrschende Grundsatz einer trotz gebotener Objektivität des Staatsanwalts stilistisch energischen und entschiedenen Strafverfolgung ("vigor" und "earnestness")62. Ein solches Agieren verbietet sich im deutschen Strafverfahren aus dem Grundsatz des fairen, die staatlichen Machtmittel beschränkenden Verfahrens. Wie leicht eine "energisch" betriebene Anklageverfolgung in ein parteiisches Kämpfen übergehen kann, hat Hermanno 3 für den amerikanischen Strafprozeß aufgezeigt. Unbedenklich ist es dagegen, wenn der Staatsanwalt Erwägungen, die zum Nachteil des Angeklagten sprechen, besonders hervorhebt und als Gegengewicht zur "einseitig" agierenden Angeklagtenseite stärker betont. Ganz allgemein dürfte damit eine Besorgnis der Befangenheit gegeben sein, wenn beim individuell-vernünftigen Angeklagten der Eindruck entsteht, der Staatsanwalt sei unter Mißachtung der Regeln einer argumentativen Gegnerschaft und ohne Rücksicht auf seine gebotene Selbstbeschränkung nur darauf bedacht, den Angeklagten entsprechend seiner anfangs gestellten Prognose zu "überführen".

bb) Die "horizontale" Arbeitsteilung zwischen Staatsanwaltschaft und Gericht Die argumentative Gegnerschaft wird auf der Ebene zum Richter durch eine Rollenteilung in der gemeinsamen mitverantwortlichen Erfüllung der Justizgewährungspflicht84 ergänzt. Blankenburg, Sessar und Steffen65 haben diese Rollenteilung, die ich als "horizontale" Arbeitsteilung bezeichnen möchte, als dem Strafprozeß immanent empirisch nachzuweisen versucht und im folgenden so dargelegt: "Folgt man den überlegungen Luhmanns, daß die Funktion des Gerichtsverfahrens in erster Linie in der Legitimation rechtlich verbindlicher Entscheidungen bestehe, daß es sozial akzeptierte Formen der Konfliktlösung bieten müsse, in denen der Konflikt durch ein von allen beteiligten Personen anerkanntes Urteil beigelegt werde, dann ist eine Rollentrennung zwischen Staatsanwalt und Richter sinnvoll, bei der Ersterer die Rolle des Härteren zu spielen hat, um Letzteren in die Lage zu versetzen, die Rolle des Milderen zu übernehmen. Diese Rollentrennung dürfte es dem Angeklagten eher ermöglichen, das gefällte Urteil zu akzeptieren, da sie den Richter in die Lage versetzt, Güte zu zeigen." Hermann S. 194 ff. Hermann, S. 196. 6e Eb. Schmidt MDR 1951, 1, 4; Begr. RegE 1. StVRG BT-Drs. 7/551 S. 38: "Dem Gericht zugeordnete Behörde"; ebenso BVerfGE 9, 288 ff. 65 S. 257 und 260 unter Hinweis auf N. Luhmann, Legitimation durch Verfahren, Neuwied, Berlin 1969, S. 26, 37, 111. 82

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3. Stellung und Funktion d. Staatsanwaltschaft als Eingrenzungskriterium 119 An solcher Arbeitsteilung orientierte Verhaltensweisen des Staatsanwalts können deshalb grundsätzlich keine Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen. Im Wege der Hauptverhandlung muß deshalb dem Staatsanwalt im Gegensatz zum Richter ein etwas strengeres und härteres Auftreten zugestanden werden. Dies kann nicht genug hervorgehoben werden, da gerade die Art und Weise des Auftretens in der Hauptverhandlung Anknüpfungspunkt für eine Besorgnis der Befangenheit ist. Der Gedanke der Rollenteilung in einen "gütigen" Richter und "härterne" Staatsanwalt schlägt sich auch in eine übernahme von richterlichen Aufgaben auf den Staatsanwalt nieder: Um eine Prozeßverzögerung zu vermeiden und der Gefahr von zugegebenermaßen oft begründeten Befangenheitsanträgen oder solchen eines querulatorischen Angeklagten oder eines wachen und eifrigen Verteidigers nicht ausgesetzt zu sein, wird die Artikulation von Bedenken gegenüber einem Vorgehen der Verteidigerbank mit stillschweigender Billigung des Richters dem Staatsanwalt überlassen, der als "Kontrahent" des Angeklagten auch in den Augen der Angeklagtenseite sich mehr erlauben kann68 • So soll z. B. der Staatsanwalt in der Hauptverhandlung feststellen können, daß der von der Verteidigung als für die Entscheidung wesentlich dargestellte Beweisantrag absolut entscheidungsunerheblich ist und eine Prozeßverzögerung bedeuten würde, um so den Verteidiger/Angeklagten zum Zurückziehen des Antrages zu bewegen. Ebenso soll der Staatsanwalt und nicht der Richter versuchen, den Verteidiger/Angeklagten zur Zurücknahme des Einspruchs gegen einen Strafbefehl zu bewegen, unter Hinweis darauf, daß der Angeklagte weit über den im Strafbefehl gesetzten Einkommensverhältnissen liege und deshalb eine höhere absolute Geldstrafe im Falle der Durchführung der Hauptverhandlung und bei Erlaß eines Urteils zu befürchten habe. Der Staatsanwalt übernimmt hier eine eigentlich dem Gericht obliegende fürsorgliche Hinweispflicht, um das Bild des unbeteiligten Richters rein zu halten. Oft wird der Staatsanwalt in diesem Zusammenhang eine dem Richter nicht gestattete vorweggenommene Würdigung der Hauptverhandlung und Beweisaufnahme wagen müssen, um die auch vom Richter still vertretene Aussichtslosigkeit des Rechtsbehelfs/Rechtsmittels zu illustrieren. Wann solches Rollenverhalten schließlich Indiz für die Besorgnis einer Voreingenommenheit wird, kann grundsätzlich wieder nur im prozessualen Einzelfall festgestellt werden. Der Beispielsfall der Ermöglichung der Unbefangenheit des Richters durch eigenes Einspringen mag die 88 Vgl. in diese Richtung Kausch S. 229; Marx GA 1978, 371 Fußn. 32; Roxin, FS f. Schmidt-LeichnerS. 148.

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5. Kap.: BesorgnisgrUnde

Grenze dokumentieren. Grundsätzlich wird man dem Staatsanwalt bei solchen Aktionen nur das Motiv unterstellen können, das Verfahren voranzutreiben und den Richter frei von Ablehnungsanträgen zu halten. Dem "vernünftigen" Verfahrensbeteiligten muß eine Kenntnis solcher horizontaler Arbeitsteilung normativ unterstellt werden, so daß er eine Besorgnis erst bei Hinzukommen "besonderer" Umstände hegen kann, z. B. wenn der Staatsanwalt abgesehen von der Aussichtslosigkeit des Einspruchs den Angeklagten noch als miesen Querulanten bezeichnet, womit nach außen der Eindruck entsteht, daß der Staatsanwalt auch aus gegenüber dem Angeklagten voreingenommenen Motiven den Einspruch abblocken will.

4. Die Verfahrensbezogenheit des Besorgnisgrundes zugleich eine negative Auslese! Ebenso wie beim Richter/Gerichtspersonen können "allgemeine" 87, "vom Einzelverfahren unabhängige Umstände"68, die also nicht ihre Wurzel im konkreten Verfahren haben, infolge ihrer Allgemeinheit nur eine "generelle Befangenheit"69 begründen, die nicht zur Disqualifikation im konkreten Verfahren führt. So können Umstände, die auf ein zur Natur des Wahrnehmens, Denkens und Urteilens notwendiges Vorverständnis68 hindeuten, nicht darunterfallen. Politische Ansichten 69 , Mitgliedschaft in politischen und gesellschaftlichen Vereinigungen und Verbänden70 , wissenschaftliche Äußerungen und Gutachten71 , Weltanschauungen und Religionszugehörigkeit72 , die Zugehörigkeit zu derselben sozialen Schicht oder anderen "Klasse"73 gehören ebenso dazu wie ein gesellschaftlicher oder dienstrechtlicher Status74 und das Geschlecht des Staatsanwalts7ö . In § 18 II BVerfGG sollen diese Umstände einen Bundesverfassungsrichter nicht disqualifizieren. Auch wenn das 87 Treplitzki JuS 1969,421; Riedel S. 60 ff.; Dagtoglou S. 81. 68

KMR / Paulus 4 vor § 22, § 24, 3.

80 Treplitzki NJW 1962, 2044 m. w. Nachw.; BGH NJW 1962, 749.

70 BVerfGE 2, 295 (297); 11,1 (3); BGHSt. 2, 4,11; OLG Koblenz NJW 1969, 1177. 71 BVerfGE 1, 68; 20, 1 ff., 9 ff. m. Anm. Sarstedt JZ 1966, 315 ff. und Friesenhahn JZ 1966, 707: Fall Leipholz, über dessen Äußerung zur Zulässigkeit der Parteienfinanzierung anläßlich der Würzburger Staatsrechtslehrertagung. 7! Treplitzki JuS 1969, 321; ders. in NJW 1962, 2044; RG JW 1931, 781 Nr. 531; JW 1930,2560; JW 1932, 658. 73 Treplitzki JuS 1969, 321; Riedel S. 73 f.: Fälle Mieter-Vermieter, A-Geber - A-Nehmer. 74 Zur Kollegialität, also beim Staatsanwalt Zugehörigkeit zu derselben Staatsanwaltschaft; beim Richter: OLG Zweibrücken NJW 1968, 1440; L / R / Dünnebier § 24, 27, Riedel S. 75. 75 Treplitzki JuS 1969, 321; z. B. Staatsanwältin bei Vergewaltigung; vgl. auch für den Richter RG JW 1929, 491; OLG Köln NJW 1972, 911.

4. Die Verfahrensbezogenheit des Besorgnisgrundes

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Ausscheiden von allgemeinen Motiven im Verfassungsprozeß besonders notwendig ist, kann dieser Grundsatz ganz allgemein aus dem Grundsatz des demokratischen Beteiligtseins76 für alle staatliche Organe, die in einem Verfahren mit fremden Angelegenheiten betraut sind, mithin auch für den Staatsanwalt, gefolgert werden. Zwar wird ein kommunistischer Angeklagter und Mitglied der DKP von seinem rein subjektiven Standpunkt aus immer einen Staatsanwalt, der Mitglied der CSU ist, als befangen "besorgen". Aber neben dem Demokratieprinzip wird der normativ vernünftige Angeklagte auch im Interesse der Praktikabilität und Funktionsfähigkeit der Staatsanwaltschaft und Rechtspflege einen solchen Staatsanwalt akzeptieren müssen. Die Fälle der persönlichen und sachlichen Ungeeignetheit eines Staatsanwalts, wie z. B. die mangelnde körperliche, fachliche oder charakterliche Qualifikation, die beim Richter infolge seiner Unabhängigkeit nur beschränkt über §§ 5, 19 ff., 25 ff., 31, 24 DRiG und Art. 98 I, V GG dienstrechtlich bewältigt werden kann und deshalb durch "erweiterte" Besorgnisgründe und Ablehnung beseitigt werden soll77, sind beim Staatsanwalt mit Hilfe des Weisungsrechts und der Devolutionsund Substitutionsbefugnis des Vorgesetzten gem. § 143 ff. GVG zu lösen. Schon von Gesetzes wegen scheiden deshalb solche Fälle als Besorgnisgründe aus! Im übrigen gilt der auch für den Richter gültige Grundsatz78 , daß eine Besorgnis der Befangenheit dann gerechtfertigt ist, wenn sich die allgemeine Motivationslage im Prozeß selbst extrem manifestiert, so z. B. wenn eine latente Feindschaft von Staatsanwalt und Verteidiger im Verfahren ausbricht7 9 oder eine extreme über die demokratische Toleranz hinausgehende sittliche oder politische Ansicht sich in einem Verfahren mit entsprechendem Bezug (z. B. wegen §§ 166 ff. StGB) offenbart. Ebenso wird ein Staatsanwalt, dessen Tochter erst vor kurzem vergewaltigt worden ist, regelmäßig in einem Prozeß, in dem der Vorwurf des § 177 StGB erhoben wird, als befangen besorgt werden können.

5. Einzelne Fallgruppen der Besorgnis der Befangenheit im Umfeld des § 22 Nr. 1 - 5 analog Einzelfälle der Besorgnis der Befangenheit können nicht dargestellt werden. Möglich ist nur eine Fortentwicklung und Anwendung der 78 77 78 7S

Kirchhoff S. 378 f. So Arzt S. 10 ff., 102 ff.; Stemmler S. 241 ff. Treplitzki NJW 1962, 2045. SO z. B. OLG Oldenburg HESt. 3, 1 für den Richter.

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5. Kap.: Besorgnisgrunde

bisher vorgestellten Kriterien auf Fallgruppen. Dabei soll im Anschluß an ArztSO davon ausgegangen werden, daß Ausschlußgründe gesteigerte Besorgnisgründe sind. Die festgestellten Ausschlußgründe sind demnach von einer Zone verwandter Besorgnisgründe umgeben. Dies gilt sicher für die Gruppe der personellen Voreingenommenheit entspr. §§ 22 Nr. 1 - 3 (a), aber auch für die Fälle der Vorbefassung entspr. §§ 22 Nr. 4 bzw. § 23 (b) und die besonderen Fälle entspr. § 22 Nr. 5 (c). Zudem sollen noch die Sonderfälle der Besorgnis wegen Rechtsverletzung (d) und die Kontellation von "befangener" Weisung nach §§ 143 ff. GVG und Besorgnisgrund beim angewiesenen Staatsanwalt (e) betrachtet werden. a) Besorgnlsgriinde "personaler" Voreingenommenheit im Umfeld entspr. § 22 Nr.l - 3 stpo

Im wesentlichen kann auf die Literatur und Rechtsprechung zum personal voreingenommenen Richter verwiesen werdens1 , so daß z. B. eine dem § 22 Nr. 1 nahekommende mittelbare Schädigung des Staatsanwalts, der z. B. Gesellschafter einer geschädigten ORGS2 ist, ebenso die Besorgnis rechtfertigen wird, wie die klassischen Fälle von Freundschaft und Feindschaft sowie Liebesverhältnisse usw. zum Beschuldigten und Verletzten. Unterschiede zum Richter in der Disqualifikation wegen der Besorgnis personaler Voreingenommenheit bestehen nicht, weil sich die verschiedene AufgabensteIlung und Funktion zwischen Richter und Staatsanwalt hier nicht auswirkt. Die Aufgaben der Strafverfolgung, Ermittlung nach Verdacht und Anklagevertretung rechtfertigen eine geringere Distanz zur Sache, gestatten aber nicht stärkere Interessenkollisionen im persönlichen Bereich. Die nach dem bisherigen Stand der Diskussion auf den Staatsanwalt angewandte Befangenheitsformel, wonach die Besorgnis bei einer "durch Sachaufgabe nicht gerechtfertigten Voreingenommenheit" vorliegt, ist deshalb in diesem Bereich auch und immer dann gegeben, wenn wie beim Richter Indizien gegeben sind, daß der Staatsanwalt die gebotene Distanz im eigenen oder im Bereich persönlicher Beziehungen zu Dritten außer Acht läßt und in Interessenkollisionen gerät. Auf eine vom Richter abweichende Besonderheit sei allerdings hingewiesen: Arzt 83 entwickelt im Spannungsfalle von Verteidiger und Richter, der die Besorgnis der Voreingenommenheit durch den BeArzt S. 17 und S. 39 ff. Vgl. die Darstellung bei Arzt S. 39 - 61 mit umfangreichem Material aus der Rechtsprechung (Stand 1969); Stemmler S. 124 ff. (Stand 1974); L / R / Dünnebier § 24, 12 ff.; KMR / Paulus 4 ff. vor § 22 und § 24, 8 ff. (Stand 1980). 82 Arzt S. 40 ff. für den Richter. 83 Arzt S. 58 ff. 80

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5. Besorgnisgrunde im Umfeld des §22 Nr. 1 - 5 analog

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schuldigten/Angeklagten rechtfertigen kann, weil sich der Richter dann überhaupt nicht mehr der Angelegenheit des Beschuldigten usw. unbelastet annehmen kann, den Grundsatz der Subsidiarität der .Richterablehnung. Er geht dahin, daß wenn irgend möglich, der die Spannung mitverursachende Wahlverteidiger (eventuell auch der Sachverständige, Zeuge usw.) zuerst abgelehnt bzw. ausgewechselt werden müsse. Es kann offengelassen werden, ob für den Richter diesem Subsidiaritätsprinzip wegen seiner bedeutenden Stellung gefolgt werden kann. J edenfalls kann für ein Spannungsverhältnis zwischen Verteidiger und Staatsanwalt dieses Modell nicht übernommen werden, weil Art. 6 III MRK (Prinzip der freien Verteidigerwahl) und das Prinzip des fairen Verfahrens ein pauschales Entfernen des das Spannungsverhältnis mitverursachenden Verteidigers zugunsten des als befangen besorgten Staatsanwalts nicht gestattet. Vielmehr sollte derjenige aus dem Verfahren entfernt werden, der den größeren Verursachungsbeitrag lieferte, gegebenenfalls also auch der Staatsanwalt! Dafür spricht auch die einfach-gesetzliche Systematik selbst, weil es der Staatsanwaltschaft auf Grund ihres Instrumentariums der §§ 143 ff. GVG im Gegensatz zum gesetzlichen unabhängigen Richter leichter fällt, den Staatsanwalt, der auch "Stein des Anstoßes" ist, auszuwechseln, was allerdings bei langwierigen und komplizierten Wirtschaftsstrafsachen den "Tod" des Verfahrens zur Folge haben kann. b) Besorgnisgriinde 1IDZ1Ilissiger Festlegnng Im Umfeld der §§ 22 Nr.4 und 23 stpo analog

Soweit der Staatsanwalt nicht wegen des schlichten Umstandes der Vorbefassung in derselben Funktion oder als Richter ex lege disqualifiziert ist, kann eine Vorbefassung grundsätzlich nicht als alleiniges Indiz die Besorgnis der Befangenheit begründen, weil ansonsten "abstrakte" Besorgnisgründe geschaffen würden, die die Wertungen der Ausschlußregelungen unterlaufen. Allerdings ist anläßlich der Ausführungen zu den einzelnen Ausschlußgründen deutlich geworden, daß die Konstellation der Vorbefassung in Grenzbereichen so "sensibel" ist, daß nur noch geringe zusätzliche Umstände gegeben sein müssen, um die Besorgnis zu rechtfertigen, der Staatsanwalt werde sich in dieser konkreten Prozeßsituation nicht von seiner vorherig erarbeiteten Tatsachengrundlage bzw. seiner überzeugung von Täterschaft und Schuld des Angeklagten oder seiner Rechtsmeinung lösen können. Besorgnisfälle in Anlehnung an § 22 Nr. 4 und § 23 sind deshalb Fälle einer im Einzelfall über die Rolle der Staatsanwaltschaft hinausgehenden unzulässigen Festlegung. Einige solcher durch die Vorbefassung "sensibilisierter" Prozeßsituationen sollen im folgenden konkretisiert werden.

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5. Kap.: Besorgnisgründe

aa) BesorgnisgTÜnde nach dem Rechtsgedanken des § 23III a. F. i. V. m. § 178 I, II a. F. StPO Der durch Ermittlungen vorbefaßte Staatsanwalt soll regelmäßig nicht ex lege ausgeschlossen sein. Anläßlich dieses Ergebnisses84 wurde aber festgestellt, daß nach dem Rechtsgedanken des § 23 III a. F. i. V. m. § 178 I, II a. F. in tatsächlich und rechtlich komplizierten Fällen, mit denen früher der Untersuchungsrichter befaßt und deswegen für das Erkenntnisverfahren ausgeschlossen wurde und mit denen seit dem 1. StVRG der Staatsanwalt im wesentlichen allein befaßt ist, "großzügig" mit der Besorgnis eines Verfahrensbeteiligten gegenüber einem in dieser Intensität vorbefaßten Staatsanwalt verfahren werden soll. Denn in solch umfangreichen, komplizierten und vom Gegenstand der Anklage her für den Angeklagten schwerwiegenden Ermittlungen steht der Staatsanwalt in den Augen eines vernünftigen Verfahrensbeteiligten wegen seines erheblichen Informationsvorsprungs und der Intensität seiner Befassung so in der Gefahr einer Festlegung im Erkenntnisverfahren, daß nur noch geringfügige Äußerungen und Fragen für die Besorgnis einer festgelegten Voreingenommenheit hinzukommen müssen 85 •

bb) BesorgnisgTÜnde nach dem Rechtsgedanken des § 210III StPO Besonders bei tatsächlich umfangreichen und rechtlich schwierigen Vorwürfen der Staatsanwaltschaft in der Anklage kann es vorkommen, daß das Eröffnungsgericht die Staatsanwaltschaft gem. § 207 II Nr. 1 - 2 ver anlaßt, eine neue abgeänderte Anklage einzureichen oder daß es unter anderer rechtlicher Würdigung gem. § 20711 Nr. 3 das Hauptverfahren entgegen der ursprünglichen Anklage der Staatsanwaltschaft eröffnet (z. B. anstatt § 211 StGB nur § 226 StGB). Im Erkenntnisverfahren kann damit ein Staatsanwalt mitwirken, der nicht seine ursprüngliche Mordanklage, sondern entsprechend dem Eröffnungsbeschluß nur den Vorwurf des § 226 StGB erheben darf. § 210 111 zeigt, daß das Gesetz die Mitwirkung von Organen, die sich entgegen der Ansicht des Eröffnungsbeschlusses intensiv festgelegt hatten, im Hauptverfahren möglichst vermeiden will. Es schätzt die Gefahr einer festgelegten Voreingenommenheit durch Vorbefassung hoch ein. Soweit nämlich das Eröffnungsgericht die Eröffnung abgelehnt hatte und erst auf Beschwerde das Beschwerdegericht die Eröffnung beschließt, 4. Kapitel 2. b) aal zur 1. Konstellation der Vorbefassung. Vgl. Arzt S. 72, der eine "großzügige Handhabung der Ablehnung" des Berichterstatters des eröffnenden Gerichts im Erkenntnisverfahren wegen dessen Informationsvorsprung und Befassungsintensität befürwortet. 84

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5. Besorgnisgründe im Umfeld des § 22 Nr.1- 5 analog

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"kann" ähnlich wie bei § 354 11 bestimmt werden, daß das Hauptverfahren vor einer anderen Kammer oder einem benachbarten Gericht gleicher Ordnung stattzufinden hat, wenn z. B. wegen einer entsprechenden Meinungsäußerung des Richters Anlaß zur Besorgnis besteht, er werde, dann als Mitglied des erkennenden Gerichts, die Entscheidung des Beschwerdegerichts innerlich nicht voll akzeptieren86 • Der hinter § 210 III wie bei § 354 II stehende Gedanke, daß derjenige, der sich öffentlich und in endgültiger Weise auf eine bestimmte Ansicht festgelegt hat, grundsätzlich die Gefahr einer Voreingenommenheit durch Festlegung bietet, vom weiteren Verfahren ferngehalten werden muß, kann auf die Konstellation, daß der Staatsanwalt entgegen seiner ursprünglichen Anklage den Vorwurf des eröffnenden Gerichts erheben muß, entsprechend angewandt werden, weil die Gefahr besteht, der Staatsanwalt werde innerlich die Ansicht des eröffnenden Gerichts nicht voll akzeptieren. Ebenso wie beim Richter ist damit eine so "sensible" Situation geschaffen, daß nur noch geringe Anzeichen, wie z. B. eine entsprechende Äußerung die Besorgnis einer offenbar nicht mehr korrigierbaren Festlegung des Staatsanwalts im Erkenntnisverfahren rechtfertigen wird. cc) BesorgnisgTÜnde bei ZUTÜckweisung gern. § 354 II StPO

Soweit eine Personenidentität wegen der Sequenzzuständigkeit der Staatsanwaltschaft gem. § 143 GVG überhaupt möglich ist, soll der nach Zurückverweisung am Verfahren mitwirkende Staatsanwalt bekanntlich87 nicht analog § 23 I ausgeschlossen sein, wenn er in der Revisionsinstanz, die das Urteil aufgehoben hat (1. Fall) oder in der Vorinstanz, dessen Urteil mit der Revision angefochten wurde (2. Fall), mit der Sache befaßt war. Ebenso wie beim Richter stellt sich die Frage, welche Voraussetzungen vorliegen müssen, um wenigstens den "Auffangtatbestand" der Disqualifikation der Besorgnis der Befangenheit im Einzelfall bejahen zu können. Die 1. Fallgruppe ist schnell abgetan. Den Staatsanwalt, der bei der Aufhebung und Zurückverweisung des Urteils mitgewirkt hat und im seltenen Fall nach Zurückverweisung mit der Sache wieder befaßt wird, muß schon aus dem rechtsstaatlichen Grundsatz, daß der Kontrollierende die Sache nicht selbst neu aufrollen darf, regelmäßig der Vorwurf der Besorgnis der Befangenheit treffen. Damit wird im Falle dieser Konstellation einem "abstrakten" Besorgnisgrund der Vorbefas86 Vgl. Kleinknecht § 210, 10 unter Hinweis auf OLG Hamburg JR 1979, 384; ebenso L / R / Meyer-Goßner § 210,17. 87 Vgl. 4. Kapitel 2. b) ce).

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5. Kap.:. Besorgnisgründe

sung das Wort geredet, der sich im Ergebnis von einem Ausschlußgrund nicht im Anlaß, sondern nur dadurch unterscheidet, daß der Staatsanwalt nicht kraft Gesetzes, sondern auf Initiative des Verfahrensbeteiligten ex nune disqualifiziert wird. In der 2. Fallgruppe steht die Disqualifikation des Staatsanwalts zur Diskussion, der am in der Revisionsinstanz aufgehobenen Urteil mitgewirkt hat. Für den beim Richter vergleichbaren Fall hat die Rspr. des BGH88 einen "abstrakten" Besorgnisgrund der Vorbefassung abgelehnt: "Ein verständiger Angeklagter wird davon ausgehen, daß der beanstandete Verfahrensfehler nicht wiederholt wird und daß die Richter ihre Bindung an die Rechtsauffassung des Revisionsgerichts beachten, auch wenn sie für ihre Person anderer Ansicht sein sollten." Der BGH begründet seine ablehnende Haltung neben der Bindungswirkung des § 358 I wieder mit der Unparteilichkeitsvermutung beim Richter. Anderes soll gelten, wenn zusätzliche Umstände hinzukommen, so z. B. wenn in den Urteilsgründen "abträgliche Werturteile" über die Person des Angeklagten oder dessen Verhalten nach oder vor der Tat enthalten sind, da diese möglicherweise sich nachteilig auf die Strafzumessung auswirken können und deshalb der Befürchtung des Angeklagten, der Richter werde sich im neuen Verfahren von diesen Werturteilen nicht lösen können, auf jeden Fall Rechnung getragen werden muß. Dagegen sieht die Lit.89 in § 354 II eine lückenhafte Regelung. Sie lehnt bekanntlich die richterliche Unparteilichkeitsvermutung der Rspr. ab und kommt konsequent zum Ergebnis, daß sich der Richter nicht von allen Festlegungen der Vorinstanz freimachen könne, wenn er sein eigenes Urteil neu verhandeln müsse. Die durch § 354 II offengelassene Konstellation, daß ein Richter durch Versetzung, Abordnung usw. doch an das andere Gericht gleicher Ordnung komme, müsse gemäß dem durch das Prinzip des fairen Verfahrens gebotenen lückenlosen Schutz des Angeklagten vor einem von ihm als befangen besorgten Richter durch einen "abstrakten" Besorgnisgrund, der lediglich den Anlaß der Vorbefassung beinhalte, geschlossen werden. Soweit der Staatsanwalt an der Neuverhandlung mitwirkt, besteht bei ihm ebenso wie beim Richter die Besorgnis, daß er sich von dem von ihm mitverantworteten Urteil nicht werde lösen können. Die psychologische Situation des Staatsanwalts und die Gefahr der Festlegung ist in den Augen des Angeklagten jedenfalls dann, wenn der Staatsanwalt zu dessen ungunsten Revision gegen das Urteil eingelegt hatte, BGHSt. 24, 336 (337); vgl. auch BGHSt. 20, 252, 253; 21, 142. Dahs NJW 1966, 1694 ff.; Hanack JZ 1967, 580 (abl. Anm. zu BGHSt. 21, 142); ders. in JZ 1971, 91; Arzt JZ 1973, 33 (abI. Anm. zu BGHSt. 24, 336); Roxin, StrafverfahrensR S. 41; Arzt S. 80 ff. mit Bespr. Dahs sen. JZ1970, 230. 88

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5. Besorgnisgründe im Umfeld des §22 Nr. 1 - 5 analog

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keine andere, als wenn der Staatsanwalt in der Rechtsmittelinstanz oder im WAV vorbefaßt ist. Dort wird der Staatsanwalt aber dann, wenn er zuungunsten des Angeklagten Rechtsmittel eingelegt oder einen Wiederaufnahmeantrag gestellt hat, sogar ex lege ausgeschlossen90 • Ebenso wie die Lit. beim vorbefaßten Richter einen "abstrakten" Besorgnisgrund der Vorbefassung fordert muß deshalb auch der Staatsanwalt, der in der Tatsacheninstanz des angefochtenen Urteils mitgewirkt und zuungunsten des Angeklagten Revision eingelegt hat, in der erneuten Tatsacheninstanz ohne zusätzliche Gründe aus dem Anlaß der Vorbefassung schlechthin "abstrakt" disqualifiziert werden können. Das von Meyer91 i. S. der Rspr. explizit vorgebrachte Argument, die regelmäßige Anwendung des § 24 beim Richter laufe auf eine unzulässige Anwendung des § 23 hinaus, ist zu formalistisch 92 und trifft beim Staatsanwalt schon deshalb nicht zu, weil ein "abstrakter" Ablehnungsgrund erst beim Hinzutreten des Umstandes, daß der Staatsanwalt zuungunsten des Angeklagten Revision eingelegt hat, befürwortet wird. Zudem verkennen die Rspr. und Meyer die ratio des § 354 II, wonach es für den Angeklagten doch um die "Chance einer wirklich neuen Verhandlung"93 geht. Zusammen mit dem Prinzip des fairen Verfahrens führt dies zu der Forderung, daß der Angeklagte nicht nur einem neuen und das heißt anderen Richter, sondern auch einem neuen anderen Staatsanwalt gegenüberstehen soll. Daß ein solcher "abstrakter" Besorgnisgrund keinen Vorwurf an den betreffenden Staatsanwalt enthält, dürfte inzwischen selbstverständlich sein94 • c) Besorgnisgrinde im thematischen Bereich des § 22 Nr. 5 stpo analog

aa) Vorwissen des Staatsanwalts Ebenso wie dies beim Richter angenommen wird 95 , kann auch beim als befangen besorgten Staatsanwalt der Ausschlußgrund der Zeugenvernehmung von Besorgnisgründen umlagert werden, wenn man den formalen Ansatzpunkt der Zeugenvernehmung in den Hintergrund treten läßt und sich klarmacht, daß § 22 Nr. 5 am Vorwissen des Staatsanwalts ansetzt, das seine Fähigkeit zur unbefangenen Erfüllung seiner Vgl. oben 4. Kapitel 2. b) bb) und dd). In L / R § 354, 58. H Für einen abstrakten Besorgnisgrund beim Richter: Dahs NJW 1966, 1695. es Arzt S. 80. N Arzt S. 80 für den Fall des vorbefaßten Richters gem. § 354 11. 8G Arzt S. 86.

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5. Kap.: Besorgnisgriinde

staatsanwaltschaftlichen Aufgaben, soweit sie im Zusammenhang mit dem Beweisthema stehen, in Frage stellt. Dieses materielle Gefahrenmoment des Vorwissens kann aber auch bestehen, wenn der Staatsanwalt (noch) nicht formal vernommen worden ist. Dabei handelt es sich einmal um Fälle, in denen der Staatsanwalt auf rein privater Basis Vorkenntnisse erworben hat, die aber nicht so intensiv sind, daß er als Zeuge in Betracht kommen würde. So könnte der Staatsanwalt mit der Ermittlung und Verhandlung über einen Verkehrsunfall befaßt sein und private Kenntnisse haben, weil er zufällig als Verkehrsteilnehmer ihn miterlebt hat. Für die Beurteilung der Besorgnis der Befangenheit gelten dann die Regeln über die allgemeinen Motivationen, weil dieses Vorwissen sonstigen allgemeinen Wahrnehmungen, die zu einem gewissen Vorverständnis führen, gleichzustellen ist98 • Erst wenn das Erlebnis beim Staatsanwalt einen so nachhaltigen Eindruck erzeugt, daß er sich in dem konkTeten Verfahren in der Wahrnehmung seiner Amtshandlungen gehemmt oder zu besonderer Schärfe aufgefordert sieht und dies vor allem dem Beschuldigten/ Angeklagten gegenüber nach außen manifestiert, wird an ein Besorgnisgrund zu denken sein. Soweit amtliches VOTwissen zur Diskussion steht, muß ebenfalls auf seinen Inhalt rekurriert werden. Eine formelle Zeugenvernehmung findet in solchen Fällen nur deshalb nicht statt, weil das Vorwissen nichts mit der Schuld- oder Straffrage zu tun hat und auch sonst unerheblich ist. In diesen Fällen geringer Bedeutung wird auch ein vernünftiger Verfahrensbeteiligter die Tatsache des Vorwissens ohne zusätzliche Anhaltspunkte nicht als Grund zur Besorgnis geltend machen wollen. Erheblich wichtiger sind die Fälle, in denen der Staatsanwalt ein potentielleT Zeuge ist, weil er Vorwissen bezüglich der Straf- und Schuldfrage zu haben scheint, schon benannt oder geladen, aber noch nicht formell vernommen worden ist. In diesem "Zwischenstadium" übernehmen die Besorgnisgründe eine von den Ausschlußgründen noch nicht zu leistende Sicherungsfunktion des Unbefangenheitsgebots. Zwar ist, wie das BVerfG'7 früher beim Verteidigerausschluß richtig bemerkt hat, noch nicht sicher, ob der Staatsanwalt überhaupt über die Schuldund Straffrage erhebliches Vorwissen hat und welche Bedeutung diesem Vorwissen zugemessen werden muß. Soweit aber das potentielle Beweisthema VOT der formellen Vernehmung des Staatsanwalts behandelt wird, und der Staatsanwalt Anträge und Beweiswürdigungen Vgl. oben 4. 97 BVerfGE 16, 214 (218). Vgl. oben 4. Kapitel 3. b).

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6. Rechtsverletzungen des StaatsanWalts als Befangenheitsindiz?

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anderer Zeugen vornimmt, entsteht eine solche sensible Situation98 , daß nur noch geringe Indizien für die Besorgnis der Befangenheit notwendig sein werden. Diese Besorgnis kann abgewendet werden, indem das Gericht vorsorglich einen Verfahrens abschnitt verhandelt, der sich vom Beweisthema trerinen läßt;· bis der Staatsartwaltvernommen wird oder sich bemüht, den Staatsanwalt möglichst im frühesten Stadium des Strafverfahrens über sein Vorwissen zu vernehmen. bb) Nach formaler Vernehmung Soweit ein zweiter Staatsanwalt die Aufgaben der Staatsanwaltschaft in der Hauptverhandlung. bezüglich des Beweisthemas, über das der erste Staatsanwalt vernommen worden ist, zulässigerweise bei Trennbarkeit von Aussage und Verfahrens gegenstand übernimmt, kann dieser neu eintretende zweite Staatsanwalt wegen Besorgnis der Befangenheit disqualifiziert werden, wenn nach außen erkennbar eine persönliche und sachliche Abhängigkeit vom vernommenen Staatsanwalt in der Wahrnehmung der staatsanwaltschaftlichen Aufgaben besteht. Damit kann in rechtsstaatlicher Weise differenziert nach dem Einzelfall dem zu pauschalen Bedenken Hanacks 99 Rechnung getragen werden, daß der zusätzlich hereingenommene Staatsanwalt kaum die Aussagen des neben ihm sitzenden Kollegen noch objektiv und unparteiisch würdigen könne. Ähnliches gilt im Falle der Übernahme der formalen und richtigerweise auch inhaltlichen100 Verantwortung der Aufgaben der Staatsanwaltschaft durch einen Vorgesetzten des als Zeugen vernommenen Staatsanwalts. Auch der Vorgesetzte kann erst wegen Besorgnis der Befangenheit disqualifiziert werden, wenn er ersichtlich von der Sachkundigkeit des vernommenen Staatsanwalts, der als inaktiver "Berater" auf der Staatsanwaltschaftsbank noch mitwirken darf, abhängig ist, z. B. wenn der objektive Eindruck entsteht, er sei nur "Sprachrohr" seines Beraters.

6. Rechtsverletzungen des Staatsanwalts als Befangenheitsindiz? Ein rechtlich fehlerhaftes Verhalten des Staatsanwalts kann unter zwei Aspekten die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen. Einmal stellt sich die Frage, inwieweit eine Verfahrensverletzung(dazu a) und inwieweit fehlerhafte Rechtsanwendung, z. B. in Form fehlerhafter 18 KMR / Paulus § 22, 20, der tür den Richter Schlicht behauptet, in solch einem ZWischenstadium "kommen jedoch·die §§ 24, 30 in Betracht". B. JR 1967, 230; JZ 1971,91; 1972, 81, vgl. oben 4. Kapitel 3. b). 100 4. Kapitel 3. b).

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5. Kap.: Besorgnisgründe

Zwischenentscheidungen im Ermittlungsverfahren (Haftanträge, -entlassung, fehlerhafte Einstellung oder Anklage) (dazu b) Indizien für eine Besorgnis der Befangenheit liefern können. a) WillktirUche Verfahrensfehler als 1n4lz

Ebenso wie beim Richter sollen auch beim Staatsanwalt nur schwerwiegende Verfahrensverletzungen Indiz für seine innere Voreingenom-

menheit gegenüber der Sache oder der Person sein können. Genannt werden101 der schlichte Verstoß gegen § 136 a, schwerwiegende Verstöße gegen § 160 11, wie z. B. der objektiv nachweisbare Fall der bewußten Selektion des Beweismaterials, indem der Staatsanwalt nur Sachverständige einer ihm genehmen wissenschaftlichen Lehrmeinung zur Stützung der Anklage benennt und Sachverständige anderer Richtungen, die vielleicht nur schwierig im Ausland zu haben sind, dem Verteidiger "aufbürdet" 102. Auch überzogene, durch die Ermittlungsaufgaben sachlich nicht gerechtfertigte Bloßstellungen des Beschuldigten in der Presse können die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen.

Zu vermissen ist allerdings ein allgemeiner Grundsatz, wann ein solcher schwerwiegender Verfahrensverstoß vorliegt, aus dem der individuell-verständige Verfahrensbeteiligte zwangsläufig eine innere unsachliche Einstellung folgern kann. Die verwandte Stellung des Staatsanwalts mit dem Richter rechtfertigt es, auf die beim Richter geltenden Kriterien Bezug zu nehmen, die so allgemein gehalten sind, daß sie als Richtlinien auch auf die Fälle der Verfahrensverletzung des Staatsanwalts übertragen werden können. Ganz herrschende Ansicht103 ist, daß Verfahrensverstöße, soweit sie jedem Richter unterlaufen können, noch nicht den Schluß auf eine voreingenommene Einstellung zulassen. Welche Kriterien für einen Schluß auf eine voreingenommene Einstellung aus der Sicht des vernünftig-individuellen Verfahrensbeteiligten erfüllt sein müssen, hat das BayObLG104 treffend ausgeführt: "Entbehrt jedoch das prozessuale Vorgehen des abgelehnten Richters einer ausreichenden gesetzlichen Grundlage etwa in der Weise, daß die der richterlichen Tätigkeit gesetzten Schranken mißachtet und in der Verfassung wurzelnde elementare Regeln zum Schutz der Grundrechte, insbesondere des Persönlichkeits rechts, verletzt worden sind, so daß das Vorgehen des Richters den Anschein der Willkür erweckt, ... Kuhlmann S. 16; Bruns JR 1980, 399; Frisch S. 406. Bruns, Geb.gabe S. 50. lOS BGH VRS 41, 205; Giessler NJW 1973, 982; Krekeler NJW 1981, 1637; L / R / Dünnebier § 24, 35; Treplitzki JuS 1969, 323. 104 DRiZ 1977, 245. 101

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6. Rechtsverletzungen des Staatsanwalts als Befangenheitsindiz?

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kann von einem üblichen hinzunehmenden Verfahrensfehler nicht mehr gesprochen werden." Aus einem Verfahrensfehler kann danach ein Indiz für die Besorgnis der Befangenheit gefolgert werden, wenn er den Anschein der Willkür erweckt. Nach der Rspr. des BVerfG105 ist Willkür allerdings rein objektiv zu verstehen. Die Definition ist aber so weit gefaßt, daß nach dem Maßstab eines individuell-vernünftigen Verfahrensbeteiligten aus der objektiven Willkür der Schluß auf eine subjektive Willkür und damit auf eine voreingenommene innere Einstellung des Staatsanwalts gezogen werden kann. Deutlich wird dies, wenn man die Abgrenzung des BVerfG106 vom bloßen "error in procedendo" zum willkürlichen Verfahrensfehler betrachtet. Objektive Willkürlichkeit liegt danach dann vor, wenn der Fehler bei "verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich erscheint und offensichtlich (I) unhaltbar ist". Hier geht es nicht darum, objektive mit subjektiver Willkür gleichzusetzen. Will man aber mit dem Gebot des fairen Verfahrens Ernst machen, kann kein Zweifel bestehen, daß bei einer von dem Kriterium der "offensichtlichen" Unhaltbarkeit ausgehenden Definition eines objektiv willkürlichen Verfahrensfehlers dem vernünftig-individuellen Verfahrensbeteiligten sich die subjektive Willkürlichkeit und damit innere Voreingenommenheit geradezu aufdrängen muß. Wann im Einzelfall eine auf Befangenheit zu schließende objektive Willkürlichkeit angenommen werden kann, beurteilt sich, wie das BayObLG zu Recht angedeutet hat, nach dem Inhalt und der Schutzrichtung der konkreten Verfahrensvorschrift, gegen die verstoßen wird. Erforderlich ist, daß die Verfahrensvorschrift, aus deren Verstoß die Befangenheit besorgt wird, den "besorgenden" Verfahrensbeteiligten schützt und daß der Verstoß eine gewisse Intensität hat. Dabei besteht zwischen der Qualität der Schutzrichtung und der Intensität des Verstoßes ein innerer Zusammenhang. Bestes Beispiel ist § 136 a. Diese Vorschrift schützt den Vernommenen und ein Verstoß hiergegen wiegt per se schon so schwer, weil das Verbot selbst, gegen das verstoßen wird, so hoher Ausdruck des Persänlichkeitsrechts und damit der Beachtung der Subjektstellung des Verfahrensbeteiligten, insbesondere des Beschuldigten/Angeklagten ist, daß jeder Verstoß willkürlich ist und es keines weiteren Indizes der Voreingenommenheit bedarf. 1}rzt107 teilt demnach die Verfahrensfehler des Richters in solche auf, die ohne weiteres zur Ablehnung berechtigen und solche, die nur Indiz für eine 105 108 107



Vgl. die Nachweise bei Riedel S. 19. BVerfGE 29,45 (49) unter Hinweis auf BVerfGE 6, 45 (53); 19, 38 (43). S.96.

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5. Kap:: Besorgnisgriinde

Voreingenommenheit sind und nennt für die erstere Gruppe vor allem die Verletzung des § 136 a. Dabei muß es aber bleiben, da alle anderen Verfahrensvorschriften, die die SubjektsteIlung des Verfahrensbeteiligten schützen, keine solche Qualität haben, daß ein Verstoß ohne weiteres einen offensichtlichen Schluß auf eine Willkürlichkeit zuläßt. Zusätzlich zu solchen Verfahrensfehlern muß deshalb noch eine gewisse Intensität der Verletzung hinzukommen. Als Maßstab dafür bietet sich die Formel der "an § 136 a nahekommenden Verletzung der SubjektsteIlung" an, weil nur dann, vor allem beim Beschuldigten/ Angeklagten, der Eindruck erweckt wird, er werde bewußt zum Objekt des Verfahrens gemacht und dem Staatsanwalt komme es auf seine überführung um jeden Preis an. Hiernach kann eine Besorgnis z. B. bejaht werden bei an die Verstöße des § 136 a heranreichende Versuche des Staatsanwalts, den Beschuldigten oder Angeklagten einzuschüchternl08 • Auf derselben Ebene sind das scharfe Drängen auf eine Aussage des aussageverweigerungsberechtigten Angeklagten l09 , eiri ähnliches Drängen des zeugnisverweigerungsberechtigten Zeugen l1O , der eine den Beschuldigten belastende Aussage machen könnte und die Vernichtung eines Briefes des Untersuchungshäftlingsill einzuordnen. Ein Verstoß gegen das Gebot fairer Verfahrensführung, an das der Staatsanwalt nach der Rspr. des BVerfG112 ebenso wie alle Organe der Rechtspflege gebunden ist, ist ebenfalls ein Verfahrerisfehler. Ein der Verletzung des § 136 a nahekommender Verstoß liegt z. B. darin vor, wenn der Staatsanwalt über die nach dem Stand des Ermi:ttlungsverfahrens zulässige Äußerung von Verdachtsmomenten hinaus durch Pressemitteilungen die Verdachtsmomente Überzieht, so daß für den Beschuldigten ein durch keine Ermittlungszwänge gerechtfertigter schwerer Schaden in der Gesellschaft entsteht Oder der Staatsanwalt macht gegenüber der Presse unwahre oder schlicht Äußerungen, nach denen der Eindruck entsteht, der Beschuldigte wäre schon überführt1l3 • Soweit der Staatsanwalt zwar juristisch korrekte Auskünfte an die Presse weitergibt (z. B.114, der Beschuldigte sei des Betrugs, der UnterBeim Richter: Krekeler NJW 1981, 1637. Beim Richter bejahend BGH NJW 1959, 55 m. Anm. Eb. Schmidt; Krekeler NJW. 1981, 1637; Arzt S. 97, der diesen Vorstoß allerdings dem gegen § 136 a völlig gleichstellen will. 110 BGHSt. 1,34; Krekeler für Richter. 111 BGH LM Nr. 5 zu § 81 StPO (Vernichtung eines Briefes des nach § 81 Untergebrachten durch den Sachverständigen). 112 NJW 1975, 103; vgl. oben 3. Kapitel 2. b). 113 Vgl.Bruns, Geh.gabe S. 47, 114 Vgl. den Amtshaftungsfall BGHZ 27, 338 (342). 108

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6. Rechtsverletzungen des Staatsanwalts als Befangenheitsindiz?

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schlagung und der. Atisbeutung verdächtigt), aber nicht beachtet, daß die . laienhafte Öffentlichkeit in der Angabe dieser Delikte von umfangreichen schwerwiegenden strafbaren Handlungen ausgeht, obwohl es sich in concreto um Delikte geringen Tat- und Schuidgehalts handelte, hat er nicht "pressegemäß" Auskunft gegeben. Ebenso wie in den Fällen der Anspruchnahme VoIi Publikationsorganen bei Fahndung gem. § 131 wird eine VerfahrensverIetzung in diesen Fällen dann die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigen, wenn der Staatsanwalt das gebotene Verhältnismäßigkeitsprinzip ll5 grob verletzt hatte, weil er bei der Wahrnehmung der öffentlichen Interessen an einer wirksamen Strafverfolgung die Unschuldsvermutung und den Ruf des Beschuldigten zu wenig beachtet hatte. Eine Besorgnis allein aus einer Verfahrr;msverzögerung herzuleiten, dürfte kaum möglich sein, auch wenn die Pflicht zur Verfahrensbeschleunigung mit aus dem Gebot der Fairneß und des Persönlichkeitsrechts des Beschuldigten usw. begründet ist. Zu denken ist besonders an eine Verzögerung der Akteneinsicht gem. § 147, die zudem noch Voraussetzung zur Wahrnehmung des rechtlichen Gehörs ist. Aber selbst beim Richter wird ein Ablehnungsgesuch, das sich auf eine ungebührliche Verzögerung stützt, inder Regel für unbegründet erklärt116 • Sachzwänge im Ermittlungsverfahren (vgl.diezulässige Verweigerung der Akteneinsicht gem. § 147 II) und ein dem Staatsanwalt in gewissen Grenzen zustehender taktischer SpielrEmm zur Führung der Ermittlungen117 entkräften in der Regel die Besorgnis eines· bewußten, zum Nachteil des Beschuldigten .usw., ausgerichteten Verzögerns. Besonders sorgfältig sollte allerdings einem Mißtraueil des Untersuchungshäftlings nachgegangen werden, da bei ihm jede unzulässige Verzögerung eine Beeinträchtigung seines Grundrechts aus Art. 2 II GG darstellt! m Zur gebotenen Verhältnismäßigkeit bei Presseinitteilungen: Gemeinsamer Erlaß des IM und JM Ba-Wü über die Unterrichtung der Öffentlichkeit in Strafverfolgungssachen v. 21.11. 1972 (in: Die Justiz 1973, 2). Bei Fahndung: AV der Landesjustizverwaltungen und des BJM im Einvernehmen mit den LaJM und LaIM über die Inanspruchnahme von Publikationsorganen zur Fahndung nach Personen bei der Strafverfolgung,. vgl. z. B. AV des IM in NRW JMBI NRW 1974, 161 und dort Ziff. II 2, wonach erst bei "schwerwiegenden" Straftaten und bei Vorliegen der Voraussetzungen eines Haftbefehls oder UnterbringUilgSbefehls· ein Verdächtiger "namentlich" gesucht werden darf. 111 Arzt S. 98. m Vgl. den Amtshaftungsfall BGHZ 20, 178: Der Staatsanwalt hatte nach Abschluß des Ermittlungsverfahrens weder Anklage erhoben noch das Verfahren unter Mitteilung an den Beschuldigten eingestellt. Grund war, daß er u. ;a. den Ausgang eines Ehrengerichtsverfahrens in gleicher Sache gegen den Beschuldigten abwarten wollte. Darin jedenfalls hatte der BGH keine schuldhafte Pflichtverletzung, ein Verfahren schnell durchzuführen, gesehen.

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5. Kap.: Besorgnisgrunde b) Verletzunc der §§ 160 B, 183 aB StPO

Auch die Verletzung des § 160 II fällt unter die Rubrik der Verfahrensverletzung, die dann vorliegt, wenn es der Staatsanwalt unterläßt, die zur Entlastung dienenden Umstände zu ermitteln oder aufzuklären. Nach dem bisher Gesagten kann aus dieser Verletzung ebenfalls nicht ohne weiteres die Besorgnis der inneren Voreingenommenheit des Staatsanwalts gefolgert werden, denn unausgewogene Ermittlungen können durch unbewußtes übersehen von Entlastungsmomenten, durch die Faktizität des Verhältnisses von Polizei und Staatsanwaltschaft oder von standardisierten Entscheidungsmechanismen herrühren118• Offensichtlich kann deshalb nur ein objektiv willkürliches Vernachlässigen entlastender Umstände die Besorgnis der Befangenheit begründen, so z. B. die Unterschlagung ,,"on offensichtlichen auf der Hand liegenden entlastenden Tatspuren oder klare einseitige Ermittlungen, wie das schon erwähnte Auswählen eines dem Staatsanwalt genehmen Sachverständigen unter "Aufbürdung" der Auffindung des Gegensachverständigen an den Verteidiger. Auch das bewußte Bezichtigen eines Zeugen der Falschaussage, um zu erreichen, daß diese entlastende Aussage keinen Eingang in das Urteil findet, gehört dazu. Allerdings wird sich während des Ermittlungsverfahrens der Staatsanwalt gegenüber dem Vorwurf der Unterlassung von entlastenden Ermittlungen oft mit dem Einwand exculpieren können, die entlastenden Umstände würden im Zuge des Ermittlungsverfahrens noch beigebracht werden. Dieselben Grundsätze gelten für die Verletzung des § 163 a II, weil dieser lediglich § 16011 konkretisiert. § 163 all enthält keine Verpflichtung des Staatsanwalts zur Bescheidung des Beweiserhebungsantrags des Beschuldigten und keine Verpflichtung, solche beantragten entlastenden Beweise zu erheben119 • Allein aus der Inaktivität des Staatsanwalts auf den Beweisantrag kann der Beschuldigte deshalb keine Besorgnis der Befangenheit herleiten. Die zweifellos unbefriedigende Rechtslage in § 163 all kann nicht durch die Disqualifikation des Staatsanwalts bei der Nichtbefolgung einer Pflicht, die § 163 all gar nicht normiert, gelöst werden. c) Willkürlida fehlerhafte Redatsanwendunc als indiz

Rechtsanwendung bedeutet das wertende Treffen von Entscheidungen auf der Basis eines ermittelten Sachverhalts. Beim Staatsanwalt findet Rechtsanwendung, die Anlaß zur Besorgnis der Befangenheit 118 Vgl. Jescheck ZStW 84, 350: Nicht auf jeden Verstoß gegen § 16011 könne ein "Ablehnungs antrag" gestellt werden. UD Dazu krit. Fezer, Gedschr. f. H. Schröder S. 407 ff. (415 ff.).

6. Rechtsverletzungen des Staatsanwalts als Befangenheitsindiz?

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sein könnte, vor allem bei den Entscheidungen über das "öffentliche Interesse" an der Strafverfolgung, über die Erhebung der öffentlichen Klage, der vorläufigen Einstellung nach Opportunitätsgrundsätzen gern. §§ 153 ff. und bei Entscheidungen über strafprozessuale Zwangsmaßnahmen in der Regel bei Gefahr im Verzug statt. Ebenso wie bei den Verfahrensfehlern wird nicht schon eine fehlerhafte, sondern erst eine willkürlich fehlerhafte Rechtsanwendung Anlaß zur Besorgnis der Befangenheit geben. Allerdings verläuft schon die Feststellung einer schlicht fehlerhaften Rechtsanwendung anders als bei den Verfahrensfehlern, wodurch dann nur ganz selten die zusätzlich noch willkürliche fehlerhafte Rechtsanwendung glaubhaft gemacht werden kann. Infolge der unbestimmten Rechtsbegriffe im Bereich des Legalitätsprinzips (vgl. nur "Anlaß zur Erhebung der öffentlichen Klage" i. S. v. § 170 I bei "hinreichendem Tatverdacht" gern. § 203 oder die Bejahung des "öffentlichen Interesses" gern. § 232 StGB) und des aus der Natur der Sache notwendigen Ermittlungsspielraums bei der Durchführung der Ermittlungen überhaupt, liegt ein schlichter Rechtsanwendungsjehler erst dann vor, wenn der überall eingeräumte staatsanwaltschaftliche nicht überprüfbare Beurteilungsspielraum überschritten ist1 20. Wo es auf die richtige Abwägung der ungünstigen und entlastenden Umstände, auf die Wirkung der erhobenen und der zu erwartenden Beweise oder auf den Gesamteindruck und auf Akzente im Zusammenhang mit Ermittlungsentscheidungen ankommt, kann nicht von einer absolut richtigen oder falschen Entscheidung des Staatsanwalts gesprochen werden1!1, so daß in der Regel schon eine FehlerfeststeIlung entfällt. Wann nun eine willkürliche fehlerhafte Rechtsanwendung vorliegt, konnte früher mit der Rspr. des BGH122 zu den Amtspflichtverletzungen beantwortet werden, weil dieser in Ermessens- und Beurteilungsentscheidungen123 eine Pflichtverletzung dann vorsah, "wenn das Verhalten des Beamten in so hohem Maße fehlsam war, daß es mit den an einer ordnungsgemäßen Verwaltung bestehenden Anforderungen schlechterdings nicht mehr vereinbar werden könne". Bruns124 hatte deshalb auch vorgeschlagen, vom Vorliegen einer Amtspflichtverletzung auf eine Besorgnis der Befangenheit zu schließen. Diesem Vorschlag kann heute angesichts der neueren Rspr. des BGH nur noch 110 Zum Beurteilungsspielraum in § 232 StGB: Sch / Sch / Stree § 232, 3; für § 170 I: Steffen DRiZ 1972, 155; für § 154: L / R / RieB, ErgänzBd. § 154,16 ff.; für §§ 153 ff.: F. C. Schroeder, FS f. Peters S. 416 ff. (418). 121 Steffen DRiZ 1972, 155. t!! BGHZ 4, 302 (311), WPM 1963, 787 (792) früher st. Rspr. 1!S Dazu näher Steffen S. 156. m Geb.gabe S. 48.

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5. Kap.: Besorgnisgründe

bedingt gefolgt werden. Anläßlich des Vorwurfs einer Amtspflichtverletzung des Staatsanwalts bei der Entscheidung über die Erhebung der öffentlichen Klage gern. § 170 I hat der BGH125 noch undeutlich, inzwischen in anderem Zusammenhang126 jedoch ausdrücklich seine frühere Rspr. aufgegeben und eine Amtspflichtverletzung bei Rechtsanwendung entsprechend den im Verwaltungsrecht herrschenden Grundsätzen (§ 40 VwVfG und § 144 VwGO) nicht erst bei hohem fehl samen, also willkürlichen Verhalten, sondern bel Verstoß der auch den Staatsanwalt treffenden Pflicht zu gesetzmäßigem Verhalten angenommen. Aus der Pflichtverletzung allein kann deshalb keine Voreingenommenheit gefolgert werden, weil diese ebenso wie bei einem Verfahrensfehler nach dieser Rspr. jedem Staatsanwalt unbewußt und irrtümlich unterlaufen kann. Erst eine willkürliche Amtspflichtverletzung kann heute den Anschein der Voreingenommenheit begründeri. Dabei geht es zu weit, WiIlkürlichkeit mit Verschulden gleichzusetzen, da .eine Amtspflichtverletzung, die lediglich fahrlässig begangen wurde, nicht den Schluß auf eine innere - bewußte - Voreingenommenheit des Staatsanwalts zuläßt. Die Kriterien für eine willkürliche Rechtsanwendung lassen sich damit immer noch aus der stark an die eben erarbeitete Willkürlichkeitsformel für "befangene" Verfahrensfehler erinnernde alte Rspr. des BGH zur "hohen Fehlsamkeit" der Amtspflichtverletzung und aUs der Rspr. des BVerfG127 folgern, wonach willkürliche Rechtsanwendung dann gegeben sein soll, wenn die wertenden Erwägungen "bei verständiger Würdigung der das Grundgesetz beherrschenden Gedanken nicht mehr verständlich sind und sich daher der Schluß aufdrängt, daß sie auf sachfremden Erwägungen beruhen". So wird dem Staatsanwalt eine den Anschein der Voreingenommenheit rechtfertigende willkürliche Amtspflichtverletzung z. B. dann vorgeworfen werden können, wenn er gegen den klaren, bestimmten und völlig eindeutigen Gesetzeswortlaut verstößt, nicht aber, wenn eine objektiv unrichtige Auslegung durchaus zweifelhaft sein kann und z. B. das erkennende Gericht an der Auslegung ebenfalls Zweifel hat128 • Die Fälle, in denen sich der Staatsanwalt in seiner Rechtsanwendung von einer gefestigten. höchstrichterlichen Rechtsprechung abgewandt hat, sind zwar nach BGHSt. 15, 155 ff. wegen Verstoßes gegen den 125 BGH NJW 1970; 1543 = JZ 1970, 729 ni. Anm. Steffen DRiZ 1972, 155 f~ 128 Vgl. das Thema "Wirtschaftsaufsicht und Staatshaftu,ng" (dazu Papier JuS 1980, 265 (268» und die besprochenen Entscheidungen des BGHZ 74, 144 und NJW 1979, 1879. . . 127 BVerfGE 4, I, 7. 128 Steffen S. 156.

7. Besorgnis der Befangenheit auf Grund von Weisungen gern. § 143 GVG

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Legalitätsgrundsatz fehlerhaft und sollen sogar eine schuldhafte Amtspflichtverletzung sein. Eine willkürliche auf Voreingenommenheit zu schließende Amtspflichtverletzung kann darin nicht automatisch gesehen werden, selbst wenn der Staatsanwalt zum Nachteil des Beschuldigten gegen die ständige Rechtsprechung Anklage erhoben hat. Denn hier kommt die Besonderheit hinzu, daß der Staatsanwalt nicht gegen ein eindeutig gefaßtes Gesetz, sondern gegen einen von der Rspr. aufgestellten, aber fast in der ganzen Lit. bestrittenen Grundsatz verstoßen. soll. Unabhängig davon, ob man dieser Bindung zustimmen soll, werden deshalb die Motive einer Auflehnung des Staatsanwalts gegen die ständ. Rspr. nicht zwingend .in einer Voreingenomrilenheit gegenüber der Person oder Sache bestehen, sondernder Staatsanwalt kann subjektiv seiner Aufgabe .. gesetzmäßig" zu handeln genügen wollen oder aber unsicher sein, wer eigentlich bestimmt, ob und ab wann eine sogen... ständige" Rechtsprechung, die bindend wirken soll, existiert12ll •

7. Besorgnis der Befangenheit auf Grund von Weisungen gem. § 143 GVG Mehr noch als beim unabhängigen Richter sind beim in einer hierarchisch-monokratischen Behörde eingebundenen Staatsanwalt Einflüsse denkbar, die das staatsanwaltschaftliche Unbefangenheitsgebot gefährden. Diese Beeinflussungen können aus zwei Richtungen kommen und zwar einmal durch die Ausübung des über §§ 146, 147. GVG möglichen .. externen" WeisungsreChts von Seiten der Justizministerien UIld weiter über das ..interne" Weisungsrecht des Generalstaatsanwalts oder des unmittelbaren Vorgesetzten des Staatsanwalts. Beim Richter sind solche BesorgnisJälle in Rspr. und Lit. 180 genannt und·anerkanntworden, wobei die Besorgnis der Befangenheit bei intensiver Beeinflussung bejaht werden kann, da gleichzeitig die richterliche Unabhängigkeit beeinträchtigt wird, die selbst schon Garant für eine Unbefangenheit ist. Bei dieser zusätzlichen.' Bedrohuilgwird auf jeden Fall das Vertrauensverhältnis zwischen Richter. und Verfahrensbeteiligten erschüttert131 • Dagegen sind gegenüber dem einzelnen mit den konkreten Ermittlungen oder in der Hauptverhandlung befaßten Staatsanwalt Weisungen in einem gewissen, im einzelnen sehr umstrittenen Umfang132 zulässig. 119 V'gI. zu dieser Motivationslage des Staatsanwalts Sarstedt ·lÜW 1964, 1755 ff. (abI. Anm. zu BGHSt. 15, 155 ff.). . . ... 130 VgI. Arzt S. 111 m. Nachw. aus der äIt. Rspr.; Riedel S. 156ff.; Krekeler NJW 1981, 1636;RGSt. 66, 385, 397;and. OLG Celle MDR 1971, 774, das vom ..idealen" Richter ausgeht. ·131 VgI. ausdrücklich Arzt S. 111 und L / R / Dünnebier § 24, 12 - 15. 182 VgI. Nachweise zum Streitstand bei L / R / Schäfer § 146 GVG, 10.

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5. Kap.: Besorgnisgründe

Ganz allgemein gesagt wird eine Besorgnis der Befangenheit deshalb nur dann gegeben sein, wenn nach einer sachfremden Weisung der Eindruck entsteht, der Staatsanwalt treffe nicht mehr eigene, allein an der konkreten Sache oder an der Person des Beschuldigten/Angeklagten im Sinne des Legalitätsprinzips oder im Bereich des Opportunitätsprinzips nicht mehr durch Gang und Inhalt des Verfahrens sach- und rechtslogisch gerechtfertigte Amtshandlungen oder Entscheidungen, sondern ist durch den sachfremden "von oben" kommenden Einfluß daran gehindert. Nicht entscheidend ist, was Kuhlmann133 zusätzlich hervorhebt, daß die Gefahr besteht, der Staatsanwalt nehme keine "eigene am individuellen Gewissen ausgerichtete Wertung" vor, sondern "die eines anderen, der für den Angeklagten nicht in Erscheinung tritt". Soweit sachgemäße Weisungen vorliegen ist es, wie der BGH134 tteffend ausführt, gerade die Eigenart von beamten rechtlichen Weisungsabhängigkeiten, daß bei zulässigen und dann bindenden Weisungen "ein Stück Zuständigkeit und ein Teil von Amtspflichten, die generell beim konkreten Beamten liegen, auf die anweisende Behörde" übergeht. Bei einer klar erkennbaren objektiv rechtswidrigen "externen" wie "internen" Weisung (z. B. bei offenbarer Täterschaft erfolgt die Anweisung, von der Anklageerhebung abzusehen oder Freispruch zu beantragen oder umgekehrt) besteht keine rechtliche Bindung des angewiesenen Staatsanwalts, diese Weisung zu befolgen135 • Soweit der Staatsanwalt die Weisung dennoch befolgt und von seiner ihn hier treffenden Remonstrationspflicht gem. §§ 5611 BBG, 3811 BRRG keinen Gebrauch macht, wird für jeden vernünftigen Verfahrensbeteiligten der Eindruck entstehen müssen, der angewiesene Staatsanwalt "billige" die Rechtswidrigkeit der Weisung und daß diese Billigung aus voreingenommenen Motiven geschieht. übrig bleiben noch folgende Fallgruppen: a) Besergnis der Befangenheit nnd "externes" Welsnngsredlt

Gerade das Justizministerium als "politischstes" Glied in der Kette der hierarchischen und monokratischen Staatsanwaltschaft wird, wenn auch selten136 , bezichtigt werden können, mittels politischer Weisungsinhalte 137 , die nicht mehr an rechtlichen Maximen, am Legalitätsprinzip S. 16. BGHNJW 1959, 1630, zur Frage, ob ein Beamter auf Grund einer bindenden Weisung amtspflichtwidrig handeln kann. 135 Peters, StPO S. 155. 13. Griinwald, Gutachten C 37; Sarstedt NJW 1964, 1755, der aufzeigt, daß es bis 1930 überhaupt keine Weisung von seiten des Reichs-JM gegeben hat. 137 Less JR 1951, 195; Kohlhaas, Die Stellung der Staatsanwaltschaft S. 56 ff.; wichtigstes Gegenargument bei Schaffung des Weisungsrechts im Jahre 133

114

7. Besorgnis der Befangenheit auf Grund von Weisungen gern. § 143 GVG

139

oder an den zulässigen Zweckmäßigkeitserwägungen im Bereich des Opportunitätsprinzips orientiert sind, auf die Staatsanwaltschaft einwirken zu wollen. Dabei können Fälle vorkommen, in denen eine ganze Staatsanwaltschaft mit deren Beamten durch politische Einflußnahme in eine Situation manövriert wird, in der - und darauf kommt es letztlich an - nach außen eine Besorgnis der Befangenheit deutlich wird. Genannt sei der in der Presse geäußerte Verdacht der zugunsten der Beschuldigten tendierenden Befangenheit der Koblenzer Staatsanwaltschaft anläßlich der Ermittlungen gegen die Niederlassungsleiter der Fa. Daimler-Benz wegen "Investitionsbetrugs" . Die Beeinflussungsversuche waren offenbar so stark, daß der Koblenzer Generalstaatsanwalt das Justizministerium angesichts "unsachgemäßer, unklarer, undurchführbarer, widersprüchlicher und sogar fragwürdiger Weisungen" und der dadurch entstandenen "Gefährdung der Unparteilichkeit"138 darum hat, eine andere Staatsanwaltschaft mit den Ermittlungen zu beauftragen. Allerdings kann natürlich nicht jedes politische Opportunitätsdenken abgewürgt werden. Es muß sich um eine Weisung handeln, die objektiv geeignet ist, im Bürger mehr als ein angeborenes Mißtrauen gegenüber allem "Gouvernementalen" 131 hervorzurufen. Und zusätzlich muß wieder der Eindruck entstehen, daß der angewiesene Staatsanwalt sich davon beeinflussen läßt. Dabei genügt, wenn z. B. glaubhaft gemacht wird, daß dem Staatsanwalt personelle Konsequenzen bei Nichtbefolgung der Weisung angedroht wurden140 oder daß der angewiesene Staatsanwalt von seiner Remonstrationspflicht gegenüber seinem Vorgesetzten keinen Gebrauch gemacht hat, obwohl die Unzulässigkeit der Weisung auf der Hand lag. b) Besorgnis bei "internem" Weisunpreeht

Gefährlicher ist das "interne" Weisungs recht des Generalstaatsanwalts und des unmittelbaren Vorgesetzten, das durch das Devolutionsund Substitutionsrecht gem. § 145 GVG im Hintergrund druckvoll ausgeübt werden kann. Auch hier muß zuerst eine objektiv unzulässige Weisung vorliegen, wobei zu beachten ist, daß nach einhelliger Meinung141 das Weisungsrecht insbesondere in der Hauptverhandlung nur in so geringem Umfang wie möglich ausgeübt werden darf. 1877 war die Besorgnis, daß der politischen Einflußnahme Tür und Tor geöffnet werde, vgl. besond. Wagner JZ 1974, 218. 138 Vgl. die in der ZEIT (Nr. 12 vom 16.3.1979) wörtlich wiedergegebene Stellungnahme des Generalstaatsanwalts am OLG Koblenz. 138 Wagner JZ 1974, 218. HO Vgl. für den Richter: RGSt. 66, 390,· wonach "scharfe" und unangemessene Kritik seitens des JM am erstinstanzlichen Urteil. die Richter des Berufungsgerichts jedenfalls dann als befangen erscheinen lassen, wenn Maßnahmen der Dienstaufsicht in Aussicht gestellt werden.

140

5. Kap.: Besorgnisgründe

Für eine Besorgnis der Befangenheit müssen wieder zwei Aspekte glaubhaft gemacht werden:

a.

Einmal muß eine objektiv sachwidrige Weisung vorliegen, die z. nur auf Grund oberflächlicher Information und Aktenlage erteilt wurde und entweder überhaupt nicht oder nUr in einem kurzen Stadium in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht dem Stande des Verfahrens entsprach142 • Hierher gehören auch Weisungen zur Stellung von Strafmaßanträgen auf Grund einer PersönlichkeitsbeurteIlung des Angeklagten, die durch den Verlauf der Hauptverhandlung längst überholt sind oder die Untersagung einer Einstellung gern. §§ 154, 154 a, obwohl die Voraussetzungen klar vorliegen. Zusätzlich müssen wieder Indizlen vorliegen, wonach. der angewiesene Staatsanwalt an der objektiv sachwidrigen Weisung festhält,sich also davon beeinflussen läßt. Besondere Aufmerksamkeit wird jungen, unerfahrenen, karrierebewußten Staatsanwälten geschenkt werden müssen, die ohne Rücksicht auf Person oder Sache von ihrer Remonstrationspflicht aus eigennützigen oder autoritativen Motiven keinen Gebrauch machen. überhaupt wird in der Regel eine Beeinflussung des Staatsanwalts durch sachwidrige Weisung ganz unbewußt stattfinden143 • Die Besorgnis einer Voreingenommenheit ist deshalb .erst glaubhaft gemacht bei objektiv. krassem Mißverhältnis vom Inhalt der Weisung mit den tatsächlichen Gegebenheiten des Verfahrens und. der Tatsache des Nichtwahrnehmens der Remonstr~tionspflicht. weil da~n jeder vernünftige Verfahrensbeteiligte zum Schluß kommt, qaß der angewiesene Staatsanwalt diese sachwidrige Weisung "billigt" , was dann nur auf Voreingenommenheit beruhen kann.

141 L / R / Schäfer § 146 GVG, 10 ff. m. Nachw.; nach § 146 d I, 1 E GVG soll der Staatsanwalt weitgehend in der Hauptverhandlung weisungsfrei sein. 142 Peters StPO S. 155. 143 KuhlInarin S. 16.

Sechstes Kapitel

Verfahren zur Durchsetzung und Sicherung des staatsanwaltschaftlichen präventiven Handlungsverbots, insbesondere bei Besorgnis der Befangenheit Nachdem die Tatbestände des staatsanwaltschaftlichen präventiven Handlungsverbots festgestellt worden sind, stellt sich die Frage, in welchem Verfahren das Handlungsverbot durchgesetzt werden kann. Für die "Ausschlußgründe" hat ein solches Verfahren nur eine zusätzliche, das Unbefangenheitsgebot sichernde Wirkung, da eine Disqualifikation schon kraft Gesetzes stattfindet. Dagegen ist, wie die §§ 24 ff. und § 21 VwVfG zeigen, erst ein formelles Verfahren für die Rechtswirkung eines Handlungsverbots bei Besorgnisgründen konstitutiv. Erst eine Anzeige und Amtsenthaltungsanordnung (vgl. § 21 VwVfG) oder eine formelle Ablehnung (vgl. §§ 24 ff.), also irgendeine Initiative, begründen im Falle eines Besorgnisgrundes ein Handlungsverbot, und zwar erst ab dem Zeitpunkt, in dem die Initiative erfolgt ist (ex nune). Beim Staatsanwalt ist die rechtssatzmäßige Bestimmung eines den §§ 24 ff. oder § 21 VwVfG ähnlichen Verfahrens ebenso notwendig wie beim Richter und Verwaltungsbeamten usw., soll das Handlungsverbot bei Besorgnis der Befangenheit im Einzelfall auch konstitutive Wirkung erlangen. Es ist naheliegend, die rechtssatzmäßige Bestimmung eines solchen Verfahrens an der Systematik von §§ 24 ff. und 21 VwVfG zu orientieren. So muß in einem "internen" Verfahren, wie es beispielhaft durch § 21 VwVfG repräsentiert wird, zuerst geregelt werden, welche Rechte und Pflichten den Staatsanwalt und dessen Vorgesetzten treffen, wenn der Verdacht eines Ausschluß- oder Besorgnisgrundes gegeben ist, um von vornherein die Gefährdung des staatsanwaltschaftlichen Unbefangenheitsgebots zu vermeiden (vgl. dazu unten 1». Weiter stellt sich die Frage, ob die Verfahrensbeteiligten zusätzlich durch richterliche Entscheidung oder nur auf staatsanwaltschaftlicher Ebene eine Disqualifikation und Entfernung des als befangen besorgten Staatsanwalts aus dem Verfahren erreichen können. Es bieten sich als vorhandene Verfahren de lege lata die Sachaufsichtsbeschwerde (dazu 2 a) und § 23 EGGVG (dazu 2 b) an. Anschließend soll geprüft

6. Kap.: Ausschluß- und Ablehnungsverfahren

142

werden, ob der Verfahrensbeteiligte die Ersetzung insbesondere eines als befangen besorgten Staatsanwalts gerichtlich entweder unmittelbar analog § 24 oder nach Durchführung eines staatsanwaltschaftlichen überprüfungsverfahrens erzwingen oder ob er ausschließlich in einem rein staatsanwaltschaftlichen formellen Verfahren auf der Grundlage der Sachaufsichtsbeschwerde bis zum Generalstaatsanwalt eine Ersetzung erreichen kann (dazu 3), wobei das Ermittlungsverfahren (dazu 3 d) und das Hauptverfahren (dazu 3 e) eine getrennte Betrachtung notwendig machen.

1. "Internes" Verfahren iJJ. Rec:htsanalogie zu § 21 VwVfG Allgemein anerkannt1 ist, daß der Staatsanwalt bei Vorliegen von Ausschluß- bzw. Besorgnisgründen die Pflicht hat, unabhängig von einer Initiative der Verfahrensbeteiligten von dem disqualifizierenden Verhältnis Anzeige beim Vorgesetzten zu machen und bis zu dessen endgültiger Entscheidung keine weiteren Amtshandlungen vornehmen darf, wobei diese Pflicht aus allgemeinen beamtenrechtlichen Grundsätzen begründet wird2 • Diese Grundsätze haben aber ebenso wie der ähnlich lautende § 7 nds AGGVG (vgl. auch § 145 a III E GVG) nur innerdienstliche Regelungswirkung3 und bewältigen nicht die spezifischen, im Strafverfahren auftretenden Probleme der Entfernung eines als befangen besorgten Staatsanwalts. Ansonsten hätte der Verwaltungsverfahrensgesetzgeber auch nicht § 21 VwVfG normieren müssen, sondern hätte die §§ 59 BGB bzw. 38 BRRG konkretisieren können! Mit dem staatsanwaltschaftlichen Handlungsverbot bei Besorgnis der Befangenheit im Einzelfall ist de lege lata eine Rechtsgrundlage vorhanden, mit der sich die Probleme befriedigend lösen lassen. Sie ist eine spezifisch für das Strafverfahren und auf die Rechtsbeziehungen zwischen Staatsanwalt und den Verfahrensbeteiligten ausgerichtete Rechtsgrundlage. So folgert Frisch4 aus der "korrespondierenden Unzulässigkeit des Agierens eines befangen erscheinenden Staatsanwalts, dessen Pflicht, sich von Amtshandlungen zu enthalten". Schon de lege lata - und nicht erst, wie Frisch' und im Anschluß daran Wendischli meinen, de lege ferenda - können die den Staatsanwalt treffenden 1 Vgl. Wendisch S. 260; Bruns, Geb.gabe S. 45 f.; L / R / Dünnebier 1 vor § 22; Kleinknecht 3 vor § 22; Frisch S. 392; Buckert NJW 1970, 847 f.; OLG

Hamm NJW 1969, 758: "wird dem Antrag zu entsprechen sein" . Z Kuhlmann DRiZ 1976, 12; Wendisch S. 266; undeutlich Bruns, Geb.gabe

S.46. 3

Vgl. oben 2. Kapitel!. und 2.

, S.406. 6 S.273.

1. "Internes" Verfahren in Rechtsanalogie zu § 21 VwVfG

143

Pflichten deshalb auf der Basis des staatsanwaltschaftlichen präventiven Handlungsverbots mit Hilfe einer Rechtsanalogie zu § 21 VwVfG konkretisiert werden. § 30 ist spezifisch auf den unabhängigen Richter ausgerichtet und taugt für den in der Behördenhierarchie stehenden Staatsanwalt nichts. Zwar verbietet § 2 II Nr. 2 VwVfG grundsätzlich die Anwendung der Vorschriften des VwVfG auf das Strafverfahrens. Soweit diese aber positivierter Ausdruck eines allgemein gültigen rechtsstaatlichen Grundsatzes im Verfahren sind und die betroffenen Rechtsgüter keine Besonderheiten aufweisen, können sie in "sinngemäß-analoger" Anwendung7 , was nichts anderers als Rechtsanalogie, nämlich ein induktiver Schluß vom Besonderen auf das Allgemeine bedeutet8 , auch auf das Strafverfahren angewendet werden. § 21 VwVfG regelt die Pflichten und das Verfahren, mit deren Hilfe ein in der Behördenhierarchie stehendes als befangen besorgtes Mitglied aus dem Verfahren entfernt werden kann. Nach Aussage des Verwaltungsverfahrensgesetzgebers stellt § 21 VwVfG Mindestanforderungen an ein rechtsstaatliches Verfahren überhaupt dar9 und kann deshalb auf den hierarchisch organisierten und als befangen besorgten Staatsanwalt ebenfalls angewendet werden10 • Damit haben folgende aus einem rein beamtenrechtlichen Verpflichtungsverhältnis nicht folgerbare Konsequenzen de lege lata unmittelbare Rechtswirkung: (1) Die Anzeigepflicht trifft den Staatsanwalt bei Besorgnis- und bei Ausschlußgründen, um damit von vornherein jeglicher Gefährdung des Verfahrens vorzubeugen. Dies wurde in der Fassung von § 21 VwVfG ebenso wie auch in § 145 a III EGVG übersehen. (2) Den Staatsanwalt trifft eine Amtsenthaltungspflicht, die allerdings entgegen § 145 a III EGVG nicht schon bei Anzeige, sondern ebenso wie beim Verwaltungsbeamtenl l erst bei einer vorläufigen An-

• So ausdrücklich die Begr. zum RegE BT-Drs. 7/910 S. 33. 7 Kopp VwVfG § 20, 6. 8 VgI. zur Definition der Rechtsanalogie: Canaris S. 97 f. t VgI. 2. Kapitel 4.; Baumann DÖV 1976, 470; Kopp VwVfG § 2, 67; 10, 6; Ule / Laubinger VwVfG 1. Kap. 11. 10 Die Lückenfüllung durch Rechtsanalogie ist besonders dann angebracht, wenn der Grundsatz des fairen Verfahrens, der hier das Handlungsverbot bei Besorgnis der Befangenheit mitbegründet, eine Lücke im Strafverfahren aufzeigt; vgI. so ausdrücklich L / R / Schäfer EinI. Kap. 6, 20 und als Beispielsfall BVerfG NJW 1975, 103, das dem Zeugen aus dem Prinzip des fairen Verfahrens einen Anspruch auf einen Rechtsbeistand bei der Vernehmung zugestanden hat und zur Lückenfüllung auf § 3 III BRAO (allgemeines Recht des Einzelnen auf einen Rechtsanwalt vor Gericht) als allgemeinen Grundsatz zurückgegriffen hat. 11 Kopp VwVfG § 21, 2, 7; Ule / Laubinger, VwVfG § 1211 1; Die Behörde, nicht das einzelne Mitglied soll über die Enthaltung, die wesentliche Folgen auf das Verfahren hat, entscheiden (vgI. noch Kopp VwVfG 18 vor § 9).

144

6. Kap.: Ausschluß- und Ablehnllrigsvetfahren

ordnung des Vorgesetzten wirksam wird, weil es ansonsten der Staatsanwalt in der Hand hätte, sich durch manipulative Eingriffe aus dem ihm unbequemen Verfahren zu "mogeln". (3) Keine Amtsenthaltungspflicht trifft den Staatsanwalt, wenn er bei Gefahr in Verzug unaufschiebbare Amtshandlungen treffen muß. Diese im Rahmen der Einschränkungen des prinzipiellen staatsanwaltschaftlichen Handlungsverbots besprochene Ausnahme 12 kann durch die Rechtsanalogie zu § 20 III VwVfG, der auch für § 21 VwVfG gilt13 , konkretisiert werden. Allerdings gilt diese Ausnahme, um eine Aushöhlung des präventiven Handlungsverbots zu verhindern, nur in den in der StPO vorgesehenen Fällen bei Gefahr in Verzug (vgl. §§ 81 a, 81 C, 98, 100, 105, 111, 111 e, 127 II). Da es sich hier um die rechtssatzmäßige Konkretisierung eines im Interesse der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege gebotenen Ausnahmetatbestandes des auch auadem fairen Verfahren folgenden prinzipiellen Handlungsverbots bei Besorgnis der Befangenheit handelt, ist nach der Rspr. des BVerfG14 das Verhältnismäßigkeitsprinzip zu beachten. Daraus folgt, daß, wie bei § 20 III VwVfG auch15 , nur dann, wenn nicht mehr rechtzeitig für Vertretung gesorgt werden kann, der ausgeschlossene oder als befangen besorgte Staatsanwalt in Rechtsanalogie zu §§ 20 III, 21 VwVfG weiter amtieren darf. (4) Mittelbar aus § 21 VwVfG folgt auch16 , daß der Vorgesetzte des betreffenden Staatsanwalts nicht etwa freies Ermessen in seiner Entscheidung über dessen Ersetzung hat, sondern den unbestimmten Rechtsbegriff der Besorgnis der Befangenheit nur in einem - richtigen - Sinn anwenden darf und ihn deshalb bei Vorliegen einer Besorgnis eine Rechtspflicht17 zur Ersetzung gem. § 145 GVG trifft. Es kann dahingestellt bleiben, ob die rein beamtenrechtliche Pflicht ebenso interpretiert werden müßte, da sie durch die Rechtsanalogie zu § 21 VwVfG auf der Grundlage des präventiven Handlungsverbots in eine, wie es Klein:knecht 18 ausdrückte, Pflicht" "verfahrensrechtlicher Art" transponiert wurde.

Vgl. oben 3. Kapitel 3. Kopp VwVfG '§21, 11; § 20, 45: § 20 III VwVfG wurde nur infolge eines Redaktionsversehensnicht in § 21 VwVfG übernommen. 11 NJW 1975, 103; 3. Kapitel 3. ,15 Kopp VwVfG § 20, 46; zweifelnd Wolff, VerwRIII§ 156111 d. 11 Sonst müßte nach § 21 I 2VwVfGnicht ausdrücklich der Vorgesetzte ausgeschlossen werden; unklar ST / B / L § 21 und Kopp § 21, 7. . i7 Im:m.erhin sagt die unveröffentl. Begr. zu § 145 a 111 E GVGaus, daß der Vorgesetzte ,zu prüfen "hat", ob er von seinem Devolutions- und Substitu-' tionsrecht Gebrauch machen "muß". ' 18 3 vor§ ~2; vgi, in dieser Richtungauch KMR / Paulus 18 ff. vor § 22. 11

18

2. Vorhandene "externe" Verfahren de lege lata

145

(6) Durch die Rechtsanalogie zu § 21 VwVfG ist durch dessen Abs. I

1. Alt. klargestellt, daß der Vorgesetzte auch von Amts wegen, d. h.

ohne Anzeige des betreffenden Staatsanwalts oder auf "Ablehnung" von Verfahrensbeteiligten auf einen Ausschluß- oder Besorgnisgrund, soweit er ihn erkennt und als solchen ansieht,. eine Auswechselung vornehmen muß! Dies wird in der Regel bei einem verobjektivierten Besorgnisgrund öfters vorkommen. Wenn der Vorgesetzte ohne weiteres von Amts wegen ohne Begründung eine Auswechselung durch innerdienstliche Weisung gem. § 145 i. V. m. § 146 GVG vornehmen kann, so muß dies erst recht im Falle des § 21 VwVfG möglich sein. Ebensowenig wie § 145 a III EGVG oder § 7 nds bzw. § 11 ba-wü AGGVG regelt § 21 VwVfG die Frage, ob der Verfahrensbeteiligte die Verpflichtung des Staatsanwalts, ein disqualifizierendes Verhältnis anzuzeigen, sich von Amtshandlungen zu enthalten oder - besonders wichtig - die Pflicht des Vorgesetzten, den disqualifizierten Staatsanwalt auszuwechseln, im Wege eines formellen Ablehnungsverfahrens wie bei §§ 24 ff. auf staatsanwaltschaftlicher Basis oder gar auf gerichtlichem Wege erzwingen und durchsetzen kann. Diese Frage hat erhebliche praktische Bedeutung und ist in Rspr. und Lit. sehr umstritten. Besonders in den Fällen der begrifflich sehr unscharfen Generalklausel der Besorgnis der Befangenheit wird der Staatsanwalt selbst oder dessen Vorgesetzter oft unwillig auf die "Anregung" des Verfahrensbeteiligten zur Auswechslung reagieren, weil sie nicht um die Frucht der Ermittlungen und des zum Teil erheblichen Einsatzes gebracht werden möchten. Zwei Verfahren scheinen allerdings de lege lata zur Verfügung zu stehen, um die Pflichten der Staatsanwaltschaft, Gefährdungen des Unbefangenheitsgebots zu verp!eiden, nicht zur sanktionslosen Pflicht werden zu lassen. Einmal bietet sich die Dienstaufsichtsbeschwerde, zum anderen das Verfahren der Verpflichtungsklage zum Erlaß von Justizverwaltungsakten gem. § 23 II EGGVG an. Diesen soll im folgenden nachgegangen werden.

2. Vorhandene "externe" Verfahren de lege lata a) Dienstaufsidltsbesdlwerde in Form der Sadlaufsidltsbesdlwerde

In der Diskussion um eine verfahrens rechtliche Durchsetzungsmöglichkeit der Besorgnis der Befangenheit von Verfahrensbeteiligten im Strafprozeß wird die Dienstaufsichtsbeschwerde in Form der Sachaufsichtsbeschwerde 19 mit der Möglichkeit der weiteren Beschwerde an 19 So Wendisch 5. 261, Fußn. 115; zur Unterscheidung zur Dienstaufsichtsbeschwerde, die das persönliche Verhalten des Amtsträgers bemängelt: Kleinknecht 6 vor § 296 und § 163, 48.

10 Schairer

146

6. Kap.: Ausschluß- und Ablehnungsverfahren

den Generalstaatsanwalt als rechtsstaatlich und praktisch bedenklich und untauglich abgelehnt. Als Ausfluß des Petitionsrechts des Art. 17 GG besteht nämlich allein eine Pflicht der Behörde zur Entgegennahme der Beschwerde, zur sachlichen Bescheidung und zur schlichten Mitteilung über die Art der Erledigung 20 • Im übrigen bestehen z. B. keine Beschwerdemöglichkeiten gegen die Bescheidung, keine Erledigungsfristen oder ein festgelegtes Recht zum rechtlichen Gehör. Besonders Bruns21 hat an Hand von konkreten Verfahren den üblichen Ablauf einer solchen Beschwerde wegen der Mitwirkung eines "als befangen besorgten" Staatsanwalt beschrieben, wonach die Sachaufsichtsbeschwerde so lange nicht entschieden (verzögert?) wurde, bis sie "prozessual überholt" war, m. a. W. der "als befangen besorgte" Staatsanwalt das Verfahren voll abgewickelt hatte. Prestigedenken und die Betonung der Prozeßökonomie um jeden Preis haben freien Lauf. Allzugern werden die dienstlichen Äußerungen des betroffenen Staatsanwalts ohne weitere Stellungnahme des Petenten als alleinige und zur Ablehnung des Gesuchs führende Entscheidungsgrundlage verwendet. Als Reaktion auf diesen oft aussichtslosen und unsicheren Weg wurde deshalb bei ablehnender Entscheidung des Vorgesetzten die Verpflichtungsklage zur Vornahme der Ersetzung gem. § 23 EGGVG erhoben. Auch dann, wenn keine Reaktion auf die Sachaufsichtsbeschwerde erfolgt, ist dieser Klageweg auf Vornahme der unterlassenen Ersetzung der naheliegenste! Ob dieser Rechtsbehelf der rechtlich begehbare und systemkonforme Weg zur Durchsetzung und Sicherung eines staats anwaltschaftlichen Handlungsverbots ist, soll im folgenden dargestellt werden. b) § 23 D EGGVG

Das OLG Hamm22 und das OLG Karlsruhe23 hatten sich mit der eben angesprochenen Konstellation zu beschäftigen, ob die auf die Sachaufsichtsbeschwerde vom Vorgesetzten des Staatsanwalts abgelehnte Ersetzung des als disqualifiziert behaupteten Staatsanwalts gem. § 145 GVG, sei es aus Ausschluß- oder, was der praktisch häufigere Fall sein wird, aus Besorgnisgründen24 , mit der Verpflichtungsklage gem. § 2311 EGGVG erzwungen werden kann. Gem. § 2311 EGGVG könnte der BVerfGE 2, 225; BVerfG NJW 1977, 118. Zu den Mißständen im Contergan-Prozeß: Bruns, Maurach-FS S. 483 und ders. Geb.gabe S. 50 f. 2! NJW 1969,808. 23 MDR 1974, 423; das OLG Stgt. NJW 1974, 1394 re. Sp., hat diese Frage ausdrücklich offengelassen. 24 Die Entscheidungen der OLGe betrafen Besorgnisgründe. 20

21

2. Vorhandene ..externe" Verfahren de lege lata

147

Verfahrensbeteiligte auch dann Klage erheben, wenn der Vorgesetzte überhaupt keine Entscheidung getroffen hat. Beide Oberlandesgerichte gingen zwar davon aus, daß der Vorgesetzte eine Pflicht zur Auswechselung bei Vorliegen von Disqualifikationsgründen hat, verneinten aber jedenfalls ein Rechtsschutzbedürfnis gern. § 24 I EGGVG, was im Schrifttum einen heftigen Streit25 darüber hervorgerufen hat, ob in der begehrten Auswechselung ein Justizverwaltungsakt zu sehen ist (dazu aal und wenn ja, ob dem Verfahrensbeteiligten ein subjektiv-öffentlicher Anspruch im Sinne von § 24 I EGGVG auf Ersetzung des betreffenden Staatsanwalts durch dessen Vorgesetzten zusteht (dazu bb).

aa) Ersetzung gern. § 145 GVG als Justizverwaltungsakt? Nicht etwa die Ablehnung des Vorgesetzten muß ein Justizverwaltungsakt sein26 , sondern wie § 2311 EGGVG deutlich vorgibt, die vom Vorgesetzten abgelehnte Ersetzung des Staatsanwalts gern. § 145 GVG! Buckert27 , der der Entscheidung des OLG Hamm in allen Punkten widersprochen hat, sieht in der Ersetzung der staatsanwaltschaftlichen Bank grundsätzlich einen "Gerichtsverwaltungsakt", dessen Anfechtung vor das Verwaltungsgericht gehöre, weil es sich um Maßnahmen der Dienstaufsicht gern. § 145 GVG handle. Allerdings habe in diesem Fall die begehrte Ersetzung einen so engen "Sachzusammenhang" mit dem Gebiet der Strafrechtspflege, daß sie zwar nicht als Prozeßhandlung, jedoch als Justizverwaltungsakt zu behandeln sei! Der Ansicht Buckerts kann nicht gefolgt werden. Die Ersetzung ist kein Justizverwaltungsakt, weil sie seine Definitionsmerkmale nicht erfüllt. Ein Justizverwaltungsakt ist eine Maßnahme, der gegenüber einem Rechtsunterworfenen mit unmittelbarer Rechtswirkung eine Regelung in einer Einzelangelegenheit trifft. Gleichgültig, ob man die Definition des Verwaltungsakts in § 35 VwVfG28 oder die weite Definition Schäfers29 über25 Für § 23 EGGVG: Vor allem Buckert (Anm. zu OLG Hamm) NJW 1970, 848; Roxin, StrafverfahrensR S. 48; Bruns, Geb.gabe S. 50 (differenzierend, vgl. Fußn. 32); offen gelassen von Dahs, Handb. Rdnr. 148; Bruns JR 1979, 32; gegen § 23 EGGVG: Schlüchter, Das Strafverfahren Rdnr. 66.1; L / R / Dünnebier 12 vor § 22; L / R / Schäfer § 145 GVG, 6 und § 23 EGGVG, 40; Kleinknecht § 145, 6 und 7 vor § 22, 1 ff. zu § 23 EGGVG; Wendisch S. 261 ff.; Frisch S. 393 ff.; Kuhlmann DRiZ 1976, 14; Der BGH NJW 1980, 845 hat die

Frage offen gelassen. 21 So aber nebenbei Bottke, .. Fortgang der Strafprozeßlehre", JA 1980, 720 ohne Begründung. !7 NJW 1969, 808. 28 So Kleinknecht § 23 EGGVG, 1. !9 In L / R § 23 EGGVG, 26 m. Nachw. aus der ähnlichen Rspr. Danach ist die .. Gestaltungswirkung" Wesensbestandteil, die auch bei tatsächlichem Ver10·

148

6. Kap.: Ausschluß- und Ablehnungsverfahren

nimmt, wäre erforderlich, daß die Ersetzung unmittelbar Gestaltungswirkung gegenüber dem besorgenden Verfahrensbeteiligten hat. Eine solche unmittelbare Einwirkung hätten aber allenfalls das Unterlassen oder die Ablehnung der Ersetzung und das Weiter-Gegenübertreten des "besorgten" Staatsanwalts mit weiteren Amtshandlungen, weil nur diese den Verfahrensbeteiligten in seiner SubjektsteIlung direkt stören. Die Ersetzung oder Nichtersetzung selbst ist eine innerbehördliche Maßnahme nach § 145 GVG, die weder die Merkmale des § 35 VwVfG erfüllt, noch von Schäfer30 als Justizverwaltungsakt angesehen werden würde. Das diffuse Kriterium Buckerts vom "engen Sachzusammenhang" vermengt den innerdienstlichen Charakter der Ersetzung mit deren Auswirkungen31 • Notfalls kann gern. dem Gebot des effektiven Rechtsschutzes 32 gern. Art. 19 IV GG ein Justizverwaltungsakt und der Rechtsweg gern. § 23 II EGGVG überhaupt bejaht werden, wenn der Vorgesetzte einen offensichtlich tatsächlich befangenen Staatsanwalt nicht ersetzt und weiterhandeln läßt, weil dann die Rechtsbeeinträchtigung des Verfahrensbeteiligten so stark ist, daß der sonst innerbehördliche Akt eine quasi negative Gestaltungswirkung bekommt. Die gerichtliche Entscheidung darf dann aber nur dahin gehen, analog § 113 IV, 2 VwVGO dem Vorgesetzten des Staatsanwalts eine Entscheidung unter "Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts" aufzugeben. Zwar wird im Ergebnis der Vorgesetzte auf jeden Fall den Staatsanwalt auswechseln müssen, mit dieser Entscheidungsformel ist aber dem zu Recht erhobenen Bedenken Wendischs33 , daß die Staatsanwaltschaft den Gerichten gleichgestellt und von ihnen gem. § 150 GVG unabhängig sei, Rechnung getragen. waltungshandeln vorliegt und nur "geeignet" sein muß, den Betroffenen in seinen Rechten zu verletzen. 30 L / R § 23 EGGVG, 30: Der Maßnahmecharakter fehle bei "rein innerbehördlichen Vorgängen". Vgl. auch Bruns S. 52: Grundsätzlich habe die Befugnis nach § 145 GVG nur innerdienstlichen Charakter; ebenso Till KaIsbach S. 137 ff., der in der Auflistung von nach § 23 EGGVG überprüfbaren Maßnahmen, solche nach§ 145 GVG nicht nennt. Ähnlich Kaiser NJW 1961,201. 31 Grundsätzlich gegen einen Rechtsschutz des Bürgers gegenüber innerdienstlichen Weisungen, weil erst deren "Auswirkungen" im Verfahren rechtsbeeinträchtigend sind: Kopp, "Zum Rechtsschutz des Bürgers gegenüber innerdienstlichen Weisungen durch die Gerichte und im Verwaltungsverfahren" BayVBL 1976, 719 (720); ebenso BVerwGE 39, 345. 32 In diese Richtung Bruns (Geb.gabe S.50), der unter Nennung dieses Beispiels meint, es sei "ausgeschlossen", die Qualifizierung einer solchen Entscheidung als Justizverwaltungsakt lediglich aus der Erwägung zu verneinen, "... daß es an einer direkten Beeinträchtigung subjektiver Rechte fehle".; eine ähnliche Ausnahme will auch Kopp (Fußn. 31) S. 721 annehmen; ebenso BVerwGE 46, 78. 33 S. 264 in and. Zusammenhang.

2. Vorhandene "externe" Verfahren de legelata

149

bb) RechtsverZetzung i. S. v. § 24 I EGGVG? Selbst wenn man in der begehrten Ersetzung einen Justizverwaltungsakt annehmen sollte, so ist doch mit dem OLG Hamm und OLG Karlsruhe und der überwiegenden Ansicht der Literatur ein Rechtsschutzbedürfnis im Sinne von § 24 I EGGVG bis auf die letztgenannte Ausnahme der Mitwirkung des offensichtlich tatsächlich befangenen Staatsanwalts für eine solche Verpflichtungsklage zu verneinen. Nach den allgemeinen Grundsätzen zur Feststellung eines Rechtsschutzbedürfnisses einer Verpflichtungsklage, die bei § 2311 EGGVG ebenso gelten müssen, bedarf es einer einfach-gesetzlichen oder rechtsgrundsätzlichen Regelung, die nicht nur Rechtsreflex, sondern bestimmt und bezweckt in ihrem Regelungsinhalt die Verfahrensbeteiligten vor der Mitwirkung des disqualifizierten. Staatsanwalts im Strafverfahren schützen will. Die im Falle einer Bejahung eines Justizverwaltungsakts notwendig akzeptierte "Gestaltungswirkung" der Ersetzung begründet noch kein solches subjektiv-öffentliches Recht! Für Buckert ist Ansatzpunkt für ein subjektiv-öffentliches Recht die von den Oberlandesgerichten angenommene Pflicht des Vorgesetzten, den disqualifizierten Staatsanwalts abzulösen (Ablösepflicht). Nach Buckert besteht die Ablö~epflicht auch im Interesse des Einzelnen, was er mit den hier angeführten Zwecksetzungen eines staatsanwaltschaftlichen Unbefangenheitsgebots begründet und dabei besonders den Schutz der SubjektsteIlung des Beschuldigten hervorhebt ("Gesamtbild der Art. 1, 2, 20 und 28 GG"). Jedenfalls gebiete Art. 19 IV GG diese Interpretation, um den subsidiären Rechtsweg des § 23 EGGVG zu p.röffnen. Dagegen kritisiert Frisch34 , daß Buckert durch die "Konfundierung von Ablehnungsrecht und Ablöseanspruch" die Problematik auf das falsche Gleis des § 23 EGGVG schiebe. Aus der Ablösepflicht könne der Verfahrensbeteiligte keinen Ablösungsanspruch herleiten. Diese sei nur die "Konsequenz einer prozessualen Situation", nämlich der Unzulässigkeit der Mitwirkung des bisherigen (befangenen) Staatsanwalts. Ein subjektiv-öffentliches Recht für den Verfahrensbeteiligten könne also nur in der Rechtsgrundlage der prozessualen Unzulässigkeit gesucht werden, womit Frisch auf nichts anderes als auf das hier konstruierte Handlungsverbot bei Besorgnis der Befangenheit verweist. Und aus diesem Handlungsverbot will Frisch nur das subjektive Recht für den betroffenen Verfahrensbeteiligten folgern, daß "wenn ein Verfahren gegen ihn betrieben wird, der agierende Staatsanwalt unbefangen sein muß". Der Verfahrensbeteiligte habe damit u S. 393 f.

150

6. Kap.: Aussch1uß- und Ablehnungsverfahren

"allenfalls einen negativen Anspruch, "daß ein Verfahren mit einem befangenen Staatsanwalt gegen ihn unterbleibe" . Daß die Staatsanwaltschaft und mithin der Vorgesetzte die Voraussetzungen eines objektiven rechtsstaatlichen Verfahrens schaffe, darauf habe er keinen Anspruch. Außerdem entfalle die von Buckert vorgetragene Beweiskraft des Art. 19 IV GG. Denn mit der Ablehnung werde eigentlich "vorbeugender Rechtsschutz" verfolgt, nämlich "Unterlassung weiteren fehlerhaften Prozedierens bzw. die Feststellung eines bestimmten Fehlers durch das Gericht, das den Staatsanwalt zur Vermeidung weiteren Prozedierens anhalten" solle. Art. 19 IV GG garantiere nur die Eröffnung des Rechtswegs, nicht aber eine bestimmte Rechtsschutzart und schon gar nicht vorbeugenden Rechtsschutz. Frisch befürwortet dann den "naheliegendsten" Weg der gesetzesimmanenten Rechtsfortbildung und kommt zum Ergebnis, daß wenigstens im Ermittlungsverfahren analog § 24 ein Ablehnungsverfahren mit gerichtlicher konstitutiver Entscheidung über die Befangenheit zulässig ist. Im Ergebnis ist Frisch zuzustimmen, wenn er § 23 EGGVG als Verfahrensalternative ablehnt und den "strafverfahrensrechtIichen" Weg eines Analogieansatzes zu § 24 ff. einschlägt. Die Ausführungen Frisch, die auf den ersten Blick widersprüchlich sind, weil er ebenso wie Buckert letztlich mit dem Hinweis auf Art. 19 IV GG und der Garantie des effektiven Rechtsdenkens doch in beschränktem Maße zu einer gerichtlichen Entscheidung kommt, machen dennoch deutlich, um was es hier eigentlich geht, nämlich um eine klare Unterscheidung zwischen der "innerdienstlichen" und der "strafverfahrensrechtlichen" Ebene und letztlich um das Verhältnis von § 23 EGGVG und spezifisch strafprozessualen Rechtsschutzvorschriften wie hier die §§ 24 ff. im Lichte des Art. 19 IV GG. Soweit Frisch Buckert kritisiert, daß aus der innerdienstlichen Pflicht zur Ersetzung des Staatsanwalts gem. § 145 GVG kein spiegelbildliches subjektives-öffentliches Recht auf Ersetzung konstruiert werden kann, ist ihm Recht zu geben, weil mit der überwiegenden Meinung in der Lit.3'6 solche Pflichten nur im öffentlichen Interesse bestehen. Dabei ist, was vielfach übersehen wird, nicht die Ersetzung gem. § 145 GVG selbst, sondern die Pflicht dazu, der Ansatzpunkt! übrig bleiben die "verfahrensrechtlichen" Pflichten, wie sie auf der Basis des präventiven Handlungsverbots durch § 21 VwVfG in Rechtsanalogie konkretisiert worden sind. Ob, wie Frisch meint, sich als Spiegelbild zu der "verfahrensrechtlichen" Ersetzungspflicht nur ein "negativer Anspruch" auf Unterlassung eines solchen Verfahrens herleiten läßt und wie sich ein solcher Anspruch in einem Verfahren mit gerichtlicher Entschei35

VgI. Schäfer, Kleinknecht, Dünnebier (alle Fußn. 25).

2. Vorhandene "externe" Verfahren de lege lata

151

dung über die Befangenheit durchsetzen läßt, kann dahingestellt bleiben, weil jedenfalls "verfahrensrechtliche" Pflichten nicht durch § 23 EGGVG, sondern durch spezifisch verfahrens rechtliche Instrumentarien zu verwirklichen sind, im vorliegenden Fall eben durch die thematisch naheliegenden §§ 24 ff. Dies gilt selbst dann, wenn die StPO wie beim disqualifizierten Staatsanwalt keine entsprechende Regelung beinhaltet. Denn dann ist zu fragen, ob nicht eine Analogie zu ähnlichen verfahrensrechtlichen Rechtsschutzwegen möglich ist. Letztlich ist mit alledem das grundsätzliche Verhältnis von adäquaten strafprozessualen Abwehrmitteln und dem subsidiären § 23 EGGVG angesprochen. Der wegen Art. 19 IV GG bestehenden Versuchung, der auch Buckert erlegen ist 38 , § 23 EGGVG immer dann zu befürworten, wenn Rechtsschutz geboten ist und die StPO aber dafür keine positiv-rechtliche Regelung zur Verfügung stellt, ist erst kürzlich der BGH87 entgegengetreten. Soweit die StPO in einem ähnlichen Fall (z. B. § 98 H, 2) eine Rechtsschutzregelung ausdrücklich getroffen hat, solle mit einer Analogie zu § 98 H, 2 die Rechtsschutzlücke geschlossen werden. § 23 EGGVG dürfe nicht subsidiär angewendet werden, weil er "auf derartige Fälle nicht zugeschnitten ist". Auch Frisch spricht dieses Verhältnis an, wenn er von einer "Konfundierung von Ablöseanspruch und Ablehnungsrecht" spricht. Eine nähere Betrachtung der Verfahrensausgestaltung des § 23 EGGVG unterstützt die Ansicht des BGH, denn das Verfahren des § 23 EGGVG ist für eine in Wahrheit begehrte "Ablehnung" des Staatsanwalts zu schwerfällig. Ebenso wie bei der Sachaufsichtsbeschwerde bestünde die Gefahr der "prozessualen überholung" und Unübersichtlichkeit38 • Das OLG als vollkommen neue Instanz wird eine gewisse Einarbeitszeit benötigen, so daß das Verfahren Zeit braucht. Weigert sich der Vorgesetzte auf eine "Ablehnung" durch Ersetzung zu reagieren, so könnte der Staatsanwalt trotz Klage nach § 23 EGGVG weiterhandeln, denn in §§ 23 EGGVG sind keine Vors~riften ersichtlich, die eine Amtsenthaltung oder eine Vertretung des "abgelehnten" Staatsanwalts gebieten. Damit kann als Fazit festgehalten werden, daß § 23 EGGVG sowohl wegen Fehlens eines klagbaren Justizverwaltungsakts und eines subjektiv-öffentlichen Rechts gern. § 24 I EGGVG als auch wegen seiner Sytemwidrigkeit nicht der richtige Weg zur Durchsetzung des staatsanwaltschaftlichen präventiven Handlungsverbots ist. Vielmehr soll #. Vgl. auch oben aa), wonach notfalls wegen Art. 19 IV GG beim offensichtlich tatsächlich befangenen Staatsanwalt ein Justizverwaltungsakt und der Rechtsweg des § 23 EGGVG eröffnet werden könne. 37 MDR 1981, 597 rn. zust. Anm. von Greiner S. 547 ff.: Die nachträglich richterliche Kontrolle einer beendeten vorläufigen Festnahme gern. § 127 11 soll nicht nach § 23 EGGVG, sondern analog § 9811, 2 überprüft werden. 38 Kuhlrnann S. 14; Wendisch S. 262.

6. Kap.: Ausschluß- und Ablehnungsverfahren

152

versucht werden, das in Rechtsanalogie zu § 21 VwVfG entwickelte "interne" Verfahren durch eine analoge Anwendung der §§ 24 ff. auf "strafverfahrensrechtlicher Ebene" fortzuentwickeln.

3. Formelles Ablehnungsverfahren auf "strafverfahrensredltlidler" Ebene a) Milglidlkelten nnd LlIsnngsvorsdlllge

Frisch's3U Lösungsvorschlag ist bei § 23 EGGVG schon angesprochen worden. Im Ermittlungsverfahren folgert er infolgeder "funktionalen Gleichschaltung" von Staatsanwalt und Gericht und der Verweigerung gerichtlichen Rechtsschutzes überhaupt aus gesetzesimmanenten Erwägungen in Verbindung mit der aus Art. 19 IV GG folgenden Garantie des effektiven Rechtsschutzes die Gewährleistung eines formellen Ablehnungsverfahrens analog §§ 24 ff., wobei die (ablehnende) Entscheidung des Vorgesetzten über die Ersetzung des vom Verfahrensbeteiligten "abgelehnten" Staatsanwalt gerichtlich - durch eine Beschlußkammer des LG, an dem die Staatsanwaltschaft organisiert ist - überprüft werden soll. Im Hauptverfahren seien die Funktionen der Staatsanwaltschaft so untergeordnet, daß gesetzesimmanent nur eine Lücke vorhanden sei, die durch § 21 VwVfG ausgefüllt werden könne40 . Kuhlmann41 befürwortet auf der Basis des Gebots des fairen Verfahrens -allerdings beschränkt auf das Hauptverfahren -:- ohne nähere Begründung einen Gerichtsbeschluß analog § 24, der allerdings nicht die konstitutive Wirkung eines Ausschlusses, sondern nur die Feststellung der Begründetheit oder Unbegründetheit des Ablehnungsgrundes beinhalten könne. Die Staatsanwaltschaft werde dann wohl von selbst entsprechend dieser Feststellung handeln. Das BVerfG42 und im Anschluß daran der BGH43 nennen nur hypothetisch die Rechtsgrundlage eines möglichen formellen Ablehnungsverfahrens in der Hauptverhandlung, wobei unklar bleibt, ob überhaupt ein Gerichtsbeschluß und dann mit konstitutiver Wirkung anerkannt werden soll. So hat der BGH nur hypothetisch geäußert, es könne ein "Ablehnungsrecht aus allgemeinen Erwägungen über die Struktur des Strafprozesses und die Stellung der Staatsanwaltschaft oder aus übergeordneten Verfahrensgrundsätzen, wie etwa des Art. 6 11 MRK 3V

S. 410 ff.

40 Ähnlich wohl auch Bruns JR 1980, 398.

41 42

43

S. 14.

JR 1979, 28.

NJW 1980, 845.

3. Formelles Ablehnungsverfahren auf "strafverfahrensrechtlicher" Ebene

153

(Anspruch auf "fair trial")" in Betracht kommen. Ebenso wie Wendisch44 ließ er mit dieser Formulierung die beiden unterschiedlichen Wege der gesetzesimmanenten bzw. verfassungskonformen Rechtsfort'bildung, wie sie schon anläßlich des Handlungsverbots in Frage standen, offen. Wendisch46 schließlich plädiert sowohl im Ermittlungs- wie im Hauptverfahren für ein formelles Ablehnungsverfahren ohne irgend welche gerichtliche Entscheidungsbefugnis allein auf der Basis der Dienstaufsichtsbeschwerd.e in Gestalt der Sachaufsichtsbeschwerde. "Formelles" Ablehnungsverfahren bedeute Zulässigkeit eines Antrags des Beschuldigten usw. und daraus die Verpflichtung des Dienstvorgesetzten, über den Ablehnungsantrag pflichtgemäß sachlich zu entscheiden. Anstelle der gerichtlichen Entscheidung trete die Entscheidung des Dienstvorgesetzten, wobei auch Wendisch die nähere Ausgestaltung der Regelung offen läßt. Im folgenden sollen die einzelnen Lösungsvorschläge diskutiert und unter Einbeziehung der Rechtsgrundlagen eine de lege lata mögliche Lösung angeboten werden. b) Die "Sperre" des § 150 GVG

Gleichgültig, ob man einer gesetzesimmanenten oder verfassungskonformen Rechtsfortbildung den Vorrang gibt, findet doch jede Lösung de lege lata ihre Grenze in der klar ausgesprochenen Wertung des Gesetzgebers, daß gem. § 150 GVG die Staatsanwaltschaft von den Gerichten unabhängig ist. Die Staatsanwaltschaft steht gleichwertig neben dem Gericht. Die in § 150 GVG garantierte Unabhängigkeit umfaßt auf jeden Fall eine organisatorische Unabhängigkeit vom Gericht. Das Gericht ist nicht befugt, dem Staatsanwalt "Anweisungen" zu erteilen oder "Auflagen" zu machen46 , geschweige denn eine Entfernung des Staatsanwalts aus dem Verfahren rechtswirksam zu verfügen. Lediglich in § 176 GVG sind auch den Staatsanwalt treffende begrenzte sitzungspolizeiliche Maßnahmen gestattet. De lege lata ist deshalb keine Lösung möglich, in der z. B. der Ermittlungsrichter oder das erkennende Gericht oder nach Frisch etwa eine besondere Besetzungskammer am LG, den "als befangen besorgten" Staatsanwalt konstitutiv vom Verfahren ausschließen kann, wie dies beim Verteidiger in den §§ 138 a ff. möglich ist. Ebenso wie beim Verteidiger47 , kann nur der 44 46

S.251. S. 260 ff.

41 Peters, StPO S. 168; L / R / Schäfer § 150 GVG, 2; L / R / Dünnebier 17 vor § 22. 47 Beim Verteidiger war ein formelles Gesetz wegen Art. 12 GG und "einer geordneten Rechtspflege" geboten (BVerfGE 34, 306).

6. Kap.: Ausschluß- und Ablehnungsverfahren

154

Gesetzgeber48 die eigenständige Stellung des Staatsanwalts als Organ der Rechtspflege in solchem Maße einschränken. Eine reine analoge Anwendung der §§ 24 ff. mit einer richterlichen Entscheidung über den konstitutiven Ausschluß eines als befangen besorgten Staatsanwalt ist deshalb nicht möglich·'. Auch der Hinweis Frischs60 , daß wenigstens im Ermittlungsverfahren Art. 19 IV GG eine konstitutive richterliche Entscheidung gebiete, weil sonst überhaupt keine richterliche Kontrolle der Mitwirkung eines disqualifizierten Staatsanwalts vorhanden sei, kann daran nichts ändern, weil Frisch selbst an anderer Stelleöt feststellte, daß Art. 19 IV GG nicht zwingend den Typus des exeptionellen vorbeugenden Rechtsschutzes, wie es eine konstitutive richterliche Entscheidung über den Ausschluß des disqualifizierten Staatsanwalts darstellt, garantiere. Besonders von Lorenz 52 ist hervorgehoben worden, daß das Gebot des effektiven Rechtsschutzes vorwiegend eine Leerformel ist, aus dem grundsätzlich keine bestimmte rechtssatzmäßig taugliche gerichtliche überprüfungs- und Gestaltungsbefugnis de lege lata gefolgert werden kann53 • Art. 19 IV GG kann deshalb die Sperre des § 150 GVG nicht überwinden. c) Das Prinzip des fairen Verfahrens als Rechtsgrundlage und Richtlinie der RechtsforibUdung

Außer Frage steht, daß sowohl im Ermittlungs- wie im Hauptverfahren gem. Art. 103 I GG der Verfahrensbetroffene informell 64 seine Besorgnis geltend machen darf. Hier geht es aber um die Ausgestaltung eines formellen Verfahrens, in dem der Verfahrensbetroffene einen Anspruch auf eine Entscheidung hat und diese Entscheidung gegebenenfalls in einer weiteren Instanz mit Fristen noch überprüft werden kann. Die ßechtsgrundlage eines de lege lata noch möglichen formellen Ablehnungsverfahrens, mit dessen Hilfe die Besorgnisgründe konstiSo auch W~ndisch S. 264. Ebenso wohl Bruns JR 1979, 32, der nur von richterlichen "Anregungen" spricht. (Ebenso wohl auch in JR 1980, 378 ff.); vg1. auch Kuhlmann S. 14; Wendisch S. 264. 48 ft

50

S.411.

S.395. 52 NJW 1977,871; AöR 105, 636. 53 Ganz deutlich zeigen sich die Schwierigkeiten, einen Rechtsschutz aus Art. 19 IV GG dann zu begründen, wenn die Klageart vom typischen repressiven Rechtsschutz abweicht: z. B. bei Bettermann, Die GrundR 111/2 S: 814 f., der für die vorbeugende Unterlassungsklage Art. 19 IV "analog" anwenden will. Vgl. weiter D. Lorenz, Der Rechtsschutz des Bürgers und die Rechtsweggarantie, München 1973, S. 239, der von der "Vorwirkung" des Art. 19 IV GG in solchen Fällen spricht. 54 Vgl. so ausdrücklich für die§§ 20, 21 vwVfG, Kopp VwVfG § 20, 2. 51

3. Formelles Ablehnungsverfahren auf "strafverfahrensrechtlicher" Ebene

155

tutiv wirken, ist nach dem bisher Gesagten leicht zu finden, wenn man ein solches Verfahren als Sicherung und Durchsetzung des staats anwaltschaftlichen Handlungsverbots bei Besorgnis der Befangenheit im Einzelfall versteht. Dann kann weder der die Verfassungsgrundsätze vernachlässigende methodische Weg Frischs einer gesetzesimmanenten Rechtsfortbildung, noch eine einseitige Konzentration auf unbestimmbare Grundsätze des fairen Verfahrens, sondern nur eine Kombination der Rechtsgrundlagen, mit denen schon das präventive Handlungsverbot begründet worden ist, weiterhelfen, nämlich der "Anspruch" auf ein faires Verfahren gem. Art. 2 Ii. V. m. 1 I GG und dem Rechtsstaatsprinzip i. V. m. der Aufgabe und Stellung der Staatsanwaltschaft und ihr Verhältnis zu den Verfahrensbeteiligten und zum Gericht. Hätte der BGH55 bei seiner l1ypothetischen Definition der Rechtsgrundlage eines Ablehnungsverfahrens die "allgemeine Stellung der Staatsanwaltschaft" und den "Anspruch auf ein faires Verfahren" nicht alternativ ("oder"), sondern kumulativ formuliert, wäre ihm voll zuzustimmen gewesen. Anläßlich der Suche nach den Rechtsgrundlagen des staatsanwaltschaftlichen Handlungsverbots bei Besorgnis der Befangenheit im Einzelfall wurde festgestel1t5 6 , daß das Prinzip des fairen Verfahrens und die danach gebotene Respektierung der Besorgnis des individuellen Verfahrensbeteiligten eine negative Kompetenzbestimmung und damit die Unzulässigkeit des Agierens eines vom vernünftig-individuellen Verfahrensbeteiligten als befangen besorgten Staatsanwalts begründet (1. Ebene). An dieser Stelle steht nun die 2. Ebene, nämlich die subjektiv-rechtliche Funktion des Art. 2 I i. V. m. Art. 1 I GG als "status activus processualis" zur Diskussion, konkret also die Frage, ob aus dem Anspruch auf ein faires Verfahren auch für den besorgenden Verfahrensbeteiligten eigene verfahrensrechtliche Möglichkeiten zur Durchsetzung und Absicherung der negativen Kompetenzbestimmung bei Besorgnis der Befangenheit gefolgert werden können: Ein solcher "Grundrechtsverwirklichungsanspruch" würde ein formelles Ablehnungsverfahren erfordern, wie es in den §§ 24 ff. vorhanden ist. Das BVerfG57 und der BGH58 scheinen von einer solchen Grundrechtsverwirklichungsfunktion auf Verfahrensebene auszugehen, wenn sie dem Verfahrensbeteiligten aus dem Prinzip des fairen Verfahrens (Art. 2 I i. V. m. 1 I GG) ein "Ablehnungsrecht" zubilligen. S5

NJW 1980, 845.

" Vgl. oben 3. Kapitel 2. b). a7

68

JR 1979, 28. NJW 1980, 845.

156

6. Kap.: Ausschluß- und Ablehnungsverfahren

Diese Rechtsprechung entspricht neuester Grundrechtsdogmatik, wonach neben den Funktionen der .Grundrechte als "status negativus" gegen den Staat69 und ihrem objektiven Regelungsinhalt uo , die beide zu einer negativen Kompetenzbestimmung und Handlungsverbot geführt haben, sowie dem "status positivus"; als subjektiver Anspruch auf Teilhabe an staatlichen LeistungenU1 , den Grundrechten mehr und mehr ein "status activus processualis" zuerkannt wird, weil ein Grundrecht in seinem Geltungsinhalt nur dann voll zur Wirkung kommt, wenn es im Verfahren mit Hilfe jeweils "angemessener" verfahrensrechtlicher Instrumentarien auch durchgesetzt werden kann (Stichwort: Grundrechtsverwirklichung durch VerfahrenS2 ). Eine solche Grundrechtsverwirklichung erschöpft sich nicht nur in gerichtlichem repressiven Rechtsschutz, sondern beurteilt sich nach der effektiven Verwirklichung des Grundrechts, was dann gegebenenfalls auch zu präventivem Rechtsschutz führen kann". Inhalt des Anspruchs auf ein faires Verfahren ist hier, daß den Staatsanwalt ab dem Zeitpunkt, in dem der vernünftig-individuelle Verfahrensbeteiligte eine Befangenheit besorgt, eine negative Kompetenzbestimmung trifft, er nicht mehr weiterhandeln darf. Durch repressiven Rechtsschutz allein würde das Grundrecht nur unvollkommen verwirklicht, da damit das verbotene Amtieren des Staatsanwalts im Verlauf des Strafverfahrens nicht erfaßt ist. Eine effektive Grundrechtsverwirklichung ist nur gewährleistet, wenn der besorgende Verfahrensbeteiligte "prozessuale Rechte und Möglichkeiten" hat, mit deren Hilfe er "selbständig"64 die "befangene" Mitwirkung schon von Anfang an abwenden kann. Hierzu bietet sich das für ähnliche Situationen beim Richter usw. geschaffene formelle Ablehnungsverfahren gern. §§ 24 ff. an. Der besorgende Verfahrensbeteiligte soll nicht von der obrigkeitsstaatlichen Fürsorge für einen ger~chten Prozeß abhängig sein, hier eben nicht von der innerbehördlichen Kontrolle der staatsanwaltschaftlichen Organisation, wie es die Motive des Gesetzgebers von 1877 als ausreichend ansahen. Neben der negativen Kompetenzbestimmung kann deshalb aus dem Hesse EuGRZ 1978,431; Starck JuS 1981,240; Rupp AöR 101, 165 ff. Hesse aaO; Starck JuS 1981, 238. 81 Ein heute noch sehr umstrittener Status: Vgl. am weitesten gehend: Häberle "Grundrechte im Leistungsstaat" VVDStRL 30 (1972) 69 ff.; ihn widerlegend Rupp AöR 101, 189 ff.; Hesse EuGRZ 1978,433 m. Nachw. aus der Rspr. des BVerfG. I! Vgl. zuerst BVerfGE 24, 367 (401); inzwischen ständ. Rspr., vgl. Nachw. bei Hesse EuGRZ 1978, 434 ff.; grundlegend Lorenz AöR 105, 623 ff.; Rupp AöR 101, 164 ff.; Starck JuS 1981, 242; zust. Sondervotum der Richter Simon und Haußner zu BVerfG NJW 1980, 759 auf S. 764 ff. 13 Im Anordnungsverfahren bei atomrechtlicher Genehmigung: BVerG NJW 1980, 759 ff. 84 BVerfG NJW 1975, 103. 6t

10

3. Formelles Ablehnungsverfahren auf "strafverfahrensrechtlicher" Ebene

157

Prinzip des fairen Verfahrens in Verbindung mit der Aufgabe und Stellung des Staatsanwalts auch ein formelles Ablehnungsverfahren zugunsten des besorgenden Verfahrensbeteiligten gefolgert werden. Dies folgt aus dem status activus processualis des Art. 2 Ii. V. m. Art. 1 I GG, aus dem Gebot effektiver Grundrechtsverwirklichung oder, wie es früher mißverständlich allein mit Blick auf Art. 3 I GG zu formal genannt wurde, aus dem Gebot der Waffengleichheit zwischen Verfahrenssubjekt und dem übermächtigen staatlichen Rechtspflegeorgan Staatsanwaltschaft. Anders als das formale Prozeßgrundrecht des Art. 101 12 GG, aus dem das richterliche formelle Ablehnungsverfahren hergeleitet wird65 , ist das Prinzip des fairen Verfahrens, das beim disqualifizierten Staatsanwalts Art. 101 12 GG quasi "ersetzt", mit seinem normativ unbestimmten Grundrechtsinhalt der Art. 2 I i. V. m. 1 I GG aber der Abwägung zugänglich", so vor allem, wie es vom BVerfG67 praktiziert wird, dem Verfassungsprinzip der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege, hinter dem die Erwägungen der Prozeßökonomie, der Verfahrensbeschleunigung und der Arbeitsfähigkeit der Staatsanwaltschaft stehen. Solche Erwägungen können aber letztlich nur durch den Gesetzgeber entschieden werden. Besonders deutlich hat diese Problematik Koffka88 hervorgehoben, welche die Fragen, ob das Gericht analog § 24 anstelle der Beschwerde an den Generalstaatsanwalt entscheidet oder ob es lediglich die Beschwerde an den Vorgesetzten in einer nicht bestimmten Frist weiterleitet oder ob. die Revision ohne Ablehnungsantrag in der Hauptverhandlung überhaupt zulässig sein soll, als "Form und Fristfragen" dem Gesetzgeber zugewiesen hat. Die Frage nach dem "ob" und "wie" eines formellen Ablehnungsverfahrens ist deshalb nicht so sehr ein spezifisches Grundrechtsproblem, sondern mehr das. der Konkurrenz zwischen Rechtsfortbildung (de lege lata) und dem allein dem Gesetzgeber zustehenden rechtspolitischen und verfahrensspezifischen Zweckermessen69 . Dem BVerfG ist deshalb zuzustimmen, wenn es angesichts dieser Konkurrenz Rechtsfortbildung, hier in Gestalt eines formellen Ablehnungsverfahrens nur als möglich ansieht, soweit es zum Schutze der Subjektstellung der Verfahrensbeteiligten unter Abwägung der Bedürfnisse einer funkBVerfGE 21, 139, 145; BVerfG NJW 1971, 1030. •• Vgl. plastisch I. Müller S. 47. 87 Vgl. nur BVerfGE 33, 67, inzwischen ständ. Rspr. vgl. dazu näher unten

15

Fußn.74.

ZStW 84, 672. sv Dies hebt Starck JuS 1981, 242 als echtes Problem des grundrechtlichen

88

"status activus processualis" hervor.

158

6. Kap.: Ausschluß- und Ablehnungsverfahren .

tionsfähigen Rechtspflege "zwingend"70 ist. Dies wird in Anlehnung an die Rspr. des BVerfG zum vorbeugenden Rechtsschutz71 und zur effektiven Rechtsschutzgewährung72 dann der Fall sein, wenn ohne ein solches Verfahren dem Verfahrensbeteiligten "schwere" und "unzumutbare nicht anders abwendbare Nachteile" entstünden. Ein formelles Ablehnungsverfahren ist also de lege lata dann geboten, wenn Amtshandlungen eines disqualifizierten Staatsanwalts den Verfahrensbeteiligten schwer, d. h. in seinen Grundrechtspositionen treffen können und kein Rechtsmittel, vor allem keine Revisionsrüge, kein Rechtsbehelf oder der Ermittlungs- oder Eröffnungs- oder der erkennende Richter die Gefahr der Beeinträchtigung rechtzeitig beseitigen kann, m. a. W., wenn die Gefahr irreparabler Grundrechtsbeeinträchtigungen besteht. Zusätzlich muß wiederum, wie beim präventiven Handlungsverbot auch, festgestellt werden, daß einem formellen Ablehnungsverfahren keine Bedenken aus dem Gedanken der Prozeßökonomie, der Verfahrensverzögerung und Arbeitsfähigkeit der Staatsanwaltschaft entgegenstehen. Und hier besteht die Gefahr73 , daß das Prinzip der Funktionsfähigkeit, seit es vom BVerfG zum Verfassungsgrundsatz erhoben wurde74 , das abwägungsoffene Prinzip des fairen Verfahrens so "relativiert" und "materialisiert"76, daß hinfort jede Rechtsfortbildung die den Schutz der Subjektstellung des Beschuldigten usw. im Sinn hat, daran scheitert. Schon anläßlich der Bestimmung des Maßstabs der Besorgnis der Befangenheit wurde hervorgehoben78 , daß eine Rechtsfortbildung immer unter der Prämisse erfolgen muß, das Prinzip der Funktionsfähigkeit gegenüber der Grundrechtsverwirklichung als die Ausnahme zu verstehe,n. Dem hat das BVerfG77 insoweit Recht gegeben, 70 BVerfGE 46, 36; vgl. auch Bachof in: Festschrift zum 500jährigen Bestehen der Tübinger Juristenfakultät, Tübingen 1977, "Der Richter als Gesetzgeber" S. 191. 71 BVerfGE 35, 282, 402; vgl. auch BVerfGE 46, 166 ff. m. Anm. H. Weber JuS 1979, 138 ff.; BVerfGE 51, 368 ff. 7! Lorenz AöR 105,632 ff. m. Nachw. aus der Rspr. des BVerfG. 71 Krit. dazu Grünwald JZ 1976, 773 ff. (Anm. zum Beschluß des BVerfG zu § 231 a in JZ 1976, 766); Cobler "Grundrechtsterror" , Kursbuch 1979 Nr. 56 S. 38 ff., 43; I. Müller S. 23 f.; vgl. aus rein pOlitisch-soziologischer Sicht E. Riehle "Funktionstüchtige Strafrechtpflege contra strafprozessuale Garantien"; Krit. Justiz, 1980,316 ff. 74 Erstmals in BVerfGE 33, 367, inzwischen ständ. Rspr., vgl. BVerfGE 38, 105, 115 f.; 38,312,321; 41, 246, 250; 45,272 ff. und S. 354 f. 75 I. Müller, S. 39, 44. 71 Vgl. oben 5. Kapitel 2. 77 BVerfG NJW 1975, 103; vgl. auch Ebert, "Tendenzwende in der Strafund Strafprozeßgesetzgebung?" JR 1978, 139, der eine "Eigendynamik bei der Abwägung zugunsten der Funktionsfähigkeit" befürwortet (Kritik zum Kontaktsperre-Urteil des BVerfG JZ 1978, 601 (602» und meint, daß dann

3. Formelles Ablehnungsverfahren auf "strafverfahrensrechtlicher" Ebene

159

als es das Prinzip der Verhältnismäßigkeit als Abwägungsschranke aufstellte, wonach nur ein überwiegendes Interesse der Allgemeinheit Verfahrens rechte als Mittel der Grundrechtverwirklichung zurücktreten lassen. Die gegen ein formelles Ablehnungsverfahren oft vorgebrachten Bedenken der Verzögerung des Strafverfahrens bei Mißbrauch eines formellen Ablehnungsrechts müßten deshalb so erheblich und wahrscheinlich sein, daß das Interesse des Verfahrensbeteiligten am formellen Ablehnungsverfahren trotz Irreparabilität hinter die Interessen der Allgemeinheit an einem geordneten Strafverfahren und effektiver Wahrheitsfindung zurücktritt. Ansonsten wäre die Verweigerung eines formellen Ablehnungsverfahrens willkürlich und unverhältnismäßig77 • d) Eigene Lösung im Ermittlungsverfahren de lege lata: Formelles rein staatsanwaltschattllches Ablehnungsverfahren analog §§ 24 tt. StPO. Weitere Beschwerde zum Generalstaatsanwalt in den Fällen des § 140 I und D StPO

Selbst ein rein staatsanwaltschaftliches formelles Ablehnungsverfahren wird für unnötig gehalten, weil die Organisation der Staatsanwaltschaft es gestatte, das Problem des befangenen Staatsanwalts auf informellem Wege befriedigend zu lösen78 • So soll z. B. eine informelle "Anregung" seitens des Beschuldigten an den Staatsanwalt oder dessen Vorgesetzten ausreichen, um die Gefahr der Mitwirkung eines disqualifizierten Staatsanwalts zu bannen 79 • Dem kann nicht zugestimmt werden. Im Gegensatz zum Richter gibt es beim ermittelnden Staatsanwalt keinen "Gesetzeswächter" , der die Ermittlungen auf "befangene" Tendenzen überwacht. Neben der Selbstkontrolle des betreffenden Staatsanwalts kann als Kontrolle deshalb nur noch der Vorgesetzte genannt werden, der aber in der Regel keinen Einblick in die Tätigkeit seines Untergebenen nehmen wird und kann und zudem noch "im Lager" des als befangen besorgten Staatsanwalts steht. Dem Beschuldigten ist es aber nicht zuzumuten, allein der staatsanwaltschaftlichen Fürsorge der Abwehr von ihm als befangen besorgten Amtierens eines Staatsanwalts ausgeliefert zu sein. Sein Grundrecht auf ein faires Verfahren fordert rechtliche von der Staatsanwaltschaft unabhängige Sicherungen in Genur noch der Grundsatz der VerhäZtnismäßigkeit gewisse Subjektstellungen des Besch. retten könnel 78 VgI. die Motive des Gesetzgebers von 1877 bei Hahn, Motive Bd. 3, 1, S. 93; ebenso Begr. zu § 145 a III EGGVG und die Regelungen der § 7 nds bzw. § 11 ba-wü AGGVG. 78 VgI. auch Begr. zum RegE zu § 11 ba-wü AGGVG: L-Tag Drs. 7/7750 S. 41 f.; ebenso wohl OLG Hanun NJW 1969, 808, OLG Karlsruhe MDR 1974,

423.

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6. Kap.: Ausschluß':' und Ablehnungsverfahren

stalt der §§ 24 ff. Das "selbständige" Verfahrens recht eines formellen Ablehnungsverfahrens entspr. §§ 24 ff. kann ihm als Ausfluß seiner effektiven Grundrechtverwirklichung aus Art. 2 I i. V.m. 1 I GG de lege lata aber nur zugebilligt werden, wenn ohne ein solches Verfahren für ihn durch die Mitwirkung des als befangen besorgten Staatsanwalts irreparable und schwere Nachteile entstehen würden und die Funktionsfähigkeit der Staatsanwaltschaft nicht so beeinträchtigt wird, daß die Interessen der Allgemeinheit der Anwendung der §§ 24 ff. analog entgegenstehen. Unter Berücksichtigung dieser Gesichtspunkte ergibt sich im Verhältnis von Staatsanwalt und Beschuldigtem im Ermittlungsverfahren folgendes Bild: Durch das 1. StVRG ist die Staatsanwaltschaft im Zuge der Abschaffung des Untersuchungsrichters zur alleinigen Herrin des Ermittlungsverfahrens geworden. Mit der Zubilligung der· Kompetenzen, den Beschuldigten sowie den Zeugen und Sachverstän~igen zum Erscheinen und letztere zur Aussage zu zwingen (§§ 161 a II, 163 a III), hat sie noch größeren Einfluß auf die Gestaltung des Ermittlungssachverhalts bekommen. Dem Vorteil eines unmittelbaren Kontaktes im Interesse der Sachlichkeit steht der Nachteil des Wegfalls des Filters. des Untersuchungsrichters gegenüber, der einen betriebsblinden und durch Hypothesen voreingenommenen Staatsanwalt neutralisieren konnte. Grünwald 80 fordert zum Ausgleich deshalb eine formelle Ablehnungsregelung. Weiter steht dem Staatsanwalt neuestens eine intensive "befangene" Einflußmöglichkeit81 ohne präventive und repressive richterliche Kontrolle durch die Durchsichtbefugnis von Papieren des durch die Untersuchung Betroffenen gern. § 110 zu. Zahlreiche "befangene" Anordnungen strafprozessualer Zwangsmaßnahmen können unkontrolliert auf den Ermittlungssachverhalt einwirken, weil die Staatsanwaltschaft bei Gefahr in Verzug ohne präventive richterliche Kontrolle handeln darf82 • Soweit eine richterliche Bestätigung ex post erforderlich ist83 oder der Betroffene einen Fortsetzungsfeststellungsanspruch verlangen kann84 , ist der "be80 Gutachten C 33; ebenso Dahs NJW 1975, 1877; Roxin, FS f. SchmidtLeichner S.149. 81 Vgl. dazu Welp, Zwangsbefugnisse S. 7; vgl. auch die Möglichkeit, richterliche Öffnungsbefugnisse der §§ 99/100 I auf den Staatsanwalt zu übertragen; vgl. auch die seit längerem ohne vorausgehende richterliche Erlaubnis der Staatsanwaltschaft gem. § 12 des Gesetzes über Fernmeldeanlagen vom 14. Januar 1928 i. d. F. vom 17.3.1977 (BGBI I S.459, 579) bei Gefahr in Verzug von den Dienststellen der Post Auskunft über den Inhalt früherer und zukünftiger Fernmeldemitteilungen zu verlangen (Nachw. bei Erbs / Kohlhaas, Strafrechtliche Nebengesetze. Bearb. Meyer, F 55 Gem. 7 zu § 12). 82 §§ 81 a, 81 C, 98,100, 105, 111, 11le,127 11. 83 §§ 9811, 1; 115 f., 128. 84 Vgl. Roxin, StrafverfahrensR S. 155 f., wonach § 9811, 2 dort analog angewendet werden soll, wo die Staatsanwaltschaft ermächtigt ist, bei Gefahr in Verzug zu handeln.

3. Formelles Ablehnungsverfahren auf "strafverfahrensrechtlicher" Ebene

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fangene" Eingriff schon vollzogen und der Betroffene war der Mitwirkung eines disqualifizierten Staatsanwalts ausgesetzt. Im übrigen ist das "originäre" Treffen und die Durchführung strafprozessualer Zwangsbefugnisse ohne vorherige richterliche Anrufung längst die Regel geworden85 • Eine kriminologisch längst feststehende Tatsache88 ist die Umkehrung des Ermittlungsverfahrens in ein "Hauptverfahren", soweit die Staatsanwaltschaft gem. § 160 III Strafzumessungstatsachen und das Persönlichkeitsbild des Beschuldigten ermittelt. Dieses· Bild ist dann so feststehend, daß in der Hauptverhandlung wesentliche Korrekturen durch den Richter oft nicht mehr erfolgen können. Zusammen mit den übrigen klassischen Ermittlungsbefugnissen ist der Staatsanwalt - vom 1. StVRG-Gesetzgeber sehr bewußt gewollt für Tataufklärung, Ermittlung des Sachverhalts neben der Polizei und für die Entscheidung über Anklage oder Einstellung der alleinige Gestalter im Ermittlungsverfahren87 • Der Ermittlungsrichter gestaltet nicht, sondern kontrolliert lediglich das von ihm nicht voll nachvollziehbare bisherige Ermittlungsergebnis auf seine Rechtmäßigkeit, soweit es die ihm angetragene Untersuchungshandlung rechtfertigt. Soweit die Tat angeklagt wird, könnte man einwenden, daß die Ermittlungen und Hypothesen der Staatsanwaltschaft im Eröffnungsverfahren oder in der Hauptverhandlung überprüft und "befangene" Ergebnisse oder Unterlassungen ans Licht kommen. Indes ist spätestens seit den Untersuchungen von Peters88 erwiesen, daß Ermittlungsfehler, die Peters89 in 7 Kardinalfehlergruppen einteilt und damit selbstver815 Zudem kommt noch hinzu, daß die Entscheidung, ob eine ohne richterliche Mitwirkung zulässige Eilmaßnahme getroffen werden soll oder nicht, allein von der Staatsanwaltschaft getroffen wird, weil die Beurteilung, ob eine "unaufschiebbare Maßnahme" bei "Gefahr in Verzug" vorliegt, vom Staatsanwalt nach seiner überzeugung (so BGH JZ 1962, 610) erfolgen darf; dazu krit. Baumann JZ 1962, 612. 8S Vgl. nur Kaiser S. 78. 87 Fezer, Gedschr. f. H. Schröder S. 411. 88 Fehlerquellen 11 S. 195 ff., Fezer S. 411. 89 S.195: 1. Zu spät einsetzende Ermittlungen; 2. Nicht genügend vorbereitete Ermittlungen; 3. Ungenügende Ausschöpfung von BeweismögIichkeiten(l); 4. Sich-Beschränken auf eine bestimmte, für richtig gehaltene Aufklärungslinie(l); 6. Unzulängliche Persönlichkeitserforschung; 7. Verhältnis zum Gutachter; vgl. auch Walter Kiwit, Fehlurteile im Strafprozeß, Diss. Münster 1965, S. 142 ff.: Verstöße gegen § 16011 StPO und daraus folgende Fehlurteile; Regina Lange, Fehlerquellen im Ermittlungsverfahren, Heidelberg 1980, S. 7 ff.

11 Schairer

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6. Kap.: Ausschluß- und Ablehnungsverfahren

ständlich auch durch "Befangenheit" begangene Fehler nicht mehr vollständig korrigiert werden können, da die Hauptverhandlung keine Neuauflage des Ermittlungsverfahrens sein kann, sondern, wie schon die §§ 155,264 zeigen, auf der Grundlage der Ermittlungen erfolgt. Das Gericht ist zur umfassenden Kontrolle und damit zur Kontrolle "befangener" Ermittlungen in Massen-, Bagatell- und weit zurückliegenden, sowie umfangreichen Verfahrenuo überfordert U1 • Selbst wenn der richterliche überprüfungsmechanismus z. B. durch Einstellung oder Freispruch voll funktioniert, bleibt die "befangene" Anklageerhebung für den Betroffenen insoweit irreparabel, als sie oft ebenso schwer wiegt (z. B. Rufschädigung U2), wie die Verurteilung selbst. Als eines der wesentlichsten Argumente für ein formelles Ablehnungsverfahren de lege lata wird die informelle Sanktionskompetenz deT Staatsanwaltschaft nach § 153 a genannt, weil hier eine vollkommene "funktionale Gleichschaltung" mit dem Richter stattgefunden habe 93 • Entscheidend ist aber auch hier, ob ein Stadium der Irreparabilität geschaffen wird, was wenigstens zum Teil zu bejahen ist, weil trotz notwendiger Zustimmung des Gerichts (§ 153 a I, 1) eine wirksame rechtsstaatliche Kontrolle "befangener" staatsanwaltschaftlicher Einstellungen zweifelhaft ist. Die Tatsache des gegenseitigen Vertrauens und eine tägliche reibungslose Kooperation zwischen Staatsanwaltschaft und Gericht bewirken, daß es die Verweigerung der richterlichen Zustimmung praktisch nicht gibtt4 • Die notwendige Zustimmung des Vgl. zu NS-Verfahren: Peters S.197. Fezer S. 412: Das Gericht stelle nur noch "formal" die Tat- und Schuldfrage endgültig fest; ebenso Peters S. 195 f., 211 f., 215, Einzelheiten S. 196 ff.; Bruns JR 1980, 400. Der Effekt der mittelbaren Beeinflussung des Gerichts durch die Staatsanwaltschaft und daß der Richter auf der vom Akteninhalt vorbezeichneten Route vorgeht, ist inzwischen informationstheoretisch fundiert: vgl. dazu Schünemann GA 1978, 171 f. m. w. Nachw., wonach der Richter das Ermittlungsergebnis nach dem "Selektionsprinzip" und dem "Redundanzprinzip" adaptiert; vgl. auch die Theorie der kognitiven Dissonanz, "inertia effekt", dazu Schünemann aaO S. 172 Fußn. 51 a. Hier setzt die Forderung nach Umgestaltung der Hauptverhandlung nach anglo-amerikanischem Vorbild an, die aber die Abhängigkeit des Richters von den staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen auch nicht wesentlich verhindern wird. 92 Vgl. den Beispielsfall bei Peter Wax, "Der unabhängige Staatsanwalt", DRiZ 1972, 163 f.: Ein Lehrer wird wegen Verdachts sexueller Handlungen, die er an Schülerinnen vorgenommen haben soll, angeklagt. Der Freispruch wird die schon entstandene Rufschädigung und beruflichen Nachteile nur gering kompensieren können. 93 Vgl. Frisch S. 410. 94 Weigand S. 54 und Fußn. 202; B / S / S S. 316 ff. Die geringe rechtsstaatliche Bedeutung der richterlichen Zustimmung zeigt sich auch darin, daß ihr Fehlen die Einstellungsverfügung nicht unwirksam macht (Kleinknecht Einl. 101, § 153, 5). Hinzu kommt, daß die Staatsanwaltschaft in Grenzfällen 90

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3. Fonnelles Ablehnungsverfahren auf "strafverfahrensrechtlicher" Ebene

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Beschuldigten ist ein zweifelhafter rechtsstaatlicher Ersatz, denn seine Zustimmung wird meist durch die Alternative der ihn härter treffenden Anklage und öffentlichen Hauptverhandlung geleitet sein96 • Die quasi nicht wirksame Kontrollwirkung des richterlichen Zustimmungserfordernisses ist auch bei anderen zustimmungsbedürftigen Einstellungen gem. §§ 153 ff. und sogar im Strafbefehlsverfahren festzustellen98. Eine "negative" Entscheidungskompetenz, die jeder richterlichen überprüfung entzogen ist, besteht in der Möglichkeit des Staatsanwalts, gem. §§ 154, 154 a oder gem. § 170 II gewisse Tatkomplexe dem Richter vorzuenthalten. Ein voreingenommener Staatsanwalt kann dadurch bewirken, daß dem Richter Aspekte verlorengehen, die zu einer positiveren Beurteilung von Tat und Täter hätten führen können. Die Irreparabilität "befangener" Entscheidung nach den §§ 153 ff. wird besonders deutlich, wenn man sich vergegenwärtigt, daß solche Entscheidungen zwar fehlerhaft, aber nicht anfechtbar97 sind. Eine Nichtigkeit und damit rechtliche Unwirksamkeit der Entscheidung ist beim Verstoß gegen das präventive Handlungsverbot ebensowenig wie beim Richter gegeben98 • Der Rspr. 99 , die im Falle der Mitwirkung eines disqualifizierten Richters bei unanfechtbaren Entscheidungen (z. B. Eröffnungsbeschluß) Nichtigkeit angenommen hat, ist abzulehnen, weil nicht über die Nichtigkeit das Fehlen von Rechtsschutz korrigiert werden kann. Dem Beschuldigten wird es aber nicht gleichgültig sein, ob an der Einstellung ein von ihm als befangen besorgter Staatsanwalt mitgewirkt hat, da er ein rechtsstaatlich anerkennenswertes Interesse100 an einer unbefangenen Einstellungsverfügung hat! Auch die ansonsten letztmöglichste Fehlerkorrektur, die Revision einer Entscheidung bei Verfahrensfehlern ist, soweit überhaupt Anklage erhoben worden ist, nur bedingt möglich, da Verfahrensfehler und damit die verbotene Mitwirkung des disqualifizierten Staatsanwalts im Ermittlungsverfahren grundsätzlich nicht revisibel sind101 • selbst entscheiden kann, ob sie z. B. bei § 153 I, 2 eine richterliche Zustimmung für erforderlich ansieht oder nicht (Kleinknecht § 153, 18); vgl. auch Fußn.85. ts Vgl. Baumann, Grundbegriffe S. 52: "Kuhhandel". D8 B / S / S S.7: Der Strafbefehl wird in der Regel vom Richter schlicht "gegengezeichnet" . • 7 Frisch S. 412; wenn die richterlichen Einstellungsverfügungen nicht beschwerdefähig sind (L / R / Meyer-Goßner § 153, 76; § 153 a, 88), dann ebensowenig die des Staatsanwalts! 8S Kuhlmann S. 13 li. Sp.; vgl. näher 7. Kap. 2. 80 RGSt. 55, 113; BGH NJW 1954, 360; BGli b. Herlan MDR 1955, 656; and. Kleinknecht 9 vor § 22 m. w. Nachw.; vgl. näher 7. Kapitel 3. d) bb). 100 Ebenso Frisch S.412. 101 Dahs / Dahs, Revision, Rdnr. 176. 1l'

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6. Kap.: AusschluB- und Ablehnungsverfahren

Angesichts dieser massiven Lücken im Kontrollsystem ist es dem Beschuldigten als Rechtssubjekt nicht zuzumuten, ohne selbständig aus,. übbare verfahrensrechtliche Einflußmöglichkeit die Gefahr der Mitwirkung eines disqualifizierten Staatsanwalts zu dulden, da sonst für ihn irreparable Nachteile entstehen. Das Grundrecht auf ein faires Verfahren verlangt die fehlenden rechtlichen Sicherungen der Mitwirkung eines disqualifizierten Staatsanwalts durch ein formelles, rein staatsanwaltschaftliches Ablehnungsverfahren auf der Basis einer Sachaufsichtsbeschwerde analog §§ 24 ff. auszugleichen, wobei an die Stelle der richterlichen Entscheidung die Entscheidung des Vorgesetzten des "abgelehnten" Staatsanwalts und eine Beschwerdemöglichkeit an den Generalstaatsanwalt tritt102. Damit wird der rechtsanalog zuwendende § 21 VwVfG durch ein Ablehnungsverfahren ergänzt. Ohne ein solches formelles Verfahren würden gewisse Ermittlungsbereiche allein der formlosen behördlichen Selbstkontrolle unterliegen, die rechtsstaatlich nirgends akzeptiert wird 103. In einem formellen Verfahren ist der Vorgesetzte dazu gezwungen, eine sachliche Begründung und Bescheidung des Ablehnungsantrags zu liefern. Damit wäre schon ein rechtsstaatlicher Vorteil verbunden, nämlich die Konkretisierung der traditionellen. und hinzunehmenden Unschärfe des unbestimmten Rechtsbegriffs der "Besorgnis der Befangenheit"104. Die Beschränkung auf ein rein staatsanwaltschaftliches formelles Ablehnungsverfahren lassen die vom Gesichtspunkt der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege durchaus bedenkenswerten Einwände, daß ein solches Verfahren zu Mißbrauch und Verzögerung führe 106 , zurücktreten. Dem Interesse der Allgemeinheit an einer effektiven Strafverfolgung und Erforschung der Wahrheit ist dadurch Rechnung getragen, .daß keine gerichtliche Entscheidung über den Ablehnungsantrag möglich ist. Die Staatsanwaltschaft selbst ist verpflichtetl°8 , das Verfahren schnell und zweckvoll zu gestalten. Sie selbst hat es in der Hand, Ablehnungsgesuche schnell und sachlich zu· bescheiden. Sachnähe und Flexibilität bleiben gewahrt. Eine auf die spezifische Situation des Ermittlungs" lot Im Erg. ohne genaue Darstellung auch Wendisch, S. 266, 264, wohl auch Bruns JR 1979, 32: für ein solches Verfahren im Verwaltungsverfahren aus Art. 1 GG: Kopp S. 45 ff. . 103 Diss. opinion der Richter GeIler, v. Schlabrendorff, Rupp zum AbhörUrteil des BVerfG NJW 1971, 275 ff., auf S. 281,283. . . 104 Vgl. Kirchhoff VerwA 1975, 382 für das Verwahrungsverfahren. 105 OLG Hamm NJW 1969, 808, OLG Karlsruhe MDR 1974, 423; Begr. RegE zu § 11 AGGVG ba-wü L-Tag Drs. 7/7760 S.41 f. 108 So ausdrücklich der Novellierungszweck im 1. StVRG BT-Drs. 7/551 S.34/

3. Formelles Ablehnungsverfahren auf "strafverfahrensrechtlicher" Ebene

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verfahrens abgestimmte analoge Anwendung der §§ 24 ff. bieten im übrigen genug Handhabe, um Mißbrauch und Verzögerung auf ein den Anforderungen der Funktionsfähigkeit angemessenes Mindestmaß zu beschränken. Das Verfahren sollte dann folgendermaßen ausgestaltet sein107 : Im Ermittlungsverfahren steht nur dem Beschuldigten nicht aber dem Verletzten ein Ablehnungsrecht analog § 24111 ZU108 . Anders als im auf die Hauptverhandlung zugeschnittenen § 25 I, 1 ist die Ablehnung bis zur Anklageerhebung zulässig. Bei § 153 a kann der Beschuldigte den Staatsanwalt bis zur vollständigen Erfüllung der Auflagen und Weisungen ablehnen. Entsprechend § 25 I, 2 sind alle Ablehnungsgründe gleichzeitig vorzubringen. Entsprechend § 26 I, § 21 I, 1 VwVfG ist das Ablehnungsgesuch beim Vorgesetzten des "abgelehnten" Staatsanwalts anzubringen und kann entweder vor dem "abgelehnten" Staatsanwalt, der zur Weiterleitung verpflichtet ist oder der Geschäftsstelle der Staatsanwaltschaft zu Protokoll gebracht werden. Entsprechend § 26 11 ist der Besorgnisgrund glaubhaft zu machen. Der "abgelehnte" Staatsanwalt hat sich entsprechend § 26111 vor seinem Vorgesetzten dienstlich zu äußern. Ebenso wie bei § 21 VwVfGl09 ist in Rechtsanalogie zu § 28 VwVfG der Ablehnende darauf zu hören. Entsprechend § 26 a I kann der Vorgesetzte den Ablehnungsantrag in folgenden Fällen als unzulässig ablehnen: Entsprechend Nr. 1, wenn die Ablehnung verspätet ist. Damit sind nicht die Fälle des Mißbrauchs gemeint, da diese in Nr. 3 erfaßt werden, sondern entsprechend § 25 11 die Anträge, die erst nach Erhebung der öffentlichen Klage angebracht werden. Soll der ermittelnde Staatsanwalt inder Hauptverhandlung als Sitzungsvertreter mitwirken, ist dieser Ablehnungsantrag noch sinnvoll und muß entsprechend § 25 11 danach beurteilt werden, ob der Ablehnungsberechtigte die Besorgnisgrunde erst später, d. h. nach Anklageerhebung erfahren hat bzw, diese erst später entstanden sind und ob der Ablehnungsberechtigte sie unverzüglich geltend gemacht hat. Ansonsten ist der Antrag wegen Unzulässigkeit abzulehnen. Soll der Staatsanwalt nach dem Geschäftsverteilungsplan der Staatsanwaltschaft im Hauptverfahren nicht mitwirken, ist der Ablehnungsantrag wegen mangelndem Rechtsschutzinteresse als unzulässig zurückzuweisen. Entsprechend Nr. 2 ist die Ablehnung unzulässig, wenn ein Besorgnisgrund nicht angegeben ist. 107 Vgl. auch die Zusammenfassung im 8. Kapitel §§ 24 ff. 108 Vgl. oben 3. Kapitel 2. cl. 101 Kopp VwVfG § 21, 7.

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6. Kap.: Ausschluß- und Ablehnungsverfahren

Entsprechend Nr. 3 kann der Vorgesetzte die Ablehnung mit der Begründung als unzulässig zurückweisen, daß damit das Verfahren offensichtlich nur verschleppt oder verfahrensfremde Zwecke verfolgt werden. Damit ist dem Interesse der Allgemeinheit an eine weiter funktionsfähige Aufgabenerfüllung der Staatsanwaltschaft wesentlich Rechnung getragen. Die §§ 24 - 26 a zeigen deutlich, daß der Strafprozeß auf einen Minimalkonsens der Beteiligten angelegt ist. Auch der Mißbrauch eines Ablehnungsrechts soll nicht mit Nichtachtung, sondern mit einer sachlichen Befassung durch Ablehnung wegen Unzulässigkeit "bestraft" werden. Beim disqualifizierten Staatsanwalt darf deshalb nichts anderes gelten llO • Wird der Vorgesetzte selbst abgelehnt, entscheidet nach dem Rechtsgedanken des § 27 IV gem. § 147 GVG der nächsthöhere Staatsanwalt, i. d. R. der Generalstaatsanwalt beim OLG. über die Begründetheit eines zulässigen Ablehnungsgesuchs entscheidet analog § 27 I der Vorgesetzte ohne den abgelehnten Staatsanwalt. Soweit der Vorgesetzte selbst einem zulässigen Ablehnungsgesuch ausgesetzt ist, entscheidet nach dem Rechtsgedanken des § 27 IV wieder der Generalstaatsanwalt. Gem. § 28 I analog ist die Entscheidung des Vorgesetzten des "abgelehnten" Staatsanwalts, durch den die Ablehnung für begründet erklärt wird im Interesse eines zügigen Verfahrens nicht anfechtbar ll1 • Entsprechend § 2811 i. V. m. § 311 ist gegen den Beschluß, durch den die Ablehnung als unzulässig verworfen oder als unbegründet zurückgewiesen wird, eine auf eine Woche befristete sofortige Beschwerde an den Generalstaatsanwalt zulässig. Durch die Befristung wird die schnellstmöglichste Beseitigung des ungewissen Zustands gewährleistet. Erst durch die Beschwerdemöglichkeit wird das Ablehnungsverfahren zu einem echt formellen, weil hinter der Entscheidung des Vorgesetzten des "abgelehnten" Staatsanwalts anders als in § 21 VwVfG eine Sanktionsmöglichkeit steht. Eine nicht im Lager der Staatsanwaltschaft beim Landgericht stehende Person, nämlich der Generalstaatsanwalt ist damit zur Kontrolle der Entscheidungen des Vorgesetzten befugt! De lege lata müssen allerdings im Interesse der Funktionsfähigkeit des Strafverfahrens weitere Einschränkungen gemacht werden. Nur bei schwerwiegenden Vorwürfen, auf Grund derer der Beschuldigte in Untersuchungshaft sitzt oder wenn er im Falle der Verurteilung ein empfindlich hohes Strafmaß oder Maßregeln der Besserung und Sicherung zu erwarten hat, kann ihm ein sofortiges Beschwerderecht analog 110 Dasselbe gilt bei mißbräuchlicher Ablehnung eines Sachverständigen, Kleinknecht § 74,7. 111 And. die Kritik bei Beschluß über Ablehnung des Sachverständigen: Kleinknecht § 74, 9.

3. Formelles Ablehnungsverfahren auf "strafverfahrensrechtlicher" Ebene

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§ 28 H, 1 zustehen. Aus dem Rechtsgedanken des § 140 I und H läßt sich dabei de lege lata eine rechtssatzmäßige praktikable Lösung herleiten. Denn dort ist geregelt, daß dem Beschuldigten als Ausdruck der aus seiner SubjektsteIlung gebotenen verfahrensrechtlichen Waffengleichheit dann ein Verteidiger im Vorverfahren bestellt werden soll, wenn ihm Rechtsfolgen aus den in § 140 I, H abschließend aufgezählten Delikten oder Maßregeln der Sicherung und Besserung drohen. Immer also in den Fällen, in denen gern. § 141 UI der Staatsanwalt nach pflichtgemäßem Ermessen einen Antrag auf Verteidigerbestellung bei Gericht anbringen müßte, soll eine sofortige Beschwerde analog § 28 H, 1 beim Generalstaatsanwalt möglich sein. Daß dann in der Regel in den Fällen der §§ 153, 153 a, wo durch die Unanfechtbarkeit der Einstellungsentscheidungen eine gewisse Irreparabilität festzustellen war, keine sofortige formelle Beschwerde möglich sein soll, muß de lege lata hingenommen werden und ist nicht unverhältnismäßig, weil dem Beschuldigten dort keine schweren Nachteile erwachsen. De lege ferenda allerdings sollte wie beim Richter gegen alle Entscheidungen des Vorgesetzten ein Beschwerderecht bestehen, um unnötige Komplikationen im Rechtsweg zu vermeiden. Auf jeden Fall muß im Interesse der Funktionsfähigkeit der Rechtspflege das Strafverfahren fortgesetzt werden können (kein Suspensiveffekt durch Beschwerdeeinlegung).

Entsprechend § 29 I hat sich der "abgelehnte" Staatsanwalt vom Zeitpunkt des Anbringens des Ablehnungsgesuchs allen Amtshandlungen zu enthalten, es sei denn, es greift eine Ausnahme des präventiven Handlungsverbots ein. Aus der Natur des Ermittlungsverfahrens folgt, daß der Staatsanwalt analog der §§ 20 IH, 21 VwVfG bei Gefahr in Verzug unaufschiebbare Amtshandlungen vornehmen kann, wenn sichergestellt ist, daß kein anderer Staatsanwalt durch schnelle Information die Aufgabe hätte übernehmen können112 • Der Ausnahmetatbestand muß dabei auf die gesetzlich vorgesehenen Fälle des HandeIns bei Gefahr in Verzug beschränkt sein. Keinesfalls darf ein allgemeiner Ausnahmetatbestand bei "Gefährdung des Untersuchungszwecks" entsprechend §§ 147 H, 168 c HI113 anerkannt werden, weil sonst das präventive Handlungsverbot unterlaufen werden würde. Durch § 20 III VwVfG analog sind alle möglichen Eilfälle erfaßt; so daß der speziell auf die Hauptverhandlung zugeschnittene § 29 H keine Bedeutung hat. Soweit sofortige Beschwerde an den Generalstaatsanwalt erhoben wurde, darf der "abgelehnte" Staatsanwalt entsprechend den Fällen, in denen ein nichterkennender Richter abgelehnt und gegen die Entscheidung gern. § 28 II 1 sofortige Beschwerde erhoben wurde, gern. § 29 I bis 112

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Vgl. oben 5. Kapitell., 3. Kapitel 3. Zum Begriff und der Problematik BGH JZ 1980, 150.

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6. Kap.: Ausschluß- und Ablehnungsverfahren

zur Erledigung des Gesuchs ebenfalls nur bei Gefahr in Verzug unaufschiebbare Amtshandlungen vornehmen. Das Gesuch ist erst mit der Entscheidung des Generalstaatsanwalts (beim Richter: des Beschwerdegerichts) i. S. d. § 29 I "erledigt"114. Der auch für den Staatsanwalt gegen eine solche Interpretation der "Erledigung" gültige Einwand, das Verfahren werde über Gebühr verzögert, kann ebenso wie im Falle des nicht-erkennenden Richters damit zurückgewiesen werden115 , daß die in folge der kurzen Ein-Wochen-Frist kaum nennenswerte Verzögerung bis zur Entscheidung des Generalstaatsanwalts der Ungewißheit über die Disqualifikation vorzuziehen ist. Zudem ist die sofortige Beschwerde nur in den schweren Fällen des § 140 I, 11 statthaft. Das Ermittlungsverfahren kann auch nicht wie die Hauptverhandlung gern. § 29 11 bis zur Entscheidung über die Beschwerde ausgesetzt werden. Dies widerspräche jeder Praktikabilität und dem öffentlichen Interesse an einer effektiven Strafverfolgung. e) Eigene Lösung im Banptverfahren (Hauptverhandlung) de lege lata: Formelles rein staatsanwaltsdlaftlidles Ablehnunpverfahren analog § 24 stPO: informeller Ablehnungsantrag als Verwirkunptatbestand

Nach überwiegender Meinung118 ist in der Hauptverhandlung weder ein staatsanwaltschaftliches formelles Ablehnungsverfahren noch eine unmittelbare gerichtliche Entscheidung darüber, ob der Staatsanwalt disqualifiziert ist, notwendig. Die Begründungen zeigen, daß das Grundrechtsverwirklichungsgebot der Waffengleichheit nicht verletzt sein soll. In der Hauptverhandlung bestehe im eingeschränkten Umfang eine mittelbare gerichtliche Kontrolle durch den erkennenden Richter im Rahmen der Verfahrensführung (§§ 238 ff.) und in der eigenständigen Erkenntnisfindung (§ 261). Der Staatsanwalt habe eine "mehr oder weniger unverbindliche vorbereitende Tätigkeit"117 inne. Zudem sei, wie die Rechtsprechung118 gezeigt habe, die Möglichkeit gegeben, die Mitwirkung des disqualifizierten Staatsanwalts gern. § 337 114 Beim Richter: L / R / Dünnebier § 29, 12 ff.; Kleinknecht § 29, 3; Treplitzki JuS 1969,318,325; and. KG JR 1967,28. 115 Dünnebier § 29,14. m Frisch S. 409; L / R / Dünnebier 16 vor § 22; vgl. die bei L / R / Schäfer § 145 GVG, 11 veröffentlichte Begründung zu § 145 a III EGVG, der keine formelle Ablehnungsregelung enthält; zustimmend dazu wohl Schäfer; Kleinknecht 3, 7 vor § 22, Schlüchter, Das Strafverfahren 66.1; Begr. z. RegE zu § 11 ba-wü AGGVG L- Tag Drs. 6/7750 S. 42. 117 Frisch S. 409. 118 OLG Stgt. NJW 1974, 1394 f.; BGHSt. 14, 264 ff.; 21, 89, 90 und die RGRspr. zum Staatsanwalt als Zeugen vgl. oben 4. Kapitel 3. b); Bruns JR 1980, 398 ff.; Wendisch S. 265; L / R / Dünnebier 15 ff.vor § 22; Drucker JW 1933, 523; daß auch das BVerfG JR 1979, 28 mit seiner hypothetischen Äußerung grundsätzlich eine Revision als möglich ansieht, dafür Bruns JR 1980, 398 ff.

3. Formelles Ablehnungsverfahrenauf "strafverfahrensrechtlicher" Ebene

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als Verfahrensfehler erfolgreich zu rügen. Soweit dann das Urteil nicht darauf beruht, zeige dies, daß dem Verfahrensbeteiligten durch die Mitwirkung kein Nachteil entstanden seillt. Dem kann nicht gefolgt werden. Aus der grundrechtlichen SubjektsteIlung des Verfahrensbeteiligten gem. Art. 2 I i. V. m. 1 I GG und dem Rechtsstaatsprinzip folgt, daß auch im Hauptverfahren vor allem dem Angeklagten nicht zugemutet werden kann, angesichts der Funktionen der Staatsanwaltschaft sehenden Auges die Mitwirkung eines disqualifizierten Staatsanwalts hinzunehmen und auf die unsichere Revision verwiesen zu werden. Denn das Prinzip des fairen Verfahrens verlangt Grundrechtsverwirklichung im Verfahren, also unabhängig davon, ob vielleicht später das Urteil wegen der Mitwirkung eines als befangen besorgten Staatsanwalts aufgehoben wird oder nicht. Besonders in der auf eine rechtskräftige Urteilsfällung ausgerichteten Hauptverhandlung muß der mit einem staatsanwaltschaftlichen präventiven Handlungsverbbt mitverfolgte Zweck, das Vertrauen vor allem des Angeklagten usw. in das Agieren eines unbefangenen Staatsanwalts zu bewahren, rechtssatzmäßig in Gestalt verfahrensrechtlicher Rechte durchgesetzt werden. Zudem sind die Funktionen der Staatsanwaltschaft nicht so unbedeutend, wie sie die h. M. immer hinstellt. Dem Verfahrensbeteiligten können durchaus iTTeparable, schwere Nachteile durch die Mitwirkung eines disqualifizierten Staatsanwalts entstehen. Anläßlich der Darstellung der Funktionen der Staatsanwaltschaft als Schranke der Beurteilung der Besorgnis der Befangenheit ergab sich, daß der Staatsanwalt durch seine "dialektische" Rolle!20 und der "horizontalen" Arbeitsteilung!2! zwischen Staatsanwaltschaft und Gericht erhebliche Einflußmöglichkeiten auf die Urteilsfindung hat. Zudem besteht besonders dann, wenn der Sitzungsstaatsanwaltzugleich der ermittelnde Staatsanwalt war, was wegen des Fehlens eines Ausschlußgrundes wegen Vorbefassung durch Ermittlung sehr häufig der Fall sein wird, die Gefahr, daß "befangene" Fehler des Ermittlungsverfahrens unkontrolliert in das Urteil einfließen, weil das Gericht nicht alle Fehler des Ermittlungsverfahrens korrigieren kann!22 und der Sitzungsstaatsanwalt, wenn er zugleich der ermittelnde Staatsanwalt war, als Selbstkontrolleur eigener Befangenheit zwangsläufig ausfällt. Angesichts unmittelbarer und mittelbarer Einflußmöglichkeiten der Staatsanwaltschaft im Hauptverfahren unddemieitweisen Ausfall der Kontrolle des erkennenden Gerichts und der Selbstkontrolle der Staats119 120 121 122

So Schlüchter, Das Strafverfahren 66.1. 5. Kapitel 3. b) aal. 5. Kapitel 3. b) bb). Vgl. Peters, Fehlerquellen 11 S. 195 ff.; und oben 6. Kapitel d).

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6. Kap.: Ausschluß- und Ablehnungsverfahren

anwaltschaft infolge des Fehlens eines Ausschlußgrundes der Vorbefassung bei Ermittlung ist es ein Gebot der in Art. 2 I i. V. m. Art. 1 I GG verbürgten SubjektsteIlung des Angeklagten, daß er sich nicht allein auf die pflichtgemäße, aber unzureichende Ausübung der Fürsorgepflicht des Gerichts auf ein justizförmiges Verfahren123 bzw. auf die Selbstkontrolle der Staatsanwaltschaft verlassen braucht, sondern daß er durch ein selbständiges eigenes Kontrollrecht in Gestalt eines formellen Ablehnungsverfahrens entspr. §§ 24 ff. Einfluß erhält. Eine bloße schon durch Art. 103 GG garantierte "Anregungsmöglichkeit" ohne Sanktionen erfüllt dieses Gebot nicht. Auch wenn "normalerweise"124 schon eine informelle "Anregung" das Gericht zur Ersetzung des abgelehnten" Staatsanwalts bringen wird, gebietet der Rechtsstaat eine verfahrensrechtlich verbürgte Absicherung, weil statistische Hypothesen, wie sich ein staatliches Organ verhalten wird, den Verfahrensbeteiligten zum Objekt des Verfahrens macht 125 • Dem immer wieder vorgebrachten Argument, der SubjektsteIlung sei durch die richterliche Kontrolle genügend entsprochen, kann noch entgegengehalten werden, daß die richterliche Fürsorgepflicht für ein justizförmiges Verfahren und damit für ein justizförmiges - unbefangenes - Mitwirken des Staatsanwalts vom Angeklagten wegen seiner Unbestimmtheit weder überprüft, noch in eine bestimmte Richtung erzwungen werden kann12e • Wenn Dünnebier und Wendisch127 empfehlen, der erkennende Richter solle notfalls mit "Mitteln der Dienstaufsicht" auf die Ersetzung des Staatsanwalts beim Vorgesetzten "hinwirken" und die Notwendigkeit einer solchen rein "informellen" Anregung damit begründen, daß es dem Gericht "nicht zugemutet werden könne", eine Hauptverhandlung sehenden Auges durchzuführen, die auf eine Verfahrens rüge wieder aufgehoben werden könnte, so kann es noch viel weniger dem Angeklagten zugemutet werden, eine Hauptverhandlung und ein Urteil zu erdulden, das ßpäter auf seine oder gar auf Rüge der Staatsanwaltschaft selbst wieder aufgehoben werden muß. Unklar ist dann nur noch die rechtssatzmäßige Ausgestaltung des Ablehnungsverfahrens. Aus den hypothetischen Äußerungen des Kleinknecht Einl. 152. L / R / Dünnebier 16 vor § 22. 125 Grünwald Gutachten C 33. us Dazu, daß eine Fürsorgepflicht des Gerichts, soweit sie nicht einfachgesetzlich in bestimmten thematischen Bereichen festgelegt ist, lediglich ein "nobile officium" darstellt, KMR / Sax Einl. XII; v. Löbbecke, "Fürsorgepflichten im Strafprozeß?", GA 1978, 200 ff.; dasselbe gilt für eine staatsanwaltschaftliche Fürsorgepflicht in der Hauptverhandlung, deren Existenz überhaupt bezweifelt wird, vgl. KMR / Sax, Einl. XII, 12. 117 In L / R 17 vor § 22; Wendisch S. 266. 113 114

3. Formelles Ablehnungsverfahren auf "strafverfahrensrechtlicher" Ebene

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BVerfG und BGH128 kann nur gefolgert werden, daß dem Angeklagten ein "Ablehnungs recht" zugestanden werden sollte. Entsprechend § 24 kann der Ablehnende zwar das Gesuch an das erkennende Gericht richten, wegen der Sperre des § 150 GVG kann aber ebensowenig wie im Ermittlungsverfahren ein konstitutiver "Ausschluß" erfolgen. De lege lata kann deshalb ebenso wie im Ermittlungsverfahren nur ein rein staatsanwaltschaftliches formelles Ablehnungsverfahren analog §§ 24 ff. gefordert werden 129, wobei folgende Besonderheiten zu beachten sind: Entsprechend § 24 III muß nicht nur dem Verfahrensbeteiligten, sondern auch dem Gericht ein formelles Ablehnungsrecht zugebilligt werden, um die Besorgnisgründe zu erfassen, die dem Angeklagten zum Vorteil gereichen und ein Nebenkläger nicht mitwirkt. Etwaige "atmosphärische" Störungen ini Verhandlungsklima zwischen Staatsanwaltschaft und Gericht nimnit das Gesetz auch in § 24 III in Kauf, soweit der Staatsanwalt den Richter ablehnen darf! Der von Kuhlmann180 vorgeschlagene und durch die Bemerkung des BVerfG und BGH naheliegende und rechtlich mögliche Feststellungsbeschluß des erkennenden Gerichts auf den Ablehnungsantrag ist unnötig, weil keine sanktionelle Wirkung erzielt wird und das Verfahren nur verzögern würde. Unbedingt notwendig ist im Interesse der Funktionsfähigkeit des Verfahrens die analoge Anwendung des § 25 und vor allem des § 26 a mit der Abwandlung, daß der "abgelehnte" Staatsanwalt selbst befugt ist, die Ablehnung aus den Gründen des § 26 a I Nr. 1 - 3 als unzulässig abzulehnen. Vorbild einer solchen Selbstentscheidungskompetenz ist § 26 a II, 3, wonach dann, wenn nur ein Richter (Strafrichter, beauftragter oder ersuchter Richter) tätig wird, dieser auch allein über die Zulässigkeit entscheiden kann. über die Begründetheit des zulässigen Ablehnungsgesuchs entscheidet ebenso wie im Ermittlungsverfahren nach dem Rechtsgedanken des § 27 der Vorgesetzte. Da ein Gerichtsbeschluß fehlt, der gem. § 338 Nr. 3 i. V. m. § 28 II, 2 in der Revision nach Beschwerdegrundsätzen angefochten werden kann, könnten die Verfahrensbeteiligten im Gegensatz zur Revisionsrüge wegen Mitwirkung eines die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigenden Richters eine solche Besorgnis beim Staatsanwalt sogar erst im Zeitpunkt des Anbringens der Revisionsrüge geltend machen, ohne sich darauf verweisen lassen zu müssen, sie hätten einen AblehnungsBVerfG JR 1979, 28 und BGH NJW 1980, 845. Ebenso aber nur pauschal Bruns, Geb.gabe S. 44, 46; Koffka ZStW 85, 673; Peters, StPO S. 153; Wendisch S. 266. 128

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130

S. 14.

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6: Kap.: Ausschluß- und Ablehntingsverfahren

antrag im Hauptverfahren versäumt1 31 • Der einen disqualifizierten Staatsanwalt ablehnende Verfahrensbeteiligte stünde damit besser, als wenn er die Mitwirkung eines disqualifizierten Richters rügen würde132 • Diese durch nichts gerechtfertigte Besserstellung kann durch eine parallele Wertung zur Sachverständigenablehnung korrigiert werden, bei dem eine ähnliche Situation besteht. Nach ganz herrschender Meinung133 kann eine Rüge der Mitwirkung eines die Besorgnis der Befangenheit rechtfertigenden Sachverständigen, selbst werin ein Besorgnisgrund vorlag, keinen Erfolg haben, wenn er in der Hauptverhandlung nicht geltend gemacht wllrde. Dahinter steht der beim Richter in §§ 25, 28, 338 Nr. 3 normierte Verwirkungsgedanke, daß eine Besorgnis der Befangenheit niCht mehr geltend machen kann, wer den Besorgnisgrund fahrlässig nicht kannte oder ihn tolerierte. Im Interesse der Funktionsfähigkeit des Strafverfahrens kann es nicht gestattet werden, daß eine Revisionsrüge danri. zulässig· sein soll, wenn sich der Ablehnungsberechtigte im nachhinein aus unwägbaren134 Gründen zu einer Ablehnung doch noch entschließt. Dieser allgemeine Rechtsgedanke muß deshalb auf die Ablehnung des Staatsanwalts übertragen13'5 und karin durch eine analoge Anwendung des § 25 StPQ konkretisiert werden. Will der Ablehnungsberechtigte deshalb sein Revisionsrügerecht erhalten, muß er sein Ablehnungsvorbringen gem. § 273 als wesentliche Förmlichkeit des Verfahrens bei Gericht protokollieren lassen. Der Vorteil einer solchen Protokollierungbesteht zudem noch darin, daß ihm gem. § 274 die "positive Beweiskraft" des Hauptverhandlungsprotokolls zugute kommt, wenn er nach allgemeinen Revisionsgrund. sätzen den Verfahrensfehler gem. §§ 337, 34411, 2, 352 I, hier eine den Staatsanwalt disqualifizierende Mitwirkung in Gestalt eines glaubhaft gemachten Besorgnisgrundes, beweisen· muß186. Soweit das Gericht einen Besorgnisgrund zu erkennen glaubt, und informell oder formell analog § 24111 auf eine Ersetzung hinwirkt, muß sich der Angeklagte usw. ebenfalls durch Anbringung eines Ablehnungsgesuchs die Revisionsgründe erhalten. 131 Bei Ausschlußgrunden muß das Gericht den Verfahrensfehler von Amts wegen beachten; vgl. ausdrücklich für staatsanwaltschaftliche Ausschlußgründe: Fuchs Anm.zu OLG Stgt. NJW 1974, 1396. . 112 Vgl. die Kritik bei Koffka ZStW 84, 672. 133 Dahs / Dahs, Revision, Rdnr. 220; L / :Ei / Meyer § 74, 40; KMR / Paulus § 74, 32; RG LZ 1915, 360. 184 Weil er entgegen seiner Erwartung doch verurteilt wurde. 135 Vgl. ganz allgemein BVerfGE 32, 305: Verfahrensrügen können auch ohne ausdrückliche gesetzliche Regelung verwirkt werden, wenn ein Verfahrensrecht, das wie hier ein Grundrecht (Art. 2 I, 1 I GG) verwirklicht, durch Fristen eingeschränkt werden kann (BGHSt. 19,273, 277); dann muß auch. die Verwirkung einer Verfahrensrüge ab einem bestimmten Verfahrensabschnitt nach allgemeinen Regeln möglich seinl . 138 Vgl. dazu näher unten 7. Kapitel 5.

3. Formelles Ablehnungsverfahren auf "strafverfahrensrechtlicher" Ebene

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Inder Hauptverhandlung bleibt es bei der entsprechenden Anwendung des § 28 11, 1 und einem' Beschwerderecht zum Generalstaatsanwalt. Der Staatsanwalt ist nicht etwa entsprechend § 2811, 2 wie ein erkennender Richter zu behandeln, nur weil er. an der Hauptverhandlung mitwirkt· mit der. Folge, daß der Verfahrensbeteiligte sich nur auf die Revision verweisen lassen müßte. Ebenso wie im Ermittlungsverfahren ist de lege 1ata eine sofortige Beschwerde nur in den Fällen des § 140 I und 11 möglich. De lege ferenda sollte diese Einschränkung wegfallen. Während beim Richter der das Ablehnungsbegehren verwerfende Besc.l:tluß nach Beschwerdegrundsätzen137 tatsächlich und rechtlich vom Revisionsgericht überprüft wird und damit faktisch nachträglich noch weitere Besorgnisgründe geltend gemacht werden können, gelten bei der Revision wegen Mitwirkung des "als befangen besorgten" Staatsanwalts die allgemeinen Regeln der Verfahrensrüge gern. § 337. Damit können lediglich Rechtsverletzungen, zu denen nach neuerer Rspr.1 38 auch die volle überprüfung der Beurteilung der Besorgnis der Befangenheit gehört, auf der Basis der im Ablehnungsgesuch vorgebrachten Tatsachen überprüft werden. Ebenso wie beim Sachverständigen139 kann das Revisionsgericht nicht neue Tatsachen erforschen, falls seiner Ansicht nach die vorgebrachten Besorgnisgründe zur Annahme einer Besorgnis nicht ausreichen. Es ist an die "negative Beweiskraft" des Hauptverhandlungsprotokolls, in dem das Ablehnungsvorbringen protokolliert wurde, gern. §§ 273, 274 gebunden. Die SubjektsteIlung des Verfahrensbeteiligten gebietet deshalb wie beim abgelehnten Sachverständigen140 , daß schon im Verlauf der Hauptverhandlung eine sofortige Beschwerde entsprechend § 28 11, 1 zuzulassen ist. Analog § 29 I ist das Ablehnungsgesuch erst "erledigt", wenn der Vorgesetzte oder im Falle des § 2811 der Generalstaatsanwalt entschieden hat! Vorher darf der Staatsanwalt in der Hauptverhandlung deshalb nur keinen Aufschub gestattende Amtshandlungen vornehmen. Die aus dem Verhältnismäßigkeitsprinzip folgende Einschränkung, daß ein abgelehnter Staatsanwalt nur dann keinen Aufschub gestattende Amtshandlungen treffen darf, wenn nicht mehr rechtzeitig für Vertretung gesorgt werden kann l4l , gilt auch hier. Kleinknecht § 338, 11; BGHSt. 25, 85, 88. Vgl. beim Sachverständigen KMR / Paulus § 74, 31 m. w. Nachw. aus der Rspr. . ' . 139 KMR/ Paulus; LI Hf Meyer§ 74, 42, 140 Allerdings soll dort nur die einfache Beschwerde gern. § 304 möglich sein; vgI. KMR / Paulus § 74, 29; .beim Staatsanwalt ist die sofortige Beschwerde aus Gründen der Verfahrensbeschleunigung notwendig. 141 VgI. oben 1. 137

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174

6. Kap.: Ausschluß- und Ablehnungsverfahren

Die analoge Anwendung des § 29 H, der ganz auf den Richter zugeschnitten ist, erscheint nicht erforderlich. In umfangreichen Verfahren wird die Staatsanwaltschaft den abgelehnten Staatsanwalt nicht kurzer Hand auswechseln. Ein Vertreter wird sich nicht so schnell finden lassen, weil dessen Information über den bisherigen Verlauf zu langwierig wäre. In solchen Verfahren muß das Gericht deshalb befugt sein, gegebenenfalls die Hauptverhandlung bis zur Entscheidung des Ablehnungsgesuchs zu vertagen142 oder bei Begründetheit die Teile der Verhandlung vor einem neuen Staatsanwalt analog § 29 H, 2 zu wiederholen, die zwischen der Anbringung des Ablehnungsgesuchs und der Entscheidung zur Begründetheit liegen, um jeder Gefahr einer erfolgreichen Revision zu entgehen.

142 So erst kürzlich wieder geschehen im Prozeß gegen Schotte - Natscheff - offensichtlich mit Blick auf etwaige Revisionsgründe. Dort der Gerichtsvorsitzende Günter Dräbert: "Der leitende Oberstaatsanwalt soll feststellen, ob Herr Staatsanwalt Schmitt in diesem Verfahren abgelöst und ersetzt wer· den kann. Wir können im Augenblick nicht weiter. Der Prozeß wird bis Donnerstag vertagt" (vgI. Bericht in der Südwest-Presse v. 17.11.1981).

Siebentes Kapitel

Rechtsfolgen (Sanktionen) der Mitwirkung eines disqualifizierten Staatsanwalts Haben ex ante die innerbehördlichen Kontrollmechanismen gem. § 21 VwVfG analog und das staatsanwaltschaftliche formelle Ablehnungsverfahren die Mitwirkung des "ausgeschlossenen" oder als "befangen besorgten" Staatsanwalts nicht vermeiden können, stellt sich die Frage, wie sich ex post die Mißachtung des staatsanwaltschaftlichen präventiven Handlungsverbots auf die staatsanwaltschaftlichen Amtshandlungen selbst bzw. auf richterliche Amtshandlungen und Entscheidungen, die staatsanwaltschaftliche Amtshandlungen voraussetzen, auswirkt. Die Frage nach der Auswirkung ist eine Frage nach der Sanktion der Mißachtung des staatsanwaltschaftlichen präventiven Handlungsverbots auf der Ebene der Prozeßhandlungen. Zuvor ist kurz zu klären, ab welchem Zeitpunkt die Mißachtung des staatsanwaltschaftlichen präventiven Handlungsverbots Rechtsfolgen zeitigen kann. 1. Maßgeblicher Zeitpunkt des Eintritts der Rechtsfolgen

Beim "ausgeschlossenen" Staatsanwalt treten die Rechtsfolgen ab dem Zeitpunkt ein, in dem der Ausschlußgrund entsteht und der Staatsanwalt dennoch weiteramtiert, da das Handlungsverbot ex lege und ex tune wirkt, in der Regel also vor Beginn der fraglichen Amtshandlung l • Da BesorgnisgTÜnde einzelfall abhängig sind, bedarf es eines Anlasses, der dem (latenten) präventiven Handlungsverbot Rechtswirkungen zukommen läßt. Im Ermittlungsverfahren tritt ein vorläufiges Handlungsverbot dann in Kraft, wenn der Staatsanwalt nach Anzeige und vorläufiger Enthaltungsanordnung des Vorgesetzten entgegen § 20III VwVfG analog "aufschiebbare" Amtshandlungen vornimmt 2 • 1 !

Entsprechend beim Richter: vgI. L / R / nünnebier § 22, 76. 6. Kapitell.; ebenso wohl für § 21 VwVfG St / B / L § 21, 13.

176 7. Kap.: Rechtsfolgen der Mitwirkung eines disqualifizierten Staatsanwalts Soweit der Staatsanwalt analog §§ 24 ff. abgelehnt wurde, verstößt er gegen das staatsanwaltschaftliche präventive Handlungsverbot, wenn er ab dem Anbringen des Ablehnungsgesuchs analog § 29 I Amtshandlungen vornimmt, obwohl die Voraussetzungen für ein zulässiges unaufschiebbares Handeln bei Gefahr in Verzug analog § 20III, 21 VwVfG nicht vorliegen. Dieselben Grundsätze gelten, falls der Ablehnungsberechtigte analog § 28 II, 1 sofortige Beschwerde beim Generalstaatsanwalt eingelegt und dieser noch nicht entschieden hat. In der Hauptverhandlung tritt die Wirkung des Handlungsverbots bei "aufschiebbaren" Amtshandlungen ebenfalls ab dem Zeitpunkt des Anbringens des Ablehnungsgesuchs von Staatsanwaltschaft oder Gericht oder ab der vorläufigen Enthaltungsanordnung des Vorgesetzten analog § 21 VwVfG ein.

2; Fehlerhafte oder nichtige Amtshandlungen? § 145 a IV EGVG repräsentiert den auch im Strafverfahren und in § 44 III 2 VwVfGgeltenden allgemeinen Grundsatz, wonach die Amtshandlungen, des das Handlungsverbot mißachtenden Staatsanwalts nicht nichtig und unwirksam, sondern nur fehlerhaft und deshalb weiter prozessual beachtlich sind8 • So ist z. B. eine vom disqualifizierten Staatsanwalt verfügte Freilassung des Untersuchungshäftlings gern. § 120 III, 2 wirksam und nur durch einen neuen Haftbefehl korrigierbar, wenn sich herausstellt, daß ein unbefangener Staatsanwalt diese Verfügung nicht erlassen hätte. Ausnahmsweise ist eine Amtshandlung aber dann nichtig, Wenn der Staatsanwalt offensichtlich befangen handelt, weil ein solcher Verstoß die Zwecksetzungen des Handlungsverbots besonders schwerwiegend und offenkundig verletzt. Dieser in § 44 I VwVfG niedergelegte allgemeine Grundsatz muß für alle Prozeßhandlungen4 also auch für· die des disqualifizierten Staatsanwalts übernommen werden. über die Anfechtbarkeit staatsanwaltschaftlicher Amtshandlungen und darauf beruhender richterlicher Amtshandlungen ist damit noch nichts ausgesagt. Die Mißachtung des Handlungsverbots muß zusätzlich für die betreffende Amtshandlung beachtlich sein, was sich im Ermitt3 Vgl. § 145aIV EGVG: "Eine Amtshandlung ist nicht deshalb ungültig, weil sie entgegen den Vorschriften der Absätze 1 bis 3 vorgenommen worden ist." (Vgl. Text bei L / R / Schäfer § 145 GVG 10); vgl. § 44 111, 2 VwVfG, der auch für § 21 VwVfG gelten soll (vgl. Kopp VwVfG § 44, 53): wenn ein "ausgeschlossener" Verwaltun2sbeamten mitwirkt, ist die Amtshandlung deshalb nicht nichtig. 4 Kleinknecht Einl.l01.

3. Auswirkungen im Ermittlungsverfahren

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lungsverfahren nach den Grundsätzen zu § 46 VwVfG5 und im Hauptverfahren nach den dem § 46 VwVfG ähnlichen Grundsätzen zur Beruhensfrage gern. § 337 richtet. 3. Auswirkungen der Mißachtung des Handlungsverbots im Ermittlungsverfahren § 46 VwVfG beinhaltet den allgemeinen Grundsatz, daß nur derjenige Verfahrensfehler für die Anfechtung einer Amtshandlung und Entscheidung beachtlich ist, der sich auf ihren Inhalt ausgewirkt hat. Die Grundsätze zum Anwendungsbereich des § 46 VwVfG sowie sein Regelungsinhalt können auch auf Amtshandlungen des disqualifizierten Staatsanwalts im Ermittlungsverfahren angewendet werden, zumal ähnliche Grundsätze bei der Beruhensfrage in § 337 gelten. a) Anfechtbarkeit von staatsanwaltschaftlichen Entscheidungen und Maßnahmen im strafprozessualen Zwangsbereich

Soweit der Staatsanwalt aus "originärer" Kompetenz 6 oder subsidiär bei Gefahr in Verzug 7 die Entscheidung über die Durchführung staatsanwaltschaftlicher Zwangsmaßnahmen trifft, wird er ebenso wie bei der Durchführung selbst immer im Rahmen eines Zweck- oder Beurteilungsermessens handeln8 • In solchen Fällen gilt ebenso wie im VerwaltungsverfahrenD der Grundsatz des § 46 VwVfG nicht, da immer anzunehmen ist, daß ein unbefangener Staatsanwalt anders gehandelt oder entschieden hätte. Allerdings kann gegen solche fehlerhafte und eigentlich schon wegen der schlichten Mitwirkung des disqualifizierten Staatsanwalts anfechtbare Zwangsmaßnahmen der Betroffene neben Gegenvorstellungen, Aufsichts- und Dienstaufsichtsbeschwerde nur gern. § 9811, 2 analog10 bzw. § 10011 nachträglich richterliche Entscheidung beantragen, die dann ausspricht, daß die Maßnahme rechtswidrig gewesen ist. Ladungen des "ausgeschlossenen" oder "als befangen besorgten" Staatsanwalts gern. §§ 161 a I, 163 a III sind zwar zu befolgenl1 , doch ist 6 Entspr. für den Verstoß gegen das Handlungsverbot im Verwaltungsverfahren: Dagtoglou S. 101; Wolff, VerwR I § 51 IV e 2. 8 z. B. §§ 110, 161 a 11, 1; 163 a 11, 2. 7 §§ 81 a, 81 c, 98,110,105,111,111 e, 12711. 8 Vgl. oben 5. Kapitel 3. a) aa) und bb). 9 Vgl. nur Kopp VwVfG § 46, 24 m. w. Nachw. 10 Die h. M. wendet § 98 11 2 überall dort an, wo die Staatsanwaltschaft ermächtigt ist, bei Gefahr in Verzug anstelle des an sich zuständigen Richters zu handeln, vgl. dazu Roxin, StrafverfahrensR S. 156 und neuestens BGH MDR 1981, 597 m. Anm. Greiner aaO S. 547. Teilweise soll auch § 23 EGGVG möglich sein, vgl. Roxin S. 156. 11 Ebenso beim Richter: L / R / Dünnebier § 22, 81; and. ohne Begründung KMR / Paulus 31 vor § 22.

12 Schairer

178 7. Kap.: Rechtsfolgen der Mitwirkung eines disqualifizierten Staatsanwalts

die Ladungsfrist nicht gewahrt, so daß auf ein unberechtigtes Ausbleiben von Zeugen, Sachverständigen oder Beschuldigtem keine Ordnungsmaßnahmen gem. § 161 a 11, 1 bzw. eine Vorführung gem. § 163 a 11, 2 i. V. m. 133 I, 134 erfolgen dürfen. Werden solche Zwangsmaßnahmen dennoch verfügt, sind sie gem. §§ 161 a 111, 1 bzw. 163 a 111, 2 vom Richter aufzuheben. b) Beweisverwertungsverbot von Ermittlungsergebnissen?

Beweiserhebungen des disqualifizierten Staatsanwalts im Ermittlungsverfahren sind zwar fehlerhaft, werden aber durch den richterlichen Erkenntnisfilter (§ 261) im Hauptverfahren geheilt1 2 . Eine Einführung staatsanwaltschaftlicher Protokolle in das Hauptverfahren durch Verlesung gem. §§ 251 ff. ist unzulässig. Aber ebenso wie fehlerhafte "befangene" richterliche Vernehmungsprotokolle können fehlerhafte "befangene" 'staatsanwaltschaftliche Vernehmungsprotokolle immerhin als Grundlage "freier" Vorhalte dienen13 , weil durch die richterliche Kontrolle gewährleistet ist, daß ein Eingang in die Urteilsfindung vermieden wird. c) Auswirkungen fehlerhafter, "befangener" Antrlge auf richterliche Untersuchungshandlungen gem. § 162 StPO

Da die Staatsanwaltschaft Herrin des Vorverfahrens ist, ist Voraussetzung für sämtliche Anordnungen und Untersuchungshandlungen des Ermittlungsrichters gem. § 162 (z. B. §§ 81, 81 a, 81 c, 98, 105, 111 e, 114, 116, 120, 126 a 11, 132 a) ein Antrag der Staatsanwaltschaft. Besonders bei so wichtigen Fällen wie der Anordnung von Untersuchungshaft oder der körperlichen Untersuchung gem. § 81 a stellt sich die Frage, wie sich eine "befangene" Antragstellung auf die Rechtmäßigkeit der richterlichen Entscheidung auswirkt. Die Qualifizierung solcher Anträge als prozessuale Erwirkungshandlung hilft hier nicht weiter. Entscheidend ist, ob nach den Grundsätzen des § 46 VwVfG der fehlerhafte staatsanwaltschaftliche Antrag die richterliche Untersuchungshandlung beeinflußt hat. Trotz des Wortlauts des § 162 I ("für erforderlich erachtet") und Abs. 111, wonach der Richter nur die "gesetzliche Zulässigkeit" der von der Staatsanwaltschaft beantragten Untersuchungshandlung prüfen darf, ist Müller14 12 Entspr. der Rechtskreistheorie des BGH (BGHSt. GrS 11, 213) ließe sich, da das Handlungsverbot im Interesse des Angeklagten usw. liegt, durchaus ein Beweisverwert'ungsverbot konstruieren. 18 Für den Richter ebenso: KMR / Paulus 32 vor § 22; and. L / R / Dünnebier § 22, 83: völliges Vorhalteverbot. 14 KMR § 162, 9.

3. Auswirkungen im Ermittlungsverfahren

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und Roxin15 zuzustimmen, daß bei Anordnungen der Untersuchungshandlungen, die praktisch alle in die Grundrechtssphäre des Betroffenen eingreifen, der Richter, weil er die volle Verantwortung für diesen Rechtseingriff übernimmt, eine umfassende Nachprüfungsbefugnis hat, die nach den Grundsätzen des § 46 VwVfG eine Beeinflussung der richterlichen Entscheidung durch die Befangenheit des Staatsanwalts unmöglich macht1 6 • Dasselbe gilt für eigenhändige richterliche Untersuchungshandlungen, wie z. B. Vernehmung durch den Ermittlungsrichter. Damit ist eine Entscheidung des Ermittlungsrichters i. S. d. § 162, die einen staatsanwaltschaftlichen Antrag zur Voraussetzung hat, trotz Antragstellung durch einen disqualifizierten Staatsanwalt, grundsätzlich nicht anfechtbar. Ein Sonderfall ist § 120III, 1, wonach der Richter ohne sachliche PTÜlung 17 den Haftbefehl auf Antrag der Staatsanwaltschaft aufheben muß. Selbst wenn entsprechend § 46 VwVfG festgestellt werden kann, daß bei einem unbefangenen Staatsanwalt der Antrag nicht gestellt und die richterliche Entscheidung deshalb zwingend anders ausgefallen wäre, nützt dies jedoch wenig. Allerdings muß der Richter befugt sein, den neuen Haftbefehl (der Beschuldigte ist von dem "befangenen" Staatsanwalt nach § 120 III, 2 freigelassen worden) ohne staatsanwaltschaftlichen Antrag entsprechend den Fällen bei Gefahr in Verzug, zu erlassen. d) Aqswirkungen auf Sdllußverfügungen aa) §§ 153 If. StPO

Da es sich bei den §§ 153 ff. um Fälle von opportunem (Zweck-) Ermessen handelt, kann § 46 VwVfG analog nicht gelten und die staatsanwaltschaftliche Entscheidungen müßten bei Mißachtung des Handlungsverbots eigentlich immer aufgehoben werden, weil durch den Entscheidungsspielraum immer die Möglichkeit besteht, daß ein nicht den Anschein der Befangenheit erweckender Staatsanwalt anders entschieden hätte. Allerdings verwehrt die StPO jegliche AnfechtungsmöglichkeH18. Da die Versagung der richterlichen Zustimmung, soweit nach den §§ 153 ff. notwendig, nicht begründet zu werden brauchtl9 , kann immerhin das Gericht seine Zustimmung wegen MißStrafverfahrensR S. 52. Ähnlich zum Verhältnis entscheidende Verwaltungsbeh. - Widerspruchsbehörde: Kopp VwVfG § 46, 26. 17. KMR / Müller§ 120,9. 18 KMR / Müller § 153, 17; 153 a, 17; 154, 8; auch § 23 EGGVG darf nicht subsidiär angewandt werden, weil die StPO eine abschließende - wenn auch negative - Regelung getroffen hat, KMR / Müller § 153, 17. 19 L / R / Meyer-Goßner § 153, 31. 15

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12·

180 7. Kap.: Rechtsfolgen der Mitwirkung eines disqualifizierten Staatsanwalts achtung des Handlungsverbots verweigern. Macht der Beschuldigte oder Verletzte den Ausschluß- oder Besorgnisgrund formell bzw. informell geltend, ist zudem der Vorgesetzte zusätzlich zur Ersetzung des abgelehnten Staatsanwalts verpflichtet, die getroffene Schlußverfügung zu überprüfen, zu bestätigen bzw. gegebenenfalls weitere Ermittlungen anzuweisen oder, was im Falle des § 153 a 1,3 ausdrücklich vorgesehen ist 20 , die Auflagen und Weisungen nachträglich aufzuheben oder zu ändern, wenn ein unbefangener Staatsanwalt eine andere Entscheidung getroffen hätte.

bb) "Befangene" Anklage nach § 170 I StPO Drückt sich im Anklagesatz eine offensichtliche Befangenheit des Staatsanwalts aus, so ist die Anklage nichtig und unwirksam. Da die Erhebung der Anklage Prozeßvoraussetzung und infolge Nichtigkeit dann als fehlend zu behandeln ist21 , hat das Eröffnungsgericht gern. § 204 die Eröffnung des Hauptverfahrens abzulehnen bzw. wenn es den Mangel erst im Eröffnungsverfahren entdeckt, die Einstellung gern. § 206 a zu verfügen. Die Rspr. 22 ging beim vergleichbaren Eröffnungsbeschluß so weit, daß sie eine Mitwirkung des "ausgeschlossenen" Richters als ein dem völligen Fehlen des Eröffnungsbeschlusses gleichstehenden Mangel angesehen hat. Dies geht aber, ebenso wie für die staatsanwaltschaftliche Anklageerhebung, zu weit 23 , da damit die Kategorie von Nichtigkeit und Fehlerhaftigkeit der Prozeßhandlungen durcheinander gebracht wird. Die Mitwirkung eines disqualifizierten Staatsanwalts bei der Anklageerhebung ist ebensowenig wie die Mitwirkung des disqualifizierten Richters am Eröffnungsbeschluß ohne weiteres offensichtlich, wie es' bei einer nichtigen Prozeßhandlung (vgl. § 44 I VwVfG) vorausgesetzt wird. Deshalb ist die Anklage unter Mitwirkung eines disqualifizierten Staatsanwalts fehlerhaft aber wirksam und wird in der Regel durch den Filter des Eröffnungs- und Hauptverfahrens geheilt, weil das Gericht im Umfang der Anklageerhebung (§ 155, 264) eine ebenso umfassende Prüfungs befugnis wie die Staatsanwaltschaft hat. So kann es z. B. gern. § 207 bei Verdacht einer "befangenen" Anklage die Staatsanwaltschaft zur Erhebung einer neuen Anklage auffordern. Soweit ein Fehler aus dem Ermittlungsverfahren fortwirkt und das Urteil Ebenso z. B. für § 154, 154 a: KMR / Müller § 154, 6, 154 a, 9. Ebenso L / R / Dünnebier § 22, 95 für den richterlichen Eröffnungsbeschluß. 22 RGSt. 55, 135; BGH b. Herlan MDR 1954, 656; ebenso Eb. Schmidt LK 11 § 22, 10. 23 Ebenso für Eröffnungsrichter: L / R / Dünnebier aaO. 20

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4. Revision

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auf ihm beruht, was nur in Ausnahmefällen vorkommt, ist eine Revision gem. § 337 möglich24 .

cc) "Befangene" Einstellung nach § 170 II StPO Gleichgültig, ob die Einstellung nach § 170 11 nichtig oder fehlerhaft ist, erfolgt nach dem Gesetz die Korrektur über das Klageerzwingungsverfahren gem. §§ 172 ff. Jedoch wird nach Sinn und Zweck des Klageerzwingungsverfahrens die Mißachtung des staatsanwaltschaftlichen Handlungsverbots nur insoweit durch den Generalstaatsanwalt (§ 172 I) bzw. das OLG (§ 17211) sanktioniert, als infolge der Befangenheit zu Unrecht der genügende Anlaß zur Erhebung der öffentlichen Klage (§§ 172 111, 174 I, 175) verneint wurde. Im Ergebnis wird deshalb nach dem bei Beurteilungsspielräumen eigentlich nicht anwendbaren Grundsatz des § 46 VwVfG der Verfahrensfehler nur dann beachtlich sein, wenn sich die Befangenheit tatsächlich auf die Einstellungsentscheidung ausgewirkt hat. Hat ein "disqualifizierter" Staatsanwalt gem. § 171 die Einstellung dem Verletzten bekannt gemacht, so läuft die 2-Wochen-Frist zur Einlegung der Beschwerde (§ 172 I) ebensowenig wie wenn die Belehrung nach § 171, 2 unterblieben wäre (vgl. § 172 I, 3)25.

4. Revision bei Mitwirkung eines disqualifizierten Staatsanwalts in der Hauptverhandlung a) Keine analoge Anwendung des § 338 Nr.5

stpo

§ 338 Nr. 5, wonach der absolute Revisionsgrund dann vorliegt, wenn die Staatsanwaltschaft gem. § 226 nicht die ganze Hauptverhandlung mit einem Sitzungsvertreter ununterbrochen anwesend war, gilt nicht für die Fälle der Mitwirkung eines disqualifizierten Staatsanwalts26 , weil ansonsten die Wertung des § 338 Nr. 2 und 3, wonach ein absoluter Revisionsgrund nur bei Mitwirkung von unmittelbar an der Urteilsfällung beteiligter disqualifizierter Rechtspflegeorgane vorliegt, unterlaufen werden würde. b) Beruhensfragen gem. § 337

stpo

Daß ein Urteil möglicherweise auf der fehlerhaften Mitwirkung des disqualifizierten Staatsanwalts in der Hauptverhandlung beruhen Vgl. dazu gleich unten 5. And. wohl wieder KMR / Paulus 31 vor § 22. Z6 SO BGHSt. 14, 265; RGSt. 29, 236 und die gesamte übrige Rspr. zum Staatsanwalt als Zeugen, die nur § 337 diskutieren; vgl. auch L / R / Meyer § 338, 79; L / R / Meyer 25 vor § 48; Karlsruher Kommentar, StPO, Pfeiffer, § 22, 16; and. Schorn GA 77, 254: § 338 Nr. 5 analog. U

25

182 7. Kap.: Rechtsfolgen der Mitwirkung eines disqualifizierten Staatsanwalts

kann, ist, weil ein solcher Einfluß des Staatsanwalts wegen seiner dialektischen Rolle, der horizontalen Arbeitsteilung und mittelbaren Fortwirkung von Beiträgen aus dem Ermittlungsverfahren27 besteht, denkbar 2B und wird durch die Revisionsentscheidungen der Obergerichte29 bewiesen. Die Mitwirkung eines als "befangen besorgten" Staatsanwalts kann zudem nicht anders als die eines "ausgeschlossenen" Staatsanwalts30 behandelt werden. Soweit der disqualifizierte Staatsanwalt nicht ersetzt oder die von ihm mitgestalteten Teile der Hauptverhandlung analog § 29 11, 2 nicht wiederholt wurden, stellt sich die Frage, ob das Urteil auf der "befangenen" Mitwirkung des Staatsanwalts möglicherweise beruht. Die Beruhensfrage kann exemplarisch am Beispiel der Mitwirkung eines als Zeugen vernommenen Staatsanwalts dargestellt werden31 • Es gilt festzustellen, daß der Staatsanwalt durch seine Zeugenvernehmung so beeinflußt worden ist (1. Stufe), daß er nicht mehr die Gewähr einer unbefangenen Sitzungsvertretung bietet (2. Stufe) und daß die "befangenen" Amtshandlungen so bedeutend und intensiv waren, daß auch eine Beeinflussung des erkennenden Gerichts im Bereich des Möglichen liegt (3. Stufe). Dieses Prüfungsschema kann für alle Fälle der Mitwirkung eines disqualifizierten Staatsanwalts verwendet werden. Beim als Zeugen vernommenen Staatsanwalts ist durch die restriktive Auslegung des DisqualifikationstatbestandesS2 die Möglichkeit des Beruhens eigentlich immer gegeben. Die Tatbestände der anderen Ausschlu1.lgründe und die Besorgnisgründe beinhalten typischerweise die Gefahr einer befangenen Amtsausübung. so daß nur noch die 3. Stufe, die mögliche Beeinflussung des Gerichts im Einzelfall beantwortet werden muß. Im Gegensatz zu § 46 VwVfG muß das Revisionsgericht einen vermuteten Kausalzusammenhang zwischen geschehenem Verfahrensfehler und Urteilsfindung widerlegen. Die Möglichkeit der Kausalität muß "ausgeschlossen" oder "rein theoretisch" sein33 • So jedenfalls stellt der BGH34 die Frage, ob ein als Zeuge vernommener weiter mitwirkender Vgl. oben 5. Kapitel 3. b). L / R / Dünnebier 15 ff. vor § 22 ff. 29 Vgl. OLG Stgt. NJW 1974, 1392ff. und die bei § 22 Nr. 5 analog genannten Entsch., vgl. oben 4. Kapitel 3. b). 80 Früher problematisiert (vgl. Bruns, Geb.gabe S. 46; L / R / Dünnebier 15 vor § 22); vom BGH NJW 1980, 845 m. zust. Anm. Bruns JR 1980, 398 inzwischen anerkannt. 31 Vgl. Drucker JW 1933, 523 zu RG JW aaO; L / R / Dünnebier 15 vor § 22; BGHSt. 14, 268. 32 Vgl. oben 4. Kapitel 3. b). 33 Ständ. Rspr.: BGHSt. 1, 210; 2, 250; 18, 295; L / R / Meyer § 337, 207 m.w.Nachw. 34 BGHSt. 14, 268; vgl. auch OLG Stgt NJW 1974, 1392 ff. 27

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4. Revision

'

183

Staatsanwalt dieUrteilsfindung beeinflußt haben konnte. Ein Beruhen wird z. B. "ausgeschlossen" sein, wenn das Gericht der gegenteiligen entlastenden Aussage eines anderen Zeugen überragende Bedeutung zugemessen und die belastende Aussage des Staatsanwalts gar nicht im Urteil erwähnt und freigesprochen hat35 • Dagegen sah das OLG Stgt36 in dem Fall, daß der Sitzungsstaatsanwalt der Berufungsinstanz in der 1. Instanz das Urteil gefällt hatte, zu Recht ein Beruhen für gegeben an, weil der Sitzungsstaatsanwalt im Schlußplädoyer beantragt hatte, "sein Urteil" zu bestätigen und das Gericht "antragsgemäß" erkannt hatte. Bei einem "als befangen besorgten" Staatsanwalt ist zu fragen, ob es nicht ausgeschlossen ist, daß sich der Besorgnisgrund auf die Tätigkeit des Staatsanwalts ausgewirkt hat und davon das Gericht möglicherweise beeinflußt worden ist. Immer wenn eine "maßgebliche Beeinflussung"37 festgestellt wird, ist die vermutete Kausalität nicht widerlegt. c) Die revisionsrechtlidle Behandlung der Versäumnis eines Ablehnungsantrags in der Hauptverhandlung

Der Revisionsführer kann die Mitwirkung eines in der Hauptverhandlung als befangen besorgten Richters nur rügen, wenn er in der Hauptverhandlung einen Ablehnungsantrag zu Protokoll gegeben hat. Dies schreibt § 338 Nr. 3 ausdrücklich vor. Da für die Mitwirkung des als befangen besorgten Staatsanwalts die absoluten Revisionsgründe keine Anwendung finden, scheint trotz Versäumnis einer Ablehnung in der Hauptverhandlung die spätere Revisionsrüge erfolgreich zu sein. Dieser Möglichkeit wurde durch die analoge Anwendung des in den §§ 25, 28, 338 Nr. 3 normierten Verwirkungstatbestandes39 schon im Bereich der Zulässigkeit Einhalt geboten. überhaupt stellt sich die von Koffka 38 beklagte Besserstellung des Revisionsführers beim als befangen besorgten Staatsanwalt aber als Scheinproblem heraus, da ein Handlungsverbot und damit ein Verfahrensfehler im Sinne von § 337 nach dem oben Gesagten39 erst bei Anbringen eines Ablehnungsgesuchs entsteht. Soweit also ein Anbringen eines Ablehnungsgesuchs beim als befangen besorgten Staatsanwalt in der Hauptverhandlung versäumt wurde, ist eine Revisionsrüge mangels eines Verfahrensfehlers unbegründet.

35 36

37 38 39

Ähnlich der Fall BGH 2 StR 709/75; vgl. 4. Kapitel 3. b). Fußn. 33 S. 1395. BVerfGE 4, 412, 417. In ZStW 84, 671 f. Vgl. S. 172.

184 7. Kap.: Rechtsfolgen der Mitwirkung eines disqualifizierten Staatsanwalts

d) Begründung und Namprifung der Verfahrensmge

Soweit eine Ablehnung mit Gründen gern. § 273 protokolliert wurde, erfolgt eine Nachprüfung durch das Revisionsgericht nach den allgemeinen Grundsätzen der Revisionsrüge bei Verfahrensfehlern. Gern. § 344 11, 2 i. V. m. § 352 I prüft das Revisionsgericht nur die Tatsachen, die der Beschwerdeführer vorgebracht hat 40 . Das Revisionsgericht muß gern. § 274 von der unwiderlegbaren "positiven Beweiskraft"41 des Protokolls gern. § 273 ausgehen, es sei denn das Protokoll enthält offensichtliche Lücken, ist widersprüchlich oder gefälscht 42 . Der Vorteil der "positiven Beweiskraft" des Protokolls für den Beschwerdeführer ist, daß das Gericht nicht zusätzlich, z. B. durch Einholung einer weiteren späteren dienstlichen Erklärung des betreffenden Staatsanwalts, die Grundlagen des Verfahrensfehlers ermitteln darf. Nachteilig kann sich allerdings für den Beschwerdeführer die "negative Beweiskraft" des Protokolls auswirken. Wenn er in der Hauptverhandlung unzureichende Besorgnisgründe vorgebracht hat, so kann er jetzt nicht neue Besorgnisgründe nachschieben.

40 Ebenso wie beim Sachverständigen ist deshalb die allgemeine Rüge, der Staatsanwalt sei befangen gewesen, unzulässig, vgl. L / R / Meyer § 74, 40. U L / R / Meyer § 274, 24. ft L / R / Meyer, dann gilt das Freibeweisverfahren.

Achtes Kapitel

Gesetzesvorschlag de lege ferenda als Zusammenfassung Die wichtigsten rechtssatzmäßig formulierbaren Ergebnisse sollen in einem Gesetzesvorschlag zusammengefaßt werden, der in die StPO und eventuell in die richterlichen Regelungen eingefügt werden sollte. Für die Darstellung sollen die den richterlichen Regelungen thematisch entsprechenden Ziffern verwendet werden. § 22 Ausschlußgründe Ein Staatsanwalt ist von der Wahrnehmung seiner staatsanwaltschaftlichen Aufgaben kraft Gesetzes ausgeschlossen, wenn er 1. in der Sache, die den Gegenstand des Verfahrens bildet, Beschuldigter!, Täter oder Verletzter ist oder als Nebenkläger, Privatkläger oder Einziehungsbeteiligter am Verfahren mitwirkt; 2. Ehegatte oder Vormund des Beschuldigten, Täters, Verletzten oder Einziehungsbeteiligten ist oder gewesen ist; 3. mit dem Beschuldigten, Täter oder Verletzten sowie Einziehungsbeteiligten verlobt ist oder in gerader Linie verwandt oder verschwägert, in der Seitenlinie bis zum dritten Grade verwandt oder bis zum zweiten Grade verschwägert ist oder war oder in einem auf längere Dauer angelegten Pflegeverhältnis wie Eltern und Kind steht; 4. in der Sache als Richter!, Verteidiger oder Anwalt des Verletzten oder Einziehungsbeteiligten tätig gewesen ist; 5. in der Sache als Zeuge oder Sachverständiger vernommen worden ist. Die Wahrnehmung seiner staatsanwaltschaftlichen Aufgaben ist weiterhin möglich, soweit er sich offensichtlich in keiner durch seine Vernehmung entstandenen Konfliktsituation befindet. § 23 AusschlußgrUnde (1) Ein Staatsanwalt, der in der Sache als Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft an einer durch Rechtsmittel angefochtenen Entscheidung mitgewirkt hat, ist von der Mitwirkung im Verfahren in einem höheren Rechtszuge kraft Gesetzes ausgeschlossen, es sei denn, er hat zugunsten des Angeklagten Rechtsmittel eingelegt. (2) Ein Staatsanwalt, der die Ermittlungen geführt, Anklage erhoben oder den Strafbefehls antrag gestellt hat oder als Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft in der Instanz der angefochtenen Entscheidung oder in der zur 1 Der Angeklagte" ist vom Begriff des Beschuldigten, der weiter ist, erfaßt. ! Gemeint ist der Ermittlungs-, Eröffnungs- und der erkennende Richter.

186

8. Kap.: Gesetzesvorschlag de lege ferenda als Zusammenfassung

rechtskräftigen Entscheidung führenden Instanz mitgewirkt hat, ist von der Vorbereitung und Durchführung des Wiederaufnahmeverfahrens kraft Gesetzes ausgeschlossen, es sei denn, er hat zugunsten des Verurteilten den Antrag zur Wiederaufnahme gestellt. § 24 Ablehnung wegen Besorgnis der Befangenheit

(1) Ein Staatsanwalt kann sowohl in den Fällen, in denen er von der Wahrnehmung seiner Aufgaben kraft Gesetzes ausgeschlossen ist, als auch wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt werden. (2) Wegen Besorgnis der Befangenheit findet die Ablehnung statt, wenn ein Grund vorliegt, der unter Berücksichtigung der Aufgaben und Pflichten des staatsanwaltschaftlichen Amtes die Besorgnis der Voreingenommenheit rechtfertigt. (3) Das Ablehnungsrecht steht im Ermittlungsverfahren dem Beschuldigten, im übrigen dem Angeklagten, Neben- und Privatkläger, dem Einziehungsberechtigten sowie dem erkennenden Gericht zu. §25 Zeitpunkt der Ablehnung, Mißbrauch (1) Die Ablehnung kann im Ermittlungsverfahren bis zur Erhebung der öffentlichen Klage oder bis zur Erfüllung der Auflagen und Weisungen gern. § 153 a I erfolgen, in der Hauptverhandlung bis zum Beginn der Vernehmung des Angeklagten zur Sache, in der Hauptverhandlung über die Revision bis zum Beginn der Ausführungen zur Revision, Alle Ablehnungsgründe sind gleichzeitig vorzubringen. (2) Nach diesem Zeitpunkt darf ein Staatsanwalt nur abgelehnt werden. wenn 1. die Umstände, auf welche die Ablehnung gestützt wird, erst später eingetreten oder dem zur Ablehnung Berechtigten erst später bekanntgeworden sind und 2. die Ablehnung unverzüglich geltend gemacht wird. Nach dem letzten Wort des Angeklagten ist die Ablehnung nicht mehr zulässig. § 26 Ablehnungsverfahren

(1) Im Ermittlungsverfahren ist das Ablehnungsgesuch beim Vorgesetzten des abgelehnten Staatsanwalts anzubringen, in der Hauptverhandlung beim abgelehnten Staatsanwalt selbst; es kann vor der Geschäftsstelle der Staatsanwaltschaft oder des Gerichts 3 zu Protokoll erklärt werden. (2) Der Besorgnisgrund und in den Fällen des § 25 II die Voraussetzungen des rechtzeitigen Vorbringens sind glaubhaft zu machen. Der Eid ist als Mittel der Glaubhaftmachung ausgeschlossen. Zur Glaubhaftmachung kann auf das Zeugnis des abgelehnten Staatsanwalts Bezug genommen werden. (3) Der abgelehnte Staatsanwalt hat sich über den Besorgnisgrund dienstlich zu äußern. Der Ablehnende ist darauf zu hören. (4) In der Hauptverhandlung sind das Ablehnungsgesuch, die Besorgnisgründe und deren Glaubhaftmachung gern. § 273 zu protokollieren. 3 Unter "Gericht" ist im Ermittlungsverfahren der Ermittlungsrichter, im Hauptverfahren das erkennende Gericht gemeint.

8. Kap.: Gesetzesvorschlag de lege ferenda als Zusammenfassung

187

§ 26 a Unzulässige Ablehnung (1) Im Ermittlungsverfahren verwirft der Vorgesetzte, in der Hauptverhandlung der abgelehnte Staatsanwalt selbst die Ablehnung als unzulässig, wenn 1. die Ablehnung gern. § 25 11 verspätet ist, 2. der Besorgnisgrund oder ein Mittel zur Glaubhaftmachung nicht angegeben wird oder 3. durch die Ablehnung das Verfahren offensichtlich nur verschleppt oder nur verfahrensfremde Zwecke verfolgt werden. (2) Wird der Vorgesetzte des im Strafverfahren die Aufgaben der Staatsanwaltschaft wahrnehmenden Staatsanwalts abgelehnt, so verwirft er selbst das Ablehnungsgesuch gern. Abs. I als unzulässig.

§ 27 Entscheidung über die Begründetheit der Ablehnung

(1) Wird die Ablehnung nicht als unzulässig verworfen, so entscheidet im Ermittlungsverfahren und in der Hauptverhandlung über das Ablehnungsgesuch der Vorgesetzte des abgelehnten Staatsanwalts'. (2) Wird der zu dieser Entscheidung berufene Vorgesetzte abgelehnt, so entscheidet der gern. § 147 GVG zuständige nächsthöhere Staatsanwalt. § 28 Beschwerde

(1) Der Beschluß durch den die Ablehnung für begründet erklärt wird, ist nicht anfechtbar. (2) Gegen den Beschluß, durch den die Ablehnung als unzulässig verworfen oder als unbegründet zurückgewiesen wird, ist im Ermittlungsverfahren wie in der Hauptverhandlung die sofortige Beschwerde gern. § 311 zum Generalstaatsanwalt zulässig5 • Das Ermittlungsverfahren und die Hauptverhandlung können fortgesetzt werden. § 29 Gefahr in Verzug, unaufschiebbare Amtshandlungen

(1) Im Ermittlungsverfahren darf der ausgeschlossene Staatsanwalt in den Fällen, in denen die Staatsanwaltschaft bei Gefahr in Verzug zur Vornahme von Amtshandlungen befugt ist, bis zur Entscheidung des Vorgesetzten unaufschiebbare Amtshandlungen treffen; in der Hauptverhandlung darf er nur solche Amtshandlungen vornehmen, die keinen Aufschub gestatten. (2) In den Fällen der Besorgnis der Befangenheit darf der Staatsanwalt vom Zeitpunkt des Anbringens des Ablehnungsgesuchs oder im Falle der Selbstanzeige ab der vorläufigen Enthaltungsanordnung seines Vorgesetzten bis zur Entscheidung seines Vorgesetzten nur die in Abs. I erlaubten Amtshandlungen treffen. 4 Der in § 27 111, 2 enthaltene Passus "Einer Entscheidung bedarf es nicht, wenn der Abgelehnte das Ablehnungsgesuch für begründet hält", kann nicht auf das Verhältnis abgelehnter Staatsanwälte und Vorgesetzter übertragen werden, weil ebenso wie im Verwaltungsverfahren die Behörde, mithin allein der Behördenleiter über die Disqualifikation entscheiden soll (vgl. 6. Kapitel 1. zu § 21 VwVfG und dort Fußn. 11). 5 De lege lata gilt die sofortige Beschwerde an den Generalstaatsanwalt nur in den Fällen des 140 I und 11 (vgl. 6. Kapitel 3. d).

186

8. Kap.: Gesetzesvorschlag de lege ferenda als Zusammenfassung

(3) Wird ein Ablehnungsgesuch für begründet erklärt und ist die Hauptverhandlung nicht ausgesetzt worden, so kann das Gericht den nach Anbringung des Ablehnungsgesuchs liegenden Teil wiederholen, soweit nicht der Staatsanwalt Amtshandlungen vorgenommen hat, die keinen Aufschub gestatten8 • § 30 "Internes" Verfahren7 (1) Der Staatsanwalt ist verpflichtet, bei Verdacht des Vorliegens von Ausschluß- oder Besorgnisgrunden dies dem Leiter der Staatsanwaltschaft oder seinem nächsten Vorgesetzten von Amts wegen oder wenn ein solcher Grund von einem Verfahrensbeteiligten behauptet wird, anzuzeigen. (2) Soweit der Staatsanwalt in einem Verhältnis gern. § 22, 23 steht oder die Besorgnis der Befangenheit gegeben ist, hat der Vorgesetzte von Amts wegen oder auf Anzeige die Ersetzung des Staatsanwalts anzuordnen. (3) Der Staatsanwalt hat sich auf Anordnung seines Vorgesetzten vorläufig der Mitwirkung im Strafverfahren bis zu dessen endgültiger Entscheidung zu enthalten.

8 Abs. III konkretisiert die Befugnis des Gerichts zur Verhandlungsleitung und -gestaltung gern. §§ 238 ff. 7 De lege lata Analogie zu § 21 VwVfG.

Schrifttumsverzeichnis (Stand November 1982) 1

Weitere nicht häufig zitierte Titel in den Fußnoten.

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schaft, NJW 1961, 1615 ff.

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Bettermann, Karl-August: Das Gerichtsverfassungsrecht in der Rechtspre-

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chung des Bundesverfassungsgerichts, AöR 92, 496 ff. Der Schutz der Grundrechte in der ordentlichen Gerichtsbarkeit in: Bettermann / Nipperdey / Scheuner (Hrsg.), Die Grundrechte, Band 3 2. Halbband, Berlin 1959 (zit. z. B.: Bettermann in: Die Grundrechte 111/2).

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Strafverteidigung

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Schrifttumsverzeichnis

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